[]
Der
Meſſias.

[figure]
Zweyter Band.


Mit Koͤnigl. Pohln. und Churf. Saͤchſ. Koͤnigl. Preußiſchen
und Churf. Brandenburgiſchen allergnaͤdigſten Privilegien.

Halle: , im Magdeburgiſchen.
Verlegt von Carl Hermann Hemmerde.
1756.

[][]

Von der
Nachahmung des griechiſchen Syl-
benmaſſes im Deutſchen.



Vielleicht waͤre es am beſten, das Schickſal des neuen
Sylbenmaſſes der Entſcheidung der Welt ſo zu
uͤberlaſſen, daß man gar nicht daruͤber ſchriebe.
Jch habe dieß bisher geglaubt, und ich wuͤrde
meine Meynung auch nicht aͤndern, wenn es nicht Kenner
gaͤbe, die zwar die Alten geleſen, aber ſich nicht ſo genau
um ihre Versarten bekuͤmmert haben, daß ſie die Nachah-
mung derſelben entſcheidend ſollten beurtheilen koͤnnen. Dieſe
haben wirklich dem neuen Sylbenmaſſe ſchon ſo viel Gerech-
tigkeit wiederfahren laſſen, daß ſie verdienen, veranlaßt zu
werden, es ganz beurtheilen zu koͤnnen. Jch darf, ohne mir
zu ſehr zu ſchmeicheln, vermuten, daß einige ſo freundſchaft-
lich gegen mich geſinnt ſeyn werden, lieber zu wollen, daß
ich uͤber dieſe Sache, die ſie vielleicht eine Kleinigkeit nennen,
nicht ſchreiben moͤchte. So verbunden ich ihnen fuͤr dieß
Urtheil ſeyn muͤßte; ſo wenig halte ich auch die lezten Neben-
)( 2zuͤge
[]Von der Nachahmung
zuͤge der ſchoͤnen Wiſſenſchaften fuͤr Kleinigkeiten, beſonders,
wenn es Kenner der hoͤheren Schoͤnheiten ſind, fuͤr die man
ſie aufdeckt.


Bey der Unterſuchung des neuen Sylbenmaſſes ſelbſt
koͤmmt es darauf an, daß man erweiſe: Wir koͤnnen den
Griechen und Roͤmern in ihren Sylbenmaſſen ſo nahe nach-
ahmen, daß dieſe Nachahmung, beſonders groͤſſern Werken,
einen Vorzug gebe, den wir, durch unſre gewoͤhnliche Vers-
arten, noch nicht haben erreichen koͤnnen. Eine Nebenun-
terſuchung wuͤrde ſeyn, eben dieß von lyriſchen Gedichten zu
behaupten, denen wir zwar, durch einige unſrer Sylben-
maſſe, einen freyeren Schwung, als den groſſen Gedichten,
gegeben haben; die aber, weil ſie ſo vieler Schoͤnheiten faͤhig
ſind, daß ſie unmittelbar nach dem Trauerſpiele ihren Platz
nehmen duͤrfen, noch tonvoller und harmoniſcher zu ſeyn
verdienen.


Homers Vers iſt vielleicht der vollkommenſte, der er-
funden werden kann. Jch verſtehe unter Homers Verſe nicht
Einen Hexameter allein, wiewohl ieder ſeine eigene Harmonie
hat, die das Ohr unterhaͤlt, und fuͤllt; ich meine damit das
ganze Geheimniß des poetiſchen Perioden, wie er ſich vor
das ſtolze Urtheil eines griechiſchen Ohrs wagen durfte, den
Strom, den Schwung, das Feuer dieſes Perioden, dem
noch dazu eine Sprache zu Huͤlfe kam, die mehr Muſik, als
Sprache, war. Homer blieb, auch in Betrachtung des
Klangs, ein ſolcher Meiſter ſeiner Sprache, daß er die
Griechen verfuͤhrt zu haben ſcheint, ihre Verſe mehr abzuſin-
gen, als herzuſagen.


Sein Hexameter hat die angemeſſenſte Laͤnge, das Ohr
ganz zu fuͤllen; und er uͤberlaͤßt es den Alcaͤen, ſo die voll-
kommenſten lyriſchen Verſe ſind, es, aus andern Abſichten,
mit einem kuͤrzern, fallenden Schlage zu erſchuͤttern. Er
hat
[]des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
hat den groſſen, und der Harmonie weſentlichen Vorzug der
Mannichfaltigkeit. Da er aus ſechs verſchiednen Stuͤcken,
oder Fuͤſſen, beſteht; ſo kann er ſich immer durch vier, bis-
weilen auch durch fuͤnf Veraͤndrungen, von dem vorherge-
henden oder nachfolgenden Verſe unterſcheiden. Und da
dieſe Fuͤſſe bald zwo bald drey Sylben haben; ſo entſteht da-
her eine neue Abwechslung.


Durch das, ſo ich bisher angefuͤhrt habe, und dann
durch die gluͤckliche Wahl der Sylbentoͤne, und ihrer Ver-
haͤltniſſe gegen einander; und durch den abwechſelnden Ab-
ſchnitt des Verſes, bey welchem der Leſer bald laͤngere bald
kuͤrzere Zeit innehalten muß, erreicht der homeriſche Vers
eine Harmonie, die izt fließt, dann ſtroͤmt, hier ſanft klingt,
dort majeſtaͤtiſch toͤnt. Denn dieß alles in dem hoͤchſten
Grade des Wohlklangs, und nach den feinſten Grundſaͤtzen
deſſelben, hervorzubringen, ſind vorzuͤglich die griechiſche,
und dann auch die roͤmiſche Sprache am geſchickteſten. Die
Anzahl ihrer Buchſtaben und Toͤne iſt beynahe einander
gleich, und iedes einzelne Wort hat daher ſchon viel Wohl-
klang, eh es noch durch die Stelle, die es in der Verbin-
dung des Verſes bekoͤmmt, wenn ich ſo ſagen darf, in den
Strom der Harmonie einfließt, und dadurch ſeinen beſtimm-
teſten und vollſten Wohlklang hoͤren laͤßt.


Es koͤmmt uns izt darauf an, zu unterſuchen, wie nahe
wir dieſem groſſen Originale kommen koͤnnen? Der weſent-
liche Charakter unſrer Sprache, in Abſicht auf ihren Klang,
ſcheint mir zu ſeyn, daß ſie voll und maͤnnlich klingt, und
mit einer gewiſſen geſetzten Staͤrke ausgeſprochen ſeyn will.
Wer ihr Schuld giebt, daß ſie rauh klinge, der hat ſie ent-
weder niemals recht ausſprechen gehoͤrt; oder er ſagt es nur,
weil es einige ſeiner Nation auch geſagt haben. Mit groͤſ-
ſerm Rechte koͤnnte man der franzoͤſiſchen Sprache den Vor-
)( 3wurf
[]Von der Nachahmung
wurf machen, daß ſie wenig vollkoͤnige Woͤrter habe, und
noch weniger, wegen ihrer fluͤchtigen und faſt uͤbereilten Aus-
ſprache, periodiſch zu werden faͤhig; der italieniſchen, daß
ſie zu ſehr von dem geſezten und vollen Accente ihrer Mutter
ins Weiche und Wolluͤſtige ausgeartet; und vielleicht der
ſtarken Sprache der Englaͤnder, daß ſie zu einſylbigt ſey,
und zu oft, ſtatt zu flieſſen, fortſtoſſe, als daß ſie die Fuͤlle
des griechiſchen Perioden ſo nahe, wie die deutſche, erreichen
koͤnne. Kennern des griechiſchen Wohlklangs glaube ich meine
Vorſtellung von dem Klange unſrer Sprache noch deutlicher
zu machen, wenn ich ſage, daß ſie mit dem Doriſchen des
Pindar Aehnlichkeit habe, zugleich aber den Unterſchied vor-
ausſetze, der, zwiſchen dem Doriſchen des Pindar, und der
griechiſchen Schaͤferdichter, iſt. Ohne mich in die Entſchei-
dung einzulaſſen, welche von unſern Provinzen am beſten
deutſch rede? ſo koͤmmt es mir doch als wahr vor, daß ein
Sachſe das Hochdeutſche, oder die Sprache der Scribenten,
und der guten Geſellſchaften, mit leichterer Muͤhe rein und
ganz ausſprechen lernen kann, als einer aus den uͤbrigen Pro-
vinzen. Und wie einer von dieſen ſeine Sprache ſpricht, ſo
rein, ſo volltoͤnig, ſo ieden Ton und Buchſtaben, den die
richtige Rechtſchreibung ſezt, zwar ganz, aber doch nicht ſel-
ten, bey der Haͤufung der Buchſtaben, mit unuͤbertriebner
Leiſigkeit: dieß iſt die Regel der laͤngern und kuͤrzern Syl-
ben, der Art ihrer Laͤnge und Kuͤrze, und alſo auch der Har-
monie des Verſes uͤberhaupt. Jch muß geſtehn, es giebt
zweifelhafte Aufgaben bey dieſer Regel; und wir waͤren
gluͤcklich, wenn wir Eine groſſe Stadt in Deutſchland haͤt-
ten, die von der Nation, als Richterinn der rechten Aus-
ſprache, angenommen waͤre. Aber wir duͤrfen hierauf wohl
izt nicht hoffen, da Berlin eiferſuͤchtiger darauf zu ſeyn ſcheint,
den zweyten Platz nach Paris, als den erſten in Deutſchland,
zu
[]des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
zu behaupten. Gleichwohl liebe ich meine Landsleute ſo ſehr,
daß ich von ihnen glaube, daß ſie in den Staͤdten, wo es
nicht mehr unbekannt iſt, daß Achtung und Sorge fuͤr ein-
heimiſche ſchoͤne Wiſſenſchaften eine von den vorzuͤglichſten
Ehren einer Nation ſind, ſich bemuͤhen werden, ihre Sprache
recht auszuſprechen; und, wofern ſie ſich auch hierinn noch ei-
nige Nachlaͤſſigkeit verzeihen wollten, doch, wenn ſie oͤffentlich
reden, oder gute Schriften in Geſellſchaften vorleſen, ſich ſelbſt
und ihren Scribenten die Ehre erweiſen werden, daß ſie ihre
volltoͤnige und maͤchtige Sprache richtig ausſprechen.


Dieſe Ausſprache vorausgeſetzt, ahmen wir dem homeri-
ſchen Verſe ſo nach. Wir haben Daktylen, wie die Grie-
chen, und ob wir gleich wenige Spondaͤen haben; ſo verliert
doch unſer Hexameter dadurch, daß wir ſtatt der Spondaͤen
meiſtentheils Trochaͤen brauchen, ſo wenig, daß er vielmehr
flieſſender, durch die Trochaͤen, wird; weil in unſern Syl-
ben uͤberhaupt mehr Buchſtaben ſind, als bey den Griechen.
Es iſt wahr, die Griechen unterſcheiden die Laͤnge und Kuͤrze
ihrer Sylben nach einer viel feinern Regel, als wir. Wenn
wir unſre Sprache nach ihrer Regel reden wollten, ſo haͤtten
wir faſt lauter lange Sylben. Dieſes iſt der Natur des Ge-
hoͤrs zuwider, welches eine ungefaͤhr gleiche Abwechslung von
langen und kurzen Sylben verlangt. Die Ausſprache hat
ſich daher nach den Fordrungen des Ohrs gerichtet. Und
dieſes iſt biegſam genug geweſen, ſich an die Kuͤrze eines
Vocals zu gewoͤhnen, auf den zween oder auch wohl drey
Buchſtaben folgen; und es wird nur alsdann verdrießlich,
wenn dieſe Buchſtaben mit einer gewiſſen Ungelenkigkeit der
Zunge ausgeſprochen werden. Ob wir nun gleich auf der
einen Seite, in Abſicht auf die Feinheit des Wohlklangs ver-
lieren; ſo gewinnen wir, in Betrachtung einer ganz neuen
Mannichfaltigkeit, welche die Griechen nicht hatten, bey-
)( 4nahe
[]Von der Nachahmung
nahe mehr, als uns, durch die genaue Feinheit, entgeht.
Zum Beweiſe deſſen waͤhle ich vorzuͤglich den Daktylus, weil
er hinter der langen Sylbe zwo kurze hat. Da unſre kurze
Sylbe auf zwo Arten, und bisweilen auch auf die dritte, kurz
iſt; der Griechen ihre hingegen nur auf Eine und ſelten auf
Zwo Arten: ſo entſtehn daher ſo verſchiedne Daktylen, und
zugleich ſo viel Mannichfaltigkeit mehr, daß dieſe in Einem
Perioden die Harmonie ſchon ungemein erhoͤht, und denn
einem ganzen Werke zu einem Vortheile gereicht, der nicht
ſorgfaͤltig genung gebraucht werden kann. Dazu koͤmmt,
daß uns die Verſchiedenheit der Daktylen auch deßwegen an-
genehm ſeyn muß, weil ſie in unſern Hexametern mehr, als
in den griechiſchen vorkommen. Dieſer in einigen Faͤllen
nothwendige oͤftere Gebrauch der Daktylen, iſt auch wohl
Urſach geweſen, warum einige Neuere den ſogenannten ſpon-
daͤiſchen Vers, der den Hexameter mit zween Spondaͤen, ſtatt
eines Daktyls und Spondaͤen, ſchließt, mit dem Homer oͤf-
ters brauchen, ohne deßwegen etwas wider den Virgil zu ha-
ben, der die Urſach nicht hatte, und es daher nur ſelten that.


Wenn wir alſo unſern Hexameter, nach der Proſodie un-
ſrer Sprache, und nach ſeinen uͤbrigen Regeln, mit Richtig-
keit ausarbeiten; wenn wir in der Ausſuchung harmoniſcher
Woͤrter ſorgfaͤltig ſind; wenn wir ferner das Verhaͤltniß,
das ein Vers gegen den andern in dem Perioden bekoͤmmt,
verſtehen; wenn wir endlich die Mannichfaltigkeit auf viele
Arten von einander unterſchiedner Perioden nicht nur kennen,
ſondern auch dieſe abwechſelnde Perioden, nach Abſichten, zu
ordnen wiſſen: dann erſt duͤrfen wir glauben, einen hohen
Grad der poetiſchen Harmonie erreicht zu haben. Aber die
Gedanken des Gedichts ſind noch beſonders; und der Wohl-
klang iſt auch beſonders. Sie haben noch kein anders Ver-
haͤltniß unter einander, als daß die Seele zu eben der Zeit
durch
[]des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
durch die Empfindungen des Ohrs unterhalten wird, da ſie
der Gedanke des Dichters beſchaͤftigt. Wenn die Harmonie
der Verſe dem Ohre, auf dieſe Weiſe gefaͤllt, ſo haben wir
zwar ſchon viel erreicht; aber noch nicht alles, was wir er-
reichen konnten. Es iſt noch ein gewiſſer Wohlklang uͤbrig,
der mit den Gedanken verbunden iſt, und der ſie ausdruͤcken
hilft. Es iſt aber nichts ſchwerer zu beſtimmen, als dieſe
hoͤchſte Feinheit der Harmonie. Die Grammatici haben ſie,
„den lebendigen Ausdruck‟ genannt, und ihn oft dann nur
im Virgil oder Homer gefunden, wenn dieſe ihn etwa uͤber-
trieben, und ihm alſo ſeine eigentliche Schoͤnheit, die vorzuͤg-
lich in der Feinheit beſteht, genommen; oder in andern Stel-
len nicht daran gedacht hatten, daß Scholiaſten kommen,
und ihnen hier eine Schoͤnheit von dieſer Art Schuld geben,
wuͤrden. Verſchiedne Grade der Langſamkeit oder Geſchwin-
digkeit; etwas von ſanften oder heftigen Leidenſchaften; einige
feinere Minen von demjenigen, was in einem Gedichte vor-
zuͤglich Handlung genannt zu werden verdient, koͤnnen, durch
den lebendigen Ausdruck, von ferne nachgeahmt werden.
Wenn der Poet dieſes thut; ſo braucht er, oder es gluͤcken ihm
vielmehr einige ſeiner zarteſten Kuͤnſte der Ausbildung, die ihm
eben ſo leicht mislingen koͤnnen, ſo bald er zu ſehr mit Vorſaz
handelt, oder ſeine Einbildungskraft das enge Gebiet dieſer Ne-
benzuͤge zu hitzig erweitert, und ſich aus der Harmonie eines
Gedichts in die Muſik verſteigt. Jch muß zwar zugeſtehn,
daß es Faͤlle giebt, wo der lebendige Ausdruck dasjenige ſtark
ſagen muß, was er ſagen will. Aber uͤberhaupt ſollte man die
Regel feſt ſetzen, ſich demſelben vielmehr zu naͤhern, als ihn zu
erreichen. Und die Anwendung dieſer Regel ſollte man nur bey
der Beurtheilung ſeiner Arbeit noͤthig haben. Denn wenn
dieſe Art Schoͤnheit recht gelingen ſoll, ſo muß ſie im Feuer
der Ausarbeitung faſt unvermerkt entſtehen.


)( 5Auf
[]Von der Nachahmung

Auf eine Verbeſſerung der Harmonie von einer ganz an-
dern Art, und die nur den Vers an ſich angeht, haben ſich
einige unter uns eingelaſſen, da ſie eine Sylbe mehr vor den
homeriſchen Hexameter ſezten, um wie es ſcheint, durch
einen jambiſchen Anfang das Ohr, wegen der Ungewoͤhn-
lichkeit des neuen Verſes, ſchadlos zu halten. Aber ſie ha-
ben zween nicht unwichtige Einwuͤrfe wider ſich. Da der
Hexameter eben ſo lang iſt, als ihn das Ohr verlangt, wenn
es einen merklichen Abſatz einer vollen Harmonie, und nicht
mehr auf einmal fordert; ſo dehnen ſie die Laͤnge des Verſes
uͤber die Graͤnzen der Natur aus. Weil ſich aber dieſe
Graͤnzen nur durch ein gewiſſes Urtheil des Ohrs beſtimmen
laſſen; ſo kann ich mich, wegen ſeiner wahrſcheinlichen Rich-
tigkeit, nur auf die beſtaͤndigen Muſter der Griechen und
Roͤmer berufen, die doch ſonſt ſo abgeneigt nicht waren, neu
zu ſeyn, und in ihren theatraliſchen Jamben oft ſo ſehr von
einander unterſchieden ſind, daß es eben daher ſo ſchwer wird,
dieſe Versart genau zu beſtimmen. Der zweyte Einwurf iſt,
daß die, ſo die Sylbe noch hinzuſetzen, nicht ſelten in Gefahr
ſind, zween Verſe ſtatt eines zu machen.


Noch eine andre Sorgfalt, dem neuen Verſe eine gute
Aufnahme zu verſchaffen, war ein Einfall, der in dieſer Ab-
ſicht ſehr gluͤcklich war. So bald man ihn aber zur Regel
machen wollte, wuͤrde man ihn uͤbertreiben. Jn einem ly-
riſchen Gedichte wurden die Regeln des griechiſchen Sylben-
maſſes voͤllig nach der Proſodie der Alten beobachtet. Ohne
die Schwierigkeit zu beruͤhren, auch nur einige kleine Stuͤcke
in dieſer Art zu verfertigen, ſcheint mir dieſe ganz gebundne
Nachahmung, der Natur unſrer Sprache, ihres Hexameters,
und ſeiner Harmonie, entgegen zu ſeyn. Man weis, daß
Ovidius ſchon huͤpfend wurde, ſtatt den majeſtaͤtiſchen und
eigentlichen Wohlklang Virgils zu uͤbertreffen.


Weil
[]des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.

Weil ich mich uͤber das, was ich bisher von dem alten
und neuen Hexameter geſagt habe, nicht gern in Exempel aus-
breiten moͤgte; ſo will ich nur eins anfuͤhren, die Kenner der
Alten an den poetiſchen Perioden zu erinnern. Da zu we-
nige ſind, die Homers Sprache bis auf ihr Sylbenmaß ken-
nen, ſoll Virgil ſeine Stelle vertreten. Er ſagt vom
Salmoneus:


Quattuor hic invectus equis, \& lampada quaſſans
Per Grajûm populos mediæque per Elidis urbem
Ibat ovans, divûmque ſibi poſcebat honorem:
Demens! qui nimbos \& non imitabile fulmen
Aer’ \& cornipedum curſu ſimularat equorum!
At pater omnipotens denſ’ inter nubila telum
Contorſit, (non Ille faces nec fumea tædis
Lumina!) præcipitemqu’ immani turbin’ adegit!
()

Da wir uns dieſem feurigen Klange, dieſer Fuͤlle der
Harmonie, durch Nachahmung naͤhern koͤnnen; ſo begreife
ich nicht, warum wir es, beſonders in groͤſſern Gedichten,
die auch in ieder Nebenausbildung Anſtand und Maͤnnlich-
keit erfordern, nicht thun ſollen. Unſre eingefuͤhrten langen
Jamben, haben, auſſer der beſtaͤndigen Einfoͤrmigkeit, den
nicht weniger weſentlichen Fehler, daß ſie aus zween kleinen
Verſen beſtehn, und daß ein gewiſſer Abſchnitt dieſes zu ſel-
ten hindern kann. Dazu ſcheint ihnen ohne den Reim et-
was weſentliches zu fehlen. Der zehnſylbigte Vers hat viel
Vorzuͤge vor dem zwoͤlfſylbigten. Er iſt an ſich ſelbſt klin-
gender, und uͤber dieß kann man ſeinen Abſchnitt veraͤndern.
Es iſt der Vers der Englaͤnder, der Jtaliener, und auch
einiger Franzoſen. Selbſt Milton und Glover haben ihn
gebraucht. Er ſcheint aber gleichwohl fuͤr die Epopee zu
kurz, und dieß doch nicht ſo ſehr in der engliſchen, als in
der
[]Von der Nachahmung
der deutſchen Sprache. Wem dieſer Umſtand zu unwichtig
vorkoͤmmt, eine Regel daraus zu machen, dem geſtehe ich
zu, daß der zehnſylbigte Jambe die Wahl eines epiſchen
Dichters verdiente, wenn der Hexameter unnachahmbar waͤre.
Der Trochaͤe iſt zu lang, zu ſchleppend, und in groͤſſern Wer-
ken noch ſchwerer auszuhalten, als der zwoͤlfſylbigte Jambe.
Was ſoll alſo der Verfaſſer einer Epopee waͤhlen? Wenn
ich nicht ganz irre; ſo muß er entweder nicht in Verſen
ſchreiben, und ſich ſeine Worte wie Demoſthenes, oder Fe-
nelon von derjenigen Harmonie, welcher die Proſa faͤhig iſt,
zuzaͤhlen laſſen; oder er muß ſich zu dem Verſe der Alten
entſchließen.


Aber vielleicht iſt in lyriſchen Werken dieſe Entſchlieſſung
nicht ſo nothwendig? Und wir koͤnnen, ohne die Sylben-
maſſe der alten Ode, Pindariſch oder Horaziſch ſeyn? Jch
gebe zu, daß unſre lyriſchen Verſe einer groͤſſern Mannich-
faltigkeit faͤhig ſind, als die andern; daß wir einige gluͤck-
liche Arten gefunden haben, wo, durch die Abwechslung der
laͤngern und kuͤrzern Zeilen; durch die gute Stellung der
Reime; und ſelbſt manchmal durch die Verbindung zwoer
Versarten in Einer Strophe, viel Klang in einige unſrer
Oden gekommen iſt. Aber daraus folgt nicht, daß ſie die
horaziſchen erreicht haben; daß es unſern Jamben oder Tro-
chaͤen moͤglich ſey, es der maͤchtigen alcaͤiſchen Strophe, ih-
rem Schwunge, ihrer Fuͤlle, ihrem fallenden Schlage gleich
zu thun; mit den beyden choriambiſchen zu fliegen; mit der
einen im beſtaͤndigen ſchnellen Fluge; mit der andern mitten
im Fluge, zu ſchweben, dann auf einmal den Flug wieder
fortzuſetzen; dem ſanften Fluſſe der ſapphiſchen, beſonders
wenn ſie Sappho ſelbſt gemacht hat, aͤhnlich zu werden;
oder die feine Ruͤnde derjenigen Oden im Horaz zu erreichen;
die
[]des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
die nicht in Strophen getheilt ſind. Horaz iſt ein ſolcher
Meiſter in der lyriſchen Harmonie, daß ſeine Versarten ei-
nige beſondre Anmerkungen verdienen, um uns recht auf-
merkſam auf ihre Schoͤnheit zu machen, eine Schoͤnheit,
die in ſeinen meiſten Arten mit einer ſo gluͤcklichen Sorgfalt
erreicht iſt, daß ſie verfuͤhren koͤnnte, einige Kleinigkeiten
wider ein paar andre Arten bey ihm zu ſagen, welche die
feine Wahl der uͤbrigen nicht ganz zeigen. Wenn Horaz
am hoͤchſten ſteigen will, ſo waͤhlt er die Alcaͤen; ein Syl-
benmaß, welches, ſelbſt fuͤr den Schwung eines Pſalms,
noch toͤnend genung waͤre. Er laͤuft da am ofteſten mit
dem Gedanken in die andre Strophe hinuͤber, weil es, ſo
zu verfahren, dem Enthuſiaſmus des Ohres und der Ein-
bildungskraft gemaͤß iſt; da jenes oft noch mehr als den
poetiſchen Perioden, der nur in eine Strophe eingeſchloſſen
iſt, verlangt, und dieſe den Strom des ſchnellfortgeſetzten
Gedanken nicht ſelten fordert. Horaz wuſte entweder den
Einwurf nicht, daß, wegen des Singens, die Strophe
und der Periode zugleich ſchlieſſen muͤßten, weil ihm die
Saͤnger und die lyriſche Muſik ſeiner Zeit denſelben nicht
machten; oder er opferte die kleinere Regel der groͤſſern auf.
Die eine Choriambe, die aus vier Verſen, und nur Einem
ungleichen beſteht, hat viel Feuer, ſanfteres, und heftige-
res, wie Horaz will, dazu eine ihr eigne lyriſche Fuͤlle.
Aber ſie duͤrfte wohl, wegen der Gleichheit ihrer drey erſten
Zeilen, nur ſehr ſelten aus ſo vielen Strophen beſtehen, als
die Alcaͤiſche. Die zweyte Choriambe, die der vorigen bis
auf den dritten Vers gleicht, welcher ſich, mit einem ſanf-
ten Abfalle herunter laͤßt, wuͤrde denjenigen Oden vorzuͤg-
lich angemeſſen ſeyn, die ſich von der hohen Ode etwas zu
dem Liede herablaſſen. Die Stellung dieſer dritten Zeile
allein ſollte uns ſchon abſchrecken, neue Sylbenmaſſe zu
machen.
[]Von der Nachahmung
machen. Sappho hat eine Ode erfunden, deren Harmonie,
ob wir gleich nicht einmal zwey ganze Stuͤcke von ihr haben,
ſie am beſten getroffen hat. Die drey erſten Zeilen ſind in
dieſer Strophe einander gleich, und wenn der gewoͤhnliche,
an ſich harmoniſche Abſchnitt immer wiederholt wird, ſo
verliert die Harmonie des Ganzen; ein kleines Verſehn,
das Horaz mehr begangen, als vermieden hat. Es iſt
zwar dieß deſto leichter zu verzeihn, ie verfuͤhrender der Ab-
ſchnitt an ſich durch ſeinen Wohlklang iſt, und ie weniger
man ihm in den erſten zwo Strophen die Eintoͤnigkeit an-
ſieht, die er ſchon in der dritten und vierten verurſacht.
Jn der Ode an Pettius beſteht die Strophe nur aus drey
Zeilen, da eine vierzeiligte einer viel vollern Harmonie und
eben der Ruͤnde faͤhig iſt. Die zweyte Zeile iſt vielleicht
zu kurz, oder ſchloͤſſe doch beſſer die Strophe. Vielleicht
waͤre auch in der Ode an Melpomene, und in den andern
von eben dem Sylbenmaſſe, der laͤngere Vers gluͤcklicher der
erſte, als daß er der zweyte iſt.


Wenn dieſe Fragmente einer Abhandlung (denn ich
kann es keine Abhandlung nennen) einigen Leſern von Ge-
ſchmack einen beſtimmtern Begrif von dem Sylbenmaſſe
der Alten gemacht haben ſollten, als ſie bisher davon gehabt
haben; ſo wird es ihnen vielleicht nicht unangenehm ſeyn,
wenn ich noch etwas von der Kunſt, Gedichte zu leſen,
hinzuſetze. Es iſt mit Recht der zweyte Wunſch iedes
Dichters, der fuͤr denkende Leſer geſchrieben hat, daß ſie
dieſe Geſchicklichkeit beſitzen moͤchten; eine Geſchicklichkeit,
die Boileau, der ſie beſaß, fuͤr ſo wichtig hielt, daß er
dem gluͤcklichen Vorleſer den zweyten Platz nach dem Dich-
ter anwies. Zu unſern Zeiten, da man ſo ſehr aufgehoͤrt
hat, ſich aus der guten Vorleſung ein Geſchaͤft zu machen,
iſt
[]des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
iſt es genung, dieß wenige davon zu ſagen. Zuerſt muͤß-
ten wir die Biegſamkeit unſrer Stimme, und den Grad
ihrer Faͤhigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des
Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und ſcherz-
hafte Proſa, kennen lernen. Hierauf verſuchten wir die
poetiſche Erzaͤhlung, und das Lied. Ein Schritt, der
ſchwerer iſt, als er ſcheint. Dann giengen wir zu dem
Lehrgedichte, oder dem Trauerſpiele fort. Hier wuͤrden wir
finden, daß auch die ſorgfaͤltigſte Reinigkeit der Jamben den
Fehler der Eintoͤnigkeit nicht erſetzen konnte; und daß ſo
gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer
wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verfuͤhrt,
von der eigentlichen Ausſprache mehr abwichen, als ſelbſt
diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet
ſind. Von den Jamben erhuͤben wir uns weiter zu den
volleren Perioden der Redner. Wenn wir dieſe leſen koͤnn-
ten; ſo fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten
hierbey ſeine proſodiſche Einrichtung eben nicht zu wiſſen:
und da die Geſchicklichkeit, die Redner zu leſen, voraus-
geſezt wird; ſo duͤrften wir nur mit der geſezten Maͤnnlich-
keit, mit der vollen und ganzen Ausſprache, und, wenn
ich ſo ſagen darf, mit dieſer Reife der Stimme, den Hexa-
meter leſen, mit der wir die Proſa leſen. Wollten wir die
Proſodie des Hexameters noch dazu lernen; ſo wuͤrden wir
dem gearbeiteten ſeine voͤllige Gerechtigkeit wiederfahren laſ-
ſen; dem weniger ſorgfaͤltigen mehr Zierlichkeit geben; und
des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken koͤnnen. Wir wuͤr-
den auch durch dieſe Kenntniß beſtimmter wiſſen, wie man
den Vers zwar noch anders, als den beſten proſaiſchen Pe-
rioden leſen; aber niemals in die ſchuͤlerhafte Verſtuͤmm-
lung deſſelben verfallen muͤſſe, durch welche die Stuͤcke des
Verſes dem Hoͤrer vorgezaͤhlt; und nicht vorgeleſen werden.
Zulezt
[]Von der Nachahm. des griechiſch. Sylbenm. ꝛc.
Zulezt koͤnnten wir uns mit den lyriſchen Stuͤcken beſchaͤf-
tigen, die dem Alcaͤus, der Sappho, oder dem Horaz ge-
folgt ſind. Sollten einige ihrer Strophen, den Perioden
des Hexameters, wenn er in ſeiner ganzen Staͤrke iſt, und
im vollen Strome fortfließt, auch nicht in Betrachtung der
Vollkommenheit der poetiſchen Harmonie uͤberhaupt, gleich
kommen; ſo ſind wieder andre Strophen, die dieſem nur
ſehr wenig nachgeben, und dann verſchiedne, von einer
Ruͤnde, und von ſo zierlichen Feinheiten des Wohlklangs,
daß man von der lyriſchen Dichtkunſt uͤberhaupt ſagen
kann, daß ſie am naͤchſten an die Muſik graͤnze.



Der
[]

Erklaͤrung der Kupfer
in dem Gedicht, der Meſſias.
Zum zweyten Bande.



Vor den ſechſten Geſang.


Die Schaar, die in Gethſemane vor Jeſu nieder-
faͤllt, weil er geſagt hat: Jch bins! Drey hinterein-
ander entfliehen mit großer Aengſtlichkeit; der lezte
iſt darinne von den beyden erſten unterſchieden, daß
er nicht allein Aengſtlichkeit, ſondern auch Wut in
ſeinem Geſichte zeiget.


Vor den ſiebenden Geſang.


Die Façade eines antiquen roͤmiſchen Pallaſtes.
Vor demſelben das Hochpflaſter. Unten herum eine
große Menge Volks. Pilatus auf dem Richter-
ſtuhle, dem ein Sclav aus einem antiquen Waſſer-
)(gefaͤß
[]Erklaͤrung der Kupfer
gefaͤß Waſſer uͤber die Haͤnde gießt. Auf der rech-
ten Seite Pilati ſteht der Meßias mit einer Mine
voll erduldender Großmuth; auf der linken Seite
der Moͤrder Barrabas, ein wuͤtender Menſch, voll
ſtarker Muskeln, mit niedergebuͤcktem Kopf, und
ſeitwaͤrts ſehenden Augen. Ueber die Verſammlung
des Volks ſchwebet in einer dunkeln Wolke, mehren-
theils verhuͤllt, ein Todesengel mit einem Flammen-
ſchwerte. Dieſer ſieht mit ernſter Mine auf das
Volk herab.


Vor den achten Geſang.


Die Kriegsknechte ſind beſchaͤftiget, das Kreuz
vollends aufzurichten. Der Meßias ſteht unten am
Kreuz, und haͤlt ſeine rechte Hand uͤber ſeine Augen
und Stirn. Unter den vielen Zuſchauern zeigen ſich
vorzuͤglich, nebſt einigen betruͤbten Juͤngern, die from-
men Weiber, die Jeſu nachgefolget waren, und die
ſich izt ihrer Traurigkeit ganz uͤberlaſſen.


Vor
[]zum zweyten Bande.

Vor den neunten Geſang.


Die Gegend iſt wie die vorige, aber dunkel, und
mit Wolken bedeckt. Der Meßias am Kreuz zwiſchen
den zween Schaͤchern. Der Zeitpunkt iſt der, da
er mit dem Haupte ein wenig herunter geneigt, und
mit einer ernſtvollen Traurigkeit, die da mit etwas
Heiterkeit gemildert iſt, zu der Maria und dem
Johannes redete. Die Kriegsknechte, welche Jeſu
Kleider theilen.


Vor den zehnten Geſang.


Die vorige Gegend, aber noch dunkler, und ei-
nige Theile derſelben noch mehr durch die Finſterniß
verdeckt. Der Meßias iſt todt. Maria und Johan-
nes haben ihr Geſichte verhuͤllet. Die Hauptvor-
ſtellung der uͤbrigen Zuſchauer beſtehet darinn, daß
einige wenige derſelben einen wehmutsvollen Schmerz
zeigen; aber die meiſten eine wuͤtende angſtvolle Reue
zu erkennen geben.


[][[1]]

Der
Meſſias
.
Sechſter Geſang.


II.Band. A
[[2]]

Jnhalt
des ſechſten Geſangs.


Jndem ſich Eloa und Gabriel, von dem Leiden des Meßias am Oel-
berge, unterreden, koͤmmt Judas und die Schaar, Jeſum ge-
fangen zu nehmen. Judas Gedanken bey ſeiner Annaͤherung. Der
Angrif der Schaar. Nachdem ſie, auf des Meßias Anrede, wie todt,
niedergefallen, und izt wieder aufgeſtanden waren, kuͤßt Judas, wie
er verabredet hatte, den Meßias, welcher ſich darauf binden laͤßt,
Petrum von fernerer Gegenwehr zuruͤck haͤlt, und die Schaar anredet.
Unterdeß war die Verſammlung der Prieſter voller Unruh wegen des
Ausgangs. Ein Bote koͤmmt, und erzehlt, daß die Schaar vor Jeſu
todt niedergefallen ſey; ein zweyter, die Gefangennehmung des Meſ-
ſias, und die Furcht, in welcher die ihn fuͤhrende Schaar noch war;
und ein dritter, der von dieſer Furcht nichts mehr weis, daß ſich Je-
ſus ſchon dem Palaſte nahe. Da der Meßias gleichwohl noch nicht
koͤmmt, weil er unterwegs bey Hannas aufgehalten wurde; ſo geht
Philo nebſt einigen dahin, Jeſum zu Kaiphas zu bringen. Johannes
Gedanken, als der Meßias zu Kaiphas gefuͤhrt wird. Der Meßias
erſcheint vor dem Synedrio. Portia, Pilatus Gemahlinn, war, Je-
ſum zu ſehen, in des Hohenprieſters Palaſt gekommen. Philos An-
klage des Meßias. Da jener zuletzt dem Meßias fluchen will, haͤlt
ihn, durch ein ſchnelles Schrecken, ein Todesengel davon ab. Portia
bewundert die Art, mit welcher Jeſus den Philo anhoͤrt. Nun redt
Kaiphas. Unterrichtete Zeugen legen ihr Zeugniß ab. Kaiphas Wut,
daß Jeſus nichts antwortet. Der Meßias ſagt zulezt, daß er der
Sohn Gottes, und der Richter der Welt ſey. Kaiphas, die uͤbrigen, und
vor allen Philo, verdammen ihn zum Tode. Die Wache begeht Grau-
ſamkeiten an Jeſu. Gabriel und Eloa unterreden ſich daruͤber. Por-
tia wird ſo ſehr geruͤhrt, daß ſie ſich entfernt, und ſich, in ihrer Weh-
mut, zu dem erſten der Goͤtter, wendet. Petrus war hinaus gegangen,
Er entdekt Johanni ſeine Verleugnung, verlaͤßt ihn,
und beweint ſeinen Fall.


[]
[figure]
[][[3]]
Der
Meſſias.
Sechſter Geſang.


Wie dem ſterbenden Weiſen, indem des Todes Gefuͤhl ihm

Jede Nerve beſchleicht, die feſtlichen Augenblicke

Theurer werden, als Tage vor dem; denn der Richter gebietet

Nun den lezten Gehorſam, und Tugend, welche, gebohren

Noch aus brechendem Herzen, ihn auf erhabnere Stufen

Seiner Vollendung erhebt: er zaͤhlt die beſſern Minuten

Tiefanbetend, und kroͤnt ſie mit Thaten, mit Thaten der Seele

Die, durch ewigen Lohn, der ſchauende Richter begnadigt.

Alſo wurden die Stunden des groſſen, myſtiſchen Sabbaths

Feſtlicher, ſchauervoller, und Gott ſelbſt theurer, ie naͤher

Zum Altare das Opfer hinzutrat, ie mehr der Verſoͤhner

Eilte, zu bluten, und: Werde! der neuen Schoͤpfung zu rufen

Laut am Kreuz; in die Mitternacht dann ſein blutendes Antliz
A 2Hinzu-
[4]Der Meſſias.

Hinzuneigen. … Eloa, vom Werthe der heiligen Stunden

Hingeriſſen, (ſie waren ihm mehr, als die jauchzenden Stunden

Seiner fruͤhen Geburt!) ſo ergriffen, huͤllt’ er ſein Antliz

Gegen Gabriel auf, und ſprach zu dem goͤttlichen Freunde:

Sahſt du ihn leiden? Jch bebe noch! Gabriel, ſahſt du ihn leiden?

Keine Namen im Himmel, und keine Sprache der Engel

Nennt mir, was ich empfand! Du haſt ihn ſelber geſehen!

Und … was wird er noch leiden! An iedem Augenblick hangen

Ewigkeiten! … Er ſchwieg. Und Gabriel ſprach: Jch vertiefte

Mich Jahrtauſende ſchon, das kuͤnftige Wunder zu lernen,

Es nur dunkel zu lernen, nicht auszuforſchen; Doch irrt ich!

Laß uns ſchweigen! Es iſt rund um uns heilig! Zwar Graͤber

Liegen auch um uns her; doch werden dort Engel erwachen!

Schlummert im Frieden! … Aber o ſieh, wer druͤben im Dunkeln

Wild mit Flammen heraufzieht. Euch ſandte der Abgrund, Empoͤrer!

Welch ein niedriger Haufen! Allein der Schoͤpfer des Sandkorns

Und der Sonnen, der Ewige herrſcht, durch den Wurm, und den Seraph!

Und ihr Fuͤhrer, ihr Fuͤhrer! Eloa. So wird er nicht wandeln,

Wenn die Poſaune den Staub aus jenen Huͤgeln hervorruft,

Die vor dem Richter ihn dekten, dann wirſt du ſo froͤlich nicht wandeln,

Du Verraͤther! Er ſprachs. Der Haufen nahte ſich wuͤtend,

Trug die Flammen empor, und irrte mit ſuchendem Auge

Durchs Labyrinth der Baͤum’ und der Nacht. Jhn ſahe der Gottmenſch,

Nun erhub ſich die dunkelſte Nacht, die uͤber ihn herging,

Wolkigt empor, und, als ſie ſich hub, entfloſſen ihr Schauer.

Einer ergrif den Verraͤther. Er trozte der maͤchtigen Warnung,

Und ſo ruͤſtet’ er ſich: Wo iſt er? Die Lieblinge ſahn ihn,
Wie
[5]Sechſter Geſang.

Wie ſie ſagen, auf Tabor in Himmelswolken gekleidet,

Aber in Banden noch nicht! So ſollen ſie itzo ihn ſehen,

Und, ſich Huͤtten der Freude zu baun, vergeſſen! Doch bebſt du,

Schauerndes Herz! Kann Kuͤhle der Nacht auch Maͤnner erſchuͤttern?

Schweig Empoͤrer! Bald iſt es gethan! Dann will ich mir Huͤtten,

Nicht im Traume nur, baun! So dacht er, und eilte von neuem.

Als der Gottmenſch die Kommenden ſah, da betet’ er alſo

Jn ſich ſelber: Es iſt weit, weit von den ewigen Huͤtten

Bis zu dieſen Suͤndern herunter. O Weg’ im Staube,

Die ich wandle. Doch will ich ſie wandeln! Sie werden einſt glaͤnzen,

Wenn, in dieſen Tiefen, die Auferſtehung erwacht iſt,

Und das Weltgericht ganz es enthuͤllt, warum ſie Gott ging.

Judas Jſchariot fuͤhrte den Haufen. Der Prieſter Befehl war:

Maͤnner zu wafnen, und Jeſum bey ſeinen Graͤbern zu ſuchen,

Jhn zu binden, und vor die Verſammlung zu fuͤhren. Es wuſte

Judas den Ort des ſtillen Gebets und der naͤchtlichen Sorge

Fuͤr die Menſchen. Er hatte der Schaar ein Zeichen gegeben;

Welchen ich kuͤſſe, der iſts! Allein noch erbarmt des Verraͤthers

Sich die Nacht, und laͤßt ihm noch nicht den entſetzlichen Kuß zu.

Aber nicht lange, ſo fiel mit ungeduldigem Grimme

Auf die ſchlafende Juͤnger die Schaar. Da ging der Erloͤſer

Gegen die Suͤnder, und ſprach, mit ſeiner Hoheit: Wen ſucht ihr?

Und ſie ergrimmten, und riefen, und ſchwungen die bebenden Fackeln:

Jeſum, den Nazaraͤer! Nun waren die uͤbrigen Juͤnger

Alle gekommen; nun ſchauten auf ihn die geflohenen Engel.

Und, mit goͤttlicher Ruh, als wenn er dem Wurme, zu ſterben,

Oder, dem kommenden Meere, vor ihm zu ſchweigen, geboͤte,
A 3Sprach
[6]Der Meſſias.

Sprach der Meßias: Jch bins! des Sohnes Allmacht ergrif ſie,

Und ſie ſanken betaͤubt, vor ſeiner Stimme, darnieder.

Judas ſank mit ihnen. So liegen im Folde des Treffens

Todte, ſo waͤlzt ſich unter den Todten der Grimmigſten einer,

Wenn, aus der ſtillern Mitte des Kriegs, der denkende Feldherr

Um ſich herum, (der Richter gebots ihm!) Verderben verſendet.

Aber izt war die Betaͤubung voruͤber: izt hub der Verraͤther

Von der Erde ſich auf. Nun war die ſchrecklichſte Stunde

Seiner Erſchaffung, und er ganz nah dem Gerichte, gekommen.

Ueber ihm rauſchte mit naͤchtlichem Fluͤgel der Engel des Todes.

Mit verborgnem Grimme, mit aufgeheiterter Mine,

Trat er zu dem Meßias, und kuͤßt ihn! … Jzt haͤtt’ ers vollendet!

Und die ſchwaͤrzſte der Thaten entſchlich, wie ein Schatten, zur Hoͤlle.

Aber der Gottmenſch ſah dem Verraͤther mitleidig ins Antliz:

Juda! und du verraͤthſt, durch einen Kuß, den Meßias?

Ach mein Freund, waͤrſt du nicht gekommen! So ſagte der Beſte

Unter den Menſchen, und gab ſich der Schaar, ſich binden zu laſſen.

Petrus ſah es. Den Kuͤhneren wekte der Anblick, er riß ſich

Durch die Juͤnger hervor, verwundet’ im mutigen Angrif

Einen der Schaar. Der Menſchenfreund heilt die Wunde des Mannes.

Schaut auf Petrum heruͤber, und ſagt: Sey ruhig, mein Juͤnger.

Baͤt ich meinen Vater um Schutz; es wuͤrden vom Himmel

Maͤchtige Legionen erſcheinen, dem Sohne zu dienen.

Aber wie wuͤrden alsdann der Propheten Worte vollendet?

Und zur Schaar, die ihn band: Jhr ſeyd geruͤſtet gekommen,

Mich zu fahen, als waͤr ich ein Moͤrder, der Wuͤtenden Einer,

Die, dem Tode beſtimmt, und, durch der Unmenſchlichkeit Thaten,
Ueber
[7]Sechſter Geſang.

Ueber andre Suͤnder erhoͤht ſind! Jch bin ja im Tempel

Jmmer um euch geweſen! Jch hab euch, die Wege des Lebens

Und des Todes gelehrt; und ihr ließt ruhig mich lehren!

Aber eure Stund iſt gekommen, der Finſterniß Werke

Zu vollenden! … Er ſchwieg, und war am Bache der Cedern.

Unterdeß ſtand im hohen Palaſt der Prieſter Verſammlung

Wie auf Wogen der zweifelnden Hofnung. Jhr ſorgendes Murmeln

Stieg von der Hoͤhe des innerſten Saals, die Marmorgelender

Zum vielhoͤrenden Ohre des fuͤrchtenden Poͤbels hinunter.

Und der ſtaunte mit ſtarrendem Blick: ſprach von dem Propheten

Zitterndes Lob, und ſtammelnde Fluͤche; vergaß der Bewundrung

Und der goldnen Leuchter, die, von den Saͤulen her, flammten.

Aber die Prieſter beſprachen ſich unter einander! Die Boten

Kommen noch nicht! Wo bleiben die Boten? Vielleicht, daß ſie Judas

Und den Haufen verfehlten? Vielleicht wird der ſchwarze Verraͤther

Auch zum Verraͤther an uns? Ach, vielleicht verleitet, wie vormals,

Durch ein ſchreckendes Blendwerk der Nazaraͤer die Maͤnner!

