[][][][][][][[I]]
Geschichten
Beſeſſener
neuerer Zeit
.

Beobachtungen
aus dem Gebiete
kakodaͤmoniſch-magnetiſcher Erſcheinungen


Karlsruhe,: 1834.
G. Braun.

[[II]][[III]]

Vorwort.


Auch die nachſtehenden Beobachtungen gehoͤren in das
Gebiet magnetiſcher Erſcheinungen, aber in das Gebiet
kakodaͤmoniſch-magnetiſcher, es ſind die Gegenſaͤtze von
denjenigen dämoniſch-magnetiſchen Erſcheinungen (das
Wort daͤmoniſch hier im guten Sinne gebraucht) wie
die Geſchichte der Seherin von Prevorſt, die Ge-
ſchichte zweier Somnambuͤlen *) und andere, ſie auf-
weiſen.


In allen Geſchichten Daͤmoniſch-magnetiſcher (oder
wenn man ſo ſagen will, Gut-magnetiſcher) tritt kon-
ſtant die Uebernatur im Menſchen hervor, alle ſprechen
von einer Verbindung mit guten Geiſtern, von Seli-
gen, die ſie zu Fuͤhrern haben; aber in den hier zur
Sprache gebrachten kakodaͤmoniſch-magnetiſchen Zuſtaͤn-
den (dem andern Pole) tritt die Unnatur im Menſchen
hervor, Spott gegen alles Heilige, kakodaͤmoniſches Be-
ſeſſenſeyn.


[IV]

Es ſteht als feſte Wahrheit: daß die menſchliche
Natur nur als Mittelglied zwiſchen eine Uebernatur und
Unnatur geſtellt und in magnetiſchen Zuſtaͤnden wie in
den dieſen analogen des Sterbens und des Todes, ih-
ren Mittelpunkt verlaſſend, in jene andere Naturen
Blicke zu thun oder ſich mit ihnen zu verbinden, faͤ-
hig iſt, was ſie, in dem, allerdings fuͤr ſie fuͤr dieſes
Leben als Norm beſtimmten, Zuſtande der Iſolirung
und des glaͤſernen Wachens, nicht zu thun vermag.


Mittheiler dieſes zeigte ſchon in der Geſchichte der
Seherin von Prevorſt, daß er nicht auf der Seite der-
jenigen ſtehe, die in ſolchen Erſcheinungen einzig nur Ner-
venſpiel, Monomanie und fixe Idee ſehen und hat ſeinen
Glauben und ſeine Gruͤnde dafuͤr auch in jener Geſchichte,
wie noch in andern Blättern, zur Genuͤge ausgeſprochen.


Wie wir ſchon im gemeinen Menſchenleben nach
einem verlorenen Paradieſe die Unnatur haͤufiger als die
Uebernatur hervortreten ſehen, ſo kommen auch dieſe
kakodaͤmoniſch-magnetiſchen Erſcheinungen, und nament-
lich das Beſeſſenſeyn, viel haͤufiger vor, als wir glau-
ben und ich koͤnnte von ihnen Reihen auffallender Bey-
ſpiele anfuͤhren. Sie werden meiſtens nur mißkannt und
mit Krankheiten verwechſelt, die ihnen in einigen aͤuße-
ren Symptomen gleichen.


Beſſer als die im Aeußeren lebende neue Zeit dieſe
Zuſtaͤnde verſteht, verſtand ſie das mehr im Inneren lebende
Alterthum. Wie dieſes ſie beſchrieb, ſind ſie noch und eben
ſo haͤufig vorhanden und nur wie dieſes ſie heilte,
ſind ſie noch und auf keinem andern Wege zu heilen.


[V]

Es waͤre zu wuͤnſchen, daß dieſe Zuſtände immer
mehr wiedererkannt und auf dem alten Wege zu heilen
wieder verſtanden wuͤrden.


Die hier folgenden Beobachtungen aus dieſem Ge-
biete (in welches beſonders der zweyte Fall gehört) ſind
mit aller Treue gegeben, ob ſie gleich Dinge enthal-
ten, die den Geiſtreichen und Gebildeten abermals ein
Entſetzen ſeyn werden; aber es ſind Erſcheinungen, die
ſehr an die Beſitzungen erinnern, die das neue Teſta-
ment uns uͤberlieferte, und die, ſollten ſie auch im ſtren-
gen Sinne unter jene nicht völlig zu zaͤhlen ſeyn, doch
wohl aͤhnlicher Rubrik beyzugeſellen ſind.


In den am Ende beygefuͤgten Reflexionen heißt es
uͤber ſie: „Dem Skepticismus laſſen ſie freylich genug
Spielraum uͤbrig, was unvermeidlich iſt, da die Natur
oder vielmehr Unnatur des Gegenſtandes in Hinſicht
auf Grund und Urſache myſterioͤſer Art iſt und bleiben
muß. Ohne Zweifel waͤre es auch dem Menſchen nicht
gut, wenn es zur Evidenz käme, weil jeder darin frey
bleiben ſoll, ſich ſeinen Glauben und ſeine Lehre dar-
aus zu nehmen, wie ihm beliebt. Indeſſen ſind es rein
beobachtete Phaͤnomene, die ſchon ihrer Seltenheit we-
gen (ich moͤchte abermals bemerken, daß nicht ihr Vor-
kommen, ſondern ihr Erkennen, ſelten iſt) verdienen
aufgezeichnet zu werden.“


Uebrigens gibt der Mittheiler dieſer Beobachtungen
hier nur die bloſen Thatſachen und einige geſchichtliche
Winke uͤber Beſeſſenſeyn, keine Theorieen. Bereichert
aber hat bey dieſer Gelegenheit ſein Freund Eſchen-
[VI] mayer
die chriſtliche Philoſophie durch Reflexionen uͤber
Beſitzung und Zauber, die dieſen Beobachtungen ange-
haͤngt und ein ſchoͤner Gewinn ſind, den ſie herbey-
fuͤhrten.


Beſitzung und Zauber ſind allerdings ſchon laͤngſt ver-
waiſte Probleme, die aus dem großen Cyklus der Wiſ-
ſenſchaften ausgeſtoßen waren, ohne daß ihre Raͤthſel
geloͤſt ſind. Der Natur und dem Himmel geſchieht taͤg-
lich ihr Recht, die Unnatur will auch das ihrige ha-
ben: denn ſie gehoͤrt zur gleichen Proportion. In die-
ſen Reflexionen ſind hiezu Verſuche gemacht.


Möchte nicht nur der geneigte, ſondern auch der
ungeneigte Leſer, wenigſtens unſere gute Abſicht und
treuen Glauben nicht mißkennen!


Weinsberg, im Auguſt 1834.


Justinus Kerner.


[]

Inhalt.


  • Seite
  • Vorrede 1
  • Einige Vorbemerkungen über Beſeſſenſeyn, beſonders in geſchicht-
    licher Hinſicht 1
  • Geſchichte des Mädchens von Orlach20
  • Nachträglicher Bericht über das Mädchen von Orlach, von Gerber59
  • Geſchichte der beſeſſenen U. 73
  • Geſchichte einer Beſeſſenen vom Jahr 1829 101
  • Geſchichte zweyer Beſeſſenen vom Jahr 1714 104
  • Geſchichte einer Beſeſſenen vom Jahr 1766 113
  • Geſchichte einer Beſeſſenen vom Jahr 1559 118
  • Einige Reflexionen über Beſitzung und Zauber zu den vorſtehen-
    den Geſchichten, von Eſchenmayer120

[]

Einige
Vorbemerkungen über Besessenseyn,
beſonders in geſchichtlicher Hinſicht.


Nicht blos im neuen Teſtamente (aber allerdings in
dieſem vorzüglich), ſondern auch in Schriften noch früherer
Zeit, finden wir die Lehre vom Beſeſſenſeyn und das Vor-
kommen deſſelben, nicht unähnlich dämoniſchen Erſcheinungen,
wie ſie noch bis auf den heutigen Tag ſich zeigen. Auch
das neue Teſtament ſpricht von dieſen Erſcheinungen nicht
wie von einer neuen Sache, ſondern wie von einer ganz
bekannten.


Aeſchylus, Sophokles, Euripides führen Beſeſſene, ganz
verſchieden von Wahnſinnigen und Epileptiſten, auf, und
wir finden ſie bey Hyppokrates, Lucian, Plutarch, Appo-
lonius u. ſ. w. In Philoſtratus Leben des Appolonius (L. III.
C.
38) wird von einem jungen Manne erzählt, der zwey
Jahre lang beſeſſen (dämoniſch) geweſen. Es heißt dort:
„Der Dämon ſprach von ſich ſelbſt; er ſagte auch: daß
er ein Mann ſey, der im Kriege gefallen
.“


Die Griechen machten auch immer einen Unterſchied zwiſchen
ſolchen, die durch eine natürliche Krankheit in Wahnſinn
verfielen, und zwiſchen dämoniſchen, von böſen Geiſtern
Beſeſſenen. Sie leiteten das Delirium in einem Fieber nicht
von Dämonen her, eben ſo wenig das Delirium der Säufer.
Im Herodot wird vom Kleomen geſagt: „daß ſein Un-
verſtand vom Trinken und nicht von einem Dämon her-
komme“, und ſo betrachteten ſie auch ſonſt nicht alle Ver-
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 1
[2] rückte als Beſeſſene (obgleich im Ausdruck beſeſſen ſeyn zu-
gleich der Begriff des Wahnſinns liegt); denn ſie erkannten
den Unterſchied gar wohl.


Lucian ſagt, indem er vom Beſeſſenſeyn ſpricht: „Allen
iſt Syrus aus Paläſtina bekannt, welcher die Kunſt ver-
ſteht, Leute, welche gegen den Mond zu Boden fielen, die
Augen dabey verdrehten und den Mund voll Schaum be-
kamen, aufzurichten und zu heilen. Wenn er zu den von
der Krankheit Befallenen hintritt und fragt: woher ſie in
den Körper gekommen ſeyen? ſo ſpricht der Kranke
ſelbſt nicht
, der Dämon aber antwortet in griechiſcher
oder fremder Sprache, je nach dem er ſelbſt aus einer
Gegend iſt
, wie und woher er in den Menſchen gekommen
ſey; Syrus aber treibt dann den Dämon durch Beſchwö-
rungen, oder wenn dieſe nicht wirken, durch Drohungen
aus.“


Die Juden ſagten wohl von jedem Kranken, daß er von
einem böſen Geiſte gequält werde, aber ſie ſagten nicht
von einem Jeden, der krank war, daß er von einem Dämon
beſeſſen ſey. Des Beſeſſenſeyns wurde von ihnen nur da
erwähnt, wo es charakteriſtiſch auch nur wirklich da war.


Das neue Teſtament, welches von dem Wunder der Aus-
treibung mit beſonderem Nachdruck ſpricht, öfter und nach-
drücklicher, als von all den andern Wundern, gab uns auch
ein ſo klares Bild von dieſem Beſeſſenſeyn, daß wir jetzt
nach den vielen Jahrhunderten durch die in der neueſten
Zeit beobachteten Dämoniſchen wieder lebhaft an daſſelbe
erinnert werden; mag auch problematiſch bleiben, ob dieſe
Fälle ſtreng genommen zu jenen Beſitzungen in älterer Bedeu-
tung gehören.


Chriſtus und ſeine Apoſtel trugen die wirkliche Lehre von
Beſitzungen vor und behaupteten ſie, und wäre es eine irrige
Lehre, ſo hätten die inſpirirten Lehrer des Evangeliums
nothwendig von einem Irrthume frey ſeyn müſſen, der ſich
unglücklicherweiſe der Religion beymiſchte, die ſie auszu-
breiten ſuchten, und ſie hätten alſo den Irrthum vielmehr
[3] berichtigen müſſen, als daß ſie das Volk wiſſentlich in dem-
ſelben beſtätigten.


Das neue Teſtament ſpricht:


  • 1) von dem Dämoniſchen in der Synagoge zu Kapernaum
    Marc. I, 23. Luc. IV, 33.
  • 2) von dem Gadareniſchen Dämoniſchen Matth. VIII, 28.
    Marc. V, 1. Luc. VIII, 26.
  • 3) von dem Dämoniſchen Matth. IX, 32. Luc. XI, 14.
  • 4) von dem Dämoniſchen Matth. XII, 22.
  • 5) von der kananitiſchen Tochter Matth. XV, 21.
  • 6) von dem Dämoniſchen Matth. XVII, 14. Marc. IX,
    17. Luc. IX, 38.

Nach Luc. VIII, 2. trieb Chriſtus aus der Marie Mag-
dalene ſieben Dämonen aus. Von dieſem aber und andern
Fällen haben wir eine blos allgemeine Nachricht.


Ich bitte den geneigten Leſer, all dieſe Fälle in dem hei-
ligen Buche genau nachzuleſen: denn ich will nur zwey
derſelben hier ausziehen.


S. Evangelium Marci Cap. IX. V. 17.


„Und Einer aus dem Volke gab zur Antwort und ſprach:
Lehrer! ich habe meinen Sohn zu dir gebracht, der einen
ſtummen Geiſt hat. (Im Ev. Matthäi C. 17. V. 15 ſagt dieſer
Vater zu Jeſus: „Herr! erbarme dich über meinen Sohn, denn
er iſt mondſüchtig.“) Und wo dieſer ihn ergreift, reißt er
ihn hin und her, ſo daß er ſchäumt, mit den Zähnen knirſcht
und ganz abzehrt. Ich habe deine Jünger gebeten, ihn
wegzuſchaffen, ſie konnten es aber nicht. Da gab er ihnen
zur Antwort und ſprach: O du ungläubiges Geſchlecht! wie
lange ſoll ich bey euch ſeyn? wie lange noch Geduld mit
euch haben? bringet ihn her zu mir! Sie brachten ihn zu
ihm. Und alsbald, da ihn der Geiſt ſah, riß er ihn und
fiel auf die Erde und wälzte ſich und ſchäumte. Und Jeſus
fragte ſeinen Vater: wie lange iſt es, daß ihm dieſes
widerfahren iſt?
Er ſprach: von Kindheit auf. Und
oft hat er ihn ins Feuer und Waſſer geworfen, daß er ihn
umbrächte. Wenn du es vermagſt, ſo erbarme dich unſer
1 *
[4] und hilf uns. Jeſus aber ſprach zu ihm: wenn du könnteſt
glauben; alle Dinge ſind möglich dem, der da glaubet.
Und alsbald ſchrie des Kindes Vater mit Thränen und
ſprach: ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Schwachglau-
ben! Da nun Jeſus ſah, daß das Volk zulief, bedrohete
er den unſaubern Geiſt und ſprach zu ihm: Du ſprach-
loſer und tauber Geiſt
, ich gebiete dir, daß du von
ihm ausfahreſt und kehreſt hinfort nicht mehr in
ihn zurück
!


Hierauf ſchrie er, verzerrte ſich ſchrecklich und fuhr aus.
Der Knabe aber war wie todt, daß auch Viele ſagten, er
iſt todt. Jeſus aber ergriff ihn bey der Hand und richtete
ihn auf, und er ſtand auf. Und da Jeſus nach Hauſe kam,
fragten ihn ſeine Jünger allein: warum konnten denn wir
ihn nicht austreiben? Er antwortete ihnen: dieſe Art kann
durch nichts ausfahren als durch Beten und Faſten.“ —


S. Marci C. V, 1—17. Matth. C. VIII, 28—34.
Luc. C. VIII, 26.


„Sie kamen nun jenſeits des Meeres in die Gegend der
Gergeſener. Da er aus dem Schiffe ſtieg, kam ihm gleich
ein Mann mit einem unreinen Geiſte aus den Grabhöhlen
entgegen, welcher in den Grabhöhlen ſeine Wohnung hatte.
Nicht einmal mit Ketten konnte man ihn bändigen. Ob-
gleich er ſchon oft mit Fußeiſen gebunden worden, ſo hatte
er doch die Ketten zerriſſen und die Fußeiſen zerrieben, und
Keiner vermochte ihn zu bändigen. Immerfort Tag und
Nacht war er in den Grabhöhlen und auf den Bergen, ſchrie
und ſchlug ſich ſelbſt mit Steinen. Als er aber Jeſum von
ferne ſah, lief er zu, betete ihn an und rief mit lauter
Stimme: Jeſus, du Sohn Gottes, des Allerhöchſten! was
haben wir mit dir zu ſchaffen? Biſt du hergekommen, uns
zu quälen, ehe denn es Zeit iſt? (denn er hatte zu ihm
geſprochen: geh’ von dem Manne, du unſauberer Geiſt!)
Er fragte ihn: wie heißt du? Er antwortete ihm: „ich
heiße Legion, denn unſerer ſind Viele.“ Dabey bat er ihn
ſehr, ihn nicht aus der Gegend zu vertreiben. Es weidete da
[5] am Berge eine große Menge Schweine. Und die unſaubern
Geiſter baten ihn und ſprachen: Schicke uns in die Schweine,
damit wir in dieſelben hineinfahren! Jeſus erlaubte es ihnen
gleich. Da gingen die unreinen Geiſter aus und in die Schweine
hinein, und mit Ungeſtüm ſtürzte die Heerde, die ſich auf zwey-
tauſend belief, von der Anhöhe in das Meer und erſoffen
im Meer. Und die Schweinhirten entflohen und verkün-
digten das in der Stadt und auf dem Lande; und ſie gingen
hinaus und ſahen, was ſich ereignet hatte. Und ſie kamen
zu Jeſus und ſahen den, der von den unſaubern Geiſtern
beſeſſen war, daß er ſaß und war bekleidet und vernünftig,
und ſie fürchteten ſich. Und die, die es mit angeſehen hatten,
erzählten ihnen, wie es mit dem Beſeſſenen ergangen und
von den Schweinen. Und ſie fingen an und baten ihn, daß
er aus ihrer Gegend zöge. Und da er in das Schiff trat,
bat ihn der Beſeſſene, er möchte ihn bey ſich laſſen. Aber
Jeſus ließ es nicht zu und ſprach zu ihm: Gehe hin in dein
Haus und zu den Deinen, und verkündige ihnen, wie große
Wohlthat dir der Herr gethan und ſich deiner erbarmet hat.
Und er ging hin und fing an, in den zehen Städten aus-
zurufen, wie große Wohlthat ihm Jeſus erzeigt, und Je-
dermann verwunderte ſich.“ —


Joſephus, ein naher Zeitgenoſſe von den Apoſteln, und
der mit ihnen in einer Sprache ſchrieb, überlieferte uns
auch Mehreres von den Dämoniſchen. Er ſtellt die Dä-
monen als in die Dämoniſchen hineingehend vor und ſagt,
daß die Wurzel Baaras ſie austreibe.


Er erzählt (Flav. Josephus Antiquit. Lib. 8. Cap. 2.
5.): „Ich habe ſelbſt einen von meinen Landsleuten geſehen,
mit Namen Eleazar, der vor Veſpaſian, ſeinen Söhnen,
Hauptleuten und übrigen Soldaten von Dämonen beſeſſene
Leute aus deren Macht befreyte. Die Befreyung geſchah
auf folgende Art: Er hielt dem Beſeſſenen einen Ring vor
die Naſe, in deſſen Käſtlein eine von den Wurzeln einge-
ſchloſſen war, die Salomo bekannt gemacht hatte (vorher
erzählte Joſephus, daß beſonders Salomo Formeln und
[6] Vorſchriften, derley übernatürliche Erſcheinungen zu heben,
hinterlaſſen habe), und zog, wann er daran roch, den böſen
Geiſt durch die Naslöcher heraus; alsdann fiel der Menſch
zu Boden, und jener beſchwor den Geiſt, daß er nicht wie-
derkommen ſolle, gedachte dabey Salomonis und ſagte die
von ihm aufgeſetzten Beſchwörungen (Formeln, die noch bis
auf den heutigen Tag auch unter unſerem Volke zu gleichem
Zwecke gebraucht werden) her. Ferner wollte Eleazar
den Umſtehenden ſeine Kunſt bewähren und klärlich beweiſen,
daß ſie Kraft habe, ſetzte deßwegen ein Trinkgeſchirr oder
Fußbecken voll Waſſer hin und gebot dem Dämon, er ſolle
von dem Menſchen ausfahren und zum Kennzeichen, daß
ſolches geſchehen, das Gefäß mit dem Waſſer umſtoßen.“ —
Dieſer Eleazar mag aber vielleicht auch, wie viele ſeines
Gleichen zu ſeiner Zeit, nur momentane Hülfe durch ſeine
Beſchwörungskunſt geleiſtet haben. Wenn auch die Heilung
der Dämoniſchen durch ſolche Beſchwörer erfolgte, die neben
ihren Beſchwörungsformeln und Wurzeln auch Räucherungen
und andere natürliche Mittel anwandten, ſo war es nur
oft ein Werk von kurzer Dauer, der Dämon zeigte ſich bald
wieder. Bey den Austreibungen Jeſus war es nur ſein
Wort, ſein Befehl, der mehr bewirkte ohne Gebrauch na-
türlicher Mittel, und dadurch war auch das Erſtaunen
der Umſtehenden bey den durch ihn bewerkſtelligten Aus-
treibungen ſo groß. Das Austreiben ſelbſt, wie das Beſeſſen-
ſeyn, war ihnen nichts Neues. Die Erſcheinung des Be-
ſeſſenſeyns und das Austreiben dauerte auch nach Jeſus bis
auf die heutige Stunde fort, aber letzteres allerdings nicht
mit gleichem Erfolge, und es war in der erſten chriſtlichen
Kirche der Exorcismus beſonders ſehr häufig. Mit keinem
Gegenſtande ſind die Schriften der chriſtlichen Väter ſo be-
kannt, als mit dieſem, keiner Sache rühmen ſie ſich mehr,
als der Macht des geringſten Chriſten, die Dämonen aus
dem Leibe der Chriſten zu bannen. In der Kirchengeſchichte
kommen weit mehr Nachrichten von Beſitzungen vor, als
in andern Annalen; in vielen andern kirchlichen Schrift-
[7] ſtellern finden wir ſie, nicht als eine ſeltene ungewohnte
Sache, ſondern als einen bekannten und gewöhnlichen Vorfall.


Juſtin, der Kirchenvater, (Apol. II.) ſpricht von „Men-
ſchen, welche von den Seelen Verſtorbener in Beſitz
genommen und zu Boden geworfen werden, welche Jeder-
mann von Dämonen beſeſſen nenne.“ Wir ſehen dieſen
Glauben auch durch viele Beobachtungen und Beyſpiele in
den verſchiedenen Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag
bewährt. Exorciſtiſche Schriften des vorigen Jahrhunderts
geben die Zeichen, durch die Beſeſſenſeyn von einer Krank-
heit zu unterſcheiden iſt, ſehr richtig an, wenn ſie z. E.
ſagen: „Der Exorciſt ſoll nicht leicht glauben, es ſey Einer
von einem Dämon beſeſſen, er habe denn vorher die be-
ſtimmten Kennzeichen, die einen Beſeſſenen von einem an
ſchwarzer Galle oder anderer Krankheit Leidenden unter-
ſcheiden. Die ſicherſten Kennzeichen ſind dieſe: wenn der
Menſch in einer ihm vorher unbekannt geweſenen Sprache
ſpricht, ihm Verborgenes, oder was von ihm entfernt ge-
ſchieht, offenbar wird, wenn er bey frommen Reden zu-
ſammenſchreckt, in Unruhe oder gar in Wuth verfällt, wenn
er Gottes Wort verwünſcht oder verabſcheut, beym Hören
deſſelben Schmerzen empfindet und Theile ſeines Leibes ſich
dabey ungewöhnlich aufblähen, wenn er nicht in die Kirche
gehen will und, wenn er hineingezwungen wird, es ihn
ſogleich wieder hinaustreibt, wenn er beym Anblick des
Bildes des Gekreuzigten in Wuth geräth, oder es nicht
anſehen kann, es anſpuckt, wenn er fromme Redensarten,
z. E. „Gott erbarme dich meiner“, „am Anfang war das
Wort“ u. dgl., nicht nachſprechen kann, oder wenn er ſie
auch nachſpricht, dieſelben zu verſtümmeln oder zu verdrehen
ſich beſtrebt, gegen ſie einen wahren Ekel zeigt, wenn er,
wenn man das Leiden Jeſu, die Evangelien u. dgl. über
ihn liest, unerträgliche Beängſtigung fühlt, oder man Schweiß-
tropfen auf ihm ſtehen ſieht, er brüllt, ſich niederwirft u.
ſ. w., wenn er Kräfte zeigt, die über ſeine ſonſtige Natur
[8] ſind, wenn kein natürliches Mittel, keine gewöhnliche Arzney
bey ihm anſchlägt *).


Sauvages ſagt: „Mehrere Kennzeichen eines wahren
Beſeſſenſeyns, durch die daſſelbe von einem ſolchen zu er-
kennen iſt, hat uns Hoffmann überliefert. Erſtens: nicht
allein erſchrecklicher Ton der Stimme, bewunderungswür-
dige und ungewohnte Bewegungen des Körpers, ſondern
zweytens auch wunderbare Convulſionen, die ſich plötzlich
und ohne vorangegangene Krankheit einſtellen; drittens:
Gottesläſterungen, Verdrehung des göttlichen Wortes, ob-
ſcöne Reden; viertens: Wiſſen verborgener Dinge und be-
ſonders zukünftiger; fünftens: Wiſſen fremder Sprachen;
ſechstens: Erbrechen von ſonderbaren Dingen, wie z. E.
Haare, Kieſelſteine u. ſ. w., die mit ungeheurer Auftrei-
bung des Bauches aus dem Munde geworfen werden.“ —


Ich führe dieſe Stellen beſonders auch deßwegen an, um
zu zeigen, daß man zu dieſer Zeit das Beſeſſenſeyn wohl
von anderer natürlicher Krankheit zu unterſcheiden wußte,
und es durch geiſtliche Mittel, nicht durch leibliche, heilte.


Dieſes Beſeſſenſeyn, wie es auch jetzt noch, mehr als man
denkt, vorkommt, iſt auch von einer durch natürliche körperliche
Urſachen entſtandenen Epilepſie und Manie gar wohl zu
unterſcheiden, und iſt durchaus etwas ganz Anderes, als
dieſe.


Bey Beſeſſenen ſehen wir allerdings auch, wie bey Epi-
leptiſchen, convulſiviſche Bewegungen des Körpers, Nieder-
fallen, Schlegeln u. ſ. w. Bey der Epilepſie bemächtigt ſich
aber nicht ein ganz fremder, in all ſeinem Sprechen und
Thun durchaus anderer teufliſcher Geiſt, des Individuums,
nimmt den Sitz ſeiner Seele ein und beſorgt ihre verſchie-
denen Verrichtungen ganz im Sinne der Hölle, bis dieſer
Dämon gleichſam von dem Schutzgeiſte des Individuums nie-
dergedrückt, eine Zeit lang wieder gebunden wird, jedoch
[9] immer bald wieder über ihn obſiegt und durch keine leibliche
Arzney (man gab ſolchen Perſonen die halbe materia me-
dica
ſchon oft umſonſt ein), ſondern einzig durch das
geiſtige Wort und vor Allem durch den Namen
Jeſu
ganz und für immer aus dem Geplagten weicht. Das
iſt keine Epilepſie und das iſt auch kein Wahnſinn!! Einen
Wahnſinnigen kann man Jahre lang im Namen Jeſu be-
ſchwören, und ſo auch einen Epileptiſchen, ſie geneſen da-
durch gerade nicht. Es gibt aber allerdings ſehr viele Be-
ſeſſene, in denen der Dämon, ſich liſtig verſteckend, ſich,
wenigſtens oft nicht gleich anfänglich, durch Rede kund gibt,
und die dann leichter mit wirklichen Epileptiſchen verwechſelt
werden, und es ſcheinen das die Beſeſſenen zu ſeyn, von
denen es im neuen Teſtamente heißt: ſie ſeyen von einem
ſtummen Geiſte beſeſſen. Nicht daß in ſolchen Fällen der
Beſeſſene ſtumm war, ſondern der Geiſt, der Dämon, nicht
aus ihnen ſprach. So ſagte auch Jeſus: „Du ſprachloſer
und tauber Geiſt!“ nicht, du ſprachloſer und tauber Be-
ſeſſener! Durch magiſche Einwirkung, hauptſächlich aber
durch das Wort und die Beſprechung im Namen Jeſu, kann
aber auch bey dieſen der Dämon zum Sprechen genöthigt
werden, er ſpricht dann aus ihnen als der ſie Beſitzende
mit teufliſcher Rede, und ſo erkennt man denn auch die
Beſeſſenen von dieſer Form nicht als gewöhnliche Epilep-
tiſche, ſondern als Beſeſſene *).


Eben ſo wenig ſind aber auch die Beſeſſenen Wahnſinnige.
Es geſchah ſchon von der Unwiſſenheit oder dem Unverſtande,
daß Magnetiſche auch geradezu Wahnſinnige genannt wur-
den, und nur mit gleichem Unrechte könnten allerdings auch
Beſeſſene in dieſe Cathegorie gezählt werden; denn wie bey
den gewöhnlichen Magnetiſchen ein Zuſtand der Begeiſte-
rung (Beſitzung) von einem guten Geiſte, ein dämoniſch-
magnetiſcher Zuſtand (wenn man das Wort dämoniſch im
[10] guten Sinne als Schutzgeiſt gebraucht) Statt findet, ſo findet
bey den Beſeſſenen ein Zuſtand der Begeiſterung (Beſitzung)
von einem boͤſen Geiſte, ein kakodämoniſch-magnetiſcher Zu-
ſtand Statt, aber ſo wenig Magnetiſche mit Wahnſinnigen zu
verwechſeln ſind, ſo wenig ſind es die Beſeſſenen. Was nun
hauptſächlich auch die Beſeſſenen im neuen Teſtamente anbe-
langt, die der Verſtand der Gelehrten auch ſchon längſt für
Wahnſinnige, wie den Glauben an die Wunder für Wahnſinn,
erklärte, ſo kann ich hier keinen beſſern Gewährsmann als
v. Meyer reden laſſen. Dieſer ſpricht hierüber in ſeinen
„Bibeldeutungen“ alſo: „So gewiß im Ausdruck Beſeſſen-
ſeyn
zugleich der Begriff des Wahnſinns liegt, ſo wenig
können die Beſeſſenen der Schrift bloße Wahnſinnige ſeyn,
ſo lange wir der Bibel als Gottes Wort glauben. Man
ſehe Marc. Cap. III. V. 11. „Und wenn ihn die unſaubern
Geiſter ſahen, fielen ſie nieder, ſchrieen und ſprachen: „Du biſt
Gottes Sohn.“ Was wußte ein bloßer Verrückter von Gottes
Sohn? während ſonſt Niemand davon wußte? Oder wie
kann die Schrift das Urtheil von Wahnwitzigen zur Verherr-
lichung Jeſu aufzeichnen? Ja, es heißt im 12ten Vers:
„Jeſus bedräuete ſie hart, daß ſie ihn nicht offenbar machten.“
Wo bleibt hier die Ehrfurcht vor dem Verſtande Jeſu, wenn
es bloße Unſinnige waren? —


Marc. I, 34 heißt es: „Er trieb viele Teufel aus, und
ließ die Teufel nicht reden, denn ſie kenneten ihn.“ Doch
nicht wohl, wie ein Wahnſinniger einen kennen kann? Was
ſollte das heißen? — Oder was ſollte es heißen, vom
Wahnſinn genommen, wenn Matth. VIII, 29 erzählt wird,
die beyden grimmigen Beſeſſenen im Gergeſener Gebiet, welche
aus den Todtengräbern kamen, und deren Dämonen (nicht
ſie ſelbſt) nachher in die Schweine fuhren, hätten geſchrieen:
„Jeſu, du Sohn Gottes (alſo das heißt, ſie kannten ihn,
vgl. Marc. I, 24), Jeſu, du Sohn Gottes, was haben
wir mit dir zu thun? Biſt du herkommen, uns zu quälen,
ehe denn es Zeit iſt?“ Freylich möchte dieſe letzte Rede
eine irre Rede ſcheinen, weil der Neologen keiner ſie erklären
[11] kann *). Es fällt alſo hier die Frage vor, auf welcher
Seite das Irrereden iſt. Sagen wir aber (denn dieß iſt der
neueſte Schlupfwinkel der Zeit), die Evangeliſten hätten als
Juden ſolche Verrückte und Epileptiſche wirklich für beſeſſen
gehalten, daraus aber folge noch nichts für die Sache ſelbſt,
ſo wenig wie bey den Wundern, welche die Evangeliſten
als Juden auch geglaubt und als Wunder erzählt hätten;
ſo ſehen wir nicht nur Matth. C. 17, daß wo der Vater als
Jude ſeinen Sohn blos mondſüchtig nennt, Jeſus und
der Evangeliſt als ſolcher ihn für beſeſſen erklärt **),
ſondern die Bibel iſt nun, wie geſagt, nicht mehr Gottes-,
ſondern Menſchenwort, und zwar das Wort von Menſchen,
die mit den thörigſten Vorurtheilen beſeſſen waren. Wir
haben demnach nichts Angelegentlicheres zu thun, als das
Evangelium aus den Kirchen und Schulen zu verbannen,
und dafür rein-vernünftige Fibeln und Lehrbücher für Er-
wachſene einzuführen, weil die Evangeliſten unter aller Kritik
abergläubiſche Juden waren, die Jeſum und ſeine Religion
gar nicht verſtanden; dagegen wir einen reinen Jeſum auf-
ſtellen können. Ich fühle mich hier verſucht, ein wenig über
Beſeſſenheit zu ſcherzen; aber mir fällt Pauli Wort allzu-
ſchwer aufs Herz im Briefe an die Galater C. I, 8. „So
Jemand euch Evangelium predigt anders, denn
das ihr empfangen habt, der ſey verflucht
.“


[12]

An ſich laſſen ſich zwey Arten von Wahnſinn gedenken:
einer, der ſeinen Grund in bloſer Störung oder Zerrüttung
der Denkwerkzeuge hat, und abermals entweder eine Folge
innerlicher Krankheit oder einer gewaltſamen Erſchütterung
von außen, eines Falls, Schlags und Stoßes, oder einer
heftig aufgeregten Leidenſchaft ſeyn kann. Dieſen heilt, ſo
Gott will und die Werkzeuge noch ganz ſind, der Arzt. Es
iſt aber, wenn wir böſe Geiſter und ihren Einfluß auf den
Menſchen, den die Schrift lehrt, annehmen, auch ein Wahn-
ſinn und eine Raſerey und eine Fallſucht möglich, die un-
mittelbar von der Inwohnung eines böſen Weſens herrührt,
welches die Denkkräfte lähmt, verwirrt, auf allerhand ſchreck-
liche Art mißbraucht, und dann zuweilen ganz wunderwür-
dige Reden oder Handlungen hervorbringt. — Die unge-
heure Stärke der Wüthenden, der ſcharfe Witz, den Blöd-
ſinnige ausſprechen, brauchen zwar ſo wenig, wie die ſon-
derbaren Liebhabereyen des Wahnwitzes, jedesmal dem Spiel
eines Dämons anzugehören, da der Menſch in ſich ſelbſt
verborgene Kräfte genug hat, deren zufällige Entwickelung,
da ſie ins Gebiet des Wunderbaren hinüberreichen, uns in
ein gerechtes Erſtaunen ſetzen kann. Ich will hiezu ſogar
die entſchiedene Wahrſagergabe rechnen, die man an ge-
wiſſen Wahnſinnigen beobachtet hat; denn ſie ließe ſich aus
einer Entwickelung des Ahnungvermögens bey geſchwächten
Vernunftkräften erklären. Wie aber überhaupt das Ahnungs-
vermögen den Menſchen in Verbindung mit der Geiſterwelt
ſetzt, und ſobald dieſe Thür geöffnet iſt, ſich nicht mehr
berechnen läßt, wie viel oder wenig Einfluß letztere auf
ihn habe; ſo kann ich, wenn ich ruhig [die] Möglichkeiten
abwäge, mir auch denken, daß bey einem oder dem andern
jener Nervenkranken, Irren und Raſenden der wahre Treiber
oder Agent ein unſichtbarer Inwohner aus der finſtern Welt
ſey. Denn es iſt blos ein körperliches Geſetz, daß ein Ding
dem andern den Raum verſperrt, oder, wie die Phyſiker
ſprechen, daß die Körper undurchdringlich ſind; im
Geiſterreich herrſcht eine andere Ordnung, wovon der An-
[13] fang ſchon an der wunderreichen Lichtmaterie wahrzunehmen
iſt. Geiſt kann in Geiſt wohnen, und mehrere Geiſter in
einem Körper zugleich. Daher wir in der Schrift ſogar von
mehrfachen Teufelsbeſitzungen leſen. Richtet nun ein ſolcher
böſer Dämon zugleich eine leibliche Krankheit an, was er
ſelten unterlaſſen und was die natürliche Folge ſeiner Wir-
kung auf die Seele ſeyn wird; oder war umgekehrt die
leibliche Krankheit zuerſt da, und zog eine Verfinſterung
und Verwirrung der Gemüthskräfte nach ſich, dieſe aber
zog durch die Imagination das finſtere Reich an, welches
in der Verwirrung ſein Element hat, ſo wäre es ſogar mög-
lich, daß eine zweckmäßige gemeine Arzney, auf die körper-
liche Erſcheinung gerichtet, durch Gottes beſondern Willen
auch den Grund oder die Folgen höbe; der Einwohner
könnte ausziehen müſſen, vielleicht auch wollen. Es wäre
möglich, aber es wird ſelten geſchehen. —


Es ſcheint mir nicht undenkbar, daß, wenn ein gottge-
ſandter Prophet und Wunderthäter, oder ein rechter Magus,
in eins von unſern Irrhäuſern träte, er unter einer Anzahl
unheilbarer Verrückter auch einzelne wirkliche Beſeſſene ent-
decken und heilen könnte, ſey es mit bloſer Beſchwörung
im Namen Jeſu oder mit Beyhülfe phyſiſcher Mittel. (Das
Gleiche iſt auch auf Epileptiſche anzuwenden.)


Daß nach Jeſu Tod und Auffahrt noch Beſitzungen Statt
haben konnten, liegt in ſeiner eigenen Verheißung Marc.
16. 17. wo unter den Zeichen, die den Glaubenden folgen
ſollen, zu allererſt ſteht: „In meinem Namen werden
ſie Teufel austreiben
.“ Und Apoſtelg. 8. 7. findet
ſich die Beſtätigung in den Worten: „Die unſaubern
Geiſter fuhren aus vielen Beſeſſenen mit großem
Geſchrey
.“ Ob alſo dieſe hölliſche Seuche noch bis auf
dieſe Stunde hier und da vorhanden iſt, müſſen Erfahre-
nere entſcheiden. Die Zukunft wird auch über dieſes Dunkel
das gewünſchte Licht verbreiten.


Daß dieſes Beſeſſenſeyn noch in den ſpätern Jahrhun-
derten nach Chriſtus, ja wohl noch bis auf den heutigen
[14] Tag (wenigſtens ein ihm ſehr verwandter Zuſtand) vor-
kommt, davon mögen den geneigten Leſer die hier aufge-
führten Erfahrungen überzeugen.


Auffallend mag es auch dem Bibelgläubigen ſeyn, daß in
mehreren dieſer neuen Erfahrungen von Beſeſſenſeyn der Dä-
mon des Beſeſſenen ſich nicht für einen wirklichen Teufel, ſon-
dern für den Geiſt eines unſelig verſtorbenen Menſchen, der von
dieſem fremden Leibe Beſitz genommen, ausgibt; auffallend
wird es ihm ſeyn, weil die Dämonen der Beſeſſenen im neuen
Teſtamente, wenigſtens in Luthers Ueberſetzung, immer Teufel
genannt werden. Um ſo merkwürdiger iſt aber, daß ſchon
frühere Schriftſteller über Beſeſſene, z. E. der Engländer
Hugo Farmer*), die wohl keine eigenen Erfahrungen
von Beſeſſenen gemacht haben, auch ſonſt ganz im Sinne
des Rationalismus über ſie urtheilen, blos in Folge ihrer
literariſchen Kenntniſſe, die Behauptung aufſtellten, auch
der Heiland und die Jünger hätten unter den Dämonen
der Beſeſſenen nicht Teufel — ſondern Geiſter böſer ver-
ſtorbener Menſchen, verſtanden.


Ihre Gründe ſind folgende: Die Geiſter, die von den
menſchlichen Leibern ſollen Beſitz genommen haben, werden
im neuen Teſtamente nicht Teufel (Διαβολοι), ſondern Dä-
monen genannt (Δαιμονες), und das Wort Dämonen wird
nie in der mehreren Zahl böſen Geiſtern (Teufeln) beyge-
legt, wie Alle zugeben, was auch immerhin ſein Gebrauch
in der einfachen Zahl ſeyn mag. Joſephus, ein naher Zeit-
genoſſe von den Apoſteln, ſagt ausdrücklich, daß die Dä-
monen Geiſter böſer Menſchen wären, die von den Leben-
digen Beſitz nehmen. Es iſt auch anzunehmen, daß die
Schriftſteller des neuen Teſtamentes durch Dämonen (wenn
ſie bey Beſitzungen vorkommen) ſolche menſchliche Geiſter
verſtanden, von denen man glaubte, daß ſie nach dem Tode
Dämonen würden. Juſtinus Martyr, der auch um die
[15] Zeit der Apoſtel lebte, ſagte, ohne Furcht Chriſto und ſeinen
Apoſteln zu widerſprechen, ausdrücklich: daß die von den
Seelen der Verſtorbenen angegriffenen und niedergeworfenen
Perſonen von Jedermann Dämoniſche und Unſinnige genannt
würden, und er beweist eben aus dieſem Zuſtand der Be-
ſeſſenen (daß er nämlich denſelben der Beſitzung von ver-
ſtorbenen Seelen zuſchreibt), daß die Seele nach dem Tode
übrig bleibe.


Philoſtratus erzählt (wie ſchon oben angeführt) in
ſeinem Leben des Apollonius Tyanus, der ein Zeitgenoſſe
von Chriſto war, daß ein Dämon, der einen jungen Mann
beſeſſen hatte, ſelbſt bekannt habe, daß er ein Geiſt von
einer in der Schlacht umgekommenen Perſon ſey, und be-
ſonders verſtand man unter Dämonen auch Geiſter ſolcher
böſer Menſchen, die einen gewaltſamen Tod erlitten hatten. —


Aus genauer Unterſuchung aller Stellen im neuen Teſta-
mente, in welchen Dämonen vorkommen, können wir ſicher
ſchließen, daß in denſelben nie der Teufel und ſeine Engel
verſtanden werden, am wenigſten in den Schriften Pauli.
Im Gegentheil ſind alle Beweiſe da, daß er und die andern
Apoſtel darunter Geiſter verſtorbener Menſchen verſtehen,
und ſie gebrauchen dieſes Wort bald in einem guten, bald
in einem böſen Sinne, gerade wie es die Alten machten,
und auf die auffallendſte Weiſe ſtimmen auch mehrere der
Geſchichten der neueſten Beſeſſenen damit überein, die gewiß,
wären ihre Geiſter nur eine fixe Idee, ſie auch nach der
allgemeinen Meinung für Teufel, aber nicht, ganz gegen
ihren und den herrſchenden Glauben, für Geiſter verſtor-
bener böſer Menſchen ausgegeben hätten: denn Hugo Far-
mers
Meinung von dieſer Sache iſt ihnen wohl ſo unbe-
kannt geblieben, als die von Joſephus, Juſtinus Martyr,
Philoſtratus und Anderen.


Ich ſagte auch einmal zu einer der Beſeſſenen in ihrem
gewöhnlichen Zuſtande: die Dämonen in den Beſeſſenen der
Bibel hätten ſich für keine Seelen verſtorbener Menſchen
ausgegeben, das aber thue, wie man ihr ſchon geſagt haben
[16] werde, der in ihr ſeyn ſollende Dämon, worauf ſie entgeg-
nete: „Das ſeye ihr auch wunderbar; denn in der Bibel
habe ſie nie etwas davon geleſen, aber es müſſe doch ſo
ſeyn, weil es der Dämon in ihr ſchon ſo oft verſichert
habe, auch ſeine Ausſagen von ſeinem früheren Leben, das
ihr nicht ſo bekannt geweſen, als wahr erfunden würden.
Und dieſer letztere Umſtand muß allerdings auch hier beſon-
ders in die Wagſchale gelegt werden.


Ueber dieſe beſondere Erſcheinung, daß bey mehreren der
hier aufgeführten Beſeſſenen die Beſitzenden nicht Teufel,
ſondern verſtorbene böſe Menſchen waren, ſprach ſich ein
bewährter Freund und Kenner der heiligen Schrift gegen
mich auch folgendermaßen aus:


„Sollte nicht Schwedenborg hier Recht bekommen,
nach deſſen Lehrſatz alle Engel und alle Teufel verſtorbene
Menſchen ſind? Wenn dieſer Lehre auch nicht ſo ſchlagende
Beweiſe aus der heiligen Schrift und der Erfahrung ent-
gegenſtänden, die ſie als einen Irrthum des wirklichen, aber
auch mitunter getäuſchten Geiſterſehers bezeichnen, ſo folgt
doch aus jenen neuen Begebenheiten nicht das mindeſte dafür.
Bey der vor einigen Jahren zu M. vorgefallenen (in dieſen
Blättern auch gegebenen) und andern neuen Geſchichten (wie
auch in mehreren der hier angeführten) waren wirkliche Dä-
monen, keine Menſchenſeelen, die Peiniger der Beſeſſenen.


Im Allgemeinen läßt ſich zweyerley als moͤglich denken.
Die Teufel ſind Lügner, ſie ſind ungerne gekannt und unter-
drücken ihren wahren Namen, daher jener im Evangelium,
auf die Frage wie er heiße, ſich Legion nennt, weil ihrer
Viele ſeyen, ohne auch nur einen Namen anzugeben. Es iſt
alſo möglich, daß ſie ſich, um unerkannt zu bleiben und der
Menſchen zu ſpotten, für Verſtorbene ausgeben. Es iſt aber
eben ſo möglich, daß es wirkliche abgeſtorbene Seelen ſind,
und in den Fällen des Mädchens von O. und der dämo-
niſchen Frau U. ſcheint dieſe Annahme den Vorzug zu ver-
dienen, oder verdient ſie wirklich aus Gründen, die hier
nicht weiter ausgeführt werden ſollen. Ein ſolcher Zuſtand,
[17] wo eine Seele in einem fremden Leibe wohnt, und die wahre
Inwohnerin beherrſcht, kann im Guten wie im Böſen, und
ſogar noch bei Leibesleben des Gaſtes, wie viel mehr nach
deſſen leiblichem Tode Statt haben, und iſt längſt unter dem
Namen Ibbur bekannt. Man ſehe darüber Kerners Ge-
ſchichte zweier Somnambulen nebſt andern Denkwürdigkeiten
aus dem Gebiete der magiſchen Heilkunde, und v. Meyers
Blätter für höhere Wahrheit 9. Samml. S. 272.


Deutlich redet die heilige Schrift davon allerdings nicht,
und das vornehmlich deswegen, weil ſie ihre weiſen Urſachen
hat, den Zuſtand der Verſtorbenen überhaupt zu verſchleiern,
beſonders die, daß Niemand ſeine Buße auf das Leben nach
dem Tode verſchieben möge. Sie macht gleichwohl manche
wichtige Andeutung davon, mit welcher die Erfahrungen neue-
rer Zeit übereinſtimmen, und es ſcheint, daß in unſern Tagen
auch jene Wahrheit von der Influenz der Abgeſchiedenen auf
die Lebenden und von ihren Beſitzungen offenbar werden ſoll.
Der Zweck dieſer nähern Entdeckung möchte mannigfach ſeyn
und iſt in allem Betracht zu unſerm Heil gemeint. Auch können
wir nicht wiſſen, ob nicht unter dem allgemeinen Namen der
Dämoniſchen im neuen Teſtamente (will man auch nicht mit
Farmer annehmen, daß unter dem Wort Dämon in der Bibel
nie ein Teufel, ſondern immer die abgeſchiedene Seele eines
böſen Menſchen verſtanden werde) wirklich ſolche begriffen ſind,
die nicht von Teufeln, ſondern von andern Menſchenſeelen be-
ſeſſen waren: denn da dieſes der wenigere Theil ſeyn mochte,
ſo gingen ſie mit unter der Benennung der vorherrſchenden
Gattung hin.“


Die oben erwähnte, hieher gehörende Stelle aus v. Meyers
Blätter für höhere Wahrheit iſt folgende:


„Die Rabbinen, beſonders die kabaliſtiſchen behaupten,
daß die Seele eines Verſtorbenen auf einen Lebendigen
geheimen Einfluß haben, ihn inſpiriren, ja bewohnen und be-
ſitzen könne, ohne für immer an ihn gebunden zu ſeyn, und
ohne Aufhebung der beyderſeitigen Perſönlichkeit, obgleich
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 2
[18] dieſe ſich im Denken, Wollen und Handeln zuſammen vermi-
ſche; ſie glauben ſogar, daß mehrere ſolcher Seelen zugleich
in einem Menſchen wohnen könnten, gleich wie viele Dä-
monen in einem Beſeſſenen.


Sie nennen dieſen Zuſtand der Seeleninwohnung Ibbur,
gleichſam Schwangerſchaft.


Wir wollen die Möglichkeit hievon nicht läugnen. Es kann
eine Art von Ibbur ſogar zwiſchen zwey lebenden Perſonen
vorgehen.


Ein Beiſpiel hiervon liefert in Kerners Geſchichte zweier
Somnambulen die erſte und merkwürdigſte derſelben. — Sie
war öfters in andern Menſchen, in ihrem Arzt, in ihrer Mutter;
ſie durchbrach als dann die Wolke (den dunkeln Stoff) ihres und
des andern Leibes. Einſt ſagte ſie zum Arzte: „Ich bin nun
ganz in dir, daß wenn du jetzt ſchnell zur Thür hinaus gin-
geſt, ſo würde es mich mein Leben koſten; denn wie ich nur all-
mählig in dich gehen konnte, ſo kann ich nur allmählig aus
dir heraus, und ich würde durch dein Hinweggehen allzu-
ſchnell von deinem Körper getrennt: denn ich bin mehr von
meinem Körper getrennt als mit ihm verbunden.“ Sie er-
klärte auch, wie es damit zugehe: „Es zieht ſich das Leben
und alles Geiſtige nur allmählig aus dem Kopfe nach der Herz-
grube, und von dieſer, wenn ich in andere Perſonen übergehe,
nur allmählig hinaus; doch bleibt immer hier noch eine
Verbindung, ſonſt könnte ich nicht wiederkehren.“ Das Außer-
ſichſeyn eines Menſchen, d. i. ſeiner Seele mit ihrem Geiſte,
außer dem Körper iſt längſt bekannt, aber hier zeigt ſich auch
die Erſcheinung ihres Seyns in einem Andern, und das iſt
Ibbur, und mahnt auch an das Eingehen der Geiſter Ver-
ſtorbener in die Leiber noch Lebender, oder an das Beſeſſen-
werden.


Magnetiſche ſind in einem Zuſtande, der ſich dem [Verſtorbe-
nen]
nähert, ſie ſind halbe Geiſter, halbe Geſpenſter, und was
hier von einem Magnetiſchen halb geſchah, kann von einem
Verſtorbenen ganz und vollkommen geſchehen.


[19]

Ein philoſophiſches Raiſonnement über dieſe Erſcheinung
und zugleich über die nachſtehenden Thatſachen iſt in den von
Eſchenmeyer am Ende dieſer Blätter mitgetheilten Refle-
xionen über Beſeſſenſeyn und Zauber enthalten, worauf ich
den Leſer verweiſe.


Zuerſt folgen hier nun die treu und einfach erzählten That-
ſachen, von denen die erſte Thatſache, die der Geſchichte
des Mädchens von Orlach, weniger als die ihr nachfol-
genden, zu den Beſitzungen in älterer Bedeutung zu zählen iſt.



[20]

Geschichte des Mädchens von Orlach.


Nachſtehende Geſchichte gehört in das Gebiet kakodämoniſch-
magnetiſcher Erſcheinungen und bildet einen Uebergang zu den
darauf folgenden, mehr den Beſitzungen im neuen Teſtamente
analogen Thatſachen.


In dem kleinen Orte Orlach, Oberamts Hall in Würtem-
berg, lebt die Familie eines allgemein als ſehr rechtſchaffen
anerkannten Bauern (der inzwiſchen zum Schultheißen ſeines
Ortes erwählt wurde), Namens Grombach, lutheriſcher
Confeſſion. In dieſer Familie herrſcht Gottesfurcht und Recht-
ſchaffenheit, aber keine Frömmeley. Ihre Lebensweiſe iſt die
einfacher Bauersleute und die Arbeit in Stall und Feld ihre
einzige Beſchäftigung. Grombach hat vier Kinder, die alle
auf’s eifrigſte zum Feldbau angehalten ſind. Durch Fleiß
zeichnet ſich auch beſonders deſſen zwanzigjährige Tochter, mit
Namen Magdalene, aus. Dreſchen, Hanfbrechen, Mähen,
iſt oft wochenlang von Tagesanbruch an bis in die ſpäte Nacht
ihre Beſchäftigung. Der Schulunterricht ging ihr nur ſchwer
ein, ob ſie gleich zu andern Arbeiten gute Sinne hatte, und
ſo gab ſie ſich auch ſpäter nicht mit Leſen von Büchern ab.
Sie iſt, ohne zu vollblütig zu ſeyn, ſtark, friſch, ein geſun-
des Kind der Natur, war in ihrem ganzen Leben nie krank,
hatte ſelbſt nie die geringſte Kinderkrankheit, nie Gichter, nie
Würmer, nie einen Ausſchlag, nie Blutſtockungen, und
brachte auch deswegen nie das Geringſte von Arzeneymit-
teln über den Mund.


Im J. 1831 im Monat Februar geſchah es, als Grom-
bach
eine neue Kuh gekauft hatte, daß man dieſes Thier zu
wiederholtenmalen an einer andern Stelle im Stalle, als an
[21] die es gebunden wurde, angebunden fand. Dieſes fiel Grom-
bach
um ſo mehr auf, als er ſich völlig verſichert hatte, daß
beſtimmt keines ſeiner Leute dieſes Spiel mit dem Thiere ge-
trieben.


Darauf fing es auf einmal an, allen dreyen Kühen im
Stall ihre Schwänze auf’s kunſtreichſte zu flechten *), ſo kunſt-
reich, als hätte es der geſchickteſte Bortenmacher gethan und
dann die geflochtenen Schwänze wieder untereinander zu ver-
knüpfen. Machte man die Flechten der Schwänze wieder aus-
einander, ſo wurden ſie bald wieder von unſichtbarer Hand ge-
flochten und das mit einer ſolchen Geſchwindigkeit, daß wenn
man ſie kaum gelöſt hatte und ſogleich wieder in den menſchen-
leeren Stall zurückgekehrt war, die Schwänze auch bereits
wieder allen Kühen auf das kunſtreichſte und pünktlichſte ge-
flochten waren, und dieß täglich vier bis fünfmal. Dieſe Son-
derbarkeit dauerte mehrere Wochen lang tagtäglich fort und
bey der größten Aufmerkſamkeit und Begierde, einen Thäter
zu entdecken, gelang dieß doch nie.


In dieſer Zeit bekam die Tochter Magdalene einmal, als
ſie bey dem Viehe melkend ſaß, aus der Luft von unſichtbarer
Hand eine ſo derbe Ohrfeige, daß ihr die Haube vom Kopfe
an die Wand flog, wo ſie der auf ihren Schrey herbeygeſprun-
gene Vater aufhob.


Oft ließ ſich im Stalle eine Katze mit weißem Kopfe und
ſchwarzem Leibe ſehn, von der man nicht wußte woher ſie kam,
oder wohin ſie bey ihrem Verſchwinden ging. Von dieſer Katze
wurde das Mädchen einmal angefallen und in den Fuß gebiſ-
ſen, ſo daß man mehrere Zähne dieſes Thires in ihrem Vorder-
fuße ſah. **) Nie konnte man dieſes Thieres habhaft werden.
[22] Einmal flog auch aus dem Stall, man wußte nicht woher er
gekommen, da alles verſchloſſen war, ein unbekannter ſchwar-
zer Vogel in Geſtalt einer Dohle oder eines Raben.


Unter ſolchen kleinern und größern Neckereyen im Stalle
verfloß das Jahr 1831. Den 8. Februar 1832 aber, als das
Mädchen gerade mit ihrem Bruder den Stall reinigte, erblickten
ſie im Hintergrunde deſſelben ein helles Feuer.


Es wurde nach Waſſer gerufen und die Flamme, die ſchon
zum Dache hinausſchlug, ſo daß ſie auch die Nachbarn be-
merkten, bald mit ein paar Kufen Waſſer gelöſcht. Die Haus-
bewohner wurden nun in großen Schrecken verſetzt, ſie wuß-
ten ſich nicht zu erklären, woher die Flamme gekommen und
vermutheten nicht anders als es ſey ihnen das Feuer durch
böſe Menſchen gelegt worden.


Dieſes Entſtehen einer Flamme und wirkliches Brennen in
verſchiedenen Theilen des Hauſes, wiederholte ſich am 9., 10.
und 11. Februar, ſo daß endlich auf Anſuchen Grombachs
das Schultheißenamt Tag und Nacht Wächter vor und in
dem Hauſe ausſtellen ließ, allein dem unerachtet brachen wie-
der in verſchiedenen Theilen des Hauſes Flammen aus. Wegen
ſolcher Gefahr ſahen ſich Grombachs genöthiget, das Haus
völlig zu räumen; aber auch dieß fruchtete nichts: denn es
brannte dennoch und aller Wachen unerachtet wieder zu ver-
ſchiedenenmalen bald da bald dort in dem nun leeren Hauſe.
Als die Tochter Magdalene einige Tage nach dem letzten
Brande, Morgens halb ſieben Uhr wieder in den Stall kam,
hörte ſie in der Ecke der Mauer (Grombachs Haus hat zum
Theil eine ſehr alte Mauer zum Fundament) das Winſeln
**)
[23] wie eines Kindes. Sie erzählte es ſogleich ihrem Vater, er
ging auch in den Stall, aber hörte nichts.


