Elixiere des Teufels.
des Bruders Medardus
eines Capuziners.
Bei Duncker und Humblot.
Vorwort
des Herausgebers.
Gern moͤchte ich Dich, guͤnſtiger Le¬
ſer! unter jene dunkle Platanen fuͤh¬
ren, wo ich die ſeltſame Geſchichte des
Bruders Medardus zum erſtenmale las.
Du wuͤrdeſt Dich mit mir auf dieſel¬
be, in duftige Stauden und bunt gluͤ¬
hende Blumen halb verſteckte, ſteinerne
Bank ſetzen; Du wuͤrdeſt, ſo wie ich,
recht ſehnſuͤchtig nach den blauen Ber¬
gen ſchauen, die ſich in wunderlichen
[IV] Gebilden hinter dem ſonnigten Thal
aufthuͤrmen, das am Ende des Laub¬
ganges ſich vor uns ausbreitet. Aber
nun wendeſt Du Dich um, und er¬
blickeſt kaum zwanzig Schritte hinter
uns ein gothiſches Gebaͤude, deſſen
Portal reich mit Statuͤen verziert iſt. —
Durch die dunklen Zweige der Plata¬
nen ſchauen Dich Heiligenbilder recht
mit klaren lebendigen Augen an; es
ſind die friſchen Freskogemaͤhlde, die
auf der breiten Mauer prangen. —
Die Sonne ſteht gluthroth auf dem
Gebuͤrge, der Abendwind erhebt ſich,
uͤberall Leben und Bewegung. Fluͤ¬
ſternd und rauſchend gehen wunderbare
Stimmen durch Baum und Gebuͤſch:
[V] als wuͤrden ſie ſteigend und ſteigend zu
Geſang und Orgelklang, ſo toͤnt es von
ferne heruͤber. Ernſte Maͤnner, in weit
gefalteten Gewaͤndern, wandeln, den
frommen Blick emporgerichtet, ſchwei¬
gend, durch die Laubgaͤnge des Gartens.
Sind denn die Heiligenbilder leben¬
dig worden, und herabgeſtiegen von den
hohen Simſen? — Dich umwehen die
geheimnißvollen Schauer der wunderba¬
ren Sagen und Legenden die dort ab¬
gebildet, Dir iſt, als geſchaͤhe Alles
vor Deinen Augen, und willig magſt
Du daran glauben. In dieſer Stim¬
mung lieſeſt Du die Geſchichte des Me¬
dardus, und wohl magſt Du auch dann
die ſonderbaren Viſionen des Moͤnchs
[VI] fuͤr mehr halten, als fuͤr das regelloſe
Spiel der erhitzten Einbildungskraft. —
Da Du, guͤnſtiger Leſer! ſo eben
Heiligenbilder, ein Kloſter und Moͤnche
geſchaut haſt, ſo darf ich kaum hinzu¬
fuͤgen, daß es der herrliche Garten des
Capuzinerkloſters in B. war, in den
ich Dich gefuͤhrt hatte.
Als ich mich einſt in dieſem Klo¬
ſter einige Tage aufhielt, zeigte mir der
ehrwuͤrdige Prior, die von dem Bruder
Medardus nachgelaſſene, im Archiv auf¬
bewahrte Papiere, als eine Merkwuͤr¬
digkeit, und nur mit Muͤhe uͤberwand
ich des Priors Bedenken, ſie mir mit¬
zutheilen. Eigentlich, meinte der Alte,
haͤtten dieſe Papiere verbrannt werden
[VII] ſollen. — Nicht ohne Furcht, Du wer¬
deſt des Priors Meinung ſeyn, gebe
ich Dir, guͤnſtiger Leſer! nun das aus
jenen Papieren geformte Buch in die
Haͤnde. Entſchließeſt Du Dich aber,
mit dem Medardus, als ſeyſt Du ſein
treuer Gefaͤhrte, durch finſtre Kreuz¬
gaͤnge und Zellen — durch die bunte —
bunteſte Welt zu ziehen, und mit ihm
das Schauerliche, Entſetzliche, Tolle,
Poſſenhafte ſeines Lebens zu ertragen,
ſo wirſt Du Dich vielleicht an den man¬
nigfachen Bildern der Camera obſcura,
die ſich Dir aufgethan, ergoͤtzen. —
Es kann auch kommen, daß das ge¬
ſtaltlosſcheinende, ſo wie Du ſchaͤrfer
es ins Auge faſſeſt, ſich Dir bald deut¬
[VIII] lich und rund darſtellt. Du erkennſt
den verborgenen Keim, den ein dunk¬
les Verhaͤngniß gebahr, und der, zur
uͤppigen Pflanze emporgeſchoſſen, fort
und fort wuchert in tauſend Ranken,
bis eine Bluͤthe, zur [Frucht] reifend,
allen Lebensſaft an ſich zieht, und den
Keim ſelbſt toͤdtet. —
Nachdem ich die Papiere des Capu¬
ziners Medardus recht aͤmſig durchgele¬
ſen, welches mir ſchwer genug wurde,
da der Seelige eine ſehr kleine, unle¬
ſerliche moͤnchiſche Handſchrift geſchrie¬
ben, war es mir auch, als koͤnne das,
was wir insgemein Traum und Ein¬
bildung nennen, wohl die ſymboliſche
Erkenntniß des geheimen Fadens ſeyn,
[IX] der ſich durch unſer Leben zieht, es
feſtknuͤpfend in allen ſeinen Bedingun¬
gen, als ſey der aber fuͤr verloren
zu achten, der mit jener Erkenntniß
die Kraft gewonnen glaubt, jenen Fa¬
den gewaltſam zu zerreiſſen, und es
aufzunehmen, mit der dunklen Macht,
die uͤber uns gebietet.
Vielleicht geht es Dir, guͤnſtiger
Leſer! wie mir, und das wuͤnſchte ich
denn, aus erheblichen Gruͤnden, recht
herzlich.
Druckfehler.
- Seite 15 Zeile 5. v. u. lies Purpurſchimmmer
ſtatt Purpurhimmel. - — 28 — 5 v. u. lies geiſtigen ſtatt
geiſtlichen. - — 141 — 10 v. o. lies feil ſtatt lieb.
- — 209 — 4 v. o. — Zunge ſtatt Zusge.
- — 231 letzte Zeile lies Barons F. ſtatt Barons B.
- — 259 Zeile 7 v. u. lies um nicht bald ſtatt
um bald - — 269 — 9 v. o. lies entſetzliche ſtatt
entſetzende - — 310 letzte Zeile lies nun ſtatt nur
- — 376 Z. 9 v. o. lies Vermaͤhlungsabende
ſtatt Vernichtungsabende
Die Elixiere des Teufels.
Erſter Band.
I. [1][[2]][[3]]Erſter Abſchnitt.
Die Jahre der Kindheit und das Kloſterleben.
Nie hat mir meine Mutter geſagt, in wel¬
chen Verhaͤltnißen mein Vater in der Welt
lebte; rufe ich mir aber alles das in's Ge¬
daͤchtniß zuruͤck, was ſie mir ſchon in meiner
fruͤheſten Jugend von ihm erzaͤhlte, ſo muß
ich wohl glauben, daß es ein mit tiefen
Kenntnißen begabter lebenskluger Mann war.
Eben aus dieſen Erzaͤhlungen und einzelnen
Aeußerungen meiner Mutter, uͤber ihr fruͤhe¬
res Leben, die mir erſt ſpaͤter verſtaͤndlich
worden, weiß ich, daß meine Eltern von
einem bequemen Leben, welches ſie im Be¬
[4] ſitz vieles Reichthums fuͤhrten, herab ſan¬
ken in die druͤckendſte bitterſte Armuth, und
daß mein Vater, einſt durch den Satan ver¬
lockt zum verruchten Frevel, eine Todſuͤnde
beging, die er, als ihn in ſpaͤten Jahren die
Gnade Gottes erleuchtete, abbuͤßen wollte,
auf einer Pilgerreiſe nach der heiligen Linde
im weit entfernten kalten Preußen. — Auf
der beſchwerlichen Wanderung dahin, fuͤhlte
meine Mutter nach mehreren Jahren der
Ehe zum erſtenmahl, daß dieſe nicht un¬
fruchtbar bleiben wuͤrde, wie mein Vater
befuͤrchtet, und ſeiner Duͤrftigkeit unerachtet
war er hoch erfreut, weil nun eine Viſion
in Erfuͤllung gehen ſollte, in welcher ihm
der heilige Bernardus Troſt und Vergebung
der Suͤnde durch die Geburt eines Sohnes
zugeſichert hatte. In der heiligen Linde er¬
krankte mein Vater, und je weniger er die
vorgeſchriebenen beſchwerlichen Andachts¬
uͤbungen ſeiner Schwaͤche unerachtet aus¬
ſetzen wollte, deſto mehr nahm das Uebel
[5] uͤberhand; er ſtarb entſuͤndigt und getroͤſtet
in demſelben Augenblick, als ich gebohren
wurde. — Mit dem erſten Bewuſtſeyn daͤm¬
mern in mir die lieblichen Bilder von dem
Kloſter, und von der herrlichen Kirche in der
heiligen Linde, auf. Mich umrauſcht noch
der dunkle Wald — mich umduften noch die
uͤppig aufgekeimten Graͤſer, die bunten Blu¬
men, die meine Wiege waren. Kein gifti¬
ges Thier, kein ſchaͤdliches Inſekt niſtet in
dem Heiligthum der Gebenedeyten; nicht das
Sumſen einer Fliege, nicht das Zirpen des
Heimchens unterbricht die heilige Stille, in
der nur die frommen Geſaͤnge der Prieſter
erhallen, die, mit den Pilgern goldne Rauch¬
faͤßer ſchwingend, aus denen der Duft des
Weyhrauchopfers emporſteigt, in langen Zuͤ¬
gen daherziehen. Noch ſehe ich, mitten in der
Kirche, den mit Silber uͤberzogenen Stamm
der Linde, auf welche die Engel das wun¬
derthaͤtige Bild der heiligen Jungfrau nie¬
derſetzten. Noch laͤcheln mich die bunten Ge¬
[6] ſtalten der Engel — der Heiligen — von den
Waͤnden, von der Decke der Kirche an! —
Die Erzaͤhlungen meiner Mutter von dem
wundervollen Kloſter, wo ihrem tiefſten
Schmerz gnadenreicher Troſt zu Theil wur¬
de, ſind ſo in mein Innres gedrungen, daß
ich Alles ſelbſt geſehen, ſelbſt erfahren zu
haben glaube, unerachtet es unmoͤglich iſt,
daß meine Erinnerung ſo weit hinausreicht,
da meine Mutter nach anderthalb Jahren
die heilige Staͤtte verließ. — So iſt es mir,
als haͤtte ich ſelbſt einmahl in der oͤden Kir¬
che die wunderbare Geſtalt eines ernſten
Mannes geſehen, und es ſey eben der fremde
Mahler geweſen, der in uralter Zeit, als
eben die Kirche gebaut, erſchien, deſſen
Sprache niemand verſtehen konnte und der
mit kunſtgeuͤbter Hand in gar kurzer Zeit,
die Kirche auf das herrlichſte ausmahlte, dann
aber, als er fertig worden, wieder ver¬
ſchwand. — So gedenke ich ferner noch eines
alten fremdartig gekleideten Pilgers mit lan¬
[7] gem grauen Barte, der mich oft auf den
Armen umhertrug, im Walde allerley bunte
Mooſe und Steine ſuchte, und mit mir ſpielte;
unerachtet ich gewiß glaube, daß nur aus
der Beſchreibung meiner Mutter ſich im In¬
nern ſein lebhaftes Bild erzeugt hat. Er
brachte einmal einen fremden wunderſchoͤ¬
nen Knaben mit, der mit mir von gleichem
Alter war Uns herzend und kuͤßend ſaßen
wir im Graſe, ich ſchenkte ihm alle meine
bunten Steine und er wußte damit allerlei
Figuren auf dem Erdboden zu ordnen, aber
immer bildete ſich daraus zuletzt die Geſtalt
des Kreuzes. Meine Mutter ſaß neben uns
auf einer ſteinernen Bank, und der Alte ſchau¬
te hinter ihr ſtehend, mit mildem Ernſt unſern
kindiſchen Spielen zu. Da traten einige
Juͤnglinge aus dem Gebuͤſch, die, nach ihrer
Kleidung und nach ihrem ganzen Weſen zu
urtheilen, wohl nur aus Neugierde und
Schauluſt nach der heiligen Linde gekommen
waren. Einer von ihnen rief, indem er uns
[8] gewahr wurde, lachend: Sieh da! eine hei¬
lige Familie, das iſt etwas fuͤr meine Map¬
pe! — Er zog wirklich Papier und Crayon
hervor und ſchickte ſich an uns zu zeichnen,
da erhob der alte Pilger ſein Haupt und
rief zornig: Elender Spoͤtter, du willſt ein
Kuͤnſtler ſeyn und in deinem Innern brannte
nie die Flamme des Glaubens und der Liebe;
aber deine Werke werden todt und ſtarr blei¬
ben wie du ſelbſt, und du wirſt wie ein
Verſtoßener in einſamer Leere verzweifeln
und untergehen in deiner eignen Armſeelig¬
keit. — Die Juͤnglinge eilten beſtuͤrzt von
dannen. — Der alte Pilger ſagte zu meiner
Mutter: ich habe euch heute ein wunderba¬
res Kind gebracht, damit es in euerm Sohn
den Funken der Liebe entzuͤnde, aber ich
muß es wieder von euch nehmen und ihr
werdet es wohl, ſo wie mich ſelbſt, nicht mehr
ſchauen. Euer Sohn iſt mit vielen Ga¬
ben herrlich ausgeſtattet, aber die Suͤnde
des Vaters kocht und gaͤhrt in ſeinem Blute,
[9] er kann jedoch ſich zum wackern Kaͤmpen fuͤr
den Glauben aufſchwingen, laßet ihn geiſt¬
lich werden! — Meine Mutter konnte nicht
genug ſagen, welchen tiefen unausloͤſchlichen
Eindruck die Worte des Pilgers auf ſie ge¬
macht hatten; ſie beſchloß aber demunerach¬
tet meiner Neigung durchaus keinen Zwang
anzuthun, ſondern ruhig abzuwarten, was
das Geſchick uͤber mich verhaͤngen und wozu
es mich leiten wuͤrde, da ſie an irgend eine
andere hoͤhere Erziehung, als die ſie ſelbſt
mir zu geben im Stande war, nicht denken
konnte. — Meine Erinnerungen aus deutlicher
ſelbſt gemachter Erfahrung, heben von dem
Zeitpunkt an als meine Mutter, auf der
Heimreiſe, in das Ciſterzienſer Nonnenklo¬
ſter gekommen war, deſſen gefuͤrſtete Aeb¬
tiſſin, die meinen Vater gekannt hatte, ſie
freundlich aufnahm. Die Zeit von jener Be¬
gebenheit mit dem alten Pilger, welche ich
in der That aus eigner Anſchauung weiß, ſo
daß ſie meine Mutter nur Ruͤckſichts der Re¬
[10] den des Mahlers und des alten Pilgers er¬
gaͤnzt hat, bis zu dem Moment, als mich
meine Mutter zum erſtenmal zur Aebtiſſin
brachte, macht eine voͤllige Luͤcke: nicht die
leiſeſte Ahnung iſt mir davon uͤbrig geblie¬
ben. Ich finde mich erſt wieder, als die
Mutter meinen Anzug, ſo viel es ihr nur
moͤglich war, beſſerte und ordnete. Sie hat¬
te neue Baͤnder in der Stadt gekauft, ſie
verſchnitt mein wildverwachſ'nes Haar, ſie
putzte mich mit aller Muͤhe und ſchaͤrfte mir
dabei ein, mich ja recht fromm und artig bei
der Frau Aebtiſſin zu betragen. Endlich ſtieg
ich, an der Hand meiner Mutter, die breiten
ſteinernen Treppen herauf und trat in das
hohe, gewoͤlbte, mit heiligen Bildern ausge¬
ſchmuͤckte Gemach, in dem wir die Fuͤrſtin
fanden. Es war eine große majeſtaͤtiſche
ſchoͤne Frau, der die Ordenstracht eine Ehr¬
furcht einfloͤßende Wuͤrde gab. Sie ſah mich
mit einem ernſten bis ins Innerſte dringen¬
den Blick an, und frug: iſt das euer Sohn?
[11] — Ihre Stimme, ihr ganzes Anſehn — ſelbſt
die fremde Umgebung, das hohe Gemach,
die Bilder, alles wirkte ſo auf mich, daß
ich, von dem Gefuͤhl eines inneren Grauens
ergriffen, bitterlich zu weinen anfing. Da
ſprach die Fuͤrſtin, indem ſie mich milder
und guͤtiger anblickte: was iſt dir Kleiner,
fuͤrchteſt du dich vor mir? — Wie heißt euer
Sohn, liebe Frau? — „Franz, erwiederte mei¬
ne Mutter, da rief die Fuͤrſtin mit der tief¬
ſten Wehmuth: Franziskus! Und hob mich
auf und druͤckte mich heftig an ſich, aber in
dem Augenblick preßte mir ein jaͤher Schmerz,
den ich am Halſe fuͤhlte, einen ſtarken Schrei
aus, ſo daß die Fuͤrſtin erſchrocken mich los
ließ, und die durch mein Betragen ganz be¬
ſtuͤrzt gewordene Mutter auf mich zuſprang
um nur gleich mich fortzufuͤhren. Die Fuͤr¬
ſtin ließ das nicht zu; es fand ſich, daß das
diamantne Kreuz, welches die Fuͤrſtin auf
der Bruſt trug, mich, indem ſie heftig mich
an ſich druͤckte, am Halſe ſo ſtark beſchaͤdigt
[12] hatte, daß die Stelle ganz roth und mit Blut
unterlaufen war. Armer Franz, ſprach
die Fuͤrſtin, ich habe dir weh gethan, aber
wir wollen doch noch gute Freunde werden.“
— Eine Schweſter brachte Zuckerwerk und
ſuͤßen Wein, ich ließ mich, jetzt ſchon dreiſter
geworden, nicht lange noͤthigen, ſondern
naſchte tapfer von den Suͤßigkeiten, die mir
die holde Frau, welche ſich geſetzt und mich
auf den Schooß genommen hatte, ſelbſt in
den Mund ſteckte. Als ich einige Tropfen
des ſuͤßen Getraͤnks, das mir bis jetzt ganz
unbekannt geweſen, gekoſtet, kehrte mein
munterer Sinn, die beſondere Lebendigkeit,
die, nach meiner Mutter Zeugniß, von mei¬
ner fruͤhſten Jugend mir eigen war, zuruͤck.
Ich lachte und ſchwazte zum groͤßten Ver¬
gnuͤgen der Aebtiſſin und der Schweſter, die
im Zimmer geblieben. Noch iſt es mir un¬
erklaͤrlich, wie meine Mutter darauf verfiel,
mich aufzufordern, der Fuͤrſtin von den ſchoͤ¬
nen herrlichen Dingen meines Geburtsortes
[13] zu erzaͤhlen, und ich, wie von einer hoͤheren
Macht inſpirirt, ihr die ſchoͤnen Bilder des
fremden unbekannten Mahlers ſo lebendig,
als habe ich ſie im tiefſten Geiſte aufgefaßt,
beſchreiben konnte. Dabei ging ich ganz ein
in die herrlichen Geſchichten der Heiligen,
als ſei ich mit allen Schriften der Kirche
ſchon bekannt und vertraut geworden. Die
Fuͤrſtin, ſelbſt meine Mutter, blickten mich
voll Erſtaunen an, aber jemehr ich ſprach,
deſto hoͤher ſtieg meine Begeiſterung und als
mich endlich die Fuͤrſtin frug: Sage mir
liebes Kind, woher weißt du denn das al¬
les? — da antwortete ich, ohne mich einen Au¬
genblick zu beſinnen, daß der ſchoͤne wun¬
derbare Knabe, den einſt ein fremder Pil¬
gersmann mitgebracht haͤtte, mir alle Bil¬
der in der Kirche erklaͤrt, ja ſelbſt noch man¬
ches Bild mit bunten Steinen gemahlt und
mir nicht allein den Sinn davon geloͤſet,
ſondern auch noch viele andere heilige Ge¬
ſchichten erzaͤhlt haͤtte. —
[14]
Man laͤutete zur Veſper, die Schweſter
hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Duͤte
gepackt, die ſie mir gab und die ich voller
Vergnuͤgen einſteckte. Die Aebtiſſin ſtand
auf und ſagte zu meiner Mutter: ich ſehe
euern Sohn als meinen Zoͤgling an, liebe
Frau! Und will von nun an fuͤr ihn ſorgen.
Meine Mutter konnte vor Wehmuth nicht
ſprechen, ſie kuͤßte, heiße Thraͤnen vergie¬
ßend, die Haͤnde der Fuͤrſtin. Schon woll¬
ten wir zur Thuͤre hinaustreten, als die Fuͤr¬
ſtin uns nachkam, mich nochmals aufhob,
ſorgfaͤltig das Kreuz bei Seite ſchiebend,
mich an ſich druͤckte, und heftig weinend, ſo
daß die heißen Tropfen auf meine Stirne
fielen, ausrief: Franziskus! — Bleibe fromm
und gut! — Ich war im Innerſten bewegt
und mußte auch weinen, ohne eigentlich zu
wiſſen warum. —
Durch die Unterſtuͤtzung der Aebtiſſin ge¬
wann der kleine Haushalt meiner Mutter,
die unfern dem Kloſter in einer kleinen Meie¬
[15] rei wohnte, bald ein beſſeres Anſehen. Die
Noth hatte ein Ende, ich ging beſſer ge¬
kleidet und genoß den Unterricht des Pfar¬
rers, dem ich zugleich, wenn er in der Klo¬
ſterkirche das Amt hielt, als Chorknabe
diente. —
Wie umfaͤngt mich noch wie ein ſeeliger
Traum die Erinnerung an jene gluͤckliche
Jugendzeit! — Ach wie ein fernes herrliches
Land, wo die Freude wohnt, und die unge¬
truͤbte Heiterkeit des kindlichen unbefangenen
Sinns, liegt die Heimat weit, weit hinter
mir, aber wenn ich zuruͤckblicke, da gaͤhnt
mir die Kluft entgegen, die mich auf ewig
von ihr geſchieden. Von heißer Sehnſucht
ergriffen, trachte ich immer mehr und mehr
die Geliebten zu erkennen, die ich druͤben,
wie im Purpurhimmel des Fruͤhroths wan¬
delnd, erblicke, ich waͤhne ihre holden Stim¬
men zu vernehmen. Ach! — giebt es denn
eine Kluft, uͤber die die Liebe mit ſtarkem
Fittig ſich nicht hinwegſchwingen koͤnnte.
[16] Was iſt fuͤr die liebe der Raum, die Zeit!
— Lebt ſie nicht im Gedanken und kennt der
denn ein Maaß? — Aber finſtre Geſtalten
ſteigen auf, und immer dichter und dichter
ſich zuſammendraͤngend, immer enger und
enger mich einſchließend, verſperren ſie die
Ausſicht und befangen meinen Sinn mit den
Drangſalen der Gegenwart, daß ſelbſt die
Sehnſucht, welche mich mit namenloſem
wonnevollem Schmerz erfuͤllte, nun zu toͤd¬
tender heilloſer Qual wird! —
Der Pfarrer war die Guͤte ſelbſt, er
wußte meinen lebhaften Geiſt zu feſſeln, er
wußte ſeinen Unterricht ſo nach meiner Sin¬
nesart zu formen, daß ich Freude daran
fand, und ſchnelle Fortſchritte machte. —
Meine Mutter liebte ich uͤber alles, aber die
Fuͤrſtin verehrte ich wie eine Heilige, und es
war ein feierlicher Tag fuͤr mich, wenn ich
ſie ſehen durfte. Jedesmal nahm ich mir
vor, mit den neuerworbenen Kenntniſſen
recht vor ihr zu leuchten, aber wenn ſie
kam,[17] kam, wenn ſie freundlich mich anredete, da
konnte ich kaum ein Wort herausbringen,
ich mochte nur ſie anſchauen, nur ſie hoͤ¬
ren. Jedes ihrer Worte blieb tief in mei¬
ner Seele zuruͤck, noch den ganzen Tag
uͤber, wenn ich ſie geſprochen, befand ich
mich in wunderbarer feierlicher Stimmung
und ihre Geſtalt begleitete mich auf den
Spaziergaͤngen, die ich dann beſuchte. —
Welches namenloſe Gefuͤhl durchbebte mich,
wenn ich, das Rauchfaß ſchwingend am Hoch¬
altare ſtand, und nun die Toͤne der Orgel von
dem Chore herabſtroͤmten und, wie zur brau¬
ſenden Fluth anſchwellend, mich fortriſſen —
wenn ich dann in dem Hymnus ihre Stim¬
me erkannte, die, wie ein leuchtender Strahl
zu mir herabdrang, und mein Inneres mit
den Ahnungen des Hoͤchſten — des Heilig¬
ſten erfuͤllte. Aber der herrlichſte Tag, auf
den ich mich Wochenlang freute, ja, an
den ich niemals ohne inneres Entzuͤcken den¬
ken konnte, war das Feſt des heiligen Ber¬
I. [ 2 ][18] nardus, welches, da er der Heilige der Ci¬
ſterzienſer iſt, im Kloſter durch einen gro¬
ßen Ablaß auf das feierlichſte begangen
wurde. Schon den Tag vorher ſtroͤmten
aus der benachbarten Stadt, ſo wie aus der
ganzen umliegenden Gegend, eine Menge Men¬
ſchen herbei und lagerten ſich auf der großen
blumigten Wieſe, die ſich an das Kloſter
ſchloß, ſo daß das frohe Getuͤmmel, Tag
und Nacht nicht aufhoͤrte. Ich erinnere mich
nicht, daß die Witterung in der guͤnſtigen
Jahreszeit (der Bernardustag faͤllt in den
Auguſt) dem Feſte jemahls unguͤnſtig gewe¬
ſen ſeyn ſollte. In bunter Miſchung ſah
man hier andaͤchtige Pilger, Hymnen ſingend,
daher wandeln, dort Bauerburſche ſich mit
den geputzten Dirnen jubelnd umhertummeln
— Geiſtliche, die in frommer Betrachtung,
die Haͤnde andaͤchtig gefaltet, in die Wolken
ſchauen — Buͤrgerfamilien im Graſe gelagert,
die die hochgefuͤllten Speiſekoͤrbe auspacken
und ihr Mahl verzehren. Luſtiger Geſang,
[19] fromme Lieder, die inbruͤnſtigen Seufzer der
Buͤſſenden, das Gelaͤchter der Froͤhlichen,
Klagen, Jauchzen, Jubel, Scherze, Ge¬
bet erfuͤllen wie in wunderbarem betaͤu¬
bendem Conzert die Luͤfte! — Aber, ſo wie
die Glocke des Kloſters anſchlaͤgt, verhallt
das Getoͤſe ploͤtzlich — ſo weit das Auge nur
reicht, iſt alles in dichte Reihen gedraͤngt
auf die Knie geſunken, und nur das dumpfe
Murmeln des Gebets unterbricht die heilige
Stille. Der letzte Schlag der Glocke toͤnt
aus, die bunte Menge ſtroͤmt wieder durch
einander, und aufs neue erſchallt der nur
Minuten lang unterbrochene Jubel. — Der Bi¬
ſchoff ſelbſt, welcher in der benachbarten
Stadt reſidirt, hielt an dem Bernardustage
in der Kirche des Kloſters, bedient von der
untern Geiſtlichkeit des Hochſtifts, das fei¬
erliche Hochamt, und ſeine Kapelle fuͤhrte
auf einer Tribune, die man zur Seite des
Hochaltars errichtet, und mit reicher, ſel¬
tener Hauteliſſe behaͤngt hatte, die Muſik
[20] aus. — Noch jetzt ſind die Empfindungen,
die damals meine Bruſt durchbebten, nicht
erſtorben, ſie leben auf, in jugendlicher Fri¬
ſche, wenn ich mein Gemuͤth ganz zuwende
jener ſeeligen Zeit, die nur zu ſchnell ver¬
ſchwunden. Ich gedenke lebhaft eines Glo¬
ria, welches mehrmals ausgefuͤhrt wurde,
da die Fuͤrſtin eben dieſe Compoſition vor
allen andern liebte. — Wenn der Biſchoff
das Gloria intonirt hatte, und nun die maͤch¬
tigen Toͤne des Chors daher brauſ'ten: Glo¬
ria in exelsis deo! — war es nicht, als
oͤffne ſich die Wolken-Glorie uͤber dem Hoch¬
altar? — ja, als ergluͤhten durch ein goͤtt¬
liches Wunder die gemalten Cherubim und
Seraphim zum leben, und regten und be¬
wegten die ſtarken Fittige, und ſchwebten
auf und nieder, Gott lobpreiſend mit Ge¬
ſang und wunderbarem Saitenſpiel? — Ich
verſank in das hinbruͤtende Staunen der be¬
geiſterten Andacht, die mich durch glaͤnzen¬
de Wolken in das ferne bekannte heimatliche
[21] Land trug, und in dem duftenden Walde er¬
toͤnten die holden Engelsſtimmen, und der
wunderbare Knabe, trat wie aus hohen Li¬
lienbuͤſchen mir entgegen, und frug mich laͤ¬
chelnd: wo warſt du denn ſo lange, Francis¬
cus? — ich habe viele ſchoͤne bunte Blu¬
men, die will ich dir alle ſchenken, wenn
du bei mir bleibſt, und mich liebſt immer¬
dar. —
Nach dem Hochamt hielten die Nonnen,
unter dem Vortritt der Aebtiſſin, die mit
der Inful geſchmuͤckt war, und den ſilber¬
nen Hirtenſtab trug, eine feierliche Prozeſ¬
ſion durch die Gaͤnge des Kloſters und durch
die Kirche. Welche Heiligkeit, welche Wuͤr¬
de, welche uͤberirrdiſche Groͤße ſtrahlte aus
jedem Blick der herrlichen Frau, leitete jede
ihrer Bewegungen! Es war die triumphi¬
rende Kirche ſelbſt, die dem frommen glaͤu¬
bigen Volke Gnade und Seegen verhieß.
Ich haͤtte mich vor ihr in den Staub wer¬
fen moͤgen, wenn ihr Blick zufaͤllig auf mich
[22] fiel. — Nach beendigtem Gottesdienſt wur¬
de die Geiſtlichkeit, ſo wie die Kapelle des
Biſchoffs, in einem großen Saal des Kloſters
bewirthet. Mehrere Freunde des Kloſters,
Offizianten, Kaufleute aus der Stadt, nah¬
men an dem Mahle Theil, und ich durfte,
weil mich der Conzertmeiſter des Biſchoffs
lieb gewonnen, und gern ſich mit mir zu
ſchaffen machte, auch dabei ſeyn. Hatte ſich
erſt mein Inneres, von heiliger Andacht durch¬
gluͤht, ganz dem Ueberirdiſchen zugewendet,
ſo trat jetzt das frohe Leben auf mich ein,
und umfieng mich mit ſeinen bunten Bildern.
Allerlei luſtige Erzaͤhlungen, Spaͤße und
Schwaͤnke wechſelten unter dem lauten Ge¬
laͤchter der Gaͤſte, wobei die Flaſchen fleißig
geleert wurden, bis der Abend hereinbrach,
und die Wagen zur Heimfahrt bereit ſtanden.
Sechszehn Jahre war ich alt geworden,
als der Pfarrer erklaͤrte, daß ich nun vor¬
bereitet genug ſey, die hoͤheren theologiſchen
Studien in dem Seminar der benachbarten
[23] Stadt zu beginnen: ich hatte mich nemlich
ganz fuͤr den geiſtlichen Stand entſchieden,
und dies erfuͤllte meine Mutter mit der in¬
nigſten Freude, da ſie hiedurch die geheim¬
nißvollen Andeutungen des Pilgers, die in
gewiſſer Art mit der merkwuͤrdigen, mir un¬
bekannten Viſion meines Vaters in Verbin¬
dung ſtehen ſollten, erklaͤrt und erfuͤllt ſah.
Durch meinen Entſchluß glaubte ſie erſt die
Seele meines Vaters entſuͤhnt, und von der
Quaal ewiger Verdammniß errettet. Auch die
Fuͤrſtin, die ich jetzt nur im Sprachzimmer
ſehen konnte, billigte hoͤchlich mein Vorha¬
ben, und wiederholte ihr Verſprechen, mich
bis zur Erlangung einer geiſtlichen Wuͤrde
mit allem Noͤthigen zu unterſtuͤtzen. Uner¬
achtet die Stadt ſo nahe lag, daß man von
dem Kloſter aus, die Thuͤrme ſehen konnte,
und nur irgend ruͤſtige Fußgaͤnger von dort
her, die heitre anmuthige Gegend des Klo¬
ſters zu ihren Spaziergaͤngen waͤhlten, ſo
wurde mir doch der Abſchied von meiner
[24] guten Mutter, von der herrlichen Frau, die
ich ſo tief im Gemuͤthe verehrte, ſo wie von
meinem guten Lehrer, recht ſchwer. Es iſt
ja auch gewiß, daß dem Schmerz der Tren¬
nung jede Spanne außerhalb dem Kreiſe der
Lieben, der weiteſten Entfernung gleich duͤnkt!
— Die Fuͤrſtin war auf beſondere Weiſe be¬
wegt, ihre Stimme zitterte vor Wehmuth,
als ſie noch ſalbungsvolle Worte der Ermah¬
nung ſprach. Sie ſchenkte mir einen zierli¬
chen Roſenkranz, und ein kleines Gebetbuch
mit ſauber illuminirten Bildern. Dann gab
ſie mir noch ein Empfehlungsſchreiben an
den Prior des Capuziner Kloſters in der
Stadt, den ſie mir empfahl gleich aufzu¬
ſuchen, da er mir in allem mit Rath und
That eifrigſt beiſtehen werde.
Gewiß giebt es nicht ſo leicht eine anmu¬
thigere Gegend, als diejenige iſt, in welcher
das Capuziner Kloſter dicht vor der Stadt
liegt. Der herrliche Kloſter-Garten mit der
Ausſicht in die Gebuͤrge hinein, ſchien mir
[25] jedesmahl, wenn ich in den langen Alleen
wandelte, und bald bei dieſer, bald bei je¬
ner uͤppigen Baumgruppe ſtehen blieb, in
neuer Schoͤnheit zu erglaͤnzen. — Gerade in
dieſem Garten traf ich den Prior Leonar¬
dus, als ich zum erſtenmal das Kloſter be¬
ſuchte, um mein Empfehlungsſchreiben von
der Aebtiſſin abzugeben. — Die dem Prior
eigne Freundlichkeit wurde noch erhoͤht, als
er den Brief las, und er wußte ſo viel an¬
ziehendes von der herrlichen Frau, die er
ſchon in fruͤhen Jahren in Rom kennen ge¬
lernt, zu ſagen, daß er ſchon dadurch im
erſten Augenblick mich ganz an ſich zog.
Er war von den Bruͤdern umgeben, und
man durchblickte bald das ganze Verhaͤltniß
des Priors mit den Moͤnchen, die ganze kloͤ¬
ſterliche Einrichtung und Lebensweiſe: die
Ruhe und Heiterkeit des Geiſtes, welche ſich
in dem Aeußerlichen des Priors deutlich aus¬
ſprach, verbreitete ſich uͤber alle Bruͤder.
Man ſah nirgends eine Spur des Mißmuths
[26] oder jener feindlichen ins Innere zehrenden
Verſchloſſenheit, die man ſonſt wohl auf den
Geſichtern der Moͤnche wahrnimmt. Uner¬
achtet der ſtrengen Ordensregel, waren die
Andachtsuͤbungen dem Prior Leonardus mehr
Beduͤrfniß des dem himmliſchen zugewand¬
ten Geiſtes, als aszetiſche Buße fuͤr die der
menſchlichen Natur anklebende Suͤnde, und
er wußte dieſen Sinn der Andacht ſo in den
Bruͤdern zu entzuͤnden, daß ſich uͤber Alles,
was ſie thun mußten um der Regel zu ge¬
nuͤgen, eine Heiterkeit und Gemuͤthlichkeit er¬
goß, die in der That ein hoͤheres Seyn, in
der irdiſchen Beengtheit erzeugte. — Selbſt
eine gewiſſe ſchickliche Verbindung mit der
Welt, wußte der Prior Leonardus herzuſtel¬
len, die fuͤr die Bruͤder nicht anders als
heilſam ſeyn konnte. Reichliche Spenden,
die von allen Seiten dem allgemein hochge¬
achteten Kloſter dargebracht wurden, mach¬
ten es moͤglich, an gewiſſen Tagen die Freun¬
de und Beſchuͤtzer des Kloſters in dem Re¬
[27] fektorium zu bewirthen. Dann wurde in der
Mitte des Speiſeſaals eine lange Tafel ge¬
deckt, an deren oberem Ende der Prior Leo¬
nardus bei den Gaͤſten ſaß. Die Bruͤder
blieben an der ſchmalen, der Wand entlang
ſtehenden Tafel, und bedienten ſich ihres
einfachen Geſchirres, der Regel gemaͤß, waͤh¬
rend an der Gaſttafel alles ſauber und zier¬
lich mit Porzellan und Glas beſetzt war.
Der Koch des Kloſters wußte vorzuͤglich auf
eine leckere Art Faſtenſpeiſen zuzubereiten,
die den Gaͤſten gar wohl ſchmeckten. Die
Gaͤſte ſorgten fuͤr den Wein, und ſo waren
die Male im Capuziner-Kloster ein freundli¬
ches gemuͤthliches Zuſammentreten des Pro¬
fanen mit dem Geiſtlichen, welches in wech¬
ſelſeitiger Ruͤckwirkung, fuͤr das Leben nicht
ohne Nutzen ſeyn konnte. Denn, indem die
im weltlichen Treiben Befangenen hinaustra¬
ten, und eingingen in die Mauern, wo al¬
les das ihrem Thun ſchnurſtracks entgegen¬
geſetzte Leben der Geiſtlichen verkuͤndet, mu߬
[28] ten ſie, von manchem Funken, der in ihre
Seele fiel, aufgeregt, eingeſtehen, daß auch
wohl auf andere Wege, als auf dem, den
ſie eingeſchlagen, Ruhe und Gluͤck zu finden
ſey, ja, daß vielleicht der Geiſt, je mehr
er ſich uͤber das Irrdiſche erhebe, dem Men¬
ſchen ſchon hienieden ein hoͤheres Seyn be¬
reiten koͤnne. Dagegen gewannen die Moͤn¬
che an Lebens-Umſicht und Weisheit, da die
Kunde, welche ſie von dem Thun und Trei¬
ben der bunten Welt außerhalb ihrer Mau¬
ern erhielten, in ihnen Betrachtungen man¬
cherlei Art erweckte. Ohne dem Irrdiſchen
einen falſchen Werth zu verleihen, mußten
ſie in der verſchiedenen, aus dem Innern
beſtimmten Lebensweiſe der Menſchen, die
Nothwendigkeit einer ſolchen Strahlenbre¬
chung des geiſtlichen Prinzips, ohne welche
alles farb- und glanzlos geblieben waͤre, an¬
erkennen. Ueber Alle hocherhaben, Ruͤckſichts
der geiſtigen und wiſſenſchaftlichen Ausbil¬
dung, ſtand von je her der Prior Leonardus.
[29] Außerdem, daß er allgemein fuͤr einen wa¬
ckern Gelehrten in der Theologie galt, ſo,
daß er mit Leichtigkeit und Tiefe die ſchwie¬
rigſten Materien abzuhandeln wußte, und
ſich die Profeſſoren des Seminars oft bei ihm
Rath und Belehrung holten, war er auch
mehr, als man es wohl einem Kloſtergeiſtli¬
chen zutrauen kann, fuͤr die Welt ausgebil¬
det. Er ſprach mit Fertigkeit und Eleganz
das Italiaͤniſche und Franzoͤſiſche, und ſei¬
ner beſonderen Gewandheit wegen, hatte
man ihn in fruͤherer Zeit zu wichtigen Miſ¬
ſionen gebraucht. Schon damals, als ich
ihn kennen lernte, war er hochbejahrt, aber
indem ſein weißes Haar von ſeinem Alter
zeugte, blitzte aus den Augen noch jugendli¬
ches Feuer, und das anmuthige Laͤcheln,
welches um ſeine Lippen ſchwebte, erhoͤhte
den Ausdruck der innern Behaglichkeit und
Gemuͤthsruhe. Dieſelbe Grazie, welche [ſei¬
ne]Rede ſchmuͤckte, herrſchte in ſeinen Bewe¬
gungen, und ſelbſt die unbehuͤlfliche Or¬
[30] denstracht ſchmiegte ſich wunderſam den
wohlgebauten Formen ſeines Koͤrpers an.
Es befand ſich kein Einziger unter den Bruͤ¬
dern, den nicht eigne freie Wahl, den nicht
ſogar das von der innern geiſtigen Stimmung
erzeugte Beduͤrfniß in das Kloſter gebracht
haͤtte; aber auch den Ungluͤcklichen, der im
Kloſter den Port geſucht haͤtte, um der Ver¬
nichtung zu entgehen, haͤtte Leonardus bald
getroͤſtet; ſeine Buße waͤre der kurze Ueber¬
gang zur Ruhe geworden, und, mit der Welt
verſoͤhnt, ohne ihren Tand zu achten, haͤtte
er, im Irrdiſchen lebend, doch ſich bald uͤber
das Irrdiſche erhoben. Dieſe ungewoͤhnli¬
chen Tendenzen des Kloſterlebens, hatte Leo¬
nardus in Italien aufgefaßt, wo der Kultus,
und mit ihm die ganze Anſicht des religioͤ¬
ſen Lebens heitrer iſt, als in dem Katholi¬
ſchen Deutſchland. So wie bei dem Bau
der Kirchen, noch die antiken Formen ſich er¬
hielten, ſo ſcheint auch ein Stral aus je¬
ner heitern lebendigen Zeit des Alterthums
[31] in das myſtiſche Dunkel des Chriſtianism ge¬
drungen zu ſeyn, und es mit dem wunderba¬
ren Glanze erhellt zu haben, der ſonſt die
Goͤtter und Helden umſtralte.
Leonardus gewann mich lieb, er unter¬
richtete mich im italiaͤniſchen und franzoͤſi¬
ſchen, vorzuͤglich waren es aber die mannig¬
fachen Buͤcher, welche er mir in die Haͤnde
gab, ſo wie ſeine Geſpraͤche, die meinen
Geiſt auf beſondere Weiſe ausbildeten. Bei¬
nahe die ganze Zeit, welche meine Studien
im Seminar mir uͤbrig ließen, brachte ich
im Capuziner-Kloſter zu, und ich ſpuͤrte,
wie immer mehr meine Neigung zunahm,
mich einkleiden zu laſſen. Ich eroͤffnete dem
Prior meinen Wunſch; ohne mich indeſſen
gerade davon abbringen zu wollen, rieth er
mir, wenigſtens noch ein paar Jahre zu
warten, und unter der Zeit mich mehr, als
bisher in der Welt umzuſehen. So wenig
es mir indeſſen an anderer Bekanntſchaft
fehlte, die ich mir vorzuͤglich durch den bi¬
[32] ſchoͤflichen Conzertmeiſter, welcher mich in
der Muſik unterrichtete, erworben, ſo fuͤhlte
ich mich doch in jeder Geſellſchaft, und vor¬
zuͤglich wenn Frauenzimmer zugegen waren,
auf unangenehme Weiſe befangen, und dies,
ſo wie uͤberhaupt der Hang zum contempla¬
tiven Leben, ſchien meinen innern Beruf zum
Kloſter zu entſcheiden. —
Einſt hatte der Prior viel Merkwuͤrdiges
mit mir geſprochen, uͤber das profane Leben;
er war eingedrungen in die ſchluͤpfrigſten
Materien, die er aber mit ſeiner gewoͤhnli¬
chen Leichtigkeit und Anmuth des Ausdrucks
zu behandeln wußte, ſo daß er, alles nur
im mindeſten Anſtoͤßige vermeidend, doch
immer auf den rechten Fleck traf. Er nahm
endlich meine Hand, ſah mir ſcharf ins Au¬
ge, und frug, ob ich noch unſchuldig ſey? —
Ich fuͤhlte mich ergluͤhen, denn indem Leo¬
nardus mich ſo verfaͤnglich frug, ſprang ein
Bild in den lebendigſten Farben hervor,
welches ſo lange ganz von mir gewichen. —
Der[33] Der Conzertmeiſter hatte eine Schweſter,
welche gerade nicht ſchoͤn genannt zu wer¬
den verdiente, aber doch in der hoͤchſten
Bluͤthe ſtehend, ein uͤberaus reizendes Maͤd¬
chen war. Vorzuͤglich zeichnete ſie ein im
reinſten Ebenmaaß geformter Wuchs aus; ſie
hatte die ſchoͤnſten Arme, den ſchoͤnſten Bu¬
ſen in Form und Colorit, den man nur ſe¬
hen kann. — Eines Morgens als ich zum
Conzertmeiſter gehen wollte, meines Unter¬
richts halber, uͤberraſchte ich die Schweſter
im leichten Morgenanzuge, mit beinahe ganz
entbloͤßter Bruſt; ſchnell warf ſie zwar das
Tuch uͤber, aber doch ſchon zu viel hatten
meine gierigen Blicke erhaſcht, ich konnte kein
Wort ſprechen, nie gekannte Gefuͤhle regten
ſich ſtuͤrmiſch in mir, und trieben das gluͤ¬
hende Blut durch die Adern, daß hoͤrbar
meine Pulſe ſchlugen. Meine Bruſt war
krampfhaft zuſammengepreßt, und wollte zer¬
ſpringen, ein leiſer Seufzer machte mir
endlich Luft. Dadurch, daß das Maͤdchen,
I. [ 3 ][34] ganz unbefangen auf mich zukam, mich bei
der Hand faßte, und frug, was mir dann
waͤre, wurde das Uebel wieder aͤrger, und
es war ein Gluͤck, daß der Conzertmeiſter in
die Stube trat, und mich von der Quaal er¬
loͤſ'te. Nie hatte ich indeſſen ſolche falſche
Akkorde gegriffen, nie ſo im Geſange deto¬
nirt, als dasmal. Fromm genug war ich,
um ſpaͤter das Ganze fuͤr eine boͤſe Anfech¬
tung des Teufels zu halten, und ich prieß
mich nach kurzer Zeit recht gluͤcklich, den boͤ¬
ſen Feind durch die [asketiſchen] Uebungen,
die ich unternahm, aus dem Felde geſchla¬
gen zu haben. Jetzt bei der verfaͤnglichen
Frage des Priors, ſah ich des Conzertmei¬
ſters Schweſter mit entbloͤßtem Buſen vor
mir ſtehen, ich fuͤhlte den warmen Hauch
ihres Athems, den Druck ihrer Hand —
meine innere Angſt ſtieg mit jedem Momen¬
te. Leonardus ſah mich mit einem gewiſſen
ironiſchen Laͤcheln an, vor dem ich erbebte.
Ich konnte ſeinen Blick nicht ertragen, ich
[35] ſchlug die Augen nieder, da klopfte mich der
Prior auf die gluͤhenden Wangen und ſprach:
„Ich ſehe mein Sohn, daß Sie mich gefaßt
haben, und daß es noch gut mit Ihnen ſteht,
der Herr bewahre Sie vor der Verfuͤhrung
der Welt, die Genuͤſſe, die ſie Ihnen darbie¬
tet ſind von kurzer Dauer, und man kann
wohl behaupten, daß ein Fluch darauf ruhe,
da in dem unbeſchreiblichen Eckel, in der voll¬
kommenen Erſchlaffung, in der Stumpfheit
fuͤr alles Hoͤhere, die ſie hervorbringen, das
beſſere geiſtige Prinzip des Menſchen unter¬
geht.“ — So ſehr ich mich muͤhte, die Frage
des Priors, und das Bild, welches dadurch
hervorgerufen wurde, zu vergeſſen, ſo woll¬
te es mir doch durchaus nicht gelingen, und
war es mir erſt gegluͤckt, in Gegenwart je¬
nes Maͤdchens unbefangen zu ſeyn, ſo ſcheu¬
te ich doch wieder jetzt mehr als jemals
ihren Anblick, da mich ſchon bei dem Ge¬
danken an ſie, eine Beklommenheit, eine in¬
nere Unruhe uͤberfiel, die mir um ſo gefaͤhr¬
[36] licher ſchien, als zugleich eine unbekannte
wundervolle Sehnſucht, und mit ihr eine
Luͤſternheit ſich regte, die wohl ſuͤndlich ſeyn
mochte. Ein Abend ſollte dieſen zweifelhaf¬
ten Zuſtand entſcheiden. Der Conzertmeiſter
hatte mich, wie er manchmal zu thun pfleg¬
te, zu einer muſikaliſchen Unterhaltung, die
er mit einigen Freunden veranſtaltet, einge¬
laden. Außer ſeiner Schweſter, waren noch
mehrere Frauenzimmer zugegen, und dieſes
ſteigerte die Befangenheit, die mir ſchon bei
der Schweſter allein den Athem verſetzte.
Sie war ſehr reizend gekleidet, ſie kam mir
ſchoͤner als je vor, es war, als zoͤge mich
eine unſichtbare unwiderſtehliche Gewalt zu
ihr hin, und ſo kam es denn, daß ich, ohne
ſelbſt zu wiſſen wie, mich immer ihr nahe
befand, jeden ihrer Blicke, jedes ihrer Wor¬
te begierig aufhaſchte, ja mich ſo an ſie
draͤngte, daß wenigſtens ihr Kleid im Vor¬
beiſtreifen mich beruͤhren mußte, welches mich
mit innerer, nie gefuͤhlter Luſt erfuͤllte. Sie
[37] ſchien es zu bemerken, und Wohlgefallen
daran zu finden; zuweilen war es mir, als
muͤßte ich ſie wie in toller Liebeswuth an
mich reiſſen, und inbruͤnſtig an mich druͤ¬
cken! — Sie hatte lange neben dem Fluͤgel
geſeſſen, endlich ſtand ſie auf, und ließ auf
dem Stuhl einen ihrer Handſchuhe liegen,
den ergriff ich, und druͤckte ihn im Wahn¬
ſinn heftig an den Mund! — Das ſah eins
von den Frauenzimmern, die ging zu des
Conzertmeiſters Schweſter, und fluͤſterte ihr
etwas in's Ohr, nun ſchauten ſie beide auf
mich, und kicherten und lachten hoͤhniſch! —
Ich war wie vernichtet, ein Eisſtrom goß
ſich durch mein Inneres — beſinnungslos
ſtuͤrzte ich fort ins Collegium — in meine
Zelle. Ich warf mich, wie in toller Ver¬
zweiflung auf den Fußboden — gluͤhende
Thraͤnen quollen mir aus den Augen, ich
verwuͤnſchte — ich verfluchte das Maͤdchen —
mich ſelbſt — dann betete ich wieder und
lachte dazwiſchen, wie ein Wahnſinniger!
[38] Ueberall erklangen um mich Stimmen, die
mich verſpotteten, verhoͤhnten; ich war im
Begriff, mich durch das Fenſter zu ſtuͤrzen,
zum Gluͤck verhinderten mich die Eiſenſtaͤbe
daran, mein Zuſtand war in der That ent¬
ſetzlich. Erſt als der Morgen anbrach, wur¬
de ich ruhiger, aber feſt war ich entſchloſſen,
ſie niemals mehr zu ſehen, und uͤberhaupt
der Welt zu entſagen. Klarer als jemals
ſtand der Beruf zum eingezogenen Klo¬
ſterleben, von dem mich keine Verſuchung
mehr ablenken ſollte, vor meiner Seele.
So wie ich nur von den gewoͤhnlichen Stu¬
dien loskommen konnte, eilte ich zu dem
Prior in das Capuziner-Kloſter, und eroͤff¬
nete ihm, wie ich nun entſchloſſen ſey, mein
Noviziat anzutreten, und auch ſchon meiner
Mutter, ſo wie der Fuͤrſtin, Nachricht da¬
von gegeben habe. Leonardus ſchien uͤber
meinen ploͤtzlichen Eifer verwundert, ohne
in mich zu dringen, ſuchte er doch auf dieſe
und jene Weiſe zu erforſchen, was mich wohl
[39] darauf gebracht haben koͤnne, nun mit ei¬
nem Mal auf meine Einweihung zum Klo¬
ſterleben zu beſtehen, denn er ahndete wohl,
daß ein beſonderes Ereigniß mir den Impuls
dazu gegeben haben muͤſſe. Eine innere
Schaam, die ich nicht zu uͤberwinden ver¬
mochte, hielt mich zuruͤck, ihm die Wahrheit
zu ſagen, dagegen erzaͤhlte ich ihm mit dem
Feuer der Exaltation, das noch in mir
gluͤhte, die wunderbaren Begebenheiten mei¬
ner Kinderjahre, welche alle auf meine Be¬
ſtimmung zum Kloſterleben hindeuteten. Leo¬
nardus hoͤrte mich ruhig an, und ohne ge¬
rade gegen meine Viſionen Zweifel vorzu¬
bringen, ſchien er doch, ſie nicht ſonderlich
zu beachten, er aͤußerte vielmehr, wie das
Alles noch ſehr wenig fuͤr die Aechtheit mei¬
nes Berufs ſpraͤche, da eben hie eine Il¬
luſion ſehr moͤglich ſey. Ueberhaupt pflegte
Leonardus nicht gern von den Viſionen der
Heiligen, ja ſelbſt von den Wundern der
erſten Verkuͤndiger des Chriſtenthums zu
[40] ſprechen, und es gab Augenblicke, in denen
ich in Verſuchung gerieth, ihn fuͤr einen
heimlichen Zweifler zu halten. Einſt erdrei¬
ſtete ich mich, um ihn zu irgend einer [be¬
ſtimmten] Aeußerung zu noͤthigen, von den
Veraͤchtern des katholiſchen Glaubens zu
ſprechen, und vorzuͤglich auf diejenigen zu
ſchmaͤhlen, die im kindiſchen Uebermuthe
alles Ueberſinnliche mit dem heilloſen Schimpf¬
worte des Aberglaubens abfertigten. Leo¬
nardus ſprach ſanft laͤchelnd: Mein Sohn,
der Unglaube iſt der aͤrgſte Aberglaube, und
fing ein anderes Geſpraͤch von fremden gleich¬
guͤltigen Dingen an. Erſt ſpaͤter durfte ich
eingehen in ſeine herrliche Gedanken uͤber den
myſtiſchen Theil unſerer Religion, der die
geheimnißvolle Verbindung unſers geiſtli¬
chen Prinzips, mit hoͤheren Weſen in ſich
ſchließt, und mußte mir denn wohl geſtehen,
daß Leonardus die Mittheilung alles des ſu¬
blimen, das aus ſeinem Innerſten ſich er¬
[41] goß, mit Recht nur fuͤr die hoͤchſte Weihe
ſeiner Schuͤler aufſparte. —
Meine Mutter ſchrieb mir, wie ſie es
laͤngſt geahnet, daß der weltgeiſtliche Stand
mir nicht genuͤgen, ſondern, daß ich das Klo¬
ſterleben erwaͤhlen werde. Am Medardusta¬
ge ſey ihr der alte Pilgersmann aus der hei¬
ligen Linde erſchienen, und habe mich im
Ordenskleide der Capuziner an der Hand ge¬
fuͤhrt. Auch die Fuͤrſtin war mit meinem
Vorhaben ganz einverſtanden. Beide ſah
ich noch einmal vor meiner Einkleidung,
welche, da mir meinem innigſten Wunſche
gemaͤß, die Haͤlfte des Noviziats erlaſſen
wurde, ſehr bald erfolgte. Ich nahm auf
Veranlaſſung der Viſion meiner Mutter den
Kloſternahmen Medardus an. —
Das Verhaͤltniß der Bruͤder unter ein¬
ander, die innere Einrichtung Ruͤckſichts der
Andachtsuͤbungen und der ganzen Lebensweiſe
im Kloſter, bewaͤhrte ſich ganz in der Art,
wie ſie mir bei dem erſten Blick erſchienen.
[42] Die gemuͤthliche Ruhe, die in Allem herrſch¬
te, goß den himmliſchen Frieden in meine
Seele, wie er mich, gleich einem ſeeligen
Traum aus der erſten Zeit meiner fruͤhſten
Kinderjahre, im Kloſter der heiligen Linde
umſchwebte. Waͤhrend des feierlichen Akts
meiner Einkleidung, erblickte ich unter den
Zuſchauern des Conzertmeiſters Schweſter;
ſie ſah ganz ſchwermuͤthig aus, und ich glaub¬
te, Thraͤnen in ihren Augen zu erblicken, aber
voruͤber war die Zeit der Verſuchung, und
vielleicht war es frevelnder Stolz auf den
ſo leicht erfochtenen Sieg, der mir Laͤ¬
cheln abnoͤthigte, welches der an meiner
Seite wandelnde Bruder Cyrillus bemerkte.
„Woruͤber erfreueſt du dich ſo, mein Bru¬
der? frug Cyrillus.“ Soll ich denn nicht
froh ſeyn, wenn ich der ſchnoͤden Welt und
ihrem Tand entſage? antwortete ich, aber
nicht zu laͤugnen iſt es, daß indem ich dieſe
Worte ſprach, ein unheimliches Gefuͤhl, ploͤtz¬
lich das Innerſte durchbebend, mich Luͤgen
[43] ſtrafte. — Doch dies war die letzte Anwand¬
lung irrdiſcher Selbſtſucht, nach der jene
Ruhe des Geiſtes eintrat. Waͤre ſie nimmer
von mir gewichen, aber die Macht des Fein¬
des iſt groß! — Wer mag der Staͤrke ſei¬
ner Waffen, wer mag ſeiner Wachſamkeit
vertrauen, wenn die unterirrdiſchen Maͤchte
lauern. —
Schon fuͤnf Jahre war ich im Kloſter,
als nach der Verordnung des Priors mir
der Bruder Cyrillus, der alt und ſchwach
worden, die Aufſicht uͤber die reiche Reli¬
quienkammer des Kloſters uͤbergeben ſollte.
Da befanden ſich allerlei Knochen von Hei¬
ligen, Spaͤne aus dem Kreuze des Erloͤſers
und andere Heiligthuͤmer, die in ſaubern
Glasſchraͤnken aufbewahrt, und an gewiſſen
Tagen dem Volk zur Erbauung ausgeſtellt
wurden. Der Bruder Cyrillus machte mich
mit jedem Stuͤcke, ſo wie mit den Dokumen¬
ten, die uͤber ihre Aechtheit und uͤber die
Wunder, welche ſie bewirkt, vorhanden, be¬
[44] kannt. Er ſtand, Ruͤckſichts der geiſtigen Aus¬
bildung unſerm Prior an der Seite, und um
ſo weniger trug ich Bedenken, das zu aͤu¬
ßern, was ſich gewaltſam aus meinem Innern
hervordraͤngte. „Sollten denn, lieber Bruder
Cyrillus, ſagte ich, alle dieſe Dinge gewiß
und wahrhaftig das ſeyn, wofuͤr man ſie
ausgiebt? — Sollte auch hier nicht die be¬
truͤgeriſche Habſucht Manches untergeſchoben
haben, was nun als wahre Reliquie dieſes
oder jenes Heiligen gilt? So z. B. beſitzt
irgend ein Kloſter das ganze Kreuz unſers
Erloͤſers, und doch zeigt man uͤberall wieder
ſo viel Spaͤne davon, daß, wie jemand von
uns ſelbſt, freilich in frevelichem Spott, be¬
hauptete, unſer Kloſter ein ganzes Jahr hin¬
durch damit geheitzt werden koͤnnte.“ — Es
geziemt uns wohl eigentlich nicht, erwie¬
derte der Bruder Cyrillus, dieſe Dinge einer
ſolchen Unterſuchung zu unterziehen, allein
offenherzig geſtanden, bin ich der Meinung,
daß, der daruͤber ſprechenden Dokumente un¬
[45] erachtet, wohl wenige dieſer Dinge das ſeyn
duͤrften, wofuͤr man ſie ausgiebt. Allein es
ſcheint mir auch gar nicht darauf anzukom¬
men. Merke wohl auf, lieber Bruder Me¬
dardus! wie ich und unſer Prior daruͤber
denken, und du wirſt unſere Religion in
neuer Glorie erblicken. Iſt es nicht herrlich,
lieber Bruder Medardus, daß unſere Kirche
darnach trachtet, jene geheimnißvollen Faͤ¬
den zu erfaſſen, die das Sinnliche mit dem
Ueberſinnlichen verknuͤpfen, ja unſeren zum
irrdiſchen Leben und Seyn gediehenen Orga¬
nism ſo anzuregen, daß ſein Urſprung aus
dem hoͤhern geiſtigen Prinzip, ja ſeine in¬
nige Verwandſchaft mit dem wunderba¬
ren Weſen, deſſen Kraft wie ein gluͤhen¬
der Hauch die ganze Natur durchdringt,
klar hervortritt, und uns die Ahndung eines
hoͤheren Lebens, deſſen Keim wir in uns
tragen, wie mit Seraphsfittigen umweht. —
Was iſt jenes Stuͤckchen Holz — jenes Knoͤch¬
lein, jenes Laͤppchen — man ſagt aus dem
[46] Kreuz Chriſti ſey es gehauen, dem Koͤrper
— dem Gewande eines Heiligen entnommen;
aber den Glaͤubigen, der ohne zu gruͤbeln,
ſein ganzes Gemuͤth darauf richtet, erfuͤllt
bald jene uͤberirrdiſche Begeiſterung, die ihm
das Reich der Seeligkeit erſchließt, das er
hienieden nur geahnet; und ſo wird der
geiſtige Einfluß des Heiligen, deſſen auch nur
angebliche Reliquie den Impuls gab, erweckt,
und der Menſch vermag Staͤrke und Kraft
im Glauben von dem hoͤheren Geiſte zu em¬
pfangen, den er im Innerſten des Gemuͤths
um Troſt und Beiſtand anrief. Ja, dieſe in
ihm erweckte hoͤhere geiſtige Kraft wird
ſelbſt Leiden des Koͤrpers zu uͤberwinden ver¬
moͤgen, und daher kommt es, daß dieſe Re¬
liquien jene Mirakel bewirken, die, da ſie
ſo oft vor den Augen des verſammelten Volks
geſchehen, wohl nicht gelaͤugnet werden koͤn¬
nen.“ — Ich erinnerte mich augenblicklich ge¬
wiſſer Andeutungen des Priors, die ganz mit
den Worten des Bruders Cyrillus uͤberein¬
[47] ſtimmten, und betrachtete nun die Reliquien,
die mir ſonſt nur als religioͤſe Spielerei er¬
ſchienen, mit wahrer innerer Ehrfurcht und
Andacht. Dem Bruder Cyrillus entging
dieſe Wirkung ſeiner Rede nicht, und er fuhr
nun fort, mit groͤßerem Eifer und mit recht
zum Gemuͤthe ſprechender Innigkeit, mir die
Sammlung Stuͤck vor Stuͤck zu erklaͤren.
