von der
Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen.
aus dem Jahre 1900.
Commissionsverlag der Dieterich’schen Universitätsbuchhandlung
Lüder Horstmann.
1900.
[[II]][[III]]
Register
über
die Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
mathematisch - physikalische Klasse
aus dem Jahre 1900.
- F. Bernstein, Ueber einen Schönflies’schen Satz der
Theorie der stetigen Funktionen zweier reeller Ver-
änderlichen S. 98 - M. Dehn, Ueber raumgleiche Polyeder „ 345
- E. Ehlers, Magellanische Anneliden gesammelt während
der schwedischen Expedition nach den Magellans-
ländern „ 206 - — — Ueber atlantischen Palolo „ 397
- Robert Fricke, Die automorphen Elementarformen „ 303
- — — Die Rittersche Primform auf einer beliebigen Rie-
mann’schen Fläche „ 314 - C. C. Garrard u. E. Oppermann, Zur Frage nach
der Hydratation gelöster Substanzen III „ 85 - D. Hilbert, Mathematische Probleme „ 253
- L. Krüger, Ueber die Ausgleichung mit Bedingungsglei-
chungen bei der trigonometrischen Punktbestimmung
durch Einschneiden „ 1 - E. Landau, Ueber die zahlentheoretische Funktion φ (n)
und ihre Beziehung zum Goldbachschen Satz „ 177 - Alfred Loewy, Ueber die Transformation einer Her-
miteschen Form von nicht verschwindender Deter-
minante in sich „ 298 - H. Lotmar, Zur Frage nach der Hydratation gelöster-
Substanzen II S. 70 - Erich Marx, Ueber den Potentialfall und die Dissocia-
tion in Flammengasen „ 34 - Hermann Minkowski, Zur Theorie der Einheiten in
den algebraischen Zahlkörpern „ 90 - G. Mittag-Leffler, Ueber eine Verallgemeinerung der
Taylorschen Reihe „ 194 - W. Nernst, Zur Frage nach der Hydratation gelöster
Substanzen I „ 68 - — — und H. Reynolds, Ueber die Leitfähigkeit fe-
ster Mischungen bei hohen Temperaturen „ 328 - J. Orth, Arbeiten aus dem pathologischen Institut in
Göttingen „ 224 - W. F. Osgood, Ueber einen Satz des Herrn Schönflies
aus der Theorie der Funktionen zweiter reeller
Veränderlichen „ 94 - Eduard Riecke, Ueber das Verhältniss der Leitfähig-
keiten der Metalle für Wärme und Electricität „ 250 - H. E. Timerding, Ueber lineare Systeme von Kegel-
schnitten „ 103 - W. Voigt, Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse
der Krystallelasticität „ 117 - — — Ueber die Influenz ferromagnetischer Krystalle,
insbesondere über die P. Weiss’schen Beobachtungen
am Magnetit „ 331 - — — Ueber die Parameter der Krystallphysik und
über gerichtete Größen höherer Ordnung „ 355 - A. Voss, Ueber die Principe von Hamilton u. Maupertuis „ 322
- O. Wallach, Untersuchungen aus dem Universitäts-Labo-
ratorium zu Göttingen (IX) „ 241 - J. Wellstein, Ueber Primformen auf Riemann’schen
Flächen „ 380 - Hans Winkler, Ueber die Furchung unbefruchteter
Eier unter der Einwirkung von Extractivstoffen aus
dem Sperma „ 187
Mathematische Probleme.
Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß
zu Paris 1900.
Von
D. Hilbert.
Wer von uns würde nicht gern den Schleier lüften, unter dem
die Zukunft verborgen liegt, um einen Blick zu werfen auf die
bevorstehenden Fortschritte unsrer Wissenschaft und in die Ge-
heimnisse ihrer Entwickelung während der künftigen Jahrhun-
derte! Welche besonderen Ziele werden es sein, denen die füh-
renden mathematischen Geister der kommenden Geschlechter nach-
streben? welche neuen Methoden und neuen Thatsachen werden
die neuen Jahrhunderte entdecken — auf dem weiten und reichen
Felde mathematischen Denkens?
Die Geschichte lehrt die Stetigkeit der Entwickelung der
Wissenschaft. Wir wissen, daß jedes Zeitalter eigene Probleme
hat, die das kommende Zeitalter löst oder als unfruchtbar zur
Seite schiebt und durch neue Probleme ersetzt. Wollen wir eine
Vorstellung gewinnen von der muthmaßlichen Entwickelung mathe-
matischen Wissens in der nächsten Zukunft, so müssen wir die
offenen Fragen vor unserem Geiste passiren lassen und die Pro-
bleme überschauen, welche die gegenwärtige Wissenschaft stellt,
und deren Lösung wir von der Zukunft erwarten. Zu einer sol-
chen Musterung der Probleme scheint mir der heutige Tag, der an
der Jahrhundertwende liegt, wohl geeignet; denn die großen Zeit-
abschnitte fordern uns nicht blos auf zu Rückblicken in die Ver-
gangenheit, sondern sie lenken unsere Gedanken auch auf das un-
bekannte Bevorstehende.
Die hohe Bedeutung bestimmter Probleme für den Fortschritt
[254]D. Hilbert,
der mathematischen Wissenschaft im Allgemeinen und die wich-
tige Rolle, die sie bei der Arbeit des einzelnen Forschers spielen,
ist unleugbar. Solange ein Wissenszweig Ueberfluß an Problemen
bietet, ist er lebenskräftig; Mangel an Problemen bedeutet Ab-
sterben oder Aufhören der selbstständigen Entwickelung. Wie
überhaupt jedes menschliche Unternehmen Ziele verfolgt, so braucht
die mathematische Forschung Probleme. Durch die Lösung von
Problemen stählt sich die Kraft des Forschers; er findet neue
Methoden und Ausblicke, er gewinnt einen weiteren und freieren
Horizont.
Es ist schwierig und oft unmöglich, den Wert eines Problems
im Voraus richtig zu beurteilen; denn schließlich entscheidet der
Gewinn, den die Wissenschaft dem Problem verdankt. Dennoch
können wir fragen, ob es allgemeine Merkmale giebt, die ein
gutes mathematisches Problem kennzeichnen.
Ein alter französischer Mathematiker hat gesagt: Eine mathe-
matische Theorie ist nicht eher als vollkommen anzusehen, als bis
du sie so klar gemacht hast, daß du sie dem ersten Manne er-
klären könntest, den du auf der Straße triffst. Diese Klarheit
und leichte Faßlichkeit, wie sie hier so drastisch für eine mathe-
matische Theorie verlangt wird, möchte ich viel mehr von einem
mathematischen Problem fordern, wenn dasselbe vollkommen sein
soll; denn das Klare und leicht Faßliche zieht uns an, das Ver-
wickelte schreckt uns ab.
Ein mathematisches Problem sei ferner schwierig, damit es
uns reizt, und dennoch nicht völlig unzugänglich, damit es unserer
Anstrengung nicht spotte; es sei uns ein Wahrzeichen auf den
verschlungenen Pfaden zu verborgenen Wahrheiten — uns her-
nach lohnend mit der Freude über die gelungene Lösung.
Die Mathematiker früherer Jahrhunderte pflegten sich mit
leidenschaftlichem Eifer der Lösung einzelner schwieriger Pro-
bleme hinzugeben; sie kannten den Wert schwieriger Probleme.
Ich erinnere nur an das von Johann Bernoulli gestellte Pro-
blem der Linie des schnellsten Falles. Die Erfahrung zeige, so
führt Bernoulli in der öffentlichen Ankündigung dieses Problems
aus, daß edle Geister zur Arbeit an der Vermehrung des Wissens
durch nichts mehr angetrieben werden, als wenn man ihnen
schwierige und zugleich nützliche Aufgaben vorlege, und so hoffe
er sich den Dank der mathematischen Welt zu verdienen, wenn
er nach dem Beispiele von Männern, wie Mersenne, Pascal,
Fermat, Viviani und anderen, welche vor ihm dasselbe thaten,
den ausgezeichneten Analysten seiner Zeit eine Aufgabe vorlege,
[255]mathematische Probleme.
damit sie daran wie an einem Prüfsteine die Güte ihrer Methoden
beurtheilen und ihre Kräfte messen könnten. Dem genannten
Problem von Bernoulli und ähnlichen Problemen verdankt die
Variationsrechnung ihren Ursprung.
Fermat hatte bekanntlich behauptet, daß die Diophan-
tische Gleichung — außer in gewissen selbstverständlichen Fällen —
in ganzen Zahlen x, y, z unlösbar sei; das Problem, diese Unmög-
lichkeit nachzuweisen, bietet ein schlagendes Beispiel dafür, wie
fördernd ein sehr specielles und scheinbar unbedeutendes Problem
auf die Wissenschaft einwirken kann. Denn durch die Fermatsche
Aufgabe angeregt, gelangte Kummer zu der Einführung der
idealen Zahlen und zur Entdeckung des Satzes von der ein-
deutigen Zerlegung der Zahlen eines Kreiskörpers in ideale Prim-
faktoren — eines Satzes, der heute in der ihm durch Dedekind
und Kronecker erteilten Verallgemeinerung auf beliebige al-
gebraische Zahlbereiche im Mittelpunkte der modernen Zahlen-
theorie steht, und dessen Bedeutung weit über die Grenzen der
Zahlentheorie hinaus in das Gebiet der Algebra und der Funk-
tionentheorie reicht.
Um von einem ganz anderen Forschungsgebiete zu reden, so
erinnere ich an das Dreikörperproblem. Dem Umstande, daß
Poincaré es unternahm, dieses schwierige Problem erneut zu
behandeln und der Lösung näher zu führen, verdanken wir die
fruchtbaren Methoden und die weittragenden Principien, die dieser
Gelehrte der himmlischen Mechanik erschlossen hat und die heute
auch der praktische Astronom anerkennt und anwendet.
Die beiden vorhingenannten Probleme, das Fermatsche Pro-
blem und das Dreikörperproblem, erscheinen uns im Vorrath der
Probleme fast wie entgegengesetzte Pole: das erstere eine freie
Erfindung des reinen Verstandes, der Region der abstrakten
Zahlentheorie angehörig; das andere uns von der Astronomie auf-
gezwungen und nothwendig zur Erkenntnis einfachster fundamen-
taler Naturphänomene.
Aber oftmals trifft es sich auch, daß das nämliche spe-
cielle Problem in die verschiedenartigsten Disciplinen mathema-
tischen Wissens eingreift. So spielt das Problem der kürze-
sten Linie zugleich in den Grundlagen der Geometrie, in der
Theorie der krummen Linien und Flächen, in der Mechanik
und in der Variationsrechnung eine wichtige historische und prin-
cipielle Rolle. Und wie überzeugend hat F. Klein in seinem
[256]D. Hilbert,
Buche über das Ikosaeder die Bedeutung geschildert, die dem Pro-
blem der regulären Polyeder in der Elementargeometrie, in der
Gruppen- und Gleichungstheorie und in der Theorie der linearen
Differentialgleichungen zukommt.
Um die Wichtigkeit bestimmter Probleme in’s Licht zu setzen,
darf ich auch auf Weierstrass hinweisen, der es als eine
glückliche Fügung bezeichnete, daß er zu Beginn seiner wissen-
schaftlichen Laufbahn ein so bedeutendes Problem vorfand, wie es
das Jacobische Umkehrproblem war, an dessen Bearbeitung er
sich machen konnte.
Nachdem wir uns die allgemeine Bedeutung der Probleme
in der Mathematik vor Augen geführt haben, wenden wir uns zu
der Frage, aus welchen Quellen die Mathematik ihre Probleme
schöpft. Sicherlich stammen die ersten und ältesten Probleme in
jedem mathematischen Wissenszweige aus der Erfahrung und sind
durch die Welt der äußeren Erscheinungen angeregt worden.
Selbst die Regeln des Rechnens mit ganzen Zahlen sind auf
einer niederen Kulturstufe der Menschheit wohl in dieser Weise
entdeckt worden, wie ja auch heute noch das Kind die Anwen-
dung dieser Gesetze nach der empirischen Methode erlernt. Das
Gleiche gilt von den ersten Problemen der Geometrie: den aus
dem Alterthum überlieferten Problemen der Kubusverdoppelung,
der Quadratur des Kreises und den ältesten Problemen aus der
Theorie der Auflösung numerischer Gleichungen, aus der Curven-
lehre und der Differential- und Integralrechnung, aus der Va-
riationsrechnung, der Theorie der Fourierschen Reihen und der
Potentialtheorie — gar nicht zu reden von der weiteren reichen
Fülle der eigentlichen Probleme aus der Mechanik, Astronomie und
Physik.
Bei der Weiterentwickelung einer mathematischen Disciplin
wird sich jedoch der menschliche Geist, ermuthigt durch das Ge-
lingen der Lösungen, seiner Selbstständigkeit bewußt; er schafft
aus sich selbst heraus oft ohne erkennbare äußere Anregung
allein durch logisches Combiniren, durch Verallgemeinern, Speciali-
siren, durch Trennen und Sammeln der Begriffe in glücklich-
ster Weise neue und fruchtbare Probleme und tritt dann selbst
als der eigentliche Frager in den Vordergrund. So entstanden
das Primzahlproblem und die übrigen Probleme der Arithmetik,
die Galoissche Gleichungstheorie, die Theorie der algebrai-
schen Invarianten, die Theorie der Abelschen und automorphen
Funktionen und so entstehen überhaupt fast alle feineren Fragen
der modernen Zahlen- und Funktionentheorie.
[257]mathematische Probleme.
Inzwischen, während die Schaffenskraft des reinen Denkens
wirkt, kommt auch wieder von neuem die Außenwelt zur Geltung,
zwingt uns durch die wirklichen Erscheinungen neue Fragen auf,
erschließt neue mathematische Wissensgebiete und, indem wir diese
neuen Wissensgebiete für das Reich des reinen Denkens zu er-
werben suchen, finden wir häufig die Antworten auf alte un-
gelöste Probleme und fördern so zugleich am besten die alten
Theorien. Auf diesem stets sich wiederholenden und wechselnden
Spiel zwischen Denken und Erfahrung beruhen, wie mir scheint,
die zahlreichen und überraschenden Analogieen und jene scheinbar
praestabilirte Harmonie, welche der Mathematiker so oft in den
Fragestellungen, Methoden und Begriffen verschiedener Wissens-
gebiete wahrnimmt.
