[][][][][][][[1]]
Anmerkungen
uͤbers Theater

nebſt
angehaͤngten uͤberſetzten Stuͤck
Shakeſpears.

[figure]


Leipzig,:
in der Weygandſchen Buchhandlung.
1774.

[[2]][[3]]

Dieſe Schrift ward zwey Jahre vor Er-
ſcheinung der deutſchen Art und Kunſt und des
Goͤtz von Berlichingen in einer Geſellſchaft gu-
ter Freunde vorgeleſen. Da noch manches fuͤr
die heutige Bellitteratur drinn ſeyn moͤchte, das
jene beyden Schriften nicht ganz uͤberfluͤſſig
gemacht, ſo theilen wir ſie — wenn nicht an-
ders als das erſte ungehemmte Raͤſonnement
eines unpartheyſchen Dilettanten — unſern Le-
ſern Rhapſodienweis mit.


[[4]]

M. H.


Nec minimum meruere decus, veſtigia
greca
Auſi deſerere —

(Horat.)

Der Vorwurf einiger Anmerkungen,
die ich fuͤr Sie auf dem Herzen
habe, ſoll das Theater ſeyn. Der
Werth des Schauſpiels iſt in
unſern Zeiten zu entſchieden, als daß ich
noͤthig haͤtte, wegen dieſer Wahl captationem
benevolentiae
vorauszuſchicken, wegen der
Art meines Vortrags aber muß ich Sie
freylich komplimentiren, da meine gegen-
waͤrtige Verfaſſung und andere zufaͤllige Ur-
ſa-
[5]
ſachen mir nicht erlauben, ſo weit mich uͤber
meinen Gegenſtand auszubreiten, ſo tief
hineinzudringen, als ich gern wollte. Jch
zimmere in meiner Einbildung ein ungeheu-
res Theater, auf dem die beruͤhmteſten
Schauſpieler alter und neuer Zeiten nun vor
unſerm Auge vorbeyziehen ſollen. Da wer-
den Sie alſo ſehen die groſſen Meiſterſtuͤcke
Griechenlands von eben ſo groſſen Meiſtern
in der Aktion vorgeſtellt, wenn wir dem
Aulus Gellius glauben wollen und andern.
Sie werden, wenn Sie belieben, im zwey-
ten Departement gewahr werden die Trau-
erſpiele des Ovids und Seneka, die Luſt-
ſpiele des Plautus und Terenz und den
groſſen Komoͤdianten Roſcius, deſſen der be-
ruͤhmte Herr Cicero ſelbſt mit vieler Achtung
erwaͤhnt. Werden ſehen die drey Schau-
ſpieler, die ſich in eine Rolle theilen, die
Larven, die uns Herr du Bos ſo ausfuͤhr-
lich beſchreibt, den ganzen furchtbaren Ap-
paratus, und dennoch den alten Roͤmern
muͤſſen Gerechtigkeit wiederfahren laſſen,
daß die weſentliche Einrichtung ihrer Buͤhne
und ihr Parterre, das wills Gott aus nichts
weniger als der Nation beſtand, dieſe ſchein-
baren Ausſchweifungen von der Natur noth-
wendig machten. Daß aber die Alten ihre
Stuͤcke mehr abgeſungen als recitirt, ſcheint
mir aus dem du Bos ſehr wahrſcheinlich,
A 3da
[6]
da es ſich ſo ganz natuͤrlich aus dem Urſprung
des Schauſpiels erklaͤren laͤßt, als welches
anfangs nichts mehr geweſen zu ſeyn ſcheint,
als ein Lobgeſang auf den Vater Bachus von
verſchiedenen Perſonen zumal geſungen. Auch
wuͤrden eines ſo ungeheuren Parterre unru-
hige Zuhoͤrer wenig Erbauung gefunden ha-
ben, wenn die Akteurs ihren Prinzeſſinnen
zaͤrtliche Sachen vorgeliſpelt und vorge-
ſchluchſt, die ſie unter den Masken ſelbſt
kaum gehoͤrt, wiewohl auch heutiges Tags
ſich zuzutragen pflegt, geſchweige. Doch
laſſen wir das lateiniſche Departement, Sie
werden im Jtalieniſchen, Helden ohne
Mannheit und dergleichen, da aber Orpheus
den dreykoͤpfigten Cerberus ſelbſt durch den
Klang ſeiner Leyer dahin gebracht, daß er
nicht hat mukſen duͤrfen, ſollte ein Saͤnger
oder Saͤngerin nicht den grimmigſten Kunſt-
richter? Jch oͤfne alſo das vierte Departe-
ment, und da erſcheint — ach ſchoͤne Spiele-
werk! da erſcheinen die fuͤrchterlichſten Hel-
den des Alterthums, der raſende Oedip, in
jeder Hand ein Auge und ein groſſes Ge-
folge griechiſcher Jmperatoren, Roͤmiſcher
Buͤrgermeiſter, Koͤnige und Kayſer, ſauber fri-
ſirt in Haarbeutel und ſeidenen Struͤmpfen,
unterhalten ihre Madonnen, deren Reifroͤcke
und weiſſe Schnupftuͤcher jedem Chriſten-
menſchen das Herz brechen muͤſſen, in den ga-
lan-
[7]
lanteſten Ausdruͤcken von der Heftigkeit ihrer
Flammen, daß ſie ſterben, ganz gewiß
und unausbleiblich den Geiſt aufgeben, ſich
genoͤthigt ſehen, falls dieſe nicht. Jch darf
mich hier nicht lange erſt beſinnen, was fuͤr
Meiſter fuͤr dieſe Buͤhne gearbeitet, groſſe
Akteurs auf derſelben erſchienen, es
wuͤrde mir beſchwerlicher werden, Jhnen
die Liſte von beyden vorzulegen, als es
dem guten Vater Homer mag geworden
ſeyn, die griechiſchen und trojaniſchen Of-
ficiere herzubethen. Man darf nur die
vielen Journaͤle, Merkure, Aeſthetiken mit
Proͤbchen geſpickt — und was die Schau-
ſpieler betrift, ſo iſt der feine Geſchmack
ihnen uͤberall ſchon zur andern Natur ge-
worden, uͤber und unter der ſie wie in ei-
nem andern Clima wuͤrden erſticken muͤſſen.
Jn dieſem Departement iſt Amor Selbſt-
herrſcher, alles athmet, ſeufzt, weint, blu-
tet, ihn und den Lichtputzer ausgenommen
iſt noch kein Akteur jemals hinter die Cou-
liſſe getreten, ohne ſich auf dem Theater
verliebt zu haben. Laßt uns nun noch die
fuͤnfte Kammer beſehen, die von dieſer die
umgekehrte Seite war, obſchon es den er-
leuchteten Zeiten gelungen, auch bis dahin
durchzudringen und der hoͤlliſchen Barba-
rey zu ſteuren, die die Dichter vor und un-
ter der Koͤnigin Eliſabeth daſelbſt ausge-
A 4brei-
[8]
breitet. Dieſe Herren hatten ſich nicht ent-
bloͤdet, die Natur mutterfadennackt auszu-
ziehen und dem keuſch- und zuͤchtigen Pub-
likum darzuſtellen wie ſie Gott erſchaffen
hat. Auch der haͤßliche Gaͤrrick hoͤrt all-
maͤhlich auf, mit ſeinem Goͤtzen Shakeſpear
Wohlſtand, Geſchmack und Moralitaͤt,
den drey Grazien des geſellſchaftlichen Le-
bens, den Krieg anzukuͤndigen. Nun und
gleich bey luͤpfe ich den Vorhang und zeige
Jhnen — ja was? ein wunderbares Ge-
menge alles deſſen, was wir bisher geſe-
hen und erwogen haben, und das zu einem
Punkt der Vollkommenheit getrieben, den
kein unbewafnetes Auge mehr entdecken
kann. Deutſche Sophokles, deutſche Plau-
tus, deutſche Shakeſpears, deutſche Fran-
zoſen, deutſche Metaſtaſio, kurz alles was
Sie wollen, durch kritiſche Augenglaͤſer an-
geſehen und oft in einer Perſon vereinigt?
Was wollen wir mehr. Wie das alles ſo
durcheinander geht, Cluvers orbis antiquus
mit der neueren Heraldik, und der Thon
im Ganzen ſo wenig deutſch, ſo kritiſch
bebend, gerathen ſchoͤn — wer Ohren hat
zu hoͤren, der klatſche, das Volk iſt verflucht.


Nachdem ich alſo fertig bin und Jhnen,
ſo gut ich konnte, die Buͤhne aller Zeiten
und Voͤlker in aller Geſchwindigkeit zuſam-
men-
[9]
mengenagelt, ſo erlauben Sie mir, m. H.
Sie beym Arm zu zupfen und mittlerweile
das uͤbrige Parterre mit ofnem Mund und
glaͤſernen Augen als Katzen nach dem Tau-
benſchlage zu den Logen hinaufglurt, Jhnen
eine muͤßige Stunde mit Anmerkungen uͤber
Theater, uͤber Schauſpieler und Schauſpiel
anzufuͤllen. Sie werden mir als einem Frem-
den nicht uͤbel nehmen, daß ich mit einer
gewiſſen Freiheit von den Dingen rede und
meine Worte —


Mit Jhrer Erlaubnis werde ich alſo ein
wenig weit ausholen, weil ich ſolches zu mei-
nem Entzweck — meinem Entzweck? Was
meynen Sie aber wohl, das der ſey? Es giebt
Perſonen, die eben ſo geneigt ſind was
Neues zu ſagen und das einmal geſagte mit
allen Kraͤften Leibes und der Seele zu ver-
theidigen, als der groͤbere Theil des Publi-
kums, der dazu geſchaffen iſt, ewig Auditori-
um zu ſeyn, geneigt iſt, was Neues zu hoͤren.
Da ich hier aber kein ſolches Publikum —
ſo unterſteh ich mich nicht, Jhnen den letzten
Entzweck dieſer Anmerkungen, das Ziel meiner
Partheygaͤnger anzuzeigen. Vielleicht wer-
den Sie, wenn Sie mit mir fortgeritten ſind,
von ſelbſt drauf ſtoſſen und alsdenn —


Wir alle ſind Freunde der Dichtkunſt, und
das menſchliche Geſchlecht ſcheint auf allen
A 5be-
[10]
bewohnten Flecken dieſes Planeten einen ge-
wiſſen angebohrnen Sinn fuͤr dieſe Sprache
der Goͤtter zu haben. Was ſie nun ſo rei-
zend mache, daß zu allen Zeiten — ſcheint
meinem Beduͤnken nach nichts anders als
die Nachahmung der Natur, das heißt al-
ler der Dinge, die wir um uns herum ſehen,
hoͤren etcetera, die durch die fuͤnf Thore un-
ſrer Seele in dieſelbe hineindringen, und
nach Maßgabe des Raums ſtaͤrkere oder
ſchwaͤchere Beſatzung von Begriffen hinein-
legen, die denn anfangen in dieſer Stadt
zu leben und zu weben, ſich zu einander
geſellen, unter gewiſſe Hauptbegriffe ſtellen,
oder auch Zeitlebens ohne Anfuͤhrer, Com-
mando und Ordnung herumſchwaͤrmen, wie
ſolches Bunian in ſeinem heiligen Kriege
gar ſchoͤn beſchrieben hat. Wie beſoffene
Soldaten oft auf ihrem Poſten einſchlafen,
zu unrechter Zeit wieder aufwachen etcetera,
wie man denn Beyſpiele davon in allen vier
Welttheilen antrift. Doch bald geb ich ſelbſt
ein ſolches ab — ich finde mich wieder zu-
recht, ich machte die Anmerkung, das We-
ſen der Poeſie ſey Nachahmung und was
dies fuͤr Reiz fuͤr uns habe — Wir ſind, m.
H. oder wollen wenigſtens ſeyn, die erſte
Sproſſe auf der Leiter der freyhandelnden
ſelbſtſtaͤndigen Geſchoͤpfe, und da wir eine
Welt hie da um uns ſehen, die der Be-
weiß
[11]
weiß eines unendlich freyhandelnden We-
ſens iſt, ſo iſt der erſte Trieb, den wir in
unſerer Seele fuͤhlen, die Begierde ’s ihm
nachzuthun; da aber die Welt keine Bruͤcken
hat, und wir uns ſchon mit den Dingen, die
da ſind, begnuͤgen muͤſſen, fuͤhlen wir wenig-
ſtens Zuwachs unſrer Exiſtenz, Gluͤckſelig-
keit, ihm nachzuaͤffen, ſeine Schoͤpfung ins
Kleine zu ſchaffen. Obſchon ich nun wegen
dieſes Grundtriebes nicht noͤthig haͤtte mich
auf eine Authoritaͤt zu berufen, ſo will ich
doch nach der einmal eingefuͤhrten Weiſe
mich auf die Worte eines groſſen Kunſtrich-
ters mit einem Bart lehnen, eines Kunſt-
richters, der in meinen Anmerkungen noch
manchmal ins Gewehr treten wird. Ariſtote-
les im vierten Buch ſeiner Poetik: „Es ſcheint,
daß uͤberhaupt zwey natuͤrliche Urſachen zur
Poeſie Gelegenheit gegeben. Denn es iſt
dem Menſchen von Kindesbeinen an eigen,
nachzuahmen. Und in dieſem Stuͤck liegt ſein
Unterſcheidungszeichen von den Thieren.
Der Menſch iſt ein Thier, das vorzuͤglich ge-
ſchickt iſt, nachzuahmen. Ein Gluͤck, daß
er vorzuͤglich ſagt, denn was wuͤrde ſonſt
aus den Affen werden?


Jch habe eine groſſe Hochachtung fuͤr den
Ariſtoteles, obwohl nicht fuͤr ſeinen Bart, den
ich allenfalls mit Peter Ramus, dem jedoch
der
[12]
der M[u]thwill uͤbel bekommen iſt — Aber da
er hier von zwo Quellen redet, aus denen
die landuͤberſchwemmende Poeſie ihren Ur-
ſprung genommen und gleichwohl nur auf
die eine mit ſeinem kleinen krummen Finger
deutet, die andere aber unterm Bart behaͤlt
(obwohl ich Jhnen auch nicht dafuͤr ſtehe, da
ich aufrichtig zu reden, ihn noch nicht ganz
durchgeleſen) ſo iſt mir ein Gedanke entſtan-
den, der um Erlaubniß bittet, ans Tages-
licht zu kommen, denn einen Gedanken bey
ſich zu behalten und eine gluͤhende Kohle in
der Hand —


[Erſt] aber noch eine Authoritaͤt. Der be-
ruͤhmte weltberuͤhmte Herr Sterne, der ſich
wohl nichts weniger als Nachahmer vermu-
thet, und weil er das in ſeine ſiebente Bitte
zu ſetzen vergeſſen, deswegen vom Himmel
damit ſcheint vorzuͤglich geſtraft worden zu
ſeyn, in ſeinem Leben und Meynungen ſagt
im vierzigſten Kapitel. „Die Gabe zu
vernuͤnfteln und Syllogismen zu machen, im
Menſchen — denn die hoͤhern Klaſſen der
Weſen, als die Engel und Geiſter, wie man
mir geſagt hat, thun das durch Anſchauen.‟


Es iſt nur der Unterſchied, daß dieſe zwey-
te Authoritaͤt dem, was ich ſagen will, voran-
geht, und alſo nach ſchuldiger Dankbarkeit
an den Pfauenſchwanz, dem ich dieſe Feder
entwandt, fang und hebe ich alſo an.


Un-
[13]

Unſere Seele iſt ein Ding, deſſen Wirkun-
gen wie die des Koͤrpers ſucceſſiv ſind, eine
nach der andern. Woher das komme, das
iſt — ſo viel iſt gewiß, daß unſere Seele von
ganzem Herzen wuͤnſcht, weder ſucceſſiv zu
erkennen, noch zu wollen. Wir moͤchten mit
einem Blick durch die innerſte Natur aller
Weſen dringen, mit einer Empfindung alle
Wonne, die in der Natur iſt, aufnehmen und
mit uns vereinigen. Fragen Sie ſich, m. H.
wenn Sie mir nicht glauben wollen. Wo-
her die Unruhe, wenn Sie hie und da eine
Seite der Erkenntniß [beklapſt] haben, das
zitternde Verlangen, das Ganze mit Jhrem
Verſtande zu umfaſſen, die laͤhmende Furcht,
wenn Sie zur andern Seite uͤbergehn, werden
Sie die erſte wieder aus dem Gedaͤchtniß
verlieren. Eben ſo bey jedem Genuß, wo-
her dieſer Sturm, das All zu erfaſſen, der
Ueberdruß, wenn Jhrer keichenden Sehnſucht
kein neuer Gegenſtand uͤbrig zu bleiben
ſcheint — die Welt wird fuͤr Sie arm und
Sie ſchwaͤrmen nach Bruͤcken. Den zitter-
lichteſten Strahl moͤcht Jhr Heißhunger bis
in die Milchſtraſſe verfolgen, und blendete das
erzuͤrnte Schickſal Sie, wie Milton wuͤrden
Sie ſich in Chaos und Nacht Welten waͤh-
nen, deren Zugang im Reich der Wirklich-
keiten Jhnen verſperrt iſt.


Schlieſ-
[14]

Schlieſſen Sie die Bruſt zu, wo mehr als
eine Adamsribbe rebelliſch wird und kommen
wieder hinuͤber mit mir in die lichten Regi-
onen des Verſtandes. Wir ſuchen alle gern
unſere zuſammengeſetzte Begriffe in einfache
zu reduciren und warum das? weil er ſie
dann ſchneller — und mehr zugleich umfaſ-
ſen kann. Aber troſtlos waͤren wir, wenn
wir daruͤber das Anſchauen und die Gegen-
wart dieſer Erkaͤnntniſſe verlieren ſollten, und
das immerwaͤhrende Beſtreben, all unſere ge-
ſammleten Begriffe wieder auseinander zu
wickeln und durchzuſchauen, ſie anſchaulich
und gegenwaͤrtig zu machen, nehm’ ich als
die zweyte Quelle der Poeſie an.


Der Schoͤpfer hat unſerer Seele einen
Bleyklumpen angehaͤngt, der wie die Pen-
duln an der Uhr ſie durch ſeine niederziehen-
de Kraft in beſtaͤndiger Bewegung erhaͤlt.
Anſtatt alſo mit den Hypochondriſten
auf dieſen ſichern Freund zu ſchimpfen
(amicus certus in re incerta, denn was fuͤr
ein Wetterhahn iſt unſere Seele?) iſt er, hoff’
ich, ein Kunſtſtuͤck des Schoͤpfers, all unſere Er-
kenntniß feſtzuhalten, bis ſie anſchaulich ge-
worden iſt.


Die Sinne, ja die Sinne — es kommt
freilich auf die ſpecifiſche Schleifung der
Glaͤſer und die ſpecifiſche Groͤſſe der Pro-
jekti-
[15]
jektionstafel an, aber mit alledem, wenn die
Camera obſcura Ritzen hat —


So weit ſind wir nun. Aber eine Erkennt-
niß kann vollkommen gegenwaͤrtig und an-
ſchaulich ſeyn — und iſt deswegen doch noch
nicht poetiſch. Doch dies iſt nicht der rechte
Zipfel, an dem ich anfaſſen muß, um —


Wir nennen die Koͤpfe Genies, die alles,
was ihnen vorkommt, gleich ſo durchdrin-
gen, durch und durch ſehen, daß ihre Er-
kenntniß denſelben Werth, Umfang, Klarheit
hat, als ob ſie durch Anſchaun oder alle ſie-
ben Sinne zuſammen waͤre erworben wor-
den. Legt einem ſolchen eine Sprache,
mathematiſche Demonſtration, verdrehten
Karakter, was ihr wollt, eh ihr ausgeredt
habt, ſitzt das Bild in ſeiner Seele, mit al-
len ſeinen Verhaͤltniſſen, Licht, Schatten,
Kolorit dazu.


Dieſe Koͤpfe werden nun zwar vortrefli-
che Weltweiſe was weiß ich, Zergliederer,
Kritiker — alle ers — auch vortrefliche Le-
ſer von Gedichten abgeben, allein es muß
noch was dazukommen, eh ſie ſelbſt welche
machen, verſteh mich wohl, nicht nachma-
chen. Die Folie, Chriſtlicher Leſer! die
Folie, was Horatz vivida vis ingenii, und wir
Begeiſterung, Schoͤpfungskraft, Dichtungs-
vermoͤgen, oder lieber gar nicht nennen. Den
Ge-
[16]
Gegenſtand zuruͤckzuſpiegeln, das iſt der Kno[-]
ten, die nota diacritica des poetiſchen
Genies, deren es nun freilich ſeit Anfang
der Welt mehr als ſechs tauſend ſoll ge-
geben haben, die aber auf Belſazers Waa-
ge vielleicht bis auf ſechs, oder wie Sie
wollen —


Denn — und auf dieſes Denn ſind Sie
vielleicht ſchon ungeduldig, das Vermoͤgen
nachzuahmen, iſt nicht das, was bey allen
Thieren ſchon im Anſatz — nicht Mechanik —
nicht Echo — nicht was es, um Othem zu
ſparen, bey unſern Poeten. Der wahre
Dichter verbindet nicht in ſeiner Einbildungs-
kraft, wie es ihm gefaͤllt, was die Herren die
ſchoͤne Natur zu nennen belieben, was aber
mit ihrer Erlaubniß nichts als die verfehlte
Natur iſt. Er nimmt Standpunkt — und
dann muß er ſo verbinden. Man
koͤnnte ſein Gemaͤhlde mit der Sache ver-
wechſeln und der Schoͤpfer ſieht auf
ihn hinab, wie auf die kleinen Goͤtter, die
mit ſeinem Funken in der Bruſt auf den Thro-
nen der Erde ſitzen und ſeinem Beyſpiel ge-
maͤß eine kleine Welt erhalten. Wollte ſa-
gen — was wollt ich doch ſagen? —


Hier laſſen Sie uns eine kleine Pauſe bis
zur naͤchſten Stunde machen, wo ich
mit Columbus Schifferjungen auf den Maſt
klet-
[17]
klettern, und ſehen will, wo es hinausgeht.
Noch weiß ichs ſelber nicht, aber Land
wittere ich ſchon, bewohnt und unbewohnt,
iſt gleichguͤltig. Der Parnas hat noch viel
unentdeckte Laͤnder, und willkommen ſey
mir, Schiffer! der du auch uͤberm Suchen
ſtuͤrbeſt. Opfer fuͤr der Menſchen Seligkeit!
Maͤrtyrer! Heiliger!



Jch habe in dem erſten Abſchnitt meines
Verſuchs Jhnen, m. H. meine unmas-
gebliche Meynung — — mir eine fertige
Zunge geben, meine Gedanken geſchwind
und dennoch mit gehoͤriger Praͤciſion —
Denn ich fuͤrchte ſehr, das Jugendfeuer
werde die wenige Portion Geduld auflecken,
die ich in meinem Temperament finde, und
die doch einem Proſaiſten, und beſonders
einem kritiſchen — Jn der That, da die
Kritik mehr eine Beſchaͤftigung des Ver-
ſtandes als der Einbildungskraft bleibet, ſo
[verlangt] ſie ein groſſes Maaß Phlegma —


Jch habe alſo bey phlegmatiſchem Nach-
denken uͤber dieſe zwey Quellen gefunden,
daß die letztere die Nachahmung allen ſchoͤ-
nen Kuͤnſten gemein, wie es denn auch
Batt — Die erſte aber, das Anſchauen al-
Anmerk. uͤb. Theat. Blen
[18]
len Wiſſenſchaften, ohne Unterſchied, in ge-
wiſſem Grade gemein ſeyn ſollte. Die Poe-
ſie ſcheint ſich dadurch von allen Kuͤnſten und
Wiſſenſchaften zu unterſcheiden, daß ſie
dieſe beyden Quellen vereinigt, alles ſcharf
durchdacht, durchforſcht, durchſchaut
und dann in getreuer Nachahmung zum
andernmal wieder hervorgebracht. Dieſes
giebt die Poeſie der Sachen, jene des
Styls. Oder umgekehrt, wie ihr wollt.
Der ſchoͤne Geiſt kann das Ding ganz ken-
nen, aber er kann es nicht wieder ſo ge-
treu von ſich geben, alle Striche ſeines
Witzes koͤnnens nicht. Darum bleibt er
immer nur ſchoͤner Geiſt, und in den Mar-
morhaͤnden Longin, Home (wer will, ſchrei-
be ſeinen Namen hin) wird ſeine Schaale
nie zum Dichter hinunter ſinken. Doch
dies ſind ſo Gedanken neben dem Todten-
kopf auf der Toilette des Denkers — laßt
uns zu unſerm Theater umkehren!


Und die Natur des Schauſpiels zu ent-
wickeln ſuchen, aus dieſer Unterſuchung ei-
nige Corollarien ableiten, mit guten Gruͤn-
den verſchanzen, und im dritten Abſchnitt
wider die Angriffe unſrer Gegner, das heißt,
des ganzen feinern Publikums vertheidigen,
ob wir ſie vielleicht dahin vermoͤchten, die
Belagerung in eine Bloquade zu verwan-
deln, weil alsdenn —


Daß
[19]

Daß das Schauſpiel eine Nachahmung
und folglich einen Dichter fodere, wird
mir doch wohl nicht beſtritten werden.
Schon im gemeinen Leben (fragen wir den
Poͤbel, deſſen Witz noch nicht ſo boßhaft iſt,
Worte umzumuͤnzen,) heißt ein geſchickter
Nachahmer, ein guter Komoͤdiant, und
waͤre das Schauſpiel was anders als Nach-
ahmung, es wuͤrde ſeine Schauer bald ver-
lieren. Jch getraue mich, zu behaupten,
daß thieriſche Befriedigungen ausgenom-
men, es fuͤr die menſchliche Natur kein ein-
zig Vergnuͤgen giebt, wo nicht Nachah-
mung mit zum Grunde laͤge — die Nach-
ahmung der Gottheit mit eingerechnet u. ſ. w.


Herr Ariſtoteles ſelber ſagt — —


Es kommt itzt darauf an, was beym
Schauſpiel eigentlich der Hauptgegenſtand
der Nachahmung: der Menſch? oder das
Schickſal des Menſchen? Hier liegt der
Knoten, aus dem zwey ſo verſchiedene Ge-
webe ihren Urſprung genommen, als die
Schauſpiele der Franzoſen (ſollen wir der
Griechen ſagen?) und der aͤltern Englaͤnder,
oder vielmehr uͤberhaupt aller aͤltern nordi-
ſchen Nationen ſind, die nicht griechiſch ge-
ſattelt waren.


Hoͤren Sie alſo die Definition des Ari-
ſtoteles von der Tragoͤdie, laſſen Sie uns
B 2her-
[20]
hernach die Dreiſtigkeit haben, unſere zu
geben. Ein groſſes Unternehmen, aber wer
kann uns zwingen, Brillen zu brauchen,
die nicht nach unſerm Auge geſchliffen ſind.