Um halb acht Uhr deſſelben Tages ſah das Mädchen im
Hintergrunde des Stalles an der Mauer die graue Schatten-
geſtalt einer Frau, die um Kopf und Leib wie einen ſchwarzen
Bund gewickelt hatte. Dieſe Erſcheinung winkte dem Mädchen
mit der Hand.


Eine Stunde ſpäter, als ſie dem Vieh Futter reichte, erſchien
ihr die gleiche Geſtalt wieder und fing zu reden an. Sie ſprach
zu ihr hin: „Das Haus hinweg! das Haus hinweg! Iſt es
nicht bis zum 5. März kommenden Jahres abgebrochen, ge-
ſchieht euch ein Unglück! Vor der Hand aber zieht nur in
Gottes Namen wieder ein und das heute noch, es ſoll bis da-
hin nichts geſchehen. Wäre das Haus abgebrannt, ſo wäre das
nach dem Willen eines Böſen geſchehen, ich habe es, euch ſchüz-
zend, verhindert; aber wird es nicht bis zum 5. März kom-
menden Jahres abgebrochen, ſo kann auch ich nicht mehr ein
Unglück verhüten und verſpreche mir nur, daß es geſchieht.“


Das Mädchen gab nun der Erſcheinung dieſes Verſprechen.
Vater und Bruder waren zugegen und hörten das Mädchen
ſprechen, aber ſonſt ſahen und hörten ſie nichts.


Nach Ausſage des Mädchens war die Stimme der Erſchei-
nung eine weibliche und die Ausſprache hochdeutſch.


Am 19. Februar halb neun Uhr Abends kam die Erſcheinung
vor ihr Bett und ſagte: „Ich bin wie du von weiblichem Ge-
ſchlecht und mit dir in einem Datum geboren. Wie lange,
lange Jahre ſchwebe ich hier!! Noch bin ich mit einem Böſen
verbunden, der nicht Gott, ſondern dem Teufel dient. Du
kannſt zu meiner Erlöſung mithelfen.“


Das Mädchen ſagte: „Werde ich einen Schatz erhalten,
wenn ich dich erlöſen helfe?“


Der Geiſt antwortete: „Trachte nicht nach irdiſchen Schäz-
zen, ſie helfen nichts!“


Am 25. April Mittags zwölf Uhr erſchien ihr der Geiſt wie-
der im Stall und ſprach: „Grüß dich Gott liebe Schweſter!
ich bin auch von Orlach gebürtig und mein Name hieß
[24] Anna Maria. Ich bin geboren den 12. September 1412 (das
Mädchen iſt den 12. September 1812 geboren). Im zwölften
Jahre meines Alters bin ich mit Hader und Zank ins Kloſter
gekommen, ich habe niemals in’s Kloſter gewollt.“


Das Mädchen fragte: „Was haſt du denn verbrochen?“
Der Geiſt antwortete: Das kann ich dir noch nicht eröffnen.“


So oft nun der Geiſt zu dem Mädchen kam, ſprach er gegen
ſie nur religöſe Worte, meiſtens Stellen aus der Bibel,
die ſonſt dem Mädchen gar nicht im Gedächtniſſe waren *).
Dabey ſagte er: „Man wird meinen, weil ich eine Nonne
geweſen, wiſſe ich nichts von der Bibel, aber ich weiß bald
alles in ihr. Er betete meiſtens den 116. Pſalmen.


Einmal ſagte das Mädchen zum Geiſt: „Vor nicht langer
Zeit war ein Geiſtlicher bey mir, der gab mir auf, dich zu
fragen: ob du nicht auch andern erſcheinen könnteſt, man
würde dann eher glauben, daß du nicht blos ein Trug meines
Gehirnes ſeyeſt.“ Darauf antwortete der Geiſt: „Kommt
wieder ein Geiſtlicher, ſo ſage ihm, er werde wohl das,
was in den vier Evangelien ſtehe, auch nicht glauben, weil
er es nicht mit Augen geſehen. Es ſagte auch ein an-
derer Geiſtlicher zu dir (das war wirklich ſo) du ſolleſt ſagen
wie ich (der Geiſt) beſchaffen ſey. Spricht einer wieder ſo,
ſo ſage ihm: er ſolle einen Tag in die Sonne ſehen
und dann ſoll er ſagen, wie die Sonne beſchaf-
fen ſey
.“


Das Mädchen ſagte: „Aber die Leute würden es doch eher
glauben, würdeſt du auch andern erſcheinen!“ Auf dieß ſprach
[25] der Geiſt ſeufzend: „O Gott! wann werd ich erlöſet doch
werden:“ wurde ſehr traurig und verſchwand.


Das Mädchen ſagt: ſie dürfe die Fragen an den Geiſt
nur denken, dann erhalte ſie ſchon die Antwort. Bey etwas,
das ſie einmal nur gedacht und nicht habe ausſprechen wollen,
habe der Geiſt geſagt: „Ich weiß es ſchon, du haſt nicht
nöthig es auszuſprechen, damit ich es weiß, doch ſpreche es
nur aus.“ *)


Oft fragte das Mädchen den Geiſt: warum er ſo leide,
auf welche Art er denn mit [einem] böſen Geiſte noch verbun-
den ſey, warum das Haus weg ſolle, allein hier gab die Er-
ſcheinung immer nur ausweichende Antworten, oder ſeufzte ſie.


Vom Monat Februar bis May erſchien dieſer Geiſt dem
Mädchen zu verſchiedenen Tagen, ſprach immer religöſe Worte
und deutete oft mit Jammer auf ſeine Verbindung mit ei-
nem ſchwarzen Geiſte hin. Einsmal ſagte er, daß er nun
auf längere Zeit nicht mehr kommen könne, dagegen werde
das Mädchen durch jenen ſchwarzen Geiſt Anfechtungen er-
leiden, ſie ſolle nur ſtandhaft bleiben und ihm doch ja nie
eine Antwort ertheilen. Mehrmals ſagte er ihr auch Dinge
voraus, die dann eintrafen, z. E. daß die oder jene Per-
ſon am andern Tage zu ihr kommen werde.


Als am 24. Juny, am Johannistage, da Alles in der
Kirche war, das Mädchen allein zu Hauſe blieb, um das
Mittageſſen zu beſorgen und gerade am Feuerheerde in der
Küche ſtund, hörte ſie auf einmal einen heftigen Knall im
Stalle. Sie wollte nachſehen was geſchehen ſey; als ſie aber
vom Heerde gehen wollte, ſo erblickte ſie einen ganzen Hau-
fen ſonderbarer gelber Fröſche auf dem Heerde. Sie erſchrak
zwar, dachte aber: ich ſollte doch einige dieſer Thiere in meinen
Schurz faſſen, um meinen Eltern bey ihrer Heimkunft zu
zeigen, was das für eine neue Art von Fröſchen iſt, aber als
ſie im Begriff war, einige derſelben mit ihrer Schürze auf-
[26] zufaſſen, rief Jemand von Boden herab: (es ſchien ihr die
Stimme jener weiblichen Erſcheinung zu ſein) „Magda-
lene! laß die Fröſche gehen!“ und ſie verſchwanden.


Am 2. July ging der Vater mit ſeiner Tochter Morgens
zwey Uhr auf die Wieſe zu mähen. Als ſie gegen ſechzig
Schritte vom Hauſe entfernt waren, ſagte die Tochter:
„Da ſchreit ja des Nachbars Knecht: halt Magdalene!
ich will auch mitgehen!“ Der Vater konnte es nicht hören,
aber der Tochter hörbar, ſchrie es noch einmal daſſelbe
und lachte ganz höhniſch dazu. Sie ſagte: jetzt kommt er!
Da war es aber eine ſchwarze Katze. Sie gingen weiter,
da ſagte die Tochter: jetzt iſt es ein Hund. Sie gingen bis
an die Wieſe, da war es eine ſchwarze Fohle, aber der
Vater und die andern Leute ſahen es nicht, der Tochter aber
blieb es von 2 bis 7 Uhr ſichtbar, da wurde ihr das Mähen
ſehr mühſam.


Als ſie am 5. July Morgens drey Uhr wieder zum Mähen
gieng, rief ihr eine Stimme zu: „Magdalene! was iſt denn das
für eine, die[ ]als zu dir kommt?“ und lachte recht höhniſch dazu.


Auf einmal ſagte die Tochter zum Vater: „Jetzt kommt
etwas!“ da kam ein ſchwarzes Pferd ohne Kopf, ſprang
bald hinter ihr, bald vor ihr. Oft war es, als wäre der
Kopf wie friſch abgeſchnitten, daß man das Fleiſch ſah, oft
war die Stelle am Halſe vom Felle überzogen.


Mittags zwölf Uhr kam beym Heuwenden auf der Wieſe
ein ſchwarzer Mann zu ihr, ging mit ihr die Wieſe auf
und ab und ſagte: „Das iſt eine rechte Schachtelgret, die als
zu dir kommt, was will denn dieſe? Dieſer mußt du gar
nichts antworten, das iſt ein ſchlechtes Menſch, aber ant-
worte du mir, dann geb ich dir den Schlüſſel zum Kel-
ler unter deinem Hauſe. Da liegen noch acht Eymer vom
älteſten Wein und viele, viele köſtliche Dinge. An dem Weine
könnte dein Alter noch lange bürſten, das iſt auch was
werth.“ Dann lachte er höhniſch und verſchwand.


Am 4. July Morgens drey Uhr, als ſie zum Mähen
ging, kam ein ſchwarzer Mann ohne Kopf zu ihr und ſagte:
[27] „Magdalene! hilf mir heute mähen, ich gebe dir für jeden
Maden einen Laubthaler. Wenn du ſehen würdeſt, wie
ſchön meine Thaler ſind, du würdeſt mir gewiß mähen hel-
fen! Kennſt du mich denn nicht? ich bin ja des Wirths
Sohn. Wenn ich wieder in den Bierkeller gehe, ſo gebe ich
dir noch Bier dazu, wenn du mir mähen hilfſt“ Immer
lachte der Schwarze höhniſch zu ſolchen Worten. Er blieb
eine Viertelſtunde und ſprach im Weggehen: „Du biſt auch
eine ſolche Schachtelgret wie jene (die weiße Geiſtin) die
als zu dir kommt!“


Fünf Uhr kam er wieder als ein ſchwarzer Mann, trug
eine Senſe und ſagte: „Dieſes Stück will ich dir auch
heruntermähen helfen, damit ihr eher fertig werdet, und
ſind wir fertig, dann geheſt du mit mir, dann wollen wir
zu der Schachtelgret, da gibt’s recht zu freſſen und zu ſau-
fen, aber freundlich mußt du mir ſeyn und eine Antwort
mußt du mir geben. Gib mir jetzt nur deine Senſe her,
auf daß ich ſie dir wetze! So! jetzt muß ſie recht ſchnei-
den! Das Moos muß ſie aus der Erde hauen und dazu
viele ſchöne blanke Thaler, wenn du mir antworteſt.“ Er
blieb bis ſieben Uhr um ſie. Sie hatte dieſen ganzen Tag
nicht nöthig, ihre Senſe zu wetzen, ſie blieb unverwüſtlich
ſcharf.


Mittags zwölf Uhr war der Schwarze wieder auf der
Wieſe mit einem Rechen in der Hand und ſagte: „Ein
rechter Taglöhner ſtellt ſich Mittags gleich ein.“ Er wen-
dete das Heu hinter der Magdalena nach und ſagte immer
unter die Arbeit hinein: „gib mir doch Antwort, du
Dumme! dann haſt du Geld genug; jede Antwort bezahle
ich dir mit Schätzen, ich bin reich. Eine Meſſe, Magda-
lene! mußt du leſen laſſen, damit es ſchön Wetter bleibt,
es nützt dich alles nichts, eine Meſſe mußt du leſen laſ-
ſen!“ Dann lachte er wieder höhniſch und verſchwand.


Das Mädchen iſt, wie ſchon angeführt, lutheriſcher,
nicht katholiſcher Confeſſion, es befinden ſich auch keine
Katholiken zu Orlach.


[28]

Das Gewand des Schwarzen kam ihr wie die Kutte
eines Mönchs vor, wie er auch ſpäter erklärte, daß er
im Leben ein Mönch geweſen. Am 5. Juli Morgens, als
die Tochter wieder auf der Wieſe war, rief es mit der
Stimme ihres Nachbars hinter ihr: „Magdalene! haſt du
keinen Wetzſtein mitgenommen? Bin heute verkehrt ausge-
gegangen; ich habe meinen Wetzſtein daheim gelaſſen!“
Die Tochter wandte ſich um, doch ohne Antwort zu geben
(was ſie immer auf das ſtandhafteſte vermied, ſelbſt jetzt,
wann ſie ſicher zu ſeyn glaubte, daß eine wirklich menſch-
liche Stimme von ihr Antwort begehre), da ſtund der
ſchwarze Mönch da und ſagte weiter: „Nicht wahr, das
iſt doch ſchön, wenn man jedesmal wieder dahin darf,
wo man geweſen iſt? Ich glaube, du kennſt die Leute nicht
mehr. Das bedeutet deinen Tod, wenn du die Leute nicht
mehr kennſt. Siehe recht, ich bin ja dein Nachbar. Sage,
was wollte denn dein Vater mit dem Buche machen, das
er heute mitnehmen wollte? — Wollte er eine Meſſe leſen?“
Und dann lachte er ſpöttiſch. (Man hatte dem Vater den Rath
gegeben, das neue Teſtament mitzunehmen und ſo bald
die Erſcheinung ſich zeige, ihr dieſe heilige Schrift hinzu-
halten, aber es unterblieb des Regens wegen.) „Magdalene,
fuhr er fort, du wetzeſt deine Senſe nicht recht! Sieh! ſo auf
den Boden muß man ſich ſetzen und die Senſe in den Schooß
nehmen. Setze dich! Sieh ſo wetze ſie und antworte mir und
ſey freundlich, dann wirſt du mit der Senſe das Moos aus
der Erde heraus hauen und noch viele blanke Thaler da-
zu. Halt Magdalene! die Fliegen ſtechen dich (es war ſo),
ich will dir die Fliegen wehren!“ (Er wehrte ihr wirklich
die Fliegen und dieſen ganzen Tag kamen keine mehr an
ſie, wie auch den ganzen Tag wieder ihre Senſe, ohne daß
man ſie wetzte, ſchnitt.) Dann ſagte er ferner: „Aber Mag-
dalene! du mußt deinem Vater ſagen, er ſoll mit dir
nach Braunsbach gehen (einem katholichen Orte in der
Nähe), da wollen wir dann eine Meſſe leſen laſſen, daß
das Wetter ſchön bleibt, — aber antworten mußt du mir!“


[29]

Mittags halb zwölf Uhr an dieſem Tage war der
ſchwarze Mönch bey ihr ſchon wieder auf der Wieſe. Er
hatte einen Ranzen auf dem Rücken und trug in der Hand
eine Senſe, fing zu mähen an und ſagte: „Magdalene!
das iſt eine Schande vor den Nachbarsleuten, wenn ihr ſo
unſauber mähet. Sage, willſt du nicht mit mir handeln?
Gibſt du mir nicht deine Senſe, ich gebe dir da die meinige
dafür? Sieh! dann gebe ich dir auch den Ranzen, den ich da
auf meinem Rücken habe, der iſt voll ſchöner blanker Thaler,
wie du noch keine geſehen. Die geb’ ich dir all noch dazu,
aber antworten mußt du mir und deinem Alten (dem Vater)
darfſt du nicht gleich ſagen, daß ich da bin, ſonſt gehe ich
ſogleich wieder heim.“


Auf dieſe Rede ſagte die Tochter ſogleich dem Vater,
daß der Mönch wieder da ſey. Da ging dieſer augenblick-
lich und rief noch im Gehen höhniſch zurück: „Geh’ auch
mit mir heim, ich will Meſſe leſen laſſen, daß das Wetter
ſchön bleibt.“


Am 6. July Morgens halb drey Uhr rief hinter ihr auf
dem Felde die Stimme ihrer Magd: „Magdalene! du ſollſt
ſchnell auf die Wieſe zum Vater kommen! wo gehſt du
hin? he! antworte!“ Als die Tochter umſich ſah, ſah ſie
keine Magd, aber ein ſchwarzes Kalb, das ſagte: „Gelt!
dießmal hätte ich dich faſt gefangen? Mit der Bibel kann
mich dein Alter nicht fortſchicken, das ſoll er ſich von den
Leuten nicht bereden laſſen! Was Bibel! Narrheit! die Meß
iſt beſſer, iſt vornehmer! Komm, Magdalene, mit mir nach
Braunsbach, wir wollen Meſſe leſen laſſen, daß das Wetter
ſchön bleibt!“


Am 8. July Morgens fünf Uhr kam er auf den obern
Boden zu ihr, gerade als ſie das Bett machte und ſprach
hinter ihr mit der Stimme der Magd des Wirths im Ort:
„Guten Morgen Magdalene! mein Herr und meine Frau
ſchicken mich zu dir, du ſolleſt mit nach Braunsbach
gehen, ſie wollen eine Meſſe leſen laſſen, wie der Mönch
gerathen, damit das Wetter ſchön bleibt, und zwar eine
[30] um einen Gulden: denn dieſe iſt beſſer als eine um acht
und vierzig Kreuzer. Du ſollſt deinem Vater zureden, daß
er auch eine um einen Gulden leſen läßt. Es iſt auch viel
werth, wenn man das Heu gut heimbringt, nicht wahr?“
Sie war ſchon im Begriff Antwort zu geben, als ſie wäh-
rend der Rede das Betten einſtellte und um ſich ſah und
den ſchwarzen Mönch erkannte. Dieſer lachte nun hell auf
und ſagte: „Hab ich dich nicht gefangen, ſo werd ich dich
doch noch fangen. Sage deinem Alten, ich wolle ihm eine
Meſſe um acht und vierzig Kreuzer leſen, die eben ſo gut
ſeyn ſoll als die um einen Gulden.“ Dann lachte er wieder
und verſchwand.


Um dieſe Zeit fand ihre Schweſter und ſie im Stalle
auf einem Balken ein kleines Säckchen, das beym Herun-
terfallen klingelte. Sie öffneten es und fanden darin ei-
nige große Thaler nebſt Münzen, im Ganzen eilf Gulden.
Es war unerklärlich, wie dieſes Geld an jenen Ort gekom-
men: denn den Leuten im Hauſe fehlte es nicht und kein
anderer Menſch wollte ſich dazu melden. Da kam der ſchwarze
Mönch und ſagte: das gehört dein, Magdalene, und iſt für
die Ohrfeige, die ich dir einmal im Stalle gegeben. Das
Geld habe ich von einem Herrn in H. genommen, der an
dieſem Tage um ſechs Caroline betrogen hat. Magdalene
bedanke dich dafür!“ Aber auch das konnte das Mädchen
nicht zum Reden mit ihm bringen und Abends erſchien ihr
die weiße Geſtalt und ſagte: „Es iſt gut, daß du ihm auf
ſein Gerede nicht antworteteſt und auch das Geld ſollſt du
nicht behalten, ſondern es den Armen geben.“ (Man gab
nun auch davon ein Drittel in das Waiſenhaus nach Stutt-
gart, ein Drittel in die Armenpflege nach Hall, und ein
Drittel in den Schulfond des Orts.)


Weiter ſagte die weiße Geſtalt: „Wenn du nächſtens
nach Hall kommſt, ſo wandle in der Stadt fort, bis dich
Jemand ruft, der wird dir ein Geſchenk an Geld geben
und dafür kaufe dir ein Geſangbuch.“ Sie kam nun auch
wirklich bald nach Hall, und als ſie da durch eine Straße
[31] lief, ließ ſie ein Kaufmann in ſeinen Laden rufen, fragte
ſie, ob ſie jenes Mädchen von Orlach ſey, worauf er
ſich ihre Geſchichten erzählen ließ und ihr dann einen Gulden
ſchenkte, um den ſie ſich dann auch ſogleich ein Geſang-
buch kaufte.


Am 10., als ſie an einem abgelegenen Waldbrunnen das
Vieh tränkte, kam der ſchwarze Mönch wieder zu ihr und
ſagte mit der Stimme ihres Nachbar Hanſels: „Dieß-
mal haſt keinen Bothen bey dir! Hanſel! ſagte dein Vater
zu mir, ſey doch ſo gut und gehe du meiner Magdalene
nach, ſie iſt allein mit dem Vieh an dem Waldbrunnen,
da könnte der ſchwarze Mönch zu ihr kommen und ſie zu
einer Antwort zwingen und das könnte dem Mädchen großes
Unglück bringen. Da komm ich nun zu dir; nicht wahr,
der Mönch iſt nicht bey dir? und nun will ich dir auch
etwas ſagen, — biſt du begierig was? — Geſtern als
ich in deinem Hauſe war — nicht wahr es war geſtern?
oder war es vorgeſtern? — und du meinen Buben auf
den Arm genommen und in den Garten gingeſt, da hat
dein Vater, als wir allein waren, recht über dich ge-
ſchimpft und hat geſagt: Die Magdalene die behalte ich
nimmer daheim, die muß fort. Entweder muß ſie in ein
Nonnenkloſter, — iſt das nicht kurios von deinem Vater?
oder muß ſie heirathen. Das ſagte dein Vater, aber ich
konnte ihm nicht ganz Unrecht geben. Was ſagſt du zu
dem Nonnenkloſter? Als ich Soldat war, war ich auch
einmal in einem Nonnenkloſter, da iſt’s nicht ſo übel
wie man meint. Ich will dir nur ſagen, deine Freundin,
des Wirths Tochter, will jetzt auch in ein Nonnenkloſter.
Willſt du aber lieber heirathen? Rede! Willſt du heirathen,
ſo weiß ich dir einen rechten Kerl, wen meinſt du? —
Dann kannſt du ſchaffen was du willſt. Willſt du aber in
das Nonnenkloſter, ſo darfſt du gar nichts ſchaffen; darum
will des Wirths Catharine in das Nonnenkloſter, die mag gar
nicht ſchaffen. Heiratheſt du oder gehſt du in’s Nonnenkloſter,
ſo darfſt du keine Garben mehr aufgeben. Dieſen Abend
[32] will ich auch ein wenig kommen und euch Garben aufge-
ben. Seyd ihr mit euren Garben fertig? He!“ — Das
Mädchen gab ihm keine Antwort: denn er konnte wohl ſeine
Stimme verſtellen, aber ſeine Geſtalt nicht ſo, daß ſie nicht
den ſchwarzen Mönch in ihm erkannte, der nun auch wie-
der verſchwand. Wie er aber geſagt, ſo half Nachbar Hanſel
(in wirklicher Perſon) ihr noch an dieſem Abend Garben
aufgeben, ohne zu wiſſen, daß ſich der Schwarze Nachmit-
tags für ſeine Perſon am Waldbrunnen ausgegeben und
jenes Verſprechen in ſeinem Namen gemacht.


Am 12. July ein Viertel auf eilf Uhr erſchien ihr wieder die
weiße Frauengeſtalt. Sie fing zu beten an: „O Jeſu,
wann ſoll ich erlöſet doch werden!“ Dann ſagte ſie: „Du
vermehreſt meine Unruhe! Halte dich ſtandhaft gegen die
Anfechtungen des Böſen! Antworte ihm doch ja nie! Hät-
teſt du ihm eine Antwort gegeben, nur ein Ja geſagt, wäre
das Haus plötzlich in Flammen geſtanden: denn er iſt es,
der es ſchon mehrmals durch Feuer verdorben hätte, hätte
nicht ich entgegen geſtrebt. Er wird dich immer mehr äng-
ſtigen, aber antworte ihm nie, ſpreche gegen ihn nie ein
Wort!“ — Sie ſagte ihr hierauf auch, ſie wolle ihr die
Stelle zeigen, wo vormals das Nonnenkloſter geſtanden.
Sie führte ſie nun eine Strecke durch das Dorf und gab
ihr da die Stelle an.


Am 15. July Morgens, als ſie ganz allein in der Stube
war, kam der Schwarze zu ihr in Geſtalt eines Bären
und ſagte: „Nun hab’ ich’s getroffen, daß ich dich allein
habe! Gieb mir Antwort! Geld gebe ich dir genug! War-
um gabſt du Jener (der Geiſtin) ſogleich Antwort und
die verſprach dir kein Geld? Was haſt du denn bey deinem
erbärmlichen Leben? Nichts haſt als Müh und Laſt vom früh-
ſten Morgen bis in die ſpäte Nacht, Stallkehren, Viehmel-
ken, Mähen, Dreſchen. Nur eine Antwort und du biſt reich
und darfſt dich um all den Plunder dein Leben lang nicht
mehr kümmern! Nur eine Antwort und ich plage dich nicht
mehr, und jene Schachtelgret, die dir doch nur vorlügt
[33] und nichts gibt, kommt auch nicht mehr. Aber antworteſt
du mir nicht, ſo ſollſt du ſehen, wie ich dich noch plage.“


Von jetzt an erſchien ihr der Schwarze meiſtens in der
drohenden Geſtalt eines ſcheußlichen Thiers, eines Bären,
einer Schlange, eines Krokodills, nicht mehr in Men-
ſchengeſtalt, verſprach ihr bald Geld, bald drohte er
ihr mit Martern. In ihrem Jammer hielt ſie ihm mehrmals
die Bibel entgegen, worauf er ſogleich verſchwand.


Am 21. Auguſt erſchien ihr der Geiſt in Geſtalt eines
monſtröſen Thieres, das mitten am Leibe einen Hals hatte.
Sie ſaß gerade auf der Bank und ſtrickte. Man hörte von ihr
nichts als daß ſie in Unmacht fiel und nur noch die Worte
herausbrachte: „Der Schwarze!“ Mehrere Stunden lang
lag ſie bewußtlos da und dieſe Anfälle wiederholten ſich
ſelbſt noch den ganzen andern Tag hindurch. Sie ſchlug
nach allem, was ſich ihr näherte, mit dem linken Arme
und dem linken Fuße, beſonders wurde dieſes Wü-
then der linken Seite heftig, wenn man die
Bibel gegen dieſelbe brachte
.


Die Eltern ließen einen Geiſtlichen und einen Arzt rufen,
weil ihnen dieſer Zuſtand unerklärlich war. Fragte ſie der
Arzt: haſt du Krämpfe? antwortete ſie: nein! Biſt du ſonſt
krank? Nein! Was iſt es denn? Der Schwarze! war die
Antwort. Wo iſt er? Da! Dabey ſchlug ſie mit der rechten
Hand auf die linke Seite.


Man ließ ihr zu Ader, ſetzte ihr Blutegel. Sie war in
einem magnetiſchen, ſchlafwachen Zuſtand und ſagte in ihm:
„Das nützt alles nichts, ich bin nicht krank, man gibt ſich
vergebliche Mühe, mir kann kein Arzt helfen.“ Man fragte:
Wer kann dir denn helfen? Da erwachte ſie auf einmal
und ſagte freudig: „Mir iſt geholfen!“ Man fragte: wer
hat geholfen? Sie ſagte: „Das Fräulein hat geholfen“
(die weiße Geiſtin).


Sie erzählte nun: daß vor ihrem Fall der ſchwarze Geiſt
in jener ſcheuslichen Geſtalt auf ſie losgegangen, ſie nie-
dergedrückt und ſie zu erwürgen gedroht habe, wenn ſie ihm
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 3
[34] dießmal nicht antworte, nun müſſe es ſeyn. Da ſeye aber,
wie ſie ſchon faſt am Tode geweſen, die weiße Geiſtin
erſchienen, die habe ſich zu ihrer Rechten geſtellt, der ſchwarze
Geiſt ſeye zu ihrer Linken geweſen. Beide Geiſter hätten,
wie es ihr geſchienen, mit einander geſtritten, aber in einer
ihr ganz fremden Sprache, aber ihr vernehmbar,
laut, und endlich ſey der weißen Geſtalt die ſchwarze ge-
wichen und ſie wieder zu ſich gekommen. Von den Fragen,
die man während ihres Zuſtandes an ſie gemacht hatte,
wußte ſie nichts.


Sie weinte nun ſehr über ihren unglücklichen Zuſtand,
beſonders da ihr die Leute ſagten, ſie ſeye mit Gichtern
behaftet.


Als ſie darob am 23. Auguſt ſehr traurig war, erſchien
ihr die weiße Geiſtin und ſagte: „Grüß Gott Magdalene!
Kümmre dich nicht, du biſt nicht krank. Die Leute können
nicht darüber urtheilen. Wenn du noch ſo oft hinfällſt, ich
ſchütze dich, daß es dir keinen Schaden bringt und den
Unglaubigen ſoll es ein Beyſpiel ſeyn. Wohl ſagen auch
die Leute: warum kommt ſo ein Geiſt zu einer ſo Un-
wiſſenden? die hat nichts gelernt, die weiß nichts, die
gilt nichts, und der Geiſt war eine Nonne und Nonnen
wiſſen auch nichts als von der Marie und vom Kreuz-
lein. Die aber wiſſen nicht, daß geſchrieben ſtehet:
„„Und ich, lieben Brüder, da ich zu euch kam, kam ich
nicht mit hohen Worten, oder hoher Weisheit, euch zu
verkündigen die göttliche Predigt, denn ich hielt mich nicht
dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, ohne allein Jeſum
Chriſtum den Gekreuzigten. Und ich war bey euch mit Schwach-
heit und mit Furcht, und mit großem Zittern. Und mein
Wort und meine Predigt war nicht in vernünftigen Reden
menſchlicher Weisheit, ſondern in Beweiſung des Geiſtes
und der Kraft. Auf daß euer Glaube beſtehe, nicht auf Men-
ſchenweisheit, ſondern auf Gottes Kraft.““ Wenn auch
Doktoren und ſonſt gelehrte Leute kommen und ſehen dich,
ſo werden ſie alle nichts wiſſen. Etliche werden ſprechen:
[35] Die iſt verrückt! andere: die iſt in einem Schlafzuſtande!
andere: die hat die fallende Sucht! Dich aber Magdalene
ſoll dieß alles nicht kümmern: denn es iſt keins von all
dem und dein Leiden hat am fünften März kommenden Jahres
ein Ende, halte du nur dein Verſprechen, daß das Haus ab-
gebrochen wird.“ Hierauf betete die Geiſtin den 116.
Pſalmen und verſchwand dann wieder.


Von da an traf der Vater des Mädchnes nun auch alle
Anſtalten zum Abbruche ſeines Hauſes und zum Aufbau
eines neuen, ſo wunderlich dieß auch Manchem erſchien.


Bey einem abermaligen Erſcheinen des weißen Geiſtes
ſagte ihr dieſer neben troſtreichen Sprüchen aus der heiligen
Schrift, es werde wohl nun dahin kommen, daß der Schwarze
ſich ihres Leibes völlig bemächtige, ſie ſolle aber nur ge-
troſt ſeyn, ſie werde jedesmal dann mit ihrem Geiſte aus
dem vom Schwarzen beſeſſenen Leibe gehen und ihn in Sicher-
heit bringen.


Es wurden auch vom 25. Auguſt an ihre Anfechtungen
durch den ſchwarzen Geiſt immer heftiger, er hielt ſich nun
nicht länger mehr, ſich verſtellend, außer ihr auf, ſondern
bemächtigte ſich von nun an bei ſeinem Erſcheinen ſogleich
ihres ganzen Innern, er ging in ſie ſelbſt hinein und
ſprach nun aus ihr mit dämoniſcher Rede.


Vom 24. Auguſt an erſcheint ihr der ſchwarze Mönch
nun immer ſo. Sie ſieht, wenn ſie auch mitten in einem
Geſchäft iſt, ihn in menſchlicher Geſtalt (eine Mannsgeſtalt
in einer Kutte, wie aus ſchwarzem Rebel, das Geſicht
kann ſie nie beſtimmt angeben) auf ſich zugehen. Dann hört
ſie, wie er nur ein paar kurze Worte zu ihr ſpricht, na-
mentlich meiſtens: „Willſt du mir als noch keine Antwort
geben? Hab acht wie ich dich plage!“ und dergleichen. Da
ſie ſtandhaft darauf beharrt, ihm nicht zu antworten, (na-
türlich ohne ein Wort zu reden) ſo ſpricht er immer: „Nun
ſo gehe ich nun dir zum Trotz in dich hinein!“ Hierauf
ſieht ſie ihn immer auf ihre linke Seite treten und fühlt wie er
ihr mit fünf Fingern einer kalten Hand in den Nacken greift
3 *
[36] und mit dieſem Griff in ſie hineinfährt. Mit dieſem ver-
ſchwindet ihre Beſinnung und eigentlich ihre Individualität.
Sie iſt nun nicht mehr in ihrem Körper, dagegen ſpricht eine
rohe Baßſtimme nicht in ihrer Perſon, ſondern in der des
Mönchs, aus ihr heraus, aber mit der Bewegung ihres
Mundes und mit ihren, aber dämoniſch verzerrten, Geſichts-
zügen.


Was nun während eines ſolchen Zuſtandes der ſchwarze
Geiſt aus ihr ſpricht, ſind Reden ganz eines verruchten
Dämons würdig, Dinge, die gar nicht in dieſem ganz recht-
ſchaffenen Mädchen liegen. Es ſind Verwünſchungen
der heiligen Schrift, des Erlöſers, alles Heiligen, und
Schimpfreden und Läſterungen über das Mädchen ſelbſt,
die er nie anders als „Sau“ benennt. Den gleichen
Schimpfnamen und die gleichen Läſterungen ertheilt er auch
der weißen Geiſtin.


Das Mädchen hat dabey den Kopf auf die linke Seite
geſenkt und die Augen immer feſt geſchloſſen. Eröffnet man
ſie gewaltſam, ſieht man die Augenſterne nach oben gekehrt.
Der linke Fuß bewegt ſich immer heftig hin und her, die
Sohle hart auf dem Boden. Das Hin und Herbewegen des
Fußes dauert während des ganzen Anfalles (der oft vier
bis fünf Stunden währt) fort, ſo daß die Bretter des Bodens
mit dem nackten Fuße (man zieht ihr gewöhnlich Schuhe
und Strümpfe zur Schonung aus) ganz abgerieben werden
und hie und da aus der Fußſohle endlich Blut kommt.
Wäſcht man aber nach dem Anfalle das Blut ab, ſo be-
merkt man auf der Haut nicht die mindeſte Aufſchirfung,
die Sohle iſt wie der ganze Fuß eiskalt und das Mädchen
fühlt auch nicht das mindeſte an ihr, ſo daß ſie ſogleich
nach dem Erwachen wieder raſch Stunden weit von dannen
läuft. Der rechte Fuß bleibt warm. Ihr Erwachen iſt wie das
aus einem magnetiſchen Schlafe. Es geht ihm gleichſam ein
Streiten der rechten mit der linken Seite (des Guten mit dem
Böſen) voran. Der Kopf bewegt ſich bald zur rechten bald
wieder zur linken Seite, bis er endlich auf die rechte Seite fällt,
[37] mit welcher Bewegung der ſchwarze Geiſt gleichſam wie-
der aus ihr heraus fährt und ihr Geiſt wieder in ihren
Körper zurücktritt. Sie erwacht und hat keine Ahnung
von dem, was inzwiſchen in ihrem Körper vorgegangen und
was der ſchwarze Geiſt aus ihm geſprochen. Gemeiniglich
iſt es ihr nach dem Erwachen, als ſeye ſie in der Kirche ge-
weſen und habe mit der Gemeinde geſungen oder gebetet,
während doch die teufliſchen Reden durch ihren Mund gegan-
gen waren. Aber das iſt es, was der weiße Geiſt ihr mit
ihrem Geiſte zu thun verſprach, während der ſchwarze Geiſt
ſich ihres Körpers bemächtige. Der ſchwarze Geiſt in ihr ant-
wortet auf Fragen. Heilige Namen aus der Bibel, ſelbſt
das Wort heilig, iſt er nicht auszuſprechen fähig. Nähert
man dem Mädchen die Bibel, ſucht ſie gegen dieſelbe zu
ſpucken, der Mund iſt aber in dieſem Zuſtande ſo trocken,
daß er nicht den mindeſten Speichel hervorzubringen fähig
iſt, es iſt nur das Ziſchen einer Schlange.


Von Gott ſpricht er mit einer Art Aengſtichkeit. „Das
iſt das Verhaßte, ſagte er einſt, daß mein Herr auch einen
Herrn hat.“


Oft leuchtete aus ſeinen Worten der Wunſch und ſogar die
Hoffnung hindurch, vielleicht doch noch bekehrt zu werden,
und nicht ſowohl der böſe Wille als vielmehr der Zweifel
an die Möglichkeit noch begnadigt und ſelig zu werden,
ſchien ihn von der Bekehrung abzuhalten *).


Es war nicht zu verwundern, daß Aerzte dieſen Zuſtand
des Mädchens für eine natürliche Krankheit erklärten. Sie
konnten daher unmöglich der in den Anfällen ausgeſprochenen
Behauptung des Mädchens, daß es von einem guten wei-
ßen Geiſte eine wirkliche Erſcheinung habe und von einem
[38] böſen ſchwarzen Geiſte beſeſſen ſey, Glauben ſchenken, wenn
gleich wieder andere wenigere nicht läugnen mochten, daß
einerſeits in den evangeliſchen Geſchichten dergleichen Er-
eigniſſe, welche nur durch eine verkünſtelte Exegeſe umzu-
geſtalten ſind, als ſich von ſelbſt verſtehende Dinge erzählt
werden, und daß ſie anderſeits die Thatſachen, über deren
Wahrhaftigkeit ihnen ſelbſt nicht der mindeſte Zweifel
blieb, mit ihren Doktrinen ſchlechthin nicht zu erklären
vermöchten. Denn wenn ſie gleich, dieſelben generaliſirend,
den Krankheitszuſtand des Mädchens zu den Nervenkrank-
heiten, und ſie ſpecialiſirend, zu einer Art von Epilepſie
zählen zu dürfen glaubten, ſo ſchien es ihnen ſelber doch
auch wieder unmöglich, in den Zufällen eine Analogie
mit irgend einer beſtimmten Art von Epilepſie zu finden
und zu rechtfertigen. Denn es ging dieſem Zuſtande auch
nicht die mindeſte körperliche Störung voran, das Mädchen
war in keiner Hinſicht je krank geweſen (litt nicht und hatte
nie an Ausſchlägen, nie an Menſtruationsſtörungen u. ſ. w.
gelitten), ſie war gleich nach den heftigſten Krämpfen friſch
und geſund, kräftig, thätig, heiter. Sie erwachte (wie ſchon
bemerkt) nach den Anfällen, als hätte es ihr von erbaulichen
Liedern geträumt, die ſie in einer Kirche ſingen zu hören
glaubte, während doch der ſchwarze Dämon durch ihren
Mund mit fremdartiger Stimme die ſchändlichſten Blas-
phemien ausſtieß. Die rechte Seite blieb während der to-
bendſten Anfälle warm und ruhig, indeſſen das linke Bein
eiskalt vier volle Stunden hindurch ununterbrochen mit un-
glaublicher Gewalt auf und niederflog und den Boden ſchlug,
und ſich dennoch weder Geifer vor dem Munde, noch ein-
geſchlagene Daumen an den Händen wahrnehmen ließen;
war auch einmal der Daumen der linken Hand eingeſchla-
gen, ſo reichte ein Wort hin, um ihn in ſeine natürliche
Lage zu bringen.


Dennoch! die Mehrzahl ſtimmte immer für Dämonomanie
aus körperlich-krankhafter Urſache, für Epilepſie, die in
partiellen Wahnſinn übergehe, und der eine wohl bereits ſchon
[39] eingetretene Desorganiſation des Rückenmarkes, beſonders
der linken Parthie deſſelben, zu Grunde liege. Es wurden
ſchulgerecht dagegen Gaben von bella donna, Zinkblumen
u. ſ. w., Einreibungen von Brechweinſteinſalbe, ja ſogar
das Brenneiſen, zu ſchleunigſtem Gebrauche angerathen, —
aber zum Glücke ließ der ſchlichte natürliche Sinn der Eltern
ſolche rationelle Anrathungen nicht zur Ausführung kommen,
ſie vertrauten in ihrem Glauben, der ſich durch keine Herren
wankend machen ließ, der guten weißen Erſcheinung, die
immer feſt verſicherte: dieſer jammervolle Zuſtand ihres
Kindes werde bis auf den fünften März kommenden Jahres
gewiß enden, ſey nur bis dahin das Haus abgebrochen
und in dieſem Glauben machten ſie auch alle Zurüſtung zur
Niederreißung des alten Hauſes, und zur Erbauung eines
neuen.


Ich, dem ſie das Mädchen auf Bitten, nachdem ihr Zu-
ſtand mehr als fünf Monate ſchon ſo gedauert hatte, auf
mehrere Wochen zur Beobachtung in’s Haus brachten, unter-
ſtützte ihren Glauben an ein dämoniſches Beſeſſenſeyn ihres
Kindes nicht im mindeſten, hauptſächlich des Mäd-
chens wegen, um ſie alsdann auch einer deſto reinern Be-
obachtung unterwerfen zu können, ſondern erklärte den Zu-
ſtand nur für ein Leiden, gegen das keine gewöhnlichen Arz-
neymittel fruchten würden, weswegen ſie auch mit Recht
noch bis jetzt die Hülfe aller Arzeneyflaſchen, Pillenſchach-
teln und Salbenhäfen bey ihrer Tochter zurückgewieſen
hätten. — Dem Mädchen empfahl ich auch kein anderes
Heilmittel als Gebet und ſchmale Koſt an. Die Wirkung
magnetiſcher Striche, die ich über ſie nur ein paarmal
verſuchsweiſe machte, ſuchte der Dämon immer ſogleich
wieder durch Gegenſtriche, die er mit den Händen des
Mädchens machte, zu neutraliſiren. So unterblieb auch
dieſes und überhaupt alle Heilmittel ohne alle Beſorgniß
von meiner Seite, weil ich in jedem Falle in dieſem Zuſtand
des Mädchens einen dämoniſch-magnetiſchen erkannte und
der Divination des beſſern Geiſtes, der ihr ihre Gene-
[40] ſung bis zum 5. März zuſagte, wohl vertraute. In dieſem
Glauben ließ ich ſie unbeſorgt und zwar in dem Zuſtand,
wie ſie mir gebracht worden war, wieder nach Orlach
in ihr elterliches Haus zurückkehren, nachdem ich mich
durch genaue und lange Beobachtung feſt überzeugt hatte,
daß hier nicht die mindeſte Verſtellung, nicht das mindeſte
gefliſſentliche Hinzuthun von Seite des Mädchens zu ihren
Anfällen ſtatt fand. Ihren Eltern empfahl ich auf’s ange-
legentlichſte, aus dem Zuſtande ihrer Tochter kein Schau-
ſpiel zu machen, ihre Anfälle ſo viel als möglich geheim
zu halten, keine Fremde in ſolchen zu ihr zu laſſen und
keine Fragen an den Dämon zu richten, was ich ſelbſt
während ihres hieſigen Aufenthaltes aus Sorge für ihre
Geſundheit nur wenig that.


Nicht durch die Schuld der Eltern, denen dieſer Zu-
ſtand ihres Kindes nur Kummer machte und die ſein Ende im-
mer ſehnlichſt wünſchten, ſondern durch die Zudringlichkeit
der Menge geſchah es, daß meinen Warnungen nicht Folge
geleiſtet wurde; viele Neugierige ſtrömten dem ſonſt unbe-
kannt geweſenen Orlach zu, um das Wundermädchen
in ſeinen Paroxismen zu ſehen und zu hören, was vielleicht
doch den Vortheil hatte, daß ſich auch manche andere außer
mir von der Eigenheit dieſes Zuſtandes überzeugten. Ein
Berufener unter den vielen Unberufenen war auch Herr
Pfarrer Gerber, der das Mädchen in ihrem letzten An-
falle ſah und in einem Aufſatze in der Didaskalia ſeine
Beobachtung niederſchrieb, auf den wir hier bald wieder
zurückkommen werden.


Am 4. Merz, Morgens ſechs Uhr, als ſich das Mäd-
chen noch allein in ſeiner Schlafkammer im alten elter-
lichen Hauſe befand, zu deſſen Abbruch man aber ſchon
Veranſtaltung getroffen hatte, erſchien ihr auf einmal
die weiße Geiſtin. Sie war von einem ſo ſtrahlenden
Glanze, daß das Mädchen ſie nicht lange anſehen konnte.
Ihr Geſicht und Kopf waren von einem glänzend weißen
Schleier bedeckt. Ihre Kleidung war ein langes, glän-
[41] zendes, weißes Faltengewand, das ſelbſt die Füße be-
deckte. Sie ſprach zum Mädchen: „Ein Menſch kann keinen
Geiſt durch Erlöſung in den Himmel bringen, dazu iſt
der Erlöſer in die Welt gekommen und hat für alle gelitten,
aber genommen kann mir durch dich das Irdiſche werden,
das mich noch ſo da unten hielt, dadurch daß ich die Un-
thaten, die auf mir laſteten, durch deinen Mund der Welt
ſagen kann. O möchte doch Niemand bis nach dem Ende
warten, ſondern ſeine Schuld immer noch vor ſeinem Hin-
ſcheiden der Welt bekennen! In meinem zwei und zwan-
zigſten Jahre wurde ich als Koch verkleidet von jenem Mönch,
dem Schwarzen, vom Nonnenkloſter in’s Mönchskloſter
gebracht. Zwei Kinder erhielt ich von ihm, die er jedes-
mal gleich nach der Geburt ermordete. Vier Jahre lang
dauerte unſer unſeliger Bund, während deſſen er auch drey
Mönche ermordete. Ich verrieth ſein Verbrechen, doch nicht
vollſtändig, — da ermordete er auch mich. O möchte doch
(wiederholte ſie noch einmal) Niemand bis nach dem Ende
warten, ſondern ſeine Schuld immer noch vor ſeinem Hin-
ſcheiden der Welt bekennen!“ Sie ſtreckte nun ihre weiße
Hand gegen das Mädchen hin. Das Mädchen hatte nicht
den Muth, dieſe Hand mit bloßer Hand zu berühren, ſon-
dern wagte dieß blos vermittelſt des Schnupftuches, das ſie
in die Hand nahm. Da fühlte ſie ein Ziehen an dieſem
Tuche und ſah es glimmen. Nun dankte die Geiſtin dem
Mädchen, daß ſie alles befolgt habe und verſicherte ſie,
daß ſie nun von allem Irrdiſchen frey ſey. Hierauf betete
ſie: „Jeſus nimmt die Sünder an.“ u. ſ. w. Das Mäd-
chen hörte ſie noch beten, als ſie ſie ſchon nicht mehr ſah.


Während die Geiſtin ſo da geſtanden war, ſah das Mäd-
chen immer einen ſchwarzen Hund vor ihr, der auf die Geiſtin
Feuer ſpie, das aber die Geiſtin nicht zu berühren ſchien.
Dieſer verſchwand mit der Geiſtin. In das Sacktuch des
Mädchens aber war ein großes Loch gebrannt, wie das
Innere einer Hand und ob dieſem Loche noch fünf kleinere
Löcher wie von fünf Fingern. Es geben die Brandſtellen
[42] gar keinen Geruch von ſich und auch im Momente des
Glimmens bemerkte das Mädchen keinen Geruch.*)


Vom Schrecken faſt gelähmt wurde das Mädchen von
den Ihrigen in der Kammer angetroffen und ſogleich in
das Haus des Bauern Bernhard Fiſcher gebracht, weil
Grombach den Abbruch ſeiner Wohnung jetzt beſchleunigen
wollte.


Kaum dort angelangt, erſchien der Magdalene der ſchwarze
Geiſt. Er hatte jetzt etwas weißes auf dem Kopfe, gleich
einer Quaſte, da er ſonſt ganz ſchwarz war. Er ſprach:
„Nicht wahr ich bin auch da? Du wirſt recht weinen,
weil es das letztemal iſt! Du ſieheſt nun doch auch etwas
Weißes an mir.“ Als er dieſes geſprochen, ging er auf ſie
zu, griff ihr mit kalter Hand in den Nacken, ſie verlor
ihr Bewußtſeyn und er war nun in ihr. Ihr Ausſehen (be-
richtet ein Augenzeuge) war nun blaß, die Augen feſt ge-
ſchloſſen. Wenn man den Augendeckel öffnete, fand man
den Augapfel ganz gegen die Naſe zu hinaufgetrieben und
ſah vom Lichten des Auges nur wenig. Das Auge ſchien
auch wie eingeſunken zu ſeyn. Der Puls ſchlug wie ge-
wöhnlich. Der linke Fuß war in beſtändiger Bewegung.
Die linke Seite war auffallend kälter als die rechte.


Von Sonntag Nachts bis Dienſtag Mittags nahm das
Mädchen keine Speiſe mehr zu ſich. Eben ſo unterblieben
während dieſer Zeit alle Sekretionen bey ihr. Sie blieb
nun unausgeſetzt vom ſchwarzen Geiſte bis zum andern Tage
Mittags beſeſſen. Zuerſt kündigte der Dämon an, daß er
nicht vor halb zwölf Uhr am andern Tage (was auch ſo
eintraf) gehen könne. Dann ſprach er: „Wäre ich dem, was
bey Petrus ſteht, nachgefolgt, ſo müßte ich nicht mehr hier
[43] ſeyn. Hierauf ſprach er die Verſe Petr. 1. 2. Cap., Vers 21 bis
25. her. „Denn dazu ſeyd ihr berufen, ſintemal auch Chri-
ſtus gelitten hat für uns und uns ein Vorbild gelaſſen,
daß ihr ſollt nachfolgen ſeinen Fußſtapfen; welcher keine
Sünde gethan hat, iſt auch kein Betrug in ſeinem Munde
erfunden worden, welcher nicht wieder ſchalt, da er geſchol-
ten ward, nicht drohte, da er litt, er ſtellte es aber dem
heim, der da recht richtet, welcher unſre Sünden ſelbſt ge-
opfert hat an ſeinem Leibe auf dem Holze, auf daß wir
der Sünde abgeſtorben, der Gerechtigkeit leben, durch
welches Wunden ihr ſeyd heil worden: denn ihr waret
wie die irrenden Schafe, aber ihr ſeyd nun bekehrt zu dem
Hirten und Biſchoff eurer Seelen.“


Während des Tages kam eine ungeheure Menſchenmenge
in Orlach zuſammen, um das Mädchen zu ſehen und
Fragen an den Dämon zu richten. Genügend und nach
der Erklärung der Frager richtig, äußerte er ſich beſonders
über Klöſter und Schlöſſer und überhaupt über Alterthü-
mer der Umgegend; andere vorwitzige Frager wieß er mit
Spott oder Witz ab.


Nachts, als ſich auf polizeyliche Anordnung der Andrang
der Gaffer verloren, erklärte der Dämon gebetet zu haben
und äußerte mit Freude, er könne nun den Namen Jeſus,
Bibel, Himmel, Kirche, ausſprechen, er könne beten und
läuten hören. Wenn er ſich doch nur ſchon im Sommer ge-
wendet hätte, dann wäre es beſſer geweſen! —


Seine Schuld gab er nun auch ſo an: „Mein Vater war
ein Edler von Geislingen eine Stunde von Orlach.
Da hatte er ein Raubſchloß auf dem Löwenbuk bey Geis-
lingen zwiſchen dem Kocher und der Bühler, man muß ſeine
Mauern noch finden. Ich hatte noch zwey Brüder. Der
älteſte, der nicht weiter kam als wo ich auch bin, bekam
das Schloß, der andere kam im Kriege um. Ich wurde zum
geiſtlichen Stande beſtimmt. Ich kam in’s Kloſter nach
Orlach, wo ich bald der Obere wurde. Der Mord von mehreren
meiner Kloſterbrüder, von Nonnen und von Kindern, die
[44] ich mit ihnen erzeugte, laſtet auf mir. Die Nonnen brachte
ich in männlicher Kleidung in das Kloſter und fand ich an
ihnen keinen Gefallen mehr, ermordete ich ſie. Eben ſo
ermordete ich die Kinder, die ſie geboren, ſogleich nach der
Geburt. Als ich die erſten drey meiner Kloſterbrüder er-
mordet hatte, verrieth mich die, die du die Weiße nenneſt.
Aber in der Unterſuchung wußte ich mir dadurch zu hel-
fen, daß ich meine Richter beſtach. Ich ließ die Bauern
während der Heuernte zuſammen kommen und erklärte ihnen,
keine Meſſe mehr zu leſen, würden ſie mir nicht ihre ſchrift-
lichen Dokumente ausliefern, dann würde zur Heuernte es
immer regnen, ich würde Fluch über ihre Felder beten *).
Sie gaben ihre Dokumente, die die Gerechtſame Orlachs
enthielten, und die lieferte ich meinem Inquiſitor aus.
Wieder in’s Kloſter zurükgelaſſen, ermordete ich meine Ver-
rätherin, darauf noch drey meiner Kloſterbrüder und nach
vier Wochen, im Jahre 1438, mich ſelbſt. Als Oberer
wußte ich meine Opfer in’s Verborgene zu locken und er-
ſtach ſie da. Die Leichen warf ich in ein gemauertes Loch
zuſammen. Mein Glaube war: mit den Menſchen iſt es
nach dem Tode wie mit dem Vieh, wenn es geſchlachet
iſt, wie der Baum fällt, bleibt er liegen. Aber — aber,
es iſt ganz anders, es iſt eine Vergeltung nach dem Tode.


Am andern Tage Morgens äußerte ſich der Dämon noch
gegen Umſtehende über die ehmaligen Klöſter zu Krails-
heim ganz richtig. Dann verfiel er wieder in Zweifel, ob
er wohl in Gnaden angenommen werde, wenn er jetzt für
immer dieſen Raum und das Mädchen verlaſſen müſſe. „Heute
Abend, ſprach er, muß ich zum zweitenmal in’s Gericht und
zwar mit Jener.“ Er verſtand darunter die weiße Geiſtin.


Es war vor halb zwölf Uhr Mittags. Die Leute, welche
das Haus abbrachen, waren an den letzten Reſt eines Stücks
[45] der Mauer gekommen, welche das Eck des Hauſes bildete,
und von ganz anderer Beſchaffenheit als der übrige Theil
war. Während die andern Mauern nur von Leim aufge-
führt waren, ſo war dieſes Stück mit ganz beſonderem
Kalk und feſter verbunden, ſo daß es wirklich ſcheint, dieſe
Mauer ſtamme von einem ſehr alten Gebäude her. Mit dem
Sinken dieſes Theils des Gebäudes auch (was das Mäd-
chen nicht ſehen konnte) es war jetzt halb zwölf Uhr, und
zwar mit dem Abbruch des letzten Steins deſſelben, trat bey
dem Mädchen ein dreymaliges Neigen des Kopfes auf die
rechte Seite ein, ihre Augen ſchlugen ſich auf. Der Dämon
war aus ihr gewichen und ihr natürliches Leben war wie-
der da. Herr Pfarrer Gerber beſchreibt als Augenzeuge
den Moment, nachdem der letzte Stein jener Mauer ge-
fallen war, alſo: „In dieſem Moment wendete ſich ihr
Haupt auf die rechte Seite und ſie ſchlug die Augen auf,
die nun hell und voll Verwunderung über die vielen Per-
ſonen, welche ſie umgaben, um ſich ſchauten. Auf einmal
fiel es ihr ein, was mit ihr vorgegangen war, ſie deckte
beſchämt mit beyden Händen das Geſicht — fing an zu
weinen, erhob ſich, noch halb taumelnd, wie ein Menſch,
der aus einem ſchweren Schlaf erwacht — und eilte fort.
Ich ſah nach der Uhr, — es war — halb zwölf! Nie
werde ich das Ueberraſchende dieſes Anblicks vergeſſen, nie
den wunderbaren Uebergang von den entſtellten dämoni-
ſchen Geſichtzügen der, wie ſoll ich ſie nennen — Kranken,
zu dem rein menſchlichen, freundlichen Antlitz der Erwachten;
von der widrigen hohlen Geiſterſtimme zu dem gewohnten
Klange der Mädchenſtimme, von der verborgenen, theils
gelähmten, theils raſtlos bewegten Stellung des Körpers,
zu der ſchönen Geſtalt, die wie mit einem Zauberſchlage
vor uns ſtund. Alles freute ſich, alles wünſchte dem
Mädchen, wünſchte den Eltern Glück: denn die guten
Menſchen waren feſt überzeugt, daß nun der ſchwarze Geiſt
zum letztenmale da geweſen ſey.


Der Vater zeigte mir hierauf das verbrannte Tuch, das
[46] ſeine Tochter geſtern in der Hand hatte, als der weiße
Geiſt von ihr Abſchied nahm. Es war ganz deutlich zu
ſehen, daß die Löcher, welche darin waren, durch Feuer ent-
ſtanden waren.


Ich ging auf den Bauplatz. Das alte Haus war bis
auf eine kleine Mauer, mit welcher man in wenigen Stunden
fertig werden konnte, ſchon abgebrochen.“ —


Bey Wegräumung des Schuttes in den ſpäteren Tagen
fand man ein brunnenähnliches, ungefähr zehn Schuh im
Durchmeſſer haltendes Loch, das zwanzig Schuh tief aus-
gegraben wurde. In dieſem und ſonſt im Schutte des
Hauſes wurden Ueberreſte von menſchlichen Knochen, auch
die von Kindern gefunden. Das Mädchen blieb von jener
Stunde an durchaus geſund und nie mehr kehrten bey ihr
die früheren Erſcheinungen zurück.