Endlich nahm er aus einem wohlverſchloſſe¬
nen Schranke ein Kiſtchen heraus und ſagte:
„hierinnen, lieber Bruder Medardus! iſt die
geheimnißvollſte wunderbarſte Reliquie ent¬
halten, die unſer Kloſter beſitzt. So lange
ich im Kloſter bin, hat dieſes Kiſtchen nie¬
mand in der Hand gehabt, als der Prior
und ich; ſelbſt die andern Bruͤder, viel we¬
niger Fremde, wiſſen etwas von dem Daſeyn
dieſer Reliquie. Ich kann die Kiſte nicht oh¬
ne inneren Schauer anruͤhren, es iſt als ſey
darinn ein boͤſer Zauber verſchloſſen, der,
gelaͤnge es ihm, den Bann der ihn umſchließt
und wirkungslos macht, zu zerſprengen, Ver¬
[48] derben und heilloſen Untergang jedem berei¬
ten koͤnnte, den er ereilt. — Das was darin¬
nen enthalten, ſtammt unmittelbar von dem
Widerſacher her, aus jener Zeit, als er noch
ſichtlich gegen das Heil der Menſchen zu
kaͤmpfen vermochte.“ — Ich ſah den Bruder
Cyrillus im hoͤchſten Erſtaunen an; ohne mir
Zeit zu laſſen, etwas zu erwiedern, fuhr er
fort: „Ich will mich lieber Bruder Medar¬
dus gaͤnzlich enthalten, in dieſer hoͤchſt my¬
ſtiſchen Sache nur irgend eine Meinung zu
aͤußern, oder wohl gar dieſe — jene — Hy¬
potheſe aufzutiſchen, die mir durch den Kopf
gefahren, ſondern lieber getreulich dir das
erzaͤhlen, was die, uͤber jene Reliquie vor¬
handenen Dokumente davon ſagen. — Du fin¬
deſt dieſe Dokumente in jenem Schrank und
kannſt ſie ſelbſt nachleſen. — Dir iſt das Le¬
ben des heiligen Antonius zur Gnuͤge be¬
kannt, du weißt, daß er, um ſich von allem
Irrdiſchen zu entfernen, um ſeine Seele
ganz dem Goͤttlichen zuzuwenden, in die
Wuͤ¬[49] Wuͤſte zog, und da ſein Leben den ſtrengſten
Buß- und Andachtsuͤbungen weihte. Der
Widerſacher verfolgte ihn und trat ihm oft
ſichtlich in den Weg, um ihn in ſeinen from¬
men Betrachtungen zu ſtoͤren. So kam es
denn, daß der h. Antonius einmal in der
Abenddaͤmmerung eine finſtre Geſtalt wahr¬
nahm, die auf ihn zuſchritt. In der Naͤhe
erblickte er zu ſeinem Erſtaunen, daß aus
den Loͤchern des zerriſſenen Mantels, den die
Geſtalt trug, Flaſchenhaͤlſe hervorguckten.
Es war der Widerſacher, der in dieſem ſelt¬
ſamen Aufzuge ihn hoͤhniſch anlaͤchelte und
frug, ob er nicht von den Elixieren, die er
in den Flaſchen bei ſich truͤge, zu koſten be¬
gehre? Der heilige Antonius, den dieſe Zu¬
muthung nicht einmal verdrießen konnte, weil
der Widerſacher, ohnmaͤchtig und kraftlos ge¬
worden, nicht mehr im Stande war, ſich auf
irgend einen Kampf einzulaſſen, und ſich da¬
her auf hoͤhnende Reden beſchraͤnken mußte,
frug ihn: warum er denn ſo viele Flaſchen
I. [ 4 ][50] und auf ſolche beſondere Weiſe bei ſich truͤ¬
ge? Da antwortete der Widerſacher: Siehe,
wenn mir ein Menſch begegnet, ſo ſchaut er
mich verwundert an und kann es nicht laſ¬
ſen nach meinen Getraͤnken zu fragen, und
zu koſten aus Luͤſternheit. Unter ſo vielen
Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm
recht mundet und er ſaͤuft die ganze Flaſche
aus, und wird trunken, und ergiebt ſich mir
und meinem Reiche. — So weit ſteht das
in allen Legenden; nach dem beſonderen Do¬
kument, das wir uͤber dieſe Viſion des heili¬
gen Antonius beſitzen, heißt es aber weiter,
daß der Widerſacher, als er ſich von dannen
hub, einige ſeiner Flaſchen auf einen Raſen
ſtehen ließ, die der h. Antonius ſchnell in
ſeine Hoͤle mitnahm und verbarg, aus Furcht,
ſelbſt in der Einoͤde koͤnnte ein Verirrter, ja
wohl gar einer ſeiner Schuͤler, von dem ent¬
ſetzlichen Getraͤnke koſten und ins ewige Ver¬
derben gerathen. — Zufaͤllig, erzaͤhlt das
Dokument weiter, habe der heilige Antonius
[51] einmal eine dieſer Flaſchen geoͤffnet, da ſey
ein ſeltſamer betaͤubender Dampf herausge¬
fahren und allerlei ſcheusliche ſinneverwir¬
rende Bilder der Hoͤlle, haͤtten den Heiligen
umſchwebt, ja ihn mit verfuͤhreriſchen Gau¬
keleien zu verlocken geſucht, bis er ſie durch
ſtrenges Faſten und anhaltendes Gebet wie¬
der vertrieben. — In dieſem Kiſtchen befin¬
det ſich nun aus dem Nachlaß des h. Anto¬
nius eben eine ſolche Flaſche mit einem Teu¬
fels-Elixier und die Dokumente ſind ſo au¬
thentiſch und genau, daß wenigſtens daran,
daß die Flaſche wirklich nach dem Tode des
h. Antonius unter ſeinen nachgebliebenen Sa¬
chen gefunden wurde, kaum zu zweifeln iſt.
Uebrigens kann ich verſichern, lieber Bruder
Medardus! daß, ſo oft ich die Flaſche, ja
nur dieſes Kiſtchen, worin ſie verſchloſſen,
beruͤhre, mich ein unerklaͤrliches inneres
Grauen anwandelt, ja daß ich waͤhne, etwas
von einem ganz ſeltſamen Duft zu ſpuͤren,
der mich betaͤubt und zugleich eine innere
[52] Unruhe des Geiſtes hervorbringt, die mich
ſelbſt bei den Andachtsuͤbungen zerſtreut.
Indeſſen uͤberwinde ich dieſe boͤſe Stim¬
mung, welche offenbar von dem Einfluß ir¬
gend einer feindlichen Macht herruͤhrt, ſollte
ich auch an die unmittelbare Einwirkung
des Widerſachers nicht glauben, durch ſtand¬
haftes Gebet. Dir, lieber Bruder Medardus,
der du noch ſo jung biſt, der du noch Alles,
was dir deine von fremder Kraft aufgeregte
Fantaſie vorbringen mag, in glaͤnzenderen
lebhafteren Farben erblickſt, der du noch,
wie ein tapferer aber unerfahrner Krieger,
zwar ruͤſtig im Kampfe, aber vielleicht zu
kuͤhn, das Unmoͤgliche wagend, deiner Staͤrke
zu ſehr vertrauſt, rathe ich, das Kiſtchen nie¬
mals, oder wenigſtens erſt nach Jahren zu
oͤffnen, und damit dich deine Neugierde nicht
in Verſuchung fuͤhre, es dir weit weg aus
den Augen zu ſtellen. —
Der Bruder Cyrillus verſchloß die ge¬
heimnißvolle Kiſte wieder in den Schrank,
[53] wo ſie geſtanden, und uͤbergab mir den
Schluͤſſelbund, an dem auch der Schluͤſſel je¬
nes Schranks hing: die ganze Erzaͤhlung
hatte auf mich einen eignen Eindruck ge¬
macht, aber je mehr ich eine innere Luͤſtern¬
heit emporkeimen fuͤhlte, die wunderbare Re¬
liquie zu ſehen, deſto mehr war ich, der War¬
nung des Bruders Cyrillus gedenkend, be¬
muͤht, auf jede Art mir es zu erſchweren.
Als Cyrillus mich verlaſſen, uͤberſah ich noch
einmal die mir anvertrauten Heiligthuͤmer,
dann loͤſte ich aber das Schluͤſſelchen, wel¬
ches den gefaͤhrlichen Schrank ſchloß, vom
Bunde ab, und verſteckte es tief unter meine
Skripturen im Schreibpulte. —
Unter den Profeſſoren im Seminar gab
es einen vortrefflichen Redner, jedesmal,
wenn er predigte, war die Kirche uͤberfuͤllt;
der Feuerſtrom ſeiner Worte riß alles unwi¬
derſtehlich fort, die inbruͤnſtigſte Andacht im
Innern entzuͤndend. Auch mir drangen ſei¬
ne herrlichen begeiſterten Reden ins Innerſte,
[54] aber indem ich den Hochbegabten gluͤcklich
pries, war es mir, als rege ſich eine innere
Kraft, die mich maͤchtig antrieb, es ihm gleich
zu thun. Hatte ich ihn gehoͤrt, ſo predigte
ich auf meiner einſamen Stube, mich ganz
der Begeiſterung des Moments uͤberlaſſend,
bis es mir gelang, meine Ideen, meine Worte
feſtzuhalten und aufzuſchreiben. — Der Bru¬
der, welcher im Kloſter zu predigen pflegte,
wurde zuſehends ſchwaͤcher, ſeine Reden
ſchlichen wie ein halbverſiegter Bach muͤh¬
ſam und tonlos dahin, und die ungewoͤhnlich
gedehnte Sprache, welche der Mangel an
Ideen und Worten erzeugte, da er ohne Con¬
zept ſprach, machte ſeine Reden ſo unausſteh¬
lich lang, daß vor dem Amen ſchon der groͤßte
Theil der Gemeinde, wie bei dem bedeu¬
tungsloſen eintoͤnigen Geklapper einer Muͤhle,
ſanft eingeſchlummert war, und nur durch
den Klang der Orgel wieder erweckt werden
konnte. Der Prior Leonardus war zwar ein
ganz vorzuͤglicher Redner, indeſſen trug er
[55] Scheu zu predigen, weil es ihn bei den ſchon
erreichten hohen Jahren zu ſtark angriff,
und ſonst gab es im Kloſter keinen, der die
Stelle jenes ſchwaͤchlichen Bruders haͤtte er¬
ſetzen koͤnnen. Leonardus ſprach mit mir
uͤber dieſen Uebelſtand, der der Kirche den
Beſuch mancher Frommen entzog; ich faßte
mir ein Herz und ſagte ihm, wie ich ſchon
im Seminar einen innern Beruf zum Predi¬
gen geſpuͤrt und manche geiſtliche Rede auf¬
geſchrieben habe. Er verlangte, ſie zu ſehen,
und war ſo hoͤchlich damit zufrieden, daß er
in mich drang ſchon am naͤchſten heiligen
Tage, den Verſuch mit einer Predigt zu
machen, der um ſo weniger mißlingen wer¬
de, als mich die Natur mit Allem ausge¬
ſtattet habe, was zum guten Canzelredner
gehoͤre, nehmlich mit einer einnehmenden
Geſtalt, einem ausdrucksvollen Geſicht und
einer kraͤftigen tonreichen Stimme. Ruͤck¬
ſichts des aͤußern Anſtandes, der richtigen
Geſtikulation unternahm Leonardus ſelbſt mich
[56] zu unterrichten. Der Heiligentag kam her¬
an, die Kirche war beſetzter als gewoͤhnlich,
und ich beſtieg nicht ohne inneres Erbeben
die Canzel. — Im Anfange blieb ich mei¬
ner Handſchrift getreu, und Leonardus ſagte
mir nachher, daß ich mit zitternder Stimme
geſprochen, welches aber gerade den andaͤch¬
tigen wehmuthsvollen Betrachtungen, womit
die Rede begann, zugeſagt, und bei den
mehrſten fuͤr eine beſondere wirkungsvolle
Kunſt des Redners gegolten habe. Bald
aber war es, als ſtrahle der gluͤhende Funke
himmliſcher Begeiſterung durch mein Inne¬
res — ich dachte nicht mehr an die Hand¬
ſchrift, ſondern uͤberließ mich ganz den Ein¬
gebungen des Moments. Ich fuͤhlte, wie das
Blut in allen Pulſen gluͤhte und ſpruͤhte —
ich hoͤrte meine Stimme durch das Gewoͤlbe
donnern — ich ſah mein erhobenes Haupt,
meine ausgebreiteten Arme, wie von Strah¬
lenglanz der Begeiſterung umfloſſen. — Mit
einer Sentenz, in der ich alles Heilige und
[57] Herrliche, das ich verkuͤndet, nochmals wie
in einem flammenden Fokus zuſammenfaßte,
ſchloß ich meine Rede, deren Eindruck ganz
ungewoͤhnlich, ganz unerhoͤrt war. Heftiges
Weinen — unwillkuͤhrlich den Lippen entflie¬
hende Ausrufe der andachtvollſten Wonne —
lautes Gebet, hallten meinen Worten nach.
Die Bruͤder zollten mir ihre hoͤchſte Bewun¬
derung, Leonardus umarmte mich, er nannte
mich den Stolz des Kloſters. Mein Ruf
verbreitete ſich ſchnell, und um den Bruder
Medardus zu hoͤren, draͤngte ſich der vor¬
nehmſte, der gebildetſte Theil der Stadtbe¬
wohner, ſchon eine Stunde vor dem Laͤuten,
in die nicht allzugroße Kloſterkirche. Mit
der Bewunderung ſtieg mein Eifer und mei¬
ne Sorge, den Reden im ſtaͤrkſten Feuer
Ruͤnde und Gewandtheit zu geben. Immer
mehr gelang es mir, die Zuhoͤrer zu feſſeln,
und, immer ſteigend und ſteigend, glich bald
die Verehrung, die ſich uͤberall, wo ich ging
und ſtand in den ſtaͤrkſten Zuͤgen an den Tag
[58] legte, beinahe der Vergoͤtterung eines Heili¬
gen. Ein religioͤſer Wahn hatte die Stadt
ergriffen, alles ſtroͤmte bei irgend einem An¬
laß, auch an gewoͤhnlichen Wochentagen, nach
dem Kloſter, um den Bruder Medardus zu
ſehen, zu ſprechen. — Da keimte in mir der
Gedanke auf, ich ſey ein beſonders Erkohr¬
ner des Himmels; die geheimnißvollen Um¬
ſtaͤnde bei meiner Geburt, am heiligen Orte
zur Entſuͤndigung des verbrecheriſchen Va¬
ters, die wunderbaren Begebenheiten in mei¬
nen erſten Kinderjahren, alles deutete dahin,
daß mein Geiſt, in unmittelbarer Beruͤhrung
mit dem Himmliſchen, ſich ſchon hienieden
uͤber das Irrdiſche erhebe, und ich nicht der
Welt, den Menſchen angehoͤre, denen Heil
und Troſt zu geben, ich hier auf Erden
wandle. Es war mir nun gewiß, daß der
alte Pilgram in der heiligen Linde, der hei¬
lige Joſeph, der wunderbare Knabe aber das
Jeſuskind ſelbſt geweſen, das in mir den
Heiligen der auf Erden zu wandeln beſtimmt,
[59] begruͤßt habe. Aber ſo wie dies Alles im¬
mer lebendiger vor meiner Seele ſtand, wur¬
de mir auch meine Umgebung immer laͤſti¬
ger und druͤckender. Jene Ruhe und Hei¬
terkeit des Geiſtes, die mich ſonſt umfing,
war aus meiner Seele entſchwunden — ja
alle gemuͤthliche Aeußerungen der Bruͤder,
die Freundlichkeit des Priors, erweckten in
mir einen feindſeeligen Zorn. Den Heili¬
gen, den hoch uͤber ſie erhabenen, ſollten ſie
in mir erkennen, ſich niederwerfen in den
Staub, und die Fuͤrbitte erflehen vor dem
Throne Gottes. So aber hielt ich ſie fuͤr
befangen in verderblicher Verſtocktheit. Selbſt
in meine Reden flocht ich gewiſſe Anſpielun¬
gen ein, die darauf hindeuteten, wie nun ei¬
ne wundervolle Zeit, gleich der in ſchimmern¬
den Strahlen leuchtenden Morgenroͤthe, an¬
gebrochen, in der Troſt und Heil bringend
der glaͤubigen Gemeinde ein Auserwaͤhlter
Gottes auf Erden wandle. Meine eingebil¬
dete Sendung kleidete ich in myſtiſche Bil¬
[60] der ein, die um ſo mehr wie ein fremdarti¬
ger Zauber auf die Menge wirkten, je we¬
niger ſie verſtanden wurden. Leonardus wur¬
de ſichtlich kaͤlter gegen mich, er vermied, mit
mir ohne Zeugen zu ſprechen, aber endlich,
als wir einſt zufaͤllig von allen Bruͤdern ver¬
laſſen, in der Allee des Kloſtergartens ein¬
hergingen, brach er los: „Nicht verhehlen
kann ich es dir, lieber Bruder Medardus,
daß Du ſeit einiger Zeit durch dein ganzes
Betragen mir Mißfallen erregſt. — Es iſt
etwas in deine Seele gekommen, das dich
dem Leben in frommer Einfalt abwendig
macht. In deinen Reden herrſcht ein feind¬
liches Dunkel, aus dem nur noch manches
hervorzutreten ſich ſcheut, was dich wenig¬
ſtens mit mir auf immer entzweien wuͤrde. —
Laß mich offenherzig ſeyn! — Du traͤgſt in
dieſem Augenblick die Schuld unſeres ſuͤndi¬
gen Urſprungs, die jedem maͤchtigen Empor¬
ſtreben unſerer geiſtigen Kraft die Schran¬
ken des Verderbniſſes oͤffnet, wohin wir uns
[61] in unbedachtem Fluge nur zu leicht verirren!
— Der Beifall, ja die abgoͤttiſche Bewunde¬
rung, die dir die leichtſinnige, nach jeder An¬
reizung luͤſterne Welt gezollt, hat dich ge¬
blendet, und du ſiehſt dich ſelbſt in einer Ge¬
ſtalt, die nicht dein eigen, ſondern ein Trug¬
bild iſt, welches dich in den verderblichen
Abgrund lockt. Gehe in dich, Medardus! —
entſage dem Wahn der dich bethoͤrt — ich
glaube ihn zu kennen! — ſchon jetzt iſt dir
die Ruhe des Gemuͤths, ohne welche kein
Heil hienieden zu finden, entflohen. — Laß
dich warnen, weiche aus dem Feinde der dir
nachſtellt. — Sey wieder der gutmuͤthige
Juͤngling, den ich mit ganzer Seele lieb¬
te.“ — Thraͤnen quollen aus den Augen
des Priors, als er dies ſprach; er hatte mei¬
ne Hand ergriffen, ſie loslaſſend entfernte er
ſich ſchnell, ohne meine Antwort abzuwar¬
ten. — Aber nur feindſeelig waren ſeine
Worte in mein Innres gedrungen; er hatte
des Beifalls, ja der hoͤchſten Bewunderung
[62] erwaͤhnt, die ich mir durch meine außeror¬
dentliche Gaben erworben, und es war mir
deutlich, daß nur kleinlicher Neid jenes Mi߬
behagen an mir erzeugt habe, das er ſo un¬
verholen aͤußerte. Stumm und in mich ge¬
kehrt, blieb ich vom innern Groll ergriffen,
bei den Zuſammenkuͤnften der Moͤnche, und
ganz erfuͤllt von dem neuen Weſen, das mir
aufgegangen, ſann ich den Tag uͤber, und in
den ſchlafloſen Naͤchten, wie ich alles in mir
aufgekeimte, in praͤchtige Worte faſſen und
dem Volk verkuͤnden wollte. Je mehr ich
mich nun von Leonardus und den Bruͤdern
entfernte, mit deſto ſtaͤrkeren Banden wußte
ich die Menge an mich zu ziehen. —
Am Tage des heiligen Antonius war die
Kirche ſo gedraͤngt voll, daß man die Thuͤ¬
ren weit oͤffnen mußte, um dem zuſtroͤmen¬
den Volke zu vergoͤnnen, mich auch noch
vor der Kirche zu hoͤren. Nie hatte ich kraͤf¬
tiger, feuriger, eindringender geſprochen. Ich
erzaͤhlte, wie es gewoͤhnlich, Manches aus
[63] dem Leben des Heiligen, und knuͤpfte daran
fromme, tief ins Leben eindringende Betrach¬
tungen. Von den Verfuͤhrungen des Teu¬
fels, dem der Suͤndenfall die Macht gegeben,
die Menſchen zu verlocken, ſprach ich, und
unwillkuͤhrlich fuͤhrte mich der Strom der
Rede hinein in die Legende von den Elixie¬
ren, die ich wie eine ſinnreiche Allegorie dar¬
ſtellen wollte. Da fiel mein in der Kirche
umherſchweifender Blick auf einen langen
hageren Mann, der mir ſchraͤg uͤber auf eine
Bank geſtiegen, ſich an einen Eckpfeiler lehn¬
te. Er hatte auf ſeltſame fremde Weiſe
einen dunkelvioletten Mantel umgeworfen,
und die uͤbereinander geſchlagenen Arme da¬
rin gewickelt. Sein Geſicht war leichenblaß,
aber der Blick der großen ſchwarzen ſtieren
Augen, fuhr wie ein gluͤhender Dolchſtich
durch meine Bruſt. Mich durchbebte ein
unheimliches grauenhaftes Gefuͤhl, ſchnell
wandte ich mein Auge ab und ſprach, alle
meine Kraft zuſammennehmend, weiter. Aber
[64] wie von einer fremden zauberiſchen Gewalt
getrieben, mußte ich immer wieder hinſchau¬
en, und immer ſtarr und bewegungslos ſtand
der Mann da, den geſpenſtiſchen Blick auf
mich gerichtet. So wie bittrer Hohn — ver¬
achtender Haß, lag es auf der hohen gefurch¬
ten Stirn, in dem herabgezogenen Munde.
Die ganze Geſtalt hatte etwas furchtbares —
entſetzliches! — Ja! — es war der unbe¬
kannte Maler aus der heiligen Linde. Ich
fuͤhlte mich, wie von eiskalten grauſigen Faͤu¬
ſten gepackt — Tropfen des Angſtſchweißes
ſtanden auf meiner Stirn — meine Perioden
ſtockten — immer verwirrter und verwirrter
wurden meine Reden — es entſtand ein Fluͤ¬
ſtern — ein Gemurmel in der Kirche — aber
ſtarr und unbeweglich lehnte der fuͤrchterli¬
che Fremde am Pfeiler, den ſtieren Blick
auf mich gerichtet. Da ſchrie ich auf in der
Hoͤllenangſt wahnſinniger Verzweiflung. „Ha
Verruchter! hebe dich weg! — hebe dich
weg — denn ich bin es ſelbſt! — ich bin
der[65] der heilige Antonius! — Als ich aus dem
bewuſtloſen Zuſtand, in den ich mit jenen
Worten verſunken, wieder erwachte, befand
ich mich auf meinem Lager, und der Bruder
Cyrillus ſaß neben mir, mich pflegend und
troͤſtend. Das ſchreckliche Bild des Unbe¬
kannten ſtand mir noch lebhaft vor Augen,
aber je mehr der Bruder Cyrillus, dem ich
alles erzaͤhlte, mich zu uͤberzeugen ſuchte,
daß dieſes nur ein Gaukelbild meiner durch
das eifrige und ſtarke Reden erhitzten Fan¬
taſie geweſen, deſto tiefer fuͤhlte ich bittre
Reue und Schaam uͤber mein Betragen auf
der Kanzel. Die Zuhoͤrer dachten, wie ich
nachher erfuhr, es habe mich ein ploͤtzlicher
Wahnſinn uͤberfallen, wozu ihnen vorzuͤglich
mein letzter Ausruf gerechten Anlaß gab.
Ich war zerknirſcht — zerruͤttet im Geiſte;
eingeſchloſſen in meine Zelle, unterwarf ich
mich den ſtrengſten Bußuͤbungen, und ſtaͤrkte
mich durch inbruͤnſtige Gebete zum Kampfe
mit dem Verſucher, der mir ſelbſt an heili¬
I. [ 5 ][66] ger Staͤtte erſchienen, nur in frechem Hohn
die Geſtalt borgend von dem frommen Ma¬
ler in der heiligen Linde. Niemand wollte
uͤbrigens den Mann im violetten Mantel er¬
blickt haben, und der Prior Leonardus ver¬
breitete nach ſeiner anerkannten Gutmuͤthig¬
keit auf das eifrigſte uͤberall, wie es nur der
Anfall einer hitzigen Krankheit geweſen, wel¬
cher mich in der Predigt auf ſolche entſetzli¬
che Weiſe mitgenommen, und meine verwirr¬
ten Reden veranlaßt habe: wirklich war ich
auch noch ſiech und krank, als ich nach meh¬
reren Wochen wieder in das gewoͤhnliche Kloͤ¬
ſterliche Leben eintrat. Dennoch unternahm
ich es wieder die Kanzel zu beſteigen, aber,
von innerer Angſt gefoltert, verfolgt von der
entſetzlichen bleichen Geſtalt, vermochte ich
kaum zuſammenhaͤngend zu ſprechen, viel we¬
niger mich wie ſonſt, dem Feuer der Bered¬
ſamkeit zu uͤberlaſſen. Meine Predigten wa¬
ren gewoͤhnlich — ſteif — zerſtuͤckelt. — Die
Zuhoͤrer bedauerten den Verluſt meiner Red¬
[67] nergabe, verlohren ſich nach und nach, und
der alte Bruder, der ſonſt gepredigt und nun
noch offenbar beſſer redete, als ich, erſetzte
wieder meine Stelle. —
Nach einiger Zeit begab es ſich, daß ein
junger Graf, von ſeinem Hofmeiſter, mit dem
er auf Reiſen begriffen, begleitet, unſer Klo¬
ſter beſuchte, und die vielfachen Merkwuͤrdig¬
keiten deſſelben zu ſehen begehrte. Ich mu߬
te die Reliquienkammer aufſchließen und wir
traten hinein, als der Prior, der mit uns
durch Chor und Kirche gegangen, abgerufen
wurde, ſo daß ich mit den Fremden allein
blieb. Jedes Stuͤck hatte ich gezeigt und
erklaͤrt, da fiel dem Grafen der, mit zierlichem
altteutſchen Schnitzwerk geſchmuͤckte, Schrank
ins Auge, in dem ſich das Kiſtchen mit dem
Teufels-Elixier befand. Unerachtet ich nun
nicht gleich mit der Sprache heraus wollte,
was in dem Schrank verſchloſſen, ſo dran¬
gen beide, der Graf und der Hofmeiſter, doch
ſo lange in mich, bis ich die Legende vom h.
[68] Antonius und dem argliſtigen Teufel erzaͤhl¬
te, und mich uͤber die, als Reliquie aufbe¬
wahrte Flaſche, ganz getreu nach den Wor¬
ten des Bruder Cyrillus ausließ, ja ſogar
die Warnung hinzufuͤgte, die er mir Ruͤck¬
ſichts der Gefahr des Oeffnens der Kiſte und
des Vorzeigens der Flaſche gegeben. Uner¬
achtet der Graf unſerer Religion zugethan
war, ſchien er doch eben ſo wenig, als der
Hofmeiſter auf die Wahrſcheinlichkeit der hei¬
ligen Legenden viel zu bauen. Sie ergoſſen
ſich beide in allerlei witzigen Anmerkungen
und Einfaͤllen uͤber den komiſchen Teufel,
der die Verfuͤhrungsflaſchen im zerriſſenen
Mantel trage, endlich nahm aber der Hof¬
meiſter eine ernſthafte Miene an und ſprach:
„Haben Sie an uns leichtſinnigen Weltmen¬
ſchen kein Aergerniß, ehrwuͤrdiger Herr! —
Seyn Sie uͤberzeugt, daß wir beide, ich und
mein Graf, die Heiligen als herrliche von
der Religion hoch begeiſterte Menſchen ver¬
ehren, die dem Heil ihrer Seele, ſo wie dem
[69] Heil der Menſchen, alle Freuden des Lebens,
ja, das Leben ſelbſt opferten, was aber ſol¬
che Geſchichten betrifft, wie die ſo eben von
Ihnen erzaͤhlte, ſo glaube ich, daß nur eine
geiſtreiche, von dem Heiligen erſonnene Alle¬
gorie durch Mißverſtand, als wirklich ge¬
ſchehen, ins Leben gezogen wurde.“ —
Unter dieſen Worten hatte der Hofmei¬
ſter den Schieber des Kiſtchens ſchnell aufge¬
ſchoben und die ſchwarze, ſonderbar geform¬
te Flaſche herausgenommen. Es verbreitete
ſich wirklich, wie der Bruder Cyrillus es mir
geſagt, ein ſtarker Duft, der indeſſen nichts
weniger, als betaͤubend, ſondern vielmehr
angenehm und wohlthaͤtig wirkte. „Ei, rief
der Graf: ich wette, daß das Elixier des
Teufels weiter nichts iſt, als herrlicher aͤchter
Syrakuſer.“ — „Ganz gewiß, erwiederte der
Hofmeiſter: und ſtammt die Flaſche wirklich
aus dem Nachlaß des h. Antonius, ſo geht
es Ihnen, ehrwuͤrdiger Herr! beinahe beſ¬
ſer, wie dem Koͤnige von Neapel, den die
[70] Unart der Roͤmer, den Wein nicht zu pfro¬
pfen, ſondern nur durch darauf getroͤpfeltes
Oel zu bewahren, um das Vergnuͤgen brach¬
te, altroͤmiſchen Wein zu koſten. Iſt dieſer
Wein auch lange nicht ſo alt, als jener gewe¬
ſen waͤre, ſo iſt es doch fuͤrwahr der aͤlteſte,
den es wohl geben mag, und darum thaͤten
ſie wohl, die Reliquie in Ihren Nutzen zu
verwenden und getroſt auszunippen.“ — „Ge¬
wiß, fiel der Graf ein: dieſer uralte Syra¬
kuſer wuͤrde neue Kraft in Ihre Adern gie¬
ßen und die Kraͤnklichkeit verſcheuchen, von
der Sie, ehrwuͤrdiger Herr! heimgeſucht ſchei¬
nen.“ Der Hofmeiſter holte einen ſtaͤhlernen
Korkzieher aus der Taſche und oͤffnete, mei¬
ner Proteſtationen unerachtet, die Flaſche. —
Es war mir als zucke mit dem Herausflie¬
gen des Korks ein blaues Flaͤmmchen empor,
das gleich wieder verſchwand. — Staͤrker
ſtieg der Duft aus der Flaſche und wallte
durch das Zimmer. Der Hofmeiſter koſtete
zuerſt und rief begeiſtert: „herrlicher — herr¬
[71] licher [Syrakuſer]! In der That, der Wein¬
keller des heiligen Antonius war nicht uͤbel,
und machte der Teufel ſeinen Kellermeiſter,
ſo meinte er es mit dem heiligen Mann nicht
ſo boͤſe, als man glaubt — koſten Sie Graf!“
— Der Graf that es, und beſtaͤtigte das,
was der Hofmeiſter geſprochen. Beide ſcherz¬
ten noch mehr uͤber die Reliquie, die offen¬
bar die ſchoͤnſte in der ganzen Sammlung ſey
— ſie wuͤnſchten ſich einen ganzen Keller voll
ſolcher Reliquien u. ſ. w. Ich hoͤrte Alles
ſchweigend mit niedergeſenktem Haupte, mit
zur Erde ſtarrendem Blick an; der Frohſinn
der Fremden, hatte fuͤr mich, in meiner duͤ¬
ſteren Stimmung, etwas quaͤlendes; verge¬
bens drangen ſie in mich, auch von dem
Wein des heiligen Antonius zu koſten, ich
verweigerte es ſtandhaft und verſchloß die
Flaſche, wohl zugepfropft, wieder in ihr Be¬
haͤltniß. —
Die Fremden verließen das Kloſter, aber
als ich einſam in meiner Zelle ſaß, konnte
[72] ich mir ſelbſt ein gewiſſes innres Wohlbeha¬
gen, eine rege Heiterkeit des Geiſtes nicht
ablaͤugnen. Es war offenbar, daß der gei¬
ſtige Duft des Weins mich geſtaͤrkt hatte.
Keine Spur der uͤblen Wirkung, von der
Cyrillus geſprochen, empfand ich, und nur
der entgegengeſetzte wohlthaͤtige Einfluß zeig¬
te ſich auf auffallende Weiſe: je mehr ich
uͤber die Legende des heiligen Antonius nach¬
dachte, je lebhafter die Worte des Hofmei¬
ſters in meinem Innern wiederklangen, deſto
gewiſſer wurde es mir, daß die Erklaͤrung
des Hofmeiſters die richtige ſey, und nun
erſt durchfuhr mich, wie ein leuchtender Blitz
der Gedanke: daß, an jenem ungluͤcklichen Ta¬
ge, als eine feindſeelige Viſion mich in der
Predigt auf ſo zerſtoͤrende Weiſe unterbrach,
ich ja ſelbſt im Begriff geweſen, die Legende
auf dieſelbe Weiſe, als eine geiſtreiche be¬
lehrende Allegorie des heiligen Mannes vor¬
zutragen. Dieſem Gedanken knuͤpfte ſich ein
anderer an, welcher bald mich ſo ganz und
[73] gar erfuͤllte, daß alles Uebrige in ihm unter¬
ging. — Wie, dachte ich, wenn das wunder¬
bare Getraͤnk mit geiſtiger Kraft dein Inne¬
res ſtaͤrkte, ja die erloſchene Flamme entzuͤn¬
den koͤnnte, daß ſie in neuem Leben empor¬
ſtrahlte? — Wenn ſchon dadurch eine geheim¬
nißvolle Verwandſchaft deines Geiſtes mit
den in jenem Wein verſchloſſenen Natur¬
kraͤften ſich offenbaret haͤtte, daß derſelbe
Duft, der den ſchwaͤchlichen Cyrillus betaͤub¬
te, auf dich nur wohlthaͤtig wirkte? — Aber,
war ich auch ſchon entſchloſſen, dem Rathe
der Fremden zu folgen, wollte ich ſchon zur
That ſchreiten, ſo hielt mich immer wieder
ein inneres, mir ſelbſt unerklaͤrliches Wider¬
ſtreben davon zuruͤck. Ja, im Begriff, den
Schrank aufzuſchließen, ſchien es mir, als
erblicke ich in dem Schnitzwerk das enſetz¬
liche Geſicht des Malers, mit den mich durch¬
bohrenden lebendigtodtſtarren Augen, und
von geſpenſtiſchem Grauen gewaltſam er¬
griffen, floh ich aus der Reliquienkammer,
[74] um an heiliger Staͤtte meinen Vorwitz zu
bereuen. Aber immer und immer verfolgte
mich der Gedanke, daß nur durch den Genuß
des wunderbaren Weins mein Geiſt ſich er¬
laben und ſtaͤrken koͤnne. — Das Betragen
des Priors — der Moͤnche — die mich, wie
einen geiſtig Erkrankten, mit gutgemeinter,
aber niederbeugender Schonung behandelten,
brachte mich zur Verzweiflung, und als Leo¬
nardus nun gar mich von den gewoͤhnlichen
Andachtsuͤbungen dispenſirte, damit ich mei¬
ne Kraͤfte ganz ſammeln ſolle, da beſchloß
ich, in ſchlafloſer Nacht von tiefem Gram ge¬
foltert, auf den Tod alles zu wagen, um die
verlorne geiſtige Kraft wieder zu gewinnen,
oder unterzugehn.
Ich ſtand vom Lager auf, und ſchlich
wie ein Geſpenſt, mit der Lampe, die ich bei
dem Marienbilde auf dem Gange des Klo¬
ſters angezuͤndet, durch die Kirche nach der Re¬
liquienkammer. Von dem flackernden Scheine
der Lampe beleuchtet, ſchienen die heiligen
[75] Bilder in der Kirche ſich zu regen, es war,
als blickten ſie mitleidsvoll auf mich herab,
es war, als hoͤre ich in dem dumpfen Brau¬
ſen des Sturms, der durch die zerſchlagenen
Fenſter ins Chor hineinfuhr, klaͤgliche war¬
nende Stimmen, ja, als riefe mir meine Mut¬
ter zu aus weiter Ferne: Sohn Medardus,
was beginnſt du, laß ab von dem gefaͤhrli¬
chen Unternehmen! — Als ich in die Reli¬
quienkammer getreten, war alles ſtill und
ruhig, ich ſchloß den Schrank auf, ich
ergriff das Kiſtchen, die Flaſche, bald hatte
ich einen kraͤftigen Zug gethan! — Glut
ſtroͤmte durch meine Adern und erfuͤllte mich
mit dem Gefuͤhl unbeſchreiblichen Wohl¬
ſeyns — ich trank noch einmal, und die Luſt
eines neuen herrlichen Lebens ging mir auf!
— Schnell verſchloß ich das leere Kiſtchen in
den Schrank, eilte raſch mit der wohlthaͤti¬
gen Flaſche nach meiner Zelle, und ſtellte ſie
in mein Schreibepult. — Da fiel mir der
kleine Schluͤſſel in die Haͤnde, den ich da¬
[76] mals, um jeder Verſuchung zu entgehen,
vom Bunde loͤſ'te, und doch hatte ich ohne
ihn, ſowohl damals, als die Fremden zuge¬
gen waren, als jetzt, den Schrank aufge¬
ſchloſſen? — Ich unterſuchte meinen Schluͤſ¬
ſelbund, und ſiehe ein unbekannter Schluͤſſel,
mit dem ich damals und jetzt den Schrank
geoͤffnet, ohne in der Zerſtreuung darauf zu
merken, hatte ſich zu den uͤbrigen gefunden.
— Ich erbebte unwillkuͤhrlich, aber ein bun¬
tes Bild jug das andere bei dem, wie aus
tiefem Schlaf aufgeruͤttelten Geiſte voruͤber.
Ich hatte nicht Ruh, nicht Raſt, bis der
Morgen heiter anbrach, [und] ich hinabeilen
konnte in den Kloſtergarten, um mich in den
Strahlen der Sonne, die feurig und gluͤhend
hinter den Bergen emporſtieg, zu baden. Leo¬
nardus, die Bruͤder, bemerkten meine Veraͤn¬
derung; ſtatt daß ich ſonſt in mich verſchloſ¬
ſen, kein Wort ſprach, war ich heiter und
lebendig. Als rede ich vor verſammelter Ge¬
meinde, ſprach ich mit dem Feuer der Be¬
[77] redſamkeit, wie es ſonſt mir eigen. Da ich
mit Leonardus allein geblieben, ſah er mich
lange an, als wollte er mein Innerſtes durch¬
dringen; dann ſprach er aber, indem ein lei¬
ſes ironiſches Laͤcheln uͤber ſein Geſicht flog:
hat der Bruder Medardus vielleicht in einer
Viſion neue Kraft und verjuͤngtes Leben von
oben herab erhalten? — Ich fuͤhlte mich vor
Schaam ergluͤhen, denn in dem Augenblick
kam mir meine Exaltation, durch einen Schluck
alten Weins erzeugt, nichtswuͤrdig und arm¬
ſeelig vor. Mit niedergeſchlagenen Augen
und geſenktem Haupte, ſtand ich da, Leonar¬
dus uͤberließ mich meinen Betrachtungen.
Nur zu ſehr hatte ich gefuͤrchtet, daß die
Spannung, in die mich der genoſſene Wein
verſetzt, nicht lange anhalten, ſondern viel¬
leicht zu meinem Gram noch groͤßere Ohn¬
macht nach ſich ziehn wuͤrde; es war aber
dem nicht ſo, vielmehr fuͤhlte ich, wie, mit
der wiedererlangten Kraft, auch jugendlicher
Muth, und jenes raſtloſe Streben nach dem
[78] hoͤchſten Wirkungskreiſe, den mir das Kloſter
darbot, zuruͤckkehrte. Ich beſtand darauf, am
naͤchſten heiligen Tage wieder zu predigen,
und es wurde mir vergoͤnnt. Kurz vorher ehe
ich die Kanzel beſtieg, genoß ich von dem
wunderbaren Weine; nie hatte ich darauf
feuriger, ſalbungsreicher eindringender ge¬
ſprochen. Schnell verbreitete ſich der Ruf
meiner gaͤnzlichen Wiederherſtellung, und ſo
wie ſonſt fuͤllte ſich wieder die Kirche, aber
je mehr ich den Beifall der Menge erwarb,
deſto ernſter und zuruͤckhaltender wurde Leo¬
nardus, und ich fing an, ihn von ganzer Seele
zu haſſen, da ich ihn von kleinlichem Neide
und moͤnchiſchem Stolz befangen glaubte. —
Der Bernardustag kam heran, und ich
war voll brennender Begierde, vor der Fuͤr¬
ſtin recht mein Licht leuchten zu laſſen, wes¬
halb ich den Prior bat, es zu veranſtalten,
daß mir es vergoͤnnt werde, an dem Tage
im Ciſterzienſer Kloſter zu predigen. — Den
Leonardus ſchien meine Bitte auf beſondere
[79] Weiſe zu uͤberraſchen, er geſtand mir unver¬
holen, daß er gerade dieſesmal im Sinn ge¬
habt habe, ſelbſt zu predigen, und daß des¬
halb ſchon das noͤthige angeordnet ſey, deſto
leichter ſey indeſſen die Erfuͤllung meiner
Bitte, da er ſich mit Krankheit entſchuldigen
und mich ſtatt ſeiner herausſchicken werde. —
Das geſchah wirklich! — Ich ſah meine
Mutter, ſo wie die Fuͤrſtin, den Abend vor¬
her; mein Innres war aber ſo ganz von
meiner Rede erfuͤllt, die den hoͤchſten Gipfel
der Beredſamkeit erreichen ſollte, daß ihr
Wiederſehen nur einen geringen Eindruck auf
mich machte. Es war in der Stadt verbrei¬
tet, daß ich ſtatt des erkrankten Leonardus
predigen wuͤrde, und dies hatte vielleicht noch
einen groͤßeren Theil des gebildeten Publi¬
kums herbeigezogen. Ohne das mindeſte auf¬
zuſchreiben, nur in Gedanken die Rede, in
ihren Theilen ordnend, rechnete ich auf die
hohe Begeiſterung, die das feierliche Hoch¬
amt, das verſammelte andaͤchtige Volk, ja
[80] ſelbſt die herrliche hochgewoͤlbte Kirche in
mir erwecken wuͤrde, und hatte mich in der
That nicht geirrt. — Wie ein Feuerſtrom
floſſen meine Worte, die mit der Erinnerung
an den heiligen Bernhard die ſinnreichſten
Bilder, die froͤmmſten Betrachtungen ent¬
hielten dahin, und in allen auf mich gerich¬
teten Blicken, las ich Staunen und Bewun¬
derung. Wie war ich darauf geſpannt, was
die Fuͤrſtin wohl ſagen werde, wie erwartete
ich den hoͤchſten Ausbruch ihres innigſten
Wohlgefallens, ja es war mir, als muͤſſe ſie
den, der ſie ſchon als Kind in Erſtaunen ge¬
ſetzt, jetzt die ihm inwohnende hoͤhere Macht
deutlicher ahnend, mit unwillkuͤhrlicher Ehr¬
furcht empfangen. Als ich ſie ſprechen woll¬
te, ließ ſie mir ſagen, daß ſie, ploͤtzlich von
einer Kraͤnklichkeit uͤberfallen, niemanden,
auch mich nicht ſprechen koͤnne. — Dies war
mir um ſo verdrießlicher, als nach meinem
ſtolzen Wahn, die Aebtiſſin in der hoͤchſten
Begeiſterung das Beduͤrfniß haͤtte fuͤhlen ſol¬
len,[81] len, noch ſalbungsreiche Worte von mir zu
vernehmen. Meine Mutter ſchien einen heim¬
lichen Gram in ſich zu tragen, nach deſſen
Urſache ich mich nicht unterſtand zu forſchen,
weil ein geheimes Gefuͤhl mir ſelbſt die
Schuld davon aufbuͤrdete, ohne daß ich mir
dies haͤtte deutlicher entraͤthſeln koͤnnen. Sie
gab mir ein kleines Billet von der Fuͤrſtin,
das ich erſt im Kloſter oͤffnen ſollte: kaum
war ich in meiner Zelle, als ich zu meinem
Erſtaunen folgendes las:
„Du haſt mich, mein lieber Sohn
(denn noch will ich Dich ſo nennen)
durch die Rede, die Du in der Kirche
unſeres Kloſters hielteſt, in die tiefſte Be¬
truͤbniß geſetzt. Deine Worte kommen
nicht aus dem andaͤchtigen ganz dem
himmlischen zugewandten Gemuͤthe, Dei¬
ne Begeiſterung war nicht diejenige,
welche den Frommen auf Seraphsfittigen
emportraͤgt, daß er in heiliger Verzuͤk¬
kung, das himmliſche Reich zu ſchauen
I. [ 6 ][82] vermag. Ach! — Der ſtolze Prunk Dei¬
ner Rede, Deine ſichtliche Anſtrengung,
nur recht viel auffallendes, glaͤnzendes
zu ſagen, hat nur bewieſen, daß Du,
ſtatt die Gemeinde zu belehren und zu
frommen Betrachtungen zu entzuͤnden,
nur nach dem Beifall, nach der werthlo¬
ſen Bewunderung der weltlich geſinnten
Menge trachteſt. Du haſt Gefuͤhle ge¬
heuchelt, die nicht in Deinem Innern
waren, ja Du haſt ſelbſt gewiſſe ſichtlich
ſtudierte Mienen und Bewegungen er¬
kuͤnſtelt, wie ein eitler Schauſpieler, Alles
nur des ſchnoͤden Beifalls wegen. Der
Geiſt des Truges iſt in Dich gefahren,
und wird Dich verderben, wenn Du
nicht in Dich gehſt und der Suͤnde ent¬
ſageſt. Denn Suͤnde, große Suͤnde, iſt
Dein Thun und Treiben, um ſo mehr,
als Du Dich zum froͤmmſten Wandel,
zur Entſagung aller irrdiſchen Thorheit
im Kloſter, dem Himmel verpflichtet.
[83] Der heilige Bernardus, den Du durch
Deine truͤgeriſche Rede ſo ſchnoͤde belei¬
digt, moͤge Dir nach ſeiner himmliſchen
Langmuth verzeihen, ja Dich erleuchten,
daß Du den rechten Pfad, von dem Du
durch den Boͤſen verlockt abgewichen,
wieder findeſt, und er fuͤrbitten koͤnne fuͤr
das Heil Deiner Seele. Gehab Dich
wohl!“
Wie hundert Blitze durchfuhren mich die
Worte der Aebtiſſin, und ich ergluͤhte vor
innerm Zorn, denn nichts war mir gewiſſer,
als daß Leonardus, deſſen mannigfache An¬
deutungen uͤber meine Predigten eben dahin
gewieſen hatten, die Andaͤchtelei der Fuͤrſtin
benutzt, und ſie gegen mich und mein Red¬
ner-Talent aufgewiegelt habe. Kaum konnte
ich ihn mehr anſchauen, ohne vor innerlicher
Wuth zu erbeben, ja es kamen mir oft Ge¬
danken, ihn zu verderben, in den Sinn, vor
denen ich ſelbſt erſchrack. Um ſo unertraͤgli¬
cher waren mir die Vorwuͤrfe der Aebtiſſin
[84] und des Priors, als ich in der tiefſten Tiefe
meiner Seele, wohl die Wahrheit derſelben
fuͤhlte; aber immer feſter und feſter behar¬
rend in meinem Thun, mich ſtaͤrkend durch
Tropfen Weins aus der geheimnißvollen Fla¬
ſche, fuhr ich fort, meine Predigten mit al¬
len Kuͤnſten der Rhetorik auszuſchmuͤcken und
mein Mienenſpiel, meine Geſtikulationen ſorg¬
faͤltig zu ſtudieren, und ſo gewann ich des
Beifalls, der Bewunderung immer mehr
und mehr.
Das Morgenlicht brach in farbigten
Strahlen durch die bunten Fenſter der Klo¬
ſterkirche; einſam, und in tiefe Gedanken ver¬
ſunken, ſaß ich im Beichtſtuhl; nur die Tritte
des dienenden Layenbruders, der die Kirche
reinigte, hallten durch das Gewoͤlbe. Da
rauſchte es in meiner Naͤhe, und ich erblick¬
te ein großes ſchlankes Frauenzimmer, auf
fremdartige Weiſe gekleidet, einen Schleier
uͤber das Geſicht gehaͤngt, die durch die Sei¬
tenpforte hereingetreten, ſich mir nahte, um
[85] zu beichten. Sie bewegte ſich mit unbe¬
ſchreiblicher Anmuth, ſie kniete nieder, ein
tiefer Seufzer entfloh ihrer Bruſt, ich fuͤhlte
ihren gluͤhenden Athem, es war als um¬
ſtricke mich ein betaͤubender Zauber, noch
ehe ſie ſprach! — Wie vermag ich den ganz
eignen, ins Innerſte dringenden Ton ihrer
Stimme zu beſchreiben. — Jedes ihrer Wor¬
te griff in meine Bruſt, als ſie bekannte,
wie ſie eine verbotene Liebe hege, die ſie
ſchon ſeit langer Zeit vergebens bekaͤmpfe,
und daß dieſe Liebe um ſo ſuͤndlicher ſey, als
den Geliebten heilige Bande auf ewig feſſel¬
ten; aber im Wahnſinn hoffnungsloſer Ver¬
zweiflung, habe ſie dieſen Banden ſchon ge¬
flucht. — Sie ſtockte — mit einem Thraͤnen¬
ſtrom, der die Worte beinahe erſtickte, brach
ſie los: „Du ſelbſt — Du ſelbſt, Medardus
biſt es, den ich ſo unausſprechlich liebe!“ —
Wie im toͤdtenden Krampf zuckten alle meine
Nerven, ich war außer mir ſelbſt, ein niege¬
kanntes Gefuͤhl zerriß meine Bruſt, ſie ſe¬
[86] hen, ſie an mich druͤcken — vergehen vor
Wonne und Qual, eine Minute dieſer Seelig¬
keit fuͤr ewige Marter der Hoͤlle! — Sie
ſchwieg, aber ich hoͤrte ſie tief athmen. —
In einer Art wilder Verzweiflung raffte ich
mich gewaltſam zuſammen, was ich geſpro¬
chen, weiß ich nicht mehr, aber ich nahm
wahr, daß ſie ſchweigend aufſtand und ſich
entfernte, waͤhrend ich das Tuch feſt vor die
Augen druͤckte, und wie erſtarrt, bewuſtlos
im Beichtſtuhle ſitzen blieb. —
Zum Gluͤck kam niemand mehr in die
Kirche, ich konnte daher unbemerkt in meine
Zelle entweichen. Wie ſo ganz anders er¬
ſchien mir jetzt Alles, wie thoͤrigt, wie ſchaal
mein ganzes Streben. — Ich hatte das Ge¬
ſicht der Unbekannten nicht geſehen und doch
lebte ſie in meinem Innern und blickte mich
an mit holdſeeligen dunkelblauen Augen, in
denen Thraͤnen perlten, die wie mit verzeh¬
render Gluth in meine Seele fielen, und die
Flamme entzuͤndeten, die kein Gebet, keine
[87] Bußuͤbung mehr daͤmpfte. Denn dieſe unter¬
nahm ich, mich zuͤchtigend bis aufs Blut mit
dem Knotenſtrick, um der ewigen Verdamm¬
niß zu entgehen, die mir drohte, da oft je¬
nes Feuer, das das fremde Weib in mich ge¬
worfen, die ſuͤndlichſten Begierden, welche
ſonſt mir unbekannt geblieben, erregte, ſo
daß ich mich nicht zu retten wußte, vor wol¬
luͤſtiger Qual.
Ein Altar in unſerer Kirche war der
heiligen Roſalia geweiht, und ihr herrliches
Bild in dem Moment gemalt, als ſie den
Maͤrtyrer Tod erleidet. — Es war meine
Geliebte, ich erkannte ſie, ja ſogar ihre Klei¬
dung war dem ſeltſamen Anzug der Unbe¬
kannten voͤllig gleich. Da lag ich ſtunden¬
lang, wie von verderblichem Wahnſinn be¬
fangen, niedergeworfen auf den Stufen des
Altars und ſtieß heulende entſetzliche Toͤne
der Verzweiflung aus, daß die Moͤnche ſich
entſetzten und ſcheu von mir wichen. — In
ruhigeren Augenblicken lief ich im Kloſter¬
[88] garten auf und ab, in duftiger Ferne ſah ich
ſie wandeln, ſie trat aus den Gebuͤſchen, ſie
ſtieg empor aus den Quellen, ſie ſchwebte
auf blumigter Wieſe, uͤberall nur ſie, nur
ſie! — Da verwuͤnſchte ich mein Geluͤbde,
mein Daſeyn! — Hinaus in die Welt wollte
ich, und nicht raſten, bis ich ſie gefunden, ſie
erkaufen mit dem Heil meiner Seele. Es
gelang mir endlich wenigſtens, mich in den
Ausbruͤchen meines den Bruͤdern und dem
Prior unerklaͤrlichen Wahnſinns zu maͤßigen,
ich konnte ruhiger ſcheinen, aber immer tie¬
fer ins Innere hinein, zehrte die verderbliche
Flamme. Kein Schlaf! — Keine Ruhe! —
Von ihrem Bilde verfolgt, waͤlzte ich mich
auf dem harten Lager und rief die Heiligen
an, nicht, mich zu retten von dem verfuͤhreri¬
ſchen Gaukelbilde, das mich umſchwebte,
nicht, meine Seele zu bewahren vor ewiger
Verdammniß, nein! — mir das Weib zu ge¬
ben, meinen Schwur zu loͤſen, mir Freiheit
zu ſchenken zum ſuͤndigen Abfall! —
[89]
Endlich ſtand es feſt in meiner Seele,
meiner Quaal durch die Flucht aus dem Klo¬
ſter ein Ende zu machen. Denn nur die Be¬
freiung von den Kloſtergeluͤbden ſchien mir
noͤthig zu ſeyn, um das Weib in meinen
Armen zu ſehen und die Begierde zu ſtillen,
die in mir brannte. Ich beſchloß, unkenntlich
geworden durch das Abſcheeren meines Barts
und weltliche Kleidung, ſo lange in der
Stadt umherzuſchweifen, bis ich ſie gefun¬
den, und dachte nicht daran, wie ſchwer, ja
wie unmoͤglich dies vielleicht ſeyn werde, ja,
wie ich vielleicht, von allem Gelde [entbloͤßt],
nicht einen einzigen Tag außerhalb den Mau¬
ern wuͤrde leben koͤnnen.
Der letzte Tag, den ich noch im Kloſter
zubringen wollte, war endlich herangekom¬
men, durch einen guͤnſtigen Zufall hatte ich
anſtaͤndige buͤrgerliche Kleider erhalten; in
der naͤchſten Nacht, wollte ich das Kloſter
verlaſſen, um nie wieder zuruͤckzukehren.
Schon war es Abend geworden, als der Prior
[90] mich ganz unerwartet zu ſich rufen ließ; Ich
erbebte, denn nichts glaubte ich gewiſſer, als
daß er von meinem heimlichen Anſchlage et¬
was bemerkt habe. Leonardus empfing mich
mit ungewoͤhnlichem Ernſt, ja mit einer im¬
ponirenden Wuͤrde, vor der ich unwillkuͤhrlich
erzittern mußte. „Bruder Medardus, fing
er an: Dein unſinniges Betragen, das ich
nur fuͤr den ſtaͤrkeren Ausbruch jener geiſti¬
gen Exaltation halte, die Du ſeit laͤngerer
Zeit vielleicht nicht aus den reinſten Abſich¬
ten herbeigefuͤhrt haſt, zerreißt unſer ruhiges
Beiſammenſeyn, ja es wirkt zerſtoͤrend auf
die Heiterkeit und Gemuͤthlichkeit, die ich als
das Erzeugniß eines ſtillen frommen Lebens
bis jetzt unter den Bruͤdern zu erhalten ſtreb¬
te. — Vielleicht iſt aber auch irgend ein
feindliches Ereigniß, das Dich betroffen, daran
Schuld. Du haͤtteſt bei mir, deinem vaͤter¬
lichen Freunde, dem du ſicher Alles vertrauen
konnteſt, Troſt gefunden, doch Du ſchwiegſt,
und ich mag um ſo weniger in Dich drin¬
[91] gen, als mich jetzt Dein Geheimniß, um ei¬
nen Theil meiner Ruhe bringen koͤnnte, die
ich im heitern Alter uͤber alles ſchaͤtze. —
Du haſt oftmals, vorzuͤglich bei dem Altar
der heiligen Roſalia, durch anſtoͤßige entſetz¬
liche Reden, die Dir wie im Wahnſinn zu
entfahren ſchienen, nicht nur den Bruͤdern,
ſondern auch Fremden, die ſich zufaͤllig in
der Kirche befanden, ein heilloſes Aergerniß
gegeben; ich koͤnnte Dich daher nach der Klo¬
ſterzucht hart ſtrafen, doch will ich dies nicht
thun, da vielleicht irgend eine boͤſe Macht —
der Widerſacher ſelbſt, dem Du nicht genugſam
widerſtanden, an Deiner Verirrung Schuld
iſt, und gebe dir nur auf, ruͤſtig zu ſeyn in
Buße und Gebet. — Ich ſchaue tief in Dei¬
ne Seele? — Du willſt ins Freie!“ —
Durchdringend ſchaute Leonardus mich
an, ich konnte ſeinen Blick nicht ertragen,
ſchluchzend ſtuͤrzte ich nieder in den Staub,
mich bewußt, des boͤſen Vorhabens. „Ich
verſtehe dich, fuhr Leonardus fort, und glau¬
[92] be ſelbſt, daß beſſer, als die Einſamkeit des
Kloſters, die Welt, wenn Du ſie in Froͤmmig¬
keit durchziehſt, Dich von Deiner Verirrung
heilen wird. Eine Angelegenheit unſeres
Kloſters erfordert die Sendung eines Bru¬
ders nach Rom. Ich habe Dich dazu ge¬
waͤhlt, und ſchon morgen kannſt Du, mit den
noͤthigen Vollmachten und Inſtruktionen ver¬
ſehen, deine Reiſe antreten. Um ſo mehr
eigneſt Du Dich zur Ausfuͤhrung dieſes Auf¬
trages, als Du noch jung, ruͤſtig, gewandt in
Geſchaͤften, und der italiaͤniſchen Sprache
vollkommen maͤchtig biſt. — Begieb Dich jetzt
in deine Zelle; bete mit Inbrunſt, um das
Heil deiner Seele, ich will ein Gleiches thun,
doch unterlaſſe alle Kaſteiungen, die Dich nur
ſchwaͤchen und zur Reiſe untauglich machen
wuͤrden. Mit dem Anbruch des Tages er¬
warte ich Dich hier im Zimmer.“ —
Wie ein Strahl des Himmels erleuchte¬
ten mich die Worte des ehrwuͤrdigen Leonar¬
dus, ich hatte ihn gehaßt, aber jetzt durch¬
[93] drang mich wie ein wonnevoller Schmerz
die Liebe, welche mich ſonſt an ihn gefeſſelt
hatte. Ich vergoß heiße Thraͤnen, ich druͤck¬
te ſeine Haͤnde an die Lippen. Er umarmte
mich, und es war mir, als wiſſe er nun
meine geheimſten Gedanken, und ertheile mir
die Freiheit, dem Verhaͤngniß nachzugeben,
das, uͤber mich waltend, nach Minuten langer
Seeligkeit mich vielleicht in ewiges Verder¬
ben ſtuͤrzen konnte.
Nun war die Flucht unnoͤthig geworden,
ich konnte das Kloſter verlaſſen, und ihr, ihr,
ohne die nun keine Ruhe, kein Heil fuͤr mich
hienieden zu finden, raſtlos folgen, bis ich
ſie gefunden. Die Reiſe nach Rom, die Auf¬
traͤge dahin, ſchienen mir nur von Leonar¬
dus erſonnen, um mich auf ſchickliche Weiſe
aus dem Kloſter zu entlaſſen.
Die Nacht brachte ich betend, und mich
bereitend zur Reiſe, zu, den Reſt des geheim¬
nißvollen Weins fuͤllte ich in eine Korbfla¬
ſche, um ihn als bewaͤhrtes Wirkungsmittel
[94] zu gebrauchen, und ſetzte die Flaſche, welche
ſonſt das Elixier enthielt, wieder in die Kiſte.
Nicht wenig verwundert war ich, als
ich aus den weitlaͤuftigen Inſtruktionen des
Priors wahrnahm, daß es mit meiner Sen¬
dung nach Rom nun wohl ſeine Richtigkeit
hatte, und daß die Angelegenheit, welche
dort die Gegenwart eines bevollmaͤchtigten
Bruders verlangte, gar viel bedeutete und in
ſich trug. Es fiel mir ſchwer aufs Herz,
daß ich geſonnen, mit dem erſten Schritt
aus dem Kloſter, ohne alle Ruͤckſicht mich
meiner Freiheit zu uͤberlaſſen; doch der Ge¬
danke an ſie ermuthigte mich, und ich be¬
ſchloß, meinem Plane treu zu bleiben.
Die Bruͤder verſammelten ſich, und der
Abſchied von ihnen, vorzuͤglich von dem Va¬
ter Leonardus, erfuͤllte mich mit der tiefſten
Wehmuth. — Endlich ſchloß ſich die Kloſter¬
pforte hinter mir, und ich war geruͤſtet zur
weiten Reiſe im Freien.
Zweiter Abschnitt.
Der Eintritt in die Welt.