Wir erörtern noch kurz, welche berechtigten allgemeinen
Forderungen an die Lösung eines mathematischen Problems zu
stellen sind: ich meine vor Allem die, daß es gelingt, die Richtig-
keit der Antwort durch eine endliche Anzahl von Schlüssen darzu-
thun und zwar auf Grund einer endlichen Anzahl von Voraussetzun-
gen, welche in der Problemstellung liegen und die jedesmal genau
zu formuliren sind. Diese Forderung der logischen Deduktion
mittelst einer endlichen Anzahl von Schlüssen ist nichts anderes als
die Forderung der Strenge in der Beweisführung. In der That die
Forderung der Strenge, die in der Mathematik bekanntlich von
sprichwörtlicher Bedeutung geworden ist, entspricht einem allge-
meinen philosophischen Bedürfnis unseres Verstandes und anderer-
seits kommt durch ihre Erfüllung allein erst der gedankliche In-
halt und die Fruchtbarkeit des Problems zur vollen Geltung. Ein
neues Problem, zumal, wenn es aus der äußeren Erscheinungswelt
stammt, ist wie ein junges Reis, welches nur gedeiht und Früchte
trägt, wenn es auf den alten Stamm, den sicheren Besitzstand
unseres mathematischen Wissens, sorgfältig und nach den strengen
Kunstregeln des Gärtners aufgepfropft wird.
Zudem ist es ein Irrtum zu glauben, daß die Strenge in der
Beweisführung die Feindin der Einfachheit wäre. An zahlreichen
Beispielen finden wir im Gegenteil bestätigt, daß die strenge Me-
thode auch zugleich die einfachere und leichter faßliche ist. Das
Streben nach Strenge zwingt uns eben zur Auffindung einfa-
cherer Schlußweisen; auch bahnt es uns häufig den Weg zu Me-
thoden, die entwickelungsfähiger sind als die alten Methoden
von geringerer Strenge. So erfuhr die Theorie der algebraischen
Curven durch die strengere funktionentheoretische Methode und
die folgerichtige Einführung transcendenter Hilfsmittel eine er-
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Math.-phys. Klasse 1900. Heft 3. 19
[258]D. Hilbert,
hebliche Vereinfachung und größere Einheitlichkeit. Der Nach-
weis ferner, daß die Potenzreihe die Anwendung der vier ele-
mentaren Rechnungsarten, sowie das gliedweise Differentiiren
und Integriren gestattet und die darauf beruhende Erkennt-
nis der Bedeutung der Potenzreihe, trug erheblich zur Verein-
fachung der gesamten Analysis, insbesondere der Theorie der
Elimination und der Theorie der Differentialgleichungen sowie der
in derselben zu führenden Existenzbeweise bei. Das schlagendste
Beispiel aber für meine Behauptung ist die Variationsrechnung.
Die Behandlung der ersten und zweiten Variation bestimmter
Integrale brachte zum Teil äußerst complicirte Rechnungen mit
sich und die betreffenden Entwickelungen der alten Mathematiker
entbehrten der erforderlichen Strenge. Weierstrass zeigte uns
den Weg zu einer neuen und sicheren Begründung der Variations-
rechnung. An dem Beispiel des einfachen Integrals und des
Doppelintegrals werde ich zum Schluß meines Vortrages kurz an-
deuten, wie die Verfolgung dieses Weges zugleich eine überra-
schende Vereinfachung der Variationsrechnung mit sich bringt,
indem zum Nachweis der notwendigen und hinreichenden Crite-
rien für das Eintreten eines Maximums und Minimums die Be-
rechnung der zweiten Variation und zum Teil sogar die müh-
samen an die erste Variation anknüpfenden Schlüsse völlig ent-
behrlich werden — gar nicht zu reden von dem Fortschritte, der
in der Aufhebung der Beschränkung auf solche Variationen liegt,
für die die Differentialquotienten der Funktionen nur wenig va-
riiren.
Wenn ich die Strenge in den Beweisen als Erforderniß
für eine vollkommene Lösung eines Problems hinstelle, so
möchte ich andererseits zugleich die Meinung widerlegen, als
seien etwa nur die Begriffe der Analysis oder gar nur diejenigen
der Arithmetik der völlig strengen Behandlung fähig. Eine solche
bisweilen von hervorragenden Seiten vertretene Meinung halte
ich für durchaus irrig; eine so einseitige Auslegung der Forde-
rung der Strenge führt bald zu einer Ignorirung aller aus der
Geometrie, Mechanik und Physik stammenden Begriffe, zu einer
Unterbindung des Zuflusses von neuem Material aus der Außen-
welt und schließlich sogar in letzter Consequenz zu einer Ver-
werfung der Begriffe des Continuums und der Irrationalzahl.
Welch’ wichtiger Lebensnerv aber würde der Mathematik abge-
schnitten durch eine Exstirpation der Geometrie und der mathe-
matischen Physik? Ich meine im Gegenteil, wo immer von er-
kenntnistheoretischer Seite oder in der Geometrie oder aus den
[259]mathematische Probleme.
Theorien der Naturwissenschaft mathematische Begriffe auftauchen,
erwächst der Mathematik die Aufgabe, die diesen Begriffen zu
Grunde liegenden Principien zu erforschen und dieselben durch ein
einfaches und vollständiges System von Axiomen derart festzu-
legen, daß die Schärfe der neuen Begriffe und ihre Verwendbar-
keit zur Deduktion den alten arithmetischen Begriffen in keiner
Hinsicht nachsteht.
Zu den neuen Begriffen gehören notwendig auch neue Zeichen;
diese wählen wir derart, daß sie uns an die Erscheinungen er-
innern, die der Anlaß waren zur Bildung der neuen Begriffe.
So sind die geometrischen Figuren Zeichen für die Erinnerungs-
bilder der räumlichen Anschauung und finden als solche bei allen
Mathematikern Verwendung. Wer benutzt nicht stets zugleich
mit der Doppelungleichung a \> b \> c für drei Größen a, b, c das
Bild dreier hintereinander auf einer Geraden liegenden Punkte
als das geometrische Zeichen des Begriffes „zwischen“. Wer be-
dient sich nicht der Zeichnung in einander gelagerter Strecken und
Rechtecke, wenn es gilt einen schwierigen Satz über die Stetigkeit
von Funktionen oder die Existenz von Verdichtungsstellen in
voller Strenge zu beweisen. Wer könnte ohne die Figur des
Dreiecks, des Kreises mit seinem Mittelpunkt, wer ohne das Kreuz
dreier zueinander senkrechter Achsen auskommen? oder wer wollte
auf die Vorstellung des Vektorfeldes oder das Bild einer Curven-
und Flächenschaar mit ihrer Enveloppe verzichten, das in der
Differentialgeometrie, in der Theorie der Differentialgleichungen,
in der Begründung der Variationsrechnung und anderer rein
mathematischer Wissenszweige eine so wichtige Rolle spielt?
Die arithmetischen Zeichen sind geschriebene Figuren und
die geometrischen Figuren sind gezeichnete Formeln, und kein
Mathematiker könnte diese gezeichneten Formeln entbehren, so
wenig wie ihm beim Rechnen etwa das Formiren und Auflösen
der Klammern oder die Verwendung anderer analytischer Zeichen
entbehrlich sind.
Die Anwendung der geometrischen Zeichen als strenges Be-
weismittel setzt die genaue Kenntniß und völlige Beherrschung
der Axiome voraus, die jenen Figuren zu Grunde liegen, und da-
mit diese geometrischen Figuren dem allgemeinen Schatze mathe-
matischer Zeichen einverleibt werden dürfen, ist daher eine strenge
axiomatische Untersuchung ihres anschauungsmäßigen Inhaltes not-
wendig. Wie man beim Addiren zweier Zahlen die Ziffern nicht
unrichtig untereinandersetzen darf, sondern vielmehr erst die
Rechnungsregeln d. h. die Axiome der Arithmetik das richtige
19*
[260]D. Hilbert,
Operiren mit den Ziffern bestimmen, so wird das Operiren mit
den geometrischen Zeichen durch die Axiome der geometrischen
Begriffe und deren Verknüpfung bestimmt.
Die Uebereinstimmung zwischen geometrischem und arithme-
tischem Denken zeigt sich auch darin, daß wir bei arithmetischen
Forschungen ebensowenig wie bei geometrischen Betrachtungen in
jedem Augenblicke die Kette der Denkoperationen bis auf die
Axiome hin verfolgen; vielmehr wenden wir, zumal bei der er-
sten Inangriffnahme eines Problems, in der Arithmetik genau wie
in der Geometrie zunächst ein rasches, unbewußtes, nicht definitiv
sicheres Combiniren an, im Vertrauen auf ein gewisses arithme-
tisches Gefühl für die Wirkungsweise der arithmetischen Zeichen,
ohne welches wir in der Arithmetik ebensowenig vorwärts kom-
men würden, wie in der Geometrie ohne die geometrische Ein-
bildungskraft. Als Muster einer mit geometrischen Begriffen und
Zeichen in strenger Weise operirenden arithmetischen Theorie
nenne ich das Werk von Minkowski1) „Geometrie der Zahlen.“
Es mögen noch einige Bemerkungen über die Schwierigkeiten,
die mathematische Probleme bieten können und die Ueberwin-
dung solcher Schwierigkeiten Platz finden.
Wenn uns die Beantwortung eines mathematischen Problems
nicht gelingen will, so liegt häufig der Grund darin, daß wir noch
nicht den allgemeineren Gesichtspunkt erkannt haben, von dem
aus das vorgelegte Problem nur als einzelnes Glied einer Kette
verwandter Probleme erscheint. Nach Auffindung dieses Gesichts-
punktes wird häufig nicht nur das vorgelegte Problem unserer
Erforschung zugänglicher, sondern wir gelangen so zugleich in
den Besitz einer Methode, die auf die verwandten Probleme an-
wendbar ist. Als Beispiel diene die Einführung complexer Inte-
grationswege in der Theorie der bestimmten Integrale durch
Cauchy und die Aufstellung des Idealbegriffes in der Zahlen-
theorie durch Kummer. Dieser Weg zur Auffindung allge-
meiner Methoden ist gewiß der gangbarste und sicherste; denn
wer, ohne ein bestimmtes Problem vor Auge zu haben, nach
Methoden sucht, dessen Suchen ist meist vergeblich.
Eine noch wichtigere Rolle als das Verallgemeinern spielt
— wie ich glaube — bei der Beschäftigung mit mathematischen
Problemen das Specialisiren. Vielleicht in den meisten Fällen,
wo wir die Antwort auf eine Frage vergeblich suchen, liegt die
Ursache des Mißlingens darin, daß wir einfachere und leichtere
[261]mathematische Probleme.
Probleme als das vorgelegte noch nicht oder noch unvollkommen
erledigt haben. Es kommt dann Alles darauf an, diese leichteren
Probleme aufzufinden und ihre Lösung mit möglichst vollkommenen
Hülfsmitteln und durch verallgemeinerungsfähige Begriffe zu be-
werkstelligen. Diese Vorschrift ist einer der wichtigsten Hebel
zur Ueberwindung mathematischer Schwierigkeiten und es scheint
mir, daß man sich dieses Hebels meistens — wenn auch unbe-
wußt — bedient.
Mitunter kommt es vor, daß wir die Beantwortung unter un-
genügenden Voraussetzungen oder in unrichtigem Sinne erstreben
und in Folge dessen nicht zum Ziele gelangen. Es entsteht dann
die Aufgabe, die Unmöglichkeit der Lösung des Problems unter
den gegebenen Voraussetzungen und in dem verlangten Sinne
nachzuweisen. Solche Unmöglichkeitsbeweise wurden schon von
den Alten geführt, indem sie z. B. zeigten, daß die Hypotenuse
eines gleichschenkligen rechtwinkligen Dreiecks zur Kathete in
einem irrationalen Verhältnisse steht. In der neueren Mathe-
matik spielt die Frage nach der Unmöglichkeit gewisser Lösungen
eine hervorragende Rolle und wir nehmen so gewahr, daß alte
schwierige Probleme wie der Beweis des Parallelenaxioms, die
Quadratur des Kreises oder die Auflösung der Gleichungen 5ten
Grades durch Wurzelziehen, wenn auch in anderem als dem ur-
sprünglich gemeinten Sinne, dennoch eine völlig befriedigende und
strenge Lösung gefunden haben.
Diese merkwürdige Thatsache neben anderen philosophischen
Gründen ist es wohl, welche in uns eine Ueberzeugung entstehen läßt,
die jeder Mathematiker gewiß teilt, die aber bis jetzt wenigstens
niemand durch Beweise gestützt hat — ich meine die Ueberzeugung,
daß ein jedes bestimmte mathematische Problem einer strengen
Erledigung notwendig fähig sein müsse, sei es, daß es gelingt, die
Beantwortung der gestellten Frage zu geben, sei es, daß die Un-
möglichkeit seiner Lösung und damit die Notwendigkeit des Miß-
lingens aller Versuche dargethan wird. Man lege sich irgend ein
bestimmtes ungelöstes Problem vor, etwa die Frage nach der
Irrationalität der Euler-Mascheronischen Constanten C oder
die Frage, ob es unendlich viele Primzahlen von der Form 2n + 1
giebt. So unzugänglich diese Probleme uns erscheinen und so rat-
los wir zur Zeit ihnen gegenüber stehen — wir haben dennoch
die sichere Ueberzeugung, daß ihre Lösung durch eine endliche
Anzahl rein logischer Schlüsse gelingen muß.
Ist dieses Axiom von der Lösbarkeit eines jeden Problems
eine dem mathematischen Denken allein charakteristische Eigen-
[262]D. Hilbert,
tümlichkeit oder ist es vielleicht ein allgemeines dem inneren
Wesen unseres Verstandes anhaftendes Gesetz, daß alle Fragen,
die er stellt, auch durch ihn einer Beantwortung fähig sind?
Trifft man doch auch in anderen Wissenschaften alte Probleme
an, die durch den Beweis der Unmöglichkeit in der befriedigend-
sten Weise und zum höchsten Nutzen der Wissenschaft er-
ledigt worden sind. Ich erinnere an das Problem des Perpetuum
mobile. Nach den vergeblichen Versuchen der Construktion eines
Perpetuum mobile forschte man vielmehr nach den Beziehungen,
die zwischen den Naturkräften bestehen müssen, wenn ein Per-
petuum mobile unmöglich sein soll 1), und diese umgekehrte Frage-
stellung führte auf die Entdeckung des Gesetzes von der Erhal-
tung der Energie, das seinerseits die Unmöglichkeit des Perpe-
tuum mobile in dem ursprünglich verlangten Sinne erklärt.