Alſo beſprachen ſie ſich. Da kam ein Bote! Die Haare

Flogen ihm, und die Wange war bleich. Erkaltender Schweiß lief

Ueber ſein Antliz. Er rang die bebenden Haͤnde. So ſprach er:

Hoherprieſter! wir kamen dahin, und fanden ihn endlich

Ueber dem Bache, nicht fern von den Graͤbern. Die graunvollen Graͤber

Schreckten uns nicht; allein es hingen ſchwaͤrzere Wolken,

Als ein Menſch ie geſehn hat, am ganzen Himmel herunter.

Und doch drangen die Maͤnner hinein. Jch blieb in der Ferne.

Aber ich ſah den Propheten! Da liefen (ich kanns nicht erzaͤhlen,

Wie es geſchah,) da liefen mir Schauer durch alle Gebeine!
A 4Doch
[8]Der Meſſias.

Doch ſie erkannten ihn nicht, ſo nah er auch daſtund, und drangen

Auf die Maͤnner um ihn. Da ſprach er gewaltig: Wen ſucht ihr?

Unſre Maͤnner fuͤrchteten nichts, und riefen mit Grimme:

Jeſum, den Nazaraͤer? Da ſprach er, (noch hoͤr ichs, noch ſinken

Alle Gebeine mir hin!) er rief mit der Stimme des Todes

Gegen die Maͤnner: Jch bins! So ſprach die Stimme. Sie ſtuͤrzten

Auf ihr Angeſicht hin! Sie liegen todt da! Nur ich bin

Jhm entronnen, damit ich die Botſchaft des Todes euch braͤchte!

Und die Prieſter hoͤrten den Boten die Worte des Schreckens

Sagen, und ſtanden entfaͤrbt, und blieben ſtarr, wie ein Fels ſteht,

Stehn. Nur Philo vermag, ununterbrochen von Schrecken,

Dieſe Worte zu zuͤrnen: Du biſt ſein Schuͤler, Verwegner!

Oder dich taͤuſchte die bildende Nacht! Geoͤfnete Graͤber

Sandten dir Schwindel, und Todte. Die Todten ſahſt du! Die Maͤnner

Welche wir ſandten, die leben, und fallen vor Worten nicht nieder!

Als er noch redte, da kam ein andrer Bote: Wir haben

Viel gelitten! Wir ſind vor ihm zur Erde geſunken!

Denn ſein Blick war entſezlich, und Tod in des Redenden Stimme.

Aber dennoch fuͤhren wir ihn gebunden. Er gab uns

Selbſt die Haͤnde, ſich binden zu laſſen. Sie fuͤhren ihn bebend,

Wiſſen nicht, ob ſie von neuem gebietende Worte des Schreckens

Hoͤren werden. Allein er geht mit geduldiger Stille,

Und iſt ſchon in Jeruſalems Mauer. So ſagte der Bote.

Und der dritte kam an, und rief: Gott ſegne die Vaͤter!

Aber ſo muͤſſen ſie alle verderben, die wider euch aufſtehn,

Alle Feinde des Herrn, wie der Galilaͤer verderben!

Denn wir fuͤhren ihn her mit Banden gebunden, die Worte
Nicht
[9]Sechſter Geſang.

Nicht aufloͤſen, noch laͤchelnde Minen. Jhn haben die Seinen

Alle verlaſſen. Er naht dem Palaſt. Gott gebe ſein Blut euch!

Als er ausgeredt hatte, trat Satan in die Verſammlung,

Und, die Freude der Hoͤlle, mit ihm. Sie faſſet die Prieſter

Schwindelnd; umflattert ihr Auge mit Bildern quellender Wunden

Und des bleichen, kommenden Todes; umſtroͤmt, mit der Stimme

Seiner Qualen, ihr Ohr. Nun verſtummt er ewig, und uͤber

Seinen Gebeinen empor erhebt der Heiligen Fuß ſich!

Lang ergrif ſie der Taumel. Allein noch blieb der Prophet aus.

Und ſie wuͤteten ſehr, und ſandten zum zweitenmal Boten.

Philo gieng mit den Boten. Es hatte die Schaar den Meßias,

Auf dem Wege, zu Hannas, dem Hohenprieſter gefuͤhret.

Denn es war der Greis, in der Nacht ſchwerduftenden Stunden,

Aufgeſtanden, zu ſehn den Mann, der Juda verwirrte!

Und Johannes folgte von fern. Der friedſame Schlummer

War ihm entflohn vom Auge, der Wehmut Kummer bedekt’ es,

Dekte die bleichere Wange. Zuletzt (Er kannte den Prieſter,

Daß er kein Wuͤtrich, wie Kaiphas, war.) bezwang er die Wehmut

Seines Herzens, und ging in den Richtſaal, und ſah den Meßias,

Wie er vor Hannas daſtand. Der Hoheprieſter befragt’ ihn:

Kaiphas wird dich richten! O waͤrſt du ſo ſchuldlos, als was du

Thateſt, iſt ruchtbar geworden; ſo wuͤrden die Voͤlker der Erde,

So wuͤrd Abrahams Gott und ſeiner Kinder dich ſegnen!

Sag nun ſelber, was haſt du gelehrt? Was hattſt du fuͤr Juͤnger?

Lehrteſt du Moſes Geſez? Und thatſt du es? Thatens die Juͤnger?

Hannas ſprachs, und bewunderte Jeſum, mit welcher Gebehrde

Eines Propheten, er daſtand! mit welcher beſcheidneren Hoheit,
A 5Unent-
[10]Der Meſſias.

Unentheiligt vom Stolze! Der Gottmenſch wuͤrdigt ihn, alſo

Zu erwiedern: Jch lehrt’ im Tempel, frey vor dem Volke,

Frey vor den Lehrern im Volk! Du fragſt mich! Frage die Hoͤrer!

Als er noch ſprach, drang Philo herein. Da fuhr die Verſammlung

Ungeſtuͤm auf; da that ein Knecht, mit knechtiſcher Seele,

Eine That, die niedrig genung war, Unmenſchlichkeiten

Zu verkuͤndigen. Philo gebot, den Empoͤrer zu nehmen,

Jhn dem Todesurtheil entgegen zu fuͤhren. Sie thatens.

Als ihn Johannes in Philo Gewalt ſah, dekt’ ihm des Todes

Blaͤſſe die Wang’, und Dunkel ſein Auge; da bebt’ er; da brach ihm

Jn der Wehmut ſein Herz! Zuletzt, da er aus dem Palaſte

Zitterte, ſieht er von fern die wehenden Fackeln: Jch folge,

Nein, ich folge dir nicht, ich bebe dir nach, o du Beſter

Unter den Menſchen! Jſts aber in Gottes Rathe beſchloſſen,

Muſt du ſterben; ſo laß, den meine Seele geliebt hat,

Den ich liebe, mit viel mehr Liebe, wie Liebe der Bruͤder,

Laß mich mit dir, du Heiligſter, ſterben! Nur daß nicht mein Auge

Deine brechenden Augen, nicht deinen Todesſchweiß, ſehe!

Jch des Verſtummenden Segen, den lezten, lezten, nicht hoͤre!

Wuͤrger, wo bin ich? Jſt hier kein Retter? kein Retter auf Erden?

Keiner im Himmel? Und ſchlummert ihr auch, die uͤber ihm ſaugen,

Als ſie dem Tode, (das dachteſt du nicht, du liebende Mutter!)

Dieſem entſezlichen Tod ihn gebahr! … Du nur biſt Retter,

Du biſt Helfer allein, du der Todten und Lebenden Helfer!

Vater der Menſchen, erbarme dich meiner, und laß ihn nicht ſterben,

Laß ihn nicht ſterben, den Beſten von Adams Kindern! Den Wuͤrgern,

Gieb den grauſamen Wuͤrgern ein Herz, das Menſchlichkeit fuͤhle?)
Ach,
[11]Sechſter Geſang.

Ach, ich ſeh ihn nicht mehr! die hohen Flammen verſchwinden!

Nun, nun richten ſie ihn! Daß ihre grimmige Seele

Schaure beym Anblick der leidenden Tugend! ſich einmal, nur einmal,

Einmal in ihrem Leben, das kommende Weltgericht denke!

Doch wer wandelt im Dunkeln herauf? Jſts Petrus? vernahm ers,

Wie ſie zum Tod ihn verdammten? So ſchnell! Nun ſteht er! Wen ſah ich?

Keines Fußtritt hoͤr ich nicht mehr! Wie iſt es hier oͤde!

Wie ſo ſtumm die entſezliche Nacht! Doch die Stille verliert ſich.

Welche Mengen ſtuͤrmen daher! Ach, ſie eilen, und reiſſen

Jhn in der deckenden Nacht zum Tode, damit ihn des Volkes

Menſchlichkeit nicht errette! damit an rinnenden Steinen,

Oder, herunter am triefenden Schwerte, nur Engel ſein Blut ſehn!

Ach, erbarme dich meiner! Erbarme dich meiner, und laß ihn,

Vater des Mitleids und deiner Erſchaffnen, und laß ihn nicht ſterben!

Alſo dacht’ er, und ſprachs in gebrochnen Worten, und wankte

Gegen des Hohenprieſters Palaſt, und blieb in der Nacht ſtehn.

Aber der Fuͤhrer der Schaar, die Jeſum begleitete, Philo

Riß ſich wuͤtend voran, eilt’ in die Verſammlung, und alle

Sahns an ſeinem Triumph, und dem hohen, flammenden Auge,

Daß der Todtenerwecker gebunden, und dicht am Palaſt ſey!

Und ſie hatten nicht Zeit, daß ſie Philo jauchzten. Der Gottmenſch

Trat herein. Sie ſahn den Kommenden, trauten dem Anblick

Kaum die Wirklichkeit zu, und bebten vor Wut und Entzuͤckung.

Aber er trat die Stufen herauf, und ſtand vor dem Richtſtul.

Alle Hoheit, ſo gar die Hoheit des ſterblichen Weiſen

Hatt’ er abgelegt; war nur ruhig, als ſaͤh er den Abfall

Einer Quelle vor ſich, und daͤchte nur ſanfte Gedanken,
Nach
[12]Der Meſſias.

Nach erhabnern an Gott, die Augenblicke, zu ruhen.

Von dem goͤttlichen Ernſt von dem nur hatt’ er noch Zuͤge,

Leiſe Zuͤge behalten. Doch konnte kein Engel ſie haben,

Wollt’ er ſie haben. Allein auch nur ein Engel vermochte

Dieſer Goͤttlichkeit Minen, und ihren Geiſt zu bemerken.

Alſo ſtand er. Philo und Kaiphas hefteten grimmig

Jhren Blick auf die Erde. Dem gab der Richtſtul das Vorrecht,

Erſt zu reden, jenem der Eifer. Noch ſchwiegen ſie beyde.

Aber im Seitenpalaſt, zog ſich, von einſamen Lampen

Halb durchdaͤmmert, ein zirkelnder Gang zum Richtſaal hinuͤber.

Dort an ein Marmorgelender gebuͤkt, ſtand unter den Frauen,

Portia, jugendlich ſchoͤn, das Weib Pilatus des Roͤmers.

Aber ihr Geiſt war nicht jung. Die Blume bluͤhte, mit Fruͤchten

Wie die Mutter der Gracchen, die ausgearteten Roͤmer

Zu bereichern. Allein im ernſten Rathe der Waͤchter

War, der Untergang Roms, und kein Erretter, beſchloſſen.

Hingeriſſen von der Begier, den groſſen Propheten

Endlich zu ſehn, war, nur von wenigen Sclaven begleitet,

Portia eilend gekommen. Sie hatte dießmal, die Wuͤrde

Einer herrſchenden Roͤmerinn, ieden Zweifel der Hoheit,

Leicht vergeſſen! Es leitete ſie des Ewigen Vorſicht!

Und ſie ſtand, und ſah ihn, der Todte weckte; des Prieſtets

Mutigen Haß noch mutiger trug; entſchloſſen genung war,

Unter einem ſo niedrigen Volk unerkannt, unbewundert,

Groß zu handeln. Sie ſah den erhabnen Mann, mit Bewundrung,

Heiß von Erwartung, und froh, daß er vor ſeinen Verfolgern,
Und,
[13]Sechſter Geſang.

Und, des Todesurtheils gezuͤktem Schwerte, ſo ruhig

Daſtand. Allein ſo kannt ihn nicht Philo. Es ſagte der Heuchler:

Bringt ihn naͤher, und bindet ihn feſter. Doch eh wir ihn richten,

Hebt auch heilige Haͤnde zu Gott, daß er endlich ſein Urtheil

Ausgeſprochen, und uns nicht laͤnger durch Schweigen gepruͤft hat!

Hoͤre ferner der Deinen Gebet! So muͤſſen ſie alle,

Die ſich empoͤren, verderben, und keiner muͤſſe die Staͤte,

Wo ſie ſtanden, bemerken, und keiner ihrer gedenken,

Auſſer, wo bey entfleiſchten Gebeinen die Schaͤdel der Todten

Liegen, und wo das Blut der Empoͤrer der Huͤgel hinabtrank,

Daß er dampfte! Ja Dank! Dank! laute feſtliche Wonne

Bey den Altaͤren! Und Jſrael ſoll ein Jubelgeſang ſeyn;

Du wirſt bluten! Bisher ſchloß Juda die Augen, und ſahe!

Hielt ſein Ohr zu, und hoͤrte! Doch iſt der ſchwindelnde Taumel

Endlich voruͤbergerauſcht. Sie ſehn nun, und hoͤren, was da iſt.

Den, ſo vor Abraham war, mit Ketten gebunden! Zwar oftmals

Sahn ſie ihn ſchon, und warfen, auf Augenblicke, des Jrrthums

Eiſerne Bande von ſich, mit freyem, maͤnnlichen Arme

Heilige Steine zu faſſen, den Laͤſtrer Gottes zu toͤdten;

Aber ſie lieſſen von neuem ſich taͤuſchen. Doch heut iſt das Ende

Jhrer Verblendung, und deines Betrugs, Empoͤrer gekommen!

Welch ein kleiner Haufen des Volks auch daſteht; es werden

Aus den Wenigen doch ſehr viele wider dich zeugen,

Wenn wir ſie rufen. Das wird der Hoheprieſter gebieten.

Aber ich klage dich an, und nehme Judaͤa zum Zeugen,

Himmel und Erde zum Richter: Du biſt ein Empoͤrer! Du haſt dich
Selbſt
[14]Der Meſſias.

Selbſt zum Gotte gemacht, du, der in der Krippe geweint hat!

Schlaͤfer wekteſt du auf, und keine Todte! Doch Muͤtter,

Selbſt die Muͤtter und Schweſtern, die ſahn die Sterbenden ſterben!

Auf, bald trift die Reih dich! Erwecke dich ſelber! doch werden

Maͤnner im Tode dich ſehn! Der ſoll ſo leiſe nicht ſchlafen.

Lieg dann bey den Erwuͤrgten, die Gott verworfen hat! Schlaf dort,

Dort den eiſernen Schlaf, dort, wo die kommende Sonne

Und der wandelnde Mond den Dampf der Verweſungen auftrinkt,

Bis der Tod reift, und von Gebeinen Golgatha weiß wird!

Alſo liege! ja, ſo! Und, iſt noch irgend ein groͤßrer,

Heiſſerer Fluch, der ſiebenfaͤltig Verwuͤnſchungen hinſtroͤmt,

Den die Mitternacht hoͤrt, der Graͤber Heulen mit ausſpricht,

Dieſer treffe … Hier ſtarrte die ſchwellende Lippe dem Laͤſtrer,

Und, ſein Antliz herunter, ergoß ſich Todesblaͤſſe.

Denn in dem Augenblicke der Nacht, in dem er der Fluͤche

Schrecklichſten auszuſprechen begann, und umſonſt ſein Gewiſſen

Jhm empor ſchlug, er nun ſelbſt nicht den Allmaͤchtigen ſcheute,

Wandt’ ein Todesengel, (der war ſein Engel,) er wandte

Seinen Blick, den Verderber, auf Philo, und trat vor den Suͤnder:

O der Fluch, den du fluchſt, der wird dich ſelber ergreifen,

Du entſezlicher Mann! Jch hebe mein Auge zu Gott auf,

Zum Vergelter mein flammendes Schwert, und ſchwoͤre den Tod dir!

Soll ich ihn izt, Allmaͤchtiger, ſchlagen? Noch nicht! doch die dunkle,

Schwarze, blutende Stunde, die Todesſtunde befluͤgelt

Jhren kommenden Schritt! Bald wird ſie daſtehn! Jch ſchwoͤre

Wie ihn jemals ein Sterblicher ſtarb, den furchtbarſten Tod dir,
Du
[15]Sechſter Geſang.

Du Verruchter! und ihn leer, leer der lezten Erbarmung!

Ohne Gnaden! ohn’ Eine von dem, der ſchuf, und Gericht haͤlt!

Wenn dann um dich die Mitternacht liegt, die Stunde des Todes

Durch die Mitternacht wandelt, und dir mit dem Heulen Gomorra

Furchtbar ruft, der Tod den groſſen Schlag izt gethan hat,

Und dein Geiſt nun roͤchelnd entflieht; dann ſollſt du mein Antliz,

Dort beſcheid ich dich hin, im Thale Benhinnon, erblicken!

Alſo droht ihm der Todesengel, und zog auf der Stirne

Zorn, wie Wolken zuſammen. Vom hohen, treffenden Auge

Stroͤmt’ er Rache. Da fiel ſein Haupthaar, in Locken der Nacht gleich,

Auf die Schultern, da ſtand ſein Fuß, wie ein thuͤrmender Fels da!

Aber noch ſchlug der Verderber ihn nicht. Er ließ nur die Stimme

Seiner Schrecken um ſich, und ihren Todeston, rauſchen.

Philo empfand des Unſterblichen Schrecken, wie Menſchen empfinden,

Was Unſterbliche thun. Er fuͤhlt es im maͤchtigen Angrif

Schauervoller und ſchneller, als iemals ein Menſch es gefuͤhlt hat.

Denn es war ein Schrecken von Gott. Noch entſank ihm das Leben,

Und noch zittert er laut. Doch was er noch athmete, waren

Fluͤche wider ſich ſelbſt, daß ihn ein Schauer ſo taͤuſchte.

Jzt kam er zu ſich ſelber. Doch trafen die Schrekniſſe Gottes

Noch ſein Gebein, und bebten ihm noch im innerſten Marke.

Und wie ein Wurm, der unter des Wandrers Fuſſe ſich windet,

Kruͤmmt er ſich auf, und ſprach: Was ich mit Schweigen bedekte,
(Denn ich entſezte mich ſehr vor des Suͤnders Verbrechen,) das alles

Wird der Ausgang enthuͤllen. Beſchleunige du ihn, und richte,

Hoherprieſter! Er ſprachs, und ſtarrt’, und konnte nicht zuͤrnen.

Aber
[16]Der Meſſias.
Aber die Stille ward ſtiller. Und Portia ſah den Propheten,

Wie er gegen die Rede des Todfeinds daſtand. Jhr Auge

Flammt’ Entzuͤckung, ihr Herz ſchlug lauter, und hohe Gedanken

Stroͤmten herauf in ihr Haupt. Es war ihr, als huͤbe das neue,

Hohe Gefuͤhl ſie empor. Dann forſcht ſie mit feurigen Blicken,

Um ſich herum, ob ſie unter der Menge nicht edlere faͤnde,

Welche mit ihr den Propheten bewunderten. Aber ſie ſuchte

Gute Seelen umſonſt, in einem Volke, das reif war

Bald gerichtet zu werden, zu ſtehn auf den flammenden Truͤmmern

Seines Tempels, in welchem nun nicht Jehovah mehr wohnte.

Einen bemerkte ſie nur, der fern im untern Palaſte,

Mit dem Haufen am Feuer ſich waͤrmte. Sie ſchauten ihn wild an,

Und ſie ſtritten mit ihm: Er widerlegte ſie feurig.

Endlich ſchien ihm der Mut zu entſinken, und bleich und verwildert

Schaut er um ſich herum, dann wieder auf den Propheten.

Ach, der Mann iſt ſein Freund, ſo dachte ſie bey ſich, er ſucht ihn

Zu erretten, und will, daß dieſer Poͤbel die Wege

Die der Weiſe wandelt, begreife: wie ſittſam er lebte;

Wie er ein Menſchenfreund war, und Gutes ohne Geraͤuſch that.

Aber ſie faſſen ihn nicht, und drohn, ihn auch vor den Poͤbel

Der dort richtet, zu fuͤhren. Dafuͤr erſchrak er, und bebte

Vor dem Tode zuruͤck, den ihm die Wuͤtenden drohten.

Und ihn ſandte vielleicht des Bedraͤngten Mutter, und fleht’ ihm

Hingeſunken in Thraͤnen vor ihm, daß er ging’, und vom Tode,

Ach, vom Tode, den Beſten und Liebſten der Soͤhne befreite!

O wie wird ſie vor Schmerz die liebenswuͤrdige Mutter,
(Liebenswuͤrdig iſt ſie, ſonſt haͤtte ſie ihn nicht gebohren
Dieſen
[17]Sechſter Geſang.

Dieſen Weiſen!) wie wird ſie vor Schmerz und Jammer verſinken,

Wenn ſie vernimmt, wie der wuͤtende Phariſaͤer geredt hat!

Aber was iſt es in mir, das zu ſo zaͤrtlichen Sorgen

Fuͤr die Unbekannte mein Herz mit Empfindungen aufwallt,

Die ich niemals empfand? Sinds Wuͤnſche, den Edlen gebohren,

Jhn der Erde gegeben zu haben? Dein Leben verflieſſe,

Mutter, zu gluͤckliche Mutter! voll Stolzes auf ihn! … Dein Auge

Seh ihn nicht ſterben; ob gleich ſein Tod die Erde wird lehren!

Nun erhub ſich der Hoheprieſter auf ſeinen Gerichtſtul,

Alſo ſagt’ er: Ob gleich ganz Juda die Laſten empfindet,

Die auf Aller Schultern der Mann, den wir richten, gelegt hat;

Und ſo ſehr ihn der Erdkreis auch kennt, daß er wider den hohen,

Raͤchenden Gott auf Moria; des Allerheiligſten Prieſter;

Und den groſſen Caͤſar in Rom, ſich wuͤtend empoͤrte;

Obgleich ganz Judaͤa ſein Todesurtheil mit ausſpricht;

Und nicht Kaiphas nur dem Tode gebeut, daß er ſchlage:

Dennoch wollen wir ihn mit Zeugen richten, und hoͤren!

Zwar iſt Jſrael izt nicht verſammlet. Die meiſten der Zeugen

Huͤllt die Mitternacht ein. (Bald werdet ihr ſelige Voͤlker

Unentweihteren Feſten erwachen, als die der Empoͤrer

Noch mit beging!) Allein ſo wenige Menſchen auch hier ſind,

Wird es uns doch an Zeugen nicht mangeln. Es komme, wer Recht thut,

Und das Vaterland liebt, und ſpricht, was lauter und wahr iſt!

Alſo ſagte der Hoheprieſter. Da trateu belohnte,

Unterrichtete Maͤnner herauf, und zeugten. Vor allen,
II.Band. BHatte
[18]Der Meſſias.

Hatte Philo, mit Schmaͤhſucht, und erdekriechender Bosheit,

Jhre ſchon kleinen beweglichen Herzen erfuͤllt. Mit entflammtem

Wilden Blick, ſah einer der Maͤnner ſeitwaͤrts, und ſagte:

Wie er den Tempel entweiht, das wiſſen wir alle. Doch hat er

Nie ſo ſehr ihn entheiligt, als damals, da er der Opfer

Fromme Verkaͤufer vertrieb. Wir waren verſammelt, zu beten.

Aber er trieb mit Grimme der Opferthiere Verkaͤufer

Aus den geweihten Hallen. Gewiß, er ehret den Gott nicht,

Dem wir die Opfer zu heiligen kamen; er haͤtte die Opfer

Sonſt nicht verdrungen, noch dieſen Raub am Tempel begangen!

Alſo zeugt er. Nach ihm erſchien ein andrer, erklaͤrte

Jeſu goͤttlichen Eifer mit gleichem Unſinn: O damals

Wollt er den Tempel nehmen, von dort auf Jeruſalem fallen!

Aber ſein Anhang, der ihn wohl in der Wuͤſte zum Koͤnig

Ausrief, blieb ihm doch hier nicht getreu. Er muſte zuruͤckfliehn.

Drauf erhub ein Levit ſich, und that, als koͤnnt’ er verachten,

Zeugte: Hat er nicht Gott gelaͤſtert, indem er voll Stolzes

Waͤhnt, er koͤnne die Suͤnde vergeben? Am Sabbat erlaubt er,

Aehren zu leſen! Belebt am Sabbat verdorrende Haͤnde!

Und doch waͤhnt der Verbrecher, er koͤnne die Suͤnde vergeben!

Jtzo redte der Vierte. Das wilde Lachen des Hohns ſtieg

Jhm in die Minen empor, und toͤnt’ in des Redenden Stimme.

Alſo ſagt’ er: Jch muß zwar zeugen; doch braucht ihr, o Vaͤter,

Zeugniſſe wider den Mann, ſo von Unternehmungen ſchwindelt,

Die auf ſolchen Traͤumen erbaut ſind! Er hat es geredet,

Und das Volk, das ihm gleicht, vernahms mit ſtarrendem Auge:

Brecht den Tempel; drey Tage, ſo hebt ſich ein neuer vom Staube
Wieder
[19]Sechſter Geſang.

Wieder empor. Jch bau ihn! … Das war er faͤhig, zu ſagen.

Neben ihm ſtand ein andrer da, und zeugte daſſelbe.

Auch ein Greis entehrte ſein Alter, und ſagte: Zu Zoͤllnern,

Dieſen Suͤndern geſellt, (ich bin ein Zoͤllner geweſen,)

Hat er jene Weisheit erfunden, die Moſen verachten,

Und, durch Heilung ſuͤndiger Kranken, den Sabbat entweihn lehrt.

Alſo zeugten die Zeugen; und ringsum ſtroͤmt der Erwartung

Blick auf Jeſum, wie ſich der Empoͤrer vertheidigen werde.

So ſtehn um den ſterbenden Chriſten, mit bleichen Gedanken,

Und mit halben Freuden, die gern ſich freuten, die Haufen

Niedriger Spoͤtter, und athmen leiſer, und ſtammeln Erwartung

Auch ihm wird der mutige Traum vom unſterblichen Leben,

Wie er ſelber, vergehn. Er bekennts noch! Aber der Weiſe

Betet fuͤr ſie, und fuͤr ſich, und laͤchelt die Graͤber voruͤber.

So ſtarrt Jeſum das wartende Volk an. Aber der Gottmenſch

Schweigt. … Und Kaiphas riß gefluͤgelter Grimm fort, er ſagt

Suͤnder, ſchweigſt du zu dem, was dieſe wider dich zeugen?

Aber der Gottmenſch ſchwieg. Da ergrimmte der Prieſter von neuem.

Rede! Beym lebenden Gott beſchwoͤr ich dich: Biſt du Chriſtus?

Chriſtus, des Angebeteten Sohn? Er hatt’ es geſprochen

Und nun ſtand er emporgerichtet, und ſchaute Verderben.

Satan ſchaute mit ihm. Der Todesengel Obaddon,

Philos Engel, er dacht’ entflammt auf die Suͤnder herunter:

Wuͤrdigt er einer Antwort die Wuͤrger, ſo iſt es Erbarmung.

Aber es ruͤſtet ſich ſchon mit allen Schrecken der Rache,

Die Gott ſchrekte, ſeitdem der Donner am Throne gerollt hat,

Sieh, er zieht ſein Gericht an, und koͤmmt, der Lezte der Tage!
B 2Dunkler,
[20]Der Meſſias.

Dunkler, ſchwarzer, toͤdtender Tag, Gerichtstag! Gerichtstag!

Sey mir in deiner furchtbaren Schoͤne gegruͤßt, o du Schoͤnſter

Unter der Ewigkeit Soͤhnen! Du feſtlicher Tag der Vergeltung!

Tag des richtenden Maaſſes! der toͤnenden Wage! Dann werden

Kommende Sphaͤren umher in der Wage Silberton ſchallen!

Sey mir gegruͤßt, du Tag! dann verbirgt ſich unter den Schaaren

Derer, die Palmen tragen, die Gnade! Dieſen Gebohrnen

Aus der Erde, den Staub, den ſterblichen Suͤnder ſeit geſtern,

Welcher wider den Ewigen ſchwillt! und jenen Gebohrnen

Unſers Himmels, der ſeit der Erſchaffung Empoͤrungen aufthuͤrmt!

Heil mir! es wird ſie beyde der Tag, der Donnerer, faſſen,

Daß er ſie ganz verderbe! Drum huͤll ich mich ein, und verſtumme.

Aber mein Schweigen iſt, Tod! mein Verſtummen, des Raͤchenden Bote!

Alſo dachte der Seraph mit ſchnellen Gedanken, und ſahe

Auf den Prieſter, der ſchon des Meßias Antwort verdammte.

Aber der Gottmenſch ſchaute gen Himmel. Es ſtaunten die Engel,

Als er es that; ſo ſehr ſahn ſie an ſeiner Gebehrde,

Wie er die Gottheit zuruͤckhielt, und unter menſchliche Ruhe

Das verbarg, was Welten erſchuf. So haͤlt er noch itzo,

Fuͤrchterlicher durch Saͤumen, ſein Weltgericht auf, und erduldets,

Daß der Empoͤrungen Strom, mit langen Jahrhunderten, ſtroͤme.

Jtzo ſah er dem Prieſter ins Antliz, und ſagt ihm: Jch bin es,

Was du ſagteſt! Und wiſſe, daß ich izt Werke vollende,

Die der Anfang des Weltgerichts ſind! Den Menſchen von Erde,

Den auch eine Mutter gebahr, ihr werdet ihn ſehen,

Sitzen zur Rechten der Allmacht, und kommen in Wolken des Himmels!

Alſo
[21]Sechſter Geſang.
Alſo oͤfnete der, der mit dem lezten der Tage

Schreckenvoller wird kommen, als iemals ein Engel des Todes

Jhn in der tiefſten der Naͤchte die ſtuͤrmende Harfe herabſang;

Alſo oͤfnet’ er Einem gefluͤgelten Blicke die Zukunft;

Und ſchloß ſchnell dem erſtaunenden Blicke den furchtbaren Schauplatz.

Kaiphas, (denn nun ſchleuderten ihn die Stroͤme des Grimms fort

Und nun kañt’ er kein Maaß, nicht Schranken, nicht zwingende Schranken!)

Kaiphas ſchritt entflammter hervor! trug Tod auf der Stirne!

Zitterte laut! zerriß ſein Gewand! mit gluͤhenden Augen

Starrt’ er fuͤrchterlich hin, rief in die verſtummende Menge:

Redet! Er laͤſterte Gott! Was brauchen wir Zeugen? Jhr hoͤrtets!

Redet! was denkt ihr? Er laͤſterte Gott! Sie riefen: Er ſterbe!

Ja, er ſterbe! (ſchwoll Philo empor,) er ſterbe! Die Fuͤlle

Meines Herzens ergeußt ſich! Er ſterbe den Tod der Verfluchten!

Oben am Kreuze, den langſamen Tod der eiſernen Wunden!

Daß ſein modernd Gebein kein Grabmal finde! Kein Huͤgel

Ueber ihm mit Blumen bewachſe! Verweſ’ an der Sonne,

An der ofnen Sonne, Gebein! und hoͤr an dem Tage,

Wenn dem verdorrten Gebein Gott ruft, die Stimme des Herrn nicht!

Alſo ſagt der Mann, ſo dem Tode reif war. Er ſagt’ es!

Angefeuert von ihm, drang nun im wuͤtenden Taumel,

Nun das Volk auf den Goͤttlichen zu! … O gieb mir die Huͤlle,

Sionitinn, mit der, wenn du vor dem Ewigen beteſt,

Still du dich dekſt, daß ich mit den Engeln mein Auge bedecke.

Gabriel und Eloa enthuͤllten ſich ſeitwaͤrts, und ſagten:

Gabriel! Gottes Geheimniß wie tief, wie allen Erſchafnen

Unergruͤndbar iſt Gottes Geheimniß! Jch ſah ſie gebohren
B 3Werden
[22]Der Meſſias.

Werden, die Orionen, ich weis was iedes Jahrtauſend

Auf den Orionen fuͤr Wunder geſchahn! Doch ein Wunder,

Wie die Erniedrung des Sohns zu dieſer Tiefe, geſchah nicht!

Er, den erſt Jehova vom donnernden Tabor herunter

Richtete! der das Gericht mit dieſer Goͤttlichkeit aushielt!

Mir, mit Einem Blicke, der Engel Schimmer zuruͤckſchuf!

Er! … Und Er, Eloa! vor dem der Todten Gebeine,

Vom weitherrſchenden Sturme der neuen Schoͤpfung ergriffen,

Einſt erwachen, daß rings in ihren Wehen die Erde

Laut, mit einer Gebaͤhrerinn Angſt, dem Allmaͤchtigen zuruft!

Der dann mit der Donnerpoſaune, mit Todesengeln,

Mit hinſinkenden Sternen, zum Weltgerichte, wird kommen!

Sieh, er rief ihm, da wurde das Licht! Du, Gabriel, ſahſt es,

Wie es hervorriß! Er ging voll tauſendmal tauſend Gedanken,

Tauſendmal tauſend Leben an ſeiner Rechte verſammelt;

Ein beſeelender Sturm vor ihm her! Da rollten die Sonnen!

Da erklangen die jauchzenden Sphaͤren! Da ſchuf er die Himmel!

Sieh, er gebot der ewigen Nacht, die ſtellte ſich jenſeits

Seiner Himmel! Eloa, du ſahſt, wie er uͤber der Nacht ſtand!

Und er rief ihr, da ward ein ungeheurer, ein todter

Klumpen! der lag, vor ihm, wie eine zertruͤmmerte Sonne,

Oder von hundert zuſammengeworfnen Erden, die Leichen!

Und er gebot der Flamme; da ſtroͤmte die naͤchtliche Flamme

Durch des Todes Gefilde! da ward das Elend! da toͤnten

Seine Tiefen Jammer herauf! da ſchuf er die Hoͤlle!

Alſo
[23]Sechſter Geſang.
Alſo ſprachen ſie. Portia ſah den Goͤttlichen leiden;

Konnte den bangen Anblick nicht laͤnger ertragen; erhub ſich

Auf den Soͤller. Mit aufgehobnen, ringenden Haͤnden,

Stand ſie, mit Augen die ſtarr zum daͤmmernden Himmel hinaufſahn,

Und ſo zweifelt’ ihr Herz: O du, der Erſte der Goͤtter!

Der die Welt aus Naͤchten erſchuf, und Menſchen ein Herz gab!

Wie dein Namen auch heißt, Gott! Jupiter! oder Jehova!

Romulus oder Abrahams Gott! nicht einzelner Menſchen,

Nein! Du Aller Vater und Richter! o darf ichs dir weinen,

Was mir meine Seele zerreißt! Was hat er verbrochen,

Dieſer friedſame Mann, daß ihn Unmenſchliche toͤdten?

Jſt er dir ſo feſtlich, der Anblick, die leidende Tugend,

Gott! von deinem Olympus zu ſehn? Er iſt es den Menſchen!

Suͤß und ſchauervoll iſt ſie den Menſchen die ſtolze Bewundrung!

Doch kann der bewundern, er, der die Sterne gemacht hat?

Nein! du kannſt nicht bewundern! Allein ein hohes Gefuͤhl iſts

Fuͤr den Gott der Goͤtter; es koͤnnte ſein goͤttliches Auge

Sonſt nicht ſehn, daß der Schuldloſe litte! Wie wirſt du ihn lohnen,

Der dir dieſen feſtlichen Pomp der Menſchheit auffuͤhrt.

Mir, mir rinnt das Mitleid die Wang’ herunter; allein du,

Kennſt nur an der leidenden Tugend die bebende Thraͤne!

Gott der Goͤtter, belohn, und iſts dir moͤglich, bewundr’ ihn!

Als ſie nun auf den Soͤller ſich druͤberneigend gebuͤckt hat,

Hoͤrt ſie am untern Palaſte wie eines verzweifelnden Stimme.

Petrus war es. Der fromme Johannes war unten am Thore

Stehn geblieben. Er hoͤrte den jammernden Petrus, erkannt’ ihn,
B 4Rief
[24]Der Meſſias.

Rief ihm entgegen: Ach, lebt er, o Petrus? du weinſt! du verſtummeſt:

Rede! … Laß mich, Johannes, ach, laß mich im Einſamen ſterben!

Sterben will ich! Er iſt verlohren! Jch bin noch verlohrner!

Juda, Juda! entſezlicher Juͤnger! du haſt ihn verrathen! …

Jch verrieth ihn mit dir! Vor allen, welche mich fragten,

Hab ich ihn, ach! in meinem zu tiefen Elend verleugnet!

Fleuch! erhebe dich weg, Johannes, und laß mich im Stillen

Sterben. Stirb, ſtirb auch! Er iſt zum Tode verurtheilt!

Und, ich Treuloſer! hab ihn vor allen Suͤndern verleugnet!

Petrus riefs dem Verſtummenden zu, und riß ſich von dannen!

Aber izt blieb er im einſamen Dunkel am thauenden Eckſtein

Stehn, u. ſchwankt’ an den Stein hin, und hielt ſich, und ſank an ihn nieder:

Neigte ſein muͤdes Haupt, und weinte lang, und verſtummte!

Endlich ſtroͤmte ſie aus, in brechende Worte, die volle

Tieferſchuͤtterte Seele. Laß ab, mit des Todes Geſtalten,

Mich zu ſchrecken! Sie reiſſen wie Schwerter in meine Gebeine,

Meine zermalmten Gebeine! laß ab! Und wend’, o wende

Dieſe toͤdtenden Blicke von mir, womit du mich anſahſt,

Als die tiefſte der Thaten, der Thaten ſchwaͤrzte, geſchehn war.

Ach was that ich! Mein Freund! mein Freund! dich hab ich verleugnet!

Den ich liebte, der mich, wie ſonſt kein Lehrer, geliebt hat,

Der ein goͤttlicher Mann war! Zu kleine Seele, was thatſt du!

Siehe, nun wird er mich auch im Weltgerichte, vor ſeinen

Froͤmmern Juͤngern, vor ſeinen erhabnen Engeln, nicht kennen!

Kenne mich nicht! Jch verdien es! … O kenne mich wieder! Erbarme

Meiner Angſt dich! Was hab ich gethan! Jemehr ichs empfinde,
Deſto
[25]Sechſter Geſang.

Deſto tiefer graͤbt es in meine Gebeine den Tod ein.

Stirb! … O koͤnnt’ ich ſterben! Jch werde ſterben, doch langſam!

Hier verſtummt er, und weint’, und verdiente, weinen zu koͤnnen.

Neben ihm ſtand ſein Huͤter, Orion, und ſah ihn, und fuͤhlte

Sanftes Mitleid, und Engelfreuden. Jzt wandte ſich Petrus,

Hub ſich empor, und ſchaute gen Himmel. Du furchtbarer Richter!

Vater der Menſchen und Engel, und deines Sohnes! du kenneſt

Mein erſchuͤttertes Herz, das Beben des tiefſten Gedankens.

Dein Kind Jeſum, ich hab ihn verleugnet! Erbarme dich meiner!

Ach, erbarme dich meiner, du Vater des goͤttlichen Kindes!

Er ſoll ſterben! Jch bin es nicht werth, mit dem Theuren zu ſterben!

Aber laß mich ihn noch, eh er zum Grabe ſein Haupt neigt,

Eh er, unter die treueren Juͤnger, den Segen, die lezte

Liebe vertheilt; laß dann mich noch den Liebenden ſehen,

Daß ſein ſterbender Blick mir verzeihe! Dann fleh’ ich nur Gnade,

Keinen Segen! zu bang, zu ſehr Verbrecher, zu rufen:

Haſt du nur einen Segen? nur Einen fuͤr dieſe Gerechten?

Ach wenn ich nur Vergebung erweine, ſo will ich hingehn,

Jhn vor allen Menſchen bekennen. So lange, mein Schoͤpfer

Du mir Tage des Menſchen zu leben gebietheſt, ſo lange

Seys mein theures Geſchaͤft: Jch will die guten, die frommen,

Alle reinen Herzen, ich will ſie ſuchen, und ihnen

Unaufhoͤrlich mit Wehmut und dieſen Thraͤnen erzaͤhlen:

Ja! ich kannt ihn, den Guten, den Theuren, den Beſten der Menſchen!

Jeſum, des Allerheiligſten Sohn! Und war es nicht wuͤrdig,

Jhn zu kennen! Jch war ſein erkorner Juͤnger! Er liebte
B 5Seinen
[26]Der Meſſias. Sechſter Geſang.

Seinen Juͤnger! Doch war ich nicht wuͤrdig, ihn wieder zu lieben.

Denn ich liebt’ ihn nicht mehr, in der truͤben Stunde, den Beſten

Unter den Menſchen! Er war der Beſte, der Beſte! Sein Leben

War fuͤr andre, nicht ſein, voll Menſchlichkeiten! Die Armen

Speiſt’ er, heilte die Kranken, erwekte vom Tode die Todten!

Darum toͤdteten ihn der Menſchlichkeit Haſſer! Erhebt euch,

Kommt, ihr Maͤnner, und laßt uns gehn, an ſein Grab hin, und weinen!

Ach zu fuͤrchterlich iſt der Gedanke von ſeinem Grabe!

Jeſu, du goͤttlicher Mann! wo wird dein Grab ſeyn? Wo wirſt du

Schlummern im Stillen? Wofern der Wuͤter Wut dir ein Grab laͤßt!

Alſo flehte der Mann, den der Erde Suͤnder in Worten

Kennen, verleugnen im Thun; er erweinte der Maͤrtyrer Krone!


Der
[[27]]

Der
Meſſias
.
Siebender Geſang.


[[28]]

Jnhalt
des ſiebenden Geſangs.


Der Tag des Todes Jeſu bricht an. Eloa beſingt ihn. Das Sy-
nedrium haͤlt eine letzte Berathſchlagung, und fuͤhrt den Meßias
zu Pilatus. Kaiphas klagt Jeſum an. Philo thuts auch. Der Meſ-
ſias bemerkt ſie kaum. Pilatus nimmt Jeſum ins Richthaus, ihn be-
ſonders zu verhoͤren. Jſchariots Tod. Pilatus koͤmmt mit dem Meſ-
ſias zuruͤck, und ſagt, daß er ihn Herodes ſenden wolle. Maria koͤmmt,
ſieht ihren Sohn, und geht in ihrer Traurigkeit zu Portia, und bit-
tet dieſelbe, ihren Gemahl warnen zu laſſen, daß er des Unſchuldigen
ſchone. Portia war durch den Traum, den ſie gehabt hatte, ſchon
geneigt, deswegen zu Pilatus zu ſchicken. Sie erzaͤhlt der Maria
ihren Traum. Der Meßias wird zu Herodes gefuͤhrt. Das Betra-
gen einiger Juͤnger und Freunde Jeſu, da er hingefuͤhret wird. He-
rodes verlangt ein Wunder vom Meßias, welcher ſchweigt. Kaiphas
macht, durch eine Anklage wider Jeſum, Herodes noch erbitterter.
Dieſer verſpotter den Meßias, und ſchickt ihn zu Pilatus zuruͤck. Das
Volk wird durch neue Haufen, die zum Feſte gekommen waren, ver-
mehrt. Philo ſchickt ſeine Vertrauten unter das Volk aus, es wider
Jeſum einzunehmen. Unterdeß hatte Pilatus einen beruͤchtigten Moͤr-
der, Barrabas, kommen laſſen, ihn, mit Jeſu, dem Volke vorzuſtel-
len, damit dieſes um Loslaſſung des Meßias bitten moͤchte. Portia
ſendet eine Sclavinn zu Pilatus. Philo entdekt Pilati Abſicht, die er
mit der Vorfuͤhrung des Moͤrders hat. Er haͤlt eine Rede ans Volk.
Durch dieſe, und durch den Beyfall, den die uͤbrigen Prieſter ſeiner
Rede geben, wird das ohnedieß ſchon wieder Jeſum eingenommne Volk
dahin gebracht, Barrabam loszubitten. Pilatus bezeigt, durch ein
feyerliches Haͤndewaſchen, daß er unſchuldig am Blute des Meßias
ſey. Das Volk uͤbernimmt die Schuld der Verurtheilung Jeſu. Der
Meßias wird zur Geißlung gefuͤhrt. Pilatus bringt Jeſum, mit Dor-
nen gekroͤnt, wieder zum Volk heraus, es gegen ihn zum Mitleiden zu
bewegen. Unterdeß daß dieß geſchieht, giebt der Meßias an einige
Engel geheime Befehle. Pilatus bemuͤht ſich noch immer, aber ver-
gebens, Jeſum zu retten. Jener erſchrikt uͤber die Anklage der Prie-
ſter, daß ſich der Meßias zu einem Sohne Gottes gemacht habe. Er
nimmt ihn mit ſich in den Palaſt zuruͤck, und befragt ihn hieruͤber.
Jeſu Antwort. Pilatus ſucht noch einmal, ihn zu befreyen. Aber
nach einem Vorwurfe der Prieſter, daß er auf dieſe Art ſich nicht als
einen Freund des Kaiſers zeige, uͤbergiebt Pilatus Jeſum in der
Prieſter Gewalt, welche ihn zum Tode fuͤhren.


[]
[figure]
[][[29]]
Der
Meſſias.
Siebender Geſang.


Du, Eloa! du ſtandſt auf der Morgenroͤthe. Der Erde

Huͤter ſtanden um ihn. Er ſang in die maͤchtige Harfe.

Siehe, ſo werden die Auferſtehungen jauchzen! ſo ſang er!

Ewigkeit dir! komm, werde gebohren! o werde gebohren,

Bluttag! … Er wandelt am Himmel herauf! Sein Nam iſt, Erbarmer.

Jhn, ihn ſegnen die Orionen, und rufen den kleinern

Sonnen umher, die Sonnen den Erden: Du Tag! du Verſoͤhner!

Theurer, ſchoͤner, blutender Tag, dich ſandte die Liebe!

Harfe, toͤne darein! Er ſchaft, zu Engeln, den Staub um!

Ewigkeiten der Ruh ſind ſeiner Triumphe Gefolge!

Sieh, ich hebe mein Aug auf, und ſeh! Ein Huͤgel der Erden

Jſt der Altar! Der Altar, er bebt vor dem kommenden Opfer!

Haͤtte der Auszuſoͤnende Sterne, wie Stein’ aus den Baͤchen,
Aufge-
[30]Der Meſſias.

Aufgenommen, erbaut die Sterne dem Sohne zum Altar:

Dennoch haͤtte dem kommenden Opfer der Altar gezittert!

Rings um ſchau ich. Wie laͤcheln der Erde die helleren Sonnen!

Und wie ſchwimmt ihr leichter Gefolge die Himmel herunter!

O du Ruhe, des feſtlichſten unter den Feſten! Du Sabbat!

Sabbat des Vaters und Sohns! Jch hoͤr, ich hoͤre, die Jubel,

Toͤnen von allen Harfen heruͤber! Der Seraphim Kronen

Sinken alle! Sie iſt, die Schoͤpfung iſt Sabbat geworden!

