nach
Aufſteigender Linie
Erſter Theil.
bey Chriſtian Friedrich Voß,1778.
[[2]][[3]]
Ich — Halt! — Ein Schlagbaum —
Gut — wohl — recht wohl — Ein
wachhabender Officier! — wieder einer mit
einem Achſelbande zu Pferde — zu Fuß —
von der Leibgarde — von der Garde der
gelehrten Republick — ich ehr’ ihre Uniform,
meine Herren, und damit ich ſie der Muͤhe
uͤberhebe mir die uͤblichen Fragſtuͤcke vorzule-
gen; moͤgen Sie wiſſen, daß ich, wie der Paß
oder Taufſchein es ausweiſet, ein Schrift-
ſteller in aufſteigender Linie bin. In den
folgenden zwei Baͤndchen welche ich wenn
Gott Leben und Geſundheit und Luſt und
Liebe zum Dinge verleihet, kuͤnftige Meſſe
zu liefern willens bin, wird mein Lebenslauf
bis zu einer ſaͤchſiſchen Friſt vor der Meſſe,
fortgeſezet werden: Im vierten Baͤndchen
werde ich den Lebenslauf meines Vaters, und
im fuͤnften den Lebenslauf meines Grosva-
ters erzaͤhlen auch alles nach Geſtalt und
Gelegenheit der Umſtaͤnde mit unumſtoͤßlichen
Urkunden belegen. Dieſer Plan ſoll darum
A 2noch
[4] noch mehr Eigenes haben, weil ich den Le-
benslauf meines Vaters und Grosvaters
Berg ab erzaͤhlen will, da wir jetzo nur
Berg auf zu gehen gewohnt ſind. Ich wer-
de von der Zeit da mein Vater Paſtor in Cur-
land war anfangen und bei ſeiner Wiege
aufhoͤren und ſo ſolls auch mit meinem Gros-
vater werden, der in meiner Geſchichte eher
ſterben als gebohren werden ſoll. Wurzeln,
Zweige und Blaͤtter haben einerlei Struktur.
Begrabe die Zweige in die Erde, und laß die
Wurzel in die freie Luft gen Himmel ſehen:
Es wird ein Baum!
Vor der Hand ſei es meinen Leſern gnug
in Beziehung auf mich von dem vierten und
fuͤnften Baͤndchen, wobei ich die Beilagen
nicht ausſchließen will, zu wiſſen
HVIC
MONVMENTO
USTRINVM
APPLICARI
NON. LICET.
Ich rathe zu keiner Juſtinianiſchen Ueberſe-
zung dieſer Stelle l. 2. §. 27. Cod. de vet.
jur. enucl. κατά ποδα und da Vorrede die
Nach-
[5] Nachrede hindert moͤgen ſich meine Leſer
wohlbedaͤchtig merken
Ο῾ δυνάμενος ϑέλειν, δύναται ϰαι μὴ ϑέλειν.
welche Stelle ſie nach Herzensluſt dolmet-
ſchen koͤnnen.
Es iſt die hoͤchſte Zeit, daß ich wieder
auf mich ſelbſt und auf den Daumen Zeiger
und Mittelfinger dieſes Werks zuruͤck kehre.
Giebt es nicht wie es am Tage iſt ſo gar
der heiligen Schrift Spoͤtter? wie ſolt ich
alſo wol nach Art jenes Phariſaͤers mit den
Worten an den Altar treten
Οὐδ᾽ ἄν ὁ Μῶμος (ἐφη) τόγε τοιοῦτον μέμψαιτο.
Uebrigens geſtehe ich herzlich gerne denen Er-
zaͤhlern ein vorzuͤglicheres Verdienſt ſowohl
in Abſicht des Ellenmaaßes als der Wuͤrde
zu, welche bei jedem merkwuͤrdigen Vorfall
außerhalb ihren Grenzen einen Wegweiſer
aufrichten und ihre Leſer zur Nuzanwendung
auf Lehre und Troſt bringen. Ich werde
mich ſo nehmen, wie ich mich finde. Wer
auf eine Schuͤſſel mehr oder Sallat, Sardel-
len, Caviar, Auſtern und andere Zuſaͤtze
Leckerbiſſen und Noten luͤſtern iſt; laße ſich
anrichten, was ihm gefaͤllig iſt und thue was
er nicht laſſen kann. So lange meine Leſer
A 3gehen
[6] gehen koͤnnen; will ich ihnen keine Kruͤkke ge-
ben, wenn ſie ſelbſt eine Doſe haben; warum
ſoll ich ihnen mit meinem St. Omer an die
Hand gehen (es braucht vielleicht mancher
Eſpagniol, Tonka, Havana Rapee) und wenn
ſie ſelbſt wiſſen daß ſie Menſchen ſind, wie
ſolt’ ich ſie wol all’ Augenblick mit einem
Stehe Wanderer oder Leſer pfaͤnden, und
ihnen widerholen, daß ſie ſterben muͤſſen auf
daß ſie klug werden.
Mein Wahlſpruch iſt I licet:
So wie aber die Grabmaͤler der Alten, wo
man ſeit einiger Zeit (einige ſezten hiezu
Gott! ſei gelobt, andere Gott! ſei’s geklagt)
auch in Gott ruhet, nachdem man ſich vor
dieſem ſcheute der ſeelige L. Annaeus Florus
der wohlſeelige C. Plinius Caec. Sec. der
hochſeelige M. Tullius Cicero und der hoͤchſt-
ſeelige Marcus Aurelius Antoninus. Armenia-
cus. Parthicus. Maximus zu ſagen.
So wie die Grabſtaͤten der Alten mit
den allgemeinen Landſtraßen verbunden wa-
ren, um den Reiſenden anzuhalten, ſo iſt es
zwar Regel fuͤr mich den geneigten Leſer ſich
ſelbſt zu uͤberlaſſen,
coelo tegitur qui non habet urnam.
Doch
[7] Doch wo iſt Regel ohne Aber? Was ſich ein
paar handelnde Perſonen auf dem Theater un-
ter vier Augen ſagen, gehoͤrt ohnehin mit zur
Handlung und mir ſtand es wol am wenig-
ſten zu in einer wahren Geſchichte, Leuten das
Wort aus dem Munde zu nehmen und ihnen
ein Stillſchweigen aufzulegen. —
Gott mit Ihnen meine Herren und
auch mit meinem kleinen Leopold der mir eine
Suͤndfluth mit dem Tintfaß gemacht hat
Der kleine Junge haͤtte vielleicht Urſach, es
uͤbel zu nehmen daß ich die erſte Stufe uͤber-
ſchreite und nicht von ihm anhebe. Ich
koͤnnte freylich bemerken, daß er kein Sangui-
nolentus geweſen, ſondern faſt wie Clodius
Albinus ganz ſauber und ſchoͤn zur Welt
gekommen; wenn er ſich nicht eben jetzo mit
Tinte beſudelt haͤtte. Wenigſtens biſt du
lieber Junge —
(Fall nicht,
„ich werd’ nicht„) beim Publicum nicht praͤ-
A 4ſcri-
[8] ſcribirt, ich habe dich einſchreiben laſſen und
ein groͤßers Pflicht oder Kindertheil gebuͤhrte
dir in dieſem Werke nicht. Der arme Junge!
geſtern war er zwei Jahr und heute zwei
Jahr und einen Tag, bisher war er geſund
wie ein Fiſch und auch beinahe ein ſo
großer Liebhaber von kaltem Waſſer wie ein
Fiſch! heute! —
„Was ſchreibſt du„ —
daß du ungeduldig auf die Zaͤhne biſt die
ſich melden laſſen und nicht kommen wollen!
Daß ihr nur, wenn ihr kommt, einem
Pfirſiſchkern zu ſeiner Zeit zeigen koͤnnet wer
ihr ſeid: und daß eine Kraft von achtzehn
bis neunzehnhundert Pfund in euren Gren-
zen wohne. Der Himmel helfe meinem Leo-
pold und mir! und uns allen!
Ha! eine andere Art dienſtbarer Gei-
ſter, ungebethner Gaͤſte, unlieblich anzu-
ſehen — zu dienen — damit es die Her-
ren Beſucher, und Verſucher, Thorſchreiber,
Acciſeeinnehmer, Caßirer, Rendanten und
uͤberhaupt alle Zoͤllner und Suͤndergeſellen
nur auf einmal wiſſen, ich, und kein anderer
hat dieſes Buch geſchrieben. Wer von den
Her-
[9] Herren ſich aufs Wuͤrdigen verſteht, wird es
ſchwerlich auch ſelbſt auf den erſten Blick fuͤr
Contreband und auswaͤrtiges Gut, ſondern
fuͤr das, was es iſt, deutſche Fabrike hal-
ten. Hieſige Wolle, ich bitte Hand ans
Werk zu legen (den Puls dieſes Buchs an-
zufuͤhlen kann ich nicht ſagen, ſo ſehr ich
ihnen auch Quackſalberehre zu erzeigen Luſt
habe) hieſiger Stuhl, hieſige Zeichnung,
alles hieſig — die Herren ſelbſt aber ſchei-
nen nicht von hier zu ſeyn, und ſich auf
Blick und Griff Auge und Hand nicht ver-
laſſen zu koͤnnen — Nun ſo verlaſſen ſie
ſich auf mich und wenns wider ihre theure
Amtspflicht iſt ſich auf ehrliche Leute zu
verlaſſen; ſchreiben ſie in ihre Kladde in
ihr Hauptbuch, Diarium und Exercitien-
buch — was die Feder will. Dieſe Worte
werden wohl, wie ich glaube, an Ort und
Stelle ſeyn. Vom Ariſtarch hat keiner einen
Zug, wohl aber vom bankeroutirten Kauf-
mann, Sprachmeiſter, Zeichendeuter, Alt-
flicker u. ſ. w. Von αϛερισκοις und όβελισκοις
hab ich alſo nicht reden koͤnnen, womit der
Homer plombirt wurde: denn, da wett
ich Homer iſt ihnen eben ſo unbekannt, als
ſie’s, meine Inſonders Hochzuehrende Her-
A 5ren,
[10] ren, meiner Wenigkeit bis heute wird ſeyn
der — geweſen. Berge und Thaͤler kom-
men nicht zuſammen, wir aber ſind leider!
ſo nahe bei einander, daß wir uns mit der
Hand reichen und eins verſetzen koͤnnen. Ich
weiß ſie verſchonen nicht Saͤuglinge nicht
Ungebohrne, wie ſollte alſo mein Leopold auf
der Schulter ohne Kopf oder Magenſteuer
(wie mans nennt) abkommen! wenns ein-
mal Sitte in Deutſchland iſt ſo ſei’s. Du
ſollſt dem O — der da driſchet nicht das
Maul verbinden. Item, ein Arbeiter iſt ſei-
nes Lohnes werth ſchreibt D. Martin Luther
in ſeiner Haustafel etlicher Spruͤche fuͤr al-
lerlei heilige Orden und Staͤnde, dadurch
dieſelben, als durch ihre eigene Lektion
ihres Amts und Dienſts zu ermahnen.
Die Rechnungsableger laſſen oft mit gutem Be-
dacht Fehler ſtehen um den Abnehmern, zu Noten
Zeit und Raum zu laſſen. „Sonſt„ ſagen
die klugen Haushalter „fangen dieſe Noten-
„kuͤnſtler es bei der Perſon an, da ſie doch
„nur bei den Zahlen bleiben ſollten.„ Das
hatte ich noch auf dem Herzen eh ich mich
empfehlen konnte.
Plus cautionis in re eſt quam in perſona,
heißt auf deutſch: beſchließen Sie was Sie
wol-
[11] wollen uͤber mein Buch, meine Herren, nur
meine Perſon laſſen Sie in Ruhe.
Sei mir tauſendmal willkommen ſuͤßes,
oder beſſer angenehmes Wort. (man ſagt
angenehme Ruhe.) Schlafen Sie wohl oder
eigentlich geſund meine Herren. Claudatur
Parentheſis wuͤrde ich ſagen, wenn ich nicht
den wahren Antipoden von einer Parentheſe
gebraucht und eben hiedurch ein neues
epochenmachendes Interpunktionszeichen er-
funden haͤtte.
Was meinet ihr Herren majorum gen-
tium ſoll ich mit einem großen J anfan-
gen oder mit einem kleinen?
Den Schlagbaum auf!
Ich bin in Curland auf dem Kirchdorfe
*** gebohren, wo mein Vater Prediger oder
nach der deutſchen Landesſprache Paſtor nach
der curiſchen Basinzas Kungs oder Baſing-
ckungs, wie die Letten der geliebten Kuͤrze we-
gen ſprechen, war. Zu ſeinem Zeichen, wuͤrde
ich hinzuſetzen, wenn dieſer Ausdruck nicht
ſo viel Devallvation gelitten, daß ich meinem
Vater dadurch keine ſonderliche Ehre einbrin-
gen wuͤrde. Es war ſeine Kirche eine Kirch-
ſpielskirche oder eine ſolche, wobei wegen des
Compatronat-Rechts des Adels manche Pi-
ſtole
[12] ſtole wiewohl nur nach vaͤterlicher Weiſe
in die freie Luft losgeſchoſſen worden, bis
ſolches endlich unter einigen Daumſchrauben,
dem Kirchſpielsadel (ich glaube von Herzog
Friedrich Caſimir) zugeſtanden worden. Ich
kann nicht ſagen, daß mein Vater eine vor-
zuͤgliche Neigung gegen mein Vaterland hatte,
und wenn ich einem Erdbeſchreiber hiedurch
irgend einen Gefallen zu erzeigen wuͤßte;
was koͤnnt’ ich nicht fuͤr ein breites und lan-
ges uͤber die drei Namen Curland Lettland
und Semgallen an ihn endoßiren? welches
aber alles zu keiner Lobrede auf Curland die-
nen wuͤrde. So viel iſt gewiß, daß mein
Vater niemals zugeben wollte, daß Curland
vom Fluſſe Chronus herkaͤme, wodurch die
Memel angedeutet wuͤrde: obgleich ihm ſol-
ches ſehr wahrſcheinlich vorbuchſtabirt wurde.
Die Curlaͤnder, ſagte man, wohnten um
den Chronus, ſie wollten ihr Land von Preuſ-
ſen unterſcheiden und bearbeiteten und drech-
ſelten ſo lange die Buchſtaben und Sylben,
bis endlich ſo wie in der heiligen Schrift
herauskam was zu ſuchen war. Es iſt
viel von Gottes Wort zu ſagen ſagte mein
Vater. Ein guter Freund von Curland und
von meinem Vater ſpielte eine andere Karte
aus
[13] aus „ſo ſtammt es von Cur oder Curſemme,
welches ſo viel, als ein Land, das an der
See lieget, andeutet„ allein er gewann
ſein Spiel nicht. Nichts ſagte mein Va-
ter. Der gute Freund fuhr fort „vom
kleinen Koͤnige Curo? von den Curaten oder
von den Curiaten? oder„ — „Nichts, alles
nichts — Es wuͤrde nicht verlohnen dieſe
Fibel uͤber den Namen von Curland weitlaͤuf-
tiger zu machen, und ſie wegen Lettland und
Semgallen uͤber welche Namen mein Va-
ter eben ſo wenig nachgebend war mit An-
hang und Zugabe zu verſtaͤrken. Mein Va-
ter hatte nach dem Ausdruck eines Weiſen
des Alterthums zwey Vaterlande, eines
wo er gebohren war, und eines wo er lebte,
eines der Natur und eines des Schickſals
und man traf bey ihm, was man gewoͤhn-
lich zu treffen pflegt; daß man das Vater-
land der Geburt dem andern, oder die Mut-
ter dem Vater vorziehet. Wenn der gute
Freund am Ende zum Unwillen uͤbergieng;
wurde mein Vater ein Philoſoph. Zum
Curlaͤnder konnten ihn weder gute noch boͤſe
Geruͤchte bringen.
So wollen Sie denn fieng der Freund
an, nachdem mein Vater mit vieler Gelehr-
ſamkeit
[14] ſamkeit die Geburt und Abkunft der Namen
Curland, Lettland und Semgallen beſtritten
hatte, ſo wollen Sie denn, den Herzogthuͤ-
mern Curland, und Semgallen die ehrlichen
Namen abſprechen?
Lieber curiſcher Freund antwortete mein
Vater unbiegſam wie der curiſche Kaͤſe,
doch auch ſo dicht und feſt wie er. Nie-
mand kommt aus ſeinem Vaterlande. Seit-
dem die neue Welt entdeckt worden, iſt ſie
ein Theil von unſerm Geburtsorte. Bin ich
im Gefaͤngniſſe beim Gaſtmal am Hofe in
der Stadt auf dem Lande in Mitau im
— — Paſtorat ich bin beſtaͤndig zu
Hauſe. Ein Thor ſagt, daß er vertrieben
ſei, ein Weiſer hat nur eine Reiſe unternom-
men, wenn er im Exilium iſt. Oft iſt man
in ſeinem Vaterlande ein Sclave und im
Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr
als leben und ſterben man ſey in Rom oder
in Tunis. Triſtia und Briefe aus Ponto
ſind Raͤuſche eines Dichters. Ein Weiſer
kann ſelbſt Ach nur halb ausſprechen wenn
er leidet; obſchon das Wort nur dritthalb
Buchſtaben, und wenn man ganz ehrlich ſeyn
will, kaum eine ordentliche Sylbe im Ver-
moͤgen hat. Wer ſich angewoͤhnet hat blos
zu
[15] zu eſſen was ſaͤtiget und blos zu trinken was
den Durſt ſtillet, findet uͤberall eine offene
Tafel. Wo mir wohl iſt, da iſt mein
Vaterland und der Gerechte iſt auch im Tode
getroſt. Wer aus Athen iſt weiß nicht von
wannen er kommt, und wohin er faͤhret.
Der Weiſe iſt aus der Welt —
Auf die Frage: Was fuͤr ein Land-
mann? antwortet Diogenes fuͤr mich: κοσ-
μοπολιτης die Sonne Freund! iſt die Fahne
der wir geſchworen haben. Die Erde iſt un-
ſer aller Mutter. Saure Gruͤtze und Bier-
kaͤſe ein paar curiſche Original Eſſen ſind
wie Pfirſchen und Melonen, eine Gabe Got-
tes. Wer’s mit Dankſagung empfaͤhet iſt
ein Weiſer. Auch in Curland giebts Kno-
chen, die Mark haben. Gott iſt uͤberall, er
der nicht Luſt hat an Cavallerie oder Staͤrke
des Roſſes, noch Wohlgefallen an Infanterie
und jemandes Beinen, ſieht nur auf die, die
ſeinen Namen fuͤrchten und auf ſeine Guͤte
hoffen. Heute iſt ein Land frei und morgen
liegts einem Tyrannen zu Fuͤßen der ſeine
Hand ins warme Blut des Erſtgebohrnen,
eines Vertheidigers ſeines freien Vaterlandes
eintaucht um das ſchreckliche Jahr da die
Freiheit unterging am ariſtocratiſchen Altar
Bam
[16] am Rathstiſch anzuzeichnen. Freund! was
meinen Sie wenn wir je ſolche Blutzahlen
ſehen ſolten? Laſſen Sie alles ruhig im Va-
terlande ſeyn; ein Prophet gilt doch nicht,
wo er geboren iſt. Wie giengs dem Ariſti-
des dem Epaminondas? In der Fremde
ſeyn heißt in die Hand Gottes fallen: in
ſeinem Vaterlande iſt man wenns hoch
kommt in der Hand der Menſchen, gemein-
hin in der Hand ſeiner Feinde. Und wie ſoll
man ſich gegen ſein undankbares Vaterland
fuͤhren? Wie gegen einen Vater, der meine
Mutter ohne Urſach verſtoͤßt, wie gegen eine
Mutter, die zum zweitenmale heirathet.
Dieſe bleibt Mutter jener Vater „Bei
dieſen Spruͤchen wars dem Freunde ſo als
waͤr’ er ſelbſt nicht mehr in Curland, als
haͤtte er der Sonne geſchworen. Es ſchien
ihm mein Vater haͤtte das Feld behalten;
der kleine Koͤnig Curo aber und die Curaten
oder Curiaten waͤren in die Flucht geſchla-
gen. Mein Vater befeſtigte was er erobert
hatte mit ein Paar griechiſchen Spruͤchen
die ſeinen Feind um ſo mehr abhielten weil
er kein Wort griechiſch verſtand.
Ανδρὶ σοφῷ, fieng mein Vater an πάσα γῆ βατὴ,
ψυχῆς γαρ ἀγαϑῆς πατρις ὁ ξύμπας κόσμος.
Und
[17] und gleich darauf
ἐπεὶ τὶ δεῖ βροτοῖσι, πλὴν δυοῖν μόνον,
δήμητρος ἀκτὴς, ποματός ϑ̕ ὑδρηχόν.
ἁπερ πάρεϛι, καὶ πέφυχ̕ ἡμᾶς τρέφειν.
Es pflegte der gute ehrwuͤrdige Mann
von Curland zuweilen als von einer Herberge
zu reden, wo man ſich oft laͤnger als man
wuͤnſcht, weil der Reiſewagen gebrochen iſt
aufzuhalten gezwungen ſieht. Bei mir zu
Hauſe eßen wir um dieſe Zeit Spargel, pflegte
er zu ſagen; bei mir zu Hauſe raucht man
um dieſe Jahreszeit eine Pfeife Toback in der
freien Luft, bei mir zu Hauſe hat man Trau-
ben und den Wein bei der Quelle. So
ungern er alſo auch im Herzen in Curland
zu ſeyn ſchien, und ſo oft er im Stillen
durchs Fenſter geſehen haben mag: ob der
Reiſewagen noch nicht in Ordnung waͤre; ſo
hielt er dennoch mit ſeiner Abneigung zuruͤck.
Der Freund mit dem ſich mein Vater auf
der vorigen Seite duellirte und noch ein
Secundant waren die Hauptſiegel-Bewahrer
dieſes Geheimniſſes und auch die einzigen
mit denen er griechiſch ſprach ohne daß die
guten Leute es verſtanden. Wer ihn aber nach
ſeiner Heimath fragte (ſein Weib und Kind
B 2und
[18] und ſeine zwo griechiſchen Freunde nicht aus-
genommen) ſetzte ihn und ſich ſelbſt einer
großen Verlegenheit aus.
Bei mir zu Hauſe fing er wie gewoͤhn-
lich, an — und ich war noch im zarteſten
Alter als ich ihn fragte lieber Vater wo
iſt dein Haus! wir wollen hin, du, die Mut-
ter und ich! Iſt es wohl ſo ſchoͤn als dieſes
hier? Ich zeigte ihm meines von Blaͤttern.
Nimm mich ja mit wenn du nach Hauſe
geheſt oder laß mich wenn ich groͤßer
werde allein — Wo? Wo? — rief er
ganz aͤngſtlich. Meine Mutter welche eben
ſeinen Kragen zurecht legte, lies dieſen hei-
ligen Halsband fallen ſprang ſchnell auf und
gieng davon, als ob ſie auf allen Antheil
von meiner Frage und der kuͤnftigen Antwort
Verzicht thaͤte. Sie war indeſſen wie ich
es offenbar merkte nach der Weiberweiſe,
nur blos dem Auge meines Vaters entgan-
gen. Ob’s mein Vater gemerkt habe, zweifle
ich denn er hatte ſich auf dem Wege nach
ſeinem Hauſe ſo ſehr verirrt, daß er nicht
aus noch ein wußte. Vielleicht ſagt er es
dem unſchuldigen Kinde, dachte meine Mut-
ter ohne Zweifel da ſie ſich in der beſten
Ordnung zuruͤckzog, wovon er dir allemal
ein
[19] ein Geheimnis gemacht hat. Lieber Sohn
fieng mein Vater an, als ob er von einem
Vorbeigehenden wegen ſeiner Reiſe eine Aus-
kunft erhalten oder in eine Reiſekarte ge-
ſehen haͤtte — und meine Mutter machte
die Cammerthuͤre, hinter welche ſie ſich weis-
lich geſtellet hatte drey Zoll weiter auf, im
Himmel iſt unſer wahres Vaterland hier
unten ſind wir Fremdlinge und ſuchen das
was droben iſt. Wir ſind in Hinſicht un-
ſers Koͤrpers Gottes Pilger in Hinſicht un-
ſrer Seele Gottes Buͤrger. Als die Pil-
grimm! heißt es darum fuͤhret einen
guten Wandel —
Zu Hauſe nimmt man ſich vieles ſo
uͤbel nicht. Man vernachlaͤßigt ſich; thun
Sie doch als ob ſie zu Hauſe waͤren ſagt
man. Auf der Reiſe ſind wir auf uns auf-
merkſamer. Die Welt iſt fuͤr einen klugen
Reiſenden hoͤchſtens eine Hauptſtadt. Er
laͤßt ſich das Merkwuͤrdige zeigen: Fuͤr einen
Gelehrten eine oͤffentliche Bibliotheck er
ſieht die Tittel. Beide beſtellen Poſtpferde.
Plus vltra.
Hiebey ſahe mein Vater ſo geruͤhrt aus,
daß wenn ich nicht ſeinen Worten geglau-
bet haͤtte, ich jedennoch jedem ehrwuͤrdigen
B 3Zuge
[20] Zuge ſeines Geſichts haͤtte beipflichten muͤßen,
auch wenn ich noch einmal ſo alt geweſen
waͤre, als ichs nicht war. Wie boͤſe meine
Mutter uͤber den Himmel geworden weiß ich
nicht, allein ich hoͤrte und mein Vater der
nun weder an Ort und Stelle war, mußte
es auch hoͤren daß ſie die Thuͤre zuzog, als
ob ſie nicht die mindeſte Luſt zum Himmel
haͤtte. Ohne Zweifel hat ſie dieſes unver-
merkt thun wollen, um ihre Neugierde zu
verbergen; indeſſen machte das plauderhafte
Schloß ein unzeitiges Geraͤuſch und wurde
davor den folgenden Tag, da mein Vater
eine Beichtandacht beſorgte, ausgebeſſert.
So viel iſt gewis, daß der liebe Mann durch
dieſe Antwort, die zwar mich, nicht aber
meine Mutter befriedigen konnte, mich wie-
wol ohne daran Schuld zu ſeyn, auf den
Gedanken brachte, daß man im Himmel fruͤ-
her als in Curland Spargel aͤße gleich fruͤ-
her in der freien Luft eine Pfeife rauche,
Trauben haͤtte, und den Wein aus der Quelle
ſchoͤpfen koͤnnte. Tauſend andere Dinge die
er nachhero meiner Mutter erzaͤhlte, wie es bey
ihm zu Hauſe waͤre, kamen alle bey mir
auf die Rechnung des Himmels und ich
war zuletzt dort eben ſo bekannt als auf un-
ſerm
[21] ſerm lieben Doͤrflein, wo ich uͤber jedes
Huhn haͤtte urteln koͤnnen, wenn uͤber deſ-
ſen Eigenthum ein Streit geweſen waͤre.
Manches kam mir freilich ſehr bedenklich
vor worunter zum Exempel war, daß man
bey ihm zu Hauſe ohne Nacht — oder Un-
terhemde ginge und zu ſeiner Zeit lange
Manſchetten (die meine Mutter Handblaͤtter
nannte) getragen haͤtte. Eines Tages, da
ein Litteratus (welches in Curland eben kei-
nen Gelehrten ſondern ein unſeelig Mittel-
ding von Edelmann und Bauer bedeutet)
mit ungewoͤhnlich langen Manſchetten bey
uns des Mittags aß; mußte ich glauben,
daß er ein Himmelsbuͤrger und Landsmann
meines Vaters waͤre und wegen des ganz
ungewoͤhnlichen Maaßes ſeiner Handblaͤtter
ſchon etwas mehr als ein andrer im Him-
mel gelten muͤßte. Kaum hatte er nach mei-
ner Meinung das Jammerthal unſeres
Paſtorats mit den ſeeligen Wohnungen der
Gerechten verwechſelt, kaum ſag ich war er
fort; ſo fragt ich meinen Vater was ihm
der gute Freund fuͤr Nachrichten aus dem
Himmel gebracht haͤtte, und mein Vater
nahm Gelegenheit mir die wahren Begriffe
von jener Welt beyzubringen, denen mein
B 4Herz
[22] Herz und Seele auf den halben Weg entge-
gen kam oder beide Glaubenshaͤnde zureichte,
ſo daß mithin dieſer Litteratus, der des Mit-
tags bey uns einen vortreflichen Kalekutſchen
Hahn verzehren geholfen, meinen falſchen
Himmel zu reiten mitnahm.
Mein Vater war wenn ich ſo ſagen ſoll
gebohren, von der andern Welt zu re-
den. Seine Seele, man fuͤhlte es war
im Buche des Lebens eingeſchrieben und
einer Veraͤdlung durch den Tod ſo gewis,
daß wenn er davon ſprach man glauben
mußte: er wuͤrde verklaͤret. Drey Vier-
theil war er dort und nur ein Viertheil
hier. Gott ſchenke mir wenn mein Stuͤnd-
lein vorhanden iſt, die Empfindungen die
damals in meiner Seele hervorſchoſſen, als
er mir den Himmel zeigte. Mir fielen die
Worte aufs Herz: In meines Vaters
Hauſe ſind viele Wohnungen — Mein
Vater ward ein Kind, um mit einem Kinde zu
reden, und ich fand an mir erfuͤllet, was
von den Kindern geſchrieben ſteht: ihrer iſt
das Reich Gottes.
Aber wo muß denn das Haus meines
Vaters ſeyn, dachte ich, allein ich unter-
ſtund mir nicht darnach zu fragen, denn, ſo
jung
[23] jung ich war; ſo merkt ich doch, daß er ſeine
Urſachen haben muͤße es zu verſchweigen.
Meine Mutter wie ich ſowol dieſesmal
als bey andrer Gelegenheit ſehen konnte,
hatte mein Vater gleichfalls keinen Daumen-
breit uͤber funfzig Meilen in die Laͤnge, und
zehn-zwanzig bis dreißig in die Breite als
ſo viel die Graͤnzen von Curland ausmachen
mitgenommen, dahero ſie eben ſo wenig als
ich den Ort ſeiner Geburth wußte. Die neue
Welt pflegte ſie zu ſagen iſt entdeckt deines
Vaters Vaterland wuͤrde dem Columbus
mehr Schwierigkeiten gemacht haben.
Was bey dieſer vaͤterlichen Verſchwiegen-
heit einem jeden beſonders vorkam, war
die Gewohnheit meines Vaters alle Augen-
blick zu erwehnen wie es bey ihm zu Hauſe
ſey. Er kam daruͤber bey Leuten in Verle-
genheit die er nicht wie mich mit dem Him-
mel abfertigen konnte; allein ehe man ſichs
verſahe war er nicht mehr in Curland.
Ich bemerkte auch, nachdem ich groͤßer
war, daß die Leute uͤber dieſen Punkt mit
dem guten Mann ein foͤrmliches Mittleiden
zu haben ſchienen, ſo daß ſie dabei die Ach-
ſeln in die Hoͤhe zogen, als uͤber einen Men-
ſchen der ſo lange vernuͤnftig waͤre, bis er
B 5auf
[24] auf ſein Vaterland kaͤme, und alsdenn ſcheu
wuͤrde. Es war dahero zum Sprichwort
bey vielen geworden „das iſt ſo unbekannt
als des Paſtors — Vaterland.„
Oft traf es ſich daß die ganze Tiſchge-
ſellſchaft ſtill ward, ſo bald er nur die An-
fangsworte: bey mir ausſprach und dieſes
iſt die natuͤrliche Folge wenn Jemand roth
zu werden Urſach gefunden. Ein einziger
hat nur die Elecktriſirſtange angefaßt, allein
ſie fuͤhlen alle den Schlag. Es herrſcht eine
feierliche Stille, jedes ſpielt mit Meſſer und
Gabel oder dreht ſich Pillen von Brod. Nach
einer Weile putzt der, welcher zu den wenig-
ſten Empfindungen aufgelegt iſt, das Licht wenn
es Abend iſt, oder huſtet wenn zu Mittage
gegeſſen wird; iſts außer Tiſch ſo ſpricht er
„beſondere Witterung„ oder bittet um To-
back „der meinige„ ſetzt er hinzu „iſt ſo
duͤrr wie Sand„ dieſes alles that gewoͤhn-
lich meine liebe Mutter wenn mein Vater
einen Kreuzzug uͤber Land unternommen hatte,
allein gewiß nicht weil ſie dabey unempfind-
licher ſondern weil ſie’s gewohnter war wie
alle uͤbrige, und weil ſie die beklommene
Geſellſchaft gerne wieder ins Freie in die
friſche Luft bringen wolte. Oft ſtand ich
mit
[25] mit dem Gedanken auf, und ſchlief mit dem
Gedanken ein, warum ſagt er denn nicht
wenigſtens ſeiner Familie wo man um dieſe
Jahrszeit Spargel ißt, wo man um dieſe
Zeit eine Pfeife in der freien Luft raucht, wo
man Trauben hat, den Wein bey ſeiner
Quelle genießt und (welches mich am meiſten
intreßirte) lange Manſchetten traͤgt.
So geheim mein Vater mit ſeinem Va-
terlande und ſeiner Familie war; ſo freigebig
war meine Mutter ſo oft ſie von ihrer Fa-
milie Etwas zu erzaͤhlen Gelegenheit hatte.
Sie wußte ſich ſehr viel damit, daß ſie, wie
ſie ſagte, aus dem Stamme Levi waͤre und
zaͤhlte fuͤnf Prieſter oder (damit die in Cur-
land herrſchende lutheriſche Kirche, kein Aer-
gernis nehme) Prediger Ahnen, von Vater
und vier von muͤtterlicher Seite. Einer ihrer
Ahnherren war Superintendent, und zwei
waren Praͤpoſiti geweſen. Sie rechnete ſich
wiewol von der Seitenlinie zu den Verwand-
ten des Superintendenten Paul Einhorn,
deſſen Vater Alexander Einhorn der zweite
curlaͤndiſche Superintendent geweſen war,
und wenn ſie an den Eifer dachte mit welchem
der Ehrn Paul Einhorn ſich der Annehmung
des gregorianiſchen Calenders widerſezet; ſo
ſchien
[26] ſchien es, daß ſie der nemliche einhornſche
Eifer beſeelte. Es hat dieſer wuͤrdige Eife-
rer ſich die Calendermaͤrtyrerkrone errungen
indem er im Jahr nach Chriſti Geburt 1655
Dominica XI. poſt Trinitatis auf der Kanzel
mitten in einer Calenderpredigt blieb und ſein
ruhmvolles Leben mit den Worten „verflucht
ſei der Calend„ — ſanft und ſeelig endigte.
Mein Vater ſchien beſtaͤndig beſorgt zu ſeyn
es wuͤrde meine Mutter eine Maͤrtyrerkrone
in ihrem Blutraͤchereifer uͤberraſchen, wes-
halb er ſie bei der Hand zu nehmen und zu
ſagen pflegte „faſſe dich, mein Kind, die
„Sache iſt beigelegt, wir ſchreiben heute
„den — VI —„ Meine Mutter hielte in-
deſſen bis an ihren Tod den gregorianiſchen
Calender fuͤr ein kezeriſches Buch und ließ
ſich nie Ader, wenn im Calender das Zeichen
zum Gutaderlaſſen ſtand. Es mußte kein
Haar im Paſtorat verſchnitten werden wenn
der Calender hiezu anrieth, und alles was
ſie nur erreichen konnte mahnte ſie ab Holz
zu faͤllen, Kinder zu entwoͤhnen, oder ſonſt
eine Medicin zu brauchen wenn der Calender
es gut fand. Es war ein Gluͤck fuͤr ſie daß
dieſe ungeſtempelten Tage die meiſte Zeit fuͤr
ſie und die lieben Ihrigen gut ausfielen; es
war
[27] war aber ein Ungluͤck fuͤr den gregorianiſchen
Calender, denn ſie nahm eben hiedurch einen
Grund mehr dawider zu reden, und dem
Herrn Superintendenten Einhorn zu pa-
rentiren.
Ich wuͤrde mich um alles in der Welt
nicht unterſtehen in Abſicht der Ahnen meiner
Mutter ein Schriftſteller in aufſteigender
Linie zu werden, und meine Leſer verlieren
auch durch die Erzaͤhlung der ruͤhmlichen
Thaten Schlachten und Siege nichts, wo-
durch ſich meine Vorfahren muͤtterlicher Seits
von der geraden und Seitenlinie um die Kirche
verdient gemacht. Sie nannte ſie oft Kir-
chenſteine um alles zuſammen zu faſſen. Die-
ſer hatte lettiſche Lieder, wie ſie ſagte aus
freier Fauſt geſungen, jener einige uͤberſezt,
ein andrer hatte ſich dem Superintendenten
Daniel Hofſtein, welcher den Exorcismus
bei der Taufe der fuͤrſtlichen Kinder wegge-
laſſen, mit Hand und Fuß (ich brauche ihre
eigene Ausdruͤcke) widerſezt, und ihn dem
Teufel uͤbergeben, der nach ſeiner wohlehr-
wuͤrdigen Meinung die Komplimenten nicht
erwiedern wuͤrde, die ihm der Herr Super-
intendent machte, ein andrer hatte die Oe-
ſtereyer in ſeiner Gemeine abgeſtellt welches
wie
[28] wie meine Mutter behauptete ein aus andern
Laͤndern nach Curland gebrachter nicht alge-
mein im Schwange gehender unchriſtlicher
Gebrauch waͤre und dieſer gute Mann war
in Kupfer geſtochen. Ich weiß bis dieſen
Augenblick nicht wie er zu dieſer Ehre gekom-
men war. Meine Mutter hatte dieſen Ku-
pferſtich lange verwahret, ohne davon einen
andern Gebrauch zu machen als daß ſie, wie
ſie ſagte, dieſes Bild alle heilige Abend vor
Oſtern eine Stunde angeſehen. Sie be-
hauptete, daß ich Etwas aͤnliches in der Ge-
gend um die Augen von dieſem ſo ehrwuͤrdi-
gen als beherzten Manne haͤtte; obgleich ich
davon nicht die mindeſte Spur zu entdecken
im Stande war.
Es ſei nun dieſes oder Etwas anderes
die Urſache, genug meiner Mutter wandelte
auf einmahl der Einfall an, dieſen Kupfer-
ſtich unter Glas zu ſezen und unter den
Spiegel zu haͤngen der im Prunkzimmer des
Paſtorats gegen Morgen hing.
Mein Vater widerſprach dieſem Gedan-
ken da ein Glaſer unſre Straße zog, und
iſt alſo dieſer gute Mann, obgleich er die
Oeſtereyen abgebracht, nicht der Ehre ge-
wuͤrdiget worden im Prunkzimmer des Paſto-
rats
[29] rats gegen Morgen unter dem Spiegel zur
Schau geſtellt zu werden. Sie war Etwas
ungehalten uͤber meinen Vater, obgleich ſie
ſich ſolches nicht weiter merken lies, indeſſen
war es nicht das erſte mal daß ſie ſein Conto
mit einer Schuld belaſtete. Sie faßte die-
ſes und beinahe alles was ſie ſonſt noch auf
ihrem Herzen und Gewiſſen hatte, die Noth
des ganzen Paſtorats zuſammen, und ſchriebs
flugs unter die Rubrick: nicht aus dem
Stamme Levi. Ihrem Zorn brachte ſie ein
Opfer, das ſie nachher ſehr bereute. Sie
ſchickte eben ſo flugs den Rahmen abzuſagen,
den ſie fuͤr den Kupferſtich beſtelt hatte, und
war verbunden obgleich der Rahmen noch
nicht zur Helfte fertig war (und dieſes gab
zur neuen Aergernis Gelegenheit) ihn ganz
zu bezahlen. Nachdem ſie ihre zu Paaren
getriebene Ideen wieder zu Hauf gebracht
hatte, entwarf ſie einen neuen Operations-
plan der ihr auch gluͤcklich einſchlug: nem-
lich dieſen verdienſtvollen Mann in der Spei-
ſekammer aufzuhaͤngen. Hier ſagte ſie, kann
er ſich ohne Rahmen behelfen und Niemand
wird zu ihm ſagen Freund! wie biſt du her-
einkommen und haſt doch kein hochzeitlich
Kleid an.
Ich
[30]
Ich kann es nicht ſchicklicher anbringen,
daß meine Mutter bey aller Gelegenheit fei-
erlich war. Es ward im Paſtorat mit nichts
anders als mit Weyhrauch geraͤuchert: alles
was meine Mutter vornahm ward beſungen.
Dieſes iſt der cegentliche Ausdruck. Die
Natur hatte ſie mit einer ſehr melodiſchen
Stimme ausgeſtattet. Das Bewuſtſeyn die-
ſer Mitgabe der Natur war indeſſen nicht
die Urſache ihres treufleißigen Geſangs.
Meine Mutter wird die Urſache hievon gele-
gentlich ſelbſt angeben. Sie fing ſo bald
ihr Etwas zu Herzen ging, einen Vers
eines geiſtlichen Liedes in bekannter Melodie
aus freier Fauſt (um ihren einhornſchen
Ausdruck nicht zu verfaͤlſchen) zu ſingen an,
den alles, was zu ihrem Departement gehoͤr-
te mit anzuſtimmen verbunden war. Sie
ſang mit Kind und Rind. Es war dahero
natuͤrlich daß jedes ſo bey ihr in Dienſten
war Probe ſingen mußte, weil außer dem
Hausdienſt auch eine Art von Kuͤſterſtelle
durch jedes Hausmaͤdchen vergeben wurde.
Vor dieſem hatte meine Mutter, nach ihrer
ſelbſt eigenen Relation die Gewohnheit ge-
habt einen jeden herzlichen Vorfall mit einem
ganzen Liede zu bezeichnen; mein Vater in-
deſ-
[31] deſſen, der anfaͤnglich bemuͤht geweſen dieſe
Gewohnheit voͤllig abzuſchaffen; hatte ſie
doch am Ende nachlaſſen muͤſſen. Sie ward
aber von ihm bis auf einen Vers einge-
ſchraͤnkt, den meine Mutter nicht um die
Herzogthuͤmer Curland und Semgallen ge-
laſſen haͤtte.
Ich hab es oft erfahren daß mein Vater
zuweilen den zweiten Diskant extemporirte
und meiner Mutter zum Munde ſang, ſo daß
er mithin von ſeiner vorigen Meinung a po-
ſteriori abgegangen war. Meine Mutter
rechnete ihm dieſe Bekehrung im Conto ſehr
hoch an und je lauter er mitgeſungen hatte,
jemehr wurde ihm zu gut geſchrieben. Sie
wußte ſogar den Zeitpunkt anzugeben wenn
mein Vater der wie die Folge zeigen wird,
keine Anlage zum Geiſtlichen beſaß, aufge-
hoͤret haͤtte ein Liederſtuͤrmer zu ſeyn und die-
ſen Zeitpunkt werden wir uͤbermorgen (ich
rechne nach mir und bitte meine Leſer desfals
um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter
wußte den Ruͤckfall meines Vaters, den ſie
des zweiten Diskants unerachtet, noch im-
mer befuͤrchtete, ſo ſehr zu verhindern, daß
ſie ſeine Lieblingslieder den ihrigen vorzog:
obgleich ſie es auch mit ihren Lieblingen nicht
Cver-
[32] verdarb, unter denen einige waren bei denen
mein Vater unmoͤglich den andern Diskant
ſingen konnte.
Das Lied Ich bin ein Gaſt auf Erden
ſchien fuͤr meinen Vater gemacht zu ſeyn und
faſt ward kein Glas gebrochen, ohne daß
meine Mutter nicht anſtimmte
Ich wette, wenn meine Mutter mit dieſem
Liede meinen Vater gleich zu Anfange beſto-
chen haͤtte, ſie wuͤrde nichts auf einen Vers
begraͤnzt worden ſeyn. Kaum hatte einer
der zwoen Streiter uͤber die Namen von
Curland Lettland und Semgallen Abſchied
genommen, und gleich ſang ihm meine Mut-
ter nach
und
Gerne, das weiß ich, haͤtte ſie unter der
Predigt: vom Vaterlande wie an hohen
Feſten dieſen Vers angeſtimmt, wenn ſie
geglaubt haͤtte meinem Vater hiemit einen
Liebesdienſt zu erweiſen. Seine Singzeit
indeſſen war noch nicht kommen, und außer-
dem hatt’ er den Grundſatz die Andacht ge-
hoͤr’ ins Kaͤmmerlein. Der Geſang blieb
alſo blos unter den Hausgenoſſen.
Wer keine Einbildungskraft hat, ſagte
mein Vater hat auch kein Gedaͤchtniß. Ein
großes Gedaͤchtnis kann die Urtheilskraft
ſchwaͤchen, allein auch ſtaͤrken. Wer ſich
durch hundert Meinungen die er weiß nicht
ſtoͤren laͤßt und noch eine fuͤr ſich beſitzet; hat
viel Gedaͤchtnis und viel Urtheilskraft. Die
beſten Koͤpfe klagen am meiſten uͤber Ge-
daͤchtnis. Sie ſehen ein wie viel noch zu-
ruͤck bleibt was ſie nicht wiſſen und wollen
ſich auf eine Art, die ihnen am wenigſten
zuſtehen kommt bey Ehren erhalten. Ein
Mann von ſtarker Beurtheilungskraft macht
C 2ſich
[34] ſich nur Merkzeichen durch die Vernunft, die
Imagination iſt bey ihm blos Koͤchin. Was
ſolt ihn alſo zuruͤck halten, ohne roth zu wer-
den uͤber ſchwaches Gedaͤchtnis zu klagen?
Manche um auch fuͤr tiefe Denker gehalten
zu werden machen es nach, obgleich die gu-
ten Leute weit eher uͤber ſchlechten Verſtand
klagen koͤnnten.
Zum recht guten Gedaͤchtnis gehoͤrt et-
was ins Gedaͤchtnis faſſen, behalten und
ſich wieder erinnern. Sieh! bey der Sache
auf Urſach und Wirkung: Inoculir alles
auf dein Lieblingsſtudium, und es iſt dir
auch im ſpaͤtſten Alter als haͤtteſt du es vorm
dreyßigſten Jahr, bis zu welcher Zeit beim
Menſchen alles in der Bluͤte ſtehet, gelernt.
Witzige Leute haben ſchreckliche Gedaͤchtniſſe.
Ueberall finden ſie eine Aehnlichkeit — weil
dieſe aber oft zu ſchwach iſt, oder weil ſie
mit einem Blick zehn Aehnlichkeiten finden
vergeſſen ſie alles — das Bewußtſeyn, faſſen
zu koͤnnen was man will, thut bey einem
Genie oft groͤßere Dinge, als wenn’s ſchon ein
geruͤttelt, geſchuͤttelt und uͤberfluͤßiges Maaß
im Kopf haͤtte. Ich habe noch keinen Dich-
ter gekandt, der nicht ſchnell gefaßt haͤtte,
was er geleſen: Beim muͤndlichen Vortrage
ge-
[35] gelingts nicht allen. Proſa behalten ſie leich-
ter als Verſe. Bei andern Leuten iſt es um-
gekehrt. Man wuͤrde behaupten koͤnnen ein
Original muͤßte wenig Gedaͤchtniß haben,
wenn es nicht Leute gaͤbe, die im Vergeſſen
eben ſo ſtark als im Faßen ſind. Faßen und
behalten wird im gemeinen Leben fuͤr eins ge-
nommen; allein ganz unrichtig. Ein jeder
Originalkopf muß ſchnell faßen und ſchnell
vergeßen. Etwas bleibt zuruͤck und nur eben
ſo viel als noͤtig iſt um nicht blos Abſchrei-
ber, Copiſt zu ſeyn. Ein Grosmaul hat
ein behaltendes, ein Kopf ein faßendes Ge-
daͤchtnis. Wer viel plaudert kann auch viel
behalten, ein guter Kopf kann nur viel erzaͤh-
len, wenn er trunken oder verliebt iſt: Er
darf ſich indeſſen beides nur einbilden, zu ſeyn.
Wenn ein Poet nicht gut faßt, kommt’s oft
daher weil er ſehen und hoͤren kann und
zwar mit Augen und Ohren des Genies und
auch dieſer Umſtand traͤgt ſein Theil bei, daß
er ſo leicht vergißt. Er kann nichts leſen
und hoͤren, was er nicht ſo gleich mit dem
Seinigen bereichert. Er verzinſet oft einen
Gedanken mit funfzig Procent, oft mit
mehr. Er weiß beſtaͤndig viel, nur nicht
immer was andere wiſſen. Wer Jahrzah-
C 3len
[36] len und Geſchlechtsregiſter behalten kann, iſt
kein Dichter —
Lieber Vater hier macht die liebe Mut-
ter eine Ausnahme. Anlange zur Hauspoeſie
iſt ihr nicht abzuſprechen und wer ihr kein
gutes maßives Gedaͤchtniß zugeſtehen wolte,
dem vergaͤße ſie dieſe Beſchuldigung ſelbſt im
Himmel nicht, und wenn’s auch nur blos
darum waͤre um ihr Gedaͤchtniß zu bewei-
ſen — Was ſie behaͤlt iſt eiſern „meine
Mutter wußte nicht nur alle moͤgliche Lieder
aus und inwendig; ſondern beſaß auch eine
ſo genaue Lebensbeſchreibung von vielen Lie-
derdichtern daß ſie beynahe den Schoͤpfungs-
tag von jeder Strophe wußte. Es war ihr
von vielen Jahr und Tag bekanndt und was
das allermeiſte war ſie konnte ſagen was jede
ihrer Herzensſtrophen bei dieſem oder jenem
fuͤr eine Wundercur gemacht hatte.
Mein Vater, der von dergleichen Din-
gen nicht das mindeſte wußte, hoͤrte ihr (ohne
Zweifel von dem Zeitpunkt da er den zweiten
Diskant zu ſingen anfing) andaͤchtig zu, und
ſchien an ihrer Zufriedenheit uͤber dieſes ge-
neigte Gehoͤr Theil zu nehmen.
Die ſingende chriſtliche Hausgemeine war
noch an den Worten
und
[37]
und riſch fing meine Mutter an als wenn ſie
feſten Fuß faſſen und occupiren wolte.
„Von Paul Gerhard„
War mein Vater nicht unter ihren Zuhoͤrern
pflegte die Leichenpredigt laͤnger und erbauli-
cher zu ſeyn und beſtaͤndig fand ſie alsdenn
auf ihrem Wege Umſtaͤnde, die mit Umſtaͤn-
den, ſo Leuten aus ihrer Familie begegnet
waren, eine Aehnlichkeit hatten. Reiſete mein
Vater mit, war der Weg wie auf der Diehle
und nie ſprach ſie bei einem Anverwandten
auf der Landſtraſſe an, es waͤre denn zuwei-
len bei ihrem ſeelgen Herrn Vater oder Gros-
vater um ihnen aus Kindespflicht die Haͤn-
de zu kuͤſſen.
Paul Gerhard hatte Berlin wegen des
Streits der Lutheraner mit den Reformirten
verlaſſen nachdem er aus Luͤben (denkt an
Liebau ſagte ſie, wenn euch der Name zu
ſchwer faͤlt) nach Berlin gekommen und ihr
ſeeliger Herr Vetter war, um allen allerlei
zu werden vom Landpaſtorat nach Mitau als
Stadtpaſtor gegangen und hatte in Mitau
ein Bein gebrochen. Doch warum nicht ſie
ſelbſt? Damit meinen Leſern die Zeit nicht zu
C 4lang
[38] lang werde, ſoll mein Vater ab und zu-
gehen.
„Es iſt ganz beſonders daß Herr Paul
„Gerhard (ſein Sohn Paul Friedrich Gerhard
„war Magiſter, auch gut! allein ſo viel ich
„weiß kein Liederdichter. Schade!) Es iſt
„ganz beſonders ſag ich daß Herr Paul Ger-
„hard welcher als Ober oder Primarpaſtor
„1676 den ſiebenzehnten und nicht den ſie-
„ben und zwanzigſten May im ſiebenzigſten
„Jahre ſeines reifen Alters unter die himm-
„liſchen Saͤnger aufgenommen ward kein
„Lied gemacht hat das mit C anfaͤngt; ob-
„gleich wir ſonſt viele vortrefliche Lieder ha-
„ben die mit dieſem Buchſtaben anheben.
„Ich laß jeden Buchſtaben in ſeiner Ehr’
„und Wuͤrde, allein unter den Conſonanten
„iſt C mein Liebling. Hat dein Vater je ſich
„des Unterdruͤckten des Nothleidenden„ (ſie
wandte ſich zu mir) „angenommen, ſo war’s
„indem er behauptete der Buchſtabe C ſei ſo
„gut deutſcher Buͤrger im A B C als irgend
„einer und indem er den Candidaten — ohne
„C wiederlegte. Da die Letten ohne C ſind,
„koͤnnte man den Herrn Oberpaſtor Paul
„Gerhard einen curſchen einen lettſchen Saͤn-
„ger nennen wenn er anders damit zufrieden
„waͤre,
[39] „waͤre, woran ich zweifle. Wer Gerhards
„Lebensgeſchichte mit leichter Muͤhe und ohne
„Kopfſchmerz zu behalten Luſt hat, merke
„ſich vier Sieben.
„Im Jahr 16 ſechs und ſiebenzig den
„ſiebenzehnten May im ſiebenzigſten Jah-
„und in Hinſicht des Zweifels wegen ſeines
„Sterbtages ſieben und zwanzig. Dieſer
„Zweifel hat, wie mich duͤnkt einen Druck-
„fehler, eine Schwachheitsſuͤnde zum Grunde.
„Wer kann wiſſen muß jeder der ein Buch
„ſchreibt bekennen, wie oft er fehle —
Da haſt du ganz recht liebe Mutter, und
ich der ich zwei hundert Meilen vom Druck-
orte entfernt bin, ſetze bey dieſer Gelegenheit
mit einer Verbeugung an alle Recenſenten
hinzu: Verzeihet die verborgene Fehler.
(Meine Mutter faͤhrt fort)
„Gott weiß, wie die Worte in der Aus-
„gabe des Herrn Feiſtking lauten. Es iſt
„dieſe Ausgabe fuͤr mich ein Licht unterm
„Scheffel. Das Manuſcript hat Herr Jo-
„hann Heinrich Feiſtking vom Herrn Magi-
„ſter Paul Friedrich Gerhard erhalten„
Meine Mutter bedaurete daß ſie nicht
ſelbſt der Herr Johann Heinrich Feiſtking
bey dieſer Gelegenheit geweſen, und waͤr’s
C 5auch
[40] auch nur ſetzte ſie hinzu der gruͤnen rothen
und blauen Grenzzeichen und Faͤnchen hal-
ber. Dieſe Autorzeichen brachten ſie auf die
Tintarten, welche ſie all ſo wie eine Mehl-
und Milchſpeiſe oder Gruͤtze anrichten zu koͤn-
nen vorgab. Mein ſeeliger Grosvater, ſagte
ſie, konnte ohne alle dieſe Tinten kein Concept
zur Predigt vollenden: Mein ſeeliger Vater
brauchte nur die rothe und jetzt bin ich bis
auf die ſchwarze und auch die (mein Vater
war die ganze Zeit abweſend) wird wenig ge-
braucht, außer Uebung.
Der hochſeelige Mann Paul Gerhard
hat das feiſtkingſche Exemplar mit allem Fleiß
revidirt. Sein letzter Federſtrich war in die-
ſes Buch und eben ſchrieb ein Erzengel
Ich habe die Vorrede des Herrn Feiſt-
king nicht geleſen ſondern nur in ein ander
Buch eingebrockt gefunden; indeſſen gehoͤrt
es eben nicht zum Stern und Kern dieſer
Vorrede daß Paul Gerhard daſelbſt mit dem
D. Martin Luther proclamiret und gepaaret
worden und daß man ſo gar (unter uns ge-
ſagt) den Wunſch aͤußert daß Gerhard dem
D. Martin Luther beim Reformations Werk
gehol-
[41] geholfen haͤtte. Ich thue Einſpruch Herr
Feiſtking nicht des Buchſtabens C ſondern des
auserwaͤhlten Ruͤſtzeuges D. Luthers wegen
der auch wußte was Klang und Sang
war — — Hier eine Lobrede auf Lu-
thern der darum wie meine Mutter ſagte zu
Eisleben gebohren weil ihn Gott das Eis
zu brechen erkohren. Wir! wir! (ſie ſang dieſe
Worte in der Melodie: wirglaͤuben all an
einen Gott) wir, ſetzte ſie ohne Sang fort,
die wir aus Beſcheidenheit den Zunamen Lu-
theraner angenommen; ſolten mit dem Vor-
namen Reformatoren heißen: gewiße an-
dere Leute aber, die nicht pauliſch und kefiſch
ſeyn wollen; koͤnnen beym Namen Refor-
mirte bleiben. Nach dem Luther (mein Va-
ter kommt) muß ich geſtehen keinen beßern
Liederdichter als Gerharden zu kennen. Er
und Riſt und Dach ſind ein Kleeblatt das
auserwaͤhlte Ruͤſtzeug Luther aber die Wurzel.
Gerhard dichtete waͤrend dem Kirchenge-
laͤute koͤnnte man ſagen. Ein gewißer Druck,
eine gewiße Beklommenheit, eine Engbruͤ-
ſtigkeit war ihm eigen. Er war ein Gaſt
auf Erden und uͤberall in ſeinen hundert und
zwanzig Liedern ich wuͤnſchte wol es waͤren
ein hundert und ſiebenzig wegen der ſieben —
iſt
[42] iſt Sonnenwende geſaͤet. Dieſe Blume
dreht ſich beſtaͤndig nach der Sonne und Ger-
hard nach der ſeeligen Ewigkeit. Schwer-
muͤthig —
Recht ſagte mein Vater allein weißt du
auch warum?
„Warum?„ meine Mutter„ weil er
nach dem vorgeſteckten Kleinod blickte„
Weil er ein boͤſes Weib hatte — ſo bald
ihn Gott von dieſer boͤſen Sieben erloͤſete,
war keine Sonnenwende mehr in ſeinem
poetiſchen Gaͤrtchen. Er ſang; allein, es
ſang kein Gerhard mehr. Was die Xan-
tippe dem Sokrates war —
Dieſer Blitz traf das Wort auf der Zunge
meiner Mutter, es bebte noch eine Minute
auf der blaͤulichten Oberlippe, allein es war
ſo matt, daß es in der Geburt ſeinen Geiſt
aufgab. Meine Mutter die ſich ihres Ge-
ſchlechts uͤberhaupt anzunehmen gewohnt war,
mußte von meinem unlevitiſchen unpoetiſchen
Vater, der zum zweiten Diſkant nur par
bricol gekommen war erfahren, daß er die
Aſche einer Oberpaſtorinn entheiligte und ein
Sacrilegium begieng. Das war mehr als
ſie tragen konnte! — Sie verſtummte vor
ihrem
[43] ihrem Scherer und nach einer guten Vier-
telſtunde allererſt, nachdem das Herzgeſpann
nachgelaſſen, ſang ſie ohne zu ſagen von
wem das Lied gedichtet war
(meine Mutter ſang
dieſes Wort mit einem
tiefen Seufzer)
Dieſes war auf heute genug am Gemaͤlde
meiner Mutter. Daß ſie Gedaͤchtnis und wo
nicht eine poetiſche Puls ſo doch Blut- ader
wo nicht praßlendes Odenfeuer, ſo doch eine
gluͤhende Kohle vom Altar gehabt, werden
meine Leſer ſelbſt gefunden haben. Noch
einen Zug um die Naſe herum, der ſich
eben bey mir meldet, und es uͤbel nehmen
koͤnnte; wenn ich ihn nicht ſo ſpaͤt es auch
iſt, beherbergen ſolte. Meine Kreutzbare
Mutter war eine ſo große Verehrerin der
Reime, daß ſie ſogar ein Geluͤbde abgelegt
hatte, gewiße Worte nie zu trennen. Kern
und Stern, Rath und That, Kind und
Rind, Hack und Pack, Dach und Fach,
Knall
[44]Knall und Fall u. ſ. w. waren nach ihrer
Meinung Zwillinge, Doppelbruͤder. Außer
dieſem behautete ſie, daß gewiſſe Reime fuͤr
einander gebohren, im Himmel geſchloſſen
waͤren, und durchaus ins Eheband treten
muͤßten als da ſind Stank und Dank, Mund
und Pfund, Glimpf und Schimpf, Noth
und Tod, Kleider und Schneider, Student
und Recenſent, Schelm und Helm —
„Was Gott zuſammen fuͤgt„ pflegte ſie
zu ſagen „ſoll der Menſch nicht ſcheiden.
„Wer ſolche Reime trennt ſcheidet eine Ehe,
„und wer einen andern Reim in dieſe Stelle
„aufnimmt, heyrathet im verbotenen Grade„
Sie behauptete die Reime waͤren gleichſam
die Riemen durch welche das Gedicht verbun-
den wuͤrde, und muß ich ihr die Gerechtig-
keit wiederfahren laſſen daß ſie bei ihrem
poetiſchen Trichter oder dem in ſechs Stun-
den einzugieſſenden Unterricht zur deut-
ſchen Dicht und Reimkunſt(*) die Regel
gab, trachtet am erſten nach dem Reime der
zweiten Reihe, der erſte wird euch zufallen,
und es wird der Vers, wie gegoſſen ſeyn —
Jezt
[45]
Jezt in die Speiſekammer auf ein Ge-
richt Eyer.
Der Himmel helfe uns ad mala. Es
wird fuͤr meine Leſer und fuͤr mich, glaub
ich, das beſte ſeyn. Solte indeſſen meinen
Leſern das Schaͤlchen, das ich aus gutem
Herzen nach nordiſcher Art zum Willkom-
men herum reichen laſſe, Appetit machen
und Promulſis (der erſte Gang) nicht miß-
fallen; ſo hof ich caput cœnæ (die Haupt-
ſchuͤßel) dieſes Theils wird auf ein gleiches
Gluͤck Hofnung machen koͤnnen. Ein Tha-
liarchus ein Credenzer, Diſponent, ein Glaͤ-
ſerzaͤhler ein Tacktſchlaͤger iſt mir bei der
Mahlzeit eine unausſtehliche Creatur.
Meine Mutter laͤßt zur Canoniſation
laͤuten, die einen ihrer Vorfahren treffen
ſoll. Die Reliquien dieſes Candidaten zur
Standeserhoͤhung beſtehen in einem Kupfer-
ſtich und obgleich wenn er nach den neueſten
paͤbſtlichen Grundſaͤtzen behandelt werden
ſolte, ihm rechtlich entgegen ſtuͤnde, daß er
noch nicht hundert Jahre geſtorben; ſo wird
doch bei dieſer proteſtantiſchen Ceremonie
dieſer Einwand keine Bedenklichkeit abgeben.
Es war ein Sonnabend — denn dieſes
war ein Tag den meine Mutter unter den
Tagen
[46] Tagen ſo wie die C. unter den Conſonanten
(alles Widerſpruchs des Candidaten ohne
C. ohnerachtet) ſchaͤtzte. Die C. um auf-
richtig zu ſeyn weil die Letten dieſen Buch-
ſtaben nicht haben; den Sonnabend den hei-
ligen Abend, weil ſie ſelbſt, im Fall ich mich
ſo ausdrucken darf, ein heiliger Abend —
wenn man nur hinzuſetzt, welches einem
Sohne nicht zuſtehet; ſo haben ſie meine
Leſer in einem Zuge ganz; alſo nur ein hei-
liger Abend war. Meiner Mutter gebuͤhr-
te allerdings eine Glorie; allein nur vom
Mondſchein — Wegen des Sonnabends
muß ich noch bemerken, daß ſie von mei-
nem Vater alsdenn wegen der Beichtveſper
an wenigſten einen Einbruch zu befuͤrchten
hatte, und daß der Sonnabend bei allen
Prieſterweibern dies festus ein hervorragen-
der Tag iſt.
Es war ein Sonnabend da mich meine
Mutter mit dem erſten Vers des Liedes
aufſang, und nach deſſen Vollendung mich
alſo anredete
„Ich
[47]
„Ich weiß, daß dieſes Lied einem armen
Suͤnder zugeſchrieben wird, der in Ham-
burg wegen begangener Rothzuͤchtigung eines
neunjaͤhrigen Maͤdchens enthauptet worden;
allein außerdem, daß dieſer arme Suͤnder
Docktor in der Medicin geweſen; ſo glaub
ich auch die ganze armen Suͤnder Geſchichte
nicht. Es iſt vielmehr dieſes Lied eine Meſ-
ſerſpize von den geiſtlichen Liedern des Si-
mon Graf die er unterm ſchoͤnen Titel Geiſt-
liches edles Herzpulwer in drei Theilen her-
ausgegeben hat (*) und denn am Ende liebes
Kind ſind wir alle arme Suͤnder — „allein
„wir haben nicht alle ein neunjaͤhriges Maͤd-
chen genothzuͤchtiget„ ſind aber alle in Suͤn-
den empfangen und geboren.
„Was iſt Nothzucht liebe Mutter?„
Nothzucht mein Kind! ſagte meine Mutter,
und ich war voll Erwartung der Dinge die
kommen ſolten — iſt Nothzucht. Leg
dein Feyrkleid an, ſtreu Puder auf dein
Haupt und wenn keiner verhanden iſt Wai-
zenmehl und ſieh! heute wie man dem thut,
den deine Mutter ehren will aus dem Buche
Eſther
D
[48] Eſther im ſechſten Capitel und ſechſten Vers.
Nach einer langen Deliberation wie die feier-
liche Handlung vollzogen werden ſolte gieng
dieſer Triumph oder Oration oder Leichen-
conduckt an. Jo Triumphe! der Trium-
phator, welchem dieſe Ehre in effigie erwie-
ſen wurde, lag auf zwei Folianten, und
auch dieſes kam von ohngefehr, ſonſt wuͤrde
ſelbſt dieſe Spur vom Triumphwagen nicht
geweſen ſeyn. Bei meiner Uebermeſſung,
die mit einer Kurſchen Elle geſchahe, fand
es ſich daß kein Stuhl hoch genug fuͤr
mich war, den Kupferſtich dem Himmel nahe
genug zu bringen, wie meine Mutter ſich
ausdruͤckte, welches Ziel aber durch Beihuͤlfe
dieſer Folianten erreichet werden konnte.
Da die Folianten inzwiſchen einmal im Spiel
waren legte ſie ſelbige Kreuzweis ſo, daß alſo
nicht einer auf dem andern lag. Sie ſprei-
tete endlich ein weißes Tuch uͤber ſie —
Man kann ſagte ſie auch dabey ſeine erbau-
liche Gedanken haben. Noch gehoͤrten zu
dieſem Ehrenwerk vier flimmernde Naͤgel-
chen und vier Streifen ſchwarz Papier. Eine
Leichenrede wurde deshalb entkleidet, die auf
einen reformirten Geiſtlichen gefertigt war.
Die Naͤgelchen und die vier Streifen legte
meine
[49] meine Mutter wie Ehrenzeichen neben dem
Kupferſtich. Auf dem Wege von dem Ort
wo ihm der Platz unterm Spiegel gegen
Morgen war abgeſchlagen worden, wurden
Tannenreiſer bis in die Speiſekammer ge-
ſtreuet. Unterwegens war meine Mutter
wie man in der Affecktshize zu ſeyn pflegt,
ſtill. Der Fall war zu groß um Klang und
Sang zu verſtatten. Stille Begraͤbniſſe
kommen uͤberhaupt der Natur am naͤchſten
wenn anders der Verſtorbene keine lachende
Erben nachlaͤßt. Meine Mutter trug die
Fuͤße ich das Haupt und ſo kamen wir ins
Delubrum ins Sacrum, ins Gewoͤlbe. Es
kam mir unterweges beſonders wegen des
weißen Tuches, welches bei meinen Leſern
noch im friſchen Andenken flaggen wird ſo
vor, als ob ich eine Leiche trug und meiner
Mutter muß es eben ſo vorgekommen ſeyn
denn ſie ſagte (dieſes war alles was geredet
wurde) den Weg mein Sohn muͤßen wir alle,
und konnte wol unmoͤglich die Speiſekam-
mer darunter verſtehen. Ich merkte aus
allem, daß meine Mutter eine Rede an mich
halten wolte, und kann vielleicht dieſer Um-
ſtand mit das Seinige zur Stille beigetragen
haben wodurch dieſe Handlung geweiht wurde.
D 2Er
[50] „Er hat gelitten und hat geſiegt fing ſie an
„er iſt geſtorben und ſich! er lebt„
„aus dem Liede: einen guten Kampf hab
„ich auf der Welt gekaͤmpfet„ Dieſe Cita-
tion oder eine Wehmuth die uns beide an-
wandelte lenkte ſie vom rechten Weg.
„Dein Ebenbild„ ſagte ſie „mein Sohn
„wie ein Ey dem andern — ſey ihm an
„reiner Lehre und reinem Wandel gleich
„auch„ (hier fehlte ohne Zweifel viel) „nimm
„dich vor harten Eyern in acht: ſie ſind
„ſchwer zu verdauen.„
Erinnere dich an die Leiter Jacobs ſagte
ſie, nachdem ſie ſich vom Steckflus erholet
hatte und die Folianten wurden abgedeckt
und das Leichlacken fein ſauberlich zuſam-
mengelegt. „Zu niedrig„ ſagte ſie indem
ich die Hoͤhe erſtiegen hatte und zu haͤmmern
anfing „Es ſtockt in der Speiſekammer„
„zu hoch„ gleich drauf „denn ich kann wei-
„ter nichts als vier Sterne ſehen„
Sterne dacht ich liebe Mntter — Sechs
fuͤr einen Vierding.
Endlich traf ich die rechte Stelle und nach-
dem das Monument fertig war, welches
dieſem
[51] dieſem Ehrenmann um ſo angemeſſener ſchien
als gerad’ uͤber ein Eyerbehaͤltnis ſtand;
ſtieg ich herab, und meine Mutter umfing
und kuͤßte mich. Es war dieſes eine feier-
liche Umhalſung eine Accolate und nun? —
meine Leſer werden es mir verzeihen, daß
ich ſie ſo lange im Finſtern gelaſſen; Ohne zu
bemerken daß meine Mutter vier Lichte auf
dem Tiſch angezuͤndet hatte auf welches Ca-
ſtrum Doloris der Wohlſeelige nachdem wir
ihn von den Folianten abgehoben, eine ganz
kurze Zeit zur Ausruhe hingeſtellt wurde.
Drey von dieſen Lichtern loͤſchte meine Mut-
ter ſo aus wie andre Leute ihre Lichte ausloͤ-
ſchen. Das Vierte ein abgebrannter Stumpf
war waͤrend dieſer Zeit dem Verloͤſchen nahe
„Komm! ſieh und lerne ſterben„
ſagte ſie mir. Ich ſah ein ausgehendes
Licht und meine Mutter betete mit einer
Innbrunſt die mir durch die Seele ging
D 3ich
[52] ich ſah, was meine Mutter ſagte und oft!
oft! hab ich mein Licht ſo ausbrennen laßen,
um dieſes Feſt zu wiederholen.
Meine Mutter legte die Haͤnde ſobald
alles aus war auf mich, um mich prieſterlich
zu ſeegnen. Wir weinten beide — Nach einer
Weile fing ſie an (ich glaub es ſind alles die-
ſes Brodſamen die von ihrem reich beſetzten
Tiſch fielen, Stuͤcke von der verungluͤckten
Rede) „die Lobwuͤrdigſte Fuͤrſtin Henriette
„Louiſe Marggraͤfin zu Brandenburg lies ſich
„dies Lied vorſingen, und obgleich alles um
„ſie herum weinte, ſtarb ſie doch ohne Ach
„und Weh ſanft und ſeelig zu Onolzbach im
„Jahr Chriſti 1650 ihres Alters ſieben und
„zwanzig Jahr. Gott! laß es nur ein
„Stuͤndlein und nicht eine ganze Stunde
„ſeyn, wenn wir heimfahren aus dieſem
„Elend!„ Wir brachten die Folianten zu
Hauſe und meine Mutter ſang ohne zu be-
ſtimmen obs auf Folianten oder aufs Kupfer-
ſtich oder auf alle papierne Monumente und
Denkzettel gezielt waͤre
Seyd
[53] Seyd getroſt verdienſtvolle Maͤnner, (ich will
meiner verſtummten Mutter aushelfen)
Habt ihr nicht das Gluͤck am Spiegel zu
haͤngen ſo iſt noch die Speiſekammer uͤbrig.
Stockt es hier gleich, es ſchadet nicht das
Bild kann hoch geſchlagen werden. Beſchert
euch nur der Himmel Augen die vier kleine
Naͤgel fuͤr Sterne [anſehen]; habt ihr gewon-
nen Spiel. —
Nach dieſer volbrachten Arbeit verlangte
meine Mutter daß ich dieſen Tag in einem
feinen guten Herzen behalten und ihn jeden
heiligen Abend vor Oſtern durch eine Wall-
fahrt in die Speiſekammer (wie ſie ſich aus-
druckte) feyren und erneuren ſolte; dieſes iſt
ſagte ſie die Ausſaat; vor Oſtern den heili-
gen Abend ſolſt du erndten. Der Geber al-
ler guten und vollkommenen Gaben verleihe
dir gutes Wetter oder ein Herz nach ſeinem
Herzen zur Erndte.
Daß aber der ausgeſaͤete Waizen nie zur
Reife gekommen und aus dieſer Wallfahrt
nie etwas geworden, iſt einer von uns bei-
den Schuld, der fromme Schweppermann
oder ich. Meine Mutter zog mich wegen
eines Epitaphiums zu Rathe und mir mußte
zum Ungluͤck einfallen
D 4Dem
[54]
weil Schweppermann nicht Superintendent
in Curland ſondern
geweſen; ſo bekam der Vorſchlag meiner
Mutter eine andere Wendung. Der be-
ſtimmte heilige Tag fiel aus, allein nicht zu
meinem Nachtheil denn wenn ich nach der
Zeit ein Stuͤck Geraͤuchertes zu erndten Luſt
hatte; wallfahrte ich Hand in Hand mit
meiner Mutter zum Mauſoleum (oder nach
einer ehrlichen deutſchen Ueberſetzung) in die
Speiſekammer. Es hing der Tag unſers
Eyerheiligen von der Angabe meines Magens
ab, und war ſo oft mir außer der Mahlzeit
hungerte. Je nachdem ich Appetit hatte;
ward auch die Feyerlichkeit zur Ehre eines
Mannes zugeſchnitten, der nach der Bemer-
kung meiner Mutter, die ſie mehr als ein-
mal anbrachte, „ſo wie die Speckſeiten und
„Wuͤrſte ſeine Nachbaren, gekommen waͤre
„aus der Rauchkammer dieſes Lebens„ —
Zur Steuer der Wahrheit ſteh es hier
wie eine Ehrenſaͤule, daß meine Mutter wi-
der die Gewohnheit aller Weiber nicht geitzig
war
[55] war. Sie wolte nicht die Eyer abſchaffen
und Huͤner dafuͤr einfuͤhren; ſondern die
Rechtglaͤubigkeit wie ſie ſagte lag ihr bloß
hiebei am Herzen.
Mein Vater (damit ich ſobald als moͤg-
lich die vacante Stelle beſetze) den meine Mut-
ter durch dieſen an ſeinen Ort geſtelten Kupfer-
ſtich ohne Zweifel auf den Gedanken brachte,
daß im Prunkzimmer zur rechten Hand un-
term Spiegel kein unruͤhmlicher Ort im Pa-
ſtorat waͤre, vocirte den Kupferſtich des Eu-
gen an dieſen ledigen Platz. Er ließ meine
Mutter vor der Hand bei ihrer voreilig ge-
faßten Meinung, daß dieſer Kupferſtich der
Herzog Gotthard waͤre, welchen ſie vor den
groͤßten Helden hielt der je in der Welt gelebt
haͤtte, und dem allein ſie den Rang uͤber den
Superintendenten geſtattete, obgleich ſich die
Herzoge von Curland wir von Gottes Gna-
den ſchrieben und Landeshoheit haben. Es
war mein Vater ſich als ein Deutſcher dieſe
Huldigung ſchuldig, und nie hat ers verfehlt
dem Namen eines Deutſchen Ehre zu ma-
chen. Das erſte Wort was er mich ausſpre-
chen lehrte war, aller ſeiner Kentniß’ in frem-
den Sprachen unerachtet, ein ſchweres Deut-
ſches. Deutſch eben darum warum Eugen
D 5im
[56] im Paſtorat zur rechten Hand unterm Spie-
gel des Prunkzimmers hing, ſchwer, weil
mein Vater in allen Dingen die Gewohnheit
hatte mit dem Homer anzufangen.
Damit aber meine Leſer ja nicht Realin-
jurien begehen und an den Gedanken graͤn-
zen als ob mein Vater auch nur ſtillſchwei-
gend eine Unwahrheit veruͤbt; ſo muß ich
ihn bei dieſer maasgebenden Gelegenheit recht-
fertigen und ihn uͤber jenen Heiden heraus-
bringen, dem man zur Steu’r der Wahrheit
nachſagt, daß er auch nicht im Scherze un-
richtig geworden, welches in unſerer galan-
ten Mundart ungefehr heißen wuͤrde daß er
keine einzige Equivoke geſagt habe. Wer
weiß es nicht daß eine ſtillſchweigende Luͤge
eine himmelſchreiende ſtumme Suͤnde ſei, der
feinſte Meuchelmord und eben darum der ge-
woͤnlichſte. Was meinet ihr lieben Leſer!
mißt mein Bater nicht einen Zoll und einen
Strich mehr?
Gotthard ſagte meine Mutter der Held
der Helden. Nicht alſo fiel mein Vater ein.
Eugen! ein Deutſcher der in ſeiner Jugend
Theologie ſtudirte und ſchon wirklich Candi-
datus Theologiaͤ war, ein rundes Peruͤckchen
trug und geprediget hatte, dies brachte meine
Mutter
[57] Mutter zur Andacht, warum ſagte ſie ging
er von der engen Straße die zum Leben fuͤh-
ret? um der Religion beſſere Dienſte zu thun
erwiederte mein Vater, um ſein Schwerd
wieder die zu ziehen welche jetzo die Wache
zum heiligen Grabe geben und das Schlaf-
gemach unſers Herrn und Meiſters uſur-
pireu. Eugen hieß der kleine Abt in Frank-
reich und ward ein großer Mann in Deutſch-
land. Die mittelmaͤßige Statur iſt die Ge-
ſtalt der Helden — Unſer Sohn wird Gott-
lob! groß werden ſagte meine Mutter! Gott-
lob! er wird es nicht werden erwiederte mein
Vater. Die Tittel des Eugen ſind, fuhr er
fort, Herzog von Savoyen und Piemont,
Marggraf zu Saluzzo, Ritter des goldnen
Vließes, der Roͤmiſch Kaiſerlichen und Koͤ-
niglich Catholiſchen Majeſtaͤt wuͤrklicher Ge-
heimter und Conferenz-Rath Hofkrieges Raths
Praͤſident, General Lieutenant und des heil-
gen roͤmiſchen Reichs Feldmarſchall General
Vicarius der ſaͤmtlichen Italieniſchen Erbkoͤ-
nigreiche und Landen.
Meine Mutter machte da mein Vater
ſich bey jedem neuen Ehrenwort beugete eine
Gegenverbeugung — ohne daß man eigent-
lich beſtimmen konnte ob’s meinem Vater
oder
[58] oder dem Eugen gallt, und da die Heldenge-
ſchichte eben kein Studium fuͤr meine Mut-
ter war; ſo kam manches vor was ſie zum
erſtenmal hoͤrte. Bei meines Vaters Be-
merkung Eugens Mutter waͤre des bekannten
Cardinals Mazarini Nichte geweſen; konnte
meine Mutter anfaͤnglich nicht begreifen wie
ein Cardinal eine Nichte haben koͤnnte? Es
fuͤhlte Eugen (fuhr mein Vater fort und ſahe
meine Mutter lieblich an) im Gemuͤte und
Gebluͤte vaͤterliche Regungen, und dieſes Ge-
fuͤhl war unfehlbar die Haupturſache warum
er das Brevier mit dem Degen vertauſchte.
Ob nun gleich meine Mutter was den Punkt
der heiligen Ehe betraf ſehr proteſtautiſch
dachte; ſo ſchuͤttelte ſie dennoch wegen dieſes
Tauſches das Haupt. Bei dem eingeweih-
ten Degen den Pabſt Clemens der XI. dem Eu-
gen ſchickte und bey dem Anfange ſeines An-
ſchreibens
Unſern Gruß und apoſtoliſchen Seegen
zuvor Geliebter Sohn, edler Mann! warf
ſie die Frage auf wie doch wol der curiſche
General Superintendent an den Eugen ge-
ſchrieben haben wuͤrde?
Mein Vater ſchloß die Standrede uͤber
Eugen um ſich meine Mutter die nicht ohne
Neid
[59] Neid den Eugen unterm Spiegel ſahe, zu
verpflichten.
Daß dieſer unuͤberwundene Held den
ein und zwanzigſten April zum ewigen Jubi-
late eingegangen —
So waren alſo die beiden Monumente
fuͤr Eugen der nie geſchlagen worden und
meiner Mutter Ahnherrn, der durch Abſchaf-
fung der Oeſtereyer ſich unſterblich gemacht,
errichtet! Der liebe Gott ſchenke beiden (dies
ſagte meine Mutter da mein Vater den Ruͤ-
cken gekehret hatte) in der Erde eine ſanfte
Ruhe und am juͤngſten Tage eine froͤliche
Auferſtehung wo es ſich ausweiſen wird ob
Eugen oder der gute Paſtor eher verdient un-
ter dem Spiegel gegen Morgen im Prunk-
zimmer zu haͤngen wenn gleich auch unſer
Anverwandter ſich uͤber ſein Plaͤtzchen in der
Speiſekammer nicht beſchweren darf.
Ich habe zwar von meinem Vater da ich
nicht Capitelfeſt bin, nur wenig und das im
Beylauf geſagt; meine Leſer werden aber
ſchon hieraus die verſchiedene Denkungsarten
meines Vaters und meiner Mutter einſehen
und ohne Note ſich vorſtellen, daß ihre Er-
ziehungsart gleichmaͤßig nicht uͤbereinſtimmen
konnte. Meine Mutter wolte mich zu einem
Geiſt-
[60] Geiſtlichen machen, und wenn man kein
Edelmann und doch ein Menſch in Curland
iſt, kann man keinen andern als dieſen Stand
waͤhlen; einige weltliche Stellen ausgenom-
men, deren aber zu wenig ſind, als daß viele
darauf rechnen koͤnnten, und die, bis auf
die Advocaten Stellen bei dem Land Oberge-
richtshofe in Mitau, noch obenein adeliche
Poſten ſind, und alſo als in Verfall gera-
thene Familien angeſehen werden, welche ih-
ren Adel mit leichter Muͤhe erneuren koͤnnen.
Mein Vater ſchien mich zu Etwas andern be-
ſtimmt zu haben. Meine Leſer moͤgen ra-
then wozu? denn, in Wahrheit ich ſelbſt muß
mich bei dieſem Umſtand mit Rathen behel-
fen, obgleich ich es nicht leugne mehr Data
als meine Leſer zur Aufloͤſung meines Raͤth-
ſels in der Hand zu haben. Er ſahe es ſehr
gerne wenn ich Ball ſchlug und erlegte ſelbſt
mit mir Kegel. Ich hatte zu Anfange Muͤhe
die Kugeln zu heben; indeſſen fand ſich mit
der Zeit eine Staͤrke in meine Arme daß das
Spiel zwiſchen meinem Vater und mir unge-
wiß und eine Wette wurde, und wir abwech-
ſelnd gewonnen und verlohren. Er hatte es
gerne, daß ich mich herumbalgte, und hier-
innen that ich mich mit dem Benjamin dem
Sohn
[61] Sohn des alten Herrn hervor. Sowol von
Vater als Sohn wird ſogleich gehandelt wer-
den. Meine Mutter ermahnete mich ſo oft
ich gerungen hatte, und fuͤgete hinzu, daß
jedes Haar auf meinem Haupte gezaͤhlet ſei.
Ich arbeitete beſtaͤndig; allein ich wußte
es nicht, ich haͤtte eben ſo gut glauben koͤn-
nen daß ich beſtaͤndig ſpielte. Mein Vater
konnte ſich uͤber nichts ſo ſehr aͤrgern, als
daß uͤber der Seele der Leib vergeſſen wuͤrde,
und daß man das eine bei Hochwohlgebornen
Kindern lernen und das andere ſpielen hieße.
Es iſt alles Spiel oder alles Arbeit pflegt er
zu ſagen. Die Unvermoͤgenheiten des Leibes
hielt er alle fuͤr anſteckend in Abſicht der Seele.
Cs iſt ein ſchlechter Wirth ſagt’ er der ſein
Zimmer mit Seide ausſchlaͤgt und von oben
einregnen laͤßt. Vom Kleide auf den Mann
ſetzte er hinzu vom Hauſe auf den Herrn,
vom Leibe auf die Seele ſchließen, iſt kein
unrichtiger Schluß. Wenn man ſeinen Koͤr-
per den man ſiehet vernachlaͤßiget, wie will
man an ſeine Seele denken die man nicht
ſiehet. Mark machts aus ſezte er, um ſich
zu erklaͤren hinzu, nicht Laͤnge und Breite
Dicke und Hoͤhe. Ein jeder Erfinder iſt we-
nigſtens an dem Tage da er erfand ein Mann
gewe-
[62] geweſen, und haͤtte eben ſo gut ein geſundes
Kind in die Welt ſetzen als erfinden koͤnnen,
und alles was in der gelehrten Welt Methu-
ſalems Alter erreichen und noch aͤlter werden
ſoll, alles was eigentlich auf die Nachwelt
bleibt hat ein Geſunder gedacht und geſchrie-
ben. Die Helden und Statsactionen des
Hercules leiſteten meinem Vater auf dieſem
Wege gute Dienſte, und er konnte ſich ſehr
freuen, wenn ich Unwillen zeigte, daß ich
nicht auch Gelegenheit gehabt zwoen Schlan-
gen in der Wiege das Lebenslicht auszudruͤ-
cken: die Geſchichte vom Antaeus dem Rie-
ſen war mir ein Brand im Buſen; mein
Vater goß Oel dazu und maaß mir ſeine
Laͤnge vor. [...] ſtieg auf den Tiſch um ſie
recht zu ſehen und ſo wie ich mich uͤber die
Art des Antaeus freuete, ſich einen Loͤ-
wen zum Braten zu fangen, ſo gratulirte ich
dem Herkules daß er dieſen Loͤwenjaͤger todt
zu druͤcken die Ehre gehabt. Mejne Mut-
ter war ſo wenig mit der Geſchichte vom Rie-
ſen Antaeus als mit der von der Schlange
zufrieden. Bei der Schlange fiel ihr beſtaͤn-
dig die im Paradieſe ein, wobei ſie es dem
Noa Etwas uͤbel nahm, daß er fuͤr ſie eine
recht hollaͤndiſche Toleranz in ſeinem Kaſten
gehabt.
[63] gehabt. Sie aͤußerte bei dieſer Gelegenheit
die Meinung daß das Ausziſchen ſich aus
dem Paradieſe herſchriebe, wo der Teufel
unſren erſten Eltern auf dieſe Art uͤbel be-
gegnet haͤtte nachdem die armen Betrogene
den letzten Biſſen Apfel genoſſen. Was den
todtgedruͤckten Rieſen betraf: fand ſie’s an-
ſtoͤßig, daß er nicht Goliath hieße. Ich war
ſehr fuͤrs Todtdruͤcken der Rieſen, aber mein
Vater zeigte mir das Erhabene das Goͤttliche
bei der Geſchichte des Davids und ich lernte
neben her wie unrecht es ſei mehr Mittel und
waͤrs auch nur ein Graͤnlein anzuwenden,
als man Zweck hat.
Wenn meine liebe Mutter den Eifer be-
merkte, der mir bei Erzaͤhlung vom Hercu-
les unter die Arme griff, ſo daß ich vor
ihren ſichtlichen Augen an Tiſch und Stuͤh-
len ein Exempel ſtatuiren wolte; pflegte ſie
mich zu ermahnen, meine Arme zum Kan-
zelſchlage zu ſchonen und ſie nicht an unſchul-
digen Stuͤhlen und Tiſchen zu entweihen.
Erziehen ſagte mein Vater heißt aufwe-
cken vom Schlaf, mit Schnee reiben wo’s
erfroren iſt, abkuͤhlen, wo’s brennt. Wer
nie ein Kind unterrichtet hat wird nie uͤber
das Mittelmaͤßige hervorragen. Docendo
Ediſci-
[64]diſcimus iſt ein großes und wahres Wort!
In gewiſſer Art lernen wir mehr von den
Kindern als die Kinder von uns. Wer ein
Auge hat lernt hier den Menſchen. Wenn
die Sonne aufgeht, kann ſie der Blick um-
faſſen. Wer kann in ſie ſehen wenns hoch-
mittag iſt? —
Wenn ich auf Etwas durch aus und
durch all’ beſtand uͤberlies mich mein Vater
meinem Eigenſinn, und ich ſahe aus den
natuͤrlichen Folgen wie thoͤricht ich gehandelt
da ich ſeinen Fingerzeig aus der Obacht ge-
laſſen. Er behauptete daß keine natuͤrliche
Strafe gleich einer Todesſtrafe waͤre, und
ſo lies er nach dieſer großen Fuͤrſchrift, auch
mich nur durch Buße bekehren und leben.
Ich verbrandt mich am Licht ich verdarb mir
den Magen unterm Pflaumenbaum. Wie
der himmliſche Vater es mit uns macht,
pflegt’ er zu ſagen ſo ſolten es auch leibliche
Vaͤter machen. Welch einen Einfluß dieſe
Lehrart auf mich gehabt iſt unausſprechlich —
Ich lernte Natur die wir! leider bei dem
allgemeinen Fall oder Vorfall der Menſchen
lernen muͤßen. Ich lernte ſie im kleinen und
im großen. Wenn ein Genie allein auf
dem Lande geht pflegte mein Vater zu ſagen,
bleibt
[65] bleibt es nicht lang allein, die Natur geht
ihm an die Hand. Sie faßt es an und es
verſteht die Blume wenn ſie ſich neigt, und
den liebevollen Hopfen der ſich hinaufrankelt.
Es bewundert den Regenbogen, den Ordens-
band, den Gott der Erde als ein Gnaden-
zeichen umhing. Da ſehen dann Genies
einen gewiſſen Zuſammenhang zwiſchen Gott
und dem Menſchen und ſind Seher von Gott
Angehauchte. Dies iſt unendlich mehr als
ein Aotodidactos ein Selbſtgelehrter. Die-
ſer lernt aus Buͤchern, ein Seher lernt von
Gott und aus ſeiner fuͤr ihn aufgeſchlagenen
Welt.
Mein Vater lies es nie zu Thaͤtlichkeiten
bei ſeinen Strafgerichten kommen denn ich
verurtheilte mich ſelbſt und er bewuͤrkte eben
hiedurch eine große Abſicht: Er erzog nicht
einen Sohn ſondern einen Menſchen.
Meine Mutter hielt einen Gnadenſtoß
fuͤr nothwendig und wenn ſie mir mit ihrer
theuren Rechten einen Ritterſchlag verſezte
pflegte ſie zu ſagen: beſſer ſo als anders!
eine freie Ueberſetzung von beſſer Ritter als
Knecht, und denn ſagte ſie wieder. Wer
ſeinen Eltern nicht folgt, folgt dem Kalb-
fell — In der Hauptſache ſtimmte ſie mit
E 2mei-
[66] meinem Vater, ſie zog nur durch einen an-
dern Weg in eben daſſelbe Land. Regen der
ihr kam, wenn ſie die große Waͤſche vor-
hatte die mein Vater ſcherzweiſe Fegfeuer
nanndte das war ihr Gottesſchlag und im-
mer wußte ſie, mit welcher Suͤnde ſie dieſen
Regen beim lieben Gott verſchuldet hatte.
Ich entſinne mich als waͤr’s heute daß ſie
meinetwegen einen Stock ergrif — feierlich
wie einen an einer Kreuzfahne, allein ſie be-
ſann ſich, wie Diogenes der einen armen
Jungen mit der Hand Waſſer ſchoͤpfen ſah —
ſie murmelte „wer das Schwerdt nimmt, wird
durchs Schwerdt umkommen,„ und ich habe
alſo nie unterm Gefreitenſtock geſtanden ſon-
dern nach Prinzen Art, da doch Niemand
ohne Schlaͤge groß wird, blos Weiber Haͤn-
den dieſen Tribut bezahlt. Meine Mutter
nanndte dieſe Zucht Licht und Recht und
hatte eine ſehr feine Diſtinction zwiſchen dem
Stabe Sanft und dem Stabe Wehe! wo-
mit meinen Leſern aber wenig gedient ſeyn
kann.
Die Sprachen rechnete mein Vater zum
Departement des Leibes und der Seelen.
Man muß pflegte er zu ſagen, nur Eine
vollkommen beſizen, das iſt reden, ſchreiben
und
[67] und in ihr denken koͤnnen. Ein Gott, Eine
Taufe, Eine Sonne, Ein Weib, Ein Geiſt,
Ein Leib, Ein Freund, Eine Sprache —
Es giebt ſagt’ er keine nackte Wahrheit.
Worte finden heißt denken. Worte ſind was
koͤrperliches was ſinnliches ſie ſind die Kleider
der Gedanken — Beiwoͤrter der Beſaz:
Worte der eigentliche Anzug. Wer deutſch
gedacht und lateiniſch geſchrieben hat iſt,
wenn er gleich der beſte Lateiner waͤre, doch
ein Deutſcher. Cieero wuͤrd’ ihn fuͤr keinen
Landsmann halten. Um franzoͤſiſch zu
ſchreiben muß man Franzoſe ſeyn, um eng-
liſch, Englaͤnder. Wer fremde Sprachen
zu Etwas mehr braucht als ſich andren Leu-
ten, die nicht unſre Mutter kennen, ver-
ſtaͤndlich zu machen; iſt allemal ein ſchwa-
cher Kopf. Es fehlt ihm wo, es ſitze das
Uebel wo es wolle.
