[][][][][]
Clariſſa,
Die
Geſchichte

eines vornehmen Frauenzimmers,

von demjenigen herausgegeben, welcher die
Geſchichte der
Pamela
geliefert hat:
und
nunmehr aus dem Engliſchen in das Deutſche
uͤberſetzt.

Vierter Theil.

[figure]

GOETTJNGEN: ,
Verlegts Abram Vandenhoeck, Univerſitaͤts-Buchh.
1749.

Mit Roͤm. Kayſerlichen, Koͤnigl. Großbrit. und Churf.
Braunſchw. wie auch Koͤnigl. Pohln und Churf. Saͤchſ.
allergnaͤdigſten Privilegiis.
[][[1]]

Clariſſa
der vierte Theil.



Der erſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Sie werden ſich nicht verwundern, daß der
Unmuth, der mein Hertz erfuͤllet hat, auch
meine Schreib-Art verſtellet; wenn ſie
nur einen Gedancken auf meine ungluͤcklichen Um-
ſtaͤnde richten, und uͤberlegen, wie vieles ich mir
gefallen laſſen muß, das meinem Hochmuth uner-
traͤglich iſt. Der bewegliche Brief meines Vetters
macht mir alles dieſes noch empfindlicher. Jndeſ-
ſen geſtehe ich, daß es von mir artiger gehandelt waͤ-
re, wenn ich Jhnen das betruͤbteſte von meinen
Umſtaͤnden zu verbergen ſuchte, weil Sie ein ſo
zaͤrtliches und edles Mitleyden mit mir haben, und
das Klagen mir doch die Laſt, die ich trage, nicht
erleichtert.


Allein gegen wen kann ich mein Hertz ausſchuͤt-
ten, als gegen Sie? Der Mann, der die Urſache
alles meines Ungluͤcks iſt, vermehret meinen Kum-
mer: ich habe keinen Bedienten, auf deſſen Treue
ich mich verlaſſen kann, oder dem ich meine Sorge
Vierter Theil. Aem-
[2]
entdecken darf. Lovelace zieht jedermann durch
ſeine Freygebigkeit und Munterkeit an ſich. Jch
bin gleichſam nur eine Null, die ſeinen Werth
erheben muß: mir ſelbſt gereiche ich blos zum Kum-
mer. Jch mag mich zuruͤck halten ſo viel ich will, ſo
kann ich doch nicht gantz verhindern, daß mir bis-
weilen eine Thraͤne aus den Augen faͤllt, und das
Papier befleckt. Jch bin verſichert, daß Sie mir
dieſen kurtzen Troſt nicht verbieten werden.


Es ſcheint beynahe, daß der Anfang dieſes
Briefes eine Fortſetzung des vorigen wird, in wel-
chem ich meine Traurigkeit zu entſchuldigen ſuchte.
Doch es ſey das genug, was ich davon geſchrieben
habe. Mein Ungluͤck iſt ein Beruf fuͤr Sie, mir
die alleredelſten Proben der Freundſchaft zu geben,
die wir einander ſo heilig gelobet haben, nehmlich
mir mit Troſt und Rath zu ſtatten zu kommen. Jch
glaube ſo gar, ich wuͤrde ihnen Unrecht thun, wenn
ich dieſen Ruf fuͤr noͤthig hielte.


  • Jn dem, was folget, meldet die Clariſſa, daß
    Herr Lovelace ſeit dem, daß ſie ihre Kleider
    bekommen hat, ſtets in ſie dringe, und ſie
    bitte, mit ihm in Geſellſchaft eines ihr ſelbſt
    beliebigen Frauenzimmers auszufahren,
    und ſich entweder durch eine Luſt Reiſe
    oder durch die gewoͤhnlichen Luſtbarkei-
    ten der Stadt London aufzumuntern.
  • Sie giebt eine umſtaͤndliche Nachricht von
    dem, was bey einer gewiſſen Unterredung
    deshalb vorgefallen war, und von einigen
    andern Vorſchlaͤgen des Lovelace: bemer-
    cket aber dabey, daß er mit keinem Wor-

    te
    [3]
    te der Trauung gedencke, davon er ſo viel
    geredet haͤtte, ehe ſie nach London gekom-
    men waͤren, und ohne welche jene Vor-
    ſchlaͤge gantz ungeſchicklich waͤren.

Mir iſt jetzt das Leben unertraͤglich. Wie froͤ-
lich wollte ich ſeyn, wenn ich auſſer ſeiner Gewalt
waͤre! Er ſollte alsdenn den Unterſcheid bald mer-
cken. Muß ich ja gedemuͤthiget und gedruͤcket
werden, ſo wuͤnſchte ich, daß es lieber von denen
geſchehen moͤchte, gegen die ich eine natuͤrliche Ver-
pflichtung habe. Meine Frau Baſe meldet mir
in ihrem Briefe, daß ſie ſich nicht unterſtehet fuͤr
mich zu reden. Aus Jhrem Briefe ſehe ich, daß
man von der vorigen Haͤrte gegen mich abgelaſſen
haben wuͤrde, wenn ich mich nicht zur Flucht haͤt-
te verleiten laſſen: daß meine Mutter ſich hat be-
muͤhen wollen, den Haus-Frieden wieder herzuſtel-
len, und daß ſie meinen Onckle Harlowe zu Huͤlffe
zu nehmen Vorhabens geweſen iſt.


Auf dieſen Grund will ich bauen. Jch kann
es doch verſuchen, und es iſt meine Schuldigkeit
alles moͤgliche zu verſuchen, dadurch ich die verſchertzte
Gunſt meiner Eltern wieder erlangen kann. Viel-
leicht laͤſſet ſich dieſer ehemahls ſo guͤtig geſinnete
Onckle bewegen, ein Wort fuͤr mich zu ſprechen.
Um den Antrag nach den Geſchmack meines Bru-
ders einzurichten, will ich von Hertzen gern alles
Recht an mein großvaͤterliches Gut aufgeben, und
es dem uͤberlaſſen, dem es die Meinigen zudencken:
und um dieſe Uebertragung deſto rechts-kraͤftiger
zu machen, will ich zugleich verſprechen, mich nie zu
verheyrathen.

A 2Was
[4]

Was duͤnckt Jhnen hiezu? Die Meinigen wer-
den ſich doch nicht gaͤntzlich und auf ewig von mir
losſagen wollen! Wenn ſie das geſchehene mit un-
partheyiſchen Augen anſehen, ſo werden ſie ſich doch
einige Schuld beymeſſen, und nicht alles mir allein
zur Laſt legen.


Jch glaube, daß Jhnen dieſes Mittel wuͤrdig
ſcheinen wird, verſucht zu werden. Allein dieſes
iſt die Schwierigkeit: wenn ich ſchreibe, ſo weiß ich,
daß mein harter Bruter alle gegen mich ſo einge-
nommen und verbunden hat, daß mein Brief aus
einer Hand in die andere wird gehen muͤſſen, bis
er Zeit gewinnet, alle zu bereden, daß ſie meine
Bitte abſchlagen: koͤnnte aber mein Onckle bewo-
gen werden meine Bitte als aus eigenem Triebe zu
unterſtuͤtzen, ſo wuͤrde meine Mutter und ihre
Schweſter ihm gewiß beytreten.


Jch komme daher auf folgenden Einfall. Herr
Hickmann iſt bey jedermann wohl angeſchrieben:
wie? wenn er eine Gelegenheit ſuchte, mit meinem
Onckle Harlowe zu ſprechen, und ihm als eine
Nachricht, die er von Jhnen erfahren haͤtte, verſi-
cherte, in was vor Umſtaͤnden und Gemuͤthsfaſſung
ich mich befinde, und daß ich Lovelacen auf keine
Weiſe verbunden bin?


Jch uͤberlaſſe es voͤllig Jhrem Gutbefinden, ob?
und in wie fern dieſer Einfall zu billigen ſey? Wenn
Herr Hickmann in Jhrem Nahmen (denn in mei-
nem Nahmen kann es nicht geſchehen, davon wer-
den Sie die Urſachen, ohne daß ich ſie melde, mer-
cken) dieſen Antrag thut, und mein Onckle ſchlaͤgt
es
[5]
es ab, ſich mit mir ferner einzulaſſen: ſo habe ich
keine Hoffnung, und muß mich in den Schutz der
Baſen des Lovelaces begeben.


Es wuͤrde gottlos ſeyn, folgende Zeilen, die eine
Anklage der hoͤchſten Vorſorge enthalten, und ihr
unſere Suͤnden beymeſſen, in meinem Nahmen zu
ſprechen; ſie fallen mir aber doch oft bey, weil ich
mein ungluͤckliches und unvorſaͤtzliches Verſehen le-
bendig geſchildert in ihnen antreffe.


Jhr Goͤtter, euch, euch red' ich klagend an.


Entdeckt der Welt die Unſchuld und die Tugend.


Jſts moͤglich, daß man mich verdammen kann,
So offenbart die Suͤnden meiner Jugend.


Setz’ ich den Fuß auf Wege die ich haſſe,
So meßt die Schuld dem ewgen Schickſal bey:
Mein Fuß iſt Suͤnder und mein Herz iſt frey.



Von einigen Briefen, welche hier der Zeit nach
folgen, hat der engliſche Herausgeber nur einen
Auszug geliefert.


Die Fraͤulein Harlowe berichtet am Montage,
daß Herr Lovelace ihr Misvergnuͤgen bemerckt,
und den Herrn Mennell, einen Verwandten der
Frau Fretchville, und der ihre Sachen beſorge, zu
ihr gebracht habe. Sie beſchreibt ihn als einen ver-
ſtaͤndigen und artigen jungen Officier: der ihr glei-
che Nachrichten von dem Hauſe und von den betruͤb-
ten Gemuͤths-Umſtaͤnden der Frau Fretchville ge-
geben habe, als vorhin Herr Lovelace.


Sie meldet der Fraͤulein Howe, wie ſehr Herr
Lovelace dieſem fremden Herrn angelegen habe,
A 3daß
[6]
daß er ſeiner Liebſten (wie er ſie jetzt in Geſellſchaft
zu nennen pfleget) Gelegenheit verſchaffen moͤchte,
das Haus zu beſehen. Herr Mennell habe auch
verſprochen, ihr noch den Nachmittag alle Zimmer
zu zeigen, dieſelbigen ausgenommen, in denen ſich
die Frau Fretchville eben befinden wuͤrde. Allein
ſie haͤtte ſich nicht unterſtehen wollen, noch einen
Schritt zu wagen, bis ſie wuͤßte, wie der Fraͤulein
Howe ihr Anſchlag gefiele, bey ihrem Onckle zuzu-
hoͤren, ob er ſich ihrer wol annehmen wollte: und
bis ſie ſaͤhe, was dieſer Verſuch fuͤr Folgen haͤtte.


Herr Lovelace berichtet ſeinem Freunde in ſei-
ner gewoͤhnlichen lebhaften Schreib-Art, wie nie-
dergeſchlagen die Fraͤulein bey Erhaltung ihrer
Kleider und eines Briefes geweſen ſey. Er bedau-
ret, daß er ihr Zutrauen gegen ſich verſchertzt habe;
vermuthlich dadurch, daß ſie ſeine vier Freunde
habe kennen lernen: wiewohl er nicht ſeine Freunde,
ſondern die uͤbertriebene Tugend-Lehre ſeiner Schoͤ-
nen tadeln muͤſſe. Denn niemahls haͤtten ſich junge
Herren, (ſie, ſeine vier Freunde, zum allerwenigſten
niemahls) beſſer aufgefuͤhrt, als denſelbigen Abend.


Da er erzaͤhlet, daß er den Mennell zu ihr ſelbſt
gebracht habe, ſetzt er hinzu:


„War das nicht recht artig von dem Herrn
Mennell? (Jch nennete ihn gemeiniglich, Ca-
„pitain Mennell:
denn du weiſt wol, daß nie-
„mand unter den Soldaten Lieutenant, oder Faͤhn-
„drich
heiſſen will.) War es nicht recht artig, daß
„er ſo willig war mit mir zu gehen, und meiner
„Schoͤ-
[7]
„Schoͤnen von der Schwermuͤthigkeit der jungen
„Wittwe eine zuverlaͤßige Nachricht zu geben?


„Mich duͤnckt, du willſt gern wiſſen: wer der
Capitain Mennell iſt? Du haſt den Nahmen,
Capitain Mennell, noch nie nennen hoͤren.


„Das glaube ich wol. Kenneſt du den jungen
Newcomb nicht? Des ehrlichen Dolemans
„ſeinen Vetter?


„Hoho! iſt der es?


„Ja! der iſt es! Jch habe aus eigener Voll-
„macht ſeinen Nahmen geaͤndert. Du weiſt, daß
„ich ein Vater vieler Nahmen bin: ich vergebe al-
„lerhand Bedienungen an Leute vom Degen und
„von der Feder. Jch verſchencke Guͤter, und nach
„meinem eigenen uneingeſchaͤnckten Willen nehme
„ich ſie wieder. Jch adele: und welches noch mehr
„iſt, ſo nehme ich meinen Vaſallen Wapen und
„Adel nach meinem eigenen Wohlgefallen, ohne
„vorhergegangene Felonie. Ein Monarch, ein
„eingeſchraͤnckter gebundener Monarch, iſt gegen
„meine Allmacht ein Bettler.


„Allein das iſt der Teuffel! Nachdem Mennell
„meinen Engel geſehen hat, ſo hat er tauſend An-
„faͤlle von hypochondriſchen Grillen. Es wird
„mir viel koſten, ſeine Geſundheit zu erhalten. Doch
„ich darf mich hieruͤber nicht wundern, da vier
„ſolche Kerls, als ihr ſeyd, nach einem Umgange
„von wenigen Stunden fuͤhleten, daß ſie Hertzen
„haben. Das troͤſtet mich, daß ich den Vorſatz
„habe, mein Kind endlich zu belohnen, wenn es
„mich durch ſeine Tugend uͤberwindet; oder daß
A 4„ich
[8]
„ich die Verſuchung nicht immer werde fortſetzen
„koͤnnen. Denn ich ſelbſt habe bisweilen hypo-
„chondriſche Anfaͤlle. Sage aber der Bruͤder-
„ſchaft nichts davon, und lache du mich auch ſelbſt
„nicht aus.„


Jn einem andern Briefe, der des Montags
Abends geſchrieben iſt, meldet er ſeinem Freunde:
die Fraͤulein ſey ſo fremde gegen ihn, daß gantz gewiß
noch ein Briefwechſel zwiſchen ihr und der Fraͤulein
ſeyn muͤſſe, ohngeachtet ihn Frau Howe ihnen bey-
den verboten habe. Er halte es fuͤr ein gutes Werk
den Ungehorſam zu ſtraffen, und er glaube, daß
dieſe Maͤdchens beyde eine Straffe verdienten, weil
ſie ſich gegen ihre Eltern auflehnen. Er habe ſich
naͤher nach ihrem Brieftraͤger erkundiget, und fin-
de, daß es ein gemeiner Wild-Dieb ſey, der unter
dem Vorwand Kleinigkeiten zu verkauffen, ſeine
geſtohlene Eß-Waare anbringe. Weil er Wil-
ſons
Haus ſelbſt vorgeſchlagen habe, die Briefe
dahin zu ſchicken, ſo unterſtehe er ſich nicht dort et-
was zu verſuchen: allein er wolle den alten Kerl
unterweges pluͤndern laſſen; es ſollten ihm nicht al-
lein die Briefe, ſondern auch das Geld genommen
werden, das er bey ſich haͤtte, denn ſonſt wuͤrde er
deswegen in Verdacht kommen.


„Wenn man ſeine eigene Abſichten erhaͤlt, und
„zugleich einen Spitzbuben ſtrafft, ſo dienet man
„der Welt und ſich ſelbſten. Die Geſetze ſind fuͤr
„einen ſolchen Mann als ich bin nicht gemacht. Jch
„muß hinter einen Briefwechſel kommen, der ohne
„Ungehorſam nicht gefuͤhret werden kann.


Jch
[9]

„Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich
„erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe
„in den Taſchen hat, ſo wollte ich ſuchen, es in die
„Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ-
„ne ſo ungluͤcklich ihre Taſchen zu verlieren. Allein
„wie ſoll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas
„weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als
„ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das
„Kammer-Maͤdchen ſie ſiehet, iſt ſie ſchon angeklei-
„det. Das iſt ein verfluchter Argwohn! warlich
„Bruder, wer argwoͤhniſch iſt, der verdient geſtraf-
„fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli-
„chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, ſo giebt es ihm
„ein Recht ein Schelm zu werden.


„Je mehr ich der Sache nachdencke, deſto mehr
„kriege ich Luſt etwas gegen ihre Taſchen zu wagen,
„weil dabey die wenigſte Gefahr iſt. Allein es
„koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taſchen
„ſtecken, obgleich die Taſchen halb ſo groß ſind, als
„das Frauenzimmer ſelbſt. Jch glaube, ſie tragen
„ſie an ſtatt des Ballaſtes, damit der Wind nicht
„ihre Cannevaſſenen Segel ergreiffen, und ſie in die
„Luft fuͤhren moͤge.„


Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf
allerhand Anſchlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein
Harlowe aus den Haͤnden zu bringen, ſo erzaͤhlt
er, was er in ſolchem Falle zu thun geſinnet ſey,
und ruͤhmet ſich, daß er der Dorcas und ſeinem
Wilhelm Summers ſchon auf alle Faͤlle Ver-
haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha-
be ſich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgeſehen:
A 5und
[10]
und wenn ſie auch aus dem Hauſe entkaͤme, ſo wolle
er ſie dennoch wieder zuruͤck bringen; ja ſelbſt in dem
Falle wuͤrde er ſie nicht verlieren, wenn ſie auſſer Lan-
des ginge, und ſich weigerte wieder zu ihm zu kom-
men. Er hoffet auch alles ſo einzurichten, daß es ihm
niemahls an einem Vorwand fehlen ſoll, ſie bey ſich
zu behalten, wenn gleich ſeine Auſchlaͤge entdecket.
wuͤrden.


Er hat der Dorcas befohlen ſich auf alle moͤgli-
che Weiſe bey ihrer Fraͤulein einzuſchmeicheln, und
oͤfters daruͤber klaͤglich zu thun, daß ſie weder ſchrei-
ben noch geſchriebenes leſen kann. Sie ſoll der
Fraͤulein bisweilen einige Briefe von ihren angebli-
chen Verwanten auf dem Lande zeigen, und ſie bit-
ten, ihr zu rathen, was und wie ſie antworten laſſen
ſolle. Sie ſoll viel mit der Feder ſpielen und ſchmie-
ren, damit nicht die Dinte, die bisweilen an ihre Fin-
ger koͤmmt, ſie verrathen moͤge, daß ſie ſchreiben
koͤnne. Er habe ihr uͤber dieſes eine Schreib-Tafel
und einen ſilbernen Stift gegeben, damit ſie ſich eini-
ge merckwuͤrdige Umſtaͤnde aufzeichnen koͤnne.


Die Fraͤulein habe den Vorſchlag der Frau Sin-
clair
bewilliget, und ihre Kleider aus den Coffern
in einen groſſen Schranck von Mahogany geleget,
darin ſie voͤllig nach der Laͤnge liegen koͤnnten, und
darin auch Schiebladen fuͤr die Waͤſche waͤren.
„Dieſer Schranck hat oft die ſchoͤnſten Kleider un-
„ſerer Nymphen verwahret, die ſie anzuziehen pfleg-
„ten, wenn ſie vornehmen Leuten aͤhnlich ſeyn, oder
„vornehme Herren fangen wollten. Manche dir be-
„kaunte Graͤfin hat unſere Mutter ausgeſtattet, ja
ſo
[11]
„ſo gar ein Paar Hertzoginnen, die jetzt nach der
„neuen vornehmen Mode eine vergnuͤgte Lebens-Art
„in dem Hauſe ihrer Ober-Herren fuͤhren. Allein
„dieſe gehoͤren auch nur vor Perſonen vom Stan-
„de, und die es bezahlen koͤnnen: denn nicht ein je-
„der gemeiner Suͤnder muß vornehme Kinder un-
„ehrlich machen.


Dorcas hat einen Haupt-Schluͤſſel, der alle
„Schieb-Laden oͤffnet. Es iſt ihr befohlen alles auf
„das genaueſte wieder zurecht zu legen, wenn ſie
„Briefſchaften in dem Schrancke ſuchet. Sara
„und Marichen ſollen mir im Abſchreiben behuͤlf-
„lich ſeyn, denn mit einem ſolchen Kinde muß man
„ſehr langſam und behutſam umgehen.


„Es iſt ohnmoͤglich, daß ein ſo junges Frauen-
„zimmer bey ſo weniger Erfahrung ſo vorſichtig ſeyn
„ſollte, wenn es ſich ſelbſt gelaſſen waͤre; da ſich
„unſere Nymphen ſo ſittſahm auffuͤhren, und in dem
„Hinter-Hauſe nie etwas von dem Lerm gehoͤret wird.
„Alles iſt ganz artig und ſtille; unſere Jungfern
„ſind wohlgezogen und beleſen: der erſte Wi-
„derwille wider die alte Mutter iſt uͤberwunden.
„Es kann demnach keine andere ſeyn, die mir
„die Sache ſchwer macht, als die Fraͤulein Howe,
„die ſich ehemahls in einen unſeres gleichen, in den
„ehrlichen Georg Colmar verliebt hatte, wie du
„ohne Zweiffel wiſſen wirſt.„


„Aus den Mitteln, die ich mir ſchon auf alle
„Faͤlle ausgeſonnen habe, wirſt du ſehen, Bel-
„ford,
daß ich nichts vergeſſe. Denn man glaubt
„kaum wie ſehr richtig der Ausdruck unſeres Liedes
„iſt.„

Der
[12]
Der Ruhm, der uns begluͤckt,

Der Sieg, der uns entzuͤckt,

Haͤngt nur am ſeidnen Faden.

„Bis hieher bin ich fromm geweſen. Allein mei-
„ne Goͤttin ſoll ehe keine Ruhe haben, bis ich weiß,
„wo ſie ihre Briefe laͤßt. Hernach will ich ſie in
„die Comoͤdie bringen, oder mit ihr ausfahren, oder
„ſie an einen Ort bringen, da Muſick iſt.„



„Jch habe dir eben meine Anſchlaͤge gemeldet.
Dorcas, die auf alles Achtung giebt, hat mir
„eine Probe von der argwoͤhniſchen Vorſichtig-
„keit ihrer Fraͤulein erzaͤhlet. Sie ſiegelt jeden
„Bief erſt mit zwey Oblaten zu, ſticht in die
„Oblaten, und druͤckt alsdenn das Siegel auf die
„Oblaten. Vermuthlich ſind die Briefe, die ſie
„empfaͤngt, eben ſo ſorgfaͤltig verſiegelt, und ſie
„eroͤffnet keinen, ehe ſie nicht das Siegel beſehen
„hat. Jch muß nothwendig hinter die Briefe kom-
„men: ſelbſt die Schwierigkeit macht mich neugie-
„riger. Jſt es nicht zu bewundern, da ſie ſo viel
„ſchreibet, daß nicht ein ſchlaͤfriger oder ſorgloſer
„Augenblick unſer Verlangen erfuͤllet.„


„Du ſieheſt, daß die Partheyen bey unſerem
„Streit nicht ungleich ſind. Wirf mir deswegen
„nicht vor, daß ich mir ihre Jugend zu Nutze mache.
„Sage nichts von Leichtglaͤubigkeit, denn die
„iſt gar nicht bey dieſem unglaͤubigen Wunder-
„Kinde anzutreffen. Bin ich nicht ſelbſt noch ein
„jun-
[13]
junges Blut? An ihr Vermoͤgen und Stand
„mußt du gar nicht dencken: das reitzt mich nur
„zur Schelmerey an, und zwar deswegen, weil mein
„Hertz edel iſt. Jch habe dir ſonſten ſchon geſchrie-
„ben, wie ich hierin geſinnet bin. Was die Ge-
„ſtalt
anlanget, ſo bitte ich dich Belford, zwinge
„mich nicht unverſchaͤmt zu ſeyn, und ſtelle ſelbſt zwi-
„ſchen mir und meiner Clariſſa eine Vergleichung
„an. Was ſie unter ihrem Geſchlechte iſt, das bin ich
„vielleicht unter meinem. Der eintzige Vorzug
„uͤber den wir noch ſtreiten koͤnnen, beſtehet in dem
„Verſtande und in der behutſamen Klugheit:
„daruͤber wollen wir auch ſtreiten, und es ausma-
„chen, wem der Preis gebuͤhret.


„Es iſt dieſes fuͤr ſie und fuͤr mich ein betruͤbtes
„Leben, ſie muͤßte denn von Natur argwoͤhniſch
„ſeyn. Denn wo dieſes iſt, ſo liegt ihr Misver-
„gnuͤgen in ihrem Blute, und iſt unvermeidlich:
„es wird ihr aber auch in dem Falle nichts ſchaden.
„Denn wer von Natur argwoͤhniſch iſt, der wird
„die Urſachen zum Argwohn ſelbſt erfinden, wo
„keine ſind: ja meine Schoͤne wird mir dafuͤr ver-
„bunden ſeyn muͤſſen, daß ich ihr dieſe Muͤhe be-
„nehme, und ihr Gelegenheit zum Argwohn gebe.


„Es iſt wahr, der ebene und gerade Weg iſt
„der beſte. Allein es iſt mir nicht gegeben, auf
„ebenen Wegen zu gehen. Jch bin nicht der ein-
„tzige in der Welt, der die Kruͤmme liebet: es giebt
„noch auſſer mir viele tauſende, die lieber in truͤ-
„ben als in ſtillen Waſſern fiſchen.„


Der
[14]

Der zweyte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.



Bin ich nicht ein ungluͤcklicher Kerl! man ruͤhmt
dieſes Frauenzimmer, daß es das guͤtigſte
Hertz von der Welt haben ſoll, und ich glaubte es
ehemahls ſelbſt: allein gegen mich hat ſie das aller-
haͤrteſte Hertz. Niemand hat mich fuͤr verdrießlich
im Umgange ausgegeben. Wie iſt es moͤglich: ich
glaubte wir waͤren dazu gebohren einander gluͤcklich
zu machen, allein ich habe mich geirret: es ſcheint,
daß wir einander nur plagen ſollen. Jch habe vor,
eine Comoͤdie zu ſchreiben: der Titul iſt ſchon fer-
tig, und der iſt wie du weißt das halbe Buch: die
zanckenden Verliebten.
Die Erfindung iſt gut;
es iſt etwas neues und unerwartetes in dem Titul:
indeſſen iſt es doch wahr, daß die Liebe gern zancket.
Der alte Terentius hat das ſchon bemerckt, daß
wenn Liebhaber ſich einmahl zancken, und ſich wie-
der vertragen, die verſoͤhnte Liebe am hitzigſten iſt.
Dieß iſt gantz natuͤrlich. Allein wir zerfallen ſo oft
mit einander, ohne uns ein eintziges mahl zu ver-
ſoͤhnen, und ehe der erſte Zanck geendiget iſt, gehet
ſo oft der zweite ſchon wieder an, daß ich das En-
de unſerer Liebe ohnmoͤglich abſehen kann. Allein
Schakeſpeare ſagt:


Es komme, was da will,
Geduld und Zeit kann ſich durch rauhe Tage
ſchleichen.

Das
[15]
‘Das ſoll mein Troſt ſeyn.’

Kein Menſch auf
Erden kann ſein Creutz beſſer tragen als ich; allein
es muß ein Creutz ſeyn, das ich mir ſelbſt gemacht
habe; und eben dieſes rechne ich unter meine Vorzuͤ-
ge und Tugenden, du magſt davon dencken, was
du willſt. Denn die meiſten ſind durch ihre uner-
meßlichen Begierden, oder dadurch, daß ſie kein
beſſeres Gluͤck verdienen, an ihrem Leyden ſchuld.
Jch will nach und nach ein Menſch, wie andere Leute
werden, dafuͤr mich noch niemand gehalten hat. Nun
mercke auf die Geſchichte zu der ich dieſe Vorrede
gemacht habe.


Jch war auſſer Hauſe geweſen, und traff bey mei-
ner Zuruͤckkunft die Dorcas auf der Treppe an. ‒ ‒
Jſt eure Herrſchaft auf ihrer Stube? ‒ ‒ Nein! ſie
iſt in dem Speiſe-Saal: und wenn ſie jemahls eine
Gelegenheit haben ſollen einen Brief zu erhaſchen,
ſo muͤſſen ſie ſie jetzt ergreiffen. Denn vor ihren
Fuͤſſen ſahe ich einen Brief liegen, den ſie eben ge-
leſen haben mußte, weil er er aus einander geſchlagen
war, und ſie beſchaͤftiget ſich noch jetzt mit andern
Briefen. Jch glaube ſie hat alles aus der Taſche
gezogen; und alſo wiſſen ſie, wo ſie ſie kuͤnftig ſu-
chen muͤſſen.


Jch wollte vor Freuden faſt in die Luft ſpringen,
und entſchloß mich gleich, einen Einfall anzuwenden,
den ich ſchonlaͤngſtens gehabt hatte. Jch ging mit
einem ſehr froͤlichen Geſicht in das Speiſe-Zim-
mer, und unterſtand mich, ſie, wie ſie ſaß, mit bey-
den Armen zu umfaſſen, unterdeſſen, daß ſie ihre
Briefe geſchwind in den Schnupftuch band ohne
den
[16]
den Brief zu bemercken, der auf die Erde gefallen
war. O meine allerliebſte Fraͤulein ſagte ich, eben
iſt Herr Mennell und ich auf einen gluͤcklichen Ein-
fall gerathen. Damit ich die Frau Fretchville
bewegen moͤchte das Haus bald zu raͤumen, ſo habe
ich verſprochen, wenn ſie es anders gut finden, den
Koch, die Haus-Magd, und zwey Diener ihr ab-
zunehmen und ſie ſelbſt zu miethen, bis ſie auf an-
dere Weiſe verſorget ſind. Denn ſie war wegen
dieſer Bedienten am meiſten beſorget. Damit kei-
ne Bequemlichkeit fehlen moͤge, ſo will ich alles Lin-
nen-Geraͤthe, das in die Haushaltung gehoͤrt, fuͤr
einen billigen Preiß uͤbernehmen.


Jch ſoll ſo gleich fuͤnf hundert Pfund erlegen, und
das uͤbrige bezahlen ſo bald die Rechnung gefertiget
iſt. Sie bekommen auf die Weiſe ein ſchoͤnes Haus,
darin ſie wohnen und meine Anverwandten empfan-
gen koͤnnen. Dieſe werden bald bey ihnen ſeyn,
und werden nicht zugeben, daß ſie meinen gluͤcklichen
Tag allzu lange aufſchieben, und damit in keinem
Stuͤcke gegen den Wohlſtand geſuͤndiget werde, ſo
will ich nicht mit in das neue Haus ziehen, ſondern
hier bey der Frau Sinclair bleiben und das uͤbrige
alles ihrer Guͤtigkeit uͤberlaſſen. O mein liebſtes
Kind, iſt ihnen dieſer Vorſchlag nicht gefaͤllig? Jch
weiß gewiß, ſie nehmen den Vorſchlag an. Jch druͤck-
te ſie hierauf naͤher an mich und gab ihr einen feuri-
geren Kuß, als ich mich jemahls unterſtanden hatte:
ich lies mich aber dennoch nicht durch die Hitze uͤber-
nehmen, denn ich ſetzte den Fuß auf den Brief, und
zog ihn vorwaͤrts, damit ich ihn beſſer erreichen koͤnnte.


Sie
[17]

Sie ward uͤber die Freyheit unwillig, die ich mir
nahm. Jch buͤckte mich deswegen und bat um
Vergebung; unter dem Buͤcken aber nahm ich den
Brief auf, und wollte ihn in den Buſen ſtecken.


Bin ich nicht ein Narre, ein Einfalts-Pinſel, ein
ungeſchickter Kerl, kurtz ein lebendiger Belford!
Jch hielt mich fuͤr kluͤger als ich bin. Warum
befahl ich der Dorcas nicht, mir in die Stube nach-
zufolgen, und den Brief unterdeſſen daß ich mich
an die Fraͤulein machte, aufzuheben?


Weil der Brief nicht zuſammen geleget war, ſo
konnte ich ihn nicht ohne Geraͤuſch beyſtecken, und
meine ploͤtzliche Bewegung hatte ihre Augen ſchon
mit Verdacht erfuͤllet. Sie flog den Augenblick in
die Hoͤhe: verraͤtheriſcher Judas (ſagte ſie mit fun-
ckelnden Augen und mit verworrenem Geſicht) was
haben ſie von der Erde aufgehoben? Sie machte
ſich kein Bedencken, den geſtohlenen Brief mir mit
Gewalt abzunehmen, ob er gleich in meinem Buſen
ſteckte: eine Gewaltthaͤtigkeit, die meine Hand in
gleichem Falle nicht haͤtte wagen duͤrfen, wenn ich
meine Ohren behalten wollte.


Was konnte ich weiter thun, als um Vergebung
bitten, da ſie mich auf der That ertappet hatte? Jch
umfaſſete mit beyden Haͤnden ihre loſe Hand, die
den geraubten Brief ſchon wieder hatte: mein liebſtes
Kind, koͤnnen ſie dencken, daß ich gar keine Neugier
habe? Sie ſchreiben beſtaͤndig; mir iſt keine Schreib-
Art angenehmer, als Erzaͤhlungen in Briefen, und in-
ſonderheit bewundere ich dieſe Schreib-Art an ihnen:
iſt es denn Wunder, daß ich vor Verlangen brenne,
Vierter Theil. Betwas
[18]
etwas von einem ſo angenehmen Briefwechſel zu ſe-
hen, da ich jetzund Erlaubniß zu einer ſo nahen
Hoffnung von ihnen habe?


Laſſen ſie meine Hand los! (ſagte ſie, und ſtampfte
mit ihren artigen Fuͤſſen auf die Erde.) Was un-
terſtehen ſie ſich, mein Herr? Nun ‒ ‒ ſehe ich ‒ ‒ ich
ſehe allzu klar ‒ ‒ Mehr konnte ſie nicht ſagen: ſie
ſchnappte erſt nach der Luft, und ich dachte, ſie
wuͤrde vor Schrecken und Eifer ſogleich eine Ohn-
macht bekommen. Nichts von der angenehmen
Freundlichkeit, die ihre recht eigene Schoͤnheit iſt,
war in ihrem liebenswuͤrdigen Geſichte oder in ihrer
klingenden Stimme wahrzunehmen.


Nachdem ich ſo weit gegangen war, ſo wollte
ich ungern meine Beute wieder fahren laſſen; ich er-
haſchte den zuſammen gedruͤckten Brief noch einmahl,
Unverſchaͤmter Menſch! (ſagte ſie, und ſtampfte
abermahls.) Um Gottes Willen! Jch lies mir
gern meine Beute abnehmen, damit ich nicht an ei-
ner Ohnmacht ſchuld ſeyn moͤchte. Jch hatte hie-
bey das Vergnuͤgen, daß ſich meine Hand zwiſchen
ihren beyden Haͤnden befand, die ſich bemuͤheten,
meine Finger mit Gewalt zu oͤffnen. Wie nahe
war damahls mein Hertz meinen Fingern! es ſchlug
mir bis an die aͤuſſerſte Spitze jedes Fingers, weil
mein allerliebſtes Kind (obgleich im Unwillen) ſo
vertraut mit mir umging.


So bald ſie den Brief hatte, eilete ſie der Thuͤr
zu. Jch ſtellete mich in den Weg, ſchloß die Thuͤr
ab, und bat auf die demuͤthigſte Weiſe um Verge-
bung. Kannſt du glauben, daß der Harlowiſche
Kopf
[19]
Kopf meines ſchoͤnen Kindes unbeweglich war, ob
ich gleich eine ſo angenehme Nachricht gebracht hat-
te? Sie ſtieß mich mit Ungeſtuͤm von der Thuͤr
weg, nicht anders als wenn ich eine Feder geweſen
waͤre, (es iſt mir lieb, daß ich bey einer ſo unſchul-
digen Gelegenheit ihre Staͤrcke kennen lerne. Dieſes-
mahl machte ſie der Zorn ſo ſtarck, und mich machte
die Furcht ſchwach.) lief nach ihrer Wohnſtube,
(Gott Lob, daß ſie nicht weiter fliehen konnte) und
ſchloß und riegelte ſich ſogleich ein. Jch troͤſtete
mich damit, daß ſie meine kuͤnftige Tod-Suͤnde
nicht heftiger wuͤrde ahnden koͤnnen.


Jch ſchlich mit bekuͤmmerten Hertzen auf meine
Stube, und weil mein Diener eben nicht bey der
Hand war, ſchlug ich mich verflucht mit beyden
Haͤnden vor den Kopf.


Mein Kind bleibt jetzt eingeſchloſſen: es will
nichts von mir wiſſen: es will nicht eſſen, ja es faſſet
den Entſchluß, mich nie wieder vor Augen zu ſehen;
niemahls, niemahls wieder in ihrem Leben,
will mich die Fraͤulein ſehen, wenn ſie es vermeiden
kann.


Jch hoffe, ſie wird dazu geſetzet haben: in ihrer
jetzigen Gemuͤths-Faſſung.
Das ſollten die lie-
ben Kinder immer dazu ſetzen, wenn ſie ſich mit ih-
ren Dienern zancken, um ſich vor dem Meineyd zu
bewahren.


Glaubſt du nunmehr nicht, daß meine naͤchſtbe-
vorſtehende Schelmerey darauf gehen wird, zu ent-
decken, warum mein Kind ſich uͤber eine ſo geringe
Suͤnde ſo heftig entruͤſtet hat. Denn es wuͤrde
B 2eine
[20]
eine geringe Suͤnde ſeyn, wenn die Briefe der bey-
den Maͤdchens nicht von Hochverrath gegen mich
handeln.



Mittewochens fruͤh.


Jch habe ihr eben ſo wenig bey dem Fruͤh-Stuͤck
als geſtern bey dem Abendeſſen meine Aufwartung
machen duͤrfen. Wenn das Maͤdchen nur dennoch
nicht am Ende ein einfaͤltiges Kind iſt. Jch habe
in des Capitain Mennells Nahmen an ſie geſchickt:
gnaͤdige Frau, der Capitain Mennell laͤßt ſei-
ne gehorſamſte Empfehlung machen ‒ ‒


Nichts will helfen. Sie iſt den Jahren nach
noch ein Kind: man kann von ihr nicht erwarten,
daß ſie in allen Stuͤcken ein ‒‒‒ bald haͤtte ich geſagt,
ein Salomon ſeyn ſoll. Salomon, Bruder, war
der weiſeſte Mann in der Welt: haſt du aber je
gehoͤrt, welches das weiſeſte Frauenzimmer in der
Welt geweſen iſt? Jch habe dieſe Nachricht noͤthig,
damit ich eine Vergleichung mit meinem Kinde an-
ſtellen koͤnne. Von argliſtigen Weibern und Hexen
leſen wir genug; allein ich glaube Weisheit iſt nie
eine Eigenſchaft dieſes Geſchlechts geweſen. Man
fodert ſie gar nicht von ihnen. Es iſt wahr, gantze
Laͤnder pflegen unter Koͤniginnen gluͤcklicher zu ſeyn,
als unter Koͤnigen. Allein woher kommt das? Die
Koͤnigin laͤßt ſich von Maͤnnern und der Koͤnig von
Weibern regieren. Das iſt ein guter Einfall: ſo
entdecken wir endlich, wer in jedem Reiche das Ruder
fuͤhret. Und du elender Kerl willſt mich daruͤber
auslachen, daß ich dieſem Geſchlecht ſo ergeben bin?
und
[21]
und daß ich mich in das allervortreflichſte Frauen-
zimmer ſterblich verliebt habe?


Doch wir wollen nicht von Weisheit, ſondern
von Liſt und Klugheit reden; das iſt, wir wollen
die Frauens-Leute als Frauens-Leute betrachten.
Was iſt zu thun, wenn ſich in dem Gehirn meiner
Schoͤnen etwas befindet, daß bey keiner andern
Schoͤnen anzutreffen iſt? Sie hat einen eigenen Bo-
ten nach Wilſons Hauſe geſchickt, und einmahl
uͤber das andere befohlen, ihr die Briefe die einlauf-
fen werden den Augenblick zuzuſchicken.


Jch muß nun auf etwas neues dencken. Sie
fuͤrchtet ſich nicht mehr vor dem Anſchlage ihres
Bruders. Jch werde mich gar nicht daruͤber wun-
dern, wenn Singleton der Fraͤulein Howe, als
der einzigen Perſon die weiß oder wiſſen kann, wo
die Fraͤulein Harlowe ſich befindet, ſeine Aufwar-
tung macht, und vorgiebt, daß er ihr groſſe und wich-
tige Dienſte leiſten koͤnne, wenn er ſie nur ein eintzi-
ges mahl ſprechen duͤrfte. Der Verdacht wird im-
mer entſtehen, daß er es mit ihrem Bruder abgere-
det habe.


Alsdenn wird die Fraͤulein Howe ſie warnen,
ſich zu Hauſe zu halten, und mein Schutz wird wie-
der noͤthig ſeyn. Jch hoffe, daß dieſes Mittel ſei-
ne gute Wirckung haben wird. Alles was Fraͤu-
lein Howe ſaget, das findet bey meiner Schoͤnen
Eingang. Joſeph Lehman iſt in ihren Augen
ein abſcheulicher Menſch, der alles thut und ſaget
was ich ihm befehle. Joſeph, der ehrliche Jo-
ſeph
(wie ich ihn zu nennen pflege) mag ſich nun-
B 3mehr
[22]
mehr aufhaͤngen, wenn er Luſt dazu hat. Jch ha-
be ihn genug gebraucht, und habe ihn kuͤnftig faſt
gar nicht mehr noͤthig. Was brauche ich immer
bey einerley Art der Schelmerey zu bleiben, da mir
mein Kopf alle Stunden eine neue eingiebt?


Schilt mich nicht daruͤber, daß ich mein Pfund
auf eine ſolche Art anwende: wer ein ſolches Pfund
hat, muß es nicht ohne Wucher liegen laſſen.


Auf! ich muß einen Singleton ausfinden, das
iſt es alles!


Jch will gleich einen haben! ‒ ‒ Wilhelm!


Mein Herr!


Ruffe mir den Augenblick deinen Vetter, den
Paul Wehatly, der eben von der See gekom-
men iſt, den du mir einmahl vorſchlugeſt, wenn
ich mich verheyrathete, und ein Luſt-Schiff halten
wollte.


Gut! Wilhelm iſt ſchon hin. Paul wird
bald hier ſeyn. Er ſoll gleich nach der Fraͤulein
Howe gehen. Er dienet nunmehr auf Single-
tons
Schiff, (auch den Dienſt will ich vergeben)
wenn er nun von ſeinem Capitain geſchickt wird,
ſo iſt es eben ſo gut, als wenn Singleton ſelbſt
kaͤme.


Der kleine Teuffel, die Sara, wirft mir oft
vor, daß ich ſo langſahm zu Wercke gehe. Allein
ſind nicht bey einer Comoͤdie die vier erſten Auftrit-
te die luſtigſten? iſt nicht beynahe alles vorbey,
wenn wir an den fuͤnften Auftritt kommen? Daß
muͤßte ein Geier vom Kerl ſeyn, der noch um ſeine
Beute herum flieget, und in demſelben Augenblick
ſtieſſe und auffraͤſſe.

Doch
[23]

Doch die Wahrheit zu geſtehen, ich bin zu liſtig
fuͤr mich ſelbſt geweſen. Jch wollte mich in Sicher-
heit ſetzen, allein das Mittel war ſchaͤdlich; denn
ich habe das liebe Kind durch meine vier Hottentot-
ten ſcheu gemacht, und es wird Zeit dazu gehoͤren,
ehe ich das verlohrne wieder gewinne. Das ver-
dammte Geſindel zu Harloweburg hat ſie gegen
mich, gegen ſich, gegen die gantze Welt, muͤrriſch
gemacht, die eintzige Fraͤulein Howe ausgenom-
men: und dieſe vermehret ohne Zweifel meine
Schwierigkeiten taͤglich. Jch kann mich auch nicht
entſchlieſſen, mich zu den Mitteln zu erniedrigen,
zu denen mich die Furien unſers Hauſes beſtaͤndig
reitzen; ſonderlich da ich gewiß weiß, daß mein
Kind doch endlich auf eine rechtmaͤßige Art die Mei-
nige wird. Wenn es eine vollſtaͤndige Verſuchung
uͤberſtanden hat, ſo will ich ihm auf eine rechte edle
Art Gerechtigkeit widerfahren laſſen.



Paul Wheatly iſt ſchon weg! ſchon abgeſchickt!
hat alle Verhaltungs-Befehle! Ein kluger Kopf!
Er war dem Lord W. in den geheimſten Umſtaͤnden
bedient, ehe er zur See gieng. Er iſt aufgeweckter
als Lehman, und giebt nicht ſo viel von Schwer-
merey und Gewiſſen vor als jener. Wie theuer
mußte ich den Joſeph kauffen! ich mußte erſt ſein
Gewiſſen und denn den Kerl ſelbſt bezahlen. Jch
muß den Schelm zuletzt ſtrafen: allein vorher
mag er heyrathen. Das iſt zwar ſchon Strafe
genug, allein weil ich ihn fuͤr zwey gekauffet habe,
ſo will ich auch in ihm zwey Leute abſtraffen, den
B 4Kerl
[24]
Kerl und die Frau. Wie ſehr verdient Eliſabeth
eine Zuͤchtigung fuͤr ihr Betragen gegen meine
Goͤttin!


Jetzt eben gehet die Thuͤr meiner Geliebten auf,
und die roſtrigen Thuͤr-Angel ruffen mich durch ihr
Knarren. Mein Hertz antwortet ihnen, und knar-
ret und ſchlaͤget ebenfalls. Ein alberner Einfall!
Denn was fuͤr Gleichheit hat das Herz eines Ver-
liebten mit ein Paar alten Thuͤr-Angeln, die knarren,
weil ſie lange nicht geſchmiert ſind? Doch dieſe
Thuͤr-Angeln eroͤffnen und ſchlieſſen das Schlaaf-Ge-
mach meines Kindes: iſt das nicht genug?


Die Thuͤr geht wieder zu. Jch hoffe, daß ſie
mich einiger Befehle wuͤrdigen wird. Warum ge-
het ſie ſo fremde mit mir um? Sie muß doch die
Meinige werden, wenn ich mich noch ſo ſchwer an
ihr verſuͤndige. Wenn ich einmahl Hertz bekom-
me, oder zeige, daß ich Hertz habe, ſo wird alles
in einer Stunde voruͤber ſeyn. Denn wenn ſie auch
meint, daß ſie aus dieſem Hauſe entkommen koͤnn-
te, ſo weiß ſie doch keinen Ort, dahin ſie ihre Zuflucht
nehmen darf. Jhre Eltern, ihre Onckels wollen
ſie nicht aufnehmen: ihre liebe Frau Norton muß
ſich nach jenen richten, und darf ihr keine Zuflucht
in ihrem Hauſe verſtatten: die Fraͤulein Howe
wird es ſich auch nicht unterſtehen: in London hat
ſie keinen Freund auſſer mir, ja ſie iſt gantz unbe-
kannt in London. Warum ſoll ſich denn das
liebe Kind unterſtehen, ſo ſtrenge, ſo gebieteriſch mit
mir umzugehen? Wenn es die Ohnmoͤglichkeit
mir zu entkommen einſaͤhe, ſo wuͤrde es gegen mich
eben
[25]
eben ſo demuͤthig ſeyn, als gegen ſeine grauſamen
Verwandten.


Wenn ich auch den letzten Sturm wagen und ab-
geſchlagen werden ſollte, ſo kann doch ihr Haß, den
ſie daruͤber gegen mich faſſet, nicht von langer Dauer
ſeyn. Sie hat ſich ſchon in den Augen der Welt
tadelhaft gemacht, und ſie muß die Meinige werden,
wenn ſie den Laͤſterungen dieſer unverſchaͤmten Welt
entgehen will. Denn wer kennet mich, und wird
glauben, daß ſie noch eben ſo rein ſey als vorhin,
wenn ich ſie nur vier und zwanzig Stunden in mei-
ner Gewalt gehabt haͤtte? Man wird zum wenig-
ſten ihren Leib vor befleckt halten, wenn ihr Gemuͤth
gleich rein geblieben waͤre. Das menſchliche Hertz
iſt uͤber dieſes ſo ſchelmiſch, daß beyde Geſchlechter
andere nach ſich beurtheilen. Jedermann wird glau-
ben, daß die Neigung eines Frauenzimmers eben
eine ſo groſſe Verfuͤhrerin ſey, als ich ein Verfuͤh-
rer bin, ſonderlich wenn ein junges Frauenzimmer
in der beſten Bluͤte ſo viel Liebe fuͤr die Manns-
Perſon hat, daß ſie mit ihr durchgehen kann: denn
ſo muß ein jeder ihre Flucht erklaͤren.


Sie ruft die Dorcas. Jch ſoll vermuthlich
ihre angenehme Stimme hoͤren, und Gelegenheit
bekommen, mein Herz vor ihren Fuͤſſen auszuſchuͤt-
ten, alle meine Geluͤbde und Eyd-Schwuͤre zu er-
neuern, und von ihr die Vergebung meiner bisheri-
gen Suͤnden zu empfangen. Mit wie vielem Ver-
gnuͤgen will ich ein neues Kerb-Holtz anfangen, und
mir von neuen meine Suͤnden vergeben laſſen. Die-
ſes ſoll etliche mahl geſchehen, bis ich endlich die
B 5letzte
[26]
letzte Tod-Suͤnde begehe. Wenn ſie mir alsdenn
noch einmahl vergiebet, ſo ſind zugleich alle kuͤnfti-
gen und moͤglichen Suͤnden vergeben.



Die Thuͤr iſt ſchon wieder abgeſchloſſen. Jch
hatte der Dorcas befohlen, ſie das naͤchſte mahl,
da ſie ſie wieder ſaͤhe zu bitten, daß ſie mir erlauben
moͤchte dieſen Mittag bey ihr zu ſpeiſen. Jn Gna-
den abgeſchlagen! jedoch hat ſie es dieſes mahl hoͤflich
abgeſchlagen. Es ſcheint, ſie will nach und nach
wieder naͤher kommen. Das ehrliche Kammer-Maͤd-
chen ſaget mir in der Sprache ihrer Haus-Mutter:
ich wuͤrde nichts ausrichten, wenn ich nicht den Haupt-
Sturm wagte. Jch ſinne ſchon auf den Haupt-
Sturm, ich mache ſchon Anſtalten dazu. Allein
mein verfluchtes Hertz widerſpricht mir und haͤlt
mich fuͤr einen Narren. Jch ſchlieſſe meinen Brief,
obgleich meine Felſen-harte Beherrſcherin mich wei-
ter nichts thun laͤßt, als ſchreiben, leſen und mich
aͤrgern.


Wir pflegen uns nicht nach der gewoͤhnlichen Art
zu unterſchreiben. Wenn wir es aber auch thaͤten,
ſo bin ich meinem Kinde ſo ergeben, daß ich dir und
andern ohnmoͤglich melden kann, wie wenig ich bin
Dein ergebener Diener.



Der dritte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Wenn
[27]

Wenn Sie es billigen, daß ich mich an meinen
Onckle, Anton Harlowe wende, ſo
wuͤnſchte ich, daß es je eher je lieber geſchehen moͤch-
te. Wir ſind von neuem auf das aͤuſſerſte zerfal-
len, und ich habe mich eingeſchloſſen, daß er nicht
zu mir kommen kann. Dieſe Beleidigung iſt nicht
ſo auſſerordentlich groß: und dennoch iſt ſie in an-
derer Abſicht ſehr groß. Er haͤtte beynahe einen
von Jhren Briefen bekommen. Es ſoll mir dieſes
zur Warnung dienen: ich will kuͤnftig in keinem
Zimmer Briefe uͤberleſen oder ſchreiben, in welches
er zu kommen berechtiget iſt. Jndeſſen hat er kei-
ne Zeile, gewiß nicht eine einzige Zeile von Jhrem
Briefe geleſen. Seyn ſie alſo nicht unruhig, und
verlaſſen Sie ſich darauf, daß ich kuͤnftig vorſichti-
ger ſeyn werde.


Die Sache verhielt ſich alſo. Die Sonne ſtand
auf meinem Cloſet, und Herr Lovelace war aus-
gegangen ‒ ‒
Hier folget eine ausfuͤhrlichere Nachricht davon, daß Herr
Lovelace ſie unvermuthet uͤberfallen habe. Allein ihre Reden
und ſein dreiſtes Betragen werden eben ſo erzaͤhlet, als er
es ſelbſt erzaͤhlet hatte.


Jch werde hierdurch mehr und mehr uͤberzeuget,
daß ich mehr in ſeiner Gewalt bin, als ich wuͤn-
ſche, und daß es fuͤr mich nicht rathſam iſt, laͤn-
ger bey ihm zu bleiben. Wenn mir meine Freun-
de nur einige Hoffnung geben wollen ‒ ‒ Unterdeſſen
aber muß ich mich bemuͤhen zu verhuͤten, daß un-
ſer Streit nicht geſchlichtet werde: eine Bemuͤhung,
die ich in meinem Leben noch nie uͤbernommen habe,
und
[28]
und bey der ich mir ſelbſt veraͤchtlich bin, weil ich
einen Endzweck dabey habe, den ich nicht geſtehen
darf. Dieſes iſt eine von den Folgen, die ſich ſelbſt
zugezogen hat, und die nunmehr zu ſpaͤte bereuet


Jhre
Cl. Harlowe.



Der vierte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.



Jch billige Jhren Entſchluß ungemein. Sie
ſollen den Menſchen verlaſſen, wenn ihr On-
ckle Jhnen einige Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit den
Jhrigen macht. Seit zwey Stunden habe ich ſo
viel glaubwuͤrdige Nachrichten von ſeiner Auffuͤh-
rung gehoͤret, daß ich ihn fuͤr den abſcheulichſten und
gefaͤhrlichſten Feind unſeres Geſchlechts halten muß.
Jch verſichere Jhnen, wenn er ein zehnfaches Leben
haͤtte, ſo koͤnnten noch wol zwantzig Uebelthaten un-
begangen ſeyn, und er wuͤrde dennoch ſchon verdient
haben, ſein zehnfaches Leben zu verlieren; wenn das
anders wahr iſt, was ich gehoͤrt habe.


Wenn Sie ſich noch einmahl ſo weit erniedrigen,
vertraut mit ihm zu reden, ſo fragen Sie ihn doch
um die Jungfer Betterton, und was es mit der
fuͤr ein Ende genommen hat. Und wenn er mit der
Sprache
[29]
Sprache nicht heraus will, ſo erkundigen Sie ſich
nach der Jungfer Lockyer. Mein Schatz, der
Menſch iſt ein Ertz-Boͤſewicht.


Jch will mich unter der Hand erkundigen laſſen,
wie ihr Onckle geſinnet iſt, und zwar alſobald. Al-
lein ich bin wegen eines gluͤcklichen Erfolgs in Sor-
gen. Jch habe manche Gruͤnde hierzu. Man kann
zwar zum voraus ſchwerlich ſagen, wie viel es bey
einigen Leuten ausrichten wuͤrde, wenn Sie dem
großvaͤterlichen Teſtament entſagten: allein ich kann
ohnmoͤglich zugeben, daß Sie dieſes thun, wenn
Ernſt aus der Sache wird.


Da Jhre Hannichen noch kranck iſt, ſo wuͤnſchte
ich, daß Sie die Dorcas zu gewinnen ſuchten. Sind
Sie etwan allzuſcheu und argwoͤniſch gegen ſie,
und haben Sie ihr hievon, ohne es zu dencken, Zei-
chen gegeben?


Jch wuͤnſchte, daß Sie einen von ſeinen Brie-
fen in die Haͤnde bekommen koͤnnten. Ein ſo fluͤch-
tiger Menſch kann nicht immer auf ſeiner Huth ſeyn.
Jſt es aber ohnmoͤglich ihn zu uͤberfallen, und koͤn-
ne Sie Jhr Maͤdchen nicht dazu gebrauchen, ſo
ſind beyde mir ſchon verdaͤchtig. Laſſen Sie ihn
ohnverſehens abruffen, wenn er eben im Schreiben
begriffen iſt, oder wenn er Briefe um ſich liegen hat,
und machen Sie ſich alsdenn ſeine Nachlaͤßigkeit zu
Nutze.


Jch geſtehe gern, daß dieſes eben ſo gehandelt
iſt, als wenn wir in einem Wirths-Hauſe alle Win-
ckel durchſuchen, und nachſehen, ob ein Spitz-Bu-
be verborgen ſtecke, da wir doch vor Furcht auſſer
uns
[30]
uns kommen wuͤrden, wenn wir einen anſichtig wer-
den ſollten. Jndeſſen iſt es doch beſſer den Spitz-
Buben gewahr zu werden, da wir noch wachen, als
daß er uns in den Schlaf uͤberfallen ſollte.


Jch freue mich daß Sie Jhre Kleider haben ‒ ‒
Allein kein Geld! ‒ ‒ Keine Buͤcher! ‒ ‒ als den
Spira, den Drexelius und das thaͤtige Chriſten-
thum!
Die Leute, die dieſe Buͤcher ausſuchten,
haͤtten wohl gethan, wenn ſie das letzte fuͤr ſich be-
halten haͤtten. ‒ ‒ Allein ich muß hieran nicht viel
gedencken.


Sie haben mich durch die Nachricht in groſſe Un-
ruhe geſetzt, daß er ſich bemuͤhet hat, einen von mei-
nen Briefen zu bekommen. Jch habe Nachricht,
daß er der Anfuͤhrer von einer Bande abſcheulicher
Boͤſewichter iſt, zu welcher Bande vermuthlich die
vier Leute auch gehoͤrten, in deren Geſellſchaft er Sie
brachte. Dieſe ſuchten unſchuldige Frauenzimmer
zu verfuͤhren, und wenn dieſes geſchehen iſt, gebrau-
chen ſie Gewalt, einander zu beſchuͤtzen und in Sicher-
heit zu ſetzen. Wenn er wuͤßte, daß ich ſo frey von
ihm ſchreibe, ſo wuͤrde ich mich nicht unterſtehen,
allein einen Fuß uͤber die Schwelle zu ſetzen.


Es thut mir leyd, daß ich Jhnen die Nachricht
geben muß, daß Jhr Bruder ſeine alberne Anſchlaͤ-
ge vermuthlich noch nicht fahren laͤßt. Jetzt eben
war ein Kerl bey mir, der wie ein Matroſe ausſahe,
und gantz von der Sonne verbrannt war, der vorgab,
daß der Capitain Singleton Jhnen groſſe Dien-
ſte zu leiſten im Stande ſey, wenn er ſie nur ein ein-
tziges mahl zu ſprechen bekommen koͤnnte. Jch ſtellete
mich
[31]
mich als wuͤßte ich nicht, wo Sie waͤren. Der Kerl
war mir zum Auslocken zu klug.


Jch habe mich zwey Stunden lang der Thraͤ-
nen nicht enthalten koͤnnen, nachdem ich Jhren letz-
ten Brief und die Beylage von dem Obriſten Mor-
den
geleſen hatte. Mein allerliebſter Schatz, ge-
ben Sie ſich ſelbſt nicht verlohren, und erlauben
ſie Jhrer Anna Howe, daß Sie dem Ruffe fol-
gen darf, den ihr eine Freundſchaft giebt, Sie auf-
zurichten, die unſerer beyder Hertzen ſo verbunden
hat, als wenn wir nur Ein Hertz haͤtten.


Jch wundere mich nicht uͤber die niedergeſchla-
genen und tiefſinnigen Gedancken, die Jhnen bis-
weilen bey der Flucht zu der Sie gezwungen und
verleitet ſind beyfallen, und die Sie mit in Jhre
Briefe einflieſſen laſſen. Es iſt dieſes ein ſolches
Schickſaal, daraus wir lernen muͤſſen, wie bloͤde
alle Klugheit der Menſchen iſt. Jch wuͤnſche mit
Jhnen, daß wir beyde uns auf unſere Vorzuͤge vor
andern weniger eingebildet, und ſie an uns nicht er-
kannt haben moͤchten. Doch ich will die Feder zu-
ruͤck halten. Wie geneigt ſind wir, bey jedem auſ-
ſerordentlichen Zufall ein goͤttliches Gericht zu ſu-
chen? Jn ſo fern thun wir zwar recht daran, als
es billiger iſt, uns und unſere beſten Freunde anzu-
klagen als die goͤttliche Vorſicht, die gantz gewiß weiſe
Endzwecke in allen ihren Schickungen haben muß.


Allein ſchreiben Sie nicht mehr, daß Sie andern
Jhres Geſchlechts nur zur Warnung gereichen wuͤr-
den. Sie werden ihnen nicht allein zur Warnung
ſondern auch zum Vorbilde vorgeſtellet werden koͤn-
nen;
[32]
nen; und eben deswegen wird ihre Geſchichte bey
allen die ſie hoͤren einen deſto groͤſſern Eindruck ha-
ben. Denn wenn ſo auſſerordentliche Vorzuͤge, als
Sie beſitzen, eine verwilderte Manns-Perſon nicht
bewegen koͤnnen, Jhnen aufrichtig und edel zu be-
gegnen, ſo wird kein Frauenzimmer eine auch nur
mittelmaͤßige Ehrlichkeit von Leuten dieſer Art er-
warten koͤnnen.


Wenn Sie glauben, daß Sie ohne Entſchuldi-
gung ſind, weil Sie einen Schritt gethan haben,
der es moͤglich machte, daß Herr Lovelace Sie
hintergehen konnte, ob Sie gleich nicht die Abſicht
hatten mit ihm davon zu gehen: was werden denn
ſolche liederliche Maͤdchens von ſich halten muͤſſen,
die ohne gleiche dringende Urſachen, und ohne auf
den Wohlſtand zu ſehen, uͤber die Mauren klettern,
ſich aus den Fenſtern herunterlaſſen, oder ſich ſonſt
aus ihrer Eltern Hauſe wegſtehlen, und den erſten
Tag ihrer Flucht mit dem Verfuͤhrer zu Bette gehen?


Wenn Sie ſich deswegen anklagen, daß Sie
dem Verbot der haͤrteſten Eltern ungehorſahm ge-
weſen ſind, ob es gleich zu Anfang nur ein halbes
Verbot war: was ſollen denn diejenigen ſagen, die
ihre Ohren vor den vernuͤnftigſten Warnungen ih-
rer Eltern verſtopfen, da ſie doch wahrſcheinlich
oder mit Gewißheit zum voraus ſehen koͤnnen, daß
ihre Uebereilung ungluͤckliche oder unanſtaͤndige Fol-
gen haben werde?


Endlich werden ſie allen, die von Jhren Um-
ſtaͤnden etwas erfahren, ein unvergleichliches Bey-
ſpiel der Wachſamkeit und der Vorſichtigkeit ſeyn,
dadurch
[33]
dadurch ein kluges Frauenzimmer, welches gefehlt
zu haben glaubt, ſeinen Fehler wieder gut zu machen
ſuchet, und ohne jemahls ſeine Pflicht aus den Augen
zu ſetzen, ſich bemuͤhet, den richtigen Weg wieder zu
finden, den es ohne ſein Wiſſen verlohren hat.


Ueberlegen Sie dieſes, meine allerliebſte Freun-
din, und behalten Sie ohne zu verzagen den Vorſatz,
daß Sie Jhre vermeinten Fehler wieder gut machen
wollen. Vielleicht iſt es dennoch am Ende kein
Ungluͤck, daß Sie gefehlet haben, nachdem Jhr
Wille nicht den geringſten Antheil an dem Fehler
genommen hat.


Jch brauche die Ausbruͤcke, verfuͤhren und
fehlen, nicht als meine eigenen Ausdruͤcke, ſondern
nur deswegen, weil Sie ſich ſelbſt anklagen, und
weil ich mich ſonſt gern nach Jhren Meinungen
und Einſichten richte. Denn in meinem Hertzen
glaube ich, daß ihre gantze Auffuͤhrung ſich ent-
ſchuldigen laͤßt, und daß blos die Leute anzuklagen
ſind, die ſich dadurch zu entſchuldigen ſuchen, daß
ſie Jhnen alle Schuld beymeſſen.


Jch glaube aber dem ohngeachtet, daß alles Jhr
kuͤnftiges Vergnuͤgen durch dergleichen niedergeſchla-
gene Gedancken allzuſehr gemaͤßiget werden wird,
wenn Sie den Herrn Lovelacen nehmen, und an
ihm dem beſten Mann haben ſollten. Ehe Sie ihn
kannten, waren Sie ungemein gluͤcklich, und bey-
nahe gluͤcklicher, als es Menſchen in dieſem Leben
erwarten ſollen. Jedermann betete Sie an. Der
Neid ſelbſt, der ſich jetzt unterſtehet, ſein giftiges
Haupt zu erheben, ward durch Jhre allzu groſſen
Vierter Theil. Cund
[34]
und in die Augen fallenden Vorzuͤge zum Stillſchwei-
gen und zur Bewunderung gezwungen. Sie waren
gleichſam die Seele in allen Geſellſchaften. Wie
oft habe ich geſehen, daß ſolche, die aͤlter waren als
Sie, ihr Urtheil zuruͤck hielten, bis Sie geredet
hatten, um nicht den Verdruß zu haben, daß ſie ſich
ſelbſt Unrecht und Jhnen Recht geben muͤßten. Bey
allem dieſem machte Jhr angenehmes Weſen, Jhre
Freundlichkeit, und Jhre Demuth, daß Jhnen je-
dermann willig und ungeheuchelt Recht gab, und
Jhre unleugbaren Vorzuͤge ohne Verdruß erkannte.
Denn andere ſahen, daß ſie ſelbſt ſich nicht dadurch
herunter ſetzten, wenn ſie ſich Jhnen nachſetzten, und
daß Sie nicht daruͤber ſtoltz wurden, noch ſich mer-
cken lieſſen, daß Sie ſich kenneten. Denn jedes-
mahl ſagten Sie etwas, das ſelbſt denen gefiel, die
nachgeben mußten, und das jene nicht beſchaͤmete,
ob ſie gleich den Preis nicht erhielten.


So oft von ſchoͤner Arbeit geredet ward, gedach-
te man Jhrer, oder man zeigte Jhre Arbeit als ein
Muſter. So oft ein anderes Frauenzimmer wegen
ſeiner Arbeitſamkeit, Einſicht in Haushaltungs-Sa-
chen, Beleſenheit, Schreib-Art, Gedaͤchtniſſes und
Geſchicklichkeit alles zu lernen, gelobet ward, ſo ward
es Jhnen doch nur nachgeſetzet, wenn man Sie
kannte. Eben dieſes geſchahe auch, wenn von Ge-
ſtalt und artiger Kleidung die Rede war, welches
Lob ſonſten das Frauenzimmer einander am meiſten
zu misgoͤnnen pflegt.


Alle Jhre Schritte wurden von den Armen mit
Seegens-Wuͤnſchen begleitet: die Reichen machten
ſich
[35]
ſich eine Ehre daraus, daß Sie reich waren, und
waren hochmuͤthig daruͤber, daß ſie mit zu der Gat-
tung von Leuten gehoͤren durften, deren Rang durch
Sie geehret ward.


Obgleich jedermanns Wuͤnſche auf Sie in Jhrer
fruͤheſten Jugend gerichtet waren, ſo wuͤrde ſich
doch niemand unterſtanden haben auf Sie zu hoffen,
oder Jhnen unter Augen zu kommen, wenn nicht
die Jhrigen aus niedertraͤchtigen Abſichten Jhren
Freyern Hoffnung gemacht haͤtten.


So gluͤcklich waren Sie, und ſo gluͤcklich mach-
ten Sie alle, die um Sie waren. Konnten Sie
hoffen, daß dieſes Gluͤck unverfinſtert bleiben wuͤrde,
und daß Sie durch keinen unangenehnen Zufall
uͤberzeuget werden wuͤrden, daß Sie noch in dieſer
Welt ſind? Mußte nicht ein ſolcher Zufall kom-
men, wenn Sie glauben ſollten, daß Sie noch nicht
gaͤntzlich vollkommen waͤren, und nicht ohne Ver-
ſuchung und Leyden, die Bahn dieſes Lebens zuruͤck
legen koͤnnten?


Jch muß geſtehen, daß kein Leyden oder keine
Verſuchung, die Jhres Widerſtandes wuͤrdig ge-
weſen waͤre, Sie fruͤher oder nachdruͤcklicher haͤtte
uͤberfallen koͤnnen, als dieſe. Allen gemeinen Zu-
faͤllen waren Sie uͤberlegen. Es mußte ein blos
zu dieſem Zweck geſchaffener Menſch, oder ein noch
aͤrgerer Geiſt in menſchlicher Geſtalt zu Jhrer Ver-
ſuchung in die Welt geſchicket werden. Unterdeſſen
mußten eben ſo viel boͤſe Geiſter, als Koͤpfe in Jh-
rer Familie ſind, Erlaubniß bekommen, von den
Hertzen der Jhrigen Beſitz zu nehmen, und mit dem,
C 2der
[36]
der Sie von auſſen verſuchte, ein Verſtaͤndniß zu
machen, damit Sie durch dieſe Verſchwoͤrung end-
lich moͤchten genoͤthiget werden, die gefaͤhrliche Un-
terredung mit ihm anzuſtellen.


Es ſcheint daher, wie ich oft geſagt habe, Jhr
Fehler (wenn ich es anders einen Fehler nennen
ſoll) ein Schluß des Schickſahls zu ſeyn, welches
Sie andern zum Vorbilde in Jhrem Leyden vorſtel-
len wollte, und Sie nicht ſo geſchickt hiezu fand, wenn
Sie niemahls gefehlet haͤtten. Denn, mein Schatz,
im Ungluͤck ſind Sie am ſchoͤnſten und am groͤſſeſten.
Alle Jhre widrigen Umſtaͤnde dienen zur Entdeckung
ſolcher Schoͤnheiten, die verborgen geblieben ſeyn
wuͤrden, wenn Sie das Gluͤck beſtaͤndig genoſſen
haͤtten, das Sie von der Wiegen an begleitete; ob
Sie gleich dieſes Gluͤck vollkommer verdieneten, und
es ſo wohl zu tragen wußten, daß es Jhnen auch
neue Schoͤnheiten mittheilen mußte.


Jch bedauere hiebey nichts, als daß die Verſu-
chung Jhnen beſchwerlich iſt. Jch fuͤhle eben ſo
viel davon als Sie; und alle diejenigen leyden da-
bey, die Sie geliebet haben, und die glaubeten, daß
Sie ihnen zum Vorbilde, welches ſie nachahmen
und bewundern ſollten, vorgeſtellet waͤren, und nun
ſehen muͤſſen, daß Sie das Ziel ſind, auf welches der
Neid ſeine Pfeile verſchieſſet.


Schlagen Sie das nicht in den Wind, was ich
Jhnen geſchrieben habe. Wenn die Einbildungs-
Kraft aufgebracht wird, ſo fangen wir alle an be-
geiſtert zu werden und Geſichter zu ſehen. Da nun
Jhre Anna Howe bey Ueberleſung Jhres Briefes
findet,
[37]
findet, daß ſie eine hoͤhere und ungewoͤhnliche Schreib-
Art angenommen hat, ſo glaubt ſie beynahe, daß
dieſes goͤttliche Eingebungen ſind, dadurch ihre nie-
dergeſchlagene Freundin getroͤſtet und aufgerichtet
werden ſoll; die vielleicht durch die Verſuchungen,
welche ſie ſo fruͤhzeitig uͤberfallen, allzuſehr gedemuͤ-
thiget und muthlos gemacht wird, in der Daͤmme-
rung fortzugehen, auf welche ein heiterer Tag folget:
Jch will nichts weiter hinzu thun, als dieſes, daß
ich bin


Jhre ewige ergebene und getreue
Anna Howe.



Der fuͤnfte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Jch muß zu dem Lobe ſtille ſchweigen, dadurch
ich nur gedemuͤthiget werde, weil ich es mir
bewußt bin, daß ich es nicht verdiene, ob mich gleich
Jhre guͤtige Abſicht, die Sie dabey haben, troͤſtet und
muthig macht: denn es iſt ſehr angenehm, von denen,
die wir lieben, hochgeſchaͤtzet zu werden, und zu er-
fahren, daß einige Freundſchaften ſtaͤrcker ſind als
alle Ungluͤcks-Faͤlle, und ſich nicht blos nach Leib,
Blut, und Verwandſchaft richten. Mein Ungluͤck
mag mich groͤſſer oder kleiner machen; ſo bin ich
doch davon verſichert, daß Sie nie groͤſſer und
C 3ſchoͤner
[38]
ſchoͤner ſind als bey dem Ungluͤck Jhrer Freundin.
Jch wuͤrde beynahe unrecht thun, wenn ich mich uͤ-
ber das Leyden beſchwerte, dadurch Sie Gelegenheit
bekommen ſich zu zeigen, und nicht allein Jhrem
Geſchlecht, ſondern ſo gar der menſchlichen Natur
Ehre zu bringen.


Allein ich muß auf unangenehmere Dinge kom-
men. Es thut mir leyd, daß Sie glauben, die
Sache mit dem Singleton ſey noch nicht zu Ende.
Wer weiß zwar, was der Schiffer zu ſagen hatte?
Jedoch, wenn es etwas gutes geweſen waͤre, ſo
wuͤrde man es anders angefangen haben.


Verlaſſen Sie ſich darauf, daß Jhre Briefe ſi-
cher ſeyn ſollen.


Jch habe mir die neuliche Dreiſtigkeit des Herrn
Lovelaces ſo zu Nutze gemacht, als ich Jhnen zum
voraus meldete: nemlich dazu, daß ich ihn von mir
entfernen moͤchte, damit ich die Wuͤrckung meiner
Bitte bey meinem Onckle erwarten, und eine jede
guͤnſtige Gelegenheit, die ſich zur Ausſoͤhnung zei-
get, ergreiffen koͤnne. Er iſt ſehr ungeſtuͤm und
unruhig geweſen, und hat zweymahl den Herrn
Mennell mitgebracht, der im Nahmen der Frau
Fretchville wegen des Hauſes reden wollte. Wenn
ich mich noch einmahl mit ihm vertragen muß, ſo
glaube ich, daß ich mich auf immer dadurch her-
unter ſetzen werde.


Sie gedencken einiger Verbrechen, die auf das
neue entdeckt ſeyn ſollen; Sie rathen mir, daß ich
mir die Dorcas zur Freundin machen, und ſuchen
ſoll hinter ſeine Briefe zu kommen. Auf dieſe Sa-
chen
[39]
chen werde ich mehr oder weniger dencken muͤſſen,
nachdem wie die Antwort von meinem Onckle aus-
faͤllt.


Es thut mir leyd, daß ſich Hannichen noch
uͤbel befindet. Jch bitte Sie, erkundigen Sie ſich
an meiner ſtatt, ob ſie an etwas Mangel leydet.


Jch will dieſen Brief nicht ſchlieſſen, bis der
morgende Tag vorbey iſt, denn ich bin entſchloſſen
in die Kirche zu gehen, ſo wohl um meine Andacht
zu haben, als zu ſehen, ob ich ausgehen darf ohne be-
gleitet und bewachet zu werden.


Sonntogs den 14ten May.


Jch habe einen kurtzen Wortwechſel mit Herrn
Lovelacen nicht vermeiden koͤnnen. Jch hatte
eine Kutſche beſtellet, und ſo bald ich hoͤrete, daß ſie
vor der Thuͤr waͤre, ging ich aus meiner Stube,
um wegzufahren. Allein ich traf ihn ſchon gantz
angezogen obgleich ohne Hut und Degen oben auf
der Treppe an, da er ein Buch in der Hand hatte.


Er fragte mich ungemein ernſthaft und dennoch
ehrerbietig ob ich ausfahren wollte. Als ich hiezu
Ja ſagte, bat er ſich aus, daß er mich begleiten
duͤrfte, wenn ich in die Kirche fuͤhre. Jch ſchlug
ihm dieſes ab. Hierauf beſchwerte er ſich heftig uͤber
meine Auffuͤhrung gegen ihn, und ſagte er moͤchte
nicht noch eine ſolche Woche uͤberleben, als die vori-
ge geweſen waͤre, wenn er auch die gantze Welt da-
mit verdienen koͤnnte.


Jch geſtand ihm offenhertzig, daß ich mich an die
Meinigen gewandt haͤtte, und ſo lange vor mich blei-
ben wollte, bis ich den Erfolg meiner Bitte ſaͤhe.


C 4Er
[40]

Er verwandelte ſich, und ſahe beſtuͤrtzt aus. Er
wollte etwas ſagen, begrif ſich aber mitten in der
Rede, und ſtellte mir hierauf die Gefahr wegen
Singletons vor, und bat mich abermahls, daß
ich ihm erlauben moͤchte, mit mir zu fahren.


Er ſagte hierauf: die Frau Fretchville wollte
nun noch vierzehen Tage laͤnger in dem Hauſe bleiben,
weil ſie gemerckt haͤtte, daß ich mich zu nichts gewiſſes
entſchlieſſen wollte. Nun moͤchte GOtt wiſſen, wenn
es die tiefſinnigen Einfaͤlle dieſer Frau zulieſſen, daß
ſie ſich zu etwas entſchloͤſſe. Dieſes iſt eine ungluͤck-
liche Woche fuͤr mich geweſen: wenn ich anders
mit ihnen geſtanden haͤtte, ſo koͤnnten ſie ſchon von
dem Hauſe Beſitz genommen haben, und die Fraͤu-
lein Montague oder wol gar die Frau Lawrance
wuͤrde bereits bey ihnen ſeyn, und ihnen Geſellſchaft
leiſten.


Jch will das (antwortete ich) fuͤr lauter Wahr-
heiten annehmen, was ſie ſie ſagen; und warum
kann denn ihre Fraͤulein Baſe mir nicht in der Frau
Sinclair Hauſe Geſellſchaft leiſten? Jſt dieſes
Haus fuͤr mich gut genug, ein oder zwey Monathe
darin zu bleiben, und ihre Anverwanden koͤnnen nicht
einige Tage darin zubringen? ‒ ‒ Frau Fretchville
verlangt nun noch laͤnger in dem Hauſe zu bleiben?
‒ ‒ Hierauf draͤngte ich mich vor ihm vorbey, und
ging ſo geſchwinde ich konnte die Treppe hinunter.


Er rief Dorcas, daß ſie ihm Hut und Degen
bringen ſollte, folgete mir unterdeſſen nach, ſtellte ſich
mir in den Weg, und bat mich abermahls um Er-
laubniß, mich zu begleiten. Frau Sinclair
kam
[41]
kam denſelbigen Augenblick heraus, und fragte
mich, ob ich nicht eine Taſſe Chocolate befoͤhle?


Jch ſagte: ich wollte wohl bitten, Frau Sin-
clair,
daß ſie den Herrn mit ſich in die Stube naͤh-
men, und ihm Chocolate vorſetzten. Jch weiß
nicht, ob ich Erlaubniß habe oder nicht ohne ihn aus
dem Hauſe zu gehen. ‒ ‒ Jch fragte ihm hierauf: ob
er mich fuͤr ſeine Gefangene hielte?


Dorcas brachte ihm unterdeſſen Hut und De-
gen, und er eroͤffnete die Thuͤr nach der Straſſe,
und fuͤhrete mich wider meinen Willen auf eine ſehr
hoͤfliche und ergebene Art in den Wagen. Die
Leute die vorbey giengen, ſahen ihn an, und redeten
ſachte. Doch er hat ſo viel auſſerordentliches in der
Geſtalt, und iſt ſo wohl gekleidet, daß er gemei-
niglich aller Augen auf ſich ziehet. Mir war es
ungelegen, daß ich mich von allen Vorbeygehenden
beſehen laſſen mußte. Er ſetzte ſich nach mir in die
Kutſche, und der Kutſcher fuhr nach S. Pauls-
Kirche.


Er war unterweges ſehr beredt und geſchaͤftig:
ich hingegen war ſo ſtille, als es mir moͤglich war,
und ſpeiſete auch des Mittags allein, wie ich bey-
nahe die gantze Woche hindurch gethan hatte.


Als ich ihm meldete, daß ich ohne ihn die Mit-
tags-Mahlzeit halten wollte, ſo antwortete er: er muͤſ-
ſe noch gehorſahm ſeyn, bis ich erfuͤhre, was ich
bey den Meinigen ausrichten koͤnnte; allein nachher
wollte er mir nicht verſprechen, mir einen Augen-
blick Ruhe zu laſſen, bis ich ſeinen Freuden-Tag
beſtimmet haben wuͤrde. Denn meine Verachtung,
C 5mein
[42]
mein Zorn, mein Aufſchub verdroͤſſen ihn bis in
die Seele.


Was fuͤr ein haͤßlicher Menſch! Zu meinem
Kummer muß ich ſagen, daß er auf doppelte Wei-
ſe an allen dem ſchuld iſt, was ihn verdrieſſet.


Wenn ich doch gute Nachricht von meinem On-
ckle bekaͤme!


Leben Sie wohl, liebſte und beſte Freundin.
Dieſer Brief lieget und wartet auf Jhren morgen-
den Brief, gegen den er ausgewechſelt werden ſoll,
und aus dem ihr Schickſahl ſehen wird


Jhre
Clariſſa Harlowe.



Der ſechſte Brief
von
Fraͤulein Howe an Frau Judith Norton.



Koͤnnen Sie nicht, als aus eigenem Triebe,
und ohne zu ſagen, daß ich es Jhnen ange-
geben habe, weil ich dem Harlowiſchen Hauſe ver-
haßt bin, der Frau Harlowe erzaͤhlen, Sie haͤtten
von ohngefehr von mir zuverlaͤßige Nachricht be-
kommen, daß die Fraͤulein Harlowe ſich nach ei-
ner Ausſoͤhnung mit ihren Eltern ſehnet, und eben
in dieſer Abſicht ſich bisher in keine Verbindungen
hat einlaſſen wollen, die hieran hinderlich ſeyn koͤnn-
ten: daß ſie inſonderheit dem Herrn Lovelace nicht
gern ein Recht geben wollte, ihrer Familie wegen
ihres
[43]
ihres grosvaͤterlichen Gutes Ungelegenheit zu machen:
daß ſie weiter nichts verlanget, als die Freyheit, un-
verheyrathet zu bleiben, und daß ſie in dieſer Abſicht
es blos dem Willen ihres Vaters uͤberlaſſen wolle,
was fuͤr Verfuͤgungen wegen ihres Gutes getroffen
werden ſollten; daß Herr Lovelace und die Seini-
gen ihr beſtaͤndig anliegen, die Hochzeit zu beſchleu-
nigen: daß ſie aber, (wie ich gewiß wuͤßte) zu
den Menſchen wegen ſeiner Untugenden und wegen
des Haſſes der Jhrigen gegen ihn ſo wenige Nei-
gung haͤtte, daß ſie ihm gaͤntzlich entſagen, und ſich
in ihres Vaters Schutz begeben wuͤrde wenn nur
einige Hoffnung zur Verfoͤhnung vorhanden waͤre.
Allein man muͤſſe ſich bald zu etwas entſchlieſſen,
weil ſie ſich ſonſt gezwungen ſehen wuͤrde, ſeinen
Bitten Gehoͤr zu geben, und es nachher nicht mehr
in ihrer Gewalt haben wuͤrde, einen verdrießlichen
Proceß zu hintertreiben.


Jch verſichere Jhnen heilig, daß die unvergleich-
liche Fraͤulein nichts davon weiß, daß ich jetzt an
Sie ſchreibe: deswegen muß ich Jhnen, allein im
Vertrauen, die Urſachen melden, die mich bewegen,
es zu thun. Es ſind folgende:


Sie hat gewuͤnſcht, daß Herr Hickman derglei-
chen etwas gegen ihren Onckle Harlowe als von
ohngefehr ſagen moͤchte, und zwar ſo, als wenn er
es aus eigenem Triebe thaͤte. Denn ſie befuͤrchtet,
daß Herr Lovelace etwas davon wieder erfahren
koͤnnte, und, wenn ſie ihrer Bitte nicht gewaͤhret
wuͤrde, ſie ſich endlich alles Schutzes beraubet ſehen,
und noch mehr verdriesliches von ihm zu gewarten
ha-
[44]
haben moͤchte, da er ein hochmuͤthiges Hertz hat,
und ſchon bisher ſehr ungehalten daruͤber geweſen
iſt, daß er ſo wenige Gunſt von ihr erlangen kann.


Da ich ſo viel Erlaubniß von ihn habe, und ſehr
in Sorgen bin, daß der Verſuch bey ihrem Onckle
fruchtlos ſeyn moͤchte, ſo habe ich gedacht, daß an
einem gluͤcklichen Ausgange beynahe nicht zu zwei-
feln ſey, wenn eine ſo guͤtige und verſtaͤndige Mut-
ter und Mutter-Schweſter mit ihrem Onckle (wo
anders dieſer zu gewinnen waͤre) gemeinſchaftliche
Sache machten.


Herr Hickman wird morgen dem Herrn Har-
lowe
zuſprechen, und um eben die Zeit koͤnnen Sie
auch vielleicht die Frau Harlowe ſprechen. Wenn
Herr Hickman findet, daß der alte Herr nicht abge-
neigt iſt, ſo wird er ihm ſagen, daß Sie vermuthlich
von eben der Sache mit der Frau Harlowe geredet
haben wuͤrden, und wird ihn bitten ſich mit ihr daruͤ-
ber zu berathſchlagen, durch was fuͤr Mittel die haͤrte-
ſten Hertzen in der Welt erweichet werden ſollen.


So ſtehet es um die Sache, und ich habe Jhnen
die Urſachen recht offenhertzig gemeldet, die mich be-
wegen an Sie zu ſchreiben. Jch uͤberlaſſe das uͤbri-
ge Jhrer Vorſichtigkeit und Klugheit, und wuͤnſche
deſto hertzlicher einen gluͤcklichen Erfolg, weil ich
glaube, daß Herr Lovelace unſerer unvergleichlichen
Freundin ohnmoͤglich werth ſeyn koͤnne: wiewohl
ich in der That gar keine Manns-Perſon kenne, die
ihrer werth iſt.


Jch bitte Sie um ein Paar Zeilen Nachricht, wie
Jhre Bitte aufgenommen werden wird. Wenn
ſie
[45]
ſie nicht den Erfolg hat, den wir billig hoffen ſollten,
ſo ſoll unſere allerliebſte Freundin von mir nicht
erfahren, daß wir dieſen Schritt gewaget haben;
und ich bitte Sie, melden Sie ihr auch nichts da-
von, damit wir nicht ihr ſo bekuͤmmertes Hertz noch
mehr betruͤben. Jch verbleibe


Jhre ergebenſte Freundin
Anna Howe.



Der ſiebente Brief
von
Frau Norton an Fraͤulein Howe.



Gnaͤdige Fraͤulein,

Mein Hertz moͤchte mir bluten, da ich Jhnen
melden muß, daß die jetzigen Umſtaͤnde in
der Familie meiner ewig werthen Fraͤulein Harlo-
we
nicht erlauben einige gute Hofnung von der Wuͤr-
ckung einer ſolchen Bitte zu ſchoͤpfen. Jhre arme
Mutter iſt zu bedauren. Jch habe einen ſehr be-
weglichen Brief von ihr bekommen; allein es iſt mir
nicht erlaubt ihn zu uͤberſenden: ſie verbietet mir
ſo gar, mich mercken zu laſſen, daß ſie von ihrer
Tochter geſchrieben hat, ob ſie gleich nicht unterlaſſen
kann ihren Kummer zur Beruhigung ihres eigenen
Hertzens mit mir zu theilen. Jch melde alſo alles
dieſes im groͤſſeſten Vertrauen.


Jch hoffe zu GOtt, daß die Ehre meiner lieben
Fraͤulein noch unverletzt iſt. Jch hoffe, daß kein
ſolcher
[46]
ſolcher Boͤſewicht in der Welt iſt, der es wagen ſoll-
te, ſie zu entweihen. Jhre Tugend und ihres
Hertzens wegen bin ich auſſer Sorgen: wenn nur
GOtt geben wollte, daß ſie auſſer Gefahr waͤre,
durch Liſt oder durch Gewalt uͤberwunden zu werden!
Jch bin allzu aͤngſtlich: machen Sie mir, gnaͤdige
Fraͤulein, das Hertze durch eine Zeile (wenn es auch
weiter nichts als eine eintzige Zeile ſeyn ſollte (leich-
ter, und verſichern Sie mir, daß ihre Ehre noch
unbefleckt iſt. Jch weiß gewiß, daß Sie dieſes
thun koͤnnen: irre ich mich aber, ſo gebe ich allem
Vergnuͤgen dieſes Lebens gute Nacht. Es wird
alsdenn untroͤſtbar ſeyn


Jhre gehorſamſte Dienerin
die ungluͤckliche Judith Norton.



Der achte Brief
von
Fraͤulein Howe an Frau Judith Norton.



Die Ehre Jhrer allerliebſten Fraͤulein iſt noch
unverletzt: ſie ſoll und wird auch unverletzt
bleiben, Menſchen und Teuffeln zum Trotz. Meine
gantze Abſicht war, daß ſie den Lovelace nicht
heyrathen ſollte, wenn einige Hoffnung zur Ver-
ſohnung uͤbrig waͤre. Nun aber kann man weiter
nichts ſagen, als dieſes: ſie muß es wagen eine un-
gluͤckliche Ehe zu treffen, obgleich kein Menſch auf
dem Erdboden ſie zu beſitzen wuͤrdig iſt.


Sie
[47]

Sie bedauren ihre Mutter: das thue ich nicht!
ich bedaure keine Perſon, die es ſich ſelbſt ohnmoͤg-
lich macht ihre Tochter muͤtterl[i]cher Liebe oder Men-
ſchen-Liebe zu erzeigen, um ſich in dem Beſitz einer
ſo genannten Ruhe zu erhalten, die doch nicht lange
waͤhren kann, ſondern durch jedes Luͤftgen geſtoͤret
werden muß, ja die nicht einmahl den Nahmen der
Ruhe verdienet.


Jch haſſe alle Tyrannen, von welcher Art ſie auch
ſeyn moͤgen: allein gegen tyranniſche Eltern habe
ich den allergroͤſſeſten Widerwillen, denn dieſe muͤſſen
gar nicht wiſſen, was Mitleyden iſt.


Jch wiederhole es nochmahls, ich bedaure keinen
in der gantzen Familie. Jhre und meine Fraͤulein
verdienet allein Mitleiden. Sie wuͤrde ſich nicht
in den Haͤnden dieſes Menſchen beſinden, wenn ſie
nie in den Haͤnden der Jhrigen geweſen waͤre: ſie
iſt gantz unſchuldig. Sie wiſſen noch nicht, wie
die gantze Sache zuſammen haͤngt. Wie? wenn ich
Jhnen ſagen koͤnnte, daß ſie gar nicht die Abſicht ge-
habt hat mit dem Menſchen davon zu gehen. Doch
dieſes wuͤrde der Fraͤulein nichts helfen; es wuͤrde
blos eine Anklage gegen die ſeyn, die ſie ſo weit ge-
trieben haben, und gegen den, der jetzt ihre eintzige
Zuflucht iſt. Jch verbleibe


Jhre aufrichtige Freundin und Dienerin
Anna Howe.



Der neunte Brief
von
Frau Harlowe an Frau Norton.


Die
[48]

(Dieſer Brief iſt nicht eher bekannt' gewor-
den, als da die Briefe geſammlet wurden,
die zu dieſer Geſchichte gehoͤren.)


Sonnabends den 13 May.


Jch will das ſchriftlich beantworten, was Sie an
mich gebracht hat, wie ich es Jhr geſtern
verſprochen habe. Allein laſſe Sie ſich gegen nie-
mand mercken, daß ich geſchrieben habe, auch nicht
gegen die Eliſabeth, die, wie ich hoͤre, bisweilen zu
Jhr koͤmmt. Mein ungluͤckliches Maͤdchen muß
auch nichts davon wiſſen: ich bedinge mir dieſes ſo
gleich aus. Mein Hertz iſt voll von Kummer:
vielleicht wird es durch das Schreiben leichter. Jch
werde auch manches ſchreiben, das mir auf dem
Hertzen liegt, wenn es gleich mit der Beantwortung
Jhres Antrages nichts zu thun hat.


Sie weiß, wie lieb wir alle dieſes undanckbah-
re Maͤdchen gehabt haben. Sie weiß, daß wir mit
allen denen, die ſie geſehen hatten, oder mit ihr umgin-
gen, ſie gemeinſchaftlich lobeten und bewunderten.
Wir uͤberſchritten ſo gar in unſerm Lob die Grentzen,
welche uns die Beſcheidenheit zu ſetzen ſchien, weil es
unſer eigenes Kind war: denn wir glaubten, daß
man uns fuͤr blinde Leute oder fuͤr Heuchler halten
wuͤrde, wenn wir den Vorzuͤgen unſerer Tochter,
die einem jeden in die Augen fielen, unſer Lob ver-
ſaget haͤtten; wir glaubten zum wenigſten nicht, daß
man uns des Hochmuths und der Partheylichkeit
wuͤrde beſchuldigen koͤnnen, wenn wir das ſaͤhen,
wovor wir die Augen nicht verbergen koͤnnten.


Wenn
[49]

Wenn uns jemand wegen unſerer Tochter gluͤck-
dich prieß, ſo nahmen wir es an, und geſtunden,
laß keine Eltern durch ihre Kinder gluͤcklicher werden
koͤnnten als wir. Wenn inſonderheit ihr Gehorſam
geruͤhmet ward, ſo ſagten wir, ſie wuͤßte gar nicht,
wie ſie uns beleydigen ſollte. Wenn andere ruͤhmten,
die Fraͤulein Clariſſa Harlowe haͤtte mehr Witz
und Scharfſinnigkeit, als man von ihren Jahren
erwarten koͤnnte, ſo leugneten wir es nicht allein
nicht, ſondern wir ſetzten noch wohl gar dazu: ih-
re Beurtheilungs-Kraft ſey eben ſo groß als ihr
Witz. Wenn ihre Klugheit und Vorſichtigkeit ge-
ruͤhmet ward, dadurch ſie nach jedermanns Urtheil
den Mangel der Erfahrung und der Jahre reichlich
erſetzte, ſo waren wir wol ſo hochmuͤthig, daß wir
antworteten: niemand duͤrfte ſich ſchaͤmen von un-
ſerer Tochter zu lernen.