In blauen Duft gehuͤllt, lag das Kloſter un¬
ter mir im Thale; der friſche Morgenwind
ruͤhrte ſich und trug, die Luͤfte durchſtreichend,
die frommen Geſaͤnge der Bruͤder zu mir her¬
auf. Unwillkuͤhrlich ſtimmte ich ein. Die
Sonne trat in flammender Gluth hinter der
Stadt hervor, ihr funkelndes Gold erglaͤnzte
in den Baͤumen und in freudigem Rauſchen
fielen die Thautropfen wie gluͤhende Diaman¬
ten herab auf tauſend bunte Inſektlein, die
ſich ſchwirrend und ſumſend erhoben. Die
Voͤgel erwachten und flatterten, ſingend und
[96] jubilirend und ſich in froher Luſt liebkoſend,
durch den Wald! — Ein Zug von Bauer¬
burſchen und feſtlich geſchmuͤckter Dirnen
kam den Berg herauf. „Gelobt ſey Jeſus
Chriſtus! riefen ſie, bei mir voruͤberwan¬
delnd.“ In Ewigkeit! antwortete ich, und
es war mir, als trete ein neues Leben, voll
Luſt und Freiheit, mit tauſend holdſeeligen Er¬
ſcheinungen auf mich ein! — Nie war mir
ſo zu Muthe geweſen, ich ſchien mir ſelbſt
ein andrer, und, wie von neuerweckter Kraft
beſeelt und begeiſtert, ſchritt ich raſch fort
durch den Wald, den Berg herab. Den
Bauer, der mir jetzt in den Weg kam, frug
ich nach dem Orte, den meine Reiſeroute als
den erſten bezeichnete, wo ich uͤbernachten
ſollte; und er beſchrieb mir genau einen naͤ¬
hern, von der Heerſtraße abweichenden, Richt¬
ſteig mitten durch's Gebuͤrge. Schon war
ich eine ziemliche Strecke einſam fortgewan¬
delt, als mir erſt der Gedanke an die Unbe¬
kannte und an den phantaſtiſchen Plan ſie
auf¬[97] aufzuſuchen wiederkam. Aber ihr Bild, war
wie von fremder unbekannter Macht ver¬
wiſcht, ſo daß ich nur mit Muͤhe die blei¬
chen entſtellten Zuͤge wieder erkennen konnte;
je mehr ich trachtete, die Erſcheinung im
Geiſte feſtzuhalten, deſto mehr zerrann ſie in
Nebel. Nur mein ausgelaſſenes Betragen
im Kloſter, nach jener geheimnißvollen Be¬
gebenheit, ſtand mir noch klar vor Augen.
Es war mir jetzt ſelbſt unbegreiflich, mit wel¬
cher Langmuth der Prior das alles ertragen,
und mich ſtatt der wohlverdienten Strafe in
die Welt geſchickt hatte. Bald war ich uͤber¬
zeugt, daß jene Erſcheinung des unbekannten
Weibes nur eine Viſion geweſen, die Folge
gar zu großer Anſtrengung, und ſtatt, wie ich
ſonſt gethan haben wuͤrde, das verfuͤhreri¬
ſche verderbliche Trugbild der ſteten Verfol¬
gung des Widerſachers zuzuſchreiben, rech¬
nete ich es nur der Taͤuſchung der eignen auf¬
geregten Sinne zu, da der Umſtand, daß die
Fremde ganz wie die heilige Roſalia geklei¬
I. [ 7 ][98] det geweſen, mir zu beweiſen ſchien, daß das
lebhafte Bild jener Heiligen, welches ich
wirklich, wiewohl in betraͤchtlicher Ferne und
in ſchiefer Richtung aus dem Beichtſtuhl ſe¬
hen konnte, großen Antheil daran gehabt
habe. Tief bewunderte ich die Weisheit des
Priors, der das richtige Mittel zu meiner
Heilung waͤhlte, denn, in den Kloſtermauern
eingeſchloſſen, immer von denſelben Gegen¬
ſtaͤnden umgeben, immer bruͤtend und hin¬
einzehrend in das Innere, haͤtte mich jene
Viſion, der die Einſamkeit gluͤhendere, keckere
Farben lieh, zum Wahnſinn gebracht. Im¬
mer vertrauter werdend mit der Idee nur ge¬
traͤumt zu haben, konnte ich mich kaum des
Lachens uͤber mich ſelbſt erwehren, ja mit
einer Frivolitaͤt, die mir ſonſt nicht eigen,
ſcherzte ich im Innern uͤber den Gedanken,
eine Heilige in mich verliebt zu waͤhnen, wo¬
bei ich zugleich daran dachte, daß ich ja
ſelbſt ſchon einmal der heilige Antonius ge¬
weſen. —
[99]
Schon mehrere Tage war ich durch das
Gebuͤrge gewandelt, zwiſchen kuͤhn emporge¬
thuͤrmten ſchauerlichen Felſenmaſſen, uͤber
ſchmale Stege, unter denen reiſſende Wald¬
baͤche brausten; immer oͤder, immer be¬
ſchwerlicher wurde der Weg. Es war hoher
Mittag, die Sonne brannte auf mein unbe¬
decktes Haupt, ich lechzte vor Durſt, aber
keine Quelle war in der Naͤhe, und noch im¬
mer konnte ich nicht das Dorf erreichen, auf
das ich ſtoßen ſollte. Ganz entkraͤftet ſetzte
ich mich auf ein Felsſtuͤck, und konnte nicht
widerſtehen, einen Zug aus der Korbflaſche
zu thun, unerachtet ich das ſeltſame Getraͤnk
ſo viel nur moͤglich, aufſparen wollte. Neue
Kraft durchgluͤhte meine Adern, und erfriſcht
und geſtaͤrkt ſchritt ich weiter, um mein Ziel,
das nicht mehr fern ſeyn konnte, zu erreichen.
Immer dichter und dichter wurde der Tan¬
nenwald, im tiefſten Dickigt rauſchte es, und
bald darauf wieherte laut ein Pferd, das dort
angebunden. Ich trat einige Schritte weiter
[100] und erſtarrte beinahe vor Schreck, als ich
dicht an einem jaͤhen entſetzlichen Abgrund
ſtand, in den ſich, zwiſchen ſchroffen ſpitzen
Felſen, ein Waldbach ziſchend und brauſend
hinabſtuͤrzte, deſſen donnerndes Getoͤſe ich
ſchon in der Ferne vernommen. Dicht, dicht
an dem Sturz, ſaß auf einem uͤber die Tiefe
hervorragenden Felſenſtuͤck, ein junger Mann
in Uniform, der Hut mit dem hohen Feder¬
buſch, der Degen, ein Portefeuille lagen ne¬
ben ihm. Mit dem ganzen Koͤrper uͤber den
Abgrund haͤngend, ſchien er eingeſchlafen
und immer mehr und mehr heruͤber zu ſin¬
ken. — Sein Sturz war unvermeidlich. Ich
wagte mich heran; indem ich ihn mit der
Hand ergreifen und zuruͤckhalten wollte, ſchrie
ich laut: um Jeſuswillen! Herr! — er¬
wacht! — Um Jeſuswillen. — So wie ich
ihn beruͤhrte, fuhr er auf aus tiefem Schlafe,
aber in demſelben Augenblick ſtuͤrzte er, das
Gleichgewicht verlierend, hinab in den Ab¬
grund, daß, von Felſenſpitze zu Felſenſpitze ge¬
[101] worfen, die zerſchmetterten Glieder zuſam¬
menkrachten; ſein ſchneidendes Jammerge¬
ſchrei verhallte in der unermeßlichen Tiefe,
aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauf¬
toͤnte, das endlich auch erſtarb. Leblos vor
Schreck und Entſetzen ſtand ich da, endlich
ergriff ich den Hut, den Degen, das Porte¬
feuille, und wollte mich ſchnell von dem Un¬
gluͤcksorte entfernen, da trat mir ein junger
Menſch aus dem Tannenwalde entgegen, wie
ein Jaͤger gekleidet, ſchaute mir erſt ſtarr
ins Geſicht, und fing dann an, ganz uͤbermaͤ¬
ßig zu lachen, ſo daß ein eiskalter Schauer
mich durchbebte.
„Nun, gnaͤdiger Herr Graf, ſprach end¬
lich der junge Menſch, die Maskerade iſt in
der That vollſtaͤndig und herrlich, und waͤre
die gnaͤdige Frau nicht ſchon vorher davon
unterrichtet, wahrhaftig, ſie wuͤrde den Her¬
zensgeliebten nicht wieder erkennen. Wo ha¬
ben Sie aber die Uniform hingethan, gnaͤdi¬
ger Herr?“ — Die ſchleuderte ich hinab in
[102] den Abgrund, antwortete es aus mir hohl
und dumpf, denn ich war es nicht, der dieſe
Worte ſprach, unwillkuͤhrlich entflohen ſie
meinen Lippen. In mich gekehrt, immer in
den Abgrund ſtarrend, ob der blutige Leich¬
nam des Grafen ſich nicht mir drohend erhe¬
ben werde, ſtand ich da. — Es war mir, als
habe ich ihn ermordet, noch immer hielt ich
den Degen, Hut und Portefeuille krampfhaft
feſt. Da fuhr der junge Menſch fort: „Nun
gnaͤdiger Herr, reite ich den Fahrweg her¬
ab nach dem Staͤdtchen, wo ich mich in dem
Hauſe dicht vor dem Thor linker Hand ver¬
borgen halten will, Sie werden wohl gleich
herab nach dem Schloſſe wandeln, man wird
Sie wohl ſchon erwarten, Hut und Degen
nehme ich mit mir.“ — Ich reichte ihm bei¬
des hin. „Nun leben Sie wohl, Herr Graf!
recht viel Gluͤck im Schloſſe,“ rief der junge
Menſch und verſchwand ſingend und pfeifend
in dem Dickigt. Ich hoͤrte, daß er das Pferd,
was dort angebunden, losmachte, und mit
[103] ſich fortfuͤhrte. Als ich mich von meiner
Betaͤubung erholt und die ganze Begebenheit
uͤberdachte, mußte ich mir wohl eingeſtehen,
daß ich bloß dem Spiel des Zufalls, der mich
mit einem Ruck in das ſonderbarſte Verhaͤlt¬
niß geworfen, nachgegeben. Es war mir
klar, daß eine große Aehnlichkeit meiner Ge¬
ſichtszuͤge und meiner Geſtalt, mit der des
ungluͤcklichen Grafen, den Jaͤger getaͤuſcht,
und der Graf gerade die Verkleidung als Ca¬
puziner gewaͤhlt haben muͤſſe, um irgend ein
Abentheuer in dem nahen Schloſſe zu beſte¬
hen. Der Tod hatte ihn ereilt, und ein
wunderbares Verhaͤngniß mich in demſelben
Augenblick an ſeine Stelle geſchoben. Der
innere unwiderſtehliche Drang in mir, wie es
jenes Verhaͤngniß zu wollen ſchien, die Rolle
des Grafen fortzuſpielen, uͤberwog jeden Zwei¬
fel und uͤbertaͤubte die innere Stimme, welche
mich des Mordes und des frechen Frevels
bezieh. Ich eroͤffnete das Portefeuille, wel¬
ches ich behalten; Briefe, betraͤchtliche Wech¬
[104] ſel fielen mir in die Hand. Ich wollte die
Papiere einzeln durchgehen, ich wollte die
Briefe leſen um mich von den Verhaͤltniſſen
des Grafen zu unterrichten, aber die innere
Unruhe, der Flug von tauſend und tauſend
Ideen, die durch meinen Kopf brauſten, ließ
es nicht zu.
Ich ſtand nach einigen Schritten wieder
ſtill, ich ſetzte mich auf ein Felsſtuͤck, ich woll¬
te eine ruhigere Stimmung erzwingen, ich
ſah die Gefahr, ſo ganz unvorbereitet mich
in den Kreis mir fremder Erſcheinungen
zu wagen; da toͤnten luſtige Hoͤrner durch
den Wald, und mehrere Stimmen jauchzten
und jubelten immer naͤher und naͤher. Das
Herz pochte mir in gewaltigen Schlaͤgen,
mein Athem ſtockte, nun ſollte ſich mir eine
neue Welt, ein neues Leben erſchließen! —
Ich bog in einen ſchmalen Fußſteig ein, der
mich einen jaͤhen Abhang hinabfuͤhrte; als
ich aus dem Gebuͤſch trat, lag ein großes
ſchoͤn gebautes Schloß vor mir im Thal¬
[105] grunde. — Das war der Ort des Abentheu¬
ers, welches der Graf zu beſtehen im Sinn
gehabt, und ich ging ihm muthig entgegen.
Bald befand ich mich in den Gaͤngen des
Parks, welcher das Schloß umgab; in einer
dunklen Seiten-Allee ſah ich zwei Maͤnner
wandeln, von denen der eine, wie ein Welt¬
geiſtlicher gekleidet war. Sie kamen mir naͤ¬
her, aber ohne mich gewahr zu werden gin¬
gen ſie in tiefem Geſpraͤch bei mir voruͤber.
Der Weltgeiſtliche war ein Juͤngling, auf
deſſen ſchoͤnem Geſichte die Todtenblaͤſſe ei¬
nes tief nagenden Kummers lag, der andere
ſchlicht aber anſtaͤndig gekleidet, ſchien ein
ſchon bejahrter Mann. Sie ſetzten ſich, mir
den Ruͤcken zuwendend, auf eine ſteinerne
Bank, ich konnte jedes Wort verſtehen, was
Sie ſprachen. „Hermogen! ſagte der Alte:
Sie bringen durch Ihr ſtarrſinniges Schwei¬
gen Ihre Familie zur Verzweiflung, Ihre
duͤſtre Schwermuth ſteigt mit jedem Tage, Ihre
jugendliche Kraft iſt gebrochen, die Bluͤthe
[106] verwelkt, Ihr Entſchluß, den geiſtlichen Stand
zu waͤhlen, zerſtoͤrt alle Hoffnungen, alle
Wuͤnſche Ihres Vaters! — Aber willig wuͤr¬
de er dieſe Hoffnungen aufgeben, wenn ein
wahrer innerer Beruf, ein unwiderſtehlicher
Hang zur Einſamkeit, von Jugend auf den
Entſchluß in Ihnen erzeugt haͤtte, er wuͤrde
dann nicht dem zu widerſtreben wagen, was
das Schickſal einmal uͤber ihn verhaͤngt.
Die ploͤtzliche Aenderung Ihres ganzen We¬
ſens, hat indeſſen nur zu deutlich gezeigt,
daß irgend ein Ereigniß, das Sie uns hart¬
naͤckig verſchweigen, Ihr Inneres auf furcht¬
bare Weiſe erſchuͤttert hat, und nun zerſtoͤ¬
rend fortarbeitet. — Sie waren ſonſt ein
froher unbefangener lebensluſtiger Juͤngling!
— Was konnte Sie denn dem Menſchlichen
ſo entfremden, daß ſie daran verzweifeln in
eines Menſchen Bruſt koͤnne Troſt fuͤr ihre
kranke Seele zu finden ſeyn. Sie ſchwei¬
gen? Sie ſtarren vor ſich hin? — Sie ſeuf¬
zen? Hermogen! Sie liebten ſonſt Ihren Va¬
[107] ter mit ſeltener Innigkeit, iſt es Ihnen aber
jetzt unmoͤglich worden, ihm Ihr Herz zu
erſchließen, ſo quaͤlen Sie ihn wenigſtens
nicht durch den Anblick ihres Rocks, der auf
den fuͤr ihn entſetzlichen Entſchluß hindeu¬
tet. Ich beſchwoͤre Sie, Hermogen! werfen
Sie dieſe verhaßte Kleidung ab. Glauben
Sie mir, es liegt eine geheimnißvolle Kraft
in dieſen aͤußerlichen Dingen; es kann Ih¬
nen nicht mißfallen, denn ich glaube von Ih¬
nen ganz verſtanden zu werden, wenn ich in
dieſem Augenblick freilich auf fremdartig
ſcheinende Weiſe der Schauſpieler gedenke,
die oft, wenn ſie ſich in das Coſtum gewor¬
fen, wie von einem fremden Geiſt ſich ange¬
regt fuͤhlen, und leichter in den darzuſtellen¬
den Charakter eingehen. Laſſen Sie mich,
meiner Natur gemaͤß, heitrer von der Sache
ſprechen, als ſich ſonſt wohl ziemen wuͤrde.
— Meinen Sie denn nicht, daß wenn dieſes
lange Kleid nicht mehr ihren Gang zur duͤ¬
ſtern Gravitaͤt einhemmen wuͤrde, Sie wieder
[108] raſch und froh dahin ſchreiten, ja laufen,
ſpringen wuͤrden, wie ſonſt? Der blinkende
Schein der Epauletts, die ſonſt auf Ihren
Schultern prangten, wuͤrde wieder jugendli¬
che Gluth auf dieſe blaſſen Wangen werfen,
und die klirrenden Sporen wuͤrden, wie lieb¬
liche Muſik, dem muntern Roſſe ertoͤnen, das
Ihnen entgegen wieherte, vor Luſt tanzend,
und den Nacken beugend dem geliebten Herrn.
Auf, Baron! — Herunter mit dem ſchwarzen
Gewande, das Ihnen nicht anſteht! — Soll
Friedrich Ihre Uniform hervorſuchen?“
Der Alte ſtand auf und wollte fortgehen,
der Juͤngling fiel ihm in die Arme. „Ach,
Sie quaͤlen mich, guter Reinhold! rief er mit
matter Stimme: Sie quaͤlen mich unaus¬
ſprechlich! — Ach, je mehr Sie ſich bemuͤ¬
hen, die Saiten in meinem Innern anzu¬
ſchlagen, die ſonſt harmoniſch erklangen, de¬
ſto mehr fuͤhle ich, wie des Schickſals eherne
Fauſt mich ergriffen, mich erdruͤckt hat, ſo
daß, wie in einer zerbrochenen Laute, nur
[109] Mißtoͤne in mir wohnen!“ — So ſcheint es
Ihnen, lieber Baron, fiel der Alte ein: Sie
ſprechen von einem ungeheuern Schickſal, das
Sie ergriffen, worinn das beſtanden, verſchwei¬
gen Sie, dem ſey aber, wie ihm wolle, ein
Juͤngling, ſo wie Sie, mit innerer Kraft,
mit jugendlichem Feuermuthe ausgeruͤſtet, muß
vermoͤgen ſich gegen des Schickſals eherne
Fauſt zu wappnen, ja er muß, wie durch¬
ſtrahlt von einer goͤttlichen Natur, ſich uͤber
ſein Geſchick erheben, und ſo dies hoͤhere
Seyn in ſich ſelbſt erweckend und entzuͤn¬
dend ſich emporſchwingen, uͤber die Qual die¬
ſes armſeeligen Lebens! Ich wußte nicht Ba¬
ron, welch ein Geſchick denn im Stande ſeyn
ſollte, dies kraͤftige innere Wollen zu zerſtoͤ¬
ren. — Hermogen trat einen Schritt zuruͤck,
und den Alten mit einem duͤſteren, wie im
verhaltenen Zorn gluͤhenden Blicke, der et¬
was Entſetzliches hatte, anſtarrend, rief er mit
dumpfer, hohler Stimme: ſo wiſſe denn, daß
ich ſelbſt das Schickſal bin, das mich ver¬
[110] nichtet, daß ein ungeheures Verbrechen auf
mir laſtet, ein ſchaͤndlicher Frevel, den ich
abbuͤße in Elend und Verzweiflung. — Da¬
rum ſey barmherzig und flehe den Vater
an, daß er mich fort laſſe in die Mauern! —
„Baron, fiel der Alte ein: Sie ſind in ei¬
ner Stimmung, die nur dem gaͤnzlich zerruͤt¬
teten Gemuͤthe eigen, Sie ſollen nicht fort,
Sie duͤrfen durchaus nicht fort. In dieſen
Tagen kommt die Baroneſſe mit Aurelien,
die muͤſſen Sie ſehen.“ Da lachte der Juͤng¬
ling, wie in furchtbarem Hohn, und rief mit
einer Stimme, die durch mein Innres droͤhn¬
te: „Muß ich? — muß ich bleiben? — Ja,
wahrhaftig, Alter, Du haſt Recht, ich muß
bleiben, und meine Buße wird hier ſchreckli¬
cher ſeyn, als in den dumpfen Mauern.“ —
Damit ſprang er fort durch das Gebuͤſch,
und ließ den Alten ſtehen, der, das geſenkte
Haupt in die Hand geſtuͤtzt, ſich ganz dem
Schmerz zu uͤberlaſſen ſchien. „Gelobt ſey
Jeſus Chriſtus !“ ſprach ich, zu ihm hinantre¬
[111] tend. — Er fuhr auf, er ſah mich ganz ver¬
wundert an, doch ſchien er ſich bald auf mei¬
ne Erſcheinung, wie auf etwas ihm ſchon
bekanntes zu beſinnen, indem er ſprach: „Ach
gewiß ſind Sie es, ehrwuͤrdiger Herr! deſſen
Ankunft uns die Frau Baroneſſe zum Troſt
der in Trauer verſunkenen Familie, ſchon vor
einiger Zeit ankuͤndigte?“ — Ich bejahte das,
Reinhold ging bald ganz in die Heiterkeit
uͤber, die Ihm eigenthuͤmlich zu ſeyn ſchien,
wir durchwanderten den ſchoͤnen Park, und
kamen endlich in ein dem Schloſſe ganz nah¬
gelegenes Boskett, vor dem ſich eine herrli¬
che Ausſicht ins Gebuͤrge oͤffnete. Auf ſei¬
nen Ruf eilte der Bediente, der eben aus dem
Portal des Schloſſes trat, herbei, und bald
wurde uns ein gar ſtattliches Fruͤhſtuͤck auf¬
getragen. Waͤhrend, daß wir die gefuͤllten
Glaͤſer anſtießen, ſchien es mir, als betrachte
mich Reinhold immer aufmerkſamer, ja, als
ſuche er mit Muͤhe eine halb erloſchene Er¬
innerung aufzufriſchen. Endlich brach er
[112] los: „mein Gott, ehrwuͤrdiger Herr! Alles
muͤßte mich truͤgen, wenn Sie nicht der Pa¬
ter Medardus aus dem Capuziner Kloſter in
. . r — waͤren, aber wie ſollte das moͤglich
ſeyn? — und doch! Sie ſind es — Sie ſind
es gewiß — ſprechen Sie doch nur!“ — Als
haͤtte ein Blitz aus heitrer Luft mich getrof¬
fen, bebte es bei Reinholds Worten mir
durch alle Glieder. Ich ſah mich entlarvt,
entdeckt, des Mordes beſchuldigt, die Ver¬
zweiflung gab mir Staͤrke, es ging nun auf
Tod und Leben. „Ich bin allerdings der
Pater Medardus aus dem Capuziner Kloſter
in . . r — und mit Auftrag und Vollmacht
des Kloſters auf einer Reiſe nach Rom be¬
griffen.“ — Dies ſprach ich mit all' der Ruhe
und Gelaſſenheit, die ich nur zu erkuͤnſteln
vermochte. „So iſt es denn vielleicht nur
Zufall, ſagte Reinhold: daß ſie auf der Reiſe,
vielleicht von der Heerſtraße verirrt, hier ein¬
trafen, oder wie kam es, daß die Frau Ba¬
roneſſe mit Ihnen bekannt wurde und ſie her¬
ſchick¬[113] ſchickte? — Ohne mich zu beſinnen, blind¬
lings das nachſprechend, was mir eine frem¬
de Stimme im Innern zuzufluͤſtern ſchien,
ſagte ich: auf der Reiſe machte ich die Be¬
kanntſchaft des Beichtvaters der Baroneſſe,
und dieſer empfahl mich, den Auftrag hier
im Hauſe zu vollbringen. „Es iſt wahr,
fiel Reinhold ein: ſo ſchrieb es ja die Frau
Baroneſſe. Nun, dem Himmel ſey es ge¬
dankt, der Sie zum Heil des Hauſes dieſen
Weg fuͤhrte, und daß Sie, als ein frommer
wackrer Mann, es ſich gefallen laſſen, mit
Ihrer Reiſe zu zoͤgern, um hier Gutes zu
ſtiften. Ich war zufaͤllig vor einigen Jah¬
ren in . . r und hoͤrte Ihre ſalbungsvollen
Reden, die Sie in wahrhaft himmliſcher Be¬
geiſterung von der Kanzel herab hielten. Ih¬
rer Froͤmmigkeit, Ihrem wahren Beruf, das
Heil verlorner Seelen zu erkaͤmpfen mit gluͤ¬
hendem Eifer, Ihrer herrlichen aus innerer
Begeiſterung hervorſtroͤmenden Rednergabe,
traue ich zu, daß Sie das vollbringen wer¬
I. [ 8 ][114] den, was wir Alle nicht vermochten. Es iſt
mir lieb, daß ich Sie traf, ehe Sie den Ba¬
ron geſprochen, ich will dies dazu benutzen,
Sie mit den Verhaͤltniſſen der Familie be¬
kannt zu machen, und ſo aufrichtig ſeyn, als
ich es Ihnen, ehrwuͤrdiger Herr, als einem
heiligen Manne, den uns der Himmel ſelbſt
zum Troſt zu ſchicken ſcheint, wohl ſchuldig
bin. Sie muͤſſen auch ohnedem, um Ihren
Bemuͤhungen die richtige Tendenz und ge¬
hoͤrige Wirkung zu geben, uͤber Manches we¬
nigſten Andeutungen erhalten, woruͤber ich
gern ſchweigen moͤchte. — Alles iſt uͤbrigens
mit nicht gar zu viel Worten abgethan. —
Mit dem Baron bin ich aufgewachſen, die
gleiche Stimmung unſrer Seelen machte uns
zu Bruͤdern, und vernichtete die Scheidewand,
die ſonſt unſere Geburt zwiſchen uns gezo¬
gen haͤtte. Ich trennte mich nie von ihm,
und wurde in demſelben Augenblick, als wir
unſere akademiſchen Studien vollendet, und
er die Guͤter ſeines verſtorbenen Vaters hier
[115] im Gebuͤrge in Beſitz nahm, Intendant die¬
ſer Guͤter. — Ich blieb ſein innigſter Freund
und Bruder, und als ſolcher eingeweiht in
die geheimſten Angelegenheiten ſeines Hauſes.
Sein Vater hatte ſeine Verbindung mit ei¬
ner ihm befreundeten Familie, durch eine
Heirath gewuͤnſcht, und um ſo freudiger er¬
fuͤllte er dieſen Willen, als er in der ihm
beſtimmten Braut ein herrliches, von der
Natur reich ausgeſtattetes Weſen fand, zu
dem er ſich unwiderſtehlich hingezogen fuͤhlte.
Selten kam wohl der Wille der Vaͤter ſo
vollkommen mit dem Geſchick uͤberein, das
die Kinder in allen nur moͤglichen Beziehun¬
gen fuͤr einander beſtimmt zu haben ſchien.
Hermogen und Aurelie waren die Frucht der
gluͤcklichen Ehe. Mehrentheils brachten wir
den Winter in der benachbarten Hauptſtadt
zu, als aber bald nach Aureliens Geburt die
Baroneſſe zu kraͤnkeln anfing, blieben wir
auch den Sommer uͤber in der Stadt, da ſie
unausgeſetzt des Beiſtandes geſchickter Aerzte
[116] bedurfte. Sie ſtarb, als eben im heranna¬
henden Fruͤhling ihre ſcheinbare Beſſerung
den Baron mit den frohſten Hoffnungen er¬
fuͤllte. Wir flohen auf das Land, und nur
die Zeit vermochte den tiefen zerſtoͤrenden
Gram zu mildern, der den Baron ergriffen
hatte. Hermogen wuchs zum herrlichen Juͤng¬
ling heran, Aurelie wurde immer mehr das
Ebenbild ihrer Mutter, die ſorgfaͤltige Erzie¬
hung der Kinder war unſer Tagewerk und
unſere Freude. Hermogen zeigte entſchiede¬
nen Hang zum Militair, und dies zwang
den Baron, ihn nach der Hauptſtadt zu ſchi¬
cken, um dort unter den Augen ſeines alten
Freundes, des Gouverneurs, die Laufbahn zu
beginnen. — Erſt vor drei Jahren brachte
der Baron mit Aurelien und mit mir wie¬
der, wie vor alter Zeit, zum erſtenmal den
ganzen Winter in der Reſidenz zu, theils, ſei¬
nen Sohn wenigſtens einige Zeit hindurch in
der Naͤhe zu haben, theils ſeine Freunde, die
ihn unaufhoͤrlich dazu aufgefordert, wieder
[117] zu ſehen. Allgemeines Aufſehen in der
Hauptſtadt erregte, damals die Erſcheinung
der Nichte des Gouverneurs, welche aus der
Reſidenz dahin gekommen. Sie war eltern¬
los und hatte ſich unter den Schutz des
Oheims begeben, wiewohl ſie, einen beſon¬
deren Fluͤgel des Pallaſtes bewohnend, ein
eignes Haus machte, und die ſchoͤne Welt um
ſich zu verſammeln pflegte. Ohne Euphemien
naͤher zu beſchreiben, welches um ſo unnoͤ¬
thiger, da Sie, ehrwuͤrdiger Herr! ſie bald
ſelbſt ſehen werden, begnuͤge ich mich zu ſa¬
gen, daß alles, was ſie that, was ſie
ſprach, von einer unbeſchreiblichen Anmuth
belebt, und ſo der Reiz ihrer ausgezeichneten
koͤrperlichen Schoͤnheit, bis zum Unwider¬
ſtehlichen erhoͤht wurde. — Ueberall, wo ſie
erſchien, ging ein neues herrliches Leben auf,
und man huldigte ihr mit dem gluͤhendſten
Enthuſiasmus; den Unbedeutendſten, Lebloſe¬
ſten wußte ſie ſelbſt in ſein eignes Inneres
hinein zu entzuͤnden, daß er, wie inſpirirt, ſich
[118] uͤber die eigne Duͤrftigkeit erhob, und ent¬
zuͤckt in den Genuͤſſen eines hoͤheren Lebens
ſchwelgte, die ihm unbekannt geweſen. Es
fehlte natuͤrlicherweiſe nicht an Anbetern, die
taͤglich zu der Gottheit mit Inbrunſt fleh¬
ten; man konnte indeſſen nie mit Beſtimmt¬
heit ſagen, daß ſie dieſen oder jenen beſon¬
ders auszeichne, vielmehr wußte ſie mit
ſchalkhafter Ironie, die, ohne zu beleidigen,
nur wie ſtarkes brennendes Gewuͤrz anregte
und reitzte, Alle mit einem unaufloͤslichen
Bande zu umſchlingen, daß ſie ſich, feſtgezau¬
bert in dem magiſchen Kreiſe froh und lu¬
ſtig bewegten. Auf den Baron hatte dieſe
Cirze einen wunderbaren Eindruck gemacht.
Sie bewies ihm gleich bei ſeinem Erſcheinen
eine Aufmerkſamkeit, die von kindlicher Ehr¬
furcht erzeugt zu ſeyn ſchien; in jedem Ge¬
ſpraͤch mit ihm, zeigte ſie den gebildetſten
Verſtand und tiefes Gefuͤhl, wie er es kaum
noch bei Weibern gefunden. Mit unbeſchreib¬
licher Zartheit ſuchte und fand ſie Aureliens
[119] Freundſchaft, und nahm ſich ihrer mit ſo
vieler Waͤrme an, daß ſie ſogar es nicht
verſchmaͤhte fuͤr die kleinſten Beduͤrfniſſe ih¬
res Anzuges und ſonſt wie eine Mutter zu
ſorgen. Sie wußte dem bloͤden unerfahrnen
Maͤdchen in glaͤnzender Geſellſchaft auf eine
ſo feine Art beizuſtehen, daß dieſer Beiſtand,
ſtatt bemerkt zu werden, nur dazu diente, Au¬
reliens natuͤrlichen Verſtand und tiefes rich¬
tiges Gefuͤhl ſo herauszuheben, daß man ſie
bald mit der hoͤchſten Achtung auszeichnete.
Der Baron ergoß ſich bei jeder Gelegenheit
in Euphemiens Lob, und hier traf es ſich
vielleicht zum erſtenmal in unſerm Leben,
daß wir ſo ganz verſchiedener Meinung wa¬
ren. Gewoͤhnlich machte ich in jeder Geſell¬
ſchaft mehr den ſtillen aufmerkſamen Beo¬
bachter, als daß ich haͤtte unmittelbar einge¬
hen ſollen in lebendige Mittheilung und Un¬
terhaltung. So hatte ich auch Euphemien,
die nur dann und wann, nach ihrer Gewohn¬
heit Niemanden zu uͤberſehen, ein paar freund¬
[120] liche Worte mit mir gewechſelt, als eine
hoͤchſt intereſſante Erſcheinung recht genau
beobachtet. Ich mußte eingeſtehen, daß ſie
das ſchoͤnſte, herrlichſte Weib von allen war,
daß aus Allem was ſie ſprach, Verſtand und
Gefuͤhl hervorleuchtete; und doch wurde ich
auf ganz unerklaͤrliche Weiſe von ihr zu¬
ruͤckgeſtoßen, ja ich konnte ein gewiſſes un¬
heimliches Gefuͤhl nicht unterdruͤcken, das ſich
augenblicklich meiner bemaͤchtigte, ſobald ihr
Blick mich traf, oder ſie mit mir zu ſpre¬
chen anfing. In ihren Augen brannte oft
eine ganz eigne Gluth, aus der, wenn ſie
ſich unbemerkt glaubte, funkelnde Blitze ſchoſ¬
ſen, und es ſchien ein inneres verderbliches
Feuer, das nur muͤhſam uͤberbaut, gewalt¬
ſam hervorzuſtrahlen. Naͤchſt dem ſchwebte
oft um ihren ſonſt weich geformten Mund
eine gehaͤſſige Ironie, die mich, da es oft
der grellſte Ausdruck des haͤmiſchen Hohns
war, im Innerſten erbeben machte. Daß ſie
oft den Hermogen, der ſich wenig oder gar
[121] nicht um ſie bemuͤhte, in dieſer Art an¬
blickte, machte es mir gewiß, daß Manches
hinter der ſchoͤnen Maske verborgen, was
wohl Niemand ahne. Ich konnte dem unge¬
meſſenen Lob des Barons freilich nichts ent¬
gegenſetzen, als meine phyſiognomiſchen Be¬
merkungen, die er nicht im mindeſten gelten
ließ, vielmehr in meinem innerlichen Abſcheu
gegen Euphemien nur eine hoͤchſt merkwuͤr¬
dige Idioſynkraſie fand. Er vertraute mir,
daß Euphemie wahrſcheinlich in die Familie
treten werde, da er alles anwenden wolle,
ſie kuͤnftig mit Hermogen zu verbinden. Die¬
ſer trat, als wir ſo eben recht ernſtlich uͤber
die Angelegenheit ſprachen, und ich alle nur
moͤgliche Gruͤnde hervorſuchte, meine Mei¬
nung uͤber Euphemien zu rechtfertigen, ins
Zimmer, und der Baron, gewohnt in Allem
ſchnell und offen zu handeln, machte ihn au¬
genblicklich mit ſeinen Plaͤnen und Wuͤnſchen
Ruͤckſichts Euphemiens bekannt. Hermogen
hoͤrte alles ruhig an, was der Baron dar¬
[122] uͤber und zum Lobe Euphemiens mit dem
groͤßten Enthuſiasmus ſprach. Als die Lob¬
rede geendet, antwortete er, wie er ſich auch
nicht im mindeſten von Euphemien angezo¬
gen fuͤhle, ſie niemals lieben koͤnne, und da¬
her recht herzlich bitte, den Plan jeder naͤ¬
heren Verbindung mit ihr aufzugeben. Der
Baron war nicht wenig beſtuͤrzt, ſeinen Lieb¬
lingsplan ſo beim erſten Schritt zertruͤmmert
zu ſehen, indeſſen war er um ſo weniger
bemuͤht, noch mehr in Hermogen zu drin¬
gen, als er nicht einmahl Euphemiens Ge¬
ſinnungen hieruͤber wußte. Mit der ihm eig¬
nen Heiterkeit und Gemuͤthlichkeit, ſcherzte er
bald uͤber ſein ungluͤckliches Bemuͤhen, und
meinte, daß Hermogen mit mir vielleicht die
Idioſynkraſie theile, obgleich er nicht be¬
greife, wie in einem ſchoͤnen intereſſanten
Weibe ſolch ein zuruͤckſchreckendes Prinzip
wohnen koͤnne. Sein Verhaͤltniß mit Eu¬
phemien blieb natuͤrlicherweiſe daſſelbe; er
hatte ſich ſo an ſie gewoͤhnt, daß er keinen
[123] Tag zubringen konnte, ohne ſie zu ſehen.
So kam es denn, daß er einmal, in ganz heit¬
rer gemuͤthlicher Laune, ihr ſcherzend ſagte;
wie es nur einen einzigen Menſchen in ih¬
rem Zirkel gebe, der nicht in ſie verliebt ſey,
nemlich Hermogen. — Er habe die Ver¬
bindung mit ihr, die er, der Baron, doch ſo
herzlich gewuͤnſcht, hartnaͤckig ausgeſchlagen.
Euphemie meinte, daß es auch wohl noch
darauf angekommen ſeyn wuͤrde, was ſie
zu der Verbindung geſagt, und daß ihr
zwar jedes naͤhere Verhaͤltniß mit dem Ba¬
ron wuͤnſchenswerth ſey, aber nicht durch
Hermogen, der ihr viel zu ernſt und lau¬
niſch waͤre. Von der Zeit, als dieſes Ge¬
ſpraͤch, das mir der Baron gleich wieder er¬
zaͤhlte, ſtattgefunden, verdoppelte Euphemie
ihre Aufmerkſamkeit fuͤr den Baron und Au¬
relien: ja in manchen leiſen Andeutungen
fuͤhrte ſie den Baron darauf, daß eine Ver¬
bindung mit ihm ſelbſt dem Ideal, das ſie
ſich nun einmal von einer gluͤcklichen Ehe
[124] mache, ganz entſpreche. Alles, was man
Ruͤckſichts des Unterſchieds der Jahre, oder
ſonſt entgegenſetzen konnte, wußte ſie auf die
eindringendſte Weiſe zu widerlegen, und mit
dem Allen ging ſie ſo leiſe, ſo fein, ſo ge¬
ſchickt Schritt vor Schritt vorwaͤrts, daß der
Baron glauben mußte, alle die Ideen, alle
die Wuͤnſche, die Euphemie gleichſam nur in
ſein Inneres hauchte, waͤren eben in ſeinem
Innern emporgekeimt. Kraͤftiger, lebensvol¬
ler Natur, wie er war, fuͤhlte er ſich bald
von der gluͤhenden Leidenſchaft des Juͤng¬
lings ergriffen. Ich konnte den wilden Flug
nicht mehr aufhalten, es war zu ſpaͤt. Nicht
lange dauerte es, ſo war Euphemie, zum Er¬
ſtaunen der Hauptſtadt, des Barons Gattin.
Es war mir, als ſey nun das bedrohliche
grauenhafte Weſen, das mich in der Ferne
geaͤngſtigt, recht in mein Leben getreten, und
als muͤße ich wachen und auf ſorglicher Hut
ſeyn fuͤr meinen Freund und fuͤr mich ſelbſt.
— Hermogen nahm die Verheirathung ſei¬
[125] nes Vaters mit kalter Gleichguͤltigkeit auf.
Aurelie, das liebe ahnungsvolle Kind, zerfloß
in Thraͤnen.“
„Bald nach der Verbindung ſehnte ſich
Euphemie ins Gebuͤrge; ſie kam her, und
ich muß geſtehen, daß ihr Betragen in ho¬
her Liebenswuͤrdigkeit ſich ſo ganz gleich
blieb, daß ſie mir unwillkuͤhrliche Bewun¬
derung abnoͤthigte. So verfloſſen zwei Jahre
in ruhigem ungeſtoͤrten Lebensgenuß. Die
beiden Winter brachten wir in der Haupt¬
ſtadt zu, aber auch hier bewies die Baroneſſe
dem Gemahl ſo viel unbegraͤnzte Ehrfurcht,
ſo viel Aufmerkſamkeit fuͤr ſeine leiſeſten
Wuͤnſche, daß der giftige Neid verſtummen
mußte, und keiner der jungen Herren, die ſich
ſchon freien Spielraum fuͤr ihre Galanterie
bei der Baroneſſe getraͤumt hatten, ſich auch
die kleinſte Gloſſe erlaubte. Im letzten Win¬
ter mochte ich auch wieder der Einzige ſeyn,
der, ergriffen von der alten kaum verwunde¬
[126] nen Idioſynkraſie, wieder arges Mißtrauen
zu hegen anfing.“
„Vor der Verbindung mit dem Baron
war der Graf Viktorin, ein junger ſchoͤner
Mann, Major bei der Ehrengarde, und nur
abwechſelnd in der Hauptſtadt, einer der ei¬
frigſten Verehrer Euphemiens, und der Ein¬
zige, den ſie oft wie unwillkuͤhrlich, hingeriſ¬
ſen von dem Eindruck des Moments, vor den
Andern auszeichnete. Man ſprach einmal ſo¬
gar davon, daß wohl ein naͤheres Verhaͤlt¬
niß zwiſchen ihm und Euphemien ſtatt fin¬
den moͤge, als man es nach dem aͤußern An¬
ſchein vermuthen ſolle, aber das Geruͤcht ver¬
ſcholl eben ſo dumpf als es entſtanden. Graf
Viktorin war eben den Winter wieder in
der Hauptſtadt, und natuͤrlicherweiſe in Eu¬
phemiens Zirkeln, er ſchien ſich aber nicht
im mindeſten um ſie zu bemuͤhen, ſondern viel¬
mehr ſie abſichtlich zu vermeiden. Demun¬
erachtet war es mir oft, als begegneten ſich,
wenn ſie nicht bemerkt zu werden glaubten,
[127] ihre Blicke, in denen inbruͤnſtige Sehnſucht,
luͤſternes, gluͤhendes Verlangen wie verzeh¬
rendes Feuer brannte. Bei dem Gouverneur
war eines Abends eine glaͤnzende Geſellſchaft
verſammelt, ich ſtand in ein Fenſter gedruͤckt,
ſo daß mich die herabwallende Drapperie des
reichen Vorhangs halb verſteckte, nur zwei
bis drei Schritte vor mir ſtand Graf Vik¬
torin. Da ſtreifte Euphemie, reizender ge¬
kleidet als je, und in voller Schoͤnheit ſtrah¬
lend, an ihm voruͤber; er faßte, ſo daß es
niemand, als gerade ich bemerken konnte, mit
leidenſchaftlicher Heftigkeit ihren Arm, —
ſie erbebte ſichtlich; ihr ganz unbeſchreib¬
licher Blick — es war die glutvollſte Lie¬
be, die nach Genuß duͤrſtende Wolluſt ſelbſt
— fiel auf ihn. Sie lispelten einige Worte,
die ich nicht verſtand. Euphemie mochte
mich erblicken; Sie wandte ſich ſchnell um,
aber ich vernahm deutlich die Worte: wir
werden bemerkt!“
„Ich erſtarrte vor Erſtaunen, Schrecken
[128] und Schmerz! — Ach, wie ſoll ich Ihnen,
ehrwuͤrdiger Herr! denn mein Gefuͤhl be¬
ſchreiben! — Denken Sie an meine Liebe,
an meine treue Anhaͤnglichkeit, mit der ich
dem Baron ergeben war — an meine boͤſe
Ahnungen, die nun erfuͤllt wurden; denn die
wenigen Worte hatten es mir ja ganz er¬
ſchloſſen, daß ein geheimes Verhaͤltniß zwi¬
ſchen der Baroneſſe und dem Grafen ſtatt
fand. Ich mußte wohl vor der Hand ſchwei¬
gen, aber die Baroneſſe wollte ich bewachen
mit Argusaugen, und dann, bei erlangter Ge¬
wißheit ihres Verbrechens, die ſchaͤndlichen
Bande loͤſen, mit denen ſie meinen un¬
gluͤcklichen Freund umſtrickt hatte. Doch wer
vermag teufliſcher Argliſt zu begegnen; um¬
ſonſt, ganz umſonſt waren meine Bemuͤhun¬
gen, und es waͤre laͤcherlich geweſen, dem
Baron das mitzutheilen, was ich geſehen und
gehoͤrt, da die Schlaue Auswege genug gefun¬
den haben wuͤrde, mich als einen abgeſchmack¬
ten, thoͤrichten Geiſterſeher darzuſtellen.“ —
Der[129]
„Der Schnee lag noch auf den Bergen,
als wir im vergangenen Fruͤhling hier ein¬
zogen, demunerachtet machte ich manchen
Spaziergang in die Berge hinein; im naͤch¬
ſten Dorfe begegne ich einem Bauer, der in
Gang und Stellung etwas fremdartiges hat,
als er den Kopf umwendet, erkenne ich den
Grafen Viktorin, aber in demſelben Augen¬
blick verſchwindet er hinter den Haͤuſern und
iſt nicht mehr zu finden. — Was konnte ihn
anders zu der Verkleidung vermocht haben,
als das Verſtaͤndniß mit der Baroneſſe! —
Eben jetzt weiß ich gewiß, daß er ſich wie¬
der hier befindet, ich habe ſeinen Jaͤger vor¬
uͤber reiten geſehn, unerachtet es mir unbe¬
greiflich iſt, daß er die Baroneſſe nicht in
der Stadt aufgeſucht haben ſollte! — Vor
drei Monaten begab es ſich, daß der Gou¬
verneur heftig erkrankte und Euphemien zu
ſehen wuͤnſchte, ſie reiſte mit Aurelien augen¬
blicklich dahin, und nur eine Unpaͤßlichkeit
hielt den Baron ab, ſie zu begleiten. Nun
I. [ 9 ][130] brach aber das Ungluͤck und die Trauer ein
in unſer Haus, denn bald ſchrieb Euphemie
dem Baron, wie Hermogen ploͤtzlich von ei¬
ner oft in wahnſinnige Wuth ausbrechenden
Melancholie befallen, wie er einſam umher¬
irre, ſich und ſein Geſchick verwuͤnſche und
wie alle Bemuͤhungen der Freunde und der
Aerzte bis jetzt umſonſt geweſen. Sie koͤnnen
denken, ehrwuͤrdger Herr, welch einen Ein¬
druck dieſe Nachricht auf den Baron machte.
Der Anblick ſeines Sohnes wuͤrde ihn zu
ſehr erſchuͤttert haben, ich reiſte daher allein
nach der Stadt. Hermogen war durch ſtarke
Mittel, die man angewandt, wenigſtens von
den wilden Ausbruͤchen des wuͤthenden Wahn¬
ſinns befreit, aber eine ſtille Melancholie war
eingetreten, die den Aerzten unheilbar ſchien.
Als er mich ſah, war er tief bewegt — er
ſagte mir, wie ihn ein ungluͤckliches Verhaͤng¬
niß treibe, dem Stande, in welchem er ſich
jetzt befinde, auf immer zu entſagen, und nur
als Kloſtergeiſtlicher koͤnne er ſeine Seele er¬
[131] retten von ewiger Verdammniß. Ich fand
ihn ſchon in der Tracht, wie ſie, ehrwuͤrdiger
Herr, ihn vorhin geſehen, und es gelang mir
ſeines Widerſtrebens unerachtet endlich ihn
hieher zu bringen. Er iſt ruhig, aber laͤßt
nicht ab von der einmal gefaßten Idee, und
alle Bemuͤhungen das Ereigniß zu erforſchen,
das ihn in dieſen Zuſtand verſetzt, bleiben
fruchtlos, unerachtet die Entdeckung dieſes
Geheimniſſes vielleicht am erſten auf wirkſa¬
me Mittel fuͤhren koͤnnte ihn zu heilen.“
„Vor einiger Zeit ſchrieb die Baroneſſe,
wie ſie auf Anrathen ihres Beichtvaters ei¬
nen Ordensgeiſtlichen herſenden werde, deſſen
Umgang und troͤſtender Zuſpruch, vielleicht
beſſer als alles andere, aus Hermogen wir¬
ken koͤnne, da ſein Wahnſinn augenſcheinlich
eine ganz religioͤſe Tendenz genommen. —
Es freut mich recht innig, daß die Wahl Sie,
ehrwuͤrdiger Herr! den ein gluͤcklicher Zu¬
fall in die Hauptſtadt fuͤhrte, traf. Sie koͤn¬
nen einer gebeugten Familie die verlorne Ru¬
[132] he wieder geben, wenn Sie Ihre Bemuͤhun¬
gen, die der Herr ſegnen moͤge, auf einen
doppelten Zweck richten. Erforſchen Sie
Hermogens entſetzliches Geheimniß, ſeine
Bruſt wird erleichtert ſeyn, wenn er ſich,
ſey es auch in heiliger Beichte, entdeckt hat,
und die Kirche wird ihn dem frohen Leben
in der Welt, der er angehoͤrt, wieder geben,
ſtatt ihn in den Mauern zu begraben. —
Aber treten Sie auch der Baroneſſe naͤher.
— Sie wiſſen Alles — ſie ſtimmen mir bei,
daß meine Bemerkungen von der Art ſind,
daß ſo wenig ſich darauf eine Anklage gegen
die Baroneſſe bauen laͤßt, doch eine Taͤu¬
ſchung, ein ungerechter Verdacht kaum moͤg¬
lich iſt. Ganz meiner Meinung werden Sie
ſeyn, wenn Sie Euphemien ſehen und kennen
lernen. Euphemie iſt religioͤs ſchon aus Tem¬
perament, vielleicht gelingt es Ihrer beſon¬
deren Rednergabe, tief in ihr Herz zu drin¬
gen, ſie zu erſchuͤttern und zu beſſern, daß
ſie den Verrath am Freunde, der ſie um
[133] die ewige Seligkeit bringt, unterlaͤßt. Noch
muß ich ſagen, ehrwuͤrdiger Herr! daß es mir
in manchen Augenblicken ſcheint, als trage der
Baron einen Gram in der Seele, deſſen
Urſache er mir verſchweigt, denn außer der
Bekuͤmmerniß um Hermogen kaͤmpft er ſicht¬
lich mit einem Gedanken, der ihn beſtaͤndig
verfolgt. Es iſt mir in den Sinn gekom¬
men, daß vielleicht ein boͤſer Zufall noch deutli¬
cher ihm die Spur von dem verbrecheriſchen
Umgange der Baroneſſe mit dem fluchwuͤr¬
digen Grafen zeigte, als mir. — Auch meinen
Herzensfreund, den Baron, empfehle ich, ehr¬
wuͤrdiger Herr! Ihrer geiſtlichen Sorge.“ —
Mit dieſen Worten ſchloß Reinhold ſei¬
ne Erzaͤhlung, die mich auf mannigfache
Weiſe gefoltert hatte, indem die ſeltſamſten
Widerſpruͤche in meinem Innern ſich durch¬
kreuzten. Mein eignes Ich zum grauſamen
Spiel eines launenhaften Zufalls geworden,
und in fremdartige Geſtalten zerfließend,
ſchwamm ohne Halt wie in einem Meer all'
[134] der Ereigniſſe, die wie tobende Wellen auf
mich hineinbrausten. — Ich konnte mich
ſelbſt nicht wieder finden! Offenbar wur¬
de Viktorin durch den Zufall der meine Hand,
nicht meinen Willen, leitete in den Abgrund
geſtuͤrzt! — ich trete an ſeine Stelle, aber
Reinhold kennt den Pater Medardus, den
Prediger im Capuziner Kloſter in ..r, und
ſo bin ich ihm das wirklich, was ich bin! —
Aber das Verhaͤltniß mit der Baroneſſe,
welches Viktorin unterhaͤlt, kommt auf mein
Haupt, denn ich bin ſelbſt Viktorin. Ich
bin das, was ich ſcheine, und ſcheine das
nicht, was ich bin, mir ſelbſt ein unerklaͤrlich
Raͤthſel, bin ich entzweit mit meinem Ich!
Des Sturms in meinem Innern uner¬
achtet, gelang es mir die dem Prieſter ziem¬
liche Ruhe zu erheucheln, und ſo trat ich
vor den Baron. Ich fand in ihm einen be¬
jahrten Mann, aber in den erloſchenen Zuͤ¬
gen lagen noch die Andeutungen ſeltner Fuͤlle
und Kraft. Nicht das Alter, ſondern der
[135] Gram hatten die tiefen Furchen auf ſeiner
breiten offnen Stirn gezogen, und die Locken
weiß gefaͤrbt. Unerachtet deſſen herrſchte
noch in Allem, was er ſprach, in ſeinem gan¬
zen Benehmen, eine Heiterkeit und Gemuͤth¬
lichkeit, die Jeden unwiderſtehlich zu ihm
hinziehen mußte. Als Reinhold mich als den
vorſtellte, deſſen Ankunft die Baroneſſe an¬
gekuͤndigt, ſah er mich an mit durchdringen¬
dem Blick, der immer freundlicher wurde,
als Reinhold erzaͤlte, wie er mich ſchon vor
mehreren Jahren im Capuziner Kloſter zu
. . r predigen gehoͤrt, und ſich von meiner
ſeltnen Rednergabe uͤberzeugt haͤtte. Der
Baron reichte mir treuherzig die Hand und
ſprach, ſich zu Reinhold wendend: „Ich weiß
nicht, lieber Reinhold! wie ſo ſonderbar mich
die Geſichtszuͤge des ehrwuͤrdigen Herrn bei
dem erſten Anblick anſprachen; ſie weckten
eine Erinnerung die vergebens ſtrebte, deut¬
lich und lebendig hervorzugehen.“
Es war mir als wuͤrde er gleich heraus¬
[136] brechen: es iſt ja Graf Viktorin, denn auf
wunderbare Weiſe glaubte ich nun wirklich
Viktorin zu ſeyn, und ich fuͤhlte mein Blut
heftiger wallen und aufſteigend meine Wan¬
gen hoͤher faͤrben. — Ich baute auf Rein¬
hold, der mich ja als den Pater Medardus
kannte, unerachtet mir das eine Luͤge zu ſeyn
ſchien: nichts konnte meinen verworrenen Zu¬
ſtand loͤſen.
Nach dem Willen des Barons ſollte ich
ſogleich Hermogens Bekanntſchaft machen,
er war aber nirgends zu finden; man hatte
ihn nach dem Gebuͤrge wandeln geſehen und
war deshalb nicht beſorgt um ihn, weil er
ſchon mehrmals Tagelang auf dieſe Weiſe
entfernt geweſen. Den ganzen Tag uͤber
blieb ich in Reinholds und des Barons Ge¬
ſellſchaft, und nach und nach faßte ich mich
ſo im Innern, daß ich mich am Abend voll
Muth und Kraft fuͤhlte, keck all' den wun¬
derlichen Ereigniſſen entgegen zu treten, die
meiner zu harren ſchienen. In der einſamen
[137] Nacht oͤffnete ich das Portefeuille, und uͤber¬
zeugte mich ganz davon, daß es eben Graf
Viktorin war, der zerſchmettert im Abgrunde
lag, doch waren uͤbrigens die an ihn gerich¬
teten Briefe gleichguͤltigen Inhalts, und kein
einziger fuͤhrte mich nur auch mit einer Syl¬
be ein in ſeine naͤhere Lebensverhaͤltniſſe.
Ohne mich darum weiter zu kuͤmmern, be¬
ſchloß ich dem mich ganz zu fuͤgen, was
der Zufall uͤber mich verhaͤngt haben wuͤr¬
de, wenn die Baroneſſe angekommen und
mich geſehen. — Schon den andern Morgen
traf die Baroneſſe mit Aurelien ganz uner¬
wartet ein. Ich ſah beide aus dem Wagen
ſteigen und, von dem Baron und Reinhold
empfangen, in das Portal des Schloſſes ge¬
hen. Unruhig ſchritt ich im Zimmer auf und
ab von ſeltſamen Ahnungen beſtuͤrmt, nicht
lange dauerte es, ſo wurde ich herabgeru¬
fen. — Die Baroneſſe trat mir entgegen —
ein ſchoͤnes, herrliches Weib, noch in voller
Bluͤthe. — Als ſie mich erblickte, ſchien ſie
[138] auf beſondere Weiſe bewegt, ihre Stimme
zitterte, ſie vermochte kaum Worte zu fin¬
den. Ihre ſichtliche Verlegenheit gab mir
Muth, ich ſchaute ihr keck ins Auge, und
gab ihr nach Kloſterſitte den Seegen — ſie
erbleichte, ſie mußte ſich niederlaſſen. Rein¬
hold ſah mich an, ganz froh und zufrieden
laͤchelnd. In dem [Augenblick] oͤffnete ſich die
Thuͤre und der Baron trat mit Aurelien hin¬
ein. —
So wie ich Aurelien erblickte, fuhr ein
Strahl in meine Bruſt, und entzuͤndete all'
die geheimſten Regungen, die wonnevollſte
Sehnſucht, das Entzuͤcken der inbruͤnſtigen
Liebe, alles was ſonſt nur gleich einer Ah¬
nung aus weiter Ferne im Innern erklungen,
zum regen Leben; ja das Leben ſelbſt ging
mir nun erſt auf farbigt und glaͤnzend, denn
alles vorher lag kalt und erſtorben in oͤder
Nacht hinter mir. — Sie war es ſelbſt, ſie
die ich in jener wundervollen Viſion im
Beichtſtuhl geſchaut. Der ſchwermuͤthige
[139] kindlich fromme Blick des dunkelblauen Au¬
ges, die weichgeformten Lippen, der wie in
betender Andacht ſanft vorgebeugte Nacken,
die hohe ſchlanke Geſtalt, nicht Aurelie, die
heilige Roſalie ſelbſt war es. — Sogar der
Azurblaue Schawl, den Aurelie uͤber das
dunkelrothe Kleid geſchlagen war im fantaſti¬
ſchen Faltenwurf ganz dem Gewande aͤhn¬
lich, wie es die Heilige auf jenem Gemaͤhlde,
und eben die Unbekannte in jener Viſion
trug. — Was war der Baroneſſe uͤppige
Schoͤnheit gegen Aureliens himmliſchen Lieb¬
reiz. Nur ſie ſah ich, indem alles um mich
verſchwunden. Meine innere Bewegung konn¬
te den Umſtehenden nicht entgehen. „Was
iſt Ihnen, ehrwuͤrdiger Herr! fing der Ba¬
ron an; Sie ſcheinen auf ganz beſondere
Weiſe bewegt?“ — Dieſe Worte brachten
mich zu mir ſelbſt, ja ich fuͤhlte in dem Augen¬
blick eine uͤbermenſchliche Kraft in mir em¬
porkeimen, einen nie gefuͤhlten Muth alles
[140] zu beſtehen, denn Sie mußte der Preis des
Kampfes werden.
„Wuͤnſchen Sie ſich Gluͤck, Herr Baron!
rief ich, wie von hoher Begeiſterung ploͤtz¬
lich ergriffen: wuͤnſchen Sie ſich Gluͤck! —
eine Heilige wandelt unter uns in dieſen
Mauern, und bald oͤffnet ſich in ſeegensrei¬
cher Klarheit der Himmel, und ſie ſelbſt,
die heilige Roſalia, von den heiligen Engeln
umgeben, ſpendet Troſt und Seeligkeit den
Gebeugten, die fromm und glaͤubig ſie an¬
flehten. — Ich hoͤre die Hymnen verklaͤrter
Geiſter, die ſich ſehnen nach der Heiligen,
und ſie im Geſange rufend, aus glaͤnzenden
Wolken herabſchweben. Ich ſehe ihr Haupt
ſtrahlend in der Glorie himmliſcher Verklaͤ¬
rung, emporgehoben nach dem Chor der Hei¬
ligen, der ihrem Auge ſichtlich! — Sancta
Rosalia, ora pro nobis!“
Ich ſank mit in die Hoͤhe gerichteten
Augen auf die Knie, die Haͤnde faltend zum
Gebet, und Alles folgte meinem Beiſpiel.
[141] Niemand frug mich weiter, man ſchrieb den
ploͤtzlichen Ausbruch meiner Begeiſterung ir¬
gend einer Inſpiration zu, ſo daß der Ba¬
ron beſchloß, wirklich am Altar der heiligen
Roſalia, in der Hauptkirche der Stadt, Meſ¬
ſen leſen zu laſſen. Herrlich hatte ich mich
auf dieſe Weiſe aus der Verlegenheit geret¬
tet, und immer mehr war ich bereit, Alles zu
wagen, denn es galt Aureliens Beſitz, um
den mir ſelbſt mein Leben lieb war. — Die
Baroneſſe ſchien in ganz beſonderer Stim¬
mung, ihre Blicke verfolgten mich, aber ſo
wie ich ſie unbefangen anſchaute, irrten ihre
Augen unſtaͤt umher. Die Familie war in
ein anderes Zimmer getreten, ich eilte in den
Garten hinab und ſchweifte durch die Gaͤnge,
mit tauſend Entſchluͤſſen, Ideen, Plaͤnen fuͤr
mein kuͤnftiges Leben im Schloſſe arbeitend
und kaͤmpfend. Schon war es Abend wor¬
den, da erſchien Reinhold und ſagte mir,
daß die Baroneſſe, durchdrungen von meiner
[142] frommen Begeiſterung, mich auf ihrem Zim¬
mer zu ſprechen wuͤnſche. —
Als ich in das Zimmer der Baroneſſe
trat, kam ſie mir einige Schritte entgegen,
mich bei beiden Aermen faſſend, ſah ſie
mir ſtarr ins Auge, und rief: „iſt es moͤg¬
lich — iſt es moͤglich! — Biſt Du Medar¬
dus, der Capuziner Moͤnch? — Aber die Stim¬
me, die Geſtalt, Deine Augen, Dein Haar!
ſprich oder ich vergehe in Angſt und Zwei¬
fel.“ — Viktorinus! liſpelte ich leiſe, da um¬
ſchlang ſie mich mit dem wilden Ungeſtuͤm,
unbezaͤhmbarer Wolluſt, — ein Gluthſtrom
brauſte durch meine Adern, das Blut ſiedete,
die Sinne vergingen mir in namenloſer Won¬
ne, in wahnſinniger Verzuͤckung; aber ſuͤndi¬
gend war mein ganzes Gemuͤth nur Aurelien
zugewendet und Ihr nur opferte ich in dem
Augenblick, durch den Bruch des Geluͤbdes,
das Heil meiner Seele.