Selbſt in der Krankheit, die ſie in Folge einer Erkältung
ein Jahr ſpäter erlitt und die in Hemmung des Schlingens
und in Stimmloſigkeit beſtand aber ſich bald wieder hob, *)
zeigte ſich keine Spur des früheren dämoniſch-magnetiſchen
Zuſtandes mehr.


Es iſt natürlich, daß auch dieſe Geſchichte Jeder nach
ſeinem Glauben, ſeiner Denkungsweiſe, ſeiner Beſchäfti-
gung, Bildung und Dreſſirung auslegen und immer den Nagel
auf den Kopf getroffen zu haben glauben wird. Beſonders
werden das die rationellen Aerzte vermeinen, mit einer
Auslegungsweiſe, die jedem nur etwas rationell dreſſirten
Dorfbarbierer auch bekannt iſt, daher der geneigte Leſer
füglich annehmen darf, daß ich eine ſolche auch ſehr aus-
führlich nnd gelehrt ſcheinend machen könnte, wäre mir eine
ſolche für den ganzen Inhalt dieſer Geſchichte genügend
und kämen in ihr nicht Thatſachen in das Spiel, die dieſe
Geſchichte allerdings zu etwas weiterem, als zu einer me-
[47] diciniſchen Diſſertation über Monomanie und den nervus
vagus
und sympathicus, geeignet machen.


Von meiner Seite übrigens wird es am beſten gethan
ſeyn, blos bei der getreuen Geſchichtserzählung ſtehen zu
bleiben und nur das noch dieſer Geſchichte beizufügen, was
einige andere Männer, die zum Theil auch Augenzeugen von
ihr waren, als Räſonnement über ſie öffentlich äußerten
oder mir zum Gebrauche mittheilten.


„Merkwürdig iſt es,“ ſchreibt Hr. Gerber, „daß man
bey all dieſen Geiſtergeſchichten eine Familienähnlichkeit nicht
mißkennen kann, welche auf etwas Wahres, das ihnen allen
zu Grunde liegt, ſchließen läßt. Und zwar zeigt ſich dieſe
Aehnlichkeit in den verſchiedenſten Gegenden, wo auch nicht
die geringſte Verabredung oder Nachahmung, oder ſonſt ein
Einfluß gedacht werden kann. Wie ähnlich ſind nicht dieſe
Geiſtererſcheinungen in Orlach mit denen in der Seherin
von Prevorſt erzählten? Wie dort ſo oft, ſind es zwey
Geiſter, ein guter und ein böſer, ein Verführer und eine
Verführte, welche erſcheinen, wie dort und beynahe in allen
dieſen Geſchichten dieſelbe Sehnſucht nach Erlöſung bey dem
lichtern, gebeſſerten Theil, dieſelbe moraliſche Muthloſig-
keit und ſtarre Verſtockung der dunkeln Erſcheinungen. Selbſt
die ſo gewöhnlichen thieriſchen Geſtalten, in welchen ſich
der ſchwarze Geiſt zeigte, ſollten ſie nicht Bild ſeiner nie-
drigen thieriſchen Natur ſeyn? Durchgehends findet ſich,
daß unmoraliſche Weſen in dunkeln Hüllen, beſſere in lich-
ten Geſtalten erſcheinen; eben ſo oft kommt es vor, daß
ſolche Geiſter Bibelſprüche und Liederverſe anführen und
wünſchen, daß man für ſie beten möchte. So unbegreiflich
das Anbrennen des Tuchs in der Hand des Mädchens,
bey der Berührung des weißen Geiſtes, uns vorkommt, ſo
hat dieſer Fall in den Geiſtererſcheinungen zu viele analoge
Fälle, um ſie wegſtreiten zu können, und ich kenne die Fa-
milie genau, in welcher die Bibel aufbewahrt wird, welche
der Großvater aus den Händen eines Geiſtes erhielt, und
in welcher die eingebrannten Spuren einer feurigen Hand
[48] noch zu ſehen ſind, wie es Stilling in ſeiner Geiſter-
theorie erzählt und eine ſcharfſinnige Erklärung dieſer Er-
ſcheinung zu geben ſucht.“


„Wir würden uns wohl auch in Orlach vergebens be-
mühen, eine natürliche Erklärung dieſer Vorfälle zu finden.
Die in die Augen fallenden Thatſachen, wie z. B. das
Brennen im Haus, der Unfug im Stall u. ſ. w., wurden
von zu vielen unpartheiiſchen, redlichen Zeugen geſehen und
an eine Abſicht zur Täuſchung läßt ſich bei einer Sache,
welche den betreffenden Perſonen ſo großen Nachtheil brachte,
gar nicht denken. Auf das einfache Bauernmädchen, wel-
ches in ihrem Leben weder von Stillings Geiſtertheorie,
noch von der Seherin von Prevorſt einen Buchſtaben ge-
leſen hat, konnten jene Schriften keinen Einfluß haben,
und die Aehnlichkeit ihrer Erſcheinungen mit ſo manchem,
was in jenen Schriften erzählt und behauptet wird, kann
daher nicht blos zufällig ſeyn. Auch läßt ſich nicht voraus-
ſetzen, daß das Mädchen, dem es ſo ſehr an Geiſtesanla-
gen fehlte, daß es in der Schule nicht einmal das recht
lernen konnte, was in den Dorfſchulen gelehrt wird, die
Geſchichte der zwey Geiſter erſonnen habe, denn es herrſcht
eine Conſequenz in der Charakterſchilderung, in den Aeuße-
rungen dieſer Perſonen, es kommen Anſpielungen auf das
Kloſterleben der Mönche aus den Zeiten des Mittelalters
darin vor, die das proteſtantiſche, unwiſſende Bauernmäd-
chen unmöglich aus der eigenen Phantaſie geſchöpft haben
kann. Und was die Bibelſprüche betrifft, welche ich von ihr
gehört habe, ſo iſt doch wohl ſchwer zu erklären, daß ſie
ſolche Sprüche traf, die ſehr geeignet erſcheinen, ſie in
ihren Leiden zu tröſten, wie 1. Pet. 1, 20, während der
116. Pſalm für ein Gemüth, wie der weiße Geiſt geſchil-
dert wird, das vom Gefühl der Reue, der Sehnſucht nach
Erlöſung und der Hoffnung baldiger Begnadigung erfüllt
iſt, eine ſehr ſchöne, tiefe Bedeutung hat. Iſt es nicht
wunderbar, daß unter den vielen tauſend Bibelſprüchen,
[49] unter welchen ſie eben ſo gut eine weit größere Anzahl ganz
unpaſſender hätte treffen können, gerade ſolche von ihr an-
geführt wurden, welche in einer ſchönen Beziehung zu ih-
ren Verhältniſſen oder der Lage des Geiſtes ſtehen? Wo
kommt dem Bauernmädchen dieſe Weisheit her, welche ihr
im natürlichen Zuſtand ganz fremd iſt? Am wunderbarſten
iſt aber die Verwechslung der Perſönlichkeit. Es iſt eigent-
lich ſchwer, einen Namen für dieſen Zuſtand zu finden.
Das Mädchen verliert das Bewußtſeyn, ihr „Ich“ ver-
ſchwindet oder entfernt ſich vielmehr, um einem andern
Ich“ Platz zu machen. Ein anderer Geiſt ergreift nun
gleichſam Beſitz von dieſem Organismus, von dieſen Sinn-
werkzeugen, von dieſen Nerven und Muskeln, ſpricht mit
dieſer Kehle, denkt nun mit dieſen Gehirnnerven und zwar
auf eine ſo gewaltſame Weiſe, daß die Hälfte des Orga-
nismus dadurch wie gelähmt wird. Es iſt gerade, wie
wenn ein Stärkerer kommt und den Hausbeſitzer aus dem
Hauſe jagt und dann behaglich zum Fenſter hinausſchaut,
wie wenn es das ſeine wäre. Denn es iſt keine Bewußt-
loſigkeit, welche eintritt, ein bewußtes Ich bewohnt ohne
Unterbrechung den Körper, der Geiſt, der jetzt in ihr iſt,
weiß ſo gut — ſogar oft noch beſſer als zuvor, was um
ihn vorgeht, aber es iſt ein anderer Bewohner, der darin
haust. Und zwar iſt das Mädchen bey all’ dem nicht ver-
geſſen, er ſpricht von ihr, er weiß recht gut, daß ſie lebt,
aber er behauptet, ſie ſey nicht da, er ſey da. Und
Alles ſcheint es zu beſtätigen, daß nun ein ganz anderer,
roherer, gottloſer Bewohner in dieſe Behauſung eingezogen
iſt, der mit dem vorigen keine Aehnlichkeit hat. Wohl ſchwe-
ben dem Menſchen auch im Traume, in der Fieberhitze,
im Wahnſinne ſeltſame Täuſchungen vor, aber es iſt doch
immer daſſelbe Ich, das als der bleibende Grundton
unverändert bleibt, wie auch dieſes Ich ſich zum Kai-
ſer oder Bettler, zu Gott oder zum Gerſtenkorn geſtalten
mag — aber von einer ſo ſcharf abgetrennten, klar erkann-
ten Verwechslung des Ichs haben wir noch nichts gehört.
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 4
[50] Sollten wir das Ganze als eine Ausgeburt der Phantaſie
halten, ſo iſt es ſchwer zu begreifen, wie das Mädchen mit
ſo beharrlicher Conſequenz immer auf dieſelben Ideen zurück-
kommen, und allmählig ganze Charakterbilder und eine fort-
laufende Erzählung erdichten konnte; ſo iſt eben ſo wenig
erklärbar, wie ſie zuletzt noch gar die Rolle dieſes ruchlo-
ſen Mönchs, eines Charakters, der ihren natürlichen Ge-
ſinnungen und ihrem ganzen Ideenkreis ſo ganz fremd iſt,
in Ton und Sprache ſo richtig ſpielen konnte, wie es nur
ein Dichter und geübter Schauſpieler vermag.“


Einem Denkgläubigen war wohl mit noch Vielen, ein
Räthſel, wie der Abbruch eines Bauernhauſes Bedingung
der Erlöſung eines abgeſchiedenen Geiſtes ſeyn könne. Ein
Freund der Bibel und der Wahrheit antwortet:


„Dieſe Bedenklichkeit iſt gegründet und jedenfalls ver-
zeihlich, ſie trägt aber die Ermahnung in ſich, das Para-
doxe dieſer Art an ſeinen Ort geſtellt ſeyn zu laſſen, bis
nach geſammelten Erfahrungen über ihren Grund weiteres
Licht kommt. So viel iſt gewiß, daß auch in der Sinnen-
welt ſich täglich eine Menge begibt, wovon wir den Zu-
ſammenhang und die Urſache der Zulaſſung nicht einſehen.
Daß den böſen Buben im Reich der Geiſter Langmuth wi-
derfährt, wie in dieſem Leben, ſcheint nicht ſo abnorm zu
ſeyn. Daß es dort Beziehungen, Bedingungen und Ver-
hältniſſe zur Dieſſeite gibt, die aus der Dieſſeite nicht er-
klärbar ſind, iſt gerade recht und nothwendig, weil dort
ganz andere, dem Geſetz des Sichtbaren wahrhaft oder
ſcheinbar widerſprechende Geſetze im Großen und Kleinen
walten. Man kann einen Menſchen von einer angehenden
Blindheit erretten, wenn man eine gegenüberſtehende weiße
Mauer abbricht; wer weiß, was zur Beruhigung einer Seele
dienen kann, wenn man ein Haus abbricht, in welchem ſie
gewohnt oder Uebels gethan hat? oder worin ein ſchlim-
mer Bezug zu ihr ſich befindet? Daß dieſes unbedingt nö-
thig ſey, um eine ſolche Seele zum Frieden zu fördern,
iſt damit keineswegs geſagt; aber daß es vermöge ihrer
[51] Imagination Einfluß auf ihre Zufriedenheit haben kann,
iſt eben ſo gewiß, als daß ein grillenhafter Menſch ſich
befriedigt fühlt, wenn ein Gebäude abgebrochen wird, deſ-
ſen Anblick ihn geärgert hat. Daß der Mönch gegen ein
Haus wüthete, welches in ſeinen Fundamenten noch die
ſtummen Zeugen ſeiner Miſſethaten enthielt, iſt ſo unglaub-
lich nicht. Auch ihm konnte geholfen werden, ohne den
Abbruch dieſes Hauſes; aber er wollte es nun einmal zer-
ſtört wiſſen, und plagte ſo lange, bis es geſchehen, deſſen
für ſeine Einwirkung empfängliche junge Bewohnerin. Von
da an glaubte er ſich beruhigen zu können, oder fand we-
nigſtens keinen Anlaß mehr, die Hausbewohner in Schrecken
zu ſetzen. Wer weiß nicht, daß ein Miſſethäter gern Al-
les zernichtet, was ihn vor Gott und ſeinem Gewiſſen an-
klagt? Wäre die weniger ſchuldige Nonne nicht ſchon auf
andere Weiſe zur Buße gelangt geweſen, ſo hätte der Haus-
abbruch ſie nicht entſündigt; aber es trug weſentlich zu
ihrer Stellung bey, theils der Erinnerung halben an ſich,
theils in ihrem Zuſammenhang mit dem Mönch. Man denke
ſich doch dieſe im Gericht ſtehenden Seelen höchſt empfind-
lich, ſtets mit ihrer Schuld beſchäftigt, bis in’s Kleinſte
ſorgſam, oder auch wüthend, ſie auszulöſchen, dabey un-
klar, verworren, je nach dem Zuſtand ihrer Verdammniß
und nach dem hiernach ſich bemeſſenden Grad ihres Be-
wußtſeyns, ihrer Beſinnung oder Geiſtesgegenwart, daher
oft nur trachtend auf eine verkehrte Weiſe und durch neue
Bosheiten ihren Muth zu kühlen. Ihre Vorſtellungen ſind
ihre Qualen oder ihr Troſt, bis ſie das Licht der Wahr-
heit gefunden haben.“


Der Denkgläubige meint: Die religiöſen Anſichten über
das zukünftige Leben, welche wir unſern Somnambülen und
unſern Geiſtern verdanken, ſeyen ſo troſtlos, daß ſie die
Schrecken des Todes uns wiederbringen, welche doch Jeſus
nach den Ausſprüchen der h. Schrift vernichtet habe.


Der Freund antwortet: „Für wen hat ſie Jeſus vernich-
tet? Für die, welche mit der That und Wahrheit an ihn
4 *
[52] glauben, zu denen auch ohne Zweifel der würdige Verfaſ-
ſer gehört. Wem bringen jene religiöſen Anſichten über
das zukünftige Leben die Schrecken des Todes wieder?
Nicht „uns“ die wir glauben, ſondern denen, für die Je-
ſus Chriſtus der Heiland noch nicht erſchienen iſt, weil ſie
nicht an ſein Heil glauben wollen, und für die er daher
bis jetzt die Schrecken des Todes nicht hat vernichten kön-
nen. Wer aus Eigenſinn, aus Verſtocktheit, aus Ueber-
muth, ohne Chriſtum in der Welt lebt, erſchrickt mit Recht
vor dem Tode, und damit er heilſam erſchrecke, kommen
ſolche außerordentliche Begebenheiten, die einen Blick in
das Leben nach dem Tode eröffnen, ob ſie gleich öfter ver-
loren als wirkſam ſind. Einige Theologen bilden ſich ein,
Chriſtus habe den Hades, oder gar den Glauben daran,
aufgehoben. Er hat ihn nicht aufgehoben, ſondern geöff-
net, indem er deſſen Schlüſſel hat.“


Der Denkgläubige ſagt: „Die Bibel lehrt ein raſtloſes
Fortſchreiten, ein ununterbrochenes Wirken in Gottes Reich;
unſere Somnambülen und Geiſter wollen dagegen wiſſen,
daß unzählige Geiſter oft 300—400 Jahre lang in Kel-
lern und Gewölben, in Boden und Kammern zubringen
müſſen. Wie läßt ſich das mit der Weisheit des Gottes
vereinigen, der kein irdiſches Pfund, viel weniger einen
unſterblichen Menſchengeiſt mit ſeinen Anlagen Jahrhun-
derte lang vergräbt?“


Der Freund entgegnet: „Wir werden doch hoffentlich nicht
glauben, daß ein Jeder nolens volens nach dem Tode
(denn in dieſem Leben geſchieht es offenbar nicht) zur Voll-
endung fortgeriſſen werde? Daß manches irdiſche, ſelbſt
günſtige Pfund Jahrhunderte lang vergraben bleibt, iſt eine
gewiſſe Erfahrung. Handelt ſich’s hier von Naturſchätzen,
Entdeckungen, Wahrheiten, Schriften, ſo werden ſolche oft
erſt nach langer Zeit gefunden, geachtet, benutzt. Wenn
aber der Verfaſſer der heiligen Schrift Glauben beymißt,
ſo muß er auch glauben, daß nicht nur Seelen 300—400
Jahre lang in Kellern, Kammern zubringen können, näm-
[53] lich in der Art, wie ein Geiſt ſich daſelbſt in ſeinem eigen-
thümlichen Hades-Raum aufhalten, bewegen und daraus
hervortreten kann; ſondern daß nach 1. Petri 3, 19—20
die Seelen der Unglaubigen vor der Sündfluth von da bis
zur Höllenfahrt und Auferſtehung des Herrn in den Ge-
fängniſſen des Hades zubringen mußten, welches einen un-
gefähren Zeitraum von 2400 Jahren macht. Bey ihnen
hätte alſo das „raſtloſe Fortſchreiten“ gute Weile gehabt.
Und doch ſchritten ſie fort; denn ſonſt könnte ſie Chriſtus
nicht aus ihrem Zuſtande befreyen. Die Frage, wie ſich
dergleichen mit der Weisheit Gottes vereinigen laſſe, hat
ſeiner Zeit auch Hiob gethan und guten Beſcheid darauf
erhalten.“


Der Denkgläubige meint, es ſolle ſo ein Verſtorbener,
wenn er wieder käme, uns doch auch die Räthſel des Le-
bens löſen und uns Kunde bringen von dem Jenſeits, in
das unſer Auge mit ſo vieler Neugierde blicke. „Das thut
er wirklich,“ antwortet der Freund, „aber nicht nach
unſerer vorgefaßten Meinung.“ Auch dieſer Denkgläubige
iſt der Meinung der Geiſtreichen: es ſollten Geiſter geiſt-
reich ſeyn und nicht ſo albern. „Das iſt eben unſer gro-
ßer Irrthum,“ antwortet der Freund, worüber anderwärts
viel geſagt iſt.


Der Denkgläubige kann an kein Zwiſchenreich halbſeli-
ger und halb unſeliger Geiſter glauben, welches ihm weit
ärger wäre, als das Fegfeuer, das doch ſchneller wirke
und einen vernünftigen Zweck habe. In dieſem Zwiſchen-
reiche fände keine weitere Vervollkommnung ſtatt, die Gei-
ſter müßten da noch mehr verdummen, ſtatt, wie er es ſich
vorſtelle, ſich vorher zu einem andern Geſchlecht entwik-
keln u. ſ. w.


Der Freund entgegnet: „Man möchte wohl wiſſen, was
der Zweifler ſich unter dem Fegfeuer nnd bey deſſen Unter-
ſchied von dem Zwiſchenreich und welchen vernünftigen Zweck
er ſich bey ſeinem Fegfeuer denkt. Ferner wie geſchwind
nach ſeiner Vorſtellung die thörichte Mehrzahl der Men-
[54] ſchen auf Erden ſich drüben entwickeln, vervollkommnen,
entfalten, ihre Thorheit abſchütteln und ein anderes Ge-
ſchlecht aus ihr entſtehen muß, und ob er hier den lang-
müthigen Gott nicht mit menſchlichem Maßſtab, oder nach
der Wanduhr die Ewigkeit meſſen läßt. Auch ob ein Ge-
fangener verdummen muß, dem man in ſeinem Kerker Zeit
läßt, ſich zu beſinnen, von ſeinem leidenſchaftlichen Trei-
ben ſich abzukühlen, die Augen nach Gott zu richten und
den auch wohl von Zeit zu Zeit ein Seelſorger beſucht,
weil des Richters Abſicht iſt, ihn zu bekehren und zu beſ-
ſern. Endlich, ob der Denkgläubige berechnen und uns die
Verſicherung geben kann, daß und in welcher kurzen Friſt
alle Narren eines Irrenhauſes als geheilt entlaſſen werden
können. Was aber hier Jahre ſind, das mögen dort wohl
Jahrhunderte nach hieſigem Zeitmaß ſeyn. Oder noch dieß:
warum dort bloße Anomalien ſeyn müſſen, was hier die
Regel iſt; wofern wir nicht mit dem Tode ſelbſt eine nir-
gends geoffenbarte, nirgends erweisliche Verwandlungskraft
beylegen wollen.“


Der Denkgläubige ſagt: „So auffallend auch immerhin
die Aufſchlüſſe ſind, welche unſere Geiſter und Somnam-
bülen ſchon gegeben haben, ſo iſt es doch nur Sternen-
licht — das zwar aus einer höhern geheimnißvollen Welt
ſtammt, aber mit dem klaren Sonnenlichte der reinen ge-
ſunden Vernunft nicht verglichen werden kann. Alle dieſe
Geiſter, welche uns durch ihre übernatürlichen Einſichten
und Wirkungen in Erſtaunen ſetzen, haben dennoch auch
nicht eine große ſegensreiche Wahrheit, eine wichtige Ent-
deckung der Menſchheit gebracht und ſelbſt die Maſchinen,
die ſie erfunden haben, kommen nicht einmal unſerm Pflug
oder Spinnrad gleich. Nie werden ſie unſern großen Gei-
ſtern mit natürlichem Berſtande an die Seite geſtellt wer-
den können, ſie waren nur Seltenheiten, die Erſtaunen er-
regten, aber keinen bleibenden Gewinn brachten.


Der Freund entgegnet: „Der Zweifler verfällt hier in
den Ton des Rationalismus nnd hält die „reine geſunde
[55] Vernunft“ für das Sonnenlicht, das uns erleuchten ſoll.
Weſſen Vernunft? Seine oder meine, oder Kerner’s ſeine
oder die der Herren P., St. u. W.? Denn wir haben alle
Vernunft, und meine Vernunft behauptet reiner und geſun-
der zu ſeyn, als die des Zweiflers, weil ſie ſonſt nicht
wagen könnte, der ſeinigen zu widerſprechen. Wenn der
Zweifler ſich im 1. Brief an die Corinther umſehen will,
ſo wird er finden, wiefern die Seher überhaupt (außer den
bibliſchen) unſere Profeſſoren ſeyn ſollen, und wiefern wir
die ihrigen. Die rechte Kritik in dieſen Dingen verleiht
nicht die ſogenannte reine geſunde Vernunft an ſich, ſo we-
nig wie eine klare Glaslaterne für ſich leuchtet, ſondern
das Wort Gottes und der Geiſt, der es gegeben hat.


„So auffallend auch immerhin die Aufſchlüſſe ſind, wel-
che unſere Geiſter und Somnambülen ſchon gegeben haben,“
ſagt der Zweifler, und doch ſollen ſie gar nichts Großes,
Segensreiches oder Wichtiges gebracht haben! Ich meine aber,
wenn ſie die bibliſchen Wahrheiten beſtätigen und durch ihre
Entdeckungen aufhellen, ſo haben ſie der Menſchheit ein großes,
ſegensreiches und wichtiges Stärkungsmittel gegen den Un-
glauben und Abfall gebracht — womit natürlich die gleich
folgenden Maſchinen und Spinnräder nicht in Vergleich
kommen. Wer ihre Eröffnungen wohl zu ſichten und zu
benutzen weiß, dem haben ſie bleibenden Gewinn gebracht.
Wenn der Zweifler ſagt: „ſie können unſern großen Gei-
ſtern mit natürlichem Verſtande nicht an die Seite geſtellt
werden,“ ſo frage ich: wer ſind aber unſere „großen Gei-
ſter mit natürlichem Verſtande?“ und was ſind ſie? Der
Zweifler kann die Antwort leſen 1. Kor. 2. und Röm. 1,
22., auch Coloſſ. 2, 8.


Der Denkgläubige ſagt: „Wir wollen dieſen Geiſtern alle
Aufmerkſamkeit ſchenken, welche ſie allerdings verdienen.“


Der Freund: „Weswegen? ſie haben ja nichts gebracht.
Bloße Raritäten, aus denen nichts zu lernen iſt, verdienen
überall keine Aufmerkſamkeit.“


Der Denkgläubige: „Aber wir wollen uns die mühſam
[56] erworbenen Schätze der Wiſſenſchaft und Erfahrung nicht
rauben laſſen.“


Der Freund: „Keineswegs wollen wir das; aber jene
Eröffnungen, jene „Aufſchlüſſe“ gehören auch, wenn ir-
gend etwas, zu den Schätzen der Wiſſenſchaft und Er-
fahrung.“


Der Denkgläubige ſagt: „Es gibt keine Art von Aber-
glauben, keine Albernheit, kein Ammenmährchen, welches
nicht in dieſem Syſtem ſeine Sanktion findet.“


Der Freund: „In welchem Syſtem? Was die Geiſter
und Somnambülen ſagen, iſt an ſich kein Syſtem, denn
ſie widerſprechen auch zuweilen einander, ja ſogar ſich ſelbſt.
Was man aus dieſen Erſcheinungen hat ſchließen wollen,
iſt zu unbeſtimmt, als daß es ein Syſtem heißen könnte.
Wie viel wird nicht alle Tage falſch geſchloſſen? Baculus
stat in angulo etc.
iſt kein Syſtem. Uebrigens gibt es,
je nach dem Syſtem der Urtheiler, Aberglauben, Albern-
heiten und Ammenmährchen, die es nicht ſind.“


Der Denkgläubige ſagt: „Könnten wir denn dieſe uner-
klärlichen Erſcheinungen aus der Geiſterwelt nicht eben ſo
auf ſich beruhen laſſen, wie wir alle jene Räthſel auf ſich
beruhen laſſen müſſen?“


Der Freund erwiedert: „Ja, das ſoll Jeder, der dieſe
unerklärlichen Erſcheinungen nicht zu benutzen weiß, nicht
zu ſichten verſteht, und nicht fortzuſchreiten begehrt.
Es muß aber andern unverboten ſeyn, in den Räthſeln der
Natur, des Menſchenlebens und der Erſcheinungen aus der
Geiſterwelt zu forſchen und etwas daraus zu lernen; denn
Gott zeigt uns nichts umſonſt. Wir ſollen keine faulen
Schüler ſeyn, die das aufgeſchlagene Buch liegen laſſen
und Aepfel ſchmauſen, dazu ſind wir nicht hier.“


Der Denkgläubige ſagt: „Es iſt ein wahrhaft wohlthuen-
der, beruhigender Gedanke, daß der weiſeſte der Weiſen,
der die Tiefen der Gottheit durchſchaute und aus dem Reiche
des Todes zurückkehrte, uns nichts von ſolchen Sonderbar-
[57] keiten aus dem unbekannten Jenſeits mit herüberbrachte,
ſondern nur klares, beglückendes Sonnenlicht.“


Der Freund entgegnet: „Wahr! aber bey dem klaren
Sonnenlicht, welches der Gottmenſch aus dem unbekann-
ten Jenſeits herübergebracht hat und welches nichts anders
heißen kann, als das Evangelium von der vollendeten Er-
loͤſung, das denn den Gläubigen zu ihrem Troſt genügen
kann, offenbart ſich erſt mancher dunkle Punkt und zwar
in der Offenbarung ſelbſt, welche darum von den Ungläubi-
gen verworfen wird, ſo daß man endlich vor dem klaren
beglückenden Sonnenlicht die Augen verſchließt.


Die Geſchichte des Todes und der Auferſtehung Jeſu iſt
ſogar reich an Sonderbarkeiten und muß es wohl ſeyn,
weil ſie das Wunder aller Wunder in ſich faßt. Dieſe zu
erklären und durch die Erklärung zu beſtätigen, trägt dann
die Wiſſenſchaft der Erfahrungen aus der Geiſterwelt mehr
bey, als alle logiſche Conſtructionen der Schultheologie.
Zum Beweis dient, daß die, welche Erfahrungen anneh-
men, an das Sonnenlicht des Evangeliums glauben, die
ſie aber verwerfen, es entweder nur halb oder gar
nicht haben wollen
.“


Der Denkgläubige ſagt: „Es iſt traurig, daß die Ge-
ſchichte in Orlach dem Aberglauben des Landvolks ſo ſehr
zur Nahrung dient und ſich wie eine anſteckende Krankheit
verbreitet.“


Der Freund ſagt: „Hier haben die Seelenhirten einzu-
ſchreiten und die Sache dem Landvolk nicht auszureden,
da ſie wahr iſt, ſondern nach der Wahrheit und für zweck-
mäßige Anwendung zurechtzulegen, eben damit auch dem
Aberglauben zu ſteuern, welcher iſt eine Mißgeſtalt und
ein Mißbrauch des Glaubens.“


„Hiezu gehört aber, daß die Seelenhirten ſich nicht zu
denen geſellen, welche die Sache auf ſich beruhen laſſen,
ſondern welche ſich gründlich prüfen, in allen Richtungen
beleuchten und das Reine von dem Unreinen ohne Vorur-
theil zu ſcheiden ſuchen. Dadurch können ſie auch „Au-
[58] ſteckungen ſteuern, nämlich nicht blos denen eines leeren
Wahns, ſondern der Anſteckung wirklicher Beſitzungen, wel-
chen durch Gebet und feſten Glauben an den, der Macht
hat über alle Gewalt des Feindes, widerſtanden werden
kann, während eine geängſtigte Imagination ſich eine ſolche
dämoniſche Krankheit weſentlich zuziehen kann, wie die Peſt,
Cholera und andere Seuchen, und wie der Dieb (der kein
Wahn iſt) nicht eindringen kann, wenn die Thür wohl ver-
ſchloſſen iſt. Der Riegel iſt aber nicht der Unglaube, ſon-
dern der Glaube.“


[59]

Nachträglicher Bericht
über
das Mädchen von Orlach
;
nebſt einer Beleuchtung der Bemerkungen der Didaskalia
uͤber dieſe Erſcheinungen, von Gerber.


Ich hatte der Redaktion der Didaskalia in Frankfurt
eine treue Darſtellung der Vorfälle des Mädchens von Or-
kach eingeſchickt, welche in Nr. 81 — 86 v. J. aufgenom-
men wurden, und auch in dem würtembergiſchen Landboten
abgedruckt worden iſt. Die Redaktion hielt es für nöthig,
in den Blättern 89 u. 91 eine natürliche Erklärung dieſer
Erſcheinungen zu verſuchen, in welcher ſie mich von dem Vor-
wurf der Inconſequenz nicht freyſprechen zu können glaubte.
Nach einigen Monaten ſandte ich folgenden nachträglichen
Bericht ein, in welchem ich mich zugleich verpflichtet fühlte,
das Unhaltbare dieſer natürlichen Erklärung zu zeigen und
mich gegen den Vorwurf der Inconſequenz zu vertheidigen.
Die Redaktion trug jedoch Bedenken, dieſen Aufſatz aufzu-
nehmen, weil dieſe Geſchichte in der Gegend von Frank-
furt weder Glauben noch Theilnahme gefunden habe. Ich
ſetzte in die Verſicherung der Redaktion nicht den mindeſten
Zweifel und bin weit entfernt, den Leſern der Didaskalia
Glauben und Theilnahme aufzwingen zu wollen. Da ſich
aber hoffen läßt, daß die Leſer dieſer Blätter mehr Inter-
eſſe an dieſen merkwürdigen Erſcheinungen nehmen werden,
und die natürliche Erklärung der Didaskalia als ein Vor-
bild aller Erklärungen dieſer Art zu betrachten iſt, ſo wer-
den ſie wohl auch dieſen nachträglichen Bericht und die
Beleuchtung jener Erklärung ihrer Aufmerkſamkeit würdigen.
In dieſer Widerlegung möchte wohl das Meiſte berückſich-
[60] tigt ſeyn, was die vernunftelnde Welt überall über dieſe
Vorfälle geurtheilt haben mag, und es handelt ſich daher
hier nicht von der Meinungsverſchiedenheit zwiſchen mir
und der Redaktion, ſondern von einer allgemeinen Beur-
theilung jener Philoſophie, welche alles Unbegreifliche in
der Natur wegdemonſtriren will. Die Redaktion hat ganz
in meinem Sinn gehandelt und mir eigentlich vorgearbei-
tet, wenn ſie eine natürliche Erklärung dieſer Erſcheinun-
gen zu geben verſuchte und dem Aberglauben keinen Vor-
ſchub leiſten möchte. Auch ich bin Freund des Lichts
und haſſe allen Aberglauben ſo ſehr, daß ich etliche Mo-
nate lang von dieſer Geſchichte in Orlach ſprechen hörte,
ohne etwas anderes, als Widerwillen dagegen zu empfin-
den, und ich war nicht einmal neugierig, die Sache genauer
zu erfahren, weil mir alles zu albern vorkam, und bedauerte
nur, daß der Volksaberglaube dadurch aufs Neue geſtärkt
wurde, was mir heute noch an der Geſchichte höchſt zu-
wider iſt. Recht herzlich würde ich mich darüber freuen,
wenn durch eine richtige Erklärung aller Geiſterſpuk und
und alles Unbegreifliche weggeräumt werden könnte, denn
den Schlüſſel zu dieſer Erklärung zu finden, war von der
erſten bis zu der letzten Stunde mein eifrigſtes Beſtreben.
Leider aber kann ich nicht ſagen, daß durch die Bemerkun-
gen der Redaktion dieſer Zweck erreicht worden wäre. Auch
ich hoffte, ehe ich nach Orlach ging, das Wahre von der
Betrügerey oder von der Verblendung Befangene zu ſchauen,
bald abſondern und den Schlüſſel finden zu können, um
allen Geiſterſpuk, alle Viſionen als einen, durch ſeine Sel-
tenheit wichtigen Krankheitszuſtand zu erklären. Ich hatte
daher mir bereits eine Erklärungsweiſe gebildet, welche der
in den Bemerkungen gegebenen beinahe ganz gleich war,
die ich aber, ſo wie jede andere, welche ich verſuchte,
wieder aufgeben mußte, ſobald ich mich genauer nach den
Umſtänden erkundigte.


Vor Allem muß ich bemerken, daß, wie das Mädchen
es vorherſagte, jener Anfall, bey welchem ich zugegen war,
[61] der letzte geweſen iſt. Sie blieb ſeither ganz geſund und
keine Spur von Geiſtererſcheinungen oder ſomnambulen Zu-
fällen zeigen ſich mehr. Erſt vor einigen Wochen wurde
ſie wieder von einer Krankheit befallen, durch welche ſie
am Sprechen gehindert wurde, und über welche der Her-
ausgeber dieſer Blätter eben Auskunft gab. Dieſe Krank-
heit iſt aber in ſo fern merkwürdig, als ſich dabey keine
Spur ihrer frühern Erſcheinungen des Beſeſſenſeyns, der Gei-
ſter u. ſ. w. mehr zeigten; ein Beweis, daß dieſes Mädchen
krank ſeyn kann, ohne ſolche Crſcheinungen zu haben, wie
man hätte vermuthen ſollen. Wenn Alles nur Folge ihres
krankhaften Körpers war, warum ſtellten ſich dieſe Erſchei-
nungen nicht mit der Krankheit wieder ein?


Die Redaktion beginnt ihre Beleuchtung mit den Wor-
ten: „Das Hohenloh’ſche iſt bekanntermaßen ein Land,
in welchem noch viel Aberglauben herrſcht.“ Daß im Ho-
henloh’ſchen viel Aberglauben herrſcht, will ich nicht beſtrei-
ten, aber das Wörtchen bekanntermaßen deutet darauf
hin, wie wenn das Land durch ſeinen Aberglauben bekannt
wäre, oder wie wenn es ſich dadurch auszeichnete. Man
wird es mir verzeihen, wenn ich dieſe Beſchuldigung von
meinem lieben Hohenloh’ſchen Ländchen abzuwälzen ſuche.


Von dem Aberglauben gilt, was vom Reich Gottes —,
man kann nicht ſagen, ſiehe hier iſt er, oder da iſt er,
denn er iſt inwendig im Menſchen, ſo weit auf Erden Men-
ſchen wohnen. Wir finden ihn in den Hütten der Wilden
wie in den Salons der gebildetſten Hauptſtädte der Welt,
er wohnt an der Spree wie an der Seine, und wird wohl
auch in Frankfurt ſeyn. Führen wir gen Himmel, ſo iſt
er da, und fliegt als Drache auf Sternſchnuppen herum,
ſegeln wir auf den Wellen des Meeres, ſo ſchwimmt er
auf dem ſchauerlichen Geiſterſchiff, betteten wir uns in den
Schooß der Erde, ſo ſchickt er uns ſeine Kobolde und Berg-
geiſter entgegen, denn er hat das Weltall mit ſeinen Ge-
ſtalten bevölkert. Der Aberglaube iſt ſo alt, wie die Menſch-
heit. Er ſtand in Aſien an der Wiege des Menſchenge-
[62] ſchlechts, er iſt mit der Menſchheit zum Mannesalter ge-
reift, und ſtirbt wohl erſt, ſo wie die Sünde, mit dem
letzten Menſchen aus. Der Aberglaube iſt der Schlagſchat-
ten unſeres Geſichtes; und ſo wie unſer Schatten immer
unſere Geſtalt annimmt, ſo richtet ſich der Aberglaube in
unzählig vielen Formen und Reflexen immer nach der in-
dividuellen Denkungsweiſe und Bildungsſtufe der Menſchen.
Er iſt materiell und grob-ſinnlich in den Hexen- und Ge-
ſpenſtergeſchichten der Bauern, er iſt ſinnig, zart und ge-
müthlich, wenn er in den äſthetiſchen Theeviſiten unſerer
Damen verhandelt wird, er iſt gelehrt und ſchwülſtig in
den Schriften unſerer Philoſophen, er iſt myſtiſch und fromm
in der Dogmatik mancher Theologen. Unzählig viele Men-
ſchen, die ſich ihrer Aufklärung rühmen, ſind abergläubiſch
ohne es zu wiſſen und zu wollen, trotz ihrer Verſicherun-
gen vom Gegentheil. Und obgleich wir damit nicht beſtrei-
ten wollen, daß der Aberglaube in einigen Gegenden mehr
als in andern herrſcht, ſo ſind doch gerade die Hohen-
loher
durch ihren heitern, leichtern Sinn, der überhaupt
den Franken eigen iſt, weit weniger zum Aberglauben ge-
neigt, als andere Völkerſtämme, was ſich auch daraus er-
gibt, daß der Pietismus und Myſticismus und Separatis-
mus, der in andern Gegenden wuchert, im Hohenloh’ſchen
keinen Boden findet, wo er Wurzel faſſen kann. Der Ab-
bruch des Hauſes in Orlach iſt kein Beweis dafür, daß
ſich dieſes Dorf durch Aberglauben auszeichnet. Wenn der
aufgeklärteſte Kopf des achtzehnten Jahrhunderts, Fried-
rich der Große, das Pfarrhaus in dem Dorf Quarez bei
Glogau wegen Geiſterſpuk abbrechen und wieder neu bauen
ließ (wie mir die glaubwürdigſten Perſonen erzählten und
wie es in Schleſien allgemein bekannt ſeyn ſoll) ſo wird es
wohl Niemand den ſchlichten Bauersleuten in Orlach ver-
denken, wenn ſie daſſelbe thaten. Die Redaktion meint,
in Frankfurt hätte man das Haus nicht abgebrochen, ſon-
dern über die Abſurdität gelacht und die Beſeſſene in ein
Kranken- oder Irrenhaus gebracht. Das möchte ich be-
[63] zweifeln. Auch in Frankfurt würde wohl ein guter Va-
ter lieber ſein Haus (und beſonders ein ſolches Haus)
abbrechen und wieder neu bauen laſſen, als ſeine Toch-
ter in das Kranken- oder Pflegehaus zu bringen, denn
ob es gleich eine ſonderbare Kur iſt, die bis jetzt noch
wohl in keinem Recept verſchrieben wurde, daß man durch
den Abbruch von Häuſern Kranke heilt; ſo iſt doch ſehr
zu bezweifeln, ob das Mädchen ganz geſund geworden
wäre, wenn nicht auch dieſer Idee Genüge geleiſtet wor-
den wäre, beſonders wenn man ſie, wie die Redaktion,
nur als eine fixe Idee betrachtete: und dieſe Heilung, dieſe
Rettung eines Menſchen, war wohl den Abbruch eines al-
ten Bauernhauſes werth. Wenn ſich die Redaktion bei den
Frankfurtern nach dem Hohenloh’ſchen erkundigen will, ſo
wird ſie die Antwort erhalten: Es iſt das Land, dem wir
das beſte Rindfleiſch und auch vieles Repsöl verdanken; aber
von einem beſondern Hohenloh’ſchen Aberglauben, nament-
lich unter dem Volke Hohenlohs, da wird wohl gewiß
Niemand etwas wiſſen. Die Redaktion beginnt ihre Er-
klärung mit den Vorausſetzungen: „In ihrer Kindheit hatte
das Mädchen gewiß viel gehört von alten Klöſtern, von
ſchwarzen Mönchen und weißen Nonnen, von Teufeln und
Hexenſpuk, von Verdammniſſen und Erlöſungen.“ Dieſen
Eckſtein der Beleuchtungs-Hypotheſe muß ich nach den ge-
naueſten Erkundigungen und meinen eigenen Erfahrungen
verwerfen.


Ich kenne das Landvolk in unſerer Gegend mit ſeinem
Glauben und Aberglauben genau, und kann verſichern, daß
in unſerer proteſtantiſchen Gegend das Volk nichts von alten
Klöſtern, ſchwarzen Mönchen und weißen Nonnen weiß —
ja daß, wenn man es auf die Probe ankommen laſſen will,
man finden wird, daß die meiſten Bauernpurſche und Bauern-
mädchen nicht einmal wiſſen, was Klöſter, Mönche und
Nonnen ſind, was beſonders bei dieſem Mädchen der Fall war.


Eben ſo kann ich verſichern, daß namentlich in dem Fa-
milienkreis dieſes Mädchens ſolche Erzählungen durchaus
[64] nicht vorkamen. Die Hexen- und Geiſtergeſchichten, welche
bei uns unter dem Volk bekannt ſind, haben einen ganz
andern Charakter. Eben ſo unrichtig iſt die Vorausſetzung,
daß dieſes Mädchen ein höchſt reizbares Nervenſyſtem habe.
Sie hat im Gegentheil eine ſehr kräftige Natur. Und ſo
fällt eben damit die ganze Unterlage der Erklärung weg;
denn man muß dieſes Mädchen geſehen haben, um zu wiſ-
ſen, wie wenig Geiſtesgaben, wie wenig Einbildungskraft
ſie beſitzt, und wie ſogar nicht vorausgeſetzt werden kann,
daß ſie ſich Ideen oder Chimären dieſer Art könnte hinge-
geben haben, denn ich wollte vielmehr darauf wetten, daß
ſie in ihrem Leben über gar nichts lange nachgedacht hat!
Auf dieſe Art konnte ſich mithin ihr ſpäterer Zuſtand nicht
verbreiten; da kein Saame dieſer Art gelegt worden war,
ſo konnte keiner aufgehen.


Die Erklärung ſtellt den Verlauf der Sache auf folgende
Weiſe dar: „Die körperlich Kranke und geiſtig Zerrüttete
bekam allerley Viſionen, und endlich ſetzte ſich bei ihr die
Idee feſt und ward eine fixe — ſie ſey von einem Mönch
beſeſſen, der durch ſie von ſeiner Verdammniß erlöst werden
müßte. Eine jener, die arme Geiſteszerrüttete erſchütternden
Viſionen, die ſie vielleicht zur Nachtzeit in irgend einem
Winkel des Hauſes hatte, gaben ihr den Einfall der hier
obwaltenden dramatiſchen Idee, daß der Mönch durch das
Niederreißen des Hauſes erlöst werden würde.“


Dieſe Vorausſetzungen ſind durchaus unrichtig. Niemand
hatte weder eine geiſtige noch körperliche Veränderung an
dem Mädchen bemerkt, noch ſie ſelbſt etwas dieſer Art ge-
fühlt — und war daher weder geiſtig zerrüttet, noch kör-
perlich krank, (man müßte denn nur annehmen, daß man
geiſtig zerrüttet und koͤrperlich krank ſeyn könnte, ohne daß
man es weder ſelbſt wiſſe, noch von andern bemerkt werde,
eine Vorausſetzung, die zu den abſurdeſten Folgerungen füh-
ren würde) als ſie eines Tages (nicht in der Nacht) in Ge-
genwart mehrerer anderer Perſonen, auf einmal mit ſtarren
Augen in eine Ecke des Stalles blickte — und darauf laut
[65] die Worte ausſprach: „Die Scheune auch?“ Und als ſie
ſich von dem Schrecken erholt hatte, den Umſtehenden er-
zählte: ſie habe eben einen Geiſt geſehen, der zu ihr geſpro-
chen habe: das Haus muß weg! und ſie habe darauf ge-
fragt: die Scheune auch? Nie hatte ſie zuvor eine Idee
dieſer Art gehabt, es war noch nichts Außerordentliches vor-
gefallen, es hatte noch Niemand etwas dieſer Art geſpro-
chen. Dieſe Idee alſo, daß das Haus weg müſſe, iſt nicht
allmählig in ihr entſtanden, und zuletzt zur fixen Idee ge-
worden, ſondern wurde plötzlich von ihr ausgeſprochen,
und wie ſie behauptete, durch dieſe äußere Veranlaſſung
hervorgebracht. Wie dieſe Idee in dieſem Moment nach
pſychologiſchen Geſetzen entſtanden ſeyn ſollte, läßt ſich nicht
erklären. Eben ſo hatte ſie nie die Idee, der Mönch wollte
durch ſie erlöst werden, ſondern der weiße Geiſt, und
eben ſo wenig hatte ſie im wachen Zuſtand je davon ge-
ſprochen oder daran gedacht, daß ſie von dem Mönch be-
ſeſſen ſey, — es war abermals keine Chimäre, keine fixe
Idee, welche ſich allmählig gebildet hätte, ſondern erſt als
ſie in den bezeichneten krankhaften Zuſtand verfiel, ſprach
der Mönch aus ihr, während ſie beim Erwachen nichts da-
von wußte, und alſo dieſe Idee nicht hatte. Eben ſo we-
nig kann wohl das Aufhören ihres Zuſtandes pſychologiſch
daraus erklärt werden, wie es von der Redaktion geſchieht,
daß die fixe Idee des Mädchens ihren Kreislauf vollbracht
hatte, und ihr Genüge geleiſtet worden ſey; denn wie hätte
ſie ſonſt ſchon ein Jahr zuvor den 6. Merz als den entſchei-
denden Tag beſtimmen können? Wäre dies auch nur Idee
geweſen, wie hätte ſie denn entſtehen können? woher hätte
ſie ſo lange vorher wiſſen können, daß gerade an dieſem
Tag ein Uebel aufhören würde, das alle ärztliche Hülfe
nicht zu entfernen vermochte! Mir ſcheint ſogar, man habe
dieſe pſychologiſchen Erklärungen, dieſe Vorausſetzungen nicht
einmal nöthig, da ſie auf jeden Fall unzulänglich ſind.
Aus den Wirkungen der Phantaſie, aus der Beſchäftigung
mit ſolchen Vorſtellungen laſſen ſich ja dieſe gewaltſamen
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 5
[66] Symptome doch nicht erklären; denn dann müßten ja nicht
nur andere, weniger kräftige Bauermädchen, welche dieſel-
ben Geſchichten hatten erzählen hören, und noch weit mehr
unſere nervenſchwachen Stadtdamen, welche die ſchauerlich-
ſten Geiſtergeſchichten leſen, ebenfalls ſolche Zufälle bekom-
men. Könnten wir aber je annehmen, alle dieſe Erſchei-
nungen ſeyen blos Wirkung ihres geſtörten krankhaften Or-
ganismus, etwa eines magnetiſch-ſomnambulen Zuſtandes
— oder ein vorübergehendes Deliriren geweſen, ſo haben
wir nicht nöthig, pſychologiſch nachzuweiſen, da der logi-
ſche Zuſammenhang ihrer irrigen Ideen mit ihren frühern
Vorſtellungen auch bey andern Perſonen dieſer Art, nicht
immer nachgewieſen werden kann. Wenn dieſe krampfhaften
Anfälle durch keine fixe Ideen hervorgebracht werden konn-
ten, ſo kann auch das Aufhören derſelben nicht daher kom-
men, weil dieſe Idee ihren Kreislauf vollendet hatte, ob-
gleich die Befriedigung dieſer Vorſtellung allerdings zu der
Heilung mitgewirkt haben konnte. Eher noch kann man ſagen,
es war ein magnetiſches Vorausſehen.


Es ſteht ferner in den Bemerkungen: „Das Feuer im
Haus legte ſie wahrſcheinlich im ſomnambülen Zuſtand ſelbſt
an, ſo wie auch der Lärm im Stalle wohl nur durch ſie
gemacht ward.“ Auch ich hatte zuerſt dieſen Gedanken,
aber nach allen Erkundigungen, die ich ſelbſt und Bekannte
von mir anſtellten, iſt dieß nicht möglich. Denn als das
Brennen im Haus anging, war das Mädchen noch ganz ge-
ſund, ſie hatte (ſo viel ich mich erinnere) noch keinen Geiſt
geſehen und noch keine Spur von magnetiſchen Zuſtänden
war an ihr zu bemerken. Sie half Hausgeräthe flüchten,
das Feuer entſtand, wärend viele Menſchen Wache hielten,
und daher auch das Mädchen bemerkt worden wäre. Eben
ſo verhielt es ſich mit dem Flechten der Kuhſchwänze, welches
nach meiner ſpätern Erkundigung auch am Tage geſchah,
während das Mädchen bey den andern in der Wohnſtube
war. Mit Bewußtſeyn legte die Tochter gewiß nicht
Feuer in des Vaters Haus und trieb ohne allen Zweck den
[67] Spuk mit den Kühen; im bewußtloſen Zuſtande
aber, von welchem ſie erſt wieder erwacht wäre und Feuer
gelegt hätte, ohne daß Jemand eine Veränderung an ihr be-
merkt hätte, iſt ſo undenkbar, daß er alle Wunder der Gei-
ſterwelt weit übertreffen würde. Am allerleichteſten macht
ſich die Redaktion die Erklärung der übrigen auffallenden
Erſcheinungen.


„Die erhaltene Ohrfeige und die ſpäter erfolgte Sühne
derſelben durch zehn Gulden, heißt es in den Bemerkungen,
iſt eine zu augenfällige Abſurdität, als daß wir uns die
Mühe nehmen ſollten, ſie zu widerlegen. Und weiter un-
ten: nach dieſen allgemeinen Andeutungen wird es als über-
flüſſig erſcheinen, in eine Beleuchtung aller Curioſitäten,
welche uns erzählt werden, einzugehen.“


Nein, mein Freund! ſo leicht geht es nicht! Die Abſur-
dität, d. h. die Sonderbarkeit und Unbegreiflichkeit dieſer
Erzählung war ſelbſt ſo einleuchtend, daß ich Monate lang
es gar nicht der Mühe werth hielt, den Weg nach Orlach
zu machen und mich näher darnach zu erkundigen; allein
als mir an Ort und Stelle von den glaubwürdigſten Per-
ſonen, welche die unmittelbaren Zeugen waren, dieſe That-
ſachen erzählt wurden, da konnte ich denn doch nicht mehr
behaupten, es müſſe alles erlogen ſeyn, weil ich es mir
nicht zu erklären vermochte. So abſurd es auch lauten
mag, daß ein Geiſt die Summe von zehn Gulden in den
Stall gelegt haben ſoll, ſo lag doch nun einmal das Geld
da, das war doch unbeſtreitbare Thatſache! Das Mädchen
ſelbſt konnte dieß damals ſo wenig in einem unbewußten
Zuſtand gethan haben, als ſie das Feuer anlegen konnte;
denn wo ſollte ſie das Geld her haben? Unſere Bauernmäd-
chen haben nicht ſo viel Thaler zum wegwerfen oder Poſ-
ſen zu treiben, die ja ſo gar keinen Zweck hatten; und die
gedruckte Beſcheinigung im Stuttgarter Waiſenhausbüchlein
beweiſt, daß das Geld dahin geſchickt worden iſt. Eben ſo
wenig hat wohl der Vater oder ein anderer Hausgenoſſe
auf ſeine eigenen Koſten ſich dieſen ſeltſamen Spaß ge-
5 *
[68] macht, der ihm ja auf keine Weiſe erſetzt worden iſt. Wäre
endlich das Geld ſchon viel länger da geweſen, ſo hätte
man es an der Stelle, wo es war, längſt zuvor bemerken
müſſen. Alle dieſe Thatſachen kann ich nun unmöglich mit
der kurzen Bemerkung abfertigen, daß es eine zu augen-
fällige Abſurdität ſey, als daß wir uns die Mühe geben
ſollten, ſie zu widerlegen. Gerade ſo verhält es ſich mit
dem verbrannten Schnupftuch und den übrigen Thatſachen.


Meine Anſicht über ſolche Erſcheinungen und dieſe her-
kömmliche Weiſe mit ſolchen Anmerkungen darüber weg zu
gehen, werde ich in einer ſpätern Schrift ſagen.


Was endlich die Aeußerung der Redaktion betrifft: wie
viel dabey auf Rechnung abſichtlicher Betrügerey, unwill-
kührlicher Täuſchung und poetiſcher Ausſchmückung aber-
gläubiſcher Menſchen zu ſetzen ſey, können wir nicht be-
ſtimmen; man weiß ja, wie die Erzählung einer Son-
derbarkeit, einer Lavine gleich anſchwillt, wann ſie von
Mund zu Mund von befangenen und ungebildeten Leu-
ten getragen wird; ſo habe ich folgendes dagegen zu er-
innern. Keiner, der die Verhältniſſe kennt, wird hier an
beabſichtigte Betrügerey glauben können. Denn vor allem
ſind die betreffenden Perſonen als ehrliche, rechtſchaffene
Bauersleute bekannt, und zu einer abſichtlichen Betrügerey
gehört immer auch eine Abſicht, ein Zweck; der Menſch
muß einen Nutzen von ſeinem Betrug vorher ſehen, ſonſt
betrügt ſogar der ſchlechte nicht; — hier aber iſt nicht nur
kein Gewinn, ſondern vielfacher Schaden für dieſe Menſchen
aus dieſer Geſchichte entſtanden, und wer den Jammer dieſer
Eltern über den Zuſtand ihrer Tochter geſehen hätte, der
würde gewiß nicht von abſichtlicher Betrügerey ſprechen. Die-
ſer Zweck könnte doch wohl nicht ein ſo geheimer ſeyn,
daß ihn nicht irgend Jemand errathen hätte, er müßte doch
früher oder ſpäter entdeckt werden; in der langen Zeit aber,
in welche die Geſchichte die Köpfe auch der genaueſten Be-
kannten dieſer Familie beſchäftigte, hat noch Niemand einen
Zweck ausfindig gemacht. Es wäre doch wirklich höchſt
[69] ſonderbar, wenn z. B. der Vater oder die Tochter mit je-
nen zehn Gulden Geld die Abſicht gehabt hätte, die Welt
betrügeriſcher Weiſe glauben zu machen, es ſey durch einen
Geiſt in den Stall gelegt worden, denn am Ende wäre ja
doch kein Menſch dadurch betrogen worden, als der Bauer
ſelbſt, nämlich um ſein Geld! Unwillentliche Täuſchung
kann ich eben ſo wenig annehmen, denn die meiſten dieſer
Thatſachen wurden von vielen geſehn, und ſind der Art,
daß zu ihrer Auffaſſung weiter nichts, als geſunde Sinne
nöthig waren; z. B. das Brennen im Haus, das Vorfin-
den des Geldes, der Zuſtand, die Aeußerungen des Mäd-
chens. Poetiſche Ausſchmückung war eben darum nicht wohl
möglich, in ſo fern es ſich von ganz einfachen Thatſachen
handelt, bey welchen viele Perſonen zugegen waren. Es
läßt ſich z. B. nicht wohl denken, was an dem gefun-
denen Geld, an den verflochtenen Kuhſchwänzen, an dem
verbrannten Schnupftuch, an den groben Antworten des
Mädchens poetiſche Ausſchmückung ſeyn ſollte. Auch ich
weiß, wie ſehr jede Erzählung, wenn ſie von Mund zu
Mund geht, anſchwillt; eben darum habe ich auch die
Verſicherung gegeben, daß ich durchaus nichts in meiner
Darſtellung aufgenommen habe, was ich von Mund zu
Mund, d. h. von der zweiten oder dritten Perſon, erfah-
ren habe, ſondern nur was mir genau bekannte, glaub-
würdige, unmittelbare Zeugen erzählten, alſo nicht
was bereits von Mund zu Mund gegangen war, denn
ſonſt wäre meine Erzählung ganz anders aus-
gefallen
.


Die Redaktion wünſcht, daß ich mehr Skepticismus in
meine Beobachtungen möchte gebracht haben. Ich kann
verſichern, daß ich mit einer ſo ſtarken Doſis Skepticismus
nach Orlach ging, als immer irgend Jemand dahin hätte
mitbringen können. Beobachten aber konnte ich das Mäd-
chen nur in der halben Stunde bis zu ihrem Erwachen.
Hier läßt ſich nun beim beſten Willen nicht viel Skepticis-
mus anbringen. Es waren die Fragen zu unterſuchen:


[70]
  • 1) „Verdienen die Erzähler meinen Glauben, d. h. ſind
    ſie redlich und haben ſie den Willen, die Wahrheit zu
    ſagen?“
  • 2) „Sind ſie fähig, die Wahrheit zu ſagen, waren ſie
    im Stande die Thatſachen richtig zu ſehen und zu
    beobachten?“

Und nachdem ich dieſe beiden Fragen, trotz meines Skep-
ticismus bejahen mußte, ſo blieb mir nichts übrig als zu
glauben, da ich über geſchehene Dinge weder Beobachtun-
gen noch Prüfungen anſtellen konnte. Hätte ich nicht ge-
glaubt
, ſo hätte ich nach einem Grundſatz gehandelt,
bey welchem alle Geſchichten, alle Erfahrungswiſſenſchaften
aufhören müßten. Denn ohne den Glauben an glaubwür-
dige Zeugen fällt unſere ganze Geſchichte weg.