Vergebe Sie mir mein Geſchwaͤtz, meine liebe
Frau Norton. Doch ich weiß, Sie wird es thun:
denn ſo lange meine Clariſſa ein gutes Kind
geweſen iſt, war ſie Jhr Kind, und ſie gereichte Jhr
ſo wohl als mir zur Ehre.


Hat Sie nicht bisweilen gehoͤrt, daß Fremde ſtille
ſtunden, und dieſen Engel (wie ſie meine Clariſſa
nannten) bewunderten, wenn ſie nach der Kirche
ging? und daß die, die ſie kannten, weiter nichts
ſagten, als: es iſt ja die Fraͤulein Clariſſa Harlo-
we!
nicht anders, als wenn die Fraͤulein Clariſſa
Harlowe
einem jeden bekannt ſeyn muͤßte. Sie war
des Lobes ſchon ſo gewohnt, und es war mit ihr ſo
bekannt geworden, daß weder in ihrem Geſicht
Vierter Theil. Dnoch
[50]
noch Gange daruͤber eine Aenderung zu ſpuͤren
war.


Jch vor mein Theil konnte mich eines Vergnuͤ-
gens nicht enthalten, das vielleicht allzu nahe mit
dem Hochmuth verwant war, ſo oft ich als Mutter
eines ſo liebenswuͤrdigen Kindes angeredet ward.
Mein Mann und ich bekamen einander deſto lieber,
weil wir ein gemeinſchaftliches Antheil an dieſer Toch-
ter hatten.


Sie muß dem Ueberfluß eines muͤtterlichen Her-
zens noch mehr dergleichen Lobes-Erhebungen, die
vielleicht Thorheiten ſind, zu gute halten. Jch woll-
te gern beſtaͤndig daran gedencken, was ſie ehemahls
war, wenn ich nur uͤber dieſer Erinnerung vergeſſen
koͤnnte, was ſie jetzund iſt.


So jung als ſie war, ſo konnte ich ihr doch allen
meinen Kummer anvertrauen. Jch war zum vor-
aus verſichert, daß ich von ihrer Klugheit Rath und
Troſt bekommen wuͤrde, und zwar dieſes auf eine
ſo beſcheidene und demuͤthige Art, daß der Unter-
ſcheid der Jahre, und das Verhaͤltniß, darinnen ei-
ne Tochter gegen eine Mutter ſtehet, im geringſten
nicht dadurch verletzet ward. Auſſer Hauſe gereichte
ſie uns zur Ehre, und in dem Hauſe zum Vergnuͤ-
gen. Jedermann war recht geitzig auf ihre Geſell-
ſchaſt, und wir zanckten uns beynahe uͤber ſie mit mei-
nes Mannes Bruͤdern, und mit meiner Schweſter.
Wir hatten keinen andern Streit, als wer das naͤchſte
mahl ihre Geſellſchaft genieſſen ſolte. Sie hat uns nie
ſchelten hoͤren, als wenn wir auf eine verliebte Wei-
ſe deswegen ſcholten, weil ſie ſich ſo lange von uns
entfer-
[51]
entfernete, um ſich bey ihrem lobenswuͤrdigen Zeit-
Vertreib zu beſchaͤftigen, oder in der Haushaltung
allerhand nuͤtzliche Anſtalten zu machen.


Unſere uͤbrigen Kinder, die auch gute Kinder wa-
ren, mußten nothwendig mercken, daß ſie ihr nach-
geſetzt wuͤrden. Allein ſie waren ſo lebhaft davon
uͤberzeuget, daß ihre Schweſter wahre Vorzuͤge vor
ihnen beſaͤſſe, und ihrer Familie zur Ehre gereichte,
daß ſie dieſes ohne Neid geſtanden. Es kam ihr in
der That niemand ſo nahe, daß er ſich unterſtan-
den haͤtte ſie zu beneiden: hoͤchſtens ſtellete man ſie
ſich zur Nachahmung vor. Sie weiß, daß uns
dieſes Kind einen Vorzug vor andern Familien zu-
wege brachte: allein nachdem ſie uns verlaſſen, und ſo
ſchimpflich verlaſſen hat, ſo ſind wir unſeres Schmu-
ckes beraubet, und andern Familien gleich gewor-
den.


Was fuͤr Geſchicklichkeit hatte ſie durch Fleiß
erworben! wie geſchickt war ſie in der Muſick! was
machte ſie fuͤr ſchoͤne Arbeit! wie unvergleichlich ver-
ſtand ſie ſich auf die Kleidung! Ward ſie nicht
hieruͤber ſo bewundert, daß das benachbarte Frau-
enzimmer ſagte: man brauche ſich die Moden nicht
von London zu verſchreiben, ſondern das ſey die
beſte Mode, die die Fraͤulein Harlowe truͤge, weil
ſie etwas natuͤrlich-ſchoͤnes an ſich haͤtte, das alle
Kunſt uͤbertraͤfe. Jhr ungezwungenes freyes We-
ſen! Jhre Geſtalt! Jhre Beleſenheit! Jhr offen-
hertziges Weſen: Jhre Freundlichkeit und Beſchei-
denheit! O meine liebe Frau Norton, was fuͤr ein
Kind hatte ich ehemahls an meiner Claͤrchen!


D 2Sie
[52]

Sie weiß, daß ich nicht mehr alſ die Wahrheit
ſchreibe. Vieles gute hatte ſie Jhr allein zu dan-
cken, und Sie floͤßte ihr das mit der Milch ein, was
ihr keine andere haͤtte einfloͤſſen koͤnnen.


Kann Sie glauben, daß die muthwillige Ver-
gehung eines ſolchen Kindes Vergebung verdienet?
Kann Claͤrchen ſelbſt leugnen, daß ſie die haͤrteſte
Strafe verdienet, nachdem ſie ſo auſſerordentliche
Gaben ſo ſchlecht gebraucht hat?


Jhre Suͤnde iſt recht mit Vorbedacht und mit
Liſt von ihr begangen worden. Sie hat jedermann
in ſeiner Erwartung betrogen. Sie hat ihr gan-
tzes Geſchlecht ſo wohl, als ihre Familie beſchim-
pfet.


Wer haͤtte glauben ſollen, daß ein Kind, wel-
ches durch ſeinen Rath eine allzu muntere Freundin
abgehalten hatte einen naͤrriſchen und liederlichen
Kerl zu heyrathen, daß, ſage ich, eben dieſes Kind
mit dem allerliederlichſten Kerl und beruͤchtigſten
Boͤſewicht davon gehen wuͤrde? mit einem Men-
ſchen, den es kannte, und wußte daß er aͤrger war
als jener, vor deſſen Laſtern es ſeine Freundin warne-
te? mit einem Schlaͤger, der das Leben ſeines Bru-
ders einmahl in ſeiner Gewalt gehabt hatte, und der
unſerer gantzen Familie trotzete?


Setze Sie ſich an meine Stelle, und uͤberdencke
Sie, wie groß mein Kummer ſeyn muß, den ich als
Mutter empfinde, und wie vielen Verdruß ich von
meinem Manne auszuſtehen habe. Stelle Sie
ſich meine unruhigen Tage und ſchlafloſen Naͤchte
vor; und dennoch muß ich oft meine quaͤlende Unruhe
ver-
[53]
verbergen, um andere hitzigere Koͤpfe zu beruhigen
und ferneres Ungluͤck zu verhuͤten. O das unarti-
ge Maͤdchen! das nicht aus Unwiſſenheit ſuͤndigte,
ſondern die Folgen ſeines Vergehens uͤberſahe. Wir
dachten, unſere Tochter wuͤrde eher geſtorben ſeyn, als
daß ſie ſich zu dergleichen Vergehungen entſchloſſen
haͤtte.


Jhr Verſtand, den jedermann kennet, macht ſie
ohne Entſchuldigung. Wie kann ich ihr denn bey
andern das Wort reden, wenn ich gleich ſelbſt fuͤhle,
daß ich ein Mutter-Hertz habe, und ihr vor mein
Theil gern vergeben wollte? Sind nicht wir, iſt ſie
ſelbſt nicht durch ihre Flucht ſchon ſo beſchimpft wor-
den, als wir und ſie jemahls durch ſie beſchimpft wer-
den koͤnnen?


Wenn ſie jetzt ſo ſchlecht mit ſeiner Auffuͤhrung zu-
frieden iſt, ſo haͤtte ſie vorhin eben ſo ſchlecht damit zu-
frieden ſeyn ſollen! Oder hat ſie etwan ſelbſt Proben
von ſeinem laſterhaften Betragen an ſich erfahren?
Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, meine liebe Frau Norton ‒ ‒
Wenn ſie auch ein Engel waͤre, ſo muͤßte man doch
wegen des Menſchen in Sorgen ſtehen, in deſſen
Klauen ſie ſich befindet. Die Welt wird das
ſchlimmſte dencken, und ich hoͤre ſchon, daß die Leute
ſehr uͤbel reden ſollen. Jhr Vater iſt gleichfalls be-
ſorget: ihr Bruder hoͤrt nicht viel Gutes von ihr.
Was kann ich bey ſolchen Umſtaͤnden ausrichten?


Sie wußte vorhin, wie wir gegen den Menſchen
geſinnet waren, und wie laſterhaft er iſt: dieſes koͤn-
nen alſo ihre Bewegungs-Gruͤnde nicht ſeyn. Es
muͤſſen neue Urſachen vorhanden ſeyn. O meine liebe
D 3Frau
[54]
Frau Norton, wie kann ich, wie kann Sie die
Furcht ertragen, die dieſer Gedancke nothwendig er-
wecket? Das iſt meine, das iſt Jhre Claͤrchen!


Sie ſchreibet: er und ſeine Freunde liegen
ihr beſtaͤndig an, daß ſie ihn heyrathen moͤge.

Sie muß gewiß Urſachen haben, daß ſie ſich an
uns wendet. Ueber ihr Vergehen werden jetzt aller-
hand Anmerckungen gemacht, um es in unſern Au-
gen noch ſchwaͤrtzer vorzuſtellen. Wie weit verliert
ſich endlich ein verfuͤhrtes Hertz von der rechten Bahn,
wenn es einen ſuͤndlichen Schritt gewaget hat? ‒ ‒ ‒
Ueber dieſes alles wird jetzt nur durch Fremde bey
uns angefraget, damit der Eigenſinn und Stoltz
unſerer Tochter ja nicht gekraͤncket werden moͤge,
und ſie immer ſagen koͤnne, ſie habe ſich nicht an
uns gewandt!


Ein vor allemahl, ſo iſt jetzt gantz die unrechte
Zeit, wenn ich auch geneigt waͤre, mich ihrer anzu-
nehmen. Jetzt, ſage ich, nachdem mein Bruder
Harlowe das Geſuch des Herrn Hickmans abge-
wieſen hat, (wie er uns geſtern Abend erzaͤhlete) und
dieſes von jedermann gebilliget iſt: jetzt, da mein
Bruder Anton eben aus Verdruß uͤber ſie ſich ent-
ſchloſſen hat, ſein groſſes Vermoͤgen an eine andere
Familie zu bringen. Und bey dem allen wird ſie
noch ohne Zweifel erwarten, in den Beſitz ihres Gu-
tes geſetzt, und fuͤr ihre Suͤnde des Ungehorſams
belohnt zu werden. Sie erbietet ſich noch immer zu
Bedingungen, die ſchon ehemahls verworffen ſind:
(nicht aus meiner Schuld! deſſen giebt mir mein
Gewiſſen Zeugniß.)


Sie
[55]

Sie mag ſelbſt aus allem was ich ſchreibe eine
Antwort geben, wie ſie ſich zu den Umſtaͤnden am
beſten ſchicket. Es ſtehet alle Ruhe und alle ver-
gnuͤgte Stunden meines Lebens darauf, wenn ich
es jetzt wage, ein Wort fuͤr ſie zu reden. GOtt ver-
gebe ihr ihre Suͤnde. Wenn ich gleich fuͤr ſie ſpre-
chen wollte, ſo werde ich niemand auf meiner Seite
haben. Um mein ſelbſt und um Jhres eigenen
Vortheils willen laſſe Sie ja niemand erfahren, daß
wir von dieſer Sache geredet oder Briefe gewechſelt
haben. Schreibe Sie auch kuͤnftig nichts mehr
davon, als wenn ich es vorher erlaube: denn mein
gantzes Hertz blutet mir, wenn ich ſolche Briefe
leſen muß.


Glaube Sie indeſſen nicht, daß ich unerbittlich
bin, wo ich wahre Reue ſehe. Allein wie betruͤbt
iſt es, gern zu wollen und nicht zu koͤnnen.


GOtt gebe Jhr und mir Troſt und Beruhigung,
und meiner ehmahls lieben, und ewig lieben (denn
welche Mutter kann ihr Kind vergeſſen) meiner
ewig lieben Claͤrchen gebe er Reue, recht hertzliche
Reue! und ſo weniges Leyden, als nach ſeiner
Weisheit moͤglich iſt. Dieſes wuͤnſcht


Jhre wahre Freundin
Charlotte Harlowe.



Der zehnte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.



D 4Jch
[56]

Jch weiß nicht, wie die Sachen jetzt zwiſchen Jh-
nen und Herrn Lovelacen ſtehen: allein ſo
gottlos der Menſch iſt, ſo iſt er dennoch beſtim-
met, ihr Herr und Oberhaupt zu werden.


Jch habe in meinem vorigen Briefe manches an-
zuͤgliche gegen ihn geſchrieben, weil ich eben von ſei-
nen Bosheiten gehoͤrt hatte, und deswegen voller
Unwillen auf ihn war. Allein nachdem ich mich be-
dacht, und auch erkundiget habe, ſo finde ich, daß alle
dieſe Streiche ſchon alt ſind, und er ſeit der Zeit, daß
er eine ſtaͤrkere Hoffnung auf Jhre Guͤtigkeit hat
ſetzen duͤrfen, nichts von ſolchen Bosheiten veruͤbet
hat. Dieſes dient einigermaſſen zu ſeiner Entſchul-
digung. Seine rechtſchaffene und artige Auffuͤh-
rung gegen das Maͤdchen in dem Wirths-Hauſe iſt
neuer, und bringt ihm Ehre: deſſen nicht zu geden-
cken, daß er von allen Bedienten als freygebig und
großmuͤthig geruͤhmt wird. Es gefaͤllt mir auch
ungemein wohl, daß er Jhnen das Haus der Frau
Fretchville zu verſchaffen ſuchet, und ſo lange
ſelbſt in der bisherigen Miethe bleiben will, bis
es Jhnen beliebig iſt, ein Haus mit ihm zu beziehen.


Wenn Sie einmahl ſeine Gemahlin geworden ſind,
ſo glaube ich nicht, daß Sie bey ihm ſehr uͤble Zeit
haben werden, ob ich gleich nicht glaube, daß Sie
ſo gluͤcklich ſeyn werden, als Sie es verdienen. Die
Guͤter, die er in ſeinem Vater-Lande hat; ſeine
Anwartſchaften; die Sorgfalt die er anwendet,
das Seinige beyſammen zu behalten; der Umſtand,
daß er frey von Schulden iſt; ja ſein Hochmuth
und Jhre auſſerordentlichen Vorzuͤge; ſcheinen
Jhnen
[57]
Jhnen zum voraus manches gute oder ertraͤgliche
zu verſprechen. Jch werde zwar gegen ihn aufge-
bracht, wenn ich einige beſondere Umſtaͤnde von
ſeinen Gottloſigkeiten hoͤre. Allein wenn ich es recht
uͤberlege, ſo finde ich keine neue Anklage gegen ihn,
ſondern eben das, was der abgedanckte Verwalter
und die Frau Greme ſchon laͤngſtens uͤberhaupt
von ihm geſagt haben.


Jch glaube daher, daß Sie weiter keinen Kum-
mer haben duͤrfen, als den Jhnen ſeine ewige
Wohlfarth, und das boͤſe Exempel das er ſeiner
Familie geben moͤchte, erwecken kann. Es ſind
dieſes wichtige Urſachen zum Kummer: allein es
wuͤrde in jedermanns Augen ein ſonderbares An-
ſehen haben, wenn Sie ihn jetzt mit oder ohne ſei-
ne Bewilligung verlieſſen, da ſeine Familie ſo vor-
nehm iſt, und er ſelbſt ſo vieles angenehme an ſich
hat, und jetzt jedermann Sie wegen dieſer Umſtaͤnde
und wegen der wunderlichen Auffuͤhrung Jhrer An-
verwanten fuͤr entſchuldiget haͤlt. Jch habe alles
nach beſtem Vermoͤgen uͤberleget, und ich kann nicht
anders, als Jhnen rathen, an eine naͤhere Verbin-
dung mit ihm zu gedencken, wenn Sie anders kei-
ne Urſache haben an ſeiner Aufrichtigkeit zu zweifeln.
Die Rache muͤſſe den Boͤſewicht in Zeit und Ewig-
keit verfolgen, wenn er Jhnen Anlaß zu einem ſol-
chen Zweifel giebt.


Sein Zaudern und Taͤndeln iſt unertraͤglich. Jch
kann mich auch gar nicht darein finden, daß er ſich
mit Jhren kaltſinnigen Verzoͤgerungen abweiſen laͤßt,
und ſich darein ſchicket, daß Sie um einer geringen
D 5Suͤnde
[58]
Suͤnde willen ſo ſproͤde gegen ihn thun, die nach
ſeiner Einſicht eine ſo harte Strafe nicht verdienen
kann. Er ſcheint an Jhrer Liebe zu zweifeln; al-
lein Sie haben eben ſo groſſe Urſache, es ſich be-
fremden zu laſſen, daß er nicht hitziger lieber,
da er einen ſo ungemeinen Schatz in einer ſolchen
Naͤhe hat, daß er gleichſam nur zugreiffen duͤrfte.


Sie werden nun begierig ſeyn, den Ausgang der
veranſtalteten Unterredung der beyden bewußten
Herrn
zu erfahren. Jch bin voll Unmuth und
Betruͤbniß, aber auch voll Widerwillen gegen alle die
Jhrigen: gegen alle, ſage ich; denn ich habe auch
einen Verſuch gethan, was durch die Frau Nor-
ton
bey Jhrer Mutter auszurichten ſtuͤnde, und
habe durch ſie Vorſchlaͤge von eben der Art thun
laſſen, als der bewußte Herr Jhrem Onckle gethan
hat. Unmenſchen, die eben ſo vorſatzlich Unmenſchen
ſind, und ſich nicht erbitten laſſen, etwas von Menſch-
lichkeit zu fuͤhlen, ſind in der Welt zu finden. Wa-
rum ſoll ich das Unrecht bemaͤnteln? Jch haͤtte ſonſt
groſſe Luſt, bey Jhrer Mutter eine Ausnahme zu
machen.


Jhr Onckle behauptet: daß Sie jetzund
nicht mehr waͤren, was Sie geweſen ſind. Er ſagt:
er muͤſſe das aͤrgſte bey einem ſolchen Maͤdchen be-
ſorgen, das ſich haͤtte entſchlieſſen koͤnnen, mit einer
Manns-Perſon davon zu gehen, und zwar mit ei-
ner ſolchen Manns-Perſon als Herr Lovelace iſt.
Alle die Jhrigen haͤtten laͤngſtens erwartet, daß
Sie ſich an Sie wenden wuͤrden, ſo bald Sie in
dem
[59]
dem Ungluͤck waͤren: allein der Entſchluß ſey ſchon
zum voraus gefaſſet, nicht einen Schritt zu Jhrem
Beſten zu thun, wenn man auch Jhr Leben dadurch
retten koͤnnte.


Mein allerliebſter Schatz, entſchlieſſen Sie ſich,
auf Jhr Recht zu dringen. Fodern Sie Jhr Gut
wieder, und wohnen Sie darauf. Wenn Sie als-
denn Lovelacen nicht heyrathen, ſo ſehe ich ſchon
im Geiſte zum voraus, wie kriechend die Jhrigen
werden werden, um die Bedingungen von Jhnen
zu erbetteln, die Sie jetzt ſelbſt angetragen haben.


Jhr Onckle beſchuldigte Sie, eben ſo wie Jhre
Baſe in ihrem Briefe gethan hat, daß Sie vorſaͤtz-
lich davon gegangen waͤren, und allerhand liſtige
Anſtalten zur Flucht gemacht haͤtten. Als die ver-
mittelnde Perſon Sie bedauren wollte, ſo ward ihr
geantwortet: die waͤren zu bedauren, die ehemahls
ſo verliebt in Sie geweſen waͤren, die ſich uͤber nichts
mehr als uͤber Jhre Gegenwart gefreuet haͤtten, die
alle Jhre Worte gleichſam hintergeſchlucket haͤtten;
die ſich gefreuet haͤtten, ihren Fuß auf die Stelle zu
ſetzen, auf die Sie ihn geſetzt haͤtten: und was der-
gleichen Ausdruͤcke noch mehr waren.


Jch ſehe nun unwiderſprechlich ein, und Sie
ſelbſt werden es nicht leugnen koͤnnen, daß ſie wei-
ter nichts als Eins waͤhlen koͤnnen. Je eher Sie
dieſe Wahl treffen, deſto beſſer iſt es. Oder ſoll
ich glauben, daß es nicht mehr in Jhrem Vermoͤ-
gen ſtehe, ſie zu treffen? Der Gedancke iſt mir un-
ertraͤglich.


Jch
[60]

Jch bin begierig, und ich fuͤrchte mich zu erfahren,
wie Sie es anfangen werden, weniger ſproͤde gegen ihn
zu thun, nachdem Sie bisher ſo hart gegen ihn geweſen
ſind, und wie ſich ſein Hochmuth bey dieſer Gelegenheit
an Jhnen raͤchen wird. Allein das muß ich Jhnen
ſagen: wenn ich durch eine Reiſe nach London
Jhnen den Verdruß erſparen kann, ſich ſo tief her-
unter zu laſſen, oder wenn ich gar dadurch groͤſſerem
Ungluͤck vorbeugen kann, ſo wuͤrde ich mich nicht ei-
nen Augenblick bedencken. Was frage ich nach
der gantzen Welt, wenn ich ſie gegen unſere Freund-
ſchaft auf die Wage-Schaale lege? Koͤnnen Sie
glauben, daß mir einiges Vergnuͤgen dieſes Lebens
angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich wuͤßte, daß ich
durch deſſen Aufopferung das Ungluͤck einer ſolchen
Freundinn, als Sie ſind, haͤtte abwenden oder erleich-
tern koͤnnen? Jch biete Jhnen weiter nichts an,
als die billigſten Fruͤchte der Freundſchaft, zu wel-
cher ich durch Jhren Werth bewogen bin. Ent-
ſchuldigen Sie dasjenige, was in meinen Ausdruͤcken
alſo hitzig ſeyn koͤnnte: mein Hertz aber braucht kei-
ner Entſchuldigung, wenn es in ſeiner Freundſchaft
hitzig iſt. Jch moͤchte vor Verdruß uͤber Jhre An-
verwanten von Sinnen kommen. So viel ſchlim-
mes ich Jhnen ſchon gemeldet habe, ſo behalte ich
doch das ſchlimmſte noch fuͤr mich, und werde es ver-
muthlich ewig fuͤr mich behalten. Jch aͤrgere mich
uͤber den kleinen Geiſt meiner Mutter, und daß ſie
bey ihren alten Gedancken ohne weitere Ueberlegung
immer bleibet. Gegen Jhren albernen und nieder-
traͤch-
[61]
traͤchtig, hochmuͤthigen Lovelace bin ich recht erbit-
tert. Allein wir muͤſſen uns doch herunter laſſen,
und den Menſchen nehmen, ſo gut er iſt, weil es
einmahl ihr Schickſahl iſt, ſich herunter zu laſſen,
damit Sie unſere Erd-Buͤrger nicht gantz aus dem
Geſichte verlieren. Er hat ſich gegen Sie noch
nicht unanſtaͤndig aufgefuͤhret. Er darf ſich es auch
nicht unterſtehen! ein ſolcher Teuffel iſt er noch nicht.
Wenn er uͤble Abſichten gehabt haͤtte, ſo wuͤrde Jhr
ſcharfes und wachſames Auge, und Jhr reines Hertz
ſie laͤngſtens entdecket haben, da Sie ſo ſehr in ſei-
ner Gewalt ſind. Wir wollen ſuchen den Menſchen
zu retten, ob uns gleich die Finger ſchmutzig werden,
wenn wir ihn aus dem Koth heben wollen.


Eine Perſon von Jhren Mitteln, und die ſo freye
Haͤnde hat, kann noch manches thun, wenn ſie ſich auf
die Bedingungen einlaſſen will, auf welche Sie ſich
einlaſſen muͤſſen. Jch habe noch nicht gehoͤret, daß er
von Eheſtiftung und Trauſchein geredet hat. Es iſt
zwar etwas hartes: allein da ihr Ungluͤck ſie aller
andern Vorſprache und Vormundſchaft beraubet
hat, ſo muͤſſen Sie bey ſich ſelbſt Vater-Mutter-
und Onckles-Stelle vertreten, und ſelbſt das noͤthi-
ge beſorgen. Warlich Sie muͤſſen das thun! Jhre
Umſtaͤnde erfodern es. Warum wollen Sie jetzt
noch der Bloͤdigkeit Raum laſſen? Oder ſoll ich an
Jhrer Stelle an ihn ſchreiben? allein das wuͤrde
eben ſo viel ſeyn, als wenn Sie ſelbſt ſchrieben. Jch
wollte Jhnen ſo gar rathen zu ſchreiben, wenn Sie
Jhr Wort nicht uͤber die Zunge bringen koͤnnten.
Am beſten iſt es, wenn Sie es muͤndlich ſagen
koͤn-
[62]
koͤnnen: denn Worte laſſen keine Zuͤge nach ſich,
ſondern verfliegen in die Lufft, und man kann ih-
nen nachher eine weitlaͤuftige Deutung geben. Was
aber geſchrieben iſt, das bleibt geſchrieben.


Jch kenne Jhr ſittſames Hertz, Jhren liebens-
wuͤrdigen Hochmuth, und Jhre Begriffe von der
Wuͤrde unſers Geſchlechts. Allein dieſes alles kommt
jetzt nicht in Betrachtung. Um Jhrer eigenen Ehre
willen iſt es noͤthig, daß Sie jetzt weniger an die-
ſe Wuͤrde und an das, was ſich fuͤr ein Frauenzim-
mer ſchickt, gedencken.


Wenn ich an Jhrer Stelle waͤre, ſo wollte ich
zwar den albernen Menſchen in meinem Hertzen haſ-
ſen, weil er ſo niedertraͤchtig hochmuͤthig iſt, und ſei-
ne kuͤnftige Frau zwingen will um ihn anzuhalten.
Allein ich wollte ihn dennoch anreden, und ſagen:
„Herr Lovelace, ihnen habe ich es zu dancken,
„daß ich von allen Freunden in der Welt verlaſ-
„ſen bin. Wie ſoll ich ſie anſehen? Jch habe
„alles wohl uͤberleget: ſie haben mich gegen eini-
„ge Leute wider meinen Willen fuͤr verheyrathet
„ausgegeben: hingegen wiſſen andere, daß ich noch
„unverheyrathet bin, und ich verlange nicht, daß
„jemand anders von mir dencken ſolle. Koͤnnen
„ſie ſelbſt glauben, daß es mir zur Ehre gereichet,
„wenn wir in einem Hauſe beyſammen ſind? Sie
„haben mit mir von dem Hauſe der Frau Fretchvil-
„le
geredet:„ (dieſes wird Gelegenheit geben, die
vorigen Unterredungen hievon zu erneuren, wenn
er nicht von freyen Stuͤcken davon anfaͤnget.) „Al-
„lein was iſt mir mit dem Hauſe gedient, wenn
„Frau
[63]
„Frau Fretchville ſelbſt nicht weiß, was ſie thun
„oder laſſen will? Sie haben viel davon geredet,
„daß ſie mir die Geſellſchaft der Fraͤulein Mon-
„tague
verſchaffen wollten: und ſie koͤnnen ja an
„dieſe Fraͤulein ſchreiben, wenn ſie um meines
„Bruders und um Singletons willen es nicht
„wagen wollen, ſelbſt zu ihr zu reiſen um ſie ab-
„zuholen. Jch verlange ein vor allemahl, daß
„ſie dieſe zwey Stuͤcke in das klare bringen, da-
„mit ich weiß, woran ich bin. Ja! oder Nein!
„ſoll mir beides lieber als die Ungewißheit, und
„eines ſo lieb als das andere ſeyn.


Eine ſolche Erklaͤrung wuͤrde Sie weiter bringen.
Wenn Sie einem andern in gleichen Umſtaͤnden ei-
nen Rath geben ſollten, ſo wuͤrden Jhnen Mittel und
Wege genug beyfallen. Sein Hochmuth wird es
nicht zulaſſen, daß er vorgebe, er muͤſſe jemanden
zu Rathe ziehen. Er wird ſich alſo deutlicher erklaͤ-
ren muͤſſen: und ſo bald er das thut, ſo ſeyn Sie
an keinem Auffchub ſchuld. Setzen Sie ihm einen,
und zwar einen nahe bevorſtehenden Tag. Es
wuͤrde Jhren Vorzuͤgen und Jhrer Ehre nachthei-
lig ſeyn, wenn Sie ſich auch nur ſtelleten, als ver-
ſtuͤnden Sie ihn nicht, und zweifelten, was ſeine Mei-
nung ſey, fals er ſich nicht deutlich genug erklaͤrete:
es wuͤrde ſich alſo nicht ſchicken, daß Sie warteten,
bis er eine deutlichere Erklaͤrung von ſich gaͤbe, dar-
uͤber ich ihn mein Lebenlang haſſen und verachten
wuͤrde, wenn ſie noͤthig waͤre, und er nicht in der erſten
Bitte deutlich genug redete. Zweymahl haben
Sie zum wenigſten aus Bloͤdigkeit eine ſolche Ge-
legen.
[64]
legenheit fahren laſſen, die ſie billig haͤtten ergreiffen
ſollen: vielleicht iſt es noch oͤfter geſchehen. Wenn
ſich keine recht gute und ungeſuchte Gelegenheit fin-
det, von der Eheſtiftung zu reden, ſo uͤberlaſſen
Sie das ſeiner eigenen Großmuth und Billigkeit,
und der Billigkeit der Seinigen.


Dieſes iſt mein Rath! Setzen Sie dazu oder
thun Sie davon, wie es Jhnen am beſten duͤncket,
und folgen Sie Jhren eigenen Einſichten. Jch vor
mein Theil wuͤrde ſo oder auf eine aͤhnliche Art ver-
fahren. Dieſes bezeuget


Jhre
Anna Howe.


Folgender Zettel war in den vorigen Brief
eingeſchloſſen.


Jch muß Jhnen damit beſchwerlich fallen, daß
ich ihnen meinen Kummer entdecke, da Jhr eige-
nes Ungluͤck Jhnen ſchon ſo viele Unluſt verurſachet.
Jch muß Jhnen etwas neues melden. Jhr Onckle
Anton iſt geſonnen, ſich zu verheyrathen. Und
was meynen Sie, auf wen ſeine Abſichten gehen?
Auf meyne Mutter! Es iſt gewiß! Die Jhrigen
wiſſen es auch ſchon, und geben Jhnen alle Schuld:
der alte Ehe-Kroͤppel ſagt auch, daß er den Ent-
ſchluß aus Verdruß uͤber ſie gefaſſet habe.


Gedencken Sie dieſes Umſtandes gantz und gar
nicht, auch nicht einmahl in Jhren Briefen an mich,
weil man doch wegen allerhand Zufaͤllen in Sorgen
ſtehen muß.


G [...]-
[65]

Jch glaube nicht, daß es moͤglich iſt, das mei-
ne Mutter ſich hierzu entſchlieſſet: allein wenn ich
ſie beleydigte, ſo koͤnnte die Beleydigung zum Vor-
wand dienen. Sonſt (glaube ich) waͤre ich ſchon
laͤngſtens bey Jhnen in London.


So bald ich mercke, daß meine Mutter dem alten
Blute die geringſte Hoffnung macht, ſo bald gebe
ich Hickmannen ſeinen Abſchied. Wenn meine Mut-
ter mir in einer ſo wichtigen Sache etwas zuwider
thut, ſo werde ich mir nicht in den Sinn kommen laſſen,
ihr in einer eben ſo wichtigen Sache eine Gefaͤlligkeit
zu erzeigen. Es iſt doch nicht moͤglich, daß meine Mut-
ter mich nicht deswegen an den guten Mann zu brin-
gen ſucht, damit ſie ſelbſt thun koͤnne, was ſie will.


Es kann aus der gantzen Sache gewiß nichts
werden. Allein die alten Witwen! Wie begie-
rig ſind wir insgeſammt, junge und alte, uns ſchmei-
cheln zu laſſen, und bewundert zu werden! Selbſt
bey dem Alter hat die Schmeicheley noch ihren Ein-
druck: und die ehrwuͤrdigen Haͤupter wollen es gern
ihren Toͤchtern gleich thun, wenn ſie beynahe an-
fangen grau zu werden. Es verdroß mich im Her-
tzen, als ſie mir von dem Antrage Jhres Onckles
mit einem ſolchen Schmuntzel-Laͤcheln Nachricht gab,
welches ihre Eigenliebe und Einbildung ſo gleich ver-
rieth; wiewohl ſie ſich Muͤhe gab, ſo davon zu reden,
als wenn ich nichts zu beſorgen haͤtte.


Die alten Hageſtoltzen, die alt werden ehe ſie es
glauben, bilden ſich veſtiglich ein, daß ſie nur ſich
zu uͤberreden brauchen,
und daß das Frauen-
zimmer ſo gleich mit Freuden Ja ſagen werde, wenn
Vierter Theil. Eſie
[66]
ſie ihr Gewerbe anbringen. Sein ungemein groſſes
Vermoͤgen iſt zwar in der That eine Lock-Speiſe,
dadurch manche alte Witwe gefangen werden kann.
Es kommt noch dazu, daß meine Mutter gern ei-
ner unartigen Tochter los werden moͤchte. Das
Andencken meines Vaters iſt ihr ſo werth nicht, daß
es einiges Gewicht haben koͤnnte. Allein er mag ei-
nige gluͤckliche Schritte thun, wenn er es wagen
will! und ſie mag anfangen, ihm etwas weiß zu
machen! Doch ich hoffe, ſie wird ſich dafuͤr huͤten.


Entſchuldigen Sie meine Feder. Das Ding ver-
drießt mich allzu ſehr: man kommt mir zu nahe. Sie
werden glauben, daß ich mich verſuͤndige: darum
will ich dieſes Blat nicht unterſchreiben. Dencken
Sie nur, daß jemand meine Hand nachgeahmet hat:
denn Sie haben es doch nicht geſehen, daß ich den
Brief geſchrieben habe.



Der eilfte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Sie haben recht, meine liebſte Freundin, daß ich
nicht mehr aus zweyen eins waͤhlen kann. Jch
ſehe nun zu ſpaͤte ein, daß ich in meiner Empfindlich-
keit gegen ihn zu weit gegangen bin, weil ich ihm nun
fuͤr ſeine Geduld verpflichtet ſeyn muß. Denn wenn
ihm meine Auffuͤhrung nicht kindiſch vorkommt, ſo
wird
[67]
wird er doch den gewiſſen Schluß aus derſelben ma-
chen, daß ich keine Werthachtung gegen ihn habe:
zum wenigſten wird er mercken, daß ich ihn andern
Abſichten nachſetze, und ihn nicht uͤber alles werth
achte, da ſein Hochmuth einen ſolchen Grad der
Liebe von mir erwartet, den ſeine Eigenſchaften ge-
wiß nicht verdienen. Was iſt es fuͤr ein Ungluͤck
an einen ſolchen Mann zu gerathen, und ihm noch
dazu verpflichtet zu ſeyn, der kein edles Hertz hat!
ja der ſo gar ein grauſames Hertz hat! der ein un-
gluͤckliches Kind durch allerley Betruͤgereyen faͤnget,
es hernach beleydiget und betruͤbet, und ſich uͤber
deſſen Noth gleichſam freuet! denn es kommt mir
in der That ſo vor, als wenn der Unmenſch am mei-
ner Noth ein Vergnuͤgen faͤnde. Was fuͤr Schick-
ſahle muß ich erleben!


Sie rathen mir, der Sache ein kurtzes Ende zu
machen, und ihn recht dreiſte anzureden. Allein
haben Sie auch bedacht, wem Sie dieſen Rath
geben?


Jch ſollte billig am wenigſten unter allen Frau-
ens-Perſonen mich in die Umſtaͤnde geſtuͤrtzt haben,
die einen ſolchen Rath noͤthig machen, weil ich gar
nicht im Stande bin, ihm nachzukommen. Soll
ich die Manns-Perſon um die Ehe anſprechen? Soll
ich die verlohrne Gelegenheit gleichſam zu meinem
Beſten wieder ſuchen? Soll ich ihn durch Drohun-
gen zur Ehre zwingen? O mein Schatz, wenn es
gleich recht waͤre, ſo iſt es doch allzu ſchwer, wenn
unſere Beſcheidenheit dabey verletzt wird, und wenn
die Sache uns ſelbſt, oder unſern Hochmuth ſo nahe
E 2betrift;
[68]
betrift; oder wenn man nach Jhrem Ausdruck, bey
ſich ſelbſt Vater-Mutter- und Onckles-Stelle ver-
treten muß. Dieſe Schwierigkeit vermehret ſich,
wenn man glauben muß, daß andere uns gern de-
muͤthigen wollten. Geben Sie mir lieber den Rath,
dieſem Menſchen auf ewig zu entſagen; alsdenn,
wenn Sie es wollen, ſo werde ich ihm gewiß gaͤntz-
lich entſagen.


Sie melden, daß Sie verſucht haben, was durch
die Frau Norton bey meiner Mutter auszurichten
ſtehe. ‒ ‒ ‒ So ſchlecht die Antwort iſt, die Herr
Hickman erhalten hat; ſo melden Sie mir den-
noch nicht alles ſchlimme, und Sie wiſſen nicht,
ob Sie dieſes Zeit Lebens thun werden. Allein was
kann das ſchlimme ſeyn, das Sie mir nicht melden
wollen? Kann noch etwas ſchlimmeres gedacht wer-
den, als daß ſich die Meinigen von mir, und zwar
auf ewig, losſagen? und daß mein Onckle glaubt,
ich waͤre nicht mehr, was ich geweſen bin? daß er
ſich berechtiget haͤlt, das aͤrgſte von mir zu befuͤrch-
ten, nachdem ich mit einer Manns-Perſon davon
gegangen ſey? daß die Meinigen entſchloſſen ſind,
keinen Schritt zu meinem Beſten zu thun, wenn ſie
auch mein Leben retten koͤnnten?


Wiſſen Sie noch etwas ſchlimmeres, das Sie vor
mir geheim halten? ‒ ‒ Ach mein Vater wird etwan
ſeinen Fluch erneuert haben! ‒ ‒ ‒ Meine Mutter
wird doch wol nicht auch dieſen Fluch bekraͤftiget
haben! ‒ ‒ Meine Onckles, meine gantze Familie
wird doch nicht Theil daran genommen haben! Was
iſt
[69]
iſt dieſes ſchlimmſte, das mir ewig verborgen blei-
ben ſoll?


O Lovelace, wenn du doch eben jetzt kaͤmeſt, da
ich mit dieſen ſchwartzen Gedancken umgehe! Jetzt
koͤnnteſt du in mein Hertz ſehen, und uͤber die Fol-
gen deiner Grauſamkeit dein vergnuͤgtes Hohn-Ge-
laͤchter anſtellen.



Jch mußte vorhin die Feder niederlegen.


Sie haben einen Verſuch gethan, was durch die
Frau Norton bey meiner Mutter auszurichten
ſtehe?


Was geſchehen iſt, kann nicht ungeſchehen wer-
den: allein ich wuͤnſchte, daß Sie in einer Sache,
die ſo wichtig iſt und mich betrift, nichts ohne mei-
nen Rath gethan haben moͤchten. Vergeben Sie
mir: ſo ſehr ich die erhabene und edle Freundſchaft
bewundere, die Sie bey aller Gelegenheit auf eine
ſo brennende Art gegen mich bezeigen; ſo ſetzt mich
doch auch dieſe Freundſchaft bisweilen in Furcht.


Doch ich will auf das dencken, was mir noch be-
vorſtehet. Sie glauben, daß ich die Seinige noth-
wendig werden muß, und daß ich ihn ohne Verle-
tzung meiner Ehre weder mit noch wider ſeinen Wil-
len verlaſſen kann. Jch ſoll mich alſo in meine Um-
ſtaͤnde ſchicken, ſo gut es moͤglich iſt.


Er ging dieſen Morgen aus, und wollte nicht in
dem Hauſe ſpeiſen, es waͤre denn (wie er mir ſagen
lies) daß ich ihm erlaubte, in meiner Geſellſchaft
zu ſpeiſen.


E 3Jch
[70]

Jch lies mich entſchuldigen. Herr Lovelace,
an deſſen Zorn mir nun ſo viel gelegen iſt, ſchien un-
gehalten zu werden.


Weil er ſo wohl, als ich, erwartete, daß ich heu-
te ein Schreiben von Jhnen erhalten wuͤrde, ſo glau-
be ich, daß er nicht lange ausbleiben wird. Viel-
leicht iſt er bey ſeiner Zuruͤckkunft ſehr vornehm, ſehr
maͤnnlich, ſehr ſproͤde: und ich werde eben ſo de-
muͤthig und unterthaͤnig ſeyn und verſuchen muͤſſen,
ob er ſich durch meine Seufzer erweichen laͤßt. Jch
werde, wo nicht mit Worten doch mit niedergeſchla-
genen Augen ihn um Vergebung wegen meiner bis-
herigen Auffuͤhrung bitten muͤſſen. Gewiß, ſo weit
wird es noch kommen. Jch will ſehen, wie mich
dieſe Demuth kleidet. Sie haben mir immer mei-
ne Sanftmuth vorgeworffen. Jch will ſehen, ob
ich noch ſanftmuͤthiger werden kann. O mein
Schatz ‒ ‒ ‒


Jch will mich jetzt hinſetzen, die Haͤnde Creutz-
weiſe vor mich legen, und mich bemuͤhen die Ver-
leugnung ſelbſt zu ſeyn: denn mich duͤnckt, daß ich
ihn kommen hoͤre. Oder ſoll ich ihn lieber gerade
zu auf die Art anreden, die Sie mir vorgeſchrieben
haben?


Er iſt nach Hauſe gekommen, und verlanget recht
mit Ungeduld (wie Dorcas fagt) mich zu ſprechen.
Jch kann ihn jetzt ohnmoͤglich ſprechen.


Montags Abends.


Der Jnnhalt Jhres Briefes und meine eigenen
ſchwermuͤthigen Gedancken, machten mir es ohn-
moͤglich, den Lovelace zu ſprechen, ſo ſehr er auch
dar-
[71]
darnach verlangete. Das erſte Wort, das er die
Dorcas fragte, war, ob ich in ſeiner Abweſenheit
einen Brief erhalten haͤtte. Sie antwortete ihm:
Ja! und ich haͤtte ſeit der Zeit geweinet, und nichts
eſſen wollen. Dorcas ſagte mir dieſes ſelbſt wieder.


Er lies mich bitten, daß ich ihn ſprechen moͤchte.


Jch lies antworten: es ſey mir nicht wohl. Wenn
mir aber morgen beſſer waͤre, ſo wollte ich ihn ſpre-
chen, ſo fruͤh als es ihm beliebte.


War das nicht demuͤthig genug? Allein er gieng
ſchon ſo koͤniglich mit mir um, daß es ihm nicht de-
muͤthig genug geantwortet ſchien: denn Dorcas
ſagte, er habe ſich das Geſicht gerieben, ſey aus ei-
ner Stube in die andere gegangen, und habe etwas
geſagt, das ſie nicht gern wiederſagen moͤchte.


Nach einer halben Stunde ſchickte er noch ein-
mahl, und verlangte, daß wir den Abend beyſam-
men ſpeiſen moͤchten. Er wollte von nichts reden,
als von ſolchen Materien, auf die ich ſelbſt die Re-
de lenckete.


Das heißt: ich ſoll die Freyheit haben, ihm gu-
te Worte zu geben.


Jch bat abermahls, mich entſchuldiget zu halten.


Meine Augen waren gantz dicke von Weinen.
Jch war ſehr niedergeſchlagen, und konnte nicht
auf einmahl nach ſo langer Entfernung anfangen
ſo frey und vertraut mit ihm umzugehen, als es bey
meinen jetzigen Umſtaͤnden und nach Jhrem Rath
noͤthig iſt.


Er ſchickte nochmahls an mich, und lies mir ſa-
gen: er hoͤrte, daß ich faſtete. Wenn ich nur ver-
E 4ſprechen
[72]
ſprechen wollte, etwas von Huͤnern zu eſſen, die fuͤr
mich zurecht gemacht wuͤrden, ſo wollte er ſich be-
ruhigen. So guͤtig iſt er, wenn er zuͤrnet!


Jch verſprach es. Denn ich muß ſchon Vorbe-
reitungen dazu machen, mich noch weiter herunter
zu laſſen. Wie gluͤcklich werde ich mich ſchaͤtzen,
wenn ich ihn eben ſo aufgeraͤumt finde, daß er ge-
neigt iſt mir zu vergeben.


Jch bin mir zwar ſelbſt gram, allein ich will
mich doch nicht hoͤhnen laſſen. Warlich nicht!



Der zwoͤlfte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe



Dieſesmahl ſcheint es, als ob wir einander wie-
der naͤher kaͤmen, allein durch einen Sturm.
Jch will Jhnen die genauern Umſtaͤnde melden.


Jch hoͤrte ihn ſchon heute fruͤh um fuͤnf Uhr in
dem Speiſe-Zimmer. Jch hatte ſehr wenig geſchla-
fen, und war auch ſchon aufgeſtanden: ich oͤffnete
aber die Thuͤr nicht eher als bis um ſechs Uhr. Hier-
auf brachte mir Dorcas eine Empfehlung von ihm,
nebſt Bitte, ihm meine Geſellſchaft zu goͤnnen.


So bald ich in das Speiſe-Zimmer trat, kam er
mir entgegen, ergriff meine Hand, und ſagte: Fraͤu-
lein, ich bin vor zwey Uhr nicht zu Bette gegangen,
und habe nicht einen Augenblick geſchlafen. Um
GOt-
[73]
GOttes willen quaͤlen ſie mich nicht ſo, wie ſie die
vergangene Woche gethan haben.


Er hielt ein: und ich ſchwieg auch ſtille.


Jch glaubte zu Anfang nicht, (fuhr er fort) daß
ihr Unwille uͤber eine bloſſe Neugierde ſo groß und
von ſolcher Dauer ſeyn wuͤrde: ich hoffte, er wuͤrde
von ſelbſt wieder vergehen. Da ich aber erfahren
muß, daß ſie ſo lange fortfahren zu zuͤrnen, bis ſie
den Erfolg ihrer Unterhandlungen mit ihren An-
verwanten ſehen, und zwar ſolcher Unterhandlun-
gen, dadurch ich ſie auf ewig haͤtte verlieren koͤnnen:
ſo weiß ich mich gar nicht darein zu finden, daß ich
bey ihnen bisher ſo wenig Gunſt habe erlangen koͤn-
nen, obgleich unſere Umſtaͤnde und unſere Feinde
uns auf das genaueſte verbinden.


Er hielt noch einmahl ein. Als ich aber nicht
redete, fuhr er fort:


Jch geſtehe es, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz
habe. Jch wuͤnſchte allerdings, daß ein Frauen-
zimmer, welches ich die Meinige zu nennen hoͤchſt
begierig bin, mir durch einige Zeichen zu verſtehen
gaͤbe, daß es mich andern vorziehet. Zum we-
nigſten wollte ich nicht gern, daß es jedermann in
die Augen fiele, daß ich die Wahl, die ein ſolches
Frauenzimmer trifft, blos der Haͤrte und wunderli-
chen Auffuͤhrung der unerbittlichſten Verfolger zu-
zuſchreiben ſey.


Er ſagte noch mehreres von eben der Art. Sie
wiſſen, wie viele Gelegenheit er mir gegeben hat,
ihm wieder Vorwuͤrffe zu machen. Jch that es, und
ſchonte ſeiner nicht: allein es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn,
E 5wenn
[74]
wenn ich Jhnen alles dieſes ſchreiben wollte. Jch
ſagte: ich wuͤrde durch ſein ganzes Betragen frey-
lich allzu ſehr von ſeinem Hochmuth, nicht aber von
ſeinen Vollkommenheiten uͤberzeuget. Jch leug-
nete nicht, daß ich eben ſo hochmuͤthig ſey, als er:
allein ich hoffete, daß mein Hochmuth von einer
andern Art waͤre, als der Hochmuth, den er ſo
willig geſtuͤnde. Wenn er nur etwas von dem er-
habenen und großmuͤthigen Hochmuth haͤtte, der ſich
vor ſein Herkommen und Umſtaͤnde ſchicke, ſo wuͤr-
de er meinen Hochmuth nicht fuͤr etwas verdriesli-
ches anſehen, noch ihn zu demuͤthigen ſuchen; ſon-
dern er wuͤrde mich vielmehr noch hochmuͤthiger zu
machen ſuchen. Eben dieſer lobenswuͤrdige Hoch-
muth lieſſe mir nicht zu, daß ich die Urſachen leug-
nen ſollte, um derentwillen ich ihn und den Herrn
Mennell in einigen Tagen nicht haͤtte ſprechen wol-
len. Jch haͤtte befuͤrchtet, daß ich auf gewiſſe
Dinge nicht wuͤrde haben antworten koͤnnen, bis ich
hoͤrte, was mein Onckle Harlowe ſagte. Denn
ich haͤtte dieſem durch einen guten Freund den Puls
fuͤhlen laſſen, ob ich auf ſein Vorwort hoffen duͤrf-
te, wenn ich mich unter gewiſſen Bedingungen mit
den Meinigen ausſoͤhnen wollte.


Er ſagte: er wuͤßte nicht, was das fuͤr Bedin-
gungen waͤren, und duͤrfte ſich auch wol nicht unterſte-
hen, darnach zu fragen. Allein er koͤnnte ſie leicht erra-
then, und merckte allzu deutlich, daß er haͤtte ſollen
das Opfer werden. Allein ſo ſehr er uͤberhaupt
mein erhabenes Gemuͤth und inſonderheit meinen
lobenswuͤrdigen Hochmuth bewunderte, ſo wuͤnſchte
er
[75]
er dennoch, daß in allen meinen Handlungen eine
Gleichheit waͤre. Wenn ich mir immer ſelbſt gleich
waͤre, ſo wuͤrde ich mich gegen unverſoͤhnliche Leute
nicht ſo ſehr herunter laſſen, (ich koͤnnte ihm doch
ohnmoͤglich uͤbel nehmen, wenn er meinen Bruder
und meine Schweſter mit dieſem Nahmen belegte)
da ich zu hoch waͤre, ihm einige Guͤtigkeit zu erzei-
gen, und gegen ihn gar keine Herablaſſung haͤtte.


Meine Pflicht und die Bluts-Freundſchaft
befehlen mir jene Herablaſſungen: Vater, Mutter,
und Onckles begehren und rechtfertigen ſie. Allein
warum ſoll ich mich, wie ſie es nennen, gegen ſie
herablaſſen? Verbinden mich etwa ihre Verdienſte
um mich und um die Meinungen dazu?


Daß ſie dergleichen Reden noch fuͤhren koͤnnen?
nachdem ſie von den Jhrigen ſo bitter verfolget ſind;
nachdem ſie ſo viel gelitten haben; nachdem ſie mich
haben hoffen laſſen! darf ich ſie fragen, (weil wir
doch eben von Hochmuth redeten) was das fuͤr ein
Hochmuth ſeyn muͤßte, dem es gleichguͤltig waͤre,
ob ihn ſein Kind lieb haͤtte, und ihn andern vorzoͤ-
ge? Was fuͤr eine Liebe muͤßte ‒ ‒ ‒


Liebe? Herr Lovelace! Wer redet denn von
Liebe? Habe ich ihnen jemahls Liebe verſpro-
chen? Habe ich von ihnen jemahls dergleichen Ver-
ſprechen verlanget? Doch unſer Streit kann nie zu
Ende kommen, da wir beyde keine Fehler haben,
und ſo ſehr von uns ſelbſt eingenommen ſind.


Jch ſpreche mich nicht von Fehlern frey, Fraͤu-
lein: aber ‒ ‒


Aber
[76]

Aber was? Wollen ſie immer mit mir umge-
hen, als wenn ich ein Kind waͤre? Wollen ſie ſich
immer entſchuldigen? immer etwas verſprechen?
und was denn? daß ſie einmal kuͤnftig der werden
wollen, der ſie jetzt noch nicht ſind. Ein Verſpre-
chen, deſſen ſich ein jeder artiger Cavallier ſchaͤmen
ſollte! Der zu werden ‒ ‒


O GOtt! (fiel er mir in die Rede: und hob die
Angen gen Himmel) wenn du ſo ſtrenge waͤreſt ‒ ‒


Gantz gut! Herr Lovelace! Machen ſie nur
aus unſern ſo verſchiedenen Einſichten den Schluß,
daß unſere Hertzen nicht fuͤr einander gemacht ſind.
Laſſen ſie uns alſo ‒ ‒


Laſſen ſie uns was? Fraͤulein! Es empoͤrt ſich
alles in mir. Was! was iſt es das wir thun ſol-
len? Er ſahe hiebey ſo wild aus, daß ich mich recht
erſchrack.


Wie? Herr Lovelace! Laſſen ſie uns den Ent-
ſchluß faſſen, daß wir ferner gar nicht an einan-
der dencken wollen. (Fangen ſie doch nicht gleich an,
Feuer und Flammen von ſich zu geben! Jch bin
in einigen Stuͤcken furchtſam. Allein, wenn ich
mir nicht ſelbſt ſchmeichele, ſo habe ich Muth, und
unuͤberwindlichen Muth, ſo bald es auf das an-
kommt, was ich billig ſeyn ſoll, wenn ich des
lebens nicht unwerth ſeyn will.) Laſſen ſie uns weiter
keine Achtung fuͤr einander haben, als die die Hoͤff-
lichkeit und der Wohlſtand mit ſich bringet. Sie
koͤnnen ſich indeſſen auf dieſe Zuſage verlaſſen, wenn
ihr Hochmuth darin eine Nahrung findet: daß ich
nie einen andern heyrathen werde. Jch habe nun
die
[77]
die Manns-Perſonen, oder ſie zum wenigſten,
genug kennen lernen. Jch verlange weiter nichts,
als mein Leben fuͤr mich in der Stille zuzubringen:
und laſſe ſie dabey in voͤlliger Freyheit, zu waͤhlen
was ſie wollen.


Gleichguͤltig! mehr als gleichguͤltig! ſtieß er mit
Unwillen heraus.


Jch fiel ihm in die Rede: halten ſie mich immer-
hin fuͤr gleichguͤltig. Jch glaube zum wenigſten
nicht, daß ſie etwas beſſeres um mich verdienet ha-
ben. Wenn ſie hierin anderer Meynung ſind, ſo
haben ſie, oder ſo hat ihr Hochmuth Urſache, mich
wegen meines Jrrthums zu haſſen.


Liebſtes, liebſtes Kind! ſagte er, und ergriff
meine Hand auf eine wilde Art) darf ich ſie nicht
bitten, ſich ſelbſt immer gleich, und auch gegen mich
edelmuͤthig zu ſeyn? Achtung die der Wohlſtand
und die Hoͤflichkeit mit ſich bringet!
Was ſa-
gen ſie Fraͤulein? Hoͤflichkeit! Wohlſtand!
koͤnnen ſie meiner Jnbrunſt ſolche Grentzen ſetzen?


Eine ſolche Jnbrunſt, wie die ihrige iſt, Herr
Lovelace, muß eingeſchraͤnckt werden. Es iſt
entweder die Eigenſchaft, dafuͤr ſie ſie nicht erken-
nen, oder dafuͤr ich ſie nicht erkenne. Jch weiß
nicht, ob ihr Gemuͤth der Einſchraͤnckungen ſo wohl
als der Groͤſſe faͤhig iſt, die nach meinem Wunſche
ſind. Heben ſie immer Haͤnde und Augen vor Ver-
wunderung gen Himmel ſo viel ſie belieben: ich wer-
de nur immer mehr davon uͤberzeuget, daß wir nicht
fuͤr einander gebohren ſind.


Bey
[78]

Bey ſeiner Seele ſchwor er, daß wir fuͤr ein-
ander gebohren waͤren, und faſſete meine Hand mit
einer ſolchen Hefftigkeit an, daß es mir wehe that.
Jch muͤßte und ſollte die ſeinige werden, wenn er
mich auch durch ſeine Verdamniß erkauffen ſollte.


Er ſchlug ſeinen andern Arm um mich. Jch
erſchrack; und ſagte: laſſen ſie mich gehen, oder
gehen ſie ſelbſt von mir. Wollen ſie die Leydenſchaft,
die ſie ſelbſt zu haben vorgeben, auf eine ſo unertraͤg-
liche Art beweiſen?


Sie ſollen nicht weggehen, Fraͤulein! Sie ſol-
len mich nicht im Unwillen verlaſſen ‒ ‒


Jch will wiederkommen. So bald ſie ihrer ſelbſt
Meiſter ſind, will ich wiederkommen.


Er lies mich gehen.


Er hatte mich in ſolches Schrecken geſetzt, daß
ich mich, ſo bald ich in meine Stube kam, durch
Vergieſſung eines Stroms von Thraͤnen wieder er-
holen mußte.


Nach einer halben Stunde ſchickte er mir ein
Vriefchen, darin er bedaurete, daß er ſo heftig ge-
weſen waͤre, und mich bat, daß ich ihn noch ein-
mahl vor mich laſſen moͤchte.


Jch gieng in die Speiſe-Stube, weil ich es doch
nicht aͤndern konnte.


Er war voller Entſchuldigungen. Was wuͤrden
Sie, ſelbſt Sie, die Sie ſonſt ſo vielen Muth ha-
ben, mit einem ſolchen Menſchen anfangen koͤnnen,
wenn Sie an meiner Stelle waͤren?


Er ſagte: es waͤre ihm nun gantz begreiflich,
wie einem zu Muthe ſeyn muͤße, der von Sinnen
gekom-
[79]
gekommen waͤre. Er wiſſe beynahe von ſeinen Sin-
nen nicht. Die gantze vorige Woche ſey er ſo em-
pfindlich gekraͤnckt worden; und nun wollte ich von
Hoͤflichkeit und Wohlſtand reden, da er doch von
meinem edlen Hertzen gehoffet haͤtte ‒ ‒


Hoffen ſie was ſie wollen. Jch bleibe dabey,
daß unſere Gemuͤther ſich nicht fuͤr einander ſchicken.
Sie haben mich in dieſe Noth gebracht. Von allen
Freunden bin ich verlaſſen, die einzige Fraͤulein
Howe ausgenommen. Jch will ihnen meine wahre
Geſinnung nicht verbergen. Es geſchiehet gantz
wider meinen Willen, daß ich ihnen wegen des
Schutzes verbunden ſeyn muß, den ich wegen der
Anſchlaͤge meines Bruders noͤthig habe. Denn die
Fraͤulein Howe glaubt, daß noch nicht alle Ge-
fahr voruͤber ſey. Jhnen bin am ungernſten ſuͤr
ihren Schutz verpflichtet, da eben ſie mich in dieſe
Umſtaͤnde gebracht haben, und zwar gantz wider
meinen Willen. Vergeſſen ſie das nicht ‒ ‒


Jch vergeſſe es nicht, Fraͤulein. Sie erinnern
mich ſo oft daran, daß ich es ohnmoͤglich vergeſſen
kann.


Jch will dem ohngeachtet ihren Schutz anneh-
men, ſo lange er noͤthig iſt, wenn ſie mir heilig
verſprechen, daß ſie nicht Ungluͤck ſuchen, ſondern
ihm vielmehr aus dem Wege gehen wollen. Al-
lein was hindert ſie, mich allein zu laſſen? kann ich
nicht an ſie ſchicken, wenn es noͤthig iſt? Es iſt of-
fenbar, daß Frau Fretchville ſelbſt nicht wiſſe
was ſie will. Die Leute in dieſem Hauſe werden
[zw]ar von Tagen zu Tagen hoͤflicher, allein ich wuͤnſch-
te
[80]
te mir doch eine Wohnung, die ſich beſſer zu mei-
nen Umſtaͤnden ſchickte. Jch weiß am beſten, wie
ich mich einrichten will: und ich wollte nicht gern
jemanden verpflichtet ſeyn. Wenn ſie mich verlaſ-
ſen, ſo will ich einen hoͤflichen Abſchied von den Leu-
ten nehmen, und mich auf ein benachbartes Dorf
begeben, da ich in der Stille die Ankunft des Obri-
ſten Morden abwarten kann.


Er antwortete: aus dem, was ich ſagte, ſchloͤſ-
ſe er faſt, daß mein Geſuch kein Gehoͤr gefunden
haben muͤßte. Er hoffete demnach, daß ich ihm
nunmehr erlauben wuͤrde, mit mir von den Be-
dingungen zu reden, die in die Eheſtiftung kommen
ſollten. Er haͤtte ſchon laͤngſtens mit mir hievon
ſprechen wollen, allein es ſey immer durch Zufaͤlle,
daran er nicht Schuld waͤre, verzoͤgert worden: da-
her habe er ſich vorgenommen, es bis dahin aufzu-
ſchieben, wenn ich in mein neues Haus eingezogen,
und dem Anſchein nach eben ſo frey und ungebun-
den ſeyn wuͤrde, als ich in der That waͤre. Erlau-
ben ſie Fraͤulein, daß ich ihnen jetzt gleich die Bedin-
gungen vortragen darf: ich erwarte nicht, daß ſie
alſobald eine Antwort von ſich geben, ſondern daß
ſie die Sache uͤberlegen ſollen.


Wenn ich bey einem ſolchen Antrage nicht zu ant-
worten wußte, die Augen niederſchlug, und ſo roth
ward, daß ich ſelbſt es fuͤhlete, ſo war ja dieſes
Antwort genug. Jhr Rath kam mir nie aus den
Gedancken. Jch antwortete alſo nicht.


Er redete fort, und drang in mich, weil ich ſtille
ſchwieg. Er rief Gott zum Zeugen an, daß ſeine
Ab-
[81]
Abſichten gegen mich, nicht allein gerecht ſondern
auch edel waͤren; und ich ſelbſt wuͤrde es ſehen,
wenn ich das nur anhoͤren wollte, was er von der
Eheſtiftung zu ſagen haͤtte.


Haͤtte er nicht ohne alle dieſes Gepraͤnge gleich
anfangen koͤnnen von der Sache zu reden? Wie
oft wird etwas abgeſchlagen, und muß abgeſchlagen
werden, weil man erſt um Erlaubniß bittet, davon
zu reden? Und wenn einmahl eine abſchlaͤgige Ant-
wort gegeben iſt, ſo muß man Ehren-wegen da-
bey bleiben: dahingegen wird manches in Ueberle-
gung genommen und bewilliget, wenn man uns mit
der Bitte gleichſam uͤberſchleichet. Wenn Er das
nicht weiß, wer ſoll es denn wiſſen?


Ob ich gleich dieſe Rede nicht gantz abbrechen
wollte, ſo fand ich mich doch genoͤthiget, ſie etwas
in das weite zu dehnen: damit ich eines Theils
nicht den Verdruß haben moͤchte, fuͤr allzu willig
angeſehen zu werden; und andern Theils nicht noͤ-
thig haͤtte, ihm etwas ſo deutlich abzuſchlagen, daß
wir von neuen daruͤber zerfallen koͤnnten. Sie ſe-
hen alſo, daß ich Jhren Rath beobachtet habe.


Eine grauſame und ſchwere Mittel-Straſſe
zwiſchen zweyen Uebeln!


Jch ſagte: ſie reden jetzt von Edelmuͤthigkeit,
von Gerechtigkeit, ohne vielleicht die wahre Be-
deutung dieſer Worte zu kennen oder zu bedencken.
Soll ich ihnen ſagen, was edel heißt? Ein wahr-
haftig edles
Hertz zeiget ſich nicht blos in Geld-
Sachen; es iſt mehr als Hoͤflichkeit; mehr als
Ehrlichkeit; mehr als Gerechtigkeit, dadurch
Vierter Theil. Feine
[82]
eine edle Seele ſich offenbahret. Denn alle dieſe
Dinge ſind nichts mehr als die Pflicht und Schul-
digkeit eines jedweden, deren Mangel kein rechtſchaffe-
nes Gemuͤth uns vergeben oder an uns uͤberſehen
kann. Wenn ich aber von edel rede, ſo verſte-
he ich darunter eine gewiſſe Groͤſſe der Seele, die
uns geneigt macht, unſerm Naͤchſten noch etwas
uͤber unſere Pflicht zu erzeigen, und die uns dringet,
wo Huͤlfe noͤthig iſt, die Huͤlfe bald zu erzeigen, und
ſo gar der Hoffnung der Bedraͤngten zuvor zu kom-
men. Einer wahrhaftig edlen Seelen wird es
unertraͤglich ſeyn, wenn andere an der Aufrichtigkeit
ihrer Geſinnungen zweifeln: noch viel weniger wird
ſie andere, die dergleichen nicht verdient haben, be-
leidigen und betruͤben, am allerwenigſten ſolche Per-
ſonen, die durch Ungluͤck und allerhand Zufaͤlle ge-
zwungen ſind, bey ihr Schutz zu ſuchen.


Was fuͤr eine erwuͤnſchte Gelegenheit gab ihm
dieſes, ſich wegen deſſen zu entſchuldigen und zu recht-
fertigen, was ihn am Ende meiner Beſchreibung
eines edlen Hertzens am naͤchſten anging, wenn er
anders Luſt gehabt haͤtte ſich zu entſchuldigen. Allein
er antwortete blos auf den Anfang deſſen, was ich
geſagt hatte.


Unvergleichlich beſchrieben! ſagte er. Allein
wen werden ſie nach der Beſchreibung edel nennen
koͤnnen? Jch wende mich mit meinen Bitten blos
zu ihrem edlen Hertzen: und ich verlange nichts wei-
ter, als das Zeugniß, daß ich gerecht handele. Wo
ſoll man auſſer ihnen ein Frauenzimmer finden, das
ſolche ſtrenge Begriffe von den Tugenden hat?


Sie
[83]

Sie tadeln ſich ſelbſt und ihre Geſellſchaft, wenn
ihnen dieſe Begriffe ſtrenge und uͤbertrieben zu ſeyn
ſcheinen. Es giebt tauſend Frauenzimmer, die viel
ſtrenger ſind als ich, und den Fehltritt nicht gethan
haben wuͤrden, zu dem ich verleitet bin. Eben die-
ſer ungluͤcklichen Verfuͤhrung habe ich es zuzuſchrei-
ben, daß ich mich jetzt gezwungen ſehe, einer Manns-
Perſon den Begriff von Edelmuͤthigkeit beyzu-
bringen, die nicht ſo artig iſt, daß ſie ſich in das
ſchicken koͤnnte, was eigentlich bey einem Frauenzim-
mer artig und wohlanſtaͤndig iſt, und dem Frauen-
zimmer zur wahren Ehre gereichet.


Er nennete mich, ſeine himmliſche Lehrmeiſterin.
Er verſprach abermahls, daß er ſich nach meinem
Exempel beſſern wollte. Allein er hoffte, daß ich
ihm doch erlauben wuͤrde, mir zu ſagen, wie gerecht
und billig er in Entwerfung einer Eheſtiftung ſeyn
wollte: eine Sache, davon wir billig ſchon laͤngſtens
geredet haben ſollten, und davon er auch gewiß ge-
redet haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht durch meinen
Unwillen ſo oft der Gelegenheit dazu beraubet haͤtte.
Allein da er einmahl dieſe Gelegenheit ergriffen hatte,
ſo wollte er ſich durch nichts abhalten laſſen, ſie zu
gebrauchen.


Jch bin jetzt nicht munter genug, Dinge von ſol-
cher Wichtigkeit zu uͤberlegen. Schreiben ſie das,
was Sie ſagen wollen, ſo werde ich uͤberlegen,
was ich zu antworten habe. Eine eintzige Bedin-
gung will ich zum voraus veſt ſetzen: wenn ſie et-
was beruͤhren muͤſſen, das meinen Vater mit ange-
het, ſo werde ich aus ihrem Betragen gegen den
F 2Va-
[84]
Vater ihre Werthachtung fuͤr die Tochter abnehmen.


Er ſahe aus, als wenn er lieber haͤtte reden als
ſchreiben wollen. Wenn er es aber herausgeſagt
haͤtte, ſo hatte ich mich ſchon auf eine nachdruͤckliche
Antwort gefaßt gemacht: und das konnte er mir an
den Augen anſehen.



So ſtehen jetzt unſere Sachen. Auf den Sturm
iſt gleichſam eine Stille gefolget: ob aber dieſe ſich
wiederum in einen Sturm verwandeln wird, kann
ich ohnmoͤglich zum voraus wiſſen, da ich mich mit
einem ſolchen Kopfe eingelaſſen habe.


Doch es mag geſchehen was da will, ſo habe ich
mich nicht gegen ihn erniedriget. Es iſt mir hier-
an ſchon viel gelegen, und ich hoffe, daß es Jhnen
ebenfalls lieb ſeyn wird. Denn nun kann ich doch
dieſen Menſchen anſehen, ohne etwas von der Wuͤr-
de zu verlieren, die mich muthig macht, ihm unter
die Augen zu ſehen, oder vielmehr die mein Gemuͤth
ſo erhaben macht, daß ich auf ihn und auf ſeines Glei-
chen herabſehen kann.


Obgleich die Umſtaͤnde nicht zulieſſen, daß ich Jh-
rem Rath voͤllig folgete, ſo haben Sie mir doch durch
Jhren Brief und durch Jhren Rath den Muth
eingeſprochen, der noͤthig war, die Sache ſo weit
zu bringen: Sie haben auch gemacht, daß ich den
Vorſatz geaͤndert habe, den ich ſchon gefaſſet hatte,
etwas zu wagen, und ihm zu entfliehen. Jch weiß
nicht gewiß, ob ich dieſen Vorſatz bewerckſtelliget
haben wuͤrde, wenn es zum Treffen gekommen waͤ-
re: vieles wuͤrde darauf angekommen ſeyn, wie er
ſich eben um die Zeit gegen mich aufgefuͤhret haͤtte.


Er
[85]

Er mag ſich zwar auffuhren wie er will, ſo fuͤrch-
te ich mit Jhnen, daß ich in den Augen der Welt
nicht unſchuldiger, ſondern tadelhafter werden wuͤrde,
wenn ich mich endlich genoͤthiget faͤnde, ihn zu ver-
laſſen. Allein ſo lange ich noch einiges Vermoͤgen
habe, mia zu helfen, will ich mich von ihm nicht
demuͤthigen, oder mir niedertraͤchtig begegnen laſſen.


Sie geben mir Schuld, daß ich einige mahl aus
Bloͤdigkeit die Gelegenheit aus den Haͤnden gelaſſen
habe ‒ ‒ Was fuͤr eine Gelegenheit? Die Gelegen-
heit die Frau eines Boͤſewichts zu werden. Wie
groß dieſes Gluͤck ſey, kann ich aus dem Briefe
meines Vetters Mordens ſehen. Jch muß Jh-
nen hier ein fuͤr allemahl melden, nach was fuͤr
Grund-Saͤtzen ich mich gegen dieſen Menſchen be-
trage, und was ich fuͤr Urſachen zu meinem Betra-
gen habe. Jch will mich ſelbſt genau unterſuchen,
und Jhnen die reine Wahrheit ſchreiben.


Jch glaube nicht, daß ich blos nach Art unſeres
Geſchlechtes bloͤde gegen ihn bin: ich habe auch
nicht blos meine Abſicht darauf gerichtet, was mein
jetziges nothwendiges Uebel und mein kuͤnftiger Ge-
mahl von mir denken moͤchte, wenn ich mich allzu
wehlfeil verſchenckte, da er ſich ſo ſchlecht gegen mich
aufgefuͤhret hat: ſondern ich folge hierinn meinen
Einſichten, den geraden Trieben meines Her-
tzens, und demjenigen, was dieſes fuͤr Recht oder
Unrecht, fuͤr geziemend oder ungeziemend erkennet.
Jch handele ſo, wie ich es zufoͤrderſt vor mir ſelbſt,
und denn vor ihm und vor der Welt rechtfertigen
kann. Es ſind dieſes Grund-Saͤtze, die tief in mein
F 3Ge-
[86]
Gemuͤthe eingepflantzet ſind, die ich in meinem
Herzen fand, ehe ich es hatte durch Schluͤſſe beleh-
ren koͤnnen, und die ich deswegen von dem Vater
aller Geiſter herleiten muß. Dieſe Grund-Saͤtze
zwingen mich, ihnen gemaͤß zu handeln, und ich
hoffe in und auſſer der Ehe bey ihnen nicht zu Schan-
den zu werden, andere moͤgen mit mir umgehen,
wie ſie wollen.


Jch hoffe nicht, daß ich mich ſelbſt betruͤge, und
nur einen Eigenſinn entſchuldige, weil ich ihn nicht
gern uͤberwinden will, anſtatt, daß ich ſuchen ſollte,
meine vorigen Fehler zu verbeſſern. Unſer Hertz iſt
betruͤglich: ich bitte Sie, ſuchen Sie mein Hertz zu
entdecken, das ohnehin vor Jhnen offen und entdeckt
iſt, und ſchonen Sie meiner nicht, wenn Sie Feh-
ler bey mir finden.


Jch habe Jhnen indeſſen melden ſollen, wie ich
mich bey genauer Pruͤfung gefunden habe, damit
ich Sie uͤberzeugen moͤchte, daß, wenn ich in eini-
gen Kleinigkeiten, oder auch in wichtigeren Dingen
fehle, die Schuld meiner Suͤnden nicht in meinem
Willen, ſondern in meinem Verſtande zu ſuchen iſt.
Jch verbleibe


Dero ewig ergebene
Cl. Harlowe.



Der dreizehnte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Herr
[87]

Herr Lovelace hat mir eben durch Dorcas
folgende Vorſchlaͤge uͤberſandt:


„Um ihrer ungemeinen Zaͤrtlichkeit zu ſchonen,
„muß ich gehorſam ſeyn, und das ſchreiben, was
„ich vorhin ſagen wollte. Jch thue es zugleich in
„der Abſicht, daß Sie dieſes Blat der Fraͤulein
Howe moͤgen zuſchicken koͤnnen, damit dieſe deſſen
„Jnhalt mit ſolchen Freunden uͤberlegen moͤge, de-
„nen Sie dieſes Geheimniß anvertrauen wollen.
„Jch ſage mit gutem Bedacht: denen Sie die-
„ſes Geheimniß anvertrauen wollen.
Denn
„Sie wiſſen, daß wir uns gegen einige Leute fuͤr
„verheyrathet ausgegeben haben.„


„Zufoͤrderſt erklaͤre ich mich, die Eheſtiftung ſo
„einzurichten, daß Sie Jhr Gut nebſt deſſen Ein-
„kuͤnften als einen Witwen-Sitz behalten ſollen.
„Ueber dieſes ſollen Jhnen aus meinem Gute in der
„Grafſchaft Lancaſter vermittelſt geſtelleter
„Buͤrgſchaft alle Jahr 400 Pfund baar gezahlet
„werden: und es ſoll die Zahlung viertheils-jaͤhrig
„geſchehen. Mit dieſen 400 Pfunden ſollen Sie
„nach eigenem Belieben ſchalten und walten koͤnnen.


„Meine eigene Guͤter geben des Jahrs 2000
„Pfund Pacht. Der Lord M. iſt entſchloſſen,
„mir, ſo bald ich mit dem Frauenzimmer Hoch-
„zeit halte, welches er ſo ſehr bewundert, entweder
„ſein Gut in der Grafſchaft Lancaſter zu uͤber-
„geben, (an welches ich vielleicht ein beſſeres Recht
„haben moͤchte, als er ſelbſt) oder daſſelbige Gut,
„welches wir die Forſt nennen: und es ſo einzu-
F 4„richten,
[88]
„richten, daß meine Einkuͤnfte um 1000 Pfund
„verbeſſert werden ſollen.


„Weil ich vielleicht allzu wenig nach den Re-
„den der Leute gefragt habe, ſo iſt mir vieles un-
„richtige nachgeſaget worden. Es wird daher nicht
„undienlich ſeyn, Jhnen die Verſicherung zu ge-
„ben, und zwar auf Cavallier-Parole, daß nie-
„mahls etwas von meinen Guͤtern verpfaͤndet iſt,
„und daß ich auf Johannis von allen Schulden
„frey ſeyn werde, ob ich gleich viel Geld auf Rei-
„ſen verthan habe. Jch habe nicht in allen Stuͤ-
„cken die Jrrthuͤmer, die mich in andern Stuͤcken
„vielleicht verleiten moͤgen. Jedermann, der mit
„mir in Geld-Sachen zu thun gehabt hat, hat mir
„den Ruhm beygelegt, daß ich edel und freyge-
„big
waͤre: wenn ich nicht gerecht dabey geweſen
„waͤre, ſo wuͤrde meine Freygebigkeit einen an-
„dern Nahmen verdienet haben.


„Jhr Herr Vater hat jetzt Jhr Gut im Beſitz.
„Wenn Sie deshalb lieber wollen, daß ich Jhnen
„eins von meinen Guͤtern, das eben ſo viel betraͤ-
„get, dagegen zum Witwen-Gehalt verſchreiben
„ſoll; ſo ſoll es geſchehen. Jch will den Lord M.
„dahin zu bringen ſuchen, daß er Jhnen ſelbſt
„ſchreibet, was er bey meiner ſo gluͤcklichen Ver-
„aͤnderung zu thun geſonnen iſt. Es ſoll dieſes
„nicht auf Jhr Verlangen geſchehen, ſondern
„blos um Jhnen zu zeigen, daß ich und die Mei-
„nigen uns Jhre Zwiſtigkeiten mit den Jhrigen
„nicht (wie man es nennet) zu Nutze machen
„wollen.


„Da-
[89]

„Damit eine ſo liebe Tochter ſehen moͤge, wie
„werth ich ſie ſchaͤtze, ſo ſollen ſie ſelbſt beſtimmen,
„wie ich mich mit Jhrem Vater wegen der anſehn-
„lichen Einkuͤnfte vergleichen ſoll, die er ſeit eini-
„gen Jahren von Jhrem Gut gehoben und noch
„in Haͤnden hat. Jch zweifele nicht, daß er ſich
„wird uͤberreden laſſen, Gegen-Rechnungen zu ma-
„chen. Es ſoll in ihrer Gewalt ſtehen, ihn we-
„gen derſelben zu befriedigen, damit Sie in Jhrem
„Gemuͤthe deſto ruhiger ſeyn koͤnnen. Das uͤbri-
„ge Geld ſoll Jhnen gezahlet werden, und ſoll von
„Jhnen nach eigenem Belieben angewandt wer-
„den; damit es Jhnen nicht an Mitteln fehlen
„moͤge, fernerhin andern die Wohlthaten zu erzei-
„gen, die Jhnen einen ſo ſeltenen Ruhm auſſer-
„halb Jhres Hauſes zu Wege gebracht haben, und
„daruͤber Sie von Jhrer eigenen Familie ſo ſehr
„getadelt ſind.


„Was Kleidung, Juwelen und dergleichen an-
„langet, welche Sie noͤthig haben, wenn Sie oͤf-
„fentlich erſcheinen wollen, ſo werde ich mir eine
„Ehre daraus machen, wenn Sie nichts von derglei-
„chen Dingen denen Leuten zu danken haben, wel-
„che aus Unſinnigkeit ſich von einer Tochter losſa-
„gen, deren ſie nimmermehr werth ſind. Sie muͤſ-
„ſen mich dieſes mahl entſchuldiget halten Fraͤu-
„lein, ich wuͤrde Jhnen mit Recht in allen dem,
„was ich ſchreibe, verdaͤchtig vorkommen, wenn ich
„von dieſen Leuten mich gelinder ausdruͤckete, ob
„Sie gleich mit Jhnen ſo nahe verwant ſind.


F 5„Die-
[90]

„Dieſes ſind meine Vorſchlaͤge. Jch habe be-
„ſtaͤndig im Sinne gehabt, Jhnen dieſe Vorſchlaͤge
„zu eroͤffnen, ſo bald Sie mir erlauben wuͤrden, von
„einer ſo angenehmen Materie zu reden. Allein
„Sie ſind ſo veſt entſchloſſen geweſen, alles anzuwen-
„den, um ſich mit Jhren Anverwanten zu verſoͤh-
„nen, und ſo gar mir auf ewig zu entſagen, daß
„Sie ſich deswegen verbunden hielten, mit mir
„gantz fremde umzugehen, bis es ſich zeigete, ob
„Sie Jhre Hoffnung und Jhren herrſchenden
„Wunſch erreicheten. Sie ſehen nun den Erfolg!
„ob ich gleich bedauret habe, und noch bedaure, daß
„ich nicht die Zuneigung bey Jhnen finden kann,
„die ich mir von der Fraͤulein Clariſſa Harlowe
„gewuͤnſchet haͤtte: ſo bin ich doch verſichert, daß
„ich als der kuͤftige gluͤckliche Gemahl der Frau
Lovelace Sie ſelbſt deswegen bewundern und
„anbeten werde, daß Sie ein Hertz ſo empfind-
„lich gekraͤncket haben, an deſſen edler Geſinnung,
„oder vielmehr an deſſen Gerechtigkeit Sie auf An-
„ſtiften meiner Feinde zweifelten. Jch werde de-
„ſto geneigter ſeyn, Sie ſelbſten wegen Jhrer Haͤr-
„te zu verehren, weil ich verſichert bin, daß Jhr
„edles Hertz mich nicht ſo haͤtte martern koͤnnen, wenn
„nicht alzu viele Schein-Gruͤnde zu dieſen Zwei-
„feln vorhanden geweſen waͤren: und weil ich hoffe,
„daß Sie aufhoͤren werden, kaltſinnig zu ſeyn, ſo
„bald Jhre Zweifel gehoben ſind.


„Jch will weiter nichts hinzuthun, als dieſes:
„wenn ich etwas ausgelaſſen habe, das Jhnen an-
„genehm ſeyn koͤnnte; oder wenn ich mich zu we-
„niger
[91]
„niger erboten habe, als Sie gehoffet hatten: ſo
„haben Sie die Guͤtigkeit und ſetzen es hinzu. Jch
„will alsdenn ſogleich die Eheſtiftung aufſetzen laſ-
„ſen, und es ſoll an nichts, das in meinem Ver-
„moͤgen ſtehet, fehlen, ſondern ich will alles an-
„wenden Sie gluͤcklich zu machen.


„Nun werden Sie, liebſte Fraͤulein, ſelbſt ur-
„theilen koͤnnen, in wiefern alles das Uebrige auf
„Sie ankommt.



Sie ſehen hieraus, was er verſpricht: und daß
ich es mir allein zu dancken habe, daß er mir dieſen
Antrag nicht fruͤher gethan hat. ‒ ‒ Bin ich nicht
wunderlich und ungluͤcklich, daß ich uͤberall die
Schuld tragen muß, ohngeachtet ich die beſten Ab-
ſichten habe, und nur zu ſpaͤt oder beynahe zu ſpaͤ-
te erkenne, was fuͤr Uebel aus meinen Handlungen
entſtehet, ſo daß ich endlich alle Bloͤdigkeit ablegen
muß, um nur meine vorigen Fehler wieder gut zu
machen!


Jch ſoll nun ſelbſt urtheilen, in wie fern
alles das Uebrige auf mich ankommt!
So ein
kalter Beſchluß folget auf ſo heiſſe Antraͤge, an
denen in der Hauptſache nichts auszuſetzen iſt! Ha-
ben Sie nicht bey dem durchleſen gedacht, daß der
Brief ſich mit einer recht ernſtlichen Bitte endigen
wuͤrde, den Tag unſerer Hochzeit zu beſtimmen? Jch
ſelbſt erwartete dieſes ſo gewiß nach dem Jnhalt des
vorhergehenden, daß, ſo gern ich auch vergnuͤgt gewe-
ſen waͤre; ich doch nothwendig uͤber den Beſchluß
misvergnuͤgt ſeyn mußte. Allein Jhrer Mei-
nung
[92]
nung nach iſt doch keine Huͤlfe, und ich werde noch
mehr aufopfern muͤſſen. Es ſcheint, daß nun alle
Bloͤdigkeit am Ende ſeyn ſoll. Wenn dieſes iſt,
ſo weiß der Menſch das gewiß noch nicht, was ein
jeder verſtaͤndiger Mann weiß, nehmlich: daß eine
tugendhafte und kluge Frau, die ſich nicht ſelbſt
ausbietet, dem Manne mehr Ehre vor der Welt
bringet, als ihm dieſe Eigenſch aften bringen,
wenn er ſie ſelbſt beſitzet: und daß ihn der Mangel
dieſer Eigenſchaften an ſeiner Frau am meiſten ent-
ehret; weil doch die Welt (es mag nun recht oder
unrecht ſeyn) dem Manne gemeiniglich die Fehler
ſeiner Frau verdencket.


Jch will dieſes Blat in Erwaͤgung ziehen, und
ſchriftlich darauf antworten, weil doch das Ue-
brige alles auf mich allein ankommt.



Der vierzehnte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Herr Lovelace hatte geſtern Abend große Luſt
mit mir zu ſprechen. Weil ich mich aber
noch nicht geſchickt dazu befand, indem ich ſeine
Vorſchlaͤge vorher reiflicher uͤberlegen wollte, und
ich mich durch den Schluß ſeines Briefes nur ſchlecht
erbauet fand; ſo bat ich, daß unſere Unterredung
bis auf den Morgen ausgeſetzt bleiben moͤchte. Jch
kann
[93]
kann ihn uͤber dieſes faſt gar nicht los werden, wenn
er des Abends bey mir iſt, und wir nur mittelmaͤſ-
ſig Freunde ſind.


Um ſieben Uhr kamen wir heute ſruͤh in dem Spei-
ſe-Zimmer zuſammen. Er ſchien zu erwarten, daß
ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine
danckbare Weiſe empfangen ſollte: und ich konnte
bald in ſeinem verſtoͤrten Geſichte leſen, daß er ſich
in einer Hoffnung betrogen haben mußte.


Mein liebſtes Kind, iſt ihnen nicht wohl? ‒ ‒
Warum ſehen ſie mich ſo uͤberaus ernſthaft an?
Will ihre Kaltſinnigkeit ſich noch nicht uͤberwinden
laſſen? Wenn ich irgend worin weniger verſprochen
habe, als ſie hoffeten ‒ ‒


Jch ſagte ihm: er habe mir wohlbedaͤchtlich er-
laubet, daß ich der Fraͤulein Howe ſeinen Aufſatz
zuſchicken duͤrfte, damit dieſe einige von ihren Freun-
den daruͤber um Rath fragen koͤnnte. Jch wuͤrde naͤch-
ſtens Gelegenheit haben, ihr den Aufſatz zu uͤber-
ſenden. Jch baͤte demnach, daß wir nicht davon
reden moͤchten, bis ich Antwort von der Fraͤulein
Howe erhalten haͤtte.


Ach GOtt! (ſagte er) wenn nur die geringſte
Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufſchub uͤbrig
iſt! ‒ ‒ Jch ſchreibe jetzt eben an meinen Onckle,
um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander
ſtehen, und ich kann den Brief nicht ſo einrichten,
wie mein Onckle und ich es wuͤnſchen, wenn ich nicht
weiß, ob ſie die zur Eheſtiftung vorgeſchlagene Be-
dingungen billigen.


Jch
[94]

Jch antwortete ihm: ſo viel koͤnnte ich zuverlaͤſ-
ſig ſagen, daß ich nichts mehr wuͤnſchete, als Frie-
den und Ausſoͤhnung mit den Meinigen. Was
andere Dinge anbetraͤffe, ſo glaubte ich, daß er von
ſelbſt mehr thun wuͤrde, als ich verlangete. Wenn
er alſo nur deswegen an den Lord M. zu ſchreiben
gedaͤchte, damit er erfuͤhre, was dieſer fuͤr mich zu
thun gedaͤchte, ſo koͤnnte er ſich die Muͤhe erſparen.
Denn meine Wuͤnſche die mich ſelbſt betraͤffen, waͤ-
ren viel leichter erfuͤllet, als er es dencken moͤchte.


Er fragte mich: ob ihm es denn erlaubt waͤre,
in ſo fern ſeines gluͤcklichen Tages zu gedencken, daß
er ſeinen Onckle baͤte, gegenwaͤrtig zu ſeyn, und
Vaters-Stelle zu vertreten?


Vater, antwortete ich, waͤre ein Schall, der
immer bey mir Ehrfurcht erweckete. Jch wollte
wuͤnſchen, daß ich einen Vater haͤtte, der mich
Tochter nennen wollte.


War das nicht deutlich geredet? Jch habe aber
nachher erſt bedacht, was ich geſagt habe, und hat-
te damahls nicht im Sinne, ſo frey zu reden. Denn
ich dachte eben mit einem tieffen Seufzer, der vom
Hertzen ging, an meinen Vater, und bedaurte, daß ich
von ihm und von meiner Mutter verſtoſſen bin.


Herr Lovelace ſchien uͤber meinen Ausdruck, und
uͤber den bekuͤmmerten Gedancken, den ich verrieth,
beweget zu werden.


Jch ſagte mit naſſen Augen: Jch bin noch ein
ſehr junges Kind, Herr Lovelace, ob ſie gleich
die Guͤtigkeit gehabt haben, aus Liebe zu mir mich
mit
[95]
mit Kummer und Sorgen ſehr fruͤhzeitig bekannt
zu machen. Sie muͤſſen ſich nicht verwundern,
wenn der Nahme eines Vaters einen tieffen Ein-
druck bey einem Kinde macht, das wegen ſeiner jun-
gen Jahre den Schutz der Eltern noch noͤthig hat,
und nie ungehorſam geweſen iſt, ehe es ſie kennen
lernte.


Er wandte ſich nach dem Fenſter zu. (Freuen
Sie ſich mit mir, daß er nicht ein gantz fuͤhlloſes
Hertz hat, da ich ihm beſtimmet zu ſeyn ſcheine.)
Man konnte an ihm mercken, was in ſeinem Ge-
muͤthe vorging, ob er ſich gleich bemuͤhete, es zu
unterdruͤcken, und zu verbergen. Er wandte ſich
wieder zu mir, allein er mußte das Geſicht von neu-
en wegkehren, und ſagte etwas von Engeln und
Engliſch. Endlich erhielt er ein Hertz, das ſei-
nen Wuͤnſchen gemaͤß war, und nahete ſich mir von
neuen. Er ſagte: weil der Lord M. das Podagra
haͤtte, ſo fuͤrchtete er, daß die Einladung deſſelben
zu unſerer Hochzeit einen laͤngeren Aufſchub verur-
ſachen moͤchte, als ihm ertraͤglich ſey. Er wuͤnſchte,
daß er nichts davon geſagt haͤtte.


Sie werden von ſelbſt glauben, daß ich nicht
ein Wort antworten konnte. So viel zaͤrtliche Liebe
auf den Lippen! Ein ſo gelaſſenes, ſo gehorſa-
mes und vernuͤnftiges Hertz gegen einen Onckle,
den er vorhin immer verachtet hatte! Warum hat
mich mein Schickſal an einen ſolchen Menſchen ver-
ſchleudert? dachte ich bey mir ſelbſt.


Er hielt innen, als wenn er mit ſich ſelbſt zu ſtrei-
ten haͤtte. Nachdem er ein paar mahl in der Stu-
be
[96]
be auf und nieder gegangen war, ſagte er: er wiſſe
ſelbſt nicht was er thun ſollte, weil er gar nicht erra-
then koͤnnte, welchen Tag ich beſtimmete, ihn gluͤcklich
zu machen. Wenn ich mich doch den Augenblick da-
zu moͤchte entſchlieſſen koͤnnen.


Er hielt abermahls ein paar Augenblicke innen,
und ſahe mir ſtarre in mein zur Erde niedergeſchla-
genes Geſichte. (War mir nicht eben hier ein Va-
ter und eine Mutter am noͤthigſten?) ‒ ‒ wenn ich
aber keinen ſo nahen Tag beſtimmen wollte, ſo
glaubte er, er koͤnnte ſeinem Onckle ohne Schaden
die Hoͤflichkeit erzeigen, ihn einzuladen, er koͤnnte
es aber auch unterlaſſen. Es koͤnnte unterdeſſen
die Eheſtiftung entworfen und in das reine geſchrie-
ben werden, und dieſes wuͤrde ſeine Ungeduld
beruhigen, weil doch keine Zeit daruͤber verlohren
wuͤrde.


Jch darf Jhnen nur melden, was er hinzu-
ſetzte, ſo werden Sie ſchon mercken, wie tief es mir
zu Hertzen gegangen ſeyn muͤſſe:


Er wuͤßte, bey ſeiner Seele! nicht, ob er nicht
alsdenn mir am meiſten misfaͤllig wuͤrde, wenn er
mir gern gefaͤllig ſeyn wollte: weil ich ſo verſtockt ge-
gen ihn waͤre, und er in meinen Augen auch ſo viel
ſonderbares wahrnehme. Jch moͤchte doch die Guͤ-
tigkeit haben, und ſagen, ob ich es billigte, daß er
an dem Lord M. ſchreibe?


Jch dachte bey mir ſelbſt: die Fraͤulein Howe
verbietet mir, den Mann zu verlaſſen.