Er ſagt im ſechſten Kapitel ſeiner poeti-
ſchen Reitkunſt: „Es iſt alſo das Trauer-
ſpiel die Nachahmung einer Handlung,
einer guten, vollkommenen und groſſen Hand-
lung, in einer angenehmen Unterredung,
nach der beſondern Beſchaffenheit der han-
delnden Perſonen abgeaͤndert, nicht aber in
einer Erzehlung.‟


Er breitet ſich weiter uͤber dieſe Defini-
tion aus. „Und weil das Trauerſpiel die
Nachahmung einer Handlung iſt, die von
beſtimmten Perſonen geſchiehet, welche noth-
wendig von verſchiedener Beſchaffenheit ſeyn
muͤſſen, ſowohl in Anſehung ihrer Sitten,
als Geſinnungen, ſo auch ihre Handlungen
von verſchiedener Beſchaffenheit ſind, ſo iſt es
natuͤrlich, daß es zwey Urſachen der Hand-
lungen gebe, die Geſinnungen und die Sit-
ten, und nach Maßgabe dieſer muͤſſen die
Perſonen alle entweder gluͤcklich oder un-
gluͤcklich werden.‟ Er erklaͤrt ſich hernach
uͤber dieſe Ausdruͤcke, damit er allem Miß-
verſtande vorbeuge. Sitten ſind, die Art,
mit der jemand handelt. Geſinnungen ſind
ſeine Gemuͤthsart und der Ausdruck derſel-
ben
[21]
ben im Sprechen.‟ Sie ſehen aus dieſer
Erklaͤrung, daß wir nach unſerer modernen
dramaturgiſchen Sprache dieſe beyde Worte
in eins zuſammenfaſſen, uͤberſetzen koͤnnen.
Charakter, der kenntliche Umriß eines Men-
ſchen auf der Buͤhne. Er fodert alſo,
daß wir die Fabel des Stuͤcks nach den
Charakteren der handelnden Perſonen ein-
richten, wie er im neunten Kap. noch deut-
licher ſich erklaͤrt: „der Dichter ſolle Bege-
benheiten nicht vorſtellen, wie ſie geſche-
hen ſind, ſondern geſchehen ſollten.‟


Nachdem er nun ſelbſt zugeſtanden, daß
der Charakter der handelnden Perſonen den
Grund ihrer Handlungen, und alſo auch der
Fabel des Stuͤcks enthalte: ſollt’ es uns faſt
wundern, daß er in eben dieſem Kapitel fort-
faͤhrt: „Das Wichtigſte unter allen iſt die
Zuſammenſetzung der Begebenheiten. Denn
das Trauerſpiel iſt nicht eine Nachahmung
des Menſchen, ſondern der Handlungen, des
Lebens, des Gluͤcks oder Ungluͤcks, denn die
Gluͤckſeligkeit iſt in den Handlungen gegruͤn-
det, und der Entzweck des Trauerſpiels iſt
eine Handlung, nicht eine Beſchaffenheit.‟
Als ob die Beſchaffenheit eines Menſchen
uͤberhaupt vorgeſtellt werden koͤnne, ohne ihn
in Handlung zu ſetzen. Er iſt dies und das,
woran weiß ich es, lieber Freund, woran
B 3weißt
[22]
weißt du es, haſt du ihn handeln ſehen? Sey
es alſo, daß Drama nothwendig die Hand-
lung mit einſchließt, um mir die Beſchaffen-
heit anſchaulich zu machen: iſt darum Hand-
lung der letzte Entzweck, das Princi-
pium?
Er faͤhrt fort: „Sie (die handeln-
den Perſonen) ſind nach ihren Sitten von
einer gewiſſen Beſchaffenheit, nach ihren
Handlungen aber gluͤcklich oder ungluͤcklich.
Sie ſollen alſo nicht handeln, um ihre Sit-
ten darzuſtellen, ſondern die Sitten wer-
den um der Handlungen willen mit ein-
gefuͤhrt‟ (Ariſtoteles konnte nichts anders
lehren, nach den Muſtern, die er vor ſich
hatte, und deren Entſtehungsart ich unten
aus den Religionsmeynungen klar machen
will. Eben hier iſt die unſichtbare Spitze,
auf der alle herrliche Gebaͤude des griechiſchen
Theaters ruhen: auf der wir aber unmoͤglich
fortbauen koͤnnen) „Die Begebenheiten, die
Fabel iſt alſo der Entzweck der Tragoͤdie, denn
ohne Handlungen wuͤrde es keine Tragoͤdie
bleiben, wohl aber ohne Sitten.‟ (Ohn-
moͤglich koͤnnen wir ihm hierinn Recht ge-
ben, ſo ſehr er zu ſeiner Zeit recht gehabt ha-
ben mag. Die Erfahrung iſt die ewige At-
mosſphaͤre des ſtrengen Philoſophen, ſein
Raͤſonnement kann und darf ſich keinen Na-
gelbreit druͤber erheben, ſo wenig als eine
Bombe auſſer ihrem berechneten Kreiſe flie-
gen
[27[23]]
gen kann. Da ein eiſernes Schickſal die
Handlungen der Alten beſtimmte und regierte,
ſo konnten ſie als ſolche intereſſiren, ohne
davon den Grund in der menſchlichen Seele
aufzuſuchen und ſichtbar zu machen. Wir
aber [haſſen] ſolche Handlungen, von denen
wir die Urſache nicht einſehen, und nehmen
keinen Theil dran. Daher ſehen ſich die heu-
tigen Ariſtoteliker, die bloß Leidenſchaften oh-
ne Charakteren mahlen, (und die ich uͤbri-
gens in ihrem anderweitigen Werth laſſen will)
genoͤthigt, eine gewiſſe Pſychologie fuͤr alle
ihre handelnde Perſonen anzunehmen, aus
der ſie darnach alle Phaͤnomen ihrer Hand-
lungen ſo geſchickt und ungezwungen ablei-
ten koͤnnen und die im Grunde mit Erlaub-
niß dieſer Herren nichts als ihre eigene
Pſychologie iſt. Wo bleibt aber da der Dich-
ter, Chriſtlicher Leſer! wo bleibt die Folie?
Groſſe Philoſophen moͤgen dieſe Herren im-
mer ſeyn, groſſe allgemeine Menſchenkennt-
niß, Geſetze der menſchlichen Seele Kennt-
niß, aber wo bleibt die individuelle?
Wo die uneckle, immer gleich glaͤnzende, ruͤck-
ſpiegelnde, ſie mag im Todtengraͤberbuſen
forſchen oder unterm Reifrock der Koͤnigin?
Was iſt Grandiſon, der abſtrahirte [getraͤum-
te]
, gegen einen Rebhuhn, der da ſteht? Fuͤr
den mittelmaͤßigen Theil des Publikums wird
Rouſſeau (der goͤttliche Rouſſeau ſelbſt —)
B 4un-
[24]
unendlichen Reiz mehr haben, wenn er die
feinſten Adern der Leidenſchaften ſeines Bu-
ſens entbloͤßt und ſeine Leſer mit Sachen an-
ſchaulich vertraut macht, die ſie alle vorhin
ſchon dunkel fuͤhlten, ohne Rechenſchaft da-
von geben zu koͤnnen, aber das Genie wird
ihn da ſchaͤtzen, wo er aus den Schlingen
und Graziengewebe der feinern Welt Cha-
raktere zu retten weiß, die nun freilich doch
oft wie Simſon ihre Staͤrke in dem Schooß
der Dame laſſen. Wir wollen unſern Ariſto-
teles weiter hoͤren: „Die Trauerſpiele der
meiſten Neuern ſind ohne Sitten, es bleiben
darum ihre Verfaſſer immer Dichter‟ (in un-
ſern Zeiten durchaus nicht mehr, Handlun-
gen und Schickſale ſind erſchoͤpft, die kon-
ventionellen Charaktere, die konventionellen
Pſychologien, da ſtehen wir und muͤſſen im-
mer Kohl waͤrmen, ich danke fuͤr die Dich-
ter)[.] Er fuͤhrt das Beyſpiel zweyer Mahler,
des Zeuxes und Polyglotus. Jch will dieſe
Stelle uͤbergehen und meine Paradoxe nicht
auf alle ſchoͤne Kuͤnſte — doch einen Sei-
tenblick — nach meiner Empfindung ſchaͤtz
ich den Charakteriſtiſchen, ſelbſt den Carri-
katurmahler zehnmal hoͤher als den Jdeali-
ſchen, hyperboliſch geſprochen, denn es ge-
hoͤrt zehnmal mehr dazu, eine Figur mit
eben der Genauigkeit und Wahrheit darzu-
ſtellen, mit der das Genie ſie erkennt, als
zehn
[25]
zehn Jahre an einem Jdeal der Schoͤnheit zu
zirkeln, daß endlich doch nur in dem Hirn
des Kuͤnſtlers, der es hervorgebracht, ein
ſolches iſt. Jn der Morgenzeit der Welt
wars was anders, Zeuxes arbeitete, um uns
Kritiker und Geſchmack zu bilden, Apelles
Kohle, von einem goͤttlichen Feuer geleitet,
ſchuf wie Gott um ihr ſelbſt willen. Die Jdee
der Schoͤnheit muß bey unſern Dichtern ihr
ganzes Weſen durchdrungen haben — denn
fort mit dem rohen Nachahmer, der nie
an dieſem Strahl ſich gewaͤrmet hat, auf
Thespis Karre — aber ſie muß nie ihre
Hand fuͤhren oder zuruͤckhalten, oder der
Dichter wird — was er will, Witzling, Pil-
lenverſilberer, Bettwaͤrmer, Bruſtzuckerbe-
cker, nur nicht Darſteller, Dichter,
Schoͤpfer —


Ariſtoteles: „Ein Zeichen fuͤr die Wahr-
heit des Satzes, daß die Fabel, die Ver-
und Entwickelung der Begebenheiten in der
Tragoͤdie am meiſten gefalle, iſt, weil die,
ſo ſich an die Poeſie wagen, weit eher in An-
ſehung der Diktion und Charaktere fuͤrtref-
lich ſind, als in der Zuſammenſetzung der Be-
gebenheiten, wie faſt an all unſern erſten
Dichtern zu ſehen‟ dies will nichts ſagen.
Dictione et moribus ſoll gar in einer Klaſſe
nicht ſtehen. Es iſt hier nicht die Rede von
B 5hin-
[26]
hingekleckten Charakteren, von denen all un-
ſere baͤrtige und unbaͤrtige Schuluͤbungen ſo
voll; wo bey einer ſchwimmenden un-
gefaͤhren Aehnlichkeit des Zuſchauers Fanta-
ſey das Beſte thun muß — ſelbſt nicht von
dem famam ſequere ſibi convenientia finge
des Horatz, noch von ſeinem ſervetur ad
imum,
was das Journal Encyclopedique ſou-
tenir les Characteres
nennt — es iſt die Rede
von Charakteren, die ſich ihre Begebenhei-
ten erſchaffen, die ſelbſtſtaͤndig und unveraͤn-
derlich die ganze groſſe Maſchine ſelbſt dre-
hen, ohne die Gottheiten in den Wolken an-
ders noͤthig zu haben, als wenn ſie wollen
zu Zuſchauern, nicht von Bildern, von Ma-
rionettenpuppen — von Menſchen. Ha aber
freilich dazu gehoͤrt Geſichtspunkt, Blick der
Gottheit in die Welt, den die Alten nicht ha-
ben konnten, und wir zu unſerer Schande
nicht haben wollen. Er faͤhrt fort, wie er
denn nicht anders konnte: „Die Fabel alſo
iſt der Grund, (Principium) und gleichſam
die Seele der Tragoͤdie, das zweyte aber ſind
die Sitten. Es iſt wie in der Mahlerey, wenn
einer mit den ſchoͤnſten Farben das Papier
beſchmierte, wuͤrde er lange ſo nicht ergetzen,
als einer, der ein Bild drauf hinzeichnet
(Er vergleicht alſo die Fabel mit der Zeich-
nung, die Charaktere mit dem Kolorit??)
Es iſt aber das Trauerſpiel die Nachahmung
einer
[27]
einer Handlung, und durch dieſe Handlung
auch der handelnden Perſonen‟ Umge-
kehrt wird —


Was er von den Sentiments der Diktion
der Melopoͤie der Dekoration — koͤnnen wir
hier unmoͤglich aufnehmen, wenn wir uns
nicht zu einem Traktat ausdehnen wollen.
Wir haben es eigentlich mit ſeinem drama-
tiſchen Principium, mit der Baſis ſeines
kunſtrichterlichen Gebaͤudes unternommen,
weil wir doch die Urſache anzeigen muͤſſen,
warum wir ſo halsſtarrig ſind, auf demſelben
nicht fortzubauen. Gehen uͤber zum Funda-
ment des Shakeſpeariſchen unſers Lands-
manns, wollen ſehen, ob die Wunder, ſo
er auf jeden geſunden Kopf und unverderb-
tes Herz thut, wirklich einem je ne ſais
quoi
der erleuchtetſten Kunſtrichter, einem
Ohngefaͤhr, vielleicht einem Planeten, viel-
leicht gar einem Kometen zuzuſchreiben ſind,
weil er nichts vom Ariſtoteles gewußt zu ha-
ben — Und zum Henker hat denn die Natur
den Ariſtoteles um Rath gefragt, wenn ſie
ein Genie?


Auf eins ſeiner Fundamentalgeſetze muß
ich noch zuruͤckſchieſſen, das ſo viel Laͤrm ge-
macht, bloß weil es ſo klein iſt, und das iſt
die ſo erſchroͤckliche jaͤmmerlichberuͤhmte
Bulle von den drey Einheiten. Und was
heiſ-
[28]
heiſſen denn nun drey Einheiten, meine Lie-
ben? Jſt es nicht die eine, die wir bey
allen Gegenſtaͤnden der Erkenntniß ſuchen, die
eine, die uns den Geſichtspunkt giebt, aus dem
wir das Ganze umfangen und uͤberſchauen
koͤnnen? Was wollen wir mehr, oder was
wollen wir weniger? Jſt es den Herren be-
liebig, ſich in dem Verhaͤltniß eines Hauſes
und eines Tages einzuſchraͤnken, in Got-
tes Namen, behalten Sie Jhre Fami-
lien
ſtuͤcke, Miniaturgemaͤhlde, und laſſen
uns unſere Welt. Kommt es Jhnen ſo ſehr
auf den Ort an, von dem Sie ſich nicht be-
wegen moͤchten, um dem Dichter zu folgen:
wie denn, daß Sie ſich nicht den Ruhepunkt
Archimeds waͤhlen: de mihi figere pedem et
terram movebo?
Welch ein groͤſſer und goͤtt-
licher Vergnuͤgen, die Bewegung einer Welt,
als eines Hauſes? und welche Wohlthat des
Genies, Sie auf die Hoͤhe zu fuͤhren, wo
Sie einer Schlacht mit all ihrem Getuͤmmel,
Jammern und Grauen zuſehen koͤnnen, ohne
Jhr eigen Leben, Gemuͤthsruhe, und Behagen
hineinzuflechten, ohne auf dieſer grauſamen
Scene Akteur zu ſeyn. Liebe Herren! was
ſollen wir mehr thun, daß ihr ſelig werdet?
wie kann mans euch bequemer machen? Nur
zuſchauen, ruhen und zuſchauen, mehr fo-
dern wir nicht, warum wollt ihr denn nicht
auf dieſem Stern ſtehen bleiben, und in die
Welt
[29]
Welt ’nabgucken, aus kindiſcher Furcht den
Hals zu brechen?


Was heiſſen die drey Einheiten? hundert
Einheiten will ich euch angeben, die alle im-
mer doch die eine bleiben. Einheit der
Nation, Einheit der Sprache, Einheit der
Religion, Einheit der Sitten — ja was
wirds denn nun? Jmmer daſſelbe, immer
und ewig daſſelbe. Der Dichter und das
Publikum muͤſſen die eine Einheit fuͤhlen
aber nicht klaſſifiziren. Gott iſt nur Eins
in allen ſeinen Werken, und der Dichter
muß es auch ſeyn, wie groß oder klein ſein
Wirkungskreiß auch immer ſeyn mag. Aber
fort mit dem Schulmeiſter, der mit ſeinem
Staͤbchen einem Gott auf die Finger ſchlaͤgt.


Ariſtoteles. Die Einheit der Handlung.
Fabula autem eſt una, non ut aliqui putant,
ſi circa unum ſit.
Er ſondert immer die Hand-
lung von der handelnden Hauptperſon
ab, die bongré malgré in die gegebene Fa-
bel hineinpaſſen muß, wie ein Schiffsthau
in ein Nadeloͤhr. Unten mehr davon, bey
den alten Griechen wars die Handlung, die
ſich das Volk zu ſehen verſammlete. Bey
uns iſts die Reihe von Handlungen, die
wie Donnerſchlaͤge auf einander folgen, eine
die andere ſtuͤtzen und heben, in ein groſ-
ſes Ganze zuſammenflieſſen muͤſſen, das
her-
[30]
hernach nichts mehr und nichts minder aus-
macht, als die Hauptperſon, wie ſie in der
ganzen Gruppe ihrer Mithaͤndler hervor-
ſticht. Bey uns alſo fabula eſt una ſi circa
unum ſit.
Was koͤnnen wir dafuͤr, daß
wir an abgeriſſenen Handlungen kein Ver-
gnuͤgen mehr finden, ſondern alt genug wor-
den ſind, ein Ganzes zu wuͤnſchen? daß wir
den Menſchen ſehen wollen, wo jene nur
das unwandelbare Schickſal und ſeine ge-
heimen Einfluͤſſe ſahen. Oder ſcheuen Sie
ſich, meine Herren! einen Menſchen zu
ſehen?


Einheit des Orts — oder moͤchten lieber
ſagen, Einheit des Chors, denn was war
es anders? Kommen doch auf dem Griechi-
ſchen Theater die Leute wie gerufen und ge-
beten herbey, und kein Menſch ſtoͤßt ſich
daran. Weil wir uns freuen, daß Sie nur
da ſind — weil das Chor dafuͤr da ſteht,
daß ſie kommen ſollen, und ſich das im Kopf
eines Freundes geſchwind zuſammenreimt,
was wohl die cauſa prima und remotior der
Ankunft ſeines Freundes ſeyn moͤchte, wenn
er ihn eben in ſeinen Armen druͤckt.


Einheit der Zeit, worin Ariſtoteles gar
den weſentlichen Unterſcheid des Trauerſpiels
von der Epopee ſetzt. Am Ende des 5ten
Kapitels: „Die Epopee iſt alſo bis auf den
Punkt
[31]
Punkt mit der Tragoͤdie eins, daß jede eine
Nachahmung edler Handlungen mittelſt einer
Rede iſt. Darinn aber unterſchieden, daß
jene ein einfaches Metrum und als eine Er-
zaͤhlung lang fortgeht, dieſe aber, wenn es
moͤglich, nur den Umlauf einer Sonne in ſich
ſchließt, da die Epopee von unbeſtimmter Zeit
iſt.‟ Sind denn aber zehn Jahr, die der
Trojaniſche Krieg waͤhrte, nicht eben ſo gut
beſtimmte Zeit als unus ſolis ambitus? Wo
hinaus, lieber Kunſtrichter, mit dieſer differen-
tia ſpecifica?
Es ſpringt ja in die Augen, daß
in der Epopee der Dichter ſelbſt auftritt,
im Schauſpiele aber ſeine Helden. Warum
ſondern wir denn das Wort vorſtellen, das
einzige Praͤdikat zu dieſem Subjekt, von der
Tragoͤdie ab, die Tragoͤdie ſtellt vor, das
Heldengedicht erzehlt: aber freylich in un-
ſern heutigen Tragoͤdien wird nicht mehr vor-
geſtellt.


Wenn wir das Schickſal des Genies be-
trachten (ich rede von Schriſtſtellern) ſo iſt
es unter aller Erdenſoͤhne ihrem das baͤng-
ſte, das traurigſte. Jch rede ehrlich, von
den groͤſſeſten Produkten alter und neuer
Zeiten. Wer lieſt ſie? wer genießt ſie? —
Wer verdaut ſie? Fuͤhlt das, was ſie fuͤhlte?
Folgt der unſichtbaren Kette, die ihre ganze
große Maſchine in eins ſchlingt, ohne ſie
einmal
[32]
einmal fahren zu laſſen? Welches Genie
lieſt das andere ſo? — Mitten im helleſten
Anſchaun der Zaubermaͤchte des andern und
ihren Wirkungen und Stoͤſſen auf ſein Herz,
dringen Millionen unberufene Gedanken —
dein Blatt Kritik — dein unvollendeter
Roman — dein Brief — oft bis auf die
Waͤſche hinunter — weg ſind die ſuͤſſen Jl-
luſionen, da zappelt er wieder auf dem San-
de, der vor einem Augenblicke im Meere von
Wolluſt dahin ſchwamm. Und wenn das
Genie ſo lieſt ω πωποι wie lieſt der Philiſter
denn? Wo iſt da lebendige Vorſtellung der
tauſend großen Einzelheiten, ihrer Verbin-
dungen, ihres goͤttlichen ganzen Eindrucks?
Was kann der Epopeendichter thun, unſere
Aufmerkſamkeit feſt zu halten, an ſeine Ga-
leere anzuſchmieden und dann mit ihr ’von
zu fahren? Einen Vorrath von Witz ver-
ſchuͤtten, der ſich tauſendmal erſchoͤpft (ſiehe
Fielding und andere) oder wie Homer, blind
das Publikum verachten und fuͤr ſich ſelber
ſingen? Der Schauſpieldichter hats beſſer,
wenn das Schickſal ſeine Wuͤnſche erhoͤren
wollte. Schlimmer, wenn es ſie nur halb
erhoͤrt. Werd ich geleſen und der Kopf iſt
ſo krank oder ſo klein, daß alle meine Pin-
ſelzuͤge unwahrgenommen vorbey ſchwim-
men, geſchweige in ein Gemaͤhlde zuſammen-
flieſſen — Troſt! ich wollte nicht geleſen
wer-
[33]
werden. Angeſchaut. Werd ich aber vor-
geſtellt und verfehlt — ſo moͤcht ich Palet
und Farben ins Feuer ſchmeiſſen, weit inni-
ger betroffen, als wenn eine Bethſchweſter-
geſellſchaft mich zum Boͤſewicht affterredet.
Bin ich denn ein Boͤſewicht? Und bin ich
denn — und ſchlag in die Haͤnde — was
ihr aus mir machen wollt?


Aber wie gewinnen koͤnnte ich (ſagt der
Kuͤnſtler) o welch ein herrlicherer Dank?
welch eine ſeligere Belohnung aller Muͤhe,
Furcht und Leiden, wie gar nichts Ehren-
ſaͤulen und Penſionen dagegen, zu denen der
Kuͤnſtler nie den Weg hat wiſſen wollen —
als meine Jdeen lebendig gemacht, realiſirt
zu ſehen. Zu ſehen das Ganze und ſeine
Wirkung wie ich es dachte — o ihr Befoͤr-
derer der Kuͤnſte! ihr Maͤcenen! ihr Augu-
ſte! non ſaginandi — nur Platz, unſer Schau-
ſpiel aufzufuͤhren und ihr ſollt Zuſchauer ſeyn.
Euer ganzes Volk. Da ihr im Angeſichte
eures ganzen Volks auf dem Theater der
Welt eure Rollen ſpielen muͤßt und ſich der
Nachruhm nicht beſtechen laͤßt — wo wollt
ihr euch verewigen als hier? Horatz ſchlug
das carmen lyricum vor, aber ſiehe, ich ſage
euch, euer Ruhm ſtirbt mit ſeinem Schall,
bleibt ſelber nur Schall, nie in Anſchauen,
nie in Bewegungen des Herzens verwan-
Anm. uͤb. Theat. Cdelt.
[34]
delt. Caͤſar iſt in Rom ſo nie bedauert
worden, als unter den Haͤnden Shakeſpears.


Wir ſehen alſo, was der dramatiſche
Dichter vor dem epiſchen gewinnt, wie kuͤr-
zern Weg zum Ziel, ſein groſſes Bild le-
bendig zu machen, wenn er nur ſichere
Hand hat, in der Puls der Natur ſchlaͤgt,
vom goͤttlichen Genius gefuͤhrt. Richter
der Lebendigen und der Todten. — Er
braucht die Sinne nicht mit Witz und Flit-
tern zu feſſeln, das thut der Dekorationen-
mahler fuͤr ihn, aller Kunſtgriffe uͤberhoben,
ſchon eingeſchattet von dem magiſchen Licht,
auf das jener ſo viel Koſten verſchwendet,
fuͤhrt er uns dahin, wo er wollte, ohne
andern Aufwand zu machen, als was er ſo
gern aufwendet, ſein Genie. Hundert Sa-
chen ſetzt er zum voraus, die ich hier nicht
nennen mag — und wie hoͤher muß er flie-
gen! Ach mir, daß ich die Geheimniſſe
unſerer Kunſt verrathen muß, den Flor weg-
ziehen, der ihren Reitz ſo ſchoͤn und ſcham-
haft in ſeine Falten zuruͤckbarg und doch viel-
leicht noch zu wenig verrathen habe. Heut
zu Tage, da man genieſſen will, ohne das
Maul aufzuthun, muß Venus Urania ſelbſt
zur Kokette werden — fort! Rache!


Da wir am Fundament des Ariſtoteli-
ſchen Schauſpiels ein wenig gebrochen und
mit
[35]
mit Recht befuͤrchten muͤſſen — ſo wollen
wirs am andern Ende verſuchen, auf das
Dach des franzoͤſiſchen Gebaͤudes klettern
und unſere geſunde Vernunft und Empfin-
dung fragen.


Was haben uns die Primaner aus den
Jeſuiterkollegien geliefert? Meiſter? Wir
wollen doch ſehen. Die Jtaliener hatten ei-
nen Dante, die Engellaͤnder Shakeſpearn,
die Deutſchen Klopſtock, welche das Thea-
ter ſchon aus ihrem eigenen Geſichtspunkt
anſahen, nicht durch Ariſtoteles Prisma.
Kein Naſeruͤmpfen, daß Dantens Epopee
hier vorkommt, ich ſehe uͤberall Theater drin,
bewegliches, Himmel und Hoͤlle, den Moͤnchs-
zeitenanalog. Da keine Einſchraͤnkungen
von Ort und Zeit, und freylich, wenn man
uns auf der Erde keinen Platz vergoͤnnen
will, muͤſſen wir wohl in der Hoͤlle ſpielen.
Was Shakeſpear und Klopſtock in ſeinem
Bardiet gethan, wiſſen wir alle, die Fran-
zoſen aber erſchrecken vor allem ſolchen Un-
ſinn, wie Voltaire wider den la Motte, der
im halben Rauſch was herlallt, von dem er
ſelbſt nicht Rechenſchaft zu geben weiß: Le
Francois ſont les premiers qui ont fait revivre
ces ſages regles de Theatre, les autres peu-
ples — Mais comme ce joug etoit juſte et
que la raiſon triomphe enfin de tout


C 2Man
[36]

Man braucht nicht lange zu beweiſen,
daß die franzoͤſiſchen Schauſpiele den Re-
geln des Ariſtoteles entſprechen, ſie haben
ſie bis zu einem Punkt hinausgetrieben, der
jedem Mann von geſunder Empfindung Her-
zensangſt verurſacht. Es giebt nirgend in
der Welt ſo gruͤbelnde Beobachter der drey
Einheiten: der willkuͤhrliche Knoten der
Handlung iſt von den franzoͤſiſchen Garn-
webern zu einer ſolchen Vollkommenheit be-
arbeitet worden, daß man ihren Witz in
der That bewundern muß, als welcher die
ſimpelſten und natuͤrlichſten Begebenheiten
auf ſo ſeltſame Arten zu verwirren weiß,
daß noch nie eine gute Komoͤdie auſſer Lan-
des iſt geſchrieben worden, die nicht von
funfzigen ihrer beſten Koͤpfe immer wieder
in veraͤnderter Geſtalt waͤre vorgezeigt wor-
den. Sie ſetzen, wie Ariſtoteles, den gan-
zen Unterſcheid des Schauſpiels darinn, daß
es vier und zwanzig Stunden waͤhrt und
ſuavi ſermone, ſiehe ſeine Definition. Das
Erzaͤhlen im Trauerſpiel und in der Epopee
iſt ihnen gleichguͤltig und ſie machen mit
dem Ariſtoteles die Charaktere nicht nur zur
Nebenſache, ſondern wollen ſie auch, wie
Madame Dacier gar ſchoͤn auseinanderge-
ſetzt hat, gar nicht einmal im Trauerſpiele
leiden. Ein Ungluͤck, daß die gute Frau
bey
[37]
bey Charakteren ſich immer Masken und
Fratzen dachte, aber wer kann davor?


Wenn alſo die franzoͤſiſchen Schauſpiele
groͤſtentheils nach den Regeln des Ariſtote-
les — und ſeiner Ausleger zugeſchnitten
ſind — wenn wir vorhin bey der Theorie
zu murren fanden, und bey der Ausuͤbung
hier gar — — was bleibt uns uͤbrig?
Was, als die Natur Baumeiſterin ſeyn zu
laſſen, wie Virgil die Dido beſchreibt.


Talis Dido erat, talem ſe laeta ferebat
Per medios, inſtans operi regnisque futuris.
Tum foribus divae media teſtudine templi
Septa armis, ſolioque alte ſubnixa reſedit
Iura dabat, legesque viris, operumque la-
borem
Partibus aequabat iuſtis —
()

Jſts nicht andem, daß Sie in allen fran-
zoͤſiſchen Schauſpielen (wie in den Roma-
nen) eine gewiſſe Aehnlichkeit der Fabel ge-
wahr werden, welche, wenn man viel gele-
ſen oder geſehn hat, unbeſchreiblich eckelhaft
wird. Ein offenbarer Beweis des Hand-
werks. Denn die Natur iſt in allen ihren
Wirkungen mannigfaltig, das Handwerk
aber einfach, und Athem der Natur und
Funke des Genies iſts, das noch unterwei-
len zu unſerm Troſt uns durch eine kleine
Abwechſelung entſchaͤdigt. Fuͤrchte nicht,
C 3liebes
[38]
liebes Publikum, wenn du die Daͤmme ſo
hoch aufziehſt, die Grenzen ſo weit ſteckſt,
von Dichterlingen uͤberſchwemmt zu werden.
Sie lieben das freye Feld nicht, ſie befin-
den ſich beſſer hinter den Auſſenwerken des
Handwerks. Es iſt keine Kleinigkeit, Schlin-
gen fuͤr die Herzen auszuwerfen, alle die tau-
ſend Koͤpfe wegzuzaubern und willig zu ma-
chen uns zu folgen. Die franzoͤſiſchen Jn-
triguen, deren ſie ganze Kramlaͤden voll ha-
ben, die ſie veraͤndern, bereichern, zuſam-
menflicken wie die Moden, werden ſie nicht
von Tage zu Tage unintereſſanter, abge-
ſchmackter? Es geht ihren Schauſpieldich-
tern wie den luſtigen Raͤthen in Geſellſchaf-
ten, die in der erſten halben Stunde ertraͤg-
lich, in der zweyten ſich ſelbſt wiederholen,
in der dritten von niemand mehr gehoͤrt wer-
den als von ſich ſelbſt. Hab ich doch letzt
eine lange Komoͤdie geſehen, die nur auf
einem Wortſpiel drehte. Ja wenn ſolche
trifles light as air von einem Shakeſpear be-
handelt werden, aber wenn die Jntrigue das
Weſen des Stuͤcks ausmacht, und die Ver-
wirrung beſteht in einem Wort, ſo iſt das
ganze Stuͤck ſo viel werth — als ein Wort-
ſpiel. Woher aber dieſe ſchimmernde Ar-
muth? Der Witz eines Shakeſpears er-
ſchoͤpft ſich nie und haͤtt’ er noch ſo viel Schau-
ſpiele geſchrieben. Sie kommt — erlauben
Sie
[39]
Sie mirs zu ſagen ihr Herren Ariſtoteliker! —
ſie kommt aus der Aehnlichkeit der handeln-
den Perſonen, partium agentium, die Man-
nigfaltigkeit der Charaktere und Pſychologien
iſt die Fundgrube der Natur, hier allein
ſchlaͤgt die Wuͤnſchelruthe des Genies an.
Und ſie allein beſtimmt die unendliche Man-
nigfaltigkeit der Handlungen und Begeben-
heiten in der Welt. Nur ein Alexander und
nach ihm keiner mehr, und alle Wuth der
Parallelkoͤpfe und Parallelbiographen wird
es dahin nicht bringen, eine vollkommen
getreue Kopie von ihm aufzuweiſen. Selbſt
die Parallelenſucht verraͤth die Leute und
macht einen beſondern Beſtimmungsgrund
ihrer Jndividualitaͤt.


Es iſt keine Kalumnie (ob in den Geſell-
ſchaften laß ich unentſchieden) daß die Fran-
zoſen auf der Scene keine Charaktere haben.
Jhre Helden, Heldinnen, Buͤrger, Buͤrge-
rinnen, alle ein Geſicht, eine Art zu denken,
alſo auch eine groſſe Einfoͤrmigkeit in den
Handlungen. Geeinzelte Karrikaturzuͤge in
den Luſtſpielen geben noch keine Umriſſe von
Charaktern, perſonificirte Gemeinplaͤtze uͤber
den Geitz noch keine Perſonen, ein kuͤtzlich-
tes Maͤdchen und ein Knabe, die allenfalls
ihre Rollen [umwechſeln] koͤnnten, noch keine
Liebhaber. Jch ſuchte Troſt in den ſogenann-
ten Charakterſtuͤcken, allein ich fand ſo viel
C 4Aehn-
[40]
Aehnlichkeit mit der Natur (und noch weni-
ger) als bey den Charaktermasken auf ei-
nem Ball.