Mein Vater war bei alle dem ſo wenig
wieder viele Sprachen, daß er ſie vielmehr
nach dem Thurm zu Babel ſo nothwendig,
als vielerley Eſſen nach dem hoͤchſtbetruͤbten
Suͤndenfall hielte. Viele Sprachen, bemerkt’
er, ſind viele Creditbriefe. Zeige ſie vor,
du biſt uͤberall willkommen. Kein Tuͤrke
ſchlaͤget einen Chriſten todt, wenn der Chriſt
E 3tuͤrkiſch
[68] tuͤrkiſch kann, und wenn es noch ſo viel Re-
ligionsverdienſt waͤre. Die Sprache iſt eine
Herzensſchlinge. Man iſt beſtrickt man weiß
nicht wie. Doch! warum ſoll ich alles wie-
derſagen, was mein Vater ſagte? Seine
Behauptungen waren außer der Weiſe. Er
glaubte es muͤßte zu kennen ſeyn was bey
Licht oder am Tage, was des Morgens und
was des Abends gedacht waͤre wenn’s nem-
lich aufgeſchrieben worden. Morgengedan-
ken waren bey ihm wie die Erſtgeburt heilig.
Da ich mehr mit Credit als mit eigenem Ver-
moͤgen in der Welt handeln ſolte fuͤhrte mich
mein Vater fleißig zu fremden Sprachen an,
und ich mußte beinahe alle dieſe Sprachen
zu gleicher Zeit lernen. Alles ohne Donat
und Gramatick. Zum Schulmaͤßigen ge-
woͤhnte er mich allererſt im vierzehnten Jahr,
und konnt ich’s folglich als Proben anſehen,
die man in der Rechenkunſt erfunden, um
zu ſehen ob richtig gerechnet ſey. Mein Va-
ter hielt viel auf woͤrtliche Ueberſezungen in
Sprachen, die noch leben. Hieraus pflegte
er zu ſagen lernt man eine Nation auf ein
Haar kennen und die feinſte Politik und Welt-
kenntniß iſt hier verborgen. Dies iſt der
Chiffer zu den Geheimniſſen der Voͤlcker.
Auch
[69] Auch ſieht man aus der Sprache ob’s im
Lande kalt oder warm neblicht oder klar ſey —
Er gieng hier noch weiter, ich befuͤrchte aber
meine Leſer werden nicht weiter gehen wollen.
Bey abgeſchiedenen Sprachen fuhr er fort,
toͤdtet der Buchſtabe, der Geiſt aber machet
lebendig. Die Griechen nanndte er Kirchen-
vaͤter der Natur und ihre Sprache den
Grundtext des Geſchmacks. Wenn man uns
zugehoͤret haͤtte; wuͤrd’ man uns fuͤr ein
paar Maurergeſellen vom Thurm zu Babel
gehalten haben. Alles durcheinander und
doch alles in einander. Mein Vater nahm,
wenn er fremde Sprachen mit mir redete,
auch fremde Arten an, und das war mir
mehr als ein Lexicon, ich hatte fuͤr jede Spra-
che ein ander Geſicht eine andere Zunge eine
andere Hand, einen andren Fuß, und be-
ſonders eine andre Naſe. Worte mußte ich
lernen und er war nicht mit der Lehrart zu-
frieden bei Worten das Gedaͤchtnis zu ſtuͤtzen
und ſich Merkzeichen zu machen. Man hat
ſagt’ er alsdenn Bild und Wort zu behalten.
Ein Stammvater von Worten aber diente
mir zum Leitfaden bei tauſend zum Nagel
im Kleiderſchrank wo man zehnerlei aufhaͤngt.
Ich lernte den Stammvater und wußte Sohn,
E 4Enkel,
[70] Enkel, Urenkel UrUrenkel und Ur Ur ſo viel
man will.
Die lettiſche, curſche oder undeutſche
Sprache lernte ich von meiner Mutter und
dem Herrn Jachnis (Johann) dem Aufſeher
uͤber die Paſtorats Bauren oder den Gottes
Berat. Das Paſtoratshaus nanndte ihn
Herr Jachnis und ſein Weib Frau Maſche
(Margerethe) er aber meinen Vater, wenn
er gleich deutſch mit ihm ſprach Zeenigs mach-
zitajs (wohlgelahrter und hochzuehrender Leh-
rer) und aus dieſen Namen, die er gab und
die ihm gegeben wurden werden meine Leſer
erſehen, daß man dieſen Menſchen halb let-
tiſch halb deutſch nahm. Es hatte Herr
Jachnis den ſemgalliſchen Dialeckt, der um
Mitau herum reſidirt und außer dieſem ſem-
galliſchen Dialeckt nach welchem die Bibel
ins lettiſche gedollmetſchet worden, hatt’ er
noch ein Flick von einem Bruſttuch, welches
einer ſeiner Vorfahren aus der eigenen Hand
des Herzog Gotthards erhalten, da er ihm
das Evangelium am Sonntage Palmarum
in undeutſcher Sprache aufſagen koͤnnen.
Mein Vater unterſtuͤtzte die hohe Idee
die Herr Jachnis, der ſich auch wol von
den Paſtoratsbauren Amtmann nennen ließ
von
[71] von dieſer Reliquie hatte. Er ließ es ſich
zuweilen zeigen und ermahnete ihn, ſein
geiſtliches Ordensband wol zu bewahren.
Hiezu brauchte Herr Amtmann Jachnis keine
Aufmunterung, denn er machte kein Geheim-
nis draus, daß dieſes Ritterflick bis an den
lieben juͤngſten Tag beim aͤlteſten in der Fa-
milie bleiben ſolte.
Meine Mutter aͤrgerte ſich ſo offt davon ge-
redet wurde, und verſicherte auf Ehre, Pflicht
und Gewiſſen, daß dieſes Stuͤck Gewand,
fuͤnf und mehr mal verwechſelt waͤre: und
hierinn ſchien ſie auch um ſo mehr Recht zu
haben als es noch ziemlich ungebraucht war.
Sie legte es ihm zur Laſt daß ſeine Vorfah-
ren nicht lieber ein Stuͤck von dem Pſalm-
buch zuruͤckgelaſſen welches der gottſeelige
Herzog Gotthard zum Druck befoͤrdert, allein
gewiß blos darum, weil einer ihrer poeti-
ſchen Vorfahren ſich darinn ein Gedaͤchtnis
geſtiftet hatte. Mein Vater wiederlegte meine
Mutter nicht; allein er klopfte dem Herrn
Jachnis auf die Schulter, und ſagte gut iſt gut
beſſer iſt beſſer. Dieſes legten beide meine
Mutter und Herr Jachnis fuͤr ſich zum Vor-
theil aus, ſo daß ſich beyde durch ein freundli-
ches Laͤcheln bei meinem Vater bedankten.
E 5Es
[72]
Es lebte meine Mutter uͤberhaupt mit
dem Herrn Amtmann im beſtaͤndigen Strei-
te; obſchon ſie im Grunde gute Freunde wa-
ren. Sie gab ihm an Staͤrke in der un-
deutſchen Sprache nicht einen kleinen Finger
breit nach; allein ſie ſahe dieſe Sprache aus
dem nemlichen Standpunkt, wie ein Deut-
ſcher einen Letten. Weil Herr Jachnis auch
ein Deutſcher war ſprach er zuweilen von
A. B. C. und gleich brachte ihn meine Mut-
ter in eine ſolche Enge, daß er nicht aus
noch ein wußte. Erzen Er pflegte ſie ihm
nachzuſpotten (denn das H. fehlet der letti-
ſchen Sprache, ſo wie das C.) ſagt a. b. d.
ſonſt wuͤrd man euch wegen Dieberei in An-
ſpruch nehmen —
Die Letten haben einen unuͤberwindlichen
Hang zur Poeſie, und ob ich gleich gewis
glaube dieſer Umſtand habe den poetiſchen
Samen in meine Mutter ausgeſtreuet, wel-
che ſchon in ihren Vorfahren mit dieſem Vol-
ke zuſammen Fruͤchte eines Feldes gegeſſen
und Waſſer eines Flußes getrunken; war
ſie doch in dieſem Stuͤck unerkenntlich. Sie
beſtritt’ indeſſen nicht, daß die lettiſche Spra-
che ſchon halb Poeſie waͤre. Sie klingt ſagte
ſie wie ein Tiſchgloͤckchen; die Deutſche aber
wie
[73] wie eine Kirchenglocke: Sie konnte nicht
leugnen, daß die gemeinſten Letten, wenn
ſie froh ſind, weiſſagen oder in Verſen reden,
und wenn ſie das Gegentheil haͤtte behaup-
ten wollen, wuͤrd Herr Jachnis mit den lie-
ben Paſtorats Angehoͤrigen den Gegenbeweis
gefuͤhret haben. Herr Jachnis und ſeine
Untergebene ließen keine Erndte, keine Hoch-
zeit, keine Leichenwache voruͤber wo nicht
geweißaget wurde. Bei allen Talcken oder
Tagesarbeiten, wo die Leute im Schweis
ihres Angeſichts herrlich nach Lettiſcher Art
bewirthet wurden, bewieſen ſie, daß ſie poe-
tiſchen Geiſtes Kinder waͤren. Meine Mut-
ter fand dem Herrn Jachnis zum Haus-
kreuz, an dieſer poetiſchen Blumenleſe, die
ihr zugeeignet wurde beſtaͤndig etwas zu ruͤ-
gen und wenn’s auch nur das J. und U. ge-
weſen waͤre welches die Nothhelfer der Let-
ten ſind, ſo offt’s an einer Sylbe gebricht.
Es ſind viele, welche behaupten, die Let-
ten haͤtten noch Spuren von Heldenliedern,
allein dieſen vielen widerſpricht mein Vater
„das Genie der Sprache, das Genie der
„Nation iſt ein Schaͤfergenie. „Wenn
„ſie gekroͤnt werden ſollen iſts ein Heu oder
„hoͤchſtens ein Kornkranz, der ihnen zuſte-
„het.
[74] „het. Ich glaube Helden gehoͤren in Nor-
„den zu Hauſe, wo man haͤrter iſt und faſt
„taͤglich wider das Clima kaͤmpfen muß;
„die Letten koͤnnten alſo hiezu Anlage haben,
„wo iſt aber ein Zug davon? — Wuͤrden
„ſie wol ſeyn und bleiben was ſie ſind, wenn
„nur wenigſtens Boden zur Freiheit und
„zum Ruhm in ihnen waͤre. In Curland
„iſt Freiheit und Sclaverei zu Hauſe.„ —
Mein Vater war eben kein großer letti-
ſcher Sprachkuͤnſtler; wer aber eine Sprache
in ihrer ganzen Laͤnge und Breite verſtehet
kann uͤber alle Recht ſprechen. Er verſicher-
te nie Fußſtapfen von Heldenliedern aufge-
funden zu haben, wol aber Beweiſe, daß
ſchon ihre weiteſten Vorfahren geſungen haͤt-
ten: und wo iſt ein Volk fragt’ er das nicht
geſungen hat? Er hatte (wie ers nanndte)
eine Garbe zaͤrtlicher Liedlein geſammlet,
wovon ich ſeine Ueberſezung beſitze, die ich
vielleicht mittheilen kann: und wodurch dem
undeutſchen Gpitz des Herrn Paſtors Jo-
hann Wiſchmann kein Abbruch geſchehen ſoll.
Wenn ich nicht dieſe Garbe in Haͤnden haͤt-
te; wuͤrd ich doch vom Urteil meines Va-
ters, der kein Curlaͤnder war, die Apellation
einzulegen, anrathen. In dieſen Liederchen
herrſcht
[75] herrſcht baͤuriſch zaͤrtliche Natur und Etwas
dem Volk eigenes. Die Ueberſezung iſt noch
meines Vaters Manier.
Weil wir bei den Sprachen ſind muß
ich noch bemerken, daß mein Vater nur blut-
wenig hebraͤiſch; arabiſch und chaldaͤiſch
u. ſ. w. aber gar nicht wußte. Er hatte
ſich wegen des Hebraͤiſchen im Anfange vie-
len Nachreden ausgeſetzt; Da er ſo ehrlich
geweſen die Graͤntzen dieſer ſeiner Kenntniſſe
nicht zu verbergen. Nach der zehnten
Hauptverfolgung die mein Vater dieſerhalb
in Curland erlitten, zog ein ſehr geſchickter
Converſus (juͤdiſcher Chriſt oder getaufter
Jude) unſre Straße und dieſer brachte mei-
nem Vater das Juͤdiſchdeutſche in wenig
Stunden bei. Er hatte den Einfall auf dieſe
Art an einen ſeiner Herren Amtsbruͤder der
uͤber ihn den groͤßten Stock gebrochen hatte
zu ſchreiben, und da es dem guten Mann
unmoͤglich fiel dieſe Schrift aufzuloͤſen kam
mein Vater in einen ſo großen Ruf wegen
der Grundſprache daß dieſer boͤſe Herr Amts-
bruder mit dem großen Stock, meinen Va-
ter fuͤr einen getauften Rabiner gehalten ha-
ben wuͤrde, wenn meinem Vater damit ge-
dient geweſen waͤre. Ob nun gleich dieſer
Con-
[76] Converſus meinen Vater wie einen Brand
aus dem Feuer zog und meine Mutter die
Aufmerkſamkeit bemerken konnte, die mein
Vater fuͤr dieſen ſeinen Retter faßte; war
ſie doch anfaͤnglich ſehr wenig mit dieſem
Hieronymo a ſancta fide zufrieden. Sie pro-
birte ſeinen Glauben taͤglich mit Schwein-
fleiſch und da mein Vater ihr dieſe Methode
verwies, andere Gerichte anordnete, und
den ehrlichen Sprachmeiſter von dieſer Tor-
tur und chriſtlichen Daumenſtoͤcken befreiete;
war ſie der Geſinnung jenes Koͤnigs von
Spanien welcher geſagt hat: drey Waſſer ver-
duͤrben: das ſuͤße Waſſer im ſalzigen Meer:
das Waſſer im Wein: das Taufwaſſer auf
dem juͤdiſchen Kopfe. Das Waſſer im Wein?
ſagte mein Vater mit der Erlaubnis Sr.
Catholiſchen Majeſtaͤt. Der Wein im Waſ-
ſer. Meine Mutter gab nicht ſogleich die
Alianz mit dem Koͤnige von Spanien auf:
indeſſen wurde am Ende alles beigelegt, und
die liebe Frau ging fuͤr ihren Gaſt einen ſehr
vortheilhaften Frieden ein. Sie fand ſogar
ein ruͤhrendes Vorbild in dieſer Einigkeit von
der Bekehrung der Juden vor dem juͤngſten
Tage, welche der Converſus ſteif und feſt nach
ſeiner Verſicherung glaubte, und woruͤber
man-
[77] mancherlei und manches geredet wurde.
Meine Mutter war ſehr fuͤr ſchriftliche Auf-
ſaͤze, mein Vater wie alle Leute ſeiner Art
fuͤr’s muͤndliche. Die gute Frau war ent-
ſchloſſen dem Converſo eine ſchriftlich abge-
faßte Inſtrucktion mitzugeben, da er froͤlich
ſeine Straſſe zog, indeſſen blieb es doch bei
einer muͤndlichen.
Wanken Sie weder zur Rechten noch
zur Linken. Wer beharret bis ans Ende
der wird ſeelig, die Beſtaͤndigkeit ſey um Sie
wie ein Kleid, das Sie anhaben, und wie
Guͤrtel womit Sie ſich guͤrten. Wie ein
friſches Hemde am ſchwulen Tage ſey Ihnen
der Troſt des chriſtlichen Gewiſſens. Vater
und Mutter haben Sie verlaſſen, aber der
Herr hat ſie angenommen — Sie werden
nicht blos ein Grasbuͤrger ein Einwohner der
Vorſtaͤdte in der Stadt Gottes ſeyn, ſon-
dern mit Ehren und Schmuck werden Sie
in die Hauptſtadt eingehen: Ihr Kern und
Stern bleibe das Lied:
Keinen hat Gott verlaſſen ſezte ſie hinzu
Sie ſind ihm dieſe Dankbarkeit ſchuldig.
Der Converſus hatte ihr erzaͤhlt, daß
dies Lied fuͤr ihn der Wecker zur chriſtlichen
Religion geweſen und ohne Zweifel war dieſe
Er-
[78] Erzaͤhlung der Eckſtein zur Aufſage des gu-
ten Vernehmens mit Sr. Catholiſchen Maje-
ſtaͤt. Sie gab ihrem Freunde den Haupt-
ſchluͤſſel zu allen Verſen dieſes Leibliedes, aus
welchen, wie ſie ſagte ſumma ſummarum Ca-
tharina heraus kaͤme. Das Wort Acro-
ſtichon mußte ihr mein Vater vorſchuͤßen; ſie
hatt’ es nicht im Vermoͤgen: und da ſie
ſelbſt Catharine hieß; ſo wird man deſto
leichter einſehen warum Sr. Katholiſchen
Majeſtaͤt nunmehro keine Bundesgenoßin
mehr an meiner Mutter hatten.
Mein Vater wuͤnſchte ſchlechthin eine
gluͤckliche Reiſe und gab ſeinem Sprachmei-
ſter ſtatt des Schatzkaͤſtleins von Stoßſpruͤ-
chen, einen Zehrpfennig. Eigentlich war’s
in Hinſicht des mit ihm getroffenen Contrakts,
ein Gottespfennig: denn er bat nicht zu ver-
geſſen was er mit einer Handlobung ver-
ſprochen haͤtte. Unfehlbar hat dieſer Con-
trakt darinn beſtanden, gewiſſen Geiſtlichen
in Curland keine Lektion zu geben oder we-
nigſtens die ihm gegebene zuverſchweigen.
Das eintraͤglichſte bei dieſer Sache war,
daß die benachbarte Cleriſey ihre Verfolgun-
gen einſtelten und da zuvor das dritte Wort
beſtaͤndig eins aus der Grundſprache war
ver-
[79] verſtummten von Stund des juͤdiſch deutſchen
Briefes an, die Orackel. Mein Vater hatte
andere Urſachen ſeinen Herren Amtsbruͤdern
kein Rappier anzubieten oder ſie kaͤmpflich
zu gruͤßen, und wußte ſich ſo vorkreflich
ohne die geringſte Unrichtigkeit ſich zu Schul-
den kommen zu laſſen, bey Ehren zu erhal-
ten, daß, ſo oft er jrgend einen Confrater
zum Zuhoͤrer hatte, er den Grundtext tapfer
citirte und oft zwei bis drei Verſe aushob.
Wenn es gleich auf Treue und Glauben
eines andern, wo nicht dritten geſchahe; und
ſein Grundzeignis beſtaͤndig von Hoͤrenſagen
war; ſo hatte er doch ſeine Leute viel zu gut
kennen gelernt, und war bei dieſer Procla-
mation kein Einſpruch zu fuͤrchten, ſo daß
er ſich zulezt ganz dreiſt ein Beholzungsrecht,
oder die Befugnis in des andern Wald Holz
zu faͤllen zueignete. Die griechiſche Sprache,
wovon die Herrn Amtsbruͤder nicht vielmehr
als die beiden griechiſchen Freunde wußten,
war nicht hinreichend meinem Vater Ruhe zu
ſchaffen. Sie hielten es mit dem alten Te-
ſtament, bis zur Ankunft des Converſus und
nun war jeder furchtſam in meines Vaters
Gegenwart an die heilge Schrift zu denken,
und jeder wunderte ſich warum er mit ſeiner
Fhebraͤi-
[80] hebraͤiſchen Sprachkenntnis ſo lange hinter
dem Berge geblieben.
Perſonen
- Mein Vater
- Meine Mutter
- Der Ritter Jachnis
- Converſus puzt Licht
- Der alte Herr
- Minchen ſeine Tochter
- Benjamin ſein Sohn.
Ich habe geſtern Abend meinen Leſern
den Auftritt des alten Herrn und ſeines Ben-
jamins verſprochen. Den alten Herrn
habe ich nie in meinem Leben unter einem
andern Namen, als des alten Herrn ken-
nen gelernt. Wer mich alſo nach ſeinem
Vor und Zunamen fraͤgt, erhaͤlt eine abſchlaͤ-
gige Antwort. Seine Lebensgeſchichte kann
von keinem beſondern Belang ſeyn indem
ſein ganzes Weſen allem was man Belang
heißen kann gerade zu entgegen war. Er
ſelbſt behauptete von ſich ſo oft man’s ihm
ſo nahe legte, daß es ihm an den Fingern
branndte: er ſey ein Literatus. Meine Mut-
ter die ſich nicht ſtark genug duͤnkte ihm dieſe
Ehre abwendig zu machen; lies ihn zwar
Litera-
[81] Literatus ſeyn; indeſſen pflegte ſie ihn in
Ruͤckſicht dieſer Wuͤrde eine geſchwaͤchte eine
zu Fall gekommene Perſon zu heißen. Es
ging die Rede, daß er das Schneiderhand-
werk gelernt haͤtte, wenigſtens uͤbt’ er dieſes
Handwerk aus und alle meine Schlafroͤcke
und taͤgliche Kleider ſind durch ſeine gelehrte
Hand gegangen. Was die Feyrkleider be-
traf; konnten ſie freilich keinem Literato an-
vertrauet werden, der Umſtand indeſſen daß
er Schneider Arbeit verrichtete ſchien nicht
hinreichend, das Gerede daß er ein Schnei-
der waͤre außer allen Zweifel zu ſezen, denn
er war im Grunde genommen ein Tau-
ſendkuͤnſtler.
Er hatte ſich bey einigen Hochwohlge-
bohrnen Herren zum Hofnarren zum Cam-
merherrn zum Forſt und Jaͤgermeiſter brau-
chen laſſen und nachdem er am Ende ein-
ſahe, daß es beſſer ſey ein Schneider als ein
Hofnarr zu ſeyn; zog er ſich in der beſten
Ordnung zuruͤck, nahm ſeine lezten Kraͤfte
der Hofkunſt zuſammen und war ſo gluͤck-
lich ſeine Herren Principalen dahin zu uͤber-
ſchwatzen, daß ihm Zeit Lebens ein ſtandes-
maͤßiger das heißt ein hoͤchſt nothduͤrftiger
Unterhalt angewieſen wurde. Die Alten
F 2ſtarben
[82] ſtarben und die Juͤngere ließen ihn im Be-
ſitz, ohne den Canon von Witz einzufordern,
den ſich ihre Anteceſſoren jaͤhrlich hatten be-
zahlen laſſen. Es legte ſich der alte Herr
auf den Unterricht der Kinder, ſtand mit
den Paſtoren der Gegend in gutem Verneh-
men, und verrichtete ſo gar einige heilige
Handlungen wobey die Herren Geiſtlichen
ſubſtituiren koͤnnen, zuweilen ruͤhrt’ er das
Poſitiv, welches in einer unſern benachbarten
Kirche ſtand. Dieſes aber mußte wenig-
ſtens vierzehn Tage zuvor beſtelt werden, und
denn war es doch nur ein Gaſtpraͤludium.
Er behauptete, daß man ſich auf ein
Praͤludium eben ſo ſehr, als auf eine Pre-
digt vorbereiten muͤße und wie der Klang
der Worte wenn er mit der auszudruͤckenden
Sache wie ohngefehr der erſte und zweite
Diſkant harmonire, die Originalſubſtanz der
Sprache bewieſe, ſo verriethe es einen groſ-
ſen Muſicus wenn man das Evangelium ſo
zu ſagen ins Praͤludium ſetzen und es ſo deut-
lich in Noten ausdruͤcken koͤnnte daß wer das
Praͤludium hoͤrt, auch zugleich das Evange-
lium wiſſen muͤßte.
Hieruͤber wurden dem alten Herrn von
meiner Mutter verſchiedene Einwendungen
gemacht;
[83] gemacht; allein er hehauptete er haͤtte nur
neulich: das Vater Abraham erbarme dich
mein ſo natuͤrlich auszudruͤcken gewußt daß
der ganzen Gemeine daruͤber Furcht und
Schrecken angekommen waͤre; und da ihm
meine Mutter das Evangelium von der Be-
ſchneidung von den vier tauſend Mann
und vom ſteinigten Acker entgegen ſetzte, und
ihn befragte, wie er Waizen und Kornland
fuͤnf Gerſtenbrodte und ein wenig Fiſchlein,
in der Muſik ausdruͤcken koͤnnte; wollte er zwar
im Anfange behaupten, daß alles dies in
die Muſik zu uͤberſetzen waͤre; nachhero aber
ſchaͤmte er ſich uͤber ſich ſelbſt. Sie warf
ihm ſehr offt den ſteinigten Acker, die vier
tauſend Mann, die fuͤnf Gerſtenbrodte und
ein wenig Fiſchlein vor; obgleich ſie an die
Beſchneidung, ich weiß nicht warum, weiter
nicht dachte. Bey dieſer Gelegenheit kann
ich nicht umhin zu bemercken, daß meine
Mutter ſich vor der ſatyriſchen Ader des
alten Herrn gar nicht fuͤrchtete; ſo furcht-
bar ihn auch in der ganzen Gegend ſeine Ein-
faͤlle gemacht hatten.
Eine Schneidernadel pflegte ſie zu ſagen
wenn er einen Einfall wider ſie hatte; und
wenn ſie ihn recht aͤrgern wolte, nandte
F 3ſie
[84] ſie ihn Tonkuͤnſtler, welchen Ausdruck er we-
niger als alles leiden konnte; indem er ſich
hiedurch zu einem Toͤpfer erniedrigt zu ſeyn
duͤnkte, und ſich hiebei um ſo mehr getroffen
fand als er dieſes [Handwerk] in den langen
Abenden wie er verſicherte — blos ſeine Au-
gen zu ſchonen, die freilich durch Noten und
Faͤden gelitten haben koͤnnen, trieb. Er ver-
ſtand auch Etwas vom Schumachen; allein
nicht das Mindeſte von der Poeſie. Meine
Mutter pflegte daher von ihm zu ſagen: er
haͤtte den kalten Brand. Es war ihm zur
Gewohnheit geworden wenn er Etwas ſuchte,
auf den Tiſch zu klopfen, welche Mode die
Schneider haben wenn ſie die Scheere ſuchen,
auch wackelt’ er beſtaͤndig mit dem Fuß wel-
ches den Toͤpfern eigen ſeyn ſoll. Vom
Schuſter hatt’ er das weite Aushohlen mit
den Haͤnden: vom Spielmann aber einen
taktmaͤßigen Schritt. Da er fuͤr die poeti-
ſche Gelehrſamkeit meiner Mutter Reſpect
hatte, unterſtand er ſich nicht, aus ſeinem
alten Kramladen ihr zum Nachtheil eine wi-
tzige Antwort herauszuſuchen. Er ſaß viel-
mehr wenn ſie ihn boͤſe gemacht, ganz ſtill
und wie meine Mutter ſagte ſo gerade als
wenn er ſich balbiren ließ. Obgleich er als
Orga-
[85] Organiſt welches in Curland ein ſeltener Vo-
gel iſt, oder als Schullehrer ankommen koͤn-
nen, ſo hatt’ er jedennoch alles verbeten, in-
dem er glaubte daß er ſich hiebey aus den Au-
gen ſetzen und zugleich allen Univerſitaͤten
einen Brandmark geben wuͤrde.
Die Kinder, ſo er erzog nahm er nicht
anders als bittweiſe an. Zwar that er ſehr
unzufrieden, wenn er ſeine Zahl nicht voll-
ſtaͤndig und ſeinen Lehrſaal nicht ganz beſezt
hatte, inzwiſchen ſchien er nicht darum boͤſe,
weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht
wurden, ſondern weil er nicht gebeten war,
ſein taͤglich Brodt zu verdienen.
Er brachte freilich ſeinen ihm vertrauten
Kindern nicht viel bey, da er indeſſen mit,
fuͤr koͤrperliche Uebungen war, konnt ihn
mein Vater leiden, obgleich er mich ſeinem
Unterrichte ſo wenig als meine Fey’rkleider
ſeiner Nadel anvertraute.
Da der alte Herr uͤbrigens podagriſche
Zufaͤlle hatte, welche nach meiner Mutter
Meinung nur ein Edelmann und Literatus
haben koͤnnte; da ferner der ehrliche Nico-
laus Herrmann vom Zipperlein geplaget ge-
weſen, welches aus dem lezten Vers des Liedes
F 4„Wenn
[86]„Wenn mein Stuͤndlein vorhanden iſt„
erhellet.
Da auch noch ferner der alte kranke Herr-
mann viele gute Chorale gemacht und ein be-
waͤhrter Tonkuͤnſtler und Kantor geweſen; ſo
beehrte meine Mutter zuweilen den alten
Herrn mit dem Namen Nicolaus Hermann,
obgleich ihm die Haupteigenſchaft des Nico-
laus Herrmann fehlte und der alte Herr den
kalten Brand hatte: Offt ſang ſie ihm
Wer iſt der uns das Liedlein ſang
vor, und ſo wie ſie es dem wuͤrklichen Ni-
colaus Herrmann uͤbel nahm daß ihm
nicht fuͤr
„diesmal kommt er nicht aus der ſtatt„
die Schulbank eingefallen, und er geſungen
diesmahl kommt er nicht von der Bank
als wodurch ohnehin der Reim „ſang„ ſein
beſcheiden Theil erhalten haͤtte; ſo empfahl
ſie
[87] ſie dem alten Herrn auch anſtatt der lezten
Reihe
Die Verbeſſerungsfreiheit nahm ſie ſich in-
deſſen ſehr ſelten heraus: denn ſie war keine
Liebhaberinn von Lieder-Aenderungen, und
mochte nicht wie ſie ſagte den Safft und
Krafft des Alten waͤſſern und entkraͤften.
Die Zuſchrift ſo der ehrliche Herrmann
ſeinen Liedern vorgeſezt, parodirte meine
Mutter auf den alten Herrn. Ich muß ſie
herſetzen. Sie verdients. Die herrmannſche
Dedication iſt nur in zwei Reihen geaͤndert
F 5„das
Der alte Herr war indeſſen nicht der Herr
C. F. wie er in den lettiſchen Geſangbuͤchern
bezeichnet iſt, welches Chriſtoph Fuͤrecker
heißt denn dieſer der Gottesgelahrtheit Befliſ-
ſener war ein unbezweifelter Literatus und
Poet der aus Liebe zu den lettiſchen Declina-
tionen und Conjugationen wie ich unlaͤngſt
geleſen, ein Maͤrtyrer ward, und eine wie-
wohl bemittelte und freie lettiſche Bauer-
wittwe (huͤbſch wird ſie ohne Zweifel auch ge-
weſen ſeyn) heirathete um recht unter das
Lettiſche zu kommen. Ihm hat die lettiſche
Gramatick den Eckſtein, die Kirche aber,
ſehr ſchoͤne Geſaͤnge zu danken. Ehre dem
Ehre gebuͤhret ſagte der alte Herr! und ſo
wenig ich es zugeben wuͤrde daß dem alten
Herrn was abgienge, eben ſo wenig will ich
auch meine Leſer bey einem Irrthum laſſen,
der ſich ſehr leicht bey ihnen haͤtte zur Miethe
anbieten koͤnnen.
Ehe
[89]
Ehe ich vom alten Herrn zum jungen
uͤbergehe noch ein Wort an den herzlich ge-
liebten Leſer den wider mein Verſchulden der
Gedanke befallen, daß die Charaktere in die-
ſer Geſchichte ſo ziemlich uͤbereinſtimmend
waͤren:
Da mein Vater ſein Vaterland und der
alte Herr ſeinen Namen verſchwiegen
Da meine Mutter ſich eben ſowohl uͤber
den Ritter Jachnis als den Cantor und
reſpective Schneider Toͤpfer und Schuſter
Nicolaus Herrmann genanndt, aufhielte;
da — — —
Allein hierauf dienet dem geneigten Leſer
zur dienſtlichen Antwort, daß ich die Sache
erzaͤhle, wie ſie war und nicht wie man ſie
wuͤnſchen koͤnnte. Wenn ich einen Roman
ſchriebe; waͤre es was anders — Haben
nicht ſo gar Voͤlkerſchaften gewiſſe aͤhnliche
Zuͤge? und jede Stadt und jedes Dorf durch
die ganze Welt halten untereinander wieder
ihr Abzeichen. Wuͤrd’ es mir zuzuſchreiben
ſeyn wenn die Unergruͤndlichkeit wirklich der
Hauptcharakter unſers Kirchſpiels geweſen
waͤre? und waͤre dieſes nicht um ſo begreifli-
cher da mein Vater hiezu den Ton angeben
koͤn-
[90] koͤnnen? wo hab’ ichs indeſſen je geſagt, daß
der alte Herr ſeines Namens wegen in An-
fechtung geweſen? oder daß er ihn verſchwie-
gen? Iſt denn alter Herr zu heißen nicht
eben ſo gut als Caſpar und Melchior? und
iſts einerley lettiſche Verſe machen, welches
in Curland was allgemeines iſt, und ein Po-
ſitiv ſchlagen, welches ſelten vorkommt? —
Wenn ich ganz aufrichtig ſeyn ſoll; haſt du
dich gewaltig geirret lieber Leſer denn du ken-
neſt den alten Herrmann nicht weiter, als
wo er von meiner Mutter uͤberfluͤgelt war.
Dieſer Uebergrif entſcheidet nichts — und
was iſt’s am Ende fuͤr Kunſt Phyſionomien
zu beurtheilen, wo der eine eine Habichts,
und der andere eine Mopsuaſe hat — wo der
eine ein Verſchwender und der andre ein Har-
pagon iſt. Sieh aber leibliche Bruͤder, ſieh
Natur und Staatsbruͤder — findſt du noch
Bedenklichkeiten; biſt du ein Recenſent und
da verlohnts nicht zu ſtreiten, daß du nur
nicht hingegeben im verkehrten Sinn, zn
ſchreiben was nicht taugt, mir, um dein vor-
geſchriebenes Recenſionsmaaß voll zu machen,
ein gegebenes Acrgernis andichteſt — Ich
verfluche jedes Wort das der Religion und
ihrer Mutter der Tugend nachtheilig ſeyn
koͤnn-
[91] koͤnnte: allein ich glaube die Religion in der
Kirche verſchließen und ſie nicht ins gemeine
Leben bringen, heißt alle Waͤrme alle Empfin-
dung des Herzens aus der Welt verbannen,
und Tugend an einen Ort verlegen, wo denen
die nicht Geiſtliche ſind weiter keine Handlung
uͤbrig bleibt, als oͤffentlich in den Seckel zu
legen, und kein andrer Verdienſt, als ſtill
zu ſitzen. Ich wette die mich auf dieſe Art
zeihen, vergeſſen, daß wir nur aus der Kir-
che eine gluͤhende Kohle vom Altar heimhoh-
len ſollen, um im gemeinen Leben Gott Opfer
der Gerechtigkeit und der Menſchlichkeit zu
bringen, die allein ein ſuͤßer Geruch vor dem
Herrn ſind und werth geachtet in ſeinen Au-
gen. Auch ſeine Heiligen ſind nicht rein vor
ihm, und warum ſoll ich alſo meine Mutter
anders darſtellen, als? — Ich bin zu be-
wegt als daß ich heute mehr koͤnnte als die
Sonne untergehen, und wenn ich ins Bett
mich lege, nach meiner Mutter Weiſe ein
Licht ausbrennen — ſehen
geſchrieben an einem ſchoͤnen
Abend den — 17 —
Benjamin gefiel mir unter allen Jungen
unſers Kirchſpiels am beſten und da ich voll-
kom-
[92] kommen entſchloſſen war aus ihm den Da-
rius (den kleinen oder letzten) zu machen;
ſo muß ich geſtehen daß ich viel Muͤhe be-
fuͤrchtete, durchzukommen. Zum Gluͤck fiel
mir die Trohnerhoͤhung eines ſeiner Vorfah-
ren ein. Wie kann Benjamin, Darius
werden ſagte das Heer? Hier ſind acht Jun-
gen die gerade Beine haben, und außer dem,
daß dem Herrn Benjamin (ſo nandten ſie
ihn ſchon weil er Candidat des Throns war)
das Bein nicht an der rechten Stelle ſitzt;
hat er den Fehler daß er link iſt. Nehmt ſie-
ben ſagt’ ich, nach Anzahl der ſieben Fuͤrſten,
welche den Koͤnig Smerdin mit ſeinem An-
hange ausrotteten und der, deſſen Pferd,
wenn ihr beim Spital angeritten kommt am
erſten bey dem Aufgange der Sonnen wiehern
wird, ſey Darius. Gut ſagten die ſieben
Candidaten zur koͤniglichen Wuͤrde; allein ſie
wußten nicht, daß der koͤnigliche Candidat es
ſo einrichten lies, wie es Darius des Hyſta-
ſpis Sohn oder vielmehr deſſen Stallmeiſter
einrichtete, und wie man es noch bis auf den
heutigen Tag bei allen Wahlen man waͤhle
einen Koͤnig, einen Landesdeputirten, einen
Prieſter, einen Kuͤſter einrichtet. Es wird
uͤbrall gewiehert. Kurz Benjamins Pferd
wie-
[93] wieherte zuerſt, und die Krone war ſein, da-
mit ich ſie ihm durch’s Recht der Waffen,
welches das beſonderſte Recht von allen iſt,
nehmen koͤnnte. Er nahm die Gluͤckwuͤnſche
an, und da ich bey dergleichen Dingen er-
ſchrecklich gelehrt war; brachte ich noch ſo
viel Umſtaͤnde aus der Geſchichte bei, daß
ich nunmehr wiewohl zu ſpaͤt aus der Bewun-
derung des Bolks einſahe wie ich um eines
Darius wegen, eben kein Pferd haͤtte wie-
hern laſſen, ſondern blos meine Zunge tapfer
brauchen doͤrfen. Einen Alexander durften
wir nicht ſuchen denn die heilige Taufe hatte
mir dazu ein Recht gegeben — (Das Gluͤck
iſt nicht viel auseinander einen Freund oder
einen Feind zu haben, der uns Ehre macht,
und wenn ich alſo den Benjamin zu meinem
Feinde anzunehmen kein Bedenken trage, was
wolten denn die Jungen? — Faſt ſchaͤme
ich mich, da ich meinen Leſern ſo ſpaͤt eroͤfne,
daß ich Alexander heiße. Um indeſſen dieſe
Verſpaͤtung gut zu machen, will ich dabey
bemerken, daß meine Mutter mit dieſem Na-
men den Alexander Einhorn zwoten Su-
perintendenten in Curland; mein Vater aber
den wuͤrklichen Alexander oder den Alexander
Magnus den Alexander gegen den alle andere
Alexan-
[94] Alexanders es nicht ſind, zu verſtehen ſchie-
nen. Meine Mutter hielte ſo gar das Wort
Einhorn fuͤr eine freie Ueberſezung des Na-
mens Alexander, und rief mich dahero ſehr
oft Einhoͤrnchen obgleich mein Vater nicht
ſonderlich damit zufrieden war. Sie haͤtte
um alles in der Welt willen nicht Olympias
ſeyn wollen. Es war ihr ſehr unangenehm
daß wir heidniſche Hiſtorien aufuͤhrten, da-
hero ſie ſo bald ſie Krieg und Kriegesgeſchrei
im Dorfe hoͤrte uns die Hiſtorie vom Joſeph
in Vorſchlag brachte wozu ſie unter andern
den Grund hernahm, weil ich einen bunten
Rock hatte. Indeſſen beſtaͤrkte mein Vater
meinen Entſchluß Alexander zu werden, und
war dabey ſo zufrieden, daß ich den guten
Mann als Feldprobſt haͤtte mitnehmen koͤn-
nen wenn Alexander einen Feldprobſt gehabt
haͤtte.
Zum Ariſtander war mein Vater nicht
als ein chriſtlicher Geiſtliche zu brauchen; eine
ſo wichtige geiſtliche Rolle auch Ariſtander
zu ſeiner Zeit in der Geſchichte Alexanders
ſpielte. Gelegenheiten machen Diebe, Gele-
genheiten machen Helden: und es iſt nicht
zu leugnen daß auch Alexander Gelegenheit
gefunden. Ariſtander indeſſen, das wett ich,
hat
[95] hat eben ſo viel gethan als Alexander, ob
gleich der erſte eigentlich nur ein Gelegen-
heitsmacher war. Von der Auslegung des
Traums des Philippus an, welchem vorkam,
daß er den Leib ſeiner koͤniglichen Gemahlin
Olympias mit einem Waapen worauf ein
Loͤwe gegraben war verſiegelt, als welchen
Traum Ariſtander auf einen Sohn der ein
Loͤwe ſeyn wuͤrde, auspunctirte; bahnte er
durch alle ſeine Auslegungen unerhoͤrte
Wege. Es ging wie beym Religionskriege
zu. Ariſtander gab dem Alexander, ſeinem
Generalfeldmarſchall Bucephalus, und der
ganzen Armee den Sporn. Die Auslegung
als man ihm meldete daß eine Bildſaͤule des
Orpheus geſchwitzt haͤtte, gefiel ſeinem chriſt-
lichen Herrn Collegen meinem Bater ſehr
uͤbel. Es ſolte dieſes nach des Ariſtanders
Deutung anzeigen wie die Poeten bey der
Alexandriade ſchwitzen wuͤrden „daß dich„ —
ſagte mein Vater „Ariſtander hat bei dieſer
Auslegung ſelbſt geſchwitzt„ Ich kann es
jezo zwar meinen Leſern, nicht ohne Lachen
erzaͤhlen durch den Umſtand ſehr aufgefor-
dert zu ſeyn
Daß in der Nacht da ich gebohren, ein Back-
haus durch einen Brand zerſtoͤrt worden;
Gin
[96] indeſſen brauchte mein Vater dieſen Vorfall
ſehr zu meinem Vortheil. Es war das Ge-
ruͤſte, auf das ich ſtieg um gut dazuzukom-
men, die Leiter, mich ſo jung und klein ich
war doch kuͤnſtlich groß zu machen. Der
Vorfall diente ihm meine Lebenscarte zu
illuminiren und es half mir dieſe Fiction bey
Sprachen und bey Schlachten. Wenn gleich
ich mir nicht einbilden konnte, daß die Diana
nicht Zeit gehabt, das Backhaus in Protec-
tion zu nehmen, da ſie bey meiner Mutter
Hebammendienſte verrichtete; ſchiens mir
doch was denckwuͤrdiges. Das Feuer vom
Backofen war mir eine Leuchte auf manchem
ſauren Vocabulnwege und nimmermehr wuͤrd
ich dieſes alles ſo herzlich erzaͤhlet haben;
wenn nicht bey tauſend Merkwuͤrdigkeiten
die in der Welt geſchehen ein abgebrantes
Backhaus der Entſtehungsgrund waͤre. Eine
Art von Bucephalus Geſchichte veranſtaltete
mein Vater da er einem Pferde dieſen Na-
men verehrte, das wie alle andere Pferde
war: das ſeines Schattens wegen nicht in
Unordnung kam: und das eben nicht werth
war im beſondern Verſtande von der Sonne
beſchienen zu werden. Meinem Tempel der
Diana indeſſen war der Gaul ſehr ange-
meſſen
[97] meſſen. Ich ſahe verſchiedenes was man
beym Bucephalus ſahe; allein ich konnt’ es
nicht aͤndern daß ich auch nicht verſchiedent-
lich Etwas anders ſahe. Mein lieber Va-
ter ſahe alles mit.
Was der Herr von Voltaire in ſeiner
Geſchichte Alexander Magnus vom Bucepha-
lus unter andern im ſechſten Buch und fuͤnf-
ten Capitel ſagt, daß nemlich Alexander den-
ſelben non eodem quo cæteras pecudes ani-
mo æſtimabat das traf bey mir aufs genauſte
ein; allein wenn ich ihn abrichten wolte,
daß wenn ich aufſtieg er die Knie beugen und
empfinden ſolte, wer ihn zu beſteigen ihm
die Ehre erwieſe, war er doch zum Kniebeugen
nicht gelehrig, und wenn ich die aufrichtige
Wahrheit ſagen ſoll viel zu ſteif: wie ich denn
auch blind ſeyn muͤſſen fals ich behaupten
ſollen, daß ers empfunden, wenn ich oben
war; wen er truͤge: wie Herr von Voltaire
in dem ſchon angezogenen Roman vom Bu-
cephalus des Alexanders berichtet \& regem
quum vellet aſcendere ſponte ſua genus ſub-
mittens excipiebat, credebaturque ſentire,
quem veheret.
Ueberhaupt war es ein ſehr alltaͤgliches
Paſtoratspferd und darf ich’s alſo nicht bemer-
G 2cken,
[98] ken, daß mit der Reiterey bey meinen Feld-
zuͤgen es nur ſehr ſchlecht beſtelt geweſen.
Dies iſt ein unverloͤſchlicher Beweis, daß ich
zu keinem Roman wo beſtaͤndig ein merck-
wuͤrdiges Pferd noͤthig iſt wohl aber zur
Geſchichte wo man mehr zu Fuße iſt, (wie’s
am Tage und an mir erfuͤlt wird) Stof ab-
geben koͤnne. Vor Talente war mein Bu-
cephalus nicht gekauft; mein Vater konnt
auch nicht ſagen, da ich ihn zum erſten mal
unter meine Fuͤße gebracht, daß ſein Paſto-
rat zu klein fuͤr mich waͤre: indeſſen hatte
ich das Ungluͤck dieſes Pferd wiewol Alters
wegen waͤhrend dem Kriege zu verlieren. Es
ſtarb nicht den ruͤhmlichen den ſchoͤnen Tod
fuͤrs Vaterland: indeſſen heißt der Ort wo
es mit andern ſeines gleichen welche aber
nicht den großen Namen Bucephalus gefuͤh-
ret begraben iſt Bucephala bis auf den heu-
tigen Tag. Das iſt alles was ich mich un-
terſtehe in einer wahren Geſchichte von einem
Pferde zu erzaͤhlen.
Der Gordianiſche Knoten war fuͤr mich
ein wahrer Knoten, denn außerdem, daß ich
zuweilen meiner Mutter, wegen meiner klei-
nen Haͤnde beym Stricken wenn Etwas ver-
knuͤpft war, kindliche Dienſte geleiſtet, war
mir
[99] mir kein gordianiſcher Knoten vorgekommen
obgleich ich mich ſchon in dieſer Erwartung
im Knotenloͤſen ſo geuͤbt hatte, daß mir ſo
leicht nichts zu ſehr verknuͤpfet war. Ich
hatte den Stolz den Knoten nicht ſymboliſch
nicht witzig ſondern kuͤnſtlich loͤſen zu wollen.
Da ich indeſſen eine geraume Zeit vergebens
auf einen gordianiſchen Knoten gewartet
hatte fuͤhrte mich die Knotenſucht auf das
Geiſtiſche. Ich legte dieſen Umſtand in der
Geſchichte des Alexanders ſo aus, wie man
vieles auszulegen gewohnt iſt. Ich deutet’
es auf ſchwere Stellen in den Autoren die
man durchaus witzig loͤſen muß. Mein
Kopf war hiebey ſo fertig als meine Hand
beym Strickzeug: und wie Alexander nach
dem Berichte des oberwehnten Romanenſtel-
lers ſagte: nihil intereſt quomodo ſoluatur;
ſo konnte man auch was loco citato hinzu-
gefuͤget wird von meinen meiſten kritiſchen
Erzaͤhlungen ſagen oraculi ſortem vel cluſit
vel implevit.
Es wuͤrde ferner eine Unwahrheit ſeyn
wenn ich meinen Leſern erzaͤhlen ſolte daß
ich meinen Vater beneidet und mit Thraͤnen
bedauret, daß er mir keine Suͤnder zu bekeh-
ren uͤbrig ließe.
G 3Mein
[100]
Mein Vater legt’ auch nicht an, einen
Alexander den Großen aus mir zu ziehen,
ich ſolte nur Alexander werden.
Unter dem Orden Groß, ſagt’ er liegt
was ſeelenverderbendes, es trage dieſen Or-
den ein Monarch unterm oder uͤberm Kleide,
oder ein Privatmann am Knopfloche. Huͤte
dich vor dem, den Gott gezeichnet hat.
Regenten die ſich ſo peinlich wie Alexan-
der der Große bemuͤhen Groß zu heißen,
leben nicht der lieben Unſterblichkeit wegen.
Sie tragen Feſſeln, die ihnen die Dichter
und Redner anlegen. Wenn es gleich das
Anſehen hat als ob die Dichtkunſt und Ge-
ſchichtskunde auch den Huldigungseid abge-
leiſtet haͤtte; wiſſen ſie doch daß einer von
dieſen Zuͤnften ſie bey einer Lampe in einer
Stunde um eines ganzen Lebens Ruhm brin-
gen koͤnne. Sie zittren vor einem Jeden,
der Reime commandiren oder es war ein mal
ein Mann ꝛc. ſchreiben kann.
Wie Alexander des Homers Schriften
verehret, weiß jeder welcher weiß daß Ho-
mer und Alexander in der Welt geweſen.
Homers Schriften waren ſein Geſangbuch,
das er auf Reiſen mitnahm, und da er ein
guͤldenes Kaͤſtchen erbeutet, antwortet’ er
denen
[101] denen die ihn fragten „wozu?„ den Homer
herein zu legen. Das war mehr als ſilberne
Clauſuren.
Den Nachkommen des Pindars lies er
Salvegarden anſchlagen und beehrte auf dieſe
Art das Haus dieſes Dichters, und damit der
Mahler Apelles ſelbſt das Aeußere Eines
Alexanders nicht verunſtalten moͤchte; ſchenk-
te Alexander, wie man erzehlet, ihm eine
ſeiner vorzuͤglichſten Inclinationen. Des
Mahlers wegen that er’s nicht. Der gute
Apelles ſolte dieſe Schoͤnheit nackt in Forma
probante vidimiren und konnte nicht der Liebe
wiederſtehen. Alexander merkte dieſe Nei-
gung, und befriedigte ſie.
Die Gewalt die ſich die Großen des Nach-
ruhms wegen anthun die ſie zu Knechten
ihres ganzen Lebens macht, iſt von der Hof-
manier ungefehr wie ein Taͤnzer vom Fechter
unterſchieden. Alles iſt ſolch eines Großen
wegen da, bis auf den lieben Gott den er
aber auch nur der Curialien halber in Ehren
haͤlt. Thut er was Gutes; plaudert es
nicht nur ſeine Rechte der Linken aus, ſon-
dern es wird ausgetrummelt, als wenn man
in einer Gluͤcksbude oder Lotterie was ge-
wonnen hat. Bey ihrem Guts thun ſiehts
G 4ſo
[102] ſo wie beym ſtolzen Geiz’ aus, der aus Noth
gedrungen iſt, ein Mahl auszurichten. Es
ſoll was ſeyn! ſagen die Leute. Ein großer
Privatmann iſt noch unertraͤglicher. Riegelt
die Thuͤren eurer Herzen zu wenn er ſich mel-
den laͤßt, und laßt ihn hoͤchſtens ein Viſi-
tenbladt einreichen: ich wolte mit ihm nicht
unter einem Dache wohnen, wenn gleich er
mir den rechten Fluͤgel ſeines Schloſſes auf-
raͤumen wuͤrde. Lieber will ich beym Lott
auf dem Boden ſchlafen. Jonathan Wild iſt
noch der Leidlichſte unter Großen dieſer Art.
Warum war ich denn Alexander? Re-
ſpondetur eben darum weil Eugen unterm
Spiegel hieng und weil man bey meinem
Vater zu Hauſe eher als in Curland Spargel
ißt, in der freien Lufft eine Pfeiffe raucht,
Wein brauet und lange Manſchetten traͤgt.
Ich ſolte zwar nicht groß werden, allein ich
ſolte auch nicht klein bleiben. Hier hatt’ er
eine feine Diſtinction, die ich mir nicht ge-
traue widerhohlen zu koͤnnen. Sie wuͤrde
mir untern Haͤnden bleiben.
Mein Vater war wie ich ſchon meinen
Leſern bey einer andern Gelegenheit reinen
Wein aus ſeinem Geburtsorte wo man ihn
bey der Quelle trinkt eingeſchenkt, ſehr fuͤr
mann-
[103] mannhafte tapfere Leute, mithin lag ihm
der Soldatenſtand nicht aus dem Wege. Alles
war bey ihm nach Soldatenart. Er hatte
zum Exempel die Gewohnheit alle Jahre ſei-
nen Buͤchervorrath den er Armee oder ſeine
Macht nandte auszuſtaͤuben. Dies hieß in
ſeiner Sprache ſie muſtern und Revuͤe halten.
Alle acht Tage (nach rußiſcher Art) zogen
zehn Buͤcher auf die Wache. Es war ein
beſondrer Ort, wo ſie aufgeſtellet wurden.
Seine Abſicht war dieſe zehn zu durchlaufen.
Meine Mutter fand hiebey viel anſtoͤßiges
weil auch geiſtliche Buͤcher ſich dieſen Kriegs-
dienſt gefallen laſſen mußten. Vielleicht
liegt der Umſtand den ich noch anfuͤhren
will, nicht ſehr aus dem Wege.
Mein Vater mochte gern wilde Thiere
zaͤhmen. Er ſagte zwar „wir ſind auf die
„Art Menſchen geworden Gott weiß was aus
„ihnen wird„ indeſſen warf er hiebey einen
Seitenblick auf den monarchiſchen Staat
und den Soldatenſtand, wofuͤr er im Grunde
des Herzens war.
Das ſind die Data die ich meinen Le-
ſern in Hinſicht ſeines Entwurfs zu meiner
kuͤnftigen Beſtimmung, bis hieher mit dem
G 5Man-
[104] Mantel der Liebe und mit dem Pelz der Ver-
ſchwiegenheit bedeckt habe.
Warum aber, wenn ich zu mir ſelbſt
komme, dieſe Huͤllen? Meine Leſer werden,
das weiß ich, von meiner Ehrlichkeit keinen
boͤſen Gebrauch machen; da ſie nunmehr
wiſſen was ich weiß.
Fuͤr einen Mann aber wie du lieber Va-
ter! ein unerwarteter Plan! daß ich aus
dem Stahl und Stein deines Feuerzeuges
keinen einzigen Funken mehr herausſchlagen
kann.
Zwar weiß ich, daß die Buͤrger zu viel
Zeit brauchen Zeitungen zu leſen, um ſelbſt
zu Zeitungen Gelegenheit zu geben, daß ſie
zu weichlich ſind um ſich das Aug’ und den
Ruͤcken frey zu halten: indeſſen lieber Vater
ſieh an die Thiere von denen wir durch die
Kunſt verdorbene Menſchen, leider die Na-
tur abſehen muͤſſen, haben ſie einen Obriſten?
einen Hauptmann? einen Lieutnant? einen
Faͤhnrich? und außer dem Zank unter ſich,
und mit andern Thieren iſt der Menſch ohne-
hin ihr Tuͤrke ihr Erbfeind. Ein jedes Thier
wehrt ſich ſeiner Haut, und wenn wir uns
zuſammenarmen wir! die wir durch Boden
und Sonne vereinigt ſind, um das naͤm-
liche
[105] liche zu thun, wuͤrden wir denn nicht ver-
nuͤnftige Thiere ſeyn? Ein jeder waͤre Sol-
dat und Buͤrger, jeder haͤtte Leib und Seel.
Der Gelehrte wuͤrde abgehaͤrteter, der Soldat
vernuͤnftiger ſeyn und allen waͤre geholfen.
Meine Leſer werden, das ſeh ich im Geiſt,
die Koͤpfe ſchuͤtteln wenn ſie den dritten Theil
meiner Geſchichte mit dieſer Stelle in einem
Gliede marſchiren ſehen werden. Sie koͤn-
nen mir indeſſen nicht verargen daß ich ihnen
den Schluͤſſel vom fuͤnften Akt verhalte, denn
warum ſolten ſie ein Feu’rwerk des Mittags
um zwoͤlf Uhr zuſehen, das erſt um zwoͤlf
Uhr in der Nacht abgebranndt werden ſoll?
Die Kriege wurden griechiſch gefuͤhrt die
Reden reſpective lateiniſch und wegen des
Ekels des Benjamin gegen dieſe Sprache,
lettiſch gehalten. Recht wurde nach Leon-
hart Fronſpergers Kaiſerlichen Kriegsrech-
ten gepfleget. Rechne lieber Leſer! alles dieſes
zuſammen, ſchwerlich iſt Summa Summa-
rum; Soldat, wenigſtens bleibt der Zweifel
was fuͤr ein miles? (Soldat) togatus oder
ſagatus ein Soldat mit dem Haarzopfe oder
mit der alonſchen Peruͤcke. Die Behauptung
meines Vaters daß man aus den roͤmiſchen
Geſetzen und was ihnen anhaͤnget lateiniſch
und
[106] und aus den alten deutſchen Geſetzen und
ihren Verwandten deutſch lernen koͤnnte, ſtuͤtzt
den gegebenen Zweifel; allein meines Vaters
Bibel wird den Ausſchlag geben.
Mein Vater hatte alle Schriftſtellen wo
von Soldaten geredet wird, gezeichnet. Im
zweiten Buch der Maccabaͤer im dreyzehnten
Capitel und funfzehnten Vers ſagt’ er, wird
die Parole ausgegeben „Und er lagerte ſich
bey Modin und gab dieſe Worte ihnen zur
Loſung; „Gott giebt Sieg.„ Jezt ſagt’ er
hat ſich die Parole, recht als ob ſie ihm ſelbſt
war gegeben worden, von dieſer Art ſehr
geaͤndert, indeſſen koͤnnte dieſe Manier im
Kriege mit Nutzen gebraucht werden, um
das ſinkende Rohr aufzurichten und das flim-
mende Tocht anzufriſchen — Von Feldge-
ſchrey wird im Buche der Richter im ſieben-
den Capittel vom achtzehnten bis zwanzigſten
Verſe geredet: hier lag ein großes Zeichen:
„Wenn ich die Poſaune blaſe, und alle die
„mit mir ſind; ſo ſolt ihr auch die Poſaunen
„blaſen: ums ganze Heer, und ſprechen:
„hie Herr und Gideon. Alſo kam Gideon
„und hundert Mann mit ihm an den Ort
„des Heers, an die erſten Waͤchter die da
„verordnet waren und weckten ſie auf und
„blie-
[107] „blieſen mit Poſaunen und zerſchlugen die
„Kruͤge in ihren Haͤnden. Alſo blieſen alle
„drey Haufen mit Poſaunen, und zerbrachen
„die Kruͤge. Sie hielten aber die Fackeln in
„ihrer linken Hand, und die Poſaunen in
„ihrer rechten Hand, daß ſie blieſen und rie-
„fen: hie Schwerd des Herrn und Gideon.
Es fand mein Vater im zweiten Buch
der Chronick im dreyzehnten Capitel im vier-
zehnten Vers ein Bataillon quarré„
„Da ſich nun Juda umwandte, ſiehe, da
„war vorn und hinten Streit. Da
„ſchrien ſie zum Herrn und die Prieſter
„trommeteten mit Trommeten„
wie er denn auch mit dieſer Spruchſtelle be-
wies daß die Prieſter ehemals Hautboiſten-
dienſte verrichtet: dieſen Spruch fuͤhrte er
beſtaͤndig an, wenn er vom geiſtlichen Prie-
ſterthum redete und legte ihn von dem Muth
aus, den ein Chriſt dem andern bei den Feld-
zuͤgen und Scharmuͤtzeln dieſes Lebens zuzu-
blaſen verbunden waͤre um ihn wenigſtens zu
betaͤuben. Ueber die Werbung Handgeld
und Muſterung hatte er im zweiten Buch der
Chronick im fuͤnf und zwanzigſten Capittel
den fuͤnften und ſechſten Vers gezeichnet.
„und
[108] „und Amazia brachte zu Hauſe Juda, und
„ſtellete ſie nach der Vaͤter Haͤuſern, nach
„den Oberſten uͤber tauſend und uͤber
„hundert unter ganz Juda und Benjamin,
„und zaͤhlete ſie von zwanzig Jahren und
„druͤber, und fand ihrer drei [hundert] tau-
„ſend auserleſen die ins Heer ziehen mochten
„und Spieße und Schilde fuͤhren konnten.
„Dazu nahm er aus Iſrael hundert tauſend
„ſtarke Kriegsleute um hundert Centner
„Silbers„
Jethro, ſagt’ er hat die erſten Patente
als Oberſter und Capitain gegeben, und
von ihm ſchreiben ſich die Herren Staabs und
andre Officiere her, im zweiten Buche Mo-
ſis im achtzehnten Capittel vom neunzehnten
bis zum ſieben und zwanzigſten Vers heißt
es alſo:
„Aber gehorche meiner Stimme, ich will
„dir rathen und Gott wird mit dir ſeyn.
„Pflege du des Volks vor Gott, und bringe
„die Geſchaͤfte vor Gott; und ſtelle ihnen
„Rechte und Geſetze, daß du ſie lehreſt den
„Weg darinn ſie wandlen, und die Werke
„die ſie thun ſollen. Siehe dich aber um
„unter allem Volk nach redlichen Leuten,
„die Gott fuͤrchten, wahrhaftig, und dem
„Geiz,
[109] „Geiz feind ſind, die ſetze uͤber ſie etliche
„uͤber tauſend uͤber hundert uͤber funfzig,
„und uͤber zehn; daß ſie das Volk allezeit
„richten. Wo aber eine große Sache iſt,
„daß ſie dieſelbe an dich bringen, und ſie alle
„geringe Sachen richten, ſo wird dirs leichter
„worden nnd ſie mit dir tragen. Wirſt du
„das thun, ſo kannſt du ausrichten was dir
„Gott gebeut; und alle dies Volk kann mit
„Frieden an ſeinen Ort kommen. Moſe ge-
„horchte ſeines Schwaͤhers Worte und that
„alles was er ſagte. Und er waͤhlete redliche
„Leute aus ganz Iſrael und machte ſie zu
„Haͤuptern uͤber das Volk, etliche uͤber tau-
„ſend uͤber hundert, uͤber funfzig und uͤber
„zehn. Daß ſie das Volk allezeit richteten,
„was aber ſchwere Sachen waͤren zu Moſe
„braͤchten, und die kleinen Sachen ſie rich-
„teten. Alſo ließ Moſe ſeinen Schwaͤher in
„ſein Land ziehen„
Das Exerciren bewies er aus dem an-
„dern Buch der Koͤnige im fuͤnf und zwanzig-
ſten Capittel im neunzehnten Vers
„Und einen Kaͤmmerer aus der Stadt, der
„geſetzet war uͤber die Krieges Maͤnner, und
„Fuͤnf Maͤnner die ſtets vor dem Koͤnige waren,
„die in der Stadt funden wurden und Sopher
„den
[110] „den Feldhauptmann, der das Volk im Lan-
„de Kriegen lehrte, und ſechzig Mann vom
„Volk auf dem Lande die in der Stadt fun-
„den wurden — —
Gerne haͤtt ihm meine Mutter dieſe Zei-
chen insgeſammt wie Spreu in die Luft zer-
ſtreuet; allen ſie ſchien dieſe Schriftſtellen
ſelbſt als bewafnet anzuſehen,
und nun ſollen ſie ſo lange wie Fahnen
in der Kirche haͤngen. Da liegt ſie vor mir
dieſe vaͤterliche Bibel wo Stunde Tag und
Jahr meiner Geburth von meinem Vater
eingeſchrieben iſt. Sey mir geſeegnet goͤtt-
liches Buch!
Bey meinem Namen ſteht eine ſchwere
Geburt! der Name des Herren ſey gelobt!
Feierlich bete ich Amen dazu! Theure Bibel
jedes Zeichen in dir obs gleich eine Menſchen-
ſazung iſt, bleibt mir doch unſchaͤzbar. Es
enthaͤlt fuͤr mich einen Zug vom Bilde mei-
nes Vaters der uͤberwunden hat. Laßt
mich einen Augenblick, damit ich meine Haͤn-
de zu den Bergen hebe, von welchem uns
Huͤlfe kommt. Unſre Huͤlfe, kommt im
Namen des Herrn der Himmel und Erde ge-
macht hat! — —
Ich
[111]
Ich finde Oerter mit einer ſolchen papier-
nen Schildwache verſehen wo
- vom Schwerdte
- von Pfeilen
- Bogen
- Lanzen
- Panier
- Trompeten,
geredet wird
wo ein Faͤhnlein wehet
ein Gezelt im Lager ſteht
Sold ausgetheilt wird
und wo das Wort ausziehen, welches nach
ſeiner Erinnerung marſchiren und nicht lau-
fen bedeutet, gebraucht iſt.
Ferner liegen Zeichen bey den Worten:
Kriege, Kriegsknechte, [Streiter,] Streit-
genoſſen oder Kriegescammeraden[.]
Bey Liſt, Hinterhalt, Schlagen, Fech-
ten, Streiten, Wagenburg, Sturm und
Beute.
Beym Hauptmann zu Capernaum und
bey drey Oberſten.
Ihr ſolt unverſehrt bleiben ihr! mir lie-
ben Zeichen und ſo oft ich dich theure Epi-
ſtel am ein und zwanzigſten Sonntage nach
HTrini-
[112] Trinitatis die erſchrecklich begriffen iſt im
Haupt-Exemplar ſehe und ſonſt leſe und hoͤ-
re, ſeh’ ich, und leſ’ und hoͤr’ ich meinen
Vater.
Hierauf wollen meine chriſtlichen Leſer
mit theilnehmender Herzensandacht verleſen
hoͤren: die Epiſtel am ein und zwanzigſten
Sonntage nach Trinitatis wie ſie beſchrie-
ben ſtehet in der Epiſtel an die Epheſer im
ſechſten Capittel und zehnten Vers und wie
ſie in unſer Deutſchen Ueberſetzung lautet:
„Zuletzt meine Bruͤder, ſeyd ſtark in
„dem Herrn, und in der Macht ſeiner Staͤr-
„ke. Ziehet an den Harniſch Gottes, daß
„ihr beſtehen koͤnnet gegen die liſtigen An-
„laͤufe des Teufels. Denn wir haben nicht
„mit Fleiſch und Blut zu kaͤmpfen ſondern
„mit Fuͤrſten und Gewaltigen, nehmlich mit
„den Herren der Welt, die in der Finſter-
„nis dieſer Welt herrſchen mit den boͤſen Gei-
„ſtern unter dem Himmel. Um des willen
„ſo ergreifet den Harniſch [Gottes], auf daß
„ihr, wenn das boͤſe Stuͤndlein kommt Wi-
„derſtand thun und alles wohl ausrichten
„und das Feld behalten moͤget. So ſtehet
„nun umguͤrtet eure Lenden mit Wahrheit,
„und angezogen mit dem Krebs der Gerech-
„tig-
[113] „tigkeit und an Beinen geſtiefelt als fertig
„zu treiben das Evangelium des Friedens
„damit ihr bereitet ſeyd. Vor allen Din-
„gen aber ergreifet den Schild des Glau-
„bens, mit welchem ihr ausloͤſchen koͤnnet
„alle feurige Pfeile des Boͤſewichts, und
„nehmet den Helm des Heils und das
„Schwerd des Geiſtes, welches iſt das
„Wort Gottes„
Wenn ich mir die Seelenfreude vorſtelle
mit welcher mein Vater uͤber dieſe Epiſtel
predigte; empfind ich ein groß Stuͤck dieſer
Seelenfreude. Meine Mutter ſagte zwar:
„heute geht er geſtiefelt und geſporet wie
„ein geiſtlicher Ritter auf die Kanzel„ Laß
ihn liebe Mutter! den hochwuͤrdigen und ge-
ſtrengen Herrn. Es iſt dein Mann! mein Va-
ter! Wenn es gleich aus der heiligen Schrift
ziemlich deutlich hervorgehet daß er fuͤr den Sol-
datenſtand ſey, bin ich denn darum ſchon in
Reih und Gliedern? — Warte wenn ich
bitten darf den dritten Theil meiner Geſchich-
te ab — und am Ende liebe Mutter! heißt
es: Gebet dem Kayſer was des Kayſers und
Gott was Gottes iſt? Sind wir nicht geiſt-
liche Soldaten die ſich zum Himmel durch-
ſchlagen muͤßen! die klugen Iſraeliten muß-
H 2ten
[114] ten mit dem Koͤnige vorn Willen nehmen,
da die Pluralitaͤt einen begehrte. Gott gab
allen einen Koͤnig. Sapienti ſat.
Clitus damit es meine Leſer nur ja wiſ-
ſen iſt auch nicht in unſerm Kirchdorfe erſto-
chen, vielmehr iſt er noch jetzo am Leben und
ſitzt auf dem vaͤterlichen Acker, Er hat mir
nicht das Leben gerettet auch iſt ſeine Schwe-
ſter nicht meine Amme geweſen. Dies
Trauerſpiel ward alſo als ein Luſtſpiel vor-
geſtelt wie man es mit den meiſten Trauer-
ſpielen machen kann. I nunc ad Philippum
\& Parmenionem \& Attalum wurde nichtern
geſagt und blieben daher die Bußtage aus,
vielmehr wurd ein algemeines Gelaͤchter weil
Clitus ſo friſch und geſund ſeiner Wege ging
wie unſere Schauſpieler wenn ſie erſtochen
erſchoſſen und mit Gift vergeben ſind. Se-
neka, das faͤlt mir eben ein, haͤtte ſich die
Todesart waͤhlen ſollen im Trauerſpiel am
fuͤnften Ackt zu ſterben. Es waͤre ſeinem
Leben und ſeinen Schriften angemeßner ge-
weſen, und leichter muß es auch ſeyn, als
wenn man ſich alle Adern oͤfnen laͤßt.
Die ſchoͤnen Redeuͤbungen doch nur von
Alexanders Seite womit der beredte Curtius
ſeine Leute ausſtafiret, konnt ich auf ein
Haar
[115] Haar. Benjamin hielt alles was er hielt
aus oben angezeigten wichtigen Gruͤnden in
curſcher Sprache ich habe dem Q Curtius
Rufus oben den chriſtlichen Namen Voltaire
beigelegt, um dieſem lezten mit Ehren grau
gewordenen Dichter und Geſchichtſchrei-
ber Comoͤdien und Tragoͤdienſteller, den ich
von Perſon kenne, vorzuͤglich wegen ſeiner
Geſchichte bey dieſer Gelegenheit ein Com-
pliment zu machen.
Dieſer große Mann traͤgts auch am
Knopfloche und wenn er als Geſchichtſchrei-
ber auftiſchen laͤßt fehlts an geſundem unver-
faͤlſchten Wein. Gebacknis die Menge. Da
heut eben ſein Geburtstag iſt hoffe ich von
ihm wegen dieſes kleinen Andenkens Toleranz
und von meinen Leſern Verzeihung!
Es iſt ſchon geſagt daß die Nuͤchternheit
bey unſerm Alexanderſpiel beobachtet wurde,
indeſſen tranken wir Waſſer aus dem Hut,
wenns in der Rolle vorkam daß getruncken
werden ſolte und der Hut ſtellte des Herku-
les Becher ſehr gut vor. Ich konnte alſo
nicht durch das Gift des Weins ums Leben
kommen, ſondern lebte den Curtius einige-
mal durch und durch.
H 3Ich
[116]
Ich zog mit wenigen Jungen oder Pfef-
ferkoͤrnern dem Benjamin Darius und ſei-
nen Mohnſamen auf den Hals.
Wir lieferten alle Schlachten die Alexan-
der geliefert hat.
Bey Ißus in Cilicien welches uͤber Feld
lag verlohr Benjamin Darius eine Menge
Volks und ich bekam ſeiner Frau Mutter Ma-
jeſtaͤt ſeiner Frau Gemahlin Majeſtaͤt und
ſeine Kinder Koͤnigliche Hoheiten zu Kriegs-
gefangenen. Die Koͤnigliche Frau Mutter
ſtelte auf Befehl meines Vaters unſere alte
Koͤchin vor und meine Mutter ſagte „kann
„ſie nicht lieber die Potiphar machen?„ Ben-
jamins Schweſter war die aͤlteſte Princeßin
Tochter und des Ritter Jachnis Frau und Toch-
ter ſtelten die Koͤnigliche Frau Gemahlin und
Tochter vor. Wegen des Prinzen waren wir
nicht verlegen denn hiezu hatten wir viele Jun-
gen im Dorf. Mit der Schlacht bey Arbola
hatte die perſiſche Monarchie ein Ende.
Der Tod des Darius ward nicht vorge-
ſtelt, weil Benjamin uͤber den Tod nicht
ſpaßen wolte, und aus Todesangſt ſehr leicht
untern Haͤnden bleiben koͤnnen. Es fehlte
uns auch eine Kleinigkeit die guͤldene Ketten.
Wenn wir alle Schlachten zum Ende waren
fingen
[117] fingen wir ſie von Anfang an, obgleich wenn
wir an die Gefangennehmung der Koͤnigli-
chen Familie kamen wegen der Koͤniglichen
Frau Mutter der Verdruß unvermeidlich
war. Meine Mutter beklagte ſich uͤber
die Koͤchin, daß ſie wenigſtens drey Tage
bey dieſer Koͤniglichen Gelegenheit den Gehor-
ſam aufſagte und vorzuͤglich alles verſalze.
Deſto beſſer ſagt’ ich, ſie macht ihrer Stelle
Ehre. Die Frau Potiphar wuͤrde ſie beſſer
machen antwortete ſie und ich brachte ihr
das Salzfaß, gieng mit ihr in die Speiſe-
kammer aß unterm Eyer Monument ein
Stuͤck Schinken und die Koͤchin blieb die
Koͤnigliche Frau Mutter —
Die Jungen im Dorfe nannten dieſe fei-
erliche Tage Talken allein ich brachte dieſen
unheiligen Namen ab und pflanzte ſo viel
griechiſch im ganzen Dorf — daß derjenige
welcher der lettiſchen Sprache die Ehre that
ſie aus meiner Welt zu beurtheilen, die grie-
chiſche Sprache fuͤr Mutter Schweſter, Toch-
ter oder was weiß ich fuͤr was fuͤr eine nahe
Blutsverwandtin von der lettiſchen halten
mußte.
Die Koͤnigliche Gefangenen waren bey
mir ſo gut als beym Alexander aufbewahret.
H 4Ich
[118] Ich war eben ſo wie Er juſtus hoſtis und
miſericors victor. Die Koͤnigliche Frau
Gemahlin wuͤrde auch ſchwerlich Jemanden
wenn gleich er ſich nicht ſo gut als Alexan-
der und ich beſeſſen in Verſuchung gefuͤhret
haben da ſie bey den Blattern um ein koͤnig-
liches Auge gekommen war.
Nach dieſer Anzeige darf ich auch nicht
bemerken, daß die dreihundert ſechzig Pelli-
ces (Kebsweiber) nicht angebracht werden
konnten wie denn auch deshalb nicht zu be-
haupten war Pellices CCC \& LV. totidem
quot Darii fuerant regiam implebant. Denn
Benjamin wußte in dieſem Stuͤck eben ſo
wenig wie ich was Gut oder Boͤſe ſey. Ich
vermied mithin den Vorwurf des Lagers:
daß ich mehr verlohren als gewonnen
haͤtte, und daß obgleich ich den Darius uͤber-
wunden, ich doch von ihm in dieſem Stuͤck waͤre
uͤberwunden worden (ex Macedoniæ Impe-
ratore Darii ſatrapem factum)
Bey dieſer Gelegenheit indeſſen und vor-
zuͤglich weil Darius ſeine Gemahlin ſo ſehr,
wie Hans ſeine Grete geliebt, ſahe ich ſeine
und des Alexanders und des Koͤnigs Salomo
Kebsweiber fuͤr Lexica an, die man um ein
Wort nachzuſchlagen noͤthig hat.
Außer
[119]
Außer den Soldat und Sprachabſichten
hatte mein Vater auch eine moraliſche woran
ihn ſein Prieſterkleid auch bey einer heidni-
ſchen Geſchicht’ erinnerte. Es ward offt mit-
ten in der Schlacht ein Porisma oder ein
Comma gemacht womit ich aber meine Leſer
nicht belaͤſtigen mir ſelbſt aber nicht in die
Rede fallen will.
Die Geſchwindigkeit z. E. in der Aus-
fuͤhrung iſt fuͤr jeden Alexander eine Haupt-
eigenſchafft. Iſts moͤglich nimm Poſtpferde
ſagt’ er wenn du thuſt — allein denk erſt!
Kannſt du Courirpferde haben deſto beſſer!
Was geſchwind geſchieht vergeht geſchwinde,
kann nur von Planen verſtanden werden,
oder uͤber die ganze Regel wie uͤber viele ein
Schwamm! Wer bald giebt, giebt doppelt,
und wer ſchnell thut ahmt Gott nach, der
ſprach und es ward.
Unter andern behauptet’ er auch daß
Ariſtoteles durch den Alexander und Alexan-
der durch den Ariſtoteles ſo groß geworden,
als ſie’s wuͤrcklich waren. Mali corui malum
ouum! Einer war ſtolz auf den andern: wie
er denn auch der Meinung war, daß ſolche
außerordentliche Leute wie Alexander, an
dem nichts mittelmaͤßig als ſeine Geſtalt war,
H 5und
[120] und der unter den Großen der Fluͤgelmann
iſt, nicht vierzig Jahr alt wuͤrden, und daß
große Eigenſchaften auch große Laſter oder
wenigſtens große Fehler zu ihren Waffen-
traͤgern haͤtten.
Alexander ſagt’ er thaͤte alles der athe-
nienſiſchen Aviſen wegen, allein er nehme
mir nicht uͤbel daß ich ihm nicht beytreten
kann. Er welcher die ganze Welt fuͤr eine
Feſtung anſahe wo ihm nur verſtattet wor-
den auf den Waͤllen herumzugehen ſolte des
Wansbeckerboten wegen in Athen? — — —
Nein die ſpaͤtſte Nachwelt war ſein Ziel, un-
ſer Dorf wo Er geſpielt wurde war ſeine
Ausſicht, und warlich wir ſind nicht die er-
ſten Kinder und werden auch nicht die letzten
ſeyn, die den Alexander ſptelen. Dieſe Ge-
ſchichte hat viel Unheil in der Welt angerich-
tet vom Bruder Moͤrder Caracalla an bis auf
den heutigen Tag, wird ſie ins Große und
ins Kleine geſpielt: allein es geht leider! da-
bey nicht ſo ruhig zu wie in — und in un-
ſerm Dorfe wo Gottlob! kein Blut vergoſ-
ſen wird.
Und ich? warum vergieß ich Tint war-
um ergreif ich die Feder? warum bin ich
Alexander und Q. Curtius Rufus in einer
Per-
[121] Perſon? Das iſt ein gordianiſcher Knoten
im ganz beſondern Sinn! Einer wird ſagen
um in der — gelobt oder, (wie ich vorlaut
bin!) recenſirt zu werden, ein andrer um
uͤber tauſend Jahr dem Jungen im Dorfe
zum Marjonetten Spiel zu dienen, ein an-
drer — die Zeit wirds lehren.
Schon vor vierzehn Tagen ſagt’ ich
uͤbermorgen! und legte alſo eine ſchriftliche
Zuſage ab, an dieſem Uebermorgen meinen
Leſern den Zeitpunkt zu beſtimmen, wenn
mein Vater den zweiten Diskant ruͤhmlichſt
mitzuſingen angefangen, um ſie in dieſem
Stuͤck nicht laͤnger absque die et conſule zu
laſſen. Ich haͤtte keine Stundung oder Ta-
gung von noͤthen gehabt wenn nicht ein guter
Freund der nach Gaſtrecht zu behandeln war
dieſen Aufſchub veranlaſſet. Heut will ich
meine Schuld abtragen wenn ich zuvor mei-
nem guten Freunde eine gluͤckliche Reiſe ge-
wuͤnſchet habe.
Damit ich alles ſignire wars in meinem
vierzehnten Jahre da ich ohne Hofnung krank
danieder lag. Mein Vater konnte nicht be-
greifen wi’es zugieng. Bey einer ſolchen
Bewegung an Leib und Seel ſagt’ er wo
kommt das Uebel her?
Vom
[122]
Vom betruͤbten Suͤndenfall half ihm
meine Mutter aus, denn alles Boͤſe war bey
ihr ahnenreich und vielſchildig.
Vom betruͤbten Suͤndenfall ſeufzte mein
Vater und meine Mutter ſang aus vollen
Seelen und Leibeskraͤften
Mein Vater der dieſen Vers mit vieler An-
dacht gehoͤret, doch aber noch nicht mitge-
ſungen hatte verfolgte ſeine Zweifel. Seine
Meinung um ſie zu filtriren, war, daß ein
Menſch der der Natur getreu waͤre und ihrem
Fingerzeig folge, denn es iſt Gottes Finger
ſetzt’ er hinzu, daß ein ſolcher Menſch, der
ſeiner Seele und ſeinem Koͤrper nicht zu viel
nicht zu wenig thaͤte nicht krank werden und
ehe er achtzig erreicht haͤtte und das Gewicht
abgelaufen waͤre auch nicht ſterben koͤnne.
Allein die Thiere ſagte meine Mutter ſind
krank ehe ihre Stunde ſchlaͤgt.
Thut alles nichts zur Sache, Haus-
thiere ſind wie Menſchen am Hofe. Sie
ſind verwoͤhnt. Wilde Thiere, das waͤre ein
Ein-
[123] Einwand, allein nur ein ſcheinbarer, denn
der Menſch hat Verſtand.
„Nur nicht in ſeiner Kindheit; ſelbſt
„wenn er aͤlter wird verdirbt er ſich den
„Magens„
Dafuͤr hat ein Kind Vater und Mutter.
Der Eltern Verſtand iſt der ſeinige. Iſt er
erwachſen und uͤbertritt ſein beſcheiden Theil;
triffts meine Regel nicht.
„Aber wenn Vater und Mutter ſchon
„krank ſind ehe ſie ein Kind in dieſe Huͤtten
„Kedars ſetzen, ich ſag’s nicht, von uns
„beiden„
Du haſt Recht. Gott lob! aber wir ſind
friſch geſund und ſtark wie du geſungen haſt.
„Indeſſen Etwas fehlt einem jeden und
„wenn er ein Geſicht wie ein Stettinerapfel
„haͤtte. Wir haben alle einen Schaden und
„der kommt von Adam her, du magſt ſagen
„was du willſt. Siehſt du wie ich durch
„die offene Thuͤr, beym betruͤbten Suͤnden-
„fall bin. Haſt du nicht ſelbſt geſagt, Thoren!
„ſie wollen das Fleiſcheſſen auf einmal
„abbringen! das Kind kommt ſchon mit
„Fleiſchhunger und Biſchofsdurſt auf
„die Welt. Allmaͤhlig und durch fuͤnf Ge-
„nera-
[124]„nerationen (wars nicht ſo?) muß es erſt
„zur Natur reducirt werden„ Da ſiehſt du
„wie ich deine Proſe behalte. Ich hab noch
„in meinem Leben nicht ſo geiſtlich mit dir
„geſprochen wie jetzt. Gott Lob fuͤr die-
„ſen Tag!„
Wenn du ſo den Fall Adams nimmſt
haſt du Recht kann aber der liebe Junge
nicht aufſtehen? Arbeit iſt die beſte Arzeney
wider den Tod. Auch ein Kranker ſolte
arbeiten wenns nur ſo viel iſt als er zu ſei-
ner Bekoͤſtigung braucht. Das iſt wenig!
die Natur hat ihm nicht mehr auferlegt als
er ertragen kann. So allmaͤhlig als ein
Kranker Appetit bekommt, faͤngt er auch an
beſſer zu werden.
- (Ich) Vater ich kann nicht mehr auf, kann
auch nicht mehr eſſen (Mein Vater) Ar-
mer Junge (geht ab)
ich wolte verſuchen aufzuſtehen.
(Meine Mutter) bleib bleib. Es iſt im-
mer beſſer die Krankheit trift uns auf dem
Bett als auf dem Felde. Davon weiß
ich auch ein Lied zu ſingen! Gewiſſe Krank-
heiten wollen wie vornehme Leute behandelt
werden man muß ihnen entgegen — ein
Flußfieber nimmts ſo genau nicht.
Mein
[125]
Mein Vater kam wider faßte mich an
die Stirne und Haͤnde, und ich konnt an
ſeinen Augen in Frackturſchrift leſen was er
ſo bald er merkte, daß ich herein ſahe vor
mir verbarg —
So ſehr mein lieber Vater wieder die
Aerzte war die er wie die Beichtvaͤter und
Gewiſſensraͤthe fuͤr Etwas hielte was uns
und unſern Gott und die Natur ſein Werk
von einander ſchiede; ſo gab er doch dem
Verlangen meiner Mutter nach, die ſich ihr
Votum nicht nehmen ließ.
Offt hab ich ihn ſagen gehoͤrt ohne Arzt
ſtirbt man leicht und ſchnell. Mit einem
Arzt ſtirbt man taͤglich. Wer bis in ſeinen
letzten Augenblick lebt, wer beharret bis ans
Ende ſtirbt nicht — er wird lebendig gen
Himmel geholt und dies alles kann man nur
ohne Arzt. Dies und noch mehr ſagt’ er
ſehr oft, allein jezt blieben dieſe ſchoͤnen Spruͤ-
che weg, er ſchrieb an den Docktor Saft,
der ſechs Meilen von meinem Puls entfernt
war, und macht’ ein Geſicht als ein Refe-
rent, der von ſeiner Meinung durch die
Mehrheit abgeſtimmt iſt.
Die Antwort des Docktor Saft traf ihm
das Herz. Er war nicht mehr. Er beſtaͤ-
tigte
[126] tigte mit ſeinem Beiſpiel daß uns die Aerzte
feig machen: indem ſie Gefahren aufdecken
die vor uns verborgen ſind.
Meine Mutter hingegen war ſo ſanft
wie ein Lied. Er nahm ſie an der Hand
zeigte ihr den ſaftiſchen Brief, und ſie ohne
Schrei ohne Ach ſtimmte an, ihre Augen
gen Himmel.
Noch ſang mein Vater nicht mit. Seine
Seele war verſuncken in Schmerz. Meine
Hofnung ſagt’ er, die der Herr bey meinem
ſtummen Gram mir in einem fremden Lande
aufgehn lies. Ein Nachtfroſt und ſiehe da —
Er hat’ große Hitze ſagte meine Mutter
Guͤtiger Gott laß ihn mir laß ihn einem
Ungluͤcklichen, der fuͤr ſich lange die Wuͤn-
ſche aufgegeben zu dem Staube ſeiner Vaͤter
verſammlet zu werden
Herr
[127]
Herr Superintendent Alexander Ein-
horn fiel meine Mutter ein liegt in Cur-
land begraben
O mein Sohn ſagte mein Vater
und meine Mutter er hat die Kirchenord-
nung im Jahr ein tauſend fuͤnf hundert und
ſiebenzig verfertiget.
O mein Sohn ſagte mein Vater
und nach ihm blieb die Superintendenten
Stelle vierzehn Jahre unbeſetzt
O mein Sohn beſchloß mein Vater der
ſich in ſeinem Gebete nicht haͤtte ſtoͤren laſſen
wenns eingeſchlagen haͤtte. O mein Sohn
mein Sohn wolte Gott ich koͤnnte fuͤr dich
ſterben
Hierauf ſagte meine Mutter kein Wort
Ich ſahe bey dieſer Gelegenheit was ich
offt geſehen daß das ſchlecht und rechte Chri-
ſtenthum eine edle Gleichguͤltigkeit einen ge-
wiſſen Liederton im Leben wuͤrckt, der uns
bey allem in der Welt und waͤrs auch ein
Alexander Verluſt, Ruhe ins Herz wehet.
Sein Vater ſchlug wie Petrus mit dem
Schwerdt drein. Seine Religion war ein
hoͤheres Halleluja, welches aber fuͤr die
JVollen-
[128] Vollendeten gehoͤrt, und das fuͤr die Zeitlich-
keit nicht zu ſeyn ſcheint. Bald ſind wir
zwar wenn wir uns in dieſem hoͤhern Chor
befinden entzuͤckt bis in den dritten Himmel;
bald aber ſchreien wir: Herr hilf uns, wir
verderben.
Lange ſtand mein Vater mit gelaͤhmter
Seele, allein meine Mutter brach dieſen
Seelenſchlaf durch einen freundlichen guten
Morgen.
Eins ſagte ſie lieber Mann bedaur’ ich
Ich mehr als eins ſagte mein Vater,
und was iſt dieſes Eine mein Kind! fuhr er
mit einer bedeutenden Miene fort.
Meine Mutter nahm ihn (ohn ihm zu
antworten) bey der Hand und druͤckt ihm ein
widerholtes liebliches Was denn? heraus.
„daß ich ihn nicht predigen gehoͤret„
Mein Vater ſeufzte laut ohne ein Wort zu
ſagen
Nach ihrer Meinung haͤtte mir eine Pre-
digt einen gewiſſen Rang im Himmel zuthei-
len muͤßen. Ob ich nun gleich nicht die
Kanzel beſtiegen, ſo verſicherte mich jeden-
noch meine Mutter, da mein Vater mit
gekreuzten Haͤnden heraus gegangen war,
daß
[129] daß ſie mir ebenfalls ein Monument in der
Speiſekammer errichten wuͤrde. Der alte
Herr ſagte ſie, ſoll deinen Namen in Mitau
zum Druck befoͤrdern, und da du von deinem
lieben Vetter eine ſchreckliche Aehnlichkeit
haſt; iſt euch beiden geholfen.
Von den ſechs Naͤgeln vor einen Vier-
ding ſind noch zwey uͤbrig. Verlaß dich auf
deine Mutter!
Dieſer an ſich unbetraͤchtliche Umſtand
von den zwey uͤbrig gebliebenen Naͤgeln fiel
mir ſo auf, daß ich von dieſer Minute an,
den letzten Reſt meiner Hofnungen einbuͤßte
und meinen ungezweifelten Tod in den zwey
Naͤgeln ſah. Waͤren wol zwey Naͤgel uͤbrig
geblieben wenn es nicht darum geweſen waͤre
deine Grabſchrift zu befeſtigen dacht ich, und
warum wuͤrden wol ſechs Naͤgel fuͤr einen
Vierding zu haben ſeyn, wenn ich nicht dies-
mal ſterben ſolte? ich war kein Alexander
mehr, und ich fuͤhlt’ es, daß die Medicin
mit der Einbildungskraft ſtritte und dieſe lez-
tere uͤberwand. Es ſchlug nichts an.
Wenn er nur ein einziges mal gepredi-
get haͤtte wiederhohlte meine Mutter, und
mein Vater der bey dergleichen Irrthuͤmern
ſonſt ein ſehr heftiger Widerleger war that
J 2nichts
[130] nichts weiter als ſeufzen. Eine totale Son-
nenfinſternis lag auf ſeiner Seele, ſein Herz
konnte nicht ins Geleiſe gebracht werden.
So vergiengen drey bis vier Tage. Werd’
ich ſterben fragt’ ich! Gott kann dir helfen
ſagt’ er, und meine Mutter wie Gott will,
und beide Amen.
Nach einer Weile zog ich meine Mutter
feſt an mich „ey die zweene Naͤgel?„ Sie
glaͤnzten mir ſo ſchrecklich als die Cometen
dem gemeinen Mann. Wie verſtelt die Ver-
zagtheit die Mutter der Hypochondrie, die
Geberden eines jeden Dings?
Meine Mutter ohne die Frage in ihrem
Umfange zu denken antwortete. Sie ſol-
len dein!
Ach! war meine Antwort
und, hilft dir Gott fuhr ſie fort haͤng’ ich
deine Lieblingswuͤrſte dran
Die ſagt’ ich, Liebe, die — ich konnte
ſie vor Freuden nicht beſtimmen
Eben die erwiederte ſie
Das war Medicin. Ich ſammelte mich.
Die Cometen verlohren ihren Schein! Ich
ſah’ anſtatt meines Namens im Druck zwo
kleine Wuͤrſte. Ich bekam Appetit und
haͤtte
[131] haͤtte gewiß alle beide aus freyer Fauſt aufge-
geſſen, wenn nicht alsdenn die beiden Naͤgel
wieder vacant geworden waͤren. Ich ſchlief
die Nacht, und wenn mein Vater nicht noch
ganz verfinſtert geweſen waͤre, wuͤrd’ er aus
meinen Augen eben ſo viel geleſen haben,
als ich zuvor aus den Seinigen las.
Ehe noch das Fatale interponendæ und
introducendæ abgelaufen und mein Leben oder
Tod res judicata eine rechtskraͤftige Sache war,
bekam mein Vater einen Brief fuͤr den er viel
Poſtgeld bezahlen mußte, und dieſer Brief
brachte ihm den zweiten Diſkant mit, den
meine Leſer ihn ſogleich ſingen hoͤren werden.
Er las dieſen Brief, las ihn wieder und
da er ihn zum dritten mal anfieng rief er
mit wehmuͤthiger Stimme. Licht! Es iſt
aus! Gott ſchrie ich: aus! und meine Mut-
ter: aus!
Wenn er lieber auf die Wuͤrme curirt
haͤtte? fragte meine Mutter meinen Vater,
nicht wahr? lieber auf die Wuͤrme?
„Es iſt aus, ſagte„ mein Vater. Der
Staͤrkſte in ſeiner Kunſt iſt Saft nicht fuhr
meine Mutter fort. Ich wett’ er iſt da
Docktor worden wo der alte Herr Litteratus
geweſen iſt. Gottes Wege ſind nicht unſre
J 3Wege!
[132] Wege! ſagte mein Vater. Im fuͤnf und
vierzigſten Jahre ſeines Alters im Herrn
entſchlafen? wer fiel meine Mutter ein!
Docktor Saft? iſt er todt, der geſchickte
Mann! Curland verliert viel an ihm
- Mein Vater. Die lezte Stuͤtze des Hauſes!
- Meine Mutter. Er hat noch einen Bruder!
- Mein Vater. Licht! Licht! Licht! Licht!
- Meine Mutter. Wie todt! am Schlagflus
- Mein Vater. Alles todt alles todt.
- Meine Mutter. Mit Weib und Kind
- Mein Vater. Licht! Licht!
- Man brachte ein Licht
Noch eins! ſagt’ er und nachdem er bei-
de Lichte (es war heller Tag) hingeſtellet hatte,
nahm er eine handvoll Papier, die ſich mit
dem neuen Briefe vor den er eben viel Poſt-
geld bezahlet hatte begruͤßten, und nachdem
er dieſe Papiere allzuſammen gen Himmel
gehalten ſagt’ er, wie du willſt unbegreifli-
cher Gott!