Herr Lovelace, wenn aus der Sache jemahls
etwas werden ſoll, ſo kann es mir nicht anders als
hoͤchſt
[97]
hoͤchſt angenehm ſeyn, wenn es mit voͤlliger Be-
willigung der einen Familie geſchiehet, da die an-
dere Familie ſo ſehr dawider iſt.


Wenn aus der Sache jemahls etwas wer-
den ſoll!
Herr Gott! Was ſind mir das an die-
ſem Morgen fuͤr Worte! Mit voͤlliger Bewil-
ligung der einen Familie!
Was Bewilligung?
Meine gantze Familie wird es ſich fuͤr die groͤſſeſte
Ehre ſchaͤtzen, und recht hochmuͤthig daruͤber ſeyn
wenn ſie mit einem ſolchen Frauenzimmer verwant
werden kann. Wenn doch der Himmel gaͤbe, daß
morgen der angenehmſte Tag meines Lebens ſeyn
moͤchte, ohne daß ich Zeit haͤtte jemand zur Hochzeit
zu bitten. Was ſagen ſie mein Engel? (Er zit-
terte hiebey vor Ungeduld; und dieſes mahl konnte
es ſchwerlich Verſtellung ſeyn) Was ſagen ſie zu
dem morgenden Tage?


Jch haͤtte vielleicht viel dazu ſagen, oder einen
andern Tag beſtimmen koͤnnen, wenn ich Luſt ge-
habt haͤtte. Allein er ſelbſt hatte mir ja zu verſte-
hen gegeben, daß wir es noch aufſchieben koͤnnten.


Soll es denn uͤbermorgen ſeyn? oder den Tag
nach uͤbermorgen? Hier ergriff er mir beyde Haͤn-
de, und ſahe mir ſo in das Geſicht, daß ich gantz
beſchaͤmt daruͤber ward.


Nein Herr Lovelace! nein! was iſt denn vor-
gefallen, daß ſie auf einmahl ihre Gedancken aͤn-
dern, und ſo ſehr eilen wollen? Es wird am aller-
geſchicklichſten ſeyn, wenn ihr Onckle bey der Hoch-
zeit gegenwaͤrtig iſt.


Vierter Theil. GJch
[98]

Jch will der Gehorſam und die Verleugnung
ſelbſt ſeyn. (ſagte der Menſch mit einer aufgeblaſe-
nen Mine, nicht anders als wenn ich ihm einen An-
trag gethan haͤtte, den er ſich gefallen lieſſe, und als
wenn ich ihm wegen einer wichtigen Verleugnung
Danck ſchuldig waͤre.) Um nicht unbeſcheiden zu
ſcheinen, mußte ich mich ſehr vergnuͤgt ſtellen. War
dieſes nicht noͤthig, mein Schatz? Wollte Gott ‒ ‒
Doch was hilft das Wuͤnſchen?


Als er ſich ſelbſt vor ſeine Verleugnung (nach
ſeinen Ausdruck) eine Belohnung nehmen und mich
kuͤſſen wollte, ſo ſtieß ich ihn mit hertzlicher Verach-
tung von mir: es ſchien ihm dieſes zu verdrieſſen
und zu wundern, weil er ſich ſeiner Meynung nach
ſo gegen mich erklaͤret hatte, daß er eine beſſere Auf-
fuͤhrung von mir verdienete. Er ſagte gantz deut-
lich: wir ſtuͤnden in ſolchem Verhaͤltniß gegen ein-
ander, daß er ſich zu dergleichen unſchuldigen Frey-
heiten berechtiget hielte. Er erſtaune gantz dar-
uͤber, und es ſey ihm ſehr empfindlich, daß ich ihn
ſo hoͤniſch abwieſe.


Jch konnte nicht antworten, ſondern gieng ploͤtz-
lich von ihm. Jch erinnere mich, daß ich im Vor-
beygehen ihn im Spiegel ſahe, wie er ſich mit der
vollen Fauſt vor die Stirne ſchlug. Jch hoͤrte auch
die Worte: Kaltſinnigkeit! Haß! und daß er etwas
von Eiß ſagete, das ich nicht recht verſtehen konnte.


Jch weiß nicht, ob er noch an ſeinem Onckle oder
die Fraͤulein Montague zu ſchreiben gedenckt. Da
ich jetzt aufhoͤren muß, bloͤde und ſchamhaft zu
ſeyn, ſo iſt es mir vielleicht zu verdencken, daß ich
eine
[99]
eine Auffuͤhrung von ihm erwartet, von der er viel-
leicht keinen Begriff hat. Wenn er gar glauben
ſollte, daß er artig gegen mich iſt, und nie ſich an-
ders aufzufuͤhren gedencket, ſo bin ich mehr zu be-
dauren, als zu tadeln. Und endlich, wenn ich ihn
nehmen muß, wie ich ihn finde, ſo muß ich: das
iſt, ich muß einen Mann nehmen, der ſo hochmuͤ-
thig, und ſo gewohnt iſt ſich bewundern zu laſſen,
daß er ſich keiner innern Maͤngel bewuſt, und des-
wegen blos daran gedencket, ſeine Perſon zu zieren,
nicht aber ſein Hertz zu beſſern. Weil ſeine Erklaͤ-
rungen in manchen Stuͤcken vortheilhafter vor mich
ſind, als ich es gehoffet haͤtte, und er von mir ſeiner
Meinung nach ſehr viel zu erdulden hat; ſo will ich
mich hinſetzen, und ſie beantworten, falls mich nicht
ein neuer Krieg daran hindert. Jch will die Ant-
wort ſo einrichten, daß er gegen meine Vorſchlaͤge
eben ſo wenig ſoll einzuwenden haben, als ich an den
ſeinigen auszuſetzen habe.


Sehen Sie nicht mein Schatz, was fuͤr ein Ge-
wirre ſich in unſern Gemuͤthern befindet?


Jch will gern fuͤr meine Suͤnde dadurch buͤſſen,
daß ich alle Hoffnung in dieſem Leben gluͤcklich zu ſeyn
aufgebe, denn ich fuͤrchte, daß ich mit ihm eine
ſchlechte Ehre haben werde: wenn mir nur nicht
noch mehr Strafe beſtimmet iſt. Jch will damit
zufrieden ſeyn, daß ich bis an das Ende meines
Lebens, welches doch nicht weit entfernt ſeyn kann,
Leyden und Truͤbſaal zu gewarten haben. Vielleicht
wird ihm ſein Gewiſſen nach meinem Tode ſagen,
daß er der Moͤrder einer unſchuldigen Frau gewor-
G 2den
[100]
den iſt, und dieſe Erinnerung wird machen, daß
ſeine zweyte Gemahlin beſſere Zeit bey ihm hat,
wenn ſie gleich keine beſſere Zeit verdienet. Meine
Geſchichte wird allen, die ſie hoͤren, die Lehre ge-
ben; daß das Auge ein Betruͤger iſt, und daß wir
es billig verdaͤchtig halten muͤſſen: daß die Geſtalt
betruͤglich iſt, und Schoͤnheit des Leibes und des
Gemuͤths ſich ſelten beyſammen finden: endlich, daß
wir allein auf geſunde Grund-Saͤtze der Tugend,
und auf ein redliches Hertz unſere kuͤnftige Gluͤck-
ſeligkeit in dieſer und jener Welt gruͤnden koͤnnen.


So viel von Herrn Lovelaces Vorſchlaͤgen,
daruͤber ich mir Jhre Meinung ausbitte. Jch
verbleibe


Wertheſte Freundin
Jhre ewig ergebene
Cl. Harlowe.


Herr Lovelace hat unter dieſer Zeit vier Briefe
geſchrieben, die nur darin von den Nach-
richten der Fraͤulein unterſchieden ſind, daß er ſeine
gewoͤhnlichen luſtigen Anmerckungen macht, und
bis veilen uͤber die Entſchlieſſungen der Fraͤulein ſehr
ungehalten iſt. Wir wollen nichts als einige Aus-
zuͤge daraus mittheilen.


„Was wuͤrde aus mir und aus meinen Anſchlaͤ-
„gen geworden ſeyn, wenn ich nicht ihren Vater
„und ihre unverſoͤhnliche Familie zu Freunden ge-
„habt haͤtte? (Hier folgen Drohungen und
„Schwuͤre
[101]
„Schwuͤre ſich zu raͤchen) Jch ſehe klar, ſie hat ſich
„gantz von mir los ſagen wollen: und ich wuͤrde die-
„ſem Ungluͤck nicht haben vorbeugen koͤnnen, wenn ich
„nicht den Baum mit der Wurtzel ausgeriſſen haͤtte,
„um an die Fruͤchte zu kommen, die ich nun ſanfter
„abzuſchuͤtteln hoffe, wenn ich die Zeit erwarten
„kann, da ſie reif werden.


Er frohlocket uͤber ſeine unbelebte Grauſam-
keit, in folgenden Worten: „nachdem Sie mir ſo
„hochmuͤthig begegnet iſt, ſo will ich ſie zwingen,
„ſelbſt auszuſprechen, was ſie in ihrem Hertzen
„denckt. Jn dem Geſicht, in dem Ton, in
„dem liſtigen Zaudern eines Frauenzimmers, das
„etwas gerne ſagen will und nicht kann, ſind tau-
„ſend Schoͤnheiten anzutreffen. Einige unver-
„ſtaͤndige Leute, die ſich fuͤr artig und fuͤr grosmuͤ-
„thig halten, machen ſich eine Ehre daraus, daß
„ſie ein Frauenzimmer nicht in ſolche Noth ſetzen.
„Unverſtaͤndig genug ſind ſie: ſonſt wuͤrden ſie ſich
„nicht eines ſo groſſen Vergnuͤgens berauben, und
„zugleich dem Frauenzimmer die Gelegenheit ent-
„ziehen, ſich durch eine gantze Welt von neuen
„Schoͤnheiten zu ſchmuͤcken. Wer eine freye Le-
„bens-Art fuͤhren will, dem iſt ein hartes und fuͤhl-
„loſes Hertz unentbehrlich. Er iſt der Noth ſchon
„gantz gewohnt, die er verurſachet, und laͤßt ſich
„ſelten durch eine Schwaͤche hinreiſſen, die ſich fuͤr
„ihn nicht ſchicket. Wie oft habe ich einem lie-
„ben Kinde gegen uͤber geſeſſen, und mich uͤber
„ſeine Verwirrung gefreuet, wenn es nicht aufhoͤ-
„ren konnte, meine Schuh-Schnallen mit tiefer Ver-
G 3„wun-
[102]
„wunderung zu beſehen, oder mit verworrenen Au-
„gen ſeine geiſtlichen Betrachtungen uͤber eine Jn-
„dianiſche Figur in der Tapete anzuſtellen.


Von der Eheſtiftung ſchreibt er alſo: „es iſt
„mir mit den Bedingungen ein Ernſt. Wenn
„ich ſie heyrathe, (dazu ich groſſe Verſuchungen
„habe,) wenn mein Hochmuth und meine Rache
„befriediget iſt, ſo will ich ihr vollkommene und
„recht edle Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Je
„mehr ich einer ſolchen klugen und vortreflichen
„Hauswirthin Geld in die Haͤnde gebe, deſto beſſer
„iſt es fuͤr mich. Aber bey meiner Seele! Bel-
„ford,
ihr Hochmuth muß ſo weit gedemuͤthiget
„werden, daß ſie deutlich geſtehet: ſie liebe mich
„und ſey mir Danck ſchuldig. ‒ ‒ Was ich von der
„Eheſtiftung aufgeſetzet habe, das wird uns nicht
„viel weiter bringen. Die dem ſchoͤnen Geſchlecht
„eigene Bloͤdigkeit wird immer meine Freundin
„bleiben, und mir wieder los helfen. Jch wollte
„mich anheiſchig machen, es durch ein eintziges
„Wort dahin zu bringen, daß die ſo hochmuͤthige
„Schoͤne noch vor dem Altar den Prediger und
„mich ſtehen lieſſe. Wenn gleich zwantzig von
„meinen guten Freunden dabey waͤren, ſo wuͤrden
„die ſich einander als betrogene Narren anſehen
„muͤſſen: mein Kind wuͤrde indeſſen Fluͤgel bekom-
„men, und wenn die Kirch-Thuͤr nicht offen waͤre,
„zu den Fenſter hinaus fliegen.


Er meldet hierauf ſeinen harten Ausdruck, daß
ſie die Seinige werden ſollte, wenn er ſie auch durch
die ewige Verdammniß erkauffen muͤßte: er geſtehet,
daß
[103]
daß er eben damahls habe Gewalt gebrauchen wol-
len, allein er ſey noch zu rechter Zeit abgeſchrecket
worden, da er ihr bekuͤmmertes und liebenswuͤrdi-
ges Geſicht erblicket haͤtte, in welchem ein jeder
Zug eine Abbildung ihres unſchuldigen und unbe-
fleckten Hertzens geweſen waͤre.


„O Tugend! Tugend! was haſt du, dadurch du
„das Hertz eines ſolchen Mannes als ich bin wider
„ſeinen Willen ruͤhren kannſt? Warum zittere ich,
„wenn ich behertzt ſeyn will? warum fuͤrchte ich
„mich ſo ſehr eine Tod-Suͤnde zu begehen? Was
„iſt das fuͤr ein Ding, das in der Bruſt eines ſchwa-
„chen Frauenzimmers lebet, und doch den dreiſte-
„ſten Mann zwingen kann, vor Ehrfurcht zu erbe-
„ben? Das Ding hat niemahls bey mir die Wuͤr-
„ckung gehabt, nicht einmahl in meinen erſten Krie-
„gen, da ich noch jung war, und mich uͤber meine
„eigene Verwegenheit entſetzte, bis ich merckte, daß
„ſie mir vergeben wuͤrde.


Er mahlet ſeine Gemuͤths-Bewegungen mit le-
bendigen Farben, die er empfunden hat, als die
Fraͤulein durch den Nahmen eines Vaters ſo ſehr
geruͤhret ward:


„Es ging mir dieſes ungemein zu Hertzen; allein
„ich ſchaͤmte mich, daß ich ſo wenig maͤnnliches
„bey mir fand. Jch ward ſo ſehr daruͤber beſchaͤmt,
„daß ich mich ſo gleich entſchloß meine Schwachheit
„zu beſiegen, und kuͤnftig beſſer auf meiner Huth zu
„ſeyn. Allein den Augenblick bedaurete ich faſt,
„daß ich ihr die Freude uͤber einen Sieg nicht goͤn-
„nen konnte, den ſie ſo ſehr verdienete: denn Ju-
G 4„gend,
[104]
„gend, Schoͤnheit, ungekuͤnſtelte Unſchuld, und die
„Art ſich auszudruͤcken, gaben ihr ſolche Schoͤnhei-
„ten, die alle Vergleichungen und alle Beſchreibun-
„gen der Feder uͤbertreffen. Nur ihre Kaltſinnig-
„keit, Belford! ſie konnte ſich doch entſchlieſſen,
„mich der Bosheit meiner Feinde aufzuopfern, und
„zwar dieſes mit der groͤſſeſten Heimlichkeit: da ich
„doch bis zum Unſinn in ſie verliebt bin, und ſie wie
„eine Goͤttin anbete. Durch dieſe Betrachtungen
„ſtaͤrckte ich mein ſchwachglaͤubiges Hertz. Allein
„ich ſehe doch, daß ſie endlich ſiegen wird, wenn
„ſie ſich mir ferner widerſetzet. Sie hat mich ein-
„mahl furchtſahm gemacht, da ich vorhin von kei-
„ner Furcht wußte.



Bey dem Beſchluß ſeines vierten Briefes geraͤth
er daruͤber in die aͤuſſerſte Wuth, daß ſie ſeinen Kuß
verſchmaͤhet hat, da er hoffete, daß ſein grosmuͤthi-
ger Aufſatz oder Entwurf einer Eheſtiftung ſie ihm
gantz gefaͤllig machen wuͤrde.


„Jch will ihr dieſes Zeit Lebens nicht vergeſſen.
„Jch will durch das Andencken dieſer Schmach
„mein Hertz zu Stahl machen, um das Eiß zu zerſpal-
„ten, damit ihr Hertz bedeckt iſt. Jch will ihr
„den Unwillen und die Verachtung vergelten, die
„ſie mir bey ihrem ploͤtzlichen Abſchied durch einen
„jeden Blick zu verſtehen gab, nachdem ich ihr ſo
„demuͤthig begegnet war, und ſie ſo ſehr um Be-
„ſchleunigung unſerer Hochzeit gebeten hatte. Die
„Maͤdchens in unſerm Hauſe ſagen: ſie verachte
„oder ſie haſſe mich. Es iſt wahr! Sie thut
dieſes!
[105]
„dieſes! Sie muß mich haſſen oder verachten!
„Warum folge ich nicht dem Rath, der mir gegeben
„wird? Es wird nicht lange waͤhren, liebes Kind,
„daß du mich verachten und auslachen darfſt!


P. S. „Die Muͤhe, die ſich mein Kind gegeben
„hat, meiner loos zu werden, wenn es bey den
„Seinigen eine Zuflucht zu gewarten haͤtte, und daß
„an dem Sonntage eine Kutſche beſtellet war, die
„meinen Schatz nicht wieder nach Hauſe gebracht
„haben wuͤrde, wenn ich ihn nicht begleitet und
„bewachet haͤtte, denn hat die Fraͤulein nicht ſelbſt
„geſagt, daß ſie ſich auf eins der benachbarten Doͤr-
„fer begeben wollte, um in der Stille zu ſeyn?)
„Hoͤre Bruder, alle dieſe Dinge machen mich unru-
„hig! Jch habe deswegen meinem Diener und den
„Waͤchterinnen dieſes Hauſes von neuen geſchrie-
„bene Befehle gegeben, wie ſie ſich verhalten ſollen,
„wenn mein Voͤgelchen in meiner Abweſenheit da-
„von fliegen ſollte; inſonderheit habe ich meinen
„Kerl unterrichtet, was er fuͤr eine Luͤge vorbrin-
„gen ſoll, wenn mein Kind bey gantz fremden Len-
„ten Schutz ſuchen ſollte, um meinem Schutze zu
„entgehen. Jch werde noch mehr zu dieſen Befeh-
„len hinzuthun, wenn es die Noth erfodert.„



Der funfzehnte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.



G 5Jch
[106]

Jch habe weder Zeit noch Geduld, den Haupt-
Jnhalt Jhres Briefes, der mir eben zu Haͤn-
den gekommen iſt, zu beantworten. Es iſt mir
alles, was von Herrn Lovelacen darin enthalten
iſt, misfaͤllig; den Entwurf der Eheſtiftung aus-
genommen: und dennoch bin ich gleicher Meinung
mit Jhnen, daß der Beſchluß dieſes Entwurfes ſo
kalt iſt, daß man bey Durchleſung des Entwurfes
ſelbſt gantz andere Ausdruͤcke und Bitten erwarten
mußte. Jch habe Zeit Lebens von keinem Men-
ſchen gehoͤret, der ein ſo nahes, ein ſo unvergleichli-
ches Gut mit ſo vieler Gelaſſenheit begehret hat.
Allein (zwiſchen uns geſagt) ich glaube, daß Leute
von ſeiner Art nichts von den Flammen fuͤhlen, da-
durch redliche und ehrliche Leute entzuͤndet werden.
Vielleicht hat ihre Eliſabeth recht, daß er erſt ein
halb Dutzend aufopfern muß, ehe er ſich auf Le-
bens-lang einlaſſen will. Ehe er das groſſe Stuffen-
Jahr uͤberſtanden hat, koͤnnen Sie ihn nicht fuͤr
ehrlich und zuverlaͤßig halten.


Sollte der Menſch aus Hoͤflichkeit gegen den Lord
M. einen Aufſchub machen, und ſo viel Zeit zu der
Eheſtiftung gebrauchen? Man hat ihm noch nie
nachgeſagt, daß er gegen ſeine Anverwanten hoͤflich
waͤre. Jch verliere alle Geduld. Sie haͤtten in
der That geſtern fruͤh einen Freund noͤthig gehabt,
der fuͤr Sie geredet haͤtte. Wenn ich damahls an
Jhrer Stelle geweſen waͤre, ſo wollte ich ihm die
Augen ausgekratzt, und nachher Zeit gelaſſen ha-
ben ſich zu beſinnen, warum es geſchehen waͤre.


Er
[107]

Er wuͤnſcht, daß morgen ſein gluͤcklicher
Tag ſeyn moͤchte, und daß er nicht Zeit haͤt-
te, jemanden zur Hochzeit zu bitten!
Der
Schelm: Eben hatte er ſelbſt den Vorſchlag gethan,
ſeinen Onckle zur Hochzeit zu bitten. Er ſcheint
Jhnen den Verzug beyzumeſſen! Was fuͤr ein
Menſch! Jch aͤrgere mich nur uͤber ihn!


Wiewohl, bey der Verhaͤltniß, in der Sie jetzt
mit einander ſtehen, ſollte ich billig meinen Unwil-
len verbergen: und dennoch weiß ich nicht, was ich
thun ſoll. Denn ein Frauenzimmer kann nicht un-
gluͤcklicher ſeyn, als wenn es einen Mann nehmen
muß, den es verachtet. Sie koͤnnen nicht anders,
als ihn bisweilen verachten. Jch wuͤnſchte uͤbrigens,
daß die Fauſt, damit er ſich vor den Kopf ſchlug,
ein Beil in der Hand ſeines aͤrgſten Feindes gewe-
ſen ſeyn moͤchte.


Jch werde darauf dencken, wie ich Sie aus ſeinen
Haͤnden befreyen, und Jhnen eine Zuflucht verſchaf-
fen moͤge, in der Sie die Ankunft des Obriſten
Morden ſicher erwarten koͤnnen. Sie moͤgen mei-
nen Vorſchlag unter ihren Papieren behalten,
bis er bey Gelegenheit ausgefuͤhrt werden kann.
Sie wiſſen doch gewiß, daß Sie nach eigenem Be-
lieben ausgehen koͤnnen, und daß unſer Brief-
wechſel geheim iſt? Jndeſſen kann ich Jhnen um
Jhrer eigenen Ehre willen nicht rathen, ihn zu ver-
laſſen, ſo lange Sie keine Urſache haben, ein Mis-
trauen in die Aufrichtigkeit ſeiner Abſichten zu ſetzen.
Jch weiß aber, daß Jhr Hertz leichter ſeyn wird,
wenn Sie auf alle Faͤlle eine ſichere Zuflucht wiſſen.


Jch
[108]

Jch wiederhohle es nochmahls: er kann ohnmoͤg-
lich uͤble Abſichten haben! Allein er iſt ein Narre!
Das iſt das Ende vom Liede. Weil Sie aber ein-
mahl durch das Schickſaal an einen Narren ver-
ſchenckt ſind, ſo heyrathen Sie ihn bey der erſten,
der beſten Gelegenheit. Jch glaube zwar, daß er
von der Art der Narren iſt, die ſich am wenigſten
lencken laſſen: allein nehmen ſie ihn als eine Strafe
an, wenn Sie ihn nicht fuͤr ihr Gluͤck halten koͤn-
nen; und lernen Sie von ihm die Wahrheit, daß
in dieſem Leben lauter Unvollkommenheit herrſchet.


Jch erwarte Jhren naͤchſten Brief mit Ungeduld,
und verbleibe indeſſen


Jhre ergebenſte und getreue
Anna Howe.



Der ſechzehende Brief
von
Herrn Belford an Herrn Robert Lovelacen.



Jch kann Jhnen nichts vorenthalten, das Sie
ſo nahe angehet, als der einliegende Brief.
Sie werden aus demſelben erſehen, was ihr On-
ckle in Abſicht auf die Fraͤulein Harlowe befuͤrch-
tet und wuͤnſchet, und wie ſehr allen Jhren Anver-
wanten daran gelegen iſt, daß Sie wohl mit der
Fraͤulein umgehen ſollen. Sie ſchmeicheln mir da-
mit, daß ich viel bey Jhnen vermoͤchte: und ich
wollte
[109]
wollte wuͤnſchen, daß zum wenigſten dieſes mahl
Jhre Schmeicheley wahr ſeyn moͤchte.


Jch bitte dich noch einmahl Lovelace, uͤberlege
die ungemeinen Vorzuͤge der Fraͤulein, ehe es zu
ſpaͤte, und ehe du die Tod-Suͤnde begangen haſt.
Dein Gewiſſen mahnet dich ſo oft um deine Pflicht:
laß es einmahl recht ausreden. Gieb nicht zu, daß
dein Hochmuth und dein wildes Hertz alle deine
kuͤnftige Hoffnung vereitele. Wahrhaftig, es iſt
nichts als Eitelkeit, Einbildung und Thorheit mit
allen unſern wilden Einfaͤllen. Mit dem Alter
werden wir kluͤger werden: und wenn wir auf un-
ſere Jugend zuruͤck dencken, nachdem die Hitze ver-
flogen iſt, ſo werden wir uns ſelbſt unſerer Thorheit
wegen verachten, ſo oft uns die Partheyen bey-
fallen, von denen wir Ehre gehabt haͤtten, und die
wir haͤtten waͤhlen koͤnnen. Deine Reue wird die
empfindlichſte ſeyn, wenn du dir ein ſo unvergleich-
liches Wunder aus der Hand gleiten laͤßt: ein ſol-
ches Wunder, das von der Wiege an unbefleckt iſt,
und das in allen ſeinen Handlungen und Neigungen
ſich ſelbſten gleich und unveraͤnderlich edel iſt. Ein
ſolches Kind, das gegen den unvernuͤnftigen Va-
ter ſeine Pflichten ohne Belohnung auch ohnausge-
ſetzt erfuͤllet, muß gewiß die allerbeſte Frau in der
Welt ſeyn, und den Mann gluͤcklich machen, der die
Ehre hat es die Seinige zu nennen.


Bedencke, wie viel die Fraͤulein um deinetwillen
gelitten hat. Zu eben der Zeit, da du alle Kuͤnſte
anwendeſt, ſie ungluͤcklich zu machen, (zum wenig-
ſten ſo wie ſie und die Welt das Wort ungluͤcklich
ver-
[110]
verſtehet) lieget ſie unter dem Fluch ihres Vaters,
den du ihr zugezogen haſt. Willſt du ihres Vaters
Buͤttel ſeyn, der den Fluch erfuͤllet?


Sage mir nur Lovelace, worauf du hochmuͤthig
biſt? Du bildeſt dir ein, daß die gantze Harlowi-
ſche
und Howiſche Familie wider ihren Willen
deine Marionetten ſind, die du zu Ausuͤbung deiner
Rache gebrauchen kannſt. Allein was biſt du an-
ders, als die Marionetten ihres unverſoͤhnlichen Bru-
ders und ihrer neidiſchen Schweſter? Biſt du nicht
ihr Werckzeug, dadurch ſie ihre unvergleichliche
Schweſter aus den allerniedertraͤchtigſten Abſichten
ungluͤcklich zu machen ſuchen? Jſt es dir ertraͤglich,
daß du das Werckzeug deines abgeſagten Feindes,
des Jacob Harlowe biſt? Gebraucht dich nicht
der noch veraͤchtlichere Joſeph Lehmann als ei-
nen einfaͤltigen Tropf, deſſen Beutel er melcken darf,
ſo oft er will? Dienet er ſich nicht ſelbſten durch
ſeine zweyzuͤngige Betruͤgerey mehr als dir? Biſt
du nicht ein treuer Diener des Teuffels, welcher al-
lein dich belohnen kann und wird, wenn du in deinen
Bosheiten fortfaͤhreſt?


Wuͤrde irgend ein Menſch in der Welt ohne et-
was dabey zu fuͤhlen, die Fragen auſſchreiben koͤn-
nen, die ich in deinem Briefe finde? Ueberlies ſie
hier, und halte ſie deinem harten Hertzen vor: wo-
hin ſoll ſie ihre Zuflucht nehmen? Jhre El-
tern und ihre Onckles wollen ſie nicht aufneh-
men: ihre liebe Frau Norton muß ſich nach
jenen richten, und darf ihr keine Zuflucht in
ihrem Hauſe verſtatten! die Fraͤulein
Howe
wird
[111]
wird es ſich auch nicht unterſtehen: in Lon-
don hat ſie keinen Freund auſſer mir, ja ſie iſt
gantz unbekannt in London.
Was muß der
fuͤr ein Hertz haben, der ſich uͤber eine ſolche Noth
freuen kann, in welche er ſeine allerliebſte Schoͤne
durch ſo viel Kunſt-Stuͤcke geſtuͤrtzet hat? Was
war das fuͤr ein ausgeſucht-artiger und dennoch fin-
ſterer Gedancke, dadurch ſie dich ruͤhrete und bey-
nahe dein Hertz erweichte, als du den Lord M. nann-
teſt, daß er bey der Hochzeit Vater-Stelle vertre-
ten ſollte! Jhre zarten Jahre machen, daß ſie ſich
nach einem Vater ſehnet, und einen Freund anzutref-
fen hoffet. Mein lieber Lovelace, kannſt du dich
entſchlieſſen gegen ſie ein Teuffel zu ſeyn, nachdem
du ſie ihres Vaters beraubet haſt?


Du weißt, daß ich keinen eigenen Vortheil dabey
ſuchen kann, wenn ich wuͤnſche, daß du dieſem un-
vergleichlichen Kinde wohl begegnen moͤgeſt. Jch
beſchwoͤre dich um dein ſelbſt willen, ich bitte dich
um deiner Familie und um der Menſchlichkeit willen:
ſey gegen die Fraͤulein Clariſſa Harlowe ehrlich.


Es kommt nicht darauf an, ob ſich dieſe Ermah-
nungen zu meiner Lebens-Art ſchicken oder nicht. Jch
bin arg genug geweſen, und bin noch mehr als zu arg.
Wenn du meinen Rath annimſt, (der zugleich der
Rath deiner gantzen Familie iſt) wie du aus der
Einlage ſehen wirſt: ſo wirſt du mir vielleicht vor-
werffen koͤnnen, daß ich ſchlimmer ſey als du (und
doch wird dieſer Vorwurf vielleicht ungegruͤndet ſeyn.)
Wenn du aber meinen Rath in den Wind ſchlaͤgeſt,
und eine ſo vollkommen tugendhafte Perſon verfuͤh-
reſt:
[112]
reſt: ſo muß ich ſagen, daß die zuſammengeſetzte
Bosheit von zehen Teuffeln, die eine vollkommene
Gewalt uͤber unſchuldige Kinder bekommen, nicht
ſo viel Ungluͤck anrichte, als du alleine.


Man ſaget ſonſten, daß kein Koͤnig auf ſeinem
Thron ſicher ſey, ſo bald es ſo verruchte Gemuͤther
giebt, die nichts nach ihrem Leben fragen. Allein
mit eben dem Recht kann man behaupten, daß die
allerreineſte Tugend nicht ſicher iſt, ſobald es Leute
giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und mit
ihren Eyd-Schwuͤren und Geluͤbden einen Schertz
treiben.


Du biſt in der Liebe aͤrger als ein See-Raͤuber:
es kann ſeyn, daß du durch Liſt und Betrug ein Frau-
enzimmer uͤberwindeſt, das ſo ſehr verſtricket iſt,
und das von andern nicht den geringſten Schutz hat.
Allein bedencke, ob es nicht edler und gerechter ge-
gen ſie gehandelt iſt, und dir mehr Ehre bringet,
wenn du dich ſelbſt uͤberwindeſt.


Jch ſage es nochmahls, es kommt mir nicht dar-
auf an, ob meine jetzigen oder kuͤnftigen Handlun-
gen mit meiner Predigt (wie du vielleicht meinen
Brief nennen wirſt) uͤbereinkommen: allein das
verſpreche ich dir, daß ich meinem eigenen Rath fol-
gen, und heyrathen will, ſo bald ich ein Frauenzim-
mer finde, das nur halb ſo viel Vollkommenheiten
beſitzt als die Fraͤulein Clariſſa Harlowe, und
mich wuͤrdigen will, mir ihr Ja-Wort zu geben. Jch
will noch weiter gehen: ich will mit Gefahr meiner
eigenen Ehre ihre Ehre auf die Probe ſetzen: das
iſt, ich will ſie nehmen, ohne ein ſo unvergleichliches
Frauen-
[113]
zimmer durch Verſuchungen in ſeinen eigenen Augen
herunter zu ſetzen, wenn es mir nicht die geringſte
Urſache zum Argwohn giebet. Du ruͤhmeſt dich
dem Adler darin gleich zu ſeyn, daß du dich nur an
unſchuldige Kinder macheſt, und nicht an ſolche, die
du mit Zaunkoͤnigen und Miſtfincken vergleicheſt:
ich muß dir hiebey ſagen, daß ich hoffe nicht ein ein-
ziges Maͤdchen verfuͤhrt zu haben, das ſonſt unver-
fuͤhret wuͤrde geblieben ſeyn. Es iſt Suͤnde genug,
wenn ich etwas mit dazu beygetragen habe, daß
andere ungluͤckliche Huren ihr ſuͤndliches Leben fort-
ſetzen, und einer von denen bin, welche die Gefalle-
nen hindern wieder aufzuſtehen.


Der Obermeiſter unter den Teuffeln, unter dem
du ſteheſt, mag dich endlich antreiben wozu er will,
und dir noch ſo viel Boͤſes wider dieſes unvergleich-
liche Kind eingeben, ſo hoffe ich doch, daß du mit
dem eingeſchloſſenen Briefe ehrlich umgehen, und ihn
nicht misbrauchen wirſt, mir den Lord M. zum
Feinde zu machen. Denn du wirſt ſehen, daß er
mir verbietet, dir von ſeinem Briefe Nachricht zu
geben, dazu er Urſachen haben mag, die dir wenig
Ehre bringen. Nimm meinen Eifer dir zu dienen
ſo wohl auf, als er aus dem aufrichtigſten Hertzen
kommt, damit dir zugethan iſt


Dein wahrer Freund
J. Belford.



Der ſiebenzehnte Brief
von dem
Lord M. an Herrn J. Belford.


Vierter Theil. H(War
[114]

(War in dem vorigen Briefe eingeſchloſſen.)



Wenn jemand in der Welt etwas bey meinem
Vetter ausrichten kann, ſo ſind Sie es: ich
ſchreibe deswegen an Sie um Sie zu bitten, daß
Sie in der Sache ein gutes Wort reden wollen,
die zwiſchen ihn und derjenigen Fraͤulein obwaltet,
von der jedermann ſaget, daß ſie ihres gleichen in
der Welt nicht habe: und das Spruͤchwort bleibt
doch wahr: alle Leute koͤnnen nicht zugleich
luͤgen.


Jch weiß zwar nicht, daß er boͤſe Abſichten gegen
ſie hat: allein ich kenne ihn allzu wohl, daß ich bey
dem langen Aufſchub nicht ſollte beſorget ſeyn. Das
Frauenzimmer in meiner Familie iſt auch voller
Furcht: inſonderheit ſagt meine Schweſter, die La-
dy Sadleir,
welche wie Sie wiſſen eine ſehr kluge
Frau iſt, daß der Aufſchub bey jetzigen Umſtaͤnden
nicht von der Fraͤulein, ſondern von ihm herkom-
men muͤßte. Er iſt immer ein Feind des Eheſtan-
des geweſen: und es koͤnnte ihm in den Kopf kom-
men, daß er ihr einen von ſeinen Hundes-Strei-
chen ſpielen wollte, wie er ſchon ſo manchen gethan
hat. Wenn dieſes zu beſorgen ſeyn ſollte, ſo muß
man in Zeiten vorbeugen: denn guter Kath iſt
zu ſpaͤte wenn die Sache geſchehen iſt.


Er iſt immer ſo unverſtaͤndig und grob geweſen,
daß er aus meinen Spruͤchwoͤrtern einen Schertz ge-
macht hat. Jch aber ſchaͤme mich nicht, und werde
mich von ihm nie abhalten laſſen Spruͤchwoͤrter zu
gebrau-
[115]
gebrauchen, die ein Compendium der Weißheit
gantzer Voͤlcker und Jahrhunderte ſind, und oft
mehr kluges in ſich enthalten, als das eckelhafte Ge-
ſchwaͤtz unſerer meiſten Prediger und Sitten-Lehrer.
Er mag lachen, wenn er will: Sie und ich, wir
wiſſen es beſſer, denn, ob Sie gleich unter den
Woͤlfen geweſen ſind, ſo haben Sie doch
nicht von den Woͤlfen heulen lernen.


Er muß ja nicht wiſſen, daß ich von dieſer Sa-
che an Sie geſchrieben habe. Jch ſchaͤme mich faſt
es zu ſagen: allein er iſt immer mit mir umgegan-
gen, als wenn ich ein Mann von ſehr mittelmaͤßigem
Verſtande waͤre, und er wird den beſten Rath ver-
achten, wenn er weiß, daß er von mir kommt. Er
hat gewiß keine Urſache mich ſo zu verachten. Er
wird keinen Schaden von mir haben, wenn er
mich uͤberlebet: ob er mir gleich einmahl in das Ge-
ſicht geſagt hat, ich moͤchte mit meinem Gute an-
fangen, was ich wollte, die Freyheit waͤre ihm lie-
ber als das Geld. Jch glaube, er denckt: ich
koͤnnte ihn nicht mit meinen Fluͤgeln waͤrmen
ohne ihn mit meinem Schnabel zu hacken:

und ich habe ihn doch niemals ohne Noth gehacket.
GOtt weiß, er koͤnnte mein Hertz haben, wenn er
nur darin gefaͤllig gegen mich waͤre, daß er auf ſein
eigenes Beſtes daͤchte; denn weiter verlange ich nichts
von ihm. Seine arme Mutter hat ihn zuerſt ver-
dorben, und nachher bin ich ihm zu gelinde geweſen.
Sie werden dencken: das muß ein artiges danckba-
res Gemuͤthe ſeyn, das Boͤſes fuͤr Gutes vergilt!
Allein ſo iſt er immer geweſen.


H 2Dieſe
[116]

Dieſe Verbindung koͤnnte zu ſeiner Bekehrung
etwas beytragen, weil die Fraͤulein ein ſo auſſeror-
dentliches Lob der Weisheit und Froͤmmigkeit hat.
Wenn Sie etwas dazu beytragen koͤnnen, daß die
Hochzeit bald vor ſich gehet, ſo will ich ihn in den
Stand ſetzen, die allervortheilhaſteſte Eheſtiftung
fuͤr die Fraͤulein zu machen: ja ich bin ſo gar ge-
neigt, ihm noch uͤber das ein feines Gut zu geben.
Denn wozu lebe ich in der Welt (wie ich oft ge-
ſagt habe) als daß ich ihn und meine beyden Schwe-
ſter Toͤchter wohl verſorget und wohl verheyrathet
ſehen moͤge? GOtt wolle ihn bekehren, und ihm ein
beſſeres und weiſeres Hertz geben.


Wenn der Verzug von ihm herkommt, ſo zit-
tere ich, wenn ich an die Fraͤulein gedencke: iſt
aber die Fraͤulein ſelbſt Schuld daran, (wie er an
Charlotten geſchrieben hat) ſo wuͤnſchte ich, daß
jemand der Fraͤulein zu verſtehen gaͤbe, daß aller
Verzug gefaͤhrlich ſey.
So unvergleichlich ſie iſt,
ſo darf ſie ſich doch bey einem ſo veraͤnderlichen Men-
ſchen und abgeſagten Feind des Eheſtandes auf ihre
vortrefflichen Eigenſchaften nicht verlaſſen. Sie ſind
wol ſo guͤtig, und geben ihr einen Winck. Ein
Wort fuͤr den Weiſen iſt genug.


Jch wuͤnſche, daß Sie verſuchen moͤgen, was Sie
bey ihm ausrichten koͤnnen. Jch habe ihn ſo oft
von ſeinen gottloſen Streichen abgemahnt, daß ich
alle Hoffnung verliere etwas bey ihm auszurichten.
Allein er mag bedencken, daß die Rache bleyerne
Fuͤſſe und eiſerne Haͤnde hat.
Wenn er ſich
gegen die Fraͤulein uͤbel auffuͤhret, ſo wird er das
erfahren.
[117]
erfahren. Was fuͤr ein Jammer, daß ein Mann
von ſo gutem Verſtande und von ſo groſſer Gelehrſam-
keit ein ſolcher Boͤſewicht iſt! Ach! ach! Vne poig-
née de bonne vie vaut mieux que plein muy de
clergé;
eine Hand voll Redlichkeit iſt mehr
werth als ein Scheffel Gelehrſamkeit.


Sie koͤnnen ihm auch wol als ein guter Freund
zu verſtehen geben, daß ich das Heyrathen noch
nicht abgelobet habe, wenn er es mir zu arg macht.
Mein Freund Wycherley heyrathete noch in ei-
nem hoͤheren Alter, um ſeinen Vetter Verdruß zu
machen: und ohngeacht deſſen, daß ich mit dem
Podagra behaftet bin, koͤnnte ich doch noch wol ein
oder ein paar Kinder kriegen. Es ſind mir auch
wol ſolche Gedancken eingefallen, wenn er mich gar
zu ſehr geaͤrgert hat: ich habe ſie aber auch wieder
fahren laſſen, weil mir das Spruͤchwort beyfiel, daß
grauer Leute Kinder ſelten grau werden,
(wie-
wohl ich noch nicht ſehr alt bin) und daß alte
Leute auf einer jungen
Frau gemeiniglich nach
den Himmel reiten.
Und doch koͤnnte es vielleicht
bey dem verdrieslichen Podagra mir zur Erleichte-
rung dienen, wenn ich mich verheyrathete.


Die Spruͤchwoͤrter, die ich mit Willen in meinen
Brief habe einflieſſen laſſen, koͤnnen Jhnen vielleicht
nuͤtzliche Dinge leiſten, wenn Sie mit ihm reden:
allein gebrauchen Sie ſie ſpahrſam, damit er nicht
merckt, daß ſie Jhre Pfeile aus meinem Koͤcher
entlehnen.


Wenn doch Jhr guter Rath, dazu ich Jhnen
den Stoff gegeben habe, in ſein Hertz dringen
H 3und
[118]
und ihn bewegen moͤchte, ſo zu handlen, wie es ſei-
ne eigene Wohlfahrt und die Ehre des unvergleich-
lichen Frauenzimmers erfodert, die ich ſo gern ſei-
ne Gemahlin nennen moͤchte: wenn er Jhnen fol-
get, ſo will ich niemahls in meinem Leben an eine
Gemahlin dencken. Wenn er aber das Vertrau-
en, das die Fraͤulein in ihn geſetzt hat, misbrau-
chet, ſo will ich ſelbſt beten, daß die Rache auf ſei-
nen Kopf kommen moͤge. Raro raro (ich vergeſſe
faſt alles mein Latein! Allein mich duͤnckt, ſo heiſt
es:) raro antecedentem ſceleſtum deſeruit pede
poena claudo:

Wo Bubenſtuͤck und Bosheit ſchleichen,
Da wird die Straf ſie auch erreichen.


Jch will mich weiter nicht entſchuldigen, daß ich
Jhnen dieſe Muͤhe mache. Jch weiß, daß Sie
ihn und mich lieben: und Sie koͤnnen uns beyden
keinen wichtigern Dienſt leiſten, als wenn Sie die-
ſe Heyrath nach aͤuſerſtem Vermoͤgen befoͤrdern.
Wie ſehr werde ich mich freuen, Sie alsdenn zu
M ‒ ‒ Hall zu ſehen. Unter Anwuͤnſchung eines
gluͤcklichen Ausgangs Jhrer Bemuͤhung verharre ich


Dero getreuer Freund und Diener
M.



Weil Herr Lovelace nicht gleich auf Herrn
Belfords Brief geantwortet hatte, ſo ſchreibt
dieſer von neuen an ihn, und iſt beſorget, daß er
ſeine Aufrichtigkeit moͤchte uͤbel genommen haben.
Unter
[119]
Unter andern ſchreibt er: „Jch bringe meine Zeit
„zu Watford bey meinem ſterbenden Onckle ſehr
„verdrieslich zu. Jch kann dich deswegen deiner
„Schuldigkeit an mich zu ſchreiben nicht entlaſſen.
„Willſt du mich dafuͤr ſtrafen, daß ich mehr Ge-
„wiſſen habe als du? Haſt du dir doch nie eine
„Ehre daraus gemacht gewiſſenhaft zu ſeyn! Jch
„muß dir auch noch die traurige Geſchichte von dem
Belton und ſeiner Thomaſine erzaͤhlen, daraus
„ſich die eine Lehre nehmen koͤnnen, die ſich mit
„Maitreſſen behelfen. Jch habe Briefe von unſern
„drey Freunden erhalten. Sie ſind eben ſo gottlos
„als du, aber nicht ſo liſtig. Zwey unter ihnen
„ruͤhmen ſich einiger neuen Schelm-Stuͤcke, die der
„Galeeren werth ſind, wenn ſie zum Ausbruch
„kommen.


„Jch bin ſonſt kein Feind der Schelmerey. Al-
„lein das ſind verdriesliche Briefe, wenn ungeſchickte
„Koͤpfe Schelme werden wollen, und ihre Schel-
„merey ohne den Witz, der deine Briefe wuͤrtzet,
„zu Papiere bringen. Allein du Lovelace wirſt
„von mir ſehr erſuchet, mich durch eine Beſchreibung
„wider dieſes Frauenzimmer aufzumuntern, du
„magſt ſie nun in das Werck richten oder nicht.
Hierdurch wirſt du ſehr verbinden


deinen niedergeſchlagenen Freund
J. Belford.



Der achtzehnte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.



H 4Nach-
[120]

Nachdem ich dir meine Abſichten ſo weitlaͤuftig
entdecket habe; nachdem ich dir geſagt ha-
be, daß ich die Tugend nur auf den Probier-
Stein bringen will, vor dem ſie ſich nicht fuͤrchten
darf, wenn ſie aͤcht iſt, und daß ich ſie durch die
Ehe belohnen will: (das iſt, daß ich ſie heyrathen
will, wenn ich ſie beſieget habe, und ſie nicht be-
wegen kann, die neue Lebens-Art der vornehmen
Leute mit mir zu erwaͤhlen, die ich ſonſt der Ehe
ſehr vorziehen wuͤrde) ſo wundere ich mich, wie
du deine alten Thorheiten, die ich vor laͤngſt ver-
dauet hielt, dir immer wieder kannſt aufſtoſſen
laſſen.


Jch bin einerley Meinung mit dir, daß ich mit
den Jahren kluͤger werden, und meine jetzigen wil-
den Einfaͤlle fuͤr nichts als Einbildung und Thor-
heit halten werde. Allein die Zeit muß erſt da ſeyn,
ehe ich kluͤger werde.


Jrre dich nicht, ich will mir dieſes unver-
gleichliche Wunder nicht aus der Hand glei-
ten laſſen.


Kannſt du halb ſo viel zu ihrem Lobe ſagen, als
ich beſtaͤndig ſage und ſchreibe?


Der finſtere Vater verfluchte das liebe Kind, weil
es ſeiner Gewalt entflohe, und er es nicht zwingen
konnte, einen verhaßten Mann zu nehmen. Du
weißt daß dieſes nach meinem Urtheil nicht ihr
groͤſſeſter Verdienſt iſt. Soll ich nicht die Tugend
erſt unterſuchen, die ich hernach zu belohnen geden-
cke? Soll ich ſie ohne Unterſuchung fuͤr vollwichtig
annehmen, weil der Vater ein Unmenſch iſt? Wie
lange
[121]
lange willſt du ein ſo unvergleichliches Frauenzim-
mer ſchimpfen, als wenn es in der Verſuchung nicht
beſtehen wuͤrde? So oft du einen Brief ſchreibeſt,
ſo giebſt du vor, ſie wuͤrde und muͤßte uͤberwun-
den werden, weil ſie ſo ſehr verſtricket ſey: und
dennoch iſt es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun-
de und Vertheidiger macht.


Nenneſt du mich ein Werckzeug des veraͤcht-
lichen Jaͤckel Harlowes?
Wie fluche ich auf
dich! ein Werckzeug des Bruders! der Schweſter!
allein gieb auf das Ende Achtung, ſo wirſt du ſehen,
was aus dem Bruder und aus der Schweſter wer-
den ſoll.


Gebrauche dich meiner ſinnlichen Schwachhei-
ten nicht gegen mich, wenn ich ſie dir bekenne. Dieſe
ſinnlichen Schwachheiten ſind eine Widerlegung
deſſen, was du von meinem fuͤhlloſen Hertze ſchreibſt,
und du wuͤßteſt nicht einmahl etwas davon, wenn ich
es dir nicht gemeldet haͤtte.


Du bleibſt immer bey dem alten Liede: wenn
ich eine ſo ungemein tugendhafte Perſon ver-
fuͤhrte
‒ ‒ bald behaupteſt du, daß die allerreine-
ſte Tugend nicht ſicher iſt, ſo bald es Leute
giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und
mit ihren Eydſchwuͤren und Geluͤbden einen
Schertz treiben.
Dencke nur, einfaͤltiger Kerl,
was wuͤrde das fuͤr eine Tugend ſeyn, die ſich ohne
Eydſchwuͤre uͤberwinden lieſſe? Jſt nicht die Welt
gantz voll von dergleichen Betruͤgereyen? Sind
nicht die Eydſchwuͤre der Verliebten gemeiniglich ein
Ball, damit geſpielet wird? Beſtehet nicht ein
H 5noth-
[122]
nothwendiges Stuͤck der guten Erziehung eines
Frauenzimmers darin, daß es vor der Untreue un-
ſeres Geſchlechts gewarnet wird?


Jch will ſuchen, mich ſelbſt zu uͤberwinden;
allein ich muß vorher dieſes Frauenzimmer uͤber-
wunden haben. Habe ich dir nicht laͤngſtens geſaget,
daß es zur Ehre des ſchoͤnen Geſchlechtes gereiche,
wenn ich dieſen Verſuch anſtelle.


So bald du ein Frauenzimmer findeſt, das
nur halb ſo viel Vollkommenheiten beſitzet
als die Fraͤulein Clariſſa Harlowe, ſo willſt
du heyrathen!
Thue das: es ſtehet dir frey.


Jch freue mich, daß du dir ein Gewiſſen daruͤ-
ber machſt, daß du kein Buß-Prediger bey den
Huren biſt, die andere Leute verfuͤhret haben. Jch
will nicht dein Anklaͤger werden; ſonſt koͤnnte ich dir
leicht etwas zu verdauen geben, wenn du dich ruͤh-
meſt, daß du nie ein Maͤdchen verfuͤhret haſt, das
nicht ohne dich verfuͤhrt ſeyn wuͤrde. So troͤſtet ſich
ein Hottentotten-Hertz: das lieber andern Raub-Voͤ-
geln das Aas auffrißt, als ſich entſchließt ſich zu
beſſern. Allein ſage mir, wuͤrdeſt du ein ſolches
Maͤdchen, als mein Roſen-Knoͤſpgen war, geſcho-
net haben, wenn ich dir nicht mit Grosmuth vorge-
gangen waͤre? Mein Roſen-Knoͤſpgen iſt nicht das
eintzige Maͤdchen, welches Proben von meiner Gros-
muth hat. So bald man mein Vermoͤgen erkann-
te, Schaden zu thun, ſo bald war niemand mitley-
diger als dein Freund.


Der Widerſtand entflammt die Liebe,

Und wehet ihre Funcken an.

Die
[123]
Die Ruhe ſchwaͤchet ihre Triebe,

Und macht den Bogen ſchlapp, daß er nicht

treffen kann.

Die Pfeile pflegen zu verwunden,

Die uns die ſchoͤne Feindin ſchickt.

Denn iſt die Wunde ſchon verbunden,

Wenn ein gewuͤnſchtes Ja den Wunſch zu fruͤh

begluͤckt.

Dieſes wiſſen die Frauens-Leute eben ſo gut als
wir. Sie moͤgen ſich gern muthig angreiffen laſſen:


Durch Muͤh und Kampf muß man die guͤldne

Frucht erlangen,

Die blutend ſich ergiebt, damit ſie ſchaͤtzbar ſey.

Wie oft wird deswegen der hitzige Liebhaber dem
kaltſinnigen Ehemanne vorgezogen. (Das war ein
Neben-Einfall.) Und dennoch vergeſſen die Schoͤ-
nen gemeiniglich, daß uns nie Veraͤnderung und
die Neuigkeit hitziger und ergebener macht; und daß
der allgemeinſte Anbeter aller ſchoͤnen Kinder und
ihr allgemeiner Verfuͤhrer kaltſinnig gegen ſie ſeyn
wuͤrde, wenn er ihre Liebe ſo oft genoͤſſe als ihr Ehe-
mann: wie denn die liederlichſten Leute wenig Lie-
be gegen ihre Weiber zu haben pflegen. Der Ehe-
mann hingegen wird auf ein fremdes Frauenzim-
mer hitzig ſeyn. Das gantze ſchoͤne Geſchlecht mag
von Lovelacen dieſe Regeln ein vor allemahl ler-
nen: daß es ſich dem Manne immer neu zu machen
ſuche, und gegen ihn eben ſo hoͤflich und artig ſey,
als gegen einen neuen Liebhaber: alsdenn wird der
Liebhaber laͤnger in dem Manne bleiben, als es
gemeiniglich zu geſchehen pfleget.


Doch
[124]

Doch wieder auf das vorige zu kommen. Wenn
ich jetzt meine Auffuͤhrung nicht genug gerechtfer-
tiget habe, ſo beziehe ich mich auf meinen Brief
von dem dreyzehnten des vorigen Monaths. Jch
hoffe, daß du meine Briefe mehr als einmahl le-
ſen wirſt.


Es iſt mir nicht zuwider, daß du dich ſo ſehr
vor meinem Zorn fuͤrchteſt, und ſo gleich unruhig
wirſt, wenn ich nur einen Tag nicht ſchreibe. Dein
Gewiſſen muß dir doch ſagen, daß du meine Un-
gnade verdienet haſt: und wenn es dich hievon uͤber-
zeuget hat, ſo biſt du ſchon vor dem Ruͤckfall in eben
dieſelbe Suͤnde verwahret. Laß dich warnen! Jch
weiß nun, wie ich dich ſtrafen kann: und es koͤnnte
mir leicht in den Sinn kommen, dich durch mein
Stillſchweigen zu ſtrafen, ob ich gleich eben ſo gern
von einer ſo angenehmen Materie ſchreibe, als du
davon etwas lieſeſt.


Als ich noch ein kleiner Junge war, ſo ſahe ich
mich gleich nach einem Stein oder Stock um, wenn
ein Hund vor mir lief: und wenn ich keins von bey-
den finden konnte, ſo warf ich meinen Hut hinter ihm
her, damit er Urſache haben moͤchte, ſich zu fuͤrch-
ten. Was nuͤtzt uns die Gewalt, wenn wir ſie
nicht gebrauchen?


Berichte meinem Onckle, daß du ein Blat an
mich voll geſchmiert haſt, ohne ihm den Jnhalt zu
melden: denn ſo ſchlecht deine Gruͤnde ſind, ſo wuͤr-
den ſie ihm doch wichtig vorkommen. Wenn man
einmahl haben will, daß eine Sache wahr ſeyn ſoll,
ſo laͤßt man ſich auch durch ſchlechte Beweiſe uͤber-
zeugen.
[125]
zeugen. Der einfaͤltige gnaͤdige Herr bildet ſich nicht
ein, daß ſich dieſes Kind wider das gantze Reich der
Liebe gewaltſam empoͤret: er und die gantze Welt
glaubet, daß es freywillig zu der Fahne der Liebe
geſchworen hat. Jch werde getadelt und die Un-
gehorſame bedauret werden, wenn es nicht nach
Wunſche gehet.


Weil meinem Onckle ſo viel an dieſer Verbindung
gelegen zu ſeyn ſcheinet, ſo habe ich an ihn geſchrie-
ben: „der uͤble Ruff, in dem ich ſtehe, habe meine
„Geliebte mit einem unbilligen Mißtrauen gegen
„mich erfuͤllet. Sie habe das Heimweh ſo ſtarck,
„und ſehne ſich ſo ſehr nach Vater und Mutter, daß
„ſie lieber nach Harloweburg zuruͤckkehren, als an
„Hochzeit gedencken wollte. Sie fuͤrchte ſo gar,
„daß ſie ſich durch ihre Flucht bey dem Frauenzim-
„mer einer ſo angeſehenen Familie herunter geſetzt
„und verdaͤchtig gemacht haben moͤchte. Jch erſuch-
„te meinen Onckle deswegen, einen Brief an mich
„zu ſchreiben, den ich ihr vorlegen koͤnnte: allein
„ihre Furcht muͤſſe auf eine gantz unvermerckte Art
„gehoben werden. Er moͤge gegen mich ſo frey
„ſeyn, als es ihm beliebte, ſo wollte ich es nicht
„uͤbel nehmen, weil ich wohl wuͤßte, daß er mir gern
„in ſeinen Briefen Ermahnungen zu geben pflegte.
„Er moͤge in dieſem Briefe mit erwehnen, was
„er bey meiner Veraͤnderung zu thun gedaͤchte. Jch
„baͤte ihn uͤbrigens, meine Hochzeit durch ſeine Ge-
„genwart zu ehren, damit ich den groͤſſeſten Seegen,
„den ich auf Erden erwarten kann, von ſeinen Haͤn-
„den empfangen moͤchte.„


Jch
[126]

Jch habe der Fraͤulein nicht mit Gewißheit ge-
ſaget, daß ich dieſen Brief ſchreiben wollte; allein
ſie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher
die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die aͤuſſer-
ſte Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah-
men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken
gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle
Faͤlle in Sicherheit ſetzen, ehe ich die Masque abneh-
me. Darum habe ich ſie eben hieher gebracht.


Du ſieheſt hieraus, daß mir der Brief meines
alten Onckles zu rechter Zeit zu Haͤnden kam. Jch
dancke dir dafuͤr. Allein ſeine Spruͤchwoͤrter werden
nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fruͤh
mit dieſer Weißheit gantzer Voͤlcker erſticket. So
oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, ſo
oft antwortete er mit einem Spruͤchwort: und wenn
dieſes eine abſchlaͤgige Antwort enthielt, ſo waren alle
ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daruͤber dem
Worte ſo gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger,
der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte
ich wollte zwar die Bibel leſen, allein er ſollte eins der
weiſeſten Buͤcher darin uͤberſchlagen, das ich blos des-
wegen nicht leſen wollte, weil es den Titel, Spruͤch-
woͤrter,
haͤtte. Dem Salomon war ich damahls
von Hertzen feind, nicht um ſeiner Vielweiberey willen,
ſondern weil ich dachte, er ſey auch ein ſolcher alter
lehrreicher Knabe geweſen als mein Onckle.


Wir wollen die alten Geſchwaͤtze dieſen alten Leu-
ten uͤberlaſſen! ‒ ‒ ‒ Warum thuſt du daruͤber ſo
klaͤglich, daß dein Vetter ſterben will? Sagt nicht
jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann?
Jſt
[127]
Jſt es nicht eine wahre Barmhertzigkeit, wenn du
ihm aus dem Elend hilfſt? Jch hoͤre, daß er noch
vom Doctor, Apothecker, Feldſcher, und wie die
leute alle heiſſen moͤgen, gequaͤlet wird, und daß
doch der kalte Brand ſchon zu weit gekommen iſt, und
bey jedem Beſuch das Urtheil des unvermeidlichen
Todes von neuen uͤber ihn geſprochen wird. War-
um verlaͤngern ſie ſeine Qual? Suchen ihm dieſe
geſchaͤfftigen Peiniger nicht mehr Wolle als todtes
Fleiſch abzuſchneiden? Wenn der Krancke einmahl
aufgegeben iſt, ſo ſollten keine Gerichts-Gebuͤhren
mehr fuͤr ihn an dieſem Schwarm bezahlt werden,
der nur ſeine Erben beſtielet! Was haſt du zu thun,
wenn das Teſtament ſo iſt, wie du es wuͤnſcheſt?
Ließ er dich nicht holen, damit du deines Onckles
Augen zudruͤcken moͤchteſt? Er iſt ja doch nur dein
Onckle und nicht dein Vater.


Mich duͤnckt, es ſtehet in der Bibel, oder in
einem andern guten Buche: ſollte es wol der Hero-
dotus
ſeyn? O nein! ich erinnere mich; es wird
in dem Joſephus ſtehen, der ein halb geiſtlicher und
halb weltlicher Geſchicht Schreiber war. Ein ge-
wiſſer Koͤnig von Syrien ward von ſeinem vornehm-
ſten Bedienten, oder von einem der zum wenigſten
wegen ſeiner Klugheit der erſten Stelle unter ſeinen
Bedienten wuͤrdig war, aus dem Wege geraͤumet.
Wenn ich mich recht beſinne, ſo deckte er ihm das
Geſicht mit einem naſſen Tuche zu: er ſtarb hie-
von, und der kluge Moͤrder ward Koͤnig an ſeiner
Statt. Vielleicht ſtehet in der Grundſprache ein
Wort, das eben ſo viel bedeutet, als laudanum,
welches
[128]
welches ein einſchlaͤffernder und betaͤubender Tranck
iſt: vielleicht iſt das das naſſe Tuch, weil es die
Sinne ſo bedeckt, als ein naſſes Tuch das Geſichte.
Der Ueberſetzer hat vielleicht nicht gewußt, wie er es
recht uͤberſetzen ſollte.


Unterſchreibſt du dich, als wenn du dich aufhaͤn-
gen wollteſt, dein niedergeſchlagener Freund,
J. Belford.
Warum biſt du niedergeſchlagen?
Darum, daß du den letzten Streit zwiſchen einem alten
Manne und dem Tode ſehen ſollſt? Jch habe dich fuͤr
maͤnnlicher gehalten. Du fuͤrchteſt dich nicht ſelbſt ei-
nem ploͤtzlichen Tode, und dem Degen entgegen zu ge-
hen: und du wirſt doch ſo tiefſinnig, wenn du einen ſo
ſchleichenden Tod an andern ſieheſt. Was fragſt
du nach dem taͤglichen Brennen und Schneiden? Das
triſt doch nur das caput mortuum. Jch bitte dich,
gehe doch zu den koͤniglichen Buͤtteln (ich will
jetzt in dem Stilo veterum ſchreiben) und lerne
von ihnen: die ſind aͤrger als dein Lovelace; an
einem Tage machen ſie 10000 Witwen und 20000
Waͤyſen, und werden dafuͤr Magnus und le Grand
genannt. Lerne von dieſen Veraͤchtern des Todes,
wie du einen eintzigen Todes-Fall grosmuͤthig er-
tragen ſollſt.


Jch wollte, daß mein Onckle mir ſchon Gelegen-
heit gegeben haͤtte, dir ein Vorbild zu laſſen; ſo
ſollteſt du ſehen, was fuͤr ein Held ich bin. Wenn ich
haͤtte davon ſchreiben muͤſſen, ſo haͤtte es geheiſſen:
„der ſeelige todte Trojaner iſt gluͤcklicher, als wir le-
„bendige. Dieſe Hoffnung begluͤckt


deinen frohlockenden Freund
R. Lovelace.

P.S.
[129]

P. S. Schreibe nicht immer einerley. Mel-
de mir, wie es dem armen Belton gehet: und
zwar dieſes je eher je lieber. Wenn ich ihm die-
nen kann, es ſey in Perſon, oder mit Gelde, ſo
darf er mir nur befehlen: Allein das letzte wird
mir leichter ſeyn. Denn wie kann ich jetzt meine
Goͤttin verlaſſen? Jch will aber ein Aufgebot an
meine uͤbrigen Vaſallen ergehen laſſen. Wenn
ihr einen Anfuͤhrer braucht, ſo laßt mich es wiſ-
ſen: ſonſt will ich euch mein Antheil an Gelde
uͤberſchicken.



Der neunzehnte Brief
von
Herrn Belford an Herrn Lovelacen.



Einen ſo verruchten Menſchen, als du dich in
deinem Briefe von geſtern Abend bewieſen
haſt, will ich nicht ein Wort weiter ſchreiben; ſon-
dern die Fraͤulein dem Schutze derjenigen Gewalt,
die allein Wunder thun kann, und ihrer eigenen
Tugend uͤberlaſſen. Jch hoffe, daß ſie dennoch
bewahret werden wird.


Jch will dir nur nach deinem Verlangen mel-
den, wie es dem armen Belton gehet, ſonderlich
da mir ſelbſt bey dieſer Geſchichte ſolche Gedan-
cken uͤber unſere bisherige Lebensart und uͤber un-
ſere boͤſen Vorſaͤtze auf das Kuͤnftige aufgeſtiegen
ſind, die dir und mir nuͤtzlich ſeyn koͤnnen, wenn
Vierter Theil. Jich
[130]
ich im Stande bin, ſie nachdruͤcklich genug zu
entwerfen.


Der arme Mann beſuchte mich am Donner-
ſtage, und ſtoͤrte meine traurige Beſchaͤfftigung bey
dem Bette eines Sterbenden. Er machte den An-
fang mit Klagen uͤber ſeinen ungeſunden Leib,
krankes Gemuͤth, und ſchwindſuͤchtigen Huſten.
Er ſagte, mit ſeinem Blutſpeyen wuͤrde es ſchlim-
mer: und endlich kam er auf ſeine traurige Ge-
ſchichte. Dieſe iſt voller Verwirrung, und traͤgt
viel zu Vermehrung ſeiner Kranckheit bey. Es
kommt endlich an den Tag, daß ſeine Thomaſine
(die ihren Taufnahmen aͤnderte, damit ſie zum we-
nigſten den Taufnahmen desjenigen tragen moͤch-
te, in den ſie ſich, ihrem Vorgeben nach, verliebt
hatte) mit einem Kerl zugehalten hat, welcher bey
ihrem Vater Hausknecht geweſen iſt. (Jhr Va-
ter hatte ein Wirthshaus zu Darking.) Der
Beutel des armen Thomas hat dieſen eh-
mahligen Hausknecht in einen vornehmen Herrn
verwandelt. Sie iſt ſo klug geweſen, daß ſie die
Fuͤhrung der Rechnungen uͤbernommen hat: und
nun iſt ſie nicht im Stande zu ſagen, wo einige
wichtige Poſten geblieben ſind, die ihr der arme
Belton anvertrauet hat, und die er jetzt anwen-
den wollte, die Schulden zu bezahlen, daſuͤr ſeln
Erbgut in Kent verpfaͤndet war, welches er ihr
ohne Schulden zu laſſen gedachte. Allein nun iſt
dieſas unmoͤglich, denn die Zeit iſt nun, da die
Schuld bezahlt werden ſoll. Sie iſt ſchon ſo lan-
ge Zeit fuͤr ſeine Frau gehalten, daß er ſelbſt nicht
weiß,
[131]
weiß, worzu er ſich in Abſicht auf ſie und ihre
beyden Soͤhne entſchließen ſoll, in die er ſich ſo
vergaffet hatte, und ſie fuͤr die Seinigen hielte,
ob er gleich jetzt anfaͤngt daran zu zweifeln.


Du ſiehſt alſo, Lovelace, was es mit den
Maitreſſen fuͤr ein Ende nimmt: Dieſe neue
Lebensart iſt der uhralten nicht vorzuziehen. Der
arme Schelm ſagte zu mir: „Die Maitreſſe kann
„man wohl halten; aber die Guͤter dabey verlie-
„ren. ‒ ‒ Und ſiehe einmahl mein Todtengerip-
„pe an!„ Hierbey wieß er auf ſeinen ſchwind-
ſuͤchtigen Leib.


Wie klug handeln wir, wenn wir uns auf un-
ſere Freyheit,
oder beſſer zu reden, auf die Frey-
heiten, die wir uns ſelbſt nehmen, ſo vieles einbil-
den! Wir haben gewiß nicht Urſache, den Ehe-
ſtand ſo ſehr zu verachten, und unſere matten
Schertze bey demſelben zu verſchwenden: wenn
wir oft ſelbſt von unſern Maitreſſen durch Kuͤnſte,
die wir ohngeachtet aller unſerer Klugheit nicht
einſehen, betrogen werden, und mehr von ihnen
am Stricke geſuͤhret werden, als es ſich irgend ei-
ne Frau zu thun unterſtehet. Denn gewiß, Bel-
ton
iſt nicht der einzige in der Welt, dem es al-
ſo gehet.


Laß uns dieſes reifer uͤberlegen, und zwar nach
unſern freyen Grundſaͤtzen, und nicht nach den Ge-
ſetzen oder Gebraͤuchen unſers Vaterlandes. Und
dennoch koͤnnen wir dieſe Geſetze nicht uͤber den
Haufen ſtoßen, wenn wir nicht zugleich alle die
Pflichten unter die Fuͤße treten wollen, die uns
J 2als
[132]
als Gliedern der buͤrgerlichen Geſellſchaft ob-
liegen.


Wir beſitzen unſere Guͤter als rechtmaͤßige
Kinder unſerer Vorfahren. Wie wuͤrde es uns
gefallen, wenn wir ſolche nackte Kerls waͤren, als
wir nothwendig ſeyn muͤßtzten, wenn unſere Vaͤter
eben ſo klug geweſen waͤren, als wir ſeyn wollen,
und wenn ihnen der Eheſtand eben ſo veraͤchtlich
geweſen waͤre? Sollen wir nicht eben ſo gut fuͤr
unſere Nachkommen ſorgen, da wir die Vorſorge
unſerer Vaͤter fuͤr uns mit Danck erkennen?


Dieſer Einfall ſchmeckt dir vielleicht allzuſehr
nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle-
gen, das uns mehr ruͤhret. Wie koͤnnen wir
Sparſamkeit und gute Haushaltung von denen
Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem
unſrigen nicht verbunden iſt? Muͤſſen wir nicht
zum voraus denken, daß ſie unſer Vermoͤgen ver-
ſchwenden werden? ‒ ‒ Sie wiſſen, daß ihr An-
theil an uns ſehr ungewiß iſt, weil wir veraͤnder-
lich, und heute ſo, morgen anders ſind. Wenn
nun dieſe Huren nicht in den Tag hinein leben,
ſondern auf das Kuͤnftige dencken, ſo muͤſſen ſie
nothwendig etwas auf den Winter zu ſammlen ſu-
chen, wo es in ihrem Vermoͤgen ſtehet: iſt aber
dieſes nicht, ſo werden ſie verſchwenden helfen, ſo
viel ſie koͤnnen, weil nichts als die jetzige Stunde
ihnen gehoͤret. Jhre Lebensart, und das, was
ſie uns aufgeopfert haben, machen, daß ſie weder
an Ehre noch Gewiſſen dencken koͤnnen.


Eine
[133]

Eine Frau theilt mit ihrem Manne Vortheil
und Schaden, und hat alle die Verfuͤhrungen nicht,
ihn ungluͤcklich zu machen: ſie hat noch nicht
den Eindruck aus ihrem Gemuͤthe ausgetilget,
den eine gute Erziehung zuruͤcklaͤßt; und wenn
ja einige Frauens aus der Art ſchlagen, ſo iſt es
doch bey ihnen nicht etwas Nothwendiges, ſo wie
bey den Maitreſſen, daß ſie dieſen Eindruck aus-
loͤſchen. Die Feinde des Eheſtandes klagen zwar,
daß die Frauens fuͤr ſich ſelbſt etwas ſammelten:
wenn dieſes auch wahr iſt, und es erfolgen Kin-
der, ſo kommt doch das Geſammelte unſern Nach-
kommen zu gute.


Was die Treue anlanget, ſo frage ich, koͤnnen
wir nicht mit mehrerm Recht hoffen, daß Frau-
enzimmer von guter Familie und Erziehung uns
allein lieben werden, als ſolche Maͤdchens, die
den Augenblick, da ſie ſich uns ergaben, zugleich
laſterhaft wurden, und ihre Ehre (wenn ſie an-
ders jemals Ehre gehabt haben) aus Gewinnſucht
oder aus einem noch liederlicherern Triebe ver-
ſchertzeten? Macht nicht das andern Muth, ſich
auch an ſie zu wagen, wenn man weiß, daß ſie von
uns beſieget ſind? Welcher Mann wird ſo leicht-
glaͤubig gegen ihre Schmeicheleyen ſeyn, und glau-
ben, daß ſie von niemand, als von ihm allein,
uͤberwunden werden koͤnnten?


Der Ehebruch iſt ein ſo abſcheuliches Verbre-
chen, daß auch liederliche Mannsperſonen dennoch
oft einen Abſcheu dafuͤr haben, wenn ſie nicht
auf die niedertraͤchtigſte Art liederlich ſind, und
J 3durch
[134]
durch das Betragen der verheyratheten Frau gerei-
tzet und gleichſam eingeladen werden, etwas zu wa-
gen. Eine Maitreſſe hingegen macht ſich, zum
wenigſten nach dem Ausſpruch der Geſetze, dieſes
Verbrechens nicht ſchuldig: alle Außenwercke der
Ehrbahrkeit, alle Schuͤchternheit, alle Ehrliebe,
haben wir ſelbſt ſchon bey ihr zerſtoͤret. Was
wird ſie demnach abhalten, ihren Begierden zu
folgen, oder ihren Vortheil durch Untreue gegen
uns zu beſoͤrdern? Und was wird den Verſucher
abſchrecken, ſich an ſie zu wagen?


Ein Ehemann wird durch die Geſetze geſi-
chert; wenn ſeine Frau uͤberzeuget wird, daß ſie
mit einem beguͤterten Mann zu thun gehabt hat,
(ein Armer wird ſich nicht leicht an ſie machen,
denn es fehlet ihm an Mitteln, ſie zu beſtechen)
ſo kann er ſich ſeines Schadens erhohlen, und
ſich noch uͤber das von ihr ſcheiden laſſen. Wenn ich
der Schande nicht gedenken will, ſo muß dieſe Be-
trachtung beide Theile furchtſam machen. Die
Frau muß gewiß ſehr laſterhaft ſeyn, und der
Mann muß einfaͤltig ſeyn, der ſie gewaͤhlet hat,
welche bloß aus Liebe zur Veraͤnderung, ihren
Mann in der allerempfindlichſten Sache beleidi-
get, wenn der Verfuͤhrer nicht ungemein viel Rei-
tzendes hat, oder ſehr viel Vermoͤgen beſitzet, ſie
zu beſtechen.


Allein die Eheſcheidungen halten ſchwer! ‒ ‒
(Das iſt auch billig!) Hingegen (ſagt ein Frey-
Geiſt) hat es nicht die geringſte Schwierigkeit,
wenn ich meine Maitreſſe laufen laſſe: ich kann
dieſes
[135]
dieſes bey jedem Verdachte thun, oder wenn ich
ihrer uͤberdruͤßig bin, und eine andere mir beſſer
gefaͤllt.


Was muͤßte der aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn,
der ein Frauenzimmer, welches er verfuͤhret hat,
(denn von Gaſſenhuren reden wir nicht) ohne
wichtige Urſachen wegjagen kann? ohne eine Ur-
ſache, die in ſeinen Augen, und in den Augen der
Welt und des ungluͤcklichen Frauenzimmers ſelbſt
guͤltiger iſt, als dieſe, daß ihn die Geſetze nicht ab-
halten, und daß er Luſt hat, eine andere eben ſo
ungluͤcklich zu machen?


Wenn ich nicht von dem rede, was in einer
andern Welt geſchehen moͤchte, ſondern auf das
ſehe: was wircklich geſchiehet, und wie ſich alle
die auffuͤhren, die Maitreſſen halten, ſo duͤnckt
mich nicht, daß man eine Maitreſſe ſo leichte loß
wird.


Man kann weiter nichts ſagen, als: wir
koͤnnen ſie wegjagen, wenn wir wollen. Und
eben dieſe Gewalt macht, das wir manches von
einer Maitreſſe leiden, daß wir einer Frau nicht
zu gute halten wuͤrden. Wenn wir Menſchen
ſind: wenn das Frauenzimmer liſtig iſt: (und
welchem Frauenzimmer fehlet es an Liſt, wenn
es durch Liſt uͤberwunden iſt, und ohne Liſt ſich
nicht in ſeinen jetzigen Umſtaͤnden erhalten kann?)
wenn wir unſere Maitreſſe nach uns haben
nennen laſſen: wenn wir an einem gewiſſen Or-
te wohnen, und in ihrer Geſellſchaft Beſuch an-
genommen, und ſie fuͤr unſre Frau ausgegeben ha-
J 4ben:
[136]
ben: Wenn wir Kinder von ihr haben: ſo ſind
dieſes in den Augen der Welt und nach dem Aus-
ſpruch unſers eigenen Hertzens, ſehr ſtarcke Ban-
de, von denen wir uns nicht ſo leicht loßreiſſen
koͤnnen. Eine ſolche Maitreſſe ſitzt ſo feſte an
uns, als das Fell: und wir muͤßten uns beyna-
he ſchinden, wenn wir uns von ihr loßreiſſen
wollten.


Selbſt alsdenn, wenn wir ſie wegen ihrer
Untreue verſtoßen, muͤßte ſie es dumm angefan-
gen haben, wenn ſie keine Vertheidiger faͤnde.
Jch habe es noch nie erlebt, daß eine Perſon ſo
gottloß, oder eine Sache ſo ſchlimm geweſen waͤre,
der niemand aus Haß gegen den Beleidigten,
oder aus Mitleiden mit dem Beleidiger, das
Wort geredet haͤtte. Man haͤlt zum wenigſten
den Mann fuͤr einen Unmenſchen. Wenn die
Maitreſſe auch nicht vor einen Pfennig Ehre aus
unſerm Hauſe mit ſich nimmt, ſo laͤßt ſie uns
doch eben ſo wenig Ehre darin: und am aller-
wenigſten behalten wir Ehre bey dem ſchoͤnen
Theile der Welt, auf deſſen Hochachtung wir am
ehrgeitzigſten ſind.


Kann uns dieſer geringe Vortheil, daß wir eine
Maitreſſe abſchaffen koͤnnen, ſo bald wir wollen,
ſo wichtig ſcheinen, daß wir um deſſentwillen uns
einer viel groͤßeren Gefahr ausſetzen? Wir ſind
Leute von gutem Stande und von anſehnlichen
Mitteln: ſollen wir um einer ſolchen Urſache wil-
len uns mit Frauensleuten, die unter unſerm
Stande ſind, behelfen? Sollen wir unſer Bette
und
[137]
und unſer Vermoͤgen mit einer Perſon theilen,
(unſer Vermoͤgen theilen wir nicht einmahl mit der
Maitreſſe, ſondern ſie wird ſo klug ſeyn, und drey
Vierthel fuͤr ſich nehmen) die von niedrigem
Stande und Erziehung iſt, und uns nichs zuge-
bracht hat? Mit einer Perſon, von der wir wei-
ter nichts zu gewarten haben, als die liederlichen
Vergnuͤgungen, deren man ſich nicht ohne Schan-
de ruͤhmen kann, und an die man nie gedenken
kann, ohne ſich und die veraͤchtliche Wohlthaͤterin
zu beſchaͤmen?


Je aͤlter wir werden, je mehr verlieret ſich die
Raſerey unſerer wilden Jahre. Wir bekommen
andere Abſichten, die unſere Luſt zu dem herum-
ſchwaͤrmenden Leben vermindern, und uns den
Eheſtand von Tage zu Tage angenehmer machen.


Wenn wir Kinder haben, und glauben, daß
es unſre eigenen Kinder ſind, und unſere Guͤter
nicht fuͤr unſer liederliches Leben hingegeben ſind:
ſo werden wir zu ſpaͤt bedauren, daß wir uns durch
unſere ſo hoch geprieſene Freyheit die Haͤnde ſelbſt
gebunden, und uns des angenehmen Rechts bege-
ben haben, unſern Nachkommen das Unſrige zu
hinterlaſſen. Denn unſere Guͤter fallen an unſere
Anverwandten, nach denen wir nichts fragen, ſie
moͤgen nahe oder weitlaͤuftige Anverwandten ſeyn,
und die uns vielleicht wegen unſerer liederlichen
Lebensart verachtet haben, wenn ſie ſelbſt tugend-
haft ſind.


Wenn wir auch mit unſerer Verlaſſenſchaft
nach eigenem Belieben ſchalten und walten koͤnnen,
J 5ſo
[138]
ſo iſt es doch thoͤricht, bloß um eines gottloſen Ein-
falls willen alle ſeine Nachkommen unehrlich und
zu Hurkindern zu machen. Warum ſollen unſere
Kinder der Welt veraͤchtlich ſeyn? Es moͤgen
Jungens oder Maͤdchens werden, warum wollen
wir ſie zwingen, eine ungleiche Heyrath zu treffen,
es ſey in Abſicht auf das Vermoͤgen oder in Ab-
ſicht auf die Jahre? Warum ſollen wir unſere un-
ſchuldigen Kinder, die wir doch lieben werden,
zum Voraus in die Umſtaͤnde ſetzen, daß man eine
Geringſchaͤtzung gegen ſie hat, und ſie keine ihnen
anſtaͤndige Geſellſchaft halten koͤnnen, ob ſie gleich
beſſer ſind als wir, und die Pflichten der Sitten-
lehre und des geſellſchaftlichen Lebens beobachten
wollen? in ſolche Umſtaͤnde, daß ſie es fuͤr eine
Wohlthat und Gnade achten muͤſſen, wenn jemand
von gutem Stande mit ihnen umgeht? Wie muͤſ-
ſen ſolche Kinder ihren Vater haſſen, weil er ſie
durch ſeine Einfaͤlle und durch ſeine Feindſchaft
wider die Geſetze ſeines Vaterlandes in ſolche Um-
ſtaͤnde geſetzet hat, und ihnen eine Mutter gegeben
hat, an die ſie nicht ohne Beſchaͤmung gedenken
koͤnnen: eine Mutter, deren Laſter ſie ihr Da-
ſeyn zu danken haben, und deren Vorbilde ſie nicht
nachfolgen duͤrfen?


Es iſt das Ungluͤck noch groͤßer, wenn die
Erziehung der Kinder verſaͤumet wird, und die-
ſes pflegt doch gemeiniglich zu geſchehen. Denn
wer kein fuͤhlloſes und unmenſchliches Herz hat und
etwas von Liebe gegen ſeine Nachkommen empfin-
det, wird heyrathen. Das Ungluͤck, ſage ich, iſt
als-
[139]
alsdenn noch groͤßer; die Suͤnde wird durch die
Kinder verewiget. Die Jungens muͤſſen ihr
Brod auf der See, unter den Soldaten, oder gar
auf der Landſtraße und in den Buͤſchen ſuchen;
und die Maͤdchens ſind fuͤr die Hurenhaͤuſer ge-
zeuget: bis endlich beyder Leben ſich noch betruͤb-
ter endiget, als es gefuͤhret iſt.


Was gewinnen wir alſo dadurch, wenn wir
dieſe ungebahnten und krummen Wege wandeln,
als Gefahr, Schande und ſpaͤte Reue? Betrie-
gen wir uns nicht ſelbſt am Ende durch unſere
ungebundene Lebensart am meiſten? Treten wir
nicht endlich mit unſern abgenutzten Huren gar in
den Stand, durch welchen wir uns mit viel vorneh-
men und bemitteltern Perſonen haͤtten verbinden
koͤnnen, bey denen dieſe wohl haͤtten dienen koͤn-
nen: ohne daß wir noͤthig gehabt haͤtten, unter
unſerm Stande zu leben, und in Winkel und Loͤ-
cher zu kriechen, oder ſo bald wir mit unſerm ge-
meinen Schatz einen Schritt aus dem Hauſe ſetz-
ten, uͤberall um uns zu ſehen, als wenn wir glaub-
ten, daß uns ein jeder betrachten werde?


Du kenneſt meinen Vetter Anton Jenyns.
Er hatte zwar kein ſo lebhaftes und auf alles Boͤ-
ſe begieriges Herz, als du, Belton, Mowbray,
Tourville und ich: allein er hatte doch eben die wil-
den und laſterhaften Begriffe, die wir haben, und
richtete ſein Leben nach ihnen ein.


Wie konnte er auf den Eheſtand laͤſtern!
Wie bruͤſtete er ſich mit ſeinen vermeinten witzigen
und ſpitzigen Einfaͤllen! Wir Jungens und Maͤd-
chens
[140]
chens insgeſamt, und ich unter andern, der ich da-
mals noch Batzebube war, glaubten auch feſti-
glich, daß ſein Scherz ſehr empfindlich ſey!
Heyrathen! ‒ ‒ O wer wollte das um der ganzen
Welt willen thun? Welcher verſtaͤndige Mann
koͤnnte ſich eine Frau nehmen, die ſo herrſchſuͤchtig
und ſo koſtbar zu erhalten ſeyn wuͤrde? Er wuͤrde
das nicht ertragen koͤnnen, daß ein Frauenzimmer
von gleichem Stande, und vielleicht von groͤßern
Vorzuͤgen und Verſtande, ſich berechtiget hielte,
das Vermoͤgen, zu dem ſie ihre Mitgift gebracht
haͤtte, als ein gemeinſchaftliches Vermoͤgen anzu-
ſehen.


Nachdem er zwey bis drey Jahr mit dieſen
Gedanken in London herumgeſchwaͤrmet hatte,
(in welcher gantzen Zeit niemand eine ſo gute Mei-
nung von ihm hegete, als er ſelbſt) vergaffte er ſich
in eines Fechtmeiſters Tochter, und ward ſeiner
Sache mit ihr eins. Er miethet fuͤr ſie ein paar
Stuben in Hackney; beſucht ſie heimlich und wie
ein Dieb der eben ſtehlen will: denn beyde waren
noch ſehr beſorgt fuͤr ihre Ehre, die in der That
ſehr geringe war, die ſie aber dennoch nicht ganz
verlieren wollten: denn liederliche Leute von bey-
den Geſchlechtern pflegen die letzten zu ſeyn, die
das allgemeine Urtheil der Welt uͤber ſich billigen.
Er bekam und gab keinen Beſuch. Er erfuhr
alles Ungemach eines Diebes, oder eines der von
ſeinen Schuldleuten geplaget wird, und ſich nicht
unterſtehet, aus dem Hauſe zu gehen. Das Leben
waͤhrete 12. Jahr. Ob er gleich ſchoͤne Guͤter
hatte,
[141]
hatte, ſo kamen doch ſelten Einnahme und Ausga-
be mit einander uͤberein; denn wenn gleich keine
Verſchwendung in ſeinem Hauſe herrſchete, ſo
war doch auch keine Haushaltung darin. Alle
Jahr kam ein Kind: und er hatte ſehr viel Liebe
fuͤr ſeine Kinder. Keins dieſer Kinder ward aͤl-
ter als drey Jahre. Als das zwoͤlfte ſterben woll-
te, und er ſo eingezogen worden war, als immer
ein Ehemann ſeyn koͤnnte, ſo uͤberredete ihn ſeine
Frau Thomas (denn nach ſeinem Namen hatte
er ſie nicht nennen laſſen) daß dieſes ein goͤttliches
Gericht uͤber ihre ſuͤndliche Lebensart ſey. (Das
Ungluͤck macht uns doch endlich gewiſſenhaft; und
du weißt, daß ſo gar ein Ludwig der vierzehnte ſich
von der Maintenon aberglaͤubiſch machen ließ,
als ſeine Feldzuͤge ungluͤcklich waren.) Als ſie
beyde ſchon uͤber die Haͤlfte abgenutzt waren, ent-
ſchloß ſich mein einfaͤltiger Vetter endlich ſie zu
heyrathen. Und nun hatte er Zeit, zu uͤberdenken,
was fuͤr anſtaͤndige Partheyen er haͤtte treffen
koͤnnen, vor denen er in der Bluͤte ſeines Lebens
geflohen war. Es hatte ihm indeſſen eben ſo viel
gekoſtet, als wenn er wircklich verheyrathet gewe-
ſen waͤre: ſeine Ehre hatte gelitten: alle ſeine
Freude war nur verſtohlen geweſen: er hatte eine
ungleiche Parthey getroffen, deren er ſich immer
geſchaͤmet hatte. Jndeſſen ſagten doch die
Frauensleute, Anton haͤtte ehrlich gehandelt, daß
er ſie nach 12. Jahren wieder zu Ehren braͤchte.
Das war alle Freude, die mein Vetter bey der
Hochzeit mit ſeiner jungen Frau und alten Mai-
treſſe
[142]
treſſe hatte: die er ohne Klang und Geſang in
der Stille feyerte, und bey der ſonſt nichts erfreu-
liches vorfiel, das ihn haͤtte aufmuntern koͤnnen.


Jch weiß nicht, was Belton mit ſeiner
Thomaſine machen wird, und ich habe nicht
Luſt, ihm etwas zu rathen; denn ich ſehe, daß der
arme Schelm nicht leiden kann, daß ſie ein ande-
rer ſchilt, als er ſelbſt. Er verflucht und ver-
wuͤnſcht ſie von Hertzens-Grunde. Er iſt ſo tief er-
niedriget, daß er ſelbſt davon redet, daß er die
beyden Jungens ſo lieb gehabt hat, und doch zwei-
feln muß, ob ſie von ihm ſind. „Ein verflucht
„Ding! (ſagt er) wenn mir der Heundram Haus-
„knecht die beiden Hur-Baͤlger gemacht haben ſoll-
„te.„ Wahr genug! die Jungen verrathen ih-
ren Vater durch ihre Geſundheit und dicken Ge-
ſichter allzudeutlich. Jch mag ihn aber in dieſer
Wahrheit nicht befeſtigen.


Von Jhnen glaubt er, daß Sie allzu lebhaft
ſind, und daß eine Nachricht von ſeinen Umſtaͤn-
den keinen Eindruck bey Jhnen machen werde,
ſonderlich da ihr gantzes Hertz jetzt von neuen An-
ſchlaͤgen eingenommen iſt. Den Mowbray
haͤlt er fuͤr allzuhitzig, und ſagt der habe kein mit-
leidiges Hertz. Tourville iſt ihm zu unbedacht-
ſam, und (hier kam ein trockner Spaaß) ob er
gleich mit ſeiner Thomaſine ohne Ehre in der
Welt gelebet haͤtte, ſo wollte er doch die Ehre der
undanckbaren Hure nicht gar zu ſehr kraͤncken.
Die Leute haͤtten zwar wohl gemerckt, daß ſie ſeine
Frau nicht ſey, ob er ſie gleich nach ſeinem Na-
men
[143]
men habe nennen laſſen. Wuͤrde irgend ein Ehe-
mann ſeine Hoͤrner geduldiger tragen, als Bel-
ton?


Jch will dir dieſes zum Nachdencken uͤber-
laſſen, ohne etwas mehreres dazu zu ſetzen, den ein-
zigen Gedancken ausgenommen: wir freyen Leute
ſind ſo hochmuͤthig, daß wir durch Worte und
Handlungen unſere Vorfahren und die alten und
guten Gewohnheiten unſeres Landes beſtaͤndig ta-
deln: wenn wir aber unſern wilden Begierden ei-
nige Jahre lang den Zuͤgel haben ſchießen laſſen,
und endlich mit den Jahren Verſtand bekommen,
ſo finden wir doch endlich, was alle vorher gefunden
haben; nehmlich daß wir veraͤchtliche Thoren ſind;
daß die gebahnten Wege fuͤr uns ſowohl als fuͤr die
uͤbrige Welt die beſten geweſen waͤren; und daß ein
jeder Schritt, mit dem wir von dieſem Wege ab-
gewichen ſind, ein Merkmaal unſeres eitelen Hoch-
muthes und Unverſtandes iſt.


J. Belford.



Der zwantzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford.



Jch freue mich uͤber den vernuͤnftigen Be-
ſchluß deines letzten Briefes, und ich dancke
dir dafuͤr. Der arme Belton! Jch haͤtte nie
gedacht, daß ſeine Thomaſine ein ſolcher Teufel
haͤtte
[144]
haͤtte ſeyn ſollen: allein in der Gefahr ſtehet ein
jeder, der ſich mit einem gemeinen Maͤdchen einlaͤßt.
Dieſes habe ich nie gethan und auch nicht noͤthig
gehabt zu thun. Bisher habe ich nur die ſchoͤn-
ſten Baͤume ſchuͤtteln duͤrfen, ſo iſt mir die beſte
Frucht gleich in den Mund gefallen. Jch hatte
den beſten und zaͤrteſten Geſchmack, und ſuchte
meine Ehre darin, daß ich vornehme Kinder beſie-
gete. Die Bemuͤhung ſie zu verfuͤhren iſt mir
immer angenehmer geweſen, als die Belohnung
ſelbſt: denn die beſtehet bloß in der Einbildung.
Jch danke dir, daß du mir zu verſtehen giebſt,
daß ich jetzt auf dem rechten Wege bin. Denn
bey einer Clariſſa Harlowe iſt man vor allen
den Folgen ſicher, mit denen du deinen Brief an-
fuͤlleſt. Jch dancke dir alſo nochmals, daß du mei-
ne Wege billigeſt. Mit einem ſolchen Frauenzim-
mer darf man nicht in Loͤcher und Winckel krie-
chen, noch das Licht ſcheuen. Du handelſt als ein
zaͤrtlicher Freund, daß du mich zu dem anfriſcheſt,
was ich ohnehin ſchon wuͤnſche. ‒ ‒ Es kann mir
auch nie ein Schimpf ſeyn, wenn eine ſolche Per-
ſon meinen Namen traͤget. Jch werde mich auch
um das Urtheil der Welt nichts bekuͤmmern, wenn
ich ſo lange lebe, bis ich verſtaͤndiger werde, und
mich alsdenn uͤberreden laſſe, die gebahnten Wege
unſerer Vorfahren zu betreten.


Gott ſegne dich, du ehrlicher Kerl. Zu An-
fang mercke ich, du wollteſt nur ſpaßen, oder du
ſchriebeſt nur meinem Onckle zu gefallen, als du
mich zu uͤberreden ſuchteſt, daß ich dieſes Frauen-
zim-
[145]
zimmer heyrathen moͤchte. Jch wußte, daß ſich
deine Ermahnung zu deinen Grundſaͤtzen nicht
ſchickte: und daß du nicht aus Mitleiden gegen
die Fraͤulein ſchreiben konnteſt. Jch dachte An-
fangs, du waͤreſt gar auf mich neidiſch. Allein
nun ſehe ich, daß du mein alter ungeaͤnderter
Freund biſt. Jch wuͤnſche dir nochmahls fuͤr
deine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit einen Seegen.