Jhr ganzer Vorzug bliebe alſo der Bau
der Fabel, die willkuͤhrliche Zuſammenſetzung
der Begebenheiten, zu welcher Schilderey
der Dichter ſeine eigene Gemuͤthsverfaſſung
als den Grund unterlegt. Sein ganzes
Schauſpiel (ich rede hier von Meiſterſtuͤcken)
wird alſo nicht ein Gemaͤhlde der Natur,
ſondern ſeiner eigenen Seele. Und da haben
wir oft nicht die beſte Ausſicht zu hoffen.
Jſt etwas Saft in ihm, ſo finden wir doch
bey jeder Marionettenpuppe, die er her-
huͤpfen und mit dem Kopf nicken laͤßt, ſei-
nen Witz, ſeine Anſpielungen, ſeine Leiden-
ſchaften und ſeinen Blick. Nur in einen
willkuͤhrlichen Tanz komponirt, den ſie alle
eins nach dem andern abtanzen und hernach
ſich gehorſamſt empfehlen. Welcher Tanz
wie die Contretaͤnze ſo oft wieder von neuem
verwirrt, verſchlungen, verzettelt wird, daß
zuletzt Taͤnzer und Zuſchauer die Geduld ver-
lieren. Oder iſt der Kopf des Dichters ſchon
ausgetrocknet, ſo ſtoppelt er Schulbrocken
aus dem Lukan und Seneka zuſammen, oder
leiht vom Euripides und Plautus, die we-
nigſtens gelehrtes Verdienſt haben, und
bringt das in ſchoͤne flieſſende Verſe, ſuavi
ſermone.
Oder fehlt es ihm an allem, ſo
nimmt
[41]
nimmt er ſeine Zuflucht zu dem — franzoͤ-
ſiſchen Charakter, welcher nur einer — und
eigentlich das ſummum oder maximum aller
menſchlichen Charaktere iſt. Macht ſeinen
Helden aͤußerſt verliebt, aͤußerſt großmuͤthig,
aͤußerſt zornig, alles zuſammen und alles auf
einmal, dieſen Charakter ſtudiren alle ihre
Dichter und Schauſpieler unablaͤßig und ſtrei-
chen ihn wie das Rouge auf alle Geſichter
ohne Anſehen der Perſon.


Jch ſage, der Dichter mahlt das ganze
Stuͤck auf ſeinem eigenen Charakter (denn
der eben angefuͤhrte Fall ereignet ſich eigent-
lich nur bey denen, die ſelbſt gar keinen Fond,
keinen Charakter haben). So ſind Voltai-
rens Helden faſt lauter tolerante Freygeiſter,
Corneillens lauter Senekas. Die ganze
Welt nimmt den Thon ihrer Wuͤnſche an,
ſelbſt Rouſſeau in ſeiner Heloiſe, das beſte
Buch, das jemals mit franzoͤſiſchen Lettern
iſt abgedruckt worden, iſt davon nicht aus-
genommen. So ſehr er abaͤndert, ſo geſchickt
er ſich hinter die Perſonen zu verſtecken weiß,
die er auftreten laͤßt, ſo guckt doch immer,
ich kann es nicht laͤugnen, etwas von ſeiner
Peruͤcke hervor, und das wuͤnſcht’ ich weg,
um mich ganz in ſeine Welt hinein zu taͤu-
ſchen, in dem Pallaſt der Armide Nektar zu
ſchluͤrfen. Doch das im Vorbeygehen, zum
Theater zuruͤck. Voltaire ſelbſt hat eingeſe-
C 5hen,
[42]
hen, daß einer willkuͤhrlich zuſammengeſetz-
ten Fabel, die nur in den Wuͤnſchen des
Dichters (oft in ſeiner Gebaͤhrerinangſt und
Autorſucht) nicht in den Charakteren den
Grund hat, das Reizende und Anziehende
fehle, das uns auch nach befriedigter Neu-
gierde beym zweyten Anblick unterhalten
und naͤhren kann, er ſucht alſo dieſes wie
eine geſchickte Kokette durch aͤuſſern Putz zu
erhalten. Die Diktion, die Symmetrie und
Harmonie des Verſes, der Reim ſelbſt, fuͤr
den er faſt zum Maͤrtyrer wird. Pradon
und Racine hatten eine Phaͤdra geſchrieben.
La conduite de ces deux ouvrages, ſagt er,
eſt a peu près la même. Il y - a pluſ. Les
perſonnages des deux pieces ſe trouvant dans
les mêmes ſituations, diſent preſque les mê-
mes choſes; mais c’eſt là qu’on diſtingue le
grand homme et le mauvais poëte, c’eſt lors-
que Racine et Pradon penſent de même, qu’ils
ſont les plus differens.
Merken Sie wohl,
Racine et Pradon. Hier ſteht alſo nur Racine
auf der Buͤhne und dort nur Pradon. Aber
haben wir denn die beyden Herren hervor-
gerufen? Sie haͤtten immer warten koͤnnen,
bis das Stuͤck zu Ende war.


Zugegeben, daß bey einer maͤßigen Por-
tion allgemeiner Kenntniß des menſchlichen
Herzens dieſe Zunft auch Leidenſchaften, et-
was mehr als Neugier zu erregen wuͤſte, da
doch
[43]
doch gemeinhin die warme Einbildungskraft
des Zuſchauers bey den ſchoͤn aufgeputzten
Worten wie beym Putz einer Hure das beſte
dazu thun muß — unterſuchen Sie ſich,
meine Herren! wenn Sie aus dem Schau-
ſpielhauſe fortgehen, was iſt das Reſiduum
davon in Jhrer Bruſt? Dampf, der ver-
raucht, ſobald er an die Luft kommt. Sie
merkten dem Dichter das Kunſtſtuͤck ab, Sie
ſahen ihm auf die Finger, es iſt doch nur
eine Komoͤdie, ſagen Sie und wer war die
in der zweyten Loge? Was gilts, Sie grei-
fen ſich gar an Kopf, wenn Sie aufmerkſam
zugeſehen haben, und ich ſage Jhnen im
Vertrauen, daß ein ſolches Stuͤck in vollem
Ernſt den Kopf des Zuſchauers mehr an-
greift als den Kopf des Komoͤdianten und
Poeten zuſammengenommen. Denn er muß
das hinzudenken, was —


Ja wenn noch hinter jedem Stuͤck der
Autor in ſelbſt eigener Perſon auftraͤte, ein
examen anſtellte, remarques machte, die Wahr-
ſcheinlichkeit ſeiner Erfindungen und Traͤume
plaidirte und Sie ſo per ſyllogismum dahin
braͤchte, zu bekennen, ſein Stuͤck ſey ſchoͤn.
So aber bleibt man noch immer im Zweifel
und das iſt das aͤrgſte, was man aus einem
Stuͤck nach Hauſe tragen kann.


Daß ich dieſes trockene Stuͤck Raͤſonne-
ment mit einem Naͤgelchen ſpicke, will ich —


Vol-
[44]

Voltaire und Shakeſpear wetteiferten einſt
um den Tod des Caͤſars. Die ganze Stadt
weiß davon. Jch moͤchte ſagen, ein kleiner
Vogel verbarg ſich einſt unter die Fluͤgel ei-
nes Adlers, darnach ſatzt’ er ihm auf den
Ruͤcken und dann: Quo me Bache rapis tui
plenum?
Hernach, die Hiſtorie iſt luſtig,
klatſcht’ ein beruͤhmter Kunſtrichter in die
Haͤnde: il noſtro poeta ha fatto quel uſo di
Shakeſpeare che Virgilio faceva di Ennio.
Nur
moͤchte man beherzigen, mit wie vieler Vor-
ſicht — und daß er blos den Ernſt der En-
gellaͤnder auf die vaterlaͤndiſche Buͤhne ge-
bracht, nicht aber ihre Wildheit. Dawider
haͤtt’ ich nun nichts einzuwenden, wenn man
mir erlaubt, die Vorſicht, durch Ohnmacht
zu uͤberſetzen, den harten Ausdruck ferocitá,
durch Genie, und die Moral drunter ſchrei-
be: Wenn der Fuchs die Trauben nicht lan-
gen kann —


Jn eine ausfuͤhrliche Parallele des Ju-
lius Caͤſar und des la mort de Caeſar mag
ſich ein anderer einlaſſen — nicht den bey-
derſeitigen Bau der Fabel, Gruppirung der
Charaktere, Vorbereitung und Schwingung
der Situationen — nichts von der Portia
ſagen, die V. nicht wuͤrdig fand — nichts
von der nahen Blutsfreundſchaft zwiſchen
Caͤſar und Brutus, die er wie einen blauen
Lappen aufs gruͤne Kleid — bloß beyde Dich-
ter
[45]
ter an den Stellen zuſammenhalten, wo ſie
eine und dieſelbe Perſon in einer und derſel-
ben Situation ſprechen laſſen, um zu zeigen,
lorſque Racine et Pradon penſent de même qu’ils
ſont les plus differens.


Es ſey der Monologe des Brutus als die
groſſe That noch ein Embryo in ſeinem Ge-
hirn lag, durchs Schickſal gereift ward, dann
durch alle Hinderniſſe brach und wie Miner-
va in voͤlliger Ruͤſtung geboren ward. Die-
ſen Gang eines groſſen Entſchluſſes in der
Seele hat V. — vielleicht nicht geſehen.
Erſt zum Shakeſpear, meine Herren! Sein
Brutus ſpaziert in einer Nacht, wo Him-
mel und Erde im Sturm untergehen wol-
len, gelaſſen in ſeinem Garten. Raͤth aus
dem Lauf der Sterne, wie nah der Tag iſt.
Kann ihn nicht erwarten, befiehlt ſeinem
Buben, ein Licht anzuzuͤnden. „Es muß
durch ſeinen Tod geſchehen: dafuͤr hab ich
fuͤr mein Theil nicht die geringſte Urſache,
aber um des Ganzen willen‟ — Philoſophirt
noch, berathſchlagt noch ruhig und kalt, der-
weile die ganze Natur der bevorſtehenden
Symfonie ſeiner Gemuͤthsbewegungen praͤ-
ambulirt. Lucius bringt ihm Zettel, die er
auf ſeinem Fenſter gefunden. Er dechiffrirt
ſie beym Schein der Blitze. „Rede — ſchla-
ge — verbeßre — du ſchlaͤfſt‟ — ha er
reift, er reift der fuͤrchterliche Entſchluß
„Rom!
[46]
„Rom! ich verſprech’ es dir.‟ Lucius ſagt
ihm, morgen ſey der 15te Merz, der Kroͤ-
nungstag Caͤſars. Brutus ſchickt ihn her-
aus. Jetzt das Wehgeſchrey der Gebaͤhre-
rin, wie in kurzen, entſetzlichen Worten:
„Zwiſchen der Ausfuͤhrung einer furchtbaren
That und ihrer Empfaͤngniß iſt die ganze
Zwiſchenzeit wie ein ſchreckenvoller Traum:
der Genius und die ſterblichen Werkzeuge
ſind alsdann in Berathſchlagung und die in-
nere Verfaſſung des Menſchen gleicht einem
Koͤnigreich, das von allgemeiner Empoͤrung
gaͤhrt (Wiel. Ueberſ.) Lucius meld’t die Zu-
ſammenverſchwornen — nun iſts da — die
ganze Art — ſie ſollen kommen — der Em-
pfang iſt kurz, Helden anſtaͤndig, die auf
gleichen Thon geſtimmt, ſich auf einen Wink
verſtehen. Caſſius will, ſie ſollen ſchwoͤren
(die ſchwindlichte Cholera) Brutus‟ Keinen
Eid! Wenn Schickſal des menſchlichen Ge-
ſchlechts, tiefes Gefuͤhl der ſterbenden Frey-
heit zu ſchwache Bewegungsgruͤnde ſind, ſo
gehe jeder wieder in ſein Bette — was ſoll
ich hier abſchreiben, Sie moͤgens ſelber le-
ſen, das laͤßt ſich nicht zerſtuͤcken. „Junge!
Lucius! ſchlaͤfſt du ſo feſte?‟ Wer da nicht
Addiſons Seraph auf Fluͤgeln des Sturm-
winds Goͤtterbefehle ausrichtend gewahr
wird — wem die Wuͤrde menſchlicher Natur
nicht dabey im Buſen aufſchwellt und ihm
den
[47]
den ganzen Umfang des Worts: Menſch —
fuͤhlen laͤßt —


Laßt uns den franzoͤſiſchen Brutus beſu-
chen!


Schon im erſten Akt hat er Caͤſarn ſei-
ne ganze Herzensmeynung entdeckt, ſagt ihm
ins Geſicht, er ſey ein groͤſſerer Feind der
Roͤmer, als die Parther, er verabſcheue ſei-
ne Zaͤrtlichkeit, im zweyten Akt faͤngt er gleich
an auf Antonius zu ſchimpfen, der weiter
nichts von ihm verlangte als eine Unterre-
dung mit Caͤſarn und Antonius, oder viel-
mehr — ſchimpft wieder auf die Roͤmiſche
Tugend: Tu veux être un heros, mais tu n’eſt
qu’un barbare,
geht drauf ganz boshaft fort
und nun — merken Sie auf, wie die Cham-
pagnerbouteille aufbrauſt, nachdem der Zap-
fen heraus iſt: Quelle baſſeſſe (Brutus) o
ciel! et quelle ignominie, Voila donc tes ſou-
tiens
(bis auf den letzten Tropfen) Voila vos
ſucceſſeurs Horace, Decius
(kurz er ruft alle Hel-
den des alten Roms in Chronologiſcher Ord-
nung um Beyſtand an und Pompejus er-
hoͤrt ihn in loco.) Que vois je grand Pom-
pée — Tu dors Brutus — Rome mes yeux
ſur toi ſeront toujours ouverts
(ein Wortſpiel)
Mais quel autre billet (ey ey alle auf einmal
und auf einem Flecken. Wir kamen alle auf
den Einfall, Pompejens Statue damit zu
behaͤngen — und wahrſagten, daß er ſie da
fin-
[48]
finden wuͤrde. So muß man die Geſchichte
verſchoͤnern. Das Fenſter — wie gemein!
aber Pompejus Statue — warum ſie ihm
nicht lieber in Mund geſteckt, wie die alten
Mahler ihre Zettel?


Nun kommen die Zuſammenverſchwor-
nen zu ihm. Cimber ſetzt die Epiſche Trom-
pete an den Mund, wer Luſt hat, mag ſei-
ne Deklamation mit der Erzehlung des Caſ-
ca im S. vergleichen. Nun was thut Caſ-
ſius drauf? er predigt, und Brutus macht
eine feine kritiſchphiloſophiſche Gloſſe zum
Lebenslauf des alten Cato aus Utika. Sa
mort fut inutile — eſt c’eſt la ſeule faute ou
tomba ce grand homme.
Nun geht das pre-
digen auf zwey Seiten fort, jeder ſagt mit
andern Worten, was der andere vor ihm ge-
ſagt, auf einmal ereifert ſich Brutus jaͤh-
ling, weil der Akt bald zu Ende geht: Ju-
rez donc,
ſagt er, avec moi, jurez, ſagt er,
ſur cette epée, par le ſaug de Caton (obſchon
er einen Bock damals gemacht) par celui de
Pompée,
und Caſſius ſchwoͤrt mit ihm und
Brutus tritt zur Statue des Pompejus und
ſchwoͤrt wieder und — haben Sie genug, meine
Herren? — allons preparons nous, c’eſt trop
nous arreter.


Was kann ich davor? — — Soll ich
Jhnen noch die Leichenreden gegeneinander
halten? — Jch denke, ich habe ſchon zu
viel
[49]
viel geſagt, und, wenn mir dieſe chymiſche
Metapher erlaubt iſt, man darf nur von je-
dem einige Tropfen in die Solution thun,
um zu ſehen, welches Acidum das ſtaͤrkere
iſt und das andere zum Recipienten heraus-
jagt. Doch da es Geſchoͤpfe und Leſer von
allen Arten giebt, ſo muͤſſen auch Schrift-
ſteller — aber Signor Conte, daß Sie als
ein ſo aufgeklaͤrter Kunſtrichter: il noſtro
Poeta ha fatto quel uſo di Shakeſpeare che Vir-
gilio faceva di Ennio — quo nunc ſe proripit
ille?


Virg.


Noch ein Paar Worte uͤbern Ariſtoteles.
Daß er grade im Trauerſpiele, wo auf
die handelnden Perſonen alles ankommt, das
die Epopee dramatiſirt, heißen koͤnnte, den
Charakteren ſo wenig giebt, wundert mich,
koͤnnt’ ich nicht reimen, wenn ich nicht den
Grund davon tiefer faͤnde, in nichts weni-
ger als dem ἢϑος der Schauſpiele.


Die Schauſpiele der Alten waren alle ſehr
religioͤs, und war dies wohl ein Wunder,
da ihr Urſprung Gottesdienſt war. Da
nun fatum bey ihnen alles war, ſo glaub-
ten ſie eine Ruchloſigkeit zu begehen, wenn
ſie Begebenheiten aus den Charakteren be-
Anm. uͤb. Theat. Drech-
[50]
rechneten, ſie bebten vor dem Gedanken zu-
ruͤck. Es war Gottesdienſt, die furchtbare
Gewalt des Schickſals anzuerkennen, vor
ſeinem blinden Deſpotismus hinzuzittern.
Daher war Oedip ein ſehr ſchickliches Sujet
fuͤrs Theater, einen Diomed fuͤhrte man
nicht gern auf. Die Hauptempfindung, wel-
che erregt werden ſollte, war nicht Hochach-
tung fuͤr den Helden, ſondern blinde und
knechtiſche Furcht vor den Goͤttern. Wie
konnte Ariſtoteles alſo anders: ſecundum au-
tem ſunt mores.
Jch ſage, blinde und knech-
tiſche Furcht, wenn ich als Theologe ſpreche.
Als Aeſthetiker, war dieſe Furcht das ein-
zige, was dem Trauerſpiele der Alten den
haut gout, den Bitterreiz gab, der ihre Lei-
denſchaften allein in Bewegung zu ſetzen
wuſte. Von jeher und zu allen Zeiten ſind
die Empfindungen, Gemuͤthsbewegungen
und Leidenſchaften der Menſchen auf ihre
Religionsbegriffe gepfropfet, ein Menſch oh-
ne alle Religion hat gar keine Empfindung
(weh ihm!) ein Menſch mit ſchiefer Reli-
gion ſchiefe Empfindungen und ein Dichter,
der die Religion ſeines Volks nicht gegruͤn-
det hat, iſt weniger als ein Meßmuſikant.


Was wird nun aus dem Oedip des Herrn
Voltaire, aus ſeinem impitoyables dieux, mes
crimes ſont les votres.
Gott verzeihe mir, ſo
oft ich das gehoͤrt, hab ich meinen Hut an-
daͤchtig zwiſchen beyde Haͤnde genommen,
und
[51]
und die Gnade des Himmels fuͤr den armen
Schauſpieler angefleht, der Gotteslaͤſterun-
gen ſagen mußte, weil er ſie gelernt hatte.
Und was beym Griechen mein ganzes Mit-
leiden aus der Bruſt herausgeſchluchſt ha-
ben wuͤrde, macht beym Franzoſen mein
Herz fuͤr Abſcheu zum Stein. Wer? was?
Oedip? iſt das geſchehen? Wenn es geſche-
hen iſt, warum bringt ihrs auf die Buͤhne
wie es geſchah, nicht vielmehr, wie Ariſto-
teles ſelber verlangt, wie es geſchehen ſoll-
te. Bey dem Griechen ſollte Oedip ein
Monſtrum von Ungluͤck werden, weil Joka-
ſta durch ihren Fuͤrwitz Apolln geaͤrgert, die
Ehrfurcht vor ihm aus den Augen geſetzt.
Aber bey dem Franzoſen haͤtt’ er ſein Un-
gluͤck verdienen ſollen, oder fort von der
Buͤhne. Wenigſtens mußt du mir ein Brett
zuwerfen, Dichter, woran ich halten kann,
wenn du mich auf dieſe Hoͤhe fuͤhrſt. Jch
fordre Rechenſchaft von dir. Du ſollſt mir
keinen Menſchen auf die Folter bringen, oh-
ne zu ſagen warum.


Damit wir nun, unſern Religionsbegriffen
und ganzen Art zu denken und zu handeln ana-
log, die Graͤnzen unſers Trauerſpiels richtiger
abſtecken, als bisher geſchehen, ſo muͤſſen wir
von einem andern Punkt ausgehen, als Ari-
ſtoteles, wir muͤſſen, um den unſrigen zu neh-
men, den Volksgeſchmack der Vorzeit und un-
ſers Vaterlandes zu Rathe ziehen, der noch
D 2heut
[52]
heut zu Tage Volksgeſchmack bleibt und bleiben
wird. Und da find ich, daß er beym Trauer-
ſpiele oder Staatsaktion, iſt gleich viel, immer
drauf losſtuͤrmt (die Aeſthetiker moͤgens hoͤren
wollen oder nicht) das iſt ein Kerl! das ſind
Kerls! bey der Komoͤdie aber iſts ein anders.
Bey der geringfuͤgigſten drollichten, poſſirli-
chen unerwarteten Begebenheit im gemeinen
Leben rufen die Blaffer mit ſeitwaͤrts verkehr-
tem Kopf: Komoͤdie! Das iſt eine Komoͤdie!
aͤchzen die alten Frauen. Die Hauptempfin-
dung in der Komoͤdie iſt immer die Begeben-
heit, die Hauptempfindung in der Tragoͤdie iſt
die Perſon, die Schoͤpfer ihrer Begebenheiten.


Alſo ganz und gar wider Madame Dacier
in ihrer Vorrede zum Terenz, der ich bey dieſer
Gelegenheit hoͤflichſt die Haͤnde kuͤſſe.


Das Trauerſpiel bey uns war alſo nie wie
bey den Griechen das Mittel, merkwuͤrdige
Begebenheiten auf die Nachwelt zu bringen,
ſondern merkwuͤrdige Perſonen. Zu jenem
hatten wir Chroniken, Romanzen, Feſte, zu
dieſem Vorſtellung, Drama. Die Perſon mit
all ihren Nebenperſonen, Jntereſſe, Leiden-
ſchaften, Handlungen. Und war ſie todt, ſo
ſchloß das Stuͤck, es muͤßte denn noch ihr Tod
Wuͤrkungen veranlaßt haben, die auf die Per-
ſon ein noch helleres Licht zuruͤckwuͤrfen. Daher
fuͤhren uns unſere aͤlteſten Schauſpieldichter
oft in einem Akt ohne Anſtoß durch verſchiede-
ne Jahre fort, ſie wollen uns die ganze Perſon
in
[53]
in allen ihren Verhaͤltniſſen zeigen, ja Hanns
Sachſe findt ſo wenig Bedenklichkeiten drin,
ſeine geduldige Griſelda in einem Auftritte
freyen, heyrathen, ſchwanger werden und ge-
baͤhren zu laſſen, daß er vielmehr im Prolog
ſeine Zuſchauer fuͤr der allzuſtarken Jlluſion
warnet und ihnen auf ſein Ehrenwort verſi-
chert, daß alle Sachen ſo eingericht, daß kei-
nem Menſchen ein Schaden geſchicht. Woher
das Zutrauen zu der Einbildungskraft ſeines
Publikums? Weil er ſicher war, daß ſie ſich
aus der nehmlichen Abſicht dort verſammlet
hatten, aus der er aufgetreten war, ihnen ei-
nen Menſchen zu zeigen, nicht eine Viertel-
ſtunde.


So iſts mit den hiſtoriſchen Stuͤcken Sha-
keſpears: hier moͤchte ich Charakter ſtuͤcke
ſagen, wenn das Wort nicht ſo gemisbraucht
waͤre. Die Mumie des alten Helden, die der
Biograph einſalbt und ſpezereyt, in die der
Poet ſeinen Geiſt haucht. Da ſteht er wieder
auf, der edle Todte, in verklaͤrter Schoͤne geht
er aus den Geſchichtbuͤchern hervor und lebt
mit uns zum andernmahle. O wo finde ich
Worte, dieſe herzliche Empfindung fuͤr die auf-
erſtandenen Todten anzudeuten — und ſoll-
ten wir ihnen nicht mit Freuden nach Alexan-
drien, nach Rom, in alle Vorfallenheiten ih-
res Lebens folgen und das: ſeelig ſind die Au-
gen, die dich geſehen haben, nun fuͤr uns be-
halten? Habt ihr nicht Luſt ihnen zuzuſehen,
D 3mei-
[54]
meine Herren? Jn jeder ihrer kleinſten Hand-
lungen, Schickſalswechſel und Lebensſtoͤſſen?
Jn ihrer immer regen Gegenwuͤrkung und Gei-
ſtesgroͤſſe? Weilt ihr lieber an der Moorla-
che, als an der gruͤnen See in unausloͤſchli-
cher Bewegung und dem hellen Felſen mitten
inn? Ja, meine Herren! wenn Sie den Hel-
den nicht der Muͤhe werth achten, nach ſeinen
Schickſalen zu fragen, ſo wird Jhnen ſein
Schickſal nicht der Muͤhe werth duͤnken, ſich
nach dem Helden umzuſehen. Denn der Held
allein iſt der Schluͤſſel zu ſeinen Schickſalen.


Ganz anders iſts mit der Komoͤdie. Mei-
ner Meynung nach waͤre immer der Hauptge-
danke einer Komoͤdie eine Sache, einer
Tragoͤdie eine Perſon. Eine Misheurath,
ein Fuͤndling, irgend eine Grille eines ſeltſa-
men Kopfs (die Perſon darf uns weiter nicht
bekannt ſeyn, als in ſo fern ihr Charakter die-
ſe Grille, dieſe Meynung, ſelbſt dieſes Syſtem
veranlaßt haben kann: wir verlangen hier nicht
die ganze Perſon zu kennen.) Sehen Sie,
meine Herren, das waͤre ſo meine Meynung
uͤber Shakeſpears Komoͤdien — und alle Ko-
moͤdien, die geſchrieben ſind und geſchrieben
werden koͤnnen. Die Perſonen ſind fuͤr die
Handlungen da — fuͤr die artigen Erfolge,
Wirkungen, Gegenwirkungen, ein Kreiß her-
umgezogen, der ſich um eine Hauptidee dreht —
und es iſt eine Komoͤdie. Ja warlich, denn
was ſoll ſonſt Komoͤdie in der Welt ſeyn? Fra-
gen
[55]
gen Sie ſich und andere! Jm Trauerſpiele
aber ſind die Handlungen um der Perſon wil-
len da — ſie ſtehen alſo nicht in meiner Ge-
walt, ich mag nun Pradon oder Racine heiſſen,
ſondern ſie ſtehen bey der Perſon, die ich dar-
ſtelle. Jn der Komoͤdie aber gehe ich von den
Handlungen aus, und laſſe Perſonen Theil
dran nehmen welche ich will. Eine Komoͤdie
ohne Perſonen intereßirt nicht, eine Tragoͤdie
ohne Perſonen iſt ein Widerſpruch. Ein Un-
ding, eine oratoriſche Figur, eine Schaumbla-
ſe uͤber dem Maul Voltairens oder Corneillens
ohne Daſeyn und Realitaͤt — ein Wink macht
ſie platzen.


— — Das waͤrs nun, meine Herren! ich
bin muͤde, Jhnen mehr zu ſagen. Aber weil
doch jeder Rauch machen muß, der ſich unter-
ſtehen will, ein Feuer anzuzuͤnden. Jch bin
gewiß, daß es noch lange nicht genug war, Auf-
merkſamkeit rege zu machen — nichts deſto
weniger ſtraft mich mein Gewiſſen doch, daß ich
ſchon zu viel geſagt. Denn es iſt ſo eine ver-
druͤßliche Sache, von Dingen zu ſchwaͤtzen, die
ſich nur ſehen und fuͤhlen laſſen, uͤber die nichts
geſagt ſeyn will — qui hedera non egent. Haͤtt
ich nur mit dieſen Anmerkungen das ausgerich-
tet, was Petronius in ſeinem Gaſtmahl des
Trimalchion von — daß die Roͤmer zwiſchen
den ungeheuren Mahlzeiten der Saturnalien
ſich eines Brechmittels, auch wohl ſchnellwir-
kenden Purganz bedient, um ſich neuen Appetit
zu ſchaffen.


D 4Wer
[56]

Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit
einem bisher unuͤberſetzten — Volksſtuͤck —
Komoͤdie von Shakeſpearn aufwarten. — —
Seine Sprache iſt die Sprache des kuͤhnſten
Genius, der Erd und Himmel aufwuͤhlt, Aus-
druck zu den ihm zuſtroͤmenden Gedanken zu
finden. Menſch, in jedem Verhaͤltniß gleich
bewandert, gleich ſtark, ſchlug er ein Theater
fuͤrs ganze menſchliche Geſchlecht auf, wo jeder
ſtehn, ſtaunen, ſich freuen, ſich wiederfinden
konnte, vom oberſten bis zum unterſten. Sei-
ne Koͤnige und Koͤniginnen ſchaͤmen ſich ſo we-
nig als der niedrigſte Poͤbel, warmes Blut im
ſchlagenden Herzen zu fuͤhlen, oder kuͤtzelnder
Galle in ſchalkhaftem Scherzen Luft zu machen,
denn ſie ſind Menſchen, auch unterm Reifrock,
kennen keine Vapeurs, ſterben nicht vor un-
ſern Augen in muͤßiggehenden Formularen da-
hin, kennen den toͤdtenden Wohlſtand nicht.
Sie werden alſo hier nicht ein Stuͤck ſehen, daß
den und den, der durch Augenglaͤſer bald ſo,
bald ſo, verſchoben drauf loßguckt, allein in-
tereßirt, ſondern wer Luſt und Belieben traͤgt,
jedermann, bringt er nur Augen mit und ei-
nen geſunden Magen, der ein gutes ſpasmati-
ſches Gelaͤchter — — doch ich vergeſſe hier,
daß ich nicht das Original, ſondern — eheu
diſcrimina rerum
— meine Ueberſetzung an-
kuͤndige — mag er immerhin auftreten, mein
Herkules, waͤr’s auch im Hemd der Dejani-
ra — —


AMOR
[[57]]

AMOR VINCIT OMNIA.*)
Ein Stuͤck
von
Shakeſpearn.


[[58]][59]

Erſter Akt.


Erſte Scene.


Koͤnig. Biron. Longaville. Duͤmain.

Koͤnig.

Der Ruhm, dem ſo viel ihr Leben wey-
hen, ſoll unſer Grab uͤberleben, laßt uns
zum Trotz des groſſen fraͤßigen Raben Zeit,
uns um dieſen Ruhm bewerben, welcher deſ-
ſen ſcharfen Raubſchnabel ſtumpf und uns zu
Erben einer ganzen Ewigkeit machen kann.
Daher, brave Ritter! Krieg ſey angekuͤn-
digt den Affekten und dem furchtbaren Heer
der Vergnuͤgungen, Navarra das Wunder
der Welt, unſer Hof eine kleine Akademie,
der Betrachtung und den Kuͤnſten geheiligt.
Biron, Duͤmain, Longaville, meine Schul-
kameraden, ihr habt einen Eid gethan, die-
ſe drey Jahre mit mir die Statuten heilig
zu beobachten, die auf dieſem Zettel ſtehen:
wohlan, ſeyd ihr jetzo ſo bearmt, als ihr
vorhin bemault wart, ſo unterſchreibt nun
eure Namen, damit der, welcher auch nur
den kleinſten drin enthaltenen Punkt uͤber-
ſchreitet, ſich hiemit zum voraus gleichſam
unehrlich mache und ſelber den Stab breche.


