[][][][][][][[1]]
D.Katzenbergers
Badereiſe;

nebſt einer Auswahl
verbeſſerter Werkchen;


Zweytes Bändchen.

Heidelberg,:
beyMohr und Zimmer
1809.
[[2]]

D.Katzenbergers
Badegeſchichte
.


Zweyte Abtheilung.


Zweyter Theil. 1
[[4]][[5]]

27. Summula.
Nachtrag.


Keine Seele bekuͤmmerte ſich um den davon
gelaufnen, von ſeinem Siegswagen herabge-
purzelten Deklamator. Doch lachte man ihm
allgemein nach. Ein Mann — von Beleſenheit
im Junyſtuͤck der Minerva von 1804 — ſagte
ſehr laut: Nieß hab’ es mit ſeinem Namengeben
gemacht, wie die Einwohner von Nortkaͤ, wel-
che Gott den Namen Quautz geben; er hatte
verbindlich fuͤr Theudobach reden wollen; aber
in der Eile war ihm auf der Zunge das Lob in
Eßig umgeſchlagen.


„Faͤhrt man ſo fort, ſagte ein Korrespondent
einer ungelehrten Geſellſchaft, ſo weiß am Ende
keiner von uns, was er geſchrieben, und der
halbe Meuſel ſitzt im Sand.” —


[6]

Der Hauptmann nahm — mit einer kurzen
Entſchuldigung, daß er ſich ſeines Geſchlechts-
Namen ſo öffentlich angenommen, und mit einer
beſondern Verbeugung an Theoda — ſchnell ſei-
nen Ruͤckzug; — und die Menſchen ſahen ſei-
nem Kopfe nach.


Ungefaͤhr tauſend und dreyhundert Siegs-
kraͤnze — folglich gerade ſoviel Theagenes von
Thaſus in den griechiſchen Spielen erbeutet —
trug er auf ſeinem Kopfe, ſeinen Schultern und
ſeinem Ruͤcken davon; — aber warum?


[7]

28. Summula.
Darum.


Man hielt ihn fuͤr den großen Theater-Dich-
ter, deſſen Stuͤcke die meiſten gehoͤrt. Ich will
eine kurze Abſchweifung und Summel daran wen-
den, um zum Vortheile der Buͤhnen-Dichter
zu zeigen, warum ſie leichter groͤßere Eitelkeits-
Narren werden, als ein anderer Autor. Wie
faͤllt erſtlich der letztere mit ſeinen verſtreueten
Leſer-Klausnern — ein wenig verehrt von blo-
ßen gebildeten Menſchen — beklatſcht in hun-
dert Meilen fernen Studier-Zimmerchen und
zweymal hinter einander geleſen, nicht vierzigmal
angehört, wie faͤllt ein ſolcher Ruhm-Irus und
Johann ohne Land ſchon ab gegen einen Buͤh-
nen-Dichter, der nicht nur dieſe Lorbeer-Nach-
leſe auch auf dem Kopfe hat, ſondern ihr noch
die Ernte beyfuͤgt, daß der Fuͤrſt und der Schorn-
[8] ſteinfeger und jedes Geſchlecht und Alter ſeine
Gedanken in den Kopf und ſeinen Namen in
den Mund bekommen — daß oft die erbaͤrmlich-
ſten Marktflecken, ſobald gluͤcklicherweiſe ein
noch elenderes Maraden-Theater von Groſchen-
galleriſten einruͤckt, ſich vor den knarrenden Tri-
umphkarren vorſpannen, worauf jene den Dich-
ter nachfuͤhren, ſo daß, wenn gar der Dichter
die Truppe ſelber dirigirt, er an jedem Orte,
wo beyde ankommen, den engliſchen Wahlkandi-
daten gleicht, die auf vielen Wagen (Lord Fard-
ley auf 50) die Wahlmaͤnner fuͤr den Sitz im
Hauſe der Gemeinen an den Wahlort bringen
laſſen. — Noch hundert Vortheile koͤnnt’ ich
vermittelſt der Auslaſſungsfigur (figura prae-
teritionis
) anfuͤhren, die ich lieber weglaſſe,
ſolche z. B. daß einen Theaterautor (und oft
ſteht er dabey und hoͤrt alles) eine ganze Kor-
porazion von Haͤnden gleichſam auf den Haͤn-
den traͤgt (daheim hat ihn nur ein Mann in
ſeiner Linken, und blaͤttert mit der Rechten ver-
druͤßlich) — daß er auswendig gelernt wird,
nicht bloß von Spielern, ſondern am Ende von
[9] deren Wiederkehr-Hoͤrern — daß er in allen
ſtehenden, obgleich langweiligen Theaterartikeln
der Tags- und Monatsblaͤtter ſtets im ſelben
Blatt von neuem gelobt wird, weil die Buͤhnen-
Schelle immer als Taufglocke ſeines Namens
und das Einblaͤſer-Loch als ſein Delphiſches Loch
wiederkommt. — Woraus noch manches folgt,
z. B. daß ein gemeiner Autor wie z. B. Juͤnger
länger in ſeinen gehoͤrten Stuͤcken lebt als in
ſeinen geleſenen Romanen. Daraus erklaͤrt ſich
die Erſcheinung, daß das kalte Deutſchland ſich
fuͤr Schiller (und mit Recht, denn dieſer ſuͤn-
digte nur durch Unterlaſſen, nie durch Unter-
nehmen) ſo ſehr und ſo ſchoͤn anſtrengt, und
fuͤr Herder ſo wenig. Denn mißt der Werth
den Dank: ſo haͤtte wohl Herder, als der
fruͤhere, hoͤhere, vielſeitigere Genius, als der
orientaliſch-griechiſche, als der Bekämpfer der
Schillerſchen Reflexions-Poeſie durch ſeine
Volkslieder, als der Geiſt, der in alle Wiſſen-
ſchaften formend eingriff, und der nur den Feh-
ler hatte, daß er nicht mit allen Fluͤgeln flog,
[10] ſondern nur ſo, wie jene Propheten-Geſtalten,
wovon vier ihn bedeckten und nur zwey erho-
ben, dieſer Todte haͤtte ein Denkmal nicht ne-
ben, ſondern uͤber Schiller verdient; waͤ-
ren, wie gedacht, die Komoͤdianten nicht gewe-
ſen, oder das Publikum nicht, das fuͤr die Viel-
ſeitigkeit wenig anſchließende Seiten mitbringt.
Uebrigens wie man lieber von Perſonen als von
Sachen hoͤrt; ſo ſteht auch der gewöhnlichſte
Theater-Dichter als ein Nachttiſch-Spiegel,
der dem Parterre Perſonen, und dieſes ſelber
darſtellt, ſchon darum dem Sachen-Dichter als
einem bloßen Juwel voran, der nur Feuer-
farben wirft und unverwuͤſtlich nichts darſtellt,
als ſich und das Licht. Uebrigens iſt dieß fuͤr
uns andere Undramatiker eben kein Ungluͤck;
denn wir haben uns eben darum zum ſchoͤnen
Looſe einer leichtern liebenswuͤrdigen Beſchei-
denheit Gluͤck zu wuͤnſchen, zumal wenn wir
berechnen, was aus uns, da jetzt ſchon ein
Paar Zeitungen und einige Theetiſche uns (ich
ſchließe mich nicht aus) ſichtbar aufblaſen, vol-
[11] lends durch das Luftſchiff der Bühne fuͤr Trom-
melſuͤchtige Narren geworden waͤren, ſo wie
Schweinsblaſen, die ſchon auf Bergen ſchwel-
len, auf Höhen der Luftbälle gar zerplatzen.


[12]

29. Summula.
Herr von Nieß.


Er kam nicht zum Abendeſſen.


[13]

30. Summula.
Tiſchgebet und Suppe.


Der Tumult der Er- und Verkennungsſzene
miſchte die Eßgaͤſte ſchon auf dem Gange zur
Tafel zu bunten Reihen der Freude zuſam-
men. — Der Sternenhimmel, Blasmuſik und
Baͤume voll Lampen und hauptſächlich der Abends
angekommene und mitſoupirende große Mann
bezauberte und vereinigte alles. Viele Maͤdchen,
die Nießens Stuͤcke aus Leihbibliotheken und
auf Buͤhnen hatten kennen lernen, gingen un-
ter dem Schirme wechſelnder Schatten ganz nahe
und anblickend neben ſeiner ſchoͤnen Geſtalt vor-
bey. Als er in ſeiner Uniform — dem weibli-
chen Jagd-Tuch oder Rebhuͤhnergarn oder Frau-
en-Tyras — und mit der hohen Feder (die auf
dem Kopfe erhabner ausſieht als hinter dem Ohre)
ſo dahinſchritt und die Menge uͤberragte, wie
der urſpruͤngliche Theudobach (nach Florus) ſeins
[14] Tropäe, und er als das Zwillingsgeſtirn der
Weiber, als Dichter und Krieger zugleich, ſich
durch ſeinen Himmel bewegte: ſo riß ein allge-
meines Verlieben ein; — und hinter ihm ſah,
da er mit dem fuͤnfſchneidigen Melpomenens
Dolch und mit dem Kriegerſchwert alles ſchlug,
der Weg wie eine weibliche Wahlſtatt aus,
der einen war der Kopf, der andern das Auge,
der dritten das Herz verwundet. Er aber merkte
gar nichts von den ſaͤmmtlichen Verwundeten,
die er hinter ſich nachfuͤhrte. Aber ſeinen Blick
ſchickte er nach dem Maͤdchen umher, das, ihm
ſo unbekannt, dreiſt ihm vor einer Menge bey-
geſtanden hatte.


Theoda war längſt durch das Gedraͤnge zu
ihrem Vater hingeeilt, wie unter deſſen ſchir-
mende Fittige gegen ihr Herz und das Volk.
Sie war berauſcht und beſchaͤmt zugleich, daß
ſie ſo oͤffentlich mehr eine Leſerin, als ein Maͤd-
chen, ſich in den Zweykampf von Maͤnnern,
als Sekundantin gemiſcht. Erſt durch langes
Bitten rang ſie dem Vater die Erlaubniß ab,
[15] ihn dem Dichtee vorzuſtellen, wie wol ers ein
Selbſt-Spektakelſtuͤck nannte.


Neben ihm ſtand ſie, als ſie ihren Lebens-
Abgott, den bald Lichter, bald Schatten reitzend
bedeckten, herkommen ſah, und ſie ihm aus der
Ferne unbeſchaͤmter in das edle Antlitz ſchauen
konnte. Sie ſtellte mit kindlicher Luſt ihren
Vater dem beruͤhmten Genius vor. „Meine Toch-
ter — nahm Katzenberger leicht den Faden auf —
hat mich mit Ihrem Kuͤnſtlerruhm bekannt ge-
macht; ich bin zwar auch ein Artista, in ſo
fern das Wort Arzt eine verhunzte Verkuͤrzung
davon iſt; aber wie geſagt nur Menſchen- und
Vieh-Phyſikus. Daher denk’ ich bey einer
Hauskrone und Lorbeerkrone mehr an eine Zahn-
krone, oder bey einem Syſtem ſehr ans Pfort-
aderſyſtem, auch Hautſyſtem und ein Blaſen-
und ein Schwanenhals ſind bey mir nicht weit
genug getrennt. Mir ſehen Sie dergleichen
wol nach! Dagegen weiſ’ ich Sie auf meine
Tochter an.”


Der Hauptmann machte, d. h. zeigte die
groͤßten Augen ſeines Lebens; er fand in dieſem
[16] Badorte zu viel Wirwarrs-Knoten. Doch aus
Dankbarkeit gegen das Maͤdchen, das heute
einen ſo kuͤhnen Antheil an ſeinem Schickſale
genommen, ſagt’ er nur: „das ſchoͤne Fräulein,
dem ich viel Dank ſchuldig bin, hat bloß Ihren
Namen zu nennen vergeſſen.” —


„So ſeyd ihr Volk — wandte ſich der Vater
an die Tochter — Wenn ihr nur Eure Tauf-
namen habt, unter Briefen und uͤberall; nach
des Vaters Namen fragt Ihr keinen Deut. Ich
und ſie heißen Katzenberger, Hr. v. Theudo-
bach!”


Der Hauptmann, der nach mathematiſcher
Methode aus allen bisherigen Hindeutungen
auf Briefwechſel mit ihm gar nichts herausſum-
mirt hatte als den Heiſcheſatz, daß man hier
erſt hinter manches koͤmmen muͤßte, ſetzte wie
jeder Sternſeher feſt: „Zeit bringt Rath, ein
jeder Stern, beſonders ein Bartſtern muß erſt
einige Zeit ruͤcken, bevor man die Elemente
ſeiner Bahn aufſchreibt; folglich ruͤcke der heu-
tige Abendſtern nur weiter, ſo weiß ich manches
und rechne weiter.” Man ſetzte ſich zu Tiſch
[17] und Theoda ſich neben den Hauptmann; Erd-
ferne von ihm, waͤre ihr dieſen Abend Winter-
tod geweſen. Sie hatte noch auf vaͤterliche
Nachbarſchaft gerechnet; aber der Doktor, der
ſich von beyden Leuten nichts verſprach als einen
Abend voll dichteriſchen Sachen, einen Teich
voll ſchwimmender Bluͤten ohne Karpfen, Ka-
rauſchen und Hechte, hatte ſich laͤngſt weggebettet
unten hinab; und vom Doktor ſich wieder weit
abgebettet, der Brunnenarzt Strykius in einer
geiſtigen Eheſcheidung von Tiſche. Theoda ſchwieg
lange neben dem geliebten Manne, aber wie
voll Wonne und Reichthum! Und alles um
ſie her uͤberfuͤllte ihre Bruſt! Ueber die Tafel
woͤlbten ſich Kaſtanienbaͤume — in die Zweige
hing ſich goldner Glanz, und die Lichter ſchluͤpf-
ten bis an den Gipfel hinauf, uͤber welchen die
feſten Sterne glaͤnzten — unten im Thale ging
ein großer Strom, den die Nacht noch breiter
machte und redete ernſt herauf ins luſtige Feſt
— in Morgen ſtanden helle Gebirge, auf denen
Sternbilder wie Goͤtter ruhten — und die Ton-
Zweyter Theil. 2
[18] Feen der Muſik flogen ſpielend um das Ganze
hinunter, hinauf und ins Herz.


Theoda, durch jeden eignen Laut einen vom
Dichter zu verſcheuchen fuͤrchtend, und fuͤr ihre
ſonſt ſcherzende Geſpraͤchigkeit zu ernſt bewegt,
ſtimmte wenig mit der redeluſtigen Geſellſchaft
zuſammen, welche deſto lauter und herzhafter
ſprach, je mehr es die Muſik war; denn Tiſch-
Muſik bringt die Menſchen zur Sprache, wie
Voͤgel zum Geſang, theils als Feuer- und
Schwungrad der Gefuͤhle, theils als ein Ablei-
ter fremder Spuͤhr-Ohren.


Bloß der Hauptmann konnte ſein Ich nicht
recht mobil machen; er hatte ſo viele Fragen auf
dem Herzen, daß ihm alle Antworten ſchwer
abgingen. Theoda, welche ſchon nach Nießens
Schilderung mehr Angraͤnzung an Nießiſche
Leichtigkeit erwartet hatte und vollends von ei-
nem Dichter, konnte ſich die in ſich verſenkte
Einſylbigkeit nur aus einem ſtillen Tadel ihrer
oͤffentlichen Anerkennung erklaͤren; und ſie ge-
rieth gar nicht recht in den ſcherzenden Ton
hinein, den Maͤdchen ſo gern gegen ihre Schreib-
[19] goͤtter und bey einer mit Seufzern und Wonnen
uͤberhaͤuften Bruſt anzuſtimmen wiſſen.


Der Brunnenarzt Strykius, der ſich ihm
mit einem verſteinerten Anlaͤcheln gegenuͤberge-
ſetzt, befiel und befuͤhlte ihn mit mehreren An-
ſpielungen und Anſpuͤlungen ſeiner Werke; aber
der Hauptmann gab — bey ſeiner Unwiſſen-
heit uͤber den Dichter, und daruͤber, daß man
ihn dafuͤr hielt — unglaubliche Queer-Antwor-
ten, ohne zu verſtehen und ohne zu berichtigen.
So gewiß hoͤren die meiſten Geſellſchafter nur
Einen, ſich ſelber; — ſo ſehr bringt jeder ſtatt
der Ohren bloß die Zunge mit, um recht alles
zu ſchmecken, was uͤber dieſelbe geht, Worte
oder Biſſen. Hat ſich ein Mann verhoͤrt, folg-
lich nachher verſprochen, und endlich darauf ſich
aufs Unrechte und Rechte beſonnen: ſo blickt er
verwundert herum, und will wiſſen, wie man
ſeinen zufälligen Unſinn aufgenommen; er ſieht
aber, daß gar nichts davon vermerkt worden und
er behaͤlt dann zornig und eitel den wahren Sinn
bey ſich, ohne die fremden Koͤpfe wieder her zu
ſtellen in das Integrum des eigenen. Daher
[20] verſtehen ſich wenig andere Menſchen als ſolche,
die ſich ſchimpfen, weil ſie von einerley Anſchau-
ungen ausgehen.


Aber Strykius ließ ſich nicht halten, er mußte
der ganzen auf dem Geſichte des Hauptmanns
konvergirenden Geſellſchaft zeigen, daß er ſelber
Verdienſt ſchaͤtze und beſitze. — „Das Wetter
(dacht’ er bey ſich) ſoll den Dichter erſchlagen,
wenn er nicht merkt, daß ich mir etwas aus ihm
mache.” — Er knuͤpfte daher von ueuem ſo an:
„Ich darf wohl unberufen im Namen der gan-
zen Geſellſchaft unſere Freude uͤber die Gegen-
wart eines ſo beruͤhmten Mannes ausdruͤcken. —
Sie haben zwar beſſere Gegenden gezeichnet;
aber auch unſere verdient von Ihnen aufgenom-
men zu werden.”


Der Hauptmann, der zum Genie-Corps
gehoͤrig, ſich dabey nichts denken konnte als eine
militairiſche Zeichnung zum Nachtheil der Feinde,
nicht an eine poetiſche zum Vortheil der Freunde,
gab aufgemuntert, weil er endlich doch ein ver-
nuͤnftiges, d. h. ein Handwerks-Wort zu hoͤren
[21] und zu reden bekam, zur Antwort: „Wenn
hier eine Feſtung iſt, ſo thu’ ichs; jede iſt
zwar überwindlich, und mich wunderte beſon-
ders, in demſelben Buche Anleitung zur un-
uͤberwindlichſten Vertheidigung und zur ſieg-
hafteſten Belagerung anzutreffen, wovon ja
eines eo ipso falſch ſeyn muß.”


Hier laͤchelte Strykius verſchmitzt, um
dem Krieger zu zeigen, daß er die Allegorie
ganz gut kapire; ihm war nämlich, wie allen
Proſa-Seelen, nichts gelaͤufiger, als die
vermooſete Aehnlichkeit zwiſchen Liebe und
Krieg.


Der Hauptmann fuhr etwas verwundert
fort: „mich duͤnkt durch Approchen, durch die
dritte Parallele, wobey man uͤber der Bruſt-
wehr fechten kann — durch falſche Angriffe —
(Hier nickte Strykius unaufhoͤrlich zu, und
wollte immer laͤchelnder und ſchalkhafter aus-
ſehen) — und am Ende durch den General-
ſturm wird jede Jungfrau von Feſtung ero-
bert.”


[22]

„Ich weiß nicht — ſagte der Hauptmann
ganz erbittert uͤber den anlachenden Narren
hinzu — ob Sie wiſſen, daß ich zum Genie-
Corps gehoͤre.”


„O wer wuͤßte es nicht von uns, erwiederte
er ſchelmiſch — und eben das Genie traͤgt
den Koͤcher voll Liebespfeile.”


Da wurde wie von einem Schlagfluß der
Arzt aus ſeinem Anlaͤcheln weggerafft durch
des zuͤrnendrothen Hauptmanns Wort: „Herr,
Sie ſind ein Arzt und darum verſtehen Sie
nichts von der Sache.”


Ohne Weiteres wandte er ſich zu Theoda
und fragte mit ſanfter Stimme: „Sie, Vor-
treffliche, ſcheinen mich zu kennen, aber
doch weiß ich nicht wodurch.” — „Durch
Ihre Werke, ſagte ſie furchtſam- …”
Sie haͤtten die einen geſehen und die andern
geleſen? . . . . ſagte er, und wollte zu
Ende fragen: als ſie ihre Augen gegen ihn
aufhob, und aufthat, wie ein Paar Ehren-
pforten … Aber beyde wurden unterbrochen.


[23]

31. Summula.
Aufdeckung und Sternbedeckung.


Theoda bekam ein verſiegeltes Paket mit der
Bitte auf dem Umſchlag, es ſogleich zu oͤffnen.
Sie thats. Anfangs kam bloß ein Band der
allgemeinen deutſchen Bibliothek heraus — dann
in dieſer zwiſchen dem Titelblatte und dem geſtoch-
nen Geſicht eines beruͤhmten Gelehrten ein Brief-
chen von Nieß und dann das Briefchen von
Theoda an Theudobach. —


Nieß ſchrieb: „Ich ehre Ihr Feuer. Ich
verdamme meines. Ich bin ſelber der Dichter,
fuͤr deſſen Freund bloß ich mich leider unterwegs
ausgegeben, und deſſen Feind ich eigentlich da-
durch geworden. Ich vergebe Ihnen gern Ih-
ren oͤffentlichen Widerſpruch gegen den meinigen;
aber als Gegengeſchenk bitt’ ich Sie, mir auch
[24] meine vielleicht indiskrete doch abgedrungene Er-
oͤffnung zu verzeihen, daß Sie an mich geſchrie-
ben. Hier iſt Ihr Brief, hier iſt die Kopie
meiner Antwort darauf. Hier iſt ſogar noch mein,
wenn nicht getroffnes, doch zu errathendes Geſicht
vor der allgemeinen deutſch. Bibliothek und da-
zu eine Rezenſion Seite 213 darin, worin freylich
nichts Wahres iſt, als die Namen-Jagd, daß ich
nämlich meinen Geſchlechtsnamen Nieß den Vor-
namen Theudobach vorgeſetzt. — Kurz ich bin
der Dichter der unbedeutenden Trauerſpiele, die
mir jetzt ſelber eines bereiten. Ich verwuͤnſche
jede Minute, wo ich Ihnen etwas ſo Gleich-
guͤltiges verbarg, als mein Name iſt. Das
Beſſere habe ich vielleicht zu wenig verfehlt. —
Hier iſt nun Ihr Brief — meine Handſchrift —
mein Geſtaͤndnis — ſo gar mein Zerr-Bild.
Am Himmel entfernt ſich die Venus nicht uͤber
47 Grade vom Bilde des Dichtergottes, wollen
Sie Sich weiter entfernen?”


Schweigend gab Theoda dem Hauptmann
Nießens Brief, Rezenſion und Kupferſtich mit
[25] der Unterſchrift: Theudobach von Nieß. Ihr
Herz quoll, ihr Auge quoll. „Was hatt’ ich
ihm gethan, rief es in ihr, daß er mein Herz
ſo nahe aushorchte — daß er mich zu einem
öffentlichen Irrthum verlockte und daß ich be-
ſchaͤmt dem Volks-Laͤcheln Preis gegeben bin;
was hatt’ ich ihm gethan?” Sie dauerte der
edle Mann neben ihr, als ob ſie und der Poet
zuſammen ihm Lorbeer und Genie abgepluͤndert
haͤtten — und ſie wollte, als haͤtte ſein Herz
davon Riſſe bekommen, alle gern mit ihrem aus-
fuͤllen. Wie anders klang und ſchnitt jetzt die
Muſik in die Seele! Wie anders ſah die Rie-
ſenwache von Baͤumen und die tollkuͤhnen Nacht-
ſchmetterlinge an den Lichtern aus! So iſt das
Leben und Schickſal immer nur ein aͤußres
Herz, ein wiederſcheinender Geiſt, und wie die
Freude die Wolken zu hohen nur leichtern Ber-
gen aufhebt, ſo verkehrt der Kummer die Berge
bloß zu tieferen feſtern Wolken. Theoda ſah recht
ſtarr in die kleine Morgenroͤthe des heraufzie-
henden Mondes, um durch ſtarkes Aufmerken
[26] und Offenhalten das Zuſammenrinnen einer
Thraͤne zu verhindern; als aber der Mond
heraufkam, mußte ſie die Augen abtrok-
nen.


[27]

32. Summula.
Erkennungsſzene.


Der Hauptmann las ſehr lange im Briefe
und in der Rezenſion, um Licht genug zu be-
kommen. Lange durchſah er Nießens Bildniß
vor der allgem. deutſch. Bibliothek, deſſen Aehn-
lichkeit ihm nicht recht einleuchten wollte; weil
dieſe uͤberhaupt Koͤpfe vorne vor dem Titelblatte
nicht viel kenntlicher darſtellte als im Werke
ſelber. Doch wird damit nichts gegen den ge-
bliebenen Werth eines Werkes geſagt, das von
jedem guten Kopfe Deutſchlands ohne Ausnahme,
wenigſtens eine volle Seite, noch dazu mit Na-
mens Unterſchrift aufweiſt, nämlich die mit ſei-
nem Kopfe vorne vor dem Titelblatte. Der
Hauptmann, der ſo plötzlich aus der Sonnen-
finſternis in den hellen Mittag herabfiel, wandte
ſich gar nicht an Theoda, ſondern zuerſt an die
Tiſchgeſellſchaft — erklaͤrte laut, nicht er ſey der
[28] große Dichter, ſondern Herr v. Nieß — er habe
zwar etwas geſchrieben, uͤber die alte hollaͤndi-
ſche Fortifikazion — aber er erſuche alſo jeden,
die Bewundrung, die er ihm zugedacht, zuruͤck-
zunehmen, und der Behoͤrde zu ſchenken. —
Darauf riß er ein Blättchen aus der Schreib-
tafel und ſchrieb an Herr v. Nieß: er nehme
gern ſein unſchuldiges Mißverſtaͤndnis zuruͤck,
ſtehe aber zu jeder andern Genugthuung
bereit.


Als dieß alles bekannt wurde — und dem
Brunnenarzt zuerſt — ſo brachte dieſer, jeden
Abgrund verſilbernde, Mondſchein ſogleich zwey
laute Toaſts aus: „Einen Toaſt auf den Ma-
thematiker v. Theudobach! — Einen Toaſt auf
den Dichter Theudobach v. Nieß” rief er. —
So tanzte der frohe Mann nicht nur nach jeder
Floͤte, ſondern wie H—n nach jeder Floͤten-
uhr, die eben ausſchlaͤgt, und auf die vorige
ſchnelle Anrede des Hauptmanns an ihn, welche
aus der Tafelſprache in die Schlachtſprache uͤber-
ſetzt, doch nur ſagen wollte: krepiere! — —
verſetzte er freudig: auf Ihr langes Leben! — —


[29]

Jetzt endlich kehrte ſich Theudobach an die
Jungfrau, welche auf ihre Koſten ihn mit dem
Sonnenlehn eines großen Dichters belehnet
hatte; und wand, indem er ſchmerzlich und ver-
geblich uͤber Gutmachen nachſann, die bittende
Frage herauf: wie alle dieſe Mißverſtaͤndniſſe
moͤglich geweſen? „Ich bitte Sie, ſagte ſie mit
muͤder Stimme, meinen Vater zu fragen, der
alles weiß.” Er ſchwieg. Trauerndes Nach-
denken auf dem ſtarken Maͤnnergeſicht ruͤhrte
die Jungfrau immer ſtärker; ihre Seele litt zu
viel und konnte wieder nicht alle Zeichen ver-
bergen, welche die fremde Theilnahme vermehr-
ten. Haſtig ſtand ſie endlich auf — ſagte ihrem
Vater etwas ins Ohr — dieſer nickte, und ſie
verſchwand.


[30]

33. Summula.
Abendtiſch-Reden uͤber Schauſpiele.


Auch Katzenberger hatte unten einige Wer-
thers Leiden ausgelitten, und zwar ſchon bey
der Krebsſuppe, weil da noch die ganze Tiſch-
geſellſchaft, als eine niedere Geiſtlichkeit zum
Kirchdienſte fuͤr den Dichter-Gott angeſtellt ſaß,
welcher der Hauptmann zu ſeyn ſchien; wozu
noch der Kummer ſtieß, daß er ſeinen Strykius
nicht vor ſich hatte. Ein ſolcher Wirthstiſch war
fuͤr Katzenberger ein Katzentiſch. Er erklaͤrte
deßhalb gern ohne Neid der naͤchſten Tiſch-Ecke,
daß er als Arzt uͤber Buͤhnen-Skribenten ſeine
eigne Meynung habe, und folglich eine diaͤteti-
ſche. Ein Luſtſpiel an und fuͤr ſich, fuhr er
fort, verwerfe niemand weniger als er; denn
es errege haͤufig Lachen und wie oft durch ſol-
ches Lachen Lungengeſchwüre, engl. Krankheit
nach Tiſſot, Ekel (wenn auch nicht gerade der
[31] am Stuͤcke ſelber) ja durch bloße Spaß-Vorre-
den Rheumatiſmen gehoben worden, wiſſ’ er
ganz gut. — Ja, da Tiſſot eine Frau anfuͤhre,
die nicht eher als nach dem Lachen Stuͤhle ge-
habt, ſo halt’ er allerdings ernſthaft einen Sitz
im Komoͤdienhauſe fuͤr ſo gut als ein treiben-
des Mittel, ſo daß jeder aus ſeiner Leidensge-
ſchichte, wie man ſonſt bey einer andern gethan,
ein Luſtſpiel machen koͤnnte*). — Daher wie
der Quackſalber gern einen Hanswurſt, ſo ſehe
der Arzt gern einen Luſtſpieldichter bey ſich, da-
mit beyder Arzeneyen nach Verhaͤltniß ihres
Werths von gleichmaͤßigen Spaͤßen unterſtuͤtzt
und eingeflößt wuͤrden.


„Das Trauerſpiel aber, Herr Doktor?” fiel
ein junger Menſch ein, der zu beantworten
glaubte, wenn er befragte.


„Gleichwohl glaub’ er — fuhr er ohne Ant-
wort fort — Verſtopfung und dergleichen eben
ſo leicht durch einige Sennes- und Rezeptblaͤtter
zu heben als durch ein vielblaͤttriges Luſtſpiel,
[32] und ein Apotheker ſey hier wenig verſchieden
von einem Hanswurſt. — Er könne ſich den-
ken, daß man ihm hier das Trauerſpiel einwerfe;
aber entweder errege dieſes gar nichts (dann
gaͤhnte man eben ſo gut und noch wohlfeiler in
ſeinem warmen Bette) oder es errege wahre
Traurigkeit, wenn auch nur halbſtuͤndige; nun
aber ſollten doch Dichter, daͤchte man, wie Kotze-
bue und deren Kunſtrichter ſo viel durch Auf-
ſchnappen aus der Arzneykunde zufaͤllig wiſſen,
daß Traurigkeit Leber-Verſtopfung, folglich
Gelbſucht — — woher ſonſt der gelbe Neid
der Trauerſpieler gegen einander? — nachlaſſe,
ferner entſalzten Urin, ein ſcharfes Thraͤnen
(der groͤßte Beweis der Blut Anſtemmung in
den Lungen) und ſogar Darmkraͤmpfe. — —
Auf letztere habe man ſogar bey Weſen, die in
gar kein Schauſpiel gehen oder ſonſt Seelenlei-
den gehabt (denn es gebe keine andern, da nur
die Seele, nicht der bloße Koͤrper empfinde und
leide) naͤmlich bey traurigen Hirſchen*) geſchloſſen
[33] aus den kleinen Knoͤtchen in ihrem Unrathe als
den beſten Zeichen von Kraͤmpfen.


„Erhärteten freylich — fuhr er feurig fort —
Buͤhnen-Thraͤnen gleich Hirſchthränen zu Be-
zoar: ſo ſchrieb ich wol ſelber dergleichen Spaß
und bewegte das Herz. Aber jetzt beym Hen-
ker muß der wahre Arzt mitten in den weichſten
Gefuͤhlen der Damenherzen ſo ſcharf das Welt-
liche dazwiſchen kommandiren als ein Offizier un-
ter der Meſſe ſeinen Leuten das Gewehr-Strek-
ken und Heben. Vielleicht aber gaͤb’ es einen
Mittelweg und es waͤre wenigſtens ein offizi-
neller Anfang, wenn man das Trauerſpiel, ſo
gut es ginge, dem Luſtſpiel naͤher braͤchte, durch
eingeſtreute Poſſen, Fratzen und dergleichen, die
man denn allmaͤhlig ſo lange anhaͤufen koͤnnte,
bis ſie endlich das ganze Trauerſpiel einnähmen
und beſetzten. Eine ſolche Anaſtomoſe und Kir-
chenvereinigung des Weh und Luſtſpiels, ſetzte
er hinzu, eine ſolche Reinigung der Tragoͤdie
durch die Komoͤdie waͤre zuletzt ſo weit zu treiben
— ja in einigen neueſten Tragoͤdien ſey ſo et-
was — daß man durch ganze Stuͤcke hindurch
Zweyter Theil. 3
[34] recht herzlich lachte. Er fragte, ob denn ko-
miſche Darſtellung ſo ſchwer ſey, da man in Frank-
reich im 17 Jahrhundert die ernſteſten bibliſchen
Geſchichten*) in burlesken Verſen begehrte und
bekam, wie er denn uͤberhaupt wuͤnſche, daß
ernſte Dinge z. B. Manifeſte, Todesurtheile ꝛc.
oͤfter im gefaͤlligen Gewand, naͤmlich burlesk,
vorgetragen wuͤrden. Er berief ſich noch auf
die ſonſt im Trauerſpiel ſo ernſten Franzoſen,
denen Noverre die tragiſchen Horazier Corneille’s
als einen pantomimiſchen Tanz gegeben; folglich
in Spruͤngen, welches ſchön an den griechiſchen
Namen der Tragoͤdie, naͤmlich Bocksſpiel erin-
nere; ſogar er ſelber getraue ſich, ſeinen ſtaͤrk-
ſten Schmerz uͤber einen Verluſt z. B. ſeines
Freundes Strykius durch bloßes Tanzen aus-
zudruͤcken in einem Schaͤferballet oder in einem
Hopstanz oder im Fondango.”


„Alſo haͤtt’ ich, beſchloß er, die entkraͤftende
Empfindſamkeit, die man uns auf den Thraͤnen-
wagen des Meibomiſchen Druͤſen, der Thraͤnen-
[35] karunkel u. ſ. w. herein ſchießen laͤßt, leicht
durch Poſſen gedaͤmmt.”


Hier konnte ein windduͤrres Landfraͤulein
aus dem Vordorf und der Vorſtadt der Haupt-
ſtadt, das ſich laͤngſt auf Ruͤhrung gelegt, ſich
nicht laͤnger halten: „Dieß kann er Narren
weiß machen,” ſagte ſie leiſe vor ſeinen Katzen-
ohren zu ihrer Mutter. „Naͤrrinnen allerdings
nicht,” ſagte er noch leiſer zu obigem Poſthalter
im erſten Bande. Das hagere Fraͤulein fuhr leiſe
gegen die Mutter fort: „freylich rohe Kerls
ruͤhrt nichts; eine Seele aber, die zarte ge-
ſpannte
Nerven hat, fuͤhlt allein, was
weiche Nerven heißen, und fragt nach nichts
bey der Ruͤhrung. Ach wie weit ſind noch alte
Perſonen, hinter den juͤngſten oft zuruͤck!”


Auch der Doktor verſetzte wieder leiſe: „Man-
gel an Fett, Herr Poſthalter, koͤnnen Sie im er-
ſten Bande von Walthers koͤſtlicher Phyſiologie
gefunden haben — der ſich vom Berliner Zer-
gliederer Walther ſo unterſcheidet wie beyder
Wiſſenſchaften, alſo wie Geiſt von Koͤrper —
Fett-Mangel macht zu empfindſam; denn die
[36] Nerven liegen halb nackt da und ſtoßen ſich an
alles. Ein fetter hingegen fuͤhrt ſie, wie Eyer
unter dieſem Ueberguß gut bewahrt bey ſich;
Speck ſchuͤtzt gegen geiſtige Hitze und gegen aͤu-
ßerliche Kaͤlte.”


Giftig redete den dicken Doktor ſelber das
Fraͤulein an, und ſagte: „ich kenne doch man-
che beliebte Perſonen von Empfindung.” —


„Von dieſem Schlage, verſetzte er, duͤrfte ich
ſelber ſeyn. Ob ich gleich als ein Mann von
Talg hier am Tafel-Ende den Fettſchweif vor-
ſtelle, den ſich das kirgiſiſche Schaf nachfaͤhrt
auf einem Waͤgelchen: ſo hab’ ich doch auch zwey
Augen und ein Schnupftuch; wie oft hab’ ich
nicht unter dem heftigſten Lachen Thraͤnen ver-
goſſen! Desgleichen bey Kaͤlte von außen. Ue-
berhaupt wie koͤnnte man, als gefrorne Winter-
butter erſcheinen, waͤre man nicht aͤußerſt weich?
Nur das Weiche kann gefrieren, Gnaͤdige,
nicht das Harte.”


Zum Gluͤck fuͤr einen Waffenſtillſtand unter-
brach eben den Doktor der oben toaſtende Stry-
kius mit ſeinen Neuigkeiten. Schwer ging ihm
[37] die unbegreifliche Verwandlung der beyden Edel-
maͤnner in ihr Wiederſpiel ein. Als er aber
endlich das Wahre begriff und erhoͤrte, und
daß Nieß bisher wie die alten Manuſkripte ohne
Titelblatt geweſen, und endlich ſich eines vor-
gebunden, ſein Namens-Pergament, und, daß
er blos nach Autor-Sitte, ſich den Namen
Theudobach geborgt und eingeaͤtzt: ſo konnte ſich
der Doktor einiger Bemerkungen und Verwun-
derungen nicht enthalten, ſondern geſtand: —
„ein Anderer als Er haͤtte dies eben ſo gut
errathen koͤnnen — ganze Namen-Raſur und
Tonſur bey Rezenſenten gebe leicht Namen-
Alibi und Namen-Nachdrucke der Autoren.“
Ja er fand hierin Aehnlichkeit zwiſchen großen
Autoren und großen Spitzbuben, daß beyde
bey ihrem Geſchaͤfte fremde Namen annehmen,
und fuͤhrte aus des Badiſchen Hofrath Roths
Gauner-Liſte von 1800 mehrere zweyte Autor-
Namen an, wie ſonſt franzöſiſche Prinzen zwey-
mal getauft wurden z. B. den großen Allgeier —
den duͤrren Herrgott — den kleinen Pappen-
heimer — den reichen Bettler oder Spatzen-
[38] darm — den großen Sauſchneider — den Hen-
nenfanger — den welſchen Mattheis — kurz
lauter Namen, woruͤber die Gauner-Bande
die wahren ſo vergißt, wie das Publikum.


[39]

34. Summula.
Brunnen-Beaͤngſtigungen.


Nach dem Entwicklungsabende erſchien Theoda
nie an der oͤffentlichen Tafel mehr; weder vaͤ-
terlicher Spott, noch Zanck bezwangen ſie. Hin-
ter ihrer jungfraͤulichen Scherzhaftigkeit, und
Entſchloſſenheit, das Rechte ſogar auf Koſten
der Form und Gewohnheit zu ergreifen, lag ein
empfindliches lange nachfuͤhlendes Herz verbor-
gen; leider hielt dieſes jetzt die Dornen der Ue-
bereilung in ſeinen Wunden feſter. Wie ſollte
ſie Unbeſcholtene das kleine Gewehrfeuer der
weiblichen Blicke ertragen? Und doch ließ ſie ſich
von dieſen mit Queckſilber gefuͤllten organiſier-
ten Nachtſchlangen noch lieber anleuchten als
von den zwey Brautfackeln der Augen des Haupt-
manns anglaͤnzen, der damit in ihren offen ge-
laſſnen Herzenskammern alles hatte ſehen koͤn-
nen, was er gewollt. Nur Nieß ſtieß ihr ohne
[40] beſondere Verlegenheit von ihrer Seite auf;
gegen ihn und deſſen Paßagier-Karaktermaske
glaubte ſie, wie wohl ſie eigentlich ihm das oͤf-
fentliche Unrecht angethan, ordentlich das meiſte
Recht zu haben. Man mag nun dieß daraus
herleiten, daß die weibliche Seele leichter vergibt,
wenn ſie Unrecht gelitten, als wenn ſie es ge-
than — oder daß ſie Irrthuͤmer lieber verdop-
pelt als zuruͤcknimmt und ſich lieber am Gegen-
ſtand derſelben rächt, als an ſich ſelber beſtraft
— oder daß ihr ſich ihr Innres ſo abſpiegelt
wie im Spiegel ſich ihr Aeußeres, naͤmlich je-
des Glied verkehrt, und das linkiſche Herz auf
der rechten Seite — oder man mag es dar-
aus erklaͤren wollen, was faſt das vorige waͤre
nur in andern Wendungen, daß Frauenſeelen
dem milden Oele gleichen, welches entbrannt
gar nicht zu loͤſchen iſt (denn Waſſer verdoppelts)
außer durch die kuͤhle Erde — und daß ſie ſich
wie der Veſuv durch Auswuͤrfe nur deſto mehr
erheben, oder daß ihre Fehler den Menſchen
gleichen, welche nach Young durch den Krieg
(d. h. durch das Erlegen) ſich erſt recht bevoͤl-
[41] kern — — kurz wie man Theoda’s Betragen
auch ableite: ich bin der Meynung, daß ich
mehr Recht habe, wenn ich behaupte, daß ſie
Herrn von Nieß weniger liebt als den Haupt-
mann. Ich berufe mich hier auf nichts als auf
die Summeln, die noch kommen.


Ihre Brunnenbeluſtigungen beſtanden jetzt
— außer einigen hinter Schnupftuch und Bett-
und Fenſtervorhang verſteckten Thraͤnen — darin,
daß ſie zuweilen mit ihrem Vater ausging, der
etwas an ſich hatte, um damit Juͤnglinge leicht
wegzuſcheuchen, oder daß ſie allein die Berge
der Blumen-Ebene beſtieg, wenn eben Ball,
Schauſpiel oder Eſſen war — oder daß ſie in das
Tagebuch an ihre Freundin fluͤchtete, wie an
eine nach heruͤbergeflogne Bruſt: Dieſes erzaͤhle
ſich denn ſelber:


[42]

35. Summula.
Theoda’s Brief an Bona.


Bona! Ich war Dir nie ernſt genug, jetzt,
dächt’ ich, waͤr’ ichs. Doch kann ich mich irren
und ich bin vielleicht nur wund. Herzen und
Glocken bekommen ſo leicht Spruͤnge bey ſtarkem
Bewegen. Waͤr ich nur mit meinem an Dei-
nem ſchneeweißen Halſe: es ſollte bald heil ſeyn.
Graͤme Dich nicht voraus, ich habe nichts ver-
loren, nicht einmal ein Stuͤckchen Liebe, bloß
ein paar Dummheiten. Nur der Mond, der
mir beym Aufgang die Augen waͤſſerte, ſteigt
jetzt immer hoͤher, und zieht mit Gewalt blut-
warme Tropfen aus der Bruſt herauf, ſo zieh’
er denn fort.


Ach Bona, ich weine! Denn ich habe
dumm gefehlt; und Du ſollſt heute alles wiſſen.
Nur wird es mir ſauer, Dir das lange hiſtori-
[43] ſche Zeug auszubreiten, da ich deſſen ſo ſatt und
genug habe. Wir brauchen einen ganzen Herbſt
dazu, eh’ wir beyde fertig ſind mit der Sache.


Herr von Nieß iſt ein Spitzbube; er iſt eben
der Dichter Theudobach eigenhaͤndig, zu dem
er mich geleiten wollen. So alſo iſt eine heu-
tige Manns- und Schreibperſon! Wenn nun,
ſage mir, die beſſern Schauſpiel-Dichter nicht
redlicher ſind, als ihre Schauſpieler oder irgend
ein feinſter Dieb: auf was hat ſich eine gute
Seele zu verlaſſen? Auf Gott und eine Freun-
din, wahrlich auf ſonſt nichts. Waͤr’ ich nur
uͤber Deine Sorge und Buͤrde hinweg und waͤre
Dein Kind an Deiner Bruſt: ſo fragte ich kei-
nen Deut nach Begebenheiten, ſondern ſaͤße
bey Dir, und erzaͤhlte ſie.


