einer
neuen
Theorie des Geldes.
[[II]][[III]]
einer
neuen
Theorie des Geldes
mit beſonderer Ruͤckſicht
auf
Großbritannien.
F. A. Brockhaus.
1816.
[[IV]][[V]]
Vorrede.
Das nachſtehende Werk wurde in den Jahren 1810
und 1811 zu Wien entworfen. Die große, in
Deutſchland bey der damaligen Sperrung des Con-
tinentes faſt ganz unbeachtet gebliebene, Streitfrage
uͤber die Depreciation der Londner Banknoten, und
eine meiſterhafte practiſche Eroͤrterung derſelben von
Herrn Hofrath und Ritter von Gentz waren die un-
mittelbaren Veranlaſſungen meiner Schrift.
Als die weſentlichen Grundlegungen meiner Theo-
rie, welche ich hiermit dem Publikum uͤbergebe, voll-
endet und bereits abgedruckt waren, wurde ich durch
die Gnade Sr. Maj. des Kaiſers von Oeſterreich zu
einer practiſchen Laufbahn berufen. Unter den Er-
fahrungen eines reichhaltigen Dienſtlebens in Tyrol
[VI] und Italien, in Frankreich und Deutſchland iſt das
innerliche Weſen meiner Anſicht der Staatswirthſchaft
von keiner Seite erſchuͤttert worden: ich trage daher
kein Bedenken meine fleißige und wohlgemeinte Arbeit,
auch in ihrer fragmentariſchen Form, aus Licht tre-
ten zu laſſen.
Mit Gottes Huͤlfe gedenke ich nach einigen Jah-
ren eine vollſtaͤndige Darſtellung des unzertrennlichen
Ganzen der Staatswiſſenſchaften nach den hier an-
gedeuteten Grundzuͤgen erſcheinen zu laſſen.
Adam Muͤller.
[VII]
Inhalt.
- Seite.
- Einleitung.1
- Erſtes Kapitel. Familienvermoͤgen und Privat-
vermoͤgen.6 - Zweites Kapitel. Verhaͤltniß der Perſonen und
Sachen zu einander und zum Staate. 16 - Drittes Kapitel. Feod und Allod. 26
- Viertes Kapitel. Die Ehe und die Familie, als
Schema aller Haushaltung. 40 - Fuͤnftes Kapitel. Die Oekonomie in der Bewegung
betrachtet. 49 - Sechstes Kapitel. Von dem Werthe, den die oͤko-
nomiſche Kraft durch ihre Richtung erhaͤlt. 64 - Siebentes Kapitel. Production und Conſumtion. 74
- Achtes Kapitel. Von der Welthaushaltung und den
edlen Metallen. 88 - Neuntes Kapitel. Vom Beduͤrfniß. 105
- Zehntes Kapitel. Von den Geſetzen als einzigem
und hoͤchſtem Reſultate aller Oekonomie. 118 - Grundlegungen einer neuen Theorie des
Geldes. 131 - Erſtes Kapitel. Von dem einzelnen Menſchen, als
Vorbilde der Staatshaushaltung. 133 - Zweites Kapitel. Von der Kugel, als oͤkonomiſchem
Schema. 143 - Drittes Kapitel. Vom Gelde. 155
- Seite
- Viertes Kapitel. Unterſchied der Wechſelſclaverey
und der freyen Wechſelwirkung zwiſchen den
oͤkonomiſchen Kraͤften. 167 - Fuͤnftes Kapitel. Vom Maaßſtabe. 182
- Sechstes Kapitel. Von der Muͤnze. 195
- Siebentes Kapitel. Daß der Werthmaaßſtab nicht
bloß Groͤßen, ſondern auch Richtungen und
Verhaͤltniſſe meſſen ſolle. 223 - Achtes Kapitel. Von den beyden Elementen des
Werthmaaßſtabes: dem Metallmaaßſtabe und
dem Creditmaaßſtabe. 243 - Neuntes Kapitel. Vom Ueberfluß und vom Man-
gel des Geldes. 393
Einleitung.
Theoret. Theil A
[[2]][3]
Die vorhandenen ſtaatswirthſchaftlichen Theorien ſind durch
untergeordnete Probleme veranlaßt worden. Es war insbe-
ſondere die große Aufgabe einer ordentlichen und gerechten
Beſteurung, welche um die Mitte des letztverfloſſenen Jahr-
hunderts, eine naͤhere Unterſuchung der Quellen des Staats-
reichthums herbey fuͤhrte. Hierauf ſind nach Maaßgabe der
einzelnen Beduͤrfniſſe, die ſich mit aͤußerer Zudringlichkeit an-
meldeten, auch die einzelnen Hauptmaterien der Wiſſenſchaft
bearbeitet worden; ſo die Lehre vom Getreidehandel in Folge
des Mißwachſes von 1772 in Frankreich, und des großen
Mangels in Großbrittanien im Anfange dieſes Jahrhunderts;
ſo die Lehre vom Gelde insbeſondere in Folge der durch ge-
bietheriſche Umſtaͤnde im Jahre 1797 bewirkten Reſtriction
der baaren Zahlungen an der Bank von England.
Bey allen dieſen Gelegenheiten ergaben ſich neue und glaͤn-
zende Reſultate: es war natuͤrlich, daß man eine ganz unbe-
kannte Wiſſenſchaft entdeckt zu haben glaubte. Ungluͤcklicher
Weiſe fiel dieſer Wahn in eine Zeit gaͤnzlichen Verfalls aller
geſellſchaftlichen Anſichten: die rechtlichen Grundlagen der
Staaten wurden von der oͤffentlichen Meinung in Zweifel
gezogen, und ſo konnte es nicht fehlen, daß die Verkuͤndiger
A 2
[4] des neuen oͤkonomiſchen Lichtes alles Unheil aus den oͤkonomi-
ſchen Einrichtungen der blinden Vorfahren herleiteten. Nichts
deſto weniger hat niemand einſehen wollen, daß eine ſolche
Zeit der Zerruͤttung aller politiſchen Verhaͤltniſſe und Mei-
nungen am wenigſten zur Erfindung einer Wiſſenſchaft von
der Staatshaushaltung geeignet ſey: in der gereitzten Stim-
mung aller Gemuͤther, und bey dem Drange der Gegenwart
war eine unbefangene Wuͤrdigung des bisher Geweſenen un-
moͤglich. Dieſe politiſche Gegenwart war bloßer Zwiſchenzu-
ſtand, Uebergang aus einem Zuſtand in den andern, oder
vielmehr, wie ſich nunmehr ausgewieſen hat, Uebergang der
natuͤrlichen aber bewußtloſen oͤkonomiſchen Weisheit der
Vaͤter, durch den Vorwitz der Kinder, zu der verſtaͤndigen
Anerkennung jener Weisheit von Seiten der Enkel: und den-
noch wurden alle Vorſtellungen von den Beduͤrfniſſen und der
Beſtimmung der einzelnen Menſchen, wie der Staaten und
der ganzen Menſchheit, mit Verlaͤugnung jedes anderen Mu-
ſters, ausſchließend aus dieſer verwirrten Gegenwart herge-
nommen. Es iſt auch von andern Seiten her bekannt genug,
wie breit ſich gerade dieſes Geſchlecht gemacht, mit welchem
Hohn es auf die Vergangenheit, mit welchem Eigenduͤnkel
es auf die Zukunft herabgeſehen; ſo daß dann, wie es ſich
gebuͤhrt, die groͤßte Unſicherheit der Zeit mit den frechſten
Anmaßungen der Menſchen, und dem uͤbermuͤthigſten Selbſt-
vertrauen der Wiſſenſchaft zuſammen getroffen.
Demnach ſieht jedermann ein, daß von den allgemeinen
Principien der politiſchen Wiſſenſchaften dieſer letztverfloſſenen
Zeit wenig zu brauchen iſt, wie lehrreich auch die Geſchichte
[5] dieſer hochmuͤthigen Irrthuͤmer fuͤr uns alle geweſen ſeyn
moͤchte. Wir gehen alſo in der nachfolgenden Darſtellung von
der natuͤrlichen Haushaltung der Europaͤiſchen Staaten un-
ſeren eigenen Gang, und erwarten von den Unbefangenen
der Zeitgenoſſenſchaft wie der Nachwelt das Zeugniß, daß
wir uns gehorſam gegen die wahren Lehren der Geſchichte
erwieſen, und das ewige Beduͤrfniß des Menſchen treu beach-
tet haben.
[6]
Erſtes Kapitel.
Familienvermoͤgen und Privatvermoͤgen.
Der Leſer denke ſich ein mit allen Beduͤrfniſſen und An-
nehmlichkeiten des Lebens wohlverſehenes Haus: Hausherr,
Kinder, Dienſtbothen an ihrer natuͤrlichen Stelle. Das Ganze
macht den Eindruck der Wohlhabenheit, des Reichthums;
jedes einzelne Glied des Hauſes, wie niedrig auch ſeine Func-
tionen ſeyn moͤgen, genießt das Selbſtgefuͤhl des Ganzen.
Setzen wir den Fall: der Hausherr ſterbe, und das ganze
bisherige Gemeinvermoͤgen werde getheilt unter Kinder und
Dienſtbothen, in eben ſo viele Vermaͤchtniſſe und Legate. Jeder
von uns wird ſich eines ſolchen Falles erinnern, und (obgleich
die Subſtanz des bisherigen Vermoͤgens zwar getheilt, doch
dieſelbe geblieben) dennoch das Gefuͤhl gehabt haben, als
beſaͤſſen nunmehr die einzelnen Nachgelaſſenen zuſammen ge-
nommen weniger, als alle vereinigt im Vaterhauſe beſeſſen
haben. Es wird uns vorkommen, als ſey des Reichthums
durch die Auseinanderſetzung wirklich weniger geworden; und
unſer Gefuͤhl hat Recht. Alle Familienglieder hatten im Va-
terhauſe, außer ihrem beſondern Beſitz, noch eine Eigen-
thums-Empfindung vom Ganzen; jetzt iſt zwar ihre beſondere
Portion vermehrt, aber das Selbſtgefuͤhl im Reichthum des
Ganzen iſt dahin; jeder iſt der Zahl nach reicher, dem Gefuͤhl
und dem Weſen nach, aͤrmer geworden. —
[7]
Die rechten Kinder dieſer Zeit werden ſagen: dafuͤr ſeyen
auch alle dieſe einzelnen Familienglieder frey geworden, ſie
haͤtten die unbedingte Dispoſition uͤber ihr Erbtheil erhalten;
jenes Gefuͤhl ſey ein Vorurtheil, dieſe Unabhaͤngigkeit ſey das
einzige wahre Gut. Wenn ſie alſo den in ſeiner Grundherr-
lichen Familie bisher auf aͤhnliche Weiſe geſtellten Bauer,
aus dem Familienzuſammenhange herausreißen, oder, wie
ſie ſich ausdruͤcken, befreyen koͤnnen; wenn ſie den in dem
großen Vaterhauſe der buͤrgerlichen Geſellſchaft bisher als
Familienglied eingeſchloſſenen Staatsbuͤrger emancipiren, und
zu einem abgeſonderten Privatetabliſſement verleiten koͤnnen,
ſo glauben ſie das Nationalgluͤck wahrhaft befoͤrdert zu
haben.
Das nun iſt das wahre Verhaͤltniß der alten Europaͤiſchen
Staats-Haushaltung, zu der neuen, die auf allen Gaſſen
gepredigt wird. In der ehemahligen Oekonomie der Staaten
wurden alle Privathaushaltungen im Zuſammenhange ge-
dacht; jeder Einzelne fuͤhlte ſeinen Beſitz, aber noch außer-
dem fuͤhlte er ſich theilnehmend an einem groͤßeren Beſitz; es
war dem Einzelnen weniger zugetheilt, aber die Gemeinde
deren Glied er war, und die große Corporation aller Ge-
meinden der Staat, beſaß mehr, und da dieß Gemeinde-
vermoͤgen durch die Jahrhunderte und durch weiſe Geſetze
befeſtiget war, und da der Hausvater dieſer großen Familie
durch dieſelben Geſetze unſterblich gemacht worden, ſo verlor
die Verſchiedenheit der individuellen Gluͤcksumſtaͤnde ihre
ganze Gehaͤßigkeit; der Einzelne war nur deßhalb mehr
[8] beguͤnſtigt als der andere, damit der das Gemeindevermoͤgen,
deſſen Gefuͤhl wieder dem Niedrigſten zu Gute kam, beſſer er-
halten, vermehren und vertheidigen konnte. —
Fehlt dieſes Ganze, wie die neuen Theorien wirklich dar-
auf keine Ruͤckſicht nehmen, ſo entſteht derjenige Wetteifer und
Wettlauf unter den Einzelnen, woraus, zu Folge jener Theo-
rien, ſich die hoͤchſte Wohlhabenheit aller, unſerer Anſicht
nach ſich das unvermeidlichſte Verderben aller entwickeln muß.
Keiner, wie hoch er auch ſtehe, wie ſehr er auch vom Gluͤcke
beguͤnſtigt ſeye, kann nunmehr mit dem ihm zugekommenen
Erbtheile zufrieden ſeyn; jeder will leben wie er im Vater-
hauſe gelebt hat, desſelben Gefuͤhles theilhaftig ſeyn; jeder
will in eigener Perſon und auf eigene Hand die Wohlhaben-
heit des Ganzen darſtellen, und ſo zerſtoͤren ſich natuͤrlich die
einzelnen Reichthuͤmer untereinander: die allgemeine Armuth
iſt nothwendiges Reſultat.
Alſo das rechte Verlangen des Menſchen, ſeinen Wir-
kungskreis durch Beſitz, durch Mittel des Lebens zu erwei-
tern, iſt doppelter Art: zuerſt will er beſonderes beſitzen;
dann aber will er auch wenigſtens im Geiſte wieder alles
beſitzen; er will im Einzelnen leben, und doch nur, damit
ihm das Ganze, worin er lebt, und deſſen er theilhaftig iſt,
deſto deutlicher einleuchte. Schneidet ihr ihm das Ganze weg,
hebt ihr den Staat auf, wenigſtens das Gemeinweſentliche
am Staate, ſo muß der Einzelne durch die Ausdehnung ſei-
ner Perſon und ſeines Beſitzes, ſich ein Surrogat fuͤr das
Ganze zu verſchaffen ſtreben, ſo entſteht eine natuͤrliche aber
[9] menſchenfeindliche Begierde nach ausſchließendem Beſitz, die
kein Eigenthum, wie groß es auch ſey, und zuletzt auch
keine Krone befriedigen kann. Es offenbart ſich dann, wie-
wohl auf falſchem Wege, das richtige Verlangen nach dem
Ganzen; und es iſt nichts abgeſchmackter, als wenn ein
Philoſoph die Gemeinguͤter der Menſchheit zerſtoͤren hilft,
und hinterher uͤber den Eigennutz und Egoismus der Menſchen
klagt. —
Wenn ihr den Einzelnen aus feinem Vaterhauſe emanci-
pirt, und darauf laufen doch eure Freyheitsproclamationen
hinaus, ſo habt ihr ſein Schickſal dem Zufall anheim ge-
ſtellt, der feindſeligen Begierde die Welt preis gegeben, die
Ungleichheit aller vor dem Schickſal anſtatt der Gleichheit vor
dem Geſetze conſtituirt, und von Staatsordnung iſt nicht wei-
ter die Rede. Die Schranken, die ihr ihm hinterher durch
den Buchſtaben eines Geſetzes ſtellt, habt ihr im Voraus
durch den Widerſpruch ſchon aufgehoben, daß ihr ihm erlaubt,
nach allem Beſitze uͤberhaupt zu ſtreben. Wenn der vater-
haͤusliche Geiſt verſchwunden, der befriedigend in die ge-
heimſten Falten des Herzens drang, dann wollen wir ſehen,
wie weit ihr mit eurem Privatrecht und euren Polizeygeſetzen
kommt, die an der Außenſeite des Menſchen umherſpielen,
und die er, der Einzelne auch wieder ſpielend abzufertigen
wiſſen wird. Wenn der Einzelne erſt die gehoͤrige Macht er-
reicht hat, ſo wird er alle privatrechtlichen Schranken zu
ſchonen, und dennoch alle eure Beſitzthuͤmer ſich anzueignen
wiſſen.
[10]
Der Unterſchied groͤßerer und geringerer Gluͤcksumſtaͤnde,
groͤßeren und geringeren Privatreichthums iſt nothwendig,
wenn eine buͤrgerliche Ordnung, eine Disciplin und Subordi-
nation moͤglich ſeyn ſoll. Dieſe Disciplin nun unter den
einzelnen Reichthuͤmern macht es moͤglich, daß alle oͤkonomi-
ſchen Functionen der buͤrgerlichen Geſellſchaft, zuſammen-
haͤngend, eine die andere unterſtuͤtzend vor ſich gehen koͤnnen.
Dieſe Ungleichheit und daraus conſtruirte Disciplin muß
dauerhaft ſeyn, weil das Geſchick zur Verwaltung des groͤ-
ßeren wie des geringeren Vermoͤgens, der auf allgemeine wie
auf beſondere, gemeinnuͤtzige Geſchaͤfte gewendeten Kraft,
Zeit braucht, um erlangt zu werden, und weil die meiſten
beſonderen Kraͤfte innerhalb des Staates ſich nur erſt im
Fortgang langer Jahre in ihrer vollen Wirkſamkeit bewieſen.
Wenn eine ſolche Disciplin alſo moͤglich ſeyn ſoll, ſo muß
jeder Einzelne in ſeiner Station, und wenn es auch der Aermſte
waͤre, fuͤr die Dauer befriedigt werden koͤnnen: die jedem
Einzelnen angeborne Begierde das Ganze zu umfaſſen, muß
im Voraus fuͤr immer bedacht ſeyn.
Nun aber zeigt ſich, daß, wer zum Beyſpiel, die Luft
ſich ausſchließend aneignen wollte, in ſie zerfließen muͤßte,
und doch nichts beſitzen wuͤrde; wer hingegen ſie als Ge-
meingut an ſeinem beſondern Ort, und mit ſeinem beſondern
Organe gebrauchte und athmete, auch aller Wohlthaten und
Segnungen dieſes Elements theilhaftig werden wuͤrde. So
auch, wer ſich an ſeinem beſondern Ort und in ſeinem beſon-
dern Geſchaͤft eines gewiſſen ewigen Eigenthums nicht der
einzelnen Dinge, aber des Ganzen, welches ſie durch die
[11] buͤrgerliche Ordnung mit einander ausmachen, bewußt waͤre,
und mit jedem Athemzuge dieſes geiſtige Element empfaͤnde,
der wuͤrde durch den wirklichen Beſitz aller Dinge im Umkreiſe
des Staates nicht fuͤr den Verluſt dieſes Elementes entſchaͤdigt
werden koͤnnen; denn er muͤßte ja erſt die beſonderen durch
Geburt, Gewohnheit, Erziehung entwickelten Organe auf-
geben, um den neuen Beſitz zu empfinden. In ſolche Lage
werden die Menſchen durch unvernuͤnftige Emancipationen
und Freyheitsproclamationen verſetzt; man nimmt ihnen das
Gluͤck, wofuͤr ſie Organe haben, und erweckt die Begierde
nach einem andern, wofuͤr die Organe fehlen.
Jeder alſo braucht beſondere Organe, beſonderes Eigen-
thum, beſonderes Gluͤck, um des Allgemeinen theilhaftig zu
werden; aber nur dadurch, daß er des Allgemeinen wirklich
theilhaftig wird, kann er ſich bey ſeinem beſondern Gluͤck
dauerhaft beruhigen. Wer alſo das Gefuͤhl des Ganzen,
welches alle einzelnen Beſitzthuͤmer in ſich ſchließt, dem Ein-
zelnen verſagt, der entzieht dem Einzelnen zugleich auch ſei-
nen beſondern Beſitz, und jede Erweiterung dieſes Beſitzes
iſt ſchon im Weſen verloren, ehe ſie noch dieſem Einzelnen
ſcheinbar zu Theil wird.
Es iſt alſo klar, daß alle einzelnen Buͤrger im Staat
nur in ſo fern viel haben, beſitzen, ruhig und dauerhaft
produciren koͤnnen, in wie fern ſie mit einander ein großes,
wohlhabendes und ſicheres Haus ausmachen, das heißt: in
wie fern jeder als unzertrennliches Glied des Ganzen, ein un-
wandelbares Gefuͤhl von der dauerhaften Wohlhabenheit des
[12] auch ihm zugehoͤrigen Ganzen hat. Stirbt der Hausherr,
geht das alte Gemeinweſen und das lebendige Geſetz desſelben
unter, ſo muͤſſen alle Einzelnen, und wenn ſie vor der Hand
auch allen beſondern Beſitz behielten, und wenn auch das
ganze Staatsvermoͤgen verhaͤltnißmaͤßig getheilt wuͤrde, und
jedem einzelne Beſitze zuwuͤchſen, ſich aͤrmer fuͤhlen, weil die
Buͤrgſchaft fehlt fuͤr die Dauer und fuͤr das Recht, weil der
Einzelne nichts Allgemeines empfindet, weil die Luft fehlt,
die allen Lebensgenuß anfriſchte und belebte, weil Jeder nun-
mehr nur das ſieht was ihm fehlt, nicht mehr das, was er
beſitzt. —
Der Reichthum eines Staates iſt alſo unendlich mehr, als
die Summe der einzelnen Reichthuͤmer im Staate; es iſt ein
großes Weſen darin, welches ſich durchaus nicht in Zahlen
beſtimmen laͤßt, durch deſſen Mangel alle Zahlen zu Nichte
werden, und durch deſſen Hinzukunft alle Zahlen wachſen.
Koͤnnt ihr bey den Vorſtellungen des Reichthums und der
Oekonomie durchaus nicht die Zahlen entbehren, ſo merkt
euch, daß es eine Rechenkunſt gibt, nach der 1 und 1, auf
lebendige Weiſe zuſammen geſetzt, 3 und mehr als 3, auf
todte Weiſe zuſammen geſetzt, nur 2 und weniger als 1 geben.
Verbindet ihr 1 und 1 auf productive Weiſe, wie Mann und
Frau in der Ehe, wie eure Arbeitskraft mit dem Capital in
jedem moͤglichen Gewerbe, ſo koͤmmt zu den beyden bleiben-
den Weſen ein Drittes dazu. Soll aber ein ſolches Drittes
hinzu kommen, ſo muͤſſen 1 und 1 auf dauerhafte Weiſe ver-
bunden ſeyn, denn alle Production braucht Zeit. Es muß
alſo außer den beyden producirenden Weſen noch eine Kraft
[13] geben, welche ihre Verbindung verbuͤrgt. Da nun aber auch
im Großen das Weſen der buͤrgerlichen Geſellſchaft darin be-
ſteht, daß ſie wachſe, daß allenthalben aus 1 und 1 drey
wurde, ſo muß in der buͤrgerlichen Geſellſchaft eine die
Summe aller einzelnen Kraͤfte uͤberwiegende Kraft vorhanden
ſeyn, welche, da ſie die productiven Verbindungen aller Ein-
zelnen verbuͤrgt, und ſie alſo erſt productiv macht, durch ihr
Vorhandenſeyn alle Werthe erhoͤht, durch ihre Abweſenheit
alle Werthe vernichtet.
Wenn ich die in einer wahren und ordentlichen, vater-
haͤuslichen Staatswirthſchaft enthaltenen ſaͤmmtlichen beſon-
deren Reichthuͤmer addire, ſo hat dieſe Summe freylich eine
wahre Bedeutung, weil in den gleichfoͤrmigen Preiſen
aller Dinge innerhalb ſolcher Haushaltung die Werthe, welche
die allgemeine Staatskraft hinzu thut, ſchon enthalten ſind.
Fehlt hingegen die gemeinſchaftliche Kraft, ſo ſchwanken und
ſinken alle Werthe; die Zahlenbeſtimmungen, die wie Traum-
bilder wechſeln, geben durchaus kein Reſultat, und waͤre die
Summe der Privatreichthuͤmer in ſolchem Zuſtande der Ge-
ſellſchaft noch ſehr betraͤchtlich, ſo ließe ſich daraus nur der
Schluß ziehen, daß dieſe Reichthuͤmer ſich unter einander um
ſo lebhafter verzehren, und, da ſie eine um ſo groͤßere Lockung
fuͤr den auswaͤrtigen Feind ſeyn moͤchten, auch um ſo unver-
meidlicher untergehen wuͤrden.
Aller Reichthum, oder da dieſer Ausdruck vielen Miß-
verſtaͤndniſſen unterworfen ſeyn moͤchte, alles Vermoͤgen hat
nothwendiger Weiſe zwey Elemente: die Kraft des Einzelnen
[14] und die Kraft des Staates: ich nenne dieſe beyden Kraͤfte
Elemente, weil eine ohne die andere nicht beſteht, ja nicht
einmahl wirklich da iſt. Alles Einzelne im Umkreiſe eines
Staates Vorhandene, iſt nur thaͤtig und productiv vorhanden,
in wie fern es in beſtaͤndiger Wechſelwirkung mit dem Allge-
meinen und Gemeinſchaftlichen ſteht.
Das Staatsvermoͤgen iſt alſo der geſammte Inbe-
griff derjenigen Kraͤfte, unter deren [ſichtbarem] und [unſichtbarem]
Einfluß [das][Privatvermoͤgen] entſteht, waͤchſt, ſich vertheidigt
und behauptet. Es beſteht alſo keineswegs allein in den Er-
traͤgniſſen des Staatseigenthums und der verſchiedenen Abga-
ben, oder in dem Capitalwerth dieſer Einkuͤnfte; die ge-
ſammten Vertheidigungskraͤfte der Menſchen wie des Bodens,
Armeen, Feſtungen, Waffen, die adminiſtrative Kunſt des
geſammten Civiletats, ja die Verfaſſung, die Geſetze, alle
großen Nationalerinnerungen ſind Beſtandtheile des Staats-
vermoͤgens. Ja, aus dem Standpuncte des Einzelnen muß
die Geſammtkraft aller uͤbrigen Individuen, als integriren-
der Theil des Staatsvermoͤgens angeſehen werden, denn auch
dieſe beſchraͤnkt, alſo befeſtiget und verbuͤrgt dem Einzelnen
ſeine beſondere Exiſtenz, mit allem derſelben untergeordneten
Beyweſen. Alle dieſe Dinge muͤſſen beharren und wachſen,
wenn der Einzelne mit dem Seinigen beharren und wachſen
ſoll, und jede Veraͤnderung die ſich auf ihrer Seite zutraͤgt,
reagirt nothwendig auf der Seite des Einzelnen.
So nun beginnt alle Einſicht in die Haushaltung einer
Nation, mit der deutlichen und ſichern Erkenntniß der von der
Vorſehung in allen menſchlichen Geſchaͤften angeordneten,
[15] unendlichen Gegenſeitigkeit, Bezuͤglichkeit und Bedinglichkeit.
Wer alſo uͤber die Nationalhaushaltung gruͤndlich reden,
ſicher urtheilen, oder ſie foͤrderlich regieren will, der muß
zufoͤrderſt einſehen, daß er es uͤberall mit Verhaͤlt-
niſſen und Wechſelwirkungen zu thun hat, daß
er nichts Einzelnes thun kann, ohne zugleich das Ganze zu
officiren, daß er den ſaͤchlichen Reichthum oder den reinen
Ertrag der einzelnen Productionen nicht veraͤndern kann,
ohne zugleich auch auf der andern Seite die perſoͤnliche und
productive Kraft des Staates zu veraͤndern; kurz, daß er zuerſt
und vor allen Dingen ſtreben muͤſſe, nach einer beſtaͤndigen,
umſichtigen und allſeitigen Gerechtigkeit gegen alle gleich
weſentlichen und unter einander innig verſchraͤnkten Glieder
der großen Familie.
[16]
Zweytes Kapitel.
Verhaͤltniß der Perſonen und Sachen zu einander
und zum Staat.
Man erwaͤge die Forderung, welche an die Wiſſenſchaft
der Nationaloͤkonomie gewoͤhnlich gemacht wird: ſie ſoll die
Quellen erforſchen, aus denen diejenigen Erſcheinungen her-
fließen, die man mit dem Worte Nationalreichthum zuſam-
men zu faſſen pflegt, und ihre beſte Benutzung nachweiſen.
Nationalreichthum in der allgemein angenommenen Bedeutung,
iſt aber nicht mehr, als eine gewiſſe Fuͤlle derjenigen Mittel oder
Sachen, die zur Erhaltung, Erleichterung, Verſchoͤnerung
des aͤußeren Lebens der Menſchen weſentlich gehoͤren. Da nun
der Werth dieſer Sachen einerſeits nur relativ iſt, und durch
die Natur, wie durch das Beduͤrfniß derjenigen Menſchen be-
ſtimmt wird, die ſich derſelben bedienen ſollen; da anderer-
ſeits die geſammte und fortgeſetzte Thaͤtigkeit aller Glieder der
buͤrgerlichen Geſellſchaft in Anſpruch genommen werden muß,
um dieſe Sachen zu gewinnen und herbey zu ſchaffen; da
endlich alle dieſe Thaͤtigkeiten nicht bloß durch ihre abgeſon-
derte Anſtrengung, ſondern nur durch eine gewiſſe gliederartige
Verſchraͤnkung unter einander, oder durch einen zuſammen-
haͤngenden Organismus den beabſichtigten Zweck erreichen,
ſo ſieht man leicht ein, daß die Herbeyſchaffung der Sachen
nur der ſcheinbare Zweck der Nationaloͤkonomie ſey.
[17]
Immer wird es eben ſo ſehr darauf ankommen, daß die
gewonnenen Sachen wieder die productive Kraft der Perſonen
erhoͤhen, alſo koͤnnte man eben ſo einſeitig, jedoch mit nicht
minderem Rechte die Productionskraft der Perſonen zum
Zweck der Nationaloͤkonomie erheben. Wir wollen alſo dem
am Ende des erſten Kapitels aufgeſtellten Grundſatze gemaͤß,
die Nationaloͤkonomie ſo definiren, daß ſie die Wiſſenſchaft
der Erhaltung, Belebung, Verinnigung, erſtlich, des Ver-
haͤltniſſes der Perſonen und Sachen zu einander, zweytens,
des Verhaͤltniſſes der Perſonen und Sachen zu dem Staate
ſey.
Es kann nicht fehlen, daß wir wegen dieſer Erklaͤrung
den Vorwurf hoͤren werden, was wir meinten, ſey die
Staatslehre uͤberhaupt, und unſere Definition koͤnnte eben ſo
gut fuͤr die Wiſſenſchaft des Rechtes, als fuͤr die National-
oͤkonomie gelten. Darauf erwiedern wir: die Oekonomie, das
Recht, ja auch die militaͤriſche Vertheidigung des Ganzen,
und die Religion wie die Erziehung, treffen alle in hoͤchſter
Inſtanz zuſammen. Nur in wie fern der Gelehrte oder der
Staatsmann ſich auf den Standpunct hin begibt, wo ſie
alle zuſammen treffen, und wo ſich eine abgeſonderte Defini-
tion einer von ihnen nicht weiter geben laͤßt, kann er das
oͤkonomiſche, juriſtiſche, militaͤriſche, diplomatiſche Intereſſe
des Ganzen wahrhaft uͤberſehen und beſorgen, nur in ſo fern
kann er das religioͤſe Band, welches alle dieſe Intereſſen un-
aufloͤslich verknuͤpft, feſthalten und ſchuͤtzen.
Das Recht und die Waffen, haben wir oben geſagt,
muͤſſen als integrirende Theile des Staatsvermoͤgens angeſehen
Theoret. Theil B
[18] werden: auch die Zeit iſt nicht mehr fern, wo man die
Religion als letzte und hoͤchſte Quelle allen Credits und aller
Macht, und als die maͤchtigſte Gewaͤhrleiſterinn alles Beſitzes
oͤffentlich anerkennen wird. Es waͤre ein ganz hoffnungsloſes
Geſchaͤft, irgend eines dieſer Intereſſen darzuſtellen oder zu
beſorgen, wenn man nicht des Beyſtandes der uͤbrigen gewiß
waͤre; es waͤre unmoͤglich von der Staatswirthſchaft zu han-
deln, wenn es nicht erlaubt waͤre, alle Dinge innerhalb des
Staats, Perſonen und Sachen, ja den Staat ſelbſt als eben
ſo viele oͤkonomiſche Werthe zu betrachten.
Der Menſch begehrt Dinge, um ſeine Unvollkommenheit
zu ergaͤnzen, um der Vergaͤnglichkeit abzuhelfen, die er an
ſich ſpuͤrt: der roheſte Hunger und Durſt, und die ausgebil-
detſte Begierde nach dem raffinirteſten Lebensgenuß, ſind nur
Offenbarungen jenes Triebes. Er begehrt Perſonen von ent-
gegengeſetztem Geſchlecht, um die Einſeitigkeit ſeines Ge-
ſchlechts zu ergaͤnzen, um die Vorſtellung eines vollſtaͤndigen
und dauerhaften Menſchen, die er in ſeiner Seele traͤgt, zu
verwirklichen. Der Menſch von einer gewiſſen Gewerbsgattung
begehrt Menſchen von der entgegengeſetzten Gewerbsgattung,
der Producent den Fabrikanten, der Gelehrte den Kuͤnſtler,
jeder um ſich zu vervollſtaͤndigen, um ſich abzurunden, um
ſich zu einem Ganzen zu erheben. Er ſtrebt ſich zu verbinden
mit Perſonen und Dingen; er ſtrebt nach Eigenthum und nach
Verpflichtungen; um etwas Hoͤheres hervorzubringen als er
ſich ſelbſt fuͤhlt, um weiter zu ſehen, zu greifen, zu wirken,
als ſeine iſolirten Kraͤfte reichen.
[19]
Es ſcheint freylich, daß ſich die Sachen bloß durch die
Willkuͤhr einſeitig aneignen laſſen, indeſſen gegen Perſonen,
die ſelbſt an ſich, und dann auch zur Behauptung und Er-
haltung der Sachen unentbehrlich ſind, gilt nur Verpflich-
tung, gegenſeitige Aneignung. Wenn alſo auch nur nach dem
Eigenthume geſtrebt wuͤrde, ſo muͤßten die Menſchen ſich
deßhalb ſchon wie in ein großes Gewebe gegenſeitig ver-
ſchraͤnken; jeder muͤßte in eine Wechſelverpflichtung zu allen
Uebrigen treten: das Eigenthum ließe ſich nicht erweitern,
ohne dieſe perſoͤnlichen Verpflichtungen zu vermehren. Wer
dieſe Verpflichtungen zerriſſe, ſchwaͤchte auch das Eigenthum
und verurſachte eine Werthverminderung desſelben.
Geſetzt nun alſo, die Nationaloͤkonomie haͤtte es bloß mit
dem Eigenthum zu thun, und nicht mit der wechſelſeitigen
Verſchraͤnkung und Verbuͤrgung des Eigenthums, welche
durch perſoͤnliche Verpflichtungen vollzogen wird, ſo wuͤrde
ſie eben ſo wenig von der oͤkonomiſchen Erweiterung des
Eigenthums Rechenſchaft geben koͤnnen, als eine Rechtslehre,
die nur von den perſoͤnlichen Verpflichtungen handelte, aber
die Realrechte verſaͤumte, uͤber die juriſtiſche Sicherſtellung
der Contracte Rechenſchaft geben koͤnnte. Wie alſo die Juris-
prudenz Perſonen und Sachen als Subjecte des Rechts be-
handelt, ſo ſoll die Staatswirthſchaft Perſonen und Sachen
als oͤkonomiſche Objecte betrachten. Der erſte Zweck der
Nationaloͤkonomie iſt alſo Erhaltung, Bele-
hung, Vereinigung des Verhaͤltniſſes der
Perſonen und Sachen zu einander.
B 2
[20]
Wenn nun alſo Perſonen und Sachen beyde als oͤkono-
miſche Werthe ſich in einander gewoben, und durch einander
verbuͤrgt haben, ſo entſteht die Fuͤlle, die Ganzheit, der
dauerhafte und vollſtaͤndige Menſch, wornach alle Einzelnen
geſtrebt haben. Alle muͤſſen zuſammen treten, zuſammen wir-
ken, ſich zuſammen verpflichten, damit er fuͤr jeden Einzelnen
wirklich werde. Dieſer vollſtaͤndige Menſch, an dem ſich alle
Einzelnen erheben, durch den ſich alle Einzelne vervollſtaͤndi-
gen, iſt der Staat, iſt dasjenige, was wir oben unter dem
Bilde des Vaterhauſes dargeſtellt. So waͤre nun die Vorſtel-
lung von einem vollſtaͤndigen und unvergaͤnglichen Menſchen,
welche die Seele mit ſich umher trug, realiſirt. Aber wie
kann man dieſes Weſen, welches immer außerhalb des Men-
ſchen bleibt, und das er ſich nie vollſtaͤndig anzueignen ver-
mag, eine Verwirklichung ſeines Ideals nennen? Ich antworte:
alles was der Menſch ſich aneignet, iſt nur in ſo fern ſein
eigen, als er ſelbſt dafuͤr Verpflichtungen eingegangen, als er
durch Verpflichtungen gegen Perſonen ſein Eigenthum ſelbſtthaͤ-
tig verbuͤrgt hat. Der Staat, dieſe groͤßte unter allen Sachen
und zugleich dieſe groͤßte unter allen Perſonen, iſt als Sache in
ſo fern wirklich ſein eigen, als er ſich ihm in ſeiner perſoͤnli-
chen Qualitaͤt perſoͤnlich und ſelbſtthaͤtig verpflichtet hat. Der
andere Zweck der Nationaloͤkonomie iſt dem-
nach, da der Staat unaufhoͤrlich die oͤkonomi-
ſche Exiſtenz des Einzelnen garantirt, in wie
fern der Einzelne fuͤr die oͤkonomiſche Erhaltung
des Ganzen lebt, die Belebung des Verhaͤltniſ-
ſes der Perſonen und Sachen zum Staate.
[21]
Da nun aus dem Verhaͤltniſſe des Menſchen zu den
Sachen, ſich die zu den Perſonen, und die zum Staate
ganz von ſelbſt und nothwendig ergeben: da der Menſch an
allen Orten und zu allen Zeiten in oͤkonomiſcher Ruͤckſicht zu
den Sachen in dreyfacher Relation ſteht, zuerſt um ihrer
ſelbſt Willen, dann um der Perſonen, und endlich um des
Staates Willen, wie er in juriſtiſcher Ruͤckſicht in dreyfachem
Verhaͤltniß zu den Perſonen ſteht, zuerſt um der Perſonen Wil-
len (in dem jure personarum) dann um der Sache Willen
(in dem jure rerum im weiteſten Sinne des Wortes, wohin
dann das jus obligationum und actionum gleichfalls ge-
hoͤrt) und endlich um des Staates Willen (in dem jure
publico) — ſo entſtehen drey große Grundformen des Eigen-
thums, die allenthalben, wenn der natuͤrliche Zuſtand der
Dinge keine Stoͤrung erlitten, auf der gleichen Stufe der
Ausbildung ſtehen werden, weil ſie ſich alle unter einander
verbuͤrgen: zufoͤrderſt reines Privateigenthum oder
Verhaͤltniß des Menſchen zu den Sachen um ihrentwillen,
dann corporatives Eigenthum, da der Menſch ver-
mittelſt perſoͤnlicher Verpflichtungen in einem Verhaͤltniſſe
zu den Sachen ſteht, wohin alle Arten des Familien- und
Gemeinde-Eigenthums, und das Fideicommiſſariſche, das
Lehen, kurz alle die Formen des Eigenthums gehoͤren, die
von perſoͤnlichen und Dienſt-Verpflichtungen unzertrennlich
ſind, endlich Staatseigenthum, da der Menſch im
Verhaͤltniß zu den Sachen um der Erhaltung des Ganzen
Willen ſteht.
[22]
Wenn wir die Sache wiſſenſchaftlich ſtreng nehmen, ſo
tritt dieſe dreyfache Relation bey jedem einzelnen Eigenthume
ein, und da ſich alle drey unter einander verbuͤrgen und be-
dingen, ſo hat der Einzelne uͤberhaupt nur ein Eigenthum,
in wie fern er das Object desſelben zugleich als Privateigen-
thum, als corporatives und als Staatseigenthum betrachtet
und behandelt, mit andern Worten, in wie fern er die ihm
eigenthuͤmliche Sache mit den Perſonen zu theilen, und dem
Staate hinzugeben, allezeit bereit iſt. In dieſem Sinne nur
hat er auch das Eigenthum ſeiner eigenen Perſon, und das
fuͤhrt ſeine ganze Stellung als Glied eines großen Ganzen
unaufhoͤrlich mit ſich, daß er ſeine ſaͤchliche und perſoͤnliche
Eigenthuͤmlichkeit zu theilen und aufzuopfern an allen Orten
bereit ſey. Das wird das Kennzeichen ſeyn, ob er ſich jenes
Ideal eines vollſtaͤndigen und dauerhaften Menſchen, das er
in ſich trug, und das nur die Geſellſchaft im Ganzen reali-
ſiren kann, tuͤchtig und innig angeeignet hat; ob ſein Stre-
ben nach Fuͤlle und Unvergaͤnglichkeit, worin ſein menſchlicher
Charakter und ſeine Vernunft ſich offenbart, wirklich befrie-
digt iſt; und ob er das einzig ſichere Eigenthum erlangt hat,
zu dem er nur herangelockt wurde, durch den vergaͤnglichen
Schein des Privateigenthums, wie er uͤberhaupt zu allen
hoͤheren Befriedigungen ſeines Daſeyns, durch den gemeinen
Hunger und Durſt herangewoͤhnt worden iſt.