Lon-
[60]
Longaville.

Jch bin entſchloſſen. Es
iſt nur ein dreyjaͤhriges Feſtin, das wir un-
ſerm Geiſte geben, derweile das Fleiſch lei-
det. Fette Waͤnnſte haben magere Koͤpfe,
und Leckerbiſſen bereichern die Ribben, aber
machen den Verſtand bankerut.


Duͤmain.

Theureſter Souverain! Duͤ-
main iſt den Vergnuͤgungen der Welt laͤngſt
abgeſtorben, Liebe, Pracht, Ueberfluß ſind
mir leere Woͤrter, nur beym Namen der
Weltweisheit leb ich auf.


Biron.

Das iſt viel geſagt. Jch habe
geſchworen, mein Fuͤrſt, hier zu bleiben, drey
Jahr zu ſtudiren. Aber was die andern ſtren-
gen Regeln betrift, in der ganzen Zeit kein
Weibsbild anzuſehen, ich hoffe doch, daß das
nicht auf dem Zettel ſtehen wird, und denn,
einen Tag in der Woche zu faſten, und jeden
Tag nur eine Mahlzeit zu thun, ich hoffe doch,
das ſeltſame Zeug wird nicht ſchwarz auf
weiß da ſtehn und drey Stunden die Nacht
nur zu ſchlafen, da ich doch gewohnt bin, mei-
ne liebe lange Nacht an nichts arges zu den-
ken und oft den halben Tag mit dazu zu neh-
men. Jch hoffe doch, all das naͤrriſche Zeug
wird nicht mit auf dem Zettel ſtehn. Das
waͤre ja Feſtungsarbeit, der Henker hielte
das aus, nicht zu eſſen, nicht zu ſchlafen,
kein Maͤdchen zu ſehn.


Koͤnig.

Jhr habt geſchworen.


Biron.
[61]
Biron.

Verzeiht mir, theureſter Sou-
verain! ich ſchwur bloß, mit Eurer Maje-
ſtaͤt zu ſtudiren und drey Jahre an Eurem
Hofe zuzubringen.


Longaville.

Jhr ſchwurt das, Biron!
und das uͤbrige auch.


Biron.

Der Henker, ſo ſchwur ichs im
Scherz. Halt — wenn ihr denn ſo ſcharf
ſeyd, was iſt der Entzweck des Studirens,
ſagt mir einmal?


Koͤnig.

Das zu wiſſen, was wir noch
nicht wiſſen.


Biron.

Das heißt, alles, was dem
gewoͤhnlichen Menſchenverſtande unterſagt
iſt, nicht ſo?


Koͤnig.

Freilich! das iſt der Vorzug
des Fleiſſes.


Biron.

So kommt denn, ich will ſchwoͤ-
ren. Jch will zum Exempel ſtudiren, wie das
Eſſen ſchmeckt, an dem Tage, da es euch
unterſagt ſeyn wird zu eſſen, wie ein huͤb-
ſches Maͤdchen ausſehe, oder wie ein gar
zu harter Eyd zu brechen ſey. Alsdenn
weiß ich mehr als itzt, nicht wahr? und ſo
iſt der Entzweck meines Studirens erreicht.


Koͤnig.

Alle dieſe Dinge waren nur
Hinderniſſe, die unſern Trieb in ſeinem aͤch-
ten Lauf aufhielten und ihn in die Kanaͤle eit-
ler Ergoͤtzungen leiteten.


Biron.
[62]
Biron.

Alle Ergoͤtzungen ſind eitel, es
iſt wahr, aber die gelehrten am meiſten.
Da uͤber einem Buch ſchweben und das Licht
der Wahrheit ſuchen, das uns doch nur die
Augen thraͤnen macht. Licht mit einem Licht
ſuchen, betruͤgt uns oft um das Licht, das wir
haben. Studirt lieber, wie ihr dem Auge
Vergnuͤgen ſchaffen wollt, wenn ihrs auf
ein ander ſchoͤnes Auge heftet, wird es da
gleich geblendet, ſo wird ſich das andere
Auge ſeiner freundlich annehmen und es
wieder mit dem Lichte verſorgen, das es ihm
entzog. Die Wiſſenſchaften gleichen der
ſtrahlenden Sonne des Himmels, die nicht
mit zu verwegenen Blicken zu lange will
angeſehen werden. Wenig genug haben die
kontinuirlichen Gucker bis dato gewonnen,
hoͤchſtens das, was andere vor ihnen geſagt
haben. Dieſe irrdiſchen Gevattern des Him-
mels, dieſe Aſtronomen, die jedem Stern
gleich einen Namen an den Hals werfen,
haben nicht groͤſſern Gewinn von den ſchoͤ-
nen Naͤchten als der ehrliche Bauer, der
drunter umherſpaziert und viel weiß, was
ſie bedeuten. Nein nein, zu viel wiſſen,
heißt nichts wiſſen — als hoͤchſtens ſich
einen Namen zu machen, weil man andern
Dingen Namen geben kann.


Koͤnig.

Wie gelehrt wider die Gelehr-
ſamkeit!


Duͤmain.
[63]
Duͤmain.

Wie verſchlagen gegen die
Beſchlagenheit!


Longaville.

Er will einen Acker
beſaͤen und doch laͤßt er das Unkraut
wachſen.


Biron.

Die Geſſelchen haben keine Fe-
dern, doch muͤſſen ſie ſchon gackſen.


Duͤmain.

Wie paßt das hieher?


Longaville.

Jch ſehe keinen Sinn
drin.


Biron.

So hoͤr ich einen Reim drin.


Longaville.

Biron iſt wie ein neidi-
ſcher, beiſſender Froſt, der die neuaufgekeim-
ten Kinder des Fruͤhlings toͤdtet.


Biron.

Warum prahlt ihr dann mit
Bluͤthen, eh noch die Voͤgel angefangen zu
ſingen? Soll ich eurer Fehlgeburten ſcho-
nen? Jch verlange ſo wenig um Weihnach-
ten eine Roſe aufbluͤhen zu ſehen als in May-
blumen ſchneyen. Jedes Ding fuͤr ſeine Jahrs-
zeit, ſo ihr, jetzt iſts fuͤr euch zu ſpaͤt, das
heißt uͤbers Haus ſteigen um ein Fenſter
aufzumachen.


Koͤnig.

Gut, ſo bleibt drauſſen. Geht
heim Biron! Adieu.


Biron.

Nein, mein Fuͤrſt! ich habe ge-
ſchworen. Obſchon ich fuͤr die Barbarey ge-
ſprochen, ſo will ich doch halten was ich ſchwur.
Reicht mir euren Zettel, ich will ihn durch-
gehen und dann meinen Namen unterſchrei-
ben.


Koͤnig.
[64]
Koͤnig.

Du erſpahrſt dir einen großen
Schimpf.


Biron.
(lieſt)

„Daß eine ganze Meile im
Umkreiſe keine Weibsperſon meinem Hofe
nahen ſoll — — iſt das proklamiret wor-
den?


Longaville.

Seit vier Tagen ſchon.


Biron.

Und bei Strafe? — „ihre
Zunge zu verlieren? Wer gab die Strafe an.


Longaville.

Jch.


Biron.

Warum?


Longaville.

Weil es die aͤrgſte iſt, die
man ihnen drohen kann.


Biron.
(weiterleſend)

„Wenn eine Manns-
perſon innerhalb dieſer drey Jahre mit ei-
nem Weibe ſpricht, ſoll er eine ſo ſtrenge
oͤffentliche Beſchimpfung, als der Hof ohne
Stoͤhrung der allgemeinen Ruhe —‟


Dieſen Punkt, mein Fuͤrſt! ſeyd ihr ſelbſt
gezwungen zu brechen, denn ihr wißt, daß
die Prinzeſſin des Koͤnigs von Frankreich
unterwegens iſt, mit euch wegen der Ue-
bergabe von Aquitanien an ihren alten
Vater zu akkordiren. Dieſer Punkt waͤre
alſo null und nichtig, oder die ganze Reiſe
und der Auftrag der ſchoͤnſten aller Prin-
zeſſinnen — —


Koͤnig.

Was ſagt ihr dazu, Ritter?
Wahrhaftig, ich hatte es ganz und gar
vergeſſen?


Biron.
[65]
Biron.

Das ſind die edlen Fruͤchte
des Studirens, derweil ihr zu wiſſen ſtre-
bet was ihr wollt, vergeßt ihr druͤber was
ihr ſollt.


Koͤnig.

Hier zwingt uns die Noth, ei-
ne Ausnahme zu machen.


Biron.

So wird uns die Noth alle
zwingen, dreytauſend Ausnahmen in drey
Jahren zu machen. Jeder Menſch wird mit
ſeinen Trieben geboren, die durch nichts an-
ders als die Gnade bemeiſtert werden koͤn-
nen. Werd ich alſo meineidig, ſo hoff ich,
dies Wort Ew. Majeſtaͤt wird mir zu Gut
kommen, ich habs aus Noth gethan. So
will ich denn auch meinen Namen unter-
ſchreiben, aber im weitlaͤuftigern Sinn, die
andern Herren thatens im engern. Doch
hoff ich, ich werde der letzte ſeyn, der ſei-
nen Eid zu befingern anfangen wird, um
ihn nach und nach gar zu brechen. Aber
haben wir denn nicht die mindeſten Erho-
lungen bey unſerer Kopffrohn?


Koͤnig.

Jhr wiſſet, an unſerm Hofe
haͤlt ſich der ſcharfſinnige reiſende Spanier
auf, ein Mann, der mit den Sitten der
ganzen Welt geſtempelt iſt und ein ganzes
Muͤnzkabinet von neuen Worten in ſeinem
Hirnkaſten traͤgt. Deſſen Zunge von lauter
Harmonien erthoͤnt, ein Mann von oben
herab, immer entſcheidend, den Recht und
Anm. uͤb. Theat. EUn-
[66]
Unrecht zum Schiedsrichter aller ihrer Katz-
balgereyen ſcheinen auserſehen zu haben.
Dieſer Sohn der Fantaſey, der hohe Ar-
mado, ſoll zur Ausfuͤllung unſerer Neben-
ſtunden uns Rittergeſchichte erzehlen, wie
er euch gefallen wird, weiß ich nicht, ge-
nug ich habe meine Freude daran, ihn luͤ-
gen zu hoͤren.


Biron.

O Armado iſt ein Mann von
Wichtigkeit.


Longaville.

Wenn Coſtard, der Narr,
dazu kommt, ſo werden uns die drey Jahr
nur gar zu geſchwinde vergehen.


Zweyte Scene.


Coſtard. Dull zu den vorigen.

Dull.

Wo iſt des Herzogs eigene Per-
ſon?


Biron.

Hier, Burſche! was verlangſt du?


Dull.

Jch praͤſentire ſelber des Herzogs
Perſon, denn ich bin Sr. Herrlichkeit Con-
ſtabel, aber ich wollte des Herzogs Perſon
in Fleiſch und Blut ſehen.


Koͤnig.

Hier bin ich.


Dull.

Herr Arme ſchickt mich: es ſteht
nicht recht drauſſen. Dieſer Brief wird euch
mehr ſagen.


Co-
[67]
Coſtard.

Von mir iſt die Rede.


Koͤnig.

Ein Brief vom hohen Armando.


Biron.

Der Jnhalt wird niedrig genug
ſeyn.


Coſtard.

Von mir iſt die Rede, von mir
und Jakobinen. Die Art, wie ich mit ihr
ergriffen bin — —


Biron.

Auf was fuͤr Art?


Coſtard.

Auf folgende Art und Weiſe,
Herr! alles dreyes zuſammen. Vors erſte
die Art, daß er mich geſehn hat mit ihr in
des Meyers Hauſe ſitzen, auf dieſe Weiſe und
zum dritten das folgende, daß er mich geſe-
hen hat, wie ich ihr in den Garten folgte.
Nun was die Art anbelangt, Herr, ſo iſt es
die Art von einem Kerl, daß er mit ſeinem
Maidel ſpricht.


Biron.

Aber die Folgen, guter Coſtard.


Coſtard.

Ja ja, das folgende, he he he,
Gott mag dem Recht beyſtehen.


Koͤnig.

Wollt ihr den Brief hoͤren?


Biron.

Wie ein Orakel.


Coſtard.

O ihr einfaͤltige Leut!


Koͤnig.
(lieſt)

Groſſer Abgeordneter!
Vicekoͤnig des Himmels, einziger Herrſcher
in Navarra, meiner Seele Erdgott und mei-
nes Koͤrpers pflegender Patron!


Coſtard.

Sagt er nichts von Coſtard
noch?


Koͤnig.
(lieſt)

„So iſt es —


E 2Co-
[68]
Coſtard.

Das glaub ich wohl, daß dem
ſo iſt, weil ers ſagt, muß es wohl —


Koͤnig.
(boͤſe)

Fried! —


Coſtard.

Sey mit allen, die nicht fech-
ten koͤnnen.


Koͤnig.

Kein Wort.


Coſtard.

Jch erſuch euch, leſt meine
Heimlichkeiten nicht laut.


Koͤnig
(lieſt)

„So iſt es. Belagert von
der miſtfarbenen Melankoley uͤbergab ich
dieſen ſchwarzdruͤckenden Humor der heilſa-
men Natur, und da ich ein Edelmann bin,
begab ich mich auf den Spaziergang. Die
Zeit wenn? um die fuͤnfte Stunde, wenn das
Vieh am emſigſten graſet, die Voͤgel picken
und der Menſch ſich niederſetzet zu der Nah-
rung, die da genannt iſt Abendbrod. So
viel fuͤr die Zeit. Nun fuͤr den Grund, war-
um? Der Grund, auf dem ich ſpazierte,
heißt der Park. Nun fuͤr den Ort, wo?
Wo ich antraf die obſcoͤne und ſehr verkehr-
te Scene, welche von meiner ſchneeweißen
Feder die ebenfaͤrbige Tinte herabzieht, die
du hier anſchaueſt, in Augenſchein nimmſt,
betrachteſt oder ſiehſt. Aber was den Ort
anbetrift, wo, ſo liegt er nordoſtwaͤrts, an
dem oſtoſtlichen Winkel deines kurieuſen Jrr-
gartens, da ſah ich und ſiehe, der niedrig-
denkende Narr, der elende Guͤnſtling deiner
Laune (Coſtard. Jch?) die ungelehrige
See-
[69]
Seele (Coſt. Jch?) der ſeichte Sklave (Coſt.
Jmmer ich?) der, wie ich mich erinnere,
ſich Coſtard (Coſt. Aha ich, ich —) zuge-
ſellt, deiner proklamirten hohen Verordnung
ſchnurſtracks entgegen, zu — ich leide zu
viel, wenn ich ſage zu wem —


Coſtard.

Zu meinem Menſch.


Koͤnig.
(fortleſend)

Zu einem Kinde un-
ſerer Großmutter Eva, oder um mich deut-
licher auszudruͤcken, zu einem Frauensbild.
Dieſen habe, der bewaͤhrten Pflicht meiner
Schuldigkeit gemaͤß, zu dir geſandt, den Lohn
ſeiner Strafe zu empfahen durch deiner Herr-
lichkeit Beamten Anton Dull, einem Mann
von gutem Ruf, Fuͤhrung, Auffuͤhrung und
Betragen.


Dull.

O zu viel Ehre, ich heiß Anton
Dull und kein Wort weiter.


Koͤnig.

Was Jakobinen, ſo heißt das
ſchwaͤchere Gefaͤß, anbetrift, ſo habe ſie als
ein Gefaͤß der Strenge der Geſetze angehal-
ten und ſie ſoll auf den kleinſten Wink dei-
nes Willens hieher zum Verhoͤr gebracht wer-
den. Dein in aller Ehrfurcht der devoteſten
Hitze der Ergebenheit Don Adriano von Ar-
mado.


Biron.

Nicht vollkommen ſo gut als ich
erwartete, aber doch beſſer als alles, was ich
von der Art hoͤrte.


E 3Koͤ-
[70]
Koͤnig.

Was ſagſt du dazu, Coſtard?


Coſtard.

Gnaͤdiger Herr, ich bekenn’
auf mein Menſch.


Koͤnig.

Haſt du meine Verordnung ge-
hoͤrt? Es war ein Jahr Gefaͤngnis darauf
geſetzt, mit einem Menſch angetroffen zu wer-
den.


Coſtard.

Gnaͤdiger Herr, ’s war kein
Menſch, ’s war eine Mamſell.


Koͤnig.

Gut, mit einer Mamſell.


Coſtard.

Es war eine Jungfer Jhro
Gnaden.


Koͤnig.

Das Geſetz gilt von den Jung-
fern auch.


Coſtard.

So laͤugne ich ihre Jungfer-
ſchaft, es war ein Maͤdel.


Koͤnig.

Das Maͤdel wird dir zu nichts
helfen, Narr. Du ſollſt eine Woche faſten
bey Waſſer und Brod.


Coſtard.

Jch haͤtte lieber ein Jahr ge-
bethet bey Schaffleiſch und Reiß.


Koͤnig.

Don Armado ſoll dein Kerker-
meiſter ſeyn. Biron! daß er ihm uͤbergeben
wird. Und wir wollen an unſere Arbeit ge-
hen.

(ab)

Biron.

Jch wollte meinen Kopf verwet-
ten, dieſe Verordnungen machen uns am En-
de noch alle zu Narren. (zu Coſtard) Komm.


Coſtard.

Jch leide fuͤr die Wahrheit,
Herr, denn wahr iſts, daß ich mit Jakobi-
nen
[71]
nen bin gegriffen worden und Jakobine iſt
wahr und wahrhaftig ein Maͤdel, alſo denn
willkommen du bitterer Trank der Freude,
und das Ungluͤck wird mich auch ſchon wie-
der einmal anlachen, und dann ſo lebet wohl
ihr meine Sorgen und ſo ferner.

(ab)

Dritte Scene.


Armado Hauß.
Armado. Mot, ſein Page.

Armado.

Junge, was bedeutets, wenn
ein Mann von groſſem Geiſt melankoliſch
wird?


Mot.

Es bedeutet ihm nichts guts, Herr,
es bedeutet, daß er ſauerſieht.


Armado.

Zartes Reiß! das iſt daſſelbe.


Mot.

Nein, Herr.


Armado.

Wie kannſt du ſauerſehen und
melankoliſch ſeyn von einander unterſcheiden,
zarter Junge?


Mot.

Ja ich unterſcheide ſie, zaͤher Herr.


Armado.

Warum nennſt du mich zaͤher
Herr?


Mot.

Warum nennen Sie mich zart?


Armado.

Das iſt ein ſchickliches Epi-
theton, den jungen Tagen beyzulegen. Wir
nennen das ein zartes Alter.


E 4Mot.
[72]
Mot.

Und ich nenne das ein zaͤhes.


Armado.

Wohl und ſchicklich.


Mot.

Wer, Herr? ich oder meine Reden?


Armado.

Du biſt wohl, obſchon klein.


Mot.

Alſo ein klein wenig wohl.


Armado.

Behender Junge.


Mot.

Soll das ein Lob ſeyn?


Armado.

Freilich!


Mot.

Jch will einen Aal ſo loben.


Armado.

Wie das?


Mot.

Er iſt behend.


Armado.

Jch ſage, du biſt behend im
Antworten, du machſt mich ungeduldig.


Mot.

Jch bin keine Antwort.


Armado.

Jch mag nicht widerſprochen
ſeyn.


Mot.

So hoͤrt auf zu reden, denn ihr wi-
derſprecht euch ſelber immer.


Armado.

Jch habe dem Herzog verſpro-
chen, mit ihm drey Jahr zu ſtudiren.


Mot.

Das koͤnnt ihr in einer Stunde
thun.


Arm.

Unmoͤglich!


Mot.

Wieviel iſt eins dreymahl genom-
men.


Arm.

Jch kann nicht rechnen, das iſt eine
Wiſſenſchaft fuͤr ſchlechte Leute.


Mot.

Jhr ſeyd ein Spieler.


Arm.

Freilich, das geht zu meinem Stan-
de.


Mot.
[73]
Mot.

So werdet ihr doch gewiß wiſſen,
wieviel’s macht, wenn ich zu einem Zweyer ei-
ne As thue.


Arm.

Es macht zwey mehr als eines.


Mot.

Und das nennt der Poͤbel drey.


Arm.

Es kann ſeyn.


Mot.

Alſo, Herr! iſt denn dazu Kopf-
brechens vonnoͤthen? Jhr habt nun die drey
ſtudirt, iſt auf der Welt Gottes nichts leich-
ter, ſetzt nun das Wort Jahr zu dem Wort
drey und ſtudirt die zwey Worte, das muͤſte
ja ein Tanzbaͤr koͤnnen, warum ihr nicht?


Arm.

Eine ſchoͤne Figur!


Mot.

Jch wills euch mit Zahlen aufſchrei-
ben.


Arm.

Hoͤr, ich will dirs nur geſtehn, ich
bin verliebt, und weil es niedrig fuͤr einen Hel-
den iſt verliebt zu ſeyn, ſo bin ich in ein nie-
driges Menſch verliebt. Wenn ich mich von
dieſen verworfenen Gedanken frey machen
koͤnnte, ich wollte mein Schwerdt ziehn, ſie
ſogleich zu Gefangenen machen und gegen fran-
zoͤſiſche Galanterie austauſchen. Jch ſchaͤme
mich zu ſeufzen, ich moͤchte den Kupido gern
beſchwoͤren. Troͤſte mich, Junge! was fuͤr
groſſe Leute ſind verliebt geweſen?


Mot.

Herkules, Herr.


Arm.

O der allerliebſte Herkules. Mehr
Autoritaͤten, Junge! nenne mir mehr Namen,
E 5ich
[74]
ich bitte dich, und, mein liebes Kind! daß es
nur ja Leute von guter Reputation ſeyn.


Mot.

Simſon, Herr! und das war ein
Mann von gar guter Auffuͤhrung, denn er
fuͤhrte die Stadtthore auf ſeinem Ruͤcken weg.


Armado.

O wohl qualificirter Simſon!
ich bin beruͤhmt im Rappier, wie du im Thor-
tragen. Wer war Simſons Liebſte, mein theu-
rer Mot?


Mot.

Es war ein Weibsbild.


Arm.

Von welcher Complexion?


Mot.

Von allen vieren.


Arm.

Von welcher?


Mot.

Von der meergruͤnen.


Arm.

Jn der That, gruͤn iſt die Farbe der
Liebe: aber eine Liebſte von der Farbe iſt nicht
angenehm. Vielleicht liebt’ er ſie wegen ihres
Witzes.


Mot.

So war es: ſie hatt’ einen gruͤnen
Witz.


Armado.

Meine Liebſte iſt ohne Flecken,
weiß und roth.


Mot.

Unter den Farben ſind oft die be-
fleckteſten Gedanken verborgen.


Arm.

Wie das, mein Sohn! wie das?


Mot.

Meines Vaters Verſtand und mei-
ner Mutter Zunge ſteht mir bey.


Arm.

Schoͤne Anrufung eines Kindes!
Sehr pathetiſch und ſehr aͤſthetiſch.


Mot.
[75]
Mot.

Wenn ſie iſt weiß und roth zugleich,
Jhr Fehl blekbt unbekannt.
Denn das Gewiſſen machet bleich,
Und Schaam die Wang entbrannt.
Jetzt ob ſie noch ſo ſehr ſich ſchaͤmt,
Es kommt nicht an das Licht,
Bey jeglichem Gewiſſen ſtroͤmt
Das Blut ihr zu Geſicht.


Das iſt ein Lied uͤber weiß und roth, Herr.


Arm.

Weiſſeſt du keine Ballade von einem
Koͤnig und einer Bettlerin? mich duͤnkt, ich
habe ſo etwas von dir gehoͤrt.


Mot.

Wenn eine ſo da iſt, ſo dient ſie
weder zum drucken noch in Muſik zu ſetzen.


Arm.

Jch moͤchte ſie gern geſchrieben ha-
ben. Jung, ich bin in das Bauermaͤdchen
verliebt, das ich neulich mit dem vernuͤnfti-
gen Hunde Coſtard ſcherzen ſah, und ſie ver-
diente wohl —


Mot.

Ausgepeitſcht zu werden.


Arm.

Sing, Junge, mein Geiſt wird
ſchwermuͤthig fuͤr Liebe.


Mot.

Das wundert mich, da ihr ein ſo
leichtſinniges Menſch liebt.


Arm.

Sing.


Mot.

Bis die Compagnie voruͤber iſt.


Vier-
[76]

Vierte Scene.


Coſtard. Dull. Jakobine. Ein Maͤd-
chen (treten herein)

Dull.

Herr, des Herzogs Befehl iſt, Co-
ſtard in gefaͤngliche Haft zu nehmen, er ſoll
weder Luſt noch Unluſt leiden, das heißt, drey
Tage in der Woche faſten. Und die Jungfer
thut in den Park mit dieſem Maͤdchen. Lebt
wohl.

(ab)

Armado.

Meine Roͤthe wird mich ver-
rathen — Maͤdchen.


Jakobine.

Kerl!


Arm.

Jch will dich im Thiergarten beſu-
chen.


Jakobine.

Mir nicht zuwider!


Arm.

Jch will dir Wunder erzehlen.


Jakobine.

Ey was ihr ſagt?


Armado.

Jch lieb dich.


Jakobine.

Und ich euch nicht.


Armado.

So fahr wohl.


Jakobine.

Gluͤckliche Reiſe. Komm!
(geht ab mit ihrer Geſpielin)


Armado.

Du Elender ſollt faſten, bis
dirs vergeben wird.


Coſtard.

Jch hoff es, Herr. Kann ich
nicht mit vollem Magen faſten?


Arm.

Jhr ſollt ſchwer beſtraft werden.


Co-
[77]
Coſtard.

Doch moͤcht ich nicht mit euch
ſtudiren, denn ihr ſeyd leicht belohnt.


Arm.

Fuͤhrt ihn fort, geſchloſſen.


Mot.

Fort, du verbrecheriſcher Sklave.


Coſtard.

Herr, ich bitte euch, ich bin
feſt genug, wenn ich loß bin.


Mot.

Loß und feſt zugleich? Jns Ge-
faͤngniß.


Coſtard.

Nun denn, wenn ich euch je-
mals wieder erblicke, ihr froͤlichen Tage der
Verzweiflung, ſo ſoll mancher gewahr wer-
den —


Mot.

Was?


Coſtard.

Nichts, Herr — was er ſieht.
Gefangene ſind nicht verbunden, in ihren Re-
den ein Stillſchweigen zu beobachten, dero-
wegen will ich nichts reden. Jch danke Gott,
ich habe meine Galle wie andere Leute auch,
ich verliere endlich die Geduld und deswegen
ſo will ich geruhig ſeyn. (Mot fuͤhrt ihn ab)


Armado
(auf und ab ſpatzierend)

Jch fuͤh-
le etwas, eine hinreiſſende Sympathie — —
zu dem Fußboden — (das iſt niedrig) wo ihre
Schuh — (das iſt noch niedriger) von ihrem
zarten Fuß bewegt (das iſt das allerniedrig-
ſte) getreten haben. Jch thue einen Meineyd,
ich bin falſch — nun wie kann eine Liebe
wahr ſeyn, wenn ſie falſch iſt? Liebe iſt ein
guter Geiſt, Liebe iſt der boͤſe Feind, es
giebt keinen boͤſern Geiſt als die Liebe, und
doch
[78]
doch ward Simſon verliebt und hatte eine ſo
groſſe Staͤrke, und Salomo ward verfuͤhrt
und hatte doch einen guten Verſtand. Ku-
pidos Pfeile ſind ſtaͤrker als Herkules Keule,
geſchickter als mein Rappier, er achtet das
Paſſado nicht und das Duello reſpektirt er
nicht, ſchade daß er ein Kind iſt und doch
Maͤnner bezwingt. Lebe wohl Tapferkeit!
roſte Rappier! halts Maul Trummel! euer
Meiſter iſt verliebt, ja er iſt verliebt, ſteh
mir bey irgend ein Versgott, ſonſt werd ich
noch zum Sonnet. Auf Witz fouraſchire,
ſchreib Feder, jetzt bin ich ein Buch in Folio.

(ab)


Zweyter Akt.


Erſte Scene.


Die Prinzeßin von Frankreich. Roſaline.
Marie. Catharine. Bojet. Herren
und Gefolge.

Bojet.

Jtzt, Prinzeßin, ruft eure ſchoͤnſten Le-
bensgeiſter zuſammen[.] Bedenkt, wen der Koͤ-
nig
[79]
nig euer Vater ſandte, zu wem er euch ſchick-
te, und was der groſſe Zweck eurer Geſand-
ſchaft iſt. Jhr, die Bewunderung der ganzen
Welt, ſollt mit dem einzigen Erben aller
maͤnnlichen Vorzuͤge, dem unvergleichlichen
Navarra ſprechen, und der Handel betrift
nichts geringers als Aquitanien, die Mitga-
be einer Koͤnigin. Seyd nun ſo verſchwen-
deriſch mit all euren Annehmlichkeiten, als die
Natur war, da ſie euch ſchuf, als ſie die
ganze ſichtbare Welt davon zu entbloͤſſen ſchien,
um euch auszuſchmuͤcken.


Prinzeßin.

Guter Lord Bojet, ſo ge-
ring meine Schoͤnheit iſt, ſo braucht ſie die
Schnoͤrkel eures Lobes nicht, Schoͤnheit
wird gekauft nach dem Urtheil des Auges,
nicht nach dem marktſchreyeriſchen Ausruf
der Kaufleute. Jch bin ſicher weniger ſtolz,
wenn ihr meine Schoͤnheit erhebt, auf meine
Schoͤnheit, als ihr auf den Witz, den ihr bey
der Gelegenheit koͤnnt ſehen laſſen. Zur Sa-
che, Bojet, der allverbreitende Ruf trug uns
entgegen, Navarra hab ein Geluͤbd gethan,
bevor drey Jahr unter muͤhſamen Studiren
verſtrichen, ſoll kein Weibsbild ſich ſeinem
ſtillen Hofe naͤhern, alſo eh wir dieſe ver-
bothenen Thore betreten, ſondern wir euch
aus, in Ruͤckſicht auf eure vorzuͤgliche Ta-
lente, ſeine Meinung hieruͤber einzuziehen,
und fuͤr uns um Audienz anzuhalten. Sagt
ihm,
[80]
ihm, die Tochter des Koͤnigs von Frankreich
verlange in einer wichtigen und dringenden
Angelegenheit eine muͤndliche Unterredung
mit Seiner Majeſtaͤt. Eilt und bringt uns
demuͤthigen Fremdlingen ſeinen koͤniglichen
Willen.