Diese Ueberzeugung von der Lösbarkeit eines jeden mathe-
matischen Problems ist uns ein kräftiger Ansporn während der
Arbeit; wir hören in uns den steten Zuruf: Da ist das Pro-
blem, suche die Lösung. Du kannst sie durch reines
Denken finden; denn in der Mathematik giebt es
kein Ignorabimus!
Unermeßlich ist die Fülle von Problemen in der Mathematik,
und sobald ein Problem gelöst ist, tauchen an dessen Stelle zahl-
lose neue Probleme auf. Gestatten Sie mir im Folgenden, gleich-
sam zur Probe, aus verschiedenen mathematischen Disciplinen ein-
zelne bestimmte Probleme zu nennen, von deren Behandlung eine
Förderung der Wissenschaft sich erwarten läßt.
Ueberblicken wir die Principien der Analysis und der Geo-
metrie. Die anregendsten und bedeutendsten Ereignisse des letzten
Jahrhunderts sind auf diesem Gebiete, wie mir scheint, die arith-
metische Erfassung des Begriffs des Continuums in den Arbeiten
von Cauchy, Bolzano, Cantor und die Entdeckung der
Nicht-Euklidischen Geometrie durch Gauss, Bolyai, Lo-
batschefskiy. Ich lenke daher zunächst Ihre Aufmerksamkeit
auf einige diesen Gebieten angehörenden Probleme.
[263]mathematische Probleme.
1. Cantors Problem von der Mächtigkeit des Continuums.
Zwei Systeme, d. h. zwei Mengen von gewöhnlichen reellen
Zahlen (oder Punkten) heißen nach Cantor aequivalent oder von
gleicher Mächtigkeit, wenn sie zu einander in eine derartige Be-
ziehung gebracht werden können, daß einer jeden Zahl der einen
Menge eine und nur eine bestimmte Zahl der anderen Menge ent-
spricht. Die Untersuchungen von Cantor über solche Punkt-
mengen machen einen Satz sehr wahrscheinlich, dessen Beweis je-
doch trotz eifrigster Bemühungen bisher noch Niemanden gelungen
ist; dieser Satz lautet:
Jedes System von unendlich vielen reellen Zahlen d. h. jede
unendliche Zahlen- (oder Punkt)menge ist entweder der Menge der
ganzen natürlichen Zahlen 1, 2, 3, … oder der Menge sämmt-
licher reellen Zahlen und mithin dem Continuum, d. h. etwa den
Punkten einer Strecke aequivalent; im Sinne der Aequivalenz giebt
es hiernach nur zwei Zahlenmengen, die abzählbare Menge und das
Continuum.
Aus diesem Satz würde zugleich folgen, daß das Continuum
die nächste Mächtigkeit über die Mächtigkeit der abzählbaren
Mengen hinaus bildet; der Beweis dieses Satzes würde mithin
eine neue Brücke schlagen zwischen der abzählbaren Menge und
dem Continuum.
Es sei noch eine andere sehr merkwürdige Behauptung Can-
tors erwähnt, die mit dem genannten Satze in engstem Zu-
sammenhange steht und die vielleicht den Schlüssel zum Beweise
dieses Satzes liefert. Irgend ein System von reellen Zahlen heißt
geordnet, wenn von irgend zwei Zahlen des Systems fest-
gesetzt ist, welches die frühere und welches die spätere sein
soll, und dabei diese Festsetzung eine derartige ist, daß, wenn
eine Zahl a früher als die Zahl b und b früher als c ist, so auch
stets a früher als c erscheint. Die natürliche Anordnung der
Zahlen eines Systems heiße diejenige, bei der die kleinere als die
frühere, die größere als die spätere festgesetzt wird. Es giebt
aber, wie leicht zu sehen ist, noch unendlich viele andere Arten,
wie man die Zahlen eines Systems ordnen kann.
Wenn wir eine bestimmte Ordnung der Zahlen ins Auge fassen
und aus denselben irgend ein besonderes System dieser Zahlen,
ein sogenanntes Teilsystem oder eine Teilmenge, herausgreifen, so
erscheint diese Teilmenge ebenfalls geordnet. Cantor betrachtet
nun eine besondere Art von geordneten Mengen, die er als wohl-
geordnete Mengen bezeichnet und die dadurch charakterisirt sind,
[264]D. Hilbert,
daß nicht nur in der Menge selbst, sondern auch in jeder Teil-
menge eine früheste Zahl existirt. Das System der ganzen Zahlen
1, 2, 3, … in dieser seiner natürlichen Ordnung ist offenbar eine
wohlgeordnete Menge. Dagegen ist das System aller reellen Zahlen,
d. h. das Continuum in seiner natürlichen Ordnung offenbar nicht
wohlgeordnet. Denn, wenn wir als Teilmenge die Punkte einer
endlichen Strecke mit Ausnahme des Anfangspunktes der Strecke
ins Auge fassen, so besitzt diese Teilmenge jedenfalls kein frü-
hestes Element. Es erhebt sich nun die Frage, ob sich die Ge-
samtheit aller Zahlen nicht in anderer Weise so ordnen läßt, daß
jede Teilmenge ein frühestes Element hat, d. h. ob das Continuum
auch als wohlgeordnete Menge aufgefaßt werden kann, was
Cantor bejahen zu müssen glaubt. Es erscheint mir höchst
wünschenswert, einen direkten Beweis dieser merkwürdigen Behaup-
tung von Cantor zu gewinnen, etwa durch wirkliche Angabe
einer solchen Ordnung der Zahlen, bei welcher in jedem Teilsy-
stem eine früheste Zahl aufgewiesen werden kann.
2. Die Widerspruchslosigkeit der arithmetischen Axiome.
Wenn es sich darum handelt, die Grundlagen einer Wissen-
schaft zu untersuchen, so hat man ein System von Axiomen auf-
zustellen, welche eine genaue und vollständige Beschreibung der-
jenigen Beziehungen enthalten, die zwischen den elementaren Be-
griffen jener Wissenschaft stattfinden. Die aufgestellten Axiome
sind zugleich die Definitionen jener elementaren Begriffe und jede
Aussage innerhalb des Bereiches der Wissenschaft, deren Grund-
lagen wir prüfen, gilt uns nur dann als richtig, falls sie sich
mittelst einer endlichen Anzahl logischer Schlüsse aus den aufge-
stellten Axiomen ableiten läßt. Bei näherer Betrachtung entsteht
die Frage, ob etwa gewisse Aussagen einzelner Axiome sich unterein-
ander bedingen und ob nicht somit die Axiome noch gemeinsame Be-
standteile enthalten, die man beseitigen muß, wenn man zu einem Sy-
stem von Axiomen gelangen will, die völlig von einander unabhängig
sind.
Vor Allem aber möchte ich unter den zahlreichen Fragen,
welche hinsichtlich der Axiome gestellt werden können, dies als
das wichtigste Problem bezeichnen, zu beweisen, daß dieselben unter-
einander widerspruchslos sind, d. h. daß man auf Grund derselben
mittelst einer endlichen Anzahl von logischen Schlüssen niemals zu
Resultaten gelangen kann, die miteinander in Widerspruch stehen.
In der Geometrie gelingt der Nachweis der Widerspruchs-
losigkeit der Axiome dadurch, daß man einen geeigneten Bereich
[265]mathematische Probleme.
von Zahlen construirt, derart, daß den geometrischen Axiomen
analoge Beziehungen zwischen den Zahlen dieses Bereiches ent-
sprechen und daß demnach jeder Widerspruch in den Folgerungen
aus den geometrischen Axiomen auch in der Arithmetik jenes
Zahlenbereiches erkennbar sein müßte. Auf diese Weise wird
also der gewünschte Nachweis für die Widerspruchslosigkeit der
geometrischen Axiome auf den Satz von der Widerspruchslosig-
keit der arithmetischen Axiome zurückgeführt.
Zum Nachweise für die Widerspruchslosigkeit der arithme-
tischen Axiome bedarf es dagegen eines direkten Weges.
Die Axiome der Arithmetik sind im Wesentlichen nichts an-
deres als die bekannten Rechnungsgesetze mit Hinzunahme des
Axiomes der Stetigkeit. Ich habe sie kürzlich zusammengestellt 1)
und dabei das Axiom der Stetigkeit durch zwei einfachere Axiome er-
setzt, nämlich das bekannte Archimedische Axiom und ein neues
Axiom des Inhaltes, daß die Zahlen ein System von Dingen bil-
den, welches bei Aufrechterhaltung der sämmtlichen übrigen
Axiome keiner Erweiterung mehr fähig ist. (Axiom der Voll-
ständigkeit). Ich bin nun überzeugt, daß es gelingen muß, einen
direkten Beweis für die Widerspruchslosigkeit der arithmetischen
Axiome zu finden, wenn man die bekannten Schlußmethoden in
der Theorie der Irrationalzahlen im Hinblick auf das bezeichnete
Ziel genau durcharbeitet und in geeigneter Weise modificirt.
Um die Bedeutung des Problems noch nach einer anderen
Rücksicht hin zu charakterisiren, möchte ich folgende Bemer-
kungen hinzufügen. Wenn man einem Begriffe Merkmale erteilt,
die einander widersprechen, so sage ich: der Begriff existirt ma-
thematisch nicht. So existirt z. B. mathematisch nicht eine reelle
Zahl, deren Quadrat gleich —1 ist. Gelingt es jedoch zu be-
weisen, daß die dem Begriffe erteilten Merkmale bei Anwendung
einer endlichen Anzahl von logischen Schlüssen niemals zu einem
Widerspruche führen können, so sage ich, daß damit die mathe-
matische Existenz des Begriffes z. B. einer Zahl oder einer Func-
tion, die gewisse Forderungen erfüllt, bewiesen worden ist. In
dem vorliegenden Falle, wo es sich um die Axiome der reellen
Zahlen in der Arithmetik handelt, ist der Nachweis für die Wider-
spruchslosigkeit der Axiome zugleich der Beweis für die mathe-
matische Existenz des Inbegriffs der reellen Zahlen oder des Con-
tinuums. In der That, wenn der Nachweis für die Wider-
[266]D. Hilbert,
spruchslosigkeit der Axiome völlig gelungen sein wird, so ver-
lieren die Bedenken, welche bisweilen gegen die Existenz des In-
begriffs der reellen Zahlen gemacht worden sind, jede Berechti-
gung. Freilich der Inbegriff der reellen Zahlen, d. h. das Con-
tinuum ist bei der eben gekennzeichneten Auffassung nicht etwa
die Gesammtheit aller möglichen Dezimalbruchentwicklungen oder
die Gesammtheit aller möglichen Gesetze, nach denen die Elemente
einer Fundamentalreihe fortschreiten können, sondern ein System
von Dingen, deren gegenseitige Beziehungen durch die aufgestellten
Axiome geregelt werden und für welche alle und nur diejenigen
Thatsachen wahr sind, die durch eine endliche Anzahl logischer
Schlüsse aus den Axiomen gefolgert werden können. Nur in
diesem Sinne ist meiner Meinung nach der Begriff des Continuums
streng logisch faßbar. Thatsächlich entspricht er auch, wie mir
scheint, so am besten dem, was die Erfahrung und Anschauung
uns giebt. Der Begriff des Continuums oder auch der Begriff
des Systems aller Functionen existirt dann in genau demselben
Sinne wie etwa das System der ganzen rationalen Zahlen oder
auch wie die höheren Cantorschen Zahlklassen und Mächtig-
keiten. Denn ich bin überzeugt, daß auch die Existenz der letz-
teren in dem von mir bezeichneten Sinne ebenso wie die des Con-
tinuums wird erwiesen werden können — im Gegensatz zu dem
System aller Mächtigkeiten überhaupt oder auch aller Cantor-
schen Alephs, für welches, wie sich zeigen läßt, ein wider-
spruchloses System von Axiomen in meinem Sinne nicht aufge-
stellt werden kann und welches daher nach meiner Bezeichnungs-
weise ein mathematisch nicht existirender Begriff ist.
Aus dem Gebiete der Grundlagen der Geometrie möchte ich
zunächst das folgende Problem nennen.
3. Die Volumengleichheit zweier Tetraeder von gleicher Grundfläche und Höhe.
Gauss1) spricht in zwei Briefen an Gerling sein Bedauern
darüber aus, daß gewisse Sätze der Stereometrie von der Exhau-
stionsmethode, d. h. in der modernen Ausdrucksweise von dem
Stetigkeitsaxiom (oder von dem Archimedischen Axiome) ab-
hängig sind. Gauss nennt besonders den Satz von Euklid,
daß dreiseitige Pyramiden von gleicher Höhe sich wie ihre Grund-
flächen verhalten. Nun ist die analoge Aufgabe in der Ebene
[267]mathematische Probleme.
vollkommen erledigt worden 1); auch ist es Gerling2) gelungen,
die Volumengleichheit symmetrischer Polyeder durch Zerlegung
in congruente Teile zu beweisen. Dennoch erscheint mir der Be-
weis des eben genannten Satzes von Euklid auf diese Weise im
allgemeinen wohl nicht als möglich und es würde sich also um
den strengen Unmöglichkeitsbeweis handeln. Ein solcher wäre
erbracht, sobald es gelingt, zwei Tetraeder mit gleicher Grundfläche
und von gleicher Höhe anzugeben, die sich auf keine Weise in
congruente Tetraeder zerlegen lassen und die sich auch durch Hin-
zufügung congruenter Tetraeder nicht zu solchen Polyedern ergänzen
lassen, für die ihrerseits eine Zerlegung in congruente Tetraeder
möglich ist.
4. Problem von der Geraden als kürzester Verbindung zweier Punkte.
Eine andere Problemstellung, betreffend die Grundlagen der
Geometrie ist diese. Wenn wir von den Axiomen, die zum Auf-
bau der gewöhnlichen Euklidischen Geometrie nötig sind, das
Parallelenaxiom unterdrücken, bezüglich als nicht erfüllt annehmen,
dagegen alle übrigen Axiome beibehalten, so gelangen wir be-
kanntlich zu der Lobatschefskijschen (hyperbolischen) Geo-
metrie; wir dürfen daher sagen, daß diese Geometrie insofern eine
der Euklidischen nächststehende Geometrie ist. Fordern wir
weiter, daß dasjenige Axiom nicht erfüllt sein soll, wonach von
drei Punkten einer Geraden stets einer und nur einer zwischen
den beiden anderen liegt, so erhalten wir die Riemannsche
(elliptische) Geometrie, so daß diese Geometrie als eine der
Lobatschefskijschen nächststehende erscheint. Wollen wir
eine ähnliche principielle Untersuchung über das Archime-
dische Axiom ausführen, so haben wir dieses als nicht erfüllt
anzusehen und gelangen somit zu den Nicht-Archimedischen
Geometrien, die von Veronese und mir untersucht worden sind.