Zum Schluß habe ich über dieſe Vorfälle in Orlach nur noch
Folgendes zu bemerken: Meine Erzählung iſt in ſofern ſehr
unvollſtändig, als ich nur das darin aufgenommen habe, was
mir in den wenigen Stunden, in welchen ich an Ort und Stelle
war, von den Zeugen erzählt wurde, welche ich perſönlich
kannte. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dabey nicht alle
intereſſante Erſcheinungen, welche im Verlauf eines Jahres
vorgekommen ſind, mir mitgetheilt werden konnten. Ich
ſchrieb das Gehörte, ſo bald es meine Geſchäfte erlaubten,
mit möglichſter Worttreue, aus dem Gedächtniß nie-
der. Sollte daher eine aktenmäßige Erzählung der Zeugen
ſelbſt erſcheinen, ſo müßte ich auf dieſe verweiſen, und
kleine unweſentliche Abweichungen als Gedächnißfehler be-
trachtet werden. Die Thatſachen und die Darſtellung im
Weſentlichen aber iſt, auch nach den ſpätern Nachforſchun-
gen anderer Bekannten, ganz richtig, nur daß ſie ſehr viele
höchſt intereſſante Einzelheiten nicht enthält, welche ich erſt
ſpäter erfahren habe. Nur der Vater des Mädchens ſelbſt,
der alles, ſo gut er es konnte, niedergeſchrieben hat, und
Dr. Kerner ſind fähig, ganz vollſtändige Nachricht zu geben.


Nur noch folgenden Zug will ich anführen, welchen mir
der Vater des Mädchens erſt ſpäter erzählte. In Beyſeyn
[71] dieſes Vaters erhielt eines Tages der Schultheiß von Or-
lach das Wochenblatt von Hall, als gerade das Mädchen
dieſen Anfall hatte. Dieſes Wochenblatt enthält am An-
fang einen immerwährenden Kalender, in welchem eine
Begebenheit aus der Geſchichte, welche einſt an dieſem Tag
ſich zugetragen hat, erzählt wird. Dießmal fanden nun
die Männer eine Anekdote von einem Grafen, der bey Tin-
genthal (einem etwa ſechs Stunden entfernten Dorfe) im
fünfzehnten Jahrhundert jagte, wobey ein Haſe ſich in das
Dorf, und zuletzt durch die offene Kirchthür hinter das Bild
der Mutter Gottes flüchtete, was auf den Grafen und
ſeine Begleiter einen ſolchen Eindruck machte, daß er den
Haſen lebenslänglich füttern ließ u. ſ. w. Dieſe Geſchichte
war den Männern gänzlich unbekannt, und ſie konnten
mit derſelben Gewißheit vorausſetzen, daß ſie auch dem Mäd-
chen eben ſo unbekannt ſey (ich ſelbſt, ob ich gleich lange
in der Gegend lebte, hatte ſie nie erzählen hören, und kann
verſichern, daß es keine, in unſerer Gegend bekannte Volks-
ſage iſt). Da nun die Geſchichte gerade in die Zeit fällt,
in welcher der Mönch behauptete, gelebt zu haben, ſo be-
ſchloſſen beide Männer, eine Probe zu machen, ob er et-
was davon wiſſe. Sie gingen daher zu ihm und fragten: was
iſt in dem Jahr ....... vorgefallen? Antwort: Da iſt viel
vorgefallen, du mußt mir ſagen wo? Er: Ey zu Tingen-
thal! Antwort: Nicht wahr, du meinſt die Geſchichte von
dem Haſen, welcher verfolgt wurde auf der Jagd, ſich in
die Kirche hinter das dumme Bild flüchtete“ u. ſ. w. und
erzählte noch umſtändlicher den ganzen Vorfall. Wachend
wußte ſie von dieſem allem nichts.


Doch nicht nur mit der Geſchichte ſelbſt, ſondern auch mit
dem Ort meines Referats kann die Redaktion nicht über-
einſtimmen. Sie findet es für inconſequent, daß ich an dieſe
Geiſter zugleich zu glauben und nicht zu glauben ſcheine,
und meint, es ſtehe mit meiner Darſtellungsweiſe im Wi-
derſpruch, wenn ich bedaure, daß dieſe Geſchichte dem
Aberglauben des Landvolks ſo ſehr zur Nahrung diene. Man
[72] darf es mir getroſt glauben, daß ich wohl gewußt habe,
wie ich meine Erzählung hätte einrichten müſſen, wenn ſie
die Zuſtimmung und den Beifall der Welt hätte erhalten
ſollen. Ich hätte ſie nur als eine intereſſante Krankheits-
geſchichte geben dürfen, mit einigen pſychologiſchen Re-
ſultaten und einigen Witzelein über die Abſurditäten des
Geiſterſpuks, des verbrannten Schnupftuchs u. ſ. w. Aber
ich wollte nicht
! Die Wahrheit iſt mir wichtiger als das
Urtheil der Welt, und ob ich gleich die Einwendungen,
den Tadel, das mitleidige Achſelzucken mancher Leſer recht
gut vorher ſah — (denn das iſt ja ſo leicht vorher zu ſehen)
ſo konnte mich doch das alles nicht bewegen, meine Ueber-
zeugung zu verläugnen. Freylich geſtehe ich, daß in den
kurzen Sätzen, mit welchen ich die Erzählung ſchloß, meine
Anſicht nicht gehörig entwickelt iſt, um den Schein des Wi-
derſpruchs zu entfernen, und ich will ſie daher in einer
ſpätern Schrift vollſtändiger begründen.


[73]

Geschichte der besessenen U.


Es folgen nun hier diejenigen dämoniſch-magnetiſchen
Geſchichten, durch die wir ſehr lebhaft an die Beſitzungen
des neuen Teſtaments erinnert werden, ſollte es auch unaus-
gemacht bleiben, ob ſie ſtreng genommen wirklich zu dieſen
Beſitzungen zu zählen ſind.


Anna Maria U., lutheriſcher Confeſſion, iſt geboren den
letzten December 1799. in dem würtembergiſchen Dorfe J.
Außer einigen Unpäßlichkeiten in dem Kindbett (ſie hatte
ſich im 28. Jahre ihres Alters glücklich verheirathet) hatte
ſie nie eine Krankheit, war nie mit Ausſchlägen oder an-
dern Uebeln behaftet, von denen ihre nachherigen Leiden
hätten hergeſchrieben werden können. In ihrer glücklichen
Ehe gebahr ſie drey Kinder. Ihr früheres und ſpäteres
Leben war immer tadellos, ſie war fleißig in ihrem Haus-
ſtande, religiös ohne Frömmlerin zu ſeyn. Ohne eine be-
ſtimmt zu erhebende vorangegangene Urſache wurde ſie im
Auguſt des Jahres 1830 mit furchtbaren convulſiviſchen
Anfällen behaftet, unter welchen ein magnetiſcher Zuſtand
in ihr einzutreten ſchien, in welchem ihre eigene Individua-
lität jedesmal wie erloſchen war und nun andere Indivi-
duen, nach deren eigener Ausſage verſtorbene Menſchen, mit
dämoniſcher Rede aus ihr ſprachen, bis ſie wieder aus
dieſem Zuſtand erwachte, wo dann ihre eigene frühere Per-
ſönlichkeit wieder in ſie eintrat [und] ſie von all dem, was
vorher in ihr vorgegangen und aus ihr geſprochen, nicht
die mindeſte Ahnung hatte und auch darüber keine Aus-
kunft geben konnte.


Der Anfang war ſo, daß vier Monate lang, während
ſie durch das ſchmerzhafteſte Nagen in den Zähnen gequält
[74] wurde, ſie in ſolchen Anfällen immer nur um ſich ſchlug.
Erſt nach vier Monaten ſprach es nun auf einmal aus ihr
und zwar das erſtemal zu ihrem Bruder in der Nacht:
„Weiſt du wer ich bin?“ Er ſagte: „Nein.“ Hierauf er-
wiederte die Stimme: „Erinnerſt du dich noch, wem du
als Knabe einmal Zuckerbirnen geſtohlen haſt?“ Der Bru-
der antwortete: „Niemand als dem verſtorbenen X.“ Hierauf
ſagte die Stimme: „Nun ſo ſage ich dir, der bin ich!“


Als die Frau wieder zu ſich kam, wußte ſie nichts von
dieſer Rede, wußte auch wachend nichts davon, daß ihr
Bruder einmal als Knabe Birnen dem verſtorbenen X. ge-
ſtohlen.


Von da an ſprach nun immer in jenen Anfällen die Stimme
des verſtorbenen X. aus dieſer Frau heraus, es hatte ſich
ihrer jedesmal durchaus die Perſönlichkeit jenes X. bemäch-
tigt und die ihrige war wie völlig aus ihr weggegangen.
Er tobte, fluchte, und ſchlug auf’s fürchterlichſte aus ihr,
beſonders ſtieß er Verwünſchungen gegen Gott und alles
Heilige aus. Man brauchte von verſchiedenen Aerzten Mit-
tel gegen ihr Leiden, aber alle blieben durchaus fruchtlos.
Nur durch Gebet und magiſches Einwirken wurde der Dä-
mon einmal acht Wochen lang in ihr ruhig, tobte aber,
nachdem ſie zum Nachtmahl gegangen war, auf einmal
wieder auf’s heftigſte mit Fluchen und Schimpfen und dieß
ein Jahr lang, während welcher Zeit ſie ſchwanger wurde,
was aber nicht die mindeſte Aenderung in ihren Zuſtand
brachte, wie auch nie ein körperliches Mittel, eine körper-
liche Arzeney, auf ſie von irgend einer Wirkung war,
einzig nur geiſtige Mittel, wie z. B. Gebet. Man hatte
ihr gerathen, in die katholiſche Kirche nach W. zu gehen,
wo ein Geiſtlicher ihr durch Exorcismus helfen könne.
Man führte ſie mit Mühe auf einem Wagen dahin, wobey
ihr der Dämon, um es zu verhindern, die furchtbarſten
Qualen ſchuf, läſternd aus ihr ſchrie und ſie in Krämpfen
von dem Wagen oft in die Höhe warf, daß man ihre Nie-
derkunft alle Augenblicke befürchtete. Zu W. endlich ange-
[75] kommen, ſagte ihr der Geiſtliche: da ſie nicht von ſeiner Con-
feſſion ſeye, ſolle ſie nur allein in die Kirche gehen und für
ſich ſelbſt beten. Aber als ſie unter das Thor der Kirche
kam, ſtieß ſie der Dämon furchtbar und wollte ſie nicht
eintreten laſſen, bis ſie endlich der Dechant unter dem Arme
ergriff und hineinführte. Sie betete nun da allein vor dem
Altar zwey Tage, jedesmal mehrere Stunden lang, kein
vorgeſchriebenes Gebet, ſondern frey aus dem Herzen. Da-
durch blieb der Dämon acht Wochen lang niedergedrückt,
während welcher ſie auch nieder kam, aber dann ſtellte er
ſich wieder in ihrem Kindbett und während des Säugens
auf’s ſchauerlichſte mit Schlagen, Fluchen und Toben ein.
Wenn ſie ihren Säugling auf die Arme nahm, konnte der
Dämon nichts machen, die Unſchuld dieſes Kindes ſchien
gegen ihn zu wirken. So wirkte auch der Einfluß des
ältern Kindes niederdrückend und ſtörend auf den Dämon,
aber einmal ſchlug er es aus Rache mit den Fäuſten der
Mutter, als es mit der Mutter niederkniete und für ihre
Geſundheit zu Gott betete.


Fünf Monate lang brauchte man ihr nun wieder ärzt-
liche Mittel aller Art (z. E. bella donna, assa foetida, vale-
riana, cuprum sulphur. ammon, stramonium etc.,
draſtiſche
Purganzen, Ausſchläge ꝛc.) allein ihr Zuſtand blieb ſich bey
all dieſen Mitteln, als wären ſie nur Waſſer geweſen,
durchaus gleich.


So nahm man nach fünf Monaten vergeblichen Me-
dicinirens wieder zu geiſtlichen Mitteln Zuflucht, die bis
jetzt doch wenigſtens, wenn auch nicht Heilung, doch
Minderung des Uebels verurſacht hatten und brachte ſie in
die Kapelle nach O. Wegen Toben des Dämons mußte
man ſie durch mehrere Männer in dieſe Kapelle ſchleppen
laſſen. Da betete ſie vor dem verſammelten Volk mehrere
Stunden lang vor dem Altar, bis ſie wie ſcheintodt zurück-
fiel, von den Umſtehenden auch wirklich eine Weile für
todt gehalten wurde, aber dann wieder erwachte und ſich
dann wirklich von dem Dämon befreyt glaubte. Aber ſchon
[76] nach wenigen Tagen zeigte ſich dieſer nur noch teufliſcher
in ihr.


Nun wurden abermals wieder, aber ohne die geringſte Aen-
derung, mehrere Monate lang ärztliche Mittel angewendet,
ja es kam nun, daß ſtatt eines Dämons zwey aus ihr
ſprachen, ja oft in ihr gleichſam das wüthende Heer auf-
führten, wie Hunde bellten, wie Katzen ſchrieen u. ſ. w.


Erwachte die Frau und hörte die Erzählungen der Um-
ſtehenden oder fühlte ihre Wunden, die ſie durch Schlagen
und Werfen erhalten hatte, ſo brach ſie in Thränen über
ihren Zuſtand aus, hielt aber immer feſt im Glauben an,
daß Gott ihr noch Hülfe ſenden werde. Beten konnte ſie
jetzt nicht: denn ſobald ſie zu dieſem ihre Zuflucht neh-
men wollte, ſchmiſſen ſie die Dämonen in die Höhe und
fluchten und tobten auf’s ſchrecklichſte aus ihr. —


Ihre Verwandten hörten um dieſe Zeit von einem Bauern
zu M., der durch Magie und Sympathie ſchon ſolche Be-
ſeſſene geheilt habe, und brachten ſie dahin.


Dieſer Mann, ein ganz ſchlichter Bauer, der viele Kraft
des Glaubens und Gebets und viele magnetiſche Kraft
beſaß, übte nun ſeine Kunſt an dieſer Unglücklichen mit einer
beyſpielloſen Uneigennützigkeit und Ausdauer eilf Wochen
lang.


Seine Hauptmittel waren Beten und Faſten und Hand-
auflegen und daß er magiſch auf die Dämonen, die er
zur Angabe ihrer Namen und Verbrechen im Leben zwang,
einwirkte und ſie zur Bekehrung zu bringen ſuchte. Die
Frau durfte nichts anderes eilf Wochen lang über den Mund
bringen als ſchwarze Waſſerſuppen.


Faſt Tag und Nacht ſetzte er Gebet und Exorcismus, nicht
achtend auf das Toben der Dämonen, mit ihr fort. Den
erſten der Dämonen brachte er durch ſolche Mittel endlich
ſelbſt zum Gebet und zur Reue, ſo daß er zuletzt wohl
noch aus der Frau ſprach, aber ſie nicht mehr quälte.


Unter ſolchem exorciſtiſchem Beſtreben bekam die Frau in
einer Nacht Wehen, als wäre ſie in Kindesnöthen, endlich
[77] that es in ihr einen, allen Anweſenden hörbaren Knall,
worauf ſie rücklings umfiel, und wie ſcheintodt eine Viertel-
ſtunde dalag, worauf ſie wieder erwachte und ſich vom
Dämon befreit fühlte. Sie wurde hierauf, da das Amt
den Bauern über ſeine Heilungsverſuche zu Rede ſtellte,
in ihre Heimath gebracht, wo der noch in ihr zurückgeblie-
bene zweyte Dämon, der ſich noch nicht bekehrt hatte, nach-
dem er ihr nur wenige Tage Ruhe ließ, bald aufs heftigſte
aber wieder auf eine ganz andere Art als der vorige in ihr
wüthete. Gerne hätte man den Bauern wieder zu Hülfe
gerufen, aber dieſer wurde in amtliche Unterſuchung gezo-
gen, bey der er ſich aber ſo gut vertheidigte, daß man ihm
blos unterſagen konnte, inskünftige derley Kuren ohne Arzt
zu unternehmen. Die Frau hoffte nun, auf den Rath eines
Arztes, der abermals vergebliche Heilungsverſuche bey ihr
gemacht hatte, bey mir durch magnetiſches Einwirken Hülfe
zu finden, und kam in Begleitung ihres Mannes am 23.
Februar 1833 in mein Haus.


Ich lernte bald in ihr eine ſehr brave, durch viele Lei-
den geprüfte, gottvertrauende Frau kennen. Ihr Körper
war ſehr verzehrt. Ihre Augen hatten einen beſondern ge-
ſpenſtiſchen Schein (Stechblick) ſie fühlte immer Schmerzen
in ihnen und behauptete, aus ihren Augen hätten die Dä-
monen immer geſehen.


Den Widerſpruch, daß ihr Leiden nicht von Dämonen
herrühre, konnte ſie wohl ertragen, ſie ſagte: „Es iſt mir
gleichgültig, für was man es hält, wenn es nur ein Ende
nehmen würde.“ Außer ihren Anfällen bemerkte man an ihr
nicht die mindeſte Seelenſtörung; dieſe traten ohne alle
körperliche Veranlaſſung und ohne Vorausempfindung ein.
Gemeiniglich erhielt ſie plötzlich Schüttelungen durch den
ganzen Körper, ſchloß die Augen und nun ſprach der Dä-
mon aus ihr, der ſich für einen vor fünfzehn Jahren ſich
erhängt habenden Müller von J. ausgab. Die Frau hatte
dieſen Müller in ihrem Leben nie gekannt und als er den
Mord an ſich verübt hatte, war ſie noch ganz jung. Die
[78] Reden dieſes Dämons ſprachen immer teufliſche Bosheit
und Entgegenſtreben allem Heiligen aus. Gegen Gebet
und religiöſe Reden richtete er Spott und Schimpf und
fing furchtbar zu toben, die Frau hin und her zu wer-
fen und mit ihren eigenen Fäuſten ſo zu ſchlagen an, daß
davon oft bedaurungswürdige Spuren an ihr zurückblieben.
Stets gieng, während man betete, aus dem Munde des
Weibes teufliſcher Spott, Geplapper oder thieriſches Gebrüll,
aus dem Munde, der, wenn ſie zu ſich kam, ſich ſo gerne
zum Gebet öffnete, was ihr aber der Dämon nur ſchwer
zuließ: denn mitten unter dem Gebet tauchte er wieder in
ihr auf, reckte ihr die Zunge unbegreiflich lang aus dem
Munde, verzerrte ihr alle Geſichtsmuskeln und ließ ſie die
furchtbarſten Flüche und teufliſche Reden gegen Gott, den
Erlöſer, die heilige Schrift und gegen das Weib ſelbſt
ausſtoßen. Eine völlig reine und wahre Beobachtung iſt:
daß, wenn man an den Dämon in ihren Anfällen mit fe-
ſtem Willen Befehle in lateiniſcher Sprache richtete, ſie von
ihm (that das eine Perſon, die auf ihn exorciſtiſch einzuwir-
ken fähig war und geſchah es im Namen Jeſu) eben ſo gut
befolgt werden mußten, als wenn dieſe Befehle in deutſcher
Sprache geſchahen. So bewegte ſie z. E., wurde von einem
ſolchen zu ihr geſprochen: „Agitetur caput!“ das Haupt.
Sprach er: „Agitetur brachium dextrum!“ ſo geſchah es.
Sprach er: „Surget e sella!“ ſtund ſie auf. Als er ein-
mal ſagte: „Moveatur persona ad tristitiam!“ ſo fing
der Dämon aus ihr nach ſpöttiſchem Gelächter zu pfeifen
und dann zu ſingen an. Dieß ſind reine Thatſachen, die
von gewichtigen Zeugen beſtätiget werden könnten.


Wenn ſie mit zuſammengelegten Händen betete und dann
der Dämon während des Gebetes zornig in ihr aufſtieß,
ſo war er doch nicht, trotz aller Anſtrengung, im Stande
ihr die gefalteten Hände von einander zu löſen. Eben ſo
wenig war er im Stande, die ihr in die Hände gelegte
Bibel wegzuwerfen. Darüber wurde er immer ſehr ergrimmt
und brach in unmächtige Wuth aus. Wenn man von dem
[79] Dämon etwas beantwortet oder ſonſt haben wollte, das nicht
in ſeinem Sinne war und es mit Ungeſtüm forderte, ſo
daß er auf den Punkt gebracht worden war, Folge lei-
ſten zu müſſen, ſo ſagte er: „So laſſ’ ich das Luder wieder
geſcheid werden“ und damit erwachte ſie und blieb wach,
bis der Dämon ſah, daß man von der Forderung abgeſtan-
den, dann tauchte er wieder in ihr auf und ſie ſchloß die
Augen und er ſprach.


Auch außer dem Paroxismus, im natürlichen, ganz wa-
chen Zuſtande, machte ihr der Dämon oft die furchtbarſten
Schmerzen im Leib, in den Gliedern, im Kopf, in den
Zähnen, daß dieſe Theile oft ſichtbar aufſchwollen.


Die magnetiſche Manipulation war bey ihr (und ſo ſcheint
es bey allen Dämoniſchen zu ſeyn) nur dann von Wirkung,
wenn die Striche verkehrt, das heißt von unten nach oben
(vom entgegengeſetzten Pol) gemacht wurden, da man im
Gegentheil bey gewöhnlich Magnetiſchen ſie von oben
nach unten machen muß. Schon beym dritten Striche
kam ſie dann meiſtens in einen halbwachen Zuſtand, in dem
ſie eine Stimme, wie die eines Schutzgeiſtes, ſie tröſtend
und ihr baldige Befreyung verſprechend, hörte. Sie ſagte
in dieſem halbwachen Zuſtande: durch dieſes Magnetiſiren
werde in ihr ihr Schutzgeiſt immer mehr herbeygerufen
und der Dämon in ihr geſchwächt. Aber oft tauchte wäh-
rend des Magnetiſirens und gemeiniglich am Anfang deſ-
ſelben, der Dämon unverſehens in ihr auf, ſchrie, er laſſe
ſich nicht vertreiben, und ſtieß Schimpfreden aus. Am
Ende eines ſolchen Anfalles hörte ſie auch gemeiniglich in
ſich eine Stimme, die des Schutzgeiſtes, die dem Dämon
zu weichen befahl. Es gab ihr dann Stöße von unten
herauf und ſie erwachte. Gegen dieſen Schutzgeiſt wüthete
der Dämon ſehr oft und nannte ihn nur mit Schimpfreden.
Fragte man den Dämon, während er in ihr war, wo jetzt
der Geiſt des Weibes ſeye, ſo ſagte er: „Er iſt mit jenem
Lumpen (worunter er den Schutzgeiſt verſtand) fort.“ *)


[80]

Sie hatte das Gefühl von dieſem Dämon nur in der
linken Seite.


In ſolchen Anfällen war ihr Puls ganz unterdrückt.


Entſetzlich war die Anſtrengung, ſollte ſie Mittel, die anti-
dämoniſch wirkten, namentlich Pulver und Thee von Johan-
niskraut, nehmen. Sie konnte dieſes meiſtens nur knieend und
nach vorausgeſchicktem Gebet erzwingen. Der Dämon ſuchte
da mit aller Macht ſie am Knieen zu verhindern, ſo daß ſie
oft wie ſchwebend war, und wollte ſie beten, ſtellte er ihre
Kinnbacken oder zwang ſie zu einem teufliſchen Gelächter. Oft
bließ er ihr auch ihren Bauch bis zur Härte einer geſpannten
Trommel auf. So verhinderte ſie auch der Dämon ſehr oft
am Eſſen. Sobald ſie den Löffel an den Mund brachte, tauchte
er dann auf in ihr und drehte ihr den Löffel vor dem Munde
um und ſtieß ihr den leeren Löffel in den Hals, daß das Blut
nachlief.


Sie durfte nie etwas anderes als Waſſerſuppe von ſchwar-
zem Brode eſſen, ſobald ſie etwas Beſſeres aß, tauchte der
Dämon in ihr auf und ſchrie: „Das Luder ſoll nichts Gutes
eſſen“ und drehte ihr den Löffel herum. Oft ſchrie er: „Kre-
piren ſoll ſie!“ und dergleichen. Sie faſtete oft zwey bis
drey Tage lang durchaus ohne einen Biſſen Speiſe zu ſich
zu nehmen, ohne einen Tropfen zu trinken. In ſolchen Tagen
blieb der Dämon am ruhigſten.


Betete man über ſie und legte ihr die Hände auf, tobte je-
desmal der Dämon auf’s ſchrecklichſte. Während ſolcher Hand-
lungen ſchrie er beſtändig aus ihr: „Ich will nicht fort! Du
bringſt mich nicht fort! Krepiren ſoll das Luder.“ —


Dieſer magnetiſche Zuſtand wechſelte äußerſt ſchnell mit dem
wachen, welcher letztere beſonders dadurch erkannt wurde,
daß ſie die Augen öffnete (im kakodämoniſch-magnetiſchen
hatte ſie die Augen geſchloſſen) und nun keine ſolche dämoni-
ſche Reden mehr von ihr ausgingen, dagegen aber wurden
nun oft die Stöße und Schüttelungen in ihren Gliedern und
beſonders die des Kopfes, nur noch heftiger, welches ihr als
wachend große Schmerzen verurſachte und ihr ſehr arg war.


[81]

In dieſen wachen Zuſtand zurückgekehrt, bat die Frau
aber doch immer, mit dem Gebete nur fortzufahren trotz
des Wüthens des Dämons, Gott würde ihr gewiß bey-
ſtehen. Dann zwang ſie ſich, ſich zum Gebete auf die Kniee
niederzulaſſen, wo ſie aber, kaum ein Wort des Gebets ge-
ſprochen, in den kakodämoniſch-magnetiſchen Zuſtand fiel, der
Dämon ihr die Zunge aus dem Halſe reckte, ſie vom Boden
aufriß und Spott und Gelächter, oder ein teufliſches Pfei-
fen, ſtatt des Gebets, aus ihrem Munde gehen ließ.


Manchmal war es durch Beſprechung und Gebet dahin
gekommen, daß es ſchien, als ſeye der Dämon matt gemacht
und wolle nun aus ihr weichen. Sie ließ ſich in ſolchen
Momenten an’s offene Fenſter bringen, wo ſie zum Himmel
hinauf das inbrünſtige Gebet an den Geiſt ihres verſtor-
benen Vaters und den ihres verſtorbenen Kindes richtete.
Dann erfolgte auch oft ein entſetzliches Würgen und drey-
maliges heftiges Blaſen, als ſtieße ſich etwas mit Gewalt
aus ihrem Munde, ſie ſtürzte rücklings auf den Boden und
blieb auf dieſem eine Viertelſtunde in völligem Schein-
todt liegen, worauf ſie erwachte, ſich aber nur auf wenige
Stunden ſcheinbar vom Dämon befreyt fühlte, welcher nach
einer ſolchen Scene nur deſto wilder und teufliſcher, ſpottend
über die Unmacht des Gebetes und des Namens, in dem
es geſchah, in ihr tobte. Solche Verſuche waren wie Ab-
treibungsverſuche eines geiſtigen Bandwurms. Durch die
magnetiſche Manipulation, die aber (ſiehe oben) verkehrt
geſchehen mußte, wurde ſie, wie ſchon erwähnt, in einen
halbwachen magnetiſchen Zuſtand gebracht, in welchem ſie
immer eine gute Stimme, wie die ihres Schutzgeiſtes, zur
Ausdauer und zum Glauben ermahnte und ihr die Verſiche-
rung gab, daß das Böſe endlich aus ihr weichen müſſe.
Dieſer gute magnetiſche Zuſtand trat auch öfters von ſelbſt,
ohne vorausgegangenes Magnetiſiren, bey ihr ein, beſon-
ders in der Nacht, wo ihr dann meiſtens tröſtende Er-
öffnungen von dieſer innern Stimme gemacht wurden. Dieß
war ihr guter magnetiſcher Zuſtand im Gegenſatz von dem
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 6
[82] böſen magnetiſchen, dem kako-dämoniſchen, in welchem ſie
ja auch magnetiſch war. Dieſer kako-dämoniſche Zuſtand
war aber ein tieferer magnetiſcher als jener gute magne-
tiſche, wie er auch immer bald über dieſen die Oberhand
bekam: denn nach dem Erwachen aus dem kako-dämoniſchen
Zuſtand hatte ſie durchaus keine Rückerinnerung an ihn,
was nach dem Erwachen aus dem guten magnetiſchen nicht
der Fall war, ſie erinnerte ſich erwacht, was in dieſem
vorging, wie man ſich nach dem Erwachen eines Traumes
erinnert; es war dieſer Zuſtand alſo ein ſogenannter halb-
wacher magnetiſcher Zuſtand, der kako-dämoniſche aber, ein
tieferer, ſchlafwacher.


Als dieſer Zuſtand unter beſtändiger Abwechslung lange
fortgedauert, und ſowohl die magnetiſchen als arzneilichen
Verſuche fruchtlos geblieben, ſchien keine andere Wahl
mehr übrig, als wieder zu dem Mittel des Exorcismus zu
greifen, welcher die angeblich früheren Dämonen zum Wei-
chen gebracht und der geplagten Frau wenigſtens auf einige
Zeit Ruhe verſchafft zu haben ſchien. Es brachten auch
nur Beſchwörung des Dämons im Namen Jeſu, Hand-
auflegen im Glauben und Gebet, kurz ein höheres magne-
tiſches, — ein magiſches Einwirken, — hier Linderung
und war nur einzig von dieſen Mitteln, nachdem die ge-
wöhnlichen alle einen im Stiche gelaſſen hatten, Beendigung
dieſes teufliſchen Zuſtandes der Unglücklichen zu erwarten.
Die nachdrücklichſte Anwendung dieſer Mittel fiel gerade
in die Zeit, als ich von einem hohen Gönner und Freund
einen Beſuch erhielt, der, nachdem er von der Geſchichte
unterrichtet war, eingedenk des Wahlſpruchs: „Prüfet Alles
und das Gute behaltet“ gleiches Intereſſe zeigte, eine ſolche
ihm früher nie vorgekommene Szene mit eigenen Augen zu
prüfen. Dieß geſchah, und nachdem Alles vorüber war, bat
ich ihn, als den unbefangenſten und ſchärfſten Beobachter,
das Geſehene niederzuſchreiben, was mir auch ſeine Güte
nicht verſagte.


Die Beſchreibung der vorgefallenen Szenen iſt folgende.


[83]

„Am Freitage den 22. März 1833, Nachmittags um 2
Uhr, ſah ich bey meinem Freunde Dr. Kerner in Weinsberg,
zum erſtenmal eine Kranke höchſt eigenthümlicher und merk-
würdiger Art, von der ich ſchon in Stuttgart und Tübingen
hatte reden hören, ohne daß ich mir von dem Zuſtande
derſelben ein anſchauliches Bild entwerfen konnte. Zwey
junge Aerzte in Tübingen hatten mir zwar von dem Zu-
ſtande einer Kranken ähnlicher Art, eines jungen Mäd-
chens aus Orlach, welches ſie ſelbſt ebenfalls bey dem Dr.
Kerner einige Wochen zuvor beobachtet, mancherley erzählt,
was mit dem mir ſpäter zu Geſicht gekommenen Berichte,
den ein Augenzeuge in Nro. 81 Didaskalia vom 22. März
1833, Beilage zum Frankfurter Journal, erſtattete, im We-
ſentlichen ganz übereinſtimmte. Allein es war ihnen eben
ſo wenig gelungen, mich über den Zuſtand jenes Mädchens
auch nur einigermaßen ins Klare zu bringen, als es mir
oder jedem andern Augenzeugen gelingen wird, einen ſol-
chen unbegreiflichen Zuſtand anſchaulich zu beſchreiben.


Durch dieſe früheren Vorfälle in Weinsberg vorbereitet,
beobachtete ich mit deſto größerer Aufmerkſamkeit die Erſchei-
nungen, die mir die Krankheit der U. aus J. darbot.


Von Dr. Kerner erfuhr ich, daß dieſe Perſon eine glück-
lich verheirathete Frau und Mutter von drey Kindern, jetzt
etwa ſechs und dreißig Jahre alt, ſchon ſeit vier Jahren
von einer Krankheit befallen ſey, welche durch keine ärztliche
Vorkehrungen gehoben oder auch nur gemindert werden konnte.
Aus ihr ſprachen während der Dauer dieſer Krankheit mit
wenig Unterbrechung nach einander drey Geiſter verſtorbener
Menſchen, ſo daß, wenn Einer ausgetrieben ſchien, der
Andere ſogleich ſeine Stelle einnahm. Alle aber bekannten
mit dämoniſcher Stimme die Verbrechen und Schandthaten,
die ſie während des Lebens größtentheils im Geheimen ver-
übten. Sie ſelber wußte in ihrem natürlichen Zuſtande
anfänglich von dieſen Dämonen gar nichts, bis ſie davon
durch Augen- und Ohren-Zeugen in Kenntniß geſetzt wurde.
Von da an fürchtete ſie ſich vor ſolchen Anfällen weit mehr
6 *
[84] als früher, glaubte feſt an das Daſeyn dieſer Quälgeiſter
in ihrem Körper und wurde, von jeher fromm und Gott
vertrauend, immer eifriger im Gebet. (Die gute Einwir-
kung magiſcher und exorciſtiſcher Mittel, da alle gewöhn-
liche Arzeneyen fruchtlos blieben, iſt oben beſchrieben, auch
wie ſie durch ſolche von zweyen oder drey Quälgeiſtern,
welche nacheinander aus ihr ſprachen und ſich zu erken-
nen gaben, befreyt wurde.)


Die Geſchichte des Mädchens aus Orlach, welche großes
Aufſehen erregte und deren auf eine beſtimmte Zeit vor-
ausgeſagte Heilung wirklich erfolgte, kam auch vor die
Ohren des Mannes des kranken Weibes. Er nahm daher
keinen Anſtand, ſein Weib auch nach Weinsberg zu führen
und den Dr. Kerner zu bitten, ſich auch der Cur derſelben
zu unterziehen. Dieſe Bitte wurde ihm gewährt. Der Arzt
nahm die Frau in ſein Haus und wendete, nachdem alle
Mittel erfolglos durchverſucht waren, den Magnetismus
bey ihr an, der aber nur einen unbedeutenden und keinswegs
heilenden Einfluß auf ſie übte. In ihrem dadurch herbey-
geführten ſchlafwachen Zuſtande erfuhr er nur ſo viel von
ihr, daß ihr Schutzgeiſt ihr die Hoffnung gebe, durch Gebet
und Gottvertrauen von ihrem böſen Geiſte befreit zu werden.
Auf dieß bauend wurden auch von nun an, mit Hintan-
ſetzung faſt aller leiblichen Arzneymittel, nur geiſtige ma-
giſche und hauptſächlich Gebet und Beſchwörung im Namen
Jeſu, angewendet und das beſonders gerade am Tage,
wo ich bey meinem Freunde ankam.


Die Kranke war da ſchon längere Zeit in ſeinem Hauſe.
Ich fand die Patientin in ihrem natürlichen Zuſtande, der
jedoch eine Stunde ſpäter bey Anwendung beſagter Mittel
ſchon durch die heftigſten Anfälle unterbrochen wurde, welche
mit geringen Ruhepunkten bis zum andern Morgen 2 Uhr
in einer Weiſe fortdauerten, daß ſie nicht beſchrieben werden
können. Ich unterſchied beſtimmt die verſchiedenen Zuſtände,
in welche ſie abwechslungsweiſe verſetzt wurde, nämlich den
natürlichen, den magnetiſchen und den ſogenannten dämoni-
[85] ſchen, die jedoch öfters ſo ſchnell mit einander abwechſelten,
daß ich große Mühe hatte, dem Ueberſpringen des Einen
in den Andern mit Sicherheit zu folgen. Indeſſen erinnere
ich mich nicht, daß der magnetiſche und dämoniſche Zuſtand
je unmittelbar aufeinander gefolgt wären, ſondern immer
nur wechſelte der natürliche mit dem magnetiſchen oder mit
dem dämoniſchen und umgekehrt. Den Uebergang aus dem
dämoniſchen Zuſtande in den natürlichen kündigte die Kranke
faſt immer und zwar mit den Worten an: „Jetzt bin ich
wieder geſcheid,“ ſo wie den Uebergang aus dem magne-
tiſchen in den natürlichen mit dem Worten: „Ich bin
wach.“ Ueberſah man den Uebergang der verſchiedenen
Zuſtände und fuhr man fort, ſie wie eine Dämoniſche zu
behandeln, ſo ſchrie ſie ängſtlich: „Ich bin ja geſcheid.“
Im natürlichen Zuſtande iſt die Frau ganz einfache
Hausfrau, ſie ſtrickt oder verrichtet andere häusliche Geſchäfte
auch im Hauſe des Arztes in großer Stille und ohne Haſt.
Sie ſpricht ohne geſchwätzig zu ſeyn und betet viel, am
liebſten unter freiem Himmel. Ihr Körper iſt zwar ſehr
abgemagert, doch zeigt ihr Geſicht eine viel geringere Zer-
ſtörung, als man nach ſo mannigfachen vierjährigen Leiden
erwarten ſollte. In den Augen bemerkt man oft ein krampf-
haftes Zuſammenziehen. Am meiſten klagt ſie über die Mis-
deutungen, welche ihr kranker Zuſtand veranlaßt, über den
Kummer und die Plage, welche ihr Mann, ihre Kinder und
übrigen Angehörigen um ihretwillen leiden müſſen und über
die Laſt, die ſie dem Arzte und deſſen hülfreicher Fa-
milie zuzieht. Im magnetiſchen Zuſtande ſitzt ſie wie
eine ruhig Schlafende da, jedoch ganz aufrecht und un-
beweglich; ſie hat die Augen ſanft geſchloſſen, ihr Geſicht
iſt beruhigt, jedoch ohne jene Verklärung, welche ich bey
vielen Somnambülen geſehen habe. Auch iſt ihr Ton der
Stimme weniger angenehm als bey dieſen, und die Aus-
ſprache und die Wahl der Worte weniger edel; allein von
dem, was um ſie vorgeht, vernimmt ſie ebenfalls nichts,
und ſpricht nur, wenn ſie gefragt wird. In dieſem Zu-
[86] ſtande iſt es, daß ihr eine Stimme, welche ſie ihren Schutz-
geiſt nennt, der aber Andern unvernehmbar iſt, ſagt, wie
es um den böſen Geiſt in ihr ſtehe, ob dieſer noch dabey
beharre, in ihrem Körper zu bleiben und ſie zu plagen, ob
er ſelbſt noch der eigenen Beſſerung widerſtrebe, — ob
die Beſſerung, die er zuweilen zeigte, nur ſcheinbar und er-
heuchelt, oder ob ſie wahrhaft ſey, — was ſie genießen dürfe
oder nicht, um dem Dämon den Aufenthalt in ihr unan-
genehm zu machen. Dieſer erſchien ihr in der Configuration
einer Weſpe, und ſie geſtattet deßwegen nicht, daß man
ihr etwas Süßes und Nahrhaftes reiche. Wein oder Bier
verweigert ſie und genießt nichts, als magere Waſſerſuppe
und ſaure in Waſſer gekochte Aepfel nebſt etwas Brod.
Das Faſten bis zur äußerſten Nothdurft ſcheint ſie ſich über-
haupt zum Grundſatz gemacht zu haben. Im dämoniſchen
Zuſtande oder in dem Ausbruche der Beſeſſenheit ſpricht
die Kranke ſtets von ſich als von einer dritten Perſon,
zu der man nicht reden darf, wenn man verſtanden ſeyn
will, vielmehr muß man den Dämon ſelber anreden. In
dieſem Zuſtande ſind die Augen feſt geſchloſſen, das Geſicht
fratzenhaft, oft über allen Ausdruk ſcheußlich verzerrt, der
Ton der Stimme widerlich, gellend und in tiefen kräch-
zenden Lauten ſchreiend, die Worte durchaus pöbelhaft,
der Inhalt der Rede bald ſchadenfroh, bald Gott und die
Welt verfluchend, bald den Arzt, bald die Kranke ſelbſt
fürchterlich bedrohend mit dem hartnäckigſten Vorſatz, den Kör-
per der Frau nicht verlaſſen und ſie mit ihren Angehörigen
immer mehr plagen zu wollen; ſo mußte die Frau einſt, ge-
trieben vom Dämon, ihr liebſtes Kind ſchlagen, als es bey
einem ſolchen Anfalle neben der Mutter hinkniete, um für ſie zu
beten. Am ſchauderhafteſten mußte ſich die Arme geberden,
wenn ſie während der Anfälle einnehmen oder ſich einreiben
laſſen ſollte; ſie bedrohte, mit den Händen ausſchlagend, Jeden,
der ſich ihr mit ſolchen Mitteln näherte, ſchimpfte und ſchmä-
hete in den allerniedrigſten Ausdrücken, der Körper wurde
dann wie in einem Bogen, mit dem Unterleib in der Höhe
[87] ausgeſpannt, vom Stuhle niedergeworfen und auf dem Bo-
den herumgezogen, auf dem ſie dann völlig ausgereckt, ſtarr
und kalt liegen blieb, ſo daß ein wahrer Scheintod einge-
treten zu ſeyn ſchien. War dennoch der Kranken trotz des
Widerſtrebens etwas beygebracht worden, ſo trat ſofort
eine gewaltſame Bewegung ein, das Aufgedrungene wieder
von ſich zu geben, was jedoch nur ſelten und nie vollſtändig
gelang. Dieß geſchah jedesmal unter hölliſchem Gebrülle
und furchtbarem Blaſen, welches mit einem ſataniſchen, in
den höchſten Fiſteltönen ausbrechenden Gelächter abwech-
ſelte. Kam die Kranke für einige Augenblicke zu ſich, ſo
forderte ſie mit Haſt und Eile, was ſie kaum vorher im
dämoniſchen Zuſtande mit Ungeſtüm von ſich gewieſen hatte,
ſank dann todesmüde zuſammen und jammerte laut, be-
theuerte aber immer wieder, Muth und Gottvertrauen nicht
verlieren und alles dulden und thun zu wollen, was dazu
dienen könne, von dem böſen Geiſte befreit zu werden.
Dann kniete ſie meiſtens am offenen Fenſter nieder und
ſprach mit begeiſterter Andacht und flehender Stimme die
herrlichſten Gebete, recitirte richtig und mit innigem Gefühle
alles aus dem Gedächtniß, die ſchönſten Lieder aus dem
Geſangbuche und jederzeit die paſſendſten für ihre Lage.
Fühlte ſie ſich allzuentkräftet, ſo erſuchte ſie die Anweſenden,
ihr laut vorzubeten. An der Bewegung ihrer Lippen ſah
man, daß ſie alles ſtill nachbetete. Nun bat ſie um Arzney
(ſie war aus Johanniskraut bereitet), kaum war aber dieſe
eingenommen, ſo traten ſogleich wieder die fürchterlichſten
dämoniſchen Szenen ein. So ging es die ganze Nacht hin-
durch. Ich habe ſehr ſtarke Nerven, dennoch griffen mich
dieſe ſchauderhaften und doch dabey rührenden Auftritte ſo
heftig an, daß ich zuweilen für einige Zeit das Zimmer ver-
laſſen mußte, um mich in friſcher Luft zu erholen. Gegen
Morgen zwiſchen ein und zwei Uhr verloren die Anfälle etwas
von ihrer Schrecklichkeit, die Sprache des Dämons wurde
milder, zuweilen klagend. „Er fühle, ſo ſprach er aus der
Kranken, daß er den Körper der Frau verlaſſen müſſe, er
[88] wolle ihn auch verlaſſen, nur ſolle man ihm Zeit dazu laſſen
und ihm nicht ſo arg zuſetzen; (er verſtand darunter das magi-
ſche Einwirken durch Beſchwörung im Namen Jeſu) wenn man
ſich denken könnte, wie fürchterlich es draußen ſey
(hier ſchauderte der Körper der Frau zuſammen), ſo würde
man Mitleid mit ihm haben und ihn nicht ſo drängen.“
Nachdem die Kranke wieder zu ſich gekommen war und
etwas ausgeruht hatte, wurde ſie in magnetiſchen Schlaf
gebracht, in welchem ſie ausſagte: „Ihr Schutzgeiſt beſtätige,
daß der Dämon wirklich in der Umkehr zum Beſſern begriffen
geweſen, ihm jedoch noch nicht ganz zu trauen ſey, viel-
mehr werde er noch einen, wahrſcheinlich den letzten, Verſuch
machen, ſich in ihrem Körper feſtzuhalten, dennoch ſolle
man ſchonender mit ihm umgehen, und ſie ſolle nur den
Glaubensmuth nicht verlieren.“


Am Morgen des andern Tages um acht Uhr ſagte die
von dem Arzte wieder in magnetiſchen Schlaf gebrachte
Kranke: „Der Dämon ſey allerdings noch in ihr, aber
ſehr matt, man ſolle ihn ſanfter behandeln, denn er bereue
jetzt ernſtlich. Er werde ſie zwiſchen 11 und 12 Uhr Mit-
tags nach gelindem Widerſtand wirklich verlaſſen und kaum
je wieder zurückkehren.“ In der That wurden die von
Zeit zu Zeit eintretenden Krämpfe immer weniger heftig,
nur ſelten brach der Dämon noch in Drohungen und wi-
derſpenſtige Worte aus, Spuren der Reue zeigten ſich immer
mehr und gegen 11 Uhr erklärte er ſelber: „daß er die
Geplagte heute noch verlaſſen wolle, dieſes aber nicht ver-
möge, wenn er nicht vorher Alles, was er im Leben ge-
ſündigt habe, bekenne; denn er finde keine Ruhe und keine
Hoffnung, bis Alles an den Tag komme; ſonſt müſſe er
zurückkehren, wenn er nicht Alles bekenne. Damit er nichts
verhehle, müſſe man ihn mit Fragen unterſtützen, Alles,
was er ausſage, niederſchreiben, das Niedergeſchriebene ihm
zuweilen vorleſen und ihn beſtändig ermahnen, die Wahrheit
zu ſagen.“ Nun wurden die Bekenntniſſe ſtückweiſe, nicht
ſelten als Antworten auf die vorgelegten Fragen, die Jedes
[89] der Anweſenden machen konnte, von ihm abgelegt, wobey
es nicht zu verkennen war, daß gegen das Ende hin der
Sinn für das, was Sünde ſey, ihm mehr und mehr auf-
zugehen ſchien und er ſich deſſen, was zur Sünde gerech-
net wird, immer mehr zu verſichern ſuchte. Die Unter-
brechungen kündete die dämoniſche Stimme immer mit den
Worten an: „Ich kann nicht mehr, ich muß jetzt wieder
gehen.“ Auf dieſes erwachte die Kranke mit heftigen Kopf-
ſchmerzen und verlangte, daß man ihr die Stirn einreiben
ſolle. Der Magnetismus, der einen kurzen Schlaf herbey-
führte, beruhigte den Schmerz einigermaßen. Sobald ſie wie-
der bey ſich war, betete ſie ſtillgefaßt, und verlangte auch
von den Anweſenden, daß ſie ihr vorbeten möchten. Kam ſie
dann in den dämoniſchen Zuſtand, ſo konnte, was früher
nicht der Fall war, fortgebetet werden, ohne daß der Dämon
reagirte. Das, was der Schutzgeiſt verkündet hatte, trat
auch unfehlbar gegen zwölf Uhr Mittags ein. Der böſe
Geiſt wich, ſobald er Alles aufrichtig bekannt hatte, und
nachdem die Frau dreymal hintereinander hingeſtorben (ſchein-
todt geworden) war, mit dreymaligem heftigem Aufſtoßen und
unter lautem Blaſen von ihr. Die Kranke fühlte ſich, nachdem
der Dämon ſeine Bekenntniſſe abgelegt hatte und unter jenen
Erſcheinungen von ihr gewichen war, todtmüde und konnte
kaum die Treppe hinauf zu ihrem Bette wanken, in welchem
ſie, innerlich und äußerlich geſtärkt, erwachte und Gott für
ihre Befreiung dankte. Ein auswärtiger Arzt, der die Kranke
ſchon früher beobachtet hatte, und eben erſt eintrat, fand
ihren Puls auf merkwürdige Weiſe verändert, nämlich weich
und ruhig, während er in den vorigen Tagen hart und heftig
war. In magnetiſchen Schlaf gebracht, beſtätigte der Schutz-
geiſt die wirklich vollzogene Befreiung. Aber damit nicht zu-
frieden, wiederholte man, gegen meinen Wunſch, mehrere
Gegenproben durch Eingabe von Arzneien und Anwendung
von exorciſtiſchen Formen; allein es war von nun an auch
nicht die mindeſte Reaction mehr zu ſpüren. Man zweifelte
nun nicht länger mehr an der vollſtändig gelungenen Cur
[90] und die Frau war und blieb ruhig, ſchmerzlos und ſtill heiter.
Man ließ ſie eine ſchwache Fleiſchbrühe nehmen, und auch
dieſe ertrug ſie, was ſonſt nie der Fall war. Sie ging nun
ins Freie und beſtieg einen Hügel, um dort einſam zu
beten, kehrte geſtärkt und voll Vertrauen zurück. Ihre Ge-
ſichtzüge waren beruhigt, die Augen heller geworden, und
aus ihren Antworten leuchtete eine ſtille Heiterkeit hervor.
Für ihren Dauk gegen Dr. Kerner und ſeine Familie konnte
ſie nicht herzliche Worte genug finden. Als die Familie und
deren Gäſte Abends traulich bei Tiſche ſaßen und auch einige
ſcherzhafte Geſchichten erzählt wurden, hörte man die Frau,
die in einiger Entfernung am Ofen ſaß und dem Geſpräche
mit Theilnahme zuhörte, zum erſtenmal, ſeit ſie im Hauſe
des Arztes war, herzlich lachen.


Es ſind nun noch die Ausſagen und Bekenntniſſe des dämo-
niſchen Weſens in einem kurzen Inbegriff nachzuholen, mit
Hinweglaſſung der Fragen und Wiederholungen; ſie lau-
ten ſo:


„Ich hieß im Leben Caſpar B…r und wurde im Jahr
„1783 geboren. Ich ging zwar in die Schule, lernte
„aber nichts. Es ging nichts in mich hinein, und auch
„bey der Confirmation hatte ich weder Einſehens noch
„Glauben. Es fehlte an der Hauptſache im Hauſe, an
„der Kinderzucht. Mein Vater war manchmal ſehr ſtreng,
„die Mutter aber immer zu gut. Sie glaubte Alles,
„was ich ſagte, und ich betrog ſie ſtets. Dem Vater
„läugnete ich ab, was er ganz gewiß wußte. Wenn
„er dann zornig darüber wurde, verſündigte ich mich
„vielfach an ihm, ſo wie an der Mutter. Einmal ſchüt-
„telte und würgte ich den Vater im Zorne. Ich lernte
„das Müller-Handwerk, that aber niemals gut, ich
„trank gerne und verging mich oft mit Weibsperſonen.
„Eine davon wurde von mir ſchwanger, ich läugnete
„hartnäckig, daß ich Vater zum Kinde ſey. Ich ſagte
„früher, daß ich mich losgeſchworen hätte, aber dieß
„iſt nicht wahr, wahr aber iſt, daß ich das Mädchen
[91] „bis zum Schwur trieb. Als ſie den Eid abgelegt hatte,
„ſagte ſie zu mir: „Dieſer Schwur ſoll auf deine Seele
„fallen.“ Von nun an hatte ich keine Ruhe. Der Teufel
„blendete mich, und ich ging lange mit dem Gedanken
„um, das Weibsbild zu ermorden, doch kam es nicht
„dazu. Ich ließ mich mit andern Weibsbildern ein und
„dachte nachher nicht mehr viel an ſie und an das Kind.
„Es wurde wieder ein Mädchen von mir ſchwanger, was
„ich abermals abläugnete, ich trieb auch ſie zum Eid,
„den ſie aber nicht abſchwur, weil ſie auch mit Andern
„eingehalten hatte; da ſie auch ſonſt ſchlecht war, be-
„unruhigte mich das nicht ſehr. Inzwiſchen kam ich
„immer tiefer in die Liederlichkeit hinein, ergab mich
„dem Trunk und betrog, wo ich nur immer Gelegenheit
„fand. Oft zwar regte ſich das Gewiſſen, die Unruhe
„aber trieb mich in die Wirthshäuſer und da verſoff ich
„die Qual. War ich im Rauſch, ſo fing ich Schlag-
„händel an. Einmal war dieß in Kirchberg beim Staffel-
„wirth, da ſchlug ich den Beßten von meinen Sauf-
„kameraden nieder. Er blieb zwar nicht todt auf dem
„Platze, ſtarb jedoch bald darauf an den Schlägen,
„die er von mir erhalten hatte. Unterſucht iſt dieſer
„Handel nicht worden; wie der Camerad hieß, weiß ich
„nicht gewiß, ich denke, er nannte ſich Michel Diller. Hat
„mich auch das Gewiſſen nie in Ruhe gelaſſen, ſo habe
„ich doch niemals, was ich that, bereut. Ich ging zwar
„zuweilen zum Nachtmahl, bekannte und bereute aber meine
„Sünden weder vorher noch nachher. Ich ſoff nur um ſo
„ſtärker. Einſt ſtahl ich auch einem Mühlknecht die Sack-
„uhr, Niemand aber dachte daran, daß ich es gethan
„haben könne, ich verkaufte ſie um ein Spottgeld, das ich
„ſogleich verputzte. In der Mühle betrog ich die Kunden
„beſtändig, doch habe ich auch etwas Gutes gethan, weil
„ich von dem geſtohlenen Mehl zuweilen den Armen gab.“


Auf die ihm gemachte Bemerkung, daß er damit nichts
Gutes gethan habe, da er den Armen nicht von dem Sei-
[92] nigen, ſondern von geſtohlenem Gut gegeben, erwiederte er:
„Ich kann nicht glauben, daß das eine Sünde war, dem
Reichen that es nicht weh und den Armen kam es zu gut.“
So viel ihm auch dagegen eingewendet wurde, wollte er
doch nicht begreifen, daß das [eine] Sünde war, und nur ganz
zuletzt äußerte er: „Nun wenn dieß wirklich Sünde gewe-
ſen iſt, ſo will ich ſie auch bereuen.“ Er fuhr [nun] fort:


„Ich hatte mich verheirathet und ich hauſete auf eigener
„Mühle. Die Müllerin, die keine Kinder bekam, war
„gar lieb und gut, redete mir ſtets freundlich zu und
„ermahnte mich zu einem ordentlichen Leben. Ich hörte
„nicht auf ſie und achtete ihres Kummers nicht, doch
„wurde ich ihr wenigſtens nicht ungetreu. Ich wurde
„nun immer liederlicher und zog von einem Wirthshaus
„in das andre, wo ich, ſo lange ich noch ſelber das
„Geld einnahm, alles ſchnell durchbrachte. Endlich aber
„verſchloß die Müllerin das Geld, gab mir jedoch, was
„ſie nur vermochte, und redete mir immer freundlich
„zu. Ach, ſie war ſo brav! Ich aber folgte nicht und
„wurde immer ſchlechter. Da wurde ſie endlich uneins mit
„mir. Einmal ſagte ſie zu mir: Wenn du ſo fortlebſt, muß
„ich mich vor meinen Freunden ſchämen, die mir immer
„von der Heirath mit dir abriethen, ich kann nicht mehr
„unter ihre Augen treten, wenn du mir nicht folgſt. Zu-
„letzt aber ſagte ſie: Folgſt du mir nicht, ſo laſſe ich
„mich von dir ſcheiden, oder laß du dich von mir ſchei-
„den. Ich gerieth darüber in Zorn und Furcht. Ich
„wollte mich nicht ſcheiden laſſen und wollte doch auch
„nicht länger bey ihr bleiben, weil ich mich vor ihr ſchä-
„men mußte. Der böſe Feind kam über mich und trieb mich
„zum Hauſe hinaus. Ich lief nach Ellwangen, forderte
„unterwegs bey Schuldnern Geld ein, das ich dann gleich
„verſoff. Es war nicht viel, was mir die Leute gaben,
„weil ſie wußten, daß die Müllerin die Wirthſchaft führe.
„Ich konnte nicht mit mir einig werden, was ich an-
„fangen ſolle. Bald wollte ich zurückkehren, aber ich
[93] „ſchämte mich vor der Müllerin, ſo gut ſie auch war,
„bald wollte ich mich in der Fremde wieder als Mühl-
„knecht verdingen, aber auch dieſes widerſtand meiner
„Hoffart. So kam ich nach Weſthauſen, wo ich über
„Nacht blieb. Ich ſchlief nicht, die Gewiſſensangſt trieb
„mich fort; ſo erreichte ich ein Wäldchen, wo der Ge-
„danke mich überfiel mich aufzuhängen; das werde,
„dachte ich, die Müllerin am meiſten ärgern.“


Auf die Frage, ob er denn den Selbſtmord nicht für eine
Sünde gehalten habe, antwortete er:


„Das iſt mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein
„anderes Leben und glaubte an keines. Ich that mir ein
„Sacktuch um den Hals und hängte mich an einen Baum
„auf, ſo niedrig, daß die Fußſpitzen noch die Erde be-
„rührten. Es war gleich geſchehen, allein hernach that
„es mir wehe, daß ich nicht ſollte begraben werden. Als
„man mich gefunden hatte, wurde ich fortgefahren und
„verſchnitten.“


Nach dieſer Erzählung ging der Dämon wieder nieder;
die Patientin war ſehr matt und fiel bald in einen magne-
tiſchen Schlaf, aus dem ſie nur wieder erwachte, um in
den dämoniſchen Zuſtand zurückzufallen, in welchem der
Dämon, nachdem die früheren Ausſagen ihm vorgeleſen
waren, fortfuhr:


„Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin
„ungetreu geworden ſey, verneint; es iſt aber nicht wahr,
„ich habe gelogen. Ich habe mich geſchämt, auch dieſe
„Untreue zu geſtehen, weil die Müllerin ſo gar gut ge-
„weſen iſt. Der Ehebruch iſt aber auch eine große Sünde
„und ich darf keine Sünde verhehlen. Es hülfe mir auch
„nichts, der Schutzgeiſt findet ſie alle doch heraus, darum
„will ich auch dieſe Sünde bekennen, ſo wie ich ſie auch
„von Herzen bereue. Seit ich mich im Jahr 1818 auf-
„gehängt gehabt, habe ich als Wespe in der Luft ſchweben
„müſſen; doch habe ich erſt vor 16 Wochen in den Körper
„der Frau, die ich ſo ſehr geplagt, eindringen können;
[94] „da kam ich doch wieder zu einem Leib. Von da an
„habe ich die Frau, in die ich fuhr, gar ſehr geplagt.
„Ich kannte ſie früher ſo gut wie gar nicht, ſie war
„damals noch ein Kind und um Kinder bekümmerte ich
„mich nicht, ich kannte eigentlich Niemand als meine
„Saufbrüder und die Weibsleute, die mit mir einhielten.
„Auch ließ ihr Vater nicht in meiner Mühle mahlen,
„er war übrigens gut gegen mich und ein ſehr braver
„Mann, ich machte ihm auch viel Kummer und Sorgen.
„Und wie plagte ich nicht die Mutter und die Kinder
„und den Mann dieſer Frau! Ich konnte nicht anders,
„ich mußte ſie plagen; aber nicht wahr, es iſt auch große
„Sünde, daß ich dieſe Menſchen ſo plagte? Ach, wie
„reut es mich! Ja, jetzt fühle ich erſt mein Unrecht, ich
„bereue es bitterlich und bitte es ihnen allen demüthig
„ab. Ach wenn ich nur beten könnte! die Frau kann
„beten, ich kann es nicht und habe es nie gekonnt.
„Könnte ich es, ſo könnte ich eine kleine Staffel höher
„hinauf kommen, und ich dürfte hoffen, nicht immer
„abgewieſen zu werden.“


Bey dieſen Worten fragte ich: kannſt du nicht reuig ſagen:
Gott ſey mir armen Sünder gnädig? Ja, rief es
freudig aus der Kranken, ich kann es: und nun ſprach es
mit unbeſchreiblicher Wehmuth: Gott ſey mir armen
Sünder gnädig, er ſtärke mich in meiner Reue
und Buße, und laſſe mich Gnade finden
!“


Nach einer kleinen Pauſe traten die heftigſten Convulſionen
mit Brüllen und Blaſen, und dann, nach dreymaliger Un-
brechung, der dreymalige Scheintodt ein, wie oben ſchon
erwähnt wurde. Die Kranke erwachte, um in ihren natür-
lichen Zuſtand überzugehen, ſie fühlte ſich frey und lobte
und dankte Gott. Spät am Abend deſſelben Tages ſprachen
Kerner und ich zuſammen in Gegenwart der Frau von Ge-
genſtänden, welche auf dieſelbe gar keine Beziehung hatten.
Kerner ergriff eine ſich darbietende Gegelegenheit, die Frau
zu fragen, ob man nicht reichen Leuten etwas entziehen
[95] dürfe, um armen Menſchen damit beyzuſtehn? Sichtlich ver-
wundert über eine ſolche Frage, antwortete ſie ſchnell: „Wie
dürfte man ſo etwas thun? geſtohlen iſt geſtohlen, mag
man das entwendete Gut auch anwenden wie man will.“


Mehrere thatſächliche Umſtände, die in den obigen Aus-
ſagen und Bekenntniſſen berührt wurden, ſind bereits verifizirt,
andere werden zu Gegenſtänden weiterer Nachforſchung ge-
macht werden. Ich aber mußte in der Nacht abreiſen,
und nahm den vollen Wunſch mit mir, den weitern Verfolg
dieſer zum ernſten Nachdenken auffordernden Geſchichte, ſo
wie etwaige Erklärungsverſuche derſelben, zu vernehmen.


v. W....m


Dieß iſt die genaue Beſchreibung des mit eigenen Augen
prüfenden Freundes, zu der ich nichts hinzuzuſetzen weiß.
Er ſchied mit dem vollen Glauben von uns, daß dem Weibe
geholfen ſey, und wir Alle theilten die gleiche Hoffnung mit
ihm. Aber kaum waren wenige Tage vergangen, während
welchen jede dämoniſche Spur verſchwunden ſchien, ſo fing
der alte Jammer wieder an und alle die früheren Zufälle
kehrten in ihrer furchtbaren Geſtalt zurück. Das Weib,
als ſie dieſes aufs neue in ſich fühlte, war aufs äußerſte
niedergeſchlagen, weinte bitterlich und jammerte beſtändig.
Wir Alle mußten glauben, daß die Austreibung, obgleich
ſie unter den ſonſt gewöhnlichen Zeichen geſchah, vergeblich
war, und daß das gleiche böſe Weſen noch feſt ſitze und
ſein ſelbſt verkündeter Abſchied nur Verſtellung und Lüge
ſey. Von dem Schutzgeiſt erfuhr zwar die Frau im magne-
tiſchen Zuſtand, daß der vorige Dämon wirklich ausgefahren
ſey, ſie aber ſchon wieder ein anderer beſitze; Er ſprach ihr
Troſt zu und munterte ſie auf, mit Faſten und Beten anzu-
halten, wornach dann die Hülfe nicht lange verziehen werde.
Die Frau faßte wieder Muth und befolgte Alles pünktlich,
was zu ihrem Heil diente. Eines Tages kam ſie des Morgens
von ihrem Schlafgemach herab und erzählte, daß ihr dieſe
[96] Nacht wie im Traume eingegeben worden ſey, daß ihr ge-
genwärtiger Dämon der längſt verſtorbene Schmid Sch…n
aus J..m ſey.