Er ſteckt’ an und noch hoͤr’ ich die weh-
muͤthige Stimme! Wir ſind Staub und unſ-
re Hofnungen Staub und alles Staub: hier
verbrandt’ er ſich die Finger, indem er das
eine
[133] eine Papier nicht zeitig genug fallen laßen.
Heilige Aſche dieſe Thraͤne ſey Weihwaſſer
fuͤr dich. Mit dir geweiheter Staub! will
ich den Sarg meines Sohnes begruͤßen. Du
biſt Erde und ſolſt zur Erde werden.
Cleopatra die eine Perle auftrank ſagt’
er nach einer Weile, hat nicht mehr verzeh-
ret, als ich heute, und kein Lucius Plaucius
hat die andere Perle gerettet.
Die Naͤgel fingen wieder an zu blinken
ich ſahe meinen Tod vor Augen, und em-
pfand wie es einem jungen Menſchen von
vierzehn Jahren zu Muth’ iſt wenn er ſter-
ben ſoll.
Freilich haͤtte mir einfallen koͤnnen, daß
ein Brief vom Docktor Saft und ſo viel
Poſtgeld nicht im Verhaͤltnis waͤren, doch
fiel es meiner Mutter ſo wenig wie mir ein.
Mein Vater zog mit dem Docktor Saft
uͤber mein Leben ſchriftlich Schach! Mein
Vater ſchrieb ihm ſeinen Zug der Docktor den
ſeinen: und die Verwirrung die mein Vater
durch das Wort aus welches ein ſchreckliches
Wort iſt, und durch die zwei Lichte am hel-
len Tage welche zum Wort aus eben ſo
ſchrecklich abſtechen, erregt hatte; brachten
meine Mutter und mich auf den Gedanken,
J 4Docktor
[134] Docktor Saft haͤtte Schach Matt geſagt.
Das Feu’r iſt ein vernichtendes Element!
Noch ſchaudert mir die Haut da ich dieſe
Papiere brennen und in Aſche ohne Leben
und Beſtand und Safft verwandeln ſehe:
ſolch einen Eindruck machte dieſes Feu’r auf
mich! Ich wuͤrde meinen Leib um alles nicht
verbrennen laßen, und viele meine Leſer
welche bedencken daß die Verweſung zugleich
eine Geburt ſey, werden mir beytreten.
Die Art wie mein Vater anfaͤnglich die
Sache betrieb, lies mich vermuthen Docktor
Saft haͤtte unbedachtſam gezogen, und was
mich noch freut iſt dies daß ich dem Docktor
Saft nicht fluchte.
Gott verzeihe ihm ſagt’ ich und meine
Mutter ſetzte hinzu aus Barmherzigkeit
und nachdem wir beide meine Mutter und
ich aus den abgebrochenen Reden einen an-
dern Schluß zogen, Docktor Saft waͤre
nemlich vorausgegangen, wuͤnſchten wir ihm
beide aus gutem Herzen eine gluͤckliche Reiſe;
ich will ihm abbitten ſagt’ ich wenn ich ihn
im Himmel ſehe, daß ich ihn unrecht ver-
dacht habe. Nach volbrachtem Opfer ſah’
ich eine Thraͤne nach der andern die Wangen
meines
[135] meines Vaters herabfließen und die Papier-
aſche die ſonſt verflogen waͤre anleimen.
Es ſey nun das weinende Auge meines
Vaters oder das unrichtig vermuthete Schach-
matt des Docktors oder ſein ſelbſt eigener
toͤdtlicher Hintritt die Urſache die meine
Mutter zum Singen brachte, ſie fing an:
und bey der zweiten Strophe fiel mein Vater
im zweiten Diſkant ein, (zum erſtenmal hoͤ-
ren ihn alſo meine Leſer mitſingen)
Wenn ich jetzo die Sache uͤberlege ſind’ ich,
daß ich eigentlich damals nur einen Sterben-
den vorſtelte! ich ſtarb ſchoͤn, ich ſtarb
poetiſch. Denn mein Koͤrper hatte ſich von
den zwey kleinen Wuͤrſten erhohlt. Mein
Herz war aber aller der Vorgaͤnge wegen im
fuͤnften Ackt des Trauerſpiels. Ich war be-
wegt — ich ſahe alles mit mir ſterben, bis
auf die Lichtputzerin zu weinte alles (ich weiß
nicht ob es die Koͤnigliche Frau Mutter oder
ein andres Geſchoͤpf war)
Eine Bitte hab’ ich an Vater und Mut-
ter fing ich nach einer langen Stille an.
J 5Meine
[136]
Meine Mutter die ohnfehlbar ſich vor-
ſtelte daß es wegen des Monuments in der
Speiſekammer waͤre fragte leiſe „an beide„?
Ja liebe Mutter und gleich lieber Vater ſagt’
ich laut. Sprich ſagten ſie beide. Verlaſ-
ſet — hier weint’ ich zaͤrtlich — Minchen
des alten Herrn Tochter nicht. Gut ſagte
mein Vater warum? fiel meine Mutter ein?
weil ich ſterbe und mich ihrer in dieſer Welt
nicht annehmen kann liebe Mutter. Schade
daß ich es nicht kann! Wie ich Alexander
und ſie die Tochter des Darius war — dencke
nicht mehr daran ſagte meine Mutter, wolte
Gott du waͤreſt Joſeph und die alte Babbe
(Barbara) Potiphars Weib geweſen — hab’
ich gefunden daß ſie verdiente Koͤniginn zu
ſeyn. Ich hab’ ihr nie geſagt daß ich ihret-
wegen des Amtmanns — — Chriſtoph
zwei Finger gelaͤhmt — Gott ſtaͤrk ſie wenn
es dem Chriſtoph nuͤtzlich und ſeelig iſt. Ich
meine ſeine beide Finger. Chriſtoph behauptete
Minchen ſey verwachſen das iſt ſie nicht ſagt
ſelbſt liebe Eltern? Das iſt ſie nicht verſicher-
ten beide und ich fuͤgte noch einmal hinzu das
iſt ſie nicht. Nach meinem Tode fuhr ich fort
entdeck ihr liebe Mutter meinen Streit mit
Chriſtoph und daß ich ihr gut geweſen bis in
den
[137] den Tod, denn ich moͤchte gern daß ſie mich
nicht vergaͤße und mir auch gut waͤre bis in
den Tod. Meinen Benjamin gruͤßt von mir
auch den Chriſtoph. Die Sonne gieng nicht
unter waͤhrend unſerm Zorn. Gruͤßt das
ganze Heer! — Nicht wahr mein Vater
jetzt kann kein andrer als Benjamin im
Dorfe Alexander werden (Joſeph wilſt du ſa-
gen ſagte meine Mutter und druͤckte mir die
Hand)
Alexander erwiedert’ ich will ich ſagen.
Meine Mutter ſahe meinen Vater an, mein
Vater ſah’ auf die Erde. Benjamin fuhr
ich fort hat zwar die rechte Hand nicht in
ſeiner Gewalt, allein ſonſt iſt’s ein guter
Junge. Ehrlich und treu wie der Wieder-
hall. Das Bein verwaͤchſt ſich vortreflich,
und fallen gleich die lateiniſche Reden weg;
im Lettiſchen iſt er Alexander. Minchen,
Benjamin und ich waren Caſtor Pollux und
Helena. Ein Drittel dieſes Dreiblats welkt
Gott ſegne die Zuruͤckgebliebenen mit dem
Thau ſeiner Gnade. Wenn Minchen hei-
rathet ich moͤcht’ es nicht gerne, wenn aber —
ſehet zu liebe Eltern, daß ſie einem ehrlichen
Kerl ihre Hand giebt und nun — und nun —
hier ſtockt’ ich lebt wohl meine theure liebe,
guͤtige
[138] guͤtige Eltern lebt wohl! lebt wohl! Hier
nahm ich alle ihre Haͤnde zuſammen und
kuͤßte ſie und ſagte: Gott vergelt’ euch alles
Gute. Dir liebe Mutter das Geraͤucherte
unterm Kupferſtich. Seyd Minchen und
Benjamin gut liebe Eltern und wenn es ſeyn
kann laßt mich hinter der Kirche an dem gro-
ßen ſchwarzen Kreutze begraben wo mein lieb-
ſtes Lager war. Lieber Vater du weißt den
Platz ſo gut wie ich. Minchen wird, das
weiß ich, ſich gern auch da begraben laſſen —
wenn anders ihr Mann es zugiebt, und auch
ihr meine liebe Eltern wenn ihr ſo guͤtig ſeyn
woltet ruhet zuſammen mit mir bis an den
Morgen des juͤngſten Tages — Dann geh’
ich mit Minchen wie ein Braͤutigam mit ſei-
ner Braut aus der Schlafkammer. Eine
lange Brautnacht — Mein Herz bebt vor
dem Wort lange zuruͤck! Gott ſchenck uns
allen eine angenehme Ruhe — Wir weinten
alle. Die Thraͤnen meiner Mutter floſſen
ſanft, ſo ſanft als ein warmer Mairegen.
Mein Vater war heftig. Stirb ſagt’ er im
Namen Gottes der Himmel und Erde ge-
macht hat, und meine Mutter: Amen, und
ich: Gott mit euch in alle Ewigkeit und wir
alle drey zuſammen Amen! Amen!
Nach
[139]
Nach einer kleinen Weile fragte mich
mein Vater ob ich noch Minchen oder Ben-
jamin, oder beyde zuſammen ſehen wolte —
Minchen? ſagt’ ich heiter Minchen! Nein —
Minchen nicht lieber Vater, ſie wuͤrde ſich zu
ſehr graͤmen wenn ſie ihren Gemahl Alexan-
der ſterben ſehen ſolte. Sie hat mich blos
als Ueberwinder geſehen. Benjamin? auch
nicht er wuͤrd’s ihr vorwimmern was er geſe-
hen gehoͤrt und empfunden hat, Benjamin
iſt ein guter Junge nicht wahr lieber Vater?
Er muß Alexander werden? Lang genug iſt
er Darius geweſen — und in Wahrheit es
iſt nicht viel Darius zu ſeyn. Er und ich
waren gute Feinde zuſammen eine Seel’ in
zween Leibern
Dieſes alles brachte mich auf ein Codicill.
Ich aͤnderte mein Teſtament und bat meine El-
tern Minchen nichts auch nichts vom Chriſtoph
auch nichts vom großen Kreutz zu eroͤfnen, we-
nigſtens die Publication des Teſtaments noch
viele Jahre auszuſetzen. Meine Mutter die mit
der Anfrage meines Vaters die zween Lieblinge
meines Herzens noch in dieſer Welt zu gruͤßen
unzufrieden geworden freute ſich, daß alles
ſo vortreflich beigelegt und der vorige Druck-
fehler verbeſſert war. Er iſt ſchon ein Engel
ſagte
[140] ſagte ſie und es war voͤllig klar in ihrem Ge-
ſichte! werden wird ers ſagte mein Vater.
Bey ihm ſah’ es noch ſehr finſter aus. Der
Platzregen hatte aufgehoͤrt allein eine Gewit-
terwolke hielt ihn zuruͤck, und man hoͤrte
von ferne ein Donnerwetter murmeln. Ich
bin ruhig ſagt’ er, und das iſt immer der
groͤßte Beweis, daß mann’s nicht iſt. Nichts
iſt ſo leicht anzuſehen als Ruhe: Ein Hof-
mann ſelbſt koͤnnte ſie nicht verbergen wenn
er die Ruhe je zu kennen die Gnade gehabt!
Im Grunde war er ſo ruhig als ein Mann
dem Haus und Scheuren abgebrandt ſind und
dem ein gutgeſinnter Nachbar ein Kaͤmmer-
lein mit einer Klinke eingeraͤumet hat.
Mein Feierabend bricht heran, wilſt du
nicht ſagt’ ich Licht bringen liebe Mutter!
das hin und her thut wanken bis ihm die
Flamm gebricht, als denn fein ſanft und
ſtille, laß Herr mich ſchlafen ein!
Meine Mutter ſetzte hinzu nach ſei-
nem Rath und Willen wenn koͤmmt dein
Stuͤndelein;
Mein Vater wurde von dieſer letzten Oe-
lung unterrichtet ohne daß man dabey des
Eyerheiligen dachte und ſeine Seele war ge-
ruͤhret. Es fielen große Tropfen.
Noch
[141]
Noch nicht ſagte meine Mutter! zu mir
dein Aug’ iſt noch zu hell. Dies ſoll das
letzte ſeyn damit du die letzte Worte noch im
Himmel ſingen kannſt.
Mein Vater ermannete ſich nach einer
Weile um mich mit der Stadt Gottes be-
kannt zu machen. Er hatt’ einen andern
Himmel fuͤr ein Kind einen andern fuͤr meine
Jahre. Wir ſprachen viel. Ich fragt’ ihn
ſo als ob er ſchon da geweſen, und er ant-
wortete mir ſo. Ich will nur etwas an-
fuͤhren
Seine Meinung war, daß die Ver-
wandlung eben ſo groß nicht ſeyn wuͤrde.
Wir koͤnnen ſagt’ er nichts mehr durch ein
Sehrohr ſehen was wir nicht ſchon durchs
Auge geſehen haben.
In dieſer Welt ſehen wir in der Ferne
eine Menge Menſchen wie Duͤnſte aus der
Erde ſteigen, wie Geſtraͤuch — im Himmel
kommen wir dieſem Menſchenklumpen naͤher,
wir kennen ſie, wir geben ihnen die Hand,
indeſſen blieb uns wol auch in der Welt ein
Haar auf ihrem Haupte verborgen? In
der Welt iſt alles gezeichnet dort iſt’s ausge-
mahlt. Was wir hier im Kleinen ſahen,
geht uns dort im Großen auf. Was iſt in
der
[142] der Welt fuͤr eine Wiſſenſchaft die nicht ſchon
in unſrer Seele laͤge? Nur Licht herein ge-
bracht und alles iſt aufgedeckt — der ge-
meinſte Menſch begreift alles, noch mehr,
er weiß alles was du ihm ſageſt. Gieb ihm
den erſten Buchſtaben er giebt dir den zwei-
ten. Wir lernen nichts was eigentliche Wiſ-
ſenſchafft, bleibende Kenntnis himmliſche
Wahrheit iſt. Die Seele iſt ein geſtimmtes
Inſtrument das nur geſpielt werden darf,
und wenn du die Kunſtwoͤrter von der Sache
abnimmſt, dieſe Ruͤſtung die einem kleinen
Koͤrper das Anſehen eines Rieſen giebt, findſt
du nichts unerwartetes: wenn du die Treſ-
ſen vom Kleide abſonderſt, iſt’s dem gemein-
ſten Mann als haͤtt’ er ſein eigen Kleid an.
Quantum eſt in rebus inane! Die Gelehrten
bemuͤhen ſich weislich dieſes ihr Kunſtſtuͤck
nicht zu verrathen, weil ſie damit auf die
Maͤrkte ziehen und große bunte Zettel drucken
laſſen um ſich vor Geld zu zeigen.
Iſts denn Wunder wenn der Gelehrte
dem Ungelehrten in der andern Welt nichts
nachgeben wird! O ihr Thoren die ihr glau-
ben kontet ein Gelehrter wuͤrde dort ſchon
eine hoͤhere Claſſe der himmliſchen Gluͤckſee-
lichkeit betreten als ein Bauer. Der letzte
wird
[143] wird in Wahrheit nur ein kleines noͤthig haben
um dem Gelehrteſten gleich zu ſeyn. Der einzige
Unterſchied zwiſche einem Gelehrten und Unge-
lehrten in der andern Welt wird ſeyn, daß der
erſtece mehr vergeſſen muß als der leztere um
himmliſch zu wiſſen was er weiß: und was
iſt ſchwerer? vergeſſen was man nicht halb
nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beym
rechten Ende faſſen? Der Litteratus (welches
in Curland gemeinhin ein gekaufter Tittel
iſt) wenn ihm auch dieſes Diplom ſeiner
Geſchicklichkeit wegen ohne Geld und gute
Worte zugeſtanden werden kann, hat nicht
Urſache ſtoltz zu ſeyn, denn der Unwiſſende
unterſcheidet ſich vom Wiſſenden blos darinn
daß dieſer Sagen Ausſprechen kann, was
beide wiſſen, und das erſte Capittel von dem
was ſie beide nicht wiſſen. Ein ſchoͤnes Buch
das wircklich ſchoͤn iſt, das von Herzen kommt
und zu Herzen geht, was meineſt du? haſt
du das nicht alles gedacht was drein ſteht.
Du haſt nur — eine Kleinigkeit — nicht
das Buch ſelbſt geſchrieben. Du haſt nichts
gelernt, ſondern nur mit dieſem Buch Feuer
in deiner Seele angefacht.
Mein Vater nahm Gelegenheit dieſe Saͤtze
auf Vernunft und Religion anzuwenden
KAber
[144] Aber die Sprachen ſagt’ ich lieber Vater?
Nur ein’ iſt da und keinem wird ein Wort
fehlen. Sieh! wie fein und lieblich iſt’s,
wenn Bruͤder eintraͤchtlich bey einander woh-
nen wirds von Gedanken und von Worten
heißen. Es werden Zwillinge ſeyn, wie Nach-
bars Kinder werden ſie zuſammenhalten.
Hier fuhr er fort, lernen wir Spra-
chen um mit der Natur umgehen zu koͤn-
nen. Wir wollen uns ihr gerne bequemen
und da ihre Hofſprache unbekannt iſt, halten
wir viele Sprachen in Bereitſchaft, und
kommen, da kein Menſch mehr als eine Spra-
che recht wiſſen kann, mit einem Frachtwagen
voll Grammaticken und Woͤrterbuͤchern um
bey der Koͤnigin Natur mit Beyhuͤlfe dieſer
Dolmetſcher Audienz zu haben!
Die Natur verſteht wie Gott der Herr,
eben ſo gut deutſch als griechiſch und latei-
niſch, auch ſie will nicht mit Worten ſondern
im Geiſt und in der Wahrheit verehret ſeyn.
Eine Sprache iſt der Hauptſtul das eigent-
liche Capital, die andern ſind die Zinſen.
In dieſer Welt ſprachſt du mit Gott
deutſch. Jachnis ſpricht lettiſch mit ihm.
Wenn ein Deutſcher franzoͤſiſch betet laͤßt
er ſich vom lieben Gott franzoͤſiſche Vocabeln
uͤber-
[145] uͤberhoͤren. Die letzten Worte ſind all in der
Mutterſprache auch die lezten Seufzer ſo.
Da kommt gemeinhin alles an Stell und Ort.
Man ſagt ſogar daß ſich das ganze Geſicht im
Sterben veraͤndere und der Hofman wie ein
andrer Menſch ausſehe und der Cain ohne
Zeichen da laͤge alles in Gottes Gewalt —
Zu jeder Sprache das weißt du lieber
Junge denn du haſt außer der commandiren-
den Deutſchen mehr als eine; gehoͤrt eine
andere Zunge und ein andrer Menſch. Von
der, in der andern Welt laͤßt ſich glaub ich
kein einzig Wort auch nicht einſt lieber Gott
mit einer Menſchenzunge ausſprechen. Da
fehlts am r, am h, am l, und an jedem
Buchſtaben. Eine Engelzunge iſt uns von-
noͤthen.
Meine Mutter ſang mitten unter dieſer
Predigt da mein Vater Othem holte —
K 2Mein
[146]
Mein Vater lehrte mich nachdruͤcklich
das Irrdiſche, das Hinfaͤllige das Hecktiſche
in dem groͤßten Theil der menſchlichen Kent-
nis und da er nur ein wenig anhielt fieng
meine Mutter wieder an
Hiſtorie fuhr mein Vater fort iſt darum
gut, damit ſich nicht die Kaufleute freuen
wenn Kinder und Narren zu Markt kommen,
und Erdbeſchreibungen und Reiſen zu Waſſer
und zu Lande und Weltentdeckungen, damit
wir uns ſelbſt entdecken und kennen lernen.
Ich leſe das weißt du ſehr gerne Reiſen
um in mich ſelbſt zu kehren, ich freu mich
uͤber jede neue Voͤlkerentdeckung, weil ich
hiedurch den Schluͤßel zu mir ſelbſt und zu
meinem Nachbaren finde. Von Anbeginn
iſt’s ſo nicht geweſen wie es jezt in der
Welt iſt.
Meine Mutter hatte vieles in dieſer Pre-
digt gefunden was ihr zu proſaiſch war. Ihr
Himmel
[147] Himmel beſtand aus einer Schaar heiliger
Saͤnger und Saͤngerinnen. Da pflegte ſie
ſonſt zu mir zu ſagen werden wir nicht reden,
ſondern alles wird Muſik ſeyn. Lauter Duet-
tos und Terzetten, Reeitativen und — ſie
wand indeſſen jetzo nur blos mit dem Kopfe
ein, den ſie zuweilen von der Lincken zur
Rechten, wie die meiſten Menſchen ihre
Koͤpfe zu ſchuͤtteln gewohnt ſind, ſchuͤttelte.
Wenn mein Vater nur Etwas ſtill hielte,
wolte ſie anſtimmen, indeſſen konnte ſie kei-
nen Tackt zu Ende kommen mein Vater grif
beſtaͤndig ploͤtzlich an.
Es iſt ein Gott! deine Seele iſt ſein
Hauch, er iſt! er war! er wird ſeyn! Sein
Bevolmaͤchtigter iſt das Gewiſſen. Du fuͤhlſt
dieſen Machthaber wenn du ihn gleich nicht
ſieheſt als einen gegenwaͤrtigen Zeugen, wenn
du im Stillen Gutes oder Boͤſes thuſt. Er
iſt mit dir er geleitet dich um dich dort als
Buͤrger in der Stadt Gottes einſchreiben zu
laſſen mit einem neuen Namen, der uͤber alle
Namen in der Welt iſt.
Gottes Guͤte ſeine Gerechtigkeit iſt’s daß
wir im Tode nicht gar aus ſind, ſeine Barm-
herzigkeit hat kein Ende! Nun iſt ſie am
Morgen der Ewigkeit! Welch eine Sonne
K 3die
[148] die dann aufgeht! Welch ein Wort Ewigkeit!
Etwas ohn Ufer und ohne Grund.
Dort haben wir nicht noͤthig uns um
einander zu bekuͤmmern. Die Eltern brau-
chen keine Pflege die Kinder keine Stuͤtze:
das Ganze wird unſer Gegenſtand ſeyn.
Gott der in uns angefangen hat das gute
Werck wirds vollenden in Ewigkeit. Wir
werden ihn ſehen von Angeſicht zu Angeſicht,
jetzt ſehen wir ihn im Spiegel, der ſeine Welt
iſt den er uns vorhalten ließ, und da unſer
Standort dunkel war, ſahen wir nur wenig,
nur daß er war! Dort werden wir ſehen
was er iſt!
Seelig ſind die Todten die im Herrn ſter-
ben! Sie ſtaͤrcken ſich durch einen ſanften
Schlaf zu himmliſchen Beſchaͤftigungen um
zu erwachen nach Gottes Bilde. Muß der
Menſch nicht hier immer im Streite leben?
Seine Tage ſind wie eines Tageloͤhners.
Man legt ihn in die Erde, und wenn man
ihn morgen ſuchet, beſchaͤmt ihn der Stuhl
wo er ſaß, das Buch das er eben geleſen hat,
denn er iſt dahin, den Sucher ergreift ein
Schauder. Heil dem der in der Jugend
vollendet wird! Er kommt froh zum Grabe
wie Garben mit Jauchzen eingefuͤhret werden
zu
[149] zu ſeiner Zeit — du wirſt liegen und ſchla-
fen ganz mit Frieden denn allein der Herr
hilft dir daß du ſicher wohneſt — —
Zu allem dieſem ſprach meine Mutter
den Seegen. Empfange ſagte ſie mit geruͤhr-
tem Herzen hierauf den Seegen des Herrn.
Der Herr laſſe leuchten ſein Angeſicht
uͤber euch und ſey euch gnaͤdig
und da kein Chor antwortete; ſetze ich, ſagte
ſie ſelbſt hinzu
Der Herr erhebe ſein Antlitz auf uns
und gebe uns ſeinen Frieden Amen.
Sie ſprach dieſe Worte mit einer ſo zu-
verſichtlichen Seegensſtimme, daß meine
Seele das Licht ſahe, das mir leuchten ſolte
bey dem ſchrecklichen Todesgang: und die
Huͤlfe empfand die mir helfen wuͤrde bey dem
allerletzten letzten Todesſtoß.
Kaum hatte ſie ihn aber mit Herzen
Augen Mund und Haͤnden ausgeſprochen,
ihr Auge war gen Himmel gerichtet ihre
Haͤnde hatt’ ſie auf mich gelegt — kaum
hatte ſie Amen geſagt; ſo ward ſie des See-
gens wegen verfolgt weil der Candidat mit
den langen Manſchetten der vor vieler Zeit
wie meine Leſer ſich erinnern werden einen
Kalecutſchen Hahn verzehren geholfen waͤh-
K 4rend
[150] rend des Seegensſpruchs ins Zimmer getre-
ten war. Es war dieſer gute Mann in der
Bauskeſchen Praͤpoſitur, welche ſo wie die
Seelburgſche den dreygliedrigen Seegen ange-
nommen hatte.
Der Herr Superintendent Alexander
Graͤven unter deſſen Regierung wie meine
Mutter zu ſagen pflegte, ich leider! das Licht
der Welt erblickt, hatte im Jahr eintauſend
ſieben hundert und achtzehn den dreygliedri-
gen Seegen eingefuͤhret: indeſſen blieb meine
Mutter ſo wie beym alten Calender, ſo auch
beym alten Seegen, wenn er gleich ein Glied
weniger hatte.
Meine Mutter die wie Brutus nicht mehr
auf den Sohn ihres Leibes ſondern aufs Un-
ſichtbare und allgemeine und was noch mehr
war, die Ehre der Kirche und ihre Ord-
nung ſahe, gerieth in Paul Einhornſchen
Eifer, ſprach wider die Regierung nicht des
Herzogs Ferdinands ſondern des Graͤvens,
aͤrgerte ſich, daß ich und er Alexander hießen.
Er, weil ein wuͤrdiger Einhorn ſo geheißen
Ich, weil man außer vielen andern Be-
dencklichkeiten die ſie hatte auf den wie ſie ſagte
unſeligen Gedanken kommen koͤnnte, daß ich
von
[151] von dieſem dreygliedrigen Alexander Graͤven
den Namen empfangen haben koͤnnte.
Dem Herrn M. Adolph Grot Paſtor in
Windau, der ſich des alten Gebrauchs an-
genommen, ſetzte ſie eine Maͤrtyrer Krone
auf und dem Herrn Paſtor Chriſtoph Sen-
nert der des dreygliedrigen Seegens wegen
Kreutzzuͤge thun mußte und in gewiſſer Art
Faͤhnchenfuͤhrer war, hatte ſie keinen Seegen
auf den Weg gewuͤnſcht, wenigſtens ſolten
ſeine Gebeine nicht im Vaterlande verweſen,
welches auch nur wie ſie ſagte zweygliedrig
waͤre: Curland und Semgallen.
Ich will nicht hoffen daß eben wegen die-
ſes Unſeegens (Flug war es nicht) dieſer
Graͤvenſche Adjudant unſtaͤt und fluͤchtig ge-
worden und auch wuͤrcklich in der preußiſchen
Grenzſtadt Memel ſein unruhiges Leben wie-
wol ſchluͤßlich wie Paul Einhorn ſanft und
ruhig geendiget hat.
Es wuͤrde kein Seegen fuͤr meine Leſer
ſeyn, wenn ich ihnen den Streit meiner Mut-
ter und des Heern Candidaten aus einan-
derſetzen ſolte.
So viel zur Nachricht, daß dieſer See-
gensſtreit in Curland durch den landtaͤgli-
chen Schluß vom ein und dreyßigſten Julius
K 5ein
[152] ein tauſend ſieben hundert und drey und dreyßig
und durch die Verordnung vom neunzehnten
Auguſt ein tauſend ſieben hundert und drey und
dreyßig in der Art beigeleget worden, daß
meine Mutter zwar nach der Zeit einſahe, es
ſolt’ in Curland nicht mehr zweygliedrig ge-
ſeegnet werden, indeſſen was ſind Edicte und
landtaͤgliche Schluͤße dem Gewiſſen? Sie
lebt’ und ſtarb nach dem alten Calender und
nach dem alten Seegen, und wenn ſie gleich
oft und viel nicht wieder den Strom ſchwim-
men konnte, hofte ſie doch es werde alles ein
Ende gewinnen daß wirs koͤnnten ertragen
Denen Unglaͤubigen die vielleicht auf den
Gedanken kommen koͤnnten, daß ich ein
Maͤhrlein erzaͤhlet, zur Beſchaͤmung, will ich
woͤrtlich die ſeegensreiche Verordnung unter
die Augen ſetzen, welche den neunzehnten
Auguſt ein tauſend ſieben hundert und drey
und dreßig in der Reſidenz Mitau gegeben
worden.
Von Gottes Gnaden wir Ferdinand, in
Liefland zu Curland und Semgallen Herzog.
Geben allen Einſaaßen dieſer Herzogthuͤmer
zu vernehmen daß in dieſem letzten landtaͤgli-
chen Schluß vom ein und dreyßigſten Julius
jetzt-
[153] jetztlaufenden Jahres wolbedaͤchtig und alle
bisherige Diſcrepance und angewachſene
Streitſchriften unter den Geiſtlichen in dieſen
Herzogthuͤmern einmal zu heben, den drey-
fachen Seegen beyzubehalten und durch Pu-
blicationes feſtzuſetzen, beſchloſſen worden.
Dahero wir denn Kraft dieſes unſers Patents
ſowohl dem wohlehrwuͤrdigen und hochgelahr-
ten Herrn Alexander Graͤven, Superinten-
denti und Paſtori primario zu Mitau als allen
ehrwuͤrdigen und hochgelahrten Praͤpoſitis
dieſer Herzogthuͤmer auch ſaͤmtlichen uͤbrigen
wuͤrdigen und wohlgelahrten Paſtoribus in
Gnaden befehlen, daß ſie ſolchen dreyfachen
Seegen der in verſchiedenen Kirchen allhier
bereits angenommen, ſo fort wo es noch noͤ-
thig gleichfalls einfuͤhren und den zweyfachen
kuͤnftighin nachlaſſen moͤgen. Gewaͤrtigen
auch ein Gleiches von den Prieſtern der ade-
lichen Kirchen, und wollen gnaͤdigſt daß zu
aller Wiſſenſchaft dieſes Patent drey Sonn-
tage nach einander in deutſch und undeut-
ſcher Sprache von den Kanzeln verleſen auch
nachgehends ad valuas templi affigiret wer-
den ſoll. Uhrkundlich unter dem fuͤrſtlichen
Innſiegel und unſerer Unterſchrift. Gege-
ben in der Reſidenz Mitau den neunzehnten
Auguſt
[154] Auguſt ein tauſend ſieben hundert und drey
und dreyßig.
Mein Vater der es beſtaͤndig mit dem
weltlichen und nicht mit dem geiſtlichen Arm
hielt, miſchte ſich gar nicht in dieſen See-
gensſtreit des Herrn Candidaten und meiner
Mutter; obſchon ich aus anderweitigen Aeuſ-
ſerungen weiß, daß ers dem Herrn Supe-
rintendenten nicht verzeihen konnte, daß der-
ſelbe eigenmaͤchtige Veraͤnderungen zu ma-
chen ſich unterfangen haͤtte. Er war ſo gleich-
ſtimmig mit der Wohlgebohrnen Ritter und
Landſchaft, daß man glauben ſollen er ſelbſt
haͤtte den landtaͤglichen Schluß vom ein und
dreyßigſten Julius ein tauſend ſieben hundert
und drey und dreyßig entworfen, den ich
meinen Leſern aber nicht fuͤr die Augen ſtel-
len will.
Jetzt war mein Vater waͤhrend dem See-
gensrauch gantz ſtill und blickte zuweilen auf
mich ſeinen zweygliedrig eingeſegneten Sohn.
Da es ſich zum Waffenſtillſtand anlies, der
dem Herrn Candidaten um ſo rathſamer war,
als er waͤhrend dem Streit fallen laſſen, daß
er heiß hungrig ſey: indem inuita Minerva
wohl ſchwerlich ein Kalekutſcher Hahn wieder
ſein Theil geworden waͤre.
Da,
[155]
Da, ſag’ ich, der Herr Candidat ins
Winterquartier zog, nahm mein Vater das
Praͤſidium bey dieſem Diſputations Actu und
ſagt’ Etwas was weder den Opponenten noch
Reſpondenten traf
Von Gott fieng er an kommt aller See-
gen. Meine Mutter nahm dies Wort wolte
Gott ſagte ſie Sie haͤtten Seegen fuͤr meinen
Sohn mitgebracht.
„Hier iſt ein Brief vom Doktor Saft und
„er ſelbſt wird auch noch heut hier ſeyn.„
Er lebt? ſagte meine Mutter
und ich zu gleicher Zeit er lebt indeſſen ſezt’
ich noch das Wort alſo hinzu. Wir haͤtten
auch fragweiſe lebt er? die Sache nehmen
koͤnnen, und ich haͤtte das alſo alsdenn viel-
leicht geſpart, indeſſen, wolten wir ohn Zwei-
fel den Accent auf Er legen, und es war ein
Frag und Verwundrungs Zeichen bey den
Worten er lebt an Ort und Stelle.
Der Candidat der nicht zu wiſſen ſchien
ob von geiſtlichem oder leiblichem Leben die
Rede waͤre; zog ſeine Handblaͤtter weiter her-
aus, denn dieſe Frage war ihm in alle Wege
ſo beſonders daß er die Antwort hervor zie-
hen mußte.
Meine
[156]
Meine Mutter kam ihm entgegen und
ſetzte die Frage durch eine andere ins Licht.
Iſt er nicht todt? und nun waren die
Mannſchetten heraus und die Antwort
Ich hab ihn friſch und geſund gelaſſen —
und woher todt fragte mein Vater? Dieſe
Frage befremdete meine Mutter noch mehr
als ihre und meine Frage den Herrn Candi-
daten. Sie wolt’ indeſſen meinen Vater
keiner Luͤge beſchuldigen und ihn oͤffentlich be-
ſchaͤmen.
Mein Vater las den Brief und ſagte mit
einer Stimme außer Gefahr, daß es mir auf-
fiel mein Leben ſey ihm nach den verbrand-
ten Papieren gleichguͤltiger geworden. Es
war ihm ſo als wenn ein Sterbender eine
Penſion bekaͤme, auf die er zwanzig Jahr
gehungert, oder wenn Jemand dem all ſein
jetziges und kuͤnftiges Haab und Gut heut
confiſciret iſt, morgen hundert tauſend Du-
caten durch einen Rechtsſpruch gewinnt.
Ich hab’ es oft belebt, daß der beſte
Freund wenn er ſeinen ſterbenden Jonathan
beweint hat, im Anfang gleichguͤltig iſt,
wenn er hoͤrt dein Freund Jonathan lebt.
Er ſchließt nach ſeinem erlittenen, nach ſei-
nem uͤberwundenen Schmerz, auf den der
ihm
[157] ihm noch bevorſtehet. Bey meinem Vater
wie oben —
Welch eine Veraͤnderung bey ihm! welch
eine bey mir! Meine Mutter blieb wie ſie
war, ich fuͤhlte mich die Minute beſſer, da
dieſe Worte ausgeſprochen wurden. Es war
Schlag auf Schlag. Die Krankheit hatte
mich ſchon vorhero verlaſſen, nur ich nicht
die Krankheit. Ich getraut’ es mir nicht
zu glauben, daß ich geſund waͤre. Lieber
Herr Candidat, Sie haͤtten unter uns geſagt
den Seegen zuletzt laſſen ſollen wie es Sitte
in der Chriſtenheit iſt.
Warum ſoll ich’s leugnen, daß mir jetzo
mein letzter Wille zuſammt dem Codicill in
Abſicht Minchens herzlich leid zu thun an-
fing, ich moͤchte wiſſen was die Urſache war?
ich wurde mal auf mal im Bette blutroth,
als wenn mir das Gewiſſen ins Geſicht ſaͤhe.
Um alles in der Welt willen haͤtt’ ich das
Teſtamentum nuncupatiuum zuruͤck gehabt.
So gerne meine Mutter es wiſſen mochte
wie das ganze Brief Mißverſtaͤndnis entſtan-
den waͤre unterfing ſi’es doch nicht die Auf-
loͤſung in des Candidaten Gegenwart abzu-
fragen. Die verfluchten Briefe! uͤberall wo
ſie
[158] ſie ſind, ſind Falten und Verwickelungen! Spi-
tzet nicht eure Federn Kunſtrichter wenn ſie in
Romanen und auf dem Theater große Rol-
len ſpielen. Es iſt wahr ſie ſind der faule
Knecht fuͤr unſere Theaterdichter, denn wo
wuͤrden ſie ohne Briefe einen gordiſchen Kno-
ten hernehmen? und wie wuͤrde ſie die Kno-
ten ſo alexandriſch als durch eine Antwort
auf dieſen Brief entzweyhauen? allein ſiehe
da! wie die Natur ſpielt auch in einer wah-
ren Geſchichte ein Brief! und gewiß nicht
der letzte.
Die blanken Naͤgel waren mir nicht mehr
im Wege ich bekam Appetit eine von den
Wuͤrſten zu eſſen die meine Stelle vertre-
ten ſolten.
Aus dem Bett ſagte mein Vater wenn
du eſſen willſt! kein Menſch muß im Bette
eſſen und trincken. Es iſt ſchon zuviel daß
man darinn ſchlaͤft oder ſtirbt. Wer auf der
Erde ſtirbt, ſtirbt auf dem Bette der Ehren.
Er nimmts mit der Krankheit auf —
Da ſtand ich wie mich Gott geſchaffen
hat bis aufs Hemde —
Obgleich meine Mutter es gern geſehen,
wenn ich der Kranckheit ſtandeshalber das Ge-
leite gegeben; uͤberſah ſie dennoch dieſe Suͤnde
wider
[159] wider das Etiquette um vielleicht meinen
Vater zur Erkenntlichkeit in Beſchlag zu neh-
men, welche darinn beſtehen ſolte daß er ihr
zu ſeiner Zeit das Geheimnis des Briefes
und der Feuersbrunſt entdecken moͤchte. Ich
glaub’s ſchwerlich liebe Mutter, wenn du
nicht durch die Kuͤnſte der Palingeneſie — —
Der Docktor fand mich beym Geraͤucher-
ten und das war meinem Vater gewonnen
Spiel. So ſagt’ er ſolte der Docktor jeden
treffen, gelt! wir wuͤrden weniger Patien-
ten und mit Erlaubnis Herr Docktor —
weniger Docktores haben. Der ehrliche
Saft ſchaͤmte ſich dem Puls die Hand zu
geben. Nach einigem Bedencken, nahm er
ſein ganzes Docktoranſehen zu Huͤlfe fuͤhlte
wirklich Schande halber nach dem Puls, in-
deſſen that er’s verſtohlen und ſo ungefehr als
ein Hochwohlgebohrner Herr, wenn er eines
ehrlichen Buͤrgers Tochter geheirathet, ſeinem
Herrn Schwiegervater die Hand giebt —
Ich riß mir die Hand loß um das abgeſchnit-
tene Stuͤck an ſeinen Ort zu ſtellen — Der
Herr Schwiegervater ſolt’s auch ſo machen.
Warum aber Geraͤuchertes fragte der
Docktor „weil ers gewolt„ (mein Vater und
meine Mutter) Hierinn war meine Mutter
Lmit
[160] mit meinem Vater gleichlautend, denn ſie
hatte Beyſpiele, daß viele Leute mit Sau’r-
kraut von hitzigen Fiebern und kalten Fiebern
und faulen Fiebern und Flußfiebern und Sei-
tenſtechen und Entzuͤndung der Lunge, und
Entzuͤndung der Leber und Entzuͤndung des
Gekroͤſes und Frieſeln und Schlagfluͤßen und
Herzgeſpann und vielen Suchten und Gich-
ten curirt waͤren. Die Stimme des Magens
war ihr eine heilige Stimme.
Der Docktor Saft und ſein Freund der
Herr Candidat fanden fuͤr gut drey Tage bey
uns zu bleiben. Ich will nicht hoffen Herr
Candidat um auch hierinn dreygliedrig zu
ſeyn! Meiner ſonſt gaſtfreyen Mutter waren
ſie unausſtehlich, denn ſie ward wegen des
Briefſtaubes durch ihre Gegenwart entſetzlich
gemartert. Es zog der Docktor Saft waͤh-
rend dieſer dreyen Tage mit andern Leuten in
der Nachbarſchaft Schach und war froͤlich
und guter Dinge als ob er immer gewoͤnne.
Schon ehe der Docktor angekommen war,
hatte mein Vater den Staub der mich am
allererſten als ſeines Gleichen bewillkommen
ſollte, in weißes Papier eingeſarget; ich
glaub es war ein großer Bogen Poſtpapier,
weil wenn gleich die Thraͤnen nicht alles zu-
ruͤckhal-
[161] ruͤckhalten koͤnnen, und vieles in die Luft
geſprengt war doch immer von einer hand-
voll Papier ziemlich viel geweihte Aſche zu-
ruͤckbleiben mußte.
Er ſchien mir indeſſen da ich zuſahe, daß
mein Vater dieſe Aſche nur vor der Hand
in ſein Nußbaum Schraͤnckchen beyſetzte weil
das Paradeſarg noch nicht fertig war.
Kaum hatte der Docktor, der unvermu-
thet nach drey Tagen zum Uhrwerk eines
andern Pulſes zu reiſen nothwendig fand (ſonſt
waͤr’ er laͤnger geblieben) mit ſeiner Hand
meinem Vater und Mutter zum letzten mal
einen Kuß zugeworfen und ſich tief heraus-
gebogen. Kaum war er ihrem Auge ent-
fahren (der Candidat ſein Freund war eine
Stunde fruͤher ohne eine ſolche feyerliche Be-
gleitung und ohne einen Kußwurf abgereiſet)
fing meine Mutter an
Der Brief — — — Um Verzeihung
liebe Mutte! warum? Schach dem Koͤnige!
warum gleich mit dem Hauptwort? Eine
Hauptſchlacht iſt bey einer ſolchen Gelegenheit
nicht immer das rathſamſte. Warum ſo ge-
rade zu und nicht durch ein Stratagem? fuͤr
Helden die in einem Jahre die Geographie
L 2ſo
[162] ſo unbrauchbar machen koͤnnen, wie den
vorjaͤhrigen Calender iſt freilich kein Strata-
gem: Eine liebe Frau Paſtorinn aber die
keinen Beruf zur Amazonin hat, kann den
Vogel im Neſte greifen —
Was fuͤr ein Brief erwiederte mein Va-
ter? Mich duͤnkt eine ſchlechte Deckung auf
Schach dem Koͤnige. Meine Mutter war
auf dieſe Frage unbereitet; indeſſen verlohr
ſie noch nicht den Muth: ſie hatte Huͤlfs-
voͤlker in Bereitſchafft.
Den du eingeaͤſchert haſt ſagte ſie und
ſetzte in einem Tone mein Kind dazu, daß
man wohl einſahe, wie ſie wenn es nicht
anders waͤre auch zum edlen Frieden bereit
ſey. Noch ſtreckte ſie indeſſen nicht das Ge-
wehr. Ich hielte ihn ſagte ſie fuͤr einen Brief
vom Herrn Docktor Saft (ſie nanndte ihn
Herr welches ſie mit Abweſenden ſelten that
es waͤre denn daß ſie vom Herrn Superin-
tendenten geſprochen haͤtte; auch die Herren
Praͤpoſiti hatten ſchon dieſen Vorzug, nur
der Bauskeſche und Seelburgſche ausgenom-
men, die Dichter hatten alle Herr)
Dieſer Brief hat uns alle in Unordnung
und Verwirrung gebracht. Ich dachte Saft
ſey todt.
Du
[163]
Du haſt unrecht gedacht mein Kind
Aber der Brief ſagte meine Mutter. Sie
war einmal in Unordnung und wie eine Uhr
die unrichtig iſt ſo lang von eins bis zwoͤlf
immer fort ſchlaͤgt bis das Gewicht abgelau-
fen iſt war auch ſie mit ihrem: der Brief.
Glaube mir mein Kind erwiederte mein
Vater es giebt nicht Aexzte, Wundaͤrzte
giebts hier und da einen. Hier folgte ein
langes Capittel fuͤr und wieder die Aerzte,
wodurch meine Mutter in eine ſolche Enge
gebracht wurde, daß ſie nicht aus noch ein
wußte. Ehre den Arzt ſagte ſie in der Ver-
wirrung, allein welch eine allgemeine Urſache
erwiederte mein Vater denn der Herr hat
ihn gemacht. Wenn dem Arzte keine an-
dere Ehre zukommt ſo ſind ſie eben nicht
hochgeehrt! Was thun ſie auch? Sie ſind
unſre Peiniger. Sie ſuchen eine Ehre da-
rinn, daß wir durch ihre und nicht durch
die Hand der Natur ſterben. Sie ſind pri-
vilegirte Giftmiſcher und ſubtile Todtſchlaͤger
die ein Recht promoviret haben, toͤdten zu
koͤnnen: und wenns ihnen gluͤckt, wenn ſie
einen Menſchen auf ein halb Jahr befriſten
iſts ein Menſch? eine Mißgeburt iſt’s, ein
im Reich der Todten Angeworbener. Wer
L 3einen
[164] einen Arzt annimmt hat vom Tode Hand-
geld genommen. Aerzte ſind ſeine Werber! —
Mein Vater ſprach den Recepten Ehr und
Redlichkeit ab. Haͤtte die Natur nicht ge-
miſcht wenn die Miſchung noͤtig geweſen?
Er wolte, daß man den Aerzten den Pro-
viant abſchneiden und die Apothecken zerſtoͤ-
ren ſolte. Den Arzeneien aus dem Pflan-
zenreiche lies er Gerechtigkeit widerfahren.
Wenn ein Arzt fuhr er fort kranck wird curirt
er ſich nicht ſelbſt, ſondern erſucht ſeine Her-
ren Collegen Standrecht uͤber ihn zu halten.
Er ſelbſt weiß wol daß er nichts weiß; indeſ-
ſen mit der Kunſt gehts ihm wie einem Luͤg-
ner mit der Luͤge, die er oft und viel fuͤr
Wahrheit ausgegeben — wie einem Schwarz-
kuͤnſtler — Der Arzt haͤlt die Kunſt am
Ende ſelbſt fuͤr Wahrheit, und denckt die Un-
wiſſenheit hab’ an ihm gelegen. Ein krancker
Arzt ſchickt alſo zu andern Aerzten und dieſe
wenn gleich ſie den Krancken wegen ſeiner zeit-
hero geleiſteten vielen Wundercuren wodurch
er ſie bey weitem uͤbertroffen, von Herzen
beneiden; denken doch heute mir! morgen
dir; und wuͤrden dem Herrn Collegen gerne
helfen — wenn ſie nur koͤnnten. Wenn
die Natur ſich ſelbſt nicht mehr helfen kann,
ich
[195[165]] ich moͤcht den Arzt ſehen der Naturſtelle ver-
treten koͤnnte? — Wie kann er den Weg
wiſſen den die Natur will? Geht ſie zur Rech-
ten; ſo will er zur Linken. Geht ſie zur Lin-
ken will er zur Rechten, und am Ende —
da ſie ſieht man traue ihr nicht man haue
ſich Brunnen wo kein Waſſer iſt, wird ſie
der Neckerey uͤberdruͤßlich und dies iſt das
Gericht der Verſtockung im leiblichen Sinn —
Am Ende weiß er was nicht alle wiſſen wol-
len die Signa mortis obgleich auch ſelbſt hie-
bey viele Ungewißheiten vorfallen.
Wie meiner Mutter bey allem dieſem zu
Muthe geweſen kann ich mir ſehr klaͤrlich
vorſtellen.
Sie wolt’ indeſſen noch einmal eine
Schwenkung mit der Fahne verſuchen wer
weiß dachte ſie, ob ſich die zerſtreuten Leute
nicht ſammlen. Sie ſagte was ſie ſchon oft
geſagt hatte, und was ich meinen Leſern nicht
mehr ſagen mag. Weiter nichts als — der
Brief — und mein Vater machte ihr ein
Geſicht, das ich einem jeden Ehemann als
ein probates Hausmittel empfehlen wuͤrde,
wenn ſeine Frau zu oft der Brief ſagt und
wie eine verdorbene Uhr in einem Zuge von
eins bis zwoͤlf ſchlaͤgt, waͤr’s auch das beſte
L 4Weib
[166] Weib in der Welt und eine liebe — — Ein
Geſicht dieſer Art, hat ſeinen guten Nutzen.
Eigentlich ſolte ich nur ſagen das linke Auge
denn uͤber das ganze Geſicht darf es ſich nicht
verbreiten, auch das rechte Auge kann frey
bleiben oder darf dieſe feindliche Einquartie-
rung nicht einnehmen. Dies iſt das einzig-
ſte was ich einem Manne von ſeiner Herr-
ſchaft zugeſtehen kann. Es iſt dies Geſicht
ſo ſehr vom Zorn entfernt, daß der Ehe-
mann hiebey ſeiner Frauen die eine Wange
kuͤſſen kann.
So oft mein Vater dieſes Geſicht mach-
te; blieb meine Mutter ploͤtzlich ſtill und
das geſchahe oft mitten im Wort ſo daß ſie
zuweilen a — anfing das ber indeſſen hatte
das linke Auge meines Vaters getroffen.
Arme Mutter! wenn du nur beſſer angefan-
gen haͤtteſt. Warum eben „der Brief!„
Kurz meine Mutter erfuhr nicht wo der
Brief herkaͤme und wie’s mir vorkam; konnte
ſie auch nicht einmal auf Spuren kommen:
So total war ſie aufs Haupt geſchlagen.
Sie zog ohne Ehrenzeichen aus ihrer Feſtung
ohn Unter- und Obergewehr ohne klingendes
Spiel ohne fliegende Fahne brennende Lunten,
Kugel
[167] Kugel im Munde, und ohne zwoͤlf Schuͤſſe
fuͤr ihr Gewehr großes und kleines —
Ich aber war voͤllig bey mir uͤberzeugt,
daß dieſer Brief daher kaͤme, wo man die
Spargel fruͤher als in Curland ißt, gleich
fruͤher in der freien Luft eine Pfeife rauchet,
den Wein mit der Hand aus der Quelle trin-
ket, und lange Manſchetten traͤgt —
Wenn man die Augen zuhaͤlt kann man
genauer und richtiger uͤberlegen. Zum Er-
finden muß man ſehen zum Anordnen kann
man blind ſeyn. Ein großer Kopf der ſehen
und blind ſeyn koͤnnte wenns die Umſtaͤnde
erfordern, muͤßte groͤßer als Homer werden.
Die Umſtaͤnde die mein Vater mit dem
feyerlich verbrandten Briefe machte, und
andere waͤhrend meiner Krankheit von ihm
verſtreuten Worte, brachten mich auf den
Gedanken, daß er von ſeiner Familie ſchlechte
unerwartete Nachrichten erfahren haben muͤß-
te. Mehr unbekandte Zahlen konnt’ ich aus
den gegebenen nicht heraus bringen, und ge-
wis, ich war weiter als meine arme Mutter,
die noch nicht einen Finger breit naͤher vor-
ruͤcken konnte als ſie ausgezogen. Meine
Beſſerung indeſſen vergnuͤgte ſie ſo ſehr als
ſie meinem Vater gleichguͤltig ſchien.
L 5Kaum
[168]
Kaum war ich geſund geworden; ſo er-
mahnete mich mein Vater daß ich mich auf
die Theologie legen, und mehr Fleiß als zeit-
hero darauf verwenden moͤchte. Ein Geiſt-
licher, fieng er an, iſt der gluͤcklichſte Menſch
in der Welt. In ſeiner Seele iſt beſtaͤndig
Fruͤhling, wo es weder zu kalt noch zu warm
iſt. Die Leidenſchaften kommen nie bey ihm
in gewaltige Bewegung. Dinge der Zukunft
ſind ſeine Beſchaͤftigung, und ein Menſch der
nicht von Stande iſt, kann keine beßre Lebens-
art als dieſe ergreiffen wobey er hoffen lernt.
Er beklagte, daß er keine Gelegenheit gehabt
die Grundſprache ex profeſſo wie er ſagte zu
erlernen, ſeegnete das Andenken des Conver-
ſus der ihn juͤdiſch deutſch gelehret hatte.
Wenns auch nur waͤre weil der Herr und
Meiſter unſrer Religion die hebraͤiſche Spra-
che geredet haͤtte ſolten wirs thun (nemlich
hebraͤiſch lernen) zu ſeinem Gedaͤchtnis.
Wie vergnuͤgt meine Mutter uͤber dieſe
theologiſche Anſtalten war, kann man ſich
ſehr leicht vorſtellen. Sie dachte nicht wei-
ter an meines Vaters Vaterland noch an den
eingeaͤſcherten Brief.
ſang
[169]
ſang ſie und mein Vater ſang den andern
Diskant
Wie ſehr ſich alles im Paſtorat nach dieſem
aͤnderte kann ich nicht beſchreiben. Gegen
die vorige Zeit war kein Stein auf dem an-
dern. Alexander und Darius ward nicht
mehr geſpielt.
Mein Vater, der ſehr fuͤr die Quellen
war, lehrte mich die chriſtliche Religion aus
der Bibel, die wenigſten lernen ſie draus
pflegt’ er zu ſagen. Das was dir abgeht
fuhr er fort werden dir die Schrifftgelehrten
beybringen. Er ſchien ſelbſt nichts mehr zu
wiſſen als was die Fuͤlle ſeines Herzens und
eine andaͤchtige Leſung der heiligen Schrifft in
ihm gewuͤrkt hatte.
Von ſeinen vorigen Heldenthaten blieb
ihm noch ein gewiſſer Ausdruck! Er nandte
ihn adelich — er war feyerlich dem Gedancken
treu
[170] treu und nicht Jedermanns Ding. Dem Adel
und dem weltlichen Arm blieb mein Vater
getreu bis in den Tod.
Ich nahm taͤglich in Kenntnißen der
Schrifft zu, wenigſtens war mein Herz’ ein
Schrifftbefolger. Meiner Mutter zu gefal-
len mußt’ ich meines Vaters Kragen anle-
gen, und ein andermal ſeinen Mantel und
denn wieder ein andres geiſtliches Kleidungs-
ſtuͤck anpaſſen, damit ſie ſaͤhe wie es mir
ließe. Eines Tages da mein Vater viel
Beichtkinder hatte und ich meiner Mutter zu
Ehren bis auf die neue Peruͤque meines Va-
ters zum Geiſtlichen inveſtiret war; fieng
der Gedanke der ſchon offt wie die Sonne
auf und untergegangen war, hell zu ſchei-
nen an! Iſt es denn nicht moͤglich, ſagte
ſie, daß ich dich ehe du auf Univerſitaͤten
zieheſt predigen hoͤren kann?
Die Brodtſtudien haben mit den Hand-
werkern alles nur moͤgliche gemein, und
meine Mutter hatte nicht ganz Unrecht, daß
ſie auf ein Geſellenſtuͤck beſtand ehe ich losge-
ſprochen werden ſolte. Es war ausgemacht,
daß ich uͤber einige Zeit als Geſelle auf meine
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften reiſen, oder wie
man es in Curland nennet ausreiſen und
das
[171] das Haus meines Vaters verlaßen ſolte.
Mein Vater war einen Sonntag gegen
Abend recht vergnuͤgt, und uͤberhaupt pflegt’
er nach abgelegter Sonntagsarbeit, wie ein
Tageloͤhner alle Abend iſt, zu ſeyn. „Das„
ſagt’ er ſelbſt „hat ein Tagloͤhner vor mir
„zum Voraus daß er ſo all Abend iſt; allein
„meine Freude iſt eine Sabbathsfreude.„
Dieſer Sonntagsfreude bediente ſich mei-
ne Mutter, die ihm um dieſe Zeit die Ge-
ſichtsbewegungen ſeiner Zuhoͤrer zu erzaͤhlen
pflegte, die ſie bey dieſer oder jener Stelle
ſeiner Predigt bemerkt hatte.
Was denkſt du mein Lieber! fing ſie an,
waͤr’ es nicht gut, daß unſer Sohn Alexan-
der Einhorn (Alexander ſagte mein Vater)
eh’ er uns verlaͤßt eine Predigt hielte? Eine
Predigt? ſagte mein Vater, und ſchwieg ſtille
nicht aber als ob er abbrechen wolte; ſon-
dern weil er ſich nicht ſo geſchwinde auf eine
Antwort beſinnen konnte. Da nun meine
Mutter ſein Stillſchweigen eben ſo verſtand;
klopfte ſie zum andernmal an, und balgte
ſich mit allen Zweifeln meines Vaters die
ohnedem alle ſehr leicht nachgaben, weil er
ſelbſt keine Luſt zu zweifeln hatte. Der alte
Herr beging hiebey einen tuͤckiſchen Streich,
denn
[172] denn da ihn meine Mutter uͤber dieſe Sache
ebenfals zum Vertrauten gemacht hatte;
ſchlug er ihr den fuͤnften Vers aus dem zehn-
ten Capittel des zweyten Buchs Samuelis
zum Text vor „Ich wils vertragen Herr
„Cantor Herrmann„ ſagte ſie. Sie hielte
Wort und da man nachſchlug fanden ſich die
Worte „bleibet zu Jericho bis euch der Bart
„gewachſen iſt ſo kommet dann wider„ das
war gewis mehr als eine Schneidernadel!
Dominica III. poſt Epiphanias ward beſchloſ-
ſen daß ich Dominica Judica meine erſte Pre-
dig in unſrer Dorfkirche ablegen oder wie es
meine Mutter in der Sprache ihrer Ahnher-
ren nandte mich hoͤren laſſen ſolte. Ich ent-
warf die Predigt ſelbſt, mein Vater gab das
Imprimatur nachdem er ſie befeilet hatte.
Meine Mutter ſonderte mir die Lieder aus.
Dieſes macht’ ihr viele Muͤhe. Ein Lied
war um einen Vers zu lang, ein andres war
wider um einen zu kurtz, bey manchem war
die Melodie nicht der erſten Predigt ange-
meßen, bey noch einem war noch was an-
ders zu bedencken: Endlich getroffen. Ich
habe den ſehr beſcheidenen Autorausdruck
befeilen gebraucht, die Wahrheit aber zu ge-
ſtehen that mein Vater mehr. Ich hatte den
Styl
[173] Styl ſo ſehr von den Feldreden beybehalten daß
alles Trommel und Trompete war und zum
Cammerton herabgeſtimmet werden mußte.
Bei der Nutzanwendung z. E. gab ich
Canonenfeuer auf die Suͤnder ich verſicherte
ſie, daß ſie im Pfuhl der mit Pech und
Schwefel brennt o Solon Solon rufen wuͤr-
den. Den Pech und Schwefel ſtrich mein
Vater und ſetzte in den Flammen des Gewiſ-
ſens. Den Solon Solon ließ er ſtehen —
Die erſten vierzehn Tage erzaͤhlte meine
Mutter mir vielerley Begebenheiten die ihren
verſtorbenen Hochwohlehrwuͤrdigen Ahnher-
ren begegnet! und durch die Tradition bis
auf den heutigen Tag unverloſchen bey der
Familie geblieben waͤren. Ein Litteratus
haͤtte nehmlich ſehr pathetiſch ſeine heilige
Rede angefangen; allein er waͤre gleich beym
erſten Theile in die Irre gerathen. Mein
ſeel’ger Aelter oder Großvater haͤtte ihm latei-
niſch zugerufen ab initio (von vorn) und der
Litteratus waͤre wieder nur bis auf dieſe un-
gluͤckliche Stelle wo er ſchon einmal den Fa-
den verlohren gekommen. Noch einmal hoͤrte
der nun Troſtbange die Stimme ab initio und
da er wieder dieſe ungluͤckliche Stelle beruͤhrte
fiel (meine Mutter ſagte dies mit vieler
Theil-
[174] Theilnehmung) ihm das Amen zu rechter
Zeit ein. Das Dorf welches das ab initio
vor bravo! gehalten, hatte dem Herrn Can-
didaten der aus Angſt gewaltig geſchwitzt,
das Zeugnis beygelegt: lange keine ſo gute
Predigt gehoͤrt zu haben.
Ein andrer Candidat haͤtte aus Angſt
die Canzel verfehlt und anſtatt beym lezten
Wir glaͤuben all’ auf die Canzel zu ſteigen,
waͤr’ er gerade zu aus der Kirche gegangen.
Mein lieber Herr Grosvater haͤtte alſo ex
tempore ſeine Gemeine bewirthen muͤßen.
Ein dritter haͤtte die vierte Bitte zweymal
gebetet, woraus man geſchloſſen daß er zwey
Magens haͤtte. Noch ein dritter haͤtte, und
dies ſchien ihr die traurigſte Begebenheit zu
ſeyn das Vater unſer nach der Predigt zu
beten vergeſſen. Der arme Mann! Er hat
keine Canzel weiter beſtiegen. Dein lieber
ſeeliger Grosvater rieth ihm zu einer andern
ehrlichen Handthierung, indem derjenige,
der vergaͤße das Vater unſer auf der Can-
zel zu beten, mit Zuverlaͤßigkeit es als ein
Omen anſehen muͤßte, daß er nie mit Ruhm
in den Prieſterorden aufgenommen werden
koͤnnte.
Endlich
[175]
Endlich waͤr’ es einem in der Predigt
vorgekommen der Herr Paſtor, der mit ihm
in die Kirche gekommen, ſey in ein Bildnis
wie Loths Weib in eine Salzſaͤule verwan-
delt. Die Geſchichte verdient geleſen zu wer-
den obgleich ſie nicht in der Familie meiner
Mutter ſich begeben hat. Der Herr Paſtor
hatte ſich bey lebendigem Leibe in Lebensgroͤße
mahlen laſſen, und dieſes Bild war ſo getrof-
fen als die Trauben des Zeuxis welche die
Voͤgel luͤſtern machten. Der Herr Paſtor
war da mit Leib und Seel.
Damit ich meinen Leſern die Bemerckung
meiner Mutter nicht verhalte; ſo kam die
Ehre der Aenlichkeit nicht dem Kuͤnſtler ſon-
dern dem Herrn Paſtor zu. Er hatte Et-
was im Geſicht von Carl dem XII. und
Martin Luther, die jeder Toͤpfer trift, wenn
er ſie auf den Teller hinwirft und die der
liebe Gott mit einem beſondern Geſicht aus-
geruͤſtet hat. Ich, ſagte ſie, moͤchte ſie tref-
fen obgleich ich nicht weis was ein i ſtrich in
der Mahlerey iſt —
Beym zweiten Theil faͤlt dieſes Bild dem
armen Candidaten ins Aug. Wer eine Pre-
digt im Kopfe hat, und zum erſten mal pro
candidatura ſich hoͤren laͤßt, kann nicht alle
MIdeen
[176] Ideen in ihre rechte Faͤcher bringen. Ein
Duodez Baͤndchen kommt denn wol zum Fo-
lianten zu ſtehen. Dem armen Mann komt’s
vor er ſaͤhe ein Geſicht er wird bleich und
mit den Worten Herr Paſtor Herr Paſtor
Herr Paſtor die immer ſchwaͤcher nach dem
Grade der Ohnmacht werden, faͤlt er ruͤck-
waͤrts von der Canzel. Doch Gottlob ſezte
ſie hinzu ohne ſich weiter am Leibe Schaden
zu thun.
Die Woche vor der letzten lies meine
Mutter nach, ihre Geſpenſterhiſtoͤrchens zu
erzaͤhlen.
Ich wußte die Predigt ganz fertig und
war gezwungen aus kindlicher Liebe wiewol
gegen ein ſchoͤnes Stuͤck geraͤucherten rohen
Schinken pro honorario gerad’ unter dem
ſchon genug geprieſenen Bildnis das ich mit
Ehren dem Himmel zugebracht, Probe zu
halten.
Dieſer Ort war Kebla fuͤr meine Mut-
ter. Nach meiner Meinung war dieſes eine
Goldprobe. Bin ich hier bewaͤhrt und komm
ich in der Speiſekammer nicht aus dem Con-
cept wo mich der Geruch auf allerlei Dinge
fuͤhret; wird es in der Kirche noch beſſer
zum
[177] zum Amen kommen. Es gieng in der Spei-
ſekammer alles bis in den dritten Theil gut.
Da warf der Wagen um. Meine Mutter
fiel nicht mit ab initio ein; allein nach gluͤck-
lich erreichtem Ende ſagte ſie mir im Ver-
trauen daß mein Vater weit beſſer gethan
haben wuͤrde es bey drey Theilen bewenden
zu laſſen. Er hat ja ſelbſt ſezte ſie hinzu
im vorigen ganzen Kirchenjahre nur ein ein-
ziges mal vier Schuͤßeln oder Theile aufge-
tragen. Indeſſen war der vierte Theil ſo
wenig Schuld daran als ich mein Schnupf-
tuch zur Huͤlfe nehmen und huſten mußte,
daß mich vielmehr der angenehme Rauchge-
ruch aus der Faſſung brachte. Ich beſann
mich bald wieder und meine Predigt kam in
der Speiſekammer mit vielem Beifall zum
Ende. Meine Mutter hatte herzlich geweint.
Wie ich die Suͤnder anredete mußte ich das
Geſicht gegen die weiße Erbſen wenden (ſie
waren dieſes Jahr ſehr wurmſtichig) So
bald ich aber von dieſen auf die Frommen
kam, die ich in meiner Predigt meine Bruͤ-
der nanndte mußt’ ich das Geſicht meiner
Mutter zukehren welche anfaͤnglich durchaus
verlangte ich ſolte auch meine Schweſtern
dazu ſetzen bis ich ſie durch die heilige Schrift
M 2ſelbſt
[178] ſelbſt auf andere Gedancken brachte. Sie
umarmete und ſeegnete mich wiewol wieder
zweygliedrig mit beiden Haͤnden ſo daß jede
Hand ein Seegensſtuͤck ſich zueignete. Die
Zeit der Erndte iſt vorhanden! ſagte ſie, weißt
du noch was ich dir hier an dieſer heiligen
Staͤdte gewuͤnſcht habe? Meine Ermahnun-
gen ſind auf ein gut Land gefallen — —
Ueber dieſe Zuruͤckerinnerungen bey die-
ſem Erndtefeſt vergaß ich das Stuͤck rohen
Schinken welches mir meine Mutter fuͤr dieſe
Cabinetspredigt verſprochen hatte. Sie ſelbſt
hatte bey der in der Speiſekammer genoſſe-
nen Seelenſpeiſe den Leib ganz und gar ver-
geſſen. Ich habe indeſſen dieſe Schuldpoſt
mit Zinſen vsque ad vltimum ſolutionis mo-
mentum zuruͤckerhalten. Die ganze lezte
Woche vor der Predigt wurde von meiner
lieben Mutter ſo wie der heilige Abend
vor einem der drey hohen Feſte angeſehen.
Sie feyerte Weynachten, Oſtern, Pfingſten
meinetwegen auf einmal und alles gieng auf
Zehen. Am Freytage fuͤhrte mich mein Va-
ter zwiſchen zehn und eilf des Abends in die
Kirche und ſetzte ſich mit meiner Mutter, die
eine kleine Laterne in der Hand hielt in ſeinen
Beichtſtuhl. Ich wurde durch dieſen Schein
der
[179] der Lampe in ein ſo ſo heiliges Feuer geſetzt,
daß ich meine Predigt mit einer ſolchen Ruͤh-
rung ablegte, als ich bey der ordentlichen
Ablegung nicht empfand, bey welcher ich nur
auf die Geſichtszuͤge dieſes oder jenes merckte
und insbeſondere nicht vergaß auf Nr. 5. zu
ſehen, wo mein liebes Minchen ſaß.
Im Vorbeygehen will ich bemercken, daß
wenn gleich Minchen aufgehoͤrt hatte die
koͤnigliche Prinzeßin und ich Alexander zu
ſeyn, dieſe alte Liebe wiewol unter anderm
Namen fortgelodert habe.
Mein Vater war außerordentlich mit die-
ſer Predigtprobe zufrieden. Predige ſo lange
du lebſt mit einer ſolchen Ruͤhrung mit einem
ſolchen Gott ergebenen Herzen ſagt’ er ſo
wirſt du dir und denen nuͤtzlich werden, die
dich hoͤren.
Dieſe Probe in der Kirche war inzwiſchen
ſo ſpaͤt ſie auch anfing einem Paar Leuten
aus unſerm Dorfe nicht entgangen. Die
Laterne in der Hand meiner Mutter hatte
einen ſolchen Widerſchein geworfen, daß in
der ganzen Gemeine das Gerede ging, es
wuͤrde ſich ein bedeutender Todesfall ereig-
nen, welches auch nach einer geraumen Zeit
durch das Ableben eines Cavaliers unſers
M 3Kirch-
[180] Kirchſpiels und der Frauen des alten Herrn
in Erfuͤllung ging.
Am Sonnabende vor der erſten Predigt
war im Paſtorat alles ſo feyerlich ſtill, als
es noch nie geweſen: meine Mutter ſagte
ſelbſt „wie vor der Erſchaffung der Welt„
Meine Mutter hatte die Lieblings Schuͤſſeln
auf den andern Tag fuͤr mich beſtelt und ent-
deckte mir wolbedaͤchtig ſchon Sonnabends
am Huͤner oder Polterabend womit ſie mich
Sonntags erfreuen wuͤrde. Auch der liebe
Gott ſetzte ſie hinzu erfreut ſeine Kinder in
dieſer Welt mit leiblichen Gaben. Wer am
erſten nach ſeinem Reiche trachtet, erhaͤlt
dieſe Zugaben und empfaͤhet ſie mit Dankſa-
gung und Wohlgefallen.
Bald haͤtte ich einen Zug vergeſſen, der
mir ſehr ruͤhrend und eben ſo laͤcherlich vor-
kam. Ungefehr um eilf Uhr in der Nacht
auf den Sonntag da meine Mutter in der
feſten Meinung war ich ſey ſchon eingeſchla-
fen; kam ſie in meine Kammer, und nach-
dem ſie das Concept zu meiner Predigt ſehr
andaͤchtig aus der Bibel genommen legt’ ſie’s
mir unter’s Kopfkuͤſſen, murmelte einige mir
unverſtaͤndliche Worte und ging davon.
Schon war ich im Grif nach der Hand die-
ſer
[181] ſer lieben Mutter, um ſie zu druͤcken und zu
kuͤſſen. Ich konnte dieſe — ich will ſie
Brautnacht nennen nicht ſchlafen und war
alſo ein Augenzeuge von dieſem Vorgange
wenn ich gleich meine Augen bis auf ein klein
Ritzchen verriegelt hatte.
Des Morgens erfuhr ich den Aufſchluß
dieſer Ceremonie, die ſich von der Schweſter
der Mutter meiner Mutter herſchrieb, welche
behauptet hatte daß das Concept unterm Kuͤſ-
ſen ſehr das Gedaͤchtnis ſtaͤrcke. Ich glaub’s
nicht fuͤgte meine Mutter hinzu indeſſen iſt’s
in der Familie beybehalten bis auf die vorige
Nacht.
Ich hielte meine Predigt mit erwuͤnſch-
tem Gluͤcke, allein ohne Ruͤhrung, indem
wie ich ſchon bemerkt habe mein Auge herum
wanckte und bey N. 5. ſich lagerte.
Ich ſahe ein was mein Vater oft zu be-
haupten pflegte. Ein Geiſtlicher muß wie
ein Vater zu ſeinen Kindern reden. Wenn
er ſich’s aufſchreibt muß ers nicht der Ge-
meine ſondern ſeines Gedaͤchtniſſes wegen
thun. Auch ein Vater macht ſich wol ein
Promemoria wenn er viel mit ſeinem Sohne
zu ſprechen hat.
M 4Meine
[182]
Meine Predigt nannt’ er eine Kirchen-
chrie ein Exercitium und ſehr richtig —
Wer, pflegt’ er zu ſagen, ſich ein Gebet
auswendig lernt, ſpottet Gott den Herrn.
Entweder muß man gar nicht auf der Can-
zel beten oder man bete nach der goͤttlichen
Vorſchrifft „ihr ſolt nicht viel plappern“
Sonſt war mein Vater der Meinung daß
junge Leute nicht eher die mindeſte Ausarbei-
tung machen ſolten, als bis ſich ihre Seele
entfalten koͤnne. In jedem Menſchen ſagt’
er liegen Zuruͤſtungen und Triebfedern zu al-
len Karacktern. Die erſte Schrifft die ein
junger Menſch entwirfft muß der Kupferſtich
ſeiner Seele ſeyn. Notabene der Kupfer-
ſtich — Wer die Tropen und Figuren er-
fand, erfand Masken fuͤr Diebe, Verraͤther,
Moͤrder und Ehebrecher. Man ſchreibt ſich
jetzo nicht aus wenn man ſchreibt ſondern
man hat eine Vorſchrifft — Auf die erſte
Predigt iſt wenig von dem was ich geſagt ha-
be zu deuten. Schwerlich wenn ſie auch
ohne Linial gemacht wird, kann draus mehr
erhellen als ob der junge Menſch zum Geſetz
oder zum Evangelienprediger gedeihen werde.
Meine Mutter haͤtte gern geſehen wenn
ich ein Paar Verſe nach muͤtterlicher Weiſe
ein-
[183] eingewirckt haͤtte, allein es ging ihre Mei-
nung nicht durch. Warum predigt man
denn nicht mitten im Liede fragte mein Va-
ter? Meine Mutter konnte nichts dage-
gen ſingen.
Alles was wuͤnſchen konnte, wuͤnſchte
mir Gluͤck nur Minchen nicht dieſe ging aus
N. 5. als ob ſie nichts gehoͤrt haͤtte. Ihr
Scherflein, ein verſtohlner Blick galt aber
mehr als alle uͤbrige klingende Muͤnze. Sie
hatte mich nach dieſer Predigt noch lieber
als ehemals, ohne daß ich einſehen konnte
was eine Predigt auf die Liebe fuͤr einen Ein-
fluß haben koͤnne.
Nach der Zeit erklaͤrt’ ich mir dieſes
Raͤthſel. Das Frauenzimmer liebt Leute die
oͤffentlich reden und Geſchaͤfte treiben: viel-
leicht weil es Herzhaftigkeit verraͤth, viel-
leicht weil die Ehre die auf den Verehrten
faͤlt auf ſie zuruͤckprallt. Kurz ich gewann
bey Minchen. Ich hatte ſie in der Predigt
angeſehen ich hatte Gott in der Kirche (ſo
kam es ihr vielleicht vor) hiedurch zum Zeu-
gen unſrer Liebe angerufen. Wir waren
nur eine Seele vor der Predigt, nach der
Predigt war ich der Mann ihrer Seele und
ſie das Weib der Meinigen. Im Kuͤſſen ka-
M 5men
[184] men wir uns nach dieſer Predigt oft auf dem
halben Wege entgegen an mehr dachten wir
beyde nicht —
Der alte Herr wolte wieder mit einem
Spruch bey meiner Mutter gut machen was
er mit einem Spruch verdorben hatte. Man
kann vom jungen Herrn verſichert’ er nicht
ſagen was man vom Herrn Paſtor in —
ſagte der die Gemeine von ſeinem Herrn Va-
ter erbte und mit ihr des Vaters Concepte
„Alles was der Vater hat iſt ſein, und von
„dem Seinen wird er’s nehmen, und euch
„verkuͤndigen.“
Meine Mutter ſprach gleich nach einge-
nommenem Mittagsmahl von Univerſitaͤten,
allein mir ſchienen Univerſitaͤten ein ſehr
unnoͤthig Ding zu ſeyn. Ich wiederhohlt’
ihr das was mein Vater druͤber verkuͤndi-
get hatte.
Muͤſſen denn alle Baͤume die ihr Haupt
empor heben ſollen ehe ſie an Stelle und Ort
kommen in einer Baumſchule ihre Jahre
ſtehen. Wo Gott und die Natur iſt, da iſt
eine hohe Schule. Gott wohnet nicht in
Tempeln mit Menſchenhaͤnden gemacht nicht
in Jeruſalem, ſondern in ihm leben weben
und ſind wir.
Wer
[185]
Wer leugnet daß auf Univerſitaͤten ge-
ſchickte Maͤnner ſind; allein ich glaube daß
ein geſchickter Mann ſein Licht nicht blos auf
der Univerſitaͤt leuchten laſſen, ſondern ſchrei-
ben werde. Profeſſor Sokrates ſchrieb nicht;
allein, es ſchrieben andre fuͤr ihn und ſo bald
ein Profeſſor ſchreibt warum ſollen wir hin
ihn zu ſehen? — Warum ſoll ich einen
Geiſtlichen bitten die Predigt zu halten, die
gedruckt iſt? Iſt’s wo damit ich reden hoͤre,
kann ich denn nicht laut leſen?
Da grif mich meine Mutter. Dein Va-
ter und ſein Wort in Ehren, nur in dieſem
Stuͤck hat er Grundſaͤtze, daß man beinahe
glauben ſolte er waͤr’ auf keiner Univerſitaͤt
geweſen.
„Wolt Gott er waͤr’s nicht, denn in
„Wahrheit er verdient ſo ſehr Paſtor zu ſeyn,
„als die auf zehn geweſen ſind.“
Alles gut, allein beim Hebraͤiſchen ſtehen
die Ochſen am Berge.
„Ein Converſus“
Sag mir nichts vom Converſus Gott leite
den unſrigen auf meinen Inſtrucktionswe-
gen! Beſſer waͤr’s fuͤr ihn geweſen wenn
ich ihn ſchriftlich inſtruirt haͤtte. Was kann
(um
[186] (um auf deinen Vater zuruͤck zu kommen)
was kann, im Grund genommen und aus der
Tiefe geſchoͤpft, was kann ein Converſus?
Muß man nicht in die Kirche obgleich Pre-
digt Buͤcher feil ſind?
„Doch nicht jeder?“
nicht Jeder?
„Nein“
nicht?
„Der Prediger“ —
Haͤtt ich meiner Mutter einen Augenblick
Zeit bey dieſer Antwort gelaſſen, waͤr’ ich
verloren geweſen, allein ich erklaͤrte mich daß
ein Prediger nicht hoͤrte ſondern redete und
mithin eigentlich nicht in der Kirche waͤre.
Dieſe Erklaͤrung oͤfnet’ ihr viele Gele-
genheit mich zu uͤberzeugen daß er erſt ſich
und ſodann andere zu bekehren zur Pflicht
haͤtte wie er denn ſich auch ſelbſt hoͤrte im
Fall er nemlich nicht taub waͤre. Ich oder
eigentlich mein Vater fuhr fort
„Es iſt unmoͤglich in drey Jahren alles
„zu lernen was funfzehn Profeſſores wiſſen“
Wer ſagt’s antwortete ſie du ſolſt nur erfah-
ren wo du weiter nachſchlagen kannſt.
„Das
[187]
„Das ſagt mir aber jedes Regiſter“ —
Das lieſt du in jedem Regiſter wilſt du
ſagen
„und liebe Mutter! unſere junge Herren die
„von Univerſitaͤten kommen? — —“
Alles Recht allein du ſolſt ein Vorbild
werden der Heerde — du haſt Talente die
muͤſſen auf einer privilegirten Waage gewo-
gen und das Gewicht durch ein beglaubtes
Teſtimonium bezeichnet werden. Es wird in
ſchoͤnem Latein gegeben —
Die Talente brachten mich auf ein wei-
tes Feld, ich ſagte zwar nichts, was nicht
mein Vater ſchon oͤfters geſagt hatte; ich
ſagt’ aber wovon ich uͤberzeugt war. Man
klagt uͤberall uͤber Unterdruͤckung der Talente!
und daß ſo viele Lichte unterm Scheffel blei-
ben — „Glaub’s nicht„ pflegte der gute
Mann zu ſagen. „Wer ein recht Talent hat
„brennt ſich durch den Scheffel durch; deſſen
„Flamme ſo weit nicht reicht bleib’ unterm
„Scheffel oder bleib’ im Lande und naͤhre
„ſich redlich.“ Muß denn wer ein Talent
hat gleich ein Buch ſchreiben? Kann man
nicht ein Talent haben und den Pflug fuͤh-
ren? Ein Talent iſt Hefen — Er macht
daß
[188] daß ſich der Teig hebt wenn er herein ge-
legt wird —
Protagoras der Tagloͤhner legt’ und band
ſein Holz ſo kuͤnſtlich, daß er dem Democri-
tus ins Auge fiel, der ihn die Wiſſenſchaf-
ten ſo legen und binden lehrte und ſo findet
jeder Protagoras ſeinen Democritus, ob-
gleich noch die Frage bleibt, hat Democri-
tus dem Protagoras eine Laſt abgenommen
oder aufgelegt? —
Niemand als Minchen machte mich ſo
beredt und da endlich meine Mutter mir ent-
gegenſetzte, daß wenn ich nicht auf Univer-
ſitaͤten geweſen ich nicht Paſtor werden konn-
te; kam ich auf andere Gedanken, und das
(wie zuvor) auch Minchens wegen. Ich ſahe
wie ein Erleuchteter auf einmal alle Gruͤnde
meiner Mutter ein und hatte keinen Zweifel
mehr als den: Muß denn jeder in der Frem-
de als Geſell arbeiten und wandren eh’ er
Paſtor wird? Dieſen Zweifel loͤſte mein
Vater.
Was er wieder die Univerſitaͤten geſagt
hatte war vorm Brande geſchehen. Jetzt
war er zwar eben kein Apologiſt der hohen
Schulen; denn ſo ſehr konnt’ er nicht ſeinen
Grund-
[189] Grundſaͤtzen untreu werden; allein er war
der Meinung meiner Mutter, die ihn ſehr
bat mir andere Gedancken einzuaͤugen, die
aber ſchon wirklich ohne daß es meine Mutter
gemerkt hatte bey mir in Bluͤthe ſtanden.
Kinder ſagte mein Vater ſolte man kei-
nem Menſchen anvertrauen der nicht auch
Kinder hat oder gehabt hat, ſo wie man keine
Hebamme anzunehmen pflegt die nicht weiß
wie es einer Geſeegneten zu Muthe ſey.
Wenn ich ja einem Arzt ein Ohr zuneigen
ſolte, ich ſage mit Fleiß ein Ohr obgleich ich
Gottlob beide brauchen kann, muͤßt’ er ſelbſt
die Krankheit haben die er curiren will. In
dieſem Fall wird mir ein Hufſchmid und
eine entzahnte Matrone eben ſo willkommen
als ein rother Mantel ſeyn.
Seht da! warum ich dem alten Herrn
der Schuſter, Schneider und Toͤpfer iſt,
alle dieſe Handwercke auf Herz und Seele der
ihm anvertrauten Jugend anzuwenden ge-
ſtatte. Sein Sohn Benjamin und ſeine
Tochter Wilhelmine haben ihn examiniret
und tuͤchtig befunden. Es ſind gut gezoge-
ne Kinder.
Bey dem Worte Willhelmine zog ich
mein Schnupftuch aus der Taſche ohn ſonſt
zu
[190] zu wiſſen warum als des Namens Willhel-
mine wegen.
Man muß alles von ſich anfangen.
Selbſt wenn die Schulgelehrten die Exiſtenz
Gottes beweiſen wollen — Schand iſt’s
zu ſagen daß ſie’s wollen — fangen ſie von
ſich an: ich bin ſagen ſie, alſo iſt auch Gott
der Herr. Es ſind gewiſſe Geheimniſſe, wel-
che die Natur obſchon der Kunſt viel verra-
then worden doch fuͤr ſich behaͤlt, und dahin
gehoͤrt die Kinderzucht. Man wird in die-
ſes Geheimnis allein durch die Vaterſchaft
initiiret. Ich glaub’ es ſteif und feſt, daß
jeder Vater waͤr’s gleich ein Buͤrſtenbinder
und jede Mutter waͤr’s gleich eine Buͤrſten-
binderin, ihre Kinder erziehen koͤnnen und
es alſo nicht noͤthig haben anderen Unterricht
fuͤr die kleinen Buͤrſtenbinderchen in einem
oͤffentlichen Laden zu kauffen. Wie ſolte wol
die Natur ſo ungerecht ſeyn das groͤßere zu
geben und das kleinere zu verſagen? Du
weiſt Alexander, was dein Vetter der große
Summus Alexander (an dieſe Vetterſchaft
hatt’ er lang nicht gedacht) ſeinem Lehrer
dem Summus Ariſtoteles fuͤr ein Compliment
machte, im rechten Sinn ein Compliment:
Er haͤtt’ ihm mehr als ſeinem Vater Philipp
zu
[191] zu dancken. Sobald Alexanderbleiben wolte
was ſein Vater war hatt’ er unrecht; wolt’
er aber die Grenzen ſeines Reichs erweitern
und nicht Buͤrſtenbinder bleiben ſetzte meine
Mutter hinzu hatt’ er recht. Da liegt der
Grund von dem Lehn der Erziehung. Der
Vater der aus ſeinem Sohn mehr machen
will als er ſelbſt iſt muß freilich einen andern
Weg einſchlagen: Indeſſen ſolte dieſer andre
Weg keinem Vater verſtattet ſeyn, der nicht
Alexanders zu Kindern und Ariſtoteles zu Leh-
rern aufweiſen koͤnnte. In dieſem Fall
muͤßte aller Beiſpiele vom Gegentheil uner-
achtet, die Jugend, die Gnadenzeit, der
Morgen, nicht verſaͤumet werden.
Der Staat braucht viel Haͤnde, aber
wenig Koͤpfe. Ein politiſcher Kannengießer
iſt ein ſchlechter Kannengießer und ein ſchlech-
ter Buͤrgermeiſter; die Kenntniſſe des ge-
meinen Mannes muͤſſen bey der Hand bleiben
und nicht bis zum Kopf kommen. Wer dem
Menſchen das Dencken nehmen will ſetzt ihn
herab. Dencken kannſt du, du kannſt dencken,
das Gruͤblen das weiter Hinausdenken als
vier und zwanzig Stunden, zwoͤlf in die Laͤnge
und zwoͤlf in die Breite, iſt dem Menſchen
ſchaͤdlich und Tint und Feder Papier und
NPreſſe
[192] Preſſe ſind eben ſolche Verhehrer des menſch-
lichen Geſchlechts als Bomben Kartetſchen
und Pulver und Schrot und Buͤchſen und
Saͤbel —
Mein lieber Vater war uͤber dieſen Ge-
genſtand ein Verſchwender er gab ohnge-
zaͤhlt — ich will bedachtſamer zu Wercke
ſchreiten und mit geitziger Kuͤrze nur Etwas
von ſeinen Grundſaͤtzen ausgeben. Der
Himmel gaͤbe, daß es lauter ſeltene Schau-
ſtuͤcke waͤren, ich wuͤrd ſie meinen Leſern
herzlich goͤnnen.
Daß jeder Kinderlehrer geheyrathet ſeyn
muͤße wiſſen wir ſchon. Man hat ſagt’ er
lang auf Verbeſſerung der niedern Schulen
gedacht und freilich muͤßen dieſe eher verbeſ-
ſert werden als hohe wo du mein Sohn dein
Heil verſuchen ſolſt: allein man ſolte noch
eine Stuffe herunter treten und mit der Ver-
beſſerung der Muͤtter dieſes gute Werck an-
heben. Man ſolte Toͤchter ziehen ehe man
noch an Soͤhne kommt. Jetzt iſt die Erzie-
hung, wenn man an die Maͤnner appelliret
gemeinhin ſchon in der erſten Inſtanz von
unwiſſenden und ungeſchickten Sachwaltern
verdorben und die Kur einer von der Mutter
verfaͤlſchten Seele — Was in ſo vielen Ge-
nera-
[193] nerationen verdorben iſt muß wieder allmaͤh-
lig verbeßert und zu ſeinem anfaͤnglichen We-
ſen gebracht werden. Deſperate Mittel ſind
eben ſo viel gewiße Morde. Bliebe der Menſch
blos Menſch er muͤßte ſehr alt werden und
beinah unſterblich ſeyn. Jetzt aber da ihn die
Vernunft verleitet von der Landſtraſſe bald zur
Rechten bald zur Linken abzuweichen und theils
ſeinem Leibe theils ſeiner Seele zu viel zu thun,
faͤlt er eher wie ein wurmſtichiger Apfel ab:
Er hat einen Wurm der ihn zehrt —
Den rechten Weg abzuſtecken und auf
deſſen Erhaltung zu ſehen waͤre die Pflicht
der Gelehrten. Sie ſolten Wegcommiſſairs
fuͤr das menſchliche Geſchlecht ſeyn. Wer
einmal den rechten Weg verſchlaͤg kommt im-
mer weiter vom Ziel.
Ein Vater kann mehr als ein Kind ha-
ben und ein Lehrer mehr als einen Schuͤler;
allein ſeht euch nur um. Der von zehn Jah-
ren iſt eben ſo weit als der von fuͤnfen.
Man kann den Privatunterricht nicht
verachten. Schulen haben ihr Gutes; der
Privatunterricht der der Natur naͤher ver-
wandt zu ſeyn ſcheint auch.
Elementarbuͤcher ſind ſehr gut, allein ein
Elementarlehrer iſt noch beſſer. Fuͤr wen
N 2ſollen
[194] ſollen Elementarbuͤcher geſchrieben werden?
fuͤr Genies oder fuͤr Mittelmaͤßige oder fuͤr
Marode? Will man ſie fuͤr Mittelmaͤßige
ſchreiben um die Mittelſtraße nicht zu ver-
fehlen auf der viele wandein; leiden andere
die den ſchmalen Weg anzutreten Herz haben
und die enge Pforte nicht ſcheuen weil ſie
zum Leben fuͤhrt. Die Bibel iſt das einzige
Buch das fuͤr alle Menſchen paßt, ein goͤtt-
liches Elementarbuch —
Ein poetiſcher Kopf darf nur vieles durch
bildern von allem nimmt er Zoll. In der
ganzen Natur ſchreibt er Schatzung aus.
Er befindet ſich in den Wiſſenſchaften auf Rei-
ſen, wo ihn oft was aufhaͤlt worauf der
Eingebohrne, das Landeskind, der Philo-
ſoph, nicht kommt. Ein denkender Kopf
weiß weniger allein ſeine Aecker kennt er auf
ein Haar. Er thut wenn ich ſo ſagen darf,
was der Dichter weiß. Ein großer Kopf
iſt eine Miſchung von beyden. Seelig ſind
die wiſſen! Seeliger die thun! und am ſee-
ligſten die wiſſen und thun! So viel Koͤpfe
ſo viel Sinnen ſo viel Alexanders ſo viel Wel-
ten, ſo viel Planeten ſo viel Bahnen, ſo viel
Genies ſo viel Methoden —
Es
[195]
Es iſt unerhoͤrt daß unſere Schulhalter
lauter Geiſtliche ſind. Sehr klug fuͤr die
Geiſtlichen beſonders in der monarchiſchen
Kirche — Unſere Knaben werden alle erzo-
gen, als ob ſie Schulmaͤnner werden ſol-
len, unſere Toͤchter wenns koͤſtlich geweſen
als Mamſels (als franzoͤſiſche Hofmeiſte-
rinnen.)
Jedes Mitglied des Staats muß ſein
Votum haben, wenn eine algemeine Schul-
anſtalt im Staat erbaut werden ſoll. Bey
Toͤchtern duͤrfen nur drey ganz gewoͤhnliche
Weiber votiren. Dieſe Weiber muͤßen ge-
ſund ſeyn, jede einen Sohn und eine Toch-
ter haben auch NB. jede nur einen Mann.
Juͤnglinge haben viele Zwecke. Maͤdchen nur
den: Weiber und Muͤtter zu werden. Ein
gut Weib iſt auch immer eine gute Mutter.
Schul und Welt iſt jetzt zweyerley.
Schulbegriffe ſind mit einem Worte ſolche
denen die Erfahrung widerſpricht. In
der Schule ſind Worte. Sachen, Nadel
und Zwirn ſind ein Kleid, Mittel iſt der
Endzweck.
Schullehrer! bleibt nicht auf der Banck
mit euren Schuͤlern, ſondern zieht mit ihnen
in die freye Luft der Natur, werdet Peripa-
N 3teti-
[196] teticker. Lehret ſie im Angeſichte Gottes —
oder laßt ſie nur herum gehen; die Natur
ſelbſt wird ſie beſſer unterweiſen als ihr, wenn
ihr Gottes Wetter nicht ertragen koͤnnet.
Die Gabe zu unterrichten (donum do-
cendi) hat jeder Menſch. Wer durch die
rechte Thuͤr gekommen iſt wird auch wieder
durch die rechte Thuͤr heraus finden. Wer
eine Treppe in die Hoͤhe ſteigen kann wird
ſie auch herabſteigen. Berg ab iſt im-
mer leichter. Wer eine Sache halb weiß
kann nur ein Viertheil beybringen. Wer
nur ein Viertheil weiß iſt ein Miethling —
Je laͤnger ich ſtudire je kuͤrzer iſt die Predigt.
Bedenckt den Haufen Holz und Stein und
Ziegel und Dachpfannen und Glaß und Kalck
und tauſenderley, eh’ es ein Hauß wird.
Steht das Hauß: alles hat ſechzig Fuß in
die Laͤnge und dreyßig Fuß in die Breite,
Raum.
Je ſchoͤner aber die Rede, deſto weniger
behaͤlſt du. Das Gedaͤchtnis hat keine Zeit
anzuhalten, keine Ruhe. So was ſchoͤnes
kann nur die Kunſt machen wo kein Punkt
kein Comma kein Semicolon iſt. In der
Natur hat die Sonne ſelbſt Flecken. Ein
Dich-
[197] Dichter hat das kleinſte Donum docendi ſetze
ihn auf einen Lehrſtuhl auf welchen du wilſt.