O du Gedanke, Gedanke! Jahrtauſende gehn noch voruͤber!

Eh von fern in dein heiliges Licht der Seraph hinaufblickt.

Du! Der Sohn des Vaters, er ſtarb! … Der Ewige denkt dich!

Alſo ſang Eloa. Die Himmel hallten es wieder.

Doch von der Suͤnde geblendet, und ihren Gerichten belaſtet,

Dacht auf der Erde viel anders ein Haufen Sterbliche. Satan

Dachte wie ſie. Des Ewigen Vorſicht ließ die Verbrecher

Ganz ihr Maaß anfuͤllen. Der Hoheprieſter verſammelt

All’ im innern Saale. Dort halten ſie Rath, und verſchwoͤren

Wider den Ewigen ſich. Sie hatten das Opfer dem Tode

Lange geweiht. Sie halten nur Rath von Pilatus, vom Volke,

Und von der Art des Todes. Am Kreuz auf Golgatha, ſollſt du

Bluten! … Philo verachtet, von ihrem Rathe zu lernen;

Bricht ſchnell aus der Verſammlung, und ſucht den Meßias, und findet

Jhn bey den Wachen am ſinkenden Feuer. Hier geht er mit wildem

Drohenden Schritte vor ihm auf und nieder. Sein treſfendes Auge

Heftete ſich unverwandt auf Jeſum, und funkelte Rache.

Aber ſo ſehr ihn die Wut auch beherrſchte, ſo ſann er doch ſorgſam
Und
[31]Siebender Geſang.

Und ſcharfſichtig die Reihen der Schwierigkeiten herunter,

Stellte ieder Entſchluͤſſe, Beredtſamkeit, prieſterlich Anſehn,

Oder das Aeuſſerſte ſelbſt entgegen, ließ keine dem Zufall.

Einmal (er dacht an das Volk) erhebt ſein Herz ſich, zu beben.

Aber er zwingts, entſchloſſen, zu toͤdten, oder zu ſterben!

Und noch einmal (er dachte, was er zu vollenden bereit war,)

Zittert das Herz ihm, doch ſchnell beſiegt er ſein zeugend Gewiſſen!

Jtzo, voll von ſeinen Entſchluͤſſen, (ein luſtig Gewebe,

Leicht zu entweben, haͤtte die Vorſicht nur Winke geſendet!)

Jzt eilt Philo zuruͤck zur Verſammlung: Noch ſaͤumen wir, Vaͤter?

Brach die Daͤmmrung nicht an? Und ſoll er am Abend noch leben?

Philo bewegte ſie leicht. Sie eilten, und nahmen, und fuͤhrten

Zu Pilatus den ewigen Sohn; ein furchtbarer Haufe,

Hoheprieſter, Geſezerklaͤrer, die Aeltſten Judaͤa!

Und die Morgenluft athmete kalt. Da Jeſus den Tempel,

Der nun, wenige Stunden nur noch, des Verſoͤnenden Opfer

Bilden ſollte, durch daͤmmernde Schimmer des Tages enthuͤllt ſah,

Schaut’ er vom Tempel gen Himmel. Sie eilten. Es eilte ſchon Volk mit.

Denn es hatte der Ruf die Geſchichte der Nacht nicht verſchwiegen.

Einige waren vorausgeſendet, und hatten Pilatus

Schon die Kommenden angekuͤndigt. Sie kamen. Er ſtaunte,

Daß ganz Juda vor ihm erſchien, um Einen Gefangnen

Anzuklagen. Sie gingen mit ihm die erhabenen Stufen

Draͤngend hinauf, und blieben am Richthaus auf Gabbatha ſtehen.

Hier war itzo der Richtſtuhl. Des Feſtes Gebraͤuche geboten,

Nicht ins Richthaus zu gehn. Pilatus ſaß auf dem Richtſtuhl,
Jener
[32]Der Meſſias.

Jener entartete Roͤmer, ein weicher Kenner der Wolluſt,

Stolz und grauſam dabey; doch klug genung, von der Roͤmer

Alten Gerechtigkeit einige Minen zu zeigen. Er ſprach izt:

Weſſen beſchuldigen Jſraels Aelteſten dieſen Verklagten?

Und … ſelbſt Kaiphas ſeh ich! Er ſprachs mit Hoheit, und ſchaute

Mehr auf Jeſum, als auf die Verſammlung. Der Hoheprieſter

Trat nun naͤher hinzu, und ſprach: Wir glauben, Pilatus

Kenn’ uns ſo, und faͤlle dieß Urtheil von Jſraels Vaͤtern:

Daß ſie dieſen vor ihn nicht fuͤhren wuͤrden, wofern er

Nicht ein Schuldiger waͤr! Er iſt es, Pilatus, er iſt es

Mehr, als es einer noch war, ſeitdem du Jſrael richteſt!

Dieſen Gram verbergen in ſich die Vaͤter Judaͤa,

Koͤnnen ihn dir nicht erklaͤren, wie ſehr der Jeſus ſich auflehnt

Wider unſers Propheten Geſetz, und den heiligen Tempel!

Wie er, in blendenden Reden, durch taͤuſchende Wunder, ein Zaubrer,

Unſer Volk uns verfuͤhrt! Schon lange, Pilatus, ach lange

Hat er zu ſterben verdient! Hier unterbrach ihn Pilatus:

Aber ſo richtet ihn denn nach eurem Geſetze! Wie beutſt du

Dieß, Pilatus, uns an? Du weiſt ja, o Roͤmer, wir duͤrfen

Keinen toͤdten! Er haͤlt hier inne, den Zorn zu verbergen,

Daß ſie, an ihrer entrißnen Freyheit, Pilatus erinnre!

Aber izt redt’ er weiter: Du weiſt, mit welchem Gehorſam,

Welchem tiefen Gehorſam, und unerſchuͤtterter Treue,

Wir Tiberius, unſerm Veherrſcher, des Vaterlands Vater,

Der ſtets gluͤcklicher ſey! wie wir ihm gehorchen! Der Jeſus,
Den
[33]Siebender Geſang.

Den du vor dir, Pilatus, erblickſt, er rottet die Voͤlker

Jn den Wuͤſten Judaͤa zuſammen! Ein maͤchtiger Redner

Ueberredet er ſie, ſich der Oberherrſchaft des Caͤſars

Zu entreiſſen, ihn ſelbſt zum Koͤnig zu waͤhlen. Jch bin es,

Den die Propheten verkuͤndigten! Jch der Erloͤſer in Juda!

Und damit er noch mehr die kleinen Seelen gewinne;

Jedes Geſinnung erforſche, ſie alle kenne; ſie alle

Sich verfuͤhre, behaͤlt er ſie in den Wuͤſten, und ſpeiſt ſie!

Und wie ſehr gewann er ſie nicht! Deß Zeug’, iſt der Einzug

Jn Jeruſalem. Doch ich beſchreibe den Pomp, und das Jauchzen,

Dieſes Tages Entweihungen, nicht! Du warſt ja zugegen,

Hoͤrteſt der Voͤlker Geſchrey, ihr Hoſanna, den taumelden Jubel,

Dieſen Triumph, daß davon ſelbſt dieß dein Richthaus erbebte.

Aber Pilatus laͤchelte. Philo bezwang ſich, und ſagte:

Koͤnnt ich glauben, Pilatus, du lieſſeſt der biegſamen Sanftmut

Mine dich taͤuſchen, und hieltſt fuͤr ununternehmend den Stolzen,

Welcher ſie hat; ſo ſchwieg ich; allein du kenneſt die Menſchen!

Dieſer Jeſus, ſo klein er dir ſcheint, izt da ihn Judaͤa

Jn der Kette dem Richter gebracht hat; er wars nicht, o Roͤmer,

Als er noch in den Wuͤſten von Galilaͤa herumzog.

Sieh das Gewebe von ſeinem Entwurf: Erſt lockt er die Menge

Durch die Kuͤnſte, die dir der Hoheprieſter genannt hat;

Drauf verſucht er, wie weit er die ſchwindelnde Menge beherrſche.

Und es gluͤckt’ ihm der ſtolze Verſuch! Geſpraͤche des Zutrauns,

Hohe Beredſamkeit, (itzo verſtummt ſie!) gekuͤnſtelte Wunder,

Waren bisher ihm gelungen. Jzt reizt’ er auf einmal die Menge,
II.Band. CJhn
[34]Der Meſſias.

Jhn zum Koͤnig zu machen. Sie eilten, und drangen, und riefen

Schon um ihn her. Er ſahs, und entwich, noch mehr ſie zu reizen.

Und es gelang ihm, ſie ſuchten ihn auf. Der reiſſende Strom zog

Neue Stroͤme zu ſich. Zulezt (nun waren die Voͤlker

Maͤchtig genung, nun entwich er nicht mehr!) kam er in dem Triumphe

Nach Jeruſalem. Aber ſo ſehr das Volk ihm auch anhing,

Wars doch zu unentſchloſſen, Jeruſalems Vaͤter zu zwingen,

Seinem Koͤnig entgegen zu gehn. Und waͤr es, Pilatus,

Auch hierzu entſchloſſen geweſen; ſo haͤtten die Vaͤter,

Alle die grauen Haͤupter, die du, Pilatus, hier ſieheſt,

Alle wir Diener des groͤßten der Tempel, wir haͤtten mit Freuden

Dann fuͤr unſern Caͤſar geblutet! So ſagte der Prieſter.

Aber der Gottmenſch ſtand tiefſinnig, der großen Erloͤſung

Leiden ruhten auf ihm. Der Tode toͤdtlichſter rief ihn

Zum Altare. Die Menſchen, die neben ihm wuͤteten, waren

Opferer nur. Er bemerke ſie kaum. So bemerket der Feldherr,

Den das Vaterland ſandte, den kuͤhnen Erobrer zu ſtrafen,

Und die zuͤrnende Thraͤne der Freygebohrnen den Stolzen

Fuͤhlen zu laſſen! er merkt den Staub der wuͤrgenden Schlacht nicht!

Aber ſo ſehr er ein Roͤmer auch war, ſo bewundert Pilatus

Doch den ſchweigenden Mittler. Du hoͤrſt die maͤchtige Klage,

Und doch ſchweigſt du? … Vielleicht willſt du vor dieſer Verſammlung

Dich nicht vertheidigen? Komm! Der Gottmenſch folgt ihm ins Richthaus.

Jtzo irrte die Ungewißheit mit wankenden Schritten

Um die Prieſter, und zeichnet’ ihr Antliz mit bebender Blaͤſſe.

Doch ein verworfuerer Suͤnder, als ſie, der ſchwarze Verraͤther

Seines goͤttlichen Freundes, als er den kommenden Tod ſah,
Dem
[35]Siebender Geſang.

Dem den Gerechten die Prieſter entgegen fuͤhrten: erhub er

Schnell ſich, und eilt auf Gabbatha zu. Die ſtuͤrmende Menge

Hielt ihn maͤchtig zuruͤck! er muſte ſich wenden. Jzt floh er

Zu dem Tempel. Es hatte dahin, aus Sorge fuͤr Aufruhr,

Kaiphas Prieſter geſtellt. Der Verraͤther wuſt es. Er ging ſchon

Jn den ſchweigenden Hallen der hohen Tempelgewoͤlbe.

Als er die hangende Huͤlle des Allerheiligſten ſahe,

Wandt’ er ſich weg, ward bleicher, und zitterte laut! Dann erhub er

Sich zu den Prieſtern, und ſprach mit wuͤtender Reue: Da habt ihr

Euer Silber! (und warfs zu ihren Fuͤſſen!) Der Fromme,

Den ich verrieth, ſein Blut iſt Blut der Unſchuld! Das koͤmmt nun

Ueber mein Haupt! Er ſprachs, und rollte die ofneren Augen,

Ging, und eilte davon, floh der Menſchen Anblick, und riß ſich

Aus Jeruſalem, ſtand, izt ging er! izt ſtand er! izt ſloh er!

Schaute mit wildem Antliz umher, ob er Menſchen erblickte?

Als er keinen erblickte, der Stadt nun ſtummes Getoͤſe

Ganz ſich dem Ohre verlor, beſchloß er, zu ſterben! Sie kann nicht,

Nein, ſie kann, nach dem Tode, nicht fuͤrchterlicher mich faſſen

Dieſe namloſe Qual! Zu entſezliche Qualen, o wuͤtet

Wuͤtet, ſo lang ihr noch koͤnnt! Wenn dieß Auge ſich zuſchließt, und alles

Dieſem Ohre verſtummt; ſo ſeh ich ſein Blut nicht, ſo hoͤr ich

Seine brechende Stimme nicht mehr! … Doch der auf Horeb

Sprach ja: Du ſollſt nicht toͤdten! … Er iſt mein Gott nicht! Jch habe

Keinen Gott mehr! Du, Elend! Du biſt mein Gott! Du gebieteſt,

Laut gebieteſt du mir den Tod! Jch gehorche! So ſtirb denn,

Stirb, Verlorner! … Du bebſt? Hier ſtuͤrmts! Noch einmal empoͤret

Sich das Leben in dir! es ringt, zu leben. Verraͤther!
C 2Du
[36]Der Meſſias.

Du willſt leben? gebrantmarkt vor allen, die jemals verriethen,

Du? … Er breitet vor mir wie ein weiteroͤfnetes Grab ſich

Fuͤrchterlich aus! Er iſt der baͤngſte der bangen Gedanken,

Die ein Sterbender jemals empfand: Jch hab ihn verrathen! …

Stirb! Die Seele, die dir nach dem Tode noch elend zuruͤckbleibt,

Toͤdte ſie auch! O die du in mir, als waͤrſt du unſterblich,

Dich erhebſt, vernimm dein Schickſal, Seele des Todten!

Sieh, ich verwuͤnſche dich auch der Vernichtung! So ſprach er und ſchaute

Starrend hin, und miſchte zur tiefgeſtuͤrzten Verzweiflung

Gegen den, der ewig iſt, Rache! Dem Gang des Verworfnen

Folgten Jthuriel und der Todesengel Obaddon.

Als Jſchariot ſtillſteht, und nun mit ieder Gebehrde

Mehr dem Gerichte ſich weiht; ſpricht in feuriger Eil zu Obaddon

Seraph Jthuriel: Sieh, er geht zum Tode! Noch einmal

Wollt’ ich ihn ſehn, denn ich war ſein Engel. Jzt laß ich den Suͤnder

Dir, und der Rache! Zwar bin ich ſein Huͤter geweſen; doch nimm ihn,

Feyerlich uͤbergeb ich dir, Todesengel, das Opfer!

Nimm ihn, er opfert ſich ſelbſt, und fuͤhr ihn zum ewigen Tode!

Wie es geſchehn ſoll, davon weiſt du des Richters Befehl auch.

Aber ich huͤlle mich ein, und wende mein Antlitz! Er eilte

Mit dem fliegenden Worte davon. Jſchariot waͤhlte

Schon den Ort des Todes ſich aus. Da Obaddon den Huͤgel

Sah, trat er auf die Spitze des Huͤgels, hub dann die Rechte

Mit dem flammenden Schwert empor, und hielt ſie gen Himmel;

Sprach die feyrlichen Worte, die Todesengel dann ſprechen,

Fuͤllt ein Menſch der Empoͤrungen Maaß, und toͤdtet ſich ſelber.

Tod!
[37]Siebender Geſang.
Tod! bey dem furchtbaren Namen des groſſen Unendlichen! Tod, komm

Ueber den Mann von Erde! Sein Blut ſey uͤber ihm ſelber!

Siehe, du loͤſcheſt die Sonne dir aus. Der Tod, und das Leben

Lagen vor dir, daß du waͤhlteſt. Du Sterblicher! waͤhlteſt den Tod dir!

Sonne verliſch! und, Todesangſt, komm, und thue dich weit auf,

Grab! und nimm ihn, Verweſung! Sein Blut iſt uͤber ihm ſelber!

Judas vernahm des Unſterblichen Stimme. So hoͤrt ein Verirrter

Stimmen im einſamen Walde voll Nacht, wenn uͤber den Bergen

Meilenferne Gewitter die Ceder den Wolken entſtuͤrzen.

Und er rief in der Wut der Verzweiflung: Jch kenne das Rauſchen

Deiner Stimme zu wohl! Du biſt der todte Meßias!

Du verfolgſt mich, und forderſt dein Blut. Hier bin ich! hier bin ich!

Judas riefs mit ſtarrendem Blick, und erwuͤrgte ſich! … Staunend

Trat Obaddon ſelber zuruͤck, da er ſtarb! … Die ergrifne,

Schwankende Seele, ſie ſchuͤtterte dreymal noch, als ihm ſein Herz brach.

Aber zum viertenmal trieb ſie der Tod von des Sterbenden Stirne

Siegend empor. Sie ſchwebte dahin. Leichtflieſſende Geiſter

Folgten ihr aus dem Leichname nach, und zogen ſich ſchneller,

Als Gedanken um ſie, und wurden zum ſchwebenden Koͤrper.

Daß er mit hellerm Auge den Abgrund erblickte, mit feinerm

Und geſchrekterem Ohre den Donner des Richters vernaͤhme.

Aber doch wars ein Koͤrper, unausgeſchaffen, voll Schwaͤche,

Nur den Qualen empfindlich, und menſchenfeindlich von Bildung.

Jtzo hatte ſich, von der Betaͤubung des Todes, die Seele

Schnell beſonnen, indem begann ſie zu denken. Jch fuͤhle

Wieder? Wer bin ich geworden? Wie leichthinſchwebend erheb ich
C 3Mich
[38]Der Meſſias.

Mich in die Hoͤhe! Doch ſind das Gebeine? Das ſind nicht Gebeine!

Aber das iſt doch ein Leib! Noch ſeh ich dunkel! Wer bin ich?

Aber … entſetzlich iſt mein Gefuͤhl! Jch fuͤhl, ich bin elend!

Bin ich Judas, der ſtarb? Wo bin ich? Wer iſt auf dem Huͤgel:

Jene lichte Geſtalt, die immer furchtbarer herglaͤnzt?

Waͤrſt du, mein Auge, dunkel geblieben! Aber ſie wird ſtets

Heller! noch heller! ach fuͤrchterlichheller! Auf, Judas, entfliehe!

Weh mir! Es iſt der Richter der Welt! Jch kann nicht entſliehen! …

Und das iſt mein abſcheulicher Leichnam! … Jzt ſchwebt’ er verzweifelnd

Dicht am Boden. Erhebe dich! rief vom Huͤgel Obaddon,

Schwebe nicht erdwaͤrts! Jch bin der Richter der Welt nicht. Jch bin nur

Einer der Voten von ihm, der Todesengel Obaddon!

Hoͤr dein Urtheil! Es iſt dein erſtes; und truͤbere folgen.

Ewiger Tod dir! Du haſt den Unerſchaffnen verrathen,

Und dich wider Jehovah empoͤrt, und ſelbſt dich getoͤdtet!

So ſagt der, der in der gefuͤrchteten Rechte die Wagſchal,

Jn der Linken den Tod haͤlt: Es iſt kein Maaß, ſo ſie aufmißt,

Keine Zahl, die ſie zaͤhlt, die Qualen, die auf des Verraͤthers

Haupt ſich ſammlen! Erſt zeig ihm am Kreuze den blutenden Mittler;

Drauf die Huͤtten der Wonne von fern; dann fuͤhr ihn zur Hoͤlle.

Alſo ſagte der Engel das Urtheil. Der bebende Schatten

Wurde dunkler vor Schrecken, und folgte von ferne dem Seraph.

Unterdeß war der ewige Sohn bey Pilatus im Richthaus,

Und Pilatus befragt ihn; Du biſt der Koͤnig Judaͤa?

Jeſus ſchaut mit gelinderem Ernſt dem Roͤmer ins Antliz.

Waͤr ich ein Koͤnig der Erde, wie ihr beſiegtet, ſo haͤtt ich

Voͤlker, die ſiritten fuͤr mich! Jch bin kein Koͤnig der Erde!

Aber
[39]Siebender Geſang.
Aber ſo biſt du denn doch ein Koͤnig? … Jch bin es! Jch ließ mich

Zu der Erden herunter, ich wurde gebohren, die Menſchen

Wahrheit zu lehren. Wer ſich der heiligen weihte, verſteht mich!

Hier bricht Pontius ab, und ſagt mit der Mine des Weltmanns,

Die kurzſichtig, doch laͤchelnd, des Ernſtes Sache verurtheilt:

Was iſt Wahrheit? Er hatt es geſagt, und begleitet’ ihn wieder

Jn die Verſammlung zuruͤck. Jch finde, ſagt er den Prieſtern,

Keine Schuld des Todes an ihm. Jhr nanntet vorher mir

Galilaͤa. Dort lehnt’ er ſich auf. Drum ſehet, ich ſend ihn

Zu Herodes. Es iſt ſein Gebiet. Er beſtraf ihn! Und ſollte,

Wie mir es ſcheint, die Frage vielmehr von euerm Geſetze

Als von Empoͤrungen ſeyn; ſo iſt es wieder Herodes,

Der ſie beſſer entſcheidet als ich. So ſagte Pilatus.

Unterdeß kam die Mutter des Liebſten unter den Soͤhnen,

Nach durchwachter einſamer Nacht, mit den Schauern der Daͤmmrung,

Nach Jeruſalem. Doch ſie fand ihn im Tempel nicht, wo ſie ihn ſuchte,

Fand den goͤttlichen Sohn nicht! … Verſenkt in aͤngſtliches Staunen

Hoͤrt ſie von den Palaͤſten der Roͤmer heruͤber ein dumpfes

Tiefaufſteigend Getoͤſe. Sie ging dem Getoͤſ’ entgegen,

Ohne daran zu denken, woher es entſtuͤnde? Nun geht ſie

Unter dem Volke, das rings durch Jeruſalem gegen den Richtſtul

Eilte. Beklommen, doch wegen des Aufruhrs Urſach noch ruhig,

Nahte ſie ſich dem Richtſtul. Hier ſah ſie von ferne Lebbaͤum.

Doch kaum ſah Lebbaͤus die Mutter, da floh er. Ach flieht er?

Warum wendet er ſich? So dachte Maria. Sie dacht es.

Mit dem Gedanken zuͤckte die Vorſicht das Schwert, ſo beſtimmt war,

Jhr durch die Seele zu gehn. Maria erhub ſich, und ſahe
C 4Jeſum!
[40]Der Meſſias.

Jeſum! … Jhr Engel, als er die Todesblaͤſſe, mit der ſie

Bleich ward, als er die ſtarrenden Augen der Mutter erblickte,

Wandt er ſein Antliz. Doch ſie, da ihrem Auge das Dunkel,

Jhrem Ohr die Betaͤubung entſank, ging vorwaͤrts, und bebte

Naͤher zum Richtſtul herauf, und ſah noch einmal den Sohn ſtehn,

Sah die maͤchtigen Klaͤger um ihn, und den richtenden Roͤmer!

Hoͤrte die Stimme des Volks, die rings mit Wuͤten vom Tode

Wiederhallte. Was ſollte ſie thun? Zu welcher Erbarmung

Sollte ſie flehn? Sie ſchaute ſich um, da war kein Erbarmer!

Schaute gen Himmel empor, auch er verſtummte der Mutter;

Jtzo betet ihr blutendes Herz: O, der durch Engel

Mir ihn verkuͤndigen ließ, mir ihn in Bethlehems Thal gab,

Daß ich mit Mutterfreuden mich freute, mit denen der Muͤtter

Keine ſich iemals freute, mit Freuden, die ſelber die Engel

Jn dem Liede von ſeiner Geburt nicht alle beſangen!

Du, der Samuels Mutter erhoͤrte, da ſie am Altare

Stand, und weint’, und betet’, erhoͤr, Erbarmer, den Jammer

Meiner Seele, vernimm die Angſt, die mehr mich erſchuͤttert,

Als der Gebaͤhrerinn Angſt! Das muͤtterlichſte der Herzen

Gabſt du mir, und den beſten der Soͤhne, den beſten vor allen

Erdegebohrnen! Ach laß ihn nicht ſterben, iſt anders mein Flehen

Deinem goͤttlichen Willen gemaͤß, o du, der die Himmel

Schuf, und der Thraͤne gebot, zu dir um Erbarmung zu flehen!

Hier verſtummt ihr Herz. Der Strom der kommenden Menge

Trieb ſie ſeitwaͤrts, und nahm ihr den Anblick des Sohns. Sie entriß ſich

Jzt dem Gedraͤnge; ſie ſtand; ſie ging; ſie ſuchte, ſie fand nicht,
Nicht
[41]Siebender Geſang.

Nicht die Juͤnger! Zulezt verhuͤllte ſie ſich, und weinte

Stumm. … Als ſie darauf ihr Aug aufhebt, da erblickt ſie

Sich am Seitenpalaſte des Roͤmers. Vielleicht, daß hier Menſchen

Wohnen, (denkt ſie,) vielleicht, daß ſelbſt in der Schwelger Palaͤſten

Eine Mutter gebahr, der es, Mutterliebe zu fuͤhlen,

Nicht zu klein iſt. O wenn es waͤre, was viele der Muͤtter

Von dir, Portia, ſagen, daß du ein menſchliches Herz haſt.

O ihr Engel, die ihr bey der Krippe ſeiner Geburt ſangt,

Wenn das waͤre! Sie denkts. Schon eilt ſie die Marmorgelender

Unverhuͤllter hinauf, und geht in den ſchweigenden Saͤaͤlen;

Doch nicht lange, ſo koͤmmt, aus einem fernen Gewoͤlbe,

Jn des Palaſtes Seite, die zu dem Richtſtul ſich hinzog,

Eine Roͤmerinn her, und ſieht Maria. Die junge

Bleiche Roͤmerinn bleibt ſo, wie ihr aufgeloͤſt Haar fließt,

Und ihr leichtes Gewand die bebenden Glieder herunter,

Bleibt ſie bewundernd ſtehn. Denn die Mutter des Unerſchafnen

Zeigt, wiewohl der Schmerz ſie verhuͤllt, in ihren Gebehrden

Eine Hoheit, von Engeln (weil die ſie am meiſten verſtanden!)

Selbſt bewundert: vom Schmerze bedeckt, dann ſtieg ſie am tiefſten

Zu den Menſchen hinab, von ihnen bewundert zu werden.

Endlich redte die Roͤmerinn: Sag, o ſage, wer biſt du?

Wer du auch ſeyſt, noch nie hab ich dieſe Hoheit geſehen;

Dieſen goͤttlichen Schmerz! Jzt unterbrach ſie Maria:

Wenn du wirklich das Mitleid, das du in deinem Geſicht haſt,

Auch im Herzen empfindeſt; ſo komm, o Roͤmerinn, fuͤhre

Mich zu Portia! Mehr noch erſtaunt erwiedert mit leiſer,
C 5Sanfter
[42]Der Meſſias.

Sanfter Stimme die Roͤmerinn: Jch bin Portia. … Du biſt

Portia ſelbſt? … Ein geheimes, ein linderndes, ſtilles Verlangen

Wuͤnſchte mir Portia ſo, da ich dich ſahe. Du biſt es

Alſo ſelber? O Roͤmerinn! … zwar du kenneſt die Schmerzen

Einer Mutter nicht ganz, die zu einem Volke gehoͤret,

Welches ihr haßt, doch Jſraelitinnen ſelber ſie ſagen,

Daß dein Herz voll Menſchlichkeit ſey! Der Mann, den Pilatus

Richtet! er hat kein Unrecht gethan! den Tyrannen verklagen!

Jch bin ſeine Mutter! … Maria hatt’ es geſprochen.

Portia blieb vor ihr ſtehn, und ſah ſie mit ſanftem Erſtaunen,

Mit Entzuͤckungen an. Denn uͤber den Kummer des Mitleids

Siegte der hoͤhre Gedanke. Sie konnte izt nur bewundern.

Endlich rief ſie: Er iſt dein Sohn? Gluͤckſelige, du biſt

Dieſes Goͤttlichen Mutter? Du biſt Maria? Dann wendet

Sie ſich von ihr, und richtet gen Himmel ihr ſtaunendes Auge.

Sie iſt ſeine Mutter, ihr Goͤtter! Euch mein’ ich, ihr edlern,

Beſſern Goͤtter, die mir, in dem Traume voll Ernſt, ſich entdekten.

Jupiter heißt ihr nicht, ihr heißt nicht Phoͤbus Apollo!

Aber wie euer Namen auch heißt, ihr ſeyd es, ihr ſandtet

Mir die Mutter des groͤßten der Menſchen, wenn er ein Menſch iſt!

Und mich bittet ſie? mich? … Nein, bitte mich nicht! O fuͤhre

Mich vielmehr zu ihm hin, zu deinem erhabenen Sohne,

Daß er der Dunkelheit mich, den Zweifeln, entreiſſe! von fern nur

Auf mich herſeh, und mir die Lehre der Gottheit entfalte.

Portia hatte ſich wieder gewandt. Mit Augen voll Liebe

Suchte Maria der Roͤmerinn Auge; ſie fand es, und ſagte:

Wie
[43]Siebender Geſang.
Wie iſt deine Seele bewegt! Ja, Portia liebt mich! …

Portia! … o, ich wars auch, ich war der gluͤcklichen Muͤtter

Gluͤcklichſte! So hat keine der Muͤtter geliebt, wie ich liebe!

Aber bey deinem Herzen voll Mitleids, o Roͤmerinn, rufe

Deine Goͤtter nicht an! Hilf ſelbſt, ſie koͤnnen nicht helfen!

Und auch du vermagſt nicht zu helfen, wenn Gottes Rathſchluß,

Daß er ſterbe, beſchloſſen hat! Aber es wuͤrde Pilatus,

Wenn des Unſchuldigen Blut nicht ſeine Seele befleckte,

Freudiger vor dem Gericht des Gotts der Goͤtter erſcheinen.

Portia ſchaut auf ſie hin, und fing an leiſe zu reden:

O was ſag ich zuerſt? was zulezt? wie voll iſt mein Herz mir!

Erſt ſey dieſes dein Troſt, iſt anders ein Troſt dir: Jch will dir

Helfen, du Theure! Dann wiſſe, die Goͤtter, welche du meinteſt,

Fleht ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich izt aufſteh,

Lehrte mich beſſre Goͤtter, zu denen hab ich gebetet!

O ein Traum, wie noch keiner um meine Seele geſchwebt hat,

Ein erſchreckender, himmliſcher Traum! Jch wuͤrde dir helfen,

Waͤrſt du auch nicht, Maria, gekommen. Der Traum, den ich ſahe,

Hatte mir ſchon fuͤr dich mit maͤchtiger Stimme geſprochen.

Aber er endete fuͤrchterlich, und ich verſtand ihn zulezt nicht.

Da erwacht ich, und fand mich in kalten Schweiſſen. Jch eilte

Gleich, den erhabnen Verklagten zu ſehn. Da hatten die Goͤtter

Mir des Verklagten Mutter geſandt! Hier ſchwieg ſie, und winkte,

Einer Slavinn, die ferne von ihr in der Tiefe des Gangs ſtand.

Denn ſie gab den Befehl, als ſie aus ihren Gemaͤchern

Eilte: Sie ſollte von fern nur eine Sclavinn begleiten.
Dieſe
[44]Der Meſſias.

Dieſe war izt gekommen, empfing die neuen Befehle:

Geh zu Pilatus, und ſag ihm: Er iſt ein groſſer, gerechter,

Goͤttlicher Mann, den du richteſt! Verdamme du nicht den Gerechten!

Um des Goͤttlichen willen, Pilatus, hat ein Geſicht mich

Heut im Schlafe geſchrekt! … So ſtill denn, liebende Mutter,

Deine Schmerzen, und komm, daß ich unter die Blumen dich fuͤhre,

Dort in die Morgenſonne, damit wir die Menge nicht hoͤren;

Jch dir ſage, was mich die ernſte Stunde gelehrt hat.

Portia ſprachs, und ſie ſtiegen hinab. Die edlere Heidinn

Sieht mit ernſtem Angeſicht nieder. Noch ſchweigt ſie, voll Wunderns

Ueber den Traum, und vertieft in neue Gedanken. Jhr Engel

Hatt’ in ihre Seele den Traum gegoſſen, und immer

Aus den Lieblingsgedanken, die ſie am feurigſten dachte,

Neue Gedanken entwickelt, in ihrem Herzen die feinſten,

Zarteſten Saiten gewiſſer zu treffen, und ganz ſie zu ruͤhren.

Jzt entreißt ſie ſich ihren Betrachtungen, ſagt zu Maria:

Sokrates … zwar du kennſt ihn nicht; aber ich ſchaure vor Freuden,

Wenn ich ihn nenne! das edelſte Leben, das iemals gelebt ward,

Kroͤnt’ er mit einem Tode, der, ſelbſt dieß Leben, erhoͤhte!

Sokrates … immer hab ich den Weiſen bewundert! ſein Bildniß

Unaufhoͤrlich betrachtet, ihn ſah ich im Traume. Da nannt er

Seinen unſterblichen Namen; Jch Sokrates, den du bewunderſt,

Komm aus den Gegenden uͤber den Graͤbern heruͤber. Verlerne,

Mich zu bewundern! Die Gottheit iſt nicht, wofuͤr wir ſie hielten,

Jch im Schatten der ſtrengeren Weisheit; ihr an den Altaͤren.
Ganz
[45]Siebender Geſang.

Ganz die Gottheit dir zu enthuͤllen, iſt mir nicht geboten.

Sieh, ich fuͤhre dich nur den erſten Schritt in den Vorhof

Jhres Tempels. Vielleicht, daß in dieſen Tagen der Wunder,

Da die erhabenſte That der Erde geſchieht, daß ein beſſrer,

Hoͤhrer Geiſt koͤmmt, und dich ins Heiligthum tiefer hineinfuͤhrt.

So viel darf ich dir ſagen, und dieß verdiente dein Herz dir:

Sokrates leidet nicht mehr von den Boͤſen! Elyſium iſt nicht,

Noch die Richter am naͤchtlichen Fluſſe. Das waren nur Bilder

Schwacher und irrender Zuͤge. Dort richtet ein anderer Richter,

Leuchten andre Sonnen, als die in Elyſiums Thale!

Zahl, und Maaß, und Wagſchal, ſie zaͤhlen, und meſſen, und waͤgen,

Alle Thaten! Wie kruͤmmen alsdann der Tugenden hoͤchſte

Sich ins Kleine! Wie fliegt ihr Weſen verſtaͤubt in die Luft aus!

Einige werden belohnt, die meiſten werden vergeben!

Mein aufrichtiges Herz erlangte Vergebung. O druͤben,

Portia, druͤben uͤber den Urnen, wie ſehr iſt es anders,

Als wir dachten! Dein ſchreckendes Rom iſt ein hoͤherer Haufen

Voll Ameiſen; und eine mitleidige, redliche Thraͤne

Einer Welt gleich! Verdien du, ſie weinen zu lernen! … Was dieſe

Heilige Welt der Geiſter vor allen izt feyert, und was mir

Selbſt nicht aufgedekt ward, was ich von fern nur bewundre,

Jſt: Der Groͤßte der Menſchen, wofern er ein Menſch iſt, er leidet

Leidet mehr, als ein Sterblicher litt, wird am tiefſten gehorſam

Gegen die Gottheit! vollendet dadurch der Tugenden groͤßte!

Und dieß alles geſchieht um der Menſchen willen, und itzo!

Sieh, ihn ſah dein Auge! Pilatus richtet den Thaͤter

Dieſer Thaten! Und, fließt ſein Blut, ſo hatte noch niemals
Lauter
[46]Der Meſſias.

Lauter das Blut der Unſchuld gerufen! … Hier ſchwieg die Erſcheinung.

Aber, indem er verſchwand, rief er aus dem Fernen heruͤber:

Schau! … Jch ſchaute. Da waren um mich aufbebende Graͤber:

Hingen dicht an die Graͤber von allen Himmeln herunter

Schwere Wolken, die riſſen ſich auf bis zur oberſten Hoͤhe.

Und ein Mann mit Blute bedekt ging hinein in die Wolken,

Wo ſie ſich oͤfneten. Mengen unzaͤhlbarer Menſchen zerſtreuten

Sich auf den Graͤbern, und ſchauten mit ofnen verlangenden Armen

Jenem Blutenden nach, der in die Wolken hineinging.

Viele von ihnen bluteten auch. Die weiten Gefilde

Tranken ihr Blut, und bebten. Jch ſah die Leidenden leiden!

Aber ſie litten mit Hoheit, und waren beſſere Menſchen

Als die Menſchen um uns. Jzt kam ein Sturmwind heruͤber,

Schreckend ſchwebt’ er einher, und huͤllte die Felder in Nacht ein.

Da erwacht ich. Sie ſchwieg. So ſtuzt ein lezter Gedanke,

Wenn er der Vorſicht Tiefen zu nah auf einmal zuruͤckbebt.

So blieb Portia ſtehn. Maria wandte gen Himmel

Jhr vieldenkendes Auge: Was ſoll ich Portia ſagen?

Zwar ich verſteh es ſelber nicht ganz, was dein Traum dich gelehrt hat:

Aber ich ſchaue dich an, und verehre dich! Hoͤhere Geiſter

Werden kommen, und dich ins Heiligthum fuͤhren! Doch darf ich

Dieß dir ſagen, ſo gern ich, wenn jene reden, verſtumme:

Er, der dieſe wandelnden Himmel ſo leicht, als den Sproͤßling,

Der dort aufkeimt, erſchuf, der hier dem Menſchen ein Leben

Voller Muͤh, voll fliehender Freuden, voll fliehender Schmerzen,

Gab, damit ſie der hoͤheren Seele Werth nicht vergaͤſſen,
Und
[47]Siebender Geſang.

Und es fuͤhlten, daß uͤber den Graͤbern Unſterblichkeit wohne!

Er, Er iſt nur Einer! Er heißt Jehovah, der Schoͤpfer,

Und der Richter der Welt! des erſten unter den Menſchen,

Adams, Gott; dann vieler von Adams Soͤhnen; dann Abrams,

Unſers Vaters. Allein die Art, womit wir ihm dienen,

Jſt den Frommen bey uns, wie ſehr die Stolzen ſich aufblaͤhn,

Dennoch dunkel. Doch hat ſie der Ewige ſelber geboten!

Und er weis ſie, er wird ſie enthuͤllen! enthuͤllt ſie ſchon itzo!

Jeſus, der groſſe Prophet, der Wunderthaͤter, der Redner

Gottes! … Mit namloſen Freuden, mit Schauer, mit Ehrfurcht, u. Staunẽ,

Nenn ich ihn Sohn! … Er kam, es zu thun! Jch ſollt ihn gebaͤhren,

Jeſus ſollt er heiſſen, er ſollte die Menſchen erloͤſen!

Kuͤndigte mir ein Unſterblicher an. Wir nennen ſie Engel.

Aber ſie ſind geſchaffen, wie wir. Doch die Goͤtter der Griechen

Und des furchtbaren Roms, wofern ſie waͤren, ſie waͤren,

Gegen die Engel, Sterbliche nur. Als ich in der Huͤtte

Jeſum, den Knaben der Wunder gebahr, da ſangen ihm Heere

Dieſer Unſterblichen! … Portia war bey ihr niedergeſunken,

Hielt die gefalteten Haͤnde gen Himmel empor, und erſtaunte,

Wollte beten; wollte mit leiſer Stimme, Jehovah

Nennen. Allein ſie fuͤhlt’ es, ſie durfte den groͤßten der Namen

Noch nicht nennen! Sie hub ſich empor, und ſchaute mit Wehmut

Auf die Mutter und ſprach: Er ſoll nicht ſterben! … Das wird er!

Ach, ſchon lang hat mir der Kummer mein Leben belaſtet;

Denn er ſagt es, Portia, ſelbſt! Was mir und den Frommen,

Die ihm folgen, vor allem Geheimnißvollen am ſchwerſten

Und unerforſchlichſten iſt: Er hat, zu ſterben, beſchloſſen!
Ach
[48]Der Meſſias.

Ach nun reißt ſie von neuem mir auf die Wund in der Seele!

Deine Geſpraͤche von Gott bedekten ſie leiſe. Run reißt ſie

Wieder auf, und blutet, die tiefe Wunde! … Dich ſegne

Gott, ja Abrahams Gott, er ſegne dich! Aber, o wende

Dieß dein weinendes Auge von mir! Es troͤſtet umſonſt mich!

Denn er beſchloß, zu ſterben! und … ſtirbt! … Hier verließ ſie die Stimme,

Lange ſtanden ſie beyde mit weggewendetem Antliz.

Endlich, wie ein Sterbender ſich noch einmal zum Freunde

Kehrt, ſprach Portia noch: O du! du Theurſte der Muͤtter!

Mutter! ich geh, und weine mit dir, … bey dem Grabe des Todten!

So beſprachen ſie ſich. Die Hohenprieſter begleiten

Zu Herodes den goͤttlichen Sohn, mit ihnen die Menge.

Und ſchon lief ein Geſchrey durch des Fuͤrſten Palaſt: Den Jeſus

Aus Galiaͤa, den Wunderthaͤter ſende Pilatus

Zu Herodes! Der Fuͤrſt verſammelt der Hoͤflinge Haufen

Eilend um ſich, und ſitzt. Drauf ſagt er zu ihnen: Es ſoll mir

Dieſer Tag es entſcheiden! Jhr habt es alle vernommen,

Was der erhoͤhende Ruf nicht verſchwieg: Die Kranken mit Worten

Heilen? Mit Worten die Todten erwecken? Und dennoch gefangen?

Seht, ich ſtaune, wie ihr! So ſagt’ er, und ſagte nicht alles,

Was er dachte. Sein Herz war ihm viel ſtolzer geſchwollen.

Ja, der groͤßte Prophet von unſern Propheten, er neigt ſich,

Als Verklagter, vor mir! Jch bin ſein Richter! gebiet ihm,

Wunder zu thun! Wofern er ſie thut; (wie koͤnnt er? Es ſind ja

Keine moͤglich!) doch thut er ſo etwas: ſo hat ihm Herodes

Wunder geboten! Und thut er ſie nicht; ſo iſt er doch immer
Jener
[49]Siebender Geſang.

Jener Beruͤhmte, dem Jſrael Palmen ſtreute, Hoſanna

Sang, deß Richter ich bin! Jhn unterbrachen die Prieſter,

Die mit feurigem Schritt in die Saͤaͤle traten. Doch Jeſus

War noch unter dem Volke, das ihn umdraͤngte. Jezt wollten

Tauſend ihn ſehn! dann wieder tauſend! Sie ſtuͤrmten, ſie riefen!

Standen! weinten! erſtaunten! verfluchten! ſegneten! … Jeſus,

Er ging unter dem Sturme mit jener erduldenden Stille,

Welche die Sprache zwar nennt, doch die Seele ſo hoch nicht hinaufdenkt,

Als ſie der Gottmenſch empfand. Auch ſah er die Seinen von ferne,

Wuſte den ewigen Troſt, der in ihre Seelen Entzuͤckung

Stroͤmen ſollte. Schon wart ihr gezaͤhlt, ihr Thraͤnen der Freude!

Aber ſie weinten dieſe noch nicht. Die meiſten von ihnen

Waren unter dem Volk, und drangen zu ihm, um den lezten,

Seinen lezten Segen zu flehn. Die ſtroͤmende Menge

Zwang ſie zuruͤck. Sie verſuchten es oft, doch ſie hatte die Menge

Einmal in ihre Wirbel gefaßt, die Juͤnger, und Petrum,

Petrum mit ſchwerem Herzen, und muͤdem Auge voll Jammer,

Und Johannes, und dich, Lebbaͤus! Nathanael, viele

Von den Siebzigen, viele der Freundinnen Jeſu, Maria

Magdale, Maria die Mutter der Zebedaͤiden,

Aber nicht Lazarus Schweſter, die lag zu ſterben. Maria

Magdale hielt ſich nicht mehr, ſie erkannte neben ſich einen,

Dem der Meßias die Augen einſt aufthat: Ach hilf mir, wofern du

An die Stunde noch denkſt, da er dir die Sonne zuruͤckrief!

Hilf mir! und fuͤhre mich durch die Wuͤtenden, daß ihn mein Auge

Einmal noch ſehe! noch einmal ihn ſegne! Sie wollen ihn toͤdten!

Aber ſie flehte vergebens. Der Dankbare konnt ihr nicht helfen.
II.Band. DPetrus,
[50]Der Meſſias.

Petrus, er war zu beaͤngſtet ſich wieder zu nahen. Johannes

Blieb auf einer entfernteren Anhoͤh, ſah den Meßias,

Betete! … Mutter der Zebedaͤiden! (ſo ſagte Lebbaͤus

Zu Maria, indem ſie ihr Antliz vor Wehmut verhuͤllte,)

Du biſt eine gluͤckliche Mutter! O ſchau du gen Himmel,

Schau, und laͤchle! Doch ſie, die den Wunderthaͤter, den Frommen,

Die den Gerechten gebahr, die Mutter des goͤttlichen Sohnes,

Sie! … Er legt ſich truͤbe vor mich, wohin ich mich wende,

Ach ich fuͤhl ihn, ich fuͤhl ihn, den bangen Gedanken! verſteh dich,

Mutter! empfinde dir nach, wie deine Seele vor Jammer

Stumm wird! Erbarmt euch, ihr Todesengel, und leitet die Mutter,

Daß ſie den Sohn im Tode nicht ſehe! ſo ſagte Lebbaͤus.

Aber der Richter der Welt ging in Herodes Palaſte.

Und izt fuͤhrten ſie ihn vor den Fuͤrſten. So laſſen geſtrafte,

Schwindelnde Denker vor ſich die Vorſicht erſcheinen, und geben

Jhr Gedanken des Staubs, und richten die Vorſicht der Gottheit

Aber die Ewige zeigt ſie dem kommenden Donner. Herodes

Staunte, da er ihn ſah! So ſehr ſein Stolz ſich empoͤrte,

Staunt’ er doch! Die Hoheit, ſo viel unerſchuͤtterte Stille,

Hatte der Fuͤrſt nicht erwartet. Er ſah ihn lange, mit Einem

Blick, an. Endlich bezwang der Stolz das Erſtaunen, er ſagte:

Deine Wunder, Prophet! ſie ſind in die Laͤnder erſchollen,

Und ich hoͤrte davon. Doch des Rufes Stimme vergroͤſſert,

Oder verkleinert; und ſelten, daß er die Thaten erzaͤhlte,

Wie ſie waren. So zeig dann, Prophet! wofuͤr ich die Wunder
Halten
[51]Siebender Geſang.

Halten ſolle, die dir, vielleicht zu klein noch, der Ruf gab!

Nicht, als ob ich zweifle, du habſt ſie vollendet; mein Auge

Wuͤnſcht nur, dich handeln zu ſehn, nur dich zu bewundern! Und weil du

Eh denn Abraham warſt; ſo biſt du auch groͤſſer, als Moſes,

Groͤſſer, als alle Propheten nach ihm: ſo iſt es auch deiner

Wuͤrdig, uͤber ſie alle, durch uͤbertreffende Wunder,

Dich zu erhoͤhn! Und, daß dich die Wahl nicht verweile, ſo ſondr’ ich

Nur erhabne dir aus! Sieh, iedes iſt wuͤrdig des Thaͤters.

Dort erhebt ſich Moria: Du ſiehſt des Tempels Gewoͤlbe

Und die Zinne des glaͤnzenden Tempels! Sie thuͤrmte ſich empor! ſprich!