Die allgemeinere Frage, die sich nun erhebt, ist die, ob sich noch
nach anderen fruchtbaren Gesichtspunkten Geometrien aufstellen
lassen, die mit gleichem Recht der gewöhnlichen Euklidischen
Geometrie nächststehend sind, und da möchte ich Ihre Aufmerk-
samkeit auf einen Satz lenken, der von manchen Autoren sogar
als Definition der geraden Linie hingestellt worden ist und der
aussagt, daß die Gerade die kürzeste Verbindung zwischen zwei
[268]D. Hilbert,
Punkten ist. Der wesentliche Inhalt dieser Aussage reduzirt sich
auf den Satz von Euklid, daß im Dreiecke die Summe zweier
Seiten stets größer als die dritte Seite ist, einen Satz, welcher wie
man sieht, lediglich von elementaren d. h. aus den Axiomen un-
mittelbar entnommenen Begriffen handelt, und daher der logischen
Untersuchung zugänglicher ist. Euklid hat den genannten Satz
vom Dreieck mit Hülfe des Satzes vom Außenwinkel auf Grund
der Congruenzsätze bewiesen. Man überzeugt sich nun leicht, daß
der Beweis jenes Euklidischen Satzes allein auf Grund der-
jenigen Congruenzsätze, die sich auf das Abtragen von Strecken
und Winkeln beziehen, nicht gelingt, sondern daß man zum Be-
weise eines Dreieckscongruenzsatzes bedarf. So entsteht die
Frage nach einer Geometrie, in welcher alle Axiome der gewöhn-
lichen Euklidischen Geometrie und insbesondere alle Con-
gruenzaxiome mit Ausnahme des einen Axioms von der Dreiecks-
congruenz (oder auch mit Ausnahme des Satzes von der Gleich-
heit der Basiswinkel im gleichschenkligen Dreieck) gelten und in
welcher überdies noch der Satz, daß in jedem Dreieck die Summe
zweier Seiten größer als die dritte ist, als besonderes Axiom auf-
gestellt wird.
Man findet, daß eine solche Geometrie thatsächlich existirt
und keine andere ist als diejenige, welche Minkowski1) in sei-
nem Buche „Geometrie der Zahlen“ aufgestellt und zur Grund-
lage seiner arithmetischen Untersuchungen gemacht hat. Die
Minkowskische Geometrie ist also ebenfalls eine der gewöhn-
lichen Euklidischen Geometrie nächststehende; sie ist im
Wesentlichen durch folgende Festsetzungen charakterisirt: Er-
stens: Die Punkte, die von einem festen Punkt O gleichen Ab-
stand haben, werden durch eine convexe geschlossene Fläche des
gewöhnlichen Euklidischen Raumes mit O als Mittelpunkt re-
präsentirt. Zweitens: Zwei Strecken heißen auch dann einander
gleich, wenn man sie durch Parallelverschiebung des Euklidi-
schen Raumes ineinander überführen kann.
In der Minkowskischen Geometrie gilt das Parallelenaxiom;
ich gelangte bei einer Betrachtung 2), die ich über den Satz von
der geraden Linie als kürzester Verbindung zweier Punkte an-
stellte, zu einer Geometrie, in welcher nicht das Parallelenaxiom
gilt, während alle übrigen Axiome der Minkowskischen Geo-
metrie erfüllt sind. Wegen der wichtigen Rolle, die der Satz
[269]mathematische Probleme.
von der Geraden als kürzester Verbindung zweier Punkte und
der im wesentlichen aequivalente Satz von Euklid über die
Seiten eines Dreiecks nicht nur in der Zahlentheorie, sondern auch
in der Theorie der Flächen und in der Variationsrechnung spielt,
und da ich glaube, daß die eingehendere Untersuchung der Bedin-
gungen für die Gültigkeit dieses Satzes ebenso auf den Begriff
der Entfernung wie auch noch auf andere elementaren Begriffe
z. B. den Begriff der Ebene und die Möglichkeit ihrer Definition
mittelst des Begriffes der Geraden ein neues Licht werfen wird,
so erscheint mir die Aufstellung und systematische Behandlung der
hier möglichen Geometricen wünschenswert.
Im Fall der Ebene und unter Zugrundelegung des Stetigkeits-
axioms führt das genannte Problem auf die von Darboux1) be-
handelte Frage, alle Variationsprobleme in der Ebene zu finden,
für welche sämtliche Geraden der Ebene die Lösungen sind
— eine Fragestellung, die mir weitgehender Verallgemeinerungen 2)
fähig und würdig erscheint.
5. Lie’s Begriff der continuirlichen Transformationsgruppe ohne die Annahme
der Differenzirbarkeit der die Gruppe definirenden Functionen.
Lie hat bekanntlich mit Hinzuziehung des Begriffs der con-
tinuirlichen Transformationsgruppe ein System von Axiomen für
die Geometrie aufgestellt und auf Grund seiner Theorie der Trans-
formationsgruppen bewiesen, daß dieses System von Axiomen zum
Aufbau der Geometrie hinreicht. Da Lie jedoch bei Begründung
seiner Theorie stets annimmt, daß die die Gruppe definirenden
Functionen differenzirt werden können, so bleibt in den
Lieschen Entwickelungen unerörtert, ob die Annahme der Diffe-
renzirbarkeit bei der Frage nach den Axiomen der Geometrie
thatsächlich unvermeidlich ist oder nicht vielmehr als eine Folge
des Gruppenbegriffs und der übrigen geometrischen Axiome er-
scheint. Diese Ueberlegung, sowie auch gewisse Probleme hin-
sichtlich der arithmetischen Axiome legen uns die allgemeinere
Frage nahe, in wieweit der Liesche Begriff der continuirlichen
Transformationsgruppe auch ohne Annahme der Differenzirbarkeit der
Functionen unserer Untersuchung zugänglich ist.
Bekanntlich definirt Lie die endliche continuirliche Trans-
formationsgruppe als ein System von Transformationen
[270]D. Hilbert,
von der Beschaffenheit, daß zwei beliebige Transformationen
des Systems, nacheinander ausgeführt, eine Transformation er-
geben, welche wiederum dem System angehört und sich mithin in
der Form
darstellen läßt, wo c1, …, cr gewisse Functionen von a1, …, ar;
b1, …, br sind. Die Gruppeneigenschaft findet mithin ihren Aus-
druck in einem System von Functionalgleichungen und erfordert
an sich für die Functionen f1, …, fn, c1, …, cr keinerlei nähere
Beschränkung. Doch die weitere Behandlungsweise jener Func-
tionalgleichungen nach Lie, nämlich die Ableitung der bekannten
grundlegenden Differentialgleichungen, setzt notwendig die Stetig-
keit und Differenzirbarkeit der die Gruppe definirenden Functionen
voraus.
Was zunächst die Stetigkeit betrifft, so wird man gewiß an
dieser Forderung zunächst festhalten — schon im Hinblick auf
die geometrischen und arithmetischen Anwendungen, bei denen die
Stetigkeit der in Frage kommenden Functionen als eine Folge des
Stetigkeitsaxioms erscheint. Dagegen enthält die Differenzirbar-
keit der die Gruppe definirenden Functionen eine Forderung, die
sich in den geometrischen Axiomen nur auf recht gezwungene und
complicirte Weise zum Ausdruck bringen läßt, und es entsteht
mithin die Frage, ob nicht etwa durch Einführung geeigneter
neuer Veränderlicher und Parameter die Gruppe stets in eine
solche übergeführt werden kann, für welche die definirenden Func-
tionen differenzirbar sind, oder ob wenigstens unter Hinzufügung
gewisser einfacher Annahmen eine Ueberführung in die der Lie-
schen Methode zugänglichen Gruppen möglich ist. Die Zurück-
führung auf analytische Gruppen ist nach einem von Lie1)
aufgestellten und von Schur2) zuerst bewiesenen Satze stets
dann möglich, sobald die Gruppe transitiv ist und die Existenz
der ersten und gewisser zweiter Ableitungen der die Gruppe de-
finirenden Functionen vorausgesetzt wird.
[271]mathematische Probleme.
Auch für unendliche Gruppen ist, wie ich glaube, die Unter-
suchung der entsprechenden Frage von Interesse. Ueberhaupt
werden wir auf das weite und nicht uninteressante Feld der Func-
tionalgleichungen geführt, die bisher meist nur unter der Voraus-
setzung der Differenzirbarkeit der auftretenden Functionen unter-
sucht worden sind. Insbesondere die von Abel1) mit so vielem
Scharfsinn behandelten Functionalgleichungen, die Differenzenglei-
chungen und andere in der Litteratur vorkommende Gleichungen
weisen an sich nichts auf, was zur Forderung der Differenzirbar-
keit der auftretenden Functionen zwingt, und bei gewissen Exi-
stenzbeweisen in der Variationsrechnung fiel mir direkt die Auf-
gabe zu, aus dem Bestehen einer Differenzengleichung die Diffe-
renzirbarkeit der betrachteten Function beweisen zu müssen. In
allen diesen Fällen erhebt sich daher die Frage, inwieweit etwa die
Aussagen, die wir im Falle der Annahme differenzirbarer Functionen
machen können, unter geeigneten Modifikationen ohne diese Voraus-
setzung gültig sind.
Bemerkt sei noch, daß H. Minkowski in seiner vorhin ge-
nannten „Geometrie der Zahlen“ von der Functionalungleichung
ausgeht und aus dieser in der That die Existenz gewisser Diffe-
rentialquotienten für die in Betracht kommenden Functionen zu
beweisen vermag.
Andererseits hebe ich hervor, daß es sehr wohl analytische
Functionalgleichungen giebt, deren einzige Lösungen nicht diffe-
renzirbare Functionen sind. Beispielsweise kann man eine eindeu-
tige stetige nichtdifferenzirbare Function φ (x) construiren, die die
einzige Lösung zweier Functionalgleichungen
φ (x + α) — φ (x) = f (x),
φ (x + β) — φ (x) = 0
darstellt, wo α, β zwei reelle Zahlen und f (x) eine für alle reellen
Werte von x reguläre analytische eindeutige Function bedeutet.
Man gelangt am einfachsten zu solchen Functionen mit Hülfe
trigonometrischer Reihen durch einen ähnlichen Gedanken, wie ihn
Borel nach einer jüngsten Mitteilung von Picard2) zur Construc-
tion einer doppelperiodischen nichtanalytischen Lösung einer ge-
wissen analytischen partiellen Differentialgleichung benutzt hat.
[272]D. Hilbert,
6. Mathematische Behandlung der Axiome der Physik.
Durch die Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie
wird uns die Aufgabe nahe gelegt, nach diesem Vorbilde diejenigen
physikalischen Disciplinen axiomatisch zu behandeln, in denen schon
heute die Mathematik eine hervorragende Rolle spielt; dies sind in
erster Linie die Wahrscheinlichkeitsrechnung und die Mechanik.
Was die Axiome der Wahrscheinlichkeitsrechnung 1) angeht, so
scheint es mir wünschenswert, daß mit der logischen Untersuchung
derselben zugleich eine strenge und befriedigende Entwickelung
der Methode der mittleren Werte in der mathematischen Physik,
speciell in der kinetischen Gastheorie Hand in Hand gehe.
Ueber die Grundlagen der Mechanik liegen von physikalischer
Seite bedeutende Untersuchungen vor; ich weise hin auf die
Schriften von Mach2), Hertz3), Boltzmann4) und Volk-
mann5); es ist daher sehr wünschenswert, wenn auch von den
Mathematikern die Erörterung der Grundlagen der Mechanik auf-
genommen würde. So regt uns beispielsweise das Boltzmann-
sche Buch über die Principe der Mechanik an, die dort angedeu-
teten Grenzprocesse, die von der atomistischen Auffassung zu den
Gesetzen über die Bewegung der Continua führen, streng mathe-
matisch zu begründen und durchzuführen. Umgekehrt könnte man
die Bewegung über die Gesetze starrer Körper durch Grenzpro-
cesse aus einem System von Axiomen abzuleiten suchen, die auf
der Vorstellung von stetig veränderlichen, durch Parameter zu
definirenden Zuständen eines den ganzen Raum stetig erfüllenden
Stoffes beruhen — ist doch die Frage nach der Gleichberechtigung
verschiedener Axiomensysteme stets von hohem principiellen In-
teresse.
Soll das Vorbild der Geometrie für die Behandlung der phy-
sikalischen Axiome maßgebend sein, so werden wir versuchen, zu-
nächst durch eine geringe Anzahl von Axiomen eine möglichst all-
gemeine Klasse physikalischer Vorgänge zu umfassen und dann
durch Adjunktion neuer Axiome der Reihe nach zu den specielle-
ren Theorieen zu gelangen — wobei vielleicht ein Einteilungsprin-
[273]mathematische Probleme.
cip aus der so tiefsinnigen Theorie der unendlichen Transformations-
gruppen von Lie entnommen werden kann. Auch wird der Mathe-
matiker, wie er es in der Geometrie gethan hat, nicht bloß die
der Wirklichkeit nahe kommenden, sondern überhaupt alle lo-
gisch möglichen Theorien zu berücksichtigen haben und stets
darauf bedacht sein, einen vollständigen Ueberblick über die Ge-
samtheit der Folgerungen zu gewinnen, die das gerade ange-
nommene Axiomensystem nach sich zieht.