Kurz das geſchmeidige gewundene Schlan-
genweſen der Maͤnner, das ſich bis ſogar in den
Sonnentempel der Kunſt einſchlaͤngelt, legte ſich
auch an mich und meinen Vater, und kroch ein,
unter dem Namen von Theudobachs Freund.
Er konnte mithin jedes Wort hören, was ich
[44] von ihm dachte: es war ſo gut als war er mit
meiner Seele in mein Gehirn eingeſperrt.


Um uns alle recht in ſeinem blauen Dunſte
herumzufuͤhren, ſprengt er aus, der Poet
komme erſt Abends, wenn er ſeinen Ritter vor-
laͤſe. Vermuthlich war ſein Plan, wenn wir
ſo alle mitten im Jubiliren über ſeinen Ritter
und im Vormuſizieren des Staͤndchen ſaͤßen,
vom Seſſel aufzuſtehen, und zu ſagen: ich bin
der Mann ſelber. Zum Ungluͤck fuͤr ihn und
fuͤr mich verſalzte ihn ein Namensvetter das
ganze Te deum. Es tritt naͤmlich gerade, als
uns Frauen die Herzen ſteilrecht himmelan bren-
nen, ein edler junger Mann herein, den alle
Maͤdchen fuͤr den Maler und fuͤr das Urbild
des Ritters zugleich anſehn muͤſſen, nicht etwa
ich allein. In einem Traum kuͤßt’ ich einmal
einer hohen himmliſchen und doch ſanften Geſtalt
des noch ungeſehenen Dichters die Hand; gerade
ſo ſah der Fremde aus. Da ſein Name wirklich
Theudobach war, und er auch geſchrieben, wie-
wohl nur uͤber Mathematik: ſo war er neugie-
rig und zornig hieher gereiſet, um zu ſehen,
[45] wer ihm hier ſeine Rolle nachſpiele. Kurz in
der Minute, da Nieß ſich als den Theudobach
demaſkirte, ſteht der zweyte beſſere da, der ihn
in die alte Nießiſche Chauve-souris-Maſke
zuruͤckſteckt. Und wahrlich, wer nur beyde ne-
ben einander ſtehen ſah, den Hauptmann Theu-
dobach in einer Geſtalt, ſeines rieſenmaͤßigen
Uhrahns nicht unwuͤrdig, und das feine Schach-
figuͤrchen Nieß an ihm hinauf ſturmlaufend,
der mußte es machen wie ich, und an alle Deine
vernuͤnftige Rathſchläge nicht denken. Ich ging
naͤmlich oͤffentlich zum Hauptmann, und erklaͤrte
ihn fuͤr den Dichter. Mir gluͤht hier ſchmerz-
lich das Geſicht, und ich denke an meines Va-
ters Wort: „Durch Eiligkeit entſtehe oft Feuer,
und durch Langſamkeit werd’ es ſtaͤrker; weil die
Leute die Sachen gerade umkehrten.” Indeß
war jeder meiner Meynung — auch noch unter
dem Abendeſſen — gleichwohl bin ich jetzt das
Maulbronner Suͤnden-Boͤckchen und werde von
den andern Suͤnden-Zicklein meines Geſchlechts
heimlich angemeckert. Denn Nieß ſchickte mir
unter dem Eſſen meinen Brief an ihn und ſeinen
[46] Kupferſtich, kurz der Staar wurde mir mit der
Staarnadel geſtochen, und ein bischen das
Herzchen dabey.


O, wie war ich hinter meiner Augenbinde,
als haͤtte ich ſie mir vom Amor geborgt, ſo ru-
hig-froh! Wenn ich Dir erſt kuͤnftig einmal
male, wie himmliſch der Sternen-Abend war,
ſo lange mir ihn nicht mein Schmerz umzog —
wie rein-heiter ich an der Seite des guten Men-
ſchen ſaß, den ich noch fuͤr den poetiſchen Traum-
gott meiner Jugendträume anſah und wie froh
ich mein Auge auf alles um mich warf, auf die
erleuchteten Baͤume, auf jeden Gaſt am Tiſch,
wie auf die Sterne uͤber mir — wie immer das
freudige Herz uͤberkochen wollte — und wie ich
gern die armen Nachtſchmetterlinge verſcheucht
haͤtte, die ſich an den Lichtern zerſtörten — und
wie ich in die aufdaͤmmernden Wolken in Oſten
mit feuchten Augen ſah, und dachte wie gar zu
ſeelig wird dich vollends dein begluͤckender Mond
machen, wenn er dich ſo findet. Er fand mich
nicht mehr ſo — er fand mich voll Scham und
Gram, ich ſah ihn an — Dein ſtillendes Auge
[47] wäre mir heilſamer geweſen — ich grub meines
ordentlich ein in ſeinen Glanz und dachte dann
nach: wie anders, anders es geweſen waͤre,
wäre alles ſo geblieben, welch eine unvergesliche
Paradieſes Nacht, die noch in keinem Traume
gewohnt, ich haͤtte durchleben, und ewig im Her-
zen halten duͤrfen! — Es ſollte nicht ſeyn, das
zu große Gluͤck. Indeß glaub’ ich, durchquillt
keine Thraͤne ſo heißſchmelzend den ganzen Men-
ſchen, als die, die er fallen laſſen muß, wenn
er, eben ſo heiter wie andere, in einem weiten
duftenden, wehenden Arkadien angelangt und
ſtehend, ploͤtzlich von irgend einem einſamen
Ungluͤck umgriffen wird, und nun mitten unter
dem allgemeinen Geſange: „freuet euch des Le-
bens” den er mitſingt, leiſe ſagt: freuet euch
des Lebens, meines iſt anders.


Ach wozu dies alles? Aber eine wichtige
Regel macht’ ich mir; und ich wollte, beſonders
die Maͤnner hielten ſie heilig: ſchone, o ſchone
jede Seele bey einem Luſtfeſte, weil es ihr viel
zu wehe thut, mitten in der allgemeinen Freu-
den-Ernte ganz allein gar nichts zu haben, und
[48] doch noch bey dem Zentner-Ach in der Bruſt
mit einem leichten Lächel-Geſicht dazuſtehen;
daher ſollten beſonders die Liebhaber und die
Eltern uns armen Maͤdchen mit Qualen ver-
ſchonen auf Baͤllen, Hochzeitfeſten, Mayenfe-
ſten, Weinleſen ꝛc. Ach wir leiden nie mehr
als in Geſellſchaft; die Männer vielleicht in
der Einſamkeit! Ich weiß es nicht.


Jetzt ſah ich nicht mehr ab, warum ich Um-
ſtaͤnde mit der Tafel machen ſollte; ungluͤcklich
konnt’ ich ja in der Einſamkeit ſo gut ſeyn als
in der Geſellſchaft. Ich ging davon; und
ſagt’ es dem Vater. Das Aller-Duͤmſte (dacht’
ich) denken doch die Bad-Gaͤſtinnen ohnehin
von mir; alſo iſt nichts zu verderben an den
Dummheiten.


Ich konnte aber unmoͤglich ſchon nach Haus
und unter die Dach-Enge; ich mußte ins
Weiteſte; ich wollte die Sterne bey mir be-
halten. Da ſenkte mein ganzes Herz ſich ploͤtz-
lich auf die unſichtbare Bruſt meiner todten
Mutter. Ich dachte an die Zauberhoͤle, durch
deren wunderbare Lichter ſie einſt, die auf ih-
[49] ren Armen aufhuͤpfende Tochter durchgetragen;
und ich erfragte unten im Dorfe den Hoͤlen-
Eingang. Der Mond ſchien an die Pforte;
die Kinder hatten davor geſpielt, und Ketten
von Dotterblumen, und ein kleines Gaͤrtchen
von eingeſteckten Weiden zuruͤckgelaſſen. Ich
öffnete die Thuͤre um vor die weite wie ein
Leichnam in die Hoͤle begrabne Finſterniß zu
treten; aber als der Mond ſeinen Schimmer
lang hineinwarf und ich meinen Schatten drin-
nen in der Hoͤle liegen ſah: ſo ſchauderte michs;
ich ſah die Schattengeſtalt meiner Mutter in
ihrem Grabe ſchlafen; da eilt’ ich davon und
dachte mir Dich und Dein Wohl, um mein
Herz zu waͤrmen. O lebe wol!


Spaͤtere N. S. Sein Herz iſt ſein Ge-
ſicht; ich rede vom Hauptmann. Aus Zart-
heit wich er mir bisher aus; aber er ſchickte
mir durch meinen Vater ein Blaͤttchen, worin
er alle Schuld des oͤffentlichen Misverſtaͤndniſ-
ſes auf ſich nimmt und durch ſeine Zuruͤckzie-
hung, um es nicht zu beſtaͤtigen, dafuͤr zu
Zweyter Theil. 4
[50] buͤßen geſteht. Du wirſt es leſen. Es gehe
dem braven Juͤngling wohl!


Aber unendlich ſehne ich mich aus dieſem
Gottesacker voll bluͤhenden Neſſeln und begrab-
ner Schoͤnheiten hinweg an Deine treue Bruſt
hinan; dennoch muß ich ausharren, weil mein
Vater nicht eher reiſen will, als bis er, wie
er faſt ſo ernſthaft verſichert, daß man bange
wird, ſeinen Rezenſenten abgeſtraft. Erfahr’
ich indeß Deine Niederkunft: ſo bin ich ohne
Weiteres — ohne Vater und ohne Wagen —
zu Fuße bey Dir, bey meiner alten ſchoͤnern
Zeit. Sonderbar iſts, daß hier ſo manche
noch außer uns weilen, die alle nicht baden
und nicht trinken, naͤmlich Nieß und ſogar
der Hauptmann.


[51]

36. Summula.
Herzens-Interim.


Jetzt liefen vier Menſchen wie vier Akte im-
mer naͤher in den Brennpunkt eines fuͤnften
zuſammen. Aber Nieß gehoͤrte nicht unter die
Stralen. Nachdem er lange und vergeblich
bey Theoda auf den Thron des Autors ſich
als Menſch hin zu ſetzen verſucht; — nachdem
er den vielſchneidigen Schmerz empfunden,
daß ein bloßes Maͤdchen, und ein begeiſtertes
fuͤr ihn dazu und eine Reiſegefaͤhrten obendrein
den Dichtergeiſt nur als zufaͤllige Flamme wie
das S. Elms Feuer an ſeinen Maſten gefunden,
oder nur wie Blumen auf rohem Stamm:
ſo war er ſeiner Sache gewiß, und Theoda’s
ledig, und der Blumenbeluſtigungen froh, naͤm-
lich des allgemeinen Lobes. Die Trompete der
Fama blaͤſet am leichteſten die Maͤdchen aus
dem maͤnnlichen Herzen. Er war jetzt im
[52] Stande, ſich ſelber zu leben und ſeine Unſterb-
lichkeit einzukaſſiren —; ganz Maulbronn
ſchwamm ihm zu — er konnte (er thats auch)
ſeinen Stock aus Vergeſſenheit liegen laſſen,
damit ihn am Bad-Morgen die ſchönere
Hände herumtrugen und die Herzen dabey
gloſſirten. — Er konnte mit wahrem dichte-
riſchen Tiefſinn uͤberall luſtwandeln und keinen
Menſchen bemerken, da es ihm genug war,
wenn er bemerkt wurde in ſeinen Schoͤpfun-
gen mitten am hellen Tage. Er konnte ſich
hundertmal oͤffentlich vergeſſen um eben ſo oft
an ſich zu erinnern. — Ohnehin konnte (und
mußte) er den Maulbronnern Schauſpielern
als fluͤgelmaͤnniſcher Vor-Soufleur vorſitzen
und ſich in der umherſtehenden Lern-Truppe
wie in einem Spiegelzimmer vervielfachen. — —


Dieß alles heilte das Herz; denn es gab
Luſt und Tumult; worin man eben Lieben ſo
leicht verſaͤumt, als die Chriſten an Kirchweih-
Tagen (Kirmeß) die Fruͤhpredigt. Am meiſten
aber wurd’ er von ſeiner Paſſion durch den
Abſatz heil, den ſeine Haare bey den Damen
[53] fanden. Da er vorausſah, daß ſeine Verehrerin-
nen nach einer Reliquie von ihm ſo laufen wuͤrden,
als das Volk nach dem Lappen eines Gehenk-
ten, wiewol jene fuͤr das Bezaubern, und die-
ſes gegen daſſelbe: — ſo hatt’ er abſichtlich
ſeine Haar-Schur dem Bad aufgehoben und da-
her ſeinem Bedienten verſtattet, ſie anzukuͤndigen
und mit ſeiner Pegaſus-Maͤhne einen kleinen
Schnitthandel anzulegen. In der That ſchlug
die Spekulazion mit dem Flor von ſeinen Haar-
zwiebeln ſo gut ein als der hollaͤndiſche mit
Blumenzwiebeln; ja eine Gräfin wollte den
ganzen Artikel allein an ſich bringen zu einer
adlichen und genialen Peruͤcke, ſo verſeſſen
war alles auf die Geburten ſeines fruchtbaren
Kopfes, es mochten Gefuͤhle oder Locken ſeyn.
Dieſer Handelsflor ſeines Bedienten, wovon
ihm ſelber gerade das Geiſtigſte zuwehte, das
Lob, ließ ihn wie gedacht, Theoda’s Verluſt
maͤnnlicher verſchmerzen, als er ſonſt gehofft;
indeß ob er ihr gleich ſeine Kroͤnungen d. h.
ſeine Tonſuren nicht am ſorgfaͤltigſten zu ver-
hehlen ſtrebte, ſo warf er als heiliger Vater
[54] der Muſen doch mitten unter ſeinem Kardi-
nals-Gefolge, aus angeborner Gutmuͤthigkeit,
ſtatt der Bannſtralen ſanfte Sonnenblicke von
Zeit zu Zeit auf die verlaſſene Geliebte, um
wie er hoffte, ſie dadurch unter ihrer Laſt, wo
moͤglich aufrecht zu erhalten.


Hingegen den Hauptmann ſah er kaum
an — erſtlich vor Ingrimm — zweytens weil
er ihm nicht ſah oder ſelten. Der gute Meß-
künſtler — dem ſich jetzt das Leben mit einem
neuen Flor bezogen hatte und der Brunnen-
Laͤrm ſich zur Trauermuſik einer Soldatenleiche
gedaͤmpft — war nirgends zu ſehen, als über
den unzaͤhligen Druckfehlern ſeines mathema-
tiſchen Kaͤſtners, welche er endlich einmal,
da er ſie bisher immer nur improviſierend und
im Kopfe umgebeſſert, von Band zu Band
mit der Feder ausmuſterte. So wenig er nun
Urſache hatte, da zu bleiben, ſo wenig hatt’ er
Kraft, fortzureiſen. Bracht’ er ſich ſelber auf
die Folter, und auf die peinliche Frage, was
ihn denn plage und nage, ſo fragte er nichts
heraus als dieß, es gehe ihm gar zu nahe,
[55] daß er ein unſchuldiges Frauenzimmerchen
durch ſeinen misverſtandnen Namens-Wett-
kampf mit Nießen zu einer Etourderie hinge-
lockt, und ſie mit Gewalt in die Bußzellen der
Einſamkeit gejagt. „Die Wunden ihres Ehr-
gefuͤhls, ſagt’ er ſich, muͤſſen ſie ja noch hei-
ßer ſchmerzen als einen Mann die des ſeini-
gen; und ich waͤre ja ein Hund, wenn ich
nicht alles thaͤte, was ich koͤnnte und nicht ſo
weit wegbliebe von ihr, als nur menſchenmög-
lich,” Dennoch fuhr er oft mitten aus den
kaͤlteſten Rechnungen — die ihn eben weniger
zerſtreuten, weil ſie ihn weniger anſtrengten
als einen andern — zaͤhne-knirſchend und
ſchmerzen-gluͤhend auf vom Buche (er hatte
unbewußt fortgerechnet und fortgefuͤhlt) und
ſagte: „o mein Gott! was iſt denn? Dieß
hole der Teufel, o Gott!”


Ein redlicher Kriegs- und Meßkuͤnſtler von
Juͤngling, dem bisher das leichte Blut ſo un-
gedaͤmmt durch das ſtill-offne Herz geflogen,
weiß gar nicht, wie er ſich einmal einen ganz
andern Gang und Schlag erklären und erleich-
[56] tern ſoll; er ſeufzt und weiß nicht woruͤber
und wofuͤr. Er moͤchte ſterben und leben,
toͤdten und kuͤſſen, weinen und lachen; aber er
kann doch nicht ſeine ſuͤßgluͤhende Hölle aus-
loͤſchen mit allen Thraͤnen der erſten Sehn-
ſucht.


Wie wolgemuth und froh haͤlt dagegen ein
Mann wie Nieß, der ſchon oͤfter den heißen
Liebes-Gleicher paſſirt iſt, den bitterſten Her-
zens-Harm aus! Ordentlich mit Luſt ſchmilzt
er in Thraͤnen und ſchnalzt, wie ein luſtiger
Fiſch. Das Gefuͤhl, das bey einem mathe-
matiſchen Theudobach eine druͤckende Perle in
der Auſter iſt, traͤgt er als eine ſchmuͤckende
auſſen an ſich. Kurz er gehoͤrt zu den Leuten,
wovon ich einmal folgendes getraͤumt. Ich
hatte aber vorher geleſen, wie man in Oeſt-
reich die Kompagnieen zum Beten ſo komman-
dirt: „ſtellt euch zum Gebet! — Hergeſtellt
euch zum Gebet! — Kniet nieder zum Ge-
bet! — Auf vom Gebet!” — Da der Fluͤ-
gelmann alle andaͤchtigen Handgriffe deutlich
vormacht und fruͤher als die Kompagnie ſein
[57] Herz zu Gott erhebt, dankend oder flehend:
ſo kann kein Kerl aus der ganzen ſo fuͤr die
Andacht zugeſtutzten Kompagnie im Beten ſtol-
pern ohne eigne Schuld, und falls einer eine
Minute laͤnger als der Fluͤgelmann Gott ver-
ehrte, ſo wird er mit Recht vom Offizier zu
allen Teufeln verflucht. In meinem Traume
aber war von einem naͤhern Anbeten die Rede
und mehr Kommandowoͤrter in Gang. Ich
war zugleich der Offizier und der Fluͤgelmann
— die groͤßte Schoͤnheit Baireuths ſaß auf
dem Kanapee — und ich ſagte zu meiner
Rotte: „Hergeſtellt euch zum Anbeten! —
Kniet nieder zum Anbeten! — Sehnet euch!
— Hand gekuͤßt! — Seufzer ausgeſtoßen! —
Thraͤnen vergoſſen! — Fallt in Verzweif-
lung! — Ermannt euch! — Aufgelacht! —
Aufgeſtanden!” — Und ſo hab’ ich und die
Rotte das Roman-Exerzizium ſiebenmal in ſo
kurzer Zeit durchgemacht, daß wir fertig wa-
ren, eh’ ich erwachte.


[58]

37. Summula.
Wichtige Neuigkeit.


Noch immer blieb der Doktor Strykius un-
gepruͤgelt — und Theoda voll Sehnſucht nach
Bona, und der Hauptmann unentſchloſſen zur
Reiſe: als der Landesherr des Badorts ankam
und mit ihm die Ausſicht auf neue scenes à
tiroir
, auf neue Spektakelſtuͤcke und Szenen-
maler fuͤr dieſe kleine Buͤhne; beſonders die
Ausſicht auf die Erleuchtung der Hoͤle.


„Wird die Hoͤle erleuchtet, dachte der Dok-
tor, ſo ſind’ ich vielleicht einen entlegenen fin-
ſtern Winkel darin, worin ich dem Hoͤlen-Auf-
ſeher (Strykius) vor der Hand mit einem Im-
biß der zugedachten Henkersmalzeit bewirthe;
oder mit einem Vorſabbath ſeines Hexenſab-
baths — dergleichen waͤre eben wahre Kriegs-
befeſtigung im juridiſchen Sinne — ja ein blo-
ßer im Finſtern recht geworfner Stein waͤre
[59] wenigſtens eine Ouvertuͤre fuͤr ſeinen nicht off-
nen Kopf. In jedem Falle kann ich bey der
Erleuchtung die Knochen der Hoͤlenbaͤren, die
darin liegen ſollen, beſſer ſuchen und holen;
der Kerl bleibt mir ja immer.”


Wirklich wurde die Erleuchtung der Hoͤle,
gleichſam die einer unterirdiſchen Peterskuppel,
auf den naͤchſten Sonntag angekuͤndigt. Fuͤr
Theoda nahte das muͤtterliche Todtenfeſt: „wei-
ter wollt’ ich ja hier nichts mehr” ſagte ſie.


Vormittags am ſehnlich erwarteten Sonn-
tag langte aus Pira zu Fuße der ſchweiß-blei-
che Zoller und Umgelder Mehlhorn mit einem
Gevatter-Brief an den Doktor an. Glaub-
wuͤrdige Zeugniſſe hat man zwar nicht in Haͤn-
den, womit unumſtoͤßlich zu beweiſen waͤre,
daß Katzenberger auf ſeinem Geſichte uͤber
dieſe Freudenbothſchaft beſondern Jubel, au-
ßerordentliche Erntetänze oder Freudenfeuer mit
Freudenthraͤnen vermiſcht habe ſehen laſſen;
aber ſo viel weiß man zu ſeiner Ehre deſto ge-
wiſſer, daß er ſich im hoͤchſten Grade anſtrengte,
(er beruft ſich auf jeden, der ihn geſehen),
[60] ſtarke Freude zu aͤußern, nur daß es ihm ſo
leicht nicht wurde, auf die Schwefelpaſte ſeines
Geſichts die leichten Roͤthelzeichnungen eines
matten Freudenroths hinzuwerfen; beſonders
wenn man bedenkt, daß er auf ſeinem Janus-
Geſicht zwey einander deckende Gefuͤhle zu be-
herbergen hatte, Luſt und Unluſt. Kurz er
bracht’ es bald dahin, daß er, da er anfangs
ſo verbluͤft umher ſah wie ein Hamſter, den
ein ſchwuͤler Hornung vorzeitig aus dem Win-
terſchlaf reißt, dann lebendig aufblickte und
aufſprang. Gegen den gutmuͤthigen Mehlhorn
war aber auch Haͤrte ſo leicht nicht anwend-
bar; er ſtand da mit dem weißen Vollgeſicht,
ſo lauter Nachgeben, lauter Hochachten und
Hoffen und Vaters-Frohlocken! Wenigſtens
der Teufel haͤtte ihn geſchont.


Da ohnehin an kein Abſchrecken vom Ge-
vatterbitten mehr zu denken war: ſo uͤberſchuͤt-
tete ihn der Doktor mit allem, was er Beſtes,
naͤmlich Geiſtiges hatte, mit Herzensliebe,
Hochachtung, innern Freudenregungen und
dergleichen verſchwenderiſch, gleichſam mit ei-
[61] nem Pathengeſchenk edlerer Art, um nur an
ſchlechte maßive Gaben gar nicht zu denken.
Sein Herz fuͤhlte ſich weit ſeliger dabey, wenn
er eine geliebte Hand recht herzlich druͤcken
und ſchütteln durfte, als ſie fuͤllen mußte.


Nur etwas fiel ihm noch bey; naͤmlich eine
Mißgeburt hätt’ er gern aus der Taufe geho-
ben und beſchenkt mit ſeinem Namen. „Der
Junge iſt wohl regelmaͤßig gebaut?” fragt’ er.
„H. Doktor, verſetzte der Zoller, wahrlich wir
alle koͤnnen Gott nicht genug dafuͤr danken;
er iſt aber, wie die Wehmutter ſagt, wie aus
dem Ey geſchaͤlt fuͤr ſein Alter.”


„Aus dem Ey fuͤr ſein Alter? verſetzte er
etwas verdruͤßlich. — Verſteigen Sie ſich nicht
mit einem Anachronismus in die Phyſiolo-
gie!” — „Gott, Nein, fuhr Mehlhorn fort,
und die Woͤchnerin iſt gottlob ſo friſch wie ich
ſelber.” — „Ja, das iſt ſie, Gott ſey Dank”
rief Theoda nach der Leſung des vierzeiligen
Briefchens von Bona, und ſtuͤrzte vor Freude
dem Zoller an den Hals. „Noch heute, ſagte
ſie, geh’ ich zu Fuße mit Ihnen und laufe die
[62] ganze Nacht durch, denn ſie verlangt mich
und nichts ſoll mich abhalten.” Bona hatte
ſie allerdings zum Schutzengel weniger ihrer
Perſon als des Haushaltens angerufen, aber
eigentlich nur, um ſelber Theoda’s Engel zu
ſeyn, deren ungluͤckliche Lage, wo nicht gar
ungluͤckliche Liebe ſie nach ihren letzten Tage-
blaͤttern zu kennen glaubte, und zu mildern
vorhatte.


Allein Mehlhorn konnte ſein Ja und ſeine
Freude uͤber die ſchnelle Abreiſe nicht ſtark ge-
nug ausdruͤcken, ſondern bloß zu ſchwach,
denn da der Mann einen Tag und eine Nacht
lange mit ſeinem Gevatter-Evangelium auf
den Beinen geweſen, ſo ſehnte er ſich herzlich
in der naͤchſten ſtatt auf den Beinen nur halb
ſo lange auf dem Ruͤcken zu ſeyn im Bett.
Der Vater ſagte, er ſtemme ſich nicht dage-
gen, gegen Theoda’s Abreiſe; uͤberall laſſ’ er
ihr Freiheit. Er ſah zwar leicht voraus, daß
ſie der Umgelder als galanter Herr unterwegs
koſtfrey halten wuͤrde; aber ſolchen elenden
Geld-Ruͤckſichten haͤtt’ er um keinen Preis die
[63] Freiheit und die Freilaſſung einer volljaͤhrigen
Tochter geopfert. Dazu kam, daß er ſich öf-
fentlich ſeines Gevatters ſchaͤmte; der Zoller
war naͤmlich in der gelehrten Welt weder als
großer Artzt noch ſonſt als großer Mann be-
kannt. Was er wirklich verſtand — das Zoll-
weſen — hatte Katzenberger ihm laͤngſt abge-
hoͤrt, aber der Doktor gehoͤrte eben unter die
Menſchen, welche ſo lange lieben, als ſie ler-
nen — was die armen Opfer ſo wenig be-
greifen, welche nie vergeſſen koͤnnen, daß ſie
einmal von dem Uebermächtigen geachtet
worden. —


Katzenbergers Herz war in dieſer Ruͤckſicht
vielleicht das Herz manches Genies; wenig-
ſtens ſo etwas von moraliſchem Leerdarm. Be-
kanntlich wird dieſer immer in Leichen leer ge-
funden — nicht weil er weniger voll wird,
ſondern weil er ſchneller verdaut und fort-
ſchaft; — und ſo gibts Leer-Herzen, welche
nichts haben, bloß weil ſie nichts behalten,
ſondern alles zerſetzt forttreiben.


[64]

Aber ſchnell nach der Einwilligung des Dok-
tors erkannte die vorher freuden berauſchte
Theoda die nähern Umſtaͤnde der Zeit. Hier
fiel ihr Licht auf ihren unbeſonnenen Antrag,
den Gevatter todt zu gehen! ſie nahm ihn er-
ſchrocken zuruͤck, und ſchlug ihm ſo fort den
ſchoͤnern und hellern Gang vor, den in die
abends erleuchtete Hoͤle. Da Katzenberger zu
viel Ehrgefuͤhl und Geld beſaß, als daß er ſich
nicht haͤtte verpflichtet fuͤhlen ſollen, ſeinen
Gevatter an der oͤffentlichen Wirthstafel mit
ſchlechtem Tiſch-Kraͤtzer zu erfreuen und ihn
eine glaͤnzende Tafel voll Blasmuſik abgraſen
zu laſſen, wo außer Grafen und Herrn der
Voͤlkerhirt ſelber ſaß: ſo wurde denn ein er-
ſter Tiſch- oder Fechter-Gang verabredet und
angetreten, wohin, denk’ ich, alles was in
der kuͤnftigen Nachwelt Anſpruch auf hoͤhere
Bildung macht, uns ohne Weiteres, wenn
auch in einiger Ferne (von Zeit) ohnehin nach-
folgen wird.


[65]

38. Summula.
Wie Katzenberger ſeinen Gevatter
und andere traktirt
.


Auch Theoda begab ſich wieder an die oͤffent-
liche Tafel naͤmlich zum letztenmale und an
dem Arme des Zollers, der ganz ſtolz auf die
Ehre einer ſo vornehmen Nachbarſchaft, und
auf den Schein, weniger der Gaſt des Va-
ters, als der Wirth der Tochter zu ſeyn, ſie
an ihren Seſſel geleitete. Es iſt zweifelhaft,
ob ihr Entſchluß der oͤffentlichen Erſcheinung
bloß von ihrer Gevatter-Freude herkam, oder
von ihrer Achtung gegen Mehlhorn, der ohne ihre
Nachbarſchaft nur eine ſehr kalte an der vaͤterlichen
finden konnte; — oder vom Gedanken der Abreiſe,
und vom Aufwachen ihres alten Stolzes —
oder (wer koͤnnt’ es wiſſen) vom Wunſche an
der Tafel einen Fuͤrſten zum erſtenmale zu er-
blicken, oder gar den Hauptmann Theudobach
Zweyter Theil. 5
[66] zum letztenmale, oder von der Ausſicht in die
Abends aufleuchtende Eden-Grotte; — oder
aus unbekannten Urſachen, ſehr zweifelhaft,
ſag’ ich, iſt es, aus welcher von ſo vielen Ur-
ſachen ihre Umaͤnderung entſprang, und mein
Beweis iſt der, daß es wahrſcheinlich iſt, alle
dieſe Gruͤnde zuſammen — auch die unbekann-
ten — haben mitgewirkt.


Theoda ſollte diesmal immer froher werden;
noch vor dem Eſſen ſah ſie ihren Vater uͤber
100 Vaterunſer lang vom Fuͤrſten gehalten
und gehoͤrt. Der Fuͤrſt hoͤrte wie andere Fuͤr-
ſten Gelehrte aller Art faſt noch lieber und
noch laͤnger als er ſie las; vollends einen, der
wie Katzenberger nicht ſein Landeskind, ſeine
Landesplage, oder ſonſt von ihm abhaͤngig
war; er befragte ihn beſonders uͤber die Heil-
kräfte des Brunnens. Der Doktor ſetzte ſie
ſehr hoch hinauf und ſagte, er habe ein klei-
nes chemiſches Traktaͤtchen in der Taſche, worin
er dargethan, der Maulbronner Brunnen ver-
einige als Schwefel-Waſſer alle Kraͤfte des
Aachner, des Zayſenhauſer im Wuͤrtembergi-
[67] ſchen und des Wildbads zu Abach, wie ſchon
das haͤßliche Stinken nach faulen Eyern ver-
ſpreche. Hier wollt’ er das Traktaͤtchen aus der
Taſche ziehen, bekam aber ſtatt deſſen den
Schwanz des ausgeſtopften Kaͤtzchens von St.
Wolfgang in die Hand und wollte nicht gern
heraus; er fuhr in die andern Taſchen, ſtieß
aber auf den neueſten Hoͤlenbaͤren-Knochen,
den er aus der Hoͤle zu ſich geſteckt. „Ei wie
boͤſe, ſagt’ er. Alle Taſchen ſind voll, es iſt
aber nichts darin, ich meine keine Abhandlung.”
Der Fuͤrſt laͤchelte, vergab und erſuchte um
das Traktaͤtchen, und nahm von dem unab-
haͤngigen beruͤhmten Gelehrten — der ſeinen
Buͤckling mehr nur mit dem innern Menſchen
machen konnte, obwol nur vor einem van
Swieten, Sydenham, Haller, Swift — mit
groͤßerer Hoͤflichkeit Abſchied als Katzenberger
verhaͤltnismäßig erwiederte. Warum aber?
vielleicht weil uͤberhaupt Fuͤrſten gern dem
fremden Gelehrten am höflichſten begegnen
— weil ihre Hoͤflichkeit ſie noch nichts koſtet —
weil ſie ihn erſt angeln wollen — weil ein
[68] von innen aus Freigemachter bey ihnen unter
die Freiherrn und Freifrauen tritt, d. h. un-
ter ihres Gleichen — weil die Sache ohne
Folgen (gute ausgenommen) iſt — weil die
Fuͤrſten gern alles thun aber nur Einmal, auch
das Beſte — weil die ganze Sache kurz abge-
than, und lang abgeſprochen wird — weil ſie
einmal in Erſtaunen ihrer Herablaſſung ſetzen
wollen, welches bey Unterthanen ſie zu viel
koſten wuͤrde — weil ſie vom Manne ſpaͤter
an der Tafel etwas ſagen wollen, und ihn alſo
vorher etwas ſagen laſſen muͤſſen — und weil
ſie eben daſſelbe ohne alle Gruͤnde thäten, um
ſo mehr da ſie den beſagten Mann ſchon halb
vergeſſen, wenn er noch da ſteht und ſich nach
Jahren kaum erinnern, wer der Menſch ge-
weſen.


Doch aber auch einheimiſche Gelehrte könn-
ten dieß benutzen; da die Fuͤrſten oft den Sul-
tanen gleichen, welche auf einem verſchnittenen
Zwerge ſich in den Sattel ſchwingen. Es
bleibt daher unbegreiflich, warum bisher die
Aerzte und die Rechtsgelehrten gegen die hoͤ-
[69] hern Staͤnde nicht zehnmal gröber ausfallen
als ſie thun und nicht ſo grob als die Virtuo-
ſen der Zeichen-, der Ton-, der Schau- und
der Tanzkunſt längſt gethan; denn ohne jene,
die ja erſt Lang-Leben und Wolleben verſchaf-
fen, ſind alle Springer und Geiger unbrauch-
bar, indem alle Philoſophen daruͤber einig ſind,
daß man um wol zu leben, zuvoͤrderſt leben
muͤſſe. Doch ſprech’ ich jenen nicht alle Grob-
heit ab, ſondern nur den Grad. Etwas an-
ders ſind Dichter, Weltweiſe und Moraliſten,
ja Prediger (in unſern Tagen), dieſe koͤnnen
nie hoͤfflich genug ſeyn, weil ſie nie unentbehr-
lich genug ſind.


Endlich ſetzte ſich der Doktor mit dem
Glanze, den er als ein Lichtmagnet an ſich
gezogen vom Fuͤrſten-Sterne, kalt zu ſeinem
Gaſte und ſeiner Tochter. Letzterer haͤtte bey-
nahe den Hunger verloren vor Anbetung des
Fuͤrſten und vor Bewunderung Katzenbergers,
der ſo leicht mit jenem diskuriert hatte. Un-
ter dem Eſſen lenkte der Doktor die Rede aufs
Eſſen und merkte an, er wundre ſich uͤber
[70] nichts mehr, als daß man bey der Seltenheit
von Kadavern und vollends von lebendigen
Zergliederungen, ſo wenig den fuͤr die Wiſſen-
ſchaft benutze, in dem man ſelber ſtecke, beſon-
ders im Sommer, wo todte faulen. „Waͤr’ es
Ihnen zuwider, H. Mehlhorn, wenn ich jetzt
z. B. den Genuß der Speiſen zugleich mit ei-
nem Genuſſe von anatomiſchen Wahrheiten
oder Seelenſpeiſen begleitete?” „Mit tauſend
Wohlgefallen, theuerſter H. Doktor, ſagt’ er,
ſobald ich nur kapabel bin, Ihrer gelehrten
Zunge zu folgen.” — „Sie brauchen bloß zu
meinem Sprechen zu kaͤuen; naͤmlich bloß von
der Kaͤuungsfunkzion will ich Ihnen einen klei-
nen wiſſenſchaftlichen Abriß geben, den Sie
auf der Stelle gegen Ihre eigne, als gegen
lebendiges Urbild halten ſollen. — Nun gut! —
Sie kaͤuen jetzt; wiſſen Sie aber, daß die He-
belgattung, nach welcher die Kaͤumuskeln Ihre
beyden Kiefern bewegen (eigentlich nur den
untern) durchaus die ſchlechteſte iſt, naͤmlich
die ſogenannte dritte, d. h. die Laſt oder der
Bolus iſt in der größten Entfernung vom Ru-
[71] hepunkte des Hebels; daher koͤnnen Sie mit
Ihren Hundszaͤhnen keine Nuß aufbeißen,
ob wol mit den Weisheitszaͤhnen. Aber wei-
ter! Indem Sie nun den Farſch da auf Ih-
ren Teller erblicken: ſo bekommt (bemerken
Sie ſich jetzt) die Parotis (hier ungefaͤhr lie-
gend) ſo wie die Speicheldruͤſe des Unterkiefers
auch, Erekzionen, und endlich gießt ſie durch
den ſtenoniſchen Gang dem Farſche den noͤthi-
gen Speichel zu, deſſen Schaum, wie jeder
andere, Sie bloß den ausdehnenden Luftarten
verdanken. Ich bitte Sie, lieber Zoller, fort-
zukaͤuen, denn nun fließet noch aus dem du-
ctus nasalis
und aus den Thraͤnendruͤſen alles
nach, woraus Sie Hoffnung ſchoͤpfen, ſo viel
zu verdauen, als Sie hier verzehren. Nach
dieſem Seedienſt kommt der Landdienſt.” —


Hier lachte der Zoller uͤber die Maßen,
theils um hoͤflich zu erſcheinen, theils das Mis-
behagen zu verhehlen, womit er unter dieſem
Privatiſſimum von Lehr-Curſus alles ver-
ſchlang; — gleichwol mußt’ er fortfahren, zu
genießen. —


[72]

„Ich meine unter dem Landdienſt dieß:
jetzt greift Ihr Trompetenmuskel ein und treibt
den Farſch unter die Zaͤhne — Ihre Zunge
und Ihre Backen ſtehen ihm bey und wen-
den, und ſchaufeln hin und her — Ausbeugen
kann der Farſch unmoͤglich — Auswandern
eben ſo wenig, weil Sie ihn mit zwey haͤuti-
gen Klappen (Wangen im gemeinen Leben)
und noch mit dem Ringmuskel oder Sphin-
kter des Mundes (dieß iſt nur Ihr erſter
Sphinkter, nicht Ihr letzter damit korre-
ſpondierender, was ſich hier nicht weiter zeigen
laͤßt) auf das Schaͤrfſte inhaftieren und ein-
klammern — kurz der Farſch wird trefflich zu
einem ſogenannten Biſſen, wie ich ſehe, zuge-
hobelt und eingefeuchtet. — Nun haben Sie
nichts weiter zu thun, (und ich bitte Sie um
dieſe Gefaͤlligkeit) als den fertigen Bolus in
die Rachenhoͤle, in den Schlundkopf abzufüh-
ren. Hier aber hoͤrt die Allmacht Ihres Gei-
ſtes, mein Umgelder, gleichſam an einem Gränz-
kordon auf und es kommt nun nicht mehr auf
jenes eben ſo unerklaͤrliche als erhabne Vermö-
[73] gen der Freiheit (unſer Unterſchied von den
Thieren) an, ob Sie den Farſch-Biſſen hin-
unter ſchlucken wollen oder nicht (den Sie noch
vor wenigen Sekunden auf den Teller ſpeien
konnten), ſondern Sie muͤſſen, an die Sperr-
kette oder Trenſe Ihres Schlundes geheftet,
nun hinabſchlingen. Jetzt kommt es auf
meine guͤtige Zuhoͤrerſchaft an, ob wir den
Biſſen des H. Zollers begleiten wollen auf
ſeinen erſten Wegen, bis wir weiter kom-
men. —


Mehlhorn, dem der Farſch ſo ſchmeckte
wie Teufelsdreck, verſetzte: „wie gern er ſei-
nes Parts dergleichen vernehme, brauch’ er
wol nicht zu beſchwoͤren; aber auf ihn allein
komm’ es freylich nicht an.” „Ich darf denn
fortfahren?” ſagte der Doktor. „Vortrefflicher
Herr, verſetzte eine aͤltliche Dame, Ihr Dis-
kurs iſt gewiß uͤber alles gelehrt, aber unter
dem Eſſen macht er wie deſperat.” — „Und
dieß iſt, erwiederte er, auch leicht zu erklaͤren;
denn ich geſtehe, daß ich ſelber unter allen
Empfindungen keine kenne, die ſtaͤrker, aber
[74] auch grundloſer iſt und die weniger Vernunft
annimmt, als der Ekel thut. Ein Beyſpiel
ſtatt tauſend! Wein, Alpenwaſſer, Likör,
kurz nichts iſt uns ſo rein, ſo einheimiſch und
ſo zugeartet, und bleibt Tage lang (was
nichts Fremdes kann) ſo gern in unſerm
Munde als etwas, wovon der Beſitzer, wenn
es heraus waͤre, keine halbe Theetaſſe trinken
koͤnnte — Speichel. Iſt dieß kein wahrer
Unſinn, ſo iſts auch vernuͤnftig, wenn ich mei-
nen trefflichen H. Kollegen Strykius verab-
ſcheue aus Ekel, bloß weil er, obwol mir in
Wiſſenſchaft und Streben ſo verwandt und durch
Freundſchaft gewiſſermaßen ein Theil meines
Innern, außer mir ſtaͤnde neben meinem
Stuhle.”


Darneben war wirklich der Brunnenarzt
Strykius im Muthe des Wein-Deſerts getre-
ten, um vielleicht ſeinem Landesherrn von wei-
tem zu zeigen, daß er weit entfernt von Neid
gerade im innigſten Verſtaͤndniſſe mit dem ge-
lehrten Manne ſtehe. Aber Katzenberger ver-
ſaͤuerte ihm dieſen Schein etwas; denn er kam
[75] durch einen ſchwachen, nicht ſehr maskirten
Umweg auf ſeinen Rezenſenten zuruͤck —
(Der Umweg war bloß die Einſchraͤnkung des
vorigen Satzes uͤber den Abſcheu, nämlich die
Bemerkung, daß ihn allerdings ſein Kunſtrich-
ter, obwol Handwerksgenoß anekle) — er
ſprach davon, was wir leider ſo oft in dieſem
Werkchen geleſen, von der Suͤnde, Eine
Stimme fuͤr mehrere, fuͤr drey Inſtanzen zu
verkaufen, Einen Geſchwornen Meineidigen fuͤr
eine Jury, Einen Judas fuͤr elf Apoſtel. Er
brachte dann wieder — was wir alle leider ſo
oft von ihm gehoͤrt, ſo daß ich die Leſer faſt
noch mehr bedaure als mich — die alten kal-
ten Einkleidungen ſeines kuͤnftigen Auspruͤgelns
zu Markte, und äußerte (denn ich fuͤhre nicht
alles an), ihn quaͤle ſehr die Wahl, wie ers
zu halten habe, da er von der einen Seite
recht gut dem Kunſtrichter blos die Haare aus-
ziehen könne, weil nach Aretaͤus ſchon bloßes
Abſcheren Wahnſinn heile (wie an den Titus-
koͤpfen der Revoluzion noch zu ſehen), aber
da er auch von der andern Seite noch ſtaͤrker
[76] zu Werke gehen und den Kerl wie Bierfla-
ſchen, durch Schrot reinigen koͤnne, welcher
Schrot freilich anders als bey der Flaſche,
bloß durch einen Schuß in ihn zu bringen
wäre, wiewol man bey Bley des Feindes Ge-
ſundheit ſtets risquiere, weil daſſelbe ſtets ver-
gifte; es fließe nun langſam und ſuͤß in Wein
aufgeloͤßt in den Magen, oder es fahre im
Ganzen roh durch Magen und Leib.


Bon! verſetzte Strykius und verſtand
Spaß. — Wer Leben wieder giebt, kann es
auch zuruͤcknehmen und Sie koͤnnen ermorden,
weil Sie oft genug geheilet haben. Doch
Scherz bey Seite! — Ich habe, guter Katzen-
berger, Ihre koͤſtlichen Werke erſt nach den
Rezenſionen geleſen.” — —


— „Ganz natuͤrlich! unterbrach der Do-
ktor… Und ich habe etwas darin gefunden,
was ich noch von Niemand gehoͤrt, daß Sie
nämlich einem beruͤhmten Englaͤnder aufs Haar
gleichen?”


„Wem aufs Haar?” fragt’ er.