Ja! Nur Aurelie lebte in mir, mein
ganzer Sinn war von ihr erfuͤllt, und doch
[143] ergriff mich ein innerer Schauer, wenn ich
daran dachte, ſie wieder zu ſehen, was doch
ſchon an der Abendtafel geſchehen ſollte. Es
war mir, als wuͤrde mich ihr frommer Blick
heilloſer Suͤnde zeihen, und als wuͤrde ich,
entlarvt und vernichtet, in Schmach und Ver¬
derben ſinken. Eben ſo konnte ich mich nicht
entſchließen, die Baroneſſe gleich nach jenen
Momenten wieder zu ſehen, und alles dieſes
beſtimmte mich, eine Andachtsuͤbung vor¬
ſchuͤtzend, in meinem Zimmer zu bleiben, als
man mich zur Tafel einlud. Nur weniger
Tage bedurfte es indeſſen, um alle Scheu,
alle Befangenheit zu uͤberwinden; die Baro¬
neſſe war die Liebenswuͤrdigkeit ſelbſt, und
je enger ſich unſer Buͤndniß ſchloß, je rei¬
cher an frevelhaften Genuͤſſen es wurde, de¬
ſto mehr verdoppelte ſich ihre Aufmerkſam¬
keit fuͤr den Baron. Sie geſtand mir, daß
nur meine Tonſur, mein natuͤrlicher Bart,
ſo wie mein aͤcht kloͤſterlicher Gang, den ich
aber jetzt nicht mehr ſo ſtrenge, als Anfangs
[144] beibehalte, ſie in tauſend Aengſten geſetzt
habe. Ja bei meiner ploͤtzlichen begeiſterten
Anrufung der heiligen Roſalia, ſey ſie bei¬
nahe uͤberzeugt worden, irgend ein Irrthum,
irgend ein feindlicher Zufall habe ihren mit
Viktorin ſo ſchlau entworfenen Plan verei¬
telt, und einen verdammten wirklichen Capu¬
ziner an die Stelle geſchoben. Sie bewun¬
derte meine Vorſicht, mich wirklich tonſuri¬
ren und mir den Bart wachſen zu laſſen, ja
mich in Gang und Stellung ſo ganz in mei¬
ne Rolle einzuſtudiren, daß ſie oft ſelbſt mir
recht ins Auge blicken muͤſſe, um nicht in
abentheuerliche Zweifel zu gerathen.
Zuweilen ließ ſich Viktorins Jaͤger, als
Bauer verkleidet, am Ende des Parks ſehen,
und ich verſaͤumte nicht, insgeheim mit ihm
zu ſprechen, und ihn zu ermahnen, ſich be¬
reit zu halten, um mit mir fliehen zu koͤn¬
nen, wenn vielleicht ein boͤſer Zufall mich in
Gefahr bringen ſollte. Der Baron und Rein¬
hold ſchienen hoͤchlich mit mir zufrieden, und
dran¬[145] drangen in mich, ja des tiefſinnigen Hermo¬
gen mich mit aller Kraft, die mir zu Gebo¬
the ſtehe, anzunehmen. Noch war es mir
aber nicht moͤglich geworden, auch nur ein
einziges Wort mit ihm zu ſprechen, denn
ſichtlich wich er jeder Gelegenheit aus, mit
mir allein zu ſeyn, und traf er mich in der
Geſellſchaft des Barons oder Reinholds, ſo
blickte er mich auf ſo ſonderbare Weiſe an,
daß ich in der That Muͤhe hatte, nicht in
augenſcheinliche Verlegenheit zu gerathen.
Er ſchien tief in meine Seele zu dringen
und meine geheimſte Gedanken zu erſpaͤhen.
Ein unbezwinglicher tiefer Mißmuth, ein un¬
terdruͤckter Groll, ein nur mit Muͤhe be¬
zaͤhmter Zorn lag auf ſeinem bleichen Ge¬
ſichte, ſo bald er mich anſichtig wurde. —
Es begab ſich, daß er mir einmal, als ich
eben im Park luſtwandelte, ganz unerwartet
entgegen trat; ich hielt dies fuͤr den ſchickli¬
chen Moment, endlich das druͤckende Verhaͤlt¬
niß mit ihm aufzuklaͤren, daher faßte ich ihn
I. [ 10 ][146] ſchnell bei der Hand, als er mir ausweichen
wollte, und mein Rednertalent machte es mir
moͤglich, ſo eindringend, ſo ſalbungsvoll zu
ſprechen, daß er wirklich aufmerkſam zu wer¬
den ſchien, und eine innere Ruͤhrung nicht
unterdruͤcken konnte. Wir hatten uns auf ei¬
ne ſteinerne Bank am Ende eines Ganges,
der nach dem Schloß fuͤhrte, niedergelaſſen.
Im Reden ſtieg meine Begeiſterung, ich
ſprach davon daß es ſuͤndlich ſey, wenn
der Menſch, im innern Gram ſich verzehrend,
den Troſt, die Huͤlfe der Kirche, die den Ge¬
beugten aufrichte, verſchmaͤhe, und ſo den
Zwecken des Lebens, wie die hoͤhere Macht
ſie ihm geſtellt, feindlich entgegen ſtrebe. Ja
daß ſelbſt der Verbrecher nicht zweifeln ſolle
an der Gnade des Himmels, da dieſer Zwei¬
fel ihn eben um die Seeligkeit bringe, die
er, entſuͤndigt durch Buße und Froͤmmigkeit,
erwerben koͤnne. Ich forderte ihn endlich
auf, gleich jetzt mir zu beichten, und ſo ſein
Inneres wie vor Gott auszuſchuͤtten, indem
[147] ich ihm von jeder Suͤnde, die er begangen,
Abſolution zuſage: da ſtand er auf, ſeine
Augenbraunen zogen ſich zuſammen, die Au¬
gen brannten, eine gluͤhende Roͤthe uͤberflog
ſein leichenblaſſes Geſicht, und mit ſeltſam
gellender Stimme rief er: „Biſt Du denn
rein von der Suͤnde, daß Du es wagſt, wie
der Reinſte, ja wie Gott ſelbſt, den Du ver¬
hoͤhneſt, in meine Bruſt ſchauen zu wollen,
daß Du es wagſt, mir Vergebung der Suͤn¬
de zuzuſagen, Du, der Du ſelbſt vergeblich
ringen wirſt nach der Entſuͤndigung, nach
der Seeligkeit des Himmels, die ſich Dir
auf ewig verſchloß? Elender Heuchler, bald
kommt die Stunde der Vergeltung, und in
den Staub getreten, wie ein giftiger Wurm,
zuckſt Du im ſchmachvollen Tode vergebens
nach Huͤlfe, nach Erloͤſung von unnennbarer
Quaal aͤchzend, bis Du verdirbſt in Wahn¬
ſinn und Verzweiflung!“ — Er ſchritt raſch
von dannen, ich war zerſchmettert, vernich¬
tet, all' meine Faſſung, mein Muth, war
[148] dahin. Ich ſah Euphemien aus dem Schloſſe
kommen mit Hut und Schawl, wie zum Spa¬
ziergange gekleidet; bei ihr nur, war Troſt
und Huͤlfe zu finden, ich warf mich ihr ent¬
gegen, ſie erſchrak uͤber mein zerſtoͤrtes We¬
ſen, ſie frug nach der Urſache, und ich er¬
zaͤhlte ihr getreulich, den ganzen Auftritt,
den ich eben mit dem wahnſinnigen Hermo¬
gen gehabt, indem ich noch meine Angſt,
meine Beſorgniß, daß Hermogen vielleicht
durch einen unerklaͤrlichen Zufall unſer Ge¬
heimniß verrathen, hinzuſezte. Euphemie
ſchien uͤber Alles nicht einmal betroffen, ſie
laͤchelte auf ſo ganz ſeltſame Weiſe, daß mich
ein Schauer ergriff, und ſagte: gehen wir
tiefer in den Park, denn hier werden wir
zu ſehr beobachtet, und es koͤnnte auffallen,
daß der ehrwuͤrdige Pater Medardus ſo hef¬
tig mit mir ſpricht. Wir waren in ein ganz
entlegenes Boskett getreten, da umſchlang
mich Euphemie mit leidenſchaftlicher Heftig¬
keit; ihre heißen gluͤhenden Kuͤſſe brannten
[149] auf meinen Lippen. „Ruhig, Viktorin, ſprach
Euphemie, ruhig kannſt Du ſeyn uͤber das
Alles, was dich ſo in Angſt und Zweifel ge¬
ſtuͤrzt hat; es iſt mir ſogar lieb, daß es ſo
mit Hermogen gekommen, denn nun darf und
muß ich mit Dir uͤber Manches ſprechen, wo¬
von ich ſo lange ſchwieg. — Du mußt ein¬
geſtehen, daß ich mir eine ſeltene geiſtige
Herrſchaft uͤber Alles, was mich im Leben
umgiebt, zu erringen gewußt, und ich glaube,
daß dies dem Weibe leichter iſt, als Euch.
Freilich gehoͤrt nichts geringeres dazu, als
daß außer jenem unnennbaren unwiderſtehli¬
chen Reiz der aͤußern Geſtalt, den die Natur
dem Weibe zu ſpenden vermag, dasjenige
hoͤhere Prinzip in ihr wohne, welches eben
jenen Reiz mit dem geiſtigen Vermoͤgen in
Eins verſchmilzt, und nun nach Willkuͤhr be¬
herrſcht. Es iſt das eigne wunderbare Her¬
austreten aus ſich ſelbſt, das die Anſchauung
des eignen Ichs vom andern Standpunkte
geſtattet, welches dann als ein ſich dem hoͤ¬
[150] heren Willen ſchmiegendes Mittel erſcheint,
dem Zweck zu dienen, den er ſich als den
hoͤchſten, im Leben zu erringenden, geſetzt. —
Giebt es etwas hoͤheres als das Leben im
Leben zu beherrſchen, alle ſeine Erſcheinun¬
gen, ſeine reichen Genuͤſſe wie im maͤchtigen
Zauber zu bannen, nach der Willkuͤhr, die
dem Herrſcher verſtattet? — Du, Viktorin,
gehoͤrteſt von je her zu den wenigen, die
mich ganz verſtanden, auch Du hatteſt Dir
den Standpunkt uͤber dein Selbſt geſtellt,
und ich verſchmaͤhte es daher nicht, Dich wie
den koͤniglichen Gemahl auf meinen Thron
im hoͤheren Reiche zu erheben. Das Ge¬
heimniß erhoͤhte den Reiz dieſes Bundes,
und unſere ſcheinbare Trennung diente nur
dazu, unſerer fantaſtiſchen Laune Raum zu
geben, die wie zu unſerer Ergoͤßlichkeit mit
den untergeordneten Verhaͤltniſſen des ge¬
meinen Alltagslebens ſpielte. Iſt nicht un¬
ſer jetziges Beiſammenſeyn das kuͤhnſte Wag¬
ſtuͤck, das, im hoͤheren Geiſte gedacht, der
[151] Ohnmacht konventioneller Beſchraͤnktheit ſpot¬
tet? Selbſt bei Deinem ſo ganz fremdarti¬
gen Weſen, das nicht allein die Kleidung
erzeugt, iſt es mir als unterwerfe ſich das
Geiſtige dem herrſchenden es bedingenden
Prinzip, und wirke ſo mit wunderbarer Kraft
nach außen, ſelbſt das koͤrperliche anders for¬
mend und geſtaltend, ſo daß es ganz der vor¬
geſetzten Beſtimmung gemaͤß erſcheint. —
Wie herzlich ich nun bei dieſer tief aus mei¬
nem Weſen entſpringenden Anſicht der Din¬
ge alle konventionelle Beſchraͤnktheit verachte,
indem ich mit ihr ſpiele, weißt Du. — Der
Baron iſt mir eine bis zum hoͤchſten Ueber¬
druß ekelhaft gewordene Maſchine, die zu
meinem Zweck verbraucht todt da liegt, wie
ein abgelaufenes Raͤderwerk. — Reinhold iſt
zu beſchraͤnkt, um von mir beachtet zu wer¬
den, Aurelie ein gutes Kind, wir haben es
nur mit Hermogen zu thun. — Ich geſtand
Dir ſchon, daß Hermogen, als ich ihn zum
erſtenmale ſah, einen wunderbaren Eindruck
[152] auf mich machte. — Ich hielt ihn fuͤr faͤhig,
einzugehen in das hoͤhere Leben, das ich ihm
erſchließen wollte, und irrte mich zum erſten
Mal. — Es war etwas mir feindliches in
ihm, was in ſtetem regen Widerſpruch ſich
gegen mich auflehnte, ja der Zauber, womit
ich die Andern unwillkuͤhrlich zu umſtricken
wußte, ſtieß ihn zuruͤck. Er blieb kalt, duͤ¬
ſter verſchloſſen, und reitzte, indem er mit
eigner wunderbarer Kraft mir widerſtrebte,
meine Empfindlichkeit, meine Luſt den Kampf
zu beginnen, in dem er unterliegen ſollte. —
Dieſen Kampf hatte ich beſchloſſen, als der
Baron mir ſagte, wie er Hermogen eine Ver¬
bindung mit mir vorgeſchlagen, dieſer ſie
aber unter jeder Bedingung abgelehnt habe.
— Wie ein goͤttlicher Funke durchſtrahlte
mich, in demſelben Moment, der Gedanke,
mich mit dem Baron ſelbſt zu vermaͤhlen,
und ſo mit einem Mal all' die kleinen kon¬
ventionellen Ruͤckſichten, die mich oft ein¬
zwaͤngten auf widrige Weiſe, aus dem Wege
[153] zu raͤumen: doch ich habe ja ſelbſt mit Dir,
Viktorin, oft genug uͤber jene Vermaͤhlung
geſprochen, ich widerlegte Deine Zweifel mit
der That, denn es gelang mir, den Alten in
wenigen Tagen zum albernen zaͤrtlichen Lieb¬
haber zu machen und er mußte das, was ich
gewollt, als die Erfuͤllung ſeines innigſten
Wunſches, den er laut werden zu laſſen kaum
gewagt, anſehen. Aber tief im Hintergrunde
lag noch in mir der Gedanke der Rache an
Hermogen, die mir nun leichter und befrie¬
digender werden ſollte. Der Schlag wurde
verſchoben, um richtiger, toͤdtender, zu tref¬
fen. — Kennte ich weniger Dein Inneres,
wuͤßte ich nicht, daß Du Dich zu der Hoͤhe
meiner Anſichten zu erheben vermagſt, ich
wuͤrde Bedenken tragen, Dir mehr von der
Sache zu ſagen, die nun einmal geſchehen.
Ich ließ es mir angelegen ſeyn, Hermogen
recht in ſeinem Innern aufzufaſſen, ich er¬
ſchien in der Hauptſtadt, duͤſter, in mich ge¬
kehrt, und bildete ſo den Contraſt mit Her¬
[154] mogen, der in den lebendigen Beſchaͤftigun¬
gen des Kriegsdienſtes ſich heiter und luſtig
bewegte. Die Krankheit des Oheims verbot
alle glaͤnzende Zirkel, und ſelbſt den Beſu¬
chen meiner naͤchſten Umgebung wußte ich
auszuweichen. — Hermogen kam zu mir,
vielleicht nur um die Pflicht, die er der Mut¬
ter ſchuldig, zu erfuͤllen, er fand mich in duͤ¬
ſtres Nachdenken verſunken, und als er, be¬
fremdet von meiner auffallenden Aenderung,
dringend nach der Urſache frug, geſtand ich
ihm unter Thraͤnen, wie des Barons mißli¬
che Geſundheitsumſtaͤnde, die er nur muͤhſam
verheimliche, mich befuͤrchten ließen, ihn bald
zu verlieren, und wie dieſer Gedanke mir
ſchrecklich, ja unertraͤglich ſey. Er war er¬
ſchuͤttert, und als ich nun mit dem Ausdruck,
des tiefſten Gefuͤhls, das Gluͤck meiner Ehe
mit dem Baron ſchilderte, als ich zart und
lebendig in die kleinſten [Einzelheiten] unſe¬
res Lebens auf dem Lande einging, als ich
immer mehr des Barons herrliches Gemuͤth,
[155] ſein ganzes Ich in vollem Glanz darſtellte,
ſo daß es immer lichter hervortrat, wie graͤn¬
zenlos ich ihn verehre, ja wie ich ſo ganz in
ihm lebe, da ſchien immer mehr ſeine Ver¬
wunderung, ſein Erſtaunen zu ſteigen. — Er
kaͤmpfte ſichtlich mit ſich ſelbſt, aber die
Macht, die jetzt wie mein Ich ſelbſt in ſein
Inneres gedrungen, ſiegte uͤber das feindli¬
che Prinzip, das ſonſt mir widerſtrebte; mein
Triumph war mir gewiß, als er ſchon am
andern Abend wieder kam.“
„Er fand mich einſam, noch duͤſtrer,
noch aufgeregter als geſtern, ich ſprach von
dem Baron und von meiner unausſprechli¬
chen Sehnſucht, ihn wieder zu ſehen. Hermo¬
gen war bald nicht mehr derſelbe, er hieng
an meinen Blicken, und ihr gefaͤhrliches Feuer
fiel zuͤndend in ſein Inneres. Wenn meine
Hand in der ſeinigen ruhte, zuckte dieſe oft
krampfhaft, tiefe Seufzer entflohen ſeiner
Bruſt. Ich hatte die hoͤchſte Spitze dieſer
bewuſtloſen Exaltation richtig berechnet. Den
[156] Abend als er fallen ſollte, verſchmaͤhte ich
ſelbſt jene Kuͤnſte nicht, die ſo verbraucht
ſind, und immer wieder ſo wirkungsvoll er¬
neuert werden. Es gelang! — Die Folgen
waren entſetzlicher, als ich ſie mir gedacht,
und doch erhoͤhten ſie meinen Triumph, in¬
dem ſie meine Macht auf glaͤnzende Weiſe
bewaͤhrten. — Die Gewalt, mit der ich das
feindliche Prinzip bekaͤmpfte, das wie in ſelt¬
ſamen Ahnungen in ihm ſich ſonſt ausſprach,
hatte ſeinen Geiſt gebrochen, er verfiel in
Wahnſinn, wie Du weißt, ohne daß Du je¬
doch bis jetzt die eigentliche Urſache gekannt
haben ſollteſt. — Es iſt etwas eignes, daß
Wahnſinnige oft, als ſtaͤnden ſie in naͤherer
Beziehung mit dem Geiſte, und gleichſam in
ihrem eignen Innern leichter, wie wohl be¬
wuſtlos angeregt vom fremden geiſtigen Prin¬
zip, oft das in Uns verborgene durchſchauen,
und in ſeltſamen Anklaͤngen ausſprechen, ſo
daß uns oft die grauenvolle Stimme eines
zweiten Ichs mit unheimlichen Schauer be¬
[157] faͤngt. Es mag daher wohl ſeyn, daß, zu¬
mahl in der eignen Beziehung, in der Du,
Hermogen und ich ſtehen, er auf geheimni߬
volle Weiſe Dich durchſchaut, und ſo Dir
feindlich iſt, allein Gefahr fuͤr Uns iſt des¬
halb nicht im mindeſten vorhanden. Be¬
denke, ſelbſt wenn er mit ſeiner Feindſchaft
gegen Dich offen ins Feld ruͤckte, wenn er es
ausſpraͤche: traut nicht dem verkappten Prie¬
ſter, wer wuͤrde das fuͤr was anderes halten,
als fuͤr eine Idee, die der Wahnſinn erzeug¬
te, zumahl, da Reinhold ſo gut geweſen iſt,
in Dir den Pater Medardus wieder zu erken¬
nen? — Indeſſen bleibt es gewiß, daß Du
nicht mehr, wie ich gewollt und gedacht hat¬
te, auf Hermogen wirken kannſt. Meine Ra¬
che iſt erfuͤllt und Hermogen mir nun wie
ein weggeworfenes Spielzeug unbrauchbar,
und um ſo uͤberlaͤſtiger als er es wahrſchein¬
lich fuͤr eine Bußuͤbung haͤlt, mich zu ſehen,
und daher mit ſeinen ſtieren lebendigtodten
Blicken mich verfolgt. Er muß fort, und ich
[158] glaubte Dich dazu benutzen zu koͤnnen, ihn in
der Idee ins Kloſter zu gehen zu beſtaͤrken,
und den Baron, ſo wie den rathgebenden
Freund Reinhold, zu gleicher Zeit durch die
dringendſten Vorſtellungen, wie Hermogens
Seelenheil nun einmal das Kloſter begehre,
geſchmeidiger zu machen, daß ſie in ſein Vor¬
haben willigten. — Hermogen iſt mir in der
That hoͤchſt zuwider, ſein Anblick erſchuͤttert
mich oft, er muß fort! — Die einzige Per¬
ſon, der er ganz anders erſcheint, iſt Aure¬
lie, das fromme kindiſche Kind; durch ſie
allein kannſt Du auf Hermogen wirken, und
ich will dafuͤr ſorgen, daß Du in naͤhere Bezie¬
hung mit ihr trittſt. Findeſt Du einen ſchick¬
lichen Zuſammenhang der aͤußern Umſtaͤnde,
ſo kannſt Du auch Reinholden, oder dem Ba¬
ron entdecken, wie Dir Hermogen ein ſchwe¬
res Verbrechen gebeichtet, daß Du natuͤrli¬
cherweiſe, Deiner Pflicht gemaͤß, verſchweigen
muͤßteſt. — Doch davon kuͤnftig mehr! —
Nun weißt Du alles, Viktorin, handle und
[159] bleibe mein. Herrſche mit mir uͤber die laͤp¬
piſche Puppenwelt, wie ſie ſich um uns
dreht. Das Leben muß uns ſeine herrlich¬
ſten Genuͤſſe ſpenden, ohne uns in ſeine Be¬
engtheit einzuzwaͤngen.“ — Wir ſahen den
Baron in der Entfernung, und gingen ihm,
wie im frommen Geſpraͤch begriffen, entge¬
gen. —
Es bedurfte vielleicht nur Euphemiens
Erklaͤrung uͤber die Tendenz ihres Lebens,
um mich ſelbſt die uͤberwiegende Macht fuͤh¬
len zu laſſen, die wie der Ausfluß hoͤherer
Prinzipe mein Inneres beſeelte. Es war et¬
was uͤbermenſchliches in mein Weſen getre¬
ten, das mich ploͤtzlich auf einen Standpunkt
erhob, von dem mir alles in anderm Ver¬
haͤltniß, in anderer Farbe als ſonſt erſchien.
Die Geiſtesſtaͤrke, die Macht uͤber das Leben
womit Euphemie prahlte, war mir des bit¬
terſten Hohns wuͤrdig. In dem Augenblick,
daß die Elende ihr loſes unbedachtes Spiel,
mit den gefaͤhrlichſten Verknuͤpfungen des
[160] Lebens zu treiben waͤhnte, war ſie hingege¬
ben dem Zufall oder dem boͤſen Verhaͤngniß,
das meine Hand leitete. Es war nur mei¬
ne Kraft, entflammt von geheimnißvollen
Maͤchten, die ſie zwingen konnte im Wahn,
den fuͤr den Freund und Bundesbruder zu
halten, der, nur ihr zum Verderben die aͤu¬
ßere zufaͤllige Bildung jenes Freundes tra¬
gend, ſie wie die feindliche Macht ſelbſt um¬
krallte, ſo daß keine Freiheit mehr moͤglich.
Euphemie wurde mir in ihrem eitlen ſelbſt¬
ſuͤchtigen Wahn veraͤchtlich, und das Ver¬
haͤltniß mit ihr um ſo widriger, als Aurelie
in meinem Innern lebte, und nur ſie die
Schuld meiner begangenen Suͤnden trug,
wenn ich das, was mir jetzt die hoͤchſte Spitze
alles irrdiſchen Genuſſes zu ſeyn ſchien, noch
fuͤr Suͤnde gehalten haͤtte. Ich beſchloß von
der mir einwohnenden Macht den vollſten
Gebrauch zu machen, und ſo ſelbſt den Zau¬
berſtab zu ergreifen, um die Kreiſe zu be¬
ſchreiben, in denen ſich all' die Erſcheinun¬
gen[161] gen um mich her mir zur Luſt bewegen ſoll¬
ten. Der Baron und Reinhold wetteiferten
mit einander, mir das leben im Schloſſe
recht angenehm zu machen; nicht die leiſeſte
Ahnung von meinem Verhaͤltniß mit Euphe¬
mien ſtieg in ihnen auf, vielmehr aͤußerte der
Baron oft, wie in unwillkuͤhrlicher Herzens¬
ergießung, daß erſt durch mich, ihm Eu¬
phemie ganz wiedergegeben ſey, und dies
ſchien mir die Richtigkeit der Vermuthung
Reinholds, daß irgend ein Zufall dem Ba¬
ron wohl die Spur von Euphemiens verbo¬
tenen Wegen entdeckt haben koͤnne, klar an¬
zudeuten. Den Hermogen ſah ich ſelten, er
vermied mich mit ſichtlicher Angſt und Be¬
klemmung, welches der Baron und Reinhold
der Scheu vor meinem heiligen frommen We¬
ſen, und vor meiner geiſtigen Kraft, die das
zerruͤttete Gemuͤth durchſchaute, zuſchrieben.
Auch Aurelie ſchien ſich abſichtlich meinem
Blick zu entziehen, ſie wich mir aus, und
wenn ich mit ihr ſprach, war auch ſie aͤngſt¬
I. [ 11 ][162] lich und beklommen, wie Hermogen. Es
war mir beinahe gewiß, daß der wahnſinnige
Hermogen, gegen Aurelie, jene ſchreckliche
Ahnungen, die mich durchbebten, ausgeſpro¬
chen, indeſſen ſchien mir der boͤſe Eindruck
zu bekaͤmpfen moͤglich. — Wahrſcheinlich auf
Veranlaſſung der Baroneſſe, die mich in naͤ¬
heren Rapport mit Aurelien ſetzen wollte,
um durch ſie auf Hermogen zu wirken, bat
mich der Baron, Aurelien in den hoͤheren Ge¬
heimniſſen der Religion zu unterrichten. So
verſchaffte mir Euphemie ſelbſt die Mittel,
das herrlichſte zu erreichen, was mir meine
gluͤhende Einbildungskraft in tauſend uͤppi¬
gen Bildern vorgemahlt. Was war jene
Viſion in der Kirche anderes, als das Ver¬
ſprechen der hoͤheren auf mich einwirkenden
Macht, mir die zu geben, von deren Beſitz
allein die Beſaͤnftigung des Sturms zu hof¬
fen, der in mir raſend, mich wie auf toben¬
den Wellen umherwarf. — Aureliens An¬
blick, ihre Naͤhe, ja die Beruͤhrung ihres
[163] Kleides, ſetzte mich in Flammen. Des Blu¬
tes Gluthſtrom ſtieg fuͤhlbar auf in die ge¬
heimnißvolle Werkſtatt der Gedanken, und ſo
ſprach ich von den wundervollen Geheimniſ¬
ſen der Religion in feurigen Bildern, deren
tiefere Bedeutung die wolluͤſtige Raſerei der
gluͤhendſten verlangenden Liebe war. So
ſollte dieſe Gluth meiner Rede, wie in elek¬
triſchen Schlaͤgen, Aureliens Inneres durch¬
dringen, und ſie ſich vergebens dagegen wapp¬
nen. — Ihr unbewuſt ſollten die in ihre
Seele geworfenen Bilder ſich wunderbar ent¬
falten, und glaͤnzender, flammender in der
tieferen Bedeutung hervorgehen, und dieſe
ihre Bruſt dann mit den Ahnungen des un¬
bekannten Genuſſes erfuͤllen, bis ſie ſich, von
unnennbarer Sehnſucht gefoltert und zerriſ¬
ſen, ſelbſt in meine Arme wuͤrfe. Ich berei¬
tete mich auf die ſogenannten Lehrſtunden bei
Aurelien ſorgſam vor, ich wußte den Aus¬
druck meiner Rede zu ſteigern; andaͤchtig, mit
gefaltenen Haͤnden, mit niedergeſchlagenen
[164] Augen hoͤrte mir das fromme Kind zu, aber
nicht eine Bewegung, nicht ein leiſer Seuf¬
zer verriethen irgend eine tiefere Wirkung
meiner Worte. — Meine Bemuͤhungen brach¬
ten mich nicht weiter; ſtatt in Aurelien das
verderbliche Feuer zu entzuͤnden, das ſie der
Verfuͤhrung Preis geben ſollte, wurde nur
qualvoller und verzehrender die Gluth, die
in meinem Innern brannte. — Raſend vor
Schmerz und Wolluſt, bruͤtete ich uͤber
Plaͤne zu Aureliens Verderben und, indem
ich Euphemien Wonne und Entzuͤcken heu¬
chelte, keimte ein gluͤhender Haß in meiner
Seele empor, der, im ſeltſamen Widerſpruch,
meinem Betragen bei der Baroneſſe etwas
wildes, entſetzliches gab, vor dem ſie ſelbſt
erbebte. — Fern von ihr war jede Spur des
Geheimniſſes, das in meiner Bruſt verbor¬
gen, und unwillkuͤhrlich mußte ſie der Herr¬
ſchaft Raum geben, die ich immer mehr und
mehr uͤber ſie mir anzumaßen anfing. — Oft
kam es mir in den Sinn, durch einen wohl¬
[165] berechneten Gewaltſtreich, dem Aurelie erlie¬
gen ſollte, meine Quaal zu enden, aber ſo
wie ich Aurelien erblickte, war es mir, als
ſtehe ein Engel neben ihr, ſie ſchirmend und
ſchuͤtzend und Trotz bietend der Macht des
Feindes. Ein Schauer bebte dann durch
meine Glieder, in dem mein boͤſer Vorſatz
erkaltete. Endlich fiel ich darauf, mit ihr zu
beten: denn im Gebet ſtroͤmt feuriger die
Gluth der Andacht, und die geheimſten Re¬
gungen werden wach, und erheben ſich wie
auf brauſenden Wellen, und ſtrecken ihre Po¬
lypenarme aus, um das Unbekannte zu fahen,
das die unnennbare Sehnſucht ſtillen ſoll, von
der die Bruſt zerriſſen. Dann mag das Irr¬
diſche, ſich wie Himmliſches verkuͤndend, keck
dem aufgeregten Gemuͤth entgegen treten,
und im hoͤchſten Genuß ſchon hienieden die
Erfuͤllung des uͤberſchwenglichen verheißen;
die bewuſtloſe Leidenſchaft wird getaͤuſcht,
und das Streben nach dem Heiligen, Ueberirr¬
diſchen wird gebrochen in dem namenloſen
[166] nie gekannten Entzuͤcken irrdiſcher Begierde.
— Selbſt darinn, daß ſie von mir verfaßte
Gebete nachſprechen ſollte, glaubte ich Vor¬
theile fuͤr meine verraͤtheriſche Abſichten zu
finden. — Es war dem ſo! — Denn neben
mir knieend, mit zum Himmel gewandtem
Blick meine Gebete nachſprechend, faͤrbten
hoͤher ſich ihre Wangen, und ihr Buſen wall¬
te auf und nieder. — Da nahm ich wie im
Eifer des Gebets ihre Haͤnde, und druͤckte ſie
an meine Bruſt, ich war ihr ſo nahe, daß
ich die Waͤrme ihres Koͤrpers fuͤhlte, ihre
losgeloͤſten Locken hingen uͤber meine Schul¬
ter; ich war außer mir vor raſender Begier¬
de, ich umſchlang ſie mit wildem Verlangen,
ſchon brannten meine Kuͤße auf ihrem Mun¬
de, auf ihrem Buſen, da wand ſie ſich mit
einem durchdringenden Schrei aus meinen
Armen; ich hatte nicht Kraft ſie zu halten,
es war als ſtrahle ein Blitz herab, mich zer¬
ſchmetternd! — Sie entfloh raſch in das Ne¬
benzimmer! die Thuͤre oͤffnete ſich, und Her¬
[167] mogen zeigte ſich in derſelben, er blieb ſte¬
hen, mich mit dem furchtbaren entſetzlichen
Blick des wilden Wahnſinns anſtarrend.
Da raffte ich alle meine Kraft zuſammen,
ich trat keck auf ihn zu, und rief mit trotziger
gebietender Stimme: „was willſt Du hier?
Hebe Dich weg Wahnſinniger!“ Aber Her¬
mogen ſtreckte mir die rechte Hand entgegen,
und ſprach dumpf und ſchaurig: „ich wollte
mit Dir kaͤmpfen, aber ich habe kein Schwert,
und Du biſt der Mord, denn Blutstropfen
quillen aus Deinen Augen und kleben in dei¬
nem Barte!“ —
Er verſchwand, die Thuͤre heftig zuſchla¬
gend, und ließ mich allein, knirſchend vor
Wuth uͤber mich ſelbſt, der ich mich hatte
hinreiſſen laſſen von der Gewalt des Mo¬
ments, ſo daß nun der Verrath mir Verder¬
ben drohte. Niemand ließ ſich ſehen, ich
hatte Zeit genug, mich ganz zu ermannen,
und der mir innwohnende Geiſt gab mir bald
[168] die Anſchlaͤge ein, jeder uͤblen Folge des
boͤſen Beginnens auszuweichen.
Sobald es thunlich war, eilte ich zu
Euphemien, und mit keckem Uebermuth er¬
zaͤhlte ich ihr die ganze Begebenheit mit
Aurelien. Euphemie ſchien die Sache nicht
ſo leicht zu nehmen, als ich es gewuͤnſcht
hatte, und es war mir begreiflich, daß, ihrer
geruͤhmten Geiſtesſtaͤrke, ihrer hohen Anſicht
der Dinge unerachtet, wohl kleinliche Eifer¬
ſucht in ihr wohnen, ſie aber uͤberdem noch
befuͤrchten koͤnne, daß Aurelie uͤber mich kla¬
gen, ſo der Nimbus meiner Heiligkeit ver¬
loͤſchen, und unſer Geheimniß in Gefahr ge¬
rathen werde: aus einer mir ſelbſt uner¬
klaͤrlichen Scheu, verſchwieg ich Hermogens
Hinzutreten und ſeine entſetzlichen mich durch¬
bohrenden Worte.
Euphemie hatte einige Minuten geſchwie¬
gen, und ſchien, mich ſeltſamlich anſtarrend,
in tiefes Nachdenken verſunken. —
„Sollteſt Du nicht, Viktorin! ſprach ſie
[169] endlich: errathen, welche herrliche Gedanken
meines Geiſtes wuͤrdig mich durchſtroͤmen? —
Aber Du kannſt es nicht, doch ruͤttle friſch
die Schwingen, um dem kuͤhnen Fluge zu
folgen, den ich zu beginnen bereit bin. Daß
Du, der Du mit voller Herrſchaft uͤber alle
Erſcheinungen des Lebens ſchweben ſollteſt,
nicht neben einem leidlich ſchoͤnen Maͤdchen
knien kannſt, ohne ſie zu umarmen und zu
kuͤſſen, nimmt mich Wunder, ſo wenig ich Dir
das Verlangen verarge, das in Dir aufſtieg.
So wie ich Aurelien kenne, wird ſie voller
Schaam uͤber die Begebenheit ſchweigen,
und ſich hoͤchſtens nur unter irgend einem
Vorwande Deinem zu leidenſchaftlichen Un¬
terrichte entziehen. Ich befuͤrchte daher nicht
im mindeſten die verdrießlichen Folgen, die
dein Leichtſinn, deine ungezaͤhmte Begierde
haͤtte herbeifuͤhren koͤnnen. — Ich haſſe ſie
nicht, dieſe Aurelie, aber ihre Anſpruchloſig¬
keit, ihr ſtilles Frommthun, hinter dem ſich
ein unleidlicher Stolz verſteckt, aͤrgert mich.
[170] Nie habe ich, unerachtet ich es nicht ver¬
ſchmaͤhte mit ihr zu ſpielen, ihr Zutrauen
gewinnen koͤnnen, ſie blieb ſcheu und ver¬
ſchloſſen. Dieſe Abgeneigtheit ſich mir zu
ſchmiegen, ja dieſe ſtolze Art mir auszuwei¬
chen, erregt in mir die widrigſten Gefuͤhle.
— Es iſt ein ſublimer Gedanke, die Blume,
die auf dem Prunk ihrer glaͤnzenden Farben
ſo ſtolz thut, gebrochen und dahin welken zu
ſehen! — ich goͤnne es Dir, dieſen ſublimen
Gedanken auszufuͤhren, und es ſoll nicht an
Mitteln fehlen, den Zweck leicht und ſicher
zu erreichen. — Auf Hermogens Haupt ſoll
die Schuld fallen und ihn vernichten!“ —
Euphemie ſprach noch mehr uͤber ihren Plan
und wurde mir mit jedem Worte verhaßter,
denn nur das gemeine verbrecheriſche Weib
ſah ich in ihr, und ſo ſehr ich nach Aure¬
liens Verderben duͤrſtete, da ich nur dadurch
Befreiung von der graͤnzenloſen Quaal wahn¬
ſinniger Liebe, die meine [Bruſt] zerfleiſchte,
hoffen konnte, ſo war mir doch Euphemiens
[171] Mitwirkung veraͤchtlich. Ich wies daher zu
ihrem nicht geringen Erſtaunen ihren An¬
ſchlag von der Hand, indem ich im Innern
feſt entſchloſſen war, das durch eigne Macht
zu vollfuͤhren, wozu Euphemie mir ihre Bei¬
huͤlfe aufdringen wollte.
So wie die Baroneſſe es vermuthet,
blieb Aurelie in ihrem Zimmer, ſich mit ei¬
ner Unpaͤßlichkeit entſchuldigend, und ſo ſich
meinem Unterricht fuͤr, die naͤchſten Tage ent¬
ziehend. Hermogen war wider ſeine Ge¬
wohnheit jetzt viel in der Geſellſchaft Rein¬
holds und des Barons, er ſchien weniger in
ſich gekehrt, aber wilder, zorniger. Man
hoͤrte ihn oft laut und nachdruͤcklich ſprechen,
und ich bemerkte, daß er mich mit Blicken
des verhaltenen Grimms anſah, ſo oft der
Zufall mich ihm in den Weg fuͤhrte: das
Betragen des Barons und Reinholds ver¬
aͤnderte ſich in einigen Tagen auf ganz ſelt¬
ſame Weiſe. Ohne im Aeußerlichen, im min¬
deſten von der Aufmerkſamkeit und Hochach¬
[172] tung, die ſie mir ſonſt bezeigt, nachzulaſſen,
ſchien es, als wenn ſie, gedruͤckt von einem
wunderbaren ahnenden Gefuͤhl, nicht jenen
gemuͤthlichen Ton finden konnten, der ſonſt
unſre Unterhaltung belebte. Alles was ſie
mit mir ſprachen, war ſo gezwungen, ſo fro¬
ſtig, daß ich mich ernſtlich muͤhen mußte, von
allerlei Vermuthungen ergriffen, wenigſtens
unbefangen zu ſcheinen. —
Euphemiens Blicke, die ich immer rich¬
tig zu deuten wußte, ſagten mir, daß irgend
Etwas vorgegangen, wovon ſie ſich beſon¬
ders aufgeregt fuͤhlte, doch war es den gan¬
zen Tag unmoͤglich, uns unbemerkt zu ſpre¬
chen. —
In tiefer Nacht, als Alles im Schloſſe
laͤngſt ſchlief, oͤffnete ſich eine Tapetenthuͤre
in meinem Zimmer, die ich ſelbſt noch nicht
bemerkt, und Euphemie trat herein, mit ei¬
nem zerſtoͤrten Weſen, wie ich ſie noch niemals
geſehen. „Viktorin, ſprach ſie: es droht
uns Verrath, Hermogen, der wahnſinnige
[173] Hermogen iſt es, der, durch ſeltſame Ahnun¬
gen auf die Spur geleitet, unſer Geheimniß
entdeckt hat. In allerlei Andeutungen, die
gleich ſchauerlichen entſetzlichen Spruͤchen ei¬
ner dunklen Macht, die uͤber uns waltet,
lauten, hat er dem Baron einen Verdacht
eingefloͤßt, der ohne deutlich ausgeſprochen
zu ſeyn, mich doch auf quaͤlende Weiſe ver¬
folgt. — Wer Du biſt, daß unter dieſem
heiligen Kleide Graf Viktorin verborgen;
das ſcheint Hermogen durchaus verſchloſſen
geblieben; dagegen behauptet er, aller Ver¬
rath, alle Argliſt, alles Verderben, das uͤber
uns einbrechen werde, ruhe in Dir, ja wie
der Widerſacher ſelbſt, ſey der Moͤnch in das
Haus getreten, der von teufliſcher Macht be¬
ſeelt, verdammten Verrath bruͤte. — Es kann
ſo nicht bleiben, ich bin es muͤde, dieſen
Zwang zu tragen, den mir der kindiſche Alte
auferlegt, der nun mit kraͤnkelnder Eiferſucht,
wie es ſcheint, aͤngſtlich meine Schritte be¬
wachen wird. Ich will dies Spielzeug, das
[174] mir langweilig worden, wegwerfen, und Du,
Viktorin, wirſt Dich um ſo williger meinem
Begehren fuͤgen, als Du auf einmal ſelbſt
der Gefahr entgehſt, endlich ertappt zu wer¬
den, und ſo das geniale Verhaͤltniß, daß un¬
ſer Geiſt ausbruͤtete, in eine gemeine ver¬
brauchte Mummerei, in eine abgeſchmackte
Eheſtandsgeſchichte herabſinken zu ſehen! Der
laͤſtige Alte muß fort, und wie das am be¬
ſten ins Werk zu richten iſt, daruͤber laß uns
zu Rathe gehen, hoͤre aber erſt meine Mei¬
nung. Du weißt, daß der Baron jeden Mor¬
gen, wenn Reinhold beſchaͤftigt, allein hin¬
ausgeht in das Gebuͤrge, um ſich an den Ge¬
genden nach ſeiner Art zu erlaben. — Schlei¬
che Dich fruͤher hinaus, und ſuche ihm am
Ausgange des Parks zu begegnen. Nicht
weit von hier, giebt es eine wilde ſchauer¬
liche Felſengruppe; wenn man ſie erſtiegen,
gaͤhnt dem Wandrer auf der einen Seite ein
ſchwarzer bodenloſer Abgrund entgegen, dort
iſt, oben uͤber den Abgrund heruͤberragend,
[175] der ſogenannte Teufelsſitz. Man fabelt, daß
giftige Duͤnſte aus dem Abgrunde ſteigen,
die den, der vermeſſen hinabſchaut, um zu
erforſchen, was drunten verborgen, betaͤuben
und rettungslos in den Tod hinabziehen.
Der Baron, dieſes Maͤhrchen verlachend,
ſtand ſchon oft auf jenem Felsſtuͤck, uͤber dem
Abgrund, um die Ausſicht, die ſich dort oͤff¬
net, zu genießen. Es wird leicht ſeyn, ihn
ſelbſt darauf zu bringen, daß er Dich an die
gefaͤhrliche Stelle fuͤhrt; ſieht er nun dort,
und ſtarrt in die Gegend hinein, ſo erloͤſt uns
ein kraͤftiger Stoß Deiner Fauſt, auf immer
von dem ohnmaͤchtigen Narren.„ — „Nein,
nimmermehr ſchrie ich heftig: ich kenne den
entſetzlichen Abgrund, ich kenne den Sitz des
Teufels, nimmermehr! fort mit dir und dem
Frevel, den Du mir zumutheſt!“ Da ſprang
Euphemie auf, wilde Gluth entflammte ih¬
ren Blick, ihr Geſicht war verzerrt, von der
wuͤthenden Leidenſchaft, die in ihr tobte.
„Elender Schwaͤchling, rief ſie: Du wagſt es
[176] in dumpfer Feigheit, dem zu widerſtreben,
was ich beſchloß? Du willſt Dich lieber
dem ſchmachvollen Joche ſchmiegen, als mit
mir herrſchen? Aber Du biſt in meiner Hand,
vergebens entwindeſt Du Dich der Macht,
die Dich gefeſſelt haͤlt zu meinen Fuͤßen! —
Du vollziehſt meinen Auftrag, Morgen darf
der, deſſen Anblick mich peinigt nicht mehr
leben!“ —
Indem Euphemie die Worte ſprach, durch¬
drang mich die tiefſte Verachtung ihrer arm¬
ſeeligen Prahlerei, und im bittern Hohn
lachte ich ihr gellend entgegen, daß ſie er¬
bebte, und die Todtenblaͤſſe der Angſt und
des tiefen Grauens, ihr Geſicht uͤberflog. —
„Wahnſinnige, rief ich: die Du glaubſt uͤber
das Leben zu herrſchen, die Du glaubſt mit
ſeinen Erſcheinungen zu ſpielen, habe Acht,
daß dies Spielzeug nicht in Deiner Hand zur
ſchneidenden Waffe wird, die Dich toͤdtet!
Wiſſe Elende, daß ich, den Du in Deinem
ohnmaͤchtigen Wahn zu beherrſchen glaubſt,
Dich[177] Dich wie das Verhaͤngniß ſelbſt in meiner
Macht feſtgekettet halte, Dein frevelhaftes
Spiel iſt nur das krampfhafte Winden des
gefeſſelten Raubthiers im Kaͤfig! — Wiſſe,
Elende, daß Dein Buhle zerſchmettert in je¬
nem Abgrunde liegt, und daß Du ſtatt ſeiner
den Geiſt der Rache ſelbſt umarmteſt! —
Geh und verzweifle!“
Euphemie wankte; im convulſiviſchen Er¬
beben war ſie im Begriff zu Boden zu ſin¬
ken, ich faßte ſie und druͤckte ſie durch die
Tapetenthuͤre den Gang hinab. — Der Ge¬
danke ſtieg mir auf, ſie zu toͤdten, ich unter¬
ließ es ohne mich deſſen bewußt zu ſeyn,
denn im erſten Augenblick, als ich die Ta¬
petenthuͤre ſchloß, glaubte ich die That voll¬
bracht zu haben! — Ich hoͤrte einen durch¬
dringenden Schrei und Thuͤren zuſchlagen.
Jetzt hatte ich mich ſelbſt auf einen
Standpunkt geſtellt, der mich dem gewoͤhn¬
lichen menſchlichen Thun ganz entruͤckte; jetzt
mußte Schlag auf Schlag folgen, und, mich
I. [ 12 ][178] ſelbſt als den boͤſen Geiſt der Rache verkuͤn¬
dend, mußte ich das Ungeheuere vollbringen.
— Euphemiens Untergang war beſchloſſen,
und der gluͤhendſte Haß ſollte, mit der hoͤch¬
ſten Inbrunſt der Liebe ſich vermaͤhlend, mir
den Genuß gewaͤhren, der nun noch dem
uͤbermenſchlichen mir innwohnenden Geiſte
wuͤrdig. — In dem Augenblick, daß Euphe¬
mie untergegangen, ſollte Aurelie mein werden.
Ich erſtaunte uͤber Euphemiens innere
Kraft, die es ihr moͤglich machte, den andern
Tag unbefangen und heiter zu ſcheinen. Sie
ſprach ſelbſt daruͤber, daß ſie vorige Nacht
in eine Art Somnambulismus gerathen, und
dann heftig an Kraͤmpfen gelitten, der Ba¬
ron ſchien ſehr theilnehmend, Reinholds Bli¬
cke waren zweifelhaft und mißtrauiſch. Au¬
relie blieb auf ihrem Zimmer, und je weni¬
ger es mir gelang, ſie zu ſehen, deſto raſen¬
der tobte die Wuth in meinem Innern. Eu¬
phemie lud mich ein, auf bekanntem Wege in
ihr Zimmer zu ſchleichen, wenn Alles im
[179] Schloſſe ruhig geworden. — Mit Entzuͤcken
vernahm ich das, denn der Augenblick der
Erfuͤllung ihres boͤſen Verhaͤngniſſes war
gekommen. — Ein kleines ſpitzes Meſſer, das
ich ſchon von Jugend auf bei mir trug, und
mit dem ich geſchickt in Holz zu ſchneiden
wußte, verbarg ich in meiner Kutte, und ſo
zum Morde entſchloſſen, ging ich zu ihr.
„Ich glaube, fing ſie an: wir haben beide
geſtern ſchwere aͤngſtliche Traͤume gehabt, es
kam viel von Abgruͤnden darinn vor, doch
das iſt nun vorbei!“ — Sie gab ſich darauf,
wie gewoͤhnlich meinen frevelnden Liebkoſun¬
gen hin, ich war erfuͤllt von entſetzlichem
teufliſchen Hohn, indem ich nur die Luſt
empfand, die mir der Mißbrauch ihrer eig¬
nen Schaͤndlichkeit erregte. Als ſie in mei¬
nen Armen lag, entfiel mir das Meſſer, ſie
ſchauerte zuſammen, wie von Todesangſt er¬
griffen, ich hob das Meſſer raſch auf, den
Mord noch verſchiebend, der mir ſelbſt an¬
dere Waffen in die Haͤnde gab. — Euphemie
[180] hatte italiaͤniſchen Wein und eingemachte
Fruͤchte auf den Tiſch ſtellen laſſen. — Wie
ſo ganz plump und verbraucht, dachte ich,
verwechſelte geſchickt die Glaͤſer, und genoß
nur ſcheinbar die mir dargebotenen Fruͤchte,
die ich in meinen weiten Ermel fallen ließ.
Ich hatte zwei, drei Glaͤſer von dem Wein,
aber aus dem Glaſe, das Euphemie fuͤr ſich
hingeſtellt, getrunken, als ſie vorgab, Ge¬
raͤuſch im Schloſſe zu hoͤren, und mich bat
ſie ſchnell zu verlaſſen. — Nach ihrer Ab¬
ſicht ſollte ich auf meinem Zimmer enden?
Ich ſchlich durch die langen ſchwach erhell¬
ten Corridore, ich kam bei Aureliens Zim¬
mer voruͤber, wie feſtgebannt blieb ich ſte¬
hen. — Ich ſah ſie, es war als ſchwebe ſie
daher, mich voll Liebe anblickend, wie in jener
Viſion, und mir winkend, daß ich ihr folgen
ſollte. — Die Thuͤre wich durch den Druck
meiner Hand, ich ſtand im Zimmer, nur an¬
gelehnt war die Thuͤre des Kabinets, eine
ſchwuͤle Luft wallte mir entgegen, meine Lie¬
[181] besgluth ſtaͤrker entzuͤndend, mich betaͤubend;
kaum konnte ich athmen. — Aus dem Kabi¬
nett quollen die tiefen angſtvollen Seufzer
der vielleicht von Verrath und Mord Traͤu¬
menden, ich hoͤrte ſie im Schlafe beten! —
„Zur That, zur That, was zauderſt Du, der
Augenblick entflieht,“ ſo trieb mich die unbe¬
kannte Macht in meinem Innern. — Schon
hatte ich einen Schritt ins Kabinett gethan,
da ſchrie es hinter mir: „Verruchter, Mord¬
bruder! nun gehoͤrſt Du mein!“ und ich fuͤhlte
mich mit Rieſenkraft von hinten feſtgepackt.
— Es war Hermogen, ich wand mich, alle
meine Staͤrke aufbietend, endlich von ihm los
und wollte mich fortdraͤngen, aber von neu¬
em packte er mich hinterwaͤrts und zerfleiſch¬
te meinen Nacken mit wuͤthenden Biſſen! —
Vergebens rang ich, unſinnig vor Schmerz
und Wuth, lange mit ihm, endlich zwang ihn
ein kraͤftiger Stoß, von mir abzulaſſen, und
als er von neuem uͤber mich herfiel, da zog
ich mein Meſſer; zwei Stiche, und er ſank
[182] roͤchelnd zu Boden, daß es dumpf im Corri¬
dor wiederhallte. — Bis heraus aus dem
Zimmer hatten wir uns gedraͤngt im Kam¬
pfe der Verzweiflung. —
So wie Hermogen gefallen, rannte ich
in wilder Wuth die Treppe herab, da riefen
gellende Stimmen durch das ganze Schloß:
Mord! Mord! — Lichter ſchweiften hin und
und her, und die Tritte der Herbeieilenden
ſchallten durch die langen Gaͤnge, die Angſt
verwirrte mich, ich war auf entlegene Sei¬
tentreppen gerathen. — Immer lauter, im¬
mer heller wurde es im Schloſſe, immer naͤ¬
her und naͤher erſcholl es graͤßlich: Mord,
Mord! Ich unterſchied die Stimme des Ba¬
rons und Reinholds, welche heftig mit den
Bedienten ſprachen. — Wohin fliehen, wo¬
hin mich verbergen? — Noch vor wenig Au¬
genblicken, als ich Euphemien mit demſelben
Meſſer ermorden wollte, mit dem ich den
wahnſinnigen Hermogen toͤdtete, war es mir,
als koͤnne ich, mit dem blutigen Mordinſtru¬
[183] ment in der Hand, vertrauend auf meine
Macht, keck hinaustreten, da keiner, von ſcheu¬
er Furcht ergriffen, es wagen wuͤrde, mich
aufzuhalten; jetzt war ich ſelbſt von toͤdtli¬
cher Angſt befangen. Endlich, endlich war
ich auf der Haupttreppe, der Tumult hatte
ſich nach den Zimmern der Baroneſſe gezo¬
gen, es wurde ruhiger, in drei gewaltigen
Spruͤngen war ich hinab, nur noch wenige
Schritte vom Portal entfernt. Da gellte ein
durchdringender Schrei durch die Gaͤnge,
dem aͤhnlich, den ich in voriger Nacht ge¬
hoͤrt. — Sie iſt todt, gemordet durch das
Gift, das ſie mir bereitet, ſprach ich dumpf
in mich hinein. Aber nun ſtroͤmte es wieder
hell aus Euphemiens Zimmern. Aurelie,
ſchrie angſtvoll um Huͤlfe. Aufs neue erſcholl
es graͤßlich: Mord, Mord! — Sie brachten
Hermogens Leichnam! — „Eilt nach dem
Moͤrder,“ hoͤrt ich Reinhold rufen. Da lachte
ich grimmig auf, daß es durch den Saal,
durch die Gaͤnge droͤhnte, und rief mit ſchreck¬
[184] licher Stimme: „Wahnwitzige, wollt ihr das
Verhaͤngniß fahen, das die frevelnden Suͤn¬
der gerichtet?“ — Sie horchten auf, der Zug
blieb wie feſt gebannt, auf der Treppe ſte¬
hen. — Nicht fliehen wollt' ich mehr, — ja
ihnen entgegen ſchreiten, die Rache Gottes
an den Frevlern in donnernden Worten ver¬
kuͤndend. Aber — des graͤßlichen Anblicks!
— vor mir! — vor mir, ſtand Viktorins blu¬
tige Geſtalt, nicht ich, er hatte die Worte
geſprochen. — Das Entſetzen ſtraͤubte mein
Haar, ich ſtuͤrzte in wahnſinniger Angſt her¬
aus, durch den Park! — Bald war ich im
Freien, da hoͤrte ich Pferdegetrappel hinter
mir, und indem ich meine letzte Kraft zu¬
ſammennahm, um der Verfolgung zu entge¬
hen, fiel ich uͤber eine Baumwurzel ſtrau¬
chelnd zu Boden. Bald ſtanden die Pferde
bei mir. Es war Viktorins Jaͤger. „Um
Jeſuswillen, gnaͤdiger Herr, fing er an: was
iſt im Schloſſe vorgefallen, man ſchreit Mord!
Schon iſt das Dorf im Aufruhr. — Nun,
[185] was es auch ſeyn mag, ein guter Geiſt hat
es mir eingegeben aufzupacken, und aus dem
Staͤdtchen hieher zu reiten; es iſt alles im
Felleiſen auf Ihrem Pferde, gnaͤdiger Herr,
denn wir werden uns doch wohl trennen
muͤſſen vor der Hand, es iſt gewiß recht was
gefaͤhrliches geſchehen, nicht wahr?“ — Ich
raffte mich auf, und mich aufs Pferd ſchwin¬
gend, bedeutete ich den Jaͤger in das Staͤdt¬
chen zuruͤckzureiten, und dort meine Befehle
zu erwarten. Sobald er ſich in der Finſter¬
niß entfernt hatte, ſtieg ich wieder vom Pferde
und leitete es behutſam in den dicken Tan¬
nenwald hinein, der ſich vor mir ausbreitete.
Dritter Abſchnitt.
Die Abentheuer der Reiſe.
Als die erſten Strahlen der Sonne durch
den finſtern Tannenwald brachen, befand ich
mich an einem friſch und hell uͤber glatte
Kieſelſteine dahin ſtroͤmenden Bach. Das
Pferd, welches ich muͤhſam durch das Dickigt
geleitet, ſtand ruhig neben mir, und ich hatte
nichts angelegentlicheres zu thun, als das
Felleiſen, womit es bepackt war, zu unter¬
ſuchen. — Waͤſche, Kleidungsſtuͤcke, ein mit
Gold wohl gefuͤllter Beutel, fielen mir in die
Haͤnde. — Ich beſchloß, mich ſogleich umzu¬
kleiden; mit Huͤlfe der kleinen Scheere und
[187] des Kamms, den ich in einem Beſteck gefun¬
den, verſchnitt ich den Bart, und brachte die
Haare, ſo gut es gehen wollte, in Ordnung.
Ich warf die Kutte ab, in welcher ich noch
das kleine verhaͤngnißvolle Meſſer, Viktorins
Portefeuille, ſo wie die Korbflaſche mit dem
Reſt des Teufels-Elixiers vorfand, und bald
ſtand ich da, in weltlicher Kleidung mit der
Reiſemuͤtze auf dem Kopf, ſo daß ich mich
ſelbſt, als mir der Bach mein Bild herauf¬
ſpiegelte, kaum wieder erkannte. Bald war
ich am Ausgange des Waldes, und der in
der Ferne aufſteigende Dampf, ſo wie das
helle Glockengelaͤute, das zu mir heruͤbertoͤnte,
ließen mich ein Dorf in der Naͤhe vermu¬
then. Kaum hatte ich die Anhoͤhe vor
mir erreicht, als ein freundliches ſchoͤnes
Thal ſich oͤffnete, in dem ein großes Dorf
lag. Ich ſchlug den breiten Weg ein, der
ſich hinabſchlaͤngelte, und ſobald der Ab¬
hang weniger ſteil wurde, ſchwang ich mich
aufs Pferd, um ſo viel moͤglich mich an das
[188] mir ganz fremde Reiten zu gewoͤhnen. —
Die Kutte hatte ich in einen hohlen Baum
verborgen, und mit ihr all' die feindſeeligen
Erſcheinungen auf dem Schloſſe in dem fin¬
ſtern Wald gebannt; denn ich fuͤhlte mich
froh und muthig, und es war mir, als habe
nur meine uͤberreizte Fantaſie mir Viktorins
blutige graͤßliche Geſtalt gezeigt, und als
waͤren die letzten Worte, die ich den mich
verfolgenden entgegen rief, wie in hoher Be¬
geiſterung, unbewußt, aus meinem Innern
hervorgegangen, und haͤtten die wahre ge¬
heime Beziehung des Zufalls, der mich auf
das Schloß brachte, und das was ich dort
begann, herbeifuͤhrte, deutlich ausgeſprochen.
— Wie das waltende Verhaͤngniß ſelbſt trat
ich ein, den boshaften Frevel ſtrafend, und
den Suͤnder in dem ihm bereiteten Unter¬
gange entſuͤndigend. Nur Aureliens holdes
Bild lebte noch wie ſonſt in mir, und ich
konnte nicht an ſie denken, ohne meine Bruſt
beengt, ja phyſiſch einen nagenden Schmerz
[189] in meinem Innern zu fuͤhlen. — Doch war
es mir, als muͤſſe ich ſie vielleicht in fernen
Landen wieder ſehen, ja, als muͤſſe ſie, wie
von unwiderſtehlichem Drange hingeriſſen,
von unaufloͤslichen Banden an mich gekettet,
mein werden. —
Ich bemerkte, daß die Leute, welche mir
begegneten, ſtill ſtanden und mir verwun¬
dert nachſahen, ja daß der Wirth im Dorfe
vor Erſtaunen uͤber meinen Anblick kaum
Worte finden konnte, welches mich nicht we¬
nig aͤngſtigte. Waͤhrend, daß ich mein Fruͤh¬
ſtuͤck verzehrte, und mein Pferd gefuͤttert
wurde, verſammelten ſich mehrere Bauern
in der Wirthsſtube, die, mit ſcheuen Blicken
mich anſchielend, mit einander fluͤſterten. —
Immer mehr draͤngte ſich das Volk zu, und,
mich dicht umringend, gafften ſie mich an
mit dummen Erſtaunen. Ich bemuͤhte mich,
ruhig und unbefangen zu bleiben, und rief
mit lauter Stimme den Wirth, dem ich be¬
fahl mein Pferd ſatteln, und das Felleiſen
[190] aufpacken zu laſſen. Er ging, zweideutig laͤ¬
chelnd hinaus, und kam bald darauf mit ei¬
nem langen Mann zuruͤck, der mit finſtrer
Amtsmiene und komiſcher Gravitaͤt auf mich
zuſchritt. Er faßte mich ſcharf ins Auge,
ich erwiederte den Blick, indem ich aufſtand
und mich dicht vor ihn ſtellte. Das ſchien
ihn etwas außer Faſſung zu ſetzen, indem er
ſich ſcheu nach den verſammelten Bauern
umſah. „Nun was iſt es, rief ich: ihr
ſcheint, mir etwas ſagen zu wollen.“ Da raͤu¬
ſperte ſich der ernſthafte Mann, und ſprach,
indem er ſich bemuͤhte, in den Ton ſeiner
Stimme recht viel gewichtiges zu legen:
„Herr! Ihr kommt nicht eher von hinnen,
bis Ihr Uns, dem Richter hier am Orte, um¬
ſtaͤndlich geſagt, wer Ihr ſeid, mit allen Qua¬
litaͤten, was Geburt, Stand und Wuͤrde an¬
belangt, auch woher Ihr gekommen; und wo¬
hin Ihr zu reiſen gedenkt, nach allen Quali¬
taͤten, der Lage des Orts, des Namens, Pro¬
vinz und Stadt, und was weiter zu bemer¬
[191] ken, und uͤber das Alles muͤßt ihr Uns, dem
Richter, einen Paß vorzeigen, geſchrieben und
unterſchrieben, unterſiegelt nach allen Quali¬
taͤten, wie es recht iſt und gebraͤuchlich!“ —
Ich hatte noch gar nicht daran gedacht, daß
es noͤthig ſey, irgend einen Namen anzuneh¬
men, und noch weniger war mir eingefallen,
daß das Sonderbare, Fremde meines Aeu¬
ßern — welches durch die Kleidung, der ſich
mein moͤnchiſcher Anſtand nicht fuͤgen wollte,
ſo wie durch die Spuren des uͤbelverſchnit¬
tenen Bartes erzeugt wurde — mich jeden Au¬
genblick in die Verlegenheit ſetzen wuͤrde,
uͤber meine Perſon ausgeforſcht zu werden.
Die Frage des Dorfrichters kam mir daher
ſo unerwartet, daß ich vergebens ſann, ihm
irgend eine befriedigende Antwort zu geben.