Ferner fällt dem Mathematiker in Ergänzung der physika-
lischen Betrachtungsweise die Aufgabe zu, jedes Mal genau zu
prüfen, ob das neu adjungirte Axiom mit den früheren Axiomen
nicht in Widerspruch steht. Der Physiker sieht sich oftmals durch
die Ergebnisse seiner Experimente gezwungen, zwischendurch und
während der Entwickelung seiner Theorie neue Annahmen zu
machen, indem er sich betreffs der Widerspruchslosigkeit der
neuen Annahmen mit den früheren Axiomen lediglich auf eben
jene Experimente oder auf ein gewisses physikalisches Gefühl be-
ruft — ein Verfahren, welches beim streng logischen Aufbau einer
Theorie nicht statthaft ist. Der gewünschte Nachweis der Wider-
spruchslosigkeit aller gerade gemachten Annahmen erscheint mir
auch deshalb von Wichtigkeit, weil das Bestreben, einen solchen
Nachweis zu führen, uns stets am wirksamsten zu einer exakten
Formulirung der Axiome selbst zwingt.
Wir haben bisher lediglich Fragen über die Grundlagen
mathematischer Wissenszweige berücksichtigt. In der That ist
die Beschäftigung mit den Grundlagen einer Wissenschaft von be-
sonderem Reiz und es wird die Prüfung dieser Grundlagen stets
zu den vornehmsten Aufgaben des Forschers gehören. „Das End-
ziel“ so hat Weierstrass einmal gesagt, „welches man stets
im Auge behalten muß, besteht darin, daß man über die Funda-
mente der Wissenschaft ein sicheres Urteil zu erlangen suche“
.... „Um überhaupt in die Wissenschaften einzudringen, ist frei-
lich die Beschäftigung mit einzelnen Problemen unerläßlich.“ In
der That bedarf es zur erfolgreichen Behandlung der Grundlagen
einer Wissenschaft des eindringenden Verständnisses ihrer spe-
ziellen Theorien; nur der Baumeister ist im Stande, die Funda-
mente für ein Gebäude sicher anzulegen, der die Bestimmung des
Gebäudes selbst im Einzelnen gründlich kennt. So wenden wir
uns nunmehr zu speciellen Problemen einzelner Wissenszweige der
Mathematik und berücksichtigen dabei zunächst die Arithmetik
und die Algebra.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Math.-phys. Klasse 1900. Heft 3. 20
[274]D. Hilbert,
7. Irrationalität und Transcendenz bestimmter Zahlen.
Hermite’s arithmetische Sätze über die Exponentialfunction
und ihre Weiterführung durch Lindemann sind der Bewunde-
rung aller mathematischer Generationen sicher. Aber zugleich
erwächst uns die Aufgabe, auf dem betretenen Wege fortzu-
schreiten. Ich möchte daher eine Klasse von Problemen kennzeich-
nen, die meiner Meinung nach als die nächstliegenden hier in An-
griff zu nehmen sind. Wenn wir von speciellen, in der Analysis
wichtigen transcendenten Functionen erkennen, daß sie für gewisse
algebraische Argumente algebraische Werte annehmen, so er-
scheint uns diese Thatsache stets als besonders merkwürdig und
der eingehenden Untersuchung würdig. Wir erwarten eben von
transcendenten Funktionen, daß sie für algebraische Argumente
im Allgemeinen auch transcendente Werte annehmen, und obgleich
uns wohl bekannt ist, daß es thatsächlich ganze transcendente
Functionen giebt, die für alle algebraischen Argumente sogar ra-
tionale Werte besitzen, so werden wir es doch für höchst wahr-
scheinlich halten, daß z. B. die Exponentialfunction eiπz die offen-
bar für alle rationalen Argumente z stets algebraische Werte
hat, andrerseits für alle irrationalen algebraischen Argumente z
stets transcendente Zahlenwerte annimmt. Wir können dieser
Aussage auch eine geometrische Einkleidung geben, wie folgt.
Wenn in einem gleichschenkligen Dreieck das Verhältnis vom Basis-
winkel zum Winkel an der Spitze algebraisch, aber nicht rational
ist, so ist das Verhältnis zwischen Basis und Schenkel stets tran-
scendent. Trotz der Einfachheit dieser Aussage und der Aehnlich-
keit mit den von Hermite und Lindemann gelösten Pro-
blemen halte ich doch den Beweis dieses Satzes für äußerst schwie-
rig, ebenso wie etwa den Nachweis dafür, daß die Potenz αβ für
eine algebraische Basis α und einen algebraisch irrationalen Exponenten
β, z. B. die Zahl 2√2 oder eπ = i-2i, stets eine transcendente oder
auch nur eine irrationale Zahl darstellt. Es ist gewiß, daß die Lö-
sung dieser und ähnlicher Probleme uns zu ganz neuen Methoden
und zu neuen Einblicken in das Wesen specieller irrationaler und
transcendenter Zahlen führen muß.
8. Primzahlenprobleme.
In der Theorie der Verteilung der Primzahlen sind in neuerer
Zeit durch Hadamard, de la Vallée Poussin, v. Mangoldt
und Andere wesentliche Fortschritte gemacht worden. Zur voll-
ständigen Lösung der Probleme, die uns die Riemannsche Ab-
[275]mathematische Probleme.
handlung „Ueber die Anzahl der Primzahlen unter einer gege-
benen Größe“ gestellt hat, ist es jedoch noch nötig, die Richtig-
tigkeit der äußerst wichtigen Behauptung von Riemannnachzu-
weisen, daß die Nullstellen der Function ζ(s), die durch die Reihe
dargestellt wird, sämtlich den reellen Bestandteil 1/2 haben — wenn
man von den bekannten negativ ganzzahligen Nullstellen absieht.
Sobald dieser Nachweis gelungen ist, so würde die weitere Auf-
gabe darin bestehen, die Riemannsche unendliche Reihe für die
Anzahl der Primzahlen genauer zu prüfen und insbesondere zu
entscheiden, ob die Differenz zwischen der Anzahl der Primzahlen
unterhalb einer Größe x und dem Integrallogarithmus von x in der
That von nicht höherer als der 1/2 ten Ordnung in x unendlich wird,
und ferner, ob dann die von den ersten complexen Nullstellen der
Function ζ(s) abhängenden Glieder der Riemannschen Formel
wirklich die stellenweise Verdichtung der Primzahlen bedingen,
welche man bei den Zählungen der Primzahlen bemerkt hat.
Nach einer erschöpfenden Diskussion der Riemannschen
Primzahlenformel wird man vielleicht dereinst in die Lage kommen,
an die strenge Beantwortung des Problems von Goldbach1) zu
gehen, ob jede gerade Zahl als Summe zweier Primzahlen dar-
stellbar ist, ferner an die bekannte Frage, ob es unendlich viele
Primzahlenpaare mit der Differenz 2 giebt oder gar an das allge-
meinere Problem, ob die lineare Diophantische Gleichung
ax+by+c = 0
mit gegebenen ganzzahligen paarweise teilerfremden Coefficienten
a, b, c stets in Primzahlen x, y lösbar ist.
Aber von nicht geringerem Interesse und vielleicht von noch
größerer Tragweite erscheint mir die Aufgabe, die für die Vertei-
lung der rationalen Primzahlen gewonnenen Resultate auf die Theorie
der Verteilung der Primideale in einem gegebenen Zahlkörper k zu
übertragen — eine Aufgabe, die auf das Studium der dem Zahl-
körper zugehörigen Function
20*
[276]D. Hilbert,
hinausläuft, wo die Summe über alle Ideale j des gegebenen Zahl-
körpers k zu erstrecken ist und n(j) die Norm des Ideals j be-
deutet.
Ich nenne noch drei speciellere Probleme aus der Zahlen-
theorie, nämlich eines über die Reciprocitätsgesetze, eines über
diophantische Gleichungen und ein drittes aus dem Gebiete der
quadratischen Formen.
9. Beweis des allgemeinsten Reciprocitätsgesetzes im beliebigen Zahlkörper.
Für einen beliebigen Zahlkörper soll das Reciprocitätsgesetz der
l ten Potenzreste bewiesen werden, wenn l eine ungerade Primzahl
bedeutet und ferner, wenn l eine Potenz von 2 oder eine Potenz
einer ungeraden Primzahl ist. Die Aufstellung des Gesetzes, so-
wie die wesentlichen Hülfsmittel zum Beweise desselben werden
sich, wie ich glaube, ergeben, wenn man die von mir entwickelte
Theorie des Körpers der l ten Einheitswurzeln 1) und meine Theorie 2)
des relativ - quadratischen Körpers in gehöriger Weise verallge-
meinert.
10. Entscheidung der Lösbarkeit einer Diophantischen Gleichung.
Eine Diophantische Gleichung mit irgend welchen Unbe-
kannten und mit ganzen rationalen Zahlencoefficienten sei vorge-
legt: man soll ein Verfahren angeben, nach welchem sich mittelst
einer endlichen Anzahl von Operationen entscheiden läßt, ob die Glei-
chung in ganzen rationalen Zahlen lösbar ist.
11. Quadratische Formen mit beliebigen algebraischen Zahlencoefficienten.
Unsere jetzige Kenntnis der Theorie der quadratischen Zahl-
körper 3) setzt uns in den Stand, die Theorie der quadratischen
[277]mathematische Probleme.
Formen mit beliebig vielen Variabeln und beliebigen algebraischen
Zahlencoefficienten erfolgreich in Angriff zu nehmen. Damit gelangen
wir insbesondere zu der interessanten Aufgabe, eine vorgelegte
quadratische Gleichung beliebig vieler Variabeln mit algebraischen
Zahlencoefficienten in solchen ganzen oder gebrochenen Zahlen zu
lösen, die in dem durch die Coefficienten bestimmten algebraischen
Rationalitätsbereiche gelegen sind.
Den Uebergang zur Algebra und Functionentheorie möge das
folgende wichtige Problem bilden.
12. Ausdehnung des Kronekerschen Satzes über Abelsche Körper auf einen belie-
bigen algebraischen Rationalitätsbereich.
Von Kronecker rührt der Satz her, daß jeder Abelsche
Zahlkörper im Bereich der rationalen Zahlen durch Zusammen-
setzung aus Körpern von Einheitswurzeln entsteht. Dieser fun-
damentale Satz aus der Theorie der ganzzahligen Gleichungen ent-
hält zwei Aussagen, nämlich
erstens wird durch denselben die Frage nach der Anzahl
und Existenz derjenigen Gleichungen beantwortet, die einen vor-
geschriebenen Grad, eine vorgeschriebene Abelsche Gruppe und
eine vorgeschriebene Diskriminante in Bezug auf den Bereich der
rationalen Zahlen besitzen, und
zweitens wird behauptet, daß die Wurzeln solcher Glei-
chungen einen Bereich algebraischer Zahlen bilden, der genau mit
demjenigen Bereiche übereinstimmt, den man erhält, wenn man in
der Exponentialfunction eiπz für das Argument z der Reihe nach
alle rationalen Zahlenwerte einträgt.
Die erste Aussage betrifft die Frage der Bestimmung ge-
wisser algebraischer Zahlen durch ihre Gruppe und ihre Verzwei-
gung; diese Frage entspricht also dem bekannten Problem der
Bestimmung algebraischer Functionen zu gegebener Riemann-
scher Fläche. Die zweite Aussage liefert die verlangten Zahlen
durch ein transcendentes Mittel, nämlich durch die Exponential-
function eiπz.
Da nächst dem Bereiche der rationalen Zahlen der Bereich
der imaginären quadratischen Zahlkörper der einfachste ist, so
entsteht die Aufgabe, den Kroneckerschen Satz auf diesen
Fall auszudehnen. Kronecker selbst hat die Behauptung aus-
gesprochen, daß die Abelschen Gleichungen im Bereiche eines
quadratischen Körpers durch die Transformationsgleichungen der
elliptischen Functionen mit singulären Moduln gegeben werden, so
daß hiernach die elliptische Function die Rolle der Exponential-
[278]D. Hilbert,
function im vorigen Falle übernimmt. Der Beweis der Kron-
eckerschen Vermutung ist bisher nicht erbracht worden; doch
glaube ich, daß derselbe auf Grund der von H. Weber1) ent-
wickelten Theorie der complexen Multiplikation unter Hinzuzie-
hung der von mir aufgestellten rein arithmetischen Sätze über
Klassenkörper ohne erhebliche Schwierigkeit gelingen muß.
Von der höchsten Bedeutung endlich erscheint mir die Aus-
dehnung des Kroneckerschen Satzes auf den Fall, daß an Stelle
des Bereichs der rationalen Zahlen oder des imaginären quadratischen
Zahlenbereiches ein beliebiger algebraischer Zahlkörper als Rationali-
tätsbereich zu Gruude gelegt wird; ich halte dies Problem für
eines der tiefgehendsten und weittragendsten Pro-
bleme der Zahlen- und Functionentheorie.
Das Problem erweist sich von mannigfachen Seiten aus als
zugänglich. Den wichtigsten Schlüssel zur Lösung des arithme-
tischen Teils dieses Problemes erblicke ich in dem allgemeinen
Reciprocitätsgesetze der l ten Potenzreste innerhalb eines beliebig
vorgelegten Zahlkörpers.
Was den functionentheoretischen Teil des Problems betrifft,
so wird sich der Forscher auf diesem so anziehenden Gebiete
durch die merkwürdigen Analogieen leiten lassen, die zwischen
der Theorie der algebraischen Functionen einer Veränderlichen
und der Theorie der algebraischen Zahlen bemerkbar sind. Das Ana-
logon zur Potenzreihenentwickelung einer algebraischen Function in
der Theorie der algebraischen Zahlen hat Hensel2) aufgestellt
und untersucht und das Analogon für den Riemann-Rochschen
Satz hat Landsberg3) behandelt. Auch die Analogie zwischen
dem Begriff des Geschlechts einer Riemannschen Fläche und
dem Begriff der Klassenanzahl eines Zahlkörpers fällt ins Auge. Be-
trachten wir, um nur den einfachsten Fall zu berühren, eine Rie-
mannsche Fläche vom Geschlecht p = 1 und andrerseits einen
Zahlkörper von der Klassenanzahl h = 2, so entspricht dem Nach-
weise der Existenz eines überall endlichen Integrals auf der Rie-
mannschen Fläche der Nachweis der Existenz einer ganzen
Zahl α im Zahlkörper, die von solcher Art ist, daß die Zahl √α
einen relativ unverzweigten quadratischen Körper in Bezug auf
[279]mathematische Probleme.
den Grundkörper darstellt. In der Theorie der algebraischen
Functionen dient bekanntlich zum Nachweise jenes Riemann-
schen Existenzsatzes die Methode der Randwertaufgabe; auch
in der Theorie der Zahlkörper bietet der Nachweis der Existenz
jener Zahl α gerade die meiste Schwierigkeit. Dieser Nachweis
gelingt mit wesentlicher Hülfe des Satzes, daß es im Zahlkörper
stets Primideale mit vorgeschriebenen Restcharakteren giebt; die
letztere Thatsache ist also das zahlentheoretische Analogon zum
Randwertproblem.
