einer
Grundlehre
ſaͤmmtlicher
Kameralwiſſenſchaften
der Vorleſungen auf der Kurpfaͤlziſchen
Kameral Hohenſchule zu Lautern
im Verlage der Geſellſchaft
1779.
[][]
Dem
Hochgebohrnen Reichsfreiherrn
Herrn
Franz Albert
von
Oberndorf
Sr. Kurfuͤrſtlichen Durchlaucht zu Pfalz
Kaͤmmerer, wirklichen geheimen Staats-
und Conferential-Miniſter, Hofrichter,
Ehrenpraͤſident der Akademie der Wiſſen-
ſchaften, Oberamtmann zu Boxberg, Rit-
ter des Kurfuͤrſtlichen Ritterordens
vom Pfaͤlziſchen Loͤwen ꝛc. ꝛc.
Meinem gnaͤdigen Herrn
[]
Gnaͤdiger Herr!
Euer Excellenz hohe Gnade, welche
Dieſelben gegen mich aͤuſerten, als
ich lezthin das Gluͤck genoß, Hochdenſel-
ben vorgeſtellt zu werden, nicht weni-
ger auch die warme Theilnehmung an dem
Wohle der Kameral-Hohenſchule, welche
Sie nicht allein damahl, ſondern bis da-
her bei allen Gelegenheiten maͤchtig haben
wirken laſſen, macht mich ſo kuͤhn: Eu-
er Excellenz die erſte Arbeit meines
Lehramtes feierlich und oͤffentlich zuzueig-
nen und zu widmen.
Nicht
[]
Nicht allein meine perſoͤnliche Dank-
barkeit, wovon mein Herz gluͤht, ſon-
dern auch das lebhafteſte Gefuͤhl derſel-
ben in den Seelen des Vorſtandes und der
Lehrer der Kameral Hohenſchule macht
mir dieſes Werk zur Schuld und zum Op-
fer, das wir ſaͤmmtlich einem Staatsmi-
niſter bringen, den Vatter Karl Theo-
dors durchſchauendes Auge bei ſeinem
Abſchiede ſtatt Seiner ans Staatsruder
ſezte.
* 3Die
[]
Die Maͤnner, denen es Wonne iſt,
an der Kameral Hohenſchule dem Vatter-
lande reife Staatswirthe und Buͤrger zu
erziehen, vereinigen ihre Wuͤnſche mit
den meinigen, und wir bitten Euer Ex-
cellenz ſaͤmmtlich unterthaͤnigſt, nicht
nur dieſe wenige und vielleicht noch rohe
Gedanken dieſes Verſuches mit Gnade an-
zuſehen, ſondern auch unſere Hoheſchule
fernerhin mit Kraft zu ſchuͤzen, und vol-
lends beſtaͤttigen zu helfen. Wir ſchmei-
cheln uns mit dieſer wonnevollen Ausſicht
um deſto zuverſichtlicher, da wir uns des
felſen-
[] felſenfeſten Vorſazes bewußt ſind, daß wir
alle zuſammen Muth, Kraft und Leben
dazu verwenden wollen, damit unſer Jn-
ſtitut eins von unſers Durchlauchtig-
ſten Stifters nuͤzlichſten Werken wer-
den, und alſo die Namen aller derer ed-
len Deutſchen Maͤnner, die uns Daſeyn
und Kraft zu wirken ſchenkten, noch bei
der Nachwelt verehrt und geſegnet ſeyn
moͤgen, unter welchen dann Euer Ex-
cellenz hohes Andenken an ſeinem Plaze
als ein Stern von der erſten Groͤſe glaͤn-
zen wird.
* 4Jch
[]
Jch nehme die Freiheit Euer Excel-
lenz mich zu fernerem hohen Schuze und
Gnade mit aller Ehrfurcht zu empfehlen,
und lebenslang zu ſeyn
Hochgebohrner Reichsfreiherr
Gnaͤdiger Herr!
Euer Excellenz
1779.
unterthaͤnigſter Diener
Johann Heinrich Jung.
[]
Vorrede.
Als ich 1778 im Fruͤhjahre
den erſten Wink bekam,
daß man mich zum Lehrer
hieſiger Kameral Hohenſchule beſtimmen
wuͤrde, ſo durchdachte ich alle Bruchſtuͤ-
cke, die in meiner Seele hier und dort
zerſtreut lagen. Kaͤnntniſſe, die ich als
Knabe und Juͤngling im ganzen Umfan-
ge der Landwirthſchaft und Kunſtgewer-
be, und hernach auch als Gehilfe in der
Handlung eines groſen Mannes, der ein
maͤchtiger Landwirth und Fabrikant zu-
gleich war, endlich die ich vollends auf
der Univerſitaͤt in den Hilfswiſſenſchaften
zu den Gewerben nach und nach geſamm-
let hatte, lagen zerſtreut vor mir. Jzt
* 5fuͤhlte
[]Vorrede
fuͤhlte ich die groſe Pflicht zu unterſuchen,
wie weit ich einem ſo wichtigen Amte ge-
wachſen ſeyn wuͤrde. Jch ordnete zuſam-
men, raͤumte auf und entdeckte unterdeſ-
ſen, daß ich zwar mit allem dem, was
ich wuͤßte, gut anfangen, aber ſo nicht
vollenden wuͤrde, daß ich alſo mit Man-
neskraft wuͤrde arbeiten muͤſſen, um mich
mit Erkaͤnntniſſen zu bereichern. Und
alſofort faßte ich auch den unwiederrufli-
chen Schluß, meine ganze Lebenszeit auf
dieſen Zweck mit allen meinen Kraͤften zu
verwenden.
Das erſte alſo, was ich that, war:
mir dieſen Zweck recht bekannt, und aus-
fuͤhrlich anſchaulich zu machen, ich durch-
dachte das Ganze der Kameralwiſſenſchaf-
ten, und fand eine ſolche idealiſche Schoͤn-
heit, Wahrheit und Guͤte in dieſem gan-
zen Anblicke, ein ſo herrliches Bild, ein
Lehrgebaͤude, einen Zuſammenhang des
Einzelnen und des Ganzen, daß ich glaub-
te: es koͤnne ſich keine Wiſſenſchaft in
der Welt, auſer der Mathematik, eines
ſolchen herrlichen Planes ruͤhmen. Die-
ſe unvergleichliche Schoͤnheit betrachtete
ich
[]Vorrede
ich mit geizigen Blicken, um alles an ihr
zu entdecken, was zum Weſen ihres Ka-
rakters gehoͤrte, und ſo druͤckte ſich dies
Bild tief meiner Seele ein.
Nachdem ich verwichenen Herbſt mei-
nen Beruf wirklich empfangen hatte, und
hier ankam, ſo waren ſchon alle Collegia
beſezt, und mir blieb alſo Zeit uͤber, nebſt
andern zur Sache gehoͤrigen, mir aufge-
tragenen Geſchaͤften, mich auf meinen
Beruf mit allem Fleiſe anzuſchicken und
vorzubereiten.
Man hatte ſchon eine Zeit her wahr-
genommen: daß ſowohl das Publikum, als
auch die neuen hier ankommenden Juͤng-
linge, ſich von der Kameral-Hohenſchu-
le einen falſchen Begriff gemacht hatten,
ohngeachtet der vor ein paar Jahren her-
ausgegebene Plan die Sache deutlich ent-
wickelt. Jeder glaubte hier nichts anders,
als das eigentliche Kameralweſen ſtudiren
zu koͤnnen, und man wunderte ſich, wenn
man im Hoͤrſaale Naturgeſchichte, Phy-
ſik, Chymie u. ſ. w. erklaͤren hoͤrte. Zu-
dem glaubte der Vorſtand und die Lehrer
unſerer Hohenſchule den Juͤnglingen ihr
Stu-
[]Vorrede
Studium zu erleichtern, und ihre Kaͤnnt-
niſſe tiefer gruͤnden zu koͤnnen, wenn ſie
den Lehrgang allhier von zwei Jahren auf
drei ausdehnten; denn durch die Errich-
tung eines neuen Lehrſtuhles gewonnen
alle andere Lehrer Zeit und Raum, ſich
in ihren Faͤchern weiter auszubreiten.
Aus dieſem Grunde entſchloß man
ſich, einen ſummariſchen Entwurf des
ganzen Zuſammenhanges unſerer Wiſſen-
ſchaften herauszugeben, darinnen zu zei-
gen, wie alles Einzelne zuſammenhaͤngt
und ein groſes Ganzes ausmacht, und
uͤber dieſen Entwurf von Zeit zu Zeit den
Juͤnglingen Leſeſtunden zu halten. Man
hoft dadurch den Ankommenden ihren gan-
zen Weg abzuzeichnen, damit ſie deſto
munterer fortwandern koͤnnen, den Ab-
gehenden aber wuͤrde ein ſolcher Entwurf
ein kurzes Wiederholungscollegium ſeyn
koͤnnen.
Da ich nun dieſen Winter am wenig-
ſten beſchaͤftiget war, ſo uͤbertrug man
mir die Bearbeitung dieſes Entwurfes ſo-
wohl, als auch die Leſeſtunden daruͤber
zu halten. Jch uͤbernahm’s ganz willig,
weil
[]Vorrede
weil ich ſelbſt dadurch auf die beßte Wei-
ſe in mein Amt eingeleitet wurde.
Und ſo gieng ich ans Werk; ich ſtell-
te mir mein ehmaliges Bild wiederum leb-
haft vor, ſezte mich hin, und ſuchte es
ſo gut zu kopiren, als ich konnte. Dar-
aus iſt nun dieſes Leſebuch entſtanden.
Jch weis gar wohl, und ich geſtehe
offenherzig, daß Wiederholungen und
Auslaſſungen, wahre und unreife Saͤze
vielleicht mit untergemiſcht ſeyn koͤnnen.
Allein meine Zuhoͤrer mußten einen Leit-
faden haben, den ſie nicht ſo ſehr wegen
ſeiner Grundſaͤze, als vielmehr wegen
ſeiner Ordnung beduͤrften: und dieſe hoffe
ich ſoll in meinem Verſuche unverbeſſer-
lich ſeyn.
Schade iſts fuͤr unſere Zeiten, daß
man Leſebuͤcher, Skizen, Verſuche
und Riſſe von Lehrgebaͤuden ausziſcht!
Die Sonne der Wahrheit bricht hinter
dem Lichtmeere der Erfahrungen hervor,
mit der Zeit tagts, und es wird tagen,
und ſo verſchwinden alle Verſuche
von Lehrgebaͤuden vom hohen Lin-
ne an, bis auf die Meinigen herun-
ter.
[]Vorrede
ter. Die erhabene Wahrheit ſteht da im
Glanze des Lichtes. Was brauchts dann
Jdole, Kopien. Da iſt das Original —
Erfahrung bleibt ewig. Anſchauung der
Wahrheit, und Gehorſam an ihr heili-
ges Geſez, iſt Gottesdienſt. Denn die
Wahrheit iſt goͤttlich, und Gott iſt die
Wahrheit.
Jndeſſen muͤſſen wir Lehrer doch ei-
nen Weg, ein Lehrgebaͤude haben, nach
dem wir die Wahrheit ordnen? Wohl!
ein jeder mache ſich eins, ſo gut er kann,
wer der erſte auf dem Gipfel iſt, den
ſchon die Sonne vergoldet, der ſei der
beßte Mann.
der Verfaſſer.
[]
Jnhalt.
- Erſter Abſchnitt. Allgemeine Grund-
lehre.
Einleitung 1
Allgemeine Beduͤrfnißlehre 4
Allgemeine Produktenlehre 15
Allgemeine Gewerbwiſſenſchaft 28
Allgemeine Haushaltungswiſſenſchaft 31
Allgemeine Buchhaltungslehre 42 - Zweiter Abſchnitt. Grundlehre der buͤr-
gerlichen Gewerbkunde. 47
Allgemeine Landwirthſchaft 48
Allgemeine Kunſtwirthſchaft 92
Allgemeine Kunſtwiſſenſchaft 93
Kunſt-
[]Jnhalt
Seite
Kunſtwirthſchaftliche Haushaltung 116
Allgemeine Handlungswirthſchaft 131
Allgemeine Handlungswiſſenſchaft 133
Allgemeine Handlungshaushaltung 158 - Dritter Abſchnitt. Grundlehre der Staats-
gewerbkunde.
Allgemeine Staatsgewerbkunde 176
Allgemeine Staatswiſſenſchaft 178
Staatshaushaltung 237
Ruckblick aufs Ganze.
[[1]]
Erſter Abſchnitt.
Allgemeine Grundlehre
Einleitung.
§. 1.
Kameralwiſſenſchaften nennt man dasje-
nige Lehrgebaͤude, welches die Lehrſaͤze
enthaͤlt, wornach die Einkuͤnfte des Fuͤrſten
und des Staates erworben, und zum Beß-
ten beider angewendet werden. Da dieſe
Einkuͤnfte oder Schaͤze, in, zu dieſem Zweck
beſtimmten Kammern, aufbewahret werden,
ſo iſt daher der Name Kameralwiſſenſchaft
entſtanden.
§. 2. Wiſſenſchaft heißt ein wohlgeord-
neter Zuſammenhang von Saͤzen, deren im-
Amer
[2]Einleitung
mer einer aus dem andern folgt, und wo der
folgende durch die vorhergehenden bewieſen
wird. Sie macht daher ein Geſchlecht von
Wahrheiten aus, die ſich alle auf einen ge-
wiſſen allgemeinen groſen Endzweck beziehen.
Die Quelle, woraus die Wahrheit eines Sa-
zes fließt, heißt man einen Grund oder
Grundſaz. Die Verkettung dieſer Grund-
ſaͤze zu einem Lehrgebaͤude heißt eine Grund-
lehre. Folglich iſt die Grundlehre der Ka-
meralwiſſenſchaften dasjenige Lehrgebaͤude,
welches die Quellen der Wahrheit enthaͤlt, aus
welchen dieſe Wiſſenſchaften und ihre Lehrſaͤ-
ze erkannt und erwieſen werden muͤſſen.
§. 3. Die Einkuͤnfte des Fuͤrſten und des
Staates entſpringen faſt ganz aus den Abga-
ben der erwerbenden Glieder des Staates.
Das Gewerb des Fuͤrſten und des Staates
beſteht alſo in dem Erwerben der Abgaben
aus allen Gewerben. Die Abgaben koͤnnen
ohne Kaͤnntniß der Gewerbe und ihres Er-
trages nicht beſtimmt werden. Die Gewerbe
ſind die Heiſcheſaͤze, aus denen die Auf-
gaben der Einkuͤnfte des Staates aufgeloͤßt
werden
[3]Einleitung
werden muͤſſen. Da nun die Kameralwiſ-
ſenſchaft die Saͤze enthaͤlt, wornach das Ge-
werb des Fuͤrſten und des Staates eingerich-
tet werden muß, keine Wiſſenſchaft aber oh-
ne Gruͤnde ſeyn kann, ſo gruͤndet ſich die
Kameralwiſſenſchaft auf die Gewerbwiſ-
ſenſchaft der Staatsbuͤrger; keiner kan
deswegen ein guter Kameraliſt ſeyn, der
leztere nicht aus dem Grunde kennt.
§. 4. Die Gewerbwiſſenſchaft iſt mit der
Kameralwiſſenſchaft unzertrennlich verbun-
den, lezte kann ohne die erſte nicht ſeyn. Da
es nun eine ſchon verjaͤhrte Gewohnheit iſt,
von dem Vornehmſten eine Sache zu benennen,
ſo iſt es nicht ungeſchickt, wann man die Ge-
werbwiſſenſchaft in ihrem ganzen Umfange die
Kameralwiſſenſchaften nennt.
§. 5. Alle Staatsbuͤrger vom Fuͤrſten bis
zum geringſten Glied des Staates haben ein
Gewerb; da nun ein jedes Gewerb, oder
Beſtreben nach Dingen, die wir zu beſizen
wuͤnſchen, einen Mangel vorausſezt, ſo muß
ein jeder Menſch einen Mangel haben, den
er zu heben bemuͤht iſt. Hier entſteht der Be-
griff von Beduͤrfniſſen.
A 2All-
[4]Allgemeine
Allgemeine Beduͤrfniß-Lehre.
§. 6. Beduͤrfniß iſt: wenn man ein Ver-
langen nach einem Dinge bei ſich empfin-
det, das man nicht beſizt. Es iſt aber in
Abſicht auf den, der das Verlangen hat, nur
Beduͤrfniß. Das Gefuͤhl des Mangels ſelbſt
nenne ich Beduͤrfniß, das Ding aber, wel-
ches den Mangel heben kann, ein Gut, ein
Befriedigungsmittel.
§. 7. Jeder Menſch iſt den Gefuͤhlen des
Mangels unterworfen, allein beide, ſowohl
die Gefuͤhle als der Mangel, ſind ſehr ver-
ſchieden: es gibt koͤrperliche (phyſiſche) Ge-
fuͤhle, vermittelſt welcher der Menſch den
Mangel ſolcher Dinge empfindet, die zu ſei-
nem Leben und Daſeyn weſentlich noͤthig
ſind, und dieſes ſind weſentliche Beduͤrf-
niſſe, ſie erheiſchen Nahrung, das iſt Speis
und Trank, und Decke, das iſt Kleidung
und Wohnung. Die Gefuͤhle ſind Hunger
und Durſt, Froſt und Hize.
§. 8. Wenn man den Menſchen ſehen will,
wie er im bloſen Zuſtande der koͤrperlichen
Gefuͤhle und der weſentlichen Beduͤrfniſſe
han-
[5]Beduͤrfniß-Lehre
handelt, ſo muß man die Geſchichte der
Menſchheit forſchen, und den Menſchen be-
obachten, wie er im roheſten Zuſtande han-
delt. Die Wilden ſind mehr oder weniger
dieſem Stande nahe, kein Volk aber iſt in
ſeiner voͤlligen Kindheit bekannt.
§. 9. Ein Menſch, der ſeine weſentliche
Beduͤrfniſſe gar nicht befriedigen kann, hoͤrt
bald auf zu leben. Wer ſie nicht voͤllig be-
friedigen kann, iſt arm. Wer ſie aber voll-
kommen befriedigen kann, der hat ſein Aus-
kommen.
§. 10. Die ſinnlichen Werkzeuge des Men-
ſchen ſind ſo eingerichtet, daß die erſchaffenen
Dinge auf ſie wirken, in dieſem Wirken aber
zugleich Veraͤnderungen in der Seele hervor-
bringen, die entweder Vergnuͤgen oder
Verdruß heißen, erſtes wird vom Menſchen
verlangt, leztes vermieden. Verlangen nach
Vergnuͤgen, wohin auch die Vermeidung des
Verdruſſes gehoͤrt, iſt Empfindung eines Man-
gels, mithin Beduͤrfniß. Da aber dieſer
Mangel nicht weſentlich, ſondern nur zufaͤl-
lig iſt, ſo ſind die Beduͤrfniſſe des Vergnuͤ-
A 3gens:
[6]Allgemeine
gens: Zufaͤllige Beduͤrfniſſe, ſie ſchlieſen
alle Beduͤrfniſſe in ſich, die nicht weſentlich
ſind.
§. 11. Unter dem Daſeyn (Exiſtenz) des
Menſchen, verſtehe ich nicht nur das bloſe
Leben desſelben, ſondern auch ſein Weben,
wie er lebt, oder ſeinen ganzen Wirkungs-
kreis. Das erſte nenne ich das bloſe Da-
ſeyn, und dahin gehoͤren die weſentlichen
Beduͤrfniſſe. Das zweite nenne ich das er-
hoͤhte Daſeyn (Erhoͤhung der Exiſtenz) und
dieſes fodert zufaͤllige Beduͤrfniſſe.
§. 12. Die Erhoͤhung des Daſeyns be-
ſteht in Ausbreitung und Veredlung des
Wirkungskreiſes, dieſes geſchieht durch eine
gewiſſe Richtung zu dem groſen Zwecke: ſich
und ſeine Nebenmenſchen ſo weſentlich
und dauerhaft gluͤckſelig zu machen, als
es nur moͤglich iſt. Dieſe Gluͤckſeligkeit be-
ſteht in einem dauerhaften Vergnuͤgen, das
die Leibes- und Seelenkraͤfte verbeſſert, und
auf die hoͤchſte Stuffe der Vollkommenheit
und des Genuſſes zu fuͤhren faͤhig iſt.
§. 13.
[7]Beduͤrfniß-Lehre
§. 13. Diejenigen erſchaffenen Dinge,
welche ein Vergnuͤgen hervorbringen, ſind
ſchoͤn; welche aber auch zugleich die Leibes-
und Seelenkraͤfte vollkommener machen, die
ſind auch gut. Die Schoͤnheit und Guͤte
der Dinge kann in der That und Wahr-
heit dem Zwecke der wahren Gluͤckſeligkeit
entſprechen, und in dieſem Falle ſind ſie wah-
re Schoͤnheit, wahre Guͤte, das Verlan-
gen nach denſelben iſt edel, folglich ſind die
Beduͤrfniſſe dieſer Dinge nuͤzlich, und ver-
dienen befriediget zu werden.
§. 14. Wenn der Wirkungskreis eines
Menſchen, eines Volkes oder Staates, in die-
ſer Richtung wirkt, ſo geht ſeine Jnduſtrie,
ſeine Cultur, den Gang der wahren Verfei-
nerung, zur Gluͤckſeligkeit. Jch kann alſo
die Beduͤrfniſſe, welche dahin zielen, erhoͤ-
hende Beduͤrfniſſe nennen, ſie ſind zwar
zufaͤllig, aber weſentlich nuͤzlich. Die Ge-
ſchichte der Menſchheit zeigt Menſchenvoͤlker
und Staaten in Juͤnglings- und Maͤnnerjah-
ren, wo ſie mehr oder weniger Vollkommen-
heit und wahre Richtung zum Zwecke der Ver-
feinerung haben.
A 4§. 15.
[8]Allgemeine
§. 15. Wenn man Vergnuͤgen an Din-
gen empfindet, welche zur wahren Gluͤckſelig-
keit nichts beitragen, und alſo nicht wahr,
ſondern falſch, gut und ſchoͤn ſind, ſo
iſt das Vergnuͤgen uͤppig. Daher ſind
die Gefuͤhle und Verlangen nach dem fal-
ſchen Guten und Schoͤnen: uͤppige Beduͤrf-
niſſe. Weilen die Befriedigung derſelben
keinen wahren, ſondern falſchen Genuß mit
ſich fuͤhrt, in der Natur des Menſchen kei-
nen Grund hat, und doch an den Wirkungs-
kraͤften zehret, ſo richtet die Ueppigkeit (der
Luxus) Menſchen, Voͤlker und Staaten zu
Grunde. Die Geſchichte der Menſchheit be-
weißt, das durch die Schickſale der Staaten,
welche ihre Verfeinerung in die Ueppigkeit
lenkten, erſchlaften, weich, entnerft, wei-
biſch wurden, ohnmaͤchtig hinfielen und zer-
truͤmmerten. Wahres Greiſenalter der
Menſchheit, wo ſie wieder kindiſch wird,
aber affenmaͤſig nicht mit Kraft!
§. 16. So wie die weſentlichen Beduͤrf-
niſſe aus koͤrperlichen Gefuͤhlen entſtehen,
ſo entſpringen beide Gattungen der Zufaͤlli-
gen,
[9]Beduͤrfniß-Lehre
gen, erhoͤhende und uͤppige Beduͤrfniſſe aus
ſeeliſchen oder geiſtigen Gefuͤhlen.
§. 17. Ein jeder Menſch iſt ein einzelnes
Weſen, er unterſcheidet ſich durch gewiſſe
Merkmale von allen andern in der Welt, und
dahin gehoͤrt auch, daß er in allen dreien
Gattungen der Beduͤrfniſſe, ſeine von allen
andern verſchiedene Geſuͤhle hat, mithin
Dinge zu ſeiner Befriedigung verlangt, die
ein anderer nicht verlangt. Dieſe Gefuͤhle,
abgezogen von den allgemeinen Gefuͤhlen der
Menſchheit in gleichen aͤhnlichen Faͤllen, nennt
man den einzelnen (individuellen) Ge-
ſchmack.
§. 18. Jeder Menſch hat auch Hang zur
Veraͤhnlichung, zur Einheit mit andern Men-
ſchen, wenn er daher an andern etwas
entdeckt, das ihm ſchoͤn und gut deucht, ſo
fuͤhlt er Verlangen nach demſelben, er macht
ſich dasſelbe zum Beduͤrfniß, daher entſteht
A 5Nach-
[10]Allgemeine
Nachahmung, Mode, Modeſucht, all-
gemeine Verfeinerung, aber auch allge-
meiner Luxus. Dieſe Gefuͤhle abgezogen
von den Gefuͤhlen des einzelnen in aͤhn-
lichen Faͤllen, heißt man den herrſchenden
Geſchmack. Der einzelne und der herr-
ſchende Geſchmack zuſammen, beſtimmen die
Richtung des Wirkungskreiſes eines Men-
ſchen, Volkes oder Staates.
§. 19. Der Geſchmack ordnet die Beduͤrf-
niſſe, waͤhlt er das wahre Gute und Schoͤne,
ſo iſt der Geſchmack wahr, im Gegentheile
aber falſch; er iſt auch zugleich der herr-
ſchende Zug des Characters. Am Geſchmacke
kennt man Menſch und Nation.
§. 20. Die voͤllige Befriedigung der we-
ſentlichen und erhoͤhenden Beduͤrfniſſe, unter
der Leitung des wahren Geſchmackes fuͤhrt zur
wahren Gluͤckſeligkeit. Da aber der Menſch
vermoͤg der Geſeze der Religion und der Welt-
weisheit verbunden iſt: nicht allein ſeine ei-
gene,
[11]Beduͤrfniß-Lehre
gene, ſondern auch des Nebenmenſchen
Gluͤckſeligkeit zu befoͤrdern, ſo muß er
auch unter Leitung des wahren Geſchmackes,
des Nebenmenſchen Beduͤrfniſſe voͤllig zu be-
friedigen ſuchen.
§. 21. Zu Befriedigung eigener Beduͤrf-
niſſe leitet die Natur, und hieran hat der
Menſch den richtigen Maasſtab, nach wel-
chem er auch ſeines Nebenmenſchen Beduͤrf-
niſſe befriedigen ſoll. Doch hat ein Neben-
menſch mehr Anſpruch auf unſern Beiſtand
als der andere. Es gibt Menſchen, die durch
mich ihr Daſeyn empfangen haben, oder
die mein Daſeyn erhalten oder erhoͤhen,
hieher gehoͤren alle Menſchen, inſoweit ſie zu
Befriedigung meiner eigenen Beduͤrfniſſe et-
was beigetragen haben, oder noch beitragen.
§. 22. Menſchen, die durch einen ande-
ren Menſchen das Daſeyn erhalten, ſind
Kinder: lezterer iſt durch das Geſez der Na-
tur verpflichtet ihre Beduͤrfniſſe ſo vollkom-
men zu befriedigen, als er kann. Ein Eh-
gatte iſt des andern anderes Jch: das Recht
der Natur fodert wechſelſeitige Befriedigung
der
[12]Allgemeine
der Beduͤrfniſſe nach moͤglicher Vollkommen-
heit. Die Eltern haben mein Daſeyn er-
halten und erhoͤht, das Recht der Natur fo-
dert, daß ich auch ihre Beduͤrfniſſe wie mei-
ne eigene befriedige. Dieſe Verhaͤltniſſe zu-
ſammen begreift der Hausſtand, oder die
Geſchlechts Geſellſchaft in ſich.
§. 23. Auch die Menſchen, mit denen man
in einer gemeinſchaftlichen Beziehung
ſteht, haben die Foderung an uns, die wir
an ſie haben, es gibt da gemeinſchaftliche Be-
duͤrfniſſe, gemeinſchaftliche Befriedigungen
derſelben. Da hilft einer des andern Daſeyn
erhalten und erhoͤhen, folglich iſt ein jeder
zu Befriedigung der gemeinſchaftlichen Be-
duͤrfniſſe verbunden. Hieher gehoͤren alle
buͤrgerliche Geſellſchaften.
§. 24. Die Menſchen ſtoſen leicht und oft
auf mancherlei Weiſe, entweder aus Unwiſ-
ſenheit oder aus Bosheit, oder aus beiden
Urſachen zugleich, gegen das Recht der Na-
tur an; ſie ſuchen oft die Befriedigung ihrer
Beduͤrfniſſe auf Unkoſten ihrer Nebenmen-
ſchen, daher ſind Schranken noͤthig, welche
einem
[13]Beduͤrfniß-Lehre
einem jeden bezeichnen, wie weit er wirken,
und wie er wirken ſoll. Dieſe Schranken
nennt man Geſeze. So viele Menſchen, Ge-
ſchlechts- und buͤrgerliche Geſellſchaften zum
Gehorſam gegen ein Geſez und geſezgebende
Macht verbunden ſind, ſo viele Mitglieder
ſind durch eben dieſes Geſez in eine Geſell-
ſchaft vereinigt, welche man einen Staat
nennt.
§. 25. Alle Staatsglieder genieſen alſo
Schuz gegen alle Gewaltthaͤtigkeit, von der
geſezgebenden Macht, ſie erhalten Geſeze,
wodurch die Befriedigung ihrer Beduͤrfniſſe
erleichtert, folglich ihr Daſeyn erhalten
und erhoͤht wird, dieſes ſind Staatsbeduͤrf-
niſſe, die von der geſezgebenden Macht be-
friedigt werden muͤſſen. Hingegen hat auch
die geſezgebende Macht Beduͤrfniſſe, welche
nicht nur die Erhaltung und Erhoͤhung ihres
Daſeyns, ſondern auch die Moͤglichkeit der
Befriedigung der Staatsbeduͤrfniſſe zum Ziele
haben, und hierzu ſind wiederum alle Glie-
der des Staates verbunden.
§. 26.
[14]Allgemeine Beduͤrfniß-Lehre
§. 26. Der Menſch hat alſo einzelne (po-
ſitive) und geſellſchaftliche (relative) Be-
duͤrfniſſe, jene geben das Muſter, den Maas-
ſtab der lezteren ab. Endlich erfodert auch noch
das Geſez der Liebe, fuͤr die Beduͤrfniſſe des
Armen zu ſorgen, und dieſes iſt eine von den
wichtigſten Pflichten in Befriedigung der ge-
ſellſchaftlichen Beduͤrfniſſe.
§. 27. Alle bisher vorgelegte Saͤze ſind
Grundſaͤze, und zwar die erſten entfernteſten
der Kameralwiſſenſchaften, allein ſie ſind doch
Lehrſaͤze in Abſicht auf die Quellen, woraus
ſie geſchoͤpft ſind, und dieſe enthaͤlt die Welt-
weisheit. Die Vernunftlehre leitet die
Kraͤfte des Verſtandes zur Erkaͤnntniß der
Wahrheit. Die Grundlehre enthaͤlt die er-
ſten Gruͤnde der Erkaͤnntniß der erſten Din-
ge, der Koͤrper, der Welt, der Geiſter, der
Seelen und Gottes. Die Sittenlehre, das
Natur- und Voͤlkerrecht endlich machen die
ausuͤbende Weltweisheit aus, ſo wie jene
die betrachtende (theoretiſche) in ſich be-
greifen.
§. 28. Die Weltweisheit iſt, wie aus vor-
hergehendem leicht zu beweiſen, der Grund
aller Gelehrſamkeit, vorzuͤglich aber auch der
Kameralwiſſenſchaften, und da die erſten
Grundbegriffe Folgeſaͤze aus der Weltweis-
heit ſind, ſo iſt ſie die erſte Hilfswiſſenſchaft,
und muß vor allen andern zuerſt ſtudirt wer-
den.
§. 29. Zugleich aber ſind auch verſchiede-
ne der vorhergehenden Saͤze auf Erfahrun-
gen aus der Geſchichte der Menſchheit ge-
gruͤndet, auch dieſe waͤre ein herrliches phi-
loſophiſches Studium, wenns nur fein bald
geordnet waͤre.
Allgemeine Produkten-Lehre.
§. 30. Alle Beduͤrfniſſe zuſammen, we-
ſentliche, erhoͤhende, uͤppige, einzelne und
geſellſchaftliche, geleitet durch den wahren
oder
[16]Allgemeine
oder falſchen, einzelnen oder herrſchenden
Geſchmack am aͤchten oder am falſchen Schoͤ-
nen und Guten, hingeordnet, in eins ge-
faßt und uͤberſchaut, machen den groſen
Grundtrieb aus, der die Wirkungskreiſe al-
ler einzelnen Menſchen und aller Geſellſchaf-
ten in Bewegung ſezt, um die Gegenſtaͤnde
zu erlangen, die alle dieſe Beduͤrfniſſe befrie-
digen koͤnnen.
§. 31. Alle dieſe Gegenſtaͤnde werden von
der Natur nach beſtaͤndigen, von dem all-
maͤchtigen Schoͤpfer eingegruͤndeten Geſezen
hervorgebracht. Sie ſind alle Koͤrper, ha-
ben alle koͤrperliche Eigenſchaften, und beſte-
hen aus Grundſtoffen. Sie werden durch
bewegende Kraͤfte geordnet, in Umlauf
und Leben geſezet, und endlich wieder in ih-
re erſte Grundſtoffe aufgeloͤßt. Die erſten
Grundſtoffe ſind Erde, Waſſer, Luft und
Feuer.
§. 32. Die Erde iſt die eigentliche Mut-
ter aller Gegenſtaͤnde, aller Befriedigungs-
mittel, ſie bringt hervor, naͤhrt, traͤgt ſie,
und nimmt endlich ihre durch die Aufloͤſung
zer-
[17]Produkten-Lehre
zertrennte Theile wieder in ihren Schoos zu-
ruͤck, aus welchem ſich dann ein jedes Ele-
ment wiederum das Seinige zueignet. Aus
dieſen Gruͤnden hab’ ich Urſache, alle Befrie-
digungsmittel, wie auch alles, was die Na-
tur auf und in der Erde hervorbringt, Erd-
erzeugungen (Erdprodukten) zu nennen.
§. 33. Das Waſſer iſt beweglicher als die
Erde, es gibt den Grund aller Nahrungs-
ſaͤfte der Erderzeugungen ab, und laͤßt alle
Beſtandtheile derſelben mit ſich vermiſchen.
Es muß deswegen uͤberall der Erde mitge-
theilet, und in ihren Schoos ausgeſchuͤttet
werden, auf daß es mit derſelben vermiſcht,
uͤberall den Nahrungsſaft aller Erzeugungen
abgeben koͤnne. Dieſe allgemeine Austhei-
lung des Waſſers geſchieht durch einen hoͤchſt-
wunderbaren und mit hoͤchſter Weisheit einge-
richteten Kreislauf desſelben, der durch die
Waͤrme und Bewegung der Luft zuwege ge-
bracht und unterhalten wird.
§. 34. Die Luft iſt beweglicher als das
Waſſer, ſie umgibt den ganzen Erdkoͤrper,
vermiſcht ſich in die Zuſammenſezung aller
BErd-
[18]Allgemeine
Erderzeugungen, heißt in dieſem Zuſtande
feſte Luft, traͤgt zu ihrer innern und aͤuſern
Bildung und Bau vieles bei, iſt der Grund
der Lockerheit (Poroſitaͤt) der Koͤrper, iſt
die Urſache des Windes, und durch ihre Be-
wegung regiert ſie die fruchtbare Begieſung
des Erdbodens.
§. 35. Das Feuer, als Element und wirk-
ſame Urſache in der Natur betrachtet, hat
vornehmlich ſeinen Siz in der Sonne, es iſt
das allerbeweglichſte Element, ja die Urſache
des Lebens der Erderzeugungen, wenigſtens
groͤſten Theils, es wirkt auf die Luft, mit
derſelben aufs Waſſer, mit beiden auf die
Erde, mit allen dreien auf die Erderzeugun-
gen, und bringt ſolcher Geſtalt Leben und
Bewegung in die ganze Natur.
§. 36. Dieſe vier Grundſtoffe bilden noch
nicht unmittelbar die Erderzeugungen; es
gehen Mittelſtoffe vorher, welche zunaͤchſt
aus den Elementen entſtehen, mit denſelben
vereinigt wirken, und alsdann erſt ſich zum
Nahrungsſafte zuſammen vermiſchen. Sie
erzeugen auf eine unbekannte und unbegreif-
liche
[19]Produkten-Lehre
liche Weiſe, erſtlich eine allgemeine Saͤure,
welche das Salz der Natur genannt wird;
dieſes verartet ſich im Waſſer in die Meer-
ſalzſaͤure, in der Erde in die Mineral-
ſaͤuren, in den Gewaͤchſen in die Gewaͤchs-
ſaͤure (vegetabiliſches Acidum). Ueberall fin-
det dieſe Saͤure etwas, womit ſie ſich ver-
miſcht, und welches ihre Strenge mildert.
Sie dient zur Vermiſchung verſchiedener
Materien mit dem Waſſer, desgleichen auch
zur Ausbildung verſchiedener Eigenſchaften
der Erzeugungen.
§. 37. Der andere Mittelſtof, welcher
von den Elementen hervorgebracht, und zur
Bildung der Erderzeugungen gebraucht wird,
iſt der Feuerſtof (Phlogiſton). Dieſer ver-
artet ſich vermittelſt der Naturſaͤure und Waſ-
ſer zu Oel, mit den Mineralſaͤuren zu Schwe-
fel, und unter dieſen Geſtalten kommt er
haͤufig als Beſtandtheil mit in die Erderzeu-
gungen.
§. 38. Die Erkaͤnntniß dieſer Grund- und
Mittelſtoffe iſt ohne Widerrede demjenigen
ſehr noͤthig, der die Eigenſchaften der Erd-
B 2erzeu-
[20]Allgemeine
erzeugungen forſchen will: denn dieſe gruͤnden
ſich unfehlbar auf jene. Da aber nun die
Erkaͤnntniß der Erzeugungen als Befriedi-
gungsmittel der Beduͤrfniſſe dem Kamerali-
ſten beſonders obliegt, ſo iſt ihm auch die
Erkaͤnntniß der Grund- und Mittelſtoffe ſehr
nothwendig. Dieſe lehrt aber die Natur-
kunde (Phyſik) und die Scheidekunſt (Che-
mie): folglich ſind dieſe Hilfswiſſenſchaften
dem Kameraliſten unentbehrlich.
§. 39. Alle Erderzeugungen ſind Koͤr-
per; inſofern aber als ſie das ſind, haben ſie
Ausdehnung und Maſſe, in Anſehung der
Verhaͤltniſſe unter einander: in Abſicht auf
die Vielheit, entſteht ihre Zahl, in Abſicht
auf die Ausdehnung: ihre Groͤſe, und in
Abſicht auf ihre Maſſe: ihr Gewicht. Alle
dieſe Verhaͤltniſſe beſtimmt die reine Mathe-
matik. Da nun Zahl, Maas und Gewicht
bei Befriedigung der Beduͤrfniſſe durch die
Erderzeugungen immer fort beſtimmt werden
muß, ſo iſt die reine Mathematik eine von
den erſten und noͤthigſten Hilfswiſſenſchaften
auf der Kameralſchule.
§. 40.
[21]Produkten-Lehre
§. 40. Die Grund- und Mittelſtoffe ge-
ben die Beſtandtheile her, auch ſind ſie eine
von den Haupturſachen des Lebens, Fort-
dauerns und der Aufloͤſung, oder des Aufhoͤ-
rens der Erderzeugungen; allein ſie ſind noch
nicht die hervorbringende Urſache derſel-
ben, ſondern mit dieſer vereinigt, machen
ſie erſt den zureichenden Grund des ganzen
Daſeyns der Erzeugungen aus. Jedes Ge-
ſchlecht, jede Gattung, jede Art und jedes
Einzelne, hat das Vermoͤgen, durch Hilfe
des zureichenden Grundes ſich ſelbſt aͤhnli-
che Dinge hervorzubringen, und dieſelbe zu
erzeugen.
§. 41. Durch Hilfe der zureichenden Ur-
ſache, wird nun die Erde eine fruchtbare
Mutter von ſehr vielen und vielfaͤltigen Er-
zeugungen, ſie iſt damit angefuͤllt. Unter
ihrer Oberflaͤche, in derſelben und auf der-
ſelben traͤgt und ernaͤhrt ſie deren eine unzaͤhl-
bare Menge.
§. 42. Diejenigen Erzeugungen, welche
unter der Erdoberflaͤche entſtehen, fortdanern
und aufgeloͤſet werden, machen eine beſondre
B 3Ord-
[22]Allgemeine
Ordnung aus, die man das Steinreich
nennt. Die Natur bringt da ſehr viele Ar-
ten von Geburten hervor, die von der ein-
fachſten Erde an, bis zum edelſten Mineral
und bis zum koſtbarſten Steine, ſtuffenweis
fortgehen. Desgleichen; die vom einfach-
ſten Baue der ſchlichten Zuſammenfuͤgung ein-
facher Erdtheilgen zum ſchlechten Sandſtein
bis zu den kuͤnſtlichſten Steingewaͤchſen
und Cryſtalliſationen, die dem Gewaͤchs-
reiche, und in Schaalenthieren u. dg. auch
dem Thierreiche nahe kommen, kettenweis
an einander haͤngen.
§. 43. Dieſes Steinreich enthaͤlt alſo in
die Laͤnge und Breite ſehr vielerlei Arten von
Erzeugungen, die auf mannigfaltige Weiſe
zu Befriedigung der Beduͤrfniſſe verwendet
werden. Dieſe Anwendung richtet ſich nach
der Natur und Beſchaffenheit der Erzeugun-
gen, folglich muß man dieſe Eigenſchaften
kennen. Es iſt alſo wiederum eine Wiſſen-
ſchaft noͤthig, welche lehret: wie die Erzeu-
gungen des Steinreiches entſtehen, fortdau-
ren und aufhoͤren. Desgleichen einer jeden
Art,
[23]Produkten-Lehre
Art, Zuſammenſezung, innerliche und aͤuſer-
liche Beſchaffenheiten, endlich auch die Zei-
chen, wodurch ſie ſich von allen andern un-
terſcheidet; dieſe Wiſſenſchaft nennt man die
Minerallehre (Mineralogie).
§. 44. Diejenigen Erzeugungen, welche
in der Erdoberflaͤche gebohren werden, an
einem gewiſſen Orte derſelben beſtaͤndig ange-
heftet bleiben, groͤſten Theils ihre Nahrung
aus derſelben an ſich ſaugen, uͤbrigens aber
in der Luft leben, und die unmittelbare Ein-
wirkung des Himmels noͤthig haben, nennt
man Pflanzen; ſie machen ebenfalls eine be-
ſondere Ordnung aus, die das Pflanzen-
reich genennt wird, aus unzaͤhlbaren Arten
beſteht, und wiederum bei den mineraliſchen
Gewaͤchſen an das Steinreich, bei den Po-
lypen aber an das Thierreich graͤnzt. Auch
hier geht die Natur wiederum ſtuffenweis fort,
von dem unachtbarſten Haͤlmgen zu der praͤch-
tigſten Blume, und von der faſt ſteinarti-
gen Pflanze bis zu dem kuͤnſtlichſten Gewaͤch-
ſe, das ans Thier graͤnzt.
B 4§. 45.
[24]Allgemeine
§. 45. Das Pflanzenreich enthaͤlt alſo
abermal in ſeiner Kette nach der Laͤnge und
Breite, eine unzaͤhlbare Menge von unterſchie-
denen Gewaͤchsarten in ſich, die ebenfalls
mehr oder weniger zu Befriedigung der Be-
duͤrfniſſe verwendet werden, folglich aus eben
dem Grunde eine Kaͤnntniß ihres Entſtehens,
ihres Lebens und Aufhoͤrens, nicht weniger
auch ihrer Natur und Eigenſchaften, des-
gleichen ihrer Unterſcheidungszeichen, vor-
ausſezen, die dem Kameraliſten noͤthig iſt.
Dieſe Erkaͤnntniß enthaͤlt die Pflanzenlehre
(Phytologie).
§. 46. Diejenigen Erzeugungen, welche
ſich uͤber der Erdoberflaͤche hin und her bewe-
gen, nicht von der Erde unmittelbar, ſon-
dern aus ihren Erzeugungen Nahrung ziehen,
die ſie, durch ſinnliche Empfindungen gelei-
tet, ſelbſten aufſuchen, werden Thiere ge-
nannt, ſie machen wiederum eine weit aus-
gedehnte Ordnung aus, welche das Thier-
reich heißt. Auch hier herrſcht Mannigfal-
tigkeit und unendliche Weisheit. Eine Ket-
te Thiere vom kleinſten Jnſekte des Waſſers bis
zum
[25]Produkten-Lehre
zum Wallfiſche, vom Schaalenthiere bis zum
Krokodill, wiederum bis zum fliegenden Fiſch,
von da durch alle Luftthiere bis zum Adler.
Von Froͤſchen und Krokodillen bis zum Ele-
phante, von der Kaͤsmilbe bis zum Orang
outang, zum Menſchen darf ich nicht ſagen,
er gehoͤrt nicht in die Thierkette, er iſt ein
Mittelding zwiſchen Thier und Engel, das
Glied, welches beide Ketten naͤhret. Alle
die Durchkreuzungen und Angraͤnzungen der
Ketten im Thierreiche zu bezeichnen, iſt ſchwer
und gehoͤrt nicht hieher. Jm Schaalthiere
graͤnzt es an das Steinreich, und im Poly-
pen an das Pflanzenreich.
§. 47. Dieſes weitlaͤuftige Reich von Er-
zeugungen enthaͤlt nicht weniger eine ſehr gro-
ſe Menge mannigfaltiger Arten in ſich, die
zu Befriedigung der Beduͤrfniſſe verwendet
werden koͤnnen; dieſes ſezt ebenfalls eine
hinlaͤngliche Kaͤnntniß voraus, und dieſe ent-
haͤlt die Thierlehre (Zoologie).
§. 48. Alle drei Wiſſenſchaften, die Mi-
nerallehre, die Pflanzenlehre und die Thier-
lehre ſchlieſen die Kaͤnntniſſe aller Erzeugun-
B 5gen
[26]Allgemeine
gen in ſich, und werden unter einer Lehre all-
zuſammen begriffen, welche man die Natur-
geſchichte (Hiſtoria naturalis) benennet. Die-
ſe iſt abermal eine von den noͤthigſten Hilfs-
wiſſenſchaften, welche vor der Erlernung der
Kameralwiſſenſchaften hergehen muß.
§. 49. Nicht alle Erzeugungen dienen zu
Befriedigung der Beduͤrfniſſe, es findet eine
Auswahl ſtatt, welche diejenigen bezeichnet,
die zu Befriedigung der weſentlichen Be-
duͤrfniſſe, zu Nahrung und Decke, oder
zu Erhaltung und Fortſezung des Da-
ſeyns nuͤzlich ſind. Ferner: werden dieje-
nigen gewaͤhlt, welche die erhoͤhenden Be-
duͤrfniſſe befriedigen, die Erhoͤhung und
Ausbreitung des Daſeyns bewirken, und
alſo wiederum nuͤzlich ſind. Dieſe Auswahl
geſchieht durch den richtigen Geſchmack,
wenn er den Charakter des wahren Schoͤ-
nen und Guten an einer Erzeugung bemerkt,
vermoͤg welchem ſie dem Endzwecke entſpricht.
Endlich beſtimmt auch der herrſchende und
falſche Geſchmack die Auswahl der Erzeu-
gungen, die die uͤppigen Beduͤrfniſſe be-
frie-
[27]Produkten-Lehre
friedigen, nach dem Charakter des falſchen
Schoͤnen und Guten.
§. 50. Dieſe dreifache Auswahl nach den
dreien Gattungen der Beduͤrfniſſe, ſezt nun
eine beſtimmte Anzahl der Erzeugungsarten
aus, welche ich wiederum in eins hinordnen,
und als den groſen Gegenſtand betrachten
will, auf welchen der groſe Grundtrieb
aller Beduͤrfniſſe wirkt. Die Erzeugungen
aus allen drei Reichen der Natur, welche zu
Befriedigung der Beduͤrfniſſe dienlich ſind,
nenne ich oͤkonomiſche Erzeugungen. Es
iſt aber noch anzumerken, daß dieſe Erzeu-
gungen nicht alle in gleichem Grade den Be-
duͤrfniſſen entſprechen, ſondern daß ſie von
dem ſchlechteſten Mauerſteine an, bis zum
ſchoͤnſten Zimmerholze, vom magerſten Gras-
halme bis zum ſchoͤnſten Weizen oder Gemuͤ-
ſe, von der Hauskaze bis zur beßten Milch-
kuh, vom Blei bis zum Gold oder Edelſtein,
durch vielerlei Stuffen der Nuzbarkeit auf-
ſteigen; mithin mehr oder weniger eigen-
thuͤmlichen Werth haben, der durch den
Grad der Guͤte und Schoͤnheit beſtimmt
wird.
All-
[28]Allgemeine
Allgemeine Gewerbwiſſenſchaft.
§. 51. Der Grundtrieb der Beduͤrfniſſe
treibt den Menſchen an, auf den Gegen-
ſtand der oͤkonomiſchen Erzeugungen zu
wirken, um dieſelben zu Befriedigung der
Beduͤrfniſſe zu erlangen. Hieraus entſteht
eine Wirkſamkeit dieſe Guͤter zu erwerben,
und dieſes heißt man das Gewerb des
Menſchen. Die ſaͤmmtlichen Gewerbe zu
kennen und beurtheilen zu koͤnnen, iſt
die Pflicht des Kameraliſten; denn wie
wuͤrde er ſonſt dieſelben zur einzelnen und all-
gemeinen Gluͤckſeligkeit lenken koͤnnen? wie
koͤnnte er ſie verbeſſern? und endlich: wie
koͤnnte er das Gewerb des Fuͤrſten und des
Staates regieren, das ſich doch auf die Ge-
werbe aller Glieder des Staates gruͤndet?
Die Grundlehren, worauf ſich alle Gewerbe
gruͤnden, ordne ich zuſammen, und nenne
ſie die allgemeine Gewerbwiſſenſchaft.