Dem gemeinen Auge erſcheint nur da, wo ihm Privat-
eigenthum zugeſtanden wird, wirkliche Befriedigung; wo es
theilen muß, oder mit dem Ganzen beſitzt, ſieht es nur Nieß-
brauch — gerade wie dem kindiſchen Auge die Erde zu ruhen,
[23] und der Himmel ſich zu bewegen ſcheint. Dringt aber dieſes
Auge in die Weſenheit der Verhaͤltniſſe, ſo ſieht es das wirk-
liche Eigenthum nur in dem gemeinſchaftlichen Beſitz, und in
allem Privateigenthume nur Nießbrauch und Vergaͤnglichkeit,
obwohl einen fuͤr das Ganze ſehr weſentlichen Nießbrauch,
und eine unentbehrliche Vergaͤnglichkeit, weil das hoͤhere
wirkliche und dauerhafte Eigenthum dadurch erſt moͤglich und
ſichtbar wird. Nun iſt es entdeckt, daß der Himmel ruhe,
und ſich die Erde bewege, daß das wahre Eigenthum des
nach Sicherheit und Ruhe ſtrebenden Geiſtes dort hinuͤber
fallen muͤſſe, und nicht hierher, und daß durch den fruͤheren
Schein einer ruhenden Erde, die Seele nur an ein Beduͤrfniß
der Ruhe herangewoͤhnt werden ſollte, welches aber die Erde
allein nicht befriedigen konnte.
Vielleicht gibt es noch eine hoͤhere Stufe des Eigenthums,
wo, wenn die bewegte Erde in ihrem Verhaͤltniß zu dem ruhen-
den Himmel, der vergaͤngliche Einzelne in ſeinem Verhaͤlt-
niſſe zu dem bleibenden Staate lange betrachtet worden, nun
auch die Bewegung des Himmels wie die des Staates wahr-
genommen wird, und die mit dem Beduͤrfniß der Ruhe und
des ſicheren Eigenthums nun ganz verwachſene Seele, ein
ganz unbedingtes Eigenthum und eine ganz ungeſtoͤrte Ruhe
entdeckt. — Hier iſt nur eine Andeutung moͤglich, aber eine
zur Vollſtaͤndigkeit meiner Darſtellung ſehr weſentliche An-
deutung: denn das iſt die Gruͤndlichkeit der Behandlung eines
ſolchen Gegenſtandes, daß er an alle hoͤheren Beduͤrfniſſe des
Menſchen, an ſeine vollſtaͤndige Natur angeknuͤpft werde,
und nicht bloß durch ſeine innere Fuͤlle und Ordnung gelte,
[24] die, wie die Unzugaͤnglichkeit der bisherigen vorwitzig abge-
ſchloſſenen Theorie zeigt, auch nur in Verbindung mit der
uͤbrigen aͤußeren Weltordnung zu zeigen iſt.
Ich kann nicht, wie es bisher geſchehen, in der National-
oͤkonomie die Sachen und ihre Herbeyſchaffung von den Per-
ſonen trennen; denn das ganze Leben der Sachen, ihr ſich
vermaͤhlen unter einander und produciren, koͤmmt ja aus den
Perſonen: deßhalb muß ich ſo gut wie der Juriſt vor allen
Dingen vom Eigenthum handeln; er betrachtet das Eigen-
thum vielmehr wie es durch den Willen der Menſchen iſt,
der Oekonom vielmehr, wie es durch die Natur der Sache
und der Verhaͤltniſſe wird. Der ganze Nationalreichthum
aber iſt in letzter Inſtanz nur in ſo fern etwas werth, als
er einer beſtimmten Nation natuͤrlich und ſicher und unauf-
loͤslich angeeignet iſt, wie auch von ihr behauptet werden
koͤnne: da nun der gegenwaͤrtige Juriſt nur nach dem Willen
fragt, der das Geſetz gegeben, und das Eigenthum conſti-
tuirt hat; die Macht hingegen, welche die Geſetze ausfuͤhrt,
und das Eigenthum behauptet, nur praͤſumirt, ſo begreift
ein Kind, daß die ſichere Aneignung, von der alle Werthe
unſeres Reichthums, und alle Buͤrgſchaft unſeres oͤkonomi-
ſchen Erwerbes abhaͤngen, nicht von der dermahligen Rechts-
lehre garantirt werden koͤnne. Demnach muͤſſen wir uns
dieſe Garantie ſelbſt ſchaffen, und unſern Reichthum ſo
entſtehen und wachſen laſſen, daß er ſich ſelbſt behaupten
koͤnne.
[25]
Es kommt eine Zeit, und ſie iſt nicht entfernt, denn der
Motive ihre Ankunft zu beſchleunigen gibt es unzaͤhlige, wo
auch die Rechtslehre ſich mit einer bloßen Praͤſumtion der
Macht, oder mit einem bloß idealiſchen Rechte nicht mehr
begnuͤgen, und wo ſie, wie wir, einſehen wird, daß ſie nur
beſtehen koͤnne, in wie fern ſie ſich mit uns in den Mittel-
punct alles politiſchen Lebens begibt.
Indeß merke der Leſer wohl die bedeutende Abweichung
unſerer Lehre von der des Locke, Hume, Adam Smith und
der Oekonomiſten, daß wir naͤhmlich vor allen Dingen von
der Idee des Eigenthums ausgehen, die bey jenen Autoren
ohne weiteren Anſpruch der Jurisprudenz hoͤflichſt uͤberlaſſen
worden iſt.
[26]
Drittes Kapitel.
Feod und Allod.
Die Inſtitutionen des Mittelalters bezeugen alle, daß man
in jenen Zeiten zwey Hauptgattungen des Eigenthums aner-
kannte, das Feod und Allod, unbeſchraͤnktes und auf [Treu]
und Glauben uͤberlaſſenes Eigenthum. Das Feod hat nach
aller Geſchichte und allen Rechtsanſichten jener Zeit die
Prioritaͤt, die ihm von wegen Gott und der Natur der Dinge
an allen Orten zukommt; das Allod kennt man nur als er-
wachſend aus dem ſparſamen Nießbrauch des Feod, und von
allen Seiten bedingt und beſchraͤnkt durch dieſes. Das lau-
fende Jahrhundert erklaͤrt hingegen, daß es dem Feod, dem
Eigenthum, welches auf die Bedingungen dafuͤr zu leiſtender
Dienſte und eventuellen Heimfalls uͤberlaſſen wurde, und,
welches in der Kindheit der Staaten zur Befeſtigung der-
ſelben beygetragen haben moͤge, nunmehr entwachſen ſey;
daß es die reichen und in alles politiſche Leben (wie alle
Jugendeindruͤcke) tief verwachſenen Spuren des Feod, oder
den ſogenannten Feudalismus, verfolge und zerſtoͤre wo es
koͤnne; daß es nur Eine Form des Eigenthums, naͤhmlich
das nach Maaßgabe des Roͤmiſchen Privatrechts umgeformte
Allod anerkenne, und, weil die Kunſt, vermittelſt einer bloßen
[27] Subordination der Individuen, einer Concentrirung der
Macht, und der trefflichen Erfindungen des Pulvers und der
ſtehenden Heere, alles Privateigenthum zu beſchuͤtzen und in
ſeinen Schranken zu erhalten, von den Fortſchritten der Zeit
herbeygefuͤhrt worden, nun auch die Sanktion des Glaubens
oder einer gegenſeitigen Dienſtverpflichtung nicht weiter von-
noͤthen ſey. —
Es folgt aus meiner ganzen obigen Darſtellung, daß,
wenn alles Eigenthum einſeitiger Natur iſt, wenn es gar
keine Beziehung von Wechſelverhaͤltniſſen und Wechſelverpflich-
tungen der Perſonen auf Sachen gibt (wie ſolche zwiſchen
dem Lehnsherrn und ſeinen Vaſallen mit Beziehung auf das
verliehene Grundſtuͤck exiſtirt) auch keine Wechſelverpflichtung
zwiſchen den Regierenden und Unterthanen, mit Beziehung
auf das große gemeinſchaftliche Eigenthum, welches Staat
heißt, Statt finden koͤnne.
Wie vieles waͤre gewonnen, wenn diejenigen, welche ſich
in dieſen Tagen der Zerruͤttung, zu den ſogenannten guten
Grundſaͤtzen, oder den Grundſaͤtzen der Ordnung und des
Rechts bekennen, einſehen moͤchten, daß ſie mit den beſten
Abſichten doch nur an der Oberflaͤche verweilen, ſo lange,
bis ihnen der Grundſatz, daß es nur eine Art des Eigen-
thums, naͤhmlich das ganz unbedingte Privateigenthum geben
koͤnne, als der oberſte oder innerſte Grundſatz der Zerſtoͤrung
einleuchtet. Gibt es nur Privateigenthum, ſieht alles Eigen-
thum abgeſondert fuͤr ſich um den iſolirten Eigenthuͤmer her,
ſo kann die Regierung, wie liberal und wohlmeinend ſie
auch ſey, ihre Beſtimmung, Eigenthum und Eigenthuͤmer zu
[28] ſchuͤtzen, nur durch Zwang, durch ein eiſernes Band er-
reichen, welches ſie um das Buͤndel iſolirter Eigenthuͤmer,
die durch keine gegenſeitigen Verpflichtungen in einander ge-
wachſen ſind, umher wirft.
Alle Staatslehren unſerer Tage, haben ſich bewußtlos an
ſolche Roͤmiſche Rechtsbegriffe von der Alleinherrſchaft des
Privateigenthums angeſchloſſen, und ſie beſtaͤtigen die Wahr-
heit meiner Folgerung, indem ſie kein Mittel der Regierung
anerkennen, als den Zwang, und ſomit eingeſtehen, daß
die Perſonen in den Haͤnden der Staatsgewalt nichts anderes
ſind, als ihren juriſtiſchen Lehrern zu Folge, die Sachen in
den Haͤnden der Perſon, naͤhmlich Privateigenthum. Sie
conſtituiren die Staatsgewalt zum unbedingten Despotismus.
Daß ſie das Recht erzwungen, und nach dem Geſetze die
Perſonen gezwungen wiſſen wollen, aͤndert die Sache nicht:
denn, wenn man eine geraume Zeit hindurch zwingen will,
ſo muß man wohl nach einer gewiſſen Regel zwingen.
Die freye Anerkennung aller macht erſt das Geſetz zum
Geſetz; dieſe freye Anerkennung offenbart ſich aber nicht durch
eine Stimmenſammlung, der gerade in dieſem Augenblicke
dem Zwange des Geſetzes unterworfenen, ſondern in dem Ur-
ſprung des Geſetzes aus dem Contrakte, nicht aus dem ein
fuͤr allemahl abgeſchloſſenen Contrat social, ſondern aus
dem freyen und unendlichen Contrahiren und Wechſelverpflich-
ten der Perſonen unter ſich, und mit dem Staate und ſeinen
Repraͤſentanten, welches ich oben beſchrieben, wovon in der
ganzen Weltgeſchichte nur die Staaten der neuern, der chriſt-
lichen Zeit ein Beyſpiel geben. Dieß heißt: freye Anerkennung
[29] des Geſetzes; ſo wird erſt das Geſetz zum Rechte: und
dieſes Recht mag dann auch immerhin rechtlich erzwungen
werden. —
Die einzige Staatsform, welche die curſirenden Staats-
lehren ſtatuiren, iſt der Despotismus, wie ſehr ſie ihn auch
daͤmpfen wollen, dadurch, daß ſie die geſetzgebende Macht
und ihre Mittel, die Rede- und Preßfreyheit, dem Volke
anvertrauen, und ſomit die ganze Staatsgewalt wieder als
ein idealiſches Privateigenthum dem Volke unterwerfen.
Koͤnnte ſich das Volk auch wirklich als oberſter Privateigen-
thuͤmer der Staatsgewalt, und dadurch ſeiner ſelbſt conſtitui-
ren, ſo haͤtten wir nur die alte Fabel: ein Rieſe traͤgt die
Erde, der Elephant den Rieſen, den Elephanten eine Schild-
kroͤte u. ſ. f. und beym Despotismus bliebe es: wer ihn
ausuͤbte, waͤre gleichguͤltig.
Die Freyheit iſt alſo nur, wo Wechſelverpflichtungen ſind;
wo mehrere Arten des Eigenthums ſich unter einander zugleich
daͤmpfen und verbuͤrgen; wo das Privatrecht an allen Stellen
durch einen echten Feudalismus gemaͤßigt iſt. Denn geſetzt
auch, eine milde und menſchliche, aber auf Roͤmiſchen Princi-
pien beruhende Staatsgewalt, wuͤßte innerhalb des eiſernen
Bandes, allen Zwang ſo zu vermenſchlichen, daß das Leben
wirklich nach Freyheit ſchmeckte, ſo bleibt dieſe Freyheit vor
dem Geſetz, wenn ſie auf dem unbedingten Privateigenthum
errichtet wird, doch nur ein voruͤbergehender Euphemismus;
bey dem erſten Stoß eines auswaͤrtigen Siegers wird die Ge-
brechlichkeit der Sache weltkundig werden, und man wird
das Kind bey ſeinem wahren Nahmen nennen.
[30]
Was man dem Staat an aͤußerer Macht durch ſtehende
Armeen, Feſtungen, durch eine weiſe Subordination und
durch Zwang hinzu thut, iſt ſehr wichtig; aber es iſt ſehr
unbedeutend gegen die uralte, durch die Beduͤrfniſſe langer
Jahrhunderte befeſtigte innere Bindung des Staats, durch ein
uͤber ſeine ganze Oberflaͤche hin gewachſenes Netz von Wechſel-
verpflichtungen und gegenſeitigen Verbuͤrgungen, zumahl,
wenn dieſe Verpflichtungen uͤber das Eigenthum aller Eigen-
thume, uͤber die Erhaltung des Staates ſelbſt, oder doch uͤber
das Grundeigenthum, wie beydes in dem verrufenen Verhaͤlt-
niſſe des Lehnsherrn zum Vaſallen, und in dem Verhaͤltniß
des Grundherrn zu ſeinem pflichtigen Bauer der Fall iſt,
eingegangen worden ſind. Es bedarf ein Jahrhundert, um
ſolche feudaliſtiſche Bande zu zerſtoͤren, und den darauf ge-
gruͤndeten eigentlichen Freyſtaat zu unterjochen; eine kurze
Zeit gehoͤrt hingegen dazu, um die in dem Roͤmiſchen
Zwangsſtaat ſchon hinreichend iſolirten Privateigenthuͤmer
vollends aus einander zu ſetzen, oder zu ſprengen. —
Auch ich weiß es und erkenne es an, daß in unſern Tagen
an unzaͤhligen Stellen die feudaliſtiſchen Bande druͤcken, wie
eiſerne Roͤmiſche: aber die feudaliſtiſchen Eigenthuͤmer, die den
Fluch der Zeit theilen, die den Glauben brechen, dem ſie ihr
Eigenthum verdanken, die ihre Vaſallen und Dienſtleute und
das Grundſtuͤck dazu, wie Roͤmiſches Privateigenthum behan-
deln, die von keiner Gegenſeitigkeit, ſondern nur von Roͤmi-
ſcher Einſeitigkeit des Beſitzes wiſſen, beweiſen nichts, als
was wir ſo oft erfahren, daß das Herrlichſte durch den Miß-
brauch zum Verworfenſten, und das Beſte in der Entartung
[31] zum Schlechteſten wird. Wiſſenſchaft und Geſetzgebung muͤſ-
ſen um ſo feſter an den gemißbrauchten Inſtitutionen halten,
das verblendete Geſchlecht uͤber den alten Geiſt derſelben er-
leuchten; zeigen, daß alle Rettung und alle Zukunft davon
abhaͤngt ihn zu behaupten; thaͤtig angreifen, um ihn zuruͤck
zu fuͤhren, und die unmittelbaren Spuren die er hinterlaſſen,
aufrecht erhalten, wo ſie ſich vorfinden moͤgen, bis, wie es
in einem Europaͤiſchen Lande der Fall iſt, der Geiſt der
Wechſelverbuͤrgung ſich in alle geheimſten Adern des Staates
verfloͤßt hat, und dann die aͤußeren urſpruͤnglichen Formen
dieſes Geiſtes weniger nothwendig ſind.
Wenn wir nunmehr die oͤkonomiſchen Angelegenheiten der
Voͤlker naͤher ins Auge faſſen, ſo ergibt ſich, daß nur der
kleinſte Theil aller oͤkonomiſchen Geſchaͤfte privative und mit
iſolirten Kraͤften getrieben werden koͤnne. Die Meiſter der
oͤkonomiſchen Schulen haben uns ſelbſt von dem ungeheuren
Wachsthum der Wirkung unterrichtet, die durch Theilung
der Arbeit, das heißt: durch die Verbindung mehrerer zu
einem Geſchaͤfte erreicht werden kann: ferner iſt, wie allge-
mein bekannt, auch die Europaͤiſche Oekonomie dahin gedie-
hen, daß alle fuͤr den Einzelnen, der Einzelne fuͤr alle ar-
beitet, das heißt: daß alle ſich fuͤr das Geſchaͤft der oͤkonomi-
ſchen Verſorgung des Einzelnen verbinden muͤſſen, und, wenn
der Einzelne ſein beſonderes Geſchaͤft ſoll mit Erfolg treiben
koͤnnen, ſich auch die Beduͤrfniſſe aller auf dem Markte
vereinigen muͤſſen.
Dieſe Vereinigung vieler Producenten fuͤr die Befriedi-
gung eines einzelnen Beduͤrfniſſes, und vieler Beduͤrfenden
[32] um den Productionen eines einzelnen Producenten zu genuͤ-
gen, iſt freylich nur eine ganz mechaniſche Vereinigung, und
auf dem erſten Blick ſcheint ſie auf dem bloßen Privateigen-
thum zu beruhen. Der einzelne Arbeiter traͤgt das Privat-
eigenthum ſeiner mehrſtuͤndigen Kraft taͤglich in die Manu-
factur, und erhaͤlt dafuͤr ein gleichgeltendes Privateigenthum
an Tag- oder Wochenlohn zuruͤck: er bleibt in allen dem,
was er außer dem Privateigenthum ſeiner Kraft noch hat oder
iſt, unbeſchraͤnkter Gebieter uͤber ſeine eigene Perſon. Eben
ſo der Unternehmer der Manufactur, ohne ſich zu einer wei-
teren perſoͤnlichen Sorge fuͤr ſeinen Arbeiter in Faͤllen von
Krankheit, Ungluͤck, Alter zu verpflichten, gibt das Privat-
eigenthum ſeiner Vorſchuͤſſe, Auslagen, Abloͤhnungen fuͤr das
andere Privateigenthum des fabricirten Productes hin. Kurz
wir ſehen nur Tauſche des Privateigenthums gegen einander:
die Perſoͤnlichkeit der Tauſchenden bleibt faſt ganz außer dem
Spiel, außer der Verpflichtung.
Eben ſo, ohne weitere perſoͤnliche Verbindung der Kaͤu-
fer, verſammelt der Kaufmann die verſchiedenartig Be-
duͤrfenden (wie der Fabrikant die verſchiedenartig Arbeitenden)
vertheilt unter ihnen das Privateigenthum der verſchiedenen
Waaren, und erhaͤlt dafuͤr von ihnen das, der verſchiedenen
Preiſe, Auslagen, Unkoſten, Zinſen ꝛc. ohne daß weiter
irgend eine perſoͤnliche Verpflichtung entſtuͤnde. — Es ſollte
alſo ſcheinen, es ſey im ganzen Gebiete der ſtaͤdtiſchen Ge-
werbe und Manufactur von nichts als Privateigenthum die
Rede, und hier koͤnne alle weitere perſoͤnliche Gemeinſchaft
mit Beziehung auf die Sachen entbehrt werden?
[33]
Aber ſo iſt es nicht: das ganze Geheimniß ſteckt im Gelde.
Im Gelde, in einer allgemein guͤltigen, jedem annehmlichen
Waare verbirgt ſich die geſammte Perſoͤnlichkeit, verbirgt
ſich das perſoͤnliche Band, welches dieſe Arbeiter und dieſe
Beduͤrfenden unter einander verknuͤpfte. Der beſte Beweis,
daß nur das Geld ſie verbunden hat, iſt, daß das Band zer-
reißt, ſo bald das Geld fehlt, daß der Arbeiter alsbald ſei-
nen Principal, der Kaufmann ſeinen Kunden fahren laͤßt —
oder, daß unmittelbar eine perſoͤnliche Verpflichtung an
die Stelle des Geldes tritt: ein Wort, ein Wechſel, eine
Schuld — woraus unmittelbar folgt, daß das Band der
Manufactur und des Marktes, eigentlich ein perſoͤnliches iſt,
wie auch das Geld, welches nur circulirend, von einem zum
andern uͤbergehend, und zwiſchen zwey Perſonen vermittelnd
zu denken iſt, niemahls ein Gegenſtand des unbedingten Privat-
eigenthums ſeyn kann. — So offenbart ſich dann die un-
gluͤckliche Richtung aller unſerer Arbeit auf das Privateigen-
thum, und die Reaction des verſaͤumten Feod auf das Allod,
theils in den Stockungen des Marktes der Arbeit und der
Waaren, theils in dem ſteigenden Schuldenweſen des Staats
und der Privaten. —
Adam Smith geſteht ein, daß die Theilung der Arbeit
ohne Dazwiſchenkunft des Geldes nicht vollfuͤhrt werden koͤn-
ne: ſehr wahr, wegen der Unendlichkeit von Crediten, die
zugeſtanden werden muͤſſen. Aber die Sache liegt noch etwas
tiefer: durch die Theilung der Arbeit entſtehen verfeinerte
Gegenſtaͤnde des Privateigenthums; aber in den Anfaͤngen
der buͤrgerlichen Geſellſchaft gibt es, wie ſchon oben bemerkt,
Theoret. Theil C
[34] meiſtentheils nur Feod, nur perſoͤnliche Verpflichtungen der
Menſchen mit Beziehung auf Sachen: die Arbeit theilt ſich
auch nicht, weil niemand des Produktes dieſer getheilten Ar-
beit bedarf. So bald ſich aber aus und neben dem Feod ein
Allod entwickelt hat, das heißt: aus und neben dem Ge-
meindeeigenthum ein Privateigenthum, eben ſo bald iſt auch
ein Beduͤrfniß da, das Gemeindeeigenthum in das Privat-
eigenthum umzuſetzen und umgekehrt. Dieſer Umſatz geſchieht
entweder vermittelſt eines perſoͤnlichen Mittels: des
Wortes oder des Credits, das heißt: vermittelſt des perſoͤn-
lichen Glaubens oder der perſoͤnlichen Allgemeinguͤltigkeit, die
ſich ein Menſch zu verſchaffen gewußt — oder vermittelſt eines
ſaͤchlichen Mittels: einer allgemein guͤltigen Waare.
Dieſes Mittel, es ſey perſoͤnlicher oder ſaͤchlicher Natur, oder
beydes, welches man mit dem alle dieſe verſchiedenen Natu-
ren umfaſſenden Nahmen: Geld belegt, iſt im Grunde nur
ein Subſtitut des Staates oder der buͤrgerlichen Geſellſchaft
ſelbſt. Etwas in gewiſſem Sinne Allgegenwaͤrtiges ſagt fuͤr
unſere kuͤnftigen Beduͤrfniſſe, fuͤr die nicht gerade zur Stelle
anweſenden Waaren, die wir brauchen, gut: wer kann dieß
anders, als der an allen Orten innerhalb ſeines Bezirks,
und bey allen Geſchlechtern innerhalb ſeiner Zeitdauer, gegen-
waͤrtige Staat.
Die Macht der Waare, die um des Beyeinanderſeyns
Willen mit Allen von Allen geſucht wird, die Macht des
Wortes oder des Glaubens, worin ſich viele oder alle Mit-
glieder der buͤrgerlichen Geſellſchaft vereinigen: beyde Maͤchte
ſind nur Offenbarungen des Beduͤrfniſſes aller bey einander
[35] zu ſeyn, oder ſich doch ohne Ende auf perſoͤnlichem oder
ſaͤchlichem Wege zu beruͤhren; alſo der Geſellſchaft, alſo des
Staates. Das Geld demnach, wo es erſcheint, und wie es
erſcheint, ob als Wort oder als Metall iſt nur Geld, in wie
fern es kein Privateigenthum, ſondern in wie fern es wie der
Staat ſelbſt, Gemeindeeigenthum moͤglichſt vieler, ja aller iſt.
Denn noch einmahl: nur im Moment des Umſatzes oder der
Circulation ſind die Subſtanzen des Geldes wirklich Geld:
und in dieſem Moment ſind ſie Feod. —
Mehrerley bisher verbundene Arbeit kann ſich alſo nur
theilen, in wie fern Privateigenthum moͤglich iſt, aber Pri-
vateigenthum iſt nur moͤglich, in wie fern der Staat ſelbſt,
oder das Beduͤrfniß der perſoͤnlichen und ſaͤchlichen Gemein-
ſchaft ſchon maͤchtig genug iſt, um die verſchiedenen Gegen-
ſtaͤnde desſelben perſoͤnlich, in der Geſtalt des Geldes unter
einander zu vermitteln. — So wuͤrde ich die Vorſtellung des
Adam Smith von dem Verhaͤltniß des Geldes zur Theilung
der Arbeit periphraſiren.
Zugleich haͤtten wir nunmehr gezeigt, daß die drey gleich
nothwendigen Formen des Eigenthums, Privateigenthum
(Allod) Gemeindeeigenthum (Feod) und das beyde umfaſſende
Staatseigenthum, ſich nothwendig aus einander oͤkonomiſch
entwickeln, und einander fortgehend bedingen; ferner, daß es
eine bloße Taͤuſchung ſey, wenn man waͤhnt, daß irgend ein
oͤkonomiſches Geſchaͤft, zum Beyſpiel: das ſtaͤdtiſche Ge-
werbe, auf einer Baſis von bloßem und abſolutem Privateigen-
thume vor ſich gehen koͤnne; endlich, daß, wenn man bey
ſolchem Gewerbe, verfuͤhrt durch den Umſtand, daß das Geld
C 2
[36] auch eine Waare, und, wenn es ruht, Gegenſtand des
Privateigenthums iſt, allen perſoͤnlichen und feudalen Ver-
pflichtungen ausweicht, und ſich bloß auf das abſolute Pri-
vateigenthum ſtuͤtzt, wie es zum Beyſpiel geſchieht, wenn
man in unſeren Theorien das Manufacturſyſtem durchaus an
die Stelle des Zunft- und Innungsſyſtems ſetzt — dieſes Ge-
werbe in ein allgemeines Schuldenweſen, und in die Brot-
loſigkeit der Arbeiter ausgehen, alſo verderben muͤſſe.
Jedermann wird mir nach dieſen Betrachtungen einraͤu-
men, daß, wenn alles feudaliſtiſche Weſen aufgehoben waͤre,
auch das prahleriſche Syſtem unſerer Induſtrie nothwendig
zuſammenſinken muͤßte. Schon in dem gegenwaͤrtigen Zu-
ſtand der Dinge, wo doch noch die meiſten unſerer buͤrger-
lichen Einrichtungen im Zuſammenhange mit ihrer feudaliſti-
ſchen Quelle ſtehen, und eigentlich erſt in wenigen einzelnen
Faͤllen die alten perſoͤnlichen Verpflichtungen in Geldpraͤſta-
tionen und privatrechtliches Eigenthum verwandelt worden,
iſt ein viel druͤckenderes perſoͤnliches Verhaͤltniß an die Stelle
der aufgehobenen getreten: das Staats- und Privatſchulden-
weſen. Keine Dienſtpflichtigkeit der Welt, weder des Vaſallen
gegen ſeinen Lehnherrn, noch des Unterthanen gegen ſeinen
Grundherrn, noch des Geſellen gegen ſeinen Meiſter u. ſ. f.
wie dieſe Dienſtverhaͤltniſſe auch von dem alten Charakter der
Gegenſeitigkeit abgefallen ſeyn mochten, iſt wohl an inner-
licher Schmach und Demuͤthigung mit dem Verhaͤltniß des
Schuldners gegen ſeinen Glaͤubiger zu vergleichen: und ſo iſt
die Welt auf der einen Seite dem Druck natuͤrlicher Ver-
pflichtungen entlaufen, um ſich auf der andern Seite nur deſto
[37] tiefer in ein ganzes Netz ſolcher Verpflichtungen kuͤnſtlich zu
verſtricken.
Die Macht des Geldes liegt darin, daß es zwiſchen dem
Privateigenthum und dem perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe (zwiſchen
Sachen und Perſonen) zu vermitteln im Stande iſt: je leb-
hafter die Wechſelwirkung zwiſchen dieſen beyden gleich noth-
wendigen Elementen alles Verkehrs iſt, um ſo mehr hat das
Geld zu vermitteln, und um ſo leichter geht dieſe Function des
Geldes von ſtatten. So bald aber die Zeit, in ungluͤcklicher
Verblendung, gegen eines dieſer beyden Elemente des politi-
ſchen Lebens zu wuͤthen anfaͤngt, und es ihr, ſelbiges zwar
nicht zu vertilgen, doch zu ſchwaͤchen gelingt, ſo laͤßt die
Wechſelwirkung, alſo die Gewalt des Geldes nothwendig nach:
das Privateigenthum, die Waaren, die Sachen, fangen einer-
ſeits an ſich zu haͤufen, und die Arbeiten theilen ſich im
Wege des Privatrechts ins Unendliche; aber da andererſeits
die perſoͤnliche Kraft unterdruͤckt, und die große Wechſelge-
meinſchaft unter den Perſonen und Sachen aufgehoben wird,
durch die, wie oben erwieſen, erſt die Theilung der Arbeit
raͤthlich und moͤglich wird, ſo muß der Markt in ſeinen
Waaren erſticken, die getheilte Arbeit an allen Enden uͤber-
fluͤſſig werden, unzaͤhlige Contrakte muͤſſen unſaldirt bleiben,
Schulden ſich uͤber Schulden haͤufen, und das Geld in ſei-
nem Werthe mehr und mehr ſinken (oder die Theurung zu-
nehmen, wie man ſich im gemeinen Leben ausdruͤckt) ſchon
weil die Perſoͤnlichkeit im Gelde, der ſich darin offenbarende
Staat nicht mehr, und weil es nur als eine Waare unter
vielen Waaren geachtet wird.
[38]
Anſtatt des natuͤrlichen Glaubens an die Kraft der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft im Ganzen, und an die Dauer aller
der einzelnen perſoͤnlichen Wechſelverpflichtungen, auf denen ſie
beruht, haͤtten wir nunmehr unſer kuͤnſtliches Creditweſen,
das ſich nur auf die alberne Hoffnung moͤglicher, kuͤnftiger,
beſſerer Zeiten, und auf nichts Gedenkbares anderes ſtuͤtzt.
Die Zahlungsunfaͤhigkeit muß weiter um ſich greifen, in
dem Maaße, wie die Macht des Geldes abnimmt; die Macht
des Geldes muß nachlaſſen, in dem Maaße als die Wechſel-
wirkung der politiſchen Elemente durch die Unterdruͤckung
eines dieſer Elemente, nachlaͤßt; denn der Staat iſt dieſe
Wechſelwirkung und die ganze Macht des Geldes von ihm
abgeleitet.
Die Raſerey, die auch das Grundeigenthum im Allge-
meinen zum Gegenſtande des abſoluten Privateigenthum ma-
chen will, und alle perſoͤnlichen daraus erwachſenen Wech-
ſelverpflichtungen abzuſtreifen unternimmt, habe ich bereits
an einem anderen Orte in ihr gehoͤriges Licht geſtellt. Die
Familie endlich, ſollte man glauben, waͤre doch eine Zuflucht
fuͤr den Feudalismus, aus der er von keiner Macht der Erde
verdraͤngt werden koͤnnte; mit Beziehung auf die Familien-
glieder muͤſſe das Gemeineigenthum und ein perſoͤnliches Wech-
ſelverhaͤltniß aufrecht erhalten werden, wenn auch in allen
andern Ruͤckſichten das Privateigenthum die Oberhand be-
hielte. Sicherlich iſt die chriſtliche Vorſtellung von der Ehe
eine Hauptquelle des Feudalismus, und ihre Natuͤrlichkeit
und Unzerſtoͤrbarkeit die ſicherſte Buͤrgſchaft fuͤr die Fortdauer
desſelben. Aber auch hier hat die moderne Theorie der
[39] Geſetzgebung ſchon privatiſirt und das Intereſſe iſolirt, wo
ſie gekonnt hat: die Erfolgloſigkeit dieſer Verſuche leuchtet
nicht deutlicher ein, als wenn man ſich mit den unendlichen
Schwierigkeiten der Geſindepolizey unſerer Zeit naͤher bekannt
macht.
[40]
Viertes Kapitel.
Die Ehe und die Familie, als Schema aller
Haushaltung.
Die Vorſtellungen, welche von der Theilung und Privati-
ſirung aller oͤkonomiſchen Geſchaͤfte dermahlen in Umlauf ſind,
ſtehen mit der Realitaͤt dieſer Functionen in einem ſchneidenden
Widerſpruch. Ich habe bereits in meinen Elementen der
Staatskunſt gezeigt, daß die weſentliche Bedingung aller
Produktion in der Wechſelwirkung zweyer Kraͤfte liege: Werk-
zeug und Material, die Kraft des Bodens und der Arbeit
muͤſſen in ein Verhaͤltniß lebhafter Gegenſeitigkeit treten,
wenn ein Produkt erfolgen ſoll, und der Prozeß der Erzeu-
gung des Menſchen iſt das einzige vollſtaͤndige und allumfaſ-
ſende Schema jeder gedenkbaren Produktion. Aber ſolche ent-
gegengeſetzte Kraͤfte muͤſſen in eine dauerhafte und gewiſſer-
maßen ausſchließende Wechſelverbindung treten, wenn die
Produktion einen gewiſſen Grad der Vollkommenheit erreichen
ſoll: auch von dieſer Seite iſt die Ehe nach chriſtlichen Vor-
ſtellungen das genuͤgendſte Schema fuͤr alle oͤkonomiſchen
Zuſtaͤnde und Functionen. Hierin wenigſtens wird uns die
[41] Induſtrie-Philoſophie unſerer Zeit beypflichten: auch ſie ver-
langt, daß ſich der Producent auf eine beſtimmte oͤkonomiſche
Function ausſchließlich und fuͤr die Dauer beſchraͤnke, oder in
einer Art von Monogamie mit ſeinem Gewerbe lebe.
Erwaͤgen wir aber, daß das Weſen der Ehe nicht in dem
mechaniſchen Beyeinanderſeyn und Aneinanderhalten beruhe,
daß vielmehr beyde verbundene Kraͤfte entgegengeſetzter Art
ſich lebendig durchdringen, beyde, die Eine hoͤhere Kraft,
die ſie durch ihre Wechſeldurchdringung formiren, gruͤndlich
empfinden muͤſſen, wenn etwas Menſchliches nicht bloß pro-
ducirt, aber auch ausgebildet werden ſoll, ſo ergibt ſich,
daß die bloß mechaniſche oder thieriſche Vereinigung, der
mechaniſch oder thieriſch getheilten Kraͤfte zur Vollſtaͤndigkeit
des Produkts keineswegs hinreiche. Es kommt naͤhmlich dar-
auf an, daß das Produkt auch ſelbſt wieder eine dauer-
hafte und fruchtbare Verbindung (eine Ehe) ſchließen koͤnne;
kurz es koͤmmt darauf an, etwas Produktives zu produ-
ciren. —
Die geſammten Functionen, aus welchen die Haushal-
tung eines Staates beſteht, muͤſſen allerdings getheilt wer-
den, und in gewiſſem Sinne ohne Ende getheilt werden;
aber es iſt weſentlich nothwendig, daß ſie alle in einer eben
ſo unendlichen Wechſelverbindung bleiben. Dieſer unendliche
Zuſammenhang aller oͤkonomiſchen Functionen, dieſe Durch-
drungenheit Aller von Allen, iſt dasjenige, was wir die
Haushaltung des Staats nennen. Wenn die Theilung der
Kraͤfte zunimmt, muß die Macht der Vereinigung gleichfoͤr-
mig wachſen, und da keine Sache, wie allgemein beliebt ſie
[42] auch ſey, da nur die Lebenskraft, da nur der Geiſt dieſe
Vereinigung vollziehen kann, dieſe Lebenskraft des Geiſtes
aber nur in der Fuͤlle der menſchlichen Perſoͤnlichkeit zu finden
iſt, ſo kann die Theilung der Kraͤfte nur fortſchreiten, in
wie fern die Perſoͤnlichkeit des Menſchen, und alle die
lebendigen feudaliſtiſchen Verbindungen, von denen ſie ſich
naͤhrt, immer deutlicher und kraͤftiger heraustreten. So weit
war unſere Darſtellung ſchon im vorigen Kapitel gelangt.
Die richtige, von keiner vorwitzigen Theorie geſtoͤrte An-
ſicht unſerer Vorfahren von der weſentlichen Geſtalt des
politiſchen Lebens zeigt ſich insbeſondere noch darin, daß ſie
unter aller Theilung der buͤrgerlichen Gewerbe fuͤr eine kraͤf-
tige Vereinigung derſelben allenthalben ſorgten. Die Kuͤnſte,
die Wiſſenſchaften ſonderten ſich von einander ab, aber nur
in wie fern ſie ſich in eine deſto engere Corporation zunft-
maͤßig verbanden. Je mehr ſich die Functionen eines buͤrger-
lichen Geſchaͤftes unter verſchiedene Haͤnde vertheilten, um ſo
kraͤftiger griff der Meiſter die zertrennten Faͤden wieder in ein
Ganzes zuſammen; aber er ſelbſt, der Meiſter ſtand wieder
als Geſelle, als einzelner Arbeiter in dem Koͤrper der Zunft;
die einzelne Zunft lebte wieder in einer Art von Ehe mit
der Corporation der buͤrgerlichen Gewerbe; das buͤrgerliche
Gewerbe ſtrebte wieder nach einer Wechſeldurchdringung mit
dem laͤndlichen Geſchaͤft, welches der Adel repraͤſentirte, und,
wenn auch dieſes hoͤchſte Verhaͤltniß der oͤkonomiſchen Gegen-
ſeitigkeit im Staate, nirgends ganz und vollkommen erreicht
wurde, ſo finden wir doch alle oͤkonomiſchen Functionen in
einer entſchiedenen Richtung dahin begriffen.
[43]
So nun iſt es auch in der ewigen Natur der Dinge be-
gruͤndet: wie jeder einzelne Arbeiter im Kleinen ſeine Arbeit
und ſein Material durch fortgeſetzte Kunſtuͤbung zu einer
immer innigeren Durchbringung bringt, damit ſie ſtreitend
und nachgebend, ſowohl durch ihre Trennung als durch ihre
Vereinigung, mit einander ein wahrhaftes und durch ſeine
Lebendigkeit anſprechendes Produkt erzeugen, ſo im Großen
iſt der Staat ſelbſt der Meiſter, welcher das ſtaͤdtiſche Ge-
ſchaͤft und das laͤndliche im Ganzen, ſeine Arbeit und ſein
Material in eine ewige unendliche produktive Wechſelwirkung
bringt, die gleichfalls von der Ehe ihr hoͤchſtes und vollkom-
menſtes Schema erhalten wird.
Wie nun die geheimſten Fugen des ganzen Staatsver-
bandes in der Ehe liegen; wie die geſetzliche und ſittliche
Behandlung der Ehe das ſicherſte Kennzeichen von der tuͤch-
tigen Ausbildung aller geſellſchaftlichen Verhaͤltniſſe eines
gegebenen Staates darbiethet; wie der Hausvater, der
Meiſter der Familie, auf der einen Seite die ganze Fami-
lienvereinigung, die ganze Ehe repraͤſentirt, und auf der
anderen Seite wieder als Glied einer hoͤheren Familie, als
dienender Ehegatte in einer hoͤheren Ehe mit dem Allgemei-
nen, mit dem Staate lebt; und wie alle Perſonen im Staate
durch eine wunderbar verſchraͤnkte Gegenſeitigkeit ihr beſon-
deres Hausweſen herrſchend repraͤſentiren, waͤhrend ſie wie-
der dem andern groͤßeren Hausweſen als dienende Glieder
unterworfen ſind — ſo coordiniren ſich auch wieder alle Ge-
ſchaͤfte im Umkreiſe des Staates (ja das geſammte Staats-
geſchaͤft ſelbſt nicht ausgeſchloſſen) in wie fern ſie ſich ſubor-
[44] diniren, und eben ſo wird man ſie auch nie fuͤr den Zweck
einer gemeinſchaftlichen Wirkung ſubordiniren koͤnnen (worin
ja das ganze Problem der Staatskunſt liegt) ohne ſie einan-
der nach dem Geſetz einer innerlichen Gegenſeitigkeit, deren
einzig richtiges Schema die Ehe darbiethet, wieder zu
coordiniren. Darin daß man, ſtatt dieſes reineren Schema,
das der vaͤterlichen Gewalt aus dem Roͤmiſchen Rechte ent-
nommen, mit andern Worten, darin, daß man die Subor-
dination durch die Subordination hat erreichen wollen, waͤh-
rend ſie nur durch die Coordination bewirkt und garantirt
werden kann, darin liegen alle Irrthuͤmer, alles Umher-
ſchweifen der heutigen Staatskunſt.
Die Wahrheit des Grundſatzes, den wir am Schluſſe des
erſten Kapitels aufſtellten, daß es naͤhmlich der Staatswirth
insbeſondere mit Verhaͤltniſſen zu thun habe, und, daß eine
unbefangene, gerechte Wuͤrdigung derſelben die Bedingung
aller weitern oͤkonomiſchen Einſicht und Thaͤtigkeit ſey, wird
nunmehr heller einleuchten, nachdem gezeigt worden, daß
jedes oͤkonomiſche Geſchaͤft aus einem Verhaͤltniß zweyer wech-
ſelwirkenden Elemente beſtehe, ferner, daß ſaͤmmtliche oͤkono-
miſche Geſchaͤfte wieder in ſolchem Verhaͤltniſſe zu einander
ſtehen, und, daß die Staatshaushaltung im Ganzen alle
dieſe nach der Ordnung der Familien lebendig zuſammengrei-
fende Wechſelwirkungen, die ſich zuletzt in das große einfache
Verhaͤltniß der ſtaͤdtiſchen und laͤndlichen Wirthſchaft auf-
loͤſen, umfaſſe.