Neige dich, Zinne, vor dem Propheten! Jm Schooſſe des Tempels

Liegen Davids Gebeine! Wie wuͤrde der heilige Koͤnig

Jauchzen, wenn er Jeruſalem ſaͤhe! Wie wuͤrden wir ſtaunen,

Wenn wir ihn ſaͤhen! O ruf, Prophet, des Koͤnigs Gebeinen,

Daß er die dunkeln Woͤlbungen flieh, und lebend herumgeh!

Aber du ſchweigſt! So gebeut dem Jordan: Erhebe dich, Jordan!

Wende den wogigten Strom! fleuß um Jeruſalem! ſchuͤtze

Jhre ſchimmernden Thuͤrme, dann kehr in Genezaret wieder!

Oder befiehls dem Sion, daß er ſich erhebe, dem Himmel

Naͤher ſich lagr’ auf des Oelbergs Gipfel. Es ſchaun ihm die Voͤlker

Unter dem groſſen umhergewofnen Schatten, erſtaunt nach!

Noch verſtummſt du! Er ſagts, und wuſte nicht, wem er es ſagte!

Wuſte nicht, daß der gefuͤrchteten Huͤgel, und der gebuͤckten

Koͤnigreiche Tyrann vor dem, mit welchem er redte,

Nun erhoͤhterer Staub ſey! … Herodes rief ihm noch einmal:

Und du verſtummſt? Der Gottmenſch, er ſahe, mit Einem Blicke

Seiner Hoheit, ihn an! Herodes verkennt ihn in allem;
D 2Den
[52]Der Meſſias.

Denn er glaubt, der Prophet veracht’ ihn! Jzt ſtand er im Grimm auf.

Kaiphas ſah ihn ergrimmen, ergrif den Augenblick, ſagte:

Nun entdekſt du es ſelbſt, nun ſiehſt du, wer der Prophet ſey!

Sieh, er verſtummte vor dir, als du die Wunder verlangteſt!

Kann er ſie thun? Doch waͤhnt es der Poͤbel. Es waͤhnen es ſelber

Einige Schwache von unſrer Verſammlung. Wer wider des Bundes,

Wider Moſes Geſetz, mit oftgewarnter Verblendung,

Kuͤhn ſich erhebt, kann der von Gott mit Wundern geſandt ſeyn?

Unſers Bundes Entweihung! den rauchenden Sina! die Schrecken

Gottes auf Sina! die rufenden Wetter! den Schall der Poſaune!

Moſes im Dunkeln des bebenden Bergs! will Kaiphas raͤchen!

Doch er empoͤrte ſich auch zum Koͤnige! haͤufte Judaͤa

Um ſich herum, und zog, vom lauten Jubel begleitet,

Jn Jeruſalem ein! Sie ſtreuten ihm Palmen! ſie warfen

Jhre Gewande vor ihn, und riefen: Hoſanna dem Sohne

Davids! Hoſanna! (und Sion erſcholl, und die Hallen Moria

Klangen!) dem Koͤnig, Hoſanna, dem Gottgeſegneten! Siehe,

Sieh er koͤmmt im Namen des Herrn! ſtreut Palmen! Hoſanna!

Jn den Hoͤhen der Himmel, Hoſanna! … Bey Davids Gebeinen!

Bey der erſchuͤtterten Gruft, dem Gebein Herodes des Groſſen,

Deines Vaters Gebein! die Entweihung raͤch du, Herodes!

Philo laͤchelte Kaiphas zu, ſo ſehr er ihn haßte.

Aber Herodes gebot mit bitterm Spotte: Man kleid ihn

Jn das weiſſe Gewand, mit welchem die Roͤmer ſich kleiden,

Wenn ſie ſich ihren Wuͤrden beſtimmen! Pilatus er urtheilt
Weiſe,
[53]Siebender Geſang.

Weiſe, kennt das Verdienſt! Er wird zum Koͤnig ihn weihen,

Zum Hoſanna und Palmen, noch Purpur und Kronen ihm geben!

Alſo ſagt er, und wandte ſich weg. Die Wache des Fuͤrſten

Kleidete Jeſum ins weiſſe Gewand, und ſpottete ſeiner.

Und izt ſandt ihn Herodes zuruͤck. Die furchtbare Menge

Hatten neue Schaaren vermehrt, die zur Feyer des Feſtes

Kamen. Sie gingen unzaͤhlbar herauf, und begleiteten Jeſum.

Rings ertoͤnte die thuͤrmende Stadt, da Judaͤa daherging.

Philo ſah es, ihn ſchrekts nicht! der hohe Fuͤhrer des Schiffs ſieht

Alſo das kommende Meer, und freut ſich der tragenden Fluten.

Philo entdekt, es ſey das Volk noch getheilt; es verehren

Jeſum viele Tauſende noch: allein ihn erſchrekts nicht!

Denn die Ehrbegier ſchwellte ſein Herz ihm empor, und verſtieg ſich

Taumelnd uͤber die Wolken. Den feurigen Suͤnder umgaben

Seine Vertrauteren, Phariſaͤer. Gefluͤgelte Worte

Sprach er zu ihnen, dann ſandt’ er ſie unter das weichende Volk aus.

Und ſie vertheilten ſich ſchnell. So fleußt vom Becher des Todfeinds

Gift, und ieder Tropfen entzuͤndet den Tod. Die Vertrauten

Eilen, und unterrichten die Menge, nach ſeiner Erbittrung

Jeder, mit ſeiner Beredtſamkeit, ſeinen Kuͤnſten der ſanften

Oder ſtrengen Prieſterlichkeit; vielzuͤngigte Redner.

Waͤhnt ihr, er habe Wunder gethan? Herodes gebot ihm,

Wunder zu thun. Er vermochts nicht! Jhr ſaht ihn, wie er verſtum̃t ſtand.

Glauben auch Jſraels Vaͤter an ihn? Dem fluch ich, der Abram

Laͤſterte! der das Geſetz ſein ganzes Leben entweiht hat!
D 3Siehe,
[54]Der Meſſias.

Siehe, der Prieſter Gottes verklagt ihn! und ſandte den Gott uns,

Den er verlaͤßt? Er verlaͤßt ihn! Jhr ſeht ihn in Ketten! Die Heiden

Richten ihn, doch zu gelinde! Sie kennen nicht ganz den Empoͤrer!

Bittet heut um keinen Gefangnen, die blinden Bewundrer

Seiner Thaten, ſie moͤchten fuͤr ihn den Roͤmer erbitten:

Und ihr haͤttet die Bitte veranlaßt, euch traͤfe die Suͤnde!

Maͤnner! ihr ſeyd das heilige Volk! Euch ſchimmert der Tempel!

Euch nur flammen vom hohen Altare die Opfer gen Himmel!

Raͤcht, euch ruft der Staub der Propheten! ſein heilig Gebein ruft,

Abrams Gebein, auf, raͤcht den groͤßten unter den Vaͤtern!

Alſo rotteten ſie zu ihren Rotten die Menge,

Tauſende riſſen Tauſende fort; der Zweifelnden waren

Wenige; weniger noch der Tugendhaften und Treuen!

So ſtehn, wenn der geſchmetterte Wald vor dem wilden Orkane,

Auf vielmeiligten Bergen die langen Ruͤcken herunter

Liegt, noch einſame Cedern, und tragen die bebende Wolke.

Unterdeß hatte Pilatus, fuͤr Jeſum das Volk zu bewegen,

Einen berufnen Gefangnen, von dem viel Sagens im Lande,

Eh die Kett ihn baͤndigte, ging, insgeheim in das Richthaus

Fuͤhren laſſen. Jzt kamen das Volk und die Prieſter zuruͤcke.

So wie ſie gegen Gabbatha gingen, ſo ward der Gefangne

Gegen ſie her, auf der Hoͤhe, gefuͤhrt. Sein gluͤhendes Auge

Schweifte ſeitwaͤrts herum, er hielt den ſchnaubenden Athem.

Nicht die Reue, die Wut, bog ihm den ſtraͤubenden Nacken.

Alſo ſtand er gebuͤckt, und ſchluckte zornigen Schaum ein,
Und
[55]Siebender Geſang.

Und am nervichten Arm klirrt’ ihm die Kette. Pilatus

Stellte zu ſeiner Rechten den Gottverſoͤner. Der Moͤrder

Sah den Mann im weiſſen Gewande. Der, oder er ſelber

Muſte ſterben. Der Zweifel durchdrang ihn mit ſtechendem Feuer.

Und ſein Herz ſchlug ſichtbar empor! So ſtand er zur Linken.

Aber Pontius ſprach, und wies zur Rechten: Jhr brachtet

Dieſen Menſchen herauf: Er wende vom Caͤſar das Volk ab!

Doch ich hab ihn verhoͤrt, und find ihn nicht ſchuldig. Auch findet

Jhn Herodes nicht ſchuldig. Jch laß es nicht zu, daß er ſterbe!

Drum, weil ich eure Feſte mit eines Gefangnen Befreyung

Feyre, ſo geißl’, und geb ich ihn los! … Doch ihr hoͤrt die Vernunft nicht!

Welchen, ſo ſagts denn, ſo wuͤtet denn, welchen ſoll ich euch geben:

Barrabam, oder Jeſum, ihn, der ein Geſalbter genannt wird?

Jndem ſendete Portia zu ihm: Er iſt ein gerechter,

Goͤttlicher Mann, den du richteſt, verdamme du nicht den Gerechten!

Um des Goͤttlichen willen, Pilatus, hat ein Geſicht mich

Heut im Schlafe geſchrekt! Das ſagt’ ihm die Sclavinn. Das Volk ſchwieg,

Und noch ſchwieg es, und nun noch immer. Philo erſchrekten

Jhre Stille; dann ſeine Gehuͤlfen, die kamen, und ſagten,

Daß die Menge noch hier und da dem Empoͤrer getreu ſey.

Auch erhub ſich von fern mit wemutvollem Geliſpel

Eine Stimme der Stummgeweſnen, der Lahmen, der Blinden,

Und der Todten, die Jeſum, den Frommen! den Menſchenfreund! nannten

Aber das wuͤtende Murmeln der naͤhern Haufen verdrang ſie.
D 4So
[56]Der Meſſias.

So wird durch den Sturmwind im tiefen Walde das Rufen

Eines huͤlfloſen Kindes, zum leiſen Laute. So ſchwinden,

Vor den rauſchenden Thaten der Hohen, des Weiſen beſcheidne.

Philo entdekt die Gefahr, er weis, was Pontius meine

Mit dem Moͤrder, welchen er, bey dem Propheten, dem Volk zeigt.

Doch verlaͤßt er den Roͤmer mit hoher Mine. Voll Stolzes

Auf die Feſſel, die er, durch eine Rede, dem Volke

Auszulegen gedenkt, geht er auf Gabbatha vorwaͤrts,

Seines Poͤbels Bewundrung! Pilatus ſah ihn vom Richtſtul

Mit halbzuͤrnendem Spott nach. Und Philo winkte dem Volke,

Und ſie ſchwiegen vor ihm. Er ſprach mit geheftetem Blicke:

Nur mit fliegenden Worten, ihr Maͤnner von Jſrael, kann ich

Heut zu euch reden. Jhr kennt mich. Jch haſſe Moſes Veraͤchter!

Und dem fluch ich, der ihm, ob gleich die ſuͤſſere Lippe

Anders ſpricht, durch ſein Leben doch flucht. Mit dieſer Geſinnung,

Zeig ich euch heut Verderben, und Heil. Waͤhlt, Jſraeliten!

Barrabam, oder Jeſum! Er iſt, ihr wißt es, ich weis es,

Barrabas iſt ein Moͤrder! Auch Pontius weis es. Er haͤtt ihn,

Wollt er euch nicht zum Mitleid herunter erniedern, mit Jeſus,

Der ſo taͤuſchend der Unſchuld, auch hier ein Zauberer, nachahmt,

Nicht vor euch, ihr Maͤnner, geſtellt. Doch ich laſſe die Abſicht,

Die vielleicht Pontius hat. Wir ſind Beſiegte! Wir ſchweigen!

Aber davon kann Philo nicht ſchweigen, ihr Jſraeliten,

Daß ihr am Hange des Abgrunds, vielleicht ſchon hingeneigt, ſchwindelt,

Euer Verderben zu waͤhlen! Jch rede mit Angſt; doch red ich.

Denn ſo tief ſoll der Enkel der groſſen Vaͤter nicht ſinken!
Dieſer
[57]Siebender Geſang.

Dieſer Jeſus … Was haͤtt ich euch nicht, ihr Maͤnner, zu ſagen,

Wollt ich euch alle ſeine Verbrechen, ſie alle beſchreiben!

Jhre ſchwarze Geſtalt entbloͤßt’ ich vor der Verſammlung

Eurer Herrſcher. Da hing an meiner Stimme ſein Leben!

Und ſie ſprachen ſein Todesurtheil. An heiligen Steinen

Roͤnne ſein Blut ſchon herab! Allein wir duͤrfen nicht toͤdten! …

Dieſer Jeſus, (damit ich an Eins von tauſend Verbrechen

Euch erinnre!) der Mann voll Grauſamkeit, weis, daß die Roͤmer,

Wenn er ſeiner Empoͤrungen Maaß nunmehr erfuͤllt hat,

Kommen werden, uns ganz zu verderben. Zu Tauſenden ſtanden

Um ihn die Hoͤrer herum, da er von der Belagerung redte,

Von der ſinkenden Stadt, von Gottes Tempel im Staube!

Jhr bewundertet ihn; ſo wart ihr geblendet. Er aber

Er erbarmt ſich nicht eurer. Er ſieht Jeruſalems Jammer,

Weis es, daß er, nur er, die Urſach der nahenden Angſt iſt,

Und faͤhrt fort, zu thun, wie er that. Den Tempel im Dampfe,

Wie er, niemals ſich aufzurichten, Moria hinabſinkt! …

Mit dem Tempel, (er ſiehts!) der Verſoͤnungsopfer Altaͤre,

Wie ſie ſich neigen. Er ſieht die hohe Jeruſalem weinen!

Ach, die Koͤniginn unter den Staͤdten in Aſche gekleidet!

Jhrer Kinder beraubt! Sie liegen, vom Tage geſehen,

Und verweſen! Und welche die Angſt und der wuͤtende Hunger

Noch ins Grab nicht geſtuͤrzt hat, ergreifen heiſſere Krieger,

Und zerſchmettern ihr zartes Gebein an Jeruſalems Truͤmmer!

Ach er ſiehts, kein Vater beweint ſie! die ſtarben im Schlachtfeld!

Keine Mutter! die Muͤtter, die waren lange vor Jammer,

Lange vor Jammer vergangen! Er ſiehts, und erbarmt ſich nicht eurer!

D 5Als
[58]Der Meſſias.
Als er endigte, ſchrien noch andre Prieſter den Beyfall,

Den ſie Philo gaben, zum Volk herab. Doch bedurft es

So viel Grimm, den Ungeſtuͤm nicht, ihr Herz zu bewegen.

Denn das war ſchon genung durch eigne Bosheit entſchloſſen.

Pontius ſaß in Gedanken verloren. Jzt fragt er von neuem:

Welchen, ſo redet denn, welchen von beyden ſoll ich euch geben?

Barrabam! ſtieg ein Geſchrey mit einer Wut, daß die Engel,

Die um Jeſum ſtanden, ihr bebendes Angeſicht wandten,

Barrabam! ſtieg es empor. Pilatus entriß dem Erſtaunen

Sich mit Zorn, und rief! Was mach ich aber mit Jeſu,

Was mit eurem Geſalbten? Sie ſtuͤrmten, und ſtampften, und riefen:

Laß ihn kreuzigen! Aber (noch einmal entſchloß ſich der Roͤmer,

Jhre Wut zu erweichen,) was aber hat er verbrochen?

Nein, er iſt des Todes nicht ſchuldig! Sie wurden ergrimmter,

Riefen, und ihr Geſchrey beſeelten die Stimmen der Prieſter.

Stammlend, und blaß und knirſchend, mit wildem flammenden Auge

Riefen ſie: Kreuzige! Kreuzige! Sion erſcholl vom Getoͤſe

Jhres Rufens, mit ihm die verlaßnen Hallen Moria,

Und die thuͤrmende Stadt. Und Staub ſtieg mit dem Getoͤſ’ auf.

Pontius ſah, zu erſchrocken, daß er vergebens fuͤr Jeſum,

Jhn zu befreyn, arbeite, beſchloß unroͤmiſch, das Urtheil

Ueber den Mann, den er fuͤr ſchuldlos erkannte, zu ſprechen.

Furchtſam hatt’ er vorher den hohen Richtſtul verlaſſen,

Stieg izt wieder hinauf, und gab Befehle. Der Sclav kam

Eilend zuruͤck, und trug, durch der Prieſter getheilte Verſammlung,
Ein
[59]Siebender Geſang.

Ein korinthiſch Gefaͤß, drinn eine ſilberne Quelle.

Und er hielts vor Pilatus. Der winkte dem Volke. Das Volk ſtand

Und ſah ſchweigend hinauf. Nun rann die Quelle. Pilatus

Wuſch ſich feyerlich vor dem Volke die Haͤnde. … Der Engel,

Welcher in Goſen vordem die Huͤtten ſchonend vorbeyging,

Die mit dem Blute der Laͤmmer bezeichnet waren, er ſchwebt izt,

Fuͤrchterlich, mit dem Verderben, mit Gottes Schrecken geruͤſtet,

Schwebt’ er uͤber Judaͤa, das Volk dem Gerichte zu weihen.

Sein geheftetes Auge verließ des Verſoͤnenden Blick nicht.

Und er ſah in dem Blicke des Goͤttlichen, mit der Verwerfung,

Eine Thraͤne vermiſcht. Der Todesengel begann izt

Jene Worte des Fluchs, die des Richters Urtheil dem Himmel

Kund thun, wenn dem vollen Gericht Nationen gereift ſind!

Wie Erdbeben von ferne den Tod weiſſagen, ſo rauſchte

Seine Stimme. Dann grub er in eherne Tafeln das Urtheil,

An des Richtenden Thron es aufzuſtellen. … Pilatus

Winkte dem Sclaven, ſich zu entfernen. Dann rief er zum Volke:

Nehmt ihrs auf euch, ihr Wuͤtenden! Jch, ich bin an dem Blute

Dieſes Gerechten nicht ſchuldig! … Er riefs herunter. Jzt wendet

Jſraels Engel ſein Angeſicht weg, erzittert, entfaͤrbt ſich,

Und verlaͤßt ſie! Sie ſprechen ihr Todesurtheil, und rufen:

Ueber uns komme ſein Blut, und uͤber unſere Kinder! …

Bleiches Entſetzen, und Stille, wie ſie um Graͤber erſtarrt liegt,

Kalte Schauer, und Todesangſt, folgten nun; aber nicht Reue!

Jtzo gebot Pilatus zur Rechten und Linken, und Jeſus

Ward ins Richthaus zur Geiſſel gefuͤhrt; zum Volke der Moͤrder.

Barra-
[60]Der Meſſias.
Barrabas, als er um ſich nicht mehr den eiſernen Klang hoͤrt,

Und nun frey iſt, ſchuͤttelt ſich, bruͤllt mit ſtuͤrmender Freude,

Steht, verſtummt, und laͤuft, dann ſteht er wieder! Das Volk bebt,

Wo er hintrit, zuruͤck. So erſchrikt ein heiſſer Verbrecher

Vor der vollendeten That. Doch Philo ergoͤzte der Anblick.

Auch haͤtt er gern den Verſoͤner begleitet. Er ging an dem Thore

Hin und herwaͤrts, und ſtand, und haͤtt ihn gerne geſehen,

Gerne Stimmen der Angſt von ihm im Triumphe vernommen.

Aber o du, die vom Gottverſoͤner ihr Antliz gewandt hat,

Sing, Sionitinn, die Geißlung, das Rohr, den Purpurmantel,

Und die Krone! doch nur mit Einem weinenden Laute.

Um ihn iſt nun die Wache, viel niedrige Seelen, verſammelt.

Und ſie kleiden ihn ungeſtuͤm aus. So entblaͤttert der Sturmwind

Jn der durſtenden Wuͤſte, worin kein lebendiger Quell rinnt,

Einen einſamen Baum, des Wandrers heiſſes Verlangen.

Und ſie riſſen ihn fort zu einem Pfeiler, und banden

Jhn an den Pfeiler hinauf; und Blut quoll unter der Geiſſel!

Du, Eloa, du ſahſt es, und ſankſt vom Himmel zur Erde.

Drauf verhuͤllten ſie ihn in einen Mantel von Purpur,

Gaben in ſeine Recht’ ihm ein Rohr, und druͤckten von Dornen

Eine Kron auf ſein Haupt; und Blut quoll unter der Krone!

Und, wie ein Sterblicher, betet vom Staube zu ihm Eloa.

Dann. … Doch mir ſinket die Hand die Harf herab, ich vermag nicht

Alle Leiden des ewigen Sohns, ſie alle zu ſingen!

Pontius ſah, wie er litt, und entſchloß ſich wieder zum Mitleid

Das er empfand, das Volk zu bewegen. Er winkte dem Mittler,

Jhm zu folgen, und ging heraus nach Gabbatha. Jeſus
Folgt
[61]Siebender Geſang.

Folgt ihm, aber ermuͤdet, mit wankendem Schritte. Sie ſahn ihn

Fernher kommen. Es wies mit der Rechte Pilatus zuruͤcke,

Rief herunter: Jch fuͤhr ihn heraus, ihr Jſraeliten,

Euch es noch einmal zu ſagen, daß er den Tod nicht verdient hat.

Jeſus kam nun naͤher, ſie ſahn es, wie er, im Purpur,

Und, mit der blutigen Krone, zum Richtſtul herantrat. Jzt ſtand er.

Pontius rief mit der Stimme des Mitleids zu ihnen herunter:

Sehet, welch ein Menſch! … Jndem Pilatus es ſagte,

Gab der Verſoͤner den Engeln, die um ihn bebten, Befehle;

Nicht durch Worte, ſie ſahn es in des Goͤttlichen Antliz,

Was er, wegen der Juͤnger, und wegen der andern Erwaͤhlten,

Jhnen gebot. Geheimere, himmliſche Troͤſtungen warens,

Ruh im Elend! Wenn ich am hohen Kreuze nun blute! …

Wenn ich todt bin! und nun, nun unter den Schlafenden liege! …

Pontius hatte gewuͤnſcht des Volkes Herz zu erweichen,

Aber ſie zeigten ihm bald, wie fuͤhllos ſie waren. Sie riefen,

Und das Rufen der Prieſter erſcholl vor dem Bruͤllen der Menge:

Kreuzige! riefen ſie wieder. Da brach Pilatus im Zorn aus:

Nehmt ihr ihn hin, und kreuzigt ihn! Denn ich ſind ihn nicht ſchuldig.

Pontius ſprichts mit gefluͤgelten Worten, und wendet ſich zornvoll.

Kaiphas aber ereilt ihn, und ſagt: Es hat ſchon, Pilatus,

Unſer Geſetz ſein Urtheil geſprochen, nach dem muß er ſterben!

Denn er machte ſich ſelbſt zum Sohne Gottes. Der Heide

Zittert’, als er den Namen von einem Goͤtterſohn hoͤrte.

Und er ging mit Jeſu zuruͤck, und fragt ihn voll Unruh:

Sag, von wannen du biſt? Der Gottmenſch ſchwieg bey der Frage.

Pontius zuͤrnt, und ſagt: Du redeſt alſo mit mir nicht?
Weiſt
[62]Der Meſſias. Siebender Geſang.

Weiſt du nicht, daß dein Tod und dein Leben in meiner Gewalt ſind?

Jeſus ſprach: Du haͤtteſt ſie nicht, waͤr ſie dir von oben

Nicht gegeben. Doch ſind die ſchuldiger, die mich verklagen.

Pontius geht zur Verſammlung zuruͤck. Sie ſehen ihn kommen,

Und entdecken an ſeiner entflammten Gebehrde, warum er

Wiederkomme. Sie ſchrien ihm entgegen: Laͤſt du, Pilatus,

Dieſen los, ſo biſt du des Caͤſars Freund nicht. Denn wer ſich

Selbſt zum Koͤnige macht, der empoͤrt ſich gegen den Caͤſar.

Pontius ward erbittert, und, da er, was edlers zu wagen,

Sich zu klein fuͤhlt, ſpottet er ihrer. Sie aber umringten

Jeſum, und fuͤhrten ihn ſtolz im wilden Triumphe zum Tode.

Und der furchtſame Roͤmer entſchlich zu ſeinem Palaſte.



[[63]]

Der
Meſſias.

Achter Geſang.


[[64]]

Jnhalt
des achten Geſangs.


Eloa koͤmmt vom Throne Gottes herab, und ruft durch die Himmel,
daß izt der Verſoͤner zum Tode gefuͤhret werde. Drauf laͤßt er die
Engel der Erden einen Kreis uͤber Golgatha ſchlieſſen, ſteigt aus dem-
ſelben herunter, und weiht den Huͤgel, im Namen des Dreymalheili-
gen, zum Tode des Mittlers ein. Hernach betet er den Meßias, der
ſein Kreuz tragend naͤher gekommen war, vom Golgatha an. Der
Kreis der Engel wird weiter um Golgatha ausgebreitet. Gabriel fuͤhrt
die Seelen der Vaͤter aus der Sonne auf den Oelberg herunter. Adam
betrit die Erde zuerſt, und redet ſie an. Satan und Adramelech ſchwe-
ben triumphirend uͤber dem Meßias. Eloa gebietet ihnen, im Namen
des Verſoͤners, ſich zu entfernen. Sie werden ins todte Meer geſtuͤrzt.
Jeſus war an Golgatha gekommen. Er redet die, welche uͤber ihn wei-
nen, an. Nun iſt er auf dem Huͤgel. Das Kreuz wird errichtet. Die
Erde faͤngt an, in ihren Tiefen zu beben. Noch ſteht der Gottmenſch
beym Kreuze. Adam betet zu ihm. Die Kreuziger nahn ſich. Die
Sterne hatten denjenigen Punkt ihres Laufs erreicht, welcher, in allen
Himmeln die Zeit der Kreuzigung anzuzeigen, beſtimmt war. Nun
ſteht die ganze Schoͤpfung ſtill. Der Vater ſieht auf den Sohn herun-
ter, und er wird gekreuzigt. Da ſein Blut nun fließt, macht es Eloa
durch die ganze Schoͤpfung bekannt. Der Gottmenſch ſieht auf das
Volk herab, und bittet den Vater um Gnade fuͤr ſie. Die Bekehrung
des einen mitgekreuzigten Miſſethaͤters. Jzt vollfuͤhrt Uriel, was ihm
geboten war. Er bringt den Stern, auf welchem die Seelen der Men-
ſchen vor der Geburt ſind, vor die Sonne. Die dadurch verurſachte
Finſterniß. Das Erdbeben ſteigt nun weiter herauf. Von den Leiden
des Verſoͤners am Kreuze. Uriel fuͤhrt die Seelen des zukuͤnftigen
menſchlichen Geſchlechts zur Erde. Eva ſieht die Seelen kommen. Sie
redet deswegen zu Adam. Der Verſoͤner ſieht die Seelen mit einem
Blick ſeiner Liebe an. Deſſelben Leiden am Kreuze. Eine ſtarke Er-
ſchuͤttrung des von neuem zunehmenden Erdbebens. Ein Sturm folgt
darauf; auf dieſen ein Donnerſchlag ins todte Meer. Eloa entſchließt
ſich, zum Throne des Himmels hinauf zu ſteigen, um den Richter von
Angeſicht zu ſehn. Jhm begegnen zween Todesengel, die Gott herab-
ſchickt. Die Erde war wieder ſtille. Eva iſt ſehr bewegt. Wenn ſie
den Anblick des ſterbenden Meßias nicht mehr aushalten kann, ſo ſieht
ſie auf Maria. Die beyden Todesengel kommen, und ſchweben ſieben-
mal ums Kreuz. Was der Verſoͤner dabey empfindet. Der Eindruck,
den die Ankunft der Todesengel auf die Vaͤter, und beſonders auf Eva
macht. Jhre Wehmut bricht in einem Gebete aus. Zulezt koͤmmt ſie,
durch einen gnadenvollen Blick des Verſoͤners zu der voͤlligen
Ruhe des ewigen Lebens zuruͤck.


[]
[figure]
[][[65]]
Der
Meſſias.
Achter Geſang.


Die du am Sion den heiligſten unter den Saͤngern Jehova

Sahſt, von ihm lernteſt, als er, vom ewigen Geiſte gelehrt, ſang,

Den der Richter im Tode verließ, den groͤßten der Todten,

Lehr, Sionitinn! mich wieder, du lernteſt himmliſche Dinge!

Komm, und fuͤhre den Bebenden, deinen Geweihten, und bebe!

Fuͤhre mich in des Gekreuzigten Nacht. Des Heiligthums Schauer

Faßt mich! Jch will den Sterbenden ſehn, ich will die gebrochnen,

Starren Augen, den Tod auf der Wange, den Tod in den ſchoͤnſten

Unter den Wunden! dich ſehn, du Blut der Verſoͤnung! … Es ſank ihm,

Und er blutet’, es ſank ihm ſein Haupt, er blutet’, es ſank ihm,

Jn die Nacht hin, ſein heiliges Haupt; da verſtummte der Gottmenſch.

Von des Richters Angeſicht flog Eloa herunter,

Kaum den Unſterblichen ſichtbar, ſo eilt er die Himmel herunter.
II.Band. EUnd
[66]Der Meſſias.

Und er hielt in der Linke die himmliſche Krone; die Rechte

Schwung die Poſaune. Sie toͤnt. Es toͤnen der Sphaͤren Geſaͤnge.

Und der naͤchſte dem Unerſchaffnen, er rief durch die Himmel:

Feyert! Es flamm’ Anbetung der groſſe, der Sabbat des Bundes,

Von den Sonnen zum Throne des Richters! Die Stund iſt gekommen!

Feyert! die Stunde der Nacht iſt gekommen! Sie fuͤhren das Opfer.

Und die Himmel umher vernahmen des Rufenden Stimme.

Doch ſchon war er voruͤbergeeilt. Zwo Winke, ſo ſchwebt er

Ueber Golgatha. Um ihn herum verſammeln der Erde

Engel ſich eilend. Er rief ſie. Jhr ſtrahlenwerfender Kreis ſchloß

Jzt um Eloa ſich zu. Eloa ſtieg aus dem Kreiſe,

Feyerlich ſtieg er auf Golgatha nieder, und ſtand auf der Hoͤhe.

Dreymal neigt er nunmehr ſein tiefanbetendes Antliz

Auf den Staub des Huͤgels herab, dann erhub er ſich, ſtreckte

Ueber den Huͤgel den hingebreiteten Arm aus, und ſchaute

Auf den Meßias herab, der, in der Ferne, begleitet

Von Judaͤa, langſam gen Golgatha herkam, und, ſchwerer,

Als ſein Kreuz, das Weltgericht, trug! … So ſah ihn Eloa,

Stand, hielt uͤber den Huͤgel den hohen Arm hin, und ſagte:

Hoͤrt mich, Himmel, und jauchzt! Du Hoͤlle, vernimm mich, und bebe!

Jn des Auszuſoͤnenden Namen! und deß, der zu bluten

Koͤmmt, des Verſoͤners Namen! im Namen des Geiſtes, der Suͤnder

Schafft zu Gerechten, weih ich dich, Huͤgel, zum Tode des Sohnes!

Heilig! heilig! heilig! iſt der, der ſeyn wird, und ſeyn wird!

Alſo weiht Eloa, und ſtaunt. Des Unſterblichen Schimmer

Wurde Daͤmmrung, ſo ſtaunt er! Und nun verſtummt er nicht laͤnger,

Senket gegen den Mann von Erde gefaltete Haͤnde,
Welcher
[67]Achter Geſang.

Welcher die Tief herauf, ſein niederbeugendes Kreuz trug,

Sieht ihn unter dem wankenden Kreuz, faͤllt nieder aufs Antliz,

Betet: O du, der dem Altar ſich naht, zu ſterben den ſchoͤnſten

Und den wunderbarſten der Tode, du Menſchenfreund! Schoͤpfer!

Mitgebohrner, und Sohn des Geſchlechts, das Graͤber begraben!

Bethlehems Kind! … du weinteſt, wir ſangen dir Jubel! Du laͤßt dich

Bis auf Golgatha nieder: die tiefre Verwundrung verſtummt dir,

Mehr zu jauchzen! O Sohn! Sohn Gottes! und … der Gebohrnen!

Unerſchaffner! (kein Endlicher ſang da Jubel!) Vollender

Alles deß, ſo das Hoͤchſte, das Wundervollſte, das Beſte,

Das ganz Herrlichkeit iſt! tiefangebeteter Gottmenſch!

Wiederbringer der Unſchuld, der gottgefallenden Unſchuld!

Todtenerwecker! Vertilger des ewigen Tods! Weltrichter!

Oder, wie deine Menſchen dich nennen, du Lamm, das erwuͤrgt wird!

Hoͤre mein tiefes Gebet! vernimm des Endlichen Stimme,

Die vom Staube, worauf dein Blut wird bluten, dir betet.

Wenn dein Auge nun bricht; die lezte Blaͤſſe des Todes

Ueber dich, Geopferter, ſtroͤmt; die Himmel der Himmel

Nun erzittern, und fliehn; nun, nur Jehova, mit vollem

Hingehefteten Blicke den Sterbenden anſchaut: o ſtaͤrke

Dann aus der hangenden Nacht mich, in die dein Leben hinabſtirbt,

Staͤrke, groſſer Vollender! mich dann, damit ich nicht huͤlflos,

Nicht zu bebend, unter die Graͤber der Erde verſinke,

Und, wenn in ſchwim̃ender Daͤm̃rung um mich die Schoͤpfung nun wanket,

Jch, ſo dunkel mein Aug auch hinſtarrt, im Tode dich ſehe! …

Tod! o Tod des Sohnes! du nahſt dich, Tod! Von dem erſten,

Der ein Sterblicher ward, bis zu dem lezten von Adam,
E 2Deſſen
[68]Der Meſſias.

Deſſen jungem Leben der Auferſtehung Poſaune

Wegzuathmen gebeut, ſie alle wirſt du verſoͤnen;

Wenn du, noch einmal Schoͤpfer: Es iſt vollendet! nun ausrufſt.

Tod! o Tod des Sohnes! Und du, des Geopferten Vlut! … Heil!

Heil, den erloͤſten Seelen! Sie kommen, und wandeln, und jauchzen!

Jhre Kleider ſind hell in des Todten Blute gewaſchen!

Drauf erhub ſich Eloa, vertheilte die Engel der Erde

Weit um Golgatha her. Auf niederhangenden Wolken

Sammlen ſie ſich; bedecken die breiten Ruͤcken der Berge;

Oder ſchweben uͤber der Ceder, und gehen voll Tiefſinn

Mit den wallenden Wipfeln: er ſelbſt ſtand uͤber des Tempels

Hoͤhen; ein weitumkreiſendes Heer! der allmaͤchtigen Vorſicht,

Die von fern herrſcht, furchtbare Diener: Engel des Todes

Und des Weltgerichts; Huͤter der Menſchen; kuͤnftiger Chriſten

Huͤter! und, weil ſie die Huͤter der Maͤrtyrer wurden, am Throne

Deß, dem der palmentragende Maͤrtyrer blutet, die Erſten!

Gabriel aber (ihn hatte zur Sonne der Gottmenſch geſendet,)

Ließ mit ſilbertoͤnendem Flug auf Uriels Burg ſich

Nieder, und ſtand vor den Seelen der Vaͤter, und ſagte zu ihnen:

Kommt nun naͤher, ihr Vaͤter der Menſchen! Jhr ſeht ihn! (Hier wies er

Mit der bebenden Rechte.) Da traͤgt der Suͤndeverſoͤner

Gegen den Huͤgel ſein Kreuz. Dieß iſt der Huͤgel des Todes!

An dem erhabnerem dort, der mit zween Gipfeln heraufragt,

Ging er ins erſte Gericht. Von dieſem ſollt ihr ihn ſehen,

Wenn er, fuͤr eure Kinder und euch, ſein Leben wird bluten.

Kommt, Erloͤſte! Die Enkel der Enkel, die noch die Geburt nicht

Zu Unſterblichen ſchuf, er geht, er eilt, er verſoͤnt ſie!

Feurig
[69]Achter Geſang.
Feurig ſagt es der Seraph. Verſtummt vor Wehmut und Wonne,

Folgen die Vaͤter ihm ſchon. Sie eilen. Der ſchnelle Gedanke,

Der aus der Seele voll Andacht von Sternen zu Sternen hinaufdenkt,

Eilt nur eilender! Gabriel fuͤhrte den ſchimmernden Haufen.

Jtzo betrat ihr ſchwebender Fuß den liegenden Oelberg.

Adam betrat ihn zuerſt, ſank nieder, und kuͤßte die Erde.

Muͤtterlich Land, (ſo ſprach er,) ich ſeh, o Erde, dich wieder!

Seit den Jahrhunderten, da mein Gebein am Abend des Todes

Du in deinen friedſamen Schooß, o Mutter, zuruͤcknahmſt,

Stand ich nicht uͤber dem Staube der todtenvollen Gefilde!

Nun, nun ſteh ich darauf. Sey mir, o Erde, gegruͤſſet!

Seyd mir, Gebeine der Todten, gegruͤßt: ihr werdet erwachen!

Meine Kinder, ach, meine Kinder! ihr werdet erwachen!

Und, o Stunden, ihr nahenden Stunden, o ſeyd mir, im Jubel.

Jm Triumphe, genannt! Jhr entlaſtet die Erde vom Fluche!

Jhrem heiligen Staub erſchallt des Blutenden Seegen!

Halleluja! er koͤmmt, er koͤmmt der Erdegebohrne!

Siehe, der Allerheiligſte koͤmmt, und naht ſich dem Tode!

Alſo ſprach er. Noch hielt er ſein Herz, das in himmliſche Wehmut

Aufzuſchauern begann; er hielts noch, und ſchwieg, und ſchaute.

Aber Eloa ſtand auf dem Tempel, und ſahe die Vaͤter

Kommen. Jzt wandt’ er ſein Antliz, und ſieht hoch uͤber dem Kreuze

Satan und Adramelech im wilden Triumphe ſchweben;

Satan wegen des Werks, das er ſchon vollendet, und beyde

Wegen kuͤnftiger Thaten! Eloa ſieht die Empoͤrer,

Wie ſie, erhoben uͤber die Wolken der wandelnden Erde,

Jm weitkreiſenden Schwunge die hoͤhern Woͤlbungen meſſen.
E 3Und
[70]Der Meſſias.

Und in ſeiner Herrlichkeit hub ſich Eloa vom Tempel

Gegen die ewigen Suͤnder empor. Er ging in dem Glanze

Dieſes gefeyrteſten Tags, vor allen Tagen der Feyer.

Gottes Schrecken ſchwebten um ihn. Die duͤnneren Luͤfte

Wurden vor ihm zu Stuͤrmen, und rauſchten! Des Kommenden Gang war

Eines Heers Gang, welchem die tragenden Felſen erzittern.

Und der Unſterbliche toͤnt’, und glaͤnzte daher! Die Empoͤrer

Sahn, und hoͤrten ihn kommen, und zwangen umſonſt ihr Erſtaunen

Zu verbergen. Sie ſtanden, und wurden dunkler. So ſtehen

Jn den lezten Tiefen der Hoͤlle zween nachtvolle Felſen!

Aber, mit Einer lezten Erhebung, trat Eloa

Vor die Verworfnen, und ſprach: Jhr, deren Namen der Abgrund

Nenne! verlaßt, ihr ſeht der hohen Unſterblichen Lichtkreis!

Dieſen verlaßt, und entlaſtet von euch die heilige Staͤte.

Siehe, ſo weit der aͤuſſerſte Schimmer der Seligen, Graͤnzen

Euren Empoͤrungen, ſtrahlt; ſchwebt da nicht uͤber der Wolke!

Kriecht da nicht am Staube der Erde! Der Seraph gebot ſo.

Aber wie zwey Gewitter, die an zwo Alpen herunter

Dunkel kommen, (ein ſtaͤrkerer Sturm toͤnt ihnen entgegen,

Wird ſie verſtreun!) wie die in ihrem Schooſſe den Donner

Fliegend reizen, damit er die krummen Thaͤler durchbruͤlle:

Alſo ruͤſten zur Antwort ſich wider Eloa die Stolzen.

Was die Wut Entſezliches hat, die Rache Verwegnes,

Runzelt’ auf ihrer Stirne ſich, rollt’ in den flammenden Augen!

Aber mit herrſchendem Blick ſchaut ihnen Eloa ins Antliz:

Erſt verſtummt! dann flieht! Kaͤm ich mit der ſiegenden Staͤrke,

Die Jehova mir gab; ſo ſollte von dieſem erhobnen,
Treffen-
[71]Achter Geſang.

Treffenden Arm euch ferne von mir mein Donner verſchleudern.

Aber ich komm in dem Namen des Sohns von Adam, der (ſchaut ihn!)

Dort ſein Kreuz traͤgt! Jm Namen des Ueberwinders der Hoͤlle:

Flieht! … Sie flohen dunkler, als Naͤchte. Nacheilende Schrecken

Heften ſich an die Ferſe der Flucht, und treiben ſie ſeitwaͤrts

Auf die Truͤmmern Gomorra im todten Meere. Die Engel

Sahen ſie fliehn, es ſahen ſie fliehn die Vaͤter. Eloa

Stieg, zur Zinne des Tempels, in ſeiner Herrlichkeit nieder.

Jeſus war zum Todeshuͤgel gekommen. Ermattet

Schwankt er am Fuſſe des Huͤgels. Die blutbegierigen Haufen

Zwangen einen Wanderer, welcher an Golgathas Hange

Furchtſam hinabſtieg, daß er das Kreuz dem Ermatteten truͤge.

Unter dem Volk, das ihm folgte, beweinten ihn Einige; weiche,

Wutloſe Seelen, doch die mit ganzem Herzen am Eiteln

Hingen, und kaum den Goͤttlichen kannten. Jhr fluͤchtiges Mitleid

War nur ſinnlich; nicht edel, nicht Mitleid der Seele! Der Gottmenſch

Hoͤrt ſie klagen, und wendet ſich um, und ſpricht zu ihnen:

Warum weinen Jeruſalems Toͤchter? Beweinet mich nicht!

Weinet uͤber euch ſelber, und uͤber eure Kinder!

Denn es nahn ſich die Tage der Angſt. Jn den furchtbaren Tagen

Werden ſie jammern: O ſelig die Unfruchtbaren! die Leiber,

Die nicht gebohren! die Bruſt, die nicht ſaͤugte! Dann werden ſie ſagen

Zu den Bergen: Fallt uͤber uns her! und den Huͤgeln: Bedeckt uns!

Denn, geſchahe das mir, was wird den Suͤndern geſchehen!

Jzt war er auf die Hoͤhe des großen Altars gekommen.

Und er ſchaute zum Richter empor. … Die Kreuziger nehmen

Jhm das Kreuz ab, errichten es unter Todtengebeinen.
E 4Und
[72]Der Meſſias.

Und das Kreuz erhub ſich gen Himmel, und ſtand. Der geweihte,

Feſtliche Tag, er ſchimmert noch ſanft; noch freut ſich die kleinſte

Schoͤpfung im Labyrinthe der lebenathmenden Luͤfte

Doch Ein Wink, ſo faͤngt in ihrem Schooſſe die Erde

Jn den geheimſten entlegenſten Tiefen mit leiſer Erſchuͤttrung

An zu beben. Und uͤber dem Antliz der ſchauernden Erde

Ruͤſten Stuͤrme ſich, wirbeln, und heulen in hangenden Kluͤften.

Und es ſchwankte das Kreuz. Der Gottmenſch ſtand bey dem Kreuze! …

Adam ſah ihn, und hielt ſich nicht mehr. Mit gluͤhender Wange,

Mit hinfliegendem Haar, mit ofnen bebenden Armen,

Eilt’ er hervor zum aͤuſſerſten Hange des Bergs, ſank nieder.

Als er hinſank, flammte der Himmel im ſchanenden Auge

Des nicht Sterblichen mehr. Er lag, und weinte vor Wonne,

Wonn’ und ewiges Leben und Schauer, und Wehmut, und Staunen,

Ueberſtroͤmten ſein Herz. Des vollen Herzens Empfindung

Wurd izt Stimme; nun betet’ Adam. Die Kreiſe der Engel

Hoͤrten die Stimme des Beters! Er blickt auf die Graͤber und betet:

Nein! der Seraph nennt dich nicht aus! Die Unſterblichen weinen,

Wenn ſie, in deine Liebe vertieft, die tauſendmal tauſend

Herrlichkeiten zu nennen beginnen, und betend verſtummen!

Ach! ich nenne dich Sohn! und verſtumm, und weine mit ihnen!

Jeſus Chriſtus mein Sohn! mein Sohn! wo wend ich mich hin? wo?

Daß ich dieß unnennbare Heil, die Wehmut ertrage?

Jeſus Chriſtus! mein Sohn! … O, die ihr fruͤher, als ich, wart,

Aber nicht fruͤher, als er! ſchaut auf ihn, Engel, herunter!

Schaut herunter! Er iſt mein Sohn! Dich ſegn’ ich, o Erde!

Dich, o Staub, aus dem ich gemacht ward! O Wonne! du volle
Ewige
[73]Achter Geſang.

Ewige Wonne! die ganz die Begier des Unſterblichen ausfuͤllt!

O der groſſe, der tiefe, der himmelvolle Gedanke,

Dein Gedanke, Jehova: Du ſchufſt! da ſchufſt du auch Adam!

Adam aus Staube, damit er der Vater des Ewigen wuͤrde!

Steh hier ſtill, unſterbliche Seele! durchſchau die Tiefe,

Dieſe weite Tiefe der Wonne! … Was ſind es, ihr Himmel!

Was fuͤr Augenblicke, die izt die Unſterblichen leben!

Jeder iſt goͤttlich, und ieder, er traͤgt auf dem eilenden Fluͤgel

Ewigkeiten der Ruh! und die wird Adam durchleben!

Nun iſt dieſer nicht mehr! nun dieſer! Erhabnere kommen

Jmmer naͤher, noch naͤher! O eure Stimmen, ihr Himmel!

Gebt mir eure Stimmen, daß ichs durch die Schoͤpfungen alle

Laut ausrufe: Das Opfer, es ſteht am Schatten des Todes!

Mache dich auf, erhebe dein Haupt, komm, ſtehe vom Staub auf,

Menſchengeſchlecht, und ſchmuͤcke dich ſchoͤn mit betenden Thraͤnen!

Denn der Allerheiligſte ſteht am geoͤfneten Grabe.

Meine Kinder! ach, meine Kinder, ihr ſeyd die Geliebten!

Euch verſoͤnt er! O, kommt zu dem Sterbenden, Kinder von Adam!

Wer im Palaſte mit Golde bedekt wohnt, lege die Krone

Nieder, und kommt! Jhr, die ſich mit Huͤtten von Erde beſchatten,

Laßt die niedrigen Huͤtten, und kommt! Ach, aber ſie hoͤren

Meine Stimme, die Stimme des Liebenden nicht. Jhr Verweſten,

Welche die Graͤber und das Gericht mit Tode bedecken,

Hoͤrt ſie auch nicht! … Du biſt, der du dich opferſt, auf ewig

Biſt du Erbarmer! … Vollender! du gnadenvoller Erdulder!