„Dem wackern Doktor und Romancier
[77] Smollet
in London. Weniger in Wiſſenſchaft
— denn hier weiß ich nicht genau, ob Smol-
let beſondere Vorzuͤge beſeſſen — als im Hu-
mor; wie, Herr Doktor?” —


„Pruͤgelſzenen, verſetzte er, hat er aller-
dings einladend dargeſtellt und in ſo fern duͤrft’
ich etwas von ihm haben, wiewol nicht in
theoretiſcher Darſtellung, ſondern etwan in
praktiſcher; denn ich frage Sie als Unbefan-
genen ernſtlich, ob es eine größere Halunkerey
gebe, als mit ſieben Stimmen aus drey Zer-
berus-Kehl-Köpfen” — —


„Wir kennen dieß, Freund; Vielleicht
haben wir beyde etwas getrunken! wenigſtens
ich!”


„Sie bleiben Smolletus secundus.” —
ſagte Strykius.


„Kommt der Leibmedikus Semmelmann
nicht dem Fuͤrſten nach?” fragte der Doktor
mit einer ſeltſamen Mine, welche thun ſollte
als wolle ſie Erbitterung und Hinterliſt ver-
bergen. Strykius ſtarrte ploͤtzlich in eine
ganz neue, aber huͤbſche Perſpektive hinein —
[78] glaubte zu wittern, daß der Doktor den Leib-
medikus Semmelmann fuͤr den pruͤgelbaren
Rezenſenten halte — und verſetzte: „kuͤnftige
Woche!”


[79]

39. Summula.
Doktors Hoͤlen-Beſuch.


Eine Stunde vor Sonnenuntergang war die
Hoͤle mit Lampen erleuchtet. Der Brunnen-
arzt, zugleich Hölen-Inſpektor, hatte jetzt ei-
nen fluͤchtigen aber guten Einfall, als er im
engen langen Eingange ſtand. Katzenbergers
kalte Handhabung ſeiner, zumal vor den Au-
gen ſeines Fuͤrſten hatt’ ihn wahrhaft verdroſ-
ſen; denn gern ließ er ſich Herabwuͤrdigung
gefallen; aber ſein Ehrgefuͤhl litt empfindlich,
ſobald man ſie ihm nicht unter vier Augen an-
that. Daher gerieth er auf den Gedanken:
jetzt, wenn der Doktor durch die wie ein
Sperrkreutz laufende Thuͤre in den engen duͤ-
ſtern Gang eintrete und einige Minuten lang
vom Tageslichte ſo blind in dieſe untere Welt
komme, als ein neugeborner Hund in die
obere, ihm auf ſeine beiſſigen Antikritiken eine
[80] leiſe anonyme Antwort zu geben. Dieſe hoffte
er nun wuͤrde erſchoͤpfend ſeyn, wenn ſie ſeinen
Geiz und ſeine Geburtshelferkunſt zugleich an-
griffe. Ausdieſem Grunde legte er ſein ſpaniſches
Rohr wie eine Lanze gegen die einzige im Gange
haͤngende Lampe ein, und ſtieß — ſobald der
blinde Katzenberger unter ſie kam und links
umhergriff — die ganze Lampe behend auf deſſen
Achſel und Ermel herunter; — darauf als er ihm
Licht und Oel genug in eine dazu erſt noch zu
ſchießende Wunde voraus eingegoſſen, trug er
die noͤthige Wunde nach, indem er ſein Rohr,
waͤhrend der Drehkrankheit des Doktors, ſo ge-
ſchickt wie einen Stundenhammer auf deſſen
geburtshelferiſche Fingerknoͤchel fallen ließ, als
woll’ er den Arm von unten raͤdern.


Noch eh’ Katzenberger ausgetanzt und aus-
gerungen hatte und denken und ſehen konnte:
ſtand der Brunnenarzt nach einigen ſchnellen,
weiten, leiſen, in Nebengaͤnge eingebognen
Schritten ſchon mitten auf den ſchimmernden
Marktplatz der Höle in Bereitſchaft da, dem
unruhigen Freunde mit Gruß und Liebe entge-
[81] gen zu gehen und ihn anders als vorher zu
empfangen, indem er ihm inbruͤnſtig die herab-
welkende Hand blos druͤckte. Katzenberger ſah
ihn ſcharf an, laͤchelte unverſehends und ſchauete
umher: „Herrlich, uͤberraſchend! Auch ihr
Werk?“ fragt’ er.


Zweyter Theil. 6
[82]

40. Summula.
Theoda’s Hölen-Beſuch.


Spaͤt kam Theoda mit Mehlhorn, in deſſen
ehrlichem, warmen Herzen ſie ſich ordentlich
wie zu Hauſe befand; eine ſchöne Seele kann
eine ſchwache, die blos zum Wiedertoͤnen ge-
boren iſt, ſo lange genießen, ja mit ſich ver-
wechſeln, bis ſie ein ſolches Echo auch den
Thierſtimmen unterthaͤnig findet.


Theoda trat mit dem Gedanken an die
muͤtterliche Schlafhoͤle in den kuͤhlen duͤſtern
Gang und ſah anfangs nur Nacht unten, und
Licht-Sternchen oben — endlich that ſich ihr
das Schattenreich auf, mit einer ſchimmernden
Sternendecke und mit Huͤgeln, Felſen, Grot-
ten und Hoͤlen in der Hoͤle. — Alles ſchien
eine Unterwelt zu bedeuten; der Volksſtrom,
den ſie ſo lange draußen im Tageslichte in die
Thuͤr einfluthen ſah, ſchien hier, wie ein
[83] Menſchengeſchlecht in Graͤbern ganz vertropft
zu ſeyn, und auf den Huͤgeln erſchien da ein
Schatte, aus den langen Gaͤngen kam dort
einer. Ihr Herz, das heute ſo manchen Ab-
ſchied nahm, und dem das Gekluͤft immer
mehr zum Schlafſaale der Todten wurde, ſchlug
zuletzt ſo ernſt und beklommen, daß das gut-
muͤtige, heitere Geſpräch Mehlhorns ſie in
ihren Erinnerungen und Phantaſieen ſtoͤrte;
ſie wollte allein denken und recht traurig; die
ganze Woͤlbung war nur die groͤßere Eisgrube
des Todes; ein Grubenbau der Vergangenheit,
ſo wie ein Gebeinhaus der Hölenbaͤren, deren
unverruͤckt gelaſſene Gerippe alle mit den Koͤp-
fen an der Wandung lagen, wie zum Aus-
gange. —


Sie brachte, obwohl muͤhſam, ihren Be-
gleiter dahin, daß er ihr den Genuß der Ein-
ſamkeit zuließ, und ſelber den ſeinigen mit den
größern Maͤnnerſchritten auf dem durchbrochenen
Boden ſuchte.


Jetzt ungeſtört ging ſie unter den andern
Lichtſchatten herum — ſie kam vor eine kleine
[84] Bergſchloß-Ruine — dann vor ein Schiefer-
Haͤuschen, blos aus Schiefern voll Schiefer-
Abdruͤcke gemacht — dann toͤnte auf den ent-
fernten unterirdiſchen Alpen zuweilen ein
Alphorn die Hoͤlungen hindurch — ſie kam an
einen Bach, in welchem die unterirdiſchen
Lampen zum zweytenmale unterirdiſch wieder-
glaͤnzten — dann an einen kleinen See, worin
eine abgeſpiegelte Geſtalt gegen den umgekehr-
ten Himmel hinunterhing; es war die Statuͤe
der Fuͤrſtin-Mutter, die ihr Sohn dicht
neben ihrem Grabe aufgeſtellt. Theoda eilte
zu dem blaſſen Marmor, wie zu einer ſtillen
Geiſtergeſtalt, und ſetzte ſich auf das Grab
daneben. Sie durfte jetzt alles vergeſſen, und
nur an ihre Mutter denken und ſogar weinen;
wer konnt’ es im Dunkel bemerken?


Theudobach kam jetzt aus Felſengaͤngen
gegen ſie daher, deſſen ſchöne Geſtalt ihr durch
den Zauber des Helldunkels noch hoͤher auf-
wuchs. Sie erſchrack nicht, ſondern ſah lieb-
reich zu ſeiner entbloͤßten Stirn empor, auf
der das Licht einer unbefleckten Jugend bluͤhte:
[85] „er habe ſie heute, fing er an, lange geſucht,
da er dieſen Abend noch uͤber Pira nach Hauſe
abreiſe; denn er koͤnne nicht gehen, bevor er
noch einmal ſein Betragen entſchuldigt und
ihre Verzeihung mitgenommen.“


„Recht gut! ſagte ſie. Morgen hätten
Sie mich ohnehin umſonſt geſucht; ich geh’
ebenfalls ab; und was das Uebrige anbetrift:
ich vergebe Ihnen herzlich; Sie vergeben mir,
und wir wiſſen beyde nicht recht: ſo iſt alles
vorbey.“ Dieſes brachte ſie in einem Tone
vor, der ſehr leicht und ſcherzend ſeyn ſollte,
eben weil ihre Augen noch in der Wehmuth
der vorigen Ruͤhrung ſchwammen. Auf einmal
toͤnte von einem blaſenden Muſikchore auf
einem fernen Felſen das Lied heruͤber: Wie ſie
ſo ſanft ruhn! Heftig fuhr ſie vom Grabe
auf, und ſagte unbekuͤmmert, daß ihre Thränen
nicht mehr zu halten waren, mit angeſtrengtem
Laͤcheln: „eine Abſchieds-Gefaͤlligkeit koͤnnten
Sie mir wohl erweiſen — einen Freund mei-
nes Vaters in Ihrem Wagen mitzunehmen
bis Pira“ — Mit Freuden! ſagt’ er. „So
[86] hol’ ich ihn her“, verſetzte ſie und wollte davon
eilen; er hielt ſie an der Hand feſt,
blickte ſie an, wollte etwas ſagen, ließ aber
die Hand fahren und rief: „Ach Gott, ich kann
Sie nur nicht weinen ſehen.“ Sie eilte in
einen Felſen-Thalweg hinein, er folgte ihr
unwillkuͤrlich nach — da fand er ſie mit dem
Kopfe an eine Felſenzacke gelehnt, ſie winkte
ihn weg, und ſagte leiſe: „O laßt mich wei-
nen, es fehlt mir nichts, es iſt nur die dumme
Muſik.“ — Ich höre keine (ſagte der Krieger
außer ſich, und riß ſie vom Felſen an ſein
Herz) — O du himmliſches, gutes Weſen
bleib’ an meiner Bruſt — ich meine es redlich,
muß ich von dir laſſen, ſo muß ich zu Grunde
gehen.“ Sie ſchauerte in ſeinen Armen, das
weinende Angeſicht hing wie aufgeloͤſet ſeitwaͤrts
herab, die Toͤne drangen zu heftig ins geſpal-
tene Herz, und ſeine Worte noch heftiger.
„Theoda, ſo ſagſt du nichts zu mir?“ —
Ach, antwortete ſie, was hab’ ich denn zu
ſagen?“ und bedeckte das erroͤthende Geſicht
mit ſeiner Bruſt. — Da war der ewige Bund
[87] des Lebens zwiſchen zwey feſten und reinen
Herzen geſchloſſen.


Aber ſie faßte ſich in ihrer Trunkenheit
zuerſt und nahm ſeine Hand, um wieder in
die weite Mitte des ſchimmernden Himmelsge-
woͤlbes vor die Zuſchauer zu gehen. — Als
jetzt dem Muſikchore ein zweytes, in tiefe Ferne
gelegt, antwortete als ein Echo: — ſo hielten
beyde Gluͤckliche das leiſere Tönen noch fuͤr das
alte laute, weil die Saiten ihres Herzens
darein mitklangen. Und als Theoda heraus-
trat vor den Glanz des brennenden Gewölbes,
wie anders erſchien es ihr jetzt! Eine Unter-
welt lag vor ihr, aber die elyſiſche; unter der
weiten Beleuchtung flimmerten ſelber die Waſ-
ſerfaͤlle in den Grotten und die Waſſerſpruͤnge
in den Seen — uͤberall auf den Huͤgeln, in
den Gaͤngen wandelten ſeelige Schatten, und
auf den fernen Wiederklaͤngen ſchienen die
fernen Geſtalten zu ſchweben — alle Menſchen
ſchienen einander wiederzufinden, und die Toͤne
ſprachen das aus, was ſie entzuͤckte — das
[88] Leben hatte ein weißes Brautkleid angezogen —
wie in einem vom Mondſchein glimmenden
Abendthau und im Lindenduft und Sonnen-
Nachröthe ſchienen der ſeeligen Theoda die
weißgekleideten Mädchen zu gehen, und ſie
liebte ſie alle von Herzen — und ſie hielt alle
Zuſchauer fuͤr ſo gut und warm, daß ſie oͤffent-
lich wie vor einem Altare haͤtte dem Geliebten
die Hand geben können. —


In dieſer Minute ließ der Fuͤrſt (nach
ſeiner Gewohnheit) eine heimliche nach dem
Abendhimmel gerichtete Eichenpforte des Hölen-
Bergs aufreiſſen, und ließ die Abendſonne wie
einen goldnen Blitz durch die ganze Unterwelt
ſchlagen, und mit einer Feuerſaͤule durch ſie
lodern. „Ach Gott, iſt denn dieß wahr, ſehen
Sie es auch?“ ſagte Theoda zu ihm, welche
glaubte, ſie erblicke nur ihr innres Entzuͤcken
in das aͤußere Glaͤnzen ausgebrochen und ihr
Geſichte vorſpielend, da gleichſam die goldne
Axe des Sonnenwagens in der Nachwelt
ruhte und mit dem Glanz-Morgen, den er
ewig mitbringt, die Lichter ausloͤſchte und die
[89] Hoͤhen und die Waſſer uͤbergoldete — da der
ferne Mond-Tempel wie ein Sonnen-Tempel
gluͤhte — da die bleiche Bildſäule am See
ſich in lebendigem Roſenlichte badete und aus-
einander bluͤhte — da das angezuͤndete Fruͤh-
roth des Lebens an der einſamen-Abend- und
Nacht-Welt ploͤtzlich einen bevoͤlkerten Luſt-
garten voll wandelnde Menſchen aufdeckte. —


Und doch, Theoda, iſt dein Irrthum kei-
ner! Was ſind denn Berge und Lichter und
Fluren, ohne ein liebendes Herz und ein ge-
liebtes? Nur wir beſeelen und entſeelen den
Leib der Welt. Iſt ein Garten eine engere
Landſchaft, ſo iſt die Liebe nur ein verkleiner-
tes All; in jeder Freudenthraͤne wohnt die
große Sonne rund und licht und in Farben
eingefaßt.


Lange noch immer war’s Theoda’n, als
wenn die Stralen hineinweheten und zitterten.
Die Sonne ſenkte ſich hoͤher an der ſeltſamen
Klippendecke hinweg, bis alles mit einem
kurzen Nachſchimmern entſchwand. Während
der Finſternis, ehe drinnen die Lichter wieder,
[90] wie draußen die Sterne, aufgingen, begleitete
Theudobach die Geliebte aus der unvergeßlichen
Hoͤle.


[91]

41. Summula.
Drey Abreiſen.


Unter dem friſchen wehenden, lebensfrohen
Abendhimmel fanden beyde den Doktor und
den Zoller. Theoda erinnerte ſich ſogleich an
Theudobachs Verſprechen, dem letztern die lang-
ſame Fußreiſe abzunehmen, und berichtete dem
Zoller das Anerbieten. Er verbeugte ſich haͤu-
fig, aber der Doktor nahm das Wort; „Du
möchteſt nur gern, ich merk’ es, recht bald ans
Wochenbett deiner Bona kommen, und zum
Pathchen. Haͤlſt Du aber die Nacht-Stra-
paze aus?” Sie erſchrak ordentlich, denn ſie
hatte, als ſie zuerſt die Bitte fuͤr Mehlhorn
gethan, daran keinen andern Antheil fuͤr ſich
erwaͤhlen koͤnnen als den, Tags darauf allein
die Fußreiſe zu machen. „O Fraͤulein!” ſagte
der Hauptmann bittend und ploͤtzlich aufgehei-
tert, als er eine Minute vorher bewoͤlkt ge-
[92] worden von der Ausſicht, daß er gemaͤß ſei-
nem Verſprechen der Abreiſe und Fracht, eben
jetzt, da ihm Sonne, Mond und Sterne über
Maulbronn aufgegangen, nichts davon vor der
Hand wegzufahren habe, als den Umgelder.
Theoda ſann einen Augenblick nach, ſah ih-
ren Vater an, fragte noch einmal den Zoller:
ob ihm ein zweytes Nacht-Wachen nicht be-
ſchwerlich ſey, und gab, da er verſetzte: „im
Mindeſten nicht, da man ihn ja Nachts tag-
taͤglich wecke” leiſe die Antwort: ſo wie Sie
denn wollen, Vater!


Alle waren nun zufrieden mit ihren Per-
ſpektiv-Malereyen — die Liebenden mit der
ſteilrechten Himmelfahrt, Mehlhorn mit der
wagrechten, Katzenberger mit der Ausſicht in
eine Hoͤllenfahrt zu Strykius als ein aufer-
ſtandner Gekreuzigter.


Theoda nahm ihren Vater noch bey Seite,
und bat ihn mit mehr Ernſt als gewoͤhnlich
um einen leichten Gefallen; ſie habe, ſagte
ſie, allerdings noch franzoͤſiſches Blut genug,
um ihre unerſchrockne Mutter nachzuahmen,
[93] die ihr von ihren kuͤhnen Reiſen mit Maͤn-
nern erzaͤhlt habe, nur aber an dieſem Orte,
wo die Menge ihre oͤffentliche Verwechslung
des Hauptmanns mit dem Dichter nicht ver-
geſſen, wohl aber misdeuten werde, ſey es
noͤthig, daß er ihre Abreiſe einige Tage ver-
ſchweige und daß ſie jetzt zu Fuß ins naͤchſte
Dorf vorausgehen duͤrſe, indeß beyde Herren
waͤhrend des tumultuariſchen Abendeſſens ab-
reiſen könnten, um weniger bemerkt zu
ſeyn. — —


„Was willſt Du denn eigentlich? (fragte
Katzenberger) Ich thu’s ja.” Sie mußte ihm
noch kuͤhner die Bitten wiederholen. — „Und
weiter nichts? — Wahre Weiber Schulfuͤch-
ſerei! So laufe nur, denn etwas iſt doch
daran; an Deinem Zartgehoͤr; ich ſogar hoͤre
ungern mich verlaͤumden von Rezenſenten:
geſchweige ein Maͤdchen; empfindliche Ohren
ſind bey Maͤdchen ſo gut wie bey Pferden
gute Geſundheits-Zeichen. Nur vergiß nicht
— ſetzt’ er noch dazu bey ihrem Abſchiede —
ſchaͤndlich vor lauter Lieben und Lieben den
[94] Vater und Dich.” — O Vater! ſagte ſie. —
„Ja Du ganz beſonders (fuhr er fort); oder
was gibt denn Dir Vaterliebe, Geſundheit
und Wirthſchaft und alles gegen Deine —
Bona? Sag’ es?”


So flog ſie denn noch ſeeliger aus dem Bad-
orte heraus als in daſſelbe hinein, nachdem
ſie vorher dem Dichter von Nieß ſeine falſch-
namigen Geſchenke zuruͤckgeſandt. Jeder gute
Menſch, ſogar ein boͤſer, der ſie einſam und
ihrer Mutter ihr Seelen-Gluͤck mit betenden
Thraͤnen zuſchreibend auf dem Wege nach dem
naͤchſten Dorfe haͤtte laufen und ſich anſtrengen
ſehen, haͤtte ihr nachgewuͤnſcht: „ſo werde
nur recht gluͤcklich, du furchtloſes und ſchuld-
loſes Maͤdchen! Es waͤre fuͤr einen, der dich
kennt zu hart, dich im Ungluͤck und in dei-
nem Roſen-Herzen das kalte Meſſer des
Grams zu ſehen. Nein, ihr Liebenden, in
dieſer nie wieder kommenden Nacht ſprecht
euch beyde ſeelig und heilig, in hoͤherem
als roͤmiſchen Sinn!”


[95]

Theudobachs Wagen rollte ſchon hin-
ter ihr, da ſie kaum das Doͤrfchen er-
langt.


[96]

42. Summula.
Theoda’s kuͤrzeſte Nacht der
Reiſe
.


Warum wollen wir in der ſchönſten Julius-
Nacht nicht lieber zuerſt den Paradiesvoͤgeln
nachfliegen und erſt ſpaͤter in Maulbronn uns
mit Katzenberger und ſeinem Stiefbruder an
die Tafel des Haſſens-Males ſetzen? Wenig-
ſtens ich fuͤr meine Perſon fliege mit ihnen,
in der naͤchſten Summel ſind ich und die Le-
ſer wieder beyſammen im Bad. Es vergehen
viele Jahre und viele — Herzen, eh’ einmal
das Schickſal den Himmel der Liebe wieder ſo
mit einem aͤußern voll Sterne einbauet und
verdoppelt; denn nur im Schlachtgetuͤmmel der
Noth wird meiſtens der Zauberkelch der Liebe
ſchleunig geleert — aber diesmal wollte irgend
ein Liebes-Engel, der die Erde regiert, zwey
unſchuldige Jugend-Herzen mit allem ſegnen
[97] und belohnen, was ſich unſere fruͤhen Traͤume
malen. — Eine geſtirnte duftende Sommer-
nacht hindurch, uͤber welche das Mutter-Auge
des Mondes wachte, durften beyde nach dem
erſten Feuer-Worte der Liebe einander fort-
ſehen und forthoͤren. — Ihr Begleiter ſchlum-
merte anfangs ſcheinbar aus Hoͤflichkeit, dann
wahrhaft aus Nothwendigkeit — Und wie
flog das Leben vorbey, und die Baͤume und
die ſchlafenden Doͤrfer, und nur einzelne Toͤne
der Nachtigall zogen ihnen nach und ſprachen
ihren Seelen nach — Theoda’s Herz zitterte,
aber freudig mit dem Boden unter dem auf-
rollenden Wagen — ihr war immer als hoͤre
ſie die Toͤne der Höle fort, uͤberall klang die
Welt zurück und es wurde ihr zuletzt im Rau-
ſche der Nacht, als ſtehe ſie wieder mit ihrem
Geliebten an der Felſenwand, an der ſich ihr
Leben entſchieden. — Die Doͤrfer, die Staͤdte,
das Erdengetuͤmmel ſchwanden hin und nur
die Sterne und die Berge blieben der Liebe —
Die Welt ſchien ihnen die Ewigkeit, die Sterne
gingen nur auf und keine unter — Endlich
Zweyter Theil. 7
[98] ſtieg der Stern der Liebe wie ein kleiner hell-
blinkender Mond im Morgen auf, die Morgen-
röthe gluͤhte ihnen entgegen und die Sonne
zog in die Roſen-Gluth hinein — Hinter
ihnen uͤber den Bergen, wo ſie ſich gefunden
hatten, woͤlbte ſich ein Regenbogen hoch in
den Himmel. Und ſo kamen ſie an, eine Seele
in die andere geſunken, den Nachtſchimmer
in den Tages-Glanz ziehend und ihre Blicke
waren traumtrunken.


O Schickſal, warum laͤſſeſt du ſo wenige
deiner Menſchen eine ſolche Nacht, ach nur
eine Stunde daraus erleben? Sie wuͤrden
ſie nie vergeſſen, ſie wuͤrden mit ihr als mit
dem Fruͤhlings Weiß und Roth die Wuͤſten
des Lebens faͤrben — ſie würden zwar weinen
und ſchmachten, aber nicht nach Zukunft, ſon-
dern nach Vergangenheit — und ſie wuͤrden,
wenn ſie ſtuͤrben, auch ſagen: auch ich war in
Arkadien? —


Warum muß blos die Dichtkunſt das zei-
gen, was Du verſagſt, und die armen bluͤten-
[99] loſen Menſchen erinnern ſich nur ſeeliger
Traͤume, nicht ſeeliger Vergangenheiten? Ach
Schickſal, dichte doch ſelber oͤfter!


[100]

43. Summula.
Praͤliminar-Frieden und Praͤlimi-
nar-Mord und Todſchlag
.


Wir kehren vom Nachfluge hinter den unſchuldi-
gen Paradiesvoͤgeln zuruͤck, um noch einen Abend
lange in die Buͤhne hineinzuſehen, wo freylich
kein erſter Liebhaber ſpielt, obwol ein letzter
Haßhaber. Katzenberger iſt Held und Regiſ-
ſeur zugleich. Gewiſſermaßen ſing’ ich in der
43 Summel, wie Homer den Zorn des Achil-
les, ſo Katzenbergers ſeinen.


Dieſer — ſeit dem tuͤckiſchen Handſchlag in
ſtiller Trauer und Wuth — erlas dieſen Abend
dazu aus, den Gegner in der Fanggrube, nach-
dem er noch einen Bluͤtenzweig darauf gewor-
fen hatte, unten zu empfangen. Zufaͤllig
mußt’ er ſich an der Wirthstafel dem Fuͤrſten
nahe ſetzen, folglich auch deſſen Hinterſaſſen
und Unedelknaben oder Edelknechte, dem Arzte
[101] Strykius. Der Doktor pries vor dem Landes-
herrn ſtark die Hoͤle und alles; aber blos um
uͤberall auf den Inſpektor derſelben, auf Stry-
kius, ſchmeichelhafte Lichter zu werfen. Dieſer
wollte uͤberall den Weihrauch wieder auf jenen
zuruͤckblaſen; der Doktor verſicherte aber, ſein
Lob ſey um ſo unbeſtochner, da ſie beyde oft
in aͤrtztlichen Sachen frey auseinander gin-
gen. — Als er abſichtlich blos mit der Linken
aß; ſo fragt’ ihn der Fuͤrſt daruͤber; er ant-
wortete: wie mehrere damit gemalt ſo eſſe er
noch leichter damit, bis eine ſchwache Wunde
ſeiner Rechten, die er im Hoͤlen-Eingange
von einem mit der Lampe herabfallenden Stein
erhalten, ſich heile; — und dabey ſchuͤttelte er
die ſchlaffe Rechte und ſah heiter genug aus.


Nur der Brunnenarzt ſtutzte innerlich dar-
uͤber hin und her; inzwiſchen erhob er die
Hoͤle, und den Hoͤlen-Baͤren, den Doktor,
hoch, doch zu hoch; aber er gehoͤrte unter die
wenigen Seelen, die von Natur klein ſind;
mit Seelen iſts nun wie mit Vergroͤßerungs-
[102] Linſen; je kleiner und winziger dieſe ſind,
deſto breiter und ausgezogner ſtellen ſie den
Gegenſtand vor. So iſts mit geiſtigen Ver-
groͤßrungs-Linſen; je kleiner Herz oder Auge
iſt: deſto groͤßer ſtellt es das Kleinſte dar —
am Großen erliegt ein Vergroͤßrungsglas; —
vielleicht ein Wink fuͤr Fuͤrſten, welche gern
ſich und der Welt groß erſcheinen wollen, ſich
mehr nach Menſchen umzuſehen, welche klein
genug zugeſchliffen ſind zu bedeutenden Ver-
groͤßerungen.


Der Fuͤrſt ſchlich ſich unter die Baͤume —
und dann davon, wie die nachziehenden La-
kaien bewieſen; — und beyde Aerzte ſaßen
ohne Scheidewand neben einander.


Katzenberger ließ viel Acht und Vierziger
bringen, und verrichtete vor der Welt das
Wunderwerk, daß er den Brunnenarzt mitzu-
trinken bat.


„Laͤngſt ſchon hab’ er ſich verwundert —
hob er an — daß die Aerzte ungeachtet des
Sprichwortes (experimentum fiat in corp.
vil.
) ſo wenig Verſuche an ihrem eignen Koͤr-
[103] per machten und nicht die verſchiedenen Arten
wenigſtens der angenehmen Unmaͤßigkeiten
durchgingen, um nachher beſſer zu verordnen.
Ob ſich nicht ein ganzes Collegium medicum
ſo in die verſchiedenen Unmaͤßigkeiten theilen
koͤnnte, daß z. B. das eine Mitglied ſich aufs
Saufen, das andere aufs Eſſen, das dritte
aufs Denken legte, das vierte aufs ſechſte Ge-
bot, davon oder von der Unnuͤtzlichkeit wuͤn-
ſche er doch einen Beweis zu vernehmen, und
zwar um ſo mehr, da z. B. ſo viele gluͤckliche
Kuren der Aphroditen- oder Cypris-Seuche
durch junge Aerzte in Reſidenzſtaͤdten bewieſen,
daß ein ſolches Vorarbeiten, und ſolche ſich
ſelber geleſene Selbſt-Privatiſſima der Praxis
gar nicht ſchaden — Er wolle nicht hoffen,
daß man ſich dabey ans Laſter ſtoße, das hier
als ein Peſtimpfſtoff der Arzt ja nur ſo wie
der Schauſpieler oder Dichter an ſich ſelber
darſtelle, um zu lehren und zu heilen.”


„Ich weiß faſt — verſetzte Strykius, der
da ſaß mit dem Oelblatt im Schnabel und
wie Buridans Eſel zwiſchen Ernſt und Laͤcheln
[104] — wohinaus Sie damit wollen.” „Hienein
will ich damit, mit dem Weine naͤmlich” ſagte
der Doktor und eroͤffnete ihm ganz frey, er
ſey geſonnen ſich gegenwaͤrtig vor ſeinen Au-
gen zu betrinken, um den Effekt mit wiſſen-
ſchaftlichen Augen zu beobachten, und jede
Thatſache rein ausgeſpelzt zuruͤckzulegen fuͤr
die Wiſſenſchaft. „Es wird — fuhr er fort
— meinen Handel gewiß nicht ſchlechter ma-
chen, daß ein Mann vom Fache wie Sie, da-
bey ſitzt, den ich bitten kann, ſeiner Seits
mehr die nuͤchternen Beobachtungen uͤber mich
anzuſtellen, und deßhalb langſamer als ich zu
trinken, da es genug iſt, wenn Einer ſich
opfert. Spätere Folgen am nuͤchternen Mor-
gen beobacht’ ich allein. „Wie gebeten, zuge-
ſagt!” verſetzte der Arzt.


Darauf ruͤckte der Doktor noch mit einer
Bitte ganz leiſe heraus, Strykius moͤge, da
ſeinen ſchwachen Kopf der Wein leicht ſo zu-
richte wie der verſchluckte Traubenkern den
Anakreon, in dieſem Falle ſein Leibes- und
Seelenhirt, ſeinen Geſundheits- und Gewiſ-
[105] ſens-Rath machen, und beſonders dann, wenn
er wie alle Trinker am Ende anfangen ſollte
zu weinen, zu umhalſen, zu verſchenken, ja
die groͤßten Geheimniſſe auszuplaudern, ihn
warnen und lenken, und Noth-Falls mit Ge-
walt nach Hauſe ziehen; er geb’ ihm Voll-
macht zu jeder Maßregel, moͤg’ er ſelber be-
trunken dagegen ausſchlagen, wie er wolle.


Der Brunnenarzt ſagte laͤchelnd, er ver-
ſprech’ es fuͤr den undenklichen Fall, erwarte
aber denſelben Liebes-Dienſt, falls er ſelber
hineingeriethe.


In der That ging bisher der Doktor mit
Anſchein genug zu Werke, — und Strykius
fing an, aus den geleerten Flaſchen ſchoͤne
Hoffnung Katzenbergeriſcher Ehrlichkeit zu
ſchoͤpfen; doch war es mehr Trug; denn jenen,
der ſich laͤngſt als einen ehemaligen (wie Pitt
in London) ſogenannten Sechs-Flaſchen-Mann
gekannt, blieb das ſchoͤne Bewußtſeyn, daß er
bey allem Trinken nicht aus den Fußſtapfen
der Griechen wanke, welche bekanntlich den
Rachegoͤttinnen nur nuͤchtern opferten und
[106] deßhalb keinen Wein vor ihnen libirten oder
weggoſſen.


Jetzt beruͤhrt’ er wieder von weitem den
Rezenſenten und ſagte, er ſey im Badort blos
nach Maulbronn wie die Juden zum Oſter-
monat nach Jeruſalem gegangen, um das
kritiſche Paſſahlamm oder den Paſſahſuͤndenbock
zu ſchlachten und zu genießen; noch aber fehle
der Bock, und kaͤm’ er an, ſo ſey doch man-
ches anders als ers haben möchte. Strykius
konnte nicht anders als er mußte ſtutzen. Jetzt
bey der dritten Flaſche oder Stazion hielt es
der Doktor fuͤr ſeinen Schein zutraͤglich, ein
wenig mit ſeinem Verſtaͤndigſeyn nachzulaſſen,
und mehr ins Auffallende zu fallen; uͤberhaupt
mehr den Mann zeigen, der nicht weiß, was
er will. „Noch gehts gut, Herr Kollege,
ſagt’ er, doch ſieht man, was der Menſch
vertraͤgt. Ich waͤre jetzt im Stande, jedem,
der wollte, unangenehme Dinge mit einer
ſolchen juriſtiſchen Kautelarjurisprudenz zu
ſagen, daß der Mann an keine Injurienklage
denken duͤrfte. — Es boͤte mir z. B. eine
[107] vornehme Reſidenz-Frau ihr Herz und Hand,
ſo koͤnnt’ ich, da es nach Quiſtorp *) fuͤr
Kleinigkeiten einen recht haͤmiſchen Dank zu
ſagen keinen Animus injuriandi, Schimpf-
oder Schmaͤh-Willen verraͤth, der treflichen
Dame ins Geſicht verſichern: gut! Ich nehme
noch dieß an; aber nun beſchaͤmen Sie mich
mit keinen groͤßern Geſchenken, da ich noch
nicht einmal Ihre Kleinigkeiten zu vergelten
vermocht. — Dieß koͤnnt’ ich.


So weiß ich aus demſelben Quiſtorp die
andere Einſchraͤnkung, daß man nie beſchimpfe,
wenn man blos die Sachen ſeines Neben-
und Mit-Menſchen (nicht ihn) veraͤchtlich
herunterſetzt, als etwan ſeinen Anzug, ſeine
Gaſtmaͤler u. ſ. w. Ich wuͤrde alſo mit Vor-
bedacht, da doch am Menſchen alles nur
fremde Sache iſt, außer ſeiner Moralitaͤt, die
er ſich, wie der preußiſche Soldat die Knoͤpfe,
auf eigne Koſten anſchaffen muß, ohne Ehren-
klage im hoͤchſten Grade anzuͤglich und gering-
[108] ſchätzig, z. B. von den ſchwachen Talenten
oder Geſichtszuͤgen eines Rezenſenten ſprechen,
beydes Sachen, die der Tropf ſich nicht geben
kann; eben ſo wollt’ ich auf viele deutſche
Kronen und Thronen (ein ſchöner weib-
licher Reim) losziehen, ohne die Beſitzer, die
ja beydes, theils halb auf, theils unter ſich
haben, im Geringſten zu meinen. Doch ich
kehre zu meinem Satze zuruͤck — beylaͤufig
ein ganz gutes Zeichen, denn Trunkne können
wie Verruͤckte, nie dieſelbe Sache unveraͤndert
wiederholen, und ſtehen hier tief unter Auto-
ren und Advokaten. — Und Rechtswiſſenſchaft
iſt nicht einmal mein Fach — (doch trinken
wir auf ſie); aber Heilkunde bleibts ſtets.
Wie geſagt, ich ſagte vorhin von Injurien
und dergleichen. Wo finden Sie hier, Herr
Doktor, den Vollzapf?“


Strykius beſchwor nach allen Seiten hin
das Wiederſpiel. „Dieß ſag’ ich beym Teufel
ja ſelber, verſetzte der Doktor — und wozu
denn Ihr Fluchen? Ich denke, ich kenne mich
und Viele. Manches bringt mich auf, daruͤber
[109] iſt keine Frage. Nur wuͤnſcht’ ich zu wiſſen,
ob jemand von der trefflichen, nie hoch genug
zu achtenden Geſellſchaft um uns her etwas
an mir merke; aber freylich Fox und Pitt
konnten nur halb ſo viel vertragen.


Mein lieber H. Brunnenarzt, Sie brauchen
bey Gott nicht zu laͤcheln, als laͤg’ ich ſchon
in den Lagen, fuͤr welche ich Ihre Vormund-
ſchaft beſtellte. Sie ſehen, ich weiß noch alles.
Hab’ ich aber ein Geheimniß verrathen? Seh’
ich irgend einen Kopf doppelt? Kaum einfach.
— Verſchenk’ ich ſchon außer dem Einſchenken?
Und wo ſtehen mir dumme Thraͤnen der Liebe
und Trunkenheit im Auge? Im Gegentheil
verſpuͤr’ ich eher harten Humor zum Todtſchla-
gen, beſonders ſchluͤg’ ich gern einem Manne
aus Ihrer Reſidenzſtadt, der mir mit ſeinen
Augen- und Weisheitszaͤhnen ins Bein gefah-
ren, dieſe auf der Stelle aus. Die Beſtie
kommt aber erſt, wie Sie ſagten, kuͤnftige
Woche.“


„Sie erhitzen ſich, Guter“, ſagte Stry-
kius. „Aber fuͤr das Recht, und fuͤr jeden
[110] Rechtſchaffnen, der es mit mir ſo redlich meint,
als du, Stryk! — Herr Brunnenarzt, ich
ſage Du zu Ihnen, wie der Ruſſe zu ſeinem
Kaiſer. Einen Kuß, aber einen Judas den
zweyten! Denn Du weißt aus dem neuen
Teſtament, wo der Brief des zweyten Judas
ſteht. Der erſte Judas war nie mein Mann. —


Strykius gab Katzenbergern einen Buͤhnen-
Kuß. „Trinke zu, heitze ein, zuͤnd’ an, mein
Zuͤnd-Stryk! Ohne Wein war dem Urdeut-
ſchen kein Vertrag heilig. — O, wenn ich
daran denke! Ein Freund iſt’s höchſte. Ich
ſage Dir, Stryk, einſt hatt’ ich einen, und
wir herzten einander, und er mich — alles
that ich fuͤr ihn, und machte meinen Schnitt
fuͤr ihn — ich haͤtt’ in ſeinem Namen geſtoh-
len. Halt, dacht’ ich, haͤltſt Du auch Stich?
Ich wollte ja in der Eile etwas Ihnen dar-
ſtellen; ſage mirs, Bruder?“ — Das Bewaͤh-
ren Ihres mir unbekannten Freundes, verſetzte
der Brunnendoktor. „Und dieß willſt du beſſer
wiſſen, als ich? Stich, ſagt’ ich ja vorhin,
haͤlt er, wenn er ſich bewaͤhrt und ſeinem
[111] Freunde zu verzeihen weiß. Der nur iſt mein
Freund. Deßhalb macht’ ich mir eine leichte
Streitſache mit ihm zu Nutz und ſchleuderte
dieſem Freund, um recht zu wiſſen, woran ich
mit ihm waͤre, eigentlich um ſeine Liebe gegen
mich zu erproben, einen vollen Bumper oder
Willkommen mit allen Kraͤften an den Kopf;
darauf beobachtete ich ſcharf und kalt, wie er
bey dieſer erſten Freundſchafts-Anker-Probe
Stand halte und ſich betrage. — Aber wir
pruͤgelten ſogleich uns mit vier Haͤnden durch,
und der Treuloſe haßte mich hinterher wie
einen Hund. Dieß hatt’ ich von meiner erſten
leichten Liebes-Probe; — was haͤtt’ ich mir
vollends von einem ſo wankelmuͤtigen Freunde
zu verſprechen gehabt, haͤtt’ ich ihn noch ganz
anders und ſchaͤrfer auf die Kapelle gebracht,
z. B. um Haus und Hof, oder gar ums Leben?
Anders ſollen, hoff’ ich, unſere Freundſchafts-
Proben ablaufen. Mich meiner Seits erſchla-
gen Sie, wenn Sie wollen; ich umhalſe Sie
ſtets ſogleich in der frohen Ewigkeit, und ſage:
willkommen mein Stryk, mein herauffuͤhrender
[112] Franziskaner- und Treppen-Strik! — Doch
dieß ſind Wortſpiele und elend genug.“


Der Brunnenarzt hatte bisher, zumal vor
mehreren Maus-Ohren an der Tafel, den
bedaͤchtigen Mann geſpielt, und ſich wenig
anders gegen den Trunk-Sprecher ausgelaſſen,
als mit leichtem Nein, Ja und Wink. Nur
Neugier nach dem Ausgange, Scheu vor dem
wild-begeiſterten Doktor, mehr Hoffnung,
ihn vor der Welt zuletzt beſchaͤmend zu ver-
wickeln, und ſogar einiger angetrunkener Muth
pichten ihn auf dem Folterſtuhle feſt. Nuͤchtern
erhielt er ſich uͤbrigens durch Meid-Kuͤnſte —
ja mehr als der Doktor ſelber, der ſich zuletzt
doch durch Reden betrank.


Erſt bey der vierten Flaſche uͤberzeugte
jener ſich, daß im Weine oder im Doktor
wirklich Wahrheit ſey; mehre verſprochne Rauſch-
Nachwehen und Feuermaͤler waren ſchon da,
nur das geweiſſagte Verſchenken wollte ſich
nicht einſtellen. Der Doktor warf jetzt allerley
ſeltſame Winke hin, daß er ſehr gern wolle,
der Fuͤrſt waͤre nicht da, aber wol dafuͤr ein
[113] anderer Mann fuͤr einen dritten, der pruͤgelt:
„kennſt du ſeinen Leibmedikus Semmelmann
recht?“ ſagt’ er. „Laͤngſt als den gelehrteſten
Arzt und feinſten Mann und meinen Freund“
verſetzt’ er etwas laut, um von fuͤrſtlichen
Spionen, die den Geblendeten der Tafellichter
rings umher im Blaͤtter-Dunkel ungeſehen
belauſchen konnten, beſſer vernommen zu wer-
den. „Nun ſo ſag’ ich Dir, ich bin noch
ſchwankend, ob ich gegen Tagsanbruch dieſen
deinen Freund ganz todtſch[lag]e, oder nur halb.
Weißt Du (fing er leiſe an, und fuhr ſogleich
laut fort) wer dieſer Semmelmann im Inner-
ſten iſt, Stryk? Der Fallſtrick, der Galgen-
ſtrick, der Ehrenkronenraͤuber, kurz der Rezen-
ſent meiner Werke. „Wie? — Herr Kollege!“
ſagte Strykius. „Kern Wort weiter, er wird
todtgemacht! — Flex heda! mein Kerl faͤhrt
augenblicklich vor bey Herrn Brunnenarzt
Strykius, meine Tochter wird nicht geweckt
— ſie ſoll nichts wiſſen, bis ich wiederkomme,
und das ohne alle Umſtaͤnde.”


Zweyter Theil. 8
[114]

Wenn wirklich, wie ſchon Swift nach
Rochefaucault ſagt, wir in jedes Freundes
Ungluͤck etwas weniges finden, was uns heim-
lich erlabt: ſo mußte allerdings der Brunnen-
arzt in der Ausſicht auf die Auspruͤgelung ſei-
nes Freundes Semmelmann etwas Behagliches
finden, da er ſo lange dieſe ſich ſelber zuge-
dacht geglaubt; auch wurde dieſe Behaglichkeit
durch die Betrachtung eher vermehrt als ver-
mindert, daß der Leibmedikus, ſein Neben-
buhler, der als Weg-Aufſeher der erſten und
zweyten Wege des Fuͤrſten mehrere Wege
Rechtens und Himmelfahrten und bedeckten
Wege und engen Paͤſſe des Landes beſetzte,
vom beruͤhmten Katzenberger vielleicht durch
Pruͤgel koͤnnte um einigen Kredit, wenn nicht
um Glieder, und mehr gebracht werden. Dieß
hielt ihn aber nicht ab, vielmehr ſpornte es
ihn an, ſich nicht nur unter vier Ohren ſon-
dern vielleicht vor mehr als zehn Hörmaſchi-
nen des Hofs im Finſtern entſchieden des Leib-
medikus oder der Semmelmannſchen Unſchuld
anzunehmen, und zwar mit ſo groͤßerer Waͤrme
[115] der Ueberzeugung, je gewiſſer er wußte, daß
er ſelber die Rezenſion gemacht.