§. 52. Ein jedes Gewerb unterſtellt eine
gewiſſe Menge oͤkonomiſcher Erzeugungen,
die man noch nicht hat, die man aber durch
das Gewerb zu erlangen trachtet. Es iſt al-
ſo
[29]Gewerb-Wiſſenſchaft
ſo etwas, das ſie gegen die Wirkſamkeit des
Gewerbes an uns abgibt, dieſes Etwas nen-
ne ich die Nahrungsquelle. Da es nun
klar iſt, daß ohne eine Nahrungsquelle alles
Gewerb fruchtlos iſt, ſo muß jedes Gewerb
eine Nahrungsquelle haben, und ſie iſt
das erſte, welches ſich der Menſch ver-
ſchaffen muß.
§. 53. Wenn die Nahrungsquelle ohne
Muͤhe und ohne Mittel die oͤkonomiſchen
Erzeugungen abgaͤbe, ſo waͤr’ kein Gewerb
noͤthig. Die Muͤhe alſo und alle Mittel, die
man anwendet, der Nahrungsquelle ihre Er-
zeugungen abzugewinnen, nenne ich Erwer-
bungsmirtel, und dieſe ſind eben ſowohl
noͤthig als die Nahrungsquelle, ſie ſind gleich-
ſam das Gut, wogegen man mit derſelben
gegen die oͤkonomiſchen Erzeugungen aus-
tauſcht; beide ſtehen immer in einer gewiſ-
ſen Verhaͤltniß gegen einander. Jedes Ge-
werb muß alſo ſeine Erwerbungsmittel
haben, und ſie ſind das zweite, welches
ſich der Menſch verſchaffen muß.
§. 54.
[30]Allg. Gewerb-Wiſſenſchaft
§. 54. Beides, die Nahrungsquelle und
die Erwerbungsmittel, ſind im Gewerbe oh-
ne Kraft, wenn nicht die lezten auf die erſte
in Wirkſamkeit geſezt werden, und dieſes
geſchieht durch menſchliche Ueberlegung und
Thaͤtigkeit. Derjenige, welcher dieſes lei-
ſtet, iſt ein Erwerber, und dieſer macht
das dritte weſentliche Stuͤck des Gewer-
bes aus.
§. 55. Der Erwerber muß die Natur der
Nahrungsquelle kennen, er muß die Art und
Weiſe wiſſen, wie und welcher Geſtallt ſie
vermoͤgend iſt, die gehoͤrigen oͤkonomiſchen
Erzeugungen abzugeben. Eben ſo muß er
auch die Erwerbungsmittel kennen, und ſie
zu gehoͤrigem Zwecke auf die Nahrungsquel-
le anzuwenden wiſſen, damit der Erfolg dem
Zwecke entſpreche. Wenn nun der Erwerber
wirklich vermittelſt der Erwerbungsmittel auf
die Nahrungsquelle wirkt, und von derſel-
ben die verlangten Erzeugungen empfaͤngt,
ſo heißt das Erwerben, und dieſes iſt das
vierte Stuͤck des Gewerbes. Die Erzeu-
gungen, welche der Erwerber erworben, und
ſich
[31]Allg. Haushaltungs-Wiſſenſchaft
ſich zum Eigenthume gemacht hat, heiſen Er-
trag; Ertrag der Nahrungsquelle.
§. 56. Der Ertrag iſt der Vorrath,
aus welchem der Erwerber ſeine und der
Seinigen Beduͤrfniſſe, eigene und geſell-
ſchaftliche befriedigt, dieſes Geſchaͤft
heißt Verzehren (conſumiren) und iſt das
fuͤnfte Stuͤck des Gewerbes. Derjenige
Theil des Ertrages, welcher verzehret wird,
heißt der Aufwand (Conſumtion).
§. 57. Wenn der Ertrag zureicht, alle Be-
duͤrfniſſe, weſentliche und zufaͤllige, eigene
und geſellſchaftliche, vollkommen zu befrie-
digen, ſo hat ein ſolcher Erwerber ſein reich-
liches Auskommen. Bleibt nach Abzug
des Aufwandes vom Ertrage noch etwas uͤb-
rig, ſo iſt er ein wohlhabender Mann,
der Ueberſchuß aber heißt reiner Ertrag.
Allgemeine Haushaltungs-
Wiſſenſchaft.
§. 58. Wenn der Ertrag hinlaͤnglich iſt,
alle Beduͤrfniſſe zu befriedigen, ſo macht das
den Erwerber fuͤr die Zeit gluͤcklich, ſo lang
der Ertrag dauert. Wenn aber durch aller-
hand
[32]Allgemeine
hand Zufaͤlle hinfuͤhro der Ertrag kleiner wird,
und nicht mehr zureicht, ſo wird der Erwer-
ber arm, und alſo ungluͤcklich, dergleichen
Schickſale ſind ſehr leicht moͤglich, und nicht
immer zu vermeiden. Deswegen erfodert
die Pflicht eines Erwerbers, daß er ſich
die Befriedigung der Beduͤrfniſſe, ſo viel
er kann, auf die Zukunft ſicher ſtelle.
§. 59. Die wahre Erhoͤhung und Ausbrei-
tung des Daſeyns nach dem wahren Geſchma-
cke, durch das wahre Schoͤne und Gute der
Erzeugungen, hat gar weit ausgedehnte
Schranken und ſehr mannigfaltige eigene und
geſellſchaftliche Beduͤrfniſſe. Je mehr derſel-
ben befriedigt werden, je mehr die Gluͤckſe-
ligkeit vermehret wird. Nun koͤnnen zwar
alle dieſe unzaͤhlige Beduͤrfniſſe von keinem
Menſchen vollkommen befriedigt werden,
doch ſoll ein jeder dahin trachten, ſo hoch
darin zu ſteigen, als moͤglich iſt; weil
er verbunden iſt, ſeine und ſeines Neben-
menſchen Gluͤckſeligkeit aus allen Kraͤften zu
befoͤrdern.
§. 60.
[33]Haushaltungs-Wiſſenſchaft
§. 60. Dieſe beiden Pflichten, die Siche-
rung der Befriedigungsmittel auf die Zu-
kunft, und die Erhoͤhung und Ausbreitung
des Daſeyns werden dadurch moͤglich ge-
macht: wenn der Erwerber allen Fleis
und alle Kraͤfte daran ſezt, den reinen
Ertrag ſo ſehr zu vermehren als nur moͤg-
lich iſt, zugleich aber auch wenn er den-
ſelben auf die beßte Weiſe anwendet.
Die Ausuͤbung dieſer beiden Stuͤcke heißt:
die Haushaltungskunſt. Die Grundſaͤze
derſelben: die Haushaltungswiſſenſchaft
(Oekonomie).
§. 61. Die hoͤchſte Vermehrung des rei-
nen Ertrages, und die beßte Anwendung des-
ſelben, muß in allen Stuͤcken des Gewerbes
beaͤugt, und dasſelbe zu dieſem Zwecke nach
den Regeln der Haushaltungswiſſenſchaft ge-
leitet werden: wenn dieſes nicht beobachtet
wird, ſo kann weder die Fortdauer des Da-
ſeyns geſichert, noch die einzelne und allge-
meine Gluͤckſeligkeit befoͤrdert werden. Da
nun dieſes die groſe Pflicht eines jeden Men-
ſchen iſt, ſo iſt es auch die groſe Pflicht je-
Cdes
[34]Allgemeine
des Erwerbers, zugleich ein guter Haushaͤl-
ter zu ſeyn, oder: Ein jedes Gewerb ſoll
nach den Regeln der Haushaltungswiſ-
ſenſchaft getrieben werden.
§. 62. Da das Gewerb auf fuͤnf Stuͤ-
cken, auf der Nahrungsquelle, auf den
Erwerbungsmitteln, auf dem Erwerber,
auf dem Erwerben und auf dem Verzehren
beruht, das Gewerb aber ganz und zumal
nach den Regeln der Haushaltungswiſſen-
ſchaft gefuͤhrt werden ſoll, ſo muͤſſen alle
Pflichten und Grundſaͤze derſelben allhier an-
gezeigt, und auf jedes Stuͤck angewendet
werden.
§. 63. Die Nahrungsquelle liefert den
Ertrag aus, dieſer aber nach Abzuge des
Aufwandes den reinen Ertrag. Soll nun
dieſer vermehret werden, ſo muß zu aller-
erſt der Ertrag ſo ſehr vergroͤſert wer-
den, als nur moͤglich iſt: da aber nun die
Nahrungsquelle die Grundurſache des Er-
trages iſt, ſo iſt die erſte Pflicht des Erwer-
bers als Haushaͤlter oder Hauswirth be-
trachtet: daß er ſeine Nahrungsquelle ſo
er-
[35]Haushaltungs-Wiſſenſchaft
ergiebig zu machen ſuche, als es moͤg-
lich iſt.
§. 64. Die Verbeſſerung der Nahrungs-
quelle beruht auf zwei Hauptſtuͤcken; erſtlich:
wenn der Erwerber noch keine hat, ſo muß
er ſich nach den Geſezen der Natur, der Voͤl-
ker und ſeines Landes eine eigenthuͤmlich zu
machen ſuchen, die der Verbeſſerung faͤhig
iſt. Wenn er eine Nahrungsquelle hat, ſo
muß er ſie bis in alle ihre kleinſten Theile
kennen, und jedes kleinſten Theiles Kraft
und Vermoͤgen, desgleichen wie es zum
Zwecke des hoͤchſten Ertrages zu beſtim-
men, wiſſen.
§. 65. Die Erwerbungsmittel machen den
Aufwand aus, welcher an die Nahrungsquel-
le verwendet wird, um ſie ergiebig zu ma-
chen. Sie entſpringen aus dem Ertrage, je
mehrere, je koſtbarere Erwerbungsmittel, je
weniger Ertrag, und umgekehrt. Soll nun
dieſer ſo hoch vermehrt werden, als moͤglich
iſt, ſo muͤſſen ſo wenige und ſo wohlfeile Er-
werbungsmittel verſchaft werden, als moͤglich
iſt; dieſe ſollen aber doch wiederum die Nah-
C 2rungs-
[36]Allgemeine
rungsquelle in den hoͤchſten ergiebigſten Stand
ſezen, daher ſoll der Erwerber alle Er-
werbungsmittel ſeiner Nahrungsquelle
vollſtaͤndig kennen, und wiſſen, was ein
jedes derſelben in ſeiner Nahrungsquelle ver-
mag. Und hinwiederum ſoll er wiſſen, wie
viel ein jedes von dem Ertrage wegnehmen
wuͤrde, und dann ſoll er diejenigen waͤh-
len, welche die wirkſamſten und zugleich
die wohlfeilſten ſind, und ſich auch die-
ſelben verſchaffen koͤnnen.
§. 66. Der Erwerber enthaͤlt die ganze
Kraft zum Gewerbe in ſich, und dieſe beruht
auf ſeinem Verſtande und Willen. Mit
dem Verſtande ſoll er nicht nur ſein ganzes
Gewerb vollſtaͤndig kennen, ſondern er ſoll
auch wiſſen, was in jedem kleinſten Theile
des Gewerbes nach den Grundſaͤzen der
Haushaltungswiſſenſchaft geſchehen muß, da-
mit der allgemeine groſe Zweck derſelben er-
reicht werden moͤge. Vermoͤg ſeines Wil-
lens ſoll er unaufhoͤrlichen Drang haben,
alles das zu erfuͤllen und auszufuͤhren, was
ihm ſein Verſtand, als das beßte zum Zwe-
cke, an die Hand gibt.
§. 67.
[37]Haushaltungs-Wiſſenſchaft
§. 67. Das Erwerben iſt die Bewegung
des ganzen Wirkungskreiſes des Erwerbers
durch alle Theile des Gewerbes. Verſtand
und Wille des Erwerbers kann gut ſeyn, des-
gleichen auch die Nahrungsquelle, ſo wie die
Erwerbungsmittel; allein es kann ihm an
koͤrperlichen Kraͤften, oder an ſolchen Stuͤ-
cken fehlen, welche die Einwirkung der Er-
werbungsmittel erleichtern und moͤglich ma-
chen. Er muß alſo ſchon von weitem die Hin-
derniſſe kennen, die ihm das Erwerben ſchwer
machen koͤnnen, und dieſelben in ihrem Keime
zu erſticken wiſſen. Und eben ſo muß er al-
les aus dem Wege raͤumen, was die Be-
friedigung der Beduͤrfniſſe durch den Ertrag
hindert.
§. 68. Wenn derowegen jemand von wei-
tem etwas zu entdecken weiß, das ſeinem Ge-
werbe Ungluͤck oder Untergang droht, und als-
dann ſein Gewerb durch wirkſame Maasre-
geln zu ſchuͤzen weiß, ſo iſt er ein kluger
Haushaͤlter. Wenn aber jemand mit Ver-
ſtand und Willen zum hoͤchſten reinen Ertrage
wirkt, dabei aber den gehoͤrigen Aufwand
C 3zur
[38]Allgemeine
zur Nahrungsquelle und zu Befriedigung
der Beduͤrfniſſe nicht machen will, um den
reinen Ertrag zu vermehren, der iſt geizig.
Weil der Geizhals ſeine Beduͤrfniſſe nicht
befriedigt, ſo iſt er ein Suͤnder gegen das
Geſez der einzelnen und allgemeinen Gluͤck-
ſeligkeit, und weil er nicht genug an die
Erwerbungsmittel verwendet, ſo iſt er ein
ſchlechter Haushaͤlter.
§. 69. Das Verzehren oder der Aufwand
iſt der lezte, und zugleich ein ſehr wichtiger
Theil des Gewerbes. Er iſt der eigentliche
Zweck desſelben. Da nun die Befriedigung
der weſentlichen und erhoͤhenden Beduͤrfniſſe
ſo vollkommen geſchehen ſoll, als moͤglich iſt,
hinwiederum auch der hoͤchſte reine Ertrag er-
worben werden ſoll, beide Stuͤcke aber in ih-
rer Richtung gegen einander laufen, ſo be-
ſteht die Kunſt des Haushaͤlters darinnen:
daß er erſtlich die Beduͤrfniſſe wohl ord-
ne, indem er die allerweſentlichſten zu-
erſt, die allerzufaͤlligſten zulezt ſtellet.
§. 70. Zum andern: ſoll er den ganzen
Ertrag uͤberſchauen, ihn gegen alle ſeine ge-
ordne-
[39]Haushaltungs-Wiſſenſchaft
ordnete Beduͤrfniſſe halten, und das Ver-
haͤltniß wohl beſtimmen. Da nun auch die
Sicherung des Ertrages auf die Zukunft mit
zu den Beduͤrfniſſen, und zwar zwiſchen die
weſentlichen und zufaͤlligen gehoͤrt, ſo ſoll er
die wohlfeilſten und zugleich die zweckmaͤſig-
ſten Befriedigungsmittel waͤhlen, um erſtlich
den allerweſentlichſten, und dann auch den
Sicherungsbeduͤrfniſſen Genuͤge zu thun.
Auf ſolche Weiſe erhaͤlt er auch bei maͤſigem
Ertrage einen reinen Ertrag.
§. 71. Zum dritten: Jſt der Ertrag ſo
gros, daß nicht nur die weſentlichen- und
Sicherungsbeduͤrfniſſe vollkommen befriedi-
get werden koͤnnen, ſondern dann noch rei-
ner Ertrag uͤbrig bleibt, ſo ſind wiederum
zweierlei Beduͤrfniſſe da, zu welchen dieſer
reine Ertrag verwendet werden kann: die
Verbeſſerung der Nahrungsquelle geht
voran, und unmittelbar darauf folgen die
Beduͤrfniſſe der Erhoͤhung des Daſeyns:
wenn alſo die Nahrungsquelle den hoͤchſten
Grad der Verbeſſerung erreicht hat, ſo kann
der uͤbrige reine Ertrag zu den lezteren Be-
duͤrfniſſen verwendet werden.
C 4§. 72.
[40]Allgemeine
§. 72. Zum vierten: Wenn ein Haushaͤl-
ter dem allem ungeachtet noch reinen Ertrag
erwirbt, ſo ſoll er ſeine Nahrungsquelle
erweitern, ſich aber niemalen in die Befrie-
digung der uͤppigen Beduͤrfniſſe weiter ein-
laſſen, als welche die allgemeine Mode ſo
nothwendig gemacht, daß er ohne Befriedi-
gung derſelben, in der menſchlichen Geſell-
ſchaft auffallend, allgemein fuͤr eigenſinnig
gehalten, und alſo ſein Wirkungskreis merk-
lich gehindert werden koͤnnte .
§. 73. Das zweite Hauptſtuͤck der Haus-
haltung beſteht darinnen: daß der Haushaͤl-
ter den gewonnenen reinen Ertrag zur Ver-
beſſerung und Erweiterung der Nah-
rungsquelle, nachdem die gehoͤrigen Be-
duͤrfniſſe befriedigt worden, anzuwenden
wiſſe. Dieſes geſchieht, wenn der Haus-
wirth alle einzelne Theile ſeiner Nahrungs-
quelle erforſcht, und genau beobachtet, was
uͤber-
[41]Haushaltungs-Wiſſenſchaft
uͤberall noch fuͤr Verbeſſerungen moͤglich ſind,
und dann dieſelben aus dem reinen Ertrage
ins Werk richtet. Hernach wenn er auch
eben dieſes in Anſehung der Erwerbungs-
mittel zu Stande zu bringen ſucht.
§. 74. Jſt aber die Nahrungsquelle kei-
ner Verbeſſerung mehr faͤhig, ſo muß ſie er-
weitert werden. Dieſes geſchieht: wenn
der reine Ertrag ſelbſten zur Nahrungs-
quelle umgeſchaffen wird. Dieſes ſoll auf
eine ſolche Weiſe geſchehen, daß die neuent-
ſtandene Nahrungsquelle wiederum auf die
ergiebigſte Art eingerichtet werde: da nun
die Verlehnung der Gelder gegen Renten, die
allergeringſte Art einer Nahrungsquelle iſt,
ſo ſoll ein Haushaͤlter niemals um Gewinnes
willen Gelder auslehnen, weil er dieſen
Zweck beſſer erreichen kann, ſondern er ſoll
es nur dann thun, wann ihn die Pflicht der
Liebe des Naͤchſten dazu auffodert.
§. 75. Dieſe Regeln der Haushaltung
ſind im Gewerbe eben ſo wichtig, als die Ge-
ſeze der Bewegung in der Natur und Kunſt.
Deswegen muͤſſen alle Gewerbwiſſenſchaften
C 5nach
[42]Allgemeine
nach dieſen Geſezen und aus dieſem Ge-
ſichtspunkte gelehrt, gelernt und ausgeuͤbet
werden.
Allgemeine Buchhaltungs-Lehre.
§. 76. Der Haushaͤlter muß die Verhaͤlt-
niſſe des Aufwandes, des Ertrages und
des reinen Ertrages durchs ganze Gewerb
wiſſen. Er muß in einem kurzen Augenblicke
uͤberſchauen koͤnnen, was ſein Ertrag, und
was ſein reiner Ertrag iſt, wie wird er ſonſt
wiſſen koͤnnen, wie weit er in Befriedigung
ſeiner Beduͤrfniſſe gehen kann. Wenn dero-
wegen ein Gewerb ſo mannigfaltig iſt, daß
der Hauswirth nicht alles mit dem Gedaͤcht-
niſſe faſſen kann, ſo muß er durch Schreiben
demſelben zu Hilfe kommen, und das ge-
ſchieht durch Buchhalten. Dieſes iſt bei gro-
ſen Wirthſchaften ein maͤchtiges Befoͤrde-
rungsmittel der Haushaltung.
§. 77. Durch das Buchhalten ſollen alſo
gewiſſe Wahrheiten des Gewerbes, die zur
richtigen Fuͤhrung einer Wirthſchaft noͤthig
zu wiſſen ſind, fuͤr das Gedaͤchtniß aufbehal-
ten werden. Wenn nun dieſe Wahrheiten
zwar
[43]Buchhaltungs-Lehre
zwar alle aufgeſchrieben, aber nicht nach ge-
wiſſen Grundſaͤzen einen gewiſſen beſtimmten
ihnen gehoͤrigen Ort erhalten, ſo koͤnnen ſie
nicht allein nicht bald gefunden, ſondern auch
nicht in gehoͤrige Verhaͤltniſſe gebracht wer-
den. Derowegen ſollen alle Saͤze von ei-
ner Art zuſammen geordnet, und mit
andern in einen ſolchen Vergleich geſtellt
werden, daß man durch denſelben die
verlangte neue und nuͤzliche Verhaͤltniſſe
alſofort und mit der leichteſten Muͤhe ent-
decken koͤnne.
§. 78. Dinge von einer Art ſind erſtlich
die Theile, woraus die Nahrungsquelle zu-
ſammen geſezt iſt. Dinge von einer andern
Art ſind der Aufwand auf die Nahrungsquel-
le, das iſt: die Erwerbungsmittel, da-
her entſteht der erſte Titel des Buchhaltens;
dieſer enthaͤlt auf einer Seite: die Erwer-
bungsmittel, den Aufwand, die Unkoſten,
welche an die Nahrungsquelle verwendet wer-
den, um ſie ergiebig zu machen, und zwar
mit genauer Beſtimmung der Zeit, der Um-
ſtaͤnde und der Groͤſe. Auf der andern Sei-
te
[44]Allgemeine
te ſtehen alle Theile der Nahrungsquelle mit
der genauen Beſtimmung der Zeit, der Um-
ſtaͤnde und der Groͤſe des Ertrages jeden
Theiles. Da nun beide Arten von Dingen
genaue Beziehung auf einander haben, und
das Verhaͤltniß zwiſchen beiden ohne Ver-
gleich nicht beſtimmt werden kann, ſo haͤngt
man ſie durch den Titel zuſammen, dieſer
iſt: die Nahrungsquelle empfaͤngt (De-
bet) (hieher gehoͤrt die erſte Ordnung der
Erwerbungsmittel). Gibt ab (Credit) und
hieher gehoͤrt die zweite Ordnung: die Thei-
le der Nahrungsquelle mit ihrem Ertrage .
§. 79. Wenn die Nahrungsquelle einmal
einen beſtimmten Ertrag geliefert, oder ein
Zeitlauf voll iſt, ſo, daß man die Verhaͤlt-
niſſe wiſſen muß, ſo zaͤhlt man die Theile der
erſten Seite zuſammen, und ordnet ſie in
ein
[45]Buchhaltungs-Lehre
ein Ganzes, und ſo hat man das Ganze der
Erwerbungsmittel. Eben ſo verfaͤhrt man auf
der andern Seite, ſo bekommt man das Gan-
ze deſſen, was die Nahrungsquelle ausgelie-
fert hat, mithin: das ganze Debet und das
ganze Credit; erſtes vom lezten abgezogen,
bleibt der wahre Ertrag. Ohne dieſes Buch-
halten kann ihn der Haushaͤlter nie genau
wiſſen.
§. 80. Der Ertrag wird auf die Befrie-
digung der Beduͤrfniſſe verwendet, dieſe Be-
friedigung nimmt wieder eine Seite ein, und
und es muß alſo jedes Stuͤck nach Zeit, Um-
ſtaͤnden und Groͤſe, in ſeiner Ordnung dahin
gebracht werden. Die andere Seite bekommt
den Ertrag in ſeiner Summe, desgleichen
diejenigen einzelnen Vortheile, welche taͤg-
lich auſerhalb der Nahrungsquelle etwa ge-
wonnen werden. Beide Seiten werden durch
den Titel verknuͤpft: Die Haushaltung em-
pfaͤngt (Debet) hieher gehoͤrt der Aufwand;
(Gibt ab) hieher gehoͤrt der Ertrag; wird
nun beim Schluſe das Debet vom Credit ab-
gezogen, ſo zeigt der Ueberſchuß (Saldo) den
wahren reinen Ertrag.
§. 81.
[46]Allgemeine Buchhaltungs-Lehre
§. 81. Das Buchhalten iſt ein weſentli-
ches Stuͤck der Gewerbwiſſenſchaft, und dem
Haushalter, beſonders in groſen Gewerben
wichtig. Obige Saͤze enthalten die allgemei-
ne Grundfeſte der Buchhaltungskunſt, die
durch alle Gewerbe aufs Einzelne angewen-
det und erweitert werden muͤſſen.
§. 82. Das Buchhalten ſezt, wie es jedem
leicht einleuchtet, zwo Hilfswiſſenſchaften vor-
aus: Rechenkunſt und Schreibkunſt, oh-
ne welche dasſelbe gar nicht beſtehen kann:
beide Wiſſenſchaften ſind alſo auch in dieſer
Abſicht weſentlich noͤthig.
§. 83. Bis dahin gehen die erſten Gruͤn-
de der allgemeinen Gewerbwiſſenſchaft, mit-
hin der ſaͤmmtlichen Kameralwiſſenſchaften.
Jch koͤnnte alſo die Beduͤrfnißlehre, die Pro-
duktenlehre, die allgemeine Gewerblehre,
die allgemeine Oekonomie und die Buchhal-
tungslehre, zuſammen die Kameralontolo-
gie nennen.
Zwei-
[47]Einleitung
Zweiter Abſchnitt.
Grundlehre der buͤrgerlichen
Gewerbkunde.
§. 84.
Die Nahrungsquelle iſt bei jedem Gewer-
be das vornehmſte: ohne dieſelbe kann
keins der andern Stuͤcke beſtehen, ſie iſt der
erſte Grund desſelben. Nun ſind aber die
Nahrungsquellen ſehr verſchieden, ſie laſſen
ſich in Klaſſen ordnen, und weil ſie den
Grund des ganzen Gewerbes in ſich enthal-
ten, ſo koͤnnen auch alle Gattungen desſel-
ben fuͤglich nach den Nahrungsquellen un-
terſchieden, und in Ordnungen geſtellt wer-
den.
§. 85. Alle Nahrungsquellen ſind darum
da, daß ſie dem Erwerber die Befriedigungs-
mittel ſeiner Beduͤrfniſſe abgeben ſollen; nun
ſind aber alle dieſe Befriedigungsmittel mit-
telbare oder unmittelbare Erderzeugungen.
Die Erde iſt die allererſte Nahrungsquelle,
ſie kann jedes Gewerb entbehren, ohne ſie
aber
[48]Allgemeine
aber kann keins ſeyn: es iſt alſo ausgemacht,
daß das Gewerb mit der Erde, das er-
ſte, aͤlteſte und in Wahrheit das Vornehm-
ſte iſt.
Allgemeine Landwirthſchaft.
a) Geſchichte der Landwirthſchaft.
§. 86. Das Gewerb mit der Erde beſteht
darin: daß man dieſelbe als Nahrungs-
quelle ſo beſtimme, baue und zurichte,
damit ſie die mehreſten und beßten, mit-
relbare und unmittelbare Erzeugungen
abgebe, daß man dieſelben als Ertrag
zu Befriedigung der Beduͤrfniſſe ſo ver-
wende, damit der hoͤchſt moͤgliche reine
Ertrag heraus komme, und daß man
dieſen reinen Ertrag wiederum zu Ver-
beſſerung und Erweiterung der Nah-
rungsquelle verwende. Dieſes iſt die Wort-
erklaͤrung der Landwirthſchaft.
§. 87. Die Erde bringt ihre Erzeugungen
von ſelbſt hervor, unter jedem Himmelsſtrich
traͤgt ſie diejenigen, welche ihrer Natur nach
daſelbſt leben und beſtehen koͤnnen. Die
Menſchheit in ihrer erſten Kindheit bekuͤmmert
ſich
[49]Landwirthſchaft
ſich wenig um die Vermehrung und Vered-
lung derſelben, ſondern ſie ſucht ſich nur die-
jenigen zu Befriedigung ihrer Beduͤrfniſſe zu-
zueignen, die die Natur freiwillig anbeut.
Dieſes iſt wohl die allereinfachſte Gattung
des Gewerbes, und der allererſte Urkeim der
Landwirthſchaft.
§. 88. Der Menſch im wahren bloſen Na-
turſtande unter dem mildeſten Himmelsſtri-
che kann ſein Daſeyn blos durch den Genuß
der Obſt- oder Baumfruͤchte, ganz ohne De-
cke fortſezen. Die Verſchaffung des Obſtes
iſt ſein ganzes Gewerb, die Erde bringt es
von ſelbſten hervor, er hat alſo nichts wei-
ter noͤthig, als es abzubrechen, ſich allen-
falls einen Vorrath auf die Zeit zu ſammlen,
da keins waͤchſt, und davon beſtaͤndig fort
ſeine Beduͤrfniſſe zu befriedigen.
§. 89. So wie ſich das menſchliche Ge-
ſchlecht vermehrt, ſo muß ſich auch das Be-
friedigungsmittel ſeines Beduͤrfniſſes vermeh-
ren. Derowegen wird nun der Menſch an-
getrieben, Mittel zu ſuchen, wie er die Men-
ge des Obſtes vergroͤſern koͤnne, die Erfah-
rung lehrt ihn der Natur nachahmen, er
pflanzt die Obſtkerne in die Erde, erzeugt
ſich eine groͤſere Menge Baͤume, und mit den-
ſelben eine hinlaͤngliche Menge Befriedigungs-
mittel. Erfahrung, Zufall, Mutterwiz,
beſſerer Geſchmack, beſſere Nahrung und beſ-
ſeres Wohlbefinden leitet ihn, vor und nach
zu Veredlung, Auswahl und geſchickterer
Anwendung der Obſtfruͤchte, womit er na-
tuͤrlicher Weiſe auch beſſeren Bau der Mut-
ter Erde verbindet.
§. 90. Dieſes allererſte Zeitalter der
Menſchheit enthaͤlt das allereinfachſte Ge-
werb, die allererſten Grundlinien der Land-
wirthſchaft, in welchen der einfaͤltigſte Bau
der Erde, die einfachſte Gewinnung des Er-
trages,
[51]Landwirthſchaft
trages, und die einfachſte Anwendung des-
ſelben gegruͤndet iſt. Jch will dieſes erſte
landwirthſchaftliche Gewerb den Obſtbau
nennen.
§. 91. So wie das menſchliche Geſchlecht
ſich uͤber die Erde verbreitet, veraͤndert ſich
der Himmelsſtrich. Die Haͤrte, der Wech-
ſel der Witterung nebſt der Schaam erzeugen
das Beduͤrfniß der Decke; man raubt den
Thieren mit Verluſt ihres Lebens die ihrige,
man macht ſich dieſelbe zum Gebrauche be-
quem, erfindet ſolcher Geſtallt Kleider und
Huͤtten. Die Erfahrung belehrt, daß ein
Thier das andere frißt, dieſes Beiſpiel fuͤhrt
zur Nachahmung, man befriedigt die weſent-
lichen Beduͤrfniſſe, Nahrung und Decke ganz
aus dem Thierreiche, der Menſch wird wild,
Erfahrung, Mutterwiz und Zufall lehren ihn
Kuͤnſte, die natuͤrliche Geſchicklichkeit der
Thiere zu beſiegen, und ſo entſtehn die er-
ſten Gruͤnde der Jagdwiſſenſchaft, welche
wiederum ein elementar Gewerb der Land-
wirthſchaft ausmacht. Zugleich aber entſte-
hen in dieſem Zeitlaufe der Menſchheit die
D 2er-
[52]Allgemeine
erſten Urkeime der Kunſtwiſſenſchaft, nem-
lich die Zubereitung der Kleidung und
Wohnung, immittelſt auch der Zuberei-
tung der Speiſen.
§. 92. Saͤnftere Sitten, ein Schritt wei-
ter in der Verfeinerung. Menſchenmenge
in einem kleinen Bezirke, mithin Mangel an
Jagdthieren, treiben an, auf andre Befriedi-
gungsmittel zu denken: die Bekanntſchaft
mit den Thierarten hat ſie gelehrt, daß es
deren gibt, die weniger wild, weniger fluͤch-
tig und zur Wohnung bei den Menſchen ge-
ſchickter ſind, ihr Fleiſch iſt gut zur Nahrung,
das Saͤugen ihrer Jungen leitet zum Genuſſe
der Milch: folglich wird die Nahrung ver-
vielfaͤltigt, man ſchließt das Vieh ein, ge-
woͤhnt’s an Weide und Triften, man wohnt
bei dem Viehe unter Huͤtten, erfindet ver-
ſchiedene naͤhere landwirthſchaftliche Zuberei-
tungen der erlangten Produkten, in Fellen,
Hoͤrnern, Knochen, Haaren, Wolle, Milch,
Butter, Kaͤſe, und ſo weiter.
§. 93. So entſteht die Viehzucht, wel-
che ebenfalls ein wichtiger Theil der Land-
wirth-
[53]Landwirthſchaft
wirthſchaft iſt; ſie iſt die fruchtbare Mutter
des Ackerbaues, und zugleich vieler Aeſte der
Handwerker und Kuͤnſte.
§. 94. Das Hirtenleben der Menſchen in
dieſem Zuſtande iſt umherſchweifend, die
Vermehrung und Zuſammenwohnung des
Viehes verurſachet, daß bald alles Futter
einer Gegend aufgezehrt iſt, folglich die Stel-
le veraͤndert werden muß; wann aber die
Menſchenmenge gegen das Land ein zu gro-
ſes Verhaͤltniß hat, ſo, daß nirgends mehr
Futter zu finden iſt, ſo ſuchen die Menſchen
durch Bearbeitung der Erde das Futter fuͤr
ihr Vieh zu veredlen und zu vermehren: die-
ſe Bearbeitung eines Stuͤckes bringt den Be-
griff des Eigenthumes in dem Bearbeiter des-
ſelben hervor, er beſchuͤzt es als ſein Eigen-
thum, baut ſich eine beſtaͤndigere Huͤtte da-
bei, und wird alſo im einfachſten Sinne ein
Landwirth. Es iſt alſo ſchon aus der
Geſchichte der Menſchheit gewiß, daß
der Futterbau und die Viehzucht die
Grundlage der Landwirthſchaft iſt.
D 3§. 95.
[54]Allgemeine
§. 95. Aufmerkende Beobachtung lehret
den erſten Landwirth, daß rieſelnde Ueber-
feuchtung des Futterbodens, mehrerer Re-
gen, und endlich auch der fette bluͤhende
Wuchs an dem Orte, wo der Miſt eines
Viehes liegt und fault, folglich naͤchſt dem
Waſſer auch der Miſt das Futter veredle und
vermehre: daher entſteht eben die erſte An-
leitung: wie der Futterboden zu Vermeh-
rung und Verbeſſerung ſeiner Erzeugun-
gen gewaͤſſert, geduͤngt und bearbeitet
werden muͤſſe.
§. 96. Vielleicht die Beobachtung, daß
das Vieh durch den Genuß der noch wild-
wachſenden Getreidarten ſchleunig wuchſe,
fett und fleiſchig wurde; vielleicht noch an-
dere Urſachen leiteten den Menſchen zum Ge-
nuſſe der Melfruͤchte: man genoß ſie erſt roh,
kochte ſie mit dem Fleiſche, und fand ſie
ſchmackhafter: man zerrieb ſie, reinigte das
Mehl von den Huͤlſen, vermiſchte ſie mit Waſ-
ſer, machte allerhand Verſuche durch Roͤſten
und Braten, und fand endlich eine vortref-
liche Nahrung, die bald zu den weſentlichſten
Befriedigungsmitteln werden konnte.
§. 97.
[55]Landwirthſchaft
§. 97. Die wildwachſenden Getreidarten
wurden bald verzehrt, man mußte auf Mit-
tel denken, dieſelben zu verbeſſern und zu
vermehren. Man wußte, daß die Graͤſer und
Kraͤuter durch Waſſer und Miſt edler und in
groͤſerer Menge wuchſen: folglich verſuchte
man’s, ſtreute die Koͤrner hin, waͤſſerte und
duͤngte ſie, und ſo fand man, daß die Gras-
arten das Getreid uͤberwuchſen und ver-
draͤngten. Dieſes leitete zu einem Verſuche,
die Erde umzugraben, um die Grasarten
und die Kraͤuter auszurotten, dadurch wur-
de der Boden locker, und nun wuchs das
Getreid ſchoͤn, edel und in Menge.
§. 98. So erfand man die erſten Grund-
ſaͤze des Ackerbaues, man lernte einſehen,
daß das Waͤſſern nicht zur Nahrung des Ge-
treides gut ſei; ſondern daß das Duͤngen
eigentlich die Getraidpflanzen naͤhre: man
ſtieg von Stufe zu Stufe, ſowohl in Ver-
vielfaͤltigung der Fruchtarten, als auch in
mehrerer Erkaͤnntniß der Bearbeitung der Er-
de, der Wartung, Pflege, Zubereitung und
Anwendung der Pflanzen, und ſo kam man
D 4end-
[56]Allgemeine
endlich in der Landwirthſchaft zu der groͤſe-
ren oder geringern Vollkommenheit, in wel-
cher ſie in den verſchiedenen Laͤndern der
Welt anizo bluͤhet.
§. 99. Durch einen Zufall konnte ein Stein
ins Feuer gerathen, und in der Glut ein
glaͤnzendes Metall heraus flieſen: daher ge-
rieht man auf Verſuche, man ſchmolz vie-
lerlei Steinarten in dem Feuer, entdeckte
die Metallen und Halbmetallen, Glas- und
Kalkarten, Toͤpfergeſchirre, und ſo ferner.
Durch weitere Entdeckungen erkannte man den
Nuzen dieſer Dinge, man ſchurfte in der
Oberflaͤche der Erde nach Erzen, fand Gaͤn-
ge, grub nach, und ſo entſtand der Bergbau.
§. 100. Jch behaupte nicht, daß das
menſchliche Geſchlecht uͤberall genau auf dem
bisher erzaͤhlten Wege zu dem Grade der Er-
kaͤnntniß zu der Landwirthſchaft gekommen
ſei, den es anizo hat; ich habe blos die Na-
turgeſchichte derſelben hingeordnet, auf daß
ich ein naturgemaͤſes, folglich das allerbeß-
te Lehrgebaͤude der Landwirthſchaft, welches
vom allereinfachſten erſten Theile bis zur hoͤch-
ſten
[57]Landwirthſchaft
ſten Vollkommenheit derſelben ſtuffenweis
fortſchreitet, zum Gebrauche meiner Leſe-
ſtunden aufſtellen moͤge .
b) Landwirthſchaftliche Erwerbungen.
§. 101. Durch den Gang der menſchlichen
Erwerbungen, ſind ein groſer Theil, aber
nicht alle Erderzeugungen zu Befriedigung
der Beduͤrfniſſe verwendet worden. Das
Steinreich gibt einen groſen Theil oͤkonomi-
ſcher Erzeugungen ab, die uns zwar in der
Naturgeſchichte allgemein bekannt werden;
allein es iſt noch eine genauere Erkaͤnntniß
derſelben, nemlich derer Eigenſchaften
noͤthig, auf welche ihre fernere Zuberei-
tung und Anwendung zu den Beduͤrf-
niſſen gegruͤnder iſt. Dieſe Eigenſchaf-
ten lehrt die oͤkonomiſche Mineralogie.
§. 102. Das Pflanzenreich liefert eben-
falls eine Menge oͤkonomiſcher Erzeugungen;
aber lange nicht alle Pflanzen werden dazu
D 5ver-
[58]Allgemeine
verwendet. Die oͤkonomiſche Botanik leh-
ret uns diejenigen kennen, welche zu Befrie-
digung der Beduͤrfniſſe dienen; die Pflan-
zenphyſiologie aber zeigt uns an, wie
nach dem inneren Baue und Natur der-
ſelben, die Geſchaͤfte des Entſtehens, Le-
bens und der Fortpflanzung von der Na-
tur bewerkſtelliget werden. Auf dieſe
Grundſaͤze muß ſich hernach der Bau, die
Erziehung, die Zubereitung und die Anwen-
dung derſelben gruͤnden.
§. 103. Eben ſo gehoͤrt auch ein anſehnli-
cher Theil des Thierreiches zu den oͤkonomi-
ſchen Erzeugungen: die Auswahl derſel-
ben, und welche zu Befriedigung der
Beduͤrfniſſe verwendet werden, lehrt die
oͤkonomiſche Zoologie. Die Phyſiologie
des Thieres aber unterrichtet uns, wie
nach dem Baue und inneren Einrichtung
deſſelben ſein Entſtehen, ſein Leben und
ſeine Fortpflanzung durch die Natur be-
werkſtelliget werde, damit man die Zucht,
Nahrung und Pflege desſelben in Ge-
ſundheit und Krankheit nach ſeiner Na-
tur
[59]Landwirthſchaft
tur einzurichten wiſſe. Die Krankheit
der Thiere zu heilen, gehoͤrt auch hieher,
und dieſes lehret die Vieharzneikunde.
§. 104. Endlich muß man auch die ver-
ſchiedene Arten des Erdbodens kennen,
und zwar ſo, damit man ihn beurthei-
len koͤnne, zu welcher Art von Erzeu-
gungen er am bequemſten ſei: auf dieſe
Kaͤnntniſſe gruͤndet ſich dann der Bau und
Zubereitung der Erde in Abſicht auf die Pflan-
zen und Erzeugungen, welche man erzielen
will. Man koͤnnte die Erkaͤnntniß der Erd-
arten wohl in der oͤkonomiſchen Minera-
logie lehren, wie ſchon von dem beruͤhmten
Wallerius geſchehen iſt. Allein ein ſolcher
Abſchnitt wuͤrde ſich allzuſehr von den uͤbri-
gen derſelben entfernen. Es wird daher
fuͤglicher in der Landwirthſchaft, dieſer
Lehre ein Hauptſtuͤck eingeraͤumt.
§. 105. Mit dieſen Kaͤnntniſſen ausgeruͤ-
ſtet, gehen wir nun zu den ausuͤbenden Thei-
len der Landwirthſchaft, zu den Erwerbun-
gen der Erderzeugungen uͤber. Da wir aber
nach den Regeln der wiſſenſchaftlichen Lehr-
art
[60]Allgemeine
art zu Werke gehen, und alſo immer das
leichtere zuerſt, das ſchwerere hernach abhan-
deln muͤſſen, ſo fangen wir nach Anleitung
der Naturgeſchichte der Landwirthſchaft bei
denjenigen Erzeugungen an, welche die Er-
de von ſelbſt hervorbringt und ernaͤhret.
§. 106. Die Obſtbaͤume, hohes und nie-
driges Gehoͤlze, wachſen ohne Wartung und
Pflege von ſelbſt hervor, ſie leben eben ſo
fort, und erzeugen ihr Geſchlecht ohne Zu-
thun der Menſchen, doch das alles mit gro-
ſem Unterſchiede. Das wilde hoch- und nie-
driges Gehoͤlze hat am allerwenigſten War-
tung noͤthig, man darf es nur fuͤr Aushol-
zung und Verwuͤſtung huͤten. Wenn man
es anpflanzen will, ſo braucht man nur
nach beſtimmten Regeln zu ſaͤen und zu
pflanzen, und endlich ſparſam damit
hauszuhalten. Dieſes alles lehret die Wiſ-
ſenſchaft der Holzzucht, oder die Forſt-
wiſſenſchaft. Dieſe enthaͤlt die erſten Li-
nien der Landwirthſchaft, und iſt alſo fuͤg-
lich das erſte, was darinnen abgehandelt
wird.
§. 107.
[61]Landwirthſchaft
§. 107. Die Obſtbaͤume wachſen eben ſo
wohl von ſelbſten, als auch andere Baͤume,
wann ſie unter ihrem gehoͤrigen Himmelsſtri-
che ſind; da aber dieſelben vielfaͤltig in frem-
de Gegenden verpflanzt worden, ſo ſind da-
her Grundſaͤze entſtanden, nach welchen
ſie in ſolchen fremden Boden und Wit-
terung gepflanzt, erzogen, vermehret
und verbeſſert werden muͤſſen. Dieſe
lehret die Baumzucht.
§. 108. Eben dieſes gilt auch von dem
Weinſtocke: da, wo er zu Hauſe iſt, erfodert
er wenig Wartung; ſo bald er aber in ande-
re Gegenden verpflanzt wird, und zwar ſo,
daß er vermehrt oder veredelt werden ſoll,
ſo muß er ebenfalls naturgemaͤß ge-
pflanzt, gewartet und verſorgt werden,
damit er die mehreſten und beßten Er-
zeugungen abgebe. Dieſes lehrt der
Weinbau.
§. 109. Unter den Staudengewaͤchſen ſind
ſehr viele, die mannigfaltigen landwirth-
ſchaftlichen Nuzen haben, ſie gehoͤren aber
zum Forſtweſen.
§. 110.
[62]Allgemeine
§. 110. Das Thierreich liefert gleichfalls
ſehr viele Erzeugungen, im Waſſer, auf der
Erde und in der Luft, die die Natur ohne
Zuthun der Menſchen hervorbringt, und al-
ſo wiederum hieher gehoͤren. Wie nun die-
ſelben zu Befriedigung der Beduͤrfniſſe
der Menſchen ſollen erworben, und wie
damit ſoll hausgehalten werden, das
lehrt die Jagdwiſſenſchaft, die ſich in die
Fiſcherei, die Jagd und den Vogelfang
zertheilet.
§. 111. Verſchiedene Thierarten ſind ſo
beſchaffen, daß ſie der Menſch erziehen, ver-
pflegen und benuzen kann, ohne daß er be-
ſonders auf ihren Futterbau zu ſehen, und
ihnen denſelben zu beſorgen hat, hieher ge-
hoͤren die Bienen. Wie man dieſelben er-
ziehen, warten und pflegen ſoll, damit
ſie vermehret, und der hoͤchſte reine Er-
trag gewonnen werde, dieſes lehrt die
Bienenzucht.
§. 112. Unter die landwirthſchaftlichen
Erwerbungen, und zwar zu den betraͤchtli-
chen, gehoͤrt auch die Zucht der Seidewuͤr-
mer.
[63]Landwirthſchaft
mer. Dieſe Thiere naͤhren ſich da, wo die
Maulbeerbaͤume wild wachſen, von ſelbſt. An
ſolchen Orten hat ihre Wartung, und das
Gewerb mit ihrer Erzeugung der Seide we-
niger Muͤhe; wo aber auch die Maulbeer-
baͤume erzogen, gewartet und gepfleget wer-
den muͤſſen, da werden mehrere Erwerbungs-
mittel erfodert. Die Heiſcheſaͤze, nach wel-
chen der Futterbau der Seidewuͤrmer,
ihre Zucht, Pflege, die Erwerbung der
Seide und ihre Zubereitung zur rohen
Waare verrichtet werden muß, lehrt der
Seidebau.
§. 113. Es gibt aber Vieh, durch deſſen
Benuzung ſich der Menſch faſt allein ernaͤh-
ren, und ſich die weſentlichen Beduͤrfniſſe
verſchaffen kann; dieſes aber nicht allein:
das Gewerb mit demſelben iſt zugleich ein
maͤchtiges, und ſo zu ſagen, das vornehm-
ſte Mittel des Ackerbaues und der eigentli-
chen Landwirthſchaft, indem es die Nahrung
fuͤr diejenigen Pflanzen abwirft, die zu Be-
friedigung der weſentlichen Beduͤrfniſſe un-
entbehrlich geworden ſind; zugleich aber auch
der-
[64]Allgemeine
derjenigen Gewaͤchſe, welche zur Handlung
mit Nuzen gebaut werden. Den erſten Rang
unter dieſen Thierarten verdient das Rind-
vieh.
§. 114. Das Rindvieh erfodert eine
reichliche, geſunde, fette Nahrung und
Ruhe, wenn es guten und vielen Dung,
gute und viele Milch, Butter und Kaͤſe,
gutes und nahrhaftes Fleiſch, oder gu-
tes, geſundes und ſtarkes junges Vieh
abgeben ſoll. Die Nahrung des Viehes
ſind die Futterkraͤuter, und die Erwerbung
dieſer Nahrung geſchieht entweder durch Aus-
treiben und Huͤten des Viehes auf Weidplaͤ-
zen, oder man verſorgt es in ſeinem Stalle
durch die Stallfuͤtterung.
§. 115. Dung, Milch und gutes fettes
Fleiſch, und zwar in moͤglichſtér Menge zu
erwerben, iſt der Zweck der Viehzucht. Da
aber durch das Weiden des Viehes, der
Dung zur Halbſcheid verſtreut, mithin fuͤr
den Landwirth verlohren geht, durch die Be-
wegung mehr Nahrungsſaft verdauet, und
alſo die Milch vermindert wird, und endlich
aus
[65]Landwirthſchaft
aus eben dem Grunde durch die Bewegung
das Fleiſch an ſeiner Saftigkeit und Fettig-
keit verhindert wird, ſo ſind die Gemein-
weiden hoͤchſt ſchaͤdlich.
§. 116. Wann aber ein Landwirth groſe
Grundſtuͤcke hat, die geſchloſſen ſind, einen
ſchattigten Ort, und eine geſunde Traͤnke ha-
ben, ſo erlauben die Grundſaͤze der Land-
wirthſchaft allenfalls die Weide auf denſel-
ben; weil aller Dung auf ſolchen Stuͤcken
bleibt, das Vieh ſich nicht ſtark bewegt, und
alſo die reichſte Erwerbung der Milch und
des Fleiſches nicht ſehr gehindert wird.
§. 117. Wann das Vieh auf dem Stalle
reichlich und mit guter Nahrung gefuͤttert
wird, ſo wird der ganze Endzweck, den man
mit dem Viehe beaͤugt, vollkommen erfuͤllt:
folglich iſt die Stallfuͤtterung unter dem Be-
dinge, daß das Vieh reichlich und mit guter
Nahrung gefuͤttert werde, die vollkommenſte
Art der Viehzucht.
§. 118. Reichliche und gute Nahrung fuͤr
das Vieh erhaͤlt man durch den Futterbau.
Das erſte, was man dabei zu beobachten hat,
Eiſt:
[66]Allgemeine
iſt: daß man das Verhaͤltniß zwiſchen
der Menge des Viehes, und der Menge
des Futters ſo beſtimme, daß nach reich-
licher und guter Ausfuͤtterung des Vie-
hes kein Futter mangle, und keins uͤb-
rig bleibe. Das zweite: daß man unter
allen Futterkraͤutern diejenigen baue, welche
mit weniger Muͤhe am reichlichſten gezeugt,
und zur beßten Nahrung fuͤrs Vieh werden
koͤnnen. Die Gattungen der beßten Futter-
kraͤuter erkennt man in der oͤkonomiſchen
Boranik, ſie auswaͤhlen lehrt die Erfahrung,
und ſie zu bauen, der Futterbau.