[45]
Alle dieſe Verhaͤltniſſe erfordern, wenn ſie produktiv ſeyn
ſollen, einen gewiſſen Grad der Dauerhaftigkeit; je mehr
Kraͤfte zuſammengreifen, um ſo mehr brauchen ſie Zeit ſich
unter einander zu fuͤgen, und im Zuſammenhange zu ent-
wickeln; je dauerhafter das Produkt ſeyn ſoll, um ſo ſicherer
und beſtaͤndiger muß die Verbindung, die Ehe ſeyn, aus der
es hervorgeht. So nun ſchließt ſich das vergaͤnglichere an
das bleibendere Verhaͤltniß, und dieſes wieder an die ewi-
ge Wechſelwirkung des laͤndlichen und ſtaͤdtiſchen Gewerbes,
alles verwebt ſich in einander und verbuͤrgt einander ſeine
Dauer, ſo wie die große Ehe des Staates alle die kleineren
Ehen im Staate traͤgt, und von ihnen getragen wird;
und dieſe Wechſelverbuͤrgung aller Geſchaͤfte mit einander
und aller Perſonen mit einander verwaͤchſt im Laufe der
Jahrhunderte in ſich und mit dem Boden, der ſie alle traͤgt.
Die ſo entſtandene Bindung iſt die Baſis aller politiſchen
Macht.
Man ſieht nunmehr was man von den oͤkonomiſchen Leh-
ren zu halten hat, die unter Nationalreichthum nicht mehr
meinen, als den Inbegriff einer Fuͤlle von Objecten des Pri-
vateigenthums. Setzen wir den Fall, die Maſſe dieſer Objecte
vermehrte ſich uͤber die in unſerem Staate obwaltenden Ver-
haͤltniſſe hinaus, und wir vernachlaͤßigten uͤber das Streben
nach den Sachen die perſoͤnliche Kraft, ja wir zerſtoͤrten,
um vorgeblich den einzelnen Privatarbeitern fuͤr ihre iſolirten
Arbeiten Luft zu verſchaffen, alle die unzaͤhligen Wechſelver-
pflichtungen, unter deren vereinigten Schutz und Schirm,
[46] und durch deren Gegengewicht die Abſonderung und Iſolirung
unzaͤhliger oͤkonomiſcher Functionen erſt moͤglich geworden —
ſo wird uns vielleicht anfaͤnglich der Welthandel taͤuſchen,
wir werden uns einſtweilen mit dem Ueberfluſſe unſerer Pro-
duktion an die Perſoͤnlichkeit der Nachbarſtaaten anſchließen,
und ein Schein uͤppigen Fortſchreitens wird uns eine Zeit
lang blenden; aber die Schwankungen des Welthandels,
die ewigen Wechſel der aͤußeren politiſchen Verhaͤltniſſe
werden uns bald belehren, daß wir mehr verloren als
gewonnen, daß wir nie ein Gut eintauſchen koͤnnen, wel-
ches uns fuͤr den Verluſt unſeres inneren Gleichgewichts
entſchaͤdige.
Je gewinnreicher unſer Handel iſt, je mehr und je viel-
faͤltigere Gegenſtaͤnde des Privateigenthums wir uns dadurch
aneignen, um ſo unſicherer und augenblicklicher wird unſer
Beſitz, weil er immer mehr außer Verhaͤltniß tritt, zu der
Perſoͤnlichkeit die ihn traͤgt. Der active Sechandel allein
hat die gluͤckliche Eigenſchaft, daß dort die Gefahren des
Elements den Lebensmuth um ſo viel ſteigern, als die Pri-
vatgenuͤſſe die er verſchafft, ihn ſchwaͤchen wuͤrden. Auch
liegt England ganz außer dem Umkreiſe unſerer Betrachtung,
wenn nicht gerade die ungeheure tauſendjaͤhrige unverletzte,
alle Inſtitutionen und Geſetze, ja alle einzelne Buͤrger durch-
dringende Perſoͤnlichkeit ſeiner Verfaſſung, mit deren Huͤlfe
es die Laſt des Welthandels auf leichten Schultern traͤgt,
das lehrreichſte Beyſpiel fuͤr die Wahrheit unſers Syſtems
darboͤthe, wenn nicht gerade die politiſchen Verhaͤlt-
niſſe ausgebildeter, und die Wechſelwirkung nach allen
[47] Richtungen der menſchlichen Thaͤtigkeit hin lebendiger waͤre
in England, als irgend wo ſonſt. —
Aber alle dieſe Theorien haben die Vorſtellung deſſen,
was dem Staate ſeine Haltung gibt, ſo ganz verloren, daß
ſie dem großen Waarenlager ihres Staates nur noch ein
großes Comptoir fuͤr den Welthandel hinzuzufuͤgen brauchen,
um ihr ganzes Geſchaͤft zu vollenden. Freylich kann das große
Waarenlager die kleinen, das große Comptoir die kleinen,
die es umſchließt, weder beſchuͤtzen noch verbuͤrgen. Dieſe
Sorge wird den Gerichtshoͤfen, wird der Polizey, und zu-
mahl den Armeen zugewieſen. Die militaͤriſche Macht insbe-
ſondere ſoll dann dieſes ſchwankende, zerriſſene, ſich nach außen
hinausſehnende, nach innen unbefeſtigte, fliegende, vergaͤngliche
Weſen vertheidigen, nachdem der Stoff, welcher das Heer
bildet, ſelbſt entartet, von allen maͤnnlichen Gefuͤhlen abge-
wendet, in wucheriſchen Friedensfaulheiten erzogen worden,
und kein hoͤherer Antrieb in den Herzen zuruͤck geblieben,
als die kluͤgelnde Begeiſterung, welche Waarenlager und
Comptoirs einfloͤßen koͤnnen.
Entwoͤhnt euch zufoͤrderſt, den Reichthum nach bloßen
Maſſen und Summen und Zahlen zu ſchaͤtzen! Erwaͤgt wie
unendlich gerecht ſich dieſe Maſſen vertheilen muͤſſen, damit
jeder Einzelne zu rechter Stunde, an ſeinem Ort, ſo viel
und von der Art hat als er braucht! Erwaͤgt, daß ſchon die
gerechte Vertheilung, und um wie viel mehr, was wir erwie-
ſen, der weiſe Erwerb dieſes Nationalreichthums unzaͤhlige
[48] perſoͤnliche und kriegeriſche Kraͤfte in Anſpruch nimmt;
wie unzaͤhlige perſoͤnliche Verhaͤltniſſe ſich fuͤgen und ordnen,
wie die Jahrhunderte ſtill mitwirken mußten, damit das
Fundament von Ruhe und Macht ſich aufbauen konnte, wor-
auf ihr jetzt in euren merkantiliſchen Traͤumen gefuͤhllos ſchwaͤr-
met, und das ihr aufreißen moͤchtet, um Raum fuͤr neue
Vorraͤthe zu gewinnen! —
[49]
Fuͤnftes Kapitel.
Die Oekonomie in der Bewegung betrachtet.
Wer uͤber die Oekonomie eines Staates zu reden, oder auf
ſie zu wirken unternimmt, der muß die vielfaͤltigen oͤkonomi-
ſchen Gebiete und Geſchaͤfte im Umkreiſe dieſes Staates wie
mit einem Blicke umfaſſen. Kaͤme es bloß auf den iſolirten
Werth und die abgeſonderte Bedeutung jedes Einzelnen von
ihnen an, ſo waͤre kein Bild davon aufzufaſſen, ſondern
hoͤchſtens eine ſummariſche Recapitalation des Ganzen in
Zahlen feſt zu halten: es wuͤrde ſich bey der ganzen Opera-
tion eigentlich nichts Hoͤheres ergeben, als ein mehr oder
weniger, ein Hinzufuͤgen, ein Erweitern; kurz, ein Plus-
machen waͤre das ganze Object der finanziellen Wirkſamkeit.
So bald aber die Verhaͤltniſſe der Dinge unter einander
betrachtet werden, und dieſe Verhaͤltniſſe ſich gleichfalls unter
einander wieder zu groͤßeren Verhaͤltniſſen gruppiren und
fuͤgen, gliederweis ſich wie die Organe des menſchlichen Koͤr-
pers vor den Augen des Zeichners ordnen, und ſich zuletzt
eine unendliche Symmetrie, ein gluͤckliches Gleichgewicht in
allen Theilen offenbart, dann iſt ein deutliches Bild des Gan-
zen moͤglich, ein Bild, wo man mit den groͤßeren Umriſſen
zugleich alle die unzaͤhligen Organe wahrnimmt, aus denen
ſie geformt werden.
Theoret. Theil D
[50]
So bald man ein ſolches umfaſſendes Bild von der Haus-
haltung eines Staates vor der Seele entworfen hat, ſo hat
man vieles gewonnen, aber das Schwerſte iſt noch zuruͤck:
um von dem Leben dieſes großen Koͤrpers Rechenſchaft geben,
um das gymnaſtiſch und mediciniſch ihm Raͤthliche und Er-
ſprießliche zeigen zu koͤnnen, muß man ihn in der Bewegung,
in vielerley Stellungen und Zuſtaͤnden geſehen haben. Seine
Organe, ſeine Muskeln, ſeine Umriſſe, werden noch eine viel
tiefere Bedeutung erhalten, wir werden noch ein ganz anderes
Bild vor unſerer Seele erhalten, wenn wir ihm im Laufe
durch lange Jahre gefolgt ſind. Dieß iſt ſo ſchwer als uner-
laͤßlich: die Geſchichte ſchweigt uͤber die oͤkonomiſchen Be-
wegungen der Voͤlker, oder gibt uns wenige, unzuſammen-
haͤngende [Fragmente]. Was ſie indeß gibt, muß mit Gehor-
ſam und Hingebung gebraucht werden. Das Allerweſentlichſte
aber kann die Seele des Betrachters, aus ſich ſelbſt, aus
ihrer eigenen Haushaltung, aus der umgebenden Welt her-
nehmen, die beſonders in unſern Tagen oͤkonomiſche Revolu-
tionen von allen Formen und Farben darbiethet.
Es kommt alſo nicht bloß darauf an, die oͤkonomiſchen
Gebiete und Geſchaͤfte unſeres Staates in ihren wahren Ver-
haͤltniſſen, neben einander ſymmetriſch zu uͤberſehen; wir
koͤnnen uns durch das Raͤumliche nicht zufrieden ſtellen
laſſen, ſondern wir muͤſſen, weil die oͤkonomiſchen Opera-
tionen Zeit brauchen, ſich zu entwickeln, weil es in der
Oekonomie vielfaͤltiges ſcheinbares Gleichgewicht gibt, deſſen
Weſenloſigkeit ſich nur im Fortgange der Zeit ausweiſt,
kurz, weil die Dauer die Probe aller oͤkonomiſchen Werthe iſt,
[51] noch mehr die Zeit beachten; wir muͤſſen das oͤkonomiſche
Leben in der Bewegung ſelbſt wahrnehmen.
Es waͤre ſchon viel gewonnen, wenn man den Gegen-
ſtand der Nationaloͤkonomie ſtatt des mißverſtaͤndlichen Wor-
tes Nationalreichthum, mit dem Worte Nationalberei-
cherung bezeichnete. Man ſucht den Stein der Weiſen oder
die Quadratur des Cirkels, ſo bald man in den Spekula-
tionen uͤber den Staat nach der vollſtaͤndigen abgeſchloſſenen
Einheit der Kraͤfte oder nach einem ein fuͤr allemahl voll-
zogenen ewigen Frieden ſtrebt: da doch einmahl von der
Vorſehung der irrdiſchen Dinge die Eigenſchaft der Bewe-
gung oder des Lebens in der Zeit gegeben iſt, ſo kann der
dieſen allgemeinen Geſetze folgende, ſich ſelbſt bewegende
Denker, wohl keine Befriedigung von irgend einem ſtillſte-
henden Zuſtande, wie vollkommen dieſer auch fuͤr den Augen-
blick ſey, erwarten. Die Vollkommenheit des Staats nun,
die den Denker, den Buͤrger, den Staatsmann befriedigen
ſoll, muß ſich bewegen und wachſen, wie er ſelbſt ſich bewegt
und waͤchſt. Wir druͤcken uns alſo richtiger aus, wenn wir
ſagen: alles Leben und Denken fuͤr den Staat ſtrebt nach
ewiger Vereinigung der Kraͤfte, und nach ewiger Be-
friedigung der Verhaͤltniſſe. Der im Staate ewig ſich
erneuernde Zwieſpalt der Kraͤfte, die nothwendig immer wie-
derkehrende Zerruͤttung der Verhaͤltniſſe, deren wir nie
maͤchtig werden konnten, ſo lange wir den Frieden und die
Einheit handgreiflich erreichen wollten, werden nun eine
Bedingung der immer gruͤndlicheren Einheit, des immer inni-
geren Friedens; ja ſie moͤgen zunehmen: unſere Kraft wird
D 2
[52] wachſen mit der Laſt die ſie zu tragen hat. Ferner kommt
es im buͤrgerlichen Leben nicht ſowohl auf Gleichheit, als
auf die Moͤglichkeit einer unendlichen Ausgleichung, nicht
auf die Freyheit an ſich, ſondern vielmehr auf eine ewige
Befreyung, ein ununterbrochenes Freyerwerden an. Eben
ſo iſt es nicht ſowohl um das Recht ſelbſt, als um die ewige
Berichtigung und Rechtfertigung zu thun: das
abſolut fixirte Recht waͤre das hoͤchſte Unrecht (summum jus,
summa injuria) der abſolut fixirte Friede wuͤrde unmittel-
bar zum abſoluten Kriege, die abſolut fixirte Einheit zum
abſoluten Chaos, und was aus den abſolut fixirten Begrif-
fen der Freyheit und der Gleichheit wird, hat die Welt
geſehen.
Alſo durch die Umwandlung in das Wort: Bereicherung,
wollten wir dem Reichthum eine Seele einhauchen; wir woll-
ten dieſem verfuͤhreriſch beſtimmten Worte, das eben durch
den Schein der Beſtimmtheit uns mit ſo ungluͤcklichen Er-
folgen bedroht, als einſt die allzubeſtimmten Begriffe der
Freyheit und Gleichheit nach ſich zogen, die Beweglichkeit
mittheilen, durch die es erſt recht beſtimmt wird. Das ge-
meine von den Irrthuͤmern der Zeit befangene Auge mag den
aufgeſtapelten Nationalreichthum Englands bewundern; wir
halten nichts bewundernswuͤrdig, was ſich bloß in Zahlen
ausdruͤcken laͤßt; auch verbuͤrgt dieſer Nationalreichthum der
Brittiſchen Nation ihre Exiſtenz fuͤr keinen einzigen Tag:
der ungluͤckliche Wahn dieſer calculatoriſchen Zeit, daß, wer
den letzten Thaler in der Taſche haben werde, den Sieg er-
ringen muͤſſe, iſt von den Weltereigniſſen gluͤcklich widerlegt;
[53] merkwuͤrdig aber und unendlich lehrreich finden wir, wie die
Nationalhaushaltung von Großbritannien ſich durch die ver-
ſchiedenartigſten und ſchrecklichſten Criſen hindurch gerettet,
und wie ſie bis jetzt aus dem Zwieſpalt der Kraͤfte immer
einfacher, aus der Zerruͤttung der Verhaͤltniſſe immer befrie-
digter hervorgegangen iſt.
Wir betreten eine neue Bahn, oder vielmehr wir kehren
nach langer Verirrung auf die Bahn der Natur und der
Geſchichte zuruͤck, indem wir die erhabenen Gegenſtaͤnde der
Staatswiſſenſchaft nicht bloß ſo darſtellen, wie ſie ſind, ſon-
dern darauf dringen, daß allenthalben darauf geachtet werde,
wie ſie es geworden ſind: das haben wir in einem fruͤheren
Werke genannt: ſie in der Bewegung, im Fluge, oder zu-
gleich mit dem Geſetze ihrer Bewegung auffaſſen; die Dinge
allenthalben darſtellen, wie ſie in der Zeit ſind; dazu gehoͤrt
nichts als ein bewegliches Auge, eine bewegliche Seele, ohne
die aber uͤberhaupt kein richtiges wiſſenſchaftliches oder prak-
tiſches Streben zu denken iſt. Das was wir verlangen, haben
große Staatsmaͤnner in ihrem Leben bewußtlos ausgeuͤbt,
auch wohl Staatsgelehrte ſtellenweis, beſonders wo ſie von
der Gewalt des praktiſchen Gegenſtandes, den ſie behandel-
ten, gelegentlich uͤberkommen waren, bethaͤtigt. Die Har-
monie der Theorie und der Praxis in Staatsſachen kann auch
nicht hergeſtellt werden, als in wie fern die Beweglichkeit
des praktiſchen Lebens der Wiſſenſchaft mitgetheilt wird.
Wir wollen zuſammenhaͤngend und gruͤndlich wiſſen, wie die
inneren Staatsverhaͤltniſſe geworden ſind, damit wir anzu-
geben wiſſen mit einer hoͤheren Beſtimmtheit, was ſie fuͤr
[54] die Dauer ſind, und was ſie weiter werden koͤnnen und ſollen.
Man verwechsle mit meiner Forderung nicht die gewoͤhnliche
Vorſchrift, daß ſich der Staatsgelehrte an die Geſchichte
halten ſolle: dieſe Vorſchrift ſagt weniger als ich verlange,
wenn ſie nicht vielmehr die hiſtoriſche, das heißt: die kuͤnſt-
leriſche Dispoſition meint, in die ſich die Seele verſetzen
ſoll, als die eigentlichen niedergeſchriebenen Geſchichten. In
dieſem hoͤheren Sinn freylich, kann ich es mir gefallen laſſen,
wenn man mein ganzes Streben ſo erklaͤrt, als wollte ich
die hoͤchſte geſchlechtsartige und produktive Durchdringung der
Politik und Geſchichte, gerade ſo, wie ich oben von dem
Meiſter einer Kunſt die hoͤchſte Durchdringung ſeiner mit den
Werkzeugen bewaffneten Arbeit mit dem Material ver-
langte.
Wie alſo eine Welt von wunderbar verſchlungenen und
concentrirten, ſich gegenſeitig bedingenden und verbuͤrgenden
oͤkonomiſchen Verhaͤltniſſen, durch alle Stuͤrme und Wechſel
der Zeiten hindurch lebe; wie ſie ſich ſelbſt unter mancherley
voruͤbergehenden Geſchlechtern in ihrem Zuſammenhang er-
halte, indem ſie ſich nach einem ſtetigen und natuͤrlichen Ge-
ſetze ewig erneuert, verjuͤngt und kraͤftiger befeſtigt; wie ſie
dem voruͤbergehenden Zeugen und Theilnehmer das Schauſpiel
einer fortſchreitenden Bereicherung darbiethet, welches aber
nur die Außenſeite des großen Gegenſtandes iſt, indem der
wahre und innerliche Gewinn dieſer Fortſchritte die tiefere
Verſchlungenheit, und die lebhaftere Wechſelwirkung aller
Verhaͤltniſſe iſt, aus denen ſie beſteht — dieß iſt der Gegen-
ſtand aller Unterſuchungen der Nationaloͤkonomie.
[55]
Wir haben uns an die ſummirende Veranſchlagung
auch des Privatreichthums ſo gewoͤhnt, ferner ſpielt die
Umſetzbarkeit des Reichthums in Geld oder der Markt bey
allen unſern Vermoͤgensabſchaͤtzungen, wegen der Unſicher-
heit, Veraͤnderlichkeit und Launenhaftigkeit dieſer Zeit, eine
ſo ungebuͤhrlich große Rolle, daß heut zu Tag keine Vor-
urtheile ſchwerer zu bekaͤmpfen ſind, als die oͤkonomiſchen.
Indeß die vielen Erfahrungen des Entſtehens und Verſchwin-
dens von Privatreichthum ſelbſt an denen Stellen wo wir
mit den Vermoͤgensumſtaͤnden des Beſitzers, in ſo weit Zah-
len zur Beſtimmung derſelben ausreichten, vollſtaͤndig be-
kannt waren und alſo um ſo empfindlicher in unſerer Anſicht
der Sache getaͤuſcht wurden, muͤſſen der Verbreitung beſſerer
Taxations-Grundſaͤtze zu Huͤlfe kommen.
Daß insbeſondere beym Grundeigenthum, welches man
bisher insgemein fuͤr den ſicherſten Werth gehalten hat, die
Taxation dieſes Werthes in Zahlen die allerunſicherſte iſt,
wird ziemlich allgemein erkannt. Keine Art des Eigenthum[s]
iſt ihrer Natur nach ſo wenig geeignet, Object des Privat-
eigenthums zu werden; an keine Art der Guͤter hat der
Staat ſelbſt einen ſo unmittelbaren Antheil als an dieſe;
und ſo veranlaſſen die aͤußeren politiſchen Verhaͤltniſſe und
die Veraͤnderungen in der innern Conſiſtenz des Staates be-
ſtaͤndige unſichtbare Schwankungen in dem Werthe der lie-
genden Gruͤnde, worauf keine der bisherigen Veranſchla-
gungsmethoden Ruͤckſicht nimmt, auch nicht Ruͤckſicht neh-
men kann, ſo lange bloß in Zahlen taxirt wird; ferner ſteht
das Grundeigenthum allen andern beweglichen Guͤtern im
[56] Staate eben wegen ſeines bleibenden Charakters ſo direkt
und ſo geſchlechtsartig entgegen, daß alle die ganz unbere-
chenbaren Schwankungen und Stroͤmungen unter den be-
weglichen Guͤtern, welche Markt und Welthandel veranlaſ-
ſen, unmittelbar auf den andern Arm des Hebels empfunden
werden; die leiſeſte Veraͤnderung im Zinsfuße, da dieſer die
Zahl hergeben muß, womit wir die Ertraͤgniſſe des Ackers
zum Capital erheben, alle Veraͤnderungen in dem hoͤchſt be-
weglichen Verhaͤltniſſe zwiſchen Geld und Waaren oder in
den Preiſen der Dinge, reagiren gewaltig auf den Werth
des Grundeigenthums, und alle dieſe Veraͤnderungen verber-
gen ſich nun noch hinter den ungeheuren Differenzen der
Produktion der laͤndlichen Induſtrie ein Jahr unter den an-
dern betrachtet; endlich aber iſt uͤberhaupt an keiner andern
Stelle ſo viel unſichtbarer, außer aller Zahlbeſtimmung lie-
gender Werth, und andererſeits wieder ſo viel ganz weſen-
loſer Zahlenſchein, als im Grundeigenthume.
Ein unnatuͤrlicher Friedensſtand, eine zufaͤllige Beguͤnſti-
gung des Welthandels oder aͤußerer politiſchen Conjuncturen
kann alle dieſe Umſtaͤnde fuͤr eine geraume Zeit verſchleyern:
mit um ſo furchtbareren Symptomen aber werden ſie zum
Vorſchein kommen, wenn, wie dieſer Fall nothwendig ein-
treten muß, jene aͤußern Bedingungen ploͤtzlich verſchwinden.
Dann wird einleuchten, daß dieſe große Waare uͤberhaupt
nicht fuͤr den Markt gehoͤrt; daß der Markt, der im Durch-
ſchnitt den Werth aller andern Waaren erhoͤht, den Werth
des Grundeigenthums zerſtoͤrt; und daß keine Waare in ſo
hohem Grade vielmehr durch dasjenige gilt, was ſie im
[57] Laufe ganzer Jahrhunderte wird, als durch das, was ſie
in einzelnen vergaͤnglichen Augenblicken iſt, daß folglich die
Zahlenveranſchlagung des augenblicklichen Reichthums eines
Landwirthes, dem Werthe den ſein Vermoͤgen in der Bewe-
gung, im Fortgange der Wirthſchaft oder der Bereicherung
hat, faſt durchgaͤngig widerſpricht. —
Deſſen ungeachtet iſt der Werth des Grundeigenthums,
nach den Principien einer hoͤheren Veranſchlagung, der
ſicherſte von allen, und es hat alſo der Inſtinkt des großen
Haufens Recht, wiewohl deſſen Gruͤnde nicht viel verfangen
wollen. Es iſt der ſicherſte, weil ein Mißbrauch dieſes Wer-
thes fuͤr die Dauer nicht zu denken iſt, weil alle adminiſtra-
tiven Verirrungen und alle ungluͤcklichen Erfahrungen, welche
der Staat im Ganzen nur irgend machen kann, nothwendig
auf eine gerechtere Wuͤrdigung des Grundeigenthums zuruͤck
fuͤhren muͤſſen, und weil an allen anderen Stellen eine vor-
eilige Theorie lange und ungeſtoͤrt ihr Weſen treiben kann,
hier aber nothwendig die Natur, die Gewohnheit, die Zeit,
ihre Rechte behaupten muͤſſen. Es iſt der ſicherſte Werth noch
ganz beſonders deßhalb, weil die Bewirthſchaftung des
Grundeigenthums ohne alle Dazwiſchenkunft des circulirenden
Geldes, und der damit verbundenen Taͤuſchungen und Irr-
thuͤmer vor ſich gehen kann, weil der Landwirth ſo geſtellt iſt,
daß er allenthalben Verhaͤltniſſe regieren, geſchlechtsartig ge-
theilte Arbeit in Wechſelwirkung fuͤhren, die Zeit aber und
ihre wechſelnden Einfluͤſſe unaufhoͤrlich beachten, und ſeinen
Reichthum nothwendig allezeit in der Bewegung anſchauen
muß; weil er unter beſtaͤndiger und gleichwiegender Direktion
[58] der Natur und des Staates ſteht; kurz, weil er von den
oben entwickelten erſten Grundſaͤtzen aller Wirthſchaft nicht
ungeſtraft abfallen kann.
Faſſen wir alle dieſe Umſtaͤnde zuſammen, ſo ergibt ſich
die Eigenthuͤmlichkeit des Grund und Bodens, daß er unter
allen Guͤtern beſonders eine Buͤrgſchaft ſeines gerechten Ge-
brauches mit ſich fuͤhrt, daß man bey dieſem Geſchaͤft nicht
wohl fuͤr die Dauer von dem Geſetze des Staates, und von
ſeinem dringendſten Intereſſe abweichen kann, ohne den Werth
ſeines Eigenthums zu zerſtoͤren.
Nichts deſto weniger belehren uns die gegenwaͤrtigen
Weltumſtaͤnde, daß alle dieſe wichtigen Ruͤckſichten auf eine
Zeitlang vergeſſen werden koͤnnen, daß ein Geſchlecht, ge-
blendet durch den Reitz vergaͤnglicher Guͤter, die Natur des
Grundeigenthums verlaͤugnen kann, und, daß alle Theorien
der Geſetzgebung ſich ausſchließend auf das abſolute Privat-
eigenthum werfen, und im Gebiete der Landwirthſchaft alles
Gemeinde- oder Familieneigenthum aufopfern wollen koͤnnen,
durch deſſen kraͤftige und perſoͤnliche Gegenwirkung, meiner
Darſtellung nach, doch erſt ein geſichertes Privateigenthum
moͤglich wird. Daß ein ſolcher Irrthum ein ganzes Zeitalter
ergreifen, und wenigſtens in den Koͤpfen der Philoſophen auch
fortdauern kann, erklaͤrt ſich nur dadurch, daß das Geſetz der
Natur und der buͤrgerlichen Ordnung, gleichguͤltig gegen die
Gedanken der Menſchen ungebethen und unerfleht ſein ſegenreiches
Regiment fortfuͤhrt, daß die Staatstheorien, da ſie nur die
Oberflaͤche der Dinge erkennen, auch nur an der Oberflaͤche
zu zerſtoͤren wiſſen, und, daß der natuͤrliche und gerechte Fleiß
[59] der vergangenen Jahrhunderte ſo tiefe Wirkungen, ſo vielen
unſichtbaren Reichthum hinterlaſſen hat, daß keine einzelne
Generation ihn verſchwelgen oder verſchwaͤrmen kann.
Wenn man nun dieſen Charakter des Grundeigenthums
im Ganzen erwaͤgt, ſo muß man einſehen, daß, wiewohl es
ſchon durch ſeine bloße Natur ſich als liegend, bleibend und
dauernd ankuͤndigt, dieſe Eigenſchaft der Zuverlaͤßigkeit doch
erſt im fortgeſetzten Gebrauch recht klar wird. Es iſt ihm die
andere Eigenſchaft eines gewiſſen ruhigen Fortſchreitens, einer
ſtillen Bewegung beygegeben, ein dauerhafter Gang, ein
Bleiben in der Zeit, wodurch es erſt recht feſt wird. Darin
ſind Grundeigenthum und Landwirthſchaft die deutlichſten
Muſter der Staatshaushaltung ſelbſt: auch hier kommt alles
darauf an, der Bewegung eine Gemeſſenheit, einen Rythmus
mitzutheilen, und, weit die Wandelbarkeit der Dinge ſich
nicht nur nicht aufheben laͤßt, ſondern weſentlich nothwendig
iſt, um ihr Bleiben zu erreichen, die Ruhe durch die Bewe-
gung und dieſe durch jene zu garantiren.
Der Menſch kann von den Geſetzen ſeines iſolirten wie
ſeines buͤrgerlichen Daſeyns nicht ganz abfallen; auch ſeine
Irrthuͤmer, ſeine Krankheiten muͤſſen ſich unter einander
balanciren und zerſtoͤren. So nun wird, daß Ruhe und
Bewegung die beyden Elemente der politiſchen Haushaltung,
und beyde gleich nothwendig ſind, dadurch erwieſen, daß
unſere Zeit einerſeits eine abſolute Feſtigkeit will, indem ſie
das abſolute Privateigenthum zur Bedingung aller Haus-
haltung macht, andererſeits aber auch eine Fabel von vor-
geblich reißenden Fortſchritten der Menſchheit mit ſich
[60] umhertraͤgt und glaubt. Von dieſen beyden Weſen aber denkt ſie
jedes fuͤr ſich in ſeiner beſonderen Roheit und Wildheit, waͤh-
rend ſie nur ſich gegenſeitig ſanft beſchraͤnkend, bedingend
und durchdringend exiſtiren; daher glaubt ſie die Feſtigkeit,
da, wo die abſolute Unſicherheit und Veraͤnderlichkeit, das
Fortſchreiten, da, wo ein beruhigtes Auge, wenn uͤber-
haupt eine Bewegung, doch nur eine ruͤckſchreitende wahr-
nimmt.
Bey der Befeſtigung des Einzelnen durch das Privat-
eigenthum, indem man Perſon und Sache wie an einander
nagelt und kreuziget, bliebe immer die Frage: Wozu? bey
den reißenden Fortſchritten des Ganzen, auch, wenn ſie wirk-
lich neben jener rohen Befeſtigung moͤglich waͤren, die Frage:
Wohin? unbeantwortet. Alles aber wird klar, ſo bald man
beyde gleich weſentliche und noch unter allen Irrthuͤmern
ſich offenbarende Verlangen, das nach dem Bleiben und
das nach der Bewegung, in der Verbindung, in der Durch-
drungenheit denkt, und, wenn nunmehr der ruhig bewegte
Menſch, einen ruhig bewegten Zuſtand der Dinge begehrt.
Wenn man das Verſtaͤndniß dieſer großen Aufgabe auf kei-
nem anderen Wege zu gewinnen weiß, wenn in der Zer-
ruͤttung der irrdiſchen Dinge das Maaß und Geſetz dieſer
hoͤchſt natuͤrlichen Ordnung nicht zu finden iſt, ſo wende man
ſich an das große Schema, welches die Geſtirne und die
Erde, welche unſere ganze Haushaltung traͤgt, taͤglich be-
ſchreiben. Dadurch, daß alle Bewegung unſeres Lebens auf
einen ruhigen Mittelpunct bezogen wird, dadurch beruhigt
ſich das Ganze, ohne daß irgend eine Bewegung aufgeopfert
[61] wird *): jeder Punct verfolgt frey ſeine eigenthuͤmliche
Bahn, und doch ſind ſie alle einem ſo gewaltigen als leichten
Geſetze untergeordnet.
Ich bediene mich dieſes Bildes, nicht bloß Gleichnißweiſe,
ſondern weil dasſelbe Geſetz, welches alle Kraͤfte der Natur
uͤberhaupt, auch wieder die menſchliche Haushaltung ordnet.
Aber auch als bloßes Bild waͤre es ſchon nothwendig, weil
es darauf ankommt, ein anderes und falſches, in den Koͤpfen
der heutigen Menſchen vorwaltendes Bild zu zerſtoͤren: es
iſt eben jenes Fortſchreiten, jener Wettlauf nach einem un-
bekannten Wohin? nach einem Ziele, welches ſich in dem
Maaße entfernt, als man ſich ihm zu naͤhern glaubt, womit
alſo die ewige Unruhe gegeben iſt.
Alle Geſchaͤfte des buͤrgerlichen Lebens, jedes an ſeinem
beſonderen Orte, alſo in ſeiner eigenthuͤmlichen Kreisbahn,
laufen um die dauerhafte Bewirthſchaftung des Grundeigen-
thums her, wie alles vergaͤngliche Weſen an der Oberflaͤche
der Erde um den großen gemeinſchaftlichen Traͤger: alle
ſtehen in ununterbrochener Beziehung auf dieſes mittelſte Ge-
ſchaͤft, fuͤgen und ordnen ſich nach ihm; ſie koͤnnen ſich aus
dieſer einzig weſentlichen Wechſelwirkung nicht etwa hinaus-
heben oder hinausſchwaͤrmen; ſie werden allenthalben mit
ſtarkem Arme feſtgehalten, und muͤſſen uͤber kurz oder lang
[62] in ihr angewieſenes Bette zuruͤck kehren. Aber gemeinſchaftlich
mit ihrem großen Traͤger beſchreiben ſie eine hoͤhere Kreis-
bahn um einen Mittelpunct hoͤherer Ordnung, und ſie wer-
den demnach durch ein noch dauerhafteres Geſetz verbuͤrgt.
In der Ruhe, die das Grundeigenthum, und der darauf an
allen Stellen bezogenen Bewegung, die das vergaͤngliche
Eigenthum offenbart, erzeugt ſich und waltet eine Ruhe
hoͤherer Ordnung: — die Nationalkraft ſelbſt, welche
nun Licht und Waͤrme uͤber alle dieſe Sphaͤren unterge-
ordneter Thaͤtigkeit verbreitet. Wer kann aus dieſer Ord-
nung der Dinge die Ruhe oder die Bewegung einzeln her-
ausſcheiden? Wo iſt hier irgend etwas feſt, durch ſich
ſelbſt und außer der Bewegung und anders als durch die
Bewegung?
Das heißt nun die Zeit und die Bewegung in den oͤkonomi-
ſchen Calcuͤl mit aufnehmen, und ein vollſtaͤndiges lebendiges
Bild der Staatswirthſchaft an die Stelle der ſummariſchen
Anſchauungen ſetzen, mit denen ſich bisher die Theorie begnuͤgt
hat. Glaube niemand irgend eine Bewegung im Staate,
zum Beyſpiel: die Circulation des Geldes zu verſtehen, der
nicht zugleich das Bleibende und Ruhende darin nach dem
hier angedeuteten Geſetze erkannt hat. Eben ſo gibt es an-
dererſeits in der ganzen Nationaloͤkonomie nichts Unbeweg-
liches: waͤre das Grundeigenthum unbeweglich, wie man es
bisher genannt, ſo wuͤrde es ſich mit dem uͤbrigen beweg-
lichen Beſitz ewig nicht vertragen koͤnnen. Aber es iſt, wie
ich gezeigt, beweglich in ſich; es iſt bleibendes Vermoͤgen
mit Ruͤckſicht auf das bewegliche Vermoͤgen, das es traͤgt,
[63] und das darauf unaufhoͤrlich bezogen wird. Wir werden es
daher durch den ganzen Verlauf unſerer Darſtellung, zur
Vermeidung aller Mißverſtaͤndniſſe, bleibendes und nicht
unbewegliches Eigenthum nennen.
[64]
Sechstes Kapitel.
Von dem Werthe, den die oͤkonomiſche Kraft durch ihre
Richtung erhaͤlt.
Die bisherige Theorie der Nationaloͤkonomie war eine ziem-
lich willkuͤhrliche Miſchung mathematiſcher und hiſtoriſcher
Beſtandtheile, daher waren es auch, nach der Faͤcherabthei-
lung, die bisher auf dem Felde der deutſchen Gelehrſamkeit
beliebt worden, meiſtentheils Mathematiker oder Geſchichts-
forſcher von Profeſſion, welche die Staatswirthſchaft zu foͤr-
dern unternahmen. Es gab in unſerer Wiſſenſchaft unzaͤhlige
Groͤßenanſchauungen, welche mehr in das Gebiet der Mathe-
matik hinuͤberzufallen ſchienen; daß aber auch die hiſtoriſchen
Bedingungen, die Localumſtaͤnde, kurz die Qualitaͤten neben
den Quantitaͤten der Dinge nicht verſaͤumt werden durften,
fiel leicht in die Augen. Da es aber unter den Wiſſenſchaften
der Mathematik und der Geſchichte, welche, die gleichweſent-
lichen hiſtoriſchen und mathematiſchen Elemente der Staats-
wirthſchaft in Verbindung zu ſetzen, unternahmen, ſelbſt
keine Art von Beruͤhrungspunct gab; da die mathematiſche
und die geſchichtliche Wahrheit in einem Zuſtande offener
Feindſeligkeiten lebten, ſo durfte man von den Verarbeitun-
gen einer dritten Wiſſenſchaft, welche von einer Einzelnen
[65] unter jenen beyden Wiſſenſchaften unternommen wurden, ſich
eben nicht bedeutende Erfolge verſprochen.
Es wuͤrde zu weit von dem ſpeziellen Gegenſtande unſerer
gegenwaͤrtigen Unterſuchungen abfuͤhren, wenn wir hier zu
zeigen unternaͤhmen, was an einem anderen Worte auf eine
befriedigende Weiſe geſchehen ſoll, daß wir naͤhmlich dieſe
Praͤliminarverhandlung, dieſe Ausgleichung aller Differenzen
zwiſchen der mathematiſchen und hiſtoriſchen Wahrheit vollzo-
gen, und beyde an die Eine ewige Quelle aller menſchlichen
Erkenntniß zuruͤckgefuͤhrt haben. Es ſoll damit nicht etwas
Großes, oder Neues, oder Außerordentliches, ſondern nur das
Natuͤrliche geſchehen, und der Weisheit fruͤherer Jahrhunderte
die ihr gebuͤhrende Rechtfertigung wiederfahren.
Fuͤr jetzt aber genuͤgt es mir, daß diejenigen unter mei-
nen Zeitgenoſſen, die auf denſelbigen Schlußſtein aller Wiſſen-
ſchaft wie alles praktiſchen Lebens geſtoßen ſind, und deren
es mehrere geben muß, da dieſelbigen Nothwendigkeiten auf
andere wie auf mich einwirkten, es meiner Darſtellung an-
ſehen muͤſſen, daß ſie eine bereits vollzogene Verſoͤhnung und
Durchdringung der mathematiſchen und hiſtoriſchen Erkenntniß
vorausſetzt. — So iſt dann das ganz Eigenthuͤmliche meiner
bisherigen Behandlung der Staatswirthſchaft, daß ich neben
den Groͤßen, den Maſſen, den Summen, nicht etwa bloß
gemeine Reſultate der hiſtoriſchen Erfahrung geltend gemacht,
was viele gethan, und deßhalb eben ſo einſeitig am letzten
Orte doch nur das Mehr oder Weniger, und die Quanti-
taͤten des oͤkonomiſchen Ertrages und der oͤkonomiſchen Pro-
duktion beachtet haben, ſondern, daß ich die Qualitaͤten der
Theoret. Theil E
[66] Dinge, ihr Geſchlechtsverhaͤltniß, ihre Wechſelwirkung unter
einander vindicirt, und dadurch die Exiſtenz einer feſten und
dauerhaften oͤkonomiſchen Groͤße, erſt als moͤglich erwieſen
habe.