Bojet.

Jch eile, ſtolz auf meine Com-
miſſion.

(ab)

Prinzeßin.

Wer ſind die Mitgeſchwor-
nen des gelehrten Herzogs?


Maria.

Ein Lord Longaville iſt einer.


Prinzeßin.

Kennt ihr den Mann?


Maria.

Jch lernt’ ihn auf der Hochzeit
Lord Perigords und der ſchoͤnen Tochter Faul-
conbridgs kennen: in der Normandie ſah ich
dieſen Longaville, er ſoll groſſe Talente ha-
ben, wohlbewandert in Kuͤnſten, in den Waf-
fen, nichts mißlingt ihm, was er unter-
nimmt. Der einzige Flecken ſeiner glaͤnzen-
den Eigenſchaften war ein ſcharfer Witz mit
einem ſtumpfen Herzen vermaͤhlt, der alles
bis auf den Mark durchdringt, was ihm ent-
gegen kommt.


Prinzeß.

Ein Momus alſo, der uͤber-
all zu lachen findet.


Maria.

So ſagt man.


Prinzeß.

Der ſchnellſchießende Witz
verwelkt, ſo wie er waͤchſt. Wer ſind die
andern?


Ca-
[81]
Catharine.

Der junge Dumain, ein
vollkommener Juͤngling, von allen die Tu-
gend lieben geliebt, viel Gewalt viel Scha-
den anzurichten, aber kein Herz dazu. Witz
die haͤßlichſte Geſtalt gelten zu machen, und
eine Geſtalt, auch allen Mangel an Witz zu
erſetzen. Jch ſah ihn beym Herzoge Alfonſo
und er uͤbertrift meine Beſchreibung weit.


Roſaline.

Wenn man mir die Wahr-
heit geſagt hat, ſo war damals noch einer
von den vornehmen Studenten mit ihm. Sie
nennen ihn Biron, aber einen luſtigern Mann,
doch mit Anſtand, hab ich noch nie geſehen. Jch
lernt’ ihn in einer Stunde kennen. Sein
Auge iſt der Gelegenheitmacher ſeines Wi-
tzes, alles was jenem nur auffaͤllt, weiß die-
ſer in Scherz zu kehren, und hat einen ſo
netten Dollmetſcher an ſeiner Zunge, daß
Greiſenohren begierig an ſeinem Munde
haͤngen bleiben.


Prinzeßin.

Gnade Gott Laͤdies! ſeyd
ihr denn alle verliebt. Jhr uͤberſchuͤttet ja
die Leute mit einem Berg von Lobeserhe-
bungen.


(Boyet kommt.)

Prinzeßin.

Nun was fuͤr einen Be-
ſcheid, Boyet.


Boyet.

Navarra hatte ſchon Nachricht
von Eurer ſchoͤnen Anherokunft, er und ſeine
Anm. uͤb. Theat. FMit-
[82]
Mitgenoſſen waren fertig euch entgegen zu
gehen, als ich kam. Aber was hab ich er-
fahren muͤſſen? er iſt ſo gewiſſenhaft, euch
lieber auf dem freyen Felde zu beherbergen,
gleich als ob ihr gekommen waͤrt ſeinen tod-
ten Hof zu belagern, als eine Diſpenſation
fuͤr ſeinen Eid zu ſuchen. Hier iſt er.


Koͤnig. Longaville. Dumain. Biron.
Gefolge.

Koͤnig.

Schoͤne Prinzeßin, willkommen
an dem Hofe zu Navarra.


Prinzeßin.

Das ſchoͤne geb ich euch
zuruͤck und das Willkommen hab ich noch
nicht von euch empfangen. Das Dach eures
Hofes iſt zu hoch um euer zu ſeyn und die-
ſes Feld zu weit, um es mir zuzueignen.


Koͤnig.

Jhr ſeyd an meinem Hofe will-
kommen.


Prinz.

Jch nehm’ es an, fuͤhrt mich
hinein.


Koͤnig.

Hoͤrt mir zu, theure Laͤdy, ich
hab einen Eid geſchworen.


Prinz.

Helfen euch unſre lieben Frauen,
ſo iſt es ein Meineid geweſen.


Koͤnig.

Um eine Welt nicht, ſchoͤnſte
Prinzeßin, mit meinem Willen nicht.


Prinz.

Euer zweyter Willen wird den
erſten wollen lehren.


Koͤnig.
[83]
Koͤnig.

Eure Herrlichkeit weiß nicht was
es iſt.


Prinz.

Oft iſt das Nichtwiſſen weiſe
und das Zuvielwiſſen Unwiſſenheit. Jch hoͤr,
Eure Herrlichkeit hat verſchworen eine Haus-
haltung zu fuͤhren: es iſt in der That ſo viel
Suͤnde einen ſolchen Eid zu halten als ihn
zu brechen. Aber verzeiht mir, daß ich ſo
dreiſt bin einem Gelehrten zu predigen, ge-
ruhet lieber die Abſicht meiner Anherokunft
zu leſen und mich aufs geſchwindeſte abzu-
fertigen.


Koͤnig.

So geſchwind als es mir moͤg-
lich ſeyn wird.


Prinz.

Jhr wuͤnſchet mich wohl ſchon
fort, ich mach euch mit jedem Augenblicke
meineidiger.


Biron.

Hab ich nicht in Braband mit
euch getanzt?


Roſaline.

Hab ich nicht in Brabant
mit euch getanzt?


Biron.

Jch erinnere michs recht gut.


Roſ.

Alſo war es uͤberfluͤßig, daß ihr
frugt?


Biron.

Jhr ſeyd zu ſchnell im Ant-
worten.


Roſ.

Jhr ſpornt mich mit euren Fra-
gen.


Bir.

Euer Witz nimmt Reißaus, er
wird muͤde werden.


F 2Roſ.
[84]
Roſ.

Nicht eher als bis ſein Reuter im
Kothe liegt.


Bir.

Wenn ſoll das geſchehen?


Roſ.

Wenn mich ein Thor fragen wird.


Bir.

Laßt ihr die Maske fallen.


Roſ.

Jſt mein Geſicht ſo ſchoͤn als ſie?


Bir.

Es wird euch viel Anbeter herbey
ziehn.


Roſ.

Wenn ihr nur nicht drunter ſeyd.


Bir.

So muß ich wohl gehn.


Koͤnig.

Madame! Euer Vater erwaͤhnt
hier der Zuruͤckzahlung hunderttauſend Cro-
nen, der Haͤlfte der Summe die mein Vater
ihm zum letzten Kriege vorgeſchoſſen, ich
muß euch ſagen, weder er noch ich haben je
dies Geld geſehen, und auch in dem Fall
wuͤrden immer noch hunderttauſend zu be-
zahlen uͤbrig ſeyn, zur Entſchaͤdigung ma-
chen wir auf einen Theil von Aquitanien
Anſpruch, obgleich es unter dem Werthe
unſerer Schuldforderung iſt. Verſteht ſich
alſo der Koͤnig Euer Vater, mir dieſe ge-
wiß noch unbezahlte Haͤlfte wieder zu er-
ſtatten, ſo wollen wir unſer Recht auf Aqui-
tanien fahren laſſen. Allein wie es ſcheint,
iſt ers nicht willens, er will meinem Va-
ter hunderttauſend Cronen bezahlt haben,
und denkt mit keinem Worte an die Bezah-
lung der andern Haͤlfte. Alſo ſchoͤnſte
Prinzeßin! waͤren ſeine Foderungen nicht
ſo
[85]
ſo hoch geſpannt, ſo entfernt von allem
vernuͤnftigen Nachgeben, ſo wuͤrde Euer
ſchoͤnes Selbſt ſchon laͤngſt das ganze Ge-
fuͤhl meines Rechts zum Nachgeben ge-
zwungen haben und ihr wuͤrdet vollkommen
befriedigt nach Frankreich zuruͤckkehren.


Prinz.

Jhr thut dem Koͤnige meinem
Vater ein zu ſchmerzhaftes Unrecht und
dem Ruhme Eures koͤniglichen Namens
nicht weniger, wenn Jhr ſo beharrlich drauf
beſteht, das Geld nicht empfangen zu ha-
ben, das euch doch treulich iſt ausgezahlt
worden.


Koͤnig.

Jch betheure euch nie etwas
davon gehoͤrt zu haben: koͤnnt Jhr mirs
beweiſen, ſo will ichs euch zuruͤck bezahlen,
oder mein Recht zu Aquitanien aufgeben.


Prinz.

Wir halten euch bey Eurem
Worte. Boyet, du kannſt Quittungen vor-
zeigen.


Boyet.

Verzeihe Euer Herrlichkeit, das
Paket worinn dieſe und andere wichtige
Papiere befindlich ſoll morgen erſt ankom-
men.


Koͤnig.

Es ſoll mir genug ſeyn ſie ge-
ſehn zu haben, ſo will ich nachgeben, —
ſo viel ich kann. Mittlerweile empfangt von
mir den Willkomm den euch meine unver-
letzte Ehre geben kann, ich darf euch die
Thore nicht oͤfnen, theure Prinzeßin, aber
F 4ihr
[86]
ihr ſollt hier dennoch ſo gut ſeyn, daß ihr
glauben ſollt, ich hab euch fuͤr die verſagte
Herberge in meinem Hauſe eine in mei-
nem Herzen gegeben: eure ſchoͤne Seele
mag mich entſchuldigen, und ſo lebt wohl.
Morgen darf ich euch wieder beſuchen.


Prinzeß.

Der Himmel erhalte euch
froͤlich.


Koͤnig.

Euren Wunſch zuruͤck, gnaͤdige
Frau!

(ab.)

Biron.

Laͤdy, ihr ſeyd meinem Her-
zen anbefohlen.


Roſaline.

Thut was ich euch befehle,
es wird mir viel Vergnuͤgen machen.


Biron.

Jch wuͤnſcht’ ihr koͤnntet es
ſeufzen hoͤren.

(ab)

Dumain.

Mein Herr! ein Wort —
wie heißt jene Dame.


Boyet.

Roſaline, Tochter des Al-
fonſo.


Dumain.

Sehr liebenswuͤrdig. Lebt
wohl.

(ab.)

Longaville.

Auf ein Wort, mein Herr!
wer iſt die im weißen?


Boyet.

Tochter des Faulconbridge.


Longaville.

Eine ſehr angenehme
Dame.

(ab.)

Boyet.

Wenn meine Beobachtungen,
die mir ſehr ſelten fehlen, wenn ich die
Rhetorik der Herzen in den Augen ſtudire,
mich
[87]
mich diesmal nicht betruͤgen, ſo iſt Navarra
angebrannt.


Roſaline.

Du biſt in Liebeshaͤndeln
alt geworden.


Maria.

Er iſt Cupidos Großvater und
geht noch immer bey ihm in den Klaſſen.


Roſaline.

So muß Venus ihrer Mut-
ter aͤhnlich ſehen, denn ſonſt wuͤrde ſie
garſtige Zuͤge haben.


Boyet.

Jhr koͤnnt doch hoͤren, Naͤrr-
chen!


Maria.

Nein.


Boyet.

So koͤnnt ihr doch ſehn. Habt
ihr ihn nicht angeſehn, als er vor ihr ſtand?


Roſaline.

Nein, wir ſehen nur immer
vor uns.


Boyet.

Ja ſo iſt mit euch auch nicht
zu ſprechen.



Dritter Akt.


Erſte Scene.


Der Park. Armado und Mot.
Mot ſingt.

Armado.

Zwitſchere Kind! mach den Sinn mei-
nes Ohrs empfindlich.


F 4Mot.
[88]
Mot.
(ſingt.)

Arm.

Gut Lied! geh zartes Alter! nimm
dieſe Schluͤſſel! ſchenk dem Schaͤfer die Frey-
heit, bring ihn ungeſaͤumt zu mir, ich muß
ihn mit einem Briefe an meine Liebſte ſchicken.


Mot.

Herr, wollt ihr eure Liebſte auf
franzoͤſiſch gewinnen?


Arm.

Wie das, lieber Junge?


Mot.

Ein Liedchen mit dem End’ eurer
Zunge tanzen, mit euren Fuͤſſen dazu ſingen,
und das alles durch Auf- und Abziehen eu-
rer Augbraunen beleben, eine Note ſeufzen,
die andere ſingen, und wenn ihr im Singen
zuviel Liebe heruntergeſchluckt, ſie durch die
Naſe wieder von euch geben, euren Hut wie
eine Regenrinne tief uͤber den Kramladen
eurer Augen vorgeſchoben, die Arme kreuz-
weis uͤber euren Bruſtlatz gelegt wie ein Ka-
ninchen am Bratſpieße, oder eure Haͤnde in
den Rocktaſchen wie ein Mann in einem
uralten Gemaͤhlde — nur muͤßt ihr nie zu
lang in einer Melodie fortfahren, das ſind
die Manieren, das ſind die Launen, denen
die feinſten Koketten nicht halten koͤnnen, wo-
durch ihr euch unſterblich macht wie Ero-
berer.


Armado.

Wo haſt du alle die Erfah-
rungen her?


Mot.

Von mir ſelber.


Arm

Aber o! aber o!


Mot.
[89]
Mot.

Bald haͤttet ihr eure Liebſte uͤber
meine Erfahrungen vergeſſen.


Arm.

Fuͤhr mir den Schaͤfer her, er
ſoll ihr den Brief beſtellen.


Mot.

Schoͤne Geſandſchaft! ein Pferd
nach einem Eſel.


Arm.

Was ſagſt du?


Mot.

Jhr koͤnntet doch lieber das Pferd
zu eurer Bothſchaft brauchen, als es erſt
nach dem Eſel gehen laſſen.


Arm.

Es iſt nicht weit, geh geſchwind.


Mot.

Wie Bley.


Arm.

Was denn, ſeltſamer Witz! iſt
Bley nicht ein ſchweres traͤges Metall?


Mot.

Minime.


Arm.

Jch ſage, Bley iſt langſam.


Mot.

Und ihr ſchnell im Verlaͤumden.
Jſt das Bley langſam das aus dem Laufe
einer Flinte kommt?


Arm.

Angenehmer Rauch der Wohlre-
denheit! Er vergleicht mich der Kanone und
er iſt die Kugel. Geh denn, ich ſchieße dich
zum Schaͤfer.


Mot.

Bautz! —

(ab.)

Armado.

Ein ſehr ſcharfſinniger Kna-
be! voller gelenkſamen freyen Annehmlichkei-
ten. Mit deiner Erlaubniß, angenehmes
Firmament! ich muß dir ins Geſicht ſeuf-
zen. Strenge Melancholey! du haſt meine
F 5Staͤrke
[90]
Staͤrke uͤbermannet. Aber da kommt mein
Herold.


Zweyte Scene.


Mot. Coſtard zum Vorigen.

Armado.

Du biſt frey, Hirte — und
ich lege dir fuͤr dieſe Entlaſſung keine an-
dere Bedingung auf, als dieſen Brief zur
Nymphe Jakobina zu tragen, da iſt ein
Rekompens dafuͤr, denn der beſte Lohn
wird denen die mir gehorchen. Mot, du
folgſt mir.


Mot.

Wie eine Concluſion den Praͤmiſ-
ſen. Adjeu Laye.

(ab mit Armado.)

Coſtard.

Adjeu, eine Unze Mannsfleiſch!
du mein Caninchen — Rekupens das iſt
wohl das lateiniſche Wort von einem
Zwoͤlfpfenningsſtuͤcke. Jch moͤchte wiſſen, wie
viel Ellen Band ich fuͤr einen Rekupens
zu kauf bekaͤme, weil die Leute das Latein
nicht verſtehn.


Biron kommt.

Biron.

O mein guter lieber Coſtard!
vortreflich, daß du mir hier in den Wurf
kommſt.


Coſt.
[91]
Coſt.

Sagt mir doch, Herr! wieviel El-
len feuerfarben Band kriegt man fuͤr einen
Rekupens?


Biron.

Was iſt das?


Coſt.

Wißt ihr das nicht? So viel als
zwoͤlf Pfenninge.


Bir.

So kriegſtu fuͤr zwoͤlf Pfenninge
Band dafuͤr.


Coſt.

Jch dank Eurer Herrlichkeit! Gott
erhalt Eure Herrlichkeit dafuͤr.


Bir.

Wart Burſch! ich muß dich aus-
ſchicken. Willſt du meine Gunſt haben, ſo
thu was ich verlange.


Coſt.

Wenn wollt ihrs gethan haben?


Bir.

Dieſen Nachmittag.


Coſt.

Gut! ſo will ichs thun. Lebt
wohl.


Bir.
(haͤlt ihn zuruͤck.)

Du weißt ja noch
nicht was es iſt.


Coſt.

Sagt mirs, wenn ichs werde ge-
than haben.


Bir.

Wart doch Schurke! du muſt ja
erſt wiſſen was.


Coſt.

Jch will morgen fruͤh zu euch
kommen.


Bir.

Du hoͤrſt ja, es ſoll den Nachmit-
tag ſeyn. Hoͤre mir zu, Kohlkopf! Die Prinzeßin
kommt in den Thiergarten zu jagen, in ih-
rem Gefolge iſt eine ſo ſchoͤne Dame, daß
man ein Conzert macht, wenn man ihren
Namen
[92]
Namen nur ausſpricht, Roſaline heißt ſie,
frag nach ihr, uͤbergieb ihrer ſchoͤnen Hand
dies verſiegelte Briefchen. Da haſtu ein
Trankgeld.


Coſt.

Trankgeld! o ſchoͤnes Trankgeld!
beſſer als Rekupens, zwoͤlf Pfenning beſ-
ſer, allerliebſtes Trankgeld. Jch will
thun, was ihr verlangt, Herr! o Trankgeld,
Trankgeld.

(ab.)

Biron.

O und ich! in Liebe verſunken!
ſonſt die Geiſſel der Verliebten, der Buͤttel
jedes zaͤrtlichen Seufzers, Richter — nicht —
Nachtwaͤchter, Conſtabel, keifender Schul-
meiſter der jugendlichen Regungen, o kein
Sterblicher ſo ſtolz und vermeſſen als ich.
Dieſer wimmernde, gellende, ſtockblinde,
unnuͤtze Junge Cupido, der Koͤnig ſchnar-
render Sonnette, Herr zuſammengeſchlage-
ner Arme, Fuͤrſt der Seufzer und o! Lehns-
herr aller Faullenzer und Tagdiebe, Selbſt-
herrſcher der Unterroͤcke, Heerfuͤhrer der
Pflaſtertreter — (herunter mein Herz!) und ich
der Corporal unter ſeinem Leibſchwadron! Jch
der Reifen, durch den dieſer Seiltaͤnzer ſei-
ne Spruͤnge macht. Jch liebe, ich verfol-
ge, ich hetze ein Weib! — ein Weib! —
das wie eine Uhr aus Deutſchland alle Au-
genblick muß reparirt werden und doch nim-
mer richtig geht — und werde meineidig
daruͤber — und was das ſchlimmſte iſt,
liebe
[93]
liebe von allen dreyen grade die haͤßlichſte.
Ein blaſſer Wildfang mit ſchwarz ſammetnen
Augbraunen und die Pechkugeln in ihrem
Kopfe ſtatt Augen. Und eine, beym Himmel!
die euch ihre Sachen machen wuͤrde, und
wenn Argus ſelber ihr Verſchnittener waͤre.
Und ich bey ihr flehen — ich ſie bewachen.
Geh doch! es iſt eine Peſtbeule, mit der Cu-
pido mich im Schlafe inficirte, dafuͤr daß ich
ſeine allmaͤchtige ſchroͤckliche kleine Macht
verſpottete. Gut, ich will lieben, ſchreiben,
ſeufzen, weinen, bitten, verfolgen, ſchmach-
ten, zum Narren werden, weil er es ſo
haben will, und es einmal nicht mehr zu
aͤndern iſt.

(ab.)


Vierter Akt.


Erſte Scene.


Ein Seitengebaͤude im Park, nah am Pallaſte.
Prinzeßin. Roſaline. Maria. Catharina.
Lords. Gefolge. Ein Foͤrſter.

Prinzeßin.

Wars der Koͤnig, der ſein Pferd den Fuß-
ſteg bergan ſpornte?


Boyet.
[94]
Boyet.

Jch glaub nicht, daß er es war


Prinzeſſin.

Wer es auch war —
er zeigt’ einen emporſtrebenden Geiſt. Mei-
ne guten Lords, macht euch fertig, wir ſollen
heute Beſcheid erhalten und Samſtag geht es
nach Frankreich (zum Foͤrſter) weiſt uns den
Dickigt an, wo wir die Moͤrder ſpielen ſollen.


Foͤrſter.

An der Ecke jener Baumſchu-
le bleibt ſtehen, da werdt ihr gewißlich nicht
fehlſchieſſen.


Coſtard kommt.

Boyet.

Hier kommt ein Mitglied des
gemeinen Weſens.


Coſt.

Jch hab einen Brief vom Herrn
Biron an die Dame Roſaline.


Prinzeſſin.

O her damit, her damit,
er iſt mein guter Freund — Entfernt euch,
Bote! Brich auf, Boyet!


Boyet.

Der Brief iſt unrecht. Die
Adreſſe iſt an Miß Jakobinen.


Prinz.

Es ſchadet nichts, wir muͤſſen
ihn einmal hoͤren, brich dem Siegel nur
den Hals.


Boyet.
(lieſt)

Beym Himmel! daß du
ſchoͤn biſt, iſt untruͤglich, wahr iſts, daß du
huͤbſch ausſiehſt und daß du ein feines Ge-
ſicht haſt, die lautere Wahrheit. Schoͤner
als ſchoͤn, huͤbſcher als huͤbſch, wahrer als
die Wahrheit ſelbſt, hab Erbarmen mit dei-
nem
[95]
nem heroiſchen Sklaven. Der großmuͤthige
und beruͤhmteſte Koͤnig Cophetua warf ein
Auge auf die gefaͤhrliche und unbezweifelte
Bettlerin Zenelophon, er wars der mit Recht
ſagen konnte: veni, vidi, vici, das heißt, in die
gemeine Sprache aufgeloͤſt (o hoͤchſt niedrige
und gemeine Sprache
) er kam, ſahe und uͤber-
wand, er kam, eins, ſah, zwey, uͤberwand,
drey. Wer kam, der Koͤnig, warum kam
er, zu ſehen, warum ſah er, zu uͤberwin-
den, zu wem kam er, zur Bettlerin, was
ſah er, die Bettlerin, wen uͤberwand er,
die Bettlerin. Die Concluſion iſt Sieg,
auf weſſen Seite, auf der Bettlerin, die
Sklaverey iſt begluͤckt, auf weſſen Seite,
auf des Koͤnigs, die Cataſtrophe iſt eine
Hochzeit, auf weſſen Seite, auf der Bett-
lerin, nein! auf beyden Seiten zugleich. Jch
bin der Koͤnig (ſo verlangt er das Gleichniß)
du biſt die Bettlerin, (ſo verlangt es deine Lie-
benswuͤrdigkeit.
) Soll ich deiner Zaͤrtlichkeit
befehlen. Faſt moͤchte ich. Soll ich ſie
zwingen? ich koͤnnte es. Soll ich ſie zu er-
werben ſuchen? ich will. Was wirſt du fuͤr
deine Lumpen eintauſchen? Kleider, fuͤr dei-
nen Namen? Titel, fuͤr dich ſelbſt? mich.
Alſo — alſo in Erwartung deiner Antwort
profanire ich meine Lippen an deinen Fuͤſſen,
meine Augen an deinem holdſeligen Geſichte
und mein Herz an alle deinen Gliedmaſſen.
Dein
[96]
Dein in theureſter Ergebenheit Don Adriana
von Armado.


So moͤchte man glauben einen Nemei-
ſchen Loͤwen zu hoͤren, der ein Lamm, das
als ſeine Beute vor ihm zittert, zum Spiel-
zeuge macht.


Prinze.

Was fuͤr ein Federbuſch, was
fuͤr eine Kirchenfahne, was fuͤr ein Wetter-
hahn hat den Brief geſchrieben? Hab ich
in meinem Leben ſo etwas gehoͤrt.


Boyet.

Jch bin ſelbſt irre geworden —
aber nun erkenn’ ich ihn am Styl.


Prinz.

Euer Gedaͤchtniß muͤßte raſend
ſchwach ſeyn, wenn es einen ſolchen Styl
nicht wieder erkennte.


Boyet.

Dieſer Armado iſt ein Spanier,
der ſich zu Navarra aufhaͤlt, ein Phantaſt
den Koͤnig und ſeine Buͤchermaden lachen
zu machen, mit einem Worte, ein gelehrter
Hofnarr.


Prinz.

Du Burſche, von wem haſt du
den Brief?


Coſtard.

Jch habs euch ja geſagt,
von meinem Herrn an ſeine Lady.


Prinzeſſin.

Du haſt unrecht beſtellt —
Kommt, ihr Herren, paßt auf, daß wir nicht
fehlen.

(alle ab)

Zweyte
[97]

Zweyte Scene.


Ein Schuß im Walde.
Dull (Conſtabel) Holofernes (Schulhalter)
Nathanael (Caplan) treten auf.

Nathanael.

Ein ehrenwerther Zeit-
vertreib, wahrlich, unter dem Zeugniſſe ei-
nes guten Gewiſſens.


Holofernes.

Das arme Wildpretlein
verlohr ſanguis Blut, wie ein Juwel der itzt
in dem Ohre haͤngt coeli des Horizonts, des
Firmaments, des Himmels, und dann wie ein
kleiner wilder Holzapfel auf die Oberflaͤche
herabfaͤllt terrae, des Bodens, des Landes,
der Erde.


Nathanael.

Wahrlich, Herr Holofer-
nes! Sie haben da gar artige praedicata an-
gebracht, aber ich verſichere Jhnen doch in
der That, es war ein Rehe von der erſten
Groͤſſe.


Holofernes.

Mein Herr Caplan, haud
credo.


Dull.

Herr, es war keine Hautkroͤdo,
’s war ein Hirſchkalb.


Holofernes.

O barbariſcher Ein-
wurf! gleich als ob er in via auf dem Wege,
auf der Bahn waͤre, mir wider mein haud
credo
ein argumentum von Erheblichkeit fa-
Anm. uͤb. Theat. Gcere
[98]
cere zu machen, oder vielmehr oſtentare
zu ſcheinen, glaͤnzen, ſchimmern.


Dull.

Jch ſagte, das Thier war kein
haud credo, es war ein Hirſchkalb.


Holof.

Aufgewaͤrmte Einfalt! bis coctus.
O du monſtrum der Unwiſſenheit.


Nath.

Herr, er hat nie die Leckerbißlein
gekoſtet, die uns in den erbaulichſten Buͤ-
chern zubereitet werden, er hat kein Pappier
geſſen, keine Dinte trunken, ſeine Seele iſt
ungebauet und leer, nur an den groͤbern
Theilen empfindlich. Dieſe niedrigen und
unfruchtbaren Baͤume ſind uns dargeſtellt,
daß wir ſollen dankbar ſeyn, wir die wir
nur an den feinern Theilen empfinden, die
ihm gaͤnzlich verſchloſſen ſeyn. Denn ſo wie
es uns uͤbel anſtehen wuͤrde, hoͤlzern und
grob zu thun, ſo waͤre es ein wahrer
Schandfleck fuͤr die gelehrte Welt, wenn
man ihn in eine Schule thaͤte. Aber omne
bene
ſag ich, mancher kann das Wetter nicht
vertragen, und ſegelt doch mit dem Winde.


Dull.

Jhr ſeyd doch beyde von den Stu-
dirten, Herr! koͤnnt ihr mir ſagen, was war
einen Monath alt zu Adams Zeiten, daß
noch itzunderſt nicht fuͤnf Wochen alt iſt.


Holof.

Dictinna guter Freund, Dictinna
guter Freund.


Dull.

Was iſt das dick duͤnn, was iſt
das?


Nath.
[99]
Nath.

Ein Name fuͤr Phoͤbe, fuͤr Luna,
fuͤr den Mond.


Holof.

Der Mond war einen Monat
alt als Adam nicht aͤlter war, und hatte es
noch nicht zu fuͤnf Wochen gebracht, da Adam
ſchon hundert Jahre zaͤhlte. Die Alluſion laͤßt
ſich auch noch ſo veraͤndern, der Mond —


Dull.

Das iſt wahr in der That, die Col-
luſion laͤßt ſich veraͤndern.


Holof.

Gott ſtaͤrke deinen Verſtand, ich
ſage die Alluſion laͤßt ſich veraͤndern,


Dull.

Und ich ſage, die Pollution laͤßt ſich
veraͤndern. Denn der Mond iſt niemals nicht
aͤlter als einen Monat und ich bleibe dabey,
es war ein Hirſchkalb das die Prinzeſſin ſchoſ-
ſen hat.


Holof.

Herr Nathanael, wollt ihr ein
epitaphium ex tempore hoͤren auf den Tod die-
ſes Thiers, dieſem armen Unwiſſenden zum
Beſten.


Nathanael.

Perge, wertheſter Herr
Holofernes, perge, es wird mir viel Ver-
gnuͤgen verurſachen.


Holofernes.

Die Wiſſenſchaften zu
retten — hm! —


Epitaphium.
Die ſchoͤne Prinzeſſin ſchoß und traf

Eines jungen Hirſchlein Leben:

Es fiel dahin in ſchwerem Schlaf

G 2Und
[100]
Und wird ein Braͤtlein geben.

Der Jagdhund boll. Ein L zu Hirſch

So wird es dann ein Hirſchel;

Doch ſetzt ein Roͤmiſch L zu Hirſch,

So macht es funfzig Hirſchel.

Jch mache hundert Hirſche draus,

Schreib Hirſchell mit zwey LLen.

Nathanael.
(ſchlaͤgt in die Haͤnde)

Ein
rares Talent.


Holofernes.

He he he, es iſt mein
Pfuͤndlein, damit ich wuchere, ſimpel und doch
auſſerordentlich, voll Formen, Figuren, Ob-
jekten, Jdeen, Apprehenſionen, Motionen und
Revolutionen. Dieſe erzeugen ſich in der
Herzkammer des Verſtandes, werden in der
pia mater des Gedaͤchtniſſes genaͤhrt und
der Gelegenheit zur Zeitigung uͤberlaſſen.
Aber dieſe Gabe iſt nur fuͤr wenige Koͤpfe
und ich bin dankbar dafuͤr.