Er wirft Strahlen allein die meiſte Zeit iſt
er umwoͤlckt. Aratus hat ein beruͤhmtes
Gedicht uͤber die Aſtronomie geſchrieben, ohne
daß er ſie verſtand. Er wuͤrde kein Gedicht
wenigſtens kein beruͤhmtes daruͤber geſchrie-
ben haben wenn er ſie verſtanden haͤtte. So
nachlaͤßig der Anzug eines Dichters iſt; ſo
ſieht’s auch mit ſeinem Wiſſen aus. Da
fehlt ein Hemdeknoͤpfchen da hat das Kleid
einen Coffeeflecken und an den Beinkleidern
fehlt vorzuͤglich bei jedem Dichter was. Bitt’
ihn ſein Stubenfenſter zu zumachen; er rie-
gelt nichts zu, er zieht nur an. Es iſt kein
gemeines ſondern ein heiliges Dunckel ſo den
Dichter umgiebt. Eine ſchoͤne Daͤmmerung
und nach Bewandnis der Umſtaͤnde Morgen
oder Abend —
Wer vielerley weiß iſt biegſam wer einer-
ley weiß iſt ſtolz. Jener ſieht ein, wie
viel ihm fehlt, dieſer iſt ein Hahn auf dem
Miſte.
Haben wir mehr Wege zur Seele als
Empfindung und Reflexion? Wer dies die
hohe und jenes die untere Schule nennt hat
ſich uͤbel erklaͤret.
N 4Das
[198]
Das Wohlfeile das Schlechte dieſer Er-
ziehungsanſtalten meines Vaters iſt, mich
duͤnkt, ſehr auffallend: es ſind alles Haus-
mittel, fimplicia.
Allein bey alle dem lieber Vater iſt dies
nichts mehr als eine gute Unterlage. Noch
biſt du nicht immatriculirt und meine Leſer
haben von Mutterleibe ausgehen muͤßen um
endlich [auf] die Boͤrſe der Gelehrſamkeit zu
kommen wo der Cours ein ℔. vls beſtimmet
und Ducaten und harte Thaler nach der Zahl
der Liebhaber gewuͤrdiget werden. Die Her-
ren Geiſtlichen machen ſich in jeder Predigt
eine kleine Bewegung vom Paradieſe aus und
keichen dahero gemeinhin wenn ſie an die Her-
zen ihrer lieben Gemeine anklopfen. Wenn
mein Vater nur nicht keicht anſtatt, daß
er von der Leber wegreden ſolte. Den Stand
der Unſchuld, den Stand der Suͤnden, den
Stand der Gnaden und den Stand der Herr-
lichkeit wollen wir ihm verzeihen.
Die Academien mein Sohn (Gottlob
Land!) ſind gut und nicht gut ſo wie alles
in der Welt. Niemand iſt gut als der
einige Gott.
Die Academie iſt das, was bey den Zuͤnf-
ten und Handwerckern die Fremde iſt.
Ich
[199]
Ich habe nie, das weißt du, der Aca-
demie gejubelt und Lobopfer gebracht; allein
auch nie hab’ ich mich wider ſie durch eine
niedergelegte Ackte verwahret. Die Wahr-
heit zugeſtehen wolt’ ich mit dir anfaͤnglich
zum andern Thor hinaus. Es hat große
Leute auf Academien gegeben obgleich Newton
ein Muͤnzmeiſter, Copernikus ein Domherr,
und Leibnitz ein Hofmann war — —
Mein Vater warf die Frage auf wer
auf der Univerſitaͤt den kuͤrzern ziehet der
Lehrling? oder der Lehrer? allein wenn er
gleich uͤber den Lehrer laͤnger als uͤber den
Schuͤler den Kopf ſchuͤttelte, ſo ſah’ er doch
auf den Schuͤler in Seelen und in Leibesge-
fahr. Profeſſores ſind damit ihn meine Le-
ſer wieder ſelbſt hoͤren Sclaven die an Zei-
chen, Zeiten, Tage und Jahre gebunden ſind.
Es ſind Koͤrper in der gelehrten Welt die
nicht ihr eigen Licht haben ſondern die viel-
mehr ihr Licht gemeinhin von dem Vivat
junger rohen Leute erhalten, Koͤrper die alle
halbe Jahre ihren Lauf unſeelig vollenden,
Uhren die in Oſtern und Michael ausgeſtaͤubt
werden. Profeſſores ſind ſtehende Waͤſſer die
faul werden. Ich will es wie ich ſchon oft
gethan kuͤrzen, wenn auch der Zuſammen-
N 5hang
[200] hang dabey ein Paar Grane einbuͤßt. Ein
academiſcher Lehrer muß, wenn er ſeine Kennt-
niße gut verzinſen will, marcktſchreien, und
durch eine Univerſalpille die Leute an ſeine
Bude locken. Die meiſten haben ein Arca-
num ein Myſterium das ſie empfiehlet wovon
ſie zwey Drittheil alle halbe Jahr fuͤr ſechs
bis acht Thaler ſchwer Geld verhandlen ein
Drittheil behalten ſie noch zuruͤck. Man
erfaͤhrt alſo das ganze nicht eher, als bis
es im Druck erſcheinet und ſiehe da! kein
Menſch findet das was der Profeſſor fand.
Es iſt ein gewoͤhnliches Compendium.
Weiß ein Profeſſor nur einerley iſt er ein
Pedant. Seine Wiſſenſchaft iſt der Deſpot
der uͤber ihn herſcht. Weiß er, (und dies
iſt gemeinhin der Fall, weil er mit ſeinen
Herren Amtsbruͤdern oft eine Lanze brechen
muß) mehr; iſts blos ſo ſo. Das wenigſte
iſt Wiſſenſchaft, was wir haben, das meißt’
iſt Muthmaſſung, Weg, den man gehen
muß um zur Wiſſenſchaft zu gelangen. Es
geht mit den Wiſſenſchaften wie mit der Liebe:
Die verſtohlne iſt die angenehmſte. Das
Handwerk wird einem Jeden ſo gelaͤufig daß
er auf keine Erfindung kommen kann. Per
aſpera ad aſtra. Wuͤrden die Profeſſores
blos
[201] blos von regierenden Herren bezahlt werden;
ſo duͤrften die Wiſſenſchaften zwar gewinnen,
allein die Lehrlinge wuͤrden alles verlieren.
Wie die Nonne den Pſalter ſingt wuͤrd gele-
ſen werden. Die Lehrer wuͤrden nur auf
das dencken was gedruckt werden ſoll. Jezt
aber die Metaphyſik fuͤr wenige Thaler kau-
fen iſt unſchicklich. Ein Profeſſor der ein
Autor iſt, und wer iſt nicht beides? haͤlt es
nicht der Muͤhe werth junge Leute zu unter-
richten. Die Welt iſt ſein Auditorium und
da ſitzen Kayſer Koͤnige Fuͤrſten u. ſ. w. auf
den Baͤncken. Ein Autor iſt ein ſo ſtolzes
Ding daß er mit dem ganzen menſchlichen
Geſchlechte ſpricht.
Ein Profeſſor ſpickt (lardirt) ſeinen Vor-
trag. Er iſt oft gezwungen uͤber geſunde
Speiſen ungeſunde und unſchmackhafte Bruͤ-
hen zu guͤßen —
und dem academiſchen Juͤngling! was legt
ſich nicht in den Weg ihn zu ſtoͤren! da iſt
ein Staͤndchen zu bringen! da kommt ein
Landsmann! da hat er ſich zu ſchlagen, da
dem Profeſſor der die Privilegien ſchmaͤhlern
will die Fenſter einzuſchlagen — Die Frei-
heit iſt ihm der Weg zur Ungezogenheit. Seine
Mitbruͤder erſticken bey ihm den Trieb ſich
empor
[202] empor zu arbeiten. Will er ein ehrlicher
Landsmann ſeyn muß er wie der Haufen
nichts lernen. Es ſind kleine Hoͤfe auf den
deutſchen hohen Schulen errichtet der Prinz
der Reichsgraf halten ſich Cammerherren
Stallmeiſter Hofmarſchaͤlle u. ſ. w.
Auf Univerſitaͤten ſagt dir jeder Lehrer
nicht was du zu wiſſen noͤthig haſt, ſondern
was er weiß. Da lernſt du den Werth der
Wiſſenſchaft nicht von dem der ſie vortraͤgt
ſondern von ſeinem Nachbar einem andern
Profeſſor der ſie verachtet.
Erinnerſt du dich was der Herr Candi-
dat — von einem benachbarten Koͤnige er-
zaͤhlte der ſeinen Profeſſor der Moral, ſelbſt
pruͤfte. Herr ſagt’ er moraliſir’ er mir was
vor, damit ich ſeh’ ob er was weiß. Ich
fand hier viel richtiges geſagt, und noch eins
auf den Weg von einem Profeſſor der Mo-
ral, der durch ſeinen Wandel ſeine Lehren
mit Gift hinrichtete. Was hoͤr ich von ihm?
ſagte der dirigirende Miniſter dieſer hohen
Schule „Verzeihen Ew. Excellenz ich bin nur
extraordinarius„
Dieſe Rede wiederrief nun zwar mein
Vater nicht; indeſſen lenckt’ er jetzo alles zum
Beſten,
[203] Beſten, da er wie er ſich ausdruͤckte durch
ein ander Thor mit mir hinaus wolte. Es
muß ſagt’ er eine Zeit ſeyn wo man einſehen
lernt was man nicht weiß, und kein beſſerer
Ort dazu iſt als eine hohe Schule. Ein
Profeſſor kann wenn er ſeine Wiſſenſchaft
nicht bis zum Handwerck treibt und ſie zu-
weilen ein Jahr ruhen laͤßt unendlich weit
kommen. Dieſe Wiſſenſchaft iſt eine liebe
Frau die man nach einem Jahre Entfernung
wieder in ſeinen Arm ſchließt da iſt’s als
wuͤrde man aufs neue copulirt. Ein Pro-
feſſor ſiehet ob ſeine Saat gut ſey vor ſich er
lernt eine Bewirthſchaftung guter Koͤpfe, und
wird ein Finanzier in der Gelehrſamkeit.
Wer hat mehr Gelegenheit Proben zu ma-
chen als er? und ſeine Begriffe bis zum An-
ſchauen deutlich; wer ſeine Wiſſenſchaft mehr
unuͤberwindlich zu machen als er? Durch alle
fuͤnf Species der Rechenkunſt rechnet er ſeine
Wiſſenſchaft durch. Der Glaube kommt durch
die Predigt. Steht er Profeſſor hoch im
Cours ſo bringt er auch ſeine Wiſſenſchaft in
den nemlichen Werth. Er erleuchtet eine
ganze Provinz und macht daß man ſeinen
Namen annimmt z. E. Wolfianer. Ein
wuͤrdiger Profeſſor hoͤrt ſich in wohlgerathe-
nen
[240[204]] nen Schuͤlern von der Kanzel, lieſt ſich im
Urtheil findet ſich am Krankenbette —
Er iſt in einer beſtaͤndigen Waͤrme, wenn
andere Gelehrte durch ihren Beruf ſich erkaͤl-
ten und Muͤhe haben wieder in gelehrte Tran-
ſpiration zu kommen
Auch die Alten hatten ihre Schulen und
ſo wie Kirchen gut ſind obgleich Gott uͤberall
iſt ſo ſind Academien nicht zu verwerfen.
Wo habt ihrs denn her, daß ihr ſo gelehrt
auf Academien ſchelten koͤnnt, wie ihrs thut?
Beynahe koͤnnte man ſagen: die Deutſchen
waͤren Univerſitaͤts oder academiſche Koͤpfe.
Warum wolt ihr eure Mutter verachten weil
ſie nicht ſo gut gekleidet gehet als eure junge
[Frau]?
Iſt denn der Wetteifer nichts wozu man
auf Academien Gelegenheit hat?
In der Schule locirt der Herr Praͤcep-
tor auf der Academie locirt ihr euch ſelbſt.
Es giebt auf Univerſitaͤten Gelegenheit
ohn’ ein beſchwerliches Lexicon in die Hand
zu nehmen und den Buchſtaben und Zahl
nachzuſchlagen, gleich zu lernen was man
nicht weiß. Ein Wort das oft ein Lehrer
im heiligen Enthuſiasm verlohr das heißt
das er ſagte ohne es beynah zu wißen —
gewis
[205] gewis aber ohn’ es zu behalten, ein ſolches
Wort faͤlt nicht auf die Erde. Der Juͤng-
ling faßt es: Aus dem Meeresſchaum wird
eine Venus.
Eine Univerſitaͤt iſt ein gewiſſes ganzes
der Gelehrſamkeit, eine Meſſe wo man nicht
an den Stadtkraͤmer gebunden iſt, wiewol es
auch hier offt heißt: wenn die Narren zu
Marckt kommen freuen ſich die Kaufleute.
Freilich kann man Meiſter werden ohne
gereiſet zu ſeyn allein wer achtet einen Mei-
ſter der nicht Certificate von fremden Laͤn-
dern aufweiſen kann. Die bekannte Avthen-
tica habita Cod. ne filius pro patre welche ſich
vom roͤmiſchen Kaͤiſer Friedrich herſchreibet
ſaget ausdruͤcklich omnibus qui cauſsa ſtudio-
rum peregrinantur Scholaribus \& maxime
diuinarum atque ſacrarum legum profeſſori-
bus hoc noſtræ pietatis beneficium indulge-
mus. Was iſt das? fragte meine Mutter
auf Luthers Art, und mein Vater antwor-
tete dies Privilegium kommt nur gelehrten
Wandersburſchen zu. Gott gleite ſie ſagte
meine Mutter und bringe ſie geſund zu den
lieben Ihrigen.
Man hat dahero auch den gelehrten Zwei-
fel aufgeworfen fuhr mein Vater fort ob die-
jenige
[206] jenige welche auf einer Univerſitaͤt gebohren
werden ſich dieſes Privilegiums zu erfreuen
haͤtten? und ob auch Lehrer hierunter zu
begreifen die nicht diuinarum atque ſacrarum
legum Profeſſores waͤren, allein man iſt der
gelehrten Meinung adeins geweſen, daß
alsdenn die Reiſe aus Mutterleibe unter den
Worten qui cauſsa ſtudiorum peregrinantur zu
verſtehen ſey wenn man auf einer hohen
Schule gebohren wuͤrde wie denn ein Pro-
feſſor aller Facultaͤten wenn gleich er hauß-
ſaͤßig iſt, jedennoch ſchon darum unter dem
Privilegio Raum hat weil er mit ſeinen Ge-
dancken in die kreutz und in die quer verrei-
ſet und immer, er ſey auch Docktor aller
Facultaͤten, ein Scholaris bleibt. Das Wort
maxime entſcheidet adzwey die gegebene aca-
demiſche Frage ſo deutlich als moͤglich —
Alles dieſes mein Kind ſind academiſche
Gedanken und kann ich dir einen Commen-
tarius Auctore Helfrico Vlrico HUNNIO
doctore \& in Jnclyta Academia Gieſsena
Juris Profeſſore publico \& ordinario in die
Hand ſpielen woraus du dir eine Reiſekarte
zu zeichnen im Stande ſeyn wirſt —
Hier eine große Luͤcke. Meine Leſer
werden die andere von ſelbſt bemerkt haben.
So
[207] So viel noch hinzu. Meine Mutter traute
dem Panegyrikus meines Vaters auf den
Univerſitaͤten in vſum Delphini nicht ganz.
Sie merkt’ es ihm ab daß er ſeine Zweifel
nicht voͤllig los werden konnte.
Plato hat wie erzaͤhlt wird die Schrif-
ten des Comoͤdienſchreibers Ariſtophanes ge-
liebt und da er geſtorben war fand man noch
im Bette die Schriften dieſes gekroͤnten Co-
moͤdienſchreibers, der ſich mit Sokrates wie
ein Paar Profeſſors und ein Paar bekandte
Hausthiere vertrugen. Dies iſt genug zur
Bertheidigung meines Vaters bey ſeinen
Seitenblicken —
Academie (mein Vater laͤßt ſich verneh-
men) hieß der Ort wo Plato ſeine Philoſophie
lehrte, die ſo ſchoͤn war als der arcadiſche
Garten dieſes Unſterblichen. Waͤr’s auch
nur ſeinet und des alten Herkommens hal-
ber, muͤßt’ man Univerſitaͤten beſuchen
Solte nicht, ſagte meine Mutter die
mit dem alten Herkommen und dem Plato
noch bey weitem nicht zufrieden war, ſolte
nicht da Adam und Eva doch wuͤrklich rele-
girt wurden, ſchon das Paradies die erſte
Academie? —
Ound
[208]
und die Schlange und der Seraph mit dem
bloßen Schwerdte? fragt’ ich liebe Mutter?
Wenigſtens verſetzte ſie war doch Eli Sa-
muels Profeßor und Gamaliel des Paulus
und die Prophetenkinder Studenten. Und
Stephanus fiel mein Vater ein voll Glau-
bens und Kraͤfte that Wunder und große
Zeichen unter dem Volk. Da ſtunden etli-
che auf von der Schule die da heißet der
Libertiner und der Cyrener und der Alexan-
drier und derer die aus Cicilia und Aſia wa-
ren und befragten ſich mit Stephand und ſie
vermochten nicht bey dieſer Inauguraldiſpu-
tation widerzuſtehen der Weisheit und dem
Geiſte der da redete —
Meine Mutter war außer ſich uͤber die-
ſen Text nur die Alexandrier haͤtte ſie gern
relegirt. Die gute Mutter! Sey ein Ste-
phanier, ſagte ſie, lieber Sohn ein Ste-
phanier —
Mein Vater kettete ſeine Stammtafel
der hohen Schulen von den Griechen und
Roͤmern an, bis auf die gegenwaͤrtige Zeit
zuſammen und ward dieſe academiſche Stunde
von Seiten meiner Mutter mit der Bemer-
kung beſchloſſen daß ihres Wiſſens kein Dock-
tor Theologiaͤ curiſches Brod gegeſſen es
muͤßte
[209] muͤßte denn einer von den Herren Einhorns
dieſe Wuͤrde incognito gehabt und aus heili-
ger Demuth ſie verſchwiegen gehalten haben.
Mein Vater erklaͤrte beilaͤufig nach ſeiner
Weiſe die adlichen Rechte die den Docktori-
bus zuſtuͤnden;
ſo wie den Literatis (meine Mutter verſtand
ihren Caſum) ſagte meine Mutter in Cur-
land. Sie behauptete es ſey gleichviel adlich
behandelt werden und adlich ſeyn; allein ich ſag-
te koͤniglich Eſſen liebe Mutter und Koͤnig ſeyn
iſt zweyerley und mein Vater war zum Bedruck
meiner Mutter unerſchoͤpflich uͤber die Ehre des
Adels. Er erklaͤrte was vierſchildig ſey, und ließ
ſo viel auf der Ritterbanck und an der Ehrenta-
fel ſitzen und in den deutſchen, Marianiſchen,
und Johannis und Maltheſerorden und in
hoch und andre adliche Stifte aufnehmen
und die Grandes vor dem Koͤnige von Spa-
nien den Hut aufſetzen, bis meine Mutter
zu Curlands Ehren behauptete, daß der
Herzog beym Lehn ſich auch einige Augen-
blicke bedecken koͤnnte wenn er wolte —
Laß den Braunen ſatlen ſagte mein Va-
ter um nach — zu reiten. Es ſind zehn
Jahre, daß ich den Herren v. G ‒ ‒ nicht
geſprochen habe. Meine Schuld iſt es nicht
O 2und
[210] und die Seinige das hoff ich auch nicht. Die
Zeit wird ans Licht bringen was noch im
Finſtern verborgen iſt. Herr v. G ‒ ‒ will,
daß du mit ſeinem Sohne der auch reiſefer-
tig und Univerſitaͤtsreif iſt dieſe Reiſe unter-
nehmen ſollſt. Der alte Herr iſt der Maͤck-
ler in dieſer Sache geweſen.
In acht Tagen biſt du vielleicht nicht mehr
in dieſer Huͤtte —
Paſtorat ſagte meine Mutter: Deine
Waͤſche iſt bereitet ſetzte ſie hinzu. Sechs
Dutzend Oberhemde, ſechs Dutzend Unter-
hemde zwey Dutzend fuͤr Sonntag ein halb
Dutzend fuͤr hohe Feſte. Meine Mutter re-
giſtrirte noch mancherley was fuͤr mich be-
reitet waͤre; allein mein Vater blieb bey den
Hemden ſtehen, auf die meine Mutter gleich-
fals einen beſondern Accent legte. Sie dach-
te ſich die weißen Kleider unter dieſer Hiero-
gliphe, womit wir im Himmel angethan ſeyn
wuͤrden. Was meinen Vater zum Still-
ſtande vermochte war Etwas Irrdiſches.
So viel Hemde ſagt’ er haben zwoͤlf Prinzen
von Hauſe nicht. Je vornehmer der Mann
je ſchlechter die Hemde fuhr er fort, im mo-
narchiſchen Staate, wo man nur auf das
was vor Augen iſt ſieht. In der Schweitz in
Holland
[211] Holland in England feine Waͤſche und je vor-
nehmer der Mann je feiner. Wo ein Ty-
rann, wo ein Deſpot herrſcht, will ich das
Hemde nicht ſehen. Die Menſchen achten
ihren Leib nicht, der ihnen nicht zugehoͤrt.
Je naͤher auf den Leib im monarchiſchen
Staate, je ſchlechter der Anzug. Fuͤr einen
Deſpoten iſt ein grobes Iſabellenhemde gut
genug. —
Alſo Sonntags und Montags Hemde
liebe Mutter und wie Gott will Sterbhemde
und Prophetenkinderhemde nur eins (das
wett ich) nicht — ein Brauthemde —
Da bin ich eben wo ich ſeyn muß um
meinen Leſern den Schluͤßel zur academiſchen
Ehrenpforte und zum Stall des Braunen
getreulich einzuhaͤndigen. Ein Schluͤßel oͤf-
net alles — die Eltern eilen gemeinhin mit
ihren Soͤhnen aus dem Hauſe ſo bald die
Natur die Fabel vom Storch widerlegt. Ich
will es nicht ausmitteln in wie weit es gut
ſey Kinder der Natur in dieſem Stuͤck an-
heim zu geben um die Frage unbeantwortet
zur rechten Hand liegen zu laſſen ob es Kin-
der ins Treibhaus bringen heiße wenn man
ihnen im zarteſten Alter dies Storchgeheimnis
erklaͤrt, und ſie ſo altklug macht, daß ſie
O 3ſelbſt
[312[212]] ſelbſt die Natur wenn ſie ſich zum Belehren
meldet, belehren, und mit ihr diſputiren koͤn-
nen. Vom Blattern inoculiren haben wir
guten Erfolg: Hier muͤßte auch Erfahrung
entſcheiden.
So viel dient nur hier zu Sache daß
Eltern ſo bald ſie den Sohn vaterfaͤhig hal-
ten ihm eine gluͤckliche Reiſe anwuͤnſchen
recht als ob ſie ihm eine Befugnis zur beſon-
dern Oekonomie in optima juris forma be-
willigten. Sie beſorgen die Soͤhne wollen
ſich an ihrem Hauſe einen Fluͤgel anbauen
laßen, und ſehen es gerne wenn der Sohn
reich heyrathet, dieſes letzte eben darum war-
um viele Leute kein Teſtament machen. Hier
iſt der Belag zu dieſem Eingange.
Meine Mutter war nach meiner Kranck-
heit zuweilen die dritte Perſon, wenn ich mit
Minchen allein zu ſeyn Luſt hatte. Die Lie-
benden wenn ſie lieben, glauben insgemein,
es wuͤßte Niemand, daß geliebt wuͤrde, und
offt ſiehts alle Welt. Sie bilden ſich ein,
ihre Liebe ſey die einzige in ihrer Art, da
aber jeder die nehmliche Methode hat, und
Adam ſelbſt mit den Augen die erſte Anwer-
bung gethan; ſo ſchlaͤft der Verraͤther nicht ‒
Meine Mutter merckte, mein Vater merckte ‒
beide
[213] beide ſagten mir aber kein Wort: Meine Mut-
ter weil ſie es fuͤr unmoͤglich hielt daß die Liebe
des Sohns eines Literatus des Anverwandten
Paul Einhorns und Alexander Einhorns des
zweyten curſchen Superintendenten Wurzel
faſſen koͤnne wenn er die Tochter eines Toͤpfers
der zugleich Schuſter und Schneider iſt, liebt.
Mein Vater weil er wegzuſehen ſich ver-
pflichtet hielt: Er verlangte von mir ein
gaͤnzliches kindliches Vertrauen; Minchen
nahm er aus. Wie richtig iſt Regel und
Ausnahme! kann man nicht das Recht ler-
nen ehe man Recht ſpricht. Lehrt Eltern
eure Kinder waͤhlen, eh die Natur ſie lieben
lehrt. Es iſt eine unuͤberdachte Behauptung,
daß Soͤhne kein Geheimnis (die Liebe nicht
ausgenommen) vor ihren Eltern haben ſol-
len! Irrthum wer Liebe nicht ausnimmt giebt
ſeinen Soͤhnen im Luͤgen Unterricht. Der
Sohn der fuͤhlt er koͤnne Vater werden iſt
von der Natur emancipirt, er hat in die-
ſem Stuͤck keinen Vater mehr. Toͤchter be-
halten Vater und Mutter bis ſie einem zu-
Theil werden, dem ſie als ein heiliges De-
pot uͤberliefert werden muͤßen.
Ich hatte die Gewohnheit zuweilen mit
Minchen in ein benachbartes Waͤldchen ſpa-
O 4ziren
[214] ziren zu gehen und nichts war mir angeneh-
mer als wenn ihre natuͤrlich ſchoͤne Stimme
die Nachtigallen zum Concert aufforderte und
wenn ſie von den Voͤgeln des Himmels
accompagniret wurde. Haͤtte ſie bey einem
Italiener Stunden genommen; keine Nach-
tigall haͤtte ſich mit ihr eingelaſſen. Jetzt
ſang die ganze Natur mit, weil ſich gleich
und gleich geſellte und ihr Geſang Natur
war. Ich hatte Minchen umgefaßt: Sie
war mein. Mein Auge ſagte laut Ewig
mein und das ihrige antwortete Ewig dein ‒
In dieſer Stellung und waͤhrend dieſem Au-
gengeſpraͤch und dem Concert das die Natur
dirigirte traf uns mein Vater wie ein Blitz.
Ich hatt’ ihn ſonſt nie in dieſem Waͤldchen
begegnet. Mich zu belauſchen hatt’ er nicht
angelegt, das weiß ich. Da ſtunden wir
und ſahen uns an. Lang hielt ich meinen
Arm wie um ihren Hals. Sie zog ſich aus
der Schlinge; allein ich hielt meinen Arm
noch immer in der Hoͤhe als ob er ihren Hals
haͤtte, und ſie — die der liebe Gott ſo him-
melan gebildet hatte ſtand wie mich duͤnckt
noch immer ſo von der Seite ſo uͤbergebogen
ſo angeſchmiegt als ob ſie noch nicht auf
freiem Fuß waͤre; oder als ob ſie ſich nach
mir
[][]
[215] mir geformt haͤtte — Wie ich endlich mei-
nen Arm fallen ließ war’s mir als wenn die
Welt fiel, ſo angſt war mir. Wie ihr gewe-
ſen da ſie wieder ins gerade Geleiſe kam,
konnte ſie nie angeben. Wir armen Kinder
der Natur! Ich ſehe ein wie’s dem Adam
zu Muth geweſen da er zum erſtenmal inne
worden, er ſey nackt. Wer nicht empfin-
den kann was Minchen und ich empfunden,
thue mir den Gefallen und leſe nicht weiter ‒
Ich glaub’ ich werde den Eindruck nie ver-
lieren, und hab’ ich ihn gleich nach der Zeit
nicht ſo ſtarck empfunden; war es mir doch
ſo oft ich daran gedachte, als ſtaͤnd’ ich mit
Minchen im Waͤldchen — Ich empfands,
die Nachtigallen ſchwiegen, und alles was
eben wachſen wolte machte Stillſtand und ſah
uns an — Mein Vater war in der nemli-
chen Verlegenheit und hielt mit uns voͤllig
das Gleichgewicht. Entweder wolt’ er ſich
heraushelfen oder er wußte nicht was er ſagte.
Iſt der Herr Vater nicht hier? wendete er
ſich zu Minchen und ſie „Nein er iſt auch
nicht hier geweſen„ kann was unſchuldigeres
auf die Frage iſt der Herr Vater nicht hier?
geantwortet werden? als nein er iſt auch
nicht hier geweſen. Das war kein Feigen-
O 5blatt
[216] blad zur Schuͤrze! O Minchen! Minchen
welche eine Suͤßigkeit iſt’s dich zu lieben! Fuͤr
dein „Nein er iſt auch nicht hier geweſen„
verdienteſt du ſchon den Lohn der Unſchuld
und koͤnnt’ ich den Ton hinſchreiben in dem
du dieſes ſagteſt — du verdienteſt bis ans
Ende der Welt gemahlt und gezeichnet zu
werden mit der Umſchrift „Nein er iſt auch
nicht hier geweſen„
Wenn ich dieſe Naturſcene ſo wie ſie
rings herum empfunden worden getroffen
haͤtte — (Was kann aber der Vater dafuͤr
wenn ihm ſein Kind nicht aͤhnlich iſt?) Cho-
dowiecki! es waͤre dir mit Minchen gegan-
gen wie Adam mit Eva. Adam ſah ſie —
Bein von ſeinem Bein, Fleiſch von ſeinem
Fleiſch — ſah ſie wieder kuͤßte ſie und —
Du haͤtteſt dieſe Seite durch und durch ge-
huͤpft ſie geleſen und ihr Handgeld zur dop-
pelten Unſterblichkeit gegeben.
Minchen wie ſie almaͤhlig gen Himmel
waͤchſt — nicht weil ſie Gewitterwolken ſa-
he, weil ſie aus Furcht dem Himmel aus-
wich, weil ſie Troſt bei der Erde ſuchte, die
wenn der Vater im Himmel ſchilt wie eine
wahre Unſer aller Mutter keinen Blick ver-
ſchmaͤht
[217] ſchmaͤht womit Schuld und Unſchuld ſich zu
ihr wenden, nicht darum ſondern —
Chodowiecki! Schweſter Sohn der Na-
tur deutſcher Mann! Du weißt dies ſondern
ſo gut als ich. Zeichne dieſe Scene eben um
des ſondern willen das dir dein Herz in Aug’
und Hand dictiren wird — und dann ließt
man nicht Minchen blos, man ſieht — Da
ſieht ſie! und ich froh druͤber flieg uͤber Jahr-
hunderte zu Jahrtauſenden! und jubele und
ſage zu meinem Buche: fuͤrchte dich nicht vor
denen die den Leib toͤdten und die Seele
nicht toͤdten moͤgen — Auch wenn der Leib
Jahrhunderte lang zerſtreut und wenns hoch
kommt in Anleitungen zur Dicht- und Rede-
kunſt in wahre Gebeinhaͤuſer geſammlet wird,
wo man nicht kennet den Gerechten und Un-
gerechten; ich bin’s gewiß es kommt die
Stunde in welcher eine Poſaune des Ge-
ſchmacks die Barbarey wegſcheucht und dies
Buch zur Auferſtehung und Leben aufhaucht,
dann ſey dies Blatt um Minchens wegen das
erſte das wider lebendig wird! —
Wir gingen all zuſammen nach Hauſe;
und unterweges erzaͤhlt uns der gute Mann
wider ſeine Weiſe was er kuͤnftigen Sonntag
geliebts Gott! ſeiner lieben Gemeine vorſe-
tzen
[218] tzen wuͤrde. Das Ende dieſer Geſchichte war
den folgenden Tag die Predigt von den Uni-
verſitaͤten und die Nutzanwendung
„Laß den Braunen ſatteln„
Ich ging zu Minchen der ich einen großen
Theil von dem Werth der Univerſitaͤten vor-
ſagte, um ſie zu meiner Abreiſe vorzuberei-
ten. Ich erklaͤrt’ ihr die Authentica habita
Cod. ne filius pro patre. Omnibus ſagt’ ich
qui causſa ſtudiorum peregrinantur. Sie ſah
ein was ſie ſchon zuvor eingeſehen hatte daß
es gut ſey; daß ich hinginge: um Paſtor zu
ſeyn, ziehſt du von hinnen ſagte ſie. Zieh
hin in Frieden.
Ich weiß daß ſich Mancher den Kopf
hart an dem Latein ſtoßen wird, daß ich
Minchen vorſagte; allein um Verzeihung die-
ſer Mancher verſteht nicht was Liebe iſt, und
ich haͤtte nicht ein Wort latein von der Au-
thentica habita Cod. ne filius pro patre auf
dem Herzen behalten koͤnnen — die Liebe
ertraͤgt keinen Ruͤckhalt ſie will alles was
man hat alles was man kann es ſei latei-
niſch oder deutſch. Daß ich indeßen mit
einer Ueberſetzung ſo treu als unſere Liebe,
Minchen untern Arm gefaßt muß ich des
Schwaͤchern willen anfuͤhren. Keine Man-
che
[219] che die geliebt hat wird ſich am Latein den
Kopf ſtoßen oder das Aermchen ſtreifen —
Der alte Herr! der mir ein tiefunterthaͤ-
nigſtes Compliment an Sr. Hochwohlgebohr-
nen mitgab that was Maͤckler thun wenn ſie
den Kaͤufer und Verkaͤufer angefuͤhrt, er
wuͤnſchte mir Gluͤck und Seegen, wobey er
aber nicht blos meine Reiſe nach — ſondern
auch die auf Univerſitaͤten verſtand. Die
Frau des alten Herrn ein gutes Weib! Zwar
nicht aus dem Stamme Levi, doch aus dem
Stamme der chriſtlichen Einfalt und Ehr-
lichkeit gab mir die Hand, da ich wegging.
Gott gleite Sie ſagte ſie, und ſeegne Sie und
gleite Sie und ſeegne Sie immer dar jetzt und
in alle Ewigkeit.
Da ich noch auf eine laͤngere Zeit nach
— reiſen werde; will ich mich in Ruͤckſicht
meiner Leſer nicht lang in — aufhalten ob-
gleich ich drey Tage zu bleiben gezwungen
war. Ich lernte den jungen Herrn mit
Flinte Jagdtaſche und Hirſchfaͤnger kennen,
ſein Vater — ein rechter aͤchter heller klarer
Mann. Wie hat der Mann zehn Jahr meinem
Vater den Ruͤcken kehren koͤnnen? ſeine Ge-
mahlin: eine gnaͤdige Frau —
Ich
[220]
Ich will nicht vorfaſſen —
Die Frau v. G ‒ ‒ brachte mich auf den
Wunſch wenn Minchen ſo ein gewiſſes Etwas
haͤtte das man in der großen Welt in zwey
Stunden lernet, wenn man in Purpur und
koͤſtlicher Leinwand gehet, einen Goͤnner am
Hofe und Geld auf Zinſen hat, und wozu
man laͤngere Zeit braucht wenn eins von die-
ſen Stuͤcken gebricht — Eine Viertel Meile
von der gnaͤdigen Frauen war ich von dieſem
Etwas und meinem voreiligen Wunſch zuruͤck
gebracht. Ich uͤberrechnete die Eigenſchaften,
die bey Minchen hiedurch leiden koͤnnten und
was dacht’ ich da ich das Schoͤne der Natur
rings um mich ſah. Was iſt dieſe kuͤnſtliche
Dreiſtigkeit — gegen die der Natur! Was
ein Garten gegen Wald und Feld. Ein
Junge der ehemals unterm Phalanx gedient
hatte und in Gnaden verabſchiedet war lies
mich wegen der Nachricht daß Minchens Mut-
ter geſtorben nicht ausdenken. Ploͤtzlich ſagt’
er, Niemand konnte ſichs vorſtellen. Eben
iſt ſie kalt worden. Die Worte, „Gott gleite
„Sie und ſeegne Sie und gleite Sie und ſee-
„gne Sie immerdar jetzt und in alle Ewig-
„keit„ fingen mir ſo lebhaft an zu werden,
daß ich dieſe alte gute Mutter ſah — und
Min-
[221] Minchen ſagt’ ich? Ihro Koͤnigliche Hoheit
antwortet’ er befindet ſich wohl, außer daß
ſie halb todt wegen des Todes der Alten iſt.
Mein ehrlicher Helm (er hieß eigentlich
Willhelm ſeiner Tapferkeit wegen war ihm
indeſſen die erſte Sylbe allergnaͤdigſt erlaſſen)
ſagte dies mit ſo viel Subordination (dieſe
und nicht Ehrfurcht verlangt’ ich von den
Meinen) daß er in jedem Wort Tackt hielt.
Er bemerkt’ unmaasgeblich daß dieſer Todes-
fall vor einiger Zeit durch ein Licht in der
Kirche zwiſchen eilf und zwoͤlf ſehr richtig vor-
her verkuͤndiget waͤre, allein ich belehrt’ ihn
daß dieſes Licht meiner Mutter Handlatern-
chen geweſen, ich fuhr er fort hab dieſes An-
und Vorzeichen nicht geglaubt. Deſto beſ-
ſer erwidert’ ich. Unterthaͤnigſten Dank be-
ſchloß Helm fuͤr die Parole „Handlaternchen„
ich werd ſie weiter geben — Gut! ſagt’ ich.
Soll ich mit fragte Helm und zeigte Briefe
die er wegſchnellen ſolte, ich winckt’ ihm ab,
und mein Pferd als ob es den Helm verſtan-
den haͤtte, hielt am Trauerhaus. Ich fand
Minchen die Haͤnde ringen und laut! laut!
wimmern meine Mutter meine Mutter meine
liebe Mutter!
So
[222]
So bald ich ins Zimmer trat artete ihr
Schmerz in Kunſt aus. Sie veraͤdelte ihre
erſte natuͤrlichen Aufwallungen; Sie ſchrie
nicht aus: ſie ſeufzte nur ein ſanftes Ach!
Sie weinte zwar; allein ſie ſchlugzte nicht,
Sie goß nicht Thraͤnen ſie taute ſie nur, ſie
rang nicht mehr die Haͤnde ſie faltete ſie.
Sie bedaurete ihre Mutter, allein ſie war
bemuͤht dabey auch ihrem Vielgetreuen zu
gefallen. Im allererſten Affekt haͤtt ich die-
ſes vielleicht nicht uͤber ſie erreicht, jetzt aber
opferte ſie mir ihren Schmerz auf. Sie ver-
ließ ihre Mutter um an mir zu hangen. Alle
poetiſchen Uebel geben der Liebe Zuwachs.
Ein Maͤdchen das einen Braͤutigam hat, kann
unmoͤglich uͤber den Tod ihrer Mutter anders
als dichteriſch betruͤbt ſeyn. Ihr Schmerz
iſt ein ſchoͤner Schmerz. Sie uͤberſezt den
Schmerz wenn ich ſo ſagen ſoll in wohlklin-
gende Verſe: Alles was ſie that gehoͤrte der
Seeligen und mir zur Helfte.
Haͤtten Sie ſie ſterben geſehen! Einen
Gruß uͤber den andern an Sie. Sie ging
ſo ſchoͤn wie die Sonne unter, ich haͤtt was
drum gegeben, wenn ſie dieſe untergehende
Sonne noch beſchienen haͤtte. Gewis haben
Sie ihrem Geiſt begegnet —
Ich
[223]
Ich hab’ ihm begegnet, ich hab Sie geſe-
hen, ich hab Sie gehoͤrt. Gott gleite Sie
und ſeegne Sie und gleite Sie und ſeegne Sie
jetzt und in Ewigkeit. Ich hoͤrs noch —
Da ſah und hoͤrt mich mein Vater.
Alexander! rief er, und ich war kein Sonn-
tagskind mehr, ich kam von meiner Mondſucht
zuruͤck. Mein Vater antwortet’ ich. Er
hatte der Seele dieſer frommen Alten mit
einem andaͤchtigen Zuſpruch das Geleite gege-
ben, und ſelbſt ſo Etwas von Vollendung vom
Himmel im Geſicht — Er ſah ſelbſt ſeelig
aus. Seine Erzaͤhlung war mir neu, ob er
gleich erzaͤhlte, was ich wußte, was ich ſahe!
Nach dieſer Entzuͤckung in den dritten Him-
mel kamen wir aufs Irrdiſche, und ich er-
zaͤhlt’ ihm daß ich erſt in fuͤnf Monaten aus-
reiſen wuͤrde. Wilſt du ſagt’ er noch zu gu-
ter letzt eine Leichenrede — darf ich bitten
ſagte der alte Herr — Minchen bat mich
nicht, ich entſchuldigte mich, und gewis haͤtt
ich beym Sommergetreide eingebuͤßt, was ich
beym Wintergetreide bey der Predigt, einge-
nommen und eingeerndtet, wenn ich bey dem
Grabe Minchens und meiner Mutter eine
Leichenrede uͤbernommen. Dies war wol der
groͤßte Beweis, daß mein Vater nicht wußte
Pwie
[224] wie es mit Minchen und mir ſtuͤnde. Er
hielts ohne Zweifel fuͤr Alexander und Darius
Spiel. Mein Vater ging zu Hauſe, ich
blieb noch einen Augenblick zuruͤck und ging
mit Minchen aus Bett ihrer Mutter. Nie ſah’
ich die Aehnlichkeit, die dieſe Verklaͤrte mit
Minchen hatte, als jetzt. Zwar ein Schat-
tenriß, doch Minchen! und mir ſolte grauen? —
Ich nahm die muͤtterliche kalte Hand und rief
ſie zum Zeugen uͤber mich, daß ich Minchen
liebe und lieben wuͤrde — Sie fahre uͤber
mich ſagt’ Minchen, ſo kalt ſie da iſt, wenn
ich einen andern liebe, und toͤdte mich, wenn
ich nicht Minchen liebe, jetzt und bis vor Got-
tes Tron ſetzt’ ich hinzu.
Wir ſchieden diesmal von einander als
wenn wir Probe ſtuͤrben! So geruͤhrt! ſo —
Mein Vater der gute Mann, der mich
bey meiner Mutter angemeldet hatte, war ſo
guͤtig geweſen, ihr zu verſchweigen, wo er
mich und den Braunen getroffen. Sonſt war
ſie von den fuͤnf Monaten und daß ich die
Reduͤbung ausgeſchlagen, unterrichtet und
uͤber beides erbauet. Die fuͤnf Monate ga-
ben ihr noch zu einer Rubrick unter den mit
zugebenden Hemden Gelegenheit, und meine
abſchlaͤgige Antwort? — ich erzaͤhl’ es un-
gern
[]
[][225] gern, daß meine Mutter hieraus meine
Gleichguͤltigkeit gegen Minchen, wie aus ein-
mal eins, eins heraus brachte. Liebe Mut-
ter! die Liebe haͤlt keine Reden! —
Die fromme Alte wurde in aller Stille beer-
diget, und ihr Grabmal war das heilige Cabinet,
wo Minchen und ich in Liebesangelegenheiten
zuſammen kamen. Ein Engel mehr, ſagten
wir, der uns hoͤret, ein uns ſo verwanter
Engel —
Um meine Leſer wegen der Rede ſchadlos
zu halten, bin ich bereit, einem jeden der hoͤren
will, eine von andrer Art vorzufechten. Liebe
und Tod grentzen uͤberall zuſammen: Im Ro-
man und in der Geſchichte.
Ich bin der feſten Meinung, daß jedes
was ſchreiben kann, wenns liebt, auch Liebes-
briefe ſchreibe, geſchrieben habe, auch ſchreiben
werde. Die Liebe iſt eine voͤllige Opferung,
eine Univerſalſocietaͤt. Man giebt alles was
man hat, man thut alles was man kann.
Man ſagt alles, was man weiß, Authen-
tica habita Cod. ne filius pro patre nicht aus-
genommen. Ein Bauer kritzelt den Namen
ſeiner Grete in Sand. Die Harcke iſt ſeine
beſte Feder. Schrammt er ihn in Kuͤrbis,
ſchmeckt ihm dieſer am ſuͤßeſten. Schnitzelt
P 2er
[226] er ihn in eine Linde; ſchmatzt er den Saft aus,
der aus den Buchſtaben quilt. Grete ſteht
uͤberall, wenn ers bis zu fuͤnf Buchſtaben ge-
bracht hat; wenn nicht, iſt der erſte Buch-
ſtabe des Vornamens ſein. Er pfluͤgt ein G,
er ſpringt ein G, er geht ein G, und Grete?
nennt ihn zwar Hanns, allein ſie nehet den
erſten Buchſtaben ſeines Zunamens, ins Tuch
das ſie ihm ſchenckt. Hanns Ficht heißt ihr
Adonis, und ſie ſtreut ihre Tannen ins F.
und kommt ſie an die Blumen der Venus,
von der ſie aber Gottlob! nichts weiß, an Ro-
ſen und Myrthen, legt ſie ſie ins F. Selten
weiß ſie mehr als den erſten Buchſtaben, al-
lein den neht und ſtreut ſie — wie gedruckt.
Sie ſticht ihn mit Nadeln ins Eichenblat, in
alle Blaͤtter. Die Rinde kommt dem Han-
ſen zu; im Kuͤrbiscabinet aber, leben ſie in
Gemeinſchaft der Guͤther. Hier ſteht F.
und dort G. Das kleine gnaͤdige Junckerchen
macht Greten fuͤr die erſte handvoll Kuhblu-
men oder ein Eichhoͤrnchen, zur F. Die Vor-
ſchrifft oder Sr. Wohlehrwuͤrden kleiner Ben-
jamin, und dieſer letzte, gegen einen Maykaͤfer
oder jungen Haͤnpfling —
Wenn nur Eins ſchreiben; beide aber
leſen koͤnnen, iſt das was blos lieſt, weit ver-
liebter
[227] liebter, wenns zum Klappen kommt, als das,
was leſen und auch ſchreiben kann. Das
Schreiben zeigt von Bedachtſamkeit und Be-
ſtaͤndigkeit. Ein Philoſoph will immer ſchrei-
ben, allein ſelten kommt er dazu. Ein
Dichter kann ſich zur Noth, wo Gott fuͤr
ſey! auch ohne Schreiben behelfen: Dahero
kommts, daß offt große Dichter unrichtig
buchſtabiren. Der groͤßte Philoſoph ſchaͤmt
ſich nicht und hats auch wahrlich nicht Ur-
ſach, buchſtabiren zu koͤnnen. Er ſetzt die
Worte, der Dichter wirft ſie hin —
Man kann nur fuͤglich im Stehen oder
Sitzen ſchreiben, und es ſetzt eine gewiße Be-
dachtſamkeit zum Voraus, welche die Liebe
ſehr bey der geliebten Perſon vergroͤßert, die
nur geglaubt hatte, es waͤre ein Ueberfall.
Die Natur ſchlaͤgt in der Liebe eine beliebte
Kuͤrze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht
an, reif, ißt ſie ſie vom Baum — Die
Kie Kunſt hat dieſen Weg erweitert, und bald
haͤtt ich geſagt, verſchoͤnert: es kommt auf den
Geſchmack an. Die ſchoͤnſten Fruͤchte von
der Spitze des Baums (welche die Hand nicht
ohne Verlaͤngerungsſtange reichen konnte;
der Mund kann gar nicht heran) die ſchoͤn-
P 3ſten
[228] ſten Fruͤchte werden ausgewaͤhlt: auf por-
cellaine Teller gelegt: mit Blumen und Blaͤt-
tern, die, wenn man lang am Tiſche ſitzt,
vor unſern Augen den Geiſt aufgeben und
welcken, geſchmuͤckt, und ſo auf eine mit
Spiegelglas und Puppengezierte Tafel, ge-
ſetzt — Hier tanzt man, dort ging man.
Die gnaͤdige Frau, die das Obſt aus der Hand
des lieben Gottes nicht vertragen kann, ders
Blaͤhungen macht, laͤßts verzuckern und can-
diſiren, und Mumien im egyptiſchen Sinn da-
raus ſieden. Pfefferkuchen iſt ihr beſſer als
Honig. Da man indeſſen ſich heut zu Tage
leider! fein ſauber waͤſcht, anſtatt daß man
ſich baden ſolte; und wir unmoͤglich bis auf
die erſte Natur zuruͤck geſtimmet werden koͤn-
nen, wo wir tauſend und abermal tauſend
Dinge vergeſſen muͤßten, die wir jetzo wiſſen;
dient das Schreiben zur Verfeinerung. Fuͤhlt
ihr alſo einen Eckel die Fruͤchte unterm Baum
im Garten zu eſſen; ſchreibt Liebesbriefe, nur
ſchreibt ſie nicht aus dem Talander, und wenn
er auch nur ſeit vierzehn Tagen in Paris
gedruckt waͤre; ſondern aus dem Hertzen —
Hier haben Sie den Schluͤßel zu den folgenden
vier oder ſechs Seiten — ich weiß nicht wie
viel es, wenns gedruckt wird, betragen werde —
wenn
[229] wenn Ihnen, Durchlauchtigſte Princeßin!
gnaͤdigſte Graͤfin! — dieſe Hausmannskoſt
Blaͤhungen macht, es ſind glaub ich auch
eingemachte Saͤchelchen da. Finden ſie
nichts — ich rathe zum Talander, es thut
nichts zur Sache, obs franzoͤſiſch oder deutſch
iſt, obs 1697 oder 1776 gedruckt iſt, was
Ihnen das Herz verdirbt — ihr aber meine
Lieben! die ihr ſchmecket und ſehet, wie freund-
lich Mutter Natur iſt, denckt von meinem
Vorbericht, was ihr am Ende von allen Lie-
besbriefen dencket, die man nicht ſelbſt ge-
ſchrieben hat. Und hiemit fuͤnf Briefe von
meiner Minchen, nach der Anzahl der Feyer-
Hemde, die mir meine Mutter bereit’t hat,
wenn ſie mir nicht jetzo, wegen der fuͤnf Mo-
natfriſt, wider Vermuthen noch eins dazu
legen ſolte.
Sie an Ihn
O du lieber lieber Junge! — Was
haſt du fuͤr eine gute Art zu ſchelten! Es
iſt ſo was herzliches drin, daß ich es mit
Fleiß auf ein Scheltwort von dir anlegen
werde. Du biſt ein ganzer Junge! ein Gott
und ſein Weib liebender Junge. Mein all, all,
P 4all
[230] all, alles bis du. Ich leſe deinen Brief und
ſchreib an dich beinah alles zuſammen — Was
kann aber die Liebe nicht! du ſchiltſt, daß ich
durch Naͤhen und Stricken mir den Finger
wund gemacht. Soll ich denn die Haͤnd in
Schooß legen? da wuͤrd’ eine Naͤrrin aus
mir werden, obgleich ich jetzo dein Weib bin —
Was kluͤgeres kann kein Maͤdchen in der gan-
tzen weit und breiten Welt ſeyn, als dein
Weib. Der Finger iſt auch wohl behalten
und heil, und ſieht aus wie — neu haͤtt ich
bald geſchrieben — wie zuvor. Er hat kei-
nen ſchwarzen Band mehr: Die Trauer iſt
ſchon geſtern abgelegt. Was wilſt du
mehr? — Faſt wuͤnſcht’ ich du moͤcht’ſt noch
mehr wollen, damit du ſchelten koͤnnteſt.
Schilt doch lieber herzlicher Junge, ſchilt doch
was rechts auf — Die Muſik war bei der
Fingertrauer nicht verboten. Soll ich meine
Doris miſſen, kann ich dir ſo herzbrechend ſin-
gen und ſpielen, du ſolſts hoͤren. Mein Va-
ter wunderte ſich uͤber den ſchnellen Gang in
der Muſik. Der gute Mann weiß nicht, daß
ich eigentlich in der Schule der Liebe bin, und
von ihr Clavier ſpielen lerne — Gott im
Himmel und dich in der Welt! Wie kann ich
Gott lieben, den ich nicht ſehe, wenn ich dich
nicht
[231] nicht lieben ſolte, den ich ſehe. Ich liebe Gott
in dir. Es iſt unausſprechlich wie ich dich
liebe. Du biſt Gottesbote an mich. Gott
gab mir dich. Meine Seel iſt dein und unſre
beide Seelen ſind Gottes. Heut ſehn wir
uns; allein nicht ganz, wir ſprechen uns allein
ſchwerlich drey Viertheil. Du muͤßt’ es
denn machen wie neulich. Deine Mutter
braucht aber nicht alle Tage Pfefferkraut.
Was iſt doch die Liebe fuͤr eine Lehrerin?
Wir ſonderten uns vor aller Leute Augen ab,
die mit uns giengen, und kein Menſch dacht’
Arges in ſeinem Herzen. Es fehlte nicht
viel, deine Mutter ſelbſt haͤtte drum gebeten,
und das beſte war, wir fanden gleich ſo viel
Kraut daß wir Zeit genug hatten uns viel!
viel! zu ſagen. Findſt du aber, daß es we-
niger wird, was noch ruͤckſtaͤndig iſt, und
was wir uns noch zu ſagen haben? ich
nicht — Wir zahlen nicht einmal alle Zin-
ſen ab; dieſe werden noch Capital. Wenn
wird uns Gott in Stand ſetzen, Capital und
Zinſen richtig zu machen. Wenn du Paſtor
biſt und ich, Paſtorinn. Dein Weib bin ich
lang. Gott und alle ſeine heilige Engel wa-
ren auf unſrer Hochzeit, und die ſind ſtaͤndig
beinah ſichtbar um uns, wenn wir allein ſind.
P 5Es
[232] Es kann nur wenig, ſehr wenig dran fehlen,
um ſie von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen —
Da kann man wohl mit Recht uͤber den be-
truͤbten Suͤndenfall klagen. Iſts denn
Suͤnde ſo zu lieben als wir? und liebt nicht
Gott unſere Liebe? Seine heilige Engel ſind
ja unſere gute Maͤnner geweſen, und wir ſind
nicht ſo verbunden — (ich wolte nicht ver-
heirathet ſchreiben, allein ich aͤrgre mich uͤber
den Anſtand den ich druͤber genommen, und
ſchreibs zweymal hin) ſo verheirathet, wie die
verkehrte Welt, ſondern wie Adam und Eva.
Gott ſelbſt hat uns getraut, und ſag hat je
ein boͤſer Gedancke dein Herz verfaͤlſcht? mir
iſt keiner vorgekommen. Je froͤmmer ich bin,
je innbruͤnſtiger denck ich an dich. In der
Kirche hoͤr’ ich deine Stimme unter hundert,
und ich ſinge ſchnell mit, damit wir beide zu-
ſammen zu Gott kommen. Aus der ganzen
Fuͤlle meines Herzens bin ich dir gut. Bin
ich nicht dein Weib, dein treues Weib, du Ein-
ziger du Evas Adam! Sag es mir tauſend-
mal und wieder tauſendmal, daß du mein
Mann, und ich dein Weib ſey. Das lernt
man immer ſchoͤner ausſprechen, je oͤfterer
man es ausſpricht. Wenn du es ſagſt iſts
mir himmliſche Muſik, Kirchengeſang —
Jetzt
[233] Jetzt ſind wir nur beym lieben Gott bekanndt.
Ueber ein kleines oder uͤber ein großes —
mir iſts gleich, wird Gott uns auch unter die
Leute helfen. Ich liebe deine Seele, und du
die Meinige. Du biſt der Mann meiner
Seele, und ich das Weib deiner Seele: ſonſt
koͤnnten die Engel mit uns nichts mehr zu
ſchaffen haben. Leb wohl — Zu Mann
und Weib hat uns der liebe Gott gemacht,
zum Herrn Paſtor und zur Frau Paſtorinn,
muͤßen es die Menſchen thun. Da iſt das
ganze Raͤthſel —
N. S. Zur rechten Hand. Das Pfef-
ferkraut wuͤrd ich zum Kraut der Liebe ma-
chen, ſo gut bin ich ihm.
N. S. Zur linken Hand. Warum haſt
du deinen letzten Brief ſo weitlaͤuftig geſchrie-
ben? Wenn du mir ſo gut nicht waͤrſt, als
ich weiß daß du es biſt, wuͤrd ich mir Gedan-
cken machen. Hab ich es nicht von dir „je
„kaͤlter je weitlaͤuftiger, wenn man Briefe
„ſchreibt.„ „Wer liebt laͤuft immer uͤber.
Er kennt nicht Maas und Gewicht.„ Aber
ſo biſt du! auf deine Finger ſiehſt du nicht,
allein die Meinigen ſollen nicht trauern. Koͤnnt
ich dann nicht dich und du mich lieben, wenn
auch alle unſere zwanzig Finger im tiefen
Trauer
[234] Trauer waͤren. Ich komm wieder aufs vo-
rige. Wer war es denn der ſagte, die Natur
liebt eben die Finger nicht weiß. Rothe
Wangen, ſtarcke Haͤnde, wo geſundes Blut
durchſcheint, iſt Naturuniform, wer war es?
Ich muß noch ein Stuͤck Papier mit der Na-
del anheften — Lieber Mann, ein Natur-
menſch wie du, ſolt nicht auf weiße Finger
ſehen. Das nenn ich! ich! ich! nenn das
ſchelten! Gruͤße alle deine Finger von mir —
ſie ſind meine Finger. Du biſt ganz mein,
ich ganz dein. Wir ſind eins, ich habe deine
Briefe unter meine Bibel gelegt. Erſt Gott
und denn mein Mann. So gehoͤrt und ge-
buͤhrt es ſich — Ihr Maͤnner, duͤnckt mich,
ſeyd zum reden und zum ſchreiben. Wir
Weibchen, zum thun, und wenns hoch kommt,
zu leſen. Das wirſt du wohl finden ohne
daß ichs noͤthig gehabt zu ſchreiben.
Sie an Ihn.
Wie du vom Alexander zum lieben Jun-
gen erniedrigt, oder beßer, erhoͤhet biſt! Unſer
Liebe hat ſehr gewonnen, jetzt da dein Vater
den zweyten Diſkant ſingt, ich wett’, er hat
mit dir zuvor was Großes im Schilde gefuͤhrt.
Gottlob! daß du jetzo Paſtor wirſt. So ſind
wir
[235] wir doch ſo ſehr nicht auseinander. Lieber
lieber lieber Junge! was meineſt du. Die Re-
genten muͤßen ſich doch auch zuweilen ſo nen-
nen, wie wir, oder ſie wißen nicht was Liebe
heißt, und denn ſind ſie aͤrmer als wir und
aͤrmer, als alle Bettler in unſerm Dorfe. Ich
weiß doch auch wie es einer Princeßin zu
Muth iſt! allein ich tauſch nicht mit der Koͤ-
nigin Eliſabeth, da ich dich hab — und du
nicht mit Alexander, da du mich haſt. Wir
wuͤrden jetzt ſchlecht Alexanderchen ſpielen!
die alte Babbe wuͤrd die koͤnigliche Frau Mut-
ter beßer machen, als wir Alexander und Frau
Alexander. Außer der Liebe, das fuͤhl ich, iſt
alles Poſſen und Unweſen in der Welt. Du
haſt recht, ganz recht „die Liebe macht gleich-
„guͤltig gegen Ruhm und Glanz: allein gegen
„die Menſchlichkeit nicht. Sie ſchraͤnckt das
„Herz ein; allein ſie erweitert es auch. Eins
„liebt nur eins, wie Mann und Weib, alle
„Menſchen aber, wie Schweſter und Bruder.
„Einen Verliebten, glaub ich, kann jeder Mann
„betruͤgen, er haͤlt alles fuͤr ehrlich was ihm
„begegnet, die Liebe iſt ſtarck Getraͤnck fuͤr
„die Seele. Sie betrinckt ſich in ihr, und
„Verliebten gehts kein Haar beßer, als Leuten
„die ein Glaͤschen uͤbern Durſt getruncken
„haben
[236] „haben. Es iſt ihnen aller beßer wie zuvor.
„Sie ſehen alles in den beſten Jahreszeiten,
„alles im Junius„ So weit du. Eine ſchoͤ-
ne Antwort auf deinen Brief. Ich ſchreib
ab, was du geſchrieben haſt. Mich duͤnckt
aber — das iſt die rechte Art fuͤr ein Weib.
Es iſt eine Kopiſtin des Mannes, wenn es
ſchreibt. Denn dies iſt ihr Fach nicht. Das
war wieder eine Abſchrift von dir, und uͤber-
haupt bin ich ganz nur eine Abſchrift von dir.
Du haſt mir geſtern geſchrieben, daß ich deine
Buchſtaben nach mache, und daß ſie mit der
Zeit wie deine ſeyn wuͤrden. Lieber Junge!
ich leg’ es nicht dazu an: ich mache ſie nicht
nach. Es kommt von ſelbſt, ungebeten —
Ich leſe deine Briefe mir ins Herz und in
die Hand. Wenn du morgen zu mir kom-
men wilſt; komm um vier. Von vier bis
ſieben ſind nur drey Stunden, ich habe dir
viel von der Liebe zu ſagen, worauf mich dein
Brief gebracht hat. So was muß man ſich
ſagen. Schreibt man, iſts ſo als wenn man
Schlagwaſſer aufs Schnupftuch gießt. Ich
denck, die Liebe iſt noch das Einzige, was in
der Welt von ihrem Stande der Unſchuld, und
von der Zeit da ſie aus des lieben Gottes
Hand kam, uͤbrig iſt. Und du lieber Gott!
bey
[237] bey dem allen glaub ich, daß nicht drey Paar
in ganz Curland ſich lieben, wie man recht
liebt, ſich lieben wie wir — Du wirſt uͤber
vieles lachen was ich mir im Kopf gezeichnet,
uͤber vieles wirſt du mich aber kuͤßen —
Im Lande, ſchreibſt du, wo man ſich in der
Landesſprache nicht auf gute Weiſe dutzen
kann, liebt man nur ſo ſo — — recht! ganz
recht lieber Junge, und wenn haͤtteſt du nicht
bey mir Recht? Das Dutzen iſt ſo was zum
Herzen, daß ichs nicht ſagen kann. Was
das huͤbſch iſt, daß du deinen Vater und deine
Mutter du zu nennen, das Herz haſt. Mei-
nem Vater duͤrft ich ſo nicht kommen: der
Mutter wohl — darum liebſt du auch dei-
nen Vater mehr, als ich den Meinigen. Unſre
Muͤtter lieben wir, glaub’ ich gleich — Denn
kleinen Finger von der Liebe womit wir uns
lieben auch der nicht! — Ich habe ſchon
gedacht, ihr Maͤnner koͤnnt nimmer ſo zaͤrtlich
ſeyn, als wir: Hoͤrſt du? als wir. Wo ich
alles hernehme was ich ſchreibe, mußt du beſ-
ſer wiſſen als ich — denn in Wahrheit, wenn
ich mich ans Papier ſetze, weiß ich kein Wort.
Morgen von vier bis ſieben; ich wuͤrde nicht
eine Sylbe an dich ſchreiben, wenn du es nicht
ſo wolteſt, aber du muͤßteſt ohn End und
Ziel
[238] Ziel an mich ſchreiben, ſonſt wuͤſt ich nicht
was ich anfinge. Ich find in keinem Buch
das, was ich in deinen Briefen finde —
Was du aber in meinen findeſt, kann nicht
viel ſeyn —
N. S. Komm ja um vier; mich aͤrgert,
daß ich alles ſo voll geſchrieben habe, ich
moͤcht dich gern noch einmal, und noch einmal
drum bitten, um vier.
Sie an Ihn
Sie an Ihn! dieſe Erfindung macht dir
Ehre. Du und ich, ich und du. Mehr iſt
fuͤr uns nichts in der Welt. Mir kommts we-
nigſtens ſo vor! Es geht dir mit meinen
Sachen wie mir mit den deinen. Ich koͤnnt
nicht leben; wenn ich nicht was von dir bey
mir truͤge. Ich ſeh dies als ein Pfand an,
daß du mit einem Kuß ausloͤſen mußt. Den
letzten Brief trag ich immer im Buſen, bis
ihn der folgende abloͤſet. Dein Tuch aber,
kann ich in der Hand halten und kuͤßen, und
mich damit vor aller Welt Augen befreuen —
Mein Tuch und meine Feder, und mein Buch
und das Band auf meinem Kopf, das du
nicht beruͤhret haſt, iſt mir als ein ungetauf-
ter Heide. Was du angefaßt haſt, iſt mir
einge-
[239] eingeſeegnet und geweiht. Die Stadtleute,
die nicht wiſſen wie ſchoͤn es iſt, Blumen
an der Wurzel zu ſehen — geben ſich ein-
ander Blumen. Ihr Blumengeſchenk, das
hab ich von dir, iſt ein Bild ihrer Liebe, die
auch bald dahin ſtirbt. Ich moͤchte nicht in
der Stad wohnen um vieles! Die Leute glaub
ich, haben da den lieben Gott nur in der Kir-
che, wir, der Name des Herrn ſey gelobt!
haben ihn uͤberall — In Mitau werd’ ja
nicht Paſtor. Werd’ es auf dem Lande. Da
haſt du halb predigen, und wir leben doppelt.
In der Stadt iſt man, wies in der Bibel ſteht,
lebendig todt. Man lebt ſich da, wie du
ſagſt, krank und todt. Daß du mir ja keine
neue Feder mehr ſchickſt. Ich will keine, mit
der du nicht ſchon geſchrieben und die du nicht
ſchon im Gang gebracht haſt. Und was
ich noch mehr will, haͤtt ich bey einem Haar
vergeſſen — Der alte Herr geht morgen
aufs Land und bleibt drey Tage —
N. S. Um acht des Morgens kommt
der Wagen nach ihm, um neun iſt er gewiß
nicht mehr.
Sie an Ihn
Geſtern, lieber Mann meiner Seele! Ein-
ziger! hab ich den Geburtstag unſrer Liebe
Qgefey-
[240] gefeyert. Im Buch der Lebenden, das vor
dem Thron Gottes liegt, ſind wir gewis von
Anbeginn in einer Reihe zuſammen geſchrie-
ben. Ich zittre und freu mich. Es ſchau-
dert mich und ich bin entzuͤckt, da ich an das
zuruͤck dencke, was geſtern neu gebohren ward.
Der erſte Kuß und mit ihm der Schwur,
„Ewig mein„ ich hab meinen Schutzengel
ſehr gebeten, es dir einzufloͤßen, was ich geſtern
empfunden habe, es iſt unausſchreiblich!
denckſt du auch noch zuruͤck? Unſre Augen
waren die erſten Bekandten, ſie waren im-
mer zuſammen, wenn ſie ſich reichen konnten.
Ehe man ſich liebt, iſt das Auge, wie du ſagſt,
als eine Sonne mit Wolcken belagert. Die
Liebe ſteckt das Auge an, zuvor iſt es eine un-
angezuͤndete Kerze! Kaum brennts, ſo iſt auch
der ganze Menſch helle — Alles ſtuffenweiſe
in der Liebe! Nach dem Blick eine Beruͤh-
rung. Ich denck noch offt dran, wenn ſich un-
ſere Finger beruͤhrten, da du mir was reich-
teſt, oder ich dir — die Funcken ſpruͤtzten mir
bis in die Seele, ſo offt wir ſo Feuer anſchlu-
gen, und da ich dein Glas wie aus Verſehen
nahm, und du das Meinige, und da ich mit
gutem Bedacht eben an der Seite tranck, wo
du getruncken hatteſt. Himmel was tranck
ich
[241] ich! ich tranck dich, ich war von dir betruncken,
und mein ganzes Blut ward davon entzuͤndt.
Endlich das hohe Feſt, deßen Jahrstag ge-
ſtern war! Sprachen wir oder ſprachen wir
nicht? Ich glaube: Nein. Sprache und Lie-
be ſtehen nicht ſonderlich, das hab ich offt erfah-
ren. Die Sprache iſt ein ungetreuer Dienſt-
bote. Gott wie du mich kuͤßteſt, und drey
Bluͤthen vom Baum herabfielen, um dieſen
Ort zu heiligen, und die Nachtigall ſchlug, und
wir dies alles nur halb ſahen, nur halb hoͤr-
ten, bis wir uns von dieſem Kuß erhohlet
hatten. O Mann, o lieber Mann! welch
ein Feſt! Wie hab ich gebetet! Daß Gott
mit unſrer Liebe ſey! Er, der die Liebe iſt,
ſey mit unſrer Liebe! Er weiß das Ja, das
wir ſtammlend vor ſeinem Angeſicht ableg-
ten, die Sonne beſchien es, der Altar war
mit Vergiß mein nicht bordirt und mit Blu-
men geſchmuͤckt, die ſo ſchoͤn zuſammenſtan-
den, als ob ſie auch unter einander vermaͤhlt
und zuſammen getraut waͤren. An dieſem
Tage, lieber Mann! muͤßen wir auch einmal,
wenn Zeit und Stund iſt vor der Welt zu-
ſammen gegeben werden. Dieſer unſer Welt-
hochzeittag ſey uns ein untergeordnetes Feſt,
und alſo am nemlichen Tage! — Man muß
Q 2Gott
[242] Gott mehr lieben als die Menſchen — ich
hab ſehr ſehr fuͤr dich gebetet. Ich bin dei-
netwegen beym lieben Gott Sturm gelaufen.
Laut, laut ſchrie ich: Gott ſey mit ihm, mit
ihm! Ich nenn dich immer zum lieben
Gott Er. Gott weiß ja alle Dinge. Ein-
mal, das muß ich dir ohrbeichten, kam mir der
Alexander in den Mund, und ich ward ſo zu-
ruͤckgeſetzt — Ich ſchaͤmte mich ſo vorm lie-
ben Gott, daß ich in zwey Tagen kein Wort
hervorbeten konnte. Ich denck, es kommt da-
her, weil wir Alexander geſpielt haben und
weil der liebe Gott das Herz und kein Spiel
haben will. Weißſt du woher anders, ſchreib’s
mir. Es war doch nicht ein Schelmſtuͤck, daß
du den Alexander machteſt, und mein Bruder
Benjamin den Darius. Du heißt ja leider
Alexander. Da bin ich wie deine Mutter!
ich gaͤbe was drum, wenn du Johann oder
Gottlieb hießeſt — Ich vergeß nicht, was
der Herr Candidat — ſagte, der als Volon-
tair nur einem Feldzuge zuſah, den dein Vater
mitmachte „Gut waͤrs, wenn uͤberhaupt
„Koͤnig nur geſpielt wuͤrde„ Dein Vater
ſchuͤttelte Nein: warum nein? — ich bin
des Herren Volontairs Meinung.
Es
[243]
Es hat doch bey unſern Schlachten kein
Jung ein Bein gebrochen, und die Jungens
ſind all ſo vollkommen ſo ſtarck. Benjamins
Fuß iſt oben ein gerader geworden, was faͤllt
aber nicht, wie man hoͤrt und ließt, im Kriege?
Im Anfange glaubt’ ich, daß in der Ge-
ſchichte die Zahlen verdruckt waͤren, ich fands
aber offt gantz ausgedruckt. Die Leute ſol-
tens nicht ſo deutlich machen, damit man we-
nigſtens dencken koͤnnte: es waͤre eine Null
zu viel. Da ſeh ich was ich zuſammen ge-
ſchrieben habe. Wenn du oder ein andrer
Alexander das, was ich geſchrieben, ſchreiben,
oder beßer, zuſammen legen ſolten, waͤrs
ordentlicher und kuͤrzer glaub ich, allein nicht
herzlicher. Ich ſtreiche nichts — Moͤgt ihr
doch ſtreichen, wenn ihr nur nicht das Herz
herausſtreicht, wie ich glaube, daß es die
meiſten von euch thun. Da fiels mir neulich
beim Pilatus ein „was ich geſchrieben hab,
„hab ich geſchrieben„ Gott verzeih mirs.
Ich dachte, das Weib! Er als Landpfleger
haͤtte ja ſtreichen koͤnnen. Wie ich froh bin,
lieber Junge, das wird dir dein Schutzgeiſt ſa-
gen. Der Meinige hat ihn heute gewis
mehr als einmal beſucht, und es ihm erzaͤhlt.
Wenn wir ſie kennen lernen werden, das wird
Q 3eine
[244] eine Luſt ſeyn. Mir iſts ſehr, ſehr angenehm,
an den Tod zu dencken. Ey dir? Gott
ſeegne dich und behuͤte dich in all’ all’ Ewig-
keit Amen Amen.
An der einen Seite
Heut gewiß einen Brief von dir. Es iſt Ge-
burtstag. Die Briefe werden ſich begegnen.
Iſt er noch nicht abgeſchickt, laß ihn den Mei-
nigen kuͤßen; ich werds empfinden, und eh
die Briefchen einmal, wenn wir zuſammen
ſind, auch zuſammen kommen und ſich paaren,
wirds noch eine Zeit dauren. An unſerm
Welthochzeittage wollen wir ſie zuſammen
legen. Eben denck ich dran, wie furchtſam
unſer erſte Kuß war, um dir zugleich eine
gute Lehre zu geben. Jezt iſts ſo, als wenn
du mir das Aug austrincken wolteſt, wenn
du es kuͤßeſt — —
Sie an Ihn
Ich habe zum erſtenmal einen Menſchen
ſterben geſehen! und gleich zum erſtenmal
eine Mutter. Nun wuͤrde folgen, ſelbſt zu
ſterben, und das entſetzlichſte — von deinem
Tode zu hoͤren. Denn dich ſterben ſehen,
waͤr unmoͤglich. Lieber Junge, alles auf ein-
mal! Du wirſt weg — meine Mutter iſt
ſchon
[245] ſchon weg — Du kommſt zwar wieder, al-
lein meine Mutter nicht mehr. Du weißt,
wie ich ſie geliebt habe, und wie ſehr ich Ur-
ſach dazu gehabt. Wenn wir zu einem Brief-
traͤger einen Vertrauten noͤthig gehabt, waͤre
Sie es geweſen. Du haſt mirs geſagt und
geſchrieben. Ein Maͤdchen kann zur Ver-
trauten in der Liebe Niemand anders als eine
Mutter nehmen — hoͤchſtens einen Bruder.
Wie wirds jetzo werden, da du dem Benjamin
unſre Liebe nicht entdecken wilſt — du ſchreibſt,
ein guter, ſehr guter Junge, nur er iſt das
in die Flucht ſchlagen gewohnt. Wer Ge-
heimniſſe bewahren will, muß das Siegen ge-
wohnt ſeyn. Wir arme Leutchen, jetzt ſchrei-
ben wir einander und tragen die Briefe ſelbſt
an Ort und Stelle. Wenn du aber nicht
mehr dreyßig Schritte fuͤr Maͤnner, und ſech-
zig Schritte fuͤr Weiber, und fuͤnfundvierzig
Schritte, wenn wir beide zuſammen gehen,
von mir entfernt ſeyn wirſt, wie werd ich dir
meine Briefe im Buch reichen oder in die
Hand druͤcken, oder auf dieſe oder jene Staͤte
legen, welche der liebe Gott blos unſerer
Briefe wegen ſo dick mit Gras bewachſen
lies, um unſer Geheimnis zu decken. O
Gott! wenn ich an deine Abreiſe dencke, iſts
Q 4mir
[246] mir ſo, als wenn ich meine Mutter ſterben
ſehe, und doch wirſt du wieder kommen und
dein Weib bekennen vor den Menſchen.
Gott helf uns dieſes Bekenntnis vor dem
Altar ablegen, wo wir ehemals unſer Glau-
bensbekenntnis gen Himmel ablegten. Du
mußt auf eine Univerſitaͤt, das haſt du mir
bewieſen, alſo geh hin — Ich werd dir noch
viel, viel mitgeben, daß du dich meiner erinn-
ren kannſt! — Du armer Junge! ich be-
halte doch mehr zuruͤck. Dein Vater hat
deine Finger, als wenn ich ſie ſehe. Wie
werd ich darnach blicken, ſelbſt wenn er mir
die Hand beym Beichtſtuhl auflegen wird,
ſelbſt da werd ich an deine Hand dencken.
Das iſt keine neue Suͤnde. Was behalt ich
nicht noch mehr! Alle die Oerter, wo du
giengſt, wo du kamſt. Wo Alexander ſiegte,
wo ich deine Gefangene war, wo unſre Au-
gen einen Bund machten. Den Altar, wo
wir getraut wurden! Den Ort, wo wir Con-
cert hielten! wo du offt, offt mich zuſammen-
nahmſt und kuͤßteſt, und wo ich dir durch
einen beſcheidnen Kuß fuͤr deinen heftigen
danckte, wo wir uns freuten, daß es Fruͤh-
ling war, und das erſte Veilchen, die erſte gelbe
Blume, den erſten Schmetterling bewillkomm-
ten
[247] ten. Der Ort, wo dein Vater uns uͤberfiel,
lieber Junge, ich glaub noch immer, du
magſt mir ſo viel ſagen als du wilſt, der
hat viel zu deiner Abreiſe beigetragen! —
Der Tod ſucht Urſach. Gott ſey Danck noch
fuͤnf Monat — Was wimre ich Thoͤrin, du
gehſt hin um beſtaͤndig bey mir zu ſeyn, um
Stroh zum Neſtlein fuͤr uns zu hohlen —
Flieg denn aus, find bald dein Stroh, und
denck, daß deine Sie auf dich wie eine von
den klugen Jungfrauen wartet. Schick mir
dann und wann eine Taube mit einem Oel-
zweig. Wir muͤſſen noch verabreden, wie
wirs mit den Briefen halten wollen! — ich
kann dir nicht ſagen wie mir iſt! — So
ſind wir Menſchen! wer ſtirbt gern, wenn er
gleich weiß, daß er dadurch zum ewigen Leben
kommen ſoll — das letzte iſt gewis. Leute,
die recht ſehr fromm ſind, muͤſten hier ſchon
wie dort ſeyn. Sie ſtudiren die himmliſche
Geographie, und ſind im Himmel ſo, wie ich
in Gedancken auf all den Univerſitaͤten ſeyn
werde, wo du wircklich ſeyn wirſt — Wer
ſtirbt aber gern? Wer? Warum ich eigent-
lich an dich ſchreibe, hab’ ich dir noch nicht ge-
ſagt. Ich habe meine Mutter vor dir nicht
ſehen koͤnnen; ich will ſie unſre Mutter nen-
Q 5nen,
[248] nen, meinen Vater aber nie, nie unſern Va-
ter. Der meinige iſt er, weils Gott hat ha-
ben wollen, warum ſolſt du dich aber mit
ihm beſchweren? Gott verzeihe mirs, wenn
ich hiedurch dem vierten Gebot zu nahe
trete — du haſt mich als Mann druͤber
losgeſprochen und die Grenzen abgemeßen
„Bis dahin und weiter nicht„ Als Paſtor
mußt du dieſen Losſpruch noch beſtaͤtigen und
vollfuͤhren Amen. Wieder von unſrer Mut-
ter ab — ich hab dir noch etwas ſchrifftliches
von ihrem Abſchiede verſprochen, weil ichs dir
muͤndlich nicht ſagen konnte —
Wiße alſo, mein lieber Junge, daß ich ihr
kurz eh ſie ſtarb, unſer Liebesgeheimniß entdeckt
habe — ich habe vor der Minute gezittert,
da es hieße: Vollbracht — nachdem ich ihr
aber unſer Geheimnis geſagt hatte, zitterte
ich auch fuͤr ihre Beßerung — Iſts nicht
gut, daß ichs ihr geſagt habe? — Sie haͤts
doch im Himmel erfahren, und denn haͤtt ſie
Urſach gehabt, es mir zu verdencken, wenn dies
Wort im Himmel nicht verboten iſt — Was
weiß ich — ich dacht es waͤre unrecht, ſie ohn
dies Geheimnis ſterben zu laſſen — O lieber
Junge, welchen Seegen hat ſie uͤber uns aus-
geſprochen. Sie war ſchon lange wie todt,
hatte
[249] hatte lange ſprachlos gelegen, da ich ihr aber
unſre Liebe erzaͤhlte, bekam ſie ihre Sprache
wieder. Zacharias fiel mir ein mit ſeinem —
„er ſoll Johannes heißen„ Sie nandte dich
Sohn. Das haͤtte ſie in dieſer Welt nicht
das Herz gehabt, wenn ich gleich wuͤrklich
die Frau Paſtorin geweſen waͤre. Sie fuͤhlt’
aber wer ſie war! Sie fuͤhlt’ ihre Befoͤrde-
rung zum Engel. Sohn! Sohn! Sohn!
ſprach ſie, als ob ſie ſich dabey was zu gut
thaͤte, und blieb im Seegnen — — Gewiß
hat ſies mit himmliſchen Worten fortgeſetzet,
was ſie mit irrdiſchen angefangen, und was
ſie in Schwachheit begann, geendiget mit
Kraft. Gott ſchenck ihr die himmliſche See-
ligkeit, die ſanfte ewge Ruhe der Auserwaͤhl-
ten! Auf ihrem Grabe will ich offt Rath
holen wenn ich in deiner Abweſenheit Rath
bedarf — du mußt noch offt, offt ſo ſchwarz,
ſo nackt, ſo unbegraßt, ſo unbebluͤmt es gleich
da iſt (Wer wird ſich aber fuͤr Staub, fuͤr
ſeines gleichen, fuͤrchten?) offt mußt du noch
an ihr Grab mit mir wallfahrten. O Lie-
ber! mir iſt ſo — ſo — rings ums Herz,
als wenn ich meiner Mutter bald folgen
werde — und haͤtt ich dich nicht — wie
gern! wie gern! ich haͤtt dieſe letzte Zeilen
gerne
[250] gerne weg! Aengſtige dich nicht. Du kennſt
mich ſo gut wie ich mich ſelbſt kenne!
Du ſchreibſt mir „Schone dich! ich weiß
„du biſt in dein Leben nicht verliebt —
„Schone dich meinetwegen!„
Junge! deinetwegen, deinetwegen, dei-
netwegen will ich leben, leiden und ſterben —
Da hab ich ihn mit einem Grif, deinen
lieben Brief, den ich aufſuchen wolte.
„O Mine, wenn doch unſere Vaͤter alle
„Naͤchte den Himmel obſerviren moͤchten —
„Was war das fuͤr eine Nacht! Mine — was
„fuͤr eine Nacht! Mine, was fuͤr eine Nacht!
„Wie feyerlich, zwiſchen elf und zwoͤlf auf
„dem Kirchhofe zu ſeyn! mit dir! mit dir
„allein auf dem Kirchhofe — — Ich ver-
„geſſe dieſes zwiſchen elf und zwoͤlf in mei-
nem ganzen Leben nicht — Die Alten ſa-
hen auf der andern Seite des Kirchhofs
nach den Sternen, und ich? ſahe dich —
„dich — dich — doch warſt es du? Sag
„warſt du entzuͤckt oder warſt du wie ſonſt?
„Ein Mondſtrahl umleuchtete dich — ich
„ſtand im Dunkeln und ſah ein Geſicht im
„prophetſchen Sinn — Nie hab ich ſo was
„geſehen, du warſt verklaͤrt, und dein Geſicht
„war, wie eines Engels Angeſicht, ſo! ſo! — wie
„ich
[251] „ich dich nach der Auferſtehung der Todten
„ſehen werde, in alle Ewigkeit„
Wozu dieſe Abſchrift? — gleich lieber
Junge —
Geſtern ſtandſt du in der Sonne! Sie
beſchien dein edles Angeſicht — ſanft und
zuruͤckhaltend war ihr Strahl, ſo als wenn
Gott mit Menſchen ſpricht — Die Sonne
blitzte nicht, ſie hatt’ einen Augenſchirm vor,
und ich! kurz, lieber Junge, wie es dir mit
dem Monde ging, ging es mir mit der Son-
ne, ich ſah dich, ich kannte dich, allein du
warſt wie Moſes, indem er vom Berge kam
und Gott geſprochen hatte, und ein Geſicht
voll Sonnenglanz mitbrachte — da dacht
ich Sonn und Mond iſt Mann und Weib —
Da ſah ich uns beid’ im Himmel, dich in
Sonn, mich im Mond gekleidet — ich weiß
nicht wie mir war! mir kam es ſo vor, daß
ich bald ſtuͤrbe, und daß meine Mutter ein
Mondgewand in der Hand hielt, mir das
Sterbhemde auszog, und mich himmliſch ein-
kleidete. Ich war in Wahrheit außer mir! —
das hab ich noch behalten, daß es ſeelig waͤre,
ſeelig, ſeelig waͤre zu ſterben — wenn du mit
ſtuͤrbeſt — Gottes heiliger Wille geſchehe —
Oben
[252]
Oben wo ſie angefangen hatte, (das an-
dre iſt ſo voll geſchrieben, daß kein Wort
Raum hat) Was haben wir nicht noch abzu-
reden, ehe du geheſt. Fuͤnf Monate ſind zu
kurz, wenn wir von vier Morgens anfingen
und um neun aufhoͤrten. Wie kommts,
daß wir nicht zum Wort kommen, wenn wir
zuſammen ſind.
Dixi!
Und wenn gleich meine Mutter drey Hemde
Rubricken mehr waͤhrend der Zeit erfunden
haͤtte. Dixi!
Euch gute Seelen, die ihr den Haͤnpf-
ling, den ein Bube aus dem Neſte ſtahl, um
ihn mit aufgeweichten Brodt zum Sclaven
zu futtern, verſteht, wenn er, ſeinem Kerker
entflohn, auf dem benachbarten Kaſtanien-
baum ſeinen Tyrannen Hohn ſingt;
Euch gute Herzen die ihr einer Pflanze
die Wolluſt anſehen koͤnnt, wenn der Gaͤrt-
ner ſie aus dem Blumentopf in die weite
Erde bringt, oder einem Feigenbaum, wenn
der Beſitzer in noͤrdlichen Gegenden ihn vom
Fenſter in den ſchoͤnen ſanften Regen ſetzt;
Euch wenigen Edlen! die ihr, wenn die
Bohne in eurem Garten eine ſchwere Ge-
burt hat, ihr nachhelft und die Schlauben
abſtreift,
[253] abſtreift, um ihr Luft zu machen, und die
Blume, die der Sturm wie eine Wittwe beugt,
mit troͤſtender Hand aufrichtet, damit ſie ſo
wie ihr ſelbſt gen Himmel ſaͤhe, Euch, die
mein Vater Seher, von Gott Angehauchte!
nennen wuͤrde; Euch! die ihr hoͤret und ſehet,
was viele mit offnen Augen nicht ſehen, mit
offnen Ohren nicht hoͤren, ſchreib ich dieſe
Briefe zu. Schuͤtzt ſie wider Hof und
Stadtleute, die Ach und Weh uͤber ſie krei-
ſchen, wider die Schwaͤtzer und Trunkenbolde
in der Liebe, die gewohnt an italieniſche Mu-
ſik, kein Schaͤfchen bloͤcken, keine Nachtigall
ſchlagen, keine Biene ſchwaͤrmen, keinen
Kaͤfer brauſen hoͤren koͤnnen.
Es war einen Sonnabend — wie haͤtt
es wohl ein andrer Tag ſeyn koͤnnen? da mich
meine Mutter bey der rechten Hand nahm,
welche ſie die Auserwaͤhlte zu nennen pflegte,
und ſich folgender Geſtalt verlauten ließ:
Mein Sohn, heute Koͤnig, morgen todt. Es
iſt leicht moͤglich, daß wenn deine Noviciats-
jahre geendiget ſind, und du dich zu Able-
gung der heiligen Geluͤbde nach Curland zu
den Altaͤren deiner Vaͤter muͤtterlicher Seits
einfin-
[254] einfindeſt (Mein Vater haͤtte geſagt, wenn
du deine Jahre der Wanderſchaft zuruͤckgele-
get haſt und ans Meiſterrecht denkſt) du mich
nicht mehr in dieſer irrdiſchen Huͤtte ſieheſt —
Dort ſehen wir uns gewis und wahrhaftig,
indeßen hab ich noch viel auf meinem Her-
zen fuͤr dieſe Welt, das ich nicht gern wie ein
Haufen Reiſer zuſammen raffeln, ſondern
wie Zuckererbſen zur Saat leſen und ſondern,
und dir ins Ohr ſaͤen, oder nach dem ein und
vierzigſten Pſalm im achten Vers, raunen
moͤchte.
Ich glaubte, daß dieſer aufgeſpannte Pfeil
Minchens Geſchichte treffen wuͤrde; allein ich
betrog mich am Ende, obgleich ich meine Mut-
ter, um ein andres toͤdliches Gewehr anzu-
fuͤhren, Pulver auf die Pfanne ſtreuen und
zielen ſah, da ſie von den Vorzuͤgen eines
guten ehrlichen Herkommens ſprach. Sie
lenkte auf meinen Vater, ihren vielgeliebten
Eheherrn, und legt’ es mir ſo nahe als moͤg-
lich, daß ich ſie fragen moͤchte, was ſie wohl
von ſeiner Abkunft daͤchte? Wir bogen beide
zur Rechten, und kamen nicht zuſammen.
Freilich haͤtt’ ich auch gern gewußt, was mei-
ne liebe Mutter baß, als ich, von dieſer Sa-
che wußte. Ich befuͤrchtete aber Auftraͤge
zu
[255] zu gewißen Fragen an meinen Vater, und
wie haͤtt’ ich einen Mann foltern, oder wie
meine Mutter ſprach, ſtoͤcken ſollen, der ſo
vaͤterlich war, mir wegen Minchen keine
Frage ans Hertz zu legen? Sie mußt’ alſo
durch einen andern Weg in ihr Land. Ueber
deinen Vater ſagte ſie, hab ich tauſend und
abermal tauſend Thraͤnen vergoſſen. Sel-
ten wird ein Frauenzimmer das Wort Thraͤ-
nen trocken ausſprechen, und ohn es anſchau-
end zu machen, was Thraͤnen ſind.
Ich weiß zwar nicht, wo er her iſt, und
wer ſeine Eltern geweſen, bald haͤtt’ ich liebe
Eltern geſagt; Gott weiß aber, ob ſie’s ver-
dient haͤtten und obs nicht unſchlachtig Volk
geweſen — Ich vermuthe, daß ſie ihm eben
keine Ehre machen koͤnnen, denn ſonſt wuͤß-
te ich nicht, warum er ſo zuruͤckhaltend uͤber
dieſen Punckt zu ſeyn Urſach haͤtte. Hier
fing ſie ſo bitterlich an zu zeigen, was Thraͤ-
nen ſind, daß ich ſie herzlich troͤſtete. Sie
jammerte mich von ganzer Seele.
Was ich weiß, will ich dir ſagen; wolte
Gott, daß es ohne die groͤßte Bewegung
meines Herzens geſchehen koͤnnte.
Ich verbat ihre Erzaͤhlung, da ich ſahe,
wie ſehr es ſie angrif.
RNein
[256]
Nein, um des Himmels willen, nein,
aber nein, rief ſie aus, und wenn mir druͤ-
ber das Herz brechen, wenn ich gleich ſter-
ben ſolte, mußt du alles erfahren, was ich ge-
wis weiß, was ich hoffe, was ich glaube,
was ich fuͤrchte, und noch manches was
mehr.
ſang ſie,
Und nach Vollendung dieſer Herzſtaͤrckung
fing ſie an: Du weißt, wie ſich die Lebens-
laͤufe unſrer in Gott ruhenden Vorfahren an-
fangen „Was nun anlanget„ Ich kann die-
ſen Anfang nie ohne Luſt aufgeloͤſet zu wer-
den beten.
„Was nun anlanget, die ehrliche Ge-
„burt, den Tauftag, den gefuͤhrten chriſt-
„lichen Lebenswandel, und die ſeelige Sterb-
„ſtunde unſrer in Gott ruhenden Glaubens-
„ſchweſter, der Weiland viel Ehr und tugend-
„ſamen Frauen, Frauen — — ſo iſt ſelbige
„— — von chriſtlichen Eltern gebohren.
„Ihr Herr Vater war der Weiland Wohl-
„ehrwuͤrdige, und ihre Mutter die Weiland
„— — leibliche Tochter des Weiland Wohl-
„ehrwuͤr-
[257] „ehrwuͤrdigen — ihr Herr Grosvater war
„der Weiland Wohlehrwuͤrdige — ſo viel
„Weilands Wohlehrwuͤrden ohn End und
„Ziel„ Bey deinem lieben Vater iſt ehrliche
Geburt und all Wohlehrwuͤrden in die Rap-
puſe gegeben. Gott gebe, daß dieſer Gedancke
ihm ſein Sterblager nicht ſchwer mache.
Es war im Jahr nach Chriſti Geburt
17 — den — da er zu deinem lieben
ſeeligen Grosvater gegen Abend um ſieben
Uhr ankam. Es ſchlug eben unſre Stuben-
uhr, die ſo katerhaft brumte, eh ſie eins,
zwey, drey, vier, fuͤnf, ſechs, ſieben, heraus-
wuͤrgte, daß ich kein Wort von den Erſtlingen
deines Vaters zu vernehmen im Stande war.
Er ſchien mir mehr mit dem Ruͤcken als mit
dem Munde zu ſprechen — Es war der
kaͤlteſte Winter, den ich erlebt habe. Ich
ſeh noch, wie dein Vater that, als waͤſch er
ſich die Haͤnde. Drey Aepfelbaͤume ruͤhrte
der Froſt in unſerm Gaͤrtchen, und auch den
letzten Zahn, wie es deine Grosmutter nand-
te, oder den letzten Pflaumenbaum. Dein
ſeeliger Großvater pflegt’ im Scherz zu ſa-
gen, ſo viel waͤre wol außer Zweifel, daß
das Paradies nicht in Curland geſtanden
haͤtte. Im Scherz ſag’ ich, denn er war ſonſt,
R 2wie
[258] wie ſich’s eignet und gebuͤhret, mit Haut
und Haar, mit Herzen, Mund und Haͤnden,
Curlaͤnder.
Deine liebe Grosmutter, ſo gaſtfrey wie
ich, bat abzulegen. Dein Vater thats nicht
eher, als bis er die Anwerbung angebracht
hatte — nicht um mich, ſo weit ſind wir
noch nicht, ſondern um die Informatorſtelle,
die im Kirchſpiel offen war — Hofmeiſter-
ſtelle, ſagte dein Grosvater, und belehrte zu-
gleich deinen Vater, daß ein Prediger Pa-
ſtor hieße, und des bin ich herzinniglich
froh, und verehre im Staube die wunder-
bare Schickung Gottes in Curland: denn
kein Tittel hat ſolche Verkuͤrzungen erlitten,
als Paſtor auf deutſch. Erſt hieß es Pfarr-
herr, mithin Herr von forne und Herr von
hinten, wie’s billig iſt, Herr Pfarrherr.