„Mein beſter Kollege, begann er, moͤge
mich nur hoͤren! Wie ſtark der Argwohn ge-
gen den Herrn Leibmedikus gegruͤndet, ent-
ſcheid’ ich am wenigſten, da ich Journale,
worin etwas ſtehen ſoll, als z. B. die Gothai-
ſchen Anzeigen, die Oberdeutſche Litteratur-
Zeitung, die neue allg. deutſche Bibliothek und
dergleichen Unrath mehr mithalte, als mitleſe.
Aber treflicher kühner Amts- und Waffenbru-
der! Laſſen Sie mich doch auch reden! Ken-
nen Sie die Mislichkeit ſolcher Namen-Ablau-
ſchungen wie die Ihres Herrn Richters? Ich
halte Semmelmann, ſoweit ich ihn kenne,
durchaus fuͤr unſchuldig, doch geſetzt, aber nicht
zugegeben, Sie hätten Recht; aber Freund,
wie kann ein Gelehrter mit einem andern Ge-
lehrten (zur Abwaͤgung zwey Solcher hab’ ich
keine Gewichte) den geiſtigen Zwiſt mit Waf-
fen ausfechten wollen, die nichts treffen als
Leiber? — Bey Gott, ich bin hier nicht be-
[116] ſtochen und die fremde Sache nehm’ ich kuͤhn
fuͤr eigne.”


„Ich habe Dich Spitzbuben wirklich ruhig
ausgehoͤrt, blos nur um Dir vorlaͤufig darzu-
thun, daß ich bey Gott! bey Verſtand bin,
wie einer, und nach niemand frage — Was
verſchlagen alle Flaſchen im Magen gegen
das Wenige, was aus ihm davon in den
Kopf ſteigt? Aber, wie geſagt, daß iſt mein
Satz, oder ich weiß nicht, was wir ſagen.
Und doch ein Spitzbube biſt Du ſelber ſo
groß wie Semmelmann, weil Du ihm aͤhnelſt
und beyſtehſt. Denn, Du biſt, nimm mirs
nicht uͤbel, lieber Stryk — von Hauſe aus —
ein milder Mann mit einem weichen Herzen
im Bruſtkaͤſtchen, und es iſt Dir nachzuſehen,
wenn Du aus verdammter verhaßter Liebe
Schubjacke und Stricke (ich rede geſetzt) ver-
fichſt; denn Dein Angeſicht iſt ein ſanfter
Oelgarten, wo man Blut ſchwitzt, und Du biſt
am ganzen Leibe mit Selbſt-Daͤmpfern wie
mit Blutigeln beſetzt. Du weißt nur zu gut,
wer mich rezenſiert hat; aber ſiehſt ihn nur
[117] nicht gern erſchlagen. Ein Knicker iſt Sem-
melmann auch, und nichts haſſ’ ich mehr als
ſo einen geitzigen Hund, der mir nichts her-
ſchenkt, der ſelber ſeinem Hund nichts zu freſ-
ſen gibt, als Gras, das dem Thier nur
ſchmeckt, wenn ſich das Wetter aͤndert. —
Hat er nicht bloß aus Geizhalſigkeit meine
Praxis beneidet obwol außer Lands und mei-
nen Ehrenſold und die wenigen Ehrenpforten
und Ehrenlegionen, die ich mir etwan er-
ſchrieben?” —


„Iſt der Leibmedikus nicht der größte
Schmeichler des Hofs, und denkt bey dem
Fuͤrſten, weil ich bey Gelegenheit der Haͤma-
toſen und Misgeburten, nichts von den mine-
raliſchen Beſtandtheilen des Landes-Bades an-
gebracht, Ehre einzulegen, wenn er mir eine
groͤßere nimmt als er hat? Die Sache iſt,
ſeine Zunge gleicht der Bienenzunge, welche
einem Fuchsſchwanz aͤhnlich iſt und die fuͤr ſich
Honig ſaugt, und fuͤr andere Gift. Wie ge-
ſagt Bruder! — Ich erhebe Dich vielleicht
[118] zum Leibmedikus, wenn ich den alten erſchlage,
mags hoͤren wer will.”


„Guter Amtsbruder, ſagte Strykius, jetzt
in der Nachtkälte tritt die vorher abgeſchloſſne
Bedingung ein nolens volens” — Dummes
Wort, ich will entweder nolens oder volens
— „Fein bemerkt! Wir gehen dann mit ein-
ander zu mir, auf einen warmen Thee.”


[119]

44. Summula.
Die Stuben-Treffen.


Unterwegs ſtammelte er nach Vermoͤgen, und
was er ſagte, ſollte nicht ſowohl Sinn haben,
als wenigen: „ich brauche keinen guten Rath,
ſagt’ er, ſo wenig als ein Hund Zahnpulver
und Stocher — ich werde meine Sache ſchon ſo
machen, daß man vielleicht dieß oder jenes da-
von ſagt — Mancher iſt ein geitziger Hund
und ziehe mir einmal einen Hundsſchwanz ge-
rade, ich bitte ſehr — Gut, der Mann ſoll
abſtehen wie Fiſche vom Donnerwetter auch
ungetroffen, oder wie ein Wagen voll Krebſe,
wenn unten ein Schwein durchkriecht.” —


Sie fanden den Wagen vor Strykius
Thuͤre, der ſich wieder laut gegen das Nacht-
Fahren erklaͤrte und den Doktor die Treppe
hinaufzog, um droben leiſer ſich uͤber den Leib-
medikus auszuſchuͤtten. Er ſchickte ſogar den
[120] Bedienten, ſobald er den Ofen fuͤr den Thee
geheitzt, mit Auftraͤgen in ferne ſchon zuge-
ſperrte Häuſer davon, um unbehorcht zu blei-
ben.


Der Wein — die Nacht — die Einſam-
keit — der Schlag auf die Hand — dieſes
Ineinandergreifen ſo vieler Zufalls-Raͤder
brachte den Doktor auf einmal in der Stube
ſo weit, als er nach andern Planen kaum in
einer Woche ſeyn konnte. Er zog daher einen
Taſchen-Wind-Puffer heraus, ſchoß die Ku-
gel in die Wand — zog und ſpannte einen
zweyten und ſagte: ein lautes Wort von Dir,
ſo ſchieß’ ich Dich leiſe nieder und ich fahre
davon. Du biſt mein Rezenſent, Dieb, nicht
der ehrliche gelehrte Semmelmann — und ich
bin noch nuͤchterner als Du Saufaus. Schweig,
ein Wort, ein Schuß! Es macht mich ſchon
Dein bloßes Waſch-ſchwamm-Geſicht mit ſei-
nen ſchlappen Vorderbacken, und ſeinem Ge-
laͤchel halb wuͤthig. Ein Strafexempel muß
ich nun an Dir zum Vortheil der ganzen ge-
lehrten Welt dieſe Nacht ſtatuiren; nur ſteh’
[121] ich noch an, ob ich Dich ganz aufreibe, oder
blos lahm ſchlage oder gar nur ins Geſicht
mehrmals ſtreiche. Hierſchleudr’ ich noch zum
Ueberfluß den Hakenſtock von dem Giftpfeil auf
Deinen Nabel ab, (der Stock fuhr aber ans
Knie) — ſieh den auslaͤndiſchen Pfeil, womit
ich Dich harpuniere auf ewig, wenn Du ſchreieſt
oder laͤufſt; Jetzt verantworte Dich leiſe, nen-
ne mich aber Sie, denn ich bin der Richter
und Du der Inquiſit.”


„In der That (hob der Brunnenarzt an,)
es wird mir ſchwer, nach vielen heutigen ge-
ſchickten ſcherzhaften Rollen von Ihnen — und
in ſo fern ſo angenehmen — dieſe mit einem
Ueberfall auf Leib und Leben nicht fuͤr Scherz
zu nehmen, beſonders da Sie ja nicht ganz
gewis wiſſen koͤnnen, ob ich die Rezenſionen
gemacht.”


„Hier werf’ ich Dir — ſagte der Doktor
in die Taſche fahrend, und nahm das Heft des
Pfeils in den Mund, um mit dem Windpiſtol
fort zu zielen — deine Handſchrift aus der
Druckerei, vor die Fuͤſſe, Raͤuber zu Fuß.”


[122]

„Gut, dieß entſchuldigt Ihre erſte Hitze
gewiß; aber erwaͤgen Sie auch, daß uͤberall
von jeher der Gelehrte, beſonders der Kunſt-
richter gegen den Gelehrten zum Vortheile der
Wiſſenſchaft auf dem Papier eine freie Sprache
fuͤhrt, die er ſich nie im Zimmer unter vier
Augen....


„Zum Wiſſenſchafts-Vortheil? — Iſt es
nicht jammerſchade, daß Leute wie Du auch
nur das Geringſte davon verſtehen? Koͤnnen
ſolche Leute unwiſſend genug ſeyn? Die Wiſ-
ſenſchaft iſt etwas ſo Großes als die Reli-
gion — fuͤr jene ſollte man eben ſo gut Muth
und Blut daran ſetzen als fuͤr dieſe, — und
doch wagen die Rezenſenten nicht einmal ihre
Namens-Unterſchrift daran. Eine Suͤnde
pflanzt ſich nicht fort, und jeder Suͤnder er-
kennt ſie an; ein unterſtuͤzter Irrthum kann
ein Jahrhundert verfinſtern. Wer ſich der
Wiſſenſchaft weiht, beſonders als Lehrer der
Leſer, muß ihr entweder ſich und alles, und
jede Laune, ſogar ſeinen Nachruhm opfern:”


„Wie ſchön geſagt und gedacht!“ liſpelte
[123] Strykius. „Schweig! — oder er iſt ein Re-
zenſent wie Du; und der Teufel hole jeden
Eſel, der ſchreibt, und den er reitet; es iſt ge-
nug, wenn das Thier ſpricht; Mache mir
jetzt etwas Thee zurecht, denn das Waſſer
kocht; ſchneide aber Deine Hoſenknoͤpfe ab,
damit Du mir nicht entlaͤufſt.”


„Lieber mein Leben laſſ’ ich, als meine
Ehre, ſagte Stryk, blos aufknöpfen will ich
den Hoſenſack und herunter laſſen; und es
thut ja der Laͤnge wegen, denſelben
Dienſt…”


Waͤhrend er im Hemd, muͤhſam das Thee-
waſſer aufgoß: zog der Doktor den Widerruf
hervor und ſagte, wenn er ihn beſchwoͤre und
unterſchreibe, ſo woll’ er ihm das Leben ſelber
ſchenken, und ihn nur an den Gliedern, wo
er es fuͤr gut befinde, mit dem Stab-Sanft
beſtreifen. Strykius ſchwur und ſchrieb. Dar-
auf begehrte der Doktor, daß ers auswendig
vor ihm lerne, weil er ſelber das Dokument
wieder zu ſich ſtecken muͤſſe. Der Arzt predigte,
den Aufſatz endlich auswendig (der Hoſenſack
[124] war ſeine Kanzel) her. „Gut! ſagte Katzen-
berger. Nun haben wir beyde nichts Wichti-
ges weiter mit einander abzumachen, als kolle-
gialiſch zu uͤberlegen, welches von den Glied-
maßen ich denn vor dem Einſitzen zu zerſchla-
gen habe; wir haben die Wahl. Wir könn-
ten die Naſe nehmen, und ſolche breit ſchla-
gen; theils weil Du auf meine grobe knollige
kurze Fuhrmanns-Naſe etwas herunterſiehſt,
theils weil nach Lavater ſich unter allen Glie-
dern die Naſe am wenigſten verſtellen kann,
und Du alſo bey Deiner Vermummerey Gott
und mir danken wirſt, wenn Du ein aufrich-
tiges Glied weniger haſt — Wir koͤnnten
aber auch zum Kopfe greifen, womit oder wo-
rin Du beſonders geſuͤndigt und rezenſiert, und
ich koͤnnte, da er noch nicht offen genug ſcheint,
wenigſtens die ſieben Sinnenloͤcher, die der
Vorderkopf hat, auch dem Hinterkopf durch
den Natur-Trepan eines ſogenannten Stocks
einoperiren — Oder vor und von der Hand
koͤnnten ſo viele Finger als leider rezeptiren
und rezenſiren, bequem dezimiert werden —
[125] Oder ich könnte auch das Piſtol an Deine
Wade halten und ſie durchſchießen, um aus
der Haͤmatoſe zu ſehen, ob ſie eine falſche
ſey — die Ausleſe wird ſchwer, Du haſt ver-
dammt viel Glieder und ich glaube gerade
ſo viel
als Peſtalozzi in ſeinem Buch der
Muͤtter aufzaͤhlt — Oder waͤhlt man am
beſten das Ganze, die dreyhaͤutige Oberflaͤche
und zeigt man ſich Dir mehr von der lieben-
den Seite, wann ich eben auf Dich als mei-
nen Nachfolger, beeidigten Prieſter und Lehr-
boten, gerade ſo wie der Franziſkus und an-
dere Heilige die Wundenmaͤhler von ihrem er-
ſcheinenden Herrn bekamen, alle die blauen
und braunen und gelben Flecken, womit mich
in mehr als einer Pruͤgel-Disputa mancher
Raphael angemalt, gleichſam als stigmata
uͤbertrage und abfaͤrbe, um unſere Vereini-
gung zu zeigen — Nun ſo ſtimme doch mit,
uͤber das Glied, ſage welches!” —


— „Mein Herz,” verſetzte er. „So ver-
traut ſpricht man nicht mir,” ſagte Katzenber-
ger. „Meines, mein’ ich ja,” ſagte Stryk.


[126]

„In dieß Glied moͤgen die Weiber ihre
dummen Wunden machen! Herr, hier liegt
Euer dummer Dachsſchliefer, der niemand an-
bellt, und anwedelt; das unnuͤtze Vieh ſollt
Ihr mir, wenn ich unter den waͤhlbaren Glied-
maßen etwas naſchen ſoll, zum Zerſchneiden
mitgeben, und vorher vor meinen Augen er-
droſſeln, da ich die Beſtie ſonſt nicht fort-
bringe!” „Er iſt, ſagte der Arzt, nur ſo ſtill,
weil er vor Alter keine fuͤnf Sinne mehr hat;
erdroſſeln kann ich das treue Thier unmoͤglich,
aber hergeben will ich ihn, da er doch bald
abgeht.”


Hier hob er den lebens- und ſchlaftrunk-
nen Dachsſchliefer auf, und gab ihm den Ju-
das- und den Todeskuß: „Behalt’ ihn, un-
wiſſenſchaftlicher Narr! rief der Doktor; eh’
ich ein veraltetes Vieh, lieber meine zehn Fin-
ger gaͤb ich her!” — Dieſer Zufall öffnete
ploͤtzlich dem Brunnenarzt einen Himmel und
eine Ausſicht: „ich beſitze hier, ſagt’ er, im
Kabinet aus dem Fraiſch-Archiv eine alte ab-
geduͤrrte Hand, zwar keine ausnehmende Mis-
[127] geburt, aber es iſt doch eine Hand mit ſechs
Fingern, die nicht jeder am Arme hat.”


Si bon! — Ganzer Mann! Schatz gebt
mir die Hand, nicht Euere — ſo geh’ ich ab
und ſchone jeden Hund.” — Waͤhrend Stry-
kius die Sechsfingerhand als einen Reichsab-
ſchied gegen das Fauſtrecht aus dem Kaſten
holte: ſaͤete Katzenberger hinter deſſen gebog-
nen Ruͤcken mehrere Knallkuͤgelchen auf ver-
ſchiedne erwaͤrmte Plaͤtze des Ofens und legte
nicht ſo wohl Feuer als Donner ein, um auch
in ſeiner Abweſenheit das Strykiſche Gewiſſen
Nachts oder ſonſt mehrmals fürchterlich zu
wecken durch Laͤrmkanonen, Nothſchuͤſſe, Tuͤr-
kenglocken oder andern Metaphern. Waͤhrend
der Donnerſaat ſprach er fort, und ſagte ins
Kabinet hinaus: „ich bin aber heute ſo weich
wie ein Kind; das macht der Trunk; Darwin
bemerkt ſchon laͤngſt, daß ſich den Saͤufern
die Leber, folglich die Galle verſtopfe, daher
ihre Gallenſteine und Gelbſuchten.”


Strykius brachte die eingeräucherte Hand,
wogegen Eſaus, und Van Dyshaͤnde dem
[128] Doktor nur als invalide oder defekte erſchienen.
Nachdem er dieſe Plus-Finger genau daran
beſehen; muſte ſie ihm jener ſelber in die Ta-
ſche ſtecken, damit er in der geruͤſteten Stel-
lung verbliebe. Freundlich und ganz verändert
bat er, ihm ein Flaͤſchchen mit Thee mitzu-
geben, um es ruhiger im Wagen zu trinken.
„Nach der Schenkung der fremden Hand ver-
zicht’ ich gern auf jeden lebendigen Handdruck;
eure Kußhand in meiner Taſche hat alles ins
Reine und uns einander naͤher gebracht, und
wir lieben uns, ſo gut wir koͤnnen. Nur
bitt’ ich Euch noch, mir die Stockſcheide, wo-
mit ich vorher in die Scheibe des Knies ge-
troffen, ſelber an den Giftpfeil anzuſtoßen,
weil ich mich aus Mistrauen nicht buͤcke,
Schatz!”


Als Stryk etwas aͤngſtlich die obere Haͤlfte
des Hakenſtocks an die untere angeſchienet
hatte: haͤndigte Katzenberger mit dem Gem-
ſenhorn noch ſchleunig einen betraͤchtlichen
Schlag den Schreibknoͤcheln des Mannes ein
— es ſollte ein Siegel auf die Bundesakte
[129] ſeyn — und ſagte: „nur ein Katzenpfoͤtchen
und Handſchlag fuͤr den in der Hoͤle, Adio!”
Er eilte die Treppe hinunter und in den Wa-
gen hinein, um ſchnell uͤber die Graͤnze des
Hauſes und Landes zu kommen. Noch im
Dorfe begegnete ihm Stryks Bedienter; dem
er neuen Dank an ſeinen Herrn mitgab, und
vor dem er fahrend die Geſundheit deſſelben
in Thee trank. Frohlockend fuhr er mit dem
Reichthum von ſechs Fingern und von zwey
Alliance-Haſen im Geleiſe des Himmelweges
ſeiner Tochter nach. Strykius ſang zu Hauſe
Dankpſalmen an ſeine Geſchicklichkeit und an
das Geſchick, daß er ſich durch eine todte Hand
aus einer lebendigen gerettet; und machte ſin-
gend die Beinkleider und dann die Hausthuͤre
zu; erſt da er die letztere dem Bedienten wie-
der oͤffnete, ſtimmte er Kriegslieder und Wet-
tergebete gegen deſſen ungeheures Außenblei-
ben an, und gegen den Raͤuber von Doktor.
Sein erſter Gedanke war, dieſem in einer ganz
neuen Zeitung durch die zehnte Hand ſtatt ei-
ner Benefiz-lieber eine Malefizkomoͤdie zu ge-
Zweyter Theil. 9
[130] ben und ihn zu einem Mitgliede in die Un-
ehren-Legion der erbaͤrmlichen Autoren aufzu-
nehmen. Ferner, hatt’ er den zweyten Ge-
danken bey ſich anzuſtehen, ob er uͤberhaupt
einen ihm mit dem Piſtol auf der Bruſt abge-
nöthigten Eid und Widerruf nur wirklich zu
halten habe. Da platzte auf dem Ofen eine
Knallkugel und ſein Gewiſſen, von dieſer Krach-
mandel geſtaͤrkt, ſagte: „nein, halte Deinen
Eid, und nimm Dir nur die Zeit; denn nach
zwanzig Jahren kannſt Du eben ſo gut wider-
rufen, wenn Du nicht ſtirbſt, als morgen.”


[131]

45. Summula.
Ende der Reiſen und Noth.


Die Sechs Finger und acht Haſenbeine wa-
ren ſo erquickende Zuckerroͤhre, an denen Ka-
tzenberger unterwegs ſaugte, daß er nach dem
Unfall wenig fragte, ſo wohl die Abrechnung
der Reiſekoſten mit Rießen vergeſſen zu haben,
als das Aufheben des weggeworfenen Wind-
piſtols bey Stryk. Das letztere ſollten ihm,
beſchloß er, ein paar höfliche Zeilen nachholen.
Er ließ gallopiren um noch vor Untergang
des Mars uͤber das Grospoleyiſche Graͤnzwap-
pen hinauszufahren. Dann ſtieg er in Fug-
nitz aus, und genoß bey Licht ſeine Misge-
burten ruhiger.


Nach einem kraͤftigen Extrakt von kurzem
Schlaf flog er der Tochter nach; und durch
das Staͤdtchen Huhl mit gezognem Giftpfeil
vor dem Hauſe des Pharmazeutikus vorbey.
[132] Dieſer ſtand eben unter der pharmazeutiſchen
Glasthuͤre, und unter der Wappen-Schlange
ſeiner Offizin neben dem Orts-Phyſikus und
zeigte dieſem ohne Hutabziehen, und ſonſtige
Gruß-Schuͤſſe mit ausgeſtrecktem Arme den
Giftmiſcher und Haſendieb.


Erſt ſpät bey Licht-Anzuͤnden, kam er
zu Hauſe an. Er hoͤrte, Theoda, die ſchon
Vormittags angelangt, ſey bey ihrer Freundin.
Halb verdruͤßlich machte er ſich nach Mehlhorns
Wohnung im Erdgeſchoſſe auf, welches fuͤr
ihn den Vortheil hatte, daß es Abends durch
Fenſterladen gut genug verſchloſſen war, um
ungeſehen durch ſie hinein zu ſehen.


Katzenberger war ein Mann von vielen
Grundſaͤtzen, worunter er einen hatte, den zarte
Seelen, welche die menſchliche von keiner ſicht-
baren Gegenwart gemilderte Schaͤrfe der Ur-
theile uͤber daube Abweſende ſchwer ertragen,
ihm nicht ſo leicht nachbefolgen konnten, naͤm-
lich den zu — horchen und zu luken. Darum
erklaͤrte er beſonders Fenſter-Laͤden der Erd-
geſchoſſe fuͤr die beſten Operngucker und Hoͤr-
[133] maſchinen, die er nur kenne; und ſagte, ſol-
che Laͤden ſchlöſſen etwas wol dem Raͤuber,
aber nichts dem Herzen zu — und man ſchaue
nie ruhiger und ſchärfer in Haushaltungen,
als durch zarte Ritzen, entweder in einen off-
nen Himmel oder offnen Schaden, und er
wiſſe dieſes aperturae Jus oder dieſe servitus
luminum et prospectus,
kurz dieſe Licht-
Anſtalt mit nichts zu vergleichen als mit Tod-
tenbeſchau, und Leichenoͤffnung; nie ſey er
von ſolchen Fenſterläden weggegangen, ohne
irgend einen Gewinn davon zu tragen, ent-
weder eines Schmaͤhwortes auf ihn, oder ſonſt
einer Offenherzigkeit.


Durch den Fenſterladen ſah er nun mit
Erſtaunen die Woͤchnerin Bona im Bette und
in ihren Händen zwey fremde Haͤnde, die ſie
auf einander druͤckte, Theoda’s und Theudo-
bachs, indem ſie ihr klares obwohl mattes
Auge mit ſo viel Entzuͤckung und Theilnahme
zu den beyden Liebenden aufhob als ſie ihrem
Zuſtand erlauben durfte. — Er ſah ferner,
wie der Umgelder mit (geborgtem) Weinglaͤ-
[134] ſern, und mit (bezahltem) Weine ohne An-
ſtand, aber lebhaft umherſprang, und das
Infuſorium ſeiner eignen Begeiſterung, einer
himmliſchern vorhielt und anbot, ſogar der
neuen Kindbetterin, welche indeß mitten in
der ihrigen genug Bedachtſamkeit beſaß, dieſen
boͤſen Honigthau des Wochenbettes auszuſchla-
gen. — Er vernahm ſogar, daß der Zoller
ein Wagſtuͤck mit ſeiner Zunge beſtand
und ſagte: gnaͤdigſter Herr Gevatter, aufs
hohe Wohl unſeres Pathen! — Von dem
Nachmittag und der vorigen Nacht war alſo
(ſah er durch die Spalten) das Pfund jeder
Stunde gewiſſenhaft benutzt, und auf Zinſen
der Liebe angelegt. — Nie ſah die blaſſe hell-
blauige Bona verklaͤrter und durchſichtiger aus
als in dieſer Stunde des Mit-Entzuͤckens,
aber ihre Verklaͤrung verſchoͤnerte auch die
fremde; denn ein liebendes Paar erſcheint zaͤr-
ter und himmliſcher durch den Wiederſchein ei-
ner theilnehmenden Freude.


Jetzt hoͤrte der Doktor den Zoller ausru-
fen: „ich gaͤbe meine Hand darum, waͤren der
[135] Hr. Doktor Gevatter da; meine ſcharmanten
Brautleute waͤren aufgeraͤumter und ſtießen
an.” — Der Zoller hatte als ein Mann, der
wenig anders noch in der Welt ſcharf beobach-
tet hatte, als Zoll und Umgeld, aus Theoda’s
Bleich- und Ernſt-Sinn den Schluß gezogen,
ſie bange vor des Vaters Entſcheidung; wie-
wohl die heitere Roſe blos vor der heißen Sonne
der Liebe und Entzuͤckung zur weißen erblaßte.
Der tiefe Ernſt der Liebe griff ihr ganzes mun-
teres Weſen an. Der Hauptmann, ſchon von
Natur und Wiſſenſchaft ernſt, war durch die
plötzliche unberechnete Liebes-Lohe nur noch
ernſter geworden; denn ſonſt irgend einer aͤu-
ßeren Stoͤrung (Perturbazion) ſeines Liebes-
Hesperus durch den Vater Saturn oder Mars,
kam ihm bey ſeiner mathematiſchen Hartnaͤckig-
keit und kriegeriſchen Entſchloſſenheit gar nicht
in Betracht, ja wenig in Sinn. Mehlhorn
fuhr er fort: „ich ſetze meine Ehre zum Pfande
die Sache geht.” Vergeblich winkte ihm
Bona: „ich weiß ſehr gut, ſagt’ er, was
ich ſagen will; ich kenne meinen theuerſten Hr.
[136] Gevatter Doktor ſo gut, als euch ſelber, und
vermachen ihm Dieſelben auf Ihrem herrlichen
Ritterguth Ihre ganze Hoͤle voll Baͤrenkno-
chen zum Ausleeren: ſo weiß ich, was ich weiß.”


Der Doktor ärgerte ſich am Fenſterladen,
daß Mehlhorn bey Kraͤften ſeyn wollte, und
keck — denn derſelbe Liebhaber aller Kraft-
Menſchen wird doch verdruͤßlich uͤber einen
Schwaͤchling, der plötzlich, wenn auch nur im
Trunk-Muth, etwas vorſtellen, und dadurch
das Verhaͤltniß der Unterordnung ſchwaͤchen
will. — Doch ſagte zu ſich der Doktor: „uͤbri-
gens iſts gut und ich bin Hr. Theudobachs
gehorſamer Diener und Schwiegervater, wenn
es mit der Hoͤle richtig iſt.”


Der Doktor trat gelaſſen ins Zimmer und
ſah jeden unverlegen an. Die verſchiedenen
Konzertiſten der harmoniſchen Liebe mußten ge-
gen eintretenden Taktſchlaͤger ſich in angemeſ-
ſenen Spielen der Harmonie darſtellen. Die
Tochter hatt’ es am leichteſten, ſie hatte einen
Vater zu empfangen und zu kuͤſſen. — Auch
der Zoller unternahm bey ſo viel Wein im
[137] Kopf mit Erfolg die ſchwerſten Umhalſungen.
Nur der Schwiegerſohn, Theudobach, begab
ſich gegen Katzenberger, der ohnehin mit lau-
ter Winterſeiten beſetzt war, mit Anſtrengung
in das gewöhnliche krauſe Hoͤflichkeits-Gefecht
zwiſchen kuͤhlen Schwiegervaͤtern und heißen
Schwiegerſoͤhnen. Je feuriger und reifer der
Doktor das Ja im Herzen hatte, deſto feſter
verkorkte er es darin; ſchon auch darum, um
dem ergötzenden Ringel-Frohntanze um ſein
Vaterherz herum, zuzuſehen. Bona durch-
blickte ſogleich die Ineinanderwirrung; der
jetzt trocknere Hauptmann, der neben dem Al-
ten die Hand der Tochter nicht fortbehalten
konnte, ſchien ihr Anſtalt zum Abzuge in ſein
Quartier im Sinne zu haben, um ſich aus
demſelben an den Nordmann mit der Feder
zu wenden. Auch der geheitzte Kopf des Zol-
lers, ſchiens ihr, verſprach mit allen ſeinem
Reverberier-Feuer nicht viel Licht fuͤr den
Ausgang der Sache.


Aber ſie that es kuͤhn ab; ſie bat die Ge-
ſellſchaft um einen einzigen Augenblick, um
[138] mit ihrem alten Arzte ein Wort zu reden.
Man ging leicht, nur Mehlhorn ſchwer.


Sie leitete wirklich mit einigen Kranken-
Fragen ein, ehe ſie den Doktor zur Geſchichte
ihrer Freundin, zu der Vergangenheit, Ge-
genwart und Zukunft derſelben uͤberfuͤhrt. Zu-
letzt kam ihr eben aus Woͤchnerin-Schwaͤche ihre
Schwaͤche ganz aus dem Sinn, und ſie ließ Herz
und Zunge flammen fuͤr Theoda. Ihr verſchwinde
zwar, ſagte ſie, mit ihr das halbe Gluͤck des
Lebens; wenn aber dieſe dadurch das ganze
gewinnen, ſo weine ſie gern ihre bitterſten
Thraͤnen.


Der Doktor bat, ihn mit den nähern Ver-
haͤltniſſen des Mannes in Bekanntſchaft zu
ſetzen. Sie erzählte, ihr Mann habe ſchon
Vormittags uͤber ſeine Umſtaͤnde bey mehr als
fuͤnf Studenten aus Theudobachs Nachbar-
ſchaft Nachrichten, und uͤber die Wahrheit
ſeiner Verſichrungen einziehen muͤſſen, aber
lauter Bejahungen eingebracht, wie ſich denn
im ganzen Weſen deſſelben der Mann von
Wort ausweiſe; Sie nahm ſo viel Antheil an
[139] Theudobachs Reichthum als Katzenberger ſelber;
und es ſteht einer ſchoͤnen Seele nicht uͤbel
an, fuͤr eine fremde daſſelbe Irrdiſche zu be-
herzigen, das ſie fuͤr ſich ſelber verſaͤumt. „Sie
koͤnnen ja — ſetzte ſie laͤchelnd hinzu — un-
ter einem ſehr guten Vorwand ſelber hinreiſen,
und ſich alles mit Augen befuͤhlen; er hat
nämlich auf ſeinem Guthe eine Höle voll Baͤ-
ren- und Gott weiß fuͤr Knochen. Fuͤr die
Tochter gibt er Ihnen freudig alles, was er
von todten Baͤren hat; es wird ſchon was zu
einem lebendigen uͤbrig bleiben fuͤr die Ehe.”


„Ich — verſetzte der Doktor — bin ge-
wiſſermaßen dabey. Weibsleute kann man nicht
früh genug auf juͤngere Schultern abladen von
alten; wir armen Maͤnner werden bey allem
Gewicht leicht in ihnen geſchmolzen wie z. B.
Bleikugeln in Poſtpapier ohne deſſen Anbren-
nen. Sie ſoll ihn vor der Hand haben, be-
dingt
.”


Hier war der Umgelder ſchon von der
Thuͤre (er hatte um ſie nicht aufzumachen, da-
vor gehorcht) abgeflogen zum Liebes-Paar;
[140] vier und zwanzig blaſende Poſtillione ſtellte er
vor, um das gewonnene Treffen anzuſagen.
Vielleicht haͤtten ſie wenig dagegen gehabt,
haͤtte ſich der Sieg auch einige Stunden ſpaͤ-
ter entſchieden. Die Liebenden kamen zuruͤck,
und in ihren Augen glaͤnzte neue Zukunft,
und auf den Wangen bluͤhte die Gegenwart.
Der Umgelder wollte auf einem Umweg durch
die Knochenhoͤle — als einem thieriſchen Scher-
benberge — der Sache naͤher kommen, und
that dem Hauptmann die Frage, was er fuͤr
Schoͤnheiten auf ſeinem Landguthe verwahre.
Aber dieſer wandte ſich, ohne Antwort und
Umweg, gerade an den Vater, und legte ihm
den durchdachten Entſchluß ſeines Herzens zum
Beſiegeln vor. Katzenberger murmelte wie
verlegen einige Hoͤflichkeits-Koloraturen, bloß
um ſich beſtimmtes Loben zu erſparen, und
aͤußerte darauf: er ſage ein bedingtes Ja, und
ſchieße das unbedingte freudig auf dem Guthe
ſelber nach, wenn ihm und ſeiner Tochter der
Hauptmann erlaube mitzureiſen. „Warum ſoll
ichs nicht ſagen? fuhr er fort, ich bin ein ge-
[141] rader Mann mit dem ganzen Herzen auf der
kleinen Zunge. Ich wuͤnſchte wirklich den un-
terirdiſchen Schatz zu ſehen, deſſen Herr Zoller
gedachte, und Sie moͤgen immerhin dieß fuͤr
einen Vorwand mehr aufnehmen um meine na-
turhiſtoriſche Unerſaͤttlichkeit zu befriedigen.”
Ob er nicht eine wahre Vorſtellung in die
ſcheinbare verbarg und eigentlich gerade dem
Reichthum uͤber der Erde unter ſeinem Vor-
wand eines tiefern nachſchauen wollte, konnte
außer der hellen Bona, wohl niemand beja-
hen; ſondern eine triumphierende Kirche from-
mer Liebe, ein Brockengipfel tanzender Zau-
berfreude wurde das Zimmerchen; und ſelber
Katzenberger ſtellte in dieſe Walpurgisnacht voll
Zauberinnen ſchoͤner als ſein Urbild (der Teu-
fel) den umtanzten Brocken-Helden dar.


Nachdem er um die allgemeine Entzuͤckung
und die eigne luſtiger zu ertragen, den noͤthi-
gen Wein getrunken: ſo macht’ er ſich unver-
ſehends, in der Flucht vor vier Dankſtimmen,
nach Hauſe und ſagte unterwegs die Augen
gegen den Sternenhimmel gerichtet; „rechn’
[142] ich auch nur fluͤchtig nach, daß ich einen acht-
fuͤßigen Haſen — eine ſechsfingrige Hand —
die goldfingerige eines Schwiegerſohns auf ei-
ner kurzen Reiſe gewonnen, wobey ich nicht
einmal im Vorbeygehen die Strykiſche Schreib-
tatze anſchlage, auf die ich geſchlagen — und
ſchau’ ich in die Höle hinein, wo ich auf ganz
andere Hoͤlenbaͤren als auf die kritiſchen ſto-
ßen ſoll: ſo kann ein Mann, der auf einer
Reiſe ums Weltmeer nicht mehr hätte fiſchen
koͤnnen, als ich auf meiner ins Maulbronner
Bad, dafuͤr Gott, ſollt’ ich denken, nicht ge-
nug danken.”


Werft noch vier Blicke in den kleinen Freu-
denſaal der vom Vaters-Ja begluͤckten Liebe
und der begluͤckten Freundſchaft zuruͤck, eh’ ihr
von allen auf immer geht! Solche Abende und
Zeiten kommen dem duͤrftigen Herzen ſelten
wieder; und ob gleich die Liebe wie die Sonne
nicht kleiner wird durch langes Waͤrmen und
Leuchten, ſo werden doch einſt die Liebenden
noch im Alter zu einander ſagen: „gedenkſt
Du noch, Alter, der ſchoͤnen July-Nacht?
[143] Und wie Du immer froher wurdeſt und Deine
Bona kuͤßteſt! — Und wie Du, Theoda
(denn beyde fallen einander unaufhoͤrlich in
die Rede) den guten Zoller herzteſt! — Und
wie wir dann nach Hauſe giengen und der
ganze Himmel funkelte, und das Sommer-
Roth in Norden ruhte — Und wie Du von
mir gingſt, aber vorher einen ganzen Himmel
in meine Seele kuͤßteſt, und ich im Liebes-
rauſche leiſ’ an meinem Vater voruͤberſchlich um
den muͤden nicht zu wecken. — — Und wie
alles, alles war, Theoda; ich bin kahl, und
Du biſt grau, aber niemals wird die Nacht
vergeſſen!” — So werden beyde im Alter
davon ſprechen.


Ende der Badgeſchichte.


[144]

VIIII.
Wuͤnſche fuͤr Luthers Denkmal,
von
Muſurus
.


Ein gewiſſer, mir ganz unbekannter Muſu-
rus — „Ehrenmitglied” (der Himmel weiß von
welchem Ehren-Koͤrper) unterſchrieb er ſich
noch, — ſchickte mir vor einigen Wochen ei-
nen Aufſatz uͤber die Tempelkollekte zu Luthers
Denkmal zu. Da ich nun befuͤrchte daß der
Aufſatz, der im Grunde Deutſchland mehr in
ein lächerliches als in ein vortheilhaftes Licht zu
[145] ſetzen ſucht, irgend e[in]em Monats- oder Ka-
lender-Autor begegne, der ihn gar drucken
laͤßt: ſo theil’ ich ihn hier ſelber mit, um die
Gelegenheit zu benutzen, manches, was er
ſcherzhaft vorbringt, ernſthaft zu entkraͤften in
einem kleinen Anhang. Hier folgt zuerſt ſeine
Arbeit unter dem Titel:


„Gelderſparendes Ideemagazin zu Denkmaͤ-
lern Luthers und Deutſchlands.”


Sechstauſend Thaler *) und einige Gro-
ſchen, die noch von Woche zu Woche anſchwel-
len, haben wir nun im Lutheriſchen Deutſch-
land zuſammengelegt, was ich auch von der
Vereinigung aller Staͤnde ſogleich erwartete.
Mit ſolchen Summen — ſo denk’ ich — koͤn-
nen wir wahrſcheinlich etwas machen, wenn
auch keine Statue, doch einen Anfang dazu,
irgend ein Glied. Es muß indeß noch unend-
lich mehr einlaufen, wenn wir Deutſchland
Zweyter Theil. 10
[146] verlaſſen und den Reichsanzeiger in Sprachen
ſolcher Laͤnder uͤberſetzen wollen, die mit uns
zugleich hinter Luthers Freiheitsfahne vom
paͤbſtlichen Stuhle abgegangen ſind; denn in
Schweden, Daͤnemark, ſaͤchſiſchem Ungarn,
lutheriſchem Oſtindien, der Schweitz, Holl-,
Eng- und Schottland muß jetzt eingefallen,
und was nur von Laͤndern ſonſt proteſtirte,
mit Kollektenbuͤchſen durchzogen werden, da-
mit ſie der Mannsfelder Geſellſchaft ſteuern
wie wir alle, wenn ſie nicht von uns wollen
roth gemacht ſeyn. Gedenken denn ſo viele
reichere Länder eine Religionsumwaͤlzung; wo-
fuͤr ein aͤrmeres ſechstauſend Thaler zuſammen
ſchießt, umſonſt ohne Taufgebuͤhren zu genie-
ßen? Es mag daher den Vorſchlaͤgen, die
ich nachher uͤber den beſten Verbrauch der ge-
dachten Almoſenſammlung wage, dieſer voraus-
ſtehen, daß man die eingegangenen Monu-
ments- und Ehrengelder wohl nicht ergiebiger
verwenden koͤnnte, als bloß fuͤr Botenmeiſter,
naͤmlich fuͤr Pfennige- und Deutmeiſter, fuͤr
Thaler-, Kronen-, Adolphsd’or und Cro-
[147] ren- *) Meiſter, welche man um dieſe Sum-
men gewaͤnne und in die Auslande verſchickte,
um da die beträchtlichſten Beyträge zu Luthers
Denkmal in Mansfeld einzutreiben. Gott!
wenn wir uns nur ausmalen, daß bloße fuͤnf
Lords in London von dem Boten erobert wuͤr-
den zur Unterſchrift — bevor ſie ſelber mit
den andern von der Landung erobert wä-
ren: — ſo langte dieſes ja zu, daß wir, das
Quintupel des ausgegebnen Botenlohns, naͤm-
lich des bisher eingenommenen Ehrenſolds fuͤr
Luther, einzuſtecken bekaͤmen! Seſoſtris Auf-
ſchrift auf ſeinen Tempeln: „kein Eingebor-
ner arbeitete daran” übertruͤge wol jeder mit
wahrem Vergnuͤgen auf den Lutheriſchen.


Ich theile jetzt — da mich die Mannsfel-
der Geſellſchaft, wenn nicht im beſten, doch
in ihrem Stile, ſo dringend dazu auffordert —
meine Ideen uͤber den beſten Verbrauch der
Ehrenſummen mit, welche durchaus in zwey
große Klaſſen zerfallen; in der erſten werden
die Vorſchlaͤge gethan, etwas von ihr uͤbrig
[148] zu behalten, wenn man Luthern das Seinige
ſetzt; in der zweyten die, wodurch gar die ganze
Summe geſpart wird.


Ich beginne bey der erſten. Zu verwun-
dern iſts — aber noch zu helfen, da wir Geld
haben in Mannsfeld — daß wir uͤber Luthern
einen ganz hoͤhern Mann zu ehren vergeſſen,
dem er ſelber, wie jeder große Mann, ſeine
Bildung verdankt — einen Mann, der bis
auf den juͤngſten Tag fortwirkt, ſo lange noch
ein lebendiger Menſch exiſtiret — der uns ei-
gentlich zu Menſchen machte — einen Stamm-
baum aller Stammbäume, ob er gleich die
Buͤrgerlichen mehr beguͤnſtigte — unſer Va-
ter aller Landesvaͤter — kurz einen Mann,
den der Schoͤpfer zuerſt inſpirirte, nicht ei-
nige Gedanken, ſondern die ganze Seele —
und welcher nicht nur der groͤßte war, ſondern
auch (was aͤußerſt ſelten iſt, da es nur einmal
iſt) der erſte und den ich gern die Mutterzwie-
del, und das Erzhaus der Menſchheit nenne
— denn ich meine offenbar Adam — — zu
verwundern und ſchwerlich zu entſchuldigen
[149] iſt es, ſag’ ich, daß fuͤr einen Mann von ſol-
chem Einfluß und mit allen Fuͤrſten verwandt,
noch nichts gethan worden, weder im prote-
ſtantiſchen Deutſchland, noch ſonſt wo. Von
ſeiner Frau gilt daſſelbe. Ob aber Adam, der
Jahrtauſende Luthern vorarbeitete, nicht fruͤ-
her Ehrenflinten und Ehrenſaͤbel und Ehren-
trommelſtoͤcke in ſeine Haͤnde von der Manns-
felder Geſellſchaft zu bekommen verdient, als
Luther, wird ſie mir oͤffentlich beantworten.
Denn dieß entſchuldigt uns nicht, daß aller-
dings jeder Adams Sohn von uns oder Poſt-
adamit ſeinen guten Vorvater bisher ſo gut er
konnte jenes geiſtige und bleibende Denkmal in
ſeinem Buſen aufrichtete, das unter dem Na-
men alter Adam ſo bekannt iſt, als das
neue Teſtament. Aber ſind denn Luthern nicht
durch den neuen Adam dieſelben Denkmaͤler
geſetzt? — Schlaͤgt man die Millionen Nach-
kommen als lebendige dem Erzvater geſetzte
Statuen hoch an, wovon ihm jeder von uns
einige ſetzt: ſo beſitzt auch Luther an den um-
hergehenden Lutheranern dergleichen Karyati-
[150] den ſeines Ehrentempels genug. Doch dieß iſt
mehr Scherz; was ich aber ernſthaft vorſchlage,
iſt, daß, da wir Geld einmal in Händen ha-
ben, wir es vertheilen, und beyden, ſowohl
Luthern etwas ſetzen, das uns Ehre macht,
als auch Adam. — — Und warum ihnen
allein? Denn ich gelange jetzt auf den Haupt-
und Standpunkt. Warum wollen wir, wenn
allen Feſten eines gewiſſen großen Fürſten im-
mer ein Thaler abging, ploͤtzlich ſo unerhoͤrt
verſchwenden, daß wir mit ſechstauſend ſolcher
abgängigen Thaler nur ein einziges Roſenfeſt,
eigentlich ein Eichenfeſt eines einzigen Mannes
begehen wollen, als ob nicht der Sechstau-
ſend-thaler-Stock eine ungeheure Summe fuͤr
einen Mann aus Luthers Zeiten waͤre, wo ein
Hering einen Heller koſtete und Brennholz
gar keinen? Wollen wir den Ruhm verlie-
ren, daß wir bisher einerſeits immer als
Männer in Kredit geſtanden, welche das Geld
(auch fuͤr Ehrenſachen) nie weggeworfen, ſon-
dern jeden Heller anſahen, und umwandten,
ehe wir ihn einſteckten? Wir ſind ferner auf
[151] der andern Seite (etwas iſt wahr) bey Europa
nicht zum Beſten, ſondern mehr als Leute an-
geſchrieben, welche ihren großen Maͤnnern un-
gern etwas hoͤheres aufrichten, als was der
Todtengräber auf ihren Sarg aufſetzt, und
der Setzer auf dem Lumpenpapier, und welche
die Werke ihrer Lieblingsſchriftſteller ungern
um den Ladenpreis erſtehen; wie dann zu un-
ſerer Schande hier ein Handelsmann exiſtirt,
der Wieland ordentlich anbetet und ſich deſſen
ſaͤmmtliche Werke in Einen ungeheueren Band
hat binden laſſen, um ſich ſchadlos dafuͤr zu
halten, daß er keinen Nachdruck erſchnappen
koͤnnen.