Nathanael.

Herr, ich preiſe den Him-
mel fuͤr ihn und alle meine lieben Pfarrkinder
gleichfalls, ihre Soͤhne ſind gar gut verſorgt
bey euch, und ihre Toͤchter nehmen augen-
ſcheinlich zu, ihr ſeyd ein gar tuͤchtiges Mit-
glied des gemeinen Weſens.


Holofernes.

Me hercule wenn ihre
Soͤhne ingenium haben, ſo iſt meine Muͤhe
gar geringe und wenn ihre Toͤchter faͤhig ſind,
gebe ich ihnen froͤlichen Unterricht. Aber vir
ſapit
[101]
ſapit qui pauca loquitur. Dort gruͤßt uns eine
Weibsperſon.


Jakobina und Coſtard zun vorigen.

Jakobina.

Gott gruͤß euch, Herr Pfarr,
ſeyd doch ſo gut, Herr Pfarr, wenn ihr wollt
ſo gut ſeyn und mir dieſen Brief leſen, er
kommt vom Herrn Arme, Coſtard hat ihn
mir geben, ich bitt euch ſehr.


Nathanael.

Fauſte precor gelida quando
pecus omne ſub umbra ruminat
und ſo ferner.
Gebt ihn daher (lieſt heimlich) Ach der gute
alte Mantuaner, faſt moͤchte ich von ihm ſa-
gen, was der Reiſende von Venedig venechi
venachea qui non te vide i non te piache,
alter
Mantuaner! alter Mantuaner! wer dich
nicht verſteht, dem gefaͤllſt du auch nicht.
Ut re mi ſol la mi fa.


Holof.

Mit Erlaubniß, Herr, was iſt
der Jnhalt, oder vielmehr wie Horatius
ſagt, — was ſeh ich? Verſe?


Nath.

Ja Herr! und ſehr gelehrte.


Holof.

Laßt mich doch eine Strophe,
Stanze, Rythmus hoͤren, lege domine!


Nath.

Lieſt.


Meineidig macht die Lieb und dennoch

darf ſie ſchwoͤren,

Und heilig wird der Eid den ſie der

Schoͤnheit ſchwoͤrt.

Ach Schoͤnheit! Eichen kann dein Feur

in Weiden kehren,

G 3So
[102]
So wie es Wankelmuth in feſte Treu

verkehrt.

All mein Studiren lenkt anjetzt auf an-

dre Bahn

Dein Aug iſt nun mein Buch, dein

Buſen Sitz der Kuͤnſte,

Und alles auſſer dir iſt Wahn iſt Hirn-

geſpinſte,

Und die gelehrte Sprach iſt, wenn ich

ſeufzen kann.

Fort Layen in den Stall die, wenn Du

da biſt, ſinnen

Mein Ruhm mein Studium iſt ſinnen-

los zu ſtehn

Du raubſt mich mir alsdenn, du reiſ-

ſeſt mich von hinnen,

So bald du dich entfernſt, o dann muß

ich vergehn.

Verzeihe, himmliſche, dem ſchulgelehrten

Schwunge

Daß ich den Himmel ſing mit einer ird-

ſchen Zunge.

Holof.

Jhr fandet die Apoſtrophe nicht
und darum verfehltet ihr die Caͤſur. Gebt
mir her, da fehlt es im Sylbenmaaße.


Nath.

Das Sylbenmaaß iſt ganz richtig,
aber die Zierlichkeit, die goldene Cadenz der
Poeſie caret. Ovidius Naſo, das war der
Mann. Und warum hieß er Naſo? warum
anders, als weil er die Zierlichkeit der poeti-
ſchen
[103]
ſchen Bluͤmlein ſowol zu riechen wuſte. Die
Staͤrke der Nachahmung macht es noch nicht
aus, das kann der Hund und der Affe auch,
aber Jungfer! war der Brief an euch gerich-
tet?


Jakobine.

Herr, ich glaube, er iſt von
einem der fremden Lords.


Nath.
(die Aufſchrift leſend)

Fuͤr die
ſchneeweiße Hand der ſchoͤnen Roſaline.
Halt! die Unterſchrift iſt vom Lord Biron.
Das iſt einer von den Eidgenoſſen unſers
guten Herzogs.


Dull.

O das iſt ein Braten fuͤr mich.
Der Koͤnig hat verbothen an keine Lady zu
ſprechen, geſchweige zu ſchreiben, ich bin Sr.
Majeſtaͤt Conſtabel, geh Jakobine, komm
zum Koͤnige, gieb ihm den Brief in ſeine ei-
gene Haͤnde, ſag ihm, Dull der Conſtabel ſchickt
dich, geh, ſag ihm, er iſt nicht an dich, Co-
ſtard hat ihn verwechſelt.


Nath.

Ja geht nur in der Furcht des
Herrn, Kinder! das iſt eine Felonie, geht
nur.


Holof.

Weil die Verſe doch ſo ſchlecht
ſind, werther Herr Nathanael, he he he, frey-
lich, freylich. Jch ſpeiſe heut zu Mittage bey
dem Vater einer meiner Schuͤlerinnen, ich
will nach dem privilegio, das mir mein treuer
Fleiß an dieſem ſubiecto giebt, euch hoͤflichſt
dort zu Gaſte geladen haben und da wollen
G 4wir
[104]
wir von dieſen entſetzlichen Verſen he he he
weiterſt mit einander reden.


Nath.

Jch danke euch freundlichſt.
Die Geſellſchaft iſt das Gluͤck des Lebens.


Holof.

Alſo lade ich euch denn, wer-
ther Herr Nathanael, pauca verba. Kommt
nur, die Hochadelichen jagen hier auf dem
Felde, und wir wollen das Wildpret in
der Schuͤſſel jagen, he, he, he.


(gehen ab.)

Vierte Scene.


Biron allein, ein Papier in der Hand.

Der Koͤnig jagt itzt — und ich werde ge-
jagt. Sie ſind erpicht auf Wildpret und
ich auf Pech, auf beſudelndes Pech — pfuy
welch ein Wort! Laßt mich zufrieden, Ge-
danken — ſo ſprechen alle Narren — ſo
ſprech ich, denn ich bin ein Narr. Beym
Henker! die Liebe iſt wuͤthend wie Ajax, er
brachte Schafe um, ſie bringt mich um, ich
bin ein Schaf. Wieder ein ſchoͤnes: ich
bin. — Jch will nicht lieben, haͤngt mich
auf, wenn ichs thue — aber ihr Auge —
nein! bey dieſem Tageslicht — o, aber ihre Au-
gen, ich will ſonſt nichts lieben als ihre Au-
gen. Ach ich thu auf der Welt nichts als
luͤgen und immer beſtaͤndig aͤrger luͤgen, beym
Him-
[105]
Himmel! ich liebe, dieſe Reime ſind ein Be-
weis davon. Sie hat ſchon eines von mei-
nen Sonnetten, der Schaͤfer brachts ihr,
der Narr ſchickt’ ihr, die Spitzbuͤbin hats,
guter Schaͤfer, guter Narr, allerliebſte Spitz-
buͤbin. Bey der ganzen Welt, ich fruͤge kein
Haar nach, wenn die andern ſo tief drin
ſaͤßen als ich. Hier ſchleicht auch einer mit
einem Papiere heran, troͤſte Gott, es geht
ihm wie mir.

(tritt hinter eine Hecke.)

Koͤnig tritt auf.

Koͤnig.

Weh mir!


Biron.

Geſchoſſen beym Himmel! bravo
Cupido, du haſt ihn unter der linken Zitze
getroffen.


Koͤnig.
(lieſt.)

So ſanften Kuß giebt
nicht der Sonnen Strahl


Den Tropfen, die ſie fruͤh auf Roſen

findet,

Als deine Blicke der verliebten Quaal

Die ſie auf meiner Wang entzuͤndet.

Auch ſpielt der Mond ſo ſanftes Sil-

ber nicht

Jn Amphitritens dunklen Gruͤnden

Als dies dein alabaſternes Geſicht

Jn Thraͤnen, die ſich mir vom Auge

winden.

O Goͤtterbild! hier triumphireſt du

G 5Wie
[106]
Wie aus Kryſtall gehaun auf Koſten

meiner Ruh

So ſieh nur immer her, die Thraͤnen

ſchwellen an

Zu zeigen was du werth, und was

ich fuͤhlen kann.

Ach wenn deine Augen den Spiegel meiner
Thraͤnen vermeiden, ſo muͤſſen ſie unauf-
hoͤrlich fließen. Koͤnigin der Koͤniginnen!
wie ſchoͤn biſt du! kein Gedanke kann es
ausdenken, kein Mund beſchreiben, wie
ſoll ich dich mit meiner Pein bekannt ma-
chen? Jch will den Zettel hier fallen laſſen,
getreues Laub, beſchirme meine Thorheit —
Wer kommt da?

(verbirgt ſich.)

Longaville tritt auf.

Koͤnig.

Longaville! und lieſt — hor-
chen wir!

(vor ſich.)

Biron.

Ein Narr macht viele.


(vor ſich.)

Longaville.

Weh, ich bin meineidig.


Biron.

Und haſts aufgeſchrieben, daß
du’s biſt.


Koͤnig.

Angenehme Geſellſchaft der
Schande!


Biron.

Ein Trunkener taumelt dem
andern hinterher.


Long.

Muß ich denn der erſte ſeyn der
ſeinen Eid bricht.


Biron.
[107]
Biron.

Jch koͤnnte dich troͤſten, du
machſt nur den letzten zu unſerm Trium-
virate.


Long.

Jch fuͤrchte, dieſen halsſtarrigen
Reimen fehlt ſonſt nichts als die Kraft zu
ruͤhren. Angenehmſte Marie! Kaiſerin
meiner Liebe, ich will dieſe Verſe zerreißen
und ſie in Proſa ſchreiben.


Biron.

O die Reime ſind die Knoͤpfe
an Kupidos Pumphoſen, reiße ſie nicht ab.


Long.

Es mag hingehn.

(lieſt.)

Nur die Beredſamkeit der himmel-

blauen Augen

Der Zauberkraͤfte nicht zu widerſtehen

taugen,

Bewog zum Meineid mich. Entwehrt

ein falſcher Eid

Um deinetwillen, nicht ſelbſt die Ge-

rechtigkeit?

Jch ſchwur den Weibern ab, doch ich

Verſchwur nicht Goͤttinnen, verſchwur

nicht dich.

Ach ich verſchwur die Welt, doch

nicht ein himmliſch Bild

Das ſelbſt des Frevlers Bruſt mit

Fried erfuͤllt.

Ja Eide ſind nur Athem, Athemluft,

Du ſchoͤne Sonne ſcheinſt auf meine

Erde,

Du ziehſt ihn auf, den Waſſerduft,

Was
[108]
Was iſt die Schuld, wenn ich meinei-

dig werde?

Und waͤr ich es, ach lieber Straf und

Pein

Als nicht fuͤr dich meineidig ſeyn.

Biron.

Das iſt eine verhenkerte Ader,
die macht Fleiſch und Bein zur Gottheit,
eine gruͤne Gans zur Goͤttin, nichts als Ab-
goͤtterey, Gott ſteh uns bey, wir ſind alle
vom rechten Weg ab.


Dumain in einiger Entfernung.

Long.

Durch wen ſchick ichs ihr —
Geſellſchaft! fort!

(verbirgt ſich gleichfalls.)

Biron.

Wir ſpielen verſteckens, einer
nach dem andern verkriecht ſich. Und ich, wie
ein Halbgott, ſitze hier in meinem Himmel
und ſeh hinab in die Geheimniſſe der Tho-
ren. Noch einer! o Himmel! all meine
Wuͤnſche ſind erfuͤllt! Duͤmain auch meta-
morphoſirt, vier Schnepfen auf einer Platte.


Dumain.

O goͤttliche Kaͤthe!


Biron.

O elender Haſenfuß!


Dumain.

Beym Himmel, ein Wun-
der der Schoͤnheit!


Biron.

Bey der Erde, ihr luͤgt.


Dum.

Jhr goldenes Haar!


Bir.

Ein goldgelber Rabe!


Dum.
[109]
Dum.

Schlank wie eine Zeder


Bir.

Krumm, ſag ich, wie ein Fiddel-
bogen.


Dum.

O haͤtt ich meinen Wunſch!


Long.

Und ich meinen.


Koͤnig.

Und ich meinen.


Bir.

Amen und ich meinen! das war
das erſte geſcheidte Wort, das er ſprach.


Dum.

Jch wollte ſie gern vergeſſen,
aber ſie herrſcht wie ein Fieber in meinem
Blute.


Bir.

Laß ſie heraus, laß dich zur Ader.


Dum.

Jch will doch die Ode noch ein-
mal durchgehn, die ich fuͤr ſie aufgeſetzt.


Bir.

Und ich noch einmal hoͤren, wie
die Liebe den Witz verwirrt.


Dum.
(lieſt)

Eines Tags — verhaßter Tag!

Jn dem Mond, wo Zaͤrtlichkeiten

Mit den Roſen ſich verbreiten,

Da entdeckt ich, heller als den Tag,

Eine Roſe voll Vollkommenheiten,

Die dem Zefir offen lag.

Durch die ſeidnen Blaͤtter macht

Er ſich Bahn in rothe Nacht.

Wuͤnſchend ſtand ich, ſah ihm zu,

Waͤr ich, ach! von Luft wie du.

Duͤrfte ſo mit vollen Backen

Jhre ſchoͤnen Wangen packen.

Und ſie kuͤſſen dreiſt wie du.

Aber
[110]
Aber weh! ein Schwur haͤlt mich zu-

ruͤcke,

Daß ich, Goͤttin, dich aus Dornen

pfluͤcke:

Welch ein Schwur fuͤr heißes Blut

Von der allerreinſten Glut!

Nenn es, Schoͤnſte! kein Verbrechen

Den Tyranneneid zu brechen.

Ach um deinetwillen ſchwuͤr

Jupiter ſein Weib zum Mohren,

Seine Tochter ungebohren.

Und ſich ſelbſt zu einem Stier.

Jch muß ihr dann noch eins ſchicken, das
minder gelehrt iſt und meine Sehnſucht
mit wenigerm Umſchweife ausdruͤckt. Waͤre
doch der Koͤnig und ſeine zwey Magiſter Zu-
gaben zu meinem boͤſen Exempel, daß ich
nicht allein gebrandmarkt da ſtuͤnde. Jm
Lande der Hinkenden iſt Hinken keine Suͤnde.


Long.

Deine Liebe hat wenig von der
Chriſtlichen an ſich.

(geht hervor.)

Jhr er-
blaßt, Ritter! ich wuͤrde erroͤthen wenn man
mich ſo ertappt haͤtte.


Koͤnig.
(geht hervor.)

Wohlan, ſo er-
roͤthe dann! du haſts eben ſo viel Urſache
ja vielmehr du biſt doppelt ſo ſtrafbar, da
du den Schein der Gerechtigkeit vor dir
traͤgſt. Nein, Longaville machte kein Son-
net auf Marien, er legte ſeine Arme nicht
kreuzweis uͤber den Buſen, um ſein Herz
hin-
[111]
hinunter zu druͤcken. Jch bin hier im Buſche
verſteckt. gelegen, hab euch beyde behorcht,
bin fuͤr beyde erroͤthet. Jch hoͤrt eure ver-
raͤtheriſchen Reime, ſah euren Mund von
Seufzern rauchen, weh mir, ſagte der eine,
Jupiter ſchrie der andere, deren Haare wa-
ren Gold, deren Augen ſchoͤner als der Tag,
der wollte um ſeiner Goͤttin willen verdammt
ſeyn, der machte Jupitern zum Ochſen ſeiner
Kaͤthe zu gefallen. Was wuͤrde Biron ſa-
gen, wenn er euch gehoͤrt haͤtte, euch ſtrenge
Geſetzgeber! ha, wie wuͤrd’ er ſchmaͤhen,
wie den Witz die Geißel ſchwingen laſſen!
Um aller Reichthuͤmer der Welt willen wollt
ich nicht uͤber einen ſo ſchaͤndlichen Einbruch
von ihm uͤberfallen worden ſeyn.


Biron.
(geht hervor.)

Verzeiht, gnaͤ-
digſter Souverain! verzeiht mir, daß auch ich
hier bin. Gutes Herz! Was fuͤr Recht hat-
tet ihr, uͤber dieſe arme verliebte Wuͤrmelein
herzufahren? Nein, ihr bettetet eine gewiſſe
Prinzeſſin nicht in euren Thraͤnen, wo ihre
Schoͤnheit oͤffentlich zur Schau lag, nein
ihr wart nie meineidig, ihr machtet nie
Sonnette. Ha ha ha alle drey, daß einer
den andern uͤberliſten wollte, der fand deſ-
ſen Splitter im Auge, der Koͤnig deſſen,
und ich Balken in allen dreyen. O was fuͤr
einer buntſchaͤckigen Farce hab ich zugeſe-
hen, von Seufzern gereimtem Unſinne, un-
ſinniger
[112]
ſinniger Proſe, Raſerey und Thraͤnen. Ei-
nen großen Koͤnig in eine Grille verwandelt,
Herkules den Kreiſel peitſchen, den tiefſin-
ſinnigen Salomo einen Baurentanz fiddeln,
Neſtor mit den Gaſſenbuben kegeln, und
Timon Geſpenſterhiſtoͤrchen erzaͤhlen. Wo
thut es weh, ſagt mirs, guter Duͤmain, ihr
edler Longaville, wo fuͤhlt ihr die meiſten
Schmerzen, und ihr, theureſter Souverain! —


Koͤnig.

Dein Scherz wird bitter. Him-
mel! ſo verrathen.


Biron.

Nicht ihr ſeyd verrathen, ich,
ich bins, ich ein ehrlicher Schelm, der es
treuherzig mit ſeinem Eide meynte, ich der
mich zu einer Geſellſchaft that, die meine
Gewiſſenhaftigkeit nur zum Beſten hielt.


Koͤnig.

Still! wer kommt da ſo eil-
fertig.


Biron.
(bey Seite ſich in Finger beiſſend)

daß dich das — mein Poſtillion d’Amour.


Coſtard und Jakobine.

Jakobina.

Viel Gluͤck dem Koͤnige!


Koͤnig.

Was bringt ihr?


Coſtard.
(immer buͤckend)

Eine verraͤ-
theriſche Verraͤtherey.


Koͤnig.

Was ſagt ihr?


Jakobine.

Jch bitte Ew. Majeſtaͤt
dieſen Brief zu leſen. Der Conſtabel ſchickt
mich
[113]
mich her, der Pfarr ſagt’ es waͤr Verraͤthe-
rey.


Koͤnig.

Biron lies ihn durch und ſag
mir was es iſt.

(Biron ſtellt ſich zu leſen.)


Von wem haſt du ihn.


Jak.

Von Coſtard.


Koͤn.

Und du?


Coſt.

Vom Don Adramadio.


Koͤnig.

Wie nun, warum wirſt du
unruhig, warum zerreiſſeſtu — Biron.


Biron.

Eine Kinderey, Ew. Majeſtaͤt —
es war nichts.


Long.

Aber er ward roth beym Leſen,
laßt uns hoͤren was es war?


Dum.
(die Stuͤcken aufleſend.)

Ach es iſt
Birons Hand und hier iſt ſein Name.


Biron.
(zu Coſtard drohend.)

Du Hu-
renſohn von Dummheit — Schuldig! mein
Fuͤrſt! ich bekenne, ich bekenne.


Koͤnig.

Was?


Biron.

Daß noch einer fehlte, die Zahl
voll zu machen, und dieſer Narr bin ich.
Entlaßt dieſe ſaubere Abgeſandtſchaft, und
ihr ſollt Wunder hoͤren.


Dumain.

So haben wir doch gerade
Zahl.


Bir.
(zu Coſtard.)

Wollen die Turtel-
tauben wohl gehn.


Coſtard.

Spazier davon ehrliche Leut.


(ab mit Jakobinen.)

Anm. uͤb. Theat. HBiron.
[114]
Biron.

O werthe Geſellen! laßt uns
einander umarmen. Wir ſind ſo brav ge-
weſen, als Fleiſch und Blut es nur immer
ſeyn kann. Die See will ebben und flu-
then, der Himmel heitern und regnen, ſo
kann auch junges Blut alten Geſetzen nicht
gehorchen, ſo koͤnnen wir die Urſache nicht
auswurzeln, durch die wir exiſtiren, und
daher war es leicht voraus zu ſehn, daß
wir meineidig werden mußten.


Koͤnig.

Alſo der zerriſſene Brief war
ein Liebes — —


Biron.

Obs war? und ihr fragt noch?
wer kann die himmliſche Roſaline ſehen
und nicht wie ein Jndianer, der die Sonn’
aufgehen ſieht, ſein Haupt ſklaviſch vor-
waͤrts buͤcken, und blind von Glanz mit
niedriger Bruſt die Erde kuͤſſen? Welches
vermeſſene Adlerauge koͤnnte die Sonne un-
ter ihren ſchwarzen Augbraunen anſehn,
ohne zu weinen.


Koͤnig.

Mit welcher Wuth du ihre
Lobrede machſt. Die Prinzeßin, meine Ge-
bieterin iſt ein helleuchtender Mond, ſie
ein Stern aus ihrem Gefolge, ein zwit-
ſerndes Licht, das kaum geſehen wird.


Biron.

So ſind denn meine Augen
nicht Augen, und ich nicht Biron. Ha,
gegen meine Liebe iſt ſelbſt der Tag Nacht,
die auserleſenſten Teints entſchiedener Schoͤn-
heiten
[115]
heiten liegen wie in einer Meſſe auf ihrem
Angeſichte verſammlet, fließen in eine Goͤt-
terfarbe zuſammen, wo der Mangel ſelbſt
keine Maͤngel entdecken kann. O alle
Rednerzungen muͤſten mir ihre Zauberkuͤnſte
leihen, nein, pfuy mit dem gekuͤnſtelten
Lobe, ſie bedarf deſſen nicht, Troͤdelwaaren
nur beduͤrfen eines Ausrufers, ſie, weit
uͤber alles Lob erhaben, o das Lob ſinkt
und loͤſcht aus, ehe es ſie erreicht. Ein
verwelkter Einſiedler, der hundert Winter
auf dem Puckel truͤge, ſchuͤttelt gleich funf-
zig ab, ſo bald er ihr in die Augen ſieht.
Jhre Soͤnheit uͤberfirnißt das Alter, wie-
dergebaͤhret es, giebt der Kruͤcke die Mun-
terkeit der Wiege, iſt eine Sonne, die die
ganze Natur belebt.


Koͤnig.

Beym Himmel! deine Liebſte
iſt ſchwarz, wie Ebenholz.


Biron.

Jſt Ebenholz ihr aͤhnlich? O
ſchoͤnes Wort, ſo iſt denn ein Weib von
Ebenholz eine Hury. Wer kann mir einen
recht ſchweren Eid diktiren, wo iſt ein Buch,
ich wills beſchwoͤren, daß der Schoͤnheit
ſelbſt Schoͤnheit mangelt, wenn ſie nicht
aus ihren Augen ſieht. Es leben die
ſchwarzen Farben!


Koͤnig.

Was ſind das fuͤr Paradoxen?
Schwarz iſt die Farbe der Hoͤlle, der Ker-
ker, der Nacht! welche Farbe kann der
H 2Schoͤn-
[116]
Schoͤnheit anders ſtehen als die des Tages
und des Himmels?


Bir.

Verkleidet ſich nicht der Satan in
einen Engel des Lichts? O das ſchwarze Haar,
das meiner Schoͤnen Stirne ziert, es ſcheint
zu trauren, daß helles Haar ſo viel blinde
Anbeter mit falſchem Glanze hintergeht. Jhre
Wangen machen alle rothbackigte Maͤdchen
zu Luͤgnerinnen, dunkel und bleich muͤſſen
ſie ſich heut zu Tage ſchminken, wenn ſie
nach ihr gefallen wollten.


Dumain.

So werden die Caminfeger
ſehr geſucht werden.


Longaville.

Es leben die Kohlen-
brenner.


Koͤnig.

Und die Mohren, wie werden
ſie ſich bruͤſten?


Biron.

Eure Goͤttinnen muͤſſen den Re-
gen ſcheuen, er ſpuͤlt ihre Schoͤnheit ab.


Koͤnig.

Es waͤre gut, wenn deine in
Regen kaͤme, denn ich glaube in der That,
ſie wuͤrde ertraͤglicher ſeyn, wenn ſie ſich
fleißiger wuͤſche.


Biron.

Jch will euch beweiſen, daß ſie
ſchoͤn iſt, und ſollt ich bis an den juͤngſten
Tag hier ſchwatzen.


Koͤnig.

Dann wuͤrden die Teufel ſelbſt
vor ihr erſchroͤcken.


Dumain.

Nie hab ich einen Meßkraͤ-
mer gehoͤrt, der Wadman ſo theuer ausbot.


Long.
[117]
Long.

Wenn du deine Liebſte ſehn willſt,
ſieh ihr Geſicht an und meinen Fuß —


Biron.

O und wenn die Gaſſen mit
deinen Augen gepflaſtert waͤren, ſo waͤr’
ihr Fuß noch viel zu niedlich drauf zu treten.


Long.

Da wuͤrd’ ich ſaubere Sachen zu
ſehen kriegen.


Koͤnig.

Still einmal — wir ſind drum
einer ſo gut wie der andere.


Biron.

Das heißt, meineidig.


Koͤnig.

So laßt denn die Poſſen, und
ſporne deinen Witz, wenn er dich ja ſticht,
nach einem edlern Ziele. Beweis uns ein-
mal, daß unſere Flammen rechtmaͤßig, unſere
Treue nicht verletzt ſey, ſo ſollſtu Dank
haben.


Dum.

Dem Uebel ſchmeicheln.


Long.

Jhm eine Geſtalt geben.


Dum.

Ein Pflaͤſterchen drauf klecken.


Biron.

Still nur! das brauchen wir
alles nicht. Es iſt deine Schuld, Natur!
Bedenkt, ritterliche Ritter, welchen Unſinn
ihr geſchworen habt. Faſten, ſtudiren, kein
Frauenzimmer ſehen! platter Hochverrath
wider das koͤnigliche Gluͤck der Jugend!
Koͤnnt ihr faſten? Sind eure Maͤgen nicht
zu feurig, und wuͤrd’ euch die Enthaltſamkeit
nicht alle quinend dahin ſtrecken? Und wor-
inn wolltet ihr denn ſtudiren, ihr Herren,
da jeder von euch zu gleicher Zeit ſein Buch
H 3ver-
[118]
verſchwor? Koͤnnt ihr in eins weg traͤumen,
gruͤbeln, und auf einen Fleck hinſtarren?
Und wenn ihrs koͤnntet, wer allein kann euch
den Vorzug der Wiſſenſchaften ſchmackhaft
machen, ohne die Beyhuͤlfe weiblicher Schoͤn-
heit? Ha! nur die Augen des Frauenzim-
mers, ewig werd ich dabey bleiben, ſind
das Buch, die Akademie, der Altar, wo
das aͤchte prometheiſche Feuer aufbewah-
ret wird. Unablaͤſſiges Gruͤbeln trocknet
auf, und vergiftet die behenden feinſten Le-
bensgeiſter unſeres Gehirns, wie die zu lang
anhaltende Arbeit die nervigte Staͤrke des
Arbeitsmannes erſchoͤpft. Habt ihr den Ge-
brauch eurer Augen verſchworen, daß ihr
keinem Frauenzimmer ins Geſicht ſehen wollt.
Blind werdet ihr werden, ſtumpf, abge-
ſchmackt, wo iſt ein Buch in der Welt, das
euch die Schoͤnheit lehren kann, wie das
Aug einer ſchoͤnen Frau! Gelehrſamkeit iſt
ein Zuſatz zu unſerm Selbſt, aber die Schoͤn-
heit iſt ein neues Selbſt, in dem wir zum
zweytenmal anfangen zu leben. Ganz ge-
wiß, ihr habt eure Buͤcher verſchworen, als
ihr die Augen des Frauenzimmers verſchwurt.
Wo ſonſt wolltet ihr mit euren bleyernen
Spekulationen zu den hinreißenden Harmo-
nieen auffliegen, die die Region der Schoͤn-
heit einnehmen. Andere Kuͤnſte nehmen
blos das Hirn ein und lohnen ihre kalten
Schuͤler
[119]
Schuͤler fuͤr ſchwerfaͤllige Muͤhe mit einer
Mißwachsernde. Aber Liebe, die zuerſt im
weiblichen Auge erlernt ward, lebt nicht
blos in unſern Hirnſchaalen eingemauert,
ſie bewegt all unſre Elemente, geht ſo ſchnell
als Gedanken in jede unſerer Kraͤfte uͤber,
und giebt jeder eine neue doppelte Kraft,
ſich uͤber ihre vorige Sphaͤre zu erheben. Sie
giebt dem Auge eine zehnfache Schaͤrfe, eines
Liebhabers Aug koͤnnte einen Adler blind
gaffen, eines Liebhabers Ohr koͤnnte den
leiſeſten Odemzug hoͤren, ſelbſt wenn des
argwoͤhniſchen Diebes Ohr ihn nicht hoͤrte.
Der Liebe Gefuͤhl iſt weit zaͤrter und reizba-
rer als das zarte Fell einer ausgekrochenen
Schnecke, der Liebe Zunge beſchaͤmt Bachus
im luͤſternen Geſchmacke, und was die Staͤrke
anbetrift, iſt Liebe nicht ein Herkules, der
bis an die Heſperiden vordrang. Verſchla-
gen iſt ſie wie ein Sphinx, muſikaliſch wie
die Laute Apollo mit ſeinem Haar beſaͤytet.
Und wenn die Liebe ſpricht, ſo macht die
Stimme aller Goͤtter den Himmel trunken
von Harmonieen. Nie durfte ein Poet ſeine
Feder eintunken, war ſeine Dinte nicht mit
Liebesſeufzern angemacht: o nur alsdann
konnten ſeine Verſe Ohren der Wilden hin-
reißen, und in Tyrannen milde Menſchlich-
keit verpflanzen. Aus den Augen der Frauen-
zimmer kommt alles her, ſie allein funkeln
H 4vom
[120]
vom aͤchten prometheiſchen Feuer, das die
ganze Welt beſeelt, die ſonſt in keinem Dinge
ſich ſchoͤn und vortreflich zeigen wuͤrde. Jhr
wart alſo nicht klug, dieſen Frauenzimmern
abzuſchwoͤren, und naͤrriſch waͤret ihr gewe-
ſen, einen ſolchen Eid zu halten. Alſo fuͤr
die Sache der Gelehrſamkeit, ein Wort das
alle Maͤnner lieben, oder fuͤr die Sache der
Liebe, ein Wort das alle Maͤnner gluͤcklich
macht, oder fuͤr die Sache der Maͤnner aus
der die Weiber entſtanden, oder fuͤr die
Sache der Weiber, aus der wir alle unſern
Urſprung nehmen, laſſen wir unſern Eid
fahren, um uns ſelbſt zu erhalten, lieber
als daß wir uns ſelbſt fahren ließen, um
unſern Eid zu halten. Es iſt Religion ſo
meineidig zu ſeyn. Die Liebe erfuͤllt das
Geſetz, und wer kann dieſe Liebe von der
Naͤchſtenliebe abſondern?