§. 119. Der Boden, welcher zum Futter-
baue verwendet wird, theilt ſich in natuͤrliche
und kuͤnſtliche Wieſen. Die Beſchaffenheit des
Bodens, die Lage desſelben, der Mangel oder
der Ueberfluß des Waſſers muß beſtimmen,
welche unter beiden Arten den Vorzug habe.
§. 120. Die Grundſaͤze, welche lehren:
wie man das Rindvieh auf die beßte,
nuͤzlichſte und bequemſte Weiſe erziehen,
ernaͤhren und alle ſeine Erzeugungen ver-
mehren, verbeſſern und zum Nuzen der
Land-
[67]Landwirthſchaft
Landwirthſchaft zum Ertrage machen
muͤſſe, enthaͤlt die Rindviehzucht.
§. 121. Die Schaafe liefern Fleiſch, Wol-
le, Dung, Felle und junge Schaafe an den
Landwirth ab; ſie ſind ebenfalls ein nuͤzliches
Vieh. Wie dieſelben auf die nuͤzlichſte
Weiſe erzogen, ernaͤhret und alle ihre
Erzeugungen vermehret, verbeſſert und
zum Nuzen der Landwirthſchaft, zum
Ertrage gemacht werden muͤſſen; lehrt
die Schaafzucht.
§. 122. Die Ziegen haben auch wegen ih-
rer Milch; Felle; Fleiſch und Jungenzucht,
Nuzen in der Landwirthſchaft, aber nur unter
gewiſſen Bedingen. Die Regeln, unter welchen
ſie zu dulden, zu erziehen und nuͤzlich zu gebrau-
chenſeien, koͤnnen in einem beſondern Abſchnit-
te der Landwirthſchaft hingeordnet werden.
§. 123. Die Schweine ſind wegen ihres
Fleiſches, des Handels mit denſelben, und
wegen ihrer weniger koſtbaren Nahrung in
der Landwirthſchaft ſehr nuͤzlich. Wie ſie
auf die beßte Weiſe erzogen, ernaͤhrt
und zum vortheilhafteſten Ertrage ge-
E 2macht
[68]Allgemeine
macht werden muͤſſen, das lehrt die
Schweinezucht.
§. 124. Die Pferde ſind wegen ihres viel-
faͤltigen Nuzens zu allerhand Arbeiten, und
daher ruͤhrendem Werthe im Handel, als-
dann eine vortheilhafte Waare, wann der
Bau ihres Futters nicht koſtbar iſt, und der
Ertrag den Aufwand hinlaͤnglich uͤberſteigt.
Die Frage alſo: Unter welchen Bedingen
die Pferdezucht nuͤzlich, nach welchen
Kennzeichen die beßten Roßarten auszu-
waͤhlen, dieſelben zu ernaͤhren, zu er-
ziehen, zur Arbeit anzuwoͤhnen, und
endlich, wie ſie zum hoͤchſten Ertrage zu
veraͤuſern ſeien, loͤßt die Stuterei auf.
§. 125. Die Eſel- und Mauleſelzucht iſt
nicht allgemein, doch gehoͤrt ſie zur Stuterei,
und kann auch mit derſelben abgehandelt
werden. Auch iſt es nuͤzlich, daß man da-
ſelbſt etwas von der Kameelzucht mit einruͤcke.
§. 126. Die mancherlei Gattungen von
Gefluͤgel, welche in der Landwirthſchaft ge-
braͤuchlich ſind, wie dieſelben erzogen und
auf die beßte Weiſe benuzt werden muͤſ-
ſen, das lehrt die Federviehzucht.
§. 127.
[69]Landwirthſchaft
§. 127. Endlich ſind noch verſchiedene
Thierarten, welche aus vielerlei Urſachen in
der Landwirthſchaft im Gebrauche ſind. Die
beßte Erziehung und Anwendung der-
ſelben kann in einem beſondern Haupt-
ſtuͤcke der Landwirthſchaft: von den
Hausthieren, abgehandelt werden.
§. 128. Die bisher abgehandelten land-
wirthſchaftlichen Erwerbungen legen nun den
Grund, durch Verſchaffung der Pflanzennah-
rung und Bearbeitung des Bodens, zu der
hauptſaͤchlichſten Erwerbung landwirth-
ſchaftlicher Gewaͤchſe. Dieſe theilen ſich
in Getreid, Huͤlſenfruͤchte, Wurzelfruͤch-
te, Gemuͤſe und Handelskraͤuter oder
Pflanzen. Wie man die Erde nach der
Beſchaffenheit einer jeden Erdart und
Pflanzenart zubereiten, eine jede Pflan-
zenart ſaͤen, pflanzen, erziehen, und
endlich einerndten muͤſſe, damit der hoͤch-
ſte und beßte Ertrag heraus komme,
lehrt der Ackerbau.
§. 129. Der Gartenbau unterſcheidet ſich
vom Ackerbaue blos durch die beſſere Zube-
E 3reitung
[70]Allgemeine
reitung der Erde, und durch beſondere Ge-
waͤchſe, welche wegen ihrer edleren Natur
und Gebrauch vorzuͤgliche Wartung verdie-
nen. Er gehoͤrt alſo unter den Titel des
Ackerbaues, kann aber wegen ſeiner beſon-
dern Grundſaͤze unter einem eigenen Ab-
ſchnitte abgehandelt werden.
§. 130. Das erſte Stuͤck des Ackerbaues
iſt die Zubereitung des Bodens. Die-
ſe gruͤndet ſich auf zwei Stuͤcke, welche be-
ſtimmen muͤſſen, wie dieſe Zubereitung ge-
ſchehen ſoll; erſtlich: auf die Beſchaffen-
heit des Bodens ſelber; dieſe wird aus
der Natur ſeiner Erdarten, ſeiner Lage
und zufaͤlligen Eigenſchaften erkannt.
Zweitens: auf die Natur der Pflanzen,
welche der Boden tragen ſoll; dieſe wird
aus der oͤkonomiſchen Botanik und der
Pflanzenphyſiologie erkannt.
§. 131. Eine jede Zubereitung der Erde
beſteht wieder in zweien Hauptſtuͤcken, erſt-
lich: daß man die Erde locker mache,
auf daß ſich die Wurzeln der Pflanzen
gehoͤrig ausbreiten koͤnnen, zugleich aber
den
[71]Landwirthſchaft
den Graͤd der Lockerheit ſo beſtimme,
damit die Pflanzen feſten Stand haben
moͤgen. Zweitens: muß der Duͤnger zur
Pflanzennahrung geſchickt gemacht, auf
die nuͤzlichſte Weiſe uͤber dem Boden
verſpreiter, innig mit demſelben ver-
miſcht, und alſo jeder Pflanze reichlich
dargereicht werden.
§. 132. Wann der Boden zubereitet iſt,
ſo wird entweder der Saamen geſaͤet, oder
die Pflanze gepflanzt, jenachdem es die Na-
tur der Pflanze erfodert. Eben die Natur
und die Eigenſchaften derſelben muͤſſen be-
ſtimmen, zu welcher Zeit der Boden zube-
reitet, das Saͤen und Pflanzen geſchehen,
und auf welche Art es geſchehen ſoll, das
iſt: wie tief und wie weit von einander die
Saamenkoͤrne oder die Pflanzen in die Erde
gebracht werden muͤſſen. Auf eben dieſen
Gruͤnden beruht auch die fernere Behandlung
des Bodens und der Pflanzen.
§. 133. Die Erziehung der Pflanzen
beſteht darinnen: daß man auf alle nur moͤg-
liche Weiſe, und durch Natur gemaͤſe Mit-
E 4tel
[72]Allgemeine
tel den Wachsthum derſelben befoͤrdere, und
alle Dinge, die denſelben hindern, aus dem
Wege raͤume. Ferner: daß man diejenigen
Theile der Pflanze, um welcher Willen der
ganze Bau angeſtellet worden, vornehmlich
pflege, und derſelben Veredlung und Ver-
mehrung beſtaͤndig zum Ziele ſeze.
§. 134. Die Einerndtung der Pflanzen be-
ſteht in folgenden Stuͤcken: erſtlich, daß man
den gehoͤrigen Grad der Reife kenne, wel-
chen ſie haben muͤſſen, wann ſie ihre hoͤchſte
Vollkommenheit erreichen ſollen. Zweitens:
daß man ſie auf die nuͤzlichſte und bequemſte
Weiſe von der Erde ſondere. Drittens: daß
man ſie gehoͤrig zubereite, damit ſie ſich auf-
bewahren laſſen. Und viertens: daß ſie ge-
hoͤrig eingeſcheuert, und alſo zum Gebrauche
bequem aufbehalten werden moͤgen.
§. 135. Die oͤkonomiſchen Erzeugungen
des Steinreiches gehoͤren ebenfalls in die
Landwirthſchaft. Wie man dieſelben ihrer
Natur nach erkennen lernen muͤſſe, lehrt die
Minerallehre; wie man ſie aufſuchen, der
Erde abgewinnen, und ſie von den fremden
un-
[73]Landwirthſchaft
unnuͤzen Steinarten befreien muͤſſe, lehrt der
Bergbau. Und wie man endlich das edle
brauchbare Mineral von allen fremden Thei-
len ſeiner innern Zuſammenſezung befreien
muͤſſe, lehrt die Schmelzkunſt, oder Metal-
lurgie: alle drei Stuͤcke zuſammen begreift
die Bergwerkswiſſenſchaft in ſich.
§. 136. Unter den bisher bezeichneten Er-
werbungen der oͤkonomiſchen Erzeugungen,
ſind ſo viel ich mich beſinne, alle Gattungen
landwirthſchaftlicher Geſchaͤfte oder Gewerbe
begriffen, und nachdem dieſelben nun nach
allgemeinen Grundſaͤzen geordnet und ver-
handelt worden, ſo muß ich auch allgemeine
Regeln entwerfen, nach welchen die land-
wirthſchaftliche Haushaltung gefuͤhret
werden ſoll.
Landwirthſchaftliche Haushaltung.
§. 137. Die landwirthſchaftliche Haus-
haltung lehrt: wie man verſchiedene
landwirthſchaftliche Erwerbungen, be-
ſonders Viehzucht und Ackerbau in ein
Gewerb zuſammen vereinigen muͤſſe, da-
mit der hoͤchſt moͤgliche Ertrag gewon-
E 5nen
[74]Allgemeine
nen werde. Ferner: wie man dieſen Er-
trag zu den Beduͤrfniſſen der Haushal-
tung verwenden muͤſſe, damit der hoͤchſt
moͤgliche reine Ertrag gewonnen werde.
Und endlich wie man den reinen Ertrag
wiederum zu Verbeſſerung und Erwei-
terung der Nahrungsquelle anlegen
muͤſſe.
§. 138. Das erſte Stuͤck eines jeden Ge-
werbes iſt die Nahrungsquelle. Die land-
wirthſchaftliche Nahrungsquelle iſt die Erde.
Wer alſo eine landwirthſchaftliche Haushal-
tung errichten will, der muß ſich zuerſt ei-
nen Theil der Erde erwerben, und ſich
denſelben zur Nahrungsquelle einrichten.
§. 139. Die Erwerbung einer landwirth-
ſchaftlichen Nahrungsquelle geſchieht entwe-
der durch Erbſchaft, oder durch Pfacht,
oder durch Kauf. Jm Falle der Erbſchaft
iſt man an die Nahrungsquelle gebunden,
man kann ſie nur verbeſſern und erweitern;
oder wenn ſie nicht hinlaͤnglich waͤre, ſo muͤß-
te man ſie verkaufen, und ſich eine beque-
mere anſchaffen.
§. 140.
[75]Landwirthſchaft
§. 140. Wer ſich eine Nahrungsquelle
pfachten will, der muß den Ueberſchlag ma-
chen, ob der Ertrag derſelben hinlaͤnglich ſeyn
koͤnne, die Befriedigung der Beduͤrfniſſe,
und das Pfachtgeld abzutragen, ſo, daß
wenigſtens etwas reiner Ertrag uͤbrig bleibe.
§. 141. Die Erwerbung einer Nahrungs-
quelle durch Kauf, iſt zweierlei: entweder
man kauft eine, die ſchon eingerichtet iſt,
oder man nimmt ein wuͤſtes Stuͤck der Erde
in Beſtand, um es urbar zu machen. Jm
erſten Falle muß darauf geſehen werden, daß
nach Abzuge aller Abgaben, aller Befriedi-
gung der Beduͤrfniſſe und der Renten des
Kaufſchillinges, noch reiner Ertrag uͤbrig
bleibe. Jm zweiten Falle muß das wuͤſte
Land alle Faͤhigkeiten haben, daß es durch
gehoͤrige Zubereitung zur Viehzucht und Acker-
baue bequem gemacht werden koͤnne.
§. 142. Nachdem man ſich eine Nahrungs-
quelle erworben hat, ſo muß ſie auch zube-
reitet werden, und das geſchieht durch die
Erwerbungsmittel. Zu dieſen gehoͤrt zu-
erſt das Geſinde, Arbeitsleute, Tagloͤhner.
Das
[76]Allgemeine
Das Geſinde muß dem Verſtande und Wil-
len nach geſchickt zu der Arbeit ſeyn, die ihm
obliegt, und dazu muß es auch die gehoͤrige
Leibeskraͤfte und Geſundheit haben.
§. 143. Fuͤrs zweite gehoͤrt das Zugvieh,
Ochſen oder Pferde zu den Erwerbungsmit-
teln: dieſe muͤſſen wohl gebildet, gros, ge-
ſund und ſtark ſeyn. Drittens iſt auch jede
Viehzucht, beſonders das Rindvieh, in Ab-
ſicht auf den Dung, ein Erwerbungsmittel.
Zu dieſem Zwecke iſt geſundes ſtarkes Vieh,
und die Stallfuͤtterung noͤthig. Der Dung
aber ſoll durch alle Mittel zu rath gehalten,
vermehrt und verbeſſert werden. Endlich ge-
hoͤren noch zu den Erwerbungsmitteln alle
Werkzeuge und Geraͤthe, die zur Zuberei-
tung der Erde, zum Saͤen, Pflanzen, Er-
ziehung und Einerndtung der Pflanzen noͤthig
ſind. Dieſe ſollen ſo viel moͤglich einfach,
ohne viele Zuſammenſezung, ſtark, wohlfeil
und zu ihrem Zwecke auf die beßte Art be-
quem gemacht werden.
§. 144. Vornehmlich iſt aber auch zu dem
landwirthſchaftlichen, wie zu allen Gewerben,
ein
[77]Landwirthſchaft
ein Erwerber noͤthig. Dieſer heißt der Land-
wirth. Er ſoll ſein Gewerb: das iſt die Ein-
richtung und beßte Zubereitung der Nah-
rungsquelle und anderer landwirthſchaftli-
chen Erwerbungen, die beßte Anordnung der
Erwerbungsmittel, die beßte Anwendung
derſelben auf die Nahrungsquelle zum hoͤch-
ſten Ertrage, die zweckmaͤſigſte Befriedigung
aller Beduͤrfniſſe der Haushaltung zu Er-
ſparung des hoͤchſten reinen Ertrages, und
endlich die Anwendung desſelben zu Verbeſ-
ſerung und Erweiterung der Nahrungsquel-
le, nicht allein aus dem Grunde verſtehen,
ſondern auch Kraft und Drang haben, das
alles auszufuͤhren .
§. 145. Wann der Erwerber eine Nah-
rungsquelle und Erwerbungsmittel hat,
ſo muß er nun erwerben, verzehren und
darnach trachten, reinen Ertrag zu ge-
winnen. Die landwirthſchaftliche Nahrungs-
quelle
[78]Allgemeine
quelle heißt ein Landgut, der Erwerber ein
Landwirth: folglich, wenn der Landwirth
oder Bauer ein Landgut und gehoͤrige Erwer-
bungsmittel hat, ſo ſoll er wirthſchaften
oder haushalten.
§. 146. Das vollkommenſte Muſter einer
landwirthſchaftlichen Haushaltung iſt: die
Umſchaffung einer wohlgelegenen frucht-
baren wuͤſten Gegend unter einem ge-
maͤſigten Himmelsſtriche zu einem voll-
ſtaͤndigen Landgute. Bei dieſer Einrich-
tung und Zubereitung der landwirthſchaftli-
chen Haushaltung kommt alles vor, was zu
derſelben gehoͤret.
§. 147. Die beßte Lage einer Gegend iſt
Berg und Thal, das iſt: Huͤgel oder Berg-
ſeiten, die nicht gar gaͤh ſind, und Ebenen,
und welche einen Ueberfluß an ſuͤßen Quellen
und klaren Baͤchen haben. Die Lage ſoll auch,
ſo viel moͤglich, gegen die Sonne, das iſt:
an der Sommerſeite ſeyn. Die Fruchtbarkeit
wird theils an den Erdarten erkannt: wann
der Boden von Sandthon und Faulerde
(ſchwarze Erde) die gehoͤrige Miſchung hat;
theils
[79]Landwirthſchaft
theils auch an den Gewaͤchſen: hohes wuch-
ſiges Gehoͤlze, ſaftige, hoch aufgeſchoſſene
mannigfaltige Stauden, uͤberall Ueberfluß
an den ſchoͤnſten Kraͤutern und Grasarten,
uͤberall Mangel an Felſen, Mooſen und Stein-
flaͤchen, u. d. gl.
§. 148. Der gemaͤſigte Himmelsſtrich
bringt die kaͤltere Gewaͤchſe zu groͤſerer Voll-
kommenheit, die waͤrmere aber zeitiget er
ebenfalls, wann ſie gehoͤrig gewartet und ge-
pfleget werden: folglich iſt er fuͤr ein ſolches
Landgut der beßte, das man als ein Muſter
der Landwirthſchaft aufſtellen will, indem
wegen der vielfaͤltigen Gewaͤchſe, die mehre-
ſten landwirthſchaftlichen Erwerbungen da-
bei vorkommen.
§. 149. Das erſte, was der Landwirth
zu thun hat, iſt die Befriedigung der we-
ſentlichſten Beduͤrfniſſe der Haushaltung,
das iſt: der Menſchen und des Viehes, zur
Nahrung und zur Decke. Nahrung fuͤr Men-
ſchen gibt das Vieh bis auf Brod, welches
angeſchaft werden muß, daher muß zuerſt die
Nahrung des Viehes, das iſt der Futterbau
be-
[80]Allgemeine
beſorgt werden, dieſes geſchieht durch Anle-
gung natuͤrlicher Wieſen.
§. 150. Derowegen muß der Landwirth
Ebenen in genugſamer Menge dazu beſtim-
men, auf welche man uͤberall Waſſer hinlei-
ten, und ſie alſo waͤſſern kann. Auf dieſer
Ebene muͤſſen erſtlich alle Stauden und Ge-
hoͤlze mit der Wurzel ausgerottet, und alle
Steine weggeſchaft, das iſt: ſie muß gero-
det werden; alsdann hackt man den Raſen
um, graͤbt das Hoͤckerigte ab, fuͤllt die Tie-
fen damit aus, und gibt der ganzen Ebene
eine etwas ſchiefe Lage durch Erhoͤhen und
Vertiefen, macht dem Waſſer einen Abfluß,
damit es nicht ſtehe, und die Wieſe ſum-
pfigt mache, worinnen die Graͤſer ſauer fau-
len, und das wachſende Gras mit verſaͤu-
ern; alsdann leitet man waſſerpaße Graben
uͤber die Hoͤhen, welche keinen Ausfluß ha-
ben, die alſo das ganze Ufer uͤberſeigern,
und die ganze Flaͤche durchrieſeln. Die ab-
gehackte Raſen werden getrocknet, verbrannt,
die Aſche uͤberall hingeſpreitet, Saamen von
den beßten Kraͤutern und Graͤſern darauf ge-
ſaͤet-
[81]Landwirthſchaft
ſaͤet, und dann immerfort im Herbſte und
Fruͤhjahre gewaͤſſert, ſo iſt die Wieſe auf die
beßte Weiſe eingerichtet.
§. 151. Nachdem die Nahrung fuͤr Men-
ſchen und Vieh geſichert iſt: ſo muß auch
die Decke beſorgt werden; hieher gehoͤrt Woh-
nung und Stallung. Beide Stuͤcke muͤſ-
ſen beiſammen an einem ſolchen Orte ange-
legt werden, wohin die mehreſte Einfuhr wo
nicht alle, abwaͤrts, mithin die mehreſte Aus-
fuhr aufwaͤrts gehe: denn weil mehr ein-
als ausgefahren wird, ſo iſt natuͤrlich, daß
erſteres vorzuͤglich erleichtert werden muͤſſe,
weil man alsdann mehr aufladen kann, und
zugleich das Zugvieh verſchont.
§. 152. Weil niedrige Oerter leicht ſum-
pfigt ſind, ſo muß der Wohnplaz erſt durch
Abzuggraben getrocknet werden, eh man den
Grund legt. Hernach macht man den Plan
der Wohnung, welcher ſo eingerichtet wer-
den muß, daß er zu Aufbewahrung des Fut-
ter- und Frucht Ertrages, zur Wohnung fuͤr
Menſchen und Vieh, und zu allen landwirth-
ſchaftlichen Zubereitungen der Erzeugungen,
Fmit-
[82]Allgemeine
mithin zu Erleichterung der ganzen Haushal-
tung, die beßte und zugleich die wohlfeilſte
Bauart angebe .
§. 153. Der Ueberfluß guter und nach ge-
legener Mauerſteine, oder der Mangel der-
ſelben ſoll den Landwirth beſtimmen, ob er
ſeine Wohnung mauern oder von Holze zim-
mern laſſen ſoll; doch, da lange Zeiten dazu
hingehen, ehe ein Bauholz vollgewachſen iſt,
da die Feuersgefahr bei hoͤlzernen Gebaͤuden
groͤſer, als bei ſteinernen iſt, und da end-
lich ſteinerne laͤnger ausdauern: ſo ſoll er,
wo moͤglich, die gemauerte Wohnung vor-
ziehen.
§. 154. Auf die Erſparung und Gewin-
nung des Holzes zum Brennen, zum Haus-
und Ackergeraͤthe, oder auch zum Verkaufen
oder Verkohlen, ſoll der Landwirth auch den-
ken. Zur Holzzucht muß er die hoͤchſten und
entlegenſten Gegenden der Berge erwaͤhlen,
die-
[83]Landwirthſchaft
dieſelben nach den Grundſaͤzen der Forſtwiſ-
ſenſchaft behandeln, und dieſelben ſchuͤzen,
hegen und pflegen, ſo wird er ohne Anlage
und Unkoſten jaͤhrlich einen Ertrag erwerben,
der ihm nuͤzlich ſeyn kann.
§. 155. Nun muß der Landwirth zu dem
Ackerbaue Anſtalten machen, und denſelben
einzurichten ſuchen. So wie die Viehzucht
ohne den Futterbau nicht beſtehen kann, und
ſo wie erſter nach dem Verhaͤltniſſe des lezten
ſich richten muß, ſo kann der Ackerbau ohne
den Dung nicht ſeyn, und erſter kann wiede-
rum nicht weiter gehen, als der lezte reicht;
da aber nun der Ertrag der Landwirthſchaft
vornehmlich auf dem Ackerbaue beruht: ſo
muß der Dung mit hoͤchſtem Fleiſe vermehrt
und verbeſſert werden.
§. 156. Der Viehſtand ſezt zwar der Men-
ge des Dunges gewiſſe Graͤnzen; allein er iſt
dem ohngeachtet doch einer groſen Vermeh-
rung faͤhig. Die Beſtandtheile aller Pflan-
zen ſind ſich gleich, ſo gar auch die Thiere
beſtehen aus Waſſer, Erde, Luft, Oel und
Salz, mithin koͤnnen alle dieſe Dinge den
F 2Dung
[84]Allgemeine
Dung vermehren. Aber ſie muͤſſen erſt durch
die Faͤulung in ihre erſte Beſtandtheile auf-
geloͤßt, und durch dieſelbe zur Pflanzennah-
rung zubereitet werden.
§. 157. Der Miſt und der Urin, Pflanzen
freſſender Thiere, iſt die eigentliche und beß-
te Pflanzennahrung; daher ſoll dieſelbe gei-
zig zu rath gehalten und verſparet werden;
dieſes iſt einer von Hauptzwecken, der die
Einrichtung des Stalles und der Miſtſtaͤtte
beſtimmen hilft. Allein auch dieſer Abgang
der Thiere hat eine groſe Neigung zur Faͤu-
lung, er iſt ein wahres Gaͤhrungsmittel;
wenn man deswegen leichtfaulende Pflanzen
und Abfaͤlle von Thieren genau damit ver-
miſcht, ſo fault alles zuſammen, und loͤßt
ſich in die beßte Pflanzennahrung auf.
§. 158. Die Dinge, welche mit dem Mi-
ſte zur Faͤulung kommen, und alſo Duͤnger
werden ſollen, werden dem Viehe zum La-
ger untergeſtreut; deswegen ſollen ſie trocken,
weich und geſund fuͤrs Vieh ſeyn, ſie werden
alsdann durch die Fuͤſe der Thiere in den
Miſt geknetet, damit vermiſcht, und alſo zu
ge-
[85]Landwirthſchaft
geſchwinderer Faͤulung zubereitet; und des-
wegen ſoll der Stall nur alle vier bis fuͤnf
Tage, oder gar alle Woche nur einmal aus-
gemiſtet werden. Jm Winter iſt dieſes vor-
zuͤglich vortheilhaft, weil der Miſt waͤrmt,
und auch langſamer fault.
§. 159. Auf der Miſtſtaͤtte ſoll der Dung
foͤrmlich und wohl in einander gelegt, auch
koͤnnen hier noch Raſen, Laub u. d. gl. da-
zu gemiſcht werden, damit man die Beſſe-
rung vermehre; auf daß aber alles deſto beſ-
ſer faule, ſo ſoll die Miſtſtaͤtte ausgehoͤhlt
und ohne Abzug ſeyn: damit ſich eine Sudel
ſammle, und man damit den Dunghaufen
begieſen, und ſo die Faͤulung und Vermeh-
rung der Dunge befoͤrdern koͤnne.
§. 160. Weil die Natur, Waſſer, Erde
und Luft zur Pflanzennahrung reichlich ver-
ſorgt: ſo muß der Dung vorzuͤglich fette und
ſalzigte Theile enthalten; dieſe zu verſchaffen
iſt das Hauptſtuͤck. So viel Erde, als noͤ-
thig iſt, Oel und Salz einzutrinken, und
ſo viel Feuchtigkeit, um alles zuſammen beſ-
ſer miſchbar zu machen, machen die wahre
F 3Be-
[86]Allgemeine
Beſchaffenheit des beßten Dunges aus. Zu-
miſchung vieler Erde und Waſſers vermehrt
nur die Maſſe, nicht aber die Guͤte.
§. 161. Dungerden haben nur dann Nu-
zen, wann ſie entweder den Raſen geſchwind
in Faͤulung ſezen, oder wann ſie die Erde
verduͤnnen und zur Pflanzennahrung geſchickt
machen, welches nur bei ſolchen Pflanzen an-
geht, die meiſt aus Waſſer und Erde beſte-
hen, als da ſind Klee und Graͤſer. Oder
endlich, wann ſie durch Vermiſchung ſchlechte
Erdarten verbeſſern.
§. 162. Der Landwirth ſoll nicht mehr
Land zu Ackerſtuͤcken roden, als er reichlich
uͤberduͤngen kann; denn ein kleineres, aber
wohlbeduͤngtes Land, gibt bei geringerer Ar-
beit und Erwerbungsmitteln mehr Ertrag,
als ein groͤſeres, aber mageres; und doch
erfodert dieſes mehrere Arbeit. Das Roden
geſchieht wie bei den Wieſen. Alle holzigte Ge-
waͤchſe werden mit der Wurzel ausgerottet,
die Steine weggeſchaft, der Raſen umge-
hackt, und zu Aſche verbrannt. Dieſe gleich
daruͤber her verbreitet, im Herbſte umge-
ackert,
[87]Landwirthſchaft
ackert, im Fruͤhjahre wieder, im Sommer
abermal, gegen den Herbſt reichlich geduͤngt,
wieder geackert, mit Winterfrucht geſaͤet,
und vollends zubereitet.
§. 163. Je mehr Dung, je mehr Aecker;
je mehr Vieh, je mehr Dung; je mehr Fut-
ter, je mehr Vieh. Derowegen ſoll der Fut-
terbau gegen den Ackerbau in ſtarker Verhaͤlt-
niß ſtehen.
§. 164. Die Frage: welche Pflanzen und
Erzeugungen der Landwirth vorzuͤglich zu bau-
en habe, muß er ſich durch die Beſchaffenheit
der Gegend, die er bewohnt, beantworten.
Daher entſteht ein wichtiger Grundſaz: al-
le Erzeugungen, die dem Landwirthe
den hoͤchſten Ertrag einbringen, die ſoll
er bauen. Jſt Milch, Butter, Kaͤſe und
Fleiſch hoͤher im Werthe als Gewaͤchſe, ſo
ſoll er ſein Land zu natuͤrlichen und kuͤnſtli-
chen Wieſen umſchaffen, den Viehſtand nach
dieſem Verhaͤltniſſe vermehren, und auf den
Ertrag desſelben ſein hoͤchſtes Augenmerk
richten.
F 4§. 165.
[88]Allgemeine
§. 165. Jſt das Getreide im hoͤchſten Wer-
the: ſo ſoll er den Dung aufs hoͤchſte vermeh-
ren und verbeſſern, und vorzuͤglich das Ge-
treid in groͤſter Menge bauen, welches den
hoͤchſten Werth hat. Eben dieſe Grundre-
geln ſoll er bei allen Nahrungs- und Hand-
lungspflanzen und Erzeugungen beobachten.
§. 166. Gegen dieſen Grundſaz wird ein
Einwurf gemacht; man ſagt: wenn nun
ein Jeder die theuerſten Erzeugun-
gen baut, ſo kann an andern noͤthi-
gen Stuͤcken Mangel entſtehen. Dieſer
Einwurf hat keinen Grund; denn wenn der
theuerſten Erzeugungen viel werden, ſo fal-
len ſie im Preiſe. Diejenigen aber, an wel-
chen Mangel iſt, ſteigen; daher werden lez-
tere ſo viel ſtaͤrker gebaut, ſo viel ſie am Wer-
the zunehmen; erſtere aber ſo viel weniger:
folglich ſchuͤzt eben mein obiger Grundſaz ge-
gen dieſen Einwurf.
§. 167. Wenn der Landwirth auf alle nur
moͤgliche, und auf die nuͤzlichſte Weiſe, ſei-
ne Nahrungsquelle zubereitet und gebaut hat:
ſo bekommt er auch den moͤglichſt hoͤchſten Er-
trag,
[89]Landwirthſchaft
trag. Von dieſem ſoll er nun die Beduͤrfniſſe
ſeiner Haushaltung aufs beßte befriedigen,
und zwar ſo: damit er den hoͤchſtmoͤglichen
reinen Ertrag erwerbe. Nun haben aber die
wenigſten Erzeugungen die Beſchaffenheit,
daß ſie ohne naͤhere Zubereitung Befriedi-
gungsmittel werden koͤnnen; daher entſteht
eine landwirthſchaftliche Kunſtwiſſen-
ſchaft.
§. 168. Hieher gehoͤrt das Dreſchen, Rei-
nigen, Mahlen, Brodbacken, Mehl und al-
le dahin gehoͤrige Mehlſpeiſen mit ihren Zu-
bereitungen, Obſtdoͤrren, Einmachen der
Gemuͤſſe, die ganze landwirthſchaftliche Koch-
kunſt. Flachs, Hanf, Leinwandbau, Wol-
lenzubereitungen, Naͤhen, Stricken, Spin-
nen u. ſ. w. Milch-Butter-Kaͤſezubereitun-
gen und was dazu gehoͤrt. Alles dieſes ſoll
ſo eingerichtet werden, damit alles auf die
beßte, und zugleich auf die wohlfeilſte Wei-
ſe dem Zwecke entſpreche.
§. 169. Die Verwendung der zubereite-
ten Erzeugungen zu Befriedigung der Beduͤrf-
niſſe, oder der Aufwand ſoll aufs genaueſte
F 5nach
[90]Allgemeine
nach den Regeln der Haushaltungswiſſen-
ſchaft, die an ihrem Orte hinlaͤnglich geleh-
ret worden, eingerichtet werden. Der Land-
wirth ſoll alle Beduͤrfniſſe, von den weſent-
lichſten bis zu den zufaͤlligſten, ihrer Ord-
nung nach kennen, alsdann unter ſeinen Er-
zeugungen die beßten, zweckmaͤſigſten, zu-
gleich aber auch die wohlfeilſten auswaͤhlen,
und ſie gehoͤrig verwenden.
§. 170. Der reine Ertrag, welcher uͤbrig
bleibt, beſteht aus Erzeugungen; dieſe ſol-
len ſo beſchaffenſeyn: daß ſie ſo wohl wegen ih-
rer Guͤte, als auch wegen ihrer Seltenheit
den hoͤchſten Werth haben. Die Verwen-
dung dieſes reinen Ertrages zu Verbeſſerung
und Vermehrung ſeines Landgutes geſchieht
durch Vertauſchung gegen ſolche Dinge, die
wiederum die beßten Erwerbungsmittel auf
ſeine Nahrungsquelle abgeben. Dieſes bewerk-
ſtelliget er, wann er den reinen Ertrag im
hoͤchſten Preiſe verkauft, fuͤr das gewonne-
ne Geld aber nach Befriedigung der geſell-
ſchaftlichen Beduͤrfniſſe, die Erwerbungsmit-
tel auf die nuͤzlichſte Weiſe einkauft, und
die-
[91]Landwirthſchaft
dieſelben wiederum auf die Nahrungsquelle
verwendet. Dieſes iſt die landwirthſchaft-
liche Handlungswiſſenſchaft.
§. 171. Die Verbeſſerung der Nahrungs-
quelle geſchieht durch Vermehrung des Fut-
terbaues, ſodann des Viehſtandes, mithin
des Dunges, und vermoͤg dieſem eine ſtuffen-
weiſe Verbeſſerung der Aecker, bis ſie aus
der beßten Erde beſtehen, die der beßten
Gartenerde gleich, und alſo keiner Verbeſ-
ſerung mehr faͤhig iſt. Alsdann und nicht
eher kann er allmaͤhlich mehrere Aecker nach
bisher angezeigten Gruͤnden anlegen, und
ſo auch ſeine Nahrungsquelle vermehren.
§. 172. Endlich muß auch der Landwirth
alle landwirthſchaftliche Erwerbungen, vom
Obſtbaue an, bis zum Bergbaue hin, ken-
nen. Alle, die in ſeinem Verſtande ſeiner Land-
wirthſchaft anpaſſen, alle, welche er alsdann
ſeinem Gewerbe angemeſſen findet, ſoll er
durch kleine Verſuche in ſeinem Wirkungs-
kreiſe einlenken, ſeiner Nahrungsquelle an-
fuͤgen, mit derſelben verbeſſern und vermeh-
ren, nach der Natur der Erwerbungen, und
nach
[92]Allgemeine Kunſtwirthſchaft
nach den Grundſaͤzen der Haushaltungswiſ-
ſenſchaft ihre Erwerbungsmittel beſtim-
men, und zu dem hoͤchſten Ertrage zu bringen
ſuchen. Die einzelnen reinen Ertrage ſoll er
durch die landwirthſchaftliche Handlung zu
einem ganzen reinen Ertrage in Geld um-
ſchaffen, und dieſe alsdann zu Verbeſſerung
und Vermehrung der gemeinſchaftlichen Nah-
rungsquellen verwenden.
Allgemeine Kunſtwirthſchaft.
§. 173. Die Kunſtwirthſchaft lehret:
wie alle gewonnene oͤkonomiſche Er-
zeugungen zu Befriedigung aller Be-
duͤrfniſſe, nach dem Geſchmacke desje-
nigen, der ſie dazu verwenden will, zu-
bereitet werden muͤſſen. Und wie die
Arten der Zubereitung zu einem eintraͤg-
lichen Gewerbe geordnet, dieſelben als
Nahrungsquelle hoͤchſtergiebig gemacht,
der hoͤchſte Ertrag gewonnen, durch
vernuͤnftige Grundſaͤze nach Befriedi-
gung haͤuslicher Beduͤrfniſſe der hoͤchſte
reine Ertrag eruͤbriget, und wiederum
auf die beßte Art in die Nahrungsquelle
zu verwenden ſeie.
§. 174.
[93]Allgemeine Kunſtwiſſenſchaft
§. 174. Die Kunſtwirthſchaft zerfaͤllt alſo
vermoͤg dieſer Erklaͤrung in zween Haupt-
theile: erſtlich in die Kunſtwiſſenſchaft,
welche lehrt: wie die oͤkonomiſchen Erzen-
gungen zubereitet werden ſollen. Und
zweitens: in die kunſtwirthſchaftliche
Haushaltung, welche anweißt: wie eine
jede Art der Zubereitung zum Gewerbe
gemacht, und darinnen hausgehalten
werden muͤſſe.
Allgemeine Kunſtwiſſenſchaft.
a) Geſchichte der Kuͤnſte und Handwerker.
§. 175. Jn dem rohen Zuſtande der
Menſchheit werden nur die allerweſentlichſten
Beduͤrfniſſe befriedigt. So lang dieſes mit
Erzeugungen geſchieht, welche keine Zube-
reitung erfodern, ſo lang iſt keine Kunſt,
kein Handwerk noͤthig. Daher entſtehen die
Kuͤnſte und Handwerker zugleich mit dem Ur-
keime der zufaͤlligen Beduͤrfniſſe. Kuͤnſte
und Handwerker will ich mit einem Worte
Kunſt benennen.
§. 176. So bald der Hausvatter ein Jaͤ-
ger wird, Frau und Kinder mit den wilden
Thie-
[94]Allgemeine
Thieren ernaͤhrt, ſo bald werden Werkzeuge
erfodert. Er belauſcht die Thiere, erhaſcht
ſie mit Liſt, und ſchlaͤgt ſie mit der Keule,
mit einem Stuͤcke Holz tod. Dieſes findet
er leicht, und es erfodert wenig Zuberei-
tung. Aber das Wild wird ſcheu, laͤuft ge-
ſchwinder wie der Menſch, die Noth lehrt
ihn auf Mittel ſinnen, wie ers in der Ferne
toͤde. Er wirſt mit Steinen, ſchleudert,
aber da fehlt’s ihm bei etwas groſen Thie-
ren an Kraft.
§. 177. Er denkt auf eine Kraft, welche
ſtaͤrker werfen kann, als ſeine Hand; Er-
fahrungen von der Schnellkraft ſchlanker
Baumzweige hilft ihm auf Nachſinnen; er
erfindet leicht Bogen und Pfeile, und nun
macht ihn die Uebung zum Meiſter; viel-
leicht erfand man zuerſt Lanzen, hernach
Wurfſpieſe, und darauf den Bogen. Ver-
muthlich entſtunden um dieſe Zeit auch Stri-
cke von Thierhaaren, oder Riemen aus ih-
ren Fellen, womit man auch Thiere leben-
dig fienge.
§. 178.
[95]Kunſtwiſſenſchaft
§. 178. Ein ſchwimmendes Stuͤck Holz
fuͤhrte zur Bildung des Nachens und Kahnes,
um uͤber kleine Stroͤme und groͤſere das Wild
zu verfolgen; man fand immer daran zu
verbeſſern, erfuhr, daß ihn der Wind trieb,
man richtete Stangen mit Thierhaͤuten dar-
innen auf, lies ſich vom Winde treiben, da-
her erſte Anlage zum Schiffe; die Fuͤſe der
rudernden Waſſervoͤgel leiteten zu Erfindung
des Ruders .
§. 179. Der Fiſchfang war leichter, die
Angel konnte der Zufall ſowohl, als das
Nachdenken erfinden, und eben ſo die Neze.
Wo einmal der Grund der Sache erfunden
iſt, da laͤßt ſich durch einen gemeinen Men-
ſchenverſtand leicht verbeſſern.
§. 180. Obſtfruͤchte und Wurzeln laſſen
ſich noch genieſen; aber nicht ſo wohl das
Fleiſch, es laͤßt ſich mit den Zaͤhnen nicht gut
zermalmen. Man waͤrmte ſich bei dem Feu-
er;
[96]Allgemeine
er; zufaͤllig konnte ein Stuͤck Fleiſch in das-
ſelbe gerathen, der Geruch leitete zum Ver-
ſuche: man fand das Gebratene ſchmackhaft
und weich, man briete, man fand die Kru-
ſte hart, man verfiel auf Hoͤhlen, die man
mit Fleiſche fuͤllte, um und um mit Glut
umgab, und ſo gerieht man aufs Kochen.
§. 181. Eine ſolche Kochgrube in der Er-
de gerieth in Toͤpferton, oder ein Stuͤck
desſelben gerieht ins Feuer: man fand, daß
er in demſelbenÇ ſteinhart wurde, man bilde-
te ein Gefaͤß aus dieſem Tone, man lernte
ihn kennen, und von allen andern unter-
ſcheiden, man brannte das Gefaͤß, fand es
gut, und kochte darinnen; ſo war vermuth-
lich der Anfang der Toͤpferkunſt, und mit
derſelben die vielfaͤltigen Verſuche zu kochen.
§. 182. So wie man zufaͤllig das ſchmel-
zende Metall im Feuer fand, ſo entdeckte
man, daß es im Feuer wiederum weich wur-
de, und ſogar wiederum floß; man ſuchte
Mittel es zu benuzen, ſchmolz es in Formen,
ſchlug und foͤrmte es mit Steinen, hernach
mit Hammern, erfand das Schmelzen und
Schmie-
[97]Kunſtwiſſenſchaft
Schmieden, und mit demſelben allerhand
Werkzeuge zum haͤuslichen Gebrauche.
§. 183. Mit metallenen ſchneidenden Werk-
zeugen lies ſich das Holz behandeln. Man
fand die Verfertigung hoͤlzerner Sachen leich-
ter, machte Gefaͤſſe, vollkommenere Woh-
nungen, und viele andere Geraͤthe: daher
Urſprung der Waffenſchmiede, erſter Urkeim
der Holzarbeiter.
§. 184. Die Kleidung in Thierhaͤuten war
unbequem, man fand die Haare im Som-
mer beſchwerlich, im Winter bequem. Die
Haͤute wurden ſteif und raſſelten; man merk-
te, daß ſie ſo leicht zerbrachen. Deswegen
gerieht man vor und nach auf Bereitung der
Thierhaͤute. Die phyſiſche Urſache derſelben
iſt nicht leicht zu entdecken; auch hier hat viel-
leicht der Zufall gezeigt: welche Saͤfte von
Gewaͤchſen zur Geſchmeidigkeit der Haͤute die
beßten ſeien. So entſtand ſchon fruͤh die
Gaͤrberei.
§. 185. Die Bildung der Kleidung nach
dem Koͤrper und ſeiner Bequemlichkeit ent-
ſtand nach und nach. Der Erwerber nahm
Gdas
[98]Allgemeine
das beßte fuͤr ſich, kleidete ſich beſſer. Daher
entſtand der erſte Gedanke, den Vorzug durch
Kleider zu zeigen. Ein jeder Menſch wird ger-
ne vorzuͤglich geachtet, er ſuchte daher dieſe
Wuͤrde durch Erwerbers Kleider zu erlangen.
§. 186. Das weibliche Geſchlecht lebt in
dem Grundtriebe, dem Maͤnnlichen zu ge-
fallen; daher erhoͤhen die Weiber ihre na-
tuͤrliche Schoͤnheit durch Dinge, die allge-
mein angenehm und ſchoͤn ſind, ſie ſchmuͤ-
cken ihren Koͤrper damit aus, und ſezen aus
ſolchen Sachen ihre Kleider zuſammen. Die-
ſe beiden Grundtriebe, bei dem maͤnnlichen
und weiblichen Geſchlechte, arbeiten zur Er-
hoͤhung der Kleiderpracht, und ſezen alle
Kuͤnſtler in Bewegung, welche zur Kleidung
der Menſchen arbeiten.
§. 187. Zuſammenwohnung der Menſchen
in der haͤuslichen Geſellſchaft, ſezt den Haus-
vatter zum unumſchraͤnkten Herrn der Haus-
genoſſen; er wird geehrt, geliebt, gefuͤrch-
tet, je nachdem er regiert. Viele Hausvaͤt-
ter zuſammen, machen eine buͤrgerliche Ge-
ſellſchaft: es entſteht die Nothwendigkeit ei-
nes
[99]Kunſtwiſſenſchaft
nes Fuͤrſten. Ein ſehr weiſer tapferer Re-
gent, der Vatter des Volkes wird geliebt;
das Andenken nach ſeinem Tode fuͤhrt zum
Goͤzendienſte. Modell ſeines ehmahligen
Koͤrpers, ſeine Bildſaͤule oder ſein Gemaͤhl-
de, fort Abbildung geehrter und geliebter
Perſonen; daher Mahlerei und Bildhauer-
kunſt mit ihren Zweigen.
§. 188. Allgemeine Verehrung eines Ab-
gottes an einem geheiligten Orte fuͤhrt auf
den Gedanken eines ewigen Hauſes, eines
langdauernden Tempels; daher Saͤule von
Steinen, ſchwere, Sturm und Gewitter
ausdauernde Gebaͤude, Urbegriffe von
Schoͤnheit in ſolche Gebaͤude angebracht, um
Andacht und Vergnuͤgen zu erwecken, erhiz-
te Einbildungskraft, die Mutter vieler Kunſt-
erzeugungen.
§. 189. Schmeichelei, Stolz, Verwah-
rung fuͤr Ueberfall, Menge der Hausgenoſ-
ſen, Liebe zur Pracht, waren die Urſachen
groſer, feſter und ſchoͤner Tempel lebendiger
Fuͤrſten: daher entſtanden Schloͤſſer, Pallaͤ-
ſte und andere ſchoͤne Gebaͤude, und mit den-
G 2ſelben
[100]Allgemeine
ſelben der erſte Anfang der Baukunſt mit al-
len ihren ausgebreiteten Zweigen.
§. 190. Die Verbeſſerung der Landwirth-
ſchaft, Erweiterung ihrer Werkzeuge in al-
len ihren Gewerben, fuͤhrte zu mehreren
Arten der Zubereitungen und Handwerker:
Unterſuchungen mehrerer Gewaͤchſe erfanden
Flachs, Hanf, Baumwolle, und daher flie-
ſende Gewerbe. Eben ſo entſtanden Verſu-
che mit der Wolle, mit Haaren und andern
Erzeugungen der Thiere.
§. 191. Die Verbeſſerung und Vermeh-
rung der Kunſtgewerbe ſelbſten vervielfaͤltigt
ſie nicht nur, ſondern erhoͤht ſie auch; es
werden mannigfaltige Werkzeuge erfodert,
die der Kuͤnſtler nicht ſelber machen kann,
und ſo entſtehen abermal neue Kuͤnſte, und
vielfaͤltige Zubereitungen durch Handwerker.
§. 192. Mit dem Urſprunge der Kauf-
mannſchaft, oder des Tauſchgewerbes, ent-
ſtanden neue Kunſtbeduͤrfniſſe. Der Nuzen
der edlen Metalle vervielfaͤltigte ſich. Man er-
fand das Geld, erfand mehrere Vortheile
im Verſchicken der Waaren; es entſtanden
Wagen,
[101]Kunſtwiſſenſchaft
Wagen, Karren mit allem Zugehoͤre, Pfer-
degeraͤthe zum Reuten und Fahren, Ver-
vollkommnung des Schiffbaues und der buͤr-
gerlichen Baukunſt, Erfindung mancherlei
Maſchinen und Kunſtwerke.
§. 193. Maͤnner, die ſich auf die Verfei-
nerung und Erhoͤhung der Seelenbeduͤrfniſſe
legten, die Begierde hatten, das wahre Gu-
te und Schoͤne in den Geſchoͤpfen aufzuſu-
chen, die Hunger nach Erfindung neuer
Wahrheiten bei ſich empfanden; die ſammel-
ten, was ſie erfunden, und legten den Grund
zur Gelehrſamkeit. Auch dieſe brauchten
Werkzeuge zu Verſuchen, ſie brauchten Werk-
zeuge, ihre Erfahrungen und Wahrheiten auf
die Nachwelt zu bringen, ſie bildeten ihre
Begriffe durch Zuͤge ab, gruben ſie in Stein
und Erz, machten ſie mit Griffeln auf Wachs-
tafeln, auf Papierblaͤtter und Baumrinden:
endlich entſtand Papier, Feder, Dinte,
Schreibkunſt, Buchdruckerei, Kupferſteche-
rei, und ſo fort.
§. 194. Ein Menſch, der auſerordent-
liche Faͤhigkeiten hat, nach dem verbor-
G 3genen
[102]Allgemeine
genen Seelengefuͤhle des Vergnuͤgens,
das wahre Gute und Schoͤne in der Na-
tur, der Kunſt, und im Reiche der Wahr-
heiten auszuſuchen, und nach dieſem Ge-
fuͤhle zuſammen zu ſezen und hinzuord-
nen, heißt ein Genie, ein Schoͤnkuͤnſtler.
Dieſer ſeltenen Menſchen hat’s immer aber
ſparſam gegeben; in dem Theile, worinnen
ein ſolcher hervorſtach, machte er Zeitpunkt,
und foͤrderte die Kunſt gewaltig. Dichtkunſt,
Tonkunſt, Mahler- und die Bildhauerkunſt
jeder Zeitalter beweiſen das; nicht weniger
auch die Erfinder merkwuͤrdiger Kuͤnſte.
§. 195. Unter alle Arten der Beduͤrfniſ-
ſe miſchte ſich von je her die Ueppigkeit (Lu-
xus): ſie ſchwaͤrmt darinnen herum, erhoͤht,
uͤberſpannt, beſtimmt und veraͤndert uͤberall
die mannigfaltigen Zubereitungen der viel-
faͤltigen Erzeugungen, und wird alſo eine
maͤchtige Triebfeder der Kunſtgewerbe, das
iſt: der wahre und falſche Geſchmack
wirken mit vereinter Kraft zur Beſtim-
mung der Kuͤnſte.
b) Kunſt-
[103]Kunſtwiſſenſchaft
b) Kunſtgewerbe.