Nachher Pfarrer und jetzo Pfarr. Daß
ſich Gott erbarme! wer nicht buchſtabiren
kann, ſchreibt Farr, und das iſt ein einjaͤhri-
ger Ochſe. In der Ausſprache iſt ſo kein
Unterſchied, wenn man auch drey Ohren haͤt-
te! Mein Vater war bey Sr. Hochwohlge-
bohrnen, der fuͤr ſeinen Sohn einen Hofmei-
ſter ſuchte, Hahnchen im Korbe. Sehr gern,
ſagte mein Vater, wenn wir wenig werden —
Jezt
[259] Jezt ſpannte dein Vater ſich aus, rauchte
ſein Pfeifchen und that eine Mahlzeit, daß
meine Mutter nachher zu mir (auch im Scher-
ze, denn ſie hungerte vor Freuden, wenns
ihrem Gaſt’ ſchmeckte) ſagte: waͤre der Can-
didat unter den vier tauſend Mann geweſen,
ſo viel Koͤrbe waͤren nicht uͤbrig geblieben —
Dein Vater muß es ſelbſt gemerkt haben;
denn er bewies ſehr gelehrt, daß man im
Winter beſſern Appetit, als im Sommer haͤtte,
ſo wie eine uͤbermaͤßige Kaͤlte auch ſchlaͤfrig
mache. Das eine hatte er weidlich bewieſen,
das andre war er im Begriff zu thun.
Mir ſtrahlte dein Vater, ich muß es
frey geſtehen, gleich ins Herz, obgleich eine
uͤbermaͤßige Kaͤlte, ſo wie eine uͤbermaͤßige
Hitze, ſchlaͤfrig macht. Ich ſah nicht mehr
gerad aus, ſondern ſehr oft von der Rechten
zur Linken, und war dein Vater, der uns
oft beſuchte, gegenwaͤrtig; ſo konnte mich
das mindeſte roth machen. Ein geſtohlnes
Schaaf machte mich uͤber und uͤber roth,
wenn man den Dieb nicht wußte und die
Frage aufwarf: wer kann es wohl geſtoh-
len haben? Wenn mich dein Vater fragte:
ob ich wohl geruhet haͤtte? war Feu’r im
R 3Dach
[260] Dach — und ich konnt wol aus dem ſchoͤ-
nen Liede:
bey jeder Sylbe, die er ſprach, mit Recht ſin-
gen: Sie ſang
Ich weiß nicht, ob ich ſchon an und ausge-
fuͤhret habe, daß dein lieber Vater Hofmei-
ſter wurde. Man hatt’ es ihm ſehr nahe
gelegt, ein Frauenzimmer, das der Frau vom
Hauſe Geſellſchaft leiſtete, ſchoͤn zu finden;
allein er fand weder ſie, noch irgend eine
Dirne, alſo. Einige glaubten, daß er die ſel-
tene Gabe der Enthaltſamkeit haͤtte, davon
war ich durch ſein dringendes feuriges Auge
eines beſſern belehrt. Er blieb nicht lange
Hofmeiſter; ſondern im kurzen ſtarb ſein ſeeli-
ger Anteceſſor, und er bekam das Paſtorat, wo
er noch bis dieſe Stunde Gotteswort rein und
lauter, (das muß man ihm laſſen) ver-
kuͤndiget.
Kaum hatt’ er dieſe Stelle, kam er
wieder einen Abend und wuſch ſich abermals
die Haͤnde. Diesmal konnt es ſchwerlich
aus
[261] aus Froſt ſeyn; denn es war Sommertag,
Die drey Aepfel- und der letzte Pflaumen-
baum haben ſich nie wieder erhohlt, und den
Kukuk nicht mehr ſchreyen gehoͤrt; denn der
Garten war ohne Wintkenntnis angelegt, wie
dein lieber Grosvater zu ſagen pflegte. Mei-
ne Mutter hatte noch nicht gebeten abzule-
gen, da er mit der Anwerbung um mich an-
fing — „So viel Neigung als Dankbar-
keit„ Gut, ſagte meine Mutter, Herr Pa-
ſtor; allein, ehe man Ja ſagt, muß man ſich
bedenken. Beym Nein kann man eher fer-
tig werden. Sie ſehen wie ſehr ich zum Ja
mich neige. Sie verlangte zu wiſſen, und
das konnt’ ich ihr nicht verdenken, wo er her
waͤre? wer ſeine Eltern waͤren? Ob ſie noch
am Leben? Ob er Geſchwiſter haͤtte? und
auf tauſend antwortete der Herr Braͤuti-
gam nicht eins. Er liebte weder die ſelte-
nen noch gemeinen Fragen meiner Mutter,
und wollte nicht mit der Sprache heraus,
und da die Sache weiter getrieben wurde, er-
klaͤrt’ er mit Ja und Amen: eher ungluͤcklich
zu ſeyn, und weder Theil noch Anfall auf mich
zu haben, als dieſen Vorhang aufzuziehen.
Deine ſeelige Grosmutter war das im
ganzen Hauſe, was ich in der Kuͤche bin,
R 4und
[262] und wolte dein ſeeliger Grosvater wohl oder
uͤbel, er mußte den Kopf ſchuͤtteln. Zum
deutlichen Nein konnte ſie es nicht bringen —
Das war ein Ferſenſtich fuͤr deinen Vater.
Er war gekommen, einen Salz einen ewigen
Bund zu machen, und nun zerriß er alles aufs
ſchierſte. Starckes Laufs, ohne Schnauben
oder Drehen, ohne den Staub von ſeinen
Fuͤßen zu ſchuͤtteln, ohne das Waſſer glum
zu machen, zu reden aus Ezechiel zwey-
und dreyßig, Vers zwey, ging er verſtummt
von ſeiner Schehrerin von dannen. Man
ſah was er litte, und gern haͤtt’ ich ihm huͤlf-
liche Hand geleiſtet. Der Abſchied war kalt
und warm, ſaur ſuͤß, und weg war er.
Dein ſeliger Grosvater hielt groß von
deinem Vater und liebte ihn zu ſehr, als
daß er ſo ganz golaßen dabey bleiben ſollen.
Es war dein Grosvater ein grundgelehrter
Mann, der aber außer der Kirche nur blos
in ſeinem Studirſtuͤbchen Potentat war, und
es auch nur hier ſeyn wolte, obgleich deine
ſeelige Grosmutter auch hier zuweilen ihr
Licht leuchten lies, wowider er ſelbſt nichts
hatte. Was ich von ſeltenen Fragen und
Antworten weiß: iſt von ihr. Sie hatte hie-
von ein Naturaliencabinet, das nicht gemein
war.
[263] war. Ich hab’ oft gedacht, ſie gaͤb’ ihrem
Mann manche Nuß aufzubeißen: darum
ihre gelehrte Fragen! ich im Druck! und
darum mein Geſang! Sie wußte was fuͤr
eine Farbe das Kleid gehabt, das der liebe
Gott dem Adam gemacht, und behauptete,
es waͤre gruͤn geweſen. Sie wußte die Apfel-
art, die Adam und Eva gegeßen? wo das
Paradies geſtanden? und empfahl die Bir-
nen, als eine unſchuldigere Frucht, die auch
allen Menſchen beßer thaͤte. Wenn ichs auf-
richtig ſagen ſoll; ſo geberdete ſie ſich bey
Aepfel und Birnen ſo, als ob dieſe ohne
Erbſuͤnde, jene mit Erbſuͤnde behaftet waͤren —
ich find hiebey, wenn manns dazu anlegt, viel
Erbauung — Sie wußte, ob Rahel weiß
oder braun geweſen? Was fuͤr Federn Ga-
briel in ſeinen Fluͤgeln gehabt? Ob Adam
mit einem Nabel verſehen geweſen? Ob Da-
vid ein Adagio oder Allegro vor Saul geſpielt?
Ob die Schrifftgelehrten Docktores in der
Theologie oder der Rechte geweſen? und ob
Pilatus ſich mit Seife gewaſchen? Wie viel-
mal Sela in der heiligen Schrifft vorkaͤme?
Meinem Vater fehlt’ es weder an Seel
noch Leib, um meine Mutter ſo zu umzaͤu-
nen, als ich’s bin; allein, warum er nach-
R 5gab
[264] gab, war, um ſich ſelbſt ein Kreutz aufzule-
gen. Er behauptet’ er haͤtte ſein Lebtag
keine Niete gezogen, ſondern waͤr, alſtets
gluͤcklich geweſen, und da man durch viel
Truͤbſal zum Reich Gottes eingehen muͤßte;
ſo litt er gern dieſe Ungemaͤchligkeit, beklagte
ſich nur gegen mich, nachdem ich mein neun-
zehntes Jahr erreicht, und gegen einen einzi-
gen guten Freund — ohne Troſt anzuneh-
men, wohl wißend, es wuͤrde ſeiner lieben
Frauen jedes unnuͤze Wort noch vor Sonnen-
untergang gereuen, was ſie geredet hatte.
Dies geſchah auch anfaͤnglich; allein nach der
Zeit weiß ich mich zu beſinnen, daß es in
wichtigen Faͤllen bis zweymal vierundzwanzig
Stunden waͤhrete, alsdenn aber war auch
draußen ſchlecht Wetter, und die Sonne blieb
im Bette, ohn einmal aufzuſtehen und zu
ſehen, was fuͤr Wetter es ſei. Hier iſt der
Schluͤßel zu deines Grosvaters Charakter.
Polycrates, Erbherr auf Samos, toͤdtete
ſeinen juͤngſten Herrn Bruder, und den
Bruder vor ihm ſchickt er nach Siberien um
allein auf Samos zu wohnen. Polycrates
war der aͤlteſte. Alles, was er wolte,
ward.
Ich
[265]
Ich verſicherte meine Mutter, die ſonſt
Stationes liebte, daß ich dieſe Geſchichte zur
Noth wuͤßte; allein ſie hatte, wie meine Leſer
es ohne Fingerzeig, ſo gut wie ich, mercken
werden, auf ihren Vortrag ſtudirt. Bring
mich nicht aus der Melodie, antwortete ſie:
dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins
Bockshorn gejagt. Sonſt pflegten hahn und
lahn und ſtahn meine Buſenwoͤrter zu ſeyn —
jetzt muß ich genau auf die Noten ſehen, um
nicht aus der Weiſe zu kommen.
Sein guter Freund — des Policrates
nehmlich — den das Gluͤck ſeines Freundes
nicht eiferſichtig, ſondern beſorgt machte, bat
ihn ſehr, er moͤchte doch Brunnenkreß zum
Rehbraten eßen, und nur etwas weniges
ſein Leben verbittern. Polycrates wirft ſei-
nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen
faͤhet ein Fiſcher einen ungewoͤhnlich gro-
ßen Fiſch, verehrt ihn dem Hofe und der
Koch findet den Ring. Der gute Freund,
der ihm gerathen ſich ungluͤcklich zu machen,
kuͤndigt ihm nach dieſem Vorfall ſeine Freund-
ſchaft auf, weil er keinen ſo gluͤcklichen
Freund haben wolte, indem er ein ſo großes
Ungluͤck fuͤr ihn befuͤrchtete, daß er ihm nicht
wuͤrde beyſtehen koͤnnen. So geſagt ſo ge-
ſchehen.
[266] ſchehen. Er faͤngt Krieg an. Seine Toch-
ter warn’te ihn, weil ſie ſeinetwegen einen
Traum gehabt. Es kam ihr nemlich vor,
daß ihr Herr Vater vom Gott Jupiter geba-
det, und von der Sonne geſalbet worden.
Er verwarf dieſen Winck, und lachte uͤber
den Finger ſeiner wahrſagenden Tochter; al-
lein ſiehe! Er zog nach Magneſiam, wo er
von den Einwohnern jaͤmmerlich getoͤdtet,
und hernach ans Kreutz geſchlagen worden.
So ward er, wenns regnete, gebadet, und wenn
die Sonne ſchien, geſalbet — Dieſe Geſchichte
iſt uns zur Lehre geſchrieben, dachte dein ſeeli-
ger Herr Grosvater. Er hatte in ſeinem Sinn
die Huͤll und Fuͤll, und hielt ſich ſo gluͤcklich,
wie Polycrates, obgleich er nie einen Ring
ins Meer geworfen, und wenn das Jahr
um war, keinen Dreyer uͤbrig hatte.
Ich fand, ſagt’ er, von je her die erſte
Roſe, das erſte Veilchen, die erſte reife
Pflaume, gieng ich zu Bett, ſchlief ich, ſtand
ich auf, war ich munter. Die boͤſeſten Hunde
kamen, mir die Haͤnde zu kuͤßen, um mir
zu huldigen. Mein ſeeliger Vorfahr hat den
Paſtoratsgarten blos angelegt, um dem
Winde ein Spielwerck zu machen; doch glaub
ich, wenn ich ihn ſo, wie er da iſt, bepflanzen
ſolte,
[267] ſolte, die curſchen Stuͤrme wuͤrden ſich mit
ihm vertragen: darum pflanze ich nicht wie-
der was ausſtirbt. Einen neuen Garten leg
ich nicht an, um dem Boden nicht, meiner
gluͤcklichen Hand wegen, Frohndienſte aufzule-
gen — Was ich in meiner Jugend ſetzte,
ging alles auf. Eine Bohne, wenn ſie gleich
hecktiſch ausſahe, wuchs und trug geſunde
Kinder. Schieß ich, tref ich; ſchießt ein
andrer, weiß ich beinah mit Gewisheit am
Schuß, ob Niete oder Gewinſt iſt. Komm
ich nach Mitau, gruͤßt mich ein jeder, der
mir begegnet, und jedes eher als ich. Bey
allen meinen Examens ward ich uͤber das
gefragt, was ich den Abend vorher gele-
fen hatte. Ich ſchlag mit einer Klatſche
wenigſtens zwo Fliegen. Offt bemuͤh ich
mich recht geflißentlich, nur einer aufs Haupt
zu ſchlagen, allein, indem ich den Streich
vollfuͤhren will, kommen Freiwillige dazu;
dies macht mich aufmerckſam. Erſt dreyßig
fette Jahre, dreßig Jahre ohnunterbrochnes
Gluͤck, und drey Jahr darauf, mager wie
Pharaos Kuͤhe. Wer nimmt ſie? Dreyßig
magere Jahre aber voraus, und drey fette
hernach, doͤrfen nicht oͤffentlich licitirt wer-
den; man nimmt mit beyden Haͤnden. Ich
wolte
[268] wolte nicht in der letzten Zeit meines Lebens
ausſtreichen, was ich die vorige Jahre ge-
ſchrieben, und wie ſolt ich meinem Gluͤck
Zaum und Gebiß in den Mund legen. Ich
bin geſund, hab Nahrung und Kleider,
und was noch mehr iſt, hab ich mich von je
her damit begnuͤgen laßen — In Gottes
Haͤnde konnt’ ich alſo nicht fallen; ich mocht’s
machen wie ich’s wollte, was war zu thun?
ich gab ſelbſt Gelegenheit, in Menſchen Haͤnde
zu kommen. Meine Ehegenoßin muß ſchwei-
gen in der Gemeine, und ich ſchweig in mei-
nem Hauſe.
Es war alſo, lieber Leſer! mein Grosva-
ter muͤtterlicher Seits, wie es ſcheint, ein
chriſtlicher Sokrates, meine Grosmutter
aber keine Xantippe, und uͤbrigens eine ſo
aͤchte Paſtorinn, als meine Mutter; nur jede
von andrer Art.
Ein Mann ſoll meine Tochter heirathen,
der nicht Schuſter und Rademacher werden
kann, ſagte deine Grosmutter; der aber, ſagte
dein Vater (im ſanften Tone als wenn er
auf der Kanzel zu den Bußfertigen redete)
der aber Paſtor iſt. Schlecht genug, ſchrie
ſie aus, daß er durch deinen Vorſchuß es
worden. Ich weiß ſehr wol, daß er keinen
Dreyer
[269] Dreyer hebraͤiſch beſitzet. Hierinn hatte ſie
recht. Ein Paſtor ohne die Sprache Gottes
zu wißen! Da mein Vater wol aus dem
Tone hoͤrte, daß es Zeit waͤre, entweder ſei-
nes Leidens ein Ende zu machen, oder ſich zu-
ruͤck zu ziehen; ging er gelaßen aus dem Zim-
mer in ſein Studirſtuͤbchen, wo er auch drey
Stunden eingeſchloßen blieb. Waͤhrend die-
ſer Zeit fing meine Mutter Buͤrgerkriege mit
mir an. Bald war mein Kopf ein Wetter-
hahn, bald hatte ich laͤppiſche Angewohnhei-
ten und andre ſieben Sachen mehr — Der
Zorn wider deinen Vater hatte ſich gelegt,
und ſie ſchien es mir ſehr deutlich zu verſtehen
zu geben, daß wenn ich nur den Kopf gerade
gehalten, mein Braͤutigam wahl geſagt ha-
ben wuͤrde, wer ſein Vater waͤre? Endlich
ſprang ihr Zorn, ſo wie das Fieber, wenn’s
nicht mehr ſo heftig iſt, das von deinem Va-
ter auf deinen Grosvater, und von deinem
Grosvater auf mich gekommen war, von
mir auf die Kathrine. So fuhr der Satan,
meiner Mutter nicht zu nahe geredet, in die
Saͤue. Kathrine hatt’ ihr, ſtatt des Salz-
faßes, Pfeffer gereicht, woran ſie freilich
nicht gut reichte, denn meine Mutter ſchuͤt-
tete ſo viel Pfeffer in die Fiſche, als ſie Salz
gebraucht
[270] gebraucht haben wuͤrde. Pratz! eine Ohr-
feige; und nun war der Zorn geloͤſcht. Zwar
ziſcht’ es noch, als wenn Waßer auf den gluͤ-
henden Heerd gegoßen wird, indeßen ward
es zulezt ganz, ganz mauſe ſtille.
Dies Pratz war eben keine Chriſten-
pflicht: indeßen was denckſt du vom Pratz
der Fr. v — welche bey ganz kaltem Blute
jedes neue Dienſtmaͤdchen, wenn es zum er-
ſtenmal Hand ans Porcelain legt, mit einem
Pratz bewillkommet? Warum gnaͤdige Frau?
„damit ihr ein Andencken habt, ſo oft ihr
„das Porcelain zur Hand nehmt„
Meine Mutter mochte dieſer Blutreini-
gung wegen gerne das alte Geſinde behal-
ten, und ich bin ihrer Meinung — Es
muß doch wo einſchlagen, und erſticken wuͤrd
ich! ich! Kreuztraͤgerinn! wenn ich mich
nicht ausſchelten koͤnnte — Babbe waͤre den
andern Tag abgeſtelt, nachdem ſie die Koͤnig-
liche Frau Mutter gemacht hatte, wenn
man mit neuem Geſinde ſo herumſpringen
koͤnnte, als mit altem — Ich weiß nicht,
gegen das gemeinſte Volck hab ich, bis ich
bekant bin, ruͤckhaltende Achtung; ich glaub,
das macht das Bild Gottes, das es traͤgt —
Das
[271]
Das Gebet vor Tiſche, welches dreymal ſo
lang war, als leider! das unſrige iſt, betete
meine Mutter ungewoͤhnlich laut mit, und das
war ſchon immer ein gutes Zeichen, denn wenn
ſie das ganze Haus beynahe in einander ge-
worfen hatte; betete ſie am lautſten und inbruͤn-
ſtigſten, als wenn ſie hiemit den Himmel ver-
ſoͤhnen wolte, und alsdenn war es alles wie
abgeſchnitten. Dieſer ihrer Gemuͤthsruhe be-
diente ſich mein Vater, deinem Vater eine Lob-
rede zu halten: Sie gab kein Wort darauf.
Auf einmal fing ſie von ſelbſt an: Er liebt
zu ſehr, als daß er ſie verlaſſen ſolte, und man
ſehe ſie, wer kann dreißig ſeyn, ohne ſtehen zu
bleiben und ſie zu lieben (Gott hatte mich ſchoͤn
gebildet, wie es noch am Tage iſt) Wie gerad
ſie ſich haͤlt fuhr deine ſeelige Großmutter
fort, welche feine Arten! er wird ſich beſin-
nen und ſagen, von wannen er kommt? Es
iſt ein ſehr geſchickter, feiner Mann. Man
kann mit Wahrheit ſagen, das Hebraͤiſche
ausgenommen, dein Geiſt, lieber Mann,
ruhe zwiefach auf ihm. Du Elias, er Eliſa.
Ich hatte dieſen Gedanken gleich, da du ihm
deinen alten Mantel verkaufteſt.
Denck das nicht, mein Kind! ſagte dein
ſeeliger Grosvater, der uͤbern Namen Elias
Sſich
[272] ſich vergnuͤgte, ich habe wenig Ausſicht; denn
er haͤtte gewiß, da er in die freye Luft kam,
ein freundlich Wort fallen laſſen; allein —
meine Mutter blieb, der freyen Luft unbe-
ſchadet, bey ihrer Hofnung, und that unwil-
lig daß dein Großvater mir nicht deinen
Vater goͤnnte, dem dieſer Unwillen hinrei-
chend war, auch Hofnung zu faſſen.
Das Geſpraͤch wurde auf die hebraͤi-
ſche Sprache gerichtet, von welcher dein lie-
ber ſeeliger Großvater behauptete, daß ſie
eben nicht ſo noͤthig zum Diener des goͤttli-
chen Worts an einer chriſtliebenden Gemeine
ſey, und daß er ſelbſt nicht einen Punkt zu
verborgen, ſondern nur zur hoͤchſten Noth
haͤtte. Dieſer letzte Umſtand beruhigte meine
Mutter, und mich macht’ er noch betruͤbter
als ich ſchon war: denn das Einzige, was
mich bey dem Vorfall, wenn dein Vater
mich verlaſſen, getroͤſtet haͤtte, war der Um-
ſtand, daß er nicht Hebraͤiſch konnte, und
alſo nicht alle geſunde Gliedmaßen als Geiſt-
licher haͤtte — —
Hier hielt meine Mutter an, und nach-
dem ſie mich befragt, ob ich wozu Appetit
haͤtte, und ich fuͤr alles gedankt, wandte ſie
ſich nach dieſer Vorbereitung ganz zaͤrtlich
zu
[273] zu mir, und bat mich dringend dieſer Um-
ſtaͤnde unerachtet, alle nur moͤgliche Sorge
auf die hebraͤiſche Sprache zu verwenden,
welches ich ihr auch feierlich verſicherte. Es
iſt alle Vermuthung, daß dies die Sprache
der andern Welt iſt, und dann darf ich mei-
nen Sprachmeiſter nicht weit ſuchen. Ich
war jetzt neugierig geworden, ihre Helden
Staats und Liebesgeſchichte zum Ende zu hoͤ-
ren, und hatte nicht Urſach hierum zu bitten.
Wir gingen ein Jeglicher ſeinen Weg
ins Bette; allein welche Vigilien fuͤr mich.
So wie das Bild der Sonne im Auge fort-
dauert, wenn man die Augen gleich zuſchließt;
ſo ſah ich auch was ich, um zu ſchlafen nicht
ſehen ſolte. Eine arme Suͤndernacht war
dieſe Nacht —
Gottlob, dacht’ ich, die Sonne! allein ſie war
mir nicht zum Gluͤck aufgegangen.
Noch muß ich dir bey dieſer erwuͤnſchten
Gelegenheit vertrauen, daß eben dieſer Zeit-
punkt der war, da ich die geiſtlichen Lieder
als das probatſte Mittel, mein aufgewiegel-
S 2tes
[274] tes Herz zu beruhigen, kennen lernte. Be-
ſiehl du deine Wege. Was Gott thut das
iſt wohl gethan. Keinen hat Gott verlaſ-
ſen, das loͤſchte meinen Durſt bey meiner
Angſt. Wenn die Zunge an meinem Gau-
men klebte, und ich zwiſchen der hebraͤiſchen
Sprache, meiner Mutter, und deinem Vater
getheilt war; fing ich an zu ſingen. Fuͤhlt
ich gleich nicht die Wahrheit in ihrem gan-
zen Umfange:
ſo ward ich doch Gott ergebener und wei-
cher, und da mein ganzes uͤbriges Leben
zwiſchen Thuͤr und Angel iſt, und ich nie aus
dieſem Drang gekommen — ſing ich weiter,
bis ich kommen werde zum hohen Halleluja
vor dem Trone Gottes:
Den andern Morgen ein Brief!
Ein Brief, ſagte meine Mutter. Hab
ichs nicht geſagt. Sie wog ihn — das
Geſchlechtregiſter liegt drinn — Meine Mut-
ter
[275] ter irrte; es war ein Brief an meinen Vater,
und einer an mich.
Auch gut, ſagte meine Mutter, laß hoͤren.
Der Brief an meinen Vater enthielt eine
Dankſagung fuͤr alle Freundſchaft. Das
Herz redete darin. Dem Wohlehrwuͤrdigen
Mann floſſen Thraͤnen die Wange herab.
Jede von dieſen ſanft abſchleichenden Zaͤh-
ren verdiente in eine Perle verwandelt zu
werden. Wenn er geſtorben waͤre, ſetzte dein
Grosvater hinzu, wuͤrd’ ich nicht weinen;
ich hab noch nie uͤber einen Todten geweint,
denn er ruhet in Gottes Hand, allein ich wei-
ne uͤber ihn, weil er nicht todt iſt.
Es iſt ein ſehr ruͤhrender Anblick, einen
gluͤcklichen Mann weinen zu ſehen! — Ich
glaube, wenn er je gewuͤnſcht, ein Kreuztraͤ-
ger andrer Art zu ſeyn; ſo war es jetzo.
An deine Grosmutter hatte dein Vater einen
koſtbaren Ring beygelegt, den er, wie er
ſchrieb, fuͤr ſeine Braut beſtimmt gehabt, und
den er jetzt nicht beſſer, als auf dieſe Art an-
zuwenden wuͤßte. Mein Vater behauptete,
dieſes waͤre das lezte Lebewohl, meine Mut-
ter, es ſey ein friſcher Wurm zum Hamen.
Mein Vater und meine Mutter behaupteten
jedes ſeine Meinung, und ich aͤrgerte mich
S 3uͤbern
[276] uͤbern Wurm, wie Jonas uͤber den, der
ihm den Kuͤrbis ſtach.
Wuͤrde er wohl, ſagte meine Mutter
mit entſcheidendem Tone, ſolchen Ring beyge-
legt haben, wenn er nicht unter der Wildſchur
ein ander Kleid haͤtte — Ich weiß nicht,
warum mir dieſer Grund gleichfals ſehr wahr-
ſcheinlich auffiel; allein deſto heftiger war
mein Entſetzen, da ich vernahm daß er den
Paſtor L — fleißig beſuchte, und daß er
die juͤngſte von ſeinen Toͤchtern, welches ein
ſehr luſtiges und huͤbſches Maͤdchen war,
heirathen wuͤrde. Dieſe Zeitung blitzt’ und
traf, ich fiel ſo lang ich war zu Boden, und
ward herzlich, jawohl herzlich Krank. Die
ganze Gegend wußt’ jetzo, daß dein Vater
die Gabe der Enthaltſamkeit nicht hatte,
deſto beſorgter war ich, denn ſo unangenehm
es mir war, daß dein Vater nicht hebraͤiſch
konnte, wovon leider! manches geredet ward,
ſo ſehr lieb war es mir dagegen, daß man
ihm die ſeltene Gabe der Enthaltſamkeit
andichtete. Ich ſtand entſetzlich viel aus.
Zu dem Geruͤchte wegen der juͤngſten Tochter
des Paſtors L — kam ein Traum, deſſen ich
mich jetzo erinnerte, und den ich, von der
Stunde der Erinnerung an, Tag und Nacht
in
[277] in eins weg traͤumte. Die Nacht auf den
Abend, da dein Vater die erſte Mahlzeit
bey uns aus allen Kraͤften that, und da er
zu ſeiner Entſchuldigung behauptete, daß man
im Winter beſſern Appetit haͤtte, als im
Sommer, die Nacht auf dieſen Abend traͤumte
mir, daß die juͤngſte Tochter des Paſtor L —
mir Gift eingaͤbe, und da es wuͤrkte, billigt’
ihr Vater dieſes Verfahren, und wollte mir
noch eine vergiftete Pille von derſelben Art
im Saͤftchen beybringen, um wie er ſich
grosmuͤthig ausdruckte, mich nicht lange
quaͤlen zu laſſen; allein ſeine Tochter ward
des Landes verwieſen, und er ward Praͤpoſi-
tus — wie beſonders doch ein Traum iſt —
Er Praͤpoſitus! Sie des Landes verwieſen!
Daß ich das Saͤftchen des Herrn Paſtor
L — verbat, weiß ich! allein ob ich von
dem Gift ſeiner Tochter geſtorben, oder nicht?
konnt’ ich mich nicht beſinnen. Ich hatte
bis dahin keine andere, als bibliſche, oder ſol-
che Traͤume gehabt, die in der heiligen Schrift
vorkommen. Die ſieben fette und ſieben
magere Kuͤhe des Pharao zum Exempel,
und die Sonne, Mond und Sterne des Jo-
ſephs, waren offt vorgefallen, und kein ehrli-
ches Maͤdchen muß, ehe ſie Braut wird, an-
S 4ders
[278] ders als bibliſch traͤumen. Dieſer Gift-
traum richtete mich voͤllig hin. Zwar er-
zaͤhlte dein lieber Vater eben dieſen erſten
Abend, daß er den Paſtor L — und ſein
Haus kenne, und haͤtte ſich freilich alles na-
tuͤrlich erklaͤren laſſen; indeſſen iſt und bleibt
dieſer Traum immer was beſonderes. Man
ſage von den Cometen was man will; ſie
ſind und bleiben doch Cometen. Mein Blut
ſiedete auf — Ich hoͤrt’ es kochen, wie das
Waſſer in einer Theemaſchiene, allein deine
Grosmutter hoͤrte nicht ſieden, nicht kochen.
Sie nahm die ganze Sache auf die leichte
Schulter, bis ſie zu ihrem Erſtaunen ſahe,
daß mir daß Herz zu brechen anfing. Jetzt
dachte ſie auf eine Cur, und dieſe glaubte
ſie mit dem Ringe auszurichten; allein ſie
goß Oel zum Feu’r. Ich lag in einer Unge-
witterhitze. Es kam ihr vor, es haͤtte ſich
Etwas abgekuͤhlt, und nun glaubte meine
Mutter waͤr’ es Zeit, die Mediein einzuneh-
men. Sie ſchenkte mir den Ring und ich
mußt’ ihn anlegen, allein ſie goß Oel, ſie-
dend Oel zum Feu’r. Von dem Spitzchen,
wo der Ring ſeinen Lauf angetreten, gings
durch alle Adern — wellenſchlagend! und
ich ſchien außer Hofnung. Man nahm mir
den
[279] den Ring ab, allein das Feu’r, das er ange-
zuͤndet hatte, wuͤtete fort. Das Feuer iſt
ein ſchreckliches Element! In der Hitze wolt’
ich durchaus hebraͤiſch lernen, und um mich
zu beruhigen, mußte dein ſeelger Grosvater
mich darinn unterrichten. Wenn ich zu mir
ſelbſt kam, ſeufzete ich nicht uͤber meine Mut-
ter, ſondern uͤber des Paſtor L — juͤngſte
Tochter. Der liebe Docktor Saft, deßen
Sohn dir naͤchſt Gott geholfen, half mir.
Sein Recept war dein lieber Vater, und
eine Mixtur von ſeiner eigenen Erfindung.
Er war in der Medicin, ſo wie in Liebesan-
gelegenheiten, gleich ſtarck und brauchbar.
Sein Herr Sohn iſt ihm in der letzten Kunſt
nie gleich gekommen. Der alte Docktor Saft
hat Wundercuren durch Heyrathen gethan.
Er verhieß es feyerlich, deinen lieben Va-
ter zuruͤck an Ort und Stelle zu bringen.
Ich ſahe zwar noch nicht; allein ich fuͤhlte die
Farben wie Blinde — Wie viel haͤtt ich
drum gegeben, wenn meine Mutter den
Docktor Saft ſogleich ſeine Straßen zie-
hen laßen.
(Ich will meine Mutter, ihrer Lunge und
der Geduld meiner Leſer halber, abloͤſen, und
das in Kurzem ſagen, was ſie im Langen gab)
S 5allein
[280] allein meine Grosmutter und Dockter Saft
gaben ſich noch ſchwere Fragen auf. Vom
Kleide Adams und von ſeinem Nabel, vom
Apfel, den er gegeßen, von der Geſichtsfarbe
der Rahel, und uͤber den Punckt ob Pilatus
ſich mit Seife gewaſchen? obgleich meiner
Mutter in ihrer Verfaßung mit nichts weni-
ger, als ſchweren Fragen gedient war.
Mein Vater kehrte um und erhielt Ja,
von Mutter und Tochter, ohne daß er ſagen durf-
te, von wannen er kaͤme. Wer am wenigſten
damit zufrieden war, iſt keine critiſche Frage.
Der D. Saft ſagt’ indem er fortging:
Dieſe Spoͤtterey haͤtt’ ich ihm vergeben,
verſicherte meine Mutter, wenn ſie blos mich,
und nicht zugleich ein geiſtliches Lied betroffen
haͤtte. Paſtor L — war bitter boͤſe, obgleich
ſeine Tochter ohne hitziges Fieber davon kam,
und ihr Vater das Hebraͤiſche in der Fieber-
hitze nicht proſtituiren durfte. Er hielt als
Beichtvater die Traurede bey dem Myrthen-
feſte meines Vaters, wobey er die Vorzuͤge
der ehelichen Geburt abhandelte. Hiebey fie-
len ſo viel Satyren auf meinen Vater, daß
der arme Mann zum allgemeinen Gelaͤchter
wurde.
[281] wurde. Eine gewiße Frau v — warf den
erſten Stein, und nahm Gelegenheit, in oͤf-
fentlichen Geſellſchaften zu behaupten, er ſey,
wie ſie ſich ausdruckte, vom Ranapee und
nicht aus dem Ehebette. Sie ſchadete ſich
indeßen mit dieſem Steinwurf. Sie warf
ihn ſo ungluͤcklich, daß er auf Ihro Gnaden
zuruͤckfiel.
Denn es kam bey dieſer Stammgelegen-
heit aus, daß Ihr Herr Vater ſeeliger nicht
wirklich Vater geweſen, ſondern einer ſeiner
Leute, den Hofmeiſter, Jaͤger, die Bedien-
ten, Vorreuter ausgenommen, Vaterſtelle
vertreten — und ſo gings bey dieſer Gele-
genheit ſehr vielen, an deren ehelichen Ab-
kunft vorher Niemand gezweifelt hatte, in
deren Auge, Naſe, Mund und andern Geſichts-
ſtellen man aber jetzo einen andern Vater
leſen wolte.
Ein Ausdruck des Paſtor L, — war
meinem Vater am gefaͤhrlichſten geworden.
Nach der Weiſe Melchiſedech. Meine
Mutter ſagt ihn mir ins Ohr. Mein Kind,
ſetzte ſie hinzu, dieſer Name hat mir tauſend
und abermal tauſend Thraͤnen gekoſtet, und
unter uns geſagt: Waͤr es kein Vorbild, ich
haͤtte gewuͤnſcht, es waͤr’ an Melchiſedech
nicht
[282] nicht in der heiligen Schrift gedacht. Mein
Vater wußte, daß ihn die ganze Gegend mit
dieſem Beinamen bezeichnete, und das ging
ihm ſo nahe, daß er, wie meine Mutter ver-
ſicherte, druͤber ſeines Lebens wuͤde ward.
(Hier muß ich wieder meiner Mutter den
Lauf laßen)
Melchiſedech war ein Koͤnig zu Salem,
ſagte ſie ganz leiſe und auf Zehen, ein Pri-
ſter des Allerhoͤchſten, oder Herzog und Su-
perintendent von Curland in einer Perſon.
Da dein Vater kein Koͤnig iſt, paßt der
Name von dieſer Seite nicht, allein ſonſt
paßt viel: Kein Menſch weiß, wo Melchiſe-
dech gebohren, wer ſein Vater geweſen, ſein
Geſchlecht, ſein Tod, alles geheim — als
Abraham von der Verfolgung der vier
vereinigten Koͤnige, welche die Koͤnige zu
Sodom und Gomorra uͤberwunden, und den
Loth, ſeinen Vetter mit ſich als Kriegsge-
fangenen gefuͤhrt, heim kam, ging ihm Sr:
Hochwuͤrdigſte Majeſtaͤt Melchiſedech bis
ins Thal Sare entgegen, (dieſes Thal ward
Koͤnigsthal benennt) lies den Abraham eine
ſchoͤne Tafel decken, und ſprach folgenden
Seegen uͤber ihn: Geſeegnet ſeyſt du, Abra-
ham, dem hoͤchſten Gott, der Himmel und
Erde
[283] Erde beſitzet, und gelobet ſey Gott der
Hoͤchſte, der deine Feinde in deine Hand be-
ſchloßen hat. Abraham gab dem Seegnen-
den den zehnten von allem, und mehr wißen
wir von Melchiſedechs Geſchichte nicht. Wol
aber ſpricht der Pſalmiſt im ein hundert und
zehnten Pſalm und deſſen vierten Vers:
Du biſt ein Prieſter ewiglich, nach der Weiſe
Melchiſedech. Im Briefe an die Hebraͤer
im fuͤnften Capittel und deſſen ſechſten und
zehnten Vers, und im ſechſten Capittel und
zwanzigſten, im ſiebenden und deſſen erſten,
zweyten, und dritten Vers entwickelt ſich
dieſes naͤher, welches du, wenn dein Vater
nicht dabey iſt, weiter nachleſen kannſt.
Ich fand die Bemerckung meiner Mutter
ſehr bewaͤrt, daß mein Vater weder oͤffent-
lich noch haͤußlich dieſen Namen ausge-
ſprochen. Die Rachreden vom Kannapee,
welche die Frau Schwiegermutter ihrem
Herrn Schwiegerſohn getreulich, und oft
wol mit bittern Salſen, wie meine Mut-
ter ſagte, vorſetzte, haͤtten meinem Vater
unfehlbar auf den Kirchhof gebracht, ſo,
daß ſein Tod gewis kein Melchiſedechs Tod
geweſen waͤre, wenn er ſich nicht mit einſt
ermannet, und uͤber die Worte: Richtet
nicht,
[284]nicht, ſo werdet ihr auch nicht gerichtet,
eine Predigt gehalten haͤtte. In dieſer
Predigt, ſagte meine Mutter, war ſo viel
Salz und Schmalz, daß alles wie Schne-
cken, wenn ſich ein Blaͤdchen ruͤhrt, die Hoͤr-
ner einzog. Sein bluͤtuͤbertragenes Herz
bekam Luft, und er genas. Nach der Pre-
digt ward das Lied: In dich hab ich gehoffet
Herr, geſungen, welchem M. Jacob Daniel
Ernſt, in der Hiſtoriſchen Confecttafel, die
ruͤhrende Befreiung des Herrn Andreas
Steinberg, wolverdienten Pfarren zu Bu-
din in Boͤhmen, zuſchreibet, und wider wel-
ches ich kein Wort habe, außer, daß mir der
dritte Vers zu kriegeriſch vorkommt.
(Sie ſang die drei letzten Strophen, die
ſich anfangen:)
Haͤtte es deinem lieben Vater gefallen,
mich bey dieſer Liederwahl zu Rathe zu zie-
hen; ſo wuͤrden die Lieder einen eben ſo
algemeinen Beyfall gefunden haben, als die
fanden,
[285] fanden, welche ich bey deiner Predigt erkohr.
Jedes ſprach von deines Vaters Predigt,
Niemand aber dachte an die Lieder, und doch
gehoͤrt zur Seelenmahlzeit Eßen und Trin-
ken, Predigt und Geſang. Geſchehene
Dinge waren nicht zu aͤndern. Ich konnte
nichts mehr thun, als zu Hauſe, um feu-
rige Kohlen auf deines Vaters Haupt zu
ſammeln, einige treffendere Strophen ſingen.
Ich ſang,
(Sie ſang auch jetzo)
und gleich darauf ſtimmte ſie an:
Das
[286]
Das Lied: mein Dankopfer Herr! ich
bringe, iſt wie auf dieſe Predigt gemacht.
Dies Lied ſang indeßen meine Mutter
nicht; ſondern empfahl es mir zum Nachleſen.
Was es heiße: fuhr ſie fort, er predigte ge-
waltiglich, hab ich in dieſer Predigt gelernt.
Dein Vater trieb ſeine Feinde zu Paaren, zu
Einzeln trieb er ſie; ihre Staͤte war nicht
mehr. Melchiſedech und Kannapee waren
nun wieder Melchiſedech und Kannapee.
Gott ſey dafuͤr gelobet und gebenedeyet!
Meine Mutter verſicherte mich hiebey mit
Thraͤnen, daß ſie in der kritiſchen Zeit kei-
nen Menſchen aufs Kannapee zu noͤthigen
das Herz gehabt; wie ſie denn auch auf die
Rechnung Melchiſedechs ſchrieb, daß ich erſt
im dritten Jahre, nach ihrer Verheiratung,
das Licht der Welt erblickt, (in parentheſi,
ich war die erſte und letzte Geburt.)
Es werden nicht viele ſeyn, welche die
eheleibliche juͤngſte Jungfer Tochter des
Herrn Paſtors L —, die ein Comet in die-
ſer Geſchicht’ iſt, weiter intreßirt, als daß
ſie, ohne hitziges und hebraͤiſches Sprachfieber,
abgekommen; indeßen um alle Gerechtigkeit
zu erfuͤllen, mag der geneigte Leſer obſervi-
ren, daß mein Vater ihretwegen auch nicht
ein
[287] ein Wort beyher fallen laßen. Es war auch
in dieſem Paſtorat erſchollen, daß mein Va-
ter die Gabe der Enthaltſamkeit nicht haͤtte,
und dies bewog den Paſtor L. und die Paſto-
rin, (ob die Toͤchter dran Antheil gehabt,
wußte meine Mutter nicht,) meinen Vater
zum Gaſtmal einzuladen. Er kam, und be-
gruͤßte die juͤngſte Tochter des Paſtor L. eher,
als ihre aͤlteren Schweſtern, und auf dieſen
Umſtand gaben ihre Eltern die Einwilligung.
Sie gefiel nach der Zeit dem — v — und
da ſich dieſer mit ſeinen Lippen ſchon offt
und viel zu ihr genahet, obſchon ſein Herz
ferne von der heiligen Ehe war, geſchah es,
daß er ſich einſtmahls noch mehr naͤhern wol-
te, und ſie — gab ihm mit tugendhafter
Hand eine Ohr — Die Sache ward rucht-
bar, und macht’ in Curland ein großes Auf-
ſehen. Einige von den alten Haͤuſern votir-
ten, daß der juͤngſten L — die Hand ab-
gehauen werden ſolte: andere Haͤuſer, wo
eben die Soͤhne von Univerſitaͤten gekommen
waren, (denen vieleicht dergleichen Ohrfeigen
nichts ungewoͤhnliches waren) votirten, daß
die Hand eines artigen Maͤdchen keinen
Cavalier entehren koͤnnte. Die Stimmen
waren ſehr getheilt. Die Sach’ indeßen
Tward
[288] ward zum Vergleich ausgeſetzt, und ſchloß
ſich, wie ſich die Comoͤdien alle ſchließen, mit
der Heirath. Der Herr v — heirathete,
o! Wunder uͤber Wunder! die juͤngſte Toch-
ter des Paſtors L — So kann man auch
zum Ehemann, und nicht blos zum Ritter
geſchlagen werden! In Curl — konnte aber
dieſer Graͤuel von Seiten des — v —
nicht von der Sonne beſchienen werden. Der
Paſtor gab Geld und die Tochter, — der
Geſchlagene nichts als Ja — weil er nichts
weiter hatte, und ein Krippenritter war.
Das Paar reiſete ab. Gluͤckliche Reiſe!
Mein Gifttraum, ſagte meine Mutter, war
wenigſtens von Seiten der juͤngſten Tochter
des Paſtors L — puͤnktlich erfuͤllet; ob-
gleich der Paſtor L — niemals Praͤpoſitus
geworden iſt, und es auch ſchwerlich werden
wird. Sein Saͤftchen war der Melchiſedech,
welches du ohne Auslegung verſtehen wirſt.
Meine Mutter nahm mich beym fuͤnften
Weſtknopf, von oben gezaͤhlt, und hielt mir,
wegen des Namens Alexander, eine ſehr lange
Rede, die mir zugleich aufklaͤrte, warum ſie
mich, wie es meine Leſer ſelbſt gehoͤrt, ſtatt
Alexander Einhoͤrnchen genandt. Dieſe
Aufklaͤrung bin ich meinen Leſern zu ihrer
gleich-
[289] gleichmaͤßigen Aufklaͤrung ſchuldig. Meine
Mutter war im Grunde auch nicht zufrieden,
daß der Ehrn Einhorn Weiland, zweiter
Superintendent in Curland, Alexander ge-
heißen, vielmehr ſagte ſie, welches mich er-
ſchrecklich befremdete, Herr Superintendent
Einhorn haͤtte beßer gethan, wenn er bey
der heiligen Schrifft geblieben waͤre. Ich
kanns nicht bergen, fuhr ſie fort, daß ich
dem Namen Habacuc vorzuͤglich zugethan bin,
und wenn du ſo hießeſt, ich wuͤrde den ſilber-
nen Becher mißen, der noch von meinem Gros-
vater iſt. Wenn ichs aͤndern koͤnnte, Ha-
bacuc ſolte mir gewiß nicht unter den klei-
nen Propheten ſeyn. War aber der Na-
me Habacuc Sr. Hochwuͤrden dem ſeelgen
Herrn Superintendenten nicht genehm, wa-
rum nicht einer von den großen Propheten,
Jeſaias, Jeremias, Klaglieder Jeremiaͤ,
Ezechiel oder Daniel? Warum denn Alexander,
ein Name, der in der heiligen Schrifft nicht
ſonderlich angeſchrieben iſt, und von dem es
in der zweyten Epiſtel an den Timotheum,
im vierten Capitel und vierzehnten Vers
etwas mißlich heißt: Alexander der Schmid
hat mir viel Boͤſes beweiſet, der Herr be-
zahl ihm nach ſeinen Wercken, vor wel-
T 2chem
[290]chem huͤte du dich auch, denn er hat un-
ſern Worten ſehr widerſtanden.
Ich ſahe deinen Namen nicht anders,
als einen Hoͤcker an. Damit ich mich in-
deſſen uͤber dieſen Auswuchs einigermaßen be-
ruhigen moͤchte, nanndt ich dich Einhoͤrnchen,
und dachte, geſchieht dies am gruͤnen Holz’,
am Ehrn Einhorn Weiland zweyten Supe-
rintendenten in Curland, was will am duͤr-
ren, deinem lieben Vater, werden, von dem
man außer, daß er in ſeiner Jugend fruͤher
Spargel gegeſſen als in Curland, nicht viel
mehr weiß, was hieher gehoͤren koͤnnte.
Wie unzufrieden meine Mutter mit dem
Alexanderſpiel, wobey ihre Koͤchin Babbe
die koͤnigliche Frau Mutter vorſtelte, geweſen,
hab ich nie ſo deutlich als jetzt erfahren.
Sie bezeugt’ ihren Todhaß gegen den Hercu-
les, den mir mein Vater, wie ſie ſagte, ſo ſuͤß
vorgepfiffen, daß ichs bedauret, nicht auch
Schlangen in der Wiege erdruckt zu haben.
Hercules iſt am Ende, ſagte ſie, ein blinder
Heide, und Alexander auch. Ich freue mich,
daß dein lieber Vater ſelbſt in dieſem Stuͤcke
ſeine Voreilung einſiehet, und dich nicht mehr
Alexander, ſondern mein Sohn heißt. Du
biſt, Gott ſey gedanckt, ſchier ein guter Pro-
pheten-
[291] phetenknabe zierlich, manierlich! allein noch
beſſer wuͤrdeſt du ſeyn, und nicht ſo offt in
Gedancken, Geberden, Worten und Wercken
trommeln und querpfeifen, du wuͤrdeſt deine
Meinung ohne Schaͤumchen aufgießen, wenn
dein lieber Vater dich gleich mein Sohn,
und nicht Alexander aufgerufen. So bald
ich dir anrieth, Saͤrger zu ſchnitzeln, und
Leichen zu begraben, lehrt’ er dich Spieße
und Bogen machen, und noch ganz klein
ſtelte er tuͤrkiſche Bohnen wie Soldaten, von
denen du Gottlob! damals keinen Begrif hat-
teſt. Wenn dich Leute kuͤßen wolten, ſtieß er
ſie von dir. Brecht die Roſe nicht, damit
ſie nicht welck werde. Er ſchien zu meinen,
daß dir durch Kuͤße das Fett abgeſchoͤpft
wuͤrde. Wenn er lieben wird, ſetzt’ er hin-
zu, kann er kuͤßen. Ich gab dir die wolge-
meinte Lehre, wenn eine große und kleine
Pforte zu einem Wege fuͤhrt, gehe durch die
Kleine, und hab’ auch hiebey erbauliche Ge-
danken — Dein Vater ſagte durch die
Große —
Ich, wenn du gaͤhnſt, ſchlag ein Kreutz
und halt die Hand vor.
Dein Vater, ſchlag kein Kreutz und laß
jedem deinen Mund ſehen, (in dieſem einzigen
T 3Stuͤck
[292] Stuͤck hab’ ich ihm nach der Zeit Recht ein-
geraͤumt)
Ich, wenn dir Brod oder Bibel, Geſang-
buch und Luthers Catechismus, aus den Haͤn-
den faͤlt, kuͤß, Brod, Bibel, Geſangbuch
und Luthers Catechismum.
Dein Vater, kuͤß weder Brod, Bibel,
Geſangbuch noch Luthers Catechismus, heb
auf was faͤlt und Aufhebens werth iſt, was
Erd iſt laß zur Erde werden —
Ich gratulir’ am erſten Advents Sonn-
tag zum neuen Jahre; denn es iſt der erſte
Tag im Kirchenjahre, und wuͤnſche nicht nur
dieſes, ſondern noch viele neue Kirchenjahre
in Seelen und Leibes Wolergehen anzufan-
gen und zu beſchließen. Ihm iſt der erſte
Advent, wie der erſte Sonntag nach Trini-
tatis — mir nichts dir nichts. Kaum daß
er am Laien Neujahrstage, das iſt den er-
ſten Januar, Gluͤck wuͤnſcht. Was ich eine
Nickel, und unehrlich nenne, heißt er unehe-
lich. Bey dem letzten Umſtande denck ich
mehr, als ich ſagen kann. —
Aus dem ſchnaubenden Saul ward ein
frommer Apoſtel Paul, und auch du mein
lieber! kann gleich aus keinem Alexander ein
Haba-
[293] Habacuc werden; fleißige dich demnach bey
Leibesleben Superintendent in Curland zu
werden. Der Name ſelbſt wuͤrde, da ſchon
zwey Alexanders Superintendenten gewor-
den, wol Etwas von ſeiner Haͤrte verlieren,
wie Senf durch Zucker — Hier ſah man
meiner Mutter eine gewiße Sohnsfreude
an, die bey Muͤttern die einzige ihrer Art
iſt. Wo iſt ein Mahler, der die Marien-
freude ausgedruckt hat? Sie haͤtte keinen
heiligen Schein noͤthig, wenn dies ein Mah-
ler treffen koͤnnte! Man rechne ſo genau man
will, ſagte meine Mutter ſchluͤßlich, ein
kleiner Bruch bleibt bey einem jeden Men-
ſchen uͤbrig — Er aber, der in dir ange-
fangen hat das gute Werck, woll’ es durch
ſeinen heiligen Geiſt in dir beſtaͤtigen und
vollfuͤhren, und dich kraͤftigen und gruͤn-
den, ihm ſey Ehre und Lob und Preis.
Amen, Amen.
Was mich betrift —
Sie ſang:
T 4und
[294]
und nach dieſer Strophe:
Im Liede ſteht Ringen anſtatt ſingen. Wer
wird indeßen meiner Mutter dieſe Aenderung
verdencken? Lieber haͤtte ſie, das weiß ich,
nach wohlgehaltenem Tackte geſungen, ſie
mußt’ aber den Reim bedencken.
Sie ſchloß in Proſa mit wiederhohlent-
lichem Amen, Amen.
Nach dieſer Erzaͤhlung und dieſen muͤt-
terlichen Wuͤnſchen laß ſie mir einen Aufſatz
vor, den zum groͤßten Theil ihr Vater fuͤr
ihren Bruder aufgeſetzt hatte, welcher aber
in der Kinderlehre geblieben, wie ſie ſich aus-
druckte. Vieles, ſagte ſie, iſt deines Vaters,
das meiſte gehoͤrt mir. Ich will es meinen
Leſern zum Beſten von maͤchtiger zu maͤch-
tiger Staͤte, von treuen zu treuen Haͤnden
mittheilen.
Noch
[295]
Noch nie war mir die Geſchichte meines
Vaters ſo ſehr aufgefallen, als jetzo, wo mir
die kleinſten Umſtaͤnde nicht Adiaphora mehr
waren, obgleich ich Summa Summarum
nicht viel mehr erfahren, als ich ſchon wußte.
Zu dem Spargel und der Pfeife in der freyen
Luft und den langen Manſchetten war nur
ein Kannapee und der koͤnigliche Prieſter
Melchiſedech gekommen. Ein Name, den ich
noch nicht ohne Bangigkeit, man moͤcht’ ihn
uͤbel deuten ausſpreche, und den ich meinen
Leſern, ſo offt er vorgekommen, ins Ohr ge-
ſchrieben habe.
Denckzettel an den, der unter meinem
Herzen und an meiner Bruſt lag, welche
Niemand außer ſeinem Vater (und der
nur beilaͤufig) vor und nach ihm geſehen
hat, der den ‒ ‒ ‒ 17 — in einem kalten
Winter meinen Leib oͤfnete und ſchlos,
dem ich die Haͤnde falten und Gott aus-
ſprechen lehrte, und den ich in dieſem
Jammerthal, wo man auch bey fruͤhen
Spargel nicht an Ort und Stelle iſt, nicht
mehr ſehen werde, aber — dort bey dem
Herrn! allezeit.
Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht
Heucheley ſey, nicht ein Kranz, der Firne
T 5Wein
[296] Wein anmeldet, wo doch nur Heerlingsſafft
iſt, und ſuche nicht Ruhm bey Leuten durchs
Weiße in deinem Auge, und durch ein Aus-
ſehen, als wenn du den Tag zuvor Medicin
genommen. Die ganze Natur iſt froͤlich und
guter Dinge. Ehre Vater und Mutter mit
der That, mit Worten und Geduld, auf daß
ihr Seegen uͤber dich komme: denn des Va-
ters Seegen baut den Kindern Haͤuſer, aber
der Mutter Fluch reißet ſie nieder. Ihr
Unwillen beſchaͤdigt das Dach, und es regnet
ein ewiglich. Wie kann der Gott lieben,
den himmliſchen Vater, der nicht die liebet,
die das wohlgetrofendſte Bild vom Schoͤpfer
und Erhalter an ſich tragen: ehre Vater und
Mutter, damit dir’s wohlgehe und du lange
lebeſt auf Erden. Sprich, wenn du Melchi-
ſedech ſagen wilſt, der koͤnigliche Prieſter ſo
wie man den David den koͤniglichen Prophet
heißt, obgleich er auch in der Apoſtel Geſchich-
te, im zweiten Capittel, im neun und zwan-
zigſten Vers, Erzvater genanndt wird. Ge-
dencke wenn du Spargel ißt, oder eine Pfeife
in freier Luft raucheſt und lange Manſchet-
ten ſiehſt, oder Wein an der Quelle trinckeſt,
deinen Vater ehren iſt deine eigene Ehre, und
deine Mutter verachten, heißt einen ſtinkenden
Othem
[297] Othem haben. Ein gutes Gewiſſen iſt beſ-
ſer als zween Zeugen. Es verzehrt deinen
Kummer, wie die Sonne das Eiß. Es iſt
ein Brunnen, wenn dich durſtet, ein Stab,
wenn du ſinckeſt, ein Schirm, ein rigaſcher
Paſtorhut, wenn dich die Sonne ſticht, ein
Kopfkuͤßen im Tode — Der Herr unſer
Gott iſt der Allerhoͤchſte, und er ſchuf Loͤwen
und Froͤſche, Adler und Muͤcken, und alles
was auf Erden kreucht. Kein Sperling faͤlt
ohne ſeinen Willen, und in ihm leben,
weben und ſind wir. Gleiche Bruͤder glei-
che Kappen. Gleichheit ſagt dein Vater iſt
das Winkelmaas der Menſchheit. Wer nicht
uͤber andere wegſieht, und am Tiſch ſich oben
anſetzet, und nach der Hechtleber langt, er-
regt keinen Neid, und Niemand ſpricht zu
ihm: weiche dieſem. Der groͤßte Huͤmpler
die meiſten Spaͤhne. Keine Antwort iſt
auch eine Antwort. So wie das Waſſer
Feuer loͤſcht, ſo uͤberwaͤltiget die Beſcheiden-
heit den Stolzen. Sie iſt der Ring, den
man den Baͤren durch die Naſe zieht. Gut
macht Blut, Blut macht Muth, Muth
macht Uebermuth. Es iſt eine ſchwere Sa-
che um die aͤchte Schaamroͤthe. Bey vielen
iſt ſie Schmincke, und Pfui uͤber die viele.
Wenn
[298] Wenn ſie aber [auch] geſundes unverfaͤlſchtes
Blut iſt, kann man ſich ſchaͤmen, daß man
Suͤnde daran thut, und kann ſich ſchaͤmen
daß man Gnade und Ehre daran hat, vor
Gott und Menſchen. Wer A ſagt muß B
ſagen. Aus Schaam ſterben heißt eben ſo
viel, als aus Furcht ſterben. Die Schaam-
roͤthe bleichet nach einer Weile aus, wie eine
ſechsſtuͤndige Provinzroſe. Kirchenbuß iſt kein
Staupenſchlag. Waſch mir den Peltz, und
mach ihn nicht naß. Wer ein Tyger in
ſeinem Hauſ’ iſt, pflegt ein Schaaf außer
demſelben zu ſeyn. Sey langſam zu reden,
ſchnell zu hoͤren und langſam zum Zorn,
denn des Menſchen Zorn thut nicht was vor
Gott recht iſt. Kaltes Blut hat mehr Unheil
geſtiftet als der Zorn! Thue nichts Boͤſes, ſo
wiederfaͤrth dir nichts Boͤſes. Halte dich
vom Unrecht, ſo trift dich kein Ungluͤck. Was
boͤſ’ iſt bleibt boͤſe, wenns gleich viele thun.
Wie das Bett ſo der Schlaf. Ringe nicht
nach Gewalt bey Fuͤrſten, denn ſie ſind Men-
ſchen und koͤnnen nicht wenn ſie auch wolten.
Sey froͤlich mit den Froͤhligen und weine
mit denen, die zerſchlagenes Herzens ſind,
denn Gott ſchuf uns all aus einem Erden-
kloß, und blies uns einem lebendigen Othem
in
[299] in die Naſe, und da ward eine lebendige
Seele. Verzweifle nicht, wenn die Glocken
um deinen Freund gezogen werden, und wenn
es von ihm heißt: er iſt verſammlet zu ſei-
nen Vaͤtern. Freue dich nicht, wenn dein
Feind ſtirbt, gedenke, daß wir alle ſterben
werden,
Wilſt du den Frevler kennen, ſieh ihn wenn
ſein Feind den Arm bricht. Artet ſein Herz
zum Jubel aus, und raucht ſein Haupt wie
eine Flaſche alter Wein, wenn man die Propfe
herausgezogen; ſo haſt du ihn auf ein Haar,
wie dein Vetter getroffen iſt, im Kupfer-
ſtich — Wenn gleich der Gottloſe in einem
Pallaſte wohnet, irre dich nicht. Sein Pal-
laſt iſt wie das Hauß der Spinne und wan-
ckender, wie ein Schauer, das der Waͤchter ſich
gemacht hat — Es kommt die Stunde, da
Schrecken ihn treffen, wie Waßer! Ein
Platzregen kommt uͤber ihn, wenn er ein ſeid-
nes Kleid an hat. Ohne Ordnung faͤlt man
uͤber ihn her, wie durch ein geſprengtes Thor;
wie eine eingenommen Feſte wird man ihn
umzingeln. Iſt nicht Tag und Nacht, Som-
mer und Winter, kalt und warm? Es liegt
alles
[300] alles Fingerdick in der Welt, das Gute und das
Boͤſe. Harre auf den Herrn, deine Seele hof-
fe auf ihn, er wirds wohl machen. Gott zer-
ſchmeißet und ſeine Hand heilet. Aus ſechs
Truͤbſalen wird er dich erretten, und in der ſie-
benten wird dich kein Uebel ruͤhren. Er
wird deine laße Haͤnde ſtaͤrken, damit du zu
deiner Predigt den Tackt ſchlagen koͤnneſt zur
rechten Zeit, und wenn deiner Seele widert,
den duncklen Weg zu gehen, den kein Vogel
entdeckt, und keines Geiers Auge geſehen,
wenn es ſtock finſter iſt, ſey Gottes Wort
deine Leuchte und das Licht auf deinem We-
ge. Er! der den Winden den Weg wies,
fuͤhret ſeine Heiligen zwar wunderlich, doch
ſeelig. Unſere Kraft iſt nicht ſteinern, unſer
Fleiſch nicht ehern, das weiß, der uns ſchuf,
und wird unſer Lager leichtern und dir einen
D. Saft ſenden, wenn du kranck biſt, und
einen Troͤſter, wenn deine Seele wimmert.
Nichts kann uns mehr verſtimmen, als das
Geſchrey kleiner Kinder! die leibliche Eltern
finden es unertraͤglich, denn die Erbſuͤnde iſts,
die aus dem Kinde ſchreyt, und ſein Weinen
verraͤth Unverſtand und Eigenſinn. So iſt
unſer Weinen und Heulen dem lieben Gott —
Kindergeſchrey!
Wer
[301]
Wer am Wege baut, hat viele Meiſter.
Leihe nicht einem Gewaltigern denn du biſt.
Leiheſt du aber, ſo acht es geſtreut auf einem
undanckbaren Acker. Brich den Hungrigen
dein Brod, und ſo du einen nackt ſieheſt, glaube
daß ein Loch in deinem Strumpfe ſey. Na-
ckend biſt du von deiner Mutter Leibe gekom-
men, und nackend wirſt du auch heimfahren
aus dieſem Elend. Der Herr hats gegeben,
der Herr hats genommen. Halleluja! Ein
neuer Freund iſt ein neuer Wein, laß ihn alt
werden, und denn koſte ihn und ſiehe da,
ſolch ein Wein erfreuet des Menſchen Herz,
daß er jung wird wie ein Adler. Wer Pech
angreift beſudelt ſich, wer mit Leidenſchaft
ſpielt, hat Luſt zu betruͤgen, und wer offt
tantzt, will heyrathen. Sey zuͤchtig, wenn
von Dingen die Red’ iſt, die die Natur ſelbſt
mit Feigenblaͤttern verhangen hat. Gewoͤhne
dich nicht zur Saͤngerinn, daß ſie dich nicht
mit einem Triller in die Flucht ſchlage, und
dich zum ſchimpflichen Gefangenen mache fuͤr
und fuͤr. Hoͤre lieber eine Nachtigal, eine
Lerche, oder ſo Etwas, und dein Gemuͤt wird
geſund zu derſelben Stund. Mit Ringen
zu ſpielen iſt nur dem Doge zu Venedig am
Himmelfahrtstage erlaubt, wenn er ſich mit
der
[302] der adriatiſchen See verlobet. Ich halt
ſelbſt dies Spiel fuͤr ſuͤndlich und anſtoͤßig,
wenns gleich der heilige Dreyfuß oder Sorg-
ſtuhl, auf dem dein Namens Vetter, Pabſt
Alexander der dritte ſaß, im Jahr 1174 ver-
ordnete. Man muß ſich nicht verloben, wenn
man nicht heyrathen will. Man muß keiner
adriatiſchen See einen Ring geben, die nicht
unſere Frau werden kann. Du verſtehſt
was du hoͤreſt und liefeſt mein Sohn! Merke
wohl was ich ſage!
(Die adriatiſche See war ohne Zweifel
Minchen)
Wehe dem Juͤngling, der einer Dirne
verſpricht was er nicht erfuͤllet, der mit ihr
handgemein wird, wenn er nicht herzgemein
mit ihr zu werden in den Umſtaͤnden iſt.
Leute dieſer Art meiden das Land wie die
juͤngſte L — an der mein Traum erfuͤllet iſt,
und ihr Krippenritter, von dem mir nie Et-
was getraͤumet hat. Falſche Juͤnglinge
bauen ein Geruͤſte von Schmeicheleyen und
wenn ihr Gebaͤude fertig iſt, zerſtoͤren ſie das
Geruͤſte, und ſeine Staͤdte iſt nicht mehr.
Du nicht alſo.
Wenn
[303]
empfehl ich dir das Tintfaß, nicht wie unſer
Glaubensvater, ihm damit den Kopf zu
blaͤuen, obgleich dieſe Tintflecken an der Wand
die ſchoͤnſte Malerey ſind, die ein Chriſten-
auge in der Welt ſehen kann. Der Teufel,
da er ſchon an ſich tintſchwarz iſt, hatte kei-
nen Flecken davon. Nicht des Wurfs wegen,
ſondern um eine Predigt oder geiſtliche Be-
trachtung draus abzufeuren. Tint ſey dein
Pulver, die Feder Flinte, die Sandbuͤchſe
Schrot. Vom Weirauch thut dem Teufel
der Kopf weh. Es iſt nicht fein wenn ein
Geiſtlicher mit Etwas anderm raͤuchert. Um
die Tint gut zu kochen oder Teufelspulver
zuzubereiten, werd ich dir ein Recept bey deine
Waͤſche packen. Es hat Krancke gegeben,
auf die der Anblick des Recepts die naͤmliche
Wuͤrckung gemacht hat, als die Medicin, die
drauf charackteriſiret war. Sie ſchwitzten
ſie gingen zu Stuhl. Der Teufel muͤßte
ſein Spiel haben wenn dies Recept in deine
Waͤſche Tintflecken machen ſolte. Stecke
die Manſchetten unter, wenn du ſchreibſt,
denn es ſteht nur einem alten wohlerfahrnen
Gelehrten an, mit Tintflecken zu prangen.
ULeute
[304] Leute, die die Suͤnde aus ihrem Fleiſche, wie
den Staub aus ihren Kleidern herausklo-
pfen und ſich caſteyen, kennen den inwendi-
gen Menſchen nicht. Verſe zu machen, mein
Kind! iſt ein probates Mittel wider die
Erbſuͤnde und die boͤſe Fleiſchesluͤſte, die man
blos durch Seelenmotion daͤmpfen kann. Es
muͤßen die Verſe aber gereimt, im Schweis
des Angeſichts erarbeitet oder erjagt ſeyn.
Dein Vater ſagt, im Reimwoͤrterbuch nach-
ſchlagen, heißt hezzen. Weg mit den Hunden;
allein wo iſt ein Jaͤger ohne Hunde? Ein
Menſch der die ſchmutzigſten Verſe ſchreibt,
wenn ſie ihm wohlgerathen, laͤuft ihnen wie
den unkeuſchen Dirnen nach, die er beſungen
hat. Jammer und Schade um die Poeſie!
Sonſt aber fuͤr jedes eine Reihe, fuͤr den Ver-
ſtand eine, und fuͤr den Reim auch eine. Gib
dem Verſtande, was des Verſtandes, und dem
Reim, was des Reims iſt. Dichter probirt
man wie Erdenzeug durchs Klingen. Kein
großer Saͤnger ſingt, wenn er in Gedancken
iſt: Wie es die meiſten thun, die nicht große
Saͤnger und große Philoſophen ſind. Die
letztern reden mit ſich ſelbſt, und machen mit
der rechten Hand eine Bewegung. Dichter
pfeifen. Dein Vater. Nationen, die ſingend
reden,
[305] reden, und deren Sprach ſo iſt, als wenn die
Orgel geſtimmt wird, ſingen ſchlecht. Alles
dein Vater. Auch hab ich von ihm die
deutſche Sprache, ſey nicht alſo. Der ſee-
lige Herr D. Martin Luther ſagt, der Teu-
fel iſt ein Trauergeiſt und macht traurige
Leute; daher flieht er die Muſica, und bleibt
nicht, wenn man ſingt. Das Loblied Mo-
ſes, der Prophetin Debora und Barac, als
Sißera geſchlagen ward, der gottſeeligen
Hanna, das Loblied Hiskia, als er wieder
geſund geworden, und des Jonas, da er aus
dem Wallfiſche angelandet war, beweiſen,
daß nicht nur Maͤnner, ſondern auch Weiber,
heilige Lieder geſungen, und im neuen Teſta-
ment ſingt der Priſter Zachariaͤ und auch die hei-
lige Jungfrau. Durch die Inſtrumentalmuſik
ſpricht ein Stummer. Der Krancke geneſet,
das Alter verjuͤnget ſich. Durch die Stimm-
muſik zertheilen wir die Wolcken und dringen
zum Herrn. Nur die Engelſtimmen gehen
uͤber Menſchenſtimmen. Wenn Barbaren, die
kein Wort teutſch koͤnnen, uns uͤberfielen!
Singt! Wenn man eine Wagenburg ſchlaͤgt,
und euch an allen Orten aͤngſtiget! ſingt, ſag
ich, und abermal ſag ichs, ſingt! Geſang iſt ein
niederſchlagendes Pulver, Cremor Tartari fuͤr
U 2die
[306] die Seele. Mein Sohn, wenn auch ein
andrer uͤber dies Schatzkaͤſtlein kaͤme; er
wuͤßte von jedem Worte, weſſen Geiſtes Kind es
ſey, ob mein oder deines Vaters und deines
Grosvater. Bey vielen hab ich geſagt dein
Vater, bey vielen hab ichs gedacht. Dein Gros-
vater und Vater haben gepflanzet, ich hab be-
goßen, Gott gebe das Gedeihen!
Plato und Pythagoras waren zwar blin-
de Heiden; indeſſen glaubten ſie, daß der
Lauf der Sterne ein Concert ſpiele. Lobe
den, der ſie in Melodie ſetzte. Alles was
Odem hat, lobe den Herrn! Dein Vater
ſagt, wer dieſes Spaͤhrenconcert nicht hoͤrt,
wenn er ein Loblied ſingt, iſt aͤrger denn ein
Heide. Die Traurigkeit macht feig. Ein Lob-
geſang macht luſtig. Durch den Geſang
redet der Leib der Seele zu: Sey gutes
Muths, kleine Naͤrrin! Siehe die Lilien auf
dem Felde, ſie ſaͤen nicht, ſie ſpinnen nicht,
Gott naͤhret ſie doch; ſind ſie denn mehr wie
du! Ich ſing indem ich ſchreibe, und will,
daß du ſingeſt, indem du lieſt.
Er
Wer Gott dancket, um ihn zu beſtechen, der
dancket ſich ſelbſt. Mit dem Gebet kann man
Gott nicht ſo ſchaͤnden, als mit Lobopfer. Bete
wie ein klein Kind: Abba mein Vater! danck’
auch ſo. Ich gruͤße euch, ihr engliſchen Saͤn-
ger in der Stadt Gottes, wo alles lieblich
zuſammenſtimmt! ich ſeegne dich zweyglie-
drig, du Pforte des Himmels! du haſt mir
mein Herz genommen, himmliſches Jeruſa-
lem, mit deiner Suͤßigkeit, und die Lieblich-
keit der Stimme der Vollendeten hat mich
gefangen. Ich habe Luſt zu ſingen ein Lied
im hoͤhern Chor, und den andern Diſkant
beym heilig, heilig, heilig, zu verſuchen! Boͤ-
ſe Geſellſchaften verderben gute Sitten, und
Buhlerblicke ſind Pfeile, die die Seele verwun-
den, und da hilft nicht Kraut noch Pflaſter.
Huͤte dich! die Buhlerin ſpielt dir dein Herz
aus der Taſche. Hier ſieht ſie, dort liebaͤu-
gelt ſie. Betrug iſt ihr Geſpinſt, und Ge-
winnſucht ihr Zeitvertreib. Sieh nicht an
eine Dirne, die betruͤbt iſt, und ihr Auge nie-
dergeſchlagen hat. Wie die Gelehrten ihr
Auge von der Sonn nicht wenden, wenn ſie
verfinſtert iſt; ſo zieht auch eine verfinſterte
U 3Schoͤn-
[308] Schoͤnheit die Jugend an. Jugend hat keine
Tugend, und gleich und gleich geſellt ſich gern.
Das Werck lobet den Meiſter. Wie der Re-
gent iſt, ſo ſind auch ſeine Amtleute; wie der
Rath, ſo die Buͤrger. Ein wuͤſter Koͤnig
verdirbt Land und Leute, wenn aber die Ge-
waltigen klug ſind, gedeihet die Stadt. So
wie unſer Herr und Meiſter mit Zoͤllnern
und Suͤndergeſellen zu Tiſche ſaß, vermeide es
auch nicht, mit Großen der Erde umzugehen.
Ziele nach dieſen Leuten; ſonſt trift man ſie
nicht, und fleißige dich, den rechten Fleck zu
treffen. Buͤcke dich, allein zerbrich nicht das
Bein, ſey hoͤflich, allein nicht beſchwerlich.
Wende dich an die Frau, wenn du an den
Mann ein Geſuch haſt. Krieche nicht; denn
du haſt geſunde Fuͤße. Bete nicht an guͤl-
dene Kaͤlber der Erde.
Sprichſt du mit einem Koͤnig, dencke, du
biſt ein geiſtlicher Koͤnig, ſprichſt du mit
einem großen Gelehrten, du biſt ein geiſt-
licher Prophet, und mit dem Superintenden-
ten in Curland; du biſt ein geiſtlicher Prie-
ſter
[309] ſter. Drenge dich nicht nach oben, oder zur
Rechten: allein verrichte auch nicht Lackeien-
dienſte. Huͤte dich, daß dein Fuß nicht
einſchlaͤft, wenn du beym Vornehmen ſitzeſt,
und zerbrich keinen Teller, wenn du ihn
dem Nachbaren aufdringeſt. Hoͤre mein
Kind auf eine Geſchichte, die ich nicht er-
zaͤhlen kann, ohne daß Feuer in meinem
Geſichte auskommt. Ein Litteratus wolte
bey ſeinem Goͤnner um eine Stelle anklo-
pfen. Da der Herr verzog, glaubte der gute
Candidat, Zeit und Raum zu haben, ſeine
Struͤmpfe zu ſpannen, die nachgelaſſen hatten,
und ſiehe! eben nun kommt ſein Goͤnner, und
erblickt das entbloͤßte Knie, und das Strumpf-
band, das zum Ungluͤck ein Bindfaden war,
in des Litteratus Rechten. Das Amt ging
vor ihm voruͤber, als Wolcken vom Winde
getrieben, und der Goͤnner ſprach, da er mit
ſeinen Freunden zu Tiſche ſaß: in der Ju-
gend eine Hure, im Alter eine Hexe. Aus
einem Funcken wird ein groß Feuer, und ein
Luͤgner und Moͤrder ſind Nachbars Kinder.
Iß keine Ruͤben, wenn du zu Sr. Exellenz
geheſt, und lege deinem Magen ein Gebiß
an den Mund, ſonſt ſieht es aus, als ob du
zum Eſſen koͤmmſt. Ein’ alte Weſt und neuer
U 4Rock,
[310] Rock, ſind wie eine alte Treſſe und ein
neues Kleid, zuſammengebrachte Kinder.
Schlucke nicht, und wenns auch Waſſer waͤre,
daß es ausſiehet, als wolteſt du den Jordan
austrinken. Wilſt du einen beſtaͤndigen Goͤn-
ner haben, mache, daß er dir eine Wohlthat
erweiſet, die bekannt wird im Volcke. Dies
bindet wie Kitt. Er laͤßt dich nicht, als ob
er von ſeinem Vorſchuß Zinſen haben wolte.
Leihe dem Armen ohne Zinſen, dann bezahlt’s
Gott. Lern ein Glas leeren, nur mit maaſ-
ſen, damit du dich nicht aufreibſt. Maͤnner,
die an einer großen Tafel keinen Tropfen trin-
cken koͤnnen; ſehen aus wie Verſchnittene
am Hochzeitstage. Sich am Wein warm
trincken, heißt menſchlich werden. Wenn ich
mir zuweilen ein Schaͤlchen nehme, iſts mir,
als ob ich Menſchenliebe getruncken haͤtte.
Ein boͤſes Gewiſſen iſt ein Ofen, der immer
raucht. Ein Gewitter ohne Regen. Es iſt
Klaͤger, Richter, Hencker, in einer Perſon.
Die Nachtigal ſingt dir, du biſt ein Dieb,
die Lerche, du haſt geſtohlen. Eine Kraͤhe beißt
der andern die Augen nicht aus, und wo
der Buͤrgermeiſter ein Becker iſt, backt man
das Brod klein. Wenn ich ſtreiten ſolte, es
gaͤben im Stamme Levi keine zerbrochene
Toͤpfe
[311] Toͤpfe, die laufen laſſen, wuͤrd ich Krebs
angeln. Was ſich in gruͤnem Kleide mit
Gold ſchickt, ſchickt ſich nicht in der Re-
verende, und auf der Kanzel muß man an-
ders reden, als wenn man ſeine Fuͤße unter
einem gedeckten Tiſche beherberget, und
ſeiner Nachbarin eine Geſundheit zubringt,
welches die Tiſchreden unſres Glaubensva-
ters ſehr lebhaft beſtaͤtigen. Sey allen aller-
ley, wie eine Citrone, die man von innen
und außen brauchen kann. Leute, die ſich
voͤllig vor der Welt verſchluͤßen, die nur mit
ungefallenen und in der Wahrheit gebliebe-
nen Geiſtern Umgang haben, ſehen offt wo
andere nichts ſehen, und hoͤren noch oͤffter,
wo andere nichts hoͤren: denn das Ohr iſt
leichtglaͤubiger, als das Auge. Ein Paſtor
dieſer Art hatte ſeiner Gemeine das Naſe-
ſchneutzen und Huſten abgewoͤhnt. Ich er-
zaͤhl dir dieſe Geſchichte mit den nemlichen
Worten, wie mein ſeelger Vater ſie mir
erzaͤhlt hat. Es war in der Kirche dieſes
Paſtors eine beſondre Mannszucht, eine ſo
heilige Stille, wie des Morgens bey ſchoͤnen
Wetter um vier Uhr. Ehe er zur Nutzan-
wendung uͤberging, war es, wie ein Comman-
do: preſentirts Gewehr! Der Herr Paſtor
U 5gab
[312] gab mit ſeiner Naſe ein Zeichen, und alle
Naſen folgten ihm, auch die, ſo es nicht noͤ-
thig hatten, aus Proviſion, oder weils der
Nachbar und der Herr Paſtor that. Es
begab ſich, daß ein Fremder, der dieſe
Straße zog und nichts von dem Uebergange
zur Nutzanwendung wußte, und die Sitten
und Naſeart dieſer chriſtlichen Gemeine nicht
kannte, den natuͤrlichen Winck ſeiner Naſe be-
folgte. Der Paſtor beſchlug die Contrabande
mit den Worten: wer grunzet in der Ge-
meine? allein der gute Paſtor mußte, weil
der Gaſt von Adel war, dieſen Beſchlag ſehr
theuer buͤßen, und ſchrifftlich verſichern, das
Wort grunzen nicht im boͤſen Sinn genom-
men, ſondern vielmehr ſelbſt gegrunzt zu ha-
ben, und vors kuͤnftige ward der Herr Pa-
ſtor angewieſen, ſeine Naſe in die Bibel zu
ſtecken. Der Menſch iſt gut, die Welt boͤſe.
Gehe fleißig in die Kirche und ſieh zu, Men-
ſchen beerdigen. Gedencke, wie er geſtorben
iſt, mußt du auch ſterben. Heute mir, mor-
gen dir. Zeit liegt von Ewigkeit ein Sab-
batherweg, eine Viertelmeile, die den Kran-
cken im alten Bunde zu reiſen erlaubt war.
Wenn du einen Kirchhof offen findeſt, gehe
heruͤber, wenn du auch einige Schritte Um-
weg
[313] weg macheſt. Sieh die offne Thuͤr als eine
Erinnerung an, daß auch du dem Kirchhofe,
dem Zollhauſe der Ewigkeit geben wirſt, was
ihm gebuͤhret. Wenn die Glocken gezogen
werden, ſprich: Gott ſchencke mir eine ſeelige
Stunde! Huſte nicht im Vorzimmer des
Großen, um dich hoͤren zu laſſen. Der Wein
iſt die Waage des Menſchen; lege deinen
Freund drauf, und pruͤfe, wie viel loͤtig er
iſt. Dencke an den Tod des Tycho Brahe,
der leider! unter ſeinen Stand heirathete,
und verdamme nicht die Natur: Sie leidts
nicht. Plaudre nicht bey der Muſik, denn
predigen und ſingen hat ſeine Zeit. Die
behagliche Gnuͤgſamkeit iſt reich ohne Muͤhe.
Den Edelſtein faſſe in Gold, und beym Wein
ſinge. Gib froͤlich was du gibſt. Ein Ge-
ber, der nachdenckt uͤber das, was er geben
ſoll, gibts nicht von Herzen, ſondern vom
Verſtand. Wenn du den Weg nicht kenneſt,
nimm einen Wegweiſer. Ehre im Men-
ſchen das Bild Gottes. Diene mit Rath
und That. Ehrliche Einfalt iſt beßer als
ſpizbuͤbſcher Witz. Man ſagt von Geiſtli-
chen: Kinder und Buͤcher„ Dein Vater und
ich haben einen Sohn, wie Abraham den
Iſaac, und der ſey dem Herrn geopfert! Ein
junger
[314] junger Menſch muß ſich ſo in Geſellſchaft der
Alten fuͤhren, als einer, dem Geld zugezaͤhlt
wird. Gehe nicht um mit Uebermuͤthigen.
Was ſoll dir der irdene Topf bey dem eher-
nen? denn wo ſie aneinander ſtoſſen, zerbricht
jener. Waͤchſet wohl Schilf, wo es nicht
feucht iſt? und wer hat gegen einen Großen
einen Zeugen? Ein Wolf und ein Schaf iſt
wie der Reiche und der Arme. Ein Gott-
loſer, wenn er arm iſt, redet viel boͤſes; ein
Frommer hat immer Schaͤtze. Schicke kei-
nen Hund nach Fleiſch, und verpfaͤnde nicht
das Lamm beym Wolfe: der Menſch ver-
ſchießt wie ein Kleid, und wenn man alt iſt,
kann man nicht genießen, was man geſamm-
let hat. Darum freue dich in dem Herrn,
und abermal ſag ich dir, freue dich! Denck
an den Armen, wenn du deinen Geburtstag
feyreſt, und laß ihm ſeine Wunden von dei-
nem Balbier verbinden. Sprich nicht zum
Goldklumpen, mein Troſt, und zum ſechsloͤti-
gen Silber, meine Huͤlfe. Ein Armer ge-
nießt ſelbſt dieſes Leben mehr, als ein Rei-
cher; denn ein Gluͤcklicher und ein Reicher
lebt blos des Gedanckens wegen nicht: Menſch
du mußt ſterben. Wer taͤglich ſtirbt, hat
den Tod lieb gewonnen, wie man ein heßli-
ches
[315] ches Geſicht mit der Zeit gewohnt wird.
Der Reiche ziehet ſeine Zinſen in dieſer Welt,
und die meiſte Zeit mehr, als die landuͤbliche.
Der Arme hebt in dieſem Leben ſeine Zinſen
nicht, ſondern laͤßt ſie beym lieben Gott
ſtehen, der ihm ſicher iſt, und der ihm ſeine
Zinſen fein zum Capital ſchlaͤgt, fuͤr die an-
dere Welt. Jeder Reiche fuͤhlt, daß der
Arme, wenn er ſtirbt, reich wird, es ſtehen
ihm die Haare hiebey zu Berge, und wenn
es ſo anginge, wuͤrd er dem Armen wohl
zehn tauſend Thaler Albertus leihen, um
einen Wechſel auf ihn im Himmel zu haben.
Allein bedencke Reicher! dein Tod iſt ein Ban-
kerott — Mein Sohn! Theil in dieſer Gna-
denzeit den Leckerbiſſen mit dem Duͤrftigen.
Das beſte Mittel, gut zu verdauen iſt, einen
Armen eſſen ſehen! Wirf deine Magentro-
pfen zum Fenſter hinaus, und brauche dieſes
Mittel. Dein Vater. Wenn dir ein Un-
gluͤck begegnet, greift die Seele nach einem
Gelender, wie der Koͤrper nach einem Stab.
Schilt im Podagra auf den Wein, beym
uͤblen Wetter aufs ſchlechte Steinpflaſter, im
Tode aufs Leben. Was iſt der Menſch, wenn
er nicht unſterblich iſt Unſer Leben waͤhret
ſiebenzig Jahr, wenns hoch kommt ſinds
achtzig
[316] achtzig Jahr, wenns koͤſtlich geweſen, iſts Muͤ-
he und Arbeit geweſen; denn es faͤhret ſchnell
dahin, als floͤgen wir davon. Wir bringen
unſre Jahre zu, wie ein Geſchwaͤtz. Huͤte
dich Hiobspoſten zu bringen, man haßt den
Verraͤther, und liebt die Veraͤtherey. Wer
heut ein Spiel gewinnet, verlieret morgen
ſiebenfaͤltig, und mancher giebt mit einem
Auge, und mit ſieben ſieht er, was er wie-
der erhalte. Wenn das Gluͤck wohl will,
den machts zum Narren. Die Narren ha-
ben ihr Herz im Munde; aber die Weiſen ha-
ben ihren Mund im Herzen. Wer mit einem
Narren redet redet mit einem Mondſichti-
gen. Huͤte dich vor dem, der ſich ſelbſt ge-
zeichnet hat. Ueber einen Todten trauret
man, denn er hat das Licht nicht mehr:
aber uͤber einen Narren ſolte man trauren,
weil ihm das Laͤmpchen im Verſtande, wie
den fuͤnf thoͤrichten Jungfrauen, ausgegan-
gen. Der Schweiß eines Außaͤtzigen iſt beſ-
ſer, als der Ambra eines Narren. Ein Ge-
lehrter Mann iſt in Geſellſchaft, wie der
Mond, bald voll, bald halb, bald ein Vier-
theil; in ſeinem Hauſe iſt er immer eine
Sonne. Lerne ſelbſt, ehe du lehreſt, und
ahme nicht die Aerzte nach, die wie Schnei-
der
[317] der den Schnitt am fremden Tuch lernen.
Kuͤhle dein Muͤthlein nicht, wie deine liebe
Grosmutter, an Vater, Tochter, oder Koͤ-
chin; ſondern lerne von deiner Mutter, auch
ohne Schlaͤge, dem Zorn ein Opfer bringen.
Diene wieder deinem Knecht, der dir dienet.
Die Biene iſt ein klein Voͤgelein, und giebt
doch die allerſuͤßeſte Frucht. Wenn dirs
wohl gehet, dencke, daß dirs uͤbel gehen koͤnne,
und wenn dirs uͤbel geht, dencke, daß dirs
wieder wohl gehen koͤnne.
Das Lied:
hat viele von uͤbler Laune, von der Unzufrie-
denheit und der Schwermuth geheilet, und
wenn dein Herz nicht verdorben iſt, wenn
du kein boͤſes Gewiſſen haſt, wirſt du auch
geheilet werden. Haſt du ein boͤſes Gewiſ-
ſen, ſo ſchlaͤgt keine Seelenmedicin, kein Lied
an. Beym ſiebenten Vers erinnere dich der
Leiden,
[318] Leiden, die deine Mutter des Namens Alex-
ander wegen erduldet hat.
v. 7.
Der zwoͤlfte Vers aus dieſem Herzensliede
iſt ein Univerſalmittel.
v. 12.
Traue deinem Feinde, wenn er ſich gleich mit
dir verſoͤhnt, ſo wenig, als ein Leiter ſeinem
Baͤren. Leide keine Schmeichler, wie der
Cypreſſenbaum keine Wuͤrmer leidet. Ein
frommes Kind iſt beßer, denn hundert, die den
Herrn nicht fuͤrchten, und es iſt beßer ohne
Kinder ſterben, als gottloſe Kinder haben.
Wer ſatt iſt, wird wieder hungrig, wer des
Morgens ausgeſchnarchet hat, geht des
Abends wieder zu Bette. Ein Reicher kann
arm werden. Des Ungerechten Soͤhne wur-
zeln
[319] zeln nicht, und ſeine Toͤchter ſind Feigenbaͤu-
me ohne Frucht. Kinder ziehen heißt ge-
rade oder ungerade ſpielen. Erziehen heißt
ein Fundament legen, wo unter der Erde ge-
arbeitet wird und nichts zu ſehen iſt. Ein
gut gezognes Kind iſt eine Rechnung ohne
Probe. Der Juͤngling muß beweiſen, wie
die Zucht war. Lege deinen Allmoſen nicht
beſonders, denn er ſeegnet dein andres
Geld, daß es dir gedeihe fuͤr und fuͤr. Klei-
ner Topf kleine Stuͤrze. Großer Vogel
großes Reſt. Geſunder Leib iſt beſſer denn
eine Tonne Goldes. Die Sonne geht auf
mit Hitze und das Gras welcket, und die
Blume faͤllt ab; ſo verwuͤſtet ein Reicher,
wenn er verſchwendet, ſich, ſeinen armen
Nachbaren und desgleichen. Sauſen und
Brauſen macht ſiech, und was hilft ein guͤl-
dener Galgen, wenn man hengen ſoll. Was
iſt ein ſchoͤn Gericht fuͤr einen Krancken, dem
ſchon der Geruch Blaͤhungen macht? Der
Tod iſt beſſer als ein ſieches Leben. Ein
froͤlich Herz iſt beſſer, als Magenelixir, und
eine Mahlzeit mit Wohlgefallen iſt die ſicher-
ſte Blutreinigung. So lang du ſelbſt Toͤpfe
und Schuͤßeln haſt, untergib dich nicht dem
Tiſche eines andern. Ziehe dich nicht eher
Xaus,
[320] aus, als bis du zu Bett geheſt. Das Hem-
de iſt dir naͤher, als der Rock. Eigener
Heerd iſt Goldes werth. Rathen macht
Schuld, und du ſtelleſt Wechſel aus, wenn du
Rath gibſt. Die Naſeweisheit iſt, wenn
man die Naſe hoͤher haͤlt, als ſie gewachſen.
Nimm dieſes zu Ohren und Herzen; denn
du haſt eine Naſe, die was gilt unter den
Leuten. Die Naſe iſt der Text zum Men-
ſchen, die Stirne der erſte Eingang, die Lip-
pen das Thema, woruͤber in gegenwaͤrtiger
Stunde ſoll geprediget werden. Wein und
Weiber bethoͤren die Weiſen. Maͤnnerliſt
iſt behend, Weiberliſt ohn End. Kleider,
Scharrfuß, Lachen und Gang, melden den
Menſchen an. Kluge Leute wiſſen ſchon,
was am Juͤngling iſt, wenn ſie ihn ſehen
die Naſe ſchneutzen. Ein Thor iſt ſchwerer
als Bley. Krebs iſt kein Eſſen auf der Poſt.
Hilf dir ſelber, ehe du andre arzeneyeſt. Was
Niemand wiſſen ſoll, ſage keinem. Wer einen
uͤblen Rauſch hat, verſcheuchet ſeine Freunde,
wie ein Schuß die Voͤgel. Erſt Rauch, dann
Feuer, ſo Scheltworte, dann Schlaͤge. Der
Arzt iſt der Suͤnde Scharfrichter, ehre ihn
denn der Herr hat ihn geſchaffen, und er
traͤgt das Schwert nicht umſonſt. Huͤte
dich
[321] dich fuͤr boͤſer Nachrede, denn die Welt liegt
im Argen. Wenn man des Morgens von
da herausgehet, wo man des Abends herein
gegangen, ſagen die Leute, man ſey die ganze
Nacht da geweſen. Der Schlund der Welt
iſt ein offenes Grab, mit der Zunge handlen
ſie truͤglich. Ottergift iſt unter den Lippen,
der Mund iſt voll Fluchens und Bitterkeit.
Die Obrigkeit iſt des lieben Gottes Soldaten-
ſtand, die Prieſter ſind ſein Civilſtand. Es
iſt traun! ein Weib aus dem Stamme Levi
eine helle Lampe auf dem heiligen Leuchter.
Mein! heyrathe keine andre, denn ſie hat ein
gut Muſter gehabt. Schone dein Auge fuͤr
die hebraͤiſchen Punckte, und gaffe nicht nach
Dirnen der Stadt. Denck nicht eher an
eine Hausfrau, bis du ein Hauß haſt. Wo
kein Zaun; ißt jeder das Obſt, eh es reif iſt;
ſo auch bey einem Paſtor ohne Paſtorinn.
Leib und Seele koͤnnen nicht zu gleicher Zeit
eſſen und verdauen. Wer mit der Seele
arbeitet, kann den Pflug nicht fuͤhren. Du
ſolſt dem Ochſen, der da driſchet, nicht das
Maul verbinden. Item ein Lehrer iſt ſeiner
Calende werth. Wer ſaͤet, erndtet in zwoͤlf
Monaten. Wer Gottes Wort verkuͤndiget,
erndtet in Ewigkeit, Heil dir! du haſt beym
X 2lieben
[306[322]] lieben Gott offne Tafel, du wirſt einſt vom
Altar leben, und hier gedeihen, wie’s am
Tage iſt. Brodſamen beßer, als Leckerbiſ-
ſen an den Tafeln der Abgoͤtter, deren Bauch
ihr Gott iſt. Du bedarfſt keines Theils in
Iſrael; der Herr iſt dein Theil und Erbe!
Das Land Gottes traͤget mehr als du bedarfſt.