Die Gleichung des Abelschen Theorems in der Theorie der
algebraischen Functionen sagt bekanntlich die notwendige und hin-
reichende Bedingung dafür aus, daß die betreffenden Punkte der Rie-
mannschen Fläche die Nullstellen einer algebraischen zur Fläche
gehörigen Function sind; das genaue Analogon des Abelschen
Theorems ist in der Theorie des Zahlkörpers von der Klassenan-
zahl h = 2 die Gleichung des quadratischen Reciprocitätsgesetzes 1)
welche aussagt, daß das Ideal j dann und nur dann ein Haupt-
ideal des Zahlkörpers ist, wenn jene Zahl α in Bezug auf das
Ideal j einen positiven quadratischen Restcharakter besitzt.
Wie wir sehen, treten in dem eben gekennzeichneten Problem
die drei grundlegenden Disciplinen der Mathematik, nämlich Zahlen-
theorie, Algebra und Functionentheorie in die innigste gegensei-
tige Berührung und ich bin sicher, daß insbesondere die Theorie
der analytischen Functionen mehrerer Variabelen eine wesentliche
Bereicherung erfahren würde, wenn es gelänge, diejenigen Func-
tionen aufzufinden und zu diskutiren, die für einen beliebigen alge-
braischen Zahlkörper die entsprechende Rolle spielen, wie die Expo-
nentialfunction für den Körper der rationalen Zahlen und die ellip-
tische Modulfunction für den imaginären quadratischen Zahlkörper.
Wir kommen nun zur Algebra; ich nenne im Folgenden ein
Problem aus der Gleichungstheorie und eines, auf welches mich
die Theorie der algebraischen Invarianten geführt hat.
[280]D. Hilbert,
13. Unmöglichkeit der Lösung der allgemeinen Gleichung 7 ten Grades mittelst
Functionen von nur 2 Argumenten.
Die Nomographie 1) hat die Aufgabe Gleichungen mittelst ge-
zeichneter Curvenschaaren zu lösen, die von einem willkürlichen
Parameter abhängen. Man sieht sofort, daß jede Wurzel einer
Gleichung, deren Coefficienten nur von zwei Parametern abhängen,
d. h. jede Function von zwei unabhängigen Veränderlichen auf man-
nigfache Weise durch das der Nomographie zu Grunde liegende
Princip darstellbar ist. Ferner sind durch dieses Princip offen-
bar auch eine große Klasse von Functionen von drei und mehr
Veränderlichen darstellbar, nämlich alle diejenigen Functionen,
die man dadurch erzeugen kann, daß man zunächst eine Function
von zwei Argumenten bildet, dann jedes dieser Argumente wieder
gleich Functionen von zwei Argumenten einsetzt, an deren Stelle
wiederum Functionen von zwei Argumenten treten u. s. f., wobei
eine beliebige endliche Anzahl von Einschachtelungen der Func-
tionen zweier Argumente gestattet ist. So gehört beispielsweise
jede rationale Function von beliebig vielen Argumenten zur Klasse
dieser durch nomographische Tafeln construirbaren Functionen;
denn sie kann durch die Prozesse der Addition, Subtraction, Mul-
tiplikation und Division erzeugt werden, und jeder dieser Pro-
zesse repräsentirt eine Function von nur zwei Argumenten. Man
sieht leicht ein, daß auch die Wurzeln aller Gleichungen, die in
einem natürlichen Rationalitätsbereiche durch Wurzelziehen auf-
lösbar sind, zu der genannten Klasse von Functionen gehören;
denn hier kommt zu den vier elementaren Rechnungsoperationen
nur noch der Prozeß des Wurzelziehens hinzu, der ja lediglich
eine Function eines Argumentes repräsentirt. Desgleichen sind
die allgemeinen Gleichungen 5 ten und 6 ten Grades durch geeig-
nete nomographische Tafeln auflösbar; denn diese können durch
solche Tschirnhausen transformationen, die ihrerseits nur
Ausziehen von Wurzeln verlangen, in eine Form gebracht werden,
deren Coefficienten nur von zwei Parametern abhängig sind.
Wahrscheinlich ist nun die Wurzel der Gleichung 7 ten Gra-
des eine solche Function ihrer Coefficienten, die nicht zu der ge-
nannten Klasse nomographisch construirbarer Functionen gehört,
d. h. die sich nicht durch eine endliche Anzahl von Einschachte-
lungen von Functionen zweier Argumente erzeugen läßt. Um
dieses einzusehen, wäre der Nachweis dafür nötig, daß die Glei-
[281]mathematische Probleme.
chung 7 ten Grades
nicht mit Hülfe beliebiger stetiger Functionen von nur zwei Argu-
menten lösbar ist. Daß es überhaupt analytische Functionen von
drei Argumenten x, y, z giebt, die nicht durch endlich-malige
Verkettung von Functionen von nur zwei Argumenten erhalten
werden können, davon habe ich mich, wie ich noch bemerken
möchte, durch eine strenge Ueberlegung überzeugt.
14. Nachweis der Endlichkeit gewisser voller Functionensysteme.
In der Theorie der algebraischen Invarianten verdienen, wie
mir scheint, die Fragen nach der Endlichkeit voller Formensy-
steme ein besonderes Interesse. Es ist neuerdings L. Maurer1)
gelungen, die von P. Gordan und mir bewiesenen Endlichkeits-
sätze der Invariantentheorie auf den Fall auszudehnen, daß nicht,
wie in der gewöhnlichen Invariantentheorie, die allgemeine pro-
jektive Gruppe, sondern eine beliebige Untergruppe der Definition
der Invarianten zu Grunde gelegt wird.
Die Beschäftigung mit der Frage nach der Endlichkeit der
Invarianten hat mich auf ein einfaches Problem geführt, welches
jene Frage nach der Endlichkeit der Invarianten als besonderen
Fall in sich enthält, und zu dessen Lösung wahrscheinlich eine
erheblich feinere Ausbildung der Theorie der Elimination und der
Kroneckerschen algebraischen Modulsysteme nötig ist, als sie
bisher gelungen ist.
Es seien eine Anzahl m von ganzen rationalen Functionen
X1, X2, …, Xm der n Variabeln x1, x2, …, xn vorgelegt:
(S)
Jede ganze rationale Verbindung von X1, …, Xm wird offenbar
durch Eintragung dieser Ausdrücke notwendig stets eine ganze
rationale Function von x1, …, xn. Es kann jedoch sehr wohl ge-
brochene rationale Functionen von X1, …, Xm geben, die nach
Ausführung jener Substitution (S) zu ganzen Functionen in
x1, …, xn werden. Eine jede solche rationale Function von X1, …, Xm,
[282]D. Hilbert,
die nach Ausführung der Substitution (S) ganz in x1, … xn wird,
möchte ich eine relativganze Function von X1, …, Xm nen-
nen. Jede ganze Function von X1, …, Xm ist offenbar auch re-
lativganz; ferner ist die Summe, die Differenz und das Product
relativganzer Functionen stets wiederum relativganz.
Das entstehende Problem ist nun zu entscheiden, ob es stets
möglich ist, ein endliches System von relativganzen Functionen von
X1, …, Xm aufzufinden, durch die sich jede andere relativganze Function
von X1, …, Xm in ganzer rationaler Weise zusammensetzen läßt. Wir
können das Problem noch einfacher formuliren, wenn wir den Be-
griff des endlichen Integritätsbereiches einführen.
Unter einem endlichen Integritätsbereiche möchte ich ein solches
System von Functionen verstehen, aus welchem sich eine endliche
Anzahl von Functionen auswählen läßt, mit deren Hülfe alle übri-
gen Functionen des Systems in ganzer rationaler Weise ausdrück-
bar sind. Unser Problem läuft dann darauf hinaus, zu zeigen,
daß die sämtlichen relativganzen Functionen eines beliebigen
Rationalitätsbereiches stets einen endlichen Integritätsbereich
bilden.
Es liegt auch nahe, das Problem zahlentheoretisch zu verfeinern,
indem man die Coefficienten der gegebenen Functionen f1, …, fm
als ganze rationale Zahlen annimmt und unter den relativganzen
Functionen von X1, …, Xm nur solche rationalen Functionen
dieser Argumente versteht, die nach Ausführung jener Substitu-
tion (S) ganze rationale Functionen von x1, …, xn mit ganzen
rationalen Coefficienten werden.
Ein besonderer einfacher Fall dieses verfeinerten Problems
ist der folgende: Gegeben seien m ganze rationale Functionen
X1, …, Xm der einen Veränderlichen x mit ganzen rationalen
Coefficienten und ferner eine Primzahl p. Man betrachte das Sy-
stem derjenigen ganzen rationalen Functionen von x, welche sich
in der Gestalt
darstellen lassen, wo G eine ganze rationale Function der Argu-
mente X1, …, Xm und ph irgend eine Potenz der Primzahl p ist.
Frühere Untersuchungen von mir 1) zeigen dann unmittelbar, daß
alle solchen Ausdrücke bei bestimmtem Exponenten h einen end-
lichen Integritätsbereich bilden; die Frage ist aber hier, ob das
Gleiche auch für alle Exponenten h zugleich gilt, d. h. ob sich eine
[283]mathematische Probleme.
endliche Anzahl von solchen Ausdrücken auswählen läßt, durch
die jeder andere Ausdruck von jener Gestalt für irgend einen
Exponenten h ganz und rational darstellbar ist.
Aus den Grenzgebieten zwischen Algebra und Geometrie
möchte ich zwei Probleme nennen: das eine betrifft den geome-
trischen Abzählungskalkül und das zweite die Topologie alge-
braischer Curven und Flächen.
15. Strenge Begründung von Schuberts Abzählungskalkül.
Das Problem besteht darin, diejenigen geometrischen Anzahlen
strenge und unter genauer Feststellung der Grenzen ihrer Gültigkeit
zu beweisen, die insbesondere Schubert1)auf Grund des soge-
nannten Princips der speciellen Lage mittelst des von ihm ausgebildeten
Abzählungskalküls bestimmt hat. Wenn auch die heutige Algebra
die Durchführbarkeit der Eliminationsprocesse im Princip gewähr-
leistet, so ist zum Beweise der Sätze der abzählenden Geometrie
erheblich mehr erforderlich, nämlich die Durchführung der Elimi-
nation bei besonders geformten Gleichungen in der Weise, daß
der Grad der Endgleichungen und die Vielfachheit ihrer Lösungen
sich voraussehen läßt.
16. Problem der Topologie algebraischer Curven und Flächen.
Die Maximalzahl der geschlossenen und getrennt liegenden
Züge, welche eine ebene algebraische Curve n ter Ordnung haben
kann, ist von Harnack2) bestimmt worden; es entsteht die
weitere Frage nach der gegenseitigen Lage der Curvenzüge in
der Ebene. Was die Curven 6 ter Ordnung angeht, so habe ich
mich — freilich auf einem recht umständlichen Wege — davon
überzeugt, daß die 11 Züge, die sie nach Harnack haben kann,
keinesfalls sämtlich außerhalb von einander verlaufen dürfen, son-
dern daß ein Zug existiren muß, in dessen Innerem ein Zug und
in dessen Aeußerem neun Züge verlaufen oder umgekehrt. Eine
gründliche Untersuchung der gegenseitigen Lage bei der Maximalzahl
von getrennten Zügen scheint mir ebenso sehr von Interesse zu sein,
wie die entsprechende Untersuchung über die Anzahl, Gestalt und
Lage der Mäntel einer algebraischen Fläche im Raume — ist doch
bisher noch nicht einmal bekannt, wieviel Mäntel eine Fläche 4 ter
[284]D. Hilbert,
Ordnung des dreidimensionalen Raumes im Maximum wirklich
besitzt 1).
Im Anschluß an dieses rein algebraische Problem möchte ich
eine Frage aufwerfen, die sich, wie mir scheint, mittelst der näm-
lichen Methode der continuirlichen Coefficientenänderung in An-
griff nehmen läßt, und deren Beantwortung für die Topologie der
durch Differentialgleichungen definirten Curvenschaaren von ent-
sprechender Bedeutung ist — nämlich die Frage nach der Maxi-
malzahl und Lage der Poincaréschen Grenzcykeln (cycles limites)
für eine Differentialgleichung erster Ordnung und ersten Grades von
der Form:
wo X, Y ganze rationale Funktionen n ten Grades in x, y sind,
oder in homogener Schreibweise
wo X, Y, Z ganze rationale homogene Functionen n ten Grades
von x, y, z bedeuten und diese als Funktionen des Parameters t
zu bestimmen sind.
17. Darstellung definiter Formen durch Quadrate.
Definit heißt eine solche ganze rationale Funktion oder Form
beliebig vieler Veränderlichen mit reellen Coefficienten, die für
keine reellen Werte dieser Veränderlichen negativ ausfällt. Das
System aller definiten Funktionen verhält sich invariant gegen-
über den Operationen der Addition und der Multiplikation; aber
auch der Quotient zweier definiten Funktionen ist — sofern er
eine ganze Funktion der Veränderlichen wird — eine definite
Form. Das Quadrat einer jeden beliebigen Form ist offenbar
stets eine definite Form; da aber, wie ich gezeigt habe 2), nicht
jede definite Form durch Addition aus Formenquadraten zusammen-
gesetzt werden kann, so entsteht die Frage — die ich für den
Fall ternärer Formen in bejahendem Sinne entschieden habe 3) —,
ob nicht jede definite Form als Quotient von Summen von Formen-
quadraten dargestellt werden kann. Zugleich ist es für gewisse
[285]mathematische Probleme.
Fragen hinsichtlich der Möglichkeit gewisser geometrischer Con-
struktionen wünschenswert, zu wissen, ob die Coefficienten der
bei der Darstellung zu verwendenden Formen stets in demjenigen
Rationalitätsbereiche angenommen werden dürfen, der durch die
Coefficienten der dargestellten Form gegeben ist1).
Ich nenne noch eine geometrische Aufgabe.