Jch will nun meine Anſchlaͤge deſto muthiger
ausfuͤhren, und dir zu Gefallen dir eine genaue
Nachricht von allem geben, was ich vornehme.
Jch konnte mich aber nicht enthalten, meine Ge-
ſchichte zu unterbrechen, um dich von meiner
Danckbarkeit zu verſichern.



Der ein und zwantzigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.



  • Vernimm denn, wie ich mit meiner Geliebten
    ſtehe.

Wir ſind alle, von dem Hoͤchſten bis zum Ge-
ringſten, ungemein vergnuͤgt. Dorcas
iſt bey ihrer Fraͤulein ſehr wohl angeſchrieben.
Marichen hat ſie in einer Heyrathsſache um
Rath gefraget. Die Antwort war, daß kein
Orackel ſie je beſſer gegeben hat. Sarah hat mit
ihrem Braͤutigam, der mit Tuͤchern handelt, ei-
Vierter Theil. Knen
[146]
nen Streit gehabt, und meiner Geliebten das Amt
einer Groß-Cantzlerin dabey aufgetragen. Sie
gab der Sarah darin Unrecht, daß ſie gegen ei-
nen, der ſie liebet, grauſam iſt. Das gute Kind
ſtehet vor dem Spiegel, und thut doch die Augen
zu, damit es ſich nicht kennen moͤge. Frau Sin-
clair
hat ſich auch ihren unfehlbaren und untruͤg-
lichen Ausſpruch in Abſicht auf ihre beyden Ba-
ſen ausgebeten.


So gut haben wir ſeit einigen Tagen mit den
Leuten in dem Hauſe geſtanden. Allein meine Ge-
liebde will doch nicht mit ihnen ſpeiſen, und pflegt
auch ſonſt ſelten in ihre Geſellſchaft zu kommen.
Sie werden ihrer Art nun gewohnt, und belaͤſti-
gen ſie nicht durch Bitten, weil wir doch endlich
durch Geduld uͤberwinden muͤſſen. Wenn ſie zu-
ſammen kommen, ſo begegnen beide Theile einan-
der ſehr hoͤflich. Jch glaube, daß ſelbſt Eheleu-
te manchen Streit vermeiden koͤnnen, wenn ſie
ſich ſelten zu ſehen bekommen.


Mich duͤnckt, du frageſt mich, wie ich ſelbſt
mit der Fraͤulein ſtehe, ſeitdem ſie an Mittewo-
chen fruͤh mich ſo geſchwind verlaſſen, und meinen
Kuß ſo ungehorſam abgewieſen hat? Es ſteht
gut genug! Recht ſehr gut! Das liebe eigenſin-
nige Kind kann ſich ſelbſt nicht helfen: es hat
keinen andern Schutz. Es hat auch uͤber dieſes
mich behorchet, als ich eben denſelben Mittewo-
chen Nachmittags mit der Frau Sinclair und
Jungfer Martin redete. Wer haͤtte damahls
dencken ſollen, daß das liebe Kind uns ſo nahe
waͤre?
[147]
waͤre? Durch dieſe Unterredung ſind ihr manche
Zweifel benommen worden, die ſie vorhin quaͤ-
leten.


Es ward inſonderheit viel von der Tiefſin-
nigkeit der Frau Fretchville geredet. Die Jung-
fer Martin, die ſie ſehr wohl kennet, bedaurete
die arme Frau ungemein: ſie und ihr ſeeliger
Mann haben ſich faſt von der Wiege an lieb ge-
habt. Das Mitleiden iſt anſteckend und von dem
Ungluͤcke der guten Frau Fretchville wurden ſo
viel Umſtaͤnde erzaͤhlet, daß meine Geliebte auf
das aͤußerſte geruͤhret werden mußte, da die Jung-
fer Martin ſo ſehr geruͤhret ward, ob ſie gleich
ein viel haͤrteres Hertz hat.


Den Lord M. hindert nichts als das Podra-
gra, daß er meine Liebſte noch nicht beſucht hat.


Die Lady Eliſabeth und die Fraͤulein Mon-
tague
werden naͤchſtens in London erwartet.


Jch redete davon, wie ſehr ich wuͤnſchte, daß
meine Liebſte dieſen Beſuch in ihrem eigenen Hau-
ſe annehmen koͤnnte, wenn nur Frau Fretchville
ſelbſt recht wuͤßte, was ſie thun wollte. Jch
wollte dem ungeachtet bey der Frau Sinclair im
Hauſe bleiben, wie ich ſchon vorhin verſprochen
haͤtte, um in keinem Stuͤcke gegen den Wohlſtand
zu ſuͤndigen.


Mit einer recht erhabenen Stimme redete ich
mit ihnen von meiner Liebe zu meinem Kinde, die
ſo aufrichtig ſey, als ſie je ein Liebhaber haͤtte em-
pfinden koͤnnen. Kurtz es waͤre eine rechte Plato-
K 2niſche
[148]
niſche Liebe, oder ich muͤßte nicht wiſſen, was Pla-
toniſche Liebe ſey.


(Das iſt wahr, Bruder: unſere Liebe ſoll
ſich auch ſo endigen, als wie die Platoniſche Liebe
ſich gemeiniglich zu endigen pflegt.)


Sarah und Frau Sinclair ruͤhmeten beyde
meine Liebſte, ohne einen Ruhm zu weit zu trei-
ben. Sarah bewunderte inſonderheit ihre Tu-
gend, ſie ſetzte aber hinzu, ſie ſchiene ihr beynahe
uͤbertrieben zu ſeyn, und zu weit zu gehen, wenn
ſie ſich unterſtehen duͤrſte, von meiner Gemahlin ſo
frey zu reden. Dieſes geſchahe, damit mein Voͤ-
gelchen nicht mercken moͤchte, daß ich es fangen
wollte.) Jndeſſen lobete ſie mich, daß ich mei-
nem Verſprechen ſo genau nachkaͤme.


Jch war in meinen Reden freyer, und tadelte
ſie wegen ihrer Sproͤdigkeit gegen mich: ich nann-
te ſie grauſam: ich ſcholt auf ihre Anverwandten:
ich zweifelte an ihrer Liebe. Mir wuͤrden alle
Bitten abgeſchlagen. Und dennoch ſey mein Um-
gang mit ihr eben ſo ſcheu, eben ſo gehorſam, wenn
ich allein bey ihr waͤre, als in Geſellſchaft. Jch
gab dabey zu verſtehen, daß noch an eben dem
Tage etwas vorgefallen ſey, das ihre Kaltſinnig-
keit allzudeutlich zeigete, als daß ich es ertragen
koͤnnte. Jch wollte ſie bitten, daß ſie mit
mir in das Trauer-Spiel, das gerettete Vene-
dig,
fuͤhre, welches auf den Sonnabend aufge-
fuͤhrt wuͤrde, und eines der beſten Spiele waͤre,
in
[149]
in dem ſich die beſten Spieler zeigen wollten.
Denn ich wollte doch ſehen, ob ſie mir alle Ge-
faͤlligkeiten abſchlagen wuͤrde. Jch haͤtte ſonſt
nicht Luſt zu Trauer-Spielen: allein meine Liebſte
zoͤge ſie den Luſt-Spielern vor, weil ſie gemeiniglich
lehrreicher waͤren, und Warnungen enthielten.


Jch haͤtte zu viel Empfindung: ſagte ich.
Es ſey ohnehin genug Elend in der Welt, ohne
daß wir noͤthig haͤtten, das Traurige mit in unſere
Vergnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu
dem unſrigen zu machen.


Das iſt wahr, Belford: und ich glaube,
daß beynahe alle Leute von unſerer Lebens-Art kein
Vergnuͤgen an Trauer-Spielen haben, die ausge-
nommen, die ſie ſelbſt ſpielen, und andere ungluͤck-
lich machen. Sie trauen ſich ſelbſt nicht, mit
ernſthafteren Gedancken umzugehen, und laufen
deswegen bloß zu den Luſt-Spielen, um die traurige
Erinnerung des Ungluͤcks, daran ſie Schuld ſind,
ſich aus dem Gemuͤthe zu ſchlagen, und Perſonen
anzutreffen, die ihnen an Laſtern gleich ſind.
Denn du weißſt, daß in der Comoͤdie wenig tu-
gendhafte Perſonen aufgefuͤhret werden. ‒ ‒
Doch ich ſchreibe jetzt nur, wie ich geſinnet bin:
du wirſt tiefſinnig, und faͤngſt an eine Neigung
zu dem Traurigen zu haben.


Sarah antwortete in dem Nahmen der Frau
Sinclair, der Marichen (die eben nicht zuge-
gen war) der Jungfer Partington, und aller
ihrer Bekannten: ſie alle zoͤgen die Comoͤdien vor.
K 3Sie
[150]
Sie haben Recht: denn wenn ſich ein Maͤdchen
auf uns verlaͤßt, ſo hat es bey unſerem Luſt-Spiele
fuͤr ſich ſelbſt ſo viel Trauer-Spiele, als es verlan-
gen kann.


Jch bat die Sarah, ſie moͤchte meiner Lieb-
ſten Geſellſchaft leiſten.


Sie hatte zu thun. (Du wirſt dencken: das
war gantz recht.) Jch bat die Frau Sinclair, ſie
moͤchte ihr doch erlauben, mit zu gehen. Sie
antwortete: Sarah wuͤrde es ſich vor eine Ehre
ſchaͤtzen, wenn ſie der Frau Lovelace auſwarten
duͤrſte. Allein das arme Ding ſey ſo weichher-
tzig, und wuͤrde ſich bey einem ſo ruͤhrenden
Trauerſpiele die Augen aus dem Kopfe weinen.


Sarah machte einen neuen Einwurf, wegen
der Gefahr von Singleton, damit ich Gelegen-
heit haͤtte, dieſen Einwurf zu beantworten, und ich
nicht mit meinem Kinde erſt einen Streit daruͤber
haben duͤrfte.


Jch zog hierauf einen Brief aus der Taſche,
den ich vorgab, eben aus ihres Vaters Hauſe be-
kommen zu haben, und warnete ſie vor einen Kerl,
der uns aufſpuͤren wollte. Jch foderte Feder und
Dinte, und machte folgende Beſchreibung von
ihm, mit Bitte, das gantze Haus aufzubieten:
„Ein Schiffer, der im Geſichte von der Sonne
„verbrannt, und ſehr voll Pocken-Flecke iſt, uͤbel
„ausſiehet, dicke Beine hat, und ohngefaͤhr ſechs
„Fuß lang iſt: mit ſchweren Augen, uͤberhaͤngen-
„den Augenliedern: der ſehr große Schritte thut;
„gemeiniglich ein Meſſer an der Seiten hat: der
„ſo
[151]
„ſo duͤrre Lippen hat, daß ſie das Zahnfleiſch kaum
„bedecken, nicht anders, als wenn ſie ihm die
„Sonne in den heißen Laͤndern ausgedoͤrret haͤtte:
„einen braunen Rock anhabend, und einen bunten
„Halstuch; und an ſtatt des Stockes einen groſ-
„ſen eichenen Knuͤppel tragend, der beynahe ſo
„lang iſt, als er ſelbſt.„


Wenn dieſer Kerl kaͤme, ſo muͤßte ihm auf kei-
ne Frage geantwortet werden. Man ſollte mich
zu ihm ruffen. Allein meiner Liebſten ſollte man
es ſo lang verborgen halten, als es moͤglich waͤ-
re. Wenn ihr Bruder oder Singleton ſelbſt
kaͤmen, und hoͤflich waͤren, ſo wollte ich um mei-
ner Liebſten willen auch hoͤflich ſeyn. Meine
Liebſte duͤrfte alsdenn nur geſtehen, daß ſie verhey-
rathet ſey, ſo wuͤrde von keiner Seiten Anlaß zu
Gewaltthaͤtigkeiten gegeben werden. Allein ich
ſchwur dabey, ſo hoch ich konnte: wenn ſie mir
mit Gewalt geraubet wuͤrde, oder ſich uͤberreden
lieſſe, mit zu gehen, ſo wollte ich den erſten Tag,
an dem ich ſie vermiſſete, nach ihres Vaters Hau-
ſe gehen, und ſie wieder fordern; und wenn ich die
Schweſter nicht wieder bekommen koͤnnte, ſo
wollte ich den Bruder haben. Jch wuͤrde eben
ſo gut ein Schiff und einen Schiffs-Capitain din-
gen koͤnnen, als er. Glaubſt du, Bruder, daß
ſie ſich nun unterſtehen wird, von mir zu fliehen?


Frau Sinclair fing an, beſorgt zu werden,
daß Ungluͤck in ihrem Hauſe vorgehen koͤnnte:
und ich war beſorgt, daß ſie der Sache zu viel
thun und ſich dabey verrathen moͤchte. Jch
K 4winckte
[152]
winckte ihr: ſie huſtete, und machte ihre Gebaͤr-
den, damit ich mercken ſollte, ſie verſtuͤnde mich;
zwang ein Paar Rettungs-Sylben zum Munde
heraus; und nachdem ſie gluͤcklich von der angefan-
genen Rede abgekommen war, legte ſie ihre bey-
den Pferde-Lippen uͤber einander, um ſtille zu
ſchweigen.


Hier iſt der Stoff zu meiner kuͤnftigen Arbeit,
Belford. Kannſt du dencken, daß ich alle die
Muͤhe umſonſt gehabt haben will, wenn du, oder
der Lord M. ſchreiben und predigen? Nein ge-
wiß nicht!
wie mein Kind zu ſagen pflegt, wenn
es vornehm thut.



Was muß die Folge von dieſer Unterredung
ſeyn? Wird nicht mein Kind die Gefaͤlligkeit ſelbſt
gegen mich ſeyn, wenn ich das naͤchſtemahl vor
deſſen Angeſicht gelaſſen werde?


Den Donnerſtag waren wir ſehr vergnuͤgt.
Der gantze Vormittag verſtrich uns außerordent-
lich froͤlich. Jch durfte ihre liebe Hand kuͤſſen.
Jch darf dir dieſe Hand nicht beſchreiben. Denn
ich erinnere mich, daß deine Augen bey deinem
Beſuche beſtaͤndig auf ihre Hand und Arm ge-
richtet waren, wenn du einige Augenblicke von
Bewunderung des Wunders der Schoͤnheit,
nehmlich ihres Geſichtes, ſtehlen konnteſt. Jch
glaube, daß ich ihre Hand funfzigmahl gekuͤſſet
habe. Einmahl traf mein Kuß ihre Wangen, ob
ich ihn gleich den Lippen geweyhet hatte: allein
dieſer
[153]
dieſer Kuß war ſo feurig, daß ſie nothwendig ſich
boͤſe ſtellen mußte.


Wenn ſie mich nicht immer einen Schritt vom
Leibe gehalten, und mir die unſchuldigen Freyhei-
ten verſaget haͤtte, die ſich unſer Geſchlecht eine
nach der andern zu nehmen pfleget: ja wenn ich
nur einen Zutritt zu ihr haͤtte bekommen koͤnnen,
ehe ſie voͤllig angekleidet iſt, (denn die voͤllige
Kleidung gebietet allzuviele Ehrfurcht) ſo wuͤrden
wir ſchon laͤngſtens naͤher mit einander bekannt
geworden ſeyn. Allein ich mag ſie des Abends
ſo lange aufhalten, und des Morgens ſo fruͤh ſpre-
chen als ich will, ſo iſt ſie doch immer gekleidet.
Bey dem Fruͤhſtuͤck, an den fruͤheſten Stunden
des Tages iſt ſie ſchon ſo ſauber bekleidet, als ſie
am Mittage zu erſcheinen gedencket, und als ſich
andere irgends bey Tage kleiden koͤnnen. Da ſie
von dieſen Stuͤcken des Wohlſtandes unter Frem-
den nichts verlieret, ſo wundere dich nicht, daß ich
ſo wenig bey ihr ausrichten kann. Bedencke aber
wie mich alle dieſe Schwierigkeiten reitzen muͤſſen!


Den Donnerstag fruͤh, wie ich dir ſchon
geſagt habe, waren wir ſehr vergnuͤgt. Gegen
Mittag zaͤhlte ſie mir die Stunden vor, die ſie
bey mir geweſen waͤre, die mir nur ein Augenblick
zu ſeyn ſchienen, und verlangte, daß ich ſie allein
laſſen ſollte. Jch hatte wenig Luſt, zu gehorchen:
weil aber die Sonne ſchon in das Zimmer kam,
ſo unterwarf ich mich dem harten Befehl.


Jch ſpeiſete außer Hauſe: kam wieder; re-
dete von unſerm neuen Hauſe und von der Frau
K 5Fret-
[154]
Fretchville. Jch hatte mit dem Capitain Men-
nell
geredet, und ihn gebeten, mehr in die Witwe
zu dringen. (Sie hatte Mitleiden mit Frau
Fretchville. Eine abermahlige gluͤckliche Folge
des Horchens!) Jch hatte an meinen Onckle ge-
ſchrieben, und wartete auf Antwort. Jch erhielt
Erlaubniß, den Abend bey ihr zu ſpeiſen, und bat
ſie, meinen Brief durchzuſehen, und mir zu ſagen,
wo ich etwas verbeſſern ſollte. Sie verſprach,
mir eine vollſtaͤndigere Antwort zu geben, ſo bald
ſie von Fraͤulein Howe Briefe erhalten haͤtte.


Jch bat ſie, mit mir auf den Sonnabend nach
dem Schau-Spiel zu fahren. Sie machte mir ei-
nige Einwendungen, wie ich zum Voraus gedacht
hatte, die von ihres Bruders Anſchlaͤgen und von
der Hitze hergenommen waren. Allein ſie that
dieſes auf eine ſolche Art, als wenn ſie ſich fuͤrch-
tete, mich zu beleidigen. (Abermahls eine Wir-
ckung von dem Horchen.) Sie uͤberwand aber
doch dieſe Schwierigkeiten, und entſchloß ſich, mit
mir zu fahren.


Der Freytag vergieng eben ſo gluͤcklich.


Das ſind einmahl zwey gluͤckliche Tage fuͤr
uns beide! Warum kann ich nicht alle Tage ſo ver-
gnuͤgt und gluͤcklich machen. Es hat faſt das
Anſehen, als wenn dieſes bey mir ſtuͤnde. Jſt es
nicht wunderlich, daß ich ein Vergnuͤgen daran
finde, ein Frauenzimmer zu plagen, das ich doch
ſo zaͤrtlich liebe. Jch muß in meinem Gemuͤthe
etwas gleiches mit der Fraͤulein Howe haben, die
auch ihre Freude daran hat, wenn ſie einen Mann
plagen
[155]
plagen kann, der ſich willig von ihr plagen laͤßt.
Jch koͤnnte aber gewiß mit dieſem Engel nicht ſo
umgehen, wenn ich nicht glaubte, daß ich ſie doch
noch endlich nach uͤberſtandener Pruͤfung ſo beloh-
nen werde, wie ſie es wuͤnſchet, wenn ich ſie nicht
zu der Lebensart uͤberreden kann, die mir ſo ange-
nehm iſt.


Der Sonnabend iſt ſchon halb verſtrichen,
und fuͤr uns eben ſo heiter geweſen als die vorigen
Tage. Wir ſind in dem Begriff, wegzufahren,
Marichen hat ſich Erlaubniß ausgebeten, mitzu-
fahren, und ſie von meiner Geliebten bekommen.
Jch habe ſie unterrichtet, bey welcher Gelegenheit
ſie weinen ſoll, ſowohl damit ſie durch ihre Thraͤ-
nen ein mitleidiges Hertz verrathen moͤge, als auch
damit es ihr nicht an Vorwand fehlen moͤge, ihr
Geſichte etwas zu verbergen, um nicht erkannt zu
werden. Wiewohl Marichen kein Maͤdchen fuͤr
alle und jede iſt. Wir werden in dem gruͤnen
Stuͤbchen ſitzen.


Das Hertz meines Kindes muß nothwendig
weicher werden, wenn es eine ſo lebhafte Vorſtel-
lung des Ungluͤcks anſiehet, als in dieſem Trauer-
Spiel inſonderheit bey der Belviedra vorkommt.
Wenn ich ein Maͤdchen habe koͤnnen in die Co-
moͤdie bringen, ſo habe ich meine Beute ſchon fuͤr
gewiß gehalten. Wenn das Hertz der Schoͤnen
erſt durch etwas Ruͤhrendes und Angenehmes auſ-
ſer ſich gebracht iſt, ſo vergißt es alles Geraͤuſch
der Sitten und Gewohnheiten, und wird gantz
liebreich und guͤtig: ſonderlich wenn die Muſic
nicht
[156]
nicht vergeſſen wird, und ein Schmauß darauf
folget. Zwar hoffe ich nicht dieſes bey meinem
Kinde zu erhalten, allein ich habe mehr als einen
Endzweck, deswegen ich es in die Comoͤdie brin-
gen will. Du weißſt, daß Dorcas einen Haupt-
Schluͤſſel hat. ‒ ‒ Es waͤre ſchon Vortheil genug
fuͤr mich, wenn die Fraͤulein nur aus dem Trauer-
Spiele dieſes lernete, daß es noch viel betruͤbtere
Zufaͤlle giebt, als ſie erlebet hat oder erleben
wird.


So vergnuͤgt ſind wir jetzt. Jch will nicht
hoffen, daß eine von den ſchadenfrohen Gotthei-
ten des Nat. Lee unſere Freude mit Wermuth
vermiſchen wird.



Der naͤchſte Brief nach dieſem iſt von dem
19ten, und von der Fraͤulein geſchrieben.
Sie berichtet ihrer Freundin, daß ſich ihre Um-
ſtaͤnde ſehr gebeſſert haͤtten, und daß ſie ſeit ihrem
letzten Briefe vier und zwantzig Stunden ſo ver-
gnuͤgt zugebracht habe, als ſie es in ihrem jetzigen
Ungluͤck hoffen oder wuͤnſchen koͤnnte. „Wie
„gern will ich (ſchreibt ſie) zufrieden ſeyn, wenn
„es mir nur mittelmaͤßig gehet! Jch will gern
„meine Umſtaͤnde von der beſten Seite anſehen,
„und hoffen, wo ich hoffen kann; und zwar die-
„ſes nicht allein um meinet ſondern auch um ihrent-
„willen, da ich ſehe, daß ſie ſo vielen Antheil an
„allem nehmen, was mir widerfaͤhret.„


Sie
[157]

Sie erzaͤhlt darauf, was vor Reden zwiſchen
Herrn Lovelacen, Frau Sinclair und Jungfer
Martin vorgefallen waren: und giebt eine etwas
umſtaͤndlichere Nachricht von der Gelegenheit, die
ſie gehabt habe, ihn zu behorchen, ohne daß er es
mercken konnte.


Sie meldet es, wenn ſie Urſache zu haben
glaubt, mit den gefuͤhrten Reden vergnuͤgt zu ſeyn:
allein ſie iſt voller Sorgen uͤber den Anſchlag den
er ausfuͤhren will, wenn er ſie vermiſſete. Jedoch
gefaͤllt es ihr, daß er nicht der angreiffende Theil
ſeyn will, wenn er ihren Bruder in London an-
treffen ſollte.


Das was an der Mittewoche vorgefallen iſt,
und was ſie nachher heimlich gehoͤrt hat, noͤthiget
ſie ihrer Meynung nach, mit ihm in die Comoͤdie
zu gehen; ſonderlich da er ſo verſtaͤndig iſt, eines
von den Frauenzimmern des Hauſes mitzuneh-
men.


Sie iſt vergnuͤgt daruͤber, daß er wirklich an den
Lord M. geſchrieben hat: und berichtet, daß ſie
ihm eine naͤhere Antwort verſprochen habe, ſo bald
ſie hoͤrete, was ſie, die Fraͤulein Howe, dazu ſage.
Sie macht ſich die Hoffnung, daß ſie in dem
naͤchſten Briefe noch mehr angenehmes werde be-
richten koͤnnen. „Angenehme (ſchreibt ſie) muß
„ich das jetzt nennen, was mir vor meinem Un-
„gluͤck nicht angenehm geweſen ſeyn wuͤrde.„


Sie glaubt indeſſen, daß es gut ſeyn werde,
den Anſchlag mit der Frau Townsend ſo fern zur
Richtigkeit zu bringen, daß er ſogleich ausgefuͤhret
wer-
[158]
werden koͤnne, wenn es die Noth erfordern ſollte.
Er ſey in der That ein unergruͤndlicher und ge-
faͤhrlicher Menſch, und die Klugheit erfodere, daß
man wachſam ſey, und auch auf die ſchlimmſten
Zufaͤlle Rath wiſſe.


Sie meint gewiß zu ſeyn, daß die Briefe
ſicher ſind.


Herr Lovelace wolle ſich nie von freyen
Stuͤcken ihrer Geſellſchaft entſchlagen: ſonſt meint
ſie verſichert zu ſeyn, daß ſie nach eigenem Willen
aus dem Hauſe gehen koͤnne. Sie wuͤrde oͤfters
einen Verſuch hievon anſtellen, wenn ſie es fuͤr
noͤthig hielte, und ſich nicht vor dem Capitain
Singleton fuͤrchtete.



Der zwey und zwantzigſte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.



Jch habe nicht vermuthet, daß ſie die Antwort
auf Herrn Lovelaces Aufſatz ſo lange auf-
ſchieben wuͤrden, bis ſie von mir Nachricht haͤtten.
Damit ich nicht Urſache an einiger Hinderung oder
Aufſchub ſeyn moͤge, ſo will ich dieſen Brief je-
manden mitgeben, der eben nach London gehet,
und ihn in Wilſons Hauſe abgeben kann.


Jch
[159]

Jch habe nie daran gezweifelt, daß Herr
Lovelace in Sachen von dieſer Art nicht ſollte
billig und edel ſeyn. Alle ſeine Verwandten ſind
am Gemuͤthe eben ſo edel, als ſie durch ihre Ge-
burt ſind. Allein nun moͤchte wohl zu rathen
ſeyn, daß ſie erwarteten, was ſein Ouckle auf ſeine
Einladung antwortet.


Mein Vorſchlag, ſie im Fall der Noth zu
retten, iſt folgender.


Jch glaube, ſie werden die Frau Townsend
einmal bey mir geſehen haben. Dieſe hat einen
ſtarcken Handel mit Jndianiſcher Seite, Bruͤſſeli-
ſchen und Franzoͤſiſchen Spitzen, Cammer-Tuch,
Leinewand und andern Waaren, die ſie ohne Zoll
zu entrichten bekommen kann. Sie hat einen
ſtarcken Abgang, und verkauſt ſonſt allerhand
Spielwerck in den benachbarten adlichen Familien.


Sie hat ihre geſetzten Tage, an denen ſie ſich zu
London aufhaͤlt. Alsdenn iſt ſie in einer ge-
mietheten Stube eines Wirthshauſes in South-
wark,
wo ſie Proben von ſeidenen Waaren und
andern Guͤtern hat, und ihren Kunden in London
dienet. Jhre uͤbrige Waare hat ſie zu Deptfort,
und daſelbſt wohnt ſie auch, weil ſie die beſte Ge-
legenheit hat, ihre Waaren in dortiger Gegend
an das Land zu bringen.


Jch bin zuerſt durch meine Mutter mit ihr
bekannt worden, der ſie zugewieſen ward, daß ſie
von ihr zu meiner Hochzeit das noͤthige einkauffen,
und mich, wie meine Mutter ſich ausdruckte, vor
wenig Geld fuͤrſtlich kleiden moͤchte. Denn da-
mals
[160]
mals meinete noch jedermann, daß ich in kurtzer
Zeit Hochzeit halten wuͤrde.


Jch muß zwar geſtehen, daß ich nicht gern
mit dergleichen Leuten zu thun habe, die den Zoll
betriegen. Was thut man dadurch anders, als
daß man die Geſetze ſeines Landes uͤbertrit, ehrli-
chen Kaufleuten ihre Nahrung nimmt, und die
Einkuͤnfte des Koͤnigs ſchmaͤlert, deren Abgang
vermuthlich durch neue Auflagen erſetzt werden
muß? Jndeſſen bin ich doch mit Frau Townsend
gut Freund, ob ich gleich noch nicht mit ihr gehan-
delt habe. Sie iſt eine verſtaͤndige Frau, und bey
Gelegenheit ihres Handels oͤſters auſſer Landes ge-
weſen: ſie weiß von allen, was ſie geſehen hat,
ſehr gute Nachricht zu geben. Sie hat mich ge-
beten, daß ich ſie mit Jhnen bekannt machen moͤch-
te; denn ſie ſucht inſonderheit mit dergleichen
Frauenzimmer Bekanntſchaft, von denen man
glaubt, daß ſie ſich bald veraͤndern moͤchten.
Jch hoffe, daß ich dieſe Frau dahin bringen woll-
te, Jhnen eine Zuflucht in ihrem Hauſe zu geſtatten:
Deptfort ſoll ein anſehnliches und volckreiches
Dorf ſeyn, und ich glaube, man wuͤrde Sie daſelbſt
am wenigſten ſuchen. Die Frau Downsend
kann ſich zwar wegen ihrer Handlung nicht viel zu
Deptfort aufhalten: allein ſie muß doch eine zu-
verlaͤßige Perſon in ihrem Hauſe haben: und Sie
koͤnnten vielleicht bey ihr ſicher ſeyn, bis daß ihr
Vetter Morden ankommt. Jch glaube, Sie
thaͤten wohl, wenn Sie ſogleich an dieſen ſchrieben,
ob ich gleich nicht weiß, was Sie ſchreiben ſollen,
ſon-
[161]
ſondern dieſes bloß ihrer eigenen Ueberlegung uͤber-
laſſen muß. Denn ich glaube, daß Sie befuͤrchten
werden, daß die beyden Herren an einander gera-
then moͤchten.


Jch will noch weiter auf dieſen Vorſchlag den-
cken, wenn Sie es vor noͤthig halten. Jch hoffe aber
daß es nun nicht noͤthig ſeyn wird, nachdem ſich
Jhre Umſtaͤnde geaͤndert haben, und Sie vier und
zwantzig Stunden nach einander vergnuͤgt geweſen
ſind. Wie aͤrgere ich mich uͤber den armſeligen
Troſt, damit ſich ein ſelches Frauenzimmer um die
Zeit behelfen muß, in der es ſein Hertz verſchen-
cken ſoll!


Frau Dowenſen hat, wie ich mich erinnere,
zwey Bruͤder, deren jeder ein Schiff haͤlt. Da
ſie viel mit dieſen zu thun hat, ſo koͤnnten Sie viel-
leicht durch ihr Schiff-Volck vertheidiget werden.
Wenn er Jhnen Urſache giebt von ihm zu fliehen,
ſo ſeyn Sie wegen Jhrer Leute zu Harloweburg
auſſer Sorgen. Laſſen Sie einen vor den andern
ſorgen, ſie ſind deſſen doch ſchon gewohnt. Die
Geſetze des Landes werden ihnen Sicherheit ver-
ſchaffen: Lovelace iſt kein Bandite, kein heim-
licher Moͤrder: weil er Hertz hat, ſo iſt er ein of-
fenbarer Feind. Wenn er etwas unternimmt,
das ihn den Geſetzen nach ſtrafbar macht, ſo ha-
ben Sie eine gute Gelegenheit, ſeiner durch die
Flucht oder durch den Galgen loß zu werden.
Was lieget Jhnen daran, welchem von beyden Sie
ihre Freyheit zu dancken haben?


Vierter Theil. LWenn
[162]

Wenn Sie mir nicht ſo umſtaͤndlich berichtet
haͤtten, bey welcher Gelegenheit Sie ihn behorchet
haben, ſo wuͤrde ich ſeine gantze Unterredung mit
den beyden Frauens-Leuten fuͤr ein angeſtelltes
Werck halten.


Jch habe den Entwurf Jhrer Eheſtiftung dem
Herrn Hickman gezeiget. Er hat ſich ehemahls
in Lincolns-Jnn(*) aufgehalten; denn ehe ſein
aͤlterer Bruder ſtarb, ſollte er ſich auf das Recht
legen. Er bekam bey dieſer Gelegenheit ein ſo
merckwuͤrdiges, weiſes und altkluges Advocaten-
Geſichte: wollte es in mehrere Ueberlegung ziehen;
bat ſich den Aufſatz mit nach Hauſe aus, wollte ihn
genau anſehen, und ſo ferner, und was dergleichen
mehr war, und alles was man bey ſolchen Um-
ſtaͤnden thun kann: daß ich ohnmoͤglich Geduld
behalten konnte, ſondern ihm den Aufſatz wieder
aus den Haͤnden riß.


O meine liebe Fraͤulein! ſo ungehalten! und
zwar (wenn ich es ſagen darf) bloß uͤber meinen
Eifer und Dienſt-Begierde.


Eifer ohne Erkaͤnntniß! (antwortete ich,)
wie der Eifer gemeiniglich zu ſeyn pfleget. Wenn
nichts gegen den Aufſatz einzuwenden iſt, das ſo
gleich in die Augen faͤllt, ſo iſt nichts dagegen ein-
zuwenden.


So hitzig! wertheſte Fraͤulein!


So
[163]

So ſchlaͤfrig, unwertheſter Herr! haͤtte ich
bald geſagt. Jch ſagte aber weiter nichts als:
allerdings! mit einem ſolchen Geſichte, als woll-
te ich ſagen: wollen ſie ungehorſam ſeyn?


Er bat um Verzeihung! Er ſaͤhe nichts, was
dagegen einzuwenden waͤre. ‒ ‒ Allein ob er den
Aufſatz nicht noch einmahl ſehen duͤrfte?


Es iſt nicht noͤthig! ‒ ‒ Gar nicht noͤthig!
ich wollte den Aufſatz nur meiner Mutter zeigen.
Die iſt bey keinem Advocaten geweſen, und verſte-
het doch auf einen Blick von allen den Rechts-
Drehereyen mehr, als die Haͤlfte der geſchwaͤtzigen
Tage-Diebe. Allein ich darf es nicht thun, weil
ſie nicht wiſſen ſoll, daß ich noch Briefe mit der
Fraͤulein Harlowe wechſele.


Jch rathe alſo, laſſen Sie die Eheſtiftung in
das reine ſchreiben, und ſie auf eine rechtskraͤftige
Weiſe ausfertigen. Weiter iſt nichts dabey zu
ſagen.


Der Schiffer hat mit Kitty geplaudert,
und Geld geboten, wenn er Jhren Aufenthalt er-
fahren koͤnnte. Wenn er wieder kommt, und ich
nicht mehr von ihm heraus bekomme, ſo will ich
ihn durch den tiefſten Fiſch-Teich ziehen laſſen.
Es iſt genug, daß er mein Cammermaͤdchen hat
beſtechen wollen.


Jch ſchicke dieſen Brief ſo gleich ab: ich geden-
cke aber bald wieder zu ſchreiben, und Jhnen einige
Nachrichten zu geben, die mich ſelbſt, meine Mut-
ter und Jhren Onckle Anton betreffen. Weil ſich
Jhre Umſtaͤnde zu beſſern ſcheinen, ſo werde ich
L 2ſuchen
[164]
ſuchen Sie bey dieſer Gelegenheit zum Lachen zu
bewegen. Denn Sie muͤſſen wiſſen, daß der alte
Knabe ſich ordentlich bey meiner Mutter gemeldet
hat, die nun ihre Geſchicklichkeit in Liebes Sachen
ſelbſt brauchen wird, wenn ſie Luſt hat, ſeinem Ge-
ſuch Gehoͤr zu geben.


Daß Jhre Umſtaͤnde von Tage zu Tage er-
freulicher werden moͤgen, ſolches wuͤnſchet


Jhre ergebenſte
Anna Howe.



Der drey und zwantzigſte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.



Jch komme zu der verſprochenen Erzaͤhlung:
Dabey aber muͤſſen Sie mich nicht fragen,
wie mir die eigenhaͤndigen Briefe meiner Mutter
und Jhres Onckels in die Haͤnde gefallen ſind.
Meine Mutter wollte mir die Stellen des Briefes
nicht vorleſen, die meiner nicht zum Beſten geden-
cken, und Jhren Onckle alles Mitleidens von mir
unwuͤrdig machen. Sie wollte mich auch nichts
als einige Stuͤcke von ihrer Antwort ſehen laſſen:
denn ſie hat ſich ſo weit herab gelaſſen, ihm zu ant-
worten, und ihm ihr ſchrifftliches Nein zu geben:
ein ſolches Nein, welches niemand anders als ein
abge-
[165]
abgenutzter Junggeſelle von einer Witwe anneh-
men muß.


Es wuͤrde jederman, mich ausgenommen,
eine Luſt geweſen ſeyn, wenn dieſe veralterte Liebe
ein gluͤckliches Ende erreichet haͤtte: und gewiß,
er waͤre zu ſeinem Zweck gekommen, wenn die un-
artige Tocher es nicht gehindert haͤtte. Meine
Mutter wuͤrde zehn Jahr juͤnger geworden ſeyn:
und mir wuͤrden an Alter und Weisheit zehn Jahre
zugewachſen ſeyn, wenn ich den Antrag gebilliget
haͤtte. Es wuͤrde geheiſſen haben: „Mein Kind,
„wir Witwen wiſſen nicht mehr, wie wir gegen
„einen Freyer fremde thun ſollen, und wie wir die
„Manns-Leute quaͤlen und martern muͤſſen, um
„zu ſehen ob ihre Liebe aufrichtig iſt. Du mußt
„mir jetzt rathen, wie ich grauſam ſeyn, und ihn
„Felſen anruffen laſſen ſoll: und doch auch nicht
„allzugrauſam, damit der alte Liebſte nicht die we-
„nige Zeit verliere, die er noch uͤbrig hat.„ Denn
wuͤrde mein Betragen gegen Herrn Hickman ar-
tig geweſen ſeyn, und die Mutter wuͤrde ſproͤde und
ſtoltz geweſen ſeyn, wie die Tochter.


Was fuͤr Luſt wollten wir uns gemacht haben,
wenn dieſe Leute mit vieler Muͤhe wieder gelernt
haͤtten, was ſie laͤngſtens vergeſſen hatten? Jch
wuͤrde mich dieſes Vergnuͤgens nicht begeben ha-
ben, wenn ich nur gewiß gewußt haͤtte, daß ich ſie
zu rechter Zeit (wie die Jrrlaͤnder den Ausdruck
nehmen) wuͤrde aus einander bringen koͤnnen, ehe
ſie zuſammen gekommen waͤren. Allein wer kann
einer alten Witwe und einen alten Junggeſellen
L 3trauen,
[166]
trauen, wenn die Witwe das Jhrige in ihren Haͤn-
den hat, und der ausgeraͤucherte Liebhaber artige
Saͤchelchens hat, und ihr 10000 Pfund verma-
chen will, und noch uͤber dieſes ihr die gantze
Haushaltung zu uͤberlaſſen verſpricht. Denn das
iſt der Jnhalt ſeines Antrages.


Der alte Triton hat ſelbſt die Auſſchriſt nach
ſeiner eigenen Art eingerichtet: An die eben ſo
liebenswuͤrdige als bewundernswuͤrdige
Frau Annabella Howe
Witwe. Jch
glaube, er habe das letzte Wort deßwegen dazu ge-
ſetzt, weil man bey Manns-Perſohnen auf den
Brief Esquire hinter den Nahmen zu ſetzen pflegt,
und aus Furcht, daß die beyden Sylben bella
im Leſen moͤchten uͤberſehen werden, und der
Brief an die Fraͤulein Anna Howe kommen
moͤchte. (Sie werden mich hochmuͤthig nennen.)
Hierauf folget: dieſen Brief demuͤthig zu
uͤberreichen.
Jch glaube, daß er dieſes zur Er-
innerung fuͤr ſich aufgeſchrieben hat, damit er
nicht vergeſſen moͤchte, ſich bey Uebergebung des
Briefes artig zu buͤcken: denn ich glaube, daß er
ſelbſt den Brief hat uͤbergeben wollen.


Nun ſehen ſie ihn hereinkommen.
Herein Alter Neptunus!


Der Kopf mit See-Gewaͤchſen und mit einer
Krone von Muſcheln gezieret, ſo wie er in der
laͤcherlichen Grotte der Frau Robinſon abgebil-
det iſt.


Madame,
[167]
Madame,


Jch habe mich ſchon vor zehen Jahren einiger-
maßen entſchloſſen, nicht zu heyrathen. Denn
ich bemerckte in denen Familien, in denen es am
beſten zuging, (dieſen Umſtand nicht zu vergeſ-
ſen) allerhand Verdrießlichkeiten, die ich nicht
uͤberkriegen kann. Es gefiel mir auch das ein-
tzelne Leben wegen der Familie meines Bruders,
und wegen eines Kindes darinnen gut genug.
Allein das Maͤdchen hat uns insgeſamt verdrieß-
lich gemacht: und ich ſehe nicht, warum ich mich
alles Vergnuͤgens denen zu Liebe entſchlagen ſoll-
te, die mir es nicht einmal Danck wiſſen.


So viel von den Bewegungs-Gruͤnden, die
von mir ſelbſt und von meiner Familie hergenom-
men ſind. Jch habe ein groſſes Vermoͤgen, da-
fuͤr ich Gott dancke. Alles, oder das meiſte da-
von habe ich ſelbſt erworben. Bemercken Sie die-
ſen Umſtand: denn ich war der juͤngſte Bruder.
Sie haben auch, Gott ſey es gedancket, ſchoͤne
Guͤter, die ſie durch ihre Sparſamkeit und weiſe
Haushaltung ſehr verbeſſert haben. Ehe ich wei-
ter gehe, muß ich noch das ſagen: Sparſamkeit
iſt eine der groͤßeſten Tugenden in dieſem Jam-
mer-vollen Leben, denn ſie ſetzt uns in den Stand,
gegen jederman gerecht zu ſeyn, und einige, die
es verdienen, zu belohnen.


Sie haben nicht mehr als ein Kind: und ich
bin noch ein Junggeſelle, und habe nie ein Kind
gehabt. Nicht alle Junggeſellen koͤnnen das ſagen.
L 4Jhre
[168]
Jhre Tochter kann daher Vortheil von mir ha-
ben, wenn ſie ſich in meine Weiſe ſchicken kann.
Niemand ſagt mir nach, daß ich wunderlich ſey,
inſonderheit gegen meines gleichen. Mit den
Bedienten keiffe ich wohl, wenn ich Luſt zu keiffen
habe: allein ſie kriegen ihr Geld davor, und ver-
dienen ihre Keiffe nur leider allzu ofte, wie wir
uns bisweilen einander erzaͤhlet haben. Aber da-
vor duͤrfen weder Sie noch die Fraͤulein ſich
fuͤrchten.


Jch will eine recht vortheilhafte Eheſtiſtung
fuͤr Sie machen, die Jhre und meine Freunde
fuͤr billig erkennen werden. Allein, ſo lange ich
lebe, will ich mich nicht ausziehen, ſondern das
Meinige behalten, als welches dem Manne und
der Frauen zur Ehre gereicht.


Jch ſuche nicht ſchoͤne und glatte Worte zu
finden. Wir ſind keine Kinder mehr, ob wir
gleich noch hoffen koͤnnen, Kinder zu kriegen:
denn, Gott ſey Lob und Danck dafuͤr, ich bin noch
bey allen meinen Kraͤften, und ein friſcher und ge-
ſunder Mann. Jch bin nie ſchwaͤcher von Reiſen
zuruͤck gekommen, als ich ausgereiſet bin. Jch
bin nicht von der Art Leute, das verſichere ich Jh-
nen. Allein das will ich Jhnen verſprechen, wenn
Sie mich uͤberleben, ſo will ich Sie zum we-
nigſten
10000 Pfund reicher laſſen, als ich Sie
gefunden habe: was ich aber von Jhnen zu ge-
warten haben ſoll, das uͤberlaſſe ich Jhnen, wie
Sie glauben, daß es meine Liebe gegen Sie ver-
dienen wird.


Eins
[169]

Eins ſollte mir lieb ſeyn, nemlich, wenn die
Fraͤulein Howe nicht bey uns bliebe. (Sie
braucht nicht zu wiſſen, daß ich dieſes ſchreibe.)
Sie kann nach Hauſe zu Herr Hickman ziehen,
mit dem ſie, wie ich hoͤre, ſich naͤchſtens verhey-
rathen wird. Wenn ſie uns beyden gehorſam iſt,
wie es ihre Schuldigkeit erfordert, ſo ſoll es ihr
Schade nicht ſeyn, wie ich ſchon vorhin geſagt
habe.


Sie ſollen ihre und meine Haushaltung gantz
fuͤhren, weil ich mich auf die Land-Wirthſchaft
nicht ſonderlich verſtehe. Jch werde mich Jhnen
nie in etwas widerſetzen, es muͤßte denn aus Liebe
geſchehen, wenn ich ſehe, daß Sie ſich mehr an-
greifen, als es Jhrer Geſundheit erſprießlich iſt.


Jch glaube, daß fuͤr Sie nichts beſſer ſeyn
kann, als ein Mann, der viel Erfahrung hat,
und bey den langen Abenden im Winter ſich zu
Jhnen ſetzen und Jhnen viel von andern Laͤndern,
und von den Sitten der Voͤlcker, unter denen er
geweſen iſt, erzaͤhlen kann. Jch habe allerhand
artige Jndianiſche Raritaͤten, die dem Frauen-
zimmer angenehm zu ſeyn pflegen, und die mei-
nes Bruders Tochter Claͤrchen nicht einmahl
alle geſehen hat, als ſie noch ein gutes Kind war.
Wenn Sie mir wohl begegnen, daran ich gar
nicht zweifele, ſo will ich Jhnen dieſe eine nach der
andern ſchencken. Das wird ein angenehme-
rer Zeitvertreib ſeyn, als wenn Sie bey einer na-
ſeweiſen Tochter ſitzen, die bisweilen eigenſinnig
und verdrießlich iſt, und Jhnen allerhand empfind-
L 5liche
[170]
liche Reden giebt, wie die erwachſenen Toͤchter
gemeiniglich zu thun pflegen, (ach! ich habe das
oft von Jhnen gehoͤrt!) wenn ſie die Eltern fuͤr
alt halten, und dennoch das Alter nicht ehren
wollen. Jch meines Theils glaube, daß Muͤt-
ter, wie Sie, noch jung genug ſind, den Toͤchtern
die Naſe abzuwiſchen. Sie verſtehen mich
ſchon.


Fuͤr mich wird es ein großes Gluͤck ſeyn, und
ich dencke ſchon zum voraus mit Vergnuͤgen dar-
an, wenn ich einmahl zur Luſt ausreiſe, und bey
der Zuruͤckkunft in mein Haus eine Frau von glei-
cher Erfahrung finde, die mit mir Vortheil und
Schaden gemeinſchaftlich hat: wenn wir unſere
Einnahmen zuſam̃en rechnen koͤnnen, und was uns
dieſer Tag oder dieſe Woche eingebracht hat. Wie
wird unſere Liebe hiedurch wachſen! Ungemein!
Jch glaube, ich werde Sie nie genug lieben koͤn-
nen, oder nie genug im Stande ſeyn, Jhnen
meine Liebe voͤllig zu erkennen zu geben.


Jch dencke nicht, daß wir noͤthig haben, ſo
bloͤde und ſproͤde gegen einander zu thun, wie es
die Jungfern zu thun pflegen, bis endlich die
Sache ſelbſt daruͤber in das Haͤngen kommt: und
ich hoffe, Sie werden ſich keine Schwierigkeit
machen, mir in ein paar Zeilen zu antworten,
ob Sie gleich muͤndlich zu antworten Bedencken
trugen. Jch glaube, Jhre Fraͤulein Tochter war
eben damahls in der Naͤhe, als ich mit Jh-
nen redete; denn Sie ſahen ſich immer um, als
wenn Sie beſorgeten, daß Sie behorchet werden
moͤch-
[171]
moͤchten. Darum entſchloß ich mich, zu ſchrei-
ben, damit mein Brief ein Zeichen meiner Auf-
richtigkeit ſeyn moͤchte. Denn ich bin kein Lo-
velace,
ſondern ein ehrlicher guter Englaͤnder.
Jch hoffe alſo, Sie werden ſich nicht weigern, die-
ſen Antrag mit ein Paar Zeilen zu beantworten:
und ſeyn Sie verſichert, daß ich dieſes fuͤr eine
große Ehre anſehen, und ſtoltz daruͤber ſeyn werde.
Was kann ich mehr ſagen? Sie ſind Jhr eigener
Herr, ſo wie ich: und Sie ſollten auch immer
Jhr eigener Herr oder Frau im Hauſe bleiben.
Mercken ſie das. Denn eine ſo kluge Frau muß
etwas in dem Hauſe zu ſagen haben.


Mein Brief iſt zwar lang gerathen, allein
die Sache erforderte es ſo, denn ich wollte nicht
gern 2 Briefe ſchreiben, wenn einer die Sache
verrichten kann. Darum wollte ich Jhnen auf
einmahl mein gantzes Hertz ſchreiben.


Jch habe ſchon 2 Monath im Sinne gehabt,
an ſie zu ſchreiben: ich wußte aber nicht, wie ich
den Brief anfangen ſollte, weil ich in dergleichen
Dingen keine Erfahrung habe. Und nun ſeyn
Sie guͤtig gegen


Jhren gehorſamſten Liebhaber
und ergebenſten Diener
Ant. Harlowe.


Das iſt ein Liebes-Brief! Wenn ich kuͤnftig
dieſem haͤßlichen Liebhaber meiner Mutter, der
meiner ſo anzuͤglich in ſeinem Briefe gedencket,
nicht
[172]
nicht haͤflich begegne, und Sie wollen deswegen
mit mir zuͤrnen: ſo kann ich nicht glauben, daß
Sie mich eben ſo vorzuͤglich lieben, als ich Sie liebe.


Was ſoll ich nun voran ſetzen? die Antwort
meiner Mutter? oder meine Unterredung mit ihr,
als ſie mir Nachricht von dem Liebes-Briefe gab,
den ſie erhalten hatte?


Unſere Unterredung ſollen Sie zuerſt leſen.
Wenn Sie glauben, daß ich ſehr frey von dem
Hertzen weg geredet habe, ſo dencken ſie nicht dar-
an, daß ich vom Jhrem Onckle und von meiner
Mutter ſchreibe, ſondern ſtellen Sie ſich bloß zwey
alte Verliebte vor, die uns nichts angehen. Die
juͤngeren Leute vergeſſen leicht die Ehrerbietung,
wenn die, welche ein Recht haben, Ehrerbietung
zu ſodern, es vergeſſen, daß ſie ſich durch ihr Be-
tragen Ehrerbietung erwerben muͤſſen.


Stellen Sie ſich meine Mutter vor, wie ſie
zweymahl in mein Cloſet kam, und wieder weg-
gieng, ohne etwas weiter zu thun, als zu huſten,
ohne daß die Lungen huſten wollten, obgleich ihr
Geſicht ſo ſchwanger von etwas zu ſeyn ſchien,
das ihr auf dem Hertzen lag, und ihre Lippen
immer anfangen wollten zu reden. Das dritte
mahl bekam ſie mehr Muth: pflantzte ſich neben
meinen Stuhl, und fing alſo an zu reden:


Mutter. Jch habe von einer wichtigen
Sache mit dir zu reden, Aennichen, wenn du
jetzt auf etwas Achtung geben kannſt, das uns
ſelbſt angehet: und nicht die Vorſorge fuͤr andere
dich untuͤchtig macht, an das noͤthigere zu gedencken.


(Eine
[173]

(Eine Anrede, voll gewinnſuͤchtiger Eigen-
liebe! Jch glaube, daß Freundſchaft, Danckbar-
keit, und Menſchenliebe uns nahe genug angehen.
Doch ich will nicht Worte auffangen.)


Tochter. Jch kann jetzt auf alles Achtung
geben, was meine Mutter mir zu ſagen, die Guͤ-
tigkeit hat.


M. Was willſt du Kind? Was weinſt du,
meine liebe Tochter! (Hiebey ſahe ſie ſo ſonderbar,
ſo guͤtig, ſo vergnuͤgt aus, daß ich es Jhnen nicht
beſchreiben kann.) Jch ſehe, daß du ſehr auf-
merckſam biſt. Erſchrick dich nicht. Sey nicht
unruhig. Jch habe ‒ ‒ ich habe ‒ ‒ Wo iſt er
doch? (Der Brief lag ihr zwar auf dem Hertzen,
ſo nahe als ihr noch nie einer auf dem Hertzen ge-
legen hat. Sie haͤtte alſo nicht noͤthig gehabt,
ihn zu ſuchen.) Jch habe einen Brief, mein
Kind. (Hier zog ſie den Brief aus dem Buſen;
allein ſie behielt ihn in der Hand.) Jch habe ei-
nen Brief, Kind! Er iſt, ‒ ‒ ‒ er iſt
von einem Cavallier! bey meiner Treue! (Hier
hub ſie die Hand auf, und ſahe recht freundlich
aus.)


Jch dachte bey mir ſelbſt: eine Tochter kann
an dem Wunderbaren, das mir meine Mutter
erzaͤhlen will, wenig Vergnuͤgen finden. Jch
will ihr dieſesmahl die Freude nicht goͤnnen, daß
ſie mir ein vergnuͤgtes Wunder nach dem andern
entdecket.


T. Vermuthlich von Herrn Anton Har-
lowe!


M.
[174]

M. (Mit einem kleinen Munde, und in die
Hoͤhe gehobenen Augen.) Ja mein Kind! Al-
lein wie kommſt du ſogleich auf den Herrn?


T. Wie konnte ich auf einen andern dencken?


M. Wie an einen andern dencken? was
ſoll das ſeyn? (mit Unwillen) Aber weißt du
auch, Aennichen, was in dem Briefe ſtehet?


T. Das haben ſie mir ſchon durch die Art
geſagt, mit welcher ſie von dieſem Briefe reden.
Jch habe nie daran gezweifelt, daß er nicht bey
ſeinem Beſuche einen doppelten Endzweck haben
ſollte, deren einer mir ſo angenehm iſt als der an-
dere. Denn ich weiß wol, daß mich die gantze
Harlowiſche Familie zaͤrtlich liebet.


M. So liebt keiner von beyden ohne Ge-
genliebe! Allein das iſt der Lohn dafuͤr, wenn ich
dir etwas anvertrauen will. (Hier ſtand ſie auf!)
Du biſt eben ſo, wie dein Vater. Jch konnte
nie ein Hertz zu ihm haben.


T. Nehmen ſie es mir nicht uͤbel. Faſſen
ſie zu mir ein Hertz. Aber das muͤſſen ſie mir
vergeben, daß ich denen Harlowes nicht gut bin.


M. Du haſt mich gantz aus meiner Faſſung
gebracht. (Sie ſetzte ſich wieder unwillig
nieder.)


T. Jch will gantz geduldig und andaͤchtig
zuhoͤren. Jſt es mir nicht erlaubt, den Brief zu
leſen?


M. Jch wollte den Jnhalt davon eben mit
dir uͤberlegen. Aber du biſt ſo wunderlich: du
antworteſt immer, ehe man noch reden kann.


T.
[175]

T. Vergeben ſie mir meine Voreiligkeit.
Jch glaubte aber, er wuͤßte, was jedermann weiß,
und was ſie ſo oft geſagt haben, daß ſie nicht zum
zweytenmahl heyrathen wollten.


M. Das habe ich geſagt; und das war auch
wahr, ſo lange ich bey dem Sinne blieb. Allein
die Umſtaͤnde koͤnnen ‒ ‒


Jch ſahe ſie gantz erſtarret an.


M. Ja! wundere dich nicht! ich will zwar
auch jetzt nicht! ich will nicht.


T. Vielleicht ſo lange ſie bey dem Sinne
bleiben!


M. Naſeweiſes Kind! (Sie ſtand auf.)
Jch ſehe, wir ſollen uns zancken. Man kann mit
dir nichts ‒ ‒


T. Jch bitte nochmahls um Vergebung. Jch
will ja zuhoͤren. Setzen ſie ſich doch nieder! ich
bitte ſie darum! (Sie ſetzte ſich.) Darf ich den
Brief nicht leſen?


M. Nein! es ſtehet etwas darin, das dich
verdrieſſen wird. Jedermann kennet deinen Kopf.
Jndeſſen iſt nichts Boͤſes von dir in dem Briefe
enthalten. Er giebt vielmehr zu verſtehen, daß
es dein Schade nicht ſeyn ſoll, wenn du ihm wohl
begegneſt.


Jch antwortete: kein Menſch auf Erden glaub-
te, daß ich ein ſchlimmes Gemuͤth haͤtte, als die
Harlowes allein. Von dieſen Leuten wollte ich
es gern leiden, daß ſie mit mir nicht zufrieden waͤ-
ren, da ſie mit einem Kinde, das nach aller Ur-
theil das beſte Gemuͤth von der Welt haͤtte, ſo uͤbel
umge-
[176]
umgegangen waͤren. Hier kamen wir von der
Hauptſache ab. Endlich las ſie mir einige Stel-
len vor, ließ aber die aus, die am meiſten laͤcher-
lich waren. Dem ohngeachtet brauchte ich viel
Ueberwindung dazu, daß ich nicht lachte.


M. Sage mir doch nun, Aennichen, was
denckſt du dazu?


T. Darf ich ſie fragen, was ſie dazu dencken?


M. Jch will mir nicht durch Fragen, ſondern
durch Antworten, antworten laſſen. Du kannſt
ja ſonſt wohl ſagen, was du denckeſt.


T. Wenn meine Mutter mir befiehlt, es zu
ſagen!


M. Sage es.


T. Ohne den gantzen Brief geleſen zu haben?


M. Antworte auf das, was ich dir vorgele-
ſen habe.


T. Was ſoll ich ſagen? Wenn ſie Ja ſagen,
ſo hoͤren ſie auf meine Mutter, Howe, zu ſeyn.


M. Jch wundere mich uͤber deine Dreiſtig-
keit, Aennichen!


T. Jch will ſo viel ſagen: ſie werden alsdenn
meine Mutter Harlowe.


M. Liebes Kind! ‒ ‒ Mache mich nicht
blind.


Sie verfaͤrbete ſich etliche mahl.


T. Liebſte Mutter, (das bleibt wahr, daß ich
den Harlowes nicht gut bin, und das wollte ich
ſagen.) ich bin ihr Kind, und muß ihr Kind
bleiben, ſie moͤgen thun was ſie wollen.


M.
[177]

M. So ein naſeweiſes Kind, als je eine
Mutter gehabt hat. Du mußt mein Kind blei-
ben, ich mag thun, was ich will; das iſt ſo viel,
als: du wollteſt nicht mein Kind ſeyn, wenn es zu
aͤndern ſtuͤnde, ſo bald ich ‒ ‒


T. Was iſt das fuͤr eine Erklaͤrung! das
waͤre uͤbereilt, wenn ich dergleichen ſagte, ehe ich
noch weiß, was ihre Meinung iſt. Da die Vor-
ſchlaͤge ſo vortheilhaft ſind ‒ ‒


M. (Etwas ruhiger) 10000 Pfund ‒ ‒


T. Und ſie wiſſen doch, daß ſie ihn uͤberleben?
Dieß fiel ihr auf das Hertz.


M. Wiſſen? das kann kein Menſch wiſſen.
Aber es iſt doch ſehr wahrſcheinlich.


T. So ſehr wahrſcheinlich iſt es nicht. Sie
wollten eben etwas vorleſen, und brachen mitten
in dem Worte ab, da er ſeine Geſundheit ruͤhmet.
Seine Maͤßigkeit iſt jedermann bekannt. Die
Leute, die auf der See geweſen ſind, und alle Luſt
und Gegenden des Himmels haben vertragen ler-
nen, pflegen am aͤlteſten zu werden, wenn ſie nach
Hauſe kommen, und der Ruhe in ihrem Vater-
lande genießen, falls ſie nur nicht unmaͤßig ſind.
Sehen ſie nicht, was er fuͤr ein ſtarckes und geſun-
des Fell zur Vormauer hat.


M. Albernes Maͤdchen!


T. Gott behuͤte! ich wollte nicht wuͤnſchen,
daß eine Perſon, die ich liebe und ehre, einen Mann
in der Hoffnung nehmen ſollte, daß ſie ihm bald
zum Grabe folgen koͤnnte. Allein bedencken ſie,
wenn ſie noch bey ihren Jahren ‒ ‒


Vierter Theil. MM.
[178]

M. Bey meinen Jahren, Kind? Was habe
ich denn fuͤr Jahre.


T. Sie ſind noch nicht alt, das iſt eben ihre
Gefahr.


(So wahr ich lebe, meine Mutter laͤchelte,
und war nicht boͤſe, daß ich das ſagte.)


M. Ja, mein Kind, ‒ ‒ ja ich muß es war-
lich ſagen ‒ ‒ So wunderlich du auch manchmahl
biſt, ſo wollte ich doch nicht gerne etwas wider dei-
nen Vortheil thun.


T. Jch verlange gar nicht, daß ſie ſich um
meinetwillen eines Vergnuͤgens berauben ſollen.


M. Eines Vergnuͤgens? Habe ich denn ge-
ſagt, daß es mir ein Vergnuͤgen waͤre? Wenn ich
dir etwas zum Vortheil thun koͤnnte, ſo ließ ich
mich noch wohl bewegen, mit ihm von der Sache
zu reden.


T. Wenn ich den Herrn Hickman kriege, ſo
bin ich ohnedem fuͤr meinen Freyer zu reich.


M. Wie ſo? Herr Hickman hat ſo viel Mit-
tel, daß er deiner wol werth iſt.


T. Wenn ſie das glauben, ſo iſt es gewiß.


M. Es waͤre freilich nicht recht, wenn ich auf
jemandes Tod warten wollte. Allein du haſt recht.
Herr Anton Harlowe iſt ein geſunder Mann
und kann noch lange leben.


Jch wußte nicht, ob ſie dieſes vorbrachte um
einen Einwurf gegen ſeinen Antrag zu machen,
oder ihn zu unterſtuͤtzen.


T. Wollen ſie mir etwas vergeben?


M. Was will das Maͤdchen ſagen? (Sie ſa-
he
[179]
he aus, als wenn ſie bey nahe fuͤrchtete, daß ich et-
was ſchlimmes zu ſagen haben moͤchte.


T. Wenn ſie in dieſen Jahren einen Mann
von ſeinen Jahren heyrathen, ſo ſtehen ſie in dop-
pelter Gefahr eine Waͤrterin zu werden (*).


M. Geel-Schnabel!


T. Jch will weiter nichts ſagen, als daß die
alten Leute bisweilen unvermuthet mit ſchleichen,
den Kranckheiten befallen werden. Und ich fuͤrch-
te, daß einen die Schwachheiten eines alten Ehe-
gatten, den man nie in der Jugend geliebet hat-
ſchwerer zu ertragen werden.


M. Ein wunderliches Maͤdchen! habe ich dir
nicht immer geſagt, du waͤreſt bald kluͤger, als daß
man mit dir auskommen koͤnnte, und bald zu dumm,
mit dir Geduld zu haben.


T. Jch kann weiter nichts ſagen, als daß ich
ſie bitte, mir zu befehlen, wie ich mich das naͤchſte
mahl gegen den Herrn Anton Harlowe auffuͤh-
ren ſoll.


M. Wie du dich auffuͤhren ſollſt? wenn du
mit einer veraͤchtlichen Gebaͤrde weggeheſt, ſo bald
er in die Stube trit, ſo fuͤhreſt du dich eben ſo auf,
wie du bisher immer gethan haſt.


T. Alſo wird er doch wieder kommen?


M. Was waͤre es denn, wenn er wieder
kaͤme?


M 2T.
[180]

T. Jch kann es ihm nicht wehren, wenn es ihr
Wille iſt. ‒ ‒ Er hat in ſeinem artigen Briefe um
ein Paar Zeilen Antwort gebeten: wenn er nun
wieder kommt, ſo werden ihn vermuthlich dieſe
Zeilen dazu veranlaſſen.


M. Mache keine Geſichter, Maͤdchen! du
weißt, daß ich es nicht leiden kann. Jch wollte
deine Meinung vernehmen, denn ich habe noch
nicht geſchrieben, ich will aber jetzund gleich ſchrei-
ben.


T. Sie ſind ungemein guͤtig, und er thaͤte
ihnen gewiß unrecht, wenn er ihre Guͤtigkeit nicht
erkennete, daß ſie ſeinen erſten Brief ſogleich be-
antworen. Es waͤre Schade, wenn er zwey-
mahl ſchreiben ſollte, da Ein Brief es aus-
richten kann.


M. Durch die Liſt erfaͤhreſt du nicht, was
ich ſchreiben will: es iſt zu grob angefangen.


T. Vielleicht koͤnnte ich rathen, was ſie thun
wollten, wenn es mir erlaubt waͤre zu rathen.


M. Und ich moͤchte ſchwerlich mit einem Herrn,
der mich liebet und ehret, ſo umgehen, als du
mit Herrn Hickman.


T. Jch wuͤrde auch ſchwerlich ſo mit ihm
umgehen, wenn mir ſeine Liebe zum Vergnuͤgen
gereichte.


M. Jch verſtehe dich wohl. Allein vielleicht
ſtehet es jetzt bey dir, was ich dem Herrn Anton
Harlowe
an tworte.


T. Junge Herren, die die Zeit zum Heyra-
then noch nicht verſaͤumet haben, koͤnnen wohl ei-
nige
[181]
nige Zeit Geduld haben. Der arme Herr Hick-
man
muß entweder ſeine Zeit abwarten, oder ſich
nach einer andern umſehen.


M. Er haͤlt dir mehr zu gute, als eine
Manns-Perſon einem Maͤdchen zu gute halten
ſollte.


T. Jch fuͤrchte aber, daß er ſelbſt an allen dem
Schuld iſt, was er mir zu gute halten muß. Das
geſtehet er hiedurch ſelbſt.


M. Ein naſeweiſes empfindliches Maͤd-
chen!


T. Jch habe nur eine Bitte noch an ſie.


M. Jch hoffe, daß es eine kindliche Bitte
ſeyn wird.


T. Wenn ſie wieder heyrathen, ſo erlauben
ſie mir, unverheyrathet zu bleiben.


M. Wie verkehrt! immer wider den
Strom.


T. Wie kann ich erwarten, daß ſie einen ſo
vortheilhaften Antrag ausſchlagen werden. Zehn
tanſend Pfund!
und zwar zum wenigſten
10000 Pfund! das iſt ein feiner Vorſchlag. So
viele artige Raritaͤten, die er ihnen eine nach der
andern ſchencken, und eintzeln zufallen laſſen will!
Jch hoffe nicht, daß es ſchon ſo weit gekommen iſt,
daß ich nicht ohne Verletzung meiner Pflicht gegen
ſie, uͤber den Mann lachen duͤrfte.


M. Dein Spott uͤber ihn, und deine Ehrer-
bietung gegen mich kommen aus Einer Qvelle.


T. Das will ich nicht hoffen. Aber zehn-
tauſend Pfund!


M 3M.
[182]

M. Jſt kein buͤndiſcher Antrag.


T. Nein gewiß nicht! ich hoffe, ſie werden
ſich auch nicht lumpen laſſen.


M. Von mir ſoll er keine zehntauſend Pfund
aufzuweiſen haben, wenn er mich uͤberlebet.


T. Nein! ſo viel kann er nicht erwarten, da
ſie eine Tochter haben, und er noch Junggeſelle
iſt, und kein Kind hat. Der alte Kruͤppel!


M. Der alte Kruͤppel! Aennichen! ſo
nennſt du ihn, weil er noch ein Junggeſelle iſt, und
kein Kind hat. Schickt ſich das fuͤr dich?


T. Um der Urſache willen nenne ich ihn nicht
einen alten Kruͤppel. Jch dencke aber, von ihrer
Seite wuͤrde die Haͤlfte genug ſeyn. Fuͤnf tau-
ſend Pfund,
weniger koͤnnen ſie ihm nicht
bieten.


M. Damit biſt du alſo zufrieden? (Sie ſa-
he aus, als wenn ich es getroffen haͤtte.)


T. Da er es ihnen uͤberlaͤßt, und da es eine
Belohnung ſeiner Liebe gegen ſie ſeyn ſoll, ſo duͤr-
fen ſie ihm nicht weniger bieten. Erlauben ſie
mir noch einmahl, daß ich ihn, ohne ſie zu beleidi-
gen, einen alten Kruͤppel nenne.


M. So ein Maͤdchen habe ich noch nicht ge-
ſehen. (Sie wandte das Geſichte weg, damit ich
nicht ſehen moͤchte, daß ſie ſie ſich des Lachens nicht
enthalten konnte. Jch glaube, daß ich eben ſehr
ſpitzfuͤndig ausſahe: ich bemuͤhete mich wenigſtens
eine ſolche Gebaͤrde anzunehmen.) Jch kann die
Mine nicht leiden. Du nimmſt dir ſehr viel her-
aus. Nicht wahr, meine Tochter?


T.
[183]

T. (Jch erhaſchete ihre Hand und kuͤſſete ſie.)
Seyn ſie nicht ungehalten auf ihr Maͤdchen.
Sie haben mir ſelbſt geſagt, daß ſie vor Zeiten
auch ſehr lebhaft geweſen ſind.


M. Vor Zeiten! Gott behuͤte! Du kannſt
indeſſen glauben, daß ich um deinet und um Herrn
Hickmans willen eine weiſe Einrichtung machen
werde, wenn ich auch das Geſuch des Herrn Har-
lowe
Platz finden laſſe.


T. Sie ſind beyderſeits zu ihren verſtaͤndigen
Jahren gekommen.


M. Ja! ich dencke ich werde auch bald alt
und ein Kruͤppel heiſſen.


T. Er denckt auch darauf, daß er eine weiſe
Einrichtung machen will. Er laͤßt ſich zum we-
nigſten ſchon etwas davon mercken.


M. Kurtz von der Sache zu kommen, du
giebſt deine Einwilligung nicht dazu, daß ich hey-
rathe.


T. Jch wuͤnſche es freylich nicht.


M. Wenn die Weisheit darin beſtehet, daß
man das wuͤnſchet, was einem ſelbſt nuͤtzlich iſt,
ſo ſehe ich, daß die jungen Maͤdchens eben ſo klug
ſind, als die alten Kruͤppel.


T. Wie koͤnnen ſie mir meinen Wunſch un-
guͤtig deuten, wenn es einerley iſt, ob ich wuͤnſche,
daß ſie den alten Anton nicht heyrathen, oder ob
ich mein Beſtes wuͤnſche.


M. Du biſt ſehr klug. Wenn du doch eben
ſo gehorſam waͤreſt?


T. Jch hoffe, daß ich noch gehorſamer bin:
M 4ſonſt
[184]
ſonſt wuͤrde ich mit Recht eine Thoͤrin und ein
Geelſchnabel heißen.


M. Laß mich davon urtheilen. ‒ ‒ Die Kin-
der wollen gemeiniglich, daß ihre Eltern bloß fuͤr
ſie leben ſollen, und bemuͤhen ſich doch nicht, die-
ſes um ihre Eltern zu verdienen. Das iſt ihr ge-
horſamer Einfall.


T. Gott behuͤte mich, daß ich nie wuͤnſchen
moͤge, daß meine Mutter mein Beſtes ihrem Be-
ſten vorziehen moͤge, wenn eines mit dem andern
nicht beſtehen kann: oder daß ſie ſich eines wah-
ren Vergnuͤgens aus Liebe zu mir begeben ſollte.
Glauben ſie, daß dieſer Antrag zu ihrem wahren
Vergnuͤgen gereichen werde?


M. Jch ſage nur: zehntauſend Pfund iſt ſo
viel Geld, daß man einen ſolchen Antrag hoͤflich
beantworten muß, der unſerer Familie einen ſo
großen Vortheil verſchaffet.


T. Verſchaffet? Nein! nur zeiget. Es
iſt ja noch ungewiß, an wen die 10000 Pfund
fallen. Wenn ihnen das Aufnehmen der Familie
an dem Hertzen lieget, ſo ‒ ‒


M. Du kannſt doch niemahls die Mittel-
Straſſe halten. Die eigenſinnige hoͤhniſche Mine
kann ich nicht leiden.


T. O vergeben ſie es mir. Der alte Kruͤp-
pel
war mir wieder in dem Kopfe. Jch kann
mich des Vergnuͤgens ohnmoͤglich berauben, ſie ſo
freundlich laͤcheln zu ſehen. (Jch kuͤſſete ihr aber-
mahls die Hand.)


M. Weg du verwegenes Kind! Nichts iſt
aͤrger-
[185]
aͤrgerlicher, als wenn man lachen muß, und doch
boͤſe ſeyn ſoll und will.


T. Wenn aber etwas aus der Sache werden
ſoll, ſo wird es doch noch bis auf den Winter An-
ſtand haben?


M. Was will das naſeweiſe Kind nun?


T. Er will ihnen ja die langen Winter-
Abende durch die ſchoͤnen Erzaͤhlungen von frem-
den Laͤndern und durch ſeinen Raritaͤten - Kaſten
verkuͤrtzen. O laſſen ſie mich doch den gantzen
Brief leſen; ich will ihm alles vergeben, was er
von mir ſchreibt.


M. Der kluͤgſte Mann wird keinen Liebes-
Brief ſchreiben koͤnnen, in dem nichts Laͤcherli-
ches ſey.


T. Das kommt daher, weil die Liebhaber ſel-
ten auf der Mittelſtraße bleiben. Sie ſchreiben
entweder zu viel oder zu wenig Thorheiten. Al-
lein halten ſie den Brief des alten Kruͤppels (ich
kann ihn nicht anders nennen) fuͤr einen Liebes-
Brief?


M. Gut! ich ſehe du haſt nicht Luſt dazu.
Jch ſoll deine Mutter nicht mehr ſeyn, und du
willſt nicht heyrathen, wenn ich heyrathe. Jch
wollte nur ſehen, ob dein Hertz edel oder eigennuͤ-
tzig waͤre. Jch will meinen eigenen Gedancken
folgen: und wenn dir die angenehm ſind, ſo be-
lohne mich fuͤr meine Gefaͤlligkeit kuͤnftig beſſer,
als du bisher gethan haſt.


Hiermit flog ſie zur Stube hinaus, ohne ei-
ne Antwort zu erwarten. Sie ſchien verdrießlich
M 5zu
[186]
zu ſeyn, daß der Heyraths-Vorſchlag mir nicht
beſſer gefiel. Vielleicht ſollte es eine groͤßere
Wohlthat fuͤr mich ſeyn, wenn ſie gantz von freyen
Stuͤcken, und wider meinen Rath, das Geſuch
des alten Mannes mit Nein beantwortet haͤtte:
und ihre unartige Tochter ſollte ihr deſto mehr
Danck ſchuldig werden.


Sie ſchrieb hierauf eine verneinende Antwort,
wie man ſie von einer Witwe, die ſich uͤber ihren
Liebhaber freuet, erwarten kann, und damit ſich
kein anderer Freyer, als blos Toͤnges Harlowe
wuͤrde abweiſen laſſen.


Jch werde alle Muͤhe anwenden, den Be-
ſuch zu hindern, den ſie ihm in ihrem Antworts-
Schreiben unter der Bedingung verſprochen hat,
daß er von ſeiner Bitte abſtehen ſollte. Denn
ich fuͤrchte, daß der Raritaͤten-Kaſten des grauen
Junggeſellen bey einer Witwe allzuviel Eindruck
machen moͤchte, der nichts als unnoͤthiges Spiel-
werck und ſolche Waare fehlet, die nicht leicht fuͤr
Geld zu bekommen iſt.


Nunmehr leſen Sie den beygelegten Brief,
der eine Abſchrift der Antwort meiner Mutter
iſt. Jch will keine Anmerckungen daruͤber ma-
chen, und zwar dieſes aus kindlichem Gehorſam.
Jch hoffe, daß ich Sie durch die gegebenen Nach-
richten zum Lachen werde bewegen koͤnnen, nach
dem Jhre Umſtaͤnde ſich aufzuklaͤren anfangen,
und in dieſer Hoffnung unterſchreibe ich mich,


Jhre ewig treue und ergebene
Anna Howe.

Mein
[187]
Mein Herr,


Jch glaube zwar, daß es ſonſt bey unſerm Ge-
ſchlecht ungewoͤhnlich iſt, den erſten Brief
von der bewußten Art mit Dinte und Feder zu
beantworten. Den erſten Brief, ſage ich?
Wie wunderlich iſt das! Gerade als wenn ich ei-
nen zweiten Brief erwartete: davon ich doch weit
entfernet bin. Allein da ich auf Jhren Brief
nicht ſo antworten kann, wie Sie es wuͤnſchen,
ſo halte ich mich dennoch verpflichtet, Jhre Hoͤf-
lichkeit mit Gegenhoͤflichkeit zu erwiedern. Jch
bin immer der Meinung geweſen, daß wir einer
Perſon deswegen nicht uͤbel begegnen muͤſſen, weil
ſie uns hochſchaͤtzet, und das iſt es, was ich mei-
ner Tochter ſo oft geſaget habe.


Die Frau, die als Braut tyranniſch mit ih-
rem Freyer umgegangen iſt, wird doch hernach
in ihres Mannes Augen wenig geachtet ſeyn, und
ihrem Geſchlecht zu geringer Ehre gereichen.


Wenn ich gewillet waͤre, mich zu veraͤndern,
ſo wuͤrde mir keine Parthey angenehmer ſeyn, als
Sie. Jhres Bruders Kinder haben ohnehin
genug, wenn Sie ihnen auch nichts vermachten:
und meine Tochter hat ſchon ohne mich ſchoͤne
Mittel, und ich wuͤrde ſie dennoch bey leben oder
ſterben reichlich bedencken, wenn ich wich wieder
verheyrathete. Es wuͤrde alſo niemand hievon
Schaden haben, ob gleich Aennichen es nicht
glaubet.


Aller
[188]

Aller Vortheil, den wir von Kindern haben,
beſtehet darinn. Wann ſie klein ſind, ſo halten
wir ihnen alles zu gute, und ſind ſelbſt in ihre
Unarten verliebt: wenn ſie aber erwachſen ſind,
ſo meinen ſie, ihre Eltern waͤren nur um ihrent-
willen in der Welt, und muͤßten um ihrentwillen
alles verlaͤugnen, was ihnen ſonſt angenehm ſeyn
koͤnnte. Jch weiß, daß ein Stiefvater meinem
Aennichen gantz unertraͤglich ſeyn wuͤrde: ſie
wuͤrde ſich nicht halten oder maͤßigen koͤnnen, ſo
bald ſie nur glaubte, daß Ernſt aus der Sache
wuͤrde. Jch fuͤrchte mich zwar nicht vor meiner
Tochter, und es wuͤrde ſich auch nicht ſchicken,
daß ich mich vor ihr fuͤrchten ſollte. Allein ſie
hat recht den Kopf ihres armen ſeeligen Vaters:
der war ſehr heftig. Sie koͤnnen leicht dencken,
daß ich mich ſcheuen muß, mich in eine Sache
einzulaſſen, dabey ich zum voraus ſehe, daß ich
mich entweder von meiner Tochter losſagen muß,
oder daß ſie ſich von mir losſagen wuͤrde. Das
thut man nicht, wenn es einem nicht ſehr um das
Heyrathen zu thun iſt: und ſo bin ich, Gott Lob!
nicht geſinnet.


Jch bin nun zehn Jahr eine Witwe, und
habe niemanden, der mir befehlen kann; man ſagt
auch, daß ich nicht wohl jemanden uͤber mir lei-
den koͤnne. Jch glaube alſo, oder ich weiß viel-
mehr gewiß, daß wir ſo, wie wir jetzt ſind, am
beſten ſind. Wir brauchen einander nicht um
des Geldes willen zu heyrathen, denn wir haben
ſchon ſo mehr, als wir verzehren koͤnnen. Jch
kenne
[189]
kenne mich auch ſo viel, daß es mir nicht ertraͤg-
lich ſeyn wuͤrde, wenn ich jemanden wegen mei-
nes Thuns und Laſſens Rede und Antwort geben
ſollte.


Meine Tochter iſt zwar ein artiges Maͤdchen,
nur daß ſie mehr Verſtand hat, als einem Frau-
enzimmer nuͤtzlich iſt, und es gar zu ſehr weiß,
daß ſie Verſtand hat. Aber ich werde doch mehr
durch ſie eingeſchraͤnckt, als es ſich fuͤr eine Mut-
ter ſchicket. Denn man will doch nicht gern im-
mer mit einander in Streit leben. Sie wird
aber bald aus meinem Hauſe wegheyrathen, und
alsdenn werden wir nur zuſammen kommen, wenn
wir Luſt dazu haben, und wenn wir nicht Luſt ha-
ben, von einander bleiben: ſo gehet es uns wie
den Verliebten, die ſich einander nur von der gu-
ten Seite kennen.


Jch muß dem ohngeachtet geſtehen, daß ich
meine Tochter hertzlich lieb habe; und ich weiß
auch gewiß, daß ſie mich lieb hat. Jch wollte
ihr daher nicht gern Gelegenheit geben, anders
gegen mich geſinnet zu ſeyn. Das Maͤdchen iſt
auch bey allen Bekannten ſo wohl gelitten, und
ſo hoch angeſehen, daß ich ihr nicht gern Anlaß
geben moͤchte, ſich uͤber mich aufzuhalten, oder
nur kaltſinnig gegen mich zu werden, nachdem
ich in meinen beſten Jahren Witwe geblieben
bin.


Jhr recht edeler Antrag verdienet, daß ich
mich deutlich erklaͤre. Jch dancke Jhnen fuͤr die
gute Meinung, die Sie von mir haben. Wenn
ich
[190]
ich weiß, daß Sie ſich dieſe Antwort gefallen laſ-
ſen, die eben ſo ernſtlich von mir gemeinet iſt, als
wenn ich ſie unhoͤflicher abgefaſſet haͤtte, ſo moͤch-
te ich und Aennichen vielleicht Jhnen zuſprechen,
(wo Sie es erlauben) und Jhre artigen Sachen
beſehen. Denn ich mag ſehr gern auslaͤndiſche
Raritaͤten ſehen.


Laſſen Sie uns alſo kuͤnftig mit einander un-
ſern Umgang und Freundſchaft fortſetzen, ohne
weitere Abſichten dabey zu haben, als daß wir
einander wohl wollen. Jch hoffe nicht, daß un-
ſere Freundſchaft durch dieſen Brief einen Stoß
bekommen werde: und ich werde unausgeſetzt ſeyn


ihre ergebenſte Dienerin
Annabella Howe.


P. S. Jch habe Jhnen durch die Frau Lori-
mer
ſagen laſſen, daß ich ſchriftlich antworten
wollte: daß ich mir aber vorher Bedenckzeit aus-
baͤte. Sie werden es alſo fuͤr keine Verachtung
halten, daß ich nicht fruͤher geſchrieben habe.



Der vier und zwantzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford.



Jch bin ſo unruhig, daß ich auf nichts anders
als auf Rache dencken kann: ſonſt wollte
ich dir die artigen Anmerckungen uͤberſchreiben,
welche
[191]
welche die Fraͤulein Harlowe uͤber das Trauer-
Spiel machte. Jch nenne ſie jetzt, die Fraͤu-
lein Harlowe.
Du weißt, daß ich alle Har-
lowes
haſſe; und ich bin jetzt auf ſie und auf ih-
re muͤrriſche Freundin ſehr ungehalten.


Was nun wieder? wirſt du fragen. Jch
habe Urſache genug. Unterdeſſen, daß wir außer
Hauſe waren, hat Dorcas (welcher ſie ihren
Stuben-Schluͤſſel bey dem Weggehen ließ, und
die einen Haupt-Schluͤſſel zu allen Schraͤncken
und Kiſten, und einen Schluͤſſel zu dem Cloſet
hat) einige von den letzten Briefen der Fraͤulein
Howe gefunden. Sie hatte geſehen, daß die
Fraͤulein einen Brief aus einem Schnuͤrleibe in
das andere geſtecket hatte, ehe ſie ausfuhr. Die
Leute im Hauſe werfen mir noch darzu vor; ſie
haͤtte ſich gefuͤrchtet, daß ich ihn in dem Schnuͤr-
leibe ſuchen moͤchte.


Kaum hatte Dorcas dieſe Briefe gefunden,
ſo rief ſie drey von den unſichtbaren Nymphen
unſeres Hauſes, welche ihr, nebſt der Sarah hel-
fen mußten, meinem Befehl gemaͤß einige Aus-
zuͤge aus den verfluchten Briefen zu machen.
Verflucht kann ich ſie mit Recht nennen. So
ſchimpflich! ſo giftig! O die kleine Furie, die
Howe! Jhre eigenſinnige Freundin, die eben ſo
frey von mir geſchrieben haben muß, (ſonſt haͤt-
ten keine ſolche Antworten folgen koͤnnen) hatte
Urſache genug uͤber meinen Brief-Raub ſo unge-
halten zu werden.


Jch
[192]

Jch war zum voraus verſichert, daß dieſe
Schoͤne bey ſo jungen Jahren, und ſo munterer
und bluͤhender Geſundheit, und ſo feurigen Au-
gen, nicht aus eigenem Triebe ſo vorſichtig und
ſo wachſam ſeyn koͤnnte. Feurige Augen ſind (ſo
ſehr die Poeten ſie erheben) ein untruͤgliches Zei-
chen eines loſen Hertzens, oder zum wenigſten
davon, daß ein ſolches Hertz einen loſen Anbeter
nicht verſchmaͤhen werde.


Du magſt deine Predigten fortſetzen, und
der Lord M. mag ſich bemuͤhen, mich mit ſeinem
Compendio der Weisheit unſeres Volckes zu toͤd-
ten: ich bin meiner Beute nunmehr gewiß verſi-
chert. Jch bin nun rachgierig: meine Rache und
Liebe machen einen Bund, vor dem ſich alle ihre
Außenwercke werden ergeben muͤſſen. Jch ſchwoͤ-
re einen theuren Eyd, daß die Fraͤulein Howe fuͤr
ihre Suͤnden buͤßen ſoll.


Jch bekomme jetzt eben noch einen Brief von
dem kleinen giftigen Teufel in die Haͤnde. Wenn
die Fraͤulein dieſen Brief nach deſſen Erbrechung
eben ſo gut verwahret, als die uͤbrigen, ſo hoffe
ich bald eine Abſchrift davon zu haben: denn ſie
will vor Eifer dieſen Morgen einen Kirchgang
halten. Jch glaube, daß die Andacht weniger
Theil an dieſer gottſeeligen Spatzier-Fahrt hat,
als die Begierde zu wiſſen, ob ſie Freyheit hat,
aus dem Hauſe zu gehen, wenn ſie will, ohne daß
ich ſie hindere und begleite.


Sie
[193]

Sie hat mir nicht vergoͤnnen wollen, den Thee
mir ihr zu trincken. Sie war geſtern Abend etwas
boͤſe auf mich, weil ich ſie noͤthigte, bis in die
ſpaͤte Nacht bey mir und dem Frauenzimmer zu
bleiben, und ſie nicht eher wegließ, als da es
Eins ſchlagen wollte.


Sie ſagte bey dem Weggehen: ſie erwartete,
daß ſie den folgenden Tag gantz vor ſich alleine
haben wollte. Jch hatte die Auszuͤge aus den
Briefen noch nicht geleſen; ich war deswegen ſehr
ehrerbietig und gehorſam; denn ich hatte mir vor-
genommen eine gantz neue Lebens-Art anzufangen,
um, wo moͤglich, allen Verdacht aus ihrem Hertzen
zu verbannen. Jch habe zwar keine Urſache mich
daruͤber zu graͤmen, daß ich bisher in uͤblen Ver-
dacht bey ihr geſtanden habe: denn wenn ein
Frauenzimmer bey einer Manns Perſon bleibet,
auf die es einen Verdacht hat, ob es gleich Gele-
genheit hat, oder zu haben glaubet, zu entfliehen,
ſo iſt es kein ſchlimmes Zeichen.



Sie iſt weg. Ehe ich es gewahr ward, war
ſie die Treppe hinunter geſchlichen, und damit ich
ihr nicht Geſellſchaft leiſten koͤnnte, hatte ſie eine
Saͤnfte beſtellen laſſen. Jch habe alle moͤgliche
Vorſichtigkeit gebraucht: ſie hat Wilhelmen er-
laubet, daß er vor der Saͤnfte hergehen darf: und
Peter der Hausknecht muß in einer maͤßigen Ent-
fernung nachfolgen, daß ihn Wilhelm immer ab-
rufen kann.


Vierter Theil. NJch
[194]

Jch hatte ihr durchdie Dorcas vorſtellen laſ-
ſen, in was fuͤr Gefahr ſie wegen Singletons
ſtuͤnde, und ich bat ſie, nicht auszugehen, wenn ſie
mich nicht mitnehmen wollte. Jhre Antwort
war: es waͤren nur zwey Spielhaͤuſer in der Stadt
und dennoch waͤre geſtern keine Gefahr geweſen;
da nun mehr als hundert Kirchen in London
waͤren, ſo ſey noch viel weniger Gefahr zu beſorgen.
Sie ließ ſich nach St. James Kirche tragen.


Das Kind wuͤrde ſich mehr bemuͤhen, mir
gefaͤllig zu ſeyn, wenn es wuͤßte, was ich weiß, und
wie mir die Frauens-Leute unten in dem Hauſe in
den Ohren liegen. Denn dieſe beſchweren ſich be-
ſtaͤndig, daß ſie ſich um meinetwillen ſo viel zuruͤck
halten und immer gegenwaͤrtig ſeyn muͤßten: ſie
duͤrften ſich beynahe gar nicht mehr um das Vor-
der-Haus bekuͤmmern: und in ihr artiges Hinter-
Gebaͤude duͤrſten ſie keine Geſellſchaft bringen um
nicht Argwohn zu erregen. Sie zweifelten zwar
nicht daran, daß ich es ihnen vergelten wuͤrde:
allein ſie fragen mich (nicht anders als wenn ſie
ihre Pfeile aus des Lords M. ſeinen Koͤcher gebor-
get haͤtten) warum ich eine ſo langſame Erndte
bey ſo wenigem Korn haben wollte? Jhr habt recht,
Maͤdchens! ſo bald ſie nach Hauſe kommt, will
ich den Anfang machen.



Jch habe den Brief geleſen, der heute von der
Fraͤulein Howe eingelaufen iſt. Meuderey,
Hochverrath, Hexerey, alles mit einander! ich wer-
de
[195]
de die Fraͤulein Harlowe ohnmoͤglich mit Geduld
ſehen koͤnnen. Unſere Nymphen haben recht: was
iſt es noͤthig die Nacht zu erwarten? Sarah und
Marichen erinnern mich beyde an meinen Haupt-
Sturm, den ich auf ſie gewagt habe. Allein durch
Gewalt erhalte ich meinen Endzweck nicht! Doch
wer weiß, ob ich ihn nicht erhalte? wenn es an-
ders wahr iſt, was wir ſagen: einmahl beſieget,
immer beſieget. Welches Frauenzimmer wird zu
unſern Wuͤnſchen ein deutliches Ja ſagen?



Sie iſt nach Hauſe gekommen: ſie will mich
aber nicht ſprechen, ſondern den gantzen Tag allein
bleiben. Dorcas ſagt: ſie glaube, daß es aus
Heiligkeit geſchaͤhe. Der Teufel hohle! iſt es et-
was unheiliges, was ſie mit mir ſpricht? Was fuͤr
ein heiligeres Werck koͤnnte ſie thun, als wenn ſie
mich bekehrte? Wird ſie mich aber bekehren koͤn-
nen, wenn ſie mich nicht ſprechen will, ſo bald ſie
außerordentlich andaͤchtig iſt. Jch haſſe ſie, von
Hertzen haſſe ich ſie! Sie iſt garſtig, alt, unge-
ſtalt! ‒ ‒ Was fuͤr Laͤſterungen! allein ſie bleibt
doch eine Harlowe, und darum haſſe ich ſie.


Weil ich ſie nicht ſprechen kann, und ſie uͤber
ihren Willen und uͤber ihre Zeit alleine Herr ſeyn
will, ſo will ich meine Zeit anwenden, und dir den
Jnhalt der Briefe melden.


Der erſte Brief, deſſen ſie habhafft werden
konnte, iſt von dem 27ſten April. Wo mag ſie
die vorigen Briefe gelaſſen haben? Hickmans
wird darin als einer ſehr geſchaͤfftigten Perſon ge-
N 2dacht,
[196]
dacht, die ſich viel uͤberfluͤßige Muͤhe giebt.
Hickman mag auf ſeiner Huth ſeyn! Sie ſchreibt;
ich will nicht hoffen, daß ſie Urſache haben
werden, es ſich gereuen zu laſſen, daß ſie mir
den Norris wieder zugeſchickt haben.

Was kann das um des Teufels willen bedeuten?
Jhr Norris ſoll auf den erſten Befehl wieder
aufwarten!
Durch den Norris werde ich noch
betrogen werden! Wenn ſo unſchuldige Kinder
Streiche ſpielen duͤrfen, warum ſoll es mir denn
nicht erlaubt ſeyn?


Es thut ihr leid, daß ſie ihr Hannichen
nicht um ſich haben kann!
Wenn ſie ſie nun
haͤtte? was wuͤrde ihr Hannichen in einem ſol-
chen Hauſe, als dieſes iſt, helfen koͤnnen?


Die Leute in dem Hauſe ſollen bey dem Fruͤh-
ſtuͤck ausgemerckt werden.
Dieſe ſind des-
wegen voller Rachbegierde gegen die beyden Fraͤu-
leins, und werden allen Fleiß anwenden, ſie beſie-
get zu ſehen. Jch haͤtte große Luſt, ihnen die
Fraͤulein Howe auf ewig zu uͤbergeben. Sprich
nur ein Wort, ſo ſoll es geſchehen.


Sie freuet ſich, daß die Fraͤulein mich
durch meine Bitte hat feſſeln wollen, wenn
ich ſie wiederhohlt haͤtte. Sie wundert
ſich, daß ich dieſes nicht gethan habe.
Sie
raͤth ihr, nicht bey mir zu bleiben, wenn ich
ſie nicht bald wieder hohle. Sie ſoll mir nicht
erlauben, dreiſte zu werden. Siehſt du? ſiehſt
du, Belford? Recht wie ich es vorher gedacht hatte.
Eine muͤßige und ruhige Freundin macht ſie ſo
behut-
[197]
behutſam, die eine Zuſchauerin abgeben und mit
kaltem Blute einen Rath ertheilen kann, den ſie
ſelbſt nicht beobachten wuͤrde, wenn ſie in gleichen
Umſtaͤnden waͤre. Sie meint, es ſey mein eige-
ner Vortheil, daß ich ihr ehrlich begegnete.
Vortheil!
Einfaͤltige Kinder! ich dachte, dieſe
Maͤdchens wuͤßten, daß ich meinen Vortheil dem
Vergnuͤgen beſtaͤndig nachſetze.