Koͤnig.

Alſo, heiliger Cupido, und wir
thun den Kreuzzug unter ihm.


Biron.

Auf, ihr Herren! zum Angriffe,
ruͤckt vor mit euren Standarten.


Longaville.

Scherz bey Seite, ſollen
wir uns entſchließen, um dieſe Franzoͤſinnen
anzuwerben.


Koͤnig.

Das daͤcht ich, und ſie gewin-
nen dazu. Laßt uns auf eine Luſtbarkeit
denken, die wir ihnen in ihren Zelten geben.


Biron.
[121]
Biron.

Erſt fuͤhren wir ſie aus dem
Park nach Hauſe, jeder ſeine jede, nachmit-
tag ſinnen wir auf einen recht artigen Zeit-
vertreib, ſo wie die Kuͤrze der Zeit es uns
geſtatten will, Schmaͤuſe, Taͤnze, Maske-
raden und Froͤlichkeiten eilen der Liebe vor,
ihr den Weg mit Blumen zu beſtreuen.


Koͤnig.

Fort alſo, wir haben keine Zeit
zu verlieren.


Biron.
Wo iſt ein Feld das ohne

Ausſaat trug?

Und jedem wird mit ſeinem Maaß

gemeſſen,

Meineidigen Chapeaux ſind Franzoͤſin-

nen gut genug

Fuͤr kupfern Geld kupferne Seelen-

meſſen.


Fuͤnfter Akt.


Erſte Scene.


Holofernes. Nathanael. Dull.

Holofernes.

Satis quod ſufficit.


Nathanael.

Jch preiſe den Herrn,
Herr! fuͤr eure Geſpraͤche uͤber dem Eſſen,
H 5ſie
[122]
ſie waren ſcharfſinnig und ſententioͤs, gefaͤl-
lig ohne Skurrilitaͤt, witzig ohne Affektion,
kuͤhn ohne Lizenz, gelehrt ohne Vanitaͤt,
ungewoͤhnlich ohne Ketzerey. Jch habe die-
ſer Tage quondam mit einem aus des Koͤnigs
Gefolge geſprochen, der ſich betitelte Don
Adriana de Armado.


Holof.

Novi hominem tanquam te. Sein
Humor iſt hoch auffliegend, ſeine Reden ver-
meſſen, ſeine Zunge verwegen, ſein Auge hof-
faͤrtig, ſein Gang prinzlich, prinzeſſenmaͤßig,
und ſein ganzes Betragen laͤcherlich, auf-
geblaſen und thraſoniſch. Er iſt ſo geziert,
geſpitzt, ſeltſam und wunderlich, zu ſeltſam,
um ſeltſam zu ſeyn.


Nathan.

Ein ſehr auserleſenes Epithe-
ton, Herr!

(zieht ſeine Schreibtafel
und ſchreibt.)

Holof.

Er zieht den Faden ſeines Aus-
drucks feiner aus, als die Wolle ſeiner Ge-
danken es aushaͤlt. Odi \& arceo ſolche fana-
tiſche Phantaſten, ſolche Henkersknechte al-
ler guten Orthographie, die zum Exempel
alleſamt fein ausſprechen, da ſie doch nach
der Etymologie ausſprechen ſollten, alleſamt
umarmt, wenn ſie ſagen ſollten, umbarmt,
eure Genaden, verſtuͤmmelt er in ’r gnad.
Dieſe abominable, oder ich moͤchte lieber
ſagen, abhominable Art zu ſprechen, ſcheint mir
eine
[123]
eine wahre Felonie me intelligis domine?
eine tumme lunatiſche Mondſucht.


Nathanael.

Laus Deo, bene intelligo.


Holofernes.

’RGnad, ’RGnad —
hoͤren Sie nur, wie klingt das? he he he


Armado. Mot. Coſtard treten auf.

Nathanael.

Videsne quis venit,


Holof.

Video et gaudeo.


Armado.
(winkt ihnen)

Ts!


Holof.

Quare ts! warum nicht bißt!


Armado.

Willkommen Maͤnner des
Friedens.


Holofernes,

Salve Mann des Krie-
ges, he he he


Mot.

Sie ſind an einem groſſen Banket
von Sprachen geſeſſen und haben die uͤberge-
bliebenen Brocken eingeſteckt.


Coſtard.

Ney, ſie han aus dem All-
moſenkorbe der Worte gegeſſen. Mich
wundert, daß dich dein Herr noch nicht in
Gedanken fuͤr ein Wort aufgegeſſen hat,
denn du biſt mit Haut und Haar noch nicht
ſo lang als honorificabilitudinitatibus.


Mot.

Still das Glockenſpiel geht wieder —


Armado.

Habt ihr ſtudirt?


Mot.

Ja freylich, Herr, er lehrt den
Buben A B C. Sagt, wie buchſtabirt ihr
A ſch ruͤckwaͤrts mit einem Kreuze vorne.


Holof.
[124]
Holof.

Scha, pueritia und ein Kreuz.


Mot.

Schaf — ihr einfaͤltiges Schaf,
koͤnnt ihr euren Namen nicht ausſprechen?


Holof.

Quis quis? du Conſonante! wer
iſt ein Schaf?


Mot.

Einer von den fuͤnf Vokalen, wenn
ihr ſie herſagen wollt.


Holof.

Jſt es a, iſt es e, iſt es i —


Mot.

J, i, ganz recht, da habt ihrs ja
ſelber geſtanden.


Armado.

Ein rechtes Mediterraneum
von Salz, eine behende Lanzette von Witz,
ſchnip ſchnap, hurtig und behend, er erfreut
meine Jntelligenz, aͤchter Witz! rarer Witz!


Mot.

Seht ihr, das war Davids
Schleuderſtein gegen Goliath.


Holof.
(verwirrt)

Wie? was war die
Alluſion, was war die Figur?


Mot.

Ein Schaf.


Holof.

Du diſputirſt wie ein Bube.
Geh peitſch deinen Kreiſel.


Mot.

Leyht mir euer Horn dazu, ich
will ihn peitſchen auf und ab.


Coſtard.

Und haͤtt ich doch nur einen
Pfennig bey Leib und Seel, du ſollteſt ihn
haben, du Klingbeutel von Witz, du Tau-
beney von Verſtand. O daß der Himmel
mir nur die Gnade erwieſe, und mir nur ſo
ein Hurkind gaͤbe, wie du biſt, nur ein Hur-
kind, was wuͤrdſt du mich einen froͤlichen Va-
ter
[125]
ter machen. Geh Kroͤte, du haſts weg ad
dunquil,
bis auf die Nagelſpitze, wie die Ge-
lehrten ſagen.


Holofernes.

Jch rieche da verfaͤlſchtes
Latein, dunquil fuͤr unguem.


Armado.

Jhr ſeyd alſo ein Studierter,
Herr, und erzieht die Jugend dort oben auf
dem Gipfel des Gebuͤrges.


Holof.

Mons vielmehr, es iſt ein Huͤgel.


Armado.

Es iſt des Koͤnigs erhabener
Wille die Prinzeſſin in ihrem Hoflager zu
komplimentiren, in den poſterioribus dieſes
Tages, welche der rohe Haufe Nachmittag
nennt.


Holofernes.

Die poſteriora des Tages,
ein artiger terminus, auserleſen in der That.


Armado.

Der Koͤnig iſt ein braver
Mann und mein Freund, ich verſichere euch,
denn was unter uns ſchon vorgegangen iſt —
weg damit! Jch erſuche dich, Armado, ruͤſte
deinen Verſtand, ich erſuche dich, ſagte er,
ſey ſo guͤtig, entlade dich aller andern im-
portunen und importanten Sorgen — aber
weg damit! ich will euch nur erzaͤhlen, daß
es Sr. Majeſtaͤt bisweilen gefaͤllt und oͤffent-
lich ſich auf meine arme Schultern zu lehnen
und mit ſeinen koͤniglichen Fingern alſo an
meinen Exkrementen zu ſpielen

(ſpielt an ſei-
nem Stutzbarte
)

aber weg damit, liebes Herz,
wenn es ſeiner Gnad gefaͤllt.


Holo-
[126]
Holofernes.

Genade wollten Sie
ſagen.


Armado.

Dem Don Armado einige
Ehrenbezeigungen zu erweiſen, einem Manne
von Reiſen, einem Soldaten — weg damit,
meine Abſicht war euch zu ſagen — aber, lie-
bes Herz, ſeyd verſchwiegen, daß der Koͤnig
mich gebeten hat, die Prinzeſſin zu regaliren
mit irgend einer angenehmen Oſtentation
oder Schauſpiel, wie es der Poͤbel nennt. Da
ich nun weiß daß der Pfarrer und Euer wer-
thes Selbſt ſehr tuͤchtig fuͤr ſolche Einfaͤlle oder
Ausfaͤlle des Witzes ſind, ſo komme ich, euch
um eure Huͤlfe anzuſprechen.


Holofernes.

Herr, ihr muͤßt die neun
Helden auffuͤhren. Domine Nathanael, was
den Zeitvertreib oder das Freudenſpiel an-
betrift fuͤr die poſteriora dieſes Tages, das
durch unſere Aſſiſtenten auf des Koͤnigs Be-
fehl gegeben werden ſoll, auf die Anweiſung
dieſes ſehr galanten und beruͤhmten Herrn,
ſo waͤre meine unvorgreifliche Meynung, daß
dazu nichts geſchickter als die Vorſtellung von
den neun Helden.


Nathanael.

Wo wollt ihr aber Schau-
ſpieler genug finden.


Holofernes.

Joſua ihr ſelbſt, dieſer
galante Herr Judas Makkabaͤus, dieſer Narr
wegen ſeiner groſſen Glieder und Gelenke
kann
[127]
kann fuͤr Pompejus den Groſſen paſſiren,
und dieſer Page Herkules.


Armado.

Verzeyht, Herr! Ein Jrrthum.
Dieſes zarte Alter hat nicht Quantitaͤt ge-
nug fuͤr einen Herkules, er iſt kaum ſo groß
als das Ende ſeiner Keule.


Holofernes.

Wird man mich ausre-
den laſſen? Er ſoll den Herkules in ſeiner
Minderjaͤhrigkeit vorſtellen, wie er die
Schlangen in der Wiege erdroſſelt und
allenfalls will ich fuͤr ihn eine Apologie auf-
ſetzen.


Mot.

Ein guter Einfall und wenn ei-
ner von den Zuſchauern mich ausziſcht, ſo
ruft nur immer, bravo Herkules! halt dich
Herkules! ſo muß man eine Beleidigung
verſtecken.


Arm.

Und wer macht die uͤbrigen?


Holof.

Drey ſpiel ich ſelber.


Mot.

O dreykoͤpfigter Cerberus!


Dull.

Und ich will den Trommelſchlaͤ-
ger machen, wenn die Helden tanzen wollen.


Holof.

Kommt immer mit, vielleicht
ſeyd ihr auch noch zu brauchen. Via!


Zweyte Scene.


Prinzeßin Laͤdies.

Prinzeſ.

Wir werden reich, eh wir
von hier reiſen. Jch bin mit einer Mauer
von
[128]
von Diamanten umgeben, die der Koͤnig mir
geſchenkt hat.


Roſaline.

Habt ihr ſonſt nichts bey
erhalten?


Prinzeſ.

Ey freylich, ſo viel Liebe in
Reimen, als jemals in einem ganzen Rieße
Proſa iſt ausgekramt worden, auf beyden
Seiten beſchrieben, Kuvert, Rand, alles,
kaum noch Platz uͤbrig fuͤr das Siegel des
Liebesgottes.


Roſaline.

Cupido in Siegelwachs.


Cathrine.

Wie er leichtfertig ausſieht
darinn!


Roſ.

Jhr ſeyd ihm nicht gut, denn
er bracht’ eure Schweſter um.


Cath.

Waͤre ſie leichtſinnig geweſen
wie ihr, ſie haͤtte koͤnnen Großmutter
werden.


Roſ.

Was iſt deine finſtere Meynung,
du Maus!


Cath.

Meine Worte leuchten nicht,
aber ſie ſind auch nicht leicht.


Prinzeſ.

Spielt Ball ein andermal.
Aber was haſt du denn, Roſaline! laß
ſehen.


Roſ.

Waͤre mein Geſicht ſo ſchoͤn als
eures, ſo wuͤrd’ auch mein Praͤſent ſo
reich ſeyn. Jndeſſen vergleicht er mich
hunderttauſend beruͤhmten Schoͤnheiten, in
Wahr-
[129]
Wahrheit er hat mein Conterfey in dem
Briefe gemacht.


Prinzeſ.

Wem gleichſt du den?


Roſaline.

Den Buchſtaben hier, nicht
dem Sinn der Buchſtaben.


Prinzeſ.

Wie viel Selbſterkenntniß!
Und du Catharine, was hat Duͤmain dir
geſchenkt.


Cath.

Einen Handſchuh gnaͤdige Frau.


Prinzeſ.

Was? nicht einmal ein Paar?


Cath.

Freylich doch, und viel Paar
treuverliebte Reime obenein.


Maria.

Dieß und dieſe Schnur aͤchter
Perlen ſchenkte mir Longaville, der Brief iſt
eine halbe Meile lang.


Prinzeſ.

Du wuͤnſchteſt die Schnur
Perlen lieber ſo lang und den Brief deſto kuͤr-
zer, nicht? Wir ſind doch recht undankbar,
Maͤdchens!


Roſaline.

Und ſie recht einfaͤltig.
Wenn ich nur den Biron recht quaͤlen koͤnn-
te, eh wir reiſen. Jn einer Woche haͤtt ich
ihn unter den Fuͤſſen.


Prinzeſ.

Nimm dich nur ſelber in Acht,
niemand wird leichter uͤbertoͤlpelt als der
Witz, wenn er bis zu einer gewiſſen Hoͤhe
ſteigt. Da gehn die Grenzen der Narrheit
an.


Roſaline.

Junges Blut ſiedet ſo hoch
nicht auf.


Anm. uͤb. Theat. JPrin-
[130]
Prinzeſ.

O, die Narrheiten des Nar-
ren ſind beyweiten ſo gefaͤhrlich nicht, als
die Narrheiten des Witzes, denn alle Kraͤf-
te die er hat bietet er auf, ſeinen Raſereyen
das Anſehen der Vernunft zu geben — da
kommt Boyet, ſehr luſtig —


Boyet.

Boyet.

Jch waͤre bald geſtorben fuͤr
Lachen.


Prinz.

Was bringſt du?


Boyet.

Ruͤſtet euch Frauenzimmer! har-
niſcht euch! die Liebe droht eurer Ruhe, naͤ-
hert ſich euch verkleidt, bewafnet mit Kom-
plimenten, denen nicht zu wiederſtehen iſt.
Muſtert euren Witz oder nehmt euren Kopf
in die Hand und flieht.


Prinzeſ.

Heiliger Dyonis und heiliger
Cupido ſteh uns bey. Haben ſie ſich die
Bruſt mit Seufzern geladen, uns uͤbern Hauf-
fen zu ſchieſſen? rede Kundſchafter.


Boyet.

Jch lag unter jenem Maul-
beerbaume, als ich mit ſchon halbgeſchloſſe-
nen Augen auf einmal dem Schatten gegen-
uͤber den Koͤnig und ſeine Eidgenoſſen ſelt-
ſam gekleidt erblickte. Jch ſchlich mich
ins Geſtraͤuch und horchte alles ab, was ſie
ſich vornahmen euch zu ſagen. Jhr Herold
iſt ein kleiner neckiſcher Page, der ſeine Ge-
ſandſchaft nicht gar zu gut auswendig ge-
lernt
[131]
lernt hat. Sie lehrten ihn Aktion und Ac-
cent und fuͤrchteten, eure Gegenwart werd
ihn aus der Faſſung ſetzen. Jſt ſie ſo haͤß-
lich, fragt er, da fingen ſie denn alle druͤ-
ber an zu lachen, klopften ihn auf die Schul-
ter, machten ihn bruͤſtig mit Lobeserhebun-
gen. Einer rieb ſich die Ellenbogen und
ſchwur, er haͤtte nie einen artigern Einfall
gehoͤrt, der andre knallte mit den Fingern
und ſchrie via wir wollen gehn, entſteh dar-
aus was es wolle, der dritte drehte ſich auf
dem Zeh herum und fiel auf den Hintern,
die andern alle fielen uͤber ihn her mit einem
ſo eifrigen, anhaltenden, raſenden Gelaͤchter,
daß es laͤcherlich waͤre wenn wir ihre Narr-
heit noch ferner Leidenſchaft ſchoͤlten.


Prinzeſ.

Aber wie denn? kommen ſie
zu uns?


Boyet.

Ja freylich zu euch, und ſind
maskirt als Moskoviter, ihr Vorſatz iſt euch zu
intriguiren, mit euch zu kurteſiren, zu tanzen,
kurz alle ihre Herzensangelegenheiten auf
dieſe Weiſe in Richtigkeit zu bringen, ohne
daß ihr wißt, wen ihr vor euch habt. Sie
werden euch an ihren Preſenten erkennen.


Prinzeſ.

Geſchwinde wechſeln wir um.
Du Roſaline nimm das, und du das, ſie ſol-
len haͤßlich ablaufen, jeder ſoll ſein Herz in
den Buſen der unrechten ausſchuͤtten, und
nach der Maskerade, wie wollen wir lachen.


J 2Roſa-
[132]
Roſaline.

Sollen wir tanzen? ſo wer-
den ſie uns am Tanzen erkennen.


Prinzeſ.

Keinen Fuß bewegen wir, ſo
bald ihr Herold ausgeredt hat, kehren wir
ihnen den Ruͤcken.


Boyet.

Geſchwinde legt die Masken
an — ich hoͤre ihre Trompete.


(Sie verſchwinden einen Augenblik
und erſcheinen wieder mit Masken.
)

Dritte Scene.


Koͤnig. Biron. Longaville. Duͤmain.
Gefolge als Moſkowiter. Mot vor-
an mit Muſik als Herold.

Mot.
Heil Gruppe! dir der allerſchoͤn-

ſten Damen.

Die jemals Sterblichen den Ruͤ-

cken zugewandt.

(Die Damen kehren alle den Ruͤcken.)

Bir.

Die Augen, Schurke, ihre Augen.


Mot.

Die Augen zugewandt.
Voll — — voll — —


Biron.

Recht, voll hieß es, nur weiter.


Mot.

Voll Huld ihr Himmliſchen, ſeht
nicht zuruͤcke.


Biron.

Jetzt zuruͤcke, Beſtie!


Mot.

Mit euren wonnereichen Au — —
mit euren wonniglichen.


Biron.
[133]
Biron.

Weiter!!


Mot.

Sie merken mich nicht einmal,
das bringt mich aus dem Concept.


Roſaline.

Was wollen die Leute!
Fragt ſie Boyet, wenn ſie anders unſere
Sprache reden.


Boyet.

Was wollt ihr von der Prin-
zeſſin?


Biron.

Nichts, als Friede und gnaͤdiges
Gehoͤr.


Roſ.

Sagt ihnen, das haben ſie ſchon,
und ſo koͤnnen ſie ihre Wege gehen.


Koͤnig.

Wir haben manche Meile ge-
meſſen, um in eure ſchoͤne Fußtapfen zu treten.


Roſ.

Wie viel Zoll haͤlt eine Meile,
wenn ihr ſie gemeſſen habt?


Biron.

Wir haben ſie mit beſchwerli-
chen Schritten gemeſſen.


Roſ.

Wie viel beſchwerliche Schritte
haͤlt ſie denn?


Biron.

Wir zehlen nichts was wir fuͤr
euch aufwenden. Wuͤrdigt uns den Sonnen-
ſchein eurer Geſichter ſehen zu laſſen, damit
wir als Wilde ihn anbeten.


Roſ.

Mein Geſicht iſt nur ein Mond und
hinter Wolken dazu.


Koͤnig.

Geſeegnet ſey die Wolke die ſo
gewuͤrdiget ward. Scheine herrlicher Mond
auf die Thraͤnen unſerer Augen.


J 3Roſ.
[134]
Roſ.

Wißt ihr um nichts beſſers zu bit-
ten, als daß der Mond in Pfuͤtzen ſcheinen ſoll.


Koͤnig.

Wenn ich dreiſter reden darf,
ſo fleh ich euch ſchoͤner Mond um nichts wei-
ter als — nur einmal zu wechſeln.


Roſ.

Macht Muſik, ich will mit euch
tanzen, aufgeſpielt — nein, nein, ich tanze
nicht. So wechſelt der Mond.


Koͤnig.

Wie denn? ihr wollt nicht mehr
tanzen?


Roſ.

Den Mond. —


Koͤnig.

Wollt ihr immer noch Mond
bleiben?


Roſ.

Die Muſik geht ſchon, auf, hur-
tig, bewegt euch.


Koͤnig.

Jhr auch.


Roſ.

Nun weil ihr denn Fremde ſeyd
und ſo weiten Wegs gekommen, ſo gebt mir
denn eure Hand — aber ich tanze nicht.


Koͤnig.

Grauſame! warum nahmt ihr
denn meine Hand.


Roſ.

So wechſelt der Mond — es ge-
ſchah aus Hoͤflichkeit.


Koͤnig.

Ach noch mehr Hoͤflichkeit ich
beſchwoͤre euch.


Roſ.

Wir koͤnnen um den Preis nicht
mehr geben.


Koͤnig.

So beſtimmt uns den Preis ſel-
ber. Womit koͤnnen wir eure Geſellſchaft
erkaufen?


Roſal.
[135]
Roſal.

Mit eurer Abweſenheit.


Koͤnig.

Das kann nicht ſeyn.


Roſ.

Und ſo Adieu! Zwey fuͤr euren He-
rold, eins fuͤr euch.


Koͤnig.

Wenn ihr nicht tanzen wollt,
laßt uns wenigſtens plaudern.


Biron.

Laͤdy mit der weiſſen Hand, ein
ſuͤß Woͤrtgen mit euch.


Prinzeſ.

Honig, Milch, Zucker, da ſind
drey ſuͤſſe Worte.


Biron.

Jch kann euch noch zwey Drey-
er werfen Canarienſeckt, Mandeln und Ma-
kronen, das machen ein halb Dutzend.


Prinz.

Und ſiebentens ein ſuͤſſes Adieu.
Jch mag nicht mit euch ſpielen, ihr kneipt
die Wuͤrfel.


Bir.

Nur ein Wort ingeheim.


Prinzeſ.

Doch kein ſuͤſſes — verſcho-
net mich.


Bir.

Jhr erhitzt mir die Galle.


Prinzeſ.

Galle, bitter.


Bir.

Alſo ein gut Wort, ſeht ihr

(reden
heimlich.
)

Duͤmain.

Wollt ihr geruhen ein Wort
mit mir zu wechſeln?


Marie.

Nennt es.


Duͤmain.

Schoͤne Laͤdy!


Marie.

Schoͤner Lord!


Duͤm.

Gefaͤllt es euch heimlich mit mir
zu reden?

(heimlich)

J 4Cath.
[136]
Cath.

Wie nun? iſt eure Maske ohne
Zunge?


Long.

Jch weiß die Urſach, warum ihr
fragt.


Cath.

Warum? ich bitte euch.


Long.

Jhr habt zwey Zungen unter eu-
rer, und koͤnntet mich mit einer verſorgen.


Cath.

Een Kalf, fragt der Niederlaͤn-
der, heißt das nicht ein Kalb?


Long.

Ein Kalb, ſchoͤne Laͤdy!


Cath.

Ein Lord, wenn ihr wollt.


Long.

Laßt uns das Wort theilen.


Cath.

Nehmts ganz fuͤr euch und zieht
es groß, es koͤnnte ein Ochs daraus werden.


Long.

Huͤtet euch, daß euer ſcharfer
Witz euch nicht ſelbſt verwunde. Wollt ihr
dem Kalb Hoͤrner geben, keuſche Laͤdy! das
werdt ihr nimmermehr thun.


Cath.

Bruͤllt dann leiſe, ſonſt hoͤrt euch
der Metzger.


Boyet.

Die Zunge ſpottender Maͤdchen
iſt ſchaͤrfer als die unſichtbare Ecke eines
Scheermeſſers; ſie haut Haare ab die das
Auge ſelbſt nicht wuͤrde entdeckt haben. Jhre
Gedanken ſind befluͤgelter als Pfeile, Wind
und alles, was geſchwind iſt.


Roſ.

Kein Wort weiter, meine Maͤd-
chens, brecht ab! ſie ſind geſchlagen.


Biron.

Beym Himmel, wir ziehen den
kuͤrzern.


Koͤnig.
[137]
Koͤnig.

Lebt wohl, ſeltſame Schoͤnen!
ihr habt einen langſamen Witz.


Prinzeſ.

Zwanzig lebe wohl, ihr froſti-
gen Moſkowiter! Lohnte das der Muͤhe, ſo
weit herzukommen, um euren verrauchten
Spiritus hier anzubringen.


Boyet.

Blaue Flaͤmmlein, die euer Odem
ausloͤſchte.


Roſ.

O wider ihren Verſtand iſt nichts
einzuwenden, er iſt groß, dick und fett.


(ſie gehen ab.)

Prinzeſ.

O Armuth an Witz! o duͤrf-
tiges Koͤnigreich! Meynet ihr nicht, daß ſie
ſich dieſe Nacht alle haͤngen muͤſſen? Oder
uns ihre Geſichter nie anders wieder weiſen
als in Larven? der naſenweiſe Biron! wie
er die Naſe haͤngen ließ.


Roſ.

Sie waren alle in erbaͤrmlichen
Zuſtande. Der Koͤnig haͤtte bald angefangen
zu weinen.


Prinzeſ.

Biron ſchwur mir, er wiſſe
mir nichts mehr zu antworten.


Maria.

Dumains Schwerdt war zu
meinen Dienſten, die Spitze iſt abgebrochen,
ſagt ich, ſtill war er.


Cath.

Longaville ſagte, ich thaͤte ſei-
nem Herzen wehe. Und rathet, wie er mich
nannte?


Prinzeſ.

Eine Uebelkeit.


J 5Roſa-
[138]
Roſaline.

Geſunderer Witz ſteckt oft
in Narrenkappen. Der Koͤnig hat ſich faſt
heiſcher geſchworen.


Prinzeſ.

Und der luſtige Biron redte
von nichts als Flammen und Martern.


Cath.

Longaville war fuͤr meine Ketten
geboren.


Marie.

Und Duͤmain klebt’ an mir,
wie die Rinde am Baum.


Boyet.

Hoͤrt mich Laͤdies! ſie werden
unverzuͤglich wieder in ihrer eigenen Ge-
ſtalt hier erſcheinen.


Prinzeſ.

Sagten Sie das?


Boyet.

Bey Gott! ſie ziſchelten ſichs
in die Ohren und ſprangen fuͤr Freude, ob-
ſchon ſie lahm von euren Streichen ſind.
Darum ſo wechſelt flugs eure Praͤſente
wieder.


Roſaline.

Und gnaͤdige Frau! zehnmal
aͤrgeres Spiel ſollen ſie haben, als vorhin
unter ihren Masken. Wir wollen ihnen
ganz unſchuldig alles haarklein erzaͤhlen,
was uns mit verkleideten Moskowitern hier
begegnet waͤre.


Prinzeſ.

Recht ſo — da kommen
ſie —

(ſie laufen in die Zelte.)

Koͤnig. Biron. Dumain. Longaville
in ihren eignen Kleidern.

Koͤnig.

Wo iſt die Prinzeßin?


Boy.

Jch werde Ew. Majeſtaͤt ihr melden.


Biron.
[139]
Biron.

Das iſt ein Kerl, der pickt
den Witz auf wie Tauben Erbſen, und giebt
ſie wieder von ſich wie das Wetter darnach
iſt. Er iſt des Witzes Troͤdler, und bringt
ſeine Waaren in Bierſchenken und Kirch-
meſſen herrlich aus, derweile ſie uns, die
wir nur en gros verkaufen, im Kaſten ver-
derben. Er ſteckt die Weiber wie Steck-
nadeln in ſeinen Ermel, Großmutter Eva
waͤre vor ihm nicht ſicher geweſen, er
kann euch heimlich Briefe auf- und zuma-
chen, eine halbe Stunde ſeine eigne Hand
kuͤſſen, indem er die Dame an der Hand
haͤlt, wie eine Sonnenblume uͤberall her-
um lachen, um ſeine Zaͤhne zu zeigen, die
ſo weiß ſind als Wallfiſchrippen, kurz, es
iſt ein ſcharmanter Menſch, ſagen ſie alle.


Longaville.

Die Briefe auf- und zu-
machen, das iſt gar nicht zu verzeihen.


Prinzeßin. Roſaline. Marie. Cathrine.
Boyet. Gefolge.

Koͤnig.

Wir kommen, Euch aufzuwar-
ten, Durchlauchte Prinzeßin, und bieten
Euch nun unſern Hof zur Wohnung an,
wir haben Diſpenſation erhalten.


Prinzeſ.

Dieſes Feld ſoll mich behal-
ten, und ihr behaltet euren Eid unverletzt,
weder Gott noch wir haben Gefallen an
Meineid.


Koͤnig.
[140]
Koͤnig.

Die Tugend eures Auges brach
meinen Schwur.


Prinzeſ.

Beſchimpft die Tugend nicht
ſo, ſie wird nie einen Mann bewegen auch
nur ſein Wort zu brechen, geſchweig einen
Eid. Bey meiner jungfraͤulichen Ehre,
die noch ſo lauter iſt als die unbefleckte
Lilie, fuͤr eine Welt von Martern wuͤrd
ich mich nicht bewegen laſſen, in euren
Hof einzukehren, ſo ſehr verabſcheue ich,
Urſache eines Eidbruchs zu werden.


Koͤnig.

Jhr lebet hier zu ſehr in
Dunkelheit, ungeſehn, unbeſucht, unge-
feyert, es iſt meine Schande.