18. Aufbau des Raumes aus congruenten Polyedern.
Wenn man nach denjenigen Gruppen von Bewegungen in der
Ebene fragt, für die ein Fundamentalbereich existirt, so fällt be-
kanntlich die Antwort sehr verschieden aus, jenachdem die be-
trachtete Ebene die Riemannsche (elliptische), Euklidische
oder Lobatschefskiysche (hyperbolische) ist. Im Falle der
elliptischen Ebene giebt es eine endliche Anzahl wesentlich ver-
schiedener Arten von Fundamentalbereichen und es reicht eine
endliche Anzahl von Exemplaren congruenter Bereiche zur
lückenlosen Ueberdeckung der ganzen Ebene aus: die Gruppe be-
steht eben nur aus einer endlichen Anzahl von Bewegungen. Im
Falle der hyperbolischen Ebene giebt es eine unendliche Anzahl
wesentlich verschiedener Arten von Fundamentalbereichen, näm-
lich die bekannten Poincaréschen Polygone; zur lückenlosen
Ueberdeckung der Ebene ist eine unendliche Anzahl von
Exemplaren congruenter Bereiche notwendig. Der Fall der Eu-
klidischen Ebene steht in der Mitte; denn in diesem Falle
giebt es nur eine endliche Anzahl von wesentlich verschiedenen
Arten von Bewegungsgruppen mit Fundamentalbereich; aber zur
lückenlosen Ueberdeckung der ganzen Ebene ist eine unendliche
Anzahl von Exemplaren congruenter Bereiche notwendig.
Genau die entsprechenden Thatsachen gelten auch im drei-
dimensionalen Raume. Die Thatsache der Endlichkeit der Be-
wegungsgruppen im elliptischen Raume ist eine unmittelbare Folge
eines fundamentalen Satzes von C. Jordan2), wonach die Anzahl
der wesentlich verschiedenen Arten von endlichen Gruppen
linearer Substitutionen mit n Veränderlichen eine gewisse endliche,
von n abhängige Grenze nicht überschreitet. Die Bewegungs-
gruppen mit Fundamentalbereich im hyperbolischen Raume sind
von Fricke und Klein in den Vorlesungen über die Theorie
[286]D. Hilbert,
der automorphen Funktionen 1) untersucht worden und endlich
haben Fedorow2), Schoenflies3) und neuerdings Rohn4) den Be-
weis dafür erbracht, daß es im Euklidischen Raume nur eine
endliche Zahl wesentlich verschiedener Arten von Bewegungsgruppen
mit Fundamentalbereich giebt. Während nun die den elliptischen und
hyperbolischen Raum betreffenden Resultate und Beweismethoden
unmittelbar auch für den n-dimensionalen Raum Geltung haben,
so scheint die Verallgemeinerung des den Euklidischen Raum be-
treffenden Satzes erhebliche Schwierigkeiten zu bieten und es ist
daher die Untersuchung der Frage wünschenswert, ob es auch im
n-dimensionalen Euklidischen Raume nur eine endliche Anzahl
wesentlich verschiedener Arten von Bewegungsgruppen mit Funda-
mentalbereich giebt.
Ein Fundamentalbereich einer jeden Bewegungsgruppe zu-
sammen mit den congruenten aus der Gruppe entspringenden Be-
reichen liefert offenbar eine lückenlose Ueberdeckung des Raumes.
Es erhebt sich die Frage, ob ferner auch solche Polyeder existiren, die
nicht als Fundamentalbereiche von Beuegungsgruppen auftreten und
mittelst derer dennoch durch geeignete Aneinanderlagerung congruenter
Exemplare eine lückenlose Erfüllung des ganzen Raumes möglich ist.
Ich weise auf die hiermit in Zusammenhang stehende, für die Zahlen-
theorie wichtige und vielleicht auch der Physik und Chemie ein-
mal Nutzen bringende Frage hin, wie man unendlich viele Körper
von der gleichen vorgeschriebenen Gestalt, etwa Kugeln mit ge-
gebenem Radius oder reguläre Tetraeter mit gegebener Kante
(bez. in vorgeschriebener Stellung) im Raume am dichtesten ein-
betten, d. h. so lagern kann, daß das Verhältnis des erfüllten
Raumes zum nichterfüllten Raume möglichst groß ausfällt.
Ueberblicken wir die Entwickelung der Theorie der Func-
tionen im letzten Jahrhundert, so bemerken wir vor Allem die
fundamentale Rolle derjenigen Klasse von Functionen, die wir
heute als analytische Functionen bezeichnen — eine Klasse von
Functionen, die wohl dauernd im Mittelpunkt des mathematischen
Interesses stehen wird.
Wir könnten nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten aus
der Fülle aller denkbaren Functionen umfassende Klassen heraus-
[287]mathematische Probleme.
heben, die einer besonders eingehenden Untersuchung würdig sind.
Betrachten wir beispielsweise die Klasse derjenigen Functionen,
die sich durch gewöhnliche oder partielle algebra-
ische Differentialgleichungen charakterisiren las-
sen. In dieser Klasse von Functionen kommen, wie wir sofort be-
merken, gerade solche Functionen nicht vor, die aus der Zahlen-
theorie stammen und deren Erforschung für uns von höchster
Wichtigkeit ist. Beispielsweise genügt die schon früher erwähnte
Function ζ (s) keiner algebraischen Differentialgleichung, wie man
leicht mit Hülfe der bekannten Relation zwischen ζ (s) und ζ (1 — s)
erkennen kann, wenn man den von Hölder1) bewiesenen Satz
benutzt, daß die Function Γ (x) keine algebraische Differential-
gleichung befriedigt. Ferner genügt die durch die unendliche Reihe
definirte Function der beiden Veränderlichen s und x, die mit
jener Function ζ (s) in enger Beziehung steht, wahrscheinlich
keiner partiellen algebraischen Differentialgleichung; bei der Unter-
suchung dieser Frage wird man die Functionalgleichung zu be-
nutzen haben:
Wenn wir andrerseits, was aus arithmetischen und geometri-
schen Gründen nahe liegt, die Klasse aller derjenigen Functionen
betrachten, welche stetig und unbegrenzt differenzir-
bar sind, so würden wir bei deren Untersuchung auf das gefügige
Werkzeug der Potenzreihe und auf den Umstand verzichten
müssen, daß die Function durch die Wertezuordnung in jedem be-
liebig kleinen Gebiet völlig bestimmt ist. Während also die vo-
rige Abgrenzung des Functionsgebietes zu eng war, erscheint uns
diese als zu weit.
Der Begriff der analytischen Function dagegen nimmt in
sich den ganzen Reichtum der für die Wissenschaft wichtigsten
Functionen auf, mögen sie aus der Zahlentheorie, aus der Theorie
der Differentialgleichungen oder der algebraischen Functionalglei-
chungen, mögen sie aus der Geometrie oder der mathematischen
Physik stammen; und so führt mit Recht die analytische Func-
tion im Reiche der Functionen die unbedingte Herrschaft.
[288]D. Hilbert,
19. Sind die Lösungen regulärer Variationsprobleme stets notwendig analytisch?
Eine der begrifflich merkwürdigsten Thatsachen in den Ele-
menten der Theorie der analytischen Functionen erblicke ich dar-
in, daß es partielle Differentialgleichungen giebt, deren Integrale
sämtlich notwendig analytische Functionen der unabhän-
gigen Variabeln sind, die also, kurz gesagt, nur analytischer Lö-
sungen fähig sind. Die bekanntesten partiellen Differentialglei-
chungen dieser Art sind die Potentialgleichung
und gewisse von Picard1) untersuchte lineare Differentialglei-
chungen, ferner die Differentialgleichung
die partielle Differentialgleichung der Minimalfläche und andere.
Die Mehrzahl dieser partiellen Differentialgleichungen haben als
Merkmal miteinander gemein, daß sie die Lagrangeschen Diffe-
rentialgleichungen gewisser Variationsprobleme sind und zwar sol-
cher Variationsprobleme
bei denen für alle in Frage kommenden Argumente die Unglei-
chung
gilt, während F selbst eine analytische Function ist. Wir wollen
ein solches Variationsproblem ein reguläres Variationsproblem
nennen. Die regulären Variationsprobleme sind es vornehmlich,
die in der Geometrie, Mechanik und mathematischen Physik eine
Rolle spielen, und es liegt die Frage nahe, ob alle Lösungen re-
gulärer Variationsprobleme stets notwendig analytische Func-
tionen sein müssen, d. h. ob jede Lagrangesche partielle Differen-
tialgleichung eines regulären Variationsproblems die Eigenschaft hat,
daß sie nur analytische Integrale zuläßt — selbst wenn man, wie
bei dem Dirichletschen Potentialprobleme, der Function irgend
welche stetige, aber nicht analytische Randwerte aufzwingt.
[289]mathematische Probleme.
Ich bemerke noch, daß es beispielsweise Flächen von nega-
tiver constanter Gaussscher Krümmung giebt, die durch ste-
tige und fortgesetzt differenzirbare, aber nicht analytische Func-
tionen dargestellt werden, während wahrscheinlich jede Fläche
von positiver constanter Gaussscher Krümmung stets not-
wendig eine analytische Fläche sein muß. Bekanntlich stehen ja
auch die Flächen positiver constanter Krümmung in engster Ver-
bindung mit dem regulären Variationsproblem, durch eine ge-
schlossene Raumcurve eine Fläche kleinsten Flächeninhaltes zu
legen, die mit einer festen Fläche durch die nämliche Raumcurve
ein gegebenes Volumen abschließt.
20. Allgemeines Randwertproblem.
Ein wichtiges Problem, welches mit dem eben genannten in
engem Zusammenhange steht, ist die Frage nach der Existenz von
Lösungen von partiellen Differentialgleichungen mit vorgeschriebe-
nen Randwerten. Die scharfsinnigen Methoden von H. A. Schwarz,
C. Neumann und Poincaré haben dieses Problem für die Diffe-
rentialgleichung des Potentials im Wesentlichen gelöst, doch er-
scheinen diese Methoden im Allgemeinen nicht unmittelbar der
Ausdehnung fähig auf den Fall, indem am Rande die Differen-
tialquotienten oder Beziehungen zwischen diesen und den Werten
der Function vorgeschrieben sind, oder wenn es sich nicht um Po-
tentialflächen handelt, sondern etwa nach Flächen kleinsten Flächen-
inhalts oder nach Flächen mit constanter positiver Gaussscher
Krümmung gefragt wird, die durch eine vorgelegte Raumcurve
hindurch laufen oder über eine gegebene Ringfläche zu spannen
sind. Ich bin überzeugt, daß es möglich sein wird, diese Existenz-
beweise durch einen allgemeinen Grundgedanken zu führen, auf
den das Dirichletsche Princip hinweist und der uns dann
vielleicht in den Stand setzen wird, der Frage näher zu treten,
ob nicht jedes reguläre Variationsproblem eine Lösung besitzt, sobald
hinsichtlich der gegebenen Grenzbedingungen gewisse Annahmen — etwa
die Stetigkeit und stückweise öftere Differenziirbarkeit, der für die
Randbedingungen maßgebenden Functionen — erfüllt sind und nöti-
genfalls der Begriff der Lösung eine sinngemäße Erweiterung erfährt1).
21. Beweis der Existenz linearer Differentialgleichungen mit vorgeschriebener
Monodromiegruppe.
Aus der Theorie der linearen Differentialgleichungen mit
einer unabhängigen Veränderlichen z möchte ich auf ein wichtiges
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Math.-phys. Klasse 1900. Heft 3. 21
[290]D. Hilbert,
Problem hinweisen, welches wohl bereits Riemann im Sinne ge-
habt hat, und welches darin besteht, zu zeigen, daß es stets eine
lineare Differentialgleichung der Fuchsschen Klasse mit gegebenen
singulären Stellen und einer gegebenen Monodromiegruppe giebt. Die
Aufgabe verlangt also die Auffindung von n Functionen der Va-
riabeln z, die sich überall in der complexen z-Ebene regulär ver-
halten, außer etwa in den gegebenen singulären Stellen: in diesen
dürfen sie nur von endlich hoher Ordnung unendlich werden und
beim Umlauf der Variabeln z um dieselben erfahren sie die gege-
benen linearen Substitutionen. Die Existenz solcher Differen-
tialgleichungen ist durch Constantenzählung wahrscheinlich gemacht
worden, doch gelang der strenge Beweis bisher nur in dem be-
sonderen Falle, wo die Wurzeln der Fundamentalgleichungen der
gegebenen Substitutionen sämtlich vom absoluten Betrage 1 sind.
Diesen Beweis hat L. Schlesinger1) auf Grund der Poin-
caréschen Theorie der Fuchsschen ζ-Functionen erbracht.
Es würde offenbar die Theorie der linearen Differentialgleichungen
ein wesentlich abgeschlosseneres Bild zeigen, wenn die allgemeine
Erledigung des bezeichneten Problems gelänge.
22. Uniformisirung analytischer Beziehungen mittelst automorpher Functionen.
Wie Poincaré zuerst bewiesen hat, gelingt die Uniformi-
sirung einer beliebigen algebraischen Beziehung zwischen zwei
Variabeln stets durch automorphe Functionen einer Variabeln;
d. h. wenn eine beliebige algebraische Gleichung zwischen zwei
Variabeln vorgelegt ist, so lassen sich für dieselben stets solche
eindeutigen automorphen Functionen einer Variabeln finden, nach
deren Einsetzung die algebraische Gleichung identisch in dieser
Variabeln erfüllt ist. Die Verallgemeinerung dieses fundamen-
talen Satzes auf nicht algebraische, sondern beliebige analytische
Beziehungen zwischen zwei Variabeln hat Poincaré2) ebenfalls
mit Erfolg in Angriff genommen und zwar auf einem völlig an-
deren Wege als derjenige war, der ihn bei dem anfangs genannten
speciellen Probleme zum Ziele führte. Aus Poincarés Beweis
für die Möglichkeit der Uniformisirung einer beliebigen analy-
tischen Beziehung zwischen zwei Variabeln geht jedoch noch nicht
hervor, ob es möglich ist, die eindeutigen Functionen der neuen
Variabeln so zu wählen, daß, während diese Variabele das re-
[291]mathematische Probleme.
guläre Gebiet jener Functionen durchläuft, auch wirklich die
Gesamtheit aller regulären Stellen des vorgelegten analytischen
Gebildes zur Darstellung gelangt. Vielmehr scheinen in Poin-
carés Untersuchungen, abgesehen von den Verzweigungspunkten,
noch gewisse andere im Allgemeinen unendlichviele diskrete Stellen
vorgelegten analytischen Gebildes ausgenommen zu sein, zu denen
man nur gelangt, indem man die neue Variable gewissen Grenzstellen
der Functionen nähert. Eine Klärung und Lösung dieser Schwierig-
keit scheint mir in Anbetracht der fundamentalen Bedeutung der
Poincaréschen Fragestellung äußerst wünschenswert.