Ich entſchloß mich zu verſuchen, was ent¬
ſchiedene Kekheit bewirken wuͤrde, und ſagte
mit feſter Stimme: „wer ich bin, habe ich
Urſache zu verſchweigen, und deshalb trach¬
tet Ihr vergeblich meinen Paß zu ſehen, uͤbri¬
[192] gens huͤtet Euch, eine Perſon von Stande,
mit Eueren laͤppiſchen Weitlaͤuftigkeiten, nur
einen Augenblick aufzuhalten.“ „Hoho! rief
der Dorfrichter, indem er eine große Doſe
hervorzog, in die, als er ſchnupfte, fuͤnf
Haͤnde der hinter ihm ſtehenden Gerichts¬
ſchoͤppen hineingriffen, gewaltige Priſen her¬
ausholend: hoho, nur nicht ſo barſch, gnaͤdig¬
ſter Herr! — Ihre Excellenz wird ſich ge¬
fallen laſſen muͤſſen, Uns dem Richter Rede
zu ſtehen, und den Paß zu zeigen, denn, nun
gerade herausgeſagt, hier im Gebuͤrge giebt
es ſeit einiger Zeit allerlei verdaͤchtige Ge¬
ſtalten, die dann und wann aus dem Walde
kucken, und wieder verſchwinden, wie der
Gott ſey bei uns ſelbſt, aber es iſt verfluch¬
tes Diebs- und Raubgeſindel, die den Rei¬
ſenden auflauern und allerlei Schaden an¬
richten durch Mord und Brand, und Ihr,
mein gnaͤdigſter Herr, ſeht in der That ſo
abſonderlich aus, daß Ihr ganz dem Bilde
aͤhnlich ſeyd, daß die hochloͤbliche Landesre¬
gie¬[193] gierung von einem großen Raͤuber, und
Hauptſpitzbuben geſchrieben und beſchrieben,
nach allen Qualitaͤten an uns den Richter
geſchickt hat. Alſo nur ohne alle weitere
Umſtaͤnde und ceremoniſche Worte, den Paß
oder in den Thurm!“ — Ich ſah, daß mit
dem Mann ſo nichts auszurichten war, ich
ſchickte mich daher an, zu einem andern Ver¬
ſuch. „Geſtrenger Herr Richter, ſprach ich,
wenn Ihr mir die Gnade erzeigen wolltet,
daß ich mit Euch allein ſprechen duͤrfte, ſo
wollte ich alle Eure Zweifel leicht aufklaͤren,
und im Vertrauen auf Eure Klugheit Euch
das Geheimniß offenbaren, das mich in dem
Aufzuge, der Euch ſo auffallend duͤnkt, her¬
fuͤhrt.“ „Ha ha! Geheimniſſe offenbaren,
ſprach der Richter: ich merke ſchon, was das
ſeyn wird; nun geht nur hinaus, ihr Leute,
bewacht die Thuͤre und die Fenſter, und laßt
Niemanden hinein und heraus!“ — Als wir
allein waren, fing ich an: „Ihr ſeht in mir,
Herr Richter, einen ungluͤcklichen Fluͤchtling,
I. [ 13 ][194] dem es endlich durch ſeine Freunde gluͤckte,
einem ſchmachvollen Gefaͤngniß, und der Ge¬
fahr, auf ewig ins Kloſter geſperrt zu wer¬
den, zu entgehen. Erlaßt mir die naͤheren
Umſtaͤnde meiner Geſchichte, die das Gewebe
von Raͤnken und Bosheiten einer rachſuͤchti¬
gen Familie iſt. Die Liebe zu einem Maͤd¬
chen niedern Standes, war die Urſache mei¬
ner Leiden. In dem langen Gefaͤngniß war
mir der Bart gewachſen, und man hatte mir
ſchon die Tonſur geben laſſen, wie Ihrs be¬
merken koͤnnet, ſo wie ich auch in dem Gefaͤng¬
niſſe, in dem ich ſchmachtete, in eine Moͤnchs¬
kutte gekleidet gehen mußte. Erſt nach mei¬
ner Flucht, hier im Walde, durfte ich mich
umkleiden, weil man mich ſonſt ereilt haben
wuͤrde. Ihr merkt nun ſelbſt, woher das
Auffallende in meinem Aeußern ruͤhrt, das
mich bei Euch in ſolch boͤſen Verdacht ge¬
ſetzt hat. Einen Paß kann ich Euch, wie
Ihr ſeht, nun nicht vorzeigen, aber fuͤr die
Wahrheit meiner Behauptungen, habe ich
[195] gewiſſe Gruͤnde, die Ihr wohl fuͤr richtig
anerkennen werdet.“ — Mit dieſen Worten
zog ich den Geldbeutel hervor, legte drei
blanke Dukaten auf den Tiſch, und der
gravitaͤtiſche Ernſt des Herrn Richters ver¬
zog ſich zum ſchmunzelnden Laͤcheln. „Eure
Gruͤnde, mein Herr, ſagte er, ſind gewiß
einleuchtend genug, aber nehmt es nicht uͤbel,
mein Herr! es fehlt ihnen noch eine gewiſſe
uͤberzeugende Gleichheit nach allen Qualitaͤ¬
ten! Wenn Ihr wollt, daß ich das ungerade
fuͤr gerade nehmen ſoll, ſo muͤſſen Eure
Gruͤnde auch ſo beſchaffen ſeyn.“ — Ich ver¬
ſtand den Schelm, und legte noch einen Du¬
katen hinzu. „Nun ſehe ich, ſprach der Rich¬
ter, daß ich Euch mit meinem Verdacht Un¬
recht gethan habe; reiſet nur weiter, aber
ſchlagt, wie Ihr es wohl gewohnt ſeyn moͤ¬
get, huͤbſch die Nebenwege ein, haltet Euch
von der Heerſtraße ab, bis ihr Euch des
verdaͤchtigen Aeußern ganz entledigt.“ — Er
oͤffnete die Thuͤre nun weit, und rief laut,
[196] der verſammelten Menge entgegen: „der Herr
da drinnen iſt ein vornehmer Herr, nach al¬
len Qualitaͤten, er hat ſich Uns, dem Richter,
in einer geheimen Audienz entdeckt, er reiſet
Inkognito, das heißt, unbekannterweiſe, und
daß Ihr alle davon nichts zu wiſſen und zu
vernehmen braucht, ihr Schlingel! — Nun,
gluͤckliche Reiſe, gnaͤd'ger Herr!“ Die Bauern
zogen, ehrfurchtsvoll ſchweigend, die Muͤtzen
ab, als ich mich auf das Pferd ſchwang.
Raſch wollte ich durch das Thor ſprengen,
aber das Pferd fing an ſich zu baͤumen, mei¬
ne Unwiſſenheit, meine Ungeſchicklichkeit im
Reiten verſagte mir jedes Mittel, es von der
Stelle zu bringen, im Kreiſe drehte es ſich
mit mir herum, und warf mich endlich, unter
dem ſchallenden Gelaͤchter der Bauern, dem
herbeieilenden Richter und dem Wirthe in
die Arme. „Das iſt ein boͤſes Pferd,“ ſagte
der Richter mit unterdruͤcktem Lachen. — „Ein
boͤſes Pferd!“ wiederholte ich, mir den Staub
abklopfend. Sie halfen mir wieder herauf,
[197] aber von neuem baͤumte ſich ſchnaubend und
pruhſtend das Pferd, durchaus war es nicht
durch das Thor zu bringen. Da rief ein
alter Bauer: „Ey ſeht doch, da ſitzt ja das
Zeterweib, die alte Lieſe, an dem Thor und
laͤßt den gnaͤdigen Herrn nicht fort, aus Scha¬
bernak, weil er ihr keinen Groſchen gege¬
ben.“ — Nun erſt fiel mir ein altes zerlump¬
tes Bettelweib ins Auge, die dicht am Thor¬
wege niedergekauert ſaß und mich mit wahn¬
ſinnigen Blicken anlachte. „Will die Zeter¬
hexe gleich aus dem Weg!“ ſchrie der Rich¬
ter, aber die Alte kreiſchte: „der Blutbruder
hat mir keinen Groſchen gegeben, ſeht ihr
nicht den todten Menſchen vor mir liegen?
uͤber den kann der Blutbruder nicht wegſprin¬
gen, der todte Menſch richtet ſich auf, aber
ich druͤcke ihn nieder, wenn mir der Blut¬
bruder einen Groſchen giebt.“ Der Richter
hatte das Pferd bei dem Zuͤgel ergriffen und
wollte es, ohne auf das wahnwitzige Ge¬
ſchrei der Alten zu achten, durch das Thor
[198] ziehen, vergeblich war indeſſen alle Anſtren¬
gung, und die Alte ſchrie graͤßlich dazwiſchen.
„Blutbruder, Blutbruder, gieb mir Groſchen,
gieb mir Groſchen!“ Da griff ich in die Ta¬
ſche und warf ihr Geld in den Schooß, und
jubelnd und jauchzend ſprang die Alte auf in
die Luͤfte, und ſchrie: „ſeht die ſchoͤnen Gro¬
ſchen, die mir der Blutbruder gegeben, ſeht
die ſchoͤnen Groſchen!“ Aber mein Pferd wie¬
herte laut, und kourbettirte, von dem Richter
losgelaſſen, durch das Thor. „Nun geht es
gar ſchoͤn und herrlich mit dem Reiten, gnaͤ¬
diger Herr, nach allen Qualitaͤten“ ſagte der
Richter, und die Bauern, die mir bis vor's
Thor nachgelaufen, lachten noch einmahl uͤber
die Maaßen, als ſie mich unter den Spruͤn¬
gen des muntern Pferdes, ſo auf und nieder
fliegen ſahen, und riefen: „ſeht doch, ſeht
doch, der reitet wie ein Capuziner!“ —
Der ganze Vorfall im Dorfe, vorzuͤglich
die verhaͤngnißvollen Worte des wahnſinni¬
gen Weibes, hatten mich nicht wenig aufge¬
[199] regt. Die vornehmſten Maaßregeln, die ich
jetzt zu ergreifen hatte, ſchienen mir, bei der er
ſten Gelegenheit alles Auffallende aus meinem
Aeußern zu verbannen, und mir irgend einen
Namen zu geben, mit dem ich mich ganz un¬
bemerkt in die Maſſe der Menſchen eindraͤn¬
gen koͤnne. — Das Leben lag vor mir, wie
ein finſtres undurchſchauliches Verhaͤngniß,
was konnte ich anders thun, als mich in
meiner Verbannung ganz den Wellen des
Stroms uͤberlaſſen, der mich unaufhaltſam
dahin riß. Alle Faden, die mich ſonſt an
beſtimmte Lebensverhaͤltniſſe banden, waren
zerſchnitten, und daher kein Halt fuͤr mich
zu finden. Immer lebendiger und lebendiger
wurde die Heerſtraße, und Alles kuͤndigte
ſchon in der Ferne, die reiche lebhafte Han¬
delsſtadt an, der ich mich jetzt naͤherte. In
wenigen Tagen lag ſie mir vor Augen; ohne
gefragt, ja ohne einmal eben genau betrach¬
tet zu werden, ritt ich in die Vorſtadt hin¬
ein. Ein großes Haus mit hellen Spiegel¬
[200] fenſtern uͤber deſſen Thuͤre ein goldner ge¬
fluͤgelter Loͤwe prangte, fiel mir in die Au¬
gen. Eine Menge Menſchen wogte hinein
und hinaus, Wagen kamen und fuhren ab,
aus den untern Zimmern ſchallte mir Gelaͤch¬
ter und Glaͤſerklang entgegen. Kaum hielt
ich an der Thuͤre, als geſchaͤfftig der Haus¬
knecht herbeiſprang, mein Pferd bei dem Zuͤ¬
gel ergriff, und es, als ich abgeſtiegen, hin¬
einfuͤhrte. Der zierlich gekleidete Kellner
kam mit dem klappernden Schluͤſſelbunde, und
ſchritt mir voran die Treppe herauf; als wir
uns im zweiten Stock befanden, ſah er mich
noch einmal fluͤchtig an, und fuͤhrte mich dann
noch eine Treppe hoͤher, wo er mir ein maͤ¬
ßiges Zimmer oͤffnete, und mich dann hoͤflich
frug, was ich vor der Hand befuͤhle, um
zwei Uhr wuͤrde geſpeiſet im Saal No. 10.
erſter Stock u. ſ. w. „Bringen Sie mir
eine Flaſche Wein!“ Das war in der That
das erſte Wort, das ich der dienſtfertigen Ge¬
ſchaͤfftigkeit dieſer Leute einſchieben konnte.
[201]
Kaum war ich allein, als es klopfte, und
ein Geſicht zur Thuͤre hereinſah, das einer
komiſchen Maske glich, wie ich ſie wohl ehe¬
mahls geſehen. Eine ſpitze rothe Naſe, ein
paar kleine funkelnde Augen, ein langes Kinn
und dazu ein aufgethuͤrmtes gepudertes Tup¬
pee, das, wie ich nachher wahrnahm, ganz
unvermutheter Weiſe hinten in einen Titus
ausging, ein großes Jabbot, ein brennend
rothes Gillet, unter dem zwei ſtarke Uhrket¬
ten hervorhingen, Pantalons, ein Frack, der
manchmahl zu enge, dann aber auch wieder
zu weit war, kurz mit Conſequenz uͤberall
nicht paßte! — So ſchritt die Figur, in der
Kruͤmmung des Buͤcklings, der in der Thuͤre
begonnen, herein, Hut, Scheere und Kamm
in der Hand, ſprechend: „Ich bin der
Friſeur des Hauſes, und biete meine Dienſte,
meine unmaßgeblichen Dienſte gehorſamſt
an.“ — Die kleine windduͤrre Figur hatte
ſo etwas poſſierliches, daß ich das Lachen
kaum unterdruͤcken konnte. Doch war mir
[202] der Mann willkommen, und ich ſtand nicht
an, ihn zu fragen, ob er ſich getraue, meine
durch die lange Reiſe, und noch dazu durch
uͤbles Verſchneiden ganz in Verwirrung ge¬
rathene Haare in Ordnung zu bringen! Er
ſah meinen Kopf mit kunſtrichterlichen Augen
an, und ſprach, indem er die rechte Hand,
grazioͤs gekruͤmmt, mit ausgeſpreitzten Fin¬
gern auf die rechte Bruſt legte. „In Ord¬
nung bringen? — O Gott! Pietro Belcampo,
Du, den die ſchnoͤden Neider ſchlechtweg Pe¬
ter Schoͤnfeld nennen, wie den goͤttlichen
Regimentspfeifer und Horniſten Giacomo
Punto, Jakob Stich, Du wirſt verkannt. Aber
ſtellſt Du nicht ſelbſt Dein Licht unter den
Scheffel, ſtatt es leuchten zu laſſen vor der
Welt? Sollte der Bau dieſer Hand, ſollte
der Funke des Genies, der aus dieſem Auge
ſtrahlt, und wie ein lieblich Morgenroth die
Naſe faͤrbt im Vorbeiſtreifen, ſollte Dein gan¬
zes Weſen nicht dem erſten Blick des Ken¬
ners verrathen, daß der Geiſt Dir einwohnt,
[203] der nach dem Ideal ſtrebt? — In Ordnung
bringen! — ein kaltes Wort mein Herr!“ —
Ich bat den wunderlichen kleinen Mann,
ſich nicht ſo zu ereifern, indem ich ſeiner
Geſchicklichkeit alles zutraue. „Geſchicklich¬
keit? fuhr er in ſeinem Eifer fort, was iſt
Geſchicklichkeit? — Wer war geſchickt? — Je¬
ner der das Maaß nahm, nach fuͤnf Augen¬
laͤngen und dann ſpringend dreißig Ellen weit
in den Graben ſtuͤrzte? — Jener der ein Lin¬
ſenkorn auf zwanzig Schritte weit durch ein
Naͤhnadeloͤhr ſchleuderte? — Jener der fuͤnf
Centner an den Degen hing, und ſo ihn an
der Naſenſpitze balanzirte ſechs Stunden,
ſechs Minuten, ſechs Sekunden und einen Au¬
genblick? — Ha was iſt Geſchicklichkeit! Sie
iſt fremd dem Pietro Belcampo, den die Kunſt
die heilige durchdringt. — Die Kunſt, mein
Herr, die Kunſt! — Meine Fantaſie irrt in
dem wunderbaren Lockenbau, in dem kuͤnſtli¬
chen Gefuͤge, das der Zephirhauch in Wellen¬
zirkeln baut und zerſtoͤrt. — Da ſchafft ſie
[204] und wirkt und arbeitet. — Ha es iſt was
goͤttliches um die Kunſt, denn die Kunſt, mein
Herr, iſt eigentlich nicht ſowohl die Kunſt
von der man ſo viel ſpricht, ſondern ſie ent¬
ſteht vielmehr erſt aus dem Allen, was man
die Kunſt heißt! — Sie verſtehen mich, mein
Herr, denn Sie ſcheinen mir ein denkender
Kopf, wie ich aus dem Loͤckchen ſchließe, das
ſich rechter Hand uͤber Dero verehrte Stirn
gelegt.“ — Ich verſicherte, daß ich ihn voll¬
kommen verſtaͤnde, und indem mich die ganz
originelle Narrheit des Kleinen hoͤchlich er¬
goͤtzte, beſchloß ich, ſeine geruͤhmte Kunſt in
Anſpruch nehmend, ſeinen Eifer, ſeinen Pa¬
thos nicht im mindeſten zu unterbrechen.
„Was gedenken Sie denn, ſagte ich, aus
meinen verworrenen Haaren herauszubrin¬
gen?“ — „Alles was Sie wollen, erwiederte
der Kleine: ſoll Pietro Belcampo des Kuͤnſt¬
lers Rath aber etwas vermoͤgen, ſo laſſen
Sie mich erſt in den gehoͤrigen Weiten, Brei¬
ten und Laͤngen, Ihr werthes Haupt, Ihre
[205] ganze Geſtalt, Ihren Gang, Ihre Mienen,
Ihr Gebehrdenſpiel betrachten, dann werde
ich ſagen, ob Sie ſich mehr zum antiken oder
zum romantiſchen, zum heroiſchen, großen,
erhabenen, zum naiven, zum idylliſchen,
zum ſpoͤttiſchen, zum humoriſtiſchen hinnei¬
gen; dann werde ich die Geiſter des Cara¬
calla, des Titus, Carls des Großen, Heinrich
des Vierten, Guſtav Adolphs, oder Virgils,
Taßo's, Boccaccio's, heraufbeſchwoͤren. —
Von ihnen beſeelt zucken die Muskeln mei¬
ner Finger, und unter der ſonoren zwitſchern¬
den Scheere geht das Meiſterſtuͤck hervor.
Ich werde es ſeyn, mein Herr, der Ihre Cha¬
rakteriſtik, wie ſie ſich ausſprechen ſoll im
Leben, vollendet. Aber jetzt bitte ich, die
Stube einigemal auf und abzuſchreiten, ich
will beobachten, bemerken, anſchauen, ich
bitte!“
Dem wunderlichen Mann mußte ich mich
wohl fuͤgen, ich ſchritt daher, wie er gewollt,
die Stube auf und ab, indem ich mir alle
[206] Muͤhe gab, den gewiſſen moͤnchiſchen An¬
ſtand, den keiner ganz abzulegen vermag, iſt
es auch noch ſo lange her, daß er das Klo¬
ſter verlaſſen, zu verbergen. Der Kleine
betrachtete mich aufmerkſam, dann aber fing
er an, um mich her zu trippeln, er ſeufzte
und aͤchzte, er zog ſein Schnupftuch hervor
und wiſchte ſich die Schweißtropfen von der
Stirne. Endlich ſtand er ſtill, und ich frug
ihn, ob er nun mit ſich einig worden, wie
er mein Haar behandeln muͤſſe. Da ſeufzte
er und ſprach: „Ach, mein Herr! was iſt
denn das? — Sie haben ſich nicht Ihrem na¬
tuͤrlichen Weſen uͤberlaſſen, es war ein Zwang
in dieſer Bewegung, ein Kampf ſtreitender Na¬
turen. Noch ein paar Schritte, mein Herr!“
— Ich ſchlug es ihm rund ab, mich noch
einmal zur Schau zu ſtellen, indem ich er¬
klaͤrte, daß wenn er nun ſich nicht entſchlie¬
ßen koͤnne, mein Haar zu verſchneiden, ich
darauf verzichten muͤſſe, ſeine Kunſt in An¬
ſpruch zu nehmen. „Begrabe Dich, Pietro,
[207] rief der Kleine in vollem Eifer: denn Du
wirſt verkannt in dieſer Welt, wo keine
Treue, keine Aufrichtigkeit mehr zu finden.
Aber Sie ſollen doch meinen Blick, der in
die Tiefe ſchaut bewundern, ja den Genius in
mir verehren, mein Herr! Vergebens ſuchte
ich lange all das Widerſprechende, was in
Ihrem ganzen Weſen, in Ihren Bewegun¬
gen liegt, zuſammen zu fuͤgen. Es liegt in
ihrem Gange etwas, das auf einen Geiſtli¬
chen hindeutet. Ex protundis clamavi ad
te Domine — Oremus — Et in omnia sae¬
cula saeculorum Amen!“ — Dieſe Worte ſang
der Kleine mit heiſ'rer quaͤckender Stimme,
indem er mit treuſter Wahrheit, Stellung
und Gebehrde der Moͤnche nachahmte. Er
drehte ſich wie vor dem Altar, er kniete und
ſtand wieder auf, aber nun nahm er einen
ſtolzen trotzigen Anſtand an, er runzelte die
Stirn, er riß die Augen auf und ſprach:
„mein iſt die Welt! — Ich bin reicher, kluͤ¬
ger, verſtaͤndiger, als ihr Alle, ihr Maul¬
[208] wuͤrfe; beugt Euch vor mir! Sehen Sie,
mein Herr, ſagte der Kleine, das ſind die
Hauptingredienzien Ihres aͤußern Anſtandes,
und wenn Sie es wuͤnſchen, ſo will ich, Ihre
Zuͤge, Ihre Geſtalt, Ihre Sinnesart beach¬
tend, etwas Caracalla, Abaͤlard und Boccaz
zuſammengießen, und ſo in der Gluth, Form
und Geſtalt bildend, den wunderbaren antik¬
romantiſchen Bau aͤtheriſcher Locken und Loͤck¬
chen beginnen.“ — Es lag ſo viel wahres in
der Bemerkung des Kleinen, daß ich es fuͤr
gerathen hielt, ihm zu geſtehen, wie ich in
der That geiſtlich geweſen, und ſchon die
Tonſur erhalten, die ich jetzt ſo viel moͤglich
zu verſtecken wuͤnſche.
Unter ſeltſamen Spruͤngen, Grimaſſen
und wunderlichen Reden, bearbeitete der
Kleine mein Haar. Bald ſah er finſter und
muͤrriſch aus, bald laͤchelte er, bald ſtand
er in athletiſcher Stellung, bald erhob er
ſich auf den Fußſpitzen, kurz es war mir
kaum moͤglich, nicht noch mehr zu lachen,
als[209] als ſchon wider meinen Willen geſchah. —
Endlich war er fertig, und ich bat ihn, noch
ehe er in die Worte ausbrechen konnte, die
ihm ſchon auf der [Zunge] ſchwebten, mir je¬
manden heraufzuſchicken, der ſich, eben ſo
wie Er des Haupthaars, meines verwirrten
Barts annehmen koͤnnte. Da laͤchelte er
ganz ſeltſam, ſchlich auf den Zehen zur Stu¬
benthuͤre und verſchloß ſie. Dann trippelte
er leiſe bis mitten ins Zimmer, und ſprach:
„goldene Zeit, als noch Bart und Haupthaar
in Einer Lockenfuͤlle ſich zum Schmuck des
Mannes ergoß, und die ſuͤße Sorge eines
Kuͤnſtlers war. — Aber du biſt dahin! — der
Mann hat ſeine ſchoͤnſte Zierde verworfen,
und eine ſchaͤndliche Klaſſe hat ſich hingege¬
ben, den Bart mit entſetzlichen Inſtrumenten
bis auf die Haut zu vertilgen. O, ihr ſchnoͤ¬
den ſchmaͤhlichen Bartkratzer und Bartputzer,
wetzt nur Eure Meſſer auf ſchwarzen, mit
uͤbelriechendem Oehl getraͤnkten Riemen zum
Hohn der Kunſt, ſchwingt Eure betroddelten
I. [ 14 ][210] Beutel, klappert mit Euern Becken und
ſchaumt die Seife, heißes, gefaͤhrliches Waſſer
umherſpritzend, fragt im frechen Frevel Eu¬
ere Patienten, ob ſie uͤber den Daumen oder
uͤber den Loͤffel raſirt ſeyn wollen. — Es
giebt Pietro's die Euerm ſchnoͤden Gewerbe
entgegenarbeiten und, ſich erniedrigend zu Eu¬
erm ſchmachvollen Treiben, die Baͤrte auszu¬
rotten, noch das zu retten ſuchen, was ſich
uͤber die Wellen der Zeit erhebt. Was ſind
die tauſendmahl variirten Backenbaͤrte in lieb¬
lichen Windungen und Kruͤmmungen, bald
ſich ſanft ſchmiegend der Linie des ſanften
Ovals, bald traurig niederſinkend in des
Halſes Vertiefung, bald keck emporſtrebend
uͤber die Mundwinkel heraus, bald beſchei¬
den ſich einengend in ſchmaler Linie, bald
ſich [auseinanderbreitend] in kuͤhnem Locken¬
ſchwunge — was ſind ſie anders, als die Er¬
findung unſerer Kunſt, in der ſich das hohe
Streben nach dem Schoͤnen, nach dem Hei¬
ligen entfaltet? Ha, Pietro! zeige, welcher
[211] Geiſt dir einwohnt, ja, was du fuͤr die Kunſt zu
unternehmen bereit biſt, indem du herabſteigſt
zum unleidlichen Geſchaͤfft der Bartkratzer.“ —
Unter dieſen Worten hatte der Kleine ein
vollſtaͤndiges Barbierzeug hervorgezogen und
fing an, mich mit leichter geuͤbter Hand von
meinem Barte zu befreien. Wirklich ging
ich aus ſeinen Haͤnden ganz anders geſtaltet
hervor, und es bedurfte nur noch anderer,
weniger ins Auge fallender Kleidungsſtuͤcke,
um mich der Gefahr zu entziehen, wenig¬
ſtens durch mein Aeußeres eine mir gefaͤhr¬
liche Aufmerkſamkeit zu erregen. Der Kleine
ſtand, in inniger Zufriedenheit mich anlaͤchelnd,
da. Ich ſagte ihm, daß ich ganz unbekannt
in der Stadt waͤre, und daß es mir ange¬
nehm ſeyn wuͤrde, mich bald nach der Sitte
des Orts kleiden zu koͤnnen. Ich druͤckte
ihm fuͤr ſeine Bemuͤhung, und um ihn auf¬
zumuntern, meinen Commiſſionair zu machen,
einen Dukaten in die Hand. Er war wie
verklaͤrt, er beaͤugelte den Dukaten in der
[212] flachen Hand. „Wertheſter Goͤnner und
Maͤzen, fing er an: ich habe mich nicht in
Ihnen betrogen, der Geiſt leitete meine Hand,
und im Adlerflug des Backenbarts ſind Ihre
hohe Geſinnungen rein ausgeſprochen. Ich
habe einen Freund, einen Damon, einen
Oreſt, der das am Koͤrper vollendet, was ich
am Haupt begonnen, mit demſelben tiefen
Sinn, mit demſelben Genie. Sie merken,
mein Herr, daß es ein Koſtumkuͤnſtler iſt,
denn ſo nenne ich ihn, ſtatt des gewoͤhnlichen
trivialen Ausdrucks Schneider. — Er ver¬
liert ſich gern in das Ideelle, und ſo hat er,
Formen und Geſtalten in der Fantaſie bil¬
dend, ein Magazin der verſchiedenſten Klei¬
dungsſtuͤcke angelegt. Sie erblicken den mo¬
dernen Elegant in allen moͤglichen Nuͤancen,
wie er, bald keck und kuͤhn alles uͤberleuch¬
tend, bald in ſich verſunken nichts beachtend,
bald naiv taͤndelnd, bald ironiſch, witzig,
uͤbellaunigt, ſchwermuͤthig, bizarr, ausgelaſ¬
ſen, zierlich, burſchikos erſcheinen will. Der
[213] Juͤngling, der ſich zum erſtenmal einen Rock
machen laſſen, ohne einengenden Rath der
Mama, oder des Hofmeiſters; der Vierziger,
der ſich pudern muß, des weißen Haars
wegen; der lebensluſtige Alte, der Gelehrte,
wie er ſich in der Welt bewegt, der reiche
Kaufmann, der wohlhabende Buͤrger: alles
haͤngt in meines Damons Laden vor Ihren
Augen; in wenigen Augenblicken ſollen ſich
die Meiſterſtuͤcke meines Freundes Ihrem Blick
entfalten.“ — Er huͤpfte ſchnell von dannen,
und erſchien bald mit einem großen, ſtarken,
anſtaͤndig gekleideten Manne wieder, der ge¬
rade den Gegenſatz des Kleinen machte, ſo¬
wohl im Aeußern, als in ſeinem ganzen We¬
ſen, und den er mir doch eben als ſeinen
Damon vorſtellte. — Damon maß mich mit
den Augen, und ſuchte dann ſelbſt aus dem
Paket, das ihm ein Burſche nachgetragen,
Kleidungsſtuͤcke heraus, die den Wuͤnſchen,
welche ich ihm eroͤffnet, ganz entſprachen.
Ja erſt in der Folge habe ich den feinen
[214] Takt des Koſtuͤmkuͤnſtlers, wie ihn der Klei¬
ne prezioͤs nannte, eingeſehen, der in dem
Sinn durchaus nicht aufzufallen, ſondern un¬
bemerkt und doch beim Bemerktwerden ge¬
achtet, ohne Neugierde uͤber Stand, Gewerbe
u. ſ. w. zu erregen, zu wandeln, ſo richtig
waͤhlte. Es iſt in der That ſchwer, ſich ſo
zu kleiden, daß der gewiſſe allgemeinere Cha¬
rakter des Anzuges irgend eine Vermuthung,
man treibe dies oder jenes Gewerbe, nicht
aufkommen laͤßt, ja daß Niemand daran denkt,
darauf zu ſinnen. Das Koſtuͤm des Welt¬
buͤrgers wird wohl nur durch das Negative
bedingt, und laͤuft ungefaͤhr darauf hinaus,
was man das gebildete Benehmen heißt, das
auch mehr im Unterlaſſen, als im Thun
liegt. — Der kleine ergoß ſich noch in al¬
lerlei ſonderbaren grotesken Redensarten, ja
da ihm vielleicht wenige ſo williges Ohr
verliehen als ich, ſchien er uͤbergluͤcklich ſein
Licht recht leuchten laſſen zu koͤnnen. — Da¬
mon, ein ernſter, und wie mir ſchien ver¬
[215] ſtaͤndiger Mann, ſchnitt ihm aber ploͤtzlich die
Rede ab, indem er ihn bei der Schulter faßte
und ſprach: „Schoͤnfeld! Du biſt heute wie¬
der einmal recht im Zuge tolles Zeug zu
ſchwatzen; ich wette, daß dem Herrn ſchon
die Ohren wehe thun, von all' dem Unſinn,
den Du vorbringſt.“ — Belcampo ließ traurig
ſein Haupt ſinken, aber dann ergriff er ſchnell
den beſtaubten Hut, und rief laut, indem er
zur Thuͤre hinausſprang: „ſo werd' ich pro¬
ſtituirt von meinen beſten Freunden!“ — Da¬
mon ſagte, indem er ſich mir empfahl: „Es
iſt ein Haſenfuß ganz eigner Art, dieſer
Schoͤnfeld! — Das viele Leſen hat ihn halb
verruͤckt gemacht, aber ſonſt ein gutmuͤthiger
Menſch und in ſeinem Metier geſchickt, wes¬
halb ich ihn leiden mag, denn leiſtet man
recht viel wenigſtens in einer Sache, ſo
kann man ſonſt wohl etwas weniges uͤber
die [Schnur] hauen.“ — Als ich allein war,
fing ich vor dem großen Spiegel, der im
Zimmer aufgehaͤngt war, eine foͤrmliche Ue¬
[216] bung im Gehen an. Der kleine Friſeur hat¬
te mir einen richtigen Fingerzeig gegeben.
Den Moͤnchen iſt eine gewiſſe ſchwerfaͤllige
ungelenke Geſchwindigkeit im Gehen eigen,
die durch die lange Kleidung, welche die
Schritte hemmt und durch das Streben, ſich
ſchnell zu bewegen, wie es der Cultus erfor¬
dert, hervorgebracht wird. Eben ſo liegt in
dem zuruͤckgebeugten Koͤrper und in dem
Tragen der Aerme, die niemals herunter¬
haͤngen duͤrfen, da der Moͤnch die Haͤnde,
wenn er ſie nicht faltet in die weiten Aer¬
mel der Kutte ſteckt, etwas ſo Charakteriſti¬
ſches, das dem Aufmerkſamen nicht leicht
entgeht. Ich verſuchte dies Alles abzulegen,
um jede Spur meines Standes zu verwi¬
ſchen. Nur darinn fand ich Troſt fuͤr mein
Gemuͤth, daß ich mein ganzes Leben als aus¬
gelebt moͤcht' ich ſagen, als uͤberſtanden an¬
ſah, und nun in ein neues Seyn ſo eintrat,
als belebe ein geiſtiges Prinzip die neue Ge¬
ſtalt, von der uͤberbaut ſelbſt die Erinnerung
[217] ehemaliger Exiſtenz immer ſchwaͤcher und
ſchwaͤcher werdend, endlich ganz unterginge.
Das Gewuͤhl der Menſchen, der fortdauernde
Laͤrm des Gewerbes, das ſich auf den Stra¬
ßen ruͤhrte, alles war mir neu und ganz da¬
zu geeignet, die heitre Stimmung zu erhal¬
ten, in die mich der komiſche Kleine verſetzt.
In meiner neuen anſtaͤndigen Kleidung wagte
ich mich hinab an die zahlreiche Wirthstafel,
und jede Scheu verſchwand, als ich wahr¬
nahm, daß mich niemand bemerkte, ja daß
mein naͤchſter Nachbar ſich nicht einmal die
Muͤhe gab mich anzuſchauen, als ich mich
neben ihn ſetzte. In der Fremdenliſte hatte
ich, meiner Befreiung durch den Prior geden¬
kend mich Leonhard genannt, und fuͤr einen
Privatmann ausgegeben, der zu ſeinem Ver¬
gnuͤgen reiſe. Dergleichen Reiſende mochte
es in der Stadt gar viele geben, und um ſo
weniger veranlaßte ich weitere Nachfrage. —
Es war mir ein eignes Vergnuͤgen, die Stra¬
ßen zu durchſtreichen und mich an dem An¬
[218] blick der reichen Kaufladen, der ausgehaͤng¬
ten Bilder und Kupferſtiche zu ergoͤtzen.
Abends beſuchte ich die oͤffentlichen Spazier¬
gaͤnge, wo mich oft meine Abgeſchiedenheit
mitten im lebhafteſten Gewuͤhl der Menſchen
mit bittern Empfindungen erfuͤllte. — Von
niemanden gekannt zu ſeyn, in niemandes
Bruſt die leiſeſte Ahnung vermuthen zu koͤn¬
nen, wer ich ſey, welch ein wunderbares
merkwuͤrdiges Spiel des Zufalls mich hieher
geworfen, ja was ich Alles in mir ſelbſt ver¬
ſchließe, ſo wohlthaͤtig es mir in meinem
Verhaͤltniß ſeyn mußte, hatte doch fuͤr mich
etwas wahrhaft ſchauerliches, indem ich mir
ſelbſt dann vorkam, wie ein abgeſchiedener
Geiſt, der noch auf Erden wandle, da Alles
ihm ſonſt im Leben befreundete laͤngſt geſtor¬
ben. Dachte ich daran, wie ehemals den be¬
ruͤhmten Kanzelredner Alles freundlich und
ehrfurchtsvoll gruͤßte, wie Alles nach ſeiner
Unterhaltung, ja nach ein paar Worten von
ihm geitzte, ſo ergriff mich bittrer Unmuth. —
[219] Aber jener Kanzelredner war der Moͤnch Me¬
dardus, der iſt geſtorben und begraben in den
Abgruͤnden des Gebuͤrges, ich bin es nicht,
denn ich lebe, ja mir iſt erſt jetzt das Leben
neu aufgegangen, das mir ſeine Genuͤße bie¬
tet. — So war es mir, wenn Traͤume mir
die Begebenheiten im Schloſſe wiederholten,
als waͤren ſie einem Anderen, nicht mir, ge¬
ſchehen; dieſer Andere war doch wieder der
Capuziner, aber nicht ich ſelbſt. Nur der
Gedanke an Aurelien verknuͤpfte noch mein
voriges Seyn mit dem jetzigen, aber wie ein
tiefer nie zu verwindender Schmerz toͤdtete
er oft die Luſt, die mir aufgegangen, und ich
wurde dann ploͤtzlich herausgeriſſen aus den
bunten Kreiſen, womit mich immer mehr
das Leben umfing. — Ich unterließ nicht, die
vielen oͤffentlichen Haͤuſer zu beſuchen, in de¬
nen man trank, ſpielte u. d. m. und vorzuͤg¬
lich war mir in dieſer Art ein Hotel in der
Stadt lieb geworden, in dem ſich, des guten
Weins wegen, jeden Abend eine zahlreiche
[220] Geſellſchafft verſammelte. — An einem Tiſch
im Nebenzimmer ſah ich immer dieſelben
Perſonen, ihre Unterhaltung war lebhaft
und geiſtreich. Es gelang mir, den Maͤnnern
die einen geſchloſſenen Zirkel gebildet hatten,
naͤher zu treten, indem ich erſt in einer Ecke
des Zimmers ſtill und beſcheiden meinen Wein
trank, endlich irgend eine intereſſante littera¬
riſche Notiz nach der ſie vergebens ſuchten,
mittheilte, und ſo einen Platz am Tiſche er¬
hielt, den ſie mir um ſo lieber einraͤumten,
als ihnen mein Vortrag, ſo wie meine man¬
nigfachen Kenntniſſe, die ich, taͤglich mehr
eindringend in all' die Zweige der Wiſſen¬
ſchafft, die mir bisher unbekannt bleiben
mußten, erweiterte, zuſagten. So erwarb
ich mir eine Bekanntſchafft, die mir wohl that,
und, mich immer mehr und mehr an das Le¬
ben in der Welt gewoͤhnend, wurde meine
Stimmung taͤglich unbefangener und heitrer;
ich ſchliff all' die rauhen Ecken ab die mir von
meiner vorigen Lebensweiſe uͤbrig geblieben. —
Seit mehreren Abenden ſprach man in
der Geſellſchafft die ich beſuchte, viel von ei¬
nem fremden Mahler, der angekommen und
eine Ausſtellung ſeiner Gemaͤhlde veranſtal¬
tet habe: Alle außer mir hatten die Gemaͤlde
ſchon geſehen, und ruͤhmten ihre Vortrefflich¬
keit ſo ſehr, daß ich mich entſchloß auch hin¬
zugehen. Der Mahler war nicht zugegen,
als ich in den Saal trat, doch machte ein
alter Mann den Cicerone und nannte die
Meiſter der fremden Gemaͤlde, die der Mah¬
ler zugleich mit den ſeinigen ausgeſtellt. —
Es waren herrliche Stuͤcke, mehrentheils Ori¬
ginale beruͤhmter Meiſter, deren Anblick mich
entzuͤckte. — Bei manchen Bildern, die
der Alte fluͤchtige, großen Freskogemaͤhlden
entnommene Copien nannte, daͤmmerten in
meiner Seele Erinnerungen aus meiner fruͤh¬
ſten Jugend auf. — Immer deutlicher und
deutlicher, immer lebendiger ergluͤhten ſie in
regen Farben. Es waren offenbar Copien
aus der heiligen Linde. So erkannte ich
[222] auch bei einer heiligen Familie in Joſephs
Zuͤgen ganz das Geſicht jenes fremden Pil¬
gers, der mir den wunderbaren Knaben
brachte. Das Gefuͤhl der tiefſten Wehmuth
durchdrang mich, aber eines lauten Ausrufs
konnte ich mich nicht erwehren, als mein
Blick auf ein lebensgroßes Portrait fiel, in
dem ich die Fuͤrſtin, meine Pflegemutter, er¬
kannte. Sie war herrlich, und mit jener im
hoͤchſten Sinn aufgefaßten Aehnlichkeit, wie
Van Dyk ſeine Portraits mahlte, in der
Tracht, wie ſie in der Prozeſſion am Ber¬
nardustage vor den Nonnen einherzuſchreiten
pflegte, gemahlt. Der Mahler hatte gerade
den Moment ergriffen, als ſie nach vollende¬
tem Gebet ſich anſchickt aus ihrem Zimmer
zu treten um die Prozeſſion zu beginnen, auf
welche das verſammelte Volk in der Kirche,
die ſich in der Perſpektive des Hintergrun¬
des oͤffnet, erwartungsvoll harrt. In dem
Blick der herrlichen Frau lag ganz der Aus¬
druck des zum himmliſchen erhobenen Ge¬
[223] muͤths, ach es war, als ſchien ſie Vergebung
fuͤr den frevelnden frechen Suͤnder zu erfle¬
hen, der ſich gewaltſam von ihrem Mutter¬
herzen losgeriſſen und dieſer Suͤnder war ja
ich ſelbſt! Gefuͤhle, die mir laͤngſt fremd wor¬
den, durchſtroͤmten meine Bruſt, eine unaus¬
ſprechliche Sehnſucht riß mich fort, ich war
wieder bei dem guten Pfarrer im Dorfe des
Ciſterzienſerkloſters, ein muntrer, unbefange¬
ner, froher Knabe, vor Luſt jauchzend, weil
der Bernardustag gekommen. Ich ſah ſie!
— Biſt du recht fromm und gut geweſen
Franziskus? frug ſie mit der Stimme, deren
vollen Klang die liebe daͤmpfte, daß ſie weich
und lieblich zu mir heruͤbertoͤnte. — Biſt du
recht fromm und gut geweſen? Ach, was
konnte ich ihr antworten? — Frevel auf
Frevel habe ich gehaͤuft, dem Bruch des Ge¬
luͤbdes folgte der Mord! — Von Gram und
Reue zerfleiſcht, ſank ich halbohnmaͤchtig auf
die Knie, Thraͤnen entſtuͤrzten meinen Au¬
gen. — Erſchrocken ſprang der Alte auf mich
[224] zu und frug heftig: was iſt Ihnen, was iſt
Ihnen, mein Herr? — Das Bild der Aeb¬
tiſſin iſt meiner, eines grauſamen Todes ge¬
ſtorbenen Mutter ſo aͤhnlich, ſagte ich dumpf
in mich hinein, und ſuchte, indem ich auf¬
ſtand, ſo viel Faſſung als moͤglich zu gewin¬
nen. „Kommen Sie, mein Herr! ſagte der
Alte: ſolche Erinnerungen ſind zu ſchmerz¬
haft, man darf ſie vermeiden, es iſt noch ein
Portrait hier, welches mein Herr fuͤr ſein
Beſtes haͤlt. Das Bild iſt nach dem Leben
gemalt und unlaͤngſt vollendet, wir haben es
verhaͤngt, damit die Sonne nicht die noch
nicht einmal ganz eingetrockneten Farben ver¬
derbe.“ — Der Alte ſtellte mich ſorglich in
das gehoͤrige Licht und zog dann ſchnell den
Vorhang weg. — Es war Aurelie! — Mich
ergriff ein Entſetzen, das ich kaum zu be¬
kaͤmpfen vermochte. — Aber ich erkannte die
Naͤhe des Feindes, der mich in die wogende
Fluth, der ich kaum entronnen, gewaltſam
hineindraͤngen, mich vernichten wollte, und
mir[225] mir kam der Muth wieder, mich aufzulehnen
gegen das Ungethuͤm, das in geheimnißvollem
Dunkel auf mich einſtuͤrmte. —
Mit gierigen Blicken verſchlang ich Au¬
reliens Reize, die aus dem in regem Leben
gluͤhenden Bilde hervorſtrahlten. — Der
kindliche milde Blick des frommen Kindes
ſchien den verruchten Moͤrder des Bruders
anzuklagen, aber jedes Gefuͤhl der Reue er¬
ſtarb in dem bittern feindlichen Hohn, der,
in meinem Innern aufkeimend, mich wie
mit giftigen Stacheln hinaustrieb aus dem
freundlichen Leben. — Nur das peinigte
mich, daß in jener verhaͤngnißvollen Nacht
auf dem Schloſſe, Aurelie nicht mein wor¬
den. Hermogen's Erſcheinung vereitelte das
Unternehmen, aber er buͤßte mit dem Tode!
— Aurelie lebt, und das iſt genug, der Hoff¬
nung Raum zu geben, ſie zu beſitzen! — Ja
es iſt gewiß, daß ſie noch mein wird denn das
Verhaͤngniß waltet, dem ſie nicht entgehen kann;
und bin ich nicht ſelbſt dieſes Verhaͤngniß?
I. [ 15 ][226]
So ermuthigte ich mich zum Frevel, in¬
dem ich das Bild anſtarrte. Der Alte ſchien
uͤber mich verwundert. Er kramte viel Worte
aus uͤber Zeichnung, Ton, Kolorit, ich hoͤrte
ihn nicht. Der Gedanke an Aurelie, die Hoff¬
nung, die nur aufgeſchobene boͤſe That noch
zu vollbringen, erfuͤllte mich ſo ganz und gar,
daß ich forteilte ohne nach dem fremden Ma¬
ler zu fragen, und ſo vielleicht naͤher zu er¬
forſchen, was fuͤr eine Bewandniß es mit
den Gemaͤhlden haben koͤnne, die wie in ei¬
nem Cyklus Andeutungen uͤber mein ganzes
Leben enthielten. — Um Aureliens Beſitz
war ich entſchloſſen alles zu wagen, ja es
war mir, als ob ich ſelbſt uͤber die Erſchei¬
nungen meines Lebens geſtellt und ſie durch¬
ſchauend, niemals zu fuͤrchten, und daher auch
niemals zu wagen haben koͤnne. Ich bruͤ¬
tete uͤber allerlei Plaͤne und Entwuͤrfe, mei¬
nem Ziele naͤher zu kommen, vorzuͤglich
glaubte ich nun, von dem fremden Maler
manches zu erfahren und manche mir fremde
[227] Beziehung zu erforſchen, die mir zu wiſſen,
als Vorbereitung zu meinem Zweck, noͤthig
ſeyn konnte. Ich hatte nehmlich nichts ge¬
ringeres im Sinn, als in meiner jetzigen
neuen Geſtalt auf das Schloß zuruͤckzukehren,
und das ſchien mir nicht einmal ein ſonder¬
lich kuͤhnes Wagſtuͤck zu ſeyn. — Am Abend
ging ich in jene Geſellſchaft; es war mir da¬
rum zu thun, der immer ſteigenden Span¬
nung meines Geiſtes, dem ungezaͤhmten Ar¬
beiten meiner aufgeregten Fantaſie Schran¬
ken zu ſetzen. —
Man ſprach viel von den Gemaͤlden des
fremden Malers, und vorzuͤglich von dem
ſeltnen Ausdruck, den er ſeinen Portraits zu
geben wuͤßte; es war mir moͤglich in dies
Lob einzuſtimmen, und mit einem beſondern
Glanz des Ausdrucks, der nur der Reflex
der hoͤhnenden Ironie war, die in meinem
Innern wie verzehrendes Feuer brannte, die
unnennbaren Reize, die uͤber Aureliens from¬
mes engelſchoͤnes Geſicht verbreitet, zu ſchil¬
[228] dern. Einer ſagte, daß er den Maler, den
die Vollendung mehrerer Portraits, die er
angefangen, noch am Orte feſthielte, und der
ein intereſſanter herrlicher Kuͤnſtler, wiewohl
ſchon ziemlich bejahrt ſey, morgen Abends
in die Geſellſchaft mitbringen wolle.
Von ſeltſamen Gefuͤhlen, von unbekann¬
ten Ahnungen beſtuͤrmt, ging ich den andern
Abend, ſpaͤter als gewoͤhnlich, in die Geſell¬
ſchafft; der Fremde ſaß mit mir zugekehrtem
Ruͤcken am Tiſche. Als ich mich ſetzte, als
ich ihn erblickte, da ſtarrten mir die Zuͤge
jenes fuͤrchterlichen Unbekannten entgegen,
der am Antoniustage an den Eckpfeiler ge¬
lehnt ſtand, und mich mit Angſt und Ent¬
ſetzen erfuͤllte. — Er ſah mich lange an mit
tiefem Ernſt, aber die Stimmung, in der ich
mich befand, ſeit dem ich Aureliens Bild
geſchaut hatte, gab mir Muth und Kraft die¬
ſen Blick zu ertragen. Der Feind war nun
ſichtlich ins Leben getreten, und es galt, den
Kampf auf den Tod mit ihm zu beginnen. —
[229] Ich beſchloß, den Angriff abzuwarten, aber
dann ihn mit den Waffen, auf deren Staͤrke
ich bauen konnte, zuruͤckzuſchlagen. Der
Fremde ſchien mich nicht ſonderlich zu beach¬
ten, ſondern ſetzte, den Blick wieder von mir
abwendend, das Kunſtgeſpraͤch fort, in dem
er begriffen geweſen, als ich eintrat. Man
kam auf ſeine Gemaͤlde, und lobte vorzuͤg¬
lich Aureliens Portrait. Jemand behauptete,
daß das Bild, unerachtet es ſich auf den er¬
ſten Blick als Portrait ausſpreche, doch als
Studie dienen, und zu irgend einer Heiligen
benutzt werden koͤnne. — Man frug nach
meinem Urtheil, da ich eben jenes Bild ſo
herrlich mit allen ſeinen Vorzuͤgen in Wor¬
ten dargeſtellt, und unwillkuͤhrlich fuhr es
mir heraus, daß ich die heilige Roſalia mir
nicht wohl anders denken koͤnne, als eben ſo
wie das Portrait der Unbekannten. Der
Maler ſchien meine Worte kaum zu bemer¬
ken, indem er ſogleich einfiel: „in der That
iſt jenes Frauenzimmer, die das Portrait ge¬
[230] treulich darſtellt, eine fromme Heilige, die
im Kampfe ſich zum Himmliſchen erhebt.
Ich habe ſie gemalt, als ſie, von dem ent¬
ſetzlichſten Jammer ergriffen, doch in der Re¬
ligion Troſt, und von dem ewigen Verhaͤng¬
niß, das uͤber den Wolken thront, Huͤlfe
hoffte; und den Ausdruck dieſer Hoffnung,
die nur in dem Gemuͤth wohnen kann, das
ſich uͤber das Irrdiſche hoch erhebt, habe ich
dem Bilde zu geben geſucht.“ — Man ver¬
lohr ſich in andere Geſpraͤche, der Wein,
der heute, dem fremden Maler zu Ehren, in
beßrer Sorte [und] reichlicher getrunken wurde
als ſonſt, erheiterte die Gemuͤther. Jeder
wußte irgend etwas ergoͤtzliches zu erzaͤhlen,
und wiewohl der Fremde nur im Innern zu
lachen, und dies innere Lachen ſich nur im
Auge abzuſpiegeln ſchien, ſo wußte er doch
oft nur durch ein paar hineingeworfene kraͤf¬
tige Worte, das Ganze in beſonderem Schwun¬
ge zu erhalten. — Konnte ich auch, ſo oft
mich der Fremde ins Auge faßte, ein un¬
[231] heimliches grauenhaftes Gefuͤhl nicht unter¬
druͤcken, ſo uͤberwand ich doch immer mehr
und mehr die entſetzliche Stimmung, von
der ich erſt ergriffen, als ich den Fremden
erblickte. Ich erzaͤhlte von dem poſſierlichen
Belcampo, den Alle kannten, und wußte zu
ihrer Freude ſeine fantaſtiſche Haſenfuͤßigkeit
recht ins grelle Licht zu ſtellen, ſo daß ein
recht gemuͤthlicher dicker Kaufmann, der mir
gegenuͤber zu ſitzen pflegte, mit vor Lachen
thraͤnenden Augen verſicherte: das ſey ſeit
langer Zeit der vergnuͤgteſte Abend, den er
erlebe. Als das Lachen endlich zu verſtum¬
men anfing, frug der Fremde ploͤtzlich: „ha¬
ben Sie ſchon den Teufel geſehen, meine
Herren?“ — Man hielt die Frage fuͤr die
Einleitung zu irgend einem Schwanck, und
verſicherte allgemein, daß man noch nicht die
Ehre gehabt; da fuhr der Fremde fort: „Nun
es haͤtte wenig gefehlt, ſo waͤre ich zu der
Ehre gekommen, und zwar auf dem Schloſſe
des Barons V. im Gebuͤrge.“ — Ich erbebte,
[232] aber die andern riefen lachend: nur weiter,
weiter! „Sie kennen, nahm der Fremde wieder
das Wort: wohl Alle wahrſcheinlich, wenn
Sie die Reiſe durch das Gebuͤrge machten,
jene wilde ſchauerliche Gegend, in der, wenn
der Wanderer aus dem dicken Tannenwalde
auf die hohen Felſenmaſſen tritt, ſich ihm ein
tiefer ſchwarzer Abgrund oͤffnet. Es iſt der
ſogenannte Teufelsgrund, und oben ragt ein
Felſenſtuͤck hervor, welches den ſogenannten
Teufelsſitz bildet. — Man ſpricht davon, daß
der Graf Viktorin, mit boͤſen Anſchlaͤgen im
Kopfe, eben auf dieſem Felſen ſaß, als ploͤtz¬
lich der Teufel erſchien, und, weil er beſchloſ¬
ſen, Viktorins ihm wohlgefaͤllige Anſchlaͤge
ſelbſt auszufuͤhren, den Grafen in den Ab¬
grund ſchleuderte. Der Teufel erſchien ſo¬
dann als Capuziner auf dem Schloſſe des
Barons, und nachdem er ſeine Luſt mit der
Baroneſſe gehabt, ſchickte er ſie zur Hoͤlle,
ſo wie er auch den wahnſinnigen Sohn des
Barons, der durchaus des Teufels Inkognito
[233] nicht dulden wollte, ſondern laut verkuͤndete:
es iſt der Teufel! erwuͤrgte, wodurch denn
aber eine fromme Seele aus dem Verderben
errettet wurde, das der argliſtige Teufel be¬
ſchloſſen. Nachher verſchwand der Capuziner
auf unbegreifliche Weiſe, und man ſagt, er
ſey feige geflohn vor Viktorin, der aus ſei¬
nem Grabe blutig emporgeſtiegen. — Dem
ſey nun allem, wie ihm wolle, ſo kann ich
Sie doch davon verſichern, daß die Baroneſſe
an Gift umkam, Hermogen meuchlings er¬
mordet wurde, der Baron kurz darauf vor
Gram ſtarb, und Aurelie, eben die fromme
Heilige, die ich in der Zeit, als das entſetz¬
liche geſchehen auf dem Schloſſe mahlte, als
verlaſſene Waiſe in ein fernes Land, und zwar
in ein Ciſterzienſerkloſter, fluͤchtete, deſſen Aeb¬
tiſſin ihrem Vater befreundet war. Sie ha¬
ben das Bild dieſer herrlichen Frau in mei¬
ner Gallerie geſehn. Doch das Alles wird
Ihnen dieſer Herr (er wies nach mir) viel
umſtaͤndlicher und beſſer erzaͤhlen koͤnnen, da
[234] er waͤhrend der ganzen Begebenheit auf dem
Schloſſe zugegen war.“ — Alle Blicke waren
voll Erſtaunen auf mich gerichtet, entruͤſtet
ſprang ich auf und rief mit heftiger Stimme:
„Ey, mein Herr, was habe ich mit Ihren
albernen Teufelsgeſchichten, mit Ihren Mord¬
erzaͤhlungen zu ſchaffen, Sie verkennen mich,
Sie verkennen mich in der That, und ich bitte,
mich ganz aus dem Spiel zu laſſen.“ Bei
dem Aufruhr in meinem Innern, wurde es
mir ſchwer genug, meinen Worten noch die¬
ſen Anſtrich von Gleichguͤltigkeit zu geben;
die Wirkung der geheimnißvollen Reden des
Malers, ſo wie meine leidenſchaftliche Un¬
ruhe, die ich zu verbergen mich vergebens
bemuͤhte, war nur zu ſichtlich. Die heitre
Stimmung verſchwand, und die Gaͤſte, nun
ſich erinnernd, wie ich, Allen gaͤnzlich fremd,
mich ſo nach und nach dazu gefunden, ſahen
mich mit mißtrauiſchen argwoͤhniſchen Bli¬
cken an. —
Der fremde Maler war aufgeſtanden und
[235] durchbohrte mich mit den ſtieren lebendig¬
todten Augen, wie damals in der Capuziner¬
kirche. — Er ſprach kein Wort, er ſchien
ſtarr und leblos, aber ſein geſpenſtiſcher An¬
blick ſtraͤubte mein Haar, kalte Tropfen ſtan¬
den auf der Stirn, und von Entſetzen ge¬
waltig erfaßt, erbebten alle Fibern. — „Hebe
Dich weg, ſchrie ich außer mir: Du biſt
ſelbſt der Satan, Du biſt der frevelnde Mord,
aber uͤber mich haſt Du keine Macht!“
Alles erhob ſich von den Sitzen: „was
iſt das, was iſt das?“ rief es durch einander;
aus dem Saale draͤngten ſich, das Spiel ver¬
laſſend, die Menſchen hinein, von dem fuͤrch¬
terlichen Ton meiner Stimme [erſchreckt].
„Ein Betrunkener, ein Wahnſinniger! bringt
ihn fort, bringt ihn fort,“ riefen mehrere.
Aber der fremde Maler ſtand unbeweglich
mich anſtarrend. Unſinnig vor Wuth und
Verzweiflung, riß ich das Meſſer, womit ich
Hermogen getoͤdtet, und das ich ſtets bei
mir zu tragen pflegte, aus der Seitentaſche,
[236] und ſtuͤrzte mich auf den Mahler, aber ein
Schlag warf mich nieder, und der Maler
lachte im fuͤrchterlichen Hohn, daß es im
Zimmer wiederhallte: „Bruder Medardus,
Bruder Medardus, falſch iſt Dein Spiel, geh
und verzweifle in Reue und Schaam.“ —
Ich fuͤhlte mich von den Gaͤſten angepackt,
da ermannte ich mich, und wie ein wuͤthen¬
der Stier draͤngte und ſtieß ich gegen die
Menge, daß Mehrere zur Erde ſtuͤrzten, und
ich mir den Weg zur Thuͤre bahnte. —
Raſch eilte ich durch den Corridor, da oͤff¬
nete ſich eine kleine Seitenthuͤre, ich wurde
in ein finſtres Zimmer hineingezogen, ich
wiederſtrebte nicht, weil die Menſchen ſchon
hinter mir herbrauſten. Als der Schwarm
voruͤber, fuͤhrte man mich eine Seitentreppe
hinab in den Hof, und dann durch das Hin¬
tergebaͤude auf die Straße. Bei dem hellen
Schein der Laternen erkannte ich in meinem
Retter den poſſierlichen Belcampo. „Die¬
ſelben ſcheinen, fing er an: einige Fatalitaͤt
[237] mit dem fremden Mahler zu haben, ich trank
im Nebenzimmer ein Glaͤschen, als der Laͤrm
anging, und beſchloß, da mir die Gelegen¬
heit des Hauſes bekannt, Sie zu retten, denn
nur ich allein bin an der ganzen Fatalitaͤt
Schuld.“ Wie iſt das moͤglich? frug ich voll
Erſtaunen. — „Wer gebietet dem Moment,
wer widerſtrebt den Hingebungen des hoͤhern
Geiſtes! fuhr der Kleine voll Pathos fort: Als
ich Ihr Haupthaar arrangirte, Verehrter, ent¬
zuͤndeten ſich in mir comme à l'ordinaire die
ſublimſten Ideen, ich uͤberließ mich dem wil¬
den Ausbruch ungeregelter Fantaſie, und daruͤ¬
ber vergaß ich nicht allein, die Locke des Zorns
auf dem Hauptwirbel gehoͤrig zur weichen
Runde abzuglaͤtten, ſondern ließ auch ſogar
ſieben und zwanzig Haare der Angſt und des
Entſetzens uͤber der Stirne ſtehen, dieſe rich¬
teten ſich auf bei den ſtarren Blicken des
Malers, der eigentlich ein Revenant iſt, und
neigten ſich aͤchzend gegen die Locke des Zorns,
die ziſchend und kniſternd auseinander fuhr.
[238] Ich habe alles geſchaut, da zogen Sie, von
Wuth entbrannt, ein Meſſer, Verehrter, an
dem ſchon diverſe Blutstropfen hingen, aber
es war ein eitles Bemuͤhen, dem Orkus den
zuzuſenden, der dem Orkus ſchon gehoͤrte,
denn dieſer Maler iſt Ahasverus der ewige
Jude, oder Bertram de Bornis, oder Mephi¬
ſtopheles, oder Benvenuto Cellini, oder der
heilige Peter, kurz ein ſchnoͤder Revenant,
und durch nichts anders zu bannen, als durch
ein gluͤhendes Lockeneiſen, welches die Idee
kruͤmmt, welche eigentlich Er iſt, oder durch
ſchickliches Friſiren der Gedanken, die er ein¬
ſaugen muß, um die Idee zu naͤhren, mit
elektriſchen Kaͤmmen. — Sie ſehen, Verehr¬
ter! daß mir, dem Kuͤnſtler und Fantaſten
von Profeſſion, dergleichen Dinge wahre
Pomade ſind, welches Spruͤchwort, aus mei¬
ner Kunſt entnommen, weit bedeutender iſt,
als man wohl glaubt, ſobald nur die Po¬
made aͤchtes Nelkenoͤhl enthaͤlt.“ Das tolle
Geſchwaͤtz des Kleinen, der unterdeſſen mit
[239] mir durch die Straßen rannte, hatte in dem
Augenblick fuͤr mich etwas grauenhaftes, und
wenn ich dann und wann ſeine ſkurile Spruͤn¬
ge, ſein komiſches Geſicht bemerkte, mußte
ich, wie im konvulſiviſchen Krampf, laut
auflachen. Endlich waren wir in meinem
Zimmer; Belcampo half mir packen, bald
war Alles zur Reiſe bereit, ich druͤckte dem
Kleinen mehrere Dukaten in die Hand, er
ſprang hoch auf vor Freude und rief laut:
„Heyſa, nun habe ich ehrenwerthes Geld,
lauter flimmerndes Gold mit Herzblut ge¬
traͤnkt, gleißend und rothe Strahlen ſpielend.