Aber, o Himmel, Gluͤck uͤber Gluͤck! Jetzt
kann ja bey ſechstauſend Thaler Tempel-Bau-
begnadigung alles wieder gut gemacht werden
— der alte Unehrenfleck ausgewaſchen — die
Nazion von ſich geehret und rehabilitiret —
Kepler, Hutten, Herder, Leßing, Kant,
Winkelmann, Albrecht Dürer koͤnnen nun er-
langen, wornach mancher von ihnen ſo lange
ſtrebte, warme Anerkennung von der Na-
[152] zion. — — Denn ich ſchlage naͤmlich vor,
daß dieſe bisher ſuͤndlich vernachlaͤßigten See-
len-Großen nicht bloß, ſondern auch alles
uͤbrige geiſtige Bergvolk nun von uns in Lu-
thers Pantheen, wozu die ſechstauſend aus der
Nazion gebrochne Bauſteine ſchon da liegen,
hinein geſchaft, und daſelbſt aufgeſtellt, und
mit einigem Nationalgefuͤhl und Stolz zuſam-
men aufbewahret und verehret werden, um ſo
die Baukoſten zerſtreueter Ehrenſaͤulen für je-
den beſondern Narren ſich ohne Geſchrey und
Schande zu erſparen.


Dieß muß geſchehen; denn laſſen wir nicht
mehrere Koͤpfe unter Einen Lorbeerkranz zu-
ſammenkommen oder auf dem Mannsfelder
Triumpfwagen nicht recht viele Sieger einſitzen,
ſo ſind wir bey der Nachwelt (auf die wir
alles bringen) zu wenig entſchuldigt, daß wir
einem Manne wie Luther erſt ſo ſpaͤt nach
der letzten Ehre eine neue erzeigten, und daß
er, ſo wie Taſſo Einen Tag vor ſeiner Kroͤ-
nung, eben ſo ein Jahrhundert und laͤnger
vor der ſeinigen ſterben mußte, wir muͤßten
[153] uns denn damit helfen — was eben ſo erbaͤrm-
lich als nothwendig waͤre — daß wir auf Lu-
thers Denk-Statue oder Kirche wenigſtens
von zwey Jahrszahlen eine wegließen, entwe-
der das Geburtsjahr der Statue oder ſein eig-
nes. Aber warum, wenn nun ganze deutſche
Kreiſe das Beſte verſuchen und ſich vor einen
vollbeſetzten Siegs- und Krönungswagen ge-
fuͤrſteter Geiſter ſpannen, ſoll man mit Kroͤ-
nungen knauſern, ſobald alles dazu da iſt,
Krone und Kopf? Nein, ſondern Deutſch-
land ſey dann — ſo iſt mein Vorſchlag —
wie außer ſich, und erinnre ſich eines jeden,
der Gewicht hat und ſchuͤtte ſo mit Einem
Schlag den Schwarmſack herrlichſter Honigbie-
nen aufs Paradebette aus. — Meuſel muß
nachgeſchlagen, Schlichtegroll exzerpirt — und
alles was nur nothduͤrftig unſterblich iſt (denn
die Ehre iſt auch darnach) zu Papier und in
den Tempel gebracht werden, weil ein einziger
Teufel, der unſterblich waͤre (wie es wol jeder
in der Hoͤlle iſt) der Nazion als ein ewiger
Schandpfahl ihres Patriotismus dableiben
[154] wuͤrde, falls man ihn ohne Thron und ohne
Krone ließe — und alles muß ordentlich Rot-
ten- und Heerdenweiſe durch Ehrenpforten wie
Heraldiſches Vieh, in Luthers Rotunda auf
ewige Ehren- und Nabelplaͤtze eingetrieben
werden, und dann wie gewoͤhnlich verehrt.
Mir iſts einerley, auf welche Weiſe man ei-
nen und den andern unſterblichen Tropf z. B.
Gottſched venerirt, ſobald er nur in der Ro-
tunda mit hauſet, und es moͤgen, wenn in
dieſem Familienbegräbnis der heiligen Fa-
milie des Genies, große Maͤnner in Lebens-
groͤße da liegen, die kleinen ſich bis zu Schreib-
fingerknochen abſtufen. Iſt einmal ſo viel un-
ſterbliche Mannſchaft da: ſo laſſe man gar —
denn mein Vorſchlag ſoll keine Graͤnzen ken-
nen — jeden Reſt hinein, der geſtorben iſt,
und gut geſchrieben hat — der Fußboden wer-
de mit Geſichtern der Oekonomen, wie in Rom
der Götter, muſiviſch ausgelegt — gelehrte
Wunderkinder, wie Henneke, Tanzmeiſter,
Sprachmeiſter, Philologen, Numismatiker
moͤgen an den Tempelſäulen als Schnoͤrkel,
[155] Verkroͤpfungen und Kaͤlberzaͤhne leben — von
Tempelſtufe zu Stufe trete der Fuß auf ei-
nen Advokaten von Belang — und da man
um das Mannsfelder Pantheon fuͤr den Zu-
ſtrom der Verehrer Wirthſchaftsgebaͤude wird
fuͤhren muͤſſen, ſo werde auch das Mittelgut
wirthſchaftlicher aber guter Merkels-Koͤ-
pfe
da untergebracht, bey welchen die Aus-
gießung des heiligen Geiſtes ſo gluͤcklich vor-
bey gefallen, daß ſie trocken geblieben — und
endlich, droh’ ichs denn zu hindern, was man
zuletzt an den Inkognito-Ort, den ſchon der
gedachte Zufluß verlangt, auch das literariſche
Schmiervieh (mit den Schaͤfern zu reden) er-
baͤrmlich, wie gewoͤhnlich geſchieht mit Namen
an die Wand kratzt!


Gott! dann ſaͤhe ja Deutſchland alle ſeine
Nazional-Goͤtterſchaften in Mannsfeld fuͤr
halbes Geld unter Dach und Fach gebracht
und hinlaͤnglich angebetet? Was fehlte noch
darin? —


Blos was von Unſterblichen noch lebendig
waͤre! Himmel! nun ſo ſchießet doch nach
[156] und nehmt und ſtellet auch alle Lebendigen in
Mannsfeld auf, vom gewaltigen Vogel Rack
in Weimar an bis zu ſeiner kritiſchen Vogel-
ſpinne in Berlin*) herunter, welche vielbeinig
und erboßt ſo lange auf der Reiſe um den
breiten Vogel iſt.


Und ſogar mir Ehrenmitglied kann, freylich
mit Einſchraͤnkung, darin mit gehuldigt wer-
den! Oder iſt nicht jeder lebende Lieblings-
Kopf ohne dieſes vorgeſchlagene Zuruͤckdatiren
ſeiner Unſterblichkeit, ſonſt zu ſchlimm daran
in ſeinem Schlaf- oder Wachrock, den er mit
bloßen Knochen in Reih’ und Glieder ſtellt,
wenn aus dem Gefaͤngnis- Temple ſeiner
Wirklichkeit erſt nach dem Tod ein beſſerer
Tempel, aus einer ſtreitenden Kirche eine tri-
umphierende werden ſoll?


Nun haͤtten wir endlich alles in die Kon-
foͤderations-Rotunda abgeliefert, was nur von
Belang zu haben waͤre — man muͤßte denn
darin, um nur das beſchwerliche geldfreſſende
[157] Verherrlichen auf einmal und auf immer ab-
zuthun, ſogar fuͤr zukuͤnftige Koͤpfe etwas lei-
ſten, und auf eine mir ganz unbekannte Weiſe
ſie fruͤher auf die Nachwelt bringen wollen,
als ſie in der Welt erſchienen waͤren, indem
man ordentlich wie freudetrunken es zu mei-
nem Erſtaunen auf ein Allerheiligen-Feſt an-
legt. Ich meines Orts habe gar nichts da-
wider.


Ich geſtehe, uͤberſchaue ich dieß alles kalt-
bluͤtiger: ſo werd’ ich leicht von dem hoͤlzernen
Hering, der gewoͤhnlich als Herold und Re-
praͤſentant ganzer eßbaren Heringstonnen an
den Kauffenſtern haͤngt, auf den Gedanken
gefuͤhrt, ob nicht eben ſo alle große Maͤnner
auf einmal durch einen allgemeinen großen
Mann durch eine Simultan- und Kompagnie-
Bildſaͤule — alle gewaltigen Wallſiſche durch
einen hölzernen — ſo darzuſtellen und zu ver-
ewigen ſtaͤnden, als das noch groͤßere Thoren-
reich in Italien durch die bekannten vier ko-
miſchen Masken, indem man fuͤr jede der vier
Fakultaͤten eine ernſte Maske, einen ernſten
[158] Truffaldino fuͤr die theologiſche u. ſ. w. waͤhlte?
Diderot begehrt ſo ſtatt der Einzelweſen, ganze
Staͤnde auf die komiſche Buͤhne gebracht.


Doch werf’ ich dieß alles hin fuͤr Kluͤgere
als ich. Die Mannsfelder thaͤten mir uͤber-
haupt zu wehe, wenn ſie mir die Thorheit
unterſchoͤben, daß ich auf irgend einem mei-
ner Vorſchlaͤge ſteif beſtaͤnde. Mir iſt wahr-
lich jeder gleich; ich gebe ja nur Winke; ein
ſehr ſchwaches Verdienſt, da man zum Win-
ken mehr die Augenlieder als die Augen ge-
braucht. Wie gewagt iſt nicht folgender
Wink!


Zwoͤlftauſend Gulden Tax — 1200 Gul-
den Subſkriptions-Regal dem Vizekanzler (was
dieß iſt, weiß ich ſelber nicht, ich ſchreibe es
blos ab) — 600 dem Sekretair — und 1200
Kanzley-Jura muͤſſen nach der „erneuerten
Chur-Mainziſchen Reichshofkanzley Taxordnung
von 1659 den 6 Jan.” durchaus in Wien da-
fuͤr entrichtet werden — und mich duͤnkt ganz
billig, da man neuerer Zeiten in P. oft vielmal
ſo viel abliefern mußte, um nur ein Fuͤrſt zu
[159] bleiben — wenn man einer werden will. Ich
glaube indeß, ſo viel Nachſchuß wäre wohl der
Mannsfelder Operazionskaſſe noch einzutreiben
möglich, daß Luther ziemlich hoch davon könnte
in Fuͤrſtenſtand erhoben werden, beſonders da
verſtorbene Genies nicht mehr verlangen koͤn-
nen — ſobald man lebendige nur adelt — als
daß ſie gefuͤrſtet werden. Ich fuͤge dieſen Vor-
ſchlag fuͤr Luther vergnuͤgt dem Gelde bey,
das ſchon eingekommen. Ein Mann wie Lu-
ther, welcher die Steigbuͤgel, die ſonſt Fuͤr-
ſten dem Pabſte unterhielten, abſchnitt und ih-
nen reichte, damit ſie ſelber aufſtiegen, ver-
dient wohl am erſten zu dem nacherſchaffen zu
werden, was er ſelber wieder ſchuf — zum
Fuͤrſten.


Ich erwarte eher alles andere von der
Reichshofkanzley als — den Adel nicht ausge-
nommen — Weigerungen, verdruͤßliche Mi-
nen, abgeſchlagen wie gebeten, Saͤtze des Wi-
derſpruchs und zwar blos darüber und darum,
weil Luther ſchon todt ſey. Wenn ers iſt,
wie ich einraͤumen will: ſo iſt dergleichen ſei-
[160] ner Standes-Erhoͤhung nicht mehr nachthei-
lig, als ein aͤhnlicher Tod den vier buͤrgerlichen
Ahnen, die geadelt einem neuen Edelmann un-
ter der Erde vorausgeſchickt und untergebettet
werden. Was den Beweis fuͤrſtlicher Einkuͤnfte
anlangt, den Luther in Wien zu fuͤhren hat,
ſo thut der Reformator nur dar, daß er in
Eisleben keinen Heller Ausgaben hat im
Sarge; — wodurch er ein ſo herrliches Ni-
velliren zwiſchen Einnahme und Ausgaben be-
weiſet, daß ihm wol wenige Fuͤrſten gleichkom-
men duͤrften. — Stammbaͤume werden ge-
woͤhnlich mit einer Null von den Wappenkuͤnſt-
lern angefangen — wie oft von den Zweigen
fortgepflanzt; — bey dem verewigten Luther
wuͤrde ſie ja eben ſo gut den Ewigkeitszirkel,
ſeinen Ehering und den paͤbſtlichen Fiſcherring;
und uͤberhaupt viel bedeuten.


Ich las bisher zu meiner Freude manchen
Vorſchlag, an Luthers Prunktempel etwas Re-
elles, Nutzenhaftes, irgend ein Schul- oder
Armenhaus anzuſchlingen, damit das dulce
ſich auf einem utile hoͤbe. Ich glaube darin
[161] mein Deutſchland wieder zu erkennen, das ich
ſo oft eine lebendige Wirthſchafts-Teleologie
hieß im beſten Sinn. Wenn wir ſchon in der
Poeſie, den Bienen gleich — die daher auf
unſern Kroͤnungsmantel zu ſtecken waͤren, —
auf der Roſe der Schoͤnheit nur den Honig-
thau des Nutzens ſuchten, ſo wird uns dieſe
kamerale Kenntnis wohl mit mehr Recht in ge-
meinern Verhaͤltniſſen von jedem zugemuthet.
Wir duͤrfen gern den ordentlichen Regen himm-
liſch-rein, thau-ſchimmernd und fruͤhlings-
duftend finden; aber er kann uns nicht gleich-
guͤltig ſtatt durſtig machen gegen zwey wichti-
gere Strichregen im Jahre 1665*), wovon
der eine in Naumburg, nach Happel, in ſchoͤn-
blauer Seide, der andere in Norwegen, nach
Praͤtor, in gutem Kammertuch niederfiel, von
welchem ſich der damalige Daͤnenkoͤnig zwanzig
Ellen kommen laſſen. Aber wollte ein ſolcher
Tuch-Landregen einmal eine Armee in der Re-
vue bedecken, o Gott! — — Ohnehin gibts
Zweyter Theil. 11
[162] mehr unnuͤtze als nuͤtze Sachen in der Welt.
Nimmt man es ſcharf, ſo moͤchte man uͤber
dergleichen Thraͤnen vergießen — und dabey
wuͤnſchen, daß letztere gleich den Hirſchthraͤnen
zu etwas brauchbarem wuͤrden, zum Bezoar,
und wenn das wenige Kochſalz (ſammt dem
Natrum, phosphorſaurem Kalke und Kali),
was Scheidekuͤnſtler aus den Zaͤhren ziehen,
in Betracht kaͤme gegen die Meerſalzlager an
Frankreichs Kuͤſten, ſo wuͤrde mit Vergnuͤgen
ſelber der kalte Hollaͤnder ſowohl vor Schmer-
zen uͤber gegebene Themen weinen, als vor
Luſt.


Die deutſche wahre Achtung fuͤr Nutzen
(in Norden beſteht er aus Pelz und Fraß)
verkenne man alſo auch im Vorſchlag nicht,
Luthers Ehrenkirche noch, wie ſo immer den
Kirchen, ein Schulhaus anzuheften, wenns
geht. Ich glaube indeß, man wird — weils
nicht geht wegen Schwaͤche der Suͤrpluskaſſe
— vor der Hand die Kirche weglaſſen, und
ſich auf das Schulhaus einſchraͤnken, deſſen
Antlitzſeite Luthern vorlaͤufig zugeeignet werden
[163] kann. Warum wendet man uͤberhaupt nicht
die oͤffentlichen Gebaͤude, die doch einmal ge-
mauert werden muͤſſen, zu den nöthigſten
Ehrenpforten großer Maͤnner an, und adreſ-
ſirt blos das Portal? Die Nazion ſuche
doch für ein Spinnhaus, das ſie erbauet, ei-
nen großen Theologen und zeige, wie Nazio-
nen danken — fuͤr ein Schlacht- oder ein
Gebeinhaus einen Generaliſſimus — ein Hatz-
haus, ein Findelhaus ehre einen großen Hu-
maniſten und der Pranger einen gewoͤhnlichen
Rezenſenten — eine Irrenanſtalt greife nach
ihrem Philoſophen, und fuͤr den ſeltenen Dich-
ter wird ſich immer ein Stockhaus, Hoſpital
und Armenhaus mit einem Eingange finden.
Auf dieſe Weiſe duͤrfte vielleicht die Vermaͤh-
lung der Schönheit mit dem Nutzen, der Un-
ſterblichkeit mit der Sterblichkeit wohl ſo weit
fortzutreiben ſeyn, daß wir ſogar Goͤtter- oder
Heroenſtatuen als Schnellgalgen fuͤr Leute kur-
zer Statur oder als Pranger fuͤr langgewach-
ſene verbrauchen lernten.


Erbaͤrmlich iſts uͤberhaupt, daß man ſo viel
[164] koͤſtliches Geld zu Verewigungen verſchwenden
muß, z. B. zu theuern Statuen, die man
anderswo — in Arabien, in Eislaͤndern, in
bremiſchen Bleykellern, und in den ſyrakuſi-
ſchen Katakomben umſonſt haben koͤnnte, wenn
man, da es doch keine aͤhnlichere Natur von
einem Menſchen gibt als er ſelber, naͤmlich ſei-
nen Leib, jeden Unſterblichen wo nicht einbal-
ſamirt aufſtellen koͤnnte, doch ausgebaͤlgt?
Warum haben wir Mumien ohne Namen und
doch Namen ohne Mumien? —


Ich merke endlich an, daß fuͤr Luther zu
viel Krönungsmuͤnzen ausgeworfen daliegen.
Ein Knoten ins Schnupftuch fuͤr 6000 Rthlr.,
um jenen nicht zu vergeſſen; eine Denkmuͤnze
aus 6000 eingeſchmolzen iſt viel. Warum
denket uͤberhaupt der Deutſche in und auſſer
Mannsfeld auf einmal ſo hoch hinaus und
ſchleudert ſechstauſend Thaler fuͤr Einen Lor-
beerkranz Eines Kopfes hin, wofuͤr die Lor-
beerwaͤlder ganzer Redakzionen feil ſtehen? —


Iſt denn Luther nicht ohnehin ſchon im
groͤßten Tempel aufgeſtellt, den jemand ver-
[165] langen kann — da Gott ſelber keinen groͤßern
kennt — im Tempel der Natur? Wie ſticht
nicht jedes Mannsfelder Gebaͤude ab, gegen
das Weltgebäude? — Aber zweytens, iſt
nicht jede Unſterblichkeit fuͤr den, der das sa-
voir vivre
— (das Lebendigbleiben) verſteht,
faſt um nichts zu haben? —


Ein Schneider in Rom ſcherzt nach Gele-
genheit — eine alte unkenntliche Bildſäule ſteht
neben ſeiner Hausthuͤre — ſiehe auf einmal
iſt ſein Name verewigt, welcher Paſquino be-
kanntlich genug heißt. Eine Koͤnigin, die Ge-
mahlin Franz I von Frankreich, ſpeißt gern
eine gewiſſe Pflaume — jetzt waͤchſt ihr Name
ewig als Obſt am Pflaumenbaum Reine Claude.
Der Bruder Ludwigs XIV merkte dies bey
Lebzeiten und aß eine andere Pflaumenart
mit Luſt — ſiehe, auch er haͤngt verewigt an
ſeinem Lorbeer- und Pflaumenbaum als Mon-
sieur,
ſogar nach der Revoluzion. — Cato,
Caͤſar, Pompejus ſind noch heute jedem Jaͤ-
ger bekannt und lebendig, weil ihre Schweis-
und Hatzhunde ſo heißen, ſo wie in Schottland
[166] die alten Heroen durch die fortgeſetzten Hunde, die
ſie zu Gevatter bitten, noch lange leben werden.


Ich wollte, ich haͤtte in meiner Jugend
Voltairen beleidigt: ſo haͤtt’ ich nicht nur den
deutſchen Fuͤrſten bekannt werden koͤnnen, ſon-
dern auch der Nachwelt. Die gedachte berli-
ner Vogelſpinne werfe Goͤthen ein Fenſter
ein, oder laufe ihm kalt an der Wade hinauf:
ſo wird ſie in den Spiritus einer Xenie geſetzt,
und konſervirt ſich darin treflich. Warum uͤber-
haupt ſo viele Umſtaͤnde und Kroͤnungs-
ſtaͤdte gemacht, da eine Kroͤnungsſtaͤtte, de-
ren Breite nicht uͤber das Thronglied hinaus-
zureichen braucht, ſchon auslangt und nachhaͤlt.
Diana hatte winzige Taſchen-Tempelchen von
Silber, als Goͤttin. Nun ſo nehme Luther
als Menſch mit ſeinem Catechismus, als klei-
nem Tempelchen des Ruhms und Ehrenſäul-
chen vorlieb, oder (wie es Voltairs-Kaͤſtchen
gibt) mit Luthers Katechismusglas. Ja, fer-
tigt nicht die Kanſteinſche Bibeldruckerey (nebſt
Waiſenhaus) ſeinen Seelenadelsbrief Jedem
aus? — Und hat nicht ſchon D. Seiler
[167] eine gute Bibelanſtalt zum Eintreiben von Lu-
thers Krönungskoſten gemacht?


Wollen wir aber alle, etwas Ausgezeichne-
tes für ſeinen Namen thun: ſo fraͤgt ſich —
denn es koſtet wenig — ob wir nicht, den Si-
neſern gleich, die ihren großen Maͤnnern zu
Ehren Thuͤrme errichten, Luther zu Ehren die
Kirchthuͤrme der lutheriſchen Konfeſſion als
Ehrenſaͤulen ſeines Namens betrachten, und
annehmen wollen? Welche Menge Saͤulen!
Ja man koͤnnte noch weiter gehen — die Ko-
ſten laſſe ich immer nicht wachſen — und ſo
wie es Rouſſeaus-Voltaire’s-Shakſpeare’s-
Gaſſen gibt, nach Aehnlichkeit der Judengaſſen,
Luthers- oder gar Lutheraner-Gaſſen in Eis-
leben eintaufen, es ſey nun im preußiſchen
Antheil in der Neuhaͤlfte der Siebenhitze, oder
im kurſaͤchſiſchen in der Vorſtadt Nußbreite,
oder in der Alt-, in der Neuſtadt, oder auch
in Dresden und ſonſt zum Beyſpiele in den
verſchiedenen Buchhaͤndlergaſſen, welche ſo ſehr
fuͤr und von Luther leben? —


Findet ein Mannsfelder Geſellſchafter die
[168] Ehre zu winzig: ſo ſag’ ich, Herr, wenn noch
neben Gaſſen ſich ganze Laͤnder und Kreiſe
nach Luther nennen, was will er mehr,
oder Er?


Mich ſtach vorigen Jahrs in der Kirche
ein Frauenzimmer mit einer Nadel in den Faͤ-
cher mit Namen. Ich ſchwur der Perſon, der
Unterſchied zwiſchen dem Faͤcher und dem pe-
plum Minervae
, worin man große Helden-
namen einſtickte, ſey, was Namens-Unſterb-
lichkeit anlange, nicht der groͤßte, da auf der
Erde der Boden zu ewigen Denkmälern ohne-
hin fehle, indem ſie ſelber vergehe. Knaͤtet
mir nur erſt eine unſterbliche Kugel; dann
laſſe ich Unſterbliche auf ſie laufen. Und ich
ſelber wuͤrde ohne dieſe niederſchlagende Be-
trachtung mich vielleicht unſterblicher gemacht
haben, als ich abſichtlich thun wollen, da ich
meinen mathematiſchen Ehrenpunkt jetzt nur
darin ſetze, ein Ehrenmitglied an anderen Eh-
renmitgliedern abzugeben.


Ich ruͤcke nun in meine zweyte Klaſſe,
worin ich den Deutſchen einen Vorſchlag ver-
[169] ſorochen, dem großen Reformator das ewige
Denkmal ſo zu ſetzen, daß die Summe von
6000 Thalern und einigen Groſchen keinen
Pfennig ausgiebt.


Die ganze Summe, und was noch ein-
kommen möchte, wird naͤmlich ſicher genug auf
landesuͤbliche Zinſen ausgeliehen. Dieß iſt’s.
Das Kapital ſtehe ſammt ſeinen Prozenten
nur ſechs Jahrhunderte aus: ſo weiß ich nicht,
was wem fehlen ſoll, Verewigung Luthern,
oder Millionen uns. Man erlaube mir der
Kuͤrtze wegen, nur ein wenig auszuholen.


An und fuͤr ſich kann ohnehin Luther noch
keinen ausgeſtreckten Triumphwagen begehren,
ſondern vorlaͤufig erſt eine Ovazion, womit
ſich ein römiſcher Feldherr abgeſpeiſet ſah,
wenn er den Krieg weder vollendet hatte,
noch gegen Freye gefuͤhrt. Letzteres Beydes iſt
Luthers Fall. Noch ſtehen Millionen Katho-
liken da. Luther krähete allerdings als Streit-
hahn uͤber Europa hinuͤber, und hoffte auf
Thraͤnen, als Petrus in Rom Chriſtum durch
Repraͤſentanten verlaͤugnet hatte, aber ſpäter
[170] wurde durch den Schmalkalder Kapaunenſchnitt
das leichte Kraͤhen in feſte Federn verwandelt.
Man proteſtirte gegen weiteres Proteſtiren,
und wie Muͤller nicht mit Mehl handeln duͤr-
fen, ſo wurde Mehlhaͤndlern d. h. lutheriſchen
Konfeßioniſten verboten, Muͤller, d. h. Refor-
mators zu ſeyn. Das Sprichwort verbietet
auf einem Grabe zu ſchlafen: dennoch wurde
das Lutheriſche zum geſunden Schlafſaale und
Schaafſtalle eines muͤden Jahrhunderts ge-
macht. Folglich kann Luther vor der Hand
nur ovieren. Bleibt aber deſſen ungeachtet
nicht das Buch ſeiner Konſulats- und Kaiſer-
Wahl, worin die Nation ihre Geldſummen
eingeſchrieben, immer aufgeſchlagen, der Reichs-
Anzeiger naͤmlich, das goldene Buch fuͤr Lu-
thers Adel, uͤberhaupt ein Werk, das in ſpaͤ-
ten Zeiten von ganz andern Deutſchen wird
ſtudirt werden, als die es jetzt ſchreiben, weil
man recht gut einſehen wird, daß es der beſte
deutſche Tacitus de moribus Germanorum
iſt, den man ſeit dem lateiniſchen hat? —


Wir kehren aber zum Poch-Waſch-Roͤſt-
[171] Schmelz- und Treibwerke zuruͤck, zum Kapi-
tale, das als Ehrenſchuld an Luther, die Re-
ligionsoperazionskaſſe ſeyn kann, von der ſich
mehrere außer mir, ſo viel verſprechen. Stehe
doch die Summe nur ſo lange auf Kredit, als
der Proteſtantismus ſelber aus: ſo muß ſie
ja, hoff’ ich, da Geld wie Schnecken, Seeha-
ſen und Blumen ſich mit ſich ſelbſt vermehrt,
zu ſolchen Millionen wachſen. . . . . . In
der That ich ſonne mich am Geldglanz. Allein
eben dieſer Religionsfond, dieſe lutheriſche
biblia in nummis (bibliſches Muͤnzkabinet)
ſind’s ja, was der Anhaͤnger ſo wuͤnſcht. Nach
den erſten Jahrhunderten ſtiege der Gottes-
kaſten dermaßen, daß man eine Luthers-Bank
errichten könnte und muͤßte; — ein Bankodi-
rektor (ein Generalſuperindent ſey es) wuͤrde
angeſtellt und zu viele Kaſſirer ſammt anderen
Bankoffizianten — jaͤhrlich wuͤchſe Geld und
Dienerſchaft — dieſes ſchoͤne patrimonium
Pauli
entgegen dem paͤbſtlichen patrimonium
Petri
gediehe zu lutheriſchen Beſitzungen in
Indien oder in Mannsfeld. Andere Dinge
[172] wuͤrden auf die leichteſte Art mit dem Luthers
Kapitale verbunden, z. B. Bergwerks Kuxen;
Lotterie und Lotto, u. ſ. w. Und endlich wuͤrde
vielleicht das Schoͤnſte und Wichtigſte verſucht,
naͤmlich es wuͤrde jedem Proteſtanten etwas
von der Luthers Kaſſe vorgeſtreckt. . . . . Ich
denke, dann iſts genug. Ein Mann der
Kredit gibt, bekommt taͤglich mehr Kredit;
und mehr gehoͤrt zu keiner Unſterblichkeit. Lu-
ther lebt ſo lange als England.


Hiemit ſchließe ich mein kleines Ideen-
Magazin ab und zu Geld wollt’ ich dem cor-
pus evangelicorum
uͤberall erſparen; — deſ-
ſen bin ich mir bewußt — und ſollte die
Mannsfelder Geſellſchaft auch nur einen Gro-
ſchen Einruͤckungs-Gebuͤhren meinetwegen auf-
wenden, ſo koͤnnt’ ich nichts davor. Indeſſen
ſo viel erwartete das Europa, das ich kenne,
von jeher von der Mannsfelder humane So-
ciety
, daß ſie, ſchreibe ſie fuͤr oder wider mich,
und wohne der eine oder der andere auf den
200 Brandſtellen in Eisleben oder in der Sie-
benhitze, einem Ehrenmitgliede ſtets im Reichs-
[173] anzeiger mit jener Hoͤflichkeit etwas auf ſein
Magazin antworten und verſetzen werden, die
bisher den einzigen und daher letzten Unter-
ſchied zwiſchen uns und den Holländern ge-
macht, und unterhalten hat, welche wirklich
im philologiſchen Fache ſonſt zuweilen das aͤu-
ßerten, was man fruͤher in Griechenland Grob-
heit hieß.


Muſurus,
Ehrenmitglied.“


So weit Muſurus. Ich wuͤrde mich or-
dentlich laͤcherlich machen, wenn ich ausfuͤhr-
lich bewieſe, daß vieles, wo nicht mehr in
deſſen Magazin ſatiriſcher gemeint ſey, als
ernſthaft; weil man den Aufſatz nur einigemal
zu leſen braucht, um gerade hinter dem Fei-
erkleide des Ernſtes die Faſtnachtslarve des
Spaßes zu erblicken. Freylich fiel manches un-
ter der Aufrichtung von Luthers Obeliskus we-
niger groß, als (wenn auch nicht kleinlich,
doch beynahe) klein aus, von der Einladungs-
[174] ſchrift und Einlaufsſumme an, bis zu weni-
gen Vorſchlägen ihres Verbrauchs; und Mu-
ſurus Scherz und jeder Scherz verkleinert vol-
lends alles, ſogar das Kleinſte. In unſern
kalten, geitzigen, glaubensloſen Tagen, wo die
Religion nur noch die Kabinette und Gerichts-
ſtuben hat (nicht dieſe etwa jene), iſt die Er-
ſcheinung herzerhebend, daß man noch des al-
ten herrlichen Luthers, dieſes Hoͤllenſtuͤrmers
vormaliger Himmelsſtuͤrmer durch ernſte Tha-
ten gedenkt, indem auf der einen Seite eine
von ſeiner Erinnerung begeiſterte Geſellſchaft
raſtlos und muthvoll ein, anfangs ſo wenig
verſprechendes Unternehmen verfolgt, und in-
dem ſie auf der andern ſich durch einen thäti-
gen Antheil von vielen Seiten, wenn nicht
belohnt, doch ermuntert ſieht. Weſſen Herz
aus Religion und Menſchenliebe die Nahrung
zieht, dem quillt ſie reichlich aus dem Anblicke
einer gebenden Vereinigung zu, welche fuͤr ei-
nen hoͤhern Zweck, als gewoͤhnliche Waiſen-
hausſteuer, und aus hoͤherem Triebe opfert;
auch wer ſeine Hand nicht öffnete, muß ge-
[175] neigt ſeyn, jede bruͤderlich zu druͤcken, die ſich
aufgethan. Eine Opferflamme entzuͤndet die
andere, und vielleicht iſt der edle Schiller ſeine
Todes- und Unſterblichkeits-Feyertage den Ge-
ruͤſten zu Luthers Tempel ſchuldig. Auch dem
Reichsanzeiger komme — bey der deutſchen
Staatenzerſplitterung, welche nur vertiefte
Glaͤſer zum Zerſtreuen, nicht erhobene zum
Sammeln vorhaͤlt — ſein Lob, das deutſche
Unterhaus zu ſeyn, welches deutſche Stimmen
und Ohren und Gaben ſammelt.


Oft wiegt die Bewundrung mehr auf der
Geiſteswage, als ihr Gegenſtand; und folg-
lich koͤnnte die Begeiſterung fuͤr Luther ſich ſel-
ber adeln, unabhaͤngig von Luthers Adel.
Aber ſchauet in dieſen, immer gruͤnen Eichbaum
und ſeine Aeſte hinauf, an dieſen Thurm, der
immer, wenn nicht ein Leucht- doch ein Kirch-
thurm war mit Sturmglocken und friedlichem
Glockenſpiele. Nicht ſeinen Maͤrtyrer-Muth
acht’ ich am meiſten, ſo viel eiſerner er auch
war, als er ſcheinen kann. Denn jedes kuͤhne
Leben erſcheint aus der Vergangenheit nach
[176] dem Umſturz der Schreckensbilder nicht ſo kuͤhn,
und daher hat gegen die vielarmige, aus Ne-
beln ſchlagende Zukunft nur die große Seele
Muth, gegen die ausgerechnete nackte Ver-
gangenheit aber ein jeder — Luther ſtand noch
in den witterhaften Grubenwettern, die er an-
zuͤndete, und fuͤr uns entwickelte zu einer
Luft. — Folglich bewundere ich’s auch nicht
am meiſten, daß er, zu kraͤftig, ein bloßer glei-
tender Dielenglaͤtter (Zimmerfrotteur) der Kirche
zu ſeyn, lieber gleich Simſon die Saͤulen an-
griff und umwarf. Sogar dies, daß er einen
kernderben Deutſchen in allen feſten Muskeln
und feinſten Nerven, einen Geharniſchten voll
Kriegsluſt und voll Ton- und Kinderliebe dar-
ſtellte, ſogar dieſe Gottesausſteuer reicht nicht
an ſein anderes, ſchoͤnſtes Herzens-Gut hinan,
daß Er naͤmlich — weder ein Dichter, noch
ein Schwärmer, ſondern vielmehr ein vielſei-
tiger Geſchaͤftsſeher — doch an Gott, an ſich
und ſein Recht glaubte, und mit dieſem heili-
gen Glauben des Rechts, ohne welchen das
Leben weder Ziel hat, noch Gluͤck, wie neben
[177] einem Gott durch ſeine lange Laufbahn dreiſt
und luſtig ſchritt. Dieſer, nur aus der heilig-
ſten Tiefe eines Gemüths wieder in ein hei-
ligſtes Leben aufſteigender Glaube, uͤberwin-
det die Welt, die fremde und die eigne, die
Drohung und die Luſt, und die ganze gemei-
nere Menſchheit wuͤrde zu einer heiligen wer-
den, ginge ihr der Gott voraus, welchen die
hoͤhere in ſich mitträgt. Luther hatte jenen
himmliſchen Muth im Herzen, wodurch ſogar
ſein irrdiſcher an Werth verliert, weil dieſer
dann dem Muthe von Homers Goͤttern, oder
Miltons Engeln gleicht, die nur den Schmerz,
aber nicht den Tod empfangen konnten. — O
richtet doch dem Seelenmuthe Denkmäler auf,
nicht blos weil er das ewig Wiederkehrende
mehr auf der Menſchheit als auf der Zeit
thronende Pabſtthum erſchuͤttert, ſondern,
weil er allein die ſchleichenden Jahrhunderte
wie mit zornigen Fluͤgeln in die Höhe auf-
treibt.


Welche reine, widerirrdiſche, hoͤhere Wuͤn-
ſche und Meinungen halten ſich nicht Jahr-
Zweyter Theil. 12
[178] hunderte lange in tauſend ſtillen Hertzen auf
— und nichts geſchieht als das Gegentheil —
bis endlich ein Mann zur Keule greift und
jede Bruſt aufſpaltet, und dem Himmel ſo
viel Luft macht, als die Hoͤlle vorher hatte.


Wir kommen auf das Denkmal endlich.
Was will uͤberhaupt irgend eines? Unmoͤg-
lich Unſterblichkeit geben — denn jedes ſetzt
eine voraus — und nicht der Thronhimmel
traͤgt den Atlas, ſondern der Rieſe den Him-
mel. Sind die Thaten nicht durch Mund
oder Schrift in die Welt uͤbergegangen: ſo iſt
die Ehrenſaͤule nur ihre eigne; und der goldne
Name oben muͤßte, wie der zufaͤllige Bleyſtifts-
name unten wirken, den die voruͤberlaufende
Kleinheit daran ſchreibt. Luther vollends —
deſſen Siegszeichen Laͤnder und Jahrhunderte
und dreyßigjaͤhrige Kriege ſind — braucht we-
nig, als ein blitzendes Wagengeſtirn am deut-
ſchen Himmel ſtehend, ja aus gleichzeitigen
Sternen damaliger Zeit als Polarſtern uͤbrig
geblieben. Es gibt alſo nur zweyerley Denk-
male — da das dritte ſich der Thaten-
[179] Menſch ſelber aufrichtet auf Jahrhunderten,
durch ein Jahrhundert — naͤmlich nur zwey
koͤrperliche. Das erſte in der Erſcheinung ge-
meine, traͤgt der Seelentriumphator, oder ein
Donnermenſch wie Luther ſelber an ſich den
Leib. Das ehrwuͤrdige Streben der Menſchen,
nach Reliquien eines geheiligten Menſchen —
das ich durch eine laͤngere Unterſuchung ehren
will als hier Zweck und Raum zuläßt — wirft
Abendſtralen auf das erſte Denkmal das einer
großen Seele die Natur ſelber mitgegeben den
Koͤrper, und dieſer zieht alles in ſeine verklaͤ-
rende Nachbarſchaft. Wie Heiligenleiber die
Andacht fremder Seelen naͤhren, die ſie viel-
leicht der eignen erſchwerten: ſo umſchließt das
Grab eines großen Mannes die wahre Reli-
quie, welche, zumal an Juͤnglingen, die Wun-
der der Staͤrkung und Heiligung thut. Wenn
die Griechen ihren Themiſtokles in Magneſia
auf dem Markte begruben, und den Euchitas
zu Plataͤa im Tempel Dianens; wenn ſonſt
die Chriſten ihre Kaiſer und Biſchoͤfe in die
Vorhoͤfe der Tempel; und wenn ein Heiliger
[180] und ein Altar immer zuſammenkommen: waͤr’
es nicht ein ſeelenweckender Gebrauch, wenn
Herz- und Kraftmenſchen, die gegen die Zeit
Sturm gelaufen, die ganzen Länder und Zei-
ten Angelſterne, Schutzengel oder Huldgoͤtter
geweſen, fuͤr ihre Ueberreſte in den Kirchen
ihre letzte Staͤtte fänden? — Ja, ließe ein-
mal Deutſchland gemeinſchaftliche Hauptſtaͤdte,
und darin etwas hoͤheres als eine Weſtminſter-
abtey — weil in dieſe Rang und Reichthum
eben ſo wohl fuͤhren, als Werth — nämlich
eine Rotunda großer Todten bauen und ein-
weihen: wohin koͤnnte der Juͤngling ſchoͤner
wallfahrten und ſich mit Feuer fuͤr das kalte
Leben ruͤſten, als zu und in dieſen heiligen
Graͤbern?


Ich hoffe nicht, daß die mediziniſche Poli-
zey, was das Begraben in Kirchen anlangt,
ihre Paragraphen aufſchlägt und mir entgegen
haͤlt, daß die genialen Leiber eben ſo ſtaͤnken,
wie dumme. Denn falls nicht mehrere Men-
ſchen in jeder Kirche begraben werden, als das
Paar Unſterbliche, die ihr ein Jahrhundert
[181] ums andere liefert: ſo halten die Kirchgaͤnger
ſchon die Luft aus, womit jene zuruͤckwehen.
Auch hätte weder den Dom, noch die St. Ni-
kola’s Kirche noch die haberbergiſche in Koͤnigs-
berg, das Selbſtgebeinhaus, womit der alte
Kant ſich zuletzt auf der Erde umherſchob, be-
deutend verpeſtet, wenn es in einer davon da
untergekommen waͤre*). Jetzt wird der Zweck
eines orientaliſchen Koͤnigs, der ſich 12 Graͤber
machen laͤßt, um das geheim zu behalten,
worin er liegt, bey großen Menſchen noch
leichter dadurch erreicht, daß man gar keines
weiß, und wenn ſich fuͤnf Staͤdte um des Cer-
vantes, und nach Suidas neunzehn um Ho-
[182] mers Geburtsſtelle ſtritten: ſo koͤnnen wir uns
dadurch auszeichnen, daß ſich vier und zwan-
zig um die Begräbnißſtelle eines großen Man-
nes zanken.


Das Denkmal der zweyten Gattung, das
einzige, das die Zeitgenoſſen ſetzen, iſt das
kuͤnſtleriſche, wovon eigentlich hier fuͤr
Luthers Namen die Rede iſt. Was ſprach
denn bey den Alten die koloſſale Statue, der
Portikus, die Ehrenſaͤule, der Ehrenbogen,
der Ehrentempel aus? Gleich der Schauſpiel-
kunſt, zwey Ideale, ein geiſtiges durch
ein plaſtiſches
. Denn ein Denkmal iſt
etwa nicht der bloße Metall-Dank der Nach-
welt — der beſſer auf einer Goldſtange dem
Lebenden oder deſſen Nachkommen zu reichen
waͤre; — es iſt auch nicht der bloße Herzens-
erguß der dankbaren Begeiſterung der viel beſ-
ſer mit Worten, oder vor dem Gegenſtande
ſelber ſtrömte, — auch nicht bloße Verewi-
gung fuͤr die Nachwelt, fuͤr welche theils er
ſelber beſſer und Ein Blatt Geſchichte laͤnger
ſorgt: — ſondern ein Denkmal iſt die Be-
[183] wunderung, ideal, d. h. durch die
Kunſt ausgedruͤckt
. Eine jaͤhrlich vor
dem Volke abzuleſende Muſterrolle großer Mu-
ſter waͤre noch kein Denkmal, aber wohl waͤre
eine pindariſche Ode eines, in Griechenland ab-
geſungen. Schillers Geburtstagfeſt, das durch
Darſtellung ſeiner Goͤtterkinder begangen wer-
den ſoll, erhebt ſich kuͤnſtlich zu einem Denk-
male durch eben dieſe Kinder, die den Vater
vergoͤttern. Doch iſt das Gemaͤlde, — am
ſtaͤrkſten aber iſt die Bildſaͤule und die Bau-
kunſt, welche beyde ſtets das Große leichter
verkoͤrpern, als das Leichte und Kleine, und
welche die gegenſeitige Nachbarſchaft und Ver-
einigung ihrer Wirkung verdienen, wie der
Leib und die Seele einander, d. h. die Bild-
ſaͤule und der Tempel — das rechte Mutter-
land der Denkmäler. Die Bewunderung, ſagt’
ich, nicht die Erinnerung — welche ein platter
Leichenſtein, eine jährlich erneuerte Holzſtange
mit einem ſchwarzen Namensbrettchen oben,
und am Ende eine Schandſaͤule auch gewaͤhrte
— ſie darzuſtellen; aber dieß vermag nur eben
[184] die Kunſt, indem ſie aus ihrem Himmel der
Goͤttergeſtalten eine ſichtbare herunterſchickt
und jene Gefuͤhle des Großen in uns ent-
zuͤndet, in welche wir die aufgeflogene, den
Gegenſtand des Denkmals, im goͤttlichen Rau-
ſche der Bewunderung hineingeben. Ich ſtehe
vor der Pyramide, vor dem Obelisk: wie von
einem Liebes- und Zaubertrank beruͤckt, ſchaue
ich weit in eine koloſſale Welt hinein und
darin ſehe ich nun eben den Menſchen groß
und glaͤnzend gehen, deſſen bloßer Name an
dem Denkmale ſteht. Erhebt einen Saͤulen-
tempel in die Luft und ſchreibt darauf: Lu-
thero!
ſo iſt’s genug und ſogar ſein Geſicht
entbehrlich, das mit etwas fetter Mönchsſchrift
geſchrieben iſt; — die ſichtbare Ehrenkirche
führt ſchon den Kraftprieſter der unſichtbaren
heran vor unſer Herz. Die eigne Geſtalt des
Gedenk-Menſchen iſt folglich dem Denkmale
nicht nothwendig, ja — z. B. die von Vol-
taire durch Pigalt — ſogar ſchaͤdlich, wenn ſie
nicht von der Taufe der Kunſt die Wiederge-
burt empfangen hat; daher die Griechen die
[185] Uebergroͤße der Lebensgroͤße fuͤr ihre Statuen
waͤhlten. Wie wenig man aͤhnlich, oder gar
ikoniſch abbilden will, ſieht man daraus, daß
man nicht ſtatt der Bildſaͤulen, welche durch
Nacktheit und Marmorglanz ſtets groͤßer er-
ſcheinen, lieber verjuͤngte macht, ſondern ſich
der aͤhnlichen Zwerg-Statuen bey Fuͤrſten und
Großen enthaͤlt. Man ſtelle eine Spiegelſtatue,
naͤmlich ein Wachsbild, ſogar in idealen Ge-
wänderwindeln, in einen Ehrentempel: ſo iſts
ſo viel, als geriethe der lebendige Gegenſtand
ſelber als Spatziergaͤnger in ſeine Vergötte-
rungskirche. Nur die Kunſt ſpricht durch ei-
nen aͤußern Menſchen den innern aus; darum
baue ſie das Tabor der Himmelfahrt im Prunk-
tempel.