§. 196. Eine naturgemaͤſe Ordnung und
Eintheilung der Kuͤnſte und Handwerker auf-
zuſtellen, iſt wegen der Mannigfaltigkeit der-
ſelben nicht leicht. Doch will ich einen Ver-
ſuch wagen. Wann wir die Sache einfaͤltig
unterſuchen: ſo finden wir auf der einen Sei-
te alle oͤkonomiſchen Erzeugungen, dieſe ſol-
len nun durch die Kunſt zu Befriedigungs-
mitteln umgeſchaffen werden; in dieſer Ruͤck-
ſicht will ich die oͤkonomiſchen Erzeugungen ro-
he Erzeugungen nennen.
§. 197. Auf der andern Seite haben wir
eine unendliche Menge Beduͤrfniſſe vor uns,
welche alle der Reihe nach befriediget werden
wollen; inſoweit ſie nun durch die Kunſt be-
friediget werden koͤnnen, nenne ich ſie Kunſt-
beduͤrfniſſe, und ihre Befriedigungsmittel
ſind Kunſterzeugungen.
§. 198. Jedes von dieſen beiden Stuͤcken,
ſowohl die rohen Erzeugungen als die Kunſt-
beduͤrfniſſe haben ihre beſtimmte mannigfal-
tige von einander verſchiedene Eigenſchaften:
durch die Kunſt ſollen die Eigenſchaften der
G 4Er-
[104]Allgemeine
Erzeugungen ſo zubereitet werden, daß ſie
den Eigenſchaften der Beduͤrfniſſe genug thun:
folglich liegen die Heiſcheſaͤze der Kunſt erſt-
lich in den Eigenſchaften der Erzeugungen,
hernach auch in den Eigenſchaften der Kunſt-
beduͤrfniſſe.
§. 199. Es iſt daher ganz natuͤrlich, daß
alle Kuͤnſte, welche ſich vorzuͤglich auf die
Eigenſchaften der Erzeugungen gruͤnden, zu-
gleich auch die erſten ſeyn muͤſſen. Nun ſte-
hen aber alle Erzeugungen in den dreien Rei-
chen der Natur, mithin koͤnnen wir auch die-
ſe Kuͤnſte dahin ordnen, und fuͤglich mit dem
Thierreiche den Anfang machen, weil es dem
Menſchen ganz gewiß am erſten bekannt ge-
worden.
§. 200. Das Fleiſch der Thiere gab dem
Menſchen Speiſe. Doch verſpar ich ſeine
Zubereitung zur Kochkunſt. Die Haͤute der
Thiere aber wurden zur Kleidung und aller-
hand Sachen gebraucht: daher mache ich aus
der Fellbereitung die erſte Klaſſe, oder den
erſten Abſchnitt.
§. 201.
[105]Kunſtwiſſenſchaft
§. 201. Die Haare der Thiere wurden
ſchon fruͤh zu verſchiedenen Zwecken verwen-
det, beſonders war die Schaafwolle bald ei-
ne Erzeugung, die zu mancherlei Zwecken be-
reitet wurde. Alles, was alſo aus Wolle
gemacht wird, nenne ich die zweite Klaſſe,
welche die Wollemanufaktur begreift.
§. 202. Noch mehrere Thierhaare werden
zu mancherlei Endzweck gebraucht; die
Haare der Angoriſchen Ziege, der Biber,
der Haaſen, der Pferde, der Menſchen,
u. f. w. gehoͤren hieher, und machen wieder
einen eigenen, und zwar den dritten Ab-
ſchnitt: der Haarwuͤrkereien.
§. 203. Hoͤrner und Knochen der Thiere,
Fiſchbein, die Schuppen, Muſcheln und
Schaalen der Fiſche, oder was ſonſten har-
tes aus dem Thierreiche entſteht, und zu
Kunſterzeugungen verarbeitet wird, ordne ich
zur vierten Klaſſe: der Hornarbeiten.
§. 204. Alles, was aus dem Fette der
Thiere, oder demſelben aͤhnlichen Materien
bereitet wird, gehoͤrt in die fuͤnfte Klaſſe:
der Fettbereitungen.
G 5§. 205.
[106]Allgemeine
§. 205. Die Gallertartigen Theile aus dem
Thierreiche werden zu Leime bereitet, und
dieſe verſchiedene Arbeiten ſeze ich in die ſechs-
te Klaſſe: der Leimmanufakturen.
§. 206. Die Seidewuͤrmer geben den Stoff
zur ſiebenten Klaſſe: zu den Seidemanu-
fakturen.
§. 207. Das Pflanzenreich iſt das zweite,
welches ſeine Erzeugungen den menſchlichen
Unterſuchungen darbot. Das Holz war ein
wichtiger Gegenſtand, der ſchon fruͤhzeitig
benuzt wurde. Alle Arbeiten, die aus dem
Holze als Holz betrachtet entſpringen, ord-
ne ich in die achte Klaſſe der Kunſtgewerbe,
und nenne ſie Holzwerke.
§. 208. Leinen, Hanf und Baumwolle wur-
den bald nach dem Vorbilde der Wolle und
Thierhaare zum Gewuͤrke bereitet: daher
entſteht die neunte Klaſſe, der Leinen- und
Cattunmanufakturen.
§. 209. Sehr vielerlei Pflanzen werden
zu tauſenderlei Kunſtbeduͤrfniſſen bereitet,
alle dieſe faſſe ich zuſammen in eine Klaſſe,
und nenne ſie die zehnte Klaſſe der Pflan-
zenmanufakturen.
§. 210.
[107]Kunſtwiſſenſchaft
§. 210. Das Mineral- oder Steinreich
iſt das dritte, welches die Menſchen zu Be-
friedigung ihrer Beduͤrfniſſe verwenden, und
hier entſtehen wiederum verſchiedene Klaſſen.
Die elfte begreift: die Eiſen- und Stahl-
arbeiter. Die zwoͤlfte: die Zinngieſer
und Rothgieſer. Die dreizehnte: die Gold-
und Silberarbeiter.
§. 211. Die Minerale ſind vielfaͤltig, und
haben mannigfaltigen Nuzen zu Befriedigung
der Beduͤrfniſſe und Kunſtbeduͤrfniſſe; da-
her will ich ihre Zubereitungen zuſammen in
die vierzehente Klaſſe: der Mineralarbei-
ten ordnen.
§. 212. Die Steine haben ebenfalls ih-
ren Gebrauch vom Maurer an bis zum Gips-
und Stukkaturarbeiter; ſie ſollen die fuͤnfze-
hende Claſſe der Steinwerke ausmachen.
§. 213. Dieſe fuͤnfzehn Klaſſen begreifen
nicht alle vollendete Werke, die aus ihren
Erzeugungen entſpringen, ſonſt wuͤrden ſie
alle Kunſtgewerbe enthalten; ich ordne nur
die erſten Kunſterzeugungen dahin, ſo wie ſie
durch eine einfache Handarbeit dem Zwecke
ge-
[108]Allgemeine
genaͤhert werden. Folglich ſind ſie in Abſicht
der folgenden Kuͤnſte noch immer rohe Erzeu-
gungen.
§. 214. Um die erſten Kunſterzeugungen
dem Zwecke immer gemaͤſer ausbilden zu koͤn-
nen, ſind mancherlei Werkzeuge noͤthig. Der
Kuͤnſtler, welcher die Werkzeuge verfertigt,
braucht oͤfters Erzeugungen aus allen dreien
Reichen der Natur, er kann ſich nicht mehr
an eine Gattung derſelben binden: folglich
kann ſich auch ſein Gewerb nicht mehr nach
den rohen Erzeugungen, ſondern es muß
ſich nach den Werken der Kunſt nennen.
§. 215. Die Werkzeuge unterſcheiden ſich
am beßten nach der Kraft, welche ſie in Be-
wegung ſezt. Ein groſer Theil derſelben wird
von Menſchen und Thieren bewegt und un-
mittelbar gebraucht; dieſe will ich in die ſechs-
zehente Klaſſe der Handmaſchinen ordnen.
§. 216. Viele groſe Kunſtwerke treibt das
Waſſer, ſie erfodern von andern verſchiede-
ne Einrichtungen und Zubereitungen: ſie ha-
ben weit ausgebreiteten Nuzen in den Kunſt-
gewerben, und verdienen daher, daß ich ſie
in
[109]Kunſtwiſſenſchaft
in eine Klaſſe allein, und zwar in die ſieben-
zehente, unter dem Namen der Waſſer-
maſchinen ſtelle.
§. 217. Auch der Wind ſezt nuͤzliche Ma-
ſchinen in Bewegung, die an Orten, wo
keine Waſſerwerkzeuge moͤglich ſind, ihren
groſen Nuzen haben; ſie machen die acht-
zehente Klaſſe aus, und heiſen Windma-
ſchinen.
§. 218. Noch andre und zwar ſehr nuͤz-
liche Kunſtwerke bewegen ſich durch Kraͤfte,
die in ihrer eigenen Zuſammenſezung ange-
bracht ſind. Nemlich ſolche, die durch Ge-
wicht und Schnellkraft getrieben werden; ich
ordne ſie zuſammen in die neunzehente Klaſ-
ſe der ſelbſtwirkenden Maſchinen.
§. 219. Viele Kunſtgewerbe ſind mit ge-
nugſamen Werkzeugen verſehen, und koͤnnen
doch ihre rohe Erzeugungen nicht in vollen-
dete Kunſterzeugungen verwandeln: es ent-
ſtehen daher Nebenzubereitungen, die ein
eigenes Kunſtgewerbe ausmachen, und doch
mit andern nur zu einem Zwecke an einerlei
Erzeugungen arbeiten. Dieſe verſammle ich
in
[110]Allgemeine
in eine beſondre, und zwar in die zwanzig-
ſte Klaſſe der Hilfskunſtgewerbe.
§. 220. So gruͤnden ſich die Kunſtberei-
tungen erſtlich auf die Eigenſchaften der ro-
hen Erzeugungen, auf die Werkzeuge, auf
die Hilfsbereitungen, und nun endlich auf
die Befriedigung der Beduͤrfniſſe ſelber: ſo
entſtehen vier Ordnungen, welche ihre Klaſ-
ſen unter ſich haben, deren jede ihre Kuͤnſte
in ſich enthaͤlt. Die lezte Ordnung hat wie-
derum ihre Klaſſen. Die erſte betrift die
Nahrung: ſie macht die ein und zwanzigſte
der Nahrungsbereitungen aus.
§. 221. Die Kleidung wird aus vielerlei
Kunſtwerken zuſammen geſezt: alle Kuͤnſte,
die damit umgehen, ordne ich in die zwei
und zwanzigſte Klaſſe, und nenne ſie die
Kleidungsgewerbe.
§. 222. Die Wohnungen der Menſchen
und Thiere erfodern vielerlei Kuͤnſte, Hand-
arbeiten und Zubereitungen: alle aber ar-
beiten zu einem Zwecke, und dieſem gebe ich
die drei und zwanzigſte Klaſſe, und heiſe ſie
die Baukunſt.
§. 223.
[111]Kunſtwiſſenſchaft
§. 223. Die Gelehrten und Schoͤnkuͤnſt-
ler beſchaͤftigen ſich mit Kunſterzeugungen,
die ſie theils als Werkzeuge brauchen, theils
ſelber bereiten, und dieſe ſeze ich zuſammen
in die vier und zwanzigſte Klaſſe der gelehr-
ten Kunſtwerke.
§. 224. Schlieslich hat der Staat ſelbſten
Kunſtwerke, die er allein betreibt, und die
der Staatswirthſchaft eigen ſind: dieſe ord-
ne ich in die fuͤnf und zwanzigſte Klaſſe der
Staatskunſtwerke zuſammen.
§. 225. Alle bisher angezeigten Kunſt-
und Handwerksfaͤcher erfuͤllen den ganzen
Raum zwiſchen den Erderzeugungen, ſo wie
ſie aus der Hand der Natur und des Land-
wirths kommen, bis dahin, wo die Erzeu-
gungen zur Befriedigung der Beduͤrfniſſe
unmittelbar angewendet werden koͤnnen, oder
bis die rohen Erzeugungen Kunſterzeugun-
gen geworden ſind.
§. 226. Alle Handwerker und Kuͤnſte ha-
ben den Grad ihrer Vollkommenheit durch
Erfahrung, Erfindung und Zufall erlangt;
aber die wenigſten haben noch die hoͤchſte
Stu-
[112]Allgemeine
Stufe erreicht: faſt alle ſind noch der Ver-
beſſerung faͤhig, und derowegen muß die
Erfahrung und Erfindung noch immer
genuzt, und jeder Zufall beobachter wer-
den, was er nuͤzliches enthalte. Dieſes
iſt ein Grundſaz zu Verbeſſerung des Kunſt-
gewerbes.
§. 227. Obgleich der Unterſchied zwiſchen
Handwerk und Kunſt in Anſehung des Ge-
werbes wenig Einfluß hat, ſo iſt er doch in
andern Abſichten zu bemerken. Die Kunſt iſt
edler als das Handwerk, und der Kuͤnſtler
begehrt vor dem Handwerksmanne einen
Vorzug: ich muß daher allhier den Unter-
ſchied zwiſchen Handwerk und Kunſt zu be-
ſtimmen ſuchen.
§. 228. Es gibt ſehr viele Zubereitungen,
deren Heiſcheſaͤze ſich auf mancherlei Hilfs-
wiſſenſchaften gruͤnden, beſonders auf die
Naturkunde, Scheidekunſt, reine und an-
gewandte Mathematik. Derjenige, welcher
alſo die Zubereitungen bewerkſtelligen will,
muß von jenen Wiſſenſchaften wenigſtens ſo
viel verſtehen, um ſeine Heiſcheſaͤze daraus
fol-
[113]Kunſtwiſſenſchaft
folgern, erkennen und erklaͤren zu koͤnnen.
Weil nun ſchon hierzu ein mehr als gemei-
ner Menſchenverſtand erfodert wird, wenig-
ſtens gehoͤrt eine gute und ſtarke Vernunft
dazu; ſo verdient ein ſolcher Menſch einen
Vorzug, er heißt ein Kuͤnſtler, und ſeine
Zubereitungen eine Kunſt.
§. 229. Die Zubereitungen koͤnnen in
verſchiedenen Faͤllen nicht durch beſtaͤndige
Heiſcheſaͤze unwandelbar gemacht werden;
ſie erfodern einen erfinderiſchen Geiſt, der
in den verſchiedenen und hoͤchſt mannigfalti-
gen Erfoderniſſen der Beduͤrfniſſe allemal den
beßten und naͤchſten Weg zur zweckmaͤſigen
Zubereitung der Erzeugungen einzuſchlagen
weis: daher unterſcheidet er ſich von dem
Handwerksmanne, er verdient Vorzug, heißt
mit Recht ein Kuͤnſtler, und ſeine Werke
ſind Kunſt.
§. 230. Oder der Gang und die Hand-
griffe der Zubereitungen ſind geheimnißvoll,
aus der Arbeit ſehr ſchwer zu errathen. Oder
die Zubereitungen ſind ſehr muͤhſam, koͤnnen
nicht anders, als durch langwierige Uebung
Hder
[114]Allgemeine
der Handgriffe, erlernt werden: und erfo-
dern daher eigene Geſchicklichkeiten. Jn bei-
den Faͤllen verdient der Arbeiter den Namen
eines Kuͤnſtlers, und ſein Gewerb iſt
Kunſt.
§. 231. Hingegen haben die Handwerker
nur eine gewiſſe Anzahl ſolcher Heiſcheſaͤze,
die dem ſchlichten Verſtande begreiflich, und
deren Ausuͤbung durch Erlernung der Hand-
griffe keine vorzuͤgliche Geſchicklichkeit erfo-
dert. Es iſt alſo klar, daß die Kuͤnſte Men-
ſchen von hoͤherer Faͤhigkeit und Cultur erhei-
ſchen als die Handwerker, und daher den-
ſelben der Vorzug von Rechts wegen gebuͤhre.
§. 232. Die ganze Kette der Kunſtgewer-
be faͤngt mit der geringſten Handarbeit an,
und endigt ſich mit dem groͤſten Kunſtwerke.
Jn ſo weit nun ein Handwerk Geheimniſſe und
ſchwere Kunſtgriffe enthaͤlt, iſt es auch Kunſt.
Und in ſo weit eine jede Kunſt ſich mit der
Hand bearbeiten laͤßt, iſt ſie Handwerk. Da
nun vom Vornehmſten die Benennung ge-
ſchehen ſoll, ſo kann man die Handwerker
und Kuͤnſte zuſammen Kunſtgewerbe oder
Kunſtwirthſchaft nennen.
§. 233.
[115]Kunſtwiſſenſchaft
§. 233. Aus bisher Abgehandeltem laͤßt
ſich leicht folgern, daß es fuͤr das Kunſtge-
werbe nuͤzlich ſei: wann alle Handwerker vor
und nach zur Wuͤrde der Kunſt emporſteigen.
Denn je mehr der Handwerker nach wiſſen-
ſchaftlichen Grundſaͤzen arbeitet, je mehr er
ſeine Erfindungskraft uͤbt, um durch kuͤrzere
Wege und leichtere Mittel die beßten Zube-
reitungen zu machen, und endlich je mehr
nuͤzliche Geheimniſſe er entdeckt, und ſelbi-
ge zum hoͤchſten Nuzen der Kunſt in ſeine
Werke verwebt: je mehr treibt er ſein Ge-
werbe zur Wuͤrde der Kunſt empor, und de-
ſto mehr Nuzen ſchaft er dem Kunſtgewerbe,
ins Ganze genommen.
§. 234. Desgleichen muß einem jeden ein-
leuchten, daß die Naturgeſchichte, Na-
turkunde, Scheidekunſt, reine und an-
gewandte Mathematik, ſchoͤne Wiſſen-
ſchaften und ſchoͤne Kuͤnſte, Kaͤnntniſſe
enthalten, die im Kunſtgewerbe unent-
behrlich ſind, und die alſo als Hilfswiſ-
ſenſchaften auf der Kameral Hohenſchu-
le nothwendig gelehrt werden muͤſſen.
H 2Kunſt-
[116]Kunſtwirthſchaftliche
Kunſtwirthſchaftliche Haushaltung.
§. 235. Ein jedes Kunſtgewerb hat nicht
nur den Zweck, die Beduͤrfniſſe derjenigen zu
befriedigen, die ſeine Erzeugungen brauchen;
ſondern es ſoll auch als Gewerb betrachtet,
demjenigen, der es treibt, eine Nahrungs-
quelle abgeben, wodurch er ſich und die Sei-
nigen ernaͤhren und gluͤcklich machen kann.
Die Heiſcheſaͤze, welche die Lehren dazu ent-
halten, ordne ich zuſammen, und nenne ſie
die kunſtwirthſchaftliche Haushaltung.
§. 236. Die kunſtwirthſchaftliche Haus-
haltung lehrt alſo: wie ein jedes Kunſtge-
werb muͤſſe zur Nahrungsquelle ge-
macht, dieſelbe zum hoͤchſten Ertrage
eingerichtet, dieſer Ertrag zu Befriedi-
gung der haͤuslichen Beduͤrfniſſe derge-
ſtallt angewendet werden, damit der
hoͤchſte reine Ertrag herauskomme, und
wie endlich dieſer reine Ertrag wiede-
rum zu Verbeſſerung und Vermehrung
der Nahrungsquelle verwendet werden
muͤſſe.
§. 237.
[117]Haushaltung
§. 237. Das erſte iſt alſo: wie eine Nah-
rungsquelle aus dem Kunſtgewerbe zu er-
richten. Da es nun ein Haushaltungsgrund-
ſaz iſt: daß man ſich eine Nahrungsquelle
waͤhle, welche zum hoͤchſten Ertrage, den
man unter ſeinen Umſtaͤnden erwarten kann,
faͤhig zu machen iſt, ſo muß man ſich unter
allen Kunſtgewerben eine ausſuchen, die die-
ſe Eigenſchaften hat. Kann man nicht dazu
gelangen, entweder wann unuͤberwindliche
Schwierigkeiten vorhanden, oder wann man
durch gewiſſe Umſtaͤnde an ein Gewerbe ver-
bunden iſt, ſo ſoll man doch das Gewerb,
das einem zukommt, ſich zur Nahrungsquel-
le errichten.
§. 238. Die Erwerbung einer Nahrungs-
quelle aus den Kunſtgewerben beſteht darin-
nen, daß man die Kunſt erlerne. Hier-
zu werden zwei Stuͤcke erfodert: erſtlich ein
voͤlliger Begriff der Heiſcheſaͤze und Behal-
tung derſelben, oder das Wiſſen des Kunſt-
gewerbes (Theorie); zweitens: die Ausuͤ-
bung aller Handgriffe, wodurch das Wiſſen
Thatſache wird (Praxis), ſo lang, bis die
H 3koͤr-
[118]Kunſtwirthſchaftliche
koͤrperlichen Gliedmaſen ihre vollkommene
Geſchicklichkeit und die Gewohnheit erlangt
haben.
§. 239. Da der neue Erwerber der Nah-
rungsquelle die Heiſcheſaͤze ſeines zukuͤnfti-
gen Gewerbes, desgleichen die Ausuͤbung
derſelben erlernen ſoll, ſo muß er jemand
haben, der ſie vollſtaͤndig weis und kann,
und zugleich eine kunſtwirthſchaftliche Haus-
haltung damit fuͤhrt. Ein ſolcher Mann heißt
ein Meiſter; bei dieſem muß ſich der Erwer-
ber in ſeinen beßten Juͤnglingsjahren in die
Lehre geben, wogegen er ihn voͤllig unter ſei-
ne Hausgenoſſene aufnimmt, ihm alle Hei-
ſcheſaͤze vorſagt, bis er ſie weis, und nicht
mehr vergißt, und ihn alle Stuͤcke und Hand-
griffe ſo lang ausuͤben laͤßt, bis er die Kunſt
oder das Handwerk voͤllig verſteht und kann,
izt heißt der Erwerber Lehrjunge.
§. 240. Wann der Lehrjunge bei ſeinem
Meiſter nichts mehr lernen kann, ſo wird er
losgeſprochen, das heißt: der Meiſter ent-
laͤßt ihn gutwillig ſeiner Lehrjahre, und be-
zeugt, daß er das Gewerb verſtehe. Da aber
nun
[119]Haushaltung
nun ein jeder Meiſter ſeinen eigenen Gang
in ſeiner Handthierung hat, und einer vor
dem andern noch immer beſſere Heiſcheſaͤze
weis, und geſchicktere Ausuͤbung bald in die-
ſem, bald in jenem Theile beſizt; ſo ſoll der
Lehrjunge auf die Wanderſchaft gehen.
Weil er nun ſchon mit ſeiner Handthierung
zu verdienen anfaͤngt, ſo ſoll er ſeine eigene
Beduͤrfniſſe befriedigen, bei verſchiedenen,
und zwar bei den geſchickteſten Meiſtern fuͤr
Lohn arbeiten, und ſo ſeine Nahrungsquel-
le errichten und verbeſſern. Jn dieſem Zu-
ſtande heißt er Geſell.
§. 241. Wann er die vollſtaͤndige Geſchick-
lichkeit ſeines Kunſtgewerbes erlangt hat, ſo
ſoll er ſeine eigene Haushaltung anfangen,
das iſt: er ſoll nun Meiſter werden. Hier-
zu werden Erwerbungsmittel erfodert:
daher muß er hinlaͤngliche Mittel haben, um
ſich dieſelben zu verſchaffen. Dieſe ſind aber
je nach der Beſchaffenheit der Nahrungsquel-
le vielfaͤltig. Es gibt Kunſtgewerbe, wo
der Meiſter nur blos Werkzeuge, und zwar
wenige noͤthig hat; es gibt ihrer, wo er vie-
H 4le
[120]Kunſtwirthſchaftliche
le braucht; und endlich gibts ſolche, wo die
Leute ihre Erzeugungen dem Meiſter zur Zu-
bereitung hingeben, und ihm Arbeitslohn
zahlen; wiederum andere, wo er ſich die ro-
hen Erzeugungen anſchaffen muß, ſie verar-
beitet, und ſeine Kunſterzeugungen wieder
verkauft.
§. 242. Zu den Erwerbungsmitteln ge-
hoͤrt der Ort, wo ſich ein anfangender Mei-
ſter niederlaſſen will, und zwar ein ſolcher,
wo die Zubereitungen und Kunſterzeugungen,
welche er verfertigt, in ſolcher Menge ge-
braucht werden, daß er voͤllige Beſchaͤftigung
damit haben kann, und wann mehrere Mei-
ſter von ſeiner Handthierung da ſind, ſo muß
er uͤberzeugt ſeyn, daß ſo viele Kunſterzeu-
gungen an dem Orte und in der Gegend
verbraucht werden, als die andern Meiſter
nebſt ihm verfertigen koͤnnen.
§. 243. Wann er einen bequemen Ort ge-
funden hat, ſo ſoll er ſich nach der Hand-
werkspolizei und Gebraͤuchen erkundigen,
ſich darnach einrichten, und angeloben den-
ſelben gemaͤß zu leben; ferner muß er ſich
eine
[121]Haushaltung
eine Wohnung verſchaffen, die zu ſeinem
Gewerbe alle noͤthige Bequemlichkeit habe.
§. 244. Zu den Erwerbungsmitteln gehoͤ-
ren auch ſolche Leute und Haushaltungen, de-
nen der Kuͤnſtler oder Handwerksmann ihre
Kunſtbeduͤrfniſſe befriedigt. Das iſt: er
muß Kunden haben. Da es aber gegen
das Geſez der Natur iſt, andern Meiſtern
ihre Kunden durch Ueberredung abwendig zu
machen, ſo ſoll der neue Meiſter durch Ge-
ſchicklichkeit in ſeiner Kunſt ſich zu empfehlen
ſuchen.
§. 245. Endlich gehoͤren zu den Erwer-
bungsmitteln die unmittelbare Werkzeuge der
Kunſt; dieſe muß ſich der Meiſter fuͤr Geld
erwerben. Daher ſoll er nicht eher Meiſter
werden, bis er ſich als Geſell entweder ſo
viel verdient, oder durch andre billige We-
ge ſo viel bekommen hat, daß er ſich nicht nur
tuͤchtiger und bequemer Werkzeuge genug an-
ſchaffen kann, ſondern auch, daß er ſich ſo
lang ernaͤhren kann, bis er etwas erwor-
ben hat.
H 5§. 246.
[122]Kunſtwirthſchaftliche
§. 246. Wann der Kuͤnſtler Nahrungs-
quelle und Erwerbungsmittel errichtet hat,
ſo ſoll er erwerben. Hier muß ſein Zweck
ſeyn, den hoͤchſten Ertrag zu gewinnen, da-
zu ſoll er die beßten Mittel ergreiffen, und
dieſe beſtehen in folgenden Heiſcheſaͤzen: erſt-
lich, wann er nicht ſeine eigene rohe Erzeu-
gungen verarbeitet, ſondern andern Leuten
fuͤr Lohn ſchaft, ſo ſoll ſein einziges Beſtre-
ben dahin gehen, das wahre Gute und
Schoͤne ſeiner Kunſt ſich nicht nur anſchau-
lich zu machen, ſondern auch dasſelbe in der
That auszufuͤhren. Das iſt: ſeine Arbeit
ſoll hoͤchſt dauerhaft, dem Zwecke voͤllig
angemeſſen, und alle Schoͤnheit haben,
die nur moͤglich iſt, damit ſeine Kunden
den laͤngſten und bequemſten Gebrauch da-
von machen, und zugleich Vergnuͤgen daran
haben koͤnnen.
§. 247. Wann aber der Kuͤnſtler die ro-
hen Erwerbungen anſchaffen muß, ſie verar-
beitet, und alsdann die Kunſterzeugungen
verkauft, ſo ſoll ſein erſtes Beſtreben ſeyn,
die edelſten, beßten und zweckgemaͤſeſten zu
kau-
[123]Haushaltung
kaufen, dieſelben nach dem im vorhergehen-
den §phe angefuͤhrten Heiſcheſaze zubereiten,
und alsdann an ſeine Kunden gegen baar
Geld zu uͤberlaſſen.
§. 248. Da nun die beßten und ſchoͤnſten
Kunſterzeugungen jedermanns vorzuͤgliche
Achtung erwerben und verdienen, ſo zieht
der Meiſter dadurch eine Menge Kunden an
ſich, und mit dieſem Vortheile gewinnt er
einen groͤſern Ertrag. Den Arbeitslohn ſoll
er ſo einrichten, daß er niemals niedriger ſei,
als bei andern Meiſtern: damit er nicht das
ganze Kunſtgewerb verderbe; er ſoll aber auch
niemals hoͤher ſeyn, als er ſpuͤrt, daß ihn
ſeine Kunden gern bezahlen, damit er ſich
dieſelben nicht verſchlage.
§. 249. Aus dieſem allen folgt: daß der
Handwerksmann die Vermehrung ſeines Er-
trages, und die Erhoͤhung desſelben nicht
im hohen Arbeitslohne oder Preiſe ſeiner
Kunſterzeugungen, ſondern blos in der Vor-
trefflichkeit ſeiner Zubereitungen ſuchen muͤſſe.
§. 250. Da es viele Kunden giebt, wel-
che in Bezahlung der Arbeitsleute ſaumſelig
ſind,
[124]Kunſtwirthſchaftliche
ſind, ſo muß er durch die Schoͤnheit und Guͤ-
te ſeiner Arbeit ſich beruͤhmt und nothwendig
zu machen ſuchen, und alsdann den Gebrauch
einfuͤhren, daß er ſich alſofort bei der Liefe-
rung bezahlen laſſe: damit er bei jeder Ge-
legenheit das Geld in ſeinen Nuzen verwen-
den koͤnne.
§. 251. So wie ſich die Nahrungsquelle
vergroͤſert, und ſich die Kunden vermehren,
ſo ſoll auch der Handwerker die arbeitenden
Haͤnde vermehren, das iſt: er ſoll ſich nach
dem Verhaͤltniſſe der Arbeit Geſellen halten.
Damit er aber ſein Gewerb nicht verderbe,
ſo ſoll er keinen Geſellen annehmen, der oh-
ne Zeugniß kommt, und einen ſolchen als-
dann eine kurze Zeit auf die Probe nehmen,
eh er ihn auf gewiſſe Zeit dingt und anſezt.
§. 252. Wann ſich der Kuͤnſtler auf be-
ſagte Weiſe einen Ertrag erwirbt, der ſo
hoch iſt, als er unter ſeinen Umſtaͤnden ſeyn
kann, ſo muß er denſelben wiederum auf die
beßte Weiſe anwenden, damit er den hoͤch-
ſten reinen Ertrag uͤbrig behalte. Dieſes
geſchieht durch den wohlfeilſten und
zweckgemaͤſeſten Aufwand.
§. 253.
[125]Haushaltung
§. 253. Die Umſtaͤnde des Ortes, wo
der Kuͤnſtler wohnt, welche Befriedigungs-
mittel daſelbſt am gebraͤuchlichſten, am be-
quemſten und am wohlfeilſten ſind, ſoll er
ſich ausfuͤhrlich bekannt machen; alsdann ſei-
ne und ſeiner Hausgenoſſen Beduͤrfniſſe ſo
ordnen, daß er blos auf die weſentlichen
Ruͤckſicht nehme; ferner ſoll er den Ueber-
ſchlag machen, durch welche Mittel er ſie am
beßten und zugleich am nuͤzlichſten befriedi-
gen koͤnne. Wann er dieſen Ueberſchlag ge-
macht hat, ſo ſoll er ſeinem Entſchluſſe auf
die ſtrengſte Weiſe nachleben, ſo lange, bis
er noch beſſere Heiſcheſaze findet: alsdann
ſoll er mit eben dem Eifer dieſe auszufuͤhren
ſuchen.
§. 254. Was dem Kuͤnſtler nach Befrie-
digung ſeiner und der Seinigen Beduͤrfniſſe
uͤbrig bleibt, iſt reiner Ertrag, und dieſen
ſoll er zu Verbeſſerung und Vermehrung ſei-
ner Nahrungsquelle verwenden. Nun ar-
beitet er aber entweder fuͤr Lohn, ſo, daß
er anderer Leute Erzeugungen zubereitet, oder
er kauft ſeine rohe Erzeugungen, bearbeitet
ſie,
[126]Kunſtwirthſchaftliche
ſie, und verkauft ſeine Kunſterzeugungen
wieder; wie ſoll er ſich in beiden Faͤllen ver-
halten?
§. 255. Jm erſten Falle ſoll er unterſu-
chen, ob ſeine Werkzeuge alle noͤthige Voll-
kommenheiten haben, oder ob ſonſten die
Erwerbungsmittel noch zu verbeſſern ſeien.
Jn dieſem Falle muß er das alles aus dem
reinen Ertrage in den vollkommenſten Stand
ſezen: denn dadurch wird er ſeine Arbeit er-
leichtern, beſchleunigen und vollkommener
ausfuͤhren, mithin mehr gewinnen koͤnnen.
§. 256. Sind aber ſeine Erwerbungsmit-
tel im vollkommenſten Zuſtande, ſo muß er
ſich aus ſeinem reinen Ertrage ſolche Erzeu-
gungen anſchaffen, die in ſeinem Gewerbe
gebraucht werden, und die er ſelber verar-
beitet, dieſe verkauft er an ſeine Kunden
mit Gewinne, bearbeitet ſie, und gewinnt
alſo doppelten Profit. Oder er verfertigt
Kunſterzeugungen vorraͤthig, und verkauft
ſie mit Nuzen.
§. 257. Wo der Staatsfehler herrſcht,
daß der| Handwerksmann nichts feil haben
darf,
[127]Haushaltung
darf, da bleibt er freilich in ſeinem engen
Kreiſe eingeſchraͤnkt, und es iſt fuͤr ihn wei-
ter nichts uͤbrig, als daß er durch Rechtſchaf-
fenheit und vorzuͤgliche geſchickte Arbeit ſeine
Kunden vermehre, mehrere Geſellen halte,
und auf ſolche Weiſe ſeine Nahrungsquelle
verbeſſere und erweitere.
§. 258. Jm zweiten Falle, wo es uͤblich
iſt, daß der Kuͤnſtler ſeine eigene Erzeugun-
gen haͤlt, ſie verarbeitet und wieder verkauft:
da ſoll er den reinen Ertrag ſo verwenden,
daß er zu der Zeit, wann die rohen Erzeu-
gungen am wohlfeilſten ſind, die beßten ein-
kaufe, und ſolchergeſtallt ſeinen Nuzen ver-
mehre. Mit Vergroͤſerung des reinen Er-
trages kann er auch ſeinen Laden erweitern,
mehrere Erzeugungen hinzufuͤgen, und alſo
kunſtwirthſchaftliche Handlung treiben.
§. 259. Was die gelehrten Kunſtwerke
und ſchoͤne Kuͤnſte betrift, die die Beduͤrf-
niſſe der Seele und des Vergnuͤgens befrie-
digen, oder die Entdeckung wichtiger und
nuͤzlicher Wahrheiten im Reiche der Wiſſen-
ſchaften zum Ziele haben, ſolche Maͤnner
ſollen
[128]Kunſtwirthſchaftliche
ſollen ſich mit hoͤchſtem Fleiſe und Sorg-
falt um die wahre Seelenbeduͤrfniſſe und
ihre Erkaͤnntniß bemuͤhen.
§. 260. Dann ſollen ſie die wahre Geiſtes
Beduͤrfniſſe von den falſchen zu unterſchei-
den wiſſen, nicht jede Wahrheit iſt nuͤzlich,
und noch weniger jedes Vergnuͤgen. Dero-
wegen ſind das nur Beduͤrfniſſe der Wahr-
heit und des Vergnuͤgens, welche der
zeitlichen und ewigen Gluͤckſeligkeit des
Menſchen wahrhaft, befoͤrderlich, kei-
nesweges aber die ihr hinderlich ſind.
§. 261. Alles, was dem Menſchen Ver-
gnuͤgen macht, iſt in Anſehung ſeiner ſchoͤn
und gut. Da aber ſehr viele Vergnuͤgen
ſchaͤdliche Folgen fuͤr die Menſchheit haben,
ſo ſind die Befriedigungsmittel dieſer Ver-
gnuͤgen nicht wahrhaft ſchoͤn, wahrhaft
gut, ſondern nur falſch und im Scheine.
Es iſt daher ein hoͤlliſcher Grundſaz der Schoͤn-
kuͤnſtler, wenn ſie alles, was die Natur
nach ihrem Sinne Gutes und Schoͤnes hat,
ihren Erzeugungen einverweben wollen.
§. 262.
[129]Haushaltung
§. 262. Die Erkaͤnntniſſe der wahren Gei-
ſtesbeduͤrfniſſe erlangt der gelehrte Kuͤnſtler,
durch die wahre Weisheit, welche aus
der Vernunft und Offenbahrung ge-
ſchoͤpft wird. Die wahren Befriedigungs-
mittel findet er im Reiche der Natur und
der Wahrheit. Dieſe ſoll er mit groſer Ge-
ſchicklichkeit, Kraft und auſerordentlicher Faͤ-
higkeit auswaͤhlen, ordnen und zubereiten
koͤnnen, damit ſeine Erzeugungen vollkom-
men dem Zwecke entſprechen. Wer nicht
dieſe Faͤhigkeiten hat, ſoll auch durchaus
kein gelehrter Kuͤnſtler werden.
§. 263. Der Ertrag des ſchoͤn- oder ge-
lehrten Kuͤnſtlers iſt dreifach: erſtlich ſam-
melt er ſich einen Schaz von Wahrheiten fuͤr
ſich ſelber. Zweitens: mit dieſem Schaze
ſammelt er ſich einen gewiſſen Grad von Bei-
falle der Menſchen, das iſt: er bekommt ein
eigenes Publikum; und drittens verſchaft
er ſich Befriedigungsmittel fuͤr ſeine leibli-
chen Beduͤrfniſſe.
§. 264. Den Ertrag ſeiner Wahrheiten
ſoll er zur Nahrungsquelle ſeines Geiſtes
Jver-
[130]Kunſtwirthſchaftl. Haushaltung
verwenden, er ſoll ſie alle zu Grundſaͤzen um-
ſchaffen, ſie durch Fleis und Erfahrung un-
endlich fruchtbar in Erfindung neuer Wahr-
heiten machen, und dann ſoll er ſelbige auf
die beßte Weiſe ſeinem Publikum mittheilen,
ſelbiges verbeſſern und vermehren.
§. 265. Die Befriedigungsmittel ſeiner
leiblichen Beduͤrfniſſe verſchaft er ſich entwe-
der dadurch, daß er Lohn bekommt, oder
daß er ſeine Kunſterzeugungen verkauft, in
beiden Faͤllen ſoll er gleich andern Erwerbern
nach den Heiſcheſaͤzen der Haushaltung zu
Werke gehen. Den reinen Ertrag aber ſoll
er theils zu Vervollkommnung ſeiner gelehrten
Werkzeuge, theils aber, beſonders wann er
Frau und Kinder hat, auf die Stiftung ei-
nes bequemen Gewerbes fuͤr ein jedes Glied
ſeiner Familie, nach der Natur dieſes Ge-
werbes aufs nuͤzlichſte verwenden.
§. 266. Endlich ſoll ein jeder, der ein ge-
lehrter Kuͤnſtler werden will, ſich vorher pruͤ-
fen laſſen, ob er Geiſteskraft genug dazu
habe, und wenn er das nicht hat, ſo ſoll
er eben ſo wenig ein Gelehrter werden, als
der
[131]Allgemeine Handlungswirthſchaft
der Lahme ein Laͤufer, oder der Stammler
ein Redner .
Allgemeine Handlungswirthſchaft.
§. 267. Beides, die rohen- oder oͤkono-
miſchen Erzeugungen, und die Kunſterzeu-
gungen, begreife ich zuſammen unter einem
Namen der oͤkonomiſchen Guͤter. Dieſe
beſtehen aus ſehr vielfaͤltigen rohen und
Kunſterzeugungen. Da nun die Beduͤrfniſſe
der Menſchen ſehr mannigfaltig ſind, und
nicht alle Oerter der Erde mit allen dazu ge-
hoͤrigen Befriedigungsmitteln verſehen ſind;
ferner, da die mehreſten Oerter ſolche Mit-
tel uͤberfluͤſſig hervorbringen, die den andern
mangeln, ſo iſt daher die Nothwendigkeit
entſtanden, daß ein Ort mit dem andern die
uͤberfluͤſſigen gegen die fehlenden oͤkonomiſchen
Guͤter austauſcht, damit einem jeden Men-
J 2ſchen
[132]Allgemeine
ſchen die Befriedigung ſeiner Beduͤrfniſſe
erleichtert werde.
§. 268. Mit dieſem Tauſchgewerbe be-
ſchaͤftigt ſich alſo die Handlungswirth-
ſchaft, und ſie lehret: wie man die uͤber-
fluͤſſigen oͤkonomiſchen Guͤter ſich zum Ei-
genthume erwerben, und wiederum an
dem Orte, wo ſie fehlen, gegen ande-
re vertauſchen muͤſſe, damit der hoͤchſte
Ertrag herauskomme. Und wie man
nach Befriedigung eigener Beduͤrfniſſe
den gewonnenen hoͤchſten reinen Ertrag
wiederum zu Verbeſſerung und Vermeh-
rung der Nahrungsquelle auf die nuͤz-
lichſte Weiſe verwenden muͤſſe.
§. 269. Die Beduͤrfniſſe der Menſchen ſind
ſehr haͤufig, und eben ſo verſchieden, hinge-
gen ſind auch die oͤkonomiſchen Guͤter hoͤchſt
mannigfaltig, und endlich ſind unendlich vie-
le zufaͤllige Umſtaͤnde, die ſich nicht alle be-
ſtimmen laſſen. Dieſes alles wirkt auf das
Tauſchgewerbe und veraͤndert es auf vielfa-
che Weiſe. Doch laſſen ſich verſchiedene Klaſ-
ſen ordnen, mithin auch allgemeine Grund-
ſaͤze
[133]Handlungswirthſchaft
ſaͤze angeben, wornach die Gewerbe jeder
Klaſſe, und dann auch des Ganzen einge-
richtet werden muͤſſen.
§. 270. Die beſtimmte Erkaͤnntniß jeder
Klaſſe des Tauſchgewerbes, und die Grund-
ſaͤze derſelben, machen den erſten Abſchnitt
der Handlungswirthſchaft aus: ich nenne
denſelben die Handlungswiſſenſchaft. Die
Grundſaͤze des ganzen Gewerbes aber, wie
jeder Kaufmann mit ſeinem gewonnenen Er-
trage und reinen Ertrage zu Werke gehen muͤſ-
ſe, ordne ich in den zweiten Abſchnitt der
Handlungshaushaltung.
§. 271. Die fruchtbare Quelle der Er-
kaͤnntniſſen und daraus gefloſſener Grund-
ſaͤzen iſt die Erfahrung, die Quelle der Er-
fahrung iſt die Geſchichte.
Allgemeine Handlungswiſſenſchaft.
a) Geſchichte des Tauſches.
§. 272. Wann im erſten Alter der Menſch-
heit einem Hausvatter ein Befriedigungsmit-
tel fehlte, das er nicht ſelber erwerben konn-
te: ſahe aber, daß es ein anderer uͤberfluͤſſig
hatte, ſo ſprach er denſelben darum an. Als
J 3der
[134]Allgemeine
der Begriff von Eigenthume und Werthe der
Erzeugungen noch nicht reif war, gab einer
dem andern ſeinen Ueberfluß umſonſt.
§. 273. Als ſich die Beduͤrfniſſe erhoͤhten,
und kein Hausvatter mehr faͤhig war, alle
ſeine Befriedigungsmittel ſelber zu erziehen,
und zu bereiten, ſo ſprach einer den andern
um etwas an; der andere hatte aber auch
Mangel, ſie wurden eins, daß einer dem
andern das uͤberlaſſen ſolle, was er bedurfte
gegen das, was der andere uͤbrig hatte, und
ſo entſtand der Tauſch.
§. 274. Wann eine Beduͤrfniß hoͤchſt we-
ſentlich wurde, ſo wurde das Verlangen
nach dem Befriedigungsmittel deſto heftiger.
Derjenige, welcher den Ueberfluß davon hat-
te, doch aber ſelbigen gern behalten wollte,
entweder denſelben auf die Zukunft zu behal-
ten, oder ihn ſonſt in ſeine Nahrungsquel-
le zu verwenden, ſchlug die Ueberlaſſung ab,
der Duͤrftige aber both ihm den Tauſch an,
und vermehrte ſein Tauſchmittel ſo lang, bis
der Wohlhabende merkte, daß er mit dem
Tauſchmittel eben den Nuzen haben koͤnnte,
den
[135]Handlungswiſſenſchaft
den er von ſeinem Ueberfluſſe zu haben hoft,
und nun beſchließt er den Tauſch. Dieſes
iſt der Urſprung des Werthes.
§. 275. Der Werth einer Sache iſt alſo
der beſtimmte Grad der Beduͤrfniß, wo-
von die Sache ein Befriedigungsmittel
iſt. Der Preis aber iſt die Beſtimmung
des Tauſchmittels, ſo, daß es mit dem
Werthe des Befriedigungsmittels einen
gleichen oder etwas hoͤhern Grad habe.
§. 276. Es entſtunden in einer Gegend
Beduͤrfniſſe, deren Befriedigungsmittel die
Erde an dem Orte nicht hervorbrachte, hin-
gegen in andern benachbarten Laͤndern waren
ſie uͤberfluͤſſig: man reißte dahin um ſich von dem
Ueberfluſſe zu verſorgen, aber man kannte
den Werth, beſtimmte den Preis, es waren
alſo Tauſchmittel noͤthig, man erkundigte ſich
nach den dortigen Beduͤrfniſſen, fand, daß
man ſelbſt, oder andere Gegenden Befrie-
digungsmittel dafuͤr habe, man machte ſich
dieſelben eigen, und ſo tauſchte man.
§. 277. So entſtand allmaͤhlig der Kreislauf
der oͤkonomiſchen Guͤter durch das Tauſchge-
J 4werb
[136]Allgemeine
werb. Allein der Hausvatter fand, daß ſein ei-
genes Gewerb uͤber dem Reiſen verſaumt wur-
de, es fanden ſich Leute, welche kein Gewerb
hatten, die alſo das Tauſchen zu ihrem eigenen
Gewerbe machten. Dieſe thaten alſo die Rei-
ſen, verſahen ſich mit Tauſchmitteln, machten
ſich die uͤberfluͤſſigen Guͤter eines Ortes zum Ei-
genthume, und vertauſchten ſie wiederum da,
wo ſie den hoͤchſten Werth hatten, und das
war der Anfang der eigentlichen Kaufmann-
ſchaft oder Handlung.
§. 278. Die Schoͤnheit, Beſtaͤndigkeit und
Geſchmeidigkeit des Goldes und des Sil-
bers brachte dieſen Metallen bald einen ho-
hen Werth bei. Ueberall, wo die Kaufleu-
te hinkamen, war Mangel an dieſen Metal-
len, ihr Beduͤrfniß war allgemein ; folg-
lich, wenn man ſie hatte, ſo hatte man ein
allgemeines Tauſchmittel. Die Kaufleute er-
kundigten ſich darnach, ſie wurden aufge-
ſucht, ausgeſchmolzen, und als ein all-
gemeines Tauſchmittel in dem Tauſchgewer-
be gebraucht.
§. 279. Ein allgemeines Tauſchmittel er-
langt in dieſer Eigenſchaft noch einen hoͤhern
Werth. Ein jeder, der ein mangelndes Be-
friedigungsmittel ſucht, denkt auf ein Tauſch-
mittel: nun weis er, daß Gold oder Silber
das beßte iſt, folglich ſucht er ſich bei jeder
Gelegenheit einen Vorrath davon zu ſamm-
len, mithin wird es nun erſt recht zum allge-
meinen Beduͤrfniſſe, und folglich weſentlich.
§. 280. Die Reiſen zu Waſſer ſind we-
niger koſtbar, weniger beſchwerlich, als die
Landreiſen: man braucht auch nicht durch
vielerlei Laͤnder in groſen Geſellſchaften we-
gen der Raͤuber zu reiſen. Viele Laͤnder ſto-
ſen an Seen und Meeren, ſie ſind ſich daher
alle gleichſam Nachbarn. Der Ruf von Vol-
ke zu Volke, von Lande zu Lande, dieſer
oder jener Ort ſei reich an Golde und Sil-
ber und andern Koſtbarkeiten, trieb unter-
nehmende Koͤpfe zu Verſuchen ſchwerer Rei-
ſen. Man verbeſſerte den Schiffbau, fuhr
von Kuͤſte zu Kuͤſte, und fand Ueberfluß des
J 5Tauſch-
[138]Allgemeine
Tauſchmittels und anderer Befriedigungs-
mittel: daher uͤberſchwenglicher Ertrag im
Gewerbe.
§. 281. Die erſten gluͤcklichen Verſuche
machten unzaͤhlige Nachahmer: man fand
Oerter, welche zu den Seereiſen nach vielen
Gegenden bequem lagen. Hier ſchlugen die
reiſende Kaufleute und Seefahrer ihre Huͤt-
ten auf. Allein es gab viele boͤſe Menſchen,
welche ohne Muͤhe reich werden wollten, ſich
aufs Rauben legten, daher Anlaß gaben zu
befeſtigten Wohnungen, Staͤdten, Schloͤſ-
ſern, Gegenwehr, und allerhand dagegen
gerichteten Anſtalten.
§. 282. So entſtanden Seeſtaͤdte und han-
delnde Staaten, unter welchen in der bekann-
ten Welt Tyrus eine von den aͤltſten und
beruͤhmteſten war, Carthago folgte darauf,
hernach die Jtaliaͤner, fort Venedig, Ge-
nua, Britanien, Portugall, Spanien,
Frankreich, Holland, und endlich alle
Staaten von Europa, und viele andere
Reiche der Welt.
§. 283.
[139]Handlungswiſſenſchaft
§. 283. Anfaͤnglich wog man das Tauſch-
mittel, und zahlte es nach dem Gewichte uͤber;
allein es entſtanden Kuͤnſtler, welche die Ver-
beſſerung unedler Metalle verſuchten, und
etwas aͤhnliches hervorbrachten. Dieſes wur-
de fuͤr wahres Gold und Silber ausgegeben;
weil aber dieſe Kuͤnſteleien nicht ſtich hiel-
ten, wieder ihre vorige Natur annahmen,
und alſo der lezte Jnhaber um den Werth
betrogen wurde, ſo dachte man auf Mittel
ſich dagegen zu verwahren. Leute von gro-
ſem Credit, die weit und breit bekannt wa-
ren, Fuͤrſten oder handelnde Staaten, wogen
Stuͤcklein Goldes und Silbers von allerhand
beſtimmten Gewichten ab, zeichneten ſie durch
ihre Namen, oder mit andern Zeichen, die
nicht leicht nachzumachen waren, hiedurch
wurde die Verfaͤlſchung ſchwerer, und die-
ſes gezeichnete Tauſchmittel wurde nunmehr
guͤltig. So entſtand das Geld, und mit
demſelben die Muͤnzwiſſenſchaft.