Das iſt ein Einfall und noch dazu ein luſti¬
ger, mein Herr, weiter nichts.“
Den Zuſatz mochte ihm mein Befremden
uͤber ſeinen Ausruf entlocken; er bat ſich es
aus, der Locke des Zorns noch die gehoͤrige
Ruͤnde geben, die Haare des Entſetzens kuͤr¬
zer ſchneiden und ein Loͤckchen Liebe zum
Andenken mitnehmen zu duͤrfen. Ich ließ ihn
gewaͤhren, und er vollbrachte Alles unter
[240] den poſſierlichſten Gebehrden und Grimaſ¬
ſen. — Zuletzt ergriff er das Meſſer, welches
ich beim Umkleiden auf den Tiſch gelegt,
und ſtach damit, indem er eine Fechterſtel¬
lung annahm, in die Luft hinein. „Ich toͤdte
Ihren Widerſacher, rief er: und da er eine
bloße Idee iſt, muß er getoͤdtet werden koͤn¬
nen, durch eine Idee, und erſtirbt demnach
an dieſer, der meinigen, die ich, um die Ex¬
preſſion zu verſtaͤrken, mit ſchicklichen Leibes¬
bewegungen begleite. „Apage Satanas apage,
apage, Ahasverus, allez vous en!“ — Nun das
waͤre gethan, ſagte er, das Meſſer weglegend,
tief athmend und ſich die Stirne trocknend,
wie einer, der ſich tuͤchtig angegriffen, um
eine ſchwere Arbeit zu vollbringen. Raſch
wollte ich das Meſſer verbergen, und fuhr
damit in den Aermel, als truͤge ich noch die
Moͤnchskutte, welches der Kleine bemerkte
und ganz ſchlau belaͤchelte. Indem blies der
Poſtillon vor dem Hauſe, da veraͤnderte
Belcampo ploͤtzlich Ton und Stellung, er
holte[241] holte ein kleines Schnupftuch hervor, that
als wiſche er ſich die Thraͤnen aus den Au¬
gen, buͤckte ſich einmal uͤber das andere ganz
ehrerbietig, kuͤßte mir die Hand und den
Rock und flehte: „zwei Meſſen fuͤr meine
Großmutter, die an einer Indigeſtion, vier
Meſſen fuͤr meinen Vater, der an unwillkuͤhr¬
lichem Faſten ſtarb, ehrwuͤrdger Herr! Aber
fuͤr mich jede Woche eine, wenn ich geſtor¬
ben. — Vor der Hand Ablaß fuͤr meine
vielen Suͤnden. — Ach, ehrwuͤrdger Herr, es
ſteckt ein infamer ſuͤndlicher Kerl in meinem
Innern, und ſpricht: Peter Schoͤnfeld, ſei
kein Affe, und glaube, daß du biſt, ſondern
ich bin eigentlich du, heiße Belcampo und
bin eine geniale Idee, und wenn du das
nicht glaubſt, ſo ſtoße ich dich nieder mit ei¬
nem ſpitzigen haarſcharfen Gedanken. Dieſer
feindliche Menſch, Belcampo genannt, Ehr¬
wuͤrdiger! begeht alle moͤgliche Laſter; unter
andern zweifelt er oft an der Gegenwart, be¬
trinkt ſich ſehr, ſchlaͤgt um ſich, und treibt
l. [ 16 ][242] Unzucht mit ſchoͤnen jungfraͤulichen Gedan¬
ken: dieſer Belcampo hat mich, den Peter
Schoͤnfeld, ganz verwirrt und confuſe ge¬
macht, daß ich oft ungebuͤhrlich ſpringe und
die Farbe der Unſchuld ſchaͤnde, indem ich
ſingend in dulci jubilo mit weißſeidenen
Struͤmpfen in den Dr— ſetze. Vergebung
fuͤr beide, Pietro Belcampo, und Peter Schoͤn¬
feld!“ — Er kniete vor mir nieder und that
als ſchluchze er heftig. Die Narrheit des
Menſchen wurde mir laͤſtig. — „Seyn Sie
doch vernuͤnftig,“ rief ich ihm zu, der Kellner
trat hinein um mein Gepaͤck zu holen. Bel¬
campo ſprang auf, und wieder in ſeinen lu¬
ſtigen Humor zuruͤckkommend, half er, indem
er in einem fort ſchwazte, dem Kellner das
herbeibringen, was ich noch in der Eile ver¬
langte. „Der Kerl iſt ein ausgemachter Ha¬
ſenfuß, man darf ſich mit ihm nicht viel ein¬
laſſen,“ rief der Kellner, indem er die Wa¬
genthuͤre zuſchlug. Belcampo ſchwenkte den
Hut und rief: bis zum letzten Hauch meines
[243] Lebens! als ich mit bedeutendem Blick den
Finger auf den Mund legte.
Als der Morgen zu daͤmmern anfing,
lag die Stadt ſchon weit hinter mir, und die
Geſtalt des furchtbaren entſetzlichen Men¬
ſchen, der wie ein unerforſchliches Geheim¬
niß mich grauenvoll umfing, war verſchwun¬
den. — Die Frage der Poſtmeiſter: wohin?
ruͤckte es immer wieder aufs neue mir vor,
wie ich nun jeder Verbindung im Leben ab¬
truͤnnig worden, und den wogenden Wellen
des Zufalls preisgegeben, umherſtreiche. Aber,
hatte nicht eine unwiderſtehliche Macht mich
gewaltſam herausgeriſſen aus Allem, was
mir ſonſt befreundet, nur damit der mir inn¬
wohnende Geiſt in ungehemmter Kraft ſeine
Schwingen ruͤſtig entfalte und rege? — Raſt¬
los durchſtrich ich das herrliche Land, nir¬
gends fand ich Ruhe, es trieb mich unauf¬
haltſam fort, immer weiter hinab in den
Suͤden, ich war, ohne daran zu denken, bis
jetzt kaum merklich von der Reiſeroute abge¬
[244] wichen, die mir Leonardus bezeichnet, und
ſo wirkte der Stoß, mit dem er mich in die
Welt getrieben, wie mit magiſcher Gewalt
fort in gerader Richtung. —
In einer finſtern Nacht fuhr ich durch
einen dichten Wald, der ſich bis uͤber die
naͤchſte Station ausdehnen ſollte, wie mir
der Poſtmeiſter geſagt, und deshalb gerathen
hatte, bei ihm den Morgen abzuwarten, wel¬
ches ich, um nur ſo raſch als moͤglich ein
Ziel zu erreichen, das mir ſelbſt ein Geheim¬
niß war, ausſchlug. Schon als ich abfuhr,
leuchteten Blitze in der Ferne, aber bald zo¬
gen ſchwaͤrzer und ſchwaͤrzer die Wolken her¬
auf, die der Sturm zuſammengeballt hatte,
und brauſend vor ſich her jagte: der Donner
hallte furchtbar im tauſendſtimmigen Echo
wieder, und rothe Blitze durchkreuzten den
Horizont, ſo weit das Auge reichte; die ho¬
hen Tannen krachten, bis in die Wurzel er¬
ſchuͤttert, der Regen goß in Stroͤmen herab.
Jeden Augenblick liefen wir Gefahr von den
[245] Baͤumen erſchlagen zu werden, die Pferde
baͤumten ſich, ſcheu geworden durch das Leuch¬
ten der Blitze, bald konnten wir kaum noch
fort; endlich wurde der Wagen ſo hart um¬
geſchleudert, daß das Hinterrad zerbrach.
So mußten wir nun auf der Stelle bleiben,
und warten, bis das Gewitter nachließ, und
der Mond durch die Wolken brach. Jetzt be¬
merkte der Poſtillion, daß er in der Finſter¬
niß ganz von der Straße abgekommen, und
in einen Waldweg gerathen ſey; es war
kein anderes Mittel, als dieſen Weg, ſo gut
es gehen wollte, zu verfolgen, und ſo viel¬
leicht mit Tagesanbruch in ein Dorf zu kom¬
men. Der Wagen wurde mit einem Baumaſt
geſtuͤtzt, und ſo ging es Schritt vor Schritt
fort. Bald bemerkte ich, der ich voran ging,
in der Ferne den Schimmer eines Lichts, und
glaubte Hundegebell zu vernehmen; ich hatte
mich nicht getaͤuſcht, denn kaum waren wir
einige Minuten laͤnger gegangen, als ich
ganz deutlich Hunde anſchlagen hoͤrte. Wir
[246] kamen an ein anſehnliches Haus, das in ei¬
nem großen, mit einer Mauer umſchloſſenen
Hofe ſtand. Der Poſtillion klopfte an die
Pforte, die Hunde ſprangen tobend und bel¬
lend herbei, aber im Hauſe ſelbſt blieb alles
ſtille und todt, bis der Poſtillion ſein Horn
erſchallen ließ; da wurde im obern Stock das
Fenſter, aus dem mir das Licht entgegen¬
ſchimmerte geoͤffnet, und eine tiefe rauhe
Stimme rief herab: Chriſtian, Chriſtian! —
Ja, geſtrenger Herr, antwortete es unten.
Da klopft und blaͤſt es, fuhr die Stimme
von oben fort: an unſerm Thor, und die
Hunde ſind ganz des Teufels. Nehm' er
einmal die Laterne und die Buͤchſe No. 3.
und ſehe er zu, was es giebt. — Bald dar¬
auf hoͤrten wir, wie Chriſtian die Hunde ab¬
lockte, und ſahen ihn endlich mit der Laterne
kommen. Der Poſtillion meinte, es ſey kein
Zweifel, wie er gleich, als der Wald begon¬
nen, ſtatt gerade aus zu fahren, ſeitwaͤrts
eingebogen ſeyn muͤſſe, da wir bei der Foͤr¬
[247] ſterwohnung waͤren, die von der letzten Sta¬
tion eine Stunde rechts abliege. — Als wir
dem Chriſtian den Zufall, der uns betroffen,
geklagt, oͤffnete er ſogleich beide Fluͤgel des
Thors, und half den Wagen hinein. Die
beſchwichtigten Hunde ſchwaͤnzelten und ſchnuͤf¬
felten um uns her, und der Mann, der ſich
nicht vom Fenſter entfernt, rief unaufhoͤrlich
herab: was da, was da? was fuͤr eine
Caravane? — ohne daß Chriſtian, oder einer
von uns Beſcheid gegeben. Endlich trat ich,
waͤhrend Chriſtian Pferde und Wagen unter¬
brachte, ins Haus, das Chriſtian geoͤffnet,
und es kam mir ein großer ſtarker Mann mit
[ſonneverbranntem] Geſicht, den großen Hut
mit gruͤnem Federbuſch auf dem Kopf, uͤbri¬
gens im Hemde, nur die Pantoffeln an die
Fuͤße geſteckt, mit dem bloßen Hirſchfaͤnger
in der Hand, entgegen, indem er mir barſch
entgegen rief: „woher des Landes? — was
turbirt man die Leute in der Nacht, das iſt hier
kein Wirthshaus, keine Poſtſtation. — Hier
[248] wohnt der Revierfoͤrſter, und das bin ich! —
Chriſtian iſt ein Eſel, daß er das Thor ge¬
oͤffnet.“ Ich erzaͤhlte ganz kleinmuͤthig mei¬
nen Unfall, und daß nur die Noth uns hier
hineingetrieben, da wurde der Mann ge¬
ſchmeidiger, er ſagte: nun freilich, das Un¬
wetter war gar heftig, aber, der Poſtillion
iſt doch ein Schlingel, daß er falſch fuhr,
und den Wagen zerbrach. — Solch ein Kerl
muß mit verbundenen Augen im Walde fah¬
ren koͤnnen, er muß darinn zu Hauſe ſeyn,
wie unſer eins. — Er fuͤhrte mich herauf,
und indem er den Hirſchfaͤnger aus der Hand
legte, den Hut abnahm und den Rock uͤber¬
warf, bat er, ſeinen rauhen Empfang nicht
uͤbel zu deuten, da er hier in der abgelege¬
nen Wohnung, um ſo mehr auf der Hut ſeyn
muͤſſe, als wohl oͤfters allerlei liederlich Ge¬
ſindel den Wald durchſtreife, und er vorzuͤg¬
lich mit den ſogenannten Freiſchuͤtzen, die ihm
ſchon oft nach dem Leben getrachtet, beinahe
in offner Fehde liege. „Aber, fuhr er fort:
[249] die Spitzbuben koͤnnen mir nichts anhaben,
denn mit der Huͤlfe Gottes verwalte ich mein
Amt treu und redlich, und im Glauben und
Vertrauen auf ihn, und auf mein gut Ge¬
wehr, biete ich ihnen Trotz.“ — Unwillkuͤhr¬
lich ſchob ich, wie ich es noch oft aus alter
Gewohnheit nicht laſſen konnte, einige ſal¬
bungsvolle Worte uͤber die Kraft des Ver¬
trauens auf Gott ein, und der Foͤrſter erhei¬
terte ſich immer mehr und mehr. Meiner
Proteſtationen unerachtet weckte er ſeine Frau,
eine betagte, aber muntre ruͤhrige Matrone,
die, wiewohl aus dem Schlafe geſtoͤrt, doch
freundlich den Gaſt bewillkommte, und auf
des Mannes Geheiß ſogleich ein Abendeſſen
zu bereiten anfing. Der Poſtillion ſollte, ſo
hatte es ihm der Foͤrſter als Strafe aufgege¬
ben, noch in derſelben Nacht mit dem zer¬
brochenen Wagen auf die Station zuruͤck,
von der er gekommen, und ich von ihm, dem
Foͤrſter, nach meinem Belieben, auf die naͤch¬
ſte Station gebracht werden. Ich ließ mir
[250] das um ſo eher gefallen, als mir ſelbſt we¬
nigſtens eine kurze Ruhe noͤthig ſchien. Ich
aͤußerte deshalb dem Foͤrſter, daß ich wohl
bis zum Mittag des folgenden Tages da zu
bleiben wuͤnſche, um mich ganz von der Er¬
muͤdung zu erholen, die mir das beſtaͤndige,
unaufhoͤrliche Fahren, mehrere Tage hindurch
verurſacht. „Wenn ich Ihnen rathen ſoll,
mein Herr, erwiederte der Foͤrſter, ſo bleiben
Sie Morgen den ganzen Tag uͤber hier, und
warten Sie bis Uebermorgen, da bringt Sie
mein aͤlteſter Sohn, den ich in die fuͤrſtliche
Reſidenz ſchicke, ſelbſt bis auf die naͤchſte
Station.“ Auch damit war ich zufrieden, in¬
dem ich die Einſamkeit des Orts ruͤhmte, die
mich wunderbar anziehe. „Nun, mein Herr!
ſagte der Foͤrſter: einſam iſt es hier wohl
gar nicht, Sie muͤßten denn ſo nach den ge¬
woͤhnlichen Begriffen der Staͤdter, jede Woh¬
nung einſam nennen, die im Walde liegt,
unerachtet es denn doch ſehr darauf ankommt,
wer ſich darinn aufhaͤlt. Ja, wenn hier in
[251] dieſem alten Jagdſchloß noch ſo ein gries¬
grammiger alter Herr wohnte, wie ehemals,
der ſich in ſeinen vier Mauern einſchloß,
und keine Luſt hatte an Wald und Jagd, da
moͤchte es wohl ein einſamer Aufenthalt ſeyn,
aber ſeitdem er todt iſt und der gnaͤdige Lan¬
desfuͤrſt, das Gebaͤude zur Foͤrſterwohnung
einrichten laſſen, da iſt es hier recht lebendig
worden. Sie ſind doch wohl ſo ein Staͤd¬
ter, mein Herr! der nichts weiß von Wald
und Jagdluſt, da koͤnnen Sie ſich's denn
nicht denken, was wir Jaͤgersleute fuͤr ein
herrlich freudig Leben fuͤhren. Ich mit mei¬
nen Jaͤgerburſchen mache nur eine Familie
aus, ja, Sie moͤgen das nun kurios finden,
oder nicht, ich rechne meine klugen anſtelli¬
gen Hunde auch dazu; die verſtehen mich
und paſſen auf mein Wort, auf meinen Wink
und ſind mir treu bis zum Tode. — Sehen
Sie wohl, wie mein Waldmann da, mich ſo
verſtaͤndig anſchaut, weil er weiß, daß ich
von ihm rede? — Nun, Herr, giebt es bei¬
[252] nahe immer was im Walde zu thun, da iſt
denn nun Abends ein Vorbereiten und Wirth¬
ſchaften, und ſo wie der Morgen graut, bin
ich aus den Federn, und trete heraus, ein
luſtig Jaͤgerſtuͤckchen auf meinem Horn bla¬
ſend. Da ruͤttelt und rappelt ſich Alles aus
dem Schlafe, die Hunde ſchlagen an, ſie
juchzen vor Muth und Jagdbegier. Die
Burſche werfen ſich ſchnell in die Kleider,
Jagdtaſch' umgeworfen, Gewehr uͤber der
Schulter, treten ſie hinein in die Stube, wo
meine Alte das Jaͤgerfruͤhſtuͤck bereitet, und
nun gehts heraus in Jubel und Luſt. Wir
kommen hin an die Stellen, wo das Wild
verborgen, da nimmt jeder vom andern ent¬
fernt einzeln ſeinen Platz, die Hunde ſchlei¬
chen, den Kopf geduckt zur Erde und ſchnuͤf¬
feln und ſpuͤren, und ſchauen den Jaͤger an,
wie mit klugen menſchlichen Augen, und der
Jaͤger ſteht, kaum athmend, mit geſpanntem
Hahn regungslos, wie eingewurzelt auf der
Stelle. — Und wenn nun das Wild heraus¬
[253] ſpringt aus dem Dickigt, und die Schuͤſſe
knallen, und die Hunde ſtuͤrzen hinterdrein,
ey Herr, da klopft einem das Herz und man
iſt ein ganz andrer Menſch. Und jedesmal
iſt ſolch' ein Ausziehen zur Jagd was neues,
denn immer komme was ganz beſonderes vor,
was noch nicht da geweſen. Schon dadurch,
daß das Wild ſich in die Zeiten theilt, ſo
daß nun dies, dann jenes ſich zeigt, wird das
Ding ſo herrlich, daß kein Menſch auf Er¬
den es ſatt haben kann. Aber, Herr! auch
der Wald ſchon an und vor ſich ſelbſt, der
Wald iſt ja ſo luſtig und lebendig, daß ich
mich niemals einſam fuͤhle. Da kenne ich
jedes Plaͤtzchen und jeden Baum, und
es iſt mir wahrhaftig ſo, als wenn je¬
der Baum, der unter meinen Augen aufge¬
wachſen und nun ſeine blanken regen Wipfel
in die Luͤfte ſtreckt, mich auch kennen und
lieb haben muͤßte, weil ich ihn gehegt und
gepflegt, ja ich glaube ordentlich, wenn es
manchmal ſo wunderbar rauſcht und fluͤſtert,
[254] als ſpraͤche es zu mir mit ganz eignen Stim¬
men, und das waͤre eigentlich das wahre
Lobpreiſen Gottes und ſeiner Allmacht, und
ein Gebet, wie man es gar nicht mit Wor¬
ten auszuſprechen vermag. — Kurz, ein recht¬
ſchaffener frommer Jaͤgersmann, fuͤhrt ein
gar luſtig herrlich Leben, denn es iſt ihm ja
wohl noch etwas von der alten ſchoͤnen Frei¬
heit geblieben, wie die Menſchen ſo recht in
der Natur lebten, und von all' dem Ge¬
ſchwaͤnzel und Geziere nichts wußten, womit
ſie ſich in ihren gemauerten Kerkern quaͤlen,
ſo daß ſie auch ganz entfremdet ſind all' den
herrlichen Dingen, die Gott um ſie herge¬
ſtellt hat, damit ſie ſich daran erbauen und
ergoͤtzen ſollen, wie es ſonſt die Freien tha¬
ten, die mit der ganzen Natur in Liebe und
Freundſchaft lebten, wie man es in den al¬
ten Geſchichten lieſet.“ —
Alles das ſagte der alte Foͤrſter mit ei¬
nem Ton und Ausdruck, daß man wohl uͤber¬
zeugt ſeyn mußte, wie er es tief in der Bruſt
[255] fuͤhle, und ich beneidete ihn in der That um
ſein gluͤckliches Leben, um ſeine im Inner¬
ſten tiefbegruͤndete ruhige Gemuͤthsſtimmung,
die der meinigen ſo unaͤhnlich war.
Im andern Theil des, wie ich jetzt
wahrnahm, ziemlich weitlaͤuftigen Gebaͤudes
wies mir der Alte ein kleines nett aufgeputz¬
tes Gemach an, in welchem ich meine Sa¬
chen bereits vorfand, und verließ mich, in¬
dem er verſicherte, daß mich der fruͤhe Laͤrm
im Hauſe nicht wecken wuͤrde, da ich mich
von der uͤbrigen Hausgenoſſenſchaft ganz ab¬
geſondert befinde, und daher ſo lange ruhen
koͤnne, als ich wolle, nur erſt, wenn ich hin¬
abrufe, wuͤrde man mir das Fruͤhſtuͤck brin¬
gen, ich aber ihn, den Alten, erſt beim Mit¬
tagseſſen wiederſehen, da er fruͤh mit den
Burſchen in den Wald ziehe, und vor Mit¬
tag nicht heimkehre. Ich warf mich auf das
Lager, und fiel, ermuͤdet wie ich war, bald
in tiefen Schlaf, aber es folterte mich ein
entſetzliches Traumbild. — Auf ganz wun¬
[256] derbare Weiſe fing der Traum mit dem Be¬
wußtſeyn des Schlafs an, ich ſagte mir nehm¬
lich ſelbſt: nun das iſt herrlich, daß ich gleich
eingeſchlafen bin, und ſo feſt und ruhig
ſchlummere, das wird mich von der Ermuͤ¬
dung ganz erlaben; nur muß ich ja nicht
die Augen oͤffnen. Aber demunerachtet war
es mir, als koͤnne ich das nicht unterlaſſen,
und doch wurde mein Schlaf dadurch nicht
unterbrochen: da ging die Thuͤre auf, und
eine dunkle Geſtalt trat hinein, die ich zu
meinem Enſetzen, als mich ſelbſt, im Capuzi¬
nerhabit, mit Bart und Tonſur erkannte.
Die Geſtalt kam naͤher und naͤher an mein
Bett, ich war regungslos, und jeder Laut,
den ich herauszupreſſen ſuchte, erſtickte in
dem Starrkrampf, der mich ergriffen. Jetzt
ſetzte ſich die Geſtalt auf mein Bett, und
grinſete mich hoͤhniſch an. „Du mußt jetzt
mit mir kommen, ſprach die Geſtalt: wir wol¬
len auf das Dach ſteigen, unter die Wetter¬
fahne, die ein luſtig Brautlied ſpielt, weil
der[257] der Uhu Hochzeit macht. Dort wollen wir
ringen mit einander, und wer den andern
herabſtoͤßt, iſt Koͤnig, und darf Blut trin¬
ken. — Ich fuͤhlte, wie die Geſtalt mich
packte, und in die Hoͤhe zog, da gab mir
die Verzweiflung meine Kraft wieder. „Du
biſt nicht ich, du biſt der Teufel,“ ſchrie ich
auf, und griff wie mit Krallen dem bedroh¬
lichen Geſpenſt ins Geſicht, aber es war,
als bohrten meine Finger ſich in die Augen,
wie in tiefe Hoͤlen, und die Geſtalt lachte
von Neuem auf in ſchneidendem Ton. In
dem Augenblick erwachte ich, wie von einem
ploͤtzlichen Ruck emporgeſchuͤttelt. Aber das
Gelaͤchter dauerte fort im Zimmer. Ich fuhr
in die Hoͤhe, der Morgen brach in lichten
Strahlen durch das Fenſter, und ich ſah vor
dem Tiſch, den Ruͤcken mir zugewendet, eine
Geſtalt im Capuzinerhabit ſtehen. — Ich er¬
ſtarrte vor Schreck, der grauenhafte Traum
trat ins Leben. — Der Capuziner ſtoͤberte
unter den Sachen, die auf dem Tiſche lagen.
I. [ 17 ][258] Jetzt wandte er ſich, und mir kam aller
Muth wieder, als ich ein fremdes Geſicht
mit ſchwarzem verwildertem Barte erblickte,
aus deſſen Augen der gedankenloſe Wahnſinn
lachte: gewiſſe Zuͤge erinnerten entfernt an
Hermogen. — Ich beſchloß abzuwarten, was
der Unbekannte beginnen werde, und nur
irgend einer ſchaͤdlichen Unternehmung Ein¬
halt zu thun. Mein Stilet lag neben mir,
ich war deshalb und ſchon meiner koͤrperli¬
chen Leibesſtaͤrke wegen, auf die ich bauen
konnte, auch ohne weitere Huͤlfe des Frem¬
den maͤchtig. Er ſchien mit meinen Sachen
wie ein Kind zu ſpielen, vorzuͤglich hatte er
Freude an dem rothen Portefeuille, das er
hin und her gegen das Fenſter wandte, und
dabei auf ſeltſame Weiſe in die Hoͤhe ſprang.
Endlich fand er die Korbflaſche mit dem Reſt
des geheimnißvollen Weins; er oͤffnete ſie
und roch daran, da bebte es ihm durch alle
Glieder, er ſtieß einen Schrei aus, der dumpf
und grauenvoll im Zimmer wieder klang.
[259] Eine helle Glocke im Hauſe ſchlug drei Uhr,
da heulte er wie von entſetzlicher Quaal er¬
griffen, aber dann brach er wieder aus in
das ſchneidende Gelaͤchter, wie ich es im
Traum gehoͤrt; er ſchwenkte ſich in wilden
Spruͤngen, er trank aus der Flaſche und
rannte dann, ſie von ſich ſchleudernd, zur
Thuͤre hinaus. Ich ſtand ſchnell auf, und
lief ihm nach, aber er war mir ſchon aus
dem Geſichte, ich hoͤrte ihn die entfernte
Treppe hinabpoltern, und einen dumpfen
Schlag, wie von einer hart zugeworfenen
Thuͤre. Ich verriegelte mein Zimmer, um
eines zweiten Beſuchs uͤberhoben zu ſeyn,
und warf mich aufs neue ins Bette. Zu er¬
ſchoͤpft war ich nun, um bald wieder ein¬
zuſchlafen; erquickt und geſtaͤrkt erwachte ich,
als ſchon die Sonne ins Gemach hineinfun¬
kelte. — Der Foͤrſter war, wie er es geſagt
hatte, mit ſeinen Soͤhnen und den Jaͤger¬
burſchen in den Wald gezogen; ein bluͤhen¬
des freundliches Maͤdchen, des Foͤrſters juͤn¬
[260] gere Tochter, brachte mir das Fruͤhſtuͤck,
waͤhrend die Aeltere mit der Mutter in der
Kuͤche beſchaͤftigt war. Das Maͤdchen wußte
gar lieblich zu erzaͤhlen, wie ſie hier alle
Tage froh und friedlich zuſammen lebten, und
nur manchmal es Tumult von vielen Men¬
ſchen gaͤbe, wenn der Fuͤrſt im Revier jage,
und dann manchmal im Hauſe uͤbernachte.
So ſchlichen ein paar Stunden hin, da war
es Mittag, und luſtiger Jubel und Hoͤrner¬
klang verkuͤndeten den Foͤrſter, der mit ſei¬
nen vier Soͤhnen, herrlichen bluͤhenden Juͤng¬
lingen, von denen der juͤngſte kaum funfzehn
Jahr alt ſeyn mochte, und drei Jaͤgerbur¬
ſchen, heimkehrte. — Er frug, wie ich denn
geſchlafen, und ob mich nicht der fruͤhe Laͤrm
vor der Zeit geweckt habe; ich mochte ihm
das uͤberſtandene Abentheuer nicht erzaͤhlen,
denn die lebendige Erſcheinung des grau¬
enhaften Moͤnchs, hatte ſich ſo feſt an
das Traumbild gereiht, daß ich kaum zu
unterſcheiden vermochte, wo der Traum
[261] uͤbergegangen ſey ins wirkliche Leben. —
Der Tiſch war gedeckt, die Suppe dampfte,
der Alte zog ſein Kaͤppchen ab, um das Ge¬
bet zu halten, da ging die Thuͤre auf, und
der Capuziner, den ich in der Nacht geſehen,
trat hinein. Der Wahnſinn war aus ſeinem
Geſichte verſchwunden, aber er hatte ein duͤ¬
ſtres ſtoͤrriſches Anſehen. „Seyn Sie will¬
kommen, ehrwuͤrdiger Herr! rief ihm der
Alte entgegen: — ſprechen Sie das Gratias
und ſpeiſen Sie dann mit uns.“ — Da blickte
er um ſich mit Zornfunkelnden Augen, und
ſchrie mit fuͤrchterlicher Stimme: „der Satan
ſoll Dich zerreiſſen mit Deinem ehrwuͤrdigen
Herrn und Deinem verfluchten Beten; haſt
Du mich nicht hergelockt, damit ich der drei¬
zehnte ſeyn ſoll, und Du mich umbringen
laſſen kannſt von dem fremden Moͤrder? —
Haſt Du mich nicht in dieſe Kutte geſteckt,
damit niemand den Grafen, Deinen Herrn
und Gebieter, erkennen ſoll. — Aber huͤte Dich,
Verfluchter, vor meinem Zorn!“ — Da¬
[262] mit ergriff der Moͤnch einen ſchweren Krug,
der auf dem Tiſche ſtand, und ſchleuderte
ihn nach dem Alten, der nur durch eine ge¬
ſchickte Wendung dem Wurf auswich, der
ihm den Kopf zerſchmettert haͤtte. Der Krug
flog gegen die Wand, und zerbrach in tau¬
ſend Scherben. Aber in dem Augenblick pack¬
ten die Jaͤgerburſche den Raſenden, und hiel¬
ten ihn feſt. „Was! rief der Foͤrſter: Du
verruchter gotteslaͤſterlicher Menſch, Du wagſt
es, hier wieder mit Deinem raſenden Begin¬
nen unter fromme Leute zu treten, Du wagſt
es, mir, der ich Dich aus viehiſchem Zu¬
ſtande, aus der ewigen Verderbniß errettet,
aufs neue nach dem Leben zu trachten? —
Fort mit Dir in den Thurm!“ — Der Moͤnch
fiel auf die Knie, er flehte heulend um Er¬
barmen, aber der Alte ſagte: „Du mußt in
den Thurm, und darfſt nicht eher wieder
hieher kommen, bis ich weiß, daß Du dem
Satan entſagt haſt, der Dich verblendet, ſonſt
mußt Du ſterben.“ Da ſchrie der Moͤnch auf,
[263] wie im troſtloſen Jammer der Todesnoth,
aber die Jaͤgerburſche brachten ihn fort, und
berichteten, wiederkehrend, daß der Moͤnch
ruhiger geworden, ſobald er in das Thurm¬
gemach getreten. Chriſtian, der ihn bewache,
habe uͤbrigens erzaͤhlt, daß der Moͤnch die
ganze Nacht uͤber in den Gaͤngen des Hau¬
ſes herumgepoltert, und vorzuͤglich nach Ta¬
gesanbruch geſchrien habe: „gieb mir noch
mehr von Deinem Wein, und ich will mich
Dir ganz ergeben; mehr Wein, mehr Wein!“
Es habe dem Chriſtian uͤbrigens wirklich ge¬
ſchienen, als taumle der Moͤnch wie betrun¬
ken, unerachtet er nicht begriffen, wie der
Moͤnch an irgend ein ſtarkes berauſchendes
Getraͤnk gekommen ſeyn koͤnne. — Nun nahm
ich nicht laͤnger Anſtand, das uͤberſtandene
Abentheuer zu erzaͤhlen, wobei ich nicht vergaß
der ausgeleerten Korbflaſche zu gedenken.
„Ey, das iſt ſchlimm, ſagte der Foͤrſter,
doch Sie ſcheinen mir ein muthiger frommer
Mann, ein Anderer haͤtte des Todes ſeyn koͤn¬
[264] nen vor Schreck.“ Ich bat ihn, mir naͤher
zu ſagen, was es mit dem wahnſinnigen
Moͤnch fuͤr eine Bewandniß habe. „Ach, er¬
wiederte der Alte: das iſt eine lange aben¬
theuerliche Geſchichte, ſo was taugt nicht
beim Eſſen. Schlimm genug ſchon, daß uns
der garſtige Menſch, eben als wir, was uns
Gott beſcheert, froh und freudig genießen
wollten, mit ſeinem frevelichen Beginnen ſo
geſtoͤrt hat; aber nun wollen wir auch gleich
an den Tiſch.“ Damit zog er ſein Muͤtzchen
ab, ſprach andaͤchtig und fromm das Gratias,
und unter luſtigen frohen Geſpraͤchen ver¬
zehrten wir das laͤndliche, kraͤftig und ſchmack¬
haft zubereitete Mahl. Dem Gaſt zu Ehren
ließ der Alte guten Wein heraufbringen, den
er mir nach patriarchaliſcher Sitte aus ei¬
nem ſchoͤnen Pokal zutrank. Der Tiſch war
indeſſen abgeraͤumt, die Jaͤgerburſche nahmen
ein paar Hoͤrner von der Wand, und blie¬
ſen ein Jaͤgerlied. — Bei der zweiten Wie¬
derholung fielen die Maͤdchen ſingend ein,
[265] und mit ihnen wiederholten die Foͤrſtersſoͤhne
im Chor die Schlußſtrophe. — Meine Bruſt
erweiterte ſich auf wunderbare Weiſe: ſeit
langer Zeit war mir nicht im Innerſten ſo
wohl geweſen, als unter dieſen einfachen,
frommen Menſchen. Es wurden mehrere ge¬
muͤthliche wohltoͤnende Lieder geſungen, bis
der Alte aufſtand, und mit dem Ausruf: „Es
leben alle brave Maͤnner, die das edle Waid¬
werk ehren,“ ſein Glas leerte; wir ſtimmten
Alle ein, und ſo war das frohe Mahl, das
mir zu Ehren durch Wein und Geſang ver¬
herrlicht wurde, beſchloſſen.
Der Alte ſprach zu mir: „nun, mein
Herr! ſchlafe ich ein halbes Stuͤndchen, aber
dann gehen wir in den Wald, und ich erzaͤhle
es Ihnen, wie der Moͤnch in mein Haus ge¬
kommen, und was ich ſonſt von ihm weiß. Bis
dahin tritt die Daͤmmerung ein, dann gehen
wir auf den Anſtand, da es, wie mir Franz
ſagt, Huͤhner giebt. Auch Sie ſollen ein
gutes Gewehr erhalten, und Ihr Gluͤck ver¬
[266] ſuchen.“ Die Sache war mir neu, da ich als
Seminariſt zwar manchmal nach der Schei¬
be, aber nie nach Wild geſchoſſen; ich nahm
daher des Foͤrſters Anerbieten an, der hoͤch¬
lich daruͤber erfreut ſchien, und mir mit treu¬
herziger Gutmuͤthigkeit in aller Eil noch vor
dem Schlaf, den er zu thun gedachte, die er¬
ſten unentbehrlichſten Grundſaͤtze der Schie߬
kunſt beizubringen ſuchte.
Ich wurde mit Flinte und Jagdtaſche
ausgeruͤſtet, und ſo zog ich mit dem Foͤrſter
in den Wald, der die Geſchichte von dem
ſeltſamen Moͤnch in folgender Art anfing.
„Kuͤnftigen Herbſt ſind es ſchon zwei
Jahre her, als meine Burſche im Walde oft
ein entſetzliches Heulen vernahmen, das, ſo
wenig menſchliches es auch hatte, doch wie
Franz, mein juͤngſt angenommener Lehrling
meinte, von einem Menſchen herruͤhren moch¬
te. Franz war dazu beſtimmt, von dem heu¬
lenden Ungethuͤm geneckt zu werden, denn,
wenn er auf den Anſtand ging, ſo verſcheuchte
[267] das Heulen, welches ſich dicht bei ihm hoͤren
ließ, die Thiere, und er ſah zuletzt, wenn er
auf ein Thier anlegen wollte, ein borſtiges
unkenntliches Weſen aus dem Gebuͤſch ſprin¬
gen, das ſeinen Schuß vereitelte. Franz hatte
den Kopf voll von all' den ſpukhaften Jaͤ¬
gerlegenden, die ihm ſein Vater, ein alter
Jaͤger, erzaͤhlt, und er war geneigt, das We¬
ſen fuͤr den Satan ſelbſt zu halten, der ihm
das Waidhandwerk verleiden, oder ihn ſonſt
verlocken wolle. Die anderen Burſche, ſelbſt
meine Soͤhne, denen auch das Ungethuͤm
aufgeſtoßen, pflichteten ihm endlich bei, und
um ſo mehr war mir daran gelegen, dem
Dinge naͤher auf die Spur zu kommen, als
ich es fuͤr eine Liſt der Freiſchuͤtzen hielt,
meine Jaͤger vom Anſtand wegzuſchrecken. —
Ich befahl deshalb meinen Soͤhnen und den
Burſchen, die Geſtalt, falls ſie ſich wieder
zeigen ſollte, anzurufen, und falls ſie nicht
ſtehen, oder Beſcheid geben ſollte, nach Jaͤ¬
gerrecht, ohne weiteres, nach ihr zu ſchie¬
[268] ßen. — Den Franz traf es wieder, der erſte
zu ſeyn, dem das Ungethuͤm auf dem An¬
ſtand in den Weg trat. Er rief ihm zu, das
Gewehr anlegend, die Geſtalt ſprang ins Ge¬
buͤſch, Franz wollte hinter drein knallen, aber
der Schuß verſagte, und nun lief er voll
Angſt und Schrecken zu den andern, die
von ihm entfernt ſtanden, uͤberzeugt, daß
es der Satan sey, der ihm zum Trutz das
Wild verſcheuche, und ſein Gewehr verzau¬
bere; denn in der That traf er, ſeit dem ihn
das Ungethuͤm verfolgte, kein Thier, ſo gut
er ſonſt geſchoſſen. Das Geruͤcht von dem
Spuck im Walde, verbreitete ſich, und man
erzaͤhlte ſchon im Dorfe, wie der Satan dem
Franz in den Weg getreten, und ihm Frei¬
kugeln angeboten, und noch anderes tolles
Zeug mehr. — Ich beſchloß, dem Unweſen
ein Ende zu machen, und das Ungethuͤm, das
mir ſelbſt noch niemals aufgeſtoßen, auf den
Staͤtten, wo es ſich zu zeigen pflegte, zu ver¬
folgen. Lange wollte es mir nicht gluͤcken;
[269] endlich, als ich an einem neblichten Novem¬
berabend gerade da, wo Franz das Ungethuͤm
zuerſt erblickt, auf dem Anſtand war, rauſchte
es mir ganz nahe im Gebuͤſch, ich legte leiſe
das Gewehr an, ein Thier vermuthend, aber
eine graͤßliche Geſtalt mit rothfunkelnden
Augen und ſchwarzen borſtigen Haaren, mit
Lumpen behangen, brach hervor. Das Un¬
gethuͤm ſtierte mich an, indem es entſetzende
heulende Toͤne ausſtieß. Herr! — es war
ein Anblick, der dem beherzteſten Furcht ein¬
jagen koͤnnte, ja mir war es, als ſtehe wirk¬
lich der Satan vor mir, und ich fuͤhlte, wie
mir der Angſtſchweiß ausbrach. Aber im
kraͤftigen Gebet, das ich mit ſtarker Stimme
ſprach, ermuthigte ich mich ganz. So wie
ich betete, und den Namen Jeſus Chriſtus
ausſprach, heulte wuͤthender das Ungethuͤm,
und brach endlich in entſetzliche gotteslaͤſter¬
liche Verwuͤnſchungen aus. Da rief ich: Du
verfluchter, buͤbiſcher Kerl, halt ein mit Dei¬
nen gotteslaͤſterlichen Reden, und gieb Dich
[270] gefangen, oder ich ſchieße Dich nieder. Da
fiel der Menſch wimmernd zu Boden, und
bat um Erbarmen. Meine Burſche kamen
herbei, wir packten den Menſchen, und fuͤhr¬
ten ihn nach Hauſe, wo ich ihn in den Thurm
bei dem Nebengebaͤude einſperren ließ, und
den naͤchſten Morgen, den Vorfall der Obrig¬
keit anzeigen wollte. Er fiel, ſo wie er in
den Thurm kam, in einen ohnmaͤchtigen Zu¬
ſtand. Als ich den andern Morgen zu ihm
ging, ſaß er auf dem Strohlager, das ich
ihm bereiten laſſen, und weinte heftig. Er
fiel mir zu Fuͤßen, und flehte mich an, daß
ich mit ihm Erbarmen haben ſolle; ſchon ſeit
mehreren Wochen habe er im Walde gelebt,
und nichts gegeſſen, als Kraͤuter und wildes
Obſt, er ſey ein armer Capuziner aus einem
weit entlegenen Kloſter, und aus dem Ge¬
faͤngniſſe, in das man ihn Wahnſinns hal¬
ber geſperrt, entſprungen. Der Menſch war
in der That in einem erbarmungswuͤrdigen
Zuſtande, ich hatte Mitleiden mit ihm, und
[271] ließ ihm Speiſe und Wein zur Staͤrkung
reichen, worauf er ſich ſichtlich erholte. Er
bat mich auf das eindringendſte, ihn nur ei¬
nige Tage im Hauſe zu dulden, und ihm ein
neues Ordenshabit zu verſchaffen, er wolle
dann ſelbſt nach dem Kloſter zuruͤckwandeln.
Ich erfuͤllte ſeinen Wunſch, und ſein Wahn¬
ſinn ſchien wirklich nachzulaſſen, da die Pa¬
roxismen minder heftig und ſeltner wurden.
In den Ausbruͤchen der Raſerei ſtieß er ent¬
ſetzliche Reden aus, und ich bemerkte, daß
er, wenn ich ihn deshalb hart anredete, und
mit dem Tode drohte, in einen Zuſtand inne¬
rer Zerknirſchung uͤberging, in dem er ſich
kaſteite, ja ſogar Gott und die Heiligen an¬
rief, ihn von der Hoͤllenquaal zu befreien.
Er ſchien ſich dann fuͤr den heiligen Antonius
zu halten, ſo wie er in der Raſerei immer
tobte: er ſey Graf und gebietender Herr,
und er wolle uns alle ermorden laſſen, wenn
ſeine Diener kaͤmen. In den lichten Zwi¬
ſchenraͤumen bat er mich um Gotteswillen
[272] ihn nicht zu verſtoßen, weil er fuͤhle, daß
nur ſein Aufenthalt bei mir ihn heilen koͤnne.
Nur ein einzigesmal gab es noch einen har¬
ten Auftritt mit ihm, und zwar, als der
Fuͤrſt hier eben im Revier gejagt, und bei
mir uͤbernachtet hatte. Der Moͤnch war,
nachdem er den Fuͤrſten mit ſeiner glaͤnzen¬
den Umgebung geſehen, ganz veraͤndert. Er
blieb ſtoͤrriſch und verſchloſſen, er entfernte
ſich ſchnell, wenn wir beteten, es zuckte ihm
durch alle Glieder wenn er nur ein andaͤch¬
tiges Wort hoͤrte, und dabei ſchaute er meine
Tochter Anne mit ſolchen luͤſternen Blicken
an, daß ich beſchloß, ihn fortzubringen, um
allerlei Unfug zu verhuͤten. In der Nacht
vorher, als ich den Morgen meinen Plan
ausfuͤhren wollte, weckte mich ein durchdrin¬
gendes Geſchrei auf dem Gange, ich ſprang
aus dem Bette, und lief ſchnell mit ange¬
zuͤndetem Licht, nach dem Gemach, wo meine
Toͤchter ſchliefen. Der Moͤnch war aus dem
Thurm, wo ich ihn allnaͤchtlich eingeſchloſ¬
ſen,[273] ſen, gebrochen und in viehiſcher Brunſt nach
dem Gemach meiner Toͤchter gerannt, deſſen
Thuͤre er mit einem Fußtritt ſprengte. Zum
Gluͤck hatte den Franz ein unausſtehlicher
Durſt aus der Kammer, wo die Burſche
ſchlafen, hinausgetrieben, und er wollte ge¬
rade nach der Kuͤche gehen, um ſich Waſſer
zu ſchoͤpfen, als er den Moͤnch uͤber den
Gang poltern hoͤrte. Er lief herbei, und
packte ihn gerade in dem Augenblick, als
er die Thuͤre einſtieß, von hinten her;
aber der Junge war zu ſchwach, den Ra¬
ſenden zu baͤndigen, ſie balgten ſich unter
dem Geſchrei der erwachten Maͤdchen in der
Thuͤre, und ich kam gerade in dem Augen¬
blick herzu, als der Moͤnch den Burſchen zu
Boden geworfen, und ihn meuchleriſch bei
der Kehle gepackt hatte. Ohne mich zu be¬
ſinnen, faßte ich den Moͤnch, und riß ihn
von Franzen weg, aber ploͤtzlich, noch weiß
ich nicht, wie das zugegangen, blinckte ein
Meſſer in des Moͤnchs Fauſt, er ſtieß nach
I. [18][274] mir, aber Franz, der ſich aufgerafft, fiel ihm
in den Arm, und mir, der ich nun wohl ein
ſtarker Mann bin, gelang es bald, den Ra¬
ſenden ſo feſt an die Mauer zu druͤcken, daß
ihm ſchier der Athem ausgehen wollte. Die
Burſche waren, ob dem Laͤrm, alle wach wor¬
den, und herbeigelaufen; wir banden den
Moͤnch, und ſchmiſſen ihn in den Thurm, ich
holte aber meine Hetzpeitſche herbei, und
zaͤhlte ihm zur Abmahnung von kuͤnftigen Un¬
thaten aͤhnlicher Art, einige kraͤftige Hiebe
auf, ſo daß er ganz erbaͤrmlich aͤchzte und
wimmerte; aber ich ſprach: Du Boͤſewicht,
das iſt noch viel zu wenig fuͤr deine Schaͤnd¬
lichkeit, daß Du meine Tochter verfuͤhren
wollen, und mir nach dem Leben getrachtet,
eigentlich ſollteſt du ſterben. — Er heulte
vor Angſt und Entſetzen, denn die Furcht
vor dem Tode, ſchien ihn ganz zu vernich¬
ten. Den andern Morgen war es nicht moͤg¬
lich, ihn fortzubringen, denn er lag todten¬
aͤhnlich in gaͤnzlicher Abſpannung da, und
[275] floͤßte mir wahres Mitleiden ein. Ich ließ
ihm in einem beſſern Gemach ein gutes Bette
bereiten, und meine Alte pflegte ſeiner, in¬
dem ſie ihm ſtaͤrkende Suppen kochte, und
aus unſerer Hausapotheke das reichte, was
ihm dienlich ſchien. Meine Alte hat die
gute Gewohnheit, wenn ſie einſam ſitzt, oft
ein andaͤchtig Lied anzuſtimmen, aber wenn
es ihr recht wohl ums Herz ſeyn ſoll, muß
meine Anne mit ihrer hellen Stimme, ihr
ſolch ein Lied vorſingen. — Das geſchah
nun auch vor dem Bette des Kranken. —
Da ſeufzte er oft tief, und ſah meine Alte
und die Anne mit recht wehmuͤthigen Bli¬
cken an, oft floſſen ihm die Thraͤnen uͤber die
Wangen. Zuweilen bewegte er die Hand und
die Finger, als wolle er ſich kreuzigen, aber
das gelang nicht, die Hand fiel kraftlos nie¬
der; dann ſtieß er auch manchmal leiſe Toͤne
aus, als wolle er in den Geſang einſtimmen.
Endlich fing er an zuſehends zu geneſen,
jetzt ſchlug er oft das Kreuz nach Sitte der
[276] Moͤnche, und betete leiſe. Aber ganz unver¬
muthet fing er einmal an lateiniſche Lieder
zu ſingen, die meiner Alten und der Anne,
unerachtet ſie die Worte nicht verſtanden,
mit ihren ganz wunderbaren heiligen Toͤnen
bis ins Innerſte drangen, ſo daß ſie nicht
genug ſagen konnten, wie der Kranke ſie er¬
baue. Der Moͤnch war ſo weit hergeſtellt,
daß er aufſtehen, und im Hauſe umherwan¬
deln konnte, aber ſein Ausſehen, ſein Weſen
war ganz veraͤndert. Die Augen blickten
ſanft, ſtatt daß ſonſt ein gar boͤſes Feuer in
ihnen funkelte, er ſchritt ganz nach Kloſter¬
ſitte, leiſe und andaͤchtig mit gefaltenen
Haͤnden umher, jede Spur des Wahnſinns
war verſchwunden. Er genoß nichts als Ge¬
muͤſe, Brod und Waſſer, und nur ſelten
konnte ich ihn in der letzten Zeit dahin brin¬
gen, daß er ſich an meinen Tiſch ſetzte, und
etwas von den Speiſen genoß, ſo wie einen
kleinen Schluck Wein trank. Dann ſprach
er das Gratias und ergoͤtzte uns mit ſeinen
[277] Reden, die er ſo wohl zu ſtellen wußte, wie
nicht leicht einer. Oft ging er im Walde
einſam ſpazieren, ſo kam es denn, daß ich
ihn einmal begegnete, und ohne gerade viel
zu denken frug: ob er nicht nun bald in ſein
Kloſter zuruͤckkehren werde. Er ſchien ſehr
bewegt, er faßte meine Hand und ſprach:
„„Mein Freund, ich habe Dir das Heil mei¬
ner Seele zu danken, Du haſt mich errettet
von der ewigen Verderbniß, noch kann ich nicht
von Dir ſcheiden, laß mich bei Dir ſeyn.
Ach, habe Mitleid mit mir, den der Satan
verlockt hat, und der unwiederbringlich ver¬
lohren war, wenn ihn der Heilige, zu dem
er flehte in angſtvollen Stunden, nicht im
Wahnſinn in dieſen Wald gebracht haͤtte. —
Sie fanden mich, fuhr der Moͤnch nach eini¬
gem Stillſchweigen fort: in einem ganz ent¬
arteten Zuſtande, und ahnden auch jetzt ge¬
wiß nicht, daß ich einſt ein von der Natur
reich ausgeſtatteter Juͤngling war, den nur
eine ſchwaͤrmeriſche Neigung zur Einſamkeit
[278] und zu den tiefſinnigſten Studien ins Klo¬
ſter brachte. Meine Bruͤder liebten mich alle
ausnehmend, und ich lebte ſo froh, als es
nur in dem Kloſter geſchehen kann. Durch
Froͤmmigkeit und muſterhaftes Betragen,
ſchwang ich mich empor, man ſah in mir
ſchon den kuͤnftigen Prior. Es begab ſich,
daß einer der Bruͤder von weiten Reiſen
heim kehrte, und dem Kloſter verſchiedene
Reliquien, die er ſich auf dem Wege zu ver¬
ſchaffen gewußt, mitbrachte. Unter dieſen
befand ſich eine verſchloſſene Flaſche, die der
heilige Antonius dem Teufel, der darin ein
verfuͤhreriſches Elixier bewahrte, abgenom¬
men haben ſollte. Auch dieſe Reliquie wurde
ſorgfaͤltig aufbewahrt, unerachtet mir die Sa¬
che ganz gegen den Geiſt der Andacht, den
die wahren Reliquien einfloͤßen ſollen, und
uͤberhaupt ganz abgeſchmackt zu ſeyn ſchien.
Aber eine unbeſchreibliche Luͤſternheit be¬
maͤchtigte ſich meiner, das zu erforſchen,
was wohl eigentlich in der Flaſche enthalten.
[279] Es gelang mir, ſie bei Seite zu ſchaffen, ich
oͤffnete ſie, und fand ein herrlich duftendes,
ſuͤß ſchmeckendes ſtarkes Getraͤnk darinn, das
ich bis auf den letzten Tropfen genoß. —
Wie nun mein ganzer Sinn ſich aͤnderte,
wie ich einen brennenden Durſt nach der Luſt
der Welt empfand, wie das Laſter in verfuͤh¬
reriſcher Geſtalt, mir als des Lebens hoͤchſte
Spitze erſchien, das Alles mag ich nicht ſagen,
kurz, mein Leben wurde eine Reihe ſchaͤndli¬
cher Verbrechen, ſo daß, als ich meiner teuf¬
liſchen Liſt unerachtet verrathen wurde, mich
der Prior zum ewigen Gefaͤngniß verur¬
theilte. Als ich ſchon mehrere Wochen in
dem dumpfen feuchten Kerker zugebracht hat¬
te, verfluchte ich mich und mein Daſeyn,
ich laͤſterte Gott und die Heiligen, da trat,
im gluͤhend rothen Scheine, der Satan zu
mir und ſprach, daß, wenn ich meine Seele
ganz dem Hoͤchſten abwenden, und ihm die¬
nen wolle, er mich befreien werde. Heulend
ſtuͤrzte ich auf die Knie und rief: es iſt kein
[280] Gott, dem ich diene, Du biſt mein Herr,
und aus Deinen Gluthen ſtroͤmt die Luft des
Lebens. — Da brauſte es in den Luͤften, wie
eine Windsbraut, und die Mauern droͤhnten,
wie vom Erdbeben erſchuͤttert, ein ſchneiden¬
der Ton pfiff durch den Kerker, die Eiſen¬
ſtaͤbe des Fenſters fielen zerbroͤckelt herab,
und ich ſtand von unſichtbarer Gewalt hin¬
ausgeſchleudert im Kloſterhofe. Der Mond
ſchien hell durch die Wolken, und in ſeinen
Strahlen erglaͤnzte das Standbild des heili¬
gen Antonius, das mitten im Hofe bei ei¬
nem Springbrunnen aufgerichtet war. — Ei¬
ne unbeſchreibliche Angſt zerriß mein Herz,
ich warf mich zerknirſcht nieder vor dem
Heiligen, ich ſchwor dem Boͤſen ab, und
flehte um Erbarmen; aber da zogen ſchwarze
Wolken herauf, und aufs neue brauſte der
Orkan durch die Luft, mir vergingen die
Sinne, und ich fand mich erſt im Walde
wieder, in dem ich wahnſinnig vor Hunger
und Verzweiflung umhertobte, und aus dem
[281] Sie mich erretteten.“ “— So erzaͤhlte der
Moͤnch, und ſeine Geſchichte machte auf mich
ſolch einen tiefen Eindruck, daß ich nach vie¬
len Jahren, noch ſo wie heute im Stande ſeyn
werde, Alles Wort fuͤr Wort zu wiederho¬
len. Seit der Zeit hat ſich der Moͤnch, ſo
fromm, ſo gutmuͤthig betragen, daß wir ihn
Alle liebgewannen, und um ſo unbegreiflicher
iſt es mir, wie in voriger Nacht ſein Wahn¬
ſinn hat aufs neue ausbrechen koͤnnen.“
„Wiſſen Sie denn gar nicht, fiel ich
dem Foͤrſter ins Wort: aus welchem Capuzi¬
nerkloſter der Ungluͤckliche entſprungen iſt?“ —
„Er hat mir es verſchwiegen, erwiederte der
Foͤrſter: und ich mag um ſo weniger darnach
fragen, als es mir beinahe gewiß iſt, als es
wohl derſelbe Ungluͤckliche ſeyn mag, der un¬
laͤngſt das Geſpraͤch des Hofes war, uner¬
achtet man ſeine Naͤhe nicht vermuthete, und
ich auch meine Vermuthung zum wahren Be¬
ſten des Moͤnchs, nicht gerade bei Hofe laut
werden laſſen mochte.“ — „Aber ich darf ſie
[282] wohl erfahren, verſetzte ich: da ich ein Frem¬
der bin, und noch uͤberdies mit Hand und
Mund verſprechen will, gewiſſenhaft zu ſchwei¬
gen.“ — „Sie muͤſſen wiſſen, ſprach der Foͤr¬
ſter weiter: daß die Schweſter unſerer Fuͤrſtin
Aebtiſſin des Ciſterzienſerkloſters in * * * iſt.
Dieſe hatte ſich des Sohnes einer armen
Frau, deren Mann mit unſerm Hofe in ge¬
wiſſen geheimnißvollen Beziehungen geſtan¬
den haben ſoll, angenommen, und ihn auf¬
ziehen laſſen. Aus Neigung wurde er Ca¬
puziner, und als Kanzelredner weit und breit
bekannt. Die Aebtiſſin ſchrieb ihrer Schwe¬
ſter ſehr oft uͤber den Pflegling, und betrau¬
erte vor einiger Zeit tief ſeinen Verluſt. Er
ſoll durch den Mißbrauch einer Reliquie
ſchwer geſuͤndigt haben, und aus dem Klo¬
ſter, deſſen Zierde er ſo lange war, verbannt
worden ſeyn. Alles dieſes weiß ich aus ei¬
nem [Geſpraͤch] des fuͤrſtlichen Leibarztes mit
einem andern Herrn vom Hofe, das ich vor
einiger Zeit anhoͤrte. Sie erwaͤhnten einiger
[283] ſehr merkwuͤrdiger Umſtaͤnde, die mir jedoch,
weil ich all' die Geſchichten nicht von Grund
aus kenne, unverſtaͤndlich geblieben, und wie¬
der entfallen ſind. Erzaͤhlt nun auch der
Moͤnch ſeine Errettung aus dem Kloſtergefaͤng¬
niß auf andere Weiſe, ſoll ſie nehmlich durch
den Satan geſchehen ſeyn, ſo halte ich dies
doch fuͤr eine Einbildung, die ihm noch vom
Wahnſinn zuruͤckblieb, und meine, daß der
Moͤnch kein anderer, als eben der Bruder
Medardus iſt, den die Aebtiſſin zum geiſtli¬
chen Stande erziehen ließ, und den der Teu¬
fel zu allerlei Suͤnden verlockte, bis ihn Got¬
tes Gericht mit viehiſcher Raſerei ſtrafte.“
Als der Foͤrſter den Nahmen Medardus
nannte, durchbebte mich ein innerer Schauer,
ja die ganze Erzaͤhlung hatte mich, wie mit
toͤdtlichen Stichen, die mein Innerſtes trafen
gepeinigt. — Nur zu ſehr war ich uͤberzeugt,
daß der Moͤnch die Wahrheit geſprochen, da
nur eben ein ſolches Getraͤnk der Hoͤlle, das
er luͤſtern genoſſen, ihn aufs neue in ver¬
[284] ruchten gotteslaͤſterlichen Wahnſinn geſtuͤrzt
hatte. — Aber ich ſelbſt war herabgeſunken
zum elenden Spielwerk der boͤſen geheim¬
nißvollen Macht, die mich mit unaufloͤslichen
Banden umſtrickt hielt, ſo daß ich, der ich frei
zu ſeyn glaubte, mich nur innerhalb des Kaͤ¬
fichts bewegte, in den ich rettungslos geſperrt
worden. — Die guten Lehren des frommen
Cyrillus, die ich unbeachtet ließ, die Erſchei¬
nung des Grafen und ſeines leichtſinnigen Hof¬
meiſters, alles kam mir in den Sinn. — Ich
wußte nun, woher die ploͤtzliche Gaͤhrung im
Innern, die Aenderung meines Gemuͤths ent¬
ſtanden; ich ſchaͤmte mich meines frevelichen
Beginnens, und dieſe Schaam galt mir in
dem Augenblick fuͤr die tiefe Reue und Zer¬
knirſchung, die ich in wahrhafter Buße haͤtte
empfinden ſollen. So war ich in tiefes Nach¬
denken verſunken, und hoͤrte kaum auf den
Alten, der nun, wieder auf die Jaͤgerei ge¬
kommen, mir manchen Strauß ſchilderte,
den er mit den boͤſen Freiſchuͤtzen, gehabt.
[285] Die Daͤmmerung war eingebrochen, und wir
ſtanden vor dem Gebuͤſch, in dem die Huͤh¬
ner liegen ſollten; der Foͤrſter ſtellte mich auf
meinen Platz, ſchaͤrfte mir ein, weder zu
ſprechen, noch ſonſt mich viel zu regen, und
mit geſpanntem Hahn recht ſorglich zu lau¬
ſchen. Die Jaͤger ſchlichen leiſe auf ihre
Plaͤtze, und ich ſtand einſam in der Dunkel¬
heit, die immer mehr zunahm. — Da traten
Geſtalten aus meinem Leben hervor im duͤ¬
ſtern Walde. Ich ſah meine Mutter, die
Aebtiſſin, ſie ſchauten mich an mit ſtrafen¬
den Blicken. — Euphemie rauſchte auf mich
zu mit todtenbleichem Geſicht, und ſtarrte
mich an mit ihren ſchwarzen gluͤhenden Au¬
gen, ſie erhob ihre blutigen Haͤnde, mir dro¬
hend, ach es waren Blutstropfen Hermogens
Todeswunde entquollen, ich ſchrie auf! — Da
ſchwirrte es uͤber mir in ſtarkem Fluͤgelſchlag,
ich ſchoß blindlings in die Luft, und zwei
Huͤhner ſtuͤrzten getroffen herab. „Bravo!“
[286] rief der unfern von mir ſtehende Jaͤgerburſche,
indem er das dritte herabſchoß. — Schuͤſſe
knallten jetzt rings umher, und die Jaͤger
verſammelten ſich, jeder ſeine Beute herbei¬
tragend. Der Jaͤgerburſche erzaͤhlte, nicht
ohne liſtige Seitenblicke auf mich, wie ich
ganz laut aufgeſchrien, da die Huͤhner dicht
uͤber meinen Kopf weggeſtrichen, als haͤtte ich
großen Schreck, und dann ohne einmal recht
anzulegen, blindlings drunter geſchoſſen, und
doch zwei Huͤhner getroffen; ja es ſey in
der Finſterniß ihm vorgekommen, als haͤtte
ich das Gewehr ganz nach anderer Richtung
hingehalten, und doch waͤren die Huͤhner ge¬
ſtuͤrzt. Der alte Foͤrſter lachte laut auf, daß
ich ſo uͤber die Huͤhner erſchrocken ſey, und
mich nur gewehrt habe, mit Drunterſchießen.
— „Uebrigens, mein Herr! fuhr er ſcherzend
fort: will ich hoffen, daß ſie ein ehrlicher
frommer Waidmann, und kein Freijaͤger ſind,
der es mit dem Boͤſen haͤlt, und hinſchießen
kann, wo er will, ohne das zu fehlen, was
[287] er zu treffen Willens.“ — Dieſer gewiß un¬
befangene Scherz des Alten, traf mein In¬
nerſtes, und ſelbſt mein gluͤcklicher Schuß in
jener aufgeregten entſetzlichen Stimmung,
den doch nur der Zufall herbeigefuͤhrt, er¬
fuͤllte mich mit Grauen. Mit meinem Selbſt
mehr als jemals entzweit, wurde ich mir
ſelbſt zweideutig, und ein inneres Grauſen
umfing mein eignes Weſen mit zerſtoͤrender
Kraft.