Ein längſt erwarteter Freund, mit welchem ich über dieſe
Geſchichte viele Briefe wechſelte, kam nun auch, um Alles
ſelbſt mit anzuſehen. Die Kranke erwartete ſehnlich Hülfe
von ihm; allein der Dämon ſprach ſogleich lachend gegen
ihn aus: „Du bringſt mich nicht hinaus, gib dir keine
Mühe, es muß ein Stärkerer ſeyn als du.“


Den folgenden Tag wurde jedoch ein Verſuch gemacht,
nicht ſowol, den Dämon auszutreiben, als vielmehr ihn zu
Bekenntniſſen ſeiner im Leben begangenen Sünden zu brin-
gen, da aus den Vorgängen bekannt war, daß dieſe Me-
thode dem Dämon am beßten den Ausgang bereite und ihm
gleichſam mehr von Körper ablöſe. Es war ſchon viel ge-
wonnen, daß der Name des Dämons bekannt war und ſeine
Individualität nun ſelbſt zur Rede geſtellt werden konnte.
Auf jeden Befehl, der im Namen des Herrn geſchah, mußte
er jetzt antworten, und ſo hartnäckig er ſich auch ſträubte,
dieſes oder jenes zu bekennen, ſo war er doch zuletzt dazu
genöthigt. Deutlich konnte man ſehen, daß ihm die heili-
gen Namen eine Qual verurſachten, und daß er, um dieſer
los zu werden, jedesmal eine Antwort gab. Das Merk-
würdigere ſeiner Bekenntniſſe beſteht in Folgendem: „Er ſey
„ſchon länger neben dem Andern in der Frau geweſen, hätte
„ſich aber, ſo lange der Vorige herrſchte, ruhig verhalten.
„Seitdem Jener ausgefahren, ſeye er nun Meiſter ge-
„worden, und es ſeye ſeine Luſt, das Weib zu plagen.
„In ſeinem Leben habe er viel betrogen und viele Miſſe-
„thaten begangen. Noch ledig habe er ein Mädchen verführt
„und nachdem ſich dieſes als Mutter gefühlt, habe er ihm
„Gift beigebracht, wovon es ſchnell geſtorben ſey. Die That
„ſey nicht heraus gekommen, weil die Leute es für eine
„Gallenruhr erklärten. Er habe einen fürchterlichen Mein-
„eid auf ſeiner Seele, was ihn hindere, ſelig zu werden.
„Er ſeye zuletzt von J ..m nach El…n gezogen und
[97] „dort endlich an einem Leibſchaden und an der Läuſeſucht ge-
„ſtorben.“ Nach dieſen Bekentniſſen wurde er ernſtlich ver-
mahnt, ſich jetzt noch zu bekehren, indem Jeſus jeden reuigen
Sünder annehme. Jedesmal aber, und diß wohl zehnmal,
war die Antwort: „Was nützt es, daß ich mich bekehre,
„ich werde doch nicht angenommen.“ Unerachtet nun durch
dieſes Verfahren nicht viel ausgerichtet wurde, ſo ſchien
doch der Dämon mehr gedemüthigt und war nicht mehr
ſo frech in ſeinem Hohn und Spott. Es war vorauszuſehn,
daß er ſeinen Meiſter finden werde. Mein Freund machte
öfters, ſobald die Frau vom Dämon geplagt war, die Probe,
daß er ihr die Hand auf das Haupt legte und befahl:
„Der Schutzgeiſt ſoll kommen,“ worauf jedesmal ſogleich
ein ſichtlicher, in den Bewegungen des Körpers ausgedrückter
Kampf anging, der nach wenigen Sekunden den Dämon
zum Weichen brachte und die Frau befreite. Die öftere
Wiederholung dieſer Szene ließ keinen Zweifel über den
Erfolg und zeigte ſo recht augenſcheinlich, wie der böſe
und gute Geiſt ſich um den Menſchen ſtreiten, immer
aber dem Guten der Sieg bleibe, wenn der Menſch nicht
durch eigene Schuld ihn von ſich entfernt.


Nachdem mein Freund ſich verabſchiedet hatte, wurde
noch ein weit kräftigerer und ernſtlicherer Verſuch gemacht;
Alles ſchien gelungen, indem alle Zeichen der vorhergehenden
Expulſion ſich wieder einſtellten. Aber dennoch rettete der
Dämon ſich wieder, indem er, wie er nachher ausſagte, ſich
in einen unempfindlichen Theil des Körpers flüchtete, bis
der Sturm vorüber war. In dieſer Zeit beſuchte mich auch
auf der Durchreiſe ein angeſehener Gelehrter, der über Be-
ſitzungen anderer Meinung war. Dennoch machte auch er auf
Zureden einen Verſuch, indem er das böſe Weſen als ein
Nichts, als einen Wahn
erklärte, dem er gebot, das
Weib zu verlaſſen. Kaum hatte er dieſe Worte geſprochen,
als er von einer Fluth des pöbelhafteſten Spottes überſchüttet
wurde, indem es der Dämon übel nahm, daß er nichts
und ein bloßer Wahn ſeyn ſolle.


Kerner, über Beſeſſenſeyn. 7
[98]

Noch einige Zeit dauerte die Plage des Weibes ohne
Widerſtand fort, bis endlich mehrere gläubige Freunde in
der Ferne ſich im Gebet für dieſes Weib vereinigten und
den Herrn um die Löſung dieſes unnatürlichen Bandes fle-
hentlich baten. Wenigſtens läßt ſich der Erfolg ſo deuten,
indem um eben dieſe Zeit der Schutzgeiſt den Ausſpruch
that, daß der Befehl gekommen ſey: „Der Dämon müſſe
morgen Mittag um zwölf Uhr den Körper verlaſſen.“ Dieß
geſchah auch wirklich unter den bekannten Zeichen des Aus-
fahrens, ohne daß Jemand an einen förmlichen Exorcismus
dachte.


Die Frau fühlte ſich wieder befreit und dankte inbrün-
ſtig Gott. Alles wünſchte ihr Glück, indem keine Spur
der dämoniſchen Beſitzung mehr vorhanden war. Aber es
war nur ein Trug. Nach einem Stillſtand von fünf Tagen
kehrte die dämoniſche Plage wieder zurück, und die Frau
wurde jetzt zum fünften Mal recitiv. Nicht undeutlich ſchien
jene Bibelſtelle anwendbar: „Wenn ein Dämon ſeine
Wohnung verläßt, ſo daß alles gereinigt, geſchmückt und
wie mit Beſen gekehrt erſcheint, und alsdann dürre Stätten
durchwandert, ſo kehrt er wieder zurück und nimmt ſieben
andere Geſellen mit.“ Alle waren jetzt rathlos; auch die Aus-
ſagen des Schutzgeiſtes waren ſchwankend; Manchmal wollte
es uns dünken, als ſpiele eine ſataniſche Liſt die doppelte
Rolle des Dämons und des Schutzgeiſtes. Dieſe Meinung
wurde aber wieder zurückgewieſen dadurch, daß er die Frau
zum Ausharren mit Geduld ermahnte, ihr Troſt zuſprach,
ſie zum Faſten und Beten anhielt und ein baldiges Ende
ihrer Leiden verkündete. Wirklich war es auch die Frau
immer zuerſt, welche, ob ſie gleich durch den Jammer und
das viele Faſten beynahe ein Gerippe geworden, durch
Trennung von Gatten und Kindern große Opfer gebracht,
und dennoch Alles vergeblich ſah, doch den Faden der Hoff-
nung zur Wiedergeneſung wieder auffaßte, eingedenk jener
biblichen Thatſache, daß Jeſus von der Maria ſieben Teufel
austrieb.


[99]

Dieſer neue Dämon in der Unglücklichen gab ſich bald
als einen vor Jahren zu X. verſtorbenen, mir wohlbekannten
Sünder zu erkennen. Es iſt entſchieden, daß U. dieſen Men-
ſchen im Leben nie ſah, nie etwas von ihm hörte, um
ſo auffallender und beweiſender war es, daß ſie, ſo oft der
Dämon in ihr aufſtieg, durchaus die ganz gleichen Ge-
ſichtszüge bekam, die dieſer im Leben hatte, und die ſehr
marquirt waren, ſo das es nöthig war, die U. in ihren
Anfällen nun jedesmal von den Menſchen zu entfernen,
weil Jeder, der jenen Verſtorbenen im Leben kannte, ihn
jetzt ſogleich in den Geſichtszügen der Dämoniſchen wieder
erkannte, was zu unangenehmen Reden hätte Veranlaſſung
geben können. Auch bewieſen ſonſt Einzelheiten, die der
Dämon aus ſeinem frühern Leben angab, von welchen die
Frau nicht das mindeſte wußte und wiſſen konnte, daß Er
es wirklich und kein Anderer, oder daß er keine bloße fixe
Idee oder leere Fratze war.


Der Schutzgeiſt der Frau ſagte ihr im guten magnetiſchen
Zuſtande: dieſer Dämon habe erſt kürzlich in ſie geſchickt
werden können nach Austreibung des letztern, weil man
verſäumt habe, ſie gegen ſolche Anfechtungen auf immer
zu verwahren.


Die Teufeley und Hartnäckigkeit dieſes Dämons ſchien
auch die früheren weit zu übertreffen und die Leiden der
Unglücklichen waren Tag und Nacht ſo groß, daß ſie gar
nicht zu beſchreiben ſind, und wir mit ihr in die größte
Verzweiflung kamen.


Von Bekehrung und Buße wollte dieſer Dämon nichts
wiſſen, alle Verſuche, ihn dazu zu bringen, waren fruchtlos,
er erklärte, daß er nie aus ihr weichen und ſie bis zum
Tode Tag und Nacht fortmartern werde.


Es war jetzt klar, daß das bloße Austreiben der Dämonen
nicht hinreichend war, indem immer ein Anderer die Stelle
wieder einnahm, welche der Vorhergehende leer gelaſſen hatte.
Sollte die Unglückliche gänzlich geheilt werden, ſo mußte
ſie auch für die Zukunft verwahrt ſeyn. Es wurde mir
7 *
[100] durch Nachforſchung von Freunden ein in der Ferne Woh-
nender bekannt, der neben großer Glaubenskraft vielfältige
Erfahrung in ſolchen Dingen beſaß. Seine nähere Bezeich-
nung iſt mir nicht erlaubt. Er erſchien und der Kraft ſeines
Glaubens und ſeines magiſchen Einwirkens (das keine nähere
Beſchreibung zuläßt) gelang, was vorher nie gelungen
war, die Unglückliche nicht blos vom Dämon zu befreyen,
ſondern ſie auch für die Zukunft zu verwahren.
Nach einem hartnäckigen Kampfe von faſt drey Tagen fuhr
der Dämon, ein Teufel wieder zu ſeinen Teufeln aus. Seine
letzten Worte waren: „Nun muß ich fort, da ſteht es ja!“
und dann erfolgten die beym Hinausfahren gewöhnli-
chen Zufälle, namentlich das Zurückfallen und der Schein-
tod der U.


Eine ſehr rechtſchaffene Frau von hier, Frau W., die die
Fähigkeit hat, Geiſter zu ſehen, und bey dieſer letzten Scene
anweſend war, ſah, während die U. im Scheintode, der eine
Viertelſtunde andauerte, da lag, eine kleine ganz lichte Geiſter-
geſtalt neben der Liegenden ſtehen. Auch das erſte Wort der
U. war, als ſie wieder erſtanden: ſie habe, während ſie ſo
dagelegen, immer nur die Geſtalt eines kleinen lichten Geiſtes
in ihrer Nähe geſehen und ſonſt nichts geſehen und gehört,
und wahrſcheinlich bezogen ſich die letzten Worte des Dämons,
die ich, als er ſie ausſprach, gar nicht deuten konnte: „Nun
muß ich fort, da ſteht es ja!“ auf dieſe Erſcheinung, die
wahrſcheinlich die eines Schutzgeiſtes war. —


Von da an nun blieb U. von allen dämoniſchen Anfech-
tungen völlig frey und auch ſonſt ganz geſund, und ihr
Gatte ſchrieb mir, nachdem mehr als ein Jahr vorüber ge-
gangen:


„Mein Weib iſt noch immer ganz geſund, betet und ar-
beitet, ohne alle Störung und dankt mit mir Gott, der
uns durch Ihre Mithülfe von einem Jammer befreyte,
der ſo lange Jahre ſo ſchwer auf uns laſtete.“


[101]

Geschichte einer Besessenen
vom Jahr 1829.


Margaretha B. von N. eilf Jahre alt, Tochter einer
armen Wittwe, von etwas heftiger Gemüthsart, aber ein
chriſtliches, frommes Kind, wurde den 19. Januar 1829,
ohne vorher unwohl geweſen zu ſeyn, von krampfhaften
Zufällen ergriffen, die ſich mit wenigen und kurzen Unterbre-
chungen zwey Tage lang wiederholten. So lange die Krampf-
anfälle dauerten, war das Mädchen nicht beym Bewußtſeyn,
ſie verdrehte die Augen, machte Grimaſſen und allerlei
ſonderbare Bewegungen mit den Armen, und von Montag
den 21. Januar an ließ ſich auch wiederholt eine tiefe
Baßſtimme vernehmen, mit den Worten „Für dich betet
man recht
!“ Sobald das Mädchen wieder zu ſich ſelber
kam, war ſie müde und erſchöpft, wußte aber von allem
Vorgefallenen nichts und ſagte nur, ſie habe geträumt.


Am 22. Januar Abends fing eine andre, von der obigen
Baßſtimme ſich deutlich unterſcheidende Stimme an, ſich
hören zu laſſen. Dieſe Stimme redete faſt unaufhörlich ſo
lange die Kriſis dauerte, d. h. eine halbe, ganze, auch
mehrere Stunden, und wurde nur zuweilen von jener Baß-
ſtimme, die ihr voriges Recitativ ſtandhaft wiederholte,
unterbrochen. Augenſcheinlich wollte dieſe Stimme eine von
der Perſönlichkeit des Mädchens verſchiedene Perſönlichkeit
darſtellen, und unterſchied ſich auch von demſelben aufs ge-
naueſte, ſich daſſelbe objectivirend, und in der dritten Per-
ſon von ihr redend. In den Außerungen dieſer Stimme
war durchaus nicht die mindeſte Verwirrtheit oder Verrücktheit
zu bemerken, ſondern ganz ſtrenge Conſequenz, die alle Fragen
folgerecht beantwortete, oder mit Schalkheit von ſich wieß.
Was aber dieſen Aeußerungen ihr Unterſcheidendes gab,
[102] war der moraliſche, oder vielmehr der unmoraliſche Charak-
ter derſelben; Stolz, Arroganz, Spott, Haß gegen die Wahr-
heit, gegen Gott und Chriſtus, thaten ſich in derſelben kund. —
„Ich bin der Sohn Gottes, der Welt Heiland, mich müßt
ihr anbeten,“ hörte man jene Stimme zuerſt ſagen, und
nachher oft wiederholen. Spott über alles Heilige, Läſte-
rungen gegen Gott und Chriſtus und gegen die Bibel, heftiger
Unwille gegen alle, die das Gute lieben, die abſcheulichſten
Flüche, tauſendfach wiederholt, grimmiges Wüthen und
Toben beym Anblick eines Betenden, oder auch nur bei gefalteten
Händen — das Alles konnte man als Symptome einer fremden
Einwirkung betrachten, wenn auch jene Stimme nicht ſelbſt,
wie es wirklich geſchah, den Namen des Redenden verrathen
hätte, ſich einen Teufel nennend. Sobald dieſer Dämon
ſich hören ließ, veränderten ſich auch die Geſichtszüge des
Mädchens ſogleich höchſt auffallend und es trat jedesmal
ein wahrhaft dämoniſcher Blick ein, von dem man in der
Meſſiade auf dem Bilde, wo der Teufel Jeſu einen Stein
bietet, eine Idee bekommt.


Am 26. Januar Mittags nach eilf Uhr, zu derſelben
Stunde, welche das Mädchen im wachen Zuſtand, nach
ihrer Behauptung von einem Engel belehrt, ſchon vor einigen
Tagen als ihre Erlöſungsſtunde angekündigt hatte, erfolgte
das Aufhören dieſer Zufälle. Das letzte, was gehört wurde,
war eine Stimme aus dem Munde des Mädcheus: „Fahre
aus, du unſauberer Geiſt, aus dieſem Kinde!
weißt du nicht, daß dieſes Kind mein liebſtes
iſt
?“ dann erwachte ſie zum Bewußtſeyn.


Am 31. Januar ſtellte ſich derſelbe Zuſtand mit denſelben
Symptomen wieder ein. Doch kamen nach und nach mehrere
neue Stimmen hinzu, bis die Zahl dieſer, von einander
theils im Ton, theils in der Sprache, theils nach dem
Inhalt augenſcheinlich verſchiedenen Stimmen auf ſechs ge-
ſtiegen war, von denen ſich jede als die Stimme eines be-
ſondern Individuums geltend machte, und auch als ſolche
von jener vorher ſo oft gehörten Stimme angekündigt wurde.
[103] Die Heftigkeit des Tobens, Fluchens, Läſterns, Scheltens
u. ſ. w. erreichte in dieſer Periode der Krankheit den höchſten
Grad, und die Zwiſchenzeiten des Bewußtſeyns, in welchen
übrigens das Mädchen durchaus keine Erinnerung an die
Vorfälle im Paroxismus hatte, ſondern ſtill und fromm betete
und las, wurden ſeltener und kürzer. Der 9. Februar,
der ebenfalls ſchon am 31. Januar von dem Mädchen als
der Befreiungstag bezeichnet wurde, machte auch dieſem
Jammer ein Ende, und ähnlich dem erſten Male, ließen
ſich den 9. Februar Mittags 12. Uhr, nachdem jene Stimme
wiederholt ihren Abſchied angekündigt hatte, aus dem Munde
dieſes Mädchens die Worte hören: „Fahreaus, du un-
ſauberer Geiſt! das iſt ein Zeichen der letzten
Zeit
!“ Das Mädchen erwachte und iſt bisher geſund ge-
blieben.


Was die ärztliche Behandlung betrifft, ſo wurden dem
Mädchen während dieſer Zeit verſchiedene Medikamente,
und unter dieſen auch Wurmmittel gereicht, worauf auch
Würmer abgingen, was wohl bey jedem andern Kinde
auch der Fall geweſen wäre, allein ſie brachten durchaus
keine Aenderung in ſeinen Zuſtand, der nicht eher als bis
zu der ihm voraus geſagten Zeit, verſchwand
.


Trotz des Tobens der Dämonen gegen alles Heilige, wurden
Gebet und Händeauflegen häufig angewendet, geiſtige Mittel,
die hier gewiß auch von beſſerem Erfolg als alle noch ſo
ausgeſuchte ärztliche leibliche Mittel waren.


[104]

Geschichte einer Besessenen
vom Jahr 1714. *)


Auf unvermuthetes Vernehmen, daß zwey beſeſſene Weibs-
leute in hieſiges Armenhaus gebracht worden, ging ich Pfarrer
den 14. Dec. 1714 Abends aus ſtarkem Trieb meines Gewiſ-
fens in’s Armenhaus und nachdem ich die zwey beſeſſenen
Weibsleute auf eine Herzensprüfung geführt, ob ſie nicht
durch mancherley herrſchende Sünden, z. E. Fluchen, Hader,
Zank, Unzucht, Lügen und dergleichen Teufelswerke, dem
Satan in ſich Raum gegeben hätten, welches aber die Beſeſſe-
nen mir nicht geſtehen wollten, fing bey der einen Beſeſſenen,
Eliſabetha, Johann Doblers Frau aus Roſchach in der
Schweiz, alsbald der Paroxismus damit an, daß der
Satan aus ihr mich anfuhr: „Du Narrenmaul! was thuſt
du hier im Bettelhaus, du bekommſt gewiß Läuſe u. ſ. w.
Ich gab ihm die Antwort: „Durch das Blut, die Wunden
und die Marter Jeſu Chriſti ſollſt du überwunden und
ausgetrieben werden!“ worüber er heftig ſchnaubete und
brüllte und ſchrie: „Hätten wir Teufel Gewalt, wir wollten
Himmel und Erden unter einander werfen u. ſ. w., was
Gott nicht ſeyn will das iſt unſer!“ Auf dieſes kam die
Beſeſſene wieder zur rechten Vernunft und ſprach fein und
ſittſam mit mir, bezeugend, ſie wolle Gott bey allen ſa-
taniſchen Anläufen doch nicht aus dem Herzen laſſen.


Sonnabends Vormittags bettelte ſie ganz verſtändig hier
vor den Häuſern, eines andern Bettlers Kind in der Schlinge
tragend. Als ſie deswegen zur Rede geſetzt wurde, warum
ſie das thue? das Kind könnte ja in der ſataniſchen Wuth
umkommen, verſetzte ſie! „Der Satan muß mich ſo lang,
[105] als ich das Kind in meinen Armen habe, ungeplagt laſſen. *)
Mittags um eilf Uhr kam dieſe Beſeſſene auf mein Ver-
langen, aber nicht mit ihrem guten Willen, in hieſige Kirche,
darin ich, um nach ihrem höchſt jämmerlichen Zuſtand mich
zu richten, das Geſang: „Gott der Vater wohn’ uns bey“ ꝛc.
ſingen ließ und nach nöthig befundener Vorbereitung auf
der Kanzel die zwey merkwürdigen Stellen von etlichen Be-
ſeſſenen, Marc. 5. u. 9. Cap. mit […] gehängter Applikation
ſo lange vorlas, bis der Satan aus der Beſeſſenen zu mir
auf die Kanzel ſchrie: „Wenn iſt’s einmal genug!“ Nach
meiner ertheilten Antwort: „wenn’s Gott genug iſt, dir Teufel
iſt’s gleich genug!“ beklagte ſich der Satan über mich: „Wie
quäleſt, wie plageſt du mich! wäre ich nur nicht in deine Kirche
gegangen.“ Als er unverſchämt ſprach: „Nun meine Kreatur
muß leiden andern zum Exempel!“ ſtopfte ich ihm ſein Maul
alſo: „Teufel! die Kreatur iſt nicht dein, ſondern Gottes!
Dein iſt Koth und Unflath, Hölle und Verdammniß in Ewigkeit“
und als ich mit kräftigen Ausdrücken vom Namen Jeſu und
ſeinem allerheilſamſten Mittleramt auf den Satan zudrang!
ſchrie er: „O heiß! o heiß! O Qual! o Qual!“ oder fuhr
er mich zornig an: „Was haſt du für ein Geplapper?“ —


Inwährend des Betens, Schreyens, Kämpfens der Ge-
meinde, marterte der Satan die arme Kreatur jämmerlich,
brüllte aus ihr entſetzlich und warf ſie ſo ſtarr, ſo unem-
pfindlich zur Erde nieder, daß ſie lange eiskalt, ohne daß
man einen Athemzug bemerkte, wie ganz todt da lag, bis
ſie endlich mit Gottes Hülfe wieder zu ſich ſelbſt kam und
ganz ſchwach und entkräftet von etlichen Perſonen wieder
aus der Kirche in’s Armenhaus geführt wurde, allwo der
Satan ſie von neuem grauſam plagte. —


Gegen Abend beſuchte ich ſie wieder im Armenhauſe, in
Begleitung eines ſiebenjährigen Kindes, das aus Furcht
vor der Beſeſſenen ſich hinter eine Frau verſteckte. Zu
dieſem ſprach der Satan: „Du darfſt dich vor mir nicht
[106] fürchten, du biſt Gottes Kind, ich kann dir nichts thun.
Die Frau aber, die ſich ehr[li]ch nährte, ſchalt der Satan eine
liederliche Haushälterin, und weil ſie in einem Hafen, der
einen kleinen Spalt hatte, der von Niemand wahrgenommen
wurde, der Beſeſſenen Eſſen brachte, ſchrie der Satan: „O
Spalt! Spalt! warum nahmſt du nicht den ganzen Hafen,
der bey dem Brünnlein liegt?“ Die Anweſenden verwunderte
es, daß der Satan nicht nur den verborgenen Spalt in
dem Hafen, ſondern auch den Hafen bey dem Brünnlein
liegend wiſſen ſollte, an einem Ort, der der Beſeſſenen un-
bekannt war. —


Eine andre Frau, die der Bettler wegen aufgeſtellt iſt,
reizte er an: „Wenn Bettler in den Flecken kommen[’], ſo
jag’ und ſchlag ſie brav wieder hinaus, und bekommſt du
Allmoſen für ſie, ſo behalt’s für dich und kaufe dir Spitzen
dafür.“


Ein Weib, das ein uneheliches Kind bey ſich hatte, ent-
deckte er, indem er ſagte: „Es iſt hier was ungerades!“
Mich aber ſchnaubte er an: „Was ſchickſt du der Kreatur zu
freſſen und zu ſaufen? es gehört ihr nichts!“ Ich fertigte
ihn kurz ab: „Teufel, wenn mich Gott ſeiner Kreatur Barm-
herzigkeit will laſſen erzeigen, was haſt du darein zu reden?“


Obwohl nun die Beſeſſene auch dießmal wieder den Ge-
brauch der geſunden Vernunft, bey welchem ſie ſich, nota
bene,
niemals zu entſinnen wußte, was der Satan aus
ihr geredet, erlangt, ſo ließ ihr doch der Satan nach
meinem Abſchied nicht lange Ruhe, ſondern quälte ſie wie
zuvor.


Samſtag Nachts um ein Uhr holte mich ein welſcher
reformirter Schweizer, der etlicher Sprachen kundig war,
und erzählte mir mit Erſtaunen: die Teufel ſprächen aus
der Beſeſſenen lateiniſch, franzöſiſch, ungariſch u. ſ. w. und
wütheten als wollten ſie Alles im Armenhaus umbringen.
Indem ich nun hineingehen wollte, rief der Satan: „Laſſet
den Paperle nicht herein, er hat mir ſchon zwey Kameraden
geſtohlen, er will mir meine vier auch ſtehlen!“


[107]

Unter den Armen, die ſelbige Nacht im Armenhauſe lagen,
waren drey kleine Kinder und darunter ein Säugling, von wel-
chen der Satan bekannte: „Die drey unſchuldigen Kinder ma-
chen mir ſehr bange!“ Da gab ich ihm einen Schwerdtſtreich
mit dem Wort Gottes: „Merk’s Teufel! Aus dem Munde
der jungen Kinder und Säuglinge hat Gott eine Macht
wider dich zugerichtet, daß du Feind und Rachgieriger ver-
tilget werdeſt.“ Inzwiſchen riß der Satan die armſelige
Kreatur, ſperrte ihr das Maul gräßlich auf, warf ſie ſo
ſtark hin und her auf den Boden, daß drey bis vier ſtarke
Perſonen ſie kaum halten konnten, ließ einen natürlichen
und unleidendlichen Geſtank von ſich, machte die Beſeſſene
ſo hart wie einen Stein, eiskalt und ſo ſinn- und leblos,
daß ſie gleich als zuvor, lange wie todt da lag, bis ſie
endlich in Gottes Kraft wieder zur natürlichen Wärme,
Empfindung und Verſtand gelangte. —


Nach dieſem ſchalt mich der Satan: „Du Papperle
haſt mir meine ſechs Kameraden geſtohlen!“ Auf meine
Antwort: „Du wirſt mit der Hülfe Gottes deinen Kame-
raden nachfolgen müſſen, ſprach er: „Die Zeit iſt noch
nicht da, ich darf noch ſechs Jahre in der Kreatur bleiben.“
Darauf erwiederte ich: „Du Lügengeiſt! du weiſt ja Gottes
Zeit nicht!“


Nach meinem Abſchied blieben zwey fromme Männer
von meinen Zuhörern zurück. mit welchen die Beſeſſene, als
ſie ſich ein wenig erholt hatte, zu beten anfing. Der Satan
ließ ſie aber nicht lange im Gebet, ſondern fing bald an
zu ſchimpfen: „Warum habe ich die Kreatur nicht lieber in
die Türkey geführt, denn hieher, wo man mir meine ſechs
Kameraden geſtohlen, aber der große Gott hat mich gezwun-
gen, daß ich hieher mußte.“ —


Die Männer bedrohten den Satan, er ſolle die Kreatur
beten laſſen, da ſprach er: „Tanzet, tanzet, dann führen
wir Teufel den Vortanz!“ u. ſ. w.


Ein Weib aus dem Armenhauſe wandte ſich zu der andern
Beſeſſenen, zur Stieftochter der erſten Beſeſſenen und ſprach
[108] von ihr: „Dieſe kann doch das Gebet noch wohl anhören.“
Einer der Männer fragte: „Warum?“ Sie antwortete:
„Dieſe hat auch einen böſen Geiſt in ihr, aber er iſt ſtumm.“
Alsbald brach der Satan (der andern) aus: „Was ſtumm?
was ſtumm? greifet ihn an wie mich, er wird laut genug
werden: denn er iſt ja mein Kamerad, er kann laut genug
reden, er kann beſſer reden denn ich, er iſt ſo tückiſch, er
meint, wenn man ſeine Kreatur nicht angreife, ſo habe er
Ruhe, und wenn die Kreatur ſterbe, ſo fahre er mit der
Seele fort.“ —


Die Männer fragten: „Warum ſagſt du dieſes, iſt denn
dein Reich uneins?“ Da antwortete er: „Der große Gott
zwingt mich dazu, daß ich es ſagen muß, wir werden
Schaden genug davon haben.“ — Oft ſchrie er: „Iſt denn
kein Pardon, iſt denn keine Gnade da?“ und bat um Er-
laubniß in eine Kornähre, oder in ein Faß, in eine Kluft,
in einen Spalt fahren zu dürfen, — es hieß aber jedes-
mal: „Nein! der Hölle zu!“


Sonntags neun Uhr, zur gewöhnlichen Zeit des Gottes-
dienſtes, ließ ich die erſte Beſeſſene, in welcher der Satan
am offenbarſten wirkte und von welcher bisher am meiſten
die Rede geweſen, durch einige Männer in die Kirche führen,
dagegen ſich Satan mit aller Macht ſträubte. Nach ge-
ſungenem Lied: „Eine feſte Burg iſt unſer Gott“ nahm
ich, nach vorgeleſenem Gebet, den Eingang meiner Predigt
aus dem 3. Cap. Joh. v. 8. „Wer Sünde thut, der iſt vom
Teufel: denn der Teufel ſündiget von Anfang, darzu iſt
erſchienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels
zerſtöre,“ und machte mit ſolchen Worten aus Veranlaſſung
des Evangelii (Matth. 11.) eine Vorbereitung auf den Vor-
trag, was es für eine Beſchaffenheit habe 1) mit den
Werken des Teufels, 2) mit den Werken Chriſti. Teufels-
werke ſind geiſtliche Blindheit, Lahme u. ſ. w., Chriſti Werke,
die Erlöſung von ſolchen Teufelswerken und Schenkung
göttlicher Erleuchtung, Fertigkeit im Guten u. ſ. w.


Der Satan erhob zwar ein Gebrüll und die rachgierige
[109] Rede: „O wenn ich auf die Kanzel hinauf könnte, wie wollte
ich dich propffen!“ Allein auf das einige Wort: „Schweig
Teufel! laß mich im Namen Gottes reden!“ mußte er ver-
ſtummen und konnte die ganze Predigt hindurch weiter nichts
thun, als ſich aus der Beſeſſenen fürchterlich gebehrden, das
Maul krümmen, den Kopf grimmig hin und her drehen
und über mich und diejenigen Worte, die ihn hart trafen,
ausſpucken.


Nach vollendeter Predigt und gegebenem Segen vor dem
Altare, that ich dieſe Anrede vor den häufig verſammelten
Zuhörern, unter welchen nicht wenig Fremde und auch zwey
franzöſiſche Bürger waren: „Euer Lieb hab noch ein wenig
Geduld, ich habe wegen gegenwärtiger beſeſſenen Perſon
noch etwas zu reden.“ Darüber wurde der Satan ſo un-
gehalten, daß er ausrief: „Nein! nein!“ Ich ermahnte
herzlich Alte und Junge, beſonders die Schulkinder, auf den
Knien und mit heißen Seufzern, Geſchrey und Thränen,
den allmächtigen und barmherzigen Gott anzurufen: er
wolle doch um ſeiner Ehre willen und dem Satan und
deſſen Anhang zum Spott, den Satan von der elenden
Kreatur völlig austreiben, und drohete dem Satan: „Du
haſt nicht gern, wenn man den Namen Jeſu im Geiſt und
in der Wahrheit nennt!“ Dieſer ſtieß hierüber das ſchreck-
liche Wort aus: „Pfui wie ſtinkt’s!“ Ich ſprach zu ihm:
„Der Name Jeſus, der dir ſtinkt und ein Geruch des ewi-
gen Höllentodtes iſt, iſt den Gläubigen ſüße und ein Geruch
des Lebens zum Leben! Höre! des Weibes Saame hat dir
den Kopf zertreten, der Sohn Gottes hat einen Triumph
aus dir gemacht und aus allen Pforten der Hölle. Die
Rechte des Herrn Jeſu iſt erhöhet, die Rechte des Herrn
Jeſu behält den Sieg wider dich und dein Reich! Du
mußt unter der Gläubigen Füße!“ Da ſchalt er mich vor
Jedermann: „Du erbärmlicher Kuttenträger, du haſt mir
ſchon ſechs Kameraden geſtohlen! o könnt ich an dich! wie
wollt ich dir ein Klepperlein anhängen!!“


[110]

Hernach ſchrie er von neuem: „Pardon! Pardon!“
„Nichts! ſchrie ich, du mußt im Namen Jeſu Chriſti auch
fort wie deine ſechs Kameraden! Im Namen Chriſti ſag ich
dir!“ Da ſchrie er: „Weh! weh! ich muß fort!“ —


Nach dieſen Worten fuhr er aus dem jämmerlich geplagten
Weibe und hinterließ einen unnatürlichen und abſcheulichen
Geſtank. Die Unglückliche ward auch durch Gottes Hülfe
gänzlich befreyt, betete mit großer Andacht und ließ ſich
aus der Kirche mit Jedermanns großer Freude, wiewohl
ſehr ſchwach und entkräftet, wieder ins Armenhaus führen.


Nächſtfolgenden Montag, Vormittags um zehn Uhr, ging
ich, in Begleitung eines jener frommen Männer, wieder
in’s Armenhaus, um zu erforſchen, ob die andere Weibs-
perſon, Namens Urſula, der erſt Beſeſſenen Stieftochter,
wahrhaftig möchte beſeſſen ſeyn, welches theils daraus zwei-
felhaft ſchien, weil dieſe Beſeſſene nicht nur keine offenbare
Merkzeichen der Beſitzung wie die Erſtere von ſich ſehen
ließ, außer in den Augen, die ein ſonderbares Anſehen hatten,
ſondern weil ſie auch bey allem, was mit der erſt Beſeſ-
ſenen ſowohl in der Kirche als im Armenhaus vorging,
ganz ſtille blieb, theils daraus, daß ſie ſelbſt nicht mit der
Sprache, ſie ſey beſeſſen, heraus wollte, außer daß der
böſe Geiſt bisweilen wie ein Hahn aus ihr krähte.


Als ich nun zu dieſer Beſeſſenen im Vertrauen zu Gott
und Chriſto ſprach: „Es iſt mit euch fürwahr auch nicht
richtig! Teufel, du mußt hervor, wenn du dieſe auch be-
ſeſſen haſt, ich will dich rege und aufrühreriſch machen!“
da fing dieſe Beſeſſene nicht nur an, über die Maßen ſich
zu erbrechen, ſondern auch der Satan mich zu ſchimpfen:
„Du alte Kutte!“ und dasjenige, was ich mit der Beſeſſenen
beten wollte, mit lautem Gelächter zu verſpotten, oder das
Gebet zu verhindern, oder die Worte auf’s leichtfertigſte
zu verdrehen und zu verfälſchen. So ſprach der Teufel
zum Exempel, ſtatt: mit Waffen Gottes uns rüſten: mit
Waffen Spottes uns rüſten. Statt: trotz dem alten Dra-
[111] chen: Schutz dem alten Drachen. *) Und ſollte die Be-
ſeſſene beten: „Heiliger Geiſt wohn’ uns bey! vor dem
Teufel uns bewahr!“ u. ſ. w. ſo wollte er ſie nicht beten
laſſen, bis man ihm die Worte vorhielt: „Zur Ehre Gottes,
zum Gehorſam Jeſu Chriſti, laß die Kreatur beten!“ —
Nachdem wir einige Zeit mit dem Gebete ſtark anhielten,
wurde der Satan ſo grimmig, daß er die Beſeſſene auf den
Boden und mit ihr faſt ihre Stiefmutter, die, wie erzählt,
Sonntags vorher von der Beſitzung frey wurde, nieder-
warf, auch auf’s gräulichſte aus ihr brüllte und ſie jäm-
merlich, wie zuvor ihre Stiefmutter, zermarterte.


Ihr Vater, der Ehemann der erſt Beſeſſenen, als der das
Elend ſeiner Tochter ſah, bat uns, wir ſollten ſeine Tochter
in Frieden laſſen, daß ſie von dem Satan nicht ſo ſchrecklich
gemartert werde, ſein Weib aber, das erſt beſeſſen geweſen,
ſprach ihm ernſtlich zu, er ſolle es geſchehen laſſen, es
verurſache ihr die Marter keinen Schaden. Und wir ließen
auch nicht nach, ſondern machten auch Anſtalt, daß die
Beſeſſene durch etliche Männer, wogegen ſich aber der Satan
gewaltig ſperrte, zur Kirche geſchleppt wurde, welches Mit-
tags gegen zwölf Uhr geſchah.


Die Gemeinde, obgleich nur eine Betſtunde gehalten
ward, erſchien in der Kirche und ſang etliche Geſänge,
z. E. „Gott der Vater wohn’ uns bey“ und „Eine feſte
Burg“ u. ſ. w. und ſprach mir den 46. Pſalmen eifrig
nach, den ich mit Fleiß auf der Beſeſſenen Zuſtand richtete,
auch beteten alle mit mir ſo herzlich, ſo feurig zu Gott,
und war eine ſolche mächtige Bewegung, Angſt, Furcht,
Zittern, Weinen, Bangigkeit, auch unter den roheſten Ge-
müthern, daß es nicht auszudrücken iſt. Der Satan aber
trieb ein lautes, großes Gelächter und Geſpött in der Be-
ſeſſenen mit dem Gebet, das ſie nachſprechen ſollte, brüllte
aus ihr ungeheuer, warf ſie, unerachtet ſie immer drey bis
vier Männer ſtark hielten, ſo hoch empor, daß man immer
[112] beſorgen mußte, er werde ſie über die Anweſenden hinein-
ſchmeißen, machte auch, daß die Beſeſſene ihre Haube her-
unterriß und ſich ſelbſt das Haar grimmig zerraufte. Auf
einmal rief es aus der Beſeſſenen: „Jetzt iſt Einer fort,
— es ſind aber noch fünf da!“ Dieſe entſetzliche Rede be-
wegte die Gemeinde, immer heißer, ängſtlicher und ernſtlicher
zu Gott zu beten und zu ſingen, und Gott erhörte es auch
kräftig: denn jetzt bat der Satan in ihr, wie bey der erſten,
oft um Pardon, und als ihm dieſer nicht gewährt wurde,
um Erlaubniß, nur in irgend etwas fahren zu dürfen,
bis er endlich Abends um drey Uhr auf vielmaliges Zu-
ſammenſchreyen: „In Namen Jeſu Chriſti fahr aus, du
böſer Geiſt!“ der Kreatur Leib völlig verlaſſen und ſie
von nun an ungehindert und andächtig und gerne mit mir
und andern beten konnte, auch wieder einen ganz natürlichen
Blick erhalten hatte.


Alſo hat der allmächtige und barmherzige Gott beede
Weibsperſonen, davon die eine, die Stiefmutter, neun Jahre
mit ſieben Teufeln, die Stieftochter aber fünfzehn Jahre
mit ſechs Teufeln beſeſſen geweſen, von des Satans leib-
licher Beſitzung ſo befreiet, daß ſie ſich längere Zeit noch
hier, wiewohl entkräftet, doch ohne all die frühere ſataniſche
Anfechtung aufgehalten; wie ſie auch immer hier eifrig gebetet
und meinen Zuſpruch, (obgleich ſie an der papiſtiſchen Religion
ſtark hingen) begierig annahmen, auch die Kirche fleißig
beſuchten, der Predigt mit Ernſt und Thränen zuhörten
und endlich von mir und der hieſigen Gemeinde ſehr dankbar
und beweglich Abſchied nahmen.


Döffingen in Würtemberg den 1. October 1715.


Pfarrer M.Hartmann.


[113]

Geschichte einer Besessenen
vom Jahr 1766. *)


Vergangenen Domin. XVIII. Trinit. (1766) hat ſich in
dem benachbarten Flecken Gärtringen ein ſehr ſeltener
Casus zugetragen, deſſen Erzählung Ew. Hochwürden nicht
unangenehm ſeyn dürfte. Dienſtags zuvor kam ein ſiebenzig-
jähriges Bettelweib, kathol. Religion, aus Lothringen gebür-
tig, welche einige Zeit in Raſtadt gewohnt, auf der Bettelfuhr
nach Gärtringen, und wurde dorten in dem Armenhaus ab-
geladen, woſelbſt ſie auch übernachtete. Sowol ſie als andere,
die ſie ſeit langer Zeit kannten (dann ſie wurde ſchon ſeit
etlichen Jahren vielfältig durch Gärtringen hin und her
geführt) ſagten öffentlich, ſie wäre von einem böſen Geiſte
beſeſſen, der ſie in Gegenwart vieler Zuſchauer an zerſchie-
denen Orten, wo ſie durchgeführt wurde, entſetzlich quälte
und ſchlug, ſo daß ſie gar ſelten ruhen konnte oder im
Stand war, etwas von Speiſe und Trank zu genießen, wenn
er es nicht geſtattete. Der Pfarrer in Gärtringen, M. E …,
vernahm ohngefähr von dem Bettelvogt, der ein Almoſen
vor ſie abholte, daß eine dergleichen beſeſſene Weibsperſon
da wäre, worauf er ſich Anfangs aus Neugierde zu ihr
in das Bettelhaus begab, um ſich ihrer wahren Umſtände
zu erkundigen. Er fand ſie aber damals in natürlichem
Zuſtand, wo ſie ruhig war und kein böſer Geiſt ſich regte,
daher er ſie weitläufig beſprochen und auf ſolches wieder
heim gegangen.


Den folgenden Morgen kam der Bettelvogt wieder zu
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 8
[114] ihm und erzählte, wie der böſe Geiſt dieſe Perſon die Nacht
über ſo grauſam gequält habe, ſo daß viele Leute herbey
geſprungen, die es geſehen und gehört haben. Worauf
der Pfarrer wieder zu ihr ging und ſie ganz ruhig antraf,
auch ſo lang bey ihr aushielt, bis ſie auf einen Karren
geſetzt und nach Eningen abgeführt wurde, wobey er neben
dem Karren bis zu ſeinem Haus herging und unter der
Hausthüre auf dem Weg noch etwas nachſah, da dann
der Geiſt anfing, ſein mit heller Stimme zu ſpotten, und
ihn mit verächtlichen Geberden und Namen zu ſchimpfen,
auch die Weibsperſon auf dem Karren übel zu tractiren,
welches viele Leute mit angeſehen. Dieß bewegte den Pfarrer,
dem Karren weiter und bis Eningen zu folgen, um mehrere
Beobachtungen zu machen. Zu Eningen erzählte er dieſe
Begebenheit dem Herrn von Breitſchwerdt und deſſen
Frau Gemahlin, welche beyde ſich mit ihm zu dieſer Perſon
begaben, um genauere Kundſchaft einzuholen. Hier wurde
Paſtor bewegt durch dieſe Perſon, welche ihn erſuchte,
ſie wieder zurück nach Gärtringen führen zu laſſen,
weil ſie ihm in Gegenwart anderer frey ſagte, ſie glaube
gewiß, er könne ihr helfen. Da ſie wieder nach Gärtrin-
gen
gebracht worden, wüthete der böſe Geiſt grauſam, ſpot-
tete den Pfarren auf jede Weiſe und drohte ihm gewaltig,
wenn er ihm Einhalt thun würde. Sagte aber dabey unter
andern öffentlich zu ihm im Bettelhaus vor vielen Leuten:
„Ja Pfäffle (ſo pflegte er ihn zu nennen) wenn du einen
rechten Glauben hätteſt, ſo könnteſt du mich austreiben.“
Paſtor erwiederte: „Ich habe einen Herrn, der meinen
ſchwachen Glauben ſtärken kann, und du ſollſt es erfahren
daß er es thun werde.“ Worauf er ſeine Kreatur (denn
ſo nannte er ſie, oder ſeinen Schleppſack) erbärmlich anfing
zu quälen und zu ſagen, wenn das Pfäffle ſeine Kreatur
bis Sonntag wolle in die Kirche nehmen, ſo laſſe er es nicht
geſchehen, er wolle ſie krank genug machen, welches er
Sonntags auch gethan, da er ſie weder eſſen noch trinken
noch ruhen laſſen. Paſtor ſchöpfte inzwiſchen unter Faſten und
[115] Beten den Muth, Sonntags den Exorcismus vorzunehmen.
Er berichtete ſolches dem Hrn. Dekan und erhielt von ihm
mündliche Erlaubniß. Sonntags früh hielt er eine beſondre
öffentliche Betſtunde deßwegen, ſprach die Beicht und Abſo-
lution dabey und präparirte ſein Auditorinm auf den vorhaben-
den wichtigen Act. Um die gewöhnliche Stunde ließ er die Mor-
genpredigt läuten und die Beſeſſene, weil ſie an ihren Krücken
nicht laufen konnte, wurde auf einem Karren vor die Kirchthür
geführt und von da durch Männer vor den Altar gebracht
und auf ein Bett hingelegt. Paſtor predigte ſodann über
das gewöhnliche Evangelium und ließ das Lied ſingen:
„Gott wills machen ꝛc.“ Nach geendigter Predigt und ge-
ſprochenem Seegen redete er den böſen Geiſt (der ſich wäh-
rend dem Gottesdienſt ſehr ungebärdig geſtellt, das Weib
entſetzlich geplagt, auch vor der ganzen Gemeinde den Pfarrer
mit entſetzlichem Brüllen und Schreyen unterbrochen, und
oftmal ſchweigen heißen) von der Kanzel alſo an: „Nun,
du böſer Geiſt, wie hat dir dieſes Wort Gottes gefallen?“
Dieſer antwortete mit erhobener Stimme: „Ja, was meinſt
Pfäffle, ob dein Vortrag auch deine Zuhörer gerührt habe?
nicht weiter als zwanzig, die andern ſind alle nur aus
Fürwitz da.“ (Es waren mehr denn Tauſend, ſowohl
fremde als einheimiſche Zuhörer da.) Wenn du es ver-
langſt, ſo will ich dir’s mit Namen ſagen, wen dein Vor-
trag gerührt habe. Paſtor ſagte: „Nein, ich verlange es
von dir nicht zu wiſſen,“ und fragte: „Wie biſt du, böſer
Geiſt, in dieſe Perſon gekommen?“ worauf er geantwortet:
„Ich bin ihr neun Jahre nachgegangen, bis ich ſie be-
kommen. Sie hat fleißig gebetet, iſt fromm und ihrem Geiſt-
lichen gehorſam geweſen. Ich bin in ſie gekommen nicht
durch Müſſiggang, nicht durch Wolluſt, nicht durch Unzucht;
ſondern durch en alte Gabelreiterin, durch en alte Hex.“
Ich habe noch einen Kameraden bey mir gehabt, der zwar
nicht ſo ſtark als ich war, doch thut er mir weh: (denn
in Scheer hat der dortige Dechant ſchon einen von ihr
getrieben.) Du weißt wohl, wenn man auch Kameraden
8 *
[116] bey ſich hat, ſo iſt es gleich luſtiger. Ich bin ſchon vier
Jahre in dieſer Kreatur geweſen, und du Pfäffle, wirſt mir
ſie nicht nehmen.“ Worauf der Paſtor gefragt: „Wer biſt
du dann, du böſer Geiſt?“ Dieſer antwortete: „Ich
war ein Amtmann in S., Namens F. und bin verdammt
worden, weil ich mich ſo ſehr ſchmieren laſſen und das
Recht verkauft. Jetzt bin ich da in meinem Schleppſack,
aus welchem du Pfäffle mich nicht wirſt austreiben können.“
Der Paſtor antwortete: „Ich nicht; aber der Herr, der
dein und mein Herr iſt.“ Der böſe Geiſt ſchrie hierauf:
„Wenn es denn ſeyn muß, ſo laß mich in einen andern
Menſchen oder in ein Vieh fahren.“ Der Paſtor antwortete:
„Nein, das kann und darf ich dir nicht erlauben.“ Der
böſe Geiſt ſchrie wieder: „So laß mich denn in eine
Dornhecke fahren.“ Paſtor: „Warum dieſes?“ Satan:
„Wann Leute Zahnſtürer davon nehmen, ſo kann ich doch
wieder in einen Menſchen dadurch kommen.“ Der Paſtor:
„Nein, ich kann es dir nicht erlauben.“ Satan: „So laß
mich in einen Sumpf fahren.“ Paſtor: „Warum?“ Satan:
[„Wann] etwa ein Vieh da weidet, ſo kann ich von da in ſelbiges
kommen.“ Paſtor: „Nein, ich kann es nicht erlauben.“ Satan:
„So laß mich in ein ungebundenes Faß fahren, nur nicht
in die Hölle, es iſt ſo heiß darinnen. Wann eine Leiter von
der Erde bis an den Himmel reichte und jede Sproſſe wäre
ein Scheermeſſer, ſo wollte ich daran hinauf ſteigen, um
zu dem großen Mann (ſo nannte er Gott und ſprach den
Namen Gottes niemals aus) zu kommen. Wirf mich nur
nicht in die Hölle.[“] Paſtor: „Gott iſt ein gerechter Gott,
nicht wahr?“ Satan: „Ja, er iſt gerecht.“ Paſtor: „Nun
ſeinem gerechten Gericht übergebe ich dich und ſollſt dich
ihm unterwerfen.“ Bey dieſen Worten riß der Satan das
Weib entſetzlich, drehete ihr Hände und Füße um, blähete
den Leib grauſam auf, worauf er verſtummete und ſie
in Ohnmacht da lag
. Die Männer, die als Wächter
bey ihr ſtunden, mußten ſie wieder auf ihr Bett rücken,
von welchem er ſie weggeſchleppt hatte, und einige ſagen,
[117] daß bey dieſem Umſtand ein gewaltiger Geſtank s. v. aus-
gegangen. In wenigen [Minuten] kam ſie zu ſich ſelber,
redete recht und brüllte nicht mehr mit voriger Stimme;
ſtund auf (da ſie vorher nicht gehen konnte), lobete Gott
mit lauter Stimme vor ihre Befreiung und dankte allen
Anweſenden vor ihre Fürbitte: befindet ſich auch inzwiſchen
ganz wohl und klagt nichts mehr, kann eſſen, trinken, ſchla-
fen und beten.


Ich bin nicht vermögend, zu beſchreiben, in welche Be-
wegung ſowohl die Zuſchauer als auch hernach durch ihre
Erzählung dieſe ganze Gegend geſetzt worden. Nun aber
ſuchet das gemeinſchaftliche Oberamt Herrenberg, vor welchem
dieſe Perſon in Inquiſition und Verhaft ſich befindet, die
Sache als Betrügerey vorzuſtellen und lächerlich zu machen,
obgleich dieſe Herren vorher weder die Perſon geſehen, noch
bey dem Act gegenwärtig waren, den der Paſtor in der
beſten Abſicht unternommen. Meine Erzählung habe ich
aus dem Munde des Pfarrers und auch zerſchiedenen von
meinen beyderſeitigen Zuhörern, um die Sache unpartheyiſch
zu erkundigen.