§. 284. Theils das nach ſeinem inneren
Werthe oder Gehalt (Aloy) ſchlechtere Me-
tall, theils auch der Mangel des Geldes,
ſezten
[140]Allgemeine
ſezten andere Muͤnzen von beſſerem Stoffe
auf hoͤheren Werth; um ſelbiges zu bekom-
men, ſezte man im Geld um Geld (Al pa-
ri) auf den Eintauſch des beſſern ein Aufgeld
(Agio): daher entſtund der Geldhandel, es
fanden ſich Leute, welche durch den Gewinn
mit dem Agio ein Gewerb errichteten, und ſo
entſtand der Wechſelhandel.
§. 285. Dazu kam aber die Erfindung
der Wechſelbriefe. Es waren zween Orte
A und B. Der Kaufmann in A lieferte
Waaren an einen Kaufmann in B. Ein anderer
Kaufmann in B lieferte Guͤter nach A. Folg-
lich waren an jedem Orte zween Kaufleute,
einer der zu bezahlen, der andere zu empfan-
gen hatte. Nun hatte einer von ihnen in A
den Einfall: man koͤnnte ohne das ſchwer-
faͤllige Hin- und Herſchicken des Geldes leicht
die Bezahlung bewerkſtelligen, wenn ſich die
zween Kaufleute in A bezahlten: und eben
ſo die zween in B. Dieſes wurde durch ſchrift-
liche Anweiſung eines Schuldners an den an-
dern bewerkſtelligt; das war der Urſprung
des Wechſelbriefes (Cambio).
§. 286.
[141]Handlungswiſſenſchaft
§. 286. Nachdenken, Zufall und Bequem-
lichkeit haben zu unendlich vielen Einrichtun-
gen und Erfindungen im Handelsweſen An-
laß gegeben, ſo, daß die Geſchichte der Hand-
lung ſehr vielen Stoff zu ausgebreiteten Er-
kaͤnntniſſen an die Hand gibt: mithin ſehr
nothwendig und nuͤzlich, beſonders ſolchen
Maͤnnern iſt, welche im Staatsweſen etwas
auszurichten gedenken.
§. 287. So angenehm die philoſophiſchen
Geſchichten der handelnden Menſchheit ſind,
ſo nuͤzlich ſind ſie auch, ſie verbreiten Licht
uͤber alle Wiſſenſchaften: ich hab’ daher fuͤr
gut befunden, jeder Kameralwiſſenſchaft ei-
nen Elementar-Entwurf ihrer Geſchichte vor-
zuſchicken, und darauf die Grundbegriffe des
Gewerbes ſelbſten folgen zu laſſen. Dieſer
Ordnung gemaͤß gehe ich nun uͤber zu den
b) Tauſchgewerben.
§. 288. Wann der Kuͤnſtler und Hand-
werker ſeine Nahrungsquelle verbeſſern und
erweitern will, ſo, daß er ſeine rohe Erzeu-
gungen ſelber kauft, und ſolche fruͤh hat,
oder wann er ſeine verfertigte Waaren ver-
kauft,
[142]Allgemeine
kauft, oder ſelbige auf den Kauf macht,
ſo graͤnzt er ſchon nahe ans Handelsgewerb,
es fehlt ihm nur noch daran, daß er ſeine
Nahrungsquelle aus der Kunſt ins Tauſch-
gewerb verwandle.
§. 289. So entſteht ſchon im Kunſtgewer-
be der Urkeim des Tauſchgewerbes. Wer
ſich eine gewiſſe Menge oͤkonomiſcher Guͤter
gegen andere eintauſcht, und ſolche an dem
Orte, wo ſie fehlen, wieder vertauſcht, ſo,
daß er dieſes Tauſchgewerb zur Nahrungs-
quelle macht, der iſt ſchon ein Kaufmann;
da nun der wohlhabende Handwerker oͤfters
allerhand Kleinigkeiten, die mit ſeinem Ge-
werbe verwandt ſind, feil hat: ſo iſt er ſchon
in ſo weit ein Kaufmann, als der Gewinn des
Tauſchgewerbes betraͤchtlich iſt.
§. 290. Ein ſolcher Mann, der ſich eine
Menge von Befriedigungsmitteln, die in
ſeiner Gegend fehlen, bekannt macht, ſelbi-
ge alsdann, wo ſie uͤberfluͤſſig, das iſt: feil
ſind, einkauft, und ſie im kleinen wieder
an diejenigen, welche ſie unmittelbar zur Be-
friedigung ihrer Beduͤrfniſſe verwenden, ver-
kauft,
[143]Handlungswiſſenſchaft
kauft, heißt ein Kraͤmer, ſeine Nahrungs-
quelle, oder beſſer ſein Gewerb heißt Kraͤ-
merei, und ſein Waarenlager heißt ein Kram-
laden. Dieſe erſte Klaſſe des Tauſchgewer-
bes treiben Kuͤnſtler bei ihrem Gewerbe, auch
gibts Maͤnner, die ſich eine Hauptnahrungs-
quelle damit errichten, und die Kraͤmerei zu
ihrem wahren Gewerbe machen.
§. 291. Andere Handwerksmaͤnner machen
eine Menge von ihren Kunſterzeugungen fer-
tig, bringen ſelbige in ihren Waarenladen,
und verkaufen ſie. Dieſe haben ſchon eine
Manufaktur im Kleinen. Wenn daher ein
Mann ein Kunſtgewerb errichtet, die rohe
Erzeugungen einkauft, ſelbige alsdann durch
Kuͤnſtler fuͤr Lohn fertig machen laͤßt, die
Kunſterzeugungen in ſein Waarenlager ſchaft,
und damit Handlung treibt, ſo heißt er ein
Kunſthaͤndler (Fabriquant), ſein Gewerb
heißt Kunſt- oder Werkhandel (Manufak-
tur oder Fabrique).
§. 292. Man beobachtet zwiſchen den Woͤr-
tern Manufaktur und Fabrique einen Unter-
ſchied: erſtes ſoll ſolche Kunſtwerke bedeuten,
die
[144]Allgemeine
die aus dem Thier- und Pflanzenreiche ent-
ſtehen, lezteres aber bezieht ſich auf Metall-
arbeiten. Jm gemeinen Leben wird der Un-
terſchied dieſer Woͤrter ſehr wenig geſchaͤzt.
Fabrique nimmt man fuͤr beides. Doch weil
es die Gelehrten einmal ſo haben wollen, ſo
will ich auch dieſe Woͤrter beſtimmen. Ma-
nufaktur ſoll Werkgewerb, Fabrique aber
Metallgewerb bedeuten; beide zuſammen
will ich unter dem Namen des Werkhandels
zur zweiten Klaſſe der Tauſchgewerbe machen.
§. 293. Wenn jemand oͤkonomiſche Guͤter
einkauft, ſie in ſein Waarenlager oder Pack-
haus ordnet, hernach wieder zu ganzen Stuͤ-
cken oder Ballen, oder ſonſt ins Groſe ver-
kauft, ſo nennt man dieſes kaufmaͤnniſch:
Handlung ins Groſe (en gros). Dieſe be-
greift nun zwar alle uͤbrige Tauſchgewerbe in
ſich, in ſo weit ſie betraͤchtlich ſind, doch ent-
halten folgende noch beſondere Umſtaͤnde,
vermoͤg welcher ſie ſich von allen andern un-
terſcheiden. So entſteht die dritte Klaſſe
der Tauſchgewerbe.
§. 294.
[145]Handlungswiſſenſchaft
§. 294. Entfernte, jenſeits dem Meere
gelegene Laͤnder, oder ſolche, wohin man
auf einem Strome kommen kann, enthalten
ſehr oft oͤkonomiſche Guͤter, woran man vie-
len Vortheil haben kann: daher iſt der
Handelsmann bemuͤht, dieſe Guͤter dort
ſelbſt einzukaufen, daſelbſt abzuholen, in
ſein eigenes Waarenlager zu bringen, und
mit Nuzen wieder zu verkaufen.
§. 295. Desgleichen wohnt der Kaufmann
oft an einem Orte, wo viele oͤkonomiſchen
Guͤter uͤbrig ſind, die in entfernten Laͤndern
theuer bezahlt werden: daher wuͤnſcht er ſie
dorthin bringen zu koͤnnen, folglich denkt er
darauf, einen Tauſch anzuſtellen, damit ſei-
ne Verſendungswerkzeuge doppelten Nuzen
abwerfen moͤgen. Er laͤßt ſich alſo in die
Schiffsrhederei ein. Das iſt: er baut
entweder allein, welches gefaͤhrlich iſt, oder
in Geſellſchaft anderer, ein oder mehrere
Schiffe, ſie ruͤſten ſelbige aus, verſenden
ihre Waaren gemeinſchaftlich, und theilen
ſich zuſammen in den daher entſpringenden
Nuzen der Frachtgelder. Dieſe Gattung des
KTauſch-
[146]Allgemeine
Tauſchgewerbes macht die vierte Klaſſe, die
Schiffsrhederei aus.
§. 296. Die Schifffahrt iſt vielen gefaͤhr-
lichen Zufaͤllen unterworfen: Sturm, ver-
borgene Felſen, Sandbaͤnke, Seeraub, Krieg,
und was dergleichen mehr iſt, gibt mannig-
faltigen Anlaß zu groſem Verluſte; da nun
durch denſelben ein rechtſchaffener Kaufmann,
beſonders wenn er verſchiedene Male nach ein-
ander ein ſolch Ungluͤck hat, leicht zu Grun-
de gerichtet werden kann, ſo ſind Leute ent-
ſtanden, welche mit vielen Reichthuͤmern ver-
ſehen, die Schiffe verſichern.
§. 297. Ein Verſicherer verpflichtet ſich
durch einen Accord, daß er, im Falle das
Schiff verungluͤcken ſollte, dasſelbe nebſt den
Waaren, die darauf geladen worden, voͤl-
lig verguͤten wolle: deswegen muͤſſen aber al-
le Waaren im Accord benennet werden, da-
mit er wiſſen koͤnne, was er wagt. Dage-
gen empfaͤngt er aber auch ein Waggeld
(Praͤmie) von den Schiffsrhedern, die ſich
aber juſt verhaͤlt, wie der Anſchein der Ge-
fahr. Weil doch nun die wenigſten Schiffe
ver-
[147]Handlungswiſſenſchaft
verungluͤcken, ſo kann ein Mann, der Geld
genug hat, und ſich mit dem Verſicherungs-
weſen abgibt, vieles dabei gewinnen, aber
auch bald arm werden.
§. 298. Nicht allein die Schifffahrt, ſon-
dern auch andere gefaͤhrliche Unternehmungen
und Gefahren koͤnnen geſichert werden. Der-
jenige Handelsmann, welcher das Verſiche-
rungsweſen unternimmt, heißt Aſſuͤradeur
oder Verſicherer; wer ſich verſichern laͤßt,
heißt der Aſſuͤrirte; die Guͤter heiſen Aſſuͤ-
rirte Guͤter, und dieſe fuͤnfte Klaſſe der
Tauſchgewerbe heißt: das Verſicherungs-
gewerb (Aſſekuration) oder auch Aſſuͤranz.
§. 299. Ein betraͤchtlicher Theil der Schiff-
fahrt gruͤndet ſich auf die Fiſcherei, Wallfi-
ſche, Seehunde und dergleichen, Cabliau,
Stockfiſche, Heringe, u. a. m. desgleichen
auch die Korallen-Perlen- und Bernſteinfi-
ſcherei gehoͤren unter ein eigenes Handelsge-
werb, und machen die ſechſte Klaſſe der
Tauſchgewerbe, die Fiſcherei aus.
§. 300. Der Wechſelhandel wirft an und
fuͤr ſich ſelbſt Ertrag aus, weil auf gewiſſe
K 2beſſere
[148]Allgemeine
beſſere Muͤnzſorten Aufgeld gegeben wird.
Wann man alſo in einem Lande Geld em-
pfaͤngt, das von beſſerm Gehalte iſt, und
man vertauſcht es in einem andern, wo ſchlech-
tes iſt, ſo bekommt man Aufgeld, und die-
ſes iſt Ertrag, wenn die Summen gleich ge-
rechnet werden. Hierzu gehoͤrt aber Kund-
ſchaft der Muͤnzſorten vieler Laͤnder, und daß
man wiſſe, das gute Geld an ſolchen Orten
anzubringen, wo man mit dem dafuͤr em-
pfangenen ſchlechten Gelde eben das ausrich-
ten kann, was man mit dem guten bewerk-
ſtelligen koͤnnte.
§. 301. Allein der vornehmſte Nuzen des
Wechſelhandels beſteht im Verkaufe der Wech-
ſelbriefe. Wenn in A viele Kaufleute ſind,
die in B zu bezahlen haben, ſo iſt natuͤrlich,
daß in A viele Wechſelbriefe noͤthig ſind, die
in B bezahlt werden: folglich werden die
Schuldner in A ſich Muͤhe geben, ſolche Brie-
fe zu bekommen: ſie werden daher ſolche den
Jnnhabern abkaufen, und mehr dafuͤr zah-
len, als der Jnnhalt enthaͤlt. Dieſes, was
mehr bezahlt wird, nebſt dem Aufgelde ma-
chen den allgemeinen Wechſelcours aus.
§. 302.
[149]Handlungswiſſenſchaft
§. 302. Auch die Muͤnzſorten haben viel
Einfluß in das Wechſelgeſchaͤft. Es gibt
Laͤnder, wo man nur in gewiſſen Muͤnzſorten
bezahlen kann, folglich wird der Wechſelcours
auf ſolche Muͤnzen hoͤher ſeyn, wenn ſie nicht
gut zu haben ſind. Auch ſonſten noch ande-
re Urſachen in dem Handlungszuſtande, oder
im Kriege und Frieden der Staaten haben Ein-
fluß auf die Wechſelcourſe. Der Wechſel-
handel macht die ſiebente Klaſſe der Tauſch-
gewerbe aus. Derjenige, welcher vornehm-
lich denſelben fuͤhrt, heißt ein Banquier.
§. 303. Endlich gibts noch ein Tauſchge-
werb, welches aus allen andern zuſammen
geſezt iſt. Wann ein ſehr reicher Mann (Ka-
pitaliſt) ſich auf keine gewiſſe Handlung be-
ſtimmt, ſondern wann er an vielen Orten
Correſpondenten hat, die ihm immer fort be-
richten, welche Waaren an ſolchen Orten vor-
raͤthig ſind, oder welche verlangt werden, al-
les dieſes notirt er ſich wohl, und unter-
nimmt dann, bald hier einen Kauf, bald
dort eine Lieferung, ſo wie er glaubt den
mehrſten Ertrag zu gewinnen. Dieſes Tauſch-
K 3gewerb
[150]Allgemeine
gewerb heißt man eine Spekulationshand-
lung: ſie macht die achte Klaſſe aus.
§. 304. Eine gewiſſe Handlung kann auch
ſo betraͤchtlich ſeyn, daß ſie fuͤr einen Mann
zu ſchwer iſt, oder wenn ſie wegen verſchie-
dener Umſtaͤnde gefaͤhrlich iſt, ſo treten auch
wohl ihrer verſchiedene zuſammen, und ſchlie-
ſen eine Handelsgeſellſchaft (Compagnie).
Jn dieſem Falle legen alle Glieder entweder
gleichviel ein, und ſo wird der Ertrag gleich
getheilt; oder ein jeder traͤgt nach Willkuͤhr,
oder Vermoͤgen bei, ſo wird der Ertrag nach
dem Verhaͤltniſſe des Einſazes bezahlt.
§. 305. Die Unternehmung eines Han-
delsgewerbes kann auf ein gewiſſes beſtimm-
tes Kapital geſezt werden: dieſes Kapital
theilt man in gewiſſe Stammtheile (Aktien).
Wer nun ein ſolches Stammtheil an der
Handlung haben will, der muß das Geld
bezahlen, welches das Stammtheil des Ka-
pitals andeutet, dagegen bekommt er einen
ſchriftlichen Verſicherungsſchein, von den
uͤbrigen Jntreſſenten, vermoͤg welchem er ſei-
nen Antheil am Ertrage einkaſſiren kann. Ein
ſolcher Schein wird auch eine Aktie genennt.
§. 306.
[151]Handlungswiſſenſchaft
§. 306. Der Jnnhaber einer Aktie kann
ſelbige verkaufen. Wenn nun gute Hofnung
zum Gewinne iſt, ſo wird ihm ſeine Aktie
theurer bezahlt, als wenn mann Verluſt be-
fuͤrchtet. Daher entſteht der Aktienhandel,
und das Steigen und Fallen derſelben. Die
verſchiedenen Gattungen des Compagniehan-
dels bringe ich unter die neunte Klaſſe der
Tauſchgewerbe.
§. 307. Es gibt noch verſchiedene Gewer-
be, deren jedes fuͤr ſich beſteht, die aber theils
zu Erleichterung, theils auch zu Befoͤrderung
der Tauſchgewerbe eingerichtet ſind. Ein
ſolches Hilfsgeſchaͤft entſteht aus der Hand-
lung, und kann ohne dieſelbe nicht ſeyn.
Die Verſendung oder Verſezung der Guͤter
von einem Orte an den andern (der Trans-
port) geſchieht zu Lande und zu Waſſer. Die
Verſendung zu Lande heißt man das Fuhr-
werk; dieſes bring ich zur erſten Klaſſe der
Hilfsgeſchaͤfte der Handlung.
§. 308. Die Verſendung zu Waſſer ge-
ſchieht mit Schiffen; dieſes betraͤchtliche Hilfs-
geſchaͤft, in ſo weit es ſich mit Kaufmanns-
K 4guͤtern
[152]Allgemeine
guͤtern abgiebt, bringe ich zur zweiten Klaſſe
der Hilfsgeſchaͤfte, und nenne ſie die kauf-
maͤnniſche Schifffahrt. Der Mann, wel-
cher ſich die Schiffahrt zum Gewerbe macht,
heißt der Schiffmann. Wer ſich das Fuhr-
werk zum Gewerbe macht, heißt ein Fuhr-
mann. Der Lohn, den ſie vom Kaufman-
ne bekommen, iſt ihr Ertrag, und heißt die
Fracht.
§. 309. An ſtarken Handelsorten, wo ſehr
viel Geſchaͤfte gethan werden, iſt es dem
Handelsmanne nicht moͤglich, alles, was
unter der ganzen Kaufmannſchaft vorgeht,
was feil iſt, und was verlangt wird, zu
wiſſen. Ferner wird auch die Muͤhe fuͤr ihn
unendlich ſeyn, wenn er ſelbſten, oder ſeine
Bedienten beſtaͤndig umherlaufen, und ſich
nach allen Dingen erkundigen wollten; ich
geſchweige, daß er viele noͤthige Geſchaͤfte
daruͤber verſaͤumen wuͤrde.
§. 310. Man hat derowegen treue, in
Handlungsſachen erfahrne, und zu dieſem
Zwecke vereidete Leute in Dienſt genommen,
deren Pflicht es iſt, ſich nach allem, was ſich
in
[153]Handlungswiſſenſchaft
in Handlungsſachen merkwuͤrdiges ereignet,
zu erkundigen und zu notiren. Wenn daher
ein Kaufmann Waaren oder Wechſel feil hat,
oder ſelbige verlangt, ſo wendet er ſich an
einen ſolchen Mann, welcher am beßten weis,
wo er etwas laſſen, und wo er etwas bekom-
men ſoll, auch ſind ihm die Preiſe bekannt.
Durch denſelben werden auch Contrakte ge-
ſchloſſen, und er iſt eigentlich der wahre Be-
diente der Handlung; er heißt ein Makler,
und ſein Geſchaͤft die Makelei. Der Lohn,
welchen er fuͤr ſeine Muͤhe bekommt, heißt
Abzug (Courtage). Dieſe iſt die dritte
Klaſſe der Hilfsgeſchaͤfte.
§. 311. Es gibt verſchiedene Geſchaͤfte,
welche der Kaufmann in fremden Orten durch
andere beſorgen laͤßt. Entweder laͤßt er durch
jemand ſeine Waaren weiter verſenden, ſo,
daß derjenige, welcher dieſe Beſorgung hat,
weder einkauft, noch verkauft, ſondern nur
befrachtet, und andere Abgaben entrichtet.
Dieſer Mann heißt ein Verſender (Spedi-
teur), und ſein Geſchaͤft heißt Verſendung
(Spedition). Dieſe macht die vierte Klaſſe der
Hilfsgeſchaͤfte aus.
K 5§. 312.
[154]Allgemeine
§. 312. Wenn aber ein Kaufmann in der
Ferne jemand haben muß, der ſeine Geſchaͤf-
te fuͤr ihn beſorgt, als wann er ſelbſten zu-
gegen waͤre, ſo, daß er fuͤr ihn einkauft, ver-
kauft, Wechſel beſorgt, bezahlt und einkaſ-
ſiret, ſo iſt dieſes ein Commiſſionsgeſchaͤft,
und er ſelbſt heißt ein Commiſſionair.
Man koͤnnte erſtes: Geſchaͤftverweſerei, und
lezteren: Geſchaͤftverweſer nennen. Dieſe Ge-
werbe machen die fuͤnfte Klaſſe der Hilfsge-
werbe aus .
§. 313. Ein handelnder Ort, welcher uͤber
See Geſchaͤfte treibt, und beſonders einen
gewiſſen Seehafen braucht, der unter der
Gewalt einer fremden Nation ſteht, hat an
einem ſolchen Orte einen Mann noͤthig, wel-
cher uͤber die Veſthaltung der geſchloſſenen
Traktaten, und uͤber die Rechte ſeiner Vor-
geſezten wacht. Weil nun ein ſolcher Mann
die Rechte eines Geſandten genießt, und in
eben der Eigenſchaft, nur in geringerem Gra-
de, anzuſehen und zu behandeln iſt, ſo will
ich
[155]Handlungswiſſenſchaft
ich denſelben einen Handlungsgeſandten
nennen. Die Kaufleute nennen ihn Conſul.
Sein Geſchaͤft macht die ſechſte Klaſſe aus.
§. 314. Wann es ſich zutraͤgt, daß ein
Handelsort zu gleicher Zeit viel zu bezahlen
hat, ſo kann geſchehen, daß das Geld er-
ſchoͤpft wird, woraus allerhand Unordnun-
gen entſtehen koͤnnen. Oder: man findet,
daß der Umſchlag in barem Gelde, beſon-
ders in groſen Summen, viel Muͤh erfodert.
Oder: ein oder anderer Kaufmann hat Cre-
dit und Geld genug, hat ſich aber ausgege-
ben, und nicht genug in Caſſa. Jn allen
dieſen Faͤllen iſt es gut, wenn jemand Ka-
pitale liegen hat, welche man angreifen kann.
§. 315. Daher haben verſchiedene han-
delnde Staaten eine oͤffentliche Kaſſe errich-
tet, deren Credit der Staat unterſtuͤzt. Jn
eine ſolche Caſſe kann ein jeder ſein uͤbriges
Geld gegen ein ertraͤgliches Jntereſſe in Ver-
wahrung legen. Wann ein ſolcher Kaufmann
etwas zu bezahlen hat, ſo darf er nur ſei-
nem Creditor einen Zettel geben, auf wel-
chem er ihm, aus der Caſſe zu empfangen,
zu-
[156]Allgemeine
zuſchreibt, was er ſchuldig iſt. Da eine ſol-
che oͤffentliche Caſſe eine Bank heißt, ſo wer-
den ſolche Scheine Bankzettel oder Bank-
noten genennt, welche oͤfters eben ſo, wie
die Wechſelbriefe, gekauft und verkauft wer-
den. Das Bankgeſchaͤft macht die ſiebente
Klaſſe der Hilfsgeſchaͤfte aus.
§. 315. Dieſe bisher vorgetragene Tauſch-
gewerbe mit ihren Hilfsgeſchaͤften ſchlieſen
alles in ſich, was der Kaufmann zu betrei-
ben hat. Ein jeder wird leicht begreifen koͤn-
nen, daß der Handelsmann, wenn er ſeine
Sachen gut machen will, vielerlei Hilfswiſ-
ſenſchaften noͤthig habe. Beſonders muß
er die Schreib- und Rechenkunſt aus dem
Grunde verſtehen, und der geſchickteſte
Buchhalter ſeyn. Dieſer Saz bedarf kei-
nes Beweiſes, weil er durch die allgemeine
Erfahrung bewahrheitet iſt. Dasjenige Zim-
mer, welches der Kaufmann zu ſeinem Schrei-
ben, Rechnen, zu ſeinen Buͤchern und Kaſ-
ſe beſtimmt, heißt das Comtoir, man koͤnn-
te es auch die Handelsſtube nennen.
§. 316.
[157]Handlungswiſſenſchaft
§. 316. Vorzuͤglich Groſirer, das iſt:
Kaufleute, die ins Groſe handeln, ſollen die
Lage der Laͤnder, Staͤdte, Seehaͤfen, Mee-
re, Seen und Fluͤſſe wohl kennen, damit ſie
die beßten Wege zur Verſendung beſtimmen
koͤnnen; da nun das alles in der Erdbe-
ſchreibung (Geographie) gelehrt wird, ſo
ſoll der Kaufmann dieſe Wiſſenſchaft verſte-
hen.
§. 317. Da ſich die Handlung auf die Ge-
ſeze und Polizei der Staaten gruͤndet, ſo ſoll
auch der Kaufmann Kaͤnntniß von der Staats-
wirthſchaft, und wie ſie in den handelnden
Laͤndern verwaltet wird, beſizen. Desglei-
chen muß er auch die kaufmaͤnniſchen Rechte,
beſonders das Wechſelrecht verſtehen, und
wiſſen: wie es in den handelnden Staaten
geordnet iſt.
§. 318. Die Handelsgeſchichte lehrt: wie
die Unordnungen der Staaten auf die Hand-
lung gewuͤrkt haben; desgleichen wie groſe
und wichtige Geſchaͤfte entſtanden, was ſie
gehindert, und was ſie befoͤrdert hat. De-
rowegen ſoll ſich der Kaufmann dieſelbe be-
kannt
[158]Allgemeine
kannt machen, ſie wird ihm eben den Nuzen
leiſten, den eine lange Erfahrung leiſtet.
§. 319. So ſonderbar es ſcheint, wenn
ich die Redekunſt dem Kaufmanne empfeh-
le, ſo nuͤzlich iſt ſie ihm doch. Die Rede-
kunſt macht einen der Sprache maͤchtig. Ein
geſchickter Redner iſt auch ein geſchickter
Schreiber, und die Kaufleute wiſſen, was
derjenige vermag, der den Styl in ſeiner Ge-
walt hat. Auch ſoll der Handelsmann die
Sprachen der handelnden Voͤlker verſtehen.
§. 320. Endlich iſt auch dem Kaufmanne
die Muͤnzwiſſenſchaft unentbehrlich. Er
muß nicht nur alle Geldſorten der handeln-
den Staaten kennen, ſondern er muß auch
ihr Gehalt, ihr Schrot und Korn wiſſen, da-
mit er das Aufgeld berechnen, und genau
beſtimmen koͤnne.
Allgemeine Handlungs-Haushaltung.
§. 321. Wer ſich ins Tauſchgewerbe ein-
laſſen oder ein Kaufmann werden will, der
hat vieles noͤthig, ehe er dazu kommen kann.
Er muß vorab die Hilfswiſſenſchaften, vor-
nehmlich aber Schreiben und Rechnen, aus
dem
[159]Handlungshaushaltung
dem Grunde verſtehen, und beider Kuͤnſte
gewiß und fertig darinnen ſeyn. Die fran-
zoͤſiſche Sprache iſt ſehr nuͤzlich, ſie hat vie-
len Einfluß in die allgemeine Sprachkunde,
zugleich iſt ſie auch eine Modeſprache, und
wird in Europa durchgehends haͤufig ge-
redet.
§. 322. Das Tauſchgewerb oder die Hand-
lung iſt zwar wiſſenſchaftlich. Wer geſchick-
te Seelenkraͤfte hat, kann ſich bald eine Nah-
rungsquelle errichten: allein die Erwerbungs-
mittel, nemlich das Tauſchmittel oder Geld
iſt deſto koſtbarer, und doch kann ein recht
gelehrter und geſchickter Kaufmann nichts oh-
ne dasſelbe ausrichten. Freilich kann er,
wenn er fuͤr redlich bekannt iſt, Credit ha-
ben, und blos durch denſelben gluͤcklich wer-
den; aber dieſer Handel iſt ſehr gefaͤhrlich,
er darf nur einmal an einen Kundmann (Cha-
land) gerathen, der ihn nicht bezahlt, ſo
kann er den Credit nicht halten, und es iſt
um ihn geſchehen.
§. 323. Es haben ſich zuweilen einzelne
Menſchen gefunden, welche mit auſerordent-
licher
[160]Allgemeine
licher Faͤhigkeit ausgeruͤſtet, ohne Geld an-
gefangen, und als groſe Kapitaliſten aufge-
hoͤrt haben. Dieſe wahre Genies ſchauten
um ſich her, und entdeckten mit Adlersbli-
cken nahe aber ungebahnten Wege, dieſe gien-
gen ſie, und traten alles, was ihnen in den
Weg kam, darnieder; aber das iſt nicht je-
dermanns Werk, und man darf auf eine
gute Nachfolge nicht immer Rechnung machen.
§. 324. Jch will mir einen wackern Juͤng-
ling vorſtellen, ihn von der niedrigſten zu der
hoͤchſten Klaſſe der Tauſchgewerbe ſteigen laſ-
ſen, ſeine Grundſaͤze, die er befolgt, will
ich niederſchreiben, und ſo wird wohl die
beßte allgemeine Handlungshaushaltung dar-
aus werden. Zugleich aber muß ich anmer-
ken, daß die kaufmaͤnniſche Haushaltung,
den Gipfel der Haushaltungskunſt begreife.
§. 325. Wenn ein Juͤngling Kaufmann
werden will, ſo ſoll er erſt die Hilfswiſſen-
ſchaften, und alsdann die Handlung lernen.
Dieſes geſchieht, wenn er ſich bei einem recht-
ſchaffenen Kaufmanne, der groſe Geſchaͤfte
macht, in die Lehre gibt, von dem gering-
ſten
[161]Handlungshaushaltung
ſten an, alle Comtoirarbeiten durchgeht, und
endlich mit kaufmaͤnniſchen Reiſen beſchließt;
izt hat er ſich eine Nahrungsquelle erwor-
ben, nun ſoll er ſie aber auch errichten.
§. 326. Zur Errichtung einer Nahrungs-
quelle gehoͤren Erwerbungsmittel, dieſe ſind
bei der Handlung: baares Geld. Geſezt
aber, der junge Handelsmann habe kein Geld,
ſo kann er entweder ſuchen Makler, oder
Commiſſionair oder Kraͤmer zu werden;
zum erſten gehoͤrt nur ein rechtſchaffener, red-
licher Charakter, der ihn in Credit ſezt, da-
bei aber auch ein ſtarker Handelsort, wo
man Makler gebrauchen kann; iſt dieſes, ſo
ſoll er mit aller Thaͤtigkeit, Fleis und unuͤ-
berwindlicher Treue ſein Geſchaͤft ausrichten.
§. 327. Die Courtage, welche er bekommt,
ſoll ihm zu ſeiner eigenen Haushaltung genug
ſeyn; wo es aber die Geſeze erlauben, da
ſoll er einen kleinen Spekulationshandel da-
bei treiben, das iſt: wenn er Gelegenheit
ſieht, daß jemand, der gut zahlt, etwas
braucht, das er ohne Nachtheil ſeines Am-
tes verkaufen kann, ſo ſoll er dieſe Waare
Lauf
[162]Allgemeine
auf Credit bei jemand nehmen, und ſie mit
Nuzen wieder verkaufen; wenn er alsdann
ſeinen Creditorn richtig bezahlt, ſo wird ſich
ſein Credit mehren. Den Gewinn aber, den
er aus ſolchem Nebenhandel zieht, ſoll er
immer verſparen, und ihn blos zu dieſem
Geſchaͤfte verwenden, bis er ein hinlaͤngli-
ches Handlungskapital erſpart hat, womit
er Handlung anfangen kann.
§. 328. Wenn er Gelegenheit hat, Spedi-
teur oder Commiſſionair zu werden, ſo ſoll
er eben ſo mit ſeinem Lohne (Proviſion) aus-
kommen, nebenher aber ſo, wie oben geſagt
worden, im Kleinen anfangen, und ſich ein
Handlungskapital nach und nach erwerben.
§. 329. Wenn aber ein junger Kaufmann
zu dem allem keine Gelegenheit haͤtte, und
doch gern eine Handlung treiben, und ſich
und eine Haushaltung damit naͤhren wollte,
ſo iſt der naͤchſte Weg dazu zwar ſchwer, aber
doch moͤglich. Das erſte, was er thut, iſt,
daß er einen unwiderruflichen feſten Entſchluß
faßt, erſtlich: ſich niemals durch die Luſt verlei-
ten zu laſſen, jemand um einen Heller zu betruͤ-
gen.
[163]Handlungshaushaltung
gen. Zweitens: niemals zu borgen, wenn
man nicht vollkommen gewiß iſt, daß man
bezahlen kann. Drittens: ſich kein Vergnuͤ-
gen zu erlauben, das Geld koſtet, ſondern
nur mit den allerweſentlichſten Befriedigungs-
mitteln ſich zu begnuͤgen. Viertens: alle
nur moͤgliche Quellen, Geld zu verdienen,
in ſo fern ſie goͤttlichen und menſchlichen Ge-
ſezen nicht zuwider ſind, aufzuſuchen, und
mit reger Thaͤtigkeit zu erwerben; und end-
lich fuͤnftens: mit anhaltendem Gebet und
frommen Wandel alles, was vorhanden
kommt, friſch auszufuͤhren.
§. 330. Nach dieſem Vorſaze ſoll ſich
der junge Kaufmann in der Gegend, wo er
lebt, nach den herrſchenden Befriedigungs-
mitteln erkundigen; was ein jeder Mann,
und beſonders das weibliche Geſchlecht nebſt
den Kindern in den Haushaltungen ſtark
braucht, und das nicht viel Geld koſtet, die-
ſes ſoll er ſich zu ſeinem Gegenſtande waͤhlen,
Leinen, Band, Nadeln, Naͤhgarn oder ſo
etwas, ſoll er an den Orten, wo dergleichen
gemacht wird, einkaufen, auf ſeinem Ruͤcken
L 2von
[164]Allgemeine
von Hauſe zu Hauſe tragen, und ſo verkau-
fen. Zu dem Ende iſt ihm ein kleines Stuͤck
Geldes hinlaͤnglich, das er leicht bei einem
Freunde wird lehnen koͤnnen.
§. 331. Den Ertrag, welchen er auf ſol-
che Weiſe gewinnt, ſoll er mit hoͤchſtem Fleiſe
zu rath halten, und ſo bald er ſein geliehe-
nes Kapital verdient hat, ſoll er es wieder
geben, und nun mit ſeinem eigenen Gelde
wieder von vorn anfangen, und ſo durch Be-
friedigung ſeiner allerweſentlichſten Beduͤrf-
niſſe immer ſuchen den reinen Ertrag ſo hoch
zu bringen, als er kann, und denſelben al-
lemal zum Erwerbungsmittel machen.
§. 332. Die Waaren, welche er einkauft,
ſollen die beßten ſeyn, die er haben kann,
und weil er alſo fort bezahlt, ſo kann er auch
ſchaͤr-
[165]Handlungshaushaltung
ſchaͤrfer dingen, mithin wohlfeiler kaufen;
im Verkaufe ſoll er nicht ſo ſehr auf den hoͤch-
ſten Preis, als vielmehr auf promte Bezah-
lung, und oftmaligen geſchwinden Umſchlag
denken.
§. 333. Wenn er ſich durch geſchwinde
und gute Bedienung genugſame Kunden (Cha-
landiſen) erworben hat, ſo kan er ſich mitten
zwiſchen denſelben an einem Orte, wo ent-
weder eine Kirche, oder ſonſtige Gelegen-
heit eines ſtarken Zufluſſes vieler Menſchen
iſt, niederlaſſen, und einen Kramladen er-
richten; Leute, die ſeine Rechtſchaffenheit,
gute Waaren und liebreichen geſelligen Um-
gang kennen, werden zu ihm kommen, und
ſeine Waaren abholen.
§. 334. Durch Aufmerkſamkeit auf das,
was im Handelsgeſchaͤfte umgeht, und durch
politiſche Verſchwiegenheit deſſen, was etwa
in ſeine Sache einſchlaͤgt, wird er ſich taͤg-
lich Quellen entdecken, wo er gute Kaͤufe
ſchlieſen, und Vortheile gewinnen kann. Nun
ſchraͤnkt er ſich nicht mehr auf gewiſſe Waa-
ren ein, ſondern alles, was Nuzen bringt,
L 3ſchlaͤgt
[166]Allgemeine
ſchlaͤgt er in ſeinen Handel, und beſonders
ſoll er dahin ſehen, daß er bald ſorge, groſe
Maſſen mit Sicherheit und geſchwind umzu-
ſchlagen, um alſo zum Ueberſaze und ins
Groſe zu gelangen.
§. 335. Bis hieher iſt ſchon mancher Hand-
lungsliebhaber vorgedrungen, auf Doͤrfern
und in Staͤdten findet man ſolche Kraͤmer,
aber ſie kommen ſelten weiter, als bis dahin,
und daran iſt Schuld, daß ſie ſelten groſe
Genies ſind, keine ausgebreitete Kaͤnntniſſe
haben, blos darauf ſehen, wie ſie wohlha-
bende Leute werden, und nicht wie ſie die
hoͤchſte Stuffe erreichen, und Land und Leu-
te gluͤcklich machen koͤnnen: ſie begnuͤgen ſich
mit einem gewiſſen Schaze, den ſie nun an-
beten, wohl davon leben, oder aus Geiz
nichts mehr wagen doͤrfen.
§. 336. Ein edler empor ringender Geiſt
hat nur den Zweck, ſein Kapital ſo ſehr zu
vergroͤſern, als er kann, nicht um reich zu
werden, ſondern ſeine Nahrungsquelle ſo
ſehr zu vergroͤſern, als er kann, ein edler
Ehrgeiz treibt ihn, der Vatter ſeines Vat-
ter-
[167]Handlungshaushaltung
terlandes zu werden, dasſelbe zu bevoͤlkern,
und alles wohlhabend zu machen; er ſieht
ſchon im Geiſte auf allen Huͤgeln bluͤhende
Haͤuſer, Felder und Gaͤrten, und dieſe Jdee
iſt ihm Reiz, alles zu dieſem Zwecke zu wagen.
§. 337. Wenn der Kaufmann auf dem
Lande, und an einem Orte wohnt, wo er
wegen Mangel an Verſendungsmitteln keine
groſe Geſchaͤfte thun kann, und nun ſeine
Nahrungsquelle nicht mehr erweitern kann,
ſo ſoll er auf eine Manufaktur denken. Zu
dieſem Zwecke erforſcht er alle Erderzeugun-
gen ſeines Landes, ſo wohl diejenigen, wel-
che es wirklich gibt, als auch die, welche es
geben kann.
§. 338. Findet er eine rohe Erzeugung,
welche ungenuzt aus dem Lande geht, oder
eine ſolche, die in ſeinem Lande vorzuͤglich
gebaut werden kann: oder bietet ſich in der
Nachbarſchaft eine Gelegenheit an, ſo, daß
er leicht ein rohes Produkt haben kann, ſo
ſoll er die Zubereitung desſelben kunſtmaͤſig
kennen lernen, alles erforſchen, was dazu
gehoͤrt, und ſo urtheilen, ob er auch dem
L 4klein-
[168]Allgemeine
kleinſten Anfange gewachſen ſei, desgleichen
muß er auch ehe gewiß ſeyn, ob, und wo er
ſeine Kunſterzeugungen mit Nuzen verkaufen
koͤnne.
§. 339. Nach allen dieſen Umſtaͤnden ſoll
er ſich nun einen Plan bilden, denſelben feſt-
ſezen, und alsdann ſo klein, als moͤglich,
anfangen. Er kauft ſich einen kleinen Vor-
rath roher Erzeugungen, laͤßt denſelben ver-
arbeiten, und verkauft die verfertigte Waa-
ren. Alles Geld, was er daraus loͤßt, ver-
wendet er wieder in ſeine Manufaktur, ſo,
daß er gleichſam eine eigne Handlung damit
fuͤhrt, und niemals von ihrem Ertrage in
ſeine Haushaltung verwendet: denn dieſe
muß er aus ſeiner erſten Nahrungsquelle fuͤh-
ren. Auf ſolche Weiſe waͤchſt die Manufak-
tur geſchwind, und breitet ſich weit aus.
§. 340. Seine Arbeitsleute muß er lieb-
reich aber doch feurig behandeln; ſie muͤſſen
ihn lieben, aber eben ſo ſehr fuͤrchten; ſie
muͤſſen uͤberzeugt ſeyn, daß ihr Herr ein gro-
ſer unternehmender Mann iſt, der ihr Hand-
werk beſſer, als ſie verſteht, der weit vor ih-
nen
[169]Handlungshaushaltung
nen her fuͤr ihr Beßtes ſorgt, der ſie bezahlt,
was ſie verdienen, auch ihnen im Falle der
Noth heraus hilft. Sie muͤſſen an ihrem Her-
zen Kindesliebe fuͤhlen, und Ehrfurcht, wann
er ſich ihnen naͤhert, und ſie muͤſſen zittern,
wann er Ernſt iſt.
§. 341. Alles dieſes erreicht ein Mann,
wenn er in ſeinen Geſchaͤften ein Genie, in
ſeinem Wandel ein Chriſt, und in ſeinem
Thun und Laſſen ein gebohrner Fuͤrſt iſt. Ein
ſolcher Herr iſt das Abendgeſpraͤch eines
Handwerksmannes mit ſeiner Frau und Kin-
dern, ſie idealiſiren ſich denſelben zum En-
gel, und nach ſeinem Tode weinen Land und
Leute.
§. 342. Auch gehoͤrt noch ein Hauptſtuͤck
zu dem Charakter eines Fabriquanten, ſei-
ne Kleidung und ſein Tiſch ſoll maͤſig, rein,
beſcheiden, mit einem Worte, ein Muſter
ſeyn; nichts demuͤthigt den Handwerksmann
ſo ſehr, als wenn er ſeinen Herrn ſchwelgen
ſieht, waͤhrend der Zeit, wann er in ſeinem
Dienſte ſchwizt, magere Speiſen genießt, und
Waſſer trinkt. Der Gedanke iſt ihm ſo na-
L 5tuͤrlich:
[170]Allgemeine
tuͤrlich: das mußt du verdienen, was dein
Herr izt im Muͤſiggange verſchwendet. Wenn
derowegen der Herr zuweilen ſeinen Arbei-
tern einen frohen Tag goͤnnt, ſie bewirthet,
an ihrer Seite ißt und trinkt, ſo wird er ſich
ihren Seegen und doppelten Fleis erwerben.
§. 343. Wenn ein junger Kaufmann ent-
weder an einem Handelsorte wohnt, oder
gar in einem handelnden Staate, ſo, daß
es ihm entweder ſchwer faͤllt, eine Manufak-
tur aufzurichten, oder, daß er durch andere
Gelegenheit Mittel vor ſich ſieht, ſich empor
zu ſchwingen, ſo ſoll er mit groͤßter Behut-
ſamkeit zu Werke gehen. Bei der Handlung
ins Groſe muß er ſich eben ſo ins Groſe be-
tragen, als er vorhin als Kraͤmer zu Wer-
ke gieng.
§. 344. Bei Schiffsrhedereien ſoll ein
Kaufmann niemals, wenn er nicht ſchon
uͤberſchwengliche Kapitale beſizt, ſich zu weit
einlaſſen, kein ganzes Schiff allein bauen,
ſondern lieber an vielen kleinen Antheil neh-
men, damit, wenn eins verungluͤckt, nicht
ſein ganzes Vermoͤgen zu Grunde gehe.
§. 345.
[171]Handlungshaushaltung
§. 345. Aſſekurationsgeſchaͤfte ſind fuͤr ei-
nen mittelmaͤſigen Kaufmann voͤllig unerlaubt,
ja es ſollten niemals, auch die reichſten Ka-
pitaliſten nicht, Aſſuͤradeurs werden. Es iſt
gar leicht moͤglich, daß durch ein paar auf
einander folgende Ungluͤcksfaͤlle der reichſte
Mann zum Bettler wird. Das nuͤzlichſte
waͤre, wenn der Staat groſe Aſſekurations-
banken anlegte, oder wenn die anderen oͤffent-
lichen Caſſen ſich dieſem Geſchaͤfte unterzoͤgen.
§. 346. Auch die Wechſelgeſchaͤfte ſind fuͤr
einen anfangenden Kaufmann bedenklich:
denn es laufen ſehr viele Wechſelbriefe in der
Handlung um, aber nicht alle ſind ſicher:
ſehr leicht kann man einmal Wechſelbriefe
von groſen Summen in Haͤnden haben, de-
ren Ausſteller nicht mehr bezahlen koͤnnen,
man will damit bezahlen, und ſie werden
proteſtirt, und doch hat man ſein gutes Geld
dafuͤr ausgegeben, und ſo wird man leicht
zu Grunde gerichtet.
§. 347. Wer mit Wechſelgeſchaͤften um-
gehen will, der muß nicht allein alles wohl
verſtehen, was zu dieſem Handel gehoͤrt, ſon-
dern
[172]Allgemeine
dern er muß auch alle beruͤhmte Handelshaͤu-
ſer nach ihrer innern und aͤuſeren Beſchaffen-
heit kennen, und aus ihren zufaͤlligen Um-
ſtaͤnden auf die weſentlichen zu ſchlieſen wiſſen.
§. 348. Ein Kaufmann, der groſen Staat
und Aufwand macht, der in der Ueppigkeit
lebt, mag ſo reich ſeyn als er will, ſo geht
er doch fruͤher oder ſpaͤter zu Grunde. So
bald man merkt, daß ein Handelsmann theu-
rer als andre einkauft, und wohlfeiler wie-
der verkauft, ſo iſt das ein Zeichen, daß er
entweder ſein Geſchaͤft nicht verſteht, oder
leichtſinnig iſt; in beiden Faͤllen geht er bald
zu Grunde, und es iſt ihm nicht zu trauen.
Oder er thut das, um nur zu Gelde zu ge-
langen; dieſes iſt ein Merkmal, daß die
Caſſe hin iſt, und er nur ſucht Geld in die
Hand zu bekommen, und dieſes zeigt einen
nahen Banquerot an. Solcher Anzeigen
ſind mancherlei, die ein geſchickter Kaufmann
wohl zu benuzen weis.
§. 349. Wenn auch ein Kaufmann Geld
und Kapital genug hat, ſo iſt ihm doch ein
vollkommenes Zutrauen (Credit) bei andern
Kauf-
[173]Handlungshaushaltung
Kaufleuten nothwendig. Denn der Wechſel-
handel geht allein auf Credit; und wenn man
Waaren an jemand verſenden ſoll, welche
nicht eh, als bis nach voͤlliger Lieferung be-
zahlt werden, ſo muß man allein auf den Cre-
dit eines ſolchen Mannes den Werth der
Waaren wagen. Ohne Credit kann ein Han-
delsmann bei all ſeinem Gelde nichts aus-
richten, derowegen muß er denſelben mit
hoͤchſtem Fleiſe zu handhaben ſuchen.
§. 350. Dieſes geſchieht wenn ein Kauf-
mann wenig Staat und Aufwand macht, ein
frommes buͤrgerliches Leben fuͤhrt, gute Ge-
ſchaͤfte thut, ſcharf accordirt, und promt be-
zahlt, uͤberhaupt, wenn er nie jemand ver-
vortheilet, auch dann, wann ers ungeſtraft
thun koͤnnte.
§. 351. Bei der Handlung iſt kein gefaͤhr-
licherer Zufall, als wenn der Kaufmann aus-
tritt, zu bezahlen aufhoͤrt, Banquerot macht,
und fallirt. Er wird nicht nur allein dadurch
ſelbſt zu Grunde gerichtet, ſondern er bringt
andere mit ſich ins Ungluͤck. Dieſes zu ver-
meiden, ſoll des Kaufmannes hoͤchſter Zweck
ſeyn.
§. 352.
[174]Allgemeine
§. 352. Derowegen muß er nie groͤſern
Aufwand machen, als er ertragen kann, er
muß nicht einmal den ganzen Ertrag ſeiner
Handlung verzehren, geſchweige das Kapi-
tal angreifen. Wann er ungluͤcklich iſt, ſo
ſoll er ſich nicht durch Geldlehnen zu helfen
ſuchen, ſondern ſich lieber einſchraͤnken. Er
ſoll ſein Vermoͤgen durch Haſardhandel nie
aufs Spiel ſezen, vorſichtig zu Werke gehen,
und ſich durch groſen Gewinn nie verleiten
laſſen, ſich mit verdaͤchtigen Handelshaͤuſern
in Geſchaͤft zu geben, u. ſ. w. Endlich ſoll
er mit hoͤchſtem Fleiſe buchhalten, damit er
beſtaͤndig den wahren Zuſtand ſeiner Caſſe,
und ſeiner Handlung wiſſe: Theils ob es mit
ihm hinter ſich oder vor ſich gehe, theils auch
damit er ſich nicht in Geſchaͤfte einlaſſe, die
ſein Vermoͤgen uͤberſteigen.