Brich aber dem Hungrigen dein Brodt, ſo
wird es dir gehen wie der Oelwitwe. Wer
den Armen ſeegnet, ſpottet ſein, wenn er
dieſen Seegen nicht ſelbſt in Erfuͤllung zu
ſetzen anfaͤngt. Dieſer Unmenſch will Gott
Lehren geben, erinnere dich, was man vor
kurzem vom Herrn v — erzaͤhlt, und erzaͤhl
es deinen Kindeskindern, auf deinem Schoos,
damit ſie ſeegnen lernen, wie Gott ſein Volck
ſeegnet, der feine Fenſter oͤfnet, und Fruͤh-
und Spatregen giebt, und in dem wir leben,
weben und ſind wir. Es ſtrandte ein Hollaͤnder,
(waͤre es nicht ein Hollaͤnder geweſen, wie
viel mehr leid wuͤrd’ es mir gethan haben.
Holland iſt der Strand von Europa) und
der Herr v — der das Recht der Seeſtraſſen-
raͤuberey hat, nahm ihm alles, was er hatte,
bis auf einen hollaͤndiſchen Kaͤſe. (Der Herr
v — hatt’ oft Steinſchmerzen) und lies den
gepluͤnderten Hollaͤnder ziehen ſeine Straße,
wie
[323] wie Herr v — ſich ausdruckte, froͤlich: denn
er ſchrieb ihm folgendes Certificat, das er
einen chriſtlichen offenen Wechſel nanndte:
„Da der Clas — — das Ungluͤck gehabt
„zu ſtranden, und alles werthe Seinige ein-
„zubuͤßen; ſo wird ihm nicht nur Gottesſee-
„gen zu ſeinem kuͤnftigen Fortkommen von
„mir herzlich gegoͤnnt, ſondern auch jeder
„dem dieſer offene Brief vorgezeiget wird, er-
„ſucht, ihm chriſtlich fortzuhelfen und ihm,
„ſo viel er kann, unter die Arme zu greifen,
„wohl bedenkend, daß, wer dem Armen hilft,
„dem Herrn leihe, der es ihm zu Waſſer
„oder Lande verdoppeln kann und wird, als
„welches ich dem armen Clas — aus chriſt-
„licher Liebe anwuͤnſche„ Den Herrn v —
moͤcht ich fluchen hoͤren, ſagte Clas — und
ſah ſeinen Kaͤſe an. Der Hollaͤnder hatte
keinen Steinſchmerz — Wer ſich als abge-
brandt und beraubt angiebt, um Leute warm-
herzig zu machen, und ſie zum Mitleiden zu
betruͤgen, iſt aͤrger, als ein Raͤuber und
Brandſtifter! Wehe dem, der auf dieſe Art
Brandſchatzung ausſchreibt. Er beſtiehlt
nicht den Menſchen, ſondern die Menſchheit.
Sorge nicht fuͤr den andern Morgen, es iſt
genug, daß ein jeder Tag ſeine eigene Plage
X 3habe.
[324] habe. Mache des Geldes wegen auf der
Kanzel keine Gans zum Schwan, keinen
Heering zur Sardelle, und keinen Haſen zum
Loͤwen; denn die Lehrer werden leuchten, wie
des Himmels Glanz, wie die Sonne immer
und ewiglich. Gott ehrte Aaron, und gab
ihm alle Erſtlinge. Seine Nachkommen
aßen des Herrn Opfer, und wurden geſpei-
ſet an ſeinem Tiſch. Gott war ihr Theil
und Erbe, und darum hatten ſie kein Theil
am Lande. Wenn Koffee aufs Kleid gegoſſen
wird, iſts kein Koffe mehr, ſondern Schmutz.
Es kommt viel auf Zeit, Ort, und Gelegenheit
an. Wenn du einen Edelmann Heil wuͤn-
ſcheſt, ſprich nicht, Gott, der den Wurm un-
term Felſen erhaͤlt, ſondern der Allmaͤchtige,
der die Welt aufrief; wenn er in Dien-
ſten geweſen, und es bis zum Hauptmann
gebracht, ſetze hinzu: und Helden in ſeinem
Volcke erwecket.
Ein Menſch, der keine Stimme hat, muß
nicht den Adler und den Loͤwen auf die Kan-
zel bringen, er wird ſchon Thiere fuͤr ſein
Stimmchen in der Bibel finden. Ich ſelbſt
hab einen Diſkantiſten uͤber die Worte: Sieh
es hat uͤberwunden der Loͤwe aus dem
Stamme Juda, predigen gehoͤrt: Es giebt
Diſkant
[325] Diſkant- es giebt Baßpredigten. Ein Geiſt-
licher muß Gedaͤchtnis haben. Wenn er
ließt, ſieht’s aus, als ob er die Predigt auf
drey Viertheilſtunden geliehen haͤtte. Auch
Gras muß ein Paſtor wachſen hoͤren —
Ein Geiſtlicher ſprach, da er zum zwey-
ten Theil uͤbergieng, indem er die Kanzelſand-
uhr, welche mehr als andre Sanduhren ein
Sinnbild unſres Lebens iſt, umkehrte: Noch
ein Glaͤschen meine Geliebten! und man
nanndt’ ihn, wie einen faulen Kaͤſe: Bier-
bruder.
Man kann zwar auch hiebey erbauliche
Gedancken haben; indeſſen hatte Herr Paſtor
L — nicht Gras wachſen gehoͤrt, da er die
Frau v — auf ihrem Krieg und Siegbette
beſuchte, und ihr die Worte Matthaͤi im ein
und zwanzigſten Capittel, im zweyten Vers,
ins Herz ſchob: loͤſe ſie auf und fuͤhre ſie zu
mir. Noch groͤßer iſts Uebel, wenn der Geiſt-
liche ſatyriſch auf der Canzel ſeyn will; er
verliert alsdenn den Stachel, wie die Biene,
wenn ſie ſticht.
Wenn du einen Umſtand lange ſuchen
muͤßen, fang ihn an: Wem iſts nicht be-
kandt; dadurch beſtrafſt du den Umſtand, daß
X 4er
[326] er ſich verſteckt hatte, und kein Menſch glaubt,
daß du ſo lange geſucht haſt. Dein Vater
wuͤrde ſagen: Windbeuteley, faul Holz ſtatt
Licht; allein klimpern gehoͤrt zum Handwerk.
Einem Geiſtlichen ſtehts am wenigſten an,
zu ſagen, ich will dies und das thun. Er
ſteht in Gottesdienſt. Sage alſo, zu reden
aus Jacobi im vierten Capittel und funfzehn-
ten Vers. So der Herr will und ich lebe,
will ich dies oder jenes thun. Fliehe die
vergaͤngliche Luſt der Welt; denn nur hiedurch
wirſt du theilhaftig werden der goͤttlichen
Natur. Um eines faulen Aſtes willen reiß
nicht Stamm und Wurzel aus. Jeder
Menſch hat was Gutes. Lege auf die Fin-
gerſpitze, wo der verdorbene Saft aus der
Hand ſich hingezogen, und wo er ſchwoͤrt,
Kraut und Pflaſter; ſo behaͤltſt du die Hand.
Brich hervor, wie ein Feu’r, und dein Wort
brenne wie ein Kirchenlicht. (Ein Wachsſtock
iſt nur eine Pfeife zu entzuͤnden) Troͤſte den
Bußfertigen, und laß uͤber ihn aufgehen
den Regenbogen mit ſeinen ſchoͤnen Farben.
Wenn dich eine Kaͤlte im Ausdruck uͤberfaͤlt,
waͤrme dich an ein Paar Pſalmen in der hei-
ligen Schrift, und wenn boͤſe Buben auf die
Bibel laͤſtern, denck dran, daß es Gottesſchul-
buch
[327] buch ſey, woraus gros und klein, arm und
reich, vornehm und gering, alt und jung, un-
terrichtet werden ſollen, und denn laß den
Laͤſterer ein Buch nennen, das ſo wie dies zu
dieſem Zweck eingerichtet, und fuͤr all zuſam-
men und fuͤr jeden einzelnen iſt. Gott laß
dich nie vor Narren zum Spott werden, noch
deinen Ruͤcken zur Bruͤcke, woruͤber jeder
geht. Wachſe wie ein Palmbaum am Waſ-
ſer, und dein Geruch ſey ſuͤß vor dem Herrn,
wie der Weyhrauch im Studierſtuͤbchen dei-
nes Vaters. Er, der die Erde mit Schnee
und Reif ſalzet, bereite dich zu ſeinem Knechte
in ſeinem Weinberge; wenn aber das Salz
dumm oder unkraͤftig wird, womit wird man
ſalzen? Verrichte deine Andacht vor Gott
und nicht vor Menſchen. Man muß Gott
mehr gehorchen, als den Menſchen. Himm-
liſche Glorie umſtrahle dein Haupt, wenn
du auf der Kanzel biſt, damit mans fuͤhle,
daß du nicht von dir ſelber redeſt. Ein
roh Ey (wenns angeht ein Kybitzey) hilft viel
zur guten Predigt, wer wie ein Engel ſpraͤ-
che und nicht verſtaͤndlich waͤre, fruchtet
weniger, als ein ausgelernter Staar, oder
das Getoͤſe der Glocken, das ich nie ohne
Herzensſchlag und Erbauung hoͤren kann.
X 5Ich
[328] Ich wuͤnſchte wohl, die Glocken, wenn ich be-
graben wuͤrde, hoͤren zu koͤnnen. Alte
Kirchen haben dunckle Fenſter; indeßen weiß
jeder ſeinen Stand. Ein Prediger, dem
die Zaͤhne ausgefallen, muß ſich nicht von
einer andern Gemeine vociren laßen. Man
hat mir erzaͤhlt daß Demoſthenes und Cicero
von Natur ſchlechte Stimmen gehabt; durch
Kunſt haben ſie ſchoͤn reden gelernt. Ich haͤtte
ſie nicht hoͤren wollen. Mancher Paſtor kann
ſich hoͤren, mancher ſich leſen laßen. Es kann
alſo auch Redner geben, die ſtumm ſind. Dein’
erſte Predigt ſchlurfteſt du bey der Probe in
der Speiſekammer, als wenn du weiche Eyer
aͤßeſt. In der Kirche gings beſſer. Lerne
deine Gemeine ſo kennen, wie ein Gelehrter die
Sprache, der bey jedem Worte das warum
und darum weiß. Ein Paſtor, der ſeine Ge-
meine nicht kennt, und ſich nicht wie der ge-
meine Mann ausdruͤcken kann, iſt ein Mieth-
ling. Brauen und Backen geraͤth nicht im-
mer. Allemal kanns nicht was Neues vom
Jahr ſeyn. Schneid an eine alte Predigt
ein Zwiebelchen, lege Butter dazu, es iſt eine
friſche Schuͤßel. Hunger iſt der beſte Koch.
Ein Eyerkuchen macht Appetit allen die
voruͤber gehen. Ein einzig faules Ey ver-
dirbt
[329] dirbt die ganze Paſtete. Wenn es mit dei-
ner Predigt nicht fort will, und von drey
bis in die Daͤmmerung gefiſchet und nichts
gefangen iſt; laß Licht anzuͤnden, und es wird
dir auch ein Licht aufgehen. Wenn du uͤbern
Tod predigſt, mache deine Predigt nie am
Tage, ſondern des Abends. Predigſt du
vom Lobe Gottes; ſteh Morgens um vier
auf. Wenn gleich das Andencken deiner Truͤb-
ſaale verwaͤchſt, ſuche eine Narbe zu behalten,
damit du an Gottes Huͤlfe dencken, und ihn
in deinem Kaͤmmerlein, und in der Gemeine
des Herrn, preiſen koͤnneſt. Ein reiner und
unbefleckter Gottesdienſt vor Gott dem Va-
ter, iſt der, die Waͤyſen und Wittwen in
ihrem Truͤbſal beſuchen, und ſich von der
Welt unbefleckt behalten. In deinen Pre-
digten lehre Himmel und Hoͤlle! ſey nicht
blos Brenn ſondern auch Bauholz. Halte
dir ſelbſt Wort mein Lieber! ſo wirſt du auch
andern es halten. Narren ins Fegfeuer,
Gottloſe in die Hoͤlle. Weide die Heerde
und ſiehe wohl zu, nicht gezwungen, ſondern
williglich, nicht um ſchaͤndlichen Gewinſtes
willen, ſondern von Herzensgrund. Nicht,
als die uͤber das Volck herrſchen, ſondern
werd ein Vorbild der Heerde. So wirſt
du,
[330] du, wenn erſcheinen wird der Erzhirte, die un-
verwelckliche Krone der Ehren empfahen —
Siehe das uͤbrige Taufwaſſer nicht als blos
gemeines Waſſer an, ſondern mache die Ver-
fuͤgung, daß es auf einen beſondern oder
heiligen Platz gegoßen werde. Du wirſt das
Gras drauf ſehen! Im Paradieſe konnt’ es
kaum gruͤner ſeyn! der Kirchthurm iſt ein
Finger, der gen Himmel zeigt, denck ſo offt
du einen ſiehſt an den Finger Gottes, ohne
den nichts geſchieht was geſchieht, und durch
den iſt, was iſt. Am Martinstage iß eine
Gans; es iſt ein alter wohlhergebrachter Ge-
brauch, und denck an den ungluͤcklichen Bi-
ſchof Martin, der durch eine Gans verra-
then ward. Der Hahn iſt der richtigſte Ka-
lender, und was die Sonnenuhr im Zeigen
iſt, das iſt ein Hahn im Schlagen: das rich-
tigſte Zeitmaas — Der Hahn, der zuerſt
kraͤht, iſt Superintendent unter den Haͤhnen.
Alles was kraͤhen kann, kraͤht ihm nach, ſo
lahm und candidatenmaͤßig es auch zuletzt her-
aus kommt. Ein Hahn hilft offt zu Thraͤnen.
Dein ſeeliger Grosvater hat eine Hu — auf
dieſe Art zur Reue gebracht. Alle ſeine Er-
mahnungen waren vergebens. Zum Gluͤck
kraͤht’ ein Hahn. Dieſen Umſtand griff dein
ſeeli-
[331] ſeeliger Grosvater, und ſie weinte bitterlich.
Findeſt du muͤhlſteinerne Herzen, verzweifle
nicht — Gott kann dir aus Steinen Kin-
der erwecken. Ruf getroſt! ſchone nicht!
Lerne recht fuͤrchterlich: wer da? ſchreien,
wenn der Teufel herumgehet wie ein bruͤllen-
der Loͤwe, und ſuchet welch’n er verſchlinge.
Wer boͤſen Leimmund macht vergeht am
Ende wie das Unrecht.
Wenn du im Conſiſtorio ſitzeſt, rede Niemand
mehr nach deinen Worten; außer daß ge-
ſagt werde: du habeſt wohl geſprochen. Die
Alten muͤßen ſich freuen uͤber deine Weisheit,
und die Jungen muͤßen auf dich warten, wie
auf den Regen, und ihren Mund aufſperren,
als auf den Abendregen. Sey des Blinden Au-
ge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm.
Wenn du einen Brief ſchreibeſt, vergiß nicht A
und O auf griechiſch oben anzuſetzen, das iſt der
geiſtliche Stempel. Aergere dich nur deiner
Geſundheit wegen, und eben darum, warum
man Gift in Arzeneien miſcht. Dein Va-
ter lernt alle fuͤnf Jahr eine Sprache, um
dem
[332] dem Gedaͤchtnis eine Bewegung zu machen.
Verſuch, obs deinem Gedaͤchtnis geſund iſt?
Denck nicht zu ſcharf uͤber einen Namen, und
ſpiel nicht blinde Kuh mit ihm. Ich hab ge-
hoͤrt, daß Jemand druͤber den Verſtand ver-
lohren, und ihn eher nicht wieder bekommen,
als bis ein andrer dieſen Namen von ohnge-
fehr ausgeſprochen. Es iſt die Frage ob ſich ein
ſolcher Andere ſo leicht findet? Wenn du beteſt,
falte die Haͤnde; denn dies hilft auch die Ge-
dancken zuſammen halten. Biſt du betruͤbt,
bete, biſt du vergnuͤgt, ſinge. Der Arbei-
ter iſt ſeines Lohnes werth, und der Arbei-
ter Lohn, die eu’r Land eingeerndtet haben,
und von euch abgebrochen iſt, ſchreiet, und
das Rufen der Erndter iſt kommen vor die
Ohren des Herrn Zebaoth. Richte nicht,
ſo wirſt du nicht gerichtet, vergib, ſo wird
dir vergeben. Gib, ſo wird dir gegeben. Alles
was du wilſt, das dir die Leute thun ſollen,
thu ihnen auch. Wer ſelbſt Fenſter hat,
ſchlage ſie nicht dem Nachbar ein. Die
Zunge iſt ein klein Glied und richtet große
Dinge an. Sieh’ ein kleiner Funcken, welch
einen Wald verwuͤſtet er! Die Zunge ſingt
Gott Lob und Preiß, und die Zunge kann
von der Hoͤlle entzuͤndet werden. Aus einem
Mun-
[333] Munde blaſen wir kalt und warm. Aus
einem Munde geht Loben und Fluchen. Wir
loben Gott den Vater, und fluchen den Men-
ſchen nach Gottes Bilde gemacht.
Kann auch ein Feigenbaum Oel oder ein
Weinſtock Feigen tragen? Kluͤgle nicht uͤber
deine Reverende, ſondern trage ſie, wie deine
Vorfahren muͤtterlicher Seits ſie getragen
haben. Die Baniſe in ſchwarz Corduan mit
goldenem Schnitt ſieht wie ein Geſangbuch
aus. Wer Poßen in geiſtlichen Melodien
ſingt zieht dieſen eine Reverende an! Wehe
dem, der dieſe Maske erfindet. Ein Geiſt-
licher in ſeinem Geſchmeide kann von einem
Engel ungefehr unterſchieden ſeyn, als ein
Kuͤſter vom Prieſter. Der Kuͤſter muß aber
entweder die Altarlichte anſtecken, oder ſie
mit einem Loͤſchnapfe bedecken und ausloͤ-
ſchen. Dinge, die offt im Munde am ange-
nehmſten; ſind am ſchwerſten zu verdauen.
Wenn du viel Auſtern gegeſſen, iß Kaͤſe drauf.
Warum aber ſinnenarme Auſtern? Wenn
du Etwas mit Umſchweif zu ſagen haſt,
fangs an mit dem Worte: Kurz um, oder
endlich, das befoͤrdert die Andacht. Wer
nicht Toback ſchnaubt und raucht, iſt ein Re-
publicaner, ein Curlaͤnder, ein freier Menſch.
Wer
[334] Wer kann den Hunger durchs Andenken an
ein vorjaͤhriges Gaſtmal befriedigen? Dencke
am kuͤrzſten und laͤngſten Tage im Jahr an
Zeit und Ewigkeit. Sey mauſeſtill, wenn
dich Jungens mit Koth bewerfen. Wer eine
Ehrenſtelle erhaͤlt, hat ein neu Kleid angezo-
gen, und uͤberall iſt ſteife Leinwand. Zieh
nie des Sonntags ein neu Kleid an, denn
dieſer Tag iſt verlohren. Halt dir aber dein
Alltags und dein Feyerkleid. Ein Menſch,
der Sonntags nicht ein ander Kleid anlegt,
iſt auf dem Wege ein Freydencker zu werden.
Gott wird alle Wercke vor Gericht bringen,
auch die im Verborgenen geſchehen ſind, und
den geheimſten Rath des Herzens offenbaren,
denn wird einem jeglichen von Gott! Lob
widerfahren. Die Huͤner- oder Aelſteraugen
ſchneide aus, doch ſo, daß du dabey vorſich-
tig zu Werck geheſt. Es ſiehet ſonſt ſo aus,
als waͤre man gichtbrichtig, und ſo ſehr gut
die Gicht einen alten Mann kleidet; ſo heß-
lich iſt’s, wenn ein Juͤngling gichtbruͤchtig
wandelt. Geitzige Leute erhencken ſich, um
das Pulver zu ſparen, und den Strick an-
dern guten Freunden, und vor allen Dingen
ihren lieben Erben, zuruͤck zu laſſen. Ein
Geitzhals iſt leicht zur Buͤrgſchaft zu bringen.
Er
[335] Er will gutes thun, ohne daß es ihn einen
Heller koſtet; allein der Geitz iſt auch hier
die Wurzel alles Uebels. Verbuͤrge dich
nicht, bezahl lieber fuͤr den Duͤrftigen; ſo
haſt du einen freyen Kopf und ein freyes
Herz. Schreib deinen Vornamen nicht aus,
damit die Leute das A fuͤr Adam, Abraham,
und andere bibliſche Namen halten. Streue
nicht auf fremden Acker, wenn du wilſt ernd-
ten ſiebenfaͤltig. Ich habe noch nie geſehen
den Gerechten verlaſſen und ſeine Kinder nach
Brod gehen. Wenn du Obſt gegeſſen, nimm
ein wenig Brodt, ehe du trinkeſt. Man ſagt,
es ſey Wahn, allein es hilft. Wenn du des
Nachts reiteſt, nimm einen Schimmel; er dient
dir zur Laterne. Neckereien machen gewitzt,
Erfahrungen klug, Noth lehrt beten. Sieh
nicht aufs Handgeld, ſondern auf den Herrn.
Der Teufel giebt Silberlinge, allein das Ende
iſt Verzweiflung. Huͤte dich vor Proceße in
Curland, Gott weiß! wie es anders wo iſt,
denn am Ende heißts, Eſaias im acht und
zwanzigſten Capittel im zehnten Vers: ge-
beut hin, gebeut her, gebeut hin, gebeut
her, harre hie, harre da, harre hie, harre
da, hie ein wenig, da ein wenig. Wer Ge-
walt uͤbet bey Gericht, ſchaͤndet ſein Muͤndel,
Ydas
[336] das er bewahren ſoll. Die Sachwalter ma-
chens wie die Fiſcher; ſie truͤben das Waßer,
eh ſie angeln; bey hell und klarem Wetter iſt
nichts zu fangen. Sey gerecht gegen Jeder-
mann, gib auch, wenn du geſchwinde ſchreibſt,
der u ihren Strich, dem i ſeinen Punkt. Ich
habe keine u ums Ihrige betrogen, und
mich aͤrgert, wenn man gewiſſen Worten den
großen Buchſtaben nehmen will, als, bey
Stuben Uhr ſchreib ich S. und U. mit großen
Buchſtaben. Ehre dem Ehre gebuͤhret. Uebe
dich auch muͤndlich abzuſchlagen, was du
nicht leiſten kannſt: ſchriftlich kanns jeder
Narr. Biſt du unentſchloſſen, ich ſetze zum
voraus, daß dies oder jenes nichts boͤſes iſt,
woruͤber du getheilt biſt; zerbrich dir nicht
den Kopf, recipe zwey Looſe: in eins ſchreib
flugs Ja, ins andere flugs Nein. Mache
ſie ſich einander gleich, greif eins, und thue
was du gegriffen haſt, dies iſt eben ſo gut,
als wenn du lange gedacht, und Ja und Nein
auf einer Goldwaage abgewogen haͤtteſt. Es
iſt eine Art von goͤttlichem Regiment von
Theokratie. Heiſt es nicht ſo? Auch der
Weiſeſte greift in einen Gluͤckstopf. Gluͤck
und Glas wie bald bricht das. In der De-
muth ſtolz ſeyn, heißt falſch ſpielen. Wenn
die
[337] die Menſchen Methuſalems Alter erreichen
koͤnnten; wuͤrde man mit Gewißheit ſehr
fruͤhe behaupten koͤnnen, wer gewis haͤngen
wuͤrde. Kluge Leute leſen ihre Briefe von
hinten. Singe an deinem Geburtstage Neu-
jahrslieder; ſie haben was troͤſtliches in ſich.
So wie der Geitz ſeinen eigenen Haͤnden nicht
trauet, ſo trauet auch der Kluge ſeiner Ver-
nunft nicht. Ein Bettler gab einem andern
die Lehre: ſprich keinen an, der allein gehet.
Gehen zwey, geben beyde. Waͤre Jeder allein
gegangen, haͤtte keiner gegeben. Die unge-
faͤrbte Menſchenliebe iſt erkaͤltet, und Stolz
fuͤhrt bey der Gabe die Hand. Der Weg
zum Himmel iſt mit lauter gutem Willen ge-
pflaſtert. Guter Wille gilt bey Gott und al-
len ehrlichen Leuten ſo viel als die That.
Zwinge dich nicht ohne Geld auszugehen, das
heißt, aus einem guten ein ſchlechter Menſch
werden wollen. Gib mit der Rechten ohne,
daß es die Linke weiß, und ſieh nicht wie
man’s nimmt. Es iſt ſchwer, gut zu geben,
noch ſchwerer aber, gut zu nehmen. Tauſche
gegen einen Pfeifenkopf nichts was Leben
und Othem hat. Thiere, ſagt dein Vater,
ſind unſre Grenznachbaren. Der Gerechte
erbarmet ſich auch ſeines Viehes. Pflanze
Y 2kei-
[338] keinen Baum, wo er ausgehen muß. Hei-
rathe keine Mondſichtige, wenn ſie auch Su-
perintendentens Tochter waͤre. Schneide keine
Blume ab, wie kaͤmſt du zum Kopfen? und
die Blume, gekoͤpft zu werden? ſondern pfluͤ-
cke ſie, wenns nicht anders ſeyn kann, ſonſt
aber, laß ſie ihren reifen Saamen ausſtreuen,
und den Tod der Guten ſterben, die ihr Ziel
nicht verruͤcken, und ihr Leben durch Unmaͤſ-
ſigkeit verkuͤrzen. Ein Fleiſcher iſt immer
grauſam; Blut iſt ihm am Ende Blut. Ge-
wiſſe Haare werden nie grau, und Alter ſchuͤtzt
fuͤr Thorheit nicht, decke aber die Schande
des Alten. Ueber ein Wort muß man ſich
nicht den Hals brechen. Wort um Wort,
Zahn um Zahn, Hals um Hals. Ein Arzt,
der ſein Latein falſch ſpricht, curirt auch
falſch, warum ſagt er nicht lieber, ich weiß
es nicht, und ein Geiſtlicher, der nicht die
Grundſprachen verſteht — — (daß ſich
Gott erbarm!) — — Einfaͤltig heißt von
einer Falte: So ſey dein Herz gegen Gott
und gegen deinen Naͤchſten. Nicht wie ein
Faͤcher, der vielfaͤltig iſt, und nicht wie eine
Reiſekarte, die man in ein Beinkleiderta-
ſchenformat legt, und wenn ſie ausgekramt
iſt, deckt ſie einen Tiſch auf vier Perſonen.
Edle
[339] Edle Einfalt war beym Anfang der Welt,
und wird, wie ich nach der Liebe hoffe, bey
der Welt Ende ſeyn. Eine Heerde und Ein
Hirte. Lobe nicht Leute, die nicht lobens-
wuͤrdig ſind. Ein Thor denckt nie beym un-
verdienten Lobe: „weißt du nicht, daß dich
„Gottes Guͤte zur Buße leite„ Falſche
Freunde ſind Schwalben, die nur des Sommers
da ſind. Sonnenuhren, die nur brauchbar ſind,
ſo lang die Sonne ſcheint. Der Menſch
geht in dieſer Welt in die Schule beym lie-
ben Gott. Der Tod befoͤrdert ihn zur Aka-
demie. So wie du gewartet haſt, ehe dir
das Licht angezuͤndet ward; ſo wart auch,
biß es ausbrennt, oder ausgeloͤſcht wird,
und denck an die Sonne der Gerechtigkeit,
die nach der Zeit uͤber deinem Haupt aufge-
het, ohne unterzugehen in Ewigkeit. Der
Herr wird uns erloͤſen von allem Uebel, und
aushelfen zu ſeinem ewigen himmliſchen
Reich, denn ſein iſt das Reich, und die Kraft,
und die Herrlichkeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit
Amen. Wir ſterben lieber in jeder Stunde,
als daß wir die Hofnung aufgeben ſolten:
wir halten taͤglich mehr aus, als den Tod, um
der Hofnung willen noch laͤnger zu leben,
und muͤßen doch einmal recht aus dem Grun-
Y 3de
[340] de ſterben. Nimm dir recht vor zu ſterben,
ſo ſtirbſt du am wenigſten und haͤltſt beinahe
die Stunde. Stirb als haͤtteſt du deinen
Tod auswendig gelernt, und ſieh nicht ins
Concept, ſtirb von ganzem Herzen; ſo ſtirbſt
du den Tod der Gerechten, und deine Seele
iſt in Gottes Hand, und keine Quaal ruͤhret
ſie an. Wer ſo ſtirbt, der ſtirbt wohl! Sieh
die du liebſt zuweilen ſchlafen, damit du
nicht traureſt um deinen Todten. Dencke
dir deinen aͤrgſten Feind im Himmel, damit
du ihm verzeiheſt. Wem es ſo und nicht
anders iſt, ob ſein Freund ſtirbt, und ob ſeine
Pfeife ausgehet, iſt nicht werth, einen Freund,
wohl aber eine Pfeife zu haben. Dieſe Welt
iſt nicht ein Clima fuͤr den Frommen. Gehts
ihm gut, ſo hoͤrt ers auf zu ſeyn; gehts ihm
uͤbel, ſo ringt er ſich die Haͤnde wund. Iſts
denn nichts.
Dein Vater ſagt: Stirb, als wenn du den
Tod obſerviren wolteſt; ſo ſtirbſt du nicht,
ſon-
[341] ſondern machſt Obſervationen — ich nicht al-
ſo. Sey getreu bis in den Tod; ſo wird
dir die Krone des Lebens gegeben, und es
wird heißen: Ey du frommer und getreuer
Knecht, du biſt uͤber wenig treu geweſen, ich
will dich uͤber viel ſetzen, gehe ein zu deines
Herrn Freude! Waͤhle nie ein Amt, das
groͤßer iſt als du, damit du hervorrageſt,
und kannſt du in eine Stelle kommen, die
vor dir ein unbedeutenderes Maͤnchen, als
du bekleidet; haſt du gewonnen Spiel.
Brauch griechiſche, hebraͤiſche, arabiſche,
chaldaͤiſche, lateiniſche Worte in deiner Pre-
digt, die vertragen ſich, um des Himmels
willen aber kein einziges franzoͤſiſches, das
iſt in einer deutſchen Predigt wie Katz und
Hund. Die franzoͤſiſche Sprache iſt die
zweite Erbſuͤnde. Der geringſte Uebelſtand
auf der Kanzel, iſt ein Flecken auf deinem
weißen Kragen. Es ſcheint uͤberhaupt die
franzoͤſiſche Sprache nicht fuͤr den Himmel
und den ſchmalen Weg eingerichtet zu ſeyn.
Wol dem unter dieſem Volcke, der noch eine
andere Sprache weiß! Diene deiner Gemei-
ne mit allen fuͤnf Sinnen. Man meint der
Geſchmack ſey ſo ein Geizhals, daß ein an-
drer nichts davon hat; allein wer den andern
Y 4mit
[342] mit Geſchmack eſſen ſieht, bekommt auch
Luſt. Wilſt du deine Gemeine zu Abtra-
gung der Calende bewegen, brauch Worte,
dieſe ruͤhren ploͤzlich. Wilſt du ſie in den
Himmel bringen, trag Sachen vor, dieſe
wuͤrcken langſam, aber ſie bleiben. Eine gute
Predigt muß nicht zu breite Treſſen haben,
das Tuch muß zu ſehen ſeyn. Wer eine
gute Predigt drucken laͤßt, die er gehalten
hat, hat geſchaffen und erhalten. Beſtim-
me was deine Kinder werden ſollen, und
wenns ſeyn kann, die Erſtgeburt der Kirch!
Eltern, die ihren Kindern die Wahl laßen zu
beſtimmen, was ſie werden wollen, irren;
du waͤrſt Alexander geworden, und jetzt gehſt
du auf dem Wege zur Superintendatur.
Was ſuͤße ſchmeckt, hat einen uͤblen Nachge-
ſchmack, und ſchleimt oben ein. Was herb
zu Anfang iſt, wird lieblich am Ende. Das
gilt von der Tugend und vom Rheinwein.
Pflanze nicht im Garten, eh dein Feld beſtelt
iſt, und mach dir keinen Schatten, bis du
ein zinsbares Capital haſt. Beſtaͤndige Ruhe-
iſt keine Ruhe. Wenns geregnet hat, iſt’s in
freyer Luft am ſchoͤnſten. Wenn der Regen
gerad herunter faͤlt, iſt er am fruchtbarſten.
Man koͤnnte ſagen, die Natur hab’ eine gute
Geburt.
[343] Geburt. So muͤßen auch deine Worte fal-
len. Kreiſe nicht; ſprich aber gerade herun-
ter. Ein junger Geiſtlicher muß ſeine Pre-
digt bloͤd anfangen, und dreiſt vollenden,
dann hat er alles, was ihm hoͤrt, wie eine
Klette am Kleide. Der Geruch hat ſeine
Moden, die ein Paſtor nicht mitmachen darf.
Biſam und allerley wohlriechende Waſſer
ſind nicht fuͤr ein ſchwarzes Kleid. Wilſt
du wohl riechen, ſo ſeys nach Himmelſchluͤſ-
ſeln, Roſen und Naͤgelchen (nicht Nelcken, wie
Etliche waͤhnen). Dieſe Geruͤche bekommen
wie taͤglich Brod allen Menſchen, und keine
ſchwangere Frau wird druͤber ohnmaͤchtig am
Beichtſtuhl werden. Sey ſtarck am inwen-
digen Menſchen. Deine Seele ſey wacker,
dein Herz ohne Falſch; ſo wird auch der aus-
wendige Menſch bluͤhen und Fruͤcht’ anſetzen.
Die Seele iſt der Gaͤrtner, der Leib iſt die
Pflanze, die gezogen wird. Sprich zuweilen
laut, ſonſt glauben die Leute nicht, daß es
Ernſt iſt. Ich habe dir in deiner Jugend
angerathen, das Skelett von den Butter-
bluhmen auf einmal wegzuhauchen. Es ſtaͤrkt
die Lunge. So wird Gott, der gerechte Rich-
ter, die Welt weghauchen! Ein jeder Lehrer
muß mehr ſagen, als im Concept iſt. Was
Y 5aus
[344] aus dem Herzen kommt, geht wieder zu Her-
zen. Was aus dem Munde kommt, geht
wieder in den Mund. Was aus dem Con-
cept kommt, geht ins Concept, und was aus
dem Buche, ins Buch. Ende gut, alles
gut! Ich werde dir nicht erſcheinen mein
Kind! wenn ich heimgehe? es wuͤrde dir
und mir beſchwerlich ſeyn: allein ich komme
dir gewis entgegen. Der Herr ſey mit dir
im Leben, und wenn du leideſt, und wenn du
ſtirbſt. Gehts mit dir zum Ende, ſey es
mit dem Schluß deines Lebens, wie mit dem
Jahresſchluß, wo die Tage kurz ſind! —
Des Abends muß man einen ſchoͤnen Tag
loben. Amen, das heißt: Ja, ja, es ſoll
alſo geſchehn! Amen iſt des lieben Gottes
großes Siegel, und der Frommen Zuverſicht.
Ich beſchwoͤre dich beym Amen, daß du dieſe
Regeln aufbehaͤltſt und ſie befolgeſt, und ſie
alle Viertheil Jahr lieſeſt, und vor der Le-
ſung ſingſt:
O Gott, du frommer Gott.
und nach der Leſung:
Gros iſt Herr deine Guͤte. Amen!
Dies war der Abſchied, den meine Mutter von
mir ſchriftlich nahm, wie ſie ihn auch gern
vom
[345] vom Converſus genommen haͤtte, und den
ſie eben ſo, wie den Tod, nicht auf die letzte
Stunde ausgeſetzt. Von meiner Mutter
hab ich, und auch meine Leſer, in dieſem Theil
Abſchied genommen —
Gute Nacht alſo liebes Weib! Lebe wohl,
liebe theure Mutter. Deine heilige Harfe
ſoll mein Herz in eine heilige Ruhe ſpielen,
wenn es ein trotzig oder verzagt Ding ſeyn
will, wenn es ſich baͤumt und wenns ſinckt.
Ruhe der Religion der Vollendeten, du biſt
die Diaͤt fuͤr Leib und Seele! Bin ich be-
ſtimmt, ſechs Tage meines Lebens Laſt und
Hitze zu tragen, laß mich wenigſtens am ſie-
benten ruhen von dieſer Arbeit, und eine
Seelen und Leibeserloͤſung koſten. An die-
ſein Sabbath ſoll dein heiliges Bild, liebe
Mutter! vor meinen Augen ſchweben! Ich
will dich hoͤren, wie du den erſten der drey
großen Feſte, als die Lerche den Fruͤhling
mit dem:
begruͤßteſt —
Wie du am heiligen Abend vor Wey-
nachten die Hirten des ganzen Kirchſpiels vor
das
[346] das Paſtorat verſammelteſt, und Vom Himmel
hoch da komm ich her ꝛc. anſtimmen ließ’ſt —
wie du dieſes arme Volk, das ſeiner Som-
mergeſellſchaft am Ende aͤhnlich wird, zu chriſt-
lichen Schaͤfern verſchoͤnerteſt, und in ihnen
vor der ganzen Gemeine eine Licht anzuͤndeteſt,
ſo, daß jedes, auch im Weynachten, Achtung
fuͤr den Hirten hatte, da er, nach dem Laufe
der Natur, am wenigſten gilt.
Deine Woͤrter hahn, ſtahn, lahn, ſollen
mir beßer klingen, als die weichlichen Worte der
ſchwelgenden Poeſie. Dein Tittel: Weib Lo-
beſan, den du dir ſelbſt beygeleget haſt, iſt
koͤſtlicher als alle Welttittel. Ich will weit
eher in den Vorhoͤfen des Herrn in der Halle
wohnen, wozu dir dein Schutzgeiſt den
Schluͤßel fuͤr dich und deine Nachkommen
gab, als in den Pallaͤſten der Gottloſen!
Deine alten Worte: Wolgemut, fuͤrbas, und
pflag, und traun! und ſchier! bezeichnen
mir die Einfalt der Alten der guͤldenen Zeit,
da die Menſchen Gottes Nachbaren vorſtel-
ten, ihm uͤbern Zaun in ſeinen Himmel ſahen,
vor ihm wandelten und fromm waren, und
wie ſolt’ ich dieſen Kern gegen den Prunk die-
ſes verſilbert blechernen Jahrhunderts vertau-
ſchen? — Am Ende, wenn mir die Gedan-
cken
[347] cken vergehen wie ein Licht, das hin und her
thut wancken, bis ihm die Flamm gebricht,
ſoll der Tod mir ein ſanfter Schlaf ſeyn!
Amen, das heißt Ja, ja, es ſoll alſo geſchehen!
Dies war ungefaͤhr das Gefuͤhl, auf
Worte herabgeſetzt, das in mir brandte, da
dieſe Anrede von meiner Mutter zum erſten-
mal verleſen ward. Beym eigentlichen Ab-
ſchiede bezog ſie ſich auf dieſe ſchriftliche Haus-
tafel, wie ſie’s nandte. Dieſe Hand, ſie gab
mir ihre Rechte, reich ich dir nicht wieder,
als in der Ewigkeit, nicht mehr beym Ab-
ſchiede — Dies iſt der Abſchied, mein Sohn,
das eigentliche Begraͤbnis. Wenn du wuͤrck-
lich von hinnen zieheſt, wird nur das Para-
deſarg beygeſetzt — —
Von Minchen nahm ich Abſchied, wie
der Sommer vom Fruͤhlinge; man merckt’s
nicht. Zehnmal, dachten wir, es ſey das lezte
Lebewohl; allein es kam noch ein Lebe-
wohl — und denn noch eins, bis eins,
ohne daß wirs beide wußten, das allerletzte
war. Wir hatten ſchon vorhero verabredet,
daß nicht Sie an Ihn, ſondern Er an Sie,
den erſten Brief ſchreiben ſolte. Dieſer erſte
Brief ſolte an den guten Benjamin, um aus
der
[348] der Noth eine Tugend zu machen, zur Be-
foͤrderung gerichtet werden, und der Brief
an Benjamin ſolt’ ein’ Einlag’ eines Briefes
an den Herrn Herrmann ſeyn. Wie ſehr
wir uͤber dieſen Plan gedacht, kann ich nicht
beſchreiben. Er iſt das Reſultat von vielen
Stunden. In dieſem erſten Briefe ſolt’ ich
meiner lieben Miene den Weg zeigen, an mich
zu ſchreiben, denn da noch nicht ausgemacht
war, welcher Univerſitaͤt wir anvertrauet
werden ſolten; ſo konnte der Plan fuͤglich
nicht anders eingerichtet werden. —
Die ehrliche Jungens, die tapfern
Griechen, hatten ſich bey meiner Abreiſe
verſammlet, hielten ſich gerade, Helm ragte
vor, und alle ſahen ihrem Koͤnige nach, der
avanciren und Student werden ſolte.
Wir kamen gegen Abend in — — an,
und fuͤr ein paar Leute, die ſich in zehen
Jahren nicht beſuchet, wohl aber, ſo offt ſie
ſich nur reichen koͤnnen, mit Gedancken, Ge-
behrden, Worten und Werken (wiewohl alles
in Ehren, und wie es ein Paar ſo klugen
und ſo rechtſchaffenen Leuten anſtehet) gepfaͤn-
det hatten, war der Empfang ſehr freund-
ſchaftlich — Wo bleiben Sie ſo lang, lie-
ber
[349] ber Herr Paſtor? ich hab’ ſchon zehn Jahre
auf Sie gewartet, ſagte der Herr v. G —
und mein Vater wie aus der Piſtole: eben ſo
lange, einen halben Tag, den ich zur Reiſe
noͤthig hatte, abgerechnet, hab ich Ew. Hoch-
wohlgebohrnen Briefe entgegen geſehen. Hier
eine Umarmung, und von der Frau v. G —
ein tiefer Knicks, vom jungen Herrn ein
rußiſcher, und von ſeinem Hofmeiſter ein fran-
zoͤſiſcher Buͤckling — und zwar ſo durchein-
ander, daß Niemand wußte, wem eigentlich
die Verbeugung oder Scharrfuß gelten ſolte.
Nach dieſem Zeichen der Wiedergeburt einer
ſeit zehn Jahren verfallenen Freundſchaft,
haͤtte man glauben ſollen, es waͤre zwiſchen
Sr. Hochwohlgebohrnen und Sr. Wohlehr-
wuͤrden alles berichtiget; allein, es gieng
dieſen beyden Leuten ſo wie Richtern, die
ſich zwar geeinigt haben, wer von beyden
Klaͤger oder Beklagter, gewinnen oder verlie-
ren ſoll? nachhero aber uͤber die Entſchei-
dungsgruͤnde und die Gegengruͤnde die Koͤpfe
ſchuͤtteln, und zuweilen an einander ſtoßen,
um ein Urtheil zu formen. Alle Augenblick
war ein Knoten, den keiner von beyden loͤſen
konnte, den aber auch keiner von beyden ſo
geradezu ſpalten wolte. Ich muß geſtehen,
daß
[350] daß ich nicht viel von dem beherziget, was
dieſe beyde ſtreitfuͤhrende Maͤchte mit einan-
der ausgefochten. Ich weiß kein Wort wei-
ter, als, daß wegen Hut und Trifft kein Wort
weiter vorfallen ſolte, und daß eine Koppel-
weide bruͤderlich verabredet wurde. Man
gieng Hand in Hand zur Tafel. Der Vergleich
war zugeſaͤet, wurde mit einem aͤchten Glaſe
Wein aus einem Schaͤuer begoſſen, und trug
noch den naͤmlichen Abend tauſendfaͤltige
Fruͤchte. Morgen, denn heute ſeh’ ich alles
uͤber Pauſch und Bogen, will ich meine Le-
ſer mit den Karakteren dieſes Hochwohlge-
bohrnen curſchen Hauſes und ſeiner Art be-
kannter machen, oder wie es mir eben ein-
faͤlt, ſie ſich ſelbſt bekannt machen laſſen.
Ich will verſuchen, dieſen Tag nachzuſchrei-
ben, wenn ich gleich nicht ein Verballexicon,
einen Woͤrterkram, uͤber das, was damals ge-
redet ward, beſitze; ſo hab ich doch ein ſehr
richtiges Reallexicon, und hier darf ich nur
klopfen, und es wird aufgethan. Hausrath
iſt bald angeſchaft, wenn man liegende Gruͤn-
de hat. Waͤre dieſer Lebenslauf kein Lebens-
lauf, haͤtt ich von der Kanzeley des Sir
Carl Grandiſon einen Kanzelliſten auf zwoͤlf
Stunden zum Anlehn erbeten, allein einen
Lebens-
[351] Lebenslaͤufer ſchlaͤgt ers ab. Wo haͤtt ich
aber, wenn Sir Grandiſon fiat wie gebeten
geſagt haͤtte, wo haͤtt ich dem Ehrenmann
Ort und Stelle anweiſen ſollen? Im gan-
zen Hauſe des Herrn v. G — war zur Ehre
des Hauſes keine ſpaniſche Wand und keine
Vorhaͤnge, als vor den Fenſtern, auch die
nur gegen Mittag. Die Geſpraͤche ſind ori-
ginaliſirt. Wers [verſteht], was ein Eid de
credulitate iſt, wird wiſſen, was ich ſagen
will; wenn ich behaupte nach beſtem Wiſſen
und Gewiſſen meine Leſer behandelt zu ha-
ben. —
Der
Schauplatz
in unſerm
Schlafzimmer.
Wildnis, einen Haupttheil des — Gartens,
wo ſich ein Blumenbeet, welches wie ein
verſchoͤnertes Wieſenſtuͤck ausſahe, an einer
alten Eiche zu halten ſchien, um die kleines
ZGe-
[352] Geſtraͤuch rings herum ſtand, als wenns
in die Schule ginge, und lernen wolte, auch
ſo groß zu werden. Es war alles wie Wieſe
und Wald, was man ſehen konnte, und
doch wars nicht Wieſe und Wald. Die Bluh-
men anders, und wenn ſie gleich nicht in
Reih und Gliedern ſtanden, waren ſie doch
in einer entzuͤckenden unordentlichen Ordnung.
Baͤume hinderten das Auge nicht, den Wald
zu ſehen, und es fiel von oben ein reines
Waſſer, wie ein ſtarcker Regen, und ſchlen-
ckerke durchs Bluhmenſtuͤck, und aus ihm
heraus, wie ein Betrunckener — —
Vater. Ich.
Guten Morgen, Vater.
Danck Alexander. Wie im Edel-
hofe geſchlafen?
Nicht wie im Paſtorate. Blinde
Kuh geſpielt. Zugegriffen, nichts erhaſcht.
Die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefan-
gen — Gewolt und nicht gekonnt.
Die erſte Nacht am fremden Orte
iſt immer eine Brautnacht. Niemand ſchlaͤft
ſie aus.
Ich.
[353]
Wie kommt das?
Bette und Neſter muͤßen nicht
kalt werden. Ein neuer Bezug koſtet mir zu
Hauſe zwo ſchlafloſe Stunden, ein neues
Bett anderthalb Naͤchte.
Ich habe den neuen Bezug mit ei-
ner halben Stunde bezahlt, vom neuen Bette
weiß ich ſeit ſechs Stunden erſt mitzureden.
Haͤtten wir keine Betten, wuͤr-
den wir nicht dieſen Schlafzoll bezahlen. Es
iſt viel davon zu ſagen. Wenn ja der Menſch
nicht in ſich ſelbſt Waͤrme haͤtte, ſolt’ er
nach der Vorſchrift der Natur auf Haarbet-
ten ruhen.
Ich will’s verſuchen —
Wenns nur nicht zu ſpaͤt iſt.
Deine Mutter traͤgt die Schuld, daß dein
Blut Federn kennet. Mich freuts, daß du
dieſe Nacht ſo wenig mit dem Schlaf ge-
zanckt — Wir haben beyde gethan, als
ſchliefen wir. Wer ſich mit dem Schlaf uͤber-
wirft, zieht immer den kuͤrzern.
Aber mit einmal Aufſtand machen,
und dem Schlaf zeigen, daß man ſein Sclave
nicht ſey. Was meinſt du, Vater?
Recht! in allen Faͤllen, nur nicht,
wenn ein neues Bett daran Schuld iſt. Der
Z 2Schlaf
[354] Schlaf kann nicht buͤßen, was unſre Weich-
lichkeit verſchuldt hat — Wer, wenn er
ſchnell aufwacht, nicht gleich herausſpringt,
verſteht nicht Wincke der Natur. Der zweyte
Schlaf iſt ein Poſtſcript, das keinem Mann
anſteht. Mittagsſchlaf iſt ein brennend Licht
am Tage. Achtung, Alexander! Schlag an,
Feur’! biſt du heraus?
Wie Blitz!
Mercks dir ewig. Wer einen Fuß
aus dem Bette ſetzt, und den andern nach-
holt, arbeitet auch nur mit halben Kopf.
Wie kanns anders? Ich haͤtte moͤ-
gen den D. Luther hoͤren und ſehen das Walt
ſprechen, und aus dem Bette fahren.
Er fuhr gewiß mit ſechs.
Aber das Kreutz, das er ſchlug,
waͤre nicht noͤthig geweſen.
Wers vertragen kann, des
Morgens und Abends, kanns nicht ſcha-
den. Deine Mutter hatte die Gewohnheit
zu kreutzen, wenn ſie jaͤhnte und den Mund
hielt. Dieſe Kreutzſchlaͤge hab’ ich ihr ſo
aus dem Grunde abgewoͤhnt, daß ſies nach
der Zeit fuͤr Suͤnde zu halten ſchien, und den
Schlagbaum des Mundes, um die vorigen
Kreutzer zu verbuͤßen, noch weiter aufriß,
als
[355] als es noͤthig war. Das Kreutz war die ge-
meinſte Strafe, womit man bey den Syrern,
Egyptern, Roͤmern und andern Voͤlkern,
einen Miſſethaͤter von der Welt brachte.
Aus Schande iſt Ehre worden. Deine Mut-
ter nandte dies einen Triumph der chriſtlichen
Religion. Ein Kreutz iſt ein Ritter- und
Ehrenzeichen: es hat ſo was edles in und an
ſich, als die liebe Sonne, die alles glaͤnzend
macht, was ſie beſtrahlt. Haͤng es um ein
ſchlecht Gewand; es uͤbertrift Purpur und
koͤſtliche Leinwand. Die Wapenkunſt gehoͤ-
ret zwar nicht zu Kanzelgaben; indeſſen rath
ich dir dies Studium an, und da wirſt du
ein Andreaskreutz, ein Schaͤcherkreutz, ein
Anckerkreutz, ein Kleekreutz, ein Kruͤcken-
kreutz, ein Lilienkreutz, ein Patriarchenkreutz,
und noch viele Kreutzer kennen zu lernen
die Ehre haben.
jeder ſtieß eins wie aufs Commando auf ——
Noch eine Stille —
Haſt du gebetet?
Zweymal angeſetzt, einmal vollen-
det. Aber keinen Morgenſeegen, denn ich
hab nicht geſchlafen. Ich kann dem lieben
Gott fuͤr nichts dancken, was ich nicht auch
Z 3em-
[356] empfangen habe. Die ſagen koͤnnen: wir dan-
cken Gott fuͤr ſeine Gaben, die wir von
ihm empfangen haben, wenn ſie fuͤr Hun-
ger ſterben moͤchten, ſind, denck ich, Schmeich-
ler, Heuchler, Schrifftgelehrte und Phariſaͤer.
Zum Danck hat der Menſch, wie
zum Troſt, immer Gelegenheit. Auch das
groͤßte Ungluͤck iſt noch ſo groß, daß man ſich
nicht noch ein Stockwerck druͤber denken
koͤnnte. Der Armbruch iſt nicht ſo arg, als
der Halsbruch. Viele Leute aber glauben
freylich, ſo mit dem lieben Gott umzuſprin-
gen, als mit ihres gleichen. Herz, Ehrlich-
keit, iſt das, was Gott angenehm iſt; ich
denck, er verzeiht hundert Fluͤche eher, als
ein Gebet und Lob von dieſer Weiſe. Er will
eigentlich nur die freudige Empfindung uͤber
das Gute, das wir gethan haben. Verſoͤh-
ne dich mit deinem Bruder, und dann komm
und opfre. Thu was gutes, und du beteſt —
die ganze Natur betet und ſingt, und die
Raben ſelbſt nicht ausgenommen. Siehſt
du einen ſchoͤnen Abend, einen ſchoͤnen Mor-
gen, ſo fehlen nur Worte zum Gebete, und
die ſind nicht noͤthig. Leute, die es auf bloße
Worte anlegen, zaubern im eigentlichen
Sinn, ſie betruͤgen die Umſtehenden, und
erwer-
[357] erwerben ſich Almoſen, der nicht immer ein
Stuͤck Brodt und ein Vierting iſt, ſondern
auch ein Buͤckling ein Ehrenwort ſeyn kann
„das iſt ein frommer Mann.„ Es hat
weiſe Heiden gegeben, die dafuͤr hielten, man
ſolte laut beten, damit Gott nicht mit un-
klugen Bitten belaͤſtiget wuͤrde; allein die
Herren moͤgen es mir verzeihen. Gott iſt
unſer Vater, und wir koͤnnen ihm alles ſa-
gen. Wir bleiben gegen ihn bis ans Ende
kleine Kinder. Wir ſollen Gott lieben! Liebe
ohne Aufopferung von der geliebten Seite iſt
ſchwer zu dencken. Gott opfert ſich, wenn er
uns Gutes thut, nicht auf. Es koſtet ihm
keine Muͤhe, wenn er Fruͤh- und Spaͤtregen,
und fruchtbare Zeiten giebt, wenn er uns
die Hand reicht. Es waͤr’ alſo nur Ehrfurcht,
was wir gegen ihn haͤtten, wenn wir nicht
beten doͤrften. Das Gebet hilft uns zu einer
Liebe, die anders iſt, als alle Lieben in der
Welt. Chriſtus hat die Lehre vom Gebet
ſo vortrefflich abgehandelt — Betet im
Glauben, beſtimmt nicht: laßts Gott uͤber.
Plappert nicht, betet im Kaͤmmerlein —
Fenſter, und ich betete mit, wir beteten ſehr
laut.
Z 4Ich.
[358]
Das war gebetet.
Amen.
Viel Leute ſchaͤmen ſich, den lieben
Gott auszuſprechen. Sie ſagen: der Himmel.
Ich ſag ja nicht Mitau, wenn ich den Herzog
meine. Einige ſagen: die Vorſicht, das ſind
mir ſchon die rechten, nicht wahr, Vater?
Nicht immer wahr. Da muß
man ſehr duldend ſeyn. Ich ſage gern, herz-
lich gern heraus: Gott, mein Gott, und freu
mich, daß ichs nach meiner Religion darf.
Andere Leute moͤgen andere Weiſen haben.
Mann nennt offt nach der Hauptſtadt den
Hoff, der Wienerhoff — ich werd bey mei-
ner Weiſe bleiben.
Und ich auch in Ewigkeit.
Eine Nacht gewacht macht mun-
ter. Wir werden beid’ einen herrlichen Tag
haben.
Ich dacht’ es waͤre des erſten Aus-
flugs wegen. Der erſte Ausflug aus dem
Neſte muß Alten und Jungen was ange-
nehmes ſeyn. Du verſtehſt mich — nach
dem lieben Gott biſt du mein Vater.
Sey gut Alexander, und das wirſt
du ſeyn, wenn du Gott von Herzen Vater
nennſt.
Vater.
[359]
Wuͤnſch unterthaͤnigen Morgen.
Guten Morgen, guter Freund.
Gnaͤdiger Herr, und gnaͤdige
Frau, und gnaͤdiger Juncker, bitten zum
Thee.
Gleich — aber, lieber Freund,
das Waßer hier iſt von geſtern. Nur Thee
fehlt, ſo iſts Theewaßer. Koͤnnen wir nicht
kaltes, friſches Waſſer —
Mit Eis, wenns angeht, ich hab
vom Eiskeller gehoͤrt.
Wird nicht gut thun.
Ich bins gewohnt, Eis im Waſ-
ſer, Speck im Kohl, Ehr im Leibe, Gewiſ-
ſen im Herzen.
Das ſind vier gute Schluͤßeln,
wolt’ ich ſagen, ja, ich weiß nicht was? bin
der Tafeldecker.
Herr Tafeldecker, ich bin ſehr hitzig
aufs Eiß.
Sollen haben —
So offt ich taufe, aͤrgre ich mich,
daß wir nicht untertauchen. Das waͤr was
fuͤr Leib und Seele.
Z 5Ich.
[360]
Wenn wir ſo mit dem Feu’r um-
ſpringen koͤnnten, Vater! wenn wir ſo die
Sonne, wie ein Caminfeu’r, anſehen, und waͤr
ſie naͤher, heran treten koͤnnten, ohne von
der Flamme ergriffen zu werden —
Die offenbare See —
Ich moͤcht mich doch da eher baden,
als die Haͤnde dicht am Sonnencamin waͤr-
men. Was auf der Erde iſt, gehoͤrt uns,
haſt du mich gelehrt —
Das erſte Feu’r auf der Erde
muß eine ſchreckliche Wirckung auf Menſch
und Vieh gemacht haben. Ein Blitz ſchlug’s
vielleicht an, und die Menſchen unterhielten
ein heiliges Feu’r, des ſich jedes bediente, bis
ſichs jedes ſelbſt anſchlagen lernte. Der
Menſch hat ſich ohne Zweifel vorgeſtellt, die
Sonne waͤre herabgekommen und wandele
unter uns —
Eine große Vorſtellung!
Ich vergeb den Heiden, daß ſie
die Sonne angebetet. Sie iſt eins von den
großen Lichtern, die im Saal Gottes bren-
nen. Wir haben ſie noch ſo ziemlich aus der
erſten Hand; in wenig Minuten iſt der Strahl
auf der Erde. —
Ich.
[361]
Ich wuͤnſcht’, ich haͤtt das erſte
Feu’r auf Erden geſehen.
Auch ich, ich denck das erſte
Feuerlerm iſt die Urſach, warum wir noch
immer ins Feuer ſehen, wo wirs finden.
Wir feuren das Feſt des erſten Feu’rs. Ca-
minfeuer verdirbt das Auge, ſagt man, und
was thut denn der Rauch der Oefen? das
unwuͤrdigſte, was je die Menſchen erdacht
haben, hoͤchſtens fuͤr ſchwangere Weiber gut.
Der Kreißſtuhl ſteht am Ofen. Ich bin kein
Republikaner, allein ich bin ein Menſch.
Kein Menſch, der ſich frey fuͤhlt, ſolte ein-
heitzen, und ſich die Haare ſtecken, oder ſie
kleben. Wer nicht mit der Hand in die
Haare kann, und mit unverwandten Augen
ins Feu’r ſieht, und ſich Feu’r zu machen ver-
ſteht; iſt wenigſtens kein Englaͤnder. Ich
bin fuͤr den monarchiſchen Staat, das weißt
du; allein auch da giebts Freiheit. Du
weißt die Fabel vom Prometheus? —
Dem Feu’rdieb, Ja!
Man laͤßt es nicht, ins Feuer zu
ſehen, und wenn man mit ſeinen Augen
druͤber einen Bund macht; ſo ſieht man nicht,
man ſchielt, man ſtiehlt — die Thiere ſelbſt
machen große Augen und ſtaunen das Feuer
an
[362] an — Wie ich mich freue, wenn ich Spuren
der Natur finde, daß iſt unbeſchreiblich, ich
denck immer Gottes Finger zu ſehen, wenn ich
Natur ſehe —
Ich ſehe Gottes ganze Hand.
Junge! Tauſendmal hab ich ge-
dacht mein Ebenbild! nur etwas rauher
duͤnckt mich. — Schadt nichts, du biſt in
Curland gebohren, und ich in einer beßern
Gegend. Du jung, ich — alt. Soͤhne, die
der Mutter aͤhnlich ſind, bekommen ihre Faͤ-
higkeiten und Neigungen; allein in hoͤherm
Maaße. Sie ſind Birnaͤpfel: ich wuͤrd ſie
all zu Geiſtlichen beſtimmen. Sie haben bis
zum Pabſt Anlage; nur keinen Schuß ver-
tragen ſie. Haͤtteſt du etwas, Alexander,
von dieſen Wachsjungens, ich gaͤbe was
drum —
Und warum Vater?
Das eine Frage! du ſolſt nicht
mit Feuer, ſondern mit Waſſer taufen.
Gott braucht auch Luthers im
Dienſt, nicht blos Melanchtons, Vater! Ich
wett, Luther ſah ſeinem Vater aͤhnlich, wie
ich dir, und Luther, das wett ich auch, waͤr
ein ſo guter Generalfeldmarſchall geworden,
als er jetzo Glaubensvater iſt, und haͤtt ſo
gut
[363] gut Sieg erfochten, als einen Catechismus
geſchrieben.
Es wuͤrd manchmal gut ſeyn, wenn
ſich ein Geiſtlicher mit einem Narren von
Freygeiſt herumſchießen koͤnnte. Gewiß wuͤrd
er mehr durchs Pulver, als durch Gruͤnde
frommen, beſonders in Curland, wo alles
nach Pulver riecht — allein wer das Schwerd
nimmt, wird durchs Schwerd umkommen —
Mit dreyen nehm ichs auf — ich
meyn mit Freygeiſtern, ſonſt weiß ich auch
wer Herz hat.
Feigheit faͤllt in alle fuͤnf Sinne:
man ſieht ſie im Finſtern. Einen muthigen
Mann kennt man nicht ſo leicht. Er traͤgt
nicht Spieß und Lanze. Gemeinhin ſieht
er bloͤde aus. Seine Miene iſt ſanft und edel:
wenn er ſpricht, iſts als ſpraͤche man mit
Frauenzimmer.
Wer hat, darf nicht borgen —
Ein muthiger Mann iſt ein ver-
moͤgender Mann, und darum braucht er kein
Creditkleid, keinen Empfehlungsbrief. — Er
iſt uͤberzeugt, daß es ihm nicht fehlen koͤnne.
Muth iſt ein edles Bewuſtſeyn, von dem
einige Leute ſehr einfaͤltig ſagen, er ſey anzu-
ſehn.
[364] ſehn. Stolz iſt anzuſehn; allein kein edles
Bewußtſeyn —
Wie kommts aber, Vater! daß auch
den Herzhafteſten der Muth zuweilen verlaͤßt,
und daß er nach einer Zeit wieder muthig
wird?
Weil er kranck war, und wieder
geſund wurde! das iſt aber eine Kranckheit
ohne Namen, etwas Kolick iſt immer da-
bey — Oft kommts, weil der Held mit einer
Schlafmuͤtze ſein Haupt bedeckt hat, da er eben
angegriffen wird. Er ſollte ſelbſt im Hut
ſchlafen.
Im Hut, oder im bloßen Kopf —
Vater, ich will dein Sohn nicht ſeyn, wenn ich
je anders zu Bette gehe —
— Du warſt Alexander! jetzt
biſt du es nicht mehr! Kannſt es nicht mehr
mehr ſeyn! mußt es nicht ſeyn! Ich dacht
anders, und Gott dacht anders. Setze im-
mer eine Schlafmuͤtze auf, und bekaͤmpfe dich
ſelbſt, dann haſt du Muth, auch ohne den
Degen in der Fauſt, und im Schlafrock und
Pantoffeln. Muth braucht man, wie Saltz,
zu allem, und beym Cammertod mehr, als
auf dem Bette der Ehren, wo Wuth und
Verweiflung offt die Herzhaftigkeit einfeuert.
Dies
[365] Dies iſt ein eingeheitzter Muth. Iſt der
Ofen kalt, iſt alles kalt —
Ich weiß, Vater, wie ich das Loch
hier am Kopf kriegte, was es heiße, auf
dem Bette der Ehren ein Loch kriegen, und
wie ich kranck war, was ein kalter Ofen heiße.
Das Loch war mir weniger, als wenn ich
mir das Hemde vorbey ins Fleiſch geſtochen.
Ich wollt druͤber was ſchriftliches aufſetzen,
ſo weiß ichs. Sich ſelbſt bekaͤmpfen, Va-
ter! und eine Hopfenſtange ſeyn, iſt doch
zweyerley.
Sich im wagerechten Stand ſetzen,
und immer im Gleichgewicht halten, iſt un-
moͤglich. Wer nicht Leidenſchaften hat, iſt
kein Menſch. Unſer Herr und Meiſter jagte
Kaͤufer und Verkaͤufer aus Gottes Tempel.
Wer im Sitzen ſchelten, und wenn er ſich
ſtoͤßt, beten kann, iſt ein Menſch, mit dem ich
nichts zu theilen haben will. Ich werd ge-
wiß betrogen. Ich hab mich als Paſtor zu
dem „daß dich der Tauſend“ bequemen
muͤßen, „daß dich der Teufel„ ſagt man,
ſoll geſunder ſeyn. Es ſoll wie ein Glas
Waſſer abkuͤhlen. Die Natur kuͤhlt ſich auch
durch Donner und Blitz. Um den Teufel
nicht ſo viel Ehre anzuthun, ſollte man ein
ander
[366] ander Wort erfinden. Es kommt alles auf
Begriffe an. Auguſtinus und Lactanz konn-
ten ſich nicht uͤberreden, daß die Erde rund
ſey, weil ſie die Schwere der Koͤrper nicht
kannten, und —
Vater! was du mir ſagſt, iſt mir,
Auguſtinus und Lanctanz ausgenommen, ſo
bekannt, als ob ichs gewußt haͤtte, und doch
lerne ichs erſt.
Das iſt der groͤßte Beweiß der
Wahrheit. Der Vers iſt gut, den man auf
einmal behaͤlt, und eine Sache, die, wenn wir
ſie gehoͤrt, uns ſo duͤnckt als haͤtten wir ſie
ſchon zuvor gewußt, iſt gewiß wahr.
Du biſt mir Philippus und Ari-
ſtoteles in einer Perſon.
Wenn man den Kindern auf
alle ihre Fragen antwortet, curirt man ſie
durch Aderlaßen. Man macht ſie ſchwach.
Wenn du A frugſt, antwortete ich B, und
hierdurch gewoͤhnt ich dir ab, zu fragen, und
an, ſelbſt zu dencken. Wer immer in ſeiner
Jugend gefragt hat, fraͤgt, auch wenn er alt
wird. Haͤtt’ſt du noch einen Bruder ge-
habt, haͤtt ich ihn negativiſch erzogen, und
ihm nicht geſagt, hier geht der Weg, ſon-
dern: hier geht er nicht — Wenigſtens,
Ale-
[367] Alexander, haſt du einen muͤndigen Aus-
druck. Du biſt ein Menſch, der bey der
Natur in die Schule gegangen, ein Stuͤck
vom Seher! — Wer blos die Alten ließt,
iſt ein Glaͤubiger, du kannſt ſie auch zur Noth
leſen, dieſe erſte Verſion der Natur. Laß
uns jetzt gehen — der Thee iſt ſchon er-
wuͤnſcht kalt.
Vater, ich moͤcht noch zehn Stun-
den hoͤren.
Und ich bin lang nicht ſo ein
Vielwißer geweſen, wie heut, und auch du
umfaſſeſt alles, du ſprichſt ſo behend, und
jedes Wort iſt Schach dem Koͤnige. Das
machen die neuen Betten und die Nacht ohne
Schlaf.
Noch eins, Vater: ha Waßer!
Stroͤme! deſto beßer fuͤr dich
einen, und fuͤr mich auch einen — —
Das Noch eins hab ich nicht er-
ſaͤuft: die gnaͤdige Frau ruft mich Monſieur.
Beſonders! daß Monſieur bey
den Deutſchen zwey Pfund weniger, als Herr,
und Mamſell zwey Pfund mehr wiegt, als
Jungfer!
A aIch.
[368]
Immerhin, Vater! Ein Franzoſe
mag ein Monſieur ſeyn, aber nicht ich. Zwey
Pfund weniger oder mehr, ich ehre das
Wort Jungfer.
Ich auch, Alexander, und auch
darum mit, weil es ſich rein haͤlt, und mit
keinem Reim in Gemeinſchaft tritt. Das
ſind fuͤr mich koͤnigliche Woͤrter; ſie geben ſich
nicht mit erſt was ab.
Wer meine Schweſter —
Wenn du eine haͤtteſt!
Mamſell hieße, der ſolte eine Ohr-
feige mit dieſer Hand haben, oder ich will
Monſieur ſeyn — Und immer in der drit-
ten Perſon ſpricht die gnaͤdige Frau. Wird
Monſieur nicht haben wollen, will Monſieur
nicht ein Glas Bier? Bin ich denn kein
Du oder Sie werth! Kann ſie mir nicht ge-
rad’ ins Geſicht ſehen, wenn ſie mir zuſpricht.
Warum ſtoͤßt ſie denn nicht das Glas mit
mir an. Sie ſchielt nur von der Seite her-
ab. Gottlob! daß ſie nicht mit Er herum-
wirft, ich wuͤßte nicht — Vater! — Wenn
faͤngt man denn an Litteratus zu ſeyn?
Es iſt nicht uͤberall gleich. Im
Mitauſchen Kreiſe fruͤher, im Bauskeſchen
Kreiſe ſpaͤter, im Seelburgſchen Kreiſe noch
ſpaͤter,
[369] ſpaͤter, im Doblehnſchen Kreiſe fruͤher, als
im Mitauſchen, und ſo weiter durch alle
Kreiſe.
Ihr Mann, Vater, haͤtte verdient
den lincken Fluͤgel meines Phalanxs zu com-
mandiren. Zum Parmenio, Vater, nicht
wahr? Er weiß doch, was einem ſeeligen
Alexander zuſtehet. Von ihr, duͤnkt mich,
kanns heißen: ihe Wurm wird nicht ſterben,
und von ihm! ſein Feu’r nicht verloͤſchen —
Im Garten.
Herr v. G.
Sehr erfreut, Herr Paſtor —
Wol geruht? Ich bitte Platz zu nehmen.
Herr v. G. hat einem Sperling das Leben
abgeſprochen, und iſt unten, ihm das Wort
zu halten. Monſieur, bitte zu ſitzen — Ohne
Umſtaͤnde. Gartenfreyheit! da ſind wir
alle gleich —
Vom Paradieſe her.
von Monſieur an.)
Caffee?
A a 2Vater
[370]
Unterthaͤnigen Danck.
Thee?
Gehorſamſt.
Niemals?
Niemals, gnaͤdige Frau.
Und warum?
Jedes Volck hat was es bedarf,
gnaͤdige Frau, kann Original ſeyn, darf
nicht Thee und Caffee trincken.
Aber Wein?
Der iſt vom lieben Gott fuͤrs
ganze menſchliche Geſchlecht eingeſetzt, und
dann, gnaͤdige Frau! waͤchſt nicht Wein in
Curland?
Vielleicht wuͤrde auch Thee und
und Csffee wachſen —
Nimmer, und wenn es waͤre.
Wie kann wol die Natur mit Bohnen und
Strauch die Abſicht verbunden haben, die
man jetzt damit verbindet?
Aber angenehm iſt wenigſtens
Caffee im Gruͤnen?
Warum nicht eine Mahlzeit aus
natuͤrlichen geſunden Speiſen?
Es iſt zu warm —
Des Abends. In Curland gehts
mit dem Fruͤhſtuͤck beynah wie in England,
und
[371] und das hat, ich muß geſtehen, ſehr viel
verfuͤhreriſches. Alles kommt ungeputzt zu-
ſammen, wie bey einer Brunnenkur, und
mit einem ſo freyen unverfaͤlſchten Kopf, daß
es eine Luſt iſt, gute Leute fruͤhſtuͤcken zu ſe-
hen. Die Seel iſt ſo wie der Leib im Negli-
ſchee, und wenns fruͤh iſt, iſt der Tag ſelbſt
ſo. Sein Schleier iſt ein liebenswuͤrdiger
wonnevoller Anzug — Nicht immer aber,
gnaͤdige Frau! koͤnnen wir in Pyrmont ſeyn,
und den Brunnen trincken, und unſrer Seele
und dem Tage bey der Toilette aufwarten.
Wir haben Geſchaͤfte: die Morgenſtunde —
Ich halt Caffee und Thee nicht
fuͤr geſund —
Ich auch nicht —
Die Aerzte ſind indeßen ge-
theilt —
So wie in allem, was die Diaͤt
betrifft, die ein jeder Arzt nach dem Schnitt
ſeines Magens beurtheilt.
Der Sperling.
Ha, willkommen ins Gruͤne! Herr alter und
Herr junger Paſtor.
A a 3Frau
[372]
Gelt! Monſieur iſt erſchrocken.
Ueber einen Schuß?
Er erſchrickt uͤber dich, und
ich auch, gnaͤdige Frau. Fuͤr erſt bitt ich
Herr ſtatt Monſieur! Wer nicht vor einen
Schuß erſchrickt, iſt kein Monſieur. Sieh
ihm ins Geſicht. Iſt er erſchrocken?
Sie haben gepredigt?
Das heißt ein Seelenſchuß. Ich
habe Sie weit und breit ruͤhmen gehoͤrt.
Ohne Verdienſt und Wuͤrdigkeit.
Ew. Hochwohlgebohrnen —
Herr Paſtor, laßen Sie mir
den Hochwohlgebohrnen weg oder —
Wenn der Herr Paſtor ſichs
aber angewoͤhnt hat.
So muß ers ſich abgewoͤhnen.
Falls es ohne Muͤhe geſche-
hen kann.
Wenns auch Muͤhe macht.
Das nenn ich Zwang.
Es haͤngt von Ew. Gnaden
ab. Herr Paſtor! Sie wolten von der Pre-
digt ſagen.
Wenn Sie ſie gehoͤrt haͤtten, wuͤr-
den Ew. —
Herr
[373]
Herr Paſtor, ich bitt — ich
nehms fuͤr ein heimliches Verſtaͤndnis mit
meiner Frauen, wenn Sie nicht thun, was
ich bitte, was ich will — Wenn ich ſie ge-
hoͤrt haͤtte, wuͤrd ich —
Eine gute Suppe, und einen
guten Nachtiſch gefunden haben. Ein Paar
ſchoͤne Lieder, die ſeine Mutter ausgeſucht
hatte. Die Predigt war nur, um zu verſu-
chen, ob Stimme und Anſtand — nur des
Leibes Nahrung und Nothdurft wegen, wenn
ich ſo ſagen darf —
Ich wuͤrde bitten, ſie im gruͤ-
nen zu wiederhohlen —
Warum nicht gar? Eine Pre-
digt in die Kirche, eine Pfeife Toback im
Gruͤnen.
Ich glaub auch, ich wuͤrd’ im Gruͤ-
nen von der Natur uͤberſchrien werden —
Recht! — ſchon warm Waſ-
ſer getrunken?
Wir haben gedanckt, wir trincken
nur kalt Waſſer ohne Gewuͤrz, wie’s Gott
beſchert.
Das iſt brav! ich auch ſo —
da ſiehſt du, Frau! was brave Kerls ſind.
A a 4(in-
[374]
Ein Dieb weni-
ger in der Welt —
Ein wahrer Dieb. Unſtet und
fluͤchtig, wie das boͤſe Gewißen.
Indeßen kommt’s auf Erzie-
hung an, und der Sperling ſingt, wie einer
der ſchoͤnſten Saͤnger unter den Voͤgeln.
Dieb wuͤrd’ er freylich auch bey einer Syre-
nenſtimme bleiben. Ich ſelbſt habe Proben,
und der Schluß iſt richtig. Kein Vogel hat
eine eigenthuͤmliche ihm, von Gott verliehene
Singſtimme, ſondern nur Floͤtraversanſatz,
Faͤhigkeit zu allem voͤgelmoͤglichen Geſang.
Es kommt auf den Cantor an: wie die Alten
ſungen, ſo zwitſchern nach die Jungen! —
Wo iſt Fritz mit ſeinem halbehrwuͤrdigen
Hofmeiſter geblieben?
Der Juncker
kleidet ſich an. Der Hofmeiſter leiſtet ihm
Geſellſchaft. Sie haben ſich das Laͤngſte —
Der Jung iſt gut, nur nicht
viel Herz, und das haſt du Schuld —
Beßer kein Herz, als keinen
Verſtand —
Nichts geredt. Verſtand iſt
des Herzens Spuͤrhund. Ich kenne noch
keinen beherzten Mann, der nicht mindſtens
fuͤrs
[375] fuͤrs Haus Verſtand haͤtte: aber verſtaͤndige
kluge Schurcken kenn ich dir ſo gut, als meine
Kugel, Schrot, Wind, Buͤrſchbuͤchſen. Ge-
wehr auf ein Haar. Ich weiß den Unter-
ſchied zwiſchen beherzt und gutherzig; allein
Herz iſt hohl mich — Herz. Es kommt alles
auf eins. Du wirſt dein Lebtag nicht einen
beherzten Mann kennen, der nicht mitleidig,
großmuͤthig, gutthaͤtig iſt, und ſein Paar
Tropfen weinen kann. Verſtand! Sieh doch!
was ihr Weiber dies Wort in den kleinen
Mund nehmt. Dies Wort iſt mit Ew. Gna-
den Erlaubniß generis maſculini, oder wenn
du es im Deutſchen haben wilſt: Es hat
Haar um den Bart —
Wird aber oft kahl geſchoren.
Einfall! Euretwegen aber
waͤchſt wieder. Ha, gnaͤdige Frau, wie ge-
faͤllt Ihnen meine Predigt in der freyen Luft?
Die Anwendung werden Sie ſelbſt machen.
Sie iſt gemacht —
Darf ich wißen?
Mich duͤnckt, es zeigt wenig
Verſtand, Boͤſes von ſeinen Kindern zu ſpre-
chen. Monſieur — der Herr — wolt’ ich
ſagen, wird ſich einen ſchoͤnen Begriff vom
Juncker machen.
A a 5Herr
[376]
Boͤſes? ſagt’ ich nicht gu-
ter Jung —
Jung! Schon dies Wort in
gewißer Leute Gegenwart
ſend)
ich denck doch, er hieße ſo gut Herr v —
als Ew. Hochwohlgebohrnen?
Es ſcheint Ew. Gnaden wol-
len mein Schiff entern. Gehorſamer Diener,
ſo nah ſind wir noch nicht. Weißt du was
entern iſt? frag’s nach in Libau!
Entern hier, entern da, es
ſchickt ſich wenig —
Albern! es muß ſich ſchicken.
Er iſt Edelmann, weil ich einer bin, dabey
iſt wenig auf ſeiner Seite.
Der Adler iſt darum Adler,
weil ſein Herr Vater einer war?
Warum Adler? warum nicht
Gans; ſo bleibſt du in der Landsmann-
ſchaft — Adler! ha! ha! ha! Engel haben
keinen Zunamen. Teufel auch nicht. Wenn
nicht Zunamen waͤren, wuͤrden mehr Men-
ſchen ſeyn. Weiſt du wol, wie lang es iſt,
daß Zunamen ſind? Der Teufel hohl den
Schlingel, der ſie zuerſt aufbrachte. Man
thut darum ſelbſt nichts, und ſieht vor oder
hinter ſich. Hat doch dieſer und wird doch
jener
[377] jener — In Curland beſonders, in Cur-
land iſt ein Edelmann ein Erdſchollen, glebæ
adſcriptus, nicht wahr Herr Paſtor?
Ich habs offt geſagt, da iſt aber
nicht der Edelmann: Curland und Semgal-
len ſind Schuld. In dieſem Fall hat ein
Litteratus den Vorzug, daß er, wie die
Apoſtel, in alle Welt geht. Befaͤllt ihn ja
das Heimweh; er ſtirbt wenigſtens nicht auf
der Stelle, wo er gebohren iſt. Mit ihm
iſts Comma, Colon, Semicolon, mit dem
Adel Punktum.
Recht, Punktum, ein groß
Punktum, man kann es einen Kleck nennen,
da wo ich gebohren bin und ſterben werde,
ſind ſchon ſieben gebohren und geſtorben, und
mein Jung wird den Punkt nicht verruͤcken.
Warum denn nicht?
Weil er nicht kann, und kein
Curlaͤnder es kann — Fuͤr ihr Vaterland
Korn und Waitzen ſaͤen, das iſt alles was
in ihrer Macht iſt. Darum Punktum!
Punktum! Punktum!
Der Himmel gebe du machteſt,
Punktum, und wir fingen was anders an.
Mit dir, wenns Ew. Gna-
den gefaͤlt. Aber Herr Paſtor wie kommts,
daß
[378] daß es mit gelehrten Leuten in gewiſſer Art
nicht beßer geht?
Leuten, ſehr freundlich ab. Ihr Compliment
fuͤr mich, zeigte daß ich Herr und nicht mehr
Monſieur in ihren Gedanken war —
Sie haben Recht. Ein Gelehr-
ter hat ſelten einen Sohn, der ſeinem Bilde
aͤhnlich iſt. Mit ihm faͤngts an, mit ihm
hoͤrts auf; allein dies gilt nur von Gelehrten
majorum gentium, von halb Engeln, ganz En-
gel gilts nicht unter Menſchen, die Fleiſch
und Bein haben, Copernikus, Newton,
Kepler, Leibnitz — —
Das waren Kerls! dem Co-
pernikus bin ich am gutſten, Gott weiß war-
um. Seinetwegen wuͤnſcht ich ein Preuße
zu ſeyn —
Es iſt wahr, Copernikus ſchloß
den Himmel auf. Es war ein Petrus, zu
dem Gottes Stimme erſcholl: ich will dir
des Himmelreichs Schluͤßel geben — New-
ton aber war chargé d’affaires des menſchli-
chen Geſchlechts, im Himmel und auf Erden,
und unter der Erden. Licht war ſein Blick,
und was er machte, das gerieth wohl. Kep-
ler, ein Haushalter uͤber Gottes Geheimniſſe,
Siegel-
[379] Siegelbewahrer der Natur, und Leibnitz, ein
Cammerherr unter ihnen. Ein Mann, der
allen allerley war, der erfinden konnte, ohne
Bleifeder und Schreibtafel in der Hand zu
haben, der, wie man vom Newton erzaͤhlt,
keinen Damen-Finger, ſo viel ich weiß, ver-
brandt hat — —
Kein Menſch weiß von dieſer
Leute Kinder, und doch iſt Nachruhm ent-
weder gar nichts, oder Erbgut. Wer keine
Kinder hat, thut thoͤricht, ſich von fremden
Leuten nachruͤhmen zu laßen: „Er hatte
Verſtand, er hatte Geld„
Geld wirft keinen Nachruhm ab.
Es traͤgt nur Zinſen, ſo lang man lebt. Ein
Reicher iſt, ſo lang er lebt, Souverain in die-
ſem Jammerthale. Er kann ſich alles kau-
fen, vielleicht gar ruhiges Gewißen und Ge-
ſundheit. Iſt er geitzig, und wo iſt ein Rei-
cher, der es nicht waͤre? wird er wenigſtens
ſeltener kranck, wie ein andrer — Kein
epiſcher Dichter hat ſolch eine Einbildungs-
kraft, wie er. Er genießt alles in der Einbil-
dung. Kein Wunder, daß er ſich nie den
Magen verdirbt. Er ſieht ſeinen Geldkaſten
an, und da ſieht er Wagen und Pferde, da
ſieht er ſeinen Tiſch mit allem Neuen vom
Jahr
[380] Jahr beſetzt — Leckerbißen und feine Weine!
Das ſieht man in keinem optiſchen Kaſten,
was der Geitzhals alles ſieht. Hier iſt der
Hals uͤbel gepaaret, der Geitzige muͤßte denn
am fremden Orte ſeyn, wo es ihm nichts
koſtet. Geld ſolte das Mittel ſeyn, um zu
genießen; allein der Reiche hat gemeinhin
Mittel, um ſich neue Mittel zu erwerben,
und am Ende Mittel uͤber Mittel; allein
keinen Zweck — Im Tod heißts: „Sohn
„du haſt dein Gutes empfangen in deinem
„Leben„ es thut nichts, ob in Proſa oder
im Gedicht, ob wircklich oder in Einbildung.
Das Geld bleibt zuruͤck, und wenn man
ja an den ſeelgen Herrn denckt, ſo heißts
der Geck! ſo ſchoͤnes Geld! und ein ſo
ſchlechter Keller! Mit dem Nachruhm des
Gelehrten iſt’s eine andre Sache. Ver-
ſtand traͤgt Zinſen bis an der Welt Ende.
Newton hat keine Kinder noͤthig. Jeden
Gelehrten hat er uͤber die Taufe gehalten,
iſt’s ein Jude, hat er ihn beſchnitten. Jeder
ſeiner Schuͤler iſt ſein Sohn — Ein Ge-
lehrter dieſer Art hat das Gluͤck, lauter wohl-
gerathene Kinder zu haben, es ſind Seelen-
erben, die er mit Geiſt und Wahrheit naͤhrt —
Er darf weder Gaſtwirth, noch Schwerdt-
feger,
[381] feger, noch Fechtmeiſter, noch Waͤſcherin
fuͤr ſie bezahlen.
Alles gut, lieber Paſtor, was
hat aber Newton und alle von ſeinem Gelich-
ter davon?
Ein doppeltes ewiges Leben —
in jener Welt eins, in dieſer Welt eins. Ein
Gelehrter, der ſich ſeiner Unſterblichkeit be-
wußt iſt,[] hat einen Beweis mehr in ſich, daß
er nicht aufhoͤren werde. Dieſe Unſterblich-
keit, und jene Unſterblichkeit, ſind verwand —
und rechnen Sie dies Bewuſtſeyn fuͤr nichts,
ehe ſolch ein doppelt Unſterblicher den Weg
geht, den alle gehen? Er lebt doppelt —
ſchmeckt ſterbend doppelte Kraͤfte der kuͤnfti-
gen Welt —
Paſtor, es iſt mir nicht an-
ders, als wenn ich losdruͤcken will, und der
Vogel fliegt davon — ich bin ſo nah an der
Ueberzeugung; allein weg iſt der Vogel —
Ich bitte, laßen Sie ihn nicht
fliegen —
Ich hab ihn im Fluge getroffen,
Vater!
Die Sache iſt geiſtiſch, und will
geiſtiſch gerichtet ſeyn —
Herr
[382]
Bey gelehrten Familien laß
ich den Nachruhm gelten.
Allein, in Wahrheit, er iſt nicht
andenckenswerth. Die Hiſtorie wird mit der
Zeit ein Familienſtuͤck werden, und es wird
heißen: dort linker Hand wohnt die Hiſtorie
in ſechs Haͤuſern — die gelehrte Familien
aber auf den Fuß, wie wir ſie bis jetzt kennen —
vielleicht viel Vorruhm; allein deſto weniger
Nachruhm. Die meiſten Menſchen halten
den Nachruhm fuͤr Nachhall; allein gefehlt!
ſehr gefehlt! Aufrichtig, ich kenn bis jetzo
keinen ſtiftsfaͤhigen Familiengelehrten. Der
Sohn lernt beym Vater das Handwerck aus,
und hat Vorzuͤge beym Meiſterwerden. Der
Sohn behaͤlt des Vaters Leiſten, und alles
iſt nach vaͤterlicher Weiſe — Man nennt
dies Wißen: Familiengelehrſamkeit.
Gelt! die iſt nicht viel uͤber
eine Elle beßer, als Familienwitz.
In die Laͤnge oder Breite.
Wie iſt das?
Gelehrſamkeit halt ich breit, Witz
lang —
Danck fuͤr gute Nachricht —
Witz erfindet, Urtheilskraft be-
handelt. Wer Witz hat, kauft den Acker.
Wer
[383] Wer Urtheilskraft beſitzet, theilt die Felder
ein, ſaͤet und umzaͤunet. Der Witzige ver-
gleicht, der philoſophiſche Richter verknuͤpft
oder trennt. Der Witzige macht allem, was
ſchoͤn iſt, die Aufwartung. Der Philoſoph iſt
fuͤr Verlobung und Beylager, und was er
zuſammengefuͤgt hat, ſoll der Witz nicht ſchei-
den. Der Menſch iſt ſtumpf, heißt: er hat
nicht Witz. Der Menſch iſt dumm, heißt:
er hat nicht Urtheil.
Setzt man nicht Kopf dazu,
Dummkopf, Stumpfkopf? —
Ja! allein ſehr unrichtig. Man
entweiht den Namen Kopf, denn er deutet
Scharfſinn an. Das iſt ein Kopf, heißt:
er iſt ſcharfſinnig. Es iſt kein Kopf, heißt:
er iſt es nicht.
Aber, Vater! wenn man von ei-
nem Kinde ſagt: es hat einen Kopf?
Ein Kopf ſeyn, und einen Kopf
haben, iſt zweyerley. Beym Kopf ſeyn, fin-
girt man ſich, der Mann ſey lauter Kopf,
a potiori fit denominatio. Einen Kopf hat
jeder —
Aber, Vater! in welchem Jahr ſtellt
ſich denn der Scharfſinn ein, und wenn kann
B bman
[384] man von einem, der einen Kopf hat, ſagen:
er ſey ein Kopf?
Nicht an der Mutter Bruſt; allein
oft fruͤh, oft ſpaͤter.
Alſo, Gottlob! kann auch Kind
und Juͤngling Kopf ſeyn? —
Allerdings! in Hofnung! man
ſteht was die junge Seele werden wird, ſo
wie im Fruͤhling die Erndte, des Morgens
den Tag! Die meiſten Knoſpen haben den Ge-
ſchmack der kuͤnftigen Frucht —
ſtießen die Koͤpfe im Guten an einander; der ge-
neigte Leſer wird mir dieſe Stoͤße gern erlaßen.
Es wuͤrde auch unartig geweſen ſeyn, wenn ei-
ner dem andern den Kopf abgeſprochen haͤtte.
Gedaͤchtnis, Schaͤrfe der Sin-
nen, ſind beym Witz und Urtheilskraft Ge-
ſellſchaftscavaliere, Sekretairs, Haushof-
meiſters u. ſ. w. Verſtand hat das Votum
deciſiuum.
Gott ehr mir den Witz, weil
er zu lachen macht; das Kluͤgſte was die
Menſchen koͤnnen.
Ueber Witz lacht man. Die Ur-
theilskraft aber macht ſeelenfroh. — Die
Seelenfreude iſt eine ganz beſondere Freude.
Man
[385] Man kann hiebey, auf ſeine eigene Hand,
wie ein Koͤnig, vergnuͤgt ſeyn. Dies iſt der
einzige Fall, da man ſich auch ganz allein
einen geiſtigen Rauſch antrinken kann. Der
Witz liebt Geſellſchaft. Bey der Urtheils-
kraft erfreut man ſich uͤber die zuruͤckgelegten
Schwierigkeiten, wenn wuͤrcklich die Sach
uns ſchwer geweſen. War ſie uns leicht, ſo
freut man ſich der Leichtigkeit wegen, und
macht ſich ſelbſt ein Compliment —
Beym Witz muß alles wie von
ohngefaͤhr kommen.
Alles ex tempore und pro tempore
aus dem Ermel. Es blitzt, ohne daß man
vorher Wolcken ſieht.
Wenn ich vier Koͤche und Jun-
gens ohne Zahl mit weißen Schuͤrzen her-
umlaufen ſeh, ehe die Fluͤgelthuͤren zur Tafel
geoͤfnet werden; ſag ich ſchon vor Tiſch: pro-
ſit. Mir ſchmeckt es nicht. Auf Hochzeiten
eß ich am wenigſten. Ich koͤnnt immer Me-
dicin einnehmen, eh ich zur Hochzeit fuͤhre.
Ich denck, Herr Paſtor! Witz und Vergnuͤ-
gen iſt wie Vater und Sohn, und Vergnuͤ-
gen, wenns gleich noch ſo viel koſtet, muß
ſo ausſehen, als wenn es Geſchenck waͤre.
B b 2Vater.
[386]
Jeder Einfall hat die Natur, daß
er uns in der Erwartung betruͤgt; im gemei-
nen Leben gehoͤrt ein Geſicht dazu, Einfaͤlle
zu ſagen. Es giebt Witz, der im Anfang
nicht auffaͤlt, allein in der Folge wird man
uͤberraſcht, und das iſt der regelmaͤßigſte, der
beſte. Er gefaͤllt im Nachgeſchmack; wir
wußten nicht wohin man uns fuͤhrte; allein
auf einmal ein ſchoͤner Platz. — Mancher
Witz kommt von vorn, mancher von hinten,
dieſer iſt engliſch, jener franzoͤſiſch. — Wie
die Seidenzeuge in England und Franckreich;
ſo auch engliſcher und franzoͤſiſcher Witz. —
Der Englaͤnder hat Baß-, der Franzoſe Diſ-
cantſaͤyten. Aus einem engliſchen Gedancken
macht der Franzos ein halbdutzend. —
Und der deutſche Witz?
Noch iſt nicht viel von ihm zu
ſagen. Er ſoll aber, wenn uns Gott leben
und geſund laͤßt, die Tenorſtimme haben,
halb franzoͤſiſch, halb engliſch. Witz muͤßte
des Deutſchen Erhohlungsſtunde werden;
Gruͤndlichkeit, Ordnung, ſein eigentliches
Kopfwerck. Zwiſchen Einfall und Einſicht
iſt ein ſo großer Unterſchied, als zwiſchen
nachthun und nachmachen, zwiſchen Form
und Materie, zwiſchen Urſache und Folgen.
Ein
[387] Ein Genie — ſtoͤßt mich fort, ein Philoſoph
leitet mich. Unſere Kinder werden ſehen und
hoͤren, was wir in Teutſchland noch nicht
ſahen, noch nicht hoͤrten —
Der liebe Gott verleih uns Aug und
Ohr an Leib und Seele.
Und beſcher uns auch was zu
hoͤren und zu ſehen, mit Leib und Seele.
Wuͤßt’ ich, daß meine Erwar-
tungen mich nicht truͤgen, ich wuͤrde wie
Simeon ſagen: Herr, nun laͤßeſt du deinen
Diener in Frieden fahren! —
Ich auch, obgleich ich eigent-
lich kein Diener Gottes, ſondern des lieben
Gottes Froͤhner bin — Wißen Sie, Paſtor,
was ich mir fuͤr Begriffe von Vernunft und
Verſtand mache? Vernunft iſt major, Ver-
ſtand iſt minor, bey der Concluſio gehn Ver-
ſtand und Vernunft paarweiſe.