Um deſto weniger thue das Denkmal im
Feyerkleide der Kunſt Wochentagsdienſte des
Nutzens, z. B. als Schul- oder Waiſenhaus;
eine Misheyrath der Kunſt und des Beduͤrf-
niſſes, die man bey den Barbaren und auf
dem roͤmiſchen Marsfelde wieder findet, wo die
heiligen Ruinen zu Viehtraͤnken und Waͤſch-
[186] ſtangen niederſinken, die groͤßten Prunkzim-
mer, welche die Erde traͤgt, ſind leer und
ohne Stuhl und Tiſch, Raphaels Stanzen.
Wer wird unter dem Fluge der Bewunderung
daran denken, was ſie eintrage?


Und was iſt aller Vortheil ſo, oder an-
ders ernaͤhrter, oder unterwieſener Armen ge-
gen die Himmelsbeute, wenn an einer kraͤfti-
gen Juͤnglings-Seele im Unſterblichkeitstempel,
wie in einer lauen Fruͤhlingsnacht, alle Knos-
pen aufbrechen und duftend auffahren — wenn
die Statue eines großen Menſchen mit Mem-
non’s Tönen ein großes Herz anſpricht und
erweckt, und es zurecht weiſet fuͤr ein langes
Leben; — und wenn ein Sonntag ſechs Wo-
chentage beſtimmt und heiligt?


In der geiſtigen Welt iſt die Wirkung ſo
oft groͤßer, als die Urſache wie umgekehrt, und
eine Maria gebiert einen Gottmenſchen; daher
gibt’s in ihr keine andere Elle und Wage,
als das Hoͤchſte, das eben jede verſchmaͤht.
Die Erde iſt ein Gottesacker voll Scheinlei-
chen, es wehe ein lebendiger Hauch, und eine
[187] Welt erwacht. Er weht aber im Kunſttempel
eines großen Mannes. —


Wenn der Zeit eine Religion nach der an-
dern, und eine Goͤtterlehre nach der andern
untergeht, die die Menſchen zu Geiſtern macht:
ſo bauet wenigſtens Menſchentempel, worin
die geiſtigen Großen an das Groͤßte erinnern
und das Bewundern ans Beten. Schloͤſſer in
Aether ſind beſſer als die Luftſchlöſſer.


Moͤge Luther — dieſer geiſtige Donner-
monat
— uns auch hierin reformiren und
beleben, obwohl nur mit dem Regenbogen
ſeines Denkmals, und die deutſchen den Grie-
chen nacherziehen! — Ohne Denkmaͤler fuͤr
Unſterblichkeit gibt’s kein Vaterland, aber frey-
lich auch ohne dieſes nicht jene. Soll der ge-
meinen Vergoͤtterung, oder Verſteinerung der
Fuͤrſten und Reichen nicht die hoͤhere Apothe-
oſe regierender und reicher Geiſter das Gleich-
gewicht halten? Soll nichts verewigt werden
als ein Name, den wir vergeſſen oder unken-
nen? Wenn man Griechenland auf allen We-
gen und Hoͤhen nur durch ſtille Sternbilder
[188] der entruͤckten Unſterblichkeit ging, und wenn
das Auge und das Herz voll Feuer und man-
ches zu einer Sonne wurde, die der Tod in
jene ſchimmernde Reihen ſelber einſetzte: ſo be-
gegnen wir auf phyſiſchen Hoͤhen, nur geiſti-
ger Erniedrigung, und wie von Heeren, wer-
den die Anhoͤhen von zerſtoͤrten Miſſethaͤtern
beſetzt, und der einzige Sokrates-Genius, der
Nein zu uns ſagt, iſt der Nachrichter. Aber
nicht die Furcht, nur die Begeiſterung thut
Wunder, nicht der Brechwein, ſondern der
Wein berauſcht; und welchen der Galgen beſ-
ſert und hebt, iſt faſt ſchon an ihm.


O! Werft lieber, wie der Ruſſe, auf eine
Geſtalt in Verzuckungen das verhuͤllende Tuch,
und nehmt von einem glaͤnzenden Angeſicht
die Moſisdecke, als das ihr beydes umkehrt
und Gebrechen lieber als Kraͤfte fortpflanzt!


Die reinſte Empfindung hienieden, ſagt
Chateaubriand, iſt die Bewunderung; und zu-
gleich ſetze ich hinzu, die wirkſamſte in den
edlern Lebenstheilen. Ein verſinkendes Volk
erſtickt das heilige Feuer der Achtung in Mo-
[189] deraſche; je weniger Achtung fuͤr andere, deſto
weniger fuͤr ſich, und umgekehrt. Darum
heißt es: ein Volk heiligen, wenn man es
achten lehrt; und darum waͤrmt die Opfer-
flamme auf dem Altar Eines Menſchen das
Leben ganzer Zeiten aus. Aber nur auf Stein,
es ſey der Statue oder des Tempels, brennt
dieſes Feuer. Auf dem bloßen Druckpapier
wohnen alle Voͤlker und Zeiten, mit ihrer tod-
ten Unſterblichkeit; hingegen das ſteinerne
Denkmal traͤgt einen Helden aus dem Heer
auf den Sonnenthron, der eine Welt aus-
waͤrmt. Auf dem Papiere bewundert nur der
Einſame; hingegen vor dem Denkmale wird
die bewundernde Menge begeiſtert, nicht das
Licht, ſondern die Waͤrme wächſt, unaufhör-
lich zuruͤckgeworfen, in menſchenvollen Saͤlen,
weil das Gewiſſen die Herzen ähnlicher macht,
als die Anlagen die Köpfe.


Darum könnte das Schauſpielhaus — wel-
ches beynahe das einzige Olympia, Forum
und Ober- und Unterhaus iſt, das uns zu ei-
nem Volke fuͤr Eine Flamme ſammelt und
[190] verdichtet — das ſchoͤnſte deutſche Pantheon
werden, wo die Nazion ihre Unſterblichen
thronen und zuruͤckglaͤnzen, und ihre Opfer-
flammen zu Einem Feuer und in Einen Him-
mel ſteigen ſieht. Darum iſt’s ſo erfreulich
daß einem andern Reformator auf der Buͤhne,
die er ſelber umgeſchaffen, die Trauer- und
Hochzeitfackeln angezuͤndet werden, dem ewi-
gen Schiller. Nicht Er am meiſten, der
den Mondregenbogen der brittiſchen Reflexions-
poeſie zu einem Sonnenregenbogen, wenn auch
nicht zu einem reinen Phoͤbus entzuͤndete und
den dichteriſchen Zauberkreis wenigſtens durch
ein unendliches Zaubervieleck erſetzte, ſondern
Er, welcher der Kunſt den Kuͤnſtler opfernd,
lieber aufflog als nur fortflog und untere Ferne
und obere Kaͤlte gern mit hoͤherer Bahn be-
zahlte, ſo, daß ſogar ſeine ſpaͤtern Irrthuͤmer
nur Opfer ſind, wie ſeine fruͤheren Fehltritte
nur Fehlfluͤge. Aber doch wird ein Herz, das
Thraͤnen um den hohen Menſchen und Ge-
danken fuͤr die Ewigkeit hat, ſeine Todtenſeyer
am ſchmerzlichſten und am innigſten begehen
[191] muͤſſen, wenn es bedenkt, daß Er unter allen
deutſchen Dichtern gerade mit der Leichenfackel,
die nun auf Ihm brennt, am weiteſten in die
andere Welt hineinleuchtete und ſchon mit Sei-
nem jugendlichen Fruͤhroth das Schattenreich
glaͤnzend faͤrbte. Nun zieht er hinter den
Abendwolken des Lebens, worauf er ſo oft
Morgen- und Abendroth (fuͤr den Dichter nur
Ein Roth) geworfen — und das dankbare
Auge kann auf nichts ſehen als auf ſeinen
Flug und ſeine Flucht. Die aus verſchiedenen
Hoͤhen einander entgegen ziehenden Wolken
der Urtheile werden bald verfliegen; und ſein
Stern wird alsdann, ſowohl unbewoͤlkt,
als unvergoldet, lichtrein am ewigen Him-
mel gehen.


[192]

X.
Das Gluͤck auf dem linken Ohre
taub zu ſeyn.


Der Verfaſſer dieſes Aufſatzes, der das oben
gedachte Gluͤck ſchon von Kindheit an genoſſen,
wird ſich fuͤr belohnt anſehen, wenn er durch
ihn einige Leſer der Zeitung fuͤr die elegante
Welt, die vielleicht Jahre lang’ einhoͤrig, wie
Kant einaͤugig geweſen, ohne es zu wiſſen,
anreitzt, daß ſie ein Ohr nach dem andern zu-
halten, um zu erforſchen, ob etwa eines da-
von die Gaben meines linken habe.


[193]

Außer der Waſſerſpitzmaus — die bekannt-
lich im Waſſer die Ohren mit Klappen ſchlie-
ßen kann — und außer den Fledermaͤuſen
mit Ohrdeckeln, wuͤßt’ ich niemand, am we-
nigſten Menſchen, welche aͤhnliche — den Au-
genliedern gleiche — Ohrenlieder haͤtten; faſt
jeder hoͤrt, und zwar ſelten die angenehmſten
Sachen. Iſt man hingegen mit einſeitiger
Taubheit verſehen, ſo wird leicht — mit Ei-
nem Finger — zweyſeitige auf ſo lange als
mans braucht, zuſammengebracht; beſonders
ſieht der Einhörige vier Plaͤtze — gleichſam
vier Freudenwelttheile — vor ſich aufgethan,
den Muſikſaal, das Schauſpielhaus,
das Geſellſchaftszimmer und das
Bette.


Ich will, wenn es verziehen wird, die Le-
ſer in die vier Pfaͤhle meines Himmels hinein
fuͤhren, moͤgen auch ſie einige taube Bluͤten
der Freude pfluͤcken.


Einſeitige Taubheit iſt in einem Muſik-
ſaale
, wo man weniger Ton- als Miston-
kuͤnſtler zu genießen bekommt, vielleicht ſo
Zweyter Theil. 13
[194] ſchätzbar als ſtarkes Gaͤhnen. Nach Haller iſt
man ſo lange taub, als man gaͤhnt, und die
guͤtige Natur ſchreibt alſo ſelber das Gaͤhnen
als das naͤchſte Schirmmittel gegen langweilige
Einwirkungen vor. Ein Einhoͤriger aber er-
reicht denſelben Zweck, nur aber viel hoͤflicher,
wenn er die Hand, anſtatt vor den Mund,
unter leichtem Vorwand vor das Hoͤr-Ohr
haͤlt, wie ich und ſolange aufmerkſam ausruht,
als das Zerrtonſtuͤck dauert. Goͤthe wuͤnſcht
den Zuhoͤrern Unſichtbarkeit der Spieler, naͤm-
lich ihrer Geberdung; wer nun noch Unhör-
barkeit kuͤnſtlich dazu ſetzen kann, hat, glaub’
ich, alle Vortheile verknuͤpft, die von ſchlechten
Konzerten zu ziehen ſind. In guten gewinnt
ein Mann, der ſteht und geht, noch groͤßere
durch Einhoͤrigkeit; denn er kann, ſo oft ne-
ben ſeinem geſunden Ohre Lob- und andere
Spruͤche wie Proſa die zarte Poeſie des Toͤ-
nens ſtoͤren und quaͤlen, ſich leicht ſo gut weg-
ſtellen, daß er der rohen Klapperjagd neben
ſich geradehin das todte Ohr zukehrt.


Im Schauſpielhauſe iſt Einhoͤrigkeit
[195] noch noͤthiger, ja unſchaͤtzbar; nicht nur, weil
ſich oft das Tonſpiel mit dem Schauſpiel ver-
einigt — folglich der vorige Vortheil mit dem
folgenden — noch auch bloß, weil beyde Kuͤnſte
die Einzigkeit haben, (welche die Tanzkunſt
durch Figuranten vermeidet), daß Meiſter und
Schuͤler zugleich (es muͤßten denn jene fehlen)
Ein Kunſtwerk verknuͤpft gebaͤhren — noch etwa,
weil es hundert Gruͤnde dafuͤr giebt — ſon-
dern hauptſaͤchlich, weil unzählige dafuͤr da
ſind, indeß Einer hinreiche fuͤr alle. Es ha-
ben naͤmlich nicht nur mehrere Perſonen, wel-
che ihre Logen auf ganze Jahre mietheten,
die gute Bemerkung gemacht, daß es bey den
meiſten Trauer- oder gar Schau- oder vollends
Luſtſpielen wenig mehr zu gewinnen gebe,
als im Grec-Spiel, im Pochſpiel und im
Sticheln, ſondern auch ich, aber ohne uͤber
Nachtheil zu klagen. Denn mit einem Fin-
ger, der ſich ans rechte Ohr anlehnt, halt’ ich
mir den Poeten und ſeine agirenden Truppen
ſo gut vom Leibe, als ob ich warm zu Hauſe
ſaͤße in der Vorſtadt, ungemein heiter aus-
[196] ſehend und wohl verſchanzt. — So oft vol-
lends in der Oper die Muſik aufhört, ſo eilt
niemand mehr als ich mit der Rechten — wo-
mit die anderen klatſchen — ans gute Ohr
und mauert die heilige Jubelpforte der Töne,
z. B. eines Mozarts ſo lange damit zu, bis
das Sprechen etwas nachgelaſſen; — aber
eben dieſer herrliche Wechſel zwiſchen zwey Oh-
ren macht mich vielleicht zu einem leidenſchaft-
lichern Opernfreunde als ich oͤffentlich geſtehen
darf. Le Sage, ein Liebhaber der Pariſer
Buͤhne, ſetzte, als er ganz taub geworden,
die Beſuche derſelben fort und ſchoͤpfte den
alten Genuß daraus, zum Erſtaunen Vieler;
ich aber erklaͤre mir’s ohne Muͤhe aus dem
Vorigen. Ich habe ſogar einen wackern Ge-
ſchaͤftsmann gekannt, welcher, um kein Schau-
ſpiel zu verſaͤumen, in jedes mit ſeinem Ak-
tenpack unter dem Arme kam, ſich ins Punſch-
zimmer ſetzte, und da ſo lange neben ſeinem
Glaſe ſeine Akten durchging, bis das Stuͤck
geendet war und er ſich erfriſcht und neu be-
lebt mit andern Zuſchauern nach Hauſe begab.
[197] Ja waͤre bey der jetzigen Buͤhnenverbeſſerung
nicht — nach dem Muſter der Orientsfuͤrſten,
weiche ihrem Weiberrathe der 500 jungen,
nur Maͤnner zu Vorſtehern geben, die keine
ſind, ſondern ſtumme, taube, und beynahe
(als Zwerge) unſichtbare — eine Buͤhne zu er-
bauen moͤglich, welche die Spieler durch perſpekti-
viſche Kuͤnſte in eine ſo abgemeßne Entfernung von
den Zuhoͤrern ſtellte, daß dieſe ſich wirklich taͤuſch-
ten und nichts zu hören und zu ſehen daͤchten?


Nirgends iſt aber wohl parzielle Taubheit
von groͤßerem Nutzen, als da, wo ſie am haͤu-
figſten anzuwenden iſt, im Sprech- oder
Hoͤrzimmer, das groͤßte auf der Erde, wenn
ſie es nicht ſelber iſt. Da es auf der einen
Seite ſo unſchicklich iſt, einen Nebenmenſchen
mitten in ſeiner Rede ſtehen zu laſſen und da-
von zu gehen — oder auch ihm ganz laß und
abgeſpannt zuzuhören — oder vollends vor ſei-
ner Unterhaltung beyde Ohren zuzuhalten —
und da doch auf der andern Seite in mehre-
ren deutſchen Reichskreiſen und Zirkeln und
cercles faſt an jedem Abend Dinge geſagt
[198] werden, an welche man ſich den Morgen dar-
auf mit der groͤßten Langweile erinnert: ſo
kenn’ ich kein groͤßeres Gluͤck, ich meine keine
ſchoͤnere Ausgleichung zwiſchen Selbſt- und
Menſchen-Liebe als linke Taubheit; vergnuͤgt
und munter ruh’ ich vor meinem geſpraͤchigen
Nachbar auf der Hand mit dem rechten Ohre,
um es zu decken, und betreibe ohne Haͤndel
und Skandal (das Vexierohr halt’ ich ihm
offen hin) meine innern Angelegenheiten waͤh-
rend der auswärtigen.


Dieß alles muß jetzt viel weitlaͤuftiger ge-
ſagt, und dann wiederholt werden.


Jeder hat Stunden, wo er klagt, daß ſie
ihm langweilig hinflöſſen, weniger wegen
Mangel an Geſellſchaft, als wegen Daſeyn
derſelben. —


Jeder hat geſellige Tage, die er Novem-
berhefte des Lebens nennt, um figuͤrlich und
beißend zu ſeyn— er will nämlich damit ent-
weder ſagen, jede Sache werde in Geſellſchaf-
ten zweymal geſagt, gleichſam von Doppelſpah-
ten gezeigt, oder ſonſt etwas. —


[199]

Jeder Deutſche hat Jahre, wo er uͤber
neue Auflagen des Vademekums in Geſellſchaf-
ten ergrimmt — uͤber die muͤndlichen Geſchaͤfts-
briefe der Geſchaͤftsmaͤnner — uͤber die lang-
weilige Theaterjournaliſtik des Kriegsthea-
ters. —


Jeder Deutſche hat ſeine Zeit, wo er
wuͤnſcht, die uͤbrigen Deutſchen moͤchten ſich
mehr aufs Reden legen, da ſie ungleich den
Kindern, früher ſchreiben als ſprechen gelernt,
und wo er auf Sprechklubs in London und
auf bureaux d’esprit in Paris fuͤr ſie dringt,
damit ſie, ſagt’ er, eine lebendige Sprache
mehr lebendig als zu todt reden, und nicht,
wie Muſcheln, die beſten Perlen erſt durch
langes Modern aufdecken und hergeben — —


Und ſo weiter; denn jeder Deutſche klagt
hauptſaͤchlich, daß der andere geſellig lieber Er-
zaͤhlungen mache als Bemerkungen — lieber
fremde Einfaͤlle als eigne — lieber die laͤngſten
Erzaͤhlungen als ſchoͤne — lieber Berichte als
contes — lieber Stichworte des Spiels als
ſonſt ein gutes Wort. —


[200]

Wird gar von Amts-, Huldigungs-, Kan-
zelrednern oder von dem Bruder Redner (ei-
nem ſehr ernſten frère terrible) geſprochen:
ſo ſind die Klagen wirklich herb. — — —


Aber hier liegt nun die Schuld (darauf
ſollte, die lange Periode wo moͤglich fuͤhren)
viel weniger an den Sprechern als an den
Hoͤrern ſelber, welche, anſtatt wie gute Ba-
rometer, nur eine Oeffnung zu haben, zwey
Ohren oͤffnen und folglich Luft einlaſſen. Ein
Mann aber mit einhörigem Ohr — das er ſo
leicht zumacht als ein dummes Buch — ſchaͤtzt
geſelligen Verkehr. Kann er denn nicht —
dieß weiß er — mitten unter gedachten Reden
wie zufaͤllig, ans Hoͤr. Ohr den Stockknopf le-
gen — oder den Kopf auf die Hand, oder es
ſonſt verſchließen — oder ohne es zu thun,
ſich umdrehen und jedem ſein geſchloßnes Ohr
zuwenden, und dadurch ſo gluͤcklich werden,
als wenige? — Wie ſeelig war ich in oft den
vornehmſten Maͤnnerzirkeln, wo als in Epi-
kurs- und Augias-Staͤllen die kothigſten Anek-
doten aller Art umliefen, wenn ich nichts als
[201] mein blindes Ohrthor zeigend, in meinem zu-
gemauerten Konklave mitten unter moraliſchen
Sterkoraniſten die koͤſtlichſten biographiſchen
Madonnen erzeugte und anbetete! — Aehn-
licher Weiſe durften ſonſt in Jülich und Berg
(einige Doͤrfer ausgenommen) Proteſtanten
an katholiſchen Heiligen-Tagen, nach Reichs-
geſetzen, nur arbeiten, wenn ſie Thuͤren und
Fenſter verſchloſſen. — Wie wurd’ ich oft von
mancher Erzählung gelabt, wenn ſie lange und
langweilig genug war, daß ich waͤhrend ihres
Verlaufs, mit offenem Geſicht am verſchloßnen
Kopf heiter am neueſten Druckbogen fortarbei-
ten konnte z. B. an dieſem! Wurd’ ich dann
wieder, wie ein Siebenſchlaͤfer und Epimenides
wach, ſo umzog mich eine verjuͤngte Welt, und
friſche Geſpraͤche verſuchten ihr Heil.


— — Hier komme ich leider ſcheinbar in
den Fall der Buchhaͤndler und Fuͤrſten, welche
das Allgemeinſte oft als Herold dem Beſtimm-
teſten vorausſchicken, die Ewigkeit dem Markt-
tage, wenn ich auf die Partie Ohren-Koͤrke
oder Hoͤrſchirme aufmerkſam und begierig mache,
[202] welche mir ein abgedankter Vielkuͤnſter, der
lange auf Buͤhnen, Flöten, Karten und Wei-
berherzen geſpielt, als Fauſtpfaͤnder einer klei-
nen Schuld auf dem Halſe gelaſſen. Die
Schirme (dem Anfuͤhlen nach von Reſina mit
etwas Baumwolle) ſind gut und geſchmackvoll
genug. — Meine Adreſſe iſt: J. P. F. Rich-
ter, Legazionsrath, in Hrn. Regiſtrator
Schramms Hauſe in Bayreuth. Als mir der
Tonkuͤnſtler dieſer geſelligen Still-Leben die
muͤndlichen Empfehlungen derſelben vormachte,
verſucht’ ich einige von den Schirmen dem
Ohre ein, und fand ſie bewährt. Der Kuͤnſt-
ler erzählte noch zu ihrem Vortheil, er habe,
da er leider alles leichter bey ſich behalte, als
ein Geheimniß, zwey ſeiner Sperroͤhren, als
er in die Loge zum ▭ △ ∟ — aufgenom-
men worden, aus Meineidsangſt zu ſich ge-
ſteckt, und damit kurz vor dem Vortragen der
Geheimniſſe, ſich die Ohren gleich Zaͤhnen ſo
wohl plombirt, daß er kein einziges vernom-
men, ſondern noch bis dieſe Stunde ſeinen
Schwur ſpielend erfuͤlle; ja er ſtehe, ſetzt’ er
[203] hinzu, jedem kuͤhn zur Rede, der ihn probiren
wolle, ob er etwas wiſſe. So viel iſt gewiß,
daß man mit dieſer Ohrklauſur — oder dieſem
Ton-Ableiter — Ohr-Portier — jedem, wel-
chen hohen Standes er auch ſey, auf der
Stelle Schweigen auferlegen kann, er mag
noch ſo laut fortreden; der Mann iſt ein
e-muet (ſtummes E) fuͤr mich und kann nicht
einlaufen in den geſperrten Hafen der Geſell-
ſchaftsinſel. — — — Jetzt aber zum Wich-
tigern zuruͤck!


Da wohl der Vortheil kein Publikum in
der Welt intereſſirt, daß ich ſchon von Natur
zur Hoͤflichkeit geſchaffen bin, naͤmlich als Links-
tauber jeden an meiner Rechten, als der Hoͤr-
und Windſeite gehen zu laſſen, um doch in
Diskurſe zu gerathen: ſo bitt’ ich die Welt,
ſofort den vierten Nutzen der Einhoͤrigkeit zu
betrachten, und mit mir an mein Bette zu
treten, wo ich liege — aber eben auf dem
Hör-Ohr — und folglich nicht einmal merke,
wie viel eintreten.


Je naͤher man dem laͤngſten Schlafe kommt,
[204] deſto mehr achtet man das Vorſchlafen. Ei-
nem alten Manne waͤre daher mein linker
Vorzug mehr zu gönnen; ſeinen Regenſchirm
muß er ja zugleich gegen Schnee und Ha-
gel
tragen. Es ſey nun, weil der Schlaf
ein Vorſpiel und Vorzimmer des Todes iſt,
welcher alle Sinne fruͤher ſchließt als das Ohr,
oder weil man in jenem (wie in dieſem) die
Augen zumacht, auf Augenſchluß aber (nach
Eſchke’s Bemerkung) leiſeres Hören folgt, oder
weil der ſchlaue Greis mehr befuͤrchtet und
mithin behorcht, genug er kann wenig ſchlafen
vor Laͤrm. So bedeutet es naſſes Wetter,
wenn Thuͤren und Fenſter nicht zugehen.
Hunde — Maͤuſe — Wirthshausgaͤſte — Re-
dutenwagen — der eigne Athem, der zu laut
wird — alles weckt den Mann und wacht um
ihn; die Fruͤhlingsſtuͤrme, die ihm nicht viel
Blumenſtaub ins welke Leben wehen, ſammt
den Paſſatſtuͤrmen der Nachtwaͤchter, brechen
in ſeine Ohren ein und ſtehlen den Schlaf.
Ich hingegen mit der Gabe, ein Ohr weniger
zu haben, lege mich (außer in verdaͤchtigen
[205] Zeiten und Orten) auf das behaltene und
hoͤre nichts mehr, ſondern nur Traͤume —
am Janustempel des Lebens ſind die Fluͤgel-
thuͤren geſchloſſen — der allgemeine Friede
kehrt ein — und das Uebrige iſt aus.


[206]

XI.
Ueber Charlotte Corday
*).


Ein Halbgeſpräch am 17ten July.


Der regierende Graf von — ß, hegte eine
ſolche Liebhaberey fuͤr ſittliche Heroen, daß er
einen Bilderſaal ihrer Geſtalten und eine Bi-
bliothek weniger von großen Schriftſtellern, als
über große Menſchen unterhielt, und daß ihm
ein Meſſias theuerer war als eine Meſſiade,
[207] und Plutarch lieber als Tacitus. Er war und
handelte ſelber in Paris ſo lange bey dem
Niederreißen der Baſtille mit, als die Stadt
noch nicht in eine groͤßere durch die Bergpar-
tey verkehrt war. Da ich nun wußte, daß er
nach ſeinem weltlichen Heiligenkalender die Ge-
burts-, Todes- und Thaten-Feſte großer Men-
ſchen feyerte — zu welcher ſtillen Feyer er
nichts gebrauchte, als ihre Geſchichte, ihr Bild,
und ſein Herz — und daß er folglich auch das
unbewegliche Jubelfeſt von Corday’s Todestag
den 17ten July begehen wuͤrde; — und da
mir ferner bekannt war, daß man ihn in ſei-
nem unausgeſetzten Allerheiligen-Tag doch im-
mer ſtoͤren wuͤrde, man komme, wenn man
wolle: ſo ging ich am 17ten Abends zu ihm,
wiewohl bloß um meinen in ein hiſtoriſches
Bildniß der Tagsheiligen Corday verwandel-
ten Auszug aus dem Moniteur darzubringen
und vorzuleſen. Eigentlich brachte ich ihm
weniger eine Gabe als ein Opfer, da ich un-
ter dem Zuſammenſtellen mich von dem Mo-
niteur
1793 mit unbeſchreiblichem Ekel vor
[208] der damaligen Bluttrunkenheit der Blutduͤrſti-
gen Bergpartey, vor deren leerem betrunke-
nen Schwatzen, Poltern und Taumeln mußte
erfuͤllen laſſen.


Als ich ankam, traf ich ſchon ſeinen Re-
gierungspraͤſidenten bey ihm an; — einen
rechtlichen kuͤhlen Mann, der Zeit und Raum
gefunden, zwiſchen ſeinen Aktenſtoͤßen ſogar
Kants metaphyſiſche Sittenlehre aufzulegen,
und aufzuſchlagen — er ſchien ſeinen regieren-
den Herrn faſt nur zu beſuchen, um ihn zu
bekriegen und abzuſetzen in der Philoſophie.
Indeß eben weil nur die poetiſchen Grundſaͤtze
des Grafen, nicht aber deſſen befeſtigt-fort-
dringenden Handlungen den proſaiſchen Grund-
ſaͤtzen des Praͤſidenten zuwider liefen: ſo ſchloß
ſich dieſer aus Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit
zugleich deſto feſter an ſein (jetzt nicht mehr
unmittelbares) Reichsfuͤrſtchen an und an den
Kampf mit ihm.


Bey meinem Eintritt war das Gemaͤlde
der Disputa ſchon auseinandergerollt. „Gir-
tanner ſchrieb — ſo ſagte der Praͤſident —
[209] folgendes mit Recht:” „Maria Anna Char-
lotte Corday aus Saturien des Vignaux (in
der Nieder-Normandie) iſt noch verabſcheu-
ungswuͤrdiger als Marat, weil er nur Meu-
chelmorde veranſtaltete, ſie aber einen begieng,
und weil der Zweck kein Mittel heiligt.”


Etwas widerwaͤrtig trat das Zitat mir und
dem Cordays Tage aus dem July- oder
Ernte Monat und meiner in der Taſche mit-
gebrachten Geſchichte derſelben, entgegen. „O
Gott! ſagt’ ich (mit jener umgeſtuͤrzten Ueber-
fuͤlle von Ueberzeugung, die eben darum vor
Strom es kaum zu Tropfen bringt) Gerade
umgekehrt!” —


Da es ſchon bekannt iſt, daß der Praͤſident
nicht nur aus meiner Antwort ſondern auch
uͤberhaupt aus mir als Weltweiſen nichts
machte: ſo fuͤhr’ ich gern zu ſeiner Rechtferti-
gung an, daß er es mit mir als Poeten gut
meinte, da er einen ordentlichen Dichter nicht
fuͤr unwuͤrdig erklaͤrte der einkleidende Schnei-
dermeiſter eines philoſophiſchen Schul- und
Lehr-Meiſters zu werden und als der wahre
Zweyter Theil. 14
[210] Volkslehrer dem Haufen manches zu verſinnli-
chen was der Meiſter vom Stuhle zu ſehr
vergeiſtigte, ſo daß ſeine Schreibfeder, indeß
die philoſophiſche als Schwanzfeder hinten den
Vogel ſteuere, als Schwungfeder im Fluͤgel-
knochen ihn hebe.


Darauf fuhr ich ruhiger fort: „Das Ver-
anlaſſen des Mordes ſcheint niedriger zu ſeyn
als jedes Begehen deſſelben, weil es feiger iſt
— weil es zwey fremde Leben ausſetzt — und
weil es die dringende und die mordende Seele
zugleich vergiftet. Und wenn eine oͤffentliche
uneigennuͤtzige, kriegeriſche, das eigne Leben
abſichtlich hingebende Hinrichtung ein Meuchel-
mord iſt: wie nennt dann Girtanner einen
heimlichen, bezahlten, gefahrloſen Mord?”


Der Präſident fragte lächelnd: „ob man
das fremde Leben opfern darf? — Ja ich möchte
vorerſt wiſſen, ob nur das eigne wegzugeben
iſt. Kann die Sittlichkeit ihre eigne Aufhebung
durch den Tod gebieten, und ſich durch eine
Handlung das Mittel (was unſtreitig das Le-
ben iſt) benehmen, ſich zu wiederholen? Denn
[211] der Glaube an ein zweytes Leben kann die
unbedingten Moral-Mandata ohne Klauſel
fuͤr das erſte nicht leuterieren, und reformiren.
Wohl iſt Wagen des Lebens erlaubt, aber nur
bey der Moͤglichkeit ſeiner Erhaltung, nicht
bey der Gewisheit ſeines Verluſtes.”


„Meiner Antwort — ſagt’ ich — thut es
vielen Vorſchub, daß ich geradezu laͤugnen
kann, es habe noch irgend jemand ſein Leben
geopfert; denn da die Natur es jedem ohne-
hin abnimmt, ſo kann er nur Jahre und Tage
hingeben, nicht aber das heilige unſchaͤtzbare
Leben ſelber; ja er legt auf den Opferaltar
eine Gabe von einem ihm unbekannten Ge-
wicht, vielleicht ein Jahrzehnd, vielleicht eine
Stunde. Und wird denn nicht alles rechte
geiſtige Leben eine vergiftete Hoſtie fuͤr das
koͤrperliche? Iſt nicht ſogar jeder Schacht und
jede Handwerksſtube ein Walkboden und Darr-
ofen des Körpers, ſo daß nur das Thier-Le-
ben die rechte und laͤngſte Spinnſchule fuͤr die
Parze Lacheſis bliebe? — Am Ende haͤtte
man nach einer ſolchen philoſophiſchen Heils-
[212] Lehre, die hypochondriſche Berechnung uͤber die
Einbuſſe einiger Lebensſtunden bey jedem ein-
zelnen kleinen Opfer fuͤr den andern durchzu-
machen, — die Tugend liefe auf Hufelands
Rath laͤnger zu leben hinaus, und man muͤßte
Arzneykunde ſtudieren um nicht verdammt zu
werden. — Wenn auch gleich einige Philoſo-
phen die Tugend wie einen Prozeß nicht gern
mit der Exekution anfangen, ſondern gelaſ-
ſener mit muͤnd- und ſchriftlichen Verhand-
lungen: ſo kenn’ ich wieder andere, z. B. Sie
und Regulus, welche wie dieſer in der Wahl
zwiſchen gewiſſem Tode und Meineide, doch
lieber die Abkürzung ihres moraliſchen Spiel-
raumes erwaͤhlten. Aber wozu dieß alles?
Entweder iſt von äußerem Erfolge die Rede
— ſodann kann die Innerlichkeit (Intenſion)
des Lebens, die Ausdehnung (Extenſion) deſ-
ſelben ſo freygebig verguͤten, daß eine Todes-
ſtunde, welche Voͤlker beſeelt, und begeiſtert,
ein kaltes thatenloſes Jahrzehnd uͤberwiegt —
oder es wird vom Heiligſten geſprochen; dann
ſetzt die Sittlichkeit, hoff’ ich nicht Vernichtung,
[213] nicht einmal Unſterblichkeit voraus, ſondern
Ewigkeit. Der Engel in der Menſchheit kennt
wie Gott immer ſeinen ewigen Wohnhimmel,
keine Zeit und Zukunft, oder irgend eine Sin-
nenrechnung; dieſer Engel nicht nach und von
Jahren wachſend, da es in der Ewigkeit keine
gibt, iſt aus Gewohnheit blind gegen die ge-
faͤrbten Schatten, und Nachtſchatten der End-
lichkeit, weil ſein Blick ſich in der ewigen
Sonne verliert.


Der Krieger, ſagte der Graf, der auf eine
Miene beordert wird, damit er den Feind da-
hin locke, und mit ihm zugleich auffliege, hat
nur meine Bewunderung, wenn er es weiß
und doch ſtirbt.


„Zu ſchließen waͤre vielleicht daraus, er-
wiederte der Praͤſident — entweder, daß dem-
nach es ganz und gar keinen Selbſtmörder
mehr gaͤbe, oder daß jeder einer, nur ſubtiler
wäre. Aber eine ſchwierigere Unterſuchung
ſteht uns bevor — Naͤmlich, mit welchem
Rechte erhebt, frag’ ich bey Corday, ein Menſch,
der kein vom Ganzen angenommener Richter
[214] iſt, ſein einſames Privaturtheil zu einem un-
erwarteten Kabinets-Befehle und zu einem
Todesurtheile, daß er noch dazu ſelber, ohne
jemand zu verhoͤren oder zu befolgen, in dem-
ſelben Nu ausſpricht und vollſtreckt, wie Cor-
day als Scharfrichterin eines Scharfrichters
that? Welcher Heinrich iſt denn vor ſeinem
Ravaillac geſchirmt? Ja, wie dieſer*), irrte
Marats Moͤrderin, und griff zugleich in Zweck
und Mittel fehl, wiewohl keiner eines adeln
kann. Denn ſie nahm Marat fuͤr den wich-
tigen Kopf des Staats-Bandwurms, von den
Journalen Perlet und Courier français ver-
leitet; aber ſie haͤtte, wie Archenholz meint,
beſſer Robespierre und Danton, d. h. die In-
ſtrumentenmacher anſtatt des Inſtruments zer-
ſtoͤrt, oder am beſten (wie Genz auch glaubt)
gar niemand angefallen, weil entweder das
Opfer aus der herrſchenden Partey zum Blut-
zeugen alſo zum Blutraͤcher und Verkuͤndiger
[215] deſſelben wurde, oder jede hingerichtete doch
nur einer zweyten eben ſo ſchlimmen zuruͤckte,
wie dießmal der Gemeinde-Rath zu Paris.
In Ihrer Sprache wuͤrden Sie ſagen: der
am Schwanze angeſchnittene Blutigel ſog nur
durſtiger fort; die Ausbruͤche auch dieſes
Vulkans geben nur neue Berge von Berg-
parteyen.”


Ich verſetzte: „Da ich kein Sokrates bin,
ſo behalt’ ich lange Reden leicht. Wuͤrde
Sie, frag’ ich von vornen zuruͤck, falls es
nur einen All-Moͤrder gaͤbe, nicht der Un-
wille der Retter- und Raͤcher-Liebe ſo uͤber-
mannen, daß Sie ſeine Rolle an ihm ſelber
wiederholten? — Wuͤrden Sie Gewiſſens-
biſſe haben, wenn Sie als bloſſer Menſch,
nicht als Praͤſident ohne alle Kriminal-Akten
und Pein-Geſetze eigenhaͤndig den Teufel den
Beelzebub, den Oberſten der Teufel niederge-
ſtoßen haͤtten? — Wenn wir uns ſo ſehr
fuͤrchten, die Richter eines Menſchen zu ſeyn:
ſo ſeh’ ich doch nicht ab, wie wir nur einen
Tag lang leben und gegen andere Menſchen
[216] handeln wollen, ohne uns obwohl uͤber kleinere
Faͤlle zu ihren Richtern, zu ihrem Kampf- und
Friedensrichter, zur erſten Inſtanz, aufzuwer-
fen, und einzuſetzen. Und wer darf, oder ſollte
uͤberhaupt richten, als der geiſtige Koͤnig uͤber
geiſtige Kriegsgefangene? Und muſte nicht ir-
gend einmal Ein Kuͤhner uͤber Eine Menge
die Todes-Urtheile feſtſetzen, nach denen wie-
der jene Kuͤhnen gerichtet werden, die eines
uͤber einen einzelnen faͤllen mit eigner Ge-
fahr?


Sie ſprachen, lieber Praͤſident, von Kabi-
nets-Befehlen eines Einzelnen — der keine
Kabinetsraͤthe hat — Aber gaͤb’ es auf der
Erde keine anderen oder ſchlimmeren Eigen-
machts-Ukaſen als die der von der Natur ſel-
ber zu unſichtbaren Obern der unſicht-
baren Untern
gekroͤnten Magnaten oder
der ſittlichen Heroen: ſo koͤnnte die ſittliche
Mittelwelt ruhig ſchlafen; nur aber die unſitt-
liche Unterwelt, der eben keine Ruhe gebuͤhrt,
buͤßte dieſe ein. Eine Volksmenge von Cor-
days wuͤrde die einzelnen Marats in der Ge-
[217] burt erſticken (wie jetzt die Marats-Menge die
einzelnen Cordays), eine Brutus-Menge
wuͤrde die Caͤſars zwar nicht unterdruͤcken
(denn große Seelen wiſſen auf mehr als Eine
Weiſe zu regieren und nur eine ſchlechte Welt
beherrſchen ſie ſchlecht), aber wohl lenken und
veredeln.


Uebrigens iſt von den einzelnen Cordays
ſo viel fuͤr die Menge zu fuͤrchten, als von
den Steinwuͤrfen der Monds-Vulkane fuͤr die
Erde.


Sie gedachten noch Ravaillacs. Warum
haben noch alle bisherigen Jahrhunderte einen
ſolchen Unterſchied zwiſchen Heinrichs Moͤrder
und Caͤſars Toͤdter gemacht, als der zwiſchen
Mord und Tugend iſt; — und warum er-
truͤge kein Herz den Roͤmer auf der Folter-
buͤhne ungeruͤhrt, hingegen mit Freuden den
Koͤnigs-Moloch?


In jeder weitgreifenden Handlung wagt
das Herz, wenn nicht ſich, doch ſein Gluͤck;
nur wenigen Gluͤcklichen hat das Schickſal ein
reines Verhältniß zum Thun beſchieden, aller
[218] guter Wille der Abſicht reicht nicht aus, da
wir obwohl nicht fuͤr den Erfolg aber doch
fuͤr deſſen Berechnung, die oft eine des
Unendlichen iſt, zu ſtehen haben. Unſere
Pſyche kann, moͤcht’ ich ſagen, gleich den Voͤ-
geln nie ſteilrecht oder gerade auffliegen ſon-
dern nur auf dem ſchiefen Umweg. Rechnen
wir mit zitternder Hand, ſo gleichen wir den
moraliſchen Schulmeiſtern, die oben auf dem
Ufer einer Suͤndfluth ſitzen, und die vor
einem gedeckten gruͤnenden Seſſionstiſche voll
Zeugenverhoͤre, Geburtsſcheinen und Kondui-
tenliſten ſo lange uͤber die Frage, wer wohl
in Betracht ſeines beſondern Werths und Al-
ters, zuvoͤrderſt aus den ſchwimmenden Voͤl-
kern heraus zu holen waͤre — abrechnen und
abſtimmen, bis ſaͤmmtliche ausgeſchaͤtzte Welt
erſoffen iſt, und die Fluth vertropft. Ich
weiß nicht, was mit einem ſolchen Kleinmuth
noch anders auf der Erde zu wagen und durch-
zuſetzen iſt, als etwan das, was z. B. am
heutigen 17. July oder Alexius Tage der Ka-
lender anraͤth: ſaͤet Ruͤben und raufet den
[219] Flochs. Ans Hinwagen irgend eines Lebens
waͤre dann ſo wenig zu denken, daß man
nicht einmal mit der Aufloͤſung der Frage zu
Rande kaͤme: ob man nur eines geben
duͤrfe; ob man nicht zu kuͤhn verfahre, wenn
man auf die Erde einen ganz neuen unbekann-
ten Menſchen einfuͤhre, fuͤr deſſen Anlagen
und Einfluͤſſen man gerade ſo wenig ſtehen
koͤnne, als fuͤr deſſen Schickſale, indem er ja
der jaͤhrliche Septembriſeur jeder zwoͤlf Mo-
nate und des Jahrhunderts werden, und durch
dieſe in Gift-Gärten des Geiſtes und in Hun-
gerwuͤſten des Koͤrpers unheilbar untergehen
koͤnne. Ich erſtaune dann uͤber einen, der hei-
rathet.


