bürgerliche Verbesserung
der Weiber
in der Voſsischen Buchhandlung
I.
Formale und Materiale der
gegenwärtigen Schrift.
Man sagt: der strengste Beweis der Wahr-
heit sei, wenn gewisse Dinge jeder Bemühung
sie lächerlich zu machen und zu travestiren,
widerstehen, und wenn sie trotz allem Lächer-
lichen, womit wir sie behängen, doch ehr-
würdig bleiben. Wenn die krumme Linie die
Schönheits-Linie ist; so wird man es schwer-
lich bedenklich finden, dem Lachen die Schlüs-
sel zum Himmelreiche der Wahrheit anzuver-
trauen. Ein miſslicher Umstand! der mich
bei der gegenwärtigen Schrift in eine nicht
geringe Verlegenheit verwickelt, da ich einen
Gegenstand vorhabe, worin bei weitem der
gröſste Theil des Ernsthaften mit dem Lächer-
A
[2] lichen, nicht von Anbeginn und von Natur,
sondern durch Verjährung, so im Gemenge
liegt, daſs hierbei nicht so leicht ein Divisions-
Exempel auf eine Auseinandersetzung gewagt
werden kann. Wenn ein Ritter von ächtlusti-
ger Gestalt den Kampf beginnt — wer und
was kann vor ihm bestehen? welche Festung
von System und Dogmatik sich halten? So-
krates, der Weiseste, nicht unter den Königen,
sondern unter den Weisen, dieser Erzkern in
einer häſslichen Schale, dieser (wiewohl nicht
mit sonderlichem Geschmacke gekleidete) En-
gel unter den Menschen, ward in den Wolken
zur Farce; und welch ein Autor kann auf ei-
nen heitern Recensenten- und Leser-Himmel
sicher rechnen? — Selten gab es einen, der
nicht aus dem Regen unter die Traufe gerieth,
und noch nie ging ein Licht in der Welt auf,
ohne seinen Aristophanes zu finden, der es,
mir nichts, dir nichts, geradezu ausblies, oder
— unter dem Scheine des Rechts, als wollt’
er es schneutzen — es neckte und verdunkelte.
Fast scheint auf diese Weise das Lächerliche
das tägliche Brodt der Menschen zu seyn, und
[3] man wird sich ohne Zweifel am besten be-
finden, wenn man in Züchten und Ehren mit-
lacht, oder seine Schrift, des Bildes und der
Überschrift des Ernstes ungeachtet, zu einem
Tone stimmt, der nicht ernsthafte Blöſsen (die
lächerlichsten von allen) giebt. — »Ihr wer-
»det lange nicht so viel über mich weinen,
»wie ihr über mich gelacht habt,» sagte Scar-
ron, der Ehevorfahr Ludwigs des XIV., zu
denen, die sein Sterbelager umringten und
weinten. Diese Vorstellung war im Stande,
ihn im Sterben aufzuheitern — und warum
auch nicht? — Jetzt, da selbst die heilige
Moral nicht mehr im Klosteranzuge ihr Glück
machen kann und will, vielmehr fröhlich und
guter Dinge einhertritt, und die Becher, welche
sie mit ihrem herzerfreuenden Wein anfüllet,
zu bekränzen gebeut; jetzt, da sogar jede wi-
derliche Auſsenseite des Menschen eher seines
Herzens Härtigkeit als dessen Reinheit zu ver-
rathen scheint: jetzt ist Fröhlichkeit ein le-
bensartiges Ingredienz geworden, und Lachen
und Weinen leben in einer so glücklichen
Ehe, daſs jene philosophischen Gaukler, von
A 2
[4] denen der eine nicht aus dem Lachen und
der andere nicht aus dem Weinen kommen
konnte, schwerlich Professuren auf unsern
Akademieen erhalten würden. Kinder, die der
Natur am nächsten sind, lachen und weinen
über eine und dieselbe Sache, und eine lie-
benswürdige Braut reiſst sich weinend aus den
Armen ihrer verwaiseten Mutter, um in eben
dem Augenblicke sich lachend in die Arme
ihres Vielgeliebten zu stürzen. — Unser Le-
ben ist Ebbe und Fluth, immerwährender
Wechsel von Freude und Leid; und sollten
nicht alle Gegenstände des gemeinen Lebens
Spuren und Eindrücke von der comédie lar-
moyante des verwünschten Schlosses von Pla-
neten zeigen, auf dem uns eine Menschen-
Rolle angewiesen ist? — die schwerste viel-
leicht in Gottes weitem und breitem Weltall!
— vielleicht auch die leichteste, je nachdem
sie gespielt wird. — Aller unvergeſslichen
Bemühungen so mancher edlen Ritter ungeach-
tet, welche die Menschheit und durch sie die
Erde entzaubern wollten, ist das Abentheuer
noch nicht bestanden — O der verdammten
[5] Hexe, der Sünde, die das Verderben so bra-
ver Leute ist! — Wenn wir gleich durch die
Erinnerung des Todes nicht unseres ganzen
Lebens Knechte sind; so sind doch die Ge-
danken an den Tod und an Gott die, welche
uns in jedem Falle zu einem Memento! brin-
gen. Wahrlich! es war Philosophie, wenn
des Königes Xerxes Majestät über sein Heer
sich freute und traurig ward. — Jeder Schmerz
hat seine Wollust; und wie schal ist nicht
das Vergnügen, das nicht durch etwas Bitter-
keit gewürzt wird! Vom Glück ist dem Wei-
sen nur zu träumen erlaubt; das Unglück, als
das gewöhnliche Loos der Menschheit, mit
Fassung zu ertragen, bleibt ihm unabläſsliche
Pflicht: und es giebt in der That überall eine
Mittelstraſse, eine gemäſsigte Fröhlichkeit und
ein Lächeln; das bei warmen Thränen im Auge
Statt finden kann. Alle vier und zwanzig Stun-
den giebt es Nacht und Tag, ein Licht, das
den Tag regiert, und eins, das die Nacht re-
giert. — Noch näher kann ich dieses Exor-
dium legen, wenn ich bemerke, daſs das
schöne Geschlecht, der Natur getreu, die gute
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[6] und vollkommene Gabe von oben herab be-
sitzt, alle seine Bitterkeiten, deren es sich zu
seinen Wehr und Waffen zu bedienen pflegt,
so zu bezuckern, und ihren Ernst, vermittelst
eines ihn lindernden Lächelns, so zu ermäſsi-
gen, daſs ich keinen Augenblick Bedenkzeit
nehmen darf, diesem liebenswürdigen Bei-
spiele zu huldigen und mich der beiden Ge-
sichter des Janus mit patriotischer Freiheit zu
erinnern. Auch scheint die Last, welche das
schöne Geschlecht trägt, einem und bei wei-
tem dem gröſseren Theile desselben so sanft
und sein Joch so leicht zu seyn, daſs es viel-
leicht im Diensthause Egyptens und bei den
Fleischtöpfen eines gemächlichen wirklichen
Alltags-Lebens zu verbleiben wünschen wird,
ohne die beschwerliche Reise nach Kanaan,
wo Milch und Honig der Natur flieſst, antre-
ten zu wollen. Selbst Damen von Bedeutung
scheinen oft nicht zu wissen, daſs sie in ih-
rem Prunk von Purpur und köstlicher Lein-
wand Leid tragen, und daſs ihr Leben in
Herrlichkeit und Freude eine Leibes- und Le-
bensstrafe ist, die man ihnen im heimlichen
[7] Gericht zuerkannt hat. — Wo viel Glanz ist,
da ist wenig Geschmack — so wie gemeiniglich
Bigotterie und Sittenlosigkeit getreue Nachbarn
und desgleichen zu seyn pflegen. Wahrlich!
es ist der höchste Gipfel der Krankheit, wenn
Patienten Fieberhitze für blühende Gesundheit
halten und jede Arznei von der Hand weisen;
und so übersteigt es auch den gewöhnlichen
Grad des menschlichen Verderbens, wenn
Sklaven auf alle Rechte Verzicht thun und
ihre Verfassung auf das gute Glück der Den-
kungsart ihrer Gebieter gründen. — Und wer
ist Schuld an diesem Gerichte der Verstockung?
das andere Geschlecht? wird man diesen Stab
brechen, da selbst der Naturverkündiger Rous-
seau, der alle Welt, und besonders die schö-
nere Hälfte derselben, zur Natur bekehren
wollte, trotz dieser gewaltigen Predigt von
Buſse und Glauben am liebsten mit vorneh-
men Damen umging? Wie konnte seine Ei-
telkeit sich gütlich thun, wenn Standesperso-
nen ihn hervorzogen, ob er gleich über das
Verderben der höheren Stände bei aller Gele-
genheit auſser Athem kam! — — Doch ich
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[8] will dem zweiten Theile dieses Kapitels nicht
vorgreifen. Mag sich meine Schrift in die
Zeit schicken, und von allen Seiten ihr Heil
versuchen — ! Mit der Anrufung der heiligen
Zahl der drei mal drei Schwestern soll sie
sich nicht brüsten, da ein dergleichen Oremus
bloſs poëtischen Arbeiten die Bahn zu brechen
gewohnt ist; aber um alles in der Welt
wünschte ich nicht, daſs ihr die Ehre erwie-
sen würde, die Bibliothek der erlauchten Re-
publik des Plato zu zieren. — Zur Sache.
Als Ludwig den Vierzehnten wegen der
neuen Lasten, die er seinem schon gedrückten
Volke zugedacht hatte, wirklich eine Art von
Gewissens-Schauer anwandelte, fand er in
dem leidigen Troste seines Beichtvaters Tel-
lier, »daſs das Vermögen seiner Unterthanen
sein Eigenthum sei,» ein so sanftes Küssen
für dieses aufgewachte Gewissen, daſs er sich
kein Bedenken gemacht haben würde, die Auf-
lage, die ihn beunruhiget hatte, aus dem Steg-
reife zu verdoppeln; und ohne Zweifel ist die-
ser Köhlerglaube der Grund zu jener Behaup-
tung: ich bin der Staat.
[9]
Die Gewohnheit wird so leicht zur andern
Natur, daſs die Franzosen, welche die Placke-
reien eines Terray, und die Härte eines Mear-
pou ertrugen, sich hinreichend glücklich schätz-
ten, wenn nur ein kleiner, vielleicht der un-
würdigste, Theil die durch die Zehnten der
Wi[tt]wen und die Sparpfennige der Elenden
gefüllten Freudenbecher des Staats in unmäſsi-
gen Zügen leeren konnte, während der an-
dere gröſsere und arbeitende Theil, unter dem
Joche der Willkühr der Despotie und der Dürf-
tigkeit schmachtend, doch noch immer das
Glück hatte, so gut es sich thun lieſs, zu
springen und zu singen, zu hüpfen und zu
pfeifen. — Bei einem so leichten, über Alles
sich wegsetzenden und mit einem Chanson sich
aus aller Noth helfenden Völkchen, war diese
Zuchtruthe, theils mit Peitschen, theils mit Skor-
pionen, um so weniger fühlbar, da es an den
Gallatagen und Staatsfesten der Ausgezeichne-
ten unter ihm, durch ein Freibillet vermittelst
der Augen Theil nahm — und dieses Völkchen
lernte es je länger je mehr ertragen, daſs jene
den Freudenkelch für sich allein behielten und
A 5
[10] es für sie alle thaten. Die Brocken, die etwa
dem Künstler und der Putzmacherin von den
Tischen dieser reichen Männer fielen — wa-
ren ihnen eine Segenserndte, und die Hunde
der Groſsen leckten ihnen ihre Schwären —
Dies Jammer und Elend ist kommen zu einem
seligen End, und Laternenpfähle scheinen über
Frankreich das Licht der Natur und einer
Gleichheit aller Menschen so stark verbreitet
zu haben, daſs man vor lauter Licht das Licht
zuweilen nicht zu erblicken scheint. Es giebt
Menschen, die den Wald nicht vor den Bäumen
sehen, und gar zu hell macht dunkel: auch giebt
es moralische Blendlinge, die das Glück oder
Unglück haben, da etwas flittern zu sehen, wo
das gesunde Auge des Verstandes nichts wahr-
nimmt. Wie wär’ es, wenn ich ohne Feldge-
schrei und Sturmglocke, wie weiland Dioge-
nes, laternisirte und mit einer Handleuchte in
der schönen Welt, wo so viel Überfluſs von
tausend und abermal tausend Dingen für Geld
oder für gute Worte zu haben ist — Men-
schen suchte? — Ob ich finden würde? —
Einige Auflösungen sind mit Brausen verbun-
[11] den; bei einigen entstehet eine Hitze, bei ei-
nigen eine Kälte. — Daſs Ew. Excellenz sich
nur ja nicht ereifern, vielmehr Hochdero Galle
für Ihren ungetreuen Liebhaber Num. 30. be-
sparen! — Eine Schwalbe macht keinen Som-
mer, und meine Laterne ist mit einem Hauch
Ihres Eifers ausgeblasen. Wollten Ew. Excel-
lenz in aller Zucht und Ehrbarkeit Sich in ei-
nen wohlgemeinten Wortwechsel mit mir ein-
zulassen geruhen; Sie würden, wie ich nach
der Isiebe hoffe, Sich eines andern besinnen,
und vielleicht überzeugt werden, daſs ich we-
niger Vorwürfe verdiene, als alle Ihre Liebha-
ber bis auf den sub Num. 30., der es freilich
auſser der Weise macht, woran indeſs ich
und meine Schrift auch nicht auf die ent-
ferntste Weise Schuld sind — Bin ich gleich
kein galanter, so bin ich doch ein treuer Ver-
ehrer eines Geschlechtes, unter welchem Sie
und viele andere Ihres Gleichen so unrichtig
Excellenz heiſsen, wogegen andere trefliche
Weiber, welche diesen Ehrennamen zehnfach
verdienen, aus Hof-Etiquette nicht so genannt
werden.
[12]
Keinem anderen als einem Deutschen konn-
te wohl ein solches Buch einfallen!
Auch unter den Franzosen gab es Sonder-
linge, die, wenn sie gleich freilich nicht mit
der Thür ins Haus fielen, und an keine bür-
gerliche Verbesserung des schönen Geschlech-
tes dachten, ihm doch ein anderes Verhältniſs
anwiesen. Ich habe geglaubt, man müsse
dem Übel die Wurzel nehmen und den Staat
nicht aus dem Spiele lassen.
Frankreich, wo jetzt alles gleich ist, lieſs
unser Geschlecht unangetastet.
Unverzeihlich! wie konnte ein Volk, das
(wie weiland Voltaire par et pour die Komö-
dianten lebte) par et pour das schöne Ge-
schlecht existirt bei der weltgepriesenen allge-
meinen Gleichheit ein Geschlecht vernachlässi-
gen, das eine Königin hat, derengleichen es
gewiſs wenige in der Welt gab. —
Wenn ich nur selbst wüſste, wie ich mich
hier ins Mittel legen könnte, um aus diesem
excellenten Handel mit Ehren herauszukom-
men! — Wohlan! ich will den gegenwärti-
gen Weltlauf der Damen copiren, die in Ei-
[13] nem Athem trotzen und bitten, fluchen und
segnen — —
Vielleicht war das menschliche Geschlecht
bloſs darum so vielem Wechsel von Licht und
Finsterniſs, von Veredlung und Herabwürdi-
gung, von Paradies und Fall ausgesetzt, weil
man die Rechnung ohne die schröne Welt
machte. Es ebbte und fluthete, je nachdem
man von dieser andern Hälfte Notiz nahm und
je nachdem man sie als etwas Wesentliches
in der Menschheit oder als etwas Beiläufiges
ansah, das schon die Ehre haben würde, der
Principalsache zu folgen. Man sah das schö-
ne Geschlecht, wie den Reim, kaum für etwas
mehr, als für eine Krücke an, wodurch sich
der Gedanke forthilft; und bei Messiaden und
andern Werken der Dichtkunst, wo man ohne
Krücken ging — muſste das andere Geschlecht
sich gefallen lassen, zu kurz zu kommen. Je-
ner Römische Rechtsspruch: Mit dem Rechts-
maſs, mit dem man Andere miſst, muſs man
sich selbst messen; schien hier völlig seine
Kraft verloren zu haben, wenn er gleich zu
jenen ins Herz geschriebenen gehört, die zu
[14] übertreten eine Sünde wider den heiligen
Geist ist. — Wie ist ein Stoff zu organisiren,
wenn es nicht auf die Vereinfachung des Viel-
fachen angelegt wird? Wie ist dem mensch-
lichen Geschlechte zu rathen und zu helfen,
wenn man so entsetzlich einseitig verfährt?
Der Himmel der alten Welt hatte seine Göt-
tinnen so gut wie seine Götter; nur unter den
Menschen soll es keine anderen Götter geben
neben den Männern von [Gottes] Gnaden! —
Ist es ein Seelenfest, wenn entfernte, einander
völlig fremd gewordene Gegenstände in der
Geisterwelt sich zusammen finden; wenn sich
oft das Allerverschiedenste in einem Berüh-
rungspunkte des Denkens trifft, wo seine ur-
sprüngliche Verwandtschaft wieder einleuch-
tend wird; wenn sich dergleichen von einan-
der abgekommene Gegenstände Hände und
Trauringe geben und eine Himmelsstimme sich
hören läſst: was Gott zusammen fügt, soll der
Mensch nicht scheiden; ist es unaussprechliche
Wonne, wenn Freunde nach langen See- und
Landreisen sich wieder an Stell’ und Ort um-
armen und sich an die paradiesischen Jahre
[15] ihrer Jugend erinnern, wo sie Ein Herz und
Eine Seele waren: wie weit herrlicher wird
es seyn, wenn das andere Geschlecht sich
wieder zu dem unsrigen verhält, wie Eva zu
Adam, und nicht wie Ew. Excellenz zu Num.
30! — Laſst uns dies Werk der Zeit über-
lassen, die bisweilen aus unbegreiflicher Güte
Combinationen zusammen bringt, auf welche,
nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge, we-
der zu rechnen, noch Jagd zu machen war —
Laſst uns auf den Zeitpunkt uns freuen, wo
der Tag der Erlösung für das schöne Ge-
schlecht anbrechen wird, wenn man Men-
schen, die zu gleichen Rechten berufen sind,
nicht mehr in der Ausübung derselben behin-
dert — und wenn man das, was so augen-
scheinlich gleich ist, nicht so willkührlich
unterscheidet. — Ich würd’ ein Frauenknecht
in bester Form seyn, wenn ich behaupten
wollte, daſs diese goldene Zeit vom Himmel
fallen werde. Verdienst und Würdigkeit sind
die Bedingungen menschlicher Glückseligkeit,
und der Mensch, sein eigener Bildner, kann
aus dem Marmorwürfel, den die Natur ihm
[16] zuwarf, einen Gott und ein Thier machen —
nach Belieben. Bloſs auf die Behauptung
schränk’ ich mich ein, daſs der Stoff, woraus
eine Venus ward, sich eben so gut zu einem
Merkur verarbeiten läſst; daſs den Weibern
das Recht der Gerade gebührt; und daſs, wenn
die Natur das menschliche Geschlecht zu
schaffen anfing, sie den gröſseren Theil uns
selbst überlieſs; um die Ehre der Schöpfung
mit uns zu theilen. Thätigkeit ist die Würze
des Genusses, und Genuſs die Würze der
Thätigkeit. — Es ist dem Menschen ange-
boren, sagt Cicero (mit andern Worten), daſs,
wenn er sich Gott denkt, die menschliche Na-
tur vor ihm schwebt. — Man definire den
Menschen, wie weiland der göttliche Plato,
als ein zweifüſsiges Thier ohne Federn, oder
als ein Geschöpf, das sich wie ein Tanzmei-
ster gerade hält, als Gott, als Thier: nirgends
sind Weiber ausgeschlossen; nur müssen sie
auch nicht sich selbst ausschlieſsen — und
wollen und werden sie das? Wesley, der Stif-
ter des Methodismus, hatte die Maxime, daſs es
ohne Fasten und Frühaufstehen unmöglich sei,
in
[17] in der Gnade zu wachsen — Was gilt das be-
ste Recht, wenn man sich desselben unwürdig
macht! Das fräuliche Geschlecht soll in der
Gerechtigkeit, und nicht in der Gnade, wach-
sen; indeſs kann ich ihm kein anderes als dies
Methodisten-Recept verschreiben: Wachsamkeit
und Enthaltsamkeit — Welch ein Fürst, und
wär’ es der reichste und mächtigste, ist glück-
lich ohne persönliches Verdienst —? Thomas
Payne, der den Vorwurf, ein Fürstenfeind zu
seyn, höchlich von sich ablehnt, und protesti-
rend versichert, daſs Niemand treuer als Er
wünschen könne, die regierenden Herren zu
der glücklichen Lage der Privatmänner zu er-
heben, bedachte nicht, daſs jeder Fürst nicht
nur ein politisches, sondern auch ein Privat-
leben führt — daſs Fürsten mehr persönliche
Verdienste zeigen müssen, als andere, wenn
sie geliebt und bewundert werden wollen, und
daſs sie Fürsten bleiben und doch sich per-
sönlich auszeichnen können. Das ist, mit Ewr.
Excellenz gnädiger Erlaubniſs, der Fall mit
Ihrem Geschlechte. — Quand le bon ton
paroît, la bon sens se retire. — —
B
[18]
Eine Gardefou, eine Warnungstafel, den
Blöden zum Besten: daſs ich hier mit keiner
wirklichen Excellenz wirklich colloquirt habe;
denn auſserdem, daſs ich alsdann gewiſs we-
niger zum Wort gekommen wäre, würd’ ich
auch meine wenigeren Worte unschwer zu
verzuckern nicht ermangelt haben. — Wenn
der Künstler auf bloſse Portraite eingeschränkt
ist und keine Ideale mehr wagen darf, so
agonisirt seine Kunst, und auch sein Genie
liegt in den letzten Zügen; doch muſs man
in seinen Idealen eine auserlesene Sammlung
von Portraiten finden, falls sie den Namen
Ideale verdienen sollen. In einer Venus lag
ein Extrakt von fünfhundert schönen Mädchen
— Meine Excellenz ist in der Ideenwelt; sie
wird indeſs hoffentlich kenntlich genug geblie-
ben seyn, und man kann ihren Widerschein
gewiſs mehr als fünfhundert mal finden. Die
eigentliche Absicht war, vermittelst dieses ma-
gischen Spiegels mein Müthlein an der gefäl-
ligen Ungerechtigkeit zu kühlen, die unser
Geschlecht dem schönen beweiset — ohne
daſs das letztere es dazu anlegen will, sich
[19] von seinen Königen zu befreien, wie weiland
Rom, nachdem der stolze Tarquin wegen sei-
ner Tyrannei vom Throne gestoſsen und diese
Handlung mit dem Grundgesetze bezeichnet
ward: die königliche Regierung auf immer
und ewig abzustellen. Sehr viel mehr als ein
Balken-Königreich, das man aus einer alten
Fabel kennt, war und ist unsere Herrschaft
doch nicht — und es giebt ein moralisches
Nestelknüpfen, kraft dessen (zum wahren
Glück des Ganzen) nur wenige Männer zur
eigentlichen Herrschaft gelangen. — Damit
ich indeſs dieses erste Kapitel, welches einer
Parlements- oder gar National-Versammlungs-
Rede nicht unähnlich ist, einlenke, so glaub’
ich, dem Buche über die Ehe, diesem belob-
ten und betadelten Ehe-Katechismus, mit dem
ich es weder halten noch verderben mag,
nicht zu nahe zu treten, wenn ich zur Zerstö-
rung der galanten Bastillen, der häuslichen
Zwinger und bürgerlichen Verlieſse, worin
sich das schöne Geschlecht befindet, mit ei-
nem einzigen Operations-Plan Markt halte,
und die bürgerliche Verbesserung der Weiber
B 2
[20]als ein diensames Mittel diesen Zweck zu be-
schleichen, empfehle, anbei aber glaubensvoll
versichere, daſs dieser weniger im Schweiſs
des Angesichts zu erringende, als so zu erhal-
tende Stand im Staate, beiden Hemisphären
des menschlichen Geschlechtes heilsam seyn
werde, zeitlich und ewiglich. — Ruhig und
überzeugend gehet die Vernunft, und nur da,
wo man sie mit ungleichen Waffen unrühm-
lich bekämpfen will, wo das Vorurtheil den
Handschuh wirft, und Gewalt ihr den Weg
vertritt, pflegt auch sie ihren eigentlichen
wohlüberdachten Plan aufzugeben, und ihm
einen andern unterzulegen, wodurch nicht das
Bessere befördert, sondern Schlechtes mit
Schlechterem verwechselt wird: etwas Blindes
mit etwas Lahmen; man verändert, ohne zu
verbessern. Ein untrügliches Merkmahl aller
Schwachköpfe, vom Thron bis auf den letzten
Officianten-Sessel. — Es gab, Gottlob! von je
her Weiber, und es giebt ihrer noch, denen
ihr Stand der Erniedrigung eine zu starke
Probe ist; Weiberköpfe, die nicht ihre Weib-
lichkeit, sondern die willkührliche Behandlung
[21] derselben von Seiten unseres Geschlechtes be-
seufzten, und die ihrer Erlösung entgegen sa-
hen — meine Schrift soll ihnen keine Heer-
führerdienste leisten. — Man kann durch
Lehren lernen, und durch Gehorchen sich
im Befehlen unterrichten. Ich leg’ es so we-
nig darauf an, das andere Geschlecht Knall
und Fall von seiner Sklaverei zu befreien,
daſs ich mich vielmehr begnüge es aufzumun-
tern, diese Erlösung zu verdienen. Des Him-
mels würdig werden, heiſst nicht viel weniger,
als ein activer Himmelsbürger seyn. — —
Findet auch selbst diese bescheidene Absicht
steinichte Äcker und steinerne Herzen — im-
merhin! — es ist ja nichts weiter als ein
Buch, das ich verbreche; wahrlich eine Klei-
nigkeit. Wirkte je eins? auf frischer That?
an Stell’ und Ort? u. s. w. Erfahrungen, Em-
pfindungen solcher positiven Übel, welche der
menschlichen Natur widersprechen, wirken;
und wenn gleich die Mehrheit der Hände viel-
fältig entschieden hat, und noch entscheiden
kann, so gilt doch dieser Vorzug der Thater
nicht von der Pluralität der Leser, die sich zu
B 3
[22] Denkern etwa wie Eins zu Hundert verhalten.
Und du lieber Gott! selbst die Denker! sind
sie nicht eine so unsichtbare Kirche, daſs nur
der Herr die Seinen kennet? Wahrlich! es
hat auf die Wirkung keinen Einfluſs, ob ein
Buch zehn, fünf oder nur Eine Auflage erlebt;
und der Autor, der nach der Anzahl der ver-
kauften Exemplare ein angeworbenes Heer mit
ihm gleich denkender Menschen, die vermit-
telst seines Buches Handgeld genommen, be-
rechnen will, scheint weder Bücher noch
Menschen zu kennen — man muſs ihn in
die Schule schicken. Einer jeden Schrift, sie
sey weſs Standes oder Ehren sie wolle, stehet
das gewöhnliche Schicksal aller Schriften be-
vor: gelesen und vergessen zu werden; falls
sie sich bloſs auf Meinungen einschränkt (die
unschädlichsten, unwirksamsten Dinge in der
Welt, wenn anders der Censor ihnen nicht
einen Schein von Bedeutung beizulegen die
ungütige Güte hat.) — Gelingt es mir indeſs,
Leben und Erfahrung in mein Büchlein zu
legen und einen Geist in die todten Buchsta-
ben zu hauchen; so werd’ ich wenigstens auf
[23] einen Theil der Ehre rechnen können, welche
sich der mündliche Vortrag gegen den schrift-
lichen herausnimmt, indem es von ihm heiſst:
der Glaube kommt durch die Predigt. —
Bei solchen Umständen ist mein Zweck
freilich eine Reise um die Welt, ohne daſs
ich mein Zimmer verlasse. Ob dies gerade
die gemächlichste Art zu reisen sei, mag un-
entschieden bleiben; die unfruchtbarste ist sie
wenigstens nicht. Newton maſs in seinem
Lehnsessel die Erde, und bestimmte, ohne den
Chimborasso bestiegen und in Tornea gefro-
ren zu haben, ihre Figur, Jahre lang früher,
als die Herren Condamine und Maupertuis;
auch bin ich nicht der Erste, der so reiset. —
Wie, wenn ich die gegenwärtige passive
Existenz des schönen Geschlechtes in ihrer
wahren Blöſse zu zeigen glücklich genug wäre,
um den Vorzug verdächtig zu machen, im
Nichtthun stark zu seyn! wenn ich einem ge-
nuſsgierigen Volke, das für den sinnlichen
Luxus oft selbst den moralischen verschwen-
det, indem es für die Nothwendigkeit knickert,
ökonomischere Grundsätze beibrächte, und es
B 4
[24] bewegen könnte, über Leib und Seele Credit
und Debet zu verzeichnen und Buch zu hal-
ten! wenn meine wohlgemeinten Vorstellun-
gen bewirkten, daſs die Weiber nicht in dem
Grade männlich würden, wie die Männer
weiblich, sondern daſs Mann und Weib sich
Mühe gäben, wirklich Mann und Weib zu
seyn, da jetzt, aus verjährter Unordnung, in
Hinsicht der Geschlechter Niemand recht
weiſs, wer Koch oder Kellner ist! wenn ich,
frei von jeder Explosion, bloſs jenes Ziel nä-
ber brächte, welches die Natur in eigner ho-
her Person angewiesen hat! wenn mich das
gewöhnliche Schicksal der Reformatoren nicht
träfe, die Alles auſser der Jahreszeit hervor-
bringen wollen, denen es an Geist und Nach-
druck gebricht, den Zeitpunkt schneller herbe
zu führen, und die, was noch ärger ist, sich
auf die Pulsschläge der Zeit so wenig verste-
hen, daſs sie gemeiniglich zu früh, und,
wenn das Glück gut ist, zu spät zu kommen
die Ehre haben! — Des hoffnungstrunkenen
Schriftstellers! Man hat in unserer Zeit so
sehr die bürgerliche Verbesserung der Juden
[25] empfohlen; sollte ein wirkliches Volk Gottes
(das andere Geschlecht) weniger diese Sorgfalt
verdienen, als das so genannte? — Liegt der
Same der Erbsünde nicht in den Müttern?
und lagen die Verhinderungen einer morali-
schen Verbesserung des menschlichen Ge-
schlechtes — welche Verbesserung die besten
Menschen in der Welt, und unter diesen
Friedrich der Zweite, anfänglich so thä-
tig bezweckten, nachher aber betrübt aufgaben
— nicht vorzüglich darin, daſs man das
schöne Geschlecht in seinen Ruinen lieſs und
diesen Tempel bloſs aus unserm Geschlecht
errichten wollte? Ist es nicht unverzeihlich,
die Hälfte der menschlichen Kräfte ungekannt,
ungeschätzt und ungebraucht schlummern zu
lassen —? Gesellschaft setzt unter den Ver-
bundenen eine Gleichheit voraus, wozu es der
Urheber der Menschen auch angelegt hat, der
die Menschen aufrichtig machte; nur leider!
suchen sie viele Künste. In allen Gesellschaf-
ten, woran Weiber Theil nehmen, verbreitet
sich Anstand; und sollte dies nicht auch der
Fall beim Staate seyn, in dessen Geschäfte
B 5
[26] ein andres Licht und Leben kommen würde,
wenn Weiber den Zutritt hätten, in ihnen ihr
Licht leuchten zu lassen und ihnen einen an-
deren Schwung beizulegen? — Wir haben für
unsere Gesellschaften noch keine Pflichtvor-
schriften; und doch führt man sich hier ohne
Gesetzbuch so exemplarisch, daſs oft Ungezo-
gene, die der Staat aufgab, mit augenschein-
lichem Vortheile in diese Schule gingen, und
aus ihr als gebesserte Menschen zur Universi-
tät des Staates gebracht wurden. — Ich ge-
traue mir (den Gegenbeweis unverschnitten)
auſser Zweifel zu setzen, daſs in allen weib-
lichen Regierungen gewisse feine Züge des
Anstandes aufzuspüren seyn würden, welche
bei einem groſsen Theile der Menschen mehr
bewirken, als ein wohlbestallter Codex voll
kunstgerechter Strafflüche. Dieser süſse Ge-
ruch der Empfehlung, dieses Gewürz des
Wohlgefallens — wie liebenswürdig! Die Ge-
setzgebung der Grossen Katharina der
II. hat davon laute Spuren. — Schon die
Gegenwart der Frau vom Hause, die doch das
Hausrecht gewiſs nicht in aller Strenge hand-
[27] haben kann, macht den Männern die Sprache
der Bescheidenheit nothwendig — und will
man einwenden, daſs die Ohren alsdann ge-
rade nur so viel keuscher geworden wären,
als das Herz unkeusch; so vergiſst man, daſs
ein gewisser Schein, eine gewisse Heuchelei,
die man Lebensart nennt, unter den Menschen
so nothwendig ist, daſs die Menschen ohne
diese Lebensart nicht, wie ein Paar Augures
der alten Zeit, wenn sie einander begegneten,
oder ein Paar der neuern, wenn sie ein Con-
silium wegen der letzten Öhlung eines Patien-
ten halten, über einander lachen, sondern
sich verabscheuen würden. — Die Reinheit
der Zunge wirkt zurück; und wessen das
Herz voll ist, geht der Mund über. —
[28]
II.
Giebt es ausser dem Unterschiede
des Geschlechtes noch andere
zwischen Mann und Weib?
Als nach dem Rathe, den Gott über das
Schöpfungswerk gehalten hatte, dieser Plan aus-
geführt werden sollte; schuf Er das erste und
beste Paar von Menschen gleich im männlichen
und mannbaren Alter, so daſs ihre Hochzeit
keine Stunde ausgesetzt werden durfte. Sie
kamen mit den erforderlichen Jahren zur Welt,
wie regierende Herren ihrem neuen Adel Ahnen
verehren — Das Männlein Adam hatte zwar
die Ehre der Erstgeburt; indeſs ward Fräu-
lein Eva vollkommen dadurch entschädigt,
daſs sie aus einer Rippe Adams, dieser dage-
gen nur aus einem Erdenkloſs zur Welt ge-
bracht wurde —! »Eine Schöpfung also aus
der zweiten Hand?« Warum nicht gar aus der
[29] dritten —! Schuf nicht eben die Schöpfer-
hand, welche Adam geschaffen hatte, auch
Eva? und gereichet diese Rippen-Hieroglyphe
nicht in mehr als Einer Rücksicht zum Vor-
zuge des Weibes? Keins erzog das andere;
Keinem fiel es ein, sich über das andere
zu erheben und Vaterrechte zu behaupten. —
Elternrecht, das schönste und ehrwürdigste,
das die Menschheit kennt, der Urquell der
liebenswürdigsten Tugenden, hat (wer sollt’ es
denken!) die Ungleichheit unter den Menschen
erzeugt. Gute Eltern, solch eine ungerathene,
ausgeartete Tochter! Sind indeſs viele Laster
nichts anders als ungezogene Tugenden; sind,
nach dem Ausspruch eines Heiligen, unsere
Tugenden bloſs schöne Sünden: so würde
man ein Verbrechen an der Menschheit bege-
hen, wenn man nicht auch dem Bösen und
dem Ideal desselben, dem Teufel, Gerechtig-
keit erweisen wollte. — Wenn man ja, nach
der ältesten Urkunde das menschliche Ge-
schlecht betreffend, einem Theile dieses ersten
Menschenpaares einen Vorzug vor dem andern
beilegen wollte; so würde Eva den Zankapfel
[30] von jedem Paris erhalten — ”weil sie schöner
als Helena war? und weil jeder Paris bei al-
ler Sinneseinfalt eine Mannsperson bleibt?”
Nein! sondern weil Adam durch sie zum Falle
gebracht ward, oder (wie diese hohe und tiefe,
erhabene und schöne Hieroglyphe nicht un-
richtig gedeutet werden kann) weil er sich
durch sie zum Gebrauch und zur Anwendung,
zum Durchbruch der Vernunft hinaufstimmen
lieſs. Der seligen Stimmung! — Eva war
das Pupillen-Amt, welches die Majorennitäts-
Erklärung über den unmündigen Adam aus-
sprach, nachdem er zeither vielleicht unter
der Vormundschafts-Direktion der braven Eva
gestanden zu haben scheint, die sich schon
zuvor in einigen Stücken manumittirt haben
mochte — Sie zerbrach die Ketten des In-
stinkts, der die Vernunft nicht aufkommen
lieſs, und triumphirte — Eva sollte die Ver-
nunft, ihr zum Andenken, heiſsen. Die erste
Hauptrevolution konnte, wie jede Revolution,
nicht ohne Drangsale und Unruhe seyn. Die-
se sind nach der Natur des Menschen so
nothwendig, daſs ich nichts weiſs, es sey et-
[31] was Theoretisches oder Praktisches, was, wenn
es sich anders auszeichnet, nicht durch Zer-
rüttung und Leidenschaft empfangen und ge-
boren wäre — Nur immerwährend kann die-
ser Braus und Saus nicht seyn und bleiben.
Die Wellen müssen sich legen und die Ver-
nunft muſs endlich obsiegen — So ging es
bei der ersten Revolution, und so muſs es bei
einer jeden andern gehen, wenn sie anders
diesen Namen verdienen soll. Diese Lobrede
auf Eva, welche ihr von wegen der Vernunft-
Revolution so wohl gebührt, würde vielleicht
zu einer theologischen, juristischen, medi-
cinischen oder philosophischen Disputation,
oder zu einem Aufsatze für irgend ein zeit-
verkürzendes Journal, hinreichende Gelegen-
heit an Hand und Kopf geben, wenn man
nur wüſste, wie man den ungebetenen Gast
von Assistenzräthin, die Schlange, aus dem
Spiel bringen könnte. — Mit diesem Eheteu-
fel ist leider! nichts anzufangen — Kurz und
gut, sagt der gläubige Thomas Payne, ich bin
dem ganzen Teufel von Monarchie feind. —
Da es aber, mit Herrn Payne’s Erlaubniſs,
[32] auch gar häſsliche Republikteufel geben kann
und giebt; so ist es am Besten, alle Teufel
zum Teufel zu jagen. Vielleicht die beste
Gerechtigkeit, die man ihnen erweisen kann. —
Die Schöpfungsgeschichte erwähnet, nach
dem klaren Inhalt derselben, keines andern
als des Geschlechtsunterschiedes. Lasset uns
Menschen machen — und er schuf sie ein
Männlein und ein Fräulein — — Es ist ei-
ne weit spätere Epoche, wenn es heiſst: Dein
Wille soll deinem Manne unterworfen seyn
und er soll dein Herr seyn! Und denkt man
sich unter der Geschichte des Falles ein Bild
von der Befreiung des Menschen von dem pa-
radiesischen Joche des Instinkts, und vom Ur-
sprunge des gesellschaftlichen Zustandes, zu
welchem die weise Eva die Gelegenheitsma-
cherin und Heroldin war; so scheinen diese
prophetischen Worte den traurigen Zustand
zu verkündigen, den Eva ihrem Geschlechte
durch diese Heldenthat zuzog. — Ob indeſs
die Natur der Sache jene allererste Urkunde
und ihre Auslegung bestätigen wird? Zu über-
siebnen sind dergleichen alte und wohlbetagte
Din-
[33] Dinge nicht; und wozu auch diese gefährliche
Beweisart —? wozu, da wir Vernunft und
Erfahrung als Zeugen zum ewigen Gedächt-
niſs anrufen können. Aus dieser zweier Zeu-
gen Munde bestehet alle Wahrheit. —
Die Natur scheint bei Bildung der beiden
Menschengeschlechter nicht beabsichtiget zu
haben, weder einen merklichen Unterschied
unter ihnen festzustellen, noch eins auf Ko-
sten des andern zu begünstigen — Der Ge-
schlechtsunterschied kann nicht zur Antwort
dienen, wenn die Frage ist: ob das männliche
Geschlecht mit wesentlichen körperlichen und
geistigen Vorzügen vor dem weiblichen ausge-
stattet worden sei? Andere Unterschiede, als die
welche auf die Geschlechtsbestimmung gehen,
zu entdecken, hat dem anatomischen Messer
bis jetzt noch nicht gelingen wollen; und doch
behauptet dies Instrument bei der goldnen Re-
gel: Erkenne dich selbst, einen unleugbaren
Einfluſs; und überhaupt hat das brave Eisen
dem menschlichen Geschlechte weit mehr
Dienste geleistet, als das prahlerische Gold —
Wer zuerst den Magneten die Eisenbraut
C
[34] nannte, bewies für Magnet und Eisen eine
Achtung, die beiden gebührt. — Was hätte
die Natur veranlassen können, die Eine Hälfte
ihres höchsten Meisterstücks zu beglücken und
zu ehren, die andere dagegen zu verküm-
mern und zu vernachlässigen, und zwar gerade
in umgekehrtem Verhältnisse? Bei Erreichung
jenes groſsen Naturzwecks, wo Menschen das
göttliche Ebenbild des Schöpfers darstellen,
hat das weibliche Geschlecht einen ungleich
wesentlicheren Antheil als das männliche, und
zwar sowohl in Hinsicht der Substanz als der
Form. Dieser Absicht recht weise vorzuarbei-
ten, sollte die Natur die Weiber haben schwä-
cher bilden oder unvollendet lassen wollen?
”Nicht eben schwächer,” sagte ein Weiber-
feind, als er diese Stelle im Manuskripte las,
”aber weniger gäng und gebe. Mögen Weiber
”Stahl seyn, die Männer Eisen —”. Nicht
also; und warum ein Vergleich auf Schrauben,
da das schnurgerade Recht auf der Weibersei-
te ist! Wir, glaubt man, wären Gottlob!
völlig ausgeschaffen; und nun zerbrach der
Meister die Form von Thon, und das andere
[35] Geschlecht, in der Repräsentantin Eva, war
ein Unternehmen auf gutes Glück, auf den
Kauf, eher hingeworfen als zu Stande ge-
bracht, angefangen und nicht vollendet —!
Das Weib, dem das eigentliche Geschäft bei
der Vermenschlichung der göttlichen Schöpfung
anvertrauet ward, sollte die Merkzeichen der
Ohnmacht und der Dürftigkeit an sich tragen?
Die allmächtige Natur sollte ihre Stellvertrete-
rin schwach gelassen haben, um nicht nur
schwache Personen ihres eigenen Geschlechtes,
sondern auch starke des unsrigen zur Welt zu
bringen? Doch scheint es so; und freilich,
wenn Erfahrung spricht, muſs Vernünftelei
schweigen, knieen und anbeten — Der einzige
Winkelzug, der ihr übrig bleibt — Erfahrung!
und was lehrt sie? Das andere Geschlecht sey
im Ganzen kleiner, schwächlicher angelegt,
besitze weniger körperliche Kräfte, und sey
mehrern Krankheiten unterworfen. Bedarf
es weiteres Zeugnisses, um die Vernunft zu
der Schluſsfolge zu bequemen: dies wären
Geschlechtsunvollkommenheiten, von welchen
die Weiber bei der Ordnung der Dinge nicht
C 2
[36] entbunden werden konnten? Alles ist gut, was
nicht anders seyn kann, und im Muſs liegt ei-
ne Schatzkammer von Beruhigungsgründen, ver-
mittelst deren man bei ein wenig Philosophie
das: ich Muſs, mit dem: ich Will, so auszu-
söhnen weiſs, daſs hier jeder Fluch sich in Se-
gen, und die arge böse Welt sich in die beste ver-
wandelt. Friede mit der Natur und mit dem
schönen Geschlechte; und Friede mit uns Allen!
Wie aber, wenn es so gut Trugerfahrungen als
Trugschlüsse gäbe? wenn der Schein betröge?
Die Vernunft fürchtet sich vor den Sinnen; und
wenn wir die Operation an uns vollziehen zu las-
sen völlig entschlossen sind, wenden wir doch
in der Stunde der Anfechtung das Auge weg —
Vernunft, Herz und Sinne arbeiten sich in die
Hand; und nicht nur das Herz des Menschen,
sondern auch seine Vernunft und seine Sinne
sind trotzig und verzagt: wer kann’s ergrün-
den? Bald dünkt der Mensch sich, ein Gott,
bald weniger als ein Thier zu seyn — Nackt
und bloſs kommt er zur Welt, und wenn an-
dere Thiere bewaffnet und bedeckt sind, kön-
nen Se. Majestät der Mensch sich nicht ent-
[37] brechen, das königliche Recht an Thieren aus-
zuüben, um sich zu ernähren und zu beklei-
den — Diese Finanzregierung wird oft so
sehr mit dem Stabe Wehe! geführt, daſs die
Thiere bei der Natur die bittersten Klagen
gegen ihre Allerdurchlauchtigsten Beherrscher
führen könnten — und auch ohne Zweifel
führen, wenn anders der Apostel Paulus recht
beobachtet hat. Denn in der That die Natur
hält ein schreckliches heimliches Gericht, das
schrecklichste, das gedacht werden kann!
Noth lehrt beten, bitten und nehmen; allein
sie ist auch eine weise Lehrerin der Mäſsig-
keit — und wer diese ihre Stimme verkennt,
in dem ist nicht die Liebe des Allvaters, des-
sen Kind Alles ist, was Leben und Athem hat.
Nichts mehr als weinen kann der Mensch oh-
ne Lehrmeister, zum Zeichen, daſs er bei wei-
tem nicht das höchste Loos zog; — denn da
er sich nicht zu berechnen versteht, so ist der
Gewinn oft schädlicher als eine Niete. Lie-
ber! dergleichen Klagen sind durch das Macht-
wort: Vernunft, überwunden. Ohne Schwä-
che hört der Mensch auf, Mensch zu seyn —
C 3
[38] und wer es in diesem Erdenleben auf et-
was Höheres anlegt, begiebt sich in Gefahr,
weniger zu werden und den Zweck des Schöp-
fers zu verrücken. Kennen wir ein edleres
Geschöpf auſser ihm, in welchem die Kraft
liegt, sich Gott und eine reine Tugend zu den-
ken? — und diesen Vorzug hat auch der Ver-
worfenste nicht aufgegeben — Einen Augen-
blick, nicht aber immer, kann der Mensch
auf das Ebenbild Gottes Verzicht thun — Ist
die Vernunft nicht mehr als Alles? und ver-
dient sie diesen Namen, wenn sie nicht Be-
gierden einschränken kann? Kann man nicht
das Thier am Menschen fast vergöttlichen und
seine Leidenschaften, wie die Meereswoge, be-
drohen —? Wo sie ist, da wohnt Mensch-
heit, und bei den Strahlen ihrer Gottheit die-
se Würde im andern Geschlechte verkennen
wollen, heiſst: keine Regel übrig lassen, sei-
nen eigenen Werth zu bestimmen. Nicht
steinerne Gesetztafeln würde man zerbrechen,
sondern am göttlichen Geiste, der in uns ist,
sich versündigen — — Kann etwas Sache
Gottes seyn, was der Vernunft widerspricht?
[39] oder will Gott seine Sache je durch solche
Mittel geführt wissen? Durch die Vernunft,
den Widerhall seines Mundes, ist Er nicht
fern von einem Jeglichen, der mittelst ihrer
Ihm ähnlich ward und in Ihm lebet, webet und
ist. — — Mein Feldzeichen ist keine nichts-
würdige Präconisirung, sondern Wahrheit und
Gerechtigkeit. Ist das weibliche Geschlecht in-
der Regel wirklich kleiner, als das männliche?
ist nicht die Gröſse überhaupt etwas sehr Re-
latives, welches in Klima, Nahrungsmitteln
und andern uns unbekannten Ursachen wesent-
lichere Bestimmungsgründe findet, als in dem
Geschlechtsunterschiede? Jenseits der Wen-
decirkel und unter der Linie ist die Menschen-
art weit kleiner, als innerhalb derselben. Über
den zwanzigsten und sechzigsten Grad der
Breite hinaus würden unsere Werbehäuser un-
gefähr so viel Glück machen, wie ein Besuch
der Boucaniers auf Tierra del Fuego in den
Höhlen der Pescherähs. Reisende behaupten,
daſs Männer und Weiber dort gleichen Strich
halten, und daſs, wenn ihnen nicht der Un-
terschied der Kleidung und etwa der Bart aus-
C 4
[40] hülfen, die beiden Geschlechter von einander
nicht unterschieden werden könnten. Oder
sollten diese Klimate hier etwa der Entwicke-
lung des weiblichen Körpers günstiger seyn?
Mit nichten; ihr frühes Dahinwelken wider-
spricht dieser Muthmaſsung: schon das drei-
ſsigste Jahr bedeckt sie mit Runzeln. Auch
in gemäſsigtern Himmelsstrichen giebt es Ver-
schiedenheiten in Rücksicht der Gröſse, und
unter ihnen Racen, die sich von den übrigen
auszeichnen, so wie die Bewohner der Marsch-
länder in der Regel gröſser sind, als die Berg-
bewohner, als ob die Natur diesen Menschen
den Berg mit in Anschlag gebracht hätte —
und am Ende, was thut die Gröſse?
Aber die Schwächlichkeit gegen den nervi-
gen, eckigen, männlichen Körperbau gehalten!
Freilich würde sie mehr beweisen; doch fürcht’
ich, die Erfahrung sagt auch hier weniger,
als wir sie sagen lassen — Ehe wir die Feh-
de beginnen, ist die Musterung der Heere
nothwendig. Verabschieden wir unser elegan-
tes, luftiges Völkchen, läſst das andere Ge-
schlecht seine Damen der höheren Klassen
[41] sammt ihren Zofen zu den lieben Ihrigen
heimkehren — was gilt die Wette? Selbst
wenn unsere eleganten Damen mit unsern ele-
ganten jungen Herren sich in Fehde einlie-
ſsen — auf welcher Seite wäre Hoffnung zu
gewinnen? — Bei Völkern, die auf der er-
sten Stufe der Cultur stehen, ist das Schick-
sal des weiblichen Geschlechtes hart: bei Jä-
gernationen, denen Hausthiere unbekannt sind,
ist das Weib das lastbare Thier, welches den
Mann zur Jagd begleitet und das erbeutete
Wild nach der Hütte trägt; bei den Hirten-
und Ackervölkern ist ihr Schicksal, wo mög-
lich, noch schwerer: sie bauen das Feld, trei-
ben Fabriken und Manufakturarbeiten, indem
sie das, was ihnen der Acker und die Heer-
den zur Nahrung und Bekleidung darbieten,
zum Gebrauch bereiten oder veredlen, und
auch noch das (freilich sehr einfache) Haus-
wesen besorgen, während der Ehrenmann sich
dem Müſsiggange überläſst — Auch unter Na-
tionen, wo die Cultur schon Fortschritte macht,
ist, bei der arbeitenden Klasse des Volkes,
der Antheil des andern Geschlechtes an den
C 5
[42] Geschäften gewiſs nicht von der Art, daſs da-
von auf eine gröſsere Schwächlichkeit der Wei-
ber geschlossen werden könnte. Die Arbeiten
bei Bestellung des Bodens und bei der Ernd-
te — sind sie nicht unter beide Geschlechter
so ziemlich gleich vertheilt? Es wird schwer
fallen, zu bestimmen, welcher Theil hier mehr
übersehen werde. Bei der Musterung aller
Gewerbe, die den Kunstfleiſs und die Hände
der Menschen beschäftigen — ist nicht der
Antheil der Weiber mit einem beträchtlicheren
Aufwande von Kräften verknüpft? Der
Schnitter kehret heim zu seiner Hütte mit
frohem Herzen, um nach ermüdender Arbeit
der Ruhe zu pflegen, wenn, auch bei der
einfachsten ländlichen Haushaltung, noch viel-
fache Geschäfte für das Weib übrig bleiben,
das im Schweiſse seines Angesichts die Garben
band, wozu nicht minder Anstrengung von
Kräften erfordert wird. Jene von Gesundheit
strotzende, mit der ächten Sommerfarbe ge-
schminkte Dirne ist eine lebendige Widerle-
gung dieser miſsgünstigen Behauptung, und sie
wird es mit Jedem aufnehmen, der es wagen
[43] will, die Kräfte ihrer Muskeln in Versuchung
zu führen. Weiberkrankheiten sind nur die
Geiſsel der Weiberklasse, die den Ehrennamen
Weiber, so wie die in ihrem Kammerdienste
sich befindenden Treugehorsamsten den Ehren-
namen Männer, nur von wegen des Staats
und zur Parade führen. Darf und soll die
Natur Übel verantworten, welche Lebensart,
Sitten und Conventionen, deren Name Legion
ist, über sie gebracht haben? Gefährten unserer
Thorheiten, Spieſsgesellen unserer Üppigkeit
gehören nicht auf das Conto der Natur, die
den Menschen so einfach schuf, und allent-
halben, wo er seine Hütte aufschlug, für
Wohnung, Nahrung und Kleidung reichlich
und täglich sorgte. Hat sie je gewollt, daſs
er Gewürze aus Indien ziehen sollte, um sein
Blut zu vergiften? oder angreifende Lecker-
bissen, um seine Nerven zu schwächen?
Setzte sie dem Indier Eis, und dem Bewoh-
ner der Eiszone Wein vor? gab sie nicht viel-
mehr einem Jeden das ihm angemessene und
beschiedene Theil? Und wie, grundgütige
Natur! der ausgeartete Haufe deiner Kinder
[44] klaget dich wegen Krankheiten an, wozu er
die Anlässe, trotz allen Gefahren und Hinder-
nissen, aus Osten und Süden mit rastloser
Begierde zusammen brachte, während das
Häuflein deiner genügsamen Kinder, den müt-
terlichen Vorschriften folgsamer, mitten unter
diesen unschlachtigen ausgearteten Menschen
vor Dir wandelt und fromm ist, ohne von
hysterischen Plagen und dem zahllosen Hee-
re von Krämpfen zu wissen, gegen die weder
die Materia medica, noch vielleicht die ganze
weite und breite Natur, Mittel im Vermögen
hat? Nennt die Natur nicht ungerecht, wenn
ihr unnatürliche Wege wandelt! Nur gegen
natürliche Krankheiten scheint die Natur Mit-
tel zu besitzen; gegen Übel, welche Folgen
unserer unnatürlichen Cultur sind, hat sie we-
der Kraut noch Pflaster, und ihr einziges Mit-
tel ist nur: thut Buſse und glaubet an das
Natur-Evangelium! O, daſs ihr Buſse thätet
und glaubtet! — Ohne daſs wir werden wie
die Kinder und in dies Philanthropin heimkom-
men, dem wir den Rücken kehrten — sind
wir verrathene und verkaufte Menschen, zu
[45] denen bisweilen die wohlmeinende Stimme er-
schallt: Adam wo bist du? die sich indeſs,
so gut sie können, vor sich selbst zu verstek-
ken suchen — Am fünften Akt scheitern be-
sonders die meisten Frauenzimmer, so wie ein
groſser Theil der Theaterdichter — Die Lie-
be, das Glück des Lebens, wird ihr Unglück;
ihr Herz war gebildet, die Tugend zu lieben,
und nicht das Schicksal, sondern ihre Nach-
lässigkeit, macht es zur Verbrecherin — Die ar-
beitende Klasse kennt keine besonderen Wei-
berkrankheiten. Schwangerschaften und Ge-
burten werden nur durch Nebenumstände, die
ihren Grund in Lebensart, Sitten und Kleidung
haben, erschwert, und sind so wenig Krank-
heiten, daſs Ärzte sie geradesweges als Hei-
lungsmittel vorschreiben könnten — und zu-
weilen wirklich vorschreiben. Bei einigen so
genannten Wilden hält nicht das Weib, son-
dern der Mann, die Entbindungsferien. Kaum
ist es seiner Bürde entledigt; so badet es sie
in dem nächsten Flusse, reicht dem neuen An-
kömmling die Brust, ersparet sich das Milch-
fieber und das Ammenkreuz, und besorgt die
[46] Hausgeschäfte nach wie vor, während der
Mann, auf seinem Lager hingestreckt, sich pfle-
gen läſst, und von seinen Nachbarn Wochen-
visiten und Glückwünsche annimmt, weil er —
man denke der Mühe! — durch sein Weib
ein Kind geboren hat. Da es Helden giebt,
deren die Geschichte mit Lob und Preis ge-
denkt, weil sie in höchsten Gnaden geruhe-
ten, sich Schlachten gewinnen und Siege er-
kämpfen zu lassen, ohne daſs sie sich dem
kleinsten Gefecht aussetzten und zum Bette
der Ehren die mindeste Neigung fühlten, in-
dem sie, wenn es hoch kam, weit über die
Schuſsweite hinaus sehr behaglich zusahen, wie
viele Arme und Beine ein Paar Lorbeerreiser
kosteten: — so mag es mit dem Wochenbette
dieser Männer so genau nicht genommen wer-
den. Ihr, die ihr der Schwangerschaften und
Geburten halben die Weiber für schwächer
haltet als Euch; sagt: wie hätte die Natur ihr
gröſstes Werk, die Fortpflanzung des mensch-
lichen Geschlechtes, absichtlich mit solchen
Übeln in Verbindung bringen; wie hätte sie
den Becher des köstlichsten Nektars mit Wer-
[47] muth vermischen; wie einer Handlung, über
welche sie die besten ihrer Segnungen aus-
sprach, mit so schrecklichem Fluche begleiten
und auf unsere Seite lauter Wonne, auf die
andere dagegen lauter Trübsal legen sollen!
Allerdings sind Schwangerschaften, Entbindun-
gen, Stillung des Säuglings mit einem Auf-
wande von Kräften verbunden; allein, in dem
weiblichen Körper, wenn er unverdorben ist,
findet sich Stoff genug, diesen Aufwand nicht
nur zu bestreiten, sondern auch dessen Ab-
gang ohne Zeitverlust zu ersetzen. Der Ein-
wand, den man von so vielen Modefrauen
ableitet, gilt nicht; denn diese erscheinen be-
reits so kümmerlich an Lebensstoff und Kräf-
ten, daſs jede Schwangerschaft ihr luftiges
Gebäude bis auf den Grund erschüttert, und
jede Geburt es zu zerstören droht — Plan-
reiche Erfinder, die ihr Rechenmaschinen er-
dachtet, einem Gliedermanne Schach spielen
lehrtet, Luftreisen unternahmt, und durch
Desorganisation Leute weiter bringt, als wenn
sie in gradum doctoris utriusque medicinac
promovirt hätten; ihr denen die Geister so zu
[48] Gebote stehen, wie dem Hauptmann von Ka-
pernaum seine Knechte: — spannt eure Sai-
ten tiefer, und laſst euch zu einer Kleinigkeit
herab; erfindet eine Kunst, vermittelst deren
unsere galanten Damen von der Last Kinder zu
gebären, befreiet werden können. Laſst Söh-
ne und Töchter wie Äpfel und Birnen wach-
sen; macht, daſs sie wie Kohl verpflanzet wer-
den — Sollten auch durch diese Erfindung in
den ersten Jahren (kein Meister fällt vom
Himmel) die politischen Volkszähler ein Mi-
nus wahrnehmen; so würde doch selbst in
diesen Jahren der magern Kühe der Metall-
werth des menschlichen Geschlechtes Alles ins
Reine bringen, und Summa Summarum wäre
um so mehr ein unläugbares Plus, da der
Staat, anstatt aus Scheidemünze, aus Gliedern
von ächtem Schroot und Korn bestehen wür-
de! — Was gilt ein Persisches Heer nach
Parasangen gemessen, gegen einen Macedoni-
schen Phalanx! Doch nein! ziehet eure Schuhe
aus, diese Stätte ist heilig. Den rechtmäſsig-
sten, den allerheiligsten in der Vernunft ge-
gründeten Ansprüchen der Menschen auf die
Mit-
[49] Mittheilung der Wahrheit soll hier nicht durch
Spott zu nahe getreten werden, der, so wie
die üble Nachrede, immer etwas zurückläſst —
Nur Menschenliebe nähere sich diesem feuri-
gen Busche! Jene Kraft der Trägheit, die im
Körper ihr Wesen oder Unwesen treiben soll,
um ihn beständig in seinem gegenwärtigen
Zustande zu erhalten, der sich der Ruhe wi-
dersetzt, wenn der Körper in Bewegung,
und der Bewegung, wenn er in Ruhe ist, hat
nicht die Ehre mir zu gefallen. Eine Kraft,
die nur widersteht und nicht von selbst zu
wirken vermag, ist eine Kraft, mit der sich
wenigstens nicht prahlen läſst. Der edelste
Staat muſs sich zuweilen zum Angriffskriege
verstehen, und es giebt Straf- und Wieder-
zueignungskriege, wodurch wir unser Recht
und das was man uns schuldig ist, einfordern,
und den zur Verantwortung ziehen, der sich
an uns vergriff — Der ist weder klein noch
groſs, der beides nur in dem Grade ist und
äuſsern kann, als man sich ihm widersetzt —
Laſst beide Geschlechter zu ihrer Lauterkeit
und Wahrheit heimkehren, und wir werden
D
[50] je länger je mehr finden, daſs Mann und
Weib auch in diesem Sinn Ein Leib sind —
aber auch Eine Seele? Noch hat es den Psy-
chologen nicht gelingen wollen, in dem Ge-
biete der Geister weit genug vorzudringen, um
bestimmen zu können, ob es unter ihnen ei-
nen wesentlichen Unterschied gebe; wenig-
stens gab es keinen Geister-Linné, der sie
klassificirte. Rorarius mag es verantworten,
wenn er bei den Thieren mehr Vernunft fin-
det, als bei Menschen, Helvetius, wenn er
die Seelen, denen ein Körper mit einem Huf
zu Theil ward, mit denen, die einen Körper
mit Händen erhielten, in Eine Klasse setzt,
und Beide mögen es mit dem Cartesius aus-
machen, daſs sie seine Maschinenwelt zerstö-
ren. Es giebt auch philosophische und Ver-
nunftketzer; denn der Grund zu allen Behaup-
tungen wird aus der Natur genommen: einer
Urkunde, die das mit allen Urkunden gemein
hat, daſs ein Jeder, was er darin sucht, auch
darin findet. Jede Geschichte, jedes Faktum
muſs sich bequemen, sich nach uns zu
richten, und der wahrhafteste Mann trägt
[51] zuvor etwas von seinem Selbst in jene Ge-
schichte und jenes Faktum, so, daſs Alles
was der Mensch berührt, etwas von seinem
Ich, von seinem Selbst, erhält. Das beste
Wasser hat keinen Geschmack; und so geht
es auch den meisten Thatsachen, die wir sel-
ten ungewürzt erhalten — und wenn der
Würzler auch nur Salz, die kümmerlichste
und beste Specerei, darzu thun sollte —
Freunde und Feinde nehmen von einander so
viel an, daſs man unverkennbare Züge der
Ähnlichkeit unter ihnen entdeckt. »Feinde?»
Allerdings; und ich behaupte, daſs sie noch
leichter als Freunde sich in einander abdrük-
ken — Ein Freund, der unser Widerhall ist,
hat wenig Reitz für uns; allein eben das, wo-
durch Feinde am meisten hervorragen, was
am meisten interessirt und auf ihre Seite tritt,
pflegt unsere Nachahmung abzugewinnen: so
wie man in den Wald schreiet, so erfolgt die
Antwort. Eine ganze Schaar von Varianten-
sammlern und Commentatoren trägt ihren
Sinn und Unsinn so lange in jede Urkunde,
bis eine Authentica erscheint, und diese mag
D 2
[52] denn, geliebt es Gott! den Werth und Un-
werth des Unterschiedes zwischen den Men-
schen- und Thierseelen entscheiden, wenn nur
wir es nicht wagen, unter den menschlichen
Seelen Rangordnungen zu bestimmen, die
nicht mehr und nicht weniger Realität haben,
als Träume und ihre Deutungen. Giebt es
denn etwa auch Geschlechtsunterschiede unter
den Seelen? giebt es Seelen, die ausschlieſs-
lich bestimmt sind, weibliche Körper zu be-
wohnen — ? und wer ist der kühne Argonaut,
der dieses unbekannte Meer beschifft hat? wo-
mit hat dieser Apostel der unsichtbaren Welt
sein Evangelium bestätiget? Wo Satz und Ge-
gensatz einander so nahe sind, daſs sie sich die
Hände bieten können, da liegt jedem die
Pflicht auf, seinen Satz mit aller Stärke zu be-
weisen und dann dem Publico das Richteramt
zu überlassen. Erfahrungen wider Erfahrun-
gen, ehe es noch ausgemacht ist, ob die See-
le mit sich selbst Erfahrungen anzustellen ver-
mag. Nur im Spiegel kann die Seele sich
wahrnehmen; und wer weiſs nicht, daſs die-
ser Spiegel das Bild sehr unvollkommen und
[53] oft sehr unrichtig wiedergiebt! — Der Spie-
gel stellt uns verkehrt dar, und es ist ein un-
angemessener Ausdruck: der Mensch ist ge-
troffen wie aus dem Spiegel gestohlen — Al-
lerdings können einzelne Erfahrungen wohl
dienen, eine subjektive Überzeugung hervor-
zubringen; eine allgemeine Wahrheit auf die-
sen Grund zu bauen, reichen nur Erfahrungen
hin, die so allgemein sind, wie die Wahr-
heit, der sie zur Unterlage dienen sollen.