Siehe, du wirſt es vollenden! Und nun … (Unausſprechliche Wehmut

Ueberfaͤllt mich, und dringt in iede Tiefe der Seele!)
E 5Nun,
[74]Der Meſſias.

Nun, nun geht er dahin. O ſtaͤrk mich Endlichen, ſtaͤrk nun

Mich den erſten der Suͤnder, und der die Verweſung geſehn hat,

Du, der ihn im Tode verlaͤßt, Weltrichter Jehova!

Adam rief es. Jndem trat, deſſen Namen die Himmel

Ewig nennen, naͤher ans Kreuz, hub ſeine Hand auf;

Hielt ſie vor ſein Antliz, und neigte ſich tief, und ſagte,

Was kein Seraph vernahm, und kein Erſchaffner verſtuͤnde!

Aber vom Throne des dunkeln Gerichts antwortet Jehova.

Von der Antwort erklangen des Allerheiligſten Tiefen,

Und es bebte des Richtenden Thron. Die Kreuziger nahten

Sich dem Verſoͤner. Jndem betreten die Welten alle

Mit weitwehendem Rauſchen des Kreislaufs Puncte, von denen

Sie die Verſoͤnung verkuͤndigen ſollten. Sie ſtanden. Die Pole

Donnerten ſanfter herab, und verſtummten. Die ſtehende Schoͤpfung

Schwieg, und zeigte des Opfers Stunden die Himmel herunter.

Auch du ſtandeſt, du Welt der Suͤnder und Graͤber! das Grabmal

Deß, der bluten ſollte, mit dir! Nun ſchauten mit allen

Jhren Unſterblichkeiten die Engel. Es ſchaute Jehovah,

Schaut, und hielt die Erde, die ſank, es ſchaute Jehovah,

Siehe, der ſeyn wird, und ſeyn wird, auf Jeſum Chriſtum herunter

Und ſie kreuzigten ihn! … Die du unſterblich, wie ſie biſt,

Welch’ ihn ſahen, o du, die ſeine Wunden auch ſehn wird,

Neige dich tief ans unterſte Kreuz, umfaß es, verhuͤlle

Dich, o Seele, bis dir die bebende Stimme zuruͤckkoͤmmt!

Als wenn uͤber die Schoͤpfung umher ein allmaͤchtiger Tod laͤg,

Und in allen Welten nur ſtille Verweſungen ſchliefen,

Nun kein Lebender auf der Verweſenden Staube mehr ſtuͤnde:
So
[75]Achter Geſang.

So mit todter feyrlicher Stille ſchauten die Engel,

Und die Vaͤter auf dich, Gekreuzigter! Aber ſein Leben,

Da ſein unſterbliches Leben begann mit dem ſtaͤrkſten der Tode

Nun zu ringen, und nun ſein erſtes Blut floß; da wurde,

Seraphim, euer Erſtaunen zur Stimme! Sie jauchzten, und weinten,

Und es hallten die Himmel von neuen Anbetungen wieder.

Nun noch einmal, und nun noch einmal blickt’ Eloa

Nach dem Blutenden nieder! und nun, mit einer Erhebung,

Wie ihn noch nie ein Unſterblicher ſah, mit lautem Erſtaunen,

Schwung er ſich in die Himmel der Himmel, und rufte, (ſo toͤnen

Eilende Stern’ im kreiſenden Lauf) er rufte: Sein Blut fließt!

Flog in der Tiefe des Unermeßlichen, rufte: Sein Blut fließt!

Und drauf ſchwebt er mit ſtiller Bewundrung herauf zu der Erde.

Als er durch die Schoͤpfung einherkam, ſah er die Engel

Auf den Sonnen, die erſten der Engel, an ihren Altaͤren

Stehen. Sie ſtanden feyernd, und von den goldnen Altaͤren

Flammten Morgenroͤthen hinauf zum richtenden Throne.

Durch die weite Schoͤpfung herunter flammten die Opfer,

Bilder des blutenden Opfers am Kreuz: ein himmliſcher Anblick!

Alſo ſahn die ſiebzig Aelteſten des gottgewaͤhlten

Und lautzeugenden Volks auf Sina die Herrlichkeit Gottes;

Oder ſo hub ſich, dem heiligen Volke den Weg zu gebieten,

Von der Huͤtte, worinn dein Allerheiligſtes ruhte,

Offenbarter, die Saͤule der Flammen in donnernde Wolken!

Aber der Gottmenſch blutet. Jzt ſchaut er auf Juda hernieder,

Das, von Jeruſalem an, bis nah zum Kreuze, gedraͤngt ſtand.

Sieh, er neigte ſich hin, und rief den Huͤgel herunter:

Vater!
[76]Der Meſſias.
Vater! ſie wiſſen es nicht, was ſie thun. Erbarme dich ihrer!

Stille Bewundrungen wandelten dir, du Stimme der Liebe,

Durch die Menge der Schauenden nach. Die huben ihr Antliz

Zu dem Blutenden auf, und ſahn die Blaͤſſe des Todes,

Deine, du toͤdtlichſter unter den Toden, uͤber ihn ſtroͤmen.

Dieß nur ſahe der Sterblichen Auge; der groſſen Geſtorbnen

Seelenvolleres ſahe geheimere Dinge: Sein Leben,

Wie es rang, ſein Leben von keinem Tode zu toͤdten,

Haͤtte Gott den Tod nicht geſandt! wie allmaͤchtige Schauer

Durch den Sterbenden ſchuͤtterten! wie er, verlaſſen vom Vater,

Hing am hohen Kreuze! zu welchem Heile ſein Blut floß!

Welche Verſoͤnung dieß Blut, aus dieſen Wunden, herabquoll!

Sieh, er hub ſein Auge gen Himmel, und ſuchte nach Ruhe,

Aber er fand nicht Ruhe! Mit iedem fliegenden Winke

Starb er Einen furchtbaren Tod; und fand nicht Ruhe!

Und es waren mit ihm zween Miſſethaͤter gekreuzigt.

Denn, zu dieſer Tiefe, beſchloß des Ewigen Rathſchluß

Und ſein eigner, ihn zu erniedrigen. Einer der Moͤrder

Hing zu ſeiner Rechte, der Andre zur Linke. Der eine

War ein verſteinerter Suͤnder, ein graugewordner Verbrecher.

Dieſer kehrte ſein finſtres, verſtelltes Geſicht zu dem Mittler:

Chriſtus waͤrſt du? Waͤrſt du es; huͤlfſt du uns! huͤlfſt du dir ſelber!

Stiegſt du dieſem Baume, den Gott verflucht hat, herunter!

Aber der andre Verbrecher, ein Juͤngling verfuͤhrt in der Bluͤhte,

Nicht von ruchloſem Herzen; doch hingeriſſen zur Suͤnde,

Rang aus ſeinem Elend ſich auf, und ſtrafte den andern:

Und
[77]Achter Geſang.
Und auch du, dem Tode ſo nah, ſo nah der Verdammniß,
(Denn das ſind wir!) du fuͤrchteſt auch itzo Gott nicht! Wir leiden

Zwar mit Recht was wir leiden, den Lohn von dem, ſo wir thaten!

Aber dieſer (er winkt auf Jeſum) er hat nichts verbrochen.

Und nun kehrt er ſich ganz zum Gottverſoͤner, beſtrebt ſich

Gegen ihn tief ſich hin zu neigen. Jhm flieſſen die Wunden

Heftiger, als er es thut; allein er achtet des Bluts nicht;

Nicht der ofneren Wunden! Er neigt zum Verſoͤner ſich nieder,

Ruft: Ach, Herr wenn du zu deiner Herrlichkeit eingehſt,

Dann erinnre dich meiner! Mit goͤttlichſtrahlendem Laͤcheln

Sah dem erſchuͤtterten Suͤnder der ſterbende Mittler ins Antliz:

Heut, ich ſag es dir, wirſt du im Paradieſe mit mir ſeyn!

Und er vernahm mit heiligem Schauer die Worte des Lebens.

Ganz empfand er ſie, ganz war ſeine Seele durchdrungen;

Und vor Seligkeit zittert er laut. Er wendet ſein Auge

Nun nicht mehr von dem Goͤttlichen weg. Nach ihm hin, nun immer

Nach dem Menſchenfreund iſts, mit thraͤnendem Blicke, gerichtet!

Und ſo brach es zulezt. Jzt, da ſein Leben noch athmet,

Spricht er in ſich gebrochne Worte, des ewigen Lebens

Dunkles Gefuͤhl, er denkt: Wer war ich? wer bin ich geworden?

Dieſes Elend zuvor, und nun die Wonne! dieß Beben!

Dieſer Seligkeit ſuͤſſes Gefuͤhl! Wer bin ich geworden?

Wer iſt der am Kreuze bey mir? Ein frommer, gerechter,

Heiliger Menſch? Vielmehr, vielmehr! des ewigen Vaters

Sohn! der gottgeſandte Meßias? Sein Reich iſt erhabner,

Herrlicher, weit von der Erde weg, weit! Das iſt er, ihr Engel!

Aber wie tief erniedrigt er ſich! zu dieſem Tode!
Und
[78]Der Meſſias.

Und noch tiefer, zu mir! Zwar dieß erforſchet mein Geiſt nicht!

Aber er hat mich von neuem erſchaffen. Jzt, da ich dem Tode

Unterliege, da ſchuf er mich neu. So ſey dann auf ewig

Angebetet von mir, ob ich dich gleich nicht begreife!

Du biſt goͤttlich, und mehr, mehr, als der Erſte der Engel!

Denn ein Engel konnte mich ſo von neuem nicht ſchaffen!

Konnte meine Seele zu Gott ſo hoch nicht erheben!

Goͤttlich, ja das biſt du, und dein, dein bin ich auf ewig!

Alſo dacht’ er, und ſank in entzuͤcktes Staunen. Wohin er

Blickt, vom Himmel herab, herauf von der liegenden Erde,

Laͤchelt ihm alles. Auf ihn war Gottes Ruhe gekommen.

Und ein Wink des Verſoͤners beſchied der Seraphim einen.

Dieſer verließ mit Eile den Kreis, der um Golgatha glaͤnzte,

Stand dann unten am Kreuze. Des goͤttlichen Winkes Befehl war:

Seraph, bring du dieſen Erloͤſten zu mir, wann er todt iſt!

Und er eilte zuruͤck, und kam zum Kreiſe der Engel.

Abdiel wars, der Unuͤberwundne. Die Pforte der Hoͤlle

Huͤtet itzo, auf Gottes Befehl, ein Engel des Todes.

Schnell umgeben ihn Schaaren der andern Engel, und fragen;

Abdiel ſprach: Mit Entzuͤckung empfing ich die hohen Befehle,

Jenen erloͤſten Suͤnder nach ſeinem Tode dem Mittler

Zuzufuͤhren. Der ſuͤſſe Gedanke durchſtroͤmt mich. Je mehr ich

Jhn entfalte, je mehr werd ich von Seligkeit trunken.

Einen geretteten Suͤnder, und ſelbſt in den Stunden gerettet,

Da das Opfer fuͤr das Geſchlecht der Sterblichen blutet,
Dieſe
[79]Achter Geſang.

Dieſe Seele, ſo rein nun, ſo hell im Blute gewaſchen,

Dieſe dem Ewigen wiedergegebne, zu ihrem Verſoͤner

Hinzufuͤhren. O ſegnet zu dieſer Wonne mich, Engel!

Alſo verlor ſich die Stimme des ſeliggeprieſenen Seraphs.

Uriel aber, der Engel der Sonne, hatte ſchon lange

Fortzueilen bereit, auf ſeinen Gebirgen geſtanden.

Jtzo war ſie gekommen die Zeit, den Befehl, ſo er hatte,

Zu vollfuͤhren. Er machte ſich auf, er allein durch die Himmel.

Lichthell ſchwebt er empor, den Stern, zu welchem ihn Gott ſchickt,

Vor die Sonne zu fuͤhren, damit dein Leben, Verſoͤner,

Unter fuͤrchterlicheren Huͤllen, als Huͤllen der Nacht ſind,

Blute. Schon ſtand uͤber dem Pole des Sterns der Seraph.

Auf dem Sterne ſchweben die Seelen, eh die Geburt ſie,

Jn das groſſe, doch ſterbliche Leben der Pruͤfung, verſendet.

Uriel blickt’ auf die Seelen der kuͤnftigen Menſchengeſchlechte

Nieder, und nannte den Stern bey ſeinem unſterblichen Namen.

Adamida, der dich in dieſes Unendliche ſtreute,

Sieh, er gebeuts! erheb aus deinem Kreiſe dich ſeitwaͤrts

Gegen die Sonne! dann fleug, und werde der Sonne zur Huͤlle.

Und die Himmliſchen hoͤrten umher die gebietende Stimme.

Da ſie in den Gebirgen des Adamida verhallt war,

Wandt’ heruͤberſchauernd der Stern die donnernden Pole.

Und die ſtehende Schoͤpfung erſcholl, da, mit ſchreckendem Eilen

Adamida, mit ſtuͤrzenden Stuͤrmen, mit rufenden Wolken,

Fallenden Bergen, gethuͤrmten Meeren, geſendet von Gott, flog!

Uriel ſtand auf dem Pole des Sterns, und hoͤrte den Stern nicht,

So in Tiefſinn verloren betrachtet er Golgatha. Donnernd
Eilte
[80]Der Meſſias.

Eilte der fliegende Stern. Jzt war er in deine Gebiete

Sonne, gekommen! Jzt naht’ er ſich dir. Es ſtaunten, beym Anblick

Dieſer neuen Sonne, die ſanften menſchlichen Seelen,

Und erhuben ſich uͤber des Sterns hocheilende Wolken.

Adamida erreichte die Sonne. Nun wandelt er. Langſam

Trit er vor ihr Antliz, und trinkt die aͤuſſerſten Strahlen.

Aber die Erde ward ſtill vor der ſinkenden Daͤmmrung. Die Daͤmmrung

Wurde dunkler, ſtiller die Erde. Schatten, mit bleichem

Schimmer, aͤngſtliche truͤbe Schatten beſtroͤmmten die Erde.

Stumm entflogen die Voͤgel des Himmels in tiefere Haine;

Bis zum Wurme, verſchlichen, beſtuͤrzt, die Thiere der Felder

Sich zur einſamen Hoͤle. Die Luͤfte verſtummten, und todte

Stille herrſchte. Der Menſch ſah ſchweraufathmend gen Himmel.

Jtzo wurd es noch dunkler; und nun, wie Naͤchte! Der Stern ſtand,

Hatte die Sonne verloͤſcht. Jn fuͤrchterlichſichtbare Naͤchte

Lagen die weiten Gefilde der Erde gehuͤllt, und ſchwiegen.

Aber am hohen Kreuz hing Jeſus Chriſtus herunter

Jn die Nacht hin, und Todesſchweiß rann mit des Sterbenden Blute,

Und die Erde, ſie lag in ihrer Betaͤubung. Betaͤubter

Bleibt der Freund nicht am Grabe des fruͤhentfliehenden Freundes,

Oder, wer groſſe Thaten verſteht, am Marmor des edlen

Patrioten, der Tugenden nachließ. Mit ſtarrer Gebehrde

Haͤngt er uͤber der heiligen Truͤmmer, und weint nicht. Auf einmal

Faßt ihn mit anderm Wuͤten der Schmerz, ſchreckt ihn auf. Die Erde

Lag ſo in der Betaͤubung; ſo bebte ſie auf. Der bewegte

Golgatha ſchauerte itzo mit ihr bis zum oberſten Kreuze.

Und des Geopferten Wunden ergoſſen das ewige Leben
Stroͤmen-
[81]Achter Geſang.

Stroͤmender, da das nachtvolle Kreuz mit Golgatha bebte.

Fuͤrchterlich uͤberſchattet die Nacht den Huͤgel des Todes,

Und den Tempel, und dich, Jeruſalem. Selber die Engel

Sahn ihr reineres Licht in Abenddaͤmmrung erblaſſen.

Und es ſtroͤmte ſein Blut. Nun ſtand die Menge vor Schrecken

Eingewurzelt, und ſah mit wildem Blicke zum Kreuz auf.

Furchtbar ſtroͤmte das Blut der Verſoͤnung. Es kam nun, ſein Blut kam

Ueber ihre Kinder, und ſie. Sie wollen ihr Antliz

Wenden, allein ſtets richtens allmaͤchtige Schrecken zum Kreuze

Aber Uriel hatte noch einen Befehl zu vollenden.

Und er ſtieg vom Pole des ſtehenden Adamida

Zu den Seelen herab. Die ſahn den Himmliſchen kommen.

Denn auch ſie ſchon waren in Koͤrper menſchlicher Bildung,

Wie in luftige Duͤfte gewebt, die der Abendſtrahl roͤthet.

Uriel ſagte zu ihnen: Jch fuͤhr euch, folgt mir, ihr kennt uns,

Daß wir zu euch von dem groſſen Unendlichen kommen. Er ſendet

Euch zu jener Erde, die euer Schatten verhuͤllt hat.

Sieh, ihr werdet ihn ſehn! Sein groſſer goͤttlicher Name

Heißt! Des Ewigen Sohn! allein vor euerm Geſicht haͤngt

Dieſe Nacht, ihr kennt ihn noch nicht. Doch wird in der Ferne

Eine Daͤmmrung unſterblicher Wonne vor euch ſich eroͤfnen.

Kommt, Gluͤckſelige, kommt, zu dieſer Wonne geſchaffne!

Schaut die Himmel umher, mit welchem Staunen ſie feyern.

Aller Kniee beugen ſich dir! Dir ſinken die Kronen

Alle! Dir ſchufſt du, und dir verſoͤnſt du die ewigen Seelen.

Und nun flog er den fuͤhrenden Flug. Jhn umgaben die Seelen.

Wie wenn ein Weiſer im Tiefſinn, und ſeiner Unſterblichkeit wehrter,
II.Band. FVon
[82]Der Meſſias.

Von den Uneinſamen fern, mit des Mondes Duͤften zum Walde

Wandelt, und nun, an der Hand der frommen Entzuͤckung geleitet,

Dich, Unendlicher, denkt! wie ihm dann, zu tauſenden, neue,

Beßre, groſſe Gedanken die gluͤhende Stirne voll Wonne

Schnell umſchweben. So eilt, umringt von den Seelen, der Seraph.

Dieſe naͤherten ſich der liegenden Erde. Die Vaͤter

Sahn die zahlloſe Schaar in hohen daͤmmernden Wolken

Kommen: ein majeſtaͤtiſcher Zug! von den erſten der Schoͤpfung,

Denkende Weſen; verehrungswuͤrdige Kinder des Lebens,

Myriadenmal Myriaden Unſterbliche! Staunend,

Jzt das erſtemal, wandte vom Kreuze die Mutter der Menſchen

Jhr anſchauendes Antliz. Es kamen die Kinder, ſie kamen!

All’ ungebohrne Jahrhunderte kamen! Die liebende Mutter

Stuͤzt auf der bebenden Linke ſich; zeigt mit der Rechte der Menſchen

Vater, die Kinder, die Chriſten, und ruft: doch heftet ans Kreuz ſich

Wieder ihr Blick ans blutvolle Kreuz, da ſie redte. Sie ſind es

Vater meiner Unſterblichen, ſiehe, die Kinder, ſie ſind es!

Welche Namen nennen dich aus, du, der fuͤr ſie blutet!

Welch Hoſanna vermag den Wundenvollen zu ſingen!

Waͤrt ihr ſchon, ihr Kinder des Heils, ihr Chriſten gebohren!

Fuͤhrten euch tauſend, und tauſend, und wieder tauſend entzuͤckte

Weinende Muͤtter zum Kreuz! und kenntet ihr ſchon der Gebohrnen

Heiligſten, ihn, ſo zu Bethlem die fruͤhe Menſchlichkeit weinte.

Aber ſie werden ihn kennen, ſie werden, o Adam, den Mittler

Unſers Bundes, den Sohn der Liebe, den Goͤttlichen kennen!

Ach, wie im Sturme gebrochen die Purpurblume dahinſinkt,

Alſo werden von euch die Geliebteren vor der Erwuͤrger
Schwerte
[83]Achter Geſang.

Schwerte ſinken, indem ſie ſinken, dem Tode noch laͤcheln.

Eure Mutter ſegnet euch zu! Jhr ſeyd die erkohrnen

Hoͤhern Zeugen des groͤßten der Todten! Der ſinkenden Wange

Blaͤſſe, der brechende Blick ſtrahlt himmliſch heruͤber! Sie ſchimmern

Eure Wunden! Jhr roͤchelt, Maͤrtyrer, Lieder der Wonne!

Aber der Gottmenſch erhub ſein Aug, und ſahe die Seelen.

Mit dem Blicke zerrann auf jedes Himmliſchen Wange

Eine Thraͤne des ewigen Lebens. Denn Jeſus Chriſtus

Schaute mit einem Blicke der gottverſoͤnenden Liebe,

Jener, mit welcher er, bis zum Tod am Kreuze, izt liebte,

Zu den Seelen empor. Die Seelen ſchauerten Wonne.

Noch kam auf des Sterbenden Wange die Farbe des Lebens

Schnell wie Winke zuruͤck; geſchwinder, als Winke zu fliehen.

Aber izt kam ſie nicht mehr. Die todesvollere Wange

Senkte ſich ſichtbar! Sein Haupt, vom Weltgerichte belaſtet,

Hing zum Herzen. Er hubs arbeitend empor gen Himmel,

Aber es ſank zum Herzen zuruͤck. Der hangende Himmel

Woͤlbt ſich um Golgatha, wie um Verweſungen Todtengewoͤlbe,

Graunvoll, fuͤrchterlich, ſtumm! Der Wolken naͤchtlichſte ſchwebte

Ueber dem Kreuz, hing weitverbreitet herab, an der Wolke

Feyrliche Todesſtille, die ſelbſt die Unſterblichen ſchrekte.

Ein Gedanke, ſo war ſie nicht mehr! Von iedem gelindern

Schall unangekuͤndigt, zerriß ein Getoͤſe, das aufſtieg,

Laut die Erde, da bebten der Todten Gebeine, da bebte

Bis zur Zinne der Tempel. Das war ein Bote des Sturmwinds.

Und der Sturmwind erhub ſich, und brauſt in den Cedern, die Cedern

Stuͤrzten dahin! er brauſt auf der ſtolzen Jeruſalem Thuͤrme,
F 2Und
[84]Der Meſſias.

Und ſie zitterten ihm. Der war ein Vote des Donners.

Und der betaͤubende Schlag ſchlug ins Meer des Todes! Die Waſſer

Fuhren ſchaͤumend empor, und Erd und Himmel erſchollen.

Als Eloa das ſah, hatt’ er den groſſen Gedanken;

Hatt’ ihn nicht nur, er ſchuf ihn zur That. Von Antliz zu Antliz

Wollt er den, der Weltgericht hielt, Jehova im Dunkeln

Jhn in der furchtbaren Herrlichkeit, ſehn! Er betete dreymal

Gegen dich, Geopferter, an, und eilte gen Himmel.

Jzt kam er zu den Sonnen, und kannte den himmliſchen Weg kaum,

So durchſtroͤmten ihn fliegende Daͤmmrungen. Sieben Sonnen

Ueber den Eingang, begegnen Eloa zween Todesengel

Mit verhuͤlltem Geſicht. Er ſchwebt’ erſtaunend voruͤber!

Aber mit ſtarrem Fuß ſtand auf der Erde die Stille

Wieder. Es ſchaute von neuem das Menſchengeſchlecht, Geſtorbne,

Ungebohrne, Sterbliche, ſprachlos auf den Verſoͤner.

Aber die erſte Gebaͤhrerinn blickt am wehmutvollſten

Auf den Sohn, den Verſoͤner, der ſichtbar den langſamen Tod ſtarb.

Wenn von ſeinem Anſchaun, ihr Aug in truͤbender Wehmut,

Dunkel nun ward, nun ihr Blick mit Daͤmmrungen rang, ſo ſank er

Dann auf Eine Sterbliche nieder, auf Eine vor allen,

Die mit hangendem Haupt, auf ſinkenden Fuͤſſen, mit bleichem,

Jammerbleichem Geſicht, mit banghinſtarrenden Augen

Leer der Thraͤnen, (ihr wurden nicht Thraͤnen zur Lindrung gegeben!)

Unbeweglich, und ſtumm, der Tod verſtummt ſo! am Kreuze

Stand. … Sie iſt es, ſie iſt die Mutter des groſſen Gebohrnen!
(Dachte ſchnell die erſte der Muͤtter,) Mir ſagt es dein Jammer.

Siehe, du biſt Maria! Das fuͤhlt’ ich, als Abel am Altar
Blutig
[85]Achter Geſang.

Blutig lag! Das fuͤhlſt du! Du biſt des Sterbenden Mutter!

Alſo hing ſie mit liebendem Blick an Maria. Sie haͤtt’ ihn

Von der Tochter noch nicht, der theuren Tochter, gewendet,

Waͤren, von Oſten herauf, mit ernſtem feyrlichen Fluge,

Nicht zween Todesengel gekommen. Sie kamen, ſchwiegen,

Schwebten langſam. Jhr Blick war Flamme! Verderben ihr Antliz!

Nacht ihr Gewand! So ſchwebten ſie langſam gegen des Kreuzes

Huͤgel her. Sie hatte vom Throne der Richter geſendet.

Fuͤrchterlich kamen ſie naͤher zum Kreuz heruͤber. Da ſanken

Tiefer zum Staube der Erde die Seelen der Vaͤter. So weit ſich

Ein Unſterblicher kann in Gedanken vom Grabe verlieren,

Nahten ſie ſich der Sterblichkeit Graͤnzen, und Bilder des Todes

Stroͤmten um ſie, das Graun der erdebegrabnen Verweſung

Um die Unſterblichen! Da die Todesengel am Huͤgel

Standen, und nun, von Antliz zu Antliz, den Sterbenden ſahen,

Wandten ſie, der zur Rechten, und der zur Linken erhoben,

Jeder den toͤnenden Flug, und, ernſt und todweiſſagend,

Flogen ſie ſiebenmal ſo ums Kreuz. Zween Fluͤgel bedekten

Jhren Fuß, zween bebende Fluͤgel ihr Antliz, mit zweenen

Flogen ſie. Von dieſen, indem ſie ſich breiteten, rauſchten

Todestoͤne. So toͤnts dem Menſchenfreunde vom Schlachtfeld,

Wenn, zu Tauſenden ſchon, in ihrem Blute die Todten

Liegen! Weggewandt flieht er, indem verroͤchelt noch einer,

Dann noch einer, und nun der einſame Lezte ſein Leben.

Schrecken Gottes lagen auf ihren Fluͤgeln verbreitet,

Schrecken Gottes rauſchten herab, da die Furchtbaren flogen.

Und ſie flogen das ſiebendemal. Der Sterbende richtet
F 3Muͤde
[89[86]]Der Meſſias.

Muͤde ſein Haupt auf, und blickt den Todesengeln ins Antliz,

Dann gen Himmel, dann ruft, mit unhoͤrbarer Stimm’ aus der Tiefe

Seine Seele: Laß ab, den Wundenvollen zu ſchrecken!

Jhrer Fluͤgel Schlag, und dieſen Todeston, kenn ich!

Richter der Welten, laß ab! Er rufts, und blutet. … Jzt wandten

Jhren wehenden Flug die Todesengel gen Himmel:

Lieſſen den Schauenden truͤbere Wehmut, bangeren Tiefſinn,

Stummer Erſtaunen zuruͤck, Erſtaunen uͤber die Gottheit!

Und es hing die Huͤlle des Ewigen vor dem Geheimniß

Unbeweglich. … Mit ſtarrendem Blick, auf Graͤber gerichtet,

Auf einander! gen Himmel! doch immer wieder zu dem hin,

Der in ſeinem Blute vom Kreuz herab in die Nacht hing,

Standen die Schauenden. So unzaͤhlbar ſie ſtanden, ſo war doch

Unter allen Augen voll Wehmut, kein Auge, wie deins war,

Kein Unſterblicher ſo in zarte Schmerzen zerfloſſen,

Als du, Mutter des Menſchengeſchlechts, der Todten Mutter!

Siehe, ſie ſenkt ihr entſchimmertes Haupt zur Erde, dem Grabe

Jhrer Kinder, und breitet die hohen Arme gen Himmel.

Nun beruͤhrt der Traurenden Stirne den Staub, nun falten

Vor der umnachteten Stirn die gerungnen Haͤnde ſich bang zu.

Halb erhebt ſie ſich; ſinket wieder; erhebt ſich, izt blickt ſie

Star umher. Es daͤmmert um ſie. Sie iſt bey Gebeinen

Jrgendwo unter Todtengebeinen; zwar jenſeits am Grabe:

Aber am Grabe doch! Jtzo begann die gebrochnere Stimme,

Und der Unſterblichen Harmonien zerfloſſen in Seufzer.

Darf ich Sohn dich nennen, noch Sohn dich nennen? O wende,

Wende nicht weg dein Auge, das bricht! Du vergabſt mir, Verſoͤner,
Mein
[87]Achter Geſang.

Mein Verſoͤner, und meiner Gebohrnen! Die Himmel erſchollen,

Und der Thron des Ewigen klang von der Stimme der Liebe,

Die der Verbrecherinn Leben gebot, unſterbliches Leben:

Aber du ſtirbſt! izt ſtirbſt du! Zwar iſt es ewige Gnade,

Die mich losſprach: aber du ſtirbſt! Er dringt, wie ein Wetter,

Gegen mich an, der Gedanke voll Nacht! Die Unſterblichkeit ſtuͤrzt er

Zu den Graͤbern zuruͤck! Ach laß mich dir, Goͤttlicher, weinen!

Zwar biſt du, fuͤr Thraͤnen zu groß; doch laß mich dir weinen!

Sieh, ich durſte nach Ruh! vergieb, vergieb auch die Thraͤnen!

Du Verſoͤner! du Opfer! des Todes Opfer! mein Mittler!

Wundenvoller! Geliebter! o, du Geliebter! du Liebe!

Du verzeiheſt! … Verzeihet ihr auch, zum Tode gebohrne,

Jhr, die Eva gebahr? Wenn mir ihr Roͤcheln, ihr lezter,

Starrender Blick mir flucht, ſo ſegne du mich, Erwuͤrgter!

Flucht der Todten nicht, Kinder! Um euch durchweint ich mein Leben;

Da mein Herz brach, weint ich um euch; und Thraͤnen verweſten

Mit der Verweſenden! … Bricht nun euer Herz auch, Kinder!

Nun im Tode; ſo ſtroͤmt aus ſeinen Wunden euch Wonne,

Wonne des beſſern Lebens euch zu! Jhr ſterbt nicht, ihr ſchlummert

Nur zu dem Wundenvollen hinauf! Dann glaͤnzen die Wunden,

Seine Wunden, die Wunden des Unerſchaffnen, der todt war.

Flucht der Mutter nicht, Kinder! Jhr ſeyd unſterblich, und Er iſt

Jeſus Chriſtus, iſt auch mein Sohn! Ach aber, Geliebter!

Du, der Geliebten Geliebteſter! du … (doch dich nennet kein Nam’ aus!)

Siehe, du ſtirbſt! O waͤr ſie die truͤbe, die bebende Stunde,

Waͤr ſie, mit Fluͤgeln des Lichts, voruͤber geflogen! Gedanke!

Grabgedanke, laß ab! … Noch wird ſie bleicher, noch ſinkt ſie
F 4Seine
[88]Der Meſſias. Achter Geſang.

Seine todte Wange! Die Wunden noch ſchauern ſie Blut aus!

Ach, ſein goͤttliches Haupt, izt ſinkts noch tiefer herunter

Jn die Nacht! Dieß Athmen, o Tod, iſt deine Stimme!

Ja, ſo roͤchelſt du! … Tod! das iſt deine Stimme! … Wo bin ich? …

Aber er wendet ſein Antliz auf mich! Der Seraphim Jubel

Sing es, daß er ſein Angeſicht wandte! Die Pforten der Himmel

Hallen es nach, daß der Gottverſoͤner noch Einmal ſein Antliz

Auf die Mutter der Sterblichen wandte! Des ewigen Lebens

Ruhen umſchatten mich wieder! Jch hebe zum Schoͤpfer mein Aug auf

Strecke die heißgefalteten Haͤnde zu dem, der erwuͤrgt wird,

Meine Kinder, und ſegn’ euch! Jn ſeinem Namen, (Jhn ſchlieſſen

Himmel nicht ein! Vor ihm hat das Unermeßliche Graͤnzen!)

Jn des Heiligen Namen, des Wiederbringers der Unſchuld,

Jn des Todtenerweckers, im Namen des Richters der Welten!

Jn des Sterbenden Namen, der zaͤhlt der Leidenden Thraͤnen!

Und durch ſeinen blutigen Schweiß in Gethſemane! Dieſe

Vollen Wunden! dieß Blut, das aus dieſen Wunden herabquillt!

Durch dieß hangende Haupt! die muͤden Augen voll Jammer!

Dieſe Stirne der Angſt! die Todesmine! dieß Schauern!

Durch ſein Rufen zu Gott! ſegn’ ich euch, Kinder, zum Tod ein!



[[89]]

Der
Meſſias.

Neunter Geſang.


[[90]]

Jnhalt
des neunten Geſangs.


Eloa koͤmmt vom Throne des Richters zuruͤck, und ſagt den Vaͤtern,
daß er ſich demſelben nicht voͤllig habe naͤhern duͤrfen. Von den
Leiden des Meßias am Kreuze. Das Betragen der Freunde Jeſu. Jo-
hannes und Maria unterm Kreuze. Petri Schmerz wird, auf eine
ihm unbekannte Art, durch ſeinen Engel, Jthuriel, ein wenig gelin-
dert. Er koͤmmt ſo weit zu ſich ſelbſt, daß er ſich entſchließt, ſeine
Freunde aufzuſuchen, und ſich von ihnen troͤſten zu laſſen. Jndem er
ſich mit Aufſuchung derſelben beſchaͤftigt, haͤlt ihn ein Geſpraͤch zwi-
ſchen einem Fremden, und Samma auf. Samma erkennt Petrum.
Petrus findet Lebbaͤum. Lebbaͤus kann ihm nicht antworten. Er fin-
det ſeinen Bruder Andreas. Andreas wirft ihm, auf eine gelinde
Art, ſeine Verleugnung vor. Petrus trift Joſeph und Nikodemus
an, die von ſeiner Verleugnung noch nichts wiſſen. Nun kehrt der
trauernde Petrus nach Golgatha zuruͤck. Johannes und Maria. Un-
ter den Vaͤtern iſt Abraham noch immer von der Bekehrung des einen
Miſſethaͤters voll. Seine Unterredung mit Moſes. Jſaak koͤmmt
dazu, und ſezt die Unterredung fort. Abraham betet mit ihm zum
Meßias. Jſaak bemerkt, daß ein Cherub Seelen gegen das Kreuz
herauffuͤhre. Es waren die Seelen frommer und erſtgeſtorbner Hei-
den. Der Cherub redet von dem Meßias zu ihnen. Salem, Johan-
nis; und Selith, Mariens Schutzengel, wuͤnſchen, und vermuthen
zulezt aus einem Blicke des Meßias, Troͤſtungen fuͤr Maria und Jo-
hannes. Der Verſoͤner redet dieſe beyden an. Von den Leiden des
Mittlers am Kreuze. Das Erdbeben faͤngt von neuem an. Es dringt
bis in eine unterirdiſche Hoͤle, wohin Abbadona vom Oelberg geflohn
war. Seine Empfindungen bey dem Erdbeben. Er entſchließt ſich,
den Meßias von neuem zu ſuchen. Seine Zweifel, ob er ſich in einen
Engel des Lichts verſtellen ſolle? Seine Gedanken, da er herauf koͤmmt,
und die verfinſterte Erde ſieht. Endlich nimmt er zitternd die Geſtalt
eines guten Engels an. Er hatte Jeruſalem ſchon entdeckt, und izt
flieht er auf die Gegend zu, uͤber welche die Nacht am dunkelſten her-
abhaͤngt. Bey ſeiner Annaͤherung hoͤrt er Satan und Adramelech im
todten Meere. Die Engel erkennen ihn, ſeines angenommenen Schim-
mers ungeachtet; aber ſie laſſens ihm zu, daß er ſich weiter naͤhere.
Nach einigen Zweifeln erkennt er den in der Mitte Gekreuzigten, fuͤr den
Meßias. Was er dabey empfindet. Er ſieht ſeinen ehmaligen Freund
Abdiel, und ſo ſehr er ſich bemuͤht, nicht von ihm erkannt zu werden, ſo
wird ers doch, und entflieht zuletzt in ſeiner verdunkelten Geſtalt. Der
Todesengel Obaddon fuͤhrt die Seele Jſchariots zum Kreuze, und zeigt
ihr den ſterbenden Meßias; hierauf den Himmel der Seligen
von ferne; darnach bringt er ſie zur Hoͤlle.


[]
[figure]
[][[91]]
Der
Meſſias.
Neunter Geſang.


Jtzo kam Eloa zuruͤck vom Throne des Richters.

Voll von tiefẽ Gedankẽ, u. langſamer ſchwebt’ er des Tempels

Zinne voruͤber, und trat in der Vaͤter Verſam̃lung und ſagte:

Eh ich rede, betet mit mir! Jch will anbeten,

Eh ich rede! Da fielen ſie all’ aufs Angeſicht nieder;

Beteten ſtill den Unendlichen an. Mit eben der Stille

Standen ſie auf. Eloa verſtummte noch. Endlich redt’ er.

O du, welchen Namen nicht nennen, Gedanken nicht denken,

Erſter! … Zu ihm erhub ich mich, wollte, von Antliz zu Antliz,

Sehn, der Weltgericht haͤlt, den Unausgeſoͤnten im Dunkeln!

Jn der furchtbaren Herrlichkeit, Gott! Jch kam an die Sonnen;

Und die daͤmmerten! Kam zu des Himmels Pole; da rangen
Truͤbe
[92]Der Meſſias.

Truͤbe Schimmer mit Naͤchten! Jch ging zum Throne, da wurd es

Dunkler um mich, und nun noch dunkler, und nun. … Doch ich ſuche

Namen, und finde ſie nicht, wie es um den Unendlichen Nacht war!

Keine Namen dem Schauer, der von dem Unendlichen ausging.

Und ich ſtand, und hoͤrte von fern die Stroͤme der Hoͤlle,

Unter der tiefen ſchweigenden Schoͤpfung, rauſchen. Jch ſchwebte

Langſam weiter. Da rief der erſte der Todesengel

Gegen mich her: Weß Schweben iſt dieſes Endlichen Schweben?

Und ich bebte zuruͤck, ſank auf mein Angeſicht nieder,

Betet’ ihn an, und verſtummt’ und betet’ ihn an, der Gericht hielt.

Alſo ſagt’ er, und wandte ſich weg, und verhuͤllte ſein Antliz.

Jeſu war ſein Haupt zum Herzen herunter geſunken,

Und es ſchien, als ſchlummert’ er. Selbſt der laͤſternden Menge

Ungeſtuͤm legte ſich, wie am unbeſtuͤrmten Geſtade

Sich der Ocean legt. Die den Goͤttlichen liebten, umirrten

Golgatha, oder die aͤuſſerſten Fernen, woraus ſie den Mittler

Noch mit weinendem Blicke zu ſehn vermochten. Doch jeder

Mied den andern, damit ſie ſich nicht die tiefe Wunde

Tiefer gruͤben; ſpraͤchen ſie ſich. Nur der Juͤnger der Liebe,

Und des Leidenden Mutter, verlieſſen ſich nicht. Sie ſtanden

Unten am Kreuz. Der Juͤnger, der ſchwur, daß er Jeſum nicht kenne,

War die ſchlafloſe Nacht und den Morgen umher gezittert,

Hatte Ruhe geſucht, und keine Ruhe gefunden.

Alſo irrt ein Sohn an des Meers betruͤmmertem Ufer,

Dem ſein Vater nicht ferne von ihm an einem der Felſen

Umkam. Sprachlos irrt er umher, und ſieht unverwendet
Nach
[93]Neunter Geſang.

Nach dem Felſen, auf dem ſein Vater geſchmettert und todt liegt.

Endlich ruft er jammernd gen Himmel: Er habe den Vater,

Ach er hab ihn verlaſſen, im tiefen Meere, verlaſſen!

Petrus ermattet izt ganz, und bleibt auf einer der Anhoͤhn

Nah an Golgatha ſtehen; und laͤßt die bleicheren Haͤnde,

Die er nicht mehr zu ringen vermag, hinſinken. Sein Schuzgeiſt,

Seraph Jthuriel, ſieht ihn, und gießt ihm einige Tropfen

Ruh in ſein Herz. Nur dieſes vermag er itzo zu geben,

Ob er gleich ein Unſterblicher iſt. Der traurende Juͤnger

Fuͤhlt die Lindrung, und koͤmmt ſo weit zu ſich ſelbſt, daß er aufſieht,

Und mit wuͤnſchendem Auge nach ſeinen Freunden umherſucht,

Daß er zu ihnen hingeh, und ſie ihn ſtrafen, und troͤſten.

Aber er ſtand noch immer, und ſah nach Jeruſalem nieder.

Denn zum Huͤgel hinauf, zum Todeshuͤgel, zu ſehen,

Dieß vermocht er izt nicht. Sein Aug arbeitet mit ſcharfem

Unterſuchendem Blicke, die ſtolze Stadt zu erkennen.

Aber ſie lag, ſo weit ſie Gefilde dekte, ſo hoch ſie

Thuͤrmte, gehuͤllt in traurende, ſchwerbelaſtende Daͤmmrung,

Fuͤrchterlich da. Kaum daß noch von ſeinen Zinnen der Tempel

Und von ſeinen Thuͤrmen der Sion, ſterbenden Schimmer

Sinken lieſſen. So lag Jeruſalem. Petrus wandte

Nach der Seite ſein Auge, von der ein dumpfes Gemurmel

Ausging. Es waren Fremdlinge, die zum Feſte gekommen,

Jzt heraus geeilt waren, am Kreuz den Propheten zu ſehen.

Petrus geht zu ihnen herab. Nach ſeinen Geliebten

Sucht er unter den ſtilleren Haufen. Er ſuchte vergebens.

Jzt haͤlt ihn ein Geſpraͤch auf. Ein Mann in fremdem Gewande,
Glaͤn-
[94]Der Meſſias.

Glaͤnzend gekleidet, und ſchwarz von Geſicht, fragt einen Alten,

Deſſen Auge Vertraulichkeit iſt, und dem ein geliebter

Zarter, bebender Sohn am Arm haͤngt: Aber ſo ſag dann,

Sprach der Fremdling, was hat er, daß ſie ihn toͤdten, verbrochen?

Was er verbrach? Sie toͤdten ihn, weil er den Kranken Geſundheit;

Gehende Fuͤſſe den Lahmen; den Tauben Ohren; den Blinden

Augen gab; weil er die Beſeßnen (ich war ein Beſeßner!)

Jhren Qualen entriß! ach weil er die Todten erweckte;

Weil er in maͤchtigen Reden die Pforten des ewigen Lebens

Unſern Seelen eroͤfnete; weil er ein goͤttlicher Mann war!

Aber (er ſah, indem er ſich wendete, Petrum) du ſiehſt hier,

Fremdling, einen von ſeinen Geliebten, die der Prophet ſich

Auserwaͤhlte, daß ſie ihn ſaͤhen, und hoͤrten, und die er

Von des Ewigen wahren Verehrung alles gelehrt hat.

Unterrichte du ſelbſt (er kehrt ſich zu Petro,) belehre

Dieſen Fremdling, und mich: Warum ſie den Goͤttlichen toͤdten?

Laß, Mann Gottes, laß dich erbitten! Und wende dein Antliz

Nicht von mir weg. Du kennſt ihn, dich liebt er, du warſt ſein Erwaͤhlter!

Bruͤder lieben ſich ſo nicht, als du und Johannes ihn lieben!

Petrus wandte noch immer ſich weg, nicht, weil er erkannt war,

Denn izt war er, zu ſterben, bereit! Das Wort, von Johannes,

Und ihm ſelber, durchdrang ſein innerſtes Mark ihm. Jhr Freunde,

Sprach er endlich mit ſtammelnder Wehmut, was ich zu ſagen

Jtzo vermag, das iſt: Es ſtirbt der Beſte der Menſchen!

Mit dem eilenden Worte verlor er ſich unter die Menge.

Aber Samma, und Joel, mit ihnen Candaces Vertrauter,

Welchen nachher Philippus, von Gottes Geiſte gerufen,
Jn
[95]Neunter Geſang.

Jn die Quelle des Hells eintauchte, gingen mit Staunen

Hin nach Golgatha. Petrus entdekte von ferne Lebbaͤum,

Wie er, im Truͤben, an einem verdorrten Baume, gebuͤckt ſtand,

Und ging gegen ihn hin. Nun kam er nahe; Lebbaͤus

Aber erkannt’ ihn noch nicht. Jhn redte Petrus mit leiſem,

Brechenden Laut an: O haſt du ihn auch am Kreuze geſehen?

Zwar auch du biſt elend, doch darfſt du dein ofneres Auge

Zu ihm erheben. Jch aber … o lindre, lindre mein Elend!

Hier, hier blutet ſie mir, hier blutet die brennende Wunde!

Einen Laut nur, den einzigen Troſt nur von meinem Geliebten!

Aber du ſchweigſt? … Noch ſchwieg er. Vergebens rang ſein Gefuͤhl ſich

Nun zur Stimme zu werden. Doch waren ſein bebendes Antliz,

Seine Thraͤnen, nicht ſprachlos! Allein die Troͤſtung beruͤhrte

Simons Seele nur leiſe. Mit ſchwerem Herzen entweicht er;

Ueberlaͤßt ſich von neuem der Menge Wogen, und treibt ſo

Mit der Menge. Da er izt einem der eilenden Haufen,

Weggedrungen, entkoͤmmt, ſieht er auf einmal Andream,

Seinen Bruder, vor ſich. Er wollt’ ihn fliehen; allein izt

Winkt er ihm zu, daß er ſich mit ihm noch weiter entferne.

Nunmehr wendet Petrus ſich um: Mein Bruder! mein Bruder!

Und umarmt ihn, nicht feurig wie ſonſt; mit muͤder Umarmung

Faßt er ihn um, und weint an des Bruders Halſe. Mein Bruder!

Ach mein Bruder! erwiedert mit ſanfter Wehmut Andreas.

Gerne wollt ich; allein ich kann, ich kanns nicht verſchweigen!

Simon, es blutet mein Herz mit deinem Herzen! … Den Beſten

Unter den Menſchen, den Treuſten, den Liebevollſten der Freunde,

Gottes Sohn! … den haſt du … vor ſeinen Feinden … verleugnet!

Goͤtt-
[96]Der Meſſias.
Goͤttliche Traurigkeit, dem, den er verleugnete, heilig;

Voller, herzlicher Dank geweiht der Treue des Bruders,

Waren in Simons Augen; allein ſein Mund verſtummte.