Was wollte ich darum geben, wenn ich die
Briefe ſelbſt haͤtte, welche die Fraͤulein Howe
beantwortet!


Der folgende Brief iſt von dem dritten May.
Die naſeweiſe Tochter wundert ſich in dieſem
Briefe ungemein, daß ihre Mutter an die Fraͤulein
Harlowe geſchrieben, und ſich unterſtanden hat,
ihr den Brief-Wechſel mit ihrer Tochter zu ver-
bieten. Sie beruft ſich auf den Herrn Hickman,
welcher der Meinung ſey, daß ſie den Brief-
wechſel nicht aufgeben ſolle.
Wie der krie-
gende Schmeichler um die Maͤdchens herum-
ſchleicht! Jch fuͤrchte, ich werde ihn und ſeine Ama-
zonin ſtrafen muͤſſen. Jch habe ſchon einen Ein-
fall, auf den ich nur eine halbe Stunde nachden-
cken und ihn in Ordnung bringen muß, um mich
an beiden zugleich zu raͤchen. Jch kann nicht lei-
den, daß die Vorrechte der Eltern ſo mit Fuͤſſen
getreten werden. Aber nun ſtelle dir das boͤſe
Maͤdchen vor! Es iſt, ſchreibt ſie, fuͤr ihn ein
Gluͤck, daß er gleiche Einſichten mit mir
hat: denn weil mich meine Mutter unwil-
lig gemacht hat, ſo ſuche ich jetzt einen, mit

N 3dem
[198]
dem ich mich zancken koͤnne. Koͤnnte ſich ein
Lovelace mehr unerlaubte Freyheit zu gute hal-
ten? Das Maͤdchen hat den Teufel im Hertzen.
Wenn es ein Junge geworden und unter unſere
Geſellſchaft gerathen waͤre, ſo wuͤrde es der brave-
ſte Kerl geworden ſeyn: ein aͤrgerer Wagehals,
als wir alle.


Jhre Mutter darf nur noch einen
Schritt wagen, ſo will ſie in der Stille nach
London fluͤchten, und die Fraͤulein Harlowe
nicht verlaſſen, bis ſie entweder getrauet oder
ganz frey von mir iſt.
Sarah, die dieſen Brief
abſchrieb, hat den Stoß-Seufzer dazu geſetzt: „um
„Gottes willen, Herr Lovelace, ſuchen ſie die
„Furie nach London zu bekommen.„ Wenn wir
ſie hier haͤtten, ſo ſollte ihr Schickſal nicht ſo lange
unentſchieden bleiben, als das Schickſal ihrer
Freundin. Wie wuͤrde ſie durch ein Dutzend ih-
rer unbarmhertzigen Schweſtern (die mein Kind
nie ſehen ſoll) durch ihre Spitzruthen laufen muͤſ-
ſen, wenn ſie einmahl vor mir gefallen waͤre.
Hernach davon.


Jch ſehe aus dieſem Briefe, daß meine eigen-
ſinnige Gefangene euch alle vier abgemahlet hat.
Meiner wird auch nicht geſchont. Jch habe
keinen Verſtand!
Jch will des Todes ſeyn, wenn
ſie das am Ende finden. Jch habe zum we-
nigſten einen Sparren zu viel.
Verflucht ver-
aͤchtlich. Sie ſiehet, daß ihr lauter hoͤlliſche
Geiſter ſeyd, und ich der Beelzebub.
Das
iſt fuͤr dich, Belford, und fuͤr deinen Lovelacen.
Und
[199]
Und dennoch will ſie, daß ihre Freundin den Beel-
zebub heyrathen ſoll. Was weiß aber die Fraͤu-
lein Harlowe von uns, das ſie berechtiget eine ſol-
che Nachricht von uns zu geben, daruͤber die
Fraͤulein Howe ein ſolches Urtheil faͤllen kann?
Doch das folget.


Sie tadelt ſie daruͤber, daß ſie der Jungfer
Partington nicht erlaubt habe, bey ſich zu
ſchlafen: denn bey ihrer Wachſamkeit haͤt-
te kein Ungluͤck daraus entſtehen koͤnnen.
Wenn ich Gewalt gebrauchen wollte, ſo
wuͤrde ich die Nacht nicht erwarten.

Sarah ſchreibt hiebey: „ſehen ſie, Herr Lovelace,
„was man von ihnen erwartet? Das haben wir
„ihnen ſchon mehr als hundertmahl geſagt.„
Das iſt wahr! allein ihr Rath galt nicht halb ſo
viel bey mir, als der Rath der Fraͤulein Howe
gelten wird. Es heißt weiter: ſie haͤtten koͤn-
nen laͤnger aufbleiben, als die Jungfer
Par-
tington, oder gar nicht zu Bette gehen. Jſt
es moͤglich, daß ich in ſolchem Verdachte bey den
zwey Maͤdchens ſtehe, und das eine dennoch dem
andern anraͤth zu bleiben, jenes aber ſich entſchlieſ-
ſet, auf mein koͤnigliches Wort zu warten, dadurch
ich es zu meiner Gemahlin erklaͤre? Es iſt mir
lieb, daß ich das weiß.


Sie billiget meinen Vorſchlag von dem Hauſe
der Frau Fretchville. Sie raͤth ihr an, von
Ehe-Stiftungen zu reden, und einen Tag zur
Hochzeit feſt zu ſetzen; und dringet endlich ſehr
darauf, daß ſie ungeachtet des Verbotes ihrer
N 4Mutter
[200]
Mutter fortfahren ſoll zu ſchreiben: oder ſie ſoll
die Folgen erwarten.
Ungehorſame Maͤd-
chens!


Wirſt du nicht hiebey ſagen: iſt dieſes ſproͤde
und hochmuͤthige Maͤdchen eben die Fraͤulein Ho-
we, die nach dem ehrlichen Georg Colmar ſeuf-
zete, und die ihm nachfolgen wollte, als ihn ſeine
Schulden aus dem Koͤnigreiche trieben, wenn nicht
dieſe Freundin es gehindert haͤtte?


Ja, es iſt eben die Fraͤulein Howe! Jch ha-
be das bey andern und bey mir gefunden; wenn
die erſte Liebe voͤllig beſieget wird, ſo wird der
Sieger ein See Raͤuber in der Liebe, und die Sie-
gerin eine Grauſame.


Nun kommt noch ein gezwungener artiger
Brief, von einer Perſon, der Fraͤulein Howe
die Ehre gethan hat, zu befehlen
u. ſ. w.
Er ſoll der Fraͤulein Harlowe berichten, daß die
Fraͤulein Howe ſehr bekuͤmmert ſey, daß
ſie ſich durch ihren letzten Brief in ſolche Un-
ruhe geſetzt habe.


Jch empfinde hiebey (ſchreibt der artige
Einfalts Pinſel) einen großen Trieb, meinen
Kummer oder Unwillen uͤber ihre verdrieß-
lichen Umſtaͤnde zu bezeugen.


Meinen Unwillen bezeugen! Warum fiel
er nicht tiefer in dieſe Verſuchung? Darum, weil
er nicht wußte, was das fuͤr Umſtaͤnde waren, die
bey ihm einen ſolchen Trieb erwarteten. Er
ſchließet nur,
u. ſ. w.


Hierauf tantzt er in der Schreib-Art eben ſo
als
[201]
als im Gange. Warlich, er muß die große Rei-
ſe gethan haben und uͤber Typperary zuruͤck ge-
kommen ſeyn.


Da mir die Fraͤulein verbietet, (ſchreibt
der Haſe) mich genauer zu erkundigen.
Freund Hickman, das Verbot iſt eine große
Wohlthat fuͤr dich. Allein woher weißt du denn,
daß die Umſtaͤnde ſo verdrießlich ſind? Du ſchlieſ-
ſeſt es blos daraus, weil ein Maͤdchen daruͤber un-
ruhig wird, das ſeiner Mutter Unruhe macht, und
dir und allen Freunden Unruhe machen wird, wenn
ich es nicht demuͤthige.


Jn einem andern Briefe billiget ſie den
Entſchluß der Fraͤulein Harlowe ungemein,
mich zu verlaſſen, wenn ſie einige Hoffnung
zur Verſoͤhnung mit ihren Freunden uͤbrig
hat. Sie hat ſo viel Zeug von mir gehoͤrt,
daß ſie mich fuͤr den abſcheulichſten und
gefaͤhrlichſten Menſchen haͤlt. Wenn ich
ein zehnfaches Leben haͤtte, ſo koͤnnten noch
wohl zwantzig Uebelthaten unbegangen
ſeyn, und ich wuͤrde doch ſchon mein zehn-
faches Leben verwircket haben.
Eine alber-
ne Rechnung!


Die Jungfer Betterton, die Jungfer Lo-
ckyer
kommen auch in dieſen Briefen vor. Der
Menſch
(ſo veraͤchtlich ſchreibt ſie von mir)
iſt ein Ertz-Boͤſewicht. Soll ich mir ſolche
Nahmen ohne Urſache geben laſſen? Sie will
ſich
(auf Bitte der Fraͤulein Harlowe) unter
der Hand erkundigen laſſen, wie ihr Onckle

N 5geſin-
[202]
geſinnet iſt. Dorcas ſoll gewonnen werden.
Es ſoll einer von meinen Briefen geſtohlen
werden.
Siehſt du, Bruder?


Sie iſt ſehr unruhig daruͤber, daß ich
geſucht habe, einen von ihren Briefen zu
bekommen.
Sie glaubt, wenn ich wuͤßte,
daß ſie ſo frey von mir ſchriebe, ſo duͤrfte
ſie keinen Fuß allein uͤber die Schwelle
ſetzen.
Sie mag ihre Leib-Wache in Bereit-
ſchaft halten!


Jch bin der Anfuͤhrer von einer Bande
abſcheulicher Boͤſewichter,
(ſie laͤugnet nicht,
daß ſie dich und deine Freunde meinet) die un-
ſchuldige Frauenzimmer zu verfuͤhren ſu-
chen, und Gewalt gebrauchen, einander in
Sicherheit zu ſetzen.
Was ſagſt du dazu?


Sie wundert ſich nicht uͤber ihre nieder-
geſchlagenen und tiefſinnigen Gedancken,
die ihr bey der Flucht, zu der ſie gezwungen
und verleitet iſt, beyfallen.
Du wirſt doch
nun aufhoͤren zu predigen.


Sie troͤſtet ſie damit, daß ſie eine War-
nung und ein Vorbild fuͤr ihr gantzes Ge-
ſchlecht ſeyn werde.
Jch erwarte hiefuͤr ein
Danckſagungs-Schreiben von dem gantzen ſchoͤnen
Geſchlecht.


Unſere Nymphen ſagen, es haͤtte ihnen bloß an
der Zeit gefehlt, alles abzuſchreiben, was meiner
Rache werth geweſen waͤre. Jch muß mich be-
muͤhen, den Brief ſelbſt in die Haͤnde zu bekommen.
Jch kriege den Nahmen eines Verfuͤhrers und
ſonſt
[203]
ſonſt noch hundert garſtige Nahmen darin.
Der Teufel beſaß (wie ſie glaubt) mich und
alle ihre Anverwandten, um ſie zu der ge-
fahrlichen Unterredung zu noͤthigen. Jhr
Fehler iſt ein Schluß des Schickſals.

Warum bekuͤmmert ſie ſich denn daruͤber? Jm
Ungluͤck iſt ſie am ſchoͤnſten und am groͤſ-
ſeſten!
und dennoch danckte ſie es dem ſo ſchlecht,
der ſie ſchoͤn und groß gemacht hat.


Jn einem andern Briefe bin ich beſtimmt,
(ſo gottlos ich auch bin) ihr Herr und
Ober-Haupt zu ſeyn.
Das hoffe ich.


Sie nimmt das zuruͤck, was ſie in ihrem vori-
gen Briefe wider mich geſchrieben hatte. Mein
Betragen gegen mein Roſen-Knoͤſpgen; der Vor-
ſchlag von dem Hauſe der Frau Fretchville, mein
Verſprechen, in Sinclairs Hauſe zu bleiben;
meine gute Haushaltung; meine Geſtalt; meine
gantze Art; ſind lauter Gruͤnde mich zu waͤhlen,
und keinesweges von mir zu fluͤchten. Wie freue
ich mich, wenn ſich ſolche Maͤdchens nicht in mich
finden koͤnnen, die Graß wachſen hoͤren.


Allein mein Zaudern und Taͤndeln iſt
unertraͤglich.
Sollen die Maͤdchens allein zau-
dern und taͤndeln? Den Maͤdchens habe ich es
zu dancken, daß ich dieſe Kunſt auch verſtehe.
So lehrte der Eiſen-Kopf, Carl der Zwoͤlfte,
den Moſcowitiſchen Czar, wie er ihn uͤberwinden
ſollte, da er wider die Grund-Saͤtze ſeiner Vor-
fahren einen langen Krieg mit den Moſcowitern
fuͤhrete.


Die
[204]

Die Rache ſoll mich Boͤſewicht in Zeit
und Ewigkeit verfolgen,
(Gottlob! daß ſie
nichts von erreichen ſchreibet) wenn ich ihr
Anlaß zum Zweifel gebe.
Die Frauenzim-
mer ſind ſo artig, daß ſie nicht ſchwoͤren koͤnnen:
allein du ſieheſt doch, daß ſie fluchen koͤnnen.


Jch zweifele an ihrer Liebe. (Mit
Recht thue ich das) Sie hat Urſache an mei-
ner Jnbrunſt zu zweifeln,
oder wie es hier
heißt, ſich das befremden zu laſſen, daß ich
nicht hitziger liebe.
Das iſt das rechte Wort.
Jſt es nicht unſer erſter Glaubens-Artickel, daß
das Frauenzimmer uns hitzig machen will?


Sie berichtet ihr, von wie weniger Wirckung
die Bitte geweſen iſt, die ſie an ihrem Onckle ge-
bracht hat. Vermuthlich iſt das durch Hickman
geſchehen. Jch muß des Kerls ſeine Ohren in
den Schubſack kriegen, und das bald.


Sie iſt voller Widerwillen gegen die
gantze Harlowiſche Familie. Sie hat einen
Verſuch gethan, was durch die Frau Nor-
ton bey ihrer Mutter auszurichten ſtuͤnde,
und hatte durch ſie Vorſchlaͤge von eben der
Art thun laſſen, als der bewußte Herr ihrem
Onckle gethan hat. Allein
(ſaget die Straf-
Predigerin) es waͤren keine Unmenſchen in
der Welt zu finden, die eben ſo vorſetzlich
Unmenſchen ſind, und ſich nicht erbitten
laſſen etwas von Menſchlichkeit zu fuͤhlen.
Jhr Onckle behauptet, daß ſie nicht mehr
iſt, was ſie geweſen iſt.
Ein Beruf und eine
Schan-
[205]
Schande fuͤr mich! Es haben alle die Jhrigen
laͤngſt erwartet, daß ſie ſich an ſie wenden
wuͤrde, ſo bald ſie in dem Ungluͤck waͤre:
allein der Entſchluß iſt ſchon zum voraus
gefaſſet, nicht einen Schritt zu ihrem Beſten
zu thun, wenn man auch ihr Leben dadurch
retten koͤnnte. Sie wird beſchuldiget, daß
ſie vorſetzlich davon gegangen iſt und aller-
hand liſtige Anſtalten zur Flucht gemacht
hat. Die Fraͤulein Howe iſt beſorget, daß
ſich mein Hochmuth an der Fraͤulein Har-
lowe raͤchen werde, nachdem ſie bisher ſo
hart gegen mich geweſen iſt.
Sie hat Recht.
Sie kann weiter nichts als Eins waͤhlen,
nehmlich die Meinige zu werden.
Denn es
ſcheint, daß ihr Vetter Morden auch gegen ſie
eingenommen iſt. Aus Zwang und als einen
Nothhelfer ſoll ſie mich nehmen. Alſo dein Lo-
velace
ſoll ein Nothhelfer eines Frauenzimmers
werden! iſt das moͤglich zu ertragen?


Jch will mir den Brief zu Nutze machen.
Aus dem, was nach dem Briefe der Fraͤulein
Howe zwiſchen den Herrn Harlowe, und Hick-
man
(denn ein anderer als Hickman kann es
nicht ſeyn) vorgefallen iſt, muß ich etwas drech-
ſeln: denn die Fraͤulein Howe ſchreibt, ſie wollte
nicht alles offenbaren. Jch muß den Brief ſelbſt
ſehen. Ein bloßer Auszug iſt nicht genug, es
kommt auf jedes Wort an. Dieſer Brief muß
mein Polar-Stern ſeyn.


Jn
[206]

Jn dem folgenden Theil des Briefes ſchlaͤgt die
Flamme der Freundſchaft lichterloh und mit großen
Lermen in die Hoͤhe. Jch habe mir nie vorhin
eingebildet, daß eine ſo heiſſe Freundſchaft zwiſchen
zwey ſchoͤnen Kindern ſeyn koͤnnte. Allein viel-
leicht wird die Freundſchaft ſelbſt durch den Wi-
derſprechungs-Geiſt hitziger, der dem weiblichen
Geſchlechte das Leben giebt und es nach der Ro-
maine bildet.


Sie plaudert viel davon, daß ſie nach
London kommen will,
wenn ſie der Fraͤulein
Harlowe den Verdruß erſparen kann, ſich
ſo tief herunter zu laſſen, oder wenn ſie gar
noch groͤßerm Ungluͤck vorbeugen kann.

Ein Rohr-Stab lehnt ſich auf den andern.
Dieſe Maͤdchens haben keinen Verſtand bey ihrer
Freundſchaft: ſie wiſſen nicht, was ein geſetztes
und beſtaͤndiges Feuer iſt.


Wie geht es aber zu, daß mir der Muth dieſer
Amazonin ſo wohl gefaͤllt, ob er mir gleich ſo viel
Schaden thut? Wenn ich ſie nur hier haͤtte, ſo ſollte
ſie in acht Tagen einen Gehorſam ohne Bedin-
gungen lernen. Wie wuͤrde es mich vergnuͤgen,
wenn ich einen ſolchen Kopf brechen koͤnnte! Einen
Monath wollte ich ſie denn noch bey mir haben,
laͤnger nicht: ſie wuͤrde nachher gar zu niederge-
ſchlagen und gar zu zahm ſeyn. Wie ſollte mich
das erquicken, wenn ich die beyden liebenswuͤrdi-
gen Freundinnen gedemuͤthiget und gezaͤhmet haͤt-
te, und ſie in dem finſterſten Winckel der Stube
ſich einander mit Seufzen in den Armen hielten,
und
[207]
und eine uͤber die andere weinete! Jch wollte als-
denn als ein rechtmaͤßiger Ober-Herr mich auf
meinen Sopha ſetzen, und wie ein Tuͤrckiſcher
Groß Sultan thun, der ſich beſinnet, welcher
Schoͤnen er zuerſt ſein Tuch zuwerfen ſoll.


Stelle dir das Maͤdchen vor. Es will vor
Verdruß uͤber die Harlowes von Sinnen
kommen. Es aͤrgert ſich uͤber den kleinen
Geiſt ſeiner Mutter. Gegen den albernen
und niedertraͤchtig-hochmuͤthigen Lovelace
iſt es erbittert.
(Albern? die kleine Kroͤte!
Gott vergebe es mir, daß ich ein tugendhaftes
Maͤdchen ſo nenne.) Sie wollen ſich aber
doch beyde herunter laſſen und mich neh-
men, ſo gut ich bin, wenn ſie ſich gleich die
Finger dabey ſchmutzig machen. Jch ha-
be mich gegen die Fraͤulein zum wenigſten
nicht unanſtaͤndig aufgefuͤhret.
Hieruͤber
ſcheint ſich die Fraͤulein Howe zu verwundern.
Jch darf mich es auch nicht unterſtehen.
Das mag ſie glauben! Wenn dem Frauenzimmer
ſolche Dinge in dem Kopfe herumſchwaͤrmen,
warum ſoll ich ſie denn nicht in meinem Hertzen
haben? Ein ſolcher Teufel bin ich noch nicht.
Wenn ich uͤble Abſichten haͤtte, ſo wuͤrde
es ſich ſchon laͤngſtens gezeiget haben.

Gott helfe!


Sie ſetzt hierauf ihrer Freundin in den Kopf,
daß ſie auf Ehe-Stiſtung, Trauſchein u. ſ. w.
dringen ſolle. Alle Bloͤdigkeit ſoll nun am Ende
ſeyn. Sie ſagt ihr alles, wie ſie es anfangen ſoll,
um
[208]
um weiter zu kommen. Glaubſt du nicht, daß
ich laͤngſtens geſieget haͤtte, wenn die Xantippe
nicht geweſen waͤre? Sie giebt ihr Schuld: daß
ſie zum wenigſten zweymahl aus Bloͤdig-
keit eine Gelegenheit habe fahren laſſen, die
ſie billig haͤtte ergreifen ſollen.
Du ſiehſt al-
ſo, daß die großmuͤthigſten unter dem Frauenzim-
mer durch alle ihre Sproͤdigkeit nichts ſuchen, als
einen armen Schelm, der ihnen in das Gehaͤ-
ge kommt, und ihnen anſtaͤndig iſt, zu pfaͤnden.


Bey dieſem Briefe lieget die allerunartigſte
Beylage, dadurch eine Tochter ſich je an ihrer
Mutter hat verſuͤndigen koͤnnen. Es iſt ſolch
Zeug von Witwen und alten Junggeſellen darin
enthalten, daß ich mich wundere, wie die Fraͤulein
Howe zu ſolcher Erkaͤnntniß gekommen iſt. Georg
Colmar
war gewiß noch einfaͤltiger als dein
Lovelace, wenn er ſie das alles umſonſt geleh-
ret hat.


Jn dieſem Anhange berichtet die Howe der
Fraͤulein Harlowe, daß der alte Anton um ihre
Mutter angehalten hat. Der alte Kerl muß ein
zaͤhes Leben haben, wenn er ſie bekommt: ſonſt
wird er es nicht lange bey einer Frau aushalten,
die den ſeeligen Howe zu Tode gequaͤlt hat. Doch
dem mag ſeyn wie ihm wolle, die dumme Familie
iſt wegen dieſes Einfalls des alten Antons ſo un-
verſoͤhnlich gegen ihre Fraͤulein Tochter, als ſie je-
mahls geweſen ſeyn mag. Jch bin alſo deſto ſiche-
rer, weil ſie (wie die Fraͤulein Howe ſagt) nur
Eins waͤhlen kann. So ſehr dieſes meinem Hoch-
muth
[209]
muth anſtoͤßig iſt, ſo glaube ich doch, daß meine
Zaͤrtlichkeit mich endlich uͤberwinden wird. Denn
ich habe nie gewuͤnſchet, daß ſie lauter Truͤbſal
haben ſollte. Allein warum liebet ſie dieſe Un-
menſchen (wie die Howe ſie nennet) ſo ſehr? und
mich ſo wenig? ‒ ‒ Jch habe noch eine Abſchrift
eines Briefes, deſſen Laͤſterungen den Fraͤuleins
nicht koͤnnen vergeben werden.



Der fuͤnf und zwantzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.


Der folgende Brief iſt ſo beſchaffen, daß dieſe
ſtoltzen Toͤchter ihn fuͤr vieles nicht in mei-
nen Haͤnden wuͤnſchen wuͤrden.


Jch ſehe was ihr an meinem Antrage misfal-
len hat. Er geſchahe nicht mit der Hitze als
ſie es erwartete. Dieſen gantzen Brief hat Dor-
cas
abgeſchrieben, als welcher er zufiel. Du ſollſt
einige Auszuͤge daraus von Wort zu Wort leſen.
Jch glaube (ſchreibt der kleine Teufel) daß
Leute von ſeiner Art nichts von den Flam-
men fuͤhlen, dadurch redliche und ehrliche
Leute entzuͤndet werden.
Die Fraͤulein
Howe hat doch artige Einfaͤlle! Ein allerliebſtes
Maͤdchen! Es muͤßte einen ehrlichen Kerl verdrieſ-
ſen, wenn ein Maͤdchen umſonſt zu ſolcher Weis-
heit gelanget waͤre.


Vierter Theil. OViel-
[210]

Vielleicht muß ich erſt ein halb Dutzend
aufopfern, ehe ich mich auf Lebenslang
einlaſſe.
Und damit dieſes nicht laſſen moͤchte,
als haͤtte ſie Hoffnung zu meiner Beſſerung, ſo
ſetzt ſie hinzu: ehe er das große Stufen-
Jahr uͤberſtanden hat, koͤnnen ſie ihn nicht
fuͤr ehrlich und zuverlaͤßig anſehen.
Sie
nuß von ihrem Geſchlechte hohe Gedancken ha-
ben, wenn ſie glaubt, daß wir bis an das große
Stuffen-Jahr noch immer verliebt ſeyn koͤnnen,
da wir an ihnen immer einerley finden.


Sollte der Menſch aus Hoͤflichkeit ge-
gen den Lord M. einen Aufſchub machen?

Ja, das thue ich. Wenn man bisher denen un-
gehorſam geweſen iſt, die man an Eltern Stelle zu
ehren hat, ſo folget nicht, daß man nie anfangen
ſoll, gehorſam zu werden. Dieſes iſt eine
wichtige Sache, welche der gantzen Familie an dem
Hertzen lieget. Sie haͤtten, heißt es weiter, in
der That geſtern fruͤh einen Freund noͤthig
gehabt, der fuͤr ſie geredet haͤtte. Wenn
ich damahls an ihrer Stelle geweſen waͤre,
ſo wollte ich ihm die Augen ausgekratzt,
und nachher Zeit gelaſſen haben, ſich zu
beſinnen, warum es geſchehen waͤre.
Sie-
he! ſiehe! was ſageſt du dazu?


Der Schelm! nennet ſie mich. Und
warum das? Weil ich gewuͤnſcht hatte, daß mor-
gen mein gluͤcklicher Tag ſeyn moͤchte, und weil
ich meine Pflicht gegen meine naͤchſten Verwand-
ten nicht vergeſſe.


Ein
[211]

Ein Frauenzimmer kann nicht ungluͤck-
licher ſeyn, als wenn es den Mann nehmen
muß, den es verachtet.
Das war es eben,
was ich wiſſen wollte. Jch fuͤrchte mich immer,
daß mein Kind ſeine Vorzuͤge allzugut wußte, und
mich in der That verachtete. Es iſt mir dieſes
unertraͤglich. Jch will das arme Kind nicht ſo
ungluͤcklich machen. Der Teufel hohle mich,
wenn ich eine Gemahlin nehme, die ſich gegen ihre
beſie Freundin ſo erklaͤret hat, daß jene daraus
ſchließen muß, ſie verachte mich. Soll Lovela-
ce
ſich verachten laſſen?


Jch wuͤnſchte, daß die Fauſt damit er
ſich vor den Kopf ſchlug,
(ich erinnere mich
der Sache noch wohl. Allein ſie hatte eben den
Ruͤcken zu mir gekehret. Koͤnnen die wachſamen,
die liſtigen Maͤdchens auch hinten ſehen?) ein
Beil in der Hand ſeines aͤrgſten Feindes ge-
weſen ſeyn moͤchte.
Jch will Geduld haben!
ja das will ich thun. Meine Zeit iſt nahe:
alsdenn will ich mein Hertz durch Erinnerung des
vorigen in Stahl und Eiſen verwandeln.


Es geſchiehet eines Vorſchlages Meldung,
meine rechtmaͤßige Beute aus meinen Haͤnden
zu befreyen.


Das macht mich unruhig. Nun wird der
Streit heftiger. Du wirſt dich nun nicht wun-
dern, wenn ich Schelmerey gebraucht. Jch will
mich nicht durch das Zauber-Wort, Norris,
verblenden laſſen.


O 2Sie
[212]

Sie wiederholt es nochmahls: ich
kann keine uͤbele Abſichten haben. Allein
ich bin ein Narr! das iſt das Ende vom
Liede.
Jch muͤßte freilich ein Narr ſeyn, wenn
ich ſo zu Wercke gienge, und die Abſicht haͤtte,
ſie zu heyrathen. Weil ſie aber einmahl durch
das Schickſal an einen Narren verſchenckt
ſind, ſo heyrathen ſie ihn bey der erſten und
beſten Gelegenheit. Jch glaube zwar, daß
er von der Art Narren iſt, die ſich am we-
nigſten lencken laͤßt; allein nehmen ſie ihn
als eine Straſe an, wenn ſie ihn nicht fuͤr
ihr Gluͤck halten koͤnnen.
Jſt das zu ge-
nießen?


Heute erhielte ſie wieder einen Brief, als ſie in
der Kirche war. Der Anſchlag iſt voͤllig gemacht:
es iſt eine verfluchte Meuterey.


Herr Lovelace ſchreibt hier den Theil des
zwey und zwantzigſten Briefes ab, der von der
Frau Townsend handelt. Nichts verdrießt
ihn mehr, als daß die Fraͤulein Howe ſich dar-
uͤber freuet, daß die Fraͤulein Harlowe ſeiner
durch die Flucht oder den Galgen los wuͤrde,
wenn er ſich unterſtuͤnde durch Gewaltthaͤtig-
keiten die Geſetze zu uͤbertreten.


Er ſetzt hinzu:


Jch mache mir eine Ehre daraus, ſolche Maͤd-
chens zu beſiegen, die ſo viel Verſtand haben, daß
ſie ſich fuͤr unbetruͤglich halten muͤſſen; und ſie zu
uͤberzeugen, daß ſie doch noch nicht genug wiſſen,
ſich
[213]
ſich vor den ſchaͤdlichen Folgen ihrer allzugroßen
Wiſſenſchaft in Sicherheit zu ſetzen.


Wie munter macht uns doch die Leidenſchaft!
Jn wenigen Stunden habe ich ein gantzes Buch
an dich geſchrieben. Jetzt bin ich rachgierig: jetzt
will ich dieſe zwiefach bewaffnete Schoͤne ſprechen,
und ſie vielleicht beſtrafen. Jch habe ihr ſagen
laſſen, ich muͤßte nothwendig Erlaubniß haben,
dieſen Abend bey ihr zu ſpeiſen. Dieſen Mittag
hat weder ſie noch ich gegeſſen: ſie wollte nicht
einmahl den Nachmittag warm Waſſer trincken.
Wir werden auch dieſen Abend ſchlechte Luſt zum
Eſſen haben.



Der ſechs und zwantzigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Jch bin geſtern Abend mit Herrn Lovelace
und mit der Jungfer Horton in dem Co-
moͤdien-Hauſe geweſen. Das Trauer-Spiel,
welches aufgefuͤhret ward, iſt ſchon ſehr betruͤbt,
und ruͤhrend, wenn man es nur lieſet. Sie ha-
ben meine Anmerckungen daruͤber in dem kleinen
Buche, das ich auf Jhren Befehl entworfen, und
mein Urtheil uͤber die bekannteſten Luſt- und
Trauer-Spiele faͤllen mußte. Sie werden ſich
nicht wundern, wenn ſo wohl die Jungfer Hor-
O 3ton
[214]
ton als ich ſehr geruͤhret ward, da ich Jhnen zu
meinem Vergnuͤgen melden kann, daß ſo gar Herr
Lovelace bey denen beweglichſten Stellen nicht
unbeweget blieb. Jch fuͤhre dieſes als einen Be-
weis an, daß das Trauer-Spiel ſehr wohl vorge-
ſtellet ward: denn ich halte den Herrn Lovelacen fuͤr
einen von den haͤrtſten Leuten in der Welt. Das
iſt meine aufrichtige Meinung von ihm.


Seine Auffuͤhrung in der Comoͤdie und bey der
Zuruͤckkunſt war untadelhaft; das eintzige ausge-
nommen, daß er mich zwang, unten bey den
Frauens-Leuten zu ſpeiſen, und bey nahe bis des
Nachts um ein Uhr aufzubleiben. Jch entſchloß
mich, ihm dieſes wieder einzutraͤncken; und in der
That war es mir lieb, daß ich einen ſo guten Vor-
wand hatte, denn ich bin des Sonntags fruͤh gern
allein.


Um eine noch beſſere Entſchuldigung zu ha-
ben, und mich ſeines Bettelns leichter entſchlagen
zu koͤnnen, habe ich mich voͤllig angekleidet, und
will mich nach S. James-Kirche tragen laſſen.
Jch werde hiebey ſehen, ob ich Freyheit habe aus
dem Hauſe zu gehen, wenn ich will, ohne daß er
mir ſeine Geſellſchaft aufdringet, wie er ſchon zwey-
mahl gethan hat.


Kurtz vor 9. Uhr.


Jch habe Jhren guͤtigen Brief von geſtern
erhalten: und er weiß es, daß ich ihn erhalten habe.
So bald ich ihn ſpreche, bin ich mir ſchon vermu-
then, daß er begierig ſeyn wird, zu wiſſen, was
Sie zu ſeinen Vorſchlaͤgen ſagen. Jch zweifelte
nicht
[215]
nicht daran, daß Sie dieſe Vorſchlaͤge billigen
wuͤrden, und in dieſer Hoffnung habe ich ſchon eine
Antwort geſchrieben, die fuͤr ihn fertig lieget.
Wenn wir nun wieder zerfallen, ſo muß er ſich
gewiß recht bemuͤhen, die Sache aufzuſchieben, und
mich in ſolcher Abſicht zu beleidigen.


Er verlanget mit großem Ungeſtuͤm, mich zu
ſprechen. Er hat ſich Erlaubniß ausgebeten,
mich in die Kirche zu begleiten. Er iſt ungehal-
ten, daß ich ihm abgeſchlagen habe, den Thee bey
ihm zu trincken: allein wenn ich ihm das geſtattet
haͤtte, ſo haͤtte ich zum Voraus gewußt, daß er
mich nicht allein wuͤrde ausgehen laſſen. Jch ließ
ihm durch Dorcas ſagen: ich wollte dieſen gan-
tzen Tag fuͤr mich allein haben; allein morgen
wollte ich ihn ſo fruͤh als ihn ſelbſt beliebete, ſpre-
chen. Sie ſagte: ſie wuͤßte nicht, was ihm fehlte;
er ſey mit jedermann boͤſe.


Er hat noch einmahl zu guter letzt an mich ge-
ſchickt. Er laͤßt mich vor Singleton warnen.
Jch ließ ihm aber antworten: da es geſtern Abend
nicht gefaͤhrlich geweſen ſey, in die Comoͤdie zu ge-
hen, ſo wuͤrde es auch heute nicht gefaͤhrlich ſeyn,
die Kirche zu beſuchen; da wohl funfzig mahl ſo
viel Kirchen als Comoͤdien-Haͤuſer in London waͤ-
ren. Jch habe indeſſen zugegeben, daß mir ſein
Diener nachfolget. Er iſt aber gantz verdrießlich
und misvergnuͤgt. Jch frage aber nicht darnach:
ich will mich nicht immer nach dem unhoͤflichen
Menſchen richten. Jch breche jetzt den Brief ab.
Die Saͤnſte iſt da. Jch hoffe nicht, daß er mir
O 4in
[216]
in den Weg kommen und mich zuruͤck halten
wird.



Jch habe ihn bey dem Hinuntergehen nicht
angetroffen. Er iſt uͤberaus ungnaͤdig; doch ſagt
Dorcas, daß ſeine Ungnade nicht eigentlich auf
mich falle, ſondern daß ihn ſonſt etwas verdrießen
muͤſſe. Vielleicht iſt dieſes nur darum angeſtel-
let, damit ich ihm nicht abſchlagen foll, mit ihm zu
ſpeiſen. Allein ich werde mich doch nicht daran
kehren, wenn ich es aͤndern kann: ſonſt wuͤrde ich
ſeiner den gantzen Tag nicht los werden.



Er hat ſehr darauf gedrungen, mit mir zu
ſpeiſen. Weil ich es aber einmahl darauf geſetzt
hatte, in dieſer Kleinigkeit meinen Willen zu haben,
ſo ſagte ich, ich wollte gar nicht eſſen. Jch be-
ſchaͤfftigte mich auch in der That mit einem Briefe
an meinen Vetter, Morden. Jch hatte drey Brie-
fe angefangen, ohne daß mir einer davon gefiel, und
ſich meiner Meinung nach recht zu meinen Um-
ſtaͤnden ſchickte.


Dorcas ſagt, er ſchriebe ſehr eifrig, und aͤße
auch dieſen Mittag nichts, weil ich nicht mit ihm
eſſen wollte.


Er foderte ſo zu reden den Nachmittag, daß
wir mit einander den Thee trincken moͤchten, und
berief ſich in dem, was er mir durch Dorcas ſagen
ließ, auf ſeine geſtrige Auffuͤhrung. Jch ließ ihm
antworten: er ſchiene einen großen Danck dafuͤr zu
fodern, wenn er ſich nicht ungebuͤhrlich auffuͤhrete.
Jn-
[217]
Jndeſſen wiederhohlte ich mein Verſprechen, mich
morgen, ſo fruͤh als er es ſelbſt befoͤhle, mit ihm zu
unterreden, und das Fruͤhſtuͤck mit ihm zu neh-
men.


Dorcas ſagte, er ſey gantz unleidlich. Mich
duͤnckt auch, ich hoͤrte, wie die Dieners von ihm
flogen, wenn er redete. Sie ſchreiben in einem
Jhrer vorigen Briefe, daß Sie jemand haben muͤß-
ten, mit dem Sie ſich zanckten, wenn Jhre Mut-
ter Sie verdrießlich macht. Jch wollte nicht gern
eine Vergleichung anſtellen. Allein die Leiden-
ſchaften ſind einerley, ſie moͤgen Manns-Leute oder
Frauenzimmer beherrſchen.



Er hat noch einmahl gefchickt, und dringet
darauf, daß wir dieſen Abend beyſammen eſſen
ſollen. Weil ich bisher ziemlich wohl mit ihm ge-
ſtanden habe, ſo hielte ich es fuͤr unvorſichtig, we-
gen einer ſolchen Kleinigkeit zu brechen. Jndeſ-
ſen iſt es mir ſehr ungelegen, daß ich mich durch
Drohungen zwingen laſſen ſoll, zu thun was er ha-
ben will.



Unterdeſſen, daß ich noch in Gedancken war,
klopfte Herr Lovelace an meine Stube, und ſag-
te mir mit einer unfreundlichen Stimme: er muͤß-
te mich ſprechen. Er koͤnnte keine Ruhe haben,
bis er wuͤßte, wodurch er ſich eine ſolche Auffuͤh-
rung zugezogen haͤtte. Jch muß wohl hingegen,
ob ich gleich weiß, daß er nichts neues zu ſagen hat,
und ſehr verdrießlich gegen ihn ſeyn werde.


O 5Weil
[218]

Weil die Fraͤulein nicht wuſte, was fuͤr
Abſichten Herr Lovelace hatte, und wor-
uͤber er ſo verdrießlich waͤre; ſo wollen
wir das folgende nach ſeiner eigenen Er-
zaͤhlung, die aus ſeinen Briefen genom-
men iſt, einruͤcken. Er erzaͤhlt, daß er
ſich auf eine zornige Art ihre Geſellſchaft
bey dem Abend-Eſſen ausgebeten habe,
und fahrt darauf alſo fort.


Mein eigenſinniges Kind antwortete: es iſt et-
was hartes, daß ich uͤber meine Zeit nicht zu be-
fehlen haben ſoll. Ueber eine halbe Stunde will
ich zu ihnen in den Speiſe-Saal kommen.


Jch gieng in der halben Stunde zu den
Frauens-Leuten hinunter, die ſehr an mir heraus
waren, daß ich ihr Urſache geben moͤchte grauſam
zu ſeyn, weil ſie doch grauſam ſeyn wollte. Sie
fuͤhreten ihre Beweiſe aus der Natur des ſchoͤnen
Geſchlechtes und aus den Umſtaͤnden, daß ich nichts
zu hoffen haͤtte, wenn ich bloͤde bliebe, und daß ich
mir durch die letzte Tod-Suͤnde keinen heftigern
Zorn zuziehen koͤnnte. Jch ſollte zum wenigſten
verſuchen, was er fuͤr Wirckungen haben wuͤrde,
wenn ich mir mehr Freyheiten gegen ſie heraus-
naͤhme. Jhre Gruͤnde wurden durch meine Lei-
denſchaft ſtaͤrcker, und ich entſchloß mich, mir einige
Freyheiten zu nehmen, und wenn ſie mir dieſes
nicht uͤbel naͤhme, zu noch groͤßeren Freyheiten zu
ſchreiten, und alles ihrer harten Auffuͤhrung gegen
mich Schuld zu geben. Jn dieſem Sinne gieng
ich hinauf, und ſpatzierte wie einer der die Gicht
hat,
[219]
hat, in dem Speiſe-Saal auf und nieder; denn
meine Erwartung machte, daß ich uͤber meine
Knochen und Gelencke nicht mehr zu befehlen
hatte.


Sie trat mit einer erhabenen Mine herein,
ihr Geſichte war abgekehrt, ihre geſchwollnen Bruͤ-
ſte traten deſto mehr hervor, weil ſie ſich ſo erha-
ben trug. Jſt es nicht unrecht, Bruder, daß ſelbſt
der Eigenſinn dieſe ſtoltze Schoͤne noch ſchoͤner
macht? Allein die wahre Schoͤnheit bleibt in allen
Stellungen und bey allen Gemuͤths-Beſchaffen-
heiten ſchoͤn. Aus dem abgekehrten Geſichte und
der veraͤchtlichen Geberde merckte ich, daß das liebe
unartige Kind Luſt hatte zu zuͤrnen: deswegen
nahm ich auch eine ſolche Mine an, da ich ihre
Hand mit Zittern ergriff, daß die Furcht bald in
ihrem Gemuͤthe ſiegete. Jndeſſen ward auch mein
Hertz ſogleich entwaffnet, und mit Ehrfurcht nie-
dergeſchlagen, als ich ſie ſahe. Sie iſt gewiß ein
Engel. Und dennoch glaube ich, daß die Jhrigen
ſie fuͤr ein Maͤdchen angeſehen haben muͤſſen, ſonſt
wuͤrden ſie ſie nicht von Kindheit an ſo gekleidet
haben, und ſie wuͤrde auch die weibliche Kleidung
aus Triebe des Gewiſſens abgeleget haben, wenn ſie
uͤberzeuget waͤre, daß ſie ihr nicht gebuͤhrete.


Darf ich ſie bitten, Fraͤulein, (fing ich an)
mir zu ſagen, wodurch ich eine ſolche Auffuͤhrung
von ihrer Seite verdienet habe?


Und darf ich ſie bitten, Herr Lovelace, mir
zu ſagen, wodurch ich verdient habe, daß ſie mich
ſtoͤren, wenn ich allein ſeyn will? Was kann ſeit
geſtern
[220]
geſtern Abends neues vorgefallen ſeyn, das ſie' mir
nothwendig ſagen muͤſſen? Seit dem Abend, da
ich ihnen zu Gefallen wider meinen Willen die
Comoͤdie beſuchte? und da ich auch wider meinen
Willen mit ihnen ſo ſpaͤte habe aufbleiben muͤſ-
ſen? ‒ ‒ ‒


Jch muß ihnen ſagen, Fraͤulein, daß es mir
unertraͤglich iſt, mit ihnen unter einem Dache zu
ſeyn, und dennoch ſo fremde zu bleiben. Jch ha-
be tauſenderley mit ihnen zu reden, das unſere je-
tzigen Umſtaͤnde und unſere kuͤnftige Hoffnung be-
trifft. Wenn ich ihnen aber mein gantzes Hertz
eroͤffnen will, ſo zwingen ſie mich, gantz fremde zu
thun. Sie machen, daß zwiſchen meinen eigenen
Handlungen keine Gleichheit ſeyn kann: ſie ſuchen
nur Zeit zu gewinnen. Sie muͤſſen gewiß ande-
re Abſichten haben. Sagen ſie mir, Fraͤulein,
um Gottes willen ſagen ſie mir ſogleich ohne Zwey-
deutigkeit und ohne Ausfluͤchte, von welcher Seite
ſie mich kuͤnftig anſehen und kennen lernen wollen.
Die Entſernung iſt mir unertraͤglich: die Qual,
zwiſchen Furcht und Hoffnung zu ſeyn, iſt mir
unertraͤglich.


Von welcher Seite, Herr Lovelace? nicht
von der ſchlimmen Seite. (Faſſen ſie mich doch
nicht ſo fort an: (ſie wollte die Hand loß ma-
chen) laſſen ſie mich gehen.


Sie haſſen mich, Fraͤulein. ‒ ‒


Jch haſſe niemanden. ‒ ‒


Sie haſſen mich, Fraͤulein: ſagte ich noch
einmahl.


Weil
[221]

Weil ich ſchon ſo ſehr angehetzt, und mit ei-
ner boͤſen Entſchließung hinauf gegangen war, ſo
brauchte es weiter nichts, als ein Wort, mich noch
boͤſer zu machen. Es iſt wahr, der Teufel ſchlich
ſich aus meinem Hertzen heraus, ſo bald ich mei-
nen Engel ſahe: allein er hatte die Thuͤr offen
gelaſſen, um wieder hinein zu kommen, und war
kaum einen Schritt von mir gegangen.


Jch ſehe, Herr Lovelace, ſie ſind in keinem
guten Sinne zu mir gekommen. Allein ich bitte
ſie, ſeyn ſie nicht ſo heftig. Jch habe ihnen nichts
zu Leide gethan. Seyn ſie nicht heftig.


Das liebe Kind! Jch faſſete es zwiſchen bey-
de Arme, und ſchlug meine Haͤnde in einander.
Sie haben mir nichts zu Leide gethan?
Sehr viel haben ſie mir zu Leide gethan. Wo-
durch habe ich es verdient, daß ſie ſo fremde ge-
gen mich thun? ‒ ‒ Jch wußte ſelbſt nicht,
was ich ſagen ſollte.


Sie ſuchte ſich loszureiſſen. Jch bitte ſie,
Herr Lovelace, laſſen ſie mich weggehen. Jch
weiß nicht, warum das alles geſchiehet. Jch bin
mir gar nichts bewußt, dadurch ich ſie beleidiget haͤt-
te. Jch ſehe, ſie ſind blos deswegen gekommen,
daß ſie ſich mit mir zancken wollen. Wenn ſie mir
nicht durch ihren Unwillen eine Furcht einjagen
wollen, ſo vergoͤnnen ſie mir wegzugehen. Jch
will auf ein anderes mahl alles anhoͤren, was ſie
zu ſagen haben. Es ſoll morgen fruͤh geſchehen,
wie ich ihnen ſchon verſprochen habe. Allein ich
fuͤrchte mich in der That vor ihnen. Wenn ſie
noch
[222]
noch einige Werthachtung fuͤr mich haben, ſo laſ-
ſen ſie mich weggehen.


Die Nacht, die Mitternacht iſt die eintzige
Zeit, in der ich ſiegen kann. Ueberfall, Schre-
cken, alles muß angewandt werden, wenn mein
Sturm nicht abgeſchlagen werden ſoll: Die
Frauensleute hier in dem Hauſe moͤgen ſagen, was
ſie wollen. Jch muͤßte meinen Vorſatz fahren
laſſen. Dieſes war nicht das erſtemahl, da ich
vorhatte, ſie auf die Probe zu ſetzen, ob ſie ver-
geben koͤnnte.


Jch kuͤſſete ihre Hand ſo, als wenn meine Lip-
pen daran kleben bleiben ſollten. So gehen ſie
denn weg, allerliebſtes Kind, und ewig liebes Kind.
Jch war zwar ſehr verdrießlich, als ich zu ihnen
kam: denn es iſt mir unertraͤglich, daß ſie ſo
fremde gegen mich thun. Allein, weil es einmahl
ihr Wille iſt, ſo gehen ſie hinauf. Faͤllen ſie ein
ſolches Urtheil uͤber mich, wie es ſich fuͤr ihr edles
Hertz ſchicket, und wie ich es verdiene. Darf ich
nicht hoffen, ſie morgen in einer ſolchen Faſſung zu
ſehen, die ſich zu unſern jetzigen Umſtaͤnden und zu
dem, was wir hoffen, beſſer ſchicket? Jch fuͤhrte
ſie mit dieſen Worten an die Thuͤr, und verließ ſie.
Jch gieng aber nicht zu den Frauensleuten hinun-
ter, ſondern verſchloß mich in meine Stube, weil
ich mich ſchaͤmete, daß ihr vornehmes und liebens-
wuͤrdiges Geſicht, und ihre wachſame Tugend, ei-
nen ſolchen Sieg uͤber mich erhalten hatte, nach-
dem ich durch die Briefe ihrer unartigen Freun-
din, die ſie ſelbſt durch ihre Nachrichten veranlaſ-
ſet
[223]
ſet hatte, ſo rechtmaͤßig erbittert und ſo ſehr zur
Rache gereitzet war.


Die Fraͤulein beſchreibet ihre Furcht und
Herrn Lovelaces Auffuͤhrung alſo:


Als ich in das Zimmer trat, ergriff er meine
Hand auf eine ſolche Art, und ſahe ſo aus, als
wenn er durchaus zancken wollte. Und warum
das?
Jch habe in meinem Leben kein ſo wildes,
zorniges und ungeduldiges Geſicht geſehen. Jch
erſchrack mich; und ob ich mir gleich vorgenom-
men hatte, zornig zu ſeyn, ſo war ich doch gezwun-
gen, mich gantz gelaſſen zu bezeigen. Jch kann
mich vor Schrecken kaum erinnern, was er zuerſt
ſagte; allein das erinnere ich mich wohl, daß er
ſagte: ſie haſſen mich, Fraͤulein! ſie haſſen
mich.
Er ſprach dieſes auf eine ſo unbaͤndige
Weiſe, daß ich wuͤnſchte, hundert Meilen von ihm
zu ſeyn. Jch ſagte: ich haſſe niemand. Gott-
lob, es iſt kein Menſch auf der Welt, den ich haſ-
ſen ſollte. Sie jagen mir Furcht ein. Laſſen ſie
mich gehen. ‒ ‒ Der Menſch ſahe recht wun-
derlich aus. Jch habe noch nie ein Geſichte ge-
ſehen, das durch den Zorn ſo verſtellet ward, als
das ſeinige. Und woruͤber war er ſo boͤſe?
Er faſſete meine Hand, der wilde Menſch faſſete
meine Hand ſo an, daß es mir recht wehe that.
Einmahl umfaſſete er mich, und er ſchien es recht
darauf anzufangen, daß ich ihn beleidigen ſollte.
Jch konnte daher nichts thun, als ihn einmahl uͤber
das andere mahl bitten, daß er mich moͤchte gehen
laſſen.
[224]
laſſen. Jch verſprach ihm deßwegen, ihn den an-
dern Morgen zu ſprechen, ſo bald er es beliebte.


Er ließ ſich dieſes endlich gefallen, aber ſo,
daß ich nichts von gutem Anſtande bey ihm ver-
nahm, und kuͤſſete mir die Hand ſo, daß ich noch
einen rothen Fleck darauf habe.


Bringen Sie doch, allerliebſte Fraͤulein Ho-
we,
den Vorſchlag mit der Frau Townsend zu
Stande. Jch will den Menſchen verlaſſen.
Sehen Sie nicht, daß er ſich von Tage zu Tage
mehr heraus nimmt? Jch zittere, wenn ich zu-
ruͤck dencke, wie viel er ſchon gewonnen hat. Und
nun giebt er mir ſogar Urſache, noch mehr Boͤſes
zu befuͤrchten, als meine Feder vor Verdruß ſchrei-
ben kann. Bringen Sie ja alles in Richtigkeit,
ſo will ich von dem wunderlichen Kerl fliehen.
Er mußte gewiß einen Endzweck haben, den er
nicht geſtehen wird, da er ſich recht darzu draͤngete,
mit mir zu zancken. Was kann das fuͤr ein End-
zweck ſeyn.



Es verdroß mich ſo ſehr auf ihn, und er hatte
mich in ſolche Furcht geſetzt, daß ich halb außer
mir und voll Verzweifelung die Antwort auf ſei-
nen Antrag faſt gantz zerriß.


Morgen fruͤh will ich ihn ſprechen, weil ich es
ihm zugeſagt habe: Jch will aber bald ausgehen,
ohne ihn mitzunehmen. Wenn er mir nicht Re-
de und Antwort giebt, woher dieſe ploͤtzliche Ver-
aͤnderung entſtehet, und ich in einem Hauſe, das
in gutem Ruff iſt, eine Miethe finden kann, ſo
will
[225]
will ich nicht in dieſes Haus zuruͤck kommen.
Dieſes iſt zum wenigſtens jetzt mein Vorſatz. Jch
will alsdenn entweder die Ausfuͤhrung Jhres Vor-
ſatzes abwarten: oder ich will mich ſchriftlich mit
ihm unterreden, und alles durch Briefe ausma-
chen, weil Sie doch glauben, daß ich die Seinige
werden muͤſſe. Vielleicht entſchließe ich mich gar,
mich in den Schutz der Lady Eliſabeth zu be-
geben. Hierdurch wuͤrde ich ihn auch abhalten,
ſeine Drohungen gegen die Meinigen nicht zu er-
fuͤllen.



An dem Montage Abends ſchreibt die Fraͤu-
lein abermahls, und giebt von dem gantzen Tage
eine genaue Nachricht: inſonderheit davon, daß
ſie vor Furcht nicht ausgegangen ſey. Allein wir
laſſen dieſes aus, weil Herr Lovelace es noch
umſtaͤndlicher berichtet.


Jndeſſen muͤſſen wir melden, daß ſie aber-
mahls ſo uͤbel mit Herrn Lovelacen zufrieden iſt,
daß ſie die Fraͤulein Howe ſehr bittet, alles mit
Frau Townsend zur Richtigkeit zu bringen.


Sie beſchließt den Brief mit dieſen Worten:


„Nun ſollte ich billig etwas zur Antwort auf
„Jhren letzten Brief, den ich vor wenigen Stun-
„den erhalten habe, und auf die Unterredung mit
„Jhrer Mutter ſchreiben. Koͤnnen Sie eine Sa-
„che nicht recht laͤcherlich vorſtellen! Jch wuͤnſche
„nur zweyerley hierbey: einmahl, daß ſie eine an-
„genehmere Materie zum Schertzen haben moͤch-
„ten; zum andern, daß ich jetzt nicht in ſolchen
Vierter Theil. P„Umſtaͤn-
[226]
„Umſtaͤnden waͤre, die allen Schertz erſticken, und
„mir nicht erlauben, ſo daruͤber zu lachen, als ich
„ſonſt zu thun pflege. Seyn Sie indeſſen ver-
„gnuͤgt, ob Sie ſich gleich nicht freuen koͤnnen
„uͤber die Umſtaͤnde


Jhrer Clariſſa Harlowe.„



Der ſieben und zwanzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford.



Bey der Fraͤulein iſt nicht die geringſte Danck-
barkeit. Wuͤrdeſt du nicht geglaubt haben,
nachdem ich ſie hatte gehen laſſen, als ich recht reif
zur Suͤnde war, daß ſie des Morgens recht fruͤh
zu mir kommen, mir ein freundlich Geſicht ge-
ben und noch dazu den beſten Knicks machen
wuͤrde?


Jch war ſchon vor ſechs Uhr in dem Speiſe-
Zimmer und wartete auf ſie. Allein ſie eroͤffnete
die Thuͤr nicht. Jch gieng die Treppe auf und
nieder; ich huſtete, ich rief Wilhelm, ich rief
Dorcas; ich ſchmieß die Thuͤren zu, und dennoch
gieng ihre Thuͤr nicht auf. So laurete ich wie
ein Narr bis um halb acht Uhr: als aber das
Fruͤhſtuͤck fertig war, ſo ſchickte ich endlich die
Dorcas zu ihr, und bat mir ihre Geſellſchaft aus.


Jch wußte nicht, was ich zu ſehen bekam, als
ſie gleich hinter der Dorcas hergieng; gantz an-
gekleidet!
[227]
gekleidet! mit Handſchuhen, mit Fechtel und al-
lem Teufel! Sogleich befohl ſie der Dorcas,
Wilhelm auszuſchicken, und eine Saͤnfte beſtellen
zu laſſen.


Grauſames Kind! dachte ich: mußt du mich
ſo den Leuten in dem Hauſe zum Geſpoͤtte ma-
chen!


Sie wollen ausgehen, Fraͤulein?


Ja, mein Herr.


Jch glaube, ich ſahe verflucht dumm aus.
Ob ich gleich hundert Widerhacken in meinem Her-
tzen fuͤhlte, ſo ſagte ich doch ſehr demuͤthig: ich hoffe,
ſie werden vorher etwas zu ſich nehmen.


Wenn ſie mir ihre Abſichten deutlicher zu er-
kennen gegeben haͤtte, ſo waͤre ich vielleicht wieder
ſo boͤſe geworden, als ich geſtern war, und haͤtte
den Anfang zur Rache gemacht. Alles Giftige,
was in den Briefen der Fraͤulein Howe geſtan-
den hatte, kam mir auf einmal in das Gedaͤcht-
niß.


Ja! ſagte ſie: ſie wollte eine Taſſe Thee trin-
cken. Hiemit legte ſie Fechtel und Handſchuhe
in das Fenſter.


Jch war voller Verwirrung. Jch huſtete,
ich kratzte mich, wo mirs nicht juckete, ich wollte
reden, und wußte doch nicht, was ich ſagen ſollte.
Wer iſt nun bloͤde? dachte ich: wer iſt nun ſtoltz?
Wie kann ein gebieteriſches Frauenzimmer eine bloͤ-
de und beſcheidende Manns-Perſon in Furcht ſetzen!
Sie ſchien mir die Fraͤulein Howe zu ſeyn, und
ich war der kleinmuͤthige Hickman.


P 2End-
[228]

Endlich dachte ich, ich will den Anfang ma-
chen.


Sie eine Taſſe: ich eine Taſſe.


Sie ſchlurfte den Thee mit freyen Augen.
Sie ſahe als eine hochmuͤthige und herrſchſuͤchtige
Koͤnigin um ſich, die ſich ihrer Vorzuͤge bewußt
iſt, und von der man einen jeden Blick fuͤr eine
Gnade annimmt.


Jch ſchlurfte wie ein Unterthan. Lippen und
Haͤnde zitterten mir: ich ſchmeckte das nicht, was
ich in der Angſt hinunter ſchluckte.


Jch ‒ ‒ ich ‒ ‒ denn ſchlurfte ich noch ein-
mahl zu, und zog Athem und Thee zugleich hin-
ter, ob ich mir gleich den Mund verbrannte. ‒ ‒
Jch hoffete, Fraͤulein ‒ ‒


Dorcas trat eben herein. Jſt die Saͤnfte
gehohlet, Dorcas? ſagte ſie.


Was fuͤr eine verfluchte Grobheit, mir ſo in
die Rede zu fallen. Jch mußte warten bis die
Magd ihrer ſtoltzen Fraͤulein geantwortet hatte.


Wilhelm hohlt eine, gnaͤdige Frau.


Es koſtete mir eine gantze Minute, ehe ich
wieder anfangen konnte. Und doch konnte ich
nichts vorbringen, als daß ich gehoffet haͤtte, ge-
hoffet haͤtte, gehoffet haͤtte, ſie fruͤher zu ſprechen.


Was fuͤr Wetter iſt es, Dorcas? ſagte ſie,
und bekuͤmmerte ſich ſo wenig um mich, als wenn
ich gar nicht zugegen geweſen waͤre.


Etwas truͤbe. Die Sonne hat ſich verkro-
chen. Vor einer halben Stunde war es beſſer.


Mir
[229]

Mir verging die Geduld. Auf ſtand ich:
Thee-Topf, Milch, alles ſtieß ich um. Der Teufel
hohle Wetter, Sonnenſchein und die Hure auf Ei-
ner Poſt. Scheert euch fort, ins Teufels Nah-
men, wenn ich mit eurer Herrſchaft ſprechen will,
und ſo wenig Gelegenheit habe, ſie zu ſprechen.


Die Fraͤulein ſtand halb in Schrecken auf,
und nahm Handſchuhe und Fechtel aus dem Fen-
ſter.


Sie muͤſſen nicht weggehen, Fraͤulein. Bey
meiner Seele, ſie muͤſſen nicht weggehen! ‒ ‒ Jch
ergriff ſie bey der Hand.


Jch muß nicht? Herr Lovelace. Ja!
ich muß! Sie koͤnnen auf die Magd eben ſo gut
fluchen, wenn ich nicht zugegen bin, als wenn ich
dabey bin: es waͤre denn, daß ſie mich meynen,
und die Magd nennen.


Allerliebſtes Kind, ſie muͤſſen nicht weggehen.
Sie muͤſſen mich nicht verlaſſen. Solche recht
vorſetzliche Verachtung! Sie thun gantz unnoͤthige
Fragen an das Maͤdchen, bloß um mir den Mund
zu ſtopfen. Wer kann das ertragen?


Halten ſie mich nicht auf: ſagte ſie, und ſuchte
ſich loßzureißen. Jch will mich nicht halten laſ-
ſen. Weder ſie, noch ihre Weiſe gefallen mir.
Sie ſuchten geſtern Gelegenheit, ſich mit mir zu
zancken: und ich kann noch keine andere Urſache
errathen, als dieſe, daß ich zu gefaͤllig gegen ſie
geweſen bin. Sie ſind ein undanckbarer Menſch,
und ich haſſe ſie von gantzem Hertzen, Herr
Lovelace.


P 3Trei-
[230]

Treiben ſie mich nicht auf das aͤußerſte, Fraͤu-
lein. Erlauben ſie mir, daß ich ſie in einer ſol-
chen Gemuͤths-Unruhe nicht gehen laſſe. Jch
werde ſie begleiten, wo ſie hingehen. Wenn die
Fraͤulein Howe meine Freundin geweſen waͤre,
ſo wuͤrden ſie mir nicht ſo begegnen. Jch mercke
wol, wem ich allen Verdruß zu dancken habe. Jch
habe ſchon ſeit einiger Zeit bemerckt, daß ein jeder
Brief den ſie von ihr empfangen, ihr Betragen
gegen mich zu meinem Nachtheil aͤndert. Sie will,
daß ſie mir eben ſo begegnen ſollen, als ſie ihrem
Hickman: allein fuͤr ihr Gemuͤth wuͤrde es ſich
eben ſo wenig ſchicken, das zu thun, als fuͤr mich
es zu leiden.


Dieſes machte ſie unruhig. Sie verlangte nicht,
daß ich von der Fraͤulein Howe ſolche Gedancken
haͤtte.


Doch ſie beſann ſich. Die Fraͤulein Howe
(ſagte ſie) iſt eine Fraͤulein der Froͤmmigkeit und
aller frommen Leute. Wenn ſie ihr nicht anſtehen,
ſo koͤnnen ſie die Urſache nun wol errathen.


Ja, Fraͤulein, das glaube ich. Um von Hick-
man
und mir ſo zu reden, wie ſie beide vermuthlich
uns anſehen, gehet ſie mit Hickman ſo um, als
ſie gewiß mit Lovelacen nicht umgehen wuͤrde.
Jch frage ſie, ob ſie mir einen von ihren Briefen
zeigen koͤnnen, darinn ſie meiner nicht gedencket.


Wie weit kommen wir von unſerer Haupt-
Sache ab! Die Fraͤulein Howe iſt gerecht: ſie
iſt auch guͤtig und billig. Sie redet und ſchreibet
von jedermann ſo, wie er es verdienet. Nennen
ſie
[231]
ſie mir etwas Loͤbliches, das ich ihr von ihnen haͤtte
berichten koͤnnen, darin ſie ſich gerecht, oder billig
aufgefuͤhrt haben, ſo will ich ihre Antwort aufſu-
chen, und ich will darauf wetten, daß ſie ihnen guͤn-
ſtig ſeyn wird.


Verflucht ungnaͤdig! Und wie unhoͤflich, daß ſie
einen beſcheidenen Mann zwinget, ſeinen eigenen
Tugenden nachzuſpuͤren.


Sie wollte zur Stube hinaus: ich will ausge-
hen, Herr Lovelace. Jch will mich nicht halten
laſſen.


Jn der Unruhe muͤſſen ſie nicht ausgehen: ich
laſſe ſie nicht weggehen.


Jch ſtellete mich zwiſchen ſie und die Thuͤr. Sie
warf ſich auf einen Stuhl hin, und wehete ihr Ge-
ſichte, das von artiger Bosheit mit Zinnober ge-
faͤrbet ward.


Jch warf mich ihr zu Fuͤßen. Weg Lovela-
ce! ſagte ſie, mit dem Fechtel in der Hand, und
mit einer verſchmaͤhenden Bewegung. Um ihrer
ſelbſt willen laſſen ſie mich allein. Meine Seele
iſt uͤber deine, Kerl! (Sie ſtieß mich mit beyden
Haͤnden weg.) Zwinge mich nicht, dir zu ſagen,
wie ſehr ich glaube, daß du keine ſolche Seele haſt,
als ich: dein Hertz iſt allzu hochmuͤthig, als daß
man ſich einlaſſen koͤnnte, etwas mit dir auszu-
fechten. Laß mich, verlaß mich auf ewig. Dein Hertz
iſt zu ſtoltz; ich kann mit dir nicht auskommen.


Stimme, Gebaͤrde, und Art, damit ſie dieſe un-
ertraͤglichen Worte vorbrachte, hatten etwas bezau-
bernd Edles an ſich.


P 4Jch
[232]

Jch ſagte: Erlauben ſie mir einen Engel, und
nicht ein Frauenzimmer anzubeten! Vergeben ſie
mir, liebſtes Kind. Wenn ſie ein Kind und nicht
eine Gottheit ſind, ſo vergeben ſie mir. Vergeben
ſie meiner Unbedachtſamkeit, und daß ich mir ſelbſt
ſo ungleich bin. Haben ſie Mitleiden mit meiner
Schwachheit. Wer kann meiner Clariſſa gleich
ſeyn?


Jch zitterte vor Liebe und vor Verwunderung, und
umſpannete ihre Knie mit meinen Armen, ſo wie
ſie ſaß. Sie bemuͤhete ſich den Augenblick aufzu-
ſtehen, allein ſie konnte nicht, ſondern fiel wieder
nieder. Kein Frauenzimmer kann in groͤßeres
Schrecken gerathen, als ſie bey dieſer Gelegenheit.
So frey aber meine Handlung ihrem argwoͤhni-
ſchen Hertzen ſcheinen konnte, ſo hatte ich doch kei-
nen Gedancken dabey, der nicht aus Ehrfurcht ent-
ſtand. Mein Hertz blieb ſo rein als das ihrige,
ſo lange ſie bey mir war: denn ich bewilligte, daß
ſie von mir und auf ihre Stube ginge, unter der
Bedingung, daß ſie die Saͤnfte wegſchicken, und
bald zu mir kommen wollte.


Sie hielt ihr Wort nicht. Jch wartete eine
halbe Stunde, ehe ich ſie erinnern ließ. Die Ant-
wort war: es ſey ihr noch nicht moͤglich mich zu
ſprechen. Sie wollte aber kommen, ſo bald ſie
koͤnnte. Dorcas ſagte, ſie zittere noch, und haͤtte
kaltes Waſſer und Hirſchhorn gefodert.


Ein wunderbares und argwoͤhniſches Kind!
Jhr Schrecken iſt groͤßer, als es dieſesmal nothig
iſt. Ein gefuͤrchtetes Uebel iſt oft groͤßer, als ein
wirck-
[233]
wirckliches Uebel. Haſt du nicht bemercket, daß
die Angſt eines gefangenen Voͤgelchens, das wir
in der Hand halten, viel geringer iſt, als man haͤt-
te vermuthen ſollen, wenn man das kleine ſcheue
Ding geſehen haͤtte, da es gefangen werden ſollte?


Das gute Kind. Hat es noch nie von ſeiner erſten
Kindheit an gelaͤrmet? Hat es nie blinde Kuh ge-
ſpielet? Weiß es nichts von Pfaͤndern? Die un-
ſchuldigen Freyheiten wuͤrden ſie zu groͤßeren Frey-
heiten gewoͤhnet haben. Es iſt ſchon eine Ent-
heiligung, den Saum ihres Kleides zu beruͤhren.
Uebermaͤßig zuͤchtig! Wie kann die heilige Schoͤne
daran dencken, eine Frau zu werden?


Allein was kann ich hiervon ſagen, ehe ich noch
nicht alles verſucht habe? Jch muß es auf eine
ſanftere Weiſe anfangen: ich muß verſuchen, ob
mir ein naͤchtlicher Ueberfall nicht gluͤcklicher gelin-
get. Denn mit dem Tage habe ich nichts mehr
zu thun. Und endlich iſt das Ende meines Liedes:
ich kann ſie heyrathen, wenn ich will. Und wenn
ich das nach erhaltenem Siege thue, (ich mag nun
dieſen einem Ueberfall oder einem verſtellten Wi-
derſtande zu dancken haben) ſo habe ich niemand
beleidiget, als mich ſelbſt.



Es iſt jetzt eilf Uhr. Die Marichen Horton
hat ſie aus zaͤrtlicher Freundſchaft beſucht, weil
ſie zu ihr das meiſte Vertrauen hat. Zu dieſer
hat ſie geſagt: ſie wollte mich ſprechen, ſo bald es
ihr moͤglich waͤre. Sie hat verſichert, ihre hef-
tige Gemuͤths-Bewegung ſey nicht aus Eigenſinn,
P 5nicht
[234]
nicht aus Sproͤdigkeit, nicht aus Verdrießlichkeit,
ſondern aus einer Schwaͤche des Gemuͤthes
und aus allllzugroßem Kummer entſtanden. Sie
hat nicht genug Staͤrcke des Gemuͤthes, ihr
Ungluͤck zu ertragen, und die Furcht auszuſtehen,
die ſie uͤberfaͤllt, wenn ſie an den Fluch ihres Va-
ters gedencket, der ſchon allzuſehr in ſeine Erfuͤl-
lung gehet.


Was fuͤr ein Widerſpruch! Sie klagt uͤber
Schwaͤche des Gemuͤthes, und ihr Wille iſt
doch ſo ſtarck. O Belford,
in dieſem Frauen-
zimmer ſchlaͤgt ein Loͤwen-Hertz, ſo bald es ihre Eh-
re, oder eingebildete Zuͤchtigkeit erfodert, daß ſie
ein Hertz faſſet. Jch habe aber mehr als einmal
bemercket, daß ein gutes Gemuͤth zwar nicht ſo leicht
Feuer faͤnget, daß aber die Flamme am wenigſten
zu loͤſchen und am heftigſten ſey, wenn es einmahl
entzuͤndet iſt. Allein ihr allerliebſter Leib iſt gantz
anders gebauet. Dieſe beiden Freunde wollen ei-
nen gantz verſchiedenen Weg gehen. Die Gott-
heit, die in ihr wohnet, zerreißet das ſeidene Ge-
webe, in welches ſie eingehuͤllet iſt. Wenn aber die-
ſer Geiſt in einen Jungen gefahren waͤre, ſo wuͤrde
er der braveſte Held geworden ſeyn.


Montags um 2 Uhr.


Noch iſt meine Schoͤne unſichtbar. Sie be-
findet ſich nicht wohl. Wie uͤble Auslegungen
hat ſie uͤber meine demuͤthige Bewunderung ge-
macht! Sie furchte ſich mehr vor meiner Grobheit
als vor meiner Rache. Wie durſte ich nach Ra-
che gegen die beyden Fraͤuleins! Jch muß eins
von
[235]
von meinen Meiſterſtuͤcken anbringen. Wenn nur
der verdammte Anſchlag mit der Townsend nicht
waͤre! Kann ich dieſen Anſchlag nicht zu Waſſer
machen, ſo haͤnget beſtaͤndig ein Schwerdt uͤber
meinem Haupte. So bald ich meine Geliebte be-
leidige, ſo bald wird ſie Fluͤgel bekommen: und
alle Muͤhe wird vergeblich ſeyn, die ich mir gege-
ben habe, ſie von allem andern Schutz zu entbloͤßen,
und ihr alle Zuflucht zu vermauren. Vielleicht
finde ich auch einen Zoll-Betrieger, den ich der
Fraͤulein Howe entgegen ſetzen kann.


Du erinnerſt dich des Streites zwiſchen der
Sonne und dem Nordwinde, wer von beyden
ſeinen Wanders-Mann zuerſt ſeinen Mantel rau-
ben wuͤrde. Boreas machte den Anfang. Er
bließ mit dem groͤßten Ungeſtuͤm, daß der arme
Wandersmann taumeln mußte: allein er richtete
weiter nichts aus, als daß er ſich dichter in ſeinen
Mantel huͤllete. Als aber Phoͤbus kam, ſo ließ
er ſo viel Strahlen auf den Wandersmann fallen,
daß dieſer erſt den Mantel oͤffnete, und ihn her-
nach abnahm. Er ließ nicht eher ab, bis er den
Wanderer gezwungen hatte, den angenehmen
Schatten eines großen Baumes zu ſuchen, und
ſich unter deſſen Zweigen durch einen angenehmen
Schlummer zu erquicken. Der ſiegreiche Gott
lachte Boreas und den Wanderer aus, und ſetzte
ſeinen erwaͤrmenden Lauf fort, durch welchen er tau-
ſendmahl tauſend Geſchoͤpfe erquickete und belebete.
Als er des Abends ſeinen feurigen Lauf geendiget
hatte, machte er die Thetis durch Erzaͤhlung dieſer
Geſchichte zu lachen.

So
[236]

So will ich es auch machen. Alles, was
ſtuͤrmiſch iſt, will ich ablegen, und wenn ich meine
liebe Reiſende zwingen kann, nur auf einen Au-
genblick ihre uͤbertriebene Tugend von ſich zu le-
gen, ſo werde ich, eben ſo, wie die Sonne, weiter
nichts zu thun haben, als daß ich meine erquicken-
de Strahlen auf mehrere fallen laſſe. Allein mei-
ne angenehmſten Ruhe-Stunden ſollen nach voll-
brachter Pilgrimſchaft meiner Goͤttin geweihet
bleiben.



Bey meinem neuen Vorſatz wird mir dieſes
Haus und das erdichtete Haus der Frau Fret-
chville
zur Laſt. Jch muß mich davon loß ma-
chen: zum wenigſten ſoll es auf einige Zeit ſtille
davon werden. Wenn ich ausgegangen bin, ſo
ſoll der Capitain Mennell kommen, und ſich nach
mir erkundigen. Du fragſt, was er bey mir will?
Was wird er wollen? Haſt du nicht gehoͤrt, was
der armen Frau Fretchville vor ein Ungluͤck be-
gegnet iſt? Jch will dirs erzaͤhlen.


Eine von ihren Maͤdchen hat in voriger Wo-
che die Pocken bekommen, das uͤbrige Geſinde hat
dieſes vor ihrer Herrſchaft bis auf den Freytag
verborgen gehalten; und ſie erfuhr es nur von un-
gefaͤhr. Der meiſte Theil der menſchlichen Pla-
gen ruͤhret von den Bedienten her, die ſie theils
zum Staat, theils zum Gebrauch miethen, um
wenigere Sorgen zu haben. Die Witwe gerieth
hieruͤber in ſolches Schrecken, daß ſie alle Zufaͤlle
bekam, welche dieſen Feind bey den ſchoͤnen Kin-
dern
[237]
dern anzumelden pflegen. Sie kann deswegen an
kein Ausziehen gedencken, und eben ſo wenig kann
ſie verlangen, daß wir laͤnger auf ſie warten ſol-
len. Sie wuͤnſcht nunmehr, daß ſie vorhin ſelbſt
gewußt haͤtte, was ſie wollte, und auf das Land
gezogen waͤre, als wir das Haus miethen wollten:
ſo wuͤrde dieſer Zufall ſie nicht geſtoͤret haben.
Fuͤr uns iſt das ein verdrießliches Ungluͤck. Man
kann doch nichts als unangenehme Zufaͤlle in die-
ſem Leben erwarten. Gewiß, die Leute haben
nicht noͤthig, ſich muthwillig ein neues Kreutz zu
machen. Mit dem Hauſe iſt es alſo zum wenig-
ſten eine Zeitlang vorbey. Jch will kuͤnftig ſchon
wieder zuruͤck luͤgen. Weil ich langſam und ſicher
gehen muß, ſo habe ich jetzt ein paar Schelmereyen
im Kopfe, ſie wieder zu bekommen, wenn ſie mir
auch entwiſchen ſollte.


Allein was wird aus dem Lord M.? Warum
kriege ich keine Antwort auf meinen Einlatungs-
Brief? Wenn er mir einen ſolchen Brief ſchriebe,
den ich zeigen koͤnnte, ſo wuͤrde dieſes zu meiner
Verſoͤhnung ſehr viel beytragen. Jch habe der
Sache in dem Briefe an die Fraͤulein Charlotte
gedacht. Wenn er nicht bald antwortet, ſo ſoll er
bald etwas von mir hoͤren, das ihm nicht ange-
nehm ſeyn wird. Er hat bisweilen gedrohet mich
zu enterben: wenn ich aber mit ihm breche, ſo thue
ich recht, und kraͤncke ihn zehnmahl mehr, als er
mich kraͤncken kann. Durch ſeine Nachlaͤßigkeit
geraͤth die Ehe-Stiftung auch in das Stecken.
Wie iſt mir das ertraͤglich? Jch bin ſo eigenſinnig
und
[238]
und ſo ungeduldig, als irgend ein Frauenzimmer
ſeyn kann, und ich werde ſo unruhig daruͤber, wenn
ich mich in meiner Hoffnung betrogen ſehe, als
das beſte Maͤdchen.



Abermahls ein Brief von der Fraͤulein Ho-
we!
Es wird vermuthlich der ſeyn, den ſie neulich
verſprochen hat, darin ſie die Liebes-Geſchichte des
alten Antons und ihrer Mutter erzaͤhlet. Jch
wollte mich recht freuen, wenn ich den Brief
koͤnnte zu ſehen bekommen. Hoffentlich wird nichts
mehr von der Zoll-Betriegerin darin ſtehen. Sie
ſcheint den Brief in ihre Taſche geſteckt zu haben,
allein ſie wird ihn bald zu den uͤbrigen Briefen
legen.


Montags Abends.


Auf meine Bitte hat ſie ſich endlich entſchloſſen,
mich des Nachmittages (nicht fruͤher) bey dem
Thee in der Speiſe-Stube zu ſprechen. Sie trat
bloͤde und beſchaͤmt herein, und es ſchien, daß ſie
ſelbſt daruͤber betreten war, daß ſie die Sache ſo
weit getrieben hatte, und ohne Noth furchtſam ge-
weſen war. Sie gieng verdrieslich und langſam
nach dem Thee-Tiſche zu. Dorcas war dabey,
hatte aber mit dem Thee zu thun. Jch nahm un-
terdeſſen ihre widerſpaͤnſtige Hand, und druckte ſie
an meine Lippen. Liebes, liebenswuͤrdiges Kind,
warum ſo fremde? Warum ſo grauſam? Wie
koͤnnen ſie das allertreueſte Hertz in der Welt ſo
quaͤlen? Sie machte ihre Hand los: und als ich
ſie wieder ergreiffen wollte, ſo zog ſie ſie auf eine
un-
[239]
unfreundliche Art zuruͤck, ſagte weiter nichts als:
ſeyn ſie ruhig: und ſetzte ſich nieder. Eine
ſanfte Bewegung deſſen, was das allerſchoͤnſte iſt,
kuͤndigte Eigenſinn und Empfindlichkeit an. Jhr
weißes Schnupftuch gieng auf und nieder, und eine
ſchoͤne Fluth brach uͤber ihre allerliebſten Wangen
aus.


Um Gottes willen, Fraͤulein! ‒ ‒ Jch griff
zum drittenmahl nach ihrer Hand, die mich immer
von ſich ſtieß.


Um Gottes willen, Herr Lovelace, quaͤlen
ſie mich nicht mehr.


Dorcas ging weg. Jch zog meinen Stuhl
naͤher an ihren, und nahm ihre Hand mit der
groͤßeſten Ehrfurcht. Jch ſagte ihr: ich koͤnnte
ohne meine Marter zu vergroͤßern nicht unterlaſ-
ſen, ihr die Furcht zu geſtehen, in welche mich ihre
fremde Auffuͤhrung ſetzte. Wenn ſie gegen eine
Perſon in der Welt kaltſinniger waͤre, als gegen
die andere (ein haͤrteres Wort mochte ich nicht
gern gebrauchen) ſo fuͤrchtete ich, daß dieſes Un-
gluͤck den betraͤfe, der jetzt vor ihr ſitze.


Sie ſahe mir ſteif in das Geſichte, ließ mir
ihre eine Hand, und zog mit der andern das
Schnupftuch aus der Taſche. Sie ſuchte ein
paar Thraͤnen zu verbergen, die ſchon in den Au-
gen ſtunden, und an ihren gluͤenden Wangen nie-
derlaufen wollten. Sie antwortete mir nur durch
einen Seufzer und durch ein abgekehrtes Ge-
ſichte.


Jch
[240]

Jch bat ſie, daß ſie reden, daß ſie mich anſehen,
daß ſie mich nur durch Einen guͤnſtigen Blick er-
freuen moͤchte.


Sie ſagte mir: meine Klage uͤber ihre Kalt-
ſinnigkeit ſey nicht ungegruͤndet. Sie koͤnnte
nichts edles in meinem Gemuͤthe wahrnehmen.
Alle Gefaͤlligkeiten und Wohlthaten waͤren an mir
verlohren. Meine wunderliche Auffuͤhrung ſeit
Sonnabend Abends uͤberzeugete ſie hievon: und
ſie koͤnnte bis jetzund die Urſache noch nicht erra-
then, die mich bewogen haͤtte, ſo wunderlich zu ſeyn.
Alle gute Hoffnung, die ſie von mir gefaſſet haͤtte,
ſey nun zu Waſſer geworden, und meine gantze
Weiſe gefiel ihr nicht.


Dieſes war ein Stich in mein Hertz. Jch
glaube, daß die Wahrheit einem Schuldigen im-
mer empfindlicher iſt, als eine falſche Anklage ei-
nem Unſchuldigen.


Jch bath ſie nur um Geduld, meine Verant-
wortung anzuhoͤren, und zu vernehmen, was die
Urſache dieſer Veraͤnderung geweſen ſey. Jch
geſtand von neuen, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz
habe, dem es unertraͤglich ſey, von einem ſolchen
Frauenzimmer, das ich gern die Meinige nennen
wollte, nicht allen Menſchen in der Welt vorgezo-
gen zu werden. Der Eheſtand muͤſſe von kei-
ner Seiten kaltſinnig oder gleichguͤltig angetreten
werden.


Sie fiel mir in die Rede: es iſt eine Unver-
ſchaͤmtheit, es iſt ein Hochmuth, daß ſie Zeichen der
Werthachtung erwarten, und ſich doch nicht be-
muͤhen
[241]
muͤhen wollen ſie zu verdienen. Sie duͤrfen nicht
dencken, Herr Lovelace, daß ſie ein Maͤdchen vor
ſich haben, das nach ihnen ſeufzet, und das aus
Schwachheit liebet, wo es keinen Grund zur Liebe
hat. Die Fraͤulein Howe wird ihnen ſagen koͤn-
nen, daß ich die Fehler meiner Freunde nicht lie-
be, und nie gewuͤnſchet habe, daß meine Freunde
meine Fehler lieben moͤchten. Es iſt ein Geſetz
unter uns geweſen, daß wir einander nicht ſchonen
wollten. Wie darf denn ein Mann, der aus lau-
ter Fehlern zuſammen geſetzt iſt, (denn nennen ſie
mir einmahl ihre Tugenden) wie darf der hoffen,
daß ich einige Werthachtung fuͤr ihn haben werde?
Wenn ich einen ſolchen werth achten koͤnnte, ſo
verdiente ich von ihm ſelbſt verachtet zu werden.


Sie haben ſich in der That nach dieſen groß-
muͤthigen Gedancken gerichtet, meine liebe Fraͤu-
lein. Sie koͤnnen auſſer Sorgen ſeyn, daß der
Diener, den ſie vor ſich haben, ſie wegen einiger
Zeichen der Zaͤrtlichkeit oder der Guͤtigkeit verach-
ten werde. Sie haben ſich, wie ſie vielleicht
dencken werden, auf eine lobenswuͤrdige Weiſe
bemuͤhet, mir bey aller gegebenen und genomme-
nen Gelegenheit zu ſagen, daß ihnen aus eigener
Wahl nie der Gedancke in den Sinn gekommen
iſt, die Meinige zu werden. Jch wuͤrde mein
gantzes Hertz mit allen Fehlern, mit allen Wuͤn-
ſchen, mit allen Abſichten ihnen endeckt haben,
wenn ich nur ſo viel Vertrauen und Werthachtung
bey ihnen gefunden haͤtte, daß ſie nicht alles, was
ich ihnen offenbahrte, oder woruͤber ich ſie um
Vierter Theil. QRath
[242]
Rath fragte, zum ſchlimmſten auslegen wuͤrden.
Denn niemahls iſt ein offenhertzigerer Menſch auf
der Welt geweſen als ich: wer kann ſich ſelbſten
ſo viel anklagen, als ich thue? (das iſt wahr Bel-
ford
) Allein ſie wiſſen, Fraͤulein, daß es ehemahls
anders zwiſchen uns geſtanden hat. Zweifel, Ent-
fernung und Sproͤdigkeit auf ihrer Seiten, hat bey
mir Zweifel, Furcht und Bloͤdigkeit hervorge-
bracht. Wie wenig Zutrauen haben ſie zu mir?
Wir gehen mit einander um, als wenn wir uns
fuͤr Spitzbuben und nicht fuͤr Liebhaber hielten.
Wie habe ich mich fuͤr jeden Brief gefuͤrchtet, der
aus Wilſons Hauſe gebracht iſt! Mit Recht habe
ich mich gefuͤrchtet! Denn ſo große Hoffnung ich auf
den Brief geſetzt hatte, den ſie geſtern empfingen,
und der eine Antwort auf meine Vorſchlaͤge zur
Eheſtiftung enthalten ſollte, ſo hat doch dieſer Brief
ſie ſehr gegen mich eingenommen, wenn ich aus
dem Erfolg einen Schluß machen ſoll: indem ſie
gaͤntzlich abſchlugen mich geſtern zu ſprechen, ob ich
es gleich zuließ, daß ſie ſich ohne meine Begleitung
aus dem Hauſe tragen lieſſen.


Meine ungnaͤdige Schoͤne antwortete: Das
war meine gantze Suͤnde, daß ich in die Kirche
ging, ohne einen mitzunehmen, der von freyen
Stuͤcken nie wuͤrde in die Kirche gegangen ſeyn.
Das war auch eine Suͤnde, daß ich den gantzen
Sonntag vor mich haben wollte, nachdem ich wi-
der meinem Willen ihnen zu gefallen in die
Comoͤdie gegangen war, und ſie mich ebenfalls wi-
der meinem Willen bis in die ſpaͤtſte Nacht aufge-
halten
[243]
halten haben. Das waren meine Verbrechen:
Dafuͤr ſollte ich geſtrafet werden! Meine Strafe
ſollte darin beſtehen, daß ſie mir die allerverdrieß-
lichſte Aufwartung machten, und mich durch eine
ſolche Auffuͤhrung zu erſchrecken ſuchten, als ein
Frauenzimmer in meinen Umſtaͤnden, das nicht
ſchuldig iſt ſolche Brocken zu verdauen, vielleicht
niemahls erfahren hat. Sie haben bisweilen an
meines Vaters Auffuhrung etwas auszuſetzen ge-
funden: allein das allerſchlimmſte, das meine Mut-
ter von ihm hat erdulden muͤſſen, ſeit dem ich da bin,
gehoͤrt in die Flitter-Woche, wenn ich es mit dem
vergleiche, was ich von ihnen erdulden ſoll, da ſie
um mich anhalten. Was kann ich bey ihnen fuͤr
Hoffnung haben, wenn ich mir auch das Beſte vor-
ſtellen wollte? Jch kann mein Hertz nicht beſaͤnf-
tigen, wenn ich mit ihnen reden ſoll, und daran ge-
dencke, wie unhoͤflich und niedertraͤchtig ſie einer
Perſon begegnen, die bloß durch ſie ungluͤcklich ge-
worden iſt. Jch kann ſie kaum fuͤr Augen ſehen.


Sie wandte ſich von mir, ſtand auf, und hielt
Haͤnde und Augen (ihre unvergleichlichen Augen!)
die ihr voll Waſſer ſtunden, gen Himmel. O
mein lieber Vater (ſagte das liebe Kind, auf eine
ſolche Art, die ich nie nachahmen und die du dir nie
vorſtellen kannſt) du haͤtteſt deinen Fluch ſparen
koͤnnen, wenn du gewuſt haͤtteſt, wie ich geſtraffet
bin, ſeit dem ich meinen Fuß aus deiner Garten-
Thuͤr auf Jrrwege geſetzt habe, um mich mit die-
ſem Menſchen zu unterreden. Sie ſanck von
neuen auf den Stuhl hin, und ihre feurigen Wan-
Q 2gen
[244]
gen wurden mit einer Fluth von heißen Thraͤnen
uͤberſchwemmet.


Jch nahm ihre Haͤnde, die noch gefalten wa-
ren, und ſagte: mein allerliebſtes Leben, wer kann
ſolche Worte anhoͤren, die ſo beweglich und doch ſo
heftig ſind! (So wahr ich lebe, ich empfand ſo
etwas in meiner Naſe, als ich zu empfinden pfleg-
te, wenn mir in meinen Jungens-Jahren das Wei-
nen ankam. Noch vor kurtzer Zeit habe ich dieſe
Empfindung ſchon einmahl gehabt. Jch durfte
es kaum wagen, ihr in das Geſichte zu ſehen.) Wo-
durch habe ich es verdienet, daß ſie ſo wehklagen?
Habe ich jemahls durch Worte, durch Thaten,
durch Blicke ihnen Urſache gegeben, meine Ehr-
erbietung gegen ſie in Zweifel zu ziehen? Verehre
ich nicht ihre Tugenden beynahe goͤttlich? Es iſt
blos ein Misverſtaͤndniß auf beyden Seiten: ich
will zum wenigſten hoffen, daß aller Streit ein En-
de haben wuͤrde, wenn wir uns recht verſtuͤnden.
Haben ſie die Guͤtigkeit, ſich von ihrer Seite deut-
lich zu erklaͤren; und ich will von meiner Seite
ein gleiches thun; ſo werden wir bald vergnuͤgter
ſeyn koͤnnen. Wie fromm waͤre ich, wenn ich
Gott ſo liebete, als ich ſie liebe! Allein ich will
des Todes ſeyn, wenn ich einen eintzigen Wunſch
auf ſie richten koͤnnte, ſo bald ich wuͤßte, daß mei-
ne Liebe bey ihnen keine Gegenliebe faͤnde. Ge-
ben ſie mir Hoffnung, weiter nichts als Hoffnung,
daß ſie mich andern vorziehen werden, und mich
freywillig waͤhlen koͤnnen! nur Hoffnung, daß ſie
mich nicht haſſen, daß ſie mich nicht verachten!


O Herr
[245]

O Herr Lovelace, wir ſind nun lange genug
beyſammen, daß wir einer des andern haben uͤber-
druͤßig werden koͤnnen. Unſer Gemuͤth und un-
ſere Weiſe ſind ſo verſchieden, daß ſie Urſache ha-
ben, mir eben ſo abgeneigt zu ſeyn, als ich ihnen
bin. Jch glaube ſicherlich, daß ich die Zuneigung
zu mir, die ſie vorgeben, mit keiner Gegenliebe be-
lohnen kann. Mein Hertz, das vorhin munter
und aufgeraͤumt war, iſt gantz verſtellet und ver-
drießlich. Durch den Umgang mit ihnen, habe
ich einen ſehr ſchlechten Begriff von allen Men-
ſchen, und inſonderheit von ihnen bekommen: und
von mir ſelbſt habe ich ſeit der Zeit ſo ſchlechte Ge-
dancken, daß ich nie die Augen wieder werde auf-
heben koͤnnen. Alle die Eigenliebe und der Hoch-
muth, der aus einem guten Gewiſſen entſtehet, iſt ver-
lohren: der Hochmuth, der einem Frauenzimmer
unentbehrlich iſt, wenn es mit einigem Vergnuͤgen
dieſes Leben zuruͤcklegen ſoll.


Sie hielt innen: ich ſchwieg ſtille, und dachte:
bey meiner Seele, das angenehme Kind wird mich
doch noch ſtuͤrtzen.


Sie fuhr fort: was iſt uͤbrig, als daß ſie mich
gaͤntzlich frey ſprechen, und mir zuſagen, daß ſie
mich auf keine Weiſe hindern wollen, den Schluß
meines Schickſaals zu erfuͤllen?


Sie hielt abermahls inne, und ich ſchwieg auch
ſtille. Jch uͤberlegte bey mir ſelbſt, ob ich alle mei-
ne Anſchlaͤge, die ich gegen ſie gefaſſet hatte, fah-
ren laſſen ſollte, und ob ich nicht ſo viel Zeichen von
Q 3ihrer
[246]
ihrer Tugend und Großmuth erhalten haͤtte, daß
mir kein Zweifel mehr uͤbrig bliebe?


Sie fuhr fort: ich nehme ihr Stilleſchweigen
fuͤr ein gluͤckliches Zeichen an, Herr Lovelace.
Sagen ſie mir, ob ich gantz frey ſeyn ſoll? Sie
wiſſen, daß ich ihnen nichts verſprochen habe: und
daß ſie mir auch nichts ſchuldig ſind. Jch will
mich darum nicht graͤmen, daß ich durch ſie un-
gluͤcklich geworden bin.


Sie wollte noch fortreden. Jch unterbrach ſie
aber: mein liebſtes Leben, ich habe alle Anſchickun-
gen zur Hochzeit gemacht, und ſie zwingen mich an
ihrer Liebe zu zweifeln. Jch ſtehe eben wegen Kutſche
und Pferde im Handel.