Wie lange ist es, daſs wir in diesem Fach
Erfahrungen anstellen? Welche Methoden
schlugen wir ein? Waren diese so wohl ge-
wählt, daſs sich nach ihnen richtige Resultate
erwarten lieſsen? Haben wir wirklich bereits
einen solchen Vorrath von Erfahrungen, daſs
wir ein System wagen können, nach welchem
für eine ganze Hälfte des menschlichen Ge-
schlechtes eine so nachtheilige Unterschei-
dungslinie sicher gezogen werden kann? oder
dürft’ es uns über kurz oder lang nicht mit
dieser gehen, wie weiland Sr. Unfehlbarkeit
jenseits der Alpen mit der berüchtigten Demar-
cationslinie? Mit einem System geht es ge-
D 3
[54] meiniglich, wie mit einem Instrument, auf das
wir uns verstehen. Haben wir bei dem Sy-
stem, wovon hier die Rede oder die Frage
ist, den gewissen Vortheil unwiderlegbar be-
rechnet? oder ist es eins wie viele andere sei-
ner Brüder, bei denen nichts weiter als
Sprachverwirrung obwaltet, wie bei dem
Thurm zu Babel, dessen Spitze bis in den
Himmel reichen wollte? Nimmt man den
meisten Systemen die Sprachverwirrung, was
bleibt übrig? — Noch behauptet die Erfah-
rungsseelenkunde unter den Wissenschaften
nur einen precären Rang; sie stehe indeſs oder
falle, die Wahrheit verliert nichts, die vor
ihr war und nach ihr seyn wird. Stärke der
Seele, Muth, Überlegenheit des Verstandes,
ein gröſseres Maaſs von Urtheilskraft, Festig-
keit des Willens, eine gröſsere Stärke des Ge-
fühls und andere dergleichen Seelenvorzüge
der Menschen sind es, die sich die Männer
auf Kosten des weiblichen Geschlechtes als
Erstgeburtsrechte zueignen. Sie sind mit dem
Erdenall, das man zuweilen Erdenball heiſst,
von Gott belehnt — die edlen Lehnsträger! —
[55] Da sie indeſs Kläger und Richter in Einer und
selbsteigner Person sind, so scheinen sie noch
gütig zu seyn, wenn sie Weiber bei Menschen-
seelen rechtskräftig belassen — Ob nun (nach-
dem es dem männlichen Geschlechte rühmlichst
gelungen, die andere Hälfte der menschlichen
Schöpfung, welche nach ihrer Bestimmung mit
ihm ein Ganzes ausmachen sollte, zu unterjo-
chen und sie an den Menschen- und Bürger-
rechten nur bittweise, nur in so weit es sei-
nem Majestätsrechte nicht zu nahe tritt und
ihm nicht die Krone bricht, groſsmüthigen
Antheil nehmen zu lassen) — ob nun alle je-
ne Erscheinungen Wahrheiten oder Täuschun-
gen sind, ist eine Preisfrage, die mit vielen
andern es gemein hat, daſs die Antworten auf
dieselbe von beiden Seiten hinken. — Auf
diese Erscheinungen indeſs dem schönen Ge-
schlechte alle jene Geistesfähigkeiten abzuläug-
nen und ihm in falschem Spiel seinen Rang
abzugewinnen, heiſst gerade so verfahren, wie
gegen die Amerikaner, denen man, auf die
Aussage einiger Beobachter, die keinen Bart
unter ihnen gesehen hatten, dieses männliche,
D 4
[56] übrigens sehr beschwerliche, Ehrenzeichen nicht
nur absprach, sondern aus dem Mangel des-
selben auch die richtigen Folgen ableitete, daſs
die Natur ihnen die Keime dazu versagt habe,
und daſs sie mithin zu einer weit geringern
Menschenklasse gehörten, nicht minder daſs
sie unmöglich von Einem Erzvater mit uns
abstammen könnten. Was für eine Hauptrolle
der Bart spielen kann, der denn doch, nach
dem bekannten Sprichworte, keinen Philoso-
phen macht! Besser wär’ es freilich gewesen,
wenn man sich die Mühe gegeben hätte, zu
untersuchen, ob die Abkömmlinge des Man-
kokapak dies männliche Unterscheidungszei-
chen, das übrigens immer ehrenwerth und
nützlich seyn und bleiben mag, nicht eben so
unbequem fanden, wie die Söhne Japhcts,
und ob sie, in Ermangelung des Aufklärungs-
metalls, des Eisens, nicht zu einem andern
Mittel ihre Zuflucht genommen haben, diesen
beschwerlichen Gast los zu werden. — Nach
genauerer Beobachtung fand sich der Bart,
und die Präadamiten büſsten abermals einen
Sieg ein, den sie schon vermittelst eines so
[57] stattlichen Arguments in ihren Händen glaub-
ten — Das weibliche Geschlecht äuſsert nicht
jene hervorragenden Geistesfähigkeiten, heiſst
bei weitem nicht: die Natur hat ihm die
Anlagen dazu versagt, und also — o der un-
bärtigen Schluſsfolge! — steht es eine Stufe
niedriger auf der Jakobsleiter der Schöpfung.
Sind wir etwa Gott ähnlich, und hat das an-
dere Geschlecht bloſs die Ehre uns von Got-
tes Gnaden ähnlich zu seyn? Warum nicht
gar —! Nicht durch Körper, durch Sinne,
durch Einbildungskraft nähern wir uns dem
Urgeiste, sondern durch den Geist; und wie?
fehlt es den Weibern an Verstand und Wil-
len? an der Fülle des Geistes? Überlegen
wir nicht oft durch sie? Würzen sie nicht
in unzähligen Fällen mehr mit dem Salze der
Erden, ohne das nichts schmackhaft ist, mit
Vernunft? und ihre Tugend — ist sie nicht
vielfältig reiner, als die werthe unsrige? Über-
steigt unsere Eitelkeit die weibliche nicht an
allen Enden und Orten? War jener Pharisäer
und sein ganzer Jesuiterorden nicht aus unserm
Geschlechte? Kann ein braves Weib (und
D 5
[58] deren giebt es viele) ohne Schrecken und Ent-
setzen an den Pharisäer neuerer Zeit den-
ken, der mit seinen Bekenntnissen vor Gottes
Thron treten, dem Weltgerichte entgegen ge-
hen und sagen will: Wer besser ist, werfe
den ersten Stein? Würde nicht selbst Therese
mehr als Einen Stein haben heben können,
wenn sie nicht durch diesen Gerechten wäre
verdorben worden? Können die Anlagen sich
entwickeln und Keime treiben, wenn keine
wohlthätige Hand sie pflegt? wenn alles so
gar sich vereinigt, sie zu unterdrücken und,
wo möglich, auszurotten? Sind nicht von
Zeit zu Zeit aus dem andern Geschlechte groſse
Seelen aufgestanden, die alle jene ihnen ab-
erkannten Geisteseigenschaften in einem sehr
vorzüglichen Grade besaſsen? Woher diese
eben nicht so seltenen Erscheinungen, wenn
es nicht Anlagen dazu in den Weiberseelen
gäbe, und es nur eines Zusammentreffens gün-
stigerer Umstände bedürfte? einer pflegenden
Hand, um diese zu entwickeln und ihren
Kräften jenen Schwung beizulegen, ohne wel-
chen sie nie ihre eingeengte Bahn verlassen
[59] hätten? Oder wollen wir der Natur lie-
ber Miſsgriffe aufbürden, um nur unser
System zu retten? eher das vierte Gebot in
Hinsicht dieser unserer guten Mutter so gröb-
lich übertreten, als unsere vermeintlichen
Standesrechte aufgeben? Ohne die groſsen
Namen der Fabelwelt von den Todten zu er-
wecken, denen man denn doch nicht jeden
Funken der Wahrheit abstreiten wird — wer
wag es, Zenobien, und einer Anna Komnena
einen über ihre männlichen Zeitgenossen her-
vorragenden Verstand und Urtheilskraft, einer
Elisabeth Herrschertalente, Marien Theresien
Muth und Standhaftigkeit abzusprechen? Will
man den Gesichtspunkt näher rücken? Es sey
und gelte zwei weltberühmte Namen! Catha-
rina die Zweite und Voltaire. Nicht die
Selbstherrscherthaten der Ersteren, nicht
die Kriegeslorbeern, die sie in ihr Diadem
geflochten, nicht der postische Nimbus, der
die Götter der Erden umgiebt — ihr Brief-
wechsel entscheide, wo sie nicht im Kaiser-
glanz, nicht mit den Palmen einer Weltüber-
winderin erscheint — und seht! sie bleibt
[60] groſs, wie sie ist — und Voltaire? klein,
so klein, wie er war, so bald die Wahrheit
ihm ihren magischen Spiegel vorhielt. Sein
theures Selbst ist immer die erste Person; die
groſse Frau muſs sich mit der zweiten begnü-
gen. Sie soll — man denke! — Constantinopel
erobern, oder wenigstens zu Taganrokihre
Residenz aufschlagen, damit er kommen und
ihr die Füſse küssen könne, weil es in Pe-
tersburg für den alten Eremiten von Ferney
zu kalt sei. Noch nicht befriedigt, daſs die
Kaiserin seinen Uhrmachern für 8000 Rubel
Uhren abnimmt, soll sie sogar, um seine Fa-
brikanten in Nahrung zu setzen, einen Uhren-
handel mit China in Gang bringen. Ihr wei-
ses Stillschweigen versteht er entweder wirk-
lich nicht, oder — was glaublicher ist — er
will es nicht verstehen, bis sie ihm denn end-
lich mit seinen, einer Kaiserin und eines
poëtischen Philosophen so unwerthen Mer-
cantilgeschäften an ein costiges Handlungs-
haus assignirt. Die prosaischste Leiden-
schaft unter allen, der leidige Geitz, brach-
te Voltaire’n vom Parnaſs auf eine Bör-
[61] se — König Friedrich Wilhelm der Erste cha-
rakterisirte seine Gemählde durch die Losung:
in tormentis pinxit. In der That, Voltaire
schrieb hier in ebenderselben Seelenstimmung.
Sonst pflegt das Genie den Dichter über sich
selbst und alle Regeln hinweg zu setzen und
ihm Dinge zu inspiriren, die gröſser als er
selbst, die göttlich sind, und die er selbst
nicht umhin kann, mit Ehrfurcht und Bewun-
derung anzustaunen. Wo ist hiervon die
kleinste Spur? Wir sind ehrgebiger, weil
wir ehrsüchtiger sind; und Voltaire war
beides in tausend Fällen, nur hier gewiſs
nicht: Sein Instrument, das er sonst mei-
sterlich spielte, ist völlig verstimmt; und
war es bei diesen Umständen Wunder, daſs
seine Schmeicheleien Gallicismen wurden, wie
man sie an der Seine täglich zu Tausenden hö-
ren kann? Die Briefe der Kaiserin führen
die Sprache der Natur; nur in Fällen, wenn
sie dem eitlen Voltaire ein Opfer bringen
will, zahlt sie ihm Münze von seinem Geprä-
ge, so wie jener Fürst einem unverschämten
Poëten Verse mit Versen bezahlte. Nur auf
[62] eine scherzhafte Weise spricht sie von ihrer
Person, während die ganze Welt nicht aufhören
kann, ehrfurchtsvoll ihren Namen zu nen-
nen; ihrer groſsen Thaten erwähnt sie so
wenig, als wenn sie sich von selbst verstän-
den — Immer beschäftiget, ihreunermeſsli-
che Monarchie reich an Menschen und an
edler Denkart zu machen, entwirft sie, wäh-
rend sie die Ottmannli schlägt, die Conföde-
rirten in Pohlen zerstreuet, der Pest gebietet
und den Räubereien des Pugatschef widersteht,
ein Gesetzbuch für ihr Volk, das sie aus al-
len Zungen und Sprachen unter dieses Gesetz
versammelt, um, wie am Pfingstfeste, Einen
Geist über dasselbe auszugieſsen und es zu
Einem Ziele zu veredlen. Gleich stark im
groſsen und kleinen Regierungsdienste, führt
sie die Inoculation der Blattern ein, beschäf-
tiget sich mit der Erziehung erndtet tausend-
fältig von den durch sie gestifteten Anstalten,
erfindet und ordnet Feste an für den Prinzen
Heinrich, und hat — Muſse ohne Anstrich
von Eitelkeit, an den eitlen Voltaire zu schrei-
ben. Diese Seelen mit einander abgewogen,
[63] und die Wagschale wo möglich in der Hand
eines höheren Wesens — welche wird fallen?
welche steigen? Doch warum höheren We-
sens? So tief fielen die Menschen noch nicht,
um nicht Ehre zu erweisen, wem Ehre ge-
bührt — Wozu eine vollständige Nomenkla-
tur von berühmten Weibern, von solchen die
das Schicksal zu Kronen berief, und die sie
mit Würde trugen? — Es sei genug, eine
Margaretha von Dänemark, eine Christina
von Schweden, eine Sophia Charlotta von
Preuſsen zu nennen; und von denen, die,
wenn sie Männer gewesen wären, diesem Ge-
schlecht Ehre gemacht hätten — verdienen
nicht eine Cornelia, die edle Mutter der
Gracchen, eine Arria nnd die durch so viele
Gerüchte gegangene Johanna von Arc unsere
Bewunderung? Nach diesen Beispielen wird
man mir ohne Zweifel den Beweis erlassen,
daſs es den weiblichen Seelen nicht an groſsen
Anlagen fehle. — Herbst und Winter rauben
selbst den Steineichen ihre Blätter; allein die
Wurzeln bleiben. Warum jene Anlagen nicht
zur Regel werden, sondern Ausnahmen sind?
[64] warum sie nicht häufiger entwickelt werden?
sind das Fragen? Hat denn unser Geschlecht
einen so groſsen Überfluſs von edlen Seelen?
Nur selten ist die Ehre, womit Ulysses und
Aeneas, nicht von der unpartheiischen Göttin
der Gerechtigkeit, sondern von dem oft sehr
partheiischen launigen Gott Apoll kanonisirt
wurden. Ohne Zweifel nahm Homer seine
Penelope [...] Andromache, Nausikae, Arete aus
der Natur; und noch immer scheinen mir die
gröſsere Gleichheit des dienenden und herr-
schenden Standes, die gemeinschaftlichen Ar-
beiten der Weiber und der Sklavinnen, die
Vertraulichkeit die von dem Umstande kam,
daſs sie unter einander aufgewachsen und er-
zogen waren, die Art der weiblichen Arbeit
und der Ertrag des Nutzens derselben jene
Zeit für die Weiber unendlich erträglicher ge-
macht zu haben, als die bleierne, in welche
das weibliche Geschlecht zu fallen das an-
scheinende Glück hatte, und welche leider!
noch nicht von ihm genommen ist. Im Hel-
denalter waren die Sitten, wie die Liebe (von
jeher lebten Liebe und Sitten in der genaue-
sten
[65] sten Verbindung) roher, und es blieb im Takt!
Die damaligen Übel des weiblichen Geschlech-
tes waren ungerathene Kinder des Ungefährs,
dem man, bei so vielen wohlgerathenen, auch
jene verzeihen kann; die Übel der folgenden
und der jetzigen Zeit sind constitutionell,
gründen sich auf Unfakta und inconsequente
Vernünftelei! — Fürwahr, es würde eine
unerhörte und nach den angenommenen psy-
chologischen Grundsätzen unerklärbare Erschei-
nung seyn, wenn unter dem eisernen Drucke
des Despotismus das Freiheitsgefühl nicht end-
lich seine Spannkraft verlieren; wenn aus
Mangel an Pflege und Wartung der herrlich-
ste Boden nicht verwildern, und endlich jeder
nützliche Keim ersticken; wenn über den Ge-
danken von entrissenem Rechte, und daſs die-
ses unwiederbringlich verloren gegangen sey,
nicht endlich auch das Andenken an jene
Rechte selbst und die demselben entsprechen-
den Gefühle, der Glaube an sich selbst und
an seinen selbstständigen Werth, verlöschen
sollte. Wenn Schonung, Achtung und Pflege
der ursprünglichen Menschenrechte, wenn vor-
E
[66] zügliche Cultur und Wartung aller edlen und
groſsen Keime, welche die Natur in die Seele
der Weiber legte, nie Statt findet — was ist
da am Ende zu erwarten? Ein Kahn, der
sich zu sehr auf die eine Seite neigt, muſs
umschlagen — und unser Geschlecht? wenn
es eben den chemischen Versuchen auf nassem
und trocknem Wege, den Feuer- und Wasser-
proben, ausgesetzt würde; wenn diese Hiobs-
leiden, womit wir das andere Geschlecht heim-
suchen, über uns verhängt würden — was
wäre aus uns geworden? würden wir noch so
viel Urkundliches an uns behalten haben, wie
das andere Geschlecht —? Würde der Mann,
der Mensch, nicht bei uns weit mehr aufhö-
ren, als bei jenem? — O des groſsen Musters,
welches das andere Geschlecht, nicht mit
Pomp, wie die Stoiker und ihr Erzmärtyrer
Peregrinus Proteus, beim Sterben, sondern ganz
natürlich giebt, indem es nicht bloſs seine
Feinde liebt, sondern auch, und — das sagt
mehr — seinen Freunden vergiebt! — Jenes
groſse Wort ist sichtbar an ihm — daſs es
die Schwachheit eines Menschen und zugleich
[67] die Zufriedenheit eines Gottes besitzt. — Doch
warum soll ich zurück halten? So lange die
Weiber bloſs Privilegia und nicht Rechte ha-
ben; so lange der Staat sie nur wie parasiti-
sche Pflanzen behandelt, die ihr bürgerliches
Daseyn und ihren Werth nur dem Manne ver-
danken, mit welchem das Schicksal sie paar-
te — wird nicht das Weib den groſsen Be-
ruf der Natur: das Weib ihres Mannes, die
Mutter ihrer Kinder, und, kraft dieser edlen
Bestimmungen, ein Mitglied, eine Bürgerin,
und nicht bloſs eine Schutzverwandtin des
Staates zu seyn — nur immer sehr unvollkom-
men, und je länger je unvollkommener, er-
füllen? Die Länge trägt die Last. Man gebe
ihm aber seine Rechte wieder, und man wird
sehen, was es ist und was es werden kann!
Warum eine Kritik meiner namentlichen Bei-
spiele? warum ein Vorwurf, daſs es nur blut-
wenige Ausnahmen gebe? Nach dem reinen
Wein unserer Philosophen kann die Tugend
nicht wie eine schöne Kunst nachgeahmt wer-
den und nach Beispielen (wären sie gleich die
ersten und besten) sich bilden. Aus dem er-
E 2
[68] sten Princip der Selbstgesetzgebung soll sie
flieſsen, wenn sie anders ächt und rein seyn
will. Nur da ist Energie der Seele, wo man
aus sich selbst schöpft — und was gilt Man-
nigfaltigkeit ohne höchste Einheit? was einzel-
ne schöne Züge ohne Alles anordnende und
ins Reine bringende Principien? — — Die
Französischen Prinzen, die ihr Vaterland ver-
lieſsen, erklärten öffentlich: an Gott, an den
König und an ihr Schwert sich wenden zu
wollen. Drei Instanzen, wo der liebe Gott
sich gefallen lassen muſs, die erste, das heiſst
im juristischen Sinne die geringste, zu seyn.
Das andere Geschlecht hat nur Einen Ge-
richtshof: an Gott. Überall Männer — Män-
ner, bei denen nicht Wichtigkeit des Grundes,
sondern Mehrheit der Gründe gilt; und wel-
cher Gründe? — Raisons d’État —? ich
greife mir vor; wer kann sich aber zurück-
halten? In der That, die Gesetze sind in
Rücksicht der Weiber fast noch inconsequen-
ter, als eine thörichte Liebe! So sehr sie
auf Einer Seite die bürgerlichen Rechte der
Weiber in Absicht auf ihre Personen und ihr
[69] Vermögen beschränken, weil sie dieselben
für schwach und unvermögend, ihr eigenes
Beste wahrzunehmen, erklären; so verpflich-
tet sie sich halten, das ganze Geschlecht zu
einer immerwährenden Vormundschaft zu ver-
stoſsen: so schnell hört doch diese Schwäche
auf Schwäche zu seyn, so bald von Verbre-
chen und Strafen die Rede ist; beide Ge-
schlechter werden mit einem und demselben
Maſse gemessen — und in der Kirche, in
den Gerichtshöfen, (hoffentlich auch im Him-
mel) ist kein Ansehen der Person zwischen
Mann und Weib: sie sind einerlei Leib und
einerlei Seele. Ehre dem Divus Justinianus,
der, mit mehr Zusammenhang als unsere Ge-
setzgeber, wegen der gröbsten Vergehungen
dem schönen Geschlechte keine Zurechnung
zumuthete, und es über alle Strafen wegsetz-
te! — Nach seiner Meinung war ein Weib
so gut, daſs es zu nichts taugte, wogegen es
bei uns doch wenigstens einer Bestrafung —
welch ein Vorzug! — würdig geachtet wird.
Bei uns steht es unter dem Gesetze; bei ihm
stand es nur unter der Gnade. — Wahrlich!
E 3
[70] man kann nicht läugnen, daſs es bei uns einen
Schritt zur Verbesserung gethan hat, obgleich
seine Vollendung, die im weiten Felde ge-
blieben, noch ein Wunder in unsern Augen
ist — Ja wohl, ein Wunder! — Die Ewig-
keit der Höllenstrafen hat ihre Bestreiter ge-
funden, und dieses Höllenräthsel wird zu unse-
rer knotenlösenden Zeit, wo die kalte Philo-
sophie so manches abkühlt, durch die ewigen
Folgen ins Reine gebracht, welche von keiner
bösen Handlung getrennt werden können; die
Sklaverei des andern Geschlechtes indeſs bleibt
ein Wurm, der nie stirbt, und ein Feuer das
nie verlischt. — Gerechtigkeit! man hat dir
die Binde genommen; und doch siehst du
nicht, daſs, wenn gleich alle Handlungen, die
mit den Personen und dem Vermögen des an-
dern Geschlechtes in Beziehung stehen, ohne
einen gesetzlichen Beistand ungültig sind und
ohne allen bürgerlichen Effekt bleiben, deine
armen Unmündigen durch alle sittliche und
bürgerliche Gesetze in eben dem Maſse wie
die Männer verbunden werden! Selbst nicht
bei Gesetzen wider die Contrebande ist nach
[71] dem Curator die Frage, und ob in dessen As-
sistenz dem Kaiser nicht gegeben ward, was
des Kaisers ist — und doch ist ein Weib dem
Staate nur durch den Mann verwandt und zu-
gethan: Nur er huldigte ihm und seinen Ge-
setzen. Ist es Wunder, wenn Weiber die
Gesetze befolgen, wie die Nonne den Psalter
singt? wenn sie den ernsthaften Anordnungen
des Staates eine Folie des Lächerlichen unter-
legen, und sich da noch Auslegungen dersel-
ben erlauben, wo blinder Gehorsam erfordert
wird? War je eine ärgere Löwengesellschaft?
und trift es irgendwo klärer ein, daſs man
gröſsere Diebe laufen läſst, und kleinere zu
hängen sich nicht entbricht? Staaten, die
zum Schutze der Menschenrechte entstanden,
entziehen ihn der Hälfte ihrer bürgerfähigen
Einwohner! — Es ist natürlich, wenn der
Wille sich da sträubt, wo die Vernunft so
viele Steine des Anstoſses und Felsen des Är-
gernisses findet — — Leiden einzelner Men-
schen (besonders wenn diese nicht die ver-
dammlichen Urheber davon sind) vollenden,
und nichts was groſs war, kam ohne sie je
E 4
[72] zur Reife; Leiden aber, die einem ganzen
Volke nicht von der Natur und vom Schick-
sal, sondern bloſs willkührlich zugefügt wer-
den, hemmen allen Muth: sie erschlaffen und
entseelen die edelsten Völker, so daſs man ih-
re Stätte nicht mehr findet. — Ewig Schade
um alle die Fortschritte, die durch jene männ-
liche Grausamkeit gehemmet werden! Welch
ein Stoff muſs im andern Geschlechte liegen,
da er allen diesen Hindernissen noch bis jetzt
so stattlichen Widerstand leistete! — Doch,
unmöglich könnten die Weiber noch seyn,
was sie sind, und die Lage behaupten, in der
sie sich befinden, wenn nicht Geschlechter-
neigung und Reitze ihnen Subsidien geleistet
hätten. So hat bis jetzt die Natur den Men-
schen noch nie ganz verlassen, wenn er ihr
auch unerkenntlich den Rücken kehrte! Ein
gewisser glücklicher Zustand, nach welchem
den Menschen wenig zu wünschen, allein eben
darum viel zu befürchten übrig bleibt, macht
sie unglücklich: — sie erstreben nichts; ihre
Seele verliert den Schwung, ihr Geist das
Geistige; und so wie dieser glücklich-unglück-
[73] liche Zustand das Schicksal vieler regierenden
Herren ist, die ihren Beruf nur von der Seite
der Hoheit und der Macht kennen, auf
Kleinigkeiten fallen, und Nebendinge der Re-
gierung, oder gar solche die ihres Amtes nicht
sind, zu Hauptsachen erheben: so scheint er
auch überhaupt auf dem königlichen Geschlech-
te der Männer zu ruhen. Dieses sucht mehr
durch Ausflüchte, als durch Muth und Weis-
heit, den Gefahren zu begegnen; es spielt
mehr den Herrn und Meister, als daſs es bei-
des wäre; an Willkühr gewöhnt, verlernt es,
auf Mittel zu sinnen; zur Herrschaft geboren
und erzogen, denkt es nicht darauf sie zu ver-
dienen; es vernachlässigt sich, da es keinen
Anreitz hat und zu keinem edlen Wettlaufe
sich in seinem Hause anstrengen darf; es fällt
zusammen, da es sich nicht die Mühe giebt,
sich gerade zu halten. Man sage nicht, daſs
die Männer bei andern Männern Licht anschla-
gen können; Tyrannen sind verzagt, und krie-
chen überall, wo sie nicht befehlen dürfen.
Wahrlich! nicht nur Weiber, sondern auch
wir, haben durch jene Herabwürdigung des
E 5
[74] andern Geschlechtes verloren — wer am mei-
sten? Ist es zum Beispiel ein Wunder, wenn
das fräuliche Geschlecht falsche Münze gegen
falsche Münze wechselt, und die Tyrannei
des Herrn Gemahls mit Augendienst erwie-
dert? — Ist es ein Wunder, wenn alle bei-
de sich das Leben verbittern, und bei dem
wohlseligen Hintritt des Herrn Gemahls —
Gott tröste ihn! — die am pompreichen Lei-
chengerüste wohlangebrachten Genien die ein-
zigen sind, die ohne End’ und Ziel, Thränen
vergieſsen, womit sie den letzten Funken der
umgekehrten Fackeln auslöschen, während die
trostvolle Frau Wittwe, unter einer ehrwürdi-
gen Decke, ihre Rolle meisterlich spielt und
fröhlich und guter Dinge ist? — Von Anbe-
ginn ist es nicht so gewesen.
[75]
III.
Woher die Überlegenheit des Mannes
über die Frau entstanden?
Rückblicke auf die älteste Zeit.
Wenn die Weiber mit den Männern von
der Natur zu gleichen Rechten berufen sind;
wenn sie sich im Besitz von gleichen Körper-
und Geistesanlagen befanden und zum Theil
noch befinden: wo, wann und wie entstand
denn die Überlegenheit des Mannes über das
Weib? was gab dem Manne das Schwert
in die Hand? und was verwies das Weib an
die Spindel? Diese Fragen, die jeder sich
aufwerfen muſs, der zu fragen versteht, wenn
gleich die gröſsere Kunst zu antworten ihm
nicht gegeben seyn sollte, haben allerdings nicht
wenig von der Natur jenes weltberühmten Kno-
tens, der, da er geschürzet war, auch wieder
hätte aufgelöset werden sollen, den aber Ale-
xander, nach der Weise vieler unserer Dich-
[76] ter, zu zerhauen die unästhetische Dreistigkeit
hatte. Ständen wir dem Wann und Wo, der
Zeit und dem Raume nach, näher; so würde
es wahrscheinlich keines Oedips bedürfen, um
bei dieser Meisterfrage eine akademische Prä-
mie von dreiſsig Silberlingen zu gewinnen,
und das Wie obendrein zur allgemeinen Befrie-
digung zu beantworten. Allein da über das
Wann und Wo in keiner Chronik und keiner
Topographie ein todtes, geschweige denn ein
lebendiges, Wort zu finden ist; so müssen,
bis die Hieroglyphen an den Pyramiden ent-
hüllt seyn werden, oder bis uns ein bisher
verborgenes Denkmahl darüber seine Aufschlüsse
nicht länger vorenthält, das Irgendwo und das
Irgendwann bei dieser groſsen Katastrophe zur
Unterlage dienen, und das Wie, in Ermange-
lung der Geschichte, durch eine Conjektur
der Vernunft aufgelöset oder — zerhauen wer-
den. Alles, wobei es auf Thatsachen an-
kommt, kann nur bis auf einen gewissen Zeit-
punkt hin verfolgt werden. Da wo die Sonne
der Geschichte untergeht und sogar der Mond
der Fabel sein entlehntes Licht entzieht, bleibt
[77] der Vernunft nichts übrig, um sich zu orien-
tiren, und sie irret in dem unbegrenzten Mee-
re der Möglichkeit, ohne zu wissen, woher
und wohin? Was hier über Geschichte und
Fabel hinausgeht, ist (da die ersten Sagen
der Völker davon, als von einer Sache, die
vor ihnen war, sprechen) derjenige Zustand
des Menschen, wo jedes einzelne Individuum,
ohne einige Verbindung mit andern seiner Art,
in der vollkommensten Unabhängigkeit, bloſs
von den Früchten des Bodens den es durch-
strich, lebte, ohne durch eine andere Zube-
reitung, als die man von der Natur selbst er-
hielt, ihr zu Hülfe zu kommen. Die Men-
schen hingen vom Boden und sonst von nichts
weiter ab — Ob es einen dergleichen Zu-
stand wirklich gegeben? ob je der Mensch (das
geselligste unter allen bekannten Thieren, trotz
jenen frommen Orang-Utangs in der Thebai-
schen Wüste, und ihren jüngeren Brüdern,
die es doch behaglicher gefunden haben, sich
aus Eremiten zu Cönobiten umzuformen) in
einem solchen Zustande war — mag Hans Jakob
verantworten, an dessen Grabe es heiſst: Ici
[78] répose l’homme de la nature et de la vérité —
Dergleichen Hans Jakobsche Kinder der Natur
hat weder Colombo, noch sein Märtyrer von
Nachfolger, Cook, gesehen — Allenthalben
wo diese hinkamen, waren schon die ersten
Umrisse der Gesellschaft gezeichnet, Familien-
verhältnisse (wenn gleich unvollkommen) ge-
gründet und Spuren (wiewohl freilich oft nur
sehr schwache) von Cultur und Kunstprodukten
vorhanden. Bei den allerrohesten Völkern fanden
sie schon Hütten, eine Art von Zubereitung
der Nahrungsmittel, und bei den meisten auch
die ersten Anfänge zu einer Bekleidung des
Körpers. Wo sie sich lange genug aufhielten,
und wo es ihnen glückte, sich durch Zeichen
zu verständigen, überzeugten sie sich, daſs
diese dem Naturstande anscheinend so nahe
angränzenden Menschen schon lange, und weit
über ihre Überlieferungen hinaus, immer an
dieser Stelle und diesem Orte gestanden hat-
ten. Auch nicht die mindeste Ahndung ging
unter ihnen im Schwange, daſs es auſser dem
Punkte, wo sie sich befanden, noch andere
ober- oder unterwärts geben könne. So ein-
[79] fach und in so geringer Zahl ihre Familien-
Haus- und Nahrungsgeschäfte auch immer seyn
mochten, da ihre Bedürfnisse noch wenig über
die der thierischen Natur hinausgingen; so
leicht ihre Nothdürftigkeiten gestellt werden
konnten, da die Kunst sie nicht verwöhnt
hatte: so waren unter den beiden Geschlech-
tern doch schon Casten errichtet, und eine
Scheidung vorgefallen in dem, was Gott zu-
sammen gefügt hat. Je unvollkommener auf
der Einen Seite hier die gesellschaftliche Ver-
fassung war; je schwerer es fiel, das thierische
Bedürfniſs zu befriedigen, weil die Natur den
Boden, oder die Wälder (die königlichen
Residenzen dieser Menschen) oder die Flüsse
und Meere nur karg mit den Mitteln dazu aus-
gestattet hatte: um desto härter war das Loos,
welches dem weiblichen Theile dieser halbge-
zähmten Menschenklasse fiel. Das Leben des
Mannes war vorzüglich zwischen Genuſs und
Ruhe getheilt, wenn ihn nicht dringendes Be-
dürfniſs zur Jagd oder zum Fischfang auffor-
derte. Das Weib begleitete ihn nur selten als
Gehülfin, weil ihm die Pflicht die Speisen zu
[80] bereiten oblag, während das Mannthier seine
Glieder in der Sonne dehnte. Freilich nur
schwache, unbefriedigende Data zur Auflösung
der aufgeworfenen Frage; indeſs doch etwas,
um uns auf Mehr zu bringen — wie jene
Übermacht entstand, welche auf die eine Hälf-
te des menschlichen Geschlechtes alles Lästige
wälzte, und sich dagegen allen Vortheil weis-
lich vorbehielt. — Scheint nicht die Natur
durch Schwangerschaft und Geburt den ersten
Fingerzeig zu diesem Verlust über die Hälfte,
bei der Theilung des menschlichen Werthes,
gegeben zu haben? Wenn dieses Antheil, das
den Weibern zufiel, auch noch so sehr erleich-
tert wird; wenn es auch noch so köstlich ist: —
kann es auf eine andere Rubrik als auf Mühe
und Noth gerechten Anspruch machen —?
Der Mann scheint zum Vergnügen berufen zu
seyn, das Weib dagegen zu Kummer und
Elend — Wenigstens liegen in dem Familien-
verhältniſs, in der Art und Weise wie die
Keime der Geselligkeit sich zuerst bei den
Menschen entwickelten und worauf ihn viel-
leicht das Zeugungs-Geschäft brachte, ent-
fernte
[81] fernte Winke und Hieroglyphen, wodurch der
gesellschaftliche Zustand, welcher dem mensch-
lichen Geschlecht einen so erstaunlichen
Schwung gab, der Einen Hälfte des Geschlech-
tes so nachtheilig ward — Wiederholung der
nämlichen Umstände pflegt die Dürftigkeit der-
selben zu bedecken, als ob Ermüdung Ergän-
zung wäre; und selbst unsere Philosophen
sind oft in dem Falle jenes Kranken, dem der
Arzt erlaubte, täglich einen Löffel voll Wein
zu nehmen, und der sich einen Löffel von
vier Quart machen lieſs — sie sind da am be-
redtsten, wo sie am kürzesten seyn könnten,
weil sie hier am wenigsten wissen. — Es sei
mir erlaubt, jene Data durch Rückblicke auf
die Geschichte, das Noth- und Hülfsbüchlein
in allen Lebensfällen, zu verstärken oder zu
schwächen — meine Leser mögen den eigent-
lichen Ausdruck suchen; doch, wenn ich bit-
ten darf, nicht auf meine Kosten, sondern
mir zum Besten.
Schon in den ältesten urkundlichen Nach-
richten über den gesellschaftlichen Ursprung
der Menschen, finden sich Spuren von einer
F
[82] Ungleichheit der beiden Geschlechter, und
von Zurücksetzungen des weiblichen — wohin
auffallend die Vielweiberei gehört.
Wie despotisch ist der Gedanke, daſs ein
Mann sich befugt halten konnte, mehr als Ein
Weib zu besitzen, indem bei einer Berech-
nung an den Fingern sich herausbringen läſst,
daſs er durch diese Verschwendung Andere
zum Darben bringt! Wahrlich, die Vielwei-
berei ist ein Umstand, der sich weder mit
Seele noch mit Körper verträgt, und nicht nur
der Vernunft, sondern selbst einer Leidenschaft
widerspricht, die (wie die Kinder reicher und
vornehmer Leute) durch die Schule der Ver-
nunft gelaufen ist. Wo ein Mann mehr als
Ein Weib hat, wird jener Tyrannenrath er-
füllt: Theile und regiere (divide et impera).
Die Weiber muſsten auf diesem Wege des
ihnen so nachtheiligen männlichen Luxus ih-
re Abhängigkeit im höchsten Grade fühlen;
und wenn gleich die Sultanin des Tages sich
einen Vorzug vor ihren Colleginnen anmaſste:
so währte dieses Ansehen, das sie sich gab,
doch nicht lange, und bald überzeugte sie
[83] sich, daſs unter Sklavinnen keine Rangord-
nung Statt finde.
Die Geschichte der Sara und Hagar schei-
net zu beweisen, daſs die Kebsweiberschaft
nicht gleich anfänglich bloſs in dem eignen
Belieben des Mannes gestanden, und daſs er
anfänglich verpflichtet gewesen, die Genehmi-
gung seiner Frau einzuholen, eh’ er sich ein
Kebsweib beilegen konnte. Auch scheinet sich
aus dieser Kebs-Geschichte zu ergeben, daſs
dergleichen Contrakte nicht auf die ganze Le-
bensdauer gegangen, und daſs oft noch vor
Ablauf der contraktmäſsigen Zeit der Engel
des Gewissens, und der Schutzgeist warnender
Umstände dem Manne zugerufen:
stoſs die Magd hinaus mit ihrem Sohne!
Schon hab’ ich mein Herz ausgeschüttet, daſs
der erste Grund zu der männlichen Anma-
ſsung eines Vorzuges vor dem Weibe, in dem
Gange aufzusuchen sei, den die Bildung des
gesellschaftlichen Zustandes nahm. Ob die
Art, wie die geselligen Keime sich bei den
Menschen entwickelten, die einzig mögliche;
oder ob unter mehreren möglichen die, auf
F 2
[84] welche die Menschen von der Natur geleitet
wurden, der schmale Weg sei, der zum Le-
ben führet: das sind Nebenfragen, die, so wie
ihre Stammmutter, vielleicht noch lange, viel-
leicht immer, unentschieden bleiben werden.
So viel scheint ausgemacht, daſs diese Kei-
me sich überall durch ähnliche Veranlassung
entwickelt haben müssen, indem sie (ein Be-
weis, dessen ich gern entübriget wäre) für das
weibliche Geschlecht einerlei nachtheilige Fol-
gen hervorgebracht haben. Die Gesellschaft
ist die Quelle alles Glücks und alles Unglücks,
das je dem menschlichen Geschlechte zufiel;
und noch ist nicht erschienen, was die Men-
schen durch sie werden können und durch
sie — seyn werden. Wir wissen aber, daſs,
wenn es erscheinen wird, wenn wir das hei-
lige Gesetz beobachten, und dasselbe, so
wie Gott, nicht fürchten sondern lieben,
wir Gott ähnlicher seyn und die Krone des
Lebens tragen werden. Eine Hoffnung, die
Plato nicht den Traum des wachenden Men-
schen nennen muſs, und bei welcher Glaube
an das menschliche Geschlecht zum Grunde
[85] liegt. Könnt’ ich doch hinzufügen: wahrer
und lebendiger Glaube! aber noch ist solcher
in Israël nicht gefunden — Dieser Glaube
ist Welt-Patriotismus.
Darf ich mir ein- für allemal die Erlaub-
niſs auswirken, rückblicken zu dürfen, ohne
von irgend einer kritischen Feder das Schicksal
von Loths Weibe zu befürchten zu haben?
Zum Fischefangen und Vogelstellen hat je-
der Mensch noch immer einen so besonderen
Hang, daſs gereimte und ungereimte Warnungs-
tafeln aushängen müssen, um den Menschen
von diesen Urbeschäftigungen abzuleiten, und
ihn, bei den erweiterten und verzärtelten Be-
dürfnissen, zu andern nothwendig gewordenen
künstlichern Nahrungsquellen zu gewöhnen.
Der bekannte St. Eoremont war bis an sein
Ende wohlbestallter Entenhüter zu St. James;
jener Schweizer in Frankreich erbat sich die
Anwartschaft auf die Hofstelle des Rhinoce-
ros — jener Gelehrter bei dem Hofe Frie-
drichs II den vacant gewordenen Atheisten-
platz; und zu wie vielen Rhinoceros- und Atheis-
ten-Posten müssen sich Menschen nicht herablas-
F 3
[86] sen, um ihr tägliches Brot nach der heutigen
Auslegung zu erreichen, wovon der Vogel-
steller und Fischfänger kein lebendiges Wort
wuſste, keinen Traum oder todten Gedanken
kannte!
Ob Jäger Esau auch ein Fischfänger gewe-
sen, ist nicht bemerkt, und die Herren Juri-
sten würden ohne allen Zweifel einen artigen
Fang machen, wenn es ausgemittelt wäre, (ein
Lieblingswort dieser Herren, die doch so oft
zweckreich und mittelarm zu seyn pflegen) daſs
der Fischfang schon in den ältesten Zeiten
unter der Jagd begriffen gewesen sei.
Warum das weibliche Geschlecht sich
nicht die blutarme Fischerei zugeeignet habe,
um dem nach Blut dürstenden Manne das
Wild zu überlassen? ist eine Frage, die sich
bei dieser Gelegenheit von selbst aufwirft.
Vielleicht nahm das Weib an allem Theil —
vielleicht stand es dem Manne nirgends nach;
vielleicht hinderten es nur die letzten Stunden
der Schwangerschaft, und sechs Stunden nach
der Niederkunft, an den Geschäften des Ober-
jägermeisters, seines Mannes, unmittelbaren
[87] Antheil zu nehmen — Die Gottheit der Jagd,
Diana, war bei den jüngeren Alten generis
foeminini —
Dieser Stillstand, den Schwangerschaft und
Niederkunft verursachten, war, von so kurzer
Dauer er auch immer seyn mochte, ohne
Zweifel der Grund des weiblichen Falles. In
diesen Zwischenzeiten der Muſse war es viel-
leicht, wo das Weib, durch einen dem Ge-
schlecht eigenen und mit seiner Bestimmung
vielleicht genau zusammenhangenden Instinkt
zu sparen, sich sein Sklavenschicksal bereitete.
Warum folgte es nicht der göttlichen Lehre:
»sorget nicht für den andern Morgen; es ist
genug, daſs ein jeder Tag seine eigene Plage
habe!» So lange die Nahrungsquellen ergiebig
waren, fiel dem Manne nie der Gedanke an
das Aufbewahren ein; sein Jagdrevier war sei-
ne Speisekammer, zu der alles, was Leben
und Odem hatte, gehörte — eine lebendige
Speisekammer, bei der er vor dem verdorbe-
nen Geschmack an faul gewordenem Wildbret
sehr sicher war! einem Geschmack, der bei al-
lem — das leidige Geld nicht ausgenommen —
F 4
[88] Statt findet, was man in Scheuren sammelt,
denen ohnedies das Motto angeschrieben ist:
du N — heute wird man deine Seele von dir
fordern; und was wird seyn das du gesam-
melt hast? — Doch auch dem Geitzhals, dem
Teufel, muſs man einen Vertheidiger beiord-
nen —; und in der That ist die Sorge für
den andern Morgen, wenn sie rechter Art ist
und in ihren Schranken bleibt, eine nicht ge-
meine Vernunftäuſserung. Der Gedanke: »heu-
te ohne Hunger zu jagen, um morgen nicht
aus Mangel an Wildbret fasten zu dürfen,»
enthält — ungeachtet jener göttlichen Lehre,
für den andern Morgen nicht zu sorgen — so
viel Überlegung in sich, wie in den Köpfen
einer ganzen Heerde von Wilden nicht Platz
hatte. Auch hier muſste das Weib dem Man-
ne aushelfen, und wo es auf Vernunftgebrauch
ankam, scheint immer das Weib die Bahn
gebrochen zu haben. Jene Verlegenheit, in
die es die letzten Stunden der Schwangerschaft
und die ersten nach der Geburt verwickelten,
leitete es, kraft des instinktartigen Gefühls,
zur Selbsterhaltung, die ihm wegen der Erhal-
[89] tung des Säuglinges noch dringender ward, an
der Hand der Vernunft, weise und mächtig
auf Vorrath zu denken, sich heute etwas zu
entziehen, um morgen nicht ganz entbehren
zu müssen. Diese Aufbewahrung von Vorrä-
then, welche anfänglich bloſs gelegentlich und
nur so lange geschah, als es die Umstände ver-
langten, ward nach und nach, je nachdem die
Menschen sich mehrten und die Nahrungs-
quellen ärmer wurden, wiederholt, und mit der
Zeit beständig. Wenn es wahr ist, daſs in
vielen Fällen Thiere die Lehrer der Menschen
gewesen sind; so wird das Vorrathsammeln
ohne Zweifel zu dem Lektionskatalogus dieses
Unterrichtes gehören. Der Instinkt (der sich
zur Vernunft, wie der Tanzbärleiter zum Ho-
dogeten, verhält) hat seine Kinder schnel-
ler und sicherer an Ort und Stelle gebracht,
als die sich Zeit nehmende kalte Vernunft die
werthen Ihrigen. Gewiſs sammelten die Bie-
ne und die Ameise früher als der Mensch;
vielleicht versteckte das Alterthum diese Wahr-
heit unter der Fabel von den Myrmidonen. —
Nicht etwa bloſs Neugierde, wie einige wol-
F 5
[90] len, sondern Beobachtungsanlage lenkte ohne
Zweifel zuerst das Weib auf diese Ex-
perimental-Unterweisung. Vorräthe erforder-
ten beständige Aufsicht, nähere Einrichtung
und Bearbeitung; und so entstand Hausrath.
Irgend ein Zufall, und ohne Zweifel die An-
hänglichkeit mancher Thiere an den Menschen,
lehrte ihn (wahrscheinlich zuerst das Weib),
einige Gattungen von Thieren zu seinem be-
ständigen Brauch und Dienste zu zähmen; und
so vermehrte sich durch diese Dienstboten,
die man im Falle der Noth auch zur Nahrung
nahm, der Haushalt. Jetzt muſsten die Ge-
schäfte getheilt werden; und da wählte denn
der Mann die Jagd, das Weib den Haushalt.
So ward das Weib allmählich die Befehlshabe-
rin der Hausthiere, und eh’ es sich’s versah,
das erste Hausthier selbst. Das arme Weib!
Doch was kann weiter befremden? ward es
doch durch jene Revolution, wodurch es die
Freiheit an’s Licht brachte, eine Sklavin!
Allmählich fingen die Vortheile und Nach-
theile, welche mit den unter beiden Geschlech-
tern so sehr verschiedenen Lebensarten ver-
[91] knüpft waren, immer mehr an sichtbar zu
werden. Der Körper des Mannes, durch die
Beschwerlichkeiten der Jagd oder Fischerei ab-
gehärtet, fest, gelenk und stark, behauptete
auch einen Einfluſs auf seine Seele. An Ge-
fahren gewöhnt, ward er durch diese Gewohn-
heit muthig, unerschrocken, standhaft, und
fühlte seine Überlegenheit über Alles, was
nicht Mann war, mithin auch über sein Weib,
dessen körperliche Kräfte aus Mangel an Ge-
legenheit unentwickelt blieben, und das, aus
Unbekanntschaft mit Gefahren, diese zu fürch-
ten anfing, da hingegen der Mann, vertraut mit
der Gefahr, sie vermeiden oder bestehen lern-
te. Mit kleinlichen Gegenständen und mit
Thieren umgeben, die Zaum und Gebiſs ge-
duldig trugen, sank das Weib nach und nach
an Körper und Seele zn einer niederen Stufe
herab, und lernte geduldig, sich bei seinem
Despoten mit der Stelle einer ersten Sklavin
begnügen. Sklavin! Ohne Zweifel brachten
zahm gemachte Thiere den Menschen auf die-
sen unmenschlichen Gedanken, und dies
schreckliche Wort würdigte die Menschheit
[92] so tief herab, daſs die verrufene Münze keine
Spur mehr von Bild und Überschrift der vori-
gen Zeiten an sich trug. So wie unfehlbar
das Weib durch den Besitz gezähmter Thiere
das Hirtenleben erfand und einführte, so wird
eben dasselbe, da es mehr an Einen Ort und
an Eine Stelle gebunden war, auch zu An-
pflanzungen und zum Ackerbau Gelegenheit
gegeben haben. Gewiſs hat es den ersten
Sallat zum Wildbraten des Mannes bewirkt.
Eine Wurzel, Körner — die, in Ermange-
lung eines Alderman-Schmauses, von einem
antipythagorischen Bohnenmahl übrig geblie-
ben waren, und die man, weil es fettere Bis-
sen gab, nicht achtete — wurzelten und mehr-
ten sich um die Hütte herum, bis es dem
Weibe einfiel, absichtlich zu pflanzen und zu
säen. So entstand von der Hand des Weibes
vielleicht der erste Garten, den englischen
Garten Eden ausgenommen; und der Garten-
bau ist auch gröſstentheils in den Händen der
Weiber geblieben, bis auf den heutigen Tag.
Auch hat das Weib wahrscheinlich in Allem
zuvor Probe gegessen und dem Manne zur
[93] Sicherheit, theils wegen der Unschädlichkeit,
theils wegen des Wohlgeschmacks, gedient. —
Noch jetzt ist das höchste Ziel der Kochkunst
ein Vorzug der Weiber. — Der Wechsel,
den das Weib an seinem eignen Körper er-
fuhr, gewöhnte es an die Witterung, und
lehrte es so sehr auf die Zeit merken, wie
den Unbestand der Witterung überstehen; und
so ward durch das Weib vielleicht beides, das
Hirtenleben und der Ackerbau, — erfunden
oder zu Stande gebracht? — Wie viel läſst
sich hierüber conjekturiren! Der gemeine
Acker- und Gartenbauer räumt dem lieben ge-
treuen Erdenvasallen, dem Monde, noch jetzt
viel Einfluſs auf seine Erzeugnisse ein: er
pflanzt seinen Kohl und was Blätter treiben
soll, im Vollmonde, und das, wodurch unter
der Erde Wurzeln oder Knollen hervorgebracht
werden sollen, bei Mondesabnahme. Die Pha-
sen des Mondes sind ihm noch Epochen in
seinem Wirthschafts-Kalender; und was kann
ihn anders auf diese Mondweisheit gebracht
haben, als die Weise der Weiber —? Von
beiden Hauptnahrungsquellen, dem Hirtenleben
[94] und dem Ackerbau, wuſste der ins Gröſsere
gehende Mann das Weib abzubringen, um es
an den Haushalt zu fesseln — wozu Se. Ge-
strengigkeit das Weib verurtheilt hatte. »Ver-
urtheilt?» Mit nichten; durch einen Macht-
spruch, durch einen Justizmord, des Landes
verwiesen hatte. — Noch jetzt genieſsen Er-
finder selten die Ehre der Erfindung, und ver-
dienen sie vielleicht auch nicht, weil fast im-
mer ein Ungefähr sie darauf bringt — Erfin-
dungen und Offenbarungen werden gemacht,
man weiſs nicht wie! —
Ackerbau und Viehzucht sind, so wie Ur-
sache und Wirkung, mit einander verbunden;
und es ist schwer zu begreifen, warum Hir-
ten und Ackerbauer sich gleich anfänglich ha-
ben trennen und beneiden können. Da nichts
natürlicher war, als daſs das Vieh keine An-
pflanzung schonte, und da dieser Umstand die
Hirten und Ackerbauer in beständige Gränz-
streitigkeiten verwickeln muſste; so hätten die-
se Zwiste beide Theile sehr bald zu freund-
schaftlichen Verabredungen bequemen sollen.
Die Jagd allein, der Ursoldatenstand, scheint
[95] eine Erfindung des Mannes zu seyn; und da
der Mann seine Beute oft sehr weit suchen
muſste, so gab sie die erste Ursache zur Her-
abwürdigung des Weibes. Bei dem Ackerbau
und der Viehzucht hätte es sich gewiſs länger
in Ehren und Würden erhalten können, wenn
die Jagd nicht schon den Mann bewaffnet und
er allen Vortheil und Nachtheil des Soldaten-
standes in sich vereinigt gehabt hätte. Er
stand bei seinem Weibe im Quartier. — Noch
jetzt bin ich ein Feind der Jagd, weil sie dem
Weibe jeden Schritt zur weiteren Cultur ver-
trat und alle jene Übel erzeugte, denen das
menschliche Geschlecht durch Kriege oder
Menschenjagden unterworfen worden ist. —
Zwar sagt man, daſs der Krieg oft ein Weg
zur Cultur gewesen sey und werden könne;
und freilich ist es nicht das erste mal, daſs
aus dem Bösen etwas Gutes wird: Ist und
bleibt aber, dieser Metallverwandlung des Gu-
ten und Bösen unbeschadet, Krieg nicht ein
Originalübel? Im Reiche Gottes, dessen Son-
nenaufgang und Morgensegen wir mit Dank-
sagung erwarten, wird man so wenig Menschen
[96] würgen und sich zur Erkenntlichkeit dem
Würgengel bloſs stellen, als in der andern
Welt freien und sich freien lassen. —
Die Flecken in der Sonne — die man unge-
fähr wie die Flecken ansieht, womit die rein-
lichste Hausfrau in der Küche sich ihre Man-
schetten bespritzt, wie es dem Geschäftsmanne
an seinem Schreibtische mit Tinteflecken nicht
besser geht — sind nicht, was sie scheinen.
In der physischen Welt ist überhaupt alles
gut, sehr gut! — Und wie? dies sollte uns
nicht zu der Hoffnung Anleitung geben, daſs
es auch in der moralischen Welt zu jener
Stufe der Cultur kommen werde, wo man des
Bösen nicht bedarf, um Gutes daraus zu ler-
nen? Fehden waren es, die ihren Ursprung
aus der Vermehrung der Menschen und aus
der Verminderung des Wildes (des einzigen
und nächsten Nahrungsmittels für den rohen
Menschen) hatten; der Menschen wurden mehr,
des Wildes ward weniger: und so konnte es
nicht fehlen, daſs nicht Streitigkeiten und Be-
fehdungen entstanden, welche Familienkriege
nach sich zogen.
Zwei
[97]
Zwei Familien, die der Übermacht zu wei-
chen gezwungen waren, stieſsen vielleicht
durch einen Zufall auf eine dritte, der sie
einzeln nicht gewachsen gewesen wären, die
ihnen aber jetzt ihr Jagdrevier überlassen
muſste; und dieser Umstand war es, der zwi-
schen beiden, wenigstens so lange die Gefahr
dauerte, ein gesellschaftliches Band knüpfte,
ohne daſs es unter ihnen zu einer Verabre-
dung und Constitution kommen durfte. Durch
Irrthum und Thorheit gelangen die Menschen
zur Wahrheit, und durch Mühe und Streit
zur Vereinigung und Gesellschaft. Ist mir
doch schon wieder der traurige Gedanke im
Wege, daſs das Böse so oft ein Vorspiel, ein
Präludium zu dem Textliede des Guten seyn
muſs! — »Oft oder allemal?» Oft, Freunde;
denn es giebt Original-Gutes, Gutes aus der
Wurzel — und dies könnte man göttlich Gutes
nennen! Gott ist original-gut! —
Das Hirtenleben und der Ackerbau (das
neue Testament, wozu die Menschen nach
dem alten Testamente des Jagdlebens sich auf-
klärten) gab nicht minder zu Zwisten Gele-
G
[98] genheit, wozu die Tagdieberei des Hirten,
und das Vorurtheil, als ob er eben darum
Gott lieber wäre und von ihm mehr beglückt
würde, mittelst des argen, bösen Neides nicht
wenig beigetragen haben mag: Neid ist Geitz,
und dieser ist, wie jeder von uns weiſs, die
Wurzel alles Übels. Der Hirt schonte die
Anpflanzungen des Ackermannes nicht, und
ehe dieser pfänden konnte, war jener mit
seiner Heerde über alle Berge, und wuſste
sich listig der Berichtigung des Pfandgeldes
zu entziehen. Dies zwang den Ackerbauer,
mehr auf seine Vertheidigung bedacht zu seyn;
und da er sich gedrungen sah, mehr Hände
anzuwerben, um den Acker zu bestellen (Hän-
de, die zusammen bleiben muſsten, um die
Zeit abzuwarten und die Witterung zu benut-
zen, oder ihr zuvor zu kommen:) so bauete
ein Haus das andere, wie ein Wort das an-
dere zu geben pflegt. Hierdurch waren die
Ackerbauer mehr im Stande, sich den Aus-
schweifungen des zahmen Hirten und des
wilderen Jägers zu widersetzen. Aus den Ak-
kerbauern wurden Bauherren: (eine Würde,
[99] die ihnen selbst von den überwundenen Horden
der Jäger oder der Hirten zugestanden ward;)
und nur spät hat sich das Blatt gewendet, so
daſs wiederum Fürsten und Herren jagen, und
Sklaven den Acker bauen. — So drehet sich
Alles in der Welt, und die Menschen folgen
so groſsen Beispielen; Familien und Reiche,
Aufklärung und Verfinsterung, Gutes und Bö-
ses: Alles geht auf und unter. — Zu der
Zeit, als auf den Trümmern von Familienge-
sellschaften bürgerliche Gesellschaften errichtet
wurden, war das Schicksal der Weiber schon,
wie es schien, unwiederbringlich entschieden.
Die Waffen, welche die Männer bei jenen
Umständen führen muſsten, und welche sie
fast nie aus den Händen lieſsen, während die
Weiber für das Hausbedürfniſs ihrer Männer
und Kinder besorgt waren, gaben diesen ein
entscheidendes Übergewicht über jene, welche,
weil sie mit Waffen nicht umzugehen wuſsten,
sich vor ihnen fürchteten. Sie erschraken vor
Gefahren, welche die Männer, mehr damit
bekannt, verachteten. An Körper und Seele
war ihnen der Mann, wenn ich so sagen darf,
G 2
[100] unter der Hand überlegen geworden; und da
er sich im ausschlieſsenden Besitze der Schutz-
und Trutzwaffen befand, so vertheidigte er
nicht bloſs seine Person, sondern auch sein
Eigenthum, wozu er seine Familie und in der-
selben sein Weib rechnete, das er jetzt als
durchaus von ihm abhängig ansah.
Während daſs die Einsichten des Mannes
durch seinen vergröſserten Wirkungskreis sich
vermehrten; während daſs seine Geschäfte
mit der bürgerlichen Gesellschaft einen hö-
heren Schwung nahmen, indem seine Begriffe
sich zu generalisiren anfingen: schrumpfte die
Seele des Weibes je mehr und mehr in die
Gränzen des Haushalts ein. Dieser bestand
wegen Einfachheit der Bedürfnisse, dem Vater
Homer zufolge, in dem Zeitalter der Heroën,
selbst bei königlichen Familien, noch bloſs im
Weben und andern dergleichen Handarbeiten.
Nach und nach verlor sich die weibliche
Spannkraft gänzlich. Schade! — Durch die
Umstände, daſs alle Geschäfte des Staats den
Weibern entzogen, und diese, bei Entstehung
der bürgerlichen Gesellschaften, schon zur
[101] Besorgung des Haushalts verwiesen waren,
wurden sie nicht Bürgerinnen des Staats, son-
dern Schutzverwandte. — Schon sehr zufrie-
den, daſs der Staat ihnen diese Gnade ange-
deihen lieſs, begnügten sie sich mit einigen
Begünstigungen vor den Sklaven, die man ih-
nen bloſs zu spendiren schien. Wunderbare
Wege! Doch, ging man nicht von der Poësie
zur Prosa, von dem Tanze zum Gange, vom
Singen zum Reden, vom Roman zur Ge-
schichte —? Es wirkte eine Reihe von Ur-
sachen, (wozu wahrscheinlich die, wiewohl
gröſstentheils miſsverstandene, Natur die erste
Veranlassung gab) daſs nach und nach eine
ganze Hälfte des Menschengeschlechtes ihre
ursprünglichen Menschenrechte verlor und ge-
genwärtig einige Überbleibsel davon unter dem
Titel von Begünstigungen, wohl zu merken,
nur so lange genieſst, als es der andern Hälfte
gefällt, ihr dieselben zu lassen; — und doch
ist das dritte Wort dieser unterdrückenden
Menschenhälfte: Recht und Gerechtigkeit, Ge-
setzgebung und Gesetzhandhabung! — Warum
in Fällen dieser Art ängstliche Geschichtsausspü-
G 3
[102] rung? Der Geist, der in uns ist, bleibt im-
mer die beste Quelle aller Geschichte; er
gleicht im Wesentlichen dem Geiste aller de-
rer, die vor uns waren, und giebt dem, der
sich mit ihm einlassen kann, und jedem, der
sich selbst verständlich zu machen weiſs, wich-
tige Fingerzeige von Nachrichten, die weit
über den Zeitpunkt schriftlicher Zeugnisse,
und weit über die historische Gewiſsheit hin-
ausreichen. Jedes Kind bringt das Andenken
an die Kindheit der menschlichen Vernunft in
Anregung, und die Hauptzüge derselben drän-
gen sich Jedem auf, der Augen zu sehen, Oh-
ren zu hören, ein Herz zu fühlen, und Ver-
nunft zu ergänzen, zu vergleichen und zu ver-
binden hat. Mit Meinungen der Vorzeit kann
uns nicht gedient seyn; und die Handvoll auf-
behaltener Thatsachen sind so sehr mit jenen
Meinungen in Verbindung daſs man ohne Phi-
losophie bei den historischen Quellen der Vor-
zeit auſserordentlich zu kurz schieſst. Kann
man ohne philosophischen Kopf bei den histo-
rischen Quellen auslangen? In uns liegt das
Vermögen, aus jenen Bruchstucken der alten
[103] Welt, wo nicht ein Gebäude, so doch eine
Hütte zu zimmern, und ein Ebenbild unseres
Geistes, eine Einheit zu schaffen, die ohne
Forscherblick weder in der Weltgeschichte,
noch auch in der Geschichte jedes einzelnen
Menschen, gefunden werden kann. Ohne die-
sen Geist der Wahrheit ist und bleibt jede
Lebensbeschreibung ein Roman, der Verfasser
gehe so offen zu Werke als möglich, oder
verstecke sich unter die Bäume im Garten. —
Zu Geschichtforschern, Auslegern des mensch-
lichen Geistes, zu Seelengelehrten, zu Sehern,
gehört Studium seiner selbst; und nur in die-
ser Rücksicht ist sich selbst zu kennen eine
groſse Lehre! Nur ein Geschichtschreiber,
der diese Salbung empfing, weiſs die Reihe
der Dinge zu übersehen, und Ursache und
Wirkung unter Einen Hut zu bringen. — Es
giebt historische Ergänzungen, wo uns so we-
nig ein lästiges Ungefähr untergeschoben wird.
daſs wir weder gerade noch seitwärts etwas
gegen diese Ergänzungen einwenden mögen,
wenn wir auch könnten. —
Seht! nicht Überlegenheit des Körpers,
G 4
[104] nicht Übermacht des Geistes gab dem Manne
das Schwert in die Hand; die Lage der Sache
begünstigte diesen Schritt. Über seinen Un-
terhalt bestand der Mann den Kampf mit sei-
nes Gleichen. Madam beschützte zwar an-
fänglich zu Hause ihre Kinder, und genoſs
die Ehre, in dieser Festung zu commandiren,
und während der Feldzüge ihres Mannes Pro-
viant und Montirungsstücke zu besorgen; in-
deſs ward sie auch hier sehr bald von ihrem
erstgebornen Sohn entsetzt, der, noch zu jung
und zu ohnmächtig dem Heere seines Vaters
zu folgen, sich hier zum Commandanten auf-
warf, bis er, mit Vorbeigehung seiner Mutter,
diesen Posten seinem zweiten Bruder anver-
trauen konnte.
Was für eine Veränderung diese Umstände
während eines Zeitraums von mehrern Jahr-
hunderten oder Jahrtausenden in dem Charak-
ter, der Denkart und selbst in den körper-
lichen Eigenschaften beider Geschlechter nach
und nach hervorgebracht haben, ist am Tage.
Andere Verhältnisse und Resultate als diese
Machtvortheile, waren aus jenen Vorgängen
[105] ohne Wunder nicht zu erwarten; doch nicht
eines einzigen, sondern eines Zusammenflusses
von Wundern hätt’ es bedurft, allen diesen
zufälligen äuſseren Veranlassungen eine andere
Folgenriohtung zu geben. — Der Anfang steht
oft in unserm Vermögen, die Mitte selten, das
Ende nie. — Warum sollt’ ich es bergen,
daſs wir Männer von Gottes Gnaden es so
gern bemänteln, wie wir zu dieser Überlegen-
heit gekommen sind? Überhaupt sind Mäntel
die männliche Originaltracht, in die wir uns so
bedächtig verhüllen, um nur so viel von uns zu
zeigen, als höchstnöthig ist; die Weibermäntel
sind Copien von den unsrigen. — Nähme
man uns den philosophischen Mantel; entklei-
dete man uns von der Reverende der wohl-
ehrwürdigen Hypothesen und von allen unwe-
sentlichen, fremdartigen Behelfen, hinter deren
Wolken wir uns so unmännlich verbergen:
wie weit seltener würden wir bestehen in der
Wahrheit! — Um alles in der Welt möch
ten wir die andere Hälfte des menschlichen
Geschlechtes überreden, nicht wir, sondern die
Natur habe sie zurückgesetzt und uns unter-
G 5
[106] worfen; und doch sind wir es, die seine Be-
dürfnisse erregen, und Meinungen herrschend
machen, wodurch wir, so wie durch jene Be-
dürfnisse, den Meister über die schöne Welt
spielen. Jene Clubs und geheimen Gesellschaf-
ten, die, ohne daſs sie den Degen ziehen,
Macht, Gewalt und Herrschaft erschleichen,
sind Copien des Ganges, den die Männer
einschlugen — Und die Bibel? Bis jetzt haben
noch alle philosophische Sekten, die gedrück-
te, die streitende und die triumphirende, und
jede neue Staatsreform, bis auf die Französi-
sche Constitution, sich in der Bibel getroffen
gefunden.
Es ist das künstlichste Spinnengewebe von
Gründen, wodurch wir das weibliche Ge-
schlecht zu einer ewigen Vormundschaft ver-
urtheilen; und selbst bei den feierlichsten Ehe-
gelübden, die man sich am Myrtenfeste vor
Gott und den (freilich durch ein Lucullus-
Mahl bestochenen) Hochzeitszeugen ablegt,
verlangt das kirchliche Formular, daſs, wenn
gleich beide Theile gegenseitig sich zu ehren
verheiſsen, doch die geehrte Männin dem
[107] Manne gehorchen und ihm als ihrem Herrn
huldigen soll. Ist es zu verwundern, wenn
die heiligste aller Zusagen, die Ehetreue, so
schnöde gebrochen wird, da diesen Principal-
punkt so viele Nebenverheiſsungen schwächen?
Wie ist die Preisfrage eines feinen Kopfes:
warum in verschiedenen Staaten, wo Eide das
tägliche Brot in Gerichten sind, das Ehege-
lübde (der wichtigste Contrakt, den Menschen
mit einander schlieſsen können) ohne Eid
vollzogen wird, zu lösen? Etwa durch die
Bemerkung, daſs der Gegenstand so groſs wie
das Verbrechen des Vatermordes sei, welches
in weisen Gesetzbüchern weiser Völker ohne
Strafe blieb? Etwa, weil keine Formel stark
genug ist, das Ehegelübde zu besiegeln? und
weil, um das Gröſste zu sagen, man zur Na-
tur der Sache, zum einfachen Ja Ja, Nein
Nein zurückkommen muſs? Wichtige Grün-
de! doch schwerlich werden sie bei der Un-
terlassung des Eheeides entscheiden; denn
müſste sonst nicht unsere Eidmethode längst
verbessert seyn? Oder wie? schwört man
bei der Ehevollziehung etwa darum nicht,
[108] weil die Gelübde nicht gehalten werden, nicht
zu halten sind? nur da gehalten werden dür-
fen, wo die Natur in speciellen Fällen mit-
wirkt? Ei, Lieber! wer hält seinen Amtseid?
und wird dieser Eid erlassen? Der gröſsten
Versuchungen zu falschen Aussagen ungeach-
tet, findet der Richter, oder — was mehr sa-
gen will — der Gesetzgeber keine Bedenklich-
keit, Eiden auszuweichen; und geht denn
wirklich das Versprechen der ehelichen Treue,
auf welchem die Würde, Sicherheit und Wohl-
fahrt des Staates, das Glück des häuslichen
Standes, (des angenehmsten und tröstlichsten
im menschlichen Leben) und aller Fleiſs, alle
Betriebsamkeit beruhen, über das Vermögen
der Menschen? Hast du nicht liebe getreue
Ehegenossen gekannt? Ein menschliches Schau-
spiel, das Engel zu sehen gelüsten könnte!