Und ſie |hielten, und ſahen ſich kaum. Dann gingen ſie ſeitwaͤrts

Hand in Hand, und ſahen ſich kaum. Zulezt entſanken

Jhre Haͤnde ſich, und ſie verlieſſen einander. Des Troſtes

Stets noch beduͤrftig, noch immer voll heiſſen Durſtes nach Troſte,

Ging der einſame Petrus. Nicht lange, ſo ſchrekt ihn der Anblick

Zweener Maͤnner, die er verehrte. Zwar wollt er entrinnen;

Aber ſie waren zu nah. Kennt uns des goͤttlichen Lehrers

Theurer Juͤnger nicht mehr? Sprach Joſeph von Arimathaͤa.

Simon, wir ſind auch Juͤnger. Doch waren wirs heimlich. Jzt aber

Sind wir bereit, uns zu ihm, vor allem Volk, zu bekennen.

Nikodemus mein Freund, du kennſt den Edlen! er thats ſchon

Vor der Verſammlung des Raths. Mit unerſchuͤttertem Mute

Redt’ er, fuͤr Jeſum. Jch aber, ach ich bekannt’ ihn ſo ſpaͤt erſt!

Nur durchs Weggehn, als Nikodemus der Suͤnder Verſammlung,

Sich nicht mehr zu entweihn, verließ. So hemme denn, Joſeph,

Theurer Joſeh, den Schmerz, (ſprach Nikodemus) der immer

Deine ſanfte Seele noch quaͤlt. Du gingſt ja mit mir weg!

Du bekannteſt ihn ja! Mit thraͤnenhellerem Blicke

Richtete Joſeph ſein Auge gen Himmel: Erhoͤr, o erhoͤre!

Du, Gott Jeſu, und Abrahams Gott, warum ich dich anfleh!

Den ich ſo ſchwach, da er lebte, bekannte, den laß mich, du Helfer!

Wenn er todt iſt, mit Mute vor aller Augen bekennen.

Hier ſchweigt Joſeph. Jndem ſein Gebet zu des Ewigen Throne

Stieg, und zu ihm die Erhoͤrung, mit ihren Gnaden, herabkam;
Wandte
[97]Neunter Geſang.

Wandte ſich Nikodemus zu Petro: Du blickeſt o Simon,

Wehmutvoll von uns weg. Wir fuͤhlens, was du empfindeſt,

Ach, wir empfinden den Tod, ſo den Heiligſten unter den Menſchen

Jzt zu toͤdten beginnt, und vielleicht den gefuͤrchteten Schlag bald,

Bald den lezten gethan hat! Allein, o liebender Juͤnger!

Sag es uns auch, geuß dieſen Balſam in unſere Seelen,

Daß uns dieß dein Auge voll Wehmut zugleich nicht mit ank | agt,

Daß wir vordem den goͤttlichen Mann ins geheim nur bekannten.

Doch wir verdienen es wohl. … Wie ein Baum vom Sturmwind ergriffen,

Nach der Einen Seite von brauſenden Zuͤgen gebogen

Steht; ſo ſtand mit gewandtem Geſichte der bebende Petrus.

Aber izt unterlag er der Angſt, verhuͤllte ſich, flohe,

Suchte Ruh in groͤſſerer Qual. Denn er kehrte mit Eile

Zu dem Todeshuͤgel zuruͤck. Er war zu des Huͤgels

Fuſſe mit ſchwerem Schritte gekommen. Jzt athmet ſein Leben

Schneller, izt wagt ers zum hohen Kreuze die Augen

Aufzuheben; doch nicht bis zu des Sterbenden Haupte.

Unten am Kreuz erblickt er, nicht fern von einander, Johannes

Und des groſſen Geopferten Mutter, beyde vor Jammer

Eingewurzelt, beyde verſtummt, und thraͤnenlos beyde.

Auch nicht fern umgaben das Kreuz nicht wenige Treue,

Die aus Galilaͤa dem Goͤttlichen nachgefolgt waren.

Wie gering von Geburt, wie unbeladen vom Gluͤck ſie,

Und wie unmerklich durch Anſehn auch waren; ſo hat der Geſchichte

Ewigſte doch aus dem redlichen Haufen einige Namen,

Einige theure Namen der Nachwelt der Chriſten erhalten.

Magdale Maria; Maria die Mutter Joſes
II.Band. GUnd
[98]Der Meſſias.

Und Jakobi; Maria, die Mutter der Zebedaͤiden;

Und du, deren Schweſter, die izt, den Beſten der Menſchen,

Jhren einigen Sohn, am langſamtoͤdtenden Kreuz ſah,

Auch Maria genannt; die waren von denen, die naͤher

Kamen zum Kreuz, als viele, die auch den Goͤttlichen liebten!

Magdale Maria war auf die Erde geſunken.

Sehnſuchtvoll, zu ſterben, nun auch zu ſterben! entriß ſie

Jeder Hofnung, ieder Erinnrung der Wunder des Mittlers

Sich mit Ungeſtuͤm! ward von ihrer Traurigkeit Strome

Unaufhoͤrlich ergriffen, und fortgeſchleudert. So lag ſie

Auf dem Huͤgel, und fuͤllte mit ihrer Klage den Himmel!

Sie zu troͤſten geneigt, obgleich ſelbſt troſtlos, redet

Joſes ſanfte Mutter ſie an, und verſtummt im Reden.

Bleich ſtand in der daͤmmernden Nacht der Zebedaͤiden

Klagende Mutter. Sie rang die Haͤnde gen Himmel, und blickte

Starr hinauf: Ob, ſelber die goͤttliche Rache, noch ſaͤume?

Ganz von Schmerzen betaͤubt, und ſo vor Traurigkeit ſprachlos,

Daß die ſchwache Lindrung der Seufzer, auch die ihr verſagt war,

Kniete nicht fern von Maria, der Mutter des goͤttlichen Dulders,

Jhre Schweſter, und ſah in der Nacht den Blutenden ſchweben!

Keiner beklagt wehmuͤtiger dieſe Beaͤngſteten, keiner

Herzlicher, als der gerettete, mitgekreuzigte Juͤngling.
Aber
[99]Neunter Geſang.

Aber auch der Unſterblichen Blicke, den Vaͤtern, entgehen

Dieſer Traurenden Schmerzen nicht ganz; ob ſie am Verſoͤner

Gleich mit jeder von ihren erhabnern Empfindungen hangen.

Abraham hatte die Rettung des mitgekreuzigten Juͤnglings

So mit Freuden des ewigen Lebens erfuͤllt, daß er alles,

Was der Sterbende that, mit inniger Liebe bemerkte.

Jtzo bewegt’ ihn das Mitleid, mit dem der geheiligte Juͤngling

Auf die frommen Leidenden ſahe, ſo ſehr, daß er ſchnell ſich

Seinem verſtummten Erſtaunen entriß, und zu Moſes ſich wandte,

Welcher, verſtummt wie er, bey ihm ſtand. Der erhabene Vater

Von dem zwoͤlfgeſtaͤmmten Judaͤa ſprach zu dem Stifter

Jeuer Huͤtte, die, lange des Allerheiligſten Vorbild,

Opferte, zu dem Schreiber des gottgebotnen Geſetzes:

Was wir ſehen, o Sohn! was dieſe wenigen Stunden

Uns enthuͤllen, davon wird Ewigkeiten dein Vater

Sich mit dir beſprechen. Jzt, da das verſtummende Staunen

Mich verlaſſen hat, wollen wir dieſem graͤnzloſen Meere

Einige Tropfen entſchoͤpfen. Du ſahſt auf Horeb des Mittlers

Herrlichkeit; ich in Mamres geweihtem Haine. Da war er

Sanfter, da toͤnte des Goͤttlichen Mund melodiſche Gnaden.

Eben ſo ſanft, ſo ſuͤßbetaͤubend erklang mir die Stimme

Von dem geretteten Suͤnder, von meinem Kinde! Mein Jubel

Stroͤm in die Jubel der Himmel, daß du die Suͤnder erloͤſeſt,

Gottgeopferter! Wie dem nahen Grabe der Juͤngling

Sanft zulaͤchelt! Wie ihn die Erbarmungen Gottes beſeelen!

Wie der Friede des ewigen Lebens ſich uͤber ihn breitet!
G 2Wie
[100]Der Meſſias.

Wie geruͤhrt er zugleich, obſchon des beſſeren Lebens

Ruhe ſo nah, und wie voll Mitleid die Leidenden anblickt.

Aber daß meine Kinder den Allerheiligſten toͤdten,

Keine Reue ſie ſchmilzt, ſie nicht, wie jener, zuruͤckfliehn:

Ach was wuͤrd ich daruͤber, wofern ich noch ſterblich am Grabe

Stuͤnde, was wuͤrde daruͤber ihr grauer Vater empfinden!

Was mir Gabriel gern verſchweigen wollte, nicht konnte,

Laß Einmal den truͤben Gedanken, doch ſchnell und gefluͤgelt,

Vor dir uͤber, o Sohn, dann zuruͤck zur Vergeſſenheit gehen!

Er, ſo mit dieſen Wunden zum Weltgerichte wird kommen,

Hat den Gottverlaßnen ihr Urtheil prophetiſch geſprochen.

Auch ſie haben es, uͤber ſich ſelbſt, geſprochen! Der Heide

Wollt’ ihn nicht verdammen. Sie aber thatens, und riefen:

Ueber uns komme ſein Blut, und uͤber unſere Kinder!

Ach wenn nur die ſchrecklichen Worte kein Todesengel

Nicht mit eiſernem Griffel in ewige Felſen gegraben,

Und vor Gott ſie geſtellt hat! Jch ſeh, ich ſehe die Voͤlker

Aller Enden, ſo weit der Aufgang und Untergang ſtrahlen!

Alle Menſchen zum Kreuze des Gottverſoͤners verſammelt:

Aber meine Kinder nicht mit! … Jzt erwiederte Moſes:

Vater Jſaks, und Jakobs, und jener Treuen, die dennoch,

Ob das Volk zum Bilde gleich lief, Jehova verehrten,

Davids Vater, und der, die den Gottverſoͤner gebohren,

Und des Vater, der nun die groſſe Verſoͤnung vollendet,

Heb, o Abram, dein Aug auf, und ſieh! Zwar was ich dir ſage,

Weiſt du alles; doch iſt es gut, die geſehene Wahrheit
Wieder
[101]Neunter Geſang.

Wieder zu ſehen. Sie ſind ein Volk des Gerichts, und der Gnade!

Er, der thun wird, was er gethan hat, der Unerforſchte,

Der, mit der Rechten, Erbarmung; Gericht, mit der Linken, herabwinkt,

Hat ſie auf einen Felſen geſtellt, dem Menſchengeſchlechte,

Allen Soͤhnen des Staubs, zum ſtrahlenhellen Beweiſe:

Daß es in ihrer Gewalt ſey, ſich Tod und Leben zu waͤhlen!

Wer nun unter ihnen den warnenden Felſen entdeckt hat,

Wenn ein ſolcher Pilger der Erdewanderſchaft dennoch

Nicht empor ſieht, und lernt, der verwirft ſich ſelber! Sein Blut ſey

Ueber ihm ſelbſt, wenn er, nun jenſeits am Grabe, zum andern

Groͤſſern Tod hinunter gefuͤhrt wird! Hier endete Moſes.

Abram begann von neuem: Du haſt das dankende Laͤcheln,

Sohn, geſehen, mit dem ich dich hoͤrte. Vielleicht, wenn ſie lange,

Zum Beweiſe, geſtanden, zu ſuͤndigen aufgehoͤrt haben,

Denn es ſollen die Soͤhne der Vaͤter Suͤnde nicht tragen!

Dann, o Sohn, dann vielleicht noch werden ſie. … Sanftes Entzuͤcken

Ueberfaͤllt mich, und, Friede von Gott, umlaͤchelt mein Auge!

Ach dann werden ſie noch zum Gottverſoͤner, zum Retter

Aller Menſchen, zu ihm, der ſie des Tags in der Wolke;

Und in ſeiner Flamme des Nachts, nach Kanaan fuͤhrte,

Der am Kreuze fuͤr ſie auch blutete, wiederkommen!

Kommt, kommt wieder, o kommt zu dem, der euch retten will, wieder

Meine Kinder, zu ihm, zu ihm, den ihr toͤdtetet, wieder!

Zum geſchlachteten Lamm! kommt wieder zum ewigen Leben!

Betend ſchaut’ er gen Himmel. Jhn ſah der Geliebte, die Troͤſtung

Seines Alters, ſein Sohn. Der Juͤngling kam zu dem Vater.

Denn es war ihm die Juͤnglingsgeſtalt nach dem Tode gegeben,
G 3Daß
[102]Der Meſſias.

Daß er dem Himmel auf ewig den Gottgeopferten bilde!

Jſak ſprach: Jch ſah in deinem Antliz, o Vater,

Deine Gedanken von fern. Ach, unſre Kinder, ſie toͤdten

Den, ſo fuͤr ſie ſich heiligt, ihn toͤdten ſie! Ewiger Richter,

Du erbarmſt dich noch ihrer, und traͤgſt ſie auf Adlersfluͤgeln,

Wie du aus Aegypten ſie trugſt, zu ihrem Erretter!

Seligkeit gießt mir dieſe Betrachtung, Entzuͤckungen gießt ſie

Mir in die Seele! Noch Eine durchſtroͤmt mich mit heiligem Schauer.

Ach du weiſt es noch wohl, als du auf jenem Gebirge,

Heilig, auf immer heilig iſt mir die Staͤte des Opfers!

Als du dort zum Altare mich fuͤhrteſt. Dein freudiger Sohn ging

Neben dir her, und wollte mit dir dem Ewigen opfern!

Aber, da ich nunmehr auf dem Opferholze gebunden

Lag, und der heilige Brand bey mir aufflammte; mein Auge

Thraͤnend gen Himmel hinaufſah; du mich das leztemal kuͤßteſt;

Dann dich wandteſt, und nun den blinkenden Dolch, den Verderber,

Ueber deinem Geliebten emporhieltſt: … doch das Trauern

Dieſer Stunde verſchweig ich! Jahrhunderte Freuden bekroͤnen

Sie mit Seligkeit! Ach, dein Jſak wurde gewuͤrdigt,

Gottes Opfer, das Opfer, das nun auf Golgatha blutet,

Vorzubilden! Entzuͤckung, und ſanfte Traurigkeit rinnen

Durch mein unſterbliches Leben! Er ſprachs und Abrahams Stimme

Hauchte mit leiſem Liſpeln ihn an. So ſprach ſie zum Sohne:

Laß uns zu dem Geopferten beten! Dann knieten ſie beyde

Dicht an einander. Ein Arm war um den andern geſchlungen,

Jhre Haͤnde, nach Golgatha hin, gefalten, und Abram
Betet’:
[103]Neunter Geſang.

Betet’: O du … allein mit welchem goͤttlichen Namen

Soll ich zuerſt dich nennen, du groſſer Suͤndeverſoͤner?

Oder hoͤrſt du dich lieber, die Wonne der Glaubenden nennen?

Sohn des Vaters! was hab ich, ſeitdem dich in Bethlehems Huͤtte

Eine ſterbliche Mutter gebahr, was hab ich empfunden!

O du weinendes Kind, mit welchem Donner durchſchallteſt

Du die Himmel, als du am Staube der Sterblichen weinteſt!

Unbegriffen von Engeln; doch ihrer Jubelgeſaͤnge

Hoͤchſte Begeiſtrung, huͤllteſt du dich in niedriges Leben!

Kaum, daß ſie dich noch erkannten; du aber thatſt es, und gingeſt

Auf dem erhabnen einſamen Wege daher, und dachteſt

Deinen Tod! … Nun biſt du zum groſſen Ziele gekommen,

Zu dem Ziele, nach dem du ſeit Ewigkeiten herabſahſt,

Lange, lange zuvor, eh ich war! Unendlicher, du nur

Konnteſt dieſen Tod, den Erretter, zum Ziele dir waͤhlen!

Meinen Erretter, und aller Soͤhne des erſten Gefallnen!

Und nun … bluteſt du, nun, … zu ſterben! … Wir halten, o Gottmenſch

Unſer Mitleid zuruͤck! Denn du biſt uͤber das Mitleid

Aller Endlichen weit erhaben. Allein wir empfinden

Dieſen groſſen gefuͤrchteten Schlag, mit welchem der Tod dich

Trift, der die weite graͤnzloſe Schoͤpfung herab und hinauf bebt,

Wir empfinden ihn mit! Erbarme dich unſer, erhabner,

Ewiger Mittler, damit wir ihn nicht zu maͤchtig empfinden!

O du Menſchlicher! mehr, noch mehr erbarme dich jener,

Die am Staube dort ſtehn, dem Staube verwandter, als wir, ſind!

Abraham betete ſo. Sie ſchwiegen beyde. Darauf kehrt

Jſak ſich um, und fragt: Wer ſind die kommenden Seelen,
G 4Die
[104]Der Meſſias.

Die der Cherub gegen das Kreuz herauffuͤhrt? Jndem war

Schon ihr ſchimmernder Haufen dem Kreuze naͤher gekommen.

Wie ein Morgen erhuben ſie ſich. Sie hatten vor kurzem

Jhre Leiber, die ſinkenden Huͤtten, verlaſſen. Es waren

Seelen aus allen Geſchlechten der Menſchen. Von Pole zu Pole

Wurden izt ihre Koͤrper der ſchnellverzehrenden Flamme,

Oder dem Grabe gegeben. Sie waren das kleinere Leben,

Jhrem Herzen getreu, und rein, wie ein Sterblicher rein iſt,

Durchgewandelt: allein kein gottgeſendetes Licht war,

Jhnen zu leuchten, gekommen. Sie fuͤhrte der denkende Cherub

Wie ſie voll des erſten Erſtaunens, uͤber das neue

Hoͤhere Leben, waren, und ſtill zum Allmaͤchtigen flehten,

Tauſend Seelen! Es wandte zu ihnen der Cherub ſein Antliz.

Abraham, und die Vaͤter vernahmens, was er herabrief

Zu den Seelen, indem ſie am nachtvollen Kreuze ſchwebten.

Was ihr ſehet, erwaͤgts mit allen forſchenden Kraͤften,

Die zur Betrachtung euch hat die fromme Bewundrung gelaſſen.

Keiner von denen, die Weiber gebahren, kann ohne den Mittler,

Der am Kreuze vor euch hier blutet, den Ewigen ſchauen.

Seelen, ich ſag euch das groſſe Geheimniß der Ewigkeit. JEſus,

JEſus heißt ſein goͤttlicher Name, der dort fuͤr die Menſchen,

Fuͤr die Verbrecher, die Erben des Todes, dem Richter ſich opfert.

Siehe! des Ewigen Sohn, und einer ſterblichen Mutter,
(Ach dort ſteht ſie am Kreuz!) ward JEſus der Erde gebohren.

Leiden, beten, wunderthun, lehren, leiden, und leiden,

War ſein Leben: und nun, (der ganzen Ewigkeit Wonne
Haͤngt
[105]Neunter Geſang.

Haͤngt daran!) nun ſtirbt er, fuͤr alle Gebohrne der Erde,

Stirbt fuͤr euch! … Waͤr er vom Anbeginne der Welten

Nicht zum Gottverſoͤner erkohren geweſen; ſo ſtuͤrbt ihr

Nun den ewigen Tod, den alle Suͤnder einſt ſterben,

Denen ſein Heil verkuͤndiget wird, und die es verwerfen!

Gott, der euer kuͤnftiges Leben, vor eurer Geburt, ſah,

Weis, ihr haͤttet das Heil des Erloͤſenden angenommen:

Haͤtt’ er das Leben, ſo euch am Staube der Erde beſtimmt ward,

Mit den Tagen der goͤttlichen Botſchaft von Jeſu, verbunden.

Seelen, um Seinentwillen, hat euch das Weſen der Weſen

Von den Strafen der Miſſethat losgeſprochen. Jhr ſeyd nun

Rein vor Gott! … Den ihr zu erkennen rangt, nicht erkanntet,

Er hat eure Thraͤnen geſehn; das Flehn, euch der Suͤnde,

Die ihr fuͤhltet, wie wenig ihr auch die toͤdtende kanntet,

Euch ihr zu entreiſſen, dieß Flehn, unſterbliche Seelen,

Hat er in ſeinem Himmel erhoͤrt! Es betete da ſchon

Der am Kreuze fuͤr euch, daß euch ſein Vater erhoͤre,

Und in euch, die brennende Wunde der Miſſethat, heile!

Denn ihr wart zum ewigen Tode verwundet! … O ſinket,

Sinkt aufs Antliz, und dankt dem Wiederbringer der Unſchuld!

Eurem Mittler! dem Geber des ewigen Lebens dem Dulder!

Jeſu, des Ewigen Sohne! dem Sohne der ſterblichen Mutter!

Unausſprechlich geruͤhrt, voll ſanfter Wehmut und Staunen,

Und von Seligkeit voll, ſank iede der Seelen nieder,

Betete zu dem Sohne, dem wunderbaren Erretter,

Zu dem Sterbenden, der, eh Welten wurden, ſie liebte.

G 5Salem,
[106]Der Meſſias.
Salem, der Engel Johannes, und Selith, Mariens Beſchuͤtzer,

Sprachen, als ſie vor ſich die dankenden Seelen erblickten,

So mit einander: Wie dieſe Begnadigten, Selith, es fuͤhlten,

Daß ſie es ſind! Wie in ihnen den Frieden des ewigen Lebens

Seine Wunden, des liebenden Mittlers Wunden, erſchaffen!

Ach, ſie ſind nun auf immer der Truͤbſal des ſterblichen Lebens,

Sind auf immer den Schmerzen der Staubbewohner entriſſen!

Aber unſre Geliebten … ſo uͤberſchwenglich begnadigt!

Sonſt mit Frieden von Gott, mit ieder Ruhe beſchattet,

Zwar noch Pilger, allein die der Sterblichkeit Buͤrde kaum fuͤhlten!

Aber nun … wie haben, der Mutter, des Freundes Entzuͤckung,

Dieſe Wangen voll Tod, die grabverlangenden Blicke,

Dieſe ſtroͤmenden Wunden getruͤbt! O, Selith, ich fuͤhls auch,

Fuͤhle das Schwert, das ihnen durch ihre Seele geht! … Salem,

Ja! viel Leidende hab ich geſehn, viel duldende Menſchen:

Aber noch keinen ſo elend, als ſie! Doch miſcht ſich Bewundrung

Jn mein Mitleid. Denn was fuͤr ein Anblick iſt dieſem zu gleichen,

Menſchen, die der Ewige liebt, ſo leiden zu ſehen?

Doch was dabey mein Erſtaunen mit ſtiller Beruhigung mildert,

Jſt die Troͤſtung, die Gott dann oft den Leidenden ſandte,

Wenn ſie nun kaum noch hoften, und wenn die blutende Wunde

Jhnen am tiefſten in ihren zerrißnen Seelen izt brannte.

Und, o Salem, wenn die Begier, die beyden Geliebten

Wieder in Gottes Ruhe zu ſehen, Selith nicht taͤuſchte;

Sah ich, eben izt ſah ich im ſanften Auge des Mittlers

Kommende Troͤſtung fuͤr ſie! So ſagte Selith, und irrte

Nicht in ſeinen Gedanken. Des Gottverſoͤners Erbarmung
Konnte
[107]Neunter Geſang.

Konnte ſich, gegen Johannes, und, gegen die qualvolle Mutter,

Laͤnger nicht halten. Er ſah auf ſie mit Blicken herunter,

Durch die, in ihr hinſinkendes Leben, ein neues herabrann.

Und er neigte ſein goͤttliches Antliz, ſie anzureden,

Gegen ſie nieder. Es hoͤrte mit bebendem Warten die Mutter

Freudigbang, als ob ſie vom Tod erwacht’ in die Hoͤhe.

Und die Stimme des ewigen Sohns kam zu ihr herunter:

Meine Mutter! er iſt dein Sohn! darauf zu dem Juͤnger:

Sie iſt deine Mutter: Die beyden Liebenden wandten

Sich, mit Staunen, und Dank, und Thraͤnen, gegen einander.

Aber der Sterbende hing, von Gottes Gerichte belaſtet,

Litt, was zu denken die Seel’ erbebt; was zu ſagen, die Sprache,

Selbſt der Himmel, die Gott am Throne beſingt, verſtummet!

Stille voll Tiefſinn umgab den Todeshuͤgel. Die Erde

Zittert unaufhoͤrlich in ihren Tiefen; doch wurden

Jhre verborgneren Schauer noch nicht in den Gegenden hoͤrbar,

Wo Jeruſalem lag. Erſt einmal war die Erſchuͤttrung

Zu der Empoͤrerinn aufgeſtiegen. Ein dunkles Gefuͤhl nur,

Etwas, welches von fernher ſchreckte, mit Ahndung von Rache,

Wegen des Bluts, das izt floß! befiel die Herzen der Menge.

Und der Erde geheimes Entſezen durchbebt izt die Kluͤfte

Eines finſtern Felſengebirgs, zu welchem, um einſam

Jn den Tiefen der Erde zu trauern, ferne vom Oelberg

Abbadona geflohn war. Er ſaß am Hange des Felſen,
Sah
[108]Der Meſſias.

Sah dem ſtuͤrzenden Strom, ſo bey ſeinen Fuͤſſen herabfiel,

Starrend nach, begleitete, mit hinhoͤrendem Ohre,

Jeden Donner des ſchaͤumenden Stroms, der hinab von den Hoͤhen

Ueberhangender Berge von Abgrund zu Abgrund ſich waͤlzte.

Schnell empfindet er unter ſich wandelndes Beben; dann ſtuͤrzen

Neben ihm Felſen hin! Abbadona erſchreckte der Erde

Lautes Trauren! So nannt’ er ihr Zittern. Bejammert die Erde,

Daß der Staub ihr Kinder gebahr? und iſt ſie ermuͤdet,

Jhrer Kinder Verweſung in ihrem Schooſſe zu tragen,

Jhnen ein ewiges Grab, das ſtets von neuen Gebeinen

Schwillt, inwendig fuͤrchterlich iſt, obs auſſen der Fruͤhling

Gleich mit Blumen beduftet? Ach, oder beklagt ſie den groſſen,

Goͤttlichen Mann, den ich in jener Mitternacht ſahe?

Leiden ſahe, was nie noch ein Endlicher litt? Was iſt wohl

Jzt ſein Schickſal? Und warum verweil ich, ihn wieder zu ſuchen?

Jſt mir die Hand des ernſten Gerichts auf der oberen Erde

Etwa naͤher, als hier? Jhr kann ich nirgends entfliehen!

Floͤh ich auch aus der Schoͤpfung, ſie wuͤrde doch mich ergreifen!

Ja, ich ſuch ihn! Jch will den Ausgang der furchtbaren Leiden

Sehen, will ganz die wunderbare Begebenheit wiſſen!

Aber wenn ihn nur nicht ſo viele himmliſche Schaaren

Stets umgaͤben! Als ich juͤngſt vor ihm flohe, wie ſchrekte

Mich ihr ſchleuniger Anblick! Und wagt ich, der himmliſchen Schimmer

Nachzuahmen, und kuͤhn in einen Engel des Lichts mich

Zu verwandeln; wuͤrden mich nicht die Blitze des Richters

Schnell enthuͤllen? die Engel mich dann in meiner Geſtalt ſehn?

Aber Satan thut es ja, er, ſo durch groͤßre Verbrechen
Gott
[109]Neunter Geſang.

Gott erzuͤrnt hat, als ich! der unnachlaſſende Suͤnder

Thuts! Dazu verheel ich in meinem qualvollem Herzen

Keinen niedrigen Zweck, warum ich mich alſo verſtelle!

Aber ſoll ich es, ſoll ſich Abbadona verſtellen?

Geh, Verworfner, in deinem Elend! … Alſo beſchließ ich

Nicht zu gehn? und das Ende des wunderbarſten der Leiden

Nicht zu wiſſen? Denn wie vermoͤcht ich, die Blicke der Engel

Zu empfinden, und nicht zu fliehn? So denkt er, und ſchwingt ſich,

Zweifelhaft noch, aus den Tiefen empor. Kaum hat er der Erde

Oberſten Staub betreten, als er mit Staunen zuruͤckbebt.

Denn er ſahe vor ſich in ſchreckenden Naͤchten die Erde

Liegen. Am Mittage, (dacht er) in dieſen belaſtenden, bangen

Finſterniſſen! Jſt ſie nun auch dem ernſten Gerichte

Reif geworden? Und ſoll ſie vergehn? Des Ewigen Schrecken

Ruhen auf ihr! Die Hand des Allmaͤchtigen hat ſie ergriffen!

Und warum? Hat ihr Schooß den wunderbaren Erdulder

Jn ſich begraben, und fordert von ihren Soͤhnen ihn Gott nun?

Aber kann Er ſterben? Wohin ich blicke, verwirrt mich

Jeder neuer Gedanke! Viel beſſer eil ich, und ſuch ihn,

Seh ihn, und lerne dadurch, als daß ich einſam hier gruͤble.

Als er ſo ſich entſchloß, ſtand er am waldigten Gipfel

Eines Gebirgs, und ſucht’, in der uͤberhuͤllenden Daͤmmrung,

Lange ſucht’ er die heilige Stadt mit fliegenden Blicken;

Sah ſie endlich, wie Truͤmmern, auf denen bewoͤlkender Dampf ſchwimmt,

Vor ſich liegen. Und nun (Jhm bebten ſeine Gebeine,

Da er es that!) nimmt er die Geſtalt der Engel des Lichts an;
Seine
[110]Der Meſſias.

Seine Juͤnglingsgeſtalt, womit er im Thale des Friedens

Schimmerte! Doch ſie war ein fernnachahmendes Bild nur

Zwar floß glaͤnzendes Haar auf ſeine Schultern hernieder,

Unter den glaͤnzenden Locken erklangen goldene Fluͤgel,

Und die Klarheit des werdenden Tags bedeckte des Seraphs

Leuchtendes Antliz: allein ſein Aug’ hielt Thraͤnen zuruͤcke!

Und nun flog er den bebenden Flug. Wo am dickſten die Nacht lag,

Dieſer Gegend naͤhert’ er ſich. Zum Todeshuͤgel

Stroͤmt am dickſten die Nacht vom ſchweigenden Himmel herunter.

Als er uͤber dem Ufer des todten Meeres heraufſchwebt,

Hoͤrt er ungewoͤhnliches Bruͤllen der ſteigenden Waſſer;

Mit der Wogen Gebruͤlle, gequaͤlter Verzweiflungen Jammern!

So, wenn im Erdbeben, gerichtbelaſteter Staͤdte

Wenn nun Eine der groſſen Verbrecherinnen verurtheilt

Jm Erdbeben verſinkt, ſo winſeln dann mit dem Schlage,

Jenem dumpfen Schlage der unterirrdiſchen Rache

Todesſtimmen herauf! Noch einmal erzittert die Erde,

Und noch einmal ertoͤnen mit ihr, entheiligte Tempel,

Stuͤrzende Marmorhaͤuſer, und ihrer zu ſichern Bewohner

Todesſtimmen! Es flieht der bleiche, rufende Wandrer!

Abbadona vernimmt mit des todten Meeres Getoͤſe

So der beyden Gerichteten Bruͤllen, erkennt ſie, entſezt ſich,

Flieht mit wankendem Fluge die jammerhallenden Ufer.

Und nun naͤhert er ſich dem Kreiſe der Engel. Ein ſchnelles,

Unbezwingbares Schrecken befiel ihn, als er den vollen,

Majeſtaͤtiſchen Kreis der Ungefallnen erblickte!

Bald waͤr ſeine lichte Geſtalt in entſtellendes Dunkel
Wieder
[111]Neunter Geſang.

Wieder zerfloſſen! Die aͤuſſerſten Engel, vertieft in das Anſchaun

Deß, ſo den wunderbaren, den ſuͤndeverſoͤnenden Tod ſtarb,

Merkten den Kommenden nicht. Allein Eloa erblickt ihn,

Schnell erkennt er ihn, denkt: Der Gottverlaßne! der bange,

Qualvolle Seraph will er den Gekreuzigten ſehen? … Er ſah ihn

Schon am Oelberge leiden! Er ſucht ihn wieder! Wie elend

Jſt er! … Von dieſer gebeugten und daurenden Reue geſchmolzen!

Faſt ſeit ſeiner Erſchaffung in dieſe Thraͤnen ergoſſen! …

Gott! Weltrichter! du wirſt mit ihm es alles vollenden,

Was du beſchloſſeſt! … Und ich, wie koͤnnt ich uͤber ſein Schickſal

Noch erſtaunen? Jſt nicht, durch den die Unſterblichen wurden,

Jeſus Chriſtus am Kreuze, den ewigen Tod zu erdulden:

Und den Tod der Menſchen zu ſterben? … Er fiel auf ſein Antliz

Betend nieder, und lag, und weinte zum groſſen Erdulder!

Jzt erhub er ſich, winkte der Engel einem. Der Seraph

Stand vor ihm da. Es ſagt’ Eloa: Fleug zu den Engeln

Und den Vaͤtern, ſage zu ihnen: Mit zweifelndem Zittern

Naht ſich euch Abbadona. Wofern er, in eure Verſammlung

Noch zu kommen, es wagt; ſo laßt den Trauernden kommen.

Denn er naht ſich mit Thraͤnen, den ſterbenden Mittler zu ſehen.

Keiner gebiet ihm zu fliehn! Laßt ihm die qualvolle Lindrung!

Denn es umgeben das Kreuz noch groͤßre Suͤnder, als er iſt!

Abbadona umzitterte noch der Engel Verſammlung,

Zweifelte, ſchwebt’, und ſtand, und ſchluͤpft’ am Boden. Er waͤre

Gerne geflohn. Allein er ermannte ſich durch den Gedanken:

Keinen Geringeren, als den Verſoͤner, koͤnne der groſſe
Feſtliche
[112]Der Meſſias.

Feſtliche Kreis der Engel umgeben. Jzt wagt ers, und ſchwebte

Jn den ſchreckenden Kreis. So wie die Engel ihr Antliz

Wandten, und ihn erblickten; ſo ſahn ſie, die bange Verſtellung,

Todtes Laͤcheln, und Glanz, der keine Seligkeit ſtrahlte,

Tauſendjaͤhrigen Gram, unuͤberwindliches Trauern,

Abbadona! Sie lieſſen mit ſtillem Mitleid ihn fortgehn.

Und er naͤherte ſich dem nachtbelaſteten Huͤgel;

Sah die Gekreuzigten; wandte ſich. Nein ich will ſie nicht ſehen,

Nicht der Sterbenden Antliz! Jhr Leiden verwundet zu tief mich!

Fuͤhrt zu graunvolle Bilder vor meinen Gedanken voruͤber!

Klagt zu laut vor dem Richter mich an! Denn, ach, der gewandte,

Kurze, fliegende Blick auf ihre Wunden, durchflammt mich

Schon mit wuͤtender Angſt! … Mitungluͤckſelige Menſchen,

Und ſo ſehr mitſchuldige, daß, durch ſchwarze Verbrechen,

Eure Bruͤder euch zwingen ſie, vor dem Antliz der Sonne,

Feyerlich vor unzaͤhlbarer Mengen Verſammlung, zu toͤdten!

Nein, es ſoll ſie mein Auge nicht ſehn, die ihr izt der Verweſung,

Grauſam oder gerecht, zuſendet! … Dem truͤben Gedanken,

Qualenvoller, entreiß dich dem aͤngſtlichen Todesgedanken.

Den ich ſuche, wo find ich ihn auf? Ja, dieſe Verſammlung

Aller Himmel, ſie iſt nicht umſonſt herunter geſtiegen!

Sie umgiebt ihn! Er iſt in dieſem heiligen Raume!

Aber, wo? … Am Oelberge war das furchtbarſte Dunkel,

Wo er war! Doch hier ſtroͤmts auf den gebeinvollen Huͤgel!

Und da kann er nicht ſeyn! Wenn mir ein Engel ihn zeigte!

Wenn ich fragen duͤrfte, dann mir ein Engel ihn zeigte!

Ungluͤckſeliger! … Wenn ſie mich nur an dieſer Erſchuͤttrung,
Dieſer
[113]Neunter Geſang.

Dieſer ſchleunigen Wehmut, nicht kennen, zu fliehn mir gebieten! …

Nein! ſie bemerken mich nicht, vertieft in groſſe Gedanken

Von dem goͤttlichen Manne, zu dem der Richter ſie ſandte!

Ach wo iſt er? Jſt er vielleicht in des deckenden Tempels

Allerheiligſten? Betet er dort von neuem? Und ſoll ihn,

Wie er leidet, kein Endlicher mehr, nicht den blutigen Schweiß ſehn,

Der von ſeinem Angeſicht rinnt? … Doch der himmliſchen Augen

Sind mehr auf den Huͤgel, als auf den Tempel, gerichtet;

Wenn ich anders es ſehe, wohin ſie blicken. Verworfner!

Ja, ſo biſt du erniedrigt, du darfſt dein ſchamvolles Auge

Nicht zu den Gottgetreuen erheben, obgleich du es wagteſt,

Jhnen ſelber in ihrer verklaͤrten Geſtalt dich zu zeigen!

Auf dem gebeinvollen Huͤgel? … Vielleicht, daß er dort, wo Verbrecher,

Dieſe lauteſten Zeugen des Falls der Sterblichen, bluten,

Was er auf Erden zu leiden beſchloß, vollendet? Vielleicht liegt

Unter Gebeinen der Goͤttliche dort, und betet zum Richter?

Ach ſo muß ich denn wieder zum Todeshuͤgel mein Antliz

Wenden! Er wandt es; doch ſchwebt’ er mit bangem, ſaͤumenden Fluge;

Seitwaͤrts ſchwebt’ er hinab, und ſuchte lange mit ſcharfen,

Schnellen Blicken unter den Kreuzen. Er findet Johannes,

Und begleitet mit ſeinem Auge die Blicke des Juͤngers.

Und der Geopferte fuͤr die Verbrecher hing in der Nacht hin;

Schien mit brechendem Aug’ ein Grab, zur Ruhe, zu ſuchen!

Als von dem erſten Entſetzen ſich Abbadona emporwand,

Dacht er: Es iſt nicht moͤglich! Es iſt nicht moͤglich! Er iſts nicht!

Sterben? … Es iſt nicht moͤglich! … Allein, ihr Himmel! (Was wag ich,

Mir zu uͤberreden? … Jch taͤuſche mich nicht! Jch ſeh ihn!)
II.Band. HJa,
[114]Der Meſſias.

Ja! er iſt es dennoch! … Ach, den ich am Oelberge ſahe

Leiden ſahe, was nie noch ein Endlicher litt, dein Opfer,

Unerbittlicher Richter, er iſts! … Jzt ſank er zum Huͤgel

Tiefer hinab. Hier will ich am Staube der Erde, (ſo dacht er,)

Auf den Ausgang des wunderbarſten aller Gerichte,

Warten; und, wenns ein Endlicher kann, den goͤttlichen Dulder

Sterben ſehn! … Was iſt es in mir, ſo wie Ruhe mich lindert?

Jſts Betaͤubung der Angſt? wie? oder wirkliche Hofnung?

Ach der Hofnungen beſte, vernichtet zu werden? O taͤuſche,

Einzige Hofnung, taͤuſche mich nicht! Mich deucht ja, ich duͤrfe

Um die Vernichtung dem Richter izt flehn! Es deucht mich, er werde

Jzt mich erhoͤren! … O wenn der goͤttliche Dulder ſein Haupt nun,

Richter der Welt! am Kreuze geneigt hat, und du, ein Raͤcher,

Daß wir die Suͤnd erſchufen; zur Suͤnde die Menſchen verfuͤhrten!

Einige dieſer Verbrecher, als Todesopfer, dem Schatten

Deines Getoͤdteten weihſt, und um ſein Grab ſie vernichteſt!

Ach, dann ſondre mich auch, mich den verworfenſten Suͤnder,

Abbadona mit aus, daß du dem Todten mich opferſt!

Ach, dann bin ich nicht mehr! Dann fuͤhl ich der naͤchtlichen Qualen

Flamme nicht mehr! Jch war einmal! Dann bin ich vergangen!

Aus der Weſen Reihe verloͤſcht! auf immer vergangen!

Von den Engeln, von allen Erſchafnen, von Gott, vergeſſen!

Sieh, ich ſtrecke mein Haupt, Gott, deiner Allmacht entgegen!

Wuͤrdige, Richter der Welt, mich, daß ihr geheimes Beruͤhren,

Oder ihr fallender Bliz, aus deiner Schoͤpfung mich tilge!

Alſo wuͤnſcht, ſo waͤhnet er, hoffen zu duͤrfen; erfreut ſich,

Und entſezt ſich, uͤber die Hofnung! Er ſchwebt am Staube,
Blickte
[115]Neunter Geſang.

Blickte zum blutvollen Kreuz hinauf, zum ſterbenden Mittler,

Dachte, mit iedem fliegenden Blicke, der Goͤttliche wuͤrde,

Nun! nun! ſterben! Und truͤberes Schrecken, vernichtet zu werden!

Ueberfiel, mit iedem Gedanken, ihn! Sichtbar verdunkelt,

Stand er, und ſtrebt’, und rang, die lichte Geſtalt zu behalten!

Als er ſo ſich beſtrebt, und ſich in der Bangigkeit wendet,

Sieht er nicht ferne von ſich, bey einem der Kreuze, zur Rechten

Jenes erhabneren Kreuzes, das mitten ſchreckender aufſtieg

Sieht er dort auf Einmal den mitgeſchafnen, geliebten,

Furchtbaren Abdiel ſchweben! … Die ringsumglaͤnzenden Engel

Huͤllt’ ihm izt Dunkelheit ein! Die Schoͤpfung ward ihm enge!

So ergrif ihn die Angſt, es werde ſein Freund ihn erkennen:

Was in ihm unſterbliches war, die geiſtigen Kraͤfte

Alle, ruft er zuruͤck, daß Abdiel ihn nicht erkenne!

Eilend, als waͤr er von Gott, aus fernen Welten, zu andern

Fernen Welten, geſandt, und duͤrft’ auf der Erde nicht weilen;

Wandt’ er zu Abdiel ſich, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Sag, Geliebter, du weiſt es vielleicht: Wenn iſts dem Verſoͤner

Daß er ſterbe, geſezt? Mir iſt zu eilen geboten,

Und ich wuͤnſche doch auch, den heiligen, gottgewaͤhlten,

Schrecklichen Augenblick, wo ich auch ſey, anbetend zu feyern!

Abdiel ſtand gewendet. Allein izt kehrt er ſein Antliz

Auf den Verlornen, und ſpricht mit Ernſte, den Wehmut mildert:

Abbadona! … So ſteigt ins Geſicht des bluͤhenden Juͤnglings,

Den der rufende Blitz erſchlug, die Farbe des Todes

Schnell herauf! So ſtroͤmte die Nacht des Abgrunds ins Antlitz
H 2Abba
[116]Der Meſſias.

Abbadonas empor! Die Heiligen ſahen ihn alle

Dunkel werden! Er floh aus ihrem ſchreckenden Kreiſe!

Als er am fernen Himmel bey einem Huͤgel hinabſank,

Kam an der andern Seite des Huͤgels, ein angſtvoller Schatten

Dunkler, als Abbadona, herauf. Die Himmliſchen ſahn ihn.

Und es ſagte zum andern der Himmliſchen einer: Wer iſt er

Jener Verworfne, der dort vom Huͤgel gegen uns herkoͤmmt?

Wie die Hand des Gerichts ihm ſeine Stirne gebrandtmarkt,

Wie der ewige Tod den Gottverlaßnen entſtellt hat!

Aber er wagts, in unſre Verſammlung zu fliehn? … Doch ich ſtaune

Jtzo, Geliebter, nicht mehr. Siehſt du den hohen Obaddon,

Der dem Schatten gebeut? Ach, es iſt der Geiſt des Verraͤthers!

Jtzo brachte den bangen Verworfnen der Todesengel

Naͤher zum Kreuz heruͤber. Nun ſahn ihn die Himmliſchen alle!

Dunkel, ein Flecken der Nacht, die uͤber den Erdkreis herabhing,

Angſtvoll, als wenn, wohin er auch ſchwebte, ſich uͤber ihm Blitze

Zu entzuͤnden, unter ihm ſich die Erde zu oͤfnen,

Jene des Raͤchenden Feuer auf ihn herunter zu ſchleudern,

Dieſe mit gleichem Ergrimmen ihn zu verſchlingen, bereit ſey:

Alſo naͤherte ſich des Verraͤthers Schatten dem Kreuze.

Und er ſahe, (Das muſt’ er!) zum Todesengel Obaddon

Unverwendet empor. So wie die Rechte des Seraphs,

Und, in der ſchreckenden Rechte, das flammende Schwert ſich bewegte

Und den Flug ihm gebot; ſo flog der gerichtete Suͤnder.

Und es blieb Obaddon auf einer hangenden Wolke

Mit dem Bebenden ſtehn, und ſprach mit gebietender Stimme:

Schau,
[117]Neunter Geſang.
Schau, Verworfner! … Da liegt Bethanien! … Kaiphas Huͤtte

Hier! … dort unten das Haus, wo du ſeines Todes Gedaͤchtniß

Auch mit empfingſt! … Da iſt Gethſemane! … jener, dein Leichnam! …

Bebſt du? … Aber fleuch nicht! Er ſtreckte das flammende Schwert aus.

An dem Kreuze, da naͤchtlicher uͤber die andern heraufragt,

Der iſt Jeſus Chriſtus! … Er ſtirbt, Sich, fuͤr die Menſchen,

Gott zu opfern; ihr Leben, und ihren Tod zu verſuͤſſen;

Sie dem Tode, den du izt leideſt, dem ewigen Tode

Zu entreiſſen; und ſie zu erhoͤhn zum Anſchaun der Gottheit! …

Dieſe Wunden, aus denen das gottverſoͤnende Blut quillt,

Glaͤnzen, wenn er mit ihnen dereinſt, ein Richter der Welt, koͤmmt!

Und nun wende dich, Todter! Mit niedergebuͤckter Verzweiflung

Wandte der Todte ſich weg. Von ihm entlaſtet Obaddon

Schnell der Heiligen Kreis. Schon ſchweben ſie unter Geſtirnen.

Und die unuͤberſehbare Weite der ſchweigenden Schoͤpfung

Schrekt den Verraͤther. Ein ſchneller, ihm qualenvoller Gedanke,

Vom allgegenwaͤrtigen Richter, befaͤllt ihn! Lange

Zittert er, eh er es wagt, zum Todesengel zu ſagen:

Fuͤrchterlichſter der Engel, vernichte mit dieſem entflammten

Blitzewerfenden Schwerte mich! Ach, zum ewigen Richter!

Fuͤhre zu ſeinem Throne mich nicht! … Gehorch, und verſtumm du!

Alſo gebot ihm der Todesengel, und fuͤhrt’ ihn erzuͤrnter.

Und nun ſtand auf einer der Sonnen, (Obaddon befahls ihm)

Judas Jſchariot ſtill, bey ihm der Engel des Todes.

Und er zeigte dem Suͤnder von fern den Himmel der Gottheit,
H 3Jhrer
[118]Der Meſſias.

Jhrer ſichtbarſten Herrlichkeit Staͤte, die Staͤte des Anſchauns!

Ob der Richter izt gleich in heiliger Dunkelheit thronte,

Und die Halleluja des ewigen Lebens, die Feyer

Seiner Gerechten um ihn, und ihre Wonne, verſtummten:

So war doch der Himmel nicht minder Himmel, der Gottheit

Wuͤrdiger Sitz; und, ſelbſt fuͤr die Erſten der Seligen, hatt’ er

Nichts von ſeiner, den Menſchen undenkbaren Wonne, verloren!