Aber, verſetzte der Präſident, was geht
die reine Abſicht der Erfolg an? Die allwiſ-
ſende und allmaͤchtige Vorſehung mag mit ſich
ſelber dieſen ausmachen; ich bin keine. Geſetzt
z. B. eine Frau riefe in der Nacht um Hilfe,
und ich eilte hinzu, und braͤchte aus meinem
Sandwege einige leicht Fuͤnkchen gebende Sand-
körnchen mit in die mir unbekannte Pulver-
[220] muͤhle, und hundert Menſchen floͤgen in die
Luft: was haͤtt’ ich denn verſchuldet? Nichts,
rein nichts!“


Gewiß, ſagt’ ich, aber eine unbeſiegliche
Trauer bliebe Ihnen doch zuruͤck. Da uͤber-
haupt der Menſch nicht bloß groß wollen
(was er je in der Minute iſt, wo er will)
ſondern auch groß handeln will: ſo muß er
durchaus noch auf etwas, was jenſeits des
Reichs der Abſicht liegt, hinuͤberſtreben; zwey
gleich „reine Helden der Menſchheit, wovon
der eine im Kerker raſten muß, der andere
ein weites Leben ausſchaffen darf, wuͤrden den
Unterſchied ihrer aͤußeren Rollen wie einen
zwiſchen Ungluͤck und Gluͤck empfinden. Kurz
wir wollen wirklich etwas; wir wollen die
Stadt Gottes nicht bloß bewohnen, ſondern
auch vergroͤßern. Nur dringen wir vor lauter
Verboten ſelten zu den Geboten ſelber hindurch,
und brauchen ſechs Wochentage, um auf einem
Sonntage anzulanden. O, was zu fliehen
iſt, weiß ſogar der Teufel; aber was zu ſuchen
iſt, nur der Engel.


[221]

Wir wollen auf die Corday zuruͤckkommen,
ſagte der Praͤſident; es wirft ſich ſogar uͤber
Nothwehr, d. h. den Erkauf meines Lebens
durch ein fremdes, die Frage der Rechtmaͤſſig-
keit auf. Warum ſoll das meinige ſtets mehr
wiegen als das fremde? Ich fuͤr meine Per-
ſon koͤnnte deßhalb den groͤßern Vertheidigungs-
Muth weniger gegen Angriffe des meinigen
als gegen die eines fremden, z. B. meiner
Kinder beweiſen, wie eine Mutter nur fuͤr
dieſe, nicht fuͤr ſich eine Loͤwin wird.“


Allerdings entſcheiden hier Lebens-Abwaͤ-
gungen nicht, ſagt’ ich, weil ſonſt zwey Drit-
tel der Menſchen vogelfrey würden: ſondern
die verletzte Geiſtes-Majeſtaͤt, die am Leibe
oder Leben ſo beleidigt wird, wie ein Fuͤrſt an
ſeinem beſchimpften naͤchſten Diener, ſoll ge-
raͤcht und behauptet werden. Jeder Despot
taſtet in meinem koͤrperlichen Leben nur mein
geiſtiges an. — Weßwegen ſonſt glaubt der
Beleidiger ſich Genugthuung durch den Zwei-
kampf zu verſchaffen, als weil dieſer die ver-
letzte Geiſter-Gleichheit durch ein gleiches
[222] Doppel-Looſen um das Leben, wieder heilt?
Unſere Moral — fing der Graf an — ſcheint
mir zu ſehr eine Haͤuslichkeits-Moral, und
mehr eine Sitten- als Thatenlehre — Sie iſt
bloß eine Geſchmacks-Lehre fuͤr das ſchaffende
Genie. Es giebt eben ſowohl ſittliche Genie-
Zuͤge, die darum nicht in Regeln und von
Regeln zu faſſen, alſo nicht voraus zu beſtim-
men ſind als die äſthetiſchen; beyde indeß än-
dern allein die Welt, und wehren der fortlau-
fenden Verflachung. Es erſcheine ein Jahr-
hundert lang in einer Litteratur kein Genie,
in einem Volke kein Hochmenſch: welche kalte
Waſſer-Ebene der Geſchmacks- und der Sit-
tenlehre! Alle Größen und Berge in der Ge-
ſchichte, an denen nachher Jahrhunderte ſich
lagerten und ernaͤhrten, hob das vulkaniſche
anfangs verwuͤſtende Feuer ſolcher Uebermen-
ſchen, z. B. Bonaparte Frankreich durch Ver-
nichtung des nur durch Schwaͤchen, vernichten-
den Direktoriums, kuͤhn auf einmal aus dem
Waſſer. Allerdings haͤufen ſich auch durch
leere Korallen endlich Riffs und Inſeln zu-
[223] ſammen; aber dieſe koſten eben ſo viele Jahr-
hunderte, als ſie dauern und begluͤcken; wenn
hingegen der Feuer-Reformator mitten aus
einer faulenden, moderigen Welt eine gruͤ-
nende, aus einem Winter einen Vorfruͤhling
empor treiben ſoll: ſo muß er die zeugenden
Jahrhunderte des trägen Werdens zum Vor-
theile der genießenden durch eine Kraft erſetzen,
welche jedesmal faͤllend und bauend zugleich iſt.
Wer nun dieſe Kraft beſitzt, hat das Gefühl
derſelben oder den Glauben, und darf unter-
nehmen, was fuͤr den Zweifler Vermeſſenheit
und Suͤnde wäre bey ſeinem Mangel des
Glaubens und folglich auch der Kraft. Was
große Menſchen in der Begeiſterung thun,
worin ihnen ihr ganzes Weſen, die hoͤhere
Menſchheit neu erhoͤht und verklärt, ſich ſpie-
gelt, ſo wie dem tiefer geſtellten Menſchen in
ſeiner Begeiſterung ſeine dunkele Menſchheit
erglaͤnzt — das iſt Recht und Regel fuͤr ſie
und fuͤr ihre Nebenfuͤrſten, aber nicht fuͤr ihre
Unterthanen; daher kommt ihre ſcheinbare Un-
regelmaͤßigkeit für die Tiefe. Die Sonnen,
[224] ſtehen und ziehen uͤberall am Himmel; aber die
Wandel-Erden ſind auf ihren Thierkreis
eingeſchränkt und an Eine Sonne gebun-
den. —“


„Es muß, ſetzt’ ich dazu, etwas höheres
zu ſuchen geben, als blos Recht, d. h. nicht
Unrecht zu thun — worauf doch die folgerechte
Sittenlehre ſich eingraͤnzt —; aber dieß Hoͤhere
iſt in einer Unendlichkeit von Reitzen und Be-
ſtimmungen ſo wenig durch das Sitten-Lineal
auszumeſſen, oder gerad zu richten als die
raphaeliſchen und die lebendigen Figuren durch
mathematiſche Figuren.


„Mangel an Glaubensmuth, kann man
ſagen, fuhr der Graf fort, nicht etwa Mangel
an Wohlwollen erkaͤltet und erſchlafft die Men-
ſchen, die meiſten wuͤrden der Gewißheit
eines großen ſchönen Welt-Erfolgs ihr Leben
hinopfern, das ſie ja ſo oft bey kleinern Faͤllen
fuͤr eine Unmaͤßigkeit, Rechthaberey u. ſ. w.
weggeben. Aber dieſer Glaubens-Muth iſt
eben entſcheidend und goͤttlich, und durch nichts
zu erſtatten. Da, wo Feige ohne Richtung
[225] treiben, beſtimmt er ſeiner Welt die Himmels-
Gegend, in welcher, wie man für die Luft-
Kugeln vorgeſchlagen, er nur von einem Adler-
Geſpann gelenkt und gezogen wird; und Fluͤgel
ſind ſeine Arme. Mit dieſen Fluͤgeln ſchlaͤgt
eben der Adler die weiche Welt haͤufig mehr
wund, als mit Klauen und Schnabel. O ich
möchte in keinem Leben leben, das kein großer
Geiſt anruͤhrte und durchgriff, und umſchuͤfe; —
vor keiner Buͤhne moͤcht’ ich ſtehen, wo es
nichts gaͤbe als den Chor der Menge, der wie
der theatraliſche bey den Griechen, blos aus
Greiſen, Sklaven, Weibern, Soldaten und
Hirten beſtand. Welcher Unterſchied an etwas
ſterben, und fuͤr etwas ſterben! O ſie ſollen
immer hinziehen unter ihre Opferthore, auf
ihre Blutgeruͤſte, auf ihre tarpejiſchen Felſen,
jene großen Seelen uͤber der Erde; ſchwingt
euch kuͤhn auf die ſchwarzen Fluͤgel des Todes-
engels, ſie entglimmen bald farbig und glaͤn-
zend, ihr, Sokrates, Leonidas, Morus, und
ſelber Du, edle Corday, deren unbewegliches
Zweyter Theil. 15
[226] Jubelfeſt eines heiligen Todes der heutige
Tag feiere! —


„Sie ſind ſchon, ſagt’ ich, auf dieſem brei-
teſten Fluͤgel, der alles wegtraͤgt, davon ge-
flogen, aber uns ſind Heiligen-Bilder auf
Altaͤren zuruͤckgeblieben zum Anbeten, und
zum Erleuchten mit Altarlichtern. Das ſchönſte
Beleuchten iſt wohl die Wiederhohlung ihres
Lebens, waͤrs auch blos die hiſtoriſche; das
Leben wird nur angeſchaut, nicht begriffen.
Die Begriffe — die ihrer Natur nach ſchon
aus den gemeinſten Weſen das Lebendige nie-
derſchlagen — laſſen vollends aus ungemeinen
zum Vortheil des Allgemeinen gerade das
Koͤſtlichſte fallen und bewahren hoͤchſtens aus
ihnen die Muttermaͤler, indem immer die Man-
nigfaltigkeit der Irrwege den Begriff mehr be-
reichert als die lebendige Einheit der Recht-
Bahn. Ein hiſtoriſches Zuſammenleben mit
einem Heros kann oft ein wirkliches darum
uͤbertreffen, warum die Schimmerfarben eines
Vogels nicht auf ſeinen zum Fluge ausgebrei-
[227] teten Fluͤgeln erſcheinen, ſondern auf ſeinem
zur Ruhe zuſammen gelegten Gefieder.


Ich entdeckte nun dem Grafen, daß ich
wirklich fuͤr den heutigen Abend eine hiſtoriſche
Zuſammenſtellung der Seelen-Zuͤge Cordays
unternommen und mitgebracht haͤtte. Dieß
ſchien ihn herzlich zu erfreuen, wiewohl er
neue Zuͤge leichter mittheilen als empfangen
konnte. Er ſchlug ſogleich vor, den freyen
Himmel, und einen in zwey Lindenbaͤume
eingebaueten Altar zum Tempel unſerer Be-
trachtung zu waͤhlen, um den Untergang der
Heldin und der Sonne vereinigt ſtaͤrker anzu-
ſchauen. Der Praͤſident verſicherte, er hoͤre
mit Freuden zu, nur werde man ihm auch
den ſchönſten Eindruck hiſtoriſcher Kunſt-Rüh-
rung doch fuͤr keinen Widerruf ſeiner Saͤtze
anrechnen. Der Abend war reitzend, mit Ge-
ſang und Duft gefuͤllt, nur daß in Suͤden
weiße Wolkenberge aufwuchſen, und mit ihren
Kratern voll Feuer nach Norden zuruͤckten.
Ich muß aber vorausſagen — ſagte jetzt der
Praͤſident, der ſehr ernſthaft am Himmel uͤber
[228] ſich herumſah — daß ich, ſollte das Gewitter
naͤher kommen (denn es donnerte von ferne
ſchon) mitten im groͤſten Genuſſe der Geſchichte
mich davon machen werde, weil ich, gegen
meinen Grundſatz uͤber die moraliſche Pflicht
der Lebens-Schonung um keinen Preis ver-
ſtoſſen will.“ Der Graf warf ein, wie es
nie in ſeinem Thale eingeſchlagen; aber er
ſchuͤttelte unbekehrt den Kopf.


Im Lindenkabinet empfing uns Corday
ſelber, naͤmlich das Bildniß ihrer ſchoͤnen und
großen Geſtalt, das der Graf mit Muͤhe aͤcht
erobert hatte. *)


Denn noch am erblaßeten Geſichte, das
ſchon von der Hand des Henkers durch einen
Backenſtreich verunreiniget worden, nagte die
Parteywuth fort, und ſuchte die Schoͤnheit,
die ſie entſeelt hatte, nun auch zu entſtellen,
ſo wie die Theſſaliſchen Hexen ſich in Thiere
verwandeln, und dann den Todten das Ge-
[229] ſicht abfreßen. *) Indeß mußte derſelbe Cha-
bot, der im Convent den getoͤdteten Marat
einen zu weichherzigen Mann genannt **),
dont le coeur bon et dont l’humanité etoient
occoutumès à des sacrifices habituels
— die
tödtende Corday hingegen un des monstres
que la nature vomit pour le malheur de
l’humanité
— dieſer mußte gleichwohl von ihr
ſagen: avec de l’esprit, des graçes une taille
et un port superbes elle paroit être d’un de-
lire et d’un courage capables de tout entre-
prendre.


Ich ſah dieſe zweyte Jeanne d’Arc lange
an — ſo oft ich ſie auch ſchon angeſehen —
und fing ſchuͤchtern ihre kurze Thaten- und
Leidensgeſchichte, als ſey dieſe zu kalt gemalt,
vorzuleſen an:


Die redlichen und feurigen Deutſchen haͤt-
ten alle die Revoluzion bey deren Anfange
mit keiner aus der Geſchichte hoffend verglei-
[230] chen ſollen, weil in dieſer noch kein zugleich ſo
verfeinerter und moraliſch vergifteter Staat —,
wie ſich der galliſche in ſeiner Mutterloge Pa-
ris, und in den mitregierenden hoͤhern Staͤn-
den und Staͤdten ausſprach — je ſich aus ſei-
nen Galeerenringen gezogen hatte; ſie haͤtten
alle von einem Erdbeben, das ſo viele Gefäng-
niſſe und Thiergärten aufriß, nicht viel hoffen,
noch weniger dabey an Rom und Sparta den-
ken ſollen, wo die Freyheit bey einer nicht
viel groͤßern Verderbniß aufhoͤrte, als die war,
bey der ſie in Paris anfing. In jedem Jahr-
hundert wird der Suͤnder (aber auch der Hei-
lige) in der Bruſt groͤßer, blos weil er be-
ſonnener
wird. Die Deutſchen ſahen es
endlich, wie die weite elektriſche Wolke der
Revoluzion die Kroͤten und die Froͤſche und
den Staub in die Höhe zog, indeß ſie die
erhabenen Gegenſtaͤnde umſchlug; gleichwohl
hielten viele ſo lange ſie konnten, die Haupt-
ſumme fuͤr eine zufaͤllige und ſogar noͤthige
Partey wider die Gegner die Vendée-Par-
zen und die Koblenzer Emigrés.


[231]

Es ſcheint unglaublich ohne die Erfahrung
in Buͤrgerkriegen — die Revoluzion aber war
ein geiſtiger durch ganz Europa — wie lange
der Menſch politiſche Unveraͤnderlichkeit fort
behauptet auf Koſten der moraliſchen; ſo wie
jeder auch in Familienkriegen gern ein Paar
Tage laͤnger bey einer Partey, als ſie Recht
hat, beharret, ja hinter der zufaͤllig genom-
menen Stuhllehne eines Spielers ſtehen bleibt
mit dem Wunſche, daß er durchaus gewinne.


Der Tornado des Saͤkulums, der eiskalte
Sturm des Terrorismus fuhr endlich aus der
heißen Wolke, und ſchlug das Leben nieder.
Nicht die, deren Vermögen oder Leben ge-
opfert wurde, litten am bitterſten, ſondern
die, denen jeder Tag eine große Hoffnung
der Freyheit nach der andern mordete, die
in jedem Opfer von neuem ſtarben, und vor
die ſich allmaͤhlig das weinende Bild eines ſter-
benden, von Ketten und Vampyren umwickel-
ten Reichs als Preis aller Opfer aufrichtete! —
Dieſes Todtenbild ruͤckte, als am 31. May
die letzten Republikaner, die Girondiſten, den
[232] leiblichen und geiſtigen Plebejern das Feld
nicht zum Beſaͤen, ſondern zum Verheeren
räumen mußten, am ſchmerzlichſten nahe an
ein großes weibliches Herz.


Als Louvet mit andern von der Bergpar-
tey am 31. May verjagten Republikanern in
Caen bey Barbaroux wohnte: ſo kam öfters
eine ſchoͤne ſtolze Jungfrau von einem Bedien-
ten begleitet dahin, und wartete im Saale
auf Barbaroux mit einer ſcheinbaren Vorbitte
fuͤr einen ihrer Verwandten; wiewohl in der
wahren Abſicht, um die verjagten Republika-
ner naͤher zu pruͤfen. Die Jungfrau war ſchon
unter die Unſterblichen gegangen, da ſich Lou-
vet ihrer wieder erinnerte, als einer hohen
Geſtalt voll jungfraͤulicher Wuͤrde, Milde und
Schönheit, ſittſam, ſanft entſchloſſen, eine
Blume gleich der Sonnenblume, die den gan-
zen Tag mit ihrer einfachen Bluͤte der Sonne
folgt, die aber nach dem Untergang und vor
dem Gewitter, ſich mit Flammen fuͤllt.


Er hatte Charlotte Corday geſehen.


Ihr Leben war ſchon fruͤher ein ungewöhn-
[233] licher Vorhimmel vor ihrem Tode geweſen.
Griechen und Roͤmer und die großen Schrift-
ſteller der neueren Zeit hatten ſie erzogen,
um ſie (nach ihrer Auſſage) zu einer Republi-
kanerin vor der Republik gemacht. Sie war
kuͤhn bis ſogar in die Religion hinuͤber. Als
das Revoluzions-Tribunal ſie fragte: haben
Sie einen Beichtvater, ſo antwortete ſie: kei-
nen. — Er fragte: halten Sie es mit den
vereideten Prieſtern, oder mit den unvereide-
ten? — „Sie antwortete: Ich verachte beyde.“
Folglich kein religioͤſer Fanatismus reichte oder
weihete dem jungfraͤulichen Wuͤrgengel das
Schwert. — Bey aller Gluth ihres innern
Weſens und allem Glanz ihrer Geſtalt blieb
doch fremde und erwiederte Liebe von ihr ab-
gewieſen; ſie achtete die Maͤnner wenig, weil
eine weibliche Seele in der Liebe das hoͤhere
Weſen ſucht *) und ihre erhabnere nicht einmal
[234] das aͤhnliche fand; daher ſie, als der Praͤſi-
dent mit gewoͤhnlicher Haͤrte gefragt, ob ſie
ſchwanger ſey; verſetzte: „ich fand und kannte
noch keinen Mann, den ich meiner wuͤrdig ge-
achtet haͤtte; denn Marat lebte noch.“ —
Die Expeditionsſtube des weiblichen Lebens kam
ihr enge dumpf und ſtaubig vor; — „Die
republikaniſchen Franzoſen (ſchrieb ſie an Bar-
baroux) begreifen es nicht, wie eine Frau ihr
Leben, deſſen laͤngſte Dauer ohnehin nicht
viel Gutes erſchaft, kaltbluͤtig dem Vaterlande
opfern koͤnne.“ — „Nur die Jungfrau —
unterbrach der Graf — ſtirbt fuͤr Welt und
Vaterland; die Mutter blos fuͤr Kinder und
Mann. Jene iſt noch eine Alpenpflanze, an
welcher die Blume groͤßer iſt als die ganze
Pflanze. Du edle Charlotte, du liebteſt nicht
und wareſt ſo groß.“ —


Wenn ſchon gewoͤhnliche Weiber — fuhr
ich fort — ihr Leben mehr in Ideen fuͤhren
als wir, naͤmlich in ſofern ſie mehr mit dem
Herzen denken, wir aber mehr mit dem Kopfe
und wenn ſie daher oft durch ein großes Le-
[235] ben um die zugeſperrte Wirklichkeit umherirren:
ſo hat dieß noch mehr bey genialen Weibern
ſtatt, in welchen die hoͤhere Kraft des Kopfes
nur mehr der hoͤheren Kraft des Herzens ge-
horcht (aber nicht wie bey uns befiehlt), und
deren Ungluͤck daher haͤufig ſo groß wird, als
ihr Werth.


Charlotte Corday auf einer Freyheits-
Höhe einheimiſch und es erlebend, daß ſich
ploͤtzlich um ſie her ihr ganzes Vaterland als
eine geiſtige oder doppelte Schweiz aufrichtet
und hohe Alpen voll Aether, Idyllenleben und
Freyheits-Heimwehe in den Himmel ſtellt; —
ergriffen und erhitzt vom Fruͤhlingsmonat der
großen zuruͤckkehrenden Freyheit und Welt-
Waͤrme; — dieſe Corday, deren langbedecktes
heiliges Feuer auf einmal mit dem allgemeinen
Enthuſiasmus zuſammen lodern darf, ſo, daß
nun die alten Ideale ihres Herzens lebendig
und ruͤſtig aufſtehen und dem Leben die Fah-
nen hoch vortragen, und daß der ganze Menſch
That wird, der Kenntniß kaum mehr achtend,
ſo wie das durch die Nacht rennende Roß
[236] nicht die Funken achtet und flieht, die es aus
ſeiner ſchnellen Bahn ausſchlaͤgt. — —


Dieſe Corday erlebt dennoch die Bergpartey.


Sie erlebt naͤmlich noch vor dem 31ten May
den Untergang aller heiligſten Hofnungen, wo
die Freyheit entweder entfliehen oder verbluten
muß — wo Revoluzionen ſich durch die Revo-
luzion wälzen, und der Staat ein Meer wird,
deſſen Bewohner ſich bloß freſſen und jagen —
wo am zerfallenden, verſtaͤubenden Freyheits-
Rieſen nichts uͤbrig und feſt bleibt, als die
Zaͤhne — wo zuletzt das Vaterland ſich in
einzelne Glieder zerſtuͤcken muß, um mit ge-
ſunden die unheilbaren von ſich abzulöſen, und
wo Corday ſagen mußte: „ich bin muͤde des
Lebens unter einem gefallenen niedrigen Volk!“


Sie erlebt einen Marat, das unbedeutende,
heuchelnde, rohe, mechaniſche, auch aͤußerlich-
häßliche bluttrunkene aufgeblaſene *) Weſen,
[237] das mehr als Blutigel denn als Raubthier
lockte — das die Septembriſeurs blos miethete,
bezahlte, lobte und betheuerte, und das wirk-
lich keinen Menſchen mit eigener Hand um-
brachte, ſondern nur ſich *) — das die Moͤr-
der des Generals Dillons gern noch zu Moͤr-
dern ſeiner Offiziere machen und mit dem
Blute von noch 250,000 Koͤpfen die Weinleſe
der Freyheit erſt recht duͤngen und begießen
wollte — das am 31ten May einen Interims-
koͤnig **) begehrte, weil die Extreme ſich be-
ruͤhren, und der höchſten Freyheit ein unum-
ſchraͤnkter Diktator noͤthiger ſey als ein be-
ſchraͤnkter — das (nach Cordays Ausſage) durch
*)
[238] ausgetheiltes Gold zum Buͤrgerkrieg entflamm-
te — ein Weſen, in welchem ſich wieder die
Bergpartey abſchattet, das, als es zwey Tage
vor ſeinem Tode hingerichtet war, im Convent
ein franzoͤſiſcher Cato der unſterbliche Geſetz-
geber und Volksfreund genannt, fuͤr deſſen
Strafgoͤttin neue Qualen (l’effroi des tour-
mens)
gefodert und das einmuͤthig zu einem
Schmuck des Pantheons erklärt wurde und in
der Todesnacht der Corday unter Kanonen-
ſchuͤſſen und Prozeſſionen verſcharrt. *) — —


„Laſſet uns wegtreten vom modernden
Thier; ſagte der Graf und unſer Auge an der
glaͤnzenden Goͤttin erquicken, die das Thier
mit dem Fuſſe wegſtoßen mußte, als ſie durch
die Ehrenpforte der Unſterblichkeit eindrang.“ —


Jetzt ruͤſteten ſich in Caen, der Freyſtaͤtte
vieler fort getriebenen Republikaner, 60,000
Mann gegen die anarchiſche Freyſtadt. Corday
heilig uͤberzeugt, daß der große Hilfszug
eigentlich nur gegen Einen Menſchen, den
[239] vierjaͤhrigen Meuchelmoͤrder und Mordbrenner
Frankreichs, Marat, gelte, dachte freudig in
ſich, (ſo ſagte ſie aus) „ihr ſucht alle nur Ei-
nen Menſchen; ich kann ja euer Blut erſparen,
wenn ich blos meines und ſeines vergieße.“
Sie ſah ſich fuͤr die Freywillig-dienende
des kriegenden Departements von Calvados
an, folglich fuͤr eine Kriegerin gegen den
Staatsfeind, nicht fuͤr die Straf-Parze einer
obrigkeitlichen Perſon.


Am zweyten Juny erſchien ihrem Geiſte
der Entſchluß zu ſterben, zuerſt; wie jener En-
gel dem Apoſtel im Kerker. — So viele Juͤng-
linge ſah ſie um ſich her, dem Freyheitszuge
nach Paris, dem großen Grabe zuſtroͤmen:
Da reichte ſie dem Engel die Hand, der ſie
aus dem Leben fuͤhren wollte.


„O wenn man doch, ſagte der Graf, in
jene tiefe Stunde tiefer ſchauen koͤnnte, wo
die Heldin zu ſich ſagte: mein Leben ſey vor-
uͤber, alle heiteren Ausſichten verſchlinge die
einzige; Verzicht ſey gethan auf alles Geliebte
und Erfreuende, auf Vater, auf Freunde und
[240] Kinder, auf irdiſche Zukunft und auf alles,
was um mich her die Menſchen begluͤckt; Gebt
mir die Todesfackel, ſtatt der Brautfackel; und
die Todesgoͤttin druͤcke als Blumengoͤttin das
feſte ſchwarze Siegel auf mein Roſenleben! —
Es iſt bekannt, daß die Heldin darauf einen
ganzen Monat lang’ ihren großen Vorſatz
ſchweigend in der Bruſt bewahrte. Aber wie
leicht und klein mußten ihr in dieſer Zeit die
Spiele und Plagen des Lebens erſcheinen,
wie frey ihr Herz, wie rein jede Tugend, wie
klar jede Anſicht! Sie ſtand jetzt auf dem höch-
ſten Gebirge und ſah die Wetterwolken nur
aus der Tiefe, nicht aus der Hoͤhe kommen,
und ſich von ihnen kaum verhuͤllt und benetzt,
indeß die Andern, die tiefen Menſchen auf
dem Boden, aͤngſtlich nach dem Gewoͤlke auf-
blickten und auf ſeinen Schlag harrten. —
Der edle Krieger, der handelnde Republikaner,
der gottbegeiſterte Menſch, ſie haben dieſe hohe
Stellung, die ſie ſo ſehr fuͤr alles haͤusliche
Einniſten in bequeme warme Freuden entſchaͤ-
digt und erkaͤltet.“


[241]

Den 7. July reiſete ſie nach Paris ab,
nachdem ſie ihrem Vater, um Einverwickelung
und Vateraͤngſte abzuwenden geſchrieben, daß
ſie vor dem harten Anblicke des Buͤrgerkrieges
nach England entweiche. Schweigend, ohne
einen Rathgeber, ohne eine ſympathetiſche oder
ſtaͤrkende Seele ſchied das 25jaͤhrige Maͤdchen
von allen geliebten Weſen, und trat in der
heißen Jahreszeit die lange Reiſe zum Altare
an, wo es bluten wollte. „Ich befand mich,
ſchreibt ſie an Barbaroux, in der Poſtkutſche
in Geſellſchaft guter Bergbewohner, die ich
ganz nach ihrem Wohlgefallen reden ließ; ihr
Geſchwäz, das ſo dumm war, als ihre Per-
ſonen unangenehm, diente nicht wenig, mich
einzuſchlaͤfern. Ich wachte gewiſſermaaßen nicht
eher auf, als da ich in Paris ankam.“ Mit
dieſer feſten Ruhe, ſo wie mit dieſer kalt-hellen
Anſicht that ſie den erſten wie den letzten Schritt
zu ihrem Blutgeruͤſte hinauf. Den Helden be
geiſtert die mitziehende Hilfs-Schaar; dieſe
Heldin ging einſam nur mit ihrem Herzen und
Zweyter Theil. 16
[242] mit dem unſichtbaren Todesſchwert zur Richt-
ſtaͤtte.“ —


„— des Opferthiers und der Opferprie-
ſterin zugleich — unterbrach der Graf. —
Aber es konnte nicht anders ſeyn; ſie wußte
ja, ſie bringe mit ihrem Marats-Dolche den
Freyheits-Zepter mit, und ſie ſey, obwohl un-
bekannt der blinden Maſſe, in ihrem Sieges-
wagen nach Paris, ſchon angethan mit den
Feyerkleidern der glaͤnzenden Zukunft. Ruhe
und Stille und Kaͤlte mußten ja der ſtarken
Seele kommen, durch den feſten Glauben, daß
ſie, ſie allein mit einem einzigen Tode ihres
Koͤrpers einen Buͤrgerkrieg und Buͤrgermord
verhuͤte, und dem wunden Vaterland, mehr
als Eine Schlacht gewinne *) und daß ſie (ſie
mußte dieß ſehen) ganz anders mit dem hin-
gegoßenen Blute der Jugend, der Schoͤnheit,
des Geſchlechtes und des Vaterlandes beſchaͤme,
befeuere, befruchte, als ein ſterbender Mann
und Greis. O ſeelig, ſeelig iſt der, dem ein
[243] Gott eine große Idee beſcheert, fuͤr die allein
er lebt und handelt, die er hoͤher achtet als
ſeine Freuden, die immer jung und wachſend
ihm die abmattende Eintoͤnigkeit des Lebens
verbirgt! Als Gott (nach der Fabel) die Haͤnde
auf Muhammed legte, wurd’ ihm eiskalt; wenn
ein unendlicher Genius die Seele mit dem
hoͤchſten Enthuſiasmus anrührt, und begabt,
dann wird ſie ſtill und kalt, denn nun iſt ſie
auf ewig gewiß.“


Donnerſtags (den 11ten July) kam Char-
lotte Corday in Paris als auf dem Richtplaz
ihres Vaterlandes und ihres vorigen innern
Lebens und ihres jetzigen aͤußern an, wiewohl
als ein ſtiller weißer Mond, der da aus dem
heißen hohlen Krater aufgehen muß, wie vor
Neapel der Mond aus dem Veſuv. Sie ging
zuerſt zum Deputirten Duͤperret (einem noch
nicht vertriebenen aber ſchon angeklagten Gi-
rondiſten, den man erſt ſpaͤter hinrichtete) uͤber-
gab ihm einen Brief von Barbaroux, und bat
ihn, ſie zum Miniſter des Innern zu beglei-
ten, dem ſie Papiere einer Freundin abzufor-
[244] dern habe. Er entſchuldigte ſich mit ſeiner
Tiſchgeſellſchaft und verſprach, ſie den andern
Morgen zu ſehen und zu begleiten. Er er-
zaͤhlte darauf ſeinen Gaͤſten, wie ſonderbar und
auſſerordentlich ihm das ganze Betragen und
Sprechen dieſer Jungfrau vorgekommen.


Am Freytag Morgen bat ſie Marat in
einem Billet um Zugang, unter dem Vor-
wand republikaniſcher Geheimniſſe; ſie kam
nach einer Stunde, aber umſonſt. Eigentlich
war dieſes Mislingen ſchon ein zweytes; denn
anfangs hatte ſie ihn und folglich ſich mitten
im Convent opfern wollen. Solche Fehlſchla-
gungen oder Kleinigkeiten, wie zum Beyſpiel
die lange Reiſe, das heiſſe Wetter u. ſ. w.
haͤtten einem entnervten moraliſchen Kraftgenie,
das leicht fuͤr Einen Abend zu einem aͤhnlichen
Feuer auflodert, ſehr bald die Flamme ausge-
weht. Denn die meiſten jetzigen moraliſchen
Kraftaͤußerungen ſind nur epileptiſche; geiſtige
und koͤrperliche Nuͤchternheit ſind jetzt noͤthige
Zuthaten der Helden, wie ſonſt Abgaͤnge der-
[245] ſelben. Corday blieb mit Leib und Seele nuͤch-
tern und feſt.


Endlich kam der rechtſchaffene Duͤperret
zu ihr — ihr gewuͤnſchter Beſuch des Mini-
ſters war vereitelt — ſie fand Duͤperret zwar
ſtandhaft fuͤr das Rechte, aber verſchloſſen,
und ſie rieth ihm blos dringend, aus dem Kon-
vent ſich nach Caen, wo er mehr Gutes wir-
ken koͤnne, zu begeben. Als er ihr am Richt-
und Todestage Marats den Gegenbeſuch machen
wollte, wich ſie ihm aus, um keinen Menſchen
in ihren Sturz zu ziehen. Die hohe Alpen-
roſe hatte nur Einen ſtechenden Dorn, blos
gegen Einen Menſchen.


Noch Abends am Freytage ſchrieb ſie an
Marat, und erſucht’ ihn dringender um einen
Einlaß am Morgen.


Der Sonnabend kam, ſie kaufte erſt die-
ſen Morgen ihren Dolch im Palais-Royal,
und verbarg die Parzenſcheere in ihrem Buſen.
Darauf begab ſie ſich zu Marat mit der dop-
pelten Gewißheit, jetzt ſterbe er unter ihren
Haͤnden, und zugleich ſie ſelber unter denen
[246] des Volks. Er, obwohl an Suͤnden krank
und im Bade, ließ ſie vor ſich. Sie nannte
ihm frey alle Namen der in Caen und Evreux
begeiſterten Girondiſten, die gegen die Berg-
partey ſich verſchworen haͤtten, d. h. die Na-
men aller ihrer-Lebens und Ewigkeits-Freunde.
Nun in wenig Tagen, verſetzte er, werd’ ich
ſie alle in Paris guillotiniren laſſen. — —
Da nahm ploͤtzlich die Nemeſis Cordays Ge-
ſtalt an, und drehte Marats Schlachtmeſſer
um gegen ſein eignes Herz, und endigte ſo,
den niedrigen Menſchen . . . . . Aber ein
gelindes Gericht von Gott und Menſchen er-
gehe uͤber die bisher ſo unbefleckte Hand, die
ein hoͤherer Geiſt in ein beſchmutztes Blut
eintauchte.


„Dieß Gericht wird ergehen, ſagte der
Graf. Rein wie die Wetterwolke ſchlug und
zuͤckte ſie einmal aus ihrem Himmel auf die
kothige Erde, und zog darauf in ihm weiter. —
Aber wie ſonderbar wieß mit dem Bade und
mit den letzten blutduͤrſtigen Worten das Schick-
ſal dem Racheengel die toͤdtliche Stelle an!
[247] Durch aͤhnliche Verkettungen der Zufaͤlle fielen
faſt alle Boͤſewichter; das Verhaͤngniß ſtehet
uͤber der Welt mit ſeinem Geſchoß, unten knien
die Verbrecher hinter ihren Augenbinden und
die Bruſt trägt ein ſchwarzes Herz; und an
dem zeigen ſie ihm das tödtliche Ziel!“


Ruhig und ohne Flucht ließ ſie ſich ge-
fangen nehmen. Als der Poſtmeiſter Drouet *)
mit ihr zur Abtey fuhr, und er den Poͤbel,
der ſie umbringen wollte, durch die Erinnerung
an das Geſetz zum Gehorſam brachte, ſo fiel
ſie in Ohnmacht. Als ſie wieder zu ſich kam,
war ſie in Verwundrung, daß der Poͤbel ſie
noch leben laßen, und daß dieſer, den ſie fuͤr
eine Zuſammenſetzung von Kannibalen gehal-
ten, dem Geſetz gehorchet. — Das Weinen
der Weiber ſchmerzte ihre Seele, aber ſie ſagte,
wer ſein Vaterland rettet, dem kuͤmmert es
wenig, was es koſtet.“


Die Scheide des Dolchs, einiges Geld,
ihr Taufſchein und Paß, eine goldene Uhr
[248] und eine Addreſſe ans Volk wurden bey ihr
gefunden. Bey dem Eintritt in die Abtey
rannte ein Jüngling mit der Bitte herzu, ihm
ſtatt ihrer Gefaͤngniß und Tod zu geben; er
erhielt beydes nur wie ſie **). Wer auf den
Todten eine Thraͤne fallen laͤßt, ſtirbt ihm
nach, ſagt der Aberglaube; ſo toͤdtet in der
Despotie, die Thraͤne, welche auf das ſchuld-
loſe Opfer rinnt. — Die ganze Nacht ſprach
das begeiſterte Maͤdchen von den Rettungs-
mitteln der Republik: „ich habe das Meinige
gethan, ſagte es vergnuͤgt, (nach Drouets
Bericht), die Andern moͤgen das Uebrige thun.“


Um dieſe Zeit hoͤrte der edle Mainzer,
Adam Lux, von ihr ſprechen’, wiewohl als
von einer wahnſinnigen alten Betſchweſter,
und ariſtokratiſchen Schwärmerin; aber bald dar-
auf ſchauete ein ſtarkes Herz in ein zweytes; er
begegnete ihr auf ihrem Sieges- und Leichen-
wagen zur Guillotine, und beſtieg ihn bald
darauf ſelber, (am 10ten Oktober) *) weil
[249] er die Heldin und die Freyheit vertheidigt
hatte.


Hier nahm der Praͤſident, da das Gewit-
ter nicht mehr ſeitwaͤrts, ſondern gerade uͤber
ihm ſpielte, Abſchied von uns, und entſchul-
digte ſich.


„Nur eine Minute lang, will ich, begann
der Graf, unterbrechen, um mit Ihnen an
das bedeckte verſchattete Grabmahl dieſes herr-
lichen Adam Lux, einer Roͤmer-Seele, einer
Herrmanns-Eiche zu treten, um daran ein
altdeutſches Leben wieder zu leſen, wie es jetzt
wenige fuͤhren. Lux, ein Landmann und gluͤck-
licher Vater war als ein Mainzer Abgeſandter
nach Paris gegangen, um (friedlicher als ſpaͤ-
ter geſchehen) ſein Vaterland an Frankreich
anzureihen. Er hatte aber in ſeiner Catos-
Bruſt mehr mitgebracht, als er finden konnte
im damaligen Pariſer Blut-Sumpf; eine ganze
roͤmiſche und griechiſche Vergangenheit und
Rouſſeaus eingeſognen Geiſt und die Hoffnung
einer ſteigenden ſiegenden Menſchheit. Da er
nun kam und ſah, ſo gingen ihm die Freuden
[250] und Hoffnungen unter, und er behielt nichts
als ſich, ſein deutſches Herz; nur die verjag-
ten an der Zeit reifenden Girondiſten waren
mit ihren Wunden Balſam fuͤr die ſeinige.
Forſter und andere Freunde hielten ihn muͤh-
ſam ab, daß er ſich nicht zum Beweiſe zugleich
ſeiner Treue und Troſtloſigkeit vor dem Kon-
vente den Dolch in die hart ausgepluͤnderte
Bruſt einſtieß. Nun konnte er nichts weiter
thun (ehe Corday den ihrigen ergriffen), als
ſtill und feſt ſeyn und mit der warmen Bruſt
auf den freſſenden Wunden ruhen; ins Holz
von Boulogne verbarg er ſich und las Brutus
Briefe an Cicero; ſein Angeſicht blieb falten-
los, ſogar heiter; denn die hohe Seele hoffet
laͤnger das Hohe, als die niedere, und wenn
am Hügel ſchon der Schatten liegt, ſo gluͤhet
der Eisberg noch lange der Sonne nach.


Da begegnete dieſer feſte, von der Zeit
umhuͤllte Geiſt der geopferten, wie opfernden
Corday auf ihrer Treppe zur Gruft, oder
eigentlich bey ihrer Himmelsleiter; er ſah ihr
ſtilles großes Untergehen, und die Henkers-
[251] Entheiligung ihres Hauptes, und den alles
verdrehenden Wahnſinn. — Nun druͤckte ihn
das Leben und die Zeit zu ſchwer; — die
niedergebogne alte Flamme ſeiner Seele loderte
aufwärts, er ſchrieb ein ſehr gemaͤßigtes Blatt
fuͤr Corday, ein zweytes gegen den letzten oder
31ten Wonnemonat, gegen die Vertreiber der
Republikaner.


Er wurde ins Gefängniß la Force ge-
worfen; aber ſein Geiſt und ſeine Zunge blie-
ben frey. Er empfing darin keinen Schmerz
als den von ſeinem wohlmeinenden Bekannten
Wedekind, der ins Journal de montagne,
um ihn zu retten die Luͤge einſchickte, Lux
habe nur aus wirklichem Wahnſinn der Liebe
fuͤr Corday ſo geſchrieben. Aber er foderte
kraͤftig den Widerruf ab und wiederholte da-
mit die deutſche Kaltbluͤtigkeit, womit er in
der fruͤheren Schrift fuͤr Corday, zugleich ſie
bewundert und getadelt hatte. Man bot ihm
fuͤr Verſtummen leibliche Freyheit an; er ver-
warf den ekeln Köder, und ſprach nicht nur
fort, ſondern drang durch Briefe bey den
[252] Wohlfahrts- und Sicherheits-Ausſchuͤſſen und
bey dem Praͤſidenten und dem oͤffentlichen An-
kläger des Revolutions-Tribunales *) immer
waͤrmer darauf, daß man ihn vor Gericht be-
ſcheide. — — Endlich erfüllte man dem Hals-
ſtarrigen am 10. Okt. morgens ſeine Foderung;
Abends um 4 Uhr war er da, wo er hinge-
hörte, im Lande einer dauerhaften Freyheit
bey dem Genius, der ihn mit dieſem himmli-
ſchen Herzen herunter geſchickt.


Und kein Deutſcher vergeſſe ihn! — Aber
wie wird alles im Rauſchen der fortziehenden
Zeit uͤbertäubt und vergeſſen! Welche hohe
Geſtalten ſtiegen nicht aus dem unreinen
Strome und glaͤnzten, und ſanken; wie Waſ-
ſerpflanzen in die Hoͤhe gehen, um zu bluͤhen,
und dann mit Fruͤchten beladen unter ſin-
ken!“ — —


Ich fuhr fort: Er ſtarb rein und groß
zugleich. Dieß war ſchwer in einer Zeit wie
die ſeinige; denn durch die gewaltſamen ein-
[253] muͤthigen Bewegungen eines Volks, wird
leicht das zarte moraliſche Urtheil wie durch
ein Erdbeben, die Magnetnadel entkraͤftet und
verruͤckt. Der Geiſt der Zeit, von welchem je-
der durch ſeinen einzelnen ſich rein zu halten
glaubt, beſteht ja aus nichts, als vielen ein-
zelnen Geiſtern; und jeder iſt fruͤher der Schuͤ-
ler als der Lehrer des Jahrhunderts, wie
fruͤher ein Sohn als ein Vater; nur aber,
daß weil wir die Farbe des ſaͤkulariſchen Gei-
ſtes blos in groſſen Maſſen ſpuͤren, jene uns
aus den einzelnen Weſen, woraus ſie allein
zuſammenfließt, verſchwindet; wie ein einziges
aus dem grauen Welt-Meer geſchoͤpftes Glas
Waſſer rein und hell zu ſeyn ſcheint. — Auch
uͤber den feſten Mainzer, der ungleich dem
Revoluzionshaufen, nicht nur Segel, ſon-
dern auch Anker hatte, regiert ein Geiſt der
Zeit, oder vielmehr ein Geiſt des Volks, —
er war ein Deutſcher.