Wie naͤhmlich in der Geometrie, die in neuerer Zeit mit
großer Blindheit behandelt, und als Magd zu bloß arith-
metiſchen Zwecken gemißbraucht worden, eine ganz andere
Idee einheimiſch iſt als die Groͤße, und wie die Mathematik,
in ſo fern ſie die Geometrie in ſich begreift, unendlich mehr
iſt, als bloße Groͤßenlehre; wie das Verhaͤltniß und das Zu-
ſammentreten zweyer verſchiedenartig gerichteten Linien, oder
der Winkel, urſpruͤnglich nichts mit der Groͤße zu ſchaffen
hat — ſo haben auch die verſchiedenen, alle nach einer Ver-
einigung ſtrebenden und ſie vollziehenden Richtungen der
menſchlichen Thaͤtigkeit, an und fuͤr ſich nichts mit
der Groͤße oder der quantitativen Extenſion dieſer Richtungen
zu ſchaffen. Ihr Verhaͤltniß unter einander iſt etwas von der
Groͤße durchaus Unabhaͤngiges. Die Landwirthſchaft und die
Stadtwirthſchaft koͤnnen auf einem ſehr kleinen Gebiete in
gerechtem Verhaͤltniſſe ſtehen, waͤhrend auf einem unendlich
groͤßeren Gebiete jene dieſe, wie im ehemahligen Polen, oder
dieſe jene, wie im ehemahligen Hamburg, bey weitem uͤber-
wiegt. Da nun in dieſen drey Faͤllen die Frage nicht ſeyn
kann, wo der dauerhaftere Nationalreichthum und die bedeu-
tendſten oͤkonomiſchen Werthe werden gefunden werden, und
da, bey der Entſcheidung dieſer Frage die Richtung der Kraͤfte
vielmehr in Anregung kommt, als die Groͤße derſelben, ſo
fuͤhlt man das voͤllig Ungenuͤgende einer ſtaatswirthſchaftlichen
[67] Anſicht, bey der die Lehre von den Richtungen oder den
Verhaͤltniſſen der oͤkonomiſchen Kraͤfte nur ſubſidiariſch um
der Groͤße Willen, nur als Magd wie die Geometrie in der
bisherigen Mathematik auftritt. Dieſe Lehre von der Rich-
tung der Kraͤfte zur Wuͤrde der Hausfrau, neben die Lehre
von der Groͤße der oͤkonomiſchen Kraͤfte (die bisher allein
und ausſchließend das Regiment im Hauſe gefuͤhrt hat)
zu erheben, iſt der Zweck meines gegenwaͤrtigen Werkes,
wie ich ſpaͤterhin der Geometrie denſelben Dienſt zu erzeigen
hoffe. —
Dasjenige was bisher mit hoͤchſter Unbeſtimmtheit Werth
genannt worden, wollen wir durch den ganzen Fortgang
unſerer Unterſuchungen von dem was Preis heißt, aufs
ſtrengſte unterſchieden wiſſen. Der Werth einer Sache iſt die
Bedeutung, welche ſie durch die groͤßere oder geringere Ge-
rechtigkeit des Verhaͤltniſſes, aus dem ſie hervorgegangen,
oder worin ſie ſelbſt zu den uͤbrigen Sachen ſteht, erhaͤlt. Die
Gerechtigkeit dieſer Verhaͤltniſſe iſt die Bedingung ihrer
Dauer, und die Werthe der Dinge ſollen nur durch die Dauer
beſtimmt werden. Der Preis einer Sache iſt die ſum-
mariſche Groͤße, die Maſſe von Kraft die ſich fuͤr den
Augenblick darin verbirgt, und die ſie fuͤr den Augenblick
auszuuͤben im Stande iſt. Da nun alle Verhaͤltniſſe der oͤkono-
miſchen Objecte untereinander, wie oben gezeigt wor-
den, ſich mit einander, wie die verſchiedenen Familien,
nothwendig verſchraͤnken und verketten, und zuletzt ein gro-
ßes Hauptverhaͤltniß bilden, welches der Staat ſelbſt regiert,
und worin er ſelbſt immerdar verjuͤngt wieder ausgeboren
E 2
[68] wird; ſo folgt daraus, daß, in wie fern die Bedeutung ei-
nes oͤkonomiſchen Objectes mit Ruͤckſicht auf ein Verhaͤltniß,
oder den Werth desſelben richtig beſtimmt wird, auch zugleich
die Bedeutung dieſes Objects mit Ruͤckſicht auf alle dieſe
Verhaͤltniſſe, oder den Staat ſelbſt abgeſchaͤtzt werde. Der
Werth einer Sache iſt alſo die Bedeutung derſelben im
Staat und fuͤr die ewige Verjuͤngung des Staates. —
Wird der Werth eines oͤkonomiſchen Objects beſtimmt,
ſo denken wir uns ſelbiges lebendig, perſoͤnlich und produc-
tiv; wir denken uns eigentlich nur das in dem Object ver-
borgene, ewige Leben, die darin verborgene Kraftrichtung,
das heißt: das Verhaͤltniß zu andern Kraftrichtungen, und
da alle dieſe Richtungen nach der Vereinigung ſtreben, die
Richtung nach dem Mittelpunct. — An dem unendlich ſym-
boliſchen Schema der Kugel wird ſich die Sache am be-
ſten verdeutlichen laſſen. Denken wir uns alle oͤkonomiſchen
Thaͤtigkeiten als Linien, die bekanntlich weder breit, noch
dick, ſondern nur lang ſind. Wir wiſſen daß je zwey oͤkono-
miſche Thaͤtigkeiten zuſammen ſtreben muͤſſen, wenn nicht
nur ein Produkt herauskommen, ſondern wenn ſie uͤberhaupt
nur fortdauern ſollen. In dem Material eines Handwerkes,
zum Beyſpiel: in dem Leder das der Schuhmacher gebraucht,
iſt die Anlage zu einer oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit; in ſeinem
mit Werkzeugen bewaffneten Haͤnden ſchlummert gleichſam
die andere oͤkonomiſche Thaͤtigkeit. Noch arbeitet er nicht;
actu ſind die beyden oͤkonomiſchen Thaͤtigkeiten noch nicht
vorhanden. Man uͤberſehe nicht daß das Leder, wenn die
Arbeit anfangen wird, ſich wehren wird, gegen die
[69] Angriffe des Pfriemens, daß es ſeine eigenthuͤmliche Kraft
hat, die nachgiebig behandelt, ja ſogar geſchont werden
muß, wenn der Schuh zu Stande kommen ſoll; kurz die
nicht etwa roh zu erzwingen iſt, wie ja auch dieß beſtimmte
Leder durch anderweite vorhergehende Arbeit erſt herbeyge-
reitzt werden mußte. Jeder tuͤchtige Meiſter dieſer edeln Kunſt
wuͤrde mich verſtehen; denn er zeigt ſchon durch die wach-
ſende Liebe, die er zu dem Materiale traͤgt, daß mit demſel-
ben eine andere Kraft der Kraft ſeiner Haͤnde und Werk-
zeuge (die ja nichts anders ſind als die kuͤnſtlich zugerichtete
und erweiterte Hand) huͤlfreich entgegen kommt. Die Arbeit
faͤngt alſo an, ſobald die Kraft der bewaffneten Hand und
die andere Kraft des Materials ſich einander entgegen nei-
gen. Dieſe Convergenz der beyden Kraͤfte aͤußert ſich darin,
daß ein Schuh entſteht, zufoͤrderſt ein ſehr unvollkommener
Schuh, aber in der fortgehenden Verbeſſerung des Produktes
zeigt ſich, daß ſich die beyden Kraftrichtungen mehr und
mehr ihrem Vereinigungspuncte naͤhern. —
Kurz die Bedingung der fortgehenden Schuhmacher-Pro-
duktion und jedes moͤglichen gedenkbaren Gewerbes einzeln
genommen, iſt die fortgehende Convergenz zweyer entgegen-
geſetzter Thaͤtigkeiten. Da nun aber jedes einzelne Gewerbe
nicht bloß aus zwey convergirenden Kraftrichtungen beſteht
und entſteht, ſondern auch wieder der beſtaͤndigen huͤlfreichen
Entgegenkunft anderer Gewerbe, anderer Kraftrichtungen be-
darf; ja, da es den Beyſtand aller uͤbrigen vorausſetzt —
ſo ſind alle dieſe verſchiedenen Kraftrichtungen nur zu den-
ken, in wie fern ſie von allen verſchiedenen Seiten her nach
[70] einem gemeinſchaftlichen Mittelpunct convergiren *). Derge-
ſtalt werden nun alle dieſe verſchiedenen Linien zu den Ra-
dien einer Kugel, welche die Haushaltung eines Staates
unter allen gedenkbaren Figuren am richtigſten abbildet.
Wenn es dagegen erlaubt iſt, den Theorien unſerer Zeit,
die in ihren durcheinander ſchwelgenden Widerſpruͤchen ei-
gentlich kein einziges bleibendes und feſtzuhaltendes Kenn-
zeichen aufkommen laſſen, ein mathematiſches Schema un-
terzulegen, ſo moͤchte ich in ihren vorwalteten Grundſaͤtzen
uͤber die Richtungen der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeiten die Pa-
rallellinien des Euklides wieder erkennen: die Kraͤfte koͤnnten
nach ihnen in alle Ewigkeit neben einander fortlaufen und
wettlaufen, ohne ſich je zu beruͤhren oder in dem praͤſumirten
Ziele zuſammen zu treffen.
Jedermann ſteht hierbey ein, daß die Groͤße und die
Menge der Thaͤtigkeiten gar nicht in Betracht kam. Sind die
[71] Richtungen aller in einander greifender oͤkonomiſchen Kraͤfte
wirklich convergirend, ſo wird ſich die Groͤße aller dieſer
Kraͤfte von ſelbſt ſchon verhaͤltnißmaͤßig, und ſo, daß die
geſammten Richtungen der Thaͤtigkeiten dabey beſtehen koͤn-
nen, ergeben. Hingegen folgt umgekehrt aus der augenblick-
lichen Groͤße der einzelnen Kraͤfte die gerechte und convergi-
rende Richtung derſelben noch nicht. Die einzelne Kraft kann
heraustreten aus dem concentriſchen Vereine, in dem ſie ſich
entwickelte, ſie kann in Beziehung treten auf einen Mittel-
punct der außerhalb dieſes Vereines, oder des Staates liegt,
und augenblickliche große Wirkungen hervorbringen, wie die-
jenigen Kraͤfte eines Staates, die an dem Welthandel Theil
nehmen: wer moͤchte aber aus der Groͤße dieſer Wirkungen
einen Schluß auf die dauerhafte Richtung ſolcher oͤkonomi-
ſcher Thaͤtigkeit ziehen. Was aber waͤre von einem Ge-
ſchlecht zu halten, das, berauſcht durch den augenblicklichen
Glanz dieſer Wirkungen, den beſtimmten vaterlaͤndiſchen Mit-
telpunct ganz außer Acht ließe, die Erhaltung der alten
concentriſchen Richtungen der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit (ich
darf mich jetzt des Ausdrucks bedienen) des geometriſchen
Verhaͤltniſſes der Kraͤfte unter einander fuͤr unweſentlich
hielte, oder die Bedeutung dieſer Richtungen nur anerkennen
wollte, in wie fern ſie einem ſolchen divergenten Streben
nach dem Weltmarkt hinderlich waͤren. — Dieß iſt der
innerſte Sinn der Klagen uͤber den Feudalismus und der
Verfolgungen desſelben: es war allerdings in allen oͤkono-
miſchen Kraͤften des Mittelalters eine gewiſſe innere Rich-
tung nach einem Mittelpunct, nach einer von allen Einzelnen
[72] empfundenen hoͤchſten Kraft, nach einem hoͤchſten Gute; aller-
dings widerſtrebt dieſe Richtung hartnaͤckig und dauerhaft
jenem leichtfertigen Umherſchweifen nach augenblicklicher
Groͤße und vergaͤnglichem Glanze, und die hoͤhere bewaͤhr-
tere Macht wird den Sieg davon tragen, wie auch dieſer
Augenblick widerſprechen mag, eben weil er Augenblick
iſt. —
So wenig ſich aus der Groͤße einer oͤkonomiſchen Thaͤ-
tigkeit der Schluß ziehen laͤßt, daß auch die Richtung der-
ſelben die natuͤrliche und gemeinweſentliche ſey, ſo wenig
laͤßt ſich aus den Preiſen der Dinge auf ihre Werthe ſchlie-
ßen. Vielmehr, wie eine augenblickliche jaͤhe Steigerung der
oͤkonomiſchen Kraͤfte bey einer Verwirrung aller Richtungen
der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit ſehr wohl moͤglich iſt, ſo kann
auch eine Steigerung aller Preiſe ſehr wohl mit einem Sin-
ken aller Werthe zuſammen treffen.
Dieſe Werthe nun, die Bedeutungen der Dinge, in wie
fern ſie leben und Leben erzeugen, in wie fern ſie ſich durch
eine Wechſelverbuͤrgung der Ewigkeit des Staates theil-
haftig machen, ſind es, welche der vollſtaͤndige Menſch, oder
auch nur der Inſtinkt eines vollſtaͤndigen Menſchen, den jeder
Einzelne mit ſich umher traͤgt, begehrt. Wenn ein oͤkonomi-
ſches Object in dem Organismus des Staates durch wirkliche
Wechſelwirkung eintritt, und nunmehr beſtimmt wird, was
es, als mehr oder minder weſentliches Organ des Ganzen
fuͤr das Beſtehen, und die hoͤhere Belebung dieſes Organis-
mus gilt, ſo wird ſein Werth beſtimmt. Da begreift nun
jeder, daß eine gemeinweſentliche Sache in ſehr vielen Faͤllen
[73] unendlich mehr werth ſeyn kann, als eine egoiſtiſche Perſon;
und, daß den Staatswirth dieſe Werthe der Dinge vielmehr
als die Preiſe, und, daß eigentlich nur allein ſie ihn intereſ-
ſiren koͤnnen.
[74]
Siebentes Kapitel.
Produktion und Conſumtion.
Alle oͤkonomiſche Produktion zerfaͤllt in zwey Theile: in
die Produktion des zur Conſumtion beſtimmten, und in die
andere, des zur Fortpflanzung der oͤkonomiſchen Produktion,
oder zu weiterer Produktion beſtimmten. Die Kornproduktion
eines Gutes theilt ſich in Wirthſchaftskorn und Saatkorn:
das Wirthſchaftskorn nehme ich in dem weiteren Sinne des
Worts, nach welchem nicht bloß das in der Wirthſchaft con-
ſumirte Korn, ſondern auch das fuͤr die Anſchaffung von
anderweiten wirthſchaftlichen Conſumtibilien verkaufte Korn,
dahin gerechnet wird: eben ſo Saatkorn in dem umfaſſenderen
Sinne, da alles zu Ameliorations- oder anderen productiven
Zwecken verkaufte Korn dem Saatkorne beygezaͤhlt wird.
Mit andern Worten: ein Theil der Produktion wird fuͤr die
Beduͤrfniſſe des Augenblicks angewendet, der andere Theil fuͤr
die bleibende Erhaltung und das Wachsthum der Wirthſchaft
ſelbſt, oder fuͤr die Fortdauer der Produktion uͤberhaupt.
Man verſteht aber dieſe Eintheilung nur, in wie fern
man auch wieder alles Producirte, einmahl als Gegenſtand der
Conſumtion, und dann als Producirendes zu betrachten im
Stande iſt. In dieſem Verſtande der Sache wird zuerſt
alles, was die Produktion erzeugt hat, im Laufe der Zeit
[75] conſumirt, und dieſe conſumtiblen Produkte ſind nur ver-
ſchieden nach den laͤngeren und kuͤrzeren Zeitraͤumen, in
denen ſie verzehrt werden. Ob der Magen der Producirenden
und der Kaͤufer des Wirthſchaftkorns, oder ob die Erde und
der Magen der Kaͤufer des Saatskorns die Conſumtion
vollzieht, iſt aus dieſem Standpuncte gleichguͤltig; eben ſo
gleichguͤltig iſt es, ob die Conſumtion unmittelbar wie bey
den meiſten Nahrungsmitteln, oder ob ſie im lange fortge-
ſetzten Gebrauch allmaͤhlich vollzogen wird, wie Kleidungs-
ſtuͤcke, Mobilien u. ſ. f. Kurz die geſammte oͤkonomiſche
Thaͤtigkeit der Geſellſchaft kann zuerſt gedacht werden, als
ein Allverzehrendes, als eine unendliche Conſumtion. Dann
aber kann auch alles von der Produktion Erzeugte gedacht
werden, als ein weiter Producirendes, und dann ſind alle
dieſe produktiven Produkte nur verſchieden, je nachdem ſie
unmittelbar produktiv wieder eingreifen in den allgemeinen
Erzeugungsprozeß, oder mittelbar dasſelbe bewirken, indem
ſie durch die Conſumtion neue Produktion und Reproduktion
der oͤkonomiſchen Kraͤfte veranlaſſen, oder uͤberhaupt auch
nur moͤglich machen. So wuͤrde dann die geſammte oͤkono-
miſche Thaͤtigkeit andererſeits als ein Allerzeugendes erſchei-
nen. Es kaͤme bloß auf eine leichte Veraͤnderung des Stand-
punctes an, ſo wuͤrde das vorherige Reich des Todes ſich
als ein allgemeines Reich des Lebens darſtellen. Jede Con-
ſumtion, ſelbſt die luxurioͤſeſte waͤre eine Steigerung der
produktiven Lebenskraft, wie in der vorherigen Anſicht jede
neue Produktion dem verzehrenden Feuer der buͤrgerlichen
Geſellſchaft nur neue Nahrung geben wuͤrde. —
[76]
Wie nun der aufmerkſame Forſcher der Natur durch alle
Erſcheinungen, die ſich ihm darbiethen, auf einen Doppel-
geſichtspunct geleitet wird, und ihm, wenn er ſein Urtheil
frey und unbefangen erhaͤlt, bald eine allgemeine Wechſel-
wirkung, ein unendliches gegenſeitiges Sichbedingen des Ver-
zehrens und des Erzeugens, des Lebens und des Todes ein-
leuchten muß; wie er allenthalben im Tode die hoͤchſten und
lebhafteſten Vorbereitungen neuen Lebens wahrnehmen,
und wie ſich gerade in den bluͤhendſten uͤppigſten Lebenser-
ſcheinungen ihm die unmittelbare Nachbarſchaft des Todes
aufdringen muß — ſo wird der Oekonom in aͤhnlicher Unter-
ſuchung auf dieſelbe Wechſelwirkung auch der oͤkonomiſchen
Kraͤfte geleitet werden, und er wird die beyden entgegen-
geſetzten Offenbarungen derſelben Erſcheinung zufoͤrderſt mit
Ruhe erwaͤgen lernen, da ſie beyde ſich mit gleicher Noth-
wendigkeit bedingen. Er wird einſehen, daß, da das Ver-
zehren und Erzeugen in einer Wechſelabhaͤngigkeit ſtehe, und
ſich wie Avers und Revers derſelben Muͤnze verhalte, das
Reſultat der Oekonomie durchaus nicht durch ein bloßes
Vermeiden und Beſchraͤnken des Verzehrens zu foͤrdern; eben
ſo, daß ein bloßes Antreiben und Ermuntern und Befoͤrdern
des Erzeugens gleichfalls unzulaͤnglich ſey.
Nun aber ſind die beyden Hauptoperationen aller bisherigen
Syſteme der Oekonomie: Verminderung der Conſumtion (Spar-
ſamkeit) und Vermehrung der Produktion (Induſtrie)
es zeigt ſich alſo auch hier, daß man nur mit Zahlbegriffen,
mit Summen, mit Maſſen, mit dem Mehr und Weniger zu
handthieren gewußt, dagegen die Qualitaͤten und Verhaͤltniſſe
[77] der Dinge durchaus verſaͤumt hat. Der Erfolg mußte unge-
faͤhr derſelbe ſeyn, als wenn man in der Naturforſchung dem
Zwecke der Natur durch ein bloßes Ausdemwegegehen des
Todes, und durch ein Haͤufen der Lebenserſcheinungen haͤtte
auf die Spur kommen wollen; wie ſolches dann, da die
Corruption einer Wiſſenſchaft allezeit auch in die uͤbrigen
Wiſſenſchaften einzugreifen pflegt, mit der Naturforſchung
des vorigen Jahrhunderts wirklich der Fall geweſen iſt.
Dem Leſer koͤnnte nunmehr die unendliche Bedinglichkeit
der Conſumtion und Produktion, und die Unzulaͤnglichkeit der
Theorien, welche in dieſem erhabenen Verhaͤltniß nur mit
gemeiner Addition, oder Subtraktion zu manoͤvriren wiſ-
ſen, klar ſeyn, und doch die Frage aufſtoßen: was denn,
wenn in letzter Inſtanz alle Produktion und Conſumtion ein-
ander aufheben, und, wenn nichts dem allgemeinen Schick-
ſal der Conſumtion entgehe, zuletzt fuͤr ein Reſultat der
ganzen Haushaltung uͤbrig bleibe? — Die gewoͤhnliche
Theorie, conſequent in der Inconſequenz, haͤtte darauf etwa
folgende Antwort: es ſey von der Natur eine gewiſſe Ueber-
legenheit der Produktionsfaͤhigkeit des oͤkonomiſchen Staats,
uͤber ſeine Conſumtionsfaͤhigkeit, wenn beyde auf gleiche
Hoͤhe getrieben waͤre, angeordnet; dieſe Ueberlegenheit zeige
ſich dann in der jaͤhrlichen Entſtehung und Vermehrung der
Capitalien: der oͤkonomiſche Staat wachſe, wenn dieſes
Naturgeſetz befolgt werde, wenn die Produktion fortgehend
die Conſumtion uͤberſteige, alſo die Capitalien, die Be-
dingungen weiterer Vervielfaͤltigung der Produktion zunaͤh-
men; der oͤkonomiſche Staat verfalle hingegen, wenn die
[78] menſchliche Willkuͤhr an die Stelle jenes Geſetzes treke, wenn
die Conſumtion die Produktion uͤberſteige, alſo die Capitalien
erſt zu Conſumtionszwecken gemißbraucht, und dann gaͤnzlich
verzehrt wuͤrden. —
Zufoͤrderſt aber iſt dieſe Ueberlegenheit der Produktion an
und fuͤr ſich, uͤber die Conſumtion nur ſcheinbar: denn, wenn
fuͤr einen kurzen Zeitraum die Produktion auch die Conſumtion
merklich zu uͤberſchreiten im Stande waͤre, ſo wuͤrde die Erwaͤ-
gung laͤngerer Zeitraͤume offenbar das Gegentheil ausweiſen,
alſo die Sache wieder ins Gleichgewicht kommen. Es gibt
aus dem gewoͤhnlichen und natuͤrlichen Standpunct der oͤko-
nomiſchen Betrachtung, wenn man die Conſumtion ſowohl,
als die Produktion im Ganzen und in ihren tauſendfaͤltigen,
oft ſehr verdeckten Erſcheinungen betrachtet, kein gedenkbares
Motiv der Produktion als die Conſumtion: die Gewalt des
Todes muß wachſen, wenn das Leben ſich erhalten und zu-
nehmen ſoll; denn ohne Feind kein Sieger, ohne Krieg keine
Kraft. — Betrachten wir bloß einerſeits das aͤußerliche
Produkt, und die mit Induſtrie, Capital, Maſchinen,
geſegnete Produktion, andererſeits die Conſumtion als
bloße Erſcheinung, woruͤber ſich doch die Anſicht unſerer
oͤkonomiſchen Theorien niemahls erhebt, ſo erſcheinen ſie
beyde in einem voͤllig todten Gleichgewicht, und das hoͤchſte
Reſultat iſt die bloße Lebensfriſtung. Waͤre ferner die ge-
ſammte Induſtrie wirklich im Stande, die geſammte Con-
ſumtion zu uͤberfliegen, waͤre das Capital ein wirklich ſelbſt-
ſtaͤndiger Ueberſchuß der Produktion, ſo muͤßte bey nachlaſſen-
der Conſumtion die Induſtrie zu wachſen, oder doch ſich zu
[79] erhalten vermoͤgen, das Capital hingegen ſich auch ohne die
Conſumtion in ſeinem Weſen zu behaupten vermoͤgen, was
niemand behaupten wird.
Verſuchen wir eine beſſere und gruͤndlichere Antwort:
Wie in der Seele des Naturforſchers unter den wechſelnden
Erſcheinungen des aͤußeren Lebens wie des aͤußerlichen Todes,
daferne nur beyde Erſcheinungen mit gleicher Gerechtigkeit
von ihm behandelt werden, und mit gleicher Staͤrke auf ihn
wirken, ſich ein ſteigendes Gefuͤhl eines gewiſſen hoͤheren
Lebens entwickeln muß, eines Lebens, welches beydes, jenes
aͤußere zuerſt beobachtete Leben, und den aͤußeren Tod unter
ſich begreift, und welches aus jedem neuen Conflict der
Lebens- und der Todeserſcheinung, die ſich dem Beobachter
darſtellt, in ſeiner Seele reiner und deutlicher ausgeboren
wird — ſo waͤchſt und belebt ſich, vor den Augen aller ein-
zelnen Zeugen der großen Wechſelwirkung des Lebens- und
Todesprozeſſes in unſerer Nationalhaushaltung, ein hoͤheres
Produkt, welches jene Wechſelwirkung zwiſchen den gemeinen
Produkten und der gemeinen Conſumtion regiert, umfaßt und
garantirt, auch bey jedem neuen Conflict der Produktion und
der Conſumtion, wieder reiner und deutlicher geboren wird,
es iſt der Credit, der Nationalcredit, die Nationalmacht,
es iſt der Glaube an den Staat, alſo der Staat ſelbſt.
Wenn dieſes Reſultat, das einzige gedenkbare und wuͤr-
dige, welches ſich aus dem ungeheuren Gewuͤhl der oͤkono-
miſchen Geſchaͤfte ergibt, den Predigern der Sparſamkeit
und Induſtrie allzu idealiſch erſcheinen ſollte, ſo liegt dieß
vorlaͤufig in ihrer Unfaͤhigkeit, es kriegeriſch im Kampfe
[80] gegen das Geſpenſt der Conſumtion, und gegen den Goͤtzen
der Produktion zu erwerben, zu erobern; es liegt in ihrer
ſehr natuͤrlichen Ohnmacht, das Weſen der Produktion uͤber-
haupt zu begreifen, in der Unnatur ihrer Stellung gegen die
Welt wie gegen die Wiſſenſchaften. Daß ihre Sparpfennige
ihnen unter ihren Haͤnden zerfließen, ihre Waarenlager ihnen
unter ihren Schloͤßern und Riegeln verderben, ohne dieſes
idealiſche Weſen, kurz die gewaltige Realitaͤt desſel-
ben ſoll in dieſem Buche offenbar werden.
Wenn man, habe ich eben geſagt, alles Produkt zuerſt
als Gegenſtand der Conſumtion; dann aber auch dasſelbige
Produkt wieder als weiter Producirendes zu begreifen im
Stande iſt: dann hat man das eigentliche Weſen des Pro-
dukts erkannt, eben ſo wie man in den Nachforſchungen der
Natur das Weſen des Lebendigen erkannt hat, und fortge-
hend immer reiner erkannt, wenn man dasſelbe Leben-
dige ſowohl als Lebenserſcheinung, als auch als Todeser-
ſcheinung aufzufaſſen — eben ſo wie man ferner das Weſen
der Empfindung erkannt, ſo bald man ſie gleich ruhig als
Freudens- und als Schmerzenserſcheinung anzuerkennen vermag.
Man hat das Weſen der Empfindung erkannt, heißt, man
hat eine uͤber Freude und Schmerz erhabene und beyde um-
faſſende Luſt erkannt, die nun bey jedem neuen Conflict der
Freude und des Schmerzens reiner und dauerhafter ausge-
boren wird. Es iſt die eigentliche Luſt, die aus ſolchen
wechſelwirkenden Elementen entſteht, das eigentliche Leben,
welches in ſolcher Naturforſchung erkannt und erlebt wird;
es iſt das eigentliche Produkt, welches in ſolcher Wechſel-
[81] betrachtung des Verzehrens und des Erzeugens, vor unſerer
Seele entſteht. —
Wenn auch der Einzelne von ſeiner Natur abgefallene
Menſch immer von neuem wieder verſuchen ſollte, aus einem
Zuſammengeitzen der Luſt und einem Vermeiden des Schmer-
zes, die Luſt ſelbſt; aus einem Haͤufen der Lebenserſcheinungen
und einem Ausweichen der Todeserſcheinung, das Leben; aus
einer Verminderung der Conſumtion und einer Vermehrung
der Produktion, ſein Produkt zu extrahiren — ſo wird doch
die vollſtaͤndige geſunde Natur, auch ohne es zu wiſſen oder
nachweiſen zu koͤnnen, an den Werth und an die Dauerhaf-
tigkeit nur derjenigen Luſt, desjenigen Lebens und eines
ſolchen Produktes glauben, welche auf dem von mir nach-
gewieſenen Wege entſtanden ſind. — Jedermann wird viel-
leicht taͤglich die untergeordnete Luſt, mit der aus Freude
und Schmerz erzeugten hoͤheren Luſt, das außer dem Tode
geſtellten Leben, mit dem uͤber den Tod erhabenen Leben,
das gemeine Produkt mit dem hoͤheren unter allem Erzeugen
und Verzehren ſich entwickelnden Produkt verwechſeln, aber
glauben, Credit geben, wird er nur dem hoͤheren Pro-
dukt, dem Produkte des Produkts, dem Leben des Lebens,
der Luſt in und uͤber der Luſt.
Wer nunmehr, meine ich, dieſe innere goͤttliche Ordnung
aller Haushaltung anerkannt und ausgeuͤbt (und der Glaube
daran iſt ſchon Ausuͤbung) — dem mag man auch immerhin
das aͤußere Ebenbild dieſer Ordnung im augenſcheinlichen und
handgreiflichen Gange unſerer irrdiſchen Haushaltung zeigen.
Ein ſolcher wird, wenn ich ihm ſage, wie im Anfang dieſes
Theoret. Theil F
[82] Kapitels, daß alle Produkte in einen weiter producirenden
und in einen zur Conſumtion beſtimmten Theil, daß das
producirte Korn in Wirthſchafts- und in Saatkorn zerfalle,
einſehen, daß dieſe Theile nur die augenblicklichen Bilder
jener ewigen Elemente ſind; er wird alſo deßhalb, weil ihm
zur weiteren Produktion augenblicklich mehr uͤbrig bleibt,
als die augenblickliche Conſumtion hinweg nimmt, noch
nicht glauben, daß er etwas gewonnen, ſondern nur in wie
fern die Wechſelwirkung zwiſchen ſeiner Produktion und ſeiner
Conſumtion uͤberhaupt lebhafter wird, wird er an das Heil
ſeiner Wirthſchaft glauben — weil die augenblickliche Ordnung
ſeiner Haushaltung nunmehr dem ewigen Geſetz aller Oeko-
nomie mehr entſpricht, weil das Reſultat jener Wechſelwir-
kungen, ein ſteigendes Kraftgefuͤhl, mit dem hoͤhe-
ren Reſultate aller Wechſelwirkungen uͤberhaupt, welches
der Gegenſtand alles ſeines Glaubens iſt, uͤbereintrifft und
ſich daran ſchließt, ſich dadurch verbuͤrgt. —
Dieſes Produkt aller Produkte in der kleinen wie in der
großen Haushaltung, wie in der Ordnung der Weltgeſchaͤfte
ſelbſt iſt der Credit: die groͤßere Zuverlaͤßigkeit, die groͤ-
ßere Sicherheit des oͤkonomiſchen Daſeyns wird producirt,
und mit ihr faͤllt uns die groͤßere Fuͤlle der Guͤter von ſelbſt
zu. Aber dieſe Fuͤlle der Guͤter an ſich beweiſt nichts und
befriedigt niemand: der Credit iſt es, wornach, vornaͤhmlich
jetzt, ſich jedermann ſehnt, er iſt der nackte Sinn aller der
vielfaͤltig verkleideten oͤkonomiſchen Klagen, die unſere Zeit
vernehmen laͤßt.
[83]
Wie aber entſteht der Irrthum, daß der Produktions-
uͤberſchuß eigentlicher Zweck aller Wirthſchaft ſey, aus dem
ſich dann der „heitere Lebensgenuß” des Grafen Soden,
und „die erſehnten beſſern Tage” des Profeſſor Luͤder er-
geben ſollen? — daß alle dieſe Herrlichkeiten nur duͤrre
Lebensfriſtung und uͤbrigens voͤllig weſenlos ſind, habe ich
ſchon erwieſen, aber es iſt noch dem Irrenden die Moͤglich-
keit ſeines Irrthums zu erweiſen, wenn er gruͤndlich bekehrt
werden ſoll. —
Es iſt denen, welche an die Wunder der Arbeitstheilung
glauben, laͤngſt bekannt, daß ſo lange jeder fuͤr ſich produ-
cirt, und das Producirte ſelbſt conſumirt, und nur produ-
cirt, was er zu eigener Conſumtion bedarf, die Wirthſchaft
ſelbſt nicht fortſchreitet. So bald ſich die Arbeit theilt, ſo
bald der Einzelne fuͤr die Conſumtion der Uebrigen zu pro-
duciren, und von ihrer Produktion zu conſumiren anfaͤngt,
ſo erweitert ſich die Wirthſchaft. Bis hierher iſt in der Dar-
ſtellung des Adam Smith ein richtiges Schema von Wechſel-
wirkung, alſo koͤnnen wir auch ſo weit mit ihm einverſtan-
den ſeyn. Nun aber bleibt er bey dem groͤßeren Produkte,
daß dieſe fortſchreitende Wirthſchaft nachher abſetzt, ſtehen,
und nimmt fuͤr ein Reſultat, was doch nicht mehr als ein
Symptom iſt. Er muß zugeben, daß genau, wie das Pro-
dukt waͤchſt, ſich auch der Markt, der Abſatz, kurz die Con-
ſumtion erweitern muß, daß alſo nur, in wie fern man den
Augenblick und den einzelnen Producenten betrachtet, ein
ſcheinbarer Ueberſchuß Staat finden kann, der aber wieder
verſchwindet, wenn man ihn in Beziehung auf den ganzen
F 2
[84] Umfang und die ganze Dauer der buͤrgerlichen Geſellſchaft
bringt. Der Irrthum liegt alſo zufoͤrderſt darin, daß man
das Verhaͤltniß der Privathaushaltung zur Staatshaushal-
tung nicht verſteht, und eine Erſcheinung auf die National-
oͤkonomie uͤbertraͤgt, die durch den Staat nur moͤglich, aber,
wenn man den Staat dabey fortdauernd im Auge behaͤlt,
auch unmittelbar wieder aufgehoben wird.
Denn auch in der Privatoͤkonomie findet eigentlich kein
Ueberſchuß Statt: das uͤber die Conſumtion Erworbene oder
Erſparte, muß von der Geſellſchaft [conſumirt] werden, oder
in einer erweiterten Produktion des Erwerbers angelegt,
das heißt: von dieſer Produktion verzehrt werden; was dieſe
erweiterte Produktion ergibt, eben ſowohl als der dabey
angewendete Ueberſchuß muß weiter conſumirt werden, und
die umfaſſendſte Produktion dieſer Art waͤre vergeblich, wenn
ſie uͤber die Conſumtion oder den Abſatz oder das Beduͤrfniß
hinausſchritten. Alſo ſtoßen wir nirgends auf einen abſoluten
an ſich ſelbſt geltenden Ueberſchuß, und ſo lange wir bey
den aͤußeren Erſcheinungen ſtehen bleiben, hat die geſammte
Oekonomie gar kein Reſultat.
Die Lage der Sache aber aͤndert ſich von Grund aus,
wenn wir auf jenes innerliche, unſichtbare und dennoch hoͤchſt
vernehmliche Produkt Ruͤckſicht nehmen, welches durch alle
Produktion hindurchlaͤuft, und ſich unter allen Erzeugungen
und unter allem Verzehren befeſtigt und waͤchſt, wie der
Baum unter beſtaͤndiger Wiederkehr einer Zeit der Bluͤthe,
der Frucht und der Entblaͤtterung: die buͤrgerliche Geſell-
ſchaft, die anerkannte, der Glaube an ſie, an die Sicherheit
[85] und Zuverlaͤßigkeit des geſammten Beyeinanderſeyns und Mit-
einanderwirkens, kurz der Credit.
Der Irrthum eines bloß koͤrperlichen und handgreiflichen
Ueberſchuſſes bey Adam Smith und allen Theorien entſteht,
und wird erklaͤrlich auf dieſelbe Weiſe, wie der Irrthum des
abſoluten Privateigenthums, zu Folge meiner fruͤheren Aus-
einanderſetzung; naͤhmlich durch das Geld. Die Ueberſchuͤſſe
der Produktion, werden auf Metall reducirt, und darin um-
geſetzt; unter allen koͤrperlichen Waaren ſind es die Metalle,
deren Conſumtion am langſamſten und unmerklichſten von
Statten geht, und ſo ſind ſie es auch die am meiſten den
Wahn beguͤnſtigen, als gebe es wirklich etwas von der Con-
ſumtion Eximirtes, weßhalb die Merkantiliſten denn auch
ihre Acquiſition fuͤr den Hauptzweck aller Haushaltung hiel-
ten: es ſcheint nun etwas uͤber die Conſumtion Erhabenes,
dem oͤkonomiſchen Tode Entzogenes vorhanden zu ſeyn,
welches Capital genannt wird. Dennoch aber muß auch
dieſes Capital wieder angelegt werden, wenn die Welt es
nicht ſelbſt todtes Capital nennen ſoll: es kehrt alſo zur
Conſumtion zuruͤck, es kann alſo nur dadurch lebendig er-
halten werden, daß es wieder verzehrt wird; wenn es dem
Verzehren, das heißt: dem Tode abgegeitzt oder entzogen
wuͤrde, ſo waͤre es erſt dadurch recht todt.
Aber, wirft man mir ein, das Capital verbleibt doch
nun dem, der es angelegt hat. Was verbleibt? der Eigen-
thuͤmer, wenn er es bey einem Einzelnen, oder bey einer
Corporation, oder bey dem Staate, oder in der Erweiterung
ſeines eigenen Gewerbes angelegt hat, erhaͤlt dafuͤr einen
[86] Credit bey der buͤrgerlichen Geſellſchaft. Was er von ſeinen
Einkuͤnften nicht ſelbſt conſumirt, muß immer wieder bey
der buͤrgerlichen Geſellſchaft angelegt, das heißt: von ihr
conſumirt werden. Es ergibt ſich alſo fuͤr den Eigenthuͤmer
nie und an keiner Stelle ein abſoluter Ueberſchuß, welcher
Gegenſtand des ausſchließenden Privateigenthums fuͤr ihn
werden koͤnnte: es ergibt ſich fuͤr ihn nichts, als ein unſicht-
bares aber immer feſteres zuverlaͤßigeres Band an die buͤr-
gerliche Geſellſchaft. Anſtatt des vermeintlichen Ueberſchuſſes
wird er nur tiefer und tiefer in die Haushaltung, und zu-
gleich in die Geſetze der buͤrgerlichen Geſellſchaft verwoben,
und weil er in groͤßere Wechſelwirkung mit dem Ganzen
tritt, und den Credit des Ganzen mehr empfindet und deut-
licher repraͤſentirt, als die Uebrigen — fuͤhlt er ſich reicher,
nennen wir ihn reicher als die Uebrigen.
Dem aufmerkſamen Leſer kann es unmoͤglich entgangen
ſeyn, daß wir, indem durch das Bisherige der Wahn eines
abſoluten handgreiflichen Ueberſchuſſes der Produktion uͤber
die Conſumtion, des Ertrages uͤber den Aufwand zerſtoͤrt
worden, zugleich in einer ganz andern Manier, als es in
einem fruͤheren Kapitel geſchehen, die Unmoͤglichkeit eines
abſoluten Privateigenthums erwieſen haben: denn nur das
der Conſumtion der buͤrgerlichen Geſellſchaft oder ihrem Mit-
genuß Entzogene; das in dem Staat, in der Gemeinſchaft
mit den Uebrigen Erworbene, hernach aber aus dem Staat
Herausgeſtellte, waͤre wahrhaftiges Object des abſoluten und
ausſchließenden Privateigenthums. Da aber, wie hinreichend
erwieſen, was aus der großen Wechſelwirkung der Produktion
[87] und der Conſumtion (oder des lebenserzeugenden Todes und
zum Tode ſtrebenden Lebens) innerhalb des Staates, heraus-
tritt, nunmehr und deßhalb fuͤr voͤllig und abſolut todt zu
achten iſt, ſo kann erſtens die geſammte Haushaltung keinen
anderen und geringeren Zweck haben, als den Nationalcredit
oder den Glauben an den Staat, und zweytens kann kein
abſolut abgeſondertes Privateigenthum Statt finden.
Der Einzelne kann nur Eigenthuͤmer ſeyn, in wie fern
er ſelbſt wieder mit allem was zu ihm gehoͤrt, Eigenthum
des Staats iſt, beſitzt nur, in wie fern er ſelbſt wieder be-
ſeſſen wird, und wird alſo genau auf dieſelbe Weiſe wieder
beſeſſen vom Staate, als in der er ſelbſt ſein Vermoͤgen be-
ſitzt. Beſitzt er alſo dieß Vermoͤgen auf natuͤrliche und ge-
rechte Art, als Feod, als ein Credit, das die buͤrgerliche
Geſellſchaft an ihm hat, ſo wird er es an einem innern
Kraftgefuͤhle, an einem Selbſtbewußtſeyn ſeines Reichthums,
an dem Vertrauen, an der Sicherheit, die ſich in ihm feſt-
ſetzen, merken, daß die buͤrgerliche Geſellſchaft auch ihm ein
gleichgeltendes Credit zugeſteht, daß ſie ſeine wirkliche und
ſolvente Schuldnerinn iſt in hoͤheren Dingen, als die ihm
jemahls wirklich und handgreiflich ausgezahlt werden koͤnn-
ten, daß ſie auch ihn wieder als Feod beſitzt, das heißt: mit
der Schonung und Milde, die ein auf hoͤherem Glauben,
anvertrautes Gut verdient.
[88]
Achtes Kapitel.
Von der Welthaushaltung und den edeln Metallen.
Wenn alſo die Guͤter des Lebens an und fuͤr ſich nichts ſind,
wenn ſie nur durch einen gewiſſen ſymboliſchen Gebrauch
Etwas werden, wenn eine beſtimmte oͤkonomiſche Thaͤtigkeit
deßwegen, weil ſie das handgreifliche Produkt der Oekono-
miſten oder des Adam Smith veranlaßt, noch nicht produktiv
zu heißen verdient, wenn erſt durch die Richtung der Kraft,
das heißt: durch das Verhaͤltniß dieſer Richtung zu allen
uͤbrigen Kraͤften und dem gemeinſchaftlichen Vereinigungs-
punct, oder dem Staat, ein beſtimmter und realer oͤkono-
miſcher Werth entſteht — ſo wird man mir einwerfen, es
gaͤbe de facto mehrere ſolche Vereinigungspuncte der oͤkono-
miſchen Kraft, oder Staaten, oder Staatshaushaltungen
an der Oberflaͤche der Erde; ja man koͤnnte ſich darauf be-
rufen, daß ich an einem andern Orte *) ſelbſt behauptet
haͤtte, der Staat damit er zu einer vollſtaͤndigen und abge-
ſchloſſenen Selbſterkenntniß gelangen koͤnnte, beduͤrfe ſeines
Gleichen ſo gut als der einzelne Menſch; es muͤſſe demnach
[89] mehrere, ihrer ſelbſt bewußte Staaten geben, wenn es uͤber-
haupt Einen ſolchen geben ſolle: aus dieſer Mehrheit der
Staaten folge nunmehr, daß der einzelne Staat ſich un-
moͤglich bey einem ſolchen in ihm ſelbſt ruhenden Credite,
bey einem ſolchen bloßen Glauben an ſich ſelbſt beruhigen
koͤnnte, als, meiner Darſtellung nach, das Reſultat der ge-
ſammten Staatshaushaltung ſey; es muͤſſe doch, bloß um
die Unkoſten der ſehr beſchwerlichen Nachbarſchaft anderer
Staaten zu decken, ſich aus der innern Haushaltung ein
Ueberſchuß ergeben, der, wenn man ſich ihn auch nur unter
dem Bilde ſolcher auf der ganzen bewohnten Erde geltenden
Waaren, wie die edeln Metalle und das Eiſen, denke, den-
noch den geſammten inneren Staatscredit erſt vollſtaͤndig
verbuͤrge.