Ich hab nichts dawider. Ver-
ſtand urtheilt, Vernunft ſchließt. Vernunft
iſt Urtheil a priori, Verſtand a poſteriori.
Auf die Art iſt Vernunft grob Geld,
Verſtand klein Geld. —
Was iſt das aber fuͤr ein Ding,
wodurch man heilige und unheilige Scriben-
ten auslegt? — kann mans Witz nennen?
B b 3Vater.
[388]
Witz, Herr v. —, allerdings
Witz; allein Witz, den man, im Schlafrock
ſitzend, ein Knie uͤbers andre gelegt, haben
muß. — Eine Federmuͤtze kann nichts dabey
verderben. Witz, bey dem man ſo langſam
geht, als wenn man einer Leiche folgt, und
in Wahrheit man folgt einer Leiche. —
Laßen Sie uns aufraͤumen,
Paſtor, Sie ſind ein Mann, der zum Men-
ſchen menſchlich redet. Viele der Herren
Philoſophen haben da erſt ſo einen Woͤrter-
kram, daß mir der Kopf druͤber bricht, und
was ſollt ich mir den Kopf uͤber Worte bre-
chen! Ueber Sachen mit Freuden. Man
muß erſt drey Jahr ſchweigen, eh man ein
Wort mitreden kann. Sie ſind immer bis
an die Zaͤhne verſchanzt. Sie ſind die Prie-
ſter, die lateiniſch zu Werck gehen. Wir ar-
men Laien wißen nur Amen und Gospodipo-
mila. Sollt denn nicht alles, was gelehrt
ausgedruckt wird, auch in der gemeinen
Sprache Raum haben? Es kommt nur,
duͤnckt mich, darauf an, daß die Herren
Philoſophen ſich den Kopf zerbrechen, anſtatt
daß ſie ihn uns brechen laßen. Was ich ſa-
gen wollte, betrift ein paar Worte: Naif
und Laune, meine Frau und mich. Sie
braucht
[389] braucht das Wort Naif, ich Laune; allein
was beydes eigentlich ſagen will, wißen wir,
hohl mich der — beyde nicht; ob wir es
gleich gewiß ſo wißen, wie man das meiſte
weiß. So viel aber glaub ich, daß man
nur von einer Frauen ſagen kann, ſie waͤre
naif; von unſer einen aber, wir haͤtten
Laune. — —
Um Sie beym Wort zu halten,
wenn man etwas philoſophiſches, etwas
richtiges in der gemeinen Sprache ſagt, iſt
man, duͤnckt mich, naif. In Einfalt rich-
tig dencken und thun, heißt, naif ſeyn.
Philoſophie ohne Kunſtwoͤrter, wuͤrd ich eine
naife Philoſophie nennen. Launig iſt man,
wenn man, ohne auf ſich acht zu haben, oder
wenigſtens dieſe Achtſamkeit merken zu laßen,
ſpricht und handelt. Man kann auch, durch
ſeinen Anzug, durch die Farbe im Kleid,
Laune verrathen. Man koͤnnte ſagen, man
waͤre launig, wenn ſich die Seele ohne Spie-
gel angezogen hat. —
Von der Laune auf die be-
ſte Welt. Wenn man dem Worte das
Menſchliche nimmt; koͤnnte man ſagen: Gott
habe die Welt bey Laune gemacht. — Was
will man aber eigentlich mit der beſten Welt?
B b 4Leib-
[390] Leibnitz hat keiner Dame den Finger ver-
brant, ſagten Sie, und ich ſage, er ſelbſt
hat ſich auch nicht die Finger verbrannt. —
Ich wuͤnſchte von Herzensgrund, die Welt
waͤre die beſte! Zu ſehen iſts nicht,
Mit dem ſterblichen Auge nicht,
wohl aber mit dem unſterblichen. Leibnitz
hat mit dieſem Gedanken kein Licht anzuͤnden
wollen; er hat nur ein ſchon brennendes ge-
ſchneutzt, oder hoͤchſtens ihm den Raͤuber
genommen. Es brannte dieſes Licht im Au-
ditorio, wo vom Urſprunge des Boͤſen diſ-
putirt wurde, und dies Zimmer wollte er
helle machen. Mit dieſem Schuß mußt er
das Ziel erreichen. Die Sache alſo war da,
er wandte ſie nur an. Das Kleid war fer-
tig, er ſetzte nur Knoͤpfe drauf, und zwar
Knoͤpfe mit Gold beſponnen. —
Aber konnte Gott nicht ma-
chen, was er wollte?
Warum ſollt er aber wollen, das
Schlechtere dem Beßern vorziehen? So will
kein lieber Gott. Es iſt gewiß, daß der
liebe Gott in ſeinem Verſtande ſich Riße von
allen moͤglichen Welten machen koͤnne: denn
ſonſt wuͤrd man ſeine Erkaͤnntniß verſchraͤn-
cken. —
Herr v. G.
[391]
Concedo.
Ergebenſter Diener.
Ich kann ja uͤber jedes einzel-
ne Ding poetiſch oder ſchoͤn dencken, ich
mein es, von der Spreu reinigen, es ſichten
wie den Weitzen, und das muß auch in der
Summe angehen. — Ich kann mir vorſtellen,
wenn der liebe Gott dem Blitz und Donner
keine Macht und Gewalt beygelegt, und
Blitz und Donner blos Gottes Feuerwerck
waͤre, daß ichs mit Wonne ſehen wuͤrde,
uͤber die nichts iſt. Ich liebe Blitz und
Knall. —
Ergebenſter Diener. Alſo kann
Welt uͤber Welt gedacht werden. —
Aber gelt! Ein Gedancke wie
aus der Piſtole. Koͤnnen nicht zwey gleich gut
ſeyn? So waͤre nicht die beſte, nur eine
gleich gute da. — Koͤnnen ſie nicht Alpari
ſeyn, wie die Kaufleute reden?
Das will ſagen, eine ſo vollkom-
men als die andere.
Vollkommen! der Hencker,
Herr Paſtor, nein! das will was anders ſa-
gen, wenn ich nicht irre. Ich bin nicht ſo
roh, als mir das Haar auf die Stirn ge-
wachſen, ich habs gehegt, was ſoll mir eine
B b 5hoͤhe-
[392] hoͤhere Stirn, als der liebe Gott wollte? Ich
denck aber, vollkommen iſt, wenn alles auf
eins herauslaͤuft, wenn viele Mannigfaltig-
keiten unter Eine Regel ſich wenden, dieſe
mag ſeyn welche ſie will, Peter oder Paul.
Es iſt mir ſo als ein monarchiſcher Staat:
daß ſich Gott erbarm! alles zu Einem. Ein
Dieb iſt mit der Herren Philoſophen Erlaub-
niß vollkommen, ein Betrug iſt mit der Her-
ren Philoſophen Bewilligung vollkommen.
Es hat mir nie, unter uns geſagt, von den
guten Herren gefallen, daß ſie ſo was voll-
kommen heißen, indeßen iſt dem nicht alſo,
Herr Paſtor?
Im reſpecktiven, nicht aber im
abſoluten Verſtande. In dieſem letzten Sinn
ſtimmen die Philoſophen mit Ihnen. Sie
nennen Etwas nur vollkommen, in ſo fern
das Mannigfaltige den Grund einer Realitaͤt
in ſich enthaͤlt. Je groͤßer dieſe, je groͤßer
die Vollkommenheit. Wie wollen Sie aber
Realitaͤt von Realitaͤt als Realitaͤt unter-
ſcheiden?
Wie ich alles unterſcheide,
durch zehn Dinge, die in jener nicht ſind,
und in dieſer ſind.
Vater.
[393]
Schon Ein Ding wuͤrde den Un-
terſchied machen.
Ganz recht.
In einer Realitaͤt ſetzen Sie
Etwas.
Eine Realitaͤt iſt eine Eins,
das Gegentheil eine Nulle.
Wenn Sie alſo zwey Welten von
einander unterſcheiden wollten, muͤßten Sie
in einer etwas annehmen, was in der an-
dern nicht waͤre. In dieſer waͤr eine Null,
eine Verneinung. In jener eine Eins. Rea-
litaͤten unterſcheidet man durch den Grad der-
ſelben, durch Groͤße und Schrancken. —
Koͤnnen denn nicht zwo Rari-
taͤten, oder Realitaͤten — ich wuͤnſchte ich
koͤnnte bey der Eins bleiben — allein es laͤßt
ſich nicht — koͤnnen nicht zwo Realitaͤten
von gleichem Grade in ihrer Beſchaffenheit
ſich von einander unterſcheiden?
Nein! denn eben hiedurch wuͤrd
in einer etwas ſeyn, was in der andern nicht
iſt; hier eine Eins, dort eine Nulle. Da
haben Sie den Mangel, den Zaun, die
Verneinung, und die Probe des Unterſchie-
des von Seiten des Grades —
Herr
[394]
Ich verſtehe ſo halb und halb,
um es ganz und gar, durch und durch, oder
das Netto provenu zu verſtehen, wuͤrd ich
ohne Kopfſchmerz nicht abkommen. In der
beſten Welt, der beſten Welt wegen Kopf-
weh, das wuͤrd ich der beſten Welt, und
die beſte Welt es mir uͤbel nehmen, ich
koͤnnte ſchon was druͤber reden: ſchreiben
aber nicht — das iſt in meiner Sprache,
zwar losſchießen, nicht aber gut treffen.
Nach meiner Art denck ich, und mich duͤnckt,
ich faße die Sache wie den Stock, das iſt,
beym Knopf. Gott iſt das guͤtigſte, das
weiſeſte Weſen, und kann alſo nicht werden
heißen, was dieſen Eigenſchaften nicht aͤhn-
lich iſt. Ueber die Moͤglichkeit und Unmoͤg-
lichkeit, denck ich, iſt keine Frage, denn die
Welt iſt da — ich ſehe Sonne, Mond und
Sterne, Fiſch im Meer, Voͤgel in der Luft,
und den Menſchen. —
Recht! gantz recht! Sie faßen
die Sache beym rechten Ende, und ich —
ich weiß ſelbſt nicht wo. Sie reden von der
Leber, und ich plaudre aus der Schule. Wi-
der Sie iſt kein Zweifel, wider mich aber
noch ein Berg. — Ein Philoſoph des Alter-
thums meinte, ehe die Leiber waren, exiſtir-
ten
[395] ten die Seelen. Gott lies die Seelen loſen,
und was kann er dafuͤr, wenn dieſes oder
jenes eine Niete zog. Indeßen das Ende
vom Liede. Wenn ich unter Irrthum
waͤhlen ſoll; will ich lieber eine guͤtige Noth-
wendigkeit, als eine Freiheit, die das Beſte
verwirft. —
Herr Paſtor, nur nicht auf
den monarchiſchen Staat angeſpielt! Da ha-
ben wir geſtern halt gemacht, und ich moͤchte
nicht gern meiner Liebe zur Freiheit durch
einen monarchiſchen Thron zu nahe kommen
laßen. Noch etwas Philoſophiſches, Herr
Paſtor! Wir wollen aber engliſch Dame zie-
hen, und hin und zuruͤckſchlagen — ich will
mich ſchon anſtrengen. — Auf Ehre, man-
ches Wort von Ihnen, lieber Paſtor, iſt mir
eine Nominaldefinition. — Heiſt es nicht ſo?
Gehorſamer Diener Herr v —
Aber, Paſtor! ſagen Sie, ſind
wir nicht ein paar Verneinungen, ein paar
Nullen, ein paar Narren geweſen, daß wir
uns und ſo manchen Realitaͤten ſieben Jah-
re, wenns nicht mehr iſt, den Ruͤcken ge-
kehrt? Ich glaub, wir haͤtten ſchon ein neu
Syſtem, einen neuen Calender in der gelehr-
ten Welt, waͤhrend dieſer Nullenzeit einge-
fuͤhrt.
[396] fuͤhrt. Ein immerwaͤhrender iſt unter euch,
Hochgelahrten Herren, nicht moͤglich. —
Laßen Sie uns einmal von uns ſelbſt eins
plaudern. Wir verdienen, daß wir uns
eins verſetzen; wir wollen aber das ganze
Geſchlecht zur Geſellſchaft mitnehmen. Ich
hab es, glaub ich, von Ihnen, wer gen Him-
mel fahren will, muß erſt Hoͤllenfahrt halten.
Wer Gott erkennen will, erkenne ſich erſt
ſelbſt. Noſce te ipſum. Das iſt die Lehre
von Buße und Glauben. —
Das Woͤrtchen ich iſt ein Ge-
maͤhlde der Seelen! es will mehr ſagen, als
Singularis. Es iſt der Singularis im Su-
perlativo. Ich iſt natuͤrlicher Werth, du,
er, wir, ihr, ſie, nur in ſo weit ich voraus-
ſteht. So lang es heißt ich iſts recht, ſagt
man aber ich ſelbſt; ſo iſt man kranck, und
recipe: den Menſchen von ſich ſelbſt abzu-
ziehen. Bey der Noth meines Nachbars
denck ich an meine Sicherheit, wenn man
den Nachbar wegen ſeines Eheproceßes be-
klagt, denckt man an ſeine Frau. Dem Rei-
chen immer den erſten Stuhl, man koͤnnte
ihn, denckt man, doch wohl noͤthig haben.
Die Gegend aus meinem Fenſter iſt die ſchoͤn-
ſte, das Landgut meines Freundes das ſchat-
ten-
[397] tenreichſte. Ein Gereißter lobt in ſeinem
Vaterlande die Fremde, in der Fremde ſein
Vaterland. Die Faulheit iſt oft der Sporn
des Fleißes: die kuͤnftige Gemaͤchlichkeit,
nicht das Edle der Arbeit, treibt. Kein Sohn
laͤßt den Vater begraben, ohne vorher die
Nachlaßbalance zu ziehen, und die Buͤcher zu
ſchließen, und wenn auch der Verſtand zu-
weilen Recht ſprechen will, das Selbſt ver-
tritt ihm den Weg Rechtens. Je mehr man
dieſes ich verſteckt, je mehr Welt hat man.
Die Selbſtſchaͤtzung beſteht nur darinn, daß
uns andere nicht gering ſchaͤtzen. So gar
wenn man in Geſellſchaften ſich ſelbſt tadelt,
iſts verdrießlich, man will lieber mit einem
Tubus nach Sternen ſehen, und aus einem
indifferenten Standpunckt die Welt betrach-
ten, als andere Leute ich ausſprechen hoͤren.
Man glaubt dieſes ich ſpotte uns nach, und
mache uns Maͤnnchen. Der Menſch iſt
zum Tauſch gebohren, er moͤchte ſeinen
Stand, ſeine Seele, ſeinen Leih, nur nicht
ſein ich vertauſchen. — Wenn man ein Buch
ſchreibt, kann man ich brauchen, ohne daß es
ſo uͤbel genommen wird, denn die groͤßten
Dinge ſind durch Selbſtbilligung entſtanden.
Dieſe wirft ein Licht auf alle Gegenſtaͤnde,
die
[398] die uns beſchaͤftigen. Wir haben einen hei-
tern guten Tag durch dieſes Licht. Es iſt
Schade, daß die deutſche Sprache drey Buchſta-
ben beym ich hat. Man kann aber, wie meine
Frau zu ſagen pflegt, bey allem erbauliche
Betrachtungen haben. Beym Schmerz lei-
det das ch, iſt man betruͤbt, leidet das i.
Herr Paſtor, ich hab noch
nie vom ich ſo viel ſprechen gehoͤrt, ohne
daß man ſich meint, als Sie. Ihr ich iſt
blos Bild aller Menſchen; das Selbſt iſt das
Ziel wornach wir alle ſchießen, mancher trift
ins Schwarze, mancher dicht bey, mancher
weit davon. Aber daruͤber eine Erklaͤrung:
warum gehoͤrt zur Beobachtung ſein Selbſt,
Anleitung? Warum Kunſt, ſein eigener Zu-
ſchauer zu ſeyn? obgleich man ſich vor der
Naſe hat.
Warum muß man die Alten leſen,
um zur Natur zu kommen? Warum brau-
chen wir Dollmetſcher, da die Natur doch
Deutſch verſteht?
Warum ſtudiert man Medicin?
Um curiren zu koͤnnen.
Und wenn wir nicht curiren wollen,
ſollten wir Medicin ſtudieren, um dem Arzte
zu ſagen, was uns fehlt —
Herr
[399]
Faſt daͤcht ich es waͤre noͤthig,
und darum ſo viel Graͤber, weil ſich beyde
nicht verſtehen. Der Docktor ſpricht aus
dem Buch, der Krancke ſpricht aus dem Le-
ben — jener Latein, dieſer Deutſch.
Die Aerzte muͤßen entweder Men-
ſchen, oder alle Menſchen muͤßen Aerzte
werden.
Viele Menſchen, denck ich, Vater,
beſehen ſich bloß, wie man ſagt, er hat die
Welt geſehen oder beſehen.
Sie ſind in einem Naturalienca-
binet, in einer Bibliothek ohne Kenntniße.
Sie laßen ſich alles zeigen; ſo bald ſie her-
aus ſind, weiß kein Menſch ein lebendig
Wort, hoͤchſtens todte, wie ein Reiſe-Jour-
nal geſchrieben. —
Ueberhaupt, denck ich, iſt das
Reiſen nicht die Art, Menſchen zu kennen. Zu
den meiſten Reiſenden koͤnnte man ſagen:
dindet ihm Haͤnde und Fuͤße, und werft ihn
in ſein Vaterland. Der Menſch verſteckt ſich
ſo wie das Wild — Kein Bild iſt ihm aͤhnli-
cher, als das in der heiligen Schrift „Adam
verſteckte ſich unter die Baͤume im Garten„
machte ſich gruͤne Vorhaͤnge. Er ward aus
einem Freunde Gottes ein Wilder. —
C cVater.
[400]
Ich glaube keinem Gereiſten, wenn
er von den Menſchen ſpricht. Unſere meiſten
Reiſebeſchreiber zeichnen das Zimmer, wo
ſie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter,
den Herrn Wirth oder ſeinen Wildfang vom
Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch
der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, ſchlie-
ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und
Land gang und gaͤbe ſind. Aus einem
Wirthshauſe geht der Weg in die Welt;
allein nicht in die Nation. Reiſende, ſelbſt
Entdecker neuer Voͤlcker, ſolten nur erzaͤhlen,
was ſie geſehen und gehoͤrt, was ihnen vor-
gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und
Nachklang; denn was thut man nicht, einem
guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb-
lingsgedancken zu gefallen. Dem Beſchrei-
ber ſind keine Glocken zu geſtatten; er muß
nie lauten laßen. —
So waͤrs wol am beſten, daß Je-
mand aus dem Volcke ſelbſt das Volk be-
ſchriebe.
Ja, wenn er gereiſet iſt, ohne
an eine Reiſebeſchreibung fremder Laͤnder
gedacht zu haben, wenn er kein Amt und
doch zu leben hat, wenn — und noch viele
Wenns —
Herr
[401]
Aber, lieber Paſtor, um wieder
an Ort und Stelle zu kommen. Sind denn
nicht alle Menſchen Menſchen, und hat man
nicht alle, wenn man ſich hat? —
Wahr, gewiſſe aͤußere Dinge,
Verzierungen, Schnitzwerck, Ein- und Aus-
gaͤnge ausgenommen.
Wer hat ſich aber?
Jeder, der je die Menſchen ge-
troffen, hat in ſeinen Buſen gegriffen.
Indeßen, denck ich, iſts gut,
zuweilen zu phantaſiren, im muſikaliſchen
Verſtande, und das liebe ich an den Nagel
zu haͤngen. Es verſteht ſich, an einen feſten,
der nicht reißt; bey ſich nicht Feuer zu ma-
chen, ſondern beym Nachbar eßen zu gehen.
Bete und arbeite, das heißt: lern dich und
andere kennen.
In einer ſehr freyen Ueberſetzung.
Alle Merckzeichen, wodurch man an den Tag
legt, man gaͤbe auf ſich ſelbſt acht, man ſey
auf dem Obſervatorio, geben unſern Hand-
lungen ein linckes, ſteifes, gebrechliches,
puckliches Anſehen. —
Und der vornehme Mann will
ohne dies, daß man auf ihn, und nicht auf
ſich ſelbſt, Acht geben ſoll. Da denck ich an
C c 2das
[402] das Irrlicht, von dem die gemeinen Leute
erzaͤhlen, es ließe ſich dabey eine Stimme
hoͤren: hier her, hier her! und wenn man
ſie befolgt, bums! liegt man im Sumpfe.
Wie kommts, lieber Paſtor? wer mit Frauen-
zimmern umgehen kann, verſteht es auch
mit Fuͤrſten und Gewaltigen, und mit den
Herren der Welt — alle Welt ſagt von ihm:
er hat Lebensart. —
Vornehme und Frauenzimmer
haben ſehr viel aͤhnliches; ſie wollen geſchmei-
chelt ſeyn, und wir thuns gerne, weil wir
ſie uͤberſehen. Maͤnner ſehen auf das, was
man von ihnen denckt; Weiber, was man von
ihnen ſagt. Wir huldigen dem Geſchlecht,
nicht der Dame; wir huldigen dem Amt,
nicht Sr. Durchl. Lebensart iſt Geſchick,
ſchwere Sachen leicht vorzutragen, durch
treffende Beyſpiele ſie erleichtern, ſie faßlich
machen, ein Buch, anſtatt es zu leſen, es zu
durchbildern. Die Franzoſen ſind diejenigen
unter Europens Nationen, welche Lebens-
art haben. Ihre Schriftſteller haben in der
Philoſophie nur die Bilder geſehen. Schoͤn-
heit und Farben ſetzen eine Subſtanz vor-
aus, worauf ſie angebracht werden ſollen.
Schoͤne Wißenſchaften ohne Philoſophie iſt
Farbe
[403] Farbe ohne Leinwand und [Pinſel]. Der Ver-
ſtand muß der Sinnlichkeit, und nicht dieſe
jenem untergeordnet ſeyn. Er iſt der Com-
paß, der die Weltgegend zeigt, das Schiff
commandirt, und ihm die Richtung giebt.
Weltkenntniß heißt Menſchenkenntniß, wie
das Haus nach dem Herrn, und nicht nach
Weib und Kind. —
Was meinen Sie, Paſtor! —
Man fuͤhrt die Weiber bey der Rechten, um
ſie obenan zu laßen. Unding! ich denck, Se.
Durchl. zur Rechten; allein ein Weib muͤßt
uns zur Lincken gehen, zum Beweis, daß ſie
Schutz bedarf, und daß wir ſie begleiten
oder beſchuͤtzen. Es iſt ein unnatuͤrliches
Compliment, ſie an der rechten Hand zu fuͤh-
ren. Bey der Trauung iſts, glaub ich,
nicht ſo!
Das Herz liegt ohne dies zur Lin-
cken.
Zum ich, lieber Paſtor, ge-
hoͤrt auch Lachen und Weinen, das eigent-
liche Lachen, das Lachen mit Leib und Seele,
iſt blos dem Menſchen eigen — ich halte
viel aufs Lachen, und finds fuͤrs beſte Di-
geſtiv.
C c 3Vater.
[404]
Jammer und Schade, daß wir
gleicher Meinung ſind, denn ſonſt wuͤrd es
doch noch was zu lachen geben. Ueber
Wahrheiten muß man mit froͤlichem Munde,
mit dem Munde der Wahrheit, ſtreiten. Alle
Menſchen, wenn ſie ſich mahlen laßen, ſehen
freundlich aus, zum Beweiſe, daß dies die
beſte Miene ſey. Einem von Leidenſchaften
gefeßelten Menſchen vorpredigen, heißt:
einen Galeerenſclaven Gluͤck greifen laßen.
Ich haße einen tapfern offenen Feind, ich
verachte was an ſich keinen Werth hat. Die
Art, Laſter verachtungswerth vorzuſtellen,
iſt die beſte. Wer es haßenswerth macht,
thut oft der Menſchheit Schaden, und zieht
Menſchenfeinde. Der Menſch iſt durch Hang
zum Scherz gebohren. Er hat viele, viele
Thorheiten; allein die groͤßte iſt, wenn er
ſie zu wichtigen Dingen macht.
Es ſtehet nicht geſchrieben,
daß Chriſtus gelacht habe; allein er nannte
den Herodes einen Fuchs, und das ſetzt ein
Laͤcheln zum voraus. Die Schrifft ſpricht:
der Herr lacht ihrer, ich glaube gar, Pa-
ſtor! es waͤre nicht uͤbel, auf der Kanzel
ſelbſtſo ein Fuchswoͤrtchen zu verlieren. —
Vater.
[405]
Dazu gehoͤrt mehr Geſchicklich-
keit, als ich pracktiſch glaube.
Freilich muß es nicht der
Herr Paſtor G — ſeyn — die verdammte
Traurede!
Meine Frau kann, ohne Lebensbalſam in der
Hand, daran nicht dencken. — Iſts alſo
nicht auf der Kanzel, ſo doch wenn man her-
unter kommt — die ganze Natur lacht. —
Nur nicht laut.
Das kann doch aber zuweilen
der Lehnsherr der Natur, um ſich hoͤren zu
laßen —
Ich glaub es ſelbſt — und gute
Menſchen finden, daß, wenn ſie froͤhlich ſind,
alles um ſie herum froh iſt. Der Menſch
lacht, wenn andere lachen, und oft noch
lauter, als der, ſo den Ton angab. Die
Traurigkeit des andern ruͤhrt; allein mit
Schluchzen und großen oder Platztraͤnen
koͤnnen wir nicht dienen. Die Mitfreude,
das Mitleid, beweißt, daß wir alle einen
Gott und Vater haben, und alles was Au-
gen hat, kann ſympathiſiren.
C c 4Herr
[406]
Jeden Menſchen aber, lieber
Paſtor! kleidet das Lachen nicht; ich glaub
es gehoͤrt dazu, wie zu allem, Uniform, was
ordentlich ſeyn ſoll. Einem kleinen dicken
Mann ſtehts herrlich — das ſolten ſich die
Luſtſpieler mercken, und keinen langen groß
gewachſenen Menſchen Poſſen reißen laſſen.
Man freut ſich, daß der kleine
dicke Mann eben wegen ſeines luſtigen We-
ſens ſo dick und fett geworden. Ein groß
gewachſener Mann iſt ſchon zum Beſchat-
ten, zum Anlehnen gebohren; es iſt eine
Stange, an die ſich der Feigenbaum und die
Bohne ſchmiegt und rauckelt.
Vernuͤnftig lachen iſt ſchwer.
Mich duͤnkt vernuͤnftig weinen noch
ſchwerer. Vielleicht kann es jeder Menſch,
wenn er gleich ſeine ſiebenzig erreicht, nur
zweymal in ſeinem ganzen Leben: wenigſtens
hat der fuͤrs menſchliche Geſchlecht ein groͤßer
Verdienſt, der es zu lachen macht, als der
Thraͤnen preßt; indeſſen iſt viel beym Lachen
zu erinnern. Es entſteht aus einem Wider-
ſpruch. Man lacht, wenn Jemand faͤllt,
und ſich nicht Schaden thut, beſonders la-
chen dann gemeine Leute, die nicht feinere
Widerſpruͤche begreifen koͤnnen. Man lacht
uͤber
[407] uͤber Kleidung, wenn Eitelkeit und nicht
Armſeeligkeit zu ſehen iſt. Wenn Jemand,
der aufziehen will, wieder aufgezogen wird,
und den Kuͤrzern zieht, ſo, daß ihm zum Nach-
theil der Vorhang faͤllt, klatſchet alles in die
Haͤnde. Iſts aber nicht Eitelkeit und arm-
ſeeliger Stolz, uͤber Ungereimtheiten ſich er-
goͤtzen? Solte man wol daruͤber lachen, weil
man kluͤger als ein andrer iſt? Hier giebts ſo
viel Feinheiten, daß ich gewiß glaube, das
Lachen ſey die Probe vom Menſchen — wie
und wenn er lacht? zeigt, was er iſt, ob-
ſchon das Geſicht das Protocoll vom Charak-
ter, und die andern Theile das Protocoll
vom Temperament ſind. — Scheint es Ih-
nen nicht auch, der menſchlichſte Menſch, der
beſte Lacher, begeht einen Widerſpruch, wenn
er uͤber einen Widerſpruch ſich freut, das iſt,
wenn er lacht. — Jemanden mit weinenden
Augen lachen ſehen, iſt ein ſchoͤner Anblick —
Ein Regenbogen iſts — Schriftſteller, die
Thraͤnen mit dem Lachen kaͤmpfen laſſen, ſo,
daß keines die Oberherrſchaft erhaͤlt, treffen
das Leben eines Weiſen.
Citronenſaft mit Zucker. Ich
fuͤr mein Theil liebe nichts ſauerſuͤßes. Es
lebe das froͤhliche Herz. Iſt das Lachen gleich
C c 5Wi-
[408] Widerſpruch, auch da iſt das Leben getroffen,
wenn gleich nicht das weiſe Leben. Was iſt
in der Welt ohne Widerſpruch? Sind doch
bey uns im Sommer oft kalte Tage, regnet
es doch, wenn wir erndten wollen, und doch
iſt dieſe Welt die beſte! Wer mir ſelbſt die hei-
ligſten Sachen mit finſtrer Stirne ſagt, wird
mein Herz nicht aufſchließen, und hats nie
aufgeſchloſſen. Daher denck ich, mit Ew.
Hochwohlehrwuͤrden Erlaubniß, richten die
Herren Geiſtlichen ſo wenig aus. Der Pa-
ter von Sanct Clara hat mehr Gutes ge-
ſtiftet, als zehn Kopfhaͤnger. —
Er laͤchelte noch ſeinem Todesengel
entgegen, der ihn zum Demokrit abholte. —
Eine gluͤckliche, gluͤckliche
Reiſe! —
Betruͤbniß kommt gemein hin aus
dem hohen Begrif, den ſich der Menſch vom
Leben macht. Beym Schmerz leidet der Leib,
bey der Betruͤbniß die Seele, und wenn die
Herrſchaft trauret, trauret der Bediente mit,
nicht aber umgekehrt.
Ich denck die Traurigkeit oder
Betruͤbniß, oder was weiß ich, wie es recht
heißt, kommt aus der gar zu großen Ord-
nung, die man ſich vorſchreibt.
Vater.
[409]
Beyde recht! warum ſagt man
aber ſein Geheimniß lieber einem unordentli-
chen guten Jungen, als einem abgemeſſenern
nach Maaß und Gewicht, oder nach Grund-
ſaͤtzen gut Handlenden?
Weil jedes Geheimniß etwas
unordentliches, etwas unregelmaͤßiges an
ſich hat. Ich hab immer gedacht, Geheimniß
und Wunder ſind mit einander verwandt.
Warum waͤhlt man den unor-
dentlichen guten Jungen lieber zum Freunde?
Weil er ein Freund fuͤrs Ge-
heimniß iſt —
Und warum eine Mutter juſt den
wildeſten, aufgeweckteſten unter ihren Buben
zum Liebling, der Vater den geſetzteſten?
Die Weiber brauchen Leute,
die ſich balgen; die Maͤnner Leute, die ver-
nuͤnftig eine Pfeife rauchen. —
Ich wolte fragen und antworten;
allein meine Fragen haben ihren Mann ge-
funden.
Nun geb ich Karten? was
dencken Sie von dem monarchiſchen Staat? —
(daß dich! Wie komm ich auf den monar-
chiſchen Staat) ich wollte ſagen vom Des-
potismus der Empfindung? —
Vater.
[410]
Wir empfinden nichts, was nicht
ſinnlich iſt — wer es ſich gemaͤchlich, als
Philoſoph machen will, nennt dunckle Vor-
ſtellungen, Empfindungen, und anſtatt ſie
zu entwickeln, thut er ſeine Augen nicht auf,
ſondern ſchlaͤgt an ſeine Bruſt, und ſpricht:
ich empfinde!
Gott ſey dem Suͤnder gnaͤdig —
Und barmherzig
Amen!
Solch ein Empfinder kann
doch nicht mit Recht behaupten, ich ſoll ihm
nachempfinden —
Durch die Evidenz und oͤftere
Wiederhohlung der Vernunftideen werden
dieſe uns gelaͤufiger, ſo, daß ſie uns von ſelbſt
anwandeln. Wir kennen ſie im Dunkeln.
Dieſe Kette dunckler, hurtigfolgender Ideen,
nennen wir Empfindungen.
Das laß ich gelten — und
Ordnung, lieber Paſtor?
Ordnung iſt nur Mittel, an ſich
hat ſie keinen Werth. Es iſt das Schweis-
tuch, worinn man das vergraͤbt, was man
erhalten hat. Es iſt ein Buͤcherſchranck mit
Glasthuͤren. Weiber muͤßen ordentlich ſeyn.
Reinlichkeit und Ordnung, oder die Entfer-
nung
[411] nung des fremdartigen, ſind ihre Faͤcher.
Die Weiberordnung muß ausſehen, wie ge-
ſucht, die Maͤnnerordnung, wie in der Lotte-
rie gewonnen, von ſelbſt zugefallen. Ord-
nung iſt uͤbrigens blos das Formale; daher
kann man den groͤßten Theil der Wißenſchaf-
ten, ich haͤtte bald geſagt, die ganze Philo-
ſophie, das Formale nennen.
Wie kommts aber, daß die
Menſchen die Formen hoͤher ſchaͤtzen, als die
Materialien?
Die Form giebt die Kunſt, das
Geſchick; die Materialien die Natur. Je-
des Kind ſchaͤtzt den Vater hoͤher, als die
Mutter, und den, der regiert, hoͤher, als
den, der ernaͤhret. Den Verſtand haͤlt man
hoͤher, als die Sinnlichkeit, ohne die doch
der Verſtand unthaͤtig waͤre.
Aber das Genie? wer ſchaͤtzt
es nicht hoͤher als den Fleiß?
Fleiß und Kunſt iſt zweyerley.
Zur Kunſt gehoͤrt Fleiß
Und Genie. Ein Verſtand, der
ſeine Erkenntniße ſinnlich zu machen weiß, iſt
fuͤr mich vorzuͤglicher Verſtand; wenn er
Sinnlichkeit den Verſtandsbegriffen ertheilt,
macht
[412] macht er ſie anſchauend, und ein ſolcher Ver-
ſtand heißt ein geſunder Verſtand.
Und ſieht aus, wie alles, was
friſch und geſund iſt. Nicht wahr, er kennt
keine Terminologie!
Er kocht freilich nicht aus der phi-
loſophiſchen Speiſekammer, ſondern nimmts
aus der Welt. Er giebt nichts Geraͤucher-
tes, Fruͤchte, Gekuͤche traͤgt er auf. —
Sinnen ſind die Bauren. Sie
ſtehen zwar unter der Obrigkeit, indeßen —
wenn ſie nicht waͤren? Ich aͤrgere mich wenn
man die Sinnen, wie das liebe Vieh nimmt
und herabſetzt — bald haͤtt ich mich verre-
det und geſagt: ſie ſind ja auch Menſchen —
Sie verſtehen mich ſchon, Paſtor.
Vollſtaͤndig!
Warum ſind wir unerkenntlich
gegen die Sinne?
Ich habe ſchon einen Grund an-
gegeben; hiezu kommt, weil wir alles haſſen,
was uns unſre Freiheit raubt, und ſie ein-
ſchraͤnkt. Gelt! das iſt ein Grund fuͤr ei-
nen Monarchenfeind. Beynahe eben darum
wuͤrd’ ich allen Herren Moraliſten, wes
Standes, Alters, und Ehren ſie ſeyn moͤ-
gen, anraͤthig ſeyn, die Tugend nicht in ih-
rer
[413] rer erhabenen Hoheit, im hohen Lichte zu
zeigen, ſondern liebenswuͤrdig. Nicht als
einen Koͤnig im Diadem, ſondern als ein
huͤbſches Maͤdchen; denn ſelbſt wofuͤr wir
Reſpeckt zu haben verbunden, wird uns
beſchwerlich. Lieber bey Freunden, als
Goͤnnern.
Ich wenigſtens kann auch das
Laſter nicht martern ſehen, aber wie wir
erſt abvotirten — in der Narrenkappe.
Das iſt der wahre Standpunkt;
denn der Menſch kann nichts weniger aus-
ſtehen als Spott. So denckt jeder, der gut
erzogen iſt, oder eigentlich, der ſich ſelbſt er-
zogen hat. Wir ſind beynah wieder, wo wir
ausgingen; froͤhlich zogen wir unſre Stra-
ßen, froͤhlich ſind wir wieder zuruͤck.
Wo ich Vivat das Lachen
Hoch! rief. Es lebe! — Hoch! hoch!
aber ſagen Sie mir die Luſtigkeit —
Die Luſtigkeit iſt die Fertigkeit
im laut lachen. Das Ueberlautlachen —
Ein Vivat hoͤher, als hoch, das
hoͤchſte. —
Sie iſt mehr als Zufriedenheit;
allein wer mehr Mittel, als noͤthig ſind, zur
Gluͤckſeeligkeit anwendet, iſt der gluͤcklicher?
Ueber
[414] Ueber ſeine Beduͤrfniße etwas haben, macht
das reich? In der Sparſamkeit liegt ſo viel
Stoff zur Gluͤckſeeligkeit, daß es unaus-
ſprechlich iſt. Ein Verſchwender verzaͤhlt
ſich alle Augenblick in ſeinem Vergnuͤgen; er
wird in ſeiner Luſt betrogen. Die Sparſam-
keit hat Vor und Nachgeſchmack und Genuß —
der Verſchwender hoͤchſtens Genuß, hoͤchſtens
Wolluſt fuͤr einen gegenwaͤrtigen Augenblick.
Die Luſtigkeit iſt was convulſiviſches, was
erſchoͤpfendes. Ein Luſtigmacher iſt ein
Menſch, der zu tauſend Gerichten ohne Hun-
ger, und bey verdorbenem Magen verdammt
iſt. Da will ich lieber bey Waſſer und Brodt
ſitzen.
Ich denck aber, Paſtor! wir
leiden darum einen Luſtigmacher nicht, weil
wir ihn beneiden; wenn er ſich zum Narrn
macht, ſtehen wir ihn aus, denn wir ver-
langen nicht, uns mit ihm zu vertauſchen. —
Ich glaube, weil wir ihn veraͤchtlich
finden, weil er unſer Bild veraͤchtlich macht,
weil wir uns den Grad ſeiner Verzagtheit
vorſtellen, wenn es ihm uͤbel gienge, weil
ſeine Luſtigkeit keinen Wiederhall abgiebt.
Schmerz und Freude ſind geſellig; allein
wenn ſie das Mittelmaas uͤberſchreiten, wer-
den
[415] den ſie uns unnatuͤrlich. Wir wollen uns
nicht betrincken, ſondern nur trincken —
Aber, Paſtor, wie kommts,
daß die liebe Jugend ſo ſehr auf Tragoͤdien
haͤlt, das Alter auf Comoͤdien?
Die Alten laßen der Jugend nicht
die Maſchinen ſehen, durch welche die Oper
der Welt geſpielt wird. Um ſich ſelbſt bey
ihr im Anſehen zu erhalten, muͤßen ſie vieles
bey Ehren laßen. Ein jedes Maͤdchen iſt dem
jungen Menſchen eine verwuͤnſchte Prinzeßin,
und er glaubt ſie vom feuerſpeyenden Drachen
zu erloͤſen, ſie zu entzaubern, wenn er ſie
heyrathet. Er ſieht Vorfaͤlle in der Welt;
allein er ſieht ſie nicht in Verbindung.
Wie ich jung war, dacht ich,
wie ſchwer muß es fallen, Herzog zu ſeyn;
allein jetzt, man mache mich heute zum Kay-
ſer und ich wette, ich will Kayſer ſeyn, wie
irgend einer. Sie haben recht, Paſtor! Die
Jugend fliegt, macht ſich tauſend Chimaͤren.
Sie kennt die Menſchen zu wenig, drum ſetzt
ſie alles in Feu’r und Flammen.
Wer blos zuſieht, findet Gaucke-
leyen unertraͤglich. Wer mit agirt, dem iſt
der Hanswurſt ein allergnaͤdigſt privilegir-
ter Witzling, eine bedeutende Staatsperſon,
D dund
[416] und wo iſt ein großes Hauß, wo ein Hof
ohn ihn? — Man ſchaft hie und da Tittel
vom Hofnarren ab; allein die Hofwuͤrde bleibt,
und ich verdenck es keinem großen und kleinen
Herrn, der gut verdauen will, daß er ſich
ein Lachen bereiten laͤßt. Lachen iſt das be-
ſte Deſert. Am Ende kommt heraus, daß
die Thraͤnen ein Beweis von unſrer einge-
ſchraͤnckten Weltkenntnis ſind. Wo die Ju-
gend Schickſaal ſieht, ſchimmert dem Alter
eigene Schuld hervor —
Aber machen wir dieſen Juͤng-
ling
nicht zu klug? Geben wir
ihm nicht die Waffen wider uns in die Hand?
Ich befuͤrchte nichts. Talent
und Verdienſt des Verſtandes iſt ſo unter-
ſchieden, wie wißen und thun. In ſo weit
der Verſtand den algemeinen und verhaͤltniß-
maͤßigen Werth der Dinge ſchaͤtzt, und hier-
nach wandelt, heißts: Verſtand kommt nicht
vor Jahren. So was muß Erfahrung lehren
Oder beſtaͤtigen, Vater! Ich habe
keinen Beruf zur Altklugheit. Ich denck, das
heißt Klugheit ohne Erfahrung. Wie es
mir vorkommt, muß man alt, wie ein Mann
ſeyn, um einen Mann beurtheilen zu koͤn-
nen
[417] nen — ich wolt auch nicht meine Jugend
verkluͤgeln, um wie viel —
Sie kommt freylich nicht wie-
der —
Der Fruͤhling iſt das beſte Stuͤck
im Jahr.
Und was iſts am Ende! Es
iſt ein elend, jaͤmmerlich, kraͤncklich Ding
mit aller Menſchen Leben, von Mutterleibe
an, bis ſie in die Erde begraben werden.
Das Alter und die Jugend ſind kranck. Das
Alter iſt hecktiſch, die Jugend hat das hitzige
Fieber — Die Lunge hat keine Nerven —
Beſonders aber iſts, daß Leute,
die vorzuͤglich im Trauerſpiel weinen koͤnnen,
es ſelten bey Vorfaͤllen des gemeinen Lebens
thun. Sie haben ſich verwoͤhnt. Sie ſehen
im gemeinen Leben keinen Koͤnig, keinen
Kayſer leiden, und wer leidet ſo ſchoͤn, als
im Trauerſpiel, wer ſo großmuͤthig! In
der Tragoͤdie ſieht man eine Sonne unter
Wolken. Drey Ungewitter begruͤßen ſich um
ſie herum, und machen Allianz und ver-
ſchwoͤren ſich — Die Sonne aber, ihrer
Groͤße bewußt, ruht, und dann und wann
blickt ſie auf, um die verwayſete, um ihre Koͤ-
nigin bekuͤmmerte Erde zu troͤſten — Da
D d 2iſt
[418] iſt ja ſchon ein Trauerſpiels Anfang — Wer
in der Comoͤdie lacht, lacht auch im gemei-
nen Leben; denn wahrlich, wenn ſie gut iſt,
trift ſie die Welt bis auf Coloritskleinigkeiten.
Wenn man ſich ſehen laſſen will, zieht man
ein Fey’rkleid an. Wer will aber das Kleid,
und nicht den Mann?
Und endlich, Paſtor, da wir
einmal im Schauſpielhaus ſind, hab ich ge-
funden, daß eine Tragoͤdie im Leſen, eine Co-
moͤdie in der Vorſtellung gewinne.
Weil man zwar vor ſich tragiſch
und betruͤbt, nicht aber anders comiſch ver-
gnuͤgt ſeyn kann, als in Geſellſchaft. Ei-
gentlich ſolt’ ein Luſtſpiel ein Spiel ſeyn,
wo das Ende nach meinen Wuͤnſchen aus-
faͤlt, und ſo wuͤrd auch manches Trauerſpiel
ein Luſtſpiel werden.
Liebſter Paſtor, Danck fuͤr
Ihren Unterricht. Nun was aus dem Ro-
quelauraͤrmel.
Mannigfaltigkeit iſt Reichthum —
Ich glaub der liebe Gott hat
manches, blos der Mannigfaltigkeit wegen,
gemacht.
Schwerlich, obgleich wir bey
vielem keine andere Summe ziehen. Ich
liebe
[419] liebe die Abwechſelung, die Mannigfaltigkeit
durch verſchiedene Zeiten. Wer im Bett im-
mer auf einer Stelle liegt, ſchwitzt ohne Be-
zoar-Pulver.
Wenn man immer auf einer-
ley bleibt, wird man ſtehend Waſſer —
Das glaub ich ſind, mit Ehren zu melden, alle
Einſiedler und Weltflieher geweſen, und ſind
es noch.
In der Welt, außerhalb der Welt
ſeyn, das iſt Weisheit. Ein Diogenesfaß
in der Vorſtadt und nicht in der Wuͤſte, ver-
dient den Namen Auditorium. Ein ſtaͤndi-
ger Hunger nach Neuem iſt eine Zeitungs-
kranckheit, ein verdorbener verzaͤrtelter Ap-
petit. Eine Kriegsliſt gilt nur einmal, eine
Medaille bezeichnet einen Tag. Kann man
aber nicht denſelben Gegenſtand von einer an-
dern, und wieder von einer andern Seite,
und von tauſend andern Seiten ſehen, ihn
durch und durch ganz und gar ſehen, und
zeigt dies nicht mehr Scharfſinn, als immer
einen neuen haſchen. Ein Gedancke, der an
ſich leicht und natuͤrlich iſt, den man endlich
ſo oft ſagt, daß ihn der gemeine Mann gefaßt
hat, verliert von ſeinem Anſehn — Feine
Irrthuͤmer ſind ein Reitz fuͤr die Eigenliebe,
D d 3man
[420] man will nicht offenbare Wahrheiten, weil
ſie auf allen Straßen feil ſind, man will Er-
kenntniße; ſind ſie gleich ungeſund, wenn ſie
nur was koſten, und nicht gar zu gut Kauf
ſind — Darum von einem aufs andere.
Darum die Liebe zum Sel-
tenen.
Mit der Seltenheit iſts, wie mit
dem Magnet, was mit ihm beſtrichen wird,
zieht auch an. Ein Menſch, der viel Selten-
heiten geſehen hat, wird auch fuͤr ſelten ge-
halten.
Man ſieht ihn indeſſen blos
wie Meerwunder an, man will nichts weiter
als ihn ſehen —
Man glaubt, er ſey nur fuͤr
Seltenheiten, und traut ihm nicht — Noch
mehr! Je mehr Bekandte man hat, je we-
niger Freunde findet man. Leute, die ſich
oͤffentlich zeigen, haben ſelten Buſenfreunde.
Wer das Publicum zum Freunde hat, hat
weniger oder keinen Privatfreund —
Man glaubt, daß die Her-
zensfluͤgelthuͤren eines ſolchen Menſchen ſchon
zu oft auf- und zugemacht ſind, als daß ſie
noch zuſammenhalten koͤnnten.
Paſtor.
[421]
Bey Feyerlichkeiten gehen die
Menſchen paarweiſe. Ich denck Ein Weib
und Ein Freund — das uͤbrige dienet nur
zur Folie.
Ich glaub Paſtor, das weib-
liche Auge, das einen jungen Menſchen zum
erſtenmal electriſirt, iſt ſein Ideal der Schoͤn-
heit, ſeine Venus, denn jeder hat ſeine —
Die Liebe kommt auf einmal, ſie wohnt par-
terre. Die Freundſchaft ſteigt Treppen, und
es gehoͤren Jahre dazu, eh’ ein Freund ein
Freund wird. Ein Zorniger, und ein ra-
ſend Verliebter ſind ſtumm, keiner kan er-
zaͤhlen, was ihm fehlt. Sehen Sie, Pa-
ſtor! ob ich nicht auch was weiß, uͤber Freund-
ſchaft und Liebe koͤnnt’ ich ſchon zur Noth
mitreden. Nun ſind wir fuͤr mich an Ort
und Stelle. Ich bin Ehemann und Freund,
beydes wie es ſich eignet und gebuͤhret.
Die Liebe iſt Natur, die Freund-
ſchaft Kunſt. Naſe und Augen ſind Natur,
Stirn und Mund, und Hand und Fuß, ſind
zu Kunſt worden. Gott hat den Menſchen
aufrichtig gemacht; allein er ſucht viele Kuͤnſte.
Wir ſehen einem Menſchen, den wir wollen,
ins Geſicht, vorzuͤglich in die Augen. Seine
Affeckten liegen auch im Naturtheil, und rings
D d 4herum.
[422] herum. Wer ſich ſehr verſtellen kann, treibt
ſie nach unten, und immer zugleich in Hand
und Fuß. Fuß und Hand ſind wie Mann
und Weib ein Leib; Fuß der Mann, Hand
das Weib. Das Geſicht iſt das Bild und
die Ueberſchrift der Seele. Um den Mund
herum liegt die Mienenſprache, zu fordern und
abzuſchlagen, um die Augen herum, zu beja-
hen und zu verneinen. Dies iſt die vereh-
rungswuͤrdigſte Sprache, die alle Welt ver-
ſteht, die auch ein guter Theil Thiere faßt.
Mein Gott! Warum lernt man ſie nicht
mehr? —
Sie wuͤrd uns das Herz ab-
ſtoßen. Das A, B, C, was wir haben,
iſt ſchon ſo herzbrechend —
Es wuͤrd’ aber viele Kunſt dazu
gehoͤren, um dieſe Natur auszuſpaͤhen. Ihre
Probe waͤre, daß ſie von aller Welt gleich
verſtanden wuͤrde.
So hat ſie ja eine gleiche
Probe mit dem Guten, nicht wahr? Da muß
auch das Urtheil allgemein ſeyn? beym Schoͤ-
nen nicht. Was die Sonne am Himmel,
das iſt das Auge dem Menſchen, indeſſen hab
ich gefunden, daß die Groͤße nicht immer
gleich
[423] gleich iſt, ich ſelbſt hab’s bald groß bald
klein — oft Augenfinſternis —
Wenn die Augenlieder weiter
aufgethan ſind, als gewoͤhnlich, iſt der Menſch
heiter — froh. Wenn er einen großen Ge-
dancken faſt, ſind die Augen nur halb offen,
zum Zeichen, daß dieſer Gedancke von innen
komme, und daß man ihn da gern ſehen
moͤchte, wenns moͤglich waͤre.
Aber wieder was von der Liebe,
Paſtor, mir zur Ehre, denn da hab ich Sitz
und Stimme. Was iſt huͤbſch?
Was ohne Reitz gefaͤllt. Viele
Maͤdchen haben Reitze, die nicht huͤbſch
ſind — bey einem huͤbſchen Maͤdchen erſetzt
die Natur, die Geſchlechterneigung, das Feh-
lende. Reitz gehoͤrt zur Liebe. Ruͤhrung
zur Furcht, zur Achtung.
Ich glaub, das andre Ge-
ſchlecht iſt nie ſo haͤßlich, als das Unſrige:
wer die Haͤßlichkeit nicht verzeichnen will, muß
eine Mannsperſon waͤhlen, und doch flieht
alles ein altes Weib. Einem alten Mann
giebt man eher die Hand, wie kommt das?
Man vergleicht ein Weib mit
Weibern, kein Wunder, wenn es verliert.
Man laße aber einen alten Kerl Weibsklei-
D d 5der
[424] der anziehen, wir blieben laͤnger bey Othem.
Es geht uns laͤnger nach der Maͤnnerweiſe,
als ihnen nach der Weiberweiſe. Der Mann
iſt in einem Stuͤck ganz gemacht, das Weib
iſt zuſammengeſetzt — Es iſt mit Deckel
und Schraube.
Kein Wunder alſo, daß es
ein ſtarckes und ſchwaches Werckzeug iſt —
Sie haben Recht, in der Ehe iſt
der Mann gegen das Weib ſtarck und ſchwach,
wie mans nimmt. Daß er phyſiſch ſtarck ge-
gen ſie iſt, zeigt der Augenſchein; allein
wer giebt nach?
Ein gemeiner Mann ſchickt
ſeine Frau, ſo oft es zu reden giebt —
Weil die Weiber eine natuͤrliche,
zum Herzen gehende Beredſamkeit beſitzen,
und an wen ſchickt er ſein Weib ab? an
Maͤnner. Gewiß kommt aber der Mann
ſelbſt, wenn z. E. die gnaͤdige Frau eine
Wittwe iſt, und den Guͤtern vorſtehet. Eine
geſunde gute Saat iſt nicht hinreichend, es
muß auch ein gutes Land ſeyn, wohin ſie
geſtreuet wird.
Das laͤßt ſich hoͤren. Die Ge-
ſchlechterneigung kommt alſo mit in die Er-
klaͤrung, und in tauſend Faͤllen iſt ſie die Fe-
der,
[425] der, die das Werk regiert. Warum aber,
Paſtor, ſind die Weiber ſtolzer, wie die Maͤn-
ner? Meine iſt es auf eine uͤbertriebene Weiſe,
aber im Grunde ſind ſie es alle.
Weil ihr Rang ſehr zweydeutig
iſt. Der Fuͤrſt iſt gegen einen Grafen ſtolzer,
als gegen einen Edelmann. Iſt des Man-
nes Rang dazu auch zweydeutig, iſt er z. E.
ein neuer Edelmann, ſo iſt ihr Stolz graͤn-
zenlos.
Warum putzen ſich die Wei-
ber, wenn ſie gleich ſchon an ſich gefallen?
Nicht unſretwegen. Gegen Maͤn-
ner brauchen ſie ihre natuͤrliche Waffen; an-
dere ihres Geſchlechts zu verdunkeln, andere
zu uͤberglaͤnzen, darum der Putz —
Paſtor! das nenn ich fragen
und antworten wie gedruckt! wie abgeredt!
und eben ſo als ein Buch, das frag- und
antwortsweiſe abgefaßt iſt. Was ich uͤber
die Liebe geleſen und gedacht habe, iſt viel,
was ich gethan habe, iſt wenig. Man
denckt und lieſt von dieſer Art das meiſte in
blancko, (ich bin ein halber Kaufmann, das
hoͤren Sie wol, ich handle und wandle wie
wir curſche Cavaliere alle handeln und wan-
deln —) In blancko, wahrlich in blancko,
denn
[426] denn wie es zum Ausfuͤllen kam, fand ſichs,
daß meine gnaͤdige Hausehre eben nicht er-
dacht und erleſen war! Sie koͤnnte beſſer
ſeyn — Paſtor! dafuͤr ſteh ich, del credere;
(da iſt wieder der libauer Kaufmann) daß
man ohne Theorie heirathen muͤße. Nur um
des Himmels willen kein dummes Weib,
denn wie die Mutter, ſo die Soͤhne, wie
der Vater, ſo die Toͤchter —
Nicht allemal —
Mutatis mutandis. Etwas iſt
immer da —
Ehe haben die Großeltern auf den
Geiſt der Großkinder Einfluß, auch der Leib
iſt mehr der Großeltern Abdruck. Hieruͤber
hab’ ich Bemerckungen von beſonderer Art ge-
macht. Oft iſt der Koͤrper auf ein Haar die
Mutter, die Seele aber der Vater, und um-
gekehrt —
Mein Sohn — zu mir, den
ich Ihnen empfehle, er ſelbſt wird es ſchwer-
lich — iſt die Mutter in meinem Jagd-
rock — Der Jung iſt nicht ich. Was iſt zu
machen? Die Welt iſt die beſte.
Die beſte —
Noch eine Frage, Paſtor!
warum iſt meine Frau geitzig?
Paſtor.
[427]
gehorſamer Diener!
Warum ſind die Weiber all-
zumal geitzig?
Weil ſie ſelbſt nichts erwerben,
und von Zinſen leben. Jedes Zinſenleben
iſt vom Geitz begleitet.
Die Schlusfrage,
die Kommenden)
warum ſprechen Sie nicht
mit? —
Weil ein junger Menſch, in Geſell-
ſchaft der Alten, nicht anders als Secretair
iſt, der aufſchreibt —
ſo viel behalten habe. Erſt Sekretair! dann
Rath! So geht es in allen geſitteten freyen
Reichsſtaͤdten. Jetzo wird es große Luͤcken
geben. Ich kann nur wieder ſagen: was ich
gehoͤrt, und wiederholen, was ich ſelbſt dazu
beygetragen habe, alſo je nachdem ich gegan-
gen, je nachdem ich geſtanden, je nachdem
ich geſeßen.
Da iſt der Herr v. W., ſeine Frau, ein
kleines Fraͤulein. Mein Herr Schwieger-
vater, reitend beym Wagen, den Hut alle
Augenblick unterm Arm. — Herr v. G —
und ſein Haus, ihnen entgegen. Mein
kuͤnftiger Herr Reiſegefaͤhrte und ſein Herr
Hofmeiſter, die ſich nicht lang mehr haben
wer-
[428] werden, ſchließen ſich an — Noch eine La-
dung, und noch eine! noch eine! — ich
armer Schreiber! wenn es angienge, wuͤnſcht
ich Dienſterlaßung. Fuͤr ein ſo großes Col-
legium hat mich die Natur mit zehn Fin-
gern zu wenig ausgeruͤſtet — Meine Leſer,
(ich muß mich proteſtando verwahren) wer-
den finden, daß ich gethan, was ich gekonnt.
Im Zimmer.
Um Verzeihung Herr Bruder,
daß ich dem Herrn Bruder noch einen Gaſt
mitbringe —
zum Herrn v. W. Bey mir hat
gebetener und ungebetener denſelben Platz —
ich gratulire zum Herrmann!
Herr, alter Herr!
benaunten oder namloſen Schwiegervater nennen.
Ich
danck’ unterthaͤnigſt.
Wie aber zum Herrmann?
Wie Saul unter die Propheten?
Des Zipperleins wegen —
Das laß ich gelten.
Der edlen Muſica halber.
Herr
[429]
Das laͤßt ſich hoͤren. Sonſt
war der rechte Herrmann ein frommer ſtiller
Mann, aber der alte Herr iſt ein gebohr-
ner Hofſchranze von Kindesbeinen an ge-
weſen.
Ich bitte unterthaͤnigſt um
Vergebung, ich habe oft zu ſehr die Wahr-
heit geliebt, ich habe ſogar die Ehre gehabt,
Maͤrtyrer der Wahrheit zu werden.
Hier! Herr Herrmann, hier
iſt Pulver auf die Pfanne — ich weiß, Sie
mußten zum Beyſpiele drey Tage und drey
Naͤchte wachen.
Der reinen Wahrheit wegen.
Ew. Hochwohlgebohrnen haben die Gnade,
mich recht zu gelegener Zeit daran zu erin-
nern, oder wie Sie es zu nennen geruhen,
mir Pulver auf die Pfanne zu reichen. Ich
ſetzte dem Herrn v. — eine Grabſchrift:
Hier ſchlaͤft ein Mann, der nie gewacht
hat; hoͤchſtens that er, als wacht er. Ge-
nau genommen, ſprach er im Traum.
Wanderer, bete fuͤr ihn, ſonſt verſchlaͤft
er den juͤngſten Tag.
Wahr, allein warum wahr?
weil der Todtfeind des Herrn v. — dem
Grabſchriftſteller wohlthat. Wie oft, lieber
alter
[430] alter Herr, haben Sie ſich auf den Mund
geklopft, und ſich eine Palinodie (recantation)
und Wiederruf gefallen laßen muͤßen, ſo was
geſchieht nicht falva fama. Herr! Sie wa-
ren klug genug, die Lebendigen leben zu laßen,
Sie trieben nur Muthwillen an den Todten;
indeßen fand ſich doch noch hie und da ein
Grabraͤcher, und Ew. Hochedlen mußten,
ihrer Grabſchriften ohne Cenſur wegen, den
ſeelig Verſtorbenen ehrenerklaͤren — Ey
dencken Sie noch an ihre ſelbſteigene Grab-
ſchrift! Das nenn ich Retorſion und Belag
zu der guͤldenen deutſchen Regel: Auf eine
Luͤge eine Maulſchelle. —
„Hier wacht der lebendig Todte.„
Die Zeiten ſind gottlob!
vorbey.
Zu Grabſchriften freylich,
allein Sie waren, wie ich mercke, erſt mehr
ein Fechter, jetzt mehr ein Taͤnzer. Wenn
ich wie mein Schwager v. W — waͤre, ich
wuͤrd Ihnen die Buͤcklinge abgewoͤhnen —
und denn wuͤrden Sie ein brauchbarer Mann
ſeyn! allein mein Schwager liebt die Hoͤflich-
keit — die Schmeicheley — wie ſoll es
heißen? —
Herr
[431]
Hoͤflichkeit und Schmeicheley
ſind zwey unterſchiedene Dinge.
Herr Bruder! da kommen
wir in zehn Jahren nicht von einander. Ich
weiß, bey dir macht die Seele mit dem Leibe,
und der Leib mit der Seele Umſtaͤnde —
Du ſagſt zu dir ſelbſt, wenn du allein im
Walde biſt und nieſeſt, Gott helf! und wenn
das Echo nachſagt: Gott helf! ſprichſt du,
ich bin ergebenſt verbunden; wenn du dich
am Baum ſtoͤßſt, buͤckſt du dich mit den
Worten: ich bitte tauſendmal um Verge-
bung — Das iſt einmal deine Weiſe, Gott
helf dir mit dem Petrus an der Himmels-
thuͤr auseinander! Was darf aber Herr Herr-
mann accompagnieren? und ſich wie eine
Klinge biegen, die man probiert?
Ich bitte unterthaͤnigſt um
Verzeihung —
Ich nicht — ich fordere dich
auf deine eigene Klinge heraus. Klingen,
die ſich biegen, ſpringen die wohl? Herr
Herrmann, richten Sie ſich nach der Jahres-
zeit. — Beym Herrn v. G — iſt alle Muͤhe
vergebens. Glaub mir, Herr Bruder, du
verfehlſt deinen Zweck — du willſt ein Deut-
ſcher ſeyn; die deutſche Sprache iſt dir eine
E eFund-
[432] Fundgrube, und du erniedrigeſt ſie. Wo
iſt eine, in der mehr Saamen zur Hoͤflichkeit
keimt? —
In meiner deutſchen Sprache
nicht. —
So ſprichſt du die curlaͤndiſch-
deutſche, das iſt, eine Sprache, die man ſo
gut, wie die curſche, undeutſch nennen koͤnnte.
Wenn du behaupteſt, die deut-
ſche Sprache ſey hoͤflich; ſo behaupt ich, ſie
ſey grob, wenigſtens iſt ſie beydes in glei-
chem Grad. So lang das verdammte Wort
Dero drinn iſt, hat das Genie einen Todt-
feind in der Sprache. Entweder alles Sie,
oder alles Du, ſonſt — daß Euch der
Teufel mit Eurem Ew. Hochwohlgebohrnen —
Herr Bruder, das iſt noch
der einzigſte Beweis, daß wir der Deutſchen
Nachbaren ſind — ſonſt waͤren wir Barba-
ren, in dieſem verfluchten Dulande.
Wir ſollten hier in Norden
kurz ſeyn. Die Worte frieren ſonſt im
Munde.
Und ich denck’ in Suͤden hat
man nicht Luſt den Mund zu bewegen. Re-
den iſt eine Bewegung —
Herr v. G.
[433]
Es kann ſeyn; indeßen iſt die
Bewegung, die Ew. Hochwohlgebohrnen ſich
dabey machen, hoͤchſtens ſtubenlang. — Du
bleibſt immer auf einer Stelle. Man ſagt
von den Seeleuten, wenn ſie ſich gleich Land-
guͤther von vielen Meilen kaufen, daß ſie nur
ſo weit ſpatzieren gingen, als ihr Schiff lang
war. — Du ſprichſt, wie die Seeleute gehen.
Indeßen iſt die Bewegung dieſelbe.
Der Menſch nimmt zwar gern einen entfern-
ten Ort, wohin er gehen will; dieſes Ziel
leiſtet ihm Geſellſchaft. — Er unterhaͤlt ſich
mit ihm, er fragt es: werd ich bald da
ſeyn? — Geht er mit Freunden und Freun-
dinnen, geht er wie der Schiffsmann; denn
die Geſellſchaft iſt Seelenbewegung, die geht
uͤber die koͤrperliche. Sonſt aber glaub ich,
je weiter das Ziel, je entſchloßener der Kopf.
Auch bey Erhohlungen will man Zweck.
Da ſiehſt du, Herr Bruder —
Daß Ew. Hochwohlgebohrnen
keinen entſchloßenen Kopf verrathen.
Einen Admiralskopf —
Der ſein Schnupftuch vor-
haͤlt, und ſich Seegel macht, wenn er zu
Pferde ſteigt. —
E e 2Herr v. W.
[434]
Das allgemeine Du in Cur-
land iſt und bleibt mir unertraͤglich; alles iſt
Bruderherz und Du.
Das Menſchlichſte, was ich
weiß. —
Ich mache mir Bedencken,
den Hund eines alten Edelmanns zu duzen.
Und der Hund des alten Edel-
manns iſt erkenntlich, und duzt Sie auch
nicht. — Herr! um Ihnen ganz deutſch zu ſa-
gen, Sie ſind —
und wir gingen im Garten eine gruͤne Straße
auf und ab, wie ein paar Schiffsleute —
Im Garten.
Jagen Sie?
Nein.
Was werden Sie
denn auf der Univerſitaͤt machen?
Studiren.
Ich, jagen und ſtudiren. Man
wird doch wohl einen academiſchen Jaͤger,
einen Nimmrod treffen, der Jagdcollegia ließt.
Fechten und Jagen iſt gut; jagen iſt der Mit-
tel-
[435] telpunkt. Ich wuͤnſcht der Vater gaͤbe mir
den Satan mit.
Den Satan?
Den großen Jagdhund. Ich
hab ihn ſo benahmt.
Ich bin kein Jagdfreund, ich werd
es nie ſeyn. Man lernt da auf Unſchuld
anlegen, und zielen, und meuchelmorden.
Eßen Sie kein Wild?
Gern — ich laß’ aber das Jagen,
wie das Schlachten und Kochen, andern
uͤber. — Mein Vater ſagt, jede Koͤchin ſey
grauſam. Das Kochhandwerck iſt ein Hand-
werck fuͤr Maͤnner, die ſich auch, ſobald es ins
Große geht, nicht von ihrem angebohrnen,
ihnen angeſtammten Recht abbegeben. Ja-
gen und Kochen denck ich, ſind ſehr nahe ver-
wandt.
So weich, und haben Kriege
gefuͤhrt?
Um meinen Arm auszuarbeiten.
Haͤtt ich einen goͤttlichen Beruf gehabt, Sol-
dat zu werden; zum erſten Schlage wuͤrd ich
nicht ſeyn; allein zum zweyten Herr v. —
wie der Donner auf den Blitz. Haͤtte mein
Vaterland den erſten Schlag erhalten, waͤr’
ich verbunden geweſen, es zu freyen — und
E e 3zu
[436] zu Kopf, zu Haͤnden und zu Fuͤßen, haͤtte der
Muth heraus gewollt. — Im gemeinen
Leben muß man oft erweichende Mittel brau-
chen; im Kriege wuͤrd man uns druͤber als
Narren auskrehen, wenn wir die Seegel
ſtreichen ließen. Der Feind heißt Legion;
ihrer ſind viele.
Ich ſchieße nichts, was nicht
vor den Schuß laͤuft.
Das ſind Jaͤger Grundſaͤtze; ein
laufender Feind iſt keinen Schuß Pulver
werth. Im Kriege muß man ſchießen was
ſteht. —
Das ließ ich brav bleiben!
ich wuͤrde das Spiel durchſehen, faͤnd ich es
zweifelhaft, was iſt natuͤrlicher, als die Kar-
ten zuſammen zu legen.
Das heißt laufen.
Mag es doch.
Ich wuͤrde kein Menſchenjaͤger, ſon-
dern Soldat, Held wenn Sie wollen, wuͤrd
ich ſeyn. In der Hoͤlle muß man nicht Waf-
fenſtillſtand machen; ſondern auf den letzten
Mann ſteuren und wehren. Waͤre noch ein
Mittel den Teufel zu bekehren, waͤr’ es dies;
ich habe Krieg geſpielt, aber nach dem Le-
ben. — —
Herr v. G.
[437]
Und ich bin wuͤrcklich auf der
Jagd geweſen, und habe manchen Wildbra-
ten bereitet. — Laßt uns Bruͤderſchaft
machen!
Wir dienen nicht einer Fahne —
unſere Herzen ſchlagen nicht einerley Wirbel;
indeß aufs naͤher kennen, Bruder! —
Bruder! —
Die Hand!
Die Hand! — mich duͤnckt,
ich werd Soldat?
Ich nicht Jaͤger.
Ich fuͤhl Herz! Mich ſollte
wer anheulen. —
Du redſt vom Wolf, Bruder!
Beleidigen wolt’ ich ſagen!
ich wolt ihn! — Herr Bruder, du wirſt mich
nicht verlaßen. —
Ich mercks, noch hab ich dir nicht
Muth genug in die Hand geſchlagen.
Auf einmal kanns nicht kom-
men. —
Das Herz immer auf einmal. Das
weiß ich, Bruder, — ich hab zwar nicht von
unten auf gedient; allein ich hab mich von
unten auf gedacht, und als Alexander oft ge-
meine Dienſte gethan. Wenn ein Feldherr
E e 4nicht
[438] nicht gemeiner Kerl ſeyn kann, iſt er nicht
des Ordens werth — Er wird nicht wie
ein Ruderknecht ſchrein, nicht betaͤuben; al-
lein er wird ein gemeiner Kerl zum mahlen
werden. Er wird ihn allerliebſt machen:
Es ſeyn, darf er nicht.
Ich hab gehoͤrt, daß ein Ge-
neral, der ſchon im Felde geweſen, nicht
mehr ſo viel Herz habe. — Junge ſollen die
beſten ſeyn.
Junge kennen vielleicht die Gefahr
nicht, und da ſie ſchon Heldenphyſionomien
kennen; ſo verzagen ſie, ſobald ſie Zuͤge da-
von entdecken. Blindhereinhauen iſt ein
Kunſtwort, und ein wahres Wort.
Eine Jagd, Herr Bruder!
muͤßen wir noch zuſammen machen, lieber
heut wie morgen! Es wird dir gefallen. —
Ich zweifle. Mir gefaͤllt zweyer-
ley, Kuͤhe und Rinder auf einer Wieſe. Das
iſt der edle Friede, und eine Wieſe voll wie-
hernder Pferde, das iſt der edle Krieg.
Zur Probe, Herr Bruder!
Meinetwegen. Herr laß weg —
bey Bruder ſchickt es ſich nicht. Ich werd
dich ſo nicht nennen, Bruder iſt kein Herr,
Herr
[439] Herr Bruder iſt halb Bruder. Pfui! uͤber
halb! —
den Garten verfuͤgt, und gingen uns paar-
weiſe vorbey.
Der Herr v. G. und Herrmann.
gehend vernommen. Mein Vater pflegte zu ſa-
gen: man hoͤrt im Sitzen beßer, man ſieht im
Stehen ſchaͤrfer, im Gehen iſt Ohr und Auge
nicht zuverlaͤßig.
Wenn Bruder?
Auch heute Nachmittage. — Du
commandirſt bey der Jagd.
Du biſt Gaſt. —
Ehre dem Ehre gebuͤhrt. —
Wenn man nur nicht am Ende
glaubt, ein verbindliches Wort ſey die That
ſelbſt. Wuͤnſche muͤßen kommen, wenn un-
ſer Vermoͤgen zu helfen aufhoͤret. — Todten
muß man wuͤnſchen. —
Warum ſoll man aber nicht
Canel auf die Gruͤtze ſtreuen, und ſeine hel-
fende. Hand mit einem weißen Handſchuhe
bekleiden, den Wein mit Zucker und Pom-
E e 5meran-
[440] meranzen veraͤdeln, und Butter aufs Brod
ſtreichen. —
Wo iſt denn dein Hofmeiſter?
Unbeſchwert ſag ge-
weſener —
Vater bleibt Vater —
Bruder, du wuͤr-
deſt doch nicht leiden, daß dein Fiebelrecktor
dich bis an dein Lebensende meiſtern ſollte?
Das thut auch kein Vater einem
Sohne, der in gewißen Jahren iſt. —
Und ſtelte in aller Einfalt und
Kuͤrze, Gott gebe, ſetzt’ er hinzu, zu aller
Seelen Erbauung und Beßerung vor:
Die beſte Cur des Podagra.
- Im erſten Theil. Der Patient muß, wie
der Gichtbruͤchtige in unſerm Evangelio,
einſehen, daß er aus ſuͤndlichen Saa-
men erzeugt ſey. Er muß zweitens
Vergebung ſuchen, und drittens auf-
ſtehen und wandeln.
Ich haͤtte nicht Kirchpatron
ſeyn ſollen.
Witz iſt wie ein Aal, er win-
det ſich heraus.
Herr v. G.
[441]
Ich haͤtt ihn ſchon gehalten.
Man wird doch wohl in der Gemeine mit
Ehren die Gicht haben koͤnnen? —
Auf den erſten Ge-
genſchlag kommt viel an.
Alles Bruder. Eine Hauptregel
beym Kampf. Gib zuerſt den guten Wein,
und wenn dein Gegner truncken, den ge-
ringern. Der erſte Schlag iſt die erſte Frage
beym Examen. Die erſte Antwort ent-
ſcheidet.
Ich denck immer,
Bruder, ein Armer iſt allein hertzhaft.
Hat er denn weniger zu verlieren als
ein Reicher? Leben iſt Leben! — Zu viel Herz
macht kuͤhn, zu wenig Herz macht deſperat.
Der Kampf iſt in beyden Faͤllen blutig. —
Ein General hat
das beſte Theil erwaͤhlt. Er ficht nicht al-
lein; er weiß, wer ihn umgiebt. Das moͤcht
ich ſeyn!
Ein Adler fliegt allein, Bruder.
Kuͤh’ und Schafe gehen zuſammen. Ein Ge-
neral iſt der Hahn, der die Veraͤnderung des
Wetters zuerſt merkt, der den Ton angiebt.
Meine Mutter meint, der Hahn, der zuerſt
kreht, ſey der Superintendent unter den
Haͤh-
[442] Haͤhnen. Der Generalstittel ſteht dem Hahn
beſſer an. Hiemit genug vom Muth. Es
ſieht thraſoniſch aus, viel uͤber den Muth zu
ſprechen. Der Muth hat keine Theorie; er
faͤngt mit der Praxis an, und hoͤrt mit der
Theorie auf. —
Bruder, du redſt
wie ein Buch. Was iſt thraſoniſch?
prahlhaͤnſiſch — Kein Wort vom
Muth mehr. —
Meinetwegen.
Die Art, Geſchenke zu ma-
chen. —
Das hab ich nie geleugnet. Es
iſt der Schluͤßel zum geheimſten Herzens
Kaͤmmerlein, der eine druͤckt in die Hand,
der andre legt es unvermerkt auf den Tiſch,
dieſer giebt in Papier gewickelt, der in Geld,
der in Geldes werth, dieſer wird roth, der
blas — der ſieht freundlich aus, der, als
ob er im Spiel verlohren, der andaͤchtig, als
wenn er Etwas in den Gotteskaſten legt,
und vom lieben Gott einen Wechſelbrief ent-
gegen nimmt, oder ihn bezieht, der als wenn
er die Muſicanten bezahlt und von ihnen er-
wartet, daß ſie ihm den Danck vorgeigen
moͤchten. Jeder Grif bey allen dieſen Arten
iſt
[443] iſt aus dem Herzen genommen. Wenn ich
einen Menſchen geſehen, ein Geſchenck geben;
ſo muͤßt’ ich mich ſehr irren, wenn ich ſeinen
Charakter nicht auf ein Haar treffen ſolte. —
Alſo die Manier, der Anſtand,
die hoͤfliche Art — Herr v. G. — wuͤrd das
Geſchenck an den Kopf werfen. —
Vielleicht edler, als es mit uͤber-
dachten Worten geben, und den Nehmer
noch in mehr Schuldigkeit ſetzen — die hoͤf-
liche Art macht es nicht. —
Ey! ey! Herr Paſtor — die
Hoͤflichkeit iſt zu allen Dingen nuͤtze. —
Die Gottſeligkeit wollen Ew. Hoch-
wohlgebohrnen ſagen.
der und ſo wie Waßer zu Waßer, ſo floßen
Herr v. W. und Herrmann zuſammen.
Wirſt du viel Buͤ-
cher mitnehmen?
Sehr wenig. Ich bin ſehr fuͤr gelie-
hene Buͤcher. Hat man ſelbſt das Buch,
glaubt man: ein andermal. Man ſieht es
im Schranke, und denckt, wenn ich gelegenere
Zeit haben werde. Ein Bibliotaphus, ein
Buͤchergeitziger, iſt, nach meines Vaters Aus-
druck, ein Teufel, ein Seelenverderber. —
Der
[444]
Wenn man ein
Buch lehnt, ſagt mein Hofmeiſter, iſt es am
ſicherſten, ſich Auszuͤge zu machen; ich glaub
es hilft dem Gedaͤchtnis.
Einerley, ob das Buch oder der
Auszug ſanft im Schranke ruht. Ich bin
fuͤr keinen Auszug —
Ein Ruͤckhalt Bru-
der, iſt eine gute Sache. Wenn man es
vergißt —
So iſt das Buch da. Auszug,
wenn er ja den Namen verdient, iſt eine
Bruͤhe. Ich bin nicht fuͤr Bruͤhen, ſo lang
ich geſund bin.
Ich leid keine Uebertreibung.
Einem Kinde, was todt auf die Welt kommt,
den Verſtand anſehen wollen, find ich zu
hoch geflogen. —
Wenn es indeßen die Zuͤge
des Vaters hat, und der Vater —
Manches Buch ſoll uns nur die
Stirn lichten — von manchen duͤrfen wir
nur die Thaler Alberts behalten. Iſt es
noͤthig, daß ich etwas bis auf Ort und
Vierding weiß; kauf ich mir das Buch, um
mir nachzuhelfen, um einen Stab zu haben,
an dem ich gehe. —
Herr
[445]
Erſt Gewehr, dann
Buͤcher. — Leib und Seel, ſagt alle Welt,
und nicht Seel und Leib.
Beym Edelmann Leib und Seel,
beym Litteratus Seel und Leib, wenn es
gleich wider den Redegebrauch iſt.
Je reiner und duͤnner die Luft,
hab ich wo geleſen, je feiner die Koͤpfe.
Mich duͤnckt, zu ſchoͤnen Kuͤn-
ſten; zur Philoſophie iſt rauhe Witterung
die beſte. Man iſt an Schwierigkeiten und
an Unerſchrockenheit und Staͤrke, ſie zu uͤber-
winden, gewohnt, und Schoͤnheit gehoͤrt un-
ter einen ſich immer gleichen Himmel. Man
zieht nicht das Geſicht vor Kaͤlt und Waͤrme.
Man kaͤmpft nicht mit ſeinen Geſichtsmuſkeln.
Frauenzimmer, die in Einer Luft bleiben,
haben eine ſchoͤne Haut. — Muſtern Sie
in Curland gemeiner Leute Koͤpfe, werden
Sie wohl einen Baurenkopf finden, der in ein
hiſtoriſches Gemaͤhlde paße? Ich kenn ein
Volck, wo ich alle Goͤtter und Goͤttinnen
des Alterthums im kurzen zu finden wetten
will. Haben Ew. Hochwohlgebohrnen in
Curland auch nur einen Venuszug geſehen?
Eben ſo wenig iſt ein Altarſtuͤck, ein Marien-
zug, zu haben. Was ich in Curland vvn
Schoͤn-
[446] Schoͤnheit bemerckt, ſchraͤnckt ſich auf den
Wuchs ein. Schoͤnheiten fuͤr Bildhauer;
allein fuͤr Mahler nicht. —
Wenn alles bey kleinen Leu-
ten proportionirlich iſt, kann man ihnen
den Ehrennamen ſchoͤn nicht abſprechen.
Kein Zweifel, und ſo auch mit
wohl proportionirten Erkenntniskraͤften —
und die Anwendung? — —
konnte.
Ich will nicht vorurtheilen;
aber daß die Leute im demokratiſchen Staate
kluͤger ſind, als im monarchiſchen, Paſtor!
das muͤßen Sie zugeben.
Gerne — weil ſie an der Re-
gierung Theil nehmen, weil ſie mitſprechen.
In England giebt es einen ſehr klugen ge-
meinen Mann, und das machen die Zeitun-
gen. Dies Staatsmittel koͤnnt auch im
monarchiſchen Staate probiert werden. —
Im monarchiſchen Staate
giebts keine Zeitungen. — Wenn die Regie-
rung Zeitungen ſchreiben laͤßt, ſind es Sei-
fenblaſen, womit die Kinder in der Sonne
ſtehen.
Ich.
[447]
Bibel und Geſangbuch nimmſt du
doch mit?
Ja, die Bibel hab
ich vom Vater, das Geſangbuch von der
gnaͤdigen Mutter.
Warum gnaͤdige?
Es iſt mir zur an-
dern Natur. Meine Mutter wolt durchaus
gnaͤdig heißen.
An gnaͤdig erkenn ich ſie. Eine
gnaͤdige Mutter, Bruder, iſt ein Unding.
Bey Bibel und Geſangbuch ſeh ich dei-
nen Vater. Bibel und Geſangbuch muß
man ſich nicht kaufen, ſondern von den El-
tern haben, und eben ſo wie du, ſo auch ich,
Bibel vom Vater, und Geſangbuch von der
Mutter.
Dein Vater und
der Meinige —
Sind wie Herz und Seel gegen
einander.
Dein Vater Seel,
der Meinige Herz. Nicht wahr?
Beide Seel und Herz.
Dieſer mehr Herz,
jener mehr Seele.
F fIch.
[448]
Sie waren vieljaͤhrige Freunde,
Sie ſchieden ſich, wie mein Vater ſagt, von
Tiſch und Bett, allein ihre Herzen blieben ge-
bunden.
Wir wollen uns
nie vom Tiſch und Bette ſcheiden. Kom-
men wir von Univerſitaͤten, wirſt du mein
Paſtor, und dann wollen wir leben wie auf
der Univerſitaͤt ‒ du ſtudieren! ich jagen ‒
Es iſt ein Cavalier.
Das iſt die Sache.
Und mein Schwager.
Das iſt die Hauptſache.
Es ſcheint unhoͤflich. Doch!
wie der Aſt, ſo der Hieb. Man muß ſich
uͤber den Herrn v. G — wegſetzen.
Kriechend zu mir?
Ich haͤtte Worte mit Haͤn-
ckelchen? Traget die Groben, weil ihr hoͤf-
lich ſeid. Es ſind, unter uns geſagt, man-
che Ausdruͤcke in der Bibel, die nicht auf
unſerer Seite ſind —
Wenn ich das
Wort Schreck hoͤre, empfind ich es. Was wollt
dein Vater geſtern Abend damit ſagen, daß
der Schreck der Anfang zu allen Leidenſchaf-
ten ſey.
Ich.
[449]
Schreck, ſagt er, iſt die Vorbereitung.
das Praͤludium zu allen heftigen Affecten, und
das iſt wahr. Haſt du dich je recht ſehr uͤber
eine Sache erfreut, ohne daß du vorher erſchuͤt-
tert warſt? Alle heftige Leidenſchaften ſind
wie ein kaltes Fieber, Froſt, Kaͤlte, dann Hitze.
Du haſt es beßer
behalten, wie ich.
Er fuͤhrte Beyſpiele an, daß Leute
vor Freuden geſtorben waͤren, und daß kein
großes Loos in der Lotterie, ohne den Ge-
winner auf eine kleine Zeit zuruͤckzuſetzen,
von je her gewonnen ſey. Der Menſch,
ſagt er, traut ſich nicht recht die Freude in
dieſer Welt zu. Er beſinnt ſich erſt, ob er
ihr ſein Herz oͤfnen, ob er ſich freuen koͤnne.
Er laͤßt ſie von hinten und verſtohlen ein.
Seine Freude ſcheint eine Entfernung des
Schmerzes, und wer laͤßt einen alten gu-
ten Freund ohne Bewegung von ſich? —
Du haſt ein koͤ-
nigliches Gedaͤchtnis. —
Ein gemeines, aber vortrefliches
Beywort. —
Es iſt von meinem
Vater — aber was dein Vater vom Ver-
gnuͤgen und Schmerz anmerckte —
F f 2Ich.
[450]
Weiß ich auch. Er widerlegte
ſich ſelbſt. Er glaubte, Vergnuͤgen ſey die
Empfindung von Lebensbefoͤrderung, und
Schmerz Empfindung von Lebenshinderniß,
und wenn es ſchon ſo weit gekommen waͤre,
daß man die Lebenshinderniße nicht uͤberwin-
den und das Feld behalten koͤnnte, meint er,
ſey Vergnuͤgen, die Kunſt, ſich ſelbſt von ſich
zu entfernen, die große Kunſt, nicht an ſich
zu dencken. —
Ich bin noch im
Schreck, in der Vorbereitung, denn bis jetzo
faß ichs noch nicht. —
Was meinen Sie, lieber
Paſtor! wenn wir nur negative Weiſe und
Gut ſind, iſt es nicht ſchon viel, und ſollte
man nicht dieſen Gedancken auszuuͤben ſuchen?
Ich weiß nicht. Wißenſchaften,
die blos Irrthuͤmer widerlegen, ſind, we-
nigſtens was mich betrift, unangenehm.
Der Menſch iſt von Natur traͤge und nega-
tiv, durch Grundſaͤtze wird er thaͤtig.
Herrmann zeigend.
Licht und Lichtknecht.
Alles lagerte ſich auf einen Raſen, und
war ſo ſtill, daß man ſahe, was ich oft geſe-
hen. Die Natur behauptet ihre Rechte, ſo
bald
[451] bald wir ruhig ſind, ſo bald wir Zeit haben
ſie anzuhoͤren, ſo bald wir uns aufs Gras,
ihren Lehnſtuhl, ſetzen. Alles verſtummet
und empfindet. Gott! warum fallen wir
der Natur ſo offt unzeitig ins Wort! —
war kein Raum in dieſem Naturaudienzzim-
mer. Herr v. G — der juͤngere gieng zur
gnaͤdigen Mutter, ich einen gruͤnen finſtern
Gang — was ich hoͤrte (ich konnte nicht be-
merkt werden) will ich aufſchreiben.
Und das Geld?
Verſchenckt, gnaͤdige Mutter.
Wem?
Einem boͤſen boͤſen Jungen.
Damit er gut wuͤrde?
Ja, gnaͤdige Mutter! damit er
gut wuͤrde, er hatte dem lieben Gott einen
Vogel weggeſtohlen, den bot er mir zum
Kauf an. Der Vogel ſchrie zum lieben
Gott (ſingen konnt’ er nicht mehr) ſehr aͤngſt-
lich, und der Jung hielt ihn in der Hand,
und wollt ihn nicht gen Himmel ſchreyen
laßen. Der Jung muß ſich wol gefuͤrchtet
haben, daß der liebe Gott ſchelten wuͤrde.
Es bezog ſich, wo er ſtand, als waͤren es
Gewitterwolcken.
F f 3Frau v.
[452]
Und du?
Ich gab dem Jungen das Geld,
und den Vogel gab ich dem lieben Gott wie-
der. Es wurde gleich ſo klar, wenigſtens
mir vor den Augen, ich bildete mir ein (ſie
ſprang dabey) daß ich den lieben Gott ſaͤhe,
wie er ſich daruͤber freute. Der Jung mag
es wol aus Noth gethan haben.
Das denck ich auch —
Deſto beßer, daß
ich dem Jungen alles gab. —
Kleine begleitete.
Wir ſind im Streit, Ew.
Gnaden. Das Fraͤulein gab ungezaͤhlt, ſo
denck ich, giebt man einem Bettler, allein kei-
nem Diebe.
Wer hat nun Recht?
Du nicht voͤllig, meine liebe
Seele! Ei, wenn gleich wieder ein ſo boͤſer
Junge mit des lieben Gottes Voͤgelchen ge-
kommen waͤre, und du haͤtteſt kein Geld
gehabt?
Dann waͤr ich zu Ihnen gekom-
men, gnaͤdige?
Und wenn ich auch kein Geld
haͤtte?
Kleine.
[453]
Ja, dann haͤtt der liebe Gott den
Vogel ſtrafen wollen. Setzt man doch auch
Menſchen ins Gefaͤngnis. —
Mit Recht, aber auch mit Un-
recht — Man muß nicht fuͤr ſich, ſondern
auch fuͤr andere ſparen. Um mehr Gutes zu
thun, kann man dingen. Gottes Ge-
ſchoͤpf — wer kann das bezahlen? Haͤtt der
Jung den Vogel nicht minder laßen wollen,
waͤrs ein anders. — Was wars fuͤr ein
Vogel?
Ich hab nicht gefragt, gnaͤdige!
Ich weiß nur, daß es ein Vogel war, und
daß er fliegen konnte. Haben Sie’s mich
nicht gelehrt, man muß nicht nach dem Na-
men fragen, wenn man Gutes thut. Sie
haͤtten nur ſehen ſollen, der Vogel konnt vor
Freuden nicht recht fliegen! Er war betrun-
cken, aber der Jung mußt’s mir verſpre-
chen, ihn nicht mehr zu haſchen. —
Du haſt gut hausgehalten. —
Hier iſt wieder Geld. —
Danck, gnaͤdige Mama! Ich glaub
es war eine Nachtigal.
Ich nicht. —
Sehen Sie nur, gnaͤdige Mutter!
Lieschen iſt dem Vogel nicht gut. —
F f 4Das
[454]
Seit der letzten Nach-
tigal im Garten iſt ihr jeder Vogel eine Nach-
tigal. Ew. Gnaden waren ſo gnaͤdig zu ſa-
gen, Menſch iſt Menſch, aber Vogel iſt
nicht Vogel. —
Wie ſie den Vogel verfolgt! da
hoͤren Sie ſelbſt, gnaͤdige Mutter!
Kind, du haſt eine Seele —
Die Ihrige, liebe Mutter!
Gott ſegne dich. —
Auch Sie! liebe Mutter, auch
Sie reichlich und taͤglich!
Aber, was meinſt du, Kleine!
Des Jungen wegen ſolſt du Lieschen Recht
geben. Sah er dir denn ſo boͤs aus, daß er
eine Nachtigal dem lieben Gott ſtehlen
koͤnnte?
Boͤs wol, aber freylich ſo boͤs
nicht. —
Ich denck, Judas der Ver-
raͤther hat in ſeiner Jugend die erſte gefan-
gen. —
Lieschen hat recht — ich unrecht!
es war keine Nachtigal.
Alſo hat Lieschen recht?
Recht! und ich unrecht, ein ſo be-
truͤbtes Voͤgelchen als eine Nachtigal! o!
wer
[455] wer kann das druͤcken — ich moͤcht es gern
troͤſten, wenn ich koͤnnte.
Es ſcheint zuweilen, daß es
ſich ſelbſt troͤſtet; als wenn es ſchluchzt und
wieder lacht. —
Ja gnaͤdige! und dann bin ich
ſo froh! ſo froh! aber wie kann man im
Augenblick weinen und lachen?
Lachen und Weinen hat einer-
ley Zuͤge, mein Kind! Sey darum auf die
Nachtigal nicht boͤſe. Es iſt weit leichter,
daß einer, der weint, lacht, als einer, der
ernſthaft iſt. Wenn wir einen Betruͤbten
zum Weinen bringen, haben wir ihn bald
zum Lachen — das trift uns Weibchen
mehr, als das andere Geſchlecht. —
legt’ es dazu an, daß wir zuſammenſtießen.
Der Garten iſt ſchoͤn.
Gnaͤdige Frau! ich hab ihn nir-
gend ſchoͤner geſehen, als im erſten Buch
Moſe. —
Da haben Sie ihn auch nicht
ſchoͤner geſehen, ſondern ſchoͤner geleſen.
F f 5Ich.
[456]
Ich bitt um Verzeihung, gnaͤdige
Frau, wenn ich die Bibel leſe, ſeh ich alles
was ich leſe. —
Mich duͤnckt, ich ſeh den
Herrn vom Hauſe, wenn ich dieſen Garten
ſehe. Sein Ebenbild —
Jeder Garten, gnaͤdige Frau! glaub
ich, iſt des Eigenthuͤmers Ebenbild, oder
ſolt es ſeyn.
Solt! allein wer legt ſeinen
Garten nach der Natur der Gegend und des
Landes an? — Ein Garten, der die Ehre
gehabt ins Geſchrey zu kommen, iſt die Fuͤr-
ſchrifft zu zehn und zehn, zu funfzig und
funfzig, zu hundert. Durch Gaͤrten kann
man, denck ich, noch weit eher, als durch
Haus und Hof Geſchmack zeigen. Umſtaͤnde
ſprechen hier mit, und die Mode hat keine
Stimme. —
Der beſte Garten indeßen iſt ein
Gefaͤngniß, wenn er umzaͤunt iſt. Das
Paradies war die Welt, und die Welt das
Paradies. —
Sind wir aber beſtanden in
der Wahrheit?
Ich.
[457]
Die gnaͤdige Frau ſagen da einen
großen Gedanken! Der Suͤndenfall war der
erſte Zaun. —
Jetzt koͤnnen wir ſchwerlich
uns ohne Zaun behelfen. Er kann ſich aber
almaͤhlig verlieren — und dann laß ich ihn
gelten. Hecken ſind mir weit unausſteh-
licher.
Ein lebendiger Zaun!
Ein ſchoͤnes Leben, das unter
der Scheere des Gaͤrtners ſteht. Mir kommt
jede Hecke wie ein Tanzboden vor, man lehrt
die armen Baͤume die Beine gerade ſetzen,
in die Queer treten, Bruſt heraus, und an-
dere Poßen mehr — und wenn man noch
dazu Hecken an ſeine Fenſter anlegt, iſts
mir voͤllig unertraͤglich. Ich habe einen
Amtmann, der ſich eine Fenſterhecke von ei-
nem armen Feigenbaum gemacht hat. Die
Kleine da ſagte, der Feigenbaum ſey ans
Kreutz geſchlagen.