Kutſche und Pferde! Eitelkeit, Thorhei-
ten! Was frag ich nach Kutſche und Pferden?
was nach meinem Leben? was nach der gantzen
Welt? nachdem ich mir ſelbſt ſo veraͤchtlich ge-
worden bin. Mein Vater hat mich verflucht!
Wenn ich zuruͤck dencke, ſo muß ich mich ſchaͤmen:
und wenn ich auf das Kuͤnftige dencke, ſo grauet
mir! So oft mir etwas Widriges begegnet, ſo oft
ſteigen mir dieſe betruͤbten Gedancken ſtaͤrcker auf.
Sagen ſie mir ſelbſt: wie viel Widriges begegnet
mir? Alle ſuͤſſe Einbildungen, die ich mir gemacht
hatte, ſind vernichtet: alle meine Hoffnung iſt am
Ende. Verbieten ſie mir nicht, mich in einen
dunckeln Winckel zu verſtecken, in welchem mich
weder die Feinde, die ſie mir gemacht haben, noch
die wenigen Freunde, die ich uͤbrig habe, ſuchen
werden. O wenn beyde von ihrer unbedaͤchtigen
Cla-
[247]
Clariſſa nichts hoͤren moͤchten, bis der gluͤckliche
Augenblick anbricht, der alle meine Suͤnden buͤßen
wird!


Jch konnte nichts antworten. Jch habe noch
nie einen ſolchen Streit in mir verſpuͤret. Danck-
barkeit und Bewunderung beſtritten meine Ge-
wohnheits-Suͤnden, und meine Vorſaͤtze, die
ich mit ſo vieler Ueberlegung gemacht, und deren
ich mich ſo oft geruͤhmet hatte. Wenn ich nach
der Sprache des Poͤbels ehrlich ſeyn ſoll, ſo muß
ich hundert neue Schelmereyen, die ich in dem
Kopfe und in dem Hertzen habe, fahren laſſen:
und doch habe ich an lauter Schelmerey und
Schwuͤrigkeiten Vergnuͤgen. Jch bemuͤhe mich
immer, mir das in friſches Andencken zu bringen,
was die Fraͤulein Howe gegen mich geſchrieben
hat: allein es will ſeine Wirckung nicht mehr bey
mir haben. Jch waͤre verlohren geweſen, wenn
nicht Dorcas mir eben zu rechter Zeit einen Brief
gebracht haͤtte, deſſen Aufſchrift war: ſo gleich zu
erbrechen.


Jch ging an das Fenſter und erbrach den Brief
Er war von der Dorcas ſelbſt geſchrieben, und
dieſes war der Jnhalt: ſuchen ſie die Fraͤulein
zu amuſiren. Jch habe ein importantes
Blat abzuſchreiben. So bald ich fertig bin,
will ich huſten.


Jch ſteckte das Papier ein, und wandte mich wie-
der mit einem freyeren Geſichte zu meinem Kinde,
welches ſich auch einigermaßen wieder erhohlet
hatte. ‒ ‒ Jch habe nur eine Bitte an ſie: ſagte
Q 4ich.
[248]
ich. Darf ich nicht wiſſen, ob die Fraͤulein Ho-
we
meinen Aufſatz gebilliget hat? Jch weiß, daß
ſie meine Feindin iſt. Jch war eben im Begriff,
ihnen zu ſagen, woher die Veraͤnderung in meiner
Auffuͤhrung ruͤhret, deren ſie mich beſchuldigen: al-
lein ſie waren ſo heftig, daß ich es nicht wagen durf-
te. Sie waren gewiß ſehr heftig, liebſtes Kind. Glau-
ben ſie nicht, daß es mir nahe gehen muß, wenn
mein Wunſch immer von einer Zeit zur andern
aufgeſchoben wird, weil ihr uͤberwiegendes Verlan-
gen iſt, daß ſie ſich mit Leuten ausſoͤhnen wol-
len, die ſelbſt zu keiner Verſoͤhnung Luſt haben?
Dieſes war die Urſache, daß ſie ſich nicht wollten
trauen laſſen, ehe wir nach London kamen, ob-
gleich ihre Schweſter und ihre gantze Familie ih-
nen ſo rau und unertraͤglich begegnet, und ich ſie ſo
flehentlich bat. Dieſes war die Urſache, daß ih-
nen meine vier Freunde ſo misfaͤllig und aͤrgerlich
waren; und daß ſie ſich ſo ſehr entruͤſteten, als
ich einen vergeblichen Verſuch that, einen Brief
der Fraͤulein Howe zu ſehen, da ich ohnmoͤglich
dencken konnte, daß es eine Tod-Suͤnde ſey, Brie-
fe zu leſen, die ein Frauenzimmer an das andere
ſchriebe. Dieſes war die Urſache, daß ſie mich
eine Woche lang nicht ſprechen wollten, bis ſie
wußten, was ſie bey ihrem Onckel ausrichten wuͤr-
den. Nachdem aber dieſer Verſuch fruchtlos war;
nachdem ſie meinen Aufſatz kaltſinnig angenommen,
und ihn nach meinem Rathe an die Fraͤulein Ho-
we
geſandt hatten, um ihn mit ihr zu uͤberlegen;
nachdem ſie mir die Ehre erzeiget hatten, an dem
Sonn-
[249]
Sonnabend mit mir in die Comoͤdie zu gehen, und
ich gewiß wußte, daß ich bis auf den letzten Augen-
blick nichts verſehen haͤtte: ſo konnte ich nicht an-
ders als ſehr beſtuͤrtzt daruͤber werden, wenn ich
ſahe, daß ſie ſich den naͤchſten morgen ſo ſehr geaͤn-
dert hatten. Da ſie bey dieſer neuen Auffuͤhrung
blieben, und ſich theils ſo nachdruͤcklich gegen mich
erklaͤrten, nachdem ſie den Brief von der Fraͤu-
lein Howe erhalten hatten, den ſie mit ſo groſſer
Ungeduld erwarteten: ſo mußte ich nothwendig glau-
ben, daß ich alles lediglich der Fraͤulein Howe zu
dancken haͤtte. Mußte ich nicht nothwendig glau-
ben, daß etwas neues in dem Wercke ſey, dazu es
erfodert wuͤrde, ſo fremde gegen mich zu thun? und
daß ich von neuen in Gefahr ſtuͤnde, ſie auf ewig
zu verlieren? Denn iſt dieſes nicht ſtets die erſte
Bedingung geweſen, welche einzugehen ſie ſich wil-
lig erklaͤrten? Bey den Umſtaͤnden war es kein
Wunder, wenn ich halb von Sinnen kam, u. ich hatte
Recht, ſie zu beſchuldigen, daß ſie mich haſſeten. Und
nun bitte ich ſie nochmahls, liebſtes Kind, ſagen ſie
mir, wie gefaͤllt mein Aufſatz der Fraͤulein Howe?


Wenn ich mit ihnen ſtreiten wollte, Herr Lo-
velace,
ſo wuͤrde es mir leicht ſeyn, ihre ſchoͤne Re-
de zu beantworten. Jch will aber weiter nichts
ſagen, als dieſes, daß ſich ihre bisherige Auffuͤh-
rung gegen mich gar nicht entſchuldigen laͤßt.
Wenn ihre Abſicht redlich geweſen iſt, ſo ſind ſie
zum wenigſten ſehr geſchaͤfftig geweſen, ihre Gaͤn-
ge zu verwirren, und ſich krumme Wege aufzuſu-
chen. Jch weiß nicht, ob es ihnen an einem aufgeklaͤr-
Q 5ten
[250]
ten Kopfe oder an einem rechtſchaffenen Hertzen ge-
fehlet hat: allein einem von beyden Maͤngeln muß
ich ihr bisheriges ſeltſames Betragen zuſchreiben.


Verflucht ſey der kleine Teufel, der ihnen ſolchen
Argwohn gegen das redliche Hertz das ſeyn kann,
beybringet.


Wie? unterſtehen ſie ſich ‒ ‒ Hier hielt ſie ein,
weil ſie merckte, daß ſie ſich beynahe verrathen haͤt-
te; welches eben meine Abſicht war.


Was unterſtehe ich mich, Fraͤulein? Was
meynen ſie mit dem unterſtehen? ‒ ‒ Jch ſahe hie-
bey nachdencklich aus.


Garſtiger Menſch! Wollen ſie ‒ ‒ Abermahls
hielt ſie ein.


Was denn wollen? Und warum bin ich ein
gerſtiger Menſch?


Unterſtehen ſie ſich, jemanden vor meinen Ohren
zu verfluchen?


Wie artig ſich das liebe Kind zuruͤckziehen konn-
te! Allein ſo laͤßt Lovelace eine nicht entwiſchen,
die zu viel geredet hat.


Wie ſo? liebſtes Kind. Jſt denn jemand, der
ihnen Argwohn gegen mich beybringet? Wenn es
ſolche Leute giebt, ſo verfluche ich ſie nochmahls, ſie
moͤgen auch ſeyn wer ſie wollen.


Hier ward ſie allerliebſt - boͤſe. Dieſes war
das erſte mahl, daß mir unſer Zanck zum Vortheil
gereichte.


Gut! Es iſt ſo, wie ich vermuthete. Und
nun habe ich die Erklaͤrung uͤber ihre bisherige Auf-
fuͤhrung, die ihnen hoffentlich nicht natuͤrlich iſt.


Hinter-
[251]

Hinterliſtiger Menſch! So wollen ſie mich fan-
gen! Jch geſtehe ihnen, daß ich von niemanden
Briefe bekomme, als von der Fraͤulein Howe. Jn
einigen Stuͤcken gefallen ſie der Fraͤulein Howe
eben ſo wenig, als mir: denn ich habe ihr nichts
verſchwiegen. Sie iſt aber ihre Feindin nicht mehr,
als meine Feindin. Sie glaubt, ich muͤßte ihren
Antrag nicht ausſchlagen, ſondern mich in meine
Umſtaͤnde ſchicken, ſo gut ich koͤnnte. Nun wiſſen
ſie die gantze Wahrheit. Wie wollte ich mich freu-
en, wenn es ihnen ihr Hertz zuließe, eben ſo ehr-
lich zu ſeyn!


Das befiehlt mir mein Hertz, hier auf meinen
Knieen erneure ich meine Bitte, daß ſie mich zu
dem ihrigen, auf ewig zu dem ihrigen machen wol-
len. Geben ſie mir nur Urſache, ihnen und der
Fraͤulein Howe in einem Athem allen moͤglichen
Seegen anzuwuͤnſchen.


Die Wahrheit zu ſagen, Belford, ich bin faſt
auf die Gedancken gekommen, daß die Heldin, die
ihren Hickman gewiß nicht recht leiden kann, in
mich verliebt waͤre.


Stehen ſie auf, Herr Lovelace! Jhre Kniee
ſind allzu beugſam. Spotten ſie meiner nicht.


Allzu beugſame Kniee dachte ich! Obgleich
bey dieſer ſtoltzen Schoͤnen das Knieen ſo wenig
ausrichtet, ſo weiß ich doch, was ich bey andern
ihres Geſchlechts dadurch gewonnen habe, und
wie oft ſie mir die letzte Tod-Suͤnde vergeben ha-
ben, wenn ich auf meinen Knieen um Vergebung
bat.


Jh-
[252]

Jhrer ſpotten? Fraͤulein! ‒ ‒ ‒ Jch ſtand
auf, und bat ſie von neuen einen Tag zur Trauung
zu beſtimmen. Jch bedaurete, daß ich den Lord
M. zur Hochzeit gebeten haͤtte, weil dieſes einen
Aufſchub verurſachen koͤnnte. Allein ich ſagte,
ich wollte die Einladung wieder abſchreiben, wenn
ſie nichts dagegen einzuwenden haͤtte: oder ich
wollte ihm den Tag beſtimmen, den ſie mir be-
ſtimmen wuͤrde, ohne auf ihn zu warten, wenn ihn
ſeine Unpaͤßlichkeit hinderte, zur rechten Zeit da zu
ſeyn.


Der Tag, den ich beſtimme, wird nie anbre-
chen: ſagte ſie. Wundern ſie ſich nicht. Wenn
irgend eine wohlgezogene Perſon Richter zwiſchen
uns ſeyn ſollte, ſo wuͤrde ſie ſich dieſes nicht befrem-
den laſſen. Aber wahrhaftig, Herr Lovelace,
(ſie weinte fuͤr Ungeduld) ſie muͤſſen entweder nicht
wiſſen, wie man mit einem wohlgezogenen Ge-
muͤth umgehen muß, ob man gleich wegen ihrer
Geburt und Erziehung etwas beſſeres hoffen ſoll-
te; oder ſie ſind undanckbar, (und nach einigem
Verzuge) noch aͤrger als undanckbar. Allein
ich will weggehen. Morgen will ich ſie wieder
ſprechen. Es iſt mir ohnmoͤglich dieſes fruͤher
zu thun. Jch glaube, daß ich ſie haſſe. Sie
moͤgen mich anſehen! Jch glaube gewiß, daß ich
ſie haſſe: und wenn ich das bey einer genauen
Pruͤfung finde, ſo muß es zwiſchen uns nicht wei-
ter kommen.


Jch war allzu verdrießlich und unruhig, als
daß ich ſie an dem Weggehen haͤtte hindern ſollen.
Sie
[253]
Sie wuͤrde aber dennoch noch nicht von mir gegan-
gen ſeyn, wenn Dorcas nicht gehuſtet haͤtte.


So bald die Fraͤulein weg war, kam das
Maͤdchen und gab mir die Abſchrift des Briefes.
Es war die Antwort, welche mir das bewunderns-
wuͤrdige Kind auf meine Vorſchlaͤge zur Eheſtif-
tung hatte geben wollen. Jch hatte nur einen
Blick auf dieſes ruͤhrende und bewegliche Blatt
gethan. Wenn ich es mit Nachdencken geleſen
haͤtte, ſo wuͤrde ich die gantze Nacht nicht ſchlafen
koͤnnen. Morgen will ich es deſto reiflicher uͤber-
legen.



Der acht und zwanzigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn J. Belford.



Dieſes liebe Kind will mich vor Abends nicht
ſprechen: es befindet ſich nicht wohl, wie
Dorcas erzaͤhlet.


Lies hier die Abſchrift ihres Briefes an mich.
Jch koͤnnte ohnmoͤglich fortfahren, dieſe unver-
gleichliche Frauenzimmer ſo zu betruͤben, wenn ich
nicht den Vorſatz haͤtte, ſie (falls ſie mich nicht
wircklich haſſet) auf eine rechtmaͤßige Art zu der
Meinigen zu machen, wenn ſie noch einige wenige
Verſuchungen auf eine eben ſo ruhmwuͤrdige
Weiſe uͤberſtehet.


An
[254]
An Herrn Lovelace.

„So bald ein Frauenzimmer verheyrathet iſt,
„ſo erfodert dieſe allerſtaͤrckſte Verpflichtung un-
„ter Menſchen, daß ihr Wille in allen Stuͤcken den
„Willen ihres Gemahls unterworfen ſeyn muß,
„die nicht ungerecht ſind, und die die Ehre ih-
„res Gemahls betreffen koͤnnen. Allein ehe ich
„mich dieſer Verpflichtung unterwerfe, wuͤnſch-
„te ich die allerdeutlichſte und buͤndigſte Ver-
„ſicherung zu haben, daß Sie alle moͤgliche
„Mittel anwenden werden einen Rechts-Streit
„mit meinem Vater zu vermeiden. Geduld und
„Zeit werden alles uͤberwinden. Meine Hoff-
„nung einer zeitlichen Gluͤckſeeligkeit iſt jetzo ſehr
„enge eingeſchraͤncket. Die Rechte eines Ge-
„mahls werden immer einerley bleiben. Jch
„wuͤnſchte zum wenigſten, daß nichts dergleichen
„bey meinem Lebzeiten geſchehe. Jhre Umſtaͤn-
„de noͤthigen Sie nicht, meinem Vater das mit
„Gewalt abzuzwingen, was er von dem Meini-
„gen in Haͤnden hat: und ich will auf meiner
„Seite alles moͤgliche anwenden, ich will mich in
„Abſicht auf die Kleidung und Vergnuͤgung ſo
„einſchraͤncken, und mit ſo vieler Sorgfalt die
„Haushaltung fuͤhren (denn ich glaube, daß auch
„das vornehmſte Frauenzimmer ſich der Haushal-
„tung nicht ſchaͤmen darf,) daß es nicht noͤthig ſeyn
„moͤge zu dergleichen Mitteln zu greiffen. Sollte
„es aber die Noth erfordern, ſo will ich doch hof-
„fen, daß es eine wahre Noth ſeyn werde, und
„nicht ein bloßer Vorwand, und daß Sie ſich nicht
„durch
[255]
„durch Bewegungs-Gruͤnde werden antreiben
„laſſen, die eine kleine Seele anzeigen, und uͤber
„die ein Frauenzimmer, das nicht eben eine ſo klei-
„ne Seele hat, nicht wohl unterlaſſen kann, aller-
„hand Betrachtungen anzuſtellen, und den Ge-
„mahl geringe zu ſchaͤtzen: ſonderlich, wenn es die
„eigene Familie der Frauens-Perſon betrifft, der
„ſie niemahls aufhoͤren kann verpflichtet zu ſeyn,
„obgleich alsdenn dieſe Pflichten nachgeſetzt wer-
„den muͤſſen.


„Jch bitte inſtaͤndig, daß Sie dieſes, welches
„mir ſo nahe an dem Hertzen lieget, recht reiflich
„uͤberlegen wollen. Jch will jetzt nicht die betruͤb-
„te Feindſchaft zwiſchen Jhnen und den Meinigen
„genau unterſuchen. Jch glaube, daß beyde Thei-
„le Schuld haben: allein Sie haben doch die er-
„ſte Schuld, und Sie gaben zum wenigſten der
„Feindſchaft meines Bruders einen allzu ſchein-
„baren Vorwand. Sie bemuͤheten ſich im ge-
„ringſten nicht, gefaͤllig zu ſeyn, und nachzugeben.
„Sie ließen die Beſchuldigungen, die man gegen
„Sie vorbrachte, lieber auf ſich ſitzen, als daß Sie
„ſich haͤtten bemuͤhen ſollen, ſolche Anklagen ohn-
„moͤglich zu machen.


„Doch, dieſes giebt nur Gelegenheit zu ver-
„drießlichen Gegenklagen. Jch bitte alſo weiter
„nichts als dieſes zu bedencken, daß die Meini-
„gen Sie nothwendig als einen anſehen muͤſſen,
„der ihnen eine geliebte Tochter geraubet hat; und
„daß ihr Haß gegen Sie deſto groͤßer ſeyn muß,
„je mehr ſie mich vorhin geliebet haben, und ſich
„jetzt
[256]
„jetzt in ihrer Hoffnung betrogen ſehen. Wenn
„ſie gleich gefehlet haben, allein ſelbſt ihren Fehler
„nicht erkennen, ſo kann ein anderer nicht Richter
„ſeyn, und ihnen vorſchreiben was ſie fuͤr einen
„Fehler anzuſehen haben oder nicht. Sie koͤn-
„nen dieſes am wenigſten thun: da Sie ſich ge-
„meiniglich uͤber jedermann zum Richter auf-
„werfen, und ſelbſt keinen Richter uͤber Jhre
„Handlungen erkennen wollen. ‒ ‒ Es iſt dem-
„nach zum voraus zu beſorgen, daß die Meinigen
„auf ihrem Kopfe beſtehen und Jhnen Trotz bie-
„ten werden.„


„Was mich anlangt, ſo muß ich es auf Sie
„ankommen laſſen, wie Sie mir kuͤnſtig begegnen
„wollen. So ſcheint es mein Verhaͤngniß ver-
„ordnet zu haben. Wenn Sie aber kuͤnftig gegen
„die Meinigen nicht eben diejenige Unverſoͤhnlich-
„keit beweiſen, welche Sie jetzt den Meinigen
„Schuld geben, ſo wird das Anſehen Jhrer Fa-
„milie und das unvergleichliche Gemuͤth einiger
„unter ihren Anverwanten alles wieder gut ma-
„chen, ſobald die erſte Hitze ſich geleget haben
„wird. (Jch wuͤrde hier kein Bedencken tragen,
alle zu nennen, welche zu Jhrer Familie gehoͤ-
„ren; es waͤre denn, daß Jhr eigenes Gewiſſen
„Jhnen ſagte, daß eine eintzige Ausnahme noͤthig
„ſey.) Es iſt nicht ohnmoͤglich, die Meinigen zu
„gewinnen, ob ich gleich glaube, daß es ſehr
„ſchwer halten wird; weil diejenigen, die am
„meiſten mit Gluͤcks - Guͤtern geſegnet ſind,
„ihren Sinn am wenigſten brechen koͤnnen.
„Denn
[257]
„Denn das geſtehe ich Jhnen, es hat mich oft
„in meinem Hertzen gekraͤncket, daß ſich die Mei-
„nigen durch ihr allzugroßes Vermoͤgen haben be-
„ſtricken laſſen, ſo wie Jhnen einige andere Vor-
„zuͤge zum Fallſtrick geworden ſind, die Sie nicht
„einmahl Jhrem Fleiß zu dancken haben, und de-
„ſto weniger daruͤber hochmuͤthig werden ſoll-
„ten.„


„Erlauben Sie mir noch bey dieſer Gelegen-
„heit, Jhnen zu ſagen, daß Herablaſſung zu ande-
„rer Schwachheit keine Niedertraͤchtigkeit iſt.
„Es iſt mit dem Nachgeben eine Ehre verbunden,
„von der ein hitziger Kopf ſich keine Vorſtellung zu
„machen weiß: mein Bruder eben ſo wenig, als
„Sie. Da Sie aber mehr Verſtand haben,
„als er, (deswegen aber ſetze ich meinen Bruder
„nicht herunter. Jch glaube, daß wider ſein
„Leben und Wandel nicht eben das koͤnne einge-
„wandt werden, was man Jhnen nachſaget) ſo
„wuͤnſche ich, daß Sie an Fortſetzung der Feind-
„ſchaft unſchuldig ſeyn moͤchten. Denn ich lebe
„der gewiſſen Hoffnung, daß noch eine Zeit kom-
„men werde, in der Sie ſich einander ſprechen koͤn-
„nen, ohne daß ich als Frau und Schweſter Ur-
„ſache habe, wegen der Folgen Jhrer Zuſammen-
„kunft in Sorgen zu ſeyn. Jndeſſen wuͤnſche ich
„gar nicht, daß Sie in etwas nachgeben ſollten,
„das Jhre Ehre wahrhaftig betrifft. Jn derglei-
„chen Dingen wuͤrde ich eben ſo eigenſinnig ja noch
„eigenſinniger ſeyn; denn ich wuͤrde ſuchen mir im-
„mer ſelbſt gleich zu ſeyn, und nicht das eine mahl
Vierter Theil. Rdie
[258]
„die Ehre zu verſchertzen, die ich ein anderes mahl
„vertheidiget haͤtte. Wie eitel und veraͤchtlich iſt
„der Hochmuth, der es mit lauter Kleinigkeiten zu
„thun hat, und darin nichts nachgeben will, mit
„der wahren Ehre hingegen ein Geſpoͤtte treibet!


„Wenn dieſer eintzige Punct recht uͤberleget
„wird, ſo wird das uͤbrige insgeſammt leichte
„ſeyn. Wenn ich die beſondern Einkuͤnfte anneh-
„me, die Sie mir zugedacht haben, nebſt dem was
„von den Einkuͤnften meines Gutes ſeit dem To-
„de meines Großvaters geſparet iſt, (welches mehr
„betraͤgt, als Sie vielleicht glauben moͤgen, da
„Sie es mir von freyen Stuͤcken anbieten) ſo wuͤr-
„de ich es fuͤr meine Pflicht halten, einen Noth-
„pfennig fuͤr die Familie beyzulegen. Denn ich
„werde mich ſo einſchraͤncken, daß ich nie mehr
„als den zehenden Theil meiner jaͤhrlichen Einkuͤnf-
„te verſchencke, ſie moͤgen ſo geringe oder ſo betraͤcht-
„lich ſeyn, als ſie wollen. Jch ſuche mir nicht durch
„Freygebigkeit einen Ruhm zu erwerben. Jch
„wuͤnſche weiter nichts, als gebrechlichen Leuten zu
„Huͤlfe zu kommen, und fleißigen Haus-Armen
„die ohne ihr Verſchulden arm geworden ſind, das
„Leben zu erleichtern. Die gemeinen Straßen-
„Bettler uͤberlaſſe ich andern mitleidigen Leuten oder
„dem Almoſen-Amte. Sie koͤnnen nicht ungluͤckli-
„cher werden, als ſie ſind; und vielleicht wuͤnſchen
„ſie nicht gluͤcklicher zu ſeyn. Jch bin nicht im
„Stande, jedermann zu helfen, und ich verlange
„keine uͤberfluͤßige guten Wercke zu thun. Zwey-
„hundert Pfund des Jahrs werden zu meinen be-
„ſon-
[259]
„ſondern Ausgaben vollkommen hinlaͤnglich ſeyn.
„Wegen des uͤbrigen werde ich Sie um Rath fra-
„gen, und mich nach Jhrem Befehl richten: es waͤ-
„re denn, daß Sie ſich ſelbſt nicht trauten, und mir
„deswegen die Verwaltung dieſes Geldes ſelbſt
„uͤberlaſſen wollten, damit ich ſo viel als moͤglich
„ſeyn wird, zum kuͤnftigen Gebrauch davon beyle-
„gen koͤnne. Jch werde Jhnen uͤber alle die uͤbri-
„gen Ausgaben und uͤber das beygelegte eine ſolche
„Rechnung halten, als ſie von einem Haushalter
„erwarten koͤnnen.„


„Was die Kleidung anlanget, ſo habe ich noch
„zwey gantz neue Anzuͤge, die ich nur einmahl zur
„Probe angezogen habe: und deren ich mich auch
„bey einer ſolchen Gelegenheit nicht ſchaͤmen darf.
„Jch habe auch Juwelen von meiner Großmutter,
„die nur von neuen umgefaſſet werden muͤſſen: und
„noch andere Juwelen die ich bey außerordentlichen
„Gelegenheiten zu tragen pflegte. Ob mir gleich
„dieſe Juwelen bisher noch nicht zugeſandt ſind,
„ſo trage ich doch keinen Zweifel, daß ſie mir zu-
„geſandt werden, wenn ich ſie unter einem andern
„Nahmen fordern laſſe. Und vorher gedencke ich
„gar keine Juwelen zu tragen.„


„Sie beklagen ſich uͤber das Mistrauen, das
„ich gegen Sie blicken laſſe. Allein Jhr eigenes
„ſoll Richter ſeyn. Setzen Sie ſich einen Augen-
„blick an meine Stelle, und erinnern Sie ſich Jh-
„res bisherigen Betragens gegen mich in Worten
„und Wercken: und alsdenn urtheilen Sie, ob ich
„verdiene gelobet oder getadelt zu werden; und ob
R 2„Sie
[260]
„Sie nicht ſelbſt mich bey den Erklaͤrungen, die
„Sie gegen mich gethan haben, mein Betragen
„billigen muͤſſen? Wenn Sie es nicht billigen, ſo
„muͤſſen unſere Gemuͤther ſo ſonderbahr verſchie-
„den ſeyn, daß keine naͤhere Vereinigung zu wuͤn-
„ſchen iſt zwiſchen Jhnen und


Clariſſa Harlowe.


„den 20ſten May.


Dieſes liebe Blat fand Dorcas bey nahe gantz
entzwey geriſſen. Vermuthlich iſt das geſchehen,
als ſie einmahl auf mich boͤſe war. Der groͤſ-
ſeſte Ruhm des ſchoͤnen Geſchlechts beſtehet in
Sanftmuth und Verleugnung: warum werden
denn die lieben Kinder bisweilen ſo boͤſe? Da ſie ſich
vor der Hochzeit ſolche Freyheiten heraus nimmt,
was werde ich kuͤnftig zu erwarten haben?


Was fuͤr ein Ding; eine boͤſe Frau! Es
iſt (mit Erlaubniß der Schoͤnen) verflucht unver-
ſchaͤmt, und eben ſo dumm als unverſchaͤmt, wenn
eine Frau boͤſe wird, und doch nicht den Vorſatz
hat, ſich auf ewig von ihrem Manne abzuſondern,
oder ihm auf eine gottloſe Art Trotz zu bieten.
Sie verlieren dadurch auf einmahl ihre bewegli-
che und ſanftmuͤthige Kunſt anzuklagen, und uns
die Sache recht vernuͤnftig und muͤtterlich vorzu-
ſtellen, die durch Seufzer, durch gebogene Kniee,
durch gerungene Haͤnde und durch Blicke nach dem
Geſichte ihres Gebieters unſere Augen zu Thraͤnen
zwinget, und eine baldige und dauerhafte Verſoͤh-
nung zuwege bringet. Selbſt alsdenn, wenn
der
[261]
der Mann unrecht hat, ſo wird dieſes den Ankla-
gen der Frauen nur ein mehreres Gewichte geben.


Jetzt eben faͤllt es mir ein: ein Mann muß
billig ſeiner Frauen zuweilen unrecht thun, um ſie
groß zu machen. Die Fraͤulein Howe troͤſtet
meine Clariſſa damit, daß ſie im Ungluͤck groͤßer
ſey. Es iſt edel, wenn ein Mann ſich erniedri-
get, damit ſeine Frau groß werde; wenn er ihr
Gelegenheit goͤnnet, ihn durch Vernunft und Ge-
duld zu beſiegen: denn wenn er gleich zu gebiete-
riſch dazu iſt, ſeinen Fehler ſo gleich zu erkennen,
ſo wird ſie doch die Fruͤchte ihres unterthaͤnigen
Gehorſams in der kuͤnftigen Zeit finden, und die
Hochachtung, die er fuͤr ihre Klugheit und Hoͤf-
lichkeit faſſen wird, wird ihrem Hochmuth eine
angenehme Nahrung ſeyn. Sie wird doch zu-
letzt die Beherrſcherin ihres Beherrſchers wer-
den.


Und nun ſtelle dir eine Frau vor, die den ei-
nen Arm in die Seite ſetzt, und mit der andern
Hand fechtet, und mit den Finger drohet: ‒ ‒
wenn du wunderlich biſt, Mann, ſo will ich auch
wunderlich ſeyn! Biſt du boͤſe: ich auch! Wie
du in Wald rufeſt, ſo ſchallt es wieder! Wenn du
ſchwoͤreſt, ſo kann ich fluchen! Jch will nicht in
eben der Stube, und in eben dem Bette mit dir
bleiben! Denn du weißt, wir ſind getrauet: ich
bin deine Frau: du kannſt dir nicht anders helfen!
Deine Ehre und deine Ruhe ſtehet bey mir! und
wenn dir die Auffuͤhrung nicht gefaͤllt, ſo kann ich
es ſchlimmer machen!


R 3Ach
[262]

Ach Bruder, wer die Auffuͤhrung in andern
Familien geſehen hat, der kann ohnmoͤglich wuͤn-
ſchen zu heyrathen.


Dorcas fand dieſes Blat in einer von denen
Schiebladen. Sie glaubt, daß ſie es eben von
neuen uͤberleſen habe, als ſie ſie zum Thee bat:
denn ſie ſahe, daß ſie ein Papier in die Schiebla-
de ſteckte, ſo bald ſie in die Stube trat: und als
die Fraͤulein bey mir in dem Speiſe-Saal war,
ſo fand ſie dieſes Blat in eben der Schieblade.


Es waͤre beſſer fuͤr mich geweſen, wenn ich kei-
ne Abſchrift davon bekommen haͤtte. Vorhin war
mein Entſchluß feſte, allein im Augenblick fieng
ich an zu wancken und weich gegen ſie zu werden.
Jch wollte viel darum geben, wenn ich gewiß wuͤß-
te, ob ſie dieſes. Blat mit Willen in die unver-
ſchloſſene Schieblade geleget hat, damit ich es
moͤchte zu ſehen bekommen? und ob ſie vielleicht
nach dem Rath der Fraͤulein Howe, die Dorcas
bey dieſer Gelegenheit hat ausforſchen wollen, ob
ſie es mit ihr oder mit mir hielte. Dieſer Arg-
wohn iſt ihr ſchon ſchaͤdlich: denn ich kann es nicht
leiden, wenn man liſtig mit mir umgehet. Ein
jeder will ſeine beſondere Gabe gern allein beſitzen:
es gehet uns darin, wie den Kaufleuten die einen
gantzen Handel gepachtet haben. Jch weiß, daß
du daher einen neuen Bewegungs-Grund wider
mich nehmen wirſt. Jch weiß aber auch ſchon
jeden Titel von dem was du ſagen kannſt: ſpare
demnach deinen matten Unverſtand auf andere Ge-
legenheit, und uͤberlaß mein liebes Kind und mich
un-
[263]
unſerem Schickſal. Der Wille der ewigen Vorſicht
geſchehe! Denn Cowley ſagt:


Die unſichtbare Hand macht, daß wir uns bewe-

gen.

Den macht ſie groß und jenen klein:

Dich uͤberſchittet ſie mit Seegen;

Du mußt des Ungluͤcks Beyſpiel ſeyn.

Der Tugendhafte wird durch ſie allein getrieben

Der Tugend ſchwere Bahn zu gehn;

Und der, den ebnen Weg zu lieben

Wo wir das Laſter jauchzen ſehn.

Du heißeſt klug, und den geſellt man zu den Tho-

ren.

Nur Nahmen ſinds. ‒ ‒ ‒ Die Vorſicht ſpielt

mit allen.

Am Ende aber bin ich doch beynahe betruͤbt,
(denn voͤllig betruͤbt zu ſeyn iſt mir nicht gegeben)
daß ich mich nicht ohne neue Proben zu dem Hey-
rathen entſchließen kann. Jch habe eben dieſen
Aufſatz einer Antwort von neuen uͤberleſen. Wie
verehre ich mein Kind wegen der Antwort, die es
mir geben wollte!


Aber! (noch ein aber) Die Fraͤulein hat mir
dieſe Antwort weder gegeben noch zugeſandt; und
ſo iſt es keine Antwort von ihr. Sie iſt nicht fuͤr
mich
geſchrieben, ob ſie gleich an mich gerich-
tet iſt. Sie hat nicht einmahl den Vorſatz
gehabt, dieſe Antwort an mich zu ſchicken. Sie
hat ſie im Unwillen zerriſſen, weil ſie ihr viel-
R 4leicht
[264]
leicht allzuguͤtig vorkam. Durch dieſe Handlung
nimmt ſie alles zuruͤck, was ſie geſchrieben hatte.
Warum bin ich denn ſo thoͤricht in ſie verliebt,
daß ich ihr dieſe Antwort in Rechnung bringen
will, alls wenn ſie ſie nicht zerriſſen haͤtte? Jch
bitte dich nochmahls, mein lieber Belford, uͤber-
laß uns unſerm Schickſal, und bemuͤhe dich nicht,
durch deinen Unverſtand mich noch weibiſcher zu
machen, da mir ohnehin genug Grillen einfallen,
und ſchmiede keine Verraͤtherey wider mich mit
meinem Gewiſſen, welches ſchon auf ihre Seite
getreten iſt.


Erinnere dich, Lovelace, was du neulich ent-
decket haſt! und wie kaltſinnig ſie gegen dich ge-
weſen iſt! was ſie dir fuͤr Zeichen des Haſſes und
der Verachtung gegeben hat. Stelle dir vor, daß
ſie noch jetzt fremde gegen dich thut, und voller
Mistrauen iſt: und daß ſie mit Meuterey und
heimlichen Empoͤrungen gegen deine rechtmaͤßige
Oberherrſchaft umgehet, die du als Sieger erlan-
get haſt. Erinnere dich aller deiner Drohungen
gegen dieſe ſtoltze Schoͤne, die zu der Fahne der
Liebe geſchworen hat, und ſich doch den Geſetzen
der Liebe nicht unterwerfen will.


Allein wie willſt du deine liebe Feindin beſie-
gen? Gewalt ſey verflucht; und alles was es noͤ-
thig machen kann, Gewalt zu gebrauchen. Durch
Gewalt erhaͤlt man keinen wahren Sieg. Man
beſieget den Willen nicht: man bemeiſtert ſich nicht
auf eine ſanfte Weiſe der ſanften Leidenſchaften.
Gewalt iſt des Teufels!


Die
[265]

Die verfluchte Nachrede der Leute iſt mir gleich
zu Anfange ſchaͤdlich geweſen, als ich mich an die-
ſes Maͤdchen machte. Allein es iſt und bleibt doch
ein Maͤdchen. Wenn es mich auf das aͤuſſerſte
haſſet, ſo werde ich doch einen guͤnſtigen Augen-
blick finden!


Wodurch ſoll ich ſie aber verſuchen? durch
Reichthum? Sie iſt mitten in dem Reichthum
gebohren: ſie kennet und verachtet den Reichthum.
Durch Juwelen und Spielwerck? Was fragt
eine Seele darnach, die ſelbſt eine Juwele iſt,
und ſo unvergleichlich eingefaßt iſt? Durch Lie-
be?
Wenn ſie ja weiß, was Liebe iſt, ſo iſt doch
die Liebe bey ihr ſo ſehr unter der Herrſchaft der
Vernunft, daß ich daran verzweifele, ſie jemahls
anders als auf ihrer Huth zu finden. Sie be-
ſitzt ſo viele Wachſamkeit, daß ihre Furcht der
wircklichen Gefahr immer zuvor zu kommen ſchei-
net. Die Liebe zur Tugend iſt ihr entweder
angebohren, oder ſie iſt doch zum wenigſten ſo
tief bey ihr gewurtzelt, daß gleichſam ihr gantzes
Hertz mit ihren Wurtzeln und Faͤſerchen durch-
wachſen iſt, und ich ohnmoͤglich dieſes Geaͤder
werde ausgaͤten koͤnnen, ohne zugleich ihr Leben zu
verletzen.


Wie ſoll ich es anfangen, ein ſo auſſerordent-
liches Kind ſo zahm zu machen, daß es nicht gleich
vor den erſten Proben fliehet, welche die Zuberei-
tung zu der großen Probe ſind, ob ſie ſich nicht
oͤfters werde uͤberwinden laſſen, wenn ſie einmahl
uͤberwunden iſt.


R 5War-
[266]

Wahrhaftig Bruder, wenn ich bisweilen gegen
ihr uͤber ſitze, und ſie angaffe, und mir die gantze
Seele in die Augen faͤhrt; wenn ich ſie heiter und
vergnuͤgt ſehe, und dabey gedencke, wie verſtoͤret
ſie ausſehen wuͤrde, wenn ſie mein Hertz ſo gut ken-
nete als ich; wenn mir bey ihren aͤngſtlichen und
unruhigen Blicken beyfaͤllt, wie gegruͤndet ihre
Furcht iſt, und daß ſie ſich gewiß nicht ſo ſehr fuͤrch-
ten kann, als ſie Urſache hat ſich zu fuͤrchten: ſo
wird meinem eigenen Hertzen nicht wohl bey der
Sache zu Muthe. Jch dencke oft: ſoll ein ſo
goͤttlich-ſchoͤnes Kind dieſe Arme, die einen Koͤnig
gluͤcklich machen koͤnnten, gebrauchen, ſich einer
viehiſchen Gewaltthaͤtigkeit zu erwehren? ſoll viel-
leicht alle ihre Staͤrcke vergeblich angewandt wer-
den, den Leib zu vertheidigen, der ſo zaͤrtlich gebildet
iſt? kann es dem aͤrgſten Boͤſewicht in den Sinn
kommen, Gewalt zu gebrauchen, da er ohne Gewalt
ihre freywillige und tugendhafte Liebe erhalten, und
das Vergnuͤgen, das er jetzt rauben will, in ihre
Pflicht und Schuldigkeit verwandeln koͤnnte?
Weg! ihr abſcheulichen Gedancken! fahrt alle zu der
Hoͤlle, aus der ihr gekommen ſeyd! Jch will mich
ihr zu Fuͤßen werfen, meine boshaften Anſchlaͤge be-
kennen, ihr Beſſerung zuſagen, und es mir un-
moͤglich machen, ein ſo unvergleichliches Heilig-
thum zu entweyhen.


Allein wie gehet es zu, deß alle dieſe mitlei-
digen oder (wie ſie andere nennen werden) tugend-
haften Triebe wieder verſchwinden? Wie gehet
das zu? Die Fraͤulein Howe wird es dir ſagen.
Sie
[267]
Sie ſagt, ich ſey ein Teufel! und ſo viel ich mich
ſelbſt kenne, ſo hat jetzt der Teufel ſehr viel bey
mir, das er das Seinige nennen kann.


Das iſt ein offenhertziges Bekenntniß! So frey
gehe ich gegen dich heraus. Je mehr ich aber
ſelbſt gegen mich ſage, deſto weniger kannſt du mir
vorwerfen. O Belford, Belford, ich kann ohn-
moͤglich, ich kann zum wenigſten jetzt ohnmoͤglich
heyrathen.


Bedencke, daß ihre Anverwandten meine bit-
terſten Feinde ſind. Denen wuͤrde ich zu Fuͤßen
fallen muͤſſen, oder ſie wuͤrde eben ſo misvergnuͤgt
ſeyn, als ich ſie durch meine letzte Tod-Suͤnde ma-
chen kann.


Sie wuͤrde dieſe Leute immer zu viel, und mich
zu wenig lieben.


Sie ſcheinet mich jetzt in der That zu verach-
ten. Die Fraͤulein Howe ſagt es deutlich, daß
ſie mich verachtet. Wie jaͤmmerlich, wie armſee-
lig iſt es aber, wenn man von der Frau ver-
achtet wird?
Was iſt das fuͤr eine Vorſtellung!
An Verſtande und Einſichten von der
Frau uͤbertroffen zu werden! Sich von der
Frau Erinnerungen und Geſetze geben zu
laſſen!
Sie thut noch mehr, als mich verachten:
ſie hat ſich ſo gar Bedenckzeit genommen, zu uͤber-
legen, ob ſie mich nicht haſſet. Jch haſſe ſie
von gantzem Hertzen!
ſagte ſie noch geſtern zu
mir. Meine Seele iſt uͤber dich, Kerl!
zwinge mich nicht, dir zu ſagen, wie weit

meine
[268]
meine Seele uͤber dich iſt. Wie armſeelig
kam ich mir ſelbſt vor, als ſie dieſes ſagte? Mir
fiel ihr Vorzug vor mir in die Augen, ſo hochmuͤ-
thig ich auch bin! Wie werde ich unten, (bey
meiner Seele, unten) gegen ſie getrieben!


Es iſt auch armſeelig, wenn ich mich fuͤr eine
bloße Maſchine halte. Jck bin keine Maſchine!
du thuſt dir Unrecht, Lovelace, wenn dir der Ge-
dancke nur einfaͤllet, daß du eine Maſchine ſeyſt!


Da ich einmahl ſo weit gegangen bin, ſo wuͤr-
de es mein Ungluͤck ſeyn, wenn ich mir kuͤnftig in
meinem verheyratheten Stande, ſo oft ich gegen
mich leichtfertig waͤre, den Vorwurf machen koͤnn-
te, daß ich ſie nicht auf alle moͤgliche Proben ge-
ſtellet haͤtte. Jch weiß nicht wie es zugehet, ſo
bald ich dieſer Schoͤnen nahe komme, ſo werde ich
auch halb tugendhaft. Jch will jetzt an den Sieg
nicht gedencken, den ſie an dem verwichenen Sonn-
tags-Abend uͤber mich erhalten hat. Jch habe
mir noch außer dem ein Paar mahl vorgenom-
men, einige Freyheit zu verſuchen, die ich nachher
dem Verdruſſe Schuld geben koͤnnte, dazu ſie
mich gereitzet hat. Allein ich empfand Schau-
der und Ehrfurcht, ſo bald ich ſie ſahe, und ihre
in die Augen fallende Reinigkeit daͤmpfte zuerſt
meine doppelte Flamme, und loͤſchte ſie zuletzt voͤl-
lig aus.


Was fuͤr eine auſſerordentliche Gewalt iſt das!
Sie befindet ſich nun ſo lange in meiner Macht:
und ich werde von meiner Liebe und von den
Frauens-
[269]
Frauensleuten in dem Hauſe ſo ſehr gereitzet et-
was zu wagen! Doch wage ich nichts! Stelle
dir Lovelacen vor: wie wirſt du dieſes erklaͤren
koͤnnen?


Wie viel unvernuͤnftiges Zeug habe ich zuſam-
men geſchmieret! Wie habe ich mich bethoͤren laſ-
ſen! von wem? Weißt du es, wer mich ſo verlei-
tet hat? Das iſt das verdammte Gewiſſen. Das
hat ſich gegen mich verſchworen! Freund, wie biſt du
hereingekommen! Jn welcher Maske haſt du dich
herein geſchlichen, du Raͤuber meiner vergnuͤgten
Stunden? Erwaͤhle du und das Schickſal in
unſerm Kriege eine genaue Neutralitaͤt: und
wenn ich dem menſchlichen Geſchlechte und dem
Frauenzimmer zu Ehren es nicht dahin brin-
gen kann, daß ein ſolcher Engel unter die Frauens-
leute gerechnet werde, und ihnen (ſollte es auch durch
ſeine Fehltritte geſchehen) Ehre bringe: ſo will ich
dem Schickſal und dem Gewiſſen nicht laͤnger
widerſtehen.


Hier ſtand ich auf. Jch oͤffnete das Fenſter,
und ſchuͤttelte mich! Der ungebetene Gaſt meiner
Bruſt flog davon. Jch kann ihn noch fliegen ſe-
hen. Jch ſehe ihm genau nach, und er wird im-
mer kleiner. Jetzt ſchließet ſich Luft und Him-
mel hinter ihm zu: Jch kann ihn nicht mehr ſehen.
Jch bin von neuen


Robert Lovelace.


Der
[270]

Der neun und zwantzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.



Jch habe wohl daran gethan, daß ich mich ent-
ſchloß, mit der Frau Fretchville und ih-
rem Hauſe nichts weiter zu thun zu haben. Es
war hohe Zeit: denn eben thut mir Mennell die
Erklaͤrung, daß ihm Gewiſſen und Ehre nicht er-
lauben, noch einen eintzigen Schritt zu thun. Er
will nicht die gantze Welt dafuͤr nehmen, daß ein
ſolches Frauenzimmer durch ſeine Huͤlfe betrogen
werden ſollte. Jch war ein Narre, daß ich dir
und ihm erlaubte, die Fraͤulein zu ſehen: denn
ſeit der Zeit habt ihr eine Kranckheit gehabt, die
ihr Gewiſſen nennet, von der ihr nie wuͤrdet an-
gefochten ſeyn, wenn ihr weiter nichts gewuſt haͤt-
tet, als daß ſie ein Frauenzimmer ſey.


Jch muß mich in mein Ungluͤck ſchicken.


Mennell hat ſich endlich, obgleich wider ſei-
nen Willen, erklaͤret, daß er einen Brief an mich
ſchreiben will: allein dieſes ſoll der letzte Schritt
ſeyn, welchen er in der Sache thut.


Jch ſagte ihm: ich hoffete, er wuͤrde nichts
dawider einzuwenden haben, wenn das Cammer-
Maͤdchen der Frau Fretchville kuͤnftig ſeine
Stelle vertraͤte?


Jm
[271]

Jm' geringſten nichts! (ſagte er) aber es iſt
Jammer-Schade ‒ ‒


Ein jaͤmmerlicher Kerl! Was iſt das fuͤr ein
naͤrriſches Mittleiden eingeſchraͤnckter Geiſter, die
kein Huhn abſchlachten koͤnnen, und doch hundert
abgeſchlachtete Huͤner gierig freſſen!


Der Brief erzaͤhlet, daß eine Magd der Frau
Fretchville die Pocken bekommen habe. Sie
hat ihre Herrſchaft angeſteckt. Leute, bey denen
die Einbildung ſtarck iſt, werden auch leicht kranck:
man darf die Kranckheit nur nennen, ſo haben ſie
ſie ſchon an dem Halſe. Bey ihnen ſchlaͤgt das
Jnoculiren gewiß an. Sie ſind die melcken-
den Kuͤhe der geſundmachenden Zunft. Ein hy-
pokondriſcher Krancker, voller Grillen und Ein-
bildung, iſt die Fiddel auf der der Doctor unauf-
hoͤrlich ſpielen kann; und er ſpielt gewiß gern.
Wenn kein auſſerordentliches Ungluͤck dazwiſchen
kommt, und die Furcht nicht zur wircklichen
Kranckheit wird, (wie es der armen Frau Fretch-
ville
gegangen iſt) ſo haben ſie weiter keine Noth,
als daß ſie ſich Muͤhe geben das Lachen zu laſſen,
wenn der Krancke ſein eigener Anklaͤger wird.
So bald ſie ſeine Klage gehoͤret haben, koͤnnen ſie
zur Strafe ſchreiten: denn Strafe iſt der rechte
Nahme, damit man das fremdlautende Wort,
Recept, verdeutſchen kann. Was haͤlt die Strafe
auf! Der Schuldige hat ja bekannt! Jhre Stra-
fe iſt gemeiniglich rachgierig.


Es faͤllt mir aber eben bey: die Kerls ſind
dumm! Da ihre Quackſalberey nicht nutzen ſoll,
ſo
[272]
ſo koͤnnte ſie doch vergnuͤgen, anſtatt daß jetzund
der gemarterte Krancke ihr eckelhaftes Zeug uͤber-
ſchlucken muß.


Wenn ich die Cliſtir-Spruͤtze an der Seiten
hencken haͤtte, ſo wollte ich bald alle Nahrung an
mich ziehen: Jch wollte nichts vorſchreiben, als
Malvaſir, und Sect, und Capo-Wein, die ich nur
ein wenig unkenntlich machen muͤſte. Dadurch
kaͤmen noch Geiſter in den Kopf: wie wuͤrde der
erquickte Krancke ſich wuͤnſchen, noch einmahl
kranck zu ſeyn! und wie hoch wuͤrde der Herr
Doctor bey ihm angeſchrieben ſeyn!


Gib allen Marcktſchreyern, die du kenneſt,
dieſen Winck. ‒ ‒ Es koͤnnte nur Ein Scha-
de daraus entſtehen: nehmlich daß der Apothecker
zu viel Geld an die Artzeney wenden muͤßte. Al-
lein der ſtarcke Abgang wuͤrde den Schaden wi-
der gut machen. Denn die gute Waͤrterin wuͤr-
de immer koſten, ob ſie auch uͤber das rechte Glas
kaͤme, und wuͤrde die vorige Hertz-Staͤrckung
noch einmahl zu verſchreiben bitten.


Poſſen! du willſt wiſſen, was in dem Brie-
fe ſtehen ſoll? Was brauche ich dir das weiter zu
ſagen, nachdem ich dir ſchon vorhin etwas davon
gemeldet habe? Frau Fretchville kann nicht aus-
ziehen: und das iſt genug. Mennell trit ab.
Sein Gewiſſen mag ihn nun fuͤr ſeine und nicht
fuͤr anderer Suͤnden plagen, ſo iſt er geplagt
genug.


Der Brief hat die Auſſchrifft: an Herrn
Robert Lovelacen. Jn deſſen Abweſenheit

von
[273]
von ſeiner Gemahlin zu erbrechen. Als ich
nach Hauſe kam, wollte ſie weder mit mir ſpeiſen,
noch mich ſonſt ſprechen. Sie hat den Brief er-
oͤffnet: ſie erkennet ſich alſo ſelbſt, ſo hochmuͤthig
und muͤrriſch ſie auch iſt, fuͤr meine Gemahlin.


Jch freue mich, daß der Brief eingelaufen iſt,
ehe wir uns voͤllig vertragen haben: ſonſt koͤnn-
te ſie es fuͤr eine Liſt halten, dadurch ich die Sa-
che von neuen zu verzoͤgern ſuchte. Nun koͤnnen
wir den alten und neuen Streit auf einmahl ab-
thun: und das iſt vortheilhaft fuͤr mich. Wie
ſehr iſt ihr liebes hochmuͤthiges Hertz gedemuͤthi-
get, wenn ich daran zuruͤck gedencke, wie ich ſie
zuerſt kennen lernete! Jetzt iſt ſie ſo demuͤthig,
daß ſie einen Verzug von mir befuͤrchten kann,
und ſich daruͤber graͤmet.


Jch kam zu dem Mittags-Eſſen nach Hauſe.
Sie ſchickte mir den Brief zu, und bat um Ver-
gebung, daß ſie ihn erbrochen haͤtte. Sie haͤtte
es gethan, ehe ſie die Aufſchrift geleſen haͤtte.
Maͤdchens-Stoltz! Belford. Erſt beſinnet ſie
ſich: hernach gehet ſie einen Schritt zuruͤck.


Jch bat mir Erlaubniß aus, ſogleich wegen
des Briefes mit ihr zu reden: allein ſie will es
mir nicht eher erlauben, als morgen fruͤh. Jch
muß ſie noch ſo weit bringen, ehe unſere Comoͤ-
die zum Ende gehet, daß ſie mir bekennet, ſie koͤn-
ne mich nicht zu oft ſprechen.


Meine Ungeduld war bey einer ſo unerwar-
teten
Gelegenheit allzu groß. Jch ſchrieb an ſie:
„ich waͤre wegen des Zufalles auf das aͤußerſte
Vierter Theil. S„be-
[274]
„bekuͤmmert. Jndeſſen brauchte deswegen mein
„gewuͤnſchter Tag nicht aufgeſchoben zu werden,
„als welcher mit dem Hauſe der Frau Fretch-
„ville
nichts zu thun haͤtte.„ (Sie wird den-
„cken, daß ſie das ſchon lange gewußt hat. Jch
auch!) „Da die Frau Fretchville ſo hoͤflich haͤt-
„te bitten laſſen, daß wir dieſen Zufall ihr nicht
„uͤbel nehmen, und wo moͤglich uns noch kuͤnftig
„ihres Hauſes bedienen moͤchten: ſo daͤchte ich,
„daß es fuͤr ſie und uns am beſten waͤre, wenn
„wir auf zwey oder drey Monathe in dem Som-
„mer gleich nach der Trauung auf die Forſt
„reiſeten.„


Es kommt mir ſo vor, als wenn dem lieben
Kinde dieſer Zufall ſehr zu Hertzen gehet. Ob
ich gleich abermahls um Erlaubniß gebeten habe,
ſie zu ſprechen, ſo bekomme ich doch die Antwort:
ſie koͤnnte es eher nicht thun, als morgen fruͤh.
Es ſoll um ſechs Uhr geſchehen, wenn es mir ge-
legen iſt.


Sehr gelegen!


Jch kann ſie jetzt des Tages nur Einmahl zu
ſprechen bekommen.


Weißt du ſchon, daß ich an die Fraͤulein
Montague geſchrieben habe? Jch wundere mich
in dem Briefe ſehr, daß der Lord M. die Ant-
wort in einer ſo dringenden Sache ſo lange auf-
ſchiebet. Jch gebe ihr Nachricht von meinem
Vorſchlage, ein anderes Haus zu miethen, und
von den wunderbahren Einfaͤllen, dadurch die
Frau Fretchville uns aufhaͤlt.


Jch
[275]

Jch gehe ungern daran, jemand von meinen
Anverwandten mit in dieſe verworrene Sache ein-
zuflechten; allein ich muß ſicher gehen. Sie ha-
ben alle ſchon eine ſo ſchlechte Meynung von mir,
daß ſie nie ſchlimmer werden kann. Du ſieheſt
ja ſelbſt aus dem Briefe des Lord M. daß ſeine
wohlgezogene Gnaden den hochadelichen Gedan-
cken von mir haben, daß ich dieſem unvergleichli-
chen Kinde einen von meinen Hundes-Strei-
chen
ſpielen moͤchte.


Jch habe eben eine Antwort von der Char-
lotte
bekommen.


Charlotte iſt unpaß. Es kommt aus dem
Magen.


Es iſt kein Wunder, wenn einem Maͤdchen
der Magen nicht recht ſtehet. Sie iſt unverhey-
rathet: das iſt die gantze Kranckheit! So bald
ſie einen Mann hat, der ſie plaget; ſo hat der Ma-
gen etwas zu verdauen. Weißt du nicht, daß
der Mann die Sonne der lieben Kinder iſt; und
ſie ſind die Erde? Wie wuͤſte und unfruchtbar
iſt die Erde, wenn ihr der erwaͤrmende Schein
der Sonne entzogen wird!


Die arme Lottchen! Jch wußte es vorher,
daß ſie nicht wohl waͤre. Eben deswegen ſchrieb
ich an ſie, und wunderte mich ein wenig, daß ſie
nicht von ſelbſt daran gedacht haͤtte, meine Braut
in London zu beſuchen.


Hier folget eine Abſchrift ihres Briefes. Du
wirſt ſehen, daß mich ein jedes kleines Aeffch en in
S 2die
[276]
die Catechismus-Lehre nimmt. Alle verlaſſen ſich
darauf, daß ich viel vertragen kann.



Mein lieber Vetter,

Wir haben mit Schmertzen auf die Nachricht
gehoffet, daß das erwuͤnſchte Band geknuͤ-
pfet waͤre. Unſer Onckel iſt ſehr unpaß geweſen:
er wuͤßte ſich aber doch nicht zu beruhigen, wenn
er nicht ſelbſt an Sie ſchreiben koͤnnte. Er meinte,
dieſes waͤre die eintzige Gelegenheit die er vielleicht
in ſeinem Leben haben moͤchte, Jhnen eine gute
Ermahnung zu geben, die etwas fruchten wuͤrde.
Er hat ſich alle Tage etliche Stunden hingeſetzt,
zu ſchreiben, wenn das Podagra es ihm zuließ:
und er uͤberlieſet jetzt ſein geſchriebenes. Er
meint, es wuͤrde mehr bey Jhnen ausrichten, wenn
Sie ſaͤhen, daß alles mit ſeiner eigenen Hand ge-
ſchrieben waͤre.


Gewiß, mein lieber Herr Vetter, das gantze
Hertz haͤngt ihm an Jhnen. Jch wollte, daß Sie
ſich nur halb ſo lieb haͤtten, als er Sie hat. Jch
glaube aber, Sie wuͤrden ſich ſelbſt mehr lieben,
wenn Sie von Jhrer gantzen Familie etwas we-
niger geliebet wuͤrden.


Wenn unſer Onckel nicht ſchreiben konnte, ſo
hat er den Pritchard zu ſich kommen laſſen, und
mit ihm von der Eintraͤglichkeit der Guͤter gere-
det, die er Jhnen an dem erwuͤnſchten Tage zu
uͤberlaſſen gedencket, damit er Jhren Brief deſto
ange-
[277]
angenehmer beantworten, und Jhnen in der That
zeigen koͤnnte, wie wohl er Jhre Einladung ge-
nommen hat. Jch kann Jhnen ſagen, daß er ſich
recht viel darauf einbildet.


Was mich anlanget, ſo bin ich gar nicht wohl
geweſen. Jch habe ſeit einigen Wochen meine
alte Plage mit dem Magen. Wenn mich das
nicht abgehalten haͤtte, ſo wuͤrde ich mir ſchon ſeit
einigen Wochen die Ehre genommen haben, den
Beſuch abzuſtatten, uͤber deſſen Verſaͤumung
Sie ſich wundern. Meine Baſe Lawrance,
die mit mir reiſen wollte, (denn wir hatten uns
ſchon gantz zur Reiſe entſchloſſen) hat mit ihren
Proceß ſehr viel zu thun gehabt; denn ihre Ge-
gen-Part hat Vorſchlaͤge zum Vergleich gethan, als
es eben an dem war, daß er den Proceß verlieren
ſollte. Seyn Sie indeſſen verſichert, daß ſo bald
unſere neue Baſe das Haus bezogen haben wird,
davon Sie ſchreiben, wir uns zuſammen die Frey-
heit nehmen werden, ſie zu uͤberfallen. Wenn
ihre Furchtſamkeit an dem Aufſchube Schuld iſt,
(welches wohl ſeyn kann, wenn ſie den recht ken-
net, mit dem ſie zu thun hat) ſo wollen wir uns
bemuͤhen, ihr ein Hertz einzuſprechen, und wir
wollen alle ihre neuen Taufzeugen werden, und
in Jhrem Nahmen alles Gute zuſagen. Denn
mich duͤnckt, mein lieber Herr Vetter, Sie haben
noͤthig noch einmahl getauft zu werden, ehe Sie
an ein ſolches Gluͤck Anſpruch machen duͤrfen. Was
meinen Sie dazu?


S 3Jetzt
[278]

Jetzt eben ſagen mir ihre Gnaden, daß ſie
morgen einen Boten mit dem Briefe fortſchicken
wollen. Es waͤre alſo nicht einmahl noͤthig, daß
ich geſchrieben habe. Jch will aber doch den
Brief wegſchicken: Empſon nimt ihn mit, wel-
cher gleich wieder zuruͤcke kehret.


Richten Sie von meiner Schweſter und mir
die allerverbindlichſte Empfehlung an das Frauen-
zimmer aus, welches unſere Hochachtung mit dem
groͤßeſten Recht verdienet. Jch brauche es nicht
zu nenne. Jch verbleibe


Jhre ergebenſte Baſe und Dienerinn
Charlotte Montague.


Du wirſt mercken, daß mir der Brief zu rech-
ter Zeit gekommen iſt. Jch hoffe, daß mein On-
ckle mir nichts ſchreiben wird, als was ich meiner
Geliebten zeigen kann. Jch habe ihr eben die-
ſen Brief zugeſandt, und ich hoffe, daß er gute
Wirckung haben wird.



Hier folget ein neuer Brief von der Clariſſa,
darin ſie der Fraͤulein Howe von dem Nachricht
giebt, was zwiſchen ihr und Herrn Lovelacen
vorgegangen war. Sie iſt auf eine edle Art uͤber
ſein Betragen misvergnuͤgt: und da ſie von Men-
nells
Briefe ſchreibet, ſo bittet ſie die Fraͤulein
Howe abermahls, ihren Anſchlag zur Reife zu
bringen, und eine Zuflucht fuͤr ſie zu beſorgen,
weil ſie entſchloſſen ſey, ihn zu verlaſſen. Allein
in
[279]
in einem andern Briefe, vom Montage, iſt ſie an-
derer Me inung, nachdem ſie das Schreiben der
Fraͤulein Montague geleſen hat, und verlanget,
die Unterhandlung mit der Townſend noch auf-
zuſchieben.


„Mir war bey nah alles verdaͤchtig (ſchreibt
„ſie) was er von der Frau Fretchville und von
„ihrem Hauſe geſaget hatte. Selbſt Herr Men-
„nell
kam mir verdaͤchtig vor, ob gleich ſein An-
„ſehen ſehr gut iſt. Nun ich aber ſehe, daß
„Herr Lovelace ſeinen Anverwandten davon
„Nachricht gegeben hat, daß er dieſes Haus mie-
„then will, und daß die Fraͤuleins mich daſelbſt
„beſuchen wollen: ſo ſtrafe ich mich ſelbſt in mei-
„nem Gemuͤthe, daß ich ſo argwoͤhniſch geweſen
„bin, und ihn einer ſo niedertraͤchtigen Betruͤge-
„rey beſchuldiget habe. Er hat ſich aber dieſes
„ſelbſt zu dancken. Warum handelt er zu ande-
„rer Zeit ſo wunderlich? und warum macht er
„ohne Noth krumme Wege, und verwirret und
„verſtellet ſelbſt ſeine Abſichten, falls ſie aufrich-
„tig ſind?„



Der dreißigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.



Er giebt ſeinem Freunde Nachricht,
was bey der Unterredung des Morgens

S 4vor-
[280]
vorgefallen ſey, und daß der Brief der
Fraͤulein Montague ſeine erwuͤnſchte
Wirckung gethan habe: ſie hoͤre dennoch
aber noch nicht gantz auf, fremde gegen
ihn zu thun. Er meint aber, das thue
ſie nur zum Schein. Er faͤhret fort:


Es iſt einem Frauenzimmer nicht moͤglich, bey
einer ſolchen Angelegenheit gantz ehrlich zu
ſeyn. Und warum muͤſſen ſie ſich verſtellen? Sie
ſehen es fuͤr eine allzugroße Schande an, das zu
ſcheinen, was ſie in der That ſind.


Jch beklagte die Unpaͤßlichkeit der Frau Fret-
chville,
weil ich dadurch gehindert wuͤrde.


Jch bedaurete ſehr, daß Frau Fretchville
kranck geworden waͤre, und ich ſie nunmehr nicht
vor unſerer gluͤcklichen Verbindung in dieſes Haus
bringen koͤnnte; in welchem ſie jeder fuͤr eben ſo
frey gehalten haben wuͤrde, als ſie wuͤrcklich ſey,
und als noͤthig ſey, wenn ihr Ja-Wort nach dem
Urtheil der Welt ein recht freywilliges Ja-Wort
heiſſen ſollte. Es ginge mir der verdriesliche
Umſtand deſto mehr zu Gemuͤthe, weil ich ſaͤhe,
daß alle meine Baſen ihr haͤtten die Aufwartung
machen wollen, unterdeſſen daß Eheſtiftung und
alle uͤbrige Vorbereitungen zur Hochzeit und Haus-
haltung zu Stande gebracht waͤren. Sonſt um
anderer Urſachen willen ſey nicht viel daran gele-
gen: denn ſo bald mein erwuͤnſchteſter Tag zuruͤck-
geleget ſey, koͤnnten wir nach der Forſt, oder
nach
[281]
nach M. Hall, oder zu einer von meinen Baſen
reiſen, und dadurch Zeit gewinnen, uns mit Be-
dienten und allem was uns noͤthig waͤre zu ver-
ſorgen.


Wie artig konnte mein Kind horchen!


Jch fragte: ob ſie die Pocken gehabt haͤtte?


Jhre Mutter und Frau Rovton haͤtten im-
mer daran gezweifelt. Ob ſie ſich gleich nicht
fuͤrchtete, ſo wollte ſie ſich doch nicht ohne Noth
in Gefahr begeben.


(Recht ſo! dachte ich, und antwortete)
ſonſt haͤtte ſie das Haus beſehen koͤnnen, ehe wir
auf das Land gereiſet waͤren. Denn wenn es ihr
nicht gefiele, ſo waͤre ich nicht ſchuldig es zu behal-
ten: ich haͤtte mich zu nichts verbindlich ge-
macht.


Sie fragte, ob ſie ſich eine Abſchrift von
dem Briefe der Fraͤulein Montague ausbitten
duͤrfte?


Jch ſagte: ſie moͤchte den Brief ſelbſt behalten,
und ihn der Fraͤulein Howe ſchicken: denn ich
glaubte doch, daß dieſes ihre Abſicht ſey.


Sie neigete ſich ſehr freundlich. Siehſt du Bru-
der! Sie wird bald ehrerbietig gegen mich werden.
Was in des Teufels Nahmen! habe ich mein Kind
durch meine ausſchweifende Auffuͤhrung geſchre-
cket! Und doch iſt es vielleicht gut geweſen, daß
ich ihr eine Furcht vor mir beygebracht habe. Sie
ſagt, ich bin unhoͤflich: davon habe ich den Vor-
theil, daß mir nun eine jede Hoͤflichkeit als etwas
großes angerechnet wird.


S 5Als
[282]

Als wir auf die Eheſtiftung zu ſprechen ka-
men, ſo ſagte ich: es ſollte mir lieber ſeyn, wenn
Pritchard, deſſen meine Baſe in ihrem Briefe
erwaͤhnete, nicht dabey zu Rathe gezogen waͤre.
Pritchard waͤre zwar ein ehrlicher Mann, der
unſerer Familie ſchon von Vater und Großvater
her gedienet haͤtte, und die Guͤter beſſer kennete,
als ich oder mein Onckle: allein es ginge dem
Pritchard, wie den meiſten alten Leuten. Er
ſey langſam und voller Schwierigkeiten. Er bil-
dete ſich ſehr viel auf ſein Ein mahl Eins ein; und
um nicht in den Verdacht zu kommen, als wenn
er unrecht gerechnet haͤtte, ginge alles bey ihm
langſam, wenn auch durch das Eilen eine kayſer-
liche Crone zu erhalten ſtuͤnde.


Jch kuͤſſete ihre Hand unterdeſſen fuͤnf mahl,
ohne abgewieſen zu werden. Jeſus! wie gnaͤdig
war ſie. Sie bat noch beynahe um Erlaubniß,
als ſie weggehen wollte, um das Schreiben der
Charlotte noch einmahl zu leſen: ich glaube faſt,
ſie beugete gar die Kniee vor mir; ich will es aber
doch nicht fuͤr gewiß ſagen. Wie gluͤcklich haͤt-
ten wir ſchon laͤngſtens ſeyn koͤnnen, wenn ſie im-
mer ſo gefaͤllig gegen mich geweſen waͤre. Denn
ich mag gern geehret ſeyn, und ich habe dieſes
Gluͤck beſtaͤndig genoſſen, ehe ich mit der ſtoltzen
Schoͤnen bekannt ward.


Nun ſind wir auf dem rechten Wege, oder
der lebendige Teufel muͤßte dahinter ſtecken. Eine
jede Veſtung hat ihre ſtarcke und ſchwache Seite.
Jch habe bisher die ſtaͤrkſte Seite angegriffen.
Jch
[283]
Jch hoffe, daß mein Sonnenſchein ſie endlich ſo
betriegen ſoll, daß ſie den Mantel ableget. Jch
thue recht: denn die Fraͤulein Howe gebraucht
eine Zollbetriegerin gegen mich. Wir warten
nun mit Schmertzen auf meines Onckels Brief.


Faſt haͤtte ich vergeſſen, dir zu melden, daß
ich durch einen beſondern Umſtand in große Un-
ruhe geſetzet bin. Ein wohlgekleideter Mann
hat ſich geſtern nach mir und meiner Liebſten er-
kundiget. Er hat die Dorcas nach eines Kauf-
manns Hauſe hohlen laſſen, und ihr allerhand
Fragen vorgeleget, inſonderheit dieſe: ob wir
getrauet waͤren, da wir doch beyde in einem Hau-
ſe wohneten?


Mein Kind iſt hieruͤber voller Sorgen. Jch
konnte mich nicht enthalten, ihr hiebey zu Ge-
muͤthe zu fuͤhren, wie nuͤtzlich es uns jetzt ſey,
daß wir uns fuͤr verheyrathet ausgegeben haͤtten.
Es ſey vermuthlich, daß ihr Bruder dieſen Mann
abgeſchicket habe: vielleicht wuͤrden wir weiter
nichts von ſeinen Anſchlaͤgen hoͤren, wenn er erſt
glaubte, daß wir verheyrathet waͤren. Es hatte
das Anſehen, als wenn der Mann gern den Tag
wiſſen wollte, an dem wir getrauet waͤren: al-
lein Dorcas wollte weiter nichts ſagen, als, daß
wir wirklich getrauet waͤren, und ſie war deſto
mehr geheim, weil er ihr nicht ſagen wollte, in
welcher Abſicht er ſich ſo genau erkundigte.


Der
[284]

Der ein und dreißigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford.



Der Teufel ſoll meinen Onckel hohlen. Da
hat er mir endlich einen Brief geſchrieben,
den ich nicht vorzeigen kann, wenn ich nicht den
Vornehmſten in unſerer Familie zum Narren ma-
chen will. Er faͤllt mich mit einer Menge abge-
ſchmackter Ermahnungen und Beſtrafungen an.
Jch dachte, er haͤtte ſeinen ganzen Vorrath ſchon
in dem an dich geſchriebenen Briefe erſchoͤpfet.
So lange mußte er den Brief zuruͤck halten, bis
er den gantzen Schatz von Thorheiten geſammlet
hatte. Der Hencker hohle ſeine Weisheit der
Voͤlcker,
wenn er ſich ſolche Muͤhe geben muß,
aus hundert Sententzen-Buͤchern einen dummen
Brief zu machen, durch den er ſelbſt laͤcherlich
wird. Jndeſſen finde ich mich doch durch ſeine
Narrheit aller Narrheiten ſehr geſtaͤrcket und er-
quicket: denn Klugheit und Thorheit, Gutes und
Boͤſes ſind doch einmahl in dem menſchlichen Le-
ben ſo gemiſchet, daß man eines ohne das andere
nicht haben kann.


Den eingeſchloſſenen Banck-Zettel habe ich
der Fraͤulein ſchon uͤberreichet, und ihr einen
Theil des Briefes vorgeleſen. Allein ſie will den
Banck-Zettel nicht annehmen: und weil ich auch
bey
[285]
bey Geld bin, ſo werde ich ihn zuruͤck ſchicken.
Es ſchien, als wenn ſie gern den gantzen Brief
leſen moͤchte. Jch ſagte: ich wollte ihr gern den
gantzen Brief uͤberreichen, wenn ich nicht dadurch
die Perſon beſchimpfete, die ihn geſchrieben haͤtte.
Sie antwortete: ich wuͤrde meinen Onckle nicht
bey ihr dadurch herunter ſetzen: denn ſie ſchaͤtzte
das Hertz hoͤher, als den Kopf. Jch verſtund
ſie wohl: allein ich bin ihr ſehr wenigen Danck
fuͤr dieſen Grundſatz ſchuldig.


Jch will ihr alles abſchreiben, was in dem
Briefe enthalten iſt, das zu meiner Sache die-
net. Doch, ich will haͤngen, wenn ſie nicht fuͤr
einen freywilligen Kuß den gantzen Brief haben
ſoll.



Sie hat den Brief weg, ohne ihn bezahlt
zu haben. Der Teufel hohle mich, wenn ich
Muth genug hatte, die Bedingung nur zu nen-
nen, unter welcher ich ihn ihr zu geben gedachte.
Du ſieheſt abermahls, wie bloͤde dein Freund
iſt. Ein wahrhaftig tugendhaftes Frauenzim-
mer kann die dreiſteſte Manns-Perſon drey
Schritt vom Leibe halten. Jch glaube nun, ſo
wahr ich lebe, daß unter zehn Frauensleuten die
verfuͤhret werden, neune durch Leichtſinnigkeit oder
durch Eitelkeit Anlaß dazu geben, oder daß ſie
es dem Mangel der Vorſichtigkeit zu dancken
haben.


Jch
[286]

Jch wollte mir die Belohnung ſelbſt nehmen,
wenn ſie mir den Brief wieder geben wuͤrde, der
uns beyden ſo erwuͤnſcht war. Sie ſchickte ihn
mir aber verſiegelt durch die Dorcas wieder zu.
Jch weis nicht, ob etwa ein Paar Ausdruͤcke von
der Art ſind, daß ſie ſich ſcheuet, mich gleich nach Le-
ſung des Briefes zu ſprechen. Jch lege den Brief
bey; und ſchließe den meinigen, damit du ihn
deſto bequemer durchleſen koͤnneſt. So bald die-
ſes geſchehen iſt, ſchicke ihn mir wieder zu.



Der zwey und dreißigſte Brief
von dem
Lord M. an Herrn Robert Lovelace.



Wenn man lange genug gelaufen hat, ſo
muß man doch endlich umkehren.

Berachten Sie meine Sprichwoͤrter nicht. Sie wiſ-
ſen, daß ich immer viel auf Sprichwoͤrter gehal-
ten habe, und es wuͤrde beſſer fuͤr Sie ſeyn, wenn
Sie eben ſo geſinnet geweſen waͤren. Jch wollte
darauf ſchwoͤren, daß die artige Fraͤulein, durch
die Sie bald gluͤcklich werden ſollen, die Sprich-
woͤrter in Ehren haͤlt: denn ich hoͤre, daß ſie ei-
nen guten Brief ſchreibet, und daß jede Zeile ei-
ne Sententz enthaͤlt. Gott beſſere Sie: das
kann
[287]
kann ſonſt niemand thun, als Gott und die
Fraͤulein.


Jch zweifele nun nicht mehr daran, daß Sie
heyrathen werden, wie Jhr Vater und alle ihre
Vorfahren gethan haben. Haͤtten die nicht ge-
heyrathet, ſo koͤnnten Sie mein Erbe nicht wer-
den: und Jhre Nachkommen koͤnnen Jhre Er-
ben nicht ſeyn, wenn ſie nicht aus rechtmaͤßigem
Ehebette gezeuget ſind. Es iſt werth, daß Sie
dieſes wohl bedencken. Ein jeder raſet ein-
mahl: man laͤuft aber endlich die Hoͤrner
ab.
Jch hoffe, daß Sie auch endlich klug wer-
den ſollen.


Jch weiß, daß Sie geſchworen haben, ſich
an der Familie der artigen Fraͤulein zu raͤchen.
Vergeſſen ſie das jetzt! Sie muͤſſen ſie jetzt ſchon
als Jhre Verwandten anſehen, und vergeben und
vergeſſen. Wenn ſie erſt ſehen, daß Sie ein
liebreicher Mann und ein rechtſchaffener Vater
werden, (welches Gott um unſer aller willen ge-
ben wolle!) ſo werden ſie ſich daruͤber wundern,
daß ſie haben koͤnnen auf eine ſo thoͤrichte Weiſe. Jh-
re Feinde ſeyn, und werden bey Jhnen um Ver-
gebung bitten. So lange ſie aber noch glauben,
daß ſie ein liederlicher Menſch ſind, ſo koͤnnen ſie
ohnmoͤglich Liebe fuͤr Sie haben, oder ihre Toch-
ter entſchuldigen.


Jch moͤchte gern der Fraͤulein ein Troſt-Wort
zuſprechen, die ohne Zweifel voller Furcht iſt,
wenn ſie daran gedencket, wie ſchwer es halten
wird, einen ſo wilden Menſchen in Zaum zu hal-
ten.
[288]
ten. Jch wollte ihr wohl ſagen, daß ſie durch
ſtarcke Gruͤnde und glimpfliche Worte alles wird
ausrichten koͤnnen: denn ob Sie gleich ſehr hitzig
ſind, ſo werden Sie doch durch gute Worte wie-
der kuͤhl werden, und die Gemuͤths-Faſſung erlan-
gen, die zu ihrer Beſſerung noͤthig iſt.


Wollte Gott, daß meine arme ſelige Gemah-
lin, ihre Baſe, die jetzund todt und bey Gott iſt,
durch dieſe Artzney zu beſſern geweſen waͤre!
Gott habe ſie ſeelig! Jch will der Todten im be-
ſten gedencken. Denn erkennt man erſt, was
man verlohren hat, wenn man das Gute
nicht mehr hat.
Nun weiß ich, was ich an ihr
gehabt habe: und wenn ich zuerſt aus der Welt
gegangen waͤre, ſo wuͤrde ſie erfahren haben, was
ſie an mir verlohren haͤtte.


Es iſt ein ſehr weiſer Spruch: Gott ſchicke
mir einen Freund, der mich beſtraft! und
wenn ich keinen Freund habe, ſo ſchicke er
mir einen Feind, der mir meine Fehler vor-
haͤlt.
Nicht als wenn ich ihr Feind waͤre, das
wiſſen Sie beſſer. Je hoͤher je demuͤthiger.
Wenn Sie auch hoch ſind, ſo nehmen Sie meine
Ermahnung an. Bin ich nicht Jhr Onckle?
Will ich nicht mehr an Jhnen thun, als Jhr Va-
ter hat thun koͤnnen? Jch will ſo gar an ihrem
Ehren-Tage Vaters-Stelle vertreten, weil Sie es
verlangen. Machen Sie meine Empfehlung an
meine liebe kuͤnftige Baſe, und ſagen Sie ihr, ich
wunderte mich, daß ſie Jhr Gluͤck ſo lange ver-
zoͤgerte.


Geben
[289]

Geben Sie ihr Nachricht, daß ich ihr (nicht
Jhnen) mein Gut in Lancashire, oder die Forſt
ſchencken will. Sie ſoll jaͤhrlich von mir tauſend
Pfund Spiel-Gelder haben, damit Sie ſehe, daß
wir keine ſolche Familie ſind, die ſich auf eine nie-
dertraͤchtige Weiſe ihres Ungluͤcks bedienen will.
Sie koͤnnen alles dieſes ſchriftlich haben, und
nach Jhrem Belieben eine Eheſtiftung machen.
Der ehrliche Pritchard kann die Einkuͤnfte der
Guͤter an den Fingern herzaͤhlen, und iſt ein alter
und treuer Bedienter. Jch empfehle ihn Jhrer
Liebſten auf das beſte. Jch habe ihn zu Rathe
gezogen, und er wird Jhnen ſagen koͤnnen, was
Jhnen am vortheilhafteſten und mir am ange-
nehmſten iſt.


Mein Podagra quaͤlet mich noch ſehr; ich
will aber doch mich in einer Saͤnfte hintragen
laſſen, ſo bald der Tag beſtimmet iſt. Es ſollte
mir eine hertzliche Freude ſeyn, Jhnen die Hand
der Fraͤulein zu geben. Wenn Sie nicht der be-
ſte Mann werden, da Sie eine ſo gute Frau be-
kommen, die ſo vieles fuͤr Sie gewaget hat, ſo
will ich Jhnen gantz entſagen, und alles was ich
habe der Fraͤulein und ihren Kindern vermachen,
ohne, daß der Vater das geringſte davon bekom-
men ſoll.


Wenn Sie noch eine weitere Verſicherung
brauchen, ſo will ich ſie Jhnen geben, ob Sie
gleich wiſſen, daß ich mein Wort beſtaͤndig fuͤr
mein Geſetz geachtet habe. Wenn die Harlowes
Vierter Theil. Tdieſes
[290]
dieſes erfahren, ſo wollen wir ſehen, ob ſie ſich
ſchaͤmen koͤnnen.


Jhre beyden Baſen wuͤnſchen den Tag zu
wiſſen, der Sie zu einen andern Menſchen ma-
chen wird, um an denſelben in der gantzen Gegend
Lerm zu machen, und alle ihre Paͤchter unſinnig
zu machen. Wenn einer von meinen Leuten bey
der Gelegenheit nuͤchtern bleibt, ſo ſoll ihn Prit-
chard
wegjagen. Bey der Geburt des erſten
Kindes will ich noch mehr fuͤr Sie thun, wenn
es ein Junge wird, und alle Freuden-Bezeugun-
gen ſollen alsdenn wiederhohlet werden.


Jch ſollte billig fruͤher geſchrieben haben: al-
lein ich dachte, Sie wuͤrden von neuen an mich
ſchreiben, und mir Nachricht geben, wenn Jhnen
die Zeit zu lange waͤhrt, und Sie gern bald Hoch-
zeit machen wollten. Mein Podagra war mir
ſehr beſchwerlich, und Sie wiſſen, daß ich ohne-
dem nur langſam ſchreibe, wenn ich auch wohl
auf bin: denn ob ich gleich ſonſt ſehr fertig war
einen Aufſatz zu machen, wie der Lord Lexington
zu ſagen pflegte, ſo bin ich doch jetzt nicht mehr ſo
fertig, nachdem ich mich lange Zeit nicht mehr
geuͤbet habe. Jch will dieſesmahl alles aus mei-
nem Kopf und Gedaͤchtniß ſchreiben, und Jhnen
meinen beſten Rath mittheilen, weil ich nicht weiß,
ob ich eine ſo gute Gelegenheit wieder bekomme.
Sie haben immer (ach Gott gebe Jhnen ein an-
deres Hertz) die boͤſe Gewohnheit gehabt, allen
meinen guten Rathſchlaͤgen den Ruͤcken zuzukeh-
ren: allein ich hoffe, daß Sie zum wenigſten die-
ſes
[291]
ſes mahl auf das mercken werden, was ich zu Jh-
ren eigenen Beſten ſage.


Jch habe noch einen Endzweck, ja noch zwey
Endzwecke.


Mein einer Endzweck iſt dieſer: Sie wollen ſich
jetzt eben verheyrathen, und ſo zu ſagen die Hoͤr-
ner ablegen:
bey dieſer Gelegenheit wollte ich
Jhnen gerne einige gute Lehren geben, denen Sie
im gemeinen Leben und in oͤffentlichen Geſchaͤften
folgen ſollen, und die Sie billig zu Hertzen neh-
men muͤſſen, da ich es ſo gut meine. Sie wuͤr-
den aber ſchwerlich meinem Rath der gebuͤhrenden
Aufmerckſamkeit gewuͤrdiget haben, wenn er Jh-
nen nicht bey einer ſo auſſerordentlichen Gelegen-
heit gegeben wuͤrde.


Die zweyte Abſicht iſt, daß Jhre liebe Fraͤu-
lein, die wie es ſcheint, ſelbſt ſo artige und weiſe
Briefe ſchreiben kann, ſehen moͤge, daß Sie nicht
aus unſerer Schuld, oder aus Mangel des guten
Raths, bisher ſo verdorben ſind.


Nun will ich in wenigen Worten Jhnen ſa-
gen, wie Sie ſich im Hauſe und in der Welt auf-
zufuͤhren haben, wenn Sie mich anders wuͤrdigen
meinen Rath anzunehmen. Jch will mich kurtz
faſſen, und deſto weniger werde ich Jhnen ver-
drießlich ſeyn.


Was Jhre Auffuͤhrung im Hauſe anbelanget,
ſo lieben Sie ihre Gemahlin, wie ſie es verdie-
net. Machen Sie, daß Jhre Wercke Sie
preiſen.
Seyn Sie ein zaͤrtlicher Gemahl;
machen Sie alle Jhre Feinde zu Luͤgnern, und
T 2zwingen
[292]
zwingen Sie ſie, daß ſie ſich ſchaͤmen muͤſſen.
Wir wollen uns eine Ehre daraus machen, wenn
wir mit Wahrheit ſagen koͤnnen: die Fraͤulein
Harlowe hat weder ſich ſelbſt, noch ihre Fami-
lie dadurch beſchimpft, daß Sie zu unſerer Fami-
lie uͤbergegangen iſt. Thun Sie das: ſo koͤnnen
Sie meiner und Jhrer beyden Baſen Liebe Zeit-
Lebens verſichert ſeyn.


Jhre Auffuͤhrung in der Welt betreffend,
ſind dieſes meine Wuͤnſche: wiewohl ich glaube,
daß die Weisheit Jhrer Gemahlin ohnedem Jhr
Leit-Stern ſeyn wird. Halten Sie das nicht fuͤr
eine Schande: Verſtand genug, allein wenig
Weisheit haben Sie bisher gezeiget.


Suchen Sie in das Parlament zu kommen,
ſo bald als es moͤglich iſt: denn Sie haben ſolche
Gaben, daß Sie etwas rechtes darinne vorſtellen
koͤnnen. Wer iſt geſchickter dazu, ſeinen Rath
zu geben, wenn neue Geſetze gemacht werden ſoll-
ten, als derjenige, den alle alte Geſetze nicht im
Zaum halten konnten?


So lange Sie in S. Stephans Capelle *
ſind, (ich hoffe, Sie werden ſich das nicht abſchre-
cken laſſen, daß es eine Capelle heißt. Jch habe
manchen wilden Lerm darin gehoͤrt. Der Spre-
cher hat ſchlimme Zeit dabey. Allein wir Lords
ſehen mehr auf das Decorum. Aber was wollte
ich doch ſagen? Jch muß in das vorige zuruͤck ſe-
hen). Jch ſage, ſo lange Sie im Parlament-
Hauſe
[293]
Hauſe ſind, ſo lange werden Sie nichts boͤſes
thun, zum wenigſten nichts boͤſes im gemeinen Le-
ben. Wenn Sie aber an deſſen Stelle oͤffentli-
che Suͤnden thun, die die gantze Republic beun-
ruhigen, ſo wuͤnſche ich, daß es Jhnen eben ſo ge-
hen moͤge, als dem heil. Stephanus.


Wenn eine neue Parlaments-Wahl iſt, ſo
wiſſen Sie, daß Sie in zwey oder drey Staͤdten
gewiß werden gewaͤhlet werden, wenn Sie wollen,
und daß Sie ſelbſt das Ausleſen haben. Allein
ich wollte lieber, daß Sie unſere Grafſchaft vor-
ſtelleten, wenn Sie bis auf eine neue Parlaments-
Wahl warteten. Jch bin gewiß, daß Sie Freun-
de genug haben, die Jhnen die Stimme geben:
und weil Sie ſo wohl ausſehen, ſo werden alle
Weiber ihre Maͤnner zwingen Sie zu waͤhlen.


Jch bin begierig Jhre Reden zu leſen, die
Sie halten werden: denn ich glaube, daß Sie
den allererſten Tag auſtreten werden, wenn ſich
eine Gelegenheit zeiget. Es fehlt Jhnen nicht
an Dreiſtigkeit, und Sie haben ſo hohe Gedan-
cken von ſich und ſo niedrige von andern Leuten,
daß Sie bey aller Gelegenheit reden werden.


Was die Gewohnheiten und das Herkom-
men des Parlaments anbetrift, ſo fuͤrchte ich, daß
Sie ſich allzu klug duͤncken ſich darnach zu richten.
Nehmen Sie ſich in Acht. Jch befuͤrchte nicht,
daß Sie unhoͤflich ſeyn werden. Sie verletzen
nie den Wohlſtand gegen Manns-Leute, wenn
ſie Jhnen nichts zuwider thun. Jch wuͤnſchte
nur, daß Jhnen der Widerſpruch nicht unertraͤg-
T 3lich
[294]
lich waͤre, da Sie ſich ſo gern die Freyheit neh-
men, andern zu widerſprechen.


Ob ich gleich nicht wollte, daß Sie ein Hoff-
Schmeichler wuͤrden, ſo wuͤnſche ich doch auch
nicht, daß Sie ſich zu der Parthey der Misver-
gnuͤgten ſchlagen ſollen. Jch erinnere mich noch
immer deſſen, was mein alter Freund Archibald
Hutcheſon
ſagte; denn ich habe mir es gleich
aufgeſchrieben und es iſt ein ſehr weiſer Gedan-
cke: (mich duͤnckt, es war der Secretair Craggs,
zu dem er es ſagte) „ich glaube von der Regie-
„rung, daß ſie jedes mahl ein Recht an mein Ja
„hat, wenn ich ihr meine Stimme mit gutem Ge-
„wiſſen geben kann. Denn das Unterhaus ſoll
„es der Regierung nie ohne Noth ſchwer machen.
„Es iſt mir jedesmahl leid geweſen, wenn ich ihr
„meine Stimme nicht habe geben konnen; und
„ich haͤtte aus Liebe zu meinem Vater-Lande im-
„mer gewuͤnſchet, daß die Abſicht der Regierung
„von der Art geweſen waͤre, daß ich ſie mit gutem
„Gewiſſen haͤtte befoͤrdern helfen koͤnnen.„


Er hat noch einen andern merckwuͤrdigen
Spruch gehabt. Er lautete alſo: „es iſt eben ſo
„wenig glaublich, daß die beſtaͤndig Unrecht ha-
„ben, die ſich der Regierung widerſetzen, als daß
„die Regierung immer Unrecht haben ſollte. Wer
„deswegen der einen Parthey beſtaͤndig zuwider
„iſt, der verraͤth eine geheime und boͤſe Abſicht,
„die er ſich ſcheuet zu offenbahren.„


Sind dieſe Gedancken nicht gut? Sind ſie
werth verachtet zu werden? Und warum verach-
ten
[295]
ten Sie mich denn, daß ich ſolche Spruͤche in Eh-
ren halte? Jch kann Jhnen ſagen, daß es gewiß
Jhr Schade nicht geweſen ſeyn wuͤrde, wenn Sie
den Umgang mit mir fleißiger geſucht haͤtten.
Jch kann das ohne Hochmuth ſagen: denn es
iſt anderer Leute Weisheit, und nicht meine eige-
ne, die ich ſo hoch ſchaͤtze. Jch muß noch ein
Paar Worte bey dieſer Gelegenheit hinzu thun,
die ich vielleicht nie ſo gut wieder bekomme: denn
Sie ſind gezwungen, dieſen Brief gantz durch zu
leſen. Lieben Sie tugendhafte und redliche Leute,
und geſellen Sie ſich zu ihnen, es mag in [...] oder
außer dem Parlament ſeyn, und ſie moͤgen fuͤr
Titel haben, was fuͤr welche ſie wollen. Durch
gute Geſellſchaft wird man fromm.
Habe
ich Jhnen aber nicht eben dieſes ſchon ſonſt ge-
ſchrieben? Wenn man ſo oft und ſo viel geſchrie-
ben hat, ſo vergißt man es endlich ſelbſt.


Sie koͤnnen ſich wegen des hoͤhern Adels bey
dem Koͤnige melden, wenn ich toͤdt und abgeſchie-
den bin. Gott habe mich ſeelig! Jch wollte
gern, daß Sie den Ausſchlag geben koͤnnten.
Wenn Sie einmahl den Ruhm erlangen, daß Sie
ein Redner ſind, ſo werden Sie alles erhalten koͤn-
nen: und Sie ſind in der That ſchon von Natur
beredt, und haben eine Zunge, die einen Engel
verfuͤhren koͤnnte, wie die Frauensleute ſagen,
und zwar einige zu ihrem Kummer: die armen
Dinger! Ein angeſehener Redner in dem Unter-
Hauſe iſt wahrhaftig etwas großes, weil das Un-
ter Haus das Geld giebt, und das Geld die
T 4Maͤre
[296]
Maͤre gehend macht, und auch wohl Koͤni-
ginnen und Koͤnige zwinget, einen andern Weg
zu gehen, als ſie ſonſt wuͤrden gegangen ſeyn.


Jch dencke aber faſt, daß es am beſten waͤre,
wenn Sie nie eine Bedienung von dem Koͤnige
annehmen. Sie werden noch einmahl ſo viel Lie-
be und Hochachtung haben, wenn man glaubt,
daß Sie dieſes nie thun werden. Denn weil
Sie niemanden in dem Wege ſtehen, ſo wird nie-
mand Sie beneiden, Sie werden bey jedermann
ein aͤchte Hochachtung haben, und beyde Theile
werden ſich um Jhre Freundſchaft bewerben.