§. 353. Dem allem ungeachtet koͤnnen doch
Ungluͤcksfaͤlle zuſammen treffen, die man
nicht vorher vermuthen, und ſich nicht davor
huͤten koͤnnen. Wenn daher ein Kaufmann
ſieht, daß er nicht mehr bezahlen kann, ſo
ſoll er erſtlich bedenken, daß ein jeder anderer
Weg
[175]Handlungshaushaltung
Weg, als ich ihm izt vorſchreibe, ihn wahr-
haft ungluͤckſelig macht, derowegen ſoll er
nicht mit Betruge Geld ſammlen und aus-
weichen, ſondern er ſoll alſofort der Obrig-
keit ſeinen Zuſtand bekannt machen, und ſich
ſo lang Sicherheit ausbitten, bis er ſeine
Unſchuld bewieſen hat.
§. 354. Alsdann ſoll er allen ſeinen Glaͤu-
bigern ſeinen Zuſtand mit Demuth und Be-
ſcheidenheit bekannt machen, ihnen alles an-
zeigen, und die Liegenheit ſeiner Sachen mit
ſeinen Buͤchern und Briefwechſeln beweiſen,
alles hingeben, und getreulich anzeigen, was
er hat, ſo wird er ein ruhiges Gewiſſen und
Credit behalten, und alſo nach und nach
wieder zu Brode kommen koͤnnen.
§. 355. Eben aus dieſem Grunde, weil
niemand vor dem Ungluͤcke ſicher iſt, ſoll
auch ein jeder Kaufmann mit dem Ungluͤckli-
chen Mitleiden haben, wenn ers verdient,
ihm wieder aufzuhelfen ſuchen, und ſich ſo
mit ſeinem Mammon Freunde machen, da-
mit er auch am Tage des Ungluͤckes Erbarmen
finden moͤge.
All-
[176]Allgemeine
Allgemeine Staats-Gewerbkunde.
§. 356. Alle bisher abgehandelte Ge-
werbe dergeſtalt in einen ganzen Gewerb-
koͤrper hinordnen, daß jeder einzelne Er-
werber dadurch den hoͤchſten Grad der
Gluͤckſeligkeit, den er in ſeinem Gewer-
be zu erlangen faͤhig iſt, zu erreichen
Gelegenheit habe, und wirklich erreiche.
Aus dem reinen Ertrage alle Gewerbe,
der einzelnen und allgemeinen Gluͤckſe-
ligkeit unbeſchadet, einen hinlaͤnglichen
Ertrag ſammlen, und endlich aus die-
ſem Ertrage die Beduͤrfniſſe des Gan-
zen ſo zu befriedigen, daß dadurch die
einzelne und allgemeine Gluͤckſeligkeit
auf die beßte Weiſe befoͤrdert werde.
Das alles zuſammen nenne ich das Staats-
gewerb.
§. 357.
[177]Staats-Gewerbkunde
§. 357. Staat nenne ich einen durch
gewiſſe Grenzen beſtimmten bevoͤlkerten
Strich Landes, in welchem durch eine
geſezgebende Gewalt alle Menſchen, Er-
werber und Gewerbe zu einem einzigen
ganzen Koͤrper zuſammen geordnet ſind,
und durch eben dieſe Kraft in ihren Hand-
lungen zur einzelnen und allgemeinen
Gluͤckſeligkeit geleitet werden ſollen.
§. 358. Die Grundlehre des Staats-
gewerbes muß erſtlich die verſchiedenen all-
gemeinen Staatsverfaſſungen vortragen, und
zwar ſo: daß man fruchtbare Grundſaͤze zur
Erkaͤnntniß des Guten und Schoͤnen daraus
ziehen koͤnne. Zweitens: muß ſie auch all-
gemeine Grundſaͤze an die Hand geben, wor-
aus man den Zweck der verſchiedenen Thei-
le der Staatsgewerbe erkennen, und ſie alſo
aufs beßte einrichten koͤnne. Beide Stuͤcke
ordne ich zuſammen, und nenne ſie die
Staatswiſſenſchaft, welche die philoſo-
phiſche Geſchichte der Staaten, und die
Kaͤnntniß des Staatsgewerbes enthaͤlt.
M§. 359.
[178]Allgemeine
§. 359. Zum Schluſſe muß angewieſen
werden, wie man alle dieſe Grundſaͤze in je-
dem Staate nach ſeiner eigenen Grundver-
faſſung wirklich anwenden muͤſſe, damit der
groſe Zweck desſelben auf die beßte Weiſe er-
halten werden kann. Dieſes nenne ich die
Staatshaushaltung (Staatsoͤkonomie).
Allgemeine Staatswiſſenſchaft.
a) Geſchichte der Staaten.
§. 360. Ein jeder Menſch hat Recht zu
der Gluͤckſeligkeit, deren er in ſeinen Um-
ſtaͤnden faͤhig iſt. Dieſes iſt das Recht der
Natur. Ein jeder fuͤhlt in ſeinem Herzen die
Wahrheit dieſes Rechtes. Da nun ein jeder
dieſes Recht hat, ſo iſt es abermal eines je-
den Pflicht, niemand in ſeinem Rechte zu
beeintraͤchtigen, ſondern vielmehr ihm zu
demſeben nach Vermoͤgen zu helfen.
§. 361. Dieſes auf eine ewige Wahrheit
gegruͤndete Geſez der Natur liegt in den guͤl-
denen Worten des Gottmenſchen: Alles,
was ihr wollt, daß euch die Leute thun
ſollen, das thut ihnen. Jch will dieſen
Spruch den Grundſaz des geſellſchaftli-
chen
[179]Staatswiſſenſchaft
chen Lebens nennen. Ein jeder Menſch,
auch der roheſte Wilde, fuͤhlt in der von Lei-
denſchaften unbefangenen Stunde die Wahr-
heit dieſes Sazes.
§. 362. Alles, was ich will, was ich zu
beſizen wuͤnſche, ſoll ich auch meinem Neben-
menſchen zu verſchaffen ſuchen, in ſo fern er
nach ſeinen Umſtaͤnden dazu faͤhig iſt. Nun
will und wuͤnſche ich aber den hoͤchſten Grad
der Gluͤckſeligkeit, den ich auf die ganze Dau-
er meines Daſeyns zu erreichen faͤhig bin.
Folglich ſoll ich auch meines Nebenmen-
ſchen Gluͤckſeligkeit nach dem Grade ſei-
ner Empfaͤnglichkeit auf Zeit und Ewig-
keit, ſo wie meine eigene, zu befoͤrdern
ſuchen. Dieſes iſt eben ſo ewig wahr, als
das vorhergehende, ich nenne dieſe Schluß-
folge: den Grundſaz der geſellſchaftli-
chen Gluͤckſeligkeit.
§. 363. So wahr und ſo tief dieſe beiden
Saͤze im Weſen der menſchlichen Seele ge-
gruͤndet ſind; ſo ſtrebt doch der Menſch nach
eigenem Genuſſe, und das mehrentheils auf
Unkoſten des Nebenmenſchen. Der Maͤchti-
M 2ge
[180]Allgemeine
ge ringt empor, und beraubt den Geringern
der Mittel zur Gluͤckſeligkeit. Die Menſch-
heit wuͤthet in ſich ſelber, und richtet ſich zu
Grunde, wo nicht die goͤttliche Barmherzig-
keit ein Mittel dagegen verordnet hat .
§. 364. Der Schoͤpfer hat deswegen in
den erſten Urkeim der menſchlichen Geſellſchaft
zwiſchen Mann und Weib eine Kraft gelegt,
welche jedes Glied dieſer Geſellſchaft antreibt,
ſowohl dem Grundſaze des geſellſchaftlichen
Lebens, als auch der geſellſchaftlichen Gluͤck-
ſeligkeit, Genuͤgen zu leiſten. Dieſe Kraft
heißt Liebe, und ſie gab dem Manne die ge-
ſezgebende Gewalt. Jzt erkennen wir,
daß die geſezgebende Gewalt das Mittel
ſei, welches die goͤttliche Barmherzigkeit zu
Befoͤrderung der einzelnen und allgemeinen
Gluͤckſeligkeit verordnet, und daß die Liebe
zwiſchen Menſch und Menſch dieſe Gewalt
ausgebohren habe.
§. 365.
[181]Staatswiſſenſchaft
§. 365. Die philoſophiſche Staatsgeſchich-
te lehrt uns, welchen Gang die geſezgeben-
de Gewalt unter dem menſchlichen Geſchlech-
te genommen, und wie dasſelbe damit haus-
gehalten habe. Wenn wir alſo von der er-
ſten und einfachſten Geſellſchaft bis zu den
verſchiedenen Gattungen der allerzuſammen
geſezteſten aufgeſtiegen ſind, ſo haben wir
dieſen ganzen Gang entdeckt.
§. 366. Schwaͤchere Seelen- Leibes- und
Erwerbungskraͤfte; ferner: Neigung, Lie-
be und willige Unterwerfung des Willens auf
der Seite des Weibes; hingegen ſtarke See-
len- Leibes- und Erwerbungskraͤfte, ferner:
Neigung, Liebe und Schuz auf Seite des
Mannes, waͤlzten die geſezgebende Gewalt
auf den Mann, ſie war ihm natuͤrlich, und
eben ſo natuͤrlich war dem Weibe der Gehor-
ſam. Jn dieſem Zuſtande leiten die beiden
Grundſaͤze der Geſellſchaft die geſezgebende
Gewalt ganz allein.
§. 367. Mann und Weib zeugen Kinder.
Die Natur heißt ſie dieſelben als ihr eigen
Fleiſch und Blut lieben. Die Liebe aber
M 3fuͤhrt
[182]Allgemeine
fuͤhrt zur Ausuͤbung der geſellſchaftlichen
Grundſaͤze. Die Kinder haben ſchwache See-
len- und Leibeskraͤfte, ſind unvermoͤgend ſich
ihre Gluͤckſeligkeit zu verſchaffen: daher ſor-
gen die Eltern fuͤr ſelbige, wie fuͤr ihre eige-
ne; derowegen muͤſſen die Kinder gehorchen.
Die geſezgebende Gewalt iſt alſo hier bei den
Eltern, und vorzuͤglich bei dem Vatter. Auch
dann, wann die Kinder ihre vollkommene
Leibes- Seelen- und Erwerbungskraͤfte er-
langt haben, ſollen ſie eben die geſezgeben-
de Gewalt bei ihren Eltern erkennen, die ſie
ſelbſt ihren Kindern in den Umſtaͤnden abzu-
fodern gedenken.
§. 368. Jm erſten Zuſtande der Menſch-
heit iſt die geſezgebende Gewalt des Haus-
vatters durch keine Staatsverfaſſung einge-
ſchraͤnkt, er iſt unumſchraͤnkter Alleinherr-
ſcher ſeines Hauſes, er hat Macht uͤber Le-
ben und Tod. Blos die Liebe, und zufolge
derſelben, die Grundſaͤze der Geſellſchaft,
leiten ſeinen Willen, daß er zur Gluͤckſelig-
keit des ganzen Hauſes regiert.
§. 369.
[183]Staatswiſſenſchaft
§. 369. Der fruͤhe Tod des Hausvatters,
desgleichen die erſte Hilfe des erſtgebohrnen
Sohnes, die er ſeinem Vatter im Gewerbe
leiſtet, ſo, daß er im erſten Falle an die Stel-
le des Vatters tritt, geben ihm das Recht
an Vatters ſtatt Herr des Hauſes zu werden.
Das Recht der Erſtgeburt wurde fruͤh feſtge-
ſezt, und bei dem erſtgebohrnen Sohne wur-
de daher die oberſte geſezgebende Gewalt un-
ter Geſchwiſtern gefunden.
§. 370. Der Erſtgebohrne trat nach des
Vatters Tode in ſeine Gerechtſame, wurde
Regent und Verſorger des Hauſes, das Ge-
ſinde war ihm vermoͤg ſeines Rechtes unter-
worfen, gewiſſer Maſen auch ſeine Geſchwi-
ſter; ſie heuratheten, und ſo fern ſie gewoͤhn-
liche, in ihren geringen Wirkungskreis ein-
geſchloſſene Menſchen waren, unterworfen
ſie ſich gutwillig dem Geſchlechtshaupte
(Klan). Kinder und Kindeskinder beruhten
in dieſer Verfaſſung.
§. 371. Nachlaͤßige, ungluͤckliche, ſchwa-
che Erwerber, oder ein fruͤher Tod desſelben,
ſezte ſein Geſchlecht in Armuth; doch mußten
M 4dieſe
[184]Allgemeine
dieſe Menſchen leben, ſie wurfen ſich einem
wohlhabenden Hausvatter hin, er nahm ſie
an, gegen treue Dienſte fuͤr ihr Wohl, Gut
und Leben zu ſorgen. Ein armer Vatter ver-
kaufte gar die Seinigen aus Duͤrftigkeit, viel-
leicht auch ſeine eigene und ſeines Weibes
Perſon, ſo entſtand leibeigene Knechtſchaft,
die wahre eigentliche Unterthanen des Haus-
vatters.
§. 372. Ein groſer empor ſtrebender Geiſt
konnte den Vorzug des aͤltern Bruders nicht
ertragen, er glaubte nicht an die Rechte der
Erſtgeburt, er wich aus, richtete ein eige-
nes Geſchlecht auf, wurde Herr und Stamm-
vatter desſelben.
§. 373. Durch Jrrthum oder durch Ge-
walt, oder durch beides zuſammen, konn-
ten Geſchlechtshaͤupter unter ſich in ihr Ei-
genthum Eingriff thun. Sie unterredeten
ſich guͤtlich daruͤber, das ewige und jedem
Menſchen einleuchtende Geſez, der Grund-
ſaz des geſellſchaftlichen Lebens, wurde ih-
nen Maasſtab, ſie leiteten eine naͤhere Be-
ſtimmung daraus her fuͤr ihren Fall. Und ſo
ent-
[185]Staatswiſſenſchaft
entſtanden geſellſchaftliche Verfaſſungen fuͤr
zuſammen wohnende Hausvaͤtter, die Urkei-
me der Polizei.
§. 374. Graue Haͤupter, weiſe durch Er-
fahrung und Genie, thaten ſich in Streitſa-
chen durch kluge Rathſchlaͤge hervor, ſie wur-
den Richter und Geſezgeber im Kreiſe ihrer
Geſellſchaft. Verſchiedene von dieſer Art
traten zuſammen, rathſchlagten fuͤr das ge-
meine Beßte, die Stimme des Volkes gab
Beifall, denn ſie erkannte die Richtigkeit ih-
rer Schluͤſſe, man verband ſie zu gemeinſchaft-
licher Handhabung der Mittel zur einzelnen
und allgemeinen Gluͤckſeligkeit; und dieſes iſt
das erſte Urbild der Gemeinherrſchung (Re-
publick), die Polizeiverwaltung und das Re-
giment war bei den Aelteſten.
§. 375. Jn wichtigen Angelegenheiten tra-
ten alle Geſchlechtshaͤupter zuſammen, hiel-
ten Volksverſammlung, Landtaͤge, und ſchlich-
teten da ihre Angelegenheiten, machten all-
gemeine Geſeze, und verbanden ſich zur Fol-
geleiſtung. War die Menge gros, mithin
die Volksſtimme zu vielfaͤltig, ſo trat je-
M 5der
[186]Allgemeine
der Bezirk in ſich zuſammen, trugen einem
unter ſich die allgemeine Stimme auf, und
ſo entſtund der Bevollmaͤchtigte (Deputir-
te); die Bevollmaͤchtigten traten zuſammen,
und dieſe Verſammlung ſtellte das ganze
Volk vor. Dieſes iſt das reine Bild der
Gemeinherrſchaft, wo ein jeder Hausvat-
ter ſeinen Antheil an der geſezgebenden Ge-
walt auf eine Zeitlang dem Deputirten ab-
gibt; alle Deputirten vereinigen dieſelbe im
Rathe, der Rathſchluß iſt die geſezgebende
Gewalt ſelber, auf einzelne Faͤlle angewen-
det, und man beſtellt Staatsbediente, wel-
che ihn ausfuͤhren, dem alsdann ein jeder,
auch der Deputirte, gehorchen muß.
§. 376. Wenn ſich die Geſchlechtshaͤupter
lang in ihrem Vorzuge behauptet haben, ein
jeder derſelben einen groſen Kreis weiter und
naher Anverwandten, viele Geſchlechter leib-
eigener Menſchen unter ſich hat, und er al-
ſo ein natuͤrlicher Herr ſeines Bezirkes iſt, ſo
entſteht daher ein Vorzug des Standes, ein
natuͤrlicher Adel. Wenn ſolcher Edelleute
viele eine Gemeinherrſchaft unter ſich aufrich-
ten,
[187]Staatswiſſenſchaft
ten, ſo entſteht daher eine ſonderbare Staats-
verfaſſung. Ein jeder iſt Fuͤrſt in ſeinem Thei-
le, und Buͤrger des Staates.
§. 377. Wenn ein jeder Hausvatter Theil
an der geſezgebenden Gewalt hat, und alſo
der Staat durch Deputirte regiert wird, ſo
heißt dieſe Staatsverfaſſung: Volksherr-
ſchung (Demokratie). Wenn aber verſchie-
dene Edelleute ihre kleine Staaten zuſammen
in einen groſen vereinigen, in welchem alſo
die geſezgebende Gewalt blos unter den Edel-
leuten iſt, ſo gibt das den Grund zur Feu-
dalverfaſſung, und iſt eine Gattung der
Edelherrſchaft (Ariſtokratie).
§. 378. Wenn in einem Staate die Edel-
leute, ohne eigene Unterthanen zu haben, die
Gemeinherrſchaft an ſich zogen, und alſo die
Gemeine von der geſezgebenden Gewalt ent-
weder freiwillig oder gezwungen entledigten,
ſo entſtund daher die zweite Hauptgattung
der Edelherrſchaft.
§. 379. Die mannigfaltigen Vorfallenhei-
ten im Staate, je nach ſeiner vielfaͤltigen in-
neren und aͤuſeren Lage, beſchaͤftigten die
Raths-
[188]Allgemeine
Rathsverſammlungen oͤfter, und gaben An-
laß, daß die Grundſaͤze der Geſellſchaft auf
viele einzelne Faͤlle ausgedehnet wurden, und
ſo entſtunden Natur- und Voͤlkerrechte, aber
auch eigene Land- Staats- und Polizeirech-
te. Taͤgliche haͤufige Vorfaͤlle erfoderten ei-
ne immerwaͤhrende Nathsverſammlung, die
Landſtaͤnde ſelbſt waren entweder nicht ge-
ſchickt dazu, oder ſie hatten die Zeit nicht:
man verordnete alſo Staatsbedienten und
Collegia, welche gegen Belohnung nach den
Geſezen richten, und uͤber ihre Feſthaltung
wachen ſollten.
§. 380. Jn dieſem leztern Falle uͤbergibt
ein jeder Edelmann, ein jeder Hausvatter
die geſezgebende Gewalt an die Collegien und
Staatsbedienten, doch mit dem Bedinge,
ſie nach den feſtgeſtellten Geſezen zu verwal-
ten. Allein, ſo genau auch einem jeden Col-
legio, einem jeden Staatsbedienten ſein Fach
ausgezeichnet und angewieſen wird, ſo konnte
doch ſehr oft, bei ſehr verwickelten Faͤllen, Zwi-
ſtigkeit zwiſchen den Collegien und Staatsbe-
dienten ſelber entſtehen, und ſo oft konnte
nicht
[189]Staatswiſſenſchaft
nicht der Landtag zuſammen tretten, als das
geſchahe, auch dafuͤr waren Mittel noͤthig.
§. 381. Dieſe wurden auf verſchiedene
Weiſe veranſtalltet. Entweder man erwaͤhl-
te einen geſchickten Mann, der der Geſeze
und des Staates kundig war, dieſer konnte
aus dem Mittel der Gemeinde, oder aus
den Collegien genommen werden, man uͤber-
trug ihm die Verwaltung der Gewalt nach
den Geſezen, die man nach Belieben und
Gutfinden mehr oder weniger einſchraͤnkte.
Er war Staatshaupt, Vorſizer in den Col-
legien, er war das in einer Perſon, was die
Gemeinde in vielen iſt. Man nannte ihn
Richter, Hauptmann, Archon, Buͤrgermei-
ſter, Fuͤrſt, Herzog, und ſogar Koͤnig, je
nachdem die geſezgebende Gewalt in ſeiner
Perſon eine Geſtalt hatte.
§. 382. Auf ſolche Weiſe naͤhert ſich die
Gemeinherrſchaft der Alleinherrſchaft (Mo-
narchie). Je mehr die geſezgebende Gewalt
aus dem Vielfachen ins Einfache geleitet,
und von vielen an wenige Perſonen uͤberge-
ben wird, deſto mehr wird ſie wieder ihrem
erſten
[190]Allgemeine
erſten natuͤrlichen Zuſtande aͤhnlich, und
wenn der Alleinherrſcher der Mann ſei-
nes Staates, und der Vatter ſeines Vol-
kes iſt, ſo iſt die Frage nicht mehr, wel-
cher der gluͤcklichſte Staat iſt.
§. 383. Oder man beſtimmte aus der Mit-
te der Gemeine, oder des Adels einen en-
gern Ausſchuß, welcher gegen Beſoldung be-
ſtaͤndig fort dauerte, und den Staat regier-
te; dieſes Collegium hieß Senat, Staats-
verſammlung, Parlement, Magiſtrat u. ſ. w.
So lang die Gemeinde, es ſei nun jeder Haus-
vatter, oder blos der Adel, den einzelnen
Staatsverweſer, oder das Senatsmitglied
erwaͤhlt, ſo lang iſt die Volkesherrſchaft noch
guͤltig; wenn aber die Senatoren unter ſich
ein Mitglied waͤhlen, ſo iſt das eine hoͤhere
ſtaͤrkere Edelherrſchaft. Die geſezgebende
Gewalt iſt ganz allein im Senate, und die-
ſe Regierungsform iſt der Monarchie am
naͤchſten.
§. 384. Die Alleinherrſchaft ſelbſt iſt ſehr
verſchieden und auf verſchiedene Weiſe ent-
ſtanden. Entweder man waͤhlte einen Fuͤr-
ſten
[191]Staatswiſſenſchaft
ſten auf Lebenslang, und waͤhlte nach ſeinem
Tode willkuͤhrlich, wen man wollte, oder
man gruͤndete eine Erbfolge. Ferner: ent-
weder theilte der Staat die geſezgebende Ge-
walt mit dem Fuͤrſten, oder uͤbertrug ſie ihm
ganz und freiwillig, doch unter dem Bedin-
ge, daß derſelbe allemal bei dem Antritte
der Regierung ſchwoͤren mußte, nach den
Staatsgrundſaͤzen zu regieren.
§. 385. Die Gemeinherrſchaft, wenn ſie
mit der Alleinherrſchaft vereinigt wird, macht
die vermiſchte Herrſchaft (republikaniſche
Monarchie) aus. Dieſe iſt ſehr verſchieden,
der Erfolg derſelben lehrt immer, welche un-
ter dieſen Regierungsformen die beßte ſei.
§. 386. Es gab noch einen andern Weg
von der Wuͤrde des Hausvatters zum Mo-
narchen hinauf zu ſteigen. Jn dieſem Falle
blieb die geſezgebende Gewalt immerfort bei
einer einzelnen Perſon. Ein durch Erbſchaf-
ten, ſtarke Bevoͤlkerung, und noch andere
Urſache maͤchtiges Geſchlechtshaupt, konnte
der Beſchuͤzer bedraͤngter, verfolgter, oder
armer Leute werden; das Land, welches er
be-
[192]Allgemeine
bewohnte, konnte fruchtbar, die Natur da-
ſelbſt wohlthaͤtig ſeyn; und ſo wurde ſein
Reich errichtet, er regierte, ſo weit ihm das
Land unterworfen war, unumſchraͤnkt.
§. 387. So friedlich ſind aber wohl nicht
Staaten und Republiken entſtanden. Als
die Menſchheit noch in ihrer Kindheit war,
und ein paar Geſchlechtshaͤupter wegen einer
Sache uneinig wurden, ſo machten ſie die-
ſelbe nicht immer in der Guͤte durch Geſeze
aus, ſie behaupteten auch wohl ihr Recht
durch Gewalt, durch einen Zweikampf, das
erſte Urbild des Krieges. Da nun in die-
ſem Zuſtande keine Staatsverfaſſung war,
ſo konnte einer den andern ungeſtraft ums
Leben bringen.
§. 388. Geſezt, es wurde ein Geſchlechts-
haupt, ein Erwerber ermordet. Liebe fuͤr
denſelben, und Beduͤrfniß flammte ſeinen
naͤchſten Nachfolger, ſeine Verwandten und
Knechte an, ſich zu raͤchen. Ein kuͤhner Mann
unter denſelben, der Muth und Entſchloſſen-
heit hatte, drung mit beredter Kraft in ihre
Gemuͤther, er wurde ihr Anfuͤhrer. Mann
fuͤr
[193]Staatswiſſenſchaft
fuͤr Mann uͤberließ ihm in dieſem Geſchaͤfte
die geſezgebende Gewalt, man machte zu
Waffen, was einem dazu am beßten ſchien,
man ſuchte den Thaͤter auf, man raͤchte ſich,
und ſuchte ſich durch den Raub des Seini-
gen ſchadlos zu halten.
§. 389. Dergleichen Beiſpiele machten
den Moͤrder auf einandermal behutſamer, er
wehrte ſich mit ſeinen Unterthanen, und ſo
entſtunden Kriege. Man raͤchte nicht immer
toͤdliche Beleidigungen; ſondern jedes Un-
recht zog Krieg nach ſich. Dieſes war die
fernere Urſache, daß ſich die Menſchen in
Geſellſchaften und Staaten zuſammen ſchlu-
gen, Schuz- und Truzbuͤndniſſe errichteten,
und die geſezgebende Gewalt auch dazu
brauchten, ſich in ihren Rechten zu ſchuͤzen,
und Beleidigungen zu raͤchen.
§. 390. Dergleichen Vorfaͤlle fuͤhrten zu
Erfindung der Waffen, zum Heldenmuthe,
zum Kriegsgenie und zu allerhand Beleidi-
gungs- und Vertheidigungsmitteln. Der
ſtaͤrkſte, kuͤhnſte, liſtigſte und verwegenſte
ſiegte am oͤfterſten, er wurde Beſchuͤzer der
NUn-
[194]Allgemeine
Unterdruͤckten, man fuͤrchtete ihn, und wenn
er ein gerechter frommer Mann war, ſo ehr-
te und liebte man ihn. So entſtand die Jdee
vom wahren Helden, er beſaß mit Recht ei-
nen Theil der geſezgebenden Gewalt, denn
er verdiente ſie durch vorzuͤgliche Eigenſchaf-
ten und Wohlthaten als Vatter des Volkes.
Jn der trunkenen Freude der Errettung aus
Gefahr wurde die Einbildungskraft erhizt,
man erzaͤhlte jauchzend die Thaten des Hel-
den, man dichtete, und ſo entſtund das er-
ſte Jdeal des epiſchen Gedichtes.
§. 391. Geſellſchaftliche Bande vereinig-
ten einen Bezirk zu einem gemeinſchaftlichen
Jntereſſe, die Beleidigung eines maͤchtigen
Nachbares ſezte die ganze Geſellſchaft zur
Rache an, alle Maͤnner entſchlieſen ſich zum
Kriege, die Nothwendigkeit der Ordnung
fuͤhrt zum Denkbilde eines Anfuͤhrers, man
waͤhlt den Helden dazu, er geht hin, ſiegt,
und kommt als Halbgott wieder. So wird
der Held das Urbild des Heerfuͤhrers, des
Generals.
§. 392.
[195]Staatswiſſenſchaft
§. 392. Fortwaͤhrende Uneinigkeit macht
die fortdauernden Befehle des Siegers noth-
wendig, man uͤbertraͤgt ihm die geſezgeben-
de Gewalt des Schuzes auf eine Zeitlang,
oder gar auf immer, nach und nach; wenn
er ein weiſer Mann iſt, ſo bekommt er die
geſezgebende Gewalt des Staates auch, man
macht Vertraͤge mit ihm, und er wird Al-
leinherrſcher.
§. 393. Ein Held, ein Heerfuͤhrer, ein
Fuͤrſt fuͤhrt Kriege. Heldenmuth, Kraft und
Geiſtesſtaͤrke verpaart mit Herrſch- und Ruhm-
ſucht, verleiten ihn, Eroberungen zu machen,
er unterwirft ſich Laͤnder und Staaten, er-
obert die geſezgebende Kraft, und bedient
ſich derſelben willkuͤhrlich. Jn dieſem Falle
entſteht die unumſchraͤnkte Alleinherrſchung
(Ratio Status abſolute Monarchie), in wel-
cher der bloſe Wille des Fuͤrſten, ohne Ruͤck-
ſicht auf Geſeze, das eigentliche Geſez des
Staates iſt .
N 2§. 394.
[196]Allgemeine
§. 394. Aus dem Vorhergehenden erhel-
let, daß man uͤberhaupt in allen Staaten
zween Gegenſtaͤnde im Geſichte habe, erſt-
lich den Staatskoͤrper mit allen ſeinen Glie-
dern, deren jedes nach ſeiner Einſicht und
Begrif nach Gluͤckſeligkeit ringt; und zwei-
tens die geſezgebende Gewalt, welche die-
ſen Staatskoͤrper nach den Einſichten und
Begriffen von der Gluͤckſeligkeit derer, wel-
che ſie verwalten, belebt.
§. 395. Wie ſoll aber nun eigentlich die
geſezgebende Gewalt im Staatskoͤrper wir-
ken? wie ſoll ſie vom Volke, oder vom Adel,
oder vom Fuͤrſten, es ſei nun vom Mitherr-
ſcher oder Alleinherrſcher, eigentlich verwal-
tet werden? Dieſes lehret nun die Grund-
lehre der verſchiedenen Theile des Staats-
gewerbes.
b) Staatsgewerbe.
§. 396. Die geſezgebende Gewalt treibt
das Staatsgewerb. Sie iſt Staatserwer-
ber, Staatswirth. Da nun das Staats-
gewerb darinnen beſteht, daß der Staats-
wirth alle drei Gattungen von Gewerben zu
einem
[197]Staatswiſſenſchaft
einem ganzen Gewerbkoͤrper dergeſtallt zu-
ſammen ordne, damit jeder einzelne Erwer-
ber dadurch den hoͤchſten Grad der Gluͤckſe-
ligkeit erreichen koͤnne, und wirklich erreiche.
Ferner, daß er aus dem reinen Ertrage al-
ler Gewerbe, der allgemeinen und einzelnen
Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, einen hinlaͤnglichen
Ertrag ſammle. Und daß er endlich aus die-
ſem Ertrage die Staatsbeduͤrfniſſe vollkom-
men befriedige, doch ſo, damit der groͤſte
reine Ertrag uͤberbleibe, der moͤglich iſt, die-
ſen aber wieder auf die beßte Weiſe zur ein-
zelnen und allgemeinen Gluͤckſeligkeit verwen-
de; ſo ergibt ſich von ſelbſten, daß das
Staatsgewerb zuerſt in drei Haupttheile zer-
falle.
§. 397. Das erſte Hauptſtuͤck der Staats-
gewerbe betrift die beßte Einrichtung des
Staates. Die Gewerbe ſollen in einen
Gewerbkoͤrper dergeſtallt zuſammen ge-
ordnet und eingerichtet werden, damit
jeder einzelne Erwerber dadurch den
hoͤchſten Grad der Gluͤckſeligkeit, den er
in ſeinen Umſtaͤnden zu erlangen faͤhig
N 3iſt,
[198]Allgemeine
iſt, zu erreichen Gelegenheit habe, und
wirklich erreiche. Dieſes iſt ohne Zweifel
der wahre Begrif von dem, was man Po-
lizei heißt; die Grundſaͤze, die der Staats-
wirth zur Ausuͤbung derſelben entwirft, ma-
chen die Polizeiwiſſenſchaft aus.
§. 398. Aus dieſer Erklaͤrung laſſen ſich
nun auch leicht die Graͤnzen beſtimmen, wel-
che die Rechtsgelehrtheit, und uͤberhaupt die
Juſtiz von der Polizei unterſcheiden. Der
Rechtsgelehrte erklaͤrt die |gegebenen Geſeze
des Staatswirthes, wendet ſie auf einzelne
Faͤlle an, urtheilt nach dieſen Geſezen, ſpricht
den Unſchuldigen los, und beſtimmt die
Strafen der Uebertreter. Deswegen muß
er alle Geſeze des Staates kennen. Die
Polizei hingegen ſchraͤnkt ſich nur auf die
beßte Einrichtung des Staates ein, ſezt die
Geſeze in Uebung, und uͤbergibt die zweifel-
haften Faͤlle der Juſtiz zur Entſcheidung .
§. 399.
[199]Staatswiſſenſchaft
§. 399. Bei dem Erwerber liegt die Kraft
des Gewerbes. Wenn alſo die Gewerbe im
Staate ſollen dergeſtallt zuſammen geordnet
werden, damit die groͤßte, einzelne und all-
gemeine Gluͤckſeligkeit heraus komme, ſo muß
zu allererſt der Erwerber dazu geſchickt ge-
macht werden. Er iſt die Kraft des Gewer-
bes, er genießt die Gluͤckſeligkeit, und um
ſeinet Willen iſt ſein Gewerb da.
§. 400. Die Zubereitung des Men-
ſchen zum Genuſſe der Gluͤckſeligkeit iſt
alſo das erſte Staatsgewerb der Polizei.
Da nun guten Theils in der Erziehung der
Kinder der Grund aller ihrer zukuͤnftigen
Handlungen liegt, ſo ſoll die Polizei die
beßten Erziehungsanſtallten verfuͤgen.
Dieſe beziehen ſich auf Leib und Seele.
§. 401. Die Erziehung der Kinder in An-
ſehung des Leibes hat zum Zwecke: wie ei-
ne dauerhafte Geſundheit, und zu allen
natuͤrlichen Bewegungen geſchickte
Gliedmaſen bei Kindern zu gruͤnden ſei-
en. Jn Anſehung der Seele aber ſoll die
Erziehung der Kinder dahin gerichtet wer-
N 4den:
[200]Allgemeine
den: daß ihr Verſtand alle Wahrheiten,
die zu ihrer zeitlichen und ewigen Gluͤck-
ſeligkeit nuͤzlich und noͤthig ſind, wiſſen
und begreifen moͤge, und daß ihr Wil-
len und Herz geleitet werde, die Schoͤn-
heit und Guͤte dieſer Wahrheiten zu em-
pfinden, und ihnen mit Luſt zu folgen.
§. 402. Ein jeder Menſch, wenigſtens der
geſittete, hat einen Begrif von der Schul-
digkeit, Gott zu dienen, um zeitlich und ewig
gluͤckſelig zu werden. Das iſt: er hat eine
Religion. Da aber nun die Religion einen
weſentlichen Einfluß in die Handlungen der
Menſchen hat, und der Begrif von derſel-
ben einen groſen Theil der Wirkſamkeit des
Menſchen leitet, ſo kann der Religionsbe-
grif, je nachdem er beſchaffen iſt, einen
Menſchen zeitlich und ewig gluͤcklich, oder
ungluͤcklich machen. Es gibt wahre und
falſche Religionsbegriffe.
§. 403. Wenn ein Menſch einen fal-
ſchen Religionsbegrif hat, ſo kann ihn
die geſezgebende Gewalt nicht zwingen,
einen wahren zu haben, indem er einen
fal-
[201]Staatswiſſenſchaft
falſchen hat. Dieſes geſchieht aber, wenn
ſie denſelben ohne Ueberzeugung von der
Wahrheit, zu einer andern Religion zwingt:
Derowegen ſoll die Polizei jedem Men-
ſchen im Staate Mittel an die Hand ge-
ben, daß er die Wahrheit erkennen kann,
wann er will, aber ſie ſoll ihn nicht zu
Annehmung derſelben zwingen.
§. 404. Ein jeder Menſch kann in ſeinem
Religionsbegriffe irren, und doch kann ein
jeder fuͤr ſeine Perſon glauben, ſeiner Mei-
nung gewiß zu ſeyn. Aber eben das gilt
auch von dem Staatswirthe. Da nun die-
ſer eben ſo wohl im Religionsbegriffe fehlen
kann, als auch andere Menſchen, da er al-
ſo eine falſche Religion haben kann; ſo kann
es nie in ſeiner Gewalt ſtehen, eine Re-
ligion durch Zwang im Staate einzufuͤh-
ren: denn es iſt leicht moͤglich, daß der,
welcher gezwungen wird, die wahre ha-
be, und der, welcher zwingt, die falſche.
§. 405. Das iſt aber einmal der Grund-
ſaz, der nie gelaͤugnet werden kann: daß die
wahre Religion den Menſchen zeitlich und
N 5ewig
[202]Allgemeine
ewig gluͤckſelig mache. Daraus folgt aber un-
widerſprechlich: daß diejenige Religion
falſch ſei, welche den Menſchen zeitlich
und ewig ungluͤcklich macht. Wenn alſo
der Staatswirth ſieht, daß jemand im Staa-
te einen Lehrbegrif hegt, der ihn und andre
zeitlich ungluͤcklich macht, ſo ſoll er denſel-
ben ſo beſtimmen, daß er auf ſeinen Neben-
menſchen zu wirken unfaͤhig wird; in Ab-
ſicht auf die zukuͤnftige Seligkeit aber, ſoll
er ſich begnuͤgen, wenn ein jeder Menſch nur
Gelegenheit hat, ſeine Begrife zu verbeſſern.
§. 406. Aus dieſem allem ziehe ich nun
den richtigen Schluß: daß die Landespo-
lizei alle Religionen im Staate dulden
muͤſſe, die der zeitlichen Gluͤckſeligkeit
des einzelnen Buͤrgers und des allge-
meinen Staates nicht hinderlich ſind,
und daß ſie derowegen jeder Kirche un-
ter obiger Einſchraͤnkung ihre gaͤnzliche
Religionsfreiheit vergoͤnnen muͤſſe, wenn
ſie anders die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit des
Einzelnen und Ganzen befoͤrdern will.
§. 407.
[203]Staatswiſſenſchaft
§. 407. Krankheiten und graſſirende Seu-
chen machen oft im Staate groſe Verwuͤſtun-
gen, ſie vermindern die Zahl der Erwerber,
ſtoͤhren die einzelne und allgemeine Gluͤckſe-
ligkeit, desgleichen verringern ſie die Maſſe
des Ertrages und reinen Ertrages, und ſind
alſo dem Staate ſehr ſchaͤdlich: derowegen
iſt es der Polizei ihre groſe Pflicht, auf
die beßte Weiſe und durch die nuͤzlichſten
Anſtallten das Leben und die Geſundheit
der Menſchen zu befoͤrdern, dem Tode
und den Krankheiten aber, ſo viel moͤg-
lich, zu ſteuren.
§. 408. Die Vorſicht des Staatswirthes
ſoll ſich aber nicht nur dahin erſtrecken, daß
er ſo viel, als moͤglich iſt, die Zahl der Ein-
wohner des Staates erhalte, ſondern auch
daß er dieſelbe vermehre. Denn, je mehr er
die Anzahl der Erwerber vermehrt, und ih-
nen zugleich auch Gelegenheit zum Erwerben
an die Hand gibt, je mehr nimmt auch die
Staͤrke des Staates, die Maſſe des Ertra-
ges und reinen Ertrages zu, ſo viel dieſe
waͤchſt, ſo viel waͤchſt auch die einzelne und
allge-
[204]Allgemeine
allgemeine Gluͤckſeligkeit, und der Staats-
wirth ſelbſt gewinnt in dem Verhaͤltniſſe der
Bevoͤlkerung auch eine ſtaͤrkere Nahrungs-
quelle fuͤr ſich, die er aus dem reinen Ertra-
ge errichtet: folglich ſoll die Polizei dafuͤr
ſorgen, damit der Staat auf alle nur
moͤgliche Weiſe mit tuͤchtigen Erwerbern
bevoͤlkert, und dieſen Gelegenheit zu hin-
laͤnglichem Gewerbe an die Hand gege-
ben werde.
§. 409. Obgleich durch die Kirchenzucht
der Religionen die Tugenden befoͤrdert, und
die Laſter verhindert werden, ſo iſt dieſelbe
doch nicht hinlaͤnglich. Da es aber eine er-
wieſene Wahrheit iſt, daß herrſchende Laſter
im Staate die einzelne und allgemeine Gluͤck-
ſeligkeit auf die wirkſamſte Weiſe ſchwaͤchen,
die Tugend und gute Sitten aber dieſelbe
maͤchtig befoͤrdern, ſo iſt klar: daß die Po-
lizei mit allem Fleiſe Anſtallten treffen
muͤſſe, wodurch die Laſter verhindert
und beſtraft, die Tugend aber befoͤrdert
und belohnt werde.
§. 410.
[205]Staatswiſſenſchaft
§. 410. Die geſezgebende Gewalt wird
unfaͤhig zum Beßten des Staates zu wirken,
wenn ihre Befehle nicht befolgt werden: folg-
lich kann ſie in dieſem Falle nicht zur einzel-
nen und allgemeinen Gluͤckſeligkeit wirken.
Daher iſt der Polizei ihre Pflicht, die beß-
ten Maasregeln zu ergreifen, damit der
Gehorſam gegen die Geſeze und obrig-
keitliche Gewalt niemals gekraͤnkt, und
jeder Ungehorſam beſtraft werde.
§. 411. Es iſt aber noch nicht genug, daß
die Erwerber tugendhaft, und dem Staats-
wirthe gehorſam gemacht werden, ſondern
ihr Eigenthum und Leben muß auch geſichert
werden. Jhr Eigenthum laͤuft Gefahr durch
Diebſtaͤhle, durch Eingriffe und Vervorthei-
lung anderer Menſchen. Derowegen ſoll
die Polizei auf die beßte Weiſe jedem Er-
werber ſein rechtmaͤſiges erworbenes Ei-
genthum beſchuͤzen, Diebe und Betruͤger
aber der Gerechtigkeit in die Haͤnde lie-
fern.
§. 412. Das Eigenthum eines Erwerbers
kann auch durch Feuers- und Waſſersgefahr
zu
[206]Allgemeine
zu Grunde gehen. Derowegen ſoll die Po-
lizei auch dagegen durch heilſame Feuer-
ordnungen, und Verhuͤtung der Waſſer-
ſchaden, die beßten Maasregeln treffen.
§. 413. An dem Leben des Menſchen iſt
alles gelegen, und derowegen ſoll es auch
durch die hoͤchſt wirkſamen Mittel erhalten
und beſchuͤzt werden. Krankheiten und Un-
gluͤcksfaͤlle gehoͤren nicht hieher, ſie gehoͤren
zur Vorſorge fuͤr Leben und Geſundheit; ich
hab’ hier die gewaltſame Ermordung im Au-
ge, welche durch verruchte Leute heimlich und
oͤffentlich bewerkſtelliget wird. Dieſe gaͤnz-
liche Beraubung der einzelnen, und hef-
tige Stoͤhrung der gemeinſchaftlichen
Gluͤckſeligkeit, ſoll die Polizei auf die
ſchaͤrfſte Weiſe ahnden, die Uebertreter
der ſtrengen Gerechtigkeit uͤberliefern,
und dagegen alle nur moͤgliche Anſtall-
ten treffen, damit dergleichen Blutſchul-
den verhuͤtet werden moͤgen.
§. 414. Nachdem nun durch gute Geſeze
und Vollziehung derſelben fuͤr die Perſonen
des Staates und fuͤr ihr Eigenthum gehoͤris
ge-
[207]Staatswiſſenſchaft
geſorgt worden, ſo muͤſſen auch die drei
Hauptgewerbe befoͤrdert werden, weil dieſe
eigentlich die Mittel ſind, wodurch man zur
hoͤchſten zeitlichen Gluͤckſeligkeit, zu Reich-
thume und Wohlſtande gelangen kann.
§. 415. Das erſte Hauptgewerb iſt die
Landwirthſchaft, ſie iſt der Grund und das
Fundament aller andern, und daher das er-
ſte, welches der Staatswirth bluͤhend ma-
chen ſoll. Da nun die beßte Landwirthſchaft
darinnen beſteht, wenn nicht nur alle nuͤzli-
che Erzeugungen, die im Staate vortheil-
haft gemacht werden koͤnnen, in groͤſter Men-
ge und Guͤte allezeit gezogen werden, ſon-
dern wenn ſie auch gegen die beßten Preiſe al-
lemal verkauft werden koͤnnen, ſo iſt die Schul-
digkeit der Polizei: daß ſie die beßten Mit-
tel anwende, damit alle nuͤzliche land-
wirthſchaftliche Erzeugungen in groͤſter
Menge und Guͤte gezogen werden, und
daß den Bauern zugleich bequeme Gele-
genheit verſchaft werde, ihre Produkte
vortheilhaft zu veraͤuſern.
§. 416.
[208]Allgemeine
§. 416. Die Kunſt- und Handwerkswirth-
ſchaft iſt das zweite Hauptgewerb im Staa-
te. Jhre groͤſte Vollkommenheit beſteht dar-
innen, wenn nuͤzliche Fabriken und Manu-
fakturen in groͤſter Menge, und mit groͤſtem
Nuzen im Staate bluͤhen: derowegen ſoll
die Polizei ſorgen, daß die Errichtung
derſelben auf alle Weiſe beguͤnſtiget und
befoͤrdert werde, beſonders aber ſollen
alle rohe Erzeugungen des Landes ſo
ſehr im Staate ausgearbeitet werden;
als moͤglich iſt.
§. 417. Die Handlung, als der dritte
groſe Gewerbſtamm im Staate, macht erſt
die beiden vorigen nuͤzlich, und bringt ſie
durch Vermittelung einer guten Polizei auf
den Gipfel der Gluͤckſeligkeit. Daher iſt es
nicht nur die Pflicht der Polizei, die
Handlung durch die beßten Mittel zu
unterſtuͤzen und | empor zu bringen, ſon-
dern auch dieſelbe auf alle moͤgliche Wei-
ſe zu erleichtern, und mit den andern
beiden Gewerben zu verbinden.
§. 418.
[209]Staatswiſſenſchaft
§. 418. Wenn nun gleich alle Gewerbe
im Staate in den bluͤhendſten Zuſtand geſezt
worden ſind, und ſolcher Geſtallt der groͤſte
Ertrag in allen Gewerben gewonnen wird,
ſo kann doch dieſer Ertrag wieder auf man-
cherlei Weiſe geſchwaͤcht, mithin der Staat
mit ſeinen bluͤhenden Gewerben ungluͤcklich
werden. Dieſes geſchieht durch vielerlei Ur-
ſachen, welche eine gute Polizei muß aus dem
Wege zu raͤumen ſuchen.
§. 419. Die wahre Peſt ſo vieler einzel-
nen Menſchen und ſo vieler Staaten, wel-
che den gaͤnzlichen Umſturz nach ſich zieht,
iſt der Luxus, wenn nemlich die uͤppigen
Beduͤrfniſſe in weſentliche verwandelt, und
alſo aus dem Ertrage befriediget werden:
daher ſoll die Polizei nach allem Vermoͤ-
gen dem Luxus ſteuern.
§. 420. Muͤſiggang, Bettelei und Traͤg-
heit der Erwerber zehren auch am Ertrage,
Ound
[210]Allgemeine
und ſollen deswegen durch die beßten Mittel
gehoben werden.
§. 421. Noch ſind alle Gluͤcksſpiele im
Staate ſchaͤdlich: denn ſie nehmen erſtlich ei-
nen Theil vom Ertrage weg, und fuͤrs zwei-
te ſpeiſen ſie den Spieler mit falſchen Hof-
nungen, und verleiten ihn zu Verſaͤumung
ſeines Gewerbes; daher ſoll die Polizei die
Gluͤcksſpiele nicht dulden, und zu ihrer
gaͤnzlichen Abſchaffung die beßten Maas-
regeln ergreifen.
§. 422. Langwierige und koſtbare Proceſ-
ſe ſind auch den Gewerben hoͤchſt ſchaͤdlich,
um dieſe zu vermeiden, ſollen alle nur moͤg-
liche Anſtallten getroffen werden.
§. 423. Endlich iſt auch noch die Verſor-
gung derjenigen Perſonen, welche nicht er-
werben koͤnnen, ein weſentliches Stuͤck der
Polizei. Wenn ein Menſch in die traurigen
Umſtaͤnde verſezt iſt, daß er ſelbſt aus eige-
nen Mitteln ſein Daſeyn nicht fortſezen kann,
ſo muß ihn der Staat, deſſen Unterthan er
iſt, ernaͤhren: deswegen ſoll die Polizei ſol-
che Veranſtalltungen treffen, daß alle wah-
re
[211]Staatswiſſenſchaft
re Armen, die zum Staate gehoͤren, er-
naͤhret, Fremde aber an ihren Ort ver-
wieſen werden.
§. 424. Nach allen bis daher vorgetrage-
nen Grundſaͤzen muͤſſen die Polizeiordnun-
gen eingerichtet, jedermann auf die beßte
Weiſe bekannt gemacht, und zu deren Veſt-
haltung mit verhaͤltnißmaͤſigen Strafen be-
legt werden. Jhre Ausuͤbung ſoll alsdann
aber auch gegen die muthwilligen Verbrecher
allemal aufs ſchaͤrfſte beobachtet werden.
§. 425. Durch eine wohl eingerichtete Po-
lizei wird nun der Staat in den Stand ge-
ſezt, daß er auch ſeine Beduͤrfniſſe befriedi-
gen kann, denn er erlangt dadurch den hoͤch-
ſten reinen Ertrag, der in ſeinen Umſtaͤnden
moͤglich iſt. Daher beſteht das zweite Haupt-
ſtuͤck der Staatsgewerbe darinnen: daß der
Staatswirth aus dem reinen Ertrage al-
ler Gewerbe, der einzelnen und allge-
meinen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, zu
Befriedigung der Staatsbeduͤrfniſſe ei-
nen hinlaͤnglichen Ertrag ſammle. Die-
ſes lehrt nun die Finanzwiſſenſchaft.
O 2* Jch
[212]Allgemeine
§. 426. Die Staatsbeduͤrfniſſe ſind eigent-
lich zweierlei: erſtlich ſolche, die die Staats-
verwaltung hervorbringt, und zweitens die
Beduͤrfniſſe der geſezgebenden Gewalt. Bei-
derlei Gattungen muͤſſen befriediget werden,
und dieſes geſchieht durch allerhand Abga-
ben, die der Staatswirth theils nur einzu-
kaſſiren, theils aber auch zugleich ſelber zu
beſtimmen hat.