War ers denn nicht, gnaͤdige?
Ja, mein Herz.
Und ganz unſchuldig.
Ganz —
Ich.
[458]
Gnaͤdige Frau, das Sprichwort:
erklaͤrt mein Vater vom Herzen.
Und ſehr richtig. Wer in
der Jugend Voͤgel in die Feſtung bringt und
Fiſche anfuͤhrt — wird ein Betruͤger, und
wenn es hoch kommt, grauſam und —
Ich weiß nicht, gnaͤdige Frau!
ob ein Amtmann, der dem Feigenbaum Dau-
men ſchraubt und ihn torquirt, es mit den Bau-
ren nicht ſo zu machen Luſt hat, als mit
dem Feigenbaum? — Dem Baum fehlt [nur]
ein lebendiger Othem —
mich mit der kleinen Fraͤulein an, ohne daß
wir alle beide mehr thaten, als laͤcheln. Ich
weiß nicht, wie das kommt, daß junge Manns-
perſonen gegen Kinder ſo bloͤde ſind! Frauen-
zimmer ſind in dieſem Stuͤck dreiſter. Sie
koͤnnen eher an ihre Beſtimmung dencken, als
es uns nach der jetzigen Einrichtung erlaubt
iſt. Offt, wenn ich auf dieſe Art mein unſchul-
diges Minchen mit kleinen Kindern ſich abge-
ben und ſpielen ſah, fielen mir die Wort’ ein:
Ihre Engel im Himmel ſehen allezeit das An-
geſicht des himmliſchen Vaters. Daß ich ge-
gen eine große Dame nicht bloͤde geweſen,
ſiehe oben. Das Daumenſchrauben und tor-
quiren
[459] quiren haͤtt ich unter Wegs laßen koͤnnen,
wie es mir gleich, nachdem ichs geſagt hatte,
einfiel. — Die Frau v. W — kam wieder.
Was iſt dir?
Liebe Mutter, da flog es — das
Muͤckchen hat mir viel Blut abgezogen. —
Ich hoff auf eine gute Ma-
nier.
Nicht voͤllig, noch nie hats mich
ſo geſchmerzt. —
Biſt du boͤſe?
Nein, liebe Mutter! ich wuͤnſch
ihr wohl zu bekommen. —
Gut, mein liebes geduldiges
Kind. Sehr gut! dein Bruder haͤtt es mor-
den koͤnnen, allein wir Frauenzimmer muͤſ-
ſen keine Muͤcke toͤdten — Wir ſind zur
Geduld gebohren. Verjagen hoͤchſtens. —
Das wolt ich ſchon, ich uͤber-
wand mich doch. —
Biſt du nicht froh druͤber?
Sehr froh.
So iſts immer, wenn man
ſich ſelbſt was abgeſchlagen hat.
Und nun ſtichts auch nicht mehr.
Alles Leiden iſt kurz, Muͤck-
kenſtich —
Kleine.
[460]
Im Himmel werden keine Muͤk-
ken ſeyn! Meintwegen koͤnnten ſie — Ste-
chen werden ſie da nicht. —
Gewis nicht.
Und wenn auch! ich bins ge-
wohnt. Der liebe Gott helfe nur dann mei-
nem Bruder, der den Muͤckentodtſchlag in
der Hand hat. —
Das werden ſpaͤte Erbſen
werden. —
Die da gieng eben auf, wie ich
hinſah. —
Das nicht! mein Kind, man
ſieht nichts aufgehen. Man ſagt dahero,
Gras wachſen hoͤren, zum Sehen hats kei-
ner gebracht.
Die beiden dort, und ſo wie
mein Bruder und ich, nach der Groͤße —
Sieh nur her, wie behutſam
dieſe Aufgehende die Erde auf ihren kleinen
Ruͤcken traͤgt — Sie hebt ſie, ſie ehrt ihre
Mutter.
Das iſt ihre Schuldigkeit. —
Kuͤßt’ ihre Tochter herzlich.
Kleine.
[]
Sehen Sie doch, gnaͤdige! wie
hoch der Baum iſt. Der babyloniſche Thurm
war wol weit hoͤher?
Weit —
Den haͤtt ich ſehn moͤgen!
Ich auch!
Mein Vater erklaͤrt ihn ſo. Gott
wolte, die Leute ſolten nicht zuſammen blei-
ben, nicht in die Hoͤhe bauen, ſondern in
die Laͤnge und die Erde benutzen, die Gott
ihnen angewieſen hatte. —
Ich hab’ offt gedacht: da-
durch, daß ſich die Menſchen vertheilten, ent-
ſtand die Verſchiedenheit der Sprachen.
Wolte Gott! wir ſpraͤchen alle Eine.
Dann wuͤrden viele nicht in
den Himmel wollen, ſo ſchoͤn wuͤrd es in der
Welt ſeyn.
Des Thurms wegen muß ich
auch franzoͤſiſch lernen!
Haſt du Urſach dich zu be-
klagen?
Nein, gnaͤdige! ich beklage nur
Sie — und doch koͤnnt ich oͤfter herumlau-
fen — waͤre der babyloniſche Thurm und
das Franzoͤſiſche nicht.
Es
[462]
ſammen. Frau v. G — hielt bey allem Hoch-
duͤnckel ſich nicht zu vornehm, die Tafel zu
bereiten. Die Kuͤche nicht — und das ſteht
keiner Dame an. Hoͤchſtens ein Ueberblick —
Darf ich bitten —
Was meinen Sie
das ſagt meine Frau gutherzig und allerliebſt.
Ich habe ſie blos dieſes darf ich bitten we-
gen geheyrathet. Ich halls ihr blos nach,
darf ich bitten. — Herr Bruder, Herr Pa-
ſtor, Herr Bruder, Herr Bruder, wie
ihr alle ſteht! —
Ich bitt —
v. W — und (ich rede von der Tiſchgegend, wo
ich war) Wir ſaßen. Der Herr von W —
(er hatte ſich herunter genoͤthiget) gerad’ uͤber
wohlbedaͤchtig Herr Herrmann. Der Herr v.
G —, die Kleine v. W —, mein Vater, der
junge Herr v. G. —, noch allerley vom Unter-
hauſe und ich.
Alle Feierlichkeiten, Herr
Bruder, gehen zuletzt auf Schmauſereien
hinaus.
Beym Tiſch macht alles Friede,
da verliert man das Uebel, und das Gute
empfindet man lebhafter.
Herr
[463]
Ich glaube, daß man nach
Beſchaffenheit des Gemuͤths, auch den Tiſch
einrichten muͤßte. —
Und ihn mit Cypreßen, oder
Myrthen beſtreuen. —
Ich nicht! jeder Tiſch muß
froͤhlich ſeyn, wir muͤßen mit Danckſagung
empfahen, und zu uns nehmen, und uns
auf Gott verlaßen lernen. —
Alles, was groß iſt, geſchiehet
bey Tiſche. Das Paradies gieng bey Tiſche
verlohren. Monarchien und Regenten ent-
ſtanden und giengen unter bey Tafel. Alle
Ehen werden im Himmel und bey Tiſche ge-
ſchloßen. Jemanden zu Tiſche bitten, iſt
die feinſte Art zu beſtechen. Hat man den
Reviſionscommißarien nur einmahl zu Eßen
gegeben, iſt das Spiel gewonnen. Bey
Tiſche kommt der Menſch ſeinem natuͤr-
lichen Zuſtande naͤher. Der Vornehme
ſieht, daß er hier mit dem Geringern glei-
chen Appetit hat. Da er mit ihm aus Einer
Schuͤßel ißt, aus Einer Flaſche trinckt, faͤngt
er an, ihn fuͤr ſeines Gleichen zu halten. Alle
Herzensſachen, wozu ich den groͤßten Theil
der Religion zaͤhle, gehoͤren vor einen weiß-
bedeckten und mit Eßen und Trincken beſetz-
G gten
[464] ten Tiſch. Die chriſtliche Religion giebt
uns hiezu viele Gelegenheit. —
Recht, lieber Paſtor! Ma-
gen und Herz ſind Nachbarskinder, ſo wie
ſich die Druͤſen im Munde und Magen ver-
wandt ſind. Was jene reitzt, bringt dieſe
in Bewegung. Bey Tiſch lernt man thun,
wuͤrcken, in den Schulen lernt man reden. —
Mit meinem Freunde muß ich genuͤßen. —
Die herzliche Beredſamkeit, wo
eine Einſilbe oft mehr gilt, als ein prahlendes:
Allerſeits nach Stand und Wuͤrden, iſt auch
bey Tiſch zu Hauſe. Bey Tiſch wird man
nicht alt. Sehr richtig. Was uns hiedurch
an Zeit abgeht, erſetzen Staͤrcke, Geſund-
heit, und eine lachende, alles leicht findende
Stirn. Hiedurch richten wir in einer Stunde
mehr aus, als ein Kurzeßer in einem halben
Tage. —
Es lebe Luther und ſeine
Tiſchreden! — Ein ſchoͤnes Stuͤck von ihm,
eine Ehrenſaͤule fuͤr die Menſchheit. — Haͤtt
er die nicht nachgelaßen, ich wuͤrd ihn lange
nicht fuͤr das halten was er war. Die
Froͤhlichkeit, die Freundſchaft an einem wol-
beſetzten Tiſch, die Gerechtigkeit, lieber Pa-
ſtor!
[465] ſtor! und ihre Ausuͤbung, an einem roth-
behangenen unbeſetzten Tiſch. —
Sie muß nuͤchtern verwaltet wer-
den. Wer am beſetzten Tiſch Recht ſpricht,
beugt das Recht. — Viele Leute ſind der
Meinung, man muͤße nuͤchtern ſchwoͤren,
und halten es fuͤr Misbrauch des Namens
Gottes, wenn ſie gefruͤhſtuͤckt haben. Ein
Richter muß aber keinen Wein trincken, wenn
er Recht ſpricht. Er ſieht gleich alles an-
ders an. Mit der Gerechtigkeit iſt es eine
beſondere Sache. Ein einzig Glaͤschen macht
offt einen andern Menſchen. Wer mitleidig
iſt, weicht vom Wege ab und —
Mit ihrer guͤtigen Erlaubnis,
ich glaube, daß es zu manchen Begebenhei-
ten auch beſondre Gerichte gaͤbe. Unſre lie-
ben Alten ſind uns darinn ruͤhmlichſt vorge-
gangen —
Eben hiedurch wird das Eßen
ſchmackhaft. Vielleicht koͤnnt man troſtge-
bende, gluͤckwuͤnſchende Gerichte erfinden. —
Ich habe noch Niemand fri-
ſche Milch mit ſaurem Geſicht eßen geſehen. —
Die Natur hat zwar jedem
Eßen ſeine Jahreszeit angewieſen; alle aber
kommen am Ende darinn uͤberein, daß wir
G g 2da-
[466] dabey froͤhlich und guter Dinge ſeyn ſollen.
Nennen Sie mir eine Schuͤßel, die Thraͤnen
auspreßt? —
Der Grad des Vergnuͤgens
indeßen koͤnnte verſchieden ſeyn. —
Hiebey kommt viel auf die
Einbildung an. Nachdem eine Schuͤßel ſel-
ten, das iſt vornehm gehalten wird. —
Aber meine Herren da unten, die Suppe
wird Ihnen kalt —
Freylich! bey ihr ſolte nicht
geſprochen werden. —
Wer ſie ißt, wird ſich von ſelbſt
huͤten. — Man kann leicht dabey den Weg
verfehlen. — Suppe geſchickt zu eßen iſt
ſehr ſchwer — ich eße keine. —
kant:
keine?
Alexander auch keine.
keine?
Suppen ſind fuͤr Krancke. Es
ſind Fleiſcheſſenzen, und fuͤr Leute, die kein
Fleiſch mehr verdauen koͤnnen. —
Ich bin nicht drauf gefallen.
Aber der Paſtor hat recht. — Braten iſt
das natuͤrlichſte, wenn vom Fleiſch die
Red’ iſt.
Paſtor.
[467]
Wer Fleiſch und die davon er-
preßte Suppe ißt, ißt den Kern, und nach-
her die Schale. Genuͤßt den Saft und hin-
ter her die Huͤlſe.
Wenn Sie mir gleich nicht be-
ſondere Feſttagsgerichte geſtatten, National-
ſpeiſen werden Sie mir wenigſtens zugeben? —
Gerne, und da iſt beym Eng-
laͤnder Braten, bey den Deutſchen Mehlſpeiſe,
beym Franzoſen Kraut auf dem Felde. Die
Deutſchen ſind Maͤnner des Tiſches. Sie
ſitzen lange dabey, ihr Tiſch iſt der beſte.
Kein Wunder, daß ſie am laͤngſten dabey
weilen. Sie ſind die gaſtfreyſten, die menſch-
lichſten Eßer und Trincker. —
Katholicken kochen vortreff-
lich Fiſche. —
Noth lehrt beten. Wenn ich zu
reformiren haͤtte, muͤßte das ſchoͤne Geſchlecht,
wenn es ja kochen ſoll, mit ſtrenger Aus-
ſchließung alles was Othem gehabt, ſich auf
Milchſpeiſen und Gemuͤſe einſchraͤncken. Kein
Fleiſch und Fiſche muͤßten ſie kochen, ſon-
dern blos natuͤrliche Gerichte wuͤrden zu
ihrem Departement gehoͤren. Obſt aus
Frauenzimmerhaͤnden iſt beynahe wie vom
Baum.
G g 3Herr
[468]
Obſt, Paſtor, denck ich, ſey die
natuͤrlichſte Speiſ’ in der Welt.
Es iſt ein paradiſches Eßen, ein
Manna, das noch vom Himmel faͤlt, wor-
nach alle Kinder einen Erbgeſchmack mit auf
die Welt bringen.
Obſt iſt die geſundeſte Speiſe
unter allen. Nach Obſt, Milch und Honig. —
Ich bin nicht von denen, die
ſchon das liebe Brod in der Welt zu gekuͤn-
ſtelt finden, und ſich auf die allererſte Natur-
elementen reduciren wollen. Wer mir aber
Obſt verachtet —
Iſt ein verderbter unnatuͤr-
licher Menſch. Er hat ſeine Unſchuld ver-
lohren, und traͤgt davon das Mahlzeichen
an ſich. — Paſtor, ein Glas Wein aus den
Haͤnden eines Frauenzimmers —
So wie ein Glas Waßer und al-
ler Tranck aus ihren Haͤnden. Der Tranck
iſt mehr der Kunſt entgangen, als die Spei-
ſen, und aus Gottes Haͤnden ziemlich un-
verfaͤlſcht auf uns gekommen. Ein Glas
Wein bey der Quelle.
koͤnnen ſich meine Leſer nicht vorſtellen. Ich ha-
be wenigſtens ein Quartblat dicht geſchrieben,
druͤ-
[469] druͤber verhoͤrt, und doch gieng es gluͤcklich ab,
obgleich eine allgemeine Stille druͤber ward — —
Saͤle ſind gut, nach Tiſche
hineinzugehen. Beym Speiſen ein ſchmales
Zimmer, um nah zuſammen zu ſeyn. Man
hat ſich mehr —
Dahero ein runder ein Arthus
Tiſch und eine kleine Geſellſchaft. — Wir
ſitzen hier an einer deutſchen Tafel in allem
Betracht. —
Was meinen Sie, Paſtor!
von den vielen Schuͤßeln? Iſt nicht Eine
genug? —
Viele Schuͤßeln verlaͤngern den
Tiſch, und mithin auch das Vergnuͤgen. Es
iſt wahr, es reizt mehr zu eßen; indeßen
liegen in uns auch vielerley Appetite. So
bald es wahr iſt, daß wir Fiſche, Fleiſch,
Obſt, Gemieſe eßen koͤnnen, daß die Natur
eine Schatzkammer fuͤr uns ſey; ſo ſeh ich
nicht ab, warum wir geizen ſolten. —
Es iſt auch ſchwer, ein einziges
Gericht, das vor ſich ſelbſt beſtehet, zu nennen?
Fleiſch mit Ruͤben.
Das ſind ſchon zwei mit Ew.
Hochwohlgebohrnen Erlaubnis.
Braten und Sallat.
G g 4Paſtor.
[470]
Ohne Sallat, wollen Ew. Hoch-
wohlgebohrnen ſagen.
Ja, ohne Sallat.
Ich eß auch keinen Braten mit
Sallat. So eine Hauptſchuͤßel, ſo eine na-
tuͤrliche Schuͤßel, braucht keine Anreitzung.
Und warum? Beym Tanz
muß Spiel ſeyn. —
Beym Tanz, allein beym Gang
nicht.
Ich hab es von einem Beob-
achter, der im Vorzimmer eines vornehmen
Mannes bemercken konnte. Ein Franzoſe
kam, gieng an den groͤßten Spiegel im Zim-
mer, und ſchnitt Capriolen. Ein Englaͤnder
ſetzte ſich aufs Kanapee, ein Deutſcher ſtelte
ſich an den Ofen, ein Ruße ging an den klein-
ſten Spiegel und zog ſich die Haare in Ord-
nung. Waͤr ein Curlaͤnder gekommen, der
haͤtt ſich die Stiefel aufgebunden, und ein
Pohl den Bart geſtutzet. So, lieber Paſtor,
ſind dieſe Leute auch am Hofe, an der Tafel,
als Schriftſteller —
Um Verzeihung! ich wuͤrd’ in
Europa nur vier Voͤlckern Sitz, Tiſch und
Stimm erlauben: Englaͤndern, Franzoſen,
Deutſchen — und Einem Volck in Norden —
Vier
[471] Vier Hauptwinde, der Englaͤnder Oſt, der
Franzoſe Suͤd, der Deutſche Weſtwind, und
das Volck in Norden der Wind ſeines Na-
mens. —
Curland wuͤrde dieſes Volck
wol ſchwerlich heißen — aber Paſtor, der
Tiſchſtyl iſt allgemein — leicht, nicht wahr?
Man koͤnnte den franzoͤſiſchen zum Muſter
vorſchlagen.
Warum das? je nachdem der
Mann, der ſpricht, je nachdem das Gaſtmal,
je nachdem der Styl. Der hoͤrt die Auſtern
wie einen rußiſchen Fuhrmann pfeifen, der
laͤßt ſie erſt verſtummen vor ihrem Scheerer,
der ißt ſie mit Haut und Haar, der balbirt
ſie erſt! Fremde Gewuͤrze verderben das Eßen
und das Geſpraͤch; die liebe Natur muß bey
Tafel praͤſidiren —
Ich bete nicht eher, als bis
Salz auf den Tiſch iſt. — Es iſt ein Sinn-
bild vom Verſtande, und ich dencke, gewiße
Art Leute muͤßen bey Tiſch nie anders reden,
als daß es zur Noth aufgeſchrieben werden
koͤnnte. Der Tiſchſtyl und der Briefſtyl ſolt
freylich Natur aus der erſten Hand ſeyn;
wer kann Natur genug predigen? Wir ſind
wie Affenleiter, wie Baͤrenleiter, die ihre
G g 5Thie-
[472] Thiere ſchlagen, wenn ſich ſelbige vergeßen
und zur Natur kommen. Gemeine Sprache
iſt Waßerſuppe. Ausgeſuchte Worte ſind Ca-
nel, Muſcatennuß. Es faͤlt auf die Zunge;
allein es macht Hitze. — Lieber Paſtor! gie-
ßen Sie Oel in meine Lampe, ſonſt gehr
ſie aus. —
Sie brennt treflich!
fing an mir et-
was leiſe zu ſagen. Der alte Herr
v. G. verlangte, daß ers laut ſagen
ſolte, und der junge Herr v. G. ver-
ſtummte.
dem
aͤltern, bey Tiſch nicht leiſe zu reden.
Es ſieht, ſagte der alte Herr v. G., nach
Verraͤthern aus.
nnd iſt ein
Verſtoß wider die Hoͤflichkeit. —
Obgleich eben dieſe ungebetene Anmer-
kung ein dergleichen Verſtoß war.
es gaͤbe Gerichte, bey denen man nicht ſpre-
chen muͤßte.
- Sie leiden es nicht, ſagt’ er, und wol-
len durchaus, daß man ſich mit ih-
nen allein beſchaͤftiget. Sie ſollen auch
beßer
[473] beßer ſchmecken, wenn ſie ſtill gegeſſen
werden. — Fiſche, fuhr er fort, ſind
von der Art.
Es giebt Augenblicke, wo man
auch beym Fleiſch, beym Brodte, nicht ſpre-
chen kann. Anakreon ſtarb, weil ihm eine
Traube in die unrechte Kehle kam —
Laßen ſie uns Prob eßen. —
Du biſt ſtumm, wie ein Fiſch,
ſagt man. —
Dumm, wie ein Stockfiſch, ſagt
man auch.
einem langen Stillſchweigen unausgemacht,
obgleich beinahe jedes Graͤten bekam, weil
ſich keines des Lachens enthalten konnte. Ich
gewinne bey dieſem Cartheuſer Silentio, und
meine Leſer, fuͤrcht ich, auch. Am Ende blieb
es unausgemacht, weil ein verabredetes Still-
ſchweigen keine Probe ſeyn koͤnnte. Herr v. G.
war dieſer Meynung. —
Wer mit mehr als zweyen bey
Tiſche ſpricht, muß ſehr luſtig ſeyn; ſonſt
verliert der vierte. Mit zweyen muß man
ſprechen; denn man iſt freylich bey Tiſche
nicht immer in den Umſtaͤnden, ſprechen zu
koͤnnen. Drey wechſeln ſich beſtaͤndig um.
Unvermerckt kommts an jeden. Sind vier,
ſpricht
[474] ſpricht ſelten mehr als einer. Zwey koͤnnen
nur ſtreiten, der dritte entſcheidet; dieſes
aber muß nicht als grauiſſimus præſes, ſon-
dern als Nachbar ſeyn.
Was meynen Sie, Paſtor! wie
man ſpricht, ißt man, wie man ißt, klei-
det man ſich. —
Nicht immer. Ein Stolzer klei-
det ſich praͤchtig, ißt ſchlecht, und ſpricht
ſchwuͤlſtig; ein Wolluͤſtling —
Wird zugegeben, ich meyn’
es anders.
Alles dreyes zeigt von Ge-
ſchmack —
Das meynt’ ich. Was ge-
billiget wird, iſt gut, was vergnuͤgt, iſt an-
genehm, was gefaͤllt, iſt ſchoͤn. Ich glaube,
wir thun dem Herrn v. W. einen Gefallen,
wenn wir von Kleidern ſprechen. Er wech-
ſelt dreymal bis viermal an manchem Tage.
Niemals ohne Urſache, Herr
Bruder. Ich geb’ jedem Tag’, jeder Stunde,
was recht iſt.
Das iſt eine gute Uebung in der
Gerechtigkeit.
Herr Bruder, du haſt, wie
Chriſtianus der zweyt’, in Mutterleibe geweint.
Paſtor.
[475]
Wie Chriſtiernus.
Und was weiß ich, wie wer
im Mutterleibe gelacht. —
Ich ſchicke mich in die Zeit,
und bin ein feſtlicher Mann, das iſt: die
vergnuͤgten und traurigen Vorfaͤlle meines
Lebens ſind mir beſtaͤndig im friſchen Anden-
cken. Offt traur’ ich an demſelben Tage, und
bin froͤlich an demſelben Tage.
Sehr natuͤrlich! — Selten iſt
ein Tag, der nicht ſeine Plage hat.
Alles dieſes druͤck ich durch
Kleider aus. Man hat Trauer; warum
denn nicht Freudenkleider?
Da hat der Herr Bruder ei-
nen guten Gedancken, an Freudenkleider denckt
Niemand, und doch ſolte man Freudenfar-
ben und Freudenkleider erfinden, und ſie
dazu privilegiren. So was hat Einfluß
auf uns. Wenn ich Plereuſen, Trauer-
ſaͤume —
Phariſaͤerſaͤume!
Sehe, bin ich betruͤbt. —
Es erinnert mich an alles Truͤbe des Lebens —
ich fuͤhl die Krankheit von weiten, an der ich
ſterben werde. Das, glaub ich, fuͤhlt jedes,
wenn es betruͤbt iſt. —
Herr
[476]
Man theilt die Trauer in halb
und ganz ein; ich theile ſie in Viertheil —
Das iſt, nach dem Monde —
ich bin, nach der Sonne, immer ganz, Herr
Bruder!
Nur nicht immer Mittagsſonne
oder Mitternacht! — Sind Morgen- und
Abendroͤthen nicht die ſchoͤnſten Stuͤcke am
Tage? Giebts nicht eine gewiſſe Ruhe, die
beßer iſt, als Tanz und Jubel? Warum immer
Adagio oder Allegro? — Das maͤnnliche
Alter iſt die Mittagsſonne. Die Jugend
aber hat ihren Reiz, und das Alter hat auch
ſein beſcheidenes Theil. Das Alter genuͤßt,
es verweilt, wenn die Jugend herum wanckt,
und vom Hofnungswinde hin und her getrie-
ben wird.
Ew. Wohlehrwuͤrden bin ich
ergebenſt fuͤr dieſe Huͤlfsvoͤlker verbunden. —
Ein Viertheil oder halberge-
benſt — ganz ergebenſt ſagſt du wol nur
zum Praepoſitus.
Getroffen! Alles ſein Gewicht
und Waage!
Gott erbarm! So ein Cur-
laͤnder! So lang das Land ſteht, hat es
ſolch hoͤfliche Maͤnner nicht gehabt, als dich
und
[477] und deinen Waffentraͤger, den Herrmann.
Wir gehen in Stiefeln! und du Herr Bru-
der, wie ein Pabſt, in Pantoffeln. Schue
ſind dir ſchon zu ſchwer. —
Die Frag’ iſt, wie’s ſich leich-
ter geht? — Wir haben daruͤber ſchon ſo offt
und viel geſprochen — ich behalte meine
Weiſe, und laß jedem die werthe ſeinige —
Eins indeſſen, Herr Bruder,
mit deiner Erlaubniß. — Warum bleibſt du
im Zirckel deiner Familie? Du ſolteſt ein Path’
und Leichenbegleiter und Hochzeitgaſt von der
ganzen Welt ſeyn, und als ein Cosmopolit —
Das Hemde, ob es gleich nur
von Linnen iſt, bleibt uns naͤher, als das Kleid.
Wenn die Noth der ganzen Chriſtenheit mit
der meinigen ſtimmet, und wenn ich ſie weiß,
accompagnir’ ich gern. So auch mit der
Freude.
Und wenn ich ſie weiß? Ge-
ſchichte, Herr Bruder, Geſchichte —
Aber Zeit! Geſchicht’ iſt Zeit-
vertreib.
O! du edle Zeit! Kein Miſſe-
thaͤter wird ſo behandelt, als du! —
Von ungefehr hab ich man-
ches erfahren, und ich leugne es nicht, es
giebt
[478] giebt gewiße an ſich rothe Tage, im Staats
und Hof- ſo wie im Hauscalender, als da
iſt der ein und dreißigſte Julius.
Darf ich —
Benedictus I. der LXII. roͤ-
miſche Pabſt ſtarb an dieſem Tage, und auch
Ignatus Lojola im fuͤnf und ſechzigſten Jahre
ſeines Alters. Mein Grosvater iſt an dem
nemlichen Tage, gleichmaͤßig im fuͤnf und
ſechzigſten, meine Mutter am nemlichen Ta-
ge, im zwey und ſechzigſten Jahre, verſtor-
ben. —
Das iſt ja ein rechter Peſttag.
Nicht genug! Mein Sohn
Caſimir bekam an dem nemlichen Tage die
erſten Zahnſproßen, und ſtarb acht Tage
nach dieſen Todeskeimen. Meiner Mutter
Bruder brach ein Bein, und —
Spare deinen Zinnober, ſchon
roth uͤber roth! — Zwey und ſechzig und
fuͤnf und ſechzig! Du ſprachſt die Zahlen ſo
feyerlich, ſo groß aus, daß ich ordentlich
roͤmiſche Zahlen hoͤrte — ich condolire von
Herzen. An dem Tage wohl ganz tiefer
Trauer?
Du willſt ſpotten, allein —
man lebt nur durch dergleichen Kunſtgriffe,
ſonſt
[479] ſonſt betriegt man ſich um das Leben. Klei-
der ſind das, was Ceremonien in der Kirche
ſind.
Das letzte mag ſeyn, das
erſte nicht alſo. Du, hochzuehrender Herr
Bruder, du! du ſelbſt biſt der groͤßte Lebens-
betruͤger, den ich kenne, du lebſt die vorige
Zeit ſo vielmal, du wiederholſt dich ſelbſt
ſo offt —
Ich miſche Waßer und Wein,
Herr Bruder, das Vergangene und das Ge-
genwaͤrtige.
Waßer macht weiſe, und froͤ-
lich der Wein.
Wer weiſe iſt, Herr! iſt auch
froͤlich. — Weg mit dieſen Zuſammenfuͤgun-
gen, die die Natur nicht ſelbſt veranſtaltet.
Mit dieſen elenden Kuplereien. Waſſer al-
lein, Wein allein.
Aber mit Ew. Hochwohlge-
bornen Erlaubnis —
Etwas gehoͤrt auf die Rechnung der Frau v. G.
Sie winckte mir, um mir einige Feſtfragen
wegen meiner Predigt der Frau v. W. zur
Lehre und Troſt vorzulegen. Meine Leſer ha-
ben uͤber dieſe Predigt ſchon mehr als eine
Predigt gehoͤrt. Ich antwortete der Frau v. G.,
H hbuͤckte
[480] buͤckte mich gegen die aufs Wort merckende
Frau v. W., und gern haͤtt’ ich dieſes Predigt-
waſſer mit dem weinreichen Geſpraͤch des
Herrn v. G. gemiſcht, wer hat aber Caͤ-
ſars Faͤhigkeit? Der leſen, ſchreiben und ſeine
ſieben Sachen dietiren konnte. So viel weiß
ich, daß Herr Herrmann zum foͤrmlichen
Waffentraͤger des Herrn von W. inſtallirt
wurde. — Herr v. G. war Brabevta. Um in
der obigen Figur zu bleiben, muß ich es eine
Taufe nennen. Jetzt ſiz ich wieder, meinen
Leſern zu dienen, an Ort und Stelle.
Einen Tag, Herr Bruder, will
ich dir noch aus der Geſchichte zum Geſchenck
machen. Wenn ich nur, ſo wie du, roͤmiſche
Zahlen ausſprechen koͤnnte. Den achtzehnten
April —
Iſt Alexander Magnus geſtorben.
Und wer mehr?
Diogenes aus Sinope, der Cyniker
dem Alexander, obgleich Alexander klein war,
doch ſchon zu viel Schatten machte. Dioge-
nes iſt Alexander unter den Philoſophen —
Und auch der Tempel zu Ephe-
ſus wurde an dieſem großen Tage einge-
aͤſchert. —
Ey! ey! Herr Herrmann,
das war ein Patenpfennig von der Goͤttin
Diana, da Alexander gebohren ward.
Man
[481]
Ich bitte tauſendmal um Ver-
zeihung. —
Warum das? Sie haben das
Feuer nicht angelegt.
Der achtzehnte April! unſrer Kleinen Geburts-
tag. —
Damit aus ihr ein Alexander
ſtamme! Es war eine Geſundheit
Und ſie einen Alexander hey-
rathe!
Du weißt, Herr Bruder, fuͤr
wen ich ſie beſtimmt habe.
v. G. den juͤngern zeigend)
Auch ich hab
es die Ehre zu wiſſen.
Warum die
Ehre? —
Dann heyrathet ſie keinen
Alexander, der Himmel erfuͤlle alſo meine
Geſundheit. —
Das wuͤrde mir ein Feſt ſeyn!
Das Mirthen- oder das Wie-
genfeſt?
Beyde! beyde!
H h 2Herrmann.
[482]
Ew. Hochwohlgebohrnen neh-
me mir die Erlaubnis, meine aufrichtigſten
Gluͤckwuͤnſche —
Alle gute Dinge, nur kein
Gluͤckwunſch. —
Eine Geſundheit,
zuſammen: alle gute Dinge!
Dieſen guten Tag muß ein
Kleid bezeichnen, das gefallen ſoll. Du
ſpotteſt uͤber meine Kleider, Herr Bruder!
Alles, was Augen hat, ſoll dieſem Ehren-
kleide den gegenwaͤrtigen und den kuͤnftigen
Alexander anſehen, und alles —
Gefallen ſoll, Herr Bruder?
Wird, willſt du ſagen. Man kann nicht ſa-
gen: es ſoll gefallen, ſondern wenn es hoch
kommt: es wird. —
Da haſt du recht. Mit dem
Geſchmack muß man complimentiren, ich
beicht’ und wiederrufe mich. —
Paſtor! mit Ihrer Erlaubnis,
eine kleine Wiederholung, uͤber die Farben
von geſtern Abend. Ein Verſuch, ob ich be-
halten habe. Bey den Farben giebts hei-
lige Zahlen. — Es ſind drey Hauptfarben.
Roth, blau, gelb. Roth iſt die aͤlteſte Farbe
in der Welt; das Chaos war ohne Zweifel
roth.
[483] roth. Blau iſt die Leibfarbe der Erde, gelb
die Leibfarbe der Sonne. Die weiße Farbe
iſt die Seele, das Licht zu allem. — Was
dencken ſie, Paſtor? —
Daß wenig oder gar nichts von
dieſem allem auf meine Rechnung gehoͤre. —
Theorie, meine Herren, ich
bearbeite dieſes Feld praktiſch. —
Mein Satz iſt: folg der Natur!
Sieh die Lilien auf dem Felde. Die Natur
hat nichts, was ſich nicht paſſen ſolte. Die
Bluͤt’ iſt das Kleid. Der Spiegel die
Weſte. —
Schoͤn! wahr! viel geſagt!
Wenn ich ein halb trauriges, halb luſtiges
Feſt habe, roth und ſchwarz — und da
kann man Feinheiten anbringen. — Iſt der
Uebergang von der Trauer zur Freude; ſo iſt
das Kleid licht, die Weſte dunckel; iſts von
Freude zur Trauer umgekehrt, iſts allmaͤhlig,
ſo auch der Uebergang, ſo allmaͤhlig, daß man
nichts merckt. —
Das erſte nennt man es ſchreit,
als wenn ihm auf den Fuß getreten waͤre, das
andere koͤnnte man: es ſpricht nennen, und ſo
koͤnnts bis ins Ohr ſo leiſe herunter kommen.
H h 3Herr v. G.
[484]
Es geht mit den Farben der
Kleider vielleicht wie mit den Feſten mei-
nes Freundes. Es widerſpricht ſich oft, es
paßt nicht alles. —
Wenn eine Farbe der andern bey-
nahe gleich iſt, ſieht es aus, als falle ſie ihr
ins Wort. Es hat das Anſehen, als wenn
eins ſo wie das andere werden will, und nicht
werden kann. Das verdrießt den Zuſchauer,
er ſieht keinen erwuͤnſchten Ausgang ab. Der
Knoten bleibt geſchuͤrzt. Alſo eine ſolche
Farbenwahl: daß wegen ihres Unterſchieds
kein Zweifel bleibt. —
Blau und roth! Die preußi-
ſche Uniform!
Ganz recht; allein die Weſte
ſolte roth, das Kleid blau ſeyn, und das
der Vermiſchung wegen. Dieſe entſtehet, wo
die Farben recht zuſammenſtoßen: denn hier
wird ſelbſt dieſe Vermiſchung eine begreifliche
in rerum natura exiſtirende Farbe. Iſt das
Kleid roth, die Weſte blau, giebt die Ver-
miſchung ein ſchmutziges, ein ekeles roth.
Es ſolte jedes Land ſeine Uniform haben, jetzt
tragen ſie hoͤchſtens die Soldaten. —
Herr. v. G.
[485]
Jede Uniform kleidet. Wenn
ein Officier ſeinen Dienſtrock auszieht; iſts
offt ſo, als wenn er Anſtand und Geſchmack
und alles mit ausgezogen haͤtte. —
Uniform kleidet. — Sie haben
recht, allein warum? Die meiſte Zeit,
weil ſie Geſetz iſt. Man nimmts nicht ſo
genau. Man weiß, daß man ſie tragen
muß. Iſt dieſer Zwang vorbey, ſieht man
den Menſchen in naturalibus.
Paſtor, ſie hatten geſtern
Abend den Einfall, daß die Worte Kleider
der Gedancken waͤren, und daß man ſich
auch hier Farben dencken koͤnnte. Wahrlich,
manches Wort iſt wie aͤchte, manches wie
unaͤchte Farbe, manches Wort iſt ein vio-
lettes, gruͤnes, rothes Kleid.
Ich hab indeßen Leute ge-
kannt, denen vom rothen uͤbel ward. Es
war ihnen ein Ach und Wehgeſchrey.
Es iſt die haͤrteſte Farbe, der
Stand der Natur, der Stand der Wilden.
Die Jugend ſcheinen helle, einfache, das Al-
ter zweifelhafte, vermiſchte Farben zu kleiden.
Jene koͤnnte man kuͤhne, dieſe bedaͤchtige
Farben nennen. Den Blonden kleiden blaße,
oder ganz ſchwarze Farben; jenes wegen der
H h 4Har-
[486] Harmonie, dieſes wegen des Contraſts.
Den Brunetten kleiden harte Farben. So
giebts auch ſeidne, baumwollne Geſichter,
und Geſichter von Garn. — Ich halte da-
fuͤr, ein jeder Menſch, ich ſage Menſch,
muß ſeine koͤnigliche, prieſterliche, und pro-
phetiſche Stunden, und auch ſo ſeine dreyer-
ley Kleider, haben. Meine Frau hat mich
darauf gebracht. So ſtimme ich mit dem
Kleiderſchmuck Sr. Hochwohlgebohrnen des
Herrn v. W., und ſo weich ich von ihm ab.
Koͤnig geht eigentlich auf die vergangene,
Prieſter auf die gegenwaͤrtige, Prophet auf die
kuͤnftige Zeit, indeßen giebt es Zeiten, wo
die Minute, wo der Augenblick den Koͤnig,
den Prieſter, den Propheten fordert.
Paſtor, die Idee gefaͤlt mir,
ich glaub jeder kluge Junge, das heißt doch
eben ſo viel, als jeder Menſch, ich ſage
Menſch — iſt Koͤnig, Prieſter, und Pro-
phet, wenigſtens weiß ich mir Zeitpunkte zu
beſinnen, wo ich Koͤnig, Prieſter und Pro-
phet geweſen: und waͤre mir das Wort Koͤ-
nig nicht ſo gehaͤßig — wuͤrd ich nicht gern
mit Cromwell anſtatt dein Reich, deine Re-
publick komme! beten; Koͤnig waͤre meine
Lieblingsuniform.
Paſtor.
[487]
Sie koͤnnen immerhin ihre repu-
blicaniſche Faſces beybehalten. Sie duͤrfen
kein Koͤnigſcher werden, um im Geiſte Koͤ-
nig zu ſeyn — ich bin fuͤr Koͤnige, das heißt
was anders, als froh wie ein Koͤnig ſeyn —
Schicket euch in die Zeit, ich
ſchlage Herzog, Prieſter und Prophet vor.
In dem Sinn, wie der Pa-
ſtor es nimmt, iſt Herzog von Curland viel
zu wenig fuͤr mich.
wie ein Heckenfeu’r heraufſprang, und wobey
mir viel entging. Wie ſich dies Geſpraͤch auf
den Aufſchag am Kleide reducirte, weiß ich
nicht. Das Ende vom Liede war, daß Cur-
land ein Aufſchlag von Pohlen ſey, und daß,
wenn ja ein andrer Aufſchlag, als von dem
nehmlichen Tuche, ſeyn ſolte, er lichter ſeyn
muͤßte.
Das wahre Verhaͤltnis von
Pohlen gegen Curland.
Geſchmack iſt die Bemuͤhung, un-
ſer Urtheil mit andern algemein zu machen.
Die Deutſchen werden es nie zu viel Genies
bringen, welche Fluͤgel der Morgenroͤthe ha-
ben. Sie beſitzen aber eine ſehr große An-
H h 5lage
[488] lage zum Geſchmack. Alles zu berichtigen,
iſt ihre Sache. Man koͤnnte den Geſchmack
eine Galanterie des Verſtandes nennen. Er
will ſich bequemen. Der Menſch hat Appe-
tit, heißt: der Wirth ißt an ſeiner Tafel gut.
Der Menſch hat Geſchmack, heißt: er macht,
daß andere mit Appetit bey ihm eßen. Ein
Genie traͤgt einen rothen Rock, oder ſo was;
ein Geſchmackvoller eine ſanfte Farbe. Er
will alle Leute beſtechen, wenn man ſo ſagen
darf. Englaͤnder haben Genie. Franzoſen
Geſchmack. Deutſche beides. Wem es in
einem Stuͤck an Geſchmack fehlt, wird ſchwer-
lich irgendwo Geſchmack zeigen. Der Ge-
ſchmack iſt ariſtocratiſcher Staat. Geſchmack
iſt das allgemeine Gefallen. Gefuͤhl iſt ein
Privatgefallen. Geſchmack iſt das Geſchick,
die Faͤhigkeit zu waͤhlen, was jedem gefaͤllt.
Gefuhl hat man, Geſchmack lernt man. —
Von wem aber?
Die Pluralitaͤt entſcheidet, nicht
aber die Pluralitaͤt des Volcks, ſondern von
Leuten, die Gelegenheit gehabt haben, ſich in
der Welt umzuſehen. Geſchmackvolle Leute
wißen zu treffen, was allgemein gefaͤllt. Man
hat indeßen Geſchmack blos anderer wegen.
Alles Schoͤne ſucht und liebt man fuͤr die Ge-
ſell-
[489] ſellſchaft, und man kann es ſich kaum vor-
ſtellen, was man nicht der Geſellſchaft alles
zu Gefallen thut. Man waͤhlet ein ſchoͤnes
Weib nicht ſeinetwegen. Man nimmt ſie,
damit ſie andern auch gefalle. Der Eifer-
ſuͤchtige macht hier keinen Einwand, ſondern
auch er waͤhlt nicht anders. —
Sonderbar, aber wahr —
in allen ganz und halben Toͤnen.
Ein Garten gefaͤllt in Geſellſchaft;
Wald wenn wir allein ſind. Ungeſellige
haben keinen Geſchmack. Man ſolte glau-
ben, der Geſchmack habe keine Regel, allein
er hat ſeine Regel. Man kann indeßen nur
durch Erfahrung darauf kommen.
Wenn man Freunde hat, ſen-
det man nicht zuvor Kundſchafter aus, um
zu fragen, was jeder eßen will; indeßen
muͤßt es doch mit dem Teufel zugehen, wenn
man nicht eine Mahlzeit anrichten ſollte, die
jedem gefiele —
Der nicht kranck iſt.
Fuͤr den kochen die Aerzte.
Der arme Schelm!
Paſtor.
[490]
Griechen und Roͤmer ſind Mu-
ſter des Geſchmacks, und werden es bleiben
in Ewigkeit. —
Da bitt ich um Vergebung —
Und ich tauſendmal wegen
der deutſchen Sprache. —
Wenn Sie ihr das Leben abſpre-
chen, gut! ſo kann auch die deutſche Spra-
che zu der Ehre kommen, welche der grie-
chiſchen und lateiniſchen, eben weil es ſeelige
und vollendete Sprachen ſind, zuſtehet. So
lang eine Sprache lebt, wird dies Wort
adelich, dies buͤrgerlich, dies baͤuriſch, nach-
dem es die Mode will. Es geht mit den
Worten, wie mit den Familien: dies kommt
empor, jenes faͤllt. Heut iſt es am koͤnig-
lichen Hofe, in der Epopee, willkommen, mor-
gen findet man es ſchon bis im Schaͤferge-
dicht unausſtehlich. Gedanckenwendung,
Denckart, alles iſt im egyptiſchen Dienſt-
hauſe der Mode. — Gewinnſucht, Eigen-
ſinn in der Nation, kann Wort’ erhoͤhn und
erniedrigen. Alle Muͤnzen in einer lebendi-
gen Sprache ſind der Reduction unterwor-
fen — und wenn dann die Tyranney trium-
phiret, und Goͤtzengreul die heiligen Staͤte
ſchaͤndet, wenn von den Tempeln des Ge-
ſchmacks
[491] ſchmacks kein Stein auf dem andern iſt, wenn
Barbarey das Land deckt, ſind Homer und
Pindar, Virgil und Horaz —
Wenn aber der Geiſt der
Weltweisheit in einem Volcke wohnet, wel-
cher Tyrann kann da das Land verheeren?
Philoſophie iſt Feſtung, ich ge-
ſteh es, wo iſt aber eine, die unuͤberwindlich
waͤre? Die Wißenſchaften, ſie moͤgen blos
ſchoͤn oder zugleich gruͤndlich ſeyn, (Colorit,
Geſchmack, muß jedes Buch haben, wenn es
nicht mathematiſch iſt) ſind mit einander ver-
wandt. Hatten denn die Alten kein Licht in
der Weltweisheit? Wo biſt du Sonne blie-
ben, ſingt die chriſtliche Kirche, und meine
Frau mit ihr. Die ſchoͤnen Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften ſind die Mobilien, die Praͤtio-
ſa. Die Haͤnde der Noth greifen ſie zuerſt
an; allein am Ende verbreitet ſich die Tyran-
ney uͤber alles — duͤrr iſt das Land, das Volck
in Ketten, der Prieſter des Wuͤterichs Ge-
vatter — bis ein Heerfuͤhrer in der Nation
hervorragt, Feu’r ſieht, und nach den Schaͤtzen
der Alten graͤbt — dann kommen auch ta-
bulæ naufragae der Natur zum Vorſchein. —
Der Himmel wende dieſe Ge-
fangenſchaft von Deutſchland und ſeinen
Graͤn-
[492] Graͤnzen ab, und wenn Deutſchland ja Zie-
gelſtreichen muß, und ihre Knaben in der
Geburt erſtickt werden, ſchenck er ihnen Mo-
ſen, und fuͤhr ſie zuruͤck nach Kanaan!
Ohne durch eine Wuͤſte zu
gehen. —
Noch iſt Deutſchland im werden.
Ein ſchoͤnes Gewaͤchs! wird man bald ſagen.
Noch iſt es weit vom Luxus, der wie das
eigene Fleiſch und Blut der aͤrgſte Feind iſt,
ein innerlicher Freßer, ein Buͤrgerkrieger. —
So lang es einfaͤltig iſt, ſchlecht und recht
wie die Natur einhergeht, wer kann es ver-
wuͤſten?
Deutſchland fing mit Blitz,
Donner und Hagel an, und das war (ſo
finſter es rings umher ausſah, wie kann es
anders bey Donner, Hagel und Wolcken?)
ein deutſcher Anfang. Die aſiatiſche Baniſe,
meiner Frauen Leibroman, iſt — —
Blitz, Donner, Hagel, reini-
get die Luft, und alles gedeihet wohl. —
Ich weide mich an der Vor-
ſtellung, daß Deutſchland, das ſo vortreflich
zu bluͤhen anfaͤngt, auch Fruͤcht’ anſetzen wer-
de zum ewigen Leben. —
Paſtor.
[493]
Wir ſehen den May, ſo man-
ches erſte, ſo manches neue vom Jahr. —
Deutſchland — wie ein Feuer-
werck brandt es ab, Deutſchland!
In deutſchem Wein.
Deutſchlands ehre deutſchen geben.
Wird euch auch ſo deutſch ums
Herz als mir?
und zum drittenmal: Deutſchland!
Wir feyren, fing Herr v. W — an, als
ob er den Faden gefunden haͤtte, den
Herr v. G — und mein Vater verloh-
ren. Wir feyren das ſeelige Andencken
unſrer in Gott ruhenden Vorvaͤter, die,
wenn gleich ſie ein Glas uͤber Durſt
trancken, dies und noch mehr in Ehren
thaten, und Wein und ein Kuß in Eh-
ren, ſoll Niemand wehren. —
Sie gaben Gott, was Got-
tes, dem Kayſer, was des Kayſers, dem
Freunde, was des Freundes, ihren Weibern,
was der Weiber war. —
Sie waren tapfer, ohne durch
ein Aushaͤngeſchild ihren Muth zu verkuͤndi-
gen.
[494] gen. Friſches, unvergiftetes Blut roͤthete
ihre Wangen, ſie liebten ihre Weiber wie
Menſchen, ihre Freunde wie Engel, wie ſtar-
cke Geiſter. Sie waren beglaubt ohne Schwur.
Wolte Gott, daß ihre Kinder eine ſolche
Denckungsart nie unter das alte Eiſen legen
moͤchten! —
Wir feyren die ſeelige Zukunft,
da ſich die Wißenſchaften zu dieſen deutſchen
Eigenſchaften wie Weib zum Manne geſellen,
und nichts ſoll dieſes Paar ſcheiden! Jeder
der in Curland deutſch ſpricht, empfinde,
daß er ein deutſcher Nachbar, ein Mitdeut-
ſcher ſey!
es blieb beym Schein.)
Dieſer Gedancke ſey der verborgene Hebel, der
uns in Bewegung ſetze, deutſch zu ſeyn! —
Damit wir uns dem Genie
einer Sprache bequemen, die zur Beſcheiden-
heit und zur Hoͤflichkeit, zum Unterſchiede
zwiſchen Herr und Knecht gebohren iſt. So
rauh auch unſre Vorfahren waren, ſo rauh
ihre Sprache auf uns gebracht worden, die
noch bis dieſen Augenblick nicht uͤber alle
Bothmaͤßigkeit des Vorwurfs erhaben iſt;
ſo
[495] ſo ſehr unterſcheidet ſie ſich von allen Spra-
chen, wegen des in ihr liegenden Original-
ſtofs zur Hoͤflichkeit. Was ſchadet ein har-
ter Ton, wenn die Kraft der Sprach ihn wi-
derlegt? —
Endlich hatt’ all Fehd ein End. Ein Frie-
densartickel war, daß Herr v. W — die-
ſen Tag, als Feſt der Deutſchen, auf Kin-
deskind bringen wuͤrde. Omne trinum
perfectum perorirte Herr Herrmann, dem
es mit dieſem lateinſchen Brocken beßer
ging, als mit dem Tempel der Diana. Feſt
der Deutſchen, fuhr Herrmann fort, muͤt-
terlicher Geburtstag (die Mutter des Herrn
v. W — hatt’ an dieſem Tage das Licht der
Welt erblickt) vorlaͤufiger Verlobungs-
tag. — Man dacht auf feyerliche Einwei-
hung dieſes Feſtes, und es ward ein
Schaͤuer gebracht, welchen der Herr v. G —
zu leeren anfing und den er die Runde ge-
hen lies. Herr v. W — war außer ſich
wegen dieſer feyerlichen Anſtalten. Ich
haͤtte dieſes wiſſen ſollen, ſagt’ er. An
ihn kam der Schaͤuer zuletzt. Sein Danck
war ruͤhrend. Der gute Mann jammerte
mich, und, wie ich hoffe, wird er alle mei-
J iLe-
[496] Leſer jammern. Er lies eine Thraͤne in den
Wein fallen, die er lange geſammlet hatte. —
„Dieſe heilige Thraͤne„ fing er an, Aller-
ſeits Hochwohlgebohrne, Wohl-Ehr-
wuͤrdiger und Hoch-Edler, Hoch- und
Werthgeſchaͤtzte Herren und Freunde,
dieſe heilige Thraͤne„ mehr erlaubt’ ihm
die Wehmuth nicht. — Da man einſahe,
daß Herr v. W — kein Wort mehr in ſei-
ner Gewalt hatte, fing mein Vater an: —
Wer allein trinckt, ſchaͤmt ſich.
Wer in Geſellſchaft trincket, ſtaͤrckt ſein Le-
ben. — Wir bringen uns durch den Trunck
in Norden in ein beßeres waͤrmeres Clima.
Wir ſind im Geiſt in dem Lande, wo der Wein
gewachſen iſt, den wir trincken: Brandwein
macht heimlich, Bier ſchwer, Wein geſellig —
Im Weine iſt Wahrheit.
Das Temperament nicht, aber
die Geſinnung kann man durch den Trunck
beym Menſchen erkennen — allein auch das
Eßen veraͤndert den Menſchen, und oͤfnet
verborgene Kammern. Leute, die ſich im
Trincken fuͤr Spionen huͤten, ſind nur auf
einer Seite gedeckt, Iſt der Menſch truncken,
ſo iſt er ſchwach, und das iſt Gluͤck fuͤr ihn,
ſonſt wuͤrd er ſeinen Phantaſien nachlaufen,
und
[497] und Schaden nehmen. So wie ein Nacht-
wanderer, wenn er die Augen brauchen koͤnn-
te. Der Wein loͤſet die Zunge; bey Leuten
die in ſich gekehrt ſind. Schwaͤtzern, die
einen witzigen Einfall zu verbeißen fuͤr Kin-
dermord halten, und ihre Schwangerſchaft
nicht verheimlichen, ſondern lachen, ehe ſie
noch entbunden ſind; Schwaͤtzern ſtopft der
Wein den Mund. Es iſt dieſe Wuͤrckung
eine beſondre Sache; indeſſen beſtaͤtiget ſie
die Erfahrung. Jeder kluge Mann ſpricht,
wenn er ein Glas getruncken, und jeder Narr
verſtummt, und wenn er ja zu ſprechen ſich
erkuͤhnet, iſt es ſo Etwas unausſtehliches,
daß Niemand lacht, als er ſelbſt. — An-
derer Art Narren, die ſich nur dadurch von
ihm unterſcheiden, daß ſie nicht luſtige Rol-
len ſpielen, ſondern ſtillnaͤrriſch ſind, ſelbſt
die achten ſich zu gut, Theil an ihren bered-
ten Landsleuten zu nehmen. — So unter-
ſchieden, wie Bauren und Aſtronomen den be-
ſtirnten Himmel anſehen, ſo unterſchieden iſt
hier die Wuͤrkung des Weins. —
Paſtor, fuͤr dies Wort zu ſei-
ner Zeit —
Das Wort zu ſeiner Zeit!
J i 2Paſtor.
[498]
Leute, die eine gewiße Aufmerck-
ſamkeit auf ſich ziehen, die im Staat bezeich-
net ſind, koͤnnen ſich nicht betrincken, ohne
ſich veraͤchtlich zu machen — wie zum Exem-
pel Paſtores und Juden. Alles laͤuft ihnen
nach. — Man ſieht den Noa, wenn man
einen trunckenen Paſtor und Juden ſieht.
In England, wo ein Prediger kein Erzvater
iſt, wuͤrd es weniger anſtoͤßig ſeyn, einen
kopfhaͤngenden Paſtor in betrunckenem Mu-
the zu ſehen. —
Ein Schwaͤrmer iſt ein See-
lentrunckener. Wenn ich ſchon nuͤchtern unter
Trunckenen ſeyn ſoll, will ich lieber unter
Leibes als Seelentrunckenen ſeyn. Betrun-
ckene verſtehen ſich untereinander; ſo auch
Schwaͤrmer. —
Durch den Koͤrper haben wir An-
ſchauung. Wer mit der Seele ſieht, iſt ein
Schwaͤrmer, ein Geiſterſeher. Ein Enthu-
ſiaſt iſt ein edler Phantaſt. Ein Phantaſt
glaubt etwas zu empfinden, was er ſich ein-
bildet. In ſo fern ſein Ideal ſein maximum,
das er ſich ohne Sinnen aus ſich ſelbſt dencket,
einen ruhmwuͤrdigen Gegenſtand trift, iſt’s
Enthuſiasmus. Ueber Schwaͤrmerey und
Sehe-
[499] Seherey muß man reden, wenn man, wie
wir, ein paar Geſundheiten getruncken hat.
Lieber Paſtor, ich habe mir
unter einem Schwaͤrmer einen Menſchen vor-
geſtelt, der tantzen will, und nicht Tackt hal-
ten kann. So wie die Biene um eine Blume
herumſummt, und hie und da was herauszieht;
ſo auch ein Schwaͤrmer mit ſeinem Gegen-
ſtande. Nicht jeder Schwaͤrmer kommt an
einen Lindenbaum. Honig macht er gar
nicht. —
Ein Schwaͤrmer rechnet ohne das
Einmaleins der Seele zu wiſſen, er bauet,
ohn’ ein privilegirter Architect zu ſeyn. Die
Philoſophen bedencken ſich offt zu lange, ein
Schwaͤrmer offt zu kurz. Der Philoſoph
ſieht nach der Uhr, der Schwaͤrmer nach
der Sonne. Der Schwaͤrmer iſt eher Feld-
herr, als ein Philoſoph, offt zeigt der Schwaͤr-
mer dem Philoſophen kuͤhne Wege. Der Phi-
loſoph pflaſtert ſie, und dann geht ſie jeder-
mann. Der Tag gehoͤrt dem Philoſophen,
ſo wie die Nacht dem Schwaͤrmer. —
Das Gallakleid der Manns-
perſon, das Negliſchee der Dame. —
Hab ich recht, Paſtor, ein
Hypochondriſt iſt ein Menſch, der ſich ſelbſt,
J i 3wie
[500] wie ein Geitziger ſeinen Kaſten, bewahrt.
Der ſein Leben lieb hat —
und es eben darum verliert.
Ich wuͤrde, wenn der Menſch
an der Seele kranck iſt, die Kur des Leibes,
und wenn er am Leibe hinfaͤllig iſt, die See-
lenkur vorſchlagen. Dieſe ſympathetiſche
Mittel ſind nicht zu verachten.
Wo aber die Aezte?
Wollen Sie
meiner Kleinen erlauben, den Sallat anzu-
richten?
Wenn ich meine Schwieger-
tochter nicht bemuͤhe
Das ſtrengſte Augenmaaß und
Haͤndegewicht, ſo ich kenne, Oel, Eßig, Salz —
Jeder Blick, jeder Griff trift. Sie ſchnei-
det alles ohne Elle. Sie mißt kein Band. —
Wir wollen, um Sie auf die
Probe zu ſtellen, alle Augen auf Sie rich-
ten, ich wette Sie aͤrgert ſich, und giebt zu
viel Eßig. —
rigoroſo ohne aus der Faßung zu gleiten. Der
Sallat erhielt allgemeinen Beifall. Der Bra-
ten ward hinterher gegeſſen, wie erwieſen
war
[501]war. Bey dieſer Gelegenheit votirten wir
ab, (da dieſes den obigen Grundſaͤtzen nicht
entgegenſtand) daß alle Speiſen und Getraͤncke
die oͤffentlich abgebrauen und angerichtet wuͤr-
den, durch Frauenzimmerhaͤnde gehen muͤß-
ten. Es iſt, ſagte
Feyerlicher.
Es ſchmeckt beſſer.
Die Natur iſt eine Dame. —
genmaaß und Handgewicht bat, nachdem ſie
ihre Sallatpflicht, die ſie vielleicht noch ſo
lange zuruͤckgehalten, mit dem Salze vollen-
det, Erlaubnis von ihrer Mutter, friſche Luft
zu holen. Ihre Bitte that ſie ſehr beredt mit
dem rechten Auge. Sie erhielt was ſie wolte,
ich drang mich auf, ſie zu ihrer Aufſeherin zu
begleiten. Sie gieng, wie aus einer belager-
ten Stadt. Der juͤngere Herr v. G. wuͤrde
mir dieſe Ehre der Begleitung gerne ganz ab-
getreten haben, wenn ſeine gnaͤdige Mutter
ihn nicht zu ſeiner Braͤutigamspflicht aufge-
fordert haͤtte. Wir giengen und kamen ohne
eine Silbe zu ſagen —
Schoͤn, ſagte der Jude, nach-
dem er das Porcellain geſehen. Ich bitte,
damit ſie ſich nicht mehr als einmal aͤrgern,
einen Tag anzuſetzen, an dem alles auf einmal
in Stuͤcken gebrochen werde. —
J i 4Herr
[502]
Ich kann den Herrn v — s
mir vorſtellen. Der witzige Jude hat indeſ-
ſen unrecht. Selbſt die Art, womit man der-
gleichen zerbrechliche Dinge behandelt, machen
ſie angenehm. Man denckt mehr daran,
man genießt ſie alſo mehr. Paſtor, Sie
ſprachen geſtern wider die Gleichfoͤrmigkeit
bey Trinck und Eßgeſchirren? — —
Jedes meiner Huͤner iſt von an-
derer Art. Jede Taße ſolte eine andere
Malerey auszeichnen. So wie Tapeten zu
einem Zimmer voll Schildereyen, ſo mein
Vorſchlag zu einem Service. Beym Ser-
vice liegt eine gewiße Idee vom Geiz, der
ſich aber auch hier wie allemal im Weg’ iſt,
denn wenn ein Stuͤck aus dem Service zer-
bricht, hat das Ganze keinen Werth mehr. —
Was auf bloßen Rutzen aus-
geht, muß gleichfoͤrmig ſeyn. Die Franzo-
ſen zeichnen alle nach einem Muſter. Die
Englaͤnder auch. Alles iſt Service bey ih-
nen, ihre Wercke ſind Tapeten. In Deutſch-
land, wie verſchieden iſt Clima und Regie-
rungsform. Sie koͤnnen werden, Paſtor,
wie ihre Huͤner. Sie koͤnnen Schildereyen
aufſtellen. —
Herr
[503]
Die Geſundheit unſrer lieben
Frauen —
In was fuͤr Wein befehlen
Sie, meine Gnaͤdigen?
Ich denck im Rhein —
Ich im Champagner. Die
uͤbrigen Damen: in Champagner! die Frau
v. W. mußte beytreten.
Pokal klar wie Cryſtall. Mein Vater hatte
(ich ergaͤnze mein Protocoll) bey dem erſten
Pokal die Bemerckung gemacht, daß nichts
unſtimmiger, unrichtiger waͤre, als geſchlif-
fenes Glas zum Trinckgeſchirr. Der Wein
ſagt’ er, iſt fuͤr das Aug’ eben ſo, wie fuͤr
Naſe und Mund.
Weiber.
gern zierlicher gegeben, und es in Damen
verwandelt, wenn er nicht beſorgt haͤtte,
wegen Diebsheelerey vom Herrn v. G. in
Anſpruch genommen zu werden, der ihn ſich
wegen des Feſtes der Deutſchen bis zur Thraͤ-
ne verpflichtet hatte. Auch das Beywort
ehrlich war dem Herrn v. W. anſtoͤßig;
indeßen ruͤgt’ er auch dieſen Verſtoß nicht
des Feſtes der Deutſchen wegen.
J i 5Herr
[504]
Rheinwein auf die Geſundheit der Frau v. W.
rein aus, und ich buͤckte mich tief, als ob
ich daran Theil naͤhme. —
ſchuldig, ſondern erwiederte ſie, mit allen
Zeichen der Danckbarkeit, durch ein geruͤttelt,
geſchuͤttelt und uͤberfluͤßig Maaß Champagner,
den er nicht wie Herr v. G. eingoß, ſondern
einſprudelte.
Warum Wind, Herr Bru-
der?
in Verlegenheit, antwortete keine Sylbe,
ſondern bewies durch eine Nagelprobe, daß
er den Pokal geitzig, bis auf den letzten Tro-
pfen, geleeret haͤtte.
ein Staatsfeuer aus, welches aber gleich-
falls, durch die vortrefliche Anſtalten, ſo
gleich in der Geburth erſtickt ward, und da
die Herren v. X. Y. Z —, die außer cur-
ſchen Staatsangelegenheiten nichts mehr,
als hoͤchſtens von Pfeifenkoͤpfen und Hun-
den zu ſprechen wußten, ſehr viele lange
Weile gehabt, ſo fing Herr von G —, um
die Herrn von X. Y. Z — zu entſchaͤdigen
an
[505] an, ein Kappfenſter bey der gepreßten Luft,
welche dieſe Leute umzingelt hatte, zu oͤfnen. —
Es iſt wol kein Land in Eu-
ropa, wo die Hunde ſo viel geachtet werden,
als in Curland und Semgallen. —
ger dieſer Unterredung zu. Die Transplan-
tation des Geſpraͤchs war, wie in der Hei-
lungskunſt, magnetiſch, magiſch — ich
muͤßt indeßen eine Unwahrheit begehen, wenn
ich behaupten ſollte, daß ich bey dem Jagd-
und Waldgeſchrey der Hochwohlgebohrnen
Jaͤger v. X, v. Y, v. Z, alles in Dach und
Fach haͤtte bringen, und mir hinter das Ohr
ſchreiben koͤnnen. Ihr Geſpraͤch war ein
Geſamtkauf, nicht eine Klapper, ſondern
eine Geſchreyjagd. Einer ſchoß dem andern
das Wort von dem Munde. — Mein Vater
pflegte zu ſagen: „Ein gewißer Stand in
„Curland am Pfropfenzieher, ein gewißer
„anderer, am meerſchaumen Pfeifenkopf.“
Ich wuͤrde, waͤr ich ſo ein Antagoniſt wider
Curland, wie er geweſen, die Hunde nicht
uͤbergangen haben. Die Herren v. X. Y. Z.
begnuͤgten ſich nicht mit ihren ſehr geſunden
Jagdkehlen. Waͤhrend der Zeit, daß Herr
v. G — ihnen ſo liebreich entgegen gekom-
men,
[506] men, hatt’ einer von ihnen einen Ueberfall
veranlaßet. Es ließen ſich zwey Waldhor-
niſten, zum hoͤchſten Verdruß des Herrn v.
W —, der nur Cammermuſik liebte, hoͤren.
Herr Herrmann trug die Schleppe dieſer
Meinung nach, und ruͤmpfte, wiewohl, da
er nicht einſt die Hunde der Herren v. X. Y.
Z. zu dutzen ſich unterfangen haͤtte, wenn er
mit dieſen Hunden converſiren ſollen — nur
unter der Serviette die Naſe.
konnte nicht ſitzen bleiben.
Hunden nach Landesmanier, gleich nach dem
Litteratenſtand, den Rang anwieſen, behaup-
teten in corpore, daß der Hund wegen ſei-
ner Treue ein weltberuͤhmtes Thier ſey.
Auch wegen ſeiner Gierigkeit,
ſeines Neides, und ſeiner Nicken. Vater-
und Kindermoͤrdern ward er beygepackt.
CAVE CAVE CANEM.
Der Hund bewacht im Kaſten
Noa die ganze Welt. —
Ey der Archenhahn und die
Gans, von welcher in gerader Linie die aus
dem Capitolio abſtammte. —
Bey
[507]
ren v. X. Y. Z — eine Faͤhre zum Ueber-
fahren —
Hunde ſind die Auxiliar-Trup-
pen vom Menſchen, durch deren Allianz er
die meiſten Thiere zwingt, die nach dem Fall
Adams ſeinen Commandoſtab verkennen.
Warum ſind ſie aber wider
ihres Gleichen?
Was iſt treuer als ein Ketten-
hund?
Eine Treue an der Kette iſt
auf zweyerley Art verdaͤchtig. —
Was iſt fleißiger, als ein Spuͤr-
hund, behender als ein Windhund? Dies
ward von allen zugegeben. Der juͤn-
gere Herr v. G — ſchlug an ſeine Bruſt und
betheurete. Herr v. G — der aͤltere war
ſelbſt ein großer Freund nur kein Sclave von
der Jagd, und ich merckte zum erſtenmal an
meinem Vater, warum er ſich lieber des
meerſchaumen Pfeifenkopfs und des Propfen-
ziehers als der Hunde bedient: um gewiſſe
Staͤnde in Curland zu bezeichnen. Mein
Vater hielt die Hunde fuͤr wohlhergebrachte
adliche Thiere. Die Herren v. X. Y. Z. —
waren mit den erſchrieenen Tropheen befrie-
digt,
[508] digt, ihre gnaͤdige Frauen aber hatten noch
eine Frage: „Was iſt ſchmeichelhafter, als
„ein Schoos ein Zimmerhuͤndchen?
Wer wird ſich ſchmeicheln laſ-
ſen? Wer ſich verwoͤhnen? Wir haben Engel
bey uns. — Wer wird Thiere in ihre Geſel-
ſchaft bitten — ſo lang’ ich noch Menſchen
zu Freunden haben kann, warum zu Thie-
ren? Warum ſoll ich nicht eher des Hirts
Liſe, die Gottes und mein Bild an ſich traͤgt,
erziehen, als den Fripon? —
herſchreibe, ſondern allerliebſt! — ſie trieb
auch zur Freude ihres Mannes die gnaͤdigen
Damen X. Y. Z — in die Enge; die Frau
v. G — wollte die Frau v. W — ins weite
bringen, und nahm ſich ihrer verſtumm-
ten Geſelſchaft an, mit der ſie in Abſicht die-
ſes Punckts gleich dachte, uͤber die ſie ſonſt
aber (Sie hatt’ einen G — zum Gemahl)
unendlich erhaben war. Wir, beſchloß die
grundguͤtige Frau v. W —, wir koͤnnen
ſchon in dieſer Welt Engel werden, das
Thieriſche ganz ablegen und auferſtehn. —
ges auf die Seelen der Thiere, auf die
himmliſche Sternbilder dieſes Namens,
und
[509] und auf das Schickſal der Thiere in der
andern Welt. Die Frau v. W — fand
nichts dabey einzuwenden, die andern Da-
men aber, ſo ſehr ſie auch ihre Jolichens
liebten; deſto mehr. Sie lebten mit der
Idee in Todfeindſchaft, daß ſie dort mit
Cammerzofen in Einem Paar gehen, und
in Gemeinſchaft der Guͤter leben ſolten,
und dachten in ihrem Innerſten: Staͤnde
muͤſten ſeyn. — Jetzt, da ſie die Pforten
der andern Welt ſogar den Thieren geoͤfnet
ſahen, die ohngefehr das dort vorſtellen
ſolten, was hier der gemeine Mann; ſo
waren ſie uͤber dieſe himmliſche Toleranz
ſo bitter boͤſe, daß ſie die andere Welt fuͤr
ein Linſengericht verkauft haͤtten. — Dieſe
Unterredung wuͤrde Schatten zu Herzens-
ſilhouetten von dieſen Damen abgeworfen
haben; allein Herr v. W — hatte ſchon
geraume Zeit drauf gedacht, einen Tag,
eine Mahlzeit, die allein annum ſiderum
platonicum verdiente, nicht ſo unangemeſ-
ſen zu ſchließen. Dieſer Tag war ihm
merckwuͤrdiger, als der achtzehnte April,
an welchem Alexander und Diogenes ge-
ſtorben waren; die Herren von X. Y. Z —
ſchienen ihm wieder in Schlachtordnung,
und
[510] und ſie waren es wuͤrcklich. Herr v. W —
fing daher zur Zerſtreuung von der Mu-
ſik an, wozu ihm die Waldhoͤrner Gele-
genheit zublieſen. Herr Herrmann fand
ſich hiebey getroffen, und wuͤnſchte nichts
mehr, als ein Spinet, damit die Mey-
nung des Herrn v. W — beſtaͤtiget
wuͤrde, die darin beſtand, daß die Feld-
muſik blos zu Krieg und Jagd zu ver-
bannen waͤre. Mein Vater ließ den Har-
fenſchlaͤger Arion auf einem Meerſchweine
vorreiten. Die Herren v. X. Y. Z —
gewohnt an die Jagdfolge, oder das
Recht, ein bereits angeſchoßenes Thier,
welches auf eines andern Grund und Bo-
den entfliehet, zu verfolgen, und zu er-
legen; waren eben bereit, die Waldhoͤr-
ner, um ſie zu vertheidigen, zu uͤber-
ſchreyen. Von dieſem Plan waͤren ſie
nicht abgegangen; wenn ſelbſt das er-
wuͤnſchte Spinnet, wie lupus in fabula
geheult haͤtte; allein das Meerſchwein
und Arion kamen ihnen ſo unerwartet,
als ein Wild oder Hirſchkalb. — Sie wa-
ren, außerdem daß ſie jagdgerechte Wei-
demaͤnner waren, auch gute Stallmeiſter,
und wunderten ſich hoͤchlich uͤber dieſen
Ritt.
[511] Ritt. Herr v. W — machte von dieſem
Zeitpunckte Gebrauch, und befraget mei-
nen Vater, was der uͤberhaupt von der
Muſik daͤchte?
Ich bin fuͤr die Muſik der See-
len, ſo nenn ich die Poeſie, fuͤr die Har-
monie der Spaͤhren, die dem platoniſch-
philoſophiſchen Ohre hoͤrbar iſt. — Was die
andere Muſik betrift; ſo faͤlt mir offt dabey
ein, wie Dionyſius einen Muſikus behan-
delte. Er verſprach, ihn reichlich zu beloh-
nen, und da er den Lohn abforderte, ver-
wies er ihn aufs Gehoͤr, um Null mit Null
aufgehen zu laßen.
fuͤr einen Dionyſius viel zu fein, und gewis
wuͤrde er die Waldhorniſten, ſo hoͤflich er uͤbri-
gens war, anders abgefertiget haben. Aus
Angſt und Roth (der natuͤrliche Weg zum Wortſpiel)
kam Herr v. W — aufs Spiel, und
freute ſich herzlich, da er das Intreße be-
merckte, das die Herren v. X. Y. Z — an
dieſem Worte nahmen.
Herr v. W — ſchalckhaft ſtill vergnuͤgt.
K kPaſtor.
[512]
Ein jeder Kopf lernt ſchwer ſpie-
len; auch das leichteſte Spiel macht ihm
Muͤhe. —
Woher kommt das?
Es verdrießt ihn, daß er es nicht
gleich mit einem Blick umzingelt, und eben
dieſer Verdruß zerſtreut ihn. —
Das Kartenſpiel iſt ein Krieg.
Alle Leidenſchaften ziehen zu Felde. Man
hat uͤber die Moralitaͤt des Spiels geſtrit-
ten; allein offt aus ſehr falſchen Geſichtspunck-
ten. Einem Mann, der von Zinſen lebet,
iſt das Spiel ein Amt, und ſo etwas von
Amt iſt noͤthig, um die noͤthige Portion
Galle in den Magen zu ſprengen.
gewonnen zu haben, allein die Sache
wurde den Herren von X. Y. Z — nicht
nach ihrem Sinn abgehandelt, und ſie
fingen auf gut weydemaͤnniſch den Ha-
ſen zu anatomiren an. Mein Reiſege-
faͤhrte wußte ſo gut wie ſie, was Balg,
Loͤffel und Spruͤnge hieße, und was es
ſagen wolle, der Haaſe druͤckt ſich. —
Man handelte die Hohe, Mittel und Nie-
derjagd ab. Ich aͤrgerte mich nicht we-
nig,
[513] nig, daß Lerchen und Wachteln mit Mar-
dern und Heiſtern, zur Niederjagd gehoͤ-
ren; allein der Herr v. W. aͤrgerte ſich
noch weit mehr, daß er aus dem Regen
unter die Traufe gekommen war. — Alles
war uͤber und uͤber — Herr v. W —
mußte alſo aus der Roth eine Tugend
machen, und bracht’ eine Geſundheit auf
die gluͤckliche Reiſe des juͤngern Herrn v.
G — in Vorſchlag. Ich hatte die Ehre
mit eingeſchloßen zu werden, ſo wie un-
ſere beyden Vaͤter. Dieſe Geſundheit
wurd’ unter dem Vorſitz des Herrn v.
W — geblaſen — und zwar, nach des
Herrn von W — Anordnung, auf die
Art, als wenn Kanonen geloͤſet wuͤrden.
Es war ein jaͤmmerlicher Ton. Dem
wohlmeinenden Herrn v. W — gieng er
durch die Seele. Er hatte noch etwas
wegen der Kuchen anzubringen. Das
Reſultat ſeiner Meinung war, daß ge-
wiße Signaturen dabey angebracht, und
Trauer- und Freudenfeſte darauf bezeich-
net werden koͤnnten. Herr v. G — wi-
derſprach. Frau v. G — bracht’ das
Wappen in Vorſchlag, welches ſie in jeder
Serviette gewebt hatte. Die Waldhoͤr-
K k 2ner
[514] ner hoͤrten nicht auf, und Herr v. W —
bekam Seelenkraͤmpfe, die ihm mein Va-
ter, wiewohl nur auf eine kurze Zeit,
durch eine freundſchaftliche Theilnehmung
linderte.
ſagte mein Vater, daß dies Inſtrument
im Walde zu Hauſ’ iſt, wo Diſſonanzen
ſo nicht zu bemercken ſind. Das war dem
Herrn v. W — Balſam; indeßen griff
der vorige Schmerz wieder um ſich, und
Herr von W — ſchien zu meinem Vater
das Zutrauen zu verlieren, da mein Va-
ter wider alle Tafelmuſik ſich erklaͤrte.
Es iſt ein ſchlechtes Compliment, das der
Wirth ſich ſelbſt und ſeinen Gaͤſten macht,
erinnerte mein Vater, wenn er das Ge-
ſpraͤch an der Tafel durch Muſik unter-
bricht. Herr v. W — glaubte, die Ta-
felmuſik, wenn es eine Cammermuſik,
waͤre bey gewißen Feſten noͤthig, und
fand alſo nirgend Troſt. — Das letzte
Mittel war, die Tafel aufzuheben, Herr
v. W — griff ſo ſchwer dazu, als man
zum Trepan greift. Was war zu ma-
chen? die Herren von X. Y. Z — hat-
ten, ohne die oͤffentliche Geſundheiten ab-
zu-
[515] zuwarten, reichlich den Werth des Weins
bewieſen, und die Tafel mußte (Herr v.
W — mochte wollen oder nicht) aufge-
hoben werden. —
fel war Luthers Geſundheit:
„Tage!„
des ſeelgen D. Luthers Geſundheit im
Rheinwein trincken, es war aber ſchon
alles auf den Beinen. —
zu unhoͤflich war, wollte ganz was beſon-
ders ſagen; allein konnt’ er vor den Wald-
hoͤrnern? Alles gieng ſeinen eigenen Weg.
Ich, zu meinem Vortheil, quartierte mich
in ein klein Zimmerchen ein, wo ich den
heutigen Tag in Kuͤrz’ und Einfalt wie-
derhohlen wollte. Dieſer Umſtand ließ
mich hoͤren, was meine Leſer leſen ſollen.
Warum laßt ihr einen ſo gu-
ten Alten nicht gerade zu?
Gnaͤdiger Herr! Sie
wollten — ich aber wollte nicht.
Und warum?
K k 3Der
[516]
Ich ſchaͤm’ es mich zu ſagen,
da ich Sie ſehe. Es ging mir, wie dem un-
gerechten Haushalter — ich ſchaͤmte mich
zu betteln. —
Vater! — waͤret ihr mein
leiblicher Vater, ich wuͤrd mich eurer nicht
ſchaͤmen. Dies habt ihr aber freylich nicht
wißen koͤnnen. Ich habe gute Freunde bey
mir, ſeyd ſo gut einer davon zu ſeyn.
Nein, Herr! wenn ſie auch
alle waͤren wie Sie, ich habe nicht Zeit. —
Was habt ihr denn zu thun?
Was wichtiges, Herr! zu ſter-
ben — ich will es wohl alles ſagen, wenn wir
allein ſind — (ich hielt den Othem zuruͤck) ich
habe nur hoͤchſtens acht Tage zu leben.
Wie wißt ihr das?
Das weiß ich ſo! ich kann
es ſelbſt nicht ſagen, weil ich es weiß, weil
ich es fuͤhle, weil es gewiß iſt — und nun!
Meine Tochter und ihr Mann haben mich
zwey Jahr ernaͤhret. —
Da haben ſie ihre Pflicht
gethan. —
Ich hatte mir ſo viel Geld
geſammlet, um Niemanden aufs Alter be-
ſchwer-
[517] ſchwerlich zu fallen. Wie gings? ich lehnte
dies Geld einem Cavalier! der aß und
tranck, und war froͤhlich und guter Dinge,
bis er nichts wiedergeben konnte. Verzei-
hen Sie, gnaͤdiger Herr! Sie ſind ein Cava-
lier, allein ich ſage die Wahrheit. —
Und ich hoͤre ſie ſo gern, be-
traͤf es mich ſelbſt, als ihr ſie nur ſagen
koͤnnt. —
Kluͤger waͤrs geweſen, wenn
ich mich zu Tod gearbeitet haͤtte. — Da
fiel ich einmal blaß und bleich hin, und das
hielt ich fuͤr Gottes Winck, in dieſer Welt
zu ſchließen. Gnaͤdiger Herr! ich habe nicht
die Arbeit geſcheut, wie ich jung war cu-
rirt ich mich mit Arbeit, ich habe nie andere
Medicin gebraucht. Was einen in der Ju-
gen ſtaͤrckt, ſchwaͤcht im Alter — ich konnte
nicht, Herr, ich hatte ſchon ein halb Jahr
blos gebetet und geſungen, da ging mein
Geld verlohren! ich verſuchte meinen Arm,
ich fing an zu wollen, ich wollt’ im ganzen
Ernſt; allein ich konnt’ nicht, ich konnt’
nicht — verzeihen Sie dieſe Thraͤnen. Ich
habe keine betruͤbtere Stunde, als eben dieſe
Probſtunde gehabt, wo ich ſo ſchlecht be-
ſtand. —
K k 4Herr
[518]
Da gingt ihr zu euren Kindern?
Ja, Herr! und ſie kamen mir
entgegen. Ich habe nur eine Tochter, ich
fand aber an ihrem Mann einen Sohn! Was
ſie hatten, hatt ich. Sie pflegten mich,
obgleich ich ihnen keinen Dreyer nachlaßen
konnte. Gott labe ſie dafuͤr an ſeinem
himmliſchen Freytiſch, auch aus Gnad und
Barmherzigkeit, wie ſie’s hier an mir
gethan. —
Und jetzo, Vater, ſind ſie ge-
gen euch kaͤlter?
Nein, Herr! das nicht! aber
ſie ſind arm worden. Das Gewitter ſchlug
ihr Haͤuschen zu Grunde. Sie hatten et-
was zu meinem Begraͤbnis abgelegt — ich
bin ſo ein alter Geck auf ein ehrliches Be-
graͤbnis, und dieſen Sterbpfennig, Herr!
haben ſie angegriffen — drum geh ich bet-
teln. Wenn ich ſterbe, ſollen ſie die un-
vermuthete Freude haben, mein Begraͤbnis
beſtellt zu finden. Sie haͤtten geborgt, Herr!
um mir nach meinem Tode zu Gefallen zu
leben, das weiß ich; allein das wollt ich
nicht. So bin ich, Herr! ein alter Mann,
allein ein junger Bettler!
Wo wohnt ihr denn?
Der
[519]
Herr! Verzeihung! das ſag
ich nicht, meinet und meiner armen Lieben
wegen! —
Verzeihung, Alter, daß ich
es gefragt habe; Gott zuͤchtige mich, wenn
ich euch nachſehe. —
Das iſt brav! gnaͤdiger Herr!
in acht Tagen ſehn Sie gen Himmel, dann
(Gott ſey gedanckt) dann iſt meine Wohnung
nicht mehr geheim. —
Aber wo glauben Euch jetzo
die Eurigen? —
Ich ſagt, ich haͤtt ein Geluͤbde
auf mir, und muͤßte nach Gottes Welt ſehen,
ſie wißen, das es mein letzter Gang iſt. —
Nehmet, Vater, Gott ſey
mit euch! —
Herr, ſo viel! Nein, Herr! ſo
war es nicht gemeint. Ich brauch nur
noch zwey Orte, das uͤbrige hab ich nicht
noͤthig. — Im Himmel brauch ich nichts. —
Gebts euren Kindern.
Behuͤte Gott, Herr! Meine
Kinder koͤnnen noch arbeiten — ſie ſelbſt
brauchen nichts. —
Zum Hauß, Alter!
Es ſteht ſchon!
K k 5Herr
[520]
Ihr macht mich roth, Vater!
Nun dann, ſind wir’s beide.
Ich bin es auch uͤber und uͤber, weil ich
zwey Ort angenommen. Sparen Sie,
gnaͤdiger Herr! das uͤbrige fuͤr Leute, die
laͤnger fuͤr Sie beten koͤnnen, als ich. —
Ihr bewegt mich, Vater!
Ich hoff, ich hab auch Gott
bewegt, der laß es Ihnen nicht mißen! —
Wollt ihr was eßen?
Ich habe ſchon gegeßen, Milch
und Brodt. —
Aber mitnehmen? —
Nein, Herr! ich will dem lie-
ben Gott nicht ins Amt fallen. Alle Leute,
die mich ſahen, boten mir Eßen an. Ich
hab’ mir aber den Magen nicht verdorben.
Es waͤr ein ſchlechter Danck beym lieben
Gott, wenn ich jetzo mitnehmen ſollte.
Doch! — Ein Glas Wein, ein einziges!
Mehr, Vater! —
Nein, Herr! nur eins. Mehr
trag ich nicht. — Sie ſind es werth, daß
ich zum letztenmal vom Gewaͤchs des Wein-
ſtocks bey Ihnen trincke. Es ſoll der letzte
Weintropfen ſeyn, den ich in der Welt
nehme, ſonſt wuͤrd ich nicht gefordert haben.
Nun
[521] Nun kann ich im Himmel erzaͤhlen, wo ich
den letzten Labetrunck genoßen. — Lieber
Gott! ein Glas kalt Waßer bleibt ſchon
nicht unvergolten. —
der alte Mann hob ſeine Haͤnde gen
Himmel, da er allein war, und ſprach:
den letzten Wein! das Nachtmahl hab ich
ſchon vor acht Tage genommen, lieber
Gott, erquicke den Geber! wenn ihn
kein Trunck mehr erquickt! —
Vater.
Ich hab mir auch ein Glas
mitgebracht, wir muͤßen zuſammen trincken!
Habe Danck, lieber
Gott, fuͤr alles Gute, fuͤr dieſe Welt, hab
Danck!
jetzt
ſie ſtießen zuſammen.)
Gott ſchencke Ihnen ein
ſanftes Ende, wie ichs gewis haben werde! —
Vater! bleibt dieſe Nacht
hier, ich bitt’ euch! Kein Menſch ſoll euch
ſehen, wenn ihr es ſo wollt. —
Nein, Herr! ich kann nicht.
Meine Zeit, Sie wißen, iſt edel. —
Gott! großer Gott! womit
kann ich euch noch dienen? —
Der
[522]
Herr! ich wuͤnſcht Ihretwe-
gen, daß ich noch mehr brauchte. Sie ſind
ein guter Herr; allein ich hab auf der Welt
nichts mehr, als — noch einen Handſchu
noͤthig. Ich hab ihn verlohren. —
Gleich.
Zum letztenmal gelabt!
dort wird es beßer ſeyn!
Hier,
Alter! —
Den einen brauch ich nicht,
nur einen hab ich gefordert. —
Warum den andern nicht auch?
Dieſer Hand fehlt nichts.
Es iſt blos die Lincke, ſo die Luft nicht ver-
tragen kann. — Ich werd an Sie dencken!
Und ich auch an euch! —
O Alter! mir iſt es ſchwer, mein Wort zu
halten. —
Deſto beßer, Herr! fuͤr Sie,
wenn Sie’s halten.
Noch einmal Eure Hand,
Alter! Es iſt Angriff, es iſt Seegen Got-
tes drinn. —
Gott ſeegne Sie! —
Und helf euch! —
Noch
[]
Noch wer ich dieſes Geſpraͤchs wegen
in einer unausſprechlichen Bewegung, in ei-
ner ſchwermuͤthigen Wonne — auf einem
ſchoͤnen baumreichen Kirchhofe; als Herr
v. G — der juͤngere mich im Namen mei-
nes Vaters aufſuchte. Ich flog, mein Va-
ter reichte mir die Hand entgegen, und ging
mit mir auf unſer Zimmer, ſtieß ein Fenſter
auf, und fing an: „Ich dachte, Alexander,
„noch vier und zwanzig Stunden um Dich
„zu ſeyn; mein Amt will mich. Der —
„iſt im Letzten.“
Dieſer arme Mann war ein Bekannter
von uns. Das erſt’ und letztemal, da er
eine Flinte losdruͤckte, oder vielmehr, da ſie,
ohne ſein Vorwißen und Mitwuͤrckung, in ſei-
ner unerfahrnen Hand losging, erſchoß er
ſeinen Sohn. Er wollte ſeiner Frauenbru-
der, der auf Vogelwild ausgegangen war,
eine unerwartete Freude machen, und ihm in
Jaͤgeruniform entgegen kommen. — Das
Trauerſpiel geſchahe in dieſes Jagdverſtaͤndi-
gen Hauſe, und alſo nicht in unſerm Kirch-
ſpiel, wo, wie meine Mutter zu ſagen pfleg-
te, die Erde keinen Tropfen unſchuldig Blut
(er waͤre denn von meinem Balbier verſpruͤtzt)
getruncken haͤtte. — Knall und Fall! Die
Ge-
[524] Gericht ſprachen ihn frey; allein er ſich ſelbſt
nicht. Er hat ſich nie in der Welt ein La-
chen bereitet. Sein Weib ſtarb aus Gram,
mehr uͤber den Gram ihres Mannes, als
uͤber den Verluſt ihres einzigen Sohn’s. Die-
ſer Ungluͤckliche war jetzt in Seelenangſt.
Ich ſoll meinen Gerg ſehen, rief er mal
uͤber mal. Er wolte, mein Vater ſolt’ ihm
an die Hand geben, wie er ſich gegen ſeinen
Sohn in der andern Welt fuͤhren ſolte? Gott
helf ihm uͤber, ſagte mein Vater. Es iſt ſchwer,
wenn ein Vater ſeinem Sohn im Himmel
abzubitten hat. — —
Ich erzaͤhlte meinem Vater den Vorgang
zwiſchen dem Herrn v. G — und dem Al-
ten. Dieſe Vorfaͤlle (ich will mir die Ehr’
erweiſen, und unſere Trennung mit in dieſe
Summe bringen) brachten meinen Vater,
der ſonſt, wie meine Leſer wißen, ſehr beredt
war, zu einer ruͤhrenden Kuͤrze. Ich lag an
ſeiner Bruſt. Ob es hier am rechten Ort
ſteht, kuͤmmert mich nicht; allein ich habe
nie meinem Vater die Hand gekuͤßt. Kuͤße
fuͤr Weiber pflegt’ er zu ſagen. — — —
Hier, fing er an, eine verſiegelte Schrift!
Oeffne ſie nicht eher, als wenn du in der
groͤßten Noth biſt. Ich wolt’ ihn dieſer ver-
ſiegel-
[525] ſiegelten Schrift wegen, die zur Aufſchrift
ανέχου και απέχου hatte befragen; allein
er fuhr fort:
Unſer Herr und Meiſter ſagte zu ſei-
nen Juͤngern: ich hab euch noch viel zu ſa-
gen, aber ihr koͤnnet es jetzt nicht tragen.
Uns ſind allen beyden die Thraͤnen nahe.
Der alte Mann mit dem einen Handſchu,
der in acht Tagen ſterben wird, und der
Creutztraͤger — der wegen des Grußes, wo-
mit er ſeinen Sohn im Himmel begegnen ſoll,
verlegen iſt, (ich glaube der Herr v. W — wuͤrd
es ſelbſt ſeyn, wenn er in der Stelle dieſes
Armen waͤre) haben uns aͤußerſt bewegt.
Ein Abſchied, der auf einen naßen Boden
faͤllt, bringt keine Fruͤchte. Es iſt aͤrger, als
der ſteinigte Acker, den der alte Herr in
Muſik geſetzt hat. Ueberhaupt redet kein
Menſch ein kluges Wort, wenn er Thraͤnen
in den Augen hat. Sey ein guter Streiter,
ein Alexander, kaͤmpfe recht, ſo wirſt du
die Lebenseßenz, das iſt die Krone des Le-
bens, hier und dort empfahen! Amen!
Amen! auch in Abſicht des erſten Bandes. Ich
hoffe die folgende zwey, die Ich noch zu laufen hab,
im kurzen zu vollenden. Ueber dieſen ontologiſchen
Theil
[526] Theil haͤtt ich noch viel zu ſagen: vielleicht aber heißt
es auch von vielen meiner kritiſchen Leſer, wie von
meinem Vater und mir:
ihr koͤnnet es nicht tragen!
Da jede Stadt, jeder Flecken zwey Thore hat, ei-
nes beym Eingang’, und eines beym Ausgange; ſo
ſey es mir erlaubt, denen, die in dieſem Theile zu we-
nig Geſchichte gehabt, ſchluͤßlich den Troſt zu laßen,
daß die folgenden Baͤnde ſie entſchaͤdigen werden.
Wer Romane ließt, ſieht die Welt im optiſchen Ka-
ſten, iſt in Venedig, Paris und Londen, je nach-
dem die Bilder vorgeſchoben werden. Dieſes ſey
ein Wort ans Herz fuͤr die, welche meinen Le-
benslauf zu ſehr als Lebenslauf finden: wo die
Einheit der Zeit und des Ortes zu enge das Ver-
gnuͤgen verſchraͤnckt, denn wenn gleich meine Leſer
offt nur Thal, Berg und Geſtraͤuch geſehen haben; ſo
war es doch wenigſtens nicht durchs Glas. Ein an-
dermal von der gerechten Klage uͤber die verkehrte
Welt, daß Geſchicht in vielen Faͤllen Roman, und
Roman Geſchichte geworden! — — —
Ich wiederhohle, daß ich mich befugt glaube, auf
ein forum privilegiatum Anſpruch machen zu koͤnnen,
und nicht verbunden zu ſeyn, uͤberall Recht oder Un-
recht nehmen zu muͤßen. Druckfehler wolle der ge-
rechte Richter (ich habe ſchon anders wo, eben da
mir eine Leſe und Buch ſtabierrecenſion uͤber ein
gewißes Buch zu Geſichte kam, geſagt, wie weit ich
vom Druckorte bin, und fuͤge dieſem Umſtande noch
hinzu, daß ich ſehr unleſerlich ſchreibe) nicht ruͤgen,
und der geneigte Leſer ſelbſt verbeßern. — Mein Weib
und Kind bitten zu gruͤßen. —
Es mag uͤbrigens dieſer Nachtrag, wenn er nicht
als ein zierlicher Nachbericht gelten kann, als ein Co-
dicill, als eine donatio mortis causſa, als ein Aver-
tißement auf Blaupapier, oder eine Nachricht fuͤr
den Buchbinder angeſehen werden.
[][][]
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnhn.0