Sie brauchen nicht, wie andere, eine Bedie-
nung, damit Sie ſich aus den Schulden helfen
und etwas verdienen. Wenn Sie jetzt mit 2000
Pfund ſo auskommen koͤnnen, daß Sie Ehre da-
von haben; ſo wird es Jhnen nicht ſchwer ſeyn,
kuͤnftig mit 7 bis 8000 Pfund Haus zu halten.
Denn weniger ſollen Sie gewiß nicht haben, wenn
Sie mir Freude machen; und Sie koͤnnen mir
keine groͤßere Freude machen, als wenn Sie dieſe
artige Fraͤulein heyrathen. Und darunter iſt das
noch nicht begriffen, was Sie von der Lady Eli-
ſabeth,
und von der Lady Sara zu erwarten ha-
ben. Was fuͤr ein Teufel iſt in die ſtoltzen Har-
lowes
geſahren! ſonderlich in den Sohn, in den
wunderlichen Sohn! Allein um ſeiner unver-
gleichlichen Schweſter willen enthalte ich mich,
mehreres zu ſagen.


Mir iſt niemahls eine Bedienung angetragen
worden, und die eintzige, die ich angenommen
haͤtte,
[297]
haͤtte, waͤre die Stelle eines Ober-Jaͤgermei-
ſters
geweſen. Denn in meiner Jugend war ich
ein Liebhaber von der Jagd: und ein ſolcher Nah-
me klinget bey uns, die wir auf dem Lande woh-
nen, vornehm. Jch habe oft an das alte vor-
treffliche Sprichwort gedacht: wer des Koͤniges
Gaͤnſe iſſet, der erſticket an den Federn.
Jch
wuͤnſchte zu Gott, daß dieſes die Leute wiſſen moͤch-
ten, die nach den Bedienungen laufen: es wuͤrde
fuͤr ſie und fuͤr ihre arme Familien beſſer ſeyn.
Jch koͤnnte noch viel nuͤtzliches ſchreiben: ich bin
aber muͤde zu ſchreiben, und ich glaube, daß Sie
eben ſo muͤde ſind, zu leſen. Und uͤber dieſes
will ich auch etwas auf die Zeit verſparen, wenn
ich Sie zuſprechen bekomme.


Die beyden Fraͤuleins Montague und mei-
ne beyden Schweſtern beſtellen nebſt mir ihre Em-
pfehlung an unſre neue Baſe. Wenn Sie Luſt
hat, bey uns die gluͤckliche Verbindung zu ſchlieſ-
ſen, ſo melden Sie ihr: wir wuͤrden darauf ſehen,
daß ſie ſicher ginge. Die gantze Gegend ſoll
eine gantze Woche lang laͤuten und ſchmauſen.
Jch glaube, ich habe das ſchon oben geſchrieben.


Wenn noch etwas zu Beſchleunigung Jhres
beyderſeitigen Gluͤcks erfodert wird; ſo geben Sie
mir Nachricht davon: wie auch, was fuͤr einen
Tag Sie beſtimmet haben, und von allen derglei-
chen Dingen. Der eingelegte Banck-Zettel ſte-
het Jhnen zu Dienſten.


Gott ſegne Sie beyderſeits, und mache mein
Padagra ſo ertraͤglich, als es ſeyn kann. Es ſey
T 5wenn
[298]
wenn es wolle, ſo will ich zu Jhnen hin hincken:
denn ich ſehne mich recht darnach, Sie zu ſehen;
und eben ſo ſehr ſehne ich mich nach meiner neuen
Baſe. Jch verharre unter Erwartung dieſer
gluͤcklichen Zeit


Jhr verbundenſter Onckel
M.



Der drey und dreyßigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.



Du ſieheſt, Belford, was fuͤr guten Wind
wir jetzt haben. Jch darf nur ein Wort
ſagen, wenn ich das liebe Kind ſprechen will, ſo
kommt es. Jch ſagte geſtern Abend zu der Fraͤu-
lein: ich fuͤrchtete, daß Pritchard all zu lange
zaudern moͤchte; deswegen wollte ich meinem
Onckle es uͤberlaſſen, ſeine Freude uͤber unſere
Verbindung zu bezeigen, wenn und wie er ſelbſt
wollte. Jch hatte indeſſen dieſen Nachmittag
meinen Aufſatz einem beruͤhmten Rechtsgelehrten,
Nahmens Williams, uͤbergeben, und ihn er-
ſucht, eine Eheſtiftung zu machen, dabey er mei-
ner Mutter Eheſtiftung zum Grunde legen koͤnn-
te, die ich ihm zugleich uͤbergeben haͤtte. Es habe
mir bisher zum groͤßeſten Kummer gereichet, daß
ihr oͤfteres Misvergnuͤgen gegen mich und unſer
bey-
[299]
beyder Misverſtaͤndniß mich gehindert haͤtten,
vorher mit ihr davon zu reden. Gewiß, gewiß,
mein liebſtes Kind, ich habe bisher die Roſen ſehr
unter den Dornen ſuchen muͤſſen.


Sie ſchwieg ſtille, und zwar auf eine freund-
liche Art.
Denn ich wußte wohl, daß ſie
mich durch ihre Verantwortung haͤtte in die En-
ge treiben koͤnnen. Jch that es aber eben deswe-
gen, damit ich ſehen moͤchte, ob ſie ſcheu wuͤrde,
etwas mir misfaͤlliges zu ſagen. Jch ſetzte hinzu:
ich troͤſtete mich damit, daß nunmehr meine Schwie-
rigkeiten zu Ende giengen, und daß alles bisherige
unangenehme vergeſſen werden wuͤrde.


Es iſt wahr, Belford, ich habe meine Auf-
ſaͤtze dem Herrn Williams uͤbergeben; und ich
erwarte ſeinen Entwurf auf das laͤngſte in acht
Tagen. Alsdenn bin ich doppelt gewaffnet.
Denn wenn ich ſtuͤrme und abgeſchlagen werde,
ſo kann ich ſie durch die Eheſtiftung ſo lange beſaͤnf-
tigen, daß ſie den zweyten Sturm abwartet.


Jch habe noch mehr Vorſchlaͤge, die noch nicht
voͤllig reif ſind. Jch koͤnnte dir 100 davon ſagen;
und noch hundert (mit dem untruͤglichen Vater)
in petto behalten, und mich ihrer bey Gelegenheit
bedienen, um dich durch das Unerwartete auf-
merckſamer zu machen. Sey nicht boͤſe daruͤber.
Wenn du mein Freund biſt, ſo erinnere dich, was
die Howe geſchrieben hat, und was ſie fuͤr ſchel-
miſche Anſchlaͤge machet. An allen dem ſind die
Nachrichten Urſache, die meine Gefangene ihr er-
theilet. Ein Boͤſewicht, ein Narre, ein Beel-
zebub
[300]
zebub heiße ich doch ſchon: ob ich mich gleich
nicht das geringſte Boͤſe unterſtanden habe.


Das liebe Kind antwortete mit niedergeſchla-
genen Augen und einem ſchamrothen Geſichte; es
uͤberlieſſe alle Dinge von dieſer Art lediglich mir.


Jch ſchlug vor, ob wir uns in meines Onckels
Capelle wollten trauen laſſen, da die Lady Eliſa-
beth,
die Lady Sara, und die Fraͤuleins Mon-
tague
zugegen ſeyn koͤnnten.


Sie ſchien nicht Luſt dazu zu haben, daß die Trau-
ung oͤffentlich ſeyn ſollte, und ſetzte die Ueberlegung
dieſer Sache bis auf eine andere Zeit aus. Jch
glaubte, daß ihr mit einer oͤffentlichen Trauung
eben ſo wenig gedienet ſeyn wuͤrde, als mir; und
drang nicht weiter in ſie.


Jch zeigte ihr Proben von Stoffen, und ein
Kaufmann ſollte noch dieſen Tag Juwelen brin-
gen, darunter ſie das beſte ausleſen moͤchte. Sie
wollte aber die Proben nicht anſehen, ſondern ſag-
te ſeufzend, es waͤren die zweyten Proben die ihr
vorgelegt wuͤrden. Sie verbot dabey ſchlech-
terdings, den Juwelen Haͤndler nicht kommen zu
laſſen; und wollte auch nicht zugeben, daß ich
(zum wenigſten vor jetzund) meiner Mutter Ju-
welen von neuen einfaſſen laſſen ſollte.


Glaube, Belford, alles dieſes war mein
Ernſt. Alle meine Guͤter ſehe ich fuͤr Nichts an,
wenn ich die gewuͤnſchte Gefaͤlligkeit von ihr er-
halten kann.


Sie ſagte hierauf: ſie haͤtte ihre Antwort auf
meine Vorſchlaͤge ſchriftlich aufgeſetzet, und ſich
auch
[301]
auch wegen der Kleidung und Juwelen erklaͤret.
Sie haͤtte aber das Papier zerriſſen, da ich ihr am
Sonntage ſo uͤbel begegnet waͤre, ohne daß ſie es
im geringſten verſchuldet haͤtte. Jch bat ſie in-
ſtaͤndig, mich die Antwort, ſo zerriſſen wie ſie waͤ-
re, leſen zu laſſen. Sie bedachte ſich: endlich gieng
ſie weg, und ſchickte ſie mir durch Dorcas zu.
Jch las ſie von neuen: und ob ich ſie gleich vor
ſo kurtzer Zeit ſchon geleſen hatte, ſo ſchien ſie mir
doch faſt neu. Bey meiner Seelen, ich konnte
mich kaum halten. Jch rief hundertmahl in mei-
nem Hertzen aus: unvergleichliches Kind! Jch
befehle dir aber, kein Wort zu ſchreiben, das eine
Vorſprache fuͤr ſie heiſſen kann, wenn du ihr an-
ders wohl willſt. Wenn ich ihrer ſchone, ſo muß es
blos aus eigener Bewegung geſchehen.


Du kannſt leicht dencken, daß ich von Lobes-
Erhebungen, von Danckbarkeit, und von unauf-
hoͤrlicher Liebe uͤberfloß, als ich abermahls vor ſie
gelaſſen ward. Aber da ſteckt der Teufel hinter:
alles, was ich ſage, hoͤrt ſie an und bleibt dennoch
fremde: oder, wenn ich nicht glauben ſoll, daß ſie
ſich zwinget fremde zu ſeyn, ſo hoͤrt ſie es an, und
haͤlt es fuͤr meine Schuldigkeit es zu ſagen; denn
ſie wird gar nicht dadurch geruͤhret. Einige Frau-
ensleute kann man durch Lob und Schmeicheley
betriegen. Jch ſelbſt mag mich gern loben hoͤren.
Vielleicht wirſt du ſagen, daß ſich diejenigen am
meiſten auf das Lob einbilden, die es am wenig-
ſten verdienen; ſo wie die am begierigſten nach
Reichthum und Ehre ſind, die zu Armuth und Nie-
drig-
[302]
drigkeit gebohren ſind. Jch geſtehe es, man muß
einen Geiſt haben, wenn man uͤber dieſe Schwach-
heiten hinweg ſehen will. Allein habe ich denn
keinen Geiſt? Den wirſt du mir nicht abſprechen.
Siehe mich demnach als eine Ausnahme von der
Regel an.


Nun habe ich einen Grund, deswegen ich ſo
und nicht anders handeln muß. Mein Onckle
hat eben bey den fieberhaften Anfaͤllen ſeiner Frey-
gebigkeit beſchloſſen, der Fraͤulein tauſend Pfund
Spiel. Gelder auszuſetzen. Wenn ich die Fraͤulein
heyrathe, ſo wird er ihr, und nicht mir, alles ver-
machen, was er mir zu vermachen gedachte. Er
hat ſo gar gedrohet, mir alles zu entziehen, was
ich von ihm zu hoffen habe, wenn ich nicht der be-
quemſte Mann fuͤr ſie bin. Er bedenckt nicht,
daß ein ſo unvergleichliches Frauenzimmer nie mit
ſeinem Manne uͤbel zufrieden ſeyn kann, ohne ihn
zu beſchimpfen: denn wer wird ihr Unrecht ge-
ben? Eine neue Urſache, die Lovelacen abhaͤlt,
die Clariſſa zu heyrathen!


Mein Onckle hat gewiß viel Verſtand, daß er
die Frau in ſolche Umſtaͤnde ſetzen will, darin ſie
frey und ungebunden iſt, und zuletzt ihrem Gebie-
ter den Gehorſam aufkuͤndigen wird. Er ſelbſt
hat erfahren, was fuͤr Folgen daraus entſtehen,
wenn die Frau des Mannes nicht noͤthig hat.
Meine Geliebte verlanget in ihrem zerriſſenen Auf-
ſatz nicht mehr als 200 Pfund des Jahres zu ih-
ren beſondern Ausgaben. Jch drang darauf, daß
ſie eine anſehnlichere Summe beſtimmen ſollte.
Sie
[303]
Sie ſagte, ſo moͤchten es denn 300 ſeyn. Damit
ſie ſich auf noch mehreres Rechnung machen moͤch-
te, ſo erboth ich mich gleich zu 500, und verſprach
es ihr voͤllig zu uͤberlaſſen, was ſie mit dem Gelde
machen wollte, das ihr Vater von ihr in Haͤnden
haͤtte, ob ſie wollte die Frau Norton davon ver-
ſorgen, oder andern Wohlthaten zufließen laſſen.


Sie ſagte, die gute Frau wuͤrde nur un-
ruhig werden, wenn ſie mehr fuͤr ſie thaͤte, als
etwas mittelmaͤßiges. Sie machte gern die
Einrichtung in allen, was ſie ſchenckte, nach der
bisherigen Lebens- Art der Leute. Wenn man
weiter ginge, ſo verurſachte man nur dadurch, daß
ſich der, dem man wohl wollte, durch weit ausſe-
hende Anſchlaͤge in Unruhe ſetzte, oder man mach-
te, daß ſie ſich in ihre neue Umſtaͤnde nicht ſchicken
koͤnnten, da ſie doch in ihren bisherigen Umſtaͤn-
den durch ihre Auffuͤhrung beſtaͤndig Ruhm er-
halten haͤtten. Eine ſo guͤtige und kluge Mutter
wuͤrde weiter nichts verlangen, als ſo viel, daß ſie
ihren Sohn zur rechten Zeit zu der Lebens. Art,
die er erwaͤhlet haͤtte, ausſteuren koͤnnte, und da-
bey ſelbſt noch ſo viel uͤbrig behielte, daß ſie weder
Mangel litte, noch noͤthig haͤtte, kuͤnftig von ih-
rem Kinde das wieder anzunehmen, was ſie ihm
gegeben haͤtte.


Das iſt Klugheit, das iſt ein rechtes Urtheil
bey ſo jungen Jahren! Wie boͤſe bin ich auf die
Harlowes, daß ſie einen ſolchen Engel hervorge-
bracht haben! Warum hat das Kind nicht mei-
ne aufrichtige Bitte ſtatt finden und ſich mir an-
trauen
[304]
trauen laſſen, ehe wir in das verfluchte Haus ge-
kommen ſind? Und wie kraͤnckt es demnach mei-
nen Hochmuth, daß dieſe erhabene Schoͤne nicht
durch Liebe wuͤrde koͤnnen regieret werden, wenn
ich heyrathete, ſondern entweder blos durch Edel-
muͤthigkeit oder durch blinden Gehorſam gegen ih-
re Pflichten, und daß ſie das einzelne Leben einer
Verbindung mit mir vorziehet!


Das iſt mir unertraͤglich. Wenn ich jemahls
in meinem Leben ein Frauenzimmer durch Mit-
theilung meines Nahmens ehre, ſo verlange ich,
daß es ſo gar ſeine Pflichten gegen Gott um mei-
netwillen aus den Augen ſetzen ſoll. Wenn ich
ausgehe, ſo ſoll es mir nachſehen, ſo lange es mich
ſehen kann, wie mein Roſenknoͤspchen dem Haͤns-
chen:
und es ſoll mich mit Entzuͤckung empfan-
gen, wenn ich nach Hauſe komme. Es ſoll von
mir traͤumen und den gantzen Tag an mich geden-
cken. Es ſoll alle Augenblicke vor verlohren hal-
ten, die es ohne mich zubringet: es ſoll mir vor-
ſingen, vorleſen, vorſpielen wenn ich Luſt dazu ha-
be: und ſeine groͤßte Freude ſoll in Gehorſam ge-
gen mich beſtehen. Wenn ich Luſt habe zu lieben,
ſo ſoll es mich in der Liebe uͤbertreffen: wenn ich
die Einſamkeit ſuche, und es will ſich zu mir draͤn-
gen, ſo muß es mit Ehrfurcht geſchehen; mache
ich eine krauſe Stirne, ſo muß es weggehen, und
ſich mir naͤhern, wenn ich laͤchele. Es muß ſich
ſtillſchweigend zu mir ſtehlen, und leiſe weggehen,
wenn ich ihm den Scepter nicht reiche. Es muß
mit allen meinen Vergnuͤgungen zufrieden ſeyn,
und
[305]
und die am hoͤchſten ſchaͤtzen, die mich am meiſten
vergnuͤgen. Heimlich darf es ſeufzen, daß es nicht
ſelbſt mein groͤßtes Vergnuͤgen iſt. So machten
es ehemahls die eiferſuͤchtigen Weiber der ehrli-
chen Altvaͤter. Eine jede both ihrem Ober-
herrn ihr Cammer Maͤdchen an, wenn ſie glaubte,
daß er Luſt dazu haͤtte, und ließ ſich mit Freuden
Kinder auf den Schos hecken, die ſie fuͤr die ihri-
gen hielt.


So gefaͤllig Waller iſt, ſo ſagt er doch: das
Frauenzimmer iſt dazu gebohren, daß es gehorchen
ſoll. Das wußte er, ob er gleich noch ſo gefaͤllig
war. Ein harter Mann macht eine gute und ge-
horſame Frau. Warum lieben die Frauenzim-
mer liederliche Leute, als weil ſie wiſſen, daß dieſe
die geſchickteſten ſind, ſie zu beherrſchen, und ihren
veraͤnderlichen Willen beſtaͤndiger zu machen?



Abermahls eine vergnuͤgte Unterredung, die
von dem Tage aller unſerer Tage handelte. Ein
gewiſſer Tag braucht nicht beſtimmt zu werden, bis
die Eheſtiftung richtig iſt. Wenn ich mich in
meines Onckels Capelle trauen lieſſe, und meine
Verwandtinnen gegenwaͤrtig waͤren: ſo wuͤrde es
gar zu oͤffentlich werden. Und mein Kind bemerck,
te nicht ohne Misvergnuͤgen, daß mein Onckle ei-
ne oͤffentliche Luſtbarkeit daraus zu machen ſuchte.


Jch ſagte: Wenn ſich mein Onckle hieher
tragen lieſſe, ſo koͤnnte ich mir nicht anders vor-
Vierter Theil. Uſtellen,
[306]
ſtellen, als wenn ſie auf ſeinen Guͤtern und in Bey-
ſeyn aller meiner Verwandtinnen gefeyret wuͤrde,
ſonderlich da er an der Pracht ſo vieles Vergnuͤ-
gen faͤnde.


Sie antwortete: eine oͤffentliche Hochzeit ſey ihr
unertraͤglich. Es wuͤrde das Anſehen haben, als
wenn ſie den Jhrigen trotzen wollte. Wenn mein
Onckle es nicht ungnaͤdig naͤhme, (wie ſie denn
hoffete, daß er ſich dieſe Aenderung gefallen laſſen
wuͤrde, da ſie an der erſten Einladung keinen An-
theil gehabt haͤtte) ſo wollte ſie ſich des Vergnuͤ-
gens und der Ehre begeben, dazu ihr ſeine Gegen-
wart in andern Umſtaͤnden gereichen wuͤrde; inſon-
derheit weil ſie alsdenn nicht genoͤthiget waͤre, ei-
nen Staat in Kleidern zu machen. Denn es waͤ-
re ihr ohnmoͤglich, ſich herauszuputzen, da ihre El-
tern noch in Thraͤnen ſchwaͤmmen.


Wie ſchoͤn iſt das, wenn ihre Eltern nicht ver-
dieneten, in Thraͤnen zu ſchwimmen!


Siehe Belford, mit einem ſolchen Frauen-
zimmer koͤnnte ich meiner Meinung nach ſchon al-
les ausgemacht haben, und doch kaum auf der er-
ſten Stuffe ſtehen.


Jch war der Gehorſam und die Verleugnung
ſelbſt. Jch hatte keinen andern Willen, als den
ihrigen. Jch ſtand auf, und ſchrieb ſo gleich an
meinen Onckle, und als ſie den Brief nicht misbil-
ligte, ſchickte ich ihn weg. Jch habe keine Ab-
ſchrift behalten, der Haupt-Jnhalt aber war: „ich
„ſey ſeiner Gnaden ſehr fuͤr die mir zugedachte
„Guͤtigkeit verbunden, daß ſie mich bey der wich-
„tigſten
[307]
„tigſten Veraͤnderung in meinem Leben mit ihrer
„Gegenwart haͤtten beehren wollen: das unver-
„gleichliche Frauenzimmer, welches er mit ſo vie-
„lem Recht lobete, glaubte, daß ſeine Gnade et-
„was zu weit ginge. Sie wuͤnſchte in der Stille
„zu bleiben, bis eine Ausſoͤhnung mit ihrer Fami-
„lie bewuͤrcket waͤre, wenn ſie nur wuͤßte, daß mei-
„ne Anverwandten ihr dieſes nicht veruͤbeln wuͤr-
„den. Sie erkennete zwar mit Danck, daß er die
„Gnade haben wollte, bey unſerer Verbindung ge-
„genwaͤrtig zu ſeyn: weil ſie aber glaubte, daß er
„dieſen guͤtlichen Entſchluß blos in der Abſicht ge-
„faſſet haͤtte, ihr eine Ehre zu erzeigen, und ſich
„ſonſt nicht zu einer ſo beſchwerlichen Reiſe ent-
„ſchloſſen haben wuͤrde: ſo unterſtuͤnde ſie ſich nicht
„ſeine Gnaden hierin zu bemuͤhen, und verhoffete,
„es wuͤrde dieſes von ihm ſo guͤtig aufgenommen
„werden, als wohl es von ihm gemeint ſey. Die
Forſt wuͤrde der beſte Ort ſeyn, da wir uns auf-
„halten koͤnnten, und dieſer Aufenthalt gefiele uns
„deſto beſſer, weil ihre Gnaden ihn ſelbſt fuͤr uns
„zu waͤhlen ſchienen, wenn er es indeſſen fuͤr gut
„faͤnde, ſo wollte ich lieber der Fraͤulein eins von
„meinen Guͤtern verſchreiben: ich lies hiebey al-
„les auf ſeine Guͤtigkeit ankommen. Den uͤber-
„ſandten Banck-Zettul haͤtte ich der Fraͤulein uͤber-
„reichet; allein da dieſe ihn anzunehmen verbeten
„haͤtte, und ich jetzund kein Geld brauchte, ſo ſchickte
„ich ihn mit gehorſamſten Danck zuruͤcke.„


Jſt das nicht ein verflucht langwieriger Um-
weg? Wie klein wuͤrde ich in den Jahr-Buͤchern
U 2der
[308]
der Verfuͤhrer des Frauenzimmers angeſchrieben
ſtehen, wenn ich mich doch endlich in meiner eige-
nen Schlinge fangen ließe?


Die Frauensleute moͤgen ſagen, was ſie wol-
len. Ein armer unſchuldiger Tropf hat Urſache
ſich in Acht zu nehmen, wenn er an dem Rande
des Ehebettes taumelt. Mancher weichherziger
Kerl hat im Spaaß angefangen, weil er Luſt hat-
te, auch einmahl verliebt zu thun: und iſt gezwun-
gen worden, ſeinen Spaaß in Ernſt zu verwan-
deln, weil er bey ſeinem Worte gehalten iſt, und
nicht Muth genug hatte zu geſtehen, daß das nie
ſeine Abſicht geweſen ſey, die das Frauenzimmer
fuͤr ſeine Abſicht hielt. Jch kann mir es deſto
leichter vorſtellen, wie es manchem Schleicher ge-
gangen iſt: da ich alter Practikus, der ich das an-
dere Geſchlecht ſo gut kenne als ein Menſch auf
der Welt, bisweilen ſelbſt nicht weiß, was ich aus
der Sache machen ſoll.


Die loſen Schaͤlcke liegen und lauren wie die
Wachtel-Hunde, und ſo bald wir unſchuldigen Kin-
der ihnen zu nahe kommen, ſo ſpringen ſie auf
uns los. Wenn erſt das Eis gebrochen iſt, ſo ei-
len ſie gleich nach dem Hafen. Wovon ſie am
wenigſten reden duͤrfen, daran dencken ſie am
meiſten. Wir koͤnnen nicht ſo fruͤh von der
Trauung reden, daß nicht ſchon alle kleinſten Um-
ſtaͤnde in dem Rath der Goͤttinnen beſchloſſen ſeyn
ſollten. Die kleinen ſchelmiſchen Kinder. Erſt
fangen ſie ſich, und nachher uns.


Dem
[309]

Dem allen ſey wie ihm wolle. Der Lord M.
hat nie einen ſo hoͤflichen Brief erhalten, von ſei-
nem VetterLovelace.


Nachdem die Fraͤulein in ihrem Schreiben
eben dieſe Umſtaͤnde gemeldet hat, druͤcket ſie ſich
alſo aus:


„Es iſt ein großer Troſt fuͤr mich, daß ich, die
„ich alle meine Freunde, (eine eintzige Freundin
„ausgenommen) verlohren habe, ſo viel neue Freun-
„de bekommen, als Herr Lovelace Anverwandten
„hat, wenn ich ihre Freundſchaft nur nicht ſelbſt
„verſchertze: und zwar dieſes ſowohl wenn Herr
Lovelace mir gut, als wenn er mir uͤbel be-
„gegnet. Vielleicht wird der Nahme und der
„Rang dieſer neuen Freunde mir die verſchertzte
„Liebe meiner Anverwandten wieder zuwege brin-
„gen. Ehe dieſes nicht geſchiehet, werde ich nie-
„mahls auch nur mittelmaͤßig ruhig ſeyn: ver-
„gnuͤgt aber kann ich in meinem Leben nicht wie-
„der werden. Herr Lovelaces Gemuͤth iſt von
„dem meinigen gar zu ſehr und in gar zu wichti-
„gen Stuͤcken verſchieden. Bey denen Umſtaͤn-
„den, in denen wir uns jetzt befinden, muß ich ſie
„bitten alles bey ſich zu behalten, was ich Jhnen
„Nachtheiliges von ihm entdecke. Nichts iſt we-
„niger zu vergeben, als wenn eine Frau ihren
„Mann beſchimpfet: und es wird doch mein Schick-
„ſal vermuthlich ſeyn, daß ich die Seinige werde.
„Wenn ſie etwas zu ſeinem Nachtheil ſaget, ſo
„wird es eben ſo angeſehen, als ſagte ſie es ſelbſt.


U 3Es
[310]

„Es ſoll dieſes mein beſtaͤndiges Gebet ſeyn,
„daß ſie alles moͤgliche Gluͤck dieſes Lebens ſchme-
„cken moͤgen, und daß es weder Jhnen noch Jh-
„ren ſpaͤten Nachkommen jemahls an einem ſo
„aufrichtigen Freunde mangeln moͤge, als Anna
„Howe
geweſen iſt gegen


„Jhre Clariſſa Harlowe.


Herr Lovelace ſucht in dem naͤchſten
Briefe ſeinem Freunde ein Beyſpiel von der
Fruchtbarkeit ſeines Gehirns zu geben: deswegen
meldet er ihm, wie er ſich an der Fraͤulein Howe
raͤchen koͤnnte, wenn ſie nach der Jnſul Wight
reiſete. Denn er hat vernommen, daß ſie in
Begleitung ihrer Mutter und des Herrn Hick-
manns
eine reiche Baſe auf dieſer Jnſul beſu-
chen will, welche ſie und ihrem Braͤutigam zu ſe-
hen verlanget, ehe ſie einander heyrathen. Weil
er aber dieſen Vorſchlag nicht in das Werck zu
richten gedenket, ſo laſſen wir den Brief aus.



Der vier und dreyßigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.


Wenn dir mein Anſchlag wider die Fraͤulein
Howe nicht gefaͤllt, ſo habe ich ſchon drey
bis vier andere im Kopf, welche mir eben ſo gut
und dir vielleicht beſſer gefallen. Du brauchſt
dich
[311]
dich nur von deiner jetzigen Verbindung los zu
machen, alsdenn ſollſt du waͤhlen, was ich zu
thun habe. Deine drey Bruͤder muͤſſen thun,
was ich befehle, und du mußt es ebenfalls thun:
warum waͤre ich ſonſt euer General? Doch ich
verſpare dieſes bis auf die rechte Zeit. Du weißt,
daß ich mich nie zu etwas voͤllig entſchließe, bis
der Augenblick da iſt, da es ausgefuͤhret werden
ſoll: alsdenn aber iſt der Blitz nicht geſchwinder
als ich bin.


Jch komme wieder auf das, was mir am Her-
tzen liegt.


Kannſt du es glauben, daß mir ſo viele An-
ſchlaͤge gegen meine Gloriana hauffenweiſe in
den Kopf kommen, daß ich beynahe nicht weiß,
welchen ich waͤhlen ſoll. Sechs fuͤrſtliche Einfaͤlle
kann ich dir nennen, unter denen keiner mislin-
gen kann. Da aber das liebe Kind kein Beden-
ken getragen hat mir Muͤhe zu machen, ſo erfo-
dert die Danckbarkeit, daß ich mein Pulver auch
nicht ſpare, ſondern naͤchſtens ein Paar Minen
ſpringen laſſe, durch deren Schrecken es betaͤu-
bet wird.


Du erinnerſt dich, was Hector, der ſonſt
gewiß kein Prahler iſt, in dem Troilus des Sha-
kespeare
zu dem Achilles ſagt. Jch kann
dieſes mit einiger Veraͤnderung auf dieſes allzu
wachſame Frauenzimmer deuten, nachdem es
mich ſo lange geplaget hat, und ich nunmehr mei-
nes Sieges voͤllig verſichert bin. Stelle dir vor,
daß ich mein Kind vor mir habe, und es von Haupt
U 4bis
[312]
bis auf die Fußſohlen betrachte, ſo werden die
Worte alſo lauten:


Von nun an huͤte dich, mein allzu wach-

ſam Kind,

Jch will nicht da, nicht da, nicht da, nicht

dort dich toͤdten.

(*) ‒ ‒ ‒ ‒

‒ ‒ ‒ ‒

So ſtirbt dir jedes Glied. Verzeihe mir

mein Prahlen,

O Belford, Weiſeſter, den je ein Weib

gebahr,

Jch muß die Wachſamkeit mit Schelmerey

bezahlen,

Und was du Prahlen nennſt, das macht

der Ausgang wahr:

Sonſt will ich nimmermehr ‒ ‒

Jch ſtelle mir vor, du ſeyeſt Ajax, und ſu-

cheſt meine Hitze mit den Worten zu maͤßigen:

‒ ‒ Sey nicht zu heiß und drohe nicht zu

viel,

Bis dir das Gluͤck erlaubt dein Drohen wahr

zu machen.

Was meinſt du Bruder? Daß ich ein ver-

fluchter Kerl bin? Wenn ‒ ‒

Wenn! kein Wenn. Morgen werde ich

ſehr kranck ſeyn. Jch weiß es gewiß.

Kranck? Der Teufel, warum ſollſt du

kranck ſeyn?

Um
[313]

Um mehr als einer Urſache willen, Belford.


Jch moͤchte gern eine einzige hoͤren. Kranck!
Unter allen Schelmereyen haͤtte ich auf dieſe am
wenigſten gedacht.


Vielleicht meinſt du, ich ſuchte die Fraͤulein
an mein Bette zu bringen, die Schelmerey iſt
ſchon grau und alt! vor 3000 Jahren hat ſie
ſchon ein Bruder gebrauchet. Mir wuͤrde es
lieber ſeyn, wenn ich ihrem Bette koͤnnte nahe
kommen. Doch ich will mich herablaſſen und
dich eben ſo weiſe machen als ich bin.


Jch bin voller Unruhe uͤber den Anſchlag der
Fraͤulein Howe. Jch zweifele nicht daran, daß
ſie von mir fliehet, wenn ich einen vergeblichen
Verſuch thue, und ſie fliehen kann. Jch glaubte
ehemahls ſie haͤtte mich lieb: allein nun zweifele
ich daran; zum wenigſten glaube ich nicht, daß
ſie mich mit ſolcher Jnbrunſt liebet, mir eine vor-
ſetzliche und vorher uͤberlegte Suͤnde zu vergeben.


Was wird es dir aber helſen, wenn du
kranck biſt?


Geduld! Jch gedencke ſo kranck nicht zu ſeyn
als Dorcas mich machen ſoll. Aber ich werde
greulich Athem holen, und etwas geronnenes Ge-
bluͤte ausſpeien. Es wird gewiß eine Ader in
der Lunge geſprungen ſeyn. Jch werde eine Bou-
teille von Fatons Blut ſtillender Medicin holen
laſſen, allein keinen Doctor, Wenn ſie noch et-
was menſchliches hat, ſo wird es ihr nahe gehen.
Hat ſie aber Liebe, ſo wird gewiß die Liebe wieder
U 5zum
[314]
zum Vorſchein kommen, und ſich in ihren Augen,
ja in jedem Zuge ihres Geſichtes zeigen.


Jch will gantz getroſt bey der Sache ſeyn, und
mich weder fuͤr Tod noch fuͤr Kranckheit fuͤrchten.
Jch will mich ſtellen, als wuͤßte ich gewiß, daß alles
in ein paar Stunden voruͤber ſeyn werde: weil ich
ſonſt von dieſer Artzeney eine ſehr geſchwinde Wuͤr-
kung verſpuͤret habe, als ich auf der Jagd vom
Pferde gefallen war, und eine inwendige Verletzung
bekommen hatte. Jch werde glauben, daß dieſe
Kranckheit ein Ueberbleibſel von jenem Fall ſey.
Wenn ſie ſiehet, daß ich weniger aus der Unpaͤßlich-
keit mache, als die, welche um mich ſind, ſo wird ſie
glauben, daß ich keine Abſicht dabey habe.


Mich duͤnckt, du faͤngſt nunmehr an eine
beſſere Meynung von meinem Anſchlage zu be-
kommen. Jch wußte das ſchon zum voraus.
Ein anderes mahl erwarte gleich etwas wunder-
bares und verbanne alle Zweifel.


Und nun, Belford, wenn es ihr nicht nahe gehet,
daß ich mir eine Ader geſprenget habe, welches doch
bey einem ſo hitzigen Gebluͤte, als man bey mir ver-
muthet, ſehr gefaͤhrlich ſeyn kann; ſonderlich wenn
ich auf eine gelaſſene Weiſe meine bisherige Unruhe
fuͤr die Urſache dieſer Unpaͤßlichkeit ausgebe, und
dadurch ein deutliches Zeichen meiner Liebe, die Ge-
genliebe verdienet, gebe ‒ ‒ ‒ ‒


Und was willſt du denn thun, Schelm?


Jch will wenigere Gewiſſens Biſſe empfinden,
wenn ich Gewalt gebrauchen muß, denn die kann
kein Mitleiden verdienen, die ſelbſt kein Mit-
leiden empfindet.

Wie
[315]

Wie aber, wenn ſie Mitleiden mit dir hat?


Denn habe ich einen Grund auf dem ich
bauen kann. Die Liebe bedecket der Suͤnden
Menge, und macht die Suͤnden klein, die ſie
nicht bedecken kann. Wenn man die Liebe einmahl
zu erkennen gegeben oder zugeſtanden hat, ſo berech-
tiget man den andern ſich mehr Freyheiten heraus
zu nehmen. Eine Freyheit gebiert die andere, und
ich will ſehen, wie weit ich endlich komme.


Aber, Lovelace, wie willſt du in des Teu-
fels Nahmen es anfangen, dich bey ſo guter Ge-
ſundheit und Farbe kranck zu ſtellen?


Wie? Jch darf nur einige wenige Koͤrner
von Ipecacuanha hinter ſchlucken.


Gut, aber wie willſt du es machen, daß du
Blut ſpeieſt, ohne dir Schaden zu thun?


Narre, kann man keine Huͤner oder Tauben
zu kauffen kriegen?


Jch bitte um Gnade.


Frau Sinclair ſoll mir alsdenn ſagen, daß
ich bisher zu viel zu Hauſe geſeſſen habe. Jch
will mich in der Saͤnfte nach dem Parck tragen
laſſen, und verſuchen, ob ich die Helfte der
Maille gehen kann. Hernach will ich mich in
Whites Chocoladen-Hauſe oder in dem Cocoa
Coffée-
Hauſe auszuruhen ſuchen.


Was ſoll das aber helfen?


Du fragſt ſchon wieder! Du biſt wahrhaftig
ein Unglaͤubiger. Jch werde ja erfahren, ob
mein Kind in meiner Abweſenheit ausgehen will!
Und
[316]
Und wenn ich wieder komme, ſo werde ich darauf
acht geben, ob ſie mich zaͤrtlich empfaͤnget. Doch das
iſt nur das wenigſte: ich habe eine Ahndung, daß in
meiner Abweſenheit etwas vorgehen wird, daruͤber
mein Kind in eine große Gemuͤths-Bewegung geſetzt
werden koͤnnte. Doch hievon mehr zu ſeiner Zeit.


Leugneſt du, Belford, oder geſteheſt du mir
ein, daß es recht ſey mich kranck zu machen? Jch
finde ſo viel Vergnuͤgen an meinen Erfindungen,
daß ich faſt betruͤbt daruͤber bin, wenn ich beden-
cke, daß die Veranlaſſung dazu aufhoͤren wird.
Denn in meinem Leben werde ich keine ſo gute
Gelegenheit wieder haben meinen Kopf zu uͤben.


Die verfluchten Maͤdchens in unſerem Hauſe
ſind ſo unverſchaͤmt, und ruͤcken mir ſo viel vor,
daß ich nichts thun kann, als auf ſie fluchen.
Bald wollen ſie mir mit einem veralteten Haus-
Mittel aushelfen. Jnſonderheit hat mir die
Sara, die ſich ungemein klug duͤncket, jetzt eben
auf eine recht dreiſte Weiſe geſagt, da ich ihre
Mittel nicht billigte: ich haͤtte keine Luſt zu uͤber-
winden, und ich waͤre ſo falſch, daß ich heimlich
den Vorſatz haͤtte die Fraͤulein zu heyrathen, und
es nur nicht geſtehen wollte.


Weil die kleine Furie ihr erſtes Opfer auf
meinem Altar gebracht hat, ſo haͤlt ſie ſich berech-
tiget, ſich allerley Freyheiten gegen mich heraus
zu nehmen. Sie iſt deſto unbaͤndiger, weil
ich (wie ſie ſagt) recht mit Fleiß ihre Liebe
bisher verſchmaͤhet habe. Jſt es nicht unver-
ſchaͤmt, daß das Maͤdchen denkt, ich wollte ei-
nem
[317]
nem andern nachſteigen? So weit iſt es noch
nicht gekommen. Du weißt, daß es immer
mein Grund-Satz geweſen iſt: was ein ande-
rer einmahl gebraucht hat, das brauch ich
nie wider.
Fuͤr dich und deine Bruͤder iſt es
eine Sache, daß ihr euch mit Huren behelſt.
Jch habe mich immer bemuͤhet den Ruhm der
erſten Erfindung zu erlangen. Vielleicht haͤltſt du
mich deswegen fuͤr einen aͤrgern Teufel, weil ich
unſchuldige Kinder zu verfuͤhren ſuche. Jch bin
nicht einerley Meinung mit dir. Jch werde mich
zum wenigſten nicht leicht eines Ehebruchs ſchul-
dig machen.


Ein Umgang, den ich zu Paris mit einer
verehlichten Frau gehabt habe, und davon du
noch nichts weißt, hat mein Gewiſſen verwundet.
Allein es geſchahe nicht ſo wohl aus Bosheit, als
weil ich Gelegenheit hatte meinen Verſtand zu
zeigen.


Ein franzoͤſiſcher Marquis, der etwas bey
Jahren war und ſich in Geſchaͤften ſeines Hofes
zu Madrit aufhielt, hatte vor kurtzen eine al-
lerliebſte junge Frau geheyrathet, uͤber welche
ſeine Schweſter die Vormundſchaft fuͤhren mußte,
die ihr nicht allzu wohl begegnete. Jch ſahe die-
ſes Frauenzimmer in der Opera. Sie gefiel mir
gleich das erſte mahl und noch beſſer das zweyte
mahl, da ich wußte, in was fuͤr Umſtaͤnden ſie
ſich befand. Jch ſtellete mich, als ſuchte ich Um-
gang mit ihres Mannes Schweſter, und bekam
hiedurch einen Zutritt zu beyden. Jch klagte ſo
viel
[318]
viel uͤber die Sproͤdigkeit der alten Schweſter,
daß ſie hiedurch ſproͤde ward. Hierauf ſuchte ich
mir die Eiferſucht des Mannes und den Hoch-
muth der Schweſter zu Nutze zu machen, um bey
der Frau eine Empfindlichkeit zu erwecken. Jch
hoffete dabey, daß auf mich einige Liebe fallen
wuͤrde. Das franzoͤſiſche Frauenzimmer hat Luſt
zur Schelmerey.


Die Schweſter fing an einen Verdacht auf
mich zu werfen. Jhre Schwiegerin hatte nicht
Luſt, die eintzige Geſellſchaft zu verlieren, die ihr
erlaubet war, und gab mir deswegen von ihrem
Verdacht Nachricht. Jch that ihr den Vorſchlag:
ſie ſollte die alte Schoͤne ohne mein Wiſſen in
einem Neben ‒ Gemach verſchließen, und den
Schluͤſſel in die Taſche ſtecken; und mich in einem
benachbarten Zimmer befragen, ob ich es aufrich-
tig meinte; und zwar ſo, daß ihre Schwiegerin es
hoͤren koͤnnte.


Sie ließ ſich den Vorſchlag gefallen. Mei-
ne Goͤttin ward eingeſchloſſen. Jch ſetzte mich;
die Marquiſe ſetzte ſich auch. Jch war vor Liebe
außer mir: ich betheurete, ich ſchwor: denn die
Marquiſe fragte mich auf mein Gewiſſen. Die
Schoͤne war in ihrem Gefaͤngniß ſehr vergnuͤgt.
Und wie endigte ſich das Spiel? Jch nahm mei-
ner Gelegenheit wahr, und zog die Frau (die ſich
nicht unterſtehen durfte zu ſchreyen) mit mir in
das naͤchſte Zimmer, unter dem Vorwand, daß
ich ihre Schwiegerin ſuchen wollte, die unterdeſ-
ſen eingeſchloſſen blieb.


Du
[319]

Du weißt, daß ich kein Frauenzimmer um-
ſonſt allein geſprochen habe, die Fraͤulein Harlo-
we
ausgenommen.


Meine Offenhertzigkeit fand Vergebung. Die
Marquiſe konnte ſich die gantze Zeit uͤber des La-
chens nicht enthalten, daß ich beyde betrogen hat-
te, und ihre Hofmeiſterin ihre Gefangene gewor-
den war, die unter Schloß und Riegel nicht we-
niger vergnuͤget war als wir beyde. Es geſchieht
ſehr ſelten, daß ſich die Franzoſen von den Engel-
laͤndern fangen laſſen.


Wir haben nachher eben ſo liſtige Streiche
geſpielt, zu denen ſie das ihrige auch mit beytrug:
denn einmahl uͤberwunden iſt immer uͤberwun-
den. Allein endlich ward unſer Geheimniß ent-
decket, ehe der Marquis wieder kommen und die
Entdeckung ungewiß machen konnte. Die Schwe-
ſter war voller Groll, der Gemahl war unver-
ſoͤhnlich. Er war gar nicht geſchickt ein Gemahl
zu ſeyn, zum wenigſten ſo, wie ein Gemahl in
Franckreich beſchaffen ſeyn muß. Er ſchien die
Sitten und die Eiferſucht des Volckes, bey den er
Abgeſandter war, angenommen zu haben, die den
Sitten ſeines Landes ſo ſehr zuwider ſind. Sie
fand ſich genoͤthiget, ſich in meinem Schutz zu be-
geben. Sie war gantz vergnuͤgt bey mir bis ſie
die Geburts. Schmertzen fuͤhlete. Reue und Todt
uͤberfielen ſie in Einer Stunde.


Verzeihe mir hier eine Thraͤne. Sie ver-
dienete ein beſſeres Schickſal. Wie viel hat ein
ſolcher unverſoͤhnlicher Gemahl zu verantworten!
Die
[320]
Die Schweſter iſt dafuͤr geſtraft, das freuet mich
noch. Sie iſt nachdruͤcklich geſtraft. Doch viel-
leicht habe ich dir dieſes ſchon ehemahls erzaͤhlet.



Der fuͤnf und dreyßigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn J. Belford.



Jch bin eben von einer Spazierfahrt mit mei-
nem Kinde zuruͤck gekommen, dazu ſie ſich
nach einem langen Wort- Wechſel bequemet hat.
Die beyden Nymphen leiſteten ihr Geſellſchaft.
Sie haben ihre Perſon wohl geſpielet, die Augen
nicht herum flattern laſſen, und bisweilen einige
Tugend-Regeln mitgetheilet. O Bruder, was
vor Teufels ſind die Frauensleute, wenn wir ſie
erſt voͤllig verfuͤhret haben!


Wir fuhren nach Hamſtead, nach Highga-
te,
nach Muzzle-Hill, und zuruͤck nach Ham-
ſtead
und nach Upper-Flask. Meine Schoͤne
war hier gegen die beyden Nymphen ſo gefaͤllig,
daß ſie etwas ausſtieg, und einige Erfriſchungen
zu ſich nahm. Wir kamen noch bey vollem Ta-
ge uͤber Kentiſch-Town nach Hauſe.


Sie war recht vergnuͤgt, ſo daß ich mich dar-
uͤber freuete, und ich war ſo hoͤflich und ſo voller
Ehrerbietung, als wir auf die Hoͤhe ſpatzieren gin-
gen,
[321]
gen, um die verſchiedenen angenehmen Ausſich-
ten in Augenſchein zu nehmen, daß ſie mir ver-
ſprach, oͤfters mit mir auszufahren. Jch dencke,
ich dencke, Fraͤulein Howe, deine gefaͤhrlichen
Anſchlaͤge gerathen bey ihr in Vergeſſenheit.


Jn der gantzen Zeit, da wir wieder zu Hauſe
ſind, haben wir nichts gethan, als ſchreiben: ich
ſoll aber ihre Geſellſchaft noch eine Stunde lang
genieſſen, ehe ſie ſich zur Ruhe begiebt. Jch will
ſuchen alle Zeichen einer recht ergebenen und folg-
ſamen Liebe anzunehmen, damit ſie morgen bey
meiner bevorſtehenden Kranckheit deſto zaͤrtlicher
ſeyn moͤge. Bey dem Weggehen will ich klagen,
daß mir der Magen nicht recht ſey.



Wir haben uns einander geſprochen. Jch
habe nichts als Liebe und untadelhafte Ehrerbie-
tung blicken laſſen: und ſie war aufgeraͤumt und
gefaͤllig. Meine Unpaͤßlichkeit ging ihr nahe.
Sie uͤberfiel mich ploͤtzlich: eben bey dem Weg-
gehen. Es hatte aber nicht viel zu ſagen: und
ich hoffete morgen fruͤh gantz wohl zu ſeyn.


Mich duͤnckt, ich bin ſchon kranck. Jſt es
moͤglich, daß ein ſo aufgeraͤumter Kopf, als ich
bin, ſich eine Kranckheit einbildet? Jch ſollte mich
beſſer zum Comoͤdianten ſchicken, als ich es wuͤn-
ſche. Eine jede Nerve und Ader iſt immer be-
reit, das ihrige zu einer jeden beſchloſſenen Schel-
merey beyzutragen, es ſey durch Kranckheit oder
Geſundheit.


Vierter Theil. XDor-
[322]

Dorcas hat nun den gantzen Brief der Fraͤu-
lein Howe von dem 14ten May abgeſchrieben,
davon ich vorhin nur Auszuͤge hatte. Sie hat
aber keinen neuen Brief finden koͤnnen. Allein
dieſer Brief, und der, den ich am Sonntage un-
ter der Kirche ſelbſt abgeſchrieben habe, in dem der
Anſchlag mit der Zoll-Betriegerin ſtehet, iſt mir
ſchon genug.



Dorcas ſagt mir, die Fraͤulein haͤtte die
Briefe aus dem Schrancke von Mahogany
weggenommen, und in einen Kaſten gelegt, der in
dem finſtern Cloſet ſtehet. Wir haben noch kei-
nen Schluͤſſel dazu: und vermuthlich iſt dieſes
ihr Archiv, in dem alle vorigen Briefe liegen.
Dorcas iſt ſehr unruhig daruͤber: ſie hofft aber
doch, daß ſie bey ihrer Fraͤulein außer Verdacht
ſey, denn ſie habe alles ſo wieder hingeleget, wie
ſie es gefunden habe.



Der ſechs und dreyßigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.



Das Jpecacuanha ſchmeckt verflucht. War-
um kann die Zunft der Aertzte nichts ver-
ſchrei-
[323]
ſchreiben, als ſolch Zeug, damit man den Teufel
vergeben koͤnnte? Wenn man in der andern Welt
auch Quackſalberey einnehmen ſollte, ſo waͤre es
fuͤr die Suͤnden dieſes Lebens Strafe genug-
Wenn der Doctor auf der einen und der Apo-
thecker
auf der andern Seite ſitzt, und die arme
Seele von beyden geſtraft wird, ſo braucht es we-
der Furien noch Folter-Knechte.


Jch mußte es nehmen, um elend auszuſehen.
Es hat ſeine Wirckung gehabt. Jch ſchluckte ſo
viel hinter, daß ich kranck ward, und nahm ſo
wenig Waſſer dazu, daß es nicht ſo gleich wieder
fortgehen konnte. Jch ſahe aus, als wenn ich
ſchon 14 Tage lang zu Bette gelegen haͤtte. Mit-
ten unter dem Brechen dachte ich daran, daß es
ſich mit einem ſpitzigen Meſſer nicht gut ſpielen
laͤßt, und noch ſchlimmer mit Artzeneyen.


Meine Unpaͤßlichkeit hielt zwey Stunden an-
Es ward der Dorcas ſcharf verboten, meiner
Geliebten nichts davon zu ſagen, um ſie nicht zu
betruͤben. Jch wollte meiner Fraͤulein durch die-
ſes Verbot (welches ſie wieder erfuhr) zu verſte-
hen geben, daß ich von ihr erwartete, daß ſie uͤber
meine Kranckheit bekuͤmmert ſeyn wuͤrde. Was
fuͤr ein veraͤchtlicher Kloß muͤßte der ſeyn, dem
ſein eigenes Hertz ſaget, daß ſich niemand uͤber
ihn betruͤben kann?


Dorcas iſt ein Maͤdchen. Sie wird ja ein
Geheimniß ausplaudern koͤnnen, das ihr anver-
trauet iſt.


X 2Komm
[324]

Komm Kroͤte, (ich war kranck wie der Teufel)
ich will ſehen, ob du betruͤbt und beſtuͤrtzt ausſe-
hen kannſt.


Noch nicht recht! Du laͤßt die Kinnbacken zu
wunderlich haͤngen, und verzieheſt den Mund ſo,
daß du mehr fuͤrchterlich als betruͤbt ausſieheſt.


Dein Plintzen und Wincken mit den garſti-
gen
Augen (wie ſie mein Kind einmahl nennete)
hilft auch zu nichts.


Jetzt war es ein wenig beſſer: aber doch noch
nicht, wie es ſeyn ſoll. Den Mund dichter zu!
Jch weiß nicht, du kannſt zwey Muskeln zwi-
ſchen den Kinnbacken und Lippen gar nicht ruͤh-
ren, wie du ſollſt.


So recht! Packe dich fort! Renne die Trep-
pen auf und nieder; mache ein graͤuliches Lerm:
ſtelle dich als wenn du etwas aus dem Speiſe-
Saal holeteſt, bis du dich endlich aus dem Athem
gelaufen haſt, und dir das ſchluchſen natuͤrlich iſt.


Was iſt, Dorcas?


Ach nichts, ihre Gnaden.


Mein Kind wundert ſich ohne Zweifel, daß es
mich heute noch nicht geſehen hat; allein es iſt zu
ſcheu, ſeine Verwunderung zu erkennen zu geben.
Sie fragt aber nochmahls, was unten zu thun ſey,
als Dorcas beſtaͤndig ab und zu laͤufft.


O gnaͤdige Frau, mein Herr! mein Herr!


Was? ‒ ‒ wie? wem? Alle verwun-
dernden einſylbigen Woͤrter brachen aus.


(Jch muß dir hiebey den weiſen Gedancken
mittheilen, den ich ſehr oft gehabt habe. Die
kleinen
[325]
kleinen Worte ſind in dem Reiche der Worte von
der groͤßeſten Wichtigkeit; ſo wie die kleinen Fa-
milien in einem Koͤnigreiche. Die drey-und viel-
ſylbigten Woͤrter ſind zu nichts gut, als einfaͤlti-
ge Magnaten vorzuſtellen.)


Jch darf es nicht ſagen, gnaͤdige Frau.
Mein Herr hat es mir verboten. Aber er iſt
kraͤncker, als er denckt. Er wollte ihnen kein
Schrecken machen.


Jn allen Zuͤgen ihres lieben Geſichtes war
die Bekuͤmmerniß ſo gleich zu leſen. Sie hatte
Mitleiden mit mir. Bey meiner Seele, ſie hat-
te Mitleiden.


Wo iſt er denn?


Dorcas war ſo in der Eile, daß ſie alle Hoͤf-
lichkeit vergaß. (Denn, noch ein weiſer Gedan-
cke: was wir Hoͤflichkeit und Sitten nennen, iſt
uns ſo gar nicht natuͤrlich, daß wir uns erſt dazu
anſchicken muͤſſen. Jn einem Sturm hoͤrt alle
Hoͤflichkeit auf.) Jch habe nicht Zeit zu antwor-
ten! ſchrie die Hure, weil ſie gern antworten woll-
te. (Der dritte kluge Einfall: ſie machte es wie
die Leute, die es zum Verkauf ausrufen, und von
den Kaͤufern weglaufen.) Weil ſie ſo hitzig ward,
ſo ward die Fraͤulein im Fragen auch hitziger,
ſo wie die Kaͤufer durch das Weglaufen hitziger
werden. Jch ſehe jetzt im Geiſte eine gantze
Straße voll Leute, die dem Ausruͤfer ſo eifrig nach-
laufen, als wenn der erſte unter ihnen ein Dieb
waͤre, dem die andern einzuholen gedaͤchten.


X 3End-
[326]

Endlich fliſterte eine Nymphe der andern zu:
um Gottes Willen ſagen ſie es der Frau Love-
lace!
Es iſt gewiß Gefahr. Es geſchahe dieſes
nahe bey der Thuͤr, ſo daß mein loſes horchendes
Kind es hoͤren konnte.


Sie ſprang heraus: wie iſt es? wie iſt es?
Dorcas.


O gnaͤdige Frau, er ſpeit Blut. Es iſt ihm
eine Ader in der Lunge geſprungen.


Sie kam gleich herunter, und fand, daß ſich
alle mit meinem Blute ſo viel beſchaͤftigten, als
wenn es das geſegnete Blut des Neapolitaniſchen
Heiligen waͤre.


Mein Kind trat herein, und ſahe gantz betruͤbt
aus.


Wie befinden ſie ſich, Herr Lovelace?


O mein liebes Kind, gantz wohl! Recht ſehr
wohl! Es hat gar nichts zu bedeuten. Jch wer-
de bald wieder beſſer ſeyn. Jch kraͤchzete von
neuen, denn ich war wahrhaftig ſehr kranck, ob
gleich kein Blut weiter kommen wollte.


Mit einem Wort, Belford, ich habe meinen
Endzweck erreichet. Das Maͤdchen hat mich
lieb: es hat mir alle meine Suͤnden vergeben.
Jch darf es wohl wagen auf ein neues Kerbholtz
los zu ſuͤndigen.


Der gnaͤdigen Fraͤulein Howe biete ich jetzund
Trotz. Frau Townſend! ‒ ‒ Was der Teufel iſt
daraus geworden! Weg mit eurer Contraband-
Waare. Keine Zoll-Betriegerey. Niemand darf
betriegen als ich! Das allerauserleſenſte an mei-
ner
[327]
ner Schoͤnen ſoll mir nicht lange mehr eine ver-
bothene Waare bleiben.



Nunmehr glaubt ein jeder im Hauſe, daß ſie
mich lieb hat. Die Thraͤnen haben ihr mehr als
einmahl in den Augen geſtanden. Sie litte es,
daß ich ihre Hand nahm, und ſie kuͤſſete, ſo oft ich
ſelbſt wollte. Als Frau Sinclair ſagte, ich haͤt-
te mich bisher ſo viel zu Hauſe gehalten, ſo wuͤnſch-
te ſie, daß ich mir eine Veraͤnderung machen
moͤchte, und bat mich dabey, mich in Acht zu neh-
men. Sie wollte, ich ſollte einen Doctor hohlen
laſſen: denn Gott haͤtte den Artzt geſchaffen.


Das dachte ich nicht, Bruder. Gott hat uns
zwar alle geſchaffen. Jch glaube aber, ſie ver-
ſtand die Artzney und nennte die Aertzte. Denn
koͤnnte man ſagen: alle Speiſe iſt Gottes Ge-
ſchoͤpf; aber der Teufel hat die Koͤche gemacht.


Jch war ſchon wieder etwas beſſer, als ich die
blutſtillenden Tropfen aus ihren lieben Haͤnden
annahm.


Als ſie verlangte, daß ich mir eine Veraͤnde-
rung machen moͤchte, bat ich ſie mit mir auszu-
fahren. Jch wollte hiebey ſehen, ob ſie Luſt haͤtte
in meiner Abweſenheit aus dem Hauſe zu gehen.


Sie antwortete: Sie wollte es gern thun, al-
lein ſie glaubte, es wuͤrde fuͤr mich beſſer ſeyn,
wenn ich mich in einer Saͤnfte austragen ließe.


X 4Das
[328]

Das iſt artig! Jch kuͤßte von neuen ihre Hand,
und ſie war die Guͤtigkeit ſelbſt. Jch ſagte: ich
wuͤnſchte nur, daß ich ihre Guͤtigkeit beſſer verdie-
nete. Wir haͤtten jetzt unſere guͤldene Zeit vor
uns. Jhre Gegenwart und ihr edles Mitleiden
haͤtte mich gantz geheilet. Es fehlete mir nichts
mehr. Weil aber mein Kind es haben will, ſo will
ich mich austragen laſſen. Rufet mir eine Saͤnf-
te. O mein allerliebſtes Kind! Wenn auch die-
ſe Unpaͤßlichkeit von meiner bisherigen Unruhe
herruͤhren ſollte, ſo iſt doch alles reichlich dadurch
belohnet, daß ſie jetzt ſo guͤtig gegen mich ſind.
Jhre Blicke ſind meine beſte Artzeney, und ihr bis-
heriger Unwille iſt eintzig und allein meine Kranck-
heit geweſen.


Frau Sinclair, Dorcas, Marichen und
ſelbſt Mabell (denn Sarah gieng hinaus, als
mein Engel hinein kam,) danckten dem Himmel
mit aufgehobenen Haͤnden und Augen fuͤr meine
Geneſung: und redeten ſachte mit einander, ſo daß
man es hoͤren konnte.


Die Liebe iſt dennoch ein loſes Ding, ſagte die
eine. Die andere: ein allerliebſter Gemahl.
Alle nenneten uns ein gluͤckliches Paar.


Wie roth wurde das liebe Kind! wie hell wur-
den ihm die Augen! Denn iſt das Lob angenehm,
wenn man es verdient, ſonſt ſetzt es einen nur herun-
ter, und macht ſtumm und bloͤde. Ein verdientes
Lob gibt einen Zaghaften und Kleinglaͤubigen ein
neues Leben, und nimmt gleichſam eine neue Schoͤ-
pfung mit ihm vor.


Ver-
[329]

Verlohnt es ſich nun nicht der Muͤhe kranck
geweſen zu ſeyn, Belford? Und dennoch muß
ich dir ſagen, daß ich hundert angenehmere Schel-
mereyen weiß, und mich nie wieder uͤberwinden
werde, das verfluchte Ipecacuanha zu koſten.



Der ſieben und dreyßigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.



Herr Lovelace iſt ſehr unpaß geweſen. Es
uͤberfiel ihn gantz unvermuthet. Er hat Blut
geſpieen und zwar in großer Menge. Es war
ihm eine Ader geſprungen. Er beklagte ſich ſchon
geſtern Abend, daß er Magen-Druͤcken haͤtte. Jch
bin deſto mehr daruͤber bekuͤmmert, weil ich glau-
be, daß unſer letzter Zanck die Schuld daran iſt.
Allein wer veranlaſſete den?


Es iſt nicht lange, daß ich glaubte, ich haſſe-
te ihn, Allein ich ſehe, daß Haß und Zorn bey
mir von kurtzer Dauer ſind. Wer dem Tode
nahe, oder in Ungluͤck iſt, den kann man nicht haſ-
ſen. Jch ſehe, daß ich mein Hertz nicht ſo hart
machen kann, daß es der Menſchen-Liebe und der
Erinnerung begangener Fehler widerſtehen kann.


Er war ſehr ſorgfaͤltig, mir ſeine Unpaͤßlich-
keit ſo lange als es moͤglich zu verheelen. So zaͤrt-
X 5lich
[330]
lich war er mitten in der groͤßeſten Unruhe. Er
ſuchte ſeine Unpaͤßlichkeit kleiner zu machen. ‒ ‒ ‒
Jch wuͤnſchte, daß ich ihn nicht kranck geſehen
haͤtte. Es gieng mir allzu ſehr zu Hertzen. Je-
dermann redete von Gefahr. Der arme Mann
war vorhin ſo geſund, und bekam auf einmahl ei-
nen ſo heftigen Anfall, zu einer Zeit, da er gewiß
nicht an den Tod gedacht hatte.


Er hat ſich austragen laſſen. Jch rieth es
ihm: ich fuͤrchte aber jetzt beynahe, daß mein
Rath nicht gut geweſen ſey; denn bey ſolchen Zu-
faͤllen iſt nichts beſſeres als die Ruhe. Wie
geneigt ſind wir, wenn Noth vorhanden iſt,
einen unuͤberlegten Rath zu geben. Jch ſag-
te zwar; er moͤchte einen Doctor hohlen laſſen:
er wollte aber nichts davon hoͤren. Jch halte die
Aertzte in Ehren, und bin noch mehr hierin be-
ſtaͤrcket worden, ſeit dem ich bemerckt habe, daß
die, welche die Artzeney-Wiſſenſchaft verſpot-
ten, gemeiniglich wenig Ehrerbietung gegen noch
heiligere Wiſſenſchaften haben.


Jch bin in der That ſehr unruhig, weil ich
mich gegen ihn und gegen die Leute in dem Hauſe
allzu ſehr verrathen habe. Dieſe letztern werden
mich zwar oͤffentlich entſchuldigen, weil ſie uns fuͤr
Eheleute halten. Wenn er aber niedertraͤchtig
handeln will, ſo thut es mir leid, daß ich mich habe
uͤbereilen laſſen. Jch weiß jetzt mehr, als ich vor-
hin wußte, da ich glaubte, er ſey unverantwortlich
mit mir umgegangen.


Jch kann Jhnen indeſſen mit Recht und mit
Wahr-
[331]
Wahrheit dieſes verſichern: wenn er mich noch
einmahl zwinget, fremde gegen ihn zu ſeyn, ſo
wird meine Vernunft durch Erinnerung ſeiner
großen Maͤngel (denn Herr Lovelace iſt gewiß
kein recht verſtaͤndiger Mann) ſo viel Herrſchaft
uͤber die Sinnlichkeit erlangen, daß ich meine Nei-
gungen werde unterdruͤcken koͤnnen. Was koͤn-
nen wir mehr thun, als daß wir jedes mahl nach un-
ſerer beſten Einſicht handeln?


Wundern Sie ſich nicht, wenn ich mir dieſe
Entdeckung zu Gemuͤthe ziehe. Eine Entde-
ckung
iſt es: wie ſoll ich es anders nennen? Jch
habe nicht ſo viel Ruhe gehabt, daß ich mein ei-
genes Hertz haͤtte unterſuchen koͤnnen.


Jch bin ſo misvergnuͤgt uͤber mich, daß ich das
geſchriebene nicht einmahl wieder uͤberleſen mag.
Und ich weiß doch nicht, was ich geſchrieben habe.
Jch bin noch nie in einer ſolchen Verwirrung ge-
weſen: Jch kann ſie Jhnen zwar nicht beſchreiben.
Jſt Jhnen jemahls ſo zu Muthe geweſen? Jch
fuͤrchte mich, daß die mich tadeln wird, die ich am
allermeiſten liebe: und ich weiß doch, daß ich ih-
ren Tadel verdiene.


Doch alsdenn wuͤrde ich die haͤrteſte Beſtra-
fung verdienen, wenn Ein Geheimniß meines Her-
tzens Jhnen ein Geheimniß bleiben ſollte. Jch
will nichts hinzu thun, als dieſes, daß ich mich ge-
nau pruͤfen werde, und daß ich verharre


Jhre aufrichtigſte und ergebenſte
Cl. Harlowe.


Der
[332]

Der acht und dreyßigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn J. Belford.



Mein Spaziergang iſt ſehr vergnuͤgt geweſen.
Die Kranckheit hat gaͤntzlich nachgelaſ-
ſen. Mein Hertz iſt ruhig; und wie kann ich
anders als guten Appetit haben?


Als ich nach Hauſe kam, fand ich mein Kind
in einer neuen Unruhe. Es hatte ein Diener, in
blauer Liverey mit gelben Aufſchlaͤgen, ſich nach uns
auf eine verdaͤchtige Art erkundiget. Ohne unſe-
re Nahmen zu nennen, hatte er bloß unſere Per-
ſon beſchrieben. Dorcas ward gerufen, weil ſie
unter den Bedienten die vornehmſte iſt. Sie
wollte aber auf ſeine Fragen nicht antworten, wenn
er ihr nicht ſagte, von wem er geſchickt waͤre, und
weswegen er ſich um uns bekuͤmmerte. Er antwor-
tete hierauf eben ſo kurtz, als ſie: wenn ſie ihm nicht
antworten wollte, ſo wuͤrde ſie vielleicht einem an-
dern antworten: und ging misvergnuͤgt von ihr.


Dorcas lief geſchwind zu ihrer Fraͤulein hin-
auf, und beunruhigte ſie nicht allein durch Erzaͤh-
lung der Sache, ſondern auch durch die Mitthei-
lung ihrer Erklaͤrungen und Vermuthungen.
Sie ſagte: der Kerl haͤtte gar nicht gut ausgeſehen,
und er koͤnnte ohnmoͤglich eine gute Abſicht haben.


Sie erkundigte ſich genauer nach Liverey und
Geſichte; und erhielt eine umſtaͤndliche Antwort.
Ach
[333]
Ach GOtt! Noch kein Ende fuͤr ihre Truͤb-
ſal!
Sie ſahe nun ſchon alles moͤgliche Ungluͤck
als gegenwaͤrtig.


Sie wuͤnſchte, daß Herr Lovelace bald nach
Hauſe kommen moͤchte.


Herr Lovelace kam bald darauf. Er ward
gantz geſund, voll Danckbarkeit und guter Hoff-
nung: und wollte ſeinem Kinde den verpflichte-
ſten Danck abſtatten, daß es ihn geſund gemacht
hatte. Sie erzaͤhlte ihm aber den betruͤbten Zu-
fall umſtaͤndlich: und Dorcas ſetzte hinzu, der
Kerl haͤtte ſehr gelb ausgeſehen, und ſchien auf der
See geweſen zu ſeyn. Nun gerieth mein Kind
erſt voͤllig in Furcht.


Es war ohne Zweifel ein Bedienter des Ca-
pitain Singletons. Unſer Haus wuͤrde bald
von dem Schiff-Volck umringet werden. Denn
das Schiff ſollte zu Rotherhith liegen.


Jch ſagte: das waͤre nicht moͤglich. Wer
dergleichen im Sinne haͤtte, der wuͤrde ſich nicht
vorher erkundigen, und uns eben dadurch warnen.
Es koͤnnte ja eben ſo wohl ein Bedienter des Obri-
ſten Morden ſeyn, der vielleicht ſeine Ankunft
wiſſen ließe, und ſie zu ſprechen verlangte.


Ueber dieſe Vermuthung freuete ſie ſich. Jhre
Furcht verlohr ſich; und ſie ward ſo aufgeraͤumt,
daß ſie mir zu meiner geſchwinden Geneſung
Gluͤck wuͤnſchen konnte. Sie that dieſes auf die
allerverbindlichſte Art.


Wir waren nicht lange beyſammen geweſen,
als Dorcas mit großer Beſtuͤrtzung kam, und
ſagte:
[334]
ſagte: eben derſelbe Bediente ſey wieder vor der
Thuͤr, und erkundigte ſich nahmentlich nach Herrn
Lovelace und ſeiner Gemahlin. Er hatte der
Dorcas geſagt, ſeine Nachfrage haͤtte keinen uͤbeln
Endzweck. Allein eben hieraus bekam meine
ſchuͤchterne Schoͤne einen neuen Argwohn, daß
etwas gefaͤhrliches dahinter ſtecken koͤnnte. Weil
Dorcas ihm keine Antwort gegeben hatte, ſo woll-
te ich in den Saal nach der Straße zu gehen, und
hoͤren, was er anzubringen haͤtte.


Jch ſagte: ich ſehe, daß ſie ohne Urſache be-
ſorgt ſind, mein liebſtes Kind. Kommen ſie mit
hinunter. Er ſoll vor der Stuben-Thuͤr ſtehen
bleiben, damit ſie alles hoͤren koͤnnen, ohne von
ihm geſehen zu werden. Sie war damit zufrie-
den, und wir gingen hinunter. Dorcas hieß ihn
naͤher kommen.


Mein Freund, was habt ihr bey Herr Love-
lacen
zu thun?


Er machte Buͤcklinge: er kratzete: ich glaube,
ſie ſind der Herr ſelbſt. Jch will weiter nichts,
als mich erkundigen, ob ſie hier ſind, und ſie ſich
ſprechen laſſen: und ob ſie noch einige Zeit hier
bleiben werden?


Von wem kommt ihr?


Es hat mich ein Herr geſchickt, der mir be-
fohlen hat nichts von ihm zu melden, als nur
(wenn ich befragt wuͤrde) dieſes, daß er ein guter
Freund von dem Herrn Johann Harlowe, als
dem aͤlteſten Onckle der Frau Lovelace, ſey.


Hier wollte mein liebes Kind beynahe in
Ohn-
[335]
Ohnmacht ſincken. Sie hatte erſt kurtzens En-
gliſches Saltz bey ſich geſtecket: jetzt brauchte ſie es.


Wiſſet ihr irgend etwas von dem Obriſten
Morden, mein Freund?


Nein! ich habe den Nahmen mein Lebetage
nicht gehoͤrt.


Von dem Capitain Singleton?


Nein. Aber mein Herr iſt auch ein Capi-
tain.


Wie heißt er denn?


Jch weiß nicht, ob ich ſeinen Nahmen ſagen
darf.


Wenn ihr keine boͤſe Abſicht habt, ſo koͤnnt ihr
eures Herrn Nahmen wohl ſagen.


Jch frage gewiß in einer guten Abſicht.
Mein Herr hat mir das geſagt; und es iſt kein
aufrichtigerer Herr auf Gottes Erdboden, als er.
Er heißt Capitain Tomlinſon.


So einen kenne ich nicht.


Das glaube ich wohl. Er ſagte mir, daß er
ihre Gnaden auch nicht kennete: ich hoͤrte aber,
als wenn er ihnen willkommen ſeyn wuͤrde.


Jch ging auf die Seite, und ſagte zu meiner
Geliebten: iſt ihnen ein Freund ihres Onckels be-
kannt, der Capitain Tomlinſon heißt?


Nein! Allein mein Onckel kann viele gute
Freunde haben, die ich nicht kenne. ‒ ‒ Jch will
aber nicht hoffen, (ſagte ſie zitternd) daß ein Be-
trug dahinter ſteckt.


Gut, mein Freund: wenn euer Herr etwas
mit Lovelacen zu ſprechen hat, ſo koͤnnt ihr ihm
ſagen,
[336]
ſagen, daß Herr Lovelace hier wohnet, und ihm
in dieſem Hauſe aufwarten wird, wenn er es be-
liebet.


Mein liebes Kind ſahe etwas beſtuͤrtzt aus,
als wenn es glaubte, daß ich mich uͤbereilt und in
Gefahr geſetzt haͤtte. Der Kerl gieng weg. Jch
wunderte mich (damit ſie ſich nicht zuerſt daruͤber
verwundern moͤchte) daß der Capitain Tomlinſon,
wer er auch waͤre, nicht ſelbſt kaͤme, oder zum we-
nigſten das zweyte mahl ein paar Zeilen geſchrie-
ben haͤtte, da er doch glauben koͤnnte, daß ich hier
anzutreffen waͤre. Weil man aber dennoch be-
fuͤrchten mußte, daß es eine Schelmerey von dem
Jacob Harlowe ſeyn koͤnnte, der, wie ich ſagte, ein
Hertz aber nicht einen Kopf zum Schelm haͤtte;
ſo gab ich den Bedienten und den Frauensleuten
in dem Hauſe ihre Verhaltungs-Befehle, und ließ
ſie alle zuſammen kommen, um der Sache deſto
mehr Anſehen zu geben. Meine Geliebte ent-
ſchloß ſich, keinen Fuß aus dem Hauſe zu ſetzen,
bis ſie den Ausgang dieſes wunderlichen Spiels
ſaͤhe.


Hier muß ich ſchließen. Jch bin ſehr un-
ruhig.


Das eintzige muß ich noch hinzu thun: der
arme Belton braucht deiner. Jch darf bey den
Umſtaͤnden keinen Fuß aus dem Hauſe ſetzen.


Mowbray und Tourville ſchweifen jetzt
ohne Haupt, ohne Haͤnde, ohne Seele herum;
weil ſie keinen von beyden zum Anfuͤhrer haben.
Sie werden (wie ſie ſagen) ſo roſtrig, daß weder
Uebung
[337]
Uebung noch Oel ſie wieder wird blanck machen
koͤnnen.


Wie gehet es deinem Onckel?



Der neun und dreyßigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.



Der Tomlinſon hat uns nicht allein geſtern
den gantzen Abend, ſondern auch heute fruͤh
bey dem Thee Materie zur Unterredung gegeben.
Sie behauptete noch, er waͤre der Vorbote des Un-
gluͤcks-Vogels, des Singletons. Jch aber glaubte,
daß ihr Vetter Morden angekommen waͤre, und ſie
vorher etwas unruhig machen wollte, ehe er ihr
ſelbſt zuſpraͤche. Leute, die viel auf Reiſen gewe-
ſen waͤren, faͤnden daran ein Vergnuͤgen. Und
warum (ſagte ich) machen wir uͤber alles, was wir
nicht gleich voͤllig begreiffen koͤnnen, die allergefaͤhr-
lichſten Auslegungen?


Sie antwortete: es ſey ihr bisher ſo viel wi-
driges begegnet, daß ihre Furcht viel ſtaͤrcker ge-
worden ſey, als ihre Hoffnung.


Das macht mich ihrentwegen beſorget,
Fraͤulein, daß ſie gar zu niedergeſchlagen wer-
den, und kuͤnftig des Vergnuͤgens, das auf uns
wartet, nicht mehr faͤhig ſeyn moͤchten.


Vierter Theil. YSie
[338]

Sie antwortete ſehr ernſthaft: ſie hoffete, daß
die Betrachtung ihrer Pflicht, und die Erkenntniß
der vielen unverdienten goͤttlichen Wohlthaten ſie
nicht wuͤrde undanckbar gegen den Geber aller gu-
ten Gaben werden laſſen! und wo ein danckbares
Gemuͤthe waͤre, da waͤre auch ein froͤliches Hertz.


Sie erwartet demnach alles zukuͤnftige Ver-
gnuͤgen und Ruhe ihres Lebens blos von dem un-
ſichtbaren Gott. Sie hat Recht: denn diejeni-
gen werden ſich am wenigſten in ihrer Hoffnung
betrogen ſehen, die das Gute von den Mittel-Ur-
ſachen nicht erwarten. Bin ich nicht eben ſo fromm
und ernſthaft, als ſie?


Sie hatte kaum ausgeredet, ſo kam Dorcas
wieder laͤrmend herauf gelaufen. Mir ſelbſt fing
das Hertz an zu ſchlagen, wie die Unruhe in der
Uhr. Meines Kindes Hertz pochete, wie ich an
den Bruͤſten ſehen konnte, die bis an den Kinn
ſchwollen.


Meine Geliebte machte die richtige Anmer-
ckung: gemeine Leute haͤtten immer auf eine dum-
me Art mit dem Wunderbaren zu thun: und ſie
koͤnnten die gemeineſten Zufaͤlle des Lebens ſo vor-
ſtellen, daß man ſich daruͤber erſchrecken muͤßte.


Was der Teufel (ſagte ich zu der Hexe) ſoll
das Laͤrmen? Was ſperret ihr die Finger von ein-
ander? O gnaͤdiger Herr! O gnaͤdige Frau! Was
fuͤr ein albernes Schreien. Verfluchtes Maͤdchen!
Wuͤrdet ihr eine halbe Minute ſpaͤter gekommen
ſeyn, wenn ihr ordentlich gegangen waͤret?


Ja,
[339]

Ja, Capitain Tomlinſon: gnaͤdiger Herr ‒ ‒


Capitain Teufelſon! Was frage ich d [...]nach?
Seht ihr nicht, in was fuͤr Unruhe ihr meine Lieb-
ſte ſetzet?


Mein lieber Herr Lovelace, (ſagte die Fraͤu-
lein mit Zittern. Wenn ſie Abſichten hat, denn
bin ich der liebe Herr Lovelace) wenn mein Bru-
der, oder wenn Singleton unten ſeyn ſollte; ſo
bitte ich ſie, ſie werden es mir nicht abſchlagen, ich
bitte ſie recht ſehr, halten ſie ſich in Schrancken.
Mein Bruder bleibt doch mein Bruder. Sin-
gleton
iſt blos von ihm abgeſchickt.


Jch ſchlug meine beyden Arme um meinen
Schatz, (denn ich dachte, der Teufel muͤßte gar
dahinter ſtecken, wenn ſie dergleichen unſchuldige
Freyheiten von ihrem lieben Lovelace nicht dul-
den wollte, da ſie eben etwas zu bitten hat) und
ſagte: ſie ſollen alles ſelbſt mit anhoͤren, was wir
mit einander reden werden. Dorcas, laßt den
Herrn berauf kommen.


Laſſen ſie mich erſt in meine Stube gehen.
Laſſen ſie ihn nicht erfahren, daß ich in dem Hau-
ſe bin.


Das liebe Kind! Du ſieheſt, Belford, daß
es mich nicht gern verlaſſen will. Die kleinen
Hexen! Wenn man ſie nicht bisweilen uͤbereilen
koͤnnte, ſo wuͤrde ein ehrlicher Mann gar nicht
wiſſen, wie er mit ihnen daran iſt.


Sie ging weg, um uns zu behorchen. Ob-
gleich mein Anſchlag nicht alle die Folgen gehabt
hat, die ich hoffete und wuͤnſchete, ſo muß ich dir
Y 2doch
[340]
doch eine ſehr umſtaͤndliche Nachricht von allem
geben, was zwiſchen Tomlinſon und mir vorge-
fallen iſt, damit du alle meine Abſichten uͤberſehen
koͤnneſt.


Tomlinſon trit herein, in einem Reit-
Kleide, und die Gaͤrte in der Hand.


Jhr gehorſamer Diener, mein Herr. Jch ver-
muthe, ſie ſind Herr Lovelace.


Jch heiße Lovelace.


Nehmen ſie nicht unguͤtig, daß ich an dieſem
Tage komme, und die Gaͤrte in der Hand habe.
Jch muß gleich aus der Stadt gehen, damit ich
dieſen Abend noch zu Hauſe ſeyn koͤnne.


Der Tag iſt ein guter Tag. Jhre Gaͤrte
braucht keine Entſchuldigung.


Als ich meinen Diener ſchickte, dachte ich nicht,
daß ich Zeit haben wuͤrde, mir ſelbſt dieſe Ehre
zu geben.
Jch wollte alſo meinem Freunde
zum wenigſten dieſe Gefaͤlligkeit erzeigen, daß ich
mich nach ihrer Wohnung erkundigte, und mit ei-
niger Gewißheit erfuͤhre, ob ſie ſich ſprechen ließen,
oder ob man ihre Gemahlin ſprechen koͤnnte.


Sie muͤſſen am beſten wiſſen, weswegen ſie
gekommen ſind, und wie viele Zeit ſie haben. Jch
erwarte alſo, was ſie zu befehlen haben.


Hier ward mein Kind unruhig daruͤber,
daß ich ſo kurtz antwortete. Was ich
von ihren Gemuͤths-Bewegungen ſchrei-
ben werde, habe ich erſt nachher erfah-
ren: wie du von ſelbſt abnehmen wirſt.


Jch
[341]

Jch hoffe, mein Herr, daß ich ſie durch nichts
beleidiget habe. Es iſt zum wenigſten von mei-
ner Abſicht weit entfernet.


Nein! im geringſten nicht.


Jch habe keinen Vortheil oder Schaden bey
der gantzen Sache. Jch moͤchte vielleicht allzu
dienſtfertig zu ſeyn ſcheinen! und wenn ſie mich
ſo anſehen, ſo will ich mich weiter in die Sache
nicht mengen, wenn ich ihnen nur einen Winck
von dem gegeben habe, was mir aufgetragen iſt.


Was iſt ihnen denn aufgetragen?


Sie werden mir hoffentlich eine eintzige Fra-
ge nicht fuͤr uͤbel nehmen. Wuͤnſchen ſie mit ei-
nem, Nahmens Johann Harlowe ausgeſoͤhnet
zu werden, und wollen ſie von ihrer Seiten alles
mit dazu beytragen, was ſie ohne Verletzung ihrer
Ehre beytragen koͤnnen? Wollen ſie ſich mit
ihm ausſoͤhnen, um kuͤnftig mit der gantzen Fami-
lie ausgeſoͤhnet zu werden?


(Wie ſchlug mir hiebey das Hertz! ſagte
mein Kind.)


Jch kann darauf nicht antworten. (Hier
ſchlug der Fraͤulein das Hertz ohne Zweifel
heftiger
) Die gantze Familie iſt mir ſehr uͤbel be-
gegnet. Sie haben ſich gegen mich, und ſo gar gegen
meine Anverwandten groͤßerer Freyheiten heraus
genommen, als ich verſchmertzen kann.


Mein Herr, ich habe weiter nichts zu ſagen.
Jch bitte um Vergebung, daß ich mich in fremde
Sachen gemiſchet habe.


Hier waͤre mein Kind beynahe umgefal-
Y 3len:
[342]
len: und hatte ſehr uͤble Gedancken von
mir.


Mit Erlaubniß, laſſen ſie uns gleich verneh-
men, worin ihre Commißion beſtehet? denn es
ſcheinet eine Commißion zu ſeyn.


Es iſt eine Commißion: und ich glaubte, ſie
wuͤrde allen mit einander angenehm ſeyn, ſonſt haͤt-
te ich mich nicht damit bemenget.


Vielleicht haben ſie recht, wenn ich nur wuͤßte,
was ihnen aufgetragen iſt. Darf ich aber vorher
eine Frage thun? Kennen ſie den Obriſten Mor-
den?


Nein! ich kenne ihn nicht von Anſehen. Jch
habe zwar meinen Freund, den Herrn Johann
Harlowe,
oͤfters ſehr vortheilhaft von ihm reden
hoͤren, und ich weiß, daß ihnen beyden die Ausrich-
tung eines gewiſſen Teſtaments aufgetragen iſt.


Jch dachte Anfangs, der Obriſte waͤre hier an-
gelanget, und ſie moͤchten vielleicht ein Freund von
ihm ſeyn, durch deſſen Huͤlfe er uns auf eine an-
genehme Weiſe uͤberfallen wollte.


Wenn der Obriſte Morden in England waͤ-
re, ſo muͤßte Herr Harlowe es wiſſen, und als-
denn wuͤrde ich es gewiß auch wiſſen.


Gut! Allein haben ſie etwas von dem Herrn
Harlowe an mich auszurichten?


Jch will ihnen alles in der groͤßeſten Kuͤrtze
ſagen. Jch muß aber vorher eine Frage thun,
die gewiß nicht aus Neugier geſchiehet, darauf ich
aber eine Antwort haben muß, ehe ich mehr ſagen
kann.
[343]
kann. Sie werden das ſelbſt aus der Frage ab-
nehmen.


Was iſt das fuͤr eine Frage?


Ob ſie wircklich und bona fide mit der Fraͤu-
lein Clariſſa Harlowe getrauet ſind?


(Jch ſtutzte, und antwortete mit erhabener
Stimme:) iſt das eine Frage, darauf ſie eine Ant-
wort haben muͤſſen, ehe ſie das ausrichten koͤnnen,
was ihnen aufgetragen iſt?


Jch habe die beſte Abſicht, Herr Lovelace.
Herr Harlowe hat mich erſuchet, ihm dieſen Lie-
bes Dienſt zu erzeigen. Jch habe ſelbſt Toͤchter
und Bruders-Toͤchter. Wenn ich es nicht fuͤr
einen unſchaͤdlichen Liebes-Dienſt gehalten haͤtte, ſo
wuͤrde ich mich nie damit verworren haben, da ich
mit meinen eigenen Geſchaͤften gnug zu thun ha-
be. Jch kenne die Welt, und ich nehme mir die
Freyheit zu ſagen, wenn die Fraͤulein ‒ ‒


Sie heißen, Capitain Tomlinſon?


Ja! ich heiße Tomlinſon.


Herr Capitain Tomlinſon, ich muß alle Frey-
heit verbitten, die nicht ſehr eingeſchraͤnckt und be-
hutſam iſt, wenn ſie von dieſem Frauenzimmer
reden.


Sie haͤtten Recht mir dieſe Erinnerung zu
geben, wenn ſie gehoͤret haͤtten, was ich ſagen will,
und ich durch ein eintziges Wort zu dieſer Erinne-
rung Anlaß gegeben haͤtte. Jch weiß ſo gut, als
es einer auf der Welt wiſſen kann, was ich einem
tugendhaften Frauenzimmer ſchuldig bin.


Y 4Es
[344]

Es ſcheint, ſie werden hitzig, Herr Capitain.
Wenn ſie etwas an mich ſuchen, (o wie zitterte
ich!
ſagte die Fraͤulein zu mir, als ſie auf dieſe
Stelle unſerer Unterredung zu ſprechen kam,) ſo
muͤſſen ſie wiſſen, daß dieſes ein privilegirter Ort
iſt. Es iſt jetzund mein Haus, darinn ein jeder
Herr ſicher ſeyn kann, der ſich die Muͤhe nimmt,
mir zuzuſprechen: er mag es thun, mit welchem
Endzweck er will.


Jch erinnere mich nicht, daß ich ihnen Gele-
genheit gegeben habe, mir ſo zu antworten. Jch
habe kein Bedencken, ihnen aufzuwarten, an wel-
chem Orte ſie es befehlen,
wenn ich ihnen hier
beſchwerlich bin. Jch habe ſchon zum voraus ge-
hoͤret, daß ich mit einem hitzigen jungen Herrn zu
thun haͤtte: weil ich aber wußte, daß ich eine gute
Abſicht hatte, und daß mir nichts als Freundſchaft
gegen Freundſchaft anzubieten aufgetragen war;
ſo war ich einigermaßen außer Sorgen. Jch glau-
be, daß ich beynahe noch einmahl ſo alt bin, als
ſie, Herr Lovelace. Jch verſichere ihnen, wenn
ihnen das unangenehm iſt, was ich zu ſagen habe,
oder wenn ihnen die Art misfaͤllig iſt, mit der ich
es anbringe: ſo kann ich es auf eine andere Zeit
aufſchieben, oder gantz fallen laſſen: ſo wie es ih-
nen beliebig iſt. Jch bitte mir alſo ihre weiteren
Befehle vor morgen fruͤh um acht Uhr aus. ‒ ‒ (Er
wollte mir hierauf ſagen, wo er anzutreffen waͤre.)


Mein Herr Capitain, ihre Antwort gefaͤllt
mir wohl. Jch mag Leute leiden, die Hertz ha-
ben. Haben ſie im Kriege gedienet?


Ja,
[345]

Ja, das habe ich gethan: ich habe aber mein
Schwerdt in eine Pflug Schare verwandelt, wie
die Schrift ſaget. (Das war ein frommer
Mann. An dem Ausdruck wird ſich mei-
ne Horcherin erbauet haben.
) Mein groͤßtes
Vergnuͤgen iſt ſeit einigen Jahren gewefen, ein
Erb-Gut in guten Stand zu ſetzen. Jch liebe
brave Leute noch jetzt eben ſo ſehr, als ich ſie jemahls
in meinem Leben geliebet habe. Allein vergoͤnnen
ſie mir zu ſagen: wenn ſie ſo alt werden, als ich
bin, ſo werden ſie die Hertzhaftigkeit nicht ſo ſehr
in der Jugend-Hitze ſetzen, als ſie jetzt zu thun
ſcheinen.


(Das war ein guter Mann. Der nahm auf
einmahl Ohren und Hertz meiner Schoͤnen ein.
Sie ſagte: es waͤre gut, daß einige ihren
Zorn durch Weisheit maͤßigen koͤnnten.
)


Gut, mein Herr Capitain. Sie geben Erin-
nerungen fuͤr Erinnerungen: wir haben nunmehr
einander nichts vorzuwerfen. Darf ich aber nun
fragen, was ſie auszurichten haben?


Erlauben ſie mir vorher, meine Frage noch
einmahl zu wiederhohlen. Sind ſie gewiß und
bona fide mit der Fraͤulein Clariſſa Harlowe
getrauet?


Die Frage iſt ſehr offenhertzig! Wie? wenn
ich ihnen nun antwortete, daß ich mit ihr getrauet
bin?


Denn halte ich ſie fuͤr einen rechtſchaffenen
Herrn!


Y 5Das
[346]

Das hoffe ich zu ſeyn; ſie moͤgen mich dafuͤr
halten oder nicht.


Herr Lovelace, ich will offenhertzig mit allem
dem herausgehen, was ich zu ſagen habe. Herr
Johann Harlowe hat kurtzens erfahren, daß ſie
mit ſeiner Fraͤulein Baſe in einem Hauſe wohnen,
und ſchon einige Zeit ſo gewohnet haben: wie
auch, daß die Fraͤulein geſtern vor acht Tagen mit
ihnen in der Comoͤdie geweſen iſt. Er hoffet, daß
ſie wircklich Eheleute ſind: weil er aber ihren Kopf
zu kennen glaubet, und weiß, daß ſie eine Verach-
tung gegen ſeine gantze Familie bezeuget haben,
und ſich eine Verbindung mit derſelben fuͤr ſchimpf-
lich halten: ſo wuͤnſchte er, daß ich aus ihrem ei-
genen Munde wegen ihrer Trauung eine Verſiche-
rung haben moͤchte, ehe er einen weitern Schritt
thut. Sie muͤſſen mir nicht uͤbel nehmen: er
wird mit einer Antwort, die noch dem geringſten
Zweifel unterworfen iſt, nicht zufrieden ſeyn.


Und nehmen ſie mir nicht uͤbel: es iſt eine
verdammte und niedertraͤchtige Verwegenheit, nur
zu gedencken ‒ ‒ ‒


Mein Herr, ‒ ‒ Herr Lovelace, werden ſie
nicht boͤſe, die Anverwandten der Fraͤulein ſind fuͤr
die Ehre ihrer Familie beſorgt. Sie muͤſſen, eben
ſo wohl als ſie, erſt einige Vorurtheile uͤberwinden.
Man kann mannigmahl eine Gelegenheit erſehen ‒ ‒
und das Frauenzimmer kann doch außer Schuld
ſeyn.


Dieſe Fraͤulein giebt keine Gelegenheit: und
wenn eine Gelegenheit moͤglich waͤre, ſo frage ich
ſie,
[347]
ſie, mein Herr Capitain, was muͤßte das fuͤr ein
Menſch ſeyn, der eine ſolche Gelegenheit mis-
brauchte? Kennen ſie die Fraͤulein?


Jch habe nur einmahl die Ehre gehabt, ſie in
der Kirche zu ſehen; und ich wuͤrde ſie ſchwerlich
wieder kennen.


Sie nicht wieder kennen? ‒ ‒ Jch daͤchte,
daß kein Menſch auf der Welt ſie geſehen haͤtte,
der ſie nicht unter tauſenden wieder kennen ſollte.


Jch erinnere mich, daß ich glaubte, nie ein
ſchoͤneres Frauenzimmer in meinem Leben geſehen
zu haben. Jch glaube indeſſen, ſie werden darin
mit mir einig ſeyn, Herr Lovelace, daß es beſſer
iſt, wenn ihre Anverwandten ihnen durch einen
unbilligen Verdacht Unrecht thun, als wenn ſie
der Fraͤulein Unrecht gethan haͤtten. Jch hoffe,
ſie werden mir erlauben, meine Frage zu wieder-
hohlen.


Dorcas kam eilig herein.


Ein fremder Herr verlangt ſie den Augen-
blick zu ſprechen. Die Fraͤulein! (in das Ohr.)


Konnte meine ſchoͤne Heilige durch Dorcas
eine ſolche Unwahrheit ſagen laſſen, um mich ab-
zuhalten, daß ich keine Unwahrheit ſagen moͤch-
te? ‒ ‒


Bittet den Herrn, daß er unten in einen
Saal gehet. Jch werde ihm augenblicklich auf-
warten.


Dorcas gehet hinaus.