Als wir ins Haus zuruͤckkamen, berich¬
tete Chriſtian, daß der Moͤnch ſich im Thurm
ganz ruhig verhalten, kein einziges Wort ge¬
ſprochen, und auch keine Nahrung zu ſich ge¬
nommen habe. „Ich kann ihn nun nicht
laͤnger bei mir behalten, ſprach der Foͤrſter:
denn wer ſteht mir dafuͤr, daß ſein, wie es
ſcheint, unheilbarer Wahnſinn nach langer
Zeit nicht aufs Neue ausbricht, und er ir¬
gend ein entſetzliches Unheil hier im Hauſe
anrichtet; er muß morgen in aller Fruͤhe mit
Chriſtian und Franz nach der Stadt; mein
[288] Bericht uͤber den ganzen Vorgang iſt laͤngſt
fertig, und da mag er denn in die Irrenan¬
ſtalt gebracht werden.“
Als ich in meinem Gemach allein war,
ſtand mir Hermogens Geſtalt vor Augen,
und wenn ich ſie faſſen wollte mit ſchaͤrfe¬
rem Blick, wandelte ſie ſich um in den wahn¬
ſinnigen Moͤnch. Beide floſſen in meinem
Gemuͤth in Eins zuſammen, und bildeten ſo
die Warnung der hoͤhern Macht, die ich wie
dicht vor dem Abgrunde vernahm. Ich ſtieß
an die Korbflaſche, die noch auf dem Boden
lag; der Moͤnch hatte ſie bis auf den letzten
Tropfen ausgeleert, und ſo war ich jeder
neuen Verſuchung, davon zu genießen, entho¬
ben: aber auch ſelbſt die Flaſche, aus der
noch ein ſtarker berauſchender Duft ſtroͤmte,
ſchleuderte ich fort, durch das offne Fenſter
uͤber die Hofmauer weg, um ſo jede moͤgliche
Wirkung des verhaͤngnißvollen Elixiers zu
vernichten. — Nach und nach wurde ich ru¬
higer, ja der Gedanke ermuthigte mich, daß
ich[289] ich auf jeden Fall in geiſtiger Hinſicht erha¬
ben ſeyn muͤſſe uͤber jenen Moͤnch, den das
dem meinigen gleiche Getraͤnk in wilden
Wahnſinn ſtuͤrzte. Ich fuͤhlte, wie dies ent¬
ſetzliche Verhaͤngniß bei mir voruͤbergeſtreift;
ja daß der alte Foͤrſter, den Moͤnch eben fuͤr
den ungluͤcklichen Medardus, fuͤr mich ſelbſt,
hielt, war mir ein Fingerzeig der hoͤheren
heiligen Macht, die mich noch nicht ſinken
laſſen wollte, in das troſtloſe Elend. — Schien
nicht der Wahnſinn, der uͤberall ſich mir in
den Weg ſtellte, nur allein vermoͤgend, mein
Inneres zu durchblicken, und immer dringen¬
der vor dem boͤſen Geiſte zu warnen, der
mir, wie ich glaubte, ſichtbarlich in der Ge¬
ſtalt des bedrohlichen geſpenſtiſchen Mahlers
erſchienen? —
Unwiderſtehlich zog es mich fort nach
der Reſidenz. Die Schweſter meiner Pflege¬
mutter, die, wie ich mich beſann, der Aeb¬
tiſſin ganz aͤhnlich war, da ich ihr Bild oͤf¬
ters geſehen, ſollte mich wieder zuruͤckfuͤhren
I. [ 19 ][290] in das fromme ſchuldloſe Leben, wie es ehe¬
mals mir bluͤhte, denn dazu bedurfte es in
meiner jetzigen Stimmung nur ihres Anblicks
und der dadurch erweckten Erinnerungen.
Dem Zufall wollte ich es uͤberlaſſen, mich in
ihre Naͤhe zu bringen.
Kaum war es Tag worden, als ich des
Foͤrſters Stimme im Hofe vernahm; fruͤh
ſollte ich mit dem Sohne abreiſen, ich warf
mich daher ſchnell in die Kleider. Als ich
herabkam, ſtand ein Leiterwagen mit Stroh¬
ſitzen zum Abfahren bereit, vor der Haus¬
thuͤr; man brachte den Moͤnch, der mit tod¬
tenbleichem und verſtoͤrtem Geſicht ſich ge¬
duldig fuͤhren ließ. Er antwortete auf keine
Frage, er wollte nichts genießen, kaum ſchien
er die Menſchen um ſich zu gewahren. Man
hob ihn auf den Wagen, und band ihn mit
Stricken feſt, da ſein Zuſtand allerdings
bedenklich ſchien, und man vor dem ploͤtzli¬
chen Ausbruch einer innern verhaltenen Wuth
keinesweges ſicher war. Als man ſeine Aer¬
[291] me feſtſchnuͤrte, verzog ſich ſein Geſicht
krampfhaft, und er aͤchzte leiſe. Sein Zu¬
ſtand durchbohrte mein Herz, er war mir
verwandt worden, ja nur ſeinem Verderben
verdankte ich vielleicht meine Rettung. Chri¬
ſtian und ein Jaͤgerburſche ſetzten ſich neben
ihm in den Wagen. Erſt im fortfahren fiel
ſein Blick auf mich, und er wurde ploͤtzlich
von tiefem Staunen ergriffen; als der Wa¬
gen ſich ſchon entfernte (wir waren ihm bis
vor die Mauer gefolgt) blieb ſein Kopf ge¬
wandt, und ſein Blick auf mich gerichtet.
„Sehen Sie, ſagte der alte Foͤrſter: wie er
Sie ſo ſcharf ins Auge faßt; ich glaube, daß
Ihre Gegenwart im Speiſezimmer, die er
nicht vermuthete, auch viel zu ſeinem raſen¬
den Beginnen beigetragen hat, denn ſelbſt in
ſeiner guten Periode blieb er ungemein ſcheu,
und hatte immer den Argwohn, daß ein
Fremder kommen, und ihn toͤdten wuͤrde.
Vor dem Tode hat er nehmlich eine ganz
ungemeſſene Furcht, und durch die Drohung
[292] ihn gleich erſchießen zu laſſen, habe ich
oft den Ausbruͤchen ſeiner Raſerei wider¬
ſtanden.“
Mir war wohl und leicht, daß der Moͤnch,
deſſen Erſcheinung mein eignes Ich in ver¬
zerrten graͤßlichen Zuͤgen reflektirte, entfernt
worden. Ich freuete mich auf die Reſidenz,
denn es war mir, als ſolle dort die Laſt des
ſchweren finſtern Verhaͤngniſſes, die mich
niedergedruͤckt, mir entnommen werden, ja,
als wuͤrde ich mich dort, erkraͤftigt, der
boͤſen Macht, die mein Leben befangen, ent¬
reißen koͤnnen. Als das Fruͤhſtuͤck ver¬
zehrt, fuhr der ſaubre mit raſchen Pfer¬
den beſpannte Reiſewagen des Foͤrſters
vor. — Kaum gelang es mir, der Frau
fuͤr die Gaſtlichkeit, mit der ich aufgenom¬
men, etwas Geld, ſo wie den beiden bild¬
huͤbſchen Toͤchtern einige Galanteriewaaren,
die ich zufaͤllig bei mir trug, aufzudringen.
Die ganze Familie nahm ſo herzlichen Ab¬
[293] ſchied, als ſey ich laͤngſt im Hauſe bekannt
geweſen, der Alte ſcherzte noch viel uͤber
mein Jaͤgertalent. Heiter und froh fuhr
ich von dannen.
Vierter Abſchnitt.
Das Leben am fürſtlichen Hofe.
Die Reſidenz des Fuͤrſten bildete gerade
den Gegenſatz zu der Handelsſtadt, die ich
verlaſſen. Im Umfange bedeutend kleiner,
war ſie regelmaͤßiger und ſchoͤner gebaut,
aber ziemlich menſchenleer. Mehrere Stra¬
ßen worin Alleen gepflanzt, ſchienen mehr
Anlagen eines Parks zu ſeyn, als zur Stadt
zu gehoͤren; alles bewegte ſich ſtill und fei¬
erlich, ſelten von dem raſſelnden Geraͤuſch ei¬
nes Wagens unterbrochen. Selbſt in der
Kleidung, und in dem Anſtande der Einwoh¬
[295] ner, bis auf den gemeinen Mann, herrſchte
eine gewiſſe Zierlichkeit, ein Streben, aͤußere
Bildung zu zeigen.
Der fuͤrſtliche Pallaſt war nichts weni¬
ger als groß, auch nicht im großen Styl er¬
baut, aber Ruͤckſichts der Eleganz, der rich¬
tigen Verhaͤltniſſe, eines der ſchoͤnſten Ge¬
baͤude, die ich jemals geſehen; an ihn ſchloß
ſich ein anmuthiger Park, den der liberale
Fuͤrſt den Einwohnern zum Spaziergange ge¬
oͤffnet.
Man ſagte mir in dem Gaſthauſe, wo
ich eingekehrt, daß die fuͤrſtliche Familie ge¬
woͤhnlich Abends einen Gang durch den Park
zu machen pflege, und daß viele Einwohner
dieſe Gelegenheit niemals verſaͤumten, den
guͤtigen Landesherrn zu ſehen. Ich eilte um
die beſtimmte Stunde in den Park, der Fuͤrſt
trat mit ſeiner Gemahlin und einer geringen
Umgebung aus dem Schloſſe. — Ach! — bald
ſah ich nichts mehr, als die Fuͤrſtin, ſie die
meiner Pflegemutter ſo aͤhnlich war! — Die¬
[296] ſelbe Hoheit, dieſelbe Anmuth in jeder Ih¬
rer Bewegungen, derſelbe geiſtvolle Blick
des Auges, dieſelbe freie Stirne, das himm¬
liſche Laͤcheln. — Nur ſchien ſie mir im
Wuchſe voller und juͤnger, als die Aebtiſſin.
Sie redete liebreich mit mehreren Frauen¬
zimmern, die ſich eben in der Allee befanden,
waͤhrend der Fuͤrſt mit einem ernſten Mann
im intereſſanten eifrigen Geſpraͤch begriffen
ſchien. — Die Kleidung, das Benehmen der
fuͤrſtlichen Familie, ihre Umgebung, alles
griff ein in den Ton des Ganzen. Man ſah
wohl, wie die anſtaͤndige Haltung in einer
gewiſſen Ruhe und anſpruchsloſen Zierlich¬
keit, in der ſich die Reſidenz erhielt, von
dem Hofe ausgieng. Zufaͤllig ſtand ich bei
einem aufgeweckten Mann, der mir auf alle
moͤgliche Fragen Beſcheid gab, und manche
muntere Anmerkung einzuflechten wußte. Als
die fuͤrſtliche Familie voruͤber war, ſchlug er
mir vor einen Gang durch den Park zu ma¬
chen, und mir, dem Fremden, die geſchmack¬
[297] vollen Anlagen, zu zeigen, welche uͤberall in
denſelben anzutreffen: das war mir nun
ganz recht, und ich fand in der That, daß
uͤberall der Geiſt der Anmuth und des ge¬
regelten Geſchmacks verbreitet, wiewohl mir
oft in den im Park zerſtreuten Gebaͤuden,
das Streben nach der antiken Form, die
nur die grandioſeſten Verhaͤltniſſe duldet,
den Bauherrn zu Kleinlichkeiten verleitet
zu haben ſchien. Antike Saͤulen, deren
Capitaͤler ein großer Mann beinahe mit der
Hand erreicht, ſind wohl ziemlich laͤcherlich.
Eben ſo gab es in entgegengeſetzter Art im
andern Theil des Parks ein paar gothiſche
Gebaͤude, die ſich in ihrer Kleinheit gar zu
kleinlich ausnahmen. Ich glaube, daß das
Nachahmen gothiſcher Formen beinahe noch
gefaͤhrlicher iſt, als jenes Streben nach dem
Antiken. Denn iſt es auch allerdings rich¬
tig, daß kleine Kapellen dem Baumeiſter,
der Ruͤckſichts der Groͤße des Gebaͤudes, und
der darauf zu verwendenden Koſten einge¬
[298] ſchraͤnkt iſt, Anlaß genug geben, in jenem
Styl zu bauen, ſo moͤchte es doch wohl mit
den Spitzbogen, bizarren Saͤulen, Schnoͤr¬
keln, die man dieſer oder jener Kirche nach¬
ahmt, nicht gethan ſeyn, da nur der Bau¬
meiſter etwas wahrhaftiges in der Art lei¬
ſten wird, der ſich von dem tiefen Sinn, —
wie er in den alten Meiſtern wohnte, wel¬
che das willkuͤhrlich, ja das heterogen ſchei¬
nende, ſo herrlich zu einem ſinnigen bedeu¬
tungsvollen Ganzen zu verbinden wußten, —
beſeelt fuͤhlt. Es iſt mit einem Wort, der
ſeltene Sinn fuͤr das Romantiſche, der den
gothiſchen Baumeiſter leiten muß, da hier
von dem ſchulgerechten, an das er ſich bei
der antiken Form halten kann, nicht die Re¬
de iſt. Ich aͤußerte alles dieſes meinem Be¬
gleiter; er ſtimmte mir vollkommen bei, und
ſuchte nur fuͤr jene Kleinigkeiten darinn ei¬
ne Entſchuldigung, daß die in einem Park
noͤthige Abwechslung, und ſelbſt das Beduͤrf¬
niß, hie und da Gebaͤude, als Zufluchtsort
[299] bei ploͤtzlich einbrechendem Unwetter, oder
auch nur zur Erholung, zum Ausruhen zu
finden, beinahe von ſelbſt jene Mißgriffe her¬
beifuͤhre. — Die einfachſten anſpruchsloſe¬
ſten Gartenhaͤuſer, Strohdaͤcher auf Baum¬
ſtaͤmme geſtuͤtzt, und in anmuthige Gebuͤſche
verſteckt, die eben jenen angedeuteten Zweck
erreichten, meinte ich dagegen, waͤren mir
lieber, als alle jene Tempelchen und Capell¬
chen; und ſollte denn nun einmal gezimmert
und gemauert werden, ſo ſtehe dem geiſtrei¬
chen Baumeiſter, der Ruͤckſichts des Umfan¬
ges und der Koſten beſchraͤnkt ſey, wohl ein
Styl zu Gebothe, der, ſich zum antiken oder
zum gothiſchen hinneigend, ohne kleinliche
Nachahmerei, ohne Anſpruch, das grandioſe
alte Muſter zu erreichen, nur das Anmu¬
thige, den dem Gemuͤthe des Beſchauers
wohlthuenden Eindruck bezwecke.
„Ich bin ganz Ihrer Meinung, erwie¬
derte mein Begleiter: indeſſen ruͤhren alle
dieſe Gebaͤude, ja die Anlage des ganzen
[300] Parks von dem Fuͤrſten ſelbſt her, und die¬
ſer Umſtand beſchwichtigt, wenigſtens bei
uns Einheimiſchen, jeden Tadel. — Der
Fuͤrſt iſt der beſte Menſch, den es auf der
Welt geben kann, von je her hat er den
wahrhaft landesvaͤterlichen Grundſatz, daß
die Unterthanen nicht ſeinetwegen da waͤren,
er vielmehr der Unterthanen wegen da ſey,
recht an den Tag gelegt. Die Freiheit, alles
zu aͤußern, was man denkt; die Geringfuͤgig¬
keit der Abgaben, und der daraus entſprin¬
gende niedrige Preis aller Lebensbeduͤrfniſſe;
das gaͤnzliche Zuruͤcktreten der Polizei, die
nur dem boshaften Uebermuthe ohne Ge¬
raͤuſch Schranken ſetzt, und weit entfernt iſt
den einheimiſchen Buͤrger, ſo wie den Frem¬
den, mit gehaͤſſigem Amtseifer zu quaͤlen; die
Entfernung alles ſoldatiſchen Unweſens, die
gemuͤthliche Ruhe, womit Geſchaͤfte, Ge¬
werbe getrieben werden: alles das wird Ih¬
nen den Aufenthalt in unſerm Laͤndchen er¬
freulich machen. Ich wette, daß man Sie
[301] bis jetzt noch nicht nach Namen und Stand
gefragt hat, und der Gaſtwirth keinesweges,
wie in andern Staͤdten, in der erſten Vier¬
telſtunde mit dem großen Buche unterm Arm
feierlich angeruͤckt iſt, worin man genoͤthigt
wird, ſeinen eignen Steckbrief mit ſtumpfer
Feder und blaſſer Tinte hineinzukritzeln.
Kurz, die ganze Einrichtung unſeres kleinen
Staats, in dem die wahre Lebensweisheit
herrſcht, geht von unſerm herrlichen Fuͤrſten
aus, da vorher die Menſchen, wie man mir
geſagt hat, durch albernen Pedantismus ei¬
nes Hofes, der die Ausgabe des benachbar¬
ten großen Hofes in Taſchenformat war, ge¬
quaͤlt wurden. Der Fuͤrſt liebt Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften, daher iſt ihm jeder geſchickte
Kuͤnſtler, jeder geiſtreiche Gelehrte willkom¬
men, und der Grad ſeines Wiſſens nur iſt
die Ahnenprobe, die die Faͤhigkeit beſtimmt,
in der naͤchſten Umgebung des Fuͤrſten er¬
ſcheinen zu duͤrfen. Aber eben in die Kunſt
und Wiſſenſchaft des vielſeitig gebildeten Fuͤr¬
[302] ſten, hat ſich etwas von dem Pedantismus
geſchlichen, der ihn bei ſeiner Erziehung ein¬
zwaͤngte, und der ſich jetzt in dem ſklaviſchen
Anhaͤngen an irgend eine Form, ausſpricht.
Er ſchrieb und zeichnete den Baumeiſtern
mit aͤngſtlicher Genauigkeit jedes Detail der
Gebaͤude vor, und jede geringe Abweichung,
von dem aufgeſtellten Muſter, das er muͤh¬
ſam aus allen nur moͤglichen antiquariſchen
Werken herausgeſucht, konnte ihn eben ſo
aͤngſtigen, als wenn dieſes oder jenes dem
verjuͤngten Maasſtab, den ihm die beengten
Verhaͤltniſſe aufdrangen, ſich durchaus nicht
fuͤgen wollte. Durch eben das Anhaͤngen
an dieſe oder jene Form, die er liebgewon¬
nen, leidet auch unſer Theater, das von der
einmal beſtimmten Manier, der ſich die hete¬
rogenſten Elemente fuͤgen muͤſſen, nicht ab¬
weicht. Der Fuͤrſt wechſelt mit gewiſſen
Lieblingsneigungen, die aber gewiß niemals
irgend jemanden zu nahe treten. Als der
Park angelegt wurde, war er leidenſchaftli¬
[303] cher Baumeiſter und Gaͤrtner, dann begei¬
ſterte ihn der Schwung, den ſeit einiger Zeit
die Muſik genommen, und dieſer Begeiſte¬
rung verdanken wir die Einrichtung einer
ganz vorzuͤglichen Capelle. — Dann beſchaͤf¬
tigte ihn die Mahlerei, in der er ſelbſt das
Ungewoͤhnliche leiſtet. Selbſt bei den taͤgli¬
chen Beluſtigungen des Hofes, findet dieſer
Wechſel ſtatt. — Sonſt wurde viel getanzt,
jetzt wird an Geſellſchaftstagen eine Faro¬
bank gehalten, und der Fuͤrſt ohne im min¬
deſten eigentlicher Spieler zu ſeyn, ergoͤtzt
ſich an den ſonderbaren Verknuͤpfungen des
Zufalls, doch bedarf es nur irgend eines
Impulſes, um wieder etwas anderes an die
Tagesordnung zu bringen. Dieſer ſchnelle
Wechſel der Neigungen hat dem guten Fuͤr¬
ſten den Vorwurf zugezogen, daß ihm dieje¬
nige Tiefe des Geiſtes fehle, in der ſich wie
in einen klaren ſonnenhellen See das far¬
benreiche Bild des Lebens unveraͤndert ſpie¬
gelt; meiner Meinung nach thut man ihm
[304] aber Unrecht, da eine beſondere Regſamkeit
des Geiſtes nur ihn dazu treibt, dieſem oder
jenem nach erhaltenem Impuls mit beſonde¬
rer Leidenſchaft nachzuhaͤngen, ohne daß dar¬
uͤber das eben ſo edle vergeſſen, oder auch
nur vernachlaͤſſigt werden ſollte. Daher
kommt es, daß Sie dieſen Park ſo wohl er¬
halten ſehen, daß unſere Capelle, unſer Thea¬
ter fortdauernd auf alle moͤgliche Weiſe un¬
terſtuͤtzt und gehoben, daß die Gemaͤhldeſamm¬
lung nach Kraͤften bereichert wird. Was
aber den Wechſel der Unterhaltungen bei
Hofe betrifft, ſo iſt das wohl ein heitres
Spiel im Leben, das jeder dem regſamen
Fuͤrſten zur Erholung vom ernſten oft muͤhe¬
vollen Geſchaͤft recht herzlich goͤnnen mag.“
Wir gingen eben bei ganz herrlichen,
mit tiefem mahleriſchem Sinn gruppirten Ge¬
buͤſchen und Baͤumen voruͤber, ich aͤußerte
meine Bewunderung, und mein Begleiter
ſagte: „alle dieſe Anlagen, dieſe Pflanzun¬
gen, dieſe Blumengruppen ſind das Werk
der[305] der vortrefflichen Fuͤrſtin. Sie iſt ſelbſt vol¬
lendete Landſchaftsmahlerin, und außerdem
die Naturkunde ihre Lieblingswiſſenſchaft.
Sie finden daher auslaͤndiſche Baͤume, ſel¬
tene Blumen und Pflanzen, aber nicht wie
zur Schau ausgeſtellt, ſondern mit tiefem
Sinn ſo geordnet, und in zwangloſe Par¬
thien vertheilt, als waͤren ſie ohne alles Zu¬
thun der Kunſt aus heimathlichem Boden ent¬
ſproſſen. — Die Fuͤrſtin aͤußerte einen Ab¬
ſcheu gegen all' die aus Sandſtein unbehol¬
fen gemeißelten Goͤtter und Goͤttinnen, Na¬
jaden und Driaden, wovon ſonſt der Park
wimmelte. Dieſe Standbilder ſind deshalb
verbannt worden, und Sie finden nur noch
einige gute Copien nach der Antike, die der
Fuͤrſt gewiſſer, ihm theurer Erinnerungen we¬
gen gern im Park behalten wollte, die aber
die Fuͤrſtin ſo geſchickt — mit zartem Sinn des
Fuͤrſten innerſte Willensmeinung ergreifend —
aufſtellen zu laſſen wußte, daß ſie auf je¬
I. [ 20 ][306] den, dem auch die geheimere Beziehungen
fremd ſind, ganz wunderbar wirken.“
Es war ſpaͤter Abend geworden, wir
verließen den Park, mein Begleiter nahm
die Einladung an, mit mir im Gaſthofe zu
ſpeiſen, und gab ſich endlich als den Inſpektor
der fuͤrſtlichen Bildergallerie zu erkennen.
Ich aͤußerte ihm, als wir bei der Mahl¬
zeit vertrauter geworden, meinen herzlichen
Wunſch, der fuͤrſtlichen Familie naͤher zu
treten, und er verſicherte, daß nichts leichter
ſey, als dieſes, da jeder gebildete, geiſtreiche
Fremde im Zirkel des Hofes willkommen
waͤre. Ich duͤrfe nur dem Hofmarſchall den
Beſuch machen, und ihn bitten, mich dem
Fuͤrſten vorzuſtellen. Dieſe diplomatiſche Art,
zum Fuͤrſten zu gelangen, gefiel mir um ſo
weniger, als ich kaum hoffen konnte, gewiſ¬
ſen laͤſtigen Fragen des Hofmarſchalls, uͤber
das „Woher?“ uͤber Stand und Charakter zu
entgehen; ich beſchloß daher, dem Zufall zu
vertrauen, der mir vielleicht, den kuͤrzeren
[307] Weg zeigen wuͤrde, und das traf auch in
der That bald ein. Als ich nehmlich eines
Morgens in dem, zur Stunde gerade ganz
menſchenleeren, Park luſtwandelte, begegnete
mir der Fuͤrſt in einem ſchlichten Oberrock.
Ich gruͤßte ihn, als ſey er mir gaͤnzlich un¬
bekannt, er blieb ſtehen, und eroͤffnete das
Geſpraͤch mit der Frage: „ob ich fremd hier
ſey?“ — Ich bejahte es, mit dem Zuſatz, wie
ich vor ein paar Tagen angekommen, und
bloß durchreiſen wollen; die Reize des Orts,
und vorzuͤglich die Gemuͤthlichkeit und Ruhe
die hier uͤberall herrſche, haͤtten mich aber
vermocht zu verweilen. Ganz unabhaͤngig,
bloß der Wiſſenſchaft und der Kunſt lebend,
waͤre ich geſonnen, recht lange hier zu blei¬
ben, da mich die ganze Umgebung auf hoͤch¬
ſte Weiſe anſpreche und anziehe. Dem Fuͤr¬
ſten ſchien das zu gefallen, und er erbot ſich
mir als Cicerone alle Anlagen des Parks zu
zeigen. Ich huͤtete mich zu verrathen, daß
ich das Alles ſchon geſehen, ſondern ließ mich
[308] durch alle Grotten, Tempel, gothiſche Capel¬
len, Pavillons fuͤhren, und hoͤrte geduldig
die weitſchweifigen Commentare an, die der
Fuͤrſt von jeder Anlage gab. Ueberall nannte
er die Muſter, nach welchen gearbeitet wor¬
den, machte mich auf die genaue Ausfuͤhrung
der geſtellten Aufgaben aufmerkſam, und ver¬
breitete ſich uͤberhaupt uͤber die eigentliche
Tendenz, die bei der ganzen Einrichtung die¬
ſes Parks zum Grunde gelegen, und die bei
jedem Park vorwalten ſollte. Er frug nach
meiner Meinung; ich ruͤhmte die Anmuth
des Orts, die uͤppige herrliche Vegetation,
unterließ aber auch nicht Ruͤckſichts der Ge¬
baͤude, mich eben ſo wie gegen den Gallerie-
Inſpektor zu aͤußern. Er hoͤrte mich auf¬
merkſam an, er ſchien manches meiner Ur¬
theile nicht gerade zu verwerfen, indeſſen
ſchnitt er jede weitere Diskuſſion uͤber dieſen
Gegenſtand durch die Aeußerung ab, daß ich
zwar in ideeller Hinſicht Recht haben koͤnne,
indeſſen mir die Kenntniß des Praktiſchen,
[309] und der wahren Art der Ausfuͤhrung fuͤr's
Leben, abzugehen ſcheine. Das Geſpraͤch
wandte ſich zur Kunſt, ich bewies mich als
guter Kenner der Mahlerei, und als prakti¬
ſcher Tonkuͤnſtler, ich wagte manchen Wi¬
derſpruch gegen ſeine Urtheile, die geiſtreich
und praͤzis ſeine innere Ueberzeugung aus¬
ſprachen, aber auch wahrnehmen ließen, daß
ſeine Kunſtbildung zwar bei weitem die uͤber¬
traf, wie ſie die Großen gemeinhin zu erhal¬
ten pflegen, indeſſen doch viel zu oberflaͤch¬
lich war, um nur die Tiefe zu ahnen, aus
der dem wahren Kuͤnſtler die herrliche Kunſt
aufgeht, und in ihm den goͤttlichen Funken
des Strebens nach dem Wahrhaftigen ent¬
zuͤndet. Meine Widerſpruͤche, meine Anſich¬
ten galten ihm nur als Beweis meines Di¬
lettantismus, der gewoͤhnlich nicht von der
wahren praktiſchen Einſicht erleuchtet werde.
Er belehrte mich uͤber die wahren Tenden¬
zen der Mahlerei und der Muſik, uͤber die
Bedingniſſe des Gemaͤhldes, der Oper. — Ich
[310] erfuhr viel von Colorit, Drapperie, Pyrami¬
dalgruppen, von ernſter und komiſcher Mu¬
ſik, von Szenen fuͤr die Prima donna, von
Choͤren, vom Effekt, vom Helldunkel, der Be¬
leuchtung u. ſ. w. Ich hoͤrte alles an, ohne
den Fuͤrſten, der ſich in dieſer Unterhaltung
recht zu gefallen ſchien, zu unterbrechen.
Endlich ſchnitt er ſelbſt ſeine Rede ab, mit
der ſchnellen Frage: ſpielen Sie Faro? —
Ich verneinte es. „Das iſt ein herrliches
Spiel, fuhr er fort: in ſeiner hohen Einfach¬
heit das wahre Spiel fuͤr geiſtreiche Maͤn¬
ner. Man tritt gleichſam aus ſich ſelbſt her¬
aus, oder beſſer, man ſtellt ſich auf einen
Standpunkt, von dem man die ſonderbaren
Verſchlingungen und Verknuͤpfungen, die die
geheime Macht, welche wir Zufall nennen,
mit unſichtbarem Faden ſpinnt, zu erblicken
im Stande iſt. Gewinn und Verluſt ſind
die beiden Angeln, auf denen ſich die ge¬
heimnißvolle Maſchiene bewegt, die wir an¬
geſtoßen, und die nur der ihr einwohnende
[311] Geiſt nach Willkuͤhr forttreibt. — Das Spiel
muͤſſen Sie lernen, ich will ſelbſt Ihr Lehr¬
meiſter ſeyn.“ — Ich verſicherte, bis jetzt nicht
viel Luſt zu einem Spiel in mir zu ſpuͤren,
das, wie mir oft verſichert worden, hoͤchſt
gefaͤhrlich und verderblich ſeyn ſolle. — Der
Fuͤrſt laͤchelte, und fuhr, mich mit ſeinen leb¬
haften klaren Augen ſcharf anblickend, fort:
„Ey, das ſind kindiſche Seelen, die das be¬
haupten, aber am Ende halten Sie mich
wohl fuͤr einen Spieler, der Sie ins Garn
locken will. — Ich bin der Fuͤrſt; gefaͤllt es
Ihnen hier in der Reſidenz, ſo bleiben Sie
hier, und beſuchen Sie meinen Zirkel, in
dem wir manchmal Faro ſpielen, ohne daß
ich zugebe, daß ſich irgend jemand durch dies
Spiel derangire, unerachtet das Spiel bedeu¬
tend ſeyn muß, um zu intereſſiren, denn der
Zufall iſt traͤge, ſo bald ihm nur Unbedeu¬
tendes dargeboten wird.“
Schon im Begriff mich zu verlaſſen,
kehrte der Fuͤrſt ſich noch zu mir, und frug:
[312] „mit wem habe ich aber geſprochen?“ — Ich
erwiederte, daß ich Leonard heiße, und als
Gelehrter privatiſire, ich ſey uͤbrigens keines¬
weges von Adel, und duͤrfe vielleicht daher
von der mir angebotenen Gnade, im Hofzir¬
kel zu erſcheinen, keinen Gebrauch machen.
„Was Adel, was Adel, rief der Fuͤrſt hef¬
tig: Sie ſind, wie ich mich uͤberzeugt habe,
ein ſehr unterrichteter, geiſtreicher Mann. —
Die Wiſſenſchaft adelt Sie, und macht Sie
faͤhig, in meiner Umgebung zu erſcheinen.
Adieu, Herr Leonard, auf Wiederſehen!“ —
So war denn mein Wunſch fruͤher und leich¬
ter, als ich es mir gedacht hatte, erfuͤllt.
Zum erſtenmal in meinem Leben, ſollte ich
an einem Hofe erſcheinen, ja, in gewiſſer
Art ſelbſt am Hofe leben, und mir gingen
all' die abentheuerlichen Geſchichten von den
Kabalen, Raͤnken, Intriguen der Hoͤfe, wie
ſie ſinnreiche Roman- und Comoͤdienſchreiber
aushecken, durch den Kopf. Nach Ausſage
dieſer Leute, mußte der Fuͤrſt von Boͤſewich¬
[313] tern aller Art umgeben, und verblendet, in¬
ſonderheit aber der Hofmarſchall ein ahnen¬
ſtolzer abgeſchmackter Pinſel, der erſte Miniſter
ein raͤnkevoller habſuͤchtiger Boͤſewicht, die
Kammerjunker muͤſſen aber lockere Menſchen
und Maͤdchenverfuͤhrer ſeyn. — Jedes Ge¬
ſicht iſt kunſtmaͤßig in freundliche Falten ge¬
legt, aber im Herzen Lug und Trug; ſie
ſchmelzen vor Freundſchaft und Zaͤrtlichkeit,
ſie buͤcken und kruͤmmen ſich, aber jeder iſt
des andern unverſoͤhnlicher Feind, und ſucht
ihm hinterliſtig ein Bein zu ſtellen, daß er
rettungslos umſchlaͤgt, und der Hintermann
in ſeine Stelle tritt, bis ihm ein gleiches wie¬
derfaͤhrt. Die Hofdamen ſind haͤßlich, ſtolz,
raͤnkevoll, dabei verliebt, und ſtellen Netze
und Sprenkeln, vor denen man ſich zu huͤ¬
ten hat, wie vor dem Feuer! — So ſtand
das Bild eines Hofes in meiner Seele, als
ich im Seminar ſo viel davon geleſen; es
war mir immer, als treibe der Teufel da
recht ungeſtoͤrt ſein Spiel, und unerachtet
[314] mir Leonardus manches von Hoͤfen, an de¬
nen er ſonſt geweſen, erzaͤhlte, was zu mei¬
nen Begriffen davon durchaus nicht paſſen
wollte, ſo blieb mir doch eine gewiſſe Scheu
vor allem Hoͤfiſchen zuruͤck, die noch jetzt,
da ich im Begriff ſtand, einen Hof zu ſe¬
hen, ihre Wirkung aͤußerte. Mein Verlan¬
gen, der Fuͤrſtin naͤher zu treten, ja eine in¬
nere Stimme, die mir unaufhoͤrlich, wie in
dunklen Worten zurief, daß hier mein Ge¬
ſchick ſich beſtimmen werde, trieben mich un¬
widerſtehlich fort, und um die beſtimmte
Stunde befand ich mich, nicht ohne innere
Beklemmung, im fuͤrſtlichen Vorſaal. —
Mein ziemlich langer Aufenthalt in je¬
ner Reichs- und Handelsſtadt, hatte mir dazu
gedient, all das ungelenke, ſteife, eckigte
meines Betragens, das mir ſonſt noch vom
Kloſterleben anklebte, ganz abzuſchleifen.
Mein von Natur geſchmeidiger, vorzuͤglich
wohlgebauter Koͤrper, gewoͤhnte ſich leicht an
die ungezwungene freie Bewegung, die dem
[315] Weltmann eigen. Die Blaͤſſe, die den jun¬
gen Moͤnch auch bei ſchoͤnem Geſicht entſtellt,
war aus meinem Geſicht verſchwunden, ich
befand mich in den Jahren der hoͤchſten
Kraft, die meine Wangen roͤthete, und aus
meinen Augen blitzte; meine dunkelbraunen
Locken verbargen jedes Ueberbleibſel der Ton¬
ſur. Zu dem Allen kam, daß ich eine feine
zierliche ſchwarze Kleidung im neueſten Ge¬
ſchmack trug, die ich aus der Handelsſtadt
mitgebracht, und ſo konnte es nicht fehlen,
daß meine Erſcheinung angenehm auf die
ſchon Verſammelten wirken mußte, wie ſie
es durch ihr zuvorkommendes Betragen, das,
ſich in den Schranken der hoͤchſten Feinheit
haltend, nicht zudringlich wurde, bewieſen.
So wie nach meiner, aus Romanen und Co¬
moͤdien gezogenen Theorie, der Fuͤrſt, als er
mit mir im Park ſprach, bei den Worten:
ich bin der Fuͤrſt, eigentlich den Oberrock
raſch aufknoͤpfen, und mir einen großen
Stern entgegen blitzen laſſen mußte, ſo ſoll¬
[316] ten auch all' die Herren, die den Fuͤrſten um¬
gaben, in geſtickten Roͤcken, ſteifen Friſuren
u. ſ. w. einhergehen, und ich war nicht we¬
nig verwundert, nur einfache, geſchmackvolle
Anzuͤge zu bemerken. Ich nahm wahr, daß
mein Begriff vom Leben am Hofe wohl uͤber¬
haupt ein kindiſches Vorurtheil ſeyn koͤnne,
meine Befangenheit verlohr ſich, und ganz er¬
muthigte mich der Fuͤrſt, der mit den Worten
auf mich zutrat: „Sieh da, Herr Leonard!“
und dann uͤber meinen ſtrengen kunſtrichter¬
lichen Blick ſcherzte, mit dem ich ſeinen Park
gemuſtert. — Die Fluͤgelthuͤren oͤffneten ſich,
und die Fuͤrſtin trat in den Converſations¬
ſaal, nur von zwei Hofdamen begleitet. Wie
erbebte ich bei ihrem Anblick im Innerſten,
wie war ſie nun, beim Schein der Lichter,
meiner Pflegemutter noch aͤhnlicher als ſonſt.
— Die Damen umringten ſie, man ſtellte
mich vor, ſie ſah mich an mit einem Blick,
der Erſtaunen, eine innere Bewegung ver¬
rieth; ſie lispelte einige Worte, die ich nicht
[317] verſtand, und kehrte ſich dann zu einer alten
Dame, der ſie etwas leiſe ſagte, woruͤber
dieſe unruhig wurde, und mich ſcharf an¬
blickte. Alles dieſes geſchah in einem Mo¬
ment. — Jetzt theilte ſich die Geſellſchaft in
kleinere und groͤßere Gruppen, lebhafte Ge¬
ſpraͤche begonnen, es herrſchte ein freier un¬
gezwungener Ton, und doch fuͤhlte man es,
daß man ſich im Zirkel des Hofes, in der
Naͤhe des Fuͤrſten befand, ohne daß dies Ge¬
fuͤhl nur im mindeſten gedruͤckt haͤtte. Kaum
eine einzige Figur fand ich, die in das Bild
des Hofes, wie ich ihn mir ſonſt dachte, ge¬
paßt haben ſollte. Der Hofmarſchall war
ein alter lebensluſtiger aufgeweckter Mann,
die Kammerjunker muntre Juͤnglinge, die
nicht im mindeſten darnach ausſahen, als
fuͤhrten ſie Boͤſes im Schilde. Die beiden
Hofdamen ſchienen Schweſtern, ſie waren
ſehr jung, und eben ſo unbedeutend, zum
Gluͤck aber ſehr anſpruchslos geputzt. Vor¬
zuͤglich war es ein kleiner Mann mit aufge¬
[318] ſtuͤtzter Naſe, und lebhaft funkelnden Augen,
ſchwarz gekleidet, den langen Stahldegen an
der Seite, der, indem er ſich mit unglaubli¬
cher Schnelle durch die Geſellſchaft wand
und ſchlaͤngelte, und bald hier, bald dort
war, nirgends weilend, keinem Rede ſtehend,
hundert witzige ſarkaſtiſche Einfaͤlle, wie
Feuerfunken umherſpruͤhte, uͤberall reges
Leben entzuͤndete. Es war des Fuͤrſten Leib¬
arzt. — Die alte Dame, mit der die Fuͤrſtin
geſprochen, hatte unbemerkt mich ſo geſchickt
zu umkreiſen gewußt, daß ich, ehe ich mir's
verſah, mit ihr allein im Fenſter ſtand. Sie
ließ ſich alsbald in ein Geſpraͤch mit mir ein,
das, ſo ſchlau ſie es anfing, bald den einzi¬
gen Zweck verrieth, mich uͤber meine Lebens¬
verhaͤltniſſe auszufragen. — Ich war auf
dergleichen vorbereitet, und uͤberzeugt, daß
die einfachſte anſpruchloſeſte Erzaͤhlung in
ſolchen Faͤllen die unſchaͤdlichſte und gefahr¬
loſeſte iſt, ſchraͤnkte ich mich darauf ein, ihr
zu ſagen, daß ich ehemals Theologie ſtudiert,
[319] jetzt aber, nachdem ich den reichen Vater be¬
erbt, aus Luſt und Liebe reiſe. Meinen Ge¬
burtsort verlegte ich nach dem pohlniſchen
Preußen, und gab ihm einen ſolchen barba¬
riſchen Zaͤhne und Zunge zerbrechenden Na¬
men, der der alten Dame das Ohr verletzte,
und ihr jede Luſt benahm noch einmal zu
fragen. „Ei, ei, ſagte die alte Dame: Sie
haben ein Geſicht, mein Herr, das hier ge¬
wiſſe traurige Erinnerungen wecken koͤnnte,
und ſind vielleicht mehr als Sie ſcheinen wol¬
len, da ihr Anſtand keinesweges auf einen
Studenten der Theologie deutet.“
Nachdem Erfriſchungen gereicht worden,
ging es in den Saal, wo der Farotiſch in
Bereitſchaft ſtand. Der Hofmarſchall machte
den Banquier, doch ſtand er, wie man mir
ſagte, mit dem Fuͤrſten in der Art im Ver¬
ein, daß er allen Gewinn behielt, der Fuͤrſt
ihm aber jeden Verluſt, in ſo fern er den
Fond der Bank ſchwaͤchte, erſetzte. Die Herren
verſammelten ſich um den Tiſch, bis auf den
[320] Leibarzt, der durchaus niemals ſpielte, ſon¬
dern bei den Damen blieb, die an dem Spiel
keinen Antheil nahmen. Der Fuͤrſt rief mich
zu ſich, ich mußte neben ihm ſtehen, und er
waͤhlte meine Karten, nachdem er mir in
kurzen Worten das Mechaniſche des Spiels
erklaͤrt. Dem Fuͤrſten ſchlugen alle Karten
um, und auch ich befand mich, ſo genau ich
den Rath des Fuͤrſten befolgte, fortwaͤhrend
im Verluſt, der bedeutend wurde, da ein Louis¬
d'or als niedrigſter Point galt. Meine Kaſſe
war ziemlich auf der Neige, und ſchon oft hatte
ich geſonnen, wie es gehen wuͤrde, wenn die
letzten Louisd'ors ausgegeben, um ſo mehr
war mir das Spiel, welches mich auf ein¬
mal arm machen konnte, fatal. Eine neue
Taille begann, und ich bat den Fuͤrſten, mich
nun ganz mir ſelbſt zu uͤberlaſſen, da es
ſcheine, als wenn ich, als ein ausgemacht
ungluͤcklicher Spieler, ihn auch in Ver¬
luſt braͤchte. Der Fuͤrſt meinte laͤchelnd, daß
ich noch vielleicht meinen Verluſt haͤtte ein¬
brin¬[321] bringen koͤnnen, wenn ich nach dem Rath
des erfahrnen Spielers fortgefahren, indeſ¬
ſen wolle er nun ſehn, wie ich mich beneh¬
men wuͤrde, da ich mir ſo viel zutraue. —
Ich zog aus meinen Karten, ohne ſie anzu¬
ſehen, blindlings eine heraus, es war die
Dame. — Wohl mag es laͤcherlich zu ſagen
ſeyn, daß ich in dieſem blaſſen lebloſen Kar¬
tengeſicht, Aureliens Zuͤge zu entdecken glaub¬
te. Ich ſtarrte das Blatt an, kaum konnte
ich meine innere Bewegung verbergen; der
Zuruf des Banquier's, ob das Spiel gemacht
ſey, riß mich aus der Betaͤubung. Ohne
mich zu beſinnen, zog ich die letzten fuͤnf
Louisdor's, die ich noch bei mir trug, aus
der Taſche, und ſetzte ſie auf die Dame. Sie
gewann, nun ſetzte ich immer fort und fort
auf die Dame, und immer hoͤher, ſo wie der
Gewinn ſtieg. Jedesmal, wenn ich wieder
die Dame ſetzte, riefen die Spieler: nein es
iſt unmoͤglich, jetzt muß die Dame untreu
werden — und alle Karten der uͤbrigen Spie¬
I. [ 21 ][322] ler ſchlugen um. „Das iſt mirakulos, das
iſt unerhoͤrt, erſcholl es von allen Seiten, in¬
dem ich ſtill, und in mich gekehrt, ganz mein
Gemuͤth Aurelien zugewendet, kaum das Gold
achtete, das mir der Banquier einmal uͤber's
andere zuſchob. — Kurz in den vier letzten
Taillen hatte die Dame unausgeſetzt gewon¬
nen, und ich die Taſchen voll Gold. Es
waren an zweitauſend Louisdor's, die mir
das Gluͤck durch die Dame zugetheilt, und
unerachtet ich nun aller Verlegenheit entho¬
ben, ſo konnte ich mich doch eines innern
unheimlichen Gefuͤhls nicht erwehren. —
Auf wunderbare Art fand ich einen gehei¬
men Zuſammenhang zwiſchen dem gluͤcklichen
Schuß aufs Gerathewohl, der neulich die
Huͤhner herabwarf, und zwiſchen meinem
heutigen Gluͤck. Es wurde mir klar, daß
nicht ich, ſondern die fremde Macht, die in
mein Weſen getreten, alles das Ungewoͤhn¬
liche bewirke, und ich nur das willenloſe
Werkzeug ſey, deſſen ſich jene Macht bediene,
[323] zu mir unbekannten Zwecken. Die Erkennt¬
niß dieſes Zwieſpalts, der mein Inneres
feindſeelig trennte, gab mir aber Troſt, in¬
dem ſie mir das allmaͤhliche Aufkeimen eig¬
ner Kraft, die bald ſtaͤrker und ſtaͤrker wer¬
dend, dem Feinde widerſtehen, und ihn be¬
kaͤmpfen werde, verkuͤndete. — Das ewige
Abſpiegeln von Aureliens Bild, konnte nichts
anderes ſeyn, als ein verruchtes Verlocken
zum boͤſen Beginnen, und eben dieſer freve¬
liche Mißbrauch des frommen lieben Bildes,
erfuͤllte mich mit Grauſen und Abſcheu.
In der duͤſterſten Stimmung, ſchlich ich
des Morgens durch den Park, als mir der
Fuͤrſt, der um die Stunde auch zu luſtwan¬
deln pflegte, entgegentrat. „Nun, Herr Leo¬
nard, rief er: wie finden Sie mein Faro-
Spiel? — was ſagen Sie von der Laune des
Zufalls, der Ihnen alles tolle Beginnen ver¬
zieh, und das Gold zuwarf. Sie hatten
gluͤcklicherweiſe die Carte Favorite getroffen,
aber ſo blindlings duͤrfen Sie ſelbſt der Carte
[324] Favorite nicht immer vertrauen.“ — Er ver¬
breitete ſich weitlaͤuftig uͤber den Begriff der
Carte Favorite, gab mir die wohl erſonnen¬
ſten Regeln, wie man dem Zufall in die Hand
ſpielen muͤſſe, und ſchloß mit der Aeußerung,
daß ich nun mein Gluͤck im Spiel wohl ei¬
frigſt verfolgen werde. Ich verſicherte dage¬
gen freimuͤthig, daß es mein feſter Vorſatz
ſey, nie mehr eine Karte anzuruͤhren. Der
Fuͤrſt ſah mich verwundert an. — „Eben mein
geſtriges wunderbares Gluͤck, fuhr ich fort:
hat dieſen Entſchluß erzeugt, denn alles das,
was ich ſonſt von dem Gefaͤhrlichen, ja Ver¬
derblichen dieſes Spiels gehoͤrt, iſt dadurch
bewaͤhrt worden. Es lag fuͤr mich etwas
Entſetzliches darinn, daß, indem die gleich¬
guͤltige Karte, die ich blindlings zog,
in mir eine ſchmerzhafte herzzerreiſſende
Erinnerung weckte, ich von einer unbekann¬
ten Macht ergriffen wurde, die das Gluͤck
des Spiels, den loſen Geldgewinn mir zu¬
[325] warf, als entſproͤſſe es aus meinem eignen
Innern, als wenn ich ſelbſt, jenes Weſen
denkend, das aus der lebloſen Karte mir mit
gluͤhenden Farben entgegenſtrahlte, dem Zu¬
fall gebieten koͤnne, ſeine geheimſten Ver¬
ſchlingungen erkennend.“ — „Ich verſtehe Sie,
unterbrach mich der Fuͤrſt: Sie liebten un¬
gluͤcklich, die Karte rief das Bild der ver¬
lornen Geliebten in Ihre Seele zuruͤck, ob¬
gleich mich das, mit ihrer Erlaubniß, poſſier¬
lich anſpricht, wenn ich mir das breite, blaſſe
komiſche Kartengeſicht der Coeurdame, die
Ihnen in die Hand fiel, lebhaft imaginire. —
Doch Sie dachten nun einmal an die Ge¬
liebte, und ſie war Ihnen im Spiel treuer
und wohlthuender, als vielleicht im Leben;
aber was darinn entſetzliches, ſchreckbares
liegen ſoll, kann ich durchaus nicht begrei¬
fen, vielmehr muß es ja erfreulich ſeyn, daß
Ihnen das Gluͤck wohlwollte. Ueberhaupt! —
iſt Ihnen denn nun einmal die ominoͤſe Ver¬
knuͤpfung des Spielgluͤcks mit ihrer Gelieb¬
[326] ten ſo unheimlich, ſo traͤgt nicht das Spiel die
Schuld, ſondern nur ihre individuelle Stim¬
mung.“ — „Mag das ſeyn, gnaͤdigſter Herr,
erwiederte ich: aber ich fuͤhle nur zu lebhaft,
daß es nicht ſo wohl die Gefahr iſt, durch
bedeutenden Verluſt in die uͤbelſte Lage zu
gerathen, welche dieſes Spiel ſo verderblich
macht, ſondern vielmehr die Kuͤhnheit, gera¬
dezu wie in offener Fehde, es mit der gehei¬
men Macht aufzunehmen, die aus dem Dun¬
kel glaͤnzend hervortritt, und uns wie ein
verfuͤhreriſches Trugbild in eine Region ver¬
lockt, in der ſie uns hoͤhnend ergreift, und
zermalmt. Eben dieſer Kampf mit jener
Macht ſcheint das anziehende Wageſtuͤck zu
ſeyn, das der Menſch, ſeiner Kraft kindiſch
vertrauend, ſo gern unternimmt, und das er,
einmal begonnen, beſtaͤndig, ja noch im To¬
deskampfe den Sieg hoffend, nicht mehr laſ¬
ſen kann. Daher kommt meines Beduͤnkens
die wahnſinnige Leidenſchaft der Faroſpieler,
und die innere Zerruͤttung des Geiſtes, die
[327] der bloße Geldverluſt nicht nach ſich zu zie¬
hen vermag, und die ſie zerſtoͤrt. Aber auch
ſchon in untergeordneter Hinſicht, kann ſelbſt
dieſer Verluſt auch den leidenſchaftloſen Spie¬
ler, in den noch nicht jenes feindſeelige Prin¬
zip gedrungen, in tauſend Unannehmlichkei¬
ten, ja in offenbare Noth ſtuͤrzen, da er doch
nur durch die Umſtaͤnde veranlaßt ſpielte.
Ich darf es geſtehen, gnaͤdigſter Herr! daß
ich ſelbſt geſtern im Begriff ſtand, meine
ganze Reiſekaſſe geſprengt zu ſehen.“ — „Das
haͤtte ich erfahren, fiel der Fuͤrſt raſch ein:
und Ihnen den Verluſt dreidoppelt erſetzt,
denn ich will nicht, daß ſich jemand meines
Vergnuͤgens wegen ruinire, uͤberhaupt kann
das bei mir nicht geſchehen, da ich meine
Spieler kenne, und ſie nicht aus den Augen
laſſe.“ — „Aber eben dieſe Einſchraͤnkung, gnaͤ¬
digſter Herr! erwiederte ich: hebt wieder die
Freiheit des Spiels auf, und ſetzt ſelbſt je¬
nen beſonderen Verknuͤpfungen des Zufalls
Schranken, deren Betrachtung Ihnen, gnaͤ¬
[328] digſter Herr, das Spiel ſo intereſſant macht.
Aber wird nicht auch dieſer oder jener, den
die Leidenſchaft des Spiels unwiderſtehlich
ergriffen, Mittel finden zu ſeinem eignen
Verderben der Aufſicht zu entgehen, und ſo
ein Mißverhaͤltniß ſein Leben bringen, das
ihn zerſtoͤrt? — Verzeihen Sie meine Frei¬
muͤthigkeit, gnaͤdigſter Herr! — Ich glaube
uͤberdem, daß jede Einſchraͤnkung der Frei¬
heit, ſollte dieſe auch gemißbraucht werden,
druͤckend, ja, als dem menſchlichen Weſen
ſchnurſtracks entgegenſtrebend, unausſtehlich
iſt.“ — „Sie ſind nun einmal, wie es ſcheint,
uͤberall nicht meiner Meinung, Herr Leonard,“
fuhr der Fuͤrſt auf, und entfernte ſich raſch,
indem er mir ein leichtes „,Adieu“ zuwarf. —
Kaum wußte ich ſelbſt, wie ich dazu gekom¬
men, mich ſo offenherzig zu aͤußern, ja ich
hatte niemals, unerachtet ich in der Han¬
delsſtadt oft an bedeutenden Banken als Zu¬
ſchauer ſtand, genug uͤber das Spiel nachge¬
dacht, um meine Ueberzeugung im Innern
[329] ſo zu ordnen, wie ſie mir jetzt unwillkuͤhr¬
lich von den Lippen floß. Es that mir leid,
die Gnade des Fuͤrſten verſcherzt, und das
Recht verlohren zu haben, im Zirkel des Ho¬
fes erſcheinen, und der Fuͤrſtin naͤher treten
zu duͤrfen. Ich hatte mich indeſſen geirrt,
denn noch denſelben Abend erhielt ich eine
Einladungskarte zum Hofkonzert, und der
Fuͤrſt ſagte im Vorbeiſtreifen mit freundli¬
chem Humor zu mir: „guten Abend, Herr Leo¬
nard, gebe der Himmel, daß meine Capelle
heute Ehre einlegt, und meine Muſik ihnen
beſſer gefaͤllt, als mein Park.“ —
Die Muſik war in der That recht artig,
es ging alles praͤzis, indeſſen ſchien mir
die Wahl der Stuͤcke nicht gluͤcklich, indem
eins die Wirkung des andern vernichtete,
und vorzuͤglich erregte mir eine lange Szene,
die mir, wie nach einer aufgegebenen For¬
mel komponirt zu ſeyn ſchien, herzliche Lan¬
geweile. Ich huͤtete mich wohl, meine wahre
innere Meinung zu aͤußern, und hatte um ſo
[330] kluͤger daran gethan, als man mir in der
Folge ſagte, daß eben jene lange Szene eine
Compoſition des Fuͤrſten geweſen.
Ohne Bedenken fand ich mich in dem
naͤchſten Zirkel des Hofes ein, und wollte
ſelbſt am Faroſpiel Theil nehmen, um den
Fuͤrſten ganz mit mir auszuſoͤhnen, aber nicht
wenig erſtaunte ich, als ich keine Bank er¬
blickte, vielmehr ſich einige gewoͤhnliche
Spieltiſche formten, und unter den uͤbrigen
Herren und Damen, die ſich im Zirkel um
den Fuͤrſten ſetzten, eine lebhafte geiſtreiche
Unterhaltung begann. Dieſer oder jener
wußte manches ergoͤtzliche zu erzaͤhlen, ja
Anekdoten mit ſcharfer Spitze wurden nicht
verſchmaͤht; meine Rednergabe kam mir zu
ſtatten, und es waren Andeutungen aus mei¬
nem eignen Leben, die ich unter der Huͤlle
romantiſcher Dichtung auf anziehende Weiſe
vorzutragen wußte. So erwarb ich mir die
Aufmerkſamkeit und den Beifall des Zirkels;
der Fuͤrſt liebte aber mehr das heitre humo¬
[331] riſtiſche, und darinn uͤbertraf niemand den
Leibarzt, der in tauſend poſſierlichen Einfaͤl¬
len und Wendungen unerſchoͤpflich war.
Dieſe Art der Unterhaltung erweiterte
ſich dahin, daß oft dieſer oder jener etwas
aufgeſchrieben hatte, das er in der Geſell¬
ſchaft vorlas, und ſo kam es denn, daß das
Ganze bald das Anſehen eines wohlorgani¬
ſirten litterariſch aͤſthetiſchen Vereins erhielt,
in dem der Fuͤrſt praͤſidirte, und in welchem
Jeder das Fach ergriff, welches ihm am mehr¬
ſten zuſagte. — Einmal hatte ein Gelehrter,
der ein trefflicher tiefdenkender Phyſiker war,
uns mit neuen intereſſanten Entdeckungen im
Gebiet ſeiner Wiſſenſchaft uͤberraſcht, und ſo
ſehr dies den Theil der Geſellſchaft anſprach,
der wiſſenſchaftlich genug war, den Vortrag
des Profeſſors zu faſſen, ſo ſehr langweilte
ſich der Theil, dem das Alles fremd und
unbekannt blieb. Selbſt der Fuͤrſt, ſchien ſich
nicht ſonderlich in die Ideen des Profeſſors
zu finden, und auf den Schluß mit herzlicher
[332] Sehnſucht zu warten. Endlich hatte der
Profeſſor geendet, der Leibarzt war vorzuͤg¬
lich erfreut, und brach aus in Lob und Be¬
wunderung, indem er hinzufuͤgte, daß dem
tiefen Wiſſenſchaftlichen wohl zur Erheiterung
des Gemuͤths etwas folgen koͤnne, das nun
eben auf nichts weiter Anſpruch mache, als
auf Erreichung dieſes Zwecks. — Die ſchwaͤch¬
lichen, die die Macht der ihnen fremden Wiſ¬
ſenſchaft gebeugt hatte, richteten ſich auf,
und ſelbſt des Fuͤrſten Geſicht uͤberflog ein
Laͤcheln, welches bewies, wie ſehr ihm die
Ruͤckkehr ins Alltagsleben wohlthat.
„Sie wiſſen, gnaͤdigſter Herr! hob der
Leibarzt an, indem er ſich zum Fuͤrſten wand¬
te: daß ich auf meinen Reiſen nicht unter¬
ließ, all' die luſtigen Vorfaͤlle, wie ſie das
Leben durchkreuzen, vorzuͤglich aber die poſ¬
ſierlichen Originale, die mir aufſtießen, treu
in meinem Reiſejournal zu bewahren, und
eben aus dieſem Journal bin ich im Begriff
etwas mitzutheilen, das ohne ſonderlich be¬
[333] deutend zu ſeyn, doch mir ergoͤtzlich ſcheint.
— Auf meiner vorjaͤhrigen Reiſe kam ich in
ſpaͤter Nacht in das ſchoͤne große Dorf vier
Stunden von B.; ich entſchloß mich in den
ſtattlichen Gaſthof einzukehren, wo mich, ein
freundlicher aufgeweckter Wirth empfing. Er¬
muͤdet, ja zerſchlagen von der weiten Reiſe,
warf ich mich in meinem Zimmer gleich ins
Bette, um recht auszuſchlafen, aber es mochte
eben Eins geſchlagen haben, als mich eine
Floͤte, die dicht neben mir geblaſen wurde,
weckte. In meinem Leben hatt ich ſolch ein
Blaſen nicht gehoͤrt. Der Menſch mußte un¬
geheure Lungen haben, denn mit einem ſchnei¬
denden durchdringenden Ton, der den Cha¬
rakter des Inſtruments ganz vernichtete, blies
er immer dieſelbe Paſſage hintereinander fort,
ſo daß man ſich nichts abſcheuligeres, unſin¬
nigeres denken konnte. Ich ſchimpfte und
fluchte auf den verdammten tollen Muſikan¬
ten, der mir den Schlaf raubte, und die Oh¬
ren zerriß, aber wie ein aufgezogenes Uhr¬
[334] werk rollte die Paſſage fort, bis ich endlich
einen dumpfen Schlag vernahm, als wuͤrde
etwas gegen die Wand geſchleudert, worauf
es ſtill blieb, und ich ruhig forſchlafen konnte.“
„Am Morgen hoͤrte ich ein ſtarkes Gezaͤnk
unten im Hauſe. Ich unterſchied die Stim¬
me des Wirths und eines Mannes, der un¬
aufhoͤrlich ſchrie: „„verdammt ſey Ihr Haus,
waͤre ich nie uͤber die Schwelle getreten. —
Der Teufel hat mich in Ihr Haus gefuͤhrt,
wo man nichts trinken, nichts genießen kann!
— alles iſt infam ſchlecht, und hundemaͤßig
theuer. — Da haben Sie Ihr Geld, Adieu,
Sie ſehn mich nicht wieder in Ihrer ver¬
maladeiten Kneipe.““ — Damit ſprang ein
kleiner, windduͤrrer Mann, in einem Kaffebrau¬
nen Rocke und fuchsrother runder Peruͤcke,
auf die er einen grauen Hut ganz ſchief und
martialiſch geſtuͤlpt, ſchnell zum Hauſe her¬
aus, und lief nach dem Stalle, aus dem ich
ihn bald auf einem ziemlich ſteifen Gaule in
[335] ſchwerfaͤlligem Gallopp zum Hofe hinausrei¬
ten ſah.“
„Natuͤrlicherweiſe hielt ich ihn fuͤr einen
Fremden, der ſich mit dem Wirth entzweit
habe, und nun abgereiſet ſey; eben deshalb
nahm es mich nicht wenig Wunder, als ich
Mittags, da ich mich in der Wirthsſtube be¬
fand, dieſelbe komiſche kaffeebraune Figur,
mit der fuchsrothen Perruͤcke, welche des
Morgens hinausritt, eintreten, und ohne Um¬
ſtaͤnde an dem gedeckten Tiſch Platz nehmen
ſah. Es war das haͤßlichſte und dabei poſ¬
ſierlichſte Geſicht, das mir jemals aufſtieß.
In dem ganzen Weſen des Mannes lag ſo
etwas drollig ernſtes, daß man ihn betrach¬
tend, ſich kaum des Lachens enthalten konnte.
Wir aßen mit einander, und ein wortkarges
Geſpraͤch ſchlich zwiſchen mir und dem Wirth
hin, ohne daß der Fremde, der gewaltig aß,
daran Antheil nehmen wollte. Offenbar war es,
wie ich nachher einſah, Bosheit des Wirths,
daß er das Geſpraͤch geſchickt auf nationelle
[336] Eigenthuͤmlichkeiten lenkte, und mich gerade¬
zu frug, ob ich wohl ſchon Irrlaͤnder kennen
gelernt, und von ihren ſogenannten Bulls
etwas wiſſe? Allerdings! erwiederte ich, in¬
dem mir gleich eine ganze Reihe ſolcher Bulls
durch den Kopf ging. Ich erzaͤhlte von je¬
nem Irrlaͤnder, der, als man ihn frug, war¬
um er den Strumpf verkehrt angezogen,
ganz treuherzig antwortete; auf der rechten
Seite iſt ein Loch! — Es kam mir ferner
der herrliche Bull jenes Irrlaͤnders in den
Sinn, der mit einem jaͤhzornigen Schotten
zuſammen in einem Bette ſchlief, und den
bloßen Fuß unter der Decke hervorgeſtreckt
hatte. Nun bemerkte dies ein Englaͤnder,
der im Zimmer befindlich, und ſchnallte flugs
dem Irrlaͤnder den Sporn an den Fuß, den
er von ſeinem Stiefel heruntergenommen.