Im Anschluß an dieses Problem bietet sich das Problem der
Uniformisirung einer algebraischen oder beliebigen analytischen
Beziehung zwischen drei oder mehr complexen Veränderlichen
— ein Problem, das bekanntlich in zahlreichen besonderen Fällen
lösbar ist, und für welches die neueren Untersuchungen von Pi-
card über algebraische Functionen von zwei Variabeln als will-
kommene und bedeutsame Vorarbeiten in Anspruch zu nehmen sind.
23. Weiterführung der Methoden der Variationsrechnung.
Bisher habe ich im Allgemeinen möglichst bestimmte und spe-
cielle Probleme genannt, in der Erwägung, daß es gerade die be-
stimmten und speciellen Probleme sind, die uns am meisten an-
ziehen und von denen oft der nachhaltigste Einfluß auf die Ge-
samtwissenschaft ausgeht. Dennoch möchte ich mit einem allge-
meinen Probleme schließen, nämlich mit dem Hinweise auf eine
Disciplin, die bereits mehrmals in meinem Vortrage Erwähnung
fand — eine Disciplin, die trotz der erheblichen Förderung, die
sie in neuerer Zeit durch Weierstrass erfahren hat, dennoch
nicht die allgemeine Schätzung genießt, die ihr meiner Ansicht
nach zukommt — ich meine die Variationsrechnung1).
Die Variationsrechnung im weitesten Sinne ist die Lehre vom
Variiren der Functionen und erscheint uns als solche wie eine
denknotwendige Fortsetzung der Differential- und Integralrech-
nung. So aufgefaßt, bilden beispielsweise die Poincaréschen
Untersuchungen über das Dreikörperproblem ein Kapitel der Va-
riationsrechnung, insofern darin Poincaré aus bekannten Bahn-
curven von gewisser Beschaffenheit durch das Princip des Va-
riirens neue Bahncurven von ähnlicher Beschaffenheit ableitet.
21*
[292]D. Hilbert,
Den am Anfange meines Vortrags gemachten allgemeinen Be-
merkungen über Variationsrechnung füge ich hier eine kurze Be-
gründung hinzu.
Das einfachste Problem der eigentlichen Variationsrechnung
besteht bekanntlich darin, eine Funktion y der Veränderlichen x
derart zu finden, daß das bestimmte Integral
einen Minimalwert erhält im Vergleich zu denjenigen Werten,
die das Integral annimmt, wenn wir statt y andere Funktionen
von x mit den nämlichen gegebenen Anfangs- und Endwerten in
das bestimmte Integral einsetzen. Das Verschwinden der ersten
Variation im üblichen Sinne
liefert für die gesuchte Funktion y die bekannte Differentialglei-
chung zweiter Ordnung
(1)
Um nun des Näheren die notwendigen und hinreichenden Kriterien
für das Eintreten des verlangten Minimums zu untersuchen, be-
trachten wir das Integral
und fragen, wie darin p als Funktion von x, y zu
nehmen ist, damit der Wert dieses Integrals J* von
dem Integrationswege d. h. von der Wahl der Funk-
tion y der Variabeln x unabhängig wird. Das Integral
J* hat die Form
wo A und B nicht yx enthalten, und das Verschwinden der ersten
Variation
in dem Sinne, den die neue Fragestellung erfordert, liefert die
Gleichung
[293]mathematische Probleme.
d. h. wir erhalten für die Funktion p der beiden Veränderlichen
x, y die partielle Differentialgleichung erster Ordnung
(1*)
Die gewöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung (1) und
die ebengefundene partielle Differentialgleichung (1*) stehen zu
einander in engster Beziehung. Diese Beziehung wird uns un-
mittelbar deutlich durch die folgende einfache Umformung:
Wir entnehmen nämlich hieraus folgende Thatsachen: wenn
wir uns irgend eine einfache Schaar von Integralcurven der
gewöhnlichen Differentialgleichung zweiter Ordnung (1) verschaffen
und dann eine gewöhnliche Differentialgleichung erster Ordnung
(2) yx = p (x, y)
bilden, die diese Integralcurven ebenfalls als Lösungen zuläßt, so
ist stets die Funktion p (x, y) ein Integral der partiellen Diffe-
rentialgleichung erster Ordnung (1*); und umgekehrt, wenn p (x, y)
irgend eine Lösung der partiellen Differentialgleichung erster
Ordnung (1*) bedeutet, so sind die sämtlichen nicht singulären In-
tegrale der gewöhnlichen Differentialgleichung erster Ordnung (2)
zugleich Integrale der Differentialgleichung zweiter Ordnung (1);
oder kurz ausgedrückt: wenn yx = p (x, y) eine Integralgleichung
erster Ordnung der Differentialgleichung zweiter Ordnung (1) ist,
so stellt p (x, y) ein Integral der partiellen Differentialgleichung
(1*) dar und umgekehrt; die Integralcurven der gewöhnlichen
Differentialgleichung zweiter Ordnung (1) sind also zugleich die
Charakteristiken der partiellen Differentialgleichnng erster Ord-
nung (1*).
In dem vorliegenden Falle finden wir das nämliche Resultat
auch mittelst einer einfachen Rechnung; diese liefert uns näm-
lich die in Rede stehenden Differentialgleichungen (1) bez. (1*) in
[294]D. Hilbert,
der Gestalt
(1)
bez.
(1*)
wo die unteren Indices in leichtverständlicher Schreibweise die
partiellen Ableitungen nach x, y, p, yx bedeuten. Hieraus leuchtet
die Richtigkeit der behaupteten Beziehung ein.
Die vorhin aufgestellte und soeben bewiesene enge Beziehung
zwischen der gewöhnlichen Differentialgleichung zweiter Ordnung
(1) und der partiellen Differentialgleichung erster Ordnung (1*)
ist, wie mir scheint, für die Variationsrechnung von grundlegen-
der Bedeutung. Denn wegen der Unabhängigkeit des Integrales
J* vom Integrationswege folgt nunmehr
(3)
wenn wir das Integral linker Hand auf irgend einem Wege y und
das Integral rechter Hand auf einer Integralcurve y̅ der Diffe-
rentialgleichung
genommen denken. Mit Hülfe der Gleichung (3) gelangen wir zu
der Weierstrass’schen Formel
(4)
wo E den von den 4 Argumenten yx, p, y, x abhängigen Weier-
strass’schen Ausdruck
bezeichnet. Da es hiernach lediglich darauf ankommt, die in Rede
stehende Integralcurve y̅ in der xy-Ebene auf eindeutige und ste-
tige Weise mit Werten einer entsprechenden Integralfunktion
p (x, y) zu umgeben, so führen die eben angedeuteten Entwicke-
lungen unmittelbar — ohne Heranziehung der zweiten Variation
sondern allein durch Anwendung des Polarenprocesses auf die Dif-
ferentialgleichung (1) — zur Aufstellung der Jacobi’schen Be-
dingung und zur Beantwortung der Frage, inwiefern diese Ja-
cobi’sche Bedingung im Verein mit der Weierstrass’schen
Bedingung E \> 0 für das Eintreten eines Minimums notwendig
und hinreichend ist.
[295]mathematische Probleme.
Die angedeuteten Entwickelungen lassen sich, ohne daß eine
weitere Rechnung nötig wäre, auf den Fall zweier oder mehr ge-
suchter Funktionen, sowie auf den Fall eines Doppel- oder mehr-
fachen Integrals übertragen. So liefert beispielsweise im Fall
des über ein gegebenes Gebiet ω zu erstreckenden Doppelintegrals
das im üblichen Sinne zu verstehende Verschwinden der ersten
Variation
δJ = 0
für die gesuchte Funktion z von x, y die bekannte Differential-
gleichung zweiter Ordnung
(I)
Andererseits betrachten wir das Integral
und fragen, wie darin p und q als Funktionen von
x, y, z zu nehmen sind, damit der Wert dieses Inte-
grals von der Wahl der durch die gegebene geschlos-
sene Raumcurve gelegten Fläche d. h. von der Wahl
der Funktion z der Variabeln x, y unabhängig wird.
Das Integral J* hat die Form
und das Verschwinden der ersten Variation
δJ* = 0
in dem Sinne, den die neue Fragestellung erfordert, liefert die
Gleichung
d. h. wir erhalten für die Funktionen p und q der drei Variabeln
x, y, z die Differentialgleichung erster Ordnung
(I*)
[296]D. Hilbert,
Fügen wir zu dieser Differentialgleichung noch die aus den Glei-
chungen
resultirende partielle Differentialgleichung
(I*)
hinzu, so stehen die partielle Differentialgleichung zweiter Ord-
nung (I) für die Funktion z der zwei Veränderlichen x, y und das
simultane System der zwei partiellen Differentialgleichungen erster
Ordnung (I*) für die zwei Funktionen p und q der drei Veränder-
lichen x, y, z zu einander genau in der analogen Beziehung, wie
vorhin im Falle eines einfachen Integrals die Differentialglei-
chungen (1) und (1*).
Wegen der Unabhängigkeit des Integrals J* von der Wahl
der Integrationsfläche z folgt:
wenn wir das Integral rechter Hand auf einer Integralfläche z̅
der partiellen Differentialgleichungen
genommen denken und mit Hülfe dieser Formel gelangen wir
dann sofort zu der Formel
(IV)
die für die Variation der Doppelintegrale die nämliche Rolle
spielt, wie die vorhin angegebene Formel (4) für die einfachen In-
tegrale und mit deren Hülfe wir wiederum die Frage beantworten
können, inwiefern die Jacobische Bedingung im Verein mit
der Weierstrassschen Bedingung E \> 0 für das Eintreten
eines Minimums notwendig und hinreichend ist.
Die genannten Probleme sind nur Proben von Problemen;
sie genügen jedoch, um uns vor Augen zu führen, wie reich,
wie mannigfach und wie ausgedehnt die mathematische Wissen-
schaft schon heute ist und es drängt sich uns die Frage auf,
ob der Mathematik einst bevorsteht, was anderen Wissen-
schaften längst widerfahren ist, nämlich daß sie in einzelne Teil-
wissenschaften zerfällt, deren Vertreter kaum noch einander ver-
[297]mathematische Probleme.
stehen und deren Zusammenhang daher immer loser wird. Ich
glaube und wünsche dies nicht; die mathematische Wissenschaft
ist meiner Ansicht nach ein unteilbares Ganze, ein Organismus,
dessen Lebensfähigkeit durch den Zusammenhang seiner Teile
bedingt wird. Denn bei aller Verschiedenheit des mathematischen
Wissenstoffes im Einzelnen, gewahren wir doch sehr deutlich die
Gleichheit der logischen Hülfsmittel, die Verwandtschaft der Ideen-
bildungen in der ganzen Mathematik und die zahlreichen Analogieen
in ihren verschiedenen Wissensgebieten. Auch bemerken wir: je
weiter eine mathematische Theorie ausgebildet wird, desto harmo-
nischer und einheitlicher gestaltet sich ihr Aufbau und ungeahnte
Beziehungen zwischen bisher getrennten Wissenszweigen werden
entdeckt. So kommt es, daß mit der Ausdehnung der Mathematik
ihr einheitlicher Charakter nicht verloren geht, sondern desto deut-
licher offenbar wird.
Aber — so fragen wir — wird es bei der Ausdehnung des
mathematischen Wissens für den einzelnen Forscher nicht schließ-
lich unmöglich, alle Teile dieses Wissens zu umfassen? Ich möchte
als Antwort darauf hinweisen, wie sehr es im Wesen der mathe-
matischen Wissenschaft liegt, daß jeder wirkliche Fortschritt stets
Hand in Hand geht mit der Auffindung schärferer Hülfsmittel
und einfacherer Methoden, die zugleich das Verständnis früherer
Theorieen erleichtern und umständliche ältere Entwickelungen be-
seitigen und daß es daher dem einzelnen Forscher, indem er sich
diese schärferen Hülfsmittel und einfacheren Methoden zu eigen
macht, leichter gelingt, sich in den verschiedenen Wissenszweigen
der Mathematik zu orientiren als dies für irgend eine andere
Wissenschaft der Fall ist.
Der einheitliche Charakter der Mathematik liegt im inneren
Wesen dieser Wissenschaft begründet; denn die Mathematik ist
die Grundlage alles exacten naturwissenschaftlichen Erkennens.
Damit sie diese hohe Bestimmung vollkommen erfülle, mögen ihr
im neuen Jahrhundert geniale Meister erstehen und zahlreiche in
edlem Eifer erglühende Jünger!
darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik. Vortrag, gehalten in
Königsberg 1854.
S. 180.
Leipzig 1899, Kapitel IV.
Annalen, Bd. 49 und 50.
§ 82 und § 144.
formationsgruppe darstellenden Functionen. Mathematische Annalen, Bd. 41.
rénces faites à Clark-University. Revue générale des Sciences 1900. S. 22.
Klein und Riecke, Ueber angewandte Mathematik und Physik, Leipzig und
Berlin 1900.
der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1896 und Landau, ebenda 1900.
algebraischen Zahlkörper, Bd. IV, 1897. Fünfter Teil.
zu Göttingen 1898.
matische Annalen, Bd. 45; Ueber die Theorie der relativquadratischen Zahl-
körper, Berichte der Deutschen Mathematiker - Vereinigung 1897 und Mathema-
tische Annalen. Bd. 51; Ueber die Theorie der relativ-Abelschen Körper, Nach-
richten d. K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1898; Grundlagen der Geometrie, Fest-
schrift zur Enthüllung des Gauss - Weber - Denkmals in Göttingen, Leipzig 1899,
Kapitel VIII § 83.
demnächst in den Mathematischen Annalen erscheinende Arbeit: „Ueber die Ent-
wickelung der algebraischen Zahlen in Potenzreihen.“
Nachrichten der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1898.
eine demnächst in den mathematischen Annalen erscheinende Arbeit.
nowskischen Gesellschaft, Leipzig 1886.
besondere § 38.
die Napoli 1880.
der Deutschen Mathematiker-Vereinigung VIII 1900, S. 184.
No. 366.
Paris 1861 und A. Kneser, „Lehrbuch der Variationsrechnung“, Braunschweig
1900.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Mathematische Probleme. Mathematische Probleme. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnjs.0