Jch wußte wohl, daß mich das liebe Kind un-
terrichten wollte, wie ich die Gewiſſens-Frage des
Capi-
[348]
Capitains zu beantworten haͤtte. Jch wußte,
was ich antworten wollte; das kannſt du glau-
ben: allein die Abſendung der Dorcas machte
mich furchtſam. Jch war eben mit einem Mei-
ſterſtuͤcke in Arbeit. Jch wollte mir die genaue
Erkundigung des Capitains zu Nutze machen,
und ſie dadurch zwingen, ſich vor ihm fuͤr verehe-
licht auszugeben, wie ſie unten im Hauſe gethan
hatte. Haͤtte ſie dieſes gethan, ſo ſollte ſie an ih-
ren Onckle ein Danckſagungs-Schreiben ergehen
laſſen, welches ſie haͤtte unterzeichnen muͤſſen,
Clariſſa Lovelace. Daher hatte ich nicht Luſt,
ihr auf den erſten Wink zu kommen. Weil ich
aber doch die Sachen nicht zu weit treiben wollte,
ſo ſuchte ich ihn von ſeiner Frage abzubringen,
und die Unterredung ſo zu lencken, daß er eine
naͤhere Nachricht von ſeinen Umſtaͤnden geben
mußte; wie auch, woher Herr Harlowe das
Haus erfahren haͤtte, in dem wir wohneten; und
von andern Dingen mehr, die ſie aufmerckſam
machen, und zugleich uͤberzeugen konnte, daß es
noͤthig waͤre, die bejahende Antwort zu ertheilen,
die ſchon in meiner Bruſt beſchloſſen war. Alles
dieſes geſchahe um ihrentwillen. Jch fragte ſie
ſelbſt nachher: was mir daran gelegen waͤre, ob
wir mit einer Famile ausgeſoͤhnet wuͤrden, die ich
Zeit Lebens verachten muͤßte?


Sie glauben, Herr Capitain, daß ich ihre Fra-
ge zweydeutig beantwortet habe. Sie moͤgen das
glauben. Jch habe eine feine Gabe von Hoch-
muth: und wenn ſie nicht ein Cavallier waͤren,
der
[349]
der ſich in der beſten Abſicht unſerer Sache an-
nimmt, ſo wuͤrde ich eine Frage ſehr uͤbel nehmen,
bey der meine Ehre und die Ehre eines mir ſo wer-
then Frauenzimmers in Zweifel gezogen wird.
Ehe ich aber ihre Frage gerade zu beantworte, ſo
erlauben ſie mir, daß ich auch ein paar Fragen
thun darf.


Von Hertzen gern. Fragen ſie, was ſie be-
lieben: ich will aufrichtig und offenhertzig ant-
worten.


Sie ſagen, Herr Harlowe habe erfahren,
daß wir mit einander in der Comoͤdie geweſen ſind:
und daß wir uns beyde in einem Hauſe aufhal-
ten. Allein, ich bitte ſie, wie hat er das erfahren
koͤnnen? Denn aus gewiſſen Urſachen, die mich
nicht eigentlich angehen, habe ich es mir gefallen
laſſen, daß niemand etwas von unſerm Aufent-
halt wiſſen ſollte. Dieſes gehet ſo weit, daß nicht
einmahl die Fraͤulein Howe, mit der meine Lieb-
ſte Briefe wechſelt, weiß, in welchem Hauſe wir
wohnen, und ihre Briefe in ein drittes Haus ſchi-
cken muß.


Ein Pachter des Herrn Harlowe hat ſie ge-
ſehen. Er hat auf alle ihre Schritte und Tritte
Achtung gegeben. Als die Comoͤdie zu Ende war,
folgete er ihrer Kutſche bis an das Haus nach.
Den andern Tag, der ein Sonntag war, ſetzte er
ſich fruͤh Morgens zu Pferde, und brachte ſeinem
Herrn Nachricht von dem, was er geſehen hatte.


Wie
[350]

Wie wunderlich doch die Dinge kommen koͤn-
nen, Herr Tomlinſon! Weiß aber ſonſt einer
von den Harlowes, wo wir uns aufhalten?


Nein! das iſt ein Geheimniß vor der gantzen
Familie: und ſoll es auch bleiben. Auch dieſes
iſt ein Geheimniß, daß Herr Hans Harlowe
durch mich einen Antrag zur Ausſoͤhnung thun
laͤßt, im Fall ſeine Fraͤulein Baſe wircklich ge-
trauet iſt. Vielleicht weiß er, daß er mit einigen
Leuten viel zu thun haben wird, ehe er ſie herum
lencken kann, wenn er ihnen gleich wegen dieſes
Puncts alle noͤthige Verſicherungen geben
koͤnnte.


Jch glaube ihnen das gern, Herr Capitain.
Die Thorheit der gantzen Familie ſchreibt ſich von
dem eintzigen Jacob Harlowe her. Kluge
Narren! (Hier fing ich an großmuͤthig auf
und ab zu gehen
). Die ſich von einem aus ih-
rer Bande anfuͤhren laſſen, weil ihn Bosheit oh-
ne Verſtand etwas lebhafter macht, als die uͤbri-
gen ſind. ‒ ‒ Allein wie lange iſt es, daß Herr
Hans Harlowe dieſe friedfertigen Gedancken ge-
habt hat?


Jch will ihnen hievon, und von der erſten
Veranlaſſung dazu, eine umſtaͤndliche Antwort ge-
ben: und mich uͤber alles das, was ſie betreffen
kann, ſehr deutlich erklaͤren. Jch thue dieſes de-
ſto lieber, weil ſie, wenn ſie alles gehoͤrt haben,
ſehen werden, daß ich mich nicht unnoͤthiger Wei-
ſe in fremde Haͤndel miſche.


Jch
[351]

Jch bin begierig auf das, was ſie ſagen wer-
den, mein Herr Capitain.


(Jch glaube, meine Geliebte war begie-
riger als ich
).


„Sie muͤſſen wiſſen, daß ich nur wenige Mo-
„nathe in der Nachbarſchaft des Herrn Harlo-
„we
gewohnet habe. Jch habe mich aus der
„Grafſchaft Northampton dahin begeben, theils
„um eine der beyden Vormundſchaften, die ich
„nothwendig habe uͤbernehmen muͤſſen, beſſer be-
„ſtreiten zu koͤnnen, (denn dieſe erfodert, daß ich
„oͤfters nach London reiſe, und hat auch meinen
„heutigen Weg in die Stadt veranlaſſet) theils ei-
„nem in Unordnung gerathenen Gute wieder auf-
„zuhelfen, welches mir kurtzens zugefallen iſt. Ob
„nun gleich unſere Freundſchaft noch nicht alt iſt,
„und ſich zuerſt auf der großen Kegel-Bahn an-
„gefangen hat,„ (denn du mußt wiſſen, Bel-
ford,
daß der alte Onckle Hans ein großer Lieb-
haber von dem Kegel-Spiel iſt) „da ich zu jeder-
„manns Vergnuͤgen einen Streit ſchlichtete, wel-
„cher ſchlimme Folgen haͤtte haben koͤnnen: ſo
„koͤnnen doch Bruͤder nicht mehr aufrichtige Lie-
„be und Werthachtung fuͤr einander haben, als
„wir haben. Sie wiſſen, daß zwiſchen einigen
„Gemuͤthern eine beſondere Uebereinſtimmung iſt,
„dadurch man in wenigen Stunden genauer mit
„einander bekannt wird, als andere, die ſich doch
„auch nicht feind ſind, in vielen Jahren.„


Das iſt wahr, Herr Capitain.


„Als
[352]

„Als einen ſo beſondern vertrauten Freund
„bat mich Herr Harlowe am Monntage, als den
„15ten dieſes, wie ich mich noch genau erinnere,
„daß ich mit nach ſeinem Hauſe kommen moͤchte.
„Er gab mir zu Hauſe von der gantzen ungluͤck-
„lichen Zwiſtigkeit eine ausfuͤhrliche Nachricht.
„Vorhin hatte ich von der gantzen Sache nichts
„gewußt, als nur durch die allgemeine Sage der
„Leute. Denn ſo vertraut wir waren, ſo vermied
„ich doch alle Gelegenheit, von einer Sache zu
„reden, die ihm ſo empfindlich war; bis er von
„freyen Stuͤcken davon zu reden anfing. Er
„ſagte mir, daß ein gewiſſer Herr, den er auch
„nennete, vor wenigen Tagen mit ihm geredet und
„ihn erſucht haͤtte, nicht allein ſelbſt ſich mit ſei-
„ner Fraͤulein Baſe auszuſoͤhnen, ſondern auch
„an einer allgemeinen Verſoͤhnung zu arbeiten.
„Ein gleicher Antrag, ſagte er, waͤre auch ſeiner
„Schweſter der Frau Harlowe durch eine gute
„ehrliche Frau geſchehen, die bey der gantzen Fa-
„milie in großem Auſehen waͤre. Dieſe haͤtte
„ſich mercken laſſen, daß die Fraͤulein Harlowe
„geneigt waͤre, ſie zu verlaſſen, und ſich zu ihren
„Freunden zu begeben, wenn ſie die geringſte Hoff-
„nung haͤtte, daß ſie angenommen werden wuͤrde:
„wo nicht, ſo muͤßte ſie nothwendig die ihrige
„werden.„


„Jch hoffe nicht, Herr Lovelace, daß ich zu
„viel rede, und zu einem Misverſtaͤndniß Anlaß
„gebe. Jch ſehe, daß ſie ſeufzen.„


Fahren
[353]

Fahren ſie fort, Herr Capitain: fahren ſie
fort. (Jch ſeufzete noch tiefer.)


„Es kam allen ſehr ſonderbar vor, daß eine
„Fraͤulein die Manns-Perſon jetzt nicht nehmen
„wollte, mit der ſie vor wenigen Wochen davon
„gegangen waͤre.„


Hievon nicht mehr, Herr Capitain: das eine
bitte ich mir aus, Herr Capitain Tomlinſon.
Meine Geliebte iſt ein Engel, und hat in keinem
Stuͤcke gefehlet. Jſt etwas verſehen, ſo haben
wir beyde es verſehen. Sie wollen erzaͤhlen, daß
ihre unverſoͤhnlichen Anverwandten den Antrag
zur Verſoͤhnung abgewieſen haben. Das weiß
ich. Es war einiges Misverſtaͤndniß unter uns.
Sie wiſſen, daß das unter Verliebten nicht viel zu
bedeuten hat. Wir ſind ſeitdem deſto vergnuͤg-
ter geweſen.


„Herr Harlowe dachte nachher der Sache
„weiter nach, und verlangete meinen Rath. Er
„ſagte mir, ein Vater koͤnnte ſeine Tochter nicht
„zaͤrtlicher lieben, als er die Fraͤulein geliebet haͤt-
„te: die er gemeiniglich ſeine Tochter und Baſe
„zu nennen pflegte. Er geſtand, ihr Bruder und
„ihre Schweſter waͤren ihr in der That unfreund-
„lich begegnet: und weil eine Verbindung mit
„ihnen der Familie zur Ehre gereichte, ſo wollte
„er ſein moͤglichſtes thun, alles in das feine zu
„bringen, wenn er nur gewiß wuͤßte, daß ſie bey-
„de wircklich Eheleute waͤren.“


Und was gaben ſie ihm fuͤr einen Rath, Herr
Capitain?


Vierter Theil. Z„Jch
[354]

„Jch ſagte: wenn ſie ſeiner Fraͤulein Baſe
„wircklich uͤbel begegneten, und ſie ſich in ungluͤck-
„lichen Umſtaͤnden befaͤnde, ſo wuͤrde ſie bald noch
„einmahl ſchreiben: jetzt aber waͤre mir es wahr-
„ſcheinlich, daß ſie den Antrag ohne Hoffnung ei-
„nes gluͤcklichen Erfolgs haͤtte thun laſſen, um
„nur einen guten Vorwand zu haben, daß ſie ſich
„trauen ließe. Dieſes wuͤrde mir noch wahr-
„ſcheinlicher, da ich von ihm vernaͤhme, daß die
„Fraͤulein nicht ſelbſt geſchrieben haͤtte, ſondern
„daß alles durch die Hand eines andern Frauen-
„zimmers gegangen waͤre, welches mit der Fami-
„lie nicht am beſten ſtuͤnde. Dieſe Perſon wuͤr-
„de nicht gebraucht ſeyn, wenn ſeine Fraͤulein
„Baſe wircklich etwas bey den ihrigen ſuchte.„


Das war gut gedacht, Herr Capitain. Er-
zaͤhlen ſie weiter.


„So blieb es, bis auf vorigen Sonntag A-
„bend, an welchem Herr Harlowe mit dem Pach-
„ter zu mir kam, der ſie und ihre Gemahlin (wie
„ich hoffe) in der Comoͤdie geſehen haͤtte. Weil
„nun jener Antrag, der ſie als unverheyrathet
„vorſtellete, noch gantz neu war, ſo war er fuͤr
„die Ehre ſeiner Baſe auf eine ſo unruhige Art
„beſorgt, daß ich ihm anrieth, einen Menſchen,
„auf den er ſich verlaſſen koͤnnte, nach London zu
„ſchicken, und ſich genauer zu erkundigen.„


Das war alles ſehr gut. Folgete denn Herr
Harlowe ihrem Rath?


„Er ſchickte einen verſtaͤndigen Mann nach
London, auf den er ſich verlaſſen konnte. Mich
„duͤnckt
[355]
„duͤnckt es war am Dienſtage, als er ſich nach ih-
„nen erkundigte, denn am Mittewochen kam er
„wieder zu uns hinaus. (Das iſt derſelbige
„Menſch, Belford, uͤber den wir ſo unruhig
„geweſen ſind.
) Da aber niemand eine hin-
„laͤngliche Nachricht zu geben im Stande war, ſo
„ſuchte er eine Gelegenheit, das Cammer. Maͤd-
„chen zu ſprechen, welches ſagte, daß ſie wircklich
„getrauet waͤren. Weil er aber nicht ſagen woll-
„te, von wem er geſchickt waͤre, ſo weigerte ſich
„das Cammer-Maͤdchen ihn von dem Tage der
„Trauung und von andern Umſtaͤnden eine ge-
„naue Nachricht zu geben.“


Sie geben eine ſehr vollſtaͤndige Nachricht,
daraus mir alles begreiflich wird. Fahren ſie fort.


„Der Freund kam zuruͤck. Weil aber noch
„nicht alle Zweifel des Herrn Harlowes gehoben
„waren, und er gern etwas gewiſſes haben woll-
„te, darauf er fußen koͤnnte; ſo bat er mich, daß
„ich die Muͤhe uͤber mich nehmen moͤchte, da ich
„doch oͤfters nach London reiſete. Er ſagte zu
„mir: Herr Tomlinſon, ſie haben ſelbſt Kin-
„der: ſie kennen die Welt: ſie wiſſen was mein
„Endzweck iſt. Jch habe das Vertrauen zu ih-
„nen, daß ſie klug und hertzhaſt zu Werke gehen
„werden: und was ihnen eine hinlaͤngliche Ver-
„ſicherung zu ſeyn ſcheinet, das will ich auch fuͤr
„eine hinlaͤngliche Verſicherung halten.„


Dorcas kam mit Ungeſtuͤm in die

Stube.

Der fremde Herr wird ungeduldig.

Z 2Jch
[356]

Jch will ihm den Augenblick aufwarten.


Der Capitain fuhr indeſſen fort, ſich zu ent-
ſchuldigen, daß er nicht ſelbſt zu uns gekommen
waͤre, da er doch vermuthete, daß wir hier in
dem Hauſe waͤren. Er ſagte: er haͤtte wichtige
Geſchaͤfte ohngefaͤhr eine Meile jenſeits London
auszurichten, und er haͤtte geſtern dahin reiten
wollen. Da er aber ſeine kleine Reiſe haͤtte auf-
ſchieben muͤſſen, und erfahren haͤtte, daß wir zu
Hauſe waͤren, ohne zu wiſſen, ob er eine ſo gute
Gelegenheit wieder haben wuͤrde, ſo haͤtte er ver-
ſuchen wollen, was er ausrichten koͤnnte, und
haͤtte ſich die Freyheit genommen, geſtiefelt und
geſpornet hieher zu kommen.


Er ließ auch ein Paar Worte zum Lobe der
Leute, bey denen wir wohneten, fallen: allein
auf ſolche Art, daß kein Argwohn daraus entſte-
hen konnte, als haͤtte er fuͤr noͤthig erachtet, ſich
nach Leuten, die ſich ſo wohl auffuͤhreten, erſt
genauer zu erkundigen.


Bemercke hiebey, Belford, daß mein Kind
durch noch einen Umſtand einen vortheilhaften
Begriff von dieſen Leuten bekommen muß, wenn
ſie ihm jemahls verdaͤchtig geweſen ſind: weil
nehmlich die Perſon, die ihr Onckle am Dien-
ſtage hereingeſchickt hat, nichts widriges von den
Nachbaren gehoͤret hat.


Er ſagte endlich: ich habe ihnen nun von
allen eine hinlaͤngliche Antwort gegeben. Sie
werden mir erlauben, meine Frage nochmahls
zu wiederhohlen, nehmlich ‒ ‒ ‒


Dorcas
[357]

Dorcas kam gantz außer Athem herein.


Der Herr will zu ihnen herauf kommen.
(Auf der Seite in das Ohr:) meine Herr-
ſchaft iſt ſehr ungeduldig. Sie wundert ſich, daß
ihre Gnaden ſie ſo lange warten laſſen.


Erlauben ſie mir, Herr Capitain, daß ich
auf einen Augenblick weggehen darf.


Jch kann ohnehin nicht laͤnger bleiben, Herr
Lovelace. Wenn ſie meine Frage beantworten,
ſo werden wir noch mehreres zu reden haben, da-
zu Zeit gehoͤret. Wollen ſie mir erlauben, ihnen
morgen fruͤh vor meiner Abreiſe aufzuwarten?


Seyn ſie ſo guͤtig und kommen zum Thee zu
mir.


Es wuͤrde aber ſehr fruͤh ſeyn muͤſſen. Jch
muß morgen Abend zu Hauſe ſeyn, oder meine
Frau macht ſich allerhand Gedancken, und iſt
meinetwegen in Sorgen. Jch muß auch noch
an einigen Orten morgen einſprechen.


Wollen ſie denn morgen fruͤh um ſieben Uhr
kommen? Wir ſtehen ſehr fruͤh auf. Das kann
ich ihnen zum voraus ſagen: wenn ich jemahls
mit der Harlowiſchen Familie ausgeſoͤhnet wer-
den ſoll, ſo muß es durch die Vermittelung eines
Herrn geſchehen, der ſich ſo maͤßigen und ein
kaltes Blut behalten kann, als ſie.


Hierauf ſchieden wir auf die hoͤflichſte Weiſe
von einander. Um dem ehrlichen und guten
Mann keine unruhige Nacht zu machen, benahm
ich ihm allen Zweifel, als wenn wir noch nicht ge-
Z 3trauet
[358]
trauet waͤren, ohne dennoch etwas geradezu zu
bejahen.



Der viertzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Johann Bel-
ford.



Dieſer Capitain Tomlinſon iſt einer der
gluͤcklichſten Leute in der Welt. Was
wollte ich daſuͤr geben, wenn ich ſo gut als er bey
meiner Geliebten angeſchrieben waͤre! Und den-
noch bin ich eben ſo fromm, als er. Man darf
mich nur ſelbſt meine Geſchichte erzehlen laſſen,
und alles glauben, was ich ſage. Der Teufel haͤtte
ihn aber hohlen ſollen, ehe er hier waͤre in das
Haus kommen, wenn ich zum voraus gewußt
haͤtte, daß ich meinen Haupt. Endzweck nicht durch
ihn erreichen wuͤrde. Du weißt meine Abſicht
ſchon aus meinem vorigen Briefe.


Jch komme nun, obgleich mit einigem Un-
willen, auf die Unterredung, die ich mit meinem
Kinde gehabt habe: mit Unwillen ſage ich, denn
ſie hat bey nahe einen Sieg uͤber mich erhalten.


Nachdem ich den Capitain hinunter bis auf
die Straße begleitet hatte, ſo ging ich wieder zu-
ruͤck in den Speiſe Saal, und ſahe ſehr vergnuͤgt
aus, als die Fraͤulein herein trat. O mein lie-
bes
[359]
bes Kind, nun darf ich ihnen doch Gluͤck dazu
wuͤnſchen, daß ſich alles ſo gut und ſo erwuͤnſcht
anlaͤßt! Jch ergriff ihre Hand, und liebkoſete
und kuͤſſete ſie.


Als ich aber weiter reden wollte, ſo ſagte ſie:
nun ſehen ſie, Herr Lovelace, in was fuͤr Ver-
wirrung ſie ſich ſelbſt dadurch geſetzet haben, daß ſie
nicht bey der Wahrheit geblieben ſind. Sie haben
auf eine erlaubte und gut-gemeynte Frage keine
rechte Antwort geben koͤnnen, obgleich alles er-
wuͤnſchte, dazu ſie mir Gluͤck wuͤnſchen, von der
Beantwortung dieſer Frage abhaͤngt.


Sie wiſſen, (ſagte ich) was fuͤr ge gruͤndete,
was fuͤr recht zaͤrtliche Urſachen ich hatte, vorzu-
geben, daß wir Eheleute waͤren. Sie ſehen, daß
ich mir dieſen Vorwand nicht zu Nutze gemacht
habe; und daß auch keine andere uͤble Folgen
daraus entſtanden ſind. Jhr Ouckle ſelbſt ver-
langet weiter nichts, als eine hinlaͤngliche Ver-
ſicherung hievon ‒ ‒ ‒ ‒


Kein Wort mehr hievon, Herr Lovelace.
Jch will mich nicht allein in die Gefahr ſetzen,
mit meinen Anverwandten nicht verſoͤhnet zu wer-
den, ob mir gleich an dieſer Ausſoͤhnung ſehr vieles
gelegen iſt, ſondern ich will auch dieſe Ausſoͤhnung
ſchlechterdings verſchertzen, ehe ich eine ſolche Un-
wahrheit noch ferner bekraͤftigen helfen ſollte.


Mein liebſtes Kind! ‒ ‒ Soll man mich da-
fuͤr anſehen ‒ ‒ ‒


Man ſoll ſie fuͤr das anſehen, was ſie ſind:
und ich will von meines Onckels Freunden fuͤr kei-
Z 4ne
[360]
ne andere angeſehen werden, als die ich in der
That bin.


Eine Woche! ‒ ‒ Koͤnnen ſie denn nicht
eine Woche lang, bis die Eheſtiſtung aufgeſetzt
iſt ‒ ‒ ‒ ‒


Nicht eine Stunde mit meinem guten Wil-
len. Sie wiſſen nicht, mein guter Herr, wie
nahe mir es gehet, daß ich bey den Leuten unten
im Hauſe eine andere Perſon vorſtellen muß, als
ich in der That bin Allein mein Onckle ſoll es
mir niemahls vorwerfen koͤnnen, und mein Ge-
wiſſen ſoll es mir auch nicht vorzuwerfen haben,
daß ich ihm etwas weiß gemacht habe.


Was ſoll ich aber morgen den Capitain ſa-
gen? Aus meinen Reden muß er glauben ‒ ‒


So berichten ſie ihn beſſer, Herr Lovelace.
Sagen ſie ihn die Wahrheit. Sagen ſie ihm ſo
viel ſie wollen, daß ihre vornehmen Verwandten
Gnade fuͤr mich haben: oder reden ſie mit ihm
von der Eheſtiftung? Wenn ſie den Auffatz der
Eheſtiftung ihm zeigen, und ſich ſeine Erinnerun-
gen daruͤber ausbitten, ſo wird er deſtomehr ſe-
hen, daß es ihnen ein Ernſt ſey.


Aber mein liebſtes Leben, koͤnnen ſie glauben,
daß er gegen die Eheſtiftung das geringſte einzu-
wenden haben wird? Gewiß nicht. Verflucht
will ich ſeyn, wenn ich mich mit kaltem
Blut von meinen Feinden unter die Fuͤße treten
laſſe.


Und ich will in dieſem Leben keine vergnuͤgte
Stunde haben, Herr Lovelace, wenn ich mei-
nem
[361]
nem Onckle eine wiſſentliche Unwahrheit aufbin-
de. Jch habe den Unwillen aller der Meinigen
ſo lange erdulden muͤſſen, und ich bin nicht geſin-
net, ihn ſo theuer abzukaufen, daß ich daruͤber
zur Luͤgnerin werde.


Aber bedencken ſie, die Leute in dem Hau-
ſe ‒ ‒ ‒ ‒


Was frage ich nach denen? Jch verlange ihre
Hochachtung und Freundſchaft nicht. Brauchen
ſie alles zu wiſſen, was zwiſchen meinen Anver-
wandten und mir vorgehet?


Jch frage auch nach den Leuten nichts. Aber
nachdem ich uns gegen ſie fuͤr Eheleute ausgege-
ben habe, um Ungluͤck zu vermeiden, ſo wollte
ich nicht gern in ihren Augen ſo ſchwartz werden,
als ein Luͤgner nach dem Urtheil meines lieben
Kindes iſt. Jch will lieber ſterben, als mich ſo
in das Angeſicht Luͤgen ftrafen, nachdem ich von
unſerer Verehlichung alles ſo umſtaͤndlich erzaͤh-
let habe.


Die Leute im Hauſe moͤgen denn glauben, was
ſie wollen. Es iſt ein Verſehen von mir, daß ich
ſie in ihrem Jrrthum beſtaͤrcket habe. Sie ha-
ben ſelbſt ſo viele Umſtaͤnde erdichten muͤſſen, ei-
ne eintzige Unwahrheit zu verkleiſtern; und das
macht mich furchtſam, mich mit einer aberma-
ligen Unwahrheit zu verwirren.


Sie ſehen aber doch, daß ihr Onckle wuͤn-
ſchet, daß wir verheyrathet ſeyn moͤchten. Koͤn-
nen wir uns nicht nachher in der Stille trauen laſ-
Z 5ſen,
[362]
ſen, ehe er noch unſere Ausſoͤhnung mit der uͤbri-
gen Familie zu vermitteln anfaͤngt?


Kein Wort weiter, Herr Lovelace. Wenn
ſie die Wahrheit nicht ſagen wollen, ſo will ich
ſie morgen fruͤh ſagen, wenn ich nur den Herrn
Capitain ſpreche. Gewiß, das will ich thun.


Wollen ſie aber damit zufrieden ſeyn, daß
hier im Hauſe alles in dem vorigen Stande
bleibt? Es kann aus Tomlinſons gantzer Be-
muͤhung nichts werden. Vielleicht ſucht ihr
Bruder ſeine Anſchlaͤge auszufuͤhren, ſonderlich
wenn er gar von ihrem Onckle erfaͤhrt, daß ſie
keinen ſolchen Beſchuͤtzer haben, den die Geſetze
beſtaͤtigen. Sie werden ſich doch das zum we-
nigſten gefallen laſſen, daß alles ſo bleibt, wie
es geweſen iſt.


Wenn ich das zugebe, ſo ſetze ich meine vo-
rige Suͤnde fort. Jedoch, da die Urſache, die
uns dazu zwinget, bald voruͤber ſeyn wird, (wenn
es anders moͤglich iſt, daß man durch irgend ei-
ne Urſache zum Luͤgen gezwungen werden kann)
ſo will ich mich daruͤber nicht ſo ſehr zanken. Al-
lein von neuen will ich mich nicht verſuͤndigen,
wenn ich es vermeiden kann.


Koͤnnen ſie aber glauben, Fraͤulein, daß ich
verbotene Abſichten hierbey habe? Jch dachte, ſie
wuͤrden kein Bedencken bey dieſem Mittel finden,
dadurch ich die Ausſoͤhnung mit den Jhrigen zu
erleichtern ſuche: und zwar gewiß nicht um mei-
net willen. Denn was iſt mir daran gelegen,
ob ich mit ihren Anverwandten ausgeſoͤhnet werde
oder
[363]
oder nicht? Jch verlange von den Jhrigen keine
Gefaͤlligkeiten.


Jch hoffe, Herr Lovelace, wir ſtehen jetzt ſo
mit einander, daß die Beantwortung dieſer Fra-
ge unnoͤthig iſt: und wir werden noch beſſer mit
einander ſtehen, wenn ſie Morgen fruͤh die Wahr-
heit ſagen, und zugleich von dem, was ſie vorge-
nommen haben, die Urſachen ſo vollſtaͤndig an-
zeigen, daß mein Onckle nicht alle gute Meinung
von mir fahren laͤßt. Sie koͤnnen dabey ihn ſo
ernſtlich bitten, als ſie wollen, das geheim zu hal-
ten, was ſie ihm offenbaren Sie ſehen, daß
der Herr Capitain ein vernuͤnftiger Mann iſt,
und den Frieden in den Familien zu beſoͤrdern ſu-
chet: und ich glaube, daß wir ihn zu unſerm wah-
ren Freunde machen koͤnnen.


Jch ſahe, daß alle Einrede vergeblich ſeyn
wuͤrde. Sie hatte den Harlowiſchen Kopf ein-
mahl aufgeſetzt. Eine kleine Here! Eine kleine
‒ ‒ vergieb es mir, o Liebe, wenn ich ſie ſchimpfe.
Jch ſagte mit einer ernſthaften Geberde: wir ſind
ſo oft zerfallen, Fraͤulein, daß ich nicht Luſt habe,
noch einmahl mit ihnen zu zerfallen. Jch will
alſo ſchlechterdings gehorchen. Jch wuͤrde jenen
Vorſchlag gar nicht gethan haben, wenn ich nicht
geglaubt haͤtte, daß er ihnen angenehm ſeyn wuͤr-
de, ſonderlich da wir uns in der That haͤtten
koͤnnen trauen laſſen, ehe ihr Onckle einen neuen
Schritt gethan haͤtte. Es waͤre alſo nicht einmahl
eine Unwahrheit geweſen, was wir geſagt haͤtten.
Allein glauben ſie nicht, daß ich mein Urtheil ih-
rem
[364]
rem kleinen Eigenſinn ohne Belohnung unter-
werfen will. ‒ ‒ (Jch ſchlug beyde Arme um ſie,
und gab ihren widerſpenſtigen Wangen einen feu-
rigen Kuß, der ihren Lippen zugedacht war.)
‒ ‒ ‒ und das ſoll die Belohnung ſeyn, daß ſie
mir dieſe ſuͤſſe Freyheit gern vergeben.


Sie war nicht zornig bis zum Tode. Jch
muß es nun im uͤbrigen ſo gut machen als ich kann.
Jhr Sieg uͤber mich hat zwar meine Liebe nicht
vermindert: allein ich duͤrſte jetzt mehr als jemahls
nach Rache, wie du es nennen wirſt. Sieg iſt
ſonſt der eigentliche Nahme.


Es iſt eine Freude, wenn man eine ſo wach-
ſame Schoͤne beſiegen kann. Aber bey meiner
Seele, Belford, es koſtet uns zwantzig mahl mehr
Muͤhe, Schelmen zu ſeyn, als es uns koſten wuͤr-
de, tugendhaft zu werden. Jm Schweiß unſeres
Angeſichts, und mit vielem Kopfbrechen muͤſſen
wir unſer Vergnuͤgen erndten; der Gefahr nicht zu
gedencken, die wir dabey zu uͤbernehmen haben.
Und doch koͤnnen uns neidiſche Sitten-Lehrer noch
ſchelten, wenn wir unſern Zweck erreichen! Wie
unbillig iſt das? ſonderlich da auf die Stillung
unſeres Hungers ein ſo fruͤhzeitiger Eckel folget,
daß wir beynahe nichts fuͤr unſere Arbeit genieſ-
ſen. Jedoch das kann man von allen irrdiſchen Ver-
gnuͤgungen ſagen. Jſt das nicht ein ſehr ernſthafter
Gedancke, der deinem Lovelace auſſteiget?


Jch habe dir alles auf einmahl ſchreiben wol-
len, was bis auf dieſen Augenblick vorgegangen iſt.
Jch habe zwar meinen vornehmſten Endzweck
nicht
[365]
nicht erreichet, ich will aber dennoch den Capitain
Tomlinſon gebrauchen. Jch warne dich nur:
urtheile nie von meinen Anſchlaͤgen, wenn du nur
die halbe Arbeit geſehen haſt, ſondern habe Geduld.
Jch ſchwoͤre dir nochmahls, ich will mich von den
unerfahrnen Maͤdchens nicht betruͤgen laſſen.
Und dennoch bin ich bisweilen in Sorgen: der
Howe ihre Zollbetruͤgerin ſpuͤcket oft in meinem
Kopfe.


Es iſt ſchon ſehr ſpaͤte, oder fruͤh: denn der
Tag bricht ſchon an. Jch bin verflucht muͤde.
Das brauche ich dir zwar nicht zu ſchreiben. Jch
will mich nur in den großen Stuhl ſetzen, und
ſchlummern. Ueber eine Stunde ſchuͤttele ich
mich aus; ich waſche mich, und lebe wieder auf.
Jn meinen Jahren und bey meiner Geſundheit
brauche ich nicht mehr.


Gute Nacht, Herr Jch! ich werde aufwachen
ehe mir die Sonne auf den Stuhl ſcheinet. A ‒
A ‒ A ‒ A ‒ Ha ‒ Ja. Der Teufel! wie
hochjaͤhne ich.


Jſt dein Onckle noch nicht todt?


Was fehlt meinem Onckle, daß er mir noch
nicht antwortet. Sucht er mehr Weisheit der
Nationen
auf? Das wird es ſeyn. A ‒ ‒
A ‒ ‒ Ja. Jch hochjaͤhne noch einmahl. Weg,
Feder!


Der
[366]

Der ein und viertzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.



Nun bin ich von dem Hertzen meines Kindes
auf ewig verſichert. Der Capitain kam
verſprochener Maßen um ſieben Uhr, und war
gantz reiſefertig. Meine Geliebte wollte nicht bey
uns ſeyn, bis die erſte Unterredung voruͤber waͤ-
re. Jch glaube, ſie ſchaͤmte ſich mir zur Schan-
de, ſich bey dem Theil unſerer Unterredung ſehen
zu laſſen, der ihre Jungferſchaft wiederherſtellen
ſollte, nachdem ihrem Onckle berichtet war, daß ſie
meine Frau waͤre. Sie behorchte uns aber, und
hoͤrte alles, was wir ſagten. Das allerſitſamſte
Frauenzimmer dencket zum wenigſten, und hat
bisweilen ſehr tiefe Gedancken. Jch moͤchte wiſ-
ſen, ob die Maͤdchens auch roth werden, wenn ſie
das in der Stille behorchen, wobey ſie ſich in Ge-
ſellſchaften ſo ſchoͤn verfaͤrben? Wenn das nicht
geſchiehet, und die Schamroͤthe dennoch ein Zei-
chen der Ehrbarkeit iſt, ſo glaube ich, daß die
Frauensleute das Blut in ihren Wangen eben ſo
ſehr in ihrer Gewalt haben, als die Thraͤnen. Dieſe
Betrachtung wuͤrde mich ſehr weit leiten, wenn ich
jetzt Luſt haͤtte, dich mit einem gelehrten Buch
von der Natur des ſchoͤnen Geſchlechts zu er-
freuen.


Jch
[367]

Jch fagte dem Capitain: Jch wollte ihm nicht
vergeblich ſragen laſſen, ſondern ihm alles ſagen,
wenn ich gewiß wuͤßte, daß er geheim damit ſeyn
wollte, und daß inſonderheit Jacob Harlowe
nichts davon erfuͤhre. Nachdem er mir dieſes in
ſeinem und in des alten Onckels Nahmen verſpro-
chen hatte, ſo ſagte ich ihm die reine Wahrheit:
daß wir nehmlich noch nicht getrauet waͤren.
Jch gab ihm die Urſachen zu verſtehen, dadurch
mein Wunſch ſo weit hinaus geſetzet iſt: nehmlich
theils waͤre ein ungluͤckliches Misverſtaͤndniß zwi-
ſchen uns an dem Auſſchube ſchuld geweſen;
hauptſaͤchlich aber das allzu große Verlangen der
Fraͤulein, mit den Jhrigen vorher ausgefoͤhnet zu
werden, und eine gewiſſe Zaͤrtlichkeit fuͤr alles, das
man Wohlſtand nennen kann, die ihres gleichen
nicht haͤtte.


Andere Frauenzimmer ſehen es gerne, wenn
man ihnen Grauſamkeit und Verzoͤgerungen, die
ſie ſelbſt mit Willen verurſachet hatten, ſchuld giebt.
Sie ſorgen dabey wenig vor ihre Ehre: denn ſie
geben ſtillſchweigend zu verſtehen, daß ſie am mei-
ſten bey der Verbindung gewinnen, weil ſie den
Aufſchub derſelben fuͤr eine ſo große Selbſt Ver-
leugnung halten.


Jch erzaͤhlte ihm, aus was fuͤr Urſachen wir
uns bey den Leuten im Hauſe fuͤr verheyrathet
ausgegeben haͤtten, wir ſich aber verſprochen haͤtten
einander noch nicht zu beruͤhren. Wir waͤren des-
wegen von beyden Seyten uͤbermaͤßig ſittſam ge-
weſen: nehmlich, ich haͤtte mich ſehr ſurchtſam, und
die
[368]
die Fraͤulein ſehr wachſam und argwoͤhniſch auf-
geſuͤhret. Wir haͤtten uns nicht einmahl die er-
laubten Freyheiten vergoͤnnet, die unter Verlobten
gewoͤhnlich ſind.


Jch zeigete ihm hierauf eine Abſchrift mei-
nes Entwurß der Eheſtiftung; den Haupt-
Jnhalt ihrer ſchriftlichen Antworten; mein Ein-
ladungs. Schreiben an meinen Onckle, und deſ-
ſen großmuͤthige Antwort. Jch ſagte aber dabey:
weil ich befuͤrchtet haͤtte, daß ſeine Unpaͤßlichkeit ei-
nen neuen Auſſchub verurſachen koͤnnte, und weil
meine Geliebte blos aus Gehorſam und Liebe ge-
gen die Jhrigen verlangte, daß die Hochzeit in der
groͤßeſten Stille vor ſich gehen ſollte: ſo haͤtte ich
nochmahls an meinen Onckle geſchrieben und ihm
ſeines Verſprechens zu unſerer Hochzeit zu kom-
men erlaſſen. Jch erwartete alle Stunden eine
Antwort auf dieſes Schreiben.


Jch ſagte ihm: die Eheſtiftung wuͤrde jetzt
eben von dem Advocaten Williams, von deſſen
Geſchicklichkeit er ohne Zweifel gehoͤret haben wuͤr-
de, in beſter Form Rechtens aufgeſetzet. Da er
jetzt in Londen waͤre, ſo koͤnnte er ſich ſelbſt nach
dieſem Umſtande erkundigen. (Herr Williams
war ihm bekannt.)


Jch ſagte: wenn die Eheſtiftung im Vollen
aufgeſetzt und in das reine geſchrieben waͤre, ſo
fehlte weiter nichts als die Unterſchrift, und die
Beſtimmung des erwuͤnſchten Tages. Jch ſuch-
te meine Ehre darin, daß ich mit einer Perſon, die
ich ſo ſehr liebte, auf das billigſte verfuͤhre, und
ſelbſt
[369]
ſelbſt von freyen Stuͤcken auch ohne die Vorſorge
der Jhrigen fuͤr ſie ſorgte, daß ihren Rechten kein
Eintraͤg geſchaͤhe, nachdem ich von ihren Anver-
wandten auf das allergroͤbſte beleidiget waͤre. Da
wir uns nun jetzt in dieſen Umſtaͤnden befaͤnden, ſo
wuͤrde mir es nicht zuwider ſeyn, wenn Herr Hans
Harlowe
an unſere Ausſoͤhnung mit der uͤbrigen
Familie nicht eher arbeitete, als bis wir wircklich
getrauet waͤren.


Dem Capitain gefiel alles was ich ſagte un-
gemein wohl. Nur ließ er ſich mercken, daß er
gewuͤnſcht haͤtte uns wircklich als Eheleute anzu-
treffen, weil dem Herrn Hans Harlowe die Nach-
richt von unſerer Vermaͤhlung ſo angenehm gewe-
ſen waͤre. Er zweifelte indeſſen nicht daran, daß
alles gut gehen wuͤrde.


Er ſaͤhe die triſtigen Urſachen ein die wir gehabt
haͤtten, uns bey den Leuten in dem Hauſe (von de-
nen er alles Gute hoͤrete) fuͤr verehelicht auszuge-
ben. Er koͤnnte nun begreiffen, warum das Cam-
mermaͤdchen dem andern Fxeunde des Herrn Hans
Harlowe
ſo, und nicht anders, haͤtte antworten koͤn-
nen. Herr Jacob Harlowe haͤtte gewißlich
ſeine Abſichten dabey, daß er die Trennung der Fa-
milie zu erweitern ſuchte: und er haͤtte auch einen
Anſchlag, ſeine Schweſter mit Gewalt zu entſuͤh-
ren. Es ſey daher ſeinem Freunde eben ſo viel
cls mir ſelbſt daran gelegen, das Geheimniß zu
verſchweigen, bis er andere Anverwandten auf ſeine
Seite gebracht und alle Einrichtungen gemacht
habe. Der Haß und die Leidenſchaften ſtelleten
Vierter Theil. A aalles
[370]
alles auf der ſchlimmeſten Seite vor. Es waͤre
ihm unbegreiflich, wie die Feindſchaft gegen einen
Herrn haͤtte ſo weit gehen koͤnnen, der ſo friedfer-
tig und erhaben daͤchte, und ſo viel Herrſchaft uͤber
ſich ſelbſt gezeiget haͤtte. Er ſaͤhe, daß ich in allen
Stuͤcken großmuͤthig handelte, damit die Liebe zur
Intrigue nichts zu thun haͤtte.


Er wollte weiter reden. Allein das Fruͤh-
ſtuͤck war eben fertig. Die Beherrſcherin meines
Hertzens trat herein, und erleuchtete alles durch ihre
Strahlen. Die Guͤtigkeit und Freundlichkeit zei-
gete ſich von neuem in ihrem Geſichte, die ihr zwar
natuͤrlich iſt, allein die ſo lange von ihr verbannet
geweſen iſt.


Der Capitain buͤckte ſich, als wenn er vor ihr
niederfallen wollte. Wie zeigte das liebe Kind
durch ſein Laͤcheln an, daß es ihm gewogen war.
Eine Ehrfurcht erweckt die andere. Wir
Manns-Leute ſind aͤrgere Affen, als wir es dencken.
Jch beugte beynahe ohne mein Wiſſen die Kniee,
und ſtellete ihr den Capitain mit ſehr verbindlichen
Worten vor. Jch unterſtand mich ſelbſt nichts
gegen ihre Lippen oder Wangen, und es war gut,
daß er es auch nicht that. Er war in der That
bereit ſie anzubeten; und wagete es kaum, ihre
Hand zu beruͤhren.


Jch habe dem Herrn Capitain erzaͤhlt ‒ ‒ ‒
Hier wiederholte ich alles, was ich mit ihm gere-
det hatte, als wenn ſie noch nichts davon wuͤßte.


Er wunderte ſich, daß jemand gegen einen ſol-
chen Engel uͤbel geſinnet ſeyn koͤnnte: und er
mach-
[371]
machte ſich ein Gluͤck und Ehre daraus, wenn er
ihre Sache befoͤrdern koͤnnte.


Jch muß es geſtehen: mein Engel hat nie ſo
engliſch ausgeſehen, als damahls. Sie war lauter
Gelaſſenheit, Heiterkeit, Laͤcheln, Zuverſicht: ihre
natuͤrliche Schoͤnheit ward noch erhoͤhet, und ihr
ſo ſchoͤn gefaͤrbtes Geſicht ſchien beynahe Strahlen
zu ſchießen.


Nachdem wir uns geſetzt hatten, redeten wir
bey einer Taſſe Chocolade von der angenehmen
Materie. Owie gluͤcklich prieß ſie ſich, wenn ſie
das Hertz ihres Onckels wieder erlangen koͤnnte!


Der Capitain ſagte: dafuͤr wollte er Buͤrge
ſeyn. Er hoffete, ſie wuͤrde an ihrem Theil fer-
ner keinen Aufſchub machen. Wenn der Hochzeit-
Tag nur erſt vorbey waͤre, ſo wuͤrde alles gut wer-
den. Ob er aber wohl um eine Abſchrift meines
Entwurfes und ihrer Antwort bitten duͤrfte, da-
mit er ſie ſeinem aufrichtigen Freunde, ihrem On-
ckle, zeigen koͤnnte?


Wie es Herr Lovelace fuͤr gut findet,
ſagte ſie. O wenn doch das liebe Kind immer ſo
ſagte.


Jch ſagte: ſo muß es denn in dem groͤßeſten
Vertrauen geſchehen. ‒ ‒ Waͤre es aber nicht beſ-
ſer, ihrem Onckle den Entwurf, wie ihn Herr Wil-
liams
abfaſſen wird, vorzulegen?


Ja! wenn ſie das guͤtigſt erlauben wollen,
Herr Lovelace!


Siehe Belford. Ehemahls waren wir die
A a 2zaͤncki-
[372]
zaͤnckiſchen, und jetzt ſind wir die hoͤflichen und ge-
faͤlligen Liebhaber.


Jn Wahrheit mein liebſtes Hertze, ich will ſo
ſeyn, wenn ſie es verlangen: und wenn Capitain
Tomlinſon verſprechen will, daß es Herr Har-
lowe
voͤllig geheim haͤlt, damit ich von nieman-
den mehr aus der Familie, die mir ſo uͤbel begegnet
hat, Schmaͤhungen und Vorwuͤrfe anhoͤren muß.


Nun ſind ſie in der That ſehr hoͤflich, mein
Herr.


Denckſt du Hanns, daß ſich mein Geſichte
nicht auch alsdenn erheiterte?


Jch bot ihr meine Hand, nachdem ich ſolche
erſt mit einem Kuſſe geweihet hatte: Sie ließ ſich
bewegen mir die ihrige zu geben: Jch druͤckte ſol-
che an meine Lippen. Jhr wißt nicht Cap. Tom-
linſon,
(ſagte ich freudig) nun alle Stuͤrme vor-
bey ſind, was fuͤr ein gluͤcklicher Mann ‒ ‒ Ent-
zuͤckendes Paar! Er hob ſeine Haͤnde auf ‒ ‒ Wie
wird ſich mein Freund erfreuen! ‒ ‒ O daß er ge-
genwaͤrtig waͤre! ‒ ‒ Sie wiſſen nicht Madem.
wie lieb ſie ihrem Vetter Harlowe ſind.


Jch ſchaͤtze mich fuͤr ungluͤcklich, ihm jemahls
misfallen zu haben!


Nicht allzuſehr deswegen, mein Liebſtes,
dachte ich!


Er wiederholte die Verſicherung ſeiner Dienſt-
fertigkeit, und dieſes ſo annehmlich, daß mein lieb-
ſtes Hertz wuͤnſchte, weder ihm noch einem der
Seinigen moͤchte jemahls ein Freund von gleicher
Gutwilligkeit fehlen. Keiner von den Seinigen,
ſagte ſie: Denn der Capitain meldete, er habe 5.
Kin-
[373]
Kinder, von der beſten Frau und Mutter, am
Leben: Dieſe ihre vortreffliche Wirthſchaft mach-
te ihn ſo gluͤcklich, als ob ſeine 800. Pfund jaͤhr-
lich (welches alles war, was er ſich ruͤhmen konn-
te) zweytauſend waͤren.


Ohne Wirthſchaft, ſagte mein weiſes Frauen-
zimmer, iſt kein Vermoͤgen groß genug; mit
Wirthſchaft iſt keines zu klein.


Ruhe doch, qvaͤlender Boͤſewicht! ruhe doch! -
ich redete nur zu meinem Gewiſſen, mein Freund.


Jch muß fragen, Herr Lovelace, ſagte der
Capitain, doch nicht ſo ſehr aus Zweifel, als um
ſicher zu gehn, ‒ ‒ Sind ſie willens mit meinem
werthen Freunde eine allgemeine Verſoͤhnung zu
ſchließen?


Jch verſichere ſie, Herr Tomlinſon, kann es
in die Augen fallen, daß meine Bereitwilligkeit,
mich mit einer Familie zu verſoͤhnen, die mir eben
nicht Urſache gegeben hat, von ihrer Großmuth
aufs beſte zu dencken, voͤllig dem Werthe zuzu-
ſchreiben iſt, in dem ich dieſes engliſche Frauen-
zimmer halte, ſo will ich nicht nur ihrem Verlan-
gen gemaͤß, mich mit dem Herrn Hans Har-
lowe
vereinigen, ſondern ſelbſt zum Herrn Ja-
cob Harlowe,
und deſſen Gemahlin gehen; noch
mehr, den Sohn Jacob, und Arabellen voͤllig
zu beruhigen, will ich mich auf alle Anſpruͤche, fuͤr
mich und meine Erben, auf jedes von den drey
Bruͤdern ſein Vermoͤgen losſagen, und mich mit
dem begnuͤgen, was meiner Liebſten Großvater
ihr ausgeſetzt hat. Denn ich habe Urſache, mit
A a 3mei-
[374]
meinen jetzigen Umſtaͤnden, und dem was ich zu
hoffen habe, voͤllig zufrieden zu ſeyn. ‒ ‒ Mit ei-
nem Frauenzimmer, deren Verdienſte alle Guͤter
des Gluͤcks uͤbertreffen, waͤre ich genug belohnt,
wenn ſie auch nicht das Geringſte zu mir braͤchte.
So wahr als das Evangelium! Belford; war-
um hatte dieſe Scene nicht die Wahrheit zum
Grunde?


Meine Liebſte druͤckte durch ihre Augen ihre
Danckbarkeit aus, ehe die Lippen ſolche hervorbrin-
gen konnten. O Herr Lovelace ſagte ſie ‒ ‒ Sie ha-
ben unendlich ‒ ‒ Und da hielt ſie inne ‒ ‒


Der Capitain fing an eine Lobrede auf mich
zu halten. Er war wircklich geruͤhrt.


O daß doch bey meiner Liebe nicht ſo eine Ver-
miſchung von Rache und Stoltz waͤre! dachte ich. ‒ ‒
Aber (meine alte Entſchuldigung) kann ich ihr nicht
allemahl alles vergelten? Jſt nicht ihre Tugend nun
auf der hoͤchſten Staffel ihrer Pruͤfung? Wollte
ſie, wie die Freunde meiner niemahls zanckenden
Roſebud, alles Mistrauen bey Seite ſetzen ‒ ‒
Wollte ſie ſich voͤllig auf mich verlaſſen, und
mich nur vierzehn Tage lang im Leben der Eh-
re pruͤfen ‒ ‒ Was denn? ‒ ‒ Jch kann nicht ſa-
gen was.


Verachte mich nicht, mein Freund, wegen mei-
nes Wanckelmuths ‒ ‒ Nun ſtimm ich wohl in
zweyen Briefen mit mir ſelbſt uͤberein ‒ ‒ Wer
erwartet ein geſetztes Weſen von Mannsbildern
von unſerer Gemuͤthsart? Aber ich bin vor Lie-
be thoͤricht ‒ ‒ von Rachgier entflammt ‒ ‒ Mit
mei-
[375]
meinen eignen Anſchlaͤgen verwirrt gemacht ‒ ‒
Meine Erfindungen gereichen mir zum Schaden ‒ ‒
Mein Stoltz iſt meine Straſe ‒ ‒ Auf einmahl
nach fuͤnf oder ſechs Saiten gezogen ‒ ‒ Kann
Sie wohl ſo ungluͤcklich ſeyn als ich? Ach warum,
warum war dieß Frauenzimmer ſo himmliſch voll-
kommen! ‒ ‒ Gleichwohl weiß ich denn ſicher, daß
ſie es wircklich iſt? ‒ ‒ Was hat ſie fuͤr Proben
ausgeſtanden? Habe ich das Hertze gehabt, nur
eine an ihrer Perſon zu machen, ob ich wohl funf-
zig an ihrer Gemuͤths-Beſchaffenheit angeſtellt
habe? Genug, ich hoffe es dahin zu bringen, daß
ſie fuͤrchten ſoll mir ferner je zu misfallen. ‒ ‒



Jch muß alle Ueberlegung von mir verban-
nen, oder ich bin ein verlohrner Menſch. Zwo
Stunden her habe ich mich ſelbſt wegen meiner
eignen Unternehmung gehaßt. Und daß nicht nur
deswegen, was ich dir ſchon erzaͤhlet habe, ſondern
auch, was ich noch erzaͤhlen will. Aber nun ha-
be ich mein Hertz noch einmahl geſtaͤhlt. Meine
Rachgier hat die Oberhand, denn ich habe eines und
das andere von Fraͤulein Howes Gift wieder ge-
leſen. Die Verachtung in der ich bey beyden ge-
ſtanden habe, iſt mir unertraͤglich. ‒ ‒


Meine Liebſte geſtand, das ſey das gluͤcklich-
ſte Fruͤhſtuͤcke, das ſie genoſſen, ſeit dem ſie ihres
Vaters Haus verlaſſen. Das haͤtte ſie koͤnnen
bleiben laſſen.
Der Capitain erneuerte alle ſei-
ne Dienſt-Erbietungen. Er wollte mir ſchreiben,
A a 4wie
[376]
wie ſein werther Freund die Nachricht von dem
gluͤcklichen Zuſtande unſerer Sachen aufnehme,
und was er von den Vergleichen urtheilen wuͤrde,
ſo bald ich ihm die Einwuͤrfe ſendete, die ich ſehr
freundſchaftlich verſprach. Wir gingen mit großen
Verſicherungen beyderſeitiger Hochachtung aus
einander, und meine Liebſte that die eifrigſten Wuͤn-
ſche fuͤr den gluͤcklichen Ausgang dieſer großmuͤ-
thigen Vermittelung.


Jch begleitete den Capitain die Treppe hinun-
ter, bis an die aͤußere Thuͤre; wie ich zuruͤck kam,
ging mir meine Liebſte entgegen, indem ich in das
Speiſezimmer trat: Gefaͤlligkeit zeigte ſich in je-
dem ihrer liebenswuͤrdigen Geſichtszuͤge.


Sie ſehn mich ſchon gantz veraͤndert, ſagte ſie.
Sie wiſſen nicht, wie nahe mir dieſe gehoffte Ver-
ſoͤhnung am Hertzen liegt. Nun will ich alles un-
angenehme Andencken verbannen. Sie wiſſen
nicht, mein Herr, wie ſehr ſie mich ihnen verbun-
den haben. Und ach Herr Lovelace! wie gluͤck-
lich werde ich ſeyn, wenn mein Hertz von der nie-
derdruͤckenden Laſt des vaͤterlichen Fluches befreyet
iſt! Wenn meine liebſte Mamma (ſie kennen, mein
Herr, noch nicht halb alle Vorzuͤge meiner liebſten
Mamma! und was fuͤr ein zaͤrtliches Hertze ſie
hat, wenn ſolches ſeinem eigenen Triebe zu folgen
uͤberlaſſen wird.) Wenn dieſe verehrungswuͤrdi-
ge Mamma noch einmahl mich an ihre guͤtige Bruſt
druͤcken wird! Wenn ich wieder Vettern und Ba-
ſe, einen Bruder und eine Schweſter haben wer-
de, die ſich alle um die Wette beſtreben werden,
wer
[377]
wer der armen Verbannten, nun nicht mehr Ver-
bannten!
die meiſte Zaͤrtlichkeit erweiſen kann.
Und ſie, mein Lovelace, wenn ſie alles das anſehen,
und in einer ſo werthen Familie willkommen geheiſ-
ſen werden. ‒ ‒ Was ſchadet es, wenn auch der
erſte Empfang etwas kaltſinnig iſt. Lernt man
ſie beſſer kennen, und ſieht man ſie oͤfterer, fallen
keine neue Urſachen zum Misvergnuͤgen vor, und
fangen ſie, wie ich hoffe, eine neue Lebensart an, ſo
wird die Liebe von beyden Seiten immer ſtaͤrcker
und ſtaͤrcker werden, bis ſich vielleicht ein jeder
wundert, wie es gekommen iſt, daß ſie ihnen je-
mahls zuwider geweſen ſind.


Sie trocknete darauf ihre Augen mit einem
Schnupftuche, hielt ein wenig inne, und entfernte
ſich ploͤtzlich in ihr Schlaf-Zimmer, als beſoͤnne
ſie ſich, daß ſie ihre Freude durch eine Aus-
druͤckung derſelben mir entdeckt hatte, die
ich nicht hatte ſehen ſollen. ‒ ‒ Mich aber ließ
ſie ſo unvermoͤgend ſolches auszuhalten, als ſie
ſelbſt war.


Kurtz ich war ‒ ‒ was ich war, auszudrucken
fehlet es mir an Worten. ‒ ‒ So ſehr hatte mich die-
ſe ſchoͤne Seelen-Beherrſcherin noch nicht geruͤhrt.
Jch ſuchte meine Empfindlichkeit zu unterdruͤcken,
und ſie war zu ſtarck darzu. Jch ſeufzete ſo gar ‒ ‒
Ja bey meiner Seele, ich ſeufzete, daß man es hoͤrte
und mußte mich von ihr wenden, ehe ſie ihre ruͤh-
rende Rede recht geendet hatte.


Mich deucht, nachdem ich dir die ſeltſame Em-
pfindung geſtanden habe, ſo verlangt mich, ſie dir zu
A a 5beſchrei-
[378]
beſchreiben ‒ ‒ Die Sache war mir ſo fremde ‒ ‒
als wenn mir etwas die Luft verſetzte. ‒ ‒ Jch weiß
nicht wie ‒ ‒ doch muß ich es geſtehn, ob ich mich es
wohl nicht vollkommen mehr erinnern kann, es
war was ſehr artiges dabey. Jch wuͤnſchte es wie-
der zu empfinden, damit ich einen vollkommenen
Begriff davon haͤtte und es dir beſſer beſchreiben
koͤnnte.


Aber dieſe Wirckung der Freude bey einer
ſolchen Gelegenheit in ihr, giebt mir einen hohen
Begrif, was dieſe Tugend ſeyn muß, (denn mit
was fuͤr einen Nahmen ſoll ich ſie ſonſt belegen)
die in einem Gemuͤthe, das zaͤrtlicher Entzuͤckun-
gen ſo faͤhig iſt, in ihrer ſchoͤnſten Bluͤthe, gegen
alle Liebes-Bezeigungen eines Mannsbildes, den
ſie nicht feind iſt, zu Schnee und Eis macht. Das
muß alles auch von der Auferziehung herruͤhren ‒ ‒
Nicht wahr, Belford? Kann die Auferziehung
in eines Frauenzimmers Hertze mehr Gewalt ha-
ben als die Natur? ‒ ‒ Gewiß nicht. Kann
ſie es aber, wie recht haben nicht die Eltern, daß
ſie ihrer Toͤchter Gemuͤther bilden, und ihnen Vor-
ſichtigkeit und Behutſamkeit gegen unſer Geſchlecht
einpraͤgen; und in der That, daß ſie ihnen hohe
Begriffe von dem Jhrigen beybringen? Denn
wo die Tugend ſich nicht wie die Sonne in ihrem
ungeborgten Glantze zeigt, iſt der Stoltz, ich ver-
ſichere dich, vortrefflich ihre Stelle zu vertreten.


Der
[379]

Der zwey und vierzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.


Nun iſt es Zeit zu geſtehen, (und doch weiß
ich, daß deine Muthmaßungen meinem
Berichte zuvor gekommen ſind) daß dieſer Capi-
tain Tomlinſon, der ein ſolcher Guͤnſtling meiner
Liebſten, und ſo eifrig iſt Verſoͤhnungen zu ſtif-
ten, weder groͤßer noch kleiner iſt, als der ehrliche
Patrik Mac Donald, den ein Lackey den er ſelbſt
ausfuͤndig gemacht hat, begleitet.


Du weiſt was fuͤr Abwechslungen das Leben
dieſes Schelmen gehabt hat, der zu einer beſſern
Hoffnung gebohren und auferzogen war. Aber
die ſinnreiche Spitzbuͤberey, derentwegen man ihn
von der Dubliniſchen Univerſitaͤt gejaget, und was
man nachgehends uͤberzeugend entdeckt hat, ſind
ſein Verderben geweſen. Dieſes hat ihn aus ei-
nem Lande ins andere gejagt, und ihn endlich zu
einer Lebensart gebracht, vermoͤge der er zu einem
Manne fuͤr Fraͤulein Howes Townſend, mit
ihren Contrabanden geſchickt iſt. Er iſt, wie du
weiſt, zu allen Unternehmungen die Liſt und ein
beſonderes Anſehen erfordern, ſehr faͤhig. Und
kann man endlich mehr Gerechtigkeit verlangen,
als
[380]
als daß ein Betruͤger wider den andern zu ſpielen
in Bereitſchaft gehalten wird?


„Gut, aber Lovelace (fragſt du mich viel-
„leicht) wie konnteſt du dich ſo verfuͤhren laſſen,
„da dein Frauenzimmer einen Monath bey dieſen
„ihren Vetter geweſen war, und alſo vermuthlich
„wußte, daß es keinen Capitain Tomlinſon in
„der gantzen Nachbarſchaft gab, wenigſtens keinen,
„der ſo vertraut mit mir geweſen waͤre?“


Dieſer Einwurf iſt natuͤrlich, mein Freund,
daß ich nicht unterlaſſen konnte, meine Liebſte zu
erinnern, ſie muͤſſe ja wohl ihren Vetter haben
von dieſem Herren reden hoͤren? Sie ſagte, nie-
mahls. Ueberdieß (wie ich ſie zuvor hatte ſa-
gen hoͤren,
) war ſie faſt zehn Monathe nicht bey
ihrem Vetter Harlowe geweſen, und es kamen
viele Herren dahin, die ſie ihrem Vermelden nach
nicht kannte.


Du weißt, man iſt allezeit fertig zu glauben
was man wuͤnſcht.


Und warum war ſie ſo lange nicht bey ihrem
Vetter geweſen, wirſt du fragen? ‒ ‒ Je, dieſer
alte Suͤnder, der ſich berechtigt haͤlt, mich wegen
meiner Freyheiten gegen das ſchoͤne Geſchlecht zur
Rechenſchaft zu fodern, hat ſich letzthin, wie man
vermuthet, mit ſeiner Haushaͤlterin in allzu große
Vertraulichkeit eingelaſſen, und dieſe maßt ſich ei-
ner Gewalt uͤber ihn an. ‒ ‒ Das verwuͤnſchte
ver-
[381]
verfuͤhreriſche Geſchlechte! Jn der Jugend, im
mitlern und im hohen Alter fangen ſie uns doch
noch allemahl.


Siehſt du gleichwohl nicht, daß dieſe Haus-
haͤlterin von unſerm vorhabenden Vergleiche nichts
weiß, noch wiſſen ſoll. Deswegen koͤmmt der
Vetter allemahl zum Capitain, und dieſer nie zu
jenen: Dieſen Einfall ſagte ich meiner Liebſten.
Alsdenn war es natuͤrlich, darauf zu gerathen,
daß man ſich deſto eher an den Capitain wenden
muͤſſe, weil er mit der uͤbrigen Familie in keiner
Verbindung ſteht. Jſt es noͤthig dir zu erklaͤren
wohin alles dieß abzielt?


Aber dieſe Jntrigue des Alten iſt ein Stuͤcke
einer geheimen Geſchichte, deren Wahrheit meine
Geliebte nicht geſtehen will, und ſich gar ſtellt,
als glaube ſie ſolche nicht. Eben ſo verhaͤlt ſie
ſich in Abſicht auf einige unehrbare Galanterie
ihres naͤrriſchen Bruders, die ich ihr, als einen
Gegen-Vorwurf erwaͤhnt habe, ohne den aus der
Familie zu nennen, der es mir geſagt hat.


Gut, aber mich deucht du fragſt mich wieder,
iſt es nicht wahrſcheinlich, daß Fraͤulein Howe,
nach einem ſolchen Manne wie Capitain Tomlin-
ſon,
forſchen wird? ‒ ‒ und wenn ſie nicht
kann ‒ ‒


Jch weiß was du ſagen willſt ‒ ‒ aber ich
zweifle nicht, Wilſon wird ſo gut ſeyn, wenn ich
es verlange, alle Briefe die von Collins die naͤch-
ſte
[382]
ſte Woche in mein Haus gebracht werden, in mei-
ne eigenen Haͤnde zu geben. Und nun hoffe ich,
biſt du zufrieden geſtellt.


Jch will mit einer kurtzen Geſchichte
ſchließen.


„Zweene benachbarte Fuͤrſten kriegten mit ein-
„ander uͤber, ich weiß nicht was fuͤr eine nichts-
„wuͤrdige Sache; es iſt der Muͤhe nicht werth,
„zu fragen woruͤber, denn Fuͤrſten und Kinder ge-
„rathen uͤber jede Kleinigkeit an einander. Jhre
„Armee war einige Tage in Schlacht Ordnung ge-
„gen einander geſtanden, und man erwartete taͤg-
„lich an jedem Hofe die Nachricht von einer ent-
„ſcheideten Schlacht. Endlich gerieth man zu-
„ſammen, es ward eine blutige Schlacht geliefert,
„und ein Kerl der zugeſehen hatte, langte mit der
„Nachricht davon, in eines von beyden Fuͤrſten
„Hauptſtadt an, ehe noch die Courier ankamen.
„Man laͤutete die Glocken, man ſteckte Freuden-
„feuer und Jlluminationen an, und das Volck
„ging aus patriotiſcher Freude beſoffen zu Bette.
„Aber den folgenden Tag war alles umgekehrt.
„Man erwartete den ſiegenden Feind mit Furcht
„an den Thoren der faſt unbefeſtigten Reſidentz.
„Man ſuchte den erſten Bothſchafter und fand ihn:
„Auf Befragen, meldete er, es ſey ja ein großer
„Verdienſt von ihm, daß er bey ſo betruͤbten Um-
„ſtaͤnden dem Schmertze ſeiner Mitbuͤrger ſo viel
„Zeit geraubt, und ſie ſolche ſo großer Freude an-
„zuwenden veranlaßt haͤtte, als diejenige war,
mit
[383]
„mit der die Stunde zwiſchen der guten Luͤgen
„und uͤbeln Wahrheit verſtriche.“


Mache du ſelbſt die Anwendung, Belford.
Das weiß ich, ich habe meiner Liebſten mehr Freu-
de gemacht, als ſie je ſo bald gehofft hatte: und
wie im menſchlichen Leben ohnedem gutes und boͤſes
ſtets untermengt iſt; ſo wird ſo ein kluges Frauen-
zimmer als ſie, ohnſtreitig alles zum beſten anzu-
wenden, und das Uebel mit dem Guten im gehoͤ-
rigen Gleichgewichte zu halten wiſſen.


Das Frauenzimmer meldet ihrem Freunde in
drey Briefen die wichtigſten Vorfaͤlle und Unter-
redungen, die in Herr Lovelaces vorhergehen-
den Schreiben enthalten ſind, folgends ſind ihre
Worte, wie ſie des angeblichen Herrn Tomlin-
ſon
Anbringen erzaͤhlet, nach der Furcht die ihn
ſeine weitlaͤuftigen Unterſuchungen verurſacht
hatten.


„Endlich, mein Werther, wurden alle dieſe
„Zweifel und furchtſame Vorſtellungen aufge-
„klaͤrt, und ſtatt derſelben oͤfnete ſich mir die an-
„genehmſte Ausſicht. Dem zum Gluͤcke entdeckt
„ſich, (aber jetzo muß es noch das groͤßte Geheim-
„niß ſeyn,) daß mein Vetter Harlowe dieſen
„Herrn geſandt hat, (ich dachte wohl, daß er
„nicht immer gegen mich Zorn halten koͤnnte) und
„daß alles dieß eine Wirckung von des guten Herr
„Hickmanns Unterredung mit ihm war. Denn
„ob wohl Herr Hickmanns Antrag einmahl zu
hitzig
[384]
„hitzig verworfen ward, ſo urtheilte doch mein Vet-
„ter nachgehends beſſer von ihm und von den
„Gruͤnden die dieſer werthe Herr zu meinem Vor-
„theil vorbrachte.


„Wer ſollte wegen einer hitzigen abſchlaͤgli-
„chen Antwort ſogleich daran verzweifeln, daß
„ihm eine billige Bitte nicht gewaͤhrt wuͤrde? ‒ ‒
„Wer ſollte ſich nicht beſtreben, in ein zorniges
„Gemuͤthe durch Nachgeben und Gelindigkeit eini-
„gen vortheilhaften Eindruck zu machen? der,
„wenn ſein Zorn etwas verkuͤhlt iſt, und es das
„Vergangene bedencket, behuͤlflich iſt, es zu einer
„Verſoͤhnung zu bewegen? Es iſt ein Unter-
„ſchied, wie ich oft ſage, um eine Gefaͤlligkeit zu
„bitten, und ſie als eine Pflicht zu fordern. Mit
„was fuͤr Rechte iſt der Bittende bey einer ab-
„ſchlaͤglichen
Antwort zornig, wenn er das, war-
„um er anſucht, nicht als eine Schuldigkeit ein-
„fodern darf.“


Sie beſchreibt Cap. Tomlinſon nach ſeiner
Auffuͤhrung bey dem Fruͤhſtuͤcke, als einen guten
ernſthaften Mann. Und anderswo: „es iſt ein
„artiger Mann, der ſehr ernſthaft iſt und gut aus-
„ſieht.“ Sie ſchaͤtzt ihn auf 50 Jahr alt. „Er
„gefiel mir, ſagte ſie, ſo bald ich ihn ſahe.“


Wie ſie nun beſſere Hoffnung hat als zuvor,
ſo wuͤnſcht ſie, daß ſie ſich auch Herrn Lovelaces
ſo oft zugeſagte Beſſerung ſicherer verſprechen
duͤrfte, als ſie befuͤrchtet daß ſie berechtigt iſt.


Wir
[385]

Wir haben es beyde ſehr ſehwer gefunden,
mein Werther, ſagte ſie, einige Theile von Herrn
Lovelaces Chararter mit andern zu vereinigen:
ſein gutes Gemuͤthe mit ſeinen ſchlimmen Nei-
gungen zu vergleichen, beſonders gewiſſe Umſtaͤn-
de von dem erſtern, als: ſein edles Bezeigen ge-
gen ſeine Pachter; ſeine Guͤte gegen ſeines Gaſt-
wirths Tochter; ſeine Fertigkeit mich darauf zu
bringen, daß ich durch meine gute Norton und an-
dere Wohlthaten ausuͤben ſollte.


„Es iſt eine ſeltſame Vermiſchung in ſeinem
„Gemuͤthe, wie ich ihm oft geſagt habe. Denn
„er iſt ſicherlich (wenn man auf ſein Bezeigen ge-
„gen mich in 20 Vorfaͤllen zuruͤcke denckt) als ein
„partheyiſcher Menſch anzuſehen. ‒ ‒ Jn der
„That, mein Wertheſter, ich habe mehr als ein-
„mahl daran gedacht, daß er es lieber haͤtte, mich
„weinen zu ſehen, als mir Urſache zu geben, mit
„ihm vergnuͤgt zu ſeyn.“


„Meine Muhme Morden ſagt, Leute die frey
„lebten, fuͤhlten keine Gewiſſens-Biſſe (*). Sie
„muͤſſen der Natur der Sache gemaͤß ſo unem-
„pfindlich ſeyn.“


„Herr
Vierter Theil. B b
[386]

„Herr Lovelace iſt ſtoltz. Wir haben ſol-
„ches lange bemerckt. Und ich fuͤrchte in Wahr-
„heit, ſein edles Bezeigen ruͤhrt mehr von ſeinem
Stoltze und ſeiner Eitelkeit, als von der Men-
„ſchen-Liebe,
die ein gutthaͤtiges Gemuͤthe unter-
„ſcheidet, her.“


„Geld achtet er nicht weiter, als in ſo fern es
„ein Mittel ſeine Eitelkeit zu unterſtuͤtzen, und
„ihn von der Unterwuͤrfigkeit fuͤr andere zu be-
„freyen. Es iſt leicht, wie ich oft bemerckt habe,
„daß ein Menſch ſich von ſeinen Neben-Trieben
„losmacht, wenn er dadurch die Haupt-Reitzun-
„gen
ſtillen kann.“


„Jch fuͤrchte, mein Werther, daß bey ſeiner
„Auferziehung ein Fehler vorgegangen iſt. Ver-
„muthlich hat man auf ſeine natuͤrliche Neigung
„nicht genug acht gehabt, da man voraus ſahe daß
„er viel Gewalt bekommen wuͤrde, ſo unterrich-
„tete man ihn vielleicht gute und wohlthaͤtige
„Handlungen auszuuͤben, aber man brachte ihm
„nicht die gehoͤrigen Bewegungs-Gruͤnde, war-
„um er ſolche ausuͤben ſollte, bey.„


Sonſt waͤre ſein Edelmuth nicht beym Stol-
ze
ſtehen geblieben, ſondern er haͤtte ſich bis zur
Menſchlichkeit erhoben: alsdenn wuͤrde er ſich
nicht befriedigt haben, manchmahl, nachdem er
bey guter Laune iſt, lobenswuͤrdige Thaten zu ver-
richten, oder als ſollte eine gute Handlung bey ihm
fuͤr eine boͤſe, nach der Lehre von den verdienſt-
lichen
[387]
lichen Wercken genug thun (*), ſondern er wuͤrde
ſich beſtaͤndig aͤhnlich, immer edel geweſen ſeyn,
und das Gute um ſein ſelbſt willen gethan haben.


Ach mein Wertheſter, was fuͤr ein Loos habe
ich gezogen! Stoltz iſt ſeine Tugend, und Rach-
gier
iſt ſeine andere herrſchende Neigung. ‒ ‒ Noch
bleibt mir der einige Troſt, er iſt kein Unglaͤubiger
B b 2und
[388]
und Freygeiſt; waͤre er ein Unglaͤubiger, ſo haͤtte
man keine Hoffnung mehr fuͤr ihn, ſondern (wie
er auf ſeine Erfindung ſtoltz ſeyn wuͤrde) er waͤre
ganz und gar verfallen, nicht zu bekehren und
verwildert.


Von den Gelegenheiten, da Hr. Lovelace in
ſeinen Briefen geſteht: daß ſie ihn ſo geruͤhrt ha-
ben, druͤckt ſie ſich dergeſtalt aus:


„Er beſtrebte ſich, wie ſchon zuvor, ſeine
„Bewegung zu verbergen, aber mein Werther,
„warum ſchaͤtzen ſich die Mannsbilder (denn Hr.
„Lovelace hat hierin nichts beſonders) fuͤr zu
„ſchlecht, Proben eines empfindlichen Her-
„zens zu geben? Waͤre es noch in meiner Ge-
„walt, zu waͤhlen oder auszuſchlagen, ſo wuͤrde
„ich den Mann mit Verachtung fortſchicken, der
„das Vermoͤgen bey gehoͤrigen Gelegenheiten
„geruͤhrt zu werden, zu unterdruͤcken ſtrebte, oder
„zu verleugnen ſuchte, als wenn er ein wildes
„Hertz haͤtte, oder die groͤßte Ehre der menſchli-
„chen Natur ſo wenig kennte, daß er ſeinen Stoltz
„auf eine barbariſche Unempfindlichkeit gruͤn-
„dete.„


Juvenals Gedancken daruͤber haben mich
oft ergoͤtzt: Das Mitleiden iſt den Men-
ſchen eigenthuͤmlich; Die Natur bezeugt
ſolches, da ſie uns Thraͤnen gibt.
Wir al-
lein entdecken durch ſolche Proben unſere
zartliche Empfindungen. Weinen iſt
un-
ſer
[389]
ſer Vorzug. Durch mitleidige Blicke und
ſchmachtende Augen zu zeigen, wie wir an
den Empfindungen eines gekraͤnckten Freun-
des Theil nehmen, heißt aufs heſte ein wil-
des Thier in menſchlicher Geſtalt ſeyn.
Dieſe
natuͤrliche Huld, machte zuerſt unſern Witz
feiner, und erhob unſere Gedancken zu goͤtt-
lichen Dingen: ſie beweiſt daß unſer Geiſt
vom Himmel ſtammt, wie der Thiere ihrer
niederwaͤrts geſenckt iſt. Dieſen gab ſie
nur ein irrdiſches Leben,
uns, himmliſche
Empfindungen, einander wechſelsweiſe zu
helfen.


Sie bemerckt zum Ruhme der Leute im Hauſe,
daß ein ſolcher guter Mann, wie Cap. Tomlinſon,
auf geſchehene Unterſuchung, gut von ihm geredet
haͤtte.



Der drey und vierzigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.



Jch erhalte einen Brief von Lord M. Er iſt
ſo beſchaffen, wie ich wuͤnſchen koͤnnte,
wenn ich die Ehe zur Abſicht haͤtte: aber nach
den jetzigen Umſtaͤnden, kann ich ihn meiner Ge-
liebten nicht zeigen.


B b 3Der
[390]

„Der Lord bedauert, daß er bey der Hochzeit
„nicht des Braut-Vaters Stelle vertreten ſoll. Er
„ſcheint zu fuͤrchten, ſo gut ich es auch vorgaͤbe,
„moͤchte ich doch wohl was ſchlimmes im Kopfe
haben.


„Er willigt guͤtig ein, daß ich heyrathen mag
„wenn ich will, und bietet mir eine oder zwo von
„meinen Muhmen an, meiner Braut beyzuſte-
„hen, und ſie bey Gelegenheit aufzurichten, weil
„ſie, wie er gehoͤrt hat, ſo furchtſam iſt, ſich
„mit mir zu wagen.


„Pritchard hat, ſeinem Vermelden nach, endli-
„chen Befehl, die Uhrkunden aufzuſetzen, vermoͤ-
„ge deren er mir 1000 Pf. jaͤhrlich, auf immer
„zueignet, und er will ſolchen in der Stunde
„unterſchreiben, da meine Geliebte in Perſon ihre
„Verheyrathung geſteht.


„Er willigt ein, das Leibgedinge von mei-
„nem eigenen Vermoͤgen auszumachen.


„Er wuͤnſchte, Clariſſa moͤchte ſein Geſchencke
„angenommen haben, und traͤgt mir auf, es ihr
„anzubieten, er legt es mir aber als einen Stolz
„aus, daß ich es nicht ſelbſt behalten habe. Was
„die rechte Seite weggiebt,
ſagt er, kann der
„linken dienen.


Er meynt die Maͤgdchen.


Von gantzem Herzen. Kann ich Fraͤul. Cla-
riſſa Harlowe haben, ſo hole der Henker alles
andere.


Der
[391]

Der tummkoͤpfige Paͤr ſchreibt noch ein Hauffen
ſeltſam Zeug, und ſchmattert an verſchiedene
Orte ein halbes Dutzend Zeilen hin, aus keiner
andern Urſache, als etwa ſo viel elende Einfaͤlle in
einem alten Sprichworte anzubringen.


Fragſt du wie ich es machen kann, da ſich
meine Liebſte wundern wird, warum ich auf ſo
einen Brief, wie ich an einen Lord geſchrieben ha-
be, keine Antwort erhalten, oder da ſie auf mein
Geſtaͤndniß, daß ich eine Antwort habe, erwarten
wird, daß ich ihr ſolche zeigen ſoll, wie meine
Briefe? Darauf antworte ich, ‒ ‒ Jch kann
durch Pritchard benachrichtigt ſeyn, daß der Lord
das Chiragra in der rechten Hand hat, und daß
er ihn befohlen hat zu mir zu kommen und meine
beſondern Befehle wegen der Uebergabe zu erwar-
ten. Jch aber kann Pritcharden, wie du weißt,
zum Koͤnigl. Wagen, oder wo ich ſonſt in der
Stadt will, ſprechen, und er kann nur alles muͤnd-
lich geſagt haben, was ihr aus des Lords Briefe
zu wiſſen noͤthig iſt.


Wenn es mir gelegen iſt, verſtatte ich den al-
ten Paͤr den Gebrauch ſeiner rechten Hand wieder,
und laſſe ihn einen zaͤrtlichern Brief ſchreiben als
der jetzige iſt.


Du weißt, daß eine von meinen fruͤhzeitigſten
Bemuͤhungen das geſchickte Nachmahlen der
Haͤnde iſt. Man hat dabey geſagt: wenn ich in
Sachen die das mein und dein betreffen, ſchlimm
geweſen waͤre, ſo haͤtte ich nicht zu leben getaugt.
B b 4Die
[392]
Die Maͤdchen zu betruͤgen halten wir fuͤr keine
Suͤnde. Und ſagt man uns nicht, die ganze menſch-
liche Gluͤckſeligkeit beſtehe darin, ſich wohl betruͤgen
zu laſſen?



Mittwochs den 31ſten May.


Alles laͤuft immer gluͤcklicher. Es wieder-
faͤhrt mir eine rechte große Ehre. Man verſtat-
tet mir einen Wagen ſtatt einer Kutſche, in der
Abſicht, nur in dem Hauptwercke nachzugeben.


Da wir die angenehme friſche Luft ſchoͤpften,
kam unſer Geſpraͤche auf unſere zukuͤnftige Lebens-
art. Der Tag iſt mir voll Schaam verſprochen
worden. Bald, war die Antwort auf mein wie-
derholtes Anhalten. Unſere Equipage, unſere Be-
dienten, unſere Liebereyen machten einen Theil von
dem angenehmen Hauptwercke unſerer Unterre-
dung aus. Sie entdeckt mir ihr Verlangen, daß
der Boͤſewicht, der nur Familien-Nachrichten mit-
getheilt hatte (der ehrliche Joſeph Liman) nicht un-
ter unſere Bedienten kaͤme, und daß ſie ihre treue
Hanne zu haben wuͤnſchte, ſie moͤchte nun wieder
geſund ſeyn oder nicht: beydes ward ihr willigſt
zugeſtanden.


Sie machte ſich noch eine groͤßere Vorſtellung
von den Folgen der Verſoͤhnung. Wenn ihr
Vetter Harlowe nur den Weg dazu bahnen kann,
und wenn ſie zur Wirklichkeit zu bringen iſt, ſo
wird ſie gluͤcklich ſeyn ‒ ‒ ‒ Gluͤcklich, mit einem
Seuf-
[393]
Seufzer, ſo ſehr als ſie nur jetzo ſeyn kan. ‒ ‒
Sie wird es nicht ausſtehen, mein Freund!


Jch entdeckte ihr, gleich ehe wir abgegangen
waren, haͤtte ich von Pritchard gehoͤrt, und erwar-
tete, daß ihn der Lord M. morgen in die Stadt
ſchicken wuͤrde, meine Verordnungen anzunehmen.
Jch redete mit Danckbezeigung von des Lords Guͤ-
te gegen mich, und mit Vergnuͤgen, von meiner
Baſe und Muhmen Hochachtung fuͤr ſie, auch von
des Lords Misvergnuͤgen, daß ihm ſein Chiragra
hinderte, meinen letzten Brief eigenhaͤndig zu be-
antworten.


Sie bedauerte den Lord. Sie bedauerte das
arme Fraͤulein Fretchville gleichfalls, denn ſie
hatte die Guthertzigkeit ſich nach ihr zu erkundi-
gen. Jhr gutes Gemuͤthe bedauerte jedermann,
der Mitleiden zu brauchen ſchiene. Da ſie fuͤr
ſich ſelbſt gluͤcklich iſt, ſo hat ſie Zeit ſich nach an-
dern umzuſehen, und wuͤnſcht, daß alle gluͤcklich
ſeyn moͤchten.


Dem Anſehen nach duͤrfte es mit Fraͤulein
Fretchville uͤbel gehen. Jhr Geſichte, deſſent-
wegen ſie ſich ſo viel einbildete, wird voͤllig ver-
derbt werden. Von einem ſo großen Ungluͤcke
kann ſie doch noch dieſen Vortheil ziehen ‒ ‒ Wie
die groͤßere Kranckheit ordentlich die kleinere ver-
ſchlingt, ſo kann ſie bey dieſer Gelegenheit einen
Schmertz empfinden, der ihr den andern Schmertz
vermindert und ertraͤglich macht.


B b 5Jch
[394]

Jch bekam einen gelinden Verweis, daß ich
von einem ſo großen Uebel ſo leichtſinnig redete ‒ ‒ ‒
Denn was iſt der Verluſt der Schoͤnheit, gegen
den Verluſt eines guten Ehegatten? ‒ ‒ ‒ Vor-
treffliches Gemuͤthe!


Jhre Hoffnung, und ihr Vergnuͤgen uͤber die-
ſe Hoffnung, daß Fraͤulein Howes Mutter mit
ihr wuͤrde verſoͤhnt werden, kam auch vor das
gute Fraͤulein Howes; ſo druͤckte ſie ſich von ei-
nem Frauenzimmer aus, die ſo geitzig und bey ih-
rem Geitze ſo ohne Gewiſſensbiſſe iſt, daß ſie ſonſt
niemand gut nennen wird. Aber meine vortreff-
liche Geliebte erſtreckt ihre Huld ſo weit, daß ſie
von dem veraͤchtlichſten Thiere, wenn es denjeni-
gen die ſie hoch haͤlt angehoͤrt, mit einer
Art von Werthe redet. Liebt mich, und
liebet meinen Hanns,
habe ich den Lord M. ſagen
hoͤren. ‒ ‒ Wer weiß ob ich ſie nicht einmahl da-
hin bringe, daß ſie aus Gefaͤlligkeit fuͤr mich gut
von dir urtheilt, Hanns?


Doch was habe ich vor? ‒ ‒ Suche ich
nicht dieſe gantze Zeit uͤber mein Hertze zu baͤndi-
gen? ‒ ‒ Jch weiß es, daß ich dieſes ſuche, ver-
moͤge der Biſſe die es empfindet, da meine Feder
das Zeugniß ihrer Vortrefflichkeit hinſchreibt.
Noch muß ich aber hinzuſetzen, (denn keine Eigen-
liebe ſoll mich hindern, dieſem wundernswuͤrdigen
Frauenzimmer Gerechtigkeit wiederfahren zu laſ-
ſen,) daß ſie bey dieſer Unterredung in allen Thei-
len der Haus-Wirthſchaft, die unter die Sorgfalt
der
[395]
der Hauswirthin ſelbſt fallen koͤnne, ſo viel kluge
Kaͤnntniß zeigte, daß ich glaube, ſie hat in der
Welt niemand ihres gleichen in ihren Jahren.


Jch breche ab, einiges von Fraͤul. Ho-
wes Gifte wieder durchzuleſen.



Das ſind verwuͤnſchte Briefe, Fraͤulein
Howes ihre, Hanns! ‒ ‒ ſchicke mir mein
Schreiben, indem ich welche von ihr er-
waͤhne, zuruͤck. ‒ ‒
Jch gehe weiter.


Ueberhaupt war meine Geliebte bey dieſem
angenehmen Spatzier-Gange vollkommen ver-
gnuͤgt und aufgeraͤumt. Sie hatte es auch nicht
anders Urſache. Denn da es das erſtemahl war,
daß ich die Ehre ihrer Geſellſchaft allein hatte,
ſo war ich geſonnen, ſie durch mein ehrerbietiges
Bezeigen zu Wiederhohlung dieſer Gewogenheit
zu bewegen.


Bey unſerer Ruͤckkehr fand ich, daß des Sach-
walters Schreiber mich mit dem Entwurf der Ehe-
ſtiftungen erwartete.


Sie ſind nur mit den noͤthigen Veraͤnderun-
gen, nach denen eingerichtet, die fuͤr meine Mutter
abgefaßt worden. Das Original davon (das ich nun
von dem Sachwalter wieder erhalten habe) ſowohl
als die neuen Entwuͤrfe, habe ich meiner Gelieb-
ten uͤbergeben. Dieß machte den Sachwalter ſei-
ne Verrichtung leichte: und ſie kann kein beſſer
Vor-
[396]
Vorrecht haben; der große Lord S. hatte jene
Einrichtungen auf Anſuchen der Verwandten von
meiner Mutter gemacht. Der gantze Unterſchied
iſt, daß meine Liebſte noch 100 Pf. jaͤhrlich mehr
bekoͤmmt als meine Mutter.


Jch erbot mich ihr die alte Eheſtiftung vor-
zuleſen, da ſie den Entwurf der neuen las. Denn
bey der Unterſuchung derſelben mit dem Schreiber
hatte ſie nicht wollen gegenwaͤrtig ſeyn. Aber ſie
lehnte auch dieſes ab. Jch vermuthe ſie wollte
nicht von ſo viel Kindern, den erſten, zweyten,
dritten, vierdten, fuͤnften, ſechſten und ſiebenden
Sohne, und eben ſo viel Toͤchtern, die mit beſag-
ter Clariſſa Harlowe gezeugt wuͤrden,
hoͤren.


Angenehme Vorerinnerungen bey der Ehe,
wenn auch gleich dabey ſteht, aus rechtmaͤßi-
gem Ehebette gezeugt.
Als wenn ein Mann
mit ſeiner Frau unrechtmaͤßige Kinder zeugen
koͤnnte. ‒ ‒ Denckſt du aber nicht, daß die ſpitz-
findigen Schelme, die Advocaten, dadurch zu ver-
ſtehen geben, daß ein Mann von ſeiner Frau Kin-
der vor ſeiner Ehe haben kann. Das muͤſſen ſie
meynen. Warum bringen denn die Voͤgel einen
ehrlichen Menſchen ſolche Schelmereyen ein. A-
ber hier und in unzaͤhlich andern Beyſpielen ſehen
wir, daß Geſetze und Evangelium zwey gantz ver-
ſchiedene Dinge ſind.


Dor-
[397]

Dorcas verſuchte in unſerer Abweſenheit, an
den hoͤltzernen Schranck in dem finſtern Cabinet
zu kommen. Aber es geht ohne Gewalt nicht an.
Und ſich blos aus Nutzen in wichtige Gefahr zu
ſetzen, war nicht zu entſchuldigen.


Frl. Sinclair, und die Nymphen alle ſind der
Meynung, daß ich nun in ſo viel Gewogenheit bey
ihr ſtehe, und einen ſo mercklichen Antheil an ih-
rem Vertrauen, und ſelbſt an ihrer Gewogenheit ha-
be, daß ich thun darf was ich will, und die Ge-
walt meiner Leidenſchaft vorwenden kann, wel-
ches ihren Gedancken nach die Gewalt die man
gegen ihr Geſchlechte ausuͤbt, verzeihungs-werth
macht, ſo gut als eine vergoͤnnte Entſchuldigung
mit den Perſonen beyden Geſchlechts die dabey
nicht betroffen ſind; und alle bieten ihre huͤlfrei-
chen Haͤnde an. Warum nicht? ſagen ſie; iſt
ſie nicht von allen als meine Frau angeſehen wor-
den? ‒ ‒ Und iſt ſie nicht auf gutem Wege mit
ihren Freunden ausgeſoͤhnt zu werden; welches
ſonſt ihr Vorwand war die Vollziehung auf-
zuſchieben?


Sie treiben mich weiter an: weil es ſo ſchwer
iſt, die Nacht zur Freundin zu haben, ſollte ich
es am Tage verſuchen. Sie erinnern mich, die La-
ge ihres Hauſes ſey ſo beſchaffen, daß man von
außen keinen Laͤrmen darinnen hoͤren koͤnne, und
lachen mich aus, daß ich es fuͤr noͤthig anſehe,
daß
[398]
daß ein Frauenzimmer ausgekleidet ſeyn muͤſſe.
Es war mit mir nicht allemahl ſo, armer alter
Mann, ſagte Sarah zu mir, und warf mir ihr
Schnupftuch unverſchaͤmt ins
Geſichte.


Ende des vierdten Theils.



[][][][][]
Notes
(*)
Ein von Advocaten bewohntes Gebaͤude zu
London, in welchem junge Advotaten zum Beſten
der Buͤrger zugezogen werden, und aus der Uebung
das Recht lernen.
(*)
Es iſt in dem Engliſchen ein Spaß, der ſich im
Deutſchen nicht wohl ausdrucken laͤßt, denn das
Engliſche Wort bedeutet ſo wohl eine Amme als
eine Krancken-Waͤrterin.
*
Das Parlament kommt in S. Stephans Capelle
zuſammen.
(*)
Hier ſtehen zwey Verſe, welche der Ueberſetzer
nicht gern in dem Deutſchen mittheilen wollte.
(*)
III. B. 361. S. Siehe auch Herrn Lovelaces
eignes Geſtaͤndniß von dem Vergnuͤgen, das es
ihm bringt, ein Frauenzimmer weinen zu ſehen,
in verſchiedenen Stellen ſeiner Briefe, beſonders
66. S. dieſes Bandes.
(*)
Dieſes Urtheil rechtfertigt des I. B. 233. S. wo
er, den Bewegungs-Grund ſeiner Großmuth gegen
ſeine Roſebud anzugeben, ſagt: „Wie ich es mir zur
„Regel vorgeſchrieben habe; nach Begehung eines
„Haupt-Verbrechens etwas Gutes, als zur Vergel-
„tung zu thun, und wie ich glaube, ich bin dieſerwe-
„gen ziemlich in Schuld gerathen, ſo will ich zu
„Johannes Baſe ihren 100 Pfunden noch 100 Pf.
„thun, ein unſchuldiges Paar gluͤcklich zu machen.„ ‒ ‒
Außer dieſen hatte er noch einen andern Grund ſei-
ner damaligen Großmuth. S. II. B. 23. 24. 25. 26.
Brief.
Den Zuſammenhang ſeiner Handlungen, wie ſie
ſich jetzo zeigen, mit ſeinen Grundſaͤtzen und Ab-
ſichten, wie er ſolche in ſeinen erſten Briefen er-
klaͤrt, zu zeigen, verweiſen wir den Leſer auf ſein
Schreiben I. B. 34. Num. 232. S. und 35. N. von
der 233. zur 236. S.
Man ſehe auch I. B. 190. 191. 192. und 270.
271. 272. S. wegen Clariſſens fruͤhzeitiger Mey-
nung von Hrn. Lovelace. ‒‒‒ Jhre Kaltſinnigkeit
und Gleichguͤltigkeit, derentwegen er ſich ſo oft
uͤber ſie beklagt, wird ſich hieraus begreifen laſſen,
und mehr ihr zum Ruhm als zu ſeiner Ehre ge-
reichen.

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TextGrid Repository (2025). Richardson, Samuel. Clarissa. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnh3.0