Unglücklicher! was ist dir die Menschheit
werth, wenn sie so tief gesunken wäre! Ich
suche den Grund dieser, von unseren eiderei-
chen Vorfahren auf uns gleich eidgierige Nach-
kommen gebrachten, denkwürdigen Gewohn-
heit in der Befürchtung, daſs man Eide einer
[109] baaren Lächerlichkeit aussetzen würde, wenn
man sie durch den unnatürlichen, vom andern
Geschlechte zu übernehmenden Umstand, sich
der unerkannten Gewalt des Mannes unter-
werfen zu wollen, entheiliget hätte. Diese Ho-
magial-Umstände entfernten den Eid bei der
Ehe in vielen protestantischen Staaten; und
die auserwählten Rüstzeuge von Reformatoren
hatten nicht unrecht, den Eid aus der Trau-
ungsformel zu verabschieden, oder ihm einen
Laufpaſs zu behändigen. Soll aber die durch
die Natur und Erfahrung laut widerlegte männ-
liche Macht und Gewalt über das andere Ge-
schlecht sich durch leidige Künstelei erhalten?
Werden wir, wenn Natur und Wahrheit ihre
Rechte zurückfordern, die keiner Verjährung
unterliegen, noch immer gewinnen und den
Sieg behaupten? Durch Wiederfragen antwor-
ten, heiſst, wo nicht gar spotten, so doch:
die Frage keiner eigentlichen Antwort werth
achten. Wer kann sich aber, wenn er auch
wollte, dieser Zwittergattung von Erwiederung
enthalten? wer der Fragantwort ausweichen:
ob die Natur je so tief in Ohnmacht und
[110] Schwächlichkeit versinken könne, daſs sie sich
ungestraft berauben lasse, ohne das Raubschloſs
oder Raubnest zu zerstören? Längst sind Männer
nur Titularherren, Besitzer in partibus infide-
lium. — Und wie! Deutsche, deren Vorfahren
ihre Weiber achteten, da der Rath derselben ih-
nen wichtig, ihre Aussprüche ihnen heilig waren,
wenn sie die Zukunft aufklärten, vielleicht wei-
se genug, sie nach ihrem Willen zu lenken —
(eine ehrwürdige prophetische Kunst!) Deut-
sche, die, wenn es gleich von ihnen heiſst,
daſs sie viel für Geld thun, ihre Weiber
nicht wie die Römer (als wären sie Hausrath)
einkauften; Deutsche — sollten ihrer Vorfah-
ren so unwerth seyn! Was ist anständiger:
mit dem andern Geschlechte gleichen Schritt
zu halten, oder uns von ihm, ohne daſs wir
es wissen, leiten und führen zu lassen? Nur
die Zeichen der Regierung sind uns werth,
die Regierung verkaufen wir für ein schnödes
Linsengericht; und eine kluge Frau läſst sich
von dem Manne zur Regierungs-Repräsentan-
tin erkiesen, dem hier kein Hochverrath ahn-
det, und der (weil doch Hochmuth dem
[111] Falle vorausgeht) seine Frau selbst zum Throne
führt, und sich hinreichend begnügt, daſs Al-
les unter seinem Namen expedirt wird, Alles
unter: Wir von Gottes Gnaden. — Wenn
nun aber ein so betrogener Mann, der seine
Frau zur List erniedrigt, der seine Kinder zu
ähnlicher Denkart herabwürdigt, und öffentlich
mit sich spielen läſst, bei dem allen nicht un[-]
glücklich ist; wenn er einen menschlichen
Richter in Hausangelegenheiten, einen treuen
Rathgeber in Fällen, wo er unentschlossen
schwankt, in seiner Frau findet: — was würde
sie ihm seyn, wenn sie von Rechtswegen
gleich und gleich mit ihm wäre! Wie un-
endlich leichter würde der Stand des häusli-
chen und Staatslebens werden, wenn wir eine
so herrliche Bundesgenossenschaft anerkennen
und schätzen lernten! — Eigensinn, Trägheit
und Stolz fesseln uns an alte Meinungen und
Gebräuche: drei Götzen, die man auch Au-
genlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben zu
nennen pflegt! — Laſst uns diesen Götzen-
dienst mit einer vernünftigen Verehrung der
Natur und ihrer Gesetze vertauschen! Schon
[112] lange sind die Weiber durch Leiden geprüft
und bewährt, um der Herrlichkeit werth zu
werden, welche die Natur an ihnen so gern
offenbaren möchte. Das Ende vom Liede
dieses Abschnittes.
In der That scheint eine höhere Vernunft
es mit Vorbedacht und Vorsicht darauf ange-
legt zu haben, daſs der Anfang des menschli-
chen Geschlechtes in einem tiefen heiligen
Dunkel bleiben sollte. Chaos war eher als
die Welt, Finsterniſs eher als Licht, Nacht
eher als Tag; und wohl uns, wenn die
menschlichen Handlungen, eben so wie alle
Naturbegebenheiten, nach allgemeinen Natur-
gesetzen bestimmt, und von einem inneren
Lichte, das der groſse Haufe nicht sehen kann,
und das nur Sonntagskindern selbst in der dick-
sten Finsterniſs leuchtet, gelenket werden!
Heil uns, wenn bei den unablässigen Be-
mühungen der Menschen, alles unregelmäſsig
zu machen, jene göttliche Regelmäſsigkeit ih-
ren festen Schritt hält, und die Weisheit ihre
ursprünglichen hohen Anlagen bei der späten
Entwickelung rechtfertiget! Heil uns, wenn
wir
[113] wir Alle, und auch selbst die unter uns, wel-
che am wenigsten daran denken, Mitglieder der
göttlichen unsichtbaren Kirche sind! wenn der,
welcher bloſs für sich denkt und oft sogar des
Andern Teufel ist, doch, ohne daſs er es
weiſs, die göttliche Absicht befördert, die
Welt ihrem moralischen Ziel immer näher
bringt und selbst Teufeleien zum Besten keh-
ret! O, der herrlichen Veredlung der mora-
lischen Metalle!
Wer kann bei dieser Idee gleichgültig seyn!
wer wünscht nicht, sich jenen jüngsten Tag
der Menschheit lebhaft vorzustellen und den
Gang des menschlichen Geschlechtes von An-
beginn bis auf unsere letzte betrübte, und die
in der Hoffnung erwartete letzte fröhliche Zeit
in einer Karte zu übersehen! — Wie oft
würde auf diesem Menschheitsgemählde die
Weisheit des Einzeln als Thorheit, und die
Thorheit im Groſsen als Beitrag zur Weisheit
erscheinen! Nur daſs kein Mensch hieraus
Gelegenheit nehme, in seinem verkehrten Sin-
ne zu thun was nicht taugt, vielmehr nach
bestem Wissen und Gewissen seine Tage so
H
[114] anlege, daſs die Stimme seiner theoretischen
und praktischen Vernunft, seiner Einsicht und
seines Gewissens, nicht unbefolgt bleibe!
Zwar kommt es hier immer noch bloſs auf
den Glauben an die Menschheit an, der durch
so manche unerhörte, unerklärliche Begeben-
heiten nicht nur in Hinsicht einzelner Men-
schen, sondern auch ganzer Nationen schwan-
kend gemacht wird; wer wollt’ indeſs auch
bei einem Senfkorn dieses Glaubens ver-
zweifeln! Vater der Menschen, stärk’ uns
diesen Glauben! Wie plaulos da alles durch
einander läuft! wie viel Zerstörungssucht, Ha-
der, Neid, Zank, Zwietracht! Alles ver-
schworen, die Wünsche des Menschenfreun-
des zu vereiteln und der göttlichen Bestimmung
entgegen zu arbeiten! Doch jene goldreine
Zeit wird kommen, wo die Menschheit
mehr von Schlacken geläutert seyn wird! nur
daſs nicht, was bei menschlichen Handlungen
glänzt, uns sogleich etwas Göttliches scheine!
Nicht Alles was glänzt, ist Gold. Nur daſs
wir uns durch nichts, selbst nicht durch den
herrlichsten kosmopolitischen Zweck, zum
[115] Handeln bestechen lassen, vielmehr auf nichts
weiter denken, als unsere Pflicht mit strenger
innigster Redlichkeit zu bewirken und sie
menschmöglichst (ein theures werthes Wort!)
zu erfüllen! Nur daſs wir bei unseren heili-
gen Verbindlichkeiten nicht an den Morgen
der Folgen denken, sondern lauter und rein
thun, was wir schuldig sind, und Alles übri-
ge dem überlassen, der allein weise ist! Wer
sich das Ansehen giebt, der göttlichen Regie-
rung nachhelfen zu wollen, ist ein Gottes-
läugner in einem besondern Sinne — — Sollte
indeſs die Natur dem verzagenden Beobachter
nicht wenigstens, wie Ariadne, einen Leitfa-
den zugeworfen haben, um sich aus diesen
Labyrinthen herauszuhelfen? um, da er in Al-
lem eine göttliche Endabsicht voraussetzen
kann, dieselbe, trotz allen Kreuz- und Quer-
zügen von eigenen Absichten der Menschen,
auch bewundern und sich an ihr und an der
allmählichen Erreichung derselben erfrenen zu
können? Nichts würde diese Gesinnngen und
diese Hoffnungen stärker befestigen, als wenn
wir; von den Urzeiten ab, in allen den Krümmun-
H 2
[116] gen, die das menschliche Geschlecht einschlug,
eine geheimniſsvolle Entwickelung dieser An-
lagen zu bemerken und den Finger einer Vor-
sehung zu finden im Stande wären. So bald
Geschichte, Erfahrung und Nachdenken et-
was von diesem ihrem Gange enträthseln kön-
nen; so ist hierzu ein Plan gezeichnet, und
wir sind in diesen vierzig Jahr-Wochen des
Wüstenumweges nach Kanaan nicht ganz und
gar verlassen und versäumet. Doch noch hat
diese herkulische Arbeit keinen Anfänger, viel
weniger einen Vollender; und da die Einbil-
dungskraft in dieser Hinsicht kein leidiger
Tröster ist, so läſst sie uns in, mit und un-
ter ihrer Beihülfe, wenn gleich nicht lebendi-
ge Überzeugung, so doch beruhigende Hoff-
nung erlangen. Ist der Mensch ein Miniatur-
stück von Welt, ein Mikrokosmus; so mag
die Geschichte des einzeln Menschen im-
merhin einen Schattenriſs von der Geschichte
der Menschheit abwerfen, und den Anfang
derselben, so wie ihren Fortgang, in Hiero-
glyphen dem Auge des Sehers, wenn gleich
nicht völlig, so doch kennbar, darstellen. Je-
[117] der Mensch feiert durch sein Leben das Leben
des menschlichen Geschlechtes, und wird,
wo nicht die Quintessenz, so doch ein kurzer
Auszug von der Geschichte der moralischen
Welt. Wenn man ohne sonderliche Vorur-
theile (denn ist es möglich, sich über diese
Egyptischen Plagen völlig wegzusetzen?) einen
Plan entwerfen könnte, wie die Menschen-
welt gehen müſste, wenn sie anders den letz-
ten Zwecken der Vorsehung gemäſs wandeln
wollte; so hätte man freilich von der morali-
schen Welt eine treue Probe, die mit den
Bruchstücken, welche wir davon geschichtlich
besitzen, stimmen und die Data da ergänzen
würde, wo in der wirklichen Welt Alles
wüst und leer scheinet. Jetzt aber werden
wir, hier und da viel oder wenig abgerechnet,
wenigstens ein Ungefähr von dem herauszu-
bringen im Stande seyn, was herauszubringen
war; und sollten wir nicht Alles mit einer
reinen Idee dieses Ganges übereinstimmend
finden, so wird doch ein groſser oder kleiner
Theil stimmig seyn. Die erste Periode unse-
res Lebens ist so dunkel wie die Genesis der
H 3
[118] Welt, von der wir, da sie unter dem Herzen
ihrer Mutter lag, nichts wissen. Ist unsere
Kindheit (wo wir keinen Willen haben, son-
dern nach Instinkten und nach Leitung der
Eltern, die uns entwarfen, leben, weben und
sind) nicht jener Weltperiode ähnlich, die wir
den Stand der Unschuld nennen? und sie
mag um so mehr so heiſsen, da uns in der-
selben nichts zugerechnet werden kann. Der
Mensch fühlt sich; das heiſst: er emancipirt
sich, giebt oft noch vor der Zeit sich veniam
aetatis, glaubt in seiner Vernunft einen Gott
zu haben; und seht! mitten in dieser Selbst-
vergötterung sinkt er, und oft so tief unter
den Menschen herab, daſs er kaum zu kennen
ist — Leidenschaften stürzen ihn — Fall auf
Fall! — Anfänglich sind diese Leidenschaften
ungebetene Gäste, die man gemeiniglich lieber
gehen als kommen sieht; doch über ein Klei-
nes werden sie Vernunftgenossen, Herzens-
freunde, Busen- und Schooſslieblinge, deren
Umgang, wenn das Gewissen dagegen einwen-
det, der Mensch bis auf’s Blut so vertheidigt
und rechtfertiget, daſs das sich selbst gelassene
[119] Gewissen sich anfänglich hintergehen, bald
hernach sich anstecken läſst, und endlich
selbst leidenschaftlich wird. — Spät nur, und
wenn der Tag seines Lebens kühl geworden,
kommt der Mensch durch die Stimme seines
Gewissens, das sich wieder erholt hat, zum
Nachdenken. »Adam, wo bist du? wohin ist
es mit dir gekommen?» Das Fieber des
Selbstbetruges legt sich; die Vernunft hat Zwi-
schenstunden, kommt allmählich zu Kräften,
und entwirft sich Gesetze, die der Mensch
wenigstens im Durchschnitt erfüllt — Ganz
wird er nie aufhören Mensch zu seyn — wie
sollt’ er auch eine ihm wildfremde Rolle völ-
lig ausführen können? Bei den Fehlern des
Alters erinnert er sich der Sünden der Jugend,
sinkt, fällt, steht auf, und sieht am Ende ein,
daſs der Mensch nie zur Vollständigkeit ge-
langen kann; doch jaget er ihr nach, und ver-
sucht, ob er jenes Ziel erreichen werde, die
Krone des Lebens. —
Das Weib — ist wie der Mann; es giebt
hier keinen Unterschied: sie sind allzumal
Menschen, und mangeln des Ruhmes, den sie
H 4
[120] haben sollten — — Das Verhältniſs der Ge-
schlechter gegen einander? Allerdings der
Hauptpunkt, worauf es bei dieser ganzen Ab-
schweifung ankam! Der gerade Gang aller
kleinen und groſsen Gesellschaften — den ich
aber aus mehr als Einer Ursache auch selbst
nach den ersten Strichen nicht darstellen mag.
Adam und Eva leben anfänglich im Stande
der Unschuld; dann wird Adam Eva’s Unter-
gebener, gehorsam bis zur Ausschweifung;
bald darauf verwandelt er sich in ihren Gebie-
ter, welches er lange bleibt, bis sie endlich
beiderseits in Frieden, Einigkeit und Gleich-
heit mit einander leben, und zu jenem Stan-
de der Unschuld, wiewohl mit weit mehr
Einsicht und weit mehr Glückseligkeit, zu-
rückkehren. Genug — auch dieser Hand-
zeichnung vom Verhältnisse der Geschlechter
will ich weder Farben geben, noch sie vollen-
den — Ein jeder wird an diesen Strichen
sich selbst kennen, und durch diese Selbst-
kenntniſs den Gang der Menschenwelt und
der beiden Geschlechter — Möchte doch auch
in Hinsicht des Geschlechterverhältnisses Eine
[121] Heerde und Ein Hirt werden! — Doch, die-
ser Wunsch ist im dritten Kapitel zu früh;
wer wird sich selbst in den Kauf fallen —?
wer sich vor dem fünften Akt verheira-
then? —
[122]
IV.
Nähere Angaben, woher die Über-
legenheit des Mannes über die
Frau entstanden ist.
Betreffen neuere Zeit.
Das Schwert gab dem männlichen Geschlechte
Machtvortheile über das weibliche; aber dem
natürlichen Maſse von Leibes- und Seelen-
kräften konnte es eben so wenig eine Hand-
breit zusetzen, als der Nichtbesitz der Waffen
dem weiblichen Geschlecht eine Handbreit zu
nehmen im Stande war, wenn gleich nicht ge-
leugnet werden kann, daſs dieser Nichtbesitz
Furchtsamkeit, Miſstrauen in Kräfte, welche
die Weiber nicht kannten, zur Folge hatte.
Als die Griechen und Römer in ihren Kriegen
mit den Indiern der Elephanten ansichtig
wurden, erschraken sie über diese Kolossen,
und der Muth entfiel ihnen; doch, er nahm
wieder zu, als sie diesen Kriegespopanz mehr
[123] kennen und verachten gelernt hatten. Sie
überzeugten sich, wie wenig diese unbehülf-
lichen Massen der Gewandtheit eines geübten
Kriegsheeres die Wage halten könnten; und
ob sie gleich hierdurch keinen wesentlichen
Zuwachs an Kräften erhielten, so ward doch
durch diese Erfahrung das Zutrauen auf ihre
Kräfte vergröſsert. Es hatte mit diesem Zu-
trauen eben die Bewandniſs, wie mit dem
Credit der Kaufleute, wodurch sie reicher als
durch Schätze sind. In der That, wir haben
an körperlichen Kräften und an den Resulta-
ten derselben, Muth und Tapferkeit, gegen
unsere Väter so wenig gewonnen, daſs wir es
wohl weislich bleiben lassen müssen, in ihren
Rüstungen und mit ihren Waffen zu fechten;
würden sie aber, mit aller jener körperlichen
Überlegenheit, mit allem jenem Muth und je-
ner Tapferkeit, nicht gegen die erste beste un-
serer Armeen das Feld räumen müssen? Wir
haben uns durch Glück und Kunst solcher
Kräfte bemächtigt, gegen die sie nicht zu ste-
hen vermögen. Verstärken aber alle diese
Dinge unsere Leibeskräfte und unsere Geistes-
[124] vorzüge? sind wir dadurch wesentlich mäch-
tiger und tapferer geworden, als unsere Vor-
fahren? Haben wir auf diesem Wege ein
Recht erlangt, sie unter uns zu erniedrigen,
sie zu entwürdigen und zurückzusetzen? — Ge-
rade so, und nicht anders, verhält es sich mit
unsern Anmaſsungen gegen das weibliche Ge-
schlecht. Dadurch, daſs die Gesellschaften
nach und nach dauerhafter und fester wurden;
dadurch, daſs sie gewisse Formen erhielten,
vermittelst deren sie äuſserlich sich immer ähn-
licher wurden; dadurch, daſs man in diese
Formen allmählich mehr Verhältniſs zur Masse
brachte; kurz, dadurch, daſs die bürgerlichen
Gesellschaften ihre gegenwärtige Gestalt er-
hielten, ward den Weiberrechten nicht im
mindesten gefrommt. Diese ursprünglichen
Rechte waren einmal verloren gegangen, und
es blieb dabei, daſs man Weiber mit zum
Hausgeräthe des Oberhauptes der Familie rech-
nete, womit mancher nothdürftig, mancher
überflüssig versehen war; sie hatten nur noch
Werth für ihn, in so fern sie dazu dienten,
durch klugen Austausch seine Habe zu erwei-
[125] tern und sein Inventarium zu vergröſsern. Die
Menschen wurden Bürger; allein sie fingen
ihre Bürgerschaft nicht damit an, diesen ihren
bürgerlichen Verfassungen Ordnung, Dauer
und Regelmäſsigkeit beizulegen. Noch jetzt
lernt man in der Gesellschaft gesellig seyn,
und nichts läſst sich so wenig theoretisch be-
greifen, als diese Kunst. Die ersten Gesell-
schaften dehnten sich bloſs durch Gewalt der
Waffen über andere aus, und gaben sich Mü-
he, ihre freien Nachbarn nicht zu ihren Mit-
bürgern und Freunden, sondern zu ihren Skla-
ven zu machen. So entsprang, erweiterte und
bildete sich der Römische Staat; und daſs dies
der Uranfang aller groſsen bürgerlichen Gesell-
schaften war, bezeuget die Geschichte vom fin-
stern Anfange bis zum angeblich lichten Ende.
Immer hatte man Waffen in den Händen, man
mochte seinen Freunden und seinen Feinden
Gesetze vorschreiben, man mochte über An-
ordnungen zum Besten des Staates rathschlagen,
oder über Bürgerrechte entscheiden. So wa-
ren und blieben die Männer in Rücksicht ih-
rer Weiber in Machtvortheilen, und lieſsen
[126] ihnen Gnade für Recht widerfahren, wenn sie
ihnen einige Brosamen von ihrem Überflusse
zuwarfen; das heiſst: wenn sie ihnen einige
Vortheile vor den Sklaven zugestanden. Indeſs
fanden es die Griechen, und vorzüglich die
Römer, billiger oder (besser) politischer, das
weiblche Geschlecht in die Staats- und Ge-
setzordnung mit einzuschlieſsen. — Wie es
der Orient mit den Weibern gehalten hat, ist,
auſser dem, was der Jüdische Gesetzgeber in
Rücksicht ihrer anordnet, nicht bis auf unsere
Zeiten gekommen; doch scheint ihr ehemali-
ger Zustand in diesem Vaterlande des Despo-
tismus und der Vielweiberei vor dem jetzigen
sich nicht ausgezeichnet zu haben, da Asich
und Afrika, seitdem die Griechen und Römer
daselbst bekannt wurden, in der Cultur eher
zurück- als vorgeschritten sind. — Der Mensch
ist zur Freiheit geboren; sie ist die Sonne, de-
ren Einfluſs Alles hervorbringt. — Da, wo
Freiheit unterdrückt wird, kann nichts, was
menschlich ist und heiſst, zu Kräften kom-
men. — Dort ist noch die Ehe, dieser wich-
tigste und heiligste Vertrag im Staate, nichts
[127] mehr und nichts weniger, als ein Kauf- und
Tauschhandel; Weiber sind eine Waare des Lu-
xus, weil der Zenana (Harem) einen wesentli-
chen Theil eines Indischen Pallastes ausmacht,
und die Stelle derjenigen Örter vertritt, wo der
Europäer seine Prachtliebe zur Schau trägt.
Anstatt Meisterstücke der Mahlerei und Bild-
hauerkunst aufzustellen, anstatt die Natur
durch die Kunst zu verschleiern, stellt man
sie nackt und bloſs dar; und anstatt in einen
Tempel des Geschmackes zu führen, führt
man in ein B —. Die Weiber sind dem In-
dier Gegenstand und Werkzeug des Vergnü-
gens und Zeitvertreibes; und seht da den
höchsten Gipfel des weiblichen Werthes! Liebe
kennt er nicht; denn diese kann in Hinsicht
des Geschlechtes sich durchaus nicht so thei-
len. — Thierisches Bedürfniſs ist das Heilig-
thum seines Altars der Liebe, und verschwen-
derische Üppigkeit das Ziel seiner häuslichen
Glückseligkeit. — O des in Armuth reichen
Menschenthiers!
Was indeſs Griechen und Römer dem
weiblichen Geschlechte durch ihre Gesetzge-
[128] bung an bürgerlichen Rechten zugestanden, war
nur ein sehr dürftiger Theil desjenigen, was
ihnen von Naturwegen eignete und gebührte,
und was ihnen sonach weder durch Feuer
noch durch Schwert, weder durch gute noch
durch böse Gerichte genommen werden konnte.
Wahrlich ein Raub von besonderer Art, wobei
man nicht nur den Leib, sondern auch die
Seele entwendet, und den sich besonders die
weltberühmten rechtlichen Römer zu Schulden
kommen lieſsen! Kann man überhaupt zu
einem Rechte Zutrauen fassen, das sich nicht
grämte, nicht schämte zu behaupten: die Skla-
ven wären für nichts zu halten, (seroi pro nul-
lis habentur L. 32 D. de Reg. Jur.) und wel-
ches den an sich so schädlichen als drolligen
Einfall geltend machte, es gäbe Menschen, die
nur den Werth von Sachen hätten? Durch
diese gerichtliche Taxe verlor die ganze
Menschheit; und so lange man den Sklaven
Bild und Überschrift von Menschen nicht zu
nehmen vermag — wer wird mehr entehrt,
sie oder ihre Herren? Was nun besonders
die unerhörte Unerkenntlichkeit der Römer
be-
[129] betrifft, die durch das andere Geschlecht zu
Menschen gemacht, die durch die Sabinischen
Jungfrauen erzogen waren — und die ohne
Zweifel jene Spuren der Menschlichkeit, die
sie von ihren Gouvernantinnen lernten, in
alles Römische brachten, um ihm den bitteren
Geschmack der Rohheit zu benehmen — wer
kann dieser Römischen Unerkenntlichkeit sich
ohne Miſsmuth zurück erinnern? Welch eine
demüthigende Ehre, die man den Weibern
erwies, sie auf immer unter Vormundschaft
zu setzen, ihren bürgerlichen Handlungen die
bürgerlichen Folgen zu entziehen, und sie
durch eine feierliche Sanktion zu Schatten der
Männer im Staate zu machen! Alle Gesetze
in Hinsicht des andern Geschlechtes scheinen
in Donner und Blitz gegeben zu seyn; wenn
sie gleich sich das gesetzliche Ansehen (das
pedantischste von allen) geben, den Evangelien-
ton anzunehmen, sieht man, so bald man ih-
nen näher tritt, doch so viel Donner — und
Blitz — Gesetzlichkeit in ihrem Evangelio,
daſs man sich sogleich überzeugt, kein Frauen-
zimmer habe hier mit votirt. —
I
[130]
Die höchste Beleidigung ist, zu erklären,
daſs man durch Jemanden nicht beleidigt wer-
den könne; und durch das Privilegium, nicht
Unrecht thun zu können, hat man die damit
Privilegirten in keine vortheilhaftere Sicherheit
gestellt, als die Blödsinnigen. Weibliche Per-
sonen vom tiefsten Sittenverderbniſs wollen
geschmeichelt seyn, daſs sie äuſserlich die
Tugend ehren, die ihr Geschlecht am mei-
sten ziert; und wie? die Gesetze selbst berau-
ben das ganze Geschlecht alles Nervs, alles
Muthes die Freiheit zu lieben, aller Vernunft
den Despotismus nicht zu fürchten? wie?
man erniedrigt ein ganzes Geschlecht zur Skla-
venklasse, aus dessen Mitte man mehrere,
und bei weitem nicht die vorzüglichsten, an-
betet und als Göttinnen in den Himmel ver-
setzt?
Ist es zu leugnen, daſs die Römische Ge-
setzgebung, und die Adoption derselben in
Deutschland, dem weiblichen Geschlechte jene
odiösen Privilegia im höchsten Grade zuwand-
te und ihm den schlechtesten Dienst erwies,
den man ihm je erweisen konnte? Beide Re-
[131] geln, welche von der gesetzlichen Annahme
an Kindes- oder Enkelstatt unzertrennlich wa-
ren, (nehmlich daſs die Adoption die Natur
nachahme, und daſs sie bloſs zum Nothhelfer
für die erfunden sei, die weder leibliche Kin-
der, noch Hoffnung und Aussicht dazu hatten)
fand zwar bei dieser Adoption des Römischen
Rechtes nicht Statt. Da indeſs von Rom aus,
und durch die Römer, sich Künste, Wissen-
schaften und Sitten in Norden und Westen
verbreiteten, so wie unsere ganze hochlöbliche
Cultur noch gegenwärtig Römisches Vaterland
verräth; so trägt besonders unsere Staats-
und bürgerliche Verfassung, und vor andern
unser bürgerliches Recht, noch Namen und
Gepräge der Römer an Stirn und Brust, seitdem
der Justinianische Gesetz- und Rechts-Codex
zu Amalfi wieder aufgefunden ward. Auch
das von Carmersche Neue Testament beziehet
sich auf jenes Römische Sinai des Alten, und
ist weniger Schöpfung als bessere Einrich-
tung — Nur noch wenige Züge, eh’ ich dieses
Feld verlasse — Jene Rechts-Peinlichkeit in
Rücksicht der Hermaphroditen würde bloſs
I 2
[132] lächerlich seyn, wenn der Geschlechtsstand des
männlichen vom weiblichen Geschlechte nicht
so auſserordentlich verschieden wäre — Das
Gefühl, Manns- und Weibspersonen würden
einerlei Rechte zu genieſsen haben, wenn es
auf die Entscheidung der Natur ankäme,
brachte die Gesetzgeber, und noch mehr ihre
Jünger und Prophetenknaben, in eine nicht
geringe Verlegenheit; und da Ausnahmen nicht
vermuthet, [sondern] bewiesen werden müssen,
so deutete man (o, der Gerechtigkeitsliebe!)
ein Gesetz, wobei die Weibspersonen nicht
ausgenommen waren, auf beide Geschlechter,
und die Weiber hatten die Ehre, die Worte:
(si quis) wenn Jemand, auch sich zuzueignen
und — welch ein Vorzug! — auch ein Je-
mand zu seyn. Ein groſses Glück, daſs man
sie nicht zum Niemand verstieſs. Es ist un-
erklärbar, wie man auch nur auf den Gedan-
ken hat fallen können, daſs nicht etwa bloſs
dem männlichen, sondern auch dem weibli-
chen Geschlechte, nach Römischen Grundsät-
zen, Vortheile zugetheilt wären! Ich finde
deren keinen von letzterer Art; vielmehr schei-
[133] nen mir die so genannten Weiber-Vortheile
geheime Wunden und Meuchelstiche zu seyn,
die noch mehr schaden, als wenn das Gesetz
sich öffentlich wider die Weiber erklärt hätte.
Was bedürfen wir weiteres Zeugnisses, als daſs
die Frauenspersonen auf kein öffentliches Amt
Anspruch haben; daſs sie (Mutter und Groſs-
mutter ausgenommen) nicht Vormünderinnen
werden können; daſs sie in Fällen, wo die
Gesetze, der Feierlichkeit des Geschäftes hal-
ben, mehr als zwei Zeugen verlangen, nicht
als Zeuginnen zuzulassen, mithin nicht als
Zeugen bei Testamenten brauchbar sind, und
daſs noch Zank und Streit unter den Gelehr-
ten obwaltet, ob und in wie weit ihnen diese
Zeugenehre bei Codicillen zu bewilligen sei;
daſs sie an den Rechten der Römischen väter-
lichen Gewalt (sie war, so wie überhaupt, so
besonders in Hinsicht des Vermögens der Kin-
der vorzüglich) keinen Antheil haben; daſs
man sie zur wahren Adoption unfähig erklärt,
weil hier die väterliche Gewalt sich in ihrer
rechtlichen Würde zeigt! — Wahrlich, nach
diesen Beraubungen wird man auf die angebli-
I 3
[134] chen Vortheile neugierig seyn, wodurch die
Römischen Gesetze das andere Geschlecht zu
entschädigen die Güte gehabt; und sehet da!
die Unwissenheit der Rechte kann den Wei-
bern nicht zugerechnet werden, wenn sie sich
dieses elenden Einwandes in Fällen bedienen,
um sich durch einen Blitzableiter wegen des
Schadens und der Strafe zu sichern. Sie kön-
nen nicht aus einer Bürgschaft belangt wer-
den — und kurz und gut, sie haben das Recht,
alte Kinder zu bleiben bis an ihr seliges En-
de. — Der Claudianische Rathsschluſs war so
gnädig festzusetzen, daſs, wenn eine freie
Frauensperson einen Sklaven actualiter für ei-
nen Menschen anerkannte und sich mit ihm
zu weit einlieſs, sie dem Herrn desselben,
falls er ihr in der heiligen Zahl Drei diesen
Umgang untersagt hatte, als Sklavin zugespro-
chen werden muſste, so bald dieser Herr dar-
auf antrug. So fiel sie, und — wohl zu merken —
auch ihr ganzes Vermögen, diesem so wohl-
meinenden Herrn anheim, der die groſse Mü-
he gehabt hatte, sie dreimal zu warnen! —
Justinian hob diese Härte, als seiner Zeiten un-
[135] würdig, auf; und noch schüttelt man den
Kopf, unentschlossen, ob dies ein Lob- und
Dankopfer, oder ein Vorwurf in Hinsicht sei-
ner goldenen Rechtszeit sei.
Bei diesen und andern Umständen hat man
nicht etwa bloſs dem Geiste der Römischen
Gesetzgebung, sondern auch ihren Cruditäten
das Bürgerrecht verstattet, und zu ihrer Auf-
nahme die Thore weit und die Thüren hoch
gemacht; während die Franken, Sachsen und
andere Bewohner Deutschlands, nach ihrer
Weise und nach Deutscher Art und Kunst,
in der Cultur fortschritten. Die Handlungs-
weise und die Sitten erhielten zwar eine an-
dere, aber doch keine Römische Gestalt; viel-
mehr machte die Eigenheit des Volks-Cha-
rakters einen sehr wesentlichen Unterschied
bemerkbar: indeſs wurden Deutsche Handlun-
gen doch mit Römischen Schneiderscheeren
verschnitten — Aus einem Paradiese und
kühnen Naturgarten wurde kleinliche Hollän-
dische Künstelei. — Demosthenes hält es beina-
he für ein Gesetz des Schicksals, daſs immer
die besten Menschen die ungezogensten Kin-
I 4
[136] der hätten; und in Rom und Griechenland
war es zum Sprichwort geworden, daſs die
Söhne der Helden selten ihren Vätern ähnlich
wären. Ganz anders mit den Staatsgesetzen,
deren Erziehung fast nie fehl schlägt — Wenn
Mitglieder des Staates von ihren Rechten und
Pflichten richtige Begriffe haben und gern den-
selben gemäſs handeln, so sind sie sicher auf-
geklärter, als wenn sie der Wissenschaften
Menge besitzen, die zur bürgerlichen Glück-
seligkeit nichts Wesentliches beitragen, die
den Schein haben und die Kraft verleugnen.
Wie betrübt war das Schicksal der Deutschen
bei Römischen Gesetzen! Diese Gesetze wur-
den dem National-Charakter der Deutschen
und ihren väterlichen Sitten auf keine Weise
anpassend gemacht. Man fiel nicht darauf,
Gesetze und Sitten so viel als möglich in
Übereinstimmung zu bringen, nicht, wo weder
Sitten noch Gesetze eine Umformung anneh-
men wollten, diese zu verwerfen, und für je-
ne eine Regel zu erfinden: man nahm es sich
vielmehr mit patriotischer Freiheit heraus, das
Römische Gesetzbuch, wie die Säulen des
[137] Herkules, als Gränze anzusehen, über welche
hinaus sich kein Ruhepunkt für den mensch-
lichen Verstand denken lieſse; man ahndete
nicht einmal, daſs das, was im Römischen
Staate und für Römer gerecht und weise war,
in Deutschland und für Deutsche sehr unweise
und ungerecht seyn könnte — Der unverfei-
nerte Geist der Deutschen Sitten hing mehr
an einer tugendhaften schlichten Denkungsart,
als an gewissen durch Connivenz so oder so
bestimmten Wörtern; und die Deutschen hät-
ten von hundert Arten der Lust nicht gewuſst,
wenn das Römische Gesetz (dessen um sich
greifende Alleinherrschaft man nur allmählich
und nothdürftig durch Spiegel und Weichbilde
und Willkühre beschränkte) nicht gesagt hätte:
Laſs dich nicht gelüsten. Kann man nicht Laster
verbreiten, wenn man sie gleich mit wahren Far-
ben zeichnet? Giebt es nicht Sünden, die nicht
anders als mit Gefahr der Verführung zu ent-
schleiern sind? und wenn es dem Dichter
schwer ist, treue Gemählde der Sitten zu lie-
fern, ohne den sittlichen Anstand zu verlet-
zen — mit welcher Weisheit muſs der Ge-
I 5
[138] setzgeber verfahren, um nicht mehr zu ver-
derben als zu bessern? Kann der Dichter
wenigstens jetzt — und hatten die Alten so
ganz ein Recht, sich von dieser Weise aus-
zunehmen? — viele Dinge nach der Natur
mahlen? oder muſs er nicht vielmehr seine Ge-
mählde unter einer conventionellen Maske, und
mithin um vieles sittlicher als die Menschen
pro tempore sind, anlegen und halten? und
der Gesetzgeber, so ein Prosaist er auch sonst
ist — muſs er nicht eben den Weg wandeln,
wenn er nicht mehr Schaden als Nutzen stif-
ten will? Die Menge der Römischen Gesetze
würde vielleicht mehr abgeschreckt haben; in-
deſs brachte das System, wonach sie gezim-
mert waren, (das nicht bloſs die Rechtsgelehr-
ten, sondern, wohl zu merken, auch der
Bürger, studieren muſste, wenn er nicht alle
Augenblicke an einer Fiktion und einer Fein-
heit oder deſs etwas sich Kopf und Herz
stoſsen wollte) die Römische Gesetzkunst in
Umlauf. Der gröſste Haufe lernte sie halb
kennen, und eben diese Halbkenntniſs erwarb
ihr, nach wohlhergebrachter Gewohnheit, ei-
[139] ne fast mystische Verehrung, so daſs alles
vor dem Römischen Rechte die Kniee beugte,
und ihm huldigte. — Und wer mag denn
auch leugnen, daſs es einen Schatz von Kennt-
niſs und Weisheit enthält? und daſs, da
Spitzfindigkeiten und Distinktionen für den
gröſsten Theil der Köpfe etwas sehr Hinrei-
fsendes behaupten, es besonders zur damaligen
Zeit sehr natürlich zuging, wenn ihm so
reichlich Jünger und Anhänger zufielen? ob
es gleich den Britten nie leid gethan hat, und
zu thun scheint, dieser Rechtsfahne nicht
geschworen zu haben. Warum mehr Ausho-
lung? — Das unrömische Deutsche Weib
kam unter das Römische Gesetz, und die
Deutschen Männer verwickelten sich selbst in
das Garn, womit sie Weiber zu fangen ge-
dachten. Zu wenig hat die Geschichte uns
von unsern in Gott ruhenden Ahnherren hinter-
lassen, denen es überhaupt mehr darum zu
thun war, Thaten der Nachwelt würdig zu
thun, als sie aufzuzeichnen und aufzubehalten.
Das, was Freund und Nachbar Tacitus von
ihren Sitten und Gebräuchen überliefert, ist
[140] bei weitem nicht hinreichend, um uns von
ihrer Haus- und bürgerlichen Verfassung einen
ganz richtigen, am wenigsten einen vollstän-
digen, Begriff zu machen. Nach ihm, wurde
bei den Deutschen, bei denen Sitten weit
mehr als in Rom Gesetze vermochten, (denn
so, denk’ ich, will Tacitus übersetzt seyn)
der Ehebruch mit dem Tode bestraft; und be-
darf es gröſserer Beweise, daſs die Ehen den
Deutschen nicht gleichgültig waren? Sie wach-
ten über ein Geschäft, wobei der Staat so
sehr interessirt ist, daſs jede Vernachlässigung
sich über kurz oder lang unmittelbar am Staa-
te rächt, mit vieler Eifersucht und Strenge,
so, daſs auf Vergehungen dieser Art (die un-
ter einem Himmelsstriche wie der ihrige, bei
einer einfachen frugalen Lebensart und bei
der Unbekanntschaft mit Müſsiggang und dem
Wohlleben, den Gefährten des Luxus, in der
Regel sich nur sparsam ereignen konnten)
dennoch eine so harte Strafe gesetzt wurde.
Der Einfluſs der Deutschen Weiber in
Staatsgeschäfte war wichtig, indem sie aus ih-
ren Mitteln Priesterinnen gaben, die, auſser
[141] ihren gottesdienstlichen Verrichtungen, einen
groſsen Einfluſs in Staatsverhandlungen be-
haupteten, ihre Berathschlagungen lenkten und
ihren Kriegern in Schlachten Verachtung der
Gefahr, Liebe für das Vaterland, und Muth
gegen ihre Feinde einhauchten. Weiber wa-
ren ihren Männern nicht, wie groſse Staats-
diener ihren noch gröſseren Fürsten, rechte
oder linke Hand, sondern Herz und Seele.
Die Geschichte hat uns noch einen berühmten
Namen, V[e]llede, aufbehalten. Ob sie übri-
gens als aktive Bürgerinnen an den Volks-
versammlungen Theil nahmen; ob sie mit den
Männern überall gleiche Rechte genossen: das
ist eine Frage, welche die Geschichte unbeaut-
wortet läſst; indeſs ist zu vermuthen, daſs
auch bei unsern Vätern die Weiber jene Rol-
len mehr aus Connivenz, als kraft einer
förmlichen Berechtigung spielten, indem ein
so wichtiger Umstand, der bei allen übrigen
damals bekannten Völkern so sehr auſser der
Regel war, gewiſs der Nachwelt wäre über-
liefert worden. Die Eheunlust, worüber Ge-
setzgeber und Politiker von je her so manchen
[142] Stab Wehe brachen — entstand sie nicht aus
der Verachtung, welcher das andere Geschlecht
ausgesetzt war? Scheint es nicht eine Art
von Degradation seiner selbst, ein Frauenzim-
mer zu ehelichen, das im Grunde so ohne
alle Bedeutung ist? besonders wenn man über-
lästige Schwiegermütter und Basen als Beila-
gen sub Ecce und Vide erhält! Man lasse
das Mädchen seyn wie unser Einer, und ge-
wiſs wird ein ehelustiger Jüngling weniger
Bedenken finden, mit ihr zu ziehen; und
werden Basen und Schwiegermütter bei der
Geschlechtsverbesserung noch Zeit behalten,
sich als Beilagen sub Ecce und Vide brauchen
zu lassen? —
Wenn es wahr ist, daſs durch den Mü-
ſsiggang eines Bürgers im Staate ein anderer
doppelt arbeiten muſs, um die Faulheit von
jenem zu übertragen und Alles ins Gleichge-
wicht zu bringen; so bestätiget sich diese Be-
merkung noch weit mehr durch die Veilwei-
berei, die Quelle, wodurch zwar das andere
Geschlecht auſserordentlich von seiner Würde
verloren, die indeſs auch dem männlichen,
[143] und sonach dem ganzen menschlichen Ge-
schlechte, einen unglaublichen Nachtheil zuge-
zogen hat. Nicht bloſs Vater und Mutter,
sondern auch die Kinder sind verdorben; der
Vater kommt mit seiner Liebe zu den Kin-
den ins Gedränge: er liebt sie nicht als seine
Kinder, sondern in so weit dieses oder jenes
das Kind dieser oder jener Mutter ist! — Der
Miſsbrauch ist eine ansteckende Krankheit,
die Alles angreift und vergiftet, was ihr zu
nahe kommt — Es ist eine so feine als rich-
tige Bemerkung: daſs die Vielweiberei gerade-
hin zu einer unnatürlichen Liebe führt, so wie
Aberglaube zur Atheisterey, Verschwendung
zum Geitze. — Doch, diese Abschweifung
sollte bloſs den Weg zu der Bemerkung bah-
nen, daſs, so wie dem andern Geschlechte
von den Männern begegnet wird, die Män-
ner sich von den Regenten begegnen lassen —
Die Sklaverei, wenn sie auch nur im Klei-
nen, in einer einzigen Beziehung, geduldet
und geübt wird, macht über kurz oder lang
alles zu Sklaven. Bei einer gelinden, gemä-
ſsigten, eingeschränkten Regierung galt das
[144] Frauenzimmer von jeher mehr, als in despo-
tischen Staaten, wo die Sklaverei der Weiber
politisch nothwendig ist. Den Weibern ist
ohne Zweifel jene Gelindigkeit, Mäſsigung
und Einschränkung in der Regierung zu dan-
ken — Wo sie zum Worte kommen, stimmt
sich Alles zur erlaubten bürgerlichen Freiheit;
zur erlaubten, sag’ ich, und füge hinzu, daſs
die Weiber zur despotischen Herrschaft von
Seelen- und Körperswegen nicht aufgelegt
sind — Zeigen sie Spuren vom Gegentheil,
so waren Männer ihre Verführer. Der from-
me Haller sagt:
was Böses ist geschehn, das nicht ein Prie-
ster that?
und ist Priester nicht ein Erzmann? ein Mann
aus höherem Chor? Man sagt, im Orient
mache das Klima es nothwendig, daſs die
Weiber in Festungen eingeschlossen werden,
und der Zwang der Harems verbessere ihre
Sitten. Lieber! kann der Zwang Sitten ver-
bessern, wenn du ihn dir nicht selbst durch
Grundsätze anlegst? oder ist die Tugend, die
nicht nur einer Schildwache, sondern einer
gan-
[145] ganzen Festung bedarf, so vieler Umstände
werth? Was muntert mehr zur Ehe auf: —
Hagestolzenstrafen — Vaterprivilegien? oder
eine tugendhafte Frau, die bischöflich nur Ei-
nes Mannes Weib ist, und dies ihr Licht
leuchten läſst vor den Leuten, daſs sie ihre
guten Werke sehen? —
Welch ein Umgang ist reitzender, als un-
ter Freunden und Freundinnen! — Freund-
schaft kann freilich unter Einem Geschlecht
existiren; allein Umgang nicht. — Freund-
schaft, ächte Freundschaft ist eine Schaumünze,
die man nur im höchsten Nothfall angreift;
Umgang ist Ausgabegeld, für das wir tägliches
Brot kaufen: und was wären wir ohne ihn?
Wie viele Menschen, die zu jener hohen
Stimmung der Freundschaft keinen Beruf em-
pfingen, würden ohne Umgang lebendig todt
seyn! Die Freundschaft bittet nicht, sie for-
dert; sie borgt nicht, auch wenn ihr Antrag
noch so mächtig wäre, sie kassirt nur Schul-
den ein — Freunde befinden sich in Gemein-
schaft der Güter des Lebens; ihr Sinnbild ist,
nach dem Ausspruche des Aristoteles: Eine
K
[146] Seele in zwei Körpern. Zu historischen Be-
lägen mögen Damon und Pythias, Orestes
und Pylades dienen, deren Freundschaft stär-
ker als Leben und Tod war. — Ein Alter
hielt den schon für äuſserst glücklich, der nur
einen Schatten von einem Freunde angetroffen
hätte. Der Umgang, wenn beide Geschlechter
daran Theil nehmen, ist ein dergleichen Reich
der Schatten, ein Elysium diesseits des Gra-
bes — und an dem Eingange stehen die
Worte: hasse, als stände dir eine Zeit bevor,
worin du die, welche du jetzt hassest, lieben
wirst; liebe die Menschen, als wenn du dich
nicht würdest entbrechen können, sie einmal
zu hassen — Ein Fingerzeig, der ein Hoch-
verrath am Tempel der Freundschaft seyn
würde; doch Freundschaft hat keinen Tempel,
selbst nicht eine Kapelle von Menschenhänden
gemacht: das Herz ist ihr Heiligthum. Noch
oft wird mich das selige Wort Freundschaft ent-
zücken. — Verzeihe, lieber **s, daſs ich hier
abbreche; bald sehen wir uns wieder — — —
Die Herren Alten hatten den Weibern die
Schnecke zum Sinnbilde ausersehen; allein
[147] durch sklavische Eingezogenheit verliert die
Ehe von beiden Seiten, und die Männer ohne
Zweifel am meisten. — Die Egyptischen Da-
men muſsten mit bloſsen Füſsen ausgehen,
damit sie einheimisch blieben; und wer er-
innert sich nicht an die Geschichte jenes
Weibes, das ein öffentliches, den Männern ge-
heiligtes Haus vorbeigegangen war? — Dieser
unbeträchtliche Umstand veranlaſste eine Wall-
fahrt nach Delphi, um in heiliger Kürze und
Einfalt zu erfahren, was dieser Vorgang be-
deute? Wer wollte nicht lieber an der
Wirthstafel, als bei Lucullus vorlieb nehmen,
wenn bei letzterem die Menge der Leckerbis-
sen das Vergnügen des Umganges und einer
gemischten Gesellschaft ersetzen sollte? —
Die Römische Sprache scheint zum Umgange
mit Frauenzimmern, und zum Umgange über-
haupt, wenig zu taugen, weil die Römer je-
nes Salz der Erde nicht kannten. Zwar hat
jede Nation in ihre Sprache Spuren ihrer
Lieblingstugenden und Lieblingssünden ge-
druckt: so kommen die technischen Benen-
nungen des Seewesens aus dem Holländischen;
K 2
[148] die Soldatenworte aus dem Französischen,
die Baukunst, die Mahlerei und Bildhauerkunst
beweisen durch ihre Ausdrücke, daſs Italien
ihr Vaterland ist, und das Jagdwesen erkennet
Deutschland für sein Revier: indeſs scheinen
alle neuere Sprachen, die Deutsche selbst
nicht ausgenommen, durch den Umgang mit
dem andern Geschlecht etwas Eigenthümliches
erhalten zu haben, das der alten Welt ge-
brach. — Wenn das ewige Feuer, welches
die Vestalinnen unterhielten, dazu diente, Licht
anzuzünden, wie ein allgemeiner Brunnen,
Wasser zu schöpfen; so ist es ein schönes
Bild von dem Dienste, den das schöne Ge-
schlecht durch die Verfeinerung des Umganges
der Welt erwiesen hat: Wir alle haben bei
ihm Licht angezündet; — und die Regel: »be-
herzige deinen Körper in der Einsamkeit, bilde
deinen Geist in der Welt, deinen Willen
durch das Gesetz, deinen Verstand durch
Freiheit,» ist so richtig, wie irgend eine Regel
es nur seyn kann. — Weiber sind berufen,
angegriffen zu werden und sich zu vertheidi-
gen, und in beides eine so feine Lebensart zu
[149] mischen, daſs, wenn sie nicht die Ehre ver-
dient Schamhaftigkeit zu heiſsen, diese doch
nicht ohne jene bestehen kann. Körperlicher
Genuſs, er sei von welcher Art er wolle, ist
kurz, und dämpft jenes beglückende sanfte
Feuer des Umganges eher, als daſs er es dau-
erhaft machen sollte. — —
Auch das Recht, das die Männer sich bloſs
anmaſsten, die Weiber verstoſsen zu können,
ohne es den letztern gleichfalls zuzubilligen,
hat das andere Geschlecht entwürdiget. War-
um ward dieses Verstoſsungsrecht nicht wech-
selsweise und beiden Theilen verstattet? Das
Weib würde sicher von diesem Rechte nur
selten Gebrauch gemacht haben, da der gröſste
Theil seiner Reitze, gleich Rosen, sehr bald
dahin welkt, und da es, nach wenigen in den
Armen eines Adams verlebten Wochen, so
unendlich viel minder gilt, wogegen sein Adam
unverwelklich bleibt. — So bald Mann und
Frau die Trennung nicht gemeinschaftlich woll-
ten, (in welchem Fall’ es Ehescheidung gewesen
wäre) so hätte die Verstoſsung als eine bloſse
Gewaltausübung eine unerhörte Sache seyn müs-
K 3
[150] sen. Aller dieser wunderbaren, das andere Ge-
schlecht erniedrigenden Gesetze und Gewohnhei-
ten ungeachtet, wuſsten sich doch wenigstens
Einige desselben so auszuzeichnen, daſs das
ganze Geschlecht durch sie gewann; und es
ist — zum unsterblichen Lobe des schönen
Geschlechtes sei es gesagt! — in Hinsicht sei-
ner der Fall am öftesten gewesen, daſs man
nicht allgemein ein Recht ausübte, welches
ein unnatürliches, ein hartes Gesetz einräumte.
Von dieser Seite sind Gewohnheiten (consue-
tudines) das ehrwürdigste, das ich kenne; sie
beweisen da, wo ihrer eine ungewöhnliche An-
zahl vorhanden ist, nicht unrichtig jenen gro-
ſsen, edlen Menschendrang nach Recht, Billig-
keit und Freiheit, und daſs über die bürger-
liche Einrichtung der Mensch nicht verloren
ging — Was hülf’ es auch dem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewönne und nähme
Schaden an seiner Seele!
Wie wär’ es, wenn ich nach diesen Be-
merkungen im Allgemeinen noch einmal dem
Römischen Rechte ein Rauchopfer anzündete
und den Grund der gesetzlichen Härte gegen
[151] das Frauenzimmer zu entwickeln suchte? Jede
Sache hat innere Data, die, wenn man sie
mit Einsicht und Bescheidenheit nutzt, die
äuſseren oft überwiegen; indeſs hat es dem
Römischen Rechte nie an Helfershelfern, Com-
mentaroren, Epitomatoren und Auslegern ge-
fehlt, und einem dieser gelehrten Herren ge-
hört ohne Zweifel die Behauptung, daſs die
Eifersucht der Ursprung der meisten weibli-
chen Rechte gewesen sei. Diese Behauptung
indeſs ist für mich so wenig überzeugend, wie
der Glaube lebendig ist, daſs schuldige Vereh-
rung und Achtung hierzu den Grund gelegt
haben. So entfernt ich bin, den zweizüngigen
Prokop, der den Upravda in seinen acht Ge-
schichtsbüchern erhöhet und in seinen Anek-
doten erniedrigt (recht als wenn Jemanden das
im Testament mit Lob und Dank zugebilligte
Legat, im Codicill mit Verachtung und Bitter-
keit entzogen wird) nachzubeten, und über-
haupt auf die Rechnung eines Gesetzsammlers
und Gesetzgebers alle Fehler und Vorzüge
eines zusammengebrachten Gesetzbuches zu
schreiben; so ist doch Justinian’s Schwäche
K 4
[152] gegen seine Gemahlin Theodora unleugbar,
die weiland eine Komödiantin war, und der
er nicht wenig Einfluſs in die Regierungs-
geschäfte, ja, wenn man will, in das Allerhei-
ligste derselben, die Gesetzgebung, einräumte.
Warum gab Justinian seinen Liebesgrillen
nicht eine andere Richtung? Wie sehr über-
traf ihn Franz der Erste, glorwürdigen Anden-
kens, der zuerst die Sitte begann, daſs Damen
an den Hof kamen, als wodurch das, was
man Hof nennt, eigentlich erschaffen ward!
Ihnen zu Ehren wurden Bälle, Komödien und
Turniere angestellt, und Franz des Ersten herz-
brechendes Sinnbild war ein Salamander in
den Flammen, als ob er nicht anders als in
der Liebesgluth leben könnte. Bei seinen
Hofleuten warf er sich zum Werber und Ehe-
beförderer auf, und gern war er ein allezeit
fertiger Fürsprecher bei ihren Schönen. Traf
er ein verliebtes Paar, so verlangte er zu wis-
sen, was es sich sagte, und mit Vergnügen
legte er ihrer Zunge von seinem Salamander-
feuer Geist und Flamme bei. Freilich war
auch sein Gang kein Richtsteig; doch — kam
[153] er der Sache nicht näher, als der gesetzga-
lante Justinian, der das gröſste Sibyllinische
Buch, die Welt, dem schönen Geschlechte
noch mehr verriegelte, wogegen Franz I. es
ihm öffnete? — Wie konnte man überhaupt
von der damaligen Zeit, wo alle Gelehrsam-
keit auf so schwachen Füſsen stand oder ging,
Helden- und Meisterzüge der Gesetzgebung er-
warten?
Es giebt, sagt man, nach der Verschieden-
heit der weiblichen Rechte, auch verschiedene
Beweggründe zu ihrer Bewilligung — und in
jedem Gesetz ist der Grund, weshalb es gege-
ben ward, am sichersten aufzusuchen. Zwar
ist es nicht immer der, welchen die gesetz-
gebende Majestät anführt; indeſs wird man
über die Floskeln des angegebenen Grundes
sich eben so leicht wegsetzen, als wir heut zu
Tage wissen, wie wir uns mit dem allgemei-
nen Besten und der angestammten Huld und
Gnade einzuverstehen haben. Schwäche des
Geschlechtes ist zum Beispiel die Ursache,
warum es keine Bürgschaft gültig überneh-
men kann; und da diese Schwäche selbst
K 5
[154] nach den eigenen Worten des Gesetzes, nicht
den Mangel an Überlegung andeutet: so
scheint sie eher in jener Gutmüthigkeit zu
bestehen, die zu Menschen-Wort und Ver-
heiſsung nicht den Glauben verloren hat; und
ist dieser Glaube an Menschen Schwäche?
Ist er es, so kann es von ihm in That und
Wahrheit heiſsen: wenn ich schwach bin,
bin ich stark. Eine wohlgewählte Strafe für
den Betrüger würde vielleicht weit wirksamer
seyn, als der Vellejanische Rathschluſs, da sie
auch gutmüthige Männer aus der Verlegenheit
zu ziehen im Stande wäre; und wenn Lügen,
als die Wurzel alles Übels, mit der gehörigen
Härte bestraft, oder auf eine sonst gute Ma-
nier aus der Welt verbannt würden — welch
ein Gewinnst! Das Kindergebären, das ge-
meiniglich zu den Hauptbeweisen der Schwäche
gezählt wird, welche die Gesetze dem schönen
Geschlecht auſserordentlich hoch anzurechnen
geruhen, legt geradezu ein Naturzeugniſs sei-
ner Stärke ab. Ich wünschte nicht, daſs die-
ses Geschäft an unser Geschlecht käme. Wie
sehr würde unser Heer von Stutzern, diese
[155] hybriden Geschöpfe, und wie noch mehr der
Staat zu bedauern seyn! Welch ein Minus
würde sich schon im ersten Jahre an gebornen
Kindern, und welch ein Plus an gestorbenen
Kindbettern finden —! Zählt die Tage beider
Geschlechter, welche Krankheit zu heiligen er-
niedrigt; und ich wette, es wird in der Ba-
lanz Credit und Debet beider Geschlechter
sich heben. —
Auch die Schamhaftigkeit wird als ein
authentischer Grund der weiblichen Rechtsun-
terdrückung — wohl zu merken, von den
Gesetzen selbst! — angeführt. Ein Grund, wor-
über sich die Schriftgelehrten schämen wür-
den, wenn sie das könnten! Wegen der
Schamhaftigkeit soll das schöne Geschlecht
nicht Theil an gerichtlichen Handlungen neh-
men? Wie gütig die Gesetze sind! als ob in
den Gerichten die Schamhaftigkeit Gefahr lie-
fe, oder gar aufgegeben würde! Was könnte
denn hier zu unerlaubten Begierden verleiten
und ein von diesen entferntes Herz dazu
entflammen? Ehe beide Geschlechter sich zu
dieser Tugend entschlieſsen, und sich von je-
[156] dem verführerischen Worte Rechenschaft ab-
fordern — giebt es Schamhaftigkeit? — und
was gilt sie einseitig? — Die Schamhaftigkeit
ist eine Tugend, die, wenn ich so sagen darf,
in der Ehe lebt; wenn sie nicht von Männern
und Weibern zugleich geübt wird, so artet sie
in Ziererei und weibliche Taschenspielerkünste
aus — Und wie? ist den Reinen nicht alles
rein? Eine Ehefrau kleidet eine edle Frei-
müthigkeit, ein unverstelltes Wesen, unend-
lich besser, als jene klösterliche Heuchelei.
Mit ungewaschenen Händen essen, verunrei-
nigt den Menschen nicht; und der Tugend
sich mit seinem Munde nahen, sie mit seinen
Lippen ehren und das Herz von ihr entfer-
nen — ist das nicht ein Greuel?
Macht man indeſs mehr auf einen reinen
Mund Anspruch, als auf ein reines Herz, so
hat die Gesetzstelle gewonnen Spiel, welche
(L. I. § 5. D. de postulando) behauptet, daſs
man die weibliche Schamhaftigkeit in Laby-
rinthe der Versuchung führen würde, wenn
es dem schönen Geschlecht erlaubt werden
sollte, sich in Rechtsangelegenheiten zu mi-
[157] schen. O, der überfeinen Besorgniſs! Ist
das Reich Gottes nicht in uns? Tugenden,
die nie das Glück gehabt haben, in Versu-
chung zu kommen, sind, wie die Scheide-
münze, von sehr verdächtigem Schrot und
Korn, ob sie gleich gemeiniglich den Vorzug
haben in Cours zu bleiben. — Jenes Recht
der Gegenwehr, kraft dessen wir allem wider-
stehen, was uns zu nahe zu treten versuchen
will — wenn es nie in Anwendung gebracht
wird, setzt es nicht die Menschen über kurz
oder lang aus aller Disciplin, so daſs sie zu
letzt von ihren eigenen Schatten in die Flucht
geschlagen werden? Sind die schrecklichsten
Schandthaten in der groſsen Welt oder in der
Einsamkeit empfangen und geboren? oder will
man dem schönen Geschlechte die Fähigkeit
und das moralische Vermögen etwas zu thun
oder zu lassen, zu Deutsch das Recht genannt,
in bester Form Rechtens aberkennen? Haben
wir nicht bedacht, daſs Recht aus der leiden-
den Verbindlichkeit entsteht, und daſs kein
Recht seyn würde, wenn keine Verbindlich-
keit wäre? daſs, wenn die Natur zu einem
[158] Zwecke durch ihr heiliges Gesetz verbindet,
sie auch den Schlüssel und das Recht zu den
Mitteln verliehen hat? Oder kann man ohne
Mittel zum Zwecke gelangen? Stehet es nicht
jedem frei, das zu thun, ohne was er seiner
Verbindlichkeit nicht nachkommen oder sie
nicht erfüllen könnte?
Sehr consequent in Rücksicht Römischer
Rechts-Grundsätze hat Divus Justinianus
(Nov. CXXXIV. Cap. IX.) angeordnet, daſs
kein Frauenzimmer gefänglich eingezogen wer-
den solle. Auch wegen der gröſsten Verbre-
chen will er sie nur mit dem Kloster bestra-
fen und sie bloſs der Aufsicht anderer Weiber
anvertrauen — Wir indeſs geben dieses Gesetz
aus männlicher Machtvollkommenheit auf, oh-
ne dem Geschlechte andere Römische Rechts-
wohlthaten zu erlassen. Wer sollte denken,
daſs man mit Wohlthaten so sehr ins Gedrän-
ge kommen, so geplagt und belästigt werden
könnte! wer sollte denken, daſs man dem mit
Wohlthaten so überhäuften Römischen Frauen-
zimmer ehemals nicht gestattete, den Volks-
versammlungen beizuwohnen! daſs man es der
[159] Ehre nicht würdigte, zum Volke zu gehören,
und daſs eben aus dieser Herabsetzung ihm
der Vorzug erwuchs, mit Bestande Rechtens
in den Rechten unerfahren zu seyn und sich
mit dieser Gesetzunwissenheit, wie mit einem
Orden, zu schmücken! — Nicht nur un-
schädlich, sondern rühmlich, war ihm diese
Wohlthat der ewigen Kindheit, vermöge de-
ren es im Reiche des Saturnus in einem im-
merwährenden Frühling lebte, schwebte und
war — Es verschenkte alies das Seinige, um
von Almosen zu leben; es vertauschte Gold
gegen Flittern, Schaumünzen gegen blanke
Rechenpfennige. Doch alles ist kein Ver-
gleich gegen den Tausch des Rechtes gegen
Güte — der männlichen Worte: ich fordere,
gegen die weiblichen: ich bitte. Wie konnte
man aber auch einer, in der gesetzlichen
Herrschaft des Eheherrn befindlichen Gattin,
einer der Gewalt eines Andern untergeordne-
ten Sklavin, mehr als Gnade und Wohlthaten
erweisen? Nicht sie, sondern ihr Mann hatte
Kinder — Auf ihre Familie hatte sie Ver-
zicht gethan, um zu ihres Herrn Familie ein-
[160] zugehen — Schon längst hatte man verlernt,
daſs die Ehe eine gleiche Gesellschaft sei,
daſs die Herrschaft im Ehestande eine beider-
seitige Herrschaft der Eheleute neben einander
bleibe, und daſs der Mann sie sich nur durch
einen ausdrücklichen Vertrag zueignen könne?
»Nicht auch durch einen stillschweigenden?»
Ach freilich! hätt’ ich doch diese stumme
Sünde beinahe vergessen. Die Geschichte ge-
denkt eines naseweisen Knaben, Papirius, im
Besten, weil er, seine Mutter zu betrügen,
schon in frühen Jahren reif genug befunden
war. Er begleitete, nach damaliger Sitte, sei-
nen Vater, wenn Se. wohlweise Gestrengig-
keit auf das Rathhaus ging; und da seine
Mutter die Debatten des Tages vom Papirius
zu wissen verlangte, so schob er ihr eine baa-
re Unwahrheit unter. »Es wäre, sagte er, die
Frage zur Motion gediehen: Ob es besser sei,
daſs ein Mann zwei Weiber, oder ein Weib
zwei Männer habe.» — — Welch eine Er-
niedrigung, daſs eine Mutter bei einem Kna-
ben, und, was noch mehr sagen will, bei ih-
rem leiblichen Sohne, nach den Dekreten ei-
ner
[161] ner obrigkeitlichen Sitzung forschen muſs! und
welch eine Übertretung des vierten Gebotes,
daſs ein Sohn seine Mutter durch eine Un-
wahrheit vorsetzlich zu einem weiblichen Auf-
lauf bei der National-Versammlung miſsleiten
konnte, der sich entschloſs, (ohne Zweifel in
besserer Form und Ordnung als die Parisi-
schen Fischweiber) wider das vermeintliche De-
kret, daſs ein Mann zwei Weiber haben kön-
ne, zu protestiren. Es heiſst, Papirius habe
von Stund’ an, und nach diesem examine ri-
goroso ein Patent als ordentlicher Beisitzer des
hohen Rathes erhalten, und dagegen sei allen
übrigen Auscultatoren und Referendarien der
Zutritt zu den Raths-Sessionen untersagt wor-
den! Freilich verdienten solche altkluge, auf
Treibhäusern gezogene Kenntnisse des Papirius,
und ein so stattlicher Mutterbetrug, Aufmun-
terung und Belohnung! — Sollten indeſs alle
jene so übermäſsige Wohlthaten nicht unter
Einen Hut zu bringen seyn? Wir können
in Ansehung dessen, was in anderen Fällen
geschieht, wo nicht schon sicher wissen, so
doch mit Zuverlässigkeit vermuthen, mit was
L
[162] für einem Maſse der Einsicht in den Grund
der Sache, aus welchen öffentlichen und ge-
heimen Artikeln von Anreitzungen, Absichten
und Nebenabsichten, für die Beibehaltung des
Alten geeifert wird. Wenn mich nicht alles
trügt, so bat die Furcht der Männer, durch
die Weiber unterjocht zu werden, die ersteren
zu jener Überhäufung mit Wohlthaten ge-
bracht. Nach Art der Hofleute, die kein mo-
ralisches Aequinoctium annehmen, wo Gutes
und Böses sich die Wage hält, scheinen die
Männer, die schon unter sich so viele Feinde
und Widersacher zählen, sich von Seiten der
Weiber den Rücken decken zu wollen —
Wär’ es das erstemal, daſs man seine Herr-
schaft durch das Hausmittel zu sichern suchte,
die, welche man beherrscht und gern ewig
beherrschen möchte, von reiner Erkenntniſs
und Besserung hochbedächtig zurückzuhalten?
Und wie! es stand noch kein Prediger in der
Wüste auf, der diesen Männerdünkel in sei-
ner Blöſse zeigte, und auf diesen Staat im
Staate aufmerksam machte? — Es gab Götter
und Göttinnen, die für Opfer und Geschenke
[163] feil waren. So ging es dem andern Geschlech-
te, das auch Opfer auf Kosten seiner Rechte
annehmen muſste, und das, wenn gleich die
Menschheit es so sehr zierte, sie doch gegen
jene Göttlichkeit aufzugeben gezwungen ward.
Jemanden Güte erweisen, indem man ihm Ge-
rechtigkeit entzieht, heiſst: ein Naturgesetz
mit Füſsen treten, und sich mit einem positi-
ven brüsten; die Erstgeburt für ein schnödes
Linsengericht verkaufen, Mücken seigen und
Kameele verschlucken — O, der blinden Lei-
ter, die mit pharisäischer Heuchelei das an-
dere Geschlecht einschläferten, im Trüben
fischten und durch Schein des Rechts die na-
türlichen in das Herz geschriebenen Rechte
zu vertilgen suchten! — Die Natur läſst sich
nicht zwingen. — Furcht! Fiel dies Wort auf?
Es sollte auffallen — Seht! ich will mein
Herz ausschütten und zur Ehre des männli-
chen Geschlechtes bekennen, daſs keine böse-
re Absicht, als die Furcht, das andere Ge-
schlecht würde uns beherrschen, den Grund
zu unserer Herrschaft über dasselbe gelegt hat.
Auch dachten wir vielleicht unserer Seits bei
L 2
[164] diesem Plane nicht, den Weibern eben schwer
zu fallen und ihnen Schaden oder Leides zu
thun; sondern ihnen und uns nützlich zu
werden. Vielleicht war ein Plan dieser ver-
meintlich nutzreichen Art der Anfang mancher
andern, jetzt so ausgearteten Herrschaft. Die
Furcht schuf Götter, sagt ein Alter; — nicht
auch die Liebe? Wir sollen Gott fürchten
und lieben, fängt Luther jede Erklärung der
zehn Gebote an — und doch treibt die Lie-
be die Furcht aus —!
Sehet euch um! noch jetzt werdet ihr fin-
den, daſs Männer, die ihre Weiber anbeten,
vorzüglich jedem Beitrage zur Verbesserung
des anderen Geschlechtes ausweichen. Und
warum dieser befremdende Widerstand? Das
Gefühl von dem Werthe seines vortreflichen
Weibes verstärkt die Furcht des Herrn Ge-
mahls. Die Verehrung, die er ihm widmet,
unterdrückt den Gedanken, dem Geschlechte
in ihm Gerechtigkeit zu erweisen — Auch
der beste Mann ist neidisch auf groſse Eigen-
schaften seines Weibes, die ihm gefährlich
werden können; er will mit seinen Wohltha-
[165] ten ihm den Mund stopfen, die Vernunft und
den Willen desselben einschränken und miſs-
leiten, damit es nicht Gerechtigkeit begehre —
Eine besondere Art, mit Geschenken das
Recht zu beugen, eine Wechselschuld nicht
zu bezahlen, allein dem Wechsel-Gläubiger
ein Geschenk zu machen, das jene Schuld
überwiegt! — Dergleichen Männer bemühen
sich auſserordentlich, sich ihren Weibern von
der besten Seite zu zeigen; und da sie wohl
einsehen, wie sehr weit sie von ihren Wei-
bern in allem zurückgelassen werden: so le-
gen sie ein auſserordentliches Gewicht auf ih-
ren Staatsberuf, und rechnen sich die Amtsge-
schäfte äuſserst hoch an, um sich bei ihren
Weibern in Achtung zu erhalten. — Das arme
Geschlecht! wie sehr es doch durch blauen
Dunst hingehalten wird —! Man erzählt
von einem Türkischen Gesandten, er habe auf
die Frage: wie ihm das Frauenzimmer in ***
gefalle; geantwortet: ich bin kein Kenner von
Mahlerei — Ist nicht jeder Beamte im Staa-
te geschminkt? — Man nehme ihm das Weiſs
und Roth, das der Staat ihm Ehrenhalber
L 3
[166] auflegt; und wir werden weder Gestalt noch
Schöne an ihm finden — Wir mögen uns
nicht anstrengen, um mit dem andern Ge-
schlechte Schritt zu halten; und das müſsten
wir oft über unser Denken und Vermögen,
wenn wir ihm gleich kommen wollten. Wir
geben ihm sonach Räthsel auf, die der Auf-
lösung nicht werth sind; wir verlangen Traum-
deutungen von ihm, ohne daſs wir ihm den
Traum bekannt machen; wir suchen es in
das Spielwerk der Welt zu verwickeln, und
es dem Ernste- und Nachdenken so viel als
möglich zu entziehen: — und doch ist dieser
Müſsiggang — welches Weib wird nicht dazu
auf eine grobe und subtile Art verurtheilt? —
der Grund von allem jenem Übel, wovon reelle
Beschäftigung das Weib, seinen Mann und
die Welt befreien würde. — Die Thätigkeit
hat drei Grazien zu Töchtern: Tugend, Wis-
senschaft und Reichthum; allein welche Thä-
tigkeit? die, wozu Männer aus Machtvollkom-
menheit die Weiber verurtheilen, oder jene,
die man bei selbstgewählten Geschäften an-
wendet? die, wo Lied- und Tagelohn bezahlt
[167] wird, oder jene, wo das freiwillig übernom-
mene Geschäft sich selbst belohnt? Aufgege-
bene Arbeiten können zwar zu andern un-
aufgegebenen erwecken, die über jene unend-
lich erhaben sind; doch müssen die aufgege-
benen nie von so einförmiger Art seyn, wie die
weiblichen es sind, falls sie die einmal in Be-
wegung gesetzte Seele zu edler Wirksamkeit
hinaufstimmen sollen — Wann wird Thätig-
keit aus selbsteigener Wahl einmal aufhören
der königliche Vorzug der Männer zu seyn!
wann werden Weiber zu dem Menschenrechte
gelangen, Geschäfte nicht fürs Brot, nicht
auf den Kauf, sondern mit Lust und Liebe
treiben zu können! o, wann! — — Wie
sehr würde man die Er[k]lärung der siebenten
Bitte durch die Verbesserung des weiblichen
Verhältnisses zum Staate verkürzen! Man
verbietet mit Recht nicht nur das Laster, son-
dern auch den Schein desselben, weil Scham-
losigkeit, wenn sie ins Publicum dringt, ein
allgemeines Verderben des Staates bewirkt,
und ein gewisses Zeichen seines nahen Sturzes
ist. — Doch bedenkt man nicht, daſs eben
L 4
[168] die Ausschlieſsung des andern Geschlechtes
von allen öffentlichen und ernsthaften Beschäf-
tigungen es geradesweges auf den Gedanken
bringen muſs, alle jene ehrwürdigen Sachen
zu enttrohnen, den Werth derselben, den in-
neres Gehalt oder Lieblingsgrillen ihnen beile-
gen, zu verringern, und der jungen nasewei-
sen Welt der Jünglinge allen jenen Ernst so
zu verekeln — daſs, wenn sie sich ja Ge-
schäften widmen, sie die Maximen des Lä-
cherlichen in Anwendung bringen, welche sie
zu den Füſsen des schönen Geschlechtes ge-
lernt haben. Es werden wenige Dinge seyn,
die sich von dem Roste der Pedanterie rein
halten können, auſser wenn das Frauenzim-
mer, dieses einzige Verwahrungsmittel gegen
jenes Geschlechtsübel, dabei eingeflochten
wird.
Der Mensch ist zur Nachahmung geneigt,
und es ist eine bekannte Bemerkung, daſs
man das in seinem Hause im Kleinen einführt,
was im Staat im Groſsen gäng und gebe ist;
das Haus pflegt ein Miniaturstück des Staates
zu seyn. Wenn aber gleich in despotischen
[169] Staaten der Despotismus auch in Privathäusern
wüthet, und um so mehr mit gutem Bedachte
wüthen zu müssen das Ansehen gewinnt, da
gröſsere Freiheit der Weiber dem Staat un-
überwindliche Nachtheile zuziehen, und die-
ses Geschlecht, geboren der Natur getreu zu
seyn, alles jene unnatürliche Wesen der De-
spotie an die gehörige Stelle und den recht-
mäſsigen Ort bringen würde; so ist doch auch
in Republiken das schöne Geschlecht noch
nie zu einem anständigen Grade von Besitz
seiner Rechte gediehen — Zwar gewinnt es
dort durch mindere Pracht; allein eben dieser
Gewinn lehret die Herren Staats-Repräsentan-
ten aufs Wort merken. Die Weiber spielen
ein etwas ernsthafteres Spiel, als in Despotie
und Monarchie; aber man erlaubt ihnen nicht,
dieses Ziel zu überschreiten: ihre anscheinen-
den Vorzüge sind avanturirt (erabentheuert) —
Es bleibt Spiel was sie treiben — Ihr Tichten
und Trachten sind Kleinigkeiten von Jugend
auf und immerdar; und, was noch ärger ist —
der widernatürlich zusammengeordnete Putz
entstellt die natürliche Schöne des Körpers so
L 5
[170] sehr, daſs die Frage der Gemahlin des Kai-
sers von Marokko, an die geputzte Frau des
Holländischen Consuls: bist du das Alles
selbst? — oft ihr Glück versuchen könnte.
In der Aristokratie sind die Herren Aristo-
kraten zum Neide und zur Eifersucht so be-
rufen, daſs sie zu verlieren befürchten, wenn
sie ihren Weibern einen Vorzug verstatteten —
und da selbst die Französische Revolution ih-
ren Zustand — obgleich Weiber die Fahne
derselben geführt — nicht verbessert hat; so
scheinen wohl die Verschiedenheiten der Re-
gierungsformen nicht bestimmt zu seyn, die-
sen Schaden Josephs zu heilen: höchstens blei-
ben die armen Weiber beim Mehr oder We-
niger stehen.
»Es ist wider die Vernunft und wider die
»Natur», sagt ein Philosoph der Welt, »daſs
»Weiber die Hausherrschaft führen; allein
»Reiche können sie regieren — Im ersten
»Falle erlaubt ihnen ihre Schwäche diesen
»Vorzug nicht; im andern stimmt diese sie
»zur Leutseligkeit und Mäſsigung —» Mich
dünkt, diese Bemerkung ist Sophisterei. Wer
[171] will denn, daſs Weiber das Hausregiment füh-
ren sollen? Nur da, wo, nach dem altdeut-
schen Reim eines Reformators, ein Jeder seine
Lektion lernt, wird es wohl im Hause ste-
hen. — Es ist zu verwundern, daſs jetzt, da
das halbe menschliche Geschlecht auf weiter
nichts sinnt, als sich mit Ehren unter die
Haube zu bringen, noch so viel Policei im
Punkte des Punktes herrscht — und daſs, da
das Frauenzimmer zu einer ewigen Vormund-
schaft verdammt wird, es seine Rache bloſs
aus der ersten Hand vom Ehemanne nimmt,
und übrigens in der gröſseren Welt so sittsam
und menschenfreundlich bleibt. Strenge Auf-
merksamkeit auf einen sich selbst gegebe-
nen Punkt unterdrückt das Gefühl des Schmer-
zes, und die gröſste Krankheit verliert einen
groſsen Theil ihrer Feindseligkeit durch die
Unterhaltung mit einem guten Bekannten, wel-
che aber, wohl zu merken, den Kranken un-
vermerkt, äuſserst leicht und ohne angreifende
Übergänge beschäftigen muſs. Ist die Ehe,
nach jetziger Sitte, viel mehr als eine Kranken-
unterhaltung, wodurch man so sehr die lange
[172] Weile als die Anstrengung vermeidet, und vor-
züglich das andere Geschlecht von jenem
schrecklichen Gefühle seiner Abhängigkeit und
Unterdrückung ableitet? — Lieſsen die Män-
ner sich öfter als jetzt merken, daſs sie das
Verhältniſs der Geschlechter besser, als die
Natur, zu ordnen wüſsten, wie weiland Al-
phonsus das Schöpfungswerk weit besser als
der Schöpfer Himmels und der Erden zu ver-
stehen vorgab: so wäre den Männern höherer
Klassen schon längst von ihren aufgeklärten
Damen der Krieg angekündigt; jetzt aber, da
Männer diese Saite fast gar nicht berühren,
oder höchstens sich über diese Sache etwa so
auslassen, wie Machiavell über die Tyran-
nen: — jetzt bleibt es in besseren Volksklassen
beim Frieden, und in den geringeren ist der
Unterschied zwischen männlichem und weib-
lichem Werth und Unwerth zu unbedeutend,
oder jene geringeren denken zu wenig an ihre
Bestimmung, um anders als thierisch zu wis-
sen, daſs zwei Geschlechter unter den Men-
schen sind — Wird dann etwa (im Jubel-
jahr) unter uns ein St. Pierre, ein Bayard,
[173] ein Heinrich IV. geboren; so läſst das andere
Geschlecht, des Verdienstes dieser hervorra-
genden Männer halben, dem ganzen männli-
chen Geschlechte Gnade widerfahren. — —
Laſst uns aufrichtig seyn! Alles wodurch
Menschen sich auszeichnen können, ist dem
Frauenzimmer benommen. Ein Cartel ernie-
drigt es so tief, wie eine ungerächte Beleidi-
gung den Ehemann; und in die Klasse der
Unedlen, der Knechte, ward es unter dem
Schreckbilde, daſs die Gränzen seiner fräuli-
chen Schamhaftigkeit verletzet werden könn-
ten, verstoſsen, damit nur unser Geschlecht
sicher bliebe, nie von ihm zum Zweikampfe
gefordert zu werden — Nicht die Ähnlich-
keit, sondern das Gesetz bestimmt vermöge
der Ehe den Vater; es benennt ihn, und lei-
det keinen Widerspruch. Wie war es mög-
lich, daſs, da die Natur unmittelbar die Mut-
ter bestimmt, daſs, da diese so unbezweifelt
gewiſs wie unsere Existenz und der Tod ist —
die Kinder in solch eine Unerkenntlichkeit
ausarteten! daſs nicht gutgesinnte unter ihnen
sich vereinigen, um ihre Mütter aus der
[174] Schmach zu reiſsen, in der sie von wegen des
Geschlechtes schmachten! Das männliche Ge-
schlecht spielt mit auſserordentlichem Glück —
Wenn die Väter ihren Töchtern vermöge des
Geschlechtstriebes nicht so liebreich zuvor-
kämen, wie es gemeiniglich der Fall ist; viel-
leicht würden diese schon längst eine Conspi-
ration veranlaſst haben, um Menschen aus
Mädchen zu machen, die jetzt aus Sitte nicht
sehen, hören und denken dürfen, die allein
in der Einsamkeit das Recht haben dreist zu
seyn, und nur im Selbstumgange jenen schreck-
lichen Klosterzwang ablegen können, der sie
in Gesellschaft zur entsetzlichsten Einsamkeit
verdammt. Was kann man von dieser Erzie-
hung erwarten, die von der Heuchelei diri-
girt wird, nach welcher selbst der Plan, zur
Heirath Anlaſs zu geben, so insgeheim ausge-
führt werden muſs, daſs oft das lauteste Nein
das herzlichste Ja bedeutet! — Alle jene
Gesetze zur Fortpflanzung des menschlichen
Geschlechtes, jene Aufmunterungen zur Ehe,
die Drei-Kinder-Ehre — was sind sie anders,
als unnatürliche Hülfsmittel, die alle aufhören
[175] würden, wenn man Männer und Weiber in
den Gang der Natur einlenkte? — Wie wür-
de sich hier Alles von selbst verstehen! —
Man trachte zuerst nach dem Reiche Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit; und in Wahr-
heit, alles Andere wird von selbst zufallen.
Darum Leute im Staat ehren, weil sie in der
Ehe leben, weil sie Kinder, weil sie drei
Kinder haben; darum, weil man die meisten
Kinder hat, zuerst im Rathe votiren — ist
eben so wunderbar, als die Seele nach dem
Körper messen; und jener General hat sich
mit uns ausgesöhnt, der Specialkarten ver-
warf, und nur Generalkarten wollte, weil er
General war, oder der es nicht begreifen konn-
te, daſs man ein groſser Mann seyn und doch
nicht über vier Zoll messen könne. — Viel-
leicht kommt noch die Zeit, daſs man belohnt
wird, weil man essen und trinken oder schla-
fen kann! Mit Volksmenge allein ist dem
Staate nicht gedient, wohl aber mit Bürgern,
die mit der natürlichen Beschaffenheit und
der Gröſse desselben in richtigen Verhältnis-
sen stehen, die frei, arbeitsam, wohlhabend
[176] und wohldenkend sind. Und selbst die Volks-
menge! würde sie nicht über die Hälfte ver-
mehrt werden, wenn man das andere Ge-
schlecht zum Volk zu machen sich entschlie-
ſsen, und Weiber zu Colonisten im Staat auf-
nehmen wollte? Man wende einmal die Mün-
ze um; und der Revers der Sache —? Zu
elenden Kunstgriffen muſs man sich herablas-
sen, wenn man die Winke der Natur ver-
nachlässiget — Merkwürdig ist es, daſs selbst
Weiber zu einer gewissen Zeit in Rom durch
Kinder sich aus der beständigen Vormund-
schaft hinaus gebären konnten! — Die Frei-
geborne muſste deren drei, die Freigelassene
vier haben. —
Heil den Gesetzen, die nicht ansehen, was
vor Augen ist, sondern die nach dem Bei-
spiele des Stifters des Christenthums das Herz
verlangen; die es auf den inneren Menschen an-
legen; die nicht äuſsere Schäden verbinden,
sondern heilen; nicht Palliative bewirken, son-
dern das Blut reinigen! —
Derjenige, der später bezahlt, bezahlt we-
niger — Die bündigste Antwort, wenn von
der
[177] der Erlaubniſs, Zinsen zu nehmen, die Frage
ist. Wie viele Verzögerungs-Zinsen werden
wir dem andern Geschlechte schuldig wer-
den —! Als Cromwell’n gerathen ward, sei-
ne Tochter Carl dem II zu geben, nachdem er
Carl den I hatte enthaupten lassen, war seine
Antwort: »Nein; denn könnte er wirklich
vergessen, was ich that,» fügte er hinzu, »so
wär’ er nicht werth, eine Krone zu tragen —»
Sollten die Weiber nicht dereinst über
kurz oder lang ihre Existenz den Männern
beweisen, so wie weiland Alcibiades die sei
nige den Atheniensern, die ihn zum Tode
verurtheilt hatten? Sollten sie nicht auch ein
Sparta finden, um ihren Atheniensern von
Männern den Krieg anzukündigen? sie, die
schon jetzt während ihres fünfjährigen Pytha-
gorischen Stillschweigens so deutlich zu er-
kennen geben, wie sehr sie verdienen für
mündig erklärt zu werden? sie, die mit zwei
Augen mehr sehen, als Argus mit hundert?
sie, die schon jetzt, noch ehe erschienen ist,
was sie seyn werden, privilegirte Seelen auf-
zuweisen haben, die es mit unserem Ge-
M
[178] schlechte aufnehmen? sie, welche die Sphäre
ihrer Zeitgenossen durchbrechen und, ohne
sich nach Brücken umzusehen, mit Geistesflü-
geln sich erheben und, wenn es nicht gehen
will — sich hinaus denken und wie Felix auf
einen gelegenern Augenblick warten? — Oder
wie! ist es Wollust, keine Wollust zu genie-
ſsen? ist es ein Göttermahl, zu fasten? ist
bloſs Streben unsere Tugend, und Hoffnung
unser Glück —? Beweiset nicht ein groſser
Theil der Weiber, daſs edle Seelen auch in
Ketten frei sind, wie ein Herrscher bei ent-
gegengesetzter Denkart sich in selbsteigener
Sklaverei befindet? Der schlechteste Herr, der
nur zu finden war! So diente Alexander, und
Diogenes war frei — Alexander! dem ein
Seeräuber in die Augen zu sagen den Alexan-
der-Muth hatte: kleine Diebe hängt man —
Diogenes! der, als Alexander ihm Gelegenheit
gab, sich eine Pension zu erbitten, (und eine
gröſsere, als alle zusammen genommen, die
Friedrich II seinen Leib-Philosophen und
Dichtern gab) nur verlangte, daſs Se. Alexan-
drische Majestät geruhen möchte, ihm, der
[179] werth sei, von der Sonne beschienen zu
werden, diesen Vorzug nicht länger zu rau-
ben. — Diogenes beurlaubte Alexandern: der
reiche Bettler den armen ihm die Cour ma-
chenden Weltbesitzer. — Gründet sich fort-
schreitende Vervollkommnung des menschli-
chen Geschlechtes, und wahre, nicht Schein-
Aufklärung, auf eine unpartheiische Kenntniſs
der Natur, und auf die Einsicht, ihre Gaben
recht zu gebrauchen; so kann kein politischer
Zwang Menschen behindern, an ihrem Glücke
zu arbeiten, und die Würde der Gerechtigkeit
und ihre wahren Verhältnisse zu Allem, auſser
sich, einzusehen. — Selten wird ein Mann
leugnen oder nur bezweifeln, was allgemein
angenommen ist; ein Weib aber rechnet es
sich zum Vorzuge, täglich dergleichen Aus-
nahmen zu machen. Oft thut ein Weib es
früher, als es die Umstände beprüft hat; und
wenn es dann aus der Noth eine Tugend zu
machen sich gedrungen sieht, so ist es ange-
nehm zu bemerken, wie es Gründe sucht und
findet, wodurch es bei seinem Wagestück von
Nein sich bei Ehren erhält, und sich, wenn
M 2
[180] nichts mehr, so doch den Vorzug erwirbt,
sonderbar zu scheinen. Ein Glück, das dem
Verstande in Nothfällen übrig bleibt, um zu
zeigen, wie viel man zu thun im Stande ge-
wesen wäre, wenn man nicht zu vielen Hin-
dernissen unterliegen müssen. Wir sind mehr
für die Gewohnheit, Weiber mehr für die
Neuheit — Beide Neigungen lassen sich aus
der Lage beider Geschlechter ziemlich richtig
erklären. Was geht dem andern Geschlechte
ab, um würdig zu seyn, in den vorigen Stand
zurückgesetzt (in integrum restituirt) zu wer-
den? Die Thränen der Weiber sind nicht
bloſs Beweise der Schwäche, sondern auch
Beweise der in ihnen wohnenden Kraft Sind
Thränen nicht schon im gemeinen Leben öfter
Anzeigen des Entschlusses, als der Reue? und ha-
ben nicht Schuld und Unschuld ihre Thränen?
Daſs übrigens nicht bloſs Weiber und Kinder
greinen, (wenn von Verstellung der Geberde
bei Thränen die Rede ist) sondern auch Män-
ner, wird selbst dem gemeinsten Beobachter
nicht entgangen seyn. Die Launen der Wei-
ber werden in der That zu wenig von uns
[181] beobachtet; wir würden hier oft auch bei klei-
neren Gewässern tiefe Gründe finden, da hin-
gegen jetzt diese Launen auf Flügeln der Mor-
genröthe uns entfliehen, auch selbst wenn wir
sie zurück zu halten bemühet sind. — Die
Weiber wissen die wenigste Zeit, wie sie mit
sich selbst daran sind, und sie sollten mir
danken, daſs ich ihnen hier eine nicht kleine
Entdeckung mache — sie sollten manches, was
zu ihrem Frieden, zum wahren, zum Frieden
Gottes gehört, in ihrem Herzen bewegen, um
eine Stärke recht beurtheilen zu lernen, die
sich bloſs — auf ihre angebliche Schwachheit
gründet. Von Liebenden sind uns alle Erge-
benheits-Bezeugungen verhaſst, wenn wir nicht
der eigentliche Gegenstand der Neigung sind.
Männer! habt ihr von euren Weibern mehr
als den Schein der Liebe? und verdient ihr
mehr? — Verdient ihr nicht, daſs sie euch
nur in dem Grade lieben, wie Sklaven Tyran-
ren bedienen? Es giebt Augenliebe, wie
Augendienst. — Hätte man die Weiber bloſs
von einigen, augenscheinlich origetenus und
von Haus aus männlichen Dingen ausgeschlos-
M 3
[182] sen; wer unter diesem sanften Volke hätte
gemurret —? Es hätte sein Marlbrough s’en
va t’en guerre geleiert, und damit wäre Alles
vergeben und vergessen gewesen. —
Die Macht kann überall weniger ausrichten,
als die Weisheit. Wer sich Gott als den
Mächtigsten denkt, ist sein Knecht; wer ihn
sich aber als den Weisesten vorstellt, verdient
den Namen seines Kindes. — —
[183]
V.
Verbesserungs-Vorschläge.
Soll es denn aber immer mit dem andern
Geschlechte so bleiben, wie es war und ist?
sollen ihm die Menschenrechte, die man ihm
so schnöde entrissen hat, sollen ihm die Bür-
gerrechte, die ihm so ungebührlich vorenthal-
ten werden — auf ewig verloren seyn? soll es
im Staat und für den Staat nie einen absolu-
ten Werth erhalten, und immerdar beim re-
lativen bleiben? soll es nie an der Staatsgrün-
dung und Erhaltung einen unmittelbaren An-
theil behaupten? soll es nie für sich und durch
sich denken und handeln? ohne End’ und
Ziel nur als Scheidemünze gelten? Werden
wir uns bei diesen Fragen mit einer wohlwei-
sen Römischen Rechtsfiktion oder einem wohl-
hergebrachten Verjährungs- und Besitzrechte
aushelfen können, um sie ab- und zur unan-
genehmen Ruhe zu verweisen? Werden wir
selbst unser männliches Gewissen mit Bedenk-
M 4
[184] lichkeiten über die möglichen Folgen, mit
Miſsbräuchen und was dergleichen Popanze
mehr sind, wodurch man Kinder schreckt,
beruhigen und diese Angelegenheit der Mensch-
heit auf die lange, ja lange Bank schieben
können —? Dann ist freilich der schöne Mor-
gen der Erlösung noch nicht nahe. — Wer-
den wir uns aber hierbei entbrechen können,
uns selbst noch Gothen und Vandalen zu
heiſsen, was weiland unsere Väter waren, wenn
wir nicht dieses Unrecht je eher je lieber zu
vergüten suchen? Miſsbrauch des Rechtes
verwirkt nicht das Recht. Menschenrechte
können niemals, Bürgerrechte nur durch Fe-
lonie verloren werden; und was ist Felonie?
Dies aus dem Lehnsrecht entlehnte Wort
(keine sonderliche Abkunft!) bezeichnet Alles,
was man der Lehnsverbindlichkeit zuwider
thut oder unterläſst, und wird aus dem Lehns-
Contrakte beurtheilt. Da es sowohl für den
Lehnsherrn als für den Vasallen Rechte und
Pflichten giebt, die sie einander schuldig sind;
so kann nicht nur der Vasall, sondern auch
der Lehnsherr der Felonie schuldig werden.
[185] Und wie? geht denn wegen einer jeden Hand-
lung oder Unterlassung, die dem Lehns-Con-
trakte zuwider ist, schon das Lehn verloren?
Ist der Lehnsherr, da er nichts mehr und
nichts weniger als ein Mensch ist, nicht
vielmehr verbunden, den Vasallen zur Leistung
der contraktgemäſsen That, und zur Vermei-
dung der contraktswidrigen Unthat von Rechts-
wegen anzuhalten und auf Schadenersetzung
anzutragen? Werden Contrakte durch zuge-
fügte Contraventions-Strafen geschwächt, oder
vielmehr verstärkt? Können die Handlungen
eines Andern Jemanden zugerechnet werden?
und wenn der Vasall wegen Felonie das Lehn
verliert, ist der Lehnsherr nicht verpflichtet,
es nach dessen Tode demjenigen wieder zu
geben, dem es nach dem Ableben des der Fe-
lonie schuldig und des Lehnsbesitzes unwür-
dig befundenen Vasallen zufällt? Kann je
durch Felonie das Lehn aufhören? — und
wer machte denn den Mann zum Lehnsherrn,
und das Weib zur Vasallin —? sind sie nicht
beide göttliche Lehnsträger? — Die Erde
könnte vielleicht eher ein Weib-, als ein Mann-
M 5
[186] lehn heiſsen, und ist ohne Zweifel ein ver-
mischtes Feudum. — Man lasse doch die
Weiber-Felonie an seinen Ort gestellt seyn,
wovon Natur und Geschichte kein lebendiges
Wort wissen, und vergesse nicht, daſs Gott dem
Menschenpaar, welches er (o, der Menschen-
würde!) abschattete, dieses Erden-Lehn anver-
trauete, und daſs zwischen seinem Lehnrecht
und der Stümperei des menschlichen keine
Vergleichung denkbar ist. — So weit von bür-
gerlichen Rechten! — über Menschenrechte
kann nur Gott richten; und in seine Hände
zu fallen — wie wohl thut das, wenn wir die
gehegten und ungehegten Banken der Men-
schen dagegen halten! —
Ist es etwa Furcht, oder ist es bloſs eine
Grimasse derselben, die wir vorgeben, um je-
ner gegründeten und rechtmäſsigen Forderung
mit Anstand ausweichen zu können? Werdet
wie die Kinder, ist ein wohlgemeinter Rath;
denn nur die kindliche Furcht ist nicht un-
männlich: sie besteht in der Sorgfalt, dem
auszuweichen, was den ewigen Gesetzen des
Wahren und Guten entgegen ist. Jene knech-
[187] tische, wenn man aus Furcht vor der Strafe
thut, was die Gesetze wollen, oder unterläſst,
was sie nicht wollen, ist unmännlich, so wie
ihre Verwandtin, die Befürchtung, vermittelst
deren wir den Gelegenheiten zuvorkommen
wollen, wodurch wir dergleichen Strafen und
Strafgerichten unterworfen werden können.
Wir wollen ein Geschlecht fürchten, das
zur Liebe geschaffen ist, und, wenn es zürnt,
selten die Sonne über seinen Zorn untergehen
läſst? das bis auf Einen Punkt (und dieser ist
eine Sünde wider den heiligen Geist des Ge-
schlechtes) dem Beleidiger zwei Drittheile des
Weges entgegen kommt, um ihm Versöhnung
anzubieten! Wie viel mehr Ursache haben
wir, uns selbst zu fürchten, als ein Geschlecht,
das, wenn man es in seine Rechte einsetzte,
uns, wo nicht Erkenntlichkeit, so doch Wohl-
wollen schuldig wäre, und diese Schuld kraft
seines Wesens und Seyns so gern abtragen
würde!
Man sagt, es sey schwer zu hoffen, daſs
das menschliche Geschlecht, welches von der
Natur sich so weit und breit zu entfernen die
[188] Ungezogenheit gehabt, das durch keine Reli-
gionsempfindung sich leiten, durch keine
Staatstäuschungen sich blenden lasse, sich zu
Gesetzen bequemen werde; und so liege denn
die Furcht nicht so sehr aus dem Wege, als
man es gemeiniglich denke. — Lieber! wie
kannst du fordern, daſs das Menschenge-
schlecht sich ewig am Gängelbande wohl be-
finden werde? Erregen jene Staatstäuschungen
und jene Religionsempfindungen, wenn sie
nicht von Grundsätzen abstammen, nicht ein-
zig und allein Unglauben und Miſstrauen in
Rücksicht der Gesetze? Sollte der Mensch nie
zur Achtung für Pflicht gebracht werden?
Sollte er nie zu dem Hauptprincip des Lebens
gelangen: sei vernünftig? — Sollen denn
Sinnlichkeiten ihm mehr als die moralische
Vernunft und das Sittengesetz gelten —? Wird
er sich nie so weit erheben, seiner geistigen
Natur würdig zu seyn, und für das, was er
nicht siehet, Ehrfurcht und Achtung zu fas-
sen —? Soll denn bloſs Weichheit des Tem-
peraments ihn zur Neigung bringen? oder
giebt es auch auſser der Temperamentsneigung,
[189] die, wenn sie geläutert wird, eine Herzens-
neigung heiſsen könnte — giebt es auſser ihr
auch eine Geistesneigung, so wie es ein Gei-
stesvergnügen geben kann —? Für nichts, was
in die Sinne fällt, hat der stolze Mensch in
die Länge Achtung — es familiarisirt sich
mit ihm, und es ist wie unser einer. — Das
einzige Mittel des gröſsten Helden und des
gröſsten Gelehrten, sich bei übermenschlicher
Ehre (was soll aber die?) zu erhalten, ist:
sich zurück zu ziehen. Sobald wir uns näher
zeigen, geben wir uns wohlfeiler. — Je hö-
her die Spannung war, je schneller läſst sie
nach. Alles, auſser sterben, muſs der Mensch
lernen — Zu Allem, es sei gut oder böse,
kann er sich gewöhnen — Ein scheues Pferd
führt man zu dem Gegenstande zurück, den
es fürchtete; und wie? hier, wo das höchste
Ziel seiner Würde auf dem Spiele steht, sollte
der Mensch auf seinen Nachdruck Verzicht
thun? — Mit nichten — Wir können und
werden dahin kommen, daſs wir die Göttlich-
keit der Gesetze in ihrem Heiligthum, in un-
serer Seele, verehren und unser Herz durch
[190] jene Überzeugungen des Geistes gewinnen.
Noch würde sich freilich der Gesetzgeber gröb-
lich verrechnen, wenn er seine Gesetze auf
festes Zutrauen zur Vernunft und zur Weis-
heit seiner Bürger calculirte; allein wird die
Menschheit nie die Kinderschuhe ausziehen?
Ist dies — nun, so bleibe Alles Altflickerei,
und der Mensch schäme sich, daſs er Mensch
heiſst. — Ist die Menschheit indeſs im Stan-
de, zu jenem Grade der Vollständigkeit zu
gedeihen, den sie sich vorstellen kann, jene
Tugend zu üben, die ihr im Ideal Freude
macht —; so entferne man den Nebel der
Täuschung, wodurch man Menschen betrog,
die über kurz oder lang zum Gebrauche der
Vernunft kommen und sich betrogen finden
müssen. Männer, würdet ihr die Furcht nicht
barbarisch und unmenschlich finden, wenn
man euch Alles und Jedes von Freiheit bloſs
darum entzöge, weil ihr es miſsbrauchen könn-
tet —? Wie wollet ihr denn jene Furcht
nennen, die euch abhält, dem andern Ge-
schlechte seine Ehre wiederzugeben? Die
Zeiten sind nicht mehr, um das andere Ge-
[191] schlecht überreden zu können, daſs eine Vor-
mundschaft wie bisher für dasselbe zuträglich
sei, daſs sie seinen Zustand behaglicher und
sorgloser mache, als eine Emancipation, wo-
durch es sich mit Verantwortungen, Sorgen,
Unruhen und tausend Unbequemlichkeiten des
bürgerlichen Lebens belasten würde, die es
jetzt kaum dem Namen nach zu kennen das
Glück habe. Wahrlich ein abgenutzter Kunst-
griff des unmenschlichen Despoten, wodurch er
seinen feigen Sklaven das Gewicht der Ketten
erleichtern will! als ob die Freiheit mit allen
ihren Ungemächlichkeiten nicht der gemäch-
lichsten Sklaverei vorzuziehen wäre! Glau-
ben Sie nicht, daſs das Wirtembergische Land
Ihrentwegen geschaffen ist, schrieb Frie-
drich II an den jetzt regierenden Herzog
von Wirtemberg; sondern überzeugen Sie Sich,
daſs die Vorsehung Sie hat geboren werden
lassen, um ihr Volk glücklich zu ma-
chen. Und Männer! ihr wollt glauben, eine
halbe Welt wäre zu eurem bon plaisir, zu
eurem eigentlichen Willen, das ist verdoll-
metschet: zu eurem Eigenwillen, da? Thiere
[192] wirken; Menschen handeln — Warum soll
das Weib nicht Ich aussprechen können?
Wahrlich ein sanftes Wort, denen, welche
die neidlose Natur verstehen — Wer die
Kunst versteht, ist neidisch und verräth den
Meister nicht — Ist es nicht der gröſste
Menschenvorzug, sich selbst zu kennen? Un-
ser Werth ist unsere Sache; unsere Würde
ist die Sache Gottes und gerechter Menschen.
Hat Gott bei dem anderen Geschlecht etwas
versehen? oder sind es die Männer, die sich
an diesem Geschlechte wider den Willen des
Schöpfers versündigen! Warum sollen die
Weiber keine Person seyn? warum nicht wis-
sen: das ist mir gut, und das ist gut, oder
das ist vortheilhaft, und das ist recht? Vie-
les, und fast das meiste, was mit Vergnügen
anhebt, leistet bei weitem nicht, was wahrhaft
vortheilhaft ist — Aus ächtem Vortheile tu-
gendhaft seyn, heiſst sonst mit andern Wor-
ten: es in Reinheit seyn.
Frankreich schreckt eben jetzt mit der Frei-
heit diejenigen Mächte, welche die zu weit
gegangenen Beschlüsse der Nationalversamm-
lung
[193] lung einzuschränken drohen. Gott! zu Ende
des achtzehnten Jahrhunderts — wo kein Ge-
spenst, und wär’ es eins von nicht ganz klei-
nem Range, ein Poltergeist, mehr Wirkung
thut — kann man mit Freiheit schrecken —!
Dahin wär’ es gekommen? Ach! auch selbst
dem, der an der Kette erzogen ist, blitzt der
Name Freiheit auf, dieser göttliche Funke,
durch den wir sind was wir sind, und der
uns so wenig schrankenlos macht, daſs er uns
vielmehr fester als Alles an das Allerheiligste
der Gesetze bindet. Das weibliche Geschlecht
kam um die Menschenrechte ohne seine
Schuld, bloſs durch den Schwung, den die
menschlichen Angelegenheiten bei den Fort-
schritten zu ihrer Cultur nahmen; Bürgerrech-
te, die es leider! sehr zeitig und schon bei
Entstehung kleinerer Familienstaaten verlor,
hat es nie, weder durch Unterhandlungen noch
mit Gewalt, zu erringen gesucht, und erwar-
tet sie noch heute mit aller Selbstverleugnung
von unserer Gerechtigkeit und Groſsmuth.
Und wir wollen es vergeblich warten lassen?
und das Gesuch, welches die Natur für die
N
[194] Weiber einreicht, zu einer Zeit da Menschen-
rechte laut und auf den Dächern gepredigt
werden, mit einem aufrichtigen und deutli-
chen Nein abweisen?
Die neue Französische Constitution verdient
eine Wiederholung meiner Vorwürfe, weil
sie für gut fand, einer ganzen Hälfte der Na-
tion nicht zu gedenken, ob sie gleich einem
kleineren Theile derselben, der überall wo
er sich befindet, auf das Duldungsrecht be-
schränkt ist, die Rechte aktiver Bürger zuge-
stand. Alle Menschen haben gleiche Rechte —
Alle Franzosen, Männer und Weiber, sollten
frei und Bürger seyn. Jene Vorschläge zur
dégradation civique, wodurch die Männer
vermittelst einer feierlichen besonderen Formel
der Ehre eines Französischen Bürgers für un-
würdig proclamirt werden sollten, falls sie
durch Verbrechen diese Strafe verdienten, sind
nicht auf das andere Geschlecht ausgedehnt.
Über dieses sollte bloſs der Fluch ausgespro-
chen werden: Euer Vaterland hat euch einer
infamen Handlung überführt befunden —
Mirabeau, der zur gegenwärtigen Genera-
[195] tion von Menschen sein Zutrauen verloren ha-
ben mochte, setzt, wie alle groſse Thäter,
sein Zutrauen auf Erziehung, und weiset in
seinem Posthumus Travail sur l’éducation pu-
blique, die sein Arzt und Freund Cabanis her-
ausgab, das Frauenzimmer zur Häuslichkeit
und zu stillen, sanften Tugenden an, (ist
denn nicht jede Tugend sanft und still?)
worauf das Glück der Familien, und am En-
de das Glück des Staates so sehr beruhe. Oh-
ne mich in den Streit einzulassen, der über
den Grafen und Nichtgrafen Mirabeau von
Freunden und Feinden übertrieben worden,
sei es mir erlaubt, der Behauptung zu wider-
sprechen, daſs Jemand in seinem Privatleben
ein elender Mensch, dagegen doch der tugend-
hafteste Bürger und der höchste Grad dessel-
ben, ein geschickter Officiant, seyn könne.
Ein Mensch, der gegen Alles gleichgültig zu
seyn vermag, was gut oder böse, gerecht oder
ungerecht ist, ein nicht rechtschaffener Mensch,
kann kein rechtschaffener Bürger seyn. Horaz
sagt: nur Jupiter gehe über den Weisen; der
Weise sei reich, frei, gerecht, ein König al-
N 2
[196] ler Könige — Da das andere Geschlecht vom
Menschen auf den Bürger zu schlieſsen ge-
wohnt ist und jene Rollenspieler, die Nichts
aus Grundsätzen, Alles aber nach Zeit und
Umständen sind, sehr richtig berechnet; —
ist es Wunder, daſs diese Glücks- und Un-
glücksritter das andere Geschlecht zu entfer-
nen suchen? —
Wir irren, wenn wir uns überreden, daſs
Weiber für die Ehrensache der Menschheit,
für den Kampf der Freiheit mit der Alleinge-
walt, keine Sinne besitzen. Sie haben nicht
bloſs durch ihren lauten Beifall bezeugt, daſs
sie den Werth der Freiheit zu schätzen wis-
sen, und daſs das Gefühl für dieselbe noch
lichterloh aufflammen kann; selbst thätig ha-
ben sie mitgewirkt, die Fesseln zu brechen,
die man der Nation anlegte, und wahrschein-
lich lag es nicht an ihnen, daſs sie bei die-
sem Schauspiele nur Rollen vom zweiten Ran-
ge spielten.
Die berühmte Verfasserin der Geschichte
der Königin Elisabeth, Mad. Keraglio, ver-
theidigt seit der Revolution in ihrem Journal
[197] d’État et du Citoyen die Rechte der Mensch-
heit mit Freimuth, Wahrheit und Stärke.
Weiber fühlten jene Zurücksetzung, jenes tie-
fe Stillschweigen bei einem so schönen Anlaſs,
jene Verstoſsung, wenn es Staatsdienst gilt —
Eins unter ihnen wagte es, ihren Unwillen
laut werden zu laſsen. In einem an die Na-
tionalversammlung abgelassenen Briefe bemerkt
es, daſs kein Wort in der Constitution von
den Weibern vorkomme, obgleich die Mütter
Bürgerinnen des Staates seyn müſsten. Es
schmeichelt sich mit dem Befehle, kraft dessen
den Müttern erlaubt seyn werde, in Gegen-
wart der Bürgerbeamten diesen feierlichen Eid
abzulegen. Diese ehrwürdige Ceremonie wür-
de es wünschenswerth gemacht haben, Mutter
zu seyn. Die Geschichte sagt nicht, was von
den Repräsentanten der Nation auf diese
Adresse einer edlen Französin beschlossen
worden ist. Betrübt feire ich heute ihr An-
denken, heute den 18ten März 1792, da ich
in öffentlichen Blättern lese, daſs die Franzo-
sen, ungerührt durch diesen Wink, es dahin
kommen lassen, daſs das andere Geschlecht
N 3
[198] dringender um diese Rechte angehalten. Schö-
ner würde es gewesen seyn, wenn man dem
Geschlechte mit der Bürgerehre zuvorgekom-
men wäre, und bei dieser ernsthaften Sache
kein Ärgerniſs des Lachens gegeben hätte.
Wehe dem Menschen, durch welchen derglei-
chen Ärgerniſs kommt! Würden wohl alle
jene Laternenscenen sich ereignet haben, wenn
Weiber Aktivvotantinnen in Frankreich gewe-
sen wären? Durch geheimen Einfluſs wird
in jedem Staate, besonders in freien, Alles
verdorben — Doch ist es die Frage, ob die Pa-
riser Damen schon die Selbstüberwindung ge-
habt haben, so weit zur Natur zurückzukeh-
ren, daſs sie die gute Sache menschlich und
bürgerlich beherzigen können — — Wahr-
lich! zu Deutschen Weibern ist gröſseres
Vertrauen zu fassen — Wem Gott Kraft
gab, gab er dem nicht auch das Recht sie an-
zuwenden? sollen denn die Weiber ihr Pfund
im Schweiſstuche vergraben, ohne es auf Wu-
cher anzulegen, der dem Staate tausendfältige
Früchte bringen würde?
Auf Vernunft und auf ihr Meisterstück,
[199] die Gesellschaft, kommt es an, ob jener Krafts-
anwendung freier Lauf zu lassen oder ob sie ein-
zuschränken sei; nie aber kann der Staat sich
herausnehmen, sie ganz unterdrücken zu wol-
len. Und wie? er wollte ein Räuber der Frei-
heit seyn, welche zu befördern die Hauptab-
sicht seiner Existenz ist?
Wenn Stände nur durch ihres Gleichen
repräsentirt werden können; wenn so gar un-
sere Vorfahren durch Ebenbürtige sich die
Gesetze zumessen und Recht sprechen lieſsen:
wie kann man Weiber vom Staatsdienste aus-
schlieſsen, in so weit er sich mit der Gesetz-
gebung oder Gesetzausübung beschäftiget?
Will man etwa den Weibern die Weihe zu
diesen Mysterien abschlagen, um sie nicht un-
sere Schwäche da sehen zu lassen, wo wir
den höchsten Grad unserer Stärke hierogly-
phisch vorgeben? Man kann dreiſsig Jahre
dienen und nur Ein Jahr leben, wie weiland
M. Plautius, welcher nur von der Zeit an sein
Leben zählte, als er aufhörte für das Öffent-
liche, und anfing für sich zu leben — Ein
lehrreiches Zeugniſs auf Kosten des Staats-
N 4
[200] dienstes! Ist das Leben für den Staat des
Ehrennamens: Leben, werth, wenn es uns für
unsere eigene Person sterben läſst, uns vom
selbsteigenen Leben entfernt —? Nur als uns
selbst können wir den Staat, unsern Nächsten
lieben; Alles darüber ist vom Übel. Wenn
man nicht durch den Staatsdienst vervielfältigt
lebt, so liegt es entweder an uns oder am
Staate; in beiden Fällen bleibt die Krankheit
gefährlich — Ist es nicht der gewöhnliche
Fall, daſs wir vor lauter Räderwerk nichts
ausrichten, vor lauter Eingängen das Thema
vergessen? Kommt nicht vor lauter kluger
Vorsichtigkeit gemeiniglich Kleinheit zum Vor-
schein —? Die meisten Staatsbeamten sind
Accoucheurs eines Berges, der eine Maus zur
Welt bringt, die indeſs bei der Taufe die
prachtvollsten Namen erhält, und fast mit
noch mehr Paukenhall ins Publicum gebracht
wird, als wenn ein Schriftsteller sich selbst
recensirt. Wer in groſsen Residenzen zu le-
ben die Gnade gehabt hat, wird mich am
leichtesten verstehen — Welcher Schweiſs
des Angesichts! — Collegia und Ausschüsse,
[201] das Plenum und Committés, Gerichte und
Commissionen! was für eine Menge Papier
wird getragen, geschrieben, gelesen! — Agio-
teurs von einer andern Art — Papierhändler
von höherer Würde! Scheint es doch, als
wäre Alles gegen Alle, weil Alle gegen Alle
sind (bellum omnium contra omnes); und doch
bezwecken jene herkulischen Beschäftigungen,
jene Versammlungen, Richterstühle und Akten-
berge das allgemeine Beste, dessen Flor in
den Kirchen bebetet und in Schauspiel-
häusern beklatscht wird, (beides ex officio,
von Amtswegen.) Ist es klug oder nöthig,
daſs man so viele Holzhauer und Wasserträ-
ger, Virtuosen und Zünftler in Athem setzt,
um eine einzige Staats-Manège anzulegen?
so viele Meister politischer Art und Kunst,
um ein Staatsregierungs-Exercitium, ja Exer-
citium, zusammen zu stümpern? Nur Einen
Hebel verlangte jener Weise, um die Welt zu
heben; und wenn das allgemeine Wohl solch
eine Anstrengung braucht, so liegt es gewiſs,
oder mich trügt Alles, an dem politischen Ober-
rechenmeister — Wahrlich diese so beschäf-
N 5
[202] tigten Herren dienen nicht dem Staate, son-
dern der Staat dient ihnen — Der Weise,
der diesem Staatsspiele näher tritt und dessen
joujou bis auf sein Schach kennt, überzeugt
sich, daſs Ein Kopf hinreichend ist, dies Al-
les zu lenken. Waren nicht schon Petrus
und Paulus streitig? Ist nicht Ein Kopf ver-
mögender, das Ganze zusammen zu halten
und zu übersehen? Man verlangt sonach
nicht ohne Grund Einen Principalmeister; wo
aber Einer zu finden? Wer wird die Selbst-
verleugnung haben, die vielen Künste zu ver-
lassen und der Natur zu huldigen? wer den
Wortsturm aufgeben, das brausende Meer be-
dräuen, und zur Stille des Denkens und Han-
delns eingehen? Wer, ohne zu befürchten,
daſs er beim Fürsten und beim Volke verlie-
re —? Das Volk wird durch den Schein
dieser fast übermenschlichen Anstrengung hin-
tergangen, und der Fürst desgleichen, der,
wenn es nicht so viel Schweiſs kostete, sich
gewiſs näher mit diesen Staatsarbeiten bekannt
machen würde — und da möchten denn die
hohen und nächsten Staatsgehülfen sehr leicht
[203] auf eine kleine Rolle zurückgesetzt werden
und aus Staatsräthen in Schreiber zusammen
schrumpfen! — Ich setze wenig oder nichts
von Menschenübeln auf Rechnung der Fürsten;
gewiſs das Meiste gehört auf das Conto der
Minister, die nicht schwach nicht stark, nicht
kalt nicht warm, sondern unentschlossen und
lau sind, sich von jedem Winde hin und her
treiben lassen, Jeden um seine Meinung be-
fragen und, wenn sie deren unzählige gesam-
melt haben, nicht wissen, wozu sie sich ent-
schlieſsen sollen. — Wer selbst keine Mei-
nung hat — wie kann der aus so vielen die
beste finden? Hierzu kommt, daſs Gemäch-
lichkeit und ewiger Hang zum Vergnügen sie
noch stumpfer machen — Sie kommen nicht
aus den Bêten heraus, die sie abzuspielen ha-
ben! — Noch ärger sind die, welche nicht
über ihren theoretischen Leisten gehen, immer
Schuster bleiben, die sie sind, und in armse-
liger Pedanterie Trost suchen und finden,
wenn ihnen nichts einschlägt — Was kön-
nen wir dafür, daſs der Staat, den wir zu re-
gieren haben, sich nicht nach unserem Orbis
[204] pictus und einem Compendio schmiegen will,
das uns zum Pharos demüthigst empfohlen
worden? — Allerdings! und welche Greuel,
wenn die Minister gar Genies zu seyn sich
einbilden und zu Dero Haupt ein so unum-
stöſsliches Zutrauen gefaſst haben, daſs das
groſse Wort: Enhat es gesagt, ihren Commis
hinreichend scheint, die einleuchtendsten Vor-
stellungen abzuweisen und zu entkräften! —
Das Recht des Vernünftigern ist ihnen, nach
ihrer, zwar etwas freien, indeſs wie sie
glauben nicht unverständlichen, Übersetzung,
das Recht des Stärkeren; und freilich — wer
darf es wagen, der Gewalt, so lange sie am
Ruder ist, den Verstand abzusprechen? Jene
gewaltigen Genies berechnen Alles an den
Fingern — Newton könnte von ihnen rechnen
lernen; und freilich, wenn die Data zu ihren
Berechnungen richtig wären — wer würde ih-
nen gleich kommen? Zur Calculatur geboren,
sind sie im göttlichen Zorn Minister und
Staats-Administratoren geworden —
Stumpfe Köpfe, ihrer eigenen Schwäche
bewuſst, sind für Collegia. Das Sprichwort:
[205] vier Augen sehen mehr als zwei; bringt sie
zur Multiplication der Augen — die blinden
Leiter! In der Oper hilft Jeder, der Schrift-
steller, Spieler und Sänger, zum Ganzen —
und da fallen Coloraturen, Läufe, schmelzen-
de, verzweiflungsvolle, schmachtende, fürch-
terliche Gänge vor, die der Verfasser den
Spielern und Sängern in Mund und Kehle
legt — Hier aber verläſst sich entweder Ei-
ner auf den Andern, und sieht die Stunden,
die er wohl bezahlt absitzen muſs, als eine
ihm angewiesene Schlafzeit an, worin er sich
stärkt, um desto geistreicher am Spieltische
zu glänzen; oder er hauet die Kreuz und
Quer ein, so daſs nach vielstündigem Zank
die Sache am Ende weit übler als am Anfan-
ge steht, und der kleinere Theil die schreck-
lichste Mühe von der Welt hat, nicht die An-
gelegenheit ins Reine zu bringen, sondern das
per plurima herausgebrachte Schluſs-Votum
von den Ungereimtheiten so vieler disparaten
Meinungen zu säubern und zu läutern, und
es W. R. I., oder — wenn es hoch kommt —
verständlich zu machen. Der so witzige als
[206] einsichtsvolle Vorschlag, daſs die Minorität
der Stimmen gelten sollte, ist der auffallend-
ste Beweis, was man sich zu diesen vierzig
Perücken oder ihren Stöcken zu versehen ha-
be — Viele Köche versalzen den Brei, und
Ein Kopf ist mehr werth, als ein ganzes Syn-
edrium von — — Kinnbacken. —
Wenn die Staats-Officianten auf die Pflicht
angenommen würden, nichts zu verderben und
sich leidend zu verhalten — wie viel weiter
wäre die Welt! — Sind das die hohen Col-
legia und hohen Stühle, von denen man das
schöne Geschlecht ausschlieſst —? Man soll-
te sie aufnehmen, wie in freien Reichsstädten
politische Kannengieſser und Aufwiegler zu
Rathsgliedern, damit sie schweigen — Viel-
leicht hätte man dies Stratagen auch wirklich
schon segensreich in Anwendung gebracht,
wenn man zu der Verschwiegenheit des schö-
nen Geschlechtes mehr Zutrauen fassen könn-
te. Johnson sagt: man kann so sehr ein
Mann nach der Welt seyn, daſs man nichts
mehr in der Welt ist. Sollte man nicht weit
eher so sehr ein Staats-Officiant seyn können,
[207] daſs man bei weitem zu der Ehre ein Staatsbür-
ger zu seyn, unfähig ist? — Wahrlich, um
sich wieder zu orientiren, sollte man die Wei-
ber zum Staatsdienste vociren — wozu sie un-
streitig einen göttlichen Ruf haben, an dem
es den meisten Taugenichten von hohen
Staatsbeamten ermangelt.
Ist es zu leugnen, daſs man in jedem Ge-
setz-Codex von den Grundsätzen der natürli-
chen Gleichheit ausgehen, und mit dem Pa-
radiese anfangen kann und muſs, wenn nur
der Sündenfall nicht vergessen wird? Jene
Grundsätze der Gleichheit werden und müssen
so gar bei ihrer Anwendung auf den Staat
das Resultat politischer Ungleichheit unter den
Bürgern herausbringen. Bei jener natürlichen
Gleichheit gewinnt das andere Geschlecht
allerdings; allein auch die politische Ungleich-
heit kann nie ein ganzes Geschlecht unwürdig
proclamiren, in welchem es in der Regel mehr
Mündige, als in dem unsrigen giebt, und wo-
zu vielleicht kein anderer Grund vorhanden
ist, als daſs die Gesetzgebung bloſs aus Män-
nern besteht. Soll ich bemerken, daſs ich
[208] hier nicht bloſs vom Gebrauche des Mundes
und der Zunge, sondern der Seele und des
Herzens rede? So bald Stärke, Obermacht
und Verjährung nicht Gesetze abnöthigen; —
und wehe der Staatsgrundlegung, die solche
Ecksteine in Anwendung bringt! — so bald
jede regelmäſsige Gesellschaft so gar eben da-
zu entsteht, um jene natürlichen Hervorste-
chungen in’s Gleichgewicht zu bringen: so hat
das andere Geschlecht ein Recht, vom Staate
zu fordern, daſs er ihm Gerechtigkeit erweise,
daſs er über die Schwächlichkeit des Körpers,
welche zum gröſsten Theil durch Vorurtheil
entstanden ist, die Stärke der Seelen der Wei-
ber nicht vergesse. Macht denn nicht die
Seele den Hauptbestandtheil der Menschen?
Die natürliche Gleichheit erfordert eine poli-
tische Ungleichheit, weil die Erhöhung des
natürlichen Werthes des Menschen nur durch
eine gegenseitige politische Verbindung dersel-
ben unter einander möglich ist, und hervor-
ragende Menschen durch Gesetze, so wie Ge-
nies durch Regeln, in Ordnung gehalten wer-
den müssen. Kann aber dieser an sich nicht
un-
[209] unrichtige Grundsatz auf ein ganzes Geschlecht
gedeutet werden? Ist es gerecht, billig, rath-
sam und nur menschlich, daſs unser ganzes
Geschlecht zu einer Standeserhöhung gebracht
und als der Mittelpunkt angesehen wird, um
dessenwillen das andere Geschlecht existirt? —
Es giebt nur zweierlei Thatsachen, von denen
wir Begriffe haben: Natur und Freiheit; und
sowohl zur Physik als zur Moral, haben Wei-
ber unverkennbare Anlagen. Will man Natur
und Freiheit sinnlich abbilden, so müssen bei-
de in Gestalt eines Weibes dargestellt werden.
Und was ist ihnen denn im Wege? das posi-
tive Gesetz? Kein Gesetzbuch, und würde es
mit Engelzungen reden, kann Formula concor-
diae und eine Augspurgische Confession wer-
den. Gesetze erziehen Menschen, und müs-
sen sich, wenn Menschen mündig werden,
von Menschen erziehen lassen. — Angenom-
men, Weiber wären körperlich schwach —
angenommen! und was wäre da die Pflicht der
Gesetze? in den Schwachen mächtig zu seyn.
Nicht die Starken bedürfen des Arztes, son-
dern die Schwachen.
O
[210]
Weiſs ich denn nicht, daſs manche Frau
bei manchem Manne auch jetzt sich wohl be-
findet? Was indeſs bloſs auf persönlicher Ge-
sinnung beruhet, muſs seiner Natur nach
wandelbar seyn; und es ist auch bei den tole-
rantesten Gesinnungen im Staate nothwendig,
daſs keine intolerante Stelle im Gesetzbuche
bleibe. Wer steht für den Nachfolger im
Reiche? Weiber wissen ihre Männer zu über-
zeugen, als hätten Weiber keinen Willen.
Doch eben wenn sie auf ihren Willen in bes-
ter Form Rechtens Verzicht zu thun scheinen,
werden sie Alleinherrscherinnen, ohne den
starken Glauben ihrer Männer zu schwächen,
als ob diese ganz allein regierten — Sie re-
gieren nicht mit Gewalt (vi), sondern heim-
lich und bittweise (clam et precario).
Der Liebhaber glaubt in dem Dienst einer
Göttin zu seyn, welche Apotheosen so sehr in
ihrer Gewalt habe, wie Facultäten Doktorhüte.
Der glückliche Geliebte dünkt sich wenigstens
halb Gott, weil er so glücklich ist, einer sol-
chen Gottheit zu dienen — Erwacht er über
ein Kleines aus diesem Traume; seht! so ver-
[211] wandelt sich die Raupe nicht in einen Schmet-
terling, sondern in einen Zuchtmeister, und
die entgötterte Frau wird seine Sklavin: der
Bräutigam wird nicht Ehemann, sondern Ehe-
vogt. So hörten Monarchen auf, Götter und
Divi zu seyn, und hatten die Güte zu den
Menschen herabzusteigen; doch würdigten sie,
um über anderen Menschen zu seyn, diese an-
deren eine Stufe unter die Menschen hinab —
Halbe Wahrheit ist gefährlicher, als eine gan-
ze Lüge; diese ist leichter zu kennen, als je-
ne, welche sich in Schein zu verkleiden pflegt,
um doppelt zu betrügen. Männer, laſst doch
Menschen seyn, die Gott zu Menschen schuf!
Laſst uns Menschen machen, hieſs es, ein
Bild das uns gleich sei; und er schuf sie ein
Männlein und ein Fräulein. Sie sind Bein
von unserm Bein, und Fleisch von unserm
Fleisch; und warum nicht Bürger wie wir?
warum nicht, da ihnen weder Sinn noch Kraft
zu Bürgertugenden gebricht, und es bloſs dar-
auf ankommt, daſs sie zu Bürgerinnen er-
zogen werden! Jetzt freilich, wie sie da sind,
zum Spielzeug für Männer gemodelt; jetzt,
O 2
[212] wenn sie auf einmal aus dem Gynäceum auf
den groſsen Schauplatz des gemeinen Wesens,
einen für ihren Körper und ihre Seele so
fremden Boden, treten und männliche Rollen
spielen sollten: jetzt würden sie kaum erträglich
debütiren. Wer fordert dies aber von ihrem
Kopfe und von ihren Händen? Sie sollen eben
den Weg gehen, den wir gingen, eben die
Wüsten betreten, die uns auf der Bahn nach
Kanaan beschwerlich wurden; nur durch Er-
ziehung, Unterricht und Erfahrung sollen sie
das Ziel erreichen, dessen sie so würdig
sind — Das Licht braucht beinahe acht Mi-
nuten, um von der Sonne zu uns zu kommen,
und wir sehen die Veränderungen, die in der
Sonne vorgehen, jedesmal acht Minuten nach-
her. Pythagoras legte seinen Schülern zuvor
Schweigen auf, ehe ihnen die philosophische
Zunge gelöset ward. Dies mögen Fingerzeige
für Männer und Weiber seyn: für diese, um
nicht auf Meisterrechte Ansprüche zu machen,
ehe sie die Lehrlingsjahre zurückgelegt haben;
für jene, von einem Geschlechte, das so lange
vernachlässiget ward, nicht vor der Zeit Früchte
[213] der Buſse zu fordern. Der Verstand und die
Natur kommen sehr leicht in richtigen Ein-
klang; und wenn Mittel unbedeutend schei-
nen, wenn sie es wirklich sind — wer wird
Mittel nach eigener, und nicht vielmehr nach
der Gröſse des dadurch zu erreichenden Zwek-
kes schätzen? Eine Eiche von einem nicht
kleinen Alter kann noch sehr jung heiſsen,
wenn ein gleichzeitiges Gesträuch und eine
zu seinen Füſsen blühende Blume an der
Gränze ihres Lebens sind — Nicht im ein-
zelnen Falle, in allen Fällen, nicht im ein-
zelnen Menschen, sondern im Geschlechte,
offenbaren sich die Ehre und der Zweck der
Menschheit. — Woher jetzt der Unterschied
in der Erziehung beider Geschlechter, der
sich bei der Wiege anhebt und beim Leichen-
brette endiget? warum ein so wesentlicher
Unterschied, als wären beide Geschlechter nicht
Eines Herkommens, nicht Eines Stoffs, und
nicht zu einerlei Bestimmung geboren? —
Die Scheidewand höre auf! man erziehe Bür-
ger für den Staat, ohne Rücksicht auf den
Geschlechtsunterschied, und überlasse das, was
O 3
[214] Weiber als Mütter, als Hausfrauen, wissen
müssen, dem besondern Unterricht; und Alles
wird zur Ordnung der Natur zurückkehren.
Noch lange ist Erziehung nicht das, was sie
seyn könnte und sollte. Nur sehr spät fiel
man auf das, womit man hätte anfangen sol-
len: den Zweck der Erziehung zu bestimmen,
das Ziel aufzusuchen und seinen Lauf darnach
zu richten. Statt daſs wir sonst, wie irrende
Schafe, ohne Plan und Regel in das Weite
liefen, sei es unsere erste Sorge, heimzukehren
zu der Natur und nicht auſser uns uns selbst
zu suchen! — Was hülf’ es dem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewönne und an sich
selbst Schaden litte! — Ohne jenen Zweck
der Erziehung zerreiſst das Band, welches alle
einzelne Theile zusammen hält — und in Kin-
dern liegt das Reich Gottes. —
Zwar hat man in unsern Tagen angefan-
gen, dies wichtige Staatsbedürfniſs zu beher-
zigen; aber auch kaum nur angefangen. Die
Staaten und ihre Repräsentanten selbst, deren
erstes und wichtiges Interesse die Erziehung
ist, scheinen dieses Bedürfniſs entweder noch
[215] nicht genug zu fühlen; oder wohl gar sich für
verpflichtet zu halten, den gemachten Versu-
chen, Bürger zu bilden, Hindernisse in den
Weg zu legen. Wenn die Befehlshaber des
Volkes bedächten, daſs nichts als eine gute
Erziehung sie auf immer in dem Besitz ge-
setzlicher und auf Verträge sich gründender
Vorzüge sichern kann; sie würden zu dieser
ihrer Zeit bedenken, was zu ihrem Frieden
dienet. Lange hat man Erziehung und Un-
terricht, die doch ihrem Wesen, ihrer Form
und ihrem Endzwecke nach so sehr unter-
schieden sind, für Eins gehalten. Lange mu-
thete man Lehrern zu, die in der Regel selbst
keine Erziehung hatten, sie sollten zugleich
Erzieher seyn; und man wuſste nicht zu begrei-
fen, wie man gelehrt seyn und doch keine
Sitten haben könnte. Fest glaubte man an das
goldene Sprichwort: daſs Künste und Sitten
Schwestern und Brüder sind, und Niemand
dachte daran zu untersuchen, ob Künste und
Sitten sich wie Ursache und Wirkung ver-
hielten.
Rechnet man zu diesen Mängeln den Um-
O 4
[216] stand, daſs die Hälfte des menschlichen Ge-
schlechtes entweder ohne alle Erziehung blieb,
oder verzogen ward, und daſs gerade dieser
Hälfte der wichtigste Theil der Erziehung
überlasen war; so ist es fast noch Wunder,
daſs wir Menschen sind. Ohne allen Zweifel
bestimmte die Natur das andere Geschlecht
zu diesem groſsen Erziehungsgeschäfte, und
versah es mit den nöthigen Anlagen und Fä-
higkeiten, mit den empfänglichsten Sinnen,
mit den feinsten Empfindungen, in der edelsten
Sprache, selbst im Kleinen und Zufälligen das
Wahre vom Falschen, das Ächte vom Schein-
baren zu unterscheiden — um jene groſse
Bestimmung zu erfüllen —. Die Sokratik,
die Sokrates von seiner Mutter, einer Weise-
mutter (sage femme), lernte, indem er auf
Seelenentbindungen ausging und ein weiser
Mann (homme sage) ward, ist wahrlich dem
andern Geschlecht eigen, welches nie, auch
beim Heiſshunger, den Magen der Wiſsbegier-
de der Kinder mit Kentnissen überstopft, son-
dern jeden neuen Begriff ihnen einzeln zu
denken giebt und ihn so viel wie möglich in
[217] Empfindung zu verwandeln sucht. Jedem gei-
stigen Gedanken geben Weiber einen Körper,
bekleiden ihn und verleihen ihm eine sinnliche
Form. Robinet meint, die Natur habe den
Weibern einen Hang zur Geschwätzigkeit ge-
geben, damit sie die für die Kinder zu starke
Wörterkost ihnen desto leichter vorkauen könn-
ten — Heiſst das nicht, einer herrlichen Na-
turgabe einen bösen Leumund machen? Rous-
seau sagte zu Gretry, der ihm seine Hand
bot, um ihm über einen Haufen Steine zu hel-
fen: Laissez moi me servir de mes propres
forces; und wem ist jene Entwickelung der
in den Kinder-Seelen liegenden Ideen na-
türlicher, als dem andern Geschlechte? —
Es spinnt sie heraus, knüpft das Sinnliche an
geistige Begriffe durch Bilder und Gleichnis-
se — Wir sind für heroische Methoden; folgt
indeſs nicht nach einer Bravurarie jederzeit eine
Leere, da ein zu lebhafter Eindruck dem Ef-
fekte des Ganzen schadet? — — Es kommt
nicht darauf an, eine gute Empfindung zu er-
regen, sondern die Summe der Empfindungen
zu ziehen und auf sie zu wirken. Wie rich-
O 5
[218] tig sind hier wenn und wie! Alle Wege des
Wanderers zwecken ab, an einen Ort zu kom-
men; alle kleine Flüsse gehen zum groſsen
Meere — — —
Wie ist es aber möglich, daſs Weiber die-
sem Berufe genügen können, wenn jene An-
lagen und Fähigkeiten so wenig entwickelt
werden! Man vernachlässiget sie nicht bloſs;
man unterdrückt sie absichtlich. Das Kind
ist geschlechtslos; warum sind wir der weiseren
Natur zuvor geeilt? warum haben wir früher
die Geschlechter abzusondern angefangen, als
die Natur uns dazu einen Wink gab? Das
Kind ist gesellig, nicht weil es durch einen
besondern Trieb dazu gereitzt wird, sondern
aus Bedürfniſs und um thätig zu seyn. Nicht
das moralische Gefühl, welches den Menschen
an seines Gleichen kettet, um sich ihnen
mitzutheilen, um durch den Umgang mit An-
dern das Eckige seines Charakters abzuschlei-
fen und um sich durch Andere zu vervollstän-
digen — nicht dieses Gefühl macht das Kind
gesellig. Was kennt es mehr als sein Bedürf-
niſs? Es will genährt und vergnügt seyn:
[219] darum ist es gesellig; es ist gesellig zum Zeit-
vertreib — Wo es diese Absicht erreicht, be-
findet es sich wohl; Geschlechtsunterschiede
stehen, so wie moralische und geistige Eigen-
schaften, mit seiner Gesellschaft in gar keiner
Beziehung —
Erst um das zwölfte Jahr fangen unter
dem Europäischen Himmel die Geschlechts-
keime an bei dem weiblichen Theile sich zu
entwickeln und nie gewohnte Unruhe, eine
vorher unbemerkte Ahndung und sanfte Sehn-
sucht zu erwecken. So lange sollte unter
Kindern Alles bis auf die Kleidung gleich
bleiben, weil die Natur es so will. Erziehung,
Unterricht, Zeitvertreib können für beide Ge-
schlechter einerlei seyn, weil in diesem Zeit-
raume die Bildung sich mit dem Menschen
beschäftigen und für die Entwickelung jener
Anlagen sorgen soll, ohne alle Rücksicht auf
anderweitige Bestimmungen, als auf die erste
ehrwürdigste: einen Menschen nach der urkund-
lichen Deutung der Natur darzustellen.
Auf diesen einzigen Endzweck müssen es
alle pädagogische Bemühungen anlegen, und
[220] indem sie den jungen Kindern Hebammen-
dienste leisten, den Spielraum für die ersten
Versuche der erwachenden Kräfte erweitern,
und nur nach und nach mit groſser Vorsicht
es wagen, den üppigen Auswuchs zurückzu-
halten, und dergestalt mittelbar den Trieben
der Natur die eigentliche Richtung zu geben.
Der Unterricht bedarf in diesem Zeitraum eben
so wenig besondere Rücksichten auf Ge-
schlechtsunterschied, als auf künftige bürger-
liche Verhältnisse. Hat das Kind von diesem
Allen selbst nur Ahndungen? geschweige denn
Begriffe! und bleibt nicht aller Unterricht in
dieser Rücksicht für dasselbe todter Buchstabe,
bis nach dem Laufe der Natur Empfänglich-
keit für diese Lehre sich entwickelt? Aller
Unterricht muſs sich in diesem Zeitraum auf
das einschränken, was der Mensch glauben,
wissen und thun soll.
Warum der Unterschied zwischen weibli-
chem und männlichem Unterricht, da Mann
und Weib noch nicht geboren sind? Sind
Spiele für Kinder das, was sie seyn könnten
und sollten? Nur in unsern Tagen, als die
[221] Erziehungskunst einen neuen Schwung erhielt,
fing man an, den groſsen Einfluſs derselben
zu bemerken; allein machte man nicht, wie
gewöhnlich, einen schlechten Gebrauch da-
von, wenn man das Spiel zu einem allgemei-
nen Unterrichtsmittel erhob? Spiele müssen
nie zur Methodik werden; wohl aber können
sie Anlässe zur Bereicherung des Gedächtnis-
ses und zur Übung des Verstandes seyn.
Wenn sie den Unterricht erleichtern, so ist
und bleibt ihr Werth bloſs subjektiv. Bei
Spielen der Kinder muſs jederzeit die Absicht
zum Grunde liegen, sie auf eine ihrer Fähig-
keit und ihrem Alter angemessene Art zu be-
schäftigen. Nur dürfen die Kinder diese Ab-
sicht nicht errathen; sonst ist das Spiel verlo-
ren. Früh indeſs müssen Kinder angewöhnt
werden, Spiel und Geschäfte zu unterschei-
den, um diese achten und lieb gewinnen, je-
ne aber entbehren zu lernen, wenn sie anders
nicht ewig Kinder bleiben sollen. Doch war-
um mehr Bemerkungen über einen Gegen-
stand, der jetzt das dritte Wort unserer
Schriftsteller ist, und auf allen Dächern ge-
[222] predigt wird! Ich kehre mit dem Vorschlage
zurück, daſs so lange bis das Kind zum Mäd-
chen oder zum Knaben heranreift, beide unter
den Händen und der Aufsicht des weiblichen
Geschlechtes bleiben sollten. Der Staat und
das weibliche Geschlecht würden dabei gewin-
nen. Alle Kinderschulen sollten Weiber zu
Aufseherinnen und Lehrerinnen haben, weil
die Natur das weibliche Geschlecht dazu mit
ausgezeichneter Fähigkeit hinreichend ausge-
stattet hat. Reinlichkeit, ein zur Erhaltung
der Kinder so nöthiges und wichtiges Erfor-
derniſs, Sanftmuth, Geduld, Ausdauer bei an-
scheinend kleinlichen Beschäftigungen, Mit-
theilung, Redefertigkeit, und andere zur Kin-
dererziehung unentbehrliche Eigenschaften,
scheinen dem weiblichen Geschlechte von
Natur eigen, bei dem männlichen dagegen
bloſs Kunstfertigkeiten zu seyn. Wie sich
Natur zur Kunst verhält; so würde sich auch
eine Kindererziehung durch Weiber gegen die
jetzige verhalten. Schon gegenwärtig ist ihr
Antheil groſs; was würden wir ohne ihren
Beistand vermögen? O, was für eine Schule
[223] für Mütter mittleren Standes, wenn eine Haus-
capelle weinender und heulender Kleinen ihre
Geduld prüft, und die Kinderfragen heran-
wachsender neugieriger, verschämter Mädchen
und dreister Buben sie in Verlegenheit setzen!
Jch begreife nicht, wie manches treffliche
Weib so heterogene Angelegenheiten zu be-
streiten vermag — Dort windet sie dem klei-
nen Feldmarschall Jakob Gabel, Messer und
Scheere aus der Hand; hier reiſst sie dem viel-
fräſsigen Domherrn Peter schädliche Dinge aus
dem Munde; bald verscheucht sie von der
kleinen schlafenden Jette die Fliegen; und wie
schwer ist der Wildfang Karl zu befriedigen,
der von Einem Zeitvertreibe zum andern ab-
springt! Wie viele Vigilien und wie viele
Tageslasten sind ihr Theil und Erbe bei den
ihr obliegenden Familiensorgen! — Ist nun
gleich die Dame höheren Standes, die nach
Landes-Sitte und Brauch das strenge Recht
für sich hat, ihre Kleinen wie Findelkinder
zu behandeln, bei weitem so beschäftiget nicht;
ist sie es indeſs nicht immer weit mehr, als ihr
geschäftiger Müſsiggänger von Gemahl, der,
[224] mit groſsen Kleinigkeiten und vornehmen Ge-
brechen beladen, auſser der Spinnstube seines
hohen Collegiums, noch so viel anderes anzu-
spinnen hat, was freilich fast immer darauf
hinausläuft, schlichte Dinge zu verwickeln,
und den leichtesten Sachen einen Anstrich von
Bedeutung zu geben! Des groſsen Staatsspin-
ners! — »Doch wie? würden Weiber wegen
ihrer Furchtsamkeit und aus Gefühl ihrer
Schwäche die Kinder nicht noch mehr ver-
zärteln, und das menschliche Geschlecht nicht
noch weichlicher machen, als es gegenwärtig
schon ist?» Ein Einwurf, der nicht ohne
Grund zu seyn scheint; allein nichts mehr als
ein Gespenst, welches unsere Einbildungskraft
in Schrecken setzt, aber desto mehr verschwin-
den muſs, je mehr die Weiber sich ihrem
Ziele nähern. Zärtlichkeit oder eigentliche
Schwächlichkeit des Körpers ist oft ein Erb-
theil der Geburt, und ungleich seltener eine
Folge der weichlichen Erziehung. Im letzten
Falle kann die Geschicklichkeit des Erziehers
im Knaben- und Jünglingsalter wieder herstel-
len, was übel verstandene Zärtlichkeit im Kin-
des-
[225] desalter verdarb; da aber, wo der Keim schon
kränkelt, wird die pflegende Hand der Kunst,
anstatt eines Baumes, immer nur ein Zwerg-
gewächs erziehen. Völlig wird jene Furcht
verschwinden, wenn die Ordnung der Natur,
die wir umkehrten, wieder in den vorigen
Stand gebracht wird, und wir fürs erste uns
entschlieſsen, das andere Geschlecht bei die-
sem Geschäfte zu leiten. Schon hat man zum
Theil aufgehört, das Kind in eine Puppe zu
verwandeln, es in Federn zu ersticken, und,
wenn es sich des einzigen Mittels seiner Lun-
ge bediente, um sich aus seiner peinlichen
Lage zu befreien, es mit Theriak oder einer
sanften Hirnerschütterung zu betäuben; und
gewiſs, man wird aufhören, Kinder der Luft
und dem Wasser zu entziehen, so bald die
Weiber sich selbst bei dem Einflusse dieser
Elemente behaglicher fühlen werden. Schon
hat man die bisherige Knabenkleidung ver-
dächtig zu machen gesucht, und dem Kinder-
anzuge überhaupt den Zwang vorgerückt, wo-
durch der Einfluſs der Luft auf den ganzen
Körper verloren geht, die Ausdünstung ge-
P
[226] hemmt, die Brust verengt, das Herz unter-
drückt, Saft und Kraft — wenn gleich (was
leider nur selten der Fall ist) Alles unverdor-
ben auf die Welt gebracht seyn sollte — früh-
zeitig erschlafft und die Maschine übereilt
wird. Die tyrannische Mode! Selbst unsere
Mahler und Bildhauer sind ihrethalben der
traurigen Verlegenheit ausgesetzt, zu einem
idealischen Costume ihre Zuflucht zu nehmen,
da die Ungereimtheiten der Mode nicht bei
dem Altare des Geschmackes bestehen — Eine
feine Rache, welche die Natur an ihren Ver-
ächtern nimmt —! Bei Gelegenheit der bür-
gerlichen Weiberverbesserung wäre nichts leich-
ter, als eine Kleiderordnung in physischer und
moralischer Rücksicht in Gang zu bringen,
sie wohlfeil, natürlich und einfach zu stellen,
und diese Sache gleich fern von Übertreibung
und Montirungssucht in Erwägung zu neh-
men. Nur aus unverzärtelten, festen, wackern
Kindern werden unverzärtelte, feste, wackere
Leute! — Lasset die Weiber erst sich selbst
stark fühlen, und sie werden an Leib und
Seele starke Kinder leiblich gebären und geist-
[227] lich wiedergebären — sie zur Welt bringen
und erziehen. Warum soll denn die Haut
mit der Sonne in Feindschaft leben? Fehlge-
schlagene Hoffnungen, Unterdrückungen, Col-
lisionen sind der Geschmeidigkeit des Charak-
ters, den Grazien der Sitten ungünstiger, als
jenes unbiegsame Äuſsere. Vom Gefühl einer
edlen Freiheit hangen Muth, Freimüthigkeit
und jene umfassende Heiterkeit ab, die auch
durch die finsterste Stirn bricht und auf der
rauhesten Oberfläche durchschimmert — Und
was gilt euch mehr: jene zweideutigen Aus-
sprüche zu Delphi, oder eine unbiegsame
Aufrichtigkeit? Aufrichtigkeit bahnt den Weg
zur moralischen Allmacht — wogegen durch
lebensartige Feinheit der Absicht ganz entge-
gengesetzte Wirkungen resultiren — Je nach-
dem man auf diesen oder jenen Umstand
Licht fallen läſst; je nachdem thut er Wir-
kung — Hat die Furchtsamkeit ihren Grund
nicht bloſs in dem Gefühl des Mangels an
körperlichen Kräften und in der Beschränkt-
heit des Verstandes? Ein berühmter Engli-
scher General bemerkte, daſs seine Trup-
P 2
[228] pen nie mehr Muth hatten, als wenn ihr Ma-
gen mit Pudding und Roastbeef angefüllt war.
Hunger macht feige, Mangel blöde, Unterdrük-
kung verzagt. —
Die Weiber zu Sparta kannten weder
Weichlichkeit noch Furchtsamkeit. Ich habe
ihn für das Vaterland geboren, war die he-
roische Antwort jener Spartanerin, als man
ihr die Nachricht brachte, ihr einziger Sohn
sei in der Schlacht gefallen.
Entwickelt sich der Unterschied der Ge-
schlechter im Knaben und Mädchen, so muſs
der Bürger auf den Menschen gepfropft, der
Stand des Bürgers an den der Natur geknüpft,
und die Vorbereitung zu mannigfaltigen unter-
geordneten Bestimmungen eröffnet werden;
und nun ist es Zeit zu einem sichtbaren Merk-
zeichen der Absonderung der Geschlechter.
Diese Geschlechts-Einkleidung wird alle
besorgliche Folgen, welche die Natur-Uniform
etwa bei den Schwachen, die doch immer un-
ter uns sind, erregen möchte, unausbleiblich
vertilgen, Knaben und Mädchen, die als Kin-
der vertraut waren, in Fremde (wenn gleich
[229] nicht in Wildfremde — und weshalb auch
das?) umschaffen, und Alles bis auf die Rück-
erinnerung ihrer ehemaligen Bekanntschaft
vertilgen. Würde nicht diese Geschlechts-
Einkleidung auf einmal den einzigen Unter-
schied, den die Natur beabsichtiget hat, zwi-
schen beiden Geschlechtern festsetzen, ohne
dadurch einen bürgerlichen Unterschied her-
auszubringen oder zu erzwingen, und ohne
dadurch Sitten und Wohlstand im mindesten
in Gefahr zu setzen? Dies wäre der Glocken-
schlag, welcher Erziehung und Unterricht der
Geschlechter- und Bürgerbestimmung näher
bringen würde. — War nicht schon bei den
Römern eine ähnliche Einrichtung in Hinsicht
auf das männliche Geschlecht? und sagt nicht
die Geschichte, daſs der Jüngling Vaterlands-
liebe und alle groſse Eigenschaften eines
Römers mit der toga virili (mit dem Manns-
kleide) anlegte? Es ist eine Schande, eine
Stunde länger zu leben, als man hätte leben
sollen; — allein es bleibt eine eben so groſse
Schande, eine Stunde früher zu leben anzufan-
gen, als man dazu fähig ist — und so wie
P 3
[230] das Ende das Werk krönt, und der letzte
Tag der Richter aller seiner Vorgänger ist, so
sollte man gewisse Tage aussondern, und sie
zu Denkmählern machen. Jener Tag der Ge-
schlechtsabsonderung, der bürgerlichen Einse-
gnung, würde zu diesen festlichen Tagen gehö-
ren. Ganz müſste das Erziehungsgeschäft in
dieser neuen Epoche noch nicht den Händen
der Weiber entzogen, noch weniger ein Un-
terschied in Erziehung und Unterricht zwischen
beiden Geschlechtern veranstaltet werden, bis
auf die Verpflichtungen, zu denen jedes von
der Natur besonders berufen ward, welche,
in so fern sie für diesen Zeitraum gehören,
bei jedem Geschlechte durch Personen des
seinigen gelehrt werden müſsten; woge-
gen alles Übrige ohne Rücksicht auf diesen
Unterschied, so wie die Umstände es forder-
ten oder erlaubten, von Personen beiderlei
Geschlechts gelehrt werden könnte. Da
Mann und Weib eigentlich nur Ein Mensch
sind; so kann auch selbst nach jener Ge-
schlechtsabsonderung keine völlige Scheidung
eintreten: Was Gott zusammen fügt, soll der
[231] Mensch nicht scheiden — In der Epoche,
welche bei Mädchen etwa bis zum 16ten, und
bei Knaben bis zum 18ten Iahre dauern könn-
te, müſsten beide Geschlechter zu den bürger-
lichen Bestimmungen vorbereitet und in Al-
lem, was darauf Beziehung hat, ohne daſs man
auf den Geschlechtsunterschied Rücksicht näh-
me, unterrichtet werden. Daſs hierbei die
völlige Entwickelung des Menschen nicht auf-
zugeben oder nur bei Seite zu setzen ist, ver-
steht sich von selbst. Würden bei dieser so-
liden Einrichtung nicht mit dem mannbaren
Alter beide Theile ohne Unterschied unbedenk-
lich da hingestellt werden können, wo sie,
dem Staate nützlich zu seyn, Anlage zeigten?
Entwöhnt dem gröſsten aller Übel, der langen
Weile, die mehr als der Tod zu fürchten ist,
müſsten jetzt der Jüngling und das Mädchen Ge-
schäfte angewiesen bekommen, wozu sie mit
Neigung und Geschicklichkeit versehen sind.
Ehre, Rechte und Belohnungen werden als-
dann nicht ein Geschlechts-Prärogativ, son-
dern Folgen des persönlichen Verdienstes.
Weiber, die bisher ein Etwas ohne Namen
P 4
[232] und Rechte waren, würden auf diese Weise
Personen und Staatsbürger werden. — Plato
wollte die Vertheilung des Privatvermögens
den Gesetzen in die Hände spielen. So viel
Gerechtigkeit auch in dieser Idee zu liegen
scheint, zu so vielen Ungerechtigkeiten würde
sie verleiten — Das Vermögen der Weiber
indeſs, wenn sie gleich ganz allein darüber
zu verfügen glauben, scheint bloſs ihrer Ge-
walt unterworfen zu seyn; denn eigentlich sind
Männer die Eigenthümer desselben, die mit
diesem Kreuz, das sie wohlbedächtig in Hän-
den behalten, sich zu segnen nicht ermangeln.
Wie viele Kassen-Defraudationen hier vorfal-
len, liegt am Tage. — Bloſs der Entschluſs
der Weiber, sich dem Staate nicht entziehen
zu wollen, setzt sie in das Eigenthum ihres
Vermögens, und sie werden nur sich selbst
nöthig haben, um zu denken und zu handeln.
»Er beleidigte nicht mich, sondern den, für
den er mich ansahe,» sagte König Archelaus,
als man ihn auf der Straſse mit Wasser begos-
sen hatte; — und so wird das andere Ge-
schlecht sich oft erklären müssen, und sich gern
[233] erklären, ehe jene Grundsätze, es ehren zu
wollen, weil ihm Ehre gebührt, zur Gewohn-
heit geworden sind.
Die Physiokraten halten in ihrem System
die producirende Klasse der Staatsbürger für
die nützlichste, und da für den Staat der Nut-
zen das Einzige ist, was die Rangordnung der
Bürger bestimmt; da dieser Nutzen die Bür-
ger klassificirt: wie wollen wir denn eine gan-
ze Hälfte des menschlichen Geschlechtes, wel-
che an der Hervorbringung und Fortpflanzung
desselben den wesentlichsten Antheil hat, von
der Bürgerehre ausschlieſsen? und da wir sie
schon ohne Urtheil und Recht willkührlich
aus angestammter Machtvollkommenheit aus-
geschlossen haben, ihnen die Wiedereinsetzung
in den Paradiesstand verweigern? Werden sie
nicht, gehörig dazu vorbereitet, mit Ehren
rathen, helfen, fördern in allen Staatsnöthen?
Bis jener hingeworfene Umriſs einer neuen
Ordnung der Dinge in seinem ganzen Umfan-
ge in der bürgerlichen Gesellschaft eingeführt
werden kann, öffnet, Männer! der jetzigen
weiblichen Jugend je eher je lieber unsere
P 5
[234] Educations- und Lehranstalten, und erlaubt
ihr, an der Erziehung und dem Unterrichte,
so wie er hier gelehrt und gelernt wird, Theil
zu nehmen, ohne euch von der Furcht vor
nachtheiligen Folgen abwendig machen zu las-
sen. Prüft jene hämischen Alltagszweifel: es
wird Anstoſs, Aufsehen, Ärgerniſs geben, es
wird nachtheilige Folgen haben; — prüft, und
ihr selbst werdet sie unentscheidend finden.
Man kann sich vor der Furcht, und auch vor
der Hülfe fürchten. Soll eine verwerfliche
Einrichtung der Dinge, und wenn sie tausend
mahl tausend Jahre gewährt hätte, auch bei
dem unbehaglichen Gefühl des Nachtheiligen,
bei der gewissen Aussicht einer besseren Zu-
kunft, darum noch ungestört fortdauern, weil
ihre Abänderung mit Schwierigkeiten, vielleicht
mit anscheinend bedenklichen Folgen, verknüpft
seyn kann? Wäre je in der Welt etwas
Groſses unternommen worden, wenn wir das
Für und Wider so ängstlich abgewogen hät-
ten? Wäre der Mensch da, wo er gegenwär-
tig ist, hätte er je so merkliche Fortschritte
gethan, wenn er, nach der Weise des Ele-
[235] phanten, ehe er den Fuſs weiter fortbewegt,
ängstlich untersucht hätte, ob der Boden, den
er betreten wolle, auch fest sey? — Anstoſs!
Wie man dies Wort von weitläuftigem Bedeu-
tungsbezirk nimmt. Unsere symbolischen Vor-
fahren hätten gewiſs den schrecklichsten An-
stoſs genommen, wenn in einem Erziehungshause
Kinder mit und ohne Vorhaut zusammen ge-
kommen wären, um an allerlei Unterricht
Theil zu nehmen. Welchen Nachtheil für das
Christenthum würde man befürchtet haben,
wenn ein Abkömmling des Stammes Juda mit
dem Sohne eines General-Superintendenten
aus dem blinden Heiden Cicero Menschen-
und Bürgerpflichten gelernt hätte! Und wer
kennet nicht Staaten, wo dies ohne das leise-
ste Geräusch der Eiferer bewirkt wird, und
ohne daſs die Grundfesten des Christenthums
auch nur die mindeste Erschütterung be-
fürchten?
Die Sittlichkeit würde Gefahr laufen!
Wie denn das? Werden nicht schon jetzt
Mädchen und Jünglinge von einem und dem-
selben Geistlichen, zu einer und derselben Zeit,
[236] auf eine und dieselbe Art in der Religion un-
terrichtet? Die Anstalt ist schon da; sie darf
nur ausgedehnt werden. Und was kann uns
behindern, die, denen wir in der Kirche glei-
che Rechte mit uns einräumen, in die Bür-
gergemeinschaft aufzunehmen? Werden Mäd-
chen und Knaben durch gemeinschaftlichen
Unterricht zu Christen vorbereitet, warum sol-
len wir sie nicht gemeinschaftlich zu Bürgern
erziehen? Sollte denen, welchen die erforder-
liche Anlage zu Himmelsbürgern zugestanden
wird, der Beruf zur Staatsbürgerschaft abge-
sprochen werden? Warum leiden in dieser
Gemeinschule die Sitten nicht, obgleich der
Religionsunterricht in Jahren ertheilt wird, wo
der Geschlechtstrieb äuſserst reitzbar ist? Sind
die Schüler und Schülerinnen dort nicht eben so
wie hier unter Aufsicht? wird ein kluger Lehrer
und Erzieher den Veranlassungen zur Erwek-
kung des Geschlechtstriebes nicht überall ge-
schickt auszuweichen wissen, und jede Belehrung
über die künftige Bestimmung seiner Zöglinge
so einzulenken verstehen, daſs die Folgen
nicht schädlich, sondern segensreich ausfallen?
[237]
Wird das andere Geschlecht unseren Er-
wartungen entsprechen? wird es unsere Bemü-
hung lohnen?
Wir wollen also erndten und uns der Mü-
he überheben, zu pflanzen? Auf welche Art
werden wir uns von der Tragbarkeit des Bo-
dens versichern, wenn wir ihn nicht anbauen?
Hat denn nicht bis itzt jeder Boden dieser
Art den auf ihn verwendeten Fleiſs gelohnt?
und dürfen wir hier einen andern Erfolg be-
fürchten, wenn wir es unserer Trägheit nur
abgewinnen können, einen ernstlichen Versuch
anzustellen? In Alles was die Natur hervor-
brachte, legte sie Keime, die nur einer Ver-
anlassung bedürfen, um entwickelt zu werden.
Würden nicht die Weiber jedem bürgerlichen
Stande, zu welchem man ihnen Zutritt ver-
gönnte, Ehre machen? Und welches bürger-
liche Geschäft könnte, so lange sie durch ih-
re besondere Geschlechtsbestimmung nicht dar-
an behindert würden, unter ihren wohlwollen-
den Händen sich schlechter befinden? Müſste
das Ganze wegen des Wetteifers, der zwi-
schen beiden Geschlechtern entstehen würde,
[238] nicht unendlich gewinnen? Nicht die Nym-
phe Egeria, welche Numa selbst, nicht Py-
thia, welche die Helden des Alterthums um
Rath fragten, wenn sie Gesetze geben, wenn
sie Länder erobern wollten, nicht die Aspa-
sien und Phrynen, zu denen ein Perikles, ein
Sokrates in die Schule ging, um Weisheit und
Regierungskunst zu lernen — sollen sich hier
der Beispiellehrstühle bemächtigen. Jene hat
die Fabel in ein ätherisches Gewand gehüllt
und sie unserm Auge zu weit entrückt, als
daſs wir sie noch ferner dem Geschlechte zum
Vortheil anrechnen könnten, ob sie gleich sei-
nen Namen führen und keine Fabel ohne
Wahrheits-Ingredienz anfängt und vorhanden
ist — So hieſs der Grosoncle eines von den
weltberühmten Lügnern neuerer Zeit, Josephs
Balsamo, der sich Graf Cagliostro nannte:
Cagliostro — Lauter Lügen halten so wenig
zusammen, daſs nie etwas Vernünftiges, etwas
Ganzes herausgebracht werden kann — Will
man den poëtischen Tugenden jener weibli-
chen Heldennamen keine Glorie und keinen
Ehrenschein einräumen — immerhin! wir ha-
[239] ben auch prosaische Beispiele, um auſser Zwei-
fel zu setzen, daſs, ungeachtet das weibliche
Geschlecht (wenn gleich nicht durch ein förm-
liches Gesetz, so doch durch ein stillschwei-
gendes Übereinkommen, welches oft noch
grausamer und drückender ist) von der Stoa,
der Akademie und dem Prytaneum entfernt
gehalten wurde; ungeachtet man den Weibern
die Schulen des Unterrichtes und der Weis-
heit verschloſs, sie dennoch Gelehrte und
Weise unter sich aufweisen können, die ihre
Namen durch Thaten und Schriften unsterb-
lich gemacht haben. Es würde nicht schwer
fallen, in vielen Fächern des weitläuftigen
Gebiets menschlichen Wissens und menschli-
cher Kunst weibliche Namen aufzufinden, die
sich einen Anspruch auf Achtung und Ruhm
erwarben. Schon erwies ich einigen in so
weit Gerechtigkeit, als sie sich durch groſse
Eigenschaften auszeichneten. Wohlan! die
Geschichte mag auftreten, und uns bezeugen,
welchen wichtigen Antheil das weibliche Ge-
schlecht an der Ausbreitung der christlichen
Religion nahm, und wie groſs in dieser Rück-
[240] sicht sein Verdienst um Sittlichkeit und Auf-
klärung ist! Der Stifter dieser wohlthätigen,
die Rechte der Menschheit vertretenden und
menschenfreundlichen Religion (die sich so
himmelweit von jenen heidnischen Culten un-
terscheidet, welche über die Götter die Men-
schen vergaſsen, und eben so von den Jüdi-
schen, die den Menschen durch äuſseren Zwang
allmahlich zum Geiste der Tugend gewöhnen
wollten, aber das Volk, bei der besten Absicht
seines Heerführers Moses, in der Wüste der
Heuchelei und der Äuſserlichkeit lieſsen, ohne
daſs es je das moralische Kleinod erreichte,
wozu diese Umwege es anlegten) unterrichtete
die Schwester seines Freundes Lazarus, und
gab der Maria vor der bloſs häuslichen Martha
den Vorzug: Maria hat das beste Theil er-
wählt, das nicht von ihr genommen werden
soll. Die Geschichte der Apostel gedenkt ei-
ner frommen Tabea, die sich nicht nur
durch ihren Wandel unter den Neubekehr-
ten auszeichnete, sondern auch thätigen An-
theil an der Ausbreitung der Lehre nahm, die
sie angenommen hatte. Nennet die Kirchen-
ge-
[241] geschichte nicht eine Menge von Weibern,
die mit Heldenmuth ihren Glauben bekannten,
und sich weder durch Martern noch Verhei-
ſsungen in ihrem Bekenntnisse wankend ma-
chen lieſsen? die bei dem Verzicht auf alle
Hoheit, auf Ehre und Überfluſs, unter Verach-
tung, Hohn, Mangel und Verfolgung ihrer
Überzeugung mit unerschütterlicher Standhaf-
tigkeit anhingen? Der Stifter der christlichen
Religion bewundert so oft das gläubige Zu-
trauen des andern Geschlechtes zu seiner Leh-
re, und hat dasselbe so wenig von der Theil-
nahme an den Vorzügen der vernünftigen lau-
[...]eren Milch seines Unterrichtes ausgeschlossen,
[d]aſs er es vielmehr mit auf die Erhebung des-
[s]elben und auf Befreiung von den Ketten, die
es trug, angelegt zu haben scheint. Und in
der That, wenn diese Religion in ihrer reit-
zenden kindlichen Gestalt erscheinen will —
zeigt sie sich nicht in Kindern und ihren Pfle-
gerinnen, den Weibern? Weibliche Herzen
sind, wenn ich so reden darf, mit den Leh-
[r]en dieser Religion gleichsam amalgamirt;
denn in Wahrheit, die höchste Stufe der
Q
[242] Menschheit ist nicht speculirende Vernunft,
nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses
Etwas, das, wenn es Regierungskunst heiſst,
eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un-
bedenklich unterwirft — Ein kühler Trunk
kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie
fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann
aber auch ein Gift für den erhitzten Wande-
rer werden: Das Schwert, das uns beschützt,
wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete
Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä-
ſsigen und von dem höchsten Grade dersel-
ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte
christliche Freiheit heiſsen. Und ihre Schu-
le? — ist die Schule der Weiber. — Wenn
Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke,
die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent-
liche Christen werden, und Selbstrache, Blut-
vergieſsen, alle Machtsprüche und Machtbe-
weise aufopfern sollen; so wähnen sie, daſs
sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge-
schlecht einbüſsen — Es ist schwer Gutes zu
wollen und zu thun, wenn das so leicht aus-
zuführende Böse noch obendrein Ehre bringt —
[243] Ich mag diesem Gegenstande wohlbedächtig
nicht näher treten — — —
Überall wo Genieflug und Kunstfleiſs der
Menschen hinreicht, treffen w[ir] Weibernamen
an, die um den Preis ringen. Es sind nicht
Weiber, die auf einem ganz entgegen gesetz-
ten Wege ihre Eitelkeit zu befriedigen such-
ten, weil sie auf dem geschlechtsüblichen nicht
fortkamen; sondern solche, die, von ihrem
Geiste getrieben, jene Kräfte anlegten, welche
die Natur ihrem Geschlechte so reichlich und
täglich gespendet hat. Welch eine ehrenvolle
Stelle nimmt Anna Comnena unter den By-
zantinischen Geschichtschreibern ein! Die
groſse Tochter Heinrichs des Achten, die Eng-
land nicht durch das Parlament regierte, son-
dern deren Wink für dieses, Staatsgesetz war,
vor der es die Knie beugte, die, wenn sie
gleich nicht den stolzen Philipp so doch seine
unüberwindliche Flotte überwand, hat eine ihr
würdige Geschichtschreiberin an der Keraglio
gefunden. In den Jahrhunderten der Unwis-
senheit, wo tiefe Mitternacht die Völker Eu-
ropens von Einem Ende bis zum andern be-
Q 2
[244] deckte, wo alle Sehnen des Geistes völlig ab-
gespannt waren, versuchte es die Nonne Ros-
witha, das heilige Feuer der Gelehrsamkeit
wieder anzuzünden. Die Dacier und die
Reiske thaten sich durch Sprachkenntnisse her-
vor; und wie viele machten sich nicht in
England, Frankreich und Deutschland durch
Schriftstellertalente berühmt? Wem sind die
Namen einer Macaulay, einer Genlis, einer
Sevigné, einer la Roche unbekannt?
Weiber entdeckten nichts, erfanden nichts.
Es gab unter ihnen keinen Newton — kei-
nen — — —
Und warum? war es nicht ein Ungefähr,
das von Anbeginn unter Menschen Erfindungen
zu Stande brachte? Schien nicht die Natur
bei allen menschlichen Erfindungen sich den
Haupttheil zu reserviren? legte sie nicht dies
beste Brot vor das Fenster? Wurden jene
Entdeckungen und Erfindungen nicht den Er-
findern und Entdeckern in die Hand gespielt?
Lag es an Weibern oder an der ihren verwei-
gerten Gelegenheit, wenn sie hier zurückblie-
ben? — Man räume ihnen Kanzeln und Lehr-
[245] stühle ein, und es wird sich zeigen, ob sie
(der schuldigen Achtung für Paulus unbescha-
det, welcher nicht will, daſs die Weiber in
der Gemeine sich sollen hören lassen) nicht
eben so gut unsere Überzeugung zu gewin-
nen wissen. Ohne allen Zweifel werden
sie sich einen noch leichteren Zugang zu un-
serm Herzen bahnen. Schon sind uns hier
die Quäker mit ihrem Beispiele vorgegangen.
Die Predigten der Weiber würden sich
zu den Predigten vieler unserer Seelen-
wächter sehr oft verhalten, wie die von Bour-
daloue zu denen von einem Stümper seiner
Zeit: Wenn dieser predigte, ward gestohlen;
wenn jener auftrat, ward wiedergegeben. So
wie es bei Körpern eine Ansteckung giebt, so
auch bei Gemüthern und Seelen; und wenn
es allgemein nicht unrichtig ist, daſs schon in
den Augen Tod und Leben liegt, und daſs
gewisse Leute vermittelst derselben beides,
tödten und lebendig machen, können: so ist
dies besonders der Vorzug der Weiber —
Die ganze Zauberei scheint sich aus den Au-
gen herzuschreiben — Auge und Athem sind
Q 3
[246] die Seelenvocale der Liebe und des Hasses;
und wer versteht die Augensprache besser als
die Weiber? Sie können vermittelst derselben
lange Reden im Zusammenhange halten; und
wer ist, der von dieser Beredsamkeit nicht ein
Zeugniſs abzulegen im Stande wäre? — Sind
es aber bloſs die Augen, die bei den Weibern
reden? Das ganze Leben der Weiber beste-
het mehr im Reden als im Handeln: ihre Re-
den sind gemeiniglich Handlungen; und wenn
wir einen Mann verachten, dessen Leben eher
ein Lexikon als eine Geschichte vorstellt, so
ist dies nicht der Fall bei dem schönen Ge-
schlechte, das gewaltiglich spricht — Das
Leben eines Weibes würde ein Conversations-
Gemählde seyn — wie bewunderungswerth ist
es, selbst in anscheinend unwichtigen, oder
so genannten Nebenfällen! Was Weiber
sagen, flieſst oft weit mehr aus ihrem Herzen,
als das, was Männer thun; und so haben ih-
re Reden für den denkenden und empfinden-
den Menschen auch oft mehr Interesse, als
viele Handlungen der Männer. Durch Reden
kann man, wenn ich mich so ausdrücken
[247] darf, seinem Gedankengemählde ein gewisses
Colorit mittheilen; und wie viele Nüancen
giebt es hier, wenn man bloſs bei seinem
Herzen Unterricht nimmt! Man sollte fürch-
ten, daſs Weiber, an Toiletten gewöhnt, ihre
Gedanken und Empfindungen an diesem Altar
durch Putz verderben würden. Nein! diese
Seelen-Toiletten überlassen sie gern unserm
Geschlechte — Selbst wenn viele unter ihnen
von Amts- und Geschlechtswegen Musterkar-
ten des modischen Putzes und der gäng’ und
geben Hofeitelkeit werden müssen, verändert
ihr Ausdruck nicht seine Natur; Milch und
Honig bleibt ihre Rede. — — Heiſst Genie
Weisheit? Wörterkram und Sophisterei Ver-
nunft? Alles was nicht auf gesunden Men-
schenverstand und moralische Religion berech-
net werden kann, ist nicht wahre Weisheit
und ächte Vernunft. Falsche Perlen und
Glanzgold, womit Weiber ihren Körper
schmücken, überlassen sie in Hinsicht des
Geistes den Männern — Die tiefste Wahrheit
kann in eine Volks-Idee gekleidet werden,
und eine Wahrheit, die kein Sokrates in das
Q 4
[248] gemeine Leben bringen kann, ist nicht vie[l]
mehr als Sophisterei, womit man seinen Kopt
nicht verderben und sein Herz nicht verfül-
schen sollte — Weiber sind geborne Prote-
stantinnen, und haben die Religion der Frei-
heit, die Anweisung Gott im Geist und in
der Wahrheit anzubeten. Bei dem systemati-
schen Gerüste der Religionslehren finden sie
kein Interesse, und schwerlich werden sie je
durch Doktorhüte in der Gottesgelahrtheit ge-
reitzt werden. Sie legen es nicht darauf an,
Gottes Existenz zu erweisen; vielmehr sind
sie dem Neumonde von Philosophie anver-
wandt und zugethan, der den unerweislichen
Gott für ein Postulatum der Vernunft erklärt,
weil er zu unserer Glückseligkeit nothwendig
ist. »Wer gewisse Dinge erweisen will,» sag-
te Frau v. **, »zweifelt entweder selbst, oder
will den Zweifeln Anderer mit Höflichkeit zu-
vorkommen.» Ein theures wahres Wort —!
Das Minimum von Glauben, ein Glaubens-
Senfkorn, und die Vorstellung von der Mög-
lichkeit der Existenz Gottes, ist hinreichend,
um Alles aus uns zu machen, was aus uns
[249] gemacht werden kann, und unsere Tugend
menschenmöglichst untadelhaft und rein dar-
zustellen in der Liebe — Der Zweifel ande-
rer, besonders in gutem Geruch stehender, klu-
ger Männer verwickelt oft wider Denken und
Vermuthen (könnte man nicht sagen: wider
Verstand und Willen?) in Zweifel — Weiber
haben Gott im Herzen; und da sie wohl wis-
sen, daſs wegen der zweckvollen Einrichtun-
gen der Natur die Grundursache als verstän-
dig gedacht werden muſs: so kümmert es sie
nicht, wie viel oder wie wenig die speculative
Vernunft zu diesem Glauben beitrage. Der
moralische Beweisgrund (er verdiene den Eh-
rennamen Beweis oder nicht) wirkt in ihnen
einen lebendigen Glauben. Wie viele haben
Gottes Existenz tapfer demonstrirt und durch
ihr Leben diese Demonstration noch tapferer
widerlegt! — Seinen Willen thun, bleibt der
beste Beweis, daſs er sey. Das gröſste Pro-
blem ist, den Menschen den Willen beizule-
gen; an Einsicht fehlt es ihnen weniger.
Franklin, ein Mann, deſsgleichen weder das
Griechische noch das Römische Alterthum auf-
Q 5
[250] zuweisen hat, sagte: »Gäbe es einen Gottes-
leugner, er würde sich beim Anblick von
Philadelphia, einer so wohleingerichteten Stadt,
bekehren;» und die Erde, diese groſse Stadt
Philadelphia, sollte so viel nicht über den
Gottesleugner vermögen, so bald er aufhört,
Alles nach seiner eigenen kleinen Elle zu mes-
sen? Nicht auf unsere Meinungen, sondern
auf das kommt es am Ende an, was diese
Meinungen aus uns machten. — — Das
Glück der Unschuld, die Würde der Natur,
der Drang nach Freiheit, die Freude eines
stillen Lebens, der hohe Werth der Kunst
sich in sein Schicksal zu finden, sind Haupt-
gegenstände der Weiber. Wie man aus dem
Umgange den Menschen kennt, so bestimmen
seine Lieblingsgegenstände seinen Verstand und
seinen Willen — Jene Verschiedenheiten des
Ausdrucks, jenes Zurückhalten, ist bei Wei-
bern nicht wie bei uns Heuchelei; um Alles
würden sie gewisse Dinge nicht sagen, einer
gewissen sittlichen Reinheit der Sprache nicht
ungetreu werden, und in plumpe Zweideutig-
keiten und Zoten fallen, wenn auch diese
[251] Sittsamkeit und Enthaltung weniger Reitze
hätte. Die Keuschheit des Körpers ist mit
der Keuschheit der Seele und der Sprache in
genauer Verbindung — Weiber kennen so
wenig die Regeln als die Gränzen der Spra-
che, überschreiten die ersteren, und erweitern
die letzteren — Wie manche glückliche Be-
reicherung hat die Sprache ihnen mittelbar
und unmittelbar zu danken! Das Mittelmä-
ſsige kann im Geschlechte gar nicht aufkom-
men; was sich unterscheidet, ist vorzüglich —
Sie reden zwar noch, wenn sie schweigen;
keiner ihrer Blicke ist sprachlos; ihre unarti-
culirten Ausdrücke der Leidenschaften, wo-
durch Menschen tief in das Herz der Men-
schen dringen, sind unüberwindlich —: allein,
wer ist beredter als sie, wenn sie wirklich
sprechen! — Jene sprachlose Beredsamkeit
kann weiter Niemand als sie auf Worte brin-
gen und übersetzen. Männer sagen oft nichts,
wenn sie zu viel sagen, so wie man nichts
beweiset, wenn man zu viel bewiesen hat.
In den Worten der Weiber, auch wenn sie
überflieſsen, liegt Absicht, Gewicht und Nach-
[252] druck. Auge und Sprache sind Ein Herz und
Eine Seele, und Weiber haben nicht nur in
ihrem Blick, in ihrem Auge und auf ihrer
Zunge Hölle und Himmel, Leben und Tod,
Wohl und Wehe; sondern selbst ihr Hören
ist von der äuſsersten Bedeutung — Sie hören
anders als wir; und wer kann den Einfluſs
leugnen, den das Gehör auf unsere Rede be-
hauptet? — Ich kenne einen schwer beamte-
ten vornehmen Mann, der in dem Rufe steht,
daſs er alle Menschen höre; auch hört er
wirklich Alles, was sich in seinem Vorzimmer
hören lassen will: und doch klagt alle Welt,
daſs er nicht höre; — entweder ist er zer-
streuet oder unfähig zu verstehen. Es giebt
eine moralische Taubheit bei dem besten phy-
sischen Gehör — Man kann gütig und ge-
recht, unfreundlich und zuvorkommend hö-
ren — Der schüchterne bescheidene Jüng-
ling zieht aus dem geneigten Gehör seines
Beschützers Muth und Leben, und man kann
abhören, anhören, aufhören, aushören und
beim Hören in eine Art von Horchen fallen,
welches durch das Ohrenspitzen in Verlegen-
[253] heit, wo nicht gar in Verwirrung, setzt —
Weiber sind Meisterinnen in der Kunst zu
hören, Original-Hörerinnen, und ich weiſs
nicht, ob sie im Hören oder im Sprechen
stärker sind. Es ist leichter, mit dem Publi-
co, als mit dem Cirkel fertig zu werden,
worin man lebt, wenn dieser Cirkel aus wit-
zigen Weibern besteht; und nicht der Män-
ner, sondern der Weiber halben bleib’ ich
anonymisch, so sehr auch meine Schrift den
Weibern das Wort zu reden scheint. —
Die Weiber sind viel zu sehr Kenner des
menschlichen Herzens, als daſs sie nicht wis-
sen sollten, auch die verborgensten Falten
desselben auszuspähen, Leidenschaften zu er-
regen oder dem Ausbruche derselben zuvorzu-
kommen. Wer weiſs mehr als sie, ihre
Wuth zu besänftigen, je nachdem es ihre Ab-
sichten erfordern! und gewiſs würde es ihnen
auf dieser Bahn besser glücken, als den be-
rühmtesten Demagogen. Rom würde vielleicht
bald nach seiner Entstehung wieder in sein
voriges Nichts zurückgefallen seyn, wenn die
neuen Römerinnen sich nicht ihrer Räuber
[254] angenommen, und die entrüsteten Sabiner be-
ruhigt hätten. Was wär’ aus Coriolan’s Vater-
stadt geworden, wenn die Mutter den Sohn
nicht besänftigte? Ohne den Römischen Stolz
und die edle Aufforderung eines Weibes
(Margarethe Herlobig) wäre der Schweizerbund
vielleicht nie zu Stande gekommen — Die
Überredungsgabe eines Weibes übertrifft Al-
les, was Kunst je geleistet hat. Und ihre
Lehrmethode? In Wahrheit, Weiber sind
äuſserst lehrreich: sie sind so groſse Lehre-
rinnen, als Erzieherinnen. Wer Weiber bloſs
auf Gefühle und Empfindungen reducirt, kennt
weder Gefühle, noch Empfindungen, noch die
Weiber. Oder wie? lehrt das Herz etwa den
Kopf? verleihet das Gefühlsvermögen dem Er-
kenntniſsvermögen evidente Gefühle zum Ver-
gleichen und zum Entscheiden? Stammt das
moralische Gefühl, wenn es anders ein wirk-
liches Etwas seyn soll, nicht aus der Ver-
nunft? Muſs nicht der Kopf dem Herzen
Grundsätze so eigen machen, daſs es die Ach-
tung für das Gesetz als Gewohnheit, als Ge-
fühl ansieht? — Das Herz, unbelehrt von
[255] der Vernunft, kann wenig oder nichts ausrich-
ten; es muſs geistisch gerichtet seyn — Wenn
der Philosoph, der Wortführer der Vernunft,
nicht wäre; was würde der Dichter, der sich
nach dem Haufen richten und selbst zu Volks-
unarten sich herablassen muſs. Gutes stiften?
Der Dichter muſs seine Weihe im Tempel
der Vernunft erhalten und die süſsesten Ge-
fühle an Grundsätze knüpfen, wenn er un-
sterblich seyn will. Weiber verstehen jene
Chemie, die man die höhere nennen könnte,
Grundsätze in Gefühle aufzulösen, und das,
was der theoretische Hexenmeister der Philo-
sophie in schweren Worten ausdrückt, zur
Leichtigkeit einer Gewohnheit zu bringen —
Weiber haben Sitten, Männer Manieren: diese
werden durch Erziehung erworben, durch
Nachahmung erlernt, durch Umgang mitge-
theilt; jene hangen von Herz und Vernunft
ab. Man sagt: Weiber wären kärglicher in
ihren Wohlthaten, und an sich und von Na-
tur geitzig. Nicht also; ihre Neigungen des
Wohlwollens entstehen aus Grundsätzen,
nicht aber aus dem vorübergehenden Rausche
[256] des Mitleidens, wie es sehr oft bei uns der
Fall ist. Seht! wie schön wissen sie selbst
bei angestammter Etiquette, bei den patenti-
sirten Manieren noch zu modificiren! Auch
sogar bei der Liebe halten sie sich nicht an
das Formular und an die Agende — Wir ha-
ben unsern Kubach, und alles ist in bekann-
ter Melodie — Von Weibern könnte man
sogar sagen: sie lieben insgesammt, doch jede
liebet anders. — Zur Hoffnung haben sie eine
auſserordentliche Anlage; überall wollen sie
Aussicht: ein Garten, der sie ihnen raubt,
ist ihnen ein Gefängniſs — Die gnädige
Frau ist in guter Hoffnung, heiſst: sie
wird bald Mutter werden —. Wir wollen
alles fröhlich um uns haben, wenn wir es
sind, und legen diese Fröhlichkeit unserm Cir-
kel so nahe, daſs, er mag wollen oder nicht,
er einstimmen muſs — Weiber machen Al-
les fröhlich, wenn sie es sind. Alle ihre Fe-
ste sind Erndtefeste, Laubhüttentage, welche
die Natur geheiligt hat; bei den unsrigen wer-
den Kanonen gelös’t — sie können sich ohne
Tafelmusik behelfen. (Der leibliche, geistli-
che
[257] che und ewige Tod aller Unterhaltung.) An
Gott denken, heiſst ihnen Andacht; — an
sich denken, heiſst ihnen sterben lernen, und
philosophiren sich verlieben; und wer so denkt
der denkt wohl! — wer so handelt, ist nicht
auf unrichtiger Bahn —
Sprachen sieht man nicht ohne Grund als
den Schlüssel zu dem Magazin aller Kennt-
nisse und alles Wissens an, und eine jede
Sprache, die wir erlernen, ist ein Schatz des
Wissens, den wir fanden. Sprachen zu leh-
ren, wird ein besonderes Talent erfordert, wel-
ches seltener das Theil und Erbe der Män-
ner, als der Weiber, ist. Unsere zeitherige
Schulmethode Sprachen zu lehren, ist gewiſs
nicht von Weibern erfunden; denn kaum wür-
den diese mit der Grammatik den Anfang ge-
macht haben. Seht da den Lehrer, der es
sich Lastträgermühe kosten läſst, Kindern be-
greiflich zu machen, warum der Römer die
Wörter in seiner Sprache so und nicht an-
ders auf einander folgen lieſs! seht da den
Schüler, der etwas begreifen soll, das schlech-
terdings unbegreiflich ist, so lange er nicht
R
[258] weiſs, wie die Römer ihre Sprache redeten
oder schrieben. Bleibt die Kunst eine Spra-
che sprechen zu lehren, nicht vorzüglich den
Weibern eigen? und sollte ihnen nicht der
Sprachunterricht ausschlieſslich überlassen wer-
den? Gedächtniſs, Einbildungskraft, und ein
gewisser Geist für das Detail scheinen, wenig-
stens so lange sie wie jetzt sind, vorzüglich
ihr Eigenthum zu seyn. Giebt es viele Bei-
spiele, daſs man bei einem Sprachmeister die
Französische Sprache mit Fertigkeit sprechen
lernte? Wer nicht ihretwegen eine Reise
nach Frankreich that, lernte sie von Mutter
oder Gouvernantin. Kaum hat der Mann an-
gefangen, Materialien zu begreifen und anzu-
fassen, so will er schon zusammen setzen,
generalisiren, Capitalien machen; — allmählich
zu sammeln, dauert ihm zu lange. —
Wer kann den Weibern ein gewisses
Kunstgefühl absprechen? und scheint nicht
weniger der Mangel an Anlagen, als ihre zeit-
herige Lage, Schuld zu seyn, daſs sie so we-
nig Vorzügliches in den schönen Künsten und
Wissenschaften leisteten? An dem reitzenden
[259] Schauspiele ringender, wenn gleich oft auch
unterliegender, Kräfte ist uns zuweilen mehr,
als an der Entscheidung und an prahlenden
Siegen gelegen; und schlummert nicht zuwei-
len auch selbst der groſse Homer? Werden
nicht selbst sehr wache Augen vom Schlaf
überwunden? schläft nicht zuweilen Brutus?
Schöne Künste und schöne Wissenschaften
erfordern einen weiten Spielraum, leiden
keinen drückenden Zwang, und gedeihen nur
da, wo der Geist, sich keiner Fesseln be-
wuſst, das Gebiet der Einbildungskraft, jenes
Reich der Unsichtbarkeit, durchkreuzen kann.
Auch bei der gröſsten Empfänglichkeit für
schöne Formen und Gefühle, auch bei der
glücklichsten Organisation, wird, so lange der
jetzige Druck dauert, nichts Groſses, nichts
Vollendetes das Theil der Weiber seyn; eben
so wenig wie der Griechen, die bei den
nämlichen Anlagen, bei dem nämlichen mil-
den Himmel, nie etwas, den unerreichbaren
Meisterstücken ihrer Vorfahren Ähnliches her-
vorbringen werden, so lange ihr Nacken noch
in das eiserne Joch der Türken eingezwängt
R 2
[260] bleibt. Wie wär’ es möglich, daſs das weib-
liche Geschlecht, so lang’ es im Käficht ein-
geschlossen ist, und ein schnödes Vorurtheil
seine Flügel lähmt, sich in die höheren Regio-
nen aufschwingen sollte? Die Seele pflegt
schwach zu seyn, wenn der Leib es ist, und
Sklaverei erlaubt ihren Gefesselten keinen
Flug eine Spanne hoch über die Erde. Doch
zeigten Einige, daſs sie Eines Geistes Kinder
mit Männern wären; und irre ich mich, oder
ist es gewiſs, daſs sie weniger nach jedem
Fünkchen eines fremden Lichtes haschten, um
es aufzufangen, als wir? Mit geübterem Ver-
stande, mit geschärfterer Empfindung, mit rei-
cherer Phantasie, mit festerem Charakter, wer-
den sie reifere Früchte bringen, und in dem
Felde des Schönen, auf das sie ohnehin schon
unleugbare Ansprüche haben, Thaten thun —
werth der Unsterblichkeit. Man klagt nicht ohne
Grund: alle Oberideale wären mit dem Heiden-
thume verloren gegangen; und da die ins Gro-
ſse gehende Kunst ohne Ideale nicht bestehen
könne, so schiene es, als ob unsere Dichter
und Künstler sich nicht über die gemeine und
[261] wirkliche Natur zu erheben im Stande wä-
ren. — Vielleicht ist es dem schönen Ge-
schlechte vorbehalten, sich hier neue Bahnen
zu brechen, und mit neuer verjüngter Einbil-
dungskraft zu schaffen was verloren ging, ohne
dem Segen der gröſseren und heilsameren
Wahrheit der christlichen Religion, welche
für alle jene Ideale durch ihren weisen und
beglückenden Einfluſs entschädiget, zu nahe
treten zu dürfen.
Unser Geschlecht hat Gelegenheit, so viel
von der Prosa der wirklichen Welt kennen
zu lernen, und dünkt sich, die Wahrheit zu
gestehen, in derselben so gewaltig viel, daſs
es nicht umhin kann, der wirklichen Welt,
so herrlich und schön sie auch ist, keinen
poëtischen Stoff zuzutrauen. Unzufrieden mit
Menschen, spricht es: »Laſst uns Götter schaf-
fen, ein Bild, das uns gleich und doch Gott
sei!» — Und da wird? Seht doch, seht! ein
Himmel voll Ganz- und Halbgötter, alle zu-
sammen nicht werth einen einzigen wackern
Kerl abzugeben. An den himmlischen Harem
mag ich gar nicht denken, der gewiſs noch
R 3
[262] weit weniger ein einziges braves Weib auf-
wiegt — Wozu der Götterunrath? — Mähr-
chen, sie mögen nun Volks- oder Helden- und
Staatsmährchen seyn, gehören, sagt man, für
das Kinder- und Greisenalter; wer wird in-
deſs diesen Spielen der Einbildung nicht gern
Gerechtigkeit erweisen, wenn sie zum Ernste
der Wahrheit leiten, und von der Vernunft
die vollzähligen Weihen erhalten haben? wer
die Imagination nicht ehren, wenn sie bei al-
len ihren Avantürier-Eigenschaften ein Spröſs-
ling der Vernunft ist? — Nur thut unser Ge-
schlecht zu oft so äuſserst nothgedrungen, eine
Abschweifung in das Reich der Möglichkeit
machen zu müssen, obgleich von der lieben
Wirklichkeit noch so viel in Rückstand ist;
— nur will es zuweilen höchst unzeitig die
Einfälle aus dem Reiche der Einbildung zu
Gesetzen in der Sinnenwelt, die vor uns liegt,
tausendkünsteln; nur macht es sich kein Ge-
wissen daraus, die hehre und mächtige Reli-
gion der Vernunft, welche sich bescheidene
Flügel beilegt, mit aller Gewalt zu überflü-
geln und, ohne sich mit ihr und der Volks-
[263] religion zu berechnen, bloſs auf Vergnügen
auszugehen, wo sich doch die Vernunft ihren
Aufsehersitz und ihre Stimme nicht nehmen
läſst. Hier ist Stoff zum neuen Himmel und
zur neuen Erde. Und sag’ ich zu viel, wenn
ich behaupte, daſs dem andern Geschlechte
hier noch ein Richtsteig vorbehalten ist und
Palmen, die nicht etwa im dritten Himmel zu
brechen sind, wo man zu unaussprechlichen
Worten entzückt ist — sondern nicht fern
von einem Jeglichen unter uns. — Genug,
wenn seine Dichtkunst das Herz nicht verfehlt,
wenn sie von Herzen kommt und wieder zu
Herzen geht. — Was soll ein wildes Feuer?
Ein heiliges ist sein Ziel. Nie wird es sich
erlauben mehr anzulegen, und wär’ es Cedern-
holz, als nöthig ist, und um die Wette wird
seine Dichtkunst mit der Cultur, Leidenschaf-
ten zu lenken und zu zähmen sich bemühen
— der edelste Beruf der Vernunft und der
Dichtkunst! Grundsätze, welche die Vernunft
im Allgemeinen lehrt, macht Dichtkunst durch
treffende Beispiele anschaulich. Wovon die
Vernunft innerlich überzeugt ist, das stellt die
R 4
[264] Dichtkunst in Lebensgröſse unsern sittlichen
Augen dar, und bringt ein unaussprechliches
Vergnügen zu Stande, das einzige, das wir
durch kein Opfer erringen dürfen — und das
immer mit in den Kauf geht! — Wie? die-
ser heilige Geist sollte nicht über das andere
Geschlecht ausgegossen seyn? diese Gaben hätt’
es nicht empfangen? O, ihr Kleingläubigen!
— als ob der Pegasus bloſs für Männer wäre!
Dies so überaus gute Thier, das sich so viel
gefallen läſst, sollte keinen Quersattel vertra-
gen? Sollte dieses Vorurtheil nicht zu über-
siebnen seyn? Allerdings. Wie herrlich sind
jene weiblichen Explosionen, die Lieder der
Liebe der Sappho, die selbst auch in Deutsch-
land mehr als neun Schwestern hatte, von de-
nen eine der vorzüglichsten (Karschin), nach-
dem ihr der Dichter Friedrich II vier Gul
den verehrt, und Friedrich Wilhelm II, der
kein Poët ist, ein Haus hatte bauen lassen,
unlängst zu ihrer älteren Schwester heimging.
— Darf ich mehr als Elisen nennen, um ih-
rem Kopf und ihrem Herzen den Rang beizu-
legen, der beiden gebührt — und der durch
[265] eine exemplarische Bescheidenheit noch ’mehr
gewinnt? — Angelika Kaufmann, die Schöp-
ferin schöner Formen, und mehr ihres Glei-
chen waren und sind Mahlerinnen. Der Vor-
wurf, den man der Angelika macht, daſs sie
männliche Gesichter zu weibisch mahle, ist
nicht ohne Grund; vielleicht nimmt sie hier-
durch an unserm Geschlecht eine heimliche
Rache. Man sagt: Weiber würden nie Mei-
sterinnen im Portraitiren. — Daſs ich nicht
wüſste; * ra * * trifft zum Sprechen — zum
Hören —. Wär’ es in der Regel der Fall, so
würd’ ich es mir aus dem Umstande erklären,
daſs sie immer Züge ans ihrer trefflichen
Seele hineinzeichnen, so wie Mahler der Ve-
nus Züge von ihren Weibern und Töchtern
verehren. — Mahlerinnen würden in dem
Grade die Seelen der Männer in ihren Por-
traiten verschönern oder verklären, wie Mah-
ler die Gesichter des andern Geschlechtes
schminken — Ist es, weil die Männer von
der Natur entfremdeter sind, als die Weiber;
oder hat die Natur wirklich zu dem andern
Geschlechte mehr Vorliebe und Zutrauen;
R 5
[266] oder macht es die Seltenheit, daſs die Män-
ner, weil sie zu wenig in die Heiligthümer
der Natur kommen, nicht recht wissen, wie
sie mit ihr daran sind? — ich weiſs es nicht.
Wer kann indeſs unter den Männern, er sei
Dichter oder Mahler, im Wonnegefühl der
Natur, in der Fülle ihres Genusses, darstellen,
was er empfindet? — wer erliegt nicht unter
der Gewalt alles Erhabenen und Schönen, das
ihm zuströmt und ihn entweder in einen
Schlummer einwiegt, oder ihn so angreift,
daſs er den zu groſsen Eindruck nicht um-
fassen und entwickeln kann. Der Schlummer
ist ein Beweis der Schwäche; und auch aus
zu groſser Spannung wird man ohnmächtig.
Diese Lagen (sowohl die Schlummer- als die
Spannungslage) darzustellen, ist Manchem un-
ter den Männern so vortreflich geglückt, daſs,
da alle geneigte Leser sich getroffen fanden,
diese Darstellungen als Meisterstücke bewun-
dert wurden. Man erstaunte, daſs die Kraft
der Kunst in dieser Schwachheit so mächtig
war! Hat sich das Feuer des Eindrucks ge-
legt, ist man aus einem entzückenden Schlaf
[267] erwacht, so mahlen wir aus dem Spiegel der
Zurückerinnerung, und die Natur hat nicht
Ursache, diese Copien für viel weniger als
Originale zu halten — Es sieht wie aus der
ersten Hand aus, ob es gleich eigentlich aus
der zweiten ist. Weiber können im vollen
Genusse der Natur diesen Genuſs beschreiben;
auf das innigste in sie verwebt, verlieren sie
den Ausdruck nie; sie scheinen Ein Herz und
Eine Seele mit der Natur zu seyn, und da sie
weder zu hoch gespannt sind, noch in süſsen
Schlummer versinken, so gebricht es ihnen bloſs
an Dreistigkeit, um ihren Naturgenuſs auch
Andere durch Darstellung genieſsen zu lassen.
— Sie können im ersten Feuer arbeiten, wenn
wir uns zuvor abkühlen müssen. Gewiſs hät-
ten wir manche weibliche Ossiane, wenn wir
es wollten; und was wäre unsere Karschin
geworden, wenn man ihr nicht die Flügel der
Morgenröthe durch den Unterricht in der My-
thologie beschnitten hätte! Die Originalität
gedeihet nur im Schooſse der Freiheit; und
kann wohl die Natur durch Weiber vernehm-
bar seyn, ehe Männer aufhören, die Weiber
[268] (diese Gefäſse zu Ehren) zu bevormündern,
und ehe Geist, Herz und Zunge dem andern
Geschlechte gelöset werden? — Wozu dies Al-
les führen soll? Männer, wo nicht aus Pflicht,
so doch aus Kunstneugierde zu reitzen, daſs
sie den Schooſskindern der Natur die Geistes-
freiheit nicht länger vorenthalten, ihre Kräfte
nicht weiter unterdrücken, und ihre Vernunft
durch unzeitige Blödigkeit nicht vor wie nach
zurückhalten. Die Dichter, die Helden, die
Weisen der Vorzeit sahen keine andere Sonne,
erblickten keine andere Natur, als wir: Jene
göttlichen Natureingebungen, welche die Ur-
alten hatten, können wir noch neutestament-
lich aus Hand und Mund der Weiber mit
Danksagung empfahen. —
»Musik?» So unbestritten die weiblichen
Talente für die Musik sind; so wird ihnen
doch der Vorwurf gemacht, daſs sie noch
keine Obermeisterin in der Composition auf-
weisen können. Es fehlt ihnen ohne Zweifel
auch hier an Muth, um zu dieser Obermeister-
schaft zu gelangen; schon befriedigt, wenn sie
Compositionen der Groſsmeister unseres Ge-
[269] schlechtes mit Empfindung ausdrücken, begnü-
gen sie sich mit dem zweiten Range. Das
Lied indeſs kann wörtlich so im Dichter ste-
hen; die Noten können genau getroffen seyn:
und doch wird oft weder Dichter noch Com-
ponist sein Werk wieder kennen, wenn es ein
Weib singt oder spielt — dies haucht ihm
eine lebendige Seele ein. Schaffen ist gut;
erhalten nicht minder. — Möchten Weiber
immer beim zweiten Range bleiben, wenn nur
nicht ein neuerer Reisebeschreiber auch von
Kastraten bemerkt hätte, daſs nie Jemand un-
ter ihnen ein groſser Componist gewesen sei.
Sollte diese Bemerkung Kastraten und Weiber
mit Recht treffen, so ist die Ursache bei bei-
den unendlich verschieden. Kastraten können
nichts schaffen; Weiber dagegen sind die ei-
gentlichen Erhalter und Mitschöpfer. — —
Bei dem gegenwärtigen Druck, worin die
Weiber sich befinden, legen sie es bloſs dar-
auf an, Alles was sie verstehen, faſslich und
begreiflich zu machen, und das, was wir
schwer ausdrückten, zu erleichtern und in Um-
lauf zu bringen. Sie ebenen die Wege, ver-
[270] stehen den Strahl der schwersten Ideen zu re-
flektiren und zu vervielfachen, das Abstrakteste
verständlich und deutlich darzustellen, und
dem Verachteten aufzuhelfen, so daſs sie allen
Wissenschaften einen unleugbaren Vortheil ge-
bracht haben könnten, wenn man sie zum
Meister- und Bürgerrecht ohne männliche Ge-
burtsbriefe zugelassen hätte. Die Behauptung,
daſs es keine Synonime in der Sprache gebe,
beweisen sie meisterlich, wenn gleich das
Buchstabiren (eine wirklich männliche Sache)
sie wenig bekümmert. Das negative Un wird
von ihnen, so wie die Null im Rechnen, oft
so geschickt zum Verstärken des Ausdruckes
gebraucht, daſs man über ihre Feinheit und
Geschicklichkeit, womit sie bei Ohr und Ver-
stand alles ins Reine bringen, erstaunen muſs!
Von Weibern muſs man reden, von Männern
schreiben lernen. — Sind Weiber schon
jetzt, da sie bloſs geduldet werden, und vermit-
telst Concessionen und Begünstigungen arbei-
ten, von dieser Seite so schätzbar; was könn-
ten sie leisten, wenn sie nicht länger so un-
würdig von dem edlen Wettkampfe ausge-
[271] schlossen würden! Es ist eine nicht unrichtige
Bemerkung, daſs verdorbene Beredsamkeit ver-
dorbene Sitten verräth. Da man aber in dem
schönen Geschlechte tausend Lippen findet,
die vom Honigseim einer überzeugenden Be-
redsamkeit überflieſsen; so kann es mit Recht
von ihnen heiſsen: wessen das Herz voll ist,
geht der Mund über. Der Unterricht legt es
nicht geradezu darauf an, und kann es nicht
darauf anlegen, aus allen Schülern Meister zu
bilden. Auch bedarf es in der Erziehungs-
fabrik nicht lauter Meister. Sie bildet Gefäſse
zu Ehren und zum Haus- und Kammerge-
brauch; sie beschäftiget Meister, auch die es
secundum quid sind, an der Drehscheibe. So
ist der Lehrer schon geschickt, wenn er das
Mechanische der Kunst und die Methode
weiſs, jenes dem Lehrlinge beizubringen. Hat
man nicht Meister gehabt, denen es nie ge-
lang, geschickte Schüler ihrer Kunst zu zie-
hen? Fehlt es nicht vielen an der Gabe der
Deutlichkeit und, um ein Kunstwort anzubrin-
gen, an der Lehrgabe? und ohne Zweifel noch
mehreren an der unentbehrlichen Lehrtugend,
[272] der Geduld, die das männliche Geschlecht
zwar in seiner Tugendliste rühmlichst mit
aufzuführen nicht unterläſst, die indeſs unserem
Geschlechte nur sehr selten eigen ist. Wir
zeigen, daſs in unserer Garderobe auch un-
modische Anzüge sind, nicht um sie zu ge-
brauchen, sondern um sie zu haben; statt
daſs bei dem weiblichen Geschlechte Geduld
das schönste Hauskleid ist, das ihm am besten
steht. — Ist die Weibergeduld nicht im Stande,
auch aus dem unfruchtbarsten Boden Keime
herauszulocken? Kann der beharrliche Fleiſs
der Weiber nicht selbst dem Verkrüppelten,
wo nicht eine schöne, so doch eine erträgliche
Form geben, und, wenn nicht Künstler, so
doch Kunstverwandte bilden? Der Vorwurf,
den man den Weibern macht, daſs sie Neu-
heit und Wechsel lieben, ist nicht ungerecht;
aber nicht im Geschlechte, sondern im Druck,
den wir veranlassen, liegt die Ursache davon.
Das Ausdauern und Beharren ist gewiſs we-
niger unsere als ihre Sache, wenn der Gegen-
stand es verdient. Wer kann Weibern jetzt
ihre Flüchtigkeit übel deuten, wer ihrem Le-
ben
[273] ben es verdenken, wenn es von ihm heiſst:
sie leben als flögen sie davon? — Wer? —
In der That, es wären der moralischen Karri-
katuren weit weniger, wenn wir uns entschlie-
ſsen könnten, dem weiblichen Geschlechte ei-
nen gröſseren Antheil an dem Unterricht und
der Erziehung einzuräumen. Und wie? haben
Weiber bloſs den Grazien, ihren Freundinnen,
geopfert? oder sind sie wirklich auch zum Al-
lerheiligsten der Wissenschaften eingedrungen?
In der That, sie wuſsten sich auch hier Ein-
gänge zu eröffnen, Ehrenstellen zu erringen
und sie mit Würde zu behaupten, ungeachtet
aller Hindernisse, welche Vorurtheile, Her-
kommen und niedere Miſsgunst ihren Talenten
und ihrem Eifer in den Weg legten. Es wird
nicht viele Wissenschaften geben, die unter
ihren Eingeweiheten nicht einige Namen von
Weibern zählen, welche sich mit ihnen be-
schäftigten, und zwar nicht bloſs solche, die
von der Oberfläche schöpften und zum Zeit-
vertreibe; nein solche, die ins Innere dersel-
ben mit Eifer und Anstrengung eindrangen,
die von dieser Ambrosia der Wissenschaften
S
[274] nicht bloſs kosteten, sondern mit dieser See-
lenspeise sich sättigten bis zum Wohlgefallen.
Freilich können Weiber jener inneren Freiheit
des Geistes genieſsen, nach welcher sie ihren
Kopf eigenbeliebig anzuwenden im Stande
sind — Wir haben ihn indeſs dem andern
Geschlechte abgesprochen, und statuiren nur
sein Herz, auf das wir Rechnung machen —
als ob Eins ohne das andere etwas gölte!
Und wenn Weiber sich auch über unser Cri-
minalurtheil wegsetzen wollten und könnten;
ist ihre selbstgewählte ruhige Geistesthätigkeit
vermögend, reifere und schmackhaftere Früchte
zu bringen, da wir die Barbarei haben, uns
an ihren Blüthen zu vergreifen? — Was die
Geistesfreiheit, die keine Geschäftsstörung ver-
dirbt, bei den Weibern ausrichten könnte,
wird durch den Schwall von Kunstwörtern und
Kunstregeln erstickt, womit man von Männer-
Seite sich wohlbedächtige Mühe giebt, die
Weiber zu verwirren und verzagt zu machen,
so daſs sie ohne Noth ermatten und sich auf-
geben — Jammer und Schade! Doch gab es
einige, die den Faden nicht abrissen, die mit
[275] Standhaftigkeit sich entschlossen, zu beharren
bis ans Ende; und unter diesen, welche die
letzten Gelübde ablegten, fanden sich sogar
solche, die sich zu Vorstehern und Lehrern
im Tempel der Musen weihen lieſsen. — In
dem bekannten Institut von Bologna lehret
Laura Bassi die Physik, und hält ihre Vorle-
sungen in Lateinischer Sprache; und wie lange
ist es, daſs Signora Agnes von Mayland hier
die Mathematik mit Beifall lehrte? Eben hier
bilden Lilli und seine geschickte Gattin die
Muskeln und Blutgefäſse des Körpers, der Na-
tur mit so vieltäuschender Wahrheit nach.
Italien, dieses Land, das wechselsweise so viel
Licht und Finsterniſs über die Völker der Erde
verbreitete, trägt kein Bedenken, Frauenzim-
mern Lehrstühle zu öffnen. Unlängst ward
in Deutschland ein weiblicher Doktor kreirt
(der Doktor Schlözerin); und würden wir
wohl so zuverlässige und beträchtliche Neuig-
keiten vom Firmament erhalten, wenn der un-
sterbliche Herschel von seiner ihm ähnlichen
Schwester nicht so unermüdet in seinen Beob-
achtungen und Arbeiten unterstützt würde?
S 2
[276] Ärzte werden eben so krank wie Nichtärzte,
und die gröſsten Philosophen sind nicht nur
oft unweise, sondern verlieren sich auch zu-
weilen so in Speculationen, daſs sie nicht aus
noch ein wissen —. Weiber sind sehr für
innere Wahrheit; und wenn sie gleich jenes
berühmte Ministerphlegma nicht besitzen, so
wissen sie doch mit Kälte zu unterscheiden,
was bloſs trockne und was brauchbare Kennt-
niſs ist. Wenn Salz und Laune fehlen, sind
ihnen die reichstbesetzten Tische ein Greuel,
und auf die Schauessen der Philosophen neh-
men sie keine Einladung an. — Freund Mon-
tagne geht indeſs zu weit, wenn ihn gelüstet
zu behaupten: er habe zu seiner Zeit hundert
Handwerker und hundert Bauern gesehen, die
vernünftiger und glücklicher gelebt (auch ge-
dacht?) hätten, als mancher Rektor auf einer
Universität (Rektor! als wenn dieser das non
plus ultra der Gelehrsamkeit wäre! Kästner,
Kant und andere unserer ersten Köpfe sind
Rektores, weil die Reihe sie trifft), und ha-
be lieber jenen als diesem ähnlich seyn wol-
len. (Immerhin! verliert die Gelehrsamkeit
[277] dadurch, wenn einige ihrer Meister nicht Weis-
heitsbeflissene sind?) Hat der Rektor der
groſsen Römischen Universität, Cicero, so
ganz Unrecht, wenn er dem Studieren den
Preis über Alles zuerkennt, was sonst beschäf-
tigen kann und mag? Wie kann man mit
gröſserem und bleibenderem Gewinne seine
Zeit benutzen? Der Handarbeiter, sagt man,
wendet sie an; der Gelehrte vertreibt sie. Ei,
Lieber! müssen denn nicht Feldherren seyn,
wo es Krieger giebt? müssen nicht Officiere
überlegen, was gemeine Soldaten ausführen? —
Durch tiefes Denken gewöhnen wir unsere
Seele zu einer Art von Existenz auſserhalb des
Körpers; sie bereitet sich durch eine kleine
Reise nach Rekahn zu einer Cookschen vor,
durch einen Weg über Feld zu einem andern
— der uns Allen bevorsteht. Wenn Cicero
es nicht ungeneigt nehmen wollte, daſs ich
seinen guten Geist bei dieser Gelegenheit
schon wieder citire; so sollt’ es seinen Aus-
spruch gelten, daſs das ganze Leben des den-
kenden Mannes eine Todesbetrachtung sei. —
Darf bei diesen Umständen das schöne Ge-
S 3
[278] schlecht Bedenken tragen, mitunter gelehrt
zu seyn —? Ist es aber im Stande Wissen-
schaften sich eigen zu machen, sie leicht und
mit sichtbarem Nutzen Anderen beizubringen;
wie könnt’ es ihm denn wohl an den Talen-
ten gebrechen, seine erworbenen Kenntnisse
auf andere Weise dem Staate zum Besten in
Anwendung zu bringen, sobald der Staat geru-
hete, den Bann allergnädigst aufzuheben, mit
welchem ein barbarisches Vorurtheil es seit
Jahrtausenden belegt hat! Hätten jene Rit-
ter, die unter ihren Gelübden die Verpflich-
tung hatten, Damen zu schützen, ihre Gren-
zen weiter gesteckt; wie unendlich würdiger
wär’ ihr Beruf gewesen! Schade, daſs diese
treflichen Männer, welche, mit Ausschluſs der
irren unter den irrenden, die edelsten und
klügsten ihres Zeitalters waren, nicht, anstatt
Weiber zu schützen, sie über diesen Schutz
erhoben! — Ist der Schleichhandel zu ver-
kennen, der, aller jener Verbote ungeach-
tet, vom andern Geschlechte getrieben wird?
oder ist nicht vielmehr der groſse Einfluſs
sichtbar, den das weibliche Geschlecht zu al-
[279] len Zeiten auf alle bürgerliche und Staatsan-
gelegenheiten behauptet hat? Wenn es auf
groſse Plane ankam, die ausgeführt oder rück-
gängig gemacht werden sollten, waren es Wei-
ber, welche die Hauptrolle übernahmen. Bei
Weisen und Thoren, Regenten und Priestern,
Staatsmännern und Mönchen waren sie wirk-
lich geheime Räthe; sie gehörten jederzeit
zum geheimen Ausschusse des Staatsrathes, des-
sen Dekrete das Plenum blos mit Curialien
versah — und dem es Sekretariendienste er-
wies. — Und wem ist hier ein dirigirendes
Weib, wär’ es selbst eine Maitresse, nicht
lieber als Leithämmel von Kammerdienern,
Hofzwergen, Heiducken u. s. w., die ohnehin
nur Substistuten ihrer Weiber oder ihrer Lieb-
chen sind? Nicht bloſs mit dem klingenden
Spiel und den fliegenden Fahnen ihres Witzes,
nicht bloſs durch den vermittelst der Ideen-
Association verstärkten Vortrag wissen Weiber
sich Eingang zu verschaffen; ihr zur Beurthei-
lung geschmeidiger Verstand vermag Alles —
Wie manchem Tyrannen von Minister, der
mit den Thränen des Volkes sein Spiel, und
S 4
[280] mit Glück und Unglück der Menschen Handel
trieb, der Alles drüber und drunter warf,
wuſsten sie auf eine bessere Bahn zu lenken!
Weiber halten den Faden, an dem die Cabi-
nette geleitet werden: sie mischen die Karten,
mit denen die Excellenzen spielen; und so
wie neue Hindernisse neue unberechnete Kräf-
te erzeugen, so gelangten sie oft vermittelst
ihrer Schwachheit zum höheren Grade der
Stärke — Ein sanfter gemäſsigter Charakter
ist dem andern Geschlecht eigen — Die Na-
tur verlieh ihm dazu groſse unverkennbare
Anlagen, und nur bei wenig mehr philosophi-
schem Nachdenken und Ausweichung der Ver-
führung, würde das schöne Geschlecht uns
eine gewisse edle unempfindliche Gleichgül-
tigkeit gegen so Manches lehren, was uns
jetzt so leicht auſser uns setzt; und diese
Gleichgültigkeit ist ohne allen Zweifel die
Krone des diesseitigen Lebens. Hat die Natur
nicht oft den Correggio an der Schönheit und
Sittsamkeit übertroffen, womit er seine Frauen-
zimmer ausstattete? Woher nehmen Mahler
ihre Engelgesichter? und was ist der Sanft-
[281] muth unmöglich — ob sie gleich sich zuwei-
len, auch rückwärts zum Ziele zu kommen,
verbunden sieht? Welche scharfe Umrisse,
welches lebendige Colorit geben die Weiber
ihren Vorstellungen und den Charakteren, die
sie darin verflechten! Gleich ihr erster Blick
trifft das Ungewöhnliche bei jeder Sache, und
da dies Ähnlichkeit mit dem Wunderbaren
hat, an welchem die meisten Menschen so
gern hangen bleiben — ist es Wunder, wenn
sie oft selbst auf das tägliche Brot ein solches
Licht fallen lassen, daſs es feierlich wird?
ist es Wunder, wenn sie das ländliche Mahl
zur Würde eines hohen Festes erheben? Hö-
here Deutlichkeit und stärkendes Licht mit
mehr Vergröſserung zu vereinigen, ist das
Ziel, das sie mit so wenig Mühe und Auf-
wand erreichen, ob es gleich so überschweng-
lich wirkt — Das andere Geschlecht nimmt
in der Regel für, das unsrige wider sich ein.
Jenes ist gut, bis das Gegentheil bewiesen
ist; — von uns heiſst es: wir sind böse, bis
man unser Gutes auſser Zweifel gesetzt hat.
Weiber haben einen Vor-, wir einen Nach-
S 5
[282] Geschmack — Jene Runzeln, die das Alter
von der Weisheit, oder die Weisheit von dem
Alter hat, schrecken weder ihren Witz noch
ihren Verstand ab — und nichts, weder Ver-
stand, noch Schönheit, noch Vermögen, macht
sie schüchtern — Dem Verstande lauern sie
sehr auf den Dienst, und finden bald zu ih-
rem Troste etwas an Lehr’ und Leben der
Herren Philosophen auszusetzen, worüber
schwerlich etwas einzuwenden ist; und da sie
geborne Naturalisten (im natürlichen Sinne)
sind — wie leicht wird es ihnen, von Arti-
sten ein Federchen abzulesen! Weit eher als
wir, haben sie Anlage, zu dem von Vorurthei-
len und Aberglauben befreieten Gebrauche der
Vernunft zu gelangen — auf ein Haar wissen
sie den gelahrten Weizen von der gelahrten
Spreu zu unterscheiden — und den Shake-
spearschen Ausdruck zu deuten: »er redet eine
Menge Nichts — zwei Weizenkörnlein ver-
steckt er in zwei Bündlein Spreu.» Weiber
sind dazu gemacht, den Philosophen, wenn
er sich in den Spinneweben des Systems ver-
lor, (wie ein bekannter Gelehrter sich in sei-
[283] nem eigenen Hause, das wohl gar ein Fami-
lienhaus und vom Groſsvater und Vater auf
ihn gekommen war, verirrte) an Stell’ und Ort
zu bringen und zu orientiren; sie geben ihm,
wie Ariadne, einen Faden in die Hand, und
rufen Jedem zu, der Länge und Breite nicht
unterscheidet, der das Ruder seiner selbst ein-
gebüſst hat: Vous êtes orfevre, Monsieur
Josse! — Der Geist jener Philosophie, die
der Übermenschlichkeit nicht wohl will, hat
schon lange auf ihnen geruhet — Wer wuſs-
te es besser als sie, daſs weder praktische
noch theoretische Vernunft Überzeugungen
vom Daseyn intelligibler, unsinnlicher Gegen-
stände zu verschaffen im Stande ist, und
daſs wir uns in unvermeidliche Widersprüche
verirren, wenn uns beide Vernunftarten un-
sinnliche Gegenstände feil halten. Weiber
fühlen das Halbwahre von allem jenem, was
so gern im Allgemeinen gesagt wird, und be-
stehen durchaus darauf, daſs dergleichen Be-
hauptungen individueller gemacht werden —
Sie handeln nach nahe liegenden Motiven —
Spieler, Schiffsleute und alle die durch Glücks-
[284] fälle regiert werden, die Avantüriers nicht aus-
genommen, sind zum Aberglauben geneigt —
ist es Wunder, daſs die Weiber es weniger
als wir sind? — Die Schönheit bei einer
Mannsperson gilt ihnen durchaus nichts; und
wenn man den reichen Mann in Ehren hält,
weil er, wenn er wollte, helfen könnte, so
wissen sie wohl, daſs er es nie wollen wird —
Ihre unbefangene Seele findet überall Weg
und Steg; und wer nur ein fleischern Herz
hat — kann der ihrer Herzlichkeit widerste-
hen? Die Frau eines Lichthökers hatte kein
Bedenken, an der armen Seele des David
Hume ihr Heil zu versuchen. Hume konnte
die Seelsorge, die sie für ihn hatte, nicht an-
ders vom inneren Lichte abbringen, als daſs er
ihr versprach, sein äuſseres Licht von ihr kau-
fen zu wollen. — Vom Philosophen Terraston
sagte Madame de Lassay: nur ein Mann von
Witz könne ein solcher Thor seyn; — und
wär’ es historisch richtig, daſs Karl XII an
den Senat geschrieben hätte: »ich will euch
meinen Stiefel schicken, dem ihr gehorchen
sollt;» so würden die Weiber der Herren Se-
[285] natoren laut gelacht haben. — Was doch
kluge Weiber von dem weltberühmten Processe
des Ehrenmannes Hastings denken mögen,
der für die Papiermüller allein schon so viele
Sporteln abwirft! Nie konnten sie sich des
Lachens oder des Weinens über die jetzt sanft
und selig entschlafende Pariser Policei enthal-
ten, welche weiland Farcen und unmenschli-
che Trauerspiele unter dem Scheine der Wach-
samkeit und Obhut aufführte — Wie war es
möglich, in, mit, und unter dieser elenden
Policei sich Ausnahmen von der Wahrschein-
lichkeit der menschlichen Wachsamkeit zu
denken! »Hier sind wir alle entweder Fürsten
oder Dichter,» sagte Voltaire, als er sich bei
einem Fürsten zu Tische setzte; und das ist
der eigentliche Ton eines Weibes — Sie sind
nicht für Gemähldeausstellungen, wo denn
doch auch gegen Einen Kenner zehn Schuster
sich einfinden, die über den Leisten gehen;
sie wirken zwar im Stillen, doch wirken sie
am liebsten ins Allgemeine, wie die Natur,
ihre Schutzgöttin — Oder kann man dies
etwa nicht anders, als wenn man Kanzeln und
[286] Rednerstühle ersteigt? In der allgemeinen und
sichtbaren Kirche giebt es Lehrerinnen, so wie
Lehrer, ohne daſs beide examinirt und ordi-
nirt sind —
Es ist dem andern Geschlecht eine scho-
nende Gutmüthigkeit im historischen Urtheil
eigen; doch verstehen es Weiber, ein Faktum,
so wie einen Menschen, (immerhin so verwik-
kelt als möglich) aufzulösen und zu concen-
triren. Auch können sie jenen Totaleindruck,
den Faktum und Mensch auf sie machen,
Andern mittheilen, welches uns schwerer
wird. — Glückseligkeit ist, so wie Wahrheit
und Gottheit, eine Einheit; diese Einheit in
Allem herauszubringen, ist eine hohe Weis-
heit, und, wir wollen gerecht seyn — sie ist
den Weibern eigen. Bei uns wird oft eine
Sache, die auch anders scheinen kann, die
diesem oder jenem Sonderlinge wirklich anders
vorkam, gleich zum Gegenstande eines gelehr-
ten Streites. Da haben wir denn eine extra-
feine Geschicklichkeit, die Zweifelsgründe
bald zu verstecken, bald wieder sichtbar zu
machen, ihrer Gröſse eine Elle zuzugeben oder
[287] abzunehmen, und die Entscheidungsgründe mit
denselben so abzuwägen, daſs, wenn gleich,
besonders bei dem Faktum, die beiderseitigen
Wahrscheinlichkeiten einander ziemlich gleich
sind, doch die Schale, je nachdem wir wol-
len, steigen oder sinken muſs. — Das andere
Geschlecht liebt keine Spielgefechte mit einer
langen Linie aufgestellter und überwundener
Argumente — Eins ist ihm Noth. Nie
wird es das Publicum mit Sophismen äffen:
es verliebt sich bei weitem so leicht nicht wie
wir in eine Idee, die im Grunde keinen Ge-
genstand hat; allein es fürchtet auch derglei-
chen Gespensterideen weniger als wir — Ge-
lehrte und witzige Leute, (Gelehrte in dem
Sinne der gelernten Gelehrsamkeit genommen)
blind verliebt in den Gegenstand, dem sie
nachjagen, verargen sich auf diesem Wege
kleine Unrichtigkeiten nicht — Alle Menschen
sind Lügner, heiſst es in der Schrift; Weiber
sind hier wachsamer und peinlicher. — Man
sagt: starke Wahrheiten wären nur für gute
Köpfe, (so wie starke Getränke nur für ächt
nervige Menschen sind;) schwache würden
[288] schwindelig — Man mache mit Weibern
den Versuch, und wir werden finden, daſs
es keine Wahrheit giebt, die ihr Kopf nicht
ertragen könnte; sie wollen so weit wie mög-
lich — Wir glauben zu leicht, daſs unser
Plan regelmäſsig organisirt sey; die Weiber
sind leichtgläubiger bei der Ausführung —
Sie fürchten nichts Hohes, nichts Niedriges,
nichts was Unwissenheit oder Gelehrsamkeit,
Witz und Unwitz, Verstand und Unverstand
vermögen; wäre ihnen die ausübende Gewalt
anvertrauet — sie würden sicher mehr leisten
als wir, und, wenn sie sänken, es wie der
sterbende Sokrates machen, der, als er seine
Füſse durch Gift schon in Leichnam verwan-
delt fühlte, sie streichelte und mit lachender
Stirne sagte: so nahe gränzen Vergnügen und
Schmerz an einander; — oder wie Seneca, der
Wasser mit seinem Blute vermischt, Jupiter
dem Befreier weihete. Ach, wie oft, wenn
mich so mancher Dienst-Nero bis aufs Blut
verfolgte und die Wuth blödsinniger Tyran-
nen mir zwar nicht die Ader öffnen lieſs, wohl
aber mir weit härter fiel, stärkte mich dieses
Weih-
[289] Weihwasser, und das Elogium Jupiter dem
Befreier! — Beweis von der Freudigkeit im
Tode der Weiber? Beweis! Seht Männer
und Weiber sterben. Ist Philosophiren sich
zum Tode vorbereiten, so sind die Weiber
groſse Philosophen; und in Wahrheit, sie sind
es unendlich praktischer als wir. Zwar sagt
man: studieren sei sterben lernen, weil man
seinen Geist dem Körper entzieht, ihn über
den Körper erhebt; allein Weiber haben diese
Kunstgriffe nicht nöthig, um den Tod zu hin-
tergehen und ihm das Schwert aus der Hand
zu schlagen — Warum Fechterkünste? Den
Tod so ganz wie er da ist verachten, ist
Weisheit; ihn durch Stratageme hintergehen,
scheint Weisheit zu seyn. Kein einziger zieht
ein anderes Loos; wir sind Alle zum Tode
verurtheilt — nicht aber als Kriminalverbre-
cher, sondern als Menschen. — Käme es
auf Weiber an, sie würden selten den Ärzten
ihr Lebens- und Todesurtheil anvertrauen, und
sich von ihnen das Leben absprechen lassen —
Miſstrauisch gegen die Kunst Galens, haben
sie Alle eine Neigung, sich, wenn ja noch
T
[290] etwas seyn soll, einem Unzünftigen anzuver-
trauen. Ich muſs und ich will, ist ihnen fast
einerlei; — und soll es auch nicht also seyn?
Jene Grundsätze einer bekannten Sekte: ent-
weder Vernunft oder Strick — entweder sich
ins Leben schicken oder es verlassen, sind den
Weibern wie angeboren. Nur der kann frei
leben, sagte ein Weiser des Alterthums, der
den Tod zu verachten weiſs. Wie viele Frei-
heitsanlagen sind den Weibern bei ihrer To-
desgleichgültigkeit eigen! Sollte man sie et-
wa eben dieser Anlagen halben so sorgfältig
von der Freiheit entfernen? Nur der, wel-
cher mehr auf sich selbst als auf die Freiheit
hält, besitzt eine Sklavenseele, und ist un-
werth der Freiheit. Sind die Weiber in die-
sem Falle? — Wenn die Weisheit verdrieſs-
lich macht, wer wird Lust und Liebe zu ihr
haben? Dies Leben ist ein Geschenk; laſst
uns jeden Tag als eine Zugabe ansehen, auf
die man nicht zu rechnen im Stande war —
»Was heute geschehen kann, muſs man nicht
auf morgen aussetzen;» so denken Weiber;
und allerdings tragen ihre körperliche Schwäch-
[291] lichkeit, die Einschränkung ihrer Freiheit
diesseits des Grabes, und das Verhältniſs, das
ihnen nicht das Schicksal sondern die Männer
zumaſsen, zu ihrer Lebensgleichgültigkeit bei.
Vorzüglich aber bewirken sie jene gröſseren
Leiden, welche die Natur ihnen als Menschen
auferlegte, wogegen die Mannspersonen, zu ei-
niger Entschädigung, sich gröſsere bürgerliche
Lasten aufgebürdet zu haben scheinen — »Viel
Glück, Diogenes!» sagte der Philosoph Speu
sippus, der wassersüchtig war und sich tra-
gen lieſs. »Wenig Glück!» antwortete Dio-
genes, »da du das Leben in einem solchen
Zustande ertragen kannst.» — So selten in-
deſs weibliche Thränen Murren und Unwillen
anzeigen, und so oft sie ein leise gewagtes
sanftes Sehnen nach mehr bürgerlicher Freiheit
sind; so hilft allerdings auch der Überdruſs
eines Lebens, das kaum diesen Namen ver-
diente, ihren freudigen Weg zum Grabe eb-
nen. Daſs es in der andern Welt gewiſs
nicht schlechter für sie seyn könne, ist die Na-
tivität, die sie sich bei ihrem Ausgange aus die-
ser Welt (wahrlich für sie einem Jammerthale)
T 2
[292] mit vieler Gewiſsheit stellen — Der Tod ist
ihr Jupiter der Befreier — Sie schaffen sich
eine andere Welt, wo Gerechtigkeit wohnt —
wo sie auf Rosen unter einem heiteren Him-
mel wandeln — ein elisisches Idyllenleben —!
Sanfte rührende Schwermuth und leise Schwär-
merei helfen ihnen die Welt und sich über-
winden — und des Lebens und des Todes
Bitterkeit verschmelzen — Seht Weiber ster-
ben! wie ruhig! sie sterben in der Regel alle
philosophisch. Wenn dieser Fall sich bei
unserm Geschlecht ereignet, welch ein Ge-
schrei wird über diese Resignation erhoben!
Der Natur, der die Weiber leben, sterben
sie auch; sie scheint ihnen die Hand zu bie-
ten, um ihnen überzuhelfen — Die Weiber
wollen nicht täglich sterben, sie wollen nicht
Augenzeugen von den zu merklichen Verlusten
seyn, die man, je länger man lebt, je mehr
in Hinsicht des Lebens macht; haben sie ein
hohes Alter erreicht, so kennen sie die Be-
schwerden des Lebens noch genauer, und der
Tod hat keine Gelegenheit, ihnen hart zu
fallen, wenn er auch wollte. Sokrates erwie-
[293] derte denen, die ihm die Nachricht brachten,
daſs man ihm zum Tode verurtheilt habe: die
Natur hat dieses Urtheil auch über meine
Richter publicirt — Das Leben giebt den
Tod, der Tod giebt das Leben — Nicht
nur wer im Schweiſse seines Angesichts, son-
dern auch wer im vollen Maſse des Vergnü-
gens seinen Lebenstag vollbracht hat, ist gern
schläfrig — Wäre der Schlaf nicht der ältere
Bruder des Todes, es würde sich nicht so
leicht sterben lassen; jetzt aber schlafen wir
nur auf länger ein, als gewöhnlich — Warum
etwas fürchten, was Allen bevorsteht, etwas
dem Niemand entgeht, und nähm’ er Flügel
der Morgenröthe, um an das äuſserste Ende
der Erde und des Meeres zu fliehen! — Wenn
Männer die Kunst zu sterben lernen; so ler-
nen Weiber die Natur des Todes: ihr Herz
erschrickt nicht, und fürchtet sich nicht —
Will man mit dem Tode zu seinem Troste
bekannt werden, so muſs man Weiber und
nicht Männer im Sterben beobachten — Ge-
wiſs stirbt man im Kriege leichter, als auf
seinem gewöhnlichen Lager; allein der Tod
T 3
[294] in der Schlacht hat bei weitem nicht so viel
Lehrreiches, wie der Tod einer Wöchnerin
in dem Feldzuge, den die Natur ihr anwies —
Wie schön ist hier der Tod, der Tod fürs
Vaterland! Ich muſs abbrechen; sonst würde
ich zu sehr verrathen, daſs ich in Hinsicht
des Todes nur ein Mann bin. Zwei Freun-
dinnen, mit denen mich die Natur so nahe
verband, starben diesen Muttertod — »Es
kommt auf die Kleider an, die man dem Tode
anzieht,» sagte *** — Du hattest recht, Lie-
be — Dein Tod war leicht, froh, muthig
angezogen — — — So sterben Weiber; und
wie leben sie? Männer thun, was sie thun,
mehr aus Temperament, als aus Grundsätzen:
von Umständen hangen sie ab, und lassen sich
von ihnen, wie Schiffe die Mast und Ruder
verloren vom Winde, hin und her treiben —
Aus Noth, aus Trägheit, aus Bedürfniſs han-
deln sie. Sie sind im Grunde weit furchtsa-
mer als die Weiber; — es scheint nur an-
ders. Immer verbinden sie sich mit andern
Männern, und nennen oft (o der Entheiligung
des Namens!) Freundschaft, was Furchtsam-
[295] keit heiſsen sollte. Freundschaft! wo ist eine
reine? wie selten gewinnt man, ohne daſs ein
Anderer verliert! — Handlungen leiden keine
Freundschaft, und nur mit Worten scheint
sie sich behelfen zu sollen — Durch Miſs-
wachs gewinnt der Landmann; durch Ver-
schwendung und Üppigkeit der Kaufmann;
durch Zank, Hader und Streit der Richter;
durch Neid und Haſs der Geistliche. — »Ein
jeder Mensch hat seinen Preis, für den er
sich weggiebt,» ist die Behauptung eines Eng-
länders, eines Mannes aus einem Volke, das
noch einen Werth auf sich zu legen versteht —
Und wenn es wahr ist, was einer der Alten
behauptet, »daſs ein Arzt es ungern sieht,
wenn seine Freunde gesund sind, und ein
Soldat, wenn sein Vaterland Frieden hat;»
wenn der Untergang des Einen Dinges die
Schöpfung des andern ist: wo wird reine
Freundschaft seyn? Freundschaft, die allen
Graden der Versuchung gewachsen, die auch
gegen eine Welt nicht feil ist —! Von einem
Freunde muſs es, wie von Voltaire’n, heiſsen:
Sein Geist ist überall, sein Herz ist hier (im
T 4
[296] Hause des Herrn von Villette, dessen Gemah-
lin Voltaire’ns Pflegetochter war). Freundschaft
ist ein geschliffener Stahl, dem schon ein
feuchter Hauch den Rost zuzieht. — Nie kann
ich auf die groſsen Worte Tod und Freund-
schaft stoſsen, ohne daſs mein Herz sich aus-
schüttet — und sollte mir diese Wiederholun-
gen nicht jedes in meiner Lesewelt verzeihen,
das auch ein Herz für Freundschaft hat, und
das — sterblich ist? — Freundschaft ist Le-
ben; denn ohne sie hat die menschliche Exi-
stenz keinen Werth. Ich habe meine Schrift
überhaupt durch die Bemerkung vorgeleitet,
daſs, da ich für die Freiheit schreibe, ich
mich nicht selbst binden werde. Lehre und
Leben müssen sich in die Hand arbeiten; und
darf ich wohl im Münzverstande meine Schrift
legiren —? genug, wenn ich mich geleitlich
halte — und darüber wird hoffentlich kein
geierlicher Zoll- und Accisebedienter, kein
Freund und Feind, mit Grunde Rechtens Be-
schwerde erheben können. — Freundschaft war
die Losung, und dieses herrliche Wort ver-
dient, daſs wir Platz nehmen. — Die Frage:
[297] wie leben Weiber? kann bei dieser Abschwei-
fung nichts verlieren. Laſst Könige licitiren:
die Freundschaft ist nicht verkäuflich; — und
eine solche Freundschaft, die, wenn sie gleich
nicht zu den sieben Wunderwerken, so doch
zu den Seltenheiten der moralischen Welt ge-
hört, würde sich häufiger ereignen, wenn
auch das andere Geschlecht bei ihren Altären
zu Ablegung der Gelübde zugelassen wür-
de, die gemeiniglich mit der Grundregel an-
fangen, seinen Freund so behutsam zu behan-
deln, daſs er, uns unbeschadet, auch unser
Feind werden kann. Jene Einschränkung des
Zutrauens und der wechselseitigen Herzenser-
gieſsung, jene Mäſsigung in Entdeckung unse-
rer geheimen Beschwerden, hebt das, was
Freundschaft ist, auf, und macht dagegen ei-
nen gewissen Schein gäng und gebe, der im-
mer als Weltklugheitsmaxime Dienste leisten
mag, der aber den Altar der Freundschaft ent-
heiligt. Unsere gegenwärtigen Freundschaften
sind gemeiniglich nichts mehr und nichts we-
niger, als gemeinschaftlich geschlossene Con-
nivenz, wo beide Theile im Gewinn sind;
T 5
[298] und so wie die Bescheidenheit das Verlangen
ist, feiner gelobt werden zu wollen: so ist die
Freundschaft ein Bund, desto reiner zu gewin-
nen. Heiſst nicht schon der unser Freund,
welcher nicht unser erklärter Feind ist? Die
Kaufleute nennen die: Freunde, mit denen sie
in Handlungsverkehr stehen, wo es also Pro-
vision zu berechnen giebt; und so wie der
schon für gut gilt, der ein böser Mensch von
der allgemeinen Art ist: so gilt der schon für
unsren Freund, der ein Menschenfreund, ein
Mensch von keinem schlechten Herzen ist,
der uns nicht verräth und verkauft, oder der
uns zu verrathen oder zu verkaufen keine Ge-
legenheit gefunden hat. Unser Geschlecht ist
zu glücklich, als daſs wir ächte Freunde der
Weiber seyn sollten; und zu unserer Freund-
schaft gegen einander, auf die wir so stolz
thun, haben die Weiber nicht das mindeste
Zutrauen — Können wir (wie kann es nach
der Weiberlogik füglich anders lauten?) wohl
mit Freundschaften aus der Tasche spielen
und mit Aufopferungen prahlen, da wir uns
nicht einmal herabzulassen vermögen, den
[299] Weibern Gerechtigkeit zu erweisen? Über-
haupt ist selbst unser Leben nur halb, da wir
die Weiber nicht zu leben berechtigen; und
wie leben sie denn?
Ob sie gleich heut zu Tage noch zu sehr
der Sinnlichkeit fröhnen, woran sie weniger
Schuld sind, als unsere Härte; obgleich noch
bei weitem nicht an ihnen erschienen ist, was
sie seyn können und seyn werden: so zeigen
sie doch bei so vieler Gelegenheit eine Selbst-
beständigkeit, eine Fassung, die uns so oft
beschämt. — Ihre Ausschweifungen, die wir
so schrecklich vergröſsern, entstehen mehr aus
Befriedigung der Eitelkeit als der Begierde.
Sie haben keine andere Olympische Bahn, als
Männer zu fahen; man öffne ihnen andere,
und sie werden Wunder thun. Das Prome-
moria, welches jener Kaufmann in sein Denk-
buch trug: »Ja nicht zu vergessen, mich in
Hamburg zu verheirathen!» ist ins Herz der
Frauenzimmer verzeichnet — Darum das Wer-
ben ihrer Augen — Gemeiniglich haben sie
hierbei keine Absicht; sie treiben das Mienen-
spiel der Mode halben, und weil keine kluge
[300] Mannsperson daraus etwas zu schlieſsen wagt.
Montagne sagt: jungen Gelehrten geht es wie
den Kornähren; so lange sie leer sind, richten
sie ihre Spitzen gerad’ und keck empor: kom-
men aber ihre Körner zur Reife, so lassen sie
ihr Haupt sinken. — Warum wollen wir die
Weiber wegen ihrer Mienen so scharf richten,
und Eitelkeit, Koketterie und Wollust für ei-
nerlei halten? Man lacht über jene Dame,
in deren Gegenwart man die schwarzen Augen
ihrer Nachbarin lobte, und die sehr schnell
erwiederte: »jetzt trägt man keine schwarzen
Augen mehr;» sind wir aber nicht die, welche
das andere Geschlecht zu solchen Antworten
verleiten? befördern wir nicht unserer Eitel-
keit halben die ihrige? Laſst die Weiber zu
Kräften kommen, und ihr werdet sehen, daſs
sie im lauten Geheul der Stürme, wo Männer
sich nur selten ein geneigtes Gehör zu ver-
schaffen wissen, bei den schrecklichen Wogen
des empörten Meeres, sich finden, und dem
Meere und dem Winde Silentium gebieten
werden. Wenn man zur Zeit der sanften
Ruhe erlernt und überdenkt, was man zur
[301] Zeit der Schiffbruchsgefahr anwenden will, so
bleibt es zwar nicht unrühmlich, in der Zeit
zu sammeln, um in der Noth zu haben; wenn
aber Weiber selbst in diesem Ungewitter Ent-
schlüsse zu fassen verständen; wenn sie kein
Lexicon zusammengetragener Regeln aufschla-
gen dürften, die ohnehin nie ganz auf einen
einzelnen Fall passen? — wenn —? Doch,
laſst uns erwägen, nicht was dieser Wallfisch
des menschlichen Geschlechtes werden wird,
wenn ihm nicht mehr Tönnchen zum Spielen
zugeworfen werden, sondern was er selbst in
seiner jetzigen so traurigen Lage war und ist!
Als Sokrates von der Gottheit zum Weisen
erhoben und ihm das Diplom hierüber wegen
seines Wohlverhaltens ertheilt ward, maſs er
sich mit vielen seiner Zeitgenossen, und fand,
daſs Andere diese Würde, wo nicht mehr, so
doch eben so gut verdienten, wie Seine Wohl-
weisheit — Endlich überzeugte er sich, daſs
diese Würde, bloſs weil er sich nicht für
weise hielte, ihm auf Allerhöchsten Göttlichen
Special-Befehl wäre zuerkannt worden —
Kann der, welcher Aufsehen macht, weise
[302] seyn? hat der, bei der rastlosen Bemühung
sein Ansehen zu schützen und den Neid zu
entkräften, Zeit und Raum zur Weisheit?
Ob den Weibern wirklich die Bescheidenheit
bei ihren Handlungen eigen ist? Die Erfah-
rung überhebt mich der Antwort. Ob Wei-
ber wirklich gehandelt haben? O, der belei-
digenden Frage! — —
Ohne eine Isabelle wäre America vielleicht
noch nicht entdeckt worden, vielleicht nicht
durch Columbus, oder doch erst spät, und auf
einem entgegengesetzten Wege. Ferdinand
hatte nicht Muth und Entschlossenheit, einem
so kühnen Unternehmen seinen Nahmen zu
leihen, und seinen Schatz zu öffnen. Würde
Cicero ohne die Fulvia die Verschwörung des
Catilina entdeckt, und den Namen eines Er-
halters des Römischen Staates gewonnen ha-
ben? Karl V verdankte es bloſs dem Einfluſs
eines Weibes, daſs seine Donquixotterien einen
besseren Ausgang hatten, als sie verdienten.
Und warum eine gröſsere Aufzählung sol-
cher Begebenheiten, an denen Weiber nicht
bloſs Antheil nahmen, sondern die durch sie
[303] entstanden, durch sie geleitet und ausgeführt
wurden, wo sie nicht bloſs untergeordnete
Dienste leisteten, sondern der Geist waren,
der über den Wassern schwebte, die Seele,
die den Gang der Begebenheiten ordnete und
lenkte! —
Frankreich ist seit zweihundert Jahren
durch Weiber regiert worden; ob gut oder
schlecht, ist ein Umstand, auf den es hier
nicht ankommt. Daſs es schlecht regiert ward,
ist nicht die Schuld der Weiber überhaupt,
sondern jener Weiber, die listig, verwegen
und ehrsüchtig genug waren, die Zügel des
Staates den schwachen Händen zu entwinden,
denen das blinde Glück sie anvertrauet hatte,
oder die in anderen Rücksichten aufgestellt
wurden, und die dann, neben dem schwereren
Geschäfte die lange Weile von einem müſsi-
gen Monarchen zu verscheuchen, auf den Ein-
fall kamen, das ungleich leichtere Geschäft
der Staatsverwaltung zu übernehmen.
Seitdem Semiramis mit rascher entschlosse-
ner Hand das Zepter ergriff, und es mit so vie-
ler Würde als Weisheit führte, haben viele
[304] Weiber, und unter diesen mehrere welche
die Geburt nicht für ein Diadem bestimmte,
den Herrschertitel mit Ehren getragen. Giebt
es nicht Länder, die in ihren Regentenlisten
eben so viele berühmte Namen des einen als
des anderen Geschlechtes aufführen? Wenn
das Cabinet auſser der Ritterin d’Eon keinen
weiblichen Geschäftsträger aufzuweisen hat;
sollte dies wohl die Unfähigkeit des anderen
Geschlechtes beweisen? Bei Allem, was durch
Vernunft erklügelt, durch Dreistigkeit errun-
gen, durch Witz erhascht, durch Gutmüthig-
keit erreicht werden kann, wird die schöne
Welt nicht zurückbleiben; — und wenn feile
Seelen allen Triebfedern dienstbar sind, wer-
den Weiber nie vergessen, was anständig ist —
welches da, wo der Anstand sich das Ansehen
giebt am höchsten getrieben zu seyn, oft
schnöde vergessen wird. Lord Chesterficld soll
bei einer Assemblee auf Voltaire’ns Frage:
halten Sie die Englischen oder die Französi-
schen Damen für schöner? geantwortet haben:
ich verstehe mich nicht auf Gemählde; und
doch wüſst’ ich keinen Hofmann, der sich so
zu
[305] zu schminken verstanden hätte, wie dieser
Mann, der unter den Lords den Gelehrten,
und unter den Gelehrten den Lord machte.
Wer le fin du fin in dem diplomatischen Fa-
che kennt und übt, richtet auf diesem Wege
oft am wenigsten aus — Adler fangen nicht
Fliegen, und der Prätor setzt sich über klein-
fügige Subtilitäten hinweg — Der weibliche
Vortrag ist gemeiniglich mit dem was vorge-
tragen wird, aus Einem Hause; diese Zwei
sind Eins, und nie oder selten findet hier eine
Mésalliance Statt, welches aber zwischen dem
männlichen Vortrage und der vorzutragenden
Sache sehr oft der Fall ist — Wüſsten wir,
was in Cabinetten durch Weiber geschehen
ist: wir würden über die interessantesten aller
Spiele, die Täuschung der Imagination, er-
staunen, wodurch Weiber zu ihrem Zwecke
kamen; wir würden die Kunst bewundern,
mit welcher ein Weib oft den Faden einer
Begebenheit anspann, den sie durch alle
Schleichwege der Intrigue glücklich bis zum
Ziel hinausführte. Eigentlich scheinen sie je-
ner Künste, worauf die Politik heut zu Tage
U
[306] stolz thut, sich bloſs darum zu bedienen,
daſs die Männer mit gleicher Münze bezah-
len können; im Grunde sind sie von Na-
tur aus, weniger als wir mit jenen Schlan-
genwindungen, der Zweideutigkeit, mit je-
ner politischen Falschheit ausgerüstet, die
nach den Regeln der jetzigen Kunst im
Finstern schleicht; und es ist von ihrem Ver-
stande und von ihrem Herzen zu erwarten,
daſs sie die Politik säubern, und ihr zum Bes-
ten der Menschheit mehr Natur und Wahr-
heit beiordnen werden. Mit dem Talent, die
heimlichsten Gedanken eines Andern auszuspä-
hen, und sie in den verborgensten Winkeln
zu ertappen, werden sie den schlauesten Di-
plomatiker überlisten, ohne daſs es Sr. Excel-
lenz gelingt, ihnen ihr Geheimniſs zu
entwenden; und obgleich der Wille der Prin-
cipal-Excellenz, wie ein Taglöhner, oft dem
liederlichsten Weibe verkauft wird: so wird
doch auch der Feinste von den Feinen verge-
bens sie verleiten., ihren Fuſs an einen Stein
zu stoſsen — Nicht bloſs die verliebte Schä-
ferin, sondern auch der Hofmann verbirgt sich
[307] im Gesträuch; allein beide lassen sich zuvor
sehen — Die Kunst vermehrt oft die Schmer-
zen des Kranken, und es giebt eine verkün-
stelte Kunst die in’s Abderitische fällt, wo-
durch unser Geschlecht in der Diplomatik
Glück machen will — Wir verfehlen nicht,
dem Erzengel Michael und dem Drachen eine
Kerze zu widmen — Warum doch so viele
Künste! — Werden Weiber aber bei diesem
Geschäfte den ihnen eigenen Edelmuth aufge-
ben? jene aus Menschenliebe abstammende
Bereitwilligkeit zur Selbstverleugnung? werden
sie je bei der ihnen eigenen Kunst Menschen zu
vernehmen und zu erforschen, aufhören, groſs-
müthig zu seyn und sich selbst zu besiegen?
Nimmermehr! Schwache Männer pflegen
gern boshaften Menschen ihr Zutrauen zu
schenken, schwache Weiber dagegen sich ed-
len Menschen zu überlassen: Weiber hassen
Verrätherei und den Verräther; wir nur,
wenn’s köstlich ist, den Verräther: wir sehen
es gern, wenn dergleichen Leute viel bringen,
und geben uns nur Mühe, daſs sie wenig
oder nichts mitnehmen — Weiber, weit
U 2
[308] hinweg über jene politischen Tiraden, über
jene politischen Metaphern und jenen politi-
schen Salto mortale, wählen die Natur zu ih-
rer Lehrerin, und richten mehr aus, als Ex-
cellenzen durch abgenutzte, verrathene und
verkaufte Kniffe, die den beschrieenen Na-
men Künste bei weitem noch nicht einmal
verdienen —! Können Weiber nicht zeigen
und verbergen, was sie wollen? Haben sie
nicht eine Offenheit, durch die sie mehr, als
durch Zurückhaltung, ausrichten? eine unver-
gleichliche Biegsamkeit der Gedanken, eine
Helle im Ausdruck, eine Geschmeidigkeit im
Urtheil —? Ihr Mienenspiel, ihr Glück und
ihr Verdienst, mit geringen Hülſsmitteln die
gröſsten Wirkungen zu bewerkstelligen — ih-
re Kunst, jedem einen Spiegel vorzuhalten,
worin er sieht, was sie wollen; ihre gelenkige
Zunge, wodurch sie ihren Ideen eine Macht
beilegen, die Alles überwindet: — dies sind
Eigenschaften, wodurch sie alles ausrichten.
Man nimmt nur die Wirkung an sich wahr,
und sieht sich vergebens nach den Ursachen
um, welche die Weiber sehr künstlich zu
[309] verstecken wissen. Schon im gemeinen Le-
ben verwickeln sie mit ihrem Witze alle Cha-
raktere der Gesellschaft auf eine so angeneh-
me Art, daſs man diese ihre Leichtigkeit be-
wundern muſs. Indem sie der Ausdruck zu
verlassen scheint, indem sie ihn aufgeben, fin-
den sie eine überschwengliche Sprache: sie
belauschen kleine Ideen, die der, den sie ge-
winnen wollen, fallen läſst; — sie wissen
auf ein Haar seine Leibgerichte, seine Neigun-
gen, seine Stärke, seine Schwäche; und besit-
zen die groſse Gabe, von Glück und Unglück
Gebrauch zu machen — wie bewunderungs-
würdig! — Unser Geschlecht verstehet es
selten, aus dem Glück, und fast nie, aus dem
Unglück Vortheil zu ziehen und glücklich
durch Unglück zu seyn. —
Der Mangel der Verschwiegenheit, den
man dem andern Geschlechte so oft zur Last
legt, ist nur eine Unart des weiblichen Pöbels;
und der männliche Pöbel macht in dieser
Hinsicht so wenig eine Ausnahme, daſs er
fast schwatzhafter zu seyn scheinet. Weil die
Weiber viel reden, hat man sie der Unver-
U 3
[310] schwiegenheit beschuldiget; allein unser Ge-
schlecht verdient diesen Vorwurf unendlich
mehr; — wenn es voll süſsen Weins oder ver-
liebt ist, fast immer, und auch oft dann,
wenn es sich weder durch Liebe noch durch
Wein erhitzt hat — Nichts kann Manchen
zurückhalten, sogar seine selbsteigene Schan-
de zu entdecken — Kein Soldat kann so be-
geistert von seinen Siegen erzählen, wie ein
Zierling (Élégant) von den seinigen. Hat man
nicht Mirabeau, dem goldenen Munde neue-
ster Zeit, den Vorwurf gemacht, daſs er
nichts verschweigen können? Jene Weigerung
guter Menschen, Alles hören zu wollen, nur
keine Geheimnisse, beweiset, daſs wenige
Menschen zu solchen Depositis sich Treue
genug zutrauen. Viele unseres Geschlechtes
haben so viel selbsteigene Geheimnisse zu
bewahren, daſs sie sich mit fremden Deposi-
tis nicht füglich befassen können; viele sind
niedrig genug, Depositen-Gebühren auf eine
unverschämte Weise zu verlangen — Wer
sich selbst nicht treu ist, und seine eigenen
Unthaten unter die Leute zu bringen für un-
[311] bedenklich hält, glaubt sich, wo nicht recht-
fertigen, so doch entschuldigen zu können,
wenn er seinen Herrn oder seinen Freund
verräth! — Männer sind so fein sich zu
überreden, daſs sie zum Heil und Frommen
eines besseren Menschen das Beichtsiegel bre-
chen können, das auf die Geständnisse eines
minder guten schon gedrückt war! — Man-
cher Richter macht sich kein Gewissen, un-
ter Versicherung des Nichtgebrauchs, Bekennt-
nisse herauszulocken. »Hat denn,» fragt er,
»der Staat nicht mehr Recht auf mich, als
meine Verbindlichkeit?» Du irrest, Verräther!
der Tugend stehet das gröſsere Recht zu.
Die Pflichten gegen das Vaterland heben bei
weitem nicht alle anderen Pflichten auf, und
ein Bürger muſs nie aufhören ein Mensch zu
bleiben. Im Kriege selbst darf man den Vor-
zug nicht aufgeben, ein Freund seines Freun-
des zu seyn! Auch haben die Männer ein
verrätherisches Schweigen, ein Achselziehen
im Gebrauch, die Weise ein halbes Wort zu
sagen, den ersten Buchstaben anzugeben —
Diese Judas-Verrätherei durch einen Kuſs, die-
U 4
[312] ses plauderhafte Stillschweigen, läſst das andere
Geschlecht sich gar nicht zu Schulden kom-
men — Man rede nicht von der Unverschwie-
genheit der Weiber! — —
Noch weniger aber sollte den Weibern
untersagt seyn, an der inneren Staatsverwal-
tung und Staatshaushaltung Theil zu nehmen,
da ihnen gegenwärtig schon im Ganzen die
Verwaltung ihres eigenen Hauswesens anver-
trauet ist, und sie bei diesem, ihnen zugefal-
lenen Pflichttheile, selbst nach dem Zeugnisse
der Männer, sich rühmlichst verhalten. Ge-
wiſs hätten wir alsdann weniger Tyrannen,
die auf festem Grund und Boden Schiffbrü-
chige mit Lust arbeiten sehen, oder die des
Spaſses wegen solchen, die mit den Fluthen
ringen, unter Panken- und Trompeten-Schall
vermittelst einer heilsamen Verordnung Stroh-
halme zuwerfen; weniger Blutigel, die hier
jeden Bissen finanzmaſsig zuschneiden, und
dort den Schweiſs und das Blut der Untertha-
nen ohne Maſs und Ziel verschwenden; —
die sich Mühe geben, dem gemeinen Manne
das Huhn aus dem Topfe herauszurechnen,
[313] welches Heinrich IV ihm alle Sonntage in den
Topf hineinzurechnen Königliche Sorge trug; —
die ihre Administration, wie elende Feldherren
ihre Einnahmen, mit Plünderungen anfangen,
und, um sich aus dem Gerede über neue
Plackerei zu bringen, Redouten und Bälle,
Diners und Soupers geben, und es wie wei-
land Alcibiades machen, der seinem schönen
Hunde Ohren und Schwanz abschnitt — —
Wir hätten alsdann weniger Groſsprahler und
Meister, die gleich vom Himmel fallen, ob
sie schon entweder Colporteurs von alten ab-
getragenen Meinungen sind, welche sie wie
ein Bettelkleid mit einem Flick von Sammet
bereichern, oder aber (trotz jenem Ober-Chi-
rurgus, der sich dienst- und kunsteifrig dahin
auslieſs: hinter die Krankheit muſs ich kom-
men, wenn auch das ganze Regiment darauf
ginge!) eine neue verzweifelte Kur nach der
andern probiren — und das Alles? um reiche
Arme und arme Reiche zu machen — O,
wie viele hochgepriesene Schwachköpfe giebt
es, die Einen Stand auf Rechnung des an-
dern in verhältniſswidrigen Cours bringen,
U 5
[314] damit der eine durch Übermuth, und der an-
dere durch Hungersnoth verderbe! wie viele,
die nichts im Ganzen übersehen können, und
denen es ein leichtes dünkt, aus Deutschen
Franzosen, und aus Pohlen Holländer zu fa-
briciren —! wie viele Finanzblitzer, deren
Aufblitz nur dazu dient, daſs man das Schreck-
liche der Verderbensnacht mit Schauder er-
blicke! — Diese Herren sollten die Ermah-
nung jenes Weisen an einen Frevler beher-
zigen, der bei einem gefährlichen Ungewitter
die Götter bestürmte: — sich still zu halten,
damit die Götter nicht wüſsten, daſs er hier
wäre. — Nehmt das Triumvirat unserer au-
ſserordentlichen Minister, des Grafen Struen-
see, Pombals, Neckers; — und das sollte kein
Weib thun, was diese Excellenzen thaten?
Wer dem weiblichen Geschlechte die Fä-
higkeit abspricht, das Ganze zu übersehen.
Anordnungen für Königreiche zu treffen, sie
im Groſsen auszuführen, weit aussehende Plane
zu umfassen, und kurz, ihre Begriffe bis zum
Allgemeinen zu erheben, der verräth wenig
Weltkenntniſs, und schlieſst von den Geschäf-
[315] tendes Detail — denn gröſstentheils werden
bloſs diese den Weibern jetzt anvertrauet — auf
ihre Fähigkeit. Und wie? soll es denn bei
diesen Geschäften nicht auch subalterne Köpfe
geben, da Arbeiten dieser Art bei unsern jetzi-
gen Einrichtungen überall existiren? Wo es
Feste oder Erhöhungen gewisser Tage des ge-
meinen Lebens giebt, da müssen auch Werk-
tage seyn — Nur alle sieben Tage ist ein
Sonntag — Weihungen gewisser Lebens-Mo-
mente zu einem vorzüglichen Lebensgenusse
setzen auch gewöhnliche Tage voraus. Und
sind wir denn lauter Sonntagskinder? — Be-
wunderungswürdig ist das Talent zu rechnen
selbst bei gemeinen Weibern, ob sie gleich
sich über unsere Rechnungsmethode wegsetzen,
und oft ihre eigene Arithmetik auch alsdann
noch beibehalten, wenn sie nach der gewöhn-
lichen Schulmethode zu den Geheimnissen der
Zahlen zugelassen worden sind. Ihre Kanze-
lei ist mir, bei aller ihrer Unregelmäſsigkeit,
schätzbar, wenn gleich Keuschheits-Procura-
toren noch nicht einig sind, ob und in wie
weit das Schreiben dem weiblichen Geschlechte
[316] nützlich oder schädlich sei. Giebt es nicht
Männer genug, die ihre Töchter nicht anders
zu bewachen wissen, als daſs sie ihnen Tinte
und Federn untersagen?
Storch, ein neuer Reisender, fand, nach
seinen Bemerkungen über Frankreich, in der
Schule des berühmten Tachygraphen Coulon
de Thévenot zu Paris Mädchen, unter denen
es einige in der Kunst geschwind zu schrei-
ben, zu einer erstaunenswürdigen Fertigkeit
gebracht hatten. Heiſst das nicht mehr als
Orthographie und Kalligraphie?
Vieles in der Stadt- und Landwirthschaft
hat man bis jetzt als unbedeutend behandelt;
viele Hausthiere sind lange nicht in dem ge-
hörigen Maſse genutzt und im Ertrage in An-
schlag gekommen, und überhaupt ist das anzu-
bauende Feld nicht klein, welches auf Weiber-
köpfe und Hände wartet, um urbar zu werden
— Fast möcht’ ich sagen, die Ökonomie sei
weiblichen Geschlechtes, und vorzüglich die,
welche ins Groſse geht — Wie wir doch Al-
les so meisterhaft — wie soll ich sagen? — um-
zukehren oder zu verkehren gewuſst haben!
[317]
Und du, heilige Justiz! unübersteiglich dem,
der dich, wie der Pilger die Alpen, ohne Al-
penschuhe, Stab und Führer ersteigen will!
mystische Aristokratie, die du dich oft zwi-
schen Fürsten und Volk stellest — angeblich
um Mittler- oder Mäkler-Dienste zwischen
beiden zu üben, eigentlich aber um beide zu
beherrschen — darf ich es wagen, dich um
Audienz zu bitten? Zwar weiſs ich, wie edel
dir deine Zeit ist, um dich nach einem drei-
stündigen Sessionsschlaf zu erholen, und zu
einer abermaligen Sessionsruhe neue Kräfte
zu sammeln; doch will ich dich gewiſs weni-
ger aufhalten, als du alle deine Partheien auf-
hältst — Die Beobachtung der Natur hat
den gröſsten Meistern in den schönen Künsten
die Regel zugeführt: daſs wenige und einfache
Zeichen, wenn sie mit Weisheit gewählet
werden, eine kräftigere Wirkung thun, als
durch eine verschwenderische Häufung zweck-
los gewählter Zeichen möglich ist. Darf ich
so frei seyn, diesen Umstand der gesetzgeben-
den und gesetzübenden Justiz zur Erwägung
zu empfehlen? Hume ging von seinem Freun-
[318] de Jortin, einem Geistlichen, mit dem er über
natürliche und geoffenbarte Religion einen
Wortwechsel gehabt hatte; und da der Phi-
losoph nicht zugeben wollte, daſs der Geist-
liche ihn begleitete, fiel er. Der Geistliche,
der ihn fallen hörte, kam ihm mit seinem
Lichte zu Hülfe, und machte ihn mit den
Worten verdrieſslich: »Habe ich Ihnen nicht
»oft gesagt, lieber Freund, daſs Sie Sich nicht
»zu viel auf eigene Kräfte verlassen sollen,
»und daſs das natürliche Licht nicht hinreicht?»
Die natürliche Religion verlor durch diesen
Fall Hume’ns nur eben so viel, wie die geof-
fenbarte durch das Licht Jortin’s gewann; al-
lein die Justiz verliert durch den Umstand,
daſs auch die ersten ihrer Officianten sehr oft
nicht wissen, wie sie mit ihr daran sind —
Sie fallen mit und ohne Licht, mit und ohne
Begleitung; und ich weiſs nicht, woran es
liegt, daſs Niemand recht weiſs, was Rechtens
ist. Ihre Sentenzen, welche die Sache lösen
wollen und sollen, sind gemeiniglich neue
Räthsel, die sie aufgeben; und doch gehören
viele Sächsische Fristen und viele doppelte
[319] Sächsische Fristen dazu, ehe man die hochlöb-
lichen Herren zum Stehen bringt; und wie
viele Fristen verlaufen nicht, ehe sie zum
Sitzen kommen! Die Justiz war zu jeder
Frist eine dürftige Krücke, an welcher der
Staat hinkte, und noch obendrein von so
schadenfroher und bösartiger Natur, daſs sie
auch selbst dem, der sich zutrauensvoll auf
sie stützte, die Hand durchbohrte. Wie oft
sind ihre Urtheile vergiftete Hostien, die
man bei groſsem Pomp des Hochamts em-
pfängt. — — In ihrer goldenen Zeit ist die
Justiz ein Guckkasten, worin schöne Raritäten
und schöne Spielwerke zu schauen sind —
Es gab von jeher unter den Juristen Élégants;
und wer hat nicht von der eleganten Juris-
prudenz reden gehört? Auch der einsichts-
vollste Jurist wird in eigenen Angelegenheiten
nicht wissen, was er zu thun und zu lassen
habe, um etwas Rechtbeständiges zu unterneh-
men; und so scheint die gar zu groſse Kunst
der Justiz dem Menschen, den Gott aufrichtig
gemacht, völlig unangemessen zu seyn.
Sollte sich einst die bürgerliche Verbesse-
[320] rung der Weiber bis auf die Rechtspflege er-
strecken, und das Recht aufhören, ein Mono-
pol einer besondern besoldeten Männer-Klasse
zu seyn; nur alsdann wird man anfangen ein-
zusehen, daſs Rechtspflege nicht heiſst, im
Orakelton unverständliche Formeln hersagen,
die nur wirksam sind, weil neben der Wag-
schale auch das Schwert liegt, sondern daſs
sie sich bemühen muſs, die Partheien über
Recht und Unrecht zu belehren und zu über-
zeugen, wenn sie einen Theil der Ehre ver-
dienen will, die sie sich jetzt so gränzenlos
und machtvollkommen beilegt. Man sagt:
Necker sei tugendhaft, um damit prahlen zu
können; la Fayette sei es, um es zu seyn
und nicht zu scheinen. Würde dies nicht
der Fall mit Richtern aus der weiblichen und
männlichen Klasse seyn?
Schon fängt der Gedanke an sich je länger
je mehr zu regen, daſs nur Gleiche zwischen
Gleichen entscheiden können, wenn Recht
nicht ein todter Buchstabe bleiben, sondern
ein lebendiger werden soll. Würde es indeſs
nicht schreiendes Unrecht seyn, bis dahin,
und
[321] und ehe jener glühende Funke in der Asche
zum Feuer ausschlägt, den Weibern die Rich-
ter- und Schöppenstühle zu verschlieſsen?
Man behauptet in England: unbesoldete, dem
Beklagten gleiche, von ihm anerkannte, nur
auf eine kurze Zeit zum Wohl der Mitmen-
schen und nicht schnöden Gewinnstes oder
eitler Ehre halben berufene, einstimmige Rich-
ter, oder Geschworne (Juries), wären eine
Schutzwehr der bürgerlichen Freiheit, und
eine unüberwindliche Festung, wenn gleich
die Künstelei der politischen Maschine bis-
weilen zu gesucht seyn sollte, wenn gleich in
ihrem Räderwerke zu viel oder zu wenig Zu-
sammensetzung Statt fände, wenn gleich in
der Vertheilung der Gewalt, in der Repräsen-
tation des Volkes, und in der Abtheilung der
Stände Organisations-, Schwachheits- und
Bosheitsfehler wären — Jene Justiz-Verwal-
tung allein würde schon, was schwächlich ist,
beim Leben erhalten, und nichts erschöpfen
lassen, was zum Vortheile und zum Glanze
der Nation einen Beitrag liefern kann. In
der That, auch im monarchischen Staate
X
[322] könnte durch eine ähnliche Justizverwaltung
Alles einen andern Schwung bekommen, und
so Manches belebt werden, was jetzt gelähmt
ist — Monarch und Volk würden gewinnen.
Wie aber, wenn sogar das andere Geschlecht
an dieser Rechtspflege Antheil nähme, wenn
nicht bloſs durch gute Männer (arbitros), son-
dern auch durch gute Weiber, Zank und Streit
beigelegt oder entschieden würde? müſste da
die Justizverwaltung nicht noch vollkommener
werden? Menschen, die bloſs gesetzlich sind,
haben keine Haltung; — es sind im eigentli-
chen Sinne bloſs unnütze Knechte, die zwar
thun, was ihnen geboten ist, allein damit
nichts Gutes stiften — Die Gesetze und die
Leidenschaften sind oft so verwandt, daſs der,
welcher der Vernunft und dem Gewissen (der
praktischen Vernunft) nicht folgt, bei aller po-
sitiven Gesetzlichkeit nicht selten ein verdor-
bener Mensch ist — Wer kann hierauf ge-
nauere Rücksicht nehmen als das andere Ge-
schlecht? wer es mehr empfinden als Weiber,
daſs der Zwang, durch den Andere eben so
frei werden, die Probe der wahren Freiheit
[323] sei? — Trockne und ungekünstelte Wahrheit
gilt in der Geschichte und überall mehr, als
eine noch so glänzend scheinende Falschheit.
Jener medicinische Pfuscher, der einen König
von einem Quartanfieber befreiete, welchem
alle kunstverständige Ärzte, ihrer hohen und
tiefen Gelehrsamkeit ungeachtet, nicht gewach-
sen waren, antwortete, als er par ordre du
Roi den Doktor-Hut erhalten sollte, und
der Form halben examinirt ward, auf die Fra-
ge: »was ist das Fieber?» eine Krankheit, die
Sie, meine Herren, sehr geschickt zu definiren,
und nicht zu curiren verstehen, und die ich
nicht definiren, wohl aber curiren kann —
Die evidente Vernunft ist eine Mitgift, welche
die Natur allen Menschen in gleichem Maſse be-
willigt hat. Der allergemeinste Grundsatz des Na-
turrechtes, mit dessen Ausübung Zwang unwider-
sprechlich verbunden werden kann, ist das Gesetz:
verhindere, daſs die Vollkommenheit aller
Menschen nicht gemindert werde;
und liegt in dem höchsten Material-Gesetze
der Sittlichkeit:
vervollkommne alle Menschen.
X 2
[324]
Ist Vollkommenheit nicht die höchste Stufe
der Ausbildung aller Kräfte zu einem Ganzen?
Ich will es hier mit keiner Schule verderben;
denn meine Absicht ist nicht, nach väterlicher
Weise der Richter- und Philosophenstühle,
durch Zank und Streit die edle Zeit des Han-
delns zu versäumen. Darf ich indeſs, um die
Justiz zu überzeugen, daſs sie mit sich selbst
uneins ist, noch beiläufig bemerken, daſs die
Vollkommenheit aller Menschen mir der
Zweck der sittlichen Gesetze zu seyn scheint?
Und was will man mehr als diese höchste
Ausbildung? Sollten indeſs Gesetze nicht auf
alle Menschen ausgedehnt werden? Kann man
ein vernünftiges Wesen bloſs als Mittel zu hö-
heren Zwecken ansehen? Jener allgemeine
materielle Grundsatz ist und bleibt ein Kenn-
zeichen der Form aller Sittlichkeit, gemäſs der
allgemein geltenden Gesetzmäſsigkeit und ihrem
obersten Grundsatze: die Vorschriften, nach
denen du handelst, müssen so beschaffen seyn,
daſs sie allgemeine Gesetze werden können.
Verschlag’ ich zu weit, oder kann unsere
neue Philosophie nicht ein Tribunalsausspruch
[325] meiner Vorschläge werden? Eine gute Ge-
setzgebung ist sicher das Meisterstück des
menschlichen Geistes; und wer aus Kenntniſs
unserer Natur weiſs, daſs die Sitten der Na-
tionen ihre Bildung gröſstentheils der Wirkung
der Gesetze zuschreiben müssen, wird es mir
nicht verdenken, daſs ich unsere Juristen etwas
weiter zurückführe, als diese Herren vom ge-
wöhnlichen Schlage zu gehen gewohnt sind.
Schon da, wo die Weiber jetzt das Richteramt
führen, in gewissen causis privilegiatis, zeigen
sie sich als Meisterinnen in ihrer Art, und
beschämen ihre Männer, die gemeiniglich Alles
verderben, sobald sie es sich herausnehmen,
Stellvertreter ihrer Weiber seyn zu wollen —
Man sagt: Weiber wären hart; allein läſst
sich die Justiz in Gefühle auflösen? sie wären
zu peinlich bei ihrer Nachforschung; allein
kann man es zu sehr seyn, wenn es Schuld
und Unschuld der Menschen gilt? Es fehlt
den Weibern selbst nicht an Gedächtniſs, um
eine Legion Gesetze zu behalten, noch an
Geduld, die ewigen Klagen und Schutzreden
der Partheien anzuhören, und in einem feinen
X 3
[326] guten Herzen zu bewahren; nicht an Beredsam-
keit, um den Sturm der Partheien zu besänf-
tigen und die Fluth der Rede in ihr Ufer zu-
rück zu weisen — Wie geschickt würden sie
zu Versuchen der Sühne seyn! — Überra-
schung ist der natürliche Ersatz für alle unan-
genehme Verwirrung, ohne die sie nicht zu
erhalten war; allein ist dies der Fall bei un-
sern richterlichen Sentenzen? sind sie nicht
gemeiniglich ein neues verwickeltes Knäuel?
wechselt nicht Verwirrung, bis endlich die
dritte Instanz, gemeiniglich durch einen Macht-
spruch (so sehr auch dies Wort bei den Her-
ren Juristen gehaſst und verfolgt wird) aller
Fehd’ ein Ende macht? —
Bis jetzt hatten die Weiber kein anderes
ernsthaftes Geschäft als Liebesangelegenheiten.
Freilich, wenn sie auf einmal, wie vom Him-
mel gefallen, ohne Vorbereitung, ohne ihnen
bewilligte bürgerliche Rechte, und ohne daſs
man ihnen auf politische Köpfe und Füſse
hilft, sich in Staatssachen werfen — ist es
Wunder, wenn sie, nach einem Französischen
Viso reperto, zwar die hysterischen Zufälle
[327] verlieren, indeſs in noch ärgere fallen? Ernst-
hafte Sachen sind ihnen zu schön und zu er-
haben, als daſs sie nicht Alles dieser köstli-
chen Perle halben veräuſsern sollten. Zarte
Fasern, die man pflegen und warten soll, muſs
der Gärtner nicht zerreiſsen; bei einer schein-
baren Ermattung, oder bei einem zu starken
Auswuchs, kann er nicht, ohne ein Miethling
zu seyn, jene sich hervordrängenden Zweige
abschneiden, die so leicht zu besseren Zwek-
ken zu leiten gewesen wären — Er läſst sie
in die Höhe schieſsen oder zur beschützenden
Krone gedeihen — Man mäſsige bei dem
andern Geschlechte die zu starke Neuheit;
man bringe Weiber mit mehr ernsthaften Sa-
chen, und zwar allmählich, in Verbindung:
und hysterische und andere angeblich ärgere
Übel, Leibes und der Seele, Gutes und Ehre,
sind gehoben. Die Pfeifer und Geiger wurden
auf der Stelle verabschiedet, als Jairi Töch-
terlein von den Todten erweckt werden soll-
te — Selbst die Bevölkerung müſste hierbei
zunehmen; »es verlohne zu leben,» würden
die Weiber denken. Und wie ging es in aller
X 4
[328] Welt zu, daſs man bis jetzt den Vortheil der
Menschheit so sehr verkannte? daſs man die
Weiber als abgeschiedene Seelen in einem
Psychodocheum hielt, und sie nie zum wirk-
lichen, sondern bloſs zu einer Art von Leben
berechtigte? — zu einer Art von Ritterleben
von trauriger Gestalt! — Viele Züge würden
mehr gehoben, andere sanfter gemischt wer-
den; man würde uns nicht so oft statt eines
Nachtstückes die Nacht mit schwarzen Farben
verkaufen; nicht so oft aus bloſser Angst und
Furcht ein Held seyn; nicht so viele Rechts-
glücksgreifer und Marionettenspieler in den
Gerichten finden, nicht so viele flache, mit
groben Farben überladene Richter und An-
wälde und wie die Herren weiter heiſsen —
wenn Weiber an der Rechtsverwaltung Theil
hätten. Sind unsere praktischen Rechtsgelehr-
ten nicht gemeiniglich Feinde des Warum?
Ist das Verdienst des gröſsten Theils von ih-
nen nicht, Urtheile in Umlauf zu bringen,
die man ein Spielzeug des Gewissens nennen
könnte —? Urtheile, die oft das gerade Ge-
gentheil von jener inneren Gerechtigkeit sind.
[329] bei der Jeder, wenn er auch gleich durch alle
drei Instanzen verloren hätte, sicher seyn
kann, daſs er nach Gefühl und Einsicht der
gesitteten unpartheiischen Welt gewinnen und
das Feld behalten werde! — Sind die mei-
sten Dikasteria nicht Säulenreihen, die nichts
Wichtiges zu tragen haben, und wo man un-
bedeutende Gegenstände mit Verzierungen
überladen hat? Der sichere Ehrgeitz ist weit
unausstehlicher, als der, welcher sich vor
List und Nachstellung fürchten muſs — Die
Römer waren, als Staat genommen, keine
sonderlichen Financiers; und oft hat mich der
sündliche Gedanke angewandelt, ob nicht mit
darum Juristen und Financiers einander so
spinnenfeind wären, bis auf den heutigen Tag.
Würden Weiber an der Finanz- und Rechts-
verwaltung Antheil nehmen — ich wette, die-
ser Haſs zwischen Herodes und Pilatus müſste
aufhören, und beide Theile mehr zu Gesin-
nungen der Menschheit kommen, da jetzt die
Herren Financiers oft ins Recht pfuschen, und
die Justiz es so wenig bedenklich findet, eine
Art von Finanz-Operation zu werden — daſs
X 5
[330] die Juristen oft genug die Furierschützen des
Finanz-Departements sind. —
Themis! weibliche Gottheit, öffne deine
Heiligthümer deinem Geschlechte, und du
wirst Wunder sehen, ohne daſs du dich be-
mühen darfst, sie zu thun —!
Während daſs wir unsere Hände nach Al-
lem ausstrecken, nicht zufrieden über die See-
len der Weiber à la Padischalt zu gebieten,
sondern auch an ihren Körpern zu Helden zu
werden, zwingen wir das andere Geschlecht,
auch auf die Heilkunde Verzicht zu thun, zu
der es einen unwiderstehlichen Hang hehaup-
tet. Und warum ist die Heilkunde in ihrem
weitesten Umfange nicht eine freie Kunst der
Männer und Weiber? Fühlen die Weiber
nicht so lebhaft, daſs die Natur sie ganz ei-
gentlich zu diesem Geschäfte berufen hat?
treiben sie nicht, trotz allen Anordnungen,
aller Aufsicht und allen Strafen, dieses ihnen
so strenge verbotene Handwerk? und haben
sie sich nicht — was noch sonderbarer ist —
dabei so gar einen Nahmen zu erwerben Gele-
genheit gehabt? Frau * * auf * * curirt
[331] ihr Haus und ihre Unterthanen, aller Recepte
von Scheltworten und Drohungen der kunster-
fahrnen Facultisten ungeachtet, und kann sich
nicht mit der gestrengen Rechtsgläubigkeit die-
ser Herren einverstehen, wenn gleich diese
Eiferer für des Herrn Haus sich viele gelehrte
Mühe geben, in Rücksicht anderer unbedeu-
tender Ärztinnen, ihre Orthodoxie inquisito-
risch zu beurkunden — Hüten Sie Sich, gnä-
dige Frau, daſs Sie nicht über Hals und Kopf
in ähnliche Anfechtung fallen, und wegen ih-
rer kunstlosen Arzeneien verantwortlich wer-
den! — In einigen Spanischen Provinzen
barbieren die Weiber, und Marquis de Langle
setzt hinzu: so sollt’ es eigentlich und überall
seyn, denn ihre weichen sanften und fleischi-
gen Hände taugen weit besser als unsere, das
Kinn einzuseifen und das Messer zu handha-
ben. — In den Entscheidungsgründen kann
ich diesem Weiberschutzpatron nicht beistim-
men; wohl aber in der Behauptung selbst —
Jene nicht ungerechte Befürchtung des Meu-
chelmordes würde, wo nicht aufhören, so
doch auſserordentlich geschwächt werden, wenn
[332] das andere Geschlecht diese gefährliche Kunst
triebe. Die Anlage des andern Geschlechtes
zur Arzeneikunst und Chirurgie beweiset un-
widerlegbar seine vorzügliche Beobachtungsga-
be. Nicht leicht entgehet seiner Aufmerksam-
keit auch nur die kleinste vorübergehendste
Veränderung der Farbe, der Mienen, des Au-
ges — Jede, auch die unbeträchtlichste,
krampfhafte Bewegung der Muskeln weiſs sein
Blick zu erreichen. Sein Takt ist zarter und
feiner, und auch da noch fühlt es Pulsschlä-
ge, wo der Arzt, wegen seines gröberen Ge-
fühls, nichts mehr bemerkt. Der leiseste
Hauch entgeht den Weibern nicht; sie verneh-
men noch das Wort, das auf der Lippe zit-
terte und starb, und oft verstehen sie die Ge-
danken — Am praktischen Urtheil, von ihren
gesammelten Beobachtungen Gebrauch zu ma-
chen, fehlt es ihnen sicher nicht — Schon
jetzt bei dem kargen Vorrath von Kenntnissen,
und ohne allen Beistand der Kunst, überneh-
men sie Kuren, die dem erfahrensten Arzte,
wo nicht lauten, so doch stillschweigenden
Beifall abzwingen. Wie viel weiter würden
[333] sie seyn, wenn ihnen der Zugang nachgelassen
wäre, den ihnen ein neidischer Zunftgeist bis
jetzt vorenthielt! Würden ihnen das Heilig-
thum des Epidaurischen Gottes, und die un-
ermeſslichen Schätze der Natur aufgethan und
sie in die Geheimnisse der Kunst als Prieste-
rinnen eingeweihet; wie viel wäre für das
menschliche Geschlecht gewonnen! da hin-
gegen jetzt die groſse Angelegenheit, die Ge-
sundheit des Menschen, sich immer in sehr
miſslicher Lage befindet, indem viele von un-
seren Ärzten sich nicht begnügen, Diener der
Natur zu seyn, sondern sich zu gestrengen
Herren derselben aufwerfen — Wo wir doch
überall Herren seyn wollen! Die Arzeneikunst
aller, der Natur nahe kommenden Menschen
ist so einfach und so stark, daſs sie mit we-
nigen Mitteln alle Krankheiten heilt, so wie
Brot die tägliche Schüssel auf allen Eſstischen
ist. Die Natur ist so gutmüthig, daſs sie uns
durch Krankheiten gesund machen will —
Unpäſslichkeit ist ein Glockenschlag, wodurch
wir zum Buſstage aufgefordert werden — Die
Natur macht uns aufmerksam auf uns selbst —
[334] und will uns damit locken, daſs wir glauben
sollen, sie sei unsere liebe gute, unsere rechte
Mutter. Und ist sie das nicht? — Der
Schmerz? Ach, dagegen lieſse sich noch viel
sagen. In der That, die Natur scheint mit
dem Schmerz ihr Spiel zu treiben. Es giebt
Fälle, wo der Schmerz mit der Gefahr in
keinem Verhältnisse steht — Zahnschmerz-
vorfälle, in welchen das Leiden weit gröſser
ist, als die Gefahr; und so auch umgekehrt —
Vielleicht wollte die Natur uns lehren, uns
aus dem Schmerze überhaupt nichts zu ma-
chen und ihn nie auf einen ernsten Fuſs zu
nehmen. Mache was du willst, sagte ein
Stoiker zum Schmerz, (ob er sich gleich nicht
entbrechen konnte, mit den Zähnen zu knir-
schen) ich werde doch nicht sagen, daſs du
ein Übel bist! und man sage was man will,
es liegt in unserm Reden mehr als Ein Lin-
derungsmittel. Wenn wir dem Schmerze
freundlich zureden, scheint er Mitleiden mit
uns zu haben; und wenn wir ihm trotzen,
scheint er sich zu fürchten. Wer den Schmerz
in Schimpf oder Ernst übersieht, und sein
[335] unverwandtes Seelenauge mit strenger Auf-
merksamkeit auf einen andern Gegenstand hef-
tet, spielt dem Schmerz einen Streich, daſs
er nicht weiſs, wie er daran ist. In allen
diesen Rücksichten ist vom andern Geschlechte
mehr, unendlich mehr, als vom unsrigen zu
erwarten — Ein gewisses Segensprechen, ein
gewisses Hohnsprechen, ist ihm eigen — Man
seh’ es leiden, man seh’ es mitleiden, und
Beileid bezeigen — man hör’ es Trost und
Muth zureden —
Wie viel eine vernünftige Lebensordnung
zur Erhaltung der Gesundheit beiträgt, und
welch ein bedeutendes Hauptstück hier Speise
und Trank ausmachen; wie vieles dabei auf
wahre Zubereitung ankommt: das sind Um-
stände, von denen jeder überzeugt ist; und
doch wird dieser wichtigste und eigentlichste
Theil der Arzeneikunst ganz dem weiblichen
Geschlecht überlassen, ohne ihm die geringste
Kenntniſs von dem zu lehren, was es zuberei-
tet, noch wie es dasselbe zubereiten muſs,
wenn die thierische Maschine unterhalten und
nicht zerstöret werden soll — Vielleicht wür-
[336] de es durch Vermittelung der Weiber dahin
kommen, daſs Speise und Trank zu unserer
Medicin würden, daſs wir Medicin nicht mehr
einnehmen dürften — Wird nicht die Hälfte
ihrer Wirkung durch den Ekel eingebüſst,
den das Einnehmen veranlaſst? Kurz und
gut, das zahllose Heer von Processen und
Krankheiten würde vermindert werden, wenn
Weiber Richter und Ärzte wären. Ist es nicht
leichter, manchen Krankheiten auszuweichen,
als sie zu heilen? ist es nicht heilsamer für
den Staat, wenn weniger seiner Bürger von
Krankheiten heimgesucht werden, als wenn
ihnen durch die Kunst der Ärzte die Gesund-
heit wiedergegeben wird? Ist das auch wirk-
lich Gesundheit, was diese Herren den Kran-
ken dafür verkaufen? Wahrlich, eben so we-
nig, wie das Gerechtigkeit ist, was wir in
unsern Gerichtshöfen sehr theuer bezahlen —
Väter des Staats, errichtet, statt klinischer
Institute, Schulen für die Weiber, wo das,
was zum Unterhalt und zur Nahrung des
Menschen dienen soll, näher geprüft und
untersucht wird; wo sie gelehrt werden, Speise
[337] und Trank auf eine unschädliche und schmack-
hafte Weise zu bereiten, und das Leben und
die Gesundheit der Staatsbürger zu sichern.
Aber auch selbst in moralischer Rücksicht
wäre es den Sitten, und dem Staate, dem die
Sitten seiner Bürger vorzüglich zu Herzen ge-
hen müssen, vortheilhaft, wenn den Weibern
gestattet würde, Arzeneikunde zu üben.
Weibliche Ärzte müſsten sich weit eher
das Zutrauen bei den Kranken ihres Geschlech-
tes erwerben. Diese würden ihre Gebrechen
leichter und mit weniger Zwang entdecken,
und jene, aus Erfahrung mit der Natur und
Beschaffenheit des weiblichen Körpers, mit
seiner periodischen Ausleerung bekannt, siche-
rer dem Übel nachspüren, rathen und helfen
können. Dann würden weibliche Krankheiten
nicht mehr die Schaude der Ärzte seyn, und
vielmehr eine Vollkommenheit in der Kunst
erreichet werden, in so fern Vollkommenheit
zu erreichen ist —.
Schamhaftigkeit, diese Tugend, die das
andere Geschlecht so herrlich kleidet mit
der, wenn sie verloren ginge, alle Grazien
Y
[338] und Reitze ihre Kraft verlieren würden; sie,
die durch nichts ersetzt wird — ist sie nicht
oft die Ursache, daſs Mädchen Gebrechen so
lange verheimlichen, bis dieselben nicht mehr
zu heben sind? oder daſs sie lieber mit Gefahr
ihres Lebens auf die Hülfe der Kunst Verzicht
thun? Wie manche hat eine Entzündung in’s
Grab gebracht, die, wenn sie weniger scham-
haft gewesen wäre, im Augenblick hätte ge-
rettet werden können —! Wie viele büſsen
nicht durch schwere Geburten ihr Leben ein,
die es erhalten und dem Staate noch viele
Bürger geschenkt haben würden, wenn Ge-
burtshülfe eine weibliche Kunst wäre, wenn
man den Hebammen nicht bloſs das Mecha-
nische dieser Kunst überlieſse, das Wissen-
schaftliche derselben aber sehr weislich den
Männern vorbehalten hätte! Ist es bei diesen
Umständen ein Wunder, daſs in London und
Dublin von Frauen, die sich durch Hebammen
entbinden lassen, Eine unter 70, und von de-
nen, die sich der Aufsicht männlicher Ge-
burtshelfer bedienen, nur Eine unter 140 im
Wochenbette stirbt? In der That, es bleibt
[339] unsittlich, daſs ein Eheweib ihren Körper vor
irgend einem Manne, den ihrigen ausgenom-
men, entblöſst! Verscheucht dergleichen Über-
windung der Schamhaftigkeit nicht Alles, was
man Ehrbarkeit nennen kann? Wie viele
Villacerfsche Fälle mögen, ohne daſs sie ver-
zeichnet sind, sich ereignet haben, wo ein
Arzt im verliebten Taumel nicht wuſste, was
er that! wo er, um ein Weib zu verführen,
oder ein Mädchen zu gewinnen, die Kur ver-
längert, sie anders lenkt, und oft bloſs in die-
ser Rücksicht einen langsamen oder schleuni-
gen Tod, ohne daſs er es dazu anlegte, beför-
dert! Und wenn man weiſs, was Eifersucht
vermag, wer zittert nicht bei diesem Gedan-
ken und bei der Einrichtung, nach welcher
man dem Arzte so viel anvertrauet, ohne selbst
nur den leidigen Trost zu haben, durch drei
Instanzen seinen Proceſs zu verlieren!
Woher kommt es, daſs der so wichtige
und über alles gehende Widerstreit zwischen
Wohlstand, Sitten und Bedürfniſs bis jetzt
übersehen worden ist? Hat man ihn aber
nicht übersehen, warum ist denn dieser Miſs-
Y 2
[340] stand, dem so leicht abzuhelfen war, unabge-
holfen geblieben? Man kann sich bei der-
gleichen Umständen des zudringlichen Gedan-
kens nicht erwehren, das moralische und phy-
sische Wohl der Bürger sei nicht das, womit
die Staats-Piloten sich zu beschäftigen schei-
nen. In der That, Glück und Zufall sind es
gemeiniglich, welche Bahn und Fahrt bestim-
men; denn es giebt der hier einschlagenden
Unschicklichkeiten noch weit mehr, von wel-
chen der Staat keine Notiz nimmt, ungeach-
tet sie einer ernstlichen Rüge bedürfen, und
ungeachtet es federleicht seyn würde, diese
Quellen so mancher unmoralischen Folgen zu
verstopfen — Noch bedient man sich der
Tanz- und Singemeister, um dem Frauer-
zimmer Tanz und Musik beizubringen, und
scheint es entweder nicht zu wissen oder
nicht wissen zu wollen, wie nahe die weibli-
che Tugend hier der Gefahr ist, wie Manche
diesen Versuchungen nicht widerstanden und
als Opfer fielen.
Man läſst es geschehen, daſs Männer Wei-
berköpfe putzen, und ahndet nicht, was hier
[341] für Gedanken geweckt, was für Bilder aufge-
regt und was für Begierden gereitzt werden.
Man vergiſst, daſs die Gattin und Tochter
müſsig sitzen, daſs das Wühlen in den Haa-
ren einen gewissen physischen Kitzel, wo
nicht bei beiden, so doch bei Einem Theile
erregt; man übersieht gewisse Stellungen, die
einen aufmerksamen Beobachter viel errathen
lassen. Zwar hat man angefangen, diese Ge-
schäfte weiblichen Händen zu übertragen; al-
lein noch ist dies eine Seltenheit und eine
ökonomische Veranstaltung. Ein kleinlicher
Bewegungsgrund, wo es doch deren so viele
und so wichtige giebt.
Auch die weibliche Kleidung sollte durch
Weiber angemessen und gefertiget werden.
Die Manipulation eines männlichen Schneiders
und Schusters ist unschicklich. Wär’ es dem
Staate Ernst, die groſse und edle Hälfte sei-
ner Bürger nützlich zu beschäftigen; fühlte er
die groſse Verpflichtung, diejenigen, welche
die Natur gleich machte, auch nach Gleich
und Recht zu behandeln, ihnen ihre Rechte
und mit diesen persönliche Freiheit und Unab-
Y 3
[342] hängigkeit, bürgerliches Verdienst und bürger-
liche Ehre wiederzugeben; öffnete er den
Weibern Cabinette, Dikasterien, Hörsäle,
Comptoire und Werkstätten; lieſs’ er dem
vermeintlich stärkeren Manne das Monopol
des Schwertes, wenn der Staat sich nun ein-
mal nicht ohne Menschenschlächter behelfen
kann oder will; und machte er übrigens unter
beiden Geschlechtern keinen Unterschied, so
wie die Natur es wollte, und wie die bürger-
liche Gesellschaft es auch wollen sollte,
wenn sie sich nicht etwa ihrer natürlichen
Herkunft schämt: so würden Staatswohl und
Staatsglückseligkeit sich überall mehren, die
Menschen wachsen wie die Weiden an den
Wasserbächen, und die Menschheit ihrer
groſsen Bestimmung mit schnellen Schritten
zueilen —
Doch! ich wollte nur Winke geben, und
verdiene vielleicht den Beinamen, den man
Burke’n zu einer gewissen Zeit beilegte: the
dinnerbell, die Eſsglocke, weil die meisten Par-
lamentsglieder, wenn er zu peroriren anfing, das
Haus verlieſsen. Die Wahrheit bedarf keiner
[343] Schminke, und wer der Schönheit wegen
schreibt, unterwirft sich dem Schicksal ei-
niger Damen unserer verderbten Zeit, die
sich weit lieber erkälten, als dem Putze das
Mindeste von seinen modischen Rechten ent-
ziehen. Will man etwas in seinem ganzen
Umfange, in seiner ganzen [Stärke] genieſsen,
so entferne man alles Fremdartige, und mache
es wie groſse Esser, die, auſser dem Geschmack,
den übrigen Sinnen in ihrem Eſssaale den Zu-
tritt nicht verstatten. Selbst weite Aussicht,
Tafelmusik, unterhaltende Gespräche entkräf-
ten ihr Vergnügen — Still essen sie, und
Alles hat bei ihnen seine Zeit — Alles was
kolossalisch in’s Auge fällt, ist schwächlich.
Wer Menschen vergöttert, macht weniger aus
ihnen, als sie von Gottes- und Naturwegen
seyn können. Immerhin Gott, nur kein Mensch,
hieſs es von Höchstseligen Tyrannen — De-
tail-Vorschläge geben sich von selbst, wenn
nur der Total-Eindruck unauslöschlich ist.
Der Text muſs sich nicht in den Prediger,
sondern der Prediger in den Text schicken;
und was hilft wissen und wollen, wenn es
Y 4
[344] nicht zum Thun kömmt! Wer nicht Neben-
folgen von eigentlichen, und Nebenursachen
von Hauptursachen zu unterscheiden weiſs,
hat seinen Plan nur schlecht angelegt — oder
hat gar keinen. —
Wie aber! es erheben sich Einwendungen
an allen fünf Fingern der vorigen Kapitel.
Immerhin! und wären sie auch nichts weiter
als wiederholte Wiederholungen, an denen
denn doch meine Wenigkeit nicht Schuld ist,
sondern (Niemand übrigens zu Leide gesagt)
meine gebetenen Gäste von Opponenten. —
Jene Chroniques scandaleuses wider das schöne
Geschlecht, von Misogynen und vielbeweib-
ten Männern, von Kastraten und körperli-
chen Kraftgenies, (die, in der Voraussetzung,
das sinnliche Bedürfniſs sei das gröſste Band
unter beiden Geschlechtern, des Dafürhaltens
sind, die starken Männer wären auch die bes-
ten) von Thoren und Weisen, von Heiligen
und Liederlichen, von Sultanen und Keusch-
heitswächtern, geschrieben und erzählt — wer-
den sie vermögend seyn, uns umzuschaffen
oder der Natur Gewalt zu thun —? Das
[345] Weib sei nur des Mannes wegen? Wohl,
so wie der Mann des Weibes halben. Hast
du nie ein Weib gesehen, Freund, das bei
liebenswürdiger Einfachheit eine erhabene Grö-
ſse verräth? bei voller Publicität und Offen-
heit eine enthaltsame, strenge Zurückhaltung?
— bei edler Zutraulichkeit forschende Prü-
fung? — Es legt es nie auf Herzen an, und
doch gewinnt es alle Herzen. Das edle Ab-
sichtlose, das die Poësie behauptet, ist seine
Weise; und wie viel richtet es damit aus!
Sein Blick, der durch die Kirchenschlösser
der Herzen dringt und Alles für und wider
entdeckt; — seine Kraft, die Alles niederdrückt
und hebt was es will; gleich frei von Freude
wie von Leid, von Furcht und Hoffnung un-
befangen, für den heutigen Tag lebend ohne
Sorgen für den andern Morgen — wie schnell
und wie umfassend wirksam, zur Selbstherr-
scherin aller Herzen geboren, erhebt dies
Weib zu seinen Freunden, die es durch die
Hoheit seiner Würde zu seinen Untergebenen
machte! Koketterie — sagst du —? Nun,
so ist Kosmopolitismus Stoicismus — und die
Y 5
[346] erhabenste Menschentugend im Leben und im
Tode Koketterie! Von Natur sollte das Weib
nicht den Cajus, Titius und Sempronius lie-
ben, sondern das Geschlecht; durch die Ehe
wird es Eines Mannes Weib: an jene Um-
fassung gewohnt, geht auch seine Denkart
in’s Allgemeine, in’s Ganze, in’s Groſse —
Macht ein groſser Mann jene Rolle des gro-
ſsen Weibes; sage unverhohlen: fehlt ihr
nicht oft Geist und Leben? — Du zürnest,
Freund? Was denkest du Arges in deinem
Herzen?
»Alle Übel in der bürgerlichen Gesellschaft
sind Werke der Weiber!»
Der Weiber, die doch in den politischen
Gesellschaften nur Nullen sind, und ohne eine
vorstehende männliche Zahl keine Bedeutung
haben? Und warum ihr Werk? weil sie
Männer dazu verleiteten? die Curandinnen die
wohlweisen Curatoren? Wegen des Einflusses,
den man den Weibern nicht versagen konnte,
den auch Sklavinnen über ihre gestrengen
Herren behaupteten. So sehet denn da die
Rache, welche die Natur sich nicht versagen
[347] kann, wenn man ihre Majestät beleidigt —!
Entzieht den Weibern keinen jener Antheile,
wozu sie unleugbare Rechte haben, und ihr
werdet jenen Schleichhandel von selbst heben,
den jetzt die Weiber zum Nachtheile ihrer
Männer und des Staates treiben. Die Ver-
nunft ist göttliches Ebenbild, und wo ihr sie
findet, da ist es Pflicht, ihre Superiorität an
zuerkennen — Wo sie erscheint, ist Werth,
Würde und Selbstbeständigkeit. Sie regiert
im Kleinsten der Unterthanen den Gröſsten,
den Herrn der Welt — und in dem Staate,
wo sie unterdrückt wird, hören die Weisen
die Stimme, welche sie auf ebene Bahn leitet:
Stehet auf und lasset uns von hinnen gehen!
Oder wie? ist etwa der Werth des anderen
Geschlechtes nicht auf Vernunft, sondern auf
Sinnlichkeit gegründet? Ei, Lieber! können
wir uns, so lange wir Kleider der Sterblich-
keit tragen, über die Sinnlichkeit hinaussetzen?
Nur ein Pedant kann die Sinne die Deutschen
Klassen nennen; kommen wir nicht durch sie
und durch die Empfindung der Vernunft zu-
vor? gründen die Sinne nicht die Vernunft?
[348] sind sie nicht — die höchsten Revisoren der-
selben? erheben sie die Vernunft nicht zu ih-
rer eigentlichen Würde? ist die Vernunft nicht
generis soeminini? und der Geschmack? ist er
nicht mit so schönen sittlichen Ideen ausge-
stattet, daſs es eine Lust ist? Muſs die Ver-
nunft sich nicht vielmehr von Amtswegen ver-
sinnlichen, um über das Herz zu siegen, das
ein trotziges und verzagtes Ding ist, wer kann
es ergründen —? Würden wir nicht auf-
hören Menschen zu seyn, und übernatürlich
werden, wenn wir auf das Wesen der Men-
schen Verzicht thäten? ist übernatürlich nicht
auch unnatürlich? Das feinste Raffinement
ist immer ein Verwandter der Simplicität. Das
Loos dieses Lebens ist eine Menschenrolle;
ist sie so subaltern wie sie scheint, und ver-
dient der Beförderung, der im Geringeren un-
getreu ist? Erst durch die Ehe wird das
Weib in eben dem Grade durch den Mann
vollendet, wie der Mann durch das Weib —
Mann und Weib machen einen ganzen Men-
schen aus — Die relativen Eigenschaften, die
zwischen beiden auf einander angelegt sind,
[349] setzen diese Behauptung auſser Zweifel. Darf
ich es noch einmal wiederholen, daſs der Vor-
zug der physischen Gröſse und Stärke des
Mannes in Hinsicht des Weibes sich auf
keine moralische Überlegenheit unseres Ge-
schlechtes bezieht? Kein Geschlecht hat den
mindesten Werth ohne das andere; zusammen
genommen machen sie die Menschheit aus.
Wir spielen aus Einer Kasse, und die Natur
hat Mann und Weib so zusammen gefügt,
daſs kein Mensch sie scheiden kann — In ein-
ander verwebt, ist Eins um des Andern willen.
Eifersucht auf Ansehen ist der Hebel, wo-
durch nur schwache Menschen gereitzt und
in Athem gesetzt werden können. Was kann
sich ohne Weiber gruppiren? Gehe mit einem
dir völlig gleichgültigen Weibe um, nur langer
Weile halben — ehe du es merkst, wird deine
Seele in die ihrige eingreifen; ihr werdet
nicht von einander lassen, ohne daſs Lust
oder Liebe hierbei den mindesten Einfluſs hat
— Dieser Einklang ist Geschlechtstrieb, oder
inniges geheimes Gefühl, Bestätigung der gött-
lichen Worte: Es ist nicht gut, daſs der
[350] Mensch allein sei — Ohne Eva ist Adam
ein Thier, und Eva ohne Adam eine Kloster-
jungfer. Wer bemerkte nicht, daſs fast alle
Männergesellschaften mit dem Paradiese an-
fangen und mit dem jüngsten Gerichte enden!
Man erstaunt über die Sprünge, welche Män-
nergespräche nehmen — Weiber knüpfen sie
zusammen und bringen Alles in das Verhält-
niſs, wenn gleich gesellschaftliche Unterhaltun-
gen mit Recht die Art der Englischen Gärten
behalten, die genau gebahnte Wege vermeiden
— Wäre gröſsere körperliche Stärke mit einer
gröſseren Seelenkraft verbunden, so würde diese
Schrift sehr klein geworden seyn, und es hätte
nicht verlohnt, an eine bürgerliche Verbesse-
rung der Weiber zu denken. Macht aber der
Geist des Menschen sein eigentliches Wesen
und Seyn, so ist die Unfähigkeit des Weibes
zu Staatsgeschäften. Künsten und Wissenschaf-
ten ein Vorwand, allein kein Einwand —
Selbst nicht immer sind die Weiber schwächer
gebauet als die Männer — »In einzelnen Fäl-
len —? in niederen Klassen?» Nein! auch
selbst im Allgemeinen. In Champagne, wo
[351] die Einwohner ein gesunder Schlag Leute sind,
sollen, nach der Bemerkung der Reisenden,
die Weiber stärker seyn als die Männer; und
wie viele junge Wüstlinge giebt es, die sich
das Alter in der Jugend inoculiren lieſsen, um
so wenig vor Alter, wie an den Pocken zu
sterben —! Ich will für meinen Einwender
Gründe auslegen, die er mir hoffentlich zu
seiner Zeit erstatten wird. Zugegeben, daſs
das Weib im Allgemeinen und bei allen Na-
tionen, so wie überhaupt in der ganzen thie-
rischen Schöpfung, schwächer, feiner und zar-
ter gebauet ist als der Mann; zugegeben, daſs
die weiblichen Nerven biegsamer, reitzbarer
und zärtlicher als die unsrigen sind: was folgt
daraus? etwa, daſs der Körper der Weiber
nicht zu langen Anstrengungen des Geistes
angelegt sei? daſs sie wegen ihrer lebhaften
Imagination nicht lange bei einem Gegenstande
verweilen können? daſs Anstrengung des Kop-
fes, Sammlung des Geistes ihre Sache nicht
sei? — Giebt es nicht wissenschaftliche Ge-
genstände, welche Biegsamkeit und Feinheit
erfordern? Läſst denn körperliche Stärke auf
[352] geistige schlieſsen? und hat ein vierschrötiger
Tagelöhner die beste Anlage zum Generalsuper-
intendenten? — Die vorzüglichsten Menschen
hatten schon oft die schwächlichsten Körper.
Eine groſse Seele hat selten einen handfesten
Leib zu seinem Gefährten gewählt; Freund Hume
und einige andere ausgenommen, waren groſse
Geister in der Regel klein und schwächlich —.
Was wohl leibet, heiſst es in einem alten Sprich-
und wahren Worte, seelet oft übel. Selbst
Alexander und Friedrich II waren klein von
Körper, so wie Helden gewöhnlich nicht auf
groſse Statur Anspruch hatten. Oder wie?
haben Physiologen ausfindig gemacht, daſs die
ursprüngliche weibliche Organisation die Wei-
ber zu subalternen Geschöpfen mache, ihnen
den Weg zu allem Edlen und Groſsen vertrete,
und, wenn auch Jünglinge und Mädchen ei-
nerlei Unterricht empfingen, von einerlei Mo-
tiven zu ihrer Geistesbildung angetrieben wür-
den — jene doch diese allemal überflügelten?
Wären diese Beobachtungen wahr und richtig,
so müſste man freilich glauben, auch wenn
man das gerade Gegentheil sähe — Ei Lie-
ber!
[353] ber! wo hat man den Erfahrungsschatz gefun-
den? gesammelt hat man ihn doch nicht?
wo sind Versuche gemacht? absichtlich ge-
macht? und müſste das nicht vorausgegangen
seyn, wenn man über Anlagen und Fähigkei-
ten so absprechen wollte? Es hat nie weder
an Köpfen noch an Herzen unter den Weibern
gefehlt, die den Männern den Rang abgewon-
nen! Ich beziehe mich auf den Anfang dieses
Ohrfingers von Capitel, welcher so spendivisch
preiswürdige Namen genannt hat — Und
warum wollen wir mit einander streiten, da
jeder Blick aus der Arche der Studierstube das
Vorurtheil der Weiberverachtung widerlegen
kann und wird — falls ihm kein gefärbtes
Glas die Kraft benimmt. Es geht meinem
Gegner wie vielen andern seiner Art: er be-
streitet nicht die Sache selbst, sondern die
unrichtigen Begriffe, die er sich von der Sache
macht; nicht mich, sondern sich —
Freilich — (ein erwünschter Anfang von
einem Opponenten!) Freilich wallfahrtete die
Königin aus Arabien, um bei dem Professor
Salomo einen philosophischen Cursus zu hören;
Z
[354]und wir können nach der Liebe hoffen, daſs
er sie nicht ohne augenscheinlichen Segen
seiner Schule entlassen haben wird.
Der Schule der Weisheit doch wohl? sonst
müſst’ ich dies Freilich mit Zinsen zurück-
geben. Wo der liebe Gott eine Kirche hat,
da bauet sich der leidige Feind eine Kapelle
— Jede Akademie der Weisheit hat ein Gym-
nasium der Thorheit in der Nähe; in der
gröſsten Schönheit liegt der Stoff zur gröſsten
Häſslichkeit — Je glücklicher die Vernunft
den blauen Dunst zu verbreiten sucht, der
unser Auge verfälscht; je heftiger wird die
Begierde, sie durch Besuche aus jenen Gegen-
den zu widerlegen, wo abgeschiedene Seelen
hausen — Beweiset die königliche Wander-
schaft (des Freilichs ungeachtet) nicht klärlich,
wie begierig die schöne Welt — wohl zu
merken nach Weisheit ist —? in Ernst, was
wissen wir denn? Sind Weiber gleich zu-
weilen des Dafürhaltens, einer Philosophie
nicht zu bedürfen, nach welcher wir uns
rühmlichst den Kopf zerbrechen, um grund-
gelehrt sagen zu können: wir wüſsten nichts;
[355] können ihnen dagegen wohl Energie der Seele
und tiefgeschärfte Bemerkungen abgesprochen
werden? Und so wäre denn auch dieses Spiel
für die Weiber gewonnen — — — Kinder rei-
cher Leute sind gemeiniglich so baufällig, wie die
Hütten der Armen, und langer Nichtbrauch kann
Kräfte schwächen; — allein auch heben?
Wer kann behaupten, daſs das Eigenthüm-
liche des Geschlechtes nichts Bestimmendes
für die bürgerliche Gesellschaft habe? Das
Weib hat Selbstliebe und die damit correspon-
dirende Selbstbeständigkeit — Ist bürgerliche
Gesellschaft denn etwas anderes, als eine ver-
gröſserte häusliche? oder sind etwa auch in
der häuslichen Gesellschaft die Weiber nicht
an Ort und Stelle? Wo sind Privatgesellschaf-
ten, die in die Länge ohne Weiber sich halten
könnten? Ihren Hauptreitz verdanken sie den
Weibern, deren munterer leichter Ton Alles
in’s Geschick bringt, und die schwersten Ge-
genstände schmackhaft, anmuthig, gefällig und
geläufig zu machen versteht — Sie finden zu
den Gedanken des Mannes die schicklichsten
Ausdrücke; und oft hab’ ich zu bemerken Ge-
Z 2
[356] legenheit gehabt, daſs, umgekehrt, Männer die
Gedanken des anderen Geschlechtes durch
wohlgewählte Worte zu beleben suchen. Bei
jeder Regel haben sie zehn Fälle bei der
Hand, die jene bestärken oder widerlegen;
ihre vom richtigsten Geschmack gebildete Ein-
bildungskraft bringt in die abstraktesten Dinge
eine lebendige Seele! Wir wollen viel wissen,
die Weiber viel verstehen; wir wollen viel
gedacht haben, die Weiber viel sagen und in
Umlauf bringen. Sie protegiren gemeiniglich
nicht Gelehrte, sondern die Gelehrsamkeit;
weniger eitel in dieser Hinsicht als wir, legen
sie es darauf an, weniger gelehrt als weise zu
seyn; sie ehren den Witz, und bedienen sich
seiner als der ihnen von Natur beigelegten
Waffen, sich in Achtung zu setzen und darin
zu erhalten. Durch Witz beleben sie ihre
gesellschaftlichen Cirkel, und halten jede Un-
gezogenheit ab; ihre gefällige Laune tingirt
Alles mit Wohlgefallen — Dem Pedanten
schleifen sie den Rost ab, damit er erträglich
werde; und wenn Newton ihren Finger nimmt,
um seine Pfeife nachzustopfen, so wissen sie
[357] diese unverzeihliche Zerstreuung zu seinem
Vortheile zu wenden; wenn er etwas über die
Offenbarung Johannis schreibt, so thut es
durch den Schutz, den sie ihm angedeihen
lassen, ihm an dem Orte, wo er lebt, keinen
Schaden. Ein groſser Gewinn! Nichts wird
so wenig vergeben als persönliches Verdienst,
und nichts wird so gern von Damen in Schutz
genommen als eben dieses. Empfindlichkeit
ist innig mit Genie verbunden: in unserem
Glücke liegt auch immer der Keim unseres
Unglückes; und wie viel haben Damen zu
thun, um hier Alles zum Besten zu kehren,
zu ebenen und in’s Gleichgewicht zu bringen!
Ruhe und Ruhm sind selten gute Freunde;
Damen versuchen die Sühne unter ihnen, und
wissen sie zu vergleichen. Sie vertreiben je-
nen Rauch in den Schriften der schönen Gei-
ster, der Alles räucherig gemacht haben würde,
wenn nicht in Zeiten frische Luft dazu ge-
kommen wäre. Sie stellen bei kleinen Sou-
pers witzige Turniere an, und lenken das Ge-
fecht. Sie widersprechen nicht wie mein
Gegner, sondern oft nur, damit man einsehe,
Z 3
[358] daſs hier ihrer Zwei sind — Wenn Gelehrte
Gedanken überschlagen, so wie man Blätter
überschlägt; so füllen sie die Lücken, und
setzen Alles in Verbindung — Ihre Aufmun-
terung erhält den verdienstvollen Schriftsteller
aufrecht, wenn Knaben ihn einen Kahlkopf
heiſsen; sie decken ihn mit ihrer Ägide vor
den feurigen Pfeilen des Neiders und Spötters,
so daſs die besten Autoren an ihrer Hand die
Stufe der verdienten Würde erstiegen, die sie
ohne diese Engel der Stärkung gewiſs nicht
erreicht haben würden — In der Blüthe wä-
ren sie verwelkt, und noch ehe sie zu männ-
licher Stärke gelangten, würden sie, ohne weib-
liche Aufmunterung. Autorlebenssatt dahin ge-
schieden seyn — Die Prämien aller Akade-
mien können nicht den aufgekitzelten Witz
eines Spötters in unserm geselligen Kreise zü-
geln; — und Weiber, die so wohlthätig in
kleinen Gesellschaften sind, sollten es weniger
in gröſsern und im Staate seyn —? Ein Eng-
lischer Reisender macht die Anmerkung, daſs
die Französinnen in den Tagen der Fröhlich-
keit und des Genusses glänzten, die Englän-
[359] derinnen dagegen im Schatten des eingezoge-
nen Lebens und in der häuslichen Ruhe —
Man lasse sie zu Staats-Geschäften, und wir
werden finden, daſs sie nicht bloſs zum
Englischen Frühstück, zu einer Französischen
Assemblee, sondern auch in Geschäfte die
nämliche Milde und Güte bringen werden,
die sie überall, wo sie sind, verbreiten — Sie
sind das Salz der Erden, das Allem Geschmack
giebt, das Licht, das überall erleuchtet, es mag
als Mond des Hauswesens, oder als Sonne
des Staates aufgehen. Nicht nur die ange-
borne Moral ihrer schönen Seelen; nicht nur
ihre Herzenskunst die feinsten Winkelzüge des
menschlichen Empfindens zu erreichen; nicht
nur ihr durchdringender Blick, der wie die
Steine Davids Goliathe tödtet; sondern auch
jene Eigenschaften, die uns die Kindheit so
liebenswürdig machen, ihre edle Einfalt, ihre
Güte des Herzens, ihre von aller Menschen-
furcht entfernte Seele, ihr unbesorgtes Ver-
trauen auf den Vater im Himmel und auf eine
gerechte, eine gute Sache, würden die Staats-
geschäfte wiedergebären, und wir einen neuen
Z 4
[360] Himmel und eine neue Erde des Staates sehen,
wo Gerechtigkeit und Milde wohnten, und in
einem neuen heiligen Leben wandeln. — Es
wäre eine unverzeihliche Spötterei, wenn man
auf die Frage: warum die weiblichen monar-
chischen Regierungen besser als die männli-
chen sind? antworten wollte: weil alsdann
Männer das Ruder in Händen haben, so wie,
wenn Männer regieren, Weiber sich am Ruder
befinden; allein auch selbst diese Spötterei,
so wenig sie von der Geschichte gerechtfer-
tigt wird, beweiset mindestens, daſs Weiber
guten Rath zu schätzen wissen: und ist dies
nicht bei Männern nur selten der Fall? Doch,
berufen Einwendungen zu lösen, wie komm’
ich zur Apologie —?
»Eine Hauptbestimmung des Weibes ist
»Kindererziehung. Um desto sicherer zu glän-
»zen, versäumt es diese Pflicht, die Miethlin-
»gen überlassen werden muſs; und wenn etwa
»eine Mutter noch mit getheiltem Kopf und
»Herzen die Erziehung ihrer Tochter über-
»nähme — ist es Wunder, daſs sie, durch Ge-
»sellschaft verdorben, anfänglich mit ihr para-
[361] »dirt, und nicht lange nach diesen Tagen ei-
»fersüchtig auf sie wird?» —
Lieber! ist die Erziehung bloſs Pflicht der
Mütter, oder liegt sie nicht auch den Vätern
ob? gehören die Kinder nicht beiden? Und
wenn der Vater, dieser Verpflichtung ungeach-
tet, nicht aufhört gesellig zu seyn, warum soll
es denn die Mutter? Wozu werden Kinder
erzogen? nicht zur Gesellschaft im Groſsen
und Kleinen? und diese kennen zu lernen,
soll die Mutter Verzicht thun? sie soll erzie-
hen, ohne die Erziehungskunst zu kennen? —
Einer der ungerechtesten Vorwürfe ist es, die
groſse Weichlichkeit unseres Jahrhunderts auf
die Rechnung der Weiber, und des Tons, den
sie in Gesellschaften angeben, zu setzen. Sind
wir wohl so weichlich wie die cultivirten Völ-
ker, die ihre Weiber einsperren? Selbst zu
gymnastischen Übungen giebt das andere Ge-
schlecht unsern Jünglingen Gelegenheit, die in-
deſs kaum noch Kraft zum Tanze haben, der
ohne die Weiber völlig aufhören würde —! —
Die Weichlichkeit fing von jeher bei unserem
Geschlechte an, und gewiſs haben wir es den
Z 5
[362] Weibern zum gröſsten Theil zu verdanken,
daſs sie nicht noch gröſsere Verwüstungen
macht. Jene Eitelkeit, die jetzt den Weibern
anklebt, wird von selbst aufhören, wenn wir
ihnen den Zutritt zu Dingen verstatten, wo
sie sich von einer vortheilhafteren Seite zeigen
können. Bis jetzt schränkte sich ihre ganze
Bestimmung auf die Kunst ein uns zu gefallen,
und ein Mädchen hat seinen Lauf vollendet,
wenn es das Glück hat, einen Jüngling anzu-
werben, der seiner würdig ist. Gebet den
Weibern und Mädchen andere Beschäftigun-
gen, und sie werden jene Kleinigkeiten, jene
Puppen aufgeben, und die äuſserlichen Vor-
züge weit unbeträchtlicher finden, als ein gro-
ſser Theil unserer Narcissen, die im Spiegel
der Mädchen bloſs ihr geziertes Selbst erblik-
ken. Befriedigen wir überhaupt durch das,
was wir dem anderen Geschlechte zugestehen,
nicht weit mehr unsere Eitelkeit, als die For-
derung der Natur, als die Wünsche eines
denkenden Weibes? Es ist nicht zu leugnen,
daſs jetzt auch eine tugendhafte, ihrem Manne
getreue Frau eine gewisse Koketterie für keinen
[363] Fehler hält und Männern von Verdiensten so
liebreich und zuvorkommend begegnet, daſs
diese nicht umhin können, ihr eine vorzüg-
liche Dankbarkeit zu erweisen — Doch sol-
len hierdurch Begierden nicht geweckt oder
gereitzt werden; nie denkt jene liebe Frau sie
zu befriedigen, und der Mann, der darauf
Rechnung machen wollte, wäre ein Neuling,
oder ein Prahler oder — Wenn der liebe
Gott einen Menschen strafen will, so fängt er
an, ihn inconsequent reden oder handeln zu
lassen — — Es giebt stillschweigende Be-
dingungen, die, ob sie gleich nicht verabredet,
sondern vorausgesetzt und angenommen sind,
doch heiliger als schriftliche Contrakte, mit
Notariatssiegeln verunstaltet, erfüllt werden
— sie sind eine Art von Spielschuld, die
auch den Königlichen Allerhöchsten Kassen
vorgeht — Bei der jetzigen Lage der Dinge
trägt diese Koketterie des gemeinen Lebens
dazu bei, daſs der Umgang anziehender wird
— man macht, wenn ich so sagen darf, nicht
dem Körper, sondern der Seele den Hof, und
es giebt in der That Seelen-Cicisbeos, die un-
[364] schuldigsten Geschöpfe unter der Sonne —
Eine gewisse Art von Gleichheit unter den
Menschen, welche an die Unschuld der ersten
Welt erinnert, wird hierdurch zu Stande ge-
bracht; und so lange Weiber an den Staats-
geschäften nicht Theil nehmen, und wir keine
ernsthafte Dinge mit ihnen und in ihrer Ge-
genwart treiben können, ist diese Koketterie
ein Nothübel, ohne das unsere Gesellschaften
das Schalste, Unreitzendste und Langweiligste
seyn würden, was je in der Welt gewesen
ist und seyn kann.
Der Einwand meines Gegners, daſs Wei-
ber zu viel Zeit auf ihren Leib verwenden,
spielt den Krieg in sein eignes Land — Sind
wir es nicht, die ihnen die Seele bestrei-
ten —? die sie auf den Körper einschränken?
Ist denn etwa der Körper uns bloſs Ballast,
mit dem die arme Seele sich beschwert hat,
um auf der Fahrt dieses Lebens fortzukommen?
oder ist er nicht vielmehr ein ehrwürdiger
Theil des Menschen? — Wer die Seele den
Genius des Menschen nannte — hatte der so
ganz unrecht? Man gradiere die Weiber im
[365] Staate, so wie man dem Golde eine höhere Farbe
giebt; und sie werden über den Leib die See-
le nicht versäumen — Ist es Ernst, lieber
Einwender, oder ist deine Behauptung, daſs
die Weiber eine unüberwindliche Neigung zur
Pracht besitzen, wodurch sie ihre Männer zur
Verschwendung und zu betrügerischen Concur-
sen verleiten, Scherz? — Ernst also! Lie-
ber! wer brachte sie auf die Bahn zur Pracht?
nicht der Stand des Mannes? müssen sie
nicht diesem oft die glücklichsten Neigungen
ihres Herzens aufopfern? Ist ihre natürliche
Stimmung nicht für Einsamkeit und Landle-
ben? — Landleben? — Allerdings! Nicht
aber für jenes, das keine Wohnung der Welt-
entfernung, sondern eine Gelegenheitsmache-
rin zu neuen Üppigkeiten und zu einer ganz
neuen Art der Übertreibung ist — An der
Hand des Weibes scheint die Natur sich mit
uns vertraulicher einzulassen und recht Gele-
genheiten aufzusuchen, ihre Milch und ihren
Honig, den ganzen Reichthum ihrer Wollüste,
uns schmecken und sehen zu lassen. Die ed-
len Ergüsse der Zärtlichkeit, wenn sie reitzend
[366] ausgewechselt werden sollen, suchen das Land,
und entfernen sich von Hof und Stadt; wo
sie Fremdlinge sind — sie leiden keine Zeu-
gen, und weit weniger Laurer und Faher —
Wie oft muſs sich das Land miſsbrauchen
lassen, die verstimmten Sinne des Hofmanns,
nicht zur Tugend und zu sanften Sitten, sondern
zu neuen Ausgelassenheiten aufzuheitern! —
Man sucht reinere Luft, um sich zu einer
neuen Art Ausschweifung aufzufrischen —
Weiber suchen das Land, und warten nicht
darauf, dahin verwiesen oder ausgestoſsen zu
werden — Freund! sie sollten die Gräfin
* * b * kennen! Sie darbt, wenn man an der
Hand der Natur darben kann, um für ihren
Schlemmer von Gemahl eine ungeheure Schul-
denlast zu bezahlen, die nicht bloſs Sünden
der Jugend sind, sondern die er in einem
Staatsposten, der seinen Mann nährt, noch
immer vergröſsert — Weiber schaffen sich
Welten, die sie besäen und bepflanzen, durch
eine wohlthätige Einbildungskraft, die ohne
Mühe reich macht: in der wirklichen Welt —
wie unbedeutend ist da ihre Rolle! — sie zogen
[367] Nieten aus jenem Glückstopfe; wir die Ge-
winner — Man kann durch Gedanken sich
erhitzen und zu einer Röthe kommen, die
man eine Seelenröthe nennen könnte, und die
sich von allen jenen unterscheidet, welche
durch körperliche Erhitzungen veranlaſst wer-
den; und so eine Röthe innerer Zufriedenheit,
mit Zuziehung einer wohlerlaubten Einbil-
dungskraft erregt — welch eine Zierde auf der
Wange eines edlen Weibes! Hast du nie die
Wonne eines Familienzimmers empfunden, wo
man eigentlich zu Hause ist? denn in den
übrigen wohnen Gäste oder ein antisokratischen
Dämon von Pracht und Stolz; und welches
Zimmer ist dem andern Geschlechte das ange-
messenste? das erste das beste — Und wie!
wenn es auch Weiber giebt, die zu meiner
Beschreibung nicht passen, wurden sie nicht
schon als Bräute zum unzeitigen Aufwande
durch Geschenke verführt, die weit über das
Vermögen des Bräutigams gingen? Schwingt
sich das Weib zum Regiment, so wird es ihm
schwer und unerträglich sich herabzustim-
men —; und wenn es sich wirklich herab-
[368] stimmt, ist es verzeihlich, solche Blöſsen zu
geben? solche Betrüge ungestraft zu begehen?
ist es nur anständig, als Bräutigam den Pastor
fido zu spielen, um nachher als Ehemann den
Orlando furioso zu machen? sein Weib aus
dem Himmel in die Hölle, aus Eldorado in
eine Schenke zu werfen, wo man es durch
ein Schattenspiel an der Wand entschädigen
will? — So betete man weiland in Paris die
Komödianten an, denen man im Tode ein
ehrliches Begräbniſs versagte —.
Weiber sind auffahrend; der Zorn aber
(das Vorspiel der Raserei) thut nie, am we-
nigsten in Staatsgeschäften, was Recht ist.
Und woher dieser Zorn? der Ohnmacht hal-
ben, und weil den Weibern keine rechtmäſsi-
ge Macht zustehet? Was hilft es, mit sich
selbst zu Rathe zu gehen, wenn es an ausüben-
der Gewalt fehlt, die weise genommenen Be-
schlüsse zur Vollziehung zu bringen! — »Kannst
du regnen, so kann ich auf Holzschuhen ge-
hen,» heiſst es in einem alten Deutschen
Sprichworte; und wer leugnet es, daſs man
bei den Ausbrüchen des Zorns die eignen Ge-
dan-
[369] danken der Seele nicht vernimmt, so wie man
bei tobendem Gewitter sein eignes Wort nicht
hören kann! — Als jener edle Mann des Alter-
thums nach seiner Rückkehr sein Hauswesen
in unverzeihlicher Unordnung fand, stellte er
seinen Vizdum, den ungerechten Haushalter,
bloſs mit den weisen, bewunderungswürdigen
Worten zur Rede: wie würd’ ich dir begeg-
nen, wenn ich nicht böse wäre —! Mein
guter Freund * * sah einem Diebe gelassen
zu, der ihm sein Holz stahl, und nur als er
zu befürchten anfing, der Holzdieb würde sich
zu sehr belasten, bat er ihn dienstfreundlich,
sein selbst zu schonen, und sich, den Weg
zweimal zu gehen, nicht verdrieſsen zu lassen.
Rechtsum, schön! und Linksum? Welchem
Herrn dient der Knecht lieber: dem, der ihn
in der ersten Hitze seine Strafhand empfinden,
oder dem, der eiskalt ihn blutig stäupen läſst?
»Der Teufel verliert keinen Dreier dabei, wenn
ich nicht fluche,» sagte ein Bauerknabe, als
ihm das zweite Gebot eingebläuet ward —
So theuer bezahl’ ich die Weisheit nicht —
Wie Vielen kostete die Zornunterdrückung Ge-
A a
[370] sundheit und Leben! — Gesetzt Weiber ver-
ständen die Kunst nicht, ihren Zorn äuſserlich
zu zähmen, und eine gewisse Ruhe zu schwarz-
künsteln — sind nicht die unversteckten Feh-
ler die leichtesten und gemeiniglich Schwach-
heitssünden, von denen sich auch fromme
gottgefällige Seelen nicht lossagen können?
Die Heiligen sind in dieser Rücksicht nicht
ohne Fehl vor Gott; — vor Menschen es zur
Scheinheiligkeit zu bringen, kann nicht schwer
fallen. Jene Fehler bleiben die gefährlichsten,
die in Schafskleidern zu uns kommen, inwen-
dig aber reiſsende Wölfe sind: an ihren Früch-
ten sollt ihr sie erkennen — Zürnet und sün-
diget nicht — Ist nicht der Zorn eine Art
von Waffen, womit wir oft Gutes erweisen
können, ohne zu schaden? Was würden
Weiber ohne dies Hausmittel bei der Kinder-
erziehung ausrichten? Giebt es nicht Unbe-
schnittene an Herz und Ohren, denen man
nachdrücklich und gewaltiglich andeuten muſs,
was zu ihrem Frieden dient? — »Verziere
das Nützliche,» sagte die Weisheit; die Thor-
heit, die alles umzukehren gewohnt ist, kehr-
[371] te das Gebot um, und machte das Hauptwerk
zum Nebenwerke. Giebt der Zorn nicht oft
der Sache einen gewissen Schwung —? Wer
kennt und schätzt nicht den Diensteifer, der
das dritte Wort ist, wenn wir dem Staate un-
sere Dienste anbieten, wenn wir wirklich sei-
ne Officianten werden und wenn wir mit der
Bitte einer Pension den Staatsdienst verlas-
sen —!
Der unbilligste Einwand von allen ist, daſs
Weiber darum nicht zu Geschäften berufen
sind, weil sie zu keiner Freundschaft unter
sich Verstand und Willen haben. (Man über-
sehe nur nicht, daſs nicht ich sondern mein
Feind so freundschaftlich ist, an die Freund-
schaft zu denken —) Ich leugne nicht, daſs
ohne ein gewisses Band so genannter Freund-
schaft, eigentlich Offenheit, gutmüthiger Be-
kanntschaft, Staatsgeschäfte schwerlich be-
wirkt, und die leider zu künstlich gerathene
Maschine des Staates vereinfacht werden kann,
weil ohne dieses Band keine Einheit im Staa-
te herauszubringen ist und alles in der Irre
ohne Zusammenhang und Ordnung bleibt —
A a 2
[372] Wer ist aber im Stande, den Weibern Über-
legung hierzu, kalte Schätzung des Gegenstan-
des, Feinheit, zuvorkommendes Wohlwollen
und Aufopferung abzusprechen —? Schon
jetzt giebt es Freundschaften unter ihnen, die
den unsrigen nicht weichen — Nur das Vor-
urtheil der Männer hat ihnen die Anlagen zur
Freundschaft abgesprochen. Sind sie nicht
zarter, treuer, unüberwindlicher, unbestech-
barer, als viele Männer, wo Neid und Riva-
lität von so vieler Art die Triebe des Herzens
verfälschen, und die Freundschaft zum Con-
trakt do ut des, facio ut facias, nicht zum
Herzens-, sondern zum Sachentausche machen?
— Damon- und Pythias-Freundschaften sind
Fälle, die zu den seltenen gehören, und die
bei dem Einerlei der Weiber, bei ihrem All-
tagsleben um so weniger zu erwarten stehen,
da Proben und Situationen zu dergleichen
Freundschaften durchaus unentbehrlich nöthig
sind — Und wie verschieden sind jene Da-
mon- und Pythias-Freundschaften vom Dienst-
gleichgewichte, das durch ein gewisses Ein-
verständniſs bewirkt wird. Weiber müssen
[373] jetzt von Geschlechtswegen, wo nicht interes-
siren, so doch Herzen gewinnen, wo nicht
angebetet, so doch geliebt werden wollen;
setzt sie über die Sinnlichkeit hinaus, und ih-
re Eitelkeit, ihre Neugierde, ihr jetziger Hang
zum Vergnügen werden sich veredeln — sie
werden nicht aufhören, Weiber zu seyn; —
wie unglücklich wären wir, wenn sie das
könnten! — nur werden sie aufhören, die
Weiber zu seyn, die sie jetzt sind — Diese
Verwandlung wird uns heben, statt daſs man
uns jetzt, wie jenen Elephantenleiter, fragen
könnte: bist du darum so trotzig, weil du
Thiere commandirst? An uns ist der erste
Schritt, und nur von unserm buſsfertigen Ent-
schlusse hängt es ab, diese Revolution zu be-
wirken. Werdet andere Männer, und Alles,
vorzüglich die Weiber, ist anders als jetzt.
Mit dem Maſse mit dem wir sie messen, wer-
den sie uns wieder messen. Dienstfreund-
schaft! Ist sie denn unserm Geschlechte ei-
gen? Nicht nur die Kraft, auch den Schein
verleugnen wir. Führen die Staatsdiener nicht
unter sich den dreiſsigjährigen Krieg? Der
A a 3
[374] Financier ist wider den Justizmann, und der
Justizmann wider den Financier; das diploma-
tische Corps wider das Kriegs-Departement,
und dieses gegen jenes — Einer will den
andern übermeistern, ohne daſs er seiner selbst
Meister ist: Einer will dem andern die Grän-
ze verrücken, einer stellt dem andern ein
Bein — Doch, leider! ist es immer der
Staat, der bei dieser Gelegenheit in die Gru-
be fällt — Oft giebt sich sogar Richtercom-
plott und Höllenbund wider den Unterdrück-
ten für Dienstfreundschaft aus; und da ist das
letzte Übel ärger, als das erste; da ist guter
Tag und guter Weg ein Himmel gegen jene
Mörder-Bande —
Der sittliche Zustand der Weiber gründet
sich sehr natürlich auf ihren gesetzlichen —
Da das Mädchen sich ihren Gefährten des
Lebens nicht laut und deutlich wählen kann;
so sieht es sich genöthiget, dieses Geschäft
zutrauensvoll seinem Auge zu übertragen, das,
an diese Einladung gewöhnt, nie ganz diese
Weise aufgeben kann — Man scheint dieser
Manier eine Art von Dankbarkeit erweisen zu
[375] wollen, die jetzt, da Alle dies Blickspiel trei-
ben, das Unanständige nicht hat, das es sonst
haben würde. Diese Blicke, wodurch sie eine
besondere Art von Beherrschung, die man
Augenherrschaft nennen könnte, und eine ge-
wisse gefällige Freundschaft üben, haben ihren
besondern Contract social und so bestimmte
Gesetze, daſs man auf ein Haar weiſs, wann
die erlaubte Grenze überblickt wird — Dem
Reinen ist Alles rein — Wer findet nicht ei-
nen sicheren Weg zur Wonne, in dem schön-
sten der Spiele, einer verstohlnen Liebe? Die
Genüsse der Verstohlenheit steigen zu einer
geistigen Würde, zu einer hinreiſsenden Deli-
catesse — Durch jenes Glück, das die Mäd-
chen sich erblickten, durch jene anziehende
Kraft, wodurch sie auf die Jünglinge wirkten,
hat ihre Verlegenheit auch bei weitem noch
nicht ihr Ende erreicht, wenn sie die Ehre
haben, in die Gewalt der Männer zu kommen.
Sie sinnen unaufhörlich darauf, diese Gewalt
durch alle Künste einzuschränken, so daſs am
Ende nicht viel davon übrig zu bleiben pflegt
— Da sehen sich denn Weiber zuweilen —
A a 4
[376] ist es ihnen zu verargen? — nothgedrungen,
vermittelst der Augen mit getreuen Nachharn
und desgleichen Allianzen zu ihrer Deckung
einzugehen; und so unschuldig dieser Freund-
schaftsanfang gemeiniglich ist, so schuldig
können oft Schutzverträge dieser Art werden.
Von Personen ihres Geschlechtes können sie
keine Beihülfe erwarten, und ihre Freund-
schaften unter sich sind von anderer und
originaler Weise. Giebt es aber nicht eben
so viele wahre Freundinnen, als es wahre
Freunde giebt —? Von der bürgerlichen Ver-
besserung der Weiber wird es abhangen, daſs
ihre Freundschaftsanlagen berichtiget und ver-
bessert werden — Wie unbillig sind wir,
von Weibern — denen wir die Würde Perso-
nen zu seyn, versagen — mehr zu fordern,
als ihnen zu leisten möglich ist! — — Fast
könnte man behaupten, daſs die Gesetze, die
für ihr Vermögen, wie für das Vermögen eines
Unmündigen, sorgen, ihre Personen darüber
vernachlässigen, oder sie wenigstens vergessen
zu haben scheinen. Frauenzimmer, welche
Mütter werden können, sind keine Kinder
[377] mehr — Der bittere, nicht unverdiente Vor-
wurf, den man unserem Geschlechte macht,
»daſs es heut zu Tage keine Kinder mehr ge-
be» — stehet er nicht mit unserer Grausam-
keit, die Weiber als groſse Kinder zu behan-
deln, in engerer Verbindung, als man denken
sollte? — — —
Es giebt Regenten, die sich den landes-
väterlichen Wunsch des Caligula aus Geitz
eigen machen: ach, wenn doch alle ihre Pro-
vinzen nur Einen Hals hätten! nicht um ihn
zu brechen, sondern nur eine einzige Röhre
zum Essen und zum Trinken in ihrer Monar-
chie zu haben. So tyrannisch bin ich nicht
in Hinsicht meiner guten Freunde von Oppo-
nenten, die es indeſs nicht viel besser als die
Virtuosen machen, welche oft beschwerlich
sind, wenn sie Niemand hören will, dagegen
stumm und eigensinnig, wenn sie sich hören
lassen sollen.
Die Unbeständigkeit soll ein so cha-
rakteristischer Zug des weiblichen Verstan-
des seyn, daſs Weiber bei keinem Gegen-
stande der Untersuchung und des ernsten Nach-
A a 5
[378]denkens mit gleicher Anstrengung lange zu
verweilen im Stande wären.
Der gröſste Theil des andern Geschlechtes,
der Mittelstand, hat nur eine einzige Art von
Beschäftigung, kommt nie aus dem Takt, und
weiſs nur vom Hörensagen, was lange Weile
ist. Diese entsteht aus einer Art von Luxus
der Beschäftigungen, und gehört in der Regel
zu den Eigenschaften der Männer, obgleich
auch Damen höherer Region an diesem Übel
Theil nehmen, und an demselben schwach
und krank danieder liegen, wenn das Ver-
gnügen länger dauert, als sie es auszuhalten
gewohnt sind. Die Frau Gräfin hatte lange
Weile in der Komödie, weil heute noch Re-
doute ist; allein auch auf der Redoute wird
ihr die Zeit lang werden; weil sie keine Par-
tie findet; und auch wenn sie diese gefunden
hat, würde die Zeit von ihrem Blei kein
Gran verlieren, da ihr Cicisbeo bei dem fürst-
lichen Souper lange Weile hat, und sie mit
ihrem Verehrer nicht minnespielen kann.
Bei einem einzigen Spiel findet die schöne
Welt zu wenig Beschäftigung. Konnte doch
[379]Julius Cäsar lesen, schreiben, und sieben Ca-
binetssekretarien sieben besondere Briefe dikti-
ren! — — Und lebt die schöne Welt wirk-
lich? — Nein doch! sie spielt das Leben —
Unbeständig überhaupt find’ ich das andere
Geschlecht nicht mehr nicht weniger, als das
unsrige; vielmehr ist ihm eine gewisse Welt-
überwindung eigen. Es verstehet sich darauf
in’s Dunkle zu werfen, und glänzt eben darum
desto besser — Stilles Verdienst ist sein Ei-
genthum; und sind dies Anzeigen des Unbe-
standes? — Zeitiger und fester nimmt es sei-
ne Partie als wir — Zwanzig exemplarische
alte Jungfern gehen auf einen Hagestolzen
gleicher Art.
Die groſse Lebhaftigkeit weiblicher Em-
pfindungen und weiblicher Einbildungskraft,
das zu reitzbare Nervensystem soll indeſs
Schuld an der Unbeständigkeit und dem bloſs
flüchtigen Feuer bei Gegenständen des Nach-
denkens in Hinsicht der Weiber seyn; auch
sollen sie für groſse Gegenstände des mensch-
lichen Wissens nur selten ein wahres Interesse
fühlen —
[380]
Und giebt es denn in unserm Geschlechte
Viele, bei denen jene Ausdauer ist? die ein,
dem ersten neuen und frappanten Eindruck
gleiches, Feuer bei scientifischen Gegenstän-
den behaupten, die dem Spiele schnell auf
einander folgender angenehmer Empfindungen
widerstehen, und einem Gegenstande getreu
bleiben bis in den Tod? Hat nicht fast jeder,
auſser seinem Haupt-, noch einen Neben-Be-
ruf, den er Erholung nennt, und an dem er
weit mehr hängt, als an seiner Hauptsache?
Die eigentliche Strebsamkeit ist dieser Neben-
sache gewidmet: und hierbei, pflegt man es
auch, durch Gottes Segen, in kurzer Zeit wei-
ter zu bringen, als bei der eigentlichen Haupt-
sache. Friedensschlüsse verbinden jeden, nur
nicht die, welche sie schlossen; und angewie-
sene Officianten haben überall Kraft und Macht
und Glauben in ihrem Amtsbezirk, wenn sie
gleich — (während sie eine Aktenrelation fer-
tigen, ein Paar über Nichts und wider Nichts
uneins gewordene Nachbarn ausgleichen, dem
jungen Greise von Vormunde, bei dem sein
Mündel das erloschene Feuer anfachen soll,
[381] dies unschuldige Geschöpf entreiſsen, ein Do-
mainen-Stück taxiren, den verfallenen Nah-
rungsstand eines Fleckens untersuchen, die
Klagen von hundert unterdrückten Bauern hö-
ren, und einer Wittwe zu dem ihr vertheuer-
ten Rechte verhelfen, und ihre Rechtssache
verkürzen sollen) — ein Lied auf den Früh-
ling zusammenstümpern, einer Wildenschweins-
jagd beiwohnen, ein Pikenik abwarten, eine
Strohkranzrede halten, oder in Liebelei ver-
sinken — Haben doch Könige und Fürsten
Kühe gemolken, Netze gestrickt, Knöpfe ge-
drechselt, gemahlt u. s. w. Leibnitz war so
wenig Professor Philosophiae, als Wieland
Professor Poëseos; und was giebt es denn für
groſse Gegenstände des menschlichen Wissens,
für die nicht Jemand aus dem andern Ge-
schlechte eine Neigung gezeigt hätte? Die
Geduld, das Ausdauern der Weiber ist zum
Bewundern; und legen’ sie nicht täglich davon
ein Zeugniſs ab, indem sie die Formen nicht
zerbrechen, in welche Gewalt und List sie
goſs? indem sie Kinder erziehen und in’s Ge-
leise bringen, die ihre Väter oft durch blinde
[382] Liebe und eben so oft durch blinde Streng
verderben —? indem sie mit ihren Männern
(leider! nur zu oft alten Kindern) gelinde um-
gehen, wie mit jedem Übel, das nicht zu än-
dern ist, und sie heben und tragen und leiten,
um sie nur wenigstens leidlich zu erhalten? —
Aristoteles ging spazieren, wenn er lehrte
und lernte, und hieſs der Spazierer (Peripate-
tiker) — Oder ist es nöthig, daſs Alles im
ersten Feuer gearbeitet wird? daſs die Phan-
tasie uns Alles mit Flammen mahlt? und daſs
Alles, was wir denken und sagen, ein immer-
währendes Feuerwerk ist? — Auſser dem
Feuer giebt es noch andere wohlthätige Ele-
mente — Ungezügelte Bilder, funkelnde Sprü-
che, tiefgeschöpfte, schwer herausgezogene
Sätze mögen immer bleiben, was sie sind;
es giebt Gedanken, die ihren stillen Werth
haben — die gerechtfertigt werden durch
That —! — Wenn den gelehrten Arbeiten
der Weiber eine gewisse Furchtsamkeit an-
klebt — ist es Wunder, da sie sich in die
gelehrte Republik bloſs hineinstehlen müssen?
Von Natur sind sie dreister als wir; das Ge-
[383] fühl des Unvermögens, den Vorzügen Anderer
gemäſs zu reden und zu handeln, das Allem
eine gewisse Ängstlichkeit giebt, ist ihre Sa-
che nicht — Die Gabe ihrer leichten unge-
zwungenen Unterhaltung wird ihren Vortrag
nie mit üblen Angewohnheiten und Einschieb-
seln verunstalten, die sich nicht viel besser
ausnehmen, als wenn verlegene mit der Welt
noch unbekannte Jünglinge von ihren Händen
und Füſsen geärgert werden — oder wenn
Fliegen in ein reitzendes Gericht fallen. Mü-
ſsige Phrases in’s Gespräch einschalten, heiſst
ihnen: die Zeit tödten; und durch schöne Re-
densarten einnehmen: das Vergnügen als Zweck
des Lebens behandeln. Seht Prinzen — und
seht regierende Herren selbst, wie furchtsam
sie sind! — Das Hof-Ceremoniel scheint
nur erfunden zu seyn, ihrer Blödigkeit aus-
zuhelfen. Auch giebt es eine edle Freiheit,
welche die Folge eines guten Gewissens ist, —
so wie es ein Wohlbefinden giebt, ein Gut-
und Übelaussehen, das vom Gewissen kommt;
und dies ist dem andern Geschlecht eigen —
Warum sollten Weiber denn wohl als Schrift-
[384] stellerinnen furchtsam und verlegen thun und
seyn, da die aufgehaltene Sprache sich durch-
brechender Empfindungen eine Gewalt und
Stärke besitzt, gegen die schwerlich sonst et-
was zu wirken vermag, als unser kritischer
Übermuth, der die Weiber durchaus nicht
aufkommen lassen will? Weiber wissen Wahr-
nehmungen zu Beobachtungen zu erhöhen;
und da Männer Sätze zu Grundsätzen zu er-
heben wissen, (die, wohl zu merken! der Phi-
losoph sogar dem Mathematiker vorschreibt)
und mit ihnen Tausend schlagen: so schlügen
Weiber mit ihrem Witze gewiſs Zehntausend,
wenn Männer ihn nicht durch eine Art von
Gründlichkeit (die genau genommen wenig
oder nichts bedeutet) zu lähmen und in Ver-
legenheit zu setzen suchten. Weiber besitzen
die Geschicklichkeit, alle Seelenkräfte auf
Witz zurückzubringen — Gelingt ihnen nicht
Umfassung der Sache auf eine bewunderungs-
würdige Weise? Wissen sie nicht das ewige
Einerlei, wozu sie verurtheilt sind, unübertreff-
lich schön zu modificiren? und Aufmerksam-
keit in hohem Grade, oder Scharfsinn zu zei-
gen?
[385] gen? Wie können sie aber einem Schwalle
von Kunstwörtern widerstehen, womit wir
Sturm laufen! wie eine schwerfällige Gelehr-
samkeit widerlegen, wodurch wir sie aus dem
Tempel der Wissenschaften hinauskritteln,
dessen Allerheiligstes doch so leicht und ein-
fach ist —! Warum soll es ihnen an Ge-
dankenfülle, groſsen erhabenen Darstellungen
von Charakteren, an hohem Schwunge gebre-
chen, oder an Schöpfungskraft und hohem
Grad des Enthusiasmus, da sie von dem
allen ungesuchte und anspruchlose Proben
im gemeinen Leben äuſsern? — Feine ori-
ginelle und der Natur abgelauschte Züge
sind ihnen eigener als uns; was ihnen am
scharfen Umriſs bei ihren Charakteren (rich-
tig ist er fast immer) abgeht, ersetzen sie
durch ihr lebendiges Colorit — So wie
sie ihren Körper zu kleiden verstehen, so
kleiden sie auch ihre Gedanken — Die
Angemessenheit ihrer Worte und die groſse
Einfachheit in der Wortfügung, geben ihrem
Styl eine Deutlichkeit, die nichts übertrifft.
Die besten Denkzettel, die ein Autor seiner
B b
[386] Schrift anhängen kann, sind, wenn er durch
seine Darstellungen uns an uns selbst erinnert;
wenn seine Schrift dem Menschen durch das
Herz geht; wenn die Leser sich einbilden: es
fehle wenig oder nichts, so hätten sie diese
Schrift selbst stellen können; sie wären im
Stande gewesen, sie dem Autor in die Feder
zu sagen; aus ihrem Herzen hätt’ er es ge-
nommen und ihnen verkündiget — Solch ein
Widerschein erleuchtet und frommt! — Wir
lassen uns von Ideen, wie Sokrates von seinem
Dämon, verfolgen, wir versetzen uns, wie
Plato, in eine Republik; und so wie der,
welcher ein unverwandtes Auge auf Einen
Punkt heftet, zuletzt sieht, was er sehen will:
so sehen auch wir mit dem Auge der Seele
Windmühlen für Riesen, Wirthshäuser für
Schlösser, Teiche für Weltmeere, eine Abde-
ritische Posse für einen wohlüberdachten Fi-
nanz-Kniff oder Operation an — Nicht ge-
nug; auch Worte spielen den Meister nur zu
oft über uns — Wir veruntreuen ihre Bedeu-
tung, werfen eine willkührliche Markscheidung
derselben auf, und fallen, wie Leute, die reich
[387] werden wollen, in Versuchung und mancherlei
Stricke, wenn wir nach der leichtesten Art reich
zu werden, zu sparen, oder nach der schwer-
sten, zu speculiren, suchen — Wir arbeiten Al-
les zum Druck aus, in der bestimmten Absicht,
es dem gelehrten Publico zu überantworten,
oder es in einem privilegirten oder unprivile-
girten Cirkel vorlesen zu lassen — Und ob
es gleich freilich correkter ausfällt, wenn der
Inhalt lehrreicher ist, oder so aussieht, wie
ein hingeworfener weiblicher Aufsatz; so wird
die Arbeit des anderen Geschlechtes doch
mehr Individualität zeigen, und eine Intuition
behaupten, die wir, im Namen und von wegen
unserer stupenden Gelehrsamkeit, fast keinem
unserer Werke in gleichem Grade verleihen
können. Leichter und flüchtiger sind weib-
liche Arbeiten; allein darum oft treffender,
richtiger, eindrücklicher. Weiber lieben schon
nicht lange Worte, weil hier eine Hauptsylbe
sich die anderen unterordnet und sich die
Herrschaft über diese anmaſst — Lange Perio-
den sind ihnen nicht angenehm, weil sie die Al-
ten nicht genug kennen, weil dieselben schwe-
B b 2
[388] rer zu lesen und zu fassen sind, und weil der
Witz ein Todfeind dieser Potsdammer ist —
von denen ein plumper Holländer behauptete,
daſs nur ein kleines Herz in einer dergleichen
gewaltig groſsen Maschine gefunden werde —
Selten lassen Weiber einen üppigen Spröſsling
des Ausdruckes aufschieſsen — und ereignet
sich der Fall, so ist es eine Feldblume, die
sich nicht aus den Grenzen der Bescheiden-
heit wagt — Bei uns gewinnt Nachdenken,
bei Weibern Empfindung die Oberhand —
Die Oberhand, sag’ ich; denn auch Nachden-
ken leistet der weiblichen Empfindung hülf-
liche Hand: und sind in ihren Aufsätzen nicht
alle Ungleichheiten geebnet, so bleibt ihnen
dagegen mehr Eigenthümliches — Man rücke
das Ziel ihres geschäftigen Lebens über die
Küche und Stricknadel hinaus; man führe sie
nur an: und sie werden uns sehr bald an
Scharf- und Tiefsinn übertreffen, ohne sich kraft
ihres gesunden Menschenverstandes zu verstei-
gen. Ach! wer kann sich entbrechen, wenn vom
Vorzuge unseres Geschlechtes die Rede ist, mit
Daniel auszurufen: Seht, das sind eure Götzen!
[389]
Weiber können nicht allein seyn —
Nicht allein? Lieber! wenn die Einsam-
keit gemahlt werden soll, muſs ein Weib sit-
zen, oder sie ist nicht getroffen.
Oder nichts allein überlegen.
Und doch ziehen Männer sie alle Augen-
blicke zu Rath; und wohl ihnen, und dem
Collegio und dem Staate, wenn Männer es
thun! O! wie gern wälzen die Männer ihre
Bürde von ihrem Herzen auf ihre Weiber,
denen sie ihre Geheimnisse anvertrauen! und
wie viel haben Weiber zu tragen! o, wie viel!
Von Weibern dagegen ist fast keine einzige,
die nicht etwas hätte, was nur Gott und sie
weiſs, was kein Beichtvater erfährt, und wo-
mit sie der Zeit und Ewigkeit unerschrocken
entgegen geht — Unsere Geheimnisse verflie-
gen oft, gleich einem flüchtigen Geiste; die
ihrigen sind ihnen in Herz und Seele geätzt —
Wenn Gedanken ihren Schöpfern entkommen,
die sich bei aller oft widerlichen Anstrengung
nicht zurückbringen lassen — ihren Schöpfern,
die nur selten Gedankenerhalter sind; so ver-
statten Weiber ihren Gedanken nicht so viel
B b 3
[390] Ausgelassenheit — Was ich doch sagen wollte,
wird man selten oder gar nicht von Wei-
bern hören. Ihr Gedächtniſs ist getreuer,
als das unsrige; und schwerlich wird ein
Weib so zerstreuet seyn, wie Terrasson, und
so sehr sein Gedächtniſs verlieren, wie er.
Weiber halten Zerstreuungen für Affektation,
und können sich nicht des Lachens enthalten,
wenn sie von Terrasson hören, daſs er kurz
vor seinem Ende im Gedächtniſs-Concurs
Alles an seinen Verwalter Luquet assignirte,
so daſs er, als sein Beichtvater ihn bei der
letzten Beichte nach seiner Sündenmenge fragte,
demselben auch diese Assignation gab: Fragen
Sie nur Luquet. —
Weiber wären nicht selbstständig und allein
fähig? Eine Einwendung, die, so leimgestärkt
sie auch scheint, sich nicht halten kann.
Wenn wir zwischen Furcht und Hoffnung
schwanken, nehmen sie gleich Partie, und
sind entschlossen an Leib und Seele — Ihre
Entbindungen machen sie so dreist. Bei min-
der wichtigen Dingen halten sie es nicht
werth, es noch auf Entschlüsse auszusetzen[.]
[391] Es gehe, wie es gehe — In politischen An-
gelegenheiten schlagen sie, wenn wir kannen-
gieſsern, sich zu keiner Parthei, und wählen
das beste Theil. Was wir leisten, macht un-
sern Lehrern Ehre; was sie leisten, ihnen selbst
— Sie mischen die Karten, und theilen sie so
aus, daſs Spieler und Zuschauer zufrieden sind,
wenn dagegen eine Menge staatskluger Köpfe
beisammen sitzen, und noch immer in gerech-
ter Befürchtung, nicht Kopfs genug zu besit-
zen, auf Verstärkung ihrer Beisitzer denken.
Vor lauter Räderwerk wird nichts zu Stande
gebracht, vor lauter Reden kommt es zu kei-
ner That, vor lauter Stimmenzählung zu kei-
nem Schlusse. Wer von uns hat sich über
das Stimmen der Instrumente nicht geärgert,
ehe es zur Sinfonie kommt —? Hohe Deut-
lichkeit und stärkeres Licht mit mehr Vergrö-
ſserung zu vereinigen — das ist das Ziel der
Ausrüstung, um Augenreisen in die Ferne zu
thun. Wie oft zerschlagen unverständige Kin-
der und bärtige Collegia einen stattlichen Spie-
gel, um eine Fliege zu tödten! und noch öfter
wird das Kind mit dem Bade ausgegossen.
B b 4
[392] Des Bocksbeutels und der verkünstelten Kunst
halben kommen Dekrete zum Vorschein, mit
denen am wenigsten in allen Fällen, und
höchstens nur provisorisch, auszulangen ist;
Dekrete, die höchstens Palliative sind, um
sich eine angenehme Ruhe für die nächste
Nacht zu machen.
Warum soll man den Jesuitenorden von
den Todten erwecken, und die heimlichen Je-
suiten, Jesuiten en tapinois (das schöne Ge-
schlecht) privilegiren?
Warum? weil die heimlichen schädlicher
sind, als die öffentlichen, weil die öffentlichen
(wenn nämlich nichts heimlich bei ihnen
bleibt) aufhören Jesuiten zu seyn, und weil ge-
heime Krankheiten die gefährlichsten sind —
Wie kommt aber das andere Geschlecht zur
Ordensehre?
Maitressen von guter Abkunft haben bei
weitem das Böse nicht gestiftet, was die Mai-
tressen niederer Abkunft, eine Pompadour,
eine du Barry, sich zu Schulden kommen lie-
ſsen. Allerdings! und also nehme man nicht
Maitressen, sondern Weiber.
[393]
Nein, also lasse man die Weiber in ihrer
Dunkelheit! Getroffen, wenn sie Maitressen
werden sollen — Wenn sie aber ihren gött-
lichen Ruf, Weiber zu seyn, befolgen, so hebe
man sie nicht durch Flittergold, sondern durch
Ächtheit — Sind die Türkischen Bassen und
Veziere, die Beys in Ägypten darum mensch-
licher, weil sie in ihren früheren Jahren das
Elend des Volkes aus erster Hand kennen
lernten?
Welche Widerlegungen!
Sind etwa die Einwendungen besser?
Es läſst sich Alles vertheidigen —
und wider Alles einwenden.
Ich wollte um Vieles, um Alles in der
Welt kein Weib seyn —;
ich auch nicht —
und doch —
und eben darum.
Wer hat nun Recht —?
Wer die Wahrheit sagte.
Und wer sagte die Wahrheit? nicht wahr:
wer Recht hatte?
B b 5
[394]
Wer die Sache der Unterdrückten führte,
und wer der Menschheit sich annahm.
Der Menschheit?
Sind etwa Weiber nicht Menschen?
Der Unterdrückten?
Sind wir nicht ihre Tyrannen?
Heil den irrenden Rittern!
Heil und fröhliche Gestalt, wenn ihr Ritt
auf Menschenwohl ausgeht —
und wenn sie keine Dulcineen haben,
als die Reinheit der Absicht, die Dulcinee
unserer Philosophen —.
Dies Buch wäre nicht eines Weibes halben
geschrieben —?
Nicht eines Weibes, sondern der Weiber
halben — Keines weiſs, daſs ich es geschrie-
ben habe, keines wird es, so Gott will, wissen.
Und warum denn nicht jener schmale Weg,
der das zu Viel und zu Wenig vermeidet und
durch Beides sich durchschlängelt?
Weil Wenige sind, die darauf wandeln —
Besser als Viele!
Nicht immer, wenn von bürgerlicher Tu-
gend und Untugend die Rede ist.
[395]
Der Mittelstand zwischen Skepticismus und
Leichtgläubigkeit —
ist ein unseliges Mittelding — So oder
nicht so, ist mein Wahlspruch; — nicht aber:
so oder anders, oder halb so. Ja Ja, ist bei
mir ein halbes Nein; und Nein Nein ein
halbes Ja. Ja, Nein, was drüber und drunter
ist, ist vom Übel —
Und die Gesetze! — wird dies Buch es
mit ihnen ausmachen?
Mein kleinster Kummer! mögen es die Ge-
setze mit den Gesetzen ausmachen! mögen
die Todten die Todten begraben! — Freilich
thun die Gesetze zuweilen so, als ob es Kräfte
in der Menschheit gäbe, die auſserhalb der
Menschheit lägen —
Was will das sagen?
Es giebt Gesetze, welche die einzelne Kraft
des Menschen unterdrücken, damit die Summe
aller Kräfte desto stärker sei; und doch ist
natürlich die Gesammtkraft desto gröſser, je
gröſser die Summe der Kräfte einzelner Men-
schen ist — Unsere Herren Staatsrechenmei-
ster verrechnen sich gewaltig, da sie die Zahl
der Weiber auswerfen —
[396]
Wenn sie indeſs auf den Zweck der bür-
gerlichen Gesellschaft sehen —
O! dann verrechnen sich die Oberrech-
nungs-Cameralisten noch mehr. Giebt es einen
andern Zweck, als die individuelle Freiheit zu
schützen, und die Eingriffe eines Jeden in die
Freiheit eines Andern zu behindern —?
Das sollte auch auf Geschlechter Anwen-
dung finden?
Sind die etwa nicht moralische Personen?
Und die Billigkeit?
ist ganz auf meiner Seite. Was im Lande
gilt, ist Recht; was in der Welt gilt, ist bil-
lig — Was nach der Meinung der mehresten
Menschen recht ist, ist billig —
und billig ist der, der so handelt, daſs es
die mehresten Menschen für Recht halten — Ein
billiger Autor ist der, der so schreibt, daſs —
Wahr —!
Wenn wir zählen wollten —
würd’ ich gewinnen, falls nur die stimm-
ten, die man nicht fragen darf: »verstehest du
auch, was du sagest —? weiſst du auch,
was du thust —?»
[397]
Immerhin Verbesserung; warum bür-
gerliche?
Weil man sich an Zweige, und wohl gar
Blätter, nicht halten muſs, wenn der Stamm
anzugreifen ist —
Und der Ausdruck dieses Buches —!
Nachdem die Materie, in der man arbeitet,
nachdem die Bruchstücke und Späne, welche
fallen —
Mögen doch meine Leser und Leserinnen,
denen der obige längliche Streit und Wider-
streit beschwerlich gefallen ist, an dieser run-
den Manier sich erholen und Luft schöpfen,
oder mögen sie es nicht, wie es ihnen be-
liebt — —
[398]
VI.
Nutzanwendung.
Wenn es wahr ist, daſs von der Theorie
des Drucks die ganze Operation eines glück-
lichen Finanzsystems und einer weisen Staats-
regierung abhängt: so haben die Männer we-
nigstens nicht die rechte Art des Druckes er-
wählt; denn in Wahrheit, wir verlieren durch
die Art, wie wir das andere Geschlecht be-
handeln, mehr als es selbst. Man sagt, dies
sei auch der Fall, wenn man im Unterthan
die Tugenden des Fleiſses, der Industrie und
des Gehorsams durch siebenmal sieben Plagen
erzwingen will. Zwar bei dem Magnetismus
erregen Druck, Reiben und Streicheln ein
übermenschliches Vermögen; allein der poli-
tische Druck hat noch nicht die Divinations-
gabe erregt, den Hunger ohne zu essen, und
den Durst ohne zu trinken, zu stillen. Es
ist höchst jämmerlich kein anderes Gesetz zu
haben, als den souverainen Willen; und wo
[399] wandelbare Launen des Despoten, seine Indi-
gestionen, seine Galle, seine Blähungen die
Stelle der Numas und Solone vertreten — wer
mag da unter Anordnungen stehen? Es ist
schon unerträglich, auch dem besten Menschen
untergeben zu seyn, wenn er väterlich über
Menschen regieren will, die längst die Kinder-
schuhe auszogen! — Seht! in dieser trau-
rigen Lage befindet sich das andere Geschlecht.
Jene Zeit ist nicht mehr, wo ewige Fehden
alles in beständiger Unruhe und Furcht erhiel-
ten, wo das Rauben eine Heldenthat schien,
und wo man durch Raufen zu Ehren kommen
wollte. Was ist aber ärger, seines Schicksals
gewiſs seyn, oder unter dem Beistande des
Rechtes leiden? einem ganzen Geschlecht un-
ter der scheinheiligen Vorgabe des gemeinen
Bestens seine Rechte und Privilegien rauben?
oft thun als stände man unter dem Befeh-
le seiner Sklavin, und noch öfter wirklich
schon ihre Winke befolgen, und doch im
Ganzen ihr Tyrann seyn und bleiben? Scheint
nicht fast die Liebe aufzuhören, sich in eine
Herrschbegierde zu verwandeln, und diesen
[400] Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte
schon frühzeitig und in den Flitterwochen der
Liebhaberei durch Eifersucht zu verrathen?
Jetzt schmachtet und liebkoset der schüchterne
Jüngling, um über ein Kleines als Mann
kalt und trotzig zu gebieten — Im Theater
wird wahre Welt zum Vorschein kommen
müssen, wenn sie noch sichtbar werden soll;
denn in der wirklichen Welt wird Komödie
gespielt. Wo giebt es Abderiten-Fälle, wel-
che denen gleichen, die das Verhältniſs beider
Geschlechter täglich an den Tag legen —
Wenn ein vernünftiges Wesen eines anderen
Planeten Zeit übrig hätte, eine Wanderschaft
auf diesen Erdenkloſs zu unternehmen, und
das Verhältniſs beider Geschlechter zu beher-
zigen; würde nicht, wenn das vernünftige
Wesen nach seiner Heimkunft eine Reisebe-
schreibung herausgäbe, die Reise dieses Niko-
laus Klimm eine der ernsthaftesten Dogmati-
ken (das ehrbarste, das ich kenne) scheinen?
An einem Verleger wird es dem Wanderer
dort hoffentlich nicht fehlen — Die allge-
meine Vernunft ist über den Codex, nicht
aber
[401] aber der Codex, der doch sein eigener Beweis
nicht seyn und sein eigenes Kriterium nicht
aus sich selbst nehmen kann, eine Proceſs-
Ordnung für die allgemeine Vernunft — Wie
lange will man unserer Seits der Vernunft
widerstehen! Die Menschen schieben gern
Alles auf Andere; und wenn sie keinen finden,
der seinen Rücken zu dieser Belastung dar-
bietet, so muſs die Natur sich diese Denun-
ciation gefallen lassen — und so fehlt es auch
unserem theuren werthen Geschlechte nicht
an Behelfen, die auf die Rechnung der schö-
nen Welt gesetzt werden — Eine Schande
für uns, daſs wir nicht nur ungerecht sind,
sondern auch die Schuld dieser Ungerechtig-
keit von uns entfernen, und sie dem anderen
Geschlechte zuschieben! Das Weib, das du
mir zugesellet hast, sagte schon der alte Adam,
hat mich verführt; — und wir sind bis jetzt
noch so treue Adamiten, daſs wir nicht er-
mangeln, uns von der Schuld des subalternen
Ranges, den wir dem anderen Geschlechte
zueignen, in bester Form Rechtens loszusagen.
Die armen Weiber, die, wenn sie sich mit
C c
[402] uns auf kalte Negociation einlassen wollten,
kein Gehör finden, können es noch weit we-
niger gegen uns auf ernsthaftere Schritte aus-
setzen — Sie haben keinen Leonidas, keinen
Franklin, keinen Wafhington; sie sind keine
Spartaner, keine Schweizer, keine Amerkani-
sche Kolonisten: können sie aber nicht dies
Alles haben? können sie nicht dies Alles seyn?
Maria Antonia und la Fayette sind zwei
gleich groſse Charaktere, die in der Franzö-
sischen Revolutions-Geschichte glänzen werden.
Eitelkeit und Furcht vor Schande sind gemei-
niglich die Basis von dem ganzen Muthe der
Männer; Temperament ist es bei den Wei-
bern. Eine Reihe von Jahrhunderten hatte
Europa nur Eine Gestalt. Despotismus und
Sklaverei, Unwissenheit und Barbarei herrsch-
ten überall; und warum sollten die Weiber
nach einer, wenn gleich langen, Unterdrük-
kung, nicht zu jenem Range erhoben werden
können, der ihnen als Menschen gebührt?
Ein groſser Theil unter ihnen scheint der
Ketten, die ihnen das Gesetz so vortheilhaft
schildert, müde, und fühlt einen unüberwind-
[403] lichen Hang, sie eher zu zerbrechen, als mit
ihnen, wie mit Kinderklappern, zu spielen.
Man trauet den Damen zu wenig zu, wenn
man sich Mühe giebt, ihnen Alles in einem
Säftchen beizubringen, wenn man ihnen Alles
bezuckert und in Nähebeutelformat behändi-
get, als ob sie so schwach und hinfällig wä-
ren, nichts Gröſseres als ein Duodez-Bänd-
chen halten zu können. Die Frage: verstehest
du auch, was du liesest? wird in der Regel
das Duodez-Männchen von Stutzer weit eher,
als ein edles Weib, treffen. Wenn gleich die
Geistes-Arbeiten der Weiber, sobald sie in’s
Gröſsere gehen, für’s erste bas-relief sind —
sie werden weiter kommen; denn nur wir hal-
ten ihren Geist am Gängelbande, um sie
nicht allein gehen zu lassen. Ein groſser
Kinderlehrer lieſs in * * die Buchstaben in
Pfefferkuchen backen, damit die Kinder das
A B C in den Kopf bekommen möchten;
allein die liebe Jugend bekam das A B C in
den Magen, und ward krank zu derselben
Stunde. Diese Pfefferkuchen-Methode ist der
gewöhnliche Fehler, den man bei der Erzie-
C c 2
[404] hung des anderen Geschlechtes begeht. Man
will weder seinen Verstand, noch seinen Wil-
len zur Reife kommen lassen. Die Weiber
sind en biscuit; und wir! sind wir ausge-
brannt? und wären wir es — was ist denn
am Porcellain? — Böttcher wollte Gold ma-
chen, und brachte Porcellain heraus. Was ist
der Mensch? »Der halbe Weg vom Nichts
zur Gottheit,» sagt Young; und unser frommer
Haller, der den Namen Gottes nicht unnütz-
lich führen wollte: unselig Mittelding vom
Engel und vom Vieh — daſs sich Gott er-
barm! Friederike Baldinger versichert in ih-
rer Lebensbeschreibung, mit einer Vorrede
ausgestattet von Sophie de la Roche: »als Frau
war ich erträglich; wie klein würd’ ich als
Mann seyn!» Um Vergebung, sollte dies
nicht auch ein jeder Mann umgekehrt von
sich sagen müssen — so lange: ein Mann
seyn, nicht mehr heiſst: als ein Mensch seyn —?
Enthält jene Bescheidenheit der Friederike Bal-
dinger nicht zugleich einen Vorwurf für un-
ser Geschlecht in Beziehung unserer Selbst-
erhöhung —? Unser Herschel, der wegen
[405]Miſs Carolinen, seiner Schwester, und in
puncto der Astronomie mehr als einmal in
dieser Schrift von Amts- und Rechtswegen
genannt zu werden verdient, nimmt an: die
Centralkräfte wären nicht nur die erhaltenden,
sondern auch die bildenden und erneuenden
Kräfte der Weltsysteme; und nach seiner
Meinung können auch mehrere Gattungen von
anziehenden und zurückstoſsenden Central-
kräften in dem Baue des Himmels wirksam
seyn. Könnten, wenn männliche und weibliche
Centralkräfte in der Menschenwelt anzögen
und zurückstieſsen, nicht Dinge bewirkt wer-
den, von denen man bis jetzt nicht träumt — ?
Löset Herschel die dem bloſsen Auge sicht-
baren Nebelflecke vermittelst seines Teleskops
in Sterne auf — wie leicht würden die Flam-
steads und Mayers ihre Verzeichnisse von
Sternen am Weiber- oder besser am Men-
schenhimmel erweitern können, wenn beide
Geschlechter Ein Herz und Eine Seele wä-
ren! —
Geh’ ich zu weit, wenn ich behaupte,
daſs die Unterdrückung der Weiber Unter-
C c 3
[406] drückung überhaupt in der Welt veranlasset
habe? Wahrlich, die Tapferkeit ist keine
Entscheidung des Schicksals, wen sie zum
Regenten bestimmt hat. Durch Groſsmuth,
nicht durch List, muſs man den Feind über-
winden, und es ist und bleibt unanständig,
sich des Andern Unerfahrenheit zu Nutze zu
machen. Ist es besser, sich des Sieges schä-
men zu müssen, oder sich über das Glück zu
beklagen? Die Erhaltung eines einzigen Bür-
gers — ist sie nicht besser, als die Niederla-
ge von hundert Feinden? Das was nach der
Meinung der meisten Menschen Recht ist,
das ist, verdollmetschet: so ist wie es seyn
muſs; ist recht in einem erhabenen Verstan-
de. Dies rechte Recht gründet sich in der
Natur der Sache, und hat sich von den
Schlacken der Willkühr und des Türkischen
Despotismus gereinigt — Wollte man, nach
dieser allgemeinen Meinung von den Verhält-
nissen des fräulichen Geschlechtes, glauben,
(glauben muſs man in einem besondern Sinne
wollen) daſs das vielfach tausendjährige Reich
der Sklaverei der Weiber in diesem rechten
[407] Rechte oder in der Billigkeit sich gründe?
Ich will nicht glauben. Nicht alles was wir
ungestört leiden, hat die Ehre unsers inwen-
digen Menschen vor sich. Sehet euch um!
ihr werdet finden, daſs das meiste Unrecht in
der Welt in dem Bestreben besteht, so zu
handeln, daſs es die Mehresten für Recht hal-
ten. Wer kann wohl, ohne eine Gewaltthä-
tigkeit zu begehen, behaupten: die Weiber
müſsten einen gewissen Standpunkt auch bei
dem höheren Grade neuerer Cultur und Sit-
tenverbesserung behalten, und sie könnten,
wegen ihrer angebornen Bestimmung als Mit-
glieder der Societät und als Weiber, bis an
den lieben jüngsten Tag nur so weit und nicht
weiter kommen? Unsere Gränzen der Aus-
bildung sollten nicht abgesteckt seyn? nur die
ihrigen wären behügelt? O, du liebe Zeit!
Die relativen Bestimmungen des Weibes in
der Gesellschaft, in so weit es Weib ist —
wer fragt nach diesen? diese sind so ewig,
wie die Bestimmungen des Mannes als Mann.
Allein soll das Weib an Verstand und Willen
stehen bleiben, wenn der Mann Fortschritte
C c 4
[408] macht; so muſs es mit der Aufklärung in’s Ge-
dränge kommen, und sie muſs Kinderspott
werden — — Man könnte Männer mit der
Speise, Weiber mit dem Trank vergleichen;
und nur Speise und Trank in Gemeinschaft
halten Leib und Seele zusammen. Das Ge-
fühl der Bedürfnisse bildet den Menschen aus,
und der Schöpfer scheint es ihm nachgelassen
zu haben, Bedürfnisse zu erfinden, um sie im
Schweiſse des Angesichts befriedigen zu ler-
nen, durch Sprachunterricht zu Realkenntnis-
sen hinauf zu reifen — Selbstliebe, Neigung
zum Wohlbefinden, Abneigung gegen den
Schmerz, sind Triebfedern, den Menschen
immer weiter und weiter zu bringen; und das
andere Geschlecht fühlt sie, wo nicht in weit
gröſserem Maſse, so doch gewiſs nicht min-
der — Haben etwa Verabredungen, die aus
jenen Bedürfnissen und jenen Trieben entste-
hen, gemeinschaftlich Menschen seyn zu wol-
len, um desto leichter zum Zweck zu kom-
men — haben etwa Verabredungen in den
Stand der Gesellschaft zu treten, den Weibern
ihre Stelle angewiesen — ? Nicht also! Die
[409] Punktation zum Stande der Gesellschaft mach-
te Eva; und hat sie es sich wohl je vorstellen
können, daſs auch hier die Ersten die Letzten
werden sollten? Setzte unser Geschlecht mit
Vorwissen und Vorwillen des andern auf das-
selbe das Motto der Hölle: Hier ist die Hoff-
nung ausgeschlossen; oder ist vielmehr durch
den Stand der Gesellschaft der Stand der Na-
tur geheiligt? sollen nicht in jenem, wie in
diesem, alle Menschen gleich bleiben? Völ-
ker sind sich eben so gleich wie einzelne
Menschen, und Geschlechter so wie Völker.
Ist nicht durch Unterdrückung des Schwäche-
ren das innere Verderben der Staaten entstan-
den, woraus denn gerades Weges Unterdrük-
kung und Zerstörung von auſsen sich nach
und nach ergab? Kommt es bei diesen Din-
gen mehr auf spielenden Witz, schalkhaften
Vortrag, übermüthige Phantasie-Einfälle, oder
auf Wahrheit und Recht an? und können wir
in der Gesellschaft auf Gerechtigkeit Anspruch
machen, wenn wir keine erweisen?
Können wir, die wir uns so unrühmlich
zu Herren des weiblichen Geschlechtes aufge-
C c 5
[410] worfen haben, es leugnen, daſs wir diese
Herrschaft von je her nur sehr schlecht ver-
standen? und in dieser Wissenschaft, wie es
am Tage ist, bis jetzt nicht weiter gekommen
sind? können wir es vor unserm Gewissen
verhehlen, daſs wir die Urheber und Veran-
lasser aller weiblichen Fehler sind, und daſs
das meiste Gute, welches wir an uns haben,
auf die Rechnung des andern Geschlechtes
gehört? Furchtsame Männer werden allerdings
den Stab über mich brechen, weil ich angeb-
lich die Eitelkeit der Weiber gereitzt, und
ihre von Natur schon übermüthigen Begriffe
von ihrem Werthe genährt habe; allein, lieben
Leute, durch eure Feuer rufende Befürchtung,
ich möchte die weibliche Bestimmung zu weit
hinausgerückt haben, beweiset ihr, daſs ihr,
anstatt stark zu seyn, schwach seyd, und daſs
ihr durch diese Schwäche eure angebliche
Ordnung der Dinge umkehret — und daſs
euch die Geisteskraft und Denkfähigkeit man-
geln, die ihr aus bloſsem Neide dem andern
Geschlechte absprechen wollt. — In der
That, ihr solltet der Natur für das Hausmittel
[411] danken, durch das andere Geschlecht ange-
spornt und aufgemuntert zu werden, immer
weiter zu kommen, aber nicht Feigenblätter
suchen, eure stolze Faulheit zu decken. So
bald Weiber Menschen sind und Vernunft ha-
ben, sind ihre Geistesanlagen nicht zu be-
schränken; am wenigsten können wir hier
psychologische Richter seyn, da wir so sehr
Parthei sind, und da wir weit besser gelernt
haben, unsere Sache zu führen und Schild-
knappen der Autorität zu seyn, als das der
Natur weit treuer gebliebene andere Geschlecht.
Wo es nicht an innerer Kraft fehlt, da ist
nur Gelegenheit nöthig, um sie zu äuſsern;
und nur dann, wenn man sich den Vernunft-
gebrauch untersagt, kann man sich zur Ab-
leugnung jener Wahrheit bringen, daſs nicht
Alles menschlich gleich sey, was menschlich
vernünftig ist. Nur dann, wenn bodenloser
Stolz an der Bestimmung des Menschen kün-
stelt, entkommen wir der eigentlichen Ausbil-
dung der Anlagen unserer Natur, und sie ent-
kommt uns. Schade! —
Was für einen Einfluſs Erziehung, Klima
[412] und andere äuſsere Umstände auf Menschen
(Männer nicht ausgeschlossen) behaupten, lehrt
die Erfahrung. Der Weinbauer bleibt auch
in ergiebigern Ländern ein Beispiel von
Indolenz und einer daraus entspringenden
Verderbtheit des moralischen Charakters —
Weiber verstehen nur natürliche Waffen zu
führen; wir würzen unsere Schutzschriften mit
gelehrten Gründen, treffen provisorische Ein-
richtungen, und wissen Bescheid, unsere
Schwächen so zu verhängen, daſs sie nicht in
die Augen fallen — und eben darum behaup-
ten wir geradehin, daſs Weiber nur aus Neu-
gier, nicht aus Wiſsbegierde, nicht aus eige-
nem freien Triebe, sondern weil sie dazu
aufgemuntert werden, und nur aus Eitelkeit,
sich hier und da mit Wissenschaften abgege-
ben hätten, ohne sich doch je darin auszu-
zeichnen — Aber auſserdem, daſs die Rein-
heit des männlichen Verstandes und des männ-
lichen Willens keine Lobrede verdient, und
daſs Selbstsucht mit ihrer ganzen Sippschaft
von Eitelkeit, Stolz, Geldhunger und Schmei-
chelei, die Männer gar übel plagt; auſserdem,
[413] daſs auch der Gelehrteste, wenn er sich ir-
gend kurz fassen kann, kaum drei Wochen
gebrauchen würde, um alles zu beichten, was
er wirklich weiſs, und selbst was er wirklich
glaubt, so daſs sein Wissen und sein Weiſsa-
gen doch immer nur Stückwerk ist; anſser-
dem daſs zwischen Zuckerbrot der Lektüre,
und dem herben Wein der Erfahrung ein gro-
ſser Unterschied bleibt: so ist das Ende vom
Liede aller Wissenschaften und alles gelehrten
Dichtens und Trachtens, (wenn es nicht bloſs
Lückenfüller und Langeweiltröster seyn soll)
moralisch besser zu werden. Sind wir das?
O, alsdann tret’ ich beschämt zurück, wider-
rufe Alles, was in meiner Schrift nur nach
Apologie aussieht, und bleibe bloſs bei der
demüthigsten Bitte, dem andern Geschlechte
durch eine bürgerliche Verbesserung Zeit und
Raum zur moralischen Buſse zu gönnen; und
es zur Verpflichtung gegen die Gesetze des
Staates, zu jener bestimmten und äuſserlich
vollkommenen Verpflichtung zuzulassen, die
doch jeder Staatstheilnehmer oder Bürger ha-
ben sollte —
[414]
Und nun der Schluſs? Der Mensch läuft
spornstreichs, um zum Ende zu kommen,
und wenn er sein Ende sieht, muſs er sich
ganz zusammen nehmen, um sich zu fassen.
Machiavell schrieb seinen Principe, um die
Despoten-Republik zur Sprache zu bringen;
und ich wollte nichts mehr — Wenn ich
Dinge einander nahe lege, die sich für ge-
wöhnliche Augen sehr entfernt berühren, so
lasse man mir und Jedem doch seine Weise;
denn wenn alle Bücher eine und dieselbe Me-
lodie hätten — würden sich wohl noch so
viele Leser finden? an Thäter des Wortes ist
so nicht zu denken! Eine Schrift kann nie
ein mächtiges um sich greifendes Feuer an-
zünden; und wenn man behauptet: Rousseau,
Voltaire und Montesquieu hätten die Franzö-
sische Revolution zu Stande gebracht; so ver-
giſst man Nordamerica: und es gehört zu den
Zeichen dieser Zeit, wenn man mit Büchern
bekannter als mit Menschen ist, um zu regie-
ren; wenn man die äuſsere Form des Systems
viel zu lieb hat, um sie gegen das Gründliche
und Consequente der Lebensphilosophie auf-
[415] zuopfern; wenn man nur auf Mittel für einen
Tag sorget, um seinen Zweck durchzusetzen;
wenn man seinem Ehrgeitze nur ein anderes
Kleid anzieht, das weit weniger als der vori-
ge Anzug Achtung für die Leidenschaft erregen
kann; wenn man nicht die Weisheit an-
schauender, anziehender und wirksamer zu
machen sich bemühet, sondern bloſs seinem
theuren Ich Ehre zudenkt, und, wohl zu mer-
ken! ein solcher Schwelger und Schlemmeb
im Ehrgeitze ist, daſs man nicht an den an-
dern Morgen denkt, und sich befriedigt, vier
und zwanzig Stunden im Saus und Braus ei-
nes hohen Vivat zu glänzen, und Plane auf
die Zukunft gegen das schnöde Linsengericht
eines stündigen Zujauchzens zu verprassen
— — — Theilnehmende Achtung für den
Schwächeren hat etwas Göttliches; und wenn
Stände zum Controlliren der Staatsofficianten
ein herrliches, in Geduld Frucht bringen-
des Ding für den Regenten und das Volk
sind, warum will man diese Controlle des
menschlichen Geschlechtes den Weibern nicht
anvertrauen? ihnen, die nie gewohnt sind,
[416] etwas Imaginaires, sondern immer etwas
Wirkliches zum Grunde zu legen, wenn
wir uns gleich die schnödeste Mühe geben,
sie zu Romanen zu gewöhnen, um sie,
kraft der Reminiscenzen dieser Lektüre,
aus der wirklichen Welt hinauszubringen —
Weiber haben mehr Geist, als Wissenschaft;
Männer mehr Wissenschaft als Lebens-Philo-
sophie, und leicht vergiſst unser Geschlecht,
daſs man nach Tugend und Rechtschaffenheit
am ersten trachten muſs, wenn uns alles An-
dere zufallen soll. Bettelmönche haben oft
gröſsere Gewalt als Eminenzen; Diese haben
nicht Zeit, nicht Lust, es auf das Seelen-Re-
giment anzulegen, da hingegen Jene wirkliche
Seelen-Despoten sind, ob sie gleich (etwas
bescheidener) sich bloſs Seelsorger nennen.
Ich schrieb keine Grammatik, wo man die
Ausnahme gleich hinter der Regel verzeichnet:
das Zeichnen sollte den kalligraphischen Übun-
gen vorgehen, und die Geschichte, nach dem
Vorschlage geprüfter Pädagogen, rückwärts vor-
getragen werden. — Ich werde mich für hin-
reichend befriedigt halten, wenn man mir im
Gan-
[417] Ganzen beifällt, obgleich noch nähere Be-
stimmungen gütlich oder rechtlich nöthig ge-
funden werden. Ein Buch, das Gedanken er-
weckt, ist oft besser als eins, das Alles er-
schöpft, und die Leser wie Unmündige behan-
delt. Winke fruchten mehr als lange Beleh-
rungen; und wenn ein Schriftsteller das groſse
Amt verkennt, das ihm von der Natur anver-
trauet ward, Menschen gegen offenbare Un-
gerechtigkeiten zu schützen; so verdient er
selbst unterdrückt zu werden. Wer es über
sein Gewissen bringen kann, ein Geschlecht
zum gebornen Despoten des andern zu erhe-
ben, wird vielleicht nicht ohne Fertigkeit
seyn, volksübliche Sitten nachzuäffen und hö-
heren Volksklassen nachzulallen; allein auf
rechtskräftiges Urtheil wolle er in Zeiten Ver-
zicht thun, und seinen Schlaftrunk von Vor-
trag für jenes Mittelgut von Menschen aufspa-
ren, die Welt und eine Fabrikartigkeit besit-
zen — wenn gleich gemeiniglich die Plurali-
tät auf ihrer Seite ist. Das Deutsche Weib
galt in älterer Zeit allemak mehr als andere
Weiber, und ich bleibe gewiſs in den Schran-
D d
[418] ken der Wahrheit, wenn ich behaupte, daſs
auch noch jetzt Deutsche Weiber, so wie sie
da sind, einer Verbesserung empfänglicher und
fähiger wären, als alle andern, zu welcher
Zunge und Sprache sie sich bekennen, und
welcher Vorzüge sie sich sonst gegen die
Deutschen mit Recht oder mit Unrecht rüh-
men mögen — Nachtwandler erweckt man,
wenn man sie bei Nahmen ruft; — und soll-
ten unsere Deutschen Herren Männer nicht
auf den kühlenden Trank nüchtern werden,
den ihnen diese Schrift reichet? — Es giebt
Schriftsteller, die, wenn sie mit ihren Wer-
ken bei ihrem Geschlechte durchzukommen
sich nicht getrauen, ihre Schrift mit der Noth-
lüge begaben, sie hätten sie zu Heil und
Frommen des andern Geschlechtes gestellt.
Auch glaubt sich mancher Nachdrucker bei
Ehren zu erhalten, wenn er das schmackhafte
neugebackne Brot eines Andern bröckelt, ohne
selbst durch Milch oder Butter ihm ein ande-
res Ansehen zu geben, und dies alles auf
Kosten des andern Geschlechtes thut — als
ob der Herr Nachdrucker im Brote des weib-
[419] lichen Geschlechtes wäre, oder als ob es nicht
mehr könnte als (brockenweise) Brot es-
sen! — —
Wozu alle Vergleichs-Vorschläge und
Verbesserungs-Plane, die, wenn man gleich
ihnen Vorkaufs-Anmaſsungen nicht vorrücken
kann, die, wenn sie es gleich mehr bei be-
scheidenen Fingerzeigen bewenden lassen, als
daſs sie strafsüchtige Warnungstafeln ausstel-
len, doch um so weniger Lebensfrüchte sicher
verheiſsen können, als man von ihnen nicht
weiſs, ob und in wie weit sie in der Feuer-
probe der Ausübung bestehen werden?
Freilich! warum alle Katheder und Predi-
gerstühle? Sind die Menschen nicht von je
her Lügner, Undankbare, Räuber, Neider,
Geitzhälse gewesen? Raubvögel haben zwar
von Anbeginn ihre Nächsten, bescheidnere
Nebenvögel, gefressen, so bald sie sich ihrer
bemeistern konnten; Menschen, welche einse-
hen, daſs besser besser ist, und daſs sie bes-
ser werden können — sollten die ewig
Raubvögel bleiben? Mich tröstet der Glaube
an die analogisch zu vermuthende Absicht der
D d 2
[420] väterlichen Gottheit — und das rastlose Fort-
streben des menschlichen Geistes, der einmal
aufgeweckt und in Thätigkeit gesetzt ist. Die
gesunde Bergluft ist ohne Zweifel die Ursache
von dem Heimwehe der Schweizer; was sollte
aber das andere Geschlecht bewegen, in sei-
ner jetzigen Lage zu bleiben? Es wird wol-
len, wenn wir zu wollen uns entschlieſsen
werden —
Ungern muſs ich mich noch zu einer Art
Menschen wenden, an die ich gewiſs am wenig-
sten gedacht hätte, wenn nicht ganz frische Spu-
ren mich schreckten — Daſs dies die Her-
ren Recensenten nicht sind, versteht sich von
selbst. Es giebt wackere Männer unter ihnen,
die, wenn sie gleich sich einen ehemals un-
gewöhnlichen Reskriptenton angewöhnen, es
so übel nicht meinen; man lasse sie reskri-
biren — Du lieber Gott! was reskribirt heut
zu Tage nicht alles — ! Wenn Kinder und
Säuglinge an Jahren und an Verstande in un-
seren hohen Dikasterien den Nahmen Gottes
und ihres Fürsten so unnützlich führen, und
dummdreistes Zeug in diesen breiten goldenen
[421] Rahmen fassen; wenn sie so ungestraft blin-
den Lärm zu machen, die Vernunft in blöd-
sinnigen Sentenzen gefangen nehmen, den gu-
ten Ruf trefflicher Männer als gute Prise an-
sehen, und von Rechtswegen fünf gerade ge-
hen lassen können — wird man nicht, wohl
zu merken! bei würdigen Recensenten, denen
jene unbärtigen Groſssprecher nicht werth sind
die Schuhriemen zu lösen, die weit kleineren
Reskripten-Freiheiten, die sie sich herausneh-
men, ganz gern übersehen? Ich habe in
Wahrheit nichts gegen Recensenten, die sich
wie wohlthätige Egel an unsere Bücher hän-
gen, um ihnen das böse Blut abzusaugen;
vielmehr wünsch’ ich herzlich, daſs dieser
Blutdurst ihnen allerseits nach Stand und Ver-
dienst wohl bekommen möge. Wenn aber
Mücken um ein Paar Blutstropfen mich
verfolgen, und meinen Nahmen (wahrlich ein
Paar Blutstropfen) entwenden wollen; so bitt’
ich diese Anekdotensauger in Erwägung zu
nehmen, daſs ein Buch darum keinen Finger-
lang oder Fingerbreit schlechter oder besser
wird, weil man weiſs, daſs es diesen oder
D d 3
[422] jenen Verfasser hat. In der Schriftstellerwelt
giebt es keinen Erbadel; und warum will man
die gelehrte Republik in einen monarchischen,
wo nicht gar despotischen, Staat umwälzen?
warum nicht Jeden bei so viel Freiheit, wie
nur mensch- und politisch-möglich ist, lassen?
Da giebt es denn aber Kraftgenies ohne Ge-
nie, ohne genialische Anlage und Nachdruck,
die im Gefühl ihrer Geistesarmuth Anekdoten
haschen, um unter Gelehrten die Gelehrten
zu spielen, die sie nicht sind, und die sie
ohne wundervolle Pfingst-Inspiration auch
nicht werden können! Ein Pfeifer und Gei-
ger, ein Flöter und Trommeter glaubt taktlos
sich für Kant und Wieland in Einer Person
ausgeben zu können, ob er sich gleich begnü-
gen sollte, die Mauern von Jericho umzubla-
sen und die Steine tanzen zu lassen. Voll
Vademecums-Belägen wissen dergleichen Mas-
ken — und was denn? was unter braven wak-
kern Gelehrten der wenigste Kummer ist; —
allein dafür sind jene Kraftmänner auch vor
aller andern Hypochondrie, als der, die
aus Unwissenheit entsprieſst, und die mit
[423] Nahmen-Wuth anzuheben pflegt, sicher ihr
Lebenlang — machen sich aus Litteratur-Kin-
dern und philosophischen Säuglingen eine
Macht, und kommen nicht selten in die Ge-
fahr jenes Menschenkenners, der einen treff-
lichen Mann fragte: Ist der Herr nicht der
Küster aus **? »Nein, ich bin der General-
Superintendent **, und wer Sie sind, mag
ich nicht wissen.» — Wer leugnet es, daſs
durch Gelehrte von Profession, z. B. durch
Kant und Heyne, die Wissenschaften groſse
Fortschritte machten? Gewiſs würde der Mei-
ster der Philosophie Kant in seinen patriar-
chalischen Jahren nicht so kraftvolle Arbeiten
liefern, und durch einen wohlgestalteten See-
lenerben nach dem andern der Welt ein La-
chen bereiten, wenn er nicht in der Blüthe
seines Lebens mit diesen Gegenständen ver-
traut geworden, und bei seinem Unterrichte
zu denken von Anbeginn gewohnt gewesen
wäre. Seine Vorlesungen waren die Goldwa-
gen seiner Grundsätze — Solch eine Pflege
kann kein Geschäftsmann seinem Buche geben;
noch nie aber haben verdienstvolle akademische
D d 4
[424] Lehrer einem Lessing, Spalding, Teller, Mo-
ses Mendelssohn u. s. w. ihr Verdienst abge-
sprochen, vielmehr es gern gesehen, wenn
diese fein sokratisch ihre Systeme in Philoso-
phie der Welt, ich weiſs nicht ob erniedrig-
ten oder erhöheten? — Und wozu diese Bemer-
kung? Um eine andere einzuleiten — Wenn
die Kritik der reinen Vernunft mit dem Nah-
men Immanuel Kant in die Welt kommt —
wer hat etwas dagegen? Wenn aber ein Ge-
schäftsmann Autor ist — in welche Schwierig-
keiten sieht er sich verwickelt! Der Präsident
beneidet ihn, wenn er Rath; und der Mini-
ster, wenn er Präsident ist. Zum gemeinen
Leben berufen, muſs er sich nach demselben
einrichten und sich in die Zeit schicken ler-
nen, und es ist bei dem Geschäftsmanne nur
zu oft böse Zeit. Kritiken schaden den Ge-
lehrten von Profession so wenig, als wenn Re-
nomisten sich an den Fenstern des zu stren-
gen Rektors vergreifen, die denn doch durch
Laden gesichert werden können; und wie
leicht ist das Haus Sr. Magnificenz wieder be-
fenstert! Der unsauberste Geist indeſs schadet
[425] dem Geschäftsmann, indem witzleere Antago-
nisten desselben den schalsten Einfall mit
Freuden aufnehmen, und mit diesen fremden
Kälbern pflügen, um den braven Mann zu
kränken. Der Gelehrte von Profession schlägt
den Ball, den ihm ein unfreundlicher Kritikus
zuschlägt, weiter; der Geschäftsmann kann
ihn nur zurückschlagen — Jeder Unglücksfall
im Dienst wird auf die Rechnung der Autor-
schaft geschrieben; jede ungegründete Be-
schwerde einer chicanirenden Parthei findet
gewisses Gehör, weil der Herr Decernent,
oder Instruent, Referent und wie die enten
alle heiſsen mögen, Autor ist und sich nicht
Zeit nahm — alle Menschen klug zu ma-
chen. — Der Revers der Sache? wird nicht
mancher Schriftsteller das Ansehen, welches
er in der gelehrten Welt hat, zum Schreck-
mittel brauchen, um sich zu einem Noli me
tangere zu erheben? wird nicht sein Vorge-
setzter seiner Schriftstellerfeder auf Rechnung
seines Postens eine Pension zuwenden, und
Andern aufbürden, was Jenem zu thun ob-
lag — ? Practica est multiplex. Ein Mann,
D d 5
[426] der Vater ist, wenn er Brutus seyn soll, der
unter den Autoren Präsident, und unter den
Präsidenten Autor ist, verdient die Züchtigung
eines Johnson’s, da hingegen ein Autor, wel-
cher der gelehrten Welt so wenig von seinem
politischen Verhältnisse, als diesem von jener
verräth, zwiefacher Ehre werth zu seyn scheint,
indem er sich nicht aus Einer Lage in die an-
dere hinein schmeichelt, keine Folie nöthig
hat, und nicht Eine Farbe in die andere spie-
len läſst, sondern überall Mann ist — — Das
Leben eines Mannes von dieser Art zu lesen,
wenn er aufhört entweder politisch oder na-
türlich zu leben — kann wahrlich ein besse-
res Lehrbuch werden, als das Leben unseres
trefflichen Semlers, der geheime Wissenschaf-
ten an geheimen Orten zu lernen suchte —
um sie kurz vor seinem Ende öffentlich zu
treiben — oder anderer Selbstbekenner, die
geistliche und leibliche Jahr-Monaths-Tage-
Stunden- und Minuten-Bücher stellten —.
Shakespear ward in seinem Leben wegen sei-
ner Sonetten, Milton wegen seiner Lateinischen
Verse und prosaischen Schriften geschätzt, de-
[427] rentwegen sich Beide schwerlich bis auf den
heutigen Tag erhalten haben würden — —
Friedrich II., der doch selbst von der
Poësie, wie von einem Dämon, gar übel ge-
plagt ward, so daſs sie sogar bei Schlachten
nicht verfehlte, ihm Cour zu machen, sagte
zu einem Staatsdiener, dessen Andenken ich
heute an dem Tage seines Todes feiere:
ich mache Ihn zum **; aber lass’ er mir das
Schreiben — So etwas stört, und im Amte
muſs Er sich durch gar nichts stören lassen —
hört Er? Ja! und wer Ohren hat zu hören,
der höre! Sind das die Gesinnungen eines
königlichen Schriftstellers, (nach Weise des kö-
niglichen Propheten David) wie viel ist von
Fürsten zu fürchten, denen, auſser der Sal-
bung zu Regenten, keine andere zu Theil
ward — ! wie noch viel mehr von Kö-
nigschen, die, zu schwach zu einer kritischen
Sichtung, an Autoren, welche ihnen über den
Kopf zu wachsen scheinen, so gern zu Rit-
tern werden — Ob von diesen Fällen Einer
oder keiner der meinige sei, thut nichts zur
Sache; daſs sie aus dem Leben genommen
[428] sind, wird Niemand ableugnen — Und darf
ich noch bemerken, daſs Kunstrichter, wie
alle andere Richter, nicht die Personen anse-
hen müssen, und daſs es pflichtwidrig ist, es
auf den Namen des Schriftstellers anlegen zu
wollen — ?
Wenn unsere Anekdoten- und Nahmen-
häscher dies in Erwägung zögen — würden
sie nicht lieber Fische fangen und Vogel stel-
len, da sie doch einmal verdorbene Gesellen
sind? — Wie viel wollt’ ich geben, wenn
ich dieses Schlusses hätte überhoben seyn kön-
nen! — denn in der That, ich weiſs ihn so
wenig in den Takt dieser Schrift zu bringen,
daſs ich mich vielmehr begnügen muſs, zu be-
merken, wie die Menschen nur alsdann sich
zu nahe kommen, wenn sie nichts thun wol-
len oder können, und, anstatt sich mit sich
selbst zu beschäftigen, es gemächlicher finden,
auf und gegen Andere zu wirken —
Daſs dieser Epilogus jene lieben, treffli-
chen, edlen Seelen nichts angeht, die in kei-
ner andern Absicht, als um sich näher mit
dem Schriftsteller zu verbinden, der mit ih-
[429] nen so harmonirt, seinen Nahmen gern wüſs-
ten — darf ich dies erst bemerken? —
Möchte doch der unerforschliche Gott die-
sen trefflichen Seelen öffentlich vergelten, was
sie auch etwa an mir insgeheim thaten! —
Möchte ihnen doch an der Hand gutdenken-
der Weiber des Lebens Last und Hitze nicht
schwer seyn! Leicht sei ihnen die Erde im
Leben und im Tode — ! —
[]
Appendix A Inhalt.
- I. Formale und Materiale der gegenwärtigen
Schrift. _ _ Seite 1 - II. Giebt es auſser dem Unterschiede des Ge-
schlechtes noch andere zwischen Mann und
Weib? _ _ 28 - III. Woher die Überlegenheit des Mannes
über die Frau entstanden? Ruckblicke auf
die ältere Zeit. _ _ 75 - IV. Nähere Angaben, woher die Überlegen-
heit des Mannes über die Frau entstanden
ist. Betreffen neuere Zeit. _ _ 122 - V. Verbesserungs-Vorschläge. _ _ 185
- VI. Nutzanwendung. _ _ 398
[][][]
- License
-
CC-BY-4.0
Link to license
- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Hippel, Theodor Gottlieb von. Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bngx.0