§. 427. Die Gefaͤlle, welche der Staats-
wirth nur einzukaſſiren hat, ſind ſolche, wel-
che entweder durch Vertraͤge und Contrakte
mit dem Staate weder erhoͤht noch vermin-
dert werden, ſondern nach gewiſſen Grund-
ſaͤzen, und unter gewiſſen Bedingen unver-
aͤnderlich ſind. Die mehreſten Gefaͤlle aber
ſind gewiſſer Maſen der Willkuͤhr des Fuͤr-
ſten unterworfen. Doch verbindet ihn Pflicht
und Gewiſſen, der einzelnen und allgemei-
nen Gluͤckſeligkeit durch uͤbertriebene Aufla-
gen nicht zu ſchaden.
§. 428.
[213]Staatswiſſenſchaft
§. 428. Die Quellen, woraus der Fuͤrſt
oder Staatswirth den Staatsertrag ſamm-
let, ſind zweifach: entweder beſondere oder
oͤffentliche. Die beſonderen heißt man auch
Chatoulguͤter, und gehoͤren dem Fuͤrſten
perſoͤnlich und eigenthuͤmlich zu, ſo, daß er
ſie verkaufen, veraͤuſern, vernuzen und ver-
erben kann, wie er will. Die oͤffentlichen
Quellen aber ſind Domaͤnen, Regale, zufaͤlli-
gen Einkuͤnfte, und Steuern oder Aufla-
gen und Schazungen.
§. 429. Der Staat iſt ſchuldig, den Fuͤr-
ſten zu erhalten; da aber nun die Chatoul-
guͤter demſelben nicht als Fuͤrſt, ſondern als
Privatperſon zukommen, ſo iſt er nicht ſchul-
dig das Einkommen von denſelben zu Befrie-
digung ſeiner Beduͤrfniſſe zu verwenden, weil
ihm dieſe der Staat verſchaffen muß; dage-
gen ſollen aber auch dieſe Guͤter dem Staate
nicht zur Laſt fallen.
§. 430. Von dem Fuͤrſten wird unterſtellt,
daß er ein rechtſchaffener Mann ſei, der das
Beßte ſeines Staates aus allen Kraͤften be-
foͤrdert. Jn dieſem Falle muß der Staat ſei-
O 3ne
[214]Allgemeine
ne Beduͤrfniſſe alle befriedigen, und auch fuͤr
den Unterhalt ſeines Geſchlechtes ſorgen, mit-
hin werden die Chatoulguͤter uͤberfluͤſſig, und
koͤnnten alſo vom Staate gekauft, und zu
den Domaͤnen geſchlagen werden; oder der
Fuͤrſt kann ſie an Privatperſonen verkaufen;
oder, welches noch edler waͤre, zu milden
Stiftungen verwenden; doch da ſie ſein Ei-
genthum ſind, ſo kann er damit thun, was
er will.
§. 431. Wenn der Fuͤrſt Chatoulguͤter hat,
und ſie zu ſeinem Nuzen verwenden will, ſo
muß er ſie durch tuͤchtige Kameraliſten
verwalten laſſen, damit nach den Geſe-
zen der Haushaltungskunſt der hoͤchſte
Ertrag daraus gezogen, und ein ſolches
Gut auf immer eintraͤglich gemacht
werde.
§. 432. Die Domaͤnenguͤter ſind dazu
beſtimmt, damit der Fuͤrſt aus ihrem Ein-
kommen ſeine und der Seinigen Beduͤrf-
niſſe befriedigen koͤnne. Sie beſtehen ent-
weder aus groſen Strecken Landes, die ent-
weder Hochgewaͤld tragen, oder unfruchtba-
re
[215]Staatswiſſenſchaft
re Heiden ſind. Oder aus ordentlichen ein-
zelnen Hoͤfen und Bauernguͤter, die entwe-
der an Bauernfamilien in einem Erblehn
oder Pfacht ſtehen, oder von der Kammer
auf gewiſſe Jahre verpfachtet werden; oder
ſie beſtehen aus ganzen Diſtrikten oder Aem-
tern, und in dieſem Falle beſtehet das Ein-
kommen des Fuͤrſten in den Abgaben der Un-
terthanen des Domaͤnen- oder Kammergutes.
Jn allen dieſen Faͤllen ſoll der Kamera-
liſt zum Beßten des Fuͤrſten den Ertrag
der Domaͤnenguͤter, der einzelnen und
allgemeinen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet,
auf alle Weiſe zu vermehren, und auf
die Zukunft zu ſichern ſuchen.
§. 433. Weil auch das Wohl und die
Gluͤckſeligkeit des Fuͤrſten dem Staatswirthe
ſehr angelegen ſeyn muß: ſo ſoll er nicht
nur die Domaͤnen verbeſſern, ſondern
auch der einzelnen und allgemeinen Gluͤck-
ſeligkeit unbeſchadet, vermehren.
§. 434. Die Regalien ſind gewiſſe Ein-
kuͤnfte des Fuͤrſten, die kein Privateigenthuͤ-
mer haben kann, weil ſie nicht von einzelnen
O 4eigen-
[216]Allgemeine
eigenthuͤmlichen Orten, ſondern vom ganzen
Staate abhaͤngen, und daher der geſezge-
benden Gewalt zuſtehen muͤſſen: ſo iſt die Be-
nuzung des Gewaͤſſers, der Baͤche, Fluͤſſe,
Seen und Meere, ein Regale, weil ſie ſich
ein Privateigenthuͤmer nicht zueignen kann.
§. 435. Wenn alſo der Fuͤrſt nicht an ge-
wiſſen Orten, und in gewiſſen Faͤllen, an
Vertraͤge und Contrakte gebunden iſt, ſo iſt
das Waſſer im Staate ſein Eigenthum,
und er darf es auf alle nur moͤgliche Wei-
ſe benuzen, in ſo weit es zugleich der
einzelnen und allgemeinen Gluͤckſeligkeit
befoͤrderlich und nicht ſchaͤdlich iſt. Die-
ſe beßte Einrichtung des Waſſerregals
zum Beßten des Fuͤrſten und des Staa-
tes kommt der Kammer zu, und iſt ih-
re Pflicht.
§. 436. Eben ſo kann kein Einwohner im
Staate die Landſtraſſen fuͤr ſein Eigenthum
anſehen, ſie gehoͤren der Landeshoheit, ſind
ein Regale, und ihre Bedienung und Benu-
zung kommt der geſezgebenden Gewalt zu.
Hierzu kommt auch noch ein anderer Grund:
die
[217]Staatswiſſenſchaft
die oͤffentliche Sicherheit, die Bequemlichkeit
der Reiſen und der Verſendungen, mit ei-
nem Worte die Straſſenpolizei muß vom
Staate oder vom Fuͤrſten auf die beßte Wei-
ſe beſorgt werden; dagegen iſts auch recht,
daß der Fuͤrſt den Nuzen davon ziehe. Folg-
lich ſoll der Finanzbediente dahin ſorgen,
damit das Landſtraſſen-Regale, der ein-
zelnen und allgemeinen Gluͤckſeligkeit
unbeſchadet, auf das eintraͤglichſte durch
vernuͤnftige Einrichtung der Poſten, der
Zoll- und Weggelder gegruͤndet werde.
§. 437. Gegenden im Staate, die ent-
weder noch unbebaut ſind, oder die nicht be-
baut werden koͤnnen, gehoͤren an und fuͤr
ſich ſelbſt keinem Unterthanen zu, ſie ſind al-
ſo Regalien, deren Benuzung der Obrigkeit
zukommt. Solche Gegenden ſind gemei-
niglich Waͤlder und Gebuͤſche, und werden
in dieſem Falle Forſten genennt. Dieſe For-
ſten zum Beßten des Landesherrn, auf die
beßte Weiſe zu benuzen, lehrt die Forſtwiſ-
ſenſchaft. Sie werden durch Forſtbedienten
verwaltet, und es iſt die Pflicht der Kam-
O 5mer,
[218]Allgemeine
mer, dahin Sorge zu tragen, damit die
Forſten der einzelnen und allgemeinen
Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, auf die ein-
traͤglichſte Weiſe benuzt werden.
§. 438. Die wilden Thiere gehoͤren eben-
falls dem Landesherrn, weil ſie niemand an-
ders zugehoͤren koͤnnen, wenn ſie nicht je-
mand zur Belohnung geſchenkt, oder durch
andere Rechte zuerkannt worden. Sie ſind
alſo ein Regale. Wie die wilden Thiere
vermittelſt der Jagd, der einzelnen und
allgemeinen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet,
am beßten zu benuzen ſeien, lehrt die
Jagdwiſſenſchaft, ſie wird gemeiniglich
mit den Forſtbedienungen verbunden.
Auch fuͤr die Einkuͤnfte der Jagd hat die
Kammer Sorge zu tragen.
§. 439. Die unterirdiſchen Guͤter haben
mit denen auf der Erdoberflaͤche keine Ver-
bindung: ſie gehoͤren nicht zu den Landguͤ-
tern, ſie ſind alſo Regalien, und gehoͤren
der geſezgebenden Gewalt: daher iſt es der
Kammer ihre Pflicht, die Bergwerke und
Mineralien, der einzelnen und allgemei-
nen
[219]Staatswiſſenſchaft
nen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, auf die
beßte Weiſe zu benuzen. Wie das geſchehen
muͤſſe, lehrt die Bergwerkswiſſenſchaft.
§. 440. Das Muͤnzweſen kann ebenfalls
aus vielerlei Urſachen keinem Privateigen-
thuͤmer zugehoͤren, vornehmlich aber darum,
weil das Geld unendlich vielen Menſchen
zum Eigenthume wird, die ihre Gluͤckſelig-
keit keinem einzelnen Privatmanne anver-
trauen koͤnnen Das Muͤnzweſen iſt alſo
auch ein Regale, und deswegen ſoll es
der Staatswirth, der einzelnen und all-
gemeinen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, auf
die eintraͤglichſte Weiſe benuzen. Dieſes
lehrt die Muͤnzwiſſenſchaft.
§. 441. Unter die zufaͤlligen Einkuͤnfte
der Kammer rechne ich allerhand Gefaͤlle,
die ihr zukommen, die aber weder weſentlich
noch beſtaͤndig ſind. Hieher ordne ich die Le-
hengefaͤlle zuerſt, und zwar darum, weil
die Urſachen, warum ſie geſtiftet worden,
nicht durchgaͤngig mehr beſtehen, und ſie al-
ſo fruͤher oder ſpaͤter gaͤnzlich abgeſchaft wer-
den koͤnnten. Die Benuzungen der Lehen
ſind
[220]Allgemeine
ſind alſo zufaͤllig, auch ſind ſie beſtaͤndig und
werden weder vermehrt noch vermindert. Da-
her hat nur die Kammer zu ſorgen, da-
mit alle Gerechtſamen der Lehengerech-
tigkeit beobachtet, nichts dabei verſaͤumt,
und alles richtig eingefodert werde. Am
allerbeſten aber wuͤrden die Lehen zum
Nuzen des Staates verwendet, wenn
ſie in eigenthuͤmliche (Allodial) Guͤter
verwandelt wuͤrden.
§. 442. Frohndienſte, gemeſſene und un-
gemeſſene ſind Hand- und Spanndienſte,
welche nach eingefuͤhrten Vertraͤgen und Ge-
wohnheiten der Bauer der Herrſchaft leiſtet.
Die Benuzung derſelben muß von der
Kammer, der einzelnen und allgemeinen
Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, auf die beß-
te Weiſe veranſtalltet werden.
§. 443. Da der Staatswirth durch Ver-
anſtalltung einer guten Juſtiz und Polizei
viele Muͤhe und Koſten anwenden muß, um
die
[221]Staatswiſſenſchaft
die Gluͤckſeligkeit des Staates zu befoͤrdern,
ſo erfodert es auch die Billigkeit, daß er die
Abnuzungen, welche die Polizei und Juſtiz
durch Strafgefaͤlle und Einziehung verwirk-
ter Guͤter auswirft, genieſe. Derowe-
gen hat auch die Kammer darauf zu ſe-
hen, damit alle dergleichen mit Recht
verfallene Guͤter, der einzelnen und all-
gemeinen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, zum
beßten Nuzen eingezogen, und verwen-
det werden moͤgen.
§. 444. Es kann ſich zutragen, daß ein
gut erblos wird, wenn der Erblaſſer keine
Verwandten mehr hat, und derſelbe uͤber
ſeine Verlaſſenſchaft nicht verfuͤgt hat, oder
wenn nach rechtskraͤftigen Vorladungen der
Erben niemand ſich meldet; in dieſen Faͤl-
len hat die Kammer das Recht, ſich die-
ſe Guͤter zu zueignen, und ſie auf die nuͤz-
lichſte Weiſe zu verwalten.
§. 445. Wenn von gefundenen Schaͤzen
erwieſen werden kann, daß ſie einer noch be-
ſtehenden Familie vor Zeiten zugehoͤrt haben,
ſo
[222]Allgemeine
ſo gehoͤren ſie mit Recht dieſer Familie, wo
aber dieſes nicht iſt, da gehoͤren ſie der Kam-
mer. Eben dieſes gilt auch von den geſtran-
deten Guͤtern. Vom Hageſtolzenrechte, des-
gleichen vom Verfalle fremder Verlaſſen-
ſchaften (Droit d’aubaine) mag ich gar nichts
ſagen, als daß man, den Fall der Wieder
vergeltung ausgenommen, heutiges Tages
davon gar nichts mehr hoͤren und ſehen ſollte.
§. 446. Alle bis daher angefuͤhrte Quel-
len der Einkuͤnfte, ſind Gefaͤlle, die eigent-
lich dem Fuͤrſten zukommen, wovon er theils
ſeine eigene Beduͤrfniſſe befriediget, theils
aber auch die Quellen dieſer Einkuͤnfte hand-
habt, und in ergiebigem Stande haͤlt, wel-
ches leztere auch die Pflicht der Kammer iſt,
damit dieſe Quellen nicht verſiegen, ſondern
im Gegentheile, wo es thunlich iſt, noch er-
giebiger gemacht werden moͤgen.
§. 447. So wie nun der Staat davor ge-
ſorgt hat, daß der Staatswirth, die obrig-
keitliche Gewalt, oder der Fuͤrſt ſeine eigene
Beduͤrfniſſe befriedigen, und alſo ſeine Gluͤck-
ſeligkeit befoͤrdern kann, ſo muͤſſen auch nun
Quel-
[223]Staatswiſſenſchaft
Quellen geſucht und gefunden werden, aus
welchen die Abgaben beſtritten werden koͤn-
nen, welche die Staatsverwaltung, und die
Befoͤrderung der einzelnen und allgemeinen
Gluͤckſeligkeit unvermeidlich erfodern. Alle
bisher vorgetragene Quellen der Einkuͤnfte
fielen dem Unterthanen nicht ſo ſehr zur Laſt,
aber zur Befriedigung der Staatsbeduͤrfniſſe
iſt ein jeder Unterthan von Gott und von
Rechts wegen verbunden, weil er ſie verur-
ſachen hilft.
§. 448. Die Abgaben, welche jeder Er-
werber im Staate zu dieſem Zwecke zu ent-
richten hat, nenne ich mit einem Worte Steu-
er. Dieſe ſind aber verſchieden, je nachdem
die Guͤter beſchaffen ſind, von denen ſie be-
zahlt werden. Die vornehmſten ſind Scha-
zungen, Zehenten, Acciſen, Zoͤlle, Gewinn-
und Gewerbgelder, und alle dieſe ſind or-
dentliche Steuern.
§. 449. Auſſerordentliche Steuern ſind,
welche bei auſſerordentlichen Ausgaben auf
das Land ausgeſchlagen werden, als da ſind
Kopfſteuern, Heuratsſteuern, Kronſteuern,
Geſchenkſteuern u. a. m.
§. 450.
[224]Allgemeine
§. 450. Der Steueranſchlag, oder die Be-
ſtimmung der ordentlichen Steuern auf die
Erwerber, kommt in verſchiedenen Staaten
dem Staatswirthe oder dem Fuͤrſten allein
zu, in andern aber muͤſſen die Landſtaͤnde
dabei zu Rathe gezogen werden. Jn beiden
Faͤllen aber iſt es ein unumſtoͤslicher Grund-
ſaz: daß die Abgabe des Erwerbers ſich
verhalten muͤſſe, wie der Genuß, den
er vom Staate hat, oder wie das Staats-
beduͤrfniß, welches er verurſacht.
§. 451. Weil aber das Verhaͤltniß eines
Erwerbers gegen die Staatsbeduͤrfniſſe uͤber-
aus ſchwer zu beſtimmen iſt, ſo iſt auch der
Steueranſchlag nach obigem Grundſaze ſchwer
auszufuͤhren. Die geſchickteſten Staatskun-
dige haben ſich von je her ſehr damit bemuͤht,
um den wahren Maasſtab des Steueranſchla-
ges ausfindig zu machen; aber bis daher iſt
noch nichts rechtes herausgekommen, worauf
man ſich verlaſſen koͤnne.
§. 452. Weil die Landwirthſchaft das
Hauptgewerb des Staates iſt, der Bauer
eigentlich im wahren Sinne als Bauer be-
trach-
[225]Staatswiſſenſchaft
trachtet, die Quelle der Gluͤckſeligkeit des
Landes unmittelbar benuzt, und es ſo ſcheint,
als wenn auch allemal der Flor aller Gewer-
be wieder auf ihn zuruͤckfalle, ſo ſind ver-
ſchiedene der neuern Staatiſten darauf ge-
kommen, dem Bauern die ganze Steuer-
maſſe zu zuwaͤlzen, indem ſie glauben, daß
dadurch die andern Gewerbe von allen Laſten
entlediget, deſto ſtaͤrker bluͤhen, dem Bauer
alſo, durch hoͤhere Bezahlung ſeiner Erzeu-
gungen, ſeine ſtaͤrkere Abgaben reichlich er-
ſezet wuͤrden. Man nennt dieſes ſtaatisti-
ſche Lehrgebaͤude, das Phyſiokratiſche.
§. 453. Ohne mich hier mit Unterſuchun-
gen und Widerlegungen abzugeben, will ich
nur ſuchen, dem Fustritte der Wahrheit zu
folgen. Der Genuß, welchen der Erwer-
ber von der Staatsverfaſſung hat, ver-
haͤlt ſich wie ſein Gewerb. Jch glaube,
daß dieſes abermal ein Grundſaz iſt, denn
Pein
[226]Allgemeine
ein ſtarkes Gewerb erfodert auch mehrere
Aufſicht der Polizei, mehr Schuz, und meh-
rere Staatspflege.
§. 454. Verhaͤlt ſich alſo das Staatsbe-
duͤrfniß wie das Gewerb, ſo iſt auch gewiß,
daß ſich die Steuer wie das Gewerb verhal-
ten muͤſſe: folglich faͤllt der Steueranſchlag
auf alle Gewerbe des Staates, und verhaͤlt
ſich bei jedem einzelnen Erwerber, wie ſein
Gewerb. Deswegen ſoll der Staats-
wirth die Steuer nach dem Gewerbe
jeden Erwerbers ausſchlagen.
§. 455. Jedes Gewerb beſteht aus zwei
Hauptſtuͤcken, aus der Nahrungsquelle,
und aus dem Ertrage: wenn alſo der Steu-
eranſchlag ſich wie das Gewerb verhalten ſoll,
ſo muß er auf die Nahrungsquelle, das iſt,
auf die unbeweglichen Guͤter, und auf den
Ertrag, das iſt, auf die beweglichen Guͤ-
ter, auf die beßte und billigſte Weiſe, ver-
theilt werden, der Staatswirth ſoll ſich die-
ſes zur hoͤchſten Pflicht machen.
§. 456. Die Steuer auf die unbewegli-
chen Guͤter, nenne ich Schazung, auf die
beweg-
[227]Staatswiſſenſchaft
beweglichen aber, Zehenten, Acciſen, Ge-
winn und Gewerbgelder, Zoͤlle, Licent
u. ſ. w. Alle dergleichen Abgaben ſollen
nach dem Verhaͤltniſſe des Gewerbes auf
die gerechteſte Weiſe, der einzelnen und
allgemeinen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet,
beſtimmt werden: und dieſes ſoll ſo oft
geſchehen, als hauptſaͤchliche Veraͤnde-
rungen in den Gewerben geſchehen.
§. 457. Die auſerordentlichen Steuern
ſollen auf eine gewiſſe Summe, die dem Be-
duͤrfniſſe gemaͤß iſt, angeſchlagen, und als-
dann nach der Steuermatrikel auf alle Er-
werber im Staate ausgetheilt werden.
§. 458. Hieraus erhellet nun, daß es ei-
gentlich zwo Hauptgattungen der Staatsein-
kuͤnfte gebe, von denen man die erſte, wel-
che in Domaͤnen, Regalien und auſerordent-
lichen oder zufaͤlligen Einkuͤnften beſteht, Ka-
meralgefaͤlle; die zweite Gattung aber
Steuergefaͤlle, nennen kann. Die beßte
Verwaltung der Kameralgefaͤlle lehren die
eigentlichen Kameralwiſſenſchaften, wo-
zu eben ſo viel Kaͤnntniſſe gehoͤren, als zu
P 2den
[228]Allgemeine
den allgemeinen, ſie unterſcheiden ſich nur
von lezteren durch den Zweck, welcher bei er-
ſteren blos auf Kameralbedienungen, bei lez-
teren aber auf die ganze Staatswirthſchaft,
im allgemeinſten Sinne genommen, gehet.
§. 459. Wenn nun alſo der Staatswirth,
durch die dazu beſtimmten Nebenquellen, zu
Befriedigung der fuͤrſtlichen Beduͤrfniſſe ei-
nen hinlaͤnglichen Ertrag verſchaft hat; des-
gleichen, wenn er ebenfalls aus allen Gewer-
ben des Staates, zu Befriedigung der ei-
gentlichen Staatsbeduͤrfniſſe, der einzelnen
und allgemeinen Gluͤckſeligkeit unbeſchadet, ei-
nen gehoͤrigen Ertrag geſammlet hat: ſo ſoll
er nun aus dieſem doppelten Ertrage
die doppelten Staatsbeduͤrfniſſe vollkom-
men befriedigen, doch ſo, damit der hoͤch-
ſte reine Ertrag uͤbrig bleibe, der moͤg-
lich iſt, dieſen aber ſoll er wieoer auf die
beßte Weiſe zur Befoͤrderung der ein-
zelnen und allgemeinen Gluͤckſeligkeit ver-
wenden. Dieſes iſt das dritte Hauptſtuͤck
der Staatsgewerbe, und macht die eigent-
liche Staatswirthſchaft aus.
§. 460.
[229]Staatswiſſenſchaft
§. 460. Der Staatswirth ſoll alſo die
fuͤrſtlichen Beduͤrfniſſe vollkommen befriedi-
gen, daher muß er dieſe Beduͤrfniſſe aus dem
Grunde kennen. Jn Anſehung der weſent-
lichen Beduͤrfniſſe kommt dem Fuͤrſten, ſei-
ner Gemahlin und Familie eine ſtandesmaͤſi-
ge Tafel, ein ſtandesmaͤſiger Staat, eine
ſtandesmaͤſige Wohnung, und ein verhaͤlt-
nißmaͤſiger Schuz zu. Desgleichen muß auch
fuͤr eine ſtandesmaͤſige Erziehung und Ver-
ſorgung der fuͤrſtlichen Kinder gehoͤrig geſorgt
werden.
§. 461. Jn Anſehung der zufaͤlligen Be-
duͤrfniſſe, die entweder die Erhoͤhung des Da-
ſeyns, oder die Vermehrung der Gluͤckſelig-
keit bezielen, oder blos Vergnuͤgen zum Zwe-
cke haben, muß immer das Weſentlichere dem
Zufaͤlligern vorgezogen, und das Zufaͤlligere
nach dem Verhaͤltniſſe des Schazes eingerichtet
werden, damit man nicht nur die Schulden
vermeiden, ſondern auch einen reinen Er-
trag auf den Nothfall, und zu Vermehrung
des Wohlſtandes eruͤbrigen und zuruͤck legen
moͤge.
P 3§. 462.
[230]Allgemeine
§. 462. Die Befriedigung der Beduͤrf-
niſſe des Fuͤrſten, ſeiner Gemahlin und Fa-
milie, erfodert eine Anzahl Hofbedienten,
welche alle gehoͤrig beſoldet werden muͤſſen.
Hier muß der Staatswirth Sorge tragen,
damit nur die noͤthige Anzahl derſelben un-
terhalten werde: daß ein jeder ſeine Pflicht
thue, und daß die Beſoldung ihrem Amte
und Stande angemeſſen ſei; eben dieſes gilt
auch in Anſehung der Leibgarde.
§. 463. Die Verwaltung der Chatoul-
Domaͤnenguͤter, Regalien, und anderer fuͤrſt-
lichen Einkuͤnfte, erfodert eine Anzahl ge-
ſchickter Maͤnner, welche entweder hier und
da im Staate wohnen, und die Guͤter ver-
walten, oder welche am Hofe oder im Lande
an einem beſtimmten Orte zuſammen woh-
nen, und ein Collegium ausmachen, wel-
ches die Kammer genannt wird, unter wel-
chen die einzelnen Kammerbediente ſtehen.
Hierzu iſt des Staatswirthes Pflicht, daß
er die Kammerbedienungen auf die nuͤz-
lichſte und beßte Weiſe beſeze.
§. 464.
[231]Staatswiſſenſchaft
§. 464. Die Staatsbeduͤrfniſſe ſind theils
aͤuſere und innere, die aͤuſeren ſind zweier-
lei: ſie beziehen ſich entweder auf Krieg oder
auf Frieden. Wenn ein Staat ſein Eigen-
thum gegen gewaltſame Eingriffe fremder
Staaten beſchuͤzen muß, ſo wird dazu ein
Kriegsheer erfodert: da nun ein Staat vor
gewaltthaͤtigen Eingriffen nie ſicher iſt, ſo
muß ein fortdauerndes Kriegsheer unterhal-
ten werden.
§. 465. Die Unterhaltung des Kriegshee-
res kommt nicht dem Fuͤrſten, ſondern dem
Staate zu, und ſoll aus den Steuern be-
ſtritten werden. Hier hat nun der Staats-
wirth dahin zu ſehen, daß niemal die Zahl
der Soldaten die Nothdurft uͤberſteige,
ſondern daß vielmehr das Heer, ſo viel
moͤglich, aus lauter wackern und aus-
geſuchten Leuten beſtehe, und alle ſollen
auf die nuͤzlichſte Weiſe beſoldet und un-
terhalten werden.
§. 466. Auch die innere Verfaſſung des
Staates, der Schuz des Fuͤrſten und der
Staatsbuͤrger, erfodern eine Anzahl Solda-
P 4ten,
[232]Allgemeine
ten, die aber ebenfalls nach| obigen Regeln
unterhalten werden muͤſſen.
§. 467. Die aͤuſeren Staatsbeduͤrfniſſe zu
Friedenszeiten ſind diejenige, welche aus den
Verhaͤltniſſen eines Staates gegen den an-
dern entſpringen, dieſe werden durch ein
Collegium der auswaͤrtigen Sachen, und durch
Geſandten an fremde Hoͤfe befriediget. Die-
ſes alles ſoll der Staatswirth auf die
beßte Weiſe beſorgen, damit die allzu-
groſen Unkoſten verhuͤtet, und die Sa-
chen dennoch nach ihrem ganzen Umfan-
ge gehoͤrig bedient werden.
§. 468. Die inneren Staatsbeduͤrfniſſe
betreffen die ganze Landesregierung, Polizei-
Finanz- und Juſtizbedienung. Weil nun
der Fuͤrſt oder der Staatswirth unmoͤglich
die geſezgebende Gewalt allein verwalten
kann, ſo muß er ein Miniſterium zur Seite
haben. Dieſes beſteht aus erfahrnen und
geſchickten Staatswirthen, welche die ganze
Staatsverwaltung unter der Aufſicht des
Fuͤrſten verſehen.
§. 469.
[233]Staatswiſſenſchaft
§. 469. Wenn der Fuͤrſt ſelber ſich gern mit
Staatsſachen beſchaͤftiget, ſo arbeitet er ent-
weder allein, oder durch Beihilfe des Kabi-
netsminiſters und Sekretaͤrs im Kabinete,
welches alsdann die hoͤchſte geſezgebende Ge-
walt ausfuͤhrt und regiert.
§. 470. Die hoͤchſte Polizei, die hoͤchſte
Juſtiz und die hoͤchſte Finanzverwaltung wird
je nach den verſchiedenen Verfaſſungen der
Staaten, und den Einſichten des Staats-
wirthes eingerichtet und benennet. Bei al-
lem dieſem iſt aber des Staatswirthes
hoͤchſte Pflicht, alle dieſe Bedienungen
zum beßten Nuzen des Staates zu beſe-
zen, und bedienen zu laſſen.
§. 471. Die Beduͤrfniſſe des Staates er-
fodern uͤberall Polizei- Juſtiz- und Finanz-
bediente; dieſe muͤſſen ebenfalls nach der
beßten Regel beſtellt und beſoldet werden.
§. 472. Die hohen Schulen und gelehr-
ten Geſellſchaften ſoll der Staatswirth zum
Beßten des Staates ſtiften, ſie auf die beß-
te Weiſe einrichten, und ihre Lehrer auf die
nuͤzlichſte Art beſolden, auf daß ſie ruhig und
P 5ohne
[234]Allgemeine
ohne Sorgen ihrem Zwecke entſprechen koͤnnen,
damit er alſo gute Pflanzſchulen habe, aus
denen er alle ſeine Bedienten von allen Gat-
tungen, und zwar auserwaͤhlte und geſchick-
te Maͤnner ausnehmen koͤnne.
§. 473. Wenn ſolcher Geſtallt der Staats-
wirth die fuͤrſtlichen und Staatsbeduͤrfniſſe
nach den wahren Geſezen der Haushaltungs-
kunſt befriedigt und verſorgt hat, und er
alsdann noch einen reinen Ertrag eruͤbri-
get hat, ſo ſoll er denſelben auf die beßte
Weiſe zu Befoͤrderung der einzelnen und all-
gemeinen Gluͤckſeligkeit verwenden.
§. 474. Dieſes geſchieht, wenn der rei-
ne Ertrag der fuͤrſtlichen Kaſſe zur Verbeſſe-
rung der Nahrungsquellen, als da ſind der
Chatoulguͤter, der Domaͤnenguͤter, der Re-
galien und anderer Gefaͤlle, und wo moͤg-
lich, doch ohne dem Staate zu ſchaden, auch
zu Vermehrung derſelben, verwendet wird.
§. 475. Der reine Ertrag der Staatskaſſe
wird ebenfalls zu groͤſerm Nuzen in die Nah-
rungsquelle verwendet; dieſes geſchieht durch
Verbeſſerung der Polizeianſtallten, Weg-
Waſſer-
[235]Staatswiſſenſchaft
Waſſer- Schleuſſenbau, Erleichterung und
Verbeſſerung der Gewerbe, Poſtanſtallten,
und was dergleichen mehr iſt, wodurch der
Staatswirth die einzelne und allgemeine
Gluͤckſeligkeit befoͤrdern, und auf eine billi-
ge Weiſe die Abgaben und Auflagen vermeh-
ren kann.
§. 476. Aus allem dieſem, was bis da-
her verhandelt worden, erhellet nicht nur:
daß die Staatsgewerbe und ihre Kaͤnntniſſe
von weitlaͤuftigem Umfange ſeien, ſondern
daß auch vielerlei Hilfswiſſenſchaften dem
Staatswirthe noͤthig ſeien, wenn er ſeinem
wichtigen Amte Genuͤgen thun will.
§. 477. Das erſte, was er wiſſen muß,
iſt der ganze Umfang der Kameralwiſſenſchaf-
ten mit ihren Hilfswiſſenſchaften. Und da
er ſo wohl in Kriegs- und Friedenszeiten nicht
allein von ſeinem, ſondern auch von andern
Staaten, in Anſehung ihrer Lage und Beſchaf-
fenheit, gruͤndliche Kaͤnntniß haben muß, ſo
ſoll er auch in der Geographie vollkommen
erfahren ſeyn.
§. 478.
[236]Allgemeine
§. 478. Die Geſchichte der Voͤlker und
Staaten, die Lehrerin der Menſchen, und
beſonders des Staatswirthes, iſt ihm vor-
zuͤglich noͤthig. Er lernt daraus, was Voͤl-
ker und Staaten gluͤcklich, und was ſie un-
gluͤcklich gemacht hat, daher kann er jenes
einzufuͤhren ſuchen, dieſes aber meiden.
§. 479. Die Beredſamkeit iſt eine Zier-
de des Staatswirthes, was ein guter Red-
ner vermag, davon gibt uns die Geſchich-
te der Griechen, der Roͤmer, der Franzoſen
und Engellaͤnder, und anderer Voͤlker mehr,
ſattſame Beiſpiele, und derowegen ſoll ſie
der Staatswirth unausbleiblich lernen, und
ſich darinnen uͤben.
§. 480. Das Rechnungsweſen lehrt die
Staatsbuchhaltung. Nun laͤßt ſich aber leicht
begreifen, daß bei ſo vielerlei Gefaͤllen und
Einkuͤnften, ihren Einnahmen und Ausga-
ben, eine hoͤchſt genaue, und nach den beß-
ten Grundſaͤzen eingerichtete Buchhaltung un-
entbehrlich ſei, und derowegen iſt das Rech-
nungsweſen dem Kameraliſten und Staats-
wirthe weſentlich noͤthig.
§. 481.
[237]Staatswiſſenſchaft
§. 481. Durch den Kanzeleiſtyl verſteh’ ich
nicht die geradbrechte Schreibart, welche in
den Collegien und Dikaſterien noch hier und
da zu ſehr uͤblich iſt, ſondern einen kur-
zen, deutlichen und reinen Styl, in wel-
chem alle Schriften, welche in der Staats-
wirthſchafr vorkommen, abgefaßt ſeyn
muͤſſen; dieſen muß auch der Staats-
wirth nothwendig verſtehen, und ſich
ohne lang zu bedenken, richtig darinnen
auszudruͤcken wiſſen.
§. 482. Die vernuͤnftig angeſtellten Rei-
ſen des Staatswirthes in ſolche Laͤnder, wo
ein oder anders Gewerb vorzuͤglich bluͤht,
ſind ungemein nuͤzlich: damit er aber vorher
wiſſen moͤge, wie ſolche Reiſen mit Vorthei-
le anzuſtellen ſind, ſo muß ihm Anleitung
dazu gegeben werden, und dieſes durch
Grundſaͤze, die aus der Erfahrung gezogen
ſind.
Staatshaushaltung.
§. 483. Bis daher ſind nun die Staats-
gewerbe alle der Reihe nach beſchrieben, und
ihre Grundſaͤze vorgetragen worden; dieſe
muͤſſen
[238]Staatshaushaltung
muͤſſen aber nun in Heiſcheſaͤze umgeſchaffen,
und gelehrt werden, wie die Staatsverwal-
tung nach eben dieſen Grundſaͤzen aufs beßte
einzurichten ſei. Dieſes geſchieht durch die
Lehre von der Staatshaushaltung.
§. 484. Jch hab in dieſem Werke bei je-
der Wirthſchaft zugleich auch den Gang ei-
ner Haushaltung gezeigt, die zu ihrer Wirth-
ſchaft gehoͤrt, und zwar ſo, daß ich zugleich
die Errichtung einer vollſtaͤndigen Nahrungs-
quelle lehrete. Dieſer Ordnung kann ich
aber allhier nicht folgen, weil die Aufrich-
tung eines neuen Staates ein ſeltener Fall
iſt, und der nach ſeiner beßten Einrichtung
zugleich Regeln an die Hand geben wuͤrde,
welche in allen izigen Staaten ſehr ſelten
wuͤrden angewendet werden koͤnnen.
§. 485. Derowegen will ich eine allgemei-
ne Grundlehre entwerfen, welche nach mei-
ner Einſicht die beßte Ausfuͤhrung obiger
Grundſaͤze an die Hand geben ſoll, und
zwar ſo, daß ſie, ſo viel moͤglich, in jeder
Staatsverfaſſung, wo nicht ganz, doch zum
Theile, zu benuzen ſind.
a) Po-
[239]Staatshaushaltung
a) Polizei.
§. 486. Die beßten Erziehungsanſtallten
ſollen das erſte Augenmerk der Polizei ſeyn.
Was den Leib betrift, ſo gehoͤren die Ver-
fuͤgungen zur beßten Ausbildung desſelben
zu der Beſorgung des Lebens und der Ge-
ſundheit der Unterthanen. Die Ausbildung
aber des Verſtandes und des Willens der
Kinder geſchieht durch Unterweiſung in Schu-
len, oder durch Privatunterricht.
§. 487. Die beßte Einrichtung der Schu-
len beruht auf rechtſchaffenen Schulmaͤnnern,
einer hinlaͤnglichen Beſoldung derſelben, und
auf genugſamen Schulen, damit ſie ein je-
der Unterthan in der Naͤhe habe. Recht-
ſchaffene Schulmaͤnner zu bekommen wuͤrden
beſondere Hoheſchulen erfodert, allwo ein
Juͤngling mit ſehr geringen Koſten die Er-
ziehungswiſſenſchaft ſtudiren koͤnnte, und
dieſe muͤßte in der Schreibkunſt, Rechenkunſt,
gruͤndlicher Religionskaͤnntniß, und in der
Gewerbwiſſenſchaft beſtehen, um in dieſen
zum gemeinen Leben hoͤchſt noͤthigen Erkaͤnnt-
niſſen die Jugend unterrichten zu koͤnnen.
Be-
[240]Staatshaushaltung
Beſoldungen zu hinlaͤnglicher Befriedigung
der Beduͤrfniſſe wuͤrde Juͤnglinge genug zu
dieſen Studien anlocken.
§. 488. Wo hinlaͤngliche Beſoldungen
fuͤr einen Schulmann, um ſich mit Frau und
Kindern ehrlich naͤhren zu koͤnnen, fehlen:
da wuͤrde man durch Aufhebung der Gemein-
heiten, durch Urbarmachung oͤder Plaͤze, oder
durch ſonſtige Anlegung gewiſſer Gewerbe
leicht Rath dazu finden koͤnnen; der wichti-
ge Nuzen dieſer Einrichtung wuͤrde alle An-
lagen in kurzer Zeit reichlich erſezen .
§. 489. Jede Religion hat ihre beſondere
Kirchenverfaſſung: und da der Staatswirth
wenigſtens alle dulden ſoll, die dem Staate
nicht ſchaͤdlich ſind, ſo kann er ihre Kirchen-
ordnung und Zucht nicht anordnen und ein-
richten. Die Religionen muͤſſen alſo eine je-
de ihren beſondern Vorſtand haben, dabei
hat aber die Landesregierung zu wachen, daß
dieſer
[241]Staatshaushaltung
dieſer Vorſtand keinen ſchaͤdlichen Einfluß in
die Staatsverfaſſung haben koͤnne.
§. 490. Weil eine jede Kirche glaubt, die
wahre zu ſeyn, unmoͤglich aber alle wahr ſeyn
koͤnnen, beſonders wenn ſie widerſprechen-
de Grundſaͤze hegen: ſo ſollen die Lehrer
angehalten werden, binnen dem Umfange
ihrer Kirche nur zu lehren, und jedem Frei-
heit laſſen, nach ſeinen Einſichten zu waͤh-
len. Deswegen ſollen ſchleichende und nicht
uͤberzeugende Ueberredungen und Schmaͤh-
predigten gaͤnzlich verbothen werden.
§. 491. Zur voͤlligen Religionsfreiheit ge-
hoͤren auch die Gerechtſamen der Kirchen,
die, wenn ſie nicht die Gluͤckſeligkeit des
Staates hindern, keinesweges gekraͤnkt und
gemindert werden duͤrfen.
§. 492. Die leibliche Erziehung der Kin-
der, die Befoͤrderung des Lebens und der
Geſundheit der Menſchen, und die Verhin-
derung der Krankheiten und des Todes der-
ſelben, muß durch Errichtung einer guten
Medicinalpolizei beſorgt werden. Dazu wird
ein Medicinalkollegium im Staate niederge-
Qſezt,
[242]Staatshaushaltung
ſezt, welches aus alten gelehrten und erfahr-
nen Aerzten, Apothekern und Wundaͤrzten
beſtehen ſoll. Desgleichen muß in jedem Am-
te, Stadt und Diſtrikte ein Phyſicus beſtellt
werden, welcher uͤber die Medicinalgeſeze
wacht, dieſelben ausfuͤhrt, Fehler und Ver-
brechen berichtet, und eben ſolche Faͤhigkei-
ten haben muß, als von dem Medicinalra-
the gefodert werden.
§. 493. Die vollkommenſte Errichtung der
Medicinalpolizei beſtuͤnde in einer republika-
niſchen Verfaſſung der Medicinalperſonen;
wenn nemlich alle Aerzte und Wundaͤrzte im
Staate zuſammen das Medicinalkollegium
ausmachten; wenn das ganze Colleglum ei-
nen Praͤſidenten durch freie Wahl auf gewiſ-
ſe Jahre erwaͤhlte, der vom Staate jedes-
mal bekraͤftiget wuͤrde; wenn jeder Diſtrikt
einen Phyſicus haͤtte, der eben ſo abwechſel-
te; wenn endlich jeder Ort einen beſoldeten
Arzt haͤtte, welcher ſchuldig waͤre, umſonſt zu
dienen; wenn alle Apothecken abgeſchafft,
und den Aerzten die Ausfertigung der Arze-
neimittel nach einer billigen Taxe zu verkau-
fen
[243]Staatshaushaltung
fen erlaubt wuͤrde; und wenn endlich die
Wundaͤrzte dieſem Koͤrper einverleibt, die
nemliche Freiheit haͤtten.
§. 494. So wie die Medieinalpolizei ſorgt;
damit der Staat nicht durch Krankheiten und
Sterben, ſo viel an ihr liegt, entvoͤlkert wer-
de, ſo muß die politiſche Polizei fuͤr die
Vermehrung der Einwohner des Staates,
das iſt, fuͤr die Bevoͤlkerung ſorgen.
§. 495. Das vornehmſte Mittel zur Be-
voͤlkerung iſt vollkommene Gewiſſens- und
Gewerbfreiheit, ſo weit ſie die Gluͤckſeligkeit
des Staates nicht hindert. Dahin gehoͤrt
vornehmlich ein durch Fabriken und Manu-
fakturen bluͤhender Handelsſtand; wo dieſer
iſt, da darf man fuͤr uͤberfluͤſſige Bevoͤlke-
rung nicht mehr ſorgen. Ferner befoͤrdert die
Vermehrung der Erwerber im Staate, wenn
die Abgaben nicht hart und druͤckend ſind,
desgleichen wenn die vernuͤnftigen und recht-
Q 2maͤſigen
[244]Staatshaushaltung
maͤſigen Heurathen auf alle Weiſe erleichtert
werden .
§. 496. Obrigkeitliche Beſtrafungen der
Laſter ſind noͤthig, wenn ſie einmal began-
gen worden; aber ſie durch Drohung ſchwe-
rer Strafen zu verhuͤten, iſt nur ein ſchwa-
cher Zaun, und macht nur, daß ſie ſich ver-
ſtecken, und alſo im Verborgenen deſto ge-
faͤhrlicher wuͤthen. Belohnungen ausgezeich-
neter Tugenden ſind nuͤzlich und noͤthig, aber
wer iſt ſo reich, der alle Tugenden belohnen
kann, und Lohntugend iſt dem Laſter nahe.
§. 497. Das beßte Mittel, Sitten und
Tugend im Staate empor zu bringen, iſt:
wenn man die Quellen der Laſter verſtopft,
und die Quellen der Tugend eroͤffnet. Er-
ſteres wird zuwege gebracht, durch Verhinde-
rung des Muͤſigganges, des Saufens, Spie-
lens, und anderer ſchaͤdlicher Luſtbarkeiten,
desgleichen ſchaͤdlicher Gebraͤuche und Frei-
hei-
[245]Staatshaushaltung
heiten, durch Zerſtoͤrung verdaͤchtiger Haͤu-
ſer und Zuſammenkuͤnfte, durch Vertilgung
ſchaͤdlicher, der Religion und Sitten widri-
ger Buͤcher, durch Verhinderung der Ueppig-
keit uͤberhaupt, und dergleichen mehr.
§. 498. Die Quellen der Tugend werden
eroͤffnet, durch rechtſchaffene aufgeklaͤrte Be-
dienung der Religion, durch Zerſtoͤrung des
Aberglaubens und des Unglaubens, durch
geniereiche Beiſpiele und ihre tugendhafte
Schriften, durch Hervorziehung des tugend-
haften Mannes zu oͤffentlichen Bedienungen,
und uͤberhaupt und vornehmlich durch einen
glaͤnzenden Vorgang des Fuͤrſten und des
Hofes; dieſes wirkt mehr zum Beßten des
Staates, als alle Polizei, und mehr, als
ſich davon denken und ſagen laͤßt.
§. 499. Eine ſchlaͤfrige Ausfuͤhrung der
Geſeze gebiert den Ungehorſam und die Ge-
ringſchaͤzung derſelben von Seite des Unter-
thanen. Derowegen iſt kein beſſer Mittel, den
hoͤchſt noͤthigen Gehorſam und die geſchwin-
deſte vollſtaͤndigſte Folgeleiſtung zu bewirken,
als erſtlich: wenn keine andere, als in allem
Q 3Be-
[246]Staatshaushaltung
Betracht nuͤzliche, in der Ausfuͤhrung leichte
und ganz gewiß unſchaͤdliche Geſeze anbefoh-
len werden. Zweitens: wenn die Zahl der-
ſelben auf wenige eingeſchraͤnkt wird. Drit-
tens: wenn alſofort nach der Offenbahrung
der Geſeze an jeden, den ſie angehen, eine
ſchleunige und ſtrenge Unterſuchung folgt,
und alsdann die Saumſeligen nach dem Ver-
haͤltniſſe ihres Ungehorſames unausbleiblich
geſtraft werden. Ein wichtiger Staatsfehler
iſt es, wenn der Zweck der Geſeze durch ih-
re Ausfuͤhrung nicht erreicht wird; dieſes
bringt eine unausſprechlich ſchaͤdliche Ver-
achtung der geſezgebenden Gewalt in den Ge-
muͤthern der Unterthanen hervor.
§. 500. Das Leben und das Eigenthum
der Menſchen in Sicherheit zu ſtellen, iſt ei-
ne Hauptpflicht der Polizei. Das Leben lei-
det Gefahr zugleich mit dem Eigenthume,
durch Straſſenraub, durch gewaltthaͤtige,
naͤchtliche Einbruͤche u. d. gl. Dieſe zu ver-
huͤten, iſt kein wirkſamer Mittel, als wohl-
eingerichtete haͤufige Straſſenpatrouillen, wo-
zu in Friedenszeiten der Soldat gebraucht
wer-
[247]Staatshaushaltung
werden ſollte, in Kriegszeiten koͤnnte der
Unterthan ſelber dieſe Dienſte thun. Die
naͤchtlichen Einbruͤche zu verhuͤten, ſind wohl-
eingerichtete ſtarke Nachtwachten noͤthig, die
auch dem Soldaten von Rechtswegen zu-
kommen.
§. 501. Die genaue Unterſuchung aller
Reiſenden und unbekannten Perſonen, ſo
weit als die Polizei wegen der Sicherheit
und Staatsverfaſſung noͤthig zu forſchen ha-
iſt ſehr nuͤzlich, und ein Fremder ſoll nie da-
gegen murren, beſonders wenn er leicht ein-
ſehen kann, daß er durch gewiſſe Umſtaͤnde
verdaͤchtig ſeyn koͤnnte .
§. 502. Es iſt freilich kein Zeichen einer
guten Staatsverfaſſung, wenn die Gerichts-
plaͤze mit Leichen angefuͤllt ſind. Allein die
Uebertretter der Geſeze muͤſſen doch beſtraft
werden. Ob ein Fuͤrſt die Todesſtrafen ab-
ſchaffen ſoll, iſt keine Religions- ſondern ei-
Q 4ne
[248]Staatshaushaltung
ne Staats- oder philoſophiſche Frage. Frei-
lich haben die ſchrecklichſten Beiſpiele von je
her wenig gefruchtet; aber es iſt die Frage,
ob man der goͤttlichen Gerechtigkeit nicht ſol-
che Opfer ſchuldig ſei? Vernunft und Offen-
bahrung ſcheinen darauf Ja zu ſagen, und
dann hat man noch keine hinlaͤngliche Erfah-
rung, ob doch durch Hinwegnehmung eines
ſolchen furchtbaren Zaunes, nicht das Uebel
noch aͤrger wuͤrde.
§. 503. Noch ſchaͤdlicher und gottloſer,
als gewaltſame oͤffentliche Diebſtaͤhle, iſt der
Betrug, die Vervortheilung, Verfolgung und
Unterdruͤckung der Unterthanen unter einan-
der, weil ſie mehrentheils ungeſtraft begangen
werden, und nach und nach zum Verderben und
gaͤnzlichen Ruine der armen Leidenden wirken.
Hierher gehoͤrt auch beſonders die gottloſe
Proceßſucht vieler Leute.
§. 504. Gaͤnzlich kann freilich die Obrig-
keit ſolche Blutigel nicht hindern, aber ein
wachſames Aug derſelben kann doch unaus-
ſprechlich vielen Nuzen ſchaffen. Das groͤſte
Ungluͤck iſt, wenn Unterobrigkeiten und Be-
am-
[249]Staatshaushaltung
amten zu ſolchen Laſtern mit wirken, wie gar
zu oft zu geſchehen pflegt. Die beßte Verhuͤ-
tung dieſer Greuel geſchieht durch Anord-
nung gepruͤfter tugendhafter Maͤnner, und
hinlaͤnglicher Beſoldung derſelben. Mit groͤ-
ſtem Nuzen ſendet ein gewiſſer groſer Staats-
wirth vollkommen bevollmaͤchtigte wackere
Maͤnner aus ſeinem Hoflager nach allen
Unter- und Obergerichten ab, und laͤßt ſie
unterſuchen, belohnen und beſtrafen. Die
ſchaͤdlichen Proceſſe zu vernichtigen, iſt noch
kein beſſer Mittel bekannt, als die Rechts-
pflege der Tuͤrken, wo ſie nach dem Willen
des Geſezgebers befolgt wird .