Dieß, (ſo ſagt’ Obaddon zum Gottverworfenen,) dieß iſt

Gottes Himmel, der Schauplatz der ſeligſten Offenbarung,

Welcher die, ſo ihn lieben, der Unausſprechliche wuͤrdigt!

Gott hat vor den Endlichen izt ſein Antliz verborgen!

Auf dem Throne der Nacht, (Fall nieder, beb, und verzweifle!)

Heilige Nacht, wie ſie dein neues Auge noch nie ſah.

Schreckend umhuͤllt, dort ſchauen wir ſonſt die Herrlichkeit Gottes

Jener himmliſche Huͤgel, er heiſſet Sion. Auf ihm wird

Er, der fuͤr die Menſchen vom Anfang der Welten erwuͤrgt iſt,

Oft den vollendeten Frommen mit ſeinen Gnaden erſcheinen!

Zwoͤlfe jener goldenen Stuͤhle, die du auf Sion

Gleich den Sonnen erblickſt, ſie ſind des Erloͤſenden Juͤngern

Von dem groſſen Belohner beſtimmt. Auf dieſen, Verraͤther,

Richten die Juͤnger dereinſt die Welt. Du warſt ein Juͤnger! …

Jammre nicht, vernichtet zu werden! du jammerſt vergebens!

Schau! So viele der Herrlichkeiten des Himmels dein Auge

Zu entdecken vermag: ſo viele Qualen hat Gott dir

Hier, Gerichteter, zugemeſſen! Vergebens beſtrebſt du

Dich, Ohnmaͤchtiger, nicht zum Himmel hinuͤber zu blicken!

Lerne des Richtenden Allmacht erkennen. Dem Felſen im Meer gleich,
Den
[119]Neunter Geſang.

Den kein Sturm nicht bewegt, ſollſt du hier ſtehen, und ſchauen!

Daß er, in dieſen Himmel, zu dieſer ewigen Ruhe,

Die ihn lieben erhoͤh, ſtirbt Jeſus Chriſtus am Kreuze!

Mit den Worten verließ ihn Obaddon, und ſchwebte zum Himmel

Weiter hinuͤber, und blieb auf einer der Sonnen des Himmels,

Anzubeten. … Jzt koͤmmt er zuruͤck von ſeinen Gebeten

Zum Verworfnen, der ſteht, und ſchaut, und ewigen Tod fuͤhlt!

Wende, Todter, dich! komm! Jch fuͤhre dich itzo zur Hoͤlle,

Deiner ewigen Wohnung! So ſprechen Donner! So ſprach es,

Mit entſetzlicher Stimme, der Todesengel, und eilte.

Und ſchon naͤherten ſie der Hoͤlle ſich, hoͤrten von ferne

Jhr Getoͤſe, das an der aͤuſſerſten Schoͤpfung Geſtade

Bruͤllend ſchlug, und unter den naͤhſten Sternen verhallte.

Jn dem Raume, den ihr Gott in dem Unendlichen abmaß,

Waͤlzt ſie ſich, keiner Ordnung gehorſam, auf und nieder,

Keinem Geſetze der langſamen, oder ſchnellen Bewegung.

Fleugt ſie eilend einher; ſo hat ihr der Richter geboten,

Jhrer Bewohner neue Verbrechen, durch wildere Flammen,

Durch geſchaͤrftere Pfeile des ewigen Todes, zu ſtrafen!

Jtzo flog ſie mit wuͤtendem Eilen herauf. Der Verworfne,

Und ſein maͤchtiger Fuͤhrer, verlaſſen die Graͤnzen der Welten,

Schweben hinab zur Pforte der Hoͤlle. Der Engel des Todes

Der ſie huͤtet, erkennt Obaddon, ſieht den Verbrecher,

Der ſich neben ihm kruͤmmt, und zu entfliehen, ſich martert.

Aber, unter dem flammenden Schwerte gebuͤckt, muß er eilen!

Und der herrſchende Seraph, der Abgrunds Huͤter, eroͤfnet

Mit weitſchmetterndem Krachen die diamantene Pforte.
H 4Laͤgen
[120]Der Meſſias. Zehnter Geſang.

Laͤgen Gebirge darinn, ſie wuͤrden den graunvollen Eingang

Nicht ausfuͤllen: ſie wuͤrden nur rauher ihn machen! Obaddon

Bleibt mit dem Todten hier ſtehn. Es fuͤhrt kein Weg zu der Hoͤlle

Schreckenden Tiefen. Es waͤlzen ſich, dicht bey der Pforte, die Felſen

Unabſehnlich hinab, durch treufelndes Feuer geſpalten.

Schwindelnd, ſprachlos, und bleich, mit weitvorquillendem Auge,

Blickt das Entſetzen hinunter. Der goͤttlichen Rache Vollender

Stand (hier ſchlaͤft der Tod nicht) an dieſem Grabe mit dir ſtill,

Juda Jſchariot, Gottverraͤther! … Es ſagte der Seraph

Weggewendet, allein ſein niederſinkendes Schwert wies

Jn die Tiefe: Dieß iſt der Gerichteten Wohnung, und deine!

Daß die Erdegebohrnen, die Suͤnder, nicht alle den Tod hier

Leiden, den ewigen Tod, ſtirbt Jeſus Chriſtus am Kreuze!

Alſo ſagt er, und ſtuͤrzt den Todten hinab in den Abgrund!

Eilt, entſchwingt ſich der Hoͤlle, durchfliegt die Welten. Jzt koͤmmt er

Zum Altar des geopferten Gottes, zu Golgatha wieder,

Steht, und wartet auf neue Befehle der zuͤrnenden Allmacht.



[[121]]

Der
Meſſias
.
Zehnter Geſang.


H 5
[[122]]

Jnhalt
des zehnten Geſangs.


Der Vater ſieht von ſeinem Throne auf den Sohn herunter. Der
Meßias empfindet, daß Gott noch nicht verſoͤnt ſey. Er fuͤhlt
den naͤheren Tod. Er ſieht nach ſeinem Grabe hinunter, und betet
ins Geheim fuͤr die Sterbenden. Darauf wendet er ſein Antliz nach
dem todten Meere. Satan, Adramelech und die Hoͤlle empfinden ſein
Gericht. Jzt blickt der Verſoͤner auf die Schaaren der Heiligen um-
her, die das Kreuz umgeben. Er verweilt am laͤngſten bey den See-
len des zukuͤnftigen menſchlichen Geſchlechts. Es war izt einer der
groſſen Zeitpunkte gekommen, in welchen viel edlere Seelen der Erde
gegeben werden. Eh dieſe noch von ihren Schutzengeln mit ihren Lei-
bern vereinigt werden, entwickelt eine von denſelben ihre Gedanken
uͤber den ſterbenden Verſoͤner. Nun ergeht der Befehl des Meßias.
Er ſegnet die Seelen, indem ſie von den Engeln fortgefuͤhrt werden.
Die Charaktere dieſer Seelen. Da ihre Engel mit ihnen vor den
zwanzig Palmen am Oelberge voruͤber ſchweben, wo der Erloͤſer das
erſte Gericht erduldet hatte; ſo ſegnen ihnen die Seelen der Vaͤter,
die dort verſammelt ſind, nach. Einige von dieſen Vaͤtern werden ge-
nannt. Ein Geſpraͤch zwiſchen Simeon und Johannes dem Taͤufer.
Mirjam und Debora klagen den ſterbenden Verſoͤner in einem Liede.
Er koͤmmt dem Tode ſichtbar naͤher. Die meiſten Frommen entfernen
ſich. Lazarus geht Lebbaͤo nach, ihn zu troͤſten. Lazarus hatte, ſeit
der Kreuzigung Jeſu, faſt eben die Empfindungen gehabt, derer er
ſich von der Zeit, da er todt geweſen war, erinnerte. Es deucht ihn,
als wenn er unter Unſterblichen ſey. Jndem er hiervon mit Lebbaͤus
redet, ſchwebt Uriel voruͤber, deſſen weggewendeten Glanz er ſieht.
Uriel kuͤndigt der Verſammlung der Heiligen an, daß er den erſten der
Todesengel gegen die Erde herkommen, geſehen habe. Der Eindruck,
den dieſe Nachricht auf die Vaͤter, und unter dieſen auf Henoch, Abel,
Seth, David und Hiob, am vorzuͤglichſten aber, auf unſre erſten El-
tern, macht. Dieſe ſchweben zu dem Grabe Jeſu hinab. Sie erin-
nern ſich, in einem Gebete an den Meßias, ihres Falls. Sie dan-
ken, daß ſie Gnade erlangt haben. Der Verſoͤner ſieht voll Barm-
herzigkeit auf ſie herunter. Hierauf beten ſie, fuͤr das menſchliche Ge-
ſchlecht. Eloa ruft von der Zinne des Tempels, der Todesengel komme!
Dieſer trit auf den Sinai, fleht zum Meßias, um Staͤrke, den Be-
fehl Gottes zu vollbringen, ſteht auf, und ſagt, was ihm
Jehova geboten hatte. Der Meßias ſtirbt.


[]
Figure 1. Zehnter Geſang.

[figure]
[][[123]]
Der
Meſſias.
Zehnter Geſang.


Jmmer weiter komm ich, auf meinem furchtbaren Wege,

Jm̃er naͤher zum Tode des Sohns. Ach, waͤrs nicht der Liebe,

Nicht der Tod der ewigen Liebe; ſo wuͤrd ich erliegen,

Unter der Laſt der Betrachtung! Auf beyden Seiten iſt Abgrund

Da zur Linken: Jch ſoll nicht zu kuͤhn von dem Goͤttlichen ſingen!

Hier zur Rechten: Jch ſoll ihn mit feyrlicher Wuͤrdigkeit ſingen!

Und ich bin Staub! … O du, deß Blut auf Golgatha ſtroͤmte,

Deſſen Allgegenwart mich, von allen Seiten, umringt hat,

Du erforſcheſt meine Gedanken! Du ſieheſt es alles,

Was ich denke, vorher, du Naher! Ja, ſelber kein Wort iſt

Mir auf der Zunge, das du nicht wiſſeſt. Mein Gott! mein Verſoͤner

Leite mich, mein Verſoͤner, und, wenn ich ſtrauchle, vergieb mirs.

Deines Lichts Ein Schimmer, von deiner Gnad Ein Tropfen,

Jſt, dem Erkenntnißbegierigen, iſt, dem Durſtenden, Fuͤlle!

Von
[124]Der Meſſias.
Von dem Throne, der ſonſt, die hellſte ſichtbare Schoͤnheit,

Leuchtete, nun in ſchreckenerſchaffende Naͤchte gehuͤllt ſtand,

Einſam daſtand; um den izt kein Unſterblicher feyrte;

Auſſer, daß, von dem bebenden Hange der unterſten Stufe,

Kniend, mit betendem Auge, mit banggerungenen Haͤnden,

Starr vor Erwartung, der erſte der Todesengel emporſah:

Von dem Throne ſchaute, mit unverwendetem Antliz,

Auf den goͤttlichen Suͤndeverſoͤner, Jehova herunter.

Durch die helleren Staͤubchen der Sonnen, die dunklern der Erden,

Durch die verſtummte Natur; mit Blicken, von dem nur verſtanden

Dem nur gefuͤhlt, auf den ſie, vom Auge des Ewigen, ſtroͤmten,

Schaut’ er hinab. Es empfindet, den Blick des richtenden Vaters,

Jeſus Chriſtus; weis, daß Jehova noch nicht verſoͤnt iſt!

Weis es, und fuͤhlts unausſprechlich, durchſtroͤmt von des naͤheren Todes

Schauer. … Es zittern in ihrem verborgenſten Leben die Welten!

Banger, truͤber, verſtummender ſtehn die Unſterblichen alle,

Bey der Empfindung des Sohns, die mit mehr Todesblaͤſſe

Jn des Goͤttlichen Angeſicht ſtieg. Dem muͤden Auge,

Das zu brechen begann, entſanken verloͤſchende Blicke,

Fielen auf ſein Grabmaal, das gegen Golgatha uͤber

Einſam, unter alternden Baͤumen, in Felſen gehaun, lag.

Todesſchlummer, bald wird dich mein Leib dort ſchlummern! So dachte

Jeſus Chriſtus, indem ſein Blick an dem Grabe verweilte.

Darum nahm ich dich an, du Leib von Staube! Verweſen

Sollſt du nicht; doch ſollſt du entſchlafen liegen. Mein Vater,

Trockne die Thraͤnen von deren Geſicht|, die dann um mich weinen!

Ausgeſoͤnter! erbarme dich ihrer, ſie weinen um Jeſum,
Deinen
[125]Zehnter Geſang.

Deinen Eingebornen! Erbarme dich ihrer, wenn nun auch

Jhre lezte Stunde von dir zu ihnen geſandt wird!

Heiliger Vater, erbarme dich aller, die an den Geliebten,

Deinen ewigen Sohn, den Gottgeopferten, glauben;

Wenn ſie, in dieſem Glauben, nun auch mit dem Tode ringen

Ach, ich fuͤhl ihn, ich fuͤhl ihn, den Tod! Des Ewigen Schrecken

Traͤgt er! Er iſt ein Schwert in der Hand des Allmaͤchtigen! Furchtbar

Jſt er! … Zwar ſie werden es, was ich empfand, nicht empfinden;

Sie ſind endlich! Allein aus dem Meer, in welches ich ſinke,

Kann ein Tropfen in ihnen des Todes Schrecken verbreiten!

Einige, goͤttlicher Vater, du haſt es alſo beſchloſſen!

Einige werden entſchlummern; es werden einige ſterben;

Einige deiner Geliebten, o Vater, des Todes ſterben!

Vater! Vater! erbarme dich aller, die duͤrſtend nach Huͤlfe,

Die, im Kampfe des Todes, um Labſal! um Gnade! dich anflehn.

Derer, die aus viel Truͤbſal ihr muͤdes Leben dem Grabe

Brachten, in Duͤrftigkeit lebten, und dennoch dich nicht verkannten;

Die, wie ſchuldlos ſie waren, mit Schmach der Suͤnder befleckte;

Die, dem Freunde getreu, die Feinde ſegneten; Demut,

Liebe der Bruͤder, und Liebe der Menſchen, durch Handlungen, zeigten;

Derer, die, unverblendet von Ehre, Reichthum, und Hoheit,

Gutes zu thun ſie gebrauchten, und, ſie zu entbehren, vermochten;

Aller, die, nach den verſchiednen, von dir gegebenen Gaben,

Nach dem kleinern und groͤſſeren Anlaß, durch welchen die Vorſicht

Sie anlockte: mit reiner, mit herzlicher Liebe, dir dienten:

Derer erbarme dich, Vater, in ihrer lezten Stunde!

Wenn ihr Auge nun auch zu brechen beginnt, die Verweſung
Jhren
[126]Der Meſſias.

Jhren Koͤrper verlangt; der Schoͤpfer die Seele: dann ſende

Deine Troͤſtung, den Geiſt, der unausſprechlich in ihnen

Bete, bis du ſie uͤber das, ſo ſie verſtanden und baten,

Ueberſchwenglich erhoͤrſt, und zu deiner Ruhe ſie einfuͤhrſt.

Gott der Liebe, mein Vater, um dieſer quellenden Wunden!

Dieſer blutigen Krone, die meiner Schlaͤfe ſich eingrub!

Um der Todesangſt willen, die meine Gebeine durchſchuͤttert!

Um deß, was ich izt leide, noch leiden werde! der Liebe,

Dieſer Liebe willen, mit der ich, erniedrigt zum Tode,

Bis zum Tod am Kreuze, das Heil der Menſchen vollende:

Hoͤr mich, und laß, die ich liebe, getreu bis ans Ende mir bleiben!

Troſtvoll ſterben! den Lohn der Ueberwinder empfangen!

Alſo denkt, und betet in ſich Er, der von der Welten

Anfang erwuͤrgt iſt, der Herr, barmherzig, und gnaͤdig, und duldend

Voller Guͤte, voll Treu! der ewige Hoheprieſter,

Betet ſo, da er izt, zum Allerheiligſten, eingeht.

Und er wandte ſein menſchenliebendes Auge vom Grabe

Nach dem todten Meere, wo Adramelech und Satan

Lagen. So wie ſich der Blick des ſterbenden Gottverſoͤners

Wandte, ſo ward er, von fliegendem erderſchuͤtternden Schrecken,

Bis in die naͤchtliche Tiefe des todten Meeres, begleitet!

Und die beyden Verworfenen ſanken zur niedrigſten Stufe

Jhres Elends hinab. Des Ewigen Rathſchluß in Eden:

Jeſus ſollte den Kopf der Schlange zertreten! Er wurde

Nun vollendet. Seitdem der Gottverſoͤner am Kreuze

Blutete, fuͤhlte die Hoͤlle des Ueberwinders Gerichte!

Aber vor allen empfanden ſie Adramelech und Satan!
Satan,
[127]Zehnter Geſang.

Satan, indem er vor Qual der unterirrdiſchen Felſen

Einen zermalmt, und kaum, mit ſchwerem dumpfen Gebruͤlle,

Stammeln konnte, begann: Fuͤhlſt du ſie, wie ich, die entſlammte

Unverſoͤnliche Qual, die in ieden Abgrund des Herzens

Tod auf Tod mir, ewigen Tod! ſtets heiſſer hinabſtuͤrzt;

Sieh, ich will dir, verruchter, gerichteter, ewiger Suͤnder!

Jch, wie du, ein verruchter, gerichteter, ewiger Suͤnder!

Jhre ſchwarze Geſtalt, ſo viel ich vermag, dir beſchreiben.

Zwar ſie hat nicht Bilder genung die unterſte Hoͤlle,

Meine Qualen dir ganz, ſo ganz, wie ichs duͤrſte, zu zeigen:

Dennoch hoͤr mich, Verruchter! Wofern du etwa nicht alles,

Was ich empfind, empfindeſt; ſo ſoll es, was ich dir ſage,

Elend genung dich machen. Mit mir ſollſt du es empfinden!

Oder es doch als kuͤnftig, mit ſtarren Ahndungen, fuͤrchten!

Hoͤre! So ſehr hat mich mein Jammer niedergeworfen,

Daß mich ſo gar der Anblick von deiner Qual nicht mehr froh macht!

Wie ich erniedriget bin, ward ich noch niemals erniedrigt!

Siehe, ſo tief, daß ichs, mit grimmigem Zagen, bekenne!

Ja, Er iſt allmaͤchtig! allmaͤchtig iſt Er! Allein ich

Was bin ich? Das ſchwaͤrzte der Ungeheuer des Abgrunds!

Ganz, ganz unten lieg ich, auf mir die Hoͤlle! von allen

Seinen Qualen gedruͤckt! von allen Seinen Gerichten

Ueberlaſtet! … Und hat Er etwa, den Ewigtodten

Jn dieß tiefſte der Graͤber mit ſeinem Donner zu werfen,

Wuͤrdig geachtet? Ein Engel gebot uns zu fliehen! wir flohen!

Und in weſſen Namen gebots der Geſendete Gottes?

O was iſt es in mir? was fuͤr ein neues Gericht iſts,
Das
[128]Der Meſſias.

Das mir drohet? Jch darf den groſſen Namen nicht nennen!

Und er ſtirbt izt vielleicht, in deſſen Namen wir flohen!

Den wir verfolgten! Ein neuer, ein flammender Pfeil des Verderbens

Fliegt, mit dieſem Gedanken, durch mein unſterbliches Leben!

Dunkel an Dunkel, umringt mich! Jch ſehe von dem Geheimniß

Nicht den fluͤchtigſten Schimmer! Auch dieß iſt Elend! Alles,

Alles um mich, iſt Elend! und ich, ſein Opfer auf ewig!

Selbſt die Hofnung, vernichtet zu werden, die grimmige, ſchwache,

Quaͤlende Hofnung! auch ſie iſt ganz dem Verworfnen verſchwunden!

Werdet zum Chaos, zur Nacht, zur Hoͤll, ihr Welten und Himmel,

Und fallt uͤber mich her! deckt mich vor dem Zorne der Allmacht!

Adramelech, der niedergeſchmetterte Stolze, vermochte

Kaum mit roͤchelnder Angſt, mit verzweifelndem Blicke zu ſagen:

Hilf mir! ich flehe dich an, ich bete, wenn du es foderſt,

Ungeheuer! dich an! (Er faßt’, indem er es bruͤllte,

Satan mit eiſernen Haͤnden!) Verworfner, ſchwarzer Verbrecher,

Hilf mir! ich leide die Pein des raͤchenden ewigen Todes! …

Vormals konnt ich mit heiſſem, mit grimmigem Haſſe, dich haſſen!

Jzt vermag ichs nicht mehr! Auch dieß iſt ſtechender Jammer!

O wie bin ich zermalmt! Jch will dir fluchen, und kann nicht!

Fluchen, daß ich, um Huͤlfe, dir flehte! Vielleicht war ein Tropfen

Lindrung darinn, wenn ich mit flammender Rache dir fluchte!

Aber ich will es, ich wills! … Hier ſtuͤrzt’ er ohnmaͤchtig zuruͤcke.

Alſo empfanden die Beyden des Ueberwindenden Allmacht!

Weit war ihre zerſchmetternde Rechte verbreitet. Die andern

Stolzen Empoͤrer empfanden ſie auch. Die unterſte Hoͤlle

Hallte vom dumpfen Geheul geſtuͤrzter Verzweiflungen wieder!

Aber
[129]Zehnter Geſang.
Aber enthuͤll, Sionitinn, der qualbelaſteten Hoͤlle

Tiefen nicht weiter. Ein anderer Schauplaz, voll heiliger Wehmut,

Voll Anbetung, und jenes Todes, der unſern verſuͤßt hat,

Voll von goͤttlicher Huld, der Schauplaz eroͤfnet vor dir ſich!

Jeſus wandte ſein Auge vom Meere des Todes, und ſahe

Auf die Schaaren, die ihn, von allen Seiten, umringten,

Standen, knieten, dachten, verſtummten, beteten, weinten:

Und ein maͤchtig Gefuͤhl der ewigen Liebe durchſchauert

Jeſum Chriſtum. … Der Blick des Gottverſoͤners verweilte

Bey den Seelen am laͤngſten, die keine ſterbliche Huͤtte

Noch betreten, noch nicht den Staub geheiliget hatten.

Denn izt nahte ſich einer der feſtlichen Augenblicke,

Die, auf Einmal, die Erde mit vielen edleren Seelen

Segnen, und die, mit daurender Macht, Jahrhunderte bilden.

Zwar nicht immer ſtroͤmte der Ruf von dem, ſo ſie thaten,

Mit den Jahrhunderten fort; allein die maͤchtige Wirkung

Jhres Beyſpiels, welches an ihnen der lernende Freund ſah,

Wieder dem Enkel es zeigte, verflicht, in die Thaten der Nachwelt

Zwar ins Geheim, doch gewiß ſich! Es bleibt, vom geſunknen Wurfe,

So, auf der Flaͤche der Waſſer, ein ausgebreiteter Kreislauf.

Aber eh noch die Seelen, des feſtlichen Augenblicks Kinder,

Von den Engeln zu ihrer Geburt ins ſterbliche Leben

Weggefuͤhrt wurden, begann der edelſten eine, die Zweiſel

Jhrer Gedanken bey ſich zu entwickeln. Ein Schimmer vom Lichte.

Das ſie, in ihrer Verweilung auf Erden, heiligen ſollte,

Senkte ſich ſanft in ſie nieder. So dachte der Ewigkeit Erbinn:

II.Band. JJmmer
[130]Der Meſſias.
Jmmer empfind ich es mehr, daß er des Unendlichen Sohn iſt!

Denn, wie die Sonnen des Sternengefilds, von welchem wir kommen,

So unzaͤhlbar, ſo maͤchtig, doch mit viel milderem Einfluß,

Strahlen aus ſeinem Geſicht die unerforſchten Gedanken!

Aber er iſt noch anders, als unſre Freunde, die Engel,

Ach, er iſt wie die Menſchen, die ihn umgeben, geſtaltet!

Doch die gleichen ihm auch an Geſtalt nur. Jn ihrem Geſicht iſt

So was Truͤbes, und Niedriges! etwas wider den Schoͤpfer!

Ach, wer muͤſſen ſie ſeyn, die Menſchen? Wir ſollen zu Menſchen

Kommen, wie ſie, in Leiber, die ſterben muͤſſen, gekleidet,

Wenige Zeit ſo leben, dann naͤher zum Ewigen kommen!

Sind noch andre Menſchen, zu denen der Schoͤpfer uns ſendet?

Oder ſind dieſe die Kinder von Adam? Wenn dieſe von Adam

Stammen, ſo ſind ſie auch unſre zukuͤnftigen Bruͤder. Doch ſcheint mir

Dieß die Erde nicht, welch ich, als Adam geſchaffen war, ſahe.

Denn die war viel herrlicher! … Was du, o Vater, beſchloſſeſt,

Vater der Engel und Menſchen, dein goͤttlicher Wille geſchehe!

Und dein Wille, du Sohn des Vaters! … Von allem, was ſchwer iſt

Zu ergruͤnden, iſt mir am ſchwerſten zu faſſen: Du leideſt,

Gottes Sohn! … Da, wo du erhaben uͤber dem Huͤgel,

Hingeheftet haͤngſt, da ſcheint ein endliches Leben

Dir aus deinem Leibe zu quellen; du ſelbſt zu empfinden,

Daß es dahinquillt. Und ihr, o Engel, die ehmals die Fragen,

Welch ich euch that, aufloͤſtet, verſtummt der Fragenden itzo!

Doch das fuͤhl ich in mir, daß dieß wegſtroͤmende Leben,

Dieß Hinſinken des Leibs, der dich, du Goͤttlicher! einhuͤllt,

Nah mich angeht, naͤher vielleicht, als die Seraphim, angeht!
Unaus-
[131]Zehnter Geſang.

Unausſprechlich lieb ich ihn, mehr, als ich iemals noch liebte!

Ach, wenn er mich, mit eben der Liebe, die mich zu ihm hinreißt,

Lieben koͤnnte; ſo wuͤrd er vielleicht den Flecken verbergen,

Welcher, als im am Stolze der Erſtgeſchaffenen Theil nahm,

Mich entheiligte; wuͤrde fuͤr mich bey dem Ewigen bitten!

Mir verzeihen, und mich zu Gottes Anſchaun erheben!

Gott, vollende dein Thun in deiner Erſchaffnen! Erfuͤlle

Jhr entflammtes, ihr immer empfundnes, frommes Verlangen,

Nach Gluͤckſeligkeit! Du, nur du, Unendlicher, du biſt

Jhr Gluͤckſeligkeit! Dir ſich nahen iſt ewige Wonne!

Alſo denkt ſie, und denkts nicht umſonſt. Gott, welcher von fern her

Oft, was er thut, bereitet hat, bildete ſo die Seele

Zu dem Leben der Pruͤfung, und zu dem ewigen Leben.

Und nun flog mit freudigem Schwunge die Zeit. Der gehofte,

Von den Engeln gehofte, nur unter den Engeln gefeyrte

Augenblick kam. Es ſtehn, zum Kreuz hin gerichtet, erwartend,

Voll von frommer heiſſer Begier, die kuͤnftigen Huͤter

Dieſer Seelen, die izt dem ſterblichen Leben ſich nahten.

Banger vor Freuden und bebender ſtehn die Huͤter. Jndem geht

Von dem Auge des Gottverſoͤners der groſſe Befehl aus,

Mit dem Befehl ein Segen des Sterbenden: Gehet und lebet,

Glaubet, und uͤberwindet! Jch liebt euch, ehe die Welt ward!

Und die Engel fuͤhrten ſie fort. Sionitinn, erzaͤhle,

Wie ſie lebten, und wie ſie dem groſſen Verſoͤner der Suͤnde,

Jede nach ihren Gaben, im Pilgerleben ſich weihten.

Wirkungen von der neuen Empfindung, die ſie erfuͤllte,

Da ſie am Kreuze den Goͤttlichen ſahen, blieben in allen,
J 2Wuchſen,
[132]Der Meſſias.

Wuchſen, entwickelten ſich, mit des ſterblichen Lebens Begriffen,

Und den hoͤhern der Gnade, die Jeſus uͤber ſie ausgoß.

Eine der ſchoͤnſten unter den Seelen, war deine, du edler,

Frommer Juͤngling, Timotheus. Denn du warſt noch ein Juͤngling,

Da du, mit feuriger Treu, der Gemeinen eine bewachteſt.

Willig nahm er die Predigt von Jeſu Chriſto, dem Todten,

Und dem Auferſtandenen, an. Der Gewaͤhlte des Mittlers,

Er, der Geruͤſtete gegen die Hoͤhen, die ſich erhuben

Wider die Lehre von Jeſu, dem Ueberwinder des Todes,

Paulus, er brachte ſie ihm aus jenem furchtbaren Lichte,

Das vom Herrn ihn erſchreckte. Die ſchoͤne Seele des Juͤnglings

Lernte freudigzitternd das ewige Leben, und lehrt’ es

Tauſende! Tauſende lehrte ſein Tod, da er unter der Wuͤrger

Schwerte ſank, bis ans Ende der Laufbahn ſtandhaft! ein Leuchter

Jn den Gemeinen! ein maͤchtiger Zeuge, wie Paulus, und Kephas!

Jeſus ſelbſt nennt einſt, vor allen Todten, die Namen

Seiner Zeugen, und kroͤnt ſie dadurch mit der hoͤchſten der Ehren.

Fruͤh empfing, die hohe Belohnung der Treuen, Antipas.

Denn der Richter der Welt, als er die Gemeinen aus Patmus

Richtete, nannt’ er deinen unſterblichen Namen, Antipas!

Denn mit feſter Treue, mit reiner, brennender Liebe,

Hattſt du den Wundenvollen geliebt, geliebt bis zum Tode!

Hermas ſang in Pſalmen voll Thraͤnen und Wonne den Mittler,

Sang den Entſchlafnen, den Auferſtandnen, den Himmelerhobnen,

Gottes Sohn, den Erbarmer der ſchwachen, ſterblichen Menſchen!

Gottes Sohn, den Todtenerwecker, den Richter der Welten!

Seine Pſalmen ſangen, verſcheucht in einſame Hoͤlen,
Chriſten,
[133]Zehnter Geſang.

Chriſten, die aus den heiligen Choͤren der feyernden Bruͤder,

Wenn ſie dazu der Wille des Angebeteten winkte,

Schnellgetoͤdtet, ins hoͤhere Chor der Vollendeten, giengen.

Phoͤbe verließ die Schranken, in die ihr Geſchlecht ſie einſchloß.

Feurig, Gutes zu thun, und Seelen Gott zu gewinnen,

Weiht ſie ſich einer ganzen Gemeine: Zu lindern des Armen

Elend! zu helfen dem Kranken! den Sterbenden anfzurichten!

Liebevoll that ſies, von wenigen Frommen gekannt, und von Engeln.

Jedem taͤuſchenden Zweifel der falſchen Weisheit entriß ſich

Endlich Herodion; kam zu dem goͤttlichſten unter den Lehrern;

Und erkannte, daß der, nicht mehr durch Wunder erhaben,

Als durch Wahrheit, den Willen des ewigen Vaters der Weſen

Ganz, und rein, den ſterblichen Soͤhnen der Todten eroͤfne!

Und daß, dieſen wiſſen, und thun, zum Ewigen fuͤhre!

Wie viel krummen Wegen des dornichten Gruͤbelns entklomm er,

Eh er zum Lichte, das ihn von Gott umleuchtet’, emporflog!

Wie vergebens, wie aͤngſtlich, wie tief in der Seele verwundet,

Sann er, eh er die Wagſchal des menſchlichen Wiſſens zu leicht fand;

Und, die furchtbare Schwere der andern Wagſchal, erblickte!

Epaphras ward ein maͤchtiger Beter. Mit Paulo gewuͤrdigt,

Um des Gekreuzigten willen, im Kerker des Wuͤtrichs zu liegen,

Rang er fuͤr die Gemeinen im heiſſen Gebete. Der Segen

Seines Gebets ergoß ſich vor Allen, auf die zu Coloſſen,

Seine Geliebten. Und war er bey ihnen, ſo wacht’ er, und kaͤmpfte,

Und ermuͤdete nicht. Gott lohnt’s dem Treuen. Sie trugen

Fruͤchte der Heiligung. Auch zu Laodicea erhielten

Epaphras brennender Eifer, und ſeine Gebete noch lange
J 3Einige
[134]Der Meſſias.

Einige beſſere Seelen in unverloͤſchender Liebe

Zu dem Gekreuzigten. Aber zulezt ſank Laodicea

Ganz in Laulichkeit hin. So lag es, als ihm von Patmus

Jeſu Prophet das Todesurtheil des Richtenden ſandte.

Aber auch dieß war noch voll lockender Gnade. Noch wurde

Dieſen Sterbenden Leben gezeigt! noch weiſſe Gewande

Sie zu kleiden! noch ihnen der Ueberwindenden Krone!

Perſis war der Zaͤrteren eine, die, die, durch geheime

Ungeſagte Leiden, ihr Gott zur ewigen Ruh fuͤhrt.

Aber, in ihrer Bekuͤmmerniß Thraͤnen, miſchten des Himmels

Heilende Thraͤnen ſich, wenn ſie, im ſtillen Gebete, zu Gott rief.

Nichts fuͤr den Ruf, den halben und lauen Belohner der Tugend,

Oefter noch ihren Verfolger, und ſchlangezuͤngigten Laͤſtrer,

Nichts fuͤr ihn that Apelles! auch ſelbſt fuͤr die Ehre, des Weiſen

Beyfall, nichts! Daß ſelber der Weiſe, wie ſcharf er auch denke,

Und wie edel; doch nicht, bis zur Abſicht, die Handlungen kenne:

Und die Handlung nur ſichtbarer Leib, die Abſicht ihr Geiſt ſey!

Dacht’ er ſich oft. Der Allſehende nur, und jene Belohnung,

Die er dem Reinen verheißt, der hoͤhre Gedanke beſtimmt’ ihn,

Nur der, wenn er, zu handeln, und, nicht zu handeln, es wagte!

Flavius Clemens Verdienſt war nicht, daß er mutig dem Glanze,

Den des Caͤſars Verwandtſchaft ihm gab, ſich entzog. Den Tyrannen

Zu verachten, war leicht. Allein da weiſere ſelber

Jhn anklagten, er waͤlze ſich in unroͤmiſcher Traͤgheit!

Sey den Geſchaͤften, der Ehre, dem Vaterlande, geſtorben!

Und er dennoch, ſo ſehr die zaͤrtere Seele des edlen

Auch der Vorwurf ruͤhrte, ſich ganz den Pflichten der Chriſten
Weihte,
[135]Zehnter Geſang.

Weihte, den Pflichten, die er fuͤr die erſten und hoͤchſten erkannte:

Macht’ er ſich, wie es ein Sterblicher kann, der Maͤrtyrer Krone

Wuͤrdig! Er haͤtte die Thaten, durch die er die Heiligen lehrte,

Gerne naͤher am Throne gethan. Allein da er wuſte,

Unverſtanden von knechtiſchen Schmeichlern, und ihrem Beherrſcher,

Wuͤrd er dort vergebens fuͤrs Wohl der Menſchen ſich muͤhen:

So entſchloß er ſich maͤnnlich, im engern Kreiſe zu bleiben,

Gutes, wo ers vermochte, zu thun, und mehr der Betrachtung

Seines Todes, und mehr der unſterblichen Seele zu leben!

Mit zu vielen Geſchaͤften fuͤr Einen, umgeben, und dennoch

Niemals in ihrem Netze verſtrickt, that Lucius eifrig,

Was er ſollte, nicht ſtolz darauf, nicht niedergeſchlagen,

Wenn er oft die Aehre der Saat, die er ſtreute, nicht ſahe.

Sorgſam, ein weiſer Kaͤufer der Zeit, erſpart’ er noch immer

Stunden zum Gebete, zur weltentfernten Betrachtung,

Heilige Stunden. Und ſo entrann er ins ewige Leben!

Enkelinnen, euch reize Tryphaͤnens Beyſpiel! Auch ihr lebt

Unter Heiden. Mit jener gereinigten edleren Liebe,

Welche Tugend iſt, liebte Tryphaͤna. Was ſchoͤn iſt und ſchaͤtzbar,

Hatte der Juͤngling; allein ein Heide war er, entſchloſſen,

Es zu bleiben! Tryphaͤna befuͤrchtet viel von des Juͤnglings

Leichtgewandten Beredſamkeit; mehr noch von ſeiner Liebe;

Alles von ihrer! Die uͤberwindet ſie! Heitere Freude

Wird, ſchon hier, die Belohnerinn ihres frommen Entſchluſſes:

Sich, die unſterblich einſt iſt, in dieſe Gefahr nicht zu wagen.

Linus, von keinem Schimmer des Lebens am Grabe zu taͤuſchen,

Unbezwingbar den Kleinigkeiten, in welche ſich Fromme
J 4Selbſt
[136]Der Meſſias.

Selbſt verſtricken, und denen ſie oft, zu muͤhſam, entrinnen!

Linus, allein mit ſich ſelbſt, und ſeines Herzens Erforſcher;

Oder zu Freunden geſellt, die reiner waren und edler,

Liebte vor allen, den Menſchen mit jenem Maaſſe zu meſſen,

Mit dem deine Weisheit ihn mißt, Wort Gottes, du Urquell

Jedes hoͤhern Gedankens, und ieder beſſern Empfindung!

Liebte, Blumen aufs Grab zu ſtreuen, und ſich zu verlieren

Jn der hellen entzuͤckenden Ausſicht der Auferſtehung!

Von Trajanus, der hier ſein edleres Herz befleckte,

Weg in Banden gefuͤhrt, und von dem Todesurtheil

Seines Verfolgers beladen, ertrug Jgnatius freudig

Jeſu, des Gottgeopferten, Schmach. Kein niedriger Vorwurf

Wag es, die hohe Seele des gottgeweihten Gerechten

Anzuklagen: Er habe zu ſehr nach der Ehre gerungen,

Welche das Haupt der Maͤrtyrer kroͤnt. Nur Soͤhne des Unſinns

Und des Laſters koͤnnens zu ſehr; wo ſie anders es koͤnnen!

Wie er war aufgegangen, ſo ging Jgnatius unter,

Leuchtend, mit mildem Einfluß. Wie theuer dem Chriſten des Lebens

Lezte Zeit ſeyn muͤſſe! Was, ſchon am Ziele der Sieger!

Was er, obgleich bedeckt mit dem heiſſeſten Schweiſſe der Laufbahn,

Fuͤr die Genoſſen des Streits, und der groſſen Belohnung, noch thue

Lehrt er uns. Er ſtaͤrkte zum ewigen Leben die Bruͤder.

Welch ihn geleiteten, Einmal ihn noch zu ſehn, und zu ſegnen.

Die ſein freudeweinendes Auge nicht ſieht, die ermahnt er,

Troͤſtet entflammt er, durch Briefe, zur Liebe des Siegers am Kreuze,

Bis ihn der grauſame Schauplaz empfaͤngt, und Thier’ ihn zerreiſſen.

Heiden
[137]Zehnter Geſang.
Heiden blieben die Eltern der jungen Claudia, Heiden

Jhre Bruͤder und Schweſtern. Ein redlicher Mann war ihr Vater,

Sanft die Mutter, und liebenswuͤrdig die Schweſtern und Bruͤder.

Claudia liebt ſie, und wird geliebt von ihnen; allein ſie

Thuts, wird eine Chriſtinn, und bleibt im Glauben, und ſtirbt ſo.

Fern von der Welt. (Nicht immer iſts menſchenfeindlicher Truͤbſinn,

Von der Welt ſich entfernen!) vereinigt’ Amplias weiſe,

Mit tiefſehender Kenntniß der menſchlichen Schwaͤchen entflammten

Daurenden Eifer, dem groſſen erſtaunungvollen Geſetze:

Seyd vollkommen, wie Gott! mit bebender Demut zu folgen.

Von der Zinne der Ueberwinder umflammt dieß hohe,

Goͤttlichſtrahlende Licht den Staubbewohner. Er blickte,

Nie gewendet, hinauf zur engen Pforte, durch die es

Flammt’; und ging, und ſtrauchelt, und klomm den ſchmalen Weg auf.

Phlegon hatte den ſchimmernden Kreis der griechiſchen Weisheit

Ganz gemeſſen; beſaß viel Guͤter der Erde: doch druͤckten

Dieſe zur Wolluſt ihn nicht, nicht jene zur Eitelkeit nieder.

Wo er hintrat, entfloß des Edlen Gange der Balſam

Stiller, geheimerer Milde. Die Kranken labt’ er; die Nackten

Kleidet’ er! Aber er gab noch weſentlichere Gaben,

Treuen Rath dem kraͤnkeren Geiſt, als ein Koͤrper es ſeyn kann!

Volle Troͤſtung den Seelen, die in lichtduͤrftige Zweifel

Sich verwebten! Er brachte viel halbgewendete Chriſten

Zu dem blutenden Menſchenfreunde, zum Himmel zuruͤcke!

Nicht aus Beſcheidenheit nur, er ſchien auch ſelber aus Demut,

Nichts von der Weisheit der Erde zu wiſſen. Er kannte nur Jeſum.

Jeſum, den Suͤndeverſoͤner, den Helfer im Leben, und Tode!
J 5Aber
[138]Der Meſſias.

Aber wenn unentwickelter Tiefſinn die ſchwankenden Bruͤder,

Daß ſie gruͤbelten, trieb; dann floß unerſchoͤpflich die Quelle,

Bis, durch ſtarke Zuͤge, der lechzende Wandrer erquickt war.

Sanft von Natur, noch ſanfter aus Pflicht, die beſte der Muͤtter

War Tryphoſa. Von Kindern umringt, erzog ſie die Kinder

Jn der Religion des gottverſoͤnenden Todes.

Nicht zu ermuͤden, und unerſchoͤpflich an Kuͤnſten der Klugheit,

That ſie ihr Werk, und war der Gemeine Jeſu zur Stuͤtze,

Ohne Vermutung, ſie ſeys! Sie hatte den lezten der Soͤhne

Kaum gebohren, da ſtarb ſie, mit Thraͤnen: Ach koͤnnte ſie dieſen

Auch erziehn! … Sie weint’s, und ſtarb! Des Ewigen Segen

War auf ihre Kinder gekommen. Die Aeltſten erzogen

Dieſen Juͤngſten. Er ward ein Maͤrtyrer. Seraphim fuͤhrten

Jhn aus den Armen des Todes ihr zu. Da weinte die Mutter;

Aber andere Thraͤnen, als die am geoͤfneten Grabe!

Sich nicht raͤchen, auch dann nicht, wenn Rache Gerechtigkeit waͤre,

Das iſt edel! Erhaben iſt es, den Beleidiger lieben!

Jhn mit geheimem Wohlthun im Elend erquicken, iſt himmliſch!

Du, du thatſt es! ich nenne den groſſen Namen, mit Ehrfurcht,

Deinen Namen, Eraſtus! Von ihren goldenen Thronen

Standen Engel ihr auf, da die hohe Seele zu Gott kam!

Dieſe waren die Seelen, die ihre beſchuͤtzenden Engel

Jn das Leben der Pruͤfung, vom Kreuze des Sterbenden, fuͤhrten.

Und ſie ſchwebten mit ihnen den Oelberg hinunter, und kamen

Jn Gethſemane. Da ſie die zwanzig Palmen erreichten,

Unter denen ins erſte Gericht der ewige Sohn ging,

Schauerte ſie! Es ſegneten ihnen, die unter den Palmen
Stan-
[139]Zehnter Geſang.

Standen, mit inniger Liebe, mit himmelvollem Gefuͤhl nach:

Simeon, und der gewuͤrdiget ward, den Verſoͤner zu taufen,

Und zu ſehen den Geiſt herunterſchweben auf Jeſum,

Und zu hoͤren, als Gott, aus ſtrahlenden Wolken, von Gott ſprach!

Amoz Sohn, der groſſe Prophet des geſchlachteten Opfers;

Und der Seher der Auferſtehung, Heſekiel; Hoͤr du,

Duͤrres Gebein! Da rauſchte das Feld! da erwachten die Todten!

Noah, den rein der Ewige fand, Loth, Samuel, Aron,

Und Melchiſedek, Gottes Prophet, und Prieſter, und Koͤnig;

Benjamin, Joſephs Bruder; und Joſeph, Benjamins Bruder;

Mit der Mutter die ſieben Soͤhne, Maͤrtyrer alle!

David, und Jonathan; aber ſie wenden ſich weg von einander,

Daß die Wehmut des einen, des andern Schmerz, nicht entzuͤnde!

Mirjam, und du, Debora, die Gott, den Rettenden, ſangen!

Simeon wendete ſich vom erhabnen Johannes, und ſagte:

Selige Seelen, erwaͤhlte, begnadigte Kinder des Glaubens,

Geht, der Herr iſt mit euch, und ſeiner Erbarmungen Fuͤlle!

Macht der Glaubenden viel, viel mitgerettete Bruͤder!

Menſchlichkeit breite, durch euch, ſich uͤber Adams Geſchlecht aus!

Menſchlichkeit, reiner und beſſer, als ſie, nur Weisheit der Welt, lehrt!

Ach, Johannes, wie ſchoͤn iſt ihr Schickſal! ihr Lohn, wie erhaben!

Brannte nicht deine Seele, beym Anblick dieſer Gerechten?

Lindert’ er nicht den Schmerz, ſo vom blutigen Todeshuͤgel

Ueber uns ſtroͤmt? … So ſagt’ er, und ſah dem Geliebten ins Antliz.

Wenn ich es auszuſprechen vermoͤchte; ſagte Johannes,

Haͤtt ich Worte fuͤr das, ſo ich denke, fuͤr das, ſo ich fuͤhle;

Koͤnnten Thraͤnen der Wehmut, es Thraͤnen der Wonne dir ſagen:
O,
[140]Der Meſſias.

O, ſo wollt ich, Simeon, dir, du Geliebter, es ſagen:

Was ich empfinde, ſeitdem er am Kreuz der Gerichteten Tod ſtirbt,

Und, in dieſem Tode, ſich aller, aller erbarmet!

Aber verſtummen will ich, ich will noch laͤnger verſtummen!

Meine Hand auf den Mund anbetend legen! … So ſagt’ er.

Ach, du waͤlzeſt auf mich von neuem der feurigſten Schmerzen

Ganze Laſt! O haͤttſt du von ſeinem Tode geſchwiegen!

Jedes Wort, ſo du ſprachſt, ward mir zum Donner, und traf mich

Denn ich ſah ihn, ich ſeh ihn ſterben! … Ja, theurer Johannes,

Schon erhub ſich mein Geiſt zur gottbelohnten Vollendung

Seiner Leiden! Es glaͤnzten mir ſchon des Entſchlafenen Wunden!

Aber izt ſink ich zuruͤck! … Ach, den ich weinend umfaßte!

Den ich ſprachlos, zum Allerheiligſten Gottes emporhielt,

Bis ich endlich zu reden, und anzubeten vermochte,

Der, der blutet! … (Zwar zeigte mir Gott ſein Ende von ferne;

Aber, wie ich es ſehe, ſo ſchrecklich zeigte mirs Gott nicht!)