Der Irrlaͤnder zog ſchlafend den Fuß wieder
unter die Decke, und ritzte mit dem Sporn,
den Schotten, der daruͤber aufwachte, und
dem Irrlaͤnder eine tuͤchtige Ohrfeige gab.
Dar¬[337] Darauf entſpann ſich unter ihnen folgendes
ſinnreiche Geſpraͤch: was Teufel ficht Dich
an, warum ſchlaͤgſt Du mich? — Weil Du
mich mit Deinem Sporn geritzt haſt! — Wie
iſt das moͤglich, da ich mit bloßen Fuͤßen bei
Dir im Bette liege? — Und doch iſt es ſo,
ſieh nur her. — Gott verdamm mich, Du
haſt Recht, hat der verfluchte Kerl von
Hausknecht mir den Stiefel ausgezogen, und
den Sporn ſitzen laſſen. — Der Wirth brach
in ein unmaͤßiges Gelaͤchter aus, aber der
Fremde, der eben mit dem Eſſen fertig worden,
und ein großes Glas Bier heruntergeſtuͤrzt
hatte, ſah mich ernſt an, und ſprach: Sie
haben ganz Recht, die Irrlaͤnder machen oft
dergleichen Bulls, aber es liegt keinesweges
an dem Volke, das regſam und geiſtreich iſt,
vielmehr weht dort eine ſolche verfluchte
Luft, die einen mit dergleichen Tollheiten,
wie mit Einem Schnupfen befaͤllt, denn, mein
Herr! ich ſelbſt bin zwar ein Englaͤnder,
aber in Irrland gebohren und erzogen, und
I. [ 22 ][338] nur deshalb jener verdammten Krankheit der
Bulls unterworfen. — Der Wirth lachte
noch ſtaͤrker, und ich mußte unwillkuͤhrlich ein¬
ſtimmen, denn ſehr ergoͤtzlich war es doch,
daß der Irrlaͤnder, nur von Bulls ſprechend,
gleich ſelbſt einen ganz vortrefflichen zum Be¬
ſten gab. Der Fremde, weit entfernt durch
unſer Gelaͤchter beleidigt zu werden, riß die
Augen weit auf, legte den Finger an die Naſe
und ſprach: In England ſind die Irrlaͤnder
das ſtarke Gewuͤrz, das der Geſellſchaft hin¬
zugefuͤgt wird, um ſie ſchmackhaft zu machen.
Ich ſelbſt bin in dem einzigen Stuͤck dem
Fallſtaff aͤhnlich, daß ich oft nicht allein ſelbſt
witzig bin, ſondern auch den Witz Anderer
erwecke, was in dieſer nuͤchternen Zeit kein
geringes Verdienſt iſt. Sollten Sie denken,
daß in dieſer ledernen leeren Bierwirthsſeele
ſich auch oft dergleichen regt, bloß auf mei¬
nen Anlaß? Aber dieſer Wirth iſt ein gu¬
ter Wirth, er greift ſein duͤrftig Capital von
guten Einfaͤllen durchaus nicht an, ſondern
[339] leiht hie und da in Geſellſchaft der Reichen
nur einen aus auf hohe Zinſen; er zeigt, iſt
er dieſer Zinſen nicht verſichert, wie eben
jetzt, hoͤchſtens den Einband ſeines Haupt¬
buchs, und der iſt ſein unmaͤßiges Lachen;
denn in dies Lachen hat er ſeinen Witz ein¬
gewickelt. Gott befohlen, meine Herrn! —
damit ſchritt der originelle Mann zur Thuͤre
hinaus, und ich bat den Wirth ſofort um
Auskunft uͤber ihn. Dieſer Irrlaͤnder, ſagte
der Wirth, der Ewſon heißt, und deswegen
ein Englaͤnder ſeyn will, weil ſein Stamm¬
baum in England wurzelt, iſt erſt ſeit kurzer
Zeit hier, es werden nun gerade zwei und
zwanzig Jahre ſeyn. — Ich hatte, als ein
junger Menſch, den Gaſthof gekauft und hielt
Hochzeit als Herr Ewſon, der auch noch ein
Juͤngling war, aber ſchon damals eine fuchs¬
rothe Perruͤcke, einen grauen Hut und einen
kaffeebraunen Rock von demſelben Schnitt wie
heute trug, auf der Ruͤckreiſe nach ſeinem
Vaterlande begriffen, hier vorbeikam, und
[340] durch die Tanzmuſik, die luſtig erſchallte,
hereingelockt wurde. Er ſchwur, daß man
nur auf dem Schiffe zu tanzen verſtehe, wo
er es ſeit ſeiner Kindheit erlernt, und fuͤhrte,
um dies zu beweiſen, indem er auf graͤßliche
Weiſe dazu zwiſchen den Zaͤhnen pfiff, einen
Hornpipe aus, wobei er aber bei einem
Hauptſprunge ſich den Fuß dermaßen ver¬
renkte, daß er bei mir liegen bleiben, und
ſich heilen laſſen mußte. — Seit der Zeit
hat er mich nicht wieder verlaſſen. Mit ſei¬
nen Eigenheiten habe ich meine liebe Noth;
jeden Tag, ſeit den vielen Jahren, zankt er
mit mir, er ſchmaͤhlt auf die Lebensart, er
wirft mir vor, daß ich ihn uͤbertheure, daß
er ohne Roſtbeef und Porter nicht laͤnger
leben koͤnne, packt ſein Felleiſen, ſetzt ſeine
drei Peruͤcken auf, eine uͤber die andere,
nimmt von mir Abſchied, und reitet auf ſei¬
nem alten Gaule davon. Das iſt aber nur
ſein Spatzierritt, denn Mittags kommt er
wieder zum andern Thore herein, ſetzt ſich,
[341] wie Sie heute geſehen haben, ruhig an den
Tiſch, und ißt von den ungenießbaren Spei¬
ſen fuͤr drei Mann. Jedes Jahr erhaͤlt er
einen ſtarken Wechſel; dann ſagt er mir ganz
wehmuͤthig Lebewohl, er nennt mich ſeinen
beſten Freund, und vergießt Thraͤnen, wobei
mir auch die Thraͤnen uͤber die Backen lau¬
fen, aber vor unterdruͤcktem Lachen. Nach¬
dem er noch, Lebens und Sterbens halber, ſei¬
nen letzten Willen aufgeſetzt, und, wie er
ſagt, meiner aͤlteſten Tochter ſein Vermoͤgen
vermacht hat, reitet er ganz langſam und
betruͤbt nach der Stadt. Den dritten oder
hoͤchſtens vierten Tag iſt er aber wieder hier,
und bringt zwei Kaffebraune Roͤcke, drei
fuchsrothe Perruͤcken, eine gleißender, wie die
andere, ſechs Hemden, einen neuen grauen
Hut und andere Beduͤrfniſſe ſeines Anzuges,
meiner aͤlteſten Tochter, ſeiner Lieblingin, aber
ein Tuͤtchen Zuckerwerk mit, wie einem Kinde,
unerachtet ſie nun ſchon achtzehn Jahr alt
worden. Er denkt dann weder an ſeinen
[342] Auffenthalt in der Stadt, noch an die Heim¬
reiſe. Seine Zeche berichtigt er jeden Abend,
und das Geld fuͤr das Fruͤhſtuͤck wirft er mir
jeden Morgen zornig hin, wenn er wegrei¬
tet, um nicht wieder zu kommen. Sonſt iſt
er der gutmuͤthigſte Menſch von der Welt,
er beſchenkt meine Kinder bei jeder Gelegen¬
heit, er thut den Armen im Dorfe wohl,
nur den Prediger kann er nicht leiden, weil
er, wie Herr Ewſon es von dem Schulmei¬
ſter erfuhr, einmal ein Goldſtuͤck, das Ewſon
in die Armenbuͤchſe geworfen, eingewechſelt
und lauter Kupferpfennige dafuͤr gegeben hat.
Seit der Zeit weicht er ihm uͤberall aus,
und geht niemals in die Kirche, weshalb der
Prediger ihn fuͤr einen Atheiſten ausſchreit.
Wie geſagt, habe ich aber oft meine liebe
Noth mit ihm, weil er jaͤhzornig iſt, und
ganz tolle Einfaͤlle hat. Erſt geſtern hoͤrte
ich, als ich nach Hauſe kam, ſchon von wei¬
tem ein heftiges Geſchrei, und unterſchied
Ewſons Stimme. Als ich ins Haus trat,
[343] fand ich ihn im ſtaͤrkſten Zank mit der Haus¬
magd begriffen. Er hatte, wie es im Zorn
immer geſchieht, bereits ſeine Perruͤcke weg¬
geſchleudert, und ſtand im kahlen Kopf, ohne
Rock, in Hemdermeln dicht vor der Magd,
der er ein großes Buch unter die Naſe hielt,
und ſtark ſchreiend und fluchend mit dem
Finger hineinwies. Die Magd hatte die
Haͤnde in die Seiten geſtemmt, und ſchrie:
er moͤge Andere zu ſeinen Streichen brau¬
chen, er ſey ein ſchlechter Menſch, der an
nichts glaube u. ſ. w. Mit Muͤhe gelang
es mir, die Streitenden auseinander zu brin¬
gen, und der Sache auf den Grund zu kom¬
men. — Herr Ewſon hatte verlangt, die
Magd ſolle ihm Oblate verſchaffen zum Brief¬
ſiegeln; die Magd verſtand ihn Anfangs gar
nicht, zuletzt fiel ihr ein, daß das Oblate ſey
was bei dem Abendmahl gebraucht werde,
und meinte, Herr Ewſon wolle mit der Ho¬
ſtie verruchtes Geſpoͤtte treiben, weil der Herr
Pfarrer ohnedies geſagt, daß er ein Gottes¬
[344] laͤugner ſey. Sie widerſetzte ſich daher und
Herr Ewſon, der da glaubte nur nicht richtig
ausgeſprochen zu haben, und nicht verſtan¬
den zu ſeyn, holte ſofort ſein engliſch-deut¬
ſches Woͤrterbuch, und demonſtrirte daraus
der Bauermagd, die kein Wort leſen konnte,
was er haben wolle, wobei er zuletzt nichts
als engliſch ſprach, welches die Magd fuͤr
das ſinnverwirrende Gewaͤſche des Teufels
hielt. Nur mein Dazwiſchentreten verhin¬
derte die Pruͤgelei, in der Herr Ewſon viel¬
leicht den Kuͤrzeren gezogen.“
„Ich unterbrach den Wirth in der Er¬
zaͤhlung von dem drolligen Manne, indem
ich frug, ob das vielleicht auch Herr Ewſon
geweſen, der mich in der Nacht durch ſein
graͤßliches Floͤtenblaſen ſo geſtoͤrt, und geaͤr¬
gert habe. Ach, mein Herr! fuhr der Wirth
fort, das iſt nun auch eine von Herr Ewſons
Eigenheiten, womit er mir beinahe die Gaͤſte
verſcheucht. Vor drei Jahren kam mein
Sohn aus der Stadt hieher; der Junge blaͤſt
[345] eine herrliche Floͤte, und uͤbte hier fleißig ſein
Inſtrument. Da fiel es Herrn Ewſon ein,
daß er ehemals auch Floͤte geblaſen, und ließ
nicht nach, bis ihm Fritz ſeine Floͤte und ein
Conzert, das er mitgebracht hatte, fuͤr ſchwe¬
res Geld verkaufte.
Nun fing Herr Ewſon, der gar keinen
Sinn fuͤr Muſik, gar keinen Takt hat, mit
dem groͤßten Eifer an, das Conzert zu blaſen.
Er kam aber nur bis zum zweiten Solo des
erſten Allegro's, da ſtieß ihm eine Paſſage
auf, die er nicht herausbringen konnte, und
dieſe einzige Paſſage blaͤſt er nun ſeit den
drei Jahren faſt jeden Tag hundertmal hin¬
tereinander, bis er im hoͤchſten Zorn erſt die
Floͤte und dann die Perruͤcke an die Wand
ſchleudert. Da dies nun wenige Floͤten lan¬
ge aushalten, ſo braucht er gar oft neue,
und hat jetzt gewoͤhnlich drei bis vier im
Gange. Iſt nur ein Schraubchen zerbrochen
oder eine Klappe ſchadhaft, ſo wirft er ſie
mit einem: Gott verdamm mich, nur in
[346] England macht man Inſtrumente, die was tau¬
gen! — durchs Fenſter. Ganz erſchrecklich iſt
es, daß ihn dieſe Paſſion der Floͤtenblaͤſerei
oft Nachts uͤberfaͤllt, und er dann meine Gaͤ¬
ſte aus dem tiefſten Schlafe dudelt. Sollten
Sie aber glauben, daß hier im Amtshauſe
ſich, beinahe eben ſo lange als Herr Ewſon
bei mir iſt, ein engliſcher Doktor aufhaͤlt, der
Green heißt, und mit Herrn Ewſon darinn
ſympathiſirt, daß er eben ſo originell, eben ſo
voll ſonderbaren Humors iſt? — Sie zan¬
ken ſich unaufhoͤrlich, und koͤnnen doch nicht
ohne einander leben. Es faͤllt mir eben ein,
daß Herr Ewſon auf heute Abend einen
Punſch bei mir beſtellt hat, zu dem er den
Amtmann und den Doktor Green eingeladen.
Wollen Sie es ſich, mein Herr, gefallen laſ¬
ſen, noch bis Morgen fruͤh hier zu verweilen,
ſo koͤnnen Sie heute Abend bei mir das poſ¬
ſierlichſte Kleeblatt ſehen, das ſich nur zu¬
ſammen finden kann. —“
„Sie ſtellen ſich es vor, gnaͤdigſter Herr,
[347] daß ich mir den Aufſchub der Reiſe gern ge¬
fallen ließ, weil ich hoffte den Herrn Ewſon
in ſeiner Glorie zu ſehen. Er trat, ſo wie
es Abend worden, ins Zimmer, und war ar¬
tig genug, mich zu dem Punſch einzuladen,
indem er hinzuſetzte, wie es ihm nur leid
thaͤte, mich mit dem nichtswuͤrdigen Getraͤnk,
das man hier Punſch nenne, bewirthen zu
muͤſſen; nur in England trinke man Punſch,
und da er naͤchſtens dahin zuruͤckkehren wer¬
de, hoffe er, kaͤme ich jemals nach England,
mir es beweiſen zu koͤnnen, daß er es ver¬
ſtehe, das koͤſtliche Getraͤnk zu bereiten. —
Ich wußte, was ich davon zu denken hatte. —
Bald darauf traten auch die eingeladenen
Gaͤſte ein. Der Amtmann war ein kleines
kugelrundes, hoͤchſt freundliches Maͤnnlein
mit vergnuͤgt blickenden Augen, und einem
rothen Naͤschen; der Doktor Green ein robu¬
ſter Mann von mittlern Jahren mit einem auf¬
fallenden Nationalgeſicht, modern, aber nach¬
laͤſſig [gekleidet], Brill' auf der Naſe, Hut auf
[348] dem Kopfe. — Gebt mir Sekt, daß meine Au¬
gen roth werden! rief er pathetiſch, indem
er auf den Wirth zuſchritt, und ihn, bei der
Bruſt packend, heftig ſchuͤttelte: hallunkiſcher
Cambyſes, ſprich! wo ſind die Prinzeſſinnen?
Nach Kaffee riechts, und nicht nach Trank
der Goͤtter! — Laß ab von mir, o Held!
weg mit der ſtarken Fauſt, zermalmſt im Zorne
mir die Ribben! — rief der Wirth keuchend.
Nicht eher, feiger Schwaͤchling, fuhr der
Doktor fort, bis ſuͤßer Dampf des Punſches
Sinn umnebelnd Naſe kitzelt, nicht eher laß
ich Dich, Du ganz unwerther Wirth! — Aber
nun ſchoß Ewſon grimmig auf den Doktor
los, und ſchalt: Unwuͤrdger Green! gruͤn
ſoll's Dir werden vor den Augen, ja grei¬
nen ſollſt Du gramerfuͤllt, wenn Du nicht
ablaͤßt von ſchmachvoller That! — Nun,
dacht' ich, wuͤrde Zank und Tumult losbre¬
chen, aber der Docktor ſagte: So will ich, fei¬
ger Ohnmacht ſpottend, ruhig ſeyn, und harr'n
[349] des Goͤttertranks den Du bereitet, wuͤrd'ger
Ewſon. — Er ließ den Wirth los, der ei¬
ligſt davon ſprang, ſetzte ſich mit einer Ca¬
to's Miene an den Tiſch, ergriff die geſtopfte
Pfeife, und blies große Dampfwolken von
ſich. — Iſt das nicht, als waͤre man im
Theater? ſagte der freundliche Amtmann zu
mir, aber der Doktor, der ſonſt kein teutſches
Buch in die Hand nimmt, fand zufaͤllig Schle¬
gels Shakeſpear bei mir, und ſeit der Zeit
ſpielt er, nach ſeinem Ausdruck, uralte bekannte
Melodien auf einem fremden Inſtrumente.
Sie werden bemerkt haben, daß ſogar der
Wirth rhythmiſch ſpricht, der Doktor hat ihn
ſo zu ſagen eingejambt. — Der Wirth brach¬
te den dampfenden Punſchnapf, und unerach¬
tet Ewſon und Green ſchwuren, er ſey kaum
trinkbar, ſo ſtuͤrzten ſie doch ein großes Glas
nach dem Andern hinab. Wir fuͤhrten ein
leidlich Geſpraͤch. Green blieb wortkarg,
nur dann und wann gab er auf komiſche
Weiſe, die Oppoſition behauptend, etwas von
[350] ſich. So ſprach z. B. der Amtmann von
dem Theater in der Stadt, und ich verſicher¬
te: der erſte Held ſpiele vortrefflich. — Das
kann ich nicht finden, fiel ſogleich der Dok¬
tor ein: glauben Sie nicht, daß, haͤtte der
Mann ſechsmal beſſer geſpielt, er des Beifalls
viel wuͤrdger ſeyn wuͤrde? Ich mußte das
nothgedrungen zugeben, und meinte nur, daß
dies ſechsmal beſſer ſpielen dem Schauſpie¬
ler Noth thue, der die zaͤrtlichen Vaͤter ganz
erbaͤrmlich tragire. — Das kann ich nicht
finden, ſagte Green wieder: der Mann giebt
Alles, was er in ſich traͤgt! Kann er da¬
fuͤr, daß ſeine Tendenz ſich zum ſchlechten
hinneigt? er hat es aber im Schlechten
zu ruͤhmlicher Vollkommenheit gebracht, man
muß ihn deshalb loben! — Der Amtmann
ſaß mit ſeinem Talent, die beiden anzuregen
zu allerlei tollen Einfaͤllen und Meinungen,
in ihrer Mitte, wie das exzitirende Prinzip,
und ſo ging es fort, bis der ſtarke Punſch
zu wirken anfing. Da wurde Ewſon ausge¬
[351] laſſen luſtig, er ſang mit kraͤchzender Stim¬
me Nationallieder, er warf Perruͤcke und Rock
durchs Fenſter in den Hof, und fing an mit
den ſonderbarſten Grimaſſen, auf ſo drollige
Weiſe zu tanzen, daß man ſich vor Lachen
haͤtte ausſchuͤtten moͤgen. Der Doktor blieb
ernſthaft, hatte aber die ſeltſamſten Viſionen.
Er ſah den Punſchnapf fuͤr eine Baßgeige
an, und wollte durchaus darauf herumſtrei¬
chen, mit dem Loͤffel Ewſons Lieder akkom¬
pagnirend, wovon ihn nur des Wirths drin¬
gendſte Proteſtationen abhalten konnten. —
Der Amtmann war immer ſtiller und ſtiller
geworden, am Ende ſtolperte er in eine Ecke
des Zimmers, wo er ſich hinſetzte und heftig
zu weinen anfing. Ich verſtand den Wink
des Wirths, und frug den Amtmann um die
Urſache ſeines tiefen Schmerzes. — Ach! ach!
brach er ſchluchzend los: der Prinz Eu¬
gen war doch ein großer Feldherr, und dieſer
heldenmuͤthige Fuͤrſt mußte ſterben. Ach,
ach! — und damit weinte er heftiger, daß
[352] ihm die hellen Thraͤnen uͤber die Backen lie¬
fen. Ich verſuchte ihn uͤber den Verluſt
dieſes wackern Prinzen des laͤngſt vergange¬
nen Jahrhunderts moͤglichſt zu troͤſten, aber
es war vergebens. Der Doktor Green hatte
indeſſen eine große Lichtſcheere ergriffen, und
fuhr damit unaufhoͤrlich gegen das offne Fen¬
ſter. — Er hatte nichts geringeres im Sinn,
als den Mond zu putzen, der hell hinein¬
ſchien. Ewſon ſprang und ſchrie, als waͤre
er beſeſſen von tauſend Teufeln, bis endlich
der Hausknecht, des hellen Mondſcheins uner¬
achtet, mit einer großen Laterne in das Zim¬
mer trat, und laut rief: da bin ich, meine
Herren! nun kann's fortgehen. Der Doktor
ſtellte ſich dicht vor ihm hin, und ſprach, ihm
die Dampfwolken ins Geſicht blaſend: will¬
kommen, Freund! Biſt Du der Squenz
der Mondſchein traͤgt, und Hund, und Dorn¬
buſch? Ich habe Dich geputzt, Hallunke,
darum ſcheinſt Du hell! Gut' Nacht denn,
viel des ſchnoͤden Safts hab' ich getrunken,
gut[353] gut' Nacht, mein werther Wirth, gut' Nacht
mein Pylades! — Ewſon ſchwur, daß kein
Menſch zu Hauſe gehen ſolle, ohne den Hals
zu brechen, aber niemand achtete darauf,
vielmehr nahm der Hausknecht den Doktor
unter den einen, den Amtmann, der noch im¬
mer uͤber den Verluſt des Prinzen Eugen
lamentirte, unter den andern Arm, und ſo
wackelten ſie uͤber die Straße fort nach dem
Amtshauſe. Mit Muͤhe brachten wir den naͤr¬
riſchen Ewſon in ſein Zimmer, wo er noch
die halbe Nacht auf der Floͤte tobte, ſo daß
ich kein Auge zuthun, und mich erſt im Wa¬
gen ſchlafend, von dem tollen Abend im
Gaſthauſe erholen konnte.“
Die Erzaͤhlung des Leibarztes wurde
oft durch lauteres Gelaͤchter, als man es
wohl ſonſt im Zirkel eines Hofes hoͤren mag,
unterbrochen. Der Fuͤrſt ſchien ſich ſehr er¬
goͤtzt zu haben. „Nur eine Figur, ſagte er
zum Leibarzt: haben Sie in dem Gemaͤhlde
zu ſehr in den Hintergrund geſtellt, und das
I. [ 23 ][354] iſt Ihre eigne, denn ich wette, daß Ihr zu
Zeiten etwas boshafter Humor den naͤrri¬
ſchen Ewſon, ſo wie den pathetiſchen Doktor
zu tauſend tollen Ausſchweifungen verleitet
hat, und daß Sie eigentlich das excitirende
Prinzip waren, fuͤr das Sie den lamentablen
Amtmann ausgeben.“ — „Ich verſichere, gnaͤ¬
digſter Herr! erwiederte der Leibarzt, daß
dieſer aus ſeltner Narrheit componirte Clubb,
ſo in ſich abgeruͤndet war, daß alles fremde
nur diſſonirt haͤtte. Um in dem muſikali¬
ſchen Gleichniß zu bleiben, waren die drei
Menſchen der reine Dreiklang, jeder ver¬
ſchieden, im Ton aber harmoniſch mitklin¬
gend, der Wirth ſprang hinzu wie eine Sep¬
time.“ — Auf dieſe Weiſe wurde noch man¬
ches hin und her geſprochen, bis ſich, wie
gewoͤhnlich, die fuͤrſtliche Familie in ihre
Zimmer zuruͤckzog, und die Geſellſchaft in
der gemuͤthlichſten Laune auseinander ging. —
Ich bewegte mich heiter und lebensluſtig in
einer neuen Welt. Je mehr ich in den ru¬
[355] higen gemuͤthlichen Gang des Lebens in der
Reſidenz und am Hofe eingriff, je mehr man
mir einen Platz einraͤumte, den ich mit Ehre
und Beifall behaupten konnte, deſto weniger
dachte ich an die Vergangenheit, ſo wie
daran, daß mein hieſiges Verhaͤltniß ſich je¬
mals aͤndern koͤnne. Der Fuͤrſt ſchien ein
beſonderes Wohlgefallen an mir zu finden,
und aus verſchiedenen fluͤchtigen Andeutun¬
gen, konnte ich ſchließen, daß er mich auf
dieſe oder jene Weiſe in ſeiner Umgebung feſt
zu ſtellen wuͤnſchte. Nicht zu laͤugnen war
es, daß eine gewiſſe Gleichfoͤrmigkeit der Aus¬
bildung, ja eine gewiſſe angenommene gleiche
Manier in allem wiſſenſchaftlichen und kuͤnſt¬
leriſchen Treiben, die ſich vom Hofe aus
uͤber die ganze Reſidenz verbreitete, man¬
chem geiſtreichen, und an unbedingte Freiheit
gewoͤhnten Mann, den Auffenthalt daſelbſt
bald verleidet haͤtte; indeſſen kam mir, ſo oft
auch die Beſchraͤnkung, welche die Einſeitig¬
keit des Hofes hervorbrachte, laͤſtig wurde,
[356] das fruͤhere Gewoͤhnen an eine beſtimmte
Form, die wenigſtens das Aeußere regelt,
dabei ſehr zu ſtatten. Mein Kloſterleben
war es, das hier, freilich unmerklicher Weiſe,
noch auf mich wirkte. — So ſehr mich der
Fuͤrſt auszeichnete, ſo ſehr ich mich bemuͤhte,
die Aufmerkſamkeit der Fuͤrſtin auf mich zu
ziehen, ſo blieb dieſe doch kalt und verſchloſ¬
ſen. Ja! meine Gegenwart ſchien ſie oft
auf beſondere Weiſe zu beunruhigen, und
nur mit Muͤhe erhielt ſie es uͤber ſich, mir
wie den andern ein paar freundliche Worte
zuzuwerfen. Bei den Damen, die ſie umga¬
ben, war ich gluͤcklicher; mein Aeußeres ſchien
einen guͤnſtigen Eindruck gemacht zu haben,
und indem ich mich oft in ihren Kreiſen be¬
wegte, gelang es mir bald, diejenige wunder¬
liche Weltbildung zu erhalten, welche man
Galanterie nennt, und die in nichts anderm
beſteht, als die aͤußere koͤrperliche Geſchmei¬
digkeit, vermoͤge der man immer da, wo man
ſteht oder geht, hinzupaſſen ſcheint, auch in
[357] die Unterhaltung zu uͤbertragen. Es iſt
die ſonderbare Gabe, uͤber Nichts mit be¬
deutenden Worten zu ſchwatzen, und ſo
den Weibern ein gewiſſes Wohlbehagen zu
erregen, von dem, wie es entſtanden, ſie
ſich ſelbſt nicht Rechenſchaft geben koͤnnen.
Daß dieſe hoͤhere und eigentliche Galanterie
ſich nicht mit plumpen Schmeicheleien abge¬
ben kann, fließt aus dem Geſagten, wiewohl
in jenem intereſſanten Geſchwaͤtz, das wie
ein Hymnus der Angebeteten erklingt, eben
das gaͤnzliche Eingehen in ihr Innerſtes
liegt, ſo daß ihr eignes Selbſt ihnen klar zu
werden ſcheint, und ſie ſich in dem Reflex
ihres eignen Ichs mit Wohlgefallen ſpie¬
geln. — — Wer haͤtte nun noch den Moͤnch
in mir erkennen ſollen! — Der einzige mir
gefaͤhrliche Ort war vielleicht nur noch die
Kirche, in welcher es mir ſchwer wurde, je¬
ne kloͤſterliche Andachtsuͤbungen, die ein be¬
ſonderer Rhythmus, ein beſonderer Takt aus¬
zeichnet, zu vermeiden. —
[358]
Der Leibarzt war der Einzige, der das Ge¬
praͤge, womit Alles, wie gleiche Muͤnze aus¬
geſtempelt war, nicht angenommen hatte, und
dies zog mich zu ihm hin, ſo wie Er ſich
deshalb an mich anſchloß, weil ich, wie er
recht gut wußte, Anfangs die Oppoſition ge¬
bildet, und meine freimuͤthigen Aeußerungen,
die dem fuͤr kecke Wahrheit empfaͤnglichen
Fuͤrſten eindrangen, das verhaßte Faroſpiel
mit einem Mal verbannt hatten.
So kam es denn, daß wir oft zuſammen
waren, und bald uͤber Wiſſenſchaft und Kunſt,
bald uͤber das Leben, wie es ſich vor uns
ausbreitete, ſprachen. Der Leibarzt verehrte
eben ſo hoch die Fuͤrſtin, als ich, und ver¬
ſicherte, daß nur ſie es ſey, die manche Ab¬
geſchmacktheit des Fuͤrſten abwende, und die¬
jenige ſonderbare Art Langeweile, welche ihn
auf der Oberflaͤche hin und hertreibe, dadurch
zu verſcheuchen wiſſe, daß ſie ihm oft ganz
unvermerkt ein unſchaͤdliches Spielzeug in
die Haͤnde gebe. Ich unterließ nicht, bei die¬
[359] ſer Gelegenheit mich zu beklagen, daß ich,
ohne den Grund erforſchen zu koͤnnen, der
Fuͤrſtin durch meine Gegenwart oft ein un¬
ausſtehliches Mißbehagen zu erregen ſcheine.
Der Leibarzt ſtand ſofort auf, und holte, da
wir uns gerade in ſeinem Zimmer befanden,
ein kleines Miniaturbild aus dem Schreibe¬
pult, welches er mir, mit der Weiſung, es
recht [genau] zu betrachten, in die Haͤnde gab.
Ich that es, und erſtaunte nicht wenig, als
ich in den Zuͤgen des Mannes, den das Bild
darſtellte, ganz die meinigen erkannte. Nur
der Aenderung der Friſur und der Kleidung,
die nach verjaͤhrter Mode gemahlt war, nur
der Hinzufuͤgung meines ſtarken Backenbarts,
dem Meiſterſtuͤck Belcampo's, bedurfte es, um
das Bild ganz zu meinem Portrait zu ma¬
chen. Ich aͤußerte dies unverholen dem Leib¬
arzt. „Und eben dieſe Aehnlichkeit, ſagte er:
iſt es, welche die Fuͤrſtin erſchreckt und beun¬
ruhigt, ſo oft Sie in ihre Naͤhe kommen, denn
Ihr Geſicht erneuert das Andenken einer ent¬
[360] ſetzlichen Begebenheit, die vor mehreren Jah¬
ren den Hof traf, wie ein zerſtoͤrender Schlag.
Der vorige Leibarzt, der vor einigen Jah¬
ren ſtarb, und deſſen Zoͤgling in der Wiſſen¬
ſchafft ich bin, vertraute mir jenen Vorgang
in der fuͤrſtlichen Familie, und gab mir zu¬
gleich das Bild, welches den ehemaligen
Guͤnſtling des Fuͤrſten, Francesko, darſtellt,
und zugleich, wie Sie ſehen, Ruͤckſichts der
Mahlerei, ein wahres Meiſterſtuͤck iſt. Es
ruͤhrt von dem wunderlichen fremden Mah¬
ler her, der ſich damals am Hofe befand,
und eben in jener Tragoͤdie, die Hauptrolle
ſpielte.“ — Bei der Betrachtung des Bildes
regten ſich gewiſſe verworrene Ahnungen in
mir, die ich vergebens trachtete klar aufzu¬
faſſen. — Jene Begebenheit ſchien mir ein
Geheimniß erſchließen zu wollen, in das ich
ſelbſt verflochten war, und um ſo mehr drang
ich in den Leibarzt, mir das zu vertrauen,
welches zu erfahren, mich die zufaͤllige Aehn¬
lichkeit mit Francesko zu berechtigen ſchei¬
[361] ne. — „Freilich, ſagte der Leibarzt: muß die¬
ſer hoͤchſt merkwuͤrdige Umſtand Ihre Neu¬
gierde nicht wenig aufregen, und ſo ungern
ich eigentlich von jener Begebenheit ſprechen
mag, uͤber die noch jetzt, fuͤr mich wenigſtens,
ein geheimnißvoller Schleier liegt, den ich
auch weiter gar nicht luͤften will, ſo ſollen
Sie doch alles erfahren, was ich davon
weiß. Viele Jahre ſind vergangen, und die
Hauptperſonen von der Buͤhne abgetreten,
nur die Erinnerung iſt es, welche feindſeelig
wirkt. Ich bitte, gegen niemanden von dem,
was Sie erfuhren, etwas zu aͤußern.“ Ich
verſprach das, und der Arzt fing in folgen¬
der Art ſeine Erzaͤhlung an:
„Eben zu der Zeit, als unſer Fuͤrſt ſich
vermaͤhlte, kam ſein Bruder in Geſellſchaft
eines Mannes, den er Francesco nannte, un¬
erachtet man wußte, daß er ein Deutſcher
war, ſo wie eines Mahlers, von weiten Rei¬
ſen zuruͤck. Der Prinz war einer der ſchoͤn¬
ſten Maͤnner, die man geſehen, und ſchon
[362] deshalb ſtach er vor unſerm Fuͤrſten hervor,
haͤtte er ihn auch nicht an Lebensfuͤlle und
geiſtiger Kraft uͤbertroffen. Er machte auf
die junge Fuͤrſtin, die damals bis zur Aus¬
gelaſſenheit lebhaft, und der der Fuͤrſt viel
zu formell, viel zu kalt war, einen ſeltenen
Eindruck, und eben ſo fand ſich der Prinz
von der jungen bildſchoͤnen Gemahlin ſeines
Bruders angezogen. Ohne an ein ſtrafbares
Verhaͤltniß zu denken, mußten ſie der unwi¬
derſtehlichen Gewalt nachgeben, die ihr in¬
neres Leben, nur wie wechſelſeitig ſich ent¬
zuͤndend, bedingte, und ſo die Flamme naͤh¬
ren, die ihr Weſen in Eins verſchmolz. —
Francesko allein war es, der in jeder Hin¬
ſicht ſeinem Freunde an die Seite geſetzt
werden konnte, und ſo, wie der Prinz auf
die Gemahlin ſeines Bruders, ſo wirkte
Francesko auf die aͤltere Schweſter der Fuͤr¬
ſtin. Francesko wurde ſein Gluͤck bald ge¬
wahr, benutzte es mit durchdachter Schlau¬
heit, und die Neigung der Prinzeſſin wuchs
[363] bald zur heftigſten brennendſten Liebe. Der
Fuͤrſt war von der Tugend ſeiner Gemahlin
zu ſehr uͤberzeugt, um nicht alle haͤmiſche
Zwiſchentraͤgerei zu verachten, wiewohl ihn
das geſpannte Verhaͤltniß mit dem Bruder
druͤckte; und nur dem Francesko, den er ſei¬
nes ſeltnen Geiſtes, ſeiner lebensklugen Um¬
ſicht halber lieb gewonnen, war es moͤglich,
ihn in gewiſſen Gleichmuth zu erhalten.
Der Fuͤrſt wollte ihn zu den erſten Hofſtel¬
len befoͤrdern, Francesko begnuͤgte ſich aber
mit den geheimen Vorrechten des erſten
Guͤnſtlings, und mit der Liebe der Prinzeſ¬
ſin. In dieſen Verhaͤltniſſen bewegte ſich
der Hof ſo gut es gehen wollte, aber nur
die vier durch geheime Bande verknuͤpfte
Perſonen waren gluͤcklich in dem Eldorado
der Liebe, das ſie ſich gebildet, und das An¬
deren verſchloſſen. — Wohl mochte es der
Fuͤrſt, ohne daß man es wußte, veranſtaltet
haben, daß mit vielem Pomp eine italiaͤniſche
Prinzeſſin am Hofe erſchien, die fruͤher dem
[364] Prinzen als Gemahlin zugedacht war, und
der er, als er auf der Reiſe ſich am Hofe
ihres Vaters befand, ſichtliche Zuneigung
bewieſen hatte. — Sie ſoll ausnehmend
ſchoͤn, und uͤberhaupt die Grazie, die Anmuth
ſelbſt geweſen ſeyn, und dies ſpricht auch
das herrliche Portrait aus, was ſie noch
auf der Gallerie ſehen koͤnnen. Ihre Ge¬
genwart belebte den in duͤſtre Langeweile
verſunkenen Hof, ſie uͤberſtrahlte Alles,
ſelbſt die Fuͤrſtin und ihre, Schweſter nicht
ausgenommen. Francesko's Betragen aͤn¬
derte ſich bald nach der Ankunft der Italiaͤ¬
nerin auf eine ganz auffallende Weiſe; es
war, als zehre ein geheimer Gram an ſei¬
ner Lebensbluͤthe, er wurde [muͤrriſch], ver¬
ſchloſſen, er vernachlaͤſſigte ſeine fuͤrſtliche
Geliebte. Der Prinz war eben ſo tiefſinnig
geworden, er fuͤhlte ſich von Regungen er¬
griffen, denen er nicht zu widerſtehen ver¬
mochte. Der Fuͤrſtin ſtieß die Ankunft der
Italiaͤnerin einen Dolch ins Herz. Fuͤr die
[365] zur Schwaͤrmerei geneigte Prinzeſſin, war
nun mit Francesko's Liebe alles Lebensgluͤck
entflohen, und ſo waren die vier Gluͤcklichen,
Beneidenswerthen, in Gram und Betruͤbniß
verſenkt. Der Prinz erholte ſich zuerſt, in¬
dem er, bei der ſtrengen Tugend ſeiner Schwaͤ¬
gerin, den Lockungen des ſchoͤnen verfuͤhreri¬
ſchen Weibes nicht widerſtehen konnte. Je¬
nes kindliche, recht aus dem tiefſten Innern
entſproſſene Verhaͤltniß mit der Fuͤrſtin, ging
unter, in der namenloſen Luſt, die ihm die
Italiaͤnerin verhieß, und ſo kam es denn,
daß er bald aufs neue in den alten Feſſeln
lag, denen er, ſeit nicht lange her, ſich ent¬
wunden. — Je mehr der Prinz dieſer Liebe
nachhing, deſto auffallender wurde Frances¬
ko's Betragen, den man jetzt beinahe gar
nicht mehr am Hofe ſah, ſondern der einſam
umherſchwaͤrmte, und oft Wochenlang von
der Reſidenz abweſend war. Dagegen ließ
ſich der wunderliche menſchenſcheue Mahler
mehr ſehen als ſonſt, und arbeitete vorzuͤg¬
[366] lich gern in dem Attelier, das ihm die Ita¬
liaͤnerin in ihrem Hauſe einrichten laſſen.
Er mahlte ſie mehrmals mit einem Ausdruck
ohne Gleichen; der Fuͤrſtin ſchien er abhold,
er wollte ſie durchaus nicht mahlen, dagegen
vollendete er das Portrait der Prinzeſſin,
ohne daß ſie ihm ein einzigesmal geſeſſen,
auf das aͤhnlichſte und herrlichſte. Die Ita¬
liaͤnerin bewies dieſem Mahler ſo viel Auf¬
merkſamkeit, und Er dagegen begegnete ihr
mit ſolcher vertraulicher Galanterie, daß der
Prinz eiferſuͤchtig wurde, und dem Mahler,
als er ihn einmal im Attelier arbeitend an¬
traf, und er, feſt den Blick auf den Kopf der
Italiaͤnerin, den er wieder hingezaubert, ge¬
richtet, ſein Eintreten gar nicht zu bemerken
ſchien, — rund herausſagte: Er moͤge ihm den
Gefallen thun, und hier nicht mehr arbeiten,
ſondern ſich ein anderes Attelier ſuchen.
Der Mahler ſchnikte gelaſſen den Pinſel
aus, und nahm ſchweigend das Bild von der
Staffelei. Im hoͤchſten Unmuthe riß es der
[367] Prinz ihm aus der Hand, mit der Aeuße¬
rung: es ſey ſo herrlich getroffen, daß er es
beſitzen muͤſſe. Der Mahler, immer ruhig
und gelaſſen bleibend, bat, nur zu erlauben,
daß er das Bild mit ein paar Zuͤgen vol¬
lende. Der Prinz ſtellte das Bild wieder
auf die Staffelei, nach ein paar Minuten
gab der Mahler es ihm zuruͤck, und lachte
hell auf, als der Prinz uͤber das graͤßlich
verzerrte Geſicht erſchrak, zu dem das Por¬
trait geworden. Nun ging der Mahler lang¬
ſam aus dem Saal, aber nah an der Thuͤre
kehrte er um, ſah den Prinzen an mit ern¬
ſtem durchdringendem Blick, und ſprach dumpf
und feierlich: nun biſt Du verlohren!“ —
„Dies geſchah als die Italiaͤnerin ſchon fuͤr
des Prinzen Braut erklaͤrt war, und in we¬
nigen Tagen die feierliche Vermaͤhlung vor
ſich gehen ſollte. Des Mahlers Betragen
achtete der Prinz um ſo weniger, als er in
dem allgemeinen Ruf ſtand zuweilen von ei¬
niger Tollheit heimgeſucht zu werden. Er
[368] ſaß, wie man erzaͤhlte, nun wieder in ſei¬
nem kleinen Zimmer, und ſtarrte Tagelang
eine große aufgeſpannte Leinwand an, indem
er verſicherte, wie er eben jetzt an ganz herr¬
lichen Gemaͤhlden arbeite; ſo vergaß er den
Hof und wurde von dieſem wieder vergeſſen.“
„Die Vermaͤhlung des Prinzen mit der
Italiaͤnerin ging in dem Pallaſt des Fuͤrſten
auf das feierlichſte vor ſich; die Fuͤrſtin hatte
ſich in ihr Geſchick gefuͤgt, und einer zweck¬
loſen nie zu befriedigenden Neigung entſagt;
die Prinzeſſin war wie verklaͤrt, denn ihr
geliebter Francesko war wieder erſchienen,
bluͤhender, lebensfroher als je. Der Prinz
ſollte mit ſeiner Gemahlin den Fluͤgel des
Schloſſes beziehen, den der Fuͤrſt erſt zu dem
Behuf einrichten laſſen. Bei dieſem Bau
war er recht in ſeinem Wirkungskreiſe, man
ſah ihn nicht anders, als von Architekten,
Mahlern, Tapezierern umgeben, in großen
Buͤchern blaͤtternd, und Plane, Riſſe, Skiz¬
zen vor ſich ausbreitend, die er zum Theil
ſelbſt[369] ſelbſt gemacht, und die mitunter ſchlecht ge¬
nug gerathen waren. Weder der Prinz noch
ſeine Braut durften fruͤher etwas von der in¬
neren Einrichtung ſehen, bis am ſpaͤten Abend
des Vermaͤhlungstages, an dem ſie von dem
Fuͤrſten in einem langen feierlichen Zuge
durch die in der That mit geſchmackvoller
Pracht dekorirten Zimmer geleitet wurden,
und ein Ball in einem herrlichen Saal, der
einem bluͤhenden Garten glich, das Feſt be¬
ſchloß. In der Nacht entſtand in dem Fluͤ¬
gel des Prinzen ein dumpfer Laͤrm, aber lau¬
ter und lauter wurde das Getoͤſe, bis es den
Fuͤrſten ſelbſt aufweckte. Ungluͤckahnend ſprang
er auf, eilte, von der Wache begleitet, nach
dem entfernten Fluͤgel, und trat in den brei¬
ten Corridor, als eben der Prinz gebracht
wurde, den man vor der Thuͤre des Braut¬
gemachs durch einen Meſſerſtich in den Hals
ermordet gefunden. Man kann ſich das Ent¬
ſetzen des Fuͤrſten, der Prinzeſſin Verzweif¬
lung, die tiefe herzzerreiſſende Trauer der
I. [ 24 ][370] Fuͤrſtin denken. — Als der Fuͤrſt ruhiger
worden, fing er an, der Moͤglichkeit, wie der
Mord geſchehen, wie der Moͤrder durch die
uͤberall mit Wachen beſetzten Corridore habe
entfliehen koͤnnen, nachzuſpaͤhen; alle Schlupf¬
winkel wurden durchſucht, aber vergebens.
Der Page, der den Prinzen bedient, erzaͤhlte,
wie er ſeinen Herrn, der, von banger Ahnung
ergriffen, ſehr unruhig geweſen, und lange in
ſeinem Cabinet auf und abgegangen ſey,
endlich entkleidet, und mit dem Armleuchter
in der Hand bis an das Vorzimmer des
Brautgemachs geleuchtet habe. Der Prinz
haͤtte ihm den Leuchter aus der Hand genom¬
men und ihn zuruͤckgeſchickt; kaum ſey er
aber aus dem Zimmer geweſen, als er ei¬
nen dumpfen Schrei, einen Schlag, und das
Klirren des fallenden Armleuchters gehoͤrt.
Gleich ſey er zuruͤckgerannt und habe bei
dem Schein eines Lichts, das noch auf der
Erde fortgebrannt, den Prinzen vor der Thuͤre
des Brautgemachs, und neben ihm ein klei¬
[371] nes blutiges Meſſer liegen geſehen, nun aber
gleich Laͤrm gemacht. — Nach der Erzaͤh¬
lung der Gemahlin des ungluͤcklichen Prin¬
zen war er, gleich nachdem ſie die Kammer¬
frauen entfernt, haſtig ohne Licht in das
Zimmer getreten, hatte alle Lichter ſchnell
ausgeloͤſcht, war wohl eine halbe Stunde bei
ihr geblieben und hatte ſich dann wieder ent¬
fernt; erſt einige Minuten darauf geſchah
der Mord. — Als man ſich in Vermuthun¬
gen, wer der Moͤrder ſeyn koͤnne, erſchoͤpfte,
als es durchaus kein einziges Mittel mehr
gab, dem Thaͤter auf die Spur zu kommen,
da trat eine Kammerfrau der Prinzeſſin auf,
die in einem Nebenzimmer, deſſen Thuͤre ge¬
oͤffnet war, jenen verfaͤnglichen Auftritt des
Prinzen mit dem Mahler bemerkt hatte;
den erzaͤhlte ſie nun mit allen Umſtaͤnden.
Niemand zweifelte, daß der Mahler ſich auf
unbegreifliche Weiſe in den Pallaſt zu ſchlei¬
chen gewußt, und den Prinzen ermordet ha¬
be. Der Mahler ſollte im Augenblick ver¬
[372] haftet werden, ſchon ſeit zwei Tagen war er
aber aus dem Hauſe verſchwunden, niemand
wußte wohin, und alle Nachforſchungen blie¬
ben vergebens. Der Hof war in die tiefſte
Trauer verſenkt, die die ganze Reſidenz mit
ihm theilte, und es war nur Francesko, der,
wieder unausgeſetzt bei Hofe erſcheinend, in
dem kleinen Familienzirkel manchen Sonnen¬
blick aus den truͤben Wolken hervorzuzau¬
bern wußte.“
„Die Prinzeſſin fuͤhlte ſich ſchwanger, und
da es klar zu ſeyn ſchien, daß der Moͤrder
des Gemahls die aͤhnliche Geſtalt zum ver¬
ruchten Betruge gemißbraucht, begab ſie ſich
auf ein entferntes Schloß des Fuͤrſten, damit
die Niederkunft verſchwiegen bliebe, und ſo
die Frucht eines hoͤlliſchen Frevels wenig¬
ſtens nicht vor der Welt, der der Leichtſinn
der Diener die Ereigniſſe der Brautnacht ver¬
rathen, den ungluͤcklichen Gemahl ſchaͤnde.“ —
„Francesko's Verhaͤltniß mit der Schwe¬
ſter der Fuͤrſtin wurde in dieſer Trauerzeit
[373] immer feſter und inniger, und eben ſo ſehr
verſtaͤrkte ſich die Freundſchaft des fuͤrſtlichen
Paars fuͤr ihn. Der Fuͤrſt war laͤngſt in
Francesko's Geheimniß eingeweiht, er konnte
bald nicht laͤnger dem Andringen der Fuͤrſtin
und der Prinzeſſin widerſtehen, und willigte
in Francesko's heimliche Vermaͤhlung mit der
Prinzeſſin. Francesko ſollte ſich im Dienſt
eines entfernten Hofes zu einem hohen mili¬
tairiſchen Grad aufſchwingen, und dann die
oͤffentliche Kundmachung ſeiner Ehe mit der
Prinzeſſin erfolgen. An jenem Hofe war
das damals, bei den Verbindungen des Fuͤr¬
ſten mit ihm, moͤglich.“
„Der Tag der Verbindung erſchien, der
Fuͤrſt mit ſeiner Gemahlin, ſo wie zwei ver¬
traute Maͤnner des Hofes (mein Vorgaͤnger
war einer von ihnen) waren die Einzigen,
die der Trauung in der kleinen Capelle im
fuͤrſtlichen Pallaſt beiwohnen ſollten. Ein
einziger Page, in das Geheimniß eingeweiht,
bewachte die Thuͤre.“
„Das Paar ſtand vor dem Altar, der
Beichtiger des Fuͤrſten, ein alter ehrwuͤrdiger
Prieſter, begann das Formular, nachdem er
ein ſtilles Amt gehalten. — Da erblaßte
Francesko, und mit ſtieren, auf den Eckpfei¬
ler beim Hochaltar gerichteten Augen, rief
er mit dumpfer Stimme: was willſt Du von
mir? — An den Eckpfeiler gelehnt ſtand der
Mahler, in fremder ſeltſamer Tracht, den vio¬
letten Mantel um die Schulter geſchlagen,
und durchbohrte Francesko mit dem geſpen¬
ſtiſchen Blick ſeiner hohlen ſchwarzen Augen.
Die Prinzeſſin war der Ohnmacht nahe, Al¬
les erbebte vom Entſetzen ergriffen, nur der
Prieſter blieb ruhig, und ſprach zu Fran¬
cesko: warum erſchreckt Dich die Geſtalt die¬
ſes Mannes, wenn Dein Gewiſſen rein iſt?
Da raffte ſich Francesko auf, der noch ge¬
kniet, und ſtuͤrzte mit einem kleinen Meſſer
in der Hand auf den Mahler, aber noch ehe
er ihn erreicht, ſank er mit einem dumpfen
Geheul ohnmaͤchtig nieder, und der Mahler
[375] verſchwand hinter dem Pfeiler. Da erwach¬
ten Alle wie aus einer Betaͤubung, man eilte
Francesko zu Huͤlfe, er lag todtenaͤhnlich da.
Um alles Aufſehen zu vermeiden, wurde er
von den beiden vertrauten Maͤnnern in die
Zimmer des Fuͤrſten getragen. Als er aus
der Ohnmacht erwachte, verlangte er heftig,
daß man ihn entlaſſe in ſeine Wohnung, oh¬
ne eine einzige Frage des Fuͤrſten uͤber den
geheimnißvollen Vorgang in der Kirche zu
beantworten. Den andern Morgen war
Francesko aus der Reſidenz, mit den Koſt¬
barkeiten, die ihm die Gunſt des Prinzen
und des Fuͤrſten zugewendet, entflohen. Der
Fuͤrſt unterließ nichts, um dem Geheimniſſe,
dem geſpenſtiſchen Erſcheinen des Mahlers,
auf die Spur zu kommen. Die Capelle
hatte nur zwei Eingaͤnge, von denen einer
aus den inneren Zimmern des Pallaſtes nach
den Logen neben dem Hochaltar, der andere
hingegen aus dem breiten Hauptcorridor in
das Schiff der Kapelle fuͤhrte. Dieſen Ein¬
[376] gang hatte der Page bewacht, damit kein
Neugieriger ſich nahe, der andere war ver¬
ſchloſſen, unbegreiflich blieb es daher, wie
der Mahler in der Capelle erſcheinen, und
wieder verſchwinden koͤnnen. — Das Meſſer,
welches Francesko gegen den Mahler ge¬
zuͤckt, behielt er, ohnmaͤchtig werdend, wie im
Starrkrampf in der Hand, und der Page
(derſelbe, der an dem ungluͤcklichen Vernich¬
tungsabende den Prinzen entkleidete, und der
nun die Thuͤre der Capelle bewachte) be¬
hauptete, es ſey daſſelbe geweſen, was da¬
mals neben dem Prinzen gelegen, da es
ſeiner ſilbernen blinkenden Schaale wegen
ſehr ins Auge falle. — Nicht lange nach die¬
ſen geheimnißvollen Begebenheiten kamen
Nachrichten von der Prinzeſſin; an eben
dem Tage, da Francesko's Vermaͤhlung
vor ſich gehen ſollte, hatte ſie einen Sohn
gebohren, und war bald nach der Ent¬
bindung geſtorben. — Der Fuͤrſt betrau¬
erte ihren Verluſt, wiewohl das Geheim¬
[377] niß der Brautnacht ſchwer auf ihr lag, und
in gewiſſer Art einen vielleicht ungerechten
Verdacht gegen ſie ſelbſt erweckte. Der
Sohn, die Frucht einer frevelichen verruch¬
ten That, wurde in entfernten Landen unter
dem Nahmen des Grafen Viktorin erzogen.
Die Prinzeſſin (ich meine die Schweſter der
Fuͤrſtin) im Innerſten zerriſſen von den
ſchrecklichen Begebenheiten, die in ſo kurzer
Zeit auf ſie eindrangen, waͤhlte das Kloſter.
Sie iſt, wie es Ihnen bekannt ſeyn wird,
Aebtiſſin des Ciſterzienſer-Kloſters in ***. —
Ganz wunderbar, und geheimnißvoll ſich be¬
ziehend auf jene Begebenheiten an unſerm
Hofe, iſt nun aber ein Ereigniß, das ſich un¬
laͤngſt auf dem Schloſſe des Barons F. zu¬
trug, und dieſe Familie, ſo wie damals un¬
ſern Hof, auseinander warf. — Die Aebtiſſin
hatte nemlich, geruͤhrt von dem Elende ei¬
ner armen Frau, die mit einem kleinen Kin¬
de auf der Pilgerfahrt von der heiligen Linde
ins Kloſter einkehrte, ihren —“
Hier unterbrach ein Beſuch die Erzaͤh¬
lung des Leibarztes, und es gelang mir
den Sturm, der in mir wogte zu verber¬
gen. Klar ſtand es vor meiner Seele,
Francesko war mein Vater, er hatte den
Prinzen mit demſelben Meſſer ermordet,
mit dem ich Hermogen toͤdtete! — Ich be¬
ſchloß, in einigen Tagen nach Italien ab¬
zureiſen, und ſo endlich aus dem Kreiſe
zu treten, in den mich die boͤſe feindliche
Macht gebannt hatte. Denſelben Abend er¬
ſchien ich im Zirkel des Hofes; man erzaͤhlte
viel von einem herrlichen bildſchoͤnen Fraͤu¬
lein, die als Hofdame in der Umgebung der
Fuͤrſtin heute zum erſtenmahl erſcheinen wer¬
de, da ſie erſt geſtern angekommen.
Die Fluͤgelthuͤren oͤffneten ſich, die Fuͤr¬
ſtin trat herein, mit ihr die Fremde. — Ich
erkannte Aurelien.
Ende des erſten Theils.
Appendix A
In ſelbigem Verlage iſt kuͤrzlich erſchienen.
Beckers, K. F., Weltgeſchichte. Bd.
3. Dritte Auflage. 8. 1 Rthlr. 20 Gr.
Das ganze Werk, vollſtaͤndig in 10 Baͤnden,
19 Rthlr. 20 Gr.
Blaͤtter, freimuͤthige, fuͤr Deut¬
ſche, in Beziehung auf Krieg, Politik und
Staatswirthſchaft. Jahrgang 1815. 1s bis
4s Heft.
Inhalt: Heft I. Napoleons Erwachen. 2.
Gleichgewicht und Uebergewicht in Europa, in
Briefen aus Wien und Berlin, 1r — 5r Brief.
3. Politiſche Ruͤgen 4. Bemerkungen zu dem
Aufſatz des Baron Bignon, uͤber den Geiſt der
franzoͤſiſchen Armee. 5. Protokoll des franzoͤſi¬
ſchen Staatsraths, um die Rechtmaͤßigkeit des letz¬
ten Thronraubes darzuſtellen; mit Anmerkungen.
6. Ruͤckblicke auf die neueſten Zeitereigniſſe.
Maͤrz und April.
Heft II. 1. Gleichgewicht und Uebergewicht
in Europa, in Briefen aus Wien und Berlin,
6r und 7r Brief. 2. Beitraͤge zur Charakteri¬
ſtik engliſcher Staatsmaͤnner, nebſt einer Schil¬
derung Buonaparte's. 3. Der Dey von Elba
in Paris. 4. Ideen zur ſchnelleren Beweglich-
und Brauchbarmachung einer Armee. 5. Ueber
die Unzweckmaͤßigkeit der freiwilligen Jaͤger-Ab¬
theilungen, als ſolche. 6. Ueber die Zweckmaͤßig¬
keit des Landſturms in Kriegs- und Friedenszei¬
ten. 7. Ruͤckblicke auf die neueſten Zeitereigniſſe.
[] Mai 8. Inſtruction fuͤr die Polizei-Lieutenants
in Frankreich.
Appendix B
Heft III. 1. Des Herzogthums Sachſen Ver¬
bindung mit Preußen, in Beziehung auf innere
Verhaͤltniſſe. 2. Ueber den zu befuͤrchtenden
Holzmangel. 3. Ueber die Abſchaffung der Holz¬
petroi in Berlin. 4. Frankreich unter Buona¬
parte, beſonders in Hinſicht ſeiner Staatsverwal¬
tung. 5. Charakteriſtik des Grafen Vlacas, Mi¬
niſter Ludwigs XVIII. 6. Ruͤckblicke auf die
neueſten Zeitereigniſſe. Juni. — Als Beilage den
Plan der Schlacht bei La belle Alliance.
Heft IV. I. Frankreich unter Buonaparte.
(Fortſetzung.) 2. Wuͤrtembergs alte und neue
Landſtaͤndiſche Verfaſſung. 3. Ueber Staatsge¬
burt, Staatsleben und Staatstod. 4. Die Di¬
plomaten und die Feldherren. 5. Ideen uͤber eine
neue, dem preuſſ. Staate durch eine geſchriebene
Urkunde zu ertheilende Verfaſſung. 6. Die Zeit¬
ſchrift: Allemannia. 7. Gluth- und Wuth-Rede
des Pater Abraham a Sancta Clara. 8. Ue¬
ber Preußens Rheiniſche Mark. 9. Ueber den
Tugendbund. (Enthaͤlt das Dokument uͤber die
Verfaſſung dieſes Bundes.) 10. Ueber die Ver¬
haͤltniſſe des pohlniſchen Bauern zu ſeinem Herren.
11. Aufforderung an preuſſ.Staatsmaͤnner.
Friedrichs, T. H., zweiter ſatyriſcher Feld¬
zug. Nebſt Humoriſtiſchen Abſchweifungen.
Ein Baͤndchen. geheftet. 1 Rthlr. 8 Gr.
Inhalt:
Zueignungsſchreiben an den Oberlieferanten und
geheimen Finanzagenten, Herrn Abraham David
Wallfiſch.
1. Ueber den Zuſtand der Cultur und Huma¬
nitaͤt im kuͤnftigen Jahrhundert, nebſt An¬
[] weiſung zum zweckmaͤßiger Gebrauch des Kant¬
ſchu's. Eine poetiſche Viſion.
2. Ueber die Kunſt zu lachen, mit Hinſicht auf
das große Hanswurſttheater der Welt.
3. Israels Jubel, oder der Geburtstag des großen
Lieferanten. Nebſt einer Excurſion in das
Schlaraffenland.
4. Napoleoniſches Syſtem, oder kurzgefaßte Theo¬
rie der Eroberungskunſt. Eine Vorleſung des
Mephiſtopheies, gehalten im geheimen Klubb
der Teufel.
5. Leben, Thaten, Denkſpruͤche und hoͤchſt merk¬
wuͤrdige Schickſale eines Papagoyen.
6. Der idealiſche Staat, oder die deutſche Co¬
lonie auf den Canariſchen Inſeln. Eine
Traͤumerei aus dem vorigen Jahrzehend.
7. Vorſchlag zur Errichtung einer Maulhelden¬
legion.
8. Curioſe und hoͤchſt erbauliche Fata einer
reiſenden Dorfgeſellſchaft.
9. Gemaͤlde aus dem Traumreiche.
∘a. Das Dichterparadies und Beſchreibung ei¬
nes poetiſchen Gabelfruͤhſtuͤcks von Sternen¬
glanz, Mondſchein, Roſenduft und Mor¬
genthau.
∘b. Humoriſtiſcher Abſtecher ins Eliſium.
10. Lebenslauf philoſophiſche Lebensanſichten
eines Liederlichen.
11. Der Narrenvormund und deſſen Plan zur
Errichtung eines General-Land-Narrenhauſes.
12. Selbſtvertheidigung des Juſtiz-Commiſſarius
Nimm gegen die Beſchuldigung daß er ein
geheimer Bekenner des Judenthums ſey.
13. Faſtenpredigt des Paſtor Fiducius, worin
er die Gemeinde in Sandloch zur Genuͤgſam¬
keit und Uebung chriſtlicher Geduld ermahnt.
[] 14. Schattenriſſe. — Der Aeziſe-Inſpektor
Schnuͤffler. — Der Prediger Suͤß. — Der
Oberlandesgerichtsrath Schlenderianus. — Der
Paͤchter Schwienhuſen. — Der Redakteur
Drehling. — Die Geheimeraͤthe von X und
v. N.
15. Zum Beſchluß! Eine Satyre des Verfaſſers
auf ſich ſelbſt.
Goͤthe's, I. W. v. -des Epimenides
Erwachen, Feſtſpiel. geh. 12 Gr.
Muͤchlers, K., Anekdoten-Almanach
fuͤr 1815. Taſchenformat, mit Kupfern.
geheftet. 1 Rthlr. 8 Gr.
Dies iſt der 7te Jahrgang Die Folge aller
7 Bde. vollſtaͤndig koſtet 8 Rthlr. 8 Gr.
Plan und Beſchreibung der Schlacht vom
18. Juni 1815. bei la belle Alliance.
Fol. 6 Gr.
Preußen und Sachſen. November 1814.
geheftet. 8 Gr.
Theremins, Fr., Predigt am 16. July
1815. zur Feier der am 3ten geſchloſſe¬
nen Capitulation von Paris, in der Dom-
Kirche zu Berlin gehalten. geheftet. 3 Gr.
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Hoffmann, E. T. A.. Die Elixiere des Teufels. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnk2.0