§. 505. Die Feuerordnungen ſind eine ſehr
heilſame Anſtallt der Polizei, genugſame
und gut im Stande gehaltene Feuerſprizen
und Waſſereimer, desgleichen genugſame
Mannſchaft, die dem Befehle eines oder
mehreren Befehlshaber ſchleunig und unaus-
bleiblich gehorchen muß, richtige Anweiſung
der Dachdecker, der Maurer und Zimmerleu-
Q 5te
[250]Staatshaushaltung
te zu Beſteigung der Gebaͤude, der Spri-
zenmeiſter und ihren Untergebenen an die
rechten Oerter, der andern Buͤrger und Un-
terthanen zur Herbeiſchaffung des Waſſers
u. d. gl. machen die weſentlichen Beſtand-
theile der Feuerordnung aus.
§. 506. Die Verhuͤtung der Feuersgefahr
gehoͤrt auch zu dieſem Artikel. Dahin gehoͤ-
ren die Verordnungen bei dem Baue der
Haͤuſer, die gehoͤrige Feuerbewahrung mit
ihren Strafen, Tabackrauchen auf den
Straſſen und an gefaͤhrlichen Oertern, ſorg-
faͤltige Nachtwachen, verwahrliche, vom
Feuer entfernte Behaͤlter aller Brandmate-
rialien u. ſ. w.
§. 507. Da aber bei aller Sorgfalt der
Polizei dennoch zuweilen Feuersbruͤnſte ent-
ſtehen, ſo ſind die Brandkaſſen herrliche Ein-
richtungen im Staate. Jedes Haus und
Gebaͤud wird auf ein Kapital geſezt, dieſes
Kapital einregiſtrirt, und von dieſem muß
der Eigenthuͤmer jaͤhrlich ein gewiſſes Geld
bezahlen, welches der Kaſſe einverleibt wird.
Wenn nun ein Gebaͤud verungluͤckt, ſo be-
zahlt
[251]Staatshaushaltung
zahlt dem Eigenthuͤmer die Kaſſe, was es
werth war. Hier aber koͤnnte die Einſchraͤn-
kung gemacht werden, mit dem Bedinge,
daß er keiner Verwahrloſung zu uͤberfuͤhren
ſei.
§. 508. Die Landwirthſchaft und alle Ge-
werbe wuͤrden ſehr befoͤrdert werden, wenn
die Schulen nach meinem oben beruͤhrten Vor-
ſchlage eingerichtet wuͤrden. Vornehmlich iſt
es die Pflicht der Polizei, alle Gemeinhei-
ten, Viehtriften und Hutgerechtigkeiten durch
Vermehrung des Futterbaues, nach den Re-
geln der verbeſſerten Landwirthſchaft, nach
und nach abzuſchaffen, mit einem Worte:
theils durch Beiſpiele, theils durch Geſeze
die Bauersleute zu Feſthaltung der Regeln
der beßten Landwirthſchaft anzuhalten.
§. 509. Wenn die Landwirthe eines Lan-
des allzuſammen in gewiſſe Geſellſchaften,
man nenne ſie Zunft oder wie man will, ein-
getheilt wuͤrden, die ihre Vorſteher haͤtten,
welchen die beßten landwirthſchaftlichen
Grundſaͤze bekannt waͤren, und bekannt ge-
macht wuͤrden; wenn ſich ferner jedes Glied
der
[252]Staatshaushaltung
der Geſellſchaft verbuͤndlich machen muͤßte, die
von der Geſellſchaft angenommenen Grund-
ſaͤze auszufuͤhren, und wenn auf dieſer Aus-
fuͤhrung gewiſſe Belohnungen, und in deren
Ermanglung unausbleibliche Strafen be-
ſtimmt waͤren, ſo entſtuͤnde die Frage: ob
nicht dadurch der hoͤchſte Gipfel einer bluͤhen-
den Landwirthſchaft zu erreichen waͤre?
§. 510. Die Polizei ſoll dafuͤr ſorgen, daß
diejenigen Erzeugungen, welche im Staate
vorzuͤglich gedeihen, auch im Lande ſelber,
ſo weit als moͤglich iſt, verarbeitet und zu-
bereitet werden. Dieſes geſchieht fuͤrs erſte,
wenn die Einfuhr aller Kunſtprodukte, die
im Lande hervorgebracht werden, und wer-
den koͤnnen, mit ſchweren Auflagen erſchwe-
ret, mithin vertheuert, oder gar aufgeho-
ben wird.
§. 511. Freiheiten und Belohnungen fuͤr
inlaͤndiſche Kunſtwirthe, welche ſich mit der
Zubereitung inlaͤndiſcher roher Produkte ab-
geben, Errichtung nachahmungswuͤrdiger
Beiſpiele, Abſchaffung des ſchaͤdlichen Allein-
handels, ſchaͤdlicher und menſchenfeindlicher
Zunft-
[253]Staatshaushaltung
Zunfteinſchraͤnkungen u. d. gl. koͤnnen ferner
zur Aufnahme inlaͤndiſcher Fabriken und Ma-
nufakturen ſehr vieles beitragen.
§. 512. Die voͤllige Freiheit, nach Belie-
ben und Willkuͤhr eine Kunſt oder ein Hand-
werk zu treiben, der Handwerker mag es
verſtehen oder nicht, richtet nach und nach
die Kunſtwirthſchaft gaͤnzlich zu Grunde, de-
rowegen ſind Zuͤnfte noͤthig. Aber ſolche
Zunftverfaſſungen, welche die Zahl der Mei-
ſter beſtimmen, das Erlernen der Handwer-
ker erſchweren, und andere ſchaͤdliche Ge-
braͤuche haben, ſind ſchaͤdlich. Derowegen
eine Zunft, welche alle Kunſtprodukte un-
terſucht, und keins verſtattet, das nicht in
ſeiner Art vollkommen iſt, welche Anſtallten
trift, daß auch arme Kinder ihr Handwerk
lernen koͤnnen, und daß kranke Geſellen ver-
pflegt und arme Meiſter verſorgt werden,
und die unter ſich die nuͤzlichſten Polizeianſtall-
ten verfuͤgt, iſt hoͤchſt loͤblich und dem Staa-
te nuͤzlich.
§. 513. Mit den Fabriken, Manufaktu-
ren und Kunſtgewerben iſt die Handlung un-
zer-
[254]Staatshaushaltung
zertrennlich verbunden: wo jene bluͤhen, da
bluͤht auch dieſe. Groſe Kaufmannſchaft
kann nicht wohl in einem Staate eingefuͤhrt
werden, welcher die Lage zu groſen Verſen-
dungen nicht hat; wo dieſe aber iſt, da thut
die Handelsfreiheit alles.
§. 514. Die Befoͤrderung der Handlung
geſchieht durch ſehr gute und ſichere Land-
ſtraſſen, wohl eingerichtete Schiffahrt, An-
legung der Meſſen und Jahrmaͤrkte, freie
Aus- und Einfuhr aller Waaren, die dem
Staate nicht ſchaͤdlich ſind, wohl uͤberlegte
Vorzuͤge, die man der Kaufmannſchaft bei-
legt, und endlich durch Behauptung und
Sicherung des einzelnen und allgemeinen
Credits, durch ſtrenge Gerechtigkeit in Con-
cursſachen, und was dergleichen gute An-
ſtallten mehr ſind.
§. 515. Das vortrefflichſte Mittel, dem Lu-
xus zu ſteuern, iſt ohne Zweifel ein gutes
Beiſpiel des Hofes. Kleider- Speis- und
Trankordnungen ſind nur ſchwache Umzaͤu-
nungen; doch wo das erſte wirkſamſte Mit-
tel fehlt, da muß man zu dieſen ſchwaͤchern
ſeine Zuflucht nehmen.
§. 516.
[255]Staatshaushaltung
§. 516. Muͤſiggaͤnger, Landſtreicher und
Bettler ſind Gegenſtaͤnde fuͤr die Zuchthaͤuſer.
Dieſe Schulen fuͤr Leute von ungebrochenen
Leidenſchaften ſollten nicht nur die Laſter be-
ſtrafen, ſondern auch die Menſchen zur Tu-
gend umbilden. Dann aber muͤßte die Ein-
richtung anders ſeyn, als ſie gewoͤhnlich iſt,
und ein Zuchtmeiſter zu ſeyn, waͤre eine ſehr
edle und ehrwuͤrdige Beſchaͤftigung.
§. 517. Das Spielen uͤberhaupt iſt ein
Zeitvertreib, der eben nicht ſonderlich der
Menſchheit zur Ehre gereicht, vorzuͤglich aber
ſind Haſard- und Gluͤcksſpiele von der Obrig-
keit hart zu verbieten, und exemplariſch zu
ſtrafen. Mit einem Worte, alle Ausgaben,
welche auf Hofnung eines unerworbenen Ge-
winns weggeworfen werden, ſind gegen die
Regeln der Gewerbwiſſenſchaft und der
Haushaltungskunſt, und der Mißbrauch der-
ſelben iſt von der Polizei zu verhindern.
§. 518. Die Armenverſorgung iſt ein
hoͤchſt wichtiger Theil der Polizei, und ſoll
der willkuͤhrlichen Mildthaͤtigkeit der Unter-
thanen nie ganz allein uͤberlaſſen werden.
Die
[256]Staatshaushaltung
Die Armen ſind entweder auslaͤndiſche, oder
inlaͤndiſche: erſtere ſollen von ihrem Vatter-
lande unterhalten werden; leztere aber ſind
der eigentliche Gegenſtand des Staatswir-
thes, und dieſe ſind wiederum zweierlei:
entweder zur Arbeit untaugliche oder taugli-
che, dieſe lezteren gehoͤren in Zucht- und Ar-
beitshaͤuſer, die erſten aber muͤſſen unter-
halten werden.
§. 519. Die beßte Unterhaltung geſchieht
in oͤffentlich errichteten Armenhaͤuſern, und
es waͤre gar nicht unrecht, wenn der Unter-
halt der Armen und die Verwaltung der
Hoſpitaͤler jaͤhrlich zu einer gewiſſen Summe
angeſchlagen, und nach der Steuermatrickel
auf den Staat ausgeſchlagen und erhoben
wuͤrde, eben auf dieſen Fus muͤßten auch
Waiſenhaͤuſer beſtellet werden. Wo aber
milde Stiftungen genug ſind, da waͤren der-
gleichen Anſtallten unnoͤthig.
§. 520. Alle dergleichen Einrichtungen
durch die Polizei machen den Staat ſegen-
voll und bluͤhend, ſo, daß er nun auch ſeine
gehoͤrige Abgaben entrichten kann.
b) Fi-
[257]Staatshaushaltung
b) Finanzweſen.
§. 521. Die Chatoulguͤter ſind ein Privat-
eigenthum des Fuͤrſten, ſie gehen alſo den
Staat nicht an, und werden am beſten durch
beſondere Perſonen, die von niemand, als
blos vom Fuͤrſten allein abhaͤngen, verwaltet.
§. 522. Die Domaͤnenguͤter ſind erſtlich
Strecken Landes, auf welchen nichts waͤchſt,
die oͤde ſind, und alſo wenig oder nichts
eintragen. Dieſe ſollen auf die beßte Weiſe
nach landwirthſchaftlichen Grundſaͤzen urbar
gemacht, und zu Landguͤtern umgeſchaffen
werden. Dieſes geſchieht, wenn man ſie
geſchickten Landwirthen auf eine ziemliche An-
zahl Jahre einthut, und ſie die Zeit durch
von allen Abgaben frei laͤßt, ſo lang, bis
ſie voͤllig in bluͤhendem Stande ſind.
§. 523. Zweitens: ſind die Domaͤnenguͤ-
ter einzelne Landguͤter, welche verpfachtet
werden. Bei dieſen Pfachten iſt darauf zu
ſehen, daß man ſie wohlhabenden geſchickten
Landwirthen auf lange Jahre verpfachte,
und ſie alsdann durch fleiſige Aufſicht dazu
anhalte, daß die Guͤter nach den beßten Re-
Rgeln
[258]Staatshaushaltung
geln der Landwirthſchaft gebaut und gepfle-
get werden, beſonders auch, daß das Hoch-
gewaͤld wohl in Acht genommen, und nicht
ausgehauen werde.
§. 524. Drittens beſtehen die Domaͤnen
auch wohl in ganzen Aemtern und Herrſchaf-
ten, in welchen die Bauern entweder Lehn-
traͤger, oder Erbpfaͤchter, oder Grundeigen-
thuͤmer ſind. Das Grundeigenthum des Bau-
ern iſt eigentlich das beßte. Solche Domaͤ-
nen ſollen von der Kammer wie kleine Staa-
ten verwaltet, und nach den Regeln der beß-
ten Staatswirthſchaft bluͤhend gemacht wer-
den.
§. 525. Wenn der Fuͤrſt Fabriken und
Manufakturen hat, welche als Domaͤnen be-
trachtet, und alſo nicht aufgehoben werden
koͤnnen: ſo werden dieſelben entweder durch
Faktoren bedient, oder ſie werden verpfach-
tet. Die erſte Methode iſt ſelten ſo nuͤzlich,
wie die leztere, man thut am beßten, wenn
man ſie einem geſchickten Fabrikanten gegen
ein ſicheres Unterpfand, oder gegen Buͤrg-
ſchaft, verpfachtet.
§. 526.
[259]Staatshaushaltung
§. 526. So ſehr die Domaͤnenguͤter ohne
Schaden des Staates vermehrt und verbeſ-
ſert werden koͤnnen, ſo ſehr ſoll es geſchehen.
Wenn die Vermehrung ohne Schaden des
Staates geſchehen ſoll, ſo muͤſſen keine Guͤ-
ter dazu verwendet werden, welche Staats-
buͤrger zu Eigenthuͤmer haben; damit alſo
der Staat nicht kleiner werde, und ſich ſeine
Laſten vermehren. Wenn die Verbeſſerung
ohne Nachtheile des Staates geſchehen ſoll,
ſo muͤſſen die Gewerbe auf den Domaͤnenguͤ-
tern den Gewerben im Staate nicht hinder-
lich ſeyn.
§. 527. Das Waſſerregale kann der Fuͤrſt
ſo vortheilhaft benuzen, als es moͤglich iſt,
nur, daß es den Unterthanen frei ſtehe, ſich
des Waſſers gegen Gebuͤhr zu ihren Gewer-
ben mit aller Freiheit zu bedienen.
§. 528. Die Fiſcherei gehoͤrt dem Fuͤrſten;
die beßte Benuzung derſelben beſteht darin-
nen, wenn ſie verpfacht wird, doch ſo, daß
der Pfachter unter der Aufſicht des Forſtbe-
dienten ſtehe, damit die Waͤſſer nicht ver-
dorben und veroͤdet werden moͤgen. Bruͤcken,
R 2Schleuſ-
[260]Staatshaushaltung
Schleuſſen und vortheilhaften Zoͤlle werden
vom Fuͤrſten angelegt, der Genuß davon wird
am fuͤglichſten verpfachtet. Wenn Waſſer-
maſchinen angelegt werden, ſo ſollen dem
Fuͤrſten davon jaͤhrlich billige Waſſergefaͤlle
bezahlt, alles dieſes aber zugleich ſo einge-
richtet werden, damit die Gewerbe nicht ge-
druͤckt, ſondern vielmehr erleichtert werden
moͤgen.
§. 529. Die Anlegung guter und beque-
mer Landſtraſſen von einer Stadt zur andern
im Staate iſt dem Gewerbe ſehr vortheil-
haft, und der Kammer nuͤzlich, weil mit al-
lem Fuge billige Zoͤlle und Weggelder auf
den Gebrauch derſelben geſezt werden koͤnnen,
die ein ſehr Anſehnliches austragen. Dieſe
werden am beßten verpfachtet; nur daß die
Polizei dabei aufſehe, damit die Zollpfaͤch-
ter keine Tyrannei und ungeziemende Unter-
druͤckungen dabei begehen. Die Anlegung
reutender und fahrender Poſten iſt ebenfalls
nuͤzlich, und wird wiederum am beßten ver-
pfachtet.
§. 530.
[261]Staatshaushaltung
§. 530. Das Forſtregale ſoll nach den
Grundſaͤzen der Forſtwiſſenſchaft von den
Forſtbedienten verwaltet werden. Wenn man
die Holznuzung verpfachtete, ſo wuͤrden die
Waͤlder bald zu Grunde gerichtet werden:
und bei der gewoͤhnlichen Bedienung derſelben
werden beſonders von den Jaͤger- und Forſt-
knechten ſehr viele Unterſchleiffe begangen,
daher kann die Kammer das Forſtregale nicht
ſo vortheilhaft benuzen, als wohl moͤglich
waͤre.
§. 531. Die Jagd iſt mehr zur Luſt als
zum Nuzen des Fuͤrſten, und wo ſie ſtark
gehegt wird, da leidet die Landwirthſchaft
ungemeinen Schaden. Es waͤre daher ſehr
zu wuͤnſchen, daß die Fuͤrſten ſich doch durch
das Wehklagen der armen Landleute erwei-
chen lieſen, und ihre Jagdluſt auf ihre herr-
ſchaftliche Forſten einſchraͤnkten, die leicht
mit lebendigen Hecken umpflanzt werden
koͤnnten, wodurch ſie vor dem Holzfrevel be-
friediget, und zur Jagdluſt gewidmet wuͤr-
den. Ein wohl angelegter Futterbau in ſol-
chen Waͤldern koͤnnte dem Wilde Winters und
Sommers Nahrung geben.
R 3§. 532.
[262]Staatshaushaltung
§. 532. Die Verpfachtung der Jagd iſt
der Weg zur Vertilgung des Wildpretes.
Wenn daher der Fuͤrſt Nuzen daraus ziehen
will, ſo iſt es am beßten, daß die Thiere, wel-
che nuzbar ſind, zu rechter Zeit geſchoſſen und
benuzt, die fruchtbaren aber gehegt werden,
wie alles dieſes in der Jagdwiſſenſchaft ge-
lehrt wird.
§. 533. Wenn der Fuͤrſt die Bergwerke
ganz fuͤr ſich nimmt, ſo wird die Entdeckung
derſelben gehindert: es iſt daher am vortheil-
hafteſten, wenn er dieſes Regale den Unter-
thanen gegen Erlegung der Zehenten uͤber-
laͤßt, wie ſolches auch von vielen Fuͤrſten be-
obachtet wird. Doch iſt es billig, daß die
Unterthanen das Silber und Gold, wenn ſie
es entdecken, der Kammer anzeigen, und
dieſe Muͤnzmetalle dem Landesherrn uͤber-
laſſen. Das Bergwerksregale erfodert ein
beſonderes Collegium, und beſteht aus Maͤn-
nern, die die Bergwerkswiſſenſchaft verſte-
hen muͤſſen.
§. 534. Das Bergamt hat alſo fuͤr die
Aufnahme, Erfindung, Verbeſſerung und
Ein-
[263]Staatshaushaltung
Einrichtung des Bergbaues, und fuͤr das
fuͤrſtliche Jntereſſe zu ſorgen, die metallur-
giſche Fabriken, das Schmelz- und Huͤtten-
weſen, desgleichen auch die mineraliſchen Er-
zeugungen, deren Reinigung und Zuberei-
tung, gehoͤren unter ſeine Aufſicht, und ſol-
len zum Beßten des Fuͤrſten und des Staa-
tes von demſelben bedient werden.
§. 535. Beides, Gold- und Silbermuͤn-
zen muͤſſen von gutem Schrote und Korn, und
nach dem feſtgeſezten Muͤnzfuſe geſchlagen
werden. Damit keine Verfaͤlſchung vorge-
he, und nicht zu viel gemuͤnzt werde, darf
die Muͤnze nicht wohl verpfachtet werden,
ſondern ſie muß von rechtſchaffenen Maͤnnern
verſehen, und vom Probierer (Waradein)
fleiſig und gewiſſenhaft gepruͤft werden.
§. 536. Wenn das Bergwerksregale
Muͤnzmetalle genug ausliefert, ſo iſt die
Muͤnze dem Landesherrn ſehr eintraͤglich,
weniger aber, wenn die Metalle gekauft wer-
den muͤſſen. Daher iſt es dem Fuͤrſten, wel-
cher keine, oder wenige Gold- und Silber-
bergwerke hat, nuͤzlicher, wenn er nur die
R 4Me-
[264]Staatshaushaltung
Metalle, die er hat, vermuͤnzet, und durch
Befoͤrderung der Gewerbe fremde Geldſor-
ten ins Land zieht. Die Scheidemuͤnze nur
zur Nothdurft ausgemuͤnzt, kann ihm den-
noch ein Ziemliches eintragen.
§. 537. Wenn ein Landesherr harte Muͤn-
zen von ſchlechtem Gehalte, und doch in ho-
hem Werthe auspraͤgt, ſo betruͤgt er ſich ſelbſt:
denn da an Auslaͤnder Aufgeld darauf be-
zahlt werden muß, ſo geht ſo viel mehr Geld
aus dem Lande, als es ſchlechter iſt, mit-
hin gilt es doch nicht mehr, als es werth iſt;
daher erhoͤhen ſich endlich im Lande die Prei-
ſe ſo viel mehr, als das Geld ſchlechter iſt,
folglich entſteht dadurch uͤberall Verwirrung
und Schaden.
§. 538. Bei den Frohndienſten der Bau-
ern muß man ſich nach ihren Umſtaͤnden rich-
ten. Wenn die Landwirthſchaft, und uͤber-
haupt alle Gewerbe im Staate bluͤhen, ſo
hat der Bauer Geld und viel Geſchaͤfte, im
Gegentheile aber, wenig Geld und weniger
Geſchaͤfte. Jm erſten Falle iſt es nuͤzlicher
fuͤr ihn, wenn er ſeine Frohndienſte bezahlt,
man
[265]Staatshaushaltung
man ſezt ihm ſeine Dienſte nach dem Ver-
haͤltniſſe des Arbeitslohnes auf ein Geld,
und laͤßt es ihn unter dem Namen des Dienſt-
geldes bezahlen.
§. 539. Jm zweiten Falle aber, wenn der
Bauer wenig Geld hat, ſo iſt es ihm zutraͤg-
licher, wenn er die Arbeit thut, und da iſt
nur darauf zu ſehen, daß man ihm Arbei-
ten anweiſe, die dem Staate und dem Fuͤr-
ſten eintraͤglich ſind, und daß nicht lang-
ſam und traͤg, ſondern fleiſig gearbeitet
werde.
§. 540. Bei den Strafgefaͤllen hat der
Fuͤrſt die Abſicht, Ausſchweifungen und La-
ſter zu beſtrafen, nicht aber ſeine Einkuͤnfte
zu vermehren, es iſt daher nicht dienlich,
wenn man Schlaͤgereien und ſolche Verbre-
chen mit Geld beſtraft, die durch ſolche Stra-
fen nicht gehindert werden. Ein Menſch,
der von Rache gluͤht, freut ſich, wenn er
ſich raͤchen kann, es mag koſten, was es will.
Solcher Unfug ſoll mit Schmach, Betrug und
Vervortheilung aber mit Gelde beſtraft wer-
den; ſolcher Geſtallt wird allemal der Zweck
des Verbrechers vereitelt.
R 5§. 541.
[266]Staatshaushaltung
§. 541. Fuͤr erſt ſoll der Staatswirth darauf
ſehen, daß er keine Guͤter und Befriedi-
gungsmittel auf einmal zu Contrebande ma-
che, welche der Unterthan fuͤr weſentlich haͤlt,
denn aller Vorſicht ungeachtet, ſucht ſie der
Unterthan zu bekommen: der Fuͤrſt macht
alſo ehrliche Leute zu Uebertretter der Geſe-
ze; derowegen ſoll man erſt im Lande ſelber
etwas zu erzeugen ſuchen, das die Stelle
vertreten kann, und dann allmaͤhlig durch
Auflagen die Einfuhr des auslaͤndiſchen
Produktes zu erſchweren ſuchen, bis man es
endlich mit Erfolge ganz verbieten kann .
§. 542. Wenn man durch Confiſcirung
der Guͤter eines Uebelthaͤters die Seinigen
arm macht, ſo ſezt man ſie in die Nothwen-
digkeit, wieder Verbrecher zu werden; de-
rowegen erfodert das Recht der Natur, ih-
nen Gelegenheit an die Hand zu geben, da-
mit ſie ſich ehrlich ernaͤhren koͤnnen, wenn
aber dafuͤr geſorgt iſt, ſo koͤnnen zu Beſtrei-
tung
[267]Staatshaushaltung
tung des Criminal- oder ſonſtigen Rechts-
proceſſes die Guͤter confiſcirt werden.
§. 543. Die Steuern auf die unbewegli-
chen Guͤter, oder die Schazung ſoll nach dem
Werthe der Nahrungsquelle beſtimmt werden.
Die Frage an den Erwerber: Was iſt euch
eure Nahrungsquelle werth, wenn ihr
ſie verkaufen ſolltet? wird ein Kapital
beſtimmen. Wenn nun die Summe, wel-
che der Staat jaͤhrlich braucht, ſo ausgeſchla-
gen wuͤrde, daß auf jedes Hundert ein Ka-
pital des Werthes der Nahrungsquelle, ein
gewiſſes Quantum beſtimmt wuͤrde, ſo koͤnn-
te es nicht fehlen, der Steueranſchlag wuͤr-
de der gerechteſte ſeyn.
§. 544. Der Werth der Nahrungsquellen
wechſelt langſam ab, daher braucht die Steu-
ermatrikel der beweglichen Guͤter nicht oft
veraͤndert zu werden. Aber der Ertrag, oder
die beweglichen Guͤter ſind faſt alle Jahr an-
ders, und hier haͤlt es ſchon ſchwerer, das
Recht zu treffen; doch ſind Zehenten, Zoͤlle,
Acciſen, Lizenten und dergleichen Auflagen
unter regelmaͤſiger Aufſicht bequem, die Ab-
gaben
[268]Staatshaushaltung
gaben nach dem Werthe des Ertrages zu be-
ſtimmen.
c) Staatswirthſchaft.
§. 545. Alle bis daher vorgelegten Grund-
und Heiſcheſaͤze auf die beßte Weiſe auszu-
fuͤhren, und wirklich ins Werk zu ſezen, iſt
nun eigentlich das Meiſterſtuͤck des Staats-
wirthes. Den Staat bluͤhend zu machen,
fuͤrſtliche und Staatsbeduͤrfniſſe ordentlich zu
befriedigen, ihre Befriedigungsmittel auf
die Zukunft zu ſichern, und die Exiſtenz aller
dieſer Dinge zu erhoͤhen, das alles ſind Sa-
chen, die ſich auf der Studierſtube leicht ent-
werfen, aber lange nicht ſo leicht ausfuͤhren
laſſen .
§. 546. Die eigentliche Staatswirth-
ſchaft, in dem Verſtande wie ich das Wort
hier verſtehe, begreift das Amt des Regen-
ten, und dieſes will ich nach meinen beßten
Einſichten in kurzen Grundſaͤzen hier entwer-
fen.
[269]Staatshaushaltung
fen. Die erſten Pflichten betreffen ſeine ei-
gene Perſon, um ſich alle diejenigen Wiſſen-
ſchaften eigen zu machen, wodurch er zu ſei-
nem hohen Amte tuͤchtig wird. Dieſe Wiſ-
ſenſchaften ſind alle diejenigen, welche in die-
ſem Buche angewieſen worden, folglich
ſaͤmmtliche Kameralwiſſenſchaften mit ihren
Hilfswiſſenſchaften. Dazu kommt dann noch
die Staatskunſt, mit allem, was dazu ge-
hoͤrt. Dieſes iſt alſo auch ein Hauptzweck
bei Erziehung der Prinzen.
§. 547. Eine gruͤndliche theoretiſche und
praktiſche Religionskaͤnntniß und Ausuͤbung
derſelben mit Beſiegung der Leidenſchaften
verbunden, iſt der wahre fuͤrſtliche Schmuck,
und erhoͤht den Regenten nahe an die Wuͤr-
de eines Engels; auch dieſes iſt ein Haupt-
zweck bei Erziehung fuͤrſtlicher Kinder.
§. 548. Ein Regent kann unmoͤglich alles
ſelber ſehen und verrichten, er hat eine Men-
ge Menſchen noͤthig, durch welche er die ge-
ſezgebende Gewalt ausfuͤhren laͤßt, aber das
iſt traurig, daß alle dieſe Bedienten Men-
ſchen, und nicht Engel ſind. Es gibt deren ſehr
vie-
[270]Staatshaushaltung
viele, die nur den Eigennuz zu ihrem Zwe-
cke machen, und da haͤngt zwiſchen dem Au-
ge des Fuͤrſten und der Wahrheit eine un-
durchdringbare Decke.
§. 549. Derowegen ſoll der Fuͤrſt mit Feu-
er und Geiſte getauft ſeyn. Die Unſchuld
auch in Bettlerskleidern ſoll ſich ſeinem Thro-
ne naͤhern doͤrfen, und geneigtes Gehoͤr fin-
den, ſeine Gerechtigkeit ſoll ihm vor der
Stirn und im Auge gluͤhen, daß der unge-
rechte Hoͤfling ſich entdecken, und vor ihm
weg zittern muß. Dieſes erreicht ein Regent
durch unermuͤdetes Forſchen und Unterſuchen
deſſen, was vorgeht, und durch unausbleib-
liche ſchwere Strafen, womit er die Verbre-
cher unter ſeiner Dienerſchaft belegt. Hin-
gegen durch Gnade und ſtrenge Belohnung
der gepruͤften Tugend.
§. 550. Die eigentliche Pflicht des Fuͤrſten
iſt, die beßte Beſezung aller Aemter, mit
Leuten, die rechtſchaffen und dem Zwecke an-
gemeſſen ſind. Und dann, daß er alle dieſe
Maͤnner durch weiſe Geſeze vaͤtterlich zum
groſen Ziele leite, welches ihm Gott und
das Wohl ſeines Staates vorgeſteckt hat.
§. 551.
[271]Staatshaushaltung
§. 551. Das erſte alſo, worauf der Fuͤrſt
ſein Augenmerk ſezen ſoll, iſt die Beſtellung
ſeines hoͤchſten Regierungskollegiums, auf
welches er unmittelbar Einfluß hat. Dieſes
ſoll aus Maͤnnern beſtehen, welche vollkom-
mene Staatsmaͤnner und Staatswirthe ſind,
dieſe verwalten den Staat nach den Geſezen
des Fuͤrſten, doch ſo, daß bei allen einzel-
nen Faͤllen der Fuͤrſt ihre Schluͤſſe beſtaͤttige,
oder verwerfe.
§. 552. Dieſes Collegium beſizt alſo die
geſezgebende Gewalt im Staate, und der
Regent ſizt in demſelben vor. Hierauf wer-
den nun zur Polizei, zur Juſtiz und zu dem
Finanzweſen vielerlei Collegien und Aemter
beſtellt, die je nach dem Gutfinden des Fuͤr-
ſten und der Staatsverfaſſung zuſammen
haͤngen.
§. 553. Auf dem Lande, und uͤberall im
Staate werden Collegien und einzelne Maͤn-
ner beſtellt, von denen unmittelbar die Aus-
fuͤhrung abhaͤngt. Ueberall gilt die Regel
der genauen Aufſicht, und der Auswahl ge-
ſchickter tugendhafter Maͤnner. Und da
muß
[272]Staatshaushaltung
muß immer die wirthſchaftliche Regel wohl
beobachtet werden: Was durch wenige ver-
richtet werden kann, ſoll nicht durch
viele geſchehen. Jch kann hier nicht die
Grundſaͤze entwerfen, wie alle Aemter be-
ſezt, und wie die Ordnungen getroffen wer-
den ſollen, das gehoͤrt in die ausfuͤhrliche
Staatswirthſchaft.
§. 554. Auf die gute Beſezung der Aem-
ter folgt nun die Beſoldung der Dienerſchaft.
Dieſe muß allemal dem Amte angemeſſen ſeyn;
doch, obgleich der Fuͤrſt reichlich beſolden
muß, ſo iſt doch unausbleiblich noͤthig, daß
auch hiebei Maaſe gehalten werde. Jeder
Diener hat Beduͤrfniſſe, die ſich wie ſein Amt
verhalten, weil er ſich ſtandesmaͤſig auffuͤh-
ren muß. Da nun der Fuͤrſt die Hof- und
Wuͤrdeordnung (Etiquette) beſtimmt, ſo
kann er durch Klugheit Wuͤrde erſparen, mit-
hin auch Beſoldung .
§. 555.
[273]Staatshaushaltung
§. 555. Wenn der Fuͤrſt ſelber eine maͤ-
ſige Tafel haͤlt, und maͤſigen Aufwand macht,
ſo wird er dadurch ungemein viel Gutes ſtif-
ten. Denn der hoͤchſte Miniſter fuͤhlt doch
immer den groſen Abſtand zwiſchen ſich und
dem Fuͤrſten, er wird daher gezwungen,
auch maͤſig und ſparſam zu ſeyn, und ſo wuͤrkt
dieſes Beiſpiel die Reihe herunter bis zum
geringſten Polizeibedienten. Und eben da-
durch, wenn der Fuͤrſt wenige, aber recht-
ſchaffene Diener hat, wenn er ſelbige fuͤrſt-
lich aber doch wirthſchaftlich beſoldet, und
endlich wenn er ihnen in Gottesfurcht, Ernſt,
Weisheit, Geſchicklichkeit und Maͤſigkeit vor-
geht, ſo hat er gewiß nicht zu befuͤrchten,
daß ihm ſein hoͤchſter Zweck mislingen werde.
§. 556. Es iſt aͤuſſerſt wichtig, daß ſich
der Staatswirth mit tuͤchtigen hohen Schu-
len verſehe, auf welchen beſtaͤndig fort Maͤn-
ner erzogen werden, die er zu allen Faͤchern
ſeiner Bedienungen brauchen kann, und da iſt
gewiß keine Fakultaͤt nuͤzlicher, als naͤchſt der
juriſtiſchen die kameraliſtiſche. Leztere iſt dem
ungeachtet noch von ausgebreiteterem Nuzen,
als die erſtere, weilen ſie auſſer der Juſtiz und
Sder
[274]Staatshaushaltung
der eigentlichen Staatskunde alles in ſich be-
greift, was zur Landesregierung und zur
Erwerbung der Befriedigungsmittel gehoͤrt .
§. 557. Die Beſezung der hohen Schu-
len erfordert einen gelehrten Vorſtand, der
faͤhig iſt, Maͤnner von Genie und mit reifer
Thaͤtigkeit ausgeruͤſtet, zu waͤhlen und aus-
zuſuchen. Dieſe muß der Fuͤrſt ordentlich
beſolden und begnadigen, damit er ſie ha-
ben koͤnne, und ſie willig dem Berufe folgen
moͤgen. Auch muß den Lehrern die Juris-
diktion uͤber ihre Studenten zugeſtanden wer-
den, damit ſie nach ihrer beſten Einſicht die
Studien leiten und zum erwuͤnſchten Zwecke
fuͤhren koͤnnen. Aus dieſen Pflanzgaͤrten der
Weisheit kann der Fuͤrſt ſeine Bedienten
nehmen, und ſie von den geringſten zu den
ſchwereſten Aemtern aufruͤcken laſſen.
§. 558. Sowohl die aͤuſſere Vertheidigung
des Staates, als der innere Schuz und Ruhe
deſſelben erfodert einen Wehrſtand, einen
Kriegsſtaat. Fuͤrſten, deren Staaten nicht
ſtark
[275]Staatshaushaltung
ſtark genug ſind, ſich gegen jede Gewalt zu
ſchuͤzen, ſollen ſich durch Buͤndniſſe mit maͤch-
tigern Staaten in Sicherheit ſtellen, und de-
rowegen in Friedenszeiten nicht mehr Sol-
daten halten, als zur Sicherheit der Fuͤrſtli-
chen Perſonen und des Staates noͤthig iſt.
Bei Kriegszeiten aber muß die Anzahl, wel-
che der Fuͤrſt zur Armee abzugeben hat, neu
geworben, dieſe als unverſuchte und noch nicht
geſchickte Leute muͤſſen im Staate ſelber ange-
fuͤhrt, an deren Stelle aber aus den geuͤbten
Kriegsvoͤlkern das Kontingent geſtellt werden.
§. 559. Der Kriegsſtaat erfodert ein be-
ſonderes Kriegsdirektorium, welches entwe-
der unmittelbar vom Kabinet oder auch von
der Konferenz abhangen kann. Erſteres iſt
vielleicht das beſte, doch nachdem die Staats-
verfaſſung eingerichtet iſt. Der Kriegsſtand
muß aus den Landesſteuern erhalten und be-
ſoldet werden.
§. 560. Zu Friedenszeiten ſowohl als in
Kriegeslaͤuften ſind Maͤnner noͤthig, welche
auf das Verhaͤltniß wachen, das der Staat
mit andern Staaten hat. Es koͤnnen an an-
dern Hoͤfen allerhand Maasregeln genommen
S 2wer-
[276]Staatshaushaltung
werden, die einem Fuͤrſten und ſeinen Laͤn-
dern entweder hoͤchſt nachtheilig, oder hoͤchſt
nuͤzlich ſind: in beiden Faͤllen iſt Wachſam-
keit noͤthig, um uͤberall zum Nuzen des Staates
mitzuwirken.
§. 561. Dieſes wird durch ein Kollegium,
oder wenn der Staat nicht gar gros iſt, durch
einen Miniſter der auslaͤndiſchen Sachen be-
ſorgt. Desgleichen werden ordentliche, auſſer-
ordentliche Geſandten und Sachwalter ab-
geſchickt, die entweder ſich beſtaͤndig an einem
fremden Hofe aufhalten, oder nur ihre Geſchaͤf-
te ausrichten, und alsdann wieder abziehen.
Zu allen dieſen Aemtern werden vornemlich
weiſe und erfahrne Staatsmaͤnner erfodert.
§. 562. Wenn nun auf ſolche Weiſe die
aͤuſſere und innere Staatsbeduͤrfniſſe befrie-
diget ſind, ſo muͤſſen auch die fuͤrſtlichen be-
friediget werden. Dazu gehoͤrt nun ein ſtan-
desmaͤſiger Hofſtaat, Wohnung und Unter-
halt. Bei dem Hofſtaate muß darauf geſe-
hen werden, daß zwar genugſame Bedienten,
aber keine uͤberfluͤſigen gehalten werden, und
daß durch wachſame Aufſicht der Hofmar-
ſchaͤlle und Hofmeiſter ein jeder ſeiner Pflicht
Genuͤge thue.
§. 563.
[277]Staatshaushaltung
§. 563. Wenn der Fuͤrſt vom Baugeiſte
regiert wird, ſo kann er dadurch ſeinem Staate
unſaͤglichen Schaden thun. Wenn er ſeine
Pallaͤſte und Schloͤſſer immer unter genauer
Aufſicht haͤlt, und nichts verfallen laͤßt, ſo
handelt er wirthſchaftlich, und wird nie groſ-
ſe Summen aufs Bauen zu verwenden haben.
§. 564. Ueber alles aber iſt die beſte Er-
ziehung der fuͤrſtlichen Kinder ein hohes Be-
duͤrfniß, und dazu muͤſſen gewiſſenhafte
Maͤnner gebraucht werden, welche den noͤ-
thigen Unterricht auf die beſte Weiſe ertheilen,
damit ſolche Kinder nicht durch Schmeichelei
verdorben, und zwar zur Erkaͤntniß ihres
hohen Standes, aber nicht zur Erkaͤnntniß
ihrer hohen Pflichten geleitet werden.
§. 565. Die Quellen der fuͤrſtlichen Einkuͤnf-
te muß der Fuͤrſt durch geſchickte Maͤnner bedie-
nen laſſen. Und den Ueberſchuß der Einkuͤnfte
aus denſelben, den reinen Ertrag, muß er zur
Verbeſſerung und Vermehrung derſelben an-
wenden, damit ſeiñe Nachfolger ebenfalls ge-
nugſamen und anſtaͤndigen Unterhalt finden
moͤgen.
S 3§. 566
[278]Staatshaushaltung
§. 566. Eben ſo muß er den reinen Ertrag
der Staatscaſſa dem Staat rentbar machen.
Dieſes geſchieht, wenn er die Gewerbe er-
leichtert, verbeſſert und beſonders durch gu-
te Landſtraſſen, nuͤzliche publique Anſtalten,
die wiederum Einkuͤnfte abwerfen koͤnnen,
Waſſerbau, Waſſerleitungen, Bruͤcken- und
Schleuſſenbau, Kanaͤle, Urbarmachung oͤder
Gegenden und dergleichen, zum allgemeinen
Nuzen wirkſam iſt.
§. 567. Endlich muß der Fuͤrſt auch ei-
nen Vorrath an Geld auf den Nothfall zu-
ruͤck halten, weil nicht immer in der Ge-
ſchwindigkeit, die erfordert wird, das Geld
aus dem Staate gehoben werden kann.
§. 568. Ein Vatter des Vatterlandes,
ein weiſer, kluger, frommer und wohlthaͤti-
ger Fuͤrſt, wird allemal Mittel und Wege ge-
nug finden und aufzuraͤumen wiſſen, wodurch
er ſich und ſeinen Staat gluͤcklich machen kann.
Jn jener Welt, wo die andere Waagſchale
haͤngt, die mit dieſer, worinnen unſere Hand-
lungen liegen, immer in gleichem Verhaͤlt-
niſſe ſteht, wird der fromme Fuͤrſt eben ſo vor-
zuͤglich belohnt und erhoben werden, als der
boͤſe
[279]Staatshaushaltung
boͤſe Fuͤrſt, den man gewogen und zu leicht
gefunden hat, ſeiner vorzuͤglichen Strafen
kein Ende ſehen wird.
Ruckblick aufs Ganze.
Dieſer Entwurf enthaͤlt die Gedankenrei-
he, alle die an einander geketteten Vorſtellun-
gen, die ich mir bei dem Antritte meines Amtes
von den Kameralwiſſenſchaften machte. Und
ſo wie ich die Sachen dachte und empfand,
ſo habe ich ſie niedergeſchrieben und dieſen
Winter uͤber meinen Zuhoͤrern erklaͤrt. Jch
habe weder bei dem Schreiben noch Erklaͤren
mich fremder Huͤlfe bedienen wollen, weil
ich dieſen Verſuch, was die Lehrſaͤze betrift,
weder fuͤr unzweifelbare Wahrheiten, die
nicht zu verbeſſern waͤren, auszugeben wil-
lens bin, ſondern es war mir nur um ein
Lehrgebaͤud, oder beſſer um einen Grund-
riß zu thun, auf den ich mein kuͤnftiges Ge-
baͤud aufzurichten gedenke. Die Abſchnitte,
Hauptſtuͤcke und Paragraphen dieſes Buches
ſehe ich gleichſam als ſo viel leere Faͤcher an,
wovon der Jnnhalt nur die Aufſchrift iſt, und
in welche ich nun fremde und eigene, mit
groͤſter
[280]Staatshaushaltung
groͤſter Strenge, Wahrheitsliebe und Unpar-
theilichkeit gepruͤfte Erfahrungen hineintra-
gen, und ſolchergeſtalt, wills Gott! tuͤchti-
ge Lehr- und Leſebuͤcher fuͤr meine Zuhoͤrer
und Leſer verfaſſen will; und ſo wie das ge-
ſchehen wird, will ich auch hier in dieſem
Werk aͤndern, ab- und zuthun, bis es end-
lich kein Verſuch mehr, ſondern eine wahre
Grundlehre ſaͤmtlicher Kameralwiſſenſchaften
heiſſen kann.
Sie, meine Herren! edle Juͤnglinge! die
Sie ſich meiner Fuͤhrung anvertraut haben,
entlaſſe ich fuͤr diesmal, mit der wohlgemein-
ten treuen Bitte, nun erſt mit mir von vor-
nen anzufangen, um mit Feuer und Kraft
auf dieſen Grundwahrheiten zu bauen, die
Jhnen, ihren Fuͤrſten, ihren Staaten und
uͤberhaupt dem ganzen deutſchen Vatterlande
eine unverſiegbare Quelle wahrer Gluͤckſeelig-
keit werden koͤnnen. Dieſer rechtſchaffene
Vorſaz, wenn er wohl ausgefuͤhrt wird, wird
uns alle ſauere Tritte dieſes Lebens verſuͤſſen;
und uns in der Todesſtunde den Troſt einer
ewigen Belohnung gewaͤhren. Dieſes allein
ſei uns Reiz genug, wahre Kameraliſten
[[281]][[282]][[283]][[284]][[285]]
der Name waͤr’ gerecht, und der Sache
angemeſſen geweſen, allein die Vermeh-
rung der Namen iſt heut zu Tage verhaßt.
Thier und Menſch. Das Thier befrie-
digt nur die weſentlichen Beduͤrfniſſe,
von Ausbreitung, Erhoͤhung der Exi-
ſtenz weiß es nichts.
uͤber das Univerſum vom Hr. Statthal-
ter von Dahlberg.
phi-
[15]Allgemeine Produkten-Lehre
philoſophiſchen Syſtem behelfen, das
wir haben, bis wir ein beſſers bekom-
men. Schoͤn iſt es, was Herr Rath
Baader zu Muͤnchen uͤber das Studi-
um der Philoſophie geſagt hat. S. deſ-
ſen Rede am Namensfeſte unſers Durch-
lauchtigſten Kurfuͤrſten vom Jahre 1778.
§hen alle einzelne und geſellſchaftliche,
auch die Liebeswerke immer mit unter
den weſentlichen und erhoͤhenden Be-
duͤrfniſſen verſtanden habe.
empfaͤngt; gibt ab, iſt ein allgemei-
ner Terminus, ein jeder kann ſeine
Nahrungsquelle naͤher beſtimmen, er
kann ſagen: mein Ackerbau, mein Hand-
werk, meine Handlung u. ſ. w. ſo wie es
einen am beßten duͤnkt.
den Vorwurf verwahren, den man mir
gegen meine Geſchichten der Erfindung
in der Landwirthſchaftkunſt, Handlung-
und Staatswirthſchaft machen koͤnnte,
heilige und profan Geſchichte ſez’ ich
hier beiſeit, und folge nur dem moͤg-
Dlichen
[50]Allgemeine
lichen Gange der Natur, welches mir
fuͤr dismal genug iſt.
Landwirthſchaft von allen Laͤndern ſeyn?
und wie ſehr wuͤrde uns der Gang des
menſchlichen Geiſtes in den Erfahrungen
derſelben ergoͤzen und belehren.
laſſen; man kann ſich dieſelbe hinzuden-
ken, ſie iſt Erwerber mit, und ihr kom-
men eben die Eigenſchaften desſelben
in ihrem Fache zu.
ſaͤze der Landwirthſchaft, und ſobald
ich dieſelben herausgebe: ſo werd’ ich
ihn nach beßtem Vermoͤgen naͤher beſtim-
men.
des Wildes ſein Fahrzeug erfand, iſt
eine groſe Frage: daran liegt aber nichts,
genug, ich zeige nur einen moͤglichen
Gang der Erfindung.
auf ihre Soͤhne wohl merken. Mancher
Predigersſohn ſchickte ſich beſſer zum
Handwerksmanne, und der Sohn ei-
nes Arztes zum Pfluge, als zu ſeines
Vatters Geſchaͤfte. Wann wird das
elende Vorurtheil des Standes zum
Abgrunde verdammt werden?
lein
[137]Handlungswiſſenſchaft
lein die wahre Geſchichte der fruͤhen
Menſchheit beweißt es fuͤr mich.
auch zu dieſer Klaſſe.
merkwuͤrdigen Beiſpielen ausgezogen,
und zu Heiſcheſaͤzen umgeordnet. Beim
Hauſiren wird mancher Juͤngling mit
gepudertem hohem Toupee die Naſe ruͤm-
pfen, allein, wer das thut, der iſt nicht
geſchickt des Vatterlandes Vatter zu
werden.
dem Leſer auffallen. Allein weil ich
durchs Gewerb alle Bemuͤhung verſtehe,
die man anwendet, um Beduͤrfniſſe zu
befriedigen: ſo iſt ja ausgemacht, daß
alle Staatsbeſchaͤftigungen Gewerbe
ſind. Ein jeder nenne die Sache wie
er will. Dieſes wird keine Verwirrung
machen.
der Vertheidiger der Guͤte der Menſch-
heit bei dieſem wahrhaften Erfahrungs-
ſaze fuͤhlen?
eine kritiſche Frage. Zwiſchen Guſtav
Waſa und Pizarra ſind viele Stuffen
des Rechtes und Unrechtes.
zugleich ein Rechtsgelehrter ſei, und
ihm zugleich die Entſcheidung ſeiner
Rechtsfaͤlle angewieſen iſt.
darf gar keines Beweiſes. Der Flor,
welchen er im Staate hervorbringt, iſt
eine wahre Fieberhize, und keine Ge-
ſundheit.
ſenſchaft die eigentliche Kameralwiſſen-
ſchaften.
gewiſſe beſtimmte Taͤge eingeſchraͤnkt
ſind, ungemeſſene im Gegentheile.
Dohm in einem Hefte des 1778ſten
Jahres im Deutſchen Muſeum dagegen
geſagt hat.
Projekte, wenn ihre Wahrheit, und die
Moͤglichkeit ihrer Ausfuͤhrung nicht be-
ſtritten werden kann, ſo ſind ſie noͤthig.
her durchgedacht, gewiß richtig, und
das beßte, nur die Ausfuͤhrung iſt ſchwer
und ſehr langſam ins Werk zu richten.
eckelhafte Vorſchlaͤge zur Bevoͤlkerung
ſind nicht einmal Nennens, vielweniger
Schreibens werth.
Charakter und ſchlechte Weltkaͤnntniß,
wenn er gegen hoͤfliche und billige Po-
lizeiunterſuchungen murret.
ne andere Frage.
Caffee, und man mache ihn zur Contre-
bande, ſo wird man den Erfolg ſehen.
Projektmachen nicht abgeben, auſer wo
ſichtbare Maͤngel ſind, und das Pro-
jekt ſeinen ſichtbaren Werth hat.
ten ein Theil der Beſoldung Titel iſt.
Denn wenn die Beſoldung dem Titel
nicht angemeſſen iſt, und der Beamte
ſich doch ſtandesmaͤſig auffuͤhren will, ſo
muß er ausſaugen.
dieſer Saz partheiiſch vorkommen, aber
die Wahrheit der Sache redet fuͤr mich.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften. Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnh1.0