Wenn ich ihn nicht vollſtaͤndig zu widerlegen im Stande
waͤre, ſo wuͤrde ich keinen Einwurf ehren wie dieſen; denn
mir ſind die regierenden praktiſchen Merkantiliſten, welche
wenigſtens uͤberall die Nothwendigkeit eines beſonderen Staa-
tes unter den Staaten dadurch anerkennen, daß ſie ſeine
Beſonderheit, ſeine eigenthuͤmliche Exiſtenz, wie es allein
moͤglich iſt, durch etwas Allgemeinguͤltiges, und ſollte es
auch nur das Metallgeld ſeyn, vor allen Dingen garantiren
zu muͤſſen glauben, unendlich ehrwuͤrdiger, und ſie erſcheinen
mir ohne Vergleich natuͤrlicher und gerechter, als die theore-
tiſchen Oekonomiſten und Induſtriephiloſophen, die ſich vom
Gelde emancipiren wollen, dafuͤr aber auch das im Gelde
liegende große geſellſchaftliche Verpflichtungs- oder Glaubens-
band fahren laſſen, und um die Profite der buͤrgerlichen
[90] Geſellſchaft recht ſicher zu gewinnen, alle Schranken, ſogar
die Schranke, welche den Staat von ſeinem Nachbarſtaat
trennt, einreiſſen, und ſich dafuͤr allen Winden und Stroͤ-
mungen des Welthandels, und aller Sklaverey des Univerſal-
ſtaates preis geben.
Weit davon entfernt meine Unterſuchungen der Staatswirth-
ſchaft mit der modiſchen Geldverfolgung anzufangen, habe ich
vielmehr einſtweilen die vorhandenen Vorſtellungen vom Gelde,
und ſogar die Vorliebe fuͤr das Metallgeld noch fortwalten
laſſen, ohne ſie einer Kritik zu unterwerfen, bis meine Argu-
mentation ſtark genug geworden ſeyn wird, um alle Unwe-
ſentlichkeiten, daran haftenden Vorurtheile und Mißbraͤuche
abzuſchuͤtteln, und dennoch die Kette der Geſellſchaft, welche
ſich in dieſen abgoͤttiſchen Zeiten ganz in das Geld zuruͤck-
gezogen und verborgen hat, mit ſtarkem Arme feſtzuhalten. —
Jetzt ſind wir ſo weit gediehen, und die naͤhere Erwaͤgung
des Verhaͤltniſſes der Haushaltung des einzelnen Staates
zur Welthaushaltung, biethet uns dazu die beſte Gelegen-
heit dar.
Es ſollte eine Welthaushaltung, eine große oͤkonomiſche
Gemeinſchaft der Staaten dieſer Erde geben, denn es iſt
ihnen ein Glauben dargebothen worden an ihre Gemeinſchaft
unter einander, und es iſt in Folge dieſes Glaubens eine
Erkenntniß ſolcher Gemeinſchaft moͤglich geworden, in der
ſich jeder Nationalglaube ſeinem ganzen weſentlichen Gehalte
nach wieder finden wird — wieder finden muß: denn alle
die großen Verhaͤltniſſe der Gegenſeitigkeit und Wechſelwir-
kung, aus denen allein, wie ich hinlaͤnglich gezeigt, ein
[91] Nationalglaube, ein Nationalcredit, das heißt: ein realer
Staat, hervorgehen kann, und die das Alterthum bis auf
Rom hinab nicht gekannt, weßhalb es ſich dann, ſtatt des
Nationalglaubens, mit dem Wahne des Privateigenthums,
allerhand irrdiſcher Ueberſchuͤſſe, „heitern Lebensgenuſſes”
und der „Sehnſucht nach beſſern Tagen”, hat begnuͤgen
muͤſſen — ſind erſt aus der Idee der Menſchheit als einer
großen Familie, aus der Idee ihres Wohnplatzes, als eines
großen Vaterhauſes hergefloßen.
So lange jedes einzelne Volk noch ſeinen beſondern Guͤ-
tern und Goͤttern nachging, war es wohl vergeblich, ſie un-
ter einander verbinden zu wollen: wo wir im Alterthum ein-
zelne kleine Voͤlkerſchaften und Staͤmme unter einander im
Bunde finden, da zeigen ſich reinere Nationalvorſtellungen
von den goͤttlichen Dingen, als die einzigen Gewaͤhrleiſterin-
nen ſolchen Bundes; auch wuͤrden wir demjenigen alles hiſto-
riſche Urtheil unbedingt abſprechen, der die Vergaͤnglichkeit
ſolcher Buͤndniſſe aus irgend einer gemeineren Urſache hin-
leiten wollte, als aus der Beſchraͤnktheit und Unzulaͤnglichkeit
der religioͤſen Vorſtellungen, welche den Bund verbuͤrgten.
Vor allen Dingen zerfielen ſie, weil das den Bund beſchir-
mende Goͤttliche, wie ein ausſchließendes und abſolutes
Privateigenthum einer ſolchen Gemeinſchaft angeſehen wurde.
Die chriſtliche Religion zerſtoͤrte dieſen verderblichſten
Wahn von einem ausſchließenden Privateigenthume des hoͤch-
ſten Gutes, und ſo mußten alle geringeren Guͤter der Erde
die Wohlthat dieſer Befreyung theilen. Sie zerſtoͤrte den
Wahn des Privateigenthums, aber nicht etwa Eigenthum
[92] und Eigenthuͤmliches uͤberhaupt: vielmehr erhaͤlt nun erſt
das hoͤchſte Gut, erhalten nun erſt mit ihm alle geringeren
Guͤter eine beſtimmte unveraͤnderliche kanoniſche Form, naͤhm-
lich einen bleibenden Zuſammenhang; das Geſetz der Haus-
haltung wird nun erſt recht maͤchtig, da es auf der Idee
der wahren Freyheit begruͤndet wird; die Richtung aller
Guͤter auf das mittlere hoͤchſte Gut beſtimmt nun ihren
Werth; die Bereitſchaft jedes beſtimmte Gut dem gerechten
Verhaͤltniſſe zu den uͤbrigen Guͤtern unterzuordnen, und es
fuͤr das hoͤchſte Gut freudig aufzuopfern, erzeugt Sicherheit
und Vertrauen, ſomit das Gefuͤhl eines hoͤheren Eigenthums;
die Gewohnheit uͤber den Schein der Conſumtion und der
Vergaͤnglichkeit, uͤber ein allgegenwaͤrtiges Bild des Todes
muthig hinweg zu ſteigen zu den Erzeugniſſen des weſent-
lichen Lebens, befeſtigt das Daſeyn des Einzelnen in einer
unendlich großen Gemeinſchaft, in einer hoͤheren Ordnung
der Dinge.
Wir ſehen im Mittelalter, nicht etwa nach Maaßgabe
des Planes irgend eines Geſetzgebers, oder einzelnen Exekuto-
ren des nunmehr kundgewordenen goͤttlichen und allernatuͤr-
lichſten Willens, ſondern vielmehr durch ein wahrhaft repub-
likaniſches Zuſammenwirken der Glaͤubigen, an tauſend Stel-
len, und unter den verſchiedenartigſten Formen, Sitten und
Sprachen, dieſe ganz neue und lebendige Ordnung der Dinge
ſich ausbilden: ich moͤchte ſagen, wir ſehen das Wort zum
Fleiſche auch der Staaten werden. Die Verhaͤltniſſe des
Einzelnen zu ſeinem Beſitze, des Buͤrgers zum Mitbuͤrger,
des Individuums zu der Corporation oder Gemeinde, der
[93] Gemeinde zum Staate, des Staates wieder zum Einzelnen,
aber auch des Staates zu ſeinem Nachbarſtaate ordnen ſich
nach dem heiligen Geſetze der Gegenſeitigkeit: es iſt, als
kehrte, was bisher willkuͤhrlich durch einander und ausein-
ander ſchweifte, nunmehr ruhig in ſich ſelbſt zuruͤck; als
haͤtte jeder nunmehr in ſich ſelbſt gefunden, was bisher
unſtaͤt in der aͤußeren Welt geſucht worden; und als waͤre
das, lange Jahrhunderte hindurch, entfernt Geglaubte un-
vermuthet in der freundlichſten Naͤhe entdeckt. Das Reſultat
der Verhaͤltniſſe aller verſchiedenen politiſchen Thaͤtigkeiten un-
ter einander, iſt nun nicht mehr ein Ueberſchuß von handgreif-
licher Maſſenkraft und von ausſchließendem Eigenthum, und
von ausſchließenden Goͤttern und Guͤtern, ſondern vielmehr
derſelbige Glaube, unter deſſen Einfluß ſich alle jene Ver-
haͤltniſſe beſſer und fruchtbarer angeordnet.
Was einzelne Staaten einander abgewinnen, der Ueber-
ſchuß ihres Erwerbes hat nur Werth, in wie fern die große
Gemeinſchaft der Staaten es wieder conſumirt; alſo aus-
ſchließend Eigenthuͤmliches, etwas unabhaͤngig von dem Leben
der uͤbrigen Staaten Beſtehendes hat auch der Staat nicht.
Auch von den großen Werthen, welche das Geſammtſtreben
jedes einzelnen Staates bildet, gilt was von den kleinen
Werthen, die das Geſammtſtreben jeder einzelnen Haushal-
tung im Staate erzeugt: auch dieſe großen Werthe gelten
nur durch ihre Richtung auf einen gemeinſamen Mittelpunct
unter den Staaten. Sie muͤſſen ſich unter einander nach
demſelben Geſetze der Kugel ordnen, das, wie oben erwie-
ſen, ein dauerhaftes Nebeneinanderbeſtehen der einzelnen
[94] menſchlichen Kraͤfte erſt moͤglich machte. Alle ſollen in Bezie-
hung und Wechſelwirkung ſtehen mit Allen; jeder Einzelne
ſoll fuͤr alle uͤbrigen leben und arbeiten, alle uͤbrigen ſollen
wieder das Daſeyn des Einzelnen verbuͤrgen; die Gegenwart
ſoll fuͤr alle folgenden Geſchlechter ſorgen, wie die vorange-
gangenen Geſchlechter fuͤr die Gegenwart geſorgt. — Wie
ließe ſich dieſes große Problem der buͤrgerlichen Geſellſchaft
ſowohl durch den Gedanken, als durch die That loͤſen, wenn
kein Mittelpunct, kein mittelſtes Gut, kein Mittler zwiſchen
allen Geſchlechtern, Voͤlkern und Einzelnen, zwiſchen Vor-
zeit, Zukunft und Gegenwart ſich angekuͤndigt haͤtte.
Wenn nun ſchon das Centrum, darum ſich die einzelne
einfache Haushaltung bewegt, und wornach ſie ſtrebt, kein
Privateigenthum, kein handgreifliches ſondern nur ein un-
ſichtbares, bloß empfundenes Weſen ſeyn kann, das durch
den Hausvater nur repraͤſentirt wird; wenn der Mittelpunct
des Staates noch weniger ein ausſchließendes Nationaleigen-
thum, ein von der Geſammtheit erworbener Ueberſchuß von
Maſſenkraft ſeyn kann, wenn nur der Nationalcredit ſelbſt
ſich dazu eignet, und um dieſen den Sinnen darzuſtellen,
wir eine ewige regierende Perſon vermittelſt der Erbfolge
und der Primogenitur, oder einer immer von neuem ſich re-
producirenden Rathsverſammlung kuͤnſtlich conſtruiren muͤſſen:
um ſo viel weniger koͤnnte der Mittelpunct des Staatenver-
eines von einer vergaͤnglichen handgreiflichen Sache, von
einem Univerſalmonarchen oder einem Voͤlkerrathe dargeſtellt
werden. Hier gibt es weiter keine Repraͤſentation; hier
muß der Glaube an den Mittelpunct, an die unendliche
[95] Vermittelung (mediation) oder an den Mittler, ſelbſt zum
Mittelpuncte werden. Hier muß Gott ſelbſt ſeiner Menſchheit
unmittelbar zu Huͤlfe kommen, denn die irrdiſchen Huͤlfsmit-
tel der Repraͤſentation reichen hier nicht mehr aus.
Wenn aber durch wirkliche Offenbarung dieſes Mittelſte
gegeben iſt, ein fuͤr allemahl, und die Weſentlichkeiten der
menſchlichen Natur, unter allen Formen und fuͤr alle Zeiten
umfaſſend, dem reichſten Verhaͤltniß wie dem aͤrmſten an-
gemeſſen, dem Einzelnen und Allen, wie auch dem Zuſam-
menhange aller vollſtaͤndig genuͤgend — ſo iſt nunmehr nicht
bloß eine Staats-, ſondern auch eine Welthaushaltung moͤg-
lich. Alle kriegeriſchen und verzehrenden Elemente, und alle
friedlichen, erzeugenden dieſes großen Geſammtlebens, die
Weltproduktion und die Weltconſumtion, koͤnnen ſich unter
Vermittelung jenes Geoffenbarten zu einem hoͤheren, uͤber
den Schein des Lebens wie des Todes erhabenen und beyde
umfaſſenden Leben verbinden. Der Glaube, der Stifter die-
ſer unendlichen Gemeinſchaft, wird nunmehr auch zum ein-
zigen Reſultat derſelben; der Vater in dieſem großen Hauſe
iſt zugleich der Sohn, das Erzeugte zugleich das Erzeugende
in dieſer Haushaltung; der Prieſter zugleich das Opfer in
dieſem Heiligthum.
Es koͤnnte alſo eine Welthaushaltung geben, ſage ich; die
Elemente dazu ſind in den Menſchen und in den Staaten vor-
handen, und die ewige Ordnung, das unvergaͤngliche Geſetz
ihrer Vereinigung iſt gegeben. — Statt dieſer Welthaushal-
tung aber zeigen ſich die Elemente derſelben abgeſondert,
entbunden von den wohlthaͤtigen Schranken des Lebens,
[96] als elementariſche Gewalten, als Weltkrieg und Welthandel
im Zwieſpalt, und das Geſchlecht der Menſchen, das durch
ihre gegenſeitige Durchdringung begluͤckt werden ſollte, ihnen
zur Beute gegeben; waͤhrend der friedenſtiftende Glaube,
dem die Weltherrſchaft gebuͤhrt, arm und verkannt und ver-
bannt, ohne bleibende Staͤtte umherirrt.
Aber wie ein und dasſelbe Geſetz die groͤßte wie die
kleinſte Haushaltung ordnet, ſo zeigt ſich auch uͤberall in
der kleinſten wie in der groͤßten Haushaltung die Verſaͤumniß
des Geſetzes, unter derſelben Geſtalt und mit denſelben Symp-
tomen: in der kleinſten Privathaushaltung ein geheimer
Krieg Aller gegen Alle einerſeits, und ein kalter Handels-
verkehr mit den rohen Beduͤrfniſſen des aͤußeren Lebens an-
dererſeits; und ſo bildet ſich denn jene vorgeblich cosmopoli-
tiſche Denkungsart, wo man einerſeits alle aͤußeren Schran-
ken durchbrechen will, damit dieſer kleine Kram ſich nur un-
gebunden an den Univerſalkram des Welthandels anſchließen
koͤnne, waͤhrend andererſeits die innere Feindſeligkeit der Ge-
muͤther recht cosmopolitiſch uͤbertritt, in den großen Welt-
krieg Aller gegen Alle, der die traurigen Bande, die der Han-
del geknuͤpft hat, wieder zerſtoͤrt, ſo, daß das geſammte Ge-
ſchlecht nur wieder eingefangen werden muß in Ketten und
Mauern (anſtatt der umgeſtuͤrzten Schranken), damit wenig-
ſtens ſein Daſeyn gefriſtet werde.
Da wo das Auge die Welthaushaltung, das Weltgeſetz
in ſeinen ganz großen Zuͤgen ſucht; im Voͤlkerverkehr, wo
kein irrdiſcher Arm das Geſetz mehr aufrecht erhalten kann,
und wo es ſich ſelbſt durch ſein unendliches Mittlerthum
[97] behaupten muß — zeigen ſich Maſſen des Todes, uͤberein-
ander gehaͤufte Bilder des Untergangs, und wie jene un-
gluͤcklichen Naturforſcher, die den Tod nicht zu beſiegen wuß-
ten, alſo die Lebenserſcheinungen zuſammen draͤngten, um
das immer mehr entweichende Leben zu greifen und zu faſſen,
ſo irren die Vereinzelten, aus dem Zuſammenhang ihrer
Geſchaͤfte herausgeriſſenen Menſchen umher; ohne Rath gegen
den Untergang, halten ſie ſich an den einzelnen Planken des
zerſcheiterten Lebens; ſammeln und haͤufen die einzelnen Guͤ-
ter, die vom Geiſte der Geſellſchaft entbloͤßt, alſo werthlos
geworden ſind; ſtreben alſo vor allen Dingen nach jener
Waare die an Expanſion und Contraktion, an Beweglichkeit
und Dauerhaftigkeit, dem hoͤheren Gute, welches ſie verloren
haben, am aͤhnlichſten iſt, naͤhmlich dem edeln Metalle.
Sie ſuchen Surrogate nicht bloß fuͤr den verlornen Ver-
kehr mit dem Indien, ſondern auch fuͤr den verlornen natuͤr-
lichen Verkehr unter einander, und ſehr ſchicklich faͤllt ihre
Wahl auf die edeln Metalle. Denn die edeln Metalle haben
unter allen Waaren den groͤßten kosmopolitiſchen Charakter,
koͤnnen ferner am ſchaͤrfſten in die verlangten Theile abge-
ſondert und auseinander geſetzt werden, ihre Subſtanz endlich
iſt in allen Formen und Portionen die gleichfoͤrmigſte: ſo
entſprechen ſie ſehr genau den drey Haupttendenzen dieſes
zerſprengten Geſchlechts: nach dem ſchrankenloſen Univerſum
der allgemeinen Concurrenz, nach dem ſtreng abgeſonderten
und auseinander geſetzten Privateigenthum, und nach einem
bloßen Zahlen-, Summen- und Maſſenleben.
Theoret. Theil G
[98]
Da alſo alle hoͤheren Ruͤckſichten fuͤr die Werthbeſtim-
mung der Dinge verſchwunden, da in dieſem Chaos durch-
einander ſchweifender oͤkonomiſcher Atome von einer Richtung,
von einem lebendigen Verhaͤltniß der oͤkonomiſchen Kraft nicht
weiter die Rede ſeyn kann, ſo gibt es nur augenblickliche
Beſtimmungen gewiſſer Scheinwerthe, oder Preiſe, deren
Schwanken und unverhaͤltnißmaͤßiges Steigen ſchon dar-
thut, daß ſie mit dem natuͤrlichen Gange der oͤkonomiſchen
Geſchaͤfte nichts zu ſchaffen haben, ſondern daß ſie von der
ungewiſſen Ebbe und Fluth eines eingebildeten Weltmarkts
abhangen.
Denn, daß zu aller Werthbeſtimmung ein Mittelpunct
gehoͤre, kann der Inſtinkt ſelbſt nicht verlaͤugnen, wenn auch
die Einſicht in das Centrum aller Mittelpuncte und aller
Kraftrichtungen laͤngſt verloren waͤre: man imaginirt ſich
einen Mittelpunct, und ſollte er auch wie der ſogenannte
Weltmarkt uͤberall und nirgends ſeyn.
Die Metalle ſollte es ſcheinen, muͤßten in dieſem Zuſtande
der Dinge, da ſie mit der Neigung aller Kraͤfte ſo genau
zuſammenhaͤngen, in einer unendlich beſchleunigten Progreſſion
koſtbarer werden, auch klagt das ganze Geſchlecht wie mit
einem Munde uͤber ihren Mangel; aber ſo gerecht, ſo ſym-
metriſch offenbart ſich die Natur, der nunmehr allein das Regi-
ment uͤberlaſſen worden, auch in den Krankheiten der buͤrger-
lichen Geſellſchaft: die einzelnen Nothwendigkeiten des augen-
blicklichen Lebens, werden, da die gegenſeitige perſoͤnliche Huͤlfe
mehr und mehr nachlaͤßt, noch viel dringender als die Noth-
wendigkeit ſich in den Beſitz des hoͤchſten Gutes dieſer Zeit,
[99] naͤhmlich der edeln Metalle, zu ſetzen; die Preiſe der Waaren
ſteigen in noch viel beſchleunigteren Verhaͤltniſſen, als die
Preiſe der Metalle.
Von den dermahligen Zuſtaͤnden des Preiſes der Dinge hat
man uͤberhaupt ganz falſche Vorſtellungen. Es ſcheint zwar,
als ſtehen Waaren und Geld mit einander nur im umgekehr-
ten Verhaͤltniſſe, und ſo muͤßten dann in der gegenwaͤrtigen
Lage der Dinge die Preiſe der Metalle fallen, weil die Preiſe
der uͤbrigen Waaren ſteigen. Aber ich ſage die Preiſe der
Metalle ſteigen auch, und zwar fortgeſetzt, nur werden ſie
von den Preiſen der Waaren eben ſo fortgeſetzt uͤberſtiegen.
Sie ſteigen beyde, naͤhmlich mit Beziehung auf ein anderes
nicht zu verſaͤumendes Weſen, welches ſinkt.
Metall und Waare ſtehen unter einander in einer Art
von Wechſelverhaͤltniß (umgekehrten Verhaͤltniß) nur in
einem untergeordenten: Dieſes Verhaͤltniß eben weil
es ein bloßes Zahlenverhaͤltniß iſt, ſteht ſelbſt
wieder in einem hoͤheren Verhaͤltniß zu den
(geometriſchen) geſellſchaftlichen Richtungen
der Kraft.
Das Verhaͤltniß der Waaren zu dem gemeinen Gelde wird
ausgedruͤckt durch eine Zahl, und dieſe Zahl nennen wir den
Preis, das geometriſche Verhaͤltniß der Kraftrichtung zu
ihrem Vereinigungspunct haben wir den Werth genannt,
der eigentlich, wie oben gezeigt, nur durch eine Figur, durch
die Kugel ausgedruͤckt werden kann, und nur ſubſidiariſch durch
eine Zahl bezeichnet wird. Der große Wagebalken, woran
der Staatsmann und der Staatsgelehrte darauf zu achten
G 2
[100] haben, daß das Zuͤnglein wohl einſtehe, iſt alſo nicht das
Verhaͤltniß, Geld und Waare, vielmehr iſt dieſes ganze Ver-
haͤltniß mit ſeinen beyden Gliedern nur der eine Arm des
Wagebalkens: der andere Arm iſt das Verhaͤltniß, iſt die oͤko-
nomiſche Richtung zum Mittelpunct; dieß iſt der Arm, welcher
das Gewicht traͤgt, das heißt: den Werth.
Das allgemeine und unverhaͤltnißmaͤßige Steigen der
Preiſe an dem einen Arme des Wagebalkens beweiſt, wie es
auch wirklich der Fall iſt, daß der andere Arm desſelben, der
die Werthe traͤgt, ſinkt. — Das iſt der eigentliche Sinn der
gegruͤndeten Klage uͤber die Preisſteigerung aller Dinge, und
darum haben, ſo lange die Theorie das Verhaͤltniß Geld und
Waare allein betrachtete, die Perioden der Zufluͤſſe aus den
Minen, waͤhrend der drey letzten Jahrhunderte, niemahls,
auch wenn man dem neuen Verhaͤltniſſe Zeit gab, ſich zu ent-
wickeln, mit den Perioden der erheblichſten Preisſteigerungen
uͤbereintreffen wollen. Waͤhrend dieſer letzten drey Jahrhun-
derte aber iſt die oͤkonomiſche Richtung der Kraͤfte von jedem
folgenden Geſchlechte, das durch immer groͤßere Maſſen von
Produkten geblendet wurde, immer mehr hintan geſetzt wor-
den, darum ſind die Preiſe der Dinge ſo vernehmlich geſtie-
gen, und die Werthe ſo vernehmlich geſunken. — Das Bild
von der Wage druͤckt die Sache ſehr wohl aus; das Steigen
druͤckt ein Ungenuͤgen, ein zu leicht erfunden werden, und
das iſt auch die eigentliche Bedeutung aller allgemeinen und
empfindlichen Preisſteigerung.
Weil das Verhaͤltniß des gemeinen Geldes zu den Waa-
ren, oder der Preis, an und fuͤr ſich nichts Beſtimmtes iſt, ſo
[101] iſt auch der Markt an und fuͤr ſich, ſo iſt der Weltmarkt ein
voͤllig unbeſtimmtes Weſen. So bald aber das Verhaͤltniß
der Richtungen unter einander, und zum Mittelpunct an der
groͤßten wie an der kleinſten Stelle mit in Betracht kommt,
ſo bald die Preiſe und die Werthe einander reguliren, dann
entſtehen wirkliche Haushaltungen, die ſich unter einander in
lebendigen Zuſammenhang ſetzen, und zuletzt die große be-
ſtimmte Welthaushaltung bilden, die auf jedes einzelne Haus-
weſen ſo ſegensreich, als der eingebildete Weltmarkt verderb-
lich zuruͤckwirkt. Die letzte und hoͤchſte Bedingung dieſes
geordneten Zuſtandes wird aber allezeit ſeyn, daß ein unzer-
ſtoͤrbarer Weltglaube, das heißt: ein goͤttlicher Vermittler
aller irrdiſchen Geſchaͤfte da ſey.
Alſo auch mit Ruͤckſicht auf ſein Verhaͤltniß zu anderen
Staaten, iſt es nicht ein Ueberſchuß in der Maſſe der Pro-
duktion, der die Geſammtexiſtenz des Staates an ſeinem
Orte verbuͤrgt. Die Nationaloͤkonomie wird allerdings ſolchen
Ueberſchuß abwerfen, aber dieſer wird nie abſolute, und an
ſich fuͤr ein Mittel der Behauptung im Staatenvereine ange-
ſehen werden koͤnnen.
Dieſer Ueberſchuß wird entweder zur Bewaffnung und zu
Vorbereitungen der Vertheidigung angewendet, und in ſo fern
iſt es gar kein Ueberſchuß; er iſt ein bloßes Werkzeug, das
der Staat kraft ſeiner Ganzheit und der Nachbarſchaft
anderer Staaten ſo nothwendig gebr[au]cht, um ſich fortdau-
ernd in ein productives Verhaͤltniß zu ihnen zu ſetzen, um
ſie mit ſich im wechſelwirkenden Streben nach dem gemein-
ſchaftlichen Mittelpunct des ganzen Staatenvereines zu
[102] erhalten, als der Handwerker mancherley Werkgeraͤth braucht,
um mit ſeinem geliebten Materiale ein Produkt zu gewinnen,
welches gegen den mittelſten Staatszweck hin in unendlicher
Annaͤherung begriffen iſt. Wie bey dem unſcheinbarſten Hand-
werk eine kunſtreiche, halb zwingende, halb reitzende Behand-
lung des Arbeiters dazu gehoͤrt, um ſeine Produktivitaͤt zu
behaupten, ſo muß eine gleichfalls halb zwingende, halb
reitzende, halb militaͤriſche, halb diplomatiſch- merkantiliſche
Behandlung der Nachbarſtaaten es ausweiſen, ob ſich der
Staat bey ſeinem produktiven Leben und bey ſeiner Ganzheit
behauptet.
Wird jener Ueberſchuß im auswaͤrtigen Handelsverkehr
aufgewendet, und werden dafuͤr im Auslande Aequivalente
in Waaren eingetauſcht, ſo muß innerhalb unſers Staates ein
Beduͤrfniß nach dieſen eingetauſchten Objecten Statt gefun-
den haben; unſere Conſumtion iſt alſo nicht durch die Pro-
duktion gedeckt geweſen, und der Ueberſchuß war nur ſchein-
bar. Haben wir edle Metalle oder Geld dafuͤr eingetauſcht,
ſo muß, wenn das Geld ſeinen Werth behalten ſoll, entweder
die innere Conſumtion ſchon darauf warten, oder ſie muß der
Waaren beduͤrfen, die in anderen Gegenden des Auslandes
fuͤr das Geld eingetauſcht werden; in beyden Faͤllen iſt der
Ueberſchuß gleichfalls nur ſcheinbar geweſen. Dasſelbe gilt
dann auch von den Waaren, die zur Reexportation einge-
fuͤhrt werden.
Was alſo der Staat im Ganzen werth ſey, offenbart
ſich nicht in Maſſenuͤberſchuͤſſen, ſondern in der Richtung ſei-
ner Geſammtkraft auf den ewigen Mittelpunct des Glaubens,
[103] der das ganze oͤkonomiſche Geſchaͤft dieſer Erde in ſeinen
Fugen erhaͤlt; und, um dieſes Mittelpuncts Willen, in dem
gerechten und ſchoͤnen Verhaͤltniß ſeiner Kraftrichtung zu den
Kraftrichtungen der uͤbrigen Staaten.
So wie nun eine einzelne Linie durch eine nach ihr hin
convergirende andere Linie erſt zur beſtimmten Linie wird,
ſo bedeutet auch die Kraftrichtung eines einzelnen Staates
an und fuͤr ſich allein noch nichts; ſie muß erſt durch eine
zweyte convergirende Kraftrichtung eines anderes Staates
eine beſtimmte Bedeutung, einen beſtimmten Werth erhalten.
So wenig der einzelne Arbeiter im Staate ſich des wech-
ſelwirkenden Entgegenkommens der Arbeit ſeines Nachbars
uͤberheben kann; ſo gewiß durch die convergirende Richtung
der Arbeit dieſes Nachbars erſt die eigene Arbeit Werth er-
haͤlt, und die groͤßten Ueberſchuͤße, wenn ſie moͤglich waͤren,
der Arbeiter ſich aber iſolirte, und aus dem Verhaͤltniß der
nachbarlichen Kraftrichtungen heraustraͤte, voͤllig werthlos
werden muͤßten — ſo gewiß kann der Schein von Kraftuͤber-
ſchuͤßen eines einzelnen iſolirten Staates den Kenner uͤber
ſeinen wahren Werth nicht taͤuſchen. Erſt in der Richtung
gegen die Kraftrichtungen der Nachbarn, muß ſich der Werth
der Nationalmacht eines Staates ergeben. Alſo erſt muß der
Staat das ganze reale Streben ſeiner Nachbarſtaaten mit
gerechter Nachgiebigkeit ſtatuiren und beguͤnſtigen, er muß
ſeine Nebenſtaaten als ſeines Gleichen um des Glaubens,
um des Staatenvereins, um der Chriſtenheit Willen (welche
die einzig gedenkbare Form eines ſolchen Staatenvereines iſt)
frey anerkennen, wenn ihm ſelbſt und allem, was er enthaͤlt,
[104] und was ſeinen untergeordneten Werth wieder von dem
Werthe des Staates ableitet, ein ſolcher Werth zugeſchrieben
werden ſoll. —
So haͤtte ſich denn nun die Sache ſonderbar gewendet:
der aus der Mehrheit der Staaten hergenommene Einwurf
gegen meine Anſicht der Haushaltung waͤre dadurch wider-
legt, daß ich gezeigt habe, wie dieſe ganze Anſicht nur bey
der Mehrheit der Staaten, und durch die Idee einer Welt-
haushaltung beſtehen koͤnne.
[105]
Neuntes Kapitel.
Vom Beduͤrfniß.
Das, was wir in unſerer bisherigen Darſtellung Conſumtion
genannt haben, und was zur Produktion in demſelben Ver-
haͤltniß ſteht, wie der Tod zu Geburt, erſcheint, wenn wir
von der Produktion abſehn, als Lebensgenuß; und in wiefern
wir uns die Conſumtion als den Antreiber aller Produktion
denken, ſo nennen wir ſie Beduͤrfniß. Wenn aber die Pro-
duktion vom Beduͤrfniß regiert wird — befruchtet wird, moͤchte
ich ſagen—und ſie auch nichts anderes erzeugen ſoll, als etwas
beſtimmt Verlangtes, Begehrtes, ein Beduͤrfniß, im objec-
tiven Sinne des Wortes, ſo verſteht es ſich wohl von ſelbſt,
daß es der Staatswirth nie und nirgends mit der Produktion
an ſich zu thun haben kann, ſondern immer nur mit dem
Verhaͤltniß der Produktion zum Beduͤrfniß oder mit der Pro-
duktion inwiefern dieſe durch das Beduͤrfniß eine beſtimmte
Richtung erhalten hat.
Alle einzelnen Beduͤrfniſſe laſſen ſich, wie ich ſchon oben
gezeigt, auf ein einziges Hauptbeduͤrfniß reduciren: der Menſch
will ſich vervollſtaͤndigen, verewigen; er will ſich uͤber die ei-
gene Gebrechlichkeit, Unvollſtaͤndigkeit, Vergaͤnglichkeit zur
Geſundheit, Fuͤlle und Dauerhaftigkeit des ganzen Geſchlechtes
erheben, in welchem er lebt, ſich ſelbſt erkannt hat, ſeiner
ſelbſt bewußt worden iſt; darum bedarf er der Speiſe und des
[106] Trankes, er bedarf ſeines Gleichen, er bedarf der Perſonen
entgegengeſetzten Geſchlechts, er bedarf des Staates, ja er be-
darf des Staatenvereines in einem weltumfaſſenden Glauben
d. h. der Kirche.
Kurz, er bedarf Homogenes und Heterogenes. Wollte er
die ganze Welt als Homogenes ſich aneignen, verſpeiſen, ſich
als Privateigenthum unterwerfen, ſo waͤre dieß freylich, falls
es gelingen koͤnnte, ein Weg der Vervollſtaͤndigung: die Fuͤlle
des Raums wuͤrde er ſich aneignen, aber die Zeit, welche er
verſaͤumt haͤtte, wuͤrde ſich an ihn raͤchen; das eben ſo leb-
hafte Verlangen nach Dauer und Ewigkeit bliebe nicht bloß
unbefriedigt: je mehr er ſich durch die Eroberung des Raumes
an Umfang erweiterte, je mehr (wenn ich mich ſo ausdruͤcken
darf) Vergaͤnglichkeiten er ſich aneignete, in ſo viel Bildern
mehr ſaͤhe er den Untergang der einzelnen Dinge vor Augen,
um ſo mehr haͤtte er ſein Daſeyn verkuͤrzt. Anſtatt ſich an ein
dauerhafteres Ganze anzuſchließen, und ſeine Vergaͤnglichkeit
durch die Ewigkeit dieſes Ganzen aufzuheben, haͤtte er es un-
ternommen, die Beſtandtheile dieſes Ganzen in die Sphaͤre
ſeiner Vergaͤnglichkeit hinuͤberzureißen.
Um die Welt zu erobern, muß er ſie vereinzeln, in ihre
Beſtandtheile zerlegen; er muß ſie theilen, um ſie zu beſitzen
(divide et impera); er muß ihre Ganzheit aufheben, um
ſie ausſchließend zu beherrſchen; ſie gewaͤhrt ihm alſo auf die-
ſem Wege gerade das nicht, was er verlangt und bedarf.
Nichts deſtoweniger kann dieſes Beduͤrfniß der Fuͤlle, und
dieſer Drang nach der Ewigkeit befriedigt werden; es gibt
nur einen Weg dazu, der zugleich der allernatuͤrlichſte
[107] iſt, der aber fruͤh verloren gegangen, und nur durch ein
goͤttliches Licht hat wieder gefunden werden koͤnnen, und von
den Weiſen der Erde doch wieder vergeſſen worden iſt. Er
heißt: Liebe Gott uͤber alles und deinen Naͤchſten als dich ſelbſt
und um dieß hoͤchſt dunkle und myſtiſche Wort den Philoſophen
und Oekonomen dieſer Tage zu uͤberſetzen: Erfuͤlle dich ganz
von der innerſten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange
nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll-
ſtaͤndigkeit und Ewigkeit, welche du begehrſt, umfaßt, und
dann um dieſer Ganzheit willen erkenne außer dir deines
Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unuͤber-
windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen-
ſtand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe.
Alſo, damit das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe befriedigt
werden koͤnne, muß der Menſch ein unendliches Verlangen
der Aneignung empfinden: Hunger und Durſt und tauſend-
faͤltige Maͤngel pflegen und beſtaͤrken dieſes Verlangen; aber
damit dieſes Verlangen nicht unabhaͤngig fuͤr ſich, ohne ein
anderes beſchraͤnkendes und daͤmpfendes Element, wie ein ſich
ſelbſt uͤberlaſſenes, verzehrendes Feuer raſe, muß es gehemmt
werden durch ſeinen Gegenſtand, — muß ihm ein unendliches
Verſagen zur Seite gehn. —
Die Sachen ſcheinen dieſem verzehrenden Verlangen un-
bedingt unterworfen; aber da ſich, nach der Einrichtung die-
ſer Welt, die Sachen nicht aneignen laſſen, als vermittelſt der
Perſonen, da bald die Perſonen ſelbſt zum Gegenſtande des
allerungeſtuͤmſten Verlangens werden, dieſes Verlangen aber
nur deßhalb ſo ungeſtuͤm iſt, weil es nichts Aeußeres an den
[108] Perſonen, ſondern ihre innere Perſoͤnlichkeit ſelbſt begehrt,
dieſe Perſoͤnlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern
ſie das Bleibende iſt, unter allem vergaͤnglichen Auſſenweſen,
alſo begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar iſt fuͤr
alles Begehren, — ſo muß der Menſch aus dieſem Wider-
ſpruch zuruͤckkehren, mit dem Bewußtſeyn eines Doppelverlan-
gens: er muß anerkennen, daß in ſeinem Drange nach der
Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß
die Dinge beharren moͤchten in ihrer Eigenheit, damit eine
unendliche Aneignung moͤglich ſey: dieſe unendliche Aneignung
nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott ſelbſt anzuſchauen
als dieſe Liebe.
Das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, das Beduͤrfniß nach der
Ganzheit und Ewigkeit, wird alſo befriedigt durch die Erkennt-
niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die
unendliche Ausuͤbung der Liebe, indem die Eigenheit und Un-
uͤberwindlichkeit aller Gegenſtaͤnde der Liebe anerkannt wird.
Kein Beduͤrfniß des Lebens wird auf eine andere Weiſe be-
friedigt: mit jedem Biſſen fuͤr unſern Hunger, mit jedem
Tropfen fuͤr unſern Durſt wollen wir zugleich die Beruhigung
ſpeiſen und trinken, daß wir dieſe Begierden immer werden
befriedigen koͤnnen, daß alle anderen Bedingungen dieſer Be-
friedigung dauern werden, daß auch der Naͤchſte, deſſen liebe-
vollen Beyſtand wir brauchen um dieſes Brotes und dieſes
Weines willen, ſich derſelbigen Befriedigung erfreue, daß alſo
das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge-
ſchoͤpfe der Tage unter einander und dieſe regelmaͤßig mit jenen
verbindet.
[109]
Kann es nun, frage ich, ein groͤßeres Zeichen der Zerruͤt-
tung aller geſellſchaftlichen Anſichten und Verhaͤltniſſe geben,
als daß eine Theorie der Haushaltung erfunden, und fuͤr
eine Wiſſenſchaft anerkannt werden kann, in der von jenem
Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe nicht die Rede iſt, in der die Din-
ge fuͤr ſich, abgeſondert von jenem Geiſt, von jenem Verhaͤlt-
niſſe zu einander, von jenen Neigungen und Kraftrichtungen,
in denen ſich ihr eigentliches Leben offenbart, abgeſondert von
jenem Mittelpunct, welches die Liebe iſt, betrachtet werden;
eine Lehre die von dem, was in der Speiſe eigentlich den Hunger,
was in dem Trunk eigentlich den Durſt loͤſcht, nichts weiß;
eine Lehre, welche die Menſchen aus der Welt heraus produci-
ren, ſie mit Produkten herausdraͤngen will, und welche das
Geheimniß der Produktion auch des geringfuͤgigſten Handwerks
nicht kennt, kaum danach fragt; die dem Menſchen zeigen will,
wie er die Welt durch eine kuͤmmerliche Induſtrieliſt erobern,
und ſich als Privateigenthum unterwerfen kann, waͤhrend ſie
ihm das unſcheinbarſte Eigenthum auch nicht auf einen Tag
zu garantiren vermag; eine Lehre die ſtatt aller Principien von
der einen großen Thatſache der menſchlichen Gefraͤßigkeit aus-
geht, und, wie das unvermeidliche Gefreſſenwerden zu verhuͤ-
then ſey, an keiner Stelle nachweiſet: kurz eine Lehre vom
Reichthum, die von dem Werth der Dinge keine Rechenſchaft
zu geben weiß.
Da alle Beduͤrfniſſe zuletzt auf das eine Hauptbeduͤrfniß
der buͤrgerlichen und menſchlichen Geſellſchaft zuruͤckkehren,
welches, wie ich hinlaͤnglich erwieſen, nur durch und mit
Gott zu befriedigen iſt; da alle Produktion, wie ich gleichfalls
[110] gezeigt, eigentlich keinen Ueberſchuß in Sachen, ſondern nur
den hoͤhern Credit, den hoͤheren Glauben an die buͤrgerliche
Geſellſchaft, und ſomit in letzter Inſtanz den hoͤhern Glauben
an die goͤttliche Idee, wodurch die buͤrgerliche Geſellſchaft zu
einem Ganzen wird, bezweckt — ſo muß uns der bloße, ge-
woͤhnliche, widerſpruchsſcheue Verſtand zugeben, daß eine
genuͤgende Anſicht der Staatswirthſchaft ſo lange unmoͤglich
war, als man bey den mechaniſchen Umtriebe der aͤußeren
producirenden Kraͤfte allein verweilte, als man nur den hand-
greiflichen Dingen ein oͤkonomiſches Gewicht zugeſtehn wollte,
und die unſichtbare Macht, welche dem menſchlichen Beduͤrfniß
ſeine Richtung, und ſomit aller Produktion ihre Form gibt, durch-
aus nicht als oͤkonomiſches Moment anerkennen wollte. Fuͤr
das Verzehren, meinte man, laßt die Natur ſorgen (d. h.
die rohe, wilde Natur, die der buͤrgerlichen Ordnung gegenuͤber
billig Zufall genannt werden muß) — ihr habt nur ſo viel als
moͤglich zu produciren, damit allezeit mehr vorhanden ſey,
als conſumirt werden kann. —
Was Wunder, daß die Menſchheit in aller ihrer Produkten-
fuͤlle zu verſchmachten Gefahr lief! Auf die hoͤheren Beduͤrf-
niſſe, auf das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, auf den Frieden
der jedem Dinge inwohnen muß, damit es befriedigen kann,
war keine Ruͤckſicht genommen; die ganze Produktion hatte fuͤr
ein fabelhaftes Zwittergeſchlecht gearbeitet, fuͤr ein Buͤndel
iſolirter, gebildeter, eleganter, ſich unabhaͤngig waͤhnender
Sklaven, die weder Gottes noch der Geſellſchaft beduͤrften:
indeſſen ſehnte ſich und rang das wirkliche Geſchlecht noch im-
mer, wie vor Alters, nur unbeſtimmter, unbefriedigter und
[111] ungluͤcklicher nach der Vereinigung, nach jenem unſchaͤtzbaren
Beyſchmack der Sicherheit und des Glaubens in allem Genuſſe,
nach der Gemeinſchaft mit allen, in der genoßen werden muß,
wenn der Genuß von ihr verbuͤrgt werden ſoll. — Maſſen,
Summen und Zahlen koͤnnen den eigentlichen Durſt nicht ſtillen;
der zerruͤttete Markt kann das Beduͤrfniß nicht befriedigen:
nur die Allgegenwart des Credits kann es. —
Der Staatswirth alſo vermag die Produktion nicht zu
treiben, als durch das Beduͤrfniß; durch das Beduͤrfniß des
einzelnen Augenblicks kann er ſie aber nicht treiben wollen, weil
das Beduͤrfniß des folgenden Augenblicks alle ſeine Muͤhe wie-
der aufheben wuͤrde; er fraͤgt alſo nach dem dauernden Beduͤrf-
niß, d. h. wohin das Beduͤrfniß der Geſellſchaft und jedes
Einzelnen fuͤr die Dauer gerichtet ſey: er fraͤgt zufoͤrderſt nach
Linien und nicht nach Zahlen, denn durch die Zahlen eines
Etats wuͤrde er nur erfahren koͤnnen, wie ſtark das Beduͤrfniß,
aber nicht welcher Art es ſey. Seine Beſtimmung aber iſt nicht,
jedes einzelne Beduͤrfniß fuͤr ſich abzufinden in ſeiner Quantitaͤt,
ſondern er hat fuͤr ein gerechtes Verhaͤltniß der Beduͤrfniſſe
untereinander zu ſorgen, damit eine verhaͤltnißmaͤßige und ge-
rechte Befriedigung derſelben moͤglich ſey. Wenn ein gerechtes
Verhaͤltniß unter allen Beduͤrfniſſen und Neigungen Statt finden
ſoll, ſo muͤſſen dieſe Beduͤrfniſſe nach einem Mittelpunct hin
convergiren, das Beſtehen des Ganzen, das Heil der Geſell-
ſchaft ſelbſt muß dieſer Mittelpunct ſeyn; kurz allen einzelnen
Beduͤrfniſſen und Neigungen muß eine nationale Neigung
[112] einwohnen, alle einzelnen Beduͤrfniſſe muͤſſen auf das Beduͤrf-
niß aller Beduͤrfniſſe gerichtet ſeyn.
Alle Staatswirthſchaft hat alſo die Beſtimmung zwiſchen
dem Beduͤrfniß und der Produktion zu vermitteln, d. h. da
das ewige Beduͤrfniß die Werthe, die augenblickliche Produk-
tion aber die Preiſe beſtimmt, zwiſchen den Werthen und
Preiſen zu vermitteln; beyde, und mit ihnen Zeit und Ewig-
keit ſeiner Haushaltung im Gleichgewicht zu erhalten.
Jedermann gibt mir zu, daß die Finanzen eines Staates
nicht dirigirt werden koͤnnen, ohne einen Etat, der ſo weit
als moͤglich alle zukuͤnftigen Beduͤrfniſſe umfaßt; aber mit
der Erkenntniß der Etatsſumme iſt noch nichts erreicht, man
muß kennen die Art wie, die Perioden wann dieſe Beduͤrfniſſe
eintreten werden, und da ſich weder das Beduͤrfniß eines
Staates, noch die Befriedigung desſelben genau vorher berechnen
oder unthaͤtig abwarten laͤßt, ſo muß der Finanzminiſter Ein-
fluß auf die Leitung dieſer Beduͤrfniſſe erhalten; er muß
Macht uͤber die Beduͤrfniſſe haben, ganz in demſelben Grade,
als er uͤber ihre Befriedigung hat. Aber es ſind nicht bloß
die Beſtimmungen der auswaͤrtigen Politik, der Krieg,
die Bewaffnung, die Diplomatie, der Welthandel welche die
Natur der Staatsbeduͤrfniſſe gewaltig veraͤndern: dieſe Ver-
aͤnderungen ſind voruͤbergehender Art gegen die tiefergreifenden
Revolutionen der inneren Haushaltung; ein einziges Roͤmiſches
Geſetz, welches das abſolute Privateigenthum befoͤrdert, eine
einzige Verordnung, welche alte angeborne und angeerbte
Unterthaͤnigkeitsverhaͤltniſſe aufhebt, vermag die Richtung aller
Beduͤrfniſſe auf den Staatszweck mehr zu zerſtoͤren, als alle
[113] Kriege nicht koͤnnen: der Finanzminiſter iſt alſo auch ohne
Einfluß auf die geſammte Privatgeſetzgebung nicht zu denken.
In der Praxis, welche nie ſolcher Ausſchweifungen faͤhig iſt
als die Theorie, iſt dieß haͤufig anerkannt worden.
Wenn nun tauſenderley Beſchraͤnkungen und Ausfuhr- und
Einfuhrverbothe angeordnet werden muͤſſen, um die eigennuͤ-
tzige und weltbuͤrgerliche Neigung der Unterthanen in die noth-
wendige Richtung auf den Staatszweck hineinzuzwingen, ſo
ſchreyt die Theorie uͤber Tyranney und Druck, weil das geliebte
Privateigenthum angegriffen, weil dem Privatleben verſagt
wird, was es nicht auf nationale Weiſe und mit nationaler
Maͤßigung zu gebrauchen verſteht; dann ſollen gewiſſe einfache
Grundſaͤtze der allgemeinen Concurrenz und der ſogenannten
Freyheit verletzt ſeyn, die Produktion ſoll leiden u. ſ. f. —
Ich habe die Fabel vom Weltmarkt, und jener Freyheit bereits
hinreichend widerlegt: ich citire den ebenerwaͤhnten Fall nur um
zu zeigen, wie dieſe Theorie aus einem natuͤrlichen Inſtinkt
uͤberall da etwas Unheimliches wittert, wo die Richtungen
der Kraͤfte angetaſtet werden: und man darf nicht uͤberſehn,
daß es einer ihrer oberſten Grundſaͤtze iſt, daß dieſe Richtungen
der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit uͤberall der freyen Willkuͤhr uͤber-
laſſen werden muͤßten.
Daß ungeachtet allen Geſchreys der Theorie, ungeachtet
aller ihrer wiederhohlten Appellation an die Humanitaͤt des
Jahrhunderts, dieſe Richtungen der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit,
anſtatt eigenem Belieben uͤberlaſſen werden zu koͤnnen, immer
mehr haben beſchraͤnkt und bezwungen werden muͤſſen, daruͤber
werden ſich die Theorien mit ihrer eigenen Weisheit und mit
Theoret. Theil. H
[114] der Ueberzeugung von der Kurzſichtigkeit der Regierungen zu
troͤſten wiſſen, wiewohl in den Augen jedes unbefangenen Be-
obachters dieſe Eine Erfahrung ſie vollſtaͤndig zu Boden ſchlaͤgt.
Wie ſehr man auch an vielen Stellen in Europa mit Ruͤckſicht
auf die innre Adminiſtration leider dem Drange der Zeiten und
der Theorien, und der unmittelbaren Geldbeduͤrfniſſe nachgege-
ben hat, wie unverhaͤltnißmaͤßig man auch die Induſtrie, den
Markt, die Mobiliſation alles Eigenthums u. ſ. f. beguͤnſtigt,
die Landwirthſchaft ſelbſt in das Gebiet der uͤbrigen Augen-
blicklichkeiten und Veraͤußerlichkeiten hinuͤbergezogen, und die
Richtungen der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit im Innern des Staa-
tes der Willkuͤhr des Augenblicks preis gegeben hat, ſo war
das Beduͤrfniß ein politiſches Ganzes, einen abgeſonderten
Staat zu bilden, doch allenthalben zu groß, als daß man
nicht das Hinuͤberſchweifen der oͤkonomiſchen Kraftrichtungen
uͤber die Grenzen der Staaten aus allen Kraͤften haͤtte verhin-
dern ſollen. Je mehr alſo im Innern der Willkuͤhr des Privat-
mannes uͤberlaſſen worden war, um ſo ſtrenger, um ſo druͤcken-
der mußten die Schranken um das Ganze werden; je fluͤßiger
und kernloſer die Frucht, deſto dichter und haͤrter die Schale, waͤh-
rend eine leichte zarte Haut dicht und kernicht organiſirte Fruͤchte
bey einander erhaͤlt: fuͤr jedes im Binnenlande freygegebene
Gewerbe, mußte das Nationalgewerbe im Ganzen enger ein-
geſpannt werden; und wurde alle oͤkonomiſche Thaͤtigkeit uͤber-
haupt der Willkuͤhr und dem augenblicklichen Leichtſinn der
Induſtriemaͤnner dieſes Augenblicks preis gegeben, ſo haͤtte es
Noth gethan, daß man den Staat an ſeinem Umkreiſe haͤtte
hermetiſch verſiegeln koͤnnen, um wenigſtens die Atome des
[115] Nationalgluͤcks bey einander zu halten. In Staaten hingegen,
wo man die alten Schranken der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit, wo
man die feudaliſtiſchen Formen der Haushaltung und Dienſt-
verhaͤltniſſe geſchont hat, ſo viel es die Umſtaͤnde erlauben woll-
ten, wo man dem Vorwitz angeblicher Culturfortſchritte we-
niger nachgeſehn, wo man die Frucht in ihrer alten, orga-
niſchen und kernigen Natur erhalten hat, wie in Oeſterreich,
da haben auch die groͤßten Beſchraͤnkungen der Induſtrie, und
des auswaͤrtigen Handels unverhaͤltnißmaͤßig weniger gedruͤckt.
Anſtatt demnach jene Richtungen des Beduͤrfniſſes und alſo
der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit, jenes heilige Skelett der geſamm-
ten Staatshaushaltung, das ſich im Laufe der Jahrhunderte
zu dem eigentlichen Stamm und Traͤger aller politiſchen Or-
gane befeſtiget hat, der Willkuͤhr einer, von aller geſellſchaft-
lichen Tugend abgewendeten Generation zu uͤberlaſſen, verlan-
ge ich vielmehr, daß alle Produktion des Augenblicks oder des
einzelnen Jahres ihr untergeordnet werden ſoll. Hat der Staats-
wirth in dem Verhaͤltniß: Beduͤrfniß und Produktion, das
eigentlich im Gleichgewichte ſchwebend vor ſeiner Seele ſtehen
ſoll, irgend etwas zu beguͤnſtigen, ſo iſt es das Beduͤrfniß,
das ewige Geſammtbeduͤrfniß ſeines Staates, denn dieſes
muß ihm lehren, was die natuͤrliche, angeſtammte, und mit
der uͤbrigen Haltung und Erhaltung des Staates vereinbare
Produktion ſey. Dieſes eigentliche Stammvermoͤgen, dieſes
erprobte Capital, das, wie man mir endlich wohl ohne fer-
neren Beweis einraͤumen wird, vielmehr in der Zaͤhigkeit der
Beduͤrfniß- und Kraftrichtungen, und in ihrem feſten Verhaͤlt-
niß zu einander, als in der Groͤße der darin ſich bewegenden
H 2
[116] Kraͤfte und Maſſen beſteht, zu ſchonen und zu erhalten, iſt
des Staatswirths erſte Ruͤckſicht: iſt dieſe beachtet, dann
moͤgen die Beduͤrfniſſe und die Produktion des Augenblicks an
die Reihe kommen, dann moͤgen die aͤußeren Umriſſe des hei-
ligen Koͤrpers geſchmuͤckt werden, dann moͤge man ſeine Mus-
keln uͤben, ſeine Bruſt ſtaͤhlen, und ihn mit allen Aeußerlich-
keiten, die der Augenblick verlangt, bewaffnen und begaben.
Ueberlaͤßt man hingegen das Beduͤrfniß der Menſchen ſich
ſelbſt und der willkuͤhrlichen Richtung, welche die Theorien
verlangen, ſo hat man damit nichts Geringeres gethan, als
das abſolute Privateigenthum zur einzigen Form aller An-
eignung erklaͤrt, man hat die Anrechte des Staates auf alles
Eigenthum in ſeinem Umkreiſe aufgegeben, denn durch die ge-
wohnten Kraftrichtungen alles Einzelnen auf das Ganze allein
war der Staat in Stand geſetzt, ſeine Anſpruͤche an alles
Einzelne in jedem Augenblick zu realiſiren. Hat man alſo das
Beduͤrfniß der Menſchen, das lange Jahrhunderte hindurch
in allen weſentlichen Ruͤckſichten eins war mit dem National-
beduͤrfniß und unzertrennlich von ihm, von Grundaus priva-
tiſirt, und alſo die Sklaverey des Privateigenthums zur ein-
zigen Richtſchnur alles menſchlichen Beduͤrfniſſes und aller
menſchlichen Produktion erklaͤrt, nur Verhaͤltniſſe zwiſchen
Perſonen und Sachen geſetzlich anerkannt, dagegen alle Bande
zwiſchen den Perſonen zerſchnitten — dann nehme die Regie-
rung ihre Zwangsmittel wohl in Acht, dann ziehe ſie das ei-
ſerne Band ihrer Armeen feſter und feſter, greife alle die ihr
verbliebenen Zuͤgel wohl zuſammen, und vergeſſe nicht, daß
ſie ein unbedingtes und unbegrenztes Privateigenthum uͤber
[117] dieſe ganze Horde von Privateigenthuͤmern ausuͤben muß,
wie ihr nunmehr auch das Recht dazu zuſteht; denn alle
innere bindende heilige Kraft der Zeit, die das Widerſtrebende
ſtill und ohne weitere aͤußere Antriebe verſoͤhnt, alles was
in den buͤrgerlichen Verhaͤltniſſen der Wandelbarkeit der
Dinge trotzte, was kein Feind von außen nieder zu werfen
vermochte, und was der Menſch nur durch eigenen Frevel
verſcherzen konnte, kurz alle goͤttliche Huͤlfe entweicht, wenn
die goͤttlichen Bande der Dinge muthwillig zerriſſen ſind,
wenn nur das Beduͤrfniß des Augenblicks, aber nicht mehr
das ewige Beduͤrfniß aller Geſchlechter im Regimente der
Voͤlker geachtet wird. Die irrdiſchen Huͤlfsmittel muͤſſen nun
allein herhalten; jeden Moment muß die ganze Generation
von neuem bezwungen werden, weil keine unſichtbare Hand
wehr auf die menſchlichen Anordnungen ihr Siegel druͤckt. —
[118]
Zehntes Kapitel.
Von den Geſetzen, als einzigem und hoͤchſtem Reſultat
aller Oekonomie.
Die Richtungen der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit, und die Ver-
haͤltniſſe derſelben [untereinander] und zum Ganzen der [oͤkono-
miſchen] Kraft eines Staates, ſtellen ſich aͤußerlich dar
in den Geſetzen dieſes Staates. — Um dieſe
Wahrheit in ihrem ganzen Umfange zu erkennen, ſehe man
ganz von den Vorſtellungen ab, die ein verkehrter Gang
der politiſchen Erziehung in uns allzuſehr befeſtigt hat.
Die erſte ausgebildete Vorſtellung von dem Weſen des
Geſetzes erhalten wir meiſtentheils von Lehrern des Roͤmiſchen
Rechts und ohne gruͤndliche Hiſtorie ſeiner Entwickelung,
ohne Bezeichnung der Stelle, welche Rom unter den Staa-
ten, die ſich einer umfaſſenden Geſetzgebung erfreut, einge-
nommen haben moͤchte. Da nun, abgeriſſen von der Geſchichte
der allmaͤhligen Entwickelung des Weltreiches, die Roͤmiſche
Geſetzgebung außer allem Zuſammenhang mit den goͤttlichen
Geſetzen zu ſtehen, und ein Werk der gemeinen rechnenden
Vernunft zu ſeyn ſcheint, ſo wohnet ſich ſehr leicht der Irr-
thum bey uns ein, die Geſetzgebung ſey ein Werk des welt-
lichen Calcuͤls, eine Aufgabe fuͤr den ſcharfſinnigen Kopf,
die im Grunde und ihren weſentlichen Stuͤcken ein fuͤr alle-
mahl geloͤst worden ſey.
[119]
Dieſer große Irrthum und mit ihm die Popularitaͤt der
Roͤmiſchen Geſetzgebung hat in den Weltumſtaͤnden der drey
letzten Jahrhunderte eine große Beguͤnſtigung gefunden. Die
ploͤtzliche und ungeheure Erweiterung des Geſichtskreiſes der
Europaͤiſchen Voͤlker im Anfange des ſechszehnten Jahrhun-
derts, nachdem dieſe Voͤlker bisher in den ſtilleren Schran-
ken des vaͤterlichen Hauſes verweilt, veranlaßte die Ketze-
reyen jener Zeit, den Abfall des Nordens von der Idee des
Glaubens, welche bisher die goͤttlichen und menſchlichen Ge-
ſetze der Europaͤiſchen Voͤlker durcheinander verbuͤrgt hatte,
und den einſtweiligen Verſuch, ob vielleicht der Begriff die-
ſes Glaubens eine aͤhnliche Vereinigung bewirken koͤnnte.
Die Kirche hatte gegen die Einfluͤſſe des alten Roms nicht
die gehoͤrige Quarantaine verordnet, ſie hatte ſich, wenn
man ihr einen Vorwurf machen kann, nicht der weltlichen
Dinge gehoͤrig bemeiſtert, ſie war uneingedenk geweſen der
Vorſchrift des Apoſtels: omnia instaurare in Jesum
Christum quae in coelis et quae in terra sunt;
dem Mammon, der nicht in den Reichthuͤmern dieſer Erde,
ſondern in dem Streben nach ausſchließenden Beſitz, nach
abſolutem Privateigenthum ſeinen Sitz hat, iſt allzuviel
Raum gelaſſen worden; die Roͤmiſchen Doctoren in Bologna
ind nicht verketzert, der lebendige Zuſammenhang der feo-
[d]alen Verfaſſungen des Mittelalters mit der Kirche iſt nicht
guͤndlich genug anerkannt worden: kurz, wiewohl die inne-
r[e] Kirche vollſtaͤndig rein und untruͤglich geblieben, ſo iſt
doch im aͤußern Regiment derſelben etwas Weſentliches ver-
ſaͤunt worden.
[120]
Die vielgeprieſenen Erfindungen des funfzehnten Jahr-
hunderts haben das Ihrige mitgewirkt, und es wohl verdient,
daß der Geiſt der letztverfloſſenen Zeit mit ihnen ſeine gan-
ze Zeitrechnung angefangen. Die Chimaͤre des Privat-
lebens iſt aufgekommen: Die um alle Indien und um das
ganze heidniſche Alterthum erweiterte Welt ſchien groß ge-
nug, um jedem Einzelnen ein genuͤgendes Privateigenthum
ausſchließend anzuweiſen, der Buchdruck einerſeits, der
Ueberfluß an Geldzeichen andererſeits kamen wie gerufen um
die große Repartition zu bewerkſtelligen, und um alle die-
ſe Bezirke des Privatlebens polizeylich zuſammen zu ſpannen
und mechaniſch anzuordnen, war das Pulver bereits erfun-
den, und die Roͤmiſche Rechtsform im Voraus verbreitet
worden.
An den großen und frommen Fuͤrſten und Menſchen der drey
letzten Jahrhunderte nehmen wir es wahr, wie ſie verdammt
waren zweyen Herren zu dienen, Gott und den alten Glau-
bensinſtitutionen einerſeits, und dem Mammon des Privat-
lebens andererſeits: darin, und in nichts Geringerem lag
ihre Gebrechlichkeit.
Niemand alſo iſt, als Kind ſeines Jahrhunderts, rein
von den Roͤmiſchen Rechtsbegriffen; und ſie, ſelbſt in Zah-
len lebend, ſind die eigentlichen natuͤrlichen Alliirten jener
Staatswirthſchaft der Zahlen, der Summen, der Maſſen
der Handgreiflichkeiten, gegen die ich die ſtaatswirthſchaft
liche Weisheit der fruͤheren Vorfahren habe vindiciren muͤſ[-]
ſen. Sich uͤber den Einfluß dieſer Begriffe und ihres Cer-
tralbegriffs vom abſoluten Privateigenthum zu erhebe,
[121] war die Hauptforderung, die ich durch den ganzen bisheri-
gen Lauf meiner Darſtellung an meinen Leſer machte.
Um ſo vielmehr muß man ſich ihrer und aller Vorſtel-
lungen des Geſetzes, die daran haͤngen, entſchlagen, wenn
man die, alle meine bisherigen Saͤtze verbindende und um-
faſſende Behauptung verſtehen will, daß naͤhmlich die Ge-
ſetzgebung eines chriſtlichen Staates der einzig weſentliche
Reichthum dieſes Staates, und daß die Geſetze dieſes Staa-
tes mit den bleibenden Richtungen der oͤkonomiſchen Thaͤ-
tigkeit, welche die verblendeten Theorien uͤber die handgreif-
lichen Produkte dieſer Thaͤtigkeit vergeſſen haben, eins und
dasſelbe ſind.
Es mag wenige Rechtslehrer geben in der heutigen
Welt, welche die urſpruͤngliche Nationalgeſetzgebung auszu-
ſcheiden wiſſen, von den Roͤmiſchen Beyſaͤtzen und Verdre-
hungen: die Fortſchritte des Privatlebens auf Unkoſten des
oͤffentlichen, die Fortſchritte des merkantiliſchen Verkehrs auf
Unkoſten der bleibenden Guͤter, kurz die Neigungen, die Roͤ-
miſchen Geſinnungen der Voͤlker ſelbſt haben dieſe Corrup-
tion der Geſetzgebung wirkſamer herbeygerufen, als es die
Philoſophen und Juriſten dieſes Jahrhunderts je vermochten.
England, tief empfindend, was kein einzelner Britte empfand,
daß man ſich gegen die Roͤmiſche Geſetzgebung ſperren muͤſſe,
biethet das einzige genuͤgende Beyſpiel dar. Das Brittiſche
Nationalvermoͤgen ſtuͤtzt ſich nicht etwa auf, ſondern beſteht
in der Geſetzgebung dieſes Reiches; darin liegt ſeine Capital-
kraft: alle Summen, alle Zahlen, alles, womit Brittiſche
Speicher und Schiffe erfuͤllt ſind, alle aͤußere Wohlhabenheit
[122] des Brittiſchen Privat- und Nationallebens — ſind nur ver-
gaͤngliche und veraͤnderliche Bekleidungen des gewaltigen
Knochenbaues ſeiner Verfaſſung. Alle politiſche Tugend und
Weisheit beſteht darin, dieß an dem Beyſpiele von England,
und wo es ſchwerer iſt, weil verwickelter und gemiſchter, an
der Verfaſſung der Continentalſtaaten einzuſehen und zu
empfinden.
Die einzelnen Geſchlechter der Erde gehen ſpurlos dahin;
daß ſie einen handgreiflichen Ueberſchuß ihrer Kraft und
Arbeit zuruͤck ließen, iſt nur Taͤuſchung: ein ſolcher Ueber-
ſchuß iſt nur, in wie fern die verzehrende Kraft der Natur
und der buͤrgerlichen Geſellſchaft ſchon bereit ſteht ihn zu er-
greifen, in wie fern er alſo im Weſen nicht mehr iſt; das
gemeine handgreifliche Produkt hoͤrt auf, ſobald das Wech-
ſelleben der Produktion ſtill ſteht. Die Produktion theilte dem
Produkt den Anſtoß, die Seele mit, die ſie ſelbſt von einer
hoͤheren Produktion, von einem Geſetze, und zuletzt von einem
Weltgeſetz derſelben erhielt.
Dieſe lebendige Einheit des Producenten und des Pro-
dukts, des Erzeugers und des Erzeugten, die Rom nicht
anders als durch Ketten zu bewirken weiß; dieſer innerliche
Zuſammenhang der kleinſten wie der groͤßten That, der reich-
ſten wie der aͤrmſten Haushaltung, der dauerhafteſten wie
der vergaͤnglichſten Arbeit durch ein und dasſelbe große Wech-
ſelgeſetz des buͤrgerlichen Lebens — dieß und nichts anderes
verdient an allen Orten und zu allen Zeiten Nationalvermoͤ-
gen zu heißen: große gleichwiegende Zahlen, Maſſen von
Guͤtern, gleichfoͤrmig verbreitete Mittel des Lebensgenuſſes
[123] koͤnnen es ahnden, koͤnnen es errathen laſſen; aber gefunden,
erwieſen, uͤber allen Zweifel erhoben wird es nur durch geo-
metriſche Anſchauungen, durch Linien, Lebensrichtungen —
und wie nennen wir ſeit Jahrtauſenden, ihre Weſentlichkeit
wohl empfindend, ohne ſie deutlich zu erkennen, dieſe Richtun-
gen der buͤrgerlichen Geſellſchaft nach ihrem Mittelpunct an-
ders als Geſetze? — Daß kugelaͤhnlich dieſe Richtungen
ſich unter einander ordnen, nach allen Dimenſionen einander
entgegen wirken, daß keine Richtung des Sinnes, des Ge-
fuͤhls, der Arbeit, ohne einen wohlthaͤtigen befruchtenden
Gegner iſt, daß ein edler Oppoſitionsgeiſt nicht bloß in den
parliamentariſchen Verhandlungen, nicht bloß in allen Ver-
handlungen uͤberhaupt, ſondern auch in allen Gewerben be-
ſteht, daß er anerkannt und legaliſirt iſt, daß alſo jede ab-
weichende Eigenthuͤmlichkeit, jede beſondere Geſinnung, jede
Gewerbsform ihre vorbereitete Stelle findet, ſich in ihrer
ganzen Eigenheit anerkannt, ihren Weg zum Mittelpunct des
Staates, und ſomit zur innigſten Beruͤhrung mit allen an-
dern ſchon gebahnt findet, kurz, daß die Richtungen der
Thaͤtigkeit nicht der Willkuͤhr des Einzelnen uͤberlaſſen, daß
ſie vielmehr ſo unabaͤnderlich angeordnet ſind, daß der Ein-
zelne nichts Unnationales thun kann — das iſt die Subſtanz
des Brittiſchen Nationalvermoͤgens.
Und wir ſollen uns von den Anglomanen des Continents
belehren laſſen, daß die dem Einzelnen uͤberlaſſene Willkuͤhr,
ſeine Kraft zu wenden, worauf er wolle, das Geheimniß des
Reichthums jenes Landes ausmache? Freylich, wenn das
Eiſen den Mann anzieht, wenn die geſammten Functionen
[124] des Nationallebens ſo vollſtaͤndig und ſicher geordnet, ſo ge-
waltig geworden ſind durch die Zeit, dann iſt eine zwingende
Polizeyverordnung, die dafuͤr ſorge, daß jeder einzelnen die-
ſer Functionen die gehoͤrigen individuellen Kraͤfte zugewendet
werden, nicht weiter vonnoͤthen. Aber heißt das die Willkuͤhr
proklamiren, wenn die Adminiſtration, die Verwalterinn der
Gegenwart ſich ihrer Eingriffe, ihres Zwanges begibt, weil
die vergangenen Jahrhunderte, das heißt: die lebendigen Ge-
ſetze und der ganze lange vorbereitete Zuſtand der Dinge,
ſchon von ſelbſt alle Kraͤfte an ihren wahren Ort ſtellen? Heißt
es die Willkuͤhr proklamiren, wenn die Gewerbe frey gegeben
werden, dann, wenn es unmoͤglich geworden iſt, ſie zu miß-
brauchen, und etwas anderes als das, in oͤkonomiſcher und
uͤberhaupt gemeinweſentlicher Ruͤckſicht etwas anderes, als
das Rechte zu thun? — Und ſo frage ich weiter: ruht das
Brittiſche Nationalcapital in dem Waarenlager oder in der
maͤchtigen Gerechtigkeit des ganzen Zuſtandes der Dinge,
das heißt: in den Geſetzen? Und haͤtten ſich nicht unſere poli-
tiſchen Oekonomen etwas mehr um die Verfaſſung von Eng-
land uͤberhaupt, insbeſondere aber um die Verfaſſung des
Eigenthums in jenem Lande bekuͤmmern ſollen?
Nichts iſt alſo bodenloſer als dieſe Anglomanie, die fuͤr
ihre Maͤhrchen von der freyen Concurrenz und vom Welt-
markte ein Beyſpiel mißbraucht, vor deſſen vollſtaͤndiger Er-
waͤgung alle ſtaatswirthſchaftlichen Theorien, die es je ge-
wagt haben, den unter allen Umſtaͤnden weiſeren Staatsad-
miniſtrationen in die Zuͤgel zu fallen, in Dunſt zergehen.
Aber, wenn ſich die Oekonomie erſt einmahl unterfangen vom
[125] Rechte abzuſehen; von Produkten zu reden, aber des Eigen-
thums nicht zu gedenken — dann muß es auch wohl einen
Reichthum geben, der uͤberhaupt alle Geſetze uͤberfluͤſſig fin-
det, und einen Kraͤmercredit, der die große Quelle alles
Glaubens und aller Geſetze verſpottet.
Wenn in den vergangenen Blaͤttern auch manches tauben
Ohren gepredigt worden waͤre, wenn auch mancher Leſer an
manchen Stellen die Welt und ihre Geſetze nicht ſogleich bey
der Hand gehabt haͤtte, um zu entſcheiden, ob es trotz den
ſchoͤnen Worten nicht endlich doch noch einmahl darauf her-
aus kommen koͤnne, daß die Welt fuͤr immer dem Teufel,
oder dem abſoluten Privateigenthume gehoͤre, ſo wird ſich
der Autor dadurch nicht ſchrecken laſſen, denn er ſtuͤtzt ſich
auf den hoͤheren Autor, von dem er unverdienter Weiſe alles
hat, was er gibt. Auch bey dieſer Art von Geiſteswerken,
wie bey allen Arbeiten der buͤrgerlichen Geſellſchaft, will das
Produkt ſelbſt, der armſelige Ueberſchuß von Gedanken und
Redensarten, den es darbiethet, an und fuͤr ſich nichts be-
deuten. Ob ſie mit dem großen Mittelpunct alles Glaubens
und aller Wahrheit, genealogiſch, wie durch das Blut zu-
ſammen haͤngen; ob ſie die Richtung, die ſie empfangen ha-
ben, weiter geben koͤnnen, und ob dieſe Richtung mit
allen Richtungen der echten Wahrheitskraft, die ſich je
kund gethan, im gerechten Verhaͤltniſſe ſtehe — das iſt die
Frage.
Derſelbe oft geruͤgte Wahn des abſoluten Privateigen-
thums hat ſich auch uͤber die Ideen, uͤber die Werke des
[126] Geiſtes erſtreckt, und leider haben wir alle in unſerer ver-
brecheriſchen Jugend die Waarenlager der Ideen durchſucht,
lange, ehe wir nur ahndeten, daß es einen Mittelpunct aller
Ideen gaͤbe, und, daß in der Richtung dahin und von dort-
her die Weſentlichkeit, die innere Realitaͤt aller Ideen liege.
Beruͤhmte Nahmen, klaſſiſche Autoren, und mancherley reiche
und große Herren der Literatur haben wir abgeſchaͤtzt, lange
vorher, ehe wir nur nach dem Nahmen aller Nahmen, nach
der Autoritaͤt aller Autoritaͤten verlangten. Auch die Preiſe
der Geiſteswerke haben wir auf dem zerruͤtteten Markt unſers
Jahrhunderts kennen gelernt, und uns oft beklagt uͤber ihr
unbarmherziges Schwanken, und, daß das geſtern ſo Hoch-
geachtete, heute ſo wohlfeil geworden war. Wie vieles haben
wir erfahren muͤſſen, um einſehen, daß es außer dieſen au-
genblicklichen Preiſen der Ideen und Geiſteswerke nun auch
ewige Werthe derſelben gibt.
Eine ſolche Zeit der Revolutionen, des Wechſels, des
Untergangs und des Aufgangs, wie die jetzige, entbindet an
allen Orten und in allen Koͤpfen unerhoͤrte Gedanken: mich
duͤnkt, man brauche nur zu athmen um gedankenreich zu
ſeyn, wie es der Poͤbel nennt, der ja nirgends etwas anderes
bewundert und anerkennet, als den handgreiflichen Reich-
thum. Wer alſo Gedanken beſitzt, waͤhrend ein großes Jahr-
hundert in allen Wegen mit ihm denkt, der wenigſtens kann
kein ausſchließendes Eigenthum, keinen abgeſonderten Genuß
oder Ruhm davon erwarten: Hier ſpringt der Gemeinbeſitz
und die Gemeinproduktion allzuſehr in die Augen.
[127]
Es iſt ferner nicht etwa der bloße gute Wille, oder die
unbeſtimmte genialiſche Tendenz, ſondern die einzig be-
ſtimmte Richtung eines Werks nach dem allerhoͤchſten oder
vielmehr allermittelſten Gute, welches ihm Werth gibt. Es
hat alſo nur Werth, in wie fern dieſer in jeder Ruͤckſicht ein
abgeleiteter iſt, in wie fern alſo keine Art von eigenem Ver-
dienſt dabey in Anſchlag kommt, ſondern nur das davon
ſchlicht und unruhmredig zu ſagen iſt, daß es im Dienſte
der Wahrheit geſchrieben iſt.
Wir haben in dieſen einleitenden Betrachtungen die
Unzulaͤnglichkeit der vorhandenen Theorien zu zeigen verſucht;
wir haben deßhalb viele nachbarliche Gebiete beruͤhren, und
ihr Verhaͤltniß zu unſerm Gegenſtande aufklaͤren, auch den
Mittelpunct aller Wiſſenſchaft und alles Lebens andeuten
muͤſſen, weil wir uͤberhaupt nichts anderes Sichtbares und
Wirkliches in dem ganzen, uns wohlbekannten Getriebe der
buͤrgerlichen Geſellſchaft anzuerkennen vermochten, als die
Strahlen die von dort ausſtroͤmen, und die Kraͤfte die dahin
zuruͤck draͤngen. Jetzt gehen wir zu beſonderen Darſtellungen
unſerer Wiſſenſchaft fort, und bitten den wohlmeinenden Leſer
nur folgende weſentliche Reſultate des bisher Geſagten feſt
zu halten:
1) Daß der Staatsmann, der Staatswirth, der ge-
lehrte Oekonom, wie jeder Arbeiter in jedem gedenkbaren
Stoffe, eigentlich nur mit Verhaͤltniſſen und Wech-
ſelwirkungen zu thun hat, und nur producirt, in wie fern
er unter den Elementen ſeiner Arbeit, und zwiſchen ſeiner
[128] und aller uͤbrigen Arbeit eine gewiſſe Gegenſeitigkeit hervor
zu bringen und zu erhalten weiß; ferner, daß es nur Eine
Art von unproduktiver Arbeit gibt, die naͤhmlich, welche
aus dieſen Verhaͤltniſſen heraus tritt und ſich iſolirt, pri-
vatiſirt.
2) Daß dem zu Folge in aller Produktion die Rich-
tung der Thaͤtigkeit, und ihr Verhaͤltniß zu allen uͤbri-
gen Richtungen, und zum Mittelpuncte aller Thaͤtigkeit
wichtiger iſt, als die abgeſonderte handgreifliche Bedeutung
des Produkts; daß dieſe Richtung das eigentlich Produktive
in der Produktion iſt.
3) Daß die im Producenten wie im Produkte ſich
offenbarende Kraftrichtung ihr eigentlicher und ewiger Werth
ſey, der mit dem augenblicklichen Preiſe in einer Wechſel-
wirkung, oder vielmehr in umgekehrtem Verhaͤltniſſe ſtehe;
daß Zahlen dieſen Werth der Dinge nur ahnden laſſen, und
ſehr unſichere Maaßſtaͤbe desſelben ſind, daß die bisherige
Theorie der Staatswirthſchaft von allem andern eher Aus-
kunft gibt, als von dem Werthe der Dinge, und, daß dieſer
Werth nur denen einleuchten koͤnne, welche die oͤkonomiſchen
Objecte echthiſtoriſch und vollſtaͤndig mathematiſch in der
Bewegung aufzufaſſen verſtehen.
4) Daß die bisherige einſeitige Maſſentheorie der
Staatswirthſchaft, mit einem eigenen vorgeblichen Rechts-
ſyſteme in Uebereinſtimmung ſey, worin als oberſter Grund-
ſatz die unbedingte ausſchließende Aneignung der oͤkonomiſchen
Objecte, ihre Iſolirung, ihre Abſonderung von allen ver-
knuͤpfenden Verhaͤltniſſen unter dem Nahmen des Privat-
[129]eigenthums hervorrage; daß dieſes in Verbindung mit
dem oberſten oͤkonomiſchen Grundſatze der freyen Concurrenz,
und mit den Chimaͤren des Weltmarkts und des Geiſtes der
Zeit, den gebildeten und eleganten Privatmaͤnnern unſerer
Tage fuͤr die Summe alles Glaubens, aller Religion, aller
Wiſſenſchaft und Politik gelte; endlich
5) Daß, wie ſogar aus der Symmetrie dieſer Irr-
thuͤmer zu entnehmen, der erſte Schritt zur Beſſerung der
ſey, daß man die Nationaloͤkonomie und die Na-
tionalgeſetze zu der alten und urſpruͤnglichen Einheit
zuruͤck fuͤhre, aus der ſie gekommen: dieß aber in einer ſo
gruͤndlichen Manier, daß man vor allen Dingen einſehe,
daß das Reſultat aller Nationaloͤkonomie nichts anderes ſeyn
koͤnne, als die Verfaſſung oder das Geſetz; daß der Staat,
ſo gut als der einzelne Menſch unter allem unendlichen Beſitz
nichts weiter gewinne, als jene Conſtitution der Leibes- und
Seelenkraͤfte, die er frey und von allen Beſitzthuͤmern unab-
haͤngig mit ſich ſelbſt umhertraͤgt; daß aber auch dieſes Ver-
moͤgen zerſtiebt, und der Wandelbarkeit aller Dinge folgt,
wenn es nicht von einem Geſetz aller Geſetze, von einem
unvergaͤnglichen Glauben, das heißt: von Gott ſelbſt getra-
gen wird.
Es iſt freylich in allen oͤkonomiſchen Verwirrungen und
Verlegenheiten etwas ſo unmittelbar Draͤngendes, und augen-
blickliche Huͤlfeforderndes, daß ſich eine Theorie der Staats-
wirthſchaft, die ſoweit ausholt, wenige Popularitaͤt ver-
ſprechen darf. Wenn man aber erwaͤgt, wie durch alle Pal-
liativen und unmittelbare Huͤlfen das Ungluͤck nur groͤßer
Theoret. Theil J
[130] werden kann, und wie die vorliegende Theorie keine unmittel-
bare Huͤlfe ausſchließt, ſondern nur auf den Geiſt hinarbeitet,
kraft deſſen das Augenblickliche allenthalben mit Ruͤckſicht
auf das Ewige gethan werden ſoll, ſo kann man ihr dafuͤr
eine deſto laͤngere Dauer verſprechen.
Ob eine einzelne Maaßregel gut oder ſchlecht ſey, iſt
in oͤkonomiſchen wie in mediciniſchen Angelegenheiten ſchwer
zu beurtheilen: nur der Sinn, worin ſie angerathen
wird, entſcheidet; und fuͤr den Sinn gibt es nur die Eine
große Probe der Zeit. Das aber iſt die große Aufgabe der
Wiſſenſchaft: den Sinn zu befeſtigen; die Zeit, ja die Ewig-
keit zu unmittelbaren, gegenwaͤrtigen Zeugen des Augenblicks
zu machen wo gerathen, wo geholfen werden ſoll.
Iſt denn die Welt ſchon, nur uͤber das Wuͤnſchenswuͤr-
dige, uͤber den Zweck aller oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit einver-
ſtanden? und entſcheidet nicht dieſer Zweck wieder uͤber die
geringfuͤgigſte Maaßregel? Iſt demnach nicht die Tiefe der
Corruption aller oͤkonomiſchen Anſichten ſchon hinreichendes
Motiv fuͤr die Hoͤhe des Standpuncts, den die Theorie
ergreifen muß?
[[131]]
Grundlegungen
einer
neuen
Theorie des Geldes.
[[132]][133]
Erſtes Kapitel.
Von dem einzelnen Menſchen, als Vorbilde der
Staatshaushaltung.
Die unendlichen Gewerbe, Geſchaͤfte und Handthierungen
des Menſchen, ſowohl geiſtiger als koͤrperlicher Art, dar-
unter jede Einzelne wir heutiges Tages einem einzelnen
Menſchen uͤbertragen ſehen, wuͤrden den Staat in eine tod-
te Maſchine verwandeln, wenn nicht jeder Arbeiter unge-
achtet des ganz einſeitigen Geſchaͤftes, welches er treibt,
ein vollſtaͤndiger Menſch zu bleiben vermoͤchte. Wie einfoͤr-
mig, wie abſorbirend das Geſchaͤft des Buͤrgers auch ſey,
die Forderung wird immer ſeyn, daß Er es treibe,
und nicht bloß einſeitig von dem Geſchaͤfte getrieben
werde.
Sollten aber je dieſe einzelnen Geſchaͤfte der buͤrgerlichen
Geſellſchaft in bloße Gewerbe ausarten, ſollte je der ein-
zelne Arbeiter dahin kommen, daß er nichts anders waͤre als
Rad oder Kamm, oder einzelner Zahn eines Rades in dem
großen Mechanismus, den in letzter Inſtanz das Gewicht
der edeln Metalle regierte, kurz ſollte je das Ideal der
[134] Induſtrieſyſteme erreicht werden, ſo wuͤrde ſich ergeben, daß,
weil der Menſch außer ſeiner mechaniſchen Kraft noch die
hoͤhere des Geiſtes beſitzt, und auf dieſe in jener Maſchine
keine Ruͤckſicht genommen waͤre, dieſe Kraft des Geiſtes
aber, ſobald ſie abgeſondert von den koͤrperlichen Kraͤf-
ten, auch unmittelbar die entſchiedenſte Feindinn derſel-
ben wird, — das Ganze nothwendig zerſtoͤrt werden
muͤßte.
Wenn die Natur zwey Dinge fuͤr einander beſtimmt hat,
und mit einander gruͤndlich, und fuͤr die Dauer verbunden
ſehen will, ſo gibt ſie ſolchen eine recht große Verſchieden-
heit, eine ſo beſtimmte Anlage zu einer unendlichen Feind-
ſeligkeit, daß ihnen Beyden nichts uͤbrig bleibt, als ſich
auf Tod und Leben zu verbinden. Deßhalb anſtatt Einzelne
Geſchoͤpfe vollſtaͤndig hinzuſtellen, hat ſie nur Zweyheiten
erſchaffen, in dieſe Zweyheiten aber eine ſo vollſtaͤndige
Entzweyung gelegt, daß den entzweyten Weſen keine andere
Zuflucht bleibt, als in dem unendlichen Sichvereinigen:
ſie wollte die Einheit, alſo ordnete ſie die Zweyheit,
die Spaltung aller Creaturen in zwey Geſchlechter an,
in denen die unendliche und vollſtaͤndige Feindſeligkeit
eine unendliche Vereinigung und Befriedigung veranlaſſen
mußte.
In dieſem feindſelig-freundlichen Geſchlechtsverhaͤltniß
ſtehen nicht bloß die ſo genannten Naturgegenſtaͤnde, ſon-
dern der Menſch iſt nur Ebenbild Gottes, weil ihm kein-
anderes Kunſtgeſchaͤft zuſteht, als was in jener goͤttlichen
Manier getrieben wird, wobey der Zweck Einheit iſt,
[135] lebendige und dauernde Einheit, alſo Vereinigung; das Mit-
tel hingegen: die Anordnung von vollſtaͤndigen Feindſeligkei-
ten oder von Geſchlechtsverhaͤltniſſen. Es gibt keine andern
menſchlichen Werke, keine andern Werke der Kunſt, als die
mit den Werken der Natur nach einem und demſelben Geſetze
von Statten gehen. Alle praktiſche Verruͤckung des Menſchen
wird ſich daher auf eine einzige große Hauptformel redu-
[c]iren laſſen: er wird, was er getrennt aus den Haͤn-
den der Natur empfaͤngt, anſtatt es zu vereinigen, noch
weiter trennen, und was er einfach aus den Haͤnden der
Natur, alſo mit der Aufgabe es gehoͤrig zu trennen erhaͤlt,
als abſolute Einheit feſthalten und ausſchließend beſitzen
wollen.
Daß dieß wirklich die Doppelrichtung der ſtaatswirth-
ſchaftlichen Theorien unſerer Zeit ſey, habe ich ſchon in
der Einleitung gezeigt: das abſolute Privatleben iſt nichts
anders als eine Verlaͤugnung und Aufloͤſung aller unter
den buͤrgerlichen Geſchaͤften von der Natur angeordneten
Geſchlechtsverhaͤltniſſe; indem man aus ihrer Geſammtheit
herauszutreten ſtrebt, zerſchneidet man ſie alle: das abſo-
lute Privateigenthum iſt nichts als ein krampfhaftes Feſt-
halten der Einzelnheit der Dinge, welche uns die Natur
uͤbergeben hat, um ſie zu trennen und zu theilen, und in
Geſchlechtsverhaͤltniſſe zu fuͤhren.
Wenn alſo nun Geiſt und Koͤrper in demſelben Geſchlechts-
verhaͤltniſſe zu einander ſtehen — eine ſo gerecht und vollſtaͤn-
dig angeordnete Feindſeligkeit, daß ihr nicht zu entgehen waͤre
als durch die Vereinigung — und wir unternaͤhmen es
[136] anſtatt beyde an allen Stellen in einander zu wirken, ſie noch
weiter zu trennen, indem wir die koͤrperlichen Beduͤrfniſſe
und Kraͤfte der Menſchen in eine beſondere Maſchine zuſam-
men bauten, dagegen dem Geiſte uͤberließen desgleichen zu
thun oder ganz zwecklos umherzuirren, ſo muͤßte nunmehr
die freundliche Feindſeligkeit zwiſchen Geiſt [und] Koͤrper in
eine zerſtoͤrende uͤbergehen. Europa hat es bewieſen: die koͤr-
perliche Maſchinerie der Staaten hat den Seelenmechanis-
mus der Aufklaͤrung zur Seite gehabt; zur rechten Hand
hat man ſich den Menſchen gedacht, als habe er nur
koͤrperliche, rohe, handgreifliche Beduͤrfniſſe, und ihn nach
dieſem Grundſatze regiert wiſſen wollen; zur linken hat
man denſelbigen Menſchen wieder uͤber alle Gebuͤhr und
Schranken hinaus geiſtig aufzuklaͤren unternommen: derge-
ſtalt hat man denn wie der Erfolg gezeigt, die Zuͤchtigung
fuͤr die eigene Suͤndhaftigkeit unmittelbar an ſich ſelbſt voll-
zogen.
Daß alſo uͤberall wo Koͤrper iſt auch der dazu gehoͤrige
und ihm anvermaͤhlte Geiſt bleibe, iſt die erſte Bedingung
einer gut eingerichteten buͤrgerlichen Geſellſchaft: kurz, daß
der Buͤrger nicht aufhoͤre vollſtaͤndiger Menſch zu ſeyn, weil
er ein einzelnes Geſchaͤft treibt. Kann er, nunmehr einer
einzelnen Thaͤtigkeit hingegeben, nicht mehr zuruͤck kehren in
die Fuͤlle der Anlagen zu den verſchiedenartigſten Thaͤtigkei-
ten, an die Quelle aller — zu ſich ſelbſt; oder vielmehr
kann er beym einzelnen Geſchaͤfte nicht im Bewußtſeyn der
Anlagen zu allen uͤbrigen verbleiben; mit andern Worten,
kann er den Zuſammenhang ſeines beſondern Geſchaͤftes mit
[137] dem großen menſchlichen Geſchaͤfte, davon das Seinige nur
ein Theil iſt, oder mit dem Staate nicht mehr empfin-
den — ſo wird die hintangeſetzte Selbſtheit als dumpfes,
wildes, thieriſches Verlangen nach Willkuͤhr nunmehr raͤu-
beriſch einbrechen in die Haushaltung, aus der ſie verbannt
worden.
Es gibt kein ſo abgeſondertes Geſchaͤft in der buͤrger-
lichen Geſellſchaft, es iſt keines denkbar, um deſſentwillen
an ſich der Menſch ſich ſelbſt vergeſſen muͤßte; alle dieſe
Geſchaͤfte fließen aus einer Quelle her, und dafern die Un-
vernunft ſie nur nicht abdaͤmmet und durchſchneidet, ſo muß
jeder Tropfen des entfernteſten Waſſers auch nach der Quelle
ſchmecken.
Im Anfange der Geſellſchaft zeigt der Menſch ſich noch
in ſeiner ganzen vereinigten Kraftfuͤlle; alle jene unendli-
chen beſonderen Functionen, die ſich ſpaͤter nach allen Seiten
aus einander wickeln und blaͤttern, liegen im Keime bey einan-
der: es gibt noch keinen Landbau, aber der Menſch kann den
Saamen ausſtreuen; kein Handwerk, aber er kann das na-
tuͤrliche Produkt ſchon ordnen und vermenſchlichen; keinen
Kaufmann, aber er kann das Natuͤrliche und das erſte Kuͤnſt-
liche vertauſchen, das Letztere wieder hingeben um das Er-
ſtere zu erlangen; keine Geiſtlichkeit, aber er kann ſich zum
Himmel erheben: kurz der ganze Staat iſt noch einzelner
Menſch, aber der einzelne Menſch iſt deßhalb um nichts
weniger Staat. Alle, die nach ihm kommen, ſollen nichts
anderes, als unaufhoͤrlich zu ihm als zu ihrer Quelle
zuruͤck kehren, und ſich unter einander zu einen einzigen
[138] großen Menſchen zuſammen bauen, in welchem die ver-
ſchiedenen Geſchaͤfte des Lebens ſo natuͤrlich, vertraͤglich und
im Gleichgewicht bey einander ſind, als ſie es bey ihm
waren.
Indem alſo die buͤrgerliche Geſellſchaft entſteht, ſo geht im
Grunde nur jener erſte Menſch nach allen Richtungen aus
einander; ſein Koͤrper erweitert ſich; die alten Verhaͤltniſſe,
der alte Zuſammenhang, der Geiſt muß bleiben, die Func-
tion des Landbaues, des Handwerks u. ſ. f. moͤgen ſich unter
mehrere einzelne Verwalter vertheilt haben, oder ſie moͤgen
in Einem einzigen bey einander ſeyn. Dieſe Function konnte
ein Einziger in ſeiner Perſon nur deßhalb vereinigen, weil
er ſie durch die Einheit ſeiner Perſon unter einem vollſtaͤn-
digen Zuſammenhange begriff, und ihre Verhaͤltniſſe unter
einander regierte. Hoͤrte je dieſes Regieren der Verhaͤlt-
niſſe auf; haͤtte er ſich je in ein einzelnes ſeiner Geſchaͤfte,
zum Beyſpiel: in das Samenſtreuen vertiefen wollen, und
ſeine Huͤtte, ſeine Kleidung daruͤber vergeſſen, alſo das
Verhaͤltniß dieſer Functionen unter einander
verſaͤumt, ſo haͤtte er als eine Perſon zu exiſtiren auf-
gehoͤrt.
Die Functionen der buͤrgerlichen Geſellſchaft, je mehr ſie
ſich vervielfaͤltigen und erweitern, koͤnnen alſo abgeſondert
fuͤr ſich, abſolut getrennt von dem großen Menſchen, den
ſie mit einander ausmachen ſollen, oder was, wie
meine Darſtellung ausweiſt, dasſelbe iſt, abgeſondert von
dem einfachen Menſchen, aus dem ſie wie von einem Mittel-
[139] puncte alle ausgegangen ſind *), abſolut getrennt von dem
Keim, aus dem ſie ſich alle entwickelt haben, nie betrachtet
werden.
Adam Smith nennt die Zerlegung der Functionen der
buͤrgerlichen Geſellſchaft, Theilung der Arbeit, und macht
die Vermehrung des Produkts zum Zweck und zum Grunde
dieſer Theilung — muß aber doch geſchwind das Geld er-
finden laſſen, um dieſe Theilung zu realiſiren: ſein Geld
indeß iſt nichts anderes, als ein Surrogat jenes Zuſammen-
hanges, jener perſoͤnlichen vereinigenden Kraft, welche der
Menſch, ehe die Arbeit getheilt wurde, in eigener Perſon
auszuuͤben genoͤthiget war.
Die Theilung der Arbeit oder der einzelnen Functionen
der buͤrgerlichen Geſellſchaft iſt alſo nur dadurch moͤglich,
daß ein perſoͤnlicher Zuſammenhang zwiſchen den Verwal-
tern eintrete, daß ſie durch ihre Verbindung mit einander
eine große und vollſtaͤndige Perſon darſtellen, und daß
demnach keiner abſolut getrennt fuͤr ſich, ſondern nur als
Glied, als Organ der groͤßeren Perſon agire. Es iſt klar,
daß die koͤrperliche Organiſation des einzelnen Menſchen,
naͤhmlich, wie ſolche ſich der lebendigen Erkenntniß zeigt,
oder, was dasſelbe ſagt, wie ſie iſt, wenn ſie von der
Erkenntniß oder vom Geiſte durchdrungen wird, ſich im
[140] Ganzen des Staates wieder finden muͤſſe, und unter allen
gedenkbaren Figuren ſich vorbildlich fuͤr die Haushaltung
des Staates am beſten eigne, wie denn auch gleichfalls der
Arzt wieder den Staat bey ſeinen Unterſuchungen des
menſchlichen Koͤrpers mit gluͤcklichſtem Erfolge benutzen
koͤnnte; denn, was ſich ſeiner Betrachtung hier innerlich
verbirgt, und nur im Stillſtande oder Tode vollſtaͤndig
betrachtet werden kann, das ſtellt ſich dort aͤußerlich dar,
und kann nur in der Bewegung und im Leben zur Anſchauung
kommen.
Von jenem Roͤmer der ſo ſinnvoll den Staatsprozeß
mit dem Streit des Magens und der Glieder verglich, bis
auf unſere Zeit herab, die nicht aufhoͤrt, neben ihren
Summen und Maſſen, auch von Circulation des Geldes,
von Staatskoͤrper, von politiſcher Arzeney, von Conſtitu-
tionen und Organiſationen zu ſprechen, ohne zu wiſſen,
welche große Sachen ſie damit ausſpricht, ſchwebt dieſe
Wechſelvorbildlichkeit des Staats und des menſchlichen Koͤr-
pers, wenigſtens daͤmmernd vor den Augen aller.
Indeß wollen wir vor der Hand durch ein drittes noch
einfacheres Schema die große Gemeinſchaftlichkeit dieſer
beyden Bilder ausdruͤcken, bis wir es wagen koͤnnen, das
complieirtere aber deßhalb auch erfreulichere Bild des menſch-
lichen Koͤrpers anzuwenden. —
Man will noch immer nicht einſehen, wie der Menſch
nicht bloße Hauptgedanken, ſondern auch Hauptbilder vor
der Seele hat, wenn er ſich zum Handeln anſchickt, ferner,
wie ganze Geſchlechter von einem falſchen Bilde beherrſcht
[141] werden koͤnnen. Welches Unheil hat das nunmehr ſchon
bis auf ſeine letzten Faͤden abgenutzte Gleichniß von einem
baufaͤlligen Hauſe bey den Gutdenkenden, bey den Leuten
von ſo genanntem geſunden Menſchenverſtande in den letzver-
floſſenen Revolutionszeiten angerichtet? und wie viel kommt
alſo darauf an, die ewigen Bilder der Dinge zu finden und
zu zeigen, welche nur aus den Normalgeſtalten der Mathe-
matik zu ſchoͤpfen ſind?
Das große Schema aller menſchlichen Angelegenheiten
iſt, wie ſchon oben angezeigt worden, die Kugel, die
Geſtalt des großen Koͤrpers, der alle dieſe menſchlichen
Angelegenheiten traͤgt und haͤlt. Mit der bloßen Betrach-
tung der Kugel iſt die unendliche Bewegung gegeben: die
Betrachtung muß von dem aͤußeren Flaͤchenraum unauf-
hoͤrlich nach dem Mittelpunct hinein und wieder heraus
ſteigen, kurz, in ewiger Bewegung bleiben, wenn die
Vorſtellung der Kugel vollſtaͤndig bleiben ſoll; daher iſt
auch hier nur von einer freyſchwebenden, ſich bewegenden,
das heißt: ſich allein auf ihren Mittelpunct beziehenden
Kugel die Rede, wie denn auch alle irrdiſchen Kugeln die-
ſes dadurch bethaͤtigen, daß ſie die große Kugel, in deren
Abhaͤngigkeit ſie ſtehen — die Erdkugel nur in einem ein-
zigen Puncte beruͤhren. Alſo denke man ſich lieber die
großen ſchwebenden und ſich bewegenden Kugeln der Ge-
ſtirne. Man begnuͤge ſich vorlaͤufig mit dieſem einfachen
mathematiſchen Apparat, der nur fuͤr den gerade vorlie-
genden Zweck, fuͤrs Haus, wie man zu ſagen pflegt, ange-
[142] ordnet worden, bis die Mathematik ſelbſt an die Reihe
kommen kann *).
[143]
Zweytes Kapitel.
Von der Kugel, als oͤkonomiſches Schema.
Die Functionen des buͤrgerlichen Lebens, die ſchon im
Keime alle bey einander waren, die der einzelne Menſch mit
ſeiner Perſoͤnlichkeit alle umfaßte, und im Zuſammenhang
erhielt, treten aus dieſer Perſoͤnlichkeit heraus: das Schmie-
dehandwerk, oder irgend ein anderes, wird abgeſondert vom
Ackerbau; zugleich muß auch der Ackerbau heraustreten, er
muß mit weniger Kraͤften dasſelbe produciren, was vorher
da noch der Schmied den Acker mit beſtellen half. Der Schmied
trat aus dem Gleichgewichte des Ganzen heraus, ſogleich
mußte ein anderes Geſchaͤft in entgegengeſetzter Richtung aus
dieſem Gleichgewichte heraustreten, und ſo ſich das Gleichge-
wicht wieder herſtellen.
Waͤre der Landbau genau ſo verblieben wie bisher, ſo
haͤtte der Schmied ſein beſonderes Gewerbe wieder nieder-
legen, zuruͤckkehren, und ſo gar nacharbeiten muͤſſen
fuͤr die von ihm im Landbau verſaͤumte Zeit. Aber der Schmied
hat bisher nicht bloß im Landbau beygeſtanden, er hat bey
den Opfern geholfen, er hat auch kaufmaͤnniſch heruͤber und
hinuͤber getragen vom Hauſe zum Felde und ſo fort. Alle
[144] dieſe Functionen muͤſſen von andern uͤbernommen werden,
alſo alle muͤſſen aus dem alten handgreiflichen Verein heraus
treten, nach allen gedenkbaren Richtungen, und
gerade um ſo viel als der Schmied. Wer zu weit heraus
getreten, wer uͤber das Maaß hinaus getreten, welches alle
mit einander halten koͤnnen, muß nothwendig zuruͤck und um
ſo viel nacharbeiten, als er zu weit heraus getreten; denn
das Ganze kann ſich nur gemeinſchaftlich erweitern, es kann
nur von Innen heraus wachſen; die Frucht muß die Form
annehmen, welche der Kern hatte.
Da naͤhmlich jeder ſeine beſondere Function nur verfolgen
kann, in wie fern die uͤbrigen fuͤr die anderweiten Beduͤrf-
niſſe ſeiner vollſtaͤndigen Natur ſorgen, ſo wird es ihm,
wenn er zu weit heraus getreten, an dieſen allgemeinen Be-
duͤrfniſſen mangeln, und fuͤr die beſonderen Erzeugniſſe ſeiner
Arbeit, wird ſich bey der Geſammtheit der uͤbrigen kein hin-
reichendes Beduͤrfniß vorfinden; er wird mehr produciren, als
conſumirt werden kann, mehr conſumiren als producirt wer-
den kann; ſeine groͤßere Fertigkeit, ſein groͤßeres Produkt
wird nichts helfen, wenn er aus dem Verhaͤltniß zu den
Uebrigen herausgetreten iſt, welches Verhaͤltniß in der Kind-
heit der Staaten den Werth faſt allein beſtimmt: denn erſt
wenn mehrere Staaten mit einander beſtehen, und wenn der
Augenblick maͤchtiger geworden, wird das Produkt durch Ver-
aͤnderung des Markts und Benutzung des Augenblicks einen
momentanen, kuͤnſtlichen Werth oder Preis erhalten, und
wird es moͤglich ſeyn, daß dieſer von dem natuͤrlichen und
ewigen Werthe empfindlich abweiche.
[145]
Unter den Waaren, wie wenige Arten derſelben es auch
in jener fruͤhern Zeit geben mag, wird doch nach Maaß-
gabe des oͤftern und dringenderen Beduͤrfniſſes eine Rang-
ordnung Statt finden: die in dieſen Beziehungen weſentlichſte
Waare wird am meiſten begehrt werden, und an ihrem Vor-
rath oder Mangel wird es der Einzelne merken koͤnnen,
ob er noch mit allen uͤbrigen Arbeitern in der alten
Vereinigung und in dem rechten Verhaͤltniß beſteht: dieſe
Waare wird zum Verhaͤltnißmeſſer, zum Maaßſtabe, zum
Gelde.
Der Leſer muß aus dieſer Darſtellung der erſten Ent-
wickelung der Staatshaushaltung ſchon das mathematiſche
Geſetz derſelben entnommen haben. Schon ehe die aͤußere Thei-
lung der Arbeit vor ſich ging, und als der Einzelne alle
ſeine Beduͤrfniſſe noch ſelbſt beſorgte, zeigte ſich ein Stre-
ben jeder einzelnen oͤkonomiſchen Function aus dem Ganzen
dieſer Functionen heraus; da es aber ſo viel Beduͤrfniſſe
als Functionen gab, und dieſe Beduͤrfniſſe im Laufe der Zeit
alle an die Reihe kommen, ſo mußten ſich die Functionen
ihrer Befriedigung alle ins Gleichgewicht ſetzen: keine konnte
ungebuͤhrlich thaͤtig heraustreten, weil auch fuͤr die andere
geſorgt werden mußte.
Kurz die erſte einfachſte ungetheilteſte Haushaltung formt
ſich ſchon nach dem Geſetze der Kugel. Aus einem einzelnen
Puncte treten die Functionen nach allen gedenkbaren Richtungen
wie eben ſo viele Radien der Kugel heraus, je nachdem
ſie von einzelnen Puncten der entſtehenden Oberflaͤche der
Kugel her, von der Auſſenwelt oder von dem Beduͤrfniſſe
Theoret. Theil K
[146] hervor gereitzt werden: keine aber darf ſich von ihrem Mit-
telpuncte weiter entfernen als die andere, weil das Beyein-
anderbleiben eben ſo nothwendig iſt als das Auseinander-
ſtreben. Die Radien muͤſſen demnach als gleich gedacht wer-
den: ſomit waͤre die Kugel alſo der Ausdruck der Form jeder
natuͤrlichen und vollſtaͤndigen Haushaltung.
Im weiteren Fortgange und bey aͤußerer Theilung der
Arbeit wird ſich die Form der erweiterten Haushaltung nicht
aͤndern koͤnnen; es bleibt bey der gleichen Nothwendigkeit des
Auseinanderſtrebens und Vereinigtſeyns; die groͤßte Haushal-
tung hat mit der kleinſten ein und dasſelbe Geſetz, wie die
groͤßte Kugel mit der kleinſten. Die Thatſache der aͤußeren Ar-
beitstheilung kann im Weſen nichts veraͤndern; ſie bewirkt im
Ganzen der Oekonomie nichts Neues. Die bewundernswuͤrdige
und erbauliche Maſſengroͤße des Produkts, die ſie ergeben
ſoll, iſt nur von untergeordneter Bedeutung: ſo lange die
Haushaltung bey dem innern Gleichgewichte ihrer Functionen
verharrt, ſo muß die Groͤße des Produkts von ſelbſt wach-
ſen; aber es iſt ein augenblicklich und ſcheinbar ſehr großes
Produkt moͤglich, was jenem Gleichgewichte widerſpraͤche,
und die Verhaͤltniſſe ſtoͤrte, alſo nicht bloß ſelbſt werthlos
waͤre, ſondern auch andere Werthe zerſtoͤren wuͤrde. Es iſt
alſo augenſcheinlich, daß die Verhaͤltniſſe noch viel mehr
Aufmerkſamkeit verdienen, als die Groͤßen.
Das Wachsthum der Oekonomie ſelbſt geht alſo nach
demſelben Geſetze vor ſich, wornach alle Produkte dieſer
Oekonomie wachſen: es iſt ein ewiges Wechſelſtreben von
Innen nach Außen, und von Außen wieder nach Innen
[147] zuruͤck; vom Mittelpunct zur Oberflaͤche und von der Ober-
flaͤche wieder zum Mittelpuncte. Ueberhaupt eignen ſich die
organiſchen Bildungen der Natur zu Gleichniſſen fuͤr die Gegen-
ſtaͤnde der Kunſt und der buͤrgerlichen Geſellſchaft nur ſo lange
noch nicht, als man auch dieſe natuͤrlichen Bildungen allein
nach ihren Maſſen und oberflaͤchlichen Erſcheinungen erwaͤgt:
ſo bald aber das innere mathematiſche Geſetz der Bildung
in Anregung kommt, ſo zeigt ſich dieſelbe Weſentlichkeit in allen
Werken der Natur, der Kunſt und der buͤrgerlichen Geſellſchaft.
Man koͤnnte mir den Einwurf machen, daß der Grund-
ſatz des Adam Smith von der freyen Concurrenz ja auch
zu einer ſolchen Kugel-Conſtruction fuͤhre, und daß dieſer
Schriftſteller ja auch nur verlange, daß man den oͤkonomiſchen
Objecten erlauben ſolle, ſich unter einander ſelbſt ins Gleich-
gewicht zu ſtellen, und daß keine Regierung eigenmaͤchtig oder
willkuͤhrlich der oͤkonomiſchen Thaͤtigkeit eine Bahn vorſchrei-
ben ſolle, die nicht im Gange der natuͤrlichen Haushaltung
ſich ſchon von ſelbſt und ohne alles vormundſchaftliche Zu-
thun einrichtet. — Zufoͤrderſt nun ſieht jedermann, daß ich
die Willkuͤhr der Regierungen, gegen die ſich Adam Smith
erhebt, eben ſo wenig in Schutz nehme, als die Willkuͤhr der
Privaten. Es iſt aber nichts anderes als die Willkuͤhr der
Privaten und nicht etwa das Geſetz der Natur ſelbſt, wo-
mit Dr. Smith der Willkuͤhr der Staatsadminiſtrationen
entgegen arbeitet.
Er befuͤrchtet von dieſer Willkuͤhr der Privaten nichts,
weil eine maͤchtige Nothwendigkeit jeden Einzelnen zwinge
ſein Intereſſe wahrzunehmen, weil die Beduͤrfniſſe des Men-
K 2
[148] ſchen, wenn ſie nur allein regieren duͤrfen, dieſer Willkuͤhr
ſchon, hinreichende Zuͤgel anlegen. Es iſt aber ſchwer einzu-
ſehn warum dieſelbe zwingende Nothwendigkeit nicht auch
uͤber die Staatsadminiſtrationen walten ſoll: auch hier kann
eine Abweichung von dem Naturgeſetz, oder von dem wah-
ren Intereſſe nur augenblicklich ſeyn; auf die Dauer wird
jede Regierung eben ſowohl wie jeder Privatmann in die
wahren Schranken zuruͤckkehren muͤſſen. Weil aber die Re-
gierung eine andere Zeitrechnung hat als der Privatmann,
weil aus ihrem Standpuncte die Dauer ganzer Generatio-
nen nicht viel mehr bedeutet als fuͤr den Einzelnen die Dauer
eines Jahres, weil ſie die hinterlaſſene Macht ganzer Gene-
rationen zur Ausfuͤhrung ihrer willkuͤhrlichen Anordnungen
mißbrauchen kann, waͤhrend dem Einzelnen doch im Durch-
ſchnitt nur die im Laufe weniger Jahre erworbene Kraft zur
Dispoſition ſteht, ſo ſcheint es, daß bey ihr die Augenblicke
der Verirrung, der Abweichung vom Naturgeſetz auch laͤn-
ger dauern koͤnnten, als beym Privatmann, daß alſo ihre
Willkuͤhr eine gefaͤhrlichere waͤre, als die des Privatmannes.
Wenn man ſich dagegen erinnern will, daß die Anarchie
eines einzigen Jahres mehr zu zerſtoͤren vermag, als der
Despotismus uͤber eine ganze Generation, ſo wird man ein-
ſehn, daß das Unheil, welches aus beyderley Willkuͤhr kommt,
gleich groß iſt, und daß, wenn die Willkuͤhr der Regierungen
fuͤr den Augenblick geringeres Uebel ſtiftet, dagegen laͤnger
zu dauern vermag, die Willkuͤhr der Einzelnen zwar voruͤber-
gehend ſey, dagegen aber fuͤr den Augenblick auch deſto mehr
[z]erſtoͤre. Das große Geboth, die ewigen Beduͤrfniſſe der Ge-
[149] ſellſchaft gegenwaͤrtig zu erhalten, und nach ihnen die Hand-
lung und die Arbeit des Augenblicks zu beſtimmen, wird auf
gleiche Weiſe verletzt, es moͤge nun von Einem fuͤr die Dauer
einer ganzen Generation, oder von unzaͤhlig vielen fuͤr die
Dauer eines Jahres uͤbertreten werden.
Jede Lehre, die der aͤußeren Naturnothwendigkeit die Aus-
gleichung geſellſchaftlicher Zerruͤttungen uͤberlaͤßt oder uͤber-
traͤgt, iſt revolutionaͤr; von welcher Seite man auch
dieſe blinde Gewalt der Natur in den Staat einlaſſe, ſo er-
klaͤrt man damit doch immer den Banquerot der menſchlichen
Einrichtungen und Geſetze, oder jener ſittlichen, deutlichen
Nothwendigkeit, welche wir aus der Geſchichte der Ent-
wicklung unſers buͤrgerlichen Vereins und aus allen Spuren,
welche die fruͤheren Schickſale und Thaten der Voͤlker hinter-
laſſen haben, entnehmen koͤnnen. Irgend eine menſchliche
Handlung ſich ſelbſt oder jener aͤußeren und blinden Noth-
wendigkeit uͤberlaſſen, heißt, alles menſchliche Geſetz uͤber-
haupt, und zugleich die Freyheit, die Selbſtbeſtimmung des
ganzen Geſchlechtes aufheben.
Jeden Einzelnen wuͤrde ſein Lokal, der beſondere Umſtand
ſeines Gewerbes und Lebens ſchon von ſelbſt antreiben, das
Raͤthlichſte und Nuͤtzlichſte zu thun, meint Dr. Smith. Daraus
folgt, wenn wir nicht zugleich, was freylich conſequenter ge-
weſen waͤre, den ganzen Staat aufheben wollen, daß auch
der Regierende von ſeinem Lokal, welches der ewige Staat
ſelbſt iſt, und von den Umſtaͤnden ſeines Geſchaͤfts, welches
doch nur die Beduͤrfniſſe der geſammten Geſellſchaft ſind,
[150] beſtimmt werden wird, das Raͤthlichſte und Beſte zu thun.
Wir koͤnnen alſo die Willkuͤhr der Einzelnen nicht proclami-
ren, ohne zugleich die Willkuͤhr der Regierung zu legaliſiren,
und demnach das Remedium, was wir verordnet, ſelbſt wie-
der von Grund aus aufzuheben.
Ich habe ſchon hinreichend erwieſen, daß der Menſch um
Einem Herrn zu dienen, um einem Geſetze folgen zu koͤnnen,
in zwey, nicht von einander abſolut getrennten, ſondern
in einer unendlichen Wechſelverbindung ſtehenden Welten leben
muͤſſe. Er lebt in gewiſſen Doppelumſtaͤnden auf einem ge-
wiſſen Doppellokal: in ſeinem Hauſe und zugleich im Staate:
mit einem beſondern Intereſſe und zugleich mit einem allge-
meinen Intereſſe. Er hat augenblickliche Beduͤrfniſſe fuͤr ſein
Haus, aber zugleich das ewige Beduͤrfniß des Staats, weil
nur der Staat ihm ſein Haus verbuͤrgen kann; der Regierende,
oder wer den Staat repraͤſentirt, hat Beduͤrfniſſe fuͤr die
Dauer, die Erhaltung des Staates oder doch wenigſtens ſei-
ner Stellung als Repraͤſentanten des Staates, er hat alſo
auch zugleich das beſtaͤndige Beduͤrfniß aller einzelnen Haus-
weſen, die wieder den Staat verbuͤrgen muͤſſen.
Aber beyde ſtehen unter dem maͤchtigen Einfluß der Gegen-
wart, der Irrthuͤmer des Augenblicks, und koͤnnen, ſich ſelbſt
zerſtoͤrend, einander vergeſſen. Indem ich nun erklaͤre, jeder
Einzelne moͤge nach Willkuͤhr ſein beſonderes Lokal beſorgen;
indem ich ihm alſo auch die Befugniß ertheile, des allgemeinen
Beduͤrfniſſes zu vergeſſen, und in wie fern nicht die augenblick-
liche Erſcheinung dieſes allgemeinen Beduͤrfniſſes, oder der
Markt ihn beſchraͤnkt, alle andere Schranken und Geſetze auf-
[151] hebe, die um des ewigen Beduͤrfniſſes willen, wieder dem
augenblicklichen Markt ſeine gehoͤrigen Grenzen anweiſen muͤſ-
ſen, hebe ich die Bezuͤglichkeit jeder einzelnen oͤkonomiſchen
Function auf die Vereinigung, davon ſie ausgegangen, und
dahin ſie immer zuruͤckkehren ſoll, auf: ich verſuche jeden
Augenblick das Ganze zur Kreisflaͤche anzuordnen, da ich aber
keinen feſten und bleibenden Mittelpunct habe, vielmehr ſtatt
deſſelben nur ein ewig veraͤnderliches Weſen, den Markt, ſo
bleibt es bey unregelmaͤßigen Wirbeln ſtatt des Kreiſes, und
an die Kugel iſt nicht zu denken.
Es ſind in der That die Concurrenz, die Freyheit, der
Markt, welche die wahren Werthe beſtimmen, welche die Pro-
duction und den Lebensgenuß aller Einzelnen nicht bloß be-
foͤrdern, ſondern erſt moͤglich machen, und welche der geſammten
Haushaltung des Staates die gerechte, ſphaͤriſche Form ge-
ben; aber das iſt eine Concurrenz, bey der nicht die Be-
duͤrfniſſe und Erzeugniſſe dieſes Augenblicks allein, ſondern auch
die ewigen, der ganzen unſterblichen Staatsfamilie concurriren;
eine Freyheit, mit der die Freyheit der Nachkommen beſte-
hen kann, die alſo nicht bloß durch die Freyheit der Zeitgenoſ-
ſen, ſondern auch durch die Satzungen und Beduͤrfniſſe der
Vorfahren beſchraͤnkt wird; ein Markt, auf dem nicht bloß
die vergaͤnglichen Produkte des getheilten und iſolirten Fleißes
der Arbeiter, die gerade jetzt die Haͤnde ruͤhren, erſcheinen, ſon-
dern auch der geſammte Nachlaß der Vergangenheit an Macht,
Credit, Weisheit und allen jenen unſichtbaren Guͤtern und
Beduͤrfniſſen, die, weil ſie nichts anderes zu produciren vermoͤ-
[125[152]] gen, als die Produktion ſelbſt, von der unglaͤubigen Theorie
fuͤr unproduktiv geachtet werden.
Kommen die abweſenden Zeiten und Menſchen, die unſicht-
baren Beduͤrfniſſe und Guͤter des Menſchen mit in Anſchlag
wie es ſich gebuͤhrt, ſo iſt nun ein Allgemeines da, welches die
Willkuͤhr beſchraͤnkt und zur Freyheit erhebt, ſo iſt nun jene ſitt-
liche Nothwendigkeit da, welche das beſondere Beſtreben gleich
bey ſeinem Urſprunge durchdringt, und dem man ſich mit dem
Gefuͤhle der Freyheit unterwirft, waͤhrend die rohe Natur-
nothwendigkeit erſt aus verzweifelnder Sklaverey, oder aus
der Aſche ganzer Geſchlechter eine neue Ordnung hervorzwingt,
die auch erſt wenn ſie vom Geiſte der Freyheit anerkannt, alſo
zur ſittlichen Nothwendigkeit erhoben wird, fuͤr eine beſſere
Ordnung der Dinge zu halten iſt.
Wer nicht bloß an einzelnen Stellen die Beduͤrfniſſe des
hoͤhern Lebens uͤber die des gemeinen vergißt; wer in der gro-
ßen Maſſe des Volkes nichts ſieht, als den gefraͤßigen Magen
und die harten ſchaffenden Haͤnde; wer alle ſeine Vorſtellungen
der geſellſchaftlichen Thaͤtigkeit hernimmt, von der Galeeren-
ſklaverey des ſtaͤdtiſchen Tageloͤhners; wer uͤber den Stand-
punct des verkuͤmmerten, mechaniſirten Fabrikarbeiters nie hin-
aus geht, wer in den Ketten der edeln Metalle ſo tief befan-
gen iſt, daß er von einer Wechſelwirkung perſoͤnlicher Kraͤfte,
von gegenſeitigen Dienſtverpflichtungen ganzer Familien uͤber
den Raum der Jahrhunderte hinaus, nichts ahndet; wer die
Wiege der europaͤiſchen Freyheit, das feudaliſtiſche Mittelalter,
wer dieſen Quell aller ſtolzen Empfindungen nicht kennt, deren
letzter Nachklang noch heut unſer ganzes zerſchliffenes, zerbil-
[153] detes Daſeyn troͤſtend aufrecht erhaͤlt; kurz wer an nichts
glauben kann, als an das, was er greift, und was ihm
enge, ſtaͤdtiſche Zollhaus-Erfahrungen oder Verſuche an dem
Cadaver der Weltgeſchichte zu greifen geben — wie moͤchte
der von dem Nationalcredit, von dem Reichthum und von der
Haushaltung der Voͤlker Rechenſchaft geben koͤnnen.
Der Gegenſtand iſt zu groß, die Induſtriewuth zu allge-
mein, der Eifer der Gutgeſinnten ſelbſt, auf zu geringfuͤgige
Uebel gerichtet, als daß ich mich zu entſchuldigen brauchte
daruͤber, daß mit dieſer ganzen Schilderung der rechtſchaffene
Adam Smith gemeint iſt. Er ſelbſt wuͤrde mich, ſpraͤche ich
nachſichtiger uͤber ſeine Theorie, nicht entſchuldigen, wenn er
nur den Schluß ſeines Jahrhunderts erlebt haͤtte, oder wenn
er ſeine Tageloͤhner, welche eine goldene Zeit herbey induſtriren
ſollten, heut von der Armentaxe zehren, und millionenweis
in die Methodiſtenverſammlungen ſtroͤmen ſaͤhe, nach einem
Schimmer jener hoͤheren Guͤter, die er in ſeinem Waarenlager
und auf ſeinem Markt nicht zu brauchen wußte.
Alſo der vollſtaͤndige Menſch und alle unendliche Richtun-
gen ſeiner Natur nach ſichtbaren und unſichtbaren Beduͤrfniſ-
ſen bilden die Kugel, welche ſich nach dem Geſetze fortwachſend
zum Staate, zur Staatshaushaltung erweitert. Daß alle
dieſe Richtungen ſich unter einander bedingen, und keine des
Beyſtandes der andern entbehren kann, bringt ſie alle in einen
gemeinſchaftlichen Vereinigungspunct: beym Menſchen iſt
dieſer Vereinigungspunct das Gefuͤhl ſeiner Perſoͤnlichkeit; an
dem Schema der Kugel iſt es das Centrum. In dem man dem
[154] Menſchen Perſoͤnlichkeit zuſchreibt, ſo behauptet man zugleich
die Convergenz aller ſeiner Kraftrichtungen, d. h. die Con-
vergenz aller Beduͤrfniſſe, welche dieſe Kraftrichtungen hervor
reitzen, alſo eine unendliche Verhaͤltnißmaͤßigkeit unter allen
Functionen ſeiner Kraft; da nun der Staat nichts weiter iſt,
als der ſich auswachſende Menſch, da von ſeiner Ganzheit
der Beſtand aller ſeiner einzelnen Kraͤfte abhaͤngt, dieſe Ganz-
heit aber ebenfalls nichts iſt, als die unendliche Verhaͤltniß-
maͤßigkeit der Theile, ſo iſt die Betrachtung dieſer Verhaͤlt-
niſſe der Kraftfunctionen unter ſich das Hauptſtuͤck aller
Staatsweisheit. Zahlen reichen bey dieſer Erwaͤgung nicht aus:
nur eine Normalfigur, wie die Kugel, kann ausdruͤcken, was
gemeint wird. —
[155]
Drittes Kapitel.
Vom Gelde.
Diejenigen oͤkonomiſchen Functionen alſo, welche in dem
urſpruͤnglichen Menſchen alle vereinigt ſind, treten im Fort-
gange des geſellſchaftlichen Lebens aus einander; indeſſen ver-
bleibt ihnen allen ein Streben nach ihrem Urſprunge, nach
ihrer Vereinigung zuruͤck. Denn wenn der Menſch auch ſein
ganzes Leben einer einzelnen oͤkonomiſchen Function hinzugeben
vermag, ſo muͤßte er erſt ſich aller andern Beduͤrfniſſe ent-
ſchlagen, und nur das Eine behalten koͤnnen, welches durch
ſeine beſondere Thaͤtigkeit befriedigt wird, um ſich von der
Geſellſchaft der uͤbrigen abſondern zu koͤnnen.
So aber behaͤlt er alle Beduͤrfniſſe des urſpruͤnglichen
Menſchen, waͤhrend er allen oͤkonomiſchen Thaͤtigkeiten des
urſpruͤnglichen Menſchen bis auf Eine entſagt: die Arbeit
theilt ſich unter die Einzelnen Haͤupter der Menſchen, die
Beduͤrfniſſe aber, welche die Arbeit beſtimmen, bleiben in
jedem Einzelnen Menſchen bey einander. Er kann alſo nur
arbeiten in wie fern die ganze Geſellſchaft fuͤr ihn arbeitet:
er bedarf die Geſammtheit der uͤbrigen und ihre Kraͤfte an
allen Orten; kurz die Geſellſchaft, die Vereinigung aller
oͤkonomiſchen Functionen, der Staat — bleibt das Beduͤrfniß
aller Beduͤrfniſſe.
[156]
Ich habe bereits oben angedeutet, daß dieſes Beduͤrf-
niß der Vereinigung in der natuͤrlichen Ordnung der Dinge
zunehmen muͤſſe in demſelben Grade wie die Theilung der
Arbeit; daß je mehr die Kraͤfte des Menſchen aus einander
treten, auch das Band derſelben, oder der Staat um ſo
gewaltiger werden muͤſſe. Alles dieſes ſtellt ſich den Sin-
nen dar in den Verrichtungen des Geldes: das Verlan-
gen nach dem Gelde iſt ein bloßer unvollkommener Repraͤ-
ſentant des hoͤheren Verlangens nach der Vereinigung, nach
dem Staate; und es gilt unter allen tiefen Verwickelungen
des oͤkonomiſchen Lebens noch heut, daß, wer in dem Gelde
irgend etwas anders begehrt, als die buͤrgerliche Geſellſchaft,
welche die Materie des Geldes nur ſymboliſch andeutet,
oder wer dieſe Materie an ſich begehrt, nie befriedigt wer-
den koͤnne. Daher habe ich an einem andern Orte gezeigt *),
wie das Geld eigentlich nichts anders ſey, als die Eigen-
ſchaft der Geſelligkeit, welche in groͤßerem oder geringerem
Grade allen Dingen inwohne, und daß unter den Sachen,
beſonders die edeln Metalle, unter den Perſonen aber noch
in viel vollkommnerer Geſtalt der wahre Staatsmann dieſe
Eigenſchaft an ſich trage.
Wenn man alſo in neueren Zeiten die Sache ſo darge-
ſtellt, als ſey ein Staatspapier ein bloßes Subſtitut der
Metalle, oder als koͤnne ein Verſprechen des Staates
die Metalle nur repraͤſentiren, und als ſey ſelbiges ohne
[157] Beziehung auf die Metalle weſenlos, ſo hat man die Ord-
nung der Dinge umgekehrt: die Metalle ſind die Repraͤſen-
tanten; das große Beduͤrfniß des Zuſammenhaltens, welches
ſchon vor aller Theilung der Arbeit die einzelnen Organe des
Menſchen verbindet, dann ſpaͤter alle die verſchiedenen oͤko-
nomiſchen Functionen unaufhoͤrlich zu ihrem Urſprung und
zur Vereinigung zuruͤck zieht; das, was die Metalle durch
den Stempel, wie durch eine Art von Creditiv erſt zum
Gelde erhebt, und was endlich bey weiterer Entwickelung des
buͤrgerlichen Lebens durch das Staatspapier ausgedruͤckt
wird — iſt das Principale.
Der wohldenkende Leſer wird alſo einſehen, daß, wie-
wohl ſich alles hoͤhere geſellſchaftliche Beduͤrfniß des Men-
ſchen, und die unerlaͤßliche Bedingung aller Arbeitstheilung
in dem Metallgelde verſteckt, dennoch einem Heer von Miß-
verſtaͤndniſſen Thuͤr und Thor geoͤffnet iſt, wenn man, wie
in den Unterſuchungen des Adam Smith geſchehen, von einer
beſtimmten Erfindung des Geldes redet. Nach dieſem erſten
Irrthum bleibt das Geld durch den ganzen Fortgang der
Unterſuchung ein nuͤtzliches Auskunftsmittel bey dem Tauſch
und Kram des gemeinen Lebens; es bleibt Waare: als
Maaßſtab der geſelligen Eigenſchaft aller uͤbrigen Waaren
kann es der Autor nicht brauchen, weil er das unſichtbare
Weſen, welches im Metallgelde dieſe uͤbrigen Waaren
mißt, nicht kennt; der Maaßſtab muß wo anders geſucht
werden, und weil ſelbſt unter den Irrthuͤmern der Men-
ſchen ein Gleichgewicht Statt findet, ſo beſtraft ſich die
allzumaterielle Vorſtellung des Geldes durch eine allzuideale
[158] des Maaßſtabes; der Begriff der Arbeit wird zum Maaßſtabe
erhoben.
Das Geld iſt ſo wenig als der Staat, oder die Sprache
eine Erfindung. Der Menſch, in wie fern er nur uͤberhaupt
da iſt, bedarf Perſonen und Sachen: die Sachen um der
Perſonen, die Perſonen um der Sachen Willen, beyde um
ſeiner Unvollkommenheit Willen, beyde um ſich zu ergaͤnzen,
um ſich zu verewigen. Er bedarf alſo außer ſich ſelbſt noch
eines Bandes, das ihn mit den Perſonen und Sachen un-
aufloͤslich verbinde, und wiewohl ſein eigenes unnachlaſſen-
des Beduͤrfniß nach jener Gemeinſchaft ſchon dieſe Verbin-
dung vollzieht, ſo wird er doch derſelben ſich nur bewußt,
in wie fern er in den Perſonen und Sachen das gleiche Be-
duͤrfniß wahrnimmt. Das, was dieſe Verbindung vollzieht,
iſt in den ſpaͤteſten Entwickelungen der buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft, wie in den fruͤheſten Anfaͤngen derſelben, der Staat;
und Geld iſt nichts anders als der oͤkonomiſche Ausdruck fuͤr
dieſes Beduͤrfniß der Vereinigung oder fuͤr den Staat; ſo
wie Geſetz der juriſtiſche Ausdruck dafuͤr iſt.
Unter den Sachen ſind es die edeln Metalle, unter den
perſoͤnlichen Kraͤften des Menſchen iſt es das Wort, von denen
jedes in ſeiner Sphaͤre die Vereinigung vollzieht, die der
Menſch unaufhoͤrlich unter allen ſeinen perſoͤnlichen und ſaͤch-
lichen Angelegenheiten zu ſtiften ſtrebt: die edeln Metalle find
das natuͤrlichſte Band unter den Sachen, das Wort iſt das
natuͤrlichſte Band unter allen perſoͤnlichen Kraͤften. Das
Wort und das edle Metall ſind alſo die beyden großen
[159] Formen, unter denen das Geld erſcheint; die beyden großen
Verſinnlichungen des oͤkonomiſchen Staates. Keines von bey-
den allein und fuͤr ſich druͤckt das Weſen des Geldes voll-
ſtaͤndig aus: wer alſo eine bloß materielle Anſchauung des
Geldes haͤtte, oder wer es bloß im edeln Metalle begriffe,
haͤtte von dem Weſen des Geldes, und weiterhin von ſeinem
Leben und ſeinem Umlauf eine eben ſo falſche und todte Vor-
ſtellung, als derjenige, der eine bloß idealiſche Anſchauung
desſelben naͤhrte, das heißt: der es nur als Wort, als fixir-
tes Wort, im Muͤnzſtempel oder auf dem Papier zu begreifen
wuͤßte.
Dieſe Diſtinction iſt das A und O aller ſtaatswirthſchaft-
lichen Anſichten. Weil die letztverfloſſenen Jahrhunderte ſich
allzuſehr auf die Seite der materiellen Anſchauung des Geldes
heruͤber geneigt, weil ſie das Geld allzuausſchließend in den
Metallen geſucht und erſtrebt haben, ſo hat ſich die andere
verſaͤumte Geldform, naͤhmlich, das Wortgeld dafuͤr geraͤcht:
ungeheure Papiercirculationen ſind ungerufen in die Staaten
eingedrungen; je mehr man ſie fuͤr ein reines Uebel gehal-
ten, je aufrichtiger man ſie verabſcheut hat, um ſo mehr hat
man dergleichen creiren muͤſſen. In dieſer Wildheit uͤber die
Staaten herſchwaͤrmend ſind dieſe Papierformen des Geldes
auch wirklich ein reines Uebel; aber niemand hat ein Recht
ſie alſo zu nennen, der durch ſeine Parteylichkeit fuͤr die
Metalle den Zorn der verſaͤumten, und doch eben ſo noth-
wendigen andern Partey erweckt, alſo durch ſeine Ungerech-
tigkeit, ſie zu einem reinen Uebel gemacht hat. So ſind Be-
wegung und Ruhe, Krieg und Friede zwey gleich nothwendige
[160] Formen desſelben politiſchen Lebens: ſeitdem man aber den
abſoluten Frieden fuͤr ſich hat ergreifen und darſtellen wollen,
ſeitdem man die innere Verfaſſung der Staaten ausſchließend
fuͤr den Frieden eingerichtet hat, ſo haben die ſtehenden Ar-
meen im ſteigenden Verhaͤltniß zunehmen muͤſſen, und nun
erſt iſt der Krieg zum reinen Uebel geworden. Was zur voll-
ſtaͤndigen Natur des Menſchen gehoͤrt, wird in demſelben
Maaße, als die Menſchen ſich ſeiner zu entſchlagen ſuchen,
ſich um ſo hartnaͤckiger, druͤckender, feindſeliger aufdringen.
Der Menſch ſteht in einem gleichweſentlichen Verhaͤltniß
zu den Perſonen und zu den Sachen, aber es iſt ſchon in
der Einleitung gezeigt worden, daß er um der Perſonen
Willen in einem Verhaͤltniß zu den Sachen, und um der
Sachen Willen in einem Verhaͤltniß zu den Perſonen ſteht,
daß er keines dieſer beyden Verhaͤltniſſe in einer abſoluten
Abſonderung fuͤr ſich behandeln koͤnne, kurz, daß ein
abſolutes Privateigenthum, und ein abſolutes Privatleben
zu denken unmoͤglich iſt. Alſo kann er auch weder die
Geldform, welche die Sachen umfaßt (das edle Metall)
noch die andere Geldform, welche die perſoͤnlichen Kraͤfte
umfaßt (das Wort) abgeſondert fuͤr ſich betrachten oder
behandeln. Es gibt demnach eben ſo wenig reines Metall-
geld als reines Papier- oder Wortgeld. Wo alſo Metall-
geld wirklich vorhanden iſt, da muß es mit dem Worte ſchon
verſetzt ſeyn: und, wo wirkliches Wortgeld (Schrift- oder
Papiergeld) vorhanden iſt, da muß es mit dem Metallgelde
verſetzt, und gleichſam dadurch beſtaͤtigt ſeyn. Mit andern
[161] Worten: wenn das Metallgeld zu wirklichem Gelde werden
ſoll, ſo muß das Wort ſein Siegel, ſeinen Stempel darauf
druͤcken: es muß Muͤnze werden *): andererſeits ſoll das
Wort zum wirklichen Gelde werden, ſo muß es in Beziehung
auf das Metall ſtehen, es muß durch das Metall beſtimmt
werden.
Wollte man nun aber behaupten, eines von beyden muͤſſe
dem andern unterworfen ſeyn, entweder das Papiergeld ab-
haͤngig nach Sklavenart vom Metallgelde, oder das Metall-
geld vom Papiergelde, ſo wuͤrde man in beyden Faͤllen be-
haupten, daß eines von beyden unabhaͤngig fuͤr ſich exiſtiren
koͤnnte, daß eines von beyden abſolut feſter und unveraͤnder-
licher Maaßſtab des andern waͤre, und, daß die Sachen,
welche das eine repraͤſentirt, voͤllig unabhaͤngig waͤren von
den Perſonen und perſoͤnlichen Kraͤften, welche das andere
repraͤſentirt und umgekehrt. Eine Zeit alſo, welche das ab-
ſolute Privateigenthum und Privatleben fuͤr moͤglich haͤlt,
wird auch eine von den beyden Geldformen, und wahrſchein-
lich die ſaͤchliche, das Metallgeld fuͤr den unbedingt feſten
Theoret. Theil L
[162] Maaßſtab der anderen, und die andere Geldform des Wort-
(Papier-) Geldes fuͤr den Sclaven der Erſteren halten. So iſt
es auch wirklich, und der allgemein verbreitete Grundſatz:
„daß das Papiergeld uͤberhaupt nur als Subſtitut des Metall-
geldes zu denken ſey“, nur ein beſonderer Ausdruck fuͤr den
noch allgemeineren, doch weniger keck ausgeſprochenen Grund-
ſatz: daß alle perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe des Menſchen, Staat,
Staͤnde, Corporationen u. ſ. f. nur um des ſaͤchlichen Be-
ſitzes, um der Sicherheit Willen des Privateigenthums vor-
handen waͤren, ohne daß das Privateigenthum ſeinerſeits
wieder dem Staate unterworfen waͤre *).
Wenn auch unter den Sachen das edle Metall, und unter
den perſoͤnlichen Kraͤften das Wort regiert, ſo ſteßt doch
nichts deſto weniger jede dieſer beyden Maͤchte in einem
veraͤnderlichen Verhaͤltniß zu dem Gebiete, worin ſie regiert;
und da nun noch uͤberdieß die Herrſchaft der Einen unauf-
hoͤrlich in die Herrſchaft der Anderen eingreift, da jede Sache
einzeln durch perſoͤnliche Verhaͤltniſſe und jede Perſon, wie
jedes perſoͤnliche Verhaͤltniß wieder durch Sachen garantirt
werden muß, ſo koͤnnen die beyden regierenden Geldformen
ſich nur behaupten, in wie fern ſie einen unaufloͤslichen Bund
mit einander ſchließen, in wie fern ſie ſich gegenſeitig garan-
tiren, das heißt: in die oben beſchriebene Wechſelverbindung
treten.
[163]
So lange noch das Wort ſelbſt auf der Erde gegolten
hat, ſo lange noch neben dem ſparſamer verbreiteten Me-
tallgelde ein eben ſo maͤchtiger perſoͤnlicher Glaube ſtand,
ſo lange war ein Mißbrauch des Metallgeldes unmoͤglich:
im Mittelalter war in den feudaliſtiſchen Dienſtverhaͤltniſſen
die andere Geldform vorhanden, und erhielt das Metallgeld
in ſeinen Schranken. Nachfolgende Geſchlechter ſind von dem
Glauben, von dem Worte, von der Perſoͤnlichkeit abgefal-
len: ganze Gebirge von edeln Metallen ſind ihrem Irrthume,
ihrer Schwaͤrmerey fuͤr den ſaͤchlichen Beſitz auf halbem Wege
entgegen gekommen. Darauf hat nach dem ewigen Natur-
geſetze des Gleichgewichts, auch der Irrthuͤmer, die ver-
ſaͤumte Perſoͤnlichkeit, der vernachlaͤßigte Glaube, das zu-
ruͤckgeſetzte Wort ſich raͤchen muͤſſen: die Schuldenverhaͤltniſſe,
die Creditſyſteme und das Papiergeld des letzten Jahrhunderts
ſind durch dieſe unvermeidliche Reaction entſtanden. Die
Welt haͤlt ſie fuͤr reine Uebel: thue ſie nur noch den einzigen
Schritt zu erkennen, daß der Mißbrauch der Menſchen dieſe
hoͤchſt natuͤrlichen Dinge erſt zu Uebeln gemacht hat. Man
unterwerfe ſich ihnen mit Freyheit, man erkenne ihre Un-
entbehrlichkeit, man verſoͤhne ſich mit ihnen, man inoculire
ſie *), man zaͤhme ſie: und dieſe reinen Uebel werden die
kraͤftigſten Bindungsmittel des Staates, und die ſicherſten
Buͤrgſchaften fuͤr das Gluͤck jedes Einzelnen werden.
L 2
[164]
Alle gedenkbaren Argumente, welche man gegen das
Papiergeld aufbringen kann, treffen immer nur jene wilde
Reaction der Natur gegen die Alleinherrſchaft des Metall-
geldes: gluͤcklicher Weiſe aber hat auch ſie ſchon zu weit
um ſich gegriffen, als daß es in dem Gebiete menſchlicher
Macht laͤge, ihre Wirkungen zu vernichten; und darin thun wir
es nun, Dank ſey es dieſer großen Erfahrung, dem Mittelalter
zuvor, daß wir die beyden ſichtbar vorhandenen Geldformen
als gleichweſentliche Elemente des Geldes mit Bewußtſeyn
anerkennen, und, indem wir unſere Metallgeldwirthſchaft
mit der Papiergeldwirthſchaft in wahre Wechſelwirkung brin-
gen, ein ſicheres, durch ſich ſelbſt verbuͤrgtes Geldſyſtem
erlangen koͤnnen.
Denn in der Wechſelwirkung der beyden Geldformen lebt
und entſteht erſt das eigentliche Geld, wie ſich uͤberhaupt
auch eine Einſicht in das Weſen des eigentlichen Geldes nicht
etwa durch eine feſt ſtehende Theorie, ſondern nur durch eine
wahrhaft hiſtoriſche, mitſchreitende, mitlebende Betrachtung
der ewigen Wechſelverbuͤrgung der Metalle durch das Wort
erlangen laͤßt.
Nicht anſchaulicher wuͤßte ich dieſen großen Prozeß der
Gelderzeugung zu machen, als indem ich zu dem Schema
der Kugel zuruͤckkehre. Metallgeld und Wortgeld ſind die bey-
den Pole der oͤkonomiſchen Sphaͤre: jede oͤkonomiſche Func-
tion, die aus der urſpruͤnglichen Vereinigung aller Functionen
in einem und demſelbigen Menſchen heraus trat, noͤthigte
eine andere entgegen geſetzte Function aus dem Mittelpuncte
heraus zu treten: ſo entwickelte ſich meiner obigen Beſchrei-
[165] bung nach die Kugel. Aber alle die ſo entſtehenden Radien
und Diameter unter ſich, alle dieſe verſchiedenen oͤkonomiſchen
Functionen ſind wieder einem Hauptradius, einem Diameter
par excellence untergeordnet, wie alle Radien und Dia-
meter der Erdkugel einem Hauptdiameter, naͤhmlich, der
Axe untergeordnet ſind, um welche ſie ſich zunaͤchſt und dann
erſt mit ihr um den Mittelpunct der Erde bewegen.
Dieſe Hauptfunction, dieſe Axe der oͤkonomiſchen Sphaͤre
iſt die Function des Geldes. Und wenn man ſich in die
Hemisphaͤre des einen Pols alle ſaͤchlichen Functionen denkt,
ſo werden ſich dieſe freylich zunaͤchſt um den ſaͤchlichen Pol,
den Pol des Metallgeldes drehen, eben ſo wie die geſammten
perſoͤnlichen Functionen zunaͤchſt um den perſoͤnlichen Pol,
um den Pol des Glaubens- Credit- Wortgeldes: indeß da
jede einzelne ſaͤchliche Function nur moͤglich wird durch eine
Art von Antipoden, das heißt: durch die Entſtehung einer
entgegen geſetzten perſoͤnlichen Function, ſo wird auch jeder
von den beyden Polen mit allen ſeinen Dependenzen in jeder
Ruͤckſicht bedingt ſeyn durch den andern; eben ſo jede Hemis-
phaͤre durch die andere.
Beyde Pole Metallgeld und Credit- (Papier-) Geld wer-
den ſichtbar heraus treten, aber mit allen Welterſcheinungen,
die davon abhaͤngen, demjenigen ewig unverſtaͤndlich bleiben,
der die Beziehungen dieſer beyden Pole, und aller anderen
gedenkbaren Radien mit ihnen auf den unſichtbaren Mittel-
punct, auf das eigentliche Geld nicht kennt. Die Menſchen
taͤuſchen ſich uͤber die Richtungen ihrer Thaͤtigkeit; ſie glau-
ben bald hier, bald dorthin zu wirken, ſie entſcheiden ſich
[166] fuͤr einen der beyden Pole ausſchließlich: indeß iſt es immer
und an allen Orten nur jener Mittelpunct, jenes unſichtbare
Geld, welches ſie und all ihr Werk traͤgt, zieht, regiert.
[167]
Viertes Kapitel.
Unterſchied der Wechſelſclaverey und der freyen Wechſel-
wirkung, zwiſchen den oͤkonomiſchen Kraͤften.
Wenn man die Vorſtellungen unſerer Zeitgenoſſen von dem
Verkehr, dem Tauſche, dem Handel, dem Markte bedenkt,
ſo ergibt ſich, daß wohl empfunden wird, wie in letzter
Inſtanz die Nachfrage oder das menſchliche Beduͤrfniß, alſo
etwas hoͤchſt Perſoͤnliches alle dieſe Umſaͤtze und Uebertragungen
der Sachen regiere: indeß da man nur auf das koͤrperliche
Beduͤrfniß des Menſchen, auf das Beduͤrfniß des Menſchen
nach Sachen, nach Handgreiflichkeiten, nach Augenblicklich-
keiten Ruͤckſicht nimmt, da man die oͤkonomiſche Ordnung
der Dinge errichtet zu haben glaubt, wenn man dieſen Au-
genblicklichkeiten geſtattet, ſich frey unter einander ins Gleich-
gewicht zu ſetzen, da man durchaus keine Anſtalt trifft, die
hoͤheren moraliſchen und ewigen Beduͤrfniſſe der Menſchen,
welche in der Sorge fuͤr den Augenblick ſo leicht verſaͤumt
werden, und ohne die demnach eine dauerhafte Befriedigung
des Augenblicks unmoͤglich iſt, mit auf den Markt zu brin-
gen — ſo iſt klar, daß man eigentlich den handgreiflichen
Sachen die Regierung der Welt uͤbergibt, und an eine,
[168] in den Sachen verborgene, dunkle, anordnende Gewalt viel-
mehr, als an die Perſoͤnlichkeit des Menſchen und an ſeine
Oberherrſchaft uͤber die Dinge glaubt.
Es iſt auch natuͤrlich, daß die Theorie ſich dem gemei-
nen Manne mundrecht zu erhalten ſtrebt, und kein Verlan-
gen traͤgt nach einer hoͤheren Grundlage, als der gemeinen
Denkungsart ihrer Zeit: der gemeine Mann aber glaubt
heutiges Tages nicht vielmehr als er gerade vor ſich ſieht,
und, da in den Perſonen allezeit etwas Geheimes und Un-
ſichtbares zuruͤck bleibt, das alle Rechnung ſtoͤren kann, ſo
haͤlt er ſich viel lieber an den handgreiflichen Sachen, ſo meint
er durch dieſe ſein Daſeyn ſicher zu ſtellen, ſo arbeitet er
fuͤr nichts als fuͤr ihren Beſitz, und vertraut dem letzten
Reſte dieſes taͤglich von neuem verkuͤmmerten Beſitzes noch
mehr, als aller perſoͤnlichen Kraft, die ihm zu Huͤlfe kom-
men koͤnnte.
Zur Unterhaltung der Lebensflamme gehoͤren taͤglich gewiſſe
Brennmaterialien: es iſt Brot von Noͤthen oder ein Aequi-
valent von Brot; es ſind Sachen von Noͤthen die alle Men-
ſchen, einer wie der andere, taͤglich begehren: wir halten
uns an dieſen nothwendigſten Sachen, die darin regirende
Nothwendigkeit, der darin verborgene Gott wird den Nach-
bar ſchon zwingen, das heraus zu geben, was er hat, und
was uns fehlt. Man glaubt alſo nicht bloß an den Sachen,
ſondern an eine gewiſſe Ausgleichung unter den Sachen,
woruͤber der veraͤnderliche Wille des Menſchen nichts ver-
moͤge, die alſo eigentlich das Weltgeſetz ſey. Es iſt dieſes
der Staat und die Religion des unvernuͤnftigen Thieres,
[169] das zwar nicht eigentlich tauſcht und commerziret, aber
nicht leben koͤnnte ohne einen gewiſſen dunkeln Glauben
an die uͤberſchwengliche Nothwendigkeit und Ewigkeit des
Futters.
Der auf die große Thatſache des taͤglich wiederkehren-
den Hungers ſich ſtuͤtzende Glaube des Menſchen hat allen
anderen Glauben und jede hoͤhere Neigung dergeſtalt ver-
zehrt, daß es wirklich, zumahl, wenn man die darauf er-
richteten oͤkonomiſchen Theorien betrachtet, das Anſehen hat,
als waͤre das Verlangen der Sachen nach den Menſchen viel
groͤßer, als das der Menſchen nach den Sachen, und als
verſpeiſten eigentlich die Sachen den Menſchen, und nicht
dieſer jene.
Aber von allen dieſen Verirrungen eines tief geſunkenen
Geſchlechts abgeſehen: es iſt wirklich ein Geiſt, ein gewalti-
ger Geiſt in den Sachen, den ſie in der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft und durch dieſelbe erlangen. Dadurch, daß die ganze
buͤrgerliche Geſellſchaft eine ſolche Sache begehrt, wird ſie
erſt fuͤr den Einzelnen ſo wichtig und ſo furchtbar, und ſo
iſt denn der Irrthum begreiflich, daß, lange nachdem die
letzten Gefuͤhle fuͤr das Gemeinweſen in dem Einzelnen er-
ſtorben ſind, er noch ein Geſpenſt desſelben in den Sachen
ehren, fuͤrchten und ſchonen muß.
So offenbart ſich denn auch hier das große, oft erwaͤhnte
Gleichgewicht der menſchlichen Irrthuͤmer: einerſeits
werden die Sachen zu Goͤtzen, zu Tyrannen des Menſchen
erhoben; die Neigung des Poͤbels und die fataliſtiſchen
[170] Theorien der Staatswirthſchaft wenden ſich zur Abgoͤtterey
der Sachen, und zu ſclaviſcher Unterwuͤrfigkeit unter ihr
vorgebliches Geſetz: man laſſe, heißt es, den Menſchen nur
frey von allen perſoͤnlichen Schranken, man laſſe die Sachen
nur gewaͤhren, nur walten uͤber ihn, man laſſe die Ballen
der Waaren nur ſich unter einander ins Geichgewicht ſetzen,
und den Menchanismus der Gewerbe in ſich ſelbſt forttreiben,
ſo wird der Menſch ſchon folgen muͤſſen; andererſeits
werden dieſelben Sachen wieder abſolut privateigenthuͤmlich
der willkuͤhrlichen Dispoſition des Einzelnen uͤberlaſſen, er
erhaͤlt das Recht der Veraͤußerung alles Beſitzes, ein Recht
uͤber Leben und Tod derſelben Sachen, die ihn beherrſchen
ſollen; kurz der Sclav wird wieder Tyrann ſeines Tyrannen,
und der Tyrann Sclav ſeines Sclaven.
Es war eben die Haupt- und Grundthorheit in der vielgeprie-
ſenen Weisheit der heidniſchen Alten, daß ihnen das Leben
als ein Tummelplatz der Willkuͤhr erſchien, daß ſie die
Guͤter der Erde nicht anders zu denken wußten, als in blin-
der Unterworfenheit unter eine gewiſſe bald verfeinerte, bald
heroiſche Laune, und daß ihre geſammte Haushaltung nichts
Hoͤheres verlangte, als kecke Unterwerfung und kluͤgelnde
liſtige Bewirthſchaftung des ausſchließenden Eigenthums.
Sie waͤhnten die Welt zu unterjochen und wollten nicht ein-
ſehen, daß ſie eben dadurch ſelbſt Sclaven wurden, und daß
ſie die Willkuͤhr, die ſie ausuͤbten, zugleich auf den Thron
ſetzten uͤber ſich. Was war dieſes Raͤthſel des Fatums,
das mit ſchrecklichem Muthwillen uͤber allen ihren Goͤttern
waltete, was waren die vergoͤtterten Geſpenſter der irrdiſchen
[171] Sachen und Naturkraͤfte, was waren ſelbſt in ſpaͤteren un-
heiligeren Zeiten dieſe bewaffneten Sclavenrotten, welche die
Selbſtherrſcher umgaben, und nach Belieben uͤber ihre Krone
ſchalteten — anders, als dieſelbige Willkuͤhr, die niemand
uͤber die Dinge ausuͤben kann, ohne daß die Dinge ſie wieder
uͤber ihn ausuͤbten. —
Freyheit nannten ſie dieſes Weſen: ein Euphemismus des
ganzen heidniſchen Alterthums; und wo ſie noch ſonſt un-
heimliche Dinge mit freundlichen Worten und ſchmeichelnden
Bildern verkleideten, waren es immer einzelne Zuͤge derſelben
ſchrecklichen Larve: Sprache, Philoſophie, Kunſt, mußten
alle ihre Zauber aufwenden, damit ſie nur ertragen werden
konnte.
So waren die Heiden! im Laufe der letztverfloſſenen Jahr-
hunderte iſt dieſe thoͤrichte Geſinnung zuruͤck gekehrt: die
Dinge ſollen wieder privateigenthuͤmlich dem Menſchen unter-
worfen werden, und ſo iſt das alte Fatum auch unmittelbar
wieder zugegen, und der Menſch zu einem Spielzeuge in den
Haͤnden desſelben herabgeſunken: ohne Euphemismus! der
Weltmarkt und der Weltkrieg ſind unſer Fatum; Gold,
Colonialwaaren und dergleichen ſind unſere Goͤtter; und ſo
ſind es ſelbſt Sclaven ihrer Sclaven, welche die Welt be-
herrſchen.
Wahrſcheinlich wird man noch lange fortfahren, die
Quelle unſeres Elends ganz wo anders zu ſuchen, als wo ſie
liegt: ein edler Schriftſteller hat die Verruͤckung der gegen-
waͤrtigen Generation: Gottesſcheu genannt; und wo dem
[172] Goͤttlichen ausgewichen wird, wie moͤchte man da das Na-
tuͤrliche finden. Nur in dem goͤttlichen Verhaͤltniſſe des
Menſchen zu den Dingen liegt die Freyheit, liegt der Reich-
thum, liegt alles Eigenthum und alle Befriedigung unſeres
Daſeyns. So lange wir die Dinge an ſich zu beſitzen ſtreben,
ſo lange wir nicht erkennen, daß es nur die geſellſchaftliche
Macht in den Dingen iſt, die uns reitzt, und daß die un-
bedeutendſte Sache erſt durch den Staat geheiligt und per-
ſonifizirt wird, daß alſo aller dieſer aͤußerliche handgreifliche
Verkehr mit den Dingen, nur um eines unſichtbaren hoͤheren
Weſens Willen Statt findet, und nur von einem ſolchen ge-
tragen werden kann — ſo lange ſind alle ſtaatswirthſchaftlichen,
alle politiſchen Probleme unbedingt unaufloͤs-
lich: denn die reinſten Vorſtellungen vom Staate, deuten, wie
ſchon oben erwieſen, alle weiter und hoͤher, auf ein Aller-
mittelſtes; auch dieſer Planet braucht eine Sonne die ihn
traͤgt, dieſelbe Sonne, welche die geringſte Haushaltung
waͤrmt und beſcheint, wie auch uͤberhaupt in die Verwicke-
lung der menſchlichen Angelegenheiten, erſt die Klarheit der
echten Wiſſenſchaft bringt.
Die Weisheit der Weiſeſten vermag in ſtaatswirthſchaft-
lichen Angelegenheiten nichts ohne dieſes Licht: die Zeiten der
Auskunftsmittel, der Palliativen, der Prolongationen des
endlichen Entſcheidungstermins ſind bald zu Ende; die arm-
ſeligen Kuͤnſte des rechnenden Verſtandes ſind erſchoͤpft: wer
ſeine Wirthſchaft beſorgen und erhalten will, muß darneben
etwas Hoͤheres ins Auge faſſen, als dieſe Wirthſchaft. Nur
fuͤr diejenigen, welche fuͤhlen oder wenigſtens ahnden, daß
[173] weder die abſolut iſolirte, noch die profane Behandlung eines
ſolchen wiſſenſchaftlichen Gegenſtandes zu irgend einer Befrie-
digung fuͤhren koͤnne, ſind die nachfolgenden Betrachtungen
uͤber Maaßſtab, Standard, Muͤnze und Circulation aufge-
ſchrieben worden.
Der Menſch braucht alſo nicht die Sachen, um ſie aus-
ſchließend in Beſitz zu nehmen, um ſie als Sklaven ſich zu
unterwerfen, ſondern als ein Band mit den Perſonen, und
um vermittelſt ihrer in Verbindung mit der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft zu treten und zu bleiben; der Menſch bedarf der
Perſonen, um vermittelſt ihrer Huͤlfe die Sachen zu erlan-
gen, durch die er ſich feſter mit den Perſonen, und dergeſtalt
inniger mit dem Ganzen der Geſellſchaft vereinigen koͤnne.
Der Menſch bedarf alſo uͤberhaupt nur, um wieder hingeben
zu koͤnnen, um das ewige Opfer bringen zu koͤnnen, welches
der Zweck ſeines ganzen Daſeyns iſt. Er arbeitet nur, um
unbezwungen von irgend einer blinden Naturkraft, ſich und
ſeinen Erwerb fuͤr die große republikaniſche Idee der Gemein-
ſchaft hingeben zu koͤnnen, und ſo jenes Zutrauen, jenes
Sicherheitsgefuͤhl zu erlangen, das ihm weder die Freund-
ſchaft der einzelnen Perſonen, noch der Beſitz irgend einer
Sache gewaͤhren kann.
Der wahre Kaufmann arbeitet nicht um Sachen zu ge-
winnen, oder um die Materie des Geldes einzufangen und
eingeſperrt zu erhalten: er arbeitet um mehr hingeben zu
koͤnnen, um die Sphaͤre ſeines Credits zu erweitern und um
mehr Credit zu erhalten; um mehr geglaubt zu werden,
[174] und um dafuͤr das Gluͤck in allem Gluͤck, den eigentlichen
Beſitz in allen Beſitzthuͤmern, naͤhmlich den groͤßeren Glauben
an die Sicherheit ſeines Hauſes, wie ſeines ganzen Daſeyns
zu gewinnen. Es befriedigt ihn nicht, daß er ſelbſt Credit
habe, er muß auch Credit geben koͤnnen, alſo es muͤſſen die
andern Kaufleute, es muß der Handelsſtand im Ganzen
Credit haben. Der Handelsſtand kann nur Credit haben,
wenn er auf die Wechſelwirkung des Beduͤrfniſſes, und der
Arbeit bey den beyden andern Staͤnden, zwiſchen denen er
vermittelt, rechnen kann, das heißt: wenn im Landbau ſo-
wohl als in der Stadtwirthſchaft nicht nach bloßem Genuß,
nicht nach bloßen Produktenmaſſen, ſondern vielmehr nach
Credit geſtrebt wird. Nicht in der Theilung der Arbeit, nicht
in den edeln Metallen liegt das Wunder der großen und dauer-
haften Wirkungen, welche die Induſtrie hervor bringt; nicht
in der bloßen Allianz der oͤkonomiſchen Kraͤfte, ſondern darin,
worin alle Wunder der Erde: im Glauben an einander, im
Glauben an den Glauben. — Die drey Naͤhrſtaͤnde ſtre-
ben nach nichts anderem, und beruhen auf nichts anderem als
auf dem Credit.
Der Zweck des Wehrſtandes iſt kein anderer, als die
aͤußeren koͤrperlichen Maͤchte, welche dieſe große Glaubens-
vereinigung ſtoͤren koͤnnten, abzuwehren, und an den Glau-
ben jenen hoͤheren Lebensmuth zu knuͤpfen, der in dem fried-
lichen Umtriebe wirthſchaftender Kraͤfte verloren gehen koͤnnte,
und der den Glauben uͤber die Gebrechlichkeit der irrdiſchen
Dinge erhebt.
[175]
Aber noch find innere Feinde die ihn ſtoͤren koͤnnten; im
Herzen der einzelnen Menſchen walten die feindſeligſten Be-
gierden: ein unſichtbares, ſtolzes und hoffaͤrtiges Weſen darin
ſinnt auf Rebellion, auf Zerſtoͤrung der ganzen Verbindung,
wenn es vernachlaͤßigt wird; aber es iſt auch die ſicherſte
Buͤrgſchaft fuͤr das Beſtehen dieſer Verbindung, alſo fuͤr
den Credit ſelbſt, wenn es gezaͤhmt, und in das große Credit-
gewebe an allen Stellen verflochten wird. Der Zweck des
Lehrſtandes iſt alſo die Bedingung dieſes ſchrecklichſten Fein-
des, die Unterwerfung aller unabhaͤngigen Erkenntniß unter
den Gehorſam des Glaubens, und, da jede irrdiſche Ver-
bindung von dem Wetter der Erde, und von Umſtaͤnden und
Augenblicklichkeiten abhaͤngig bleiben wuͤrde, die Verknuͤ-
pfung des irrdiſchen Glaubens, mit dem ewigen des ganzen
Geſchlechts.
Um in irgend einem dieſer Staͤnde der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft, als wahres dienendes Glied einzugreifen, und um
in irgend einem beſonderen Geſchaͤft Befriedigung zu finden,
muß der Einzelne dieſe große Wechſelverbuͤrgung des Credits,
bey der kein Theil entbehrt werden kann, wenigſtens fuͤhlen
oder ahnden. Auch hat es nie einen tuͤchtigen Buͤrger, Kauf-
mann, Landwirth u. ſ. f. gegeben, ohne dieß Gefuͤhl.
Selbſt unter aller mechaniſcher Zerſplitterung der Kraͤfte,
und Verwirrung der Kraͤfte haͤtte man die rechtſchaffenen
praktiſchen Leute dieſer Zeit zuverlaͤßig fuͤr ſich, wenn man
behauptete, daß das Heil des Ganzen nur aus der lebhaf-
teſten Wechſelwirkung aller Einzelnen entſpringen koͤnne,
[176] daß der Verkehr befoͤrdert, daß die Beruͤhrungen unter den
Einzelnen vervielfaͤltigt werden muͤßten. Wenn dieſe ehren-
werthen Leute nur einſehen moͤchten, daß der materielle Ver-
kehr fuͤr ſich noch nicht ausreicht, daß der Markt ein ganz
anderes Leben gewinnt, wenn wir die unſichtbaren Guͤter des
Lebens hinzulaſſen, daß die Beruͤhrungen ſich noch ganz an-
ders vervielfaͤltigen, wenn wir die vergangenen Geſchlechter
und ihren Erwerb und ihre Geſetze, als waͤren ſie lebendig,
mit eingreifen laſſen in den Verkehr. Geſetzt, die Umtriebe
des Markts, die Concurrenz unendlich vieler Producirenden,
Beduͤrfenden, und der verſchiedenartigſten Erzeugniſſe braͤchte
die Lebenserſcheinung, und demnach das Gefuͤhl von Reich-
thum hervor, wornach die praktiſchen Leute ſtreben, ſo liegt
die Genugthuung die ſie dabey empfinden, ſicherlich nicht in
der Betrachtung des bloßen regelloſen Tumults des Marktes:
ſondern ein Gleichgewicht unter Kaͤufern und Verkaͤufern waͤre
in aller dieſer Bewegung das eigentlich Erfreuliche. Die Kaͤufer
haͤtten gefunden was ſie brauchten, die Verkaͤufer abgeſetzt
was ſie producirt: jeder waͤre in dem Glauben an das Gleich-
gewicht des Ganzen, und an die Erſprießlichkeit ſeines beſon-
dern Geſchaͤfts, wie an den Beyſtand der Uebrigen dabey be-
ſtaͤrkt; der Credit waͤre von neuem befeſtigt, dieß waͤre das
eigentlich Erhebende an der ganzen Erſcheinung.
Wenn nun auf dieſem Markte jedem Einzelnen der Credit
zu Gute kommt, den er auf fruͤheren Maͤrkten erworben;
wenn ferner dem ganzen Markte der gute Erfolg aller fruͤhe-
ren Maͤrkte erſt Leben gibt, und das erwuͤnſchte Gleich-
gewicht zwiſchen den Kaͤufern und Verkaͤufern erſt moͤglich
[177] macht; dieſe fruͤheren Maͤrkte aber den Schutz kraͤftiger Ge-
ſetze, den ruhigen Betrieb des Landbaues, die Bereitſchaft
der vaterlaͤndiſchen Waffen, und eine ruhige nationale
Bildung des Geiſtes und Herzens bedurften, um den Verkehr
dauerhaft an ſich zu ziehen, ſo frage ich, ob außer der Con-
currenz der Kaͤufer und Verkaͤufer, der Waaren und der Be-
duͤrfniſſe nicht noch ganz andere und hoͤhere Dinge, wenn auch
nur unſichtbar, concurriren muͤſſen, wenn die Erſcheinung
des Verkehrs einen rechtſchaffenen Zuſchauer befriedigen ſoll,
und ob die Genugthuung desſelben nicht auf der Offenbarung
eines viel hoͤheren Credites beruht, als des merkantiliſchen,
der gerade in dieſem Augenblicke auf dem Markte zur Sprache
kommt.
In der Maſſe an ſich, in der Bewegung an ſich liegt
nichts Erfreuliches; dieſe Erſcheinungen muͤſſen erſt Symbole
des Lebens werden, ſie muͤſſen erſt auf vielfaͤltige wechſel-
wirkende Verhaͤltniſſe der Menſchen unter einander hindeuten,
wenn ſie einen wohlthaͤtigen Eindruck machen ſollen auf das
Gemuͤth. Nichts Oederes gibt es, als einen reichverſehenen
Markt ohne Kaͤufer: die Unendlichkeit der Verhaͤltniſſe ver-
langt der Menſch: je verſchiedenartiger, je vielfaͤltiger die
Verhaͤltniſſe, um ſo wahrſcheinlicher waͤre die Stoͤrung, die
Verwickelung unter den Verhaͤltniſſen; beſtehen ſie alſo unter
aller Vielfalt, ſo iſt das Gleichgewicht darin um ſo kraͤftiger,
der Geiſt der Ordnung um ſo maͤchtiger. Der Glaube an das
Beſtehen dieſer Verhaͤltniſſe iſt das eigentliche Reſultat des
Verkehrs, und durch dieſen Glauben werden die Fortſchritte
des Verkehrs erſt moͤglich. Alſo verlangen die gutgeſinnten
Theoret. Theil M
[178] Befoͤrderer des Verkehrs und Freunde der Induſtrie nur
den Credit: ſie muͤſſen die unſichtbaren Kraͤfte, das geiſtige
Vermoͤgen mit hinzulaſſen auf den Markt; ſie muͤſſen die
Schranken der Geſetze reſpectiren, welche ſich aus dem Ver-
kehr der Vorfahren ergeben haben, wenn ſie des Credits, der
aus dem Zuſammenwirken dieſer fruͤheren Verhaͤltniſſe hervor
gegangen iſt, und ſeiner Segnungen theilhaftig werden
wollen.
Es iſt demnach nur eine Freude an dem Bewegten, um
des Bleibenden Willen; eine Freude an dem Markt, um des
Staates Willen; eine Freude an den Maſſen der irrdiſchen
Guͤter, um der Verhaͤltniſſe Willen, die ſie unter einander
zum Mittelpuncte der