„Ich ſehne mich wieder, ſagte der Graf,
nach der großen Corday; ihr Bild vor mir
thut mir ſo wohl wie der jetzige Donner uͤber
[254] uns, es blickt ja ſo heiter-ruhig als wär’ es
das Urbild, in die Blitze.“


Den dritten Tag der Gefangenſchaft —
den Corday den zweyten nach ihrer thaͤtigen
Vorbereitung zur innern Ruhe nennt — ſchrieb
ſie die unvergeßlichen Briefe an Barbaroux
und an ihren Vater. Ihr Urtheil darin uͤber
den todten Marat hatte noch die alte feſte
Strenge, von keiner Weichherzigkeit für eine
Leiche beſtochen. Auf gleiche Weiſe gab ſie
dem Revoluzionstribunal auf die Frage: wie
ſie Marat fuͤr ein Ungeheuer halten können,
da er ihr nach ihrer ſchriftlichen Klage uͤber
Verfolgung, den Zutritt geſtattet, zur Ant-
wort: „was ſey denn das, gegen ſie menſchen-
freundlich und gegen alle Menſchen ein Wuͤth-
rich geweſen zu ſeyn?“ — Sie bat in ihrem
zweyten Briefe ihren Vater um Verzeihung
ihrer Aufopferung, und ſagte: „Freuen Sie
ſich, daß Sie einer Tochter das Leben gaben,
die zu ſterben weiß. Mich beweine keiner mei-
ner Freunde! Ihre Thraͤnen wuͤrden mein An-
denken beflecken, und ich ſterbe gluͤcklich.“


[255]

Den Brief an Barbaroux endigte ſie mit
den Worten: morgen um 5 Uhr faͤngt mein
Prozeß an; und ich hoffe an demſelben Tage
in Elyſium mit Brutus und einigen andern
Alten zuſammen zu kommen; denn die Neuern
reitzen, da ſie ſo ſchlecht ſind, mich nicht.“


Mittwochs den 17ten ſtand ſie vor dem
blutigen Revoluzionstribunal. Was ſie davor
und uͤberall bisher ſagte, wuͤrde aus einem
andern Munde wie erhabene Spruͤche klingen;
aber wer im Großen einmal lebt, der zeigt
unbewußt und unangeſtrengt nichts als ſeine
Erhoͤhung, und er bewohnt blos die Ebene
auf einem Gebirge. Wenn indeß die ſo ſanfte
Geſtalt dem Alba’s Blutrathe ſo ſchneidend
und ſtrafend antwortete: ſo denke man daran,
daß kein edler Mann weniger thun koͤnnte,
der nun die aufgeblaſenen befleckten Richter
ſo vieler unbefleckten Seelen auf einmal vor
ſich ſaͤhe; Leute, der Koͤnigsſchlange gleich,
die ſich mit ihren Ringen in Geſtalt eines
traͤnkenden Brunnens aufmauert, um die
[256] Thiere anzulocken und dann erquetſchend zu
umwickeln.


Cordays Leben hatte nur noch eine freye
Minute- und in dieſer gab ſie auf lauter
ſchlechte Fragen dieſe Antworten: „Alle Recht-
ſchaffene ſind meine Mitſchuldigen — Die
Franzoſen haben nicht Energie genug, um Re-
publikaner zu ſeyn *)“ — Und nach einer
Verwechslung **) mit einer andern Frau, die
den Fleiſcher Legendre ſprechen wollen, verſetzte
ſie: „Ihr begreift doch, daß man nicht zwey
ſolche Thaten auf einmal verrichtet, und mit
Marat mußte man beginnen.“ —


Sie empfing ihr Todesurtheil vom Rich-
ter ſo heiter, als ſie es einen Monat fruͤher
uͤber ſich ſelber ausgeſprochen hatte. Sie dankte
ihrem Vertheidiger, dem Buͤrger Cheauveau,
fuͤr ſeine muthige Vertheidigung, und ſagte,
ſie koͤnn’ ihn nicht belohnen, bitt’ ihn aber
als ein Zeichen ihrer Achtung den Auftrag an-
[257] zunehmen, fuͤr ſie eine kleine Schuld im Ge-
faͤngniß zu bezahlen.


Abends beſtieg ſie ihren Leichenwagen, auf
dem ſie den ſchleichenden Weg zum Sterbebette
zwey lange Stunden machte, angeziſcht und
angeheult vom Volk, fuͤr das ſie ſterben wollte.
Sie war bitter-allein, ohne irgend einen Ver-
wandten ihres Herzens oder ihres Schickſals.
Blos unbewußt begegnete ſie in der Straße
St. Honoré dem, der das eine war, und das
andere wurde, dem Adam Lux aus Mainz.
O warum mußte ihr Blick, der die anhoͤh-
nende Menge vergeblich nach einem gleichflam-
menden Herzen durchſuchte, dieſen Bruder
ihres Innern nicht finden und kennen, warum
blieb ihr die letzte Entzuͤckung der Erde ver-
weigert, die Ueberzeugung oder der Anblick,
daß der Glaubensgenoße und Vertheidiger ih-
res Herzens, und der kuͤnftige Maͤrtyrer ihrer
That ſie jetzt begleite an ihr Grab, dann in
daſſelbe, und daß eine edle Seele der ihrigen
Zweyter Theil. 17
[258] nachweine, und darauf nachziehe? — Und
er war ihr ſo nahe, und ſah ihre letzte Mi-
nute! Aber er hatte das Gluͤck verdient, ſie
ſterben zu ſehen. Die ganze Fruͤhlingswelt
in des Republikaners Herz bluͤhte wieder auf,
da er dieſe Ruhe der Verklaͤrung auf der ju-
gendlichen Geſtalt im rothen Sterbekleide *),
dieſe auf dem langen Todeswege unverruͤckte
Unerſchrockenheit in den ſtolzen und durchdrin-
genden Augen, und wieder dieſe unter dem
ewigen Verhöhnen zaͤrtlichen mitleidigen und
feuchten Blicke ſah, deren Engelshuld ſeinem
ſo männlichen Herzen eben ſo bitter war, als
ſuͤß. — Nein, wer ein ſolches Weſen leben
und leiden ſah, kann es nicht beweinen, nur
nachahmen; das vom Wetterſtrahle der Be-
geiſterung getroffne Herz, duldet nichts Ir-
diſches mehr an ſich; ſo wie bey den großen
Alten die vom heiligen Blitze des Himmels ge-
troffne Stelle nicht mehr betreten und uͤber-
baut werden konnte. —


[259]

„Wär’ es denn Suͤnde, ſagte der Graf,
wenn man nach gewißen Gedanken keine mehr
denken wollte? Wenn ich jetzt herzlich wuͤnſchte,
daß mir gegenuͤber dem Bilde dieſer Uranide
der große ſchoͤne Donner das kahle Leben aus-
loͤſchte? Waͤr’ dieß Suͤnde? Ach warum muß
der arme Erdenſohn meiſtens in Wintern aller
Art ſterben, ſelten im Feuer und Fruͤhling?“


Freundlich und ruhig beſtieg Charlotte Cor-
day, fuhr ich fort, die Trauerbuͤhne, wo ſie
dieſen Erdennamen ablegte, und grüßte die
wilden Thiere unter dem Geruͤſte ſo ſanft,
daß ſogar dieſe zahm ſich niederlegten. Laſſet
uns nicht lange auf dieſer blutigen Stelle ver-
weilen, wo ſo viele Seufzer und Schmerzen
wohnen und nachtoͤnen; und Du ſelber Char-
lotte haſt hier die letzten uͤber dieſes Schlacht-
feld des wuͤrgenden Marats, uͤber dieſes
Erbbegraͤbniß freyer Herzen empfunden! —
Ein Wuͤrger nahm ihr die jugendlichen Locken,
enthuͤllte das jungfraͤuliche Herz, das noch ein-
mal in der blaßen Todesſtunde das keuſche
[260] Blut auf die verſchaͤmten Wangen trieb —
und legte das bluͤhende Leben unter die auf-
geſpannte Parzenſcheere — und es entflog in
die ewige Welt . . . . O nur nicht mehr
als einen Augenblick habe der Erdenſchmerz,
der Erdentod den hohen Geiſt verfinſtert, wie
der Berggipfel die Sonne des laͤngſten Som-
mertags nur eine Minute verdeckt, zwiſchen
ihrem Unter- und Aufgang! — Du aber,
edler Mainzer, gehe nun mit deiner entbrann-
ten Seele heim, und ſage noch einmal die
kuͤhne Wahrheit, und kehre dann auf dieſes
Sterbegeruͤſte zuruͤck! — Und niemand von
uns weine uͤber die Hohe, ſondern er opfere
wie ſie, was Gott von ihm begehrt, es ſey
das Leben oder weniger! —


Die Erzaͤhlung war geendigt. Ich faßte
die Hand des Grafen, der weinend ſeinen
Mund auf Cordays Bild gedruͤckt. Das
Gewitter hing brauſend auf uns herein und
ſchien vom unaufhoͤrlichen Blitze wie uͤber-
ſchleyert, oder verfluͤchtigt. Auf einmal trat
[261] in Weſten unten an den Wetterwolken, die
ſtille Abendſonne heraus, wie ein großes aber
wolkennaſſes Auge, und wir ſahen die wei-
nende nieder gehen; und dachten ſchweigend
laͤnger uͤber Helden und Heldinnen der Frey-
heit nach.


[262]

XII.
Die Vernichtung.


Eine Viſion.


Jede Liebe glaubt an eine doppelte Unſterb-
lichkeit, an die eigne und an die fremde. Wenn
ſie fuͤrchten kann, jemals aufzuhoͤren, ſo hat
ſie ſchon aufgehoͤrt. Es iſt fuͤr unſer Herz
einerley, ob der Geliebte verſchwindet, oder
nur ſeine Liebe. Der Zweifler an unſerer
Ewigkeit leihet, wenn ein ſchoͤnes Herz vor
ihm auf ewig auseinander bricht, wenigſtens
[263] der Vollkommenheit deſſelben, um es fortzu-
lieben, in einem hoͤchſten Weſen Unvergaͤng-
lichkeit und findet den Liebling, der unter der
dunkeln Erde zuſammen ſinkt, in einem durch-
brochnen Sternbilde am Himmel wieder.


Der Menſch — der ſich immer zu ſelten
und Andere zu oft befragt — hegt nicht nur
heimliche Neigungen, ſondern auch heimliche
Meinungen, deren Gegentheil er zu glauben
waͤhnt, bis heftige Erſchuͤtterungen des Schick-
ſals oder der Dichtkunſt vor ihm den bedeckten
Grund ſeines Innern gewaltſam entbloͤßen.
Daher wird es uns leicht, die Ueberſchrift dieſes
Aufſatzes kalt zu leſen, oder gar die Vernichtung
anzunehmen und zu begehren; aber wir zittern,
wenn unſer Herz uns den grauſamen Inhalt des
Wahns aufdeckt, daß die Erde, auf, und in
die wir alle unſer geſunkenes Haupt zur Ruhe
legen wollen, nichts ſey, als der breite Ent-
hauptungsblock der blaßen gebuͤckten Menſchen,
wenn ſie aus dem — — Gefängniß kom-
men. Alsdann zuͤndet (wie öfter) die Waͤrme
des Herzens wider Licht in der Nacht des
[264] Kopfes an, ſo wie Thiere, die das Leben durch
einen elektriſchen Funken verloren, der in den
Kopf ſprang, es durch einen zweyten wieder-
finden, den man in die Bruſt leitete *) — —


Ottomar lag im aͤußerſten Hauſe eines
Dorfs, aus dem man die Ausſicht auf ein noch
unbegrabenes Schlachtfeld hatte, an einem
giftigen Faulfieber ohne Hoffnung darnieder.
In jeder Nacht trieb ſein heißes erſchuͤttertes
Herz das aufgeloͤſete Blut, wie einen Hoͤllen-
fluß, voll zerrißener ungeheurer Bilder vor
ſeinem Geiſte vorbey, und der dunkele reißende
Strom aus Blut ſpiegelte den durchwuͤhlten
Nachthimmel und zerſtuͤckte Geſtalten, und
zerrinnende Blitze ab. Wenn der Morgen
kühlend wieder kam, und wenn das Gift des
Fiebertarantelſtichs aus dem muͤden Herzen
verflogen war: ſo tobte jetzt vor ihm das un-
bewegliche Gewitter des Kriegs mit unaufhör-
lichen Blitzen und Schlägen; und dieſe blu-
tigen durchbohrten Bilder ſtanden dann in ſei-
[265] nen mitternaͤchtlichen Phantaſien vor ihm als
Leichen auf.


In der Mitternacht, die ich jetzt beſchrei-
ben will, erreichte ſein Fieber die kritiſche und
ſteile Höhe zwiſchen dem Grabe und dem Le-
ben. Seine Augen wurden Vergrößerungs-
ſpiegel in einem Spiegelzimmer, und ſeine
Ohren Hoͤr-Roͤhre in einem Sprachgewoͤlbe —
ſein Krankenwaͤrter ſtreckte Rieſenglieder vor
ihm aus — die wimmelnden Geſtalten des
uͤbermahlten Bettvorhangs wurden dick und
blutroth und ſchoßen auf und fielen in einem
Schlachtgetuͤmmel einander an — eine ſiedende
Waſſerhoſe zog ihn in ihren ſchwuͤlen Qualen
hinauf, und ruͤckte ihn brauſend und wetter-
leuchtend uͤber Meere weiter — und unten
aus dem tiefſten Innerſten krochen kleine
ſcharfe Geſpenſter, die ihn ſchon in dem Fie-
ber der Kinderjahre verfolgt hatten, mit kle-
brigen kalten Kroͤtenfuͤßen, an der warmen
Seele herauf und ſagten: wir quaͤlen dich
allemal! —


[266]

Ploͤtzlich, als das verfinſterte Herz ſich
aus dem heißen Krater des Fiebers zuruͤckrol-
lend hinauf arbeitete, uͤberzog die Stubendecke
der gelbe Wiederſchein einer nahen Feuersbrunſt.
Sein trocknes heißes Auge ſtarrte halb ge-
ſchloſſen die erleuchteten durchſichtigen Bilder
ſeines Vorhangs an, die mit der fernen Lohe
flatterten. Auf einmal dehnte eine Geſtalt ſich
unter ihnen aus mit einem leichenweißen un-
beweglichen Angeſichte, mit weißen Lippen,
mit weißen Augenbraunen und Haaren. Die
Geſtalt ſuchte den Kranken mit gekruͤmmten
langen Fuͤhlhoͤrnern, die aus den leeren Au-
genhölen ſpielten. Sie wiegte ſich naͤher, und
die ſchwarzen Punkte der Fuͤhlhoͤrner ſchoßen
wie Eisſpitzen, kalt wehend um ſein Herz.
Hier trieb es ihn mit kaltem Anhauchen ruͤck-
waͤrts; und ruͤckwaͤrts durch die Mauern und
Felſen, und durch die Erde, und die Fuͤhl-
hörner zuckten wie Dolche um ſeine nackte
Bruſt, und wie er ruͤckwaͤrts ſank — brach
die Welt vor ihm ein — und die Scherben
zerſchlagner Gebirge, der Schutt ſtaͤubender
[267] Huͤgel fiel danieder — und Wolken und Monde
zerfloßen wie fallender Hagel im Sinken —
und die Welten fuhren in Bogenſchuͤßen uͤber
die leichenweiße Geſtalt herab, und Sonnen
von ergriffenen Erden umhangen, ſanken in
einem langen ſchweren Fall danieder — und
endlich ſtaͤubte noch lange ein Strom von
Aſche nach …


Weiße Geſtalt, wer biſt du? ſagte end-
lich der Menſch. „Wenn ich mich nenne, ſo
biſt du nicht mehr“, ſagte ſie ohne die Lippen
zu regen, und kein Ernſt, keine Freude, keine
Liebe, kein Zorn war noch auf dem marmor-
nen Geſichte geweſen und die Ewigkeit ging
voruͤber, und veränderte es nicht. Sie draͤngte
ihn auf einen engen Steig, der aus den Erd-
ſchollen gemacht war, die unter das Kinn der
Todten gelegt werden; der Weg durchſchnitt
ein blutiges Meer, aus welchem graue Haare,
und weiße Kinderfinger wie Bluͤthen an Waſ-
ſerpflanzen blickten, und er war mit bruͤtenden
Tauben und naßen Schmetterlings-Fluͤgeln,
und Nachtigalleneyern und Menſchenherzen uͤber-
[268] deckt, und die Geſtalt zerquetſchte alle durch
Daruͤberſchweben, und ſie zog ihren langen
grauen, auf dem weiten Blute ſchwimmenden
Schleyer nach, der aus der naſſen Leinwand
gemacht war, die uͤber den Augen der Todten
gelegen. — — Und die rothen Wogen ſtiegen
um den bangen Menſchen auf, und der ein-
kriechende Weg ging nur noch uͤber kalte,
glatte Erdſchwaͤmme, und endlich blos uͤber
eine lange kalte glatte Natter ....


Er glitt herab, aber ein Wirbelwind
wandte ihn herum, vor ihm breitete ſich un-
abſehlich eine ſchwarze Eisſcholle aus, auf der
alle Voͤlker lagen, die auf der Erde geſtorben
waren, ſtarre eingefrorne Leichenheere — und
tief unten im Abgrund laͤutete ein Erdbeben
ſeit der Ewigkeit ein kleines geborſtenes Glöck-
chen; es war die Todtenglocke der Natur. — —
„Iſt das die zweyte Welt?“ fragte der troſt-
loſe Menſch. Die Geſtalt antwortete: „die
zweyte Welt iſt im Grabe zwiſchen den Zaͤh-
nen des Wurms.“ — — Er blickte auf, um
einen troͤſtenden Himmel zu ſuchen, aber uͤber
[269] ihm ſtand ein feſter ſchwarzer Rauch, das aus-
gebreitete Bahrtuch, das zwiſchen den Welten-
Himmel, und zwiſchen dieſe duͤſtere froſtige
Luͤcke der Natur gezogen war; und der Schutt-
haufen der Vergangenheit dampfte aus der
Tiefe auf, und machte das Leichentuch ſchwaͤr-
zer und breiter. — — Jetzt lief der Wider-
ſchein einer hinabfallenden entzuͤndeten Welt,
mit einem rothen Schatten uͤber die finſtere
Decke, und eine ewige Windsbraut verwehte
ſinkende Klagſtimmen herein.


„Wir haben gelitten, wir haben gehofft;
aber wir werden gewuͤrgt. — Ach Allmaͤchti-
ger, ſchaffe nichts mehr!“


Ottomar fragte: wer vernichtet ſie dann?—
Ich! ſagte die Geſtalt, und trieb ihn unter
die eingefrornen Leichenheere, unter die Lar-
venwelt der vernichteten Menſchen. Wenn die
Geſtalt vor einer entſeelten Maske voruͤber-
ging, ſo ſpritzte aus dem zugefallenen Auge
ein blutiger Tropfe, wie ein Leichnam blutet,
wenn ihm der Mörder nahe tritt. Er wurde
unaufhaltſam durch das ſtumme Trauergefolge
[270] der Vergangenheit hindurch gefuͤhret, durch
die morſche Weſenkette, durch das Schlachtfeld
der Geiſter. Da er ſo vor allen eingeaͤſcherten
Geſchwiſtern ſeines Herzens vorbeyging, in de-
ren Angeſicht noch die zerrißenen Hoffnungen
einer Vergeltung ſtanden, — und vor den
armen Kindern mit glatten Roſenwangen, und
mit dem erſtarrten erſten Laͤcheln, und vor
tauſend Muͤttern mit den eingeſargten Saͤug-
lingen auf dem Arm — und da er ſah die
ſtummen Weiſen aller Voͤlker mit der erloſche-
nen Seele, und mit dem erloſchenen Licht der
Wahrheit die unter dem uͤber ſie geworfenen
Leichentuche verſtummt wie Singvögel, wenn
wir ihr Gehaͤuſe mit einer Huͤlle verfinſtern —
und da er ſah die verſteinerten Leidtragenden
des Lebens, die unzähligen welche gelitten bis
ſie ſtarben, und die andern, die ein kurzes
Entſetzen zerriß — und da er ſah die Ange-
ſichte derer, die vor Freude geſtorben waren,
und denen noch die tödtliche Freudenthraͤne hart
im Auge hing — und da er ſah, alle From-
men der Erde ſtehen mit den eingedruͤckten
[271] Herzen, worin kein Himmel und kein Gott
und Gewißen mehr wohnte — und da er
ſah wieder eine Welt herunterfallen, und ihre
Klagſtimmen voruͤber weheten: „o! wie ver-
geblich, wie ſo nichtig iſt der Jammer und der
Kampf und die Wahrheit und die Tugend
des Lebens geweſen; — und da endlich ſein
Vater mit der eiſernen Kugel erſchien, welche
die Leichen des Weltmeers, einſenkt, und da
er aus dem weißen Augenliede eine Blutzaͤhre
druͤckte: ſo rief ſein zu kaltem Grimm gerin-
nendes Herz: „Geſtalt aus der Hoͤlle, zertritt
mich nur bald; das Vernichten iſt ewig, es
leben nur Sterbende und Du. — Leb’ ich noch,
Geſtalt?“


Die Geſtalt trieb ihn ſanft, an den Rand
des immer weiter gefrierenden Eisfeldes. In
der Tiefe ſah er den Schutt von Gehaͤuſen
zerdruͤckter Thierſeelen, und in den Hoͤhen
hingen zahllos die Eisſtrecken, mit den Ver-
nichteten aus höhern Welten, und die Leiber
der todten Engel waren oft aufrechte Sonnen-
ſtrahlen, oft ein langer Ton, oder ein unbe-
[272] weglicher Duft. — Blos uͤber der Kluft nahe
dem Todtenreiche der Erde ſtand allein auf
einer Eisſcholle ein verſchleyertes Weſen — und
als die weiße Geſtalt voruͤber zog, hob ſich
ſelber der Schleyer auf — es war der todte
Chriſtus ohne Auferſtehung mit ſeinen Kreu-
zes-Wunden, und ſie floßen alle wieder, we-
gen der Naͤhe der weißen Geſtalt! — —


Ottomar ſtuͤrzte auf die brechenden Knie,
und blickte auf, zum ſchwarzen Gewoͤlke und
betete: „O guter Gott bringe mich wieder
auf meine gute Erde, damit ich wieder vom
Leben träume!“ und unter dem Beten flohen
die rothen blutigen Schatten geſtuͤrzter Erden
uͤber das weite Leichentuch aus feſtem Rauch.
Jetzt ſtreckte die weiße Geſtalt ihre Fuͤhlhoͤr-
ner verlaͤngert wie Arme gen Himmel und
ſagte: „ich ziehe die Erde herab, und dann
nenne ich mich dir.“


Indem die Fuͤhlhoͤrner mit ihren ſchwarzen
Enden immer höher ſtiegen und zielten, wurde
ein kleiner Spalt des Gewoͤlkes licht und er
riß endlich aus einander, und unſere tau-
[273] melnde Erde ſank fliehend hindurch, gleichſam
zum ziehenden greifenden Rachen einer Klap-
perſchlange herunter. Und indem die umnebelte
Kugel naͤher fiel, regnete es Blut und Thraͤ-
nen auf ihr in ihr rothes Meer, weil Schlach-
ten und Martern auf ihr waren.


Die graue enge Erde ſchwankte durchſichtig
mit ihren regen jungen Voͤlkern nahe über
den ſtarren — ihre Axe war ein langer Sarg
aus Magnetſtein mit der Ueberſchrift: Die
Vergangenheit; und im Erdkern ſchwebte
ein rundes Feuer, das den Schluͤßel des lan-
gen Sarges ſchmolz — die Lilien- und Bluͤ-
thenbeete der Erde waren Schimmel — ihre
Fluren waren die gruͤne Haut auf einer feſten
Moderlache — ihre Waͤlder waren Mooſe und
ihr ſpitzer Alpengurt ein Stachelrad, ihre Uh-
ren ſchlugen in einem fort aus und die Stun-
den wurden eilig Jahrhunderte und kein Le-
ben dehnte die Zeit aus — man ſah die Men-
ſchen auf der Erde wachſen, und dann roth
und lang werden, und dick und grau ſich buͤk-
ken und hinlegen. Aber die Menſchen auf
Zweyter Theil. 18
[274] der Erde waren ſehr zufrieden. — Auf ihr
ſprang wohl der Todesblitz regellos unter den
ſorgloſen Voͤlkern umher, bald auf das heiße
Mutterherz, bald auf die glatte runde Kindes-
ſtirn, bald auf die kalte Glatze oder auf die
warme Roſenwange. Aber die Menſchen hat-
ten ihren ſanften Troſt, die ſterbenden Gelieb-
ten, die begrabenden und die weinenden Au-
gen, hingen leicht an den brechenden, Freund
an Freund, Eltern an Kindern, und ſie ſag-
ten: ſo zieht nur hin, wir kommen ja wieder
zuſammen hinter dem Tode! und ſcheiden nicht
mehr.


„Ich will dir zeigen,“ ſagte die Geſtalt,
„wie ich ſie vernichte.“ Ein Sarg wurde
durchſichtig — im weichen Gehirn des darin
zuſammenfallenden Menſchen, blickte noch
das lichte Ich, vom Moder uͤberbauet, von
einem kalten finſtern Schlaf umwickelt und
vom zerſprungenen Herzen abgeſchnitten. Ot-
tomar rief: „luͤgende Geſtalt, das Ich glimmt
noch — wer zertritt den Funken?“ — Sie
antwortete: „das Entſetzen! — Sieh hin!“
[275] Eine Dorfkirche hatte ſich geſpaltet: ein bleyer-
ner Sarg ſprang auf, und Ottomar ſah ſei-
nen Koͤrper darin abbroͤckeln und das Gehirn
berſten; aber kein lichter Punkt war im offenen
Haupte. Nun machte die Geſtalt ihn ſtarr
und ſagte: „ich habe dich aus dem Gehirn
herausgezogen — du biſt ſchon lange geſtor-
ben,“ — um umgriff ihn ſchnell und ſchnei-
dend mit den kalten metallenen Fuͤhlhoͤrnern
und lispelte: entſetze dich, und ſtirb, ich bin
Gott …


Da ſtuͤrzte eine Sonne herein, die den
weiten Himmel einnahm, und zerſchmolz die
Eiswuͤſte, und das Larvenreich, und flog ihren
unendlichen Bogen brauſend weiter, und ließ
eine Fluth von Licht zuruͤck, und der durch-
ſchnittne Aether klang mit unermeßlichen Sai-
ten lange nach. Ottomar ſchwamm in Aether
rings mit einem undurchſichtigen Schneegeſtoͤ-
ber aus Lichtkuͤgelchen uͤbergoſſen; zuweilen
ſchnitt der Blitz einer fliegenden Sonne durch
die weiße Nacht herab, und eine ſanfte Gluth
wehte dann voruͤber. Der dichte weite Licht-
[276] nebel wallete auf den Toͤnen des Aethers und
ſeine Wogen bewegten den Schwebenden. End-
lich ſank der weite Nebel in Lichtflocken nie-
der — und Ottomar ſah die ewige Schoͤpfung
rings um ſich liegen, uͤber ihm und unter ihm
zogen Sonnen, und jede fuͤhrte ihre blumigen
Erdenfruͤhlinge an ſanften Strahlen durch den
Himmel.


Der zuſammengeſunkene Sonnenduft wal-
lete ſchon weit im Aether als eine blitzende
Schneewolke hinab, aber den Sterblichen hielt
noch im Himmelsblau ein langer Lautenton
auf ſeinen Wellen empor: da hallete es ploͤtz-
lich durch den ganzen grenzenloſen Aether hin-
durch als liefe die allmaͤchtige Hand uͤber das
Saitenſpiel der Schöpfung hinuͤber. In allen
Welten war ein Nachklang wie Jauchzen; un-
ſichtbare Fruͤhlinge flogen mit ſtrömenden Duͤf-
ten voruͤber; ſeelige Welten gingen ungeſehen
mit dem Lispeln einer uͤbervollen Wonne nahe
vorbey; neue Flammen flatterten in die Son-
nen; das Meer des Lebens ſchwankte als hoͤbe
ſich ſein unermeßlicher Boden; ein warmer
[277] Sturm wuͤhlte Sonnenſtrahlen und Regenbo-
gen und Freudenklaͤnge, und Wolken aus Ro-
ſenkelchen unter einander. — Auf einmal wurd’
es in der Unermeßlichkeit ſtill, als ſtuͤrbe die
Natur an einem Entzuͤcken — und ein weiter
Glanz, als wenn der Unendliche durch die
Schoͤpfung ginge, lief uͤber die Sonnen, uͤber
die Abgruͤnde, über den bleichen Regenbogen
der Milchſtraße und über die Unermeßlichkeit —
und die ganze Natur bewegte ſich in einem
ſanften Wallen, wie ſich ein Menſchenherz be-
wegt und hebt, wenn es verzeihen will — — —
Da that ſich vor dem Sterblichen ſein Inner-
ſtes, wie ein hoher Tempel auf, und im Tem-
pel war ein Himmel, und im Himmel eine
Menſchengeſtalt die ihn anblickte mit einem
Sonnenauge voll unermeßlicher Liebe. Sie
erſchien ihm und ſagte: „ich bin die ewige
Liebe, du kannſt nicht vergehen;“ und ſie ſtaͤrkte
das zitternde Kind, das vor Wonne ſterben
wollte. Der Sterbliche ſah durch heiße Freu-
denthraͤnen dunkel die unnennbare Geſtalt —
ein nahes warmes Wehen ſchmolz ſein Herz —
[278] und es zerfloß in lauter Liebe, in grenzenloſe
Liebe — und die Schoͤpfung drang erblaßend
aber nah an ſeine Bruſt — und ſein Weſen
und alle Weſen wurden eine einzige Liebe —
und durch die Liebesthraͤnen ſchimmerte die
Natur als eine bluͤhende Aue herein, und die
Meere lagen darauf wie dunkelgruͤner Regen,
und die Sonnen wie feuriger Thau — und
vor dem Sonnenfeuer des Allmächtigen ſtand
die Geiſterwelt als Regenbogen, und die See-
len brachen, von einem Jahrtauſend ins andere
tropfend, ſein Licht in alle Farben, und der
Regenbogen wankte nie, und wechſelte nur die
Tropfen, nicht die Farben. —


Der Alliebende ſchaute an ſeine volle Schoͤp-
fung, und ſagte: „ich lieb’ euch alle von Ewig-
keit — ich liebe den Wurm im Meer und das
Kind auf der Erde, und den Engel auf der
Sonne. — Warum haſt du gezagt? Hab’
ich dir nicht das erſte Leben ſchon gereicht
und die Liebe, und die Freude, und die Wahr-
heit? Bin ich nicht in deinem Herzen?“ — —
Da zogen die Welten mit ihren Todtenglocken
[279] voruͤber, aber wie mit einem Kirchengelaͤute
von Harmonikaglocken zu einem hoͤheren Tem-
pel, und alle Kluͤfte waren mit Kräften, und
jeder Tod mit Schlaf gefuͤllt.


Nun dachte der Uebergluͤckliche ſein dunkles
Erdenleben ſey auch geſchloßen; aber tief un-
ten ſtieg die im Gewoͤlk gekleidete Erde herauf
und zog den Menſchen aus Erde wieder in
ihre Wolken hinein. Der Alliebende huͤllte
ſich wieder in das All. Aber ein Schimmer
lag noch auf einem langen Eisgebirge weit
hinter den Sonnen. Die hohen Eisberge floſ-
ſen am Schimmer ſtrahlend aus einander, ge-
buͤckte Blumen flatterten angeweht uͤber die
zerſchmolzene Mauer auf, ein unabſehliches
Land lag aufgedeckt im Mondlicht weit ins
Meer der Ewigkeit hinein, und er ſah nichts
darin als unzaͤhliche Augen, die heruͤberblick-
ten, und ſeeligweinend glaͤnzten wie ein Fruͤh-
ling voll warmen Regen unter der Sonne
funkelt, und er fuͤhlte am Sehnen und am
Ziehen ſeines Herzens daß es alle ſeine, daß
es alle unſere Menſchen waren, die geſtorben ſind.


[280]

Der Sterbliche blickte, ſchneller auf die
Erde zufallend, mit erhobenen betenden Haͤn-
den, nach der Stelle im Himmesblau empor,
wo der Unendliche ſeinem Herzen erſchienen
war — und ein ſtiller Glanz hing unverrückt
an der hohen Stelle. Und als er noch ſchwe-
rer den erleuchteten weichenden Dunſt unſerer
Kugel betrat und zertheilte: ſtand noch immer
der Glanz im Aether feſt, nur tiefer an der
umrollenden Erde ....


Und da er unſern kalten Boden beruͤhrte,
erwachte er; aber der feſte Glanz ſtand im
blauen Oſten noch, und war die — Sonne.


Der Kranke ſtand unten im Garten, der
erſte, herbe giftige Traum hatte ihn hinab-
gedraͤngt — die Morgenluft wehte — das
Feuer war geloͤſcht — ſein Fieber war geheilt
und ſein Herz in Seelenruhe.


Und wie die Qual des Fiebers den hoͤlli-
ſchen, und der Sieg der Natur den himmli-
ſchen Traum gebohren; und wie wieder der
folternde Traum den Scheidepunkt, und der
[281] labende die Geneſung beſchleunigt hatte: ſo
werden auch unſere geiſtigen Träume unſere
Seelenfieber nicht blos entzuͤnden, ſondern
auch heilen und die Geſpenſter unſeres Her-
zens werden verſchwinden, wenn wir von ſei-
nen Gebrechen geneſen.


[282]

XIII.
Polymeter.


Das Menſchen-Herz.


Mir traͤumte, ich waͤre unnennbar ſeelig,
aber ohne Geſtalten, und ohne alles, und ohne
Ich, und die Wonne war ſelber das Ich. Als
ich erwachte ſo rauſchte und brannte vor mir
der Fruͤhling mit ſeinen Freudenguͤſſen, wie
ein von der Morgenſonne durchſtrahlter Waſ-
ſerfall, die Erde war ein aufgedeckter Götter-
tiſch und alles war Bluͤte, Klang und Duft
und Luſt. Ich ſchloß froh weinend das Auge
und ſehnte mich nach meinem Traume wieder.


Die Menſchenfreude.


Stets zwiſchen zwey Diſteln reift die Ana-
nas. Aber ſtets zwiſchen zwey Ananaßen reift
[283] unſere ſtechende Gegenwart, zwiſchen der Er-
innrung und der Hoffnung.


Der Eichenwald.


Fälle meinen heiligen Eichenwald nicht, o
Fuͤrſt, ſagte die Dryade, ich ſtrafe dich hart.
Er faͤllte ihn aber. Nach vielen Jahren mußte
er ſein Haupt auf den Richtblock hinſtrecken
und er ſah den Block aufmerkſam an und
rief: er iſt von Eichenholz.


Der Pfeil des Todes.


Sobald wir anfangen zu leben, druͤckt oben
das Schickſal den Pfeil des Todes aus der
Ewigkeit ab — er fliegt ſo lange als wir ath-
men, und wenn er ankommt, ſo hoͤren wir
auf. „O ſtuͤrben wir doch auch ſo alt, und
lebensſatt wie unſer Jubel-Greis!“ ſagen dann
diejenigen, deren Pfeile noch fliegen.


Aehrenleſen armer Kinder.


Seht hier Bluͤten, die ſchon Fruͤchte tragen!


[284]

Die Thraͤnen.


Wir haben alle ſchon geweint, jeder Gluͤck-
liche einmal vor Weh, jeder Ungluͤckliche ein-
mal vor Luſt.


Voͤlker-Proben.


Nur mit den gewaltigen Brennſpiegeln
werden Edelſteine unterſucht, mit Eroberern
die Voͤlker.


Der Eroberer.


O wie gleichſt du ſo oft deinem Rom! Voll
eroberter Weltſchaͤtze, voll Goͤtterbilder und
Groͤßen, biſt Du mit Oede und Tod umge-
ben — nichts gruͤnt um Rom als der giftige
Sumpf, alles iſt leer und wild, und kein
Doͤrfchen ſchauet nach der Peterskirche.


Die Blumen auf dem Sarge der Jungfrau.


Streuet nur Blumen auf ſie, ihr bluͤhen-
den Freundinnen! Ihr brachtet ja ſonſt ihr
Blumen bey den Wiegenfeſten. Jetzt feyert
ſie ihr groͤßtes: denn die Bahre iſt die Wiege
des Himmels.


[285]

Die Treuloſigkeit.


Dem treuen Maͤdchen brach das Herz, nach-
dem ſie den Treuloſen geliebt. Ach, ſagte ſie,
warum bricht es zu ſpaͤt? Der Demant zer-
ſpringt ſchon, wenn ein treuloſes Herz nur
annaht, und warnt das treue.


Die Verkannte.


Ungluͤckliche, Du traͤgſt die Dornenkrone
auf dem blutigen Haupte, doch ewige Roſen
bluͤhen in Deiner Bruſt.


Die Zeiten.


Die Vergangenheit und die Zukunft ver-
huͤllen ſich uns; aber jene traͤgt den Wittwen-
Schleyer und dieſe den jungfraͤulichen.


Der Dichter.


Der Dichter gleicht der Saite, er ſelber
macht ſich unſichtbar, wenn er ſich ſchwingt
und Wohllaut gibt.


Das Leben.


Ihr nennt das Leben mit Recht, die Buͤhne.
Den Geiſtern, die uns zuſchauen, ſind unſere
truͤben Verſenkungen, und frohen Auffluͤge auf
der Buͤhne, keine von beyden, ſondern nur
unſer Spielen.


[286]

Die Treue.


O ich wohne ja in Deinem Auge, ſagte
der kleine Bruder als er ſich im ſchweſterlichen
erblickte. „Und ich wohne gar in Deinem!„
ſagte die Schweſter. — „Gewiß, ſo lange Ihr
euch ſeht, dachte der Vater, denn die Augen
der Menſchen ſind ihren Herzen ähnlich.“


Die Hof- und die Landtrauer.


Nur der Hof und Große duͤrfen um einen
Fuͤrſten oͤffentlich trauern; nun ſo ſey es um
einen Boͤſen. Aber den Landesvater beweine
das ganze Land. Das aͤrmſte Kind iſt ja
ſeine Waiſe.


Der Dichter.


Wohl habe ich Fruͤchte und Blumen zu-
ſammengebunden, wie im Bluͤten-Strauße
auch die reife Pomeranze erſcheint; aber auch
die Frucht iſt nur Bluͤte und der Herbſt duf-
tet mit dem Fruͤhling zugleich.


Der ächte Dichter.


Der Biene gleich, welche zugleich aus der
Blume und an dem Honig ſaugt, und aus
jedem Honig neuen ſchafft, genießet er Freu-
den und Gedichte — und gibt uns Beyde als
neue Gedichte zuruͤck.


[287]

Rath.


Sprecht nicht: wir wollen leiden; denn ihr
muͤßt. Sprecht aber: wir wollen handeln;
denn ihr muͤßt nicht.


Die Politik.


Sie verhuͤllt wohl ſich, aber ſie zeigt der
Welt ihre Todten, ihre Schlachtfelder und
Schlachtſtaͤdte und ihre neuen Fluͤſſe, die ſich
halb aus Blut, halb aus Thraͤnen durch die
Auen ſchlaͤngeln. So geht in Rom die Bruͤ-
derſchaft der Leichen weiß vermummt, aber
ihren Todten traͤgt ſie aufgedeckt und die Mit-
tagsſonne ſcheint auf das kalte blinde Angeſicht.


Der All-Geiſt.


Tauſend Sonnen ſchießen in Augenblicken
uͤber das Feld des Sternrohrs *) und neue
Tauſend fliegen nach. Der All-Geiſt ruht
und ſchauet; und die Sonnen und das All
eilen voruͤber, aber ihr wetterleuchtender Flug
iſt ihm ein unbeweglicher Glanz, und vor ihm
ſteht das verfliegende All feſt.

[[288]]

Appendix A Verzeichniß des Inhalts.


Erſtes Bändchen.


  • Seite
  • Vorrede zum erſten und zweyten Bändchen III.
  • I. D. Katzenbergers Badgeſchichte, erſte
    Abtheilung 3
  • II. Huldigungspredigt vor und unter dem
    Regierungsantritt der Sonne gehal-
    ten am Neujahrsmorgen 1800 vom
    Frühprediger dahier 168
  • III. Ueber Hebels allemanniſche Gedichte 182
  • IV. Rath zu urdeutſchen Taufnamen 189
  • V. D. Fenks Leichenrede auf den höchſtſee-
    ligen Magen des Fürſten von Scheerau 199
  • VI. Die Kunſt einzuſchlafen 214
  • VII. Ueber den Tod nach dem Tode, oder
    der Geburtstag 236

Zweytes Baͤndchen.


  • VIII. D. Katzenbergers Badgeſchichte, letzte
    Abtheilung 3
  • IX. Wünſche für Luthers Denkmal, von
    Muſurus 144
  • X. Das Glück auf dem linken Ohre taub
    zu ſeyn 192
  • XI. Ueber Charlotte Corday, ein Halbgeſpräch 206
  • XII. Die Vernichtung, eine Viſion 262
  • XIII. Polymeter 282

[][][]
Notes
*)
Die Confrérie de la Passions 1380; der Biſchoff von Angers
machte für ſie aus der Paſſion eine Komödie.
*)
Hallers Phyſiologie. B. 6.
*)
Flögels Geſchichte der komiſchen Literatur.
*)
Quiſtorps Grundſätze des teutſchen [peinlichen] Rechts.
1r Bd. 2te Auflage.
*)
Sovtel war damals, als der Aufſatz geſchrieben wurde,
nach einigen Jahren Kollcktierens in Deutſchland
aufgebracht worden.
*)
Eine Crore in Oſtindien macht 100 Laks.
*)
Merkel.
*)
Tharſanders Schauplatz ungereimter Meinungen
1. S. 365.
*)
Doch wurden ſeine Manen von Königsberg auf eine
andere Weiſe würdig geehrt, die mehr griechiſch und
philoſophiſch iſt. Wenn Epikur und ein anderer Philo-
ſoph ſelber in ihren Teſtamenten etwas ausſetzten, da-
mit ſich an ihren Geburtstagen die Jugend auf ihren
Gräbern luſtig machte: ſo wurde ohne Kants Zuthun
die Veranſtaltung getroffen, daß ſein Wohnhaus zu ei-
nem guten Kaffe- und Billiardhauſe eingerichtet wor-
den, worin die Jugend vornehmlich die akademiſche,
durch Abſchauung ihrer Anſpannungen ſich freudig an
den großen Mann erinnern kann, dem ſie das Haus zu
danken hat.
*)
Zuerſt gedruckt im „Taſchenbuch für 1801. Herausge-
geben von Fr. Genz, J. P. und Joh. Heinr. Voß.”
*)
Die mit dem odeln Heinrich geſcheiterten Entwürfe zur
größten Friedens-Alliance ſind bekannt. Zum Kriege
werden die Quadrupel-Alliancen leichter.
*)
Ihr herrliches Geſicht ſieht in des I. B. Vten Hefte
der neuen Klio von 1796.
*)
Apulejus Verwandlungen.
**)
Moniteur de l’année 1793. Nro. 167.
*)
Wenige Männer würden eine Corday, eine Jeanne
d’ Arc heyrathen wollen; aber die meiſten Weiber
gewiß einen Brutus, und ähnliche; und in ſofern ſteht
die weibliche Liebe höher. In der Freundſchaft keh-
ren es aber beyde Geſchlechter um.
*)
Marat gedachte in ſeiner Perioptrik (ſ. in Lichtenbergs
Magazin der Phyſik B. 1.) etwas Newtoniſches zu
liefern, und wollte den Prof. Charles erſtechen, weil
*)
Denn Louvet ſagt in quelques notices pour l’histoire et
le rècit de mes perils etc.
p. 60. daß ohne Corday,
Marat in zwey Tagen an ſeiner amerikaniſchen Krank-
heit von ſelbſt geſtorben wäre.
**)
Minerva, Auguſt. 1793. S. 376.
*)
er ihn widerlegte; er ſchickte an die Akademien zu
Rouen und zu Lyon erſtlich eine Preisfrage mit 50
L’dor über ſeine Perioptrik, dann eine Antwort und
wollte ſein Geld als man ihn nicht damit krönte.
S. Eberts Unterhaltungen vermiſchten Inhalts. 1794.
2tes Heft.
*)
Moniteur de l’annèe 1793. Nro. 197.
*)
S. ihr Verhör, und das Schreiben an Barbaroux.
*)
Moniteur in angeführter Stelle Nro. 198.
**)
Frankreich 1800 St. S. 79. ꝛc.
*)
Louvet am angeführten Orte.
*)
Frankreich 1. c.
*)
Moniteur 1. c.
**)
Denn Freytags vorher hatte eine Unbekannte dieſen
Volksmörder mit Heftigkeit zu ſprechen geſucht.
*)
Das ſogenannte Bluthemd der Verurtheilten.
*)
Reimarus neuere Werke vom Blitze.
*)
In einer Viertelſtunde flogen 116,000 Sterne durch
das Feld von Herſchels Teleskop. —

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Anonymous. D. Katzenbergers Badereise. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnff.0