Nufringen den 1. Oct. 1766.


[118]

Geschichte einer Besessenen
vom Jahr 1559 *).


Im Jahre 1559 hatte ein Schmied auf der Platten,
zwey Meilen von Joachimsthal an der böhmiſchen Grenze,
eine Tochter, die das Zeugniß hatte, daß ſie fromm, züchtig
und gottesfürchtig war. Dieſe wurde von einem Dämon
beſeſſen, alſo daß derſelbe ſie oft niederwarf als hätte ſie
die fallende Sucht. Aber bald begann der Dämon aus ihr
leibhaft zu reden und zwar grauſame und wunderliche Dinge,
ſo nicht zu beſchreiben, ſo daß ein großer Zulauf von Ein-
heimiſchen und Fremden wurde. Aber die Jungfrau hat ſich
ſtets geduldig erwieſen, hat oft zu Gott gebetet, aber wann
ſie den Namen Jeſu um Erlöſung angerufen, hat ſich bald
der böſe Geiſt wieder eingefunden, iſt ihr in die Augen
geſeſſen, dieſelben aus dem Kopf getrieben, ihr die Zunge,
wie eine zuſammengedrehte Weide eine Spannelang zum
Munde herausgereckt, ihr das Angeſicht auf den Rücken ge-
wendet, ſo jämmerlich, daß es einen Stein hätte erbarmen
mögen. Es ſind alle Prediger, ſo des Orts umher geweſen,
zu ihr gekommen und haben mit ihr geſprochen, denen aber
der Teufel über alle Maßen höhniſche Antwort gegeben und
wenn man von Jeſus ihn fragte, antwortete er mit ſolchem
Spotte, daß das nicht nachzuſagen iſt.


Als ihn die Prediger fragten: wer ihn dahin geſchickt
habe? antwortete er: „Mein Herr hat es gethan, dieſen
Leib zu peinigen und zu martern.“ Man ließ die Beſeſſene
in die Kirche tragen [und] betete mit einer großen Menge
[119] zu Gott für ſie. Wurde der Name Jeſus genannt, ſo brüllte
und tobte der Dämon furchtbar. Man richtete aber dieß-
mal noch nichts aus. Als man wieder heimging, ließ der
Dämon ſich auf dem Wege wie eine Heerpauke hören und
ſagte: „Ey wie bald hätten ſie mich gehoben! meiner Ge-
ſellen waren ſchon acht hinweg.“


Am 10. May wurde der Pfarrer zu Schlackenwalda zu
ihr begehrt und ſonſt noch zehn Prieſter, auch verordnete
der Hr. Johannes Mattheſius aus dem Joachimsthal zwey
Diakoni zu ihr, welche alle dann von Morgen bis Mittag
zwölf Uhr mit Beten, Singen und Leſen, allen Fleiß an-
wendeten, aber doch nichts ausrichteten. Nach zwölf Uhr
kam der Pfarrer von Schlackenwalda an, da dann bey
tauſend Menſchen zugegen waren. Die Gemeinde fing dann
Jeſus Chriſtus zu ſingen an und betete mit herzlicher Andacht
zu Gott und ſo wurde auch der böſe Geiſt aus dem Mädchen
endlich getrieben und fuhr wie ein Geſchwärm von Fliegen
zum Fenſter hinaus. Ehe er ausfuhr, begehrte er von der
Jungfrau ein Glied, einen Nagel vom Finger, letztlich nur ein
Haar, um in dieſem bleiben zu dürfen, was ihm aber nicht
zugeſtanden wurde.


Nach Ausfahrung des böſen Geiſtes trug man die Jung-
frau aus ihres Vaters Haus in ein anderes und reichte ihr
das Abendmahl. Sie war ganz bey Sinnen, aber geſchwächt
und bat die Prediger herzlich, in ihren Kirchen für ſie zu
beten, daß ſie Gott vor dieſem Feinde fortan gnädiglich be-
wahren wolle; — was auch erhört wurde.


[120]

Einige Reflexionen
über
Besitzung und Zauber
zu den vorſtehenden Geſchichten.
Von
Eſchenmayer.


Die Aufſtellung einer Lehre über Beſitzung iſt durch und
durch von dem Evangelium ſanctionirt. Wäre die Theologie,
ſtatt an dem Reiche der Unnatur und an dem, was Chriſtus
vom Satan und den Dämonen ſagt, nur in leiſen Tritten
vorbeyzuſtreifen, und ſtatt den unnützen dogmatiſchen Plän-
keleien und Accommodationen, mitten in daſſelbe eingegangen,
ſo würde ſie ſchon lange über den beliebten Vernunft- und
Naturzuſammenhang ſich erhoben und für ihre Forſchungen
ein weiteres Feld geöffnet haben.


Der Verfaſſer der jüngſt erſchienenen Abhandlung über
das Beſeſſenſeyn
*) hat das Verdienſt, alle Hauptbe-
ziehungen der h. Schrift über dieſen Gegenſtand geſammelt
und zuſammengeſtellt zu haben, ſo daß der Ernſt und die
Autorität der Schrift nicht mehr verkannt werden kann.


Die Beſitzung gehört in das Reich der Unnatur, und
ihre Aufgabe läßt ſich in folgende drey Momente zerfällen:
1) Von der Unnatur überhaupt. 2) Von der Geſtaltung
derſelben als Act der Beſitzung; 3) vom Exorcismus.


[121]

Von der Unnatur uͤberhaupt.


Es iſt ein engherziger Gedanke, die menſchliche Natur
für das höchſte [und] vortrefflichſte Meiſterſtück zu halten und
dabey die ſowohl tiefer als höher liegenden Naturen unberück-
ſichtigt zu laſſen, da uns ſchon die einfachſten Analogieen aus
unſern Ordnungen dahin führen, daß die menſchliche Natur
nur als Mittelglied zwiſchen eine Uebernatur und Unnatur
geſtellt iſt.


Es giebt drey große Proportionen, welche der menſch-
lichen Natur zugehören, 1) die Proportion von Schwere,
Wärme und Licht, welche die phyſiſche Ordnung füllen
und das Reich der Bewegung darſtellen, 2) die Proportion
von Reproduction, Irritabilität und Senſibilität, welche
die organiſche Ordnung füllen und das Reich des Lebens
darſtellen, und 3) die Proportion von Denken, Fühlen
und Wollen, welche die moraliſche Ordnung füllen und das
Reich der Handlung oder der Zwecke darſtellen.


So lange nun dieſe Proportionen in den Werthen ihrer
Glieder eine gewiſſe Gränze nicht überſchreiten und zur Ein-
heit zuſammengehalten ſind, ſo lange ſehen wir auch einen voll-
kommenen Zuſammenhang von Geſetzen, Typen und Zwecken
in denſelben. Im Reiche der Bewegung gibt ſich uns ein
Zuſammenhang von mechaniſchen und dynamiſchen Geſetzen,
im Reiche des Lebens ein Zuſammenhang von organiſchen
und plaſtiſchen Geſetzen, und im Reiche der Handlung ein
Zuſammenhang von logiſchen und moraliſchen Geſetzen zu
erkennen. Alle aber greifen in einander und darin liegt
der allgemeine Zuſammenhang von Vernunft- und Natur-
geſetzen, wie wir ihn in uns, außer uns und um uns haben.
Die phyſiſche Proportion geſtaltet ſich in den veränderlichen
Werthen ihrer Glieder zur Dignität unſerer Sphärenwelt,
die organiſche Proportion auf gleiche Weiſe zur Dignität
unſerer Individualwelt, und eben ſo die moraliſche Pro-
portion zur Dignität des Reiches der Perſönlichkeiten. Alle
drey aber konſtituiren die menſchliche Natur gerade, wie
ſie uns in ihrer Subjectivität und Objectivität erſcheint.


[122]

Aber ganz anders verhält es ſich, wenn die Glieder jener
Proportionen die Gränzen überſchreiten und in ihre Ex-
treme auslaufen. Alsdann löst ſich die Einheit des Zu-
ſammenhangs auf, die äußerſten Glieder reißen ſich von der
Verbindung mit den andern los und gewinnen eine ſolche
Uebermacht, daß die andern Glieder kaum noch als ſchwache
Coeffizienten bemerkbar ſind.


Auf dieſen Zuſtand ſind unſere Vernunft- und Naturgeſetze
nicht mehr anwendbar; vielmehr werden ſie ſelbſt von der
Uebermacht der ſich iſolirenden Glieder überwältigt und die
menſchliche Natur wird in fremde Richtungen hineingezogen
und muß ſich eine fremde Gewalt, die ſich nicht auf ihrem
eigenen Boden erzeugt, gefallen laſſen.


Die fremden Richtungen und Gewalten ſind einander
entgegengeſetzt, und wir können ſie nun nach der Dignität
der einzelnen Ordnungen näher entwickeln.


In Hinſicht der phyſiſchen Ordnung läßt ſich wohl
ein Reich denken, das noch viel tiefer liegt als die Gränze
der Schwere, die der Erde und ihrer uns bekannten Körper-
welt zugetheilt iſt, und eben ſo ein Reich, das höher liegt,
als die Gränze des Lichts, das aus den entfernteſten Ge-
ſtirnen in unſer Auge ſcheinet.


Wird die Schwere ſo mächtig, daß Wärme und Licht
in ein Kleinſtes übergehen, ſo daß ſelbſt die Geſetze der
Bewegung, wie ſie ſich an den Maſſenkörpern äußern, auf-
hören und die Einheit, die aus der Proportion der drey
Grundkräfte ſich bildet, in eine Differentialwelt zerfällt,
ſo iſt dieſes Reich unter die Gränze unſerer Natur geſunken,
und heißt mit Recht Unnatur.


Das Evangelium nennt es das Reich der Finſterniß.


Wird hingegen das Licht ſo mächtig, daß Schwere und
Wärme in ein Kleinſtes übergehen, ſo daß ebenfalls die
den Maſſenkörpern zugetheilten Bewegungsgeſetze nicht mehr
paſſen und alle Naturen ätheriſch werden, ſo iſt dieß
Reich über die Gränze unſerer Natur erhaben, und heißt
mit Recht Uebernatur.


[123]

Das Evangelium nennt es das Licht- oder Himmel-
reich
.


Der Begriff der Uebernatur und Unnatur darf der dy-
namiſchen Philoſophie nicht fremd bleiben, weil es, räumlich
genommen, wirklich ſolche Reiche geben kann, die die gleiche
Conſequenz zulaſſen, wie unſere Sonnenſyſteme. Denn, warum
ſollten wir nicht, wenn wir die Mittelglieder haben, auf
die Extreme fortgehen, die zwar zur gleichen Reihe gehören,
aber einen ganz andern Charakter annehmen. Setzen wir
die Gränze unſerer Natur in Beziehung der Schwere
in irgend einen negativen Exponenten = n, ſo gehört das,
was unter dieſen Werth fällt, nicht mehr zu uns, ſondern
zur Unnatur. Und ſo umgekehrt. Setzen wir die Gränze
unſerer Natur in Beziehung des Lichts in den poſitiven
Exponenten = n, ſo gehört das, was über dieſen Werth
erhaben iſt, auch nicht mehr zu uns, ſondern zur Ueber-
natur
.


Der Unterſchied beyder von unſerer Natur muß ſich in
weſentlichen Charakteren darſtellen.


Die Differentialwelt der Schwere iſt das Reich
der Atomen, die ſich um Maſſe, Volumen und Dich-
tigkeit der Materie nichts mehr bekümmern, ſondern, wie
körperloſe geometriſche Linien, Alles in einem Augenblick
durchdringen. Die hieher gehörigen Kräfte ſind atomiſtiſche
Kräfte, wie die Kraft der Schwere ſelbſt und wohl auch
die phyſiſch-magnetiſche Kraft, und wenn es in dieſem
Reiche noch Weſen gibt, ſo ſind es atomiſtiſche oder Schein-
körper, die nicht mehr zu unſerer ſinnlichen Exiſtenz ge-
hören. Da die Uebermacht der Schwere der Wärme und
des Lichts entbehrt, ſo ſind die Eigenſchaften ſolcher Weſen
Kälte und Finſterniß.


Die Integralwelt des Lichts hingegen iſt das Reich
der ätheriſchen Weſen, welche weit über unſere Natur
erhaben ſind, die ſich gleichfalls um Maſſen, Volumen und
Dichtigkeit nichts mehr bekümmern, ſondern, wie der geiſtige
Gedanke, ſich überall in einem Augenblick hinbewegen. Sie
[124] haben gleichfalls keine ſiinnliche Exiſtenz für uns, und nur
ausnahmsweiſe erſcheinen ſie im Glanze des Lichts. Da
die Uebermacht des Lichts der Schwere und der Wärme
entbehrt, ſo ſind die Eigenſchaften ſolcher Weſen nichts als
Aether und Licht.


In Hinſicht der organiſchen Ordnung ſehen wir ein
mannigfaches ſich veränderndes Verhältniß der Grundkräfte
von Reproduction, Irritabilität und Senſibili-
tät
und dieß vom Lithophyten an bis zum Menſchen hinauf.
An der untern Gränze iſt die Reproduction ſo mächtig, daß
die beyden höheren Kräfte nicht mehr, ihrem eigenthümlichen
Charakter nach, darin erkennbar ſind, ſondern nur als
Brüche erſcheinen. Nach und nach aber winden ſie ſich von
den Feſſeln derſelben los, ſteigern ſich immer höher, bis endlich
die Senſibilität für dieſes Erdſphäroid im Menſchen ihr
Maximum erreicht.


Es hindert uns aber nichts, auch in dem Gebiete der
Lebenskraft die Glieder der Proportion in ihre Extreme fort-
geſetzt anzunehmen.


In einer höhern Verfaſſung kann die Uebermacht
der Senſibilität
ſo ſehr anwachſen, daß ſie die beyden
andern Kräfte völlig zurückdrängt. In dieſem Zuſtande muß
der gröbere materielle Stoff von Fleiſch und Bein verſchwin-
den und aus der plaſtiſchen Kraft des Nervengeiſtes ein
ätheriſcher Leib ſich bilden, der nicht mehr verweslich iſt,
wie unſer irdiſcher Leib. Ohne Zweifel meint Paulus dieſen
Zuſtand, wenn er ſagt, daß der verwesliche irdiſche Leib
als unverweslicher und verklärter wieder aufſtehen werde.


Aber auch hier ſchon auf der Erde überſteigt unter ſeltenen
Bedingungen die Senſibilität die Gränzen der gewöhnlichen
Proportion, und dann zeigt ſie uns jene außerordentlichen Er-
ſcheinungen, wie wir ſie im Somnambulismus wahrnehmen.
Der Menſch nennt ſie wunderbar, weil er gewohnt iſt,
Alles mit ſeinen niedern Naturgeſetzen zu meſſen. Sie ſind
aber eben ſo natürlich, als alles andere und gehen blos
[125] aus einer höhern Entwicklung der Senſibilität hervor, als
es die gewöhnliche Proportion mit ſich bringt.


Auf gleiche Weiſe kann aber auch die Reproductions-
kraft
die Gränze der Proportion überſchreiten, ſo daß in
ihrer Uebermacht die höhern Kräfte ihrer Wirkſamkeit ver-
ſchwinden. In dieſem Zuſtand hört alle Plaſtik auf, ſich
in organiſch-leiblicher Form zu geſtalten. Es ſind bloſe
Scheinkörper, die durch die atomiſtiſche Kraft ſich eben ſo
leicht bilden als wieder zerfallen. Hieher gehört das Reich der
Verwandlungen, wo kein feſtes Gebilde ſich mehr findet. Es
iſt ein ewiges Reproduziren und Wiedervergehen der Ge-
ſtalten, etwa wie wir in der mikroſkopiſchen Welt der In-
fuſionsthierchen wahrnehmen.


Der Unterſchied beyder von unſerer Natur muß ſich gleich-
falls in weſentlichen Charakteren darſtellen.


In der Uebermacht der Senſibilität löst ſich die
leiblich-organiſirte Maſſe auf. Der Leib wird ganz
Sinn
. Der Nervengeiſt verklärt ſich zum Aug, das aber
nicht nur Irdiſches, ſondern Himmliſches ſchaut. Zeugung,
Empfängniß und Geburt verlieren ihren organiſchen Beſtand,
oder vielmehr, die leibliche Zeugung wird geiſtige Zeugung,
alle Geſtalten werden Ideale in der helleſten Klarheit und
das Wirkliche erhebt ſich zum Schönen.


In der Uebermacht der Reproduction löst ſich
gleichfalls die leibliche organiſirte Maſſe auf, denn Fleiſch
und Blut erzeugen ſich nur da, wo die organiſchen Kräfte
eine Proportion eingehen. Die Leiblichkeit erſcheint
als bloſer Trieb
. Der Nervengeiſt behält blos noch
das Vermögen, ſich einen atomiſtiſchen Leib oder vielmehr
einen Scheinkörper anzubilden. Zeugung, Empfängniß und
Geburt verlieren ſich gleichfalls: denn Samen entſteht nur,
wo Fleiſch und Blut iſt. Es bleibt nichts übrig, als der
faule Verweſungsgeruch und Dunſt. Alle Geſtalten werden
Scheuſale, die ſich im Nebel figuriren, und das Wirkliche
ſinkt ins Häßliche zurück.


In Hinſicht der moraliſchen Ordnung weiſen uns
[126] die Analogieen noch beſtimmter auf eine Unnatur und Ueber-
natur hin.


Das freie Princip, welches den menſchlichen Willen
beſeelt, iſt als eine Gabe Gottes und als Funke aus ſei-
nem Weſen unendlicher Natur und erkennt keine Gränze
im menſchlichen Daſeyn, d. h. es iſt unſterblich. Wie nun
der gute Wille ſich durch Reinigung und Läuterung zur
Liebe Gottes verklären kann, ſo kann der böſe Wille durch
Laſter und Sünden ſich zur ſataniſchen Selbſtſucht vertiefen.
Jenes iſt die Theilnahme an der Uebernatur, die-
ſes die Theilnahme an der Unnatur
.


Die Freiheit und innere Cauſalität iſt nichts ohne einen
Willen, in dem ſie iſt und aus dem ſie wirkt, und der
Wille kann nicht beſtehen ohne Perſönlichkeit. Der freie
Wille iſt ſeiner Natur nach konkret und nicht abſtract; denn
dadurch, daß er den Begriff ins Leben führt und zur That
macht, hebt er alle Abſtraction auf. Ein unperſönlicher
Wille iſt ein Unding. Durch den Willen aber wird das
Böſe eine Macht, und es iſt ganz falſch, wenn Hegel
das Böſe als eine Nichtigkeit (logiſche Negation) betrachtet,
welche der Geiſt abſtreifen könne. Vielmehr iſt in der
Bosheit eine um ſo größere Kraft, je mehr ſie an der
Unnatur Theil nimmt.


Die moraliſchen Extreme ſind das Gute, geſteigert zum
Leben der Liebe und der Tugend
, und das Böſe,
geſteigert zum Leben des Haſſes und der Selbſt-
ſucht
. Wenn es wahr iſt, was uns hundert Protocolle
aus den freien Geſtändniſſen der dem Zauber ergebenen
Perſonen erzählen, daß es einen förmlichen Bund
mit dem Satan gebe
, ſo würde das Extrem des Böſen
dieſe förmliche Theilnahme an der Unnatur ſeyn, das andere
Extrem hingegen wäre die Heiligung des Lebens in dem Bund
mit Chriſto. An beyden Gränzen müßten ſich Kräfte erzeugen,
welche auf den Zuſammenhang der Vernunft- und Natur-
geſetze ſtörend eingreifen, nur mit dem Unterſchied, daß
[127] dieſe der Unnatur im Fluch, jene der Uebernatur im Segen
wirken.


Nehmen wir die bisher erhaltenen Charaktere der verſchie-
denen Ordnungen in ihren Extremen zuſammen, ſo wird
die Unnatur folgende für ſich nehmen:


Es gibt Weſen, die einen perſönlich-böſen Willen
haben, der zur abſoluten Selbſtſucht hinſtrebt,
und welche mit einer größern und rohern Gewalt
ausgerüſtet ſind, als deren die menſchliche Na-
tur fähig iſt. Sie haben keine aus Fleiſch und
Blut organiſirte Leiber, ſondern nur Schein-
körper, die ſie aus Atomen beliebig zuſammen-
ſetzen und wieder auflöſen können. Denn auch
an der untern Gränze iſt die Lebenskraft noch
individualiſirend, d. h. die Stoffe zu irgend
einer Geſtalt formend und bildend. Sind nun
dieſe Stoffe bloſe Atomen, ſo entſteht ein ato-
miſtiſcher oder bloſer Scheinkörper, der ſich zwar
ſinnlich nicht wahrnehmen läßt, in welchem
aber die Kraft der Bewegung und Handlung eben
ſo gut vorhanden ſind, als in den ſinnlich wahr-
nehmbaren organiſirten Körpern. Sie wohnen
im Reiche der Schwere, beraubt
der Wärme und
des Lichts oder im Reich der Finſteriß
. Dieß ſind
die Dämonen.


Die Uebernatur hingegen wird folgende Charaktere für
ſich nehmen.


Es gibt Weſen, welche einen perſönlich gu-
ten Willen haben, der zur abſoluten Liebe hin-
ſtrebt und welche gleichfalls mit einer größern,
aber geiſtigen Kraft ausgerüſtet ſind, als deren
die menſchliche Natur fähig iſt. Sie haben gleich-
falls keinen aus Fleiſch und Blut, ſondern höher
organiſirten Lichtkörper, der im gewöhnlichen
Zuſtande für uns inſenſibel, aber doch unter
ſeltenen Bedingungen ſenſibel iſt. Sie wohnen
[128] im Reiche des Lichts, der Wärme nicht mehr
be-
dürfend und ungebunden von der Schwere, oder
im Himmelreich
. Dieß ſind die Engel.


Wir ſind immer gewohnt, Kraft und Bewegung an die
Materie zu knüpfen, aber das Verhältniß iſt juſt umgekehrt.
Je mehr Maſſe, deſto mehr abſorbirt ſie die Kraft, je we-
niger Maſſe, deſto freier äußert ſich die Kraft, wie wir
deutlich genug bey der magnetiſchen, electriſchen Kraft,
und überhaupt bey allen chymiſchen Potenzen wahrnehmen.
Der Nervengeiſt iſt eine unermeßliche Kraft, die um ſo
ſtärker wirkt, je feiner und ätheriſcher das Organ iſt, dem
er inwohnt. So verhält es ſich auch mit den atomiſtiſchen
Körpern der Dämonen. Sie ſind ohne Maſſe, aber doch
mit großer Kraft begabt. Sie ſind auch nur denen ſichtbar,
welche durch ihren Willen ſich dem Reiche der Unnatur an-
geignet haben, ſo wie die Lichtkörper der Genien oder Schutz-
engel nur den Somnambülen ſichtbar ſind, ſobald ſie ſich
zum poſitiven Extrem der Verklärung erheben.


Nehmen wir jetzt zu dem, was aus den erwähnten Ord-
nungen ſich folgern läßt, noch das hinzu, was die Religion
uns lehrt, ſo werden die bisherigen Analogieen zu wirk-
lichen Lehrſätzen
erhoben, welche die Wahrheit einer
Unnatur und Uebernatur als wirklich thatſächlich beſtehender
Reiche bekräftigen. Das Evangelium ſpricht vom Satan
und ſeinem dämoniſchen Reiche auf eine ſo unverhohlene
und zuverſichtliche Weiſe, daß es in der That zum Aergerniß
wird, an eine Fiction zu denken.


Aus den bisherigen Sätzen ergeben ſich manche bisher
verkannte Wahrheiten:


1) der Unterſchied zwiſchen Natur- und Moral-
geſetzen
.


Alle Naturgeſetze gelten nur für die menſchliche Na-
tur mit ihren Ordnungen, in ſo fern ſie als Mittelglied
betrachtet wird, aber ſie gelten nicht für ihre Extreme.
So lange wir den Menſchen in die Proportionen der phy-
ſiſchen, organiſchen und moraliſchen Ordnung geſtellt denken,
[129] ſo lange iſt die Vernunft auch ermächtigt, den Maßſtab
der Naturgeſetze geltend zu machen. Aber für das Herein-
ragen ſowohl der Unnatur als der Uebernatur ſind jene
Geſetze nicht mehr gültig, vielmehr werden ſie auf die man-
nigfaltigſte Weiſe geſtört.


Die Moralgeſetze hingegen, obgleich ſie auch für
das Mittelglied gelten, erreichen doch ihre höhere Wahrheit
erſt in den Extremen. Das Moralgeſetz verlangt eine Aus-
gleichung zwiſchen Rechtſchaffenheit und Glückſeligkeit, ſo
wie zwiſchen Bosheit und Unſeligkeit. Dieſe Ausgleichung
findet aber während des Lebens darum nicht ſtatt, weil eben
die Naturgeſetze alle Menſchen gleich ſtellen und von ihrem
moraliſchen Werthe gänzlich abſehen. Um ſo wirkſamer aber
iſt das Moralgeſetz für den böſen Willen in der Unnatur,
und für den guten in der Uebernatur. Der moraliſche Ge-
winn oder Verluſt, den der Menſch während des Lebens
gemacht hat, iſt ein unveräußerliches Erbe der Seele und
des Geiſtes. Denn das, was der Menſch aus Freiheit
zu ſeinem Eigenthum gemacht hat, iſt ſo tief in Seele und
Geiſt verflochten, daß es durch den Tod nicht mehr davon
getrennt werden kann. Das Böſe iſt kein Nichtiges, ſon-
dern die moraliſche Schwerkraft, welche Seele und Geiſt in
ſich gefangen hält. Die Selbſtſucht und Weltſucht, womit
der Menſch während des Lebens ſich füllt, werden nach
dem Tode ſeine Tyrannen, die er nicht eher von ſich bringt,
als bis er das noch nachholt, was er im Leben verſäumte,
nämlich die Regeneration durch Buße und Glauben. Der
Tod iſt kein Uebergang zur Herrlichkeit, wie Hegel meint,
ſondern eine Fortſetzung des Lebens mit allen Irrthümern,
Thorheiten, Neigungen und Grundſätzen, nur mit dem Un-
terſchied, daß die Natürlichkeit aufhört, dagegen das Mo-
ralgeſetz ſeine volle Herrſchaft gewinnt. War der Geiſt wäh-
rend des Lebens Sklave der Welt und ſeiner Leidenſchaft,
ſo iſt er es auch noch nach dem Tode. Darum heißt es: „Ihre
Werke folgen ihnen nach.“ Was wird denn geändert, wenn
im Tode die Natürlichkeit und die ſinnliche Hülle abfällt?
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 9
[130] Richts, — denn die Verfaſſung der Seele und des Geiſtes
bleibt, was ſie im Leben war; aber jetzt erſt fühlt ſie ſich
einerſeits in ihrer Blöſe und Nichtigkeit mit der ganzen
Laſt der Selbſtverſchuldung, wenn ſie bös war, und an-
dererſeits in ihrem Gewinn und Reichthum mit der ganzen
Kraft des Glaubens, wenn ſie gut war. Wenn das Natur-
geſetz aufhört, dann kommt es an die Herrſchaft des Moral-
geſetzes, und dieſes iſt die Vergeltung nach den Werken.


In dieſen Sätzen läßt ſich diejenige Richtung in die Un-
natur erkennen, welche zur dunkeln Geiſterwelt gehört,
in welcher die Verfaſſung der Seele in jenen atomiſtiſchen
Zuſtand verſetzt iſt, in welchem ſie ſich von dem in ihr
ſubſtantiell gewordenen Böſen allmählig reinigen muß.


2) Der Unterſchied zwiſchen logiſchen und reli-
giöſen Wahrheiten
.


Alle die Denkgeſetze, Vernunftformeln und überhaupt der
ganze Zuſammenhang des Wiſſens gelten nur für die menſch-
liche Natur und ihre Ordnungen, und haben nur eine unterge-
ordnete Beziehung zur Religon. Hat die Logik ihr Höchſtes
im Abſoluten erreicht und es als Urgleichung von Wiſſen
und Seyn zu ihrem Anfangspunkte gemacht, ſo bleibt ſie
unbeweglich an dieſem Schwerpunkt haften, während die
Religion das Abſolute mitten entzwei theilt und an ſeine Ex-
treme führt, indem ſie der Unnatur die abſolute Selbſt-
ſucht
, der Uebernatur die abſolute Liebe zuordnet.
Das Abſolute, das in der Logik nur die höchſte Form iſt,
gewinnt erſt Subſtanz in den Extremen, welche die Religion
uns lehrt.


3) Der Unterſchied zwiſchen Selbſtbewußtſeyn
und Offenbarung
.


Es iſt keinem Zweifel unterworfen, daß uns ſchon das
Selbſtbewußtſeyn, wenn wir ſowohl ſein urbildliches ideales
als auch ſein abbildliches reales Leben in ſeinen Richtungen
verfolgen, an die Extreme der Unnatur und Uebernatur
hinführt, wie vorhin gezeigt wurde, aber weiter enthüllt
es uns nicht. Wie die beyden Extreme Subſtanz gewin-
[131] nen, muß die Offenbarung ergänzen, und ſie iſt es auch,
die uns im Evangelium das Reich des Satans und das
Reich Chriſti genügend lehrt. Durch ſie erſt erfahren wir die
Gegenſätze, die in den Extremen liegen, wie Dämoneu
und Engel, Verdammniß und Seligkeit, Sünde
und Heiligkeit, Fluch und Segen
, welche mehr
bedeuten, als die Gegenſätze, die innerhalb des Selbſtbewußt-
ſeyns ſich erzeugen, wie zwiſchen Guten und Böſen,
Strafe und Lohn, Laſter und Tugend, Schaden
und Wohlthat
. Durch ſie lernen wir erſt die Idee des
wahren Gottes in uns aufnehmen und unſer Verhältniß
zu ihm erkennen. Aber über Alles lehrt uns das chriſtliche
Princip die Erforderniſſe zum ewigen Leben, welche die
Weltweisheit aufzufinden ſeit Jahrtauſenden vergeblich ſich
bemühte.


Alles dieß zuſammengenommen mag uns über-
zeugen, daß die Annahme einer Unnatur, wie
ſie in den voranſtehenden Geſchichten geſchil-
dert iſt, keine bloſe Hypotheſe iſt
.


Geſtaltung der Unnatur.


Beſitzung und Zauber iſt das häßliche Zwillingspaar,
das aus der Unnatur aufſteigt und ſeine verhaßte Wirkungen
immer in die Menſchen-Natur fortzuflanzen bereit iſt. Es
erſcheint hier eine Macht, die den Zuſammenhang der Natur-
geſetze auflöst, und nicht mehr durch die Maſſe gebrochen
und durch die Dichtigkeit der Materie gehemmt wird. Schon
die Phyſik unterrichtet uns von Kräften, welche, unabhängig
von Maſſe und Dichtigkeit der Materie und zugleich inſenſibel
für alle Sinnen, ihre Wirkungen äußern, wie die Schwere
und beſonders die phyſiſch-magnetiſche Kraft. Dieſe ato-
miſtiſche Kräfte ſind kein Product der Körperwelt, ſondern
erzeugen ſich an ihrer Gränze als eine Polarkraft. Wird
nun eine ſolche Kraft durch einen Willen und zwar, nach
unſerer Annahme, durch einen dämoniſchen potenziert, ſo
9 *
[132] wächſt ſie zu einer Macht an, welcher weder der phyſiſche
noch organiſche Zuſammenhang von Maſſe und Kraft zu
widerſtehen vermag. Darin liegt der Begriff desjeni-
gen Magismus, der aus der Unnatur entſpringt.
Er iſt nichts anders als die an der negativen Gränze
der Körperwelt ſich erzeugende Polarkraft, welche,
durch einen dämoniſchen Willen beſeelt, in die Kör-
perwelt aufſteigt und ſelbſt unter gewiſſen Be-
dingungen die menſchliche Natur zu ergreifen im
Stande
iſt.


In der phyſiſchen Ordnung erkennen wir das Geſetz
der Gleichheit zwiſchen Action und Reaction, und ſo groß
auch die Störungen ſeyn mögen, die im Einzelen ſich erzeugen,
ſo werden ſie doch durch die Anſtalten der Natur, welche
durch das Ganze vertheilt ſind, wieder ins Gleichgewicht
gebracht. Dieſes Compenſationsgeſetz gilt aber nicht in
Hinſicht der Einwirkungen der Unnatur auf die Natur. Die
Reaction iſt verhältnißmäßig weit geringer als die Action,
und daher hat die menſchliche Natur, für ſich betrachtet,
nur einen geringen Widerſtand gegen die Macht des Ma-
gismus. Nur die Polarkräfte ſtehen einander gegenüber und
halten ſich das Gleichgewicht. Keine andere Kraft aber,
die innerhalb der Pole ſich erzeugt, iſt ihnen gewachſen.
Soll daher die Unnatur beſiegt werden, ſo muß es durch
die Kraft der Uebernatur geſchehen, welche dadurch, daß
ein heiliger Wille ſie beſeelt, zur unüberwindlichen Macht
ſich ſteigert. Der atomiſtiſchen Kraft der Unnatur ſteht die
Lichtkraft der Uebernatur entgegen. Wird dieſe durch den
heiligen Willen beſeelt, ſo wird ſie zum flammenden
Schwert des Cherubs, dem die ganze Hölle nicht
ſtehen mag
. Auch dieſe Kraft ragt in die menſchliche Natur
herein und dient zum Schutz für Jene.


Aus dieſen Sätzen im Verein mit dem Evangelium bildet
ſich der Lehrſatz von den guten und böſen Engeln,
die keine Fiction ſind, ſondern ſo gewiß exiſtiren, als die
menſchliche Natur das Mittelglied zwiſchen zwey Extremen
[133] iſt. Ueberall und jederzeit iſt der Menſch in ihre Einflüſſe
geſtellt. Setzen wir die Macht der Unnatur, wie ſie vor-
hin geſchildert iſt, ſo müßte der Menſch beſtändig unterliegen,
ſtünde ihm nicht der gute Engel zur Seite, welcher dem
Böſen, jedoch immer nur auf der Wage der Freiheit, das
Gleichgewicht hält. Es iſt zwar keinem Zweifel unterworfen,
daß der gute Engel immer den Böſen überwältigen kann,
aber ſeine Einwirkung iſt dadurch bedingt, daß der Menſch
mitten in dieſen Einflüſſen frey bleiben ſoll. Allerdings
ſtreiten ſich um den Menſchen beyde Mächte, aber welche
es gewinnen ſoll, hängt immer zuletzt von dem freien Ent-
ſchluſſe des Menſchen ſelbſt ab. Gott hat jedem Geiſt neben
der Freiheit auch dasjenige Maß von Kraft verliehen, das
er nöthig hat, unerachtet des Zugs zum Böſen doch dem
Guten zu folgen. Läßt er ſich durch Gewiſſen und Glauben,
durch [Chriſtum] und ſein Wort ziehen, ſo öffnet er ſich den
Einflüſſen des guten Engels und verſchließt ſich dem Böſen.
Läßt er ſich aber durch die Selbſtſucht und Weltſucht,
durch den Satan und die Sünde ziehen, ſo öffnet er ſich
den Einflüſſen des böſen Engels und verſchließt ſich dem
Guten. In beyden Fällen aber beruht das poſitive
Moment des Uebergewichts zu aller erſt auf dem
innern lebendigen Act des Geiſtes, der aus ſeiner
relativen Wahlvollkommenheit ausgeht
.


Diejenigen, welche, um die Einflüſſe der Unnatur und
Uebernatur umgehen zu können, annehmen, daß ein vorher-
geordneter Vernunft- und Natur-Zuſammenhang ſchon allen
Forderungen genüge, bedenken nicht, daß, wenn die gött-
liche Weisheit dem Menſchen die Freiheit als einen Fun-
ken aus ihrem Weſen ertheilen wollte, ein ſolcher vorher-
beſtimmter Zuſammenhang von Geſetzen nicht damit beſte-
hen koͤnnte. Wie ſollten denn logiſche Vernunftgeſetze und
phyſiſche Naturgeſetze jenen Stoͤrungen gewachſen ſeyn, welche
aus der unendlichen Verkettung freier Cauſalitä-
ten unter einander
hervorgehen?


Wo jeden Augenblick der Arme Hülfe, der Bedrängte Troſt,
[134] der Verlaſſene Aufrichtung, der Verſuchte Warnung, der
Leichtſinnige Abhaltung, der Verführte Rettung, der Ge-
prüfte Geduld und vor Allem die Unſchuld ihren Wächter
bedarf, wie ſollte hier ein vorhergeordneter Plan und Zu-
ſammenhang möglich ſeyn, welche ſich des Menſchen an-
nehmen, und dazu hat Gott die Engel verordnet.


Die ſtärkſte Schutzwache gegen die Einflüſſe der
Unnatur iſt der Name des Herrn, weil an dieſen
Namen der Dienſt aller guten Engel und der Sieg
über alle Böſe geknüpft iſt
.


Allerdings liegt in der Natur ein geordneter Geſetzes-
Zuſammenhang und eben ſo herrſcht auch in der Weltge-
ſchichte ein göttlicher Plan, der durch ein Compenſations-
geſetz alle Störungen in ſich auszugleichen vermag. Aber
dennoch beſteht die Freiheit aller individuellen Thatenreihen
neben Geſetz und Plan. Der Werth des Menſchen iſt durch
die Freiheit ein unendlicher geworden, und ſtellt ſich der
ganzen Geſchichte gegenüber. Nie darf die Freiheit ange-
taſtet werden, denn ſie iſt das Leben des Geiſtes und nur
durch ſie kann der Geiſt zur Seligkeit gelangen. Am we-
nigſten aber kann ein Geſetzes-Zuſammenhang für die Ein-
flüſſe der Unnatur und Uebernatur ſtatt finden. Da, wo
der Geiſt Gottes weht und Alles nur aus dem höheren
Lichtreich erklärbar iſt, nämlich im poſitiven Extrem, wird
ſich die Vernunft mit ihren logiſchen Geſetzen beſcheiden,
und da, wo der Geiſt der Finſterniß wohnt, nämlich im
negativen Extrem, wird ſie eben ſo vergeblich den Maß-
ſtab phyſiſcher Geſetze anwenden.


Es iſt hauptſächlich das Evangelium, was uns von dem
factiſchen Beſtand der Beſitzungen unterrichtet und die Ur-
ſache dieſer beſondern Gattung von Krankheit der Inwohnung
eines oder mehrerer Dämonen zuſchreibt. Chriſtus heilte
nicht nur viele Beſeſſene, ſondern er hinterließ auch ſeinen
Jüngern und allen Glaubigen die Macht und Verordnung, daß
ſie das Gleiche thun können und ſollen. Dieſe Verordnung
wurde von den Aelteſten ſanctionirt und ging in die Kirche
[135] uͤber, welche den Namen des Herrn in dieſer Sache auf
vielfältige Weiſe verherrlichte. Die moderne Theologie iſt
dieſer Anſicht nicht hold, und unter dem Vorwand, daß ſeit
Chriſti Zeiten die Beſitzungen aufgehört hätten, und daß
man den Mißbräuchen ſteuern müſſe, hebt ſie den guten
Gebrauch auf und legt einen Bann an den Namen des
Herrn, was unchriſtlich iſt. Die Welt will immer durch
die Thatſachen überwältigt ſeyn, und ſo kommt es immer,
daß, wenn eine chriſtliche Lehre zu Grunde gehen ſoll, die
Macht des Geſchehens ſie aufs neue wieder erfriſcht. Mit
den Thatſachen ſoll aber auch die Erklärung gleichen Schritt
halten, und ſo können wir auch der Lehre von der Beſitzung
eine tiefere Bedeutung gewinnen.


Nach der Johanneiſchen Weiſſagung iſt der Satan vom
Himmel auf die Erde geworfen mit allen ſeinen Engeln.
Er hat einen großen Zorn und erregt das größte Wehe der
Menſchheit, in deſſen Periode wir ſelbſt noch begriffen ſind.
Dieſe Periode iſt wohl von der zu unterſcheiden, in wel-
cher der Satan gebunden und in den Abgrund verſchloſſen
wird. Erſt dann iſt ſeine Macht auf der Erde vertilgt,
und ſeine Rolle ausgeſpielt. Wer etwa glauben mag, der
Satan habe mit der Sendung Chriſti aufgehört, Schaden
in der Welt zu ſtiften, der hat die Gerichte Gottes über
den Satan nicht erkannt. Durch den Sturz auf die Erde
iſt blos der Himmel von ihm gereinigt worden, aber de-
nen, die auf der Erde wohnen, iſt großes Wehe prophe-
zeiht. Die Schriftſtellen führen uns blos dahin,
daß ihn Gott dem Namen Chriſti unterthan ge-
macht und ſeine Gewalt an den Glaubigen gebro-
chen habe. Im Uebrigen aber iſt er noch der alte
Menſchenfeind und alte Menſchenverführer
. In
dem Reich der Unnatur iſt keine Fortpflanzung möglich;
denn nur da, wo Leben, Luſt und Liebe in Eins verſchmel-
zen, kann die höhere Gattung ſich fortzeugen und dieß iſt
in der menſchlichen Natur der Fall, dem ſataniſchen Reiche
hingegen iſt dieß nicht gewährt. Daher rührt eben der große
[136] Zorn des Satans, daß er ſein Reich nicht anders erhalten
kann, als durch das Fahen der Menſchenſeelen. Als er
noch im Himmel ſeinen Sitz hatte, konnte er Manchen der
früher erſchaffenen Engel zum Abfall bringen. Seitdem er
aber auf die Erde geworfen iſt, muß er ſich mit ſeiner
großen Staatskunſt auf das Menſchengeſchlecht beſchränken
und wie ein armſeliger Fiſcher ſein Netz auswerfen, um
Seelen zu erbeuten.


Das Reich des Satans iſt das der umgekehrten Idee.
Statt Wahrheit iſt Lug und Trug und Verblendung, ſtatt
Schönheit iſt Unflath, Häßlichkeit und Scheuſal, und ſtatt
Tugend iſt Bosheit, Ruchloſigkeit und Verführung in ihm.
Und wie ſich jene Ideen im Leben der Liebe verklären, ſo
zeugen ihre Gegenſätze das Leben des Haſſes, und dieß iſt
der Charakter des ſataniſchen Reichs. Seitdem den Satan
bei der erſten Verführung der Menſchen der Fluch traf,
iſt ſein ganzes Seyn und Weſen nichts anderes, als die
Wirkung und Fortpflanzung des Fluchs, wovon die Be-
ſitzung auch Eine der Wirkungen iſt.


Beſitzung iſt diejenige Wirkung der Unnatur, in
welcher Einer oder mehrere unreine Geiſter durch
irgend eine Vermittlung in einen Menſchenleib ein-
dringen, ſich der Sinnen-, Bewegungs- und größ-
tentheils auch der Sprachwerkzeuge bemächtigen,
die Macht der Seele auf dieſelbe ſiſtiren und in
kürzern oder längern Paroxismen ſich in fremden
Tönen, Worten, Geberden und Bewegungen, mei-
ſtens ſpöttiſcher, ruchloſer und gewaltſamer Art,
vernehmen laſſen
.


Dieſe Definition iſt von den vorausgehenden Geſchichten
gerechtfertigt.


Bey dem Mädchen von Orlach iſt es ein in der Geſtalt
eines Mönchs erſcheinender Geiſt, der ſchon 400 Jahre an
den Ort ſeiner Verbrechen gebannt war und die gleichen
ruchloſen Geſinnungen und blasphemiſchen Reden äußerte,
wie er ſie im Leben mag gehabt haben. Lange drohte er
[137] dem Mädchen, weil es ihm jede Antwort verweigere, bis
er endlich in daſſelbe eindrang. Das Mädchen fühlte jedes-
mal bei ſeinem Erſcheinen eine eiskalte Hand in dem Nacken,
worauf es auf der Stelle bewußtlos dahinſank, das fremde
Weſen aber ſich ſeines Körpers ſo bemächtigte, daß er wäh-
rend der Zeit der Paroxismen dieſer dämoniſchen Gewalt
gänzlich unterworfen ſchien. Die Seele ſelbſt war von der
weißen Geſtalt, die ſich für eine Nonne ausgab, ſo lange
in Schutz genommen, bis der Dämon den Körper wieder
verließ.


In dieſer Geſchichte bleibt übrigens die Vermittlung durch
einen fremden Willen, die ſonſt ein Erforderniß der Be-
ſitzung zu ſeyn ſcheint, unentſchieden.


Bey der U. aus J … m waren es fünf unreine Geiſter,
von welchen ſie in einem Zeitraum von 4 Jahren beſeſſen
war, ſo daß immer ein Anderer die Stelle wieder einnahm,
wenn der Vorhergehende ausgetrieben war. Alle gaben ſich
für noch nicht lange verſtorbene Menſchen aus, welche ihrer
geheimen Sünden und Verbrechen wegen umherirren
müßten, und, um Ruhe zu finden, immer bereit wären, in
Menſchenleiber zu fahren. Mehrere gaben beſtimmt an,
daß ſie nur durch Vermittlung ſolcher Perſonen, welche ſich
dem Zauber ergeben, in das Weib hätten eindringen kön-
nen. Auch in dieſer Frau ſtand immer ein Schutzgeiſt dem
Dämon gegenüber, der ſie von der Qual befreite, indem
er, wie in einem ſelbſt äußerlich ſichtlichen Wettkampf, den-
ſelben niederdrückte, worauf jedesmal das völlige Bewußt-
ſeyn zurückkehrte. Der Magnetismus ſchien das Mittel zu
ſeyn, die Frau mit dem Schutzgeiſt in einen nähern Ver-
kehr zu bringen, was zu vielen Aufſchlüſſen Anlaß gab.


Bei dem 11jährigen Mädchen B .. von M .. e waren
es zuletzt 6 verſchiedene Stimmen, die ſich aus demſelben
hören ließen. Aber auch hier war ein Schutzengel zur Seite,
der dem Mädchen den Tag ſeiner Befreiung ankündigte,
was auch eintraf, nachdem man aus dem Munde deſſelben
die Worte hörte: „Fahr aus, du unſauberer Geiſt! Das iſt
[138] ein Zeichen der letzten Zeit.“ Ob durch Vermittlung eines
böſen Willens das Mädchen beſeſſen wurde, ſagt die Ge-
ſchichte nicht.


Bey den beyden Beſeſſenen vom J. 1714, deren Geſchichte
Pfarrer Hartmann von Döffingen erzählt, waren in
Einer (der Stiefmutter) ſieben, und in der Andern (der
Stieftochter) ſechs unreine Geiſter zugleich verſammelt,
welche alle unter den in der Geſchichte der U .. n aus J .. m
erwähnten Zeichen ausgetrieben wurden. Dieſe Geſchichte
iſt dadurch ſehr bemerkenswerth, weil durch das kräftige
Einſchreiten und die wahre Glaubensrüſtung des Pfarrers,
welcher ſich nicht ſcheuete, den Exorcismus in der Kirche,
bei verſammelter Gemeinde und unter frommer Theilnahme
derſelben, vorzunehmen, alle die Teufel blos durch die
Kraft des Wortes und des Namens Chriſti ausgetrieben
wurden. Der Act der Vermittlung durch Zauber und das
Daſeyn der Schutzgeiſter bleiben unentſchieden.


Die Geſchichte der beſeſſenen Frau, welche im Jahr 1766
in Gärtringen ſich ereignete, reiht ſich an die vorherge-
hende an, dadurch, daß der Geiſtliche den Exorcismus gleich-
falls in der Würde und Kraft des Wortes und Namens
des Herrn vornahm. Das Weib hatte zwei Dämonen, wo-
von aber Einer ſchon früher durch einen Geiſtlichen aus-
getrieben war. Zugleich erhellt aus der Geſchichte, daß
der böſe Geiſt ein ehemaliger Beamter war, der, wie er
ſelbſt angibt, durch Beſtechung und Unrecht in die Ver-
dammniß gerieth. Zugleich erwähnt der Dämon, daß er 9
Jahre der Perſon umſonſt nachgeſtellt habe, und zuletzt nur
durch Kunſt des Zaubers in ſie gekommen ſeye. Merk-
würdig iſt die Bitte um Pardon, und um die Erlaubniß,
in Thiere oder andere Oerter zu fahren, was die Wahr-
heit von jenen Beſeſſenen beſtätigt, welchen Chriſtus ge-
ſtattete, in die Schweine zu fahren. Uebrigens ſchien die-
ſer Dämon der Bekehrung nahe, was aus dem Verlangen
nach dem Höhern hervorgeht, in folgender Aeußerung:
„Wenn eine Leiter von der Erde bis an den Himmel reichte,
[139] und jede Sproſſe ein Scheermeſſer wäre, ſo wollte ich daran
hinaufſteigen, um zu dem großen Mann (Gott) zu kommen.“


Von dem beſeſſenen Mädchen von Joachimsthal im
Jahr 1559, welches auch durch Exorcismus in der Kirche
von 9 Dämonen befreit wurde, fuhr das böſe Weſen wie
ein Geſchwärm von Fliegen durchs Fenſter hinaus, nach-
dem es auch vorher um die Erlaubniß, in irgend einem
Theil der Jungfrau, wäre es auch nur ein Haar, zu blei-
ben, gebeten hatte.


In Horſts Dämonologie ſteht die Geſchichte einer be-
ſeſſenen Nonne, Namens Cäcilie, von Unterzell, welche
mehr durch die Einfalt und Ungeſchicklichkeit ihres Exor-
ciſten, des Pater Sicard, als durch ihre Reſultate beleh-
rend iſt. Die Austreibungsverſuche dauerten vom 8. Fe-
bruar 1746 bis 30. October deſſelben Jahres, an wel-
chem Tage der Dämon, ohne die gewöhnlichen Zeichen
des Ausfahrens, zur Ruhe kam. Seine Angaben ſind
ſichtlich ein Gewebe von Lügen und ſein ganzes Beneh-
men ein wahres Poſſenſpiel, in welchem er den treu-
herzigen Pater zum Stichblatt machte. Eine Probe davon
iſt folgende: Der Pater, nachdem der Dämon die gräßlich-
ſten Blasphemieen ausgeſpieen hatte, ereiferte ſich und fuhr
ihn an: „Hölliſche Beſtie! Wer hat dich erſchaffen? A. Ich
mich ſelbſt. Pater. Wie aber kann Jemand ſich ſelbſt ſchaf-
fen? A. Ich habe es gekonnt. P. Wer hat dich von oben
herabgeſtürzt? A. Niemand. Ich mochte nicht droben blei-
ben.“ Eine Menge ähnlicher trivialer Dinge kamen in die-
ſer Geſchichte vor, welche zum Beweis dienen, daß die an-
gewandte Methode nicht die rechte iſt, und daß der Menge
exorciſtiſcher Formeln der einfache Befehl im Namen des
Herrn weit vorzuziehen iſt. In Henning’s Buch über
Geiſter und Geiſterſeher ſteht eine Geſchichte einer Frau
von Eberſtein aus Gehoven
, beſchrieben vom dortigen
Prediger Thalemann, welche manches Aehnliche mit den
Erſcheinungen des Mädchens von Orlach darbietet. Die
Geſchichte ereignete ſich vom Oktober 1683 bis zum April
[140] 1684. (In mehreren Schriften iſt das Jahr 1685 irrig
angegeben.)


Der genannten Dame erſchien eine weiße Geſtalt, ge-
kleidet als eine Nonne, wie ſie angab, ein ehemaliges
Fräulein von Trebra. Dieſe Geſtalt bat die Dame aufs
inſtändigſte, mit ihr zu gehen, um einen Schatz zu erhe-
ben, indem ſie ihr genau den Ort angab und ihr verſprach,
alle Schrecken dabei zu erſparen. Da die Dame auf wie-
derholte Bitten ſich beſtändig weigerte, ſo fing ſie an, die-
ſelbe zu plagen, ſo daß immer körperliche Spuren ſichtbar
waren. Täglich war dieſe Marterſtunde von 5 bis 6 Uhr
Abends, wo eine Menge Augenzeugen öfters anweſend wa-
ren, die zwar das Leiden der Dame, aber die Thäterin
nicht wahrnahmen. Nur ein Dienſtmädchen und ein klei-
nes Kind, das mit den Händen darauf hinwieß, ſahen
die gleiche Geſtalt. Die Zufälle ſtiegen von den einfachen
Schmerzen, die vom Kneipen herrührten, bis zu Convul-
ſionen, Ohnmachten und Bewußtloſigkeit. Auch die Ent-
fernung vom Hauſe half nichts, die Dame wurde überall-
hin verfolgt. Als die Geplagte einſtmals in der Angſt zu
Gott betete, er möchte ſie durch den Tod von ihrer Qual
befreien, ſo erſchien ihr, wie ſie angab, der Erlöſer in ver-
klärter Geſtalt mit der Anrede: „Sie werde noch Vieles
erleiden, aber wegen der vielen Seufzer und Gebete den
Ihrigen erhalten werden.“ Dieſe Anfechtungen dauerten
über Oſtern in doppelter Stärke fort, bis am Sonntag
Quaſimodogeniti der Abſchied der Geiſtin erfolgte, indem
ſie ſagte: „Weil ſie (die Dame) bisher zu Nichts zu be-
wegen geweſen, und beſtändig an ihrem Gott verbliebe,
ſo wolle ſie ſie jetzt verlaſſen und von ihr weichen.“ Von
dieſer Stunde blieb die Dame frey, weßwegen auch in öf-
fentlicher Kirchenverſammlung ein Dankgebet abgehalten
wurde.


Aus den acht vorliegenden Geſchichten ergeben ſich meh-
rere allgemeine Sätze:


I. In allen iſt der generiſche Charakter eine blos körper-
[141] liche Beſitzung, ohne Schaden der Seele, welche, wie aus
einigen Fällen erſichtlich iſt, vor den böſen Einflüſſen des
unreinen Geiſtes in Schutz genommen zu ſeyn ſcheint. Tritt
der Paroxismus ein, ſo wird die Perſon auf der Stelle
bewußtlos, das Regiment der Seele über den Körper hört
auf, und es iſt nun eine ganz fremde Individualität, die
im Körper haust und aus ihm ſich vernehmen läßt.


II. Die karakteriſtiſchen Zeichen ſind: 1) Das plötzliche
Dahinſchwinden des Bewußtſeyns; 2) ungewöhnliche Be-
wegungen einzelner Theile des Körpers; 3) öfters ſehr künſt-
liche Verdrehungen der Glieder und Umherwälzungen; 4)
verzerrte, häufig ſpöttiſch-höhniſche Grimaſſen, die mit der
natürlichen Gemüthsart völlig contraſtiren; 5) eine rauhe
Baßſtimme; 6) auf Anreden der Perſon keine Antworten,
wohl aber, wenn das dämoniſche Weſen durch Fragen auf-
gefordert wird; hierher gehören auch die richtigen Antwor-
ten, wenn der Dämon in fremder Sprache angeredet wird;
7) bey Nennung heiliger Namen, Gebeten und beſondern
Formeln, Schreien, Brüllen, Schimpfen, Toben und Wü-
then; 8) Hohn und Spott, beſonders gegen diejenigen,
welche dem Dämon zuſetzen; 9) vorzüglich aber die furcht-
baren Gottesläſterungen und Verhöhnungen gegen Alles,
was heilig iſt, bei ſonſt gutartigen und geſitteten Perſonen;
10) Widerwillen und wie gewaltſames Zurückhalten von
Gebet und Kirche; 11) ſchnelles Wiederkehren der Kräfte
nach den heftigſten Agitationen im Anfall; 12) völliges
Nichtwiſſen, was während des Paroxismus vorgegangen.


Einzelne Zeichen entſcheiden nichts, vermehren aber die
Wahrſcheinlichkeit einer dämoniſchen Beſitzung, je mehr ſie
ſich zuſammenfinden.


III. Aus mehreren Geſchichten erhellt, daß der Satan,
dem alle die Dämonen untergeordnet ſind, ſie doch nicht
nach Willkühr in die Menſchenleiber ſchicken kann, ſondern
daß ein dem Satan ergebener menſchlicher Wille die dä-
moniſche Beſitzung durch Zauber vermitteln muß.


IV. Gewöhnlich ſind diejenigen Perſonen, welche dieſes
[142] Schickſal trifft, keine böſen und verdorbenen Menſchen, viel-
mehr ſolche, die ihr Unglück tief fühlen und ſich gerne um Hülfe
zum Gebet wenden. Es läßt ſich auch ſchon zum Voraus
erwarten, daß der Satan die Weltmenſchen, die ihm ſchon
zur Hälfte angehören, mit ſolchen Plagen verſchonen und
nur diejenigen heimſuchen wird, die es nicht mit ihm halten.


V. Aus mehreren Thatſachen gibt ſich ein Schutzgeiſt
kund, der dem Böſen widerſtrebt, und wenn er auch nicht
Alles verhindern kann oder darf, doch einem bleibenden
Schaden vorbeugt und den Anfeindungen Gränzen ſetzt.
Ein ſehr wichtiger Punkt leuchtet aus der Geſchichte der
U .. n aus J .. m hervor, nämlich, daß ſie durch magne-
tiſche Behandlung mit ihrem Schutzgeiſt in einen offenen
Verkehr gebracht wurde, der ihr in jeder Hinſicht ſehr nütz-
lich war. Wenn der böſe Wille des Menſchen im Stande iſt,
einen Dämon in einen Menſchenleib zu bannen, warum ſollte
nicht der gute Wille des Menſchen im Stande ſeyn, den
Schutzgeiſt zu größerem Widerſtand zu kräftigen? Wurde
bey der U .. n der Schutzgeiſt beſtimmt und im Namen des
Herrn aufgefordert, zu kommen und zu helfen, ſo war im
Augenblick der Dämon niedergekämpft und das Weib frey.
Allein zum Austreiben war dies nicht genug, denn dieß er-
fordert den Sieg jenes Glaubens, der die Welt und die
Hölle überwindet, und der bey gemeinen und ungelehrten
Menſchen häufiger angetroffen wird, als bey den Vorneh-
men und Gelehrten, in welchen der in den Studien viel-
fach aufgeregte Zweifel den Glauben nicht gedeihen läßt.


Der Magnetismus, wenn er ſich, wie bey der U .. n,
auch in andern ähnlichen Fällen bewähren ſollte, dadurch,
daß er die Perſon mit ihrem Schutzgeiſt in Verkehr bringt,
wäre ein großer Gewinn für die Cur der Beſeſſenen.


VI. Selten iſt ein Dämon allein, denn ihrer iſt Legion.
Wo Einer iſt, können unter gleichen Umſtänden auch meh-
rere ſeyn. Die vorliegenden Geſchichten ſprechen von zwey,
fünf, ſechs, ſieben bis neun Dämonen, die zugleich da
waren. Und vielleicht iſt es noch ſeltener, daß nicht ein
[143] Zweiter die leere Stätte einzunehmen bereit iſt, die der
Ausgetriebene zurückgelaſſen hat. Bey der Frau aus J .. m
waren es nach einander fünf Dämonen, welche ausgetrie-
ben wurden. Daraus gehen für den Exorciſten verſchie-
dene Regeln hervor: 1) Daß er den anſcheinenden Still-
ſtand der Paroxismen nicht gleich für eine gelungene Cur
hält, ſondern wiederholt das böſe Weſen herausfordert; 2)
daß er nie ermüdet, wenn nach den beſtimmten Zeichen des
Ausfahrens ſich wieder neue Bewegungen einſtellen, und
3) daß er nicht nur austreibt, ſondern auch die Perſon
für die Zukunft verwahrt. Das Evangelium hat mehrere
Stellen, welche in dieſer Hinſicht zu beherzigen ſind. Luk.
11, 24 u. f.: „Wenn der unſaubere Geiſt von dem Men-
„ſchen ausfähret, ſo durchwandert er dürre Stätten, ſuchet
„Ruhe und findet ſie nicht. Nun ſpricht er: Ich will wie-
„der umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin.
„Und wenn er kommt, ſo findet er es mit Beſen gekehret
„und geſchmücket. Dann gehet er hin und nimmt ſieben
„Geiſter zu ſich, die ärger ſind, denn er ſelbſt; und wenn
„ſie hineinkommen, wohnen ſie da, und es wird hernach
„mit demſelben Menſchen ärger, als vorhin.“ Eben ſo
kommt es vor, daß Chriſtus beym Austreiben nicht blos
ſagt: „Fahre aus, du unſauberer Geiſt!“ ſondern auch
hinzuſetzt: „Und kehre nicht wieder zurück.“ Dieſer letz-
tere Befehl iſt ſicher gar oft ſchon verſäumt worden. *)


VII. Merkwürdig iſt die Bitte der Dämonen um Auf-
ſchub oft nur auf eine kleine Zeit, oder um Erlaubniß, in
Thiere oder andere Gegenſtände fahren zu dürfen. In der
Geſchichte der U .. n ſteht, daß der Dämon in Geſtalt ei-
ner Wespe in ſie gefahren ſeye, in andern Geſchichten liest
man, daß die Dämonen wie ein Geſchwärm von Fliegen
ausgefahren ſeyen. Im Reiche der Unnatur kann jedes
Weſen ſich aus der atomiſtiſchen Kraft einen Scheinkörper
auf beliebige Weiſe bilden, der aber nur ein Blendwerk iſt.
[144] Die Bitte der Dämonen, in wirkliche organiſirte Thiere fah-
ren zu dürfen, hat daher einen andern Sinn. Es muß für ſie
eine Art Schutzmittel ſeyn, um der Qual mehr zu entgehen.


Wird den Dämonen ſtark zugeſetzt, ſo verwandelt ſich
ihr Hohn und Spott am Ende in Weh und Ach. Oft neh-
men ſie ihre Zuflucht zum menſchlichen Mitleiden, indem
ſie ſagen, wir würden gewiß Schonung mit ihnen haben,
wenn wir wüßten, wie fürchterlich es für ſie draußen ſey.
Wohl müſſen ſie dürre Stätten durchwandern, ſie ſuchen
Ruhe und finden ſie nicht. Das iſt das Loos der Unſeli-
gen. Nicht umſonſt baten jene Dämonen Chriſtum, den ſie
für den Sohn Gottes erkannten, ihnen zu erlauben, in die
Schweine zu fahren. Jeder Ort, in dem ſie ſich bergen
können, muß ihnen lieber ſeyn, als der freie Himmel, deſ-
ſen reine Luft ihnen Qual verurſacht. Da liegt die Be-
deutung jenes Spruchs: „Berge! fallet über uns, Hügel!
bedecket uns.“ Dieſes Schickſal nach dem Tode wird wohl
mehr Wahrheit in ſich haben, als jenes philoſophiſche Hirn-
geſpinſt, nach welchem der endliche Geiſt ſogleich nach dem
Tode, ohne Rückſicht auf ſeinen moraliſchen Werth, ſich
mit dem allgemeinen, ewigen Geiſt zuſammenſchließen ſoll.


VIII. Das Evangelium entſcheidet weder dafür noch da-
gegen, ob die Dämonen der Beſeſſenen verſtorbene böſe
Menſchen oder etwa gefallene Engel ſind. Nach der Offen-
barung war, als Chriſtus erſchien, der Satan mit ſeinen
Engeln noch nicht auf die Erde geworfen. Er herrſchte noch
im Himmel über weitere und höhere Regionen, und ſeine
Staatskunſt hatte, als Fürſt der Welt, durch ſeine Engel
wichtigere Dinge auszuführen, als in armen Menſchenlei-
bern Beſitzungen vorzunehmen. Auch läßt ſich kaum erwar-
ten, daß jene früher erſchaffenen Engel im Himmel, in
die Schweine zu fahren, oder auch, ſtumme und taube Rol-
len zu ſpielen, begehren ſollten. Von den unſeligen Men-
ſchen aber, welche an die Erde gebannt ſind, Ruhe ſuchen
und keine finden und ſich überall vor dem Zorne verbergen
möchten, läßt ſich erwarten, daß ſie nach Menſchenleibern
[145] begierig ſind, wo ſie einſt ſelbſt wohnten, um theils mehr
geſchützt zu ſeyn, theils ihre Bosheiten noch fortſetzen zu
können.


Dieſer Punkt bleibt auch in den nachfolgenden Zeiten
noch unausgemacht, und nur hie und da regt ſich die Mei-
nung, daß die Dämonen der Beſeſſenen verſtorbene böſe
Menſchen ſeyen. Ohne Zweifel haben die Exorciſten die-
ſem Punkt von jeher wenig Aufmerkſamkeit, oder, wenn
auch die Dämonen aus dem Munde der Beſeſſenen ſich für
ehemalige Menſchen ausgaben, wenig Glauben geſchenkt.


Man kann zwar einwenden, daß die Dämonen zu Chriſti
Zeiten ihn und ſeine Abkunft erkannten, und wohl die
Macht wußten, die er gegen ſie hatte, was mehr die Mei-
nung zu beſtätigen ſcheint, daß ſie gefallene Engel ſeyen,
allein eine ſolche Wiſſenſchaft und ein ſolches Geoffenbart-
werden nach dem Tode dürfen wir auch bey verſtorbenen
Menſchen annehmen. So gibt uns die Parabel vom rei-
chen Manne zu erkennen, daß ihm nach dem Tode der
Blick in jene ſelige Region, wo Abraham war und Laza-
rus in ſeinem Schoße, ſogleich geöffnet wurde.


In den meiſten vorliegenden Geſchichten wird dieſe Mei-
nung durch die Angaben der Dämonen, daß ſie beſtimmte
Perſonen auf der Erde geweſen, beſtätigt. So gab die
U .. n fünf Verſtorbene mit Namen und Perſonalien an,
oder vielmehr die Dämonen gaben ſich ſelbſt durch ſie als
ſolche an. Die Einwendung, daß die Frau jene Männer
im Leben gekannt habe, und daß die fixe Idee des Beſeſ-
ſenſeyns ihr wohl dieſe Namen ſuggerirt haben könne, paßt
wenigſtens nicht auf den letzten Dämon, von dem es er-
wieſen iſt, daß ſie ihn im Leben nicht gekannt hat.


IX. Das dämoniſche Reich iſt das Reich der Lügen, ſie
ſind und bleiben Lügengeiſter. Werden ſie auch genöthigt,
ihre Namen und Lebensumſtände anzugeben, ſo ſind ihre
Ausſagen doch nur halb wahr, halb erlogen, wovon wir
uns in der Geſchichte der U .. n überzeugen konnten. In
den Sündenbekenntniſſen und Perſonalien der Dämonen ka-
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 10
[146] men noch manche Lebensumſtände vor, deren Wahrheit jetzt
noch durch Erkundigung ausgemittelt werden konnte. Dieſe
Erkundigung wurde von einem ganz unbefangenen, höchſt
ſchätzbaren Freunde an Ort und Stelle unternommen, aber
die Ergebniſſe waren von der Art, daß mehrere Ausſa-
gen unentſchieden blieben, mehrere nur halbwahr, andere
aber ganz wahr erfunden wurden. Uebrigens kann dieſer
Mangel nichts gegen die Beſitzungen beweiſen; denn wenn
auch die Meinung gefaßt werden wollte, daß eine fixe Idee
oder Verſtellung der Frau im Spiel geweſen ſey, ſo würde
ſie gerade die Lebensumſtände, die ihr von den Verſtorbe-
nen bekannt ſeyn konnten, weit richtiger und unzweifelhaf-
ter angegeben haben. Zu einer ſolchen Meinung iſt aber
nicht der geringſte Grund vorhanden, vielmehr ſprechen alle
Gründe dagegen, und der endliche Erfolg mit Wiederher-
ſtellung ihrer Geſundheit iſt der ſtärkſte Beweis dagegen.


Der Exorcismus.


Den Aufklärungs-Schauer, den ich früher bey dieſem
Worte hatte, habe ich überwunden, ſeitdem ich mich theils
durch evangeliſche, theils theoretiſche Gründe, theils durch
Selbſtbeobachtungen, von dem Daſeyn einer Unnatur über-
zeugt habe.


Die evangeliſchen Gründe finde ich nicht nur darin, daß
Chriſtus den Exorcismus ſelbſt häufig angewandt hat, und
daß die Jünger ihm mit Freuden berichteten und ſprachen:
„Herr! in deinem Namen ſind uns auch die Teufel unter-
than,“ ſondern auch hauptſächlich in der ſichern Verhei-
ßung, die er Allen, die da glauben, noch nach ſeiner Auf-
erſtehung, mithin für alle Zukunft, gab: „In meinem Na-
„men werden die Glaubigen Teufel austreiben, — — und,
„ſo ſie auf die Kranken die Hände legen, wird es mit
„ihnen beſſer werden.“ In dieſer Stelle iſt nicht nur die
volle Befugniß zum Exorcismus enthalten, ſondern die Be-
[147] ſitzung iſt auch von andern Krankheiten genau unterſchie-
den, ſo daß das Teufel-Austreiben und die Heilung der
Kranken durch Händeauflegen als zwey ſehr verſchiedene
Dinge dargeſtellt ſind.


Die theoretiſchen Gründe habe ich theils ſchon berührt,
theils liegen ſie darin, daß die Macht der Unnatur nicht
durch natürliche Mittel, ſondern nur durch Waffen, welche
aus der Uebernatur abſtammen, beſiegt werden kann.


Die Selbſtbeobachtungen habe ich durch eigene Anſchauung
und Einwirkung bey der Frau U .. n aus J .. m gemacht.


Der wahre Exorcismus iſt dasjenige Verfahren,
in welchem der Glaubige die Kraft, welche nun
einmal für allemal mit dem Namen Jeſu Chriſti
und der heiligen Dreifaltigkeit auf eine myſtiſche
Weiſe vereinigt iſt, benützt, und dieſelbe auf feyer-
liche Weiſe und in einem beſtimmten Befehl zum
Austreiben der Dämonen gebraucht
.


In dieſem Sinne haben ihn die Apoſtel, die älteſten Kir-
chendiener, die Gemeinden und im Grunde die ganze Kirche
ausgeübt. Da Chriſtus dieſe Wirkung überhaupt den Glau-
bigen verheißen hat, ſo iſt er kein ausſchließliches Recht
der Cleriſei; denn jeder Glaubige iſt Diener des göttlichen
Wortes und kann das, was Chriſtus verordnet hat, ſo-
bald er den Beruf dazu in ſich fühlt, unter Bedingungen,
welche den Mißbrauch beſchränken, ausüben. Die vieler-
lei exorciſtiſchen Formeln ſcheinen keine beſondere Wirkung
in ſich zu haben, aber ſie dienen dazu, auf eine feyerliche
Weiſe ſowohl in den Energumenen als in den Umſtehen-
den, wie auch in den Exorciſten ſelbſt, den Glauben ſtär-
ker hervorzurufen. Wo dieſer Glaube ſchon feſtſteht, da iſt
das einfachſte Ritual der Befehl im Namen Jeſu, wie es
Chriſtus ſelbſt nicht anders haben will.


Die einfachſte Form, in der zugleich das Außerordent-
lichſte, was der Exorcismus aufzuweiſen hat, ſich zuſam-
mengedrängt findet, lehrte uns der Pater Gaßner in den
Jahren 1774—1777. Seine Rechtfertigung gegen die vie-
10 *
[148] lerley zweydeutigen Gerüchte, die über ſeine Kuren ver-
breitet ſind, ſteht, durch eine Menge von Zeugniſſen und
faktiſchen Nachweiſungen unterſtützt, in dem Archiv für den
thieriſchen Magnetismus vom Jahr 1820 und 1821.


Ich führe hier blos ſein Verfahren an, das ein Augen-
zeuge, der Abt Bourgeois, niedergeſchrieben hat.


„Da Herr Gaßner in Ellwangen, bey den vielen Frem-
„den, deren Zahl ſich manchmal bis auf 1500 belaufen
„ſoll, ſich zum Geſetz gemacht hat, Niemand, wer es auch
„ſey, ohne beſondern Befehl ſeines Fürſten, den Vorzug
„vor einem Andern zu geben, ſo ſind Viele genöthigt,
„zwey bis drey Wochen zu warten, bis ſie die Reihe trifft.
„Wenn die kranke Perſon in den zweyten Platz, wo ſich
„der Exorciſt befindet, eingeführt iſt, ſo ſieht man weder
„täuſchende Verſtellung, noch prahleriſches Großthun, alles
„iſt einfach und gleichförmig. Er ſitzt auf einem kleinen
„Schlafſeſſel mit einer Stole über ſeine Kleider angethan,
„an ſeinem Halſe hängt ein Kreuz, an ſeiner Seite ſteht
„ein Tiſch, worauf ein Crucifix ſich befindet, und um den
„Tiſch herum ſteht eine Reihe Seſſel für die hohen Frem-
„den. Ein Actuarius muß die merkwürdigen Vorgänge
„protocolliren. Die dem Prieſter vorgeſtellte kranke Perſon
„kniet nieder, er fragt ſie über die Gattung und Umſtände
„ihrer Krankheit. Hat er ſich um ihren Zuſtand genug erkun-
„digt, ſo ſpricht er einige Worte zur Erweckung des Vertrauens
„an ſie, ermahnt ſie, ihm innerlich beyzuſtimmen, daß alles ge-
„ſchehe, was er befehle. Iſt alles ſo vorbereitet, ſo ſpricht er:
„„Wenn in dieſer Krankheit etwas Unnatürliches iſt, ſo
„„befehle ich im Namen Jeſu, daß es ſich ſogleich zeige;““
„oder er beſchwört den Satan in Kraft des allerheiligſten
„Namens Jeſus, die nämlichen Uebel, womit dieſe Per-
„ſon behaftet iſt, auf der Stelle hervorzubringen. Zuwei-
„len erſcheint das Uebel ſogleich nach gegebenem Befehl,
„und alsdann läßt er alles nacheinander kommen, gleich-
„ſam ſtufenweiſe, und nach Maßgabe der Stärke, in wel-
„cher der Patient ſein Uebel früher hatte. Dieß Verfah-
[149] „ren nennt der Prieſter den Exorcismum probativum, um
„zu erfahren, ob die Krankheit unnatürlich oder natürlich
„iſt. Und zugleich hat er die Abſicht, durch dieſe Ueber-
„einſtimmung der Erſcheinungen mit ſeinen Befehlen das
„Vertrauen der Kranken zu vermehren und allen Anweſen-
„den die Kraft des heiligen Namen Jeſus kund und offen-
„bar zu machen. Wenn ſich das Uebel auf den erſten ge-
„gebenen Befehl nicht zeigt, ſo wiederholt er denſelben
„immer ſteigend wohl bis zehnmal. Erfolgt dann keine
„Wirkung, ſo verſchiebt er dieſe Perſon auf den an-
„dern Tag oder noch ſpäter, oder er ſchickt ſie auch ganz
„zurück, mit der Aeußerung, daß ihr Uebel natürlich ſey,
„oder ſie nicht hinreichend Vertrauen beſitze. Wenn der
„Prieſter durch den Exorcismum probativum das Uebel
„zum erſtenmal kommen läßt, ſo läßt er gewöhnlich die
„Zufälle etliche Minuten fortdauern, dann wieder ver-
„ſchwinden und wiederkommen, immer unter den gleichen
„Befehlen. Iſt der Kranke von der Urſache ſeines Uebels
„und der Kraft des Mittels dadurch überzeugt, ſo lehrt er
„ihn, ſich künftighin ſelbſt zu helfen und läßt ihn in ſei-
„ner Gegenwart die Probe machen. Zu dieſem Zwecke be-
„fiehlt er, daß die Krankheit wiederkomme, und nun muß
„der Kranke durch einen entgegengeſetzten Befehl, den er
„innerlich im Namen Jeſus gibt, den Ausbruch verhindern,
„oder, wenn der Anfall ſchon da iſt, ihn vertreiben. Sol-
„ches habe ich geſehen und die Kranken ſtimmen damit
„überein. Zu bemerken iſt, daß nicht alle Patienten die
„nämliche Wirkung verſpüren. Gaßner geſteht ſelbſt, daß
„er kein Wunderthäter, ſondern nur ein Exorciſt ſey; er wirke
„keine Mirakel, ſondern wolle nur das von der Kirche ge-
„gründete und gutgeheißene Mittel wider die unnatürlichen,
„vom böſen Geiſt verurſachten Krankheiten in Ausübung
„bringen; daher komme es auch, daß Viele nicht gänzlich
„geheilt werden können, weil ihnen die Lebendigkeit des
„Glaubens mangle, obgleich ihre Krankheiten nicht natür-
„lich ſeyen. Es braucht ſogar nach der Ausſage des Herrn
[150]Gaßner nichts, als daß man ſein Uebel für natürlich
„halte, um die Wirkung des Exorcismus zu hintertreiben.
„Endlich behauptet er, daß viele Krankheiten blos natür-
„lich und daher auch nur durch die natürlichen Mittel der
„Aerzte zu vertreiben ſeyen. Uebrigens muß man dieſen
„Mann nicht aus ſeinen Reden, ſondern aus ſeinen Wir-
„kungen beurtheilen. Ich müßte ein ganzes Buch ſchrei-
„ben und mehr Zeit und Muße haben, als wirklich, um
„Alles zu erzählen, was ich von Augenzeugen erfuhr. Ich
„gebe nur das, was ich ſelbſt ſah, und von dieſem nur
„das Merkwürdige.“


Von da geht der Berichterſtatter auf einzelne von Pater
Gaßner vorgenommene Operationen ſelbſt über, und be-
ſchreibt ſie ausführlich, was ich aber hier übergehe und
auf die Auszüge, die ich aus den Protokollen der Gaßner’-
ſchen Operationen machte und die in dem erwähnten Archiv für
den Magnetismus ſtehen, verweiſe. Von nicht geringer Wich-
tigkeit für die faktiſche Wahrheit der Gaßner’ſchen Kuren iſt
das Gutachten, welches die aus vier Ingolſtädter Profeſſoren
beſtehende Commiſſion, die mehrere Tage den Operationen an-
wohnte, ausſtellte, was ich hier übergehe. Eine Stelle aber,
welche Herr Levelin, Profeſſor der Medizin in Ingolſtadt,
als Augenzeuge an den Dr.Hombourg in Wien in einem
Briefe ſchrieb, füge ich noch bei: „Extra dubium est, quod
„illi sacerdoti ad nutum sine tactu imperium sit abso-
„lutum in systema nerveum. Horribilia at nutum pro-
„ducit et unico verbo „cesset“ evanescunt ad momen-
„tum. Repetitis vicibus pulsum produxit intermitten-
„dum, sæpius momentanee evanescentem. Exploravi
„pulsum et inveni veritatem imperantis sacerdotis, in
„quo non est dolus, et qui homo est sincerrimus.“


Was in dieſer Stelle Profeſſor Levelin behauptet, daß
Pater Gaßner eine abſolute Herrſchaft auf das Nerven-
ſyſtem jener Kranken ausgeübt habe, ſo daß ſelbſt die Be-
wegungen des Pulſes und, wie aus andern Geſchichten er-
hellt, auch die Empfindungen der Sinne ſich ganz nach
[151] ſeinen Befehlen richteten, ſcheint freilich wunderbar, aber
hier liegt ein Deus in machina verborgen. Nicht der Prie-
ſter hatte die Herrſchaft in das Nervenſyſtem, ſondern der
Dämon, der aber die Befehle des Prieſters ausführen mußte.
So war es der Dämon, der das Mädchen von Orlach ſo
ergriff, daß ſie ſtundenlang mit dem linken Fuß, der eis-
kalt wurde, den Boden ſchlagen und ihm zu ſeinen Blas-
phemieen das Sprachorgan leihen mußte. So brachte bey
der U .. n der Dämon alle die höhniſchen Grimaſſen in den
Geſichtsmuskeln und die gewaltſamſten Bewegungen in den
Gliedern hervor. Steht dieß alles in der Gewalt des Dä-
mons, ſo ſteht es auch in der Gewalt des Exorciſten, dem
Dämon im Namen des Herrn zu befehlen, daß er dieſe
oder jene Bewegung in dem Körper des Kranken hervor-
bringe, und das Wunder reduzirt ſich auf die einfache Glau-
bensmacht, welche Chriſtus den Glaubigen verheißen hat.
Aber eben dieſe einfache Glaubensmacht, wie ſelten iſt ſie
und zwar in ihrem Doppelleben, nämlich in dem, der hei-
len will, und in dem, der geheilt werden ſoll? Gaßner
war ein frommer Prieſter. Ihm koncentrirte ſich die ganze
Welt im Evangelium und das Evangelium im Namen Jeſu.
Er wußte nichts Anderes und wollte nichts Anderes. Ihm
war es unmöglich, zu zweifeln. Er war durchdrungen von
einer Wahrheit, die, wenn ſie den Glauben beſeelt, zu-
gleich die größte Kraft der Erde iſt. Darum wurde er
Organ dieſer Wahrheit; ſie gebot über ihn, er nicht über
ſie. Dieß iſt eben der große Unterſchied zwiſchen den Wahr-
heiten, welche blos an der Begriffsform haften, und de-
nen, welche Herz, Geiſt und Glauben durchdringen. In
Jenen liegt blos der Zeitgeſchmack vergänglicher Theorien,
in dieſem wirkt das, was als ewiges Gebot uns gegeben
iſt. Da der wahre, lebendige Glaube eine trauscendente
Kraft iſt, ſo ſteht der handelnde Menſch unter ihr, er be-
meiſtert nicht ſie, ſondern ſie bemeiſtert ihn und wirkt wie
eine vom Himmel gekommene Gabe durch ihn. Von die-
ſer Beſchaffenheit iſt der Name Jeſu, welchem Gott nun
[152] für alle Zukunft das Reich der Unnatur unterthan gemacht
hat, welcher aber nur durch ſolche zur Macht wird, die
ihn als eine transcendente Kraft durch ſich wirken laſſen.


In dieſem Lichte erſcheint mir Gaßner, und keine der
vielen Zeugſchaften, die ich prüfte, widerlegt dieſe Meinung.


Der außerordentliche Ruf dieſes Prieſters durchflog alle
Länder und aus den entlegenſten Gegenden eilten Neugie-
rige und Kranke herbey. Jakob von Huth erzählt in ſei-
ner Kirchengeſchichte, daß in Ellwangen ſich nach und nach
zwanzigtauſend Fremde eingefunden und zu Regensburg
dreytauſend Kranke auf ſeine Hülfe gewartet hätten. Die-
ſer Ruf war ſein Verbrechen. Es dauerte nicht lange, ſo
machten ſich Biſchöfe und Erzbiſchöfe, Hirtenbriefe, kaiſer-
liche Befehle und päpſtliche Dekrete gegen ihn auf und nö-
thigten zuletzt den Fürſtbiſchof von Ellwangen, der ihn be-
günſtigte, dem Prieſter ſeine Kuren zu verbieten.


Es gibt eine falſche und eine wahre Aufklärung. Die
falſche geht von ihren ſelbſtgemachten Theorien aus und
erhebt ſich über die Thatſachen. Sie läugnet und verwirft,
ohne zu ſehen und zu prüfen. Was gegen den geſunden
Menſchenverſtand und den ſichtlichen Naturzuſammenhang
läuft, das werfen ſie ohne weitere Unterſuchung in die Ca-
pitel des Obſcurantismus, der Myſtik, der Viſionen, der
Täuſchungen, des Aberglaubens und der Schwärmereien,
und können nicht warnen genug vor den Nachtheilen, welche
Staat, Volk und Kirche drohen. So erging es Gaßner.
Es iſt hier nicht ohne Intereſſe, auch einige literariſche
Gegner und Vertheidiger des Exorcismus zu vernehmen:


Dr.Semler zu Halle machte in einer Schrift folgende
Einwürfe und Beſchuldigungen: „Gaßner führe die Einwir-
„kungen des Teufels wieder ein, die aus allen chriſtlichen
„Staaten durch die neue Theologie verbannt werden ſoll-
„ten. Der Exorcismus durch die Kraft des Namens Jeſu
„ſey Aberglaube. Diejenigen, welche behaupten, daß die
„Kirche und Theologie von Teufeln und Teufelsmacht lehre
„und gelehret habe, ſeyen böſe Buben und haben keinen
[153] „Theil an dem Erlöſer und Heiland mehr. Darum müß-
„ten alle Nachrichten ven der Gaßner’ſchen Kurart, wo-
„her ſie auch kommen, gänzlich als alberne, phantaſtiſche
„Einfälle und Aberglauben verworfen werden, und alle die
„Handlungen, die darauf hinzielen, dürfen in chriſtlichen
„Staaten nicht geduldet werden. Gaßners Glaube ſey
„kein chriſtlicher Glaube, daher könne es keine geiſtliche
„und noch weniger leibliche Wirkungen deſſelben geben.
„Man könne Einen dazu bereden, daß er ſage, es ſey ihm
„geholfen. Gaßner müſſe ein Phantaſt oder Betrüger ſeyn,
„ein Tertium gebe es nicht. Wenn der Patient ſage, er
„werde beſſer, ſo könne man noch nicht ſchließen, ergo
„Gaßner helfe, ergo helfe er durch Exorcismus, ergo ſey
„die Krankheit eine Wirkung des Teufels. Lavater, wel-
„cher nur die Thatſachen, nicht Meinung und Dogma un-
„terſ[u]cht haben wolle, verfalle beynahe in die Strafe der
„Gottesläſterung.“


Hier haben wir das leibhafte Bild eines Rationaliſten,
der ſein ſelbſt gemachtes oder wenigſtens accommodirtes
Dogma über die Thatſachen erhebt und ohne Prüfung die
Sache, der Meinung zu lieb, verdammt. So ungefähr
mögen die Sadduzäer die Zeichen und Wunder Chriſti weg-
raiſonnirt haben.


Gegen die obigen Einwürfe trat Dr.Schleiß, der Leib-
arzt der Pfalzgräfin von Sulzbach, als vielfältiger Augen-
zeuge der Gaßner’ſchen Kuren auf. Ich ſetze hier blos
bey, was Schleiß an Semler am Schluſſe ſeiner Ab-
handlung ſpricht: „Ich erſuche Sie noch einmal, ohne Be-
„fangenheit und Uebereilung, ohne Rückſicht auf Perſon,
„Stand und Lehre Gaßner’s, meine Zweifelsfragen zu
„beantworten. Zeigen Sie Ihr erhabenes Herz auf der
„edeln Seite, überlegen Sie wohl, ob es nicht der Mühe
„werth ſey, die Gaßner’ſchen Thatſachen durch eine ordent-
„liche, aus allen drey chriſtlichen Religionen und aus allen
„Facultäten zuſammengeſetzte Commiſſion zu unterſuchen.
„Der glaubige Gaßner iſt zu Allem wegen der Ehre Got-
[154] „tes und des Heils des Nebenmenſchen bereit, und es iſt
„zu erwarten, daß keiner der Unterſuchenden mit ſehenden
„Augen Ehre und Gewiſſen werde verlieren wollen. Es
„iſt entſchuldbar, wenn Einer mit aller Treue nach einem
„irrigen Grundſatz handelt, aber es iſt auch Pflicht, ſeine
„Grundſätze immer genauer zu prüfen, und es iſt Groß-
„muth, deren ſich auch der Weiſe nicht ſchämen darf, wenn
„er ſeinen Grundſatz in dem Augenblick verwirft, ſobald
„er ihn als Vorurtheil erkannt hat. Es iſt hier um die
„Wahrheit zu thun, und dieſe ſollten alle chriſtliche Reli-
„gionen ohne Vorrecht, ohne Eiferſucht und ohne Vorur-
„theil zu entdecken trachten. Soll ich, als vielfältiger
„Zeuge, läugnen, was meine Ohren gehört, meine Au-
„gen geſehen, meine Finger befühlt und mein Verſtand
„geprüft haben? Ich würde Gott und die Wahrheit be-
„leidigen.“


Auf gleiche Weiſe äußert ſich Lavater an Semler in
einem Briefe:


„Was ich mit Gaßner zu thun habe? fragen Sie. Un-
„terſuchen will ich, komme heraus, was da wolle. Unter-
„ſuchungswerth iſt die Sache, ſie ſey wahr oder falſch,
„Kraft Gottes oder Betrug. Wer ſich zu unterſuchen ſchämt,
„was für Naturforſcher, Pſychologen und Theologen wich-
„tig iſt, blos um des Gutachtens wegen, iſt dieſer Kind
„oder Mann? Was iſt Gaßner? Einige ſagen, er iſt gut,
„andere, er verführe das Volk; beyde aber behaupten im-
„mer, Thatſachen ſind da, mehr oder weniger, warum
„hüpft man über dieſe hinweg? Alles raiſonnirt und er-
„klärt, — aber wo iſt der, der blos beobachtet? Es iſt
„wirklich unterhaltend, zuzuſehen, wie unlogiſch man bey
„dieſer Sache verfährt, ſey ſie noch ſo lächerlich. Jeder
„beurtheilt den Mann nicht nach Gaßners, ſondern nach
„ſeiner eigenen Theorie. Gaßner will kein Apoſtel ſeyn,
„iſt’s alſo billig, ſeine Operationen mit den apoſtoliſchen
„zu vergleichen? Gaßner will kein Wunderthäter ſeyn,
„iſt’s alſo billig, irgend eine Theorie von Wundern, die man
[155] „haben mag, auf ihn anzuwenden? Ich gebiete nur dem
„Teufel, ſagt er, und er hört auf zu wirken aus Ehr-
„furcht vor dem Namen Jeſu. Gott wirkt nicht! Eigent-
„lich iſt alſo das, was vorgeht, kein Wunder. Sey nun
„Gaßner ein Israelit, in dem kein Falſch iſt, wie Zwan-
„zig gegen Einen behaupten, oder ein von Jeſuiten beſol-
„deter Betrüger, wie Eins gegen Hundert behauptet, alle-
„mal iſt man ſchuldig, ihn nach ſeiner Theorie und ſeiner
„Prätenſion zu beurtheilen. Man verſtößt gegen die erſten
„Gründe der Logik und alle Billigkeit, wenn man, ſtatt
„die Thatſachen zu unterſuchen, raiſonnirt, und ihm zu
„Laſt legt, daß er dieß oder jenes nicht könne, was er zu
„können nie behauptet hat. Ich geſtehe Ihnen, Briefe
„von Gaßner geſehen zu haben, die nur entweder von der
„redlichſten Seele oder von dem verfluchteſten Tartüffe her-
„kommen können. Ich müßte mich verachten, wenn ich beym
„Leſen dieſer Briefe mir hätte können einfallen laſſen: Gaß-
„ner iſt ein Betrüger. — Ich ſchäme mich nicht, zu ſa-
„gen, daß ich, die Sache zu unterſuchen, ſelbſt Luſt hatte,
„wären nicht unvermeidliche Hinderniſſe dazwiſchen gekom-
„men. Ich habe eine ſolche Menge von Nachrichten vor
„mir, daß die Wichtigkeit und Würdigkeit einer genauen
„Unterſuchung außer Zweifel iſt. Aber was werden meine
„Feinde hiezu ſagen? Sie werden lachen und lügen. —
„Aber leichter iſt Lachen als Unterſuchen. Der Narr lacht,
„der Weiſe unterſucht, und nachher mag er lachen oder wei-
„nen. Gaßner iſt kein Wunderthäter, und will keiner ſeyn,
„aber ein Exorciſt? ſagſt Du Proteſtant; das ſoll und darf
„er ſeyn. Alle Partheyen geben Thatſachen zu, alſo un-
„terſuchet. Wer ſoll’s thun? Viele können’s nicht, Viele
„wollen’s nicht. Katholiken können nicht, Proteſtanten
„wollen nicht. Wer ſoll’s? Nochmal, lachen iſt leichter
„als unterſuchen.“ Zürch, den 31. Mai 1775.


In dieſen beyden letztern Briefen ſteht die wahre Auf-
klärung der falſchen gegenüber. Die wahre dringt auf Un-
terſuchung und muß darauf dringen, weil Chriſtus ſelbſt
[156] darauf hinweist, wenn er ſagt: „Wenn ihr meiner Lehre
nicht glaubet, ſo glaubet doch meinen Werken.“ Die falſche
hingegen bleibt an ihrem Dogma hängen, das ſchon nach
kurzem Jahreswechſel eine andere Geſtalt annimmt. Die
Macht des Geſchehens ſteht über der Macht der
Meinung
. Warum kam jene Prüfungscommiſſion der ver-
ſchiedenen Confeſſionen nicht zu Stande, welche Dr.Schleiß
dem Dr.Semler vorſchlug? Vermuthlich, weil die Ra-
tionaliſten fürchteten, ihre Dogmen möchten von der Ge-
walt der Thatſachen überflügelt werden, ſie möchten mit
eigenen Augen ſehen müſſen, was ein Augenzeuge von den
Wirkungen Gaßner’s auf das Volk erzählt: „Es ſeye bey-
nahe alle Tage das zugetroffen, was zu den Zeiten der
Apoſtel ſich ereignete, Act. 19, 17. „Cecidit timor super
omnes illos et magnificabatur nomen Domini Jesu.“


So verhält es ſich in Wahrheit mit der Kurart Gaß-
ners
; allein die Aufklärungsepoche hat ſie nicht nur unge-
geprüft verdammt und aus dem Ged[ä]chtniß verwiſcht, ſon-
dern auch einen Bann an ſie gelegt. Der Exorcismus iſt
nun allgemein verboten und ihm überhaupt die Befugniß
genommen, im Namen Jeſu zu wirken und Kranke zu hei-
len. Die Polizey hebt mit dem Misbrauche, der aller-
dings häufig ſeyn mochte, auch den guten Gebrauch auf
und greift inſofern in jene Glaubensmacht ein, welche Chri-
ſtus ausdrücklich in ſeinen Namen gelegt hat. Man erwäge
nur die beyden oben erwähnten Geſchichten von Döffin-
gen
und Gärtringen, nach welchen die Energumenen
von den Geiſtlichen in die Kirche genommen, durch eine
paſſende Rede dem Volke vorgeſtellt und dieſes zum ge-
meinſchaftlichen Gebet und zur Theilnahme ermahnt wurde.
War auf dieſe Weiſe die Stimmung der Gemüther hervor-
gebracht, welche der Glaube verlangt, ſo trat alsdann der
Geiſtliche vor den Kranken und befahl dem unreinen Geiſt
im Namen des Herrn Jeſu zu weichen, was auch jedes-
mal zutraf, indem die Kranken von ihren Plagen auf der
[157] Stelle befreit wurden. Wo findet ſich hiebey etwas Arges
und der Polizey Verdächtiges?


Der Exorcismus könnte wohl unter die erlaubten und ſo-
gar wohlthätigen, nicht den Aberglauben, ſondern den Glau-
ben befördernden Mittel wieder aufgenommen werden, wenn
er unter Bedingungen geſtellt würde, welche ſeinen Mis-
brauch verhindern. Die vorliegenden Geſchichten haben viel
Belehrendes in dieſer Hinſicht, was ſich ſyſtematiſch ordnen
läßt auf folgende Weiſe:


Finden ſich mehrere der oben angegebenen Zeichen der
Beſitzung bey einem Kranken, der die Hülfe der Aerzte
lange geſucht und nicht gefunden hat, ſo kann er nur da-
durch den Händen der Teufelsbanner, Segenſprecher und
unbefugten Exorciſten entriſſen werden, wenn ſich geprüfte
Männer, beſonders Aerzte und Geiſtliche, finden, welche
mit dem zu dieſem Zwecke nöthigen Glaubensmuth ausge-
rüſtet ſind. Alle Eigenſchaften dieſer Männer concentriren
ſich in der Wahrheit des Namens Jeſu, weil die Wahrheit,
in’s Heilige aufgenommen, zur Kraft wird, welche die Un-
natur beſiegt. Daher ſind auch einfache, fromme Männer
aus dem Volke ganz tauglich. Die Behandlung einer ſol-
chen Perſon kann in verſchiedene Perioden abgetheilt werden:


Erſtens in eine Vorbereitungszeit. Hieher gehört der Gaß-
ner
’ſche Exorcismus probativus, durch welchen das Un-
natürliche der Krankheit ſich in allen Richtungen hin offen-
baren muß. Zugleich muß eine ſolche Perſon zum Faſten
(ſparſamer Diät) und Beten angehalten, im Glauben ge-
ſtärkt und beſonders darin geübt werden, daß ſie dem Be-
fehl, den der Exorciſt im Namen des Herrn gibt, inner-
lich beyſtimmen, und das, was geſchehen ſoll, durch den
eigenen Willen zugleich hervorrufen ſolle. Iſt der Magne-
tismus, was bey ſolchen Kuren mir eine wichtige Entdek-
kung von Dr.Kerner zu ſeyn ſcheint, anwendbar, ent-
weder in der gewöhnlichen oder umgekehrten Manipulation,
ſo darf er nicht verſäumt werden, weil er die Perſon in
dem magnetiſchen Halbſchlaf mit ihrem Schutzgeiſt in Com-
[158] munikation bringt, wodurch ſich viele Aufſchlüſſe ergeben,
die der Behandlung äußerſt günſtig werden können. Auch
ſcheint es, daß durch die Vermittlung des guten menſch-
lichen Willens der Schutzgeiſt in eine freiere und kräftigere
Wirkſamkeit geſetzt wird.


Da die Meinung, daß die Dämonen nichts anderes als
verſtorbene unſelige Menſchen ſind, große Wahrſcheinlich-
keit hat, ſo muß nicht nur der Name des Dämons heraus-
gebracht, ſondern er muß auch, und dieß zu wiederholten
Malen, zum Sündenbekenntniß angehalten werden. Dar-
über wird ein förmliches Protokoll geführt, das häufig mit
allen Angaben und beſtändiger Mahnung zur Wahrheit ihm
wieder vorgehalten werden muß. Denn der Lügengeiſt, der
in dieſen verdorbenen Seelen ſteckt, läßt ſelten die Wahr-
heit frey bekennen; doch können ſie durch die Qual, welche
ihnen die heiligen Namen verurſachen, zuletzt dazu gezwun-
gen werden.


Iſt das Sündenbekenntniß vorüber, ſo kommt die Reihe
an die Bekehrungsverſuche, die immer mehr oder weniger
Anklang finden, ſobald die geheimen Sünden, die ſie in
das jenſeitige Leben mit hinübernahmen, offenbar werden
und die Seele entlaſten.


Dieſes Verfahren hat den doppelten Zweck, erſtlich, daß
der Dämon mehr von dem Menſchenleib abgelöst wird
und ſeine Luſt zu quälen und zu peinigen verliert, zweitens,
daß durch das Licht, das in die dunkle Seele fällt, die
Begierde in ihm erregt wird, ſich an die Gnade Gottes
zu wenden. Dieſer religiöſe Punkt iſt von keiner geringen
Wichtigkeit, da es, eine verlorne Seele zu retten, unter
die erſten chriſtlichen Pflichten gehört. Der Ausſpruch:
„Fahr’ aus in die Hölle,“ iſt unchriſtlich. Hat ja Chri-
ſtus auch der Bitte der Dämonen, in die Schweine zu fah-
ren, nachgegeben.


Nach dieſer Vorbereitung kommt die zweite Periode, in
welcher der Exorcismus expulsivus förmlich vorgenom-
men wird.


[159]

Die beſte Methode würde allerdings die ſeyn, welche die
beyden Geiſtlichen in Döffingen und Gärtringen be-
folgten, nämlich den Exorcismus nach dem Gottesdienſt
bei verſammelter Gemeinde und unter Mitwirkung ihres
Gebets in der Kirche vorzunehmen. Bey den Katholiken
gehört dieß Alles nicht blos unter die erlaubten, ſondern
ſelbſt unter die verordneten Gebräuche, wie überhaupt in
der katholiſchen Kirche der Exorcismus unter einen ganz
andern Geſichtspunkt geſtellt wird, als in der proteſtanti-
ſchen. Allein, wo finden wir eine ſolche Gemeinde, die
an einem ſolchen Akt nicht Anſtoß und Aergerniß nehmen
und mit herzlicher innerer Beyſtimmung den Geiſtlichen un-
terſtützen würde, ſo daß, wie Pfarrer Hartmann von
ſeiner Gemeinde in Döffingen erzählt, eine mächtige Be-
wegung, Angſt, Furcht, Zittern, Weinen, Bangigkeit die
Gemüther der Gemeinde ergriffe? Nicht überall trifft man
ſolche Gemeinden an, wie die Gemeinde Bonnet im fran-
zöſiſchen Maasdepartement iſt, welche, um Verrückte zu
heilen, durch ihre Mitwirkung eine ſchon lange daſelbſt
gebräuchliche Heilmethode unterſtützt, die darin beſteht, daß
der Verrückte in Begleitung der frommen Inwohner und
Kinder in Form einer Prozeſſion zu einer dem Schutzpatron
der Irren geweihten [Quelle], von da in die Kirche geführt
und nach Abhaltung einer feyerlichen Meſſe in eine Zelle
gebracht wird, wo er unter Aufſicht freundlicher Wärter
ſteht. Dieſe Heilmethode dauert neun Tage und wird da-
her Neufaine genannt. Das Tagebuch dieſes Orts gibt
eine Menge geheilter Kranken an.


Eine gleiche Anſtalt würde ohne Zweifel auch bey Ener-
gumenen von großem Erfolg ſeyn, aber es fehlt an der
Hauptſache, nämlich an dem frommen Sinn ſolcher Ge-
meinden.


In Ermanglung deſſen bleibt nichts übrig, als daß ſich
eine kleine Anzahl frommer Männer zu dieſem Zwecke ver-
ſammelt, durch Geſang und Gebet die glaubige Stimmung
hervorruft und auf dieſe Weiſe den förmlichen Austreibungs-
[160] akt unterſtützt. Die einfachſte exorciſtiſche Formel im Na-
men Jeſu oder der h. Dreyfaltigkeit
iſt die beſte.
Gaßner gebrauchte ſelten das vorgeſchriebene römiſche Ri-
tual, weswegen er auch von den Prieſtern vielfach ange-
feindet wurde. Er gebot ganz einfach im Namen des Herrn,
und es geſchah. Denn das Senfkorn des Glaubens wächst
zu einer unermeßlichen Macht, während ein Gran des Zwei-
fels Alles zerſtört. Exorciſtiſche Formeln ſind übrigens auch
da zuläſſig, wo durch ſie der Glaube an die Kraft des
Namens Jeſu eine Steigerung erhält, aber ſie dürfen nichts
unevangeliſches enthalten, was ihre Kraft ſchwächen würde.
In der Geſchichte der Cäcilie legt der Pater Sicard den
größten Werth auf die wunderthätige Maria von
Steinbach
, worüber ihn der Dämon mit dem bitterſten
Spott heimſchickt, indem er ihm ſagte: „Er ſolle nur
bey der Steinbacherin bleiben, die werde ihn ſchon
hinausbringen
.“ Ein andermal ſagte er zur Cäcilie:
„Sieheſt du nicht, daß alles Beſchwören nichts hilft? Es
„ſind ja ſo viele Schismen (Exorcismen) geſprochen wor-
„den, daß die Vögel in der Luft ſie bald ſingen und pfei-
„fen werden. Die Steinbacherin kann und will dir nicht
„helfen. Darum nimm ein kleines Stricklein und mach
„deinem Leben ein Ende.“ Ein ſolcher Exorcismus kann
nichts wirken, weil er unevangeliſch iſt. Ganz anders ver-
hielt ſich jener Dämon, welchen Pfarrer Hartmann in
Döffingen mit Hölle und Verdammniß und dem Namen
Jeſu bedrohete, wobei der Dämon ausrief: O heiß! o heiß!
O Qual! o Qual!


Iſt nach der erwähnten Methode der Exorcismus gelun-
gen, ſo muß die Perſon auch für die Zukunft verwahrt
werden, eingedenk jenes Befehls Chriſti: „Fahre aus und
kehre nicht mehr zurück.“ Uebrigens kann man ſich des
Gelingens nur dann verſichert halten, wann die folgen-
den Tage auf wiederholte Aufforderungen keine Zufälle
mehr erſcheinen.


So viel vom Exorcismus. Die Verſtändigen werden nun
[161] fragen, wie man eine ſo nichtige Sache ſo lange ernſthaft
behandeln könne? Ich entgegne ihnen ganz einfach, daß ich
dieſe Sache nicht ernſthafter behandle, als ſie Chriſtus,
die Apoſtel und die ganze Kirche behandelt haben. So lange
nicht nachgewieſen iſt, daß die Beſitzungen ſeit Chriſti Zei-
ten aufgehört haben, ſo lange muß auch von einem Exor-
cismus die Rede ſeyn. Die Hauptſache iſt, dieſe Behand-
lung den Händen der Teufelsbeſchwörer und Segenſprecher
zu entreißen, welche ſie zu Gewinn und Täuſchung mis-
brauchen, und ſie ſolchen Händen anzuvertrauen, welche
ſie, wie Gaßner, zur Ehre Gottes und zu Beweiſung der
Kraft des Namens Jeſu ausüben. Die Fälle ſind ohne-
dieß ſelten, aber die göttliche Zulaſſung mag ihre Zwecke
dabey haben, und unter dieſen iſt wohl auch der, dem Un-
glauben die beyden Reiche der Unnatur und der Ueberna-
tur vorzuhalten und den Sieg des Letztern über das Erſtere
in ſeiner Herrlichkeit zu zeigen.


Was die Einwürfe überhaupt betrifft, ſo werde ich noch
ſpäter auf dieſelben mich einlaſſen.


Vom Zauber.


Der andere nicht weniger wichtige Zweig der Unnatur
iſt der Zauber, den ich aber hier nur mit einigen theore-
tiſchen Momenten berühre, ganz abſehend von der großen
Menge von Thatſachen, welche in den Schriften und Pro-
tocollen aller Zeitalter über ihn geſammelt ſind. Wer möchte
alle die Gattungen und Arten von Magieen, Mantieen und
Skopieen zählen, welche zur klaſſiſchen Literatur des Sa-
tans gehören und beſonders von Schriftſtellern des Mittel-
alters in förmliche Syſteme gebracht ſind? Eine factiſche
Wahrheit muß zum Grunde liegen; denn die Conformität
der Geſtändniſſe und Zeugniſſe der dem Zauber ergebenen
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 11
[162] und gerichtlich verhörten Perſonen aus allen Zeitaltern, ſo
weit die Geſchichte ſich mit dieſem Gegenſtand befaßt, iſt
nicht erklärbar ohne die Conformität der Thatſachen, ob-
gleich Vieles davon in den Nebel des Aberglaubens, der
Vorurtheile und der Schwärmereien eingehüllt ſeyn mag.


Das Mittelalter war in Hinſicht von Beſitzung und Zau-
ber reich an Thatſachen, aber ſie wurden nicht verſtanden
und geprüft, und darum wurde der furchtbarſte Misbrauch
damit getrieben. Die Brutalität der Inquiſitionsgerichte
und der Torturen ſchien vielmehr, ſtatt den Teufel auszu-
treiben, ihn nachzuahmen, ſo daß es unentſchieden blieb,
auf welcher Seite der ſtärkere Bund mit dem Teufel war.
Durch die Tortur wird das Recht mitten entzwey geriſſen,
und der Delinquent kommt über ſeinen Richter zu ſtehen;
denn dieſer begeht ein Verbrechen gegen die Menſchlichkeit
überhaupt, jener verletzt nur einzelne Glieder der Geſell-
ſchaft.


Der Zauber verletzt zwar auch unmittelbar die göttliche
Ordnung, aber eben hier hat der menſchliche Richter Vie-
les dem göttlichen zu überlaſſen, und auf keine Weiſe mit
gewaltſamen Mitteln, die Gott eben ſo wenig angenehm
ſind, zu verfahren. Indirecte hat daher Chriſtian Thoma-
ſius, welcher zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, übri-
gens mit wenig beſagenden Gründen, die Meinung ver-
theidigte, „es gebe keinen Bund mit dem Teufel,“
das Verdienſt, dem Unfug geſteuert zu haben, und es war
faſt beſſer, dem Zauber freyes Feld einzuräumen, als die
Gefahr zu haben, daß auch unſchuldige Perſonen im förm-
lichen Rechtsweg verurtheilt werden konnten.


Zur Reife einer Sache müſſen immer zwey Momente zu-
ſammentreffen: 1) die Weckung des Intereſſes durch eine
gediegene, im Gefolge wichtiger Erſcheinungen auftretende
Thatſache, und 2) das Urtheil, welches ſie zu prüfen ver-
ſteht, und ihr in der großen Sphäre des Wiſſens und
Glaubens ihr Gebiet anweist.


[163]

Iſt das erſte Moment blos da, ohne das zweyte, ſo iſt
das Intereſſe blind und dumm, das Außerordentliche der
Erſcheinung wird dem Aberglauben, der Unwiſſenheit und
dem Misbrauche preisgegeben, und das Wahre, was dar-
unter verborgen liegt, geht unter, während das Schlechte
eine Zeit lang ſeine Rolle ſpielt, aber zuletzt durch ſeine
ſchädlichen Folgen auch ſeinen Untergang findet, und ſomit
wird das Ganze vergeſſen. So erging es der Beſitzung
und dem Zauber.


Iſt das Zweyte ohne das Erſte, ſo fehlt das Intereſſe
dafür; denn die ältern Geſchichten wirken nichts mehr auf
ein aufgeklärtes Zeitalter. Man zweifelt gewöhnlich, ob
jene Männer, jene Gerichte, jene Conſilien, welche dieſe
Gegenſtände zu verhandeln hatten, richtig geſehen, gehört
und verſtanden haben, ſo daß die Thatſachen jener Zeiten
jetzt nicht mehr geglaubt, ſondern in Hintergrund geſtellt
werden.


Die Geſchichten über Beſitzung und Zauber ſind wie alte
Münzen zu betrachten, die zwar außer Curs geſetzt und
im Schatze verwahrt ſind, aber doch einen wahren innern
Werth haben. Der Kenner nur ſchätzt ſie und ſucht ſie
auf, aber im Kauf und Verkauf gelten ſie nichts. Soll
ihr Werth wieder in Umlauf kommen, ſo müſſen ſie ein-
geſchmolzen werden und ein neues Gepräge bekommen.


Wie es ſich nun auch mit dem factiſchen Beſtand ver-
halten mag, ſo iſt hier die Rede blos davon, ob die Sätze,
die ich für die Unnatur folgerte, auch auf die beſondere
Geſtaltung derſelben, was man Zauber nennt, angewandt
werden können, und inſofern gehört die Aufgabe vor das
Forum der Speculation.


Die Definition, die ſich aus den vielen Schriften, die
über dieſen Gegenſtand handeln, ſchöpfen läßt, wird fol-
gende ſeyn:


Zauber iſt diejenige Wirkung der Unnatur, wo-
durch der Satan eine Menſchenſeele durch einen

11 *
[164]ausdrücklichen oder ſtillſchweigenden Vertrag zum
förmlichen Eigenthum machen, ihren Willen mit
ſeiner Macht vereinigen, dadurch gegen die ge-
wöhnlichen Geſetze der Natur handeln und auf
vielfältige aber geheime Weiſe Unheil und Scha-
den ſtiften kann
.


Für den Zauber hat das Evangelium keine Beweisſtel-
len, wie für die Beſitzung; nur die Apoſtelgeſchichte ſpricht
von dem Zauberer Simon, welcher das ſamaritiſche Volk
verzaubert habe und in großem Anſehen ſtand. Allein, das
Evangelium konnte auch in dem Sinne, wie jetzt der Zau-
ber angenommen iſt, nicht von demſelben handeln. Wie
Paulus dem Tiſch und dem Kelch des Herrn den Tiſch und
den Kelch der Teufel entgegenſetzt, ſo wird auch der Bund
mit Chriſto dem Bund mit dem Satan entgegengeſetzt. Nach
allen Beſchreibungen beſteht dieſer Bund in der feyerlichen
Abſagung des Taufbundes, in der Abſchwörung der Sa-
cramente, in der Verfluchung der h. Dreyfaltigkeit und in
einer Menge Ceremonien, die alle dem Satan geweiht ſind.


Und nun fragt ſich: kann die menſchliche Natur ſich bis
zu dieſem Grad verſchlimmern, und können die beſondern
Wirkungen, welche man dem Zauber zuſchreibt, daraus
hervorgehen?


Auch zu Erklärung des Zaubers kann nur die Kraft der
Unnatur ausreichen, wie ſie aus ihrem Abgrunde herauf-
ragt in die menſchliche Natur, und nun Wirkungen her-
vorbringt, welche die Geſetze unſerer Natur weit über-
ſchreiten.


Die menſchliche Natur iſt kein blos einſeitiges Verhält-
niß zwiſchen Endlichem und Unendlichem, Zeitlichem und
Ewigem, Irdiſchem und Himmliſchem, ſondern eine volle
Proportion, in welcher ſie zwiſchen zwey Extremen in der
Mitte erſcheint. Und ſo ſtellt auch das Evangelium
den Menſchen zwiſchen die Verſuchung des Sa-
tans und die Erleuchtung des Geiſtes Gottes
.
[165] Das poſitive Extrem beugt um in die Verklärung himmli-
ſcher Weſen, wo eine höhere Kraft den Menſchen beſeelt,
welche wohlthätig, heilend und im Segen wirkt, den Men-
ſchen zur Wohlfarth dient und Gott wohlgefällig iſt. Das
negative Extrem hingegen beugt um in die Scheuſale dä-
moniſcher Weſen, wo eine unnatürliche Kraft den Men-
ſchen beſeelt, welche verderblich, zerſtörend und im Fluche
wirkt, den Menſchen zum Schaden dient und von Gott
verdammt iſt. In der Mitte aber zwiſchen den Extremen
ſteht der Menſch frey, und dieſe Freyheit iſt die Gabe Got-
tes, welche den Menſchen zur Selbſtbeſtimmung befähigt
und ihn zum Schöpfer ſeiner Thaten und Werke macht.


Der Menſch kann ſich nun zum Fluch oder Segen wen-
den. Jenes iſt ſeine Schuld, dieſes ſein Verdienſt. So
lange er innerhalb der Gränzen ſtehen bleibt, in welchen
das Böſe zwar ſeine verſchiedenen Wurzeln treibt, aber
doch das religiöſe chriſtliche Princip nicht verläugnet wird,
ſo lange mögen zwar alle Richtungen des Böſen, vom Ele-
ment der Eigenliebe an durch Laſter und Verbrechen bis
zur abgefeimten Bosheit, ſich in ihm ausbilden, aber er
hat doch noch ſeinen Stützpunkt am chriſtlichen Prinzip nicht
verloren, und kann ſich an ihm wieder aufrichten.


Geht der Menſch aber in das negative Extrem ſelbſt
über, wo die Natur umbeugt in die Unnatur, dann wird
er ein Eigenthum des Satans. Er übergibt ſich ihm in
einem förmlichen Bunde, ſchwört das chriſtliche Princip
förmlich ab, und ſein ganzes Leben wird Scheuſal und
Fluch. Aber dann wirken auch die Kräfte der Unnatur in
ihm und durch ihn auf eine Weiſe, welche dem naturge-
mäßen Wirken nicht mehr analog iſt.


Dieß iſt dann die Magie der dem Zauber er-
gebenen Perſonen, welche aus eigener Luſt ſich
zu Werkzeugen des Satans gebrauchen laſſen
.


Es ſcheint überhaupt, daß der Satan, ein ſo gewalti-
ger Feind der Menſchen er auch iſt, dennoch keine Macht
[166] hat, durch ſich ſelbſt den Menſchen zu ſchaden. Daher
nennt das Evangelium den Satan gewöhnlich nur den Ver-
ſucher und Verführer, nicht den Thäter und Verbrecher
ſelbſt. Er bedarf nothwendig eines menſchlichen Wil-
lens
, um Uebels in der Welt zu ſtiften; er bedarf eines
Organs, wodurch ſeine atomiſtiſche Kraft mit der menſch-
lichen Natur vermittelt wird. Viele Menſchen dienen ihm
zwar unwillkührlich und unbewußt dadurch, daß
er ihre Leidenſchaften aufreizt und ſie nach und nach an
den Rand des Abgrunds führt, aber dabey bleibt ſeine
Herrſchaft immer noch ungewiß, weil ein einziger Wurf
des Schickſals ihm dieſe Menſchen wieder entreißen und
vom Verderben retten kann, was unzählige Male in der
Welt geſchieht.


Bekommt er aber Menſchen in ſeine Gewalt, die aus
eigenem Antrieb und aus innerer Luſt
die Werke
der Finſterniß lieben und ſuchen, wie Judas Iſcha-
rioth
, die ſich an ihn verkaufen, einen freywilligen Bund
mit ihm eingehen und ihm ihren Willen unbedingt zum Ge-
horſam leihen, dann erſt iſt ſeine Herrſchaft geſichert, und
dann erſt vermögen die Kräfte der Unnatur in die Welt
hereinzuwirken. Aber wehe dieſen Menſchen! Man kann
von ihnen ſagen, was Chriſtus vom Iſcharioth ſagt:
„Es wäre ihnen beſſer, ſie wären nie geboren.“


Aus dieſen Sätzen ergibt ſich, daß der böſe Wille
des Menſchen ſich mit der magiſchen Kraft des
Satans verbinden müſſe, wenn es zu Werken
der Verzauberung kommen ſoll
.


Was nun die Erſcheinungen des Zaubers betrifft, die
ſich in den Volksſagen, mit vielem Unſinn vermiſcht, ſeit
vielen Jahrhunderten fortpflanzen, und die ich hier nicht
ſpeciell berühre, ſo läßt ſich ein großer Theil davon auf
die Macht reduziren, „ſich überall hin verſetzen zu
können, entweder auf unſichtbare Weiſe oder un-
ter den dem Menſchen ungewöhnlichen Formen
.“
[167] Die vielerley Hypotheſen, welche die Schriftſteller theils
aus den Protokollen und Geſtändniſſen, theils aus den Rechts-
conſilien hierüber geſchöpft haben, laſſe ich hier gleichfalls
zur Seite liegen, und berühre blos die Frage über die
Möglichkeit einer ſolchen Verſetzung
.


Aus den Sätzen über die Unnatur geht hervor, daß es
über der negativen Gränze der menſchlichen Ordnung We-
ſen geben könne oder müſſe, welche keine aus Fleiſch und
Blut organiſirte Leiber, ſondern nur Scheinkörper haben,
die ſie vermittelſt der individualiſirenden Lebenskraft aus
Atomen beliebig zuſammenſetzen und wieder auflöſen kön-
nen. Dieſe atomiſtiſchen Körper ſind von uns ſinnlich nicht
wahrnehmbar, obgleich ſie der Lebenskraft als Organe zu
Bewegung und Handlung eben ſo gut dienen, als die or-
ganiſirten Körper. Dieſe Weſen ſind die Dämonen.


Die Erſcheinungen des Somnambulismus belehren uns
zur Genüge, daß Seele und Geiſt abwechſelnd ſich außer
dem Leibe verſetzen und nicht nur in die Ferne ſehen, ſon-
dern auch in die Ferne wirken und ſich mittheilen können.
Bey der Seherin von Prevorſt kam dieſes öfters vor, und
merkwürdig iſt ihre Unterſcheidung hiebey, daß das Heraus-
treten des Geiſtes, wie bey dem Anklopfen bey Dr.Ker-
ner
, durch den feſten Willen im tiefen magnetiſchen Zu-
ſtande, das Heraustreten der Seele aber, wie bey dem
Tode ihres Vaters, aus Kummer und Sehnſucht geſche-
hen ſey.


Die Erklärung dieſer Erſcheinung beruht auf den Eigen-
ſchaften des Nervengeiſtes, welcher, als Verbindungsglied
zwiſchen Seele und Körper, das wirkſame Agens aller Be-
wegung iſt. Verſetzt ſich nun der Geiſt oder die Seele au-
ßer dem Leib, ſo geſchieht es immer nur in Begleitung des
Nervengeiſtes, der als plaſtiſches Princip, dem Willen un-
terthan, ſich auf mannigfache Weiſe wahrnehmbar machen
kann. Nach dem Tode bleibt, nach der Seherin, der Ner-
vengeiſt als ätheriſche Hülle mit der Seele vereint, und
[168] vollführt, inſofern die Seele zum niedern Geiſterreich ge-
hört, noch manche den Sinnen vernehmliche Bewegung.


Das Heraustreten von Seele und Geiſt ſetzt aber immer
einen Zuſtand voraus, in welchem das Band beyder mit
dem Leib viel loſer geworden iſt, als im natürlich wachen-
den Leben.


Dieſer Zuſtand iſt auf doppelte Weiſe möglich. Die menſch-
liche Natur wird in Beziehung des organiſchen Leibes an
ihren beyden Gränzen oder Extremen in gleiche Wirkungen
verſetzt. An der poſitiven Gränze, wo ſie in die Verklä-
rung übergeht, wie es im magnetiſchen Leben der Fall iſt,
löſen ſich Seele und Geiſt weit leichter vom Leib, als im
natürlich-wachenden Zuſtand. Dieß iſt aber auch der gleiche
Fall an der negativen Gränze, wo Seele und Geiſt in
das Scheuſal der Unnatur übergehen. Die feſteſte Verei-
nigung des Leibes mit Seele und Geiſt iſt nur da, wo die
Glieder jener Proportionen, nämlich der phyſiſchen, orga-
niſchen und moraliſchen Ordnung, mit einander harmoniſch
vereinigt ſind, d. h. wo ſie am weiteſten von den Extre-
men abſtehen.


Alles dieß erwogen, liegt die Annahme nicht ferne, daß
der Teufel ſolche Menſchen, die ſich ihm mit Seele und
Leib ergeben, in ſolche Zuſtände verſetzen könne, daß ſie
nicht nur unabhängig vom Körper wirken, ſon-
dern auch, da er durch ſeine atomiſtiſche Kraft
ihrem Willen irgend einen Scheinkörper anbil-
den kann, unter verſchiedenen und ungewöhn-
lichen Formen, die jedoch nur Blendwerke ſind,
erſcheinen können
.


Die Exiſtenz des Zaubers wurde bisher nur als eine hy-
pothetiſche Möglichkeit angenommen, unerachtet wir eine
ſolche Maſſe beglaubigter Thatſachen vor uns liegen ha-
ben, daß es ſchwer wird, an ſeiner factiſchen Wirklichkeit
zu zweifeln. Uebrigens mag ſich über ſolche Dinge jeder
nach Belieben ſeine Ueberzeugung bilden. Die unſrige hat
[169] ſich nicht nur aus Thatſachen, ſondern auch aus theoreti-
ſchen Gründen gebildet. Wir geben ſie auf der Stelle auf,
ſobald man uns beweist, daß beydes falſch und irrig iſt.
Aber wir geben ſie nicht auf, wenn blos das fade ratio-
naliſtiſche Geſchwätz oder die vornehme Ignoranz, die ſich
Aufklärung nennt, ſich einer Autorität in dieſer Sache an-
maßen und über die Thatſachen erheben will.


Beleuchtung der Einwuͤrfe gegen Beſitzung
und Zauber
.


Ueber die theoretiſchen Sätze von Beſitzung und Zauber
werden alle diejenigen lächeln, die ſich weiſe dünken, d. h.
ſolche, die ſich in den Vernunft- und Naturzuſammenhang
ſo hineingelebt haben, daß ſie ſchon über die Möglichkeit,
daß es anders ſeyn könne, einen Schauder bekommen. Sie
haben an ihrer Wiſſenſchaft eine Art Streichmaas, womit
ſie alles das, was über den Scheffel geht, welchen ihr
Geiſt zu tragen im Stande iſt, wegſtreichen. Sie verſte-
hen mit Hegel die große Kunſt, wie der Geiſt das Ge-
ſchehene ungeſchehen, oder das ſo Geſchehene anders machen
könne. Sie ſind es, welche vor dem Gedanken einer Un-
natur erſchrecken, dafür aber den Menſchen immer auf ſanf-
ten Fittichen in den Himmel hinüberwiegen und ihn ganz
wohlfeilen Kaufs in die Seligkeit einführen. Das große
Gegengewicht, das der Fürſt der Welt und der Finſterniß
an der Wage unſerer Schickſale hat, ahnen und erkennen
ſie nicht, und brauchen ſomit auch keine Waffen dagegen.
Den Himmel hätten ſie wohl gerne, aber ohne die Mühe
des Kampfes, der Hölle zu entgehen. Das Eine iſt jedoch
nur durchs andere möglich. Das Licht des Himmels tritt
nur am Schatten der Hölle ganz hervor, und das Evan-
gelium, welches die höchſte Proportion des Geiſtes in ſich
[170] faßt, zeigt uns die Hölle als das negative Extrem derſel-
ben. Dieſe große Proportion hat die Philoſophie noch nicht
ſtudirt, und ſtümpert blos an den Verhältniſſen des Lebens
herum. Hegel überhebt ſich dieſer Mühen auf eine ge-
ſchickte Weiſe. Er verlegt den Himmel des Jenſeits in das
Dieſſeits, und dadurch entſchlägt er ſich auch der Hölle
mit einem Federzug. Denn wer keinen Himmel hat, braucht
auch keine Hölle. Conſequent iſt ein ſolcher Gedanke, aber
kaum des Nachdenkens werth.


Die Einwürfe, welche gewöhnlich gegen Beſitzung und
Zauber ſich erheben, ſind verſchieden nach den Geſichtspunk-
ten, von welchen Jeder ausgeht. Sie lauten:


Von Seiten des Juriſten: „Die gerichtlich erhobenen
Thatſachen ſind unſicher, theils wegen der Präſumtionen
der Richter, die meiſtens aus den Inquiſitionsgerichten ge-
nommen waren, theils wegen der durch Gewaltmittel er-
preßten Geſtändniſſe.“


Von Seiten des Pathologen: „Die Zufälle der Be-
ſitzung gehören größtentheils zu den Nervenanomalieen.“


Von Seiten des Pſychologen: „Die Erſcheinungen
von Beſitzung und Zauber ſind bald Simulation, bald fixe
Idee.“


Von Seiten des Philoſophen: „Die Erſcheinungen
widerſtreiten dem Vernunft- und Naturzuſammenhang.“


Von Seiten des Theologen: „Die Zulaſſung einer
dämoniſchen Gewalt bey unſchuldigen Menſchen verträgt
ſich nicht mit der Güte und Gerechtigkeit Gottes.“


Unſicheres richterliches Verfahren.


Die Juriſten haben ihren Thomaſius, welcher in ſeiner
Inaugural-Diſſertation „de Crimine Magiæ“ ſich zuerſt
an die Spitze derjenigen Partey ſtellte, welche das Zau-
berwerk für null und nichtig erklärte, obgleich ſeine Haupt-
[171] gründe, daß deswegen kein Bund exiſtire, weil
der Satan keinen Leib annehmen könne, ein Be-
trüger ſey, und daß kein Nutzen dabey heraus-
komme
, von wenig Bedeutung ſind.


Von Bedeutung dagegen ſind zu damaliger Zeit die Prä-
ſumtionen der Richter, welche auf das richterliche Verfah-
ren in Dingen, wo ſo ſelten ein vollſtändiger juridiſcher
Beweis zu erzielen iſt, ſchädlich einwirken mußten. Die
Natur des Verbrechens iſt von der Art, daß der Thäter
nie auf der That ertappt, von Zeugen überführt und durch
die gewöhnlichen Criterien ausgemittelt werden kann. Ver-
dachtsgründe aber geben blos eine moraliſche Ueberzeugung,
aber keinen juridiſchen Beweis. Und ſo ſcheint in dem
frühern Verfahren an die Stelle des juridiſchen Beweiſes
immer die moraliſche Ueberzeugung getreten zu ſeyn, was
den factiſchen Beſtand des Verbrechens höchſt ungewiß macht.


Bedeutender noch in ihrer Nullität ſind die durch Tortu-
ren erpreßten Geſtändniſſe. Denn da ſelbſt die freyen
Geſtändniſſe eines Verbrechens nur dann den juridiſchen
Glauben verdienen, wenn die That durch andere Umſtände
ihre factiſche Richtigkeit gewinnt, ſo können erpreßte
Geſtändniſſe um ſo weniger genügen.


Am bedeutendſten aber iſt der Einwurf, daß die freyen
Geſtändniſſe von einem Wahn herrühren können, als hät-
ten dieſe Perſonen das wirklich an ihrem Kör-
per erlebt, durch ihren Willen beſchloſſen und
durch ihre Hände ausgeführt, was blos ein ihrer
Phantaſie vorgeſpiegeltes ſataniſches Blend-
werk ſey
. (Dieſer Einwurf wird noch ſpäter berückſichtigt.)


Soll das richterliche Verfahren in Dingen der Zauberey
ſich über alle Einwürfe erheben, ſo muß es folgende Ei-
genſchaften haben:


1) Der Beſtand der Thatſachen muß durch eine förm-
liche Unterſuchung erhoben und in ein Protokoll verfaßt
werden.


[172]

2) Sind es mehrere ſchuldige Perſonen, ſo müſſen ihre
abgeſonderten Verhöre zu Geſtändniſſen führen, welche in
den Thatſachen völlig übereinſtimmen.


3) Die Depoſitionen der Zeugen müſſen die angegebenen
Verbrechen beſtätigen, wodurch der Verdacht, daß die Ver-
brechen bloſe vorgeſpiegelte Blendwerke ſeyen, am beſten
gehoben wird.


4) Der Richter muß nicht nur ſich aller Gewalmittel
und Ueberredungskünſte enthalten, ſondern auch durch Schär-
fung des Gewiſſens und religiöſe Ermahnungen die Schul-
digen zu freyen Geſtändniſſen mit unermüdeter Geduld zu
bewegen ſuchen.


5) Einen geſchärften Grad von Wahrheit erhalten die
freyen Geſtändniſſe, wenn ſie von Reue und Leid über die
begangenen Miſſethaten und von der Aeußerung, daß ſie
jede Strafe wohl verdienen, begleitet ſind.


6) Die Acten müſſen in Conſilien erwogen und durch ein
förmliches Rechtsurtheil nach dem Beſtand der Geſetze be-
ſchloſſen werden.


Sind nun vollends die Angaben über die Natur des
Verbrechens mit den Protokollen der vorhergehenden Jahr-
hunderte und bey den verſchiedenſten Völkern gänzlich con-
form, ſo werden wir über die factiſche Wahrheit nicht mehr
im Ungewiſſen ſeyn.


Gerade von dieſer Qualität ſind die Protokolle und ju-
ridiſchen Facultäts-Conſilien, welche der Zufall in unſere
Hände geſpielt hat und aus welchen ſich auch die theore-
tiſchen Momente über den Zauber gebildet haben. In ih-
nen ſind alle Erforderniſſe erfüllt, alle obige Einwürfe ge-
hoben, und alles, was dem frühern richterlichen Verfah-
ren aus den Zeiten der Inquiſition zur Laſt fällt, iſt weg-
geräumt. Dennoch wollen wir das Siegel nicht löſen,
womit unſer aufgeklärtes Jahrhundert dieſe Geheimniſſe ver-
ſiegelt hat, ſondern die Sache blos als eine philoſophiſche
Aufgabe würdigen.


[173]

Aus Allem aber erhellt, daß ein förmlicher Contrakt mit
dem Meiſter der Unnatur keine bloſe Fiction der Dichter
iſt, und daß die Fauſtianer dieſes Reich bey weitem noch
nicht in jenen tiefern Beziehungen erfaßt haben, in wel-
chen die ſataniſche Ironie und Proſtitution mit der Men-
ſchennatur liegt.


Statt daß jetzt die Juriſten einen ſolchen Contrakt als
einen verpönten Rechtshandel von ſich weiſen, kann man ſich
vielmehr darüber wundern, daß ſich noch keine Rabbuliſten
aufgeworfen haben, welche dem Satan ſein Recht, das
er durch einen förmlichen Contrakt auf Leib und
Seele ſeiner Clienten ſich erworben
, als jus quæ-
situm
vor den ordentlichen Gerichten vindiciren. Denn da
er doch Persona publica iſt und als Fürſt der Welt, wie
wir aus der Verſuchungsgeſchichte wiſſen, Reiche und Herr-
lichkeiten zu verſchenken hat, ſo iſt es doch auffallend, daß
ihm noch kein privilegirter Gerichtsſtand eingeräumt iſt, vor
welchem ſeine Anwälte plaidiren. So viel iſt gewiß, daß
er vor einem abſoluten Forum die meiſten Prozeſſe gewin-
nen würde. Da ihm aber das öffentliche Libelliren noch
nicht geſtattet iſt, ſo muß er ſich freilich auf die Politik
beſchränken, durch Suggeſtionen die Zaubereyen für Fabeln
zu erklären und ihre Prozeſſe ſogleich zu aboliren.


Gibt es aber wirklich einen Contrakt der Art, ſo iſt ein
anderer Umſtand der größten Aufmerkſamkeit des Richters
werth, nämlich daß die gewöhnlich ſchon in früher Jugend
verführten, verblendeten und betrogenen Menſchen, die als
verlorene Seelen zu betrachten ſind, noch zu rechter Zeit
zu Erkenntniß ihrer Sünden und zur Reue und Bekehrung
gelangen, um ihrer ewigen Beſtimmung genügen zu kön-
nen. Und dazu iſt nur, wie wir aus unſern Protokollen
erſehen, ein nach den obigen Qualitäten eingerichtetes rich-
terliches Verfahren geeignet.


[174]

Nerven-Anomalieen.


Der Patholog hat auch eine Rubrik „Insgemein,“ in
die er ſolche Erſcheinungen einſchiebt, die ſich unter keine
feſte Grundſätze bringen laſſen, welche ſich aber doch brau-
chen läßt, um das Unverſtandene wenigſtens durch das
Wort verſtändlich zu machen, nicht aber der Sache nach
zu erklären. Was im Innern des Organismus vorgehen
muß, bis es zu einer Epilepſie, Catalepſie, St. Veitstanz,
toniſchen und kloniſchen Krämpfen, und zu dem großen
Heer der hyſteriſchen und hypochondriſchen Zufälle kommen
kann, weiß die Pathologie nicht. Die Nerven im Zuſam-
menhang mit den Gefühlen gebähren die Krankheiten des
Gemeingefühls; die Nerven im Zuſammenhang mit der Ein-
bildungskraft gebähren die Viſionen, Phantasmen, Ge-
ſpenſter und Schreckgeſtalten, welche der Seele ein objecti-
ves Daſeyn vorſpiegeln, aber keines haben. Obgleich dieß
nur in den Träumen der Fall iſt, ſo kann doch ein ſolcher
Zuſtand auch in das wachende Leben fallen und in ihm
eine Reihe gleichförmig wiederkehrender Erſcheinungen kör-
perlich und geiſtig hervorbringen, welche, da uns die ge-
heimen Kräfte und Geſetze verborgen ſind, uns außerna-
türlich ſcheinen und uns das Bild eines Beſeſſenen auf-
dringen. Iſt die Einbildungskraft ſo lebhaft, daß ſie die
Vorſtellung ganz verdrängt, ſo kann ſie den Zuſammenhang
der wahren Perſönlichkeit mit der Außenwelt gänzlich auf-
heben, und alsdann tritt die Viſion als falſche Perſönlich-
keit ganz in das Bewußtſeyn und ſpielt daſelbſt kürzere
oder längere Zeit ſo gut ihre Rolle, als wäre ſie die wahre
Perſönlichkeit. Dem Umſtehenden kommt es dann ſo vor,
als wäre ein Dämon in die Perſon gefahren, während
blos eine Viſion Perſönlichkeit annahm. Dieß iſt der Er-
klärungsgrund von den Scenen und Erſcheinungen bey dem
Mädchen von Orlach und der Frau U .. n von J .. m.
Ihre Dämonen waren nichts anders, als perſönlich gewor-
dene Viſionen. Spielt ja der Irre die Rolle eines Königs
[175] oder Kaiſers oder gar unſers Herrn Gottes mit großer Con-
ſequenz und bey anſcheinender Geſundheit durch, warum
ſollte das Gleiche nicht in periodiſchen Uebergängen mög-
lich ſeyn?


Eben ſo iſt es der Erklärungsgrund der Geſtändniſſe jener
Perſonen, die ſich für Zauberinnen halten. Sie glauben
das wirklich erlebt und gethan zu haben, was blos eine
in ihnen perſönlich gewordene Viſion war, die ihre ganze
Seele einnahm.


Dieß wird ungefähr auf dieſem Standpunkt der ſtärkſte
und umfaſſendſte Einwurf ſeyn, den wir zu beantworten
haben.


Wir geben zu, daß eine Viſion eine ſolche Intenſität er-
reichen könne, daß ſie nicht nur das Ich aus ſeiner Stelle
verdrängt, ſondern auch das ganze Nervenſyſtem in Be-
wegung ſetzt, und zwar in ſolche, welche mit der Viſion
übereinſtimmt. Aber dieſe Viſion muß dann doch auf ei-
genem Boden gewachſen ſeyn und darf der Gemüthsart
und dem moraliſchen Charakter nicht widerſprechen. Wenn
wir nun bey gutartigen, nie überſpannten, vielmehr ſehr
einfachen und chriſtlichen Perſonen auf einmal Hohn und
Spott gegen die Menſchen, und die ärgſten Läſterungen
gegen Gott, Chriſtum und die Religion ausſtoßen ſehen,
ſie mit einer rauhen Baßſtimme reden hören, wenn ſich vor
Augenzeugen Dinge ereignen, die nur von fremder, unbe-
kannter Hand kommen konnten, wenn vorher verkündete
Thatſachen eintreffen und die Geſchichte ſich in ſolche Sce-
nen verwickelt, welche die Erfindungsgabe und die Diction
dieſer Perſonen weit überſteigen, ſo werden wir wohl ge-
noͤthigt ſeyn, einen andern Erklärungsgrund aufzuſuchen.
Dieß war nun wirklich bey dem Mädchen von Orlach
der Fall.


Was hingegen die Frau U .. n von J .. m und die mei-
ſten übrigen Geſchichten betrifft, ſo war von keiner Viſion
die Rede. Der natürliche Zuſtand wechſelte mit dem un-
[176] natürlichen ohne irgend eine Viſion oder Phantasma. Der
unnatürliche trat gewöhnlich ſogleich ein, wenn man fromme
Worte an die Perſon richtete, und hörte auf den Ruf des
Schutzgeiſtes plötzlich auf, während ſonſt kein Mittel vor-
handen war, ihn zu vertreiben. Die Frau gab nicht nur
mit Namen und Perſonalien einen Verſtorbenen an, den
ſie erwieſener Maßen nie kannte, ſondern ſeine Geſichts-
züge, wie er ſie im Leben hatte, drückten ſich zugleich in ih-
rem Geſichte ab. Dieß geht weit über eine Viſion.


Auch läßt es ſich nicht mit einer Viſion reimen, daß der
Zuſtand, welcher nach den frühern Exorcismen immer wie-
derkehrte, nur auf einen ſolchen ausblieb, der das Weib
auch für die Zukunft verwahrte. Uebrigens muß man den
Verlauf der Sache ſelbſt geſehen haben, um dem nichtigen
Wort einer Nervenanomalie mit Viſion den Ab-
ſchied zu geben.


Aber eben ſo wenig reicht jene Hypotheſe zu, die zum
Kreiſe der Zauberey gehörigen Erſcheinungen zu erklären.
Wären es bloſe Geſtändniſſe von geſehenen und gehörten
Scenen, ſo möchte es noch gehen; aber da, wo die Aus-
ſage mit einer in der Wirklichkeit ſubſtantiell gewordenen
Handlung übereinſtimmt, hört Viſion und Phantasma auf.


Simulation.


Daß beſonders Frauenzimmer ſich leicht in eine andere
Rolle einſtudiren, eine fremde Individualität abſichtlich an-
nehmen, in allen Actionen und Reden nachahmen und mit
großer Conſequenz durchführen können, iſt kein Zweifel,
aber es müſſen unreine Triebfedern zum Grunde liegen.
Wo Geld, Ehre, Aufſehen oder irgend ein Vortheil zu ge-
winnen iſt, da dürfen wir wohl auf Verſtellung rathen.
Wo aber dieß Alles fehlt, vielmehr nichts als Koſten,
Sorgen, Jammer und üble Nachreden einzuernten ſind, da
[177] werden wir uns hüten, an Simulation zu denken. Dieß
war auch bey den beyden erſten erwähnten Perſonen ſo
ſehr der Fall, daß wohl Niemand, der ſie kannte, den
Gedanken an Verſtellung haben konnte. Die guten Prä-
dicate, das ganze Benehmen, die bittern Klagen über ihr
Schickſal, Gebet und Faſten, wie bey der U .. n, die ſehn-
lichſten Bitten um Hülfe, das ſtrengſte Erfüllen aller Ge-
bote ſind lauter ſprechende Beweiſe dagegen.


Simulation kann nur bey Beſeſſenen angenommen wer-
den; denn daß ſich eine ehrbare Frau zur Zauberin verſtel-
len wird, wird wohl kein Menſch im Ernſte behaupten.


Fixe Idee.


Könnte nicht die Macht der fixen Idee, die Rolle
einer Beſeſſenen oder Zauberin zu ſpielen
, eine
Perſon von Jugend an ſo ſehr beherrſchen, daß dieſe
Idee ſie zu allen den Viſionen, zu den Selbſtanklagen ver-
übter Verbrechen, zu den Verführungen Anderer, zu den
Gottesläſterungen und zum Reiigionshaß, ja endlich bis
zum Scheiterhaufen führen könnte, während dieſe Perſonen
ſonſt ſich ſehr klug benehmen und jedes Geſchäft verrichten?


Dagegen ſprechen überwiegende Gründe:


1) Eine ſolche fixe Idee wäre ſo alt, als die erſte Urkunde
des Menſchengeſchlechts. Denn ſchon in der Moſaiſchen
Geſetzgebung ſteht Exod. C. 22, V. 18. „Die Zauberinnen
ſollt ihr nicht leben laſſen.“ In den ältern Schriften fin-
den wir alle die magiſchen Künſte in ein förmliches Sy-
ſtem gebracht und alle die Sammlungen zeigen uns, daß
dieſes geheime Uebel von den älteſten Zeiten in einer ſteten
Reihenfolge bis auf unſere Zeiten ſich geſchichtlich nachwei-
ſen läßt. Dieſe fixe Idee muß demnach nicht blos ein pe-
riodiſches Uebel, wie etwa die Cholera, ſondern ein ſtatio-
Kerner, über Beſeſſenſenn. 12
[178] näres des menſchlichen Herzens ſeyn, was ihrer Natur wi-
derſpricht, da ſie nie einen allgemeinen Charakter annimmt.


2) Dieſe Perſonen läugnen, wie aus den Protokollen er-
hellt, anfangs ſehr hartnäckig, geſtehen, widerrufen und
geſtehen wieder. Dieß iſt gegen die Natur einer fixen Idee,
die eben, weil ſie fix iſt, ſich getreu bleibt.


3) Die Angaben harmoniren mit den Thatſachen, und
dieß unter Umſtänden, wo das verübte Uebel einer blos
natürlichen Urſache und nicht dem Zauber zugeſchrieben wird.
Dieß verträgt ſich nicht mit der Beſchaffenheit einer fixen
Idee.


4) Wenn in der Jugend verführte Kinder unbefangen
erzählen, was ſie ſahen und erfuhren, und Dinge beſchrei-
ben, welche weit über ihren Horizont gehen, und nicht aus
ihnen ſelbſt als Fictionen, Viſionen und Phantasmen her-
vorgehen konnten, wenn dieſe Beſchreibung mit allen an-
dern Geſchichten genau übereinſtimmt, ſo muß wohl dieſer
Uebereinſtimmung ein faktiſcher Beſtand zum Grunde lie-
gen, was die Annahme einer fixen Idee gänzlich zurückweist.


5) Da der Charakter der fixen Idee darin beſteht, daß
ihr Inhalt nicht mit der Wirklichkeit und mit dem feſten
Anſchauungsgeſetz von Raum und Zeit übereinſtimmt, alſo
unwahr iſt, ſo kann die ſtrenge Conſequenz der Verbrechen,
die im Namen des Teufels verübt werden, eben ſo wenig
eine fixe Idee ſeyn, als es die Conſequenz frommer Hand-
lungen im Namen Gottes iſt. Wollte man es ſo weit treiben,
ſo würde man zuletzt Mühe haben, die fixe Idee von der
geſunden Vernunft zu unterſcheiden, und der Menſch würde
ſich ſelbſt zu einer Ironie machen. Daß bey Verbrechen
die fixe Idee einen Cauſal-Zuſammenhang mit der Wirk-
lichkeit habe, hat wohl noch kein Menſch behauptet.


6) Am meiſten aber widerſpricht der Annahme einer fixen
Idee, daß die Depoſitionen der Zeugen mit den in beyden
Protokollen eingeſtandenen Vergehen genau übereinſtimmten.
Denn wir müßten im andern Falle annehmen, daß die fixe
[179] Idee ihre unbegreifliche Anſteckungskraft auf alle die vor
Gericht geladenen Zeugen ausgebreitet hätte, — eine Mei-
nung, die gefährlicher wäre, als das Hexenwerk ſelbſt.
Für das Verbrechen ſelbſt müßte übrigens das richterliche
Urtheil ſehr gelind ausfallen. Die Perſon ginge frei aus,
und nur die fixe Idee müßte auf dem Scheiterhaufen ver-
brannt werden.


Vernunft- und Natur-Zuſammenhang.


Die Rationaliſten meinen, wenn ſie den großen Geſetzes-
plan von Vernunft und Natur in eine Wagſchale legen,
und alle Thatſachen der Hexenprotokolle in die andere, ſo
müſſe das ſchwere Dogma zuverläſſig das leichte Hexen-
werk wegſchnellen. Aber ſo iſt es nicht, die Thatſache
wiegt weit ſchwerer, als alle Dogmen zuſammengenommen.
Es iſt ein Wahn, wenn man glaubt, man dürfe die That-
ſache entweder läugnen oder wenigſtens ſo beſchneiden, daß
das Dogma ihm anpaßt. Vielmehr ſteht die Macht des
Geſchehens über allem Raiſonnement, und die Theorie muß
ſich ſo lange ſtrecken, bis ſie die Thatſache erreicht.


Was von dieſer Sache zu halten iſt, habe ich in frü-
hern Sätzen deutlich auseinander gelegt, und es wäre Ueber-
fluß, die gleiche Anſicht hier wieder vorzubringen. Ich be-
merke hier nur den Hauptpunkt, um den ſich das Ganze
dreht.


Der Vernunft- und Natur-Zuſammenhang gilt nur für
die Ordnungen, in welche der Menſch geſtellt iſt, nämlich
die phyſiſche, organiſche und intelligible Ordnung. In je-
der dieſer Ordnungen iſt eine Proportion von Potenzen,
welche in ihren Gliedern zwar einen mannigfaltigen Wech-
ſel geſtattet, aber ſie doch gebunden hält. In der phyſiſchen
Ordnung bilden dieſe Proportion: Schwere, Wärme und
Licht; in der organiſchen: Reproduction, Irritabilität und
[180] Senſibilität, und in der intelligibeln: Denken, Fühlen und
Wollen. Dieſe drey Reihen von Potenzen konſtituiren die
innere und äußere Natur des Menſchen und ſtehen unter
beſtimmten ſowohl logiſchen Vernunft- als phyſiſchen Na-
turgeſetzen, die durch alle Ordnungen einen Zuſammenhang
bilden. Aber eben in dieſem Zuſammenhang binden die
Glieder jeder Proportion und die Potenzen der Ordnungen
einander, und daher kann keines ſich ſeiner Natur nach frey
äußern. So verhält es ſich in dem Mittelglied der menſch-
lichen Natur, in welchem ſich alle Kräfte indifferenziiren.
Aber anders verhält es ſich in den Extremen. Die Kräfte
iſoliren ſich, ihre Bindung hört auf, und jede kann ſich
nun frey ihrer Beſchaffenheit nach äußern, und dadurch
müſſen ganz andere Wirkungen zum Vorſchein kommen, als
innerhalb des Zuſammenhangs. Dieſe beyden [Extreme] ſind
die Unnatur und Uebernatur. In der erſteren wirkt die Schwere
in ihrer atomiſtiſchen, Alles durchdringenden Kraft, ſie iſt
an keine Leiblichkeit gebunden, und das Lebensprincip, das
ſich in ihm individualiſirt, bildet lauter Scheinkörper, die
ſich blos wie Luftgeſtalten figuriren, aber, wie die mag-
netiſche Kraft, ſich gewöhnlich den Sinnen entziehen. Steht
dieſe atomiſtiſche Kraft einem Willen zu Gebote, der durch
irgend eine Vermittlung in die Natur hereinwirken kann,
ſo entſtehen Wirkungen, welche den Naturzuſammenhang
aufheben, und dieß iſt nun das, was wir magiſche
Kraft
nennen.


Der Satan iſt der Meiſter der Unnatur. Ihm gehört
das Reich der iſolirten Schwere oder, was das Nämliche
iſt, der Finſterniß. Er gebietet über jene atomiſtiſche Kraft,
und vermittelſt des Lebensprincips vermag er ſich in allen
Scheinkörpern zu individualiſiren. Steht ihm nun ein frem-
der Wille zu Gebote, mit dem er ſeine Macht vereinigen
kann, ſo wirkt er durch dieſen in die Natur herein, und
ſo entſteht der Zauber.


Umgekehrt verhält es ſich in der Uebernatur. In ihr
[181] iſolirt ſich die Lichtkraft und wirkt in ihrer Freiheit. Sie
iſt auch an keine Leiblichkeit gebunden, aber das Lebens-
princip individualiſirt ſich in ihm zu lauter Idealen, wie
in der Unnatur zu lauter Scheuſalen. Dieſe beyden Kräfte
ſtehen auch einem Willen zu Gebote, und wo dieſe drey
zuſammentreffen, da iſt das Reich der Engel und Chriſtus
ihr Herrſcher. Auch von dieſem Reiche aus vermitteln ſich
die Kräfte mit der menſchlichen Natur, ſobald der Wille
des Menſchen im lebendigen Glauben ſich ihren Einflüſſen
öffnet. Dieſe Einflüſſe überwältigen zwar auch die Natur-
geſetze, aber ſie ſind immer wohlthätiger und ſegenvoller
Art, während dieſe der Unnatur immer zerſtörend und im
Fluche wirken.


Und nun glaube ich den Einwurf, daß Beſitzung und
Zauber nichtig ſeyen, weil ſie gegen den Vernunft- und
Natur-Zuſammenhang ſtreiten, in den Hauptpunkten wi-
derlegt zu haben.


Goͤttliche Zulaſſung.


Die Frage: Wie reimt ſich Beſitzung und Zauber mit
der göttlichen Güte und Gerechtigkeit? iſt allerdings unter
allen Einwürfen einer der wichtigſten, und wir ſind ganz
mit der Ehrfurcht einverſtanden, daß lieber alle die erwähn-
ten Thatſachen und ihre Protokolle zu nichte gemacht wer-
den, als daß jenen göttlichen Eigenſchaften Abbruch ge-
ſchehe. Aber zum Glück hat ſich bisher alles Böſe in
der Welt und alle Uebel und Gebrechen der Menſchheit
mit der göttlichen Zulaſſung, und unbeſchadet der Güte
und Gerechtigkeit, vereinigen laſſen, und ſo iſt es auch des
Verſuches werth, die Teufeleyen unter dieſen Geſichtspunkt
zu ſtellen.


Eine Stimme, die, wie man zu ſagen pflegt, ſchon vor
dem Streich ein Geſchrey erhebt, läßt ſich auf folgende
[182] Weiſe vernehmen: „Die neueſte Teufelslehre (nämlich dieſe,
welche Beſitzung und Zauber annimmt) greife die Gottheit
in ihrer Weſenheit an. Sie (die Gottheit) iſt allmächtig
und läßt ihre Herrſchaft dem Verworfenſten. Sie iſt die
unendliche Güte und gibt ihr Ebenbild in die Gewalt des
furchtbarſten Feindes. Sie iſt die heiligſte Gerechtigkeit
und treibt das willkührlichſte Spiel mit der Höllenqual.
Sie iſt die unendliche Liebe und läßt die gebrechlichen Men-
ſchen ganz aus ihrer Gnade fallen.“


Dieß ſind die Paradeſätze der Halbtheologen, welche
das, was die innere Bewegung evangeliſcher Wahrheiten
als Schaum auf die Oberfläche wirft, ablöſen und zur Er-
götzlichkeit dem Publikum in farbigen Blaſen wiedergeben.
Haben denn Chriſtus, die Apoſtel und die Kirche, welche
unverholen von der Macht des Satans und ſeinem Reiche
ſprechen und die Menſchen vor ſeinen Tücken beſtändig war-
nen, je an der Allmacht, Güte, Gerechtigkeit und Liebe
Gottes gezweifelt? Es muß alſo doch beydes nebeneinan-
der beſtehen und dazu laſſen ſich wohl auch Sätze finden.


Wie auch der Satan urſprünglich mag geſtellt geweſen
ſeyn, ſo erhellt doch ſo viel aus Allem, daß ihm eine große
Sphäre der Freiheit anvertraut war und daß er aus Mis-
brauch dieſer Freiheit von Gott entfernt und verbannt wurde.
Aber deswegen hört der Satan nicht auf, gleich den Men-
ſchen unter der Gerechtigkeit Gottes zu ſtehen und nach ſei-
nen Werken gerichtet zu werden. Nicht undeutlich erhellt
aus dem Evangelium, daß ſchon mancherley Gerichte über
ihn ergangen ſind. Unter dieſen Gerichten iſt auch das,
daß er mit ſeinen Engeln vom Himmel auf die Erde ge-
worfen wurde, und obgleich der Himmel dadurch voll Freude
über ſeinen Sturz iſt, ſo iſt dafür der Erde ein um ſo grö-
ßeres Wehe angekündigt. Er iſt, wie das Evangelium
ſagt, der Fürſt der Welt und der Finſterniß, und wie wir
uns die innere Beſchaffenheit eines ſolchen Weſens zu den-
ken haben, habe ich aus den Extremen der Unnatur zu ent-
[183] wickeln geſucht. Aber ſeine Freiheit iſt ihm deswegen noch
nicht genommen, weil eben mit der Gerechtigkeit, Güte
und Liebe Gottes die Freiheit nicht nur beſtehen kann, ſon-
dern beſtehen muß, bis zu jenem Grad von Verworfenheit,
wo die Strafe nothwendig den Verluſt der Freiheit nach
ſich zieht.


Der Satan iſt jetzt noch nicht in den Abgrund gebun-
den. Wer aber nicht gebunden iſt, hat ein freyes Wirken
und Thun. Iſt nun die Freyheit überhaupt das höchſte
Gut, was dem Geiſterreich verliehen iſt, ſo muß auch die
Wahl zwiſchen gut und böſe ungehindert beſtehen, damit
Jeder der freye Schöpfer ſeiner Werke werden kann. Dar-
aus ergibt ſich als unmittelbare Folge die göttliche Zulaſ-
ſung des Böſen beym Satan wie bey dem Menſchen.


Der Satan iſt nun wirklich der Fürſt der Welt und der
Finſterniß, aber ſeine Macht gehet hinein in die Ordnun-
gen, in welche der Menſch geſtellt iſt. Es braucht hier
keiner Erwähnung, daß die Allmacht Gottes ihn jeden Au-
genblick zernichten könnte, aber eben dieſes würde nicht mit
den göttlichen Eigenſchaften verträglich ſeyn, zufolge deren
jeder Geiſt nur nach ſeinen Werken gerichtet wird. So ge-
wiß die Gerechtigkeit dem weltlichen Richter nicht zuläßt,
einen Menſchen eines geringen Verbrechens wegen gleich
an Freiheit und Leben zu ſtrafen, ſo gewiß iſt das auch
bey der göttlichen Gerechtigkeit der Fall. Vielmehr ſehen
wir bey allen den verſchiedenen Gerichten, welche den Sa-
tan betroffen, zugleich auch das Recht mit der Gnade ge-
paart, indem jedes Gericht ihm zugleich als eine neue Friſt
der Buße und Bekehrung dienen konnte. Weſſen Schuld
iſt es dann, wenn dieſe Friſt nicht benützt wird?


Durch die erſte Verführung der Menſchen zog ſich der
Satan zwar den göttlichen Fluch zu, aber der Weg zum
menſchlichen Herzen war ihm nun für immer gebahnt. Aber
auch die Menſchheit ſoll nur nach ihren Werken gerichtet
werden, und darum wurde ihr Loos auch ihrer Freiheit an-
[184] heimgeſtellt. Sie konnte dieſe Freyheit zum Guten und zum
Gehorſam gegen Gott gebrauchen, und dazu hatte auch
Gott an Erweckungsmitteln es nicht fehlen laſſen. Sie
konnte aber auch die Freiheit zum Böſen und zum Abfall
von Gott misbrauchen, und dazu verleitete ſie der Satan.
So fiel nach und nach das Uebergewicht an der Wage der
Freiheit auf die Weltſucht und Selbſtſucht, und die ver-
derbliche Folge war der allgemeine Götzendienſt, die Skla-
verey des Satans. Aus dieſem Abgrunde konnte ſich die
Menſchheit nicht ſelbſt wieder herausziehen. Soll ſie daher
nicht verloren gehen, ſo muß Einer kommen, der ſie rettet
und wieder auf jene Stufe erhebt, auf welcher ſie wieder
ihrer Freyheit mächtig wird, um Seligkeit oder Verdamm-
niß aus ſich ſelbſt zu erwerben an der Hand der Lehre und
der Verheißungen.


Dieſer Retter iſt Chriſtus. Durch ihn iſt die In-
tegration der Menſchheit wieder eingeleitet worden, und
hiezu iſt der einzige poſitive und untrügliche Weg die Wahr-
heit des Evangeliums und der Glaube an den Namen des
Herrn. Die Macht des Satans iſt nun gebrochen ſo weit,
daß er dem Namen Jeſu und allen Glaubigen unterthan
gemacht iſt, und dieß iſt doch wohl genug für den, dem
ſein ewiges Heil angelegen iſt, aber im Uebrigen iſt er
noch der gleiche Menſchenfeind und der gleiche Vater der
Lügen und wird es auch bleiben, bis er in den Abgrund
verworfen wird.


So verhält es ſich mit der Zulaſſung Gottes neben den
Eigenſchaften der Gerechtigkeit und Gnade in Hinſicht des
Satans.


Noch hat der Satan ein freies Wirken in die Welt her-
ein aus ſeinem Reiche der Finſterniß, und dieß zeigt ſich
einerſeits in der Zaubermacht durch Vermittlung des böſen
Willens der Menſchen, die er ſchon hier durch einen förm-
lichen Bund zum Eigenthum macht, und andererſeits in
[185] der politiſchen Lehensherrſchaft über die Welt, worüber
aber Gott ſich das Gericht vorbehalten hat.


Der Hauptpunkt, um den es ſich dreht, iſt, daß der
Satan für ſich keine Macht hat, der Menſchheit zu ſcha-
den, ſondern nur durch den böſen Willen des Einen auf
den Andern. Er iſt nur der Verführer und Verſucher,
aber nicht der unmittelbare Thäter. Der böſe Wille der
Menſchen aber muß zugelaſſen ſeyn, wenn der Geiſt
frey ſeyn und nach ſeinen Werken gerichtet werden ſoll.
Die Fragen um die göttliche Zulaſſung ſtehen daher ein-
ander überall parallel. Fragt man, wie mag es Gott
dulden, daß unſchuldige Menſchen der Beſitzung und Zau-
bermacht unterworfen ſind? — ſo erwiedere ich: Warum
fragt ihr nicht, warum es Gott dulde, daß Hunderttau-
ſende einem politiſchen Wahn zu lieb geopfert werden?
Oder auch nur, warum er dulde, daß ein Menſch den
andern beraubt und mordet? Die Antwort iſt immer
die gleiche, weil, wenn die Freiheit das höchſte Gut iſt,
auch die Macht, Böſes zu thun, damit beſtehen muß. Es
bleiben freilich zuletzt Geheimniſſe zurück, die wir nicht er-
gründen können, weil ſie ihren Zuſammenhang mehr mit
der Heiligkeit Gottes als mit ſeiner Güte und Gerechtig-
keit haben. Um dieſen Zuſammenhang zu faſſen, dazu ge-
hört, daß wir den Geſchichtsplan nicht nur der Erde, ſon-
dern des Weltalls verſtehen müßten, was für uns unmög-
liche Werthe ſind.


Fragen, wie dieſe, warum der Teufel nicht die vorneh-
men Sünder und Gottesläugner ergreife? beantworten ſich
von ſelbſt, — weil er ſie ſchon hat.


Wie ſollte er diejenigen plagen, die ſich ihm ergeben?
Da wäre ja das Reich uneins und würde in ſich zerfallen.
Was kann dem Satan willkommener ſeyn, als daß der
Glaube an Beſitzung und Zauber aufgehört hat und er über-
all freies Quartier findet, das wie mit Beſen gekehret und
geſchmücket iſt?


Kerner, über Beſeſſenſenn. 13
[186]

Es iſt allerdings gut, daß es keine Hexenproceſſe mehr
gibt, wie ſie früher betrieben wurden; denn ſie waren die
Schmach der Juſtiz und der Menſchheit, aber es iſt nicht
gut, daß jeder Ankläger ſogleich in Gefahr kommt, als
Verläumder geſtraft zu werden, weil die Natur des Ver-
brechens keinen juridiſchen Beweis zuläßt.


Wohl mögen auch die Fälle viel ſeltener ſein als früher,
und dieß aus dem einfachen Grunde, weil der Religions-
unterricht jetzt allgemein geworden iſt, was er früher nicht
war. Nach den Protokollen ſind die Kinder ſchon in frü-
her Jugend dazu verführt worden, und da konnte der Teu-
felsſamen Platz finden, weil noch kein chriſtlicher ausge-
ſtreut war, aber jetzt treibt vielfältig der chriſtliche den
teufliſchen aus. Doch wer mag dem Unkraut wehren, daß
es nicht unter den Weizen ſich miſche? Sollen ja die Kin-
der der Bosheit, welche der Teufel ſäet, neben den Kin-
dern des Reichs, welche des Menſchen Sohn ſäet, beſte-
hen und fortwachſen bis zur großen Ernte.


Letztlich hat ſich der Verfaſſer dieſer Reflexionen noch vor
dem unedeln Mißverſtand, der ſeine Tücke in Verdrehung der
Meinung nicht laſſen kann, zu verwahren und ſpricht ſich
daher ganz frey über die abgehandelten Gegenſtände aus:


1) An die Wirklichkeit der Beſitzung glaubte er vor aller
Unterſuchung ſchon um des Evangeliums, der Kirche und
der Thatſachen wegen, die ihm unbezweifelt ſcheinen. Seine
theoretiſche Unterſuchung, hauptſächlich über die Beſchaffen-
heit der Unnatur, führte ihn aber auch auf die innere Mög-
lichkeit eines ſolchen Zuſtandes und auf eine Erklärung ſei-
ner Erſcheinungen, und beſtärkte dadurch den Glauben an
ſeine Wirklichkeit.


2) Ob die erwähnten Geſchichten ſtreng genommen zu
den Beſitzungen in älterer Bedeutung gehören, mag wohl
[187] noch problematiſch ſeyn, aber auf jeden Fall ſind die den
ältern Erfahrungen analogen Erſcheinungen ſo ſtark darin
nachgebildet, daß das Recht, ſie unter die gleiche Rubrik zu
bringen, nicht wohl verkannt werden kann. Dem Skepticismus
laſſen ſie freilich genug Spielraum übrig, was unvermeid-
lich iſt, da die Natur oder vielmehr Unnatur des Gegenſtan-
des in Hinſicht auf Grund und Urſache myſteriöſer Art iſt
und bleiben muß. Ohne Zweifel wäre es auch den Men-
ſchen nicht gut, wenn es zur Evidenz käme, weil jeder
darin frey bleiben ſoll, ſich ſeinen Glauben und ſeine Lehre
daraus zu nehmen, wie ihm beliebt. Indeſſen ſind es rein
beobachtete Phänomene, die ſchon ihrer Seltenheit wegen
verdienen aufgezeichnet zu werden.


3) In Beziehung des Zaubers ging es dem Verf. ge-
rade umgekehrt. Er glaubte nie an die Wirklichkeit deſ-
ſelben, bis ihm ausführliche Protokolle, juridiſche Fakul-
täts-Conſilien und in dieſen eine Menge Citaten älterer
Schriftſteller zu Geſicht kamen, die ihn in ſeiner Meinung
ſchwankend machten, und, wenn überhaupt ein formelles
richterliches Verfahren in Erhebung von Thatſachen eine
ſichere Bürgſchaft des Geſchehens iſt, ſchwankend machen
mußten. Er ging nun zur Unterſuchung über und fand,
daß eine ſolche Richtung der Unnatur, wie ſie der Zauber
enthält, eben ſo gut ſtattfinden könne, als die Beſitzung,
und ſomit überzeugte er ſich von ſeiner Möglichkeit. Dieß
führte ihn natürlich auch auf die Prüfung der Dokumente,
die ſeine Wirklichkeit bezeugen.


Zu dieſem Ende ging er eine ziemliche Reihe von Schrif-
ten durch, die in den frühern Jahrhunderten ſich mit die-
ſem Gegenſtand ſowohl dafür als dagegen beſchäftigten. Mit
den Reſultaten dieſer Schriften verglich er die Protokolle
und die in denſelben niedergelegten ganz freyen Geſtänd-
niſſe von ſechs dem Zauber ergebenen Perſonen, und über-
zeugte ſich, nicht nur, daß die abgeſonderten Verhöre der
ſechs Perſonen in Hinſicht der Thatſachen des Zaubers voll-
[188] kommen gleiche Angaben enthielten, ſondern auch, daß dieſe
Angaben mit dem, was die älteſten Schriftſteller davon
aufgezeichnet hatten, völlig conform waren. Was die äl-
tern Schriftſteller betrifft, ſo ſind diejenigen, welche den
Zauber verwerfen, auf eine kleine Zahl beſchränkt, wäh-
rend die entgegengeſetzte Meinung ſehr viele Verfechter zählt.
Eines der Rechtsconſilien gibt die Zahl Jener mit Na-
men auf Zwölf an, während Goldaſt in ſeinem Traktat:
Rechtliches Bedenken von Confiskation ꝛc. Hundert
und zwanzig aufzählt, welche für die Wirklichkeit des Zau-
bers ſich erklären.


4) Es konnte nicht fehlen, daß in jenen Zeiten, wo die-
ſer Gegenſtand gleichſam an der Tagesordnung war, der
menſchliche Geiſt nicht zögerte, auch eine wiſſenſchaftliche
Berathung darüber anzuſtellen, und ſo bildeten ſich drey
Hypotheſen, welche mit mehr oder weniger Glück jene Phä-
nomene zu erklären ſuchten. Dieſe Hypotheſen konnten übri-
gens nicht tief gehen, da ihnen die Aufſchlüſſe des mag-
netiſchen Lebens fehlten. Der Blick in die Unnatur fängt
jetzt erſt an, ſich nicht nur dogmatiſch, ſondern wiſſenſchaft-
lich zu erweitern. Denn ſo lange die Philoſophie nicht
glaubt, was das Evangelium vom Satan und ſeinem dä-
moniſchen Reiche ſagt, — wie ſoll es zu einer Unterſu-
chung kommen? Die chriſtliche Philoſophie verlangt dieß,
und darum habe ich mich nicht geſcheut, dieſen Gegenſtand
zu einem Problem zu machen.


5) Nach Allem, was der Verf. über dieſen Gegenſtand
geſammelt, gedacht und verglichen hat, iſt ihm wenigſtens
die frühere Wirklichkeit des Zaubers mehr als wahrſchein-
lich. Ob er jetzt noch fortdauert iſt eine andere Frage.
Denn da der Zauber, was ſich von ſelbſt verſteht, nur
unter göttlicher Zulaſſung beſteht, dieſe aber in der
Weisheit Gottes
wohl ihre Gränze haben kann, ſo iſt,
da wenigſtens neuere und zwar beglaubigte Thatſachen feh-
len, darüber nichts zu entſcheiden.


[189]

6) Was die Erſcheinungen ſelbſt betrifft, ſo ſind ſie blos
als Scheuſale merkwürdig, und ſind in den fünf Haupt-
zügen: Betrug, Häßlichkeit, Unzucht, Verführung und Got-
tesläſterung enthalten, und bezeichnen ſo recht das Reich
der Unnatur, das immer darauf ausgeht, das Ebenbild-
liche mit Gott zu verderben und die Menſchen zu ſich hin-
abzuziehen.


[[190]][[191]][[192]][[193]]
Notes
*)
S. Geſchichte zweier Somnambülen, nebſt andern Denkwürdig-
keiten aus dem Gebiete der magiſchen Heilkunde und Pſychologie,
von J. Kerner. Carlsruhe, bey G. Braun.
*)
S. Manuale selectiss. benedict. per C. Fritz. MDCCXXXVII.
u. Thesaurus à Gelasio di Cilia. 1756.
*)
Man ſehe auch hier unten die Geſchichte zweyer Beſeſſener vom
Jahre 1814.
*)
Anmerkung. Unter der Rede: „Biſt du gekommen, uns zu
quälen, ehe dann es Zeit iſt?“ verſtund der Dämon nichts An-
deres, als: „die Zeit, wo unſer Herr (der Teufel) uns nicht
mehr erlauben wird, in dieſem Menſchen, dem für uns noch
erträglicheren Orte, zu bleiben, iſt noch nicht gekommen; nachher
müſſen wir in die Qual, in die du uns jetzt ſchon ſenden willſt.
Laß uns nur noch, bis jene Zeit kommt.“
**)
Der Vater ſagte zu Jeſus: „Herr, erbarme dich über meinen
Sohn, denn er iſt mondſüchtig und hat ein ſchweres Leiden;
er fällt oft ins Feuer und oft ins Waſſer.“ Dann heißt es:
„und Jeſus bedräuete ihn und der Dämon fuhr aus von ihm,
und der Knabe war geſund zu derſelbigen Stund.“
*)
Siehe Hugo Farmers Verſuch über die Dämoniſchen des neuen
Teſtamentes.
*)
Dieſes Flechten, beſonders auch der Pferdsmähnen, findet man
häufig als Geiſterſpuk. Siehe auch Horſts Zauberbibliothek. In
einer andern, ganz von dieſer unabhängigen Geſchichte, kommt es
ebenfalls als Geiſterſpuk vor.
**)
Daß man die Zähne dieſes Thieres im Fuße des Mädchens ſah,
iſt kein Beweis, daß dieſe Biſſe von einer wirklichen Katze
**)
geſchahen. So ſchreibt der von einem unſichtbaren Weſen
verfolgte Superintendent Schupart: „es hat mich mit Nadeln
geſtochen, gebiſſen, daß man utramque seriem dentium geſehen,
die zwey großen Zähne ſtunden da.“ ꝛc. S. Horſt Zauber-
bibliothek, Th. 4. S. 252. Auch dort erſcheint das Geſpenſt in
Geſtalt einer Dohle.
*)
Herr Pfarrer Gerber ſchreibt von dieſem Mädchen: „Das
Mädchen ſelbſt zeichnete ſich in der Schule durch ihre guten
Sitten und ihre Gutmüthigkeit aus, hatte aber wenig Anlage
zum Lernen, und verließ daher die Schule mit ganz geringen
Kenntniſſen. Das Lob eines ſittlichen Wandels erhielt ſie auch
nach der Schule, und entzog ſich zwar den Luſtbarkeiten der
jungen Leute des Dorfes nicht, war aber doch die erſte, welche
ſich wieder zurückzog.“
*)
So war es bekanntlich auch bei der Seherin von Prevorſt.
*)
Eine bei Sündern und Miſſethätern nicht ſeltene Erſcheinung,
daher die einzige Bekehrungskraft des Evangeliums. Vergl.
Waltersdorf Schächer am Kreuz.
— y —
*)
Auch hier die bekannte Aeußerung eines elektriſchen Feuers,
das mit dem magnetiſchen Nervenfluidum (dem Nervengeiſt)
dieſem Seelenvehikel, identiſch oder eine ſeiner verſchiedenen
Darſtellungen iſt.
— y —
*)
Daher wohl auch ſein anfängliches Erſcheinen bei dem Mädchen
hauptſächlich zur Heuernte und ſeine Reden von Meſſe leſen,
daß das Wetter ſchön bleibe.
*)
Es brachen Geſchwürchen im Kehlkopfe auf.
*)
Man ſieht das Gleiche in der Geſchichte des Mädchens von Orlach.
*)
S. M. Andreä Hartmanns Hauspoſtill, 1743.
*)
Man ſieht Gleiches in der Geſchichte der U.
*)
Man hörte das Gleiche in der Geſchichte des Mädchens von Orlach.
*)
S. Memmingers Jahrbücher.
*)
Aus Nitzſchka Blumenluſt.
*)
Ueber das Beſeſſenſeyn, oder das Daſeyn und den Einfluß des
böſen Geiſterreiches in der alten Zeit. Mit Berückſichtigung dä-
moniſcher Beſitzungen der neuern Zeit. Heilbronn, bey Drechs-
ler, 1833.
*)
Man vergleiche hiermit die Geſchichte der Beſeſſenen U .. n.

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CC-BY-4.0
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TextGrid Repository (2025). Kerner, Justinus. Geschichten Besessener neuerer Zeit. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bng1.0