Prinzeſ.

O nein, mein Herr! ich ver-
ſichere euch, wir haben hier mancherley
Zeitkuͤrzungen. Eben hat uns ein ganzer
Zug Ruſſen verlaſſen.


Koͤnig.

Ruſſen?


Prinzeſ.

Jn der That, rußiſche Stu-
tzer! ſehr praͤchtig gekleidet.


Roſ.

Meine Fuͤrſtin treibt die Hoͤflich-
keit zu weit, es waren die plumpſten Ge-
ſchoͤpfe, die ich auf dem Erdboden geſehen
habe. Hier haben ſie eine ganze Stunde
geſtanden, und kein einzig geſcheidtes Wort
hervorbringen koͤnnen. Narren moͤchte ich
ſie nicht nennen, denn ich habe unter der
Kappe oft beſſere Koͤpfe gefunden.


Biron.
[141]
Biron.

Schoͤnes, angenehmes Fraͤu-
lein, euer Witz koͤnnte Weisheit ſelber zur
Narrheit machen. Das hellſte Auge, wenn
es das feurige Auge des Himmels gruͤſſet,
verliert ſein Licht, bey eurem Reichthum
ſcheint die Weisheit ſelber Thorheit, und
der Reichthum Armuth.


Roſ.

Warum nehmt ihr euch der Leute
an? wollt ihr mir etwa beweiſen, daß ihr
weiſe und reich ſeyd?


Biron.

Jch bin ein Narr, und arm
an Faͤhigkeit.


Roſ.

Jhr nehmt zu ſchnell was euch
gehoͤrt.


Biron.

Jch bin euer mit allem was
ich beſitze.


Roſ.

Alſo mein Narr.


Biron.

Jch darf euch ſonſt nichts
ſchenken.


Roſ.

Wie ſah die Maske aus, die ihr
trugt?


Biron.

Was? wo? welche Maske?


Roſ.

Hier denn — die das haͤßliche
Geſicht verbarg.


Koͤnig.

Wir ſind verrathen, ſie ma-
chen uns zu ſchanden.


Dum.

Jch denke, wir geſtehen lieber
alles.


Prinzeſ.

Warum ſo erſchrocken, mein
Prinz? warum ſo ſtill?


Roſ.
[142]
Roſ.

Zu Huͤlfe! haltet ihm den Kopf,
er wird ohnmaͤchtig, warum werdet ihr
ſo bleich? Seekrank vermuthlich, es kann
nicht anders ſeyn, da ihr von Moskau
kommt.


Biron.

So ſchuͤtten die Sterne Plagen
herab fuͤr unſern Meineid. O koͤnnte ein
Geſicht von Erz dagegen aushalten? Hier
ſteh ich, Laͤdy! ſchleudre Verachtung auf
mich herab! zermalme mich mit deinem
Spott! durchbohre mit deinem ſcharfen, all-
zuſcharfen Witz meine Unwiſſenheit, hau
mich in Stuͤcken mit deinen Einfaͤllen, ver-
wuͤnſchen will ichs mit dir zu tanzen, ver-
wuͤnſchen meinen rußiſchen Bart, nie will
ich mehr auf zugeſpitzte Worte mich verlaſ-
ſen, noch auf die Zunge eines Schulknaben,
nie in Larven zu meinen Feinden gehen, noch
in Reimen freyen wie ein blinder Harfeniſt.
Taffetne Redensarten, ſeidne Worte, ich
verſchwoͤre euch itzt, bey dieſem weißen Hand-
ſchuh, (wie weis die Hand iſt, das weiß
Gott), von nun an will ich meine Sehn-
ſucht nicht anders ausdrucken, als durch ein
ranhes Ja, durch ein ehrlich wollichtes
Nein, und um den Anfang zu machen: Gott
helf euch, Frauenzimmer! ich hab euch
lieb. Aber antwortet mir nicht, ich kann
euch nicht wieder antworten, mein Witz iſt
zum Ende.


Koͤnig.
[143]
Koͤnig.

Lehrt uns, theureſte Prinzeßin!
irgend eine Entſchuldigung fuͤr unſer grobes
Vergehen.


Prinzeſ.

Die ſchoͤnſte iſt Geſtaͤndniß.
Wart ihr nicht eben hier und verkleidt?


Koͤnig.

Ja Madam, ich war —


Prinzeſ.

Und kanntet uns vollkommen
wohl?


Koͤnig.

Vollkommen wohl.


Prinzeſ.

Was habt ihr eurer Dame zu-
gefluͤſtert?


Koͤnig.

Daß ich ſie mehr verehrte als
die ganze Welt.


Prinzeſ.

Wenn ſie euch bey eurem
Wort faſſen wollte, wuͤrdet ihr nicht zuruͤck
ziehen?


Koͤnig.

Bey allem, was heilig iſt, nein.


Prinzeſ.

Jch bitt euch, hoͤrt auf, ich
moͤcht euch nicht zum zweytenmal meineidig
machen.


Koͤnig.

Verachtet mich auf ewig —


Prinzeſ.

Stille doch — Roſaline, was
fluͤſterte der Prinz dir ins Ohr.


Roſ.

Daß er mich hoͤher ſchaͤtzte als die
ganze Welt, und daß er mich heyrathen
wollte, und wenn eine Welt zwiſchen uns
laͤge.


Prinzeſ.

Gott geb euch Gluͤck mit ihr.


Koͤnig.

Jch dieſer Laͤdy das geſchworen.


Roſ.
[144]
Roſ.

Beym Himmel! ihr thatets, und
zum Unterpfand gabt ihr mir dieß, wenn
ihrs wieder haben wollt.


Koͤnig.

Dieß, und meinen Eid gab ich
der Prinzeßin, ich kannte ſie an dieſer juwe-
lenen Bruſtſchleife.


Prinzeſ.

Eben dieſe Bruſtſchleife trug
ſie damals, und Lord Biron, dem ich ſehr
verbunden dafuͤr bin, iſt mein Liebhaber.


Biron.

O gnaͤdigſte Prinzeßin — ich
merke alles, Lord Boyet hat uns unſern
Spaß voraufgekauft, um ein Faßnachtſpiel
aus unſerer Maskerade zu machen. Geſteht
es nur, habt ihr nicht eben itzt Roſalinen
auf den Fuß getreten, und in ihren Augapfel
hinein gelacht, daß ſie euch nicht verrathen
ſollte. Darauf haben ſie die Praͤſente ver-
wechſelt — geht ihr habt unſern Pagen aus-
geſtochen, ſterbt wenn es euch beliebt, und
eine Dame ſey euer Grab.


Boyet.

Euer Witz nimmt wieder den
Courier.


Biron.

Aber ſtolpert — (Coſtard kommt.)
Willkommen Landwitz, du kommſt mit mir
wett zu rennen.


Coſt.

O Lord, Herr! ſie wollen nur wiſ-
ſen, ob die drey Helden herein kommen duͤrfen.


Biron.

Was, ſind nur drey da?


Coſt.

Nein Herr, es ſind eben fuͤnfe,
denn jedweder von ihnen ſtellt drey vor.


Biron.
[145]
Bir.

Nu, und dreymal drey iſt ja neun.


Coſt.

Nicht ſo, Herr, mit eurer Er-
laubniß, unſer einer weiß auch was er
weiß, ich hoff dreymal drey, Herr! —


Bir.

Jſt nicht neune?


Coſt.

Mit eurer Erlaubniß, Herr! wir
wiſſen wie weit das traͤgt, ihr werdt uns
das nicht weiß machen.


Bir.

Beym Jupiter, ich meynte drey-
mal drey waͤre neune.


Coſt.

O Lord Herr, es waͤr ein Elend
wenn ihr euer Brod mit Rechnen verdie-
nen muͤßtet.


Bir.

Wieviel macht es denn?


Coſt.

Die Parten ſelbſt, Herr! werden
euch zeigen wie weit das traͤgt, fuͤr mei-
nen Part ich bin, wie ſie ſagen, nur da
vor einen Mann, einen einzigen armen
Teufel, Pompius den großen, Herr!


Biron.

Du auch einer von den Helden?


Coſt.

Sie ſagen, daß ich Pompius der
Große bin.


Bir.

Geh, laß ſie herein kommen.


Coſt.

Wir wollens ſauber genug ma-
chen, Herr!

(ab.)

Koͤnig.

Sie werden uns nur beſchaͤ-
men, Biron! weiſ’ ſie ab.


Biron.

Wir ſind ſchaamfrey, Ew. Ma-
jeſtaͤt, es iſt Politik wenn wir einem Spek-
takel Platz machen, das ein wenig laͤcher-
licher iſt als unſers.


Anm. uͤb. Theat. KPrin-
[146]
Prinzeſ.

Laßt ſie kommen, mein Prinz!
der Scherz gefaͤllt am ſicherſten, der nicht
weiß, wie er dazu kommt. Wo der Witz
kreißet, und doch unvermoͤgend, jemals zu
befriedigen, mitten in den Geburtsſchmer-
zen ſtirbt, da macht die Beſchaͤmung ihres
Selbſtvertrauens eine unnachahmlich drol-
lichte Figur.


Armado kommt.

Armado.

Geſalbtes Haupt, ich bitte
um eine kurze Pauſe deines koͤniglichen
Odems, fuͤr ein paar Worte die ich an-
zubringen habe. Es geht alles gut, mein
honigſuͤßer Monarch —


(redt heimlich mit ihm.)

Prinzeſ.

Dient der Mann Gott?


Biron.

Warum fragt ihr?


Prinzeſ.

Er ſieht nicht aus wie einer
den Gott erſchaffen hat.

(Armado geht.)

Koͤnig.

Das wird eine ſaubere
Gruppe Helden geben, er macht Hektorn,
der Bauer Pompejus den Großen, der
Pfarr Alexandern, Armados Page Herku-
les, und der Pedant Judas Makkabaͤus.
Gelingen ihnen die vier, ſo ziehen ſie an-
dere Kleider an, und machen die uͤbrigen fuͤnfe.


Biron.

Wir wollen ſuchen ſie irre zu
machen.


Coſtard tritt auf als Pompejus.

Coſt.

Jch bin Pompius.


Boyet.

Jhr luͤgt, das ſeyd ihr nicht.


Coſt.
[147]
Coſt.

Jch, Pompius.


Biron.

Lieber ein Leopard.


Coſt.

Jch Pompius, der dicke ſonſt
geſagt.


Duͤm.

Der Große.


Coſt.

Recht, es war groß, Herr! Der
Große ſonſt geſagt.


Der oft im Feld

Mit Schwerdt und Schild

Den Feind zu ſchwitz’n g’macht:

Und reiſend iſt

Auf dieſer Kuͤſt

Komm hier von ungefaͤhr,

Und leg mein’n Schild

Zum Fuͤßen mild,

Der ſchoͤnen Jungfer ’s Welſchland

daher.

Wenn Jhr Gnaden Mamſell, mir itzt ſa-
gen will: großen Dank, Pompius! ſo
waͤr itzt wohl mein Sach. gethan.


Prinzeſ.

Großen Dank, großer Pompejus.


Coſt.
(buͤckt ſich laͤchelnd.)

Jch weiß nicht,
ob mein Part ſo recht war, aber ich hoff
doch ich macht’ es perfeckt. Einen kleinen
Anſtoß hab ich im Großen gemacht, aber
ich hoff es hat nichts zu ſagen.


Nathanael kommt als Alexander.

Nath.

Als ich lebt’ in der Welt, be-

herrſchte mit einander

Nord, Oſt, Weſt, Suͤd, und hab ver-

breitet mein Gewalt.

K 2Mein
[148]
Mein Schildlein zeiget aus, daß ich

bin Alexander.

Boyet.

Eure Naſe ſagt nein dazu.


Biron.

Eure Naſe roch dieſen ſcharfen
Ritter nicht.


Prinzeſ.

Der Held iſt erſchrocken.
Fahrt fort, guter Alexander.


Nath.

Als ich lebt in der Welt, be-
herrſchte mit einander —


Boyet.

Jhr Alexander?


Biron.

Pompejus der große!


Coſt.

Euer Knecht und Coſtard, zu
euren Dienſt.


Biron.

Huſch ihn weg, den Alexan-
der, ſchlepp ihn fort, den Eroberer.


Coſt.

Es iſt ja aber unſer Herr Pfarr.


Bir.

Du hoͤrſt, er ſagt, er ſey Alexander.


Coſt.

So ſollt ihr aus euren gemahl-
ten Kleidern ausgekratzt werden. Ein Held
und verſchrocken zu ſprechen? Pfuy ſchaͤmt
euch. Er iſt ein gut ehrlicher Gevatters-
mann, mein Treu, ein recht braver Kegel-
ſchieber, aber zum Aliſander da ſchickt er
ſich wie Pauken zum Eſeltreiben. Seht,
da kommen die andern Parten, macht
euch nur an die Seit, Herr Pfarr, ich
verſichere euch.


Holofernes als Judas, Mot als
Herkules.

Holof.

Dies zarte Reiß, den Herkles

ſtellet dar

Der
[149]
Der mit der Keul erſchlug den drey-

gekoͤpften Canus,

Und als er noch ein kleines Wuͤrmlein

war

Erdroſſelte die Schlang in ſeiner klei-

nen manus.

Quoniam er zeiget ſich noch minorena

allhie,

Ergo ſo tret ich auf mit der Apologie.

Nun geh huͤbſch gerad ab, huͤbſch gerad.

(Mot ab.)

Holof.

Jch Judas —


Dum.

Wie Judas —


Holof.
Nicht Jſchariot, Herr —

Jch Judas, hochberuͤhmter

Makkabaͤer.

Duͤm.

Jch weiß von keinem andern
Judas als —


Bir.

Ein kuͤſſender Verraͤther.


Holof.

Jch Judas, hochberuͤhmter —


Dum.

Deſto ſchlimmer, daß du dafuͤr
bekannt biſt.


Holof.

Was meynet ihr, Herr?


Boyet.

Jch meyne, Judas muͤßte ſich
aufhaͤngen.


Holof.

I præ ſequar, mein Herr.


Biron.

An was fuͤr einen Baum wer-
det ihr euch haͤngen?


Holof.

Jhr werdt mich nicht aus
meiner Faſſung bringen.


Biron.

Weil ihr keine habt.


K 3Holof.
[150]
Holof.

Was iſt denn dies?

(auf ſei-
Kopf zeigend.
)

Boyet.

Der Kopf einer Zitter.


Duͤm.

Ein Stecknadelkopf.


Biron.

Ein Todtenkopf.


Long.

Ein Kopf auf einer alten Muͤn-
tze, die nicht mehr zu erkennen iſt.


Duͤm.

Der Stoͤpſel eines Riechflaͤſch-
gens.


Biron.

Sankt Georgens halbes Ge-
ſicht, auf einem Bratſpies.


Duͤm.

Auf einem Bund Ruthen.


Biron.

Der Deckel einer Zahnſtocher-
doſe — nun geh, wir haben dir die Faſ-
ſung gegeben.


Holof.

Jhr habt mich aus meiner
Faſſung gebracht.


Biron.

Waͤrſt du ein Loͤwe geweſen,
du haͤtteſt mir heraus ſollen.


Duͤm.

Da es aber ein Eſel iſt, ſo laßt
ihn gehn. Adieu Judas, wornach ſtehſt
du?


Boyet.

Nach der andern Haͤlfte ſeines
Namens.


Biron.

Gebt ſie ihm immer! fort
Jſchariot.


Holof.

Das iſt nicht adelich, nicht
großmuͤthig.


Boyet.

Ein Licht dem Herrn Judas,
die Treppe iſt dunkel, er moͤchte den Hals
brechen.


Koͤnig.
[151]
Koͤnig.

Es ſcheint, Biron thut ſich
heute was an Rache zu gut.


Armado kommt als Hektor.

Biron.

Verhuͤlle dich, Achill, hier
kommt Hektor in Waffen.


Duͤm.

Hektor war nur ein gemeiner
Trojaner gegen ihn.


Boyet.

Das Hektor.


Longav.

Jch denke, Hektor war ſo
ſpuͤddig nicht.


Biron.

Sein Schenkel iſt zu dick fuͤrn
Hektor.


Duͤm.

Er hat gar zu ſtarke Waden.


Boyet.

Das kann unmoͤglich Hektor
ſeyn.


Armado.

Wenn wirds ein Ende haben?


Der Waffen ſtarke Mars, in Lanzen

der Allmaͤcht’ge

Gab Hektorn ein Geſchenk,

Duͤm.

Eine Haſelnuß.


Biron.

Eine Tabatiere.


Boyet.

Eine Melone.


Armado.

Der Waffen ſtarke Mars in

Lanzen der Allmaͤcht’ge

Gab Hektorn ein Geſchenk, dem Kron-

prinz Jlions,

Ein Mann ſo ſtark an Bruſt, daß er

in dem Gefechte

Oft Tag und Nacht befand ſans recrea-

tions

Jch bin die edle Blum.

K 4Duͤm.
[152]
Duͤm.

Die Krauſemuͤnze.


Long.

Der Gaͤnſerich.


Armado.

Werther Lord Longaville, hal-
tet eure Zunge im Zaum.


Long.

Hektor ſtolpert.


Duͤm.

Hektor iſt ein Windſpiel.


Armado.

Der angenehme Kriegsheld
iſt lang todt und verweſt, o ihr meine wer-
then Gewuͤrme, beißt ſeine Gebeine nicht.
Doch ich will zur Sache, zu meiner Deviſe,
Eure koͤniglichen Gnaden, goͤnnt mir euren
Sinn des Gehoͤrs.


Prinzeſ.

Sprecht, guter Hektor, es
macht uns viel Vergnuͤgen.


Arm.

Jch bethe Euer Gnaden Pantof-
fel an.


Der Hektor ſchoͤn bracht auch den Han-

nibal

Bracht ihn, bracht — bracht ihn zu Fall.

Coſt.

Ja es iſt wahr, Gevatter! ihr
habt ſie zu Fall gebracht, das Kind iſt
ſchon zwey Monath unterwegens.


Armado.

Was meynſt du?


Coſt.

Jch meyne, wenn ihr kein honet-
ter Hektor ſeyd, ſo ſoll das Wetter nein ſchla-
gen. Es iſt ſchon zwey Monat daß ſie bekennt.


Arm.

Willſt du mich hier mitten unter
den Potentaten zu ſchanden machen? du ſollt
ſterben.


Coſt.

Dann ſollt ihr mein Seel den
Staupbeſen kriegen.


Duͤm.
[153]
Duͤm.

Vortreflicher Pompejus.


Boyet.

Ehrenvoller Pompejus.


Bir.

Groͤſſer als groß, groſſer, groſſer,
groſſer Pompejus, Pompejus der ungeheure.


Duͤmain.

Hektor zittert.


Biron.

Pompejus gluͤht! mehr Feuer,
mehr Feuer.


Duͤm.

Hektor wird ihn herausfordern.


Biron.

Freylich ſollt ers und wenn er
nicht mehr Mannsblut in ſeinem ganzem Lei-
be haͤtte, als eine Fliege ſatt damit zu machen.


Armado.

Beym Nordpol ich fordere
dich heraus.


Coſtard.

Jch bitt euch, laßt mich meine
Ruͤſtung wieder anthun.


Duͤmain.

Platz fuͤr die entzuͤndeten
Helden.


Coſtard.

Jch will im Hemdefechten.


Duͤmain.

Sehr herzhafter Pompejus.


Mot.

Herr ich bitt euch, laßt mich euch
aufknoͤpfen, ſeht ihr nicht, Pompejus ſteht
ohne Futteral da, ihr werdet eure Reputa-
tion verlieren.


Armado.

Edle und Helden, verzeyht
mir, ich werde nicht im Hemd ſtreiten.


Duͤmain.

Jhr koͤnnts nicht abſchlagen,
Pompejus hat die Ausfoderung gemacht.


Armado.

Angenehme Freunde! ich
kann, will und werde.


Biron.

Was habt ihr fuͤr Urſachen?


K 5Armado.
[154]
Armado.

Die nackte Wahrheit iſt, daß
ich kein Hemd habe. Jch geh in Wolle zur
Poͤnitenz.


Letzte Scene.


Makard tritt herein, einer aus der Prin-
zeßin Gefolge.

Prinzeßin.

Willkommen Makard, ſcha-
de daß du unſer Vergnuͤgen ſo unterbrichſt.


Makard.

Und die Zunge ſchwer von
Neuigkeiten, gnaͤdige Frau. — Der Koͤnig
euer Vater —


Prinzeſ.
(ſpringt auf)

Todt, ſo wahr ich
lebe —


Makard.

Mein Auftrag iſt verrichtet.


Biron.

Weg Helden! die Scene be-
ginnt zu bewoͤlken.


Armado.

Was mich betrift, ſo hab ich
das Licht der Ungerechtigkeit durch die Ritze
der Klugheit wahrgenommen, und ſo will
ich auf der verderbten Welt den Hektor nicht
mehr proſtituiren.

(die Helden ab)

Koͤnig.

Wie befindet ſich Eure Hoheit.


Prinzeſ.

Boyet, mach Anſtalten! noch
dieſe Nacht.


Koͤnig.

Nicht ſo, theureſte Prinzeßin,
wenn mein Bitten was vermag.


Prinzeſ.

Mach Anſtalt! Jch dank euch
ebelmuͤthige Herren, mit einem veraͤnderten
betruͤb-
[155]
betruͤbten Herzen zwar, euer geſchmeidige
Witz wolle unſern zu dreiſten Widerſtand ent-
ſchuldigen. Haben wir uns zu kuͤhn gegen
euch bezeigt, ſo war eure zu weitgetriebene
Nachſicht ſchuld daran. Und ſo lebt wohl,
theureſter Prinz, ein betruͤbtes Herz verſtat-
tet keine weitlaͤuftige Sprache, verzeiht mir
alſo wenn ich an Dank zu kurz komme, da
ich die Urſache dazu ſo reichlich erhalten.


Koͤnig.

Der aͤuſſerſte Saum der Zeit
lenkt oft alle Urſachen in der Geſchwindigkeit
zu einem Endzweck zuſammen und oft ent-
ſcheidet ſie mitten in ihren ſchnellſten Fluge
Sachen, welchen eine lange Bemuͤhung kei-
nen Ausſchlag geben konnte. Und ob-
ſchon die traurende Stirn einer zaͤrtli-
chen Wayſe der Liebe ihre Schmeicheleyen
unterſagt: ſo wag ich es dennoch euch zu
flehen, da einmal unter uns der heilige
Handel der Liebe auf dem Tapet war, laßt
die Wolken der Traurigkeit unſer beyderſei-
tiges Ziel nicht ganz aus eurem Geſicht ent-
ziehen. Es iſt doch kein ſolcher Gewinn ver-
lohrne Freunde zu beweinen, als ſich mit
neu erworbenen zu erfreuen.


Prinzeſ.

Jch verſteh euch nicht. Jhr
macht mir meinen Schmerz nur empfind-
licher.


Biron.

Plane Worte durchdringen das
Ohr des Schmerzens am behendeſten. Hoͤrt
mich an ſchoͤne Prinzeßin! Wir haben mit
unſern
[156]
unſerm Gide geſpielt, Laͤdies, eure Schoͤn-
heit hat uns verunſtaltet, allen unſern Vor-
ſaͤtzen und Entſchließungen eine andere Ge-
ſtalt gegeben. Eure himmliſchen Augen
allein ſind an unſerer Verwandlung Urſach,
unſere Verirrungen ſind die eurigen, wenn
ihr nicht mit uns helft ſie zu einem guten
Zweck zu leiten. Wir waren untreu gegen
uns ſelbſt, als wir meineydig wurden, um
auf ewig benen treu zu bleiben, die bey-
des aus uns gemacht, euch ſchoͤne Ladies.
Und eben nur dadurch reinigt dieſe Falſch-
heit, die ſonſt Suͤnde waͤre, ſich ſelbſt und
wird zur Gnade.


Prinzeſ.

Jch geſtehs wir haben eure
Briefe, eure Geſchenke voll Liebe empfan-
gen, aber in unſerm Maͤdchenkriegsrath al-
les dieß fuͤr Galanterie, fuͤr Bombaſt und
Unterfutter der Zeit und der Umſtaͤnde er-
klaͤrt.


Duͤmain,

Unſere Briefe gnaͤdige Frau,
zeigten etwas mehr als Scherz.


Longav.

So auch unſere Blicke.


Roſal.

Wir haben ſie ſo nicht verſtan-
den.


Koͤnig.

O jetzt in der letzten Gunſt
der Zeit erklaͤrt euch.


Prinzeſ.

Eine viel zu kurze Zeit, mein
Prinz! einen Handel auf die Ewigkeit zu
ſchlieſſen. Ewr. Herrlichkeit iſt meineydig
worden, wenn Jhr aus Liebe zu mir (da ich
doch
[157]
doch noch zweifle ob ihr das Wort kennt) was
unternehmen wollt, ſo ſey es dieß. Keinen
neuen Eid, behuͤte der Himmel, aber reiſet
ungeſaͤumt in eine abgeſonderte von allen
Weltzerſtreuungen nackte Einſiedeley, dort
bleibt bis die zwoͤlf himmliſchen Zeichen ih-
ren Umlauf vollendet haben. Wenn dieß
ſtrenge geeinſamte Leben auch das Anerbie-
ten das ihr mir jetzt in der Hitze eures
Bluts gethan habt nicht leid macht, wenn
Froſt und Hunger, hartes Bett und duͤnne
Kleider die buntfaͤrbige Bluͤthe eurer Liebe
nicht abſtreiffen, wenn ſie dieſe Probe aus-
haͤlt und noch immer Liebe bleibt, dann
nach Verlauf dieſes Jahres komm — und,
bey dieſer jungfraͤulichen Hand, die ich jetzt
in die deinige ſchlage — dann will ich die
Deinige ſeyn. Bis dahin ſoll mein weh-
muͤthiges Selbſt in ein Trauerhaus ver-
ſchloſſen, die Thraͤnen des Wehklagens auf
das Andenken meines geliebten Vaters her-
abregnen. Schlaͤgſt du mir aber dieſe For-
derung ab, ſo reiß deine Hand los aus mei-
ner und laß unſre Herzen ſich fremde
werden.


Koͤnig.

Wenn ich dieß und noch mehr
als dieß abzuſchlagen faͤhig waͤre, ſo ſollte
die ſchnelle Hand des Todes lieber gleich
meine Augen zudruͤcken. Geh alſo nur fort
von uns, Theure — mein Herz bleibt in dei-
ner Bruſt.


Biron.
[158]
Biron.

Und was fuͤr mich, meine Lie-
be, was fuͤr mich?


Roſaline.

Auch ihr muͤßt durchs Feg-
feuer, eure Suͤnden ſind wie uͤppig Unkraut
Betrug und Meineyd ſind euch zu Kopf ge-
wachſen, daher, wollt ihr mich verdienen, ſo
muͤßt ihr zwoͤlf Monat im Hoſpital zubringen.


Duͤmain.

Und was fuͤr mich.


Cath.

Einen Bart, eine Frau und gu-
te Geſundheit.


Duͤm.

O erlaubet mir meine Dankſa-
gung.—


Cath.

Nicht ſo, mein Heer! zwoͤlf Mo-
nath und einen Tag ſollt ihr euch den Bart
wachſen laſſen. Kommt alsdenn mit dem
Koͤnig, ſo will ich ſehen was ich fuͤr euch
thun kann.


Long.

Und was ſagt Maria.


Maria.

Zwoͤlf Monath Trauer.


Long.

Ach, aber die Zeit iſt ſo lang.


Maria

Deſto beſſer ſchickt ſichs fuͤr euch,
langer Herr.


Biron.

Woruͤber denkt meine Laͤdy?
Seht mich an, guckt hinein zum Fenſter mei-
nes Herzens, mit welcher Bereitwilligkeit es
eure Erklaͤrung erwartet.


Roſaline.

Mein Lord Biron! ich habe
viel von euch gehoͤrt eh ich euch ſah, euer
Ruf gab euch fuͤr einen Mann voll ſinnrei-
cher Einfaͤlle und verwundender Stichelreden,
die ihr auf alles ohne Unterſchied abſchoͤſſet
was
[159]
was innerhalb den Grenzen eurer Faͤhigkeit
laͤge. Dieſen Wermuth aus eurem [ſonſt]
fruchtbaren Hirn auszurotten, und zugleich
um mich zu gewinnen, wenn euch das letzte
angelegen ſeyn kann, ſollt ihr zwoͤlf Mona-
te Tag fuͤr Tag die ſprachloſen Kranken des
Hoſpitals beſuchen, da die ganze Energie eu-
res Witzes aufbieten, dieſe troſtloſen Elende
laͤcheln [zu] machen.


Biron.

Froͤliches Gelaͤchter in der Gur-
gel des Todes intoniren? Es iſt unmoͤglich,
Laͤdy! Scherz kann keine agoniſirende See-
le bewegen.


Roſaline.

Deſto beſſer, ſo iſt dieß das
ſicherſte Mittel einen ſtechenden neſſelartigen
Geiſt zu erſticken, der von der zu leichtſinni-
gen Gunſt erzogen ward, womit ſeichte Zu-
hoͤrer eure Schwaͤnke aufgenommen. Das
Gluͤck eines Scherzes liegt in dem Ohr das
ihn hoͤrt, nicht in der Zunge ſo ihn ausſpricht.
Alſo wenn kranke Ohren betaͤubt, von dem
klaͤglichen Schall ihrer eigenen Seufzer und
ihres Geaͤchzes euch willig anhoͤren, ſo fahrt
fort darin, und ich will euch mit ſamt eurem
Fehler heyrathen, aber iſt das nicht ſo fort
mit dem Geiſt, und ich werde vergnuͤgt ſeyn,
euch einen Pfund leichter an Witz zu bekom-
men aber mit einem beſſern Herzen.


Biron.

Zwoͤlf Monath? ſey es! was
thut man nicht, ſo viel zu gewinnen, ich
will zwoͤlf Monath im Hoſpital ſcherzen.


Prinzeſ.
[160]
Prinzeſ.

Und ſo mein Prinz! nehm’
ich meinen Abſchied.


Koͤnig.

Nein Madame! wir werden
euch begleiten.


Biron.

Unſere Freyde endigt wenigſtens
nicht wie eine Komoͤdie, Hans heyrathet
nicht Grethen — ſo aͤhnlich auch alles ſonſt
einer Komoͤdie ſah.


Koͤnig.

Es fehlen nur noch zwoͤlf Mo-
nath und ein Tag dran, ſo wirds eine.


Biron.

Das iſt zu lang fuͤr ein Schau-
ſpiel.

[][][][][]
Notes
*)
Jm Original: Loveſ Labour’ſ loſt.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnj2.0