Blutet itzo, verkannt! … von Gott verlaſſen! … am Kreuze! …

Bey Verfluchten! … Er ſchwieg, und unterlag dem Gedanken. …

Habe mit mir auch Mitleid! Erinnre mich nicht an das Leben,

Welches mit Augen des Fleiſches wir ihn ſahn leben! Es dringt mir

Dieſer Gedanke zu tief in meine Seele! verwundet

Mich zu ſehr, du Geliebter! So oft ich ihn, Simeon, ſahe;

Und oft ſah ich ihn, der, ein Lamm, die Suͤnde der Welt traͤgt,

Ach ſo oft umleuchteten mich der Himmliſchen Freuden!

Denn kaum ſah ich den blutvollen Streit; ich ſah nur den Sieger!

Doch verſtummen, verſtummen will ich, bis Er es vollbracht hat!

Alſo
[141]Zehnter Geſang.
Alſo ſtrebten ſie, ſich der Wehmut Gefuͤhl zu entreiſſen.

Mirjams, und deine Wehmut, Debora, wurden nach langem,

Traurenden Schweigen, zum ſanften, zum weinenden Liede voll Klage.

Denn der Unſterblichen Stimme zerfließt von ſich ſelbſt in Geſaͤnge,

Wenn ſie Empfindungen ſagt, wie Debora und Mirjam ſie fuͤhlten.

Die auf Ephraims Berge nach ihrem Namen den Palmbaum

Nannt’, und Amrams Tochter, ſo ſangen ſie gegen einander:

Schoͤnſter, unter den Menſchen! Er war der Schoͤnſte der Menſchen;

Aber entſtellt, entſtellt hat dich, der blutige Tod, dich!

Zwar es weint mein Herz, und truͤbes Trauren umringt mich;

Aber er iſt der Schoͤnſte, vor allen Erſchaffnen der Schoͤnſte!

Schoͤner, als alle Soͤhne des Lichts, wenn ſie ſtrahlend vor Andacht,

Beten zu dem Unendlichen, ſchoͤner in ſeinem Blute!

Trauert, Cedern! Auf Libanon ſtand ſie, ein Schatten des Muͤden,

Aber ſie iſt zum Kreuze gehaun, die ſeufzende Ceder!

Trauert, Blumen im Thal! Er ſtand am ſilbernen Bache;

Aber er iſt, um des Goͤttlichen Haupt, zur Krone gewunden!

Unermuͤdet faltet’ er ſeine Haͤnde zum Vater,

Fuͤr die Suͤnder, zum Heiligen! Unermuͤdet betraten

Seine Fuͤſſe der Leidenden Huͤtte! Nun ſind ſie durchgraben,

Seine Haͤnd’, und Fuͤſſe, mit eiſernen Wunden, durchgraben!

Seine goͤttliche Stirn, die er hier am Berg in den Staub hin

Niederbuͤckte, von der ſchon, Schweiß mit Blute gemiſcht, rann!

Ach wie hat ſie die Krone, die blutvolle Krone, durchgraben!

Seiner Mutter Seele durchdringt ein Schwert! … Ach erbarme

Deiner Mutter dich, Sohn! und erquicke ſie, daß ſie nicht ſterbe!

Waͤr
[142]Der Meſſias.
Waͤr ich ſeine Mutter, und ſchon im Leben der Wonne;

Ach es ginge mir dennoch ein Schwert durch meine Seele!

Mirjam, ſein Auge verliſcht, und ſchwerer athmet ſein Leben!

Bald, nun blickt er bald, zum leztenmale, gen Himmel!

Todesblaͤſſe bedeckt die geſunkne Wange, Debora!

Bald, nun ſinkt ihm bald ſein Haupt zum leztenmal nieder!

Die du droben den Himmliſchen leuchteſt, Jeruſalem weine

Thraͤnen der Wonne! Bald iſt des Opfers Stunde voruͤber!

Die du ſuͤndigſt auf Erden, Jeruſalem, weine dein Elend!

Denn bald fordert ſein Blut, von deinen Haͤnden, der Richter!

Still in ihrem Laufe ſind alle Sterne geſtanden!

Und die Schoͤpfung umher verſtummt dem leidenden Gotte!

Denn es iſt Jeſus, es iſt der ewige Hoheprieſter,

Zu verſoͤnen, im Allerheiligſten! Halleluja!

Auch der Erdkreis iſt ſtill geſtanden! Und die, auf der Erde,

Staub auf Staube, wohnen, euch iſt die Sonne verloſchen!

Denn es iſt Jeſus Chriſtus, der ewige Hoheprieſter,

Zu verſoͤnen, im Allerheiligſten! Halleluja!

Alſo ſangen Debora, und Mirjam gegen einander!

Sichtbar kam der Verſoͤner dem Tode naͤher! … Der Frommen

Meiſte zerſtreun ſich, vermoͤgen nicht mehr des Sterbenden Anblick

Auszuhalten. Mit gleitendem Schritte, mit ſtarrem Auge,

Ging Lebbaͤus fort. … Nicht ſo vom Trauern erſchuͤttert;

Aber durchdrungen von Wehmut, begleitet von ferne Lebbaͤum

Lazarus. Als Lebbaͤus zu einem verfallneren Grabmal

An dem Oelberge kam, ging er hinunter. Vor ihm lag

Eine Truͤmmer, Er ſank auf den Felſen, umfaßt ihn, und legte
Seine
[143]Zehnter Geſang.

Seine Stirne darauf. Allein er verſtummte. So kniet’ er

Jn noch truͤberer Nacht, als izt die Erde bedeckte.

Lazarus ſtand an der Oefnung des Grabs, und begann mit ſanfter

Leiſer Stimme, mit der, die ſelbſt der muͤdeſte Schmerz hoͤrt:

Sinke nicht, du Geliebter, nicht ganz in Traurigkeit unter!

Hoͤre mich, hebe dein Antliz aus dieſem Grab auf! Ach, kennſt du

Meine Stimme nicht mehr? Jch bins, den du immer geliebt haſt!

Der ſo herzlich dich liebt! um den du vor kurzem auch weinteſt,

Lazarus, den der Gekreuzigte Gottes ins Leben zuruͤckrief.

Ach, mit namloſen Freuden, entzuͤcktem, bebenden Staunen,

Dankteſt du unſerm goͤttlichen Retter! O denke zuruͤcke!

Augenblicke vorher, eh wir ihm dankten, da lag ich

Noch im Grab, und begann zu verweſen! … Wir haben es oftmals

Mit einander beſprochen; allein es riß dich der Juͤnger

Meinung mit fort: Es muͤſſe ſein Reich ein weltliches Reich ſeyn,

Eh es koͤnne zum himmliſchen werden. Doch loͤſteſt du niemals

Ganz den Zweifel mir auf, der meine Seele zuruͤck hielt,

Jn den Worten was Jrrdiſches muͤhſam zu ſuchen, in denen

Unſer goͤttlicher Freund viel klaͤrer vom Himmliſchen redte!

Winde von deinem Jammer dich los, du Geliebter! Erklaͤre

Mich nicht anders, als es dieß mit dir weinende Herz meint!

Ja, du ſollſt ihn beweinen, den Goͤttlichen ſollſt du beweinen!

Denn er iſt unausſprechlich, der Schmerz, mit dem er am Kreuze,

Nun ſchon ſtundenlang, ſtirbt! Doch muſt du unter dem Jammer,

Nicht erliegen! … Er kann, wenn er will, vom Kreuze noch ſteigen!

Oder, wenn er entſchlaͤft, iſts moͤglich, daß er verweſe?
Jeſus,
[144]Der Meſſias.

Jeſus, des angebeteten Sohn! der Himmelgeſandte!

Der vor Abraham war! iſts moͤglich, daß er verweſe?

Alſo ſagt er. Es haͤlt mit unbeweglichen Haͤnden

Noch den Felſen Lebbaͤus; allein er wendet ſein Antliz

Doch nach Lazarus um. Zwar blickt’ er mit ſtarrendem Auge;

Aber er ſah zum Freunde doch auf. Da lief, da umarmte

Lazarus ihn, und entriß den Jammervollen dem Grabmal!

Faßt’ ihn bey der Rechten, und blieb mit ihm ſtehn. Sie ſahen

Unter hangenden Naͤchten die ſtolze Jeruſalem liegen;

Sahn den entſchimmerten Tempel, den uͤberſchatteten Sion,

Und … auch Golgatha! … Hebe, (ſo ſprach zum zitternden Freunde

Lazarus,) hebe, Lebbaͤus, dein Aug auf, und ſieh! … Jch ſehe

Gottes Gegenwart auf dem benachteten, graunvollen Schauplaz!

Einen Tag, wie dieſer iſt, haſt du den iemals geſehen?

Haben, Lebbaͤus, mit dir dein Vater, und der ihn gezeugt hat,

Jemals von einem Tage, wie dieſer Tag iſt, geſprochen?

Welche Feyerlichkeit hat Gott ihm gegeben! Wie furchtbar

Hat er die Erd und den Himmel, mit ſeinen Schrecken, bekleidet!

Wie, mit todter Stille, die Schauenden alle gefeſſelt!

Wenn nun Gott, durch den Tod des Heiligen, Dinge vollbraͤchte,

Welche wir nicht verſtuͤnden? … Dir kann ich es ſagen, Geliebter,

Und zwar, weil es vielleicht dir deine Traurigkeit lindert;

Sonſt verſchwieg ich es noch! Seitdem der Goͤttliche blutet,

Fuͤhl ich in mir … wie ſoll ichs genau und wuͤrdig dir ſagen?

Fuͤhl ich ſo was Stilles und Friedenvolles, das ſelber

Meine Wehmut, mit der ich ihn leiden ſehe, beſaͤnftigt!

Ringsum iſt alles heilig um mich! Wohin ich mich wende,
Find
[145]Zehnter Geſang.

Find ich des Ewigen Spur, des Allgegenwaͤrtigen Naͤhe!

Ja, was goͤttliches iſts, das mir die heilige Ruh giebt!

Als der groſſe Dulder den Todeshuͤgel hinaufſtieg,

Fuͤhlt ich dieſes noch nicht. Allein, ſeitdem er am Kreuze

Blutet, vernimmt mein Ohr ein wehendes Rauſchen, als hoͤrt ich

Schaaren Unſterbliche wandeln! Jch hoͤrte ſie ſo, da ich todt war!

Auch umſchimmert mein Auge nicht ſelten was Himmliſches, das ſich

Schleunig verliert, ſo ſchnell, als es kam. Dieß laͤßt mir Ruhe,

Frieden Gottes, und Seligkeit in der Seele zuruͤcke!

Jn dem Augenblicke, da Lazarus endete, rufte

Schnell Lebbaͤus: Du ſtaunſt! Du bleibſt in Entzuͤckungen ſtehen!

Ach, wer iſt es? wem ſieht, mit dieſer Wonne, dein Blick nach?

Lazarus, als er zu reden vermag, antwortet: Jzt eben

Schwung ein Unſterblicher ſich vor mir voruͤber! Noch niemals

Hab ich auf Einmal ſo viel von eines Unſterblichen Klarheit,

So viel Wonne der anderen Welt noch niemals geſehen!

Und er brachte vielleicht vom Himmel goͤttliche Botſchaft;

Denn er eilte! Dem ſchnellſten Gedanken gleich, flammt er, und eilte.

Nein! (So fuhr er mit ſtammelnder Freude, mit thraͤnendem Blick fort,

Und umarmte mit dieſer Entzuͤckung Lebbaͤum.) Er wird nicht,

Er, bey deſſen Geburt ſchon dieſe Himmliſchen feyrten,

Nein, des Ewigen Sohn, er wird die Verweſung nicht ſehen!

Uriel wars, von dem die weggewendeten Strahlen

Lazarus ſah. Der Unſterbliche kam von der Sonne geflogen,

Trat, ſo wie ſein Antliz vom eilenden Fluge noch flammte,

Zu den Vaͤtern, und ſprach: Jch muß, ich muß es euch ſagen,

Was ich ſah! Er ſtieg vom Himmel herunter. Sein Gang geht
II.Band. KNach
[146]Der Meſſias.

Nach der Erde, gerad auf ſie zu! Jzt ſteht er, dann wieder

Eines Winks Zeit, ſich, wie es ſcheint, zu erfriſchen. Weil aber

Alle Schoͤpfungen ruhn! ſo weht den Muͤden kein Stern an!

Soll ich euch ſeine Geſtalt, ſoll ich des Schreckenden Anſehn,

Wie er heut iſt, den erſten der Todesengel, beſchreiben?

Ach, noch nie hat Gott ihn mit dieſem Entſetzen geruͤſtet!

Seit der Erſchaffung iſt er noch nie ſo furchtbar geweſen!

Gott! Weltrichter! du ewiger Richter! wer biſt du! wer biſt du!

Wenn du Gericht haͤltſt! … Flammen des Herrn gehn weit vor den Boten

Seines Gerichts her. Er ſchwingt die ſchlagenden Fluͤgel; dann rauſchen

Sie, wie Gewitter. Vor ihm entflieht die Stille der Himmel.

Traͤfe ſein flammendes Schwert auf eine der Welten; es wuͤrde

Schnell der entzuͤndeten Staub im Unermeßlichen ſchwimmen!

Fuͤrchterlich iſt ſein Blick, viel fuͤrchterlicher, als damals

Da er uͤber die Erde die Flut des erſten Gerichts goß,

Und in Oceanen der himmliſchen Waſſer einherging,

Toͤdtend, ein ſchneller Verderber! Jhr werdet ihn ſehen, und wenn ihr,

Jhn nun ſeht, wird ein Graun vom Unendlichen uͤber euch kommen,

Wie es uͤber mich kam! Was mich am maͤchtigſten ſchreckte,

War das truͤbe, das ernſte, das unausſprechliche Trauern,

Daß zugleich ſein Angeſicht deckt! Ach, wenn er geſandt iſt,

Gottes Mittler den Tod nun anzukuͤndigen! … Zitternd

Wandte ſich Uriel weg, und verlor ſich unter die Engel.

Erſt Erſtaunen, ſprachloſes, unbewegtes Erſtaunen,

Und dann Wehmut, die Worte noch weniger ſagen, beklommne,

Aufgeſchreckte, verſinkende, weinende, thraͤnenloſe,

Nieempfundne Wehmut, ergrif die Seelen der Vaͤter!
Jeſus
[147]Zehnter Geſang.

Jeſus Chriſtus, den keiner der Engel, wie ſehr ſie auch ſtreben,

Und wie hoch ſie auch uͤber die Stufen der Menſchen erhoͤht ſtehn,

Keiner ganz zu erkennen vermag, den Gott allein kennt!

Gottes Sohn, nun ſollt’ er ſterben! Die Seelen, fuͤr die er

Sterben ſollte, ſie ſanken, zu ihres Lebens am Staube,

Zu der Empfindung der Suͤnde, ſo tief ſie konnten, herunter.

Die Erinnrung umgab ſie mit allen ihren Entſetzen.

Zwar ſie waren verſoͤnt, ſie empfandens, daß ſie es waren:

Doch izt ſollte, fuͤr ſie, der groſſe Verſoͤner … ſterben! …

Ganz von dieſem Gefuͤhle durchdrungen ſtuͤzte ſich Henoch

Mit der Link auf ein Grab, und ſtreckte die Rechte gen Himmel.

Henoch, wie goͤttlich ſein Wandel auch war geweſen, und ob ihn

Gleich der Tod nicht getoͤdtet, verſtaͤubt die Verweſung nicht hatte;

War er doch vor dem Richter nicht rein geweſen! Der Glauben,

Handelnder Glauben ans Heil, das izt dem Tode ſich nahte,

Hatte den Sohn von Adam ins ewige Leben gerettet.

Waͤren die Erden um ihn, um ihn die Sonnen, verſunken:

Er haͤtts unerſchuͤttert geſehn! Allein, des Verſoͤners

Naͤherer Tod, durchſtroͤmte ſein innerſtes Weſen mit Trauern!

Und die Engel, die Vaͤter, die Seelen, die Sterblichen, alle

Schwanden ihm! Kaum, daß ſein Auge noch den, der blutet’, erkannte!

Neben ihm neigte ſich Abel an einen Felſen, und hielt ſich.

Zwar von Adam gezeugt; doch ſo unſchuldig, als einer,

Welcher noch nicht vollendet iſt, ſeyn kann, hatt’ er ſein Leben

Gott geheiligt, und war durch Moͤrderhaͤnde geſtorben!

Ach! zu dem im Tode ſein leztes Roͤcheln gerufen,

Den er angefleht hatte, da er im rauchenden Blut lag,
K 2Unter
[148]Der Meſſias.

Unter allen Gerechten der Unſchuldvollſte, der ſollte

Sterben, wie er! … nicht ſterben, wie er! ſo ſanft nicht entſchlummern!

Sollte, mit iedem Verbrechen der Kinder Adams belaſtet,

Von des Richters allmaͤchtigen Zorne zerſchmettert ſterben!

Seth, der wuͤrdige Bruder des erſten unter den Todten,

Und der fruͤh ein Prediger ward des kuͤnftigen Opfers,

Fuͤr die Suͤnde des Menſchengeſchlechts, wie ſehr er dem Tode

Deß, dem zu buͤſſen geſezt war, auch nachgeſonnen, wie oft er

Jene Jahrtauſende, die er gelebt, des Verſoͤnenden Ausgang

Hatte betrachtet; ſo war es doch alles ein ſchwaches Bild nur

Von dem, was er davon izt fuͤhlte, geweſen. O Richter!

Richter! Richter von dem, was iſt, und was war, und was ſeyn wird!

Bebte ſein innerſtes Herz, und ſeine ſtammelnde Zunge.

Und indem er es ſtammelte, wandt’ er gen Himmel, zum Kreuz hin,

Auf die andern Erloͤſten, hinab zu den Graͤbern, ſein Antliz!

Lange ſchon war es dunkel um Davids Auge geworden;

Lange ſchon zittert’ er hin und her. Seit Uriels Ankunft,

Zitterte David nicht mehr. Er ſtand, an die Erde geheftet,

Stand, und ſchaut’ auf den, der dem Tode ſich nahte. Sein Herz hing

Ganz an jenem Bilde von Jeſu Tode, deß Gott ihn,

Es in ſeine Seele zu ſenken gewuͤrdiget hatte.

Nur dieß dacht’ er, nur dieß vermocht’ er itzo zu denken.

Als ihm die Sprache zuruͤckkam, entſanken des Heiligen Munde

Dieſe gebrochenen Worte. Die Thraͤnen rannen ihm wieder.

Alſo jammert’ er: Gott, ſein Gott, du haſt ihn verlaſſen!

Zu dir ſeufzt er! Allein ihm koͤmmt nicht Huͤlfe, nicht Huͤlfe!

Sohn, du biſt ein Wurm, und kein Menſch! Die niedrigſten Suͤnder
Haben
[149]Zehnter Geſang.

Haben dich wuͤtend umringt, und ſpotten dein, du Erdulder!

Deines Vertrauens auf Gott, deß ſpotten gerichtete Suͤnder!

Ausgeſchuͤttet iſt er, wie Waſſer! Jedes Gebein iſt

Jhm zertrennt, ſein Herz in ſeinem Leibe geſchmolzen!

Seine Kraft, wie ein Scherbe, vertrocknet! Am Gaumen klebt ihm

Seine Zunge! Bald wirſt du, o Tod, bald wirſt du in Staub ihn

Niederlegen! Ja, Thiere, nicht Menſchen mehr, ſinds, die ihn wuͤrgen!

Ach, wie haben ſie dir, du Wundenvoller, die Haͤnde,

Wie die Fuͤſſe, durchgraben! Wie breiteten ſie dich am Kreuz aus!

Alle deine Gebeine, du koͤnnteſt ſie zaͤhlen. Sie aber

Stehn, und ſchauen an dir der Hoͤlle Luſt, du Erwuͤrgter!

Wenn er todt iſt; (O Richter der Welt! Gott! Suͤndevergeber!

Welch ein erſtaunlicher, hoher, geheimnißvoller Gedank iſts,

Daß er nun bald wird todt ſeyn!) ach, wenn er todt iſt; verkuͤndigts

Bis ans Ende der Erde, daß ſie zu Gott ſich bekehre!

Und daß alle Geſchlechte der Menſchen vor ihm anbeten!

Hiob, der durch Leiden bewaͤhrt, ein Mann nach dem Herzen,

Deß, der die Leiden ihm ſandte, geblieben war, ein Gerechter,

Wie es ein Sterblicher bleibt, den des Richters Pruͤfung in Staub wirft,

Hiob, der weis, was es ſey: Von iedem Schrecken der Allmacht

Eingeſchloſſen, dem Tode ſich nahn! er vermag den Gedanken,

Von des Gekreuzigten Tode, nicht mehr zu denken, entſchwingt ſich

Dieſen Tiefen, und ſtaͤrkt ſein Herz, das duͤrſtet nach Ruhe.

Leben, leben wird Er! wird aus der Erde ſich wecken!

Auferſtehen, ein Ueberwinder des Tods und der Hoͤlle,

Stehen uͤber dem Staube! Dann ſoll mein Auge dich ſchauen!

Dich in deiner Herrlichkeit ſchaun, Gott, Mittler, Vollender!

K 3Alſo
[150]Der Meſſias.
Alſo durchdrang die Frommen des Todesengels Erwartung.

Aber keiner empfand den naͤhern Tod des Verſoͤners,

Als der Vater, und als ihn die Mutter der Menſchen empfanden.

Da ſich Uriel wendet’, und nun ſein entſchimmertes Antliz

Unter den Engeln verbarg; da ſtanden ſie beyde (Sie waren

Noch bey einander,) mit ſtarren, mit hingehefteten Blicken

Unbeweglich, und fuͤhlten in ihrem innerſten Leben

Jeden Schrecken der Donnerworte des Engels von neuem!

Endlich ſahen ſie ſich! So wird am lezten der Tage

Seinen Gewaͤhlten, der Freund, der Bruder den Bruder, erkennen,

Welchen er kurz vorher, im Erſtaunen verloren, nur anſah.

Denn der Poſaune gebietendes Toͤnen, der Hall der Gefilde,

Die vor der maͤchtigen Arbeit der Auferſtehung erbebten,

Und ihr eignes Gefuͤhl des umgeſchaffenen Lebens,

Hatten iedem anderen Eindruck ihr Herz noch verſchloſſen.

Eva reicht ihm weinend die Hand. Was ſollen wir, ſagte

Sie mit Worten, die kaum zum Laute wurden, o Adam,

Sage du es, was ſollen wir thun? was ſollen wir nicht thun?

Wollen wir gehn, und ſuchen, wo irgend am tiefſten die Tief iſt?

Dort uns niederwerfen in Staub? zum Allmaͤchtigen flehen?

Ach, zum toͤdtenden Richter, daß er den Tod ihm lindre?

Adam hielt ihr weinend die Hand. Nein, Mutter der Menſchen,

Wir ſind viel zu endlich, fuͤr ihn, zum Richter zu flehen.

Wenn mit unausſprechlicher Wehmut, mit ringender Jnbrunſt,

Daniel, Hiob, und Noah, mit uns, wenn ſelber der erſte

Aller Erſchaffnen, Eloa, es thaͤte; wir flehten vergebens!

Was dem Geopferten Gottes noch zu erdulden geſetzt iſt,
Das,
[151]Zehnter Geſang.

Das, das alles wird er noch erdulden! Jhm wird kein Labſal

Ach, kein Labſal die Angſt! (Mein ganzes Daſeyn entſezt ſich!)

Aber ihm wird kein Labſal die lezte Todesangſt lindern;

Hat es der Unerforſchte, dem er ſich opfert, beſchloſſen!

Komm, ein Gedanke, nicht ohne den Einfluß Gottes entſtanden,

Reiſſet mich fort! Komm, folge mir nach, thu, was du mich thun ſiehſt!

Und ſie ſchwebten mit traurigem Fluge den Oelberg herunter

Nach dem Todeshuͤgel. Die Engel, und Vaͤter begleiten

Jhren einſamen Flug mit wunderndem Blicke. So viel es

Jhnen die ſtaͤrkern Empfindungen, ihnen ihr banges Erſtaunen,

Ueber den furchtbaren Tod des Gottgeopferten zulaͤßt,

Folgt ihr Blick mit Erwartung und Zweifel den Erſtgeſchaffnen.

Dieſe naͤherten ſich dem Todeshuͤgel, und wurden

Jmmer dunkler vor Wehmut, ie mehr ſie dem Huͤgel ſich nahten.

Jtzo ſtanden ſie ſtill. Da, wo der Getoͤdtete ſchlummern,

Nun bald, nach der Vollendung der groͤßten unter den Thaten,

Auch im Staube begraben, wie ſeine Bruͤder die Menſchen,

Schlummern ſollte, da ſtanden ſie ſtill. Vor der Oefnung des Grabes

Lag ein Felſen gewaͤlzt. An der einen Seite des Felſen,

Stand der Vater, und neben der andern, die Mutter der Menſchen.

Sie ſank gleich an den Felſen dahin. Der Gedanke, vom Grabe,

Vom ſo nahen Grabe des Wundenvollen, durchdrang ihr,

Zu gewaltig, ein Pfeil des Allmaͤchtigen, ihre Seele.

Er ermannte ſich noch. Er ſtreckte die Arme gen Himmel.

Dreymal nennt er in ſich des Gottverſoͤnenden Namen,

Und ſo lange, ſah er, mit bleibendem Blick, ihm ins Antliz,

Jhm, der dahing, und bleich war, als nie ein Sterbender bleich war.

Aber izt hielt er den Anblick nicht mehr, den erſchuͤtternden Anblick,

Nicht mehr aus. Er ſank in den Staub der Erde danieder,

Hub vor ſeine Stirne die feſtgefalteten Haͤnde,
K 4Blickte
[152]Der Meſſias.

Blickte zur Erde nieder, aus welcher ihn Gott einſt aufſchuf:

Aber in der ſein Gebein, des Gerichteten, in der verfluchten,

Auch verweſt war; in der, von einem Jahrhundert zum andern,

Schon ſo oft das ganze Geſchlecht der Menſchen verweſt war!

Jzt erhub er im lauten Gebete die flehende Stimme,

Daß ſie die Vaͤter umher und die Engel alle vernahmen.

Herr! Herr! Gott! barmherzig, und gnaͤdig, und treu, und geduldig!

Gott, Verzeiher der Miſſethat, Uebertretung, und Suͤnde!

Du, der fuͤr uns vom Anbeginne der Welten erwuͤrgt iſt,

Hoherprieſter! Prophet! und Koͤnig! du Menſchenſohn! hoͤre,

Hoͤre von deinem blutigen Altar, auf dem du erwuͤrgt wirſt,

Unſer tiefes Gebet, das von deinem Grabe zu dir fleht!

Unſre Miſſethat hat Gott uns vergeben. Wir ſchauen

Nun Jahrtauſende ſchon, von Antliz zu Antliz, die Gottheit!

Einer Seligkeit voll, die wir jenſeits am Grabe vergebens,

Auch mit den reinſten Gedanken vom Schoͤpfer, rangen zu denken,

Schauen wir Gott! Denn es ward, uns ward die Suͤnde vergeben!

Um des Todes willen, der dich, geſchlachtetes Opfer

Fuͤr die Verbrechen! Erbarmender, dich izt toͤdtet, vergeben!

Aber an dieſem Tage der zweyten Schoͤpfung, an dem du

Mittler, das ganze Menſchengeſchlecht zum Anſchaun des Vaters,

Wenn ſie nicht widerſtreben, zuruͤckfuͤhrſt! alle verſoͤneſt!

Aller Suͤnde vernichteſt, und ſie, der Strafe der Suͤnde,

Jenem gefuͤrchteten ewigen Tod, allmaͤchtig entreiſſeſt!

An dem Tage, da du, fuͤr mich auch, Gott Mittler, dich opferſt:

Darf ich mich meiner Suͤnde, mit ſtiller Wehmut, erinnern!

Nicht, daß ich waͤhne, du werdeſt noch einmal mit mir ins Gericht gehn;

Du Erbarmer, wie koͤnnt’ ich, der Gottes Antliz geſchaut hat!

Und fuͤr welchen du izt zum Allerheiligſten eingehſt!

Dennoch laß es noch Einmal vor dir, mein Gott, mich bekennen,
Wer
[153]Zehnter Geſang.

Wer ich war! Ach bis zum Tode biſt du erniedrigt,

Bis zum Tod am Kreuze, du Richter der Welten, erniedrigt!

Heut darf Adam an ſeine verziehne Miſſethat denken!

Voll von heiliger Wehmut und Seligkeit hielt er hier inne.

Eva hatte mit ihm gebetet, nicht ihre Stimme,

Aber ihr Herz, und Antliz. Sie hoͤrte izt auf zu verſtummen.

Ja! du Hingegebner, an dieſem blutvollen Tage,

Ach, am Tage, da ſie dich begraben werden, Erdulder!

Darf auch Eva ſich ihres verziehnen Verbrechens erinnern,

Und, mit frommen Trauren, und weinendem Dank, es bekennen!

Alſo betete ſie, und Adam begann von neuem:

Ja, wir fiengen es an! wir ſezten es fort! und vollbrachtens!

Ach, wir thatens! … Und ach, wer wars, wer hatte das leichtſte

Aller Gebote gegeben? Es war Jehova! … das erſte,

Hoͤchſte, liebenswuͤrdigſte, beſte, das Weſen der Weſen!

Unſer Schoͤpfer! Der uns aus Staube zu Menſchen emporſchuf!

Den wir kannten, den wir in unſrer ſtaunenden Seele

Unausſprechlich empfanden! Der iedes Gebet, mit Entzuͤckung,

Jeden neuen Entſchluß: Nicht von dem Baume zu eſſen!

Jeden Gehorſam vor unſerem Falle, mit Wonne, belohnte!

Der uns immer, an Sich, durch tauſendmal tauſend Geſchoͤpfe

Voll tiefſinniger Schoͤnheit, erinnerte, wo die Betrachtung

Sicher mit neuen Entdeckungen, neuen Freuden, gekroͤnt ward!

Der die Mutter der Menſchen mir gab, mich der Mutter der Menſchen!

Deſſen erſcheinende Herrlichkeit uns noch hoͤher zu ihm hub,

Als das alles, ſo uns, von allen Seiten, umringte!

Unſer Schoͤpfer! … Und doch erkuͤhnten wir uns, der Geſchaffnen

Schranken uns entſchwingen zu wollen, und, Weſen der Weſen!

Dir zu gleichen! … Du haſts uns, unſer Vater, vergeben!

Preis, Anbetung, und Dank, und liebevoller Gehorſam
K 5Sey
[154]Der Meſſias.

Sey dem Mittler, auf den der Richter unſere Laſt wirft,

Und die Laſt des ganzen Geſchlechts der ſterblichen Suͤnder!

Alſo betet’ Adam, und mit ihm unſere Mutter,

Er mit lauter Stimme; ſie in der Tiefe der Seele.

Und, vom Angeſichte des ſterbenden Gottverſoͤners,

Kam Barmherzigkeit, goͤttliche Staͤrke, Ruhe des Himmels,

Kamſt du, Frieden Gottes! der hoͤher, als Aller Vernunft iſt,

Auf ſie herab. Sie empfanden es ganz, wie ihr Mittler ſie liebte!

Adam ſtreckte, mit neuer Jnbrunſt, die Arme zum Kreuz aus.

Du, mein Herr, und mein Gott! wie kann ich, du Liebe dir danken?

Ewigkeiten, ſie ſind zu kurz, genung dir zu danken!

Hier will ich liegen, und beten, bis du dein goͤttliches Haupt nun

Neigſt im Tode! Nur vor dem fuͤrchterlichſten der Engel,

Nur vor ſeiner Stimme, ſoll meine Stimme verſtummen;

Wenn er koͤmmt, und es nun, von deinem Vater, verkuͤndigt,

Der dich verlaſſen hat! … Hoͤr, um dieſer Todesangſt willen,

Die fuͤr Suͤnder du fuͤhlſt, hoͤr, Gottverlaßner! mein Flehen!

Herr! fuͤr deine Verſoͤnte, fuͤr meine Kinder, fuͤr alle,

Die das weite, das furchtbare Grab, die Erde, (Doch hats auch

Deine Gnade mit Blumen beſtreut!) noch kuͤnftig bewohnen,

Und, mit iedem vor deiner Verſoͤnung entſchlafnen Jahrhundert,

An dem Tage der groſſen Entſcheidung, auferſtehn werden!

Meine zahlloſen Kinder, fuͤr dieſe, fleh ich dich, Herr, an!

Weinend, mit duͤrftigem Leibe, mit viel mehr duͤrftiger Seele,

Werden ſie auf die Erde gebohren. Du, Mittler, erbarmſt dich

Dann ſchon ihrer, und nimmſt ſie in deinen goͤttlichen Bund auf.

Wenn ſie nun kaum Gedanken zu ſtammeln vermoͤgen, ſo laß ſie

Oft den wiederholen: Du habſt ſie fruͤh durch ein Wunder

Zu dir aufgenommen, und dein, Herr, ſeyn ſie auf ewig!

Die den Geiſt des Vaters und Sohns, im heiligen Waſſer,
Zu
[155]Zehnter Geſang.

Zu dem ewigen Leben, empfangen; und die, ſo du anders

Fuͤhrſt zum ewigen Leben, die alle, die du mit Blute,

Theuer erkauft, und ſie dem Anſchaun Gottes geweiht haſt,

Leite ſie im aufbluͤhenden Alter! pflege die zarten

Biegſamen Sproſſen, daß ſie zu ieder Fruchtbarkeit reifen,

Welche du in ſie legteſt. Jn ihnen verdunkle die Suͤnde,

Nie zu ſehr den Schimmer der fruͤherleuchtenden Gnade,

Loͤſche das Feuer nicht aus, das, dich zu lieben, ſie anflammt!

Herr! vor allen in denen nicht, deren reiferes Alter

Du, der Erde zu leuchten, und ſie an Gott zu erinnern;

Oder in jenen, die du beſtimmteſt, vom hoͤheren Schauplaz,

Zu dem du ſie erhubſt, auf ihre Bruͤder, die Menſchen,

Wohlthun, Frieden und Schutz, und Gerechtigkeit, auszuſchuͤtten!

Alle, die es nun wiſſen, was Gott von ihnen, der Weſen

Hoͤchſtes, heiligſtes, beſtes, der anzubetende Schoͤpfer,

Mit ſo vieler Geduld, ſo viel Barmherzigkeit, fodert,

Laß, laß alle Menſchen, ihr kurzes Leben am Staube,

Dieſe Stunde der Pruͤfung, zu ihrer Seligkeit, leben!

Daß der Wanderer nicht, am Quell, und unter den Schatten,

Jene Krone, die Gott von fern ihm zeigte, verſchlummre!

Oder ſie gar, an der Kette zu kleiner Freuden, verachte!

Deren Herzen nicht ganz am Unendlichen hangen, und die ſich

Auf den Arm des ſterblichen Helfers zu ſehr verlaſſen!

Denen die Ehre zu ſuͤß iſt, und die oft Beyfall der Menſchen,

Den zu ihrer Thaten Belohner waͤhlen, und Gottes,

Vor dem Tadel und Lob der Menſchen, wie Blaſen der Luft, wiegt,

Gottes Auge, das ſchaut, und zaͤhlt, und richtet, vergeſſen!

Die ſich in Sinnlichkeiten verweben! Sie hatten der Luͤſte

Stricke zwar mutig zerriſſen; allein die feinere Wolluſt

Lockt ſie taͤuſchend vom Gipfel der beſſern Freuden herunter!
Die
[156]Der Meſſias.

Die den Bruder nicht ganz, mit herzlicher Liebe nicht, lieben;

Wer zwar wohlthut, allein geſehn will werden, und Ehre,

Fuͤr die leichteſte Pflicht der Menſchlichkeit, Ehre verlanget!

Wer nur halb dem Feinde verzeiht, unbiegſam, der Rache

Deß, der raͤchen will, alles zu uͤberlaſſen, noch minder

Faͤhig, den, der ihm flucht, aus voller Seele, zu ſegnen!

Alle, die uͤber das Grab zu ſelten blicken, zu fluͤchtig

An die Unſterblichkeit denken, zu der du, ihr Gott, ſie gemacht haſt;

Wenn ſie die Stimme der Huld, die ſanfte des Vaters, nicht hoͤren:

Herr! ſo ruf ſie durch Leiden, aus ihren Jrren, zuruͤcke!

Aber die ganz von Gott abweichen, das Laſter zum Abgott

Machen, und ſclaviſch dem falſchen, dem ſpottenden Peiniger dienen;

Die Unſeligen wecke, von ihrem Tode, durch Elend!

Meine Kinder, ach, meine Kinder, er liebt unausſprechlich,

Der am Kreuze, fuͤr euch, ſein Leben dem Ewigen opfert!

Jſt es moͤglich, Unſterbliche, koͤnnt ihr euern Verſoͤner,

Euern Beruf, zu wandeln im Lichte, im Himmel, verkennen?

Ruͤhre die ſteinernen Herzen mit deiner allmaͤchtigen Liebe!

Schaffe ſie um, und bringe ſie rein zum Ewigen wieder!

Euer erſchuͤttertes Herz, es hoͤre die Stimme des Blutes,

Das von Golgatha ſtroͤmt, und Gnade! Gnade! fuͤr euch fleht,

Gnade! … Mit heiligem Schauer vernehme ſie eure Seele,

Mit Anbetung, und jener Entzuͤckung, des ewigen Lebens

Vorſchmack, welcher die Erben des Grabs, beym Anblick des Todes,

Ueberſchwenglicher ſtaͤrkt, als alle Weisheit der Erde!

Nicht des Sterbenden brechender Blick! noch der liegende Todte!

Nicht die Gruft voll Verweſungen! nicht die verzehrende Flamme!

Nicht die Aſche des Todten, zerſtreut in die Tiefen der Schoͤpfung!

Nichts, was deinen Raͤcher, den Tod, mit Furchtbarkeit ruͤſtet,

Wird ſie ſchrecken! Denn du erhoͤrſt mein Flehn, du Erwuͤrgter!
Und
[157]Zehnter Geſang.

Und weckſt ihre Seelen, eh ihre Leiber entſchlafen,

Zu dem ewigen Leben! Ach, daß ſie, wenn du ſie, Gottmenſch,

Aufgeweckt haſt, mit Zittern und Furcht die Seligkeit ſuchen,

Die kein Auge nicht ſah, kein Ohr nicht hoͤrte, die niemals

Eines noch Sterblichen Herz empfand! Nichts ſcheide ſie, Gottmenſch,

Nichts von deiner Liebe! Von Staub iſt der Leib, in dem ſie

Deine Verſoͤnte, die heilige Seele, der Ewigkeit Erbinn

Tragen. Es kruͤmme die Laſt des druͤckenden irrdiſchen Leibes

Nicht zur Erde ſie nieder, nicht ſie, die du, Goͤttlicher, liebeſt!

Sie mit denen der Vater der Weſen nicht ins Gericht geht!

Und die der Geiſt des Vaters und Sohns zum Tempel ſich heiligt!

Heiß, voll Thraͤnen, voll Arbeit, und werth der groſſen Belohnung,

Werth, wie es ſeyn kann, was Sterbliche thun, die Schwachen! die Suͤnder!

Sey der daurende Kampf der himmelringenden Seele!

Seligkeit uͤberſtroͤmt mich, und Wonne mein innerſtes Weſen,

Denk ich an jene Gnaden, die auf die Siegenden warten:

Gottes Anſchaun, und dieß vorm Tode noch ihnen verborgne

Namenloſe Gefuͤhl, und Erkenntniß des Unerſchaffnen;

Gott, Vollender! wenn du zu deinem lezten Gericht koͤmmſt,

Wenn du entlaſteſt die Erde vom Fluch, und zum Eden ſie umſchaffſt:

Ach dann laß unzaͤhlbar, als Sand am Meere, die Schaar ſeyn

Derer, die losgeſprochen, zu deiner Herrlichkeit eingehn!

Wolken werden ſich oft, (du haſt mirs Herr, nicht verborgen!)

Ueber deine Gewaͤhlten, die unſichtbare Gemeine

Deiner Kinder, verbreiten: des ſchwaͤrmenden Aberglaubens,

Und der geleugneten Religion verfinſternde Wolken!

Selber Herrſcher der Welt, die zu dieſer Hoͤh du emporhubſt,

Daß ſie dein groſſes Geſez: Wie ſich ſelbſt, die Bruͤder zu lieben!

Ungefeſſelt durch eigene Noth faſt grenzenlos uͤbten!

Die, im Staube gebuͤckt, den Gott verherrlichen ſollten,
Der
[158]Der Meſſias.

Der vor ihnen dieß weite Gefilde der Menſchlichkeit aufthat,

Die erniedrigen ſich, des blutigen Aberglaubens

Oder des Wahns, der dich verleugnet, Sclaven zu werden!

Jhre Bruͤder zu peinigen! oder, durchs maͤchtige Beyſpiel,

Sie in Wuͤſten zu fuͤhren, wo deine Quellen nicht rinnen,

Wo die Beweinenswerthen kein Troſt der beſſeren Welt labt!

Dieſe Zeiten der Nacht, ſo oft ſie uͤber den Erdkreis

Kommen, verkuͤrze du ſie, daß nicht auch deine Geliebten

Mit dem Suͤnder verleitet, ſich jener Krone berauben,

Die du ihnen mit Blut erwirbſt, mit dieſem Tode! …

Zahllos, Herr, ſey die Schaar der Ueberwinder, wie Tropfen

Auf dem fruͤhen Gefilde, wie Sterne der leuchtenden Schoͤpfung;

Wenn du ſie, nach vollbrachtem Gericht, zur Herrlichkeit einfuͤhrſt!

O du, der uns geliebt, mit einer Liebe geliebt hat,

Die ein Geheimniß der Himmel, und ihres Erſtaunens Geſang iſt,

Ewiges Licht vom ewigen Licht! Sohn Gottes! Verſoͤner!

Heil! Fuͤrbitter! und Freund! und Bruder der ſterblichen Menſchen!

Deiner Erſtgeſchaffnen Gebet, ach, deiner Gefallnen,

Deiner Erloͤſten tiefes Gebet, erhoͤr, erhoͤr es!

Als er noch betet’, erhub Eloa ſein Antliz, und wandt’ es

Nach der Verſammlung der Vaͤter und rief von der Zinne des Tempels,

Daß, mit dem Fuſſe Moria, des Heiligthums Hallen erbebten,

Rief mit einer Stimme der Traurigkeit und des Entſetzens,

Wie ſie von ihm noch nie die Unſterblichen hoͤrten, herunter

Zu den Vaͤtern: Er koͤmmt! … Der Bote der richtenden Gottheit

Schwebte zur Erd hinab, trat auf den Sinai nieder,

Stand, entſezte ſich! … Einſam, von Gottes Befehlen belaſtet,

Stand er auf Sinai. Himmel und Erde, ſo daucht’ es ihm, wollten

Fliehn! hinſinken! vergehn! … Der Endlichkeiten Erhalter
Staͤrkt’
[159]Zehnter Geſang.

Staͤrkt’ ihn, daß er nicht ſelbſt floh, ſank, und verging! Das Entſetzen

Ließ izt mit dem eiſernen Arm von ihm ab. Doch war er

Ganz Erſtaunen noch, ganz noch Wehmut. Die ſinkende Rechte

Hielt arbeitend das flammende Schwert. Jn Schimmer erblaßten

Seine blutiggeroͤtheten Strahlen, die, ieder ein Blitz, gluͤhn,

Zuͤcken, und toͤdten, wenn er, zu toͤdten, vom Richter geſandt iſt.

So von des Sterbenden Gottverſoͤners Anblick erſchuͤttert,

Sank er gegen den Todeshuͤgel aufs Angeſicht nieder,

Anzubeten, eh er Jehova Befehle vollbraͤchte.

Seine Stimme, verwandelt in leiſe Laute des Traurens,

Donnerte nicht, wie vordem; doch hoͤrte der Heiligen Kreis ihn.

Alſo betet’ er: Sohn! Weltrichter! mich Endlichen ſendet,

Den dein Opfer, und deins nur verſoͤnt! O ſtaͤrk, Unerſchaffner!

Staͤrke den Muͤden, daß ich den Befehl zu vollbringen vermoͤge!

Ach, die Laſten des groſſen Befehls, wie geſunkne Welten,

Liegen ſie, ſeit du am Kreuze das unerforſchte Gericht traͤgſt,

Herr, auf mir, dem Endlichen! Gott, Weltrichter, wer bin ich,

Ach wer bin ich, daß Gott mich, den fuͤrchterlichſten der Tode

Anzukuͤndigen, ſendet? Ein Geiſt, ſeit geſtern erſchaffen,

Und in einem Leibe, der Endlichkeit erſten Erinnrer,

Eingeſchloſſen, den du, aus einer Mitternachtwolke

Und, aus ſtroͤmenden Flammen, erſchufſt! Allmaͤchtiger Mittler!

Graun umgiebt mich, und Trauern, und Angſt, die ich niemals noch fuͤhlte!

Aber ich muß den Befehl vollbringen! Jehova gebot ihn!

Alſo ſprach er, und ſtand mit Schauer auf Sinais Hoͤh auf.

Jede Furchtbarkeit gab, da er aufſtand, Jehova ihm wieder.

Schreckend ſteht er, und haͤlt ſein Schwert nach Golgatha nieder,

Sein weitflam̃endes Schwert! Und hinter ihm macht ſich ein Sturm auf.

Mit dem eilenden Sturm erſcholl des Unſterblichen Stimme.

Und die Palmenwaͤlder, der Jordan, Genezaret, rauſchte
Vor
[160]Der Meſſias. Zehnter Geſang.

Vor dem maͤchtigen Sturmwind. Es ſtroͤmte das Abendopfer

Erdwaͤrts mit vorſchieſſender Glut! Der Unſterbliche ſagte:

Dem du dich opferſt, es hat Jehova dein goͤttliches Opfer

Angenommen! Unendlich iſt ſeiner Gerechtigkeit Zuͤrnen!

Sohn! du haſt dem unendlichen Zorne dich unterworfen!

Du allein! und mit dir iſt keiner von allen Erſchaffnen!

Deines Blutes Geſchrey um Gnad’, um ewige Gnade!

Jſt vor Jhn gekommen! Allein Er hat dich verlaſſen!

Wird dich verlaſſen, bis du den gottverſoͤnenden Tod ſtirbſt!

Nur noch Augenblicke; ſo wirſt du ihn, Gottmenſch, ſterben!

Alſo ſagte der Todesengel, und wandte ſein Antliz.

Jeſus Chriſtus erhub die gebrochnen Augen gen Himmel,

Rufte mit lauter Stimme, nicht eines Sterbenden Stimme,

Mit des Allmaͤchtigen, der, das Erſtaunen der Endlichkeiten,

Freygehorſam, dem Mittlertode ſich hingab! … er rufte:

Mein Gott! … mein Gott! … warum haſt du mich verlaſſen? …

Und die Himmel bedeckten ihr Angeſicht vor dem Geheimniß!

Schnell ergrif ihn, allein zum leztenmale, der Menſchheit

Ganzes Gefuͤhl. Er rufte mit lechzender Zunge: Mich duͤrſtet! …

Rufts, trank, duͤrſtete! bebte! ward bleicher! blutete! rufte;

Vater, in deine Haͤnde befehl ich meine Seele! …

Drauf … (Gott Mittler! erbarme dich unſer!) Es iſt vollendet!

Und er neigte ſein Haupt, und ſtarb. …

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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Der Messias. Der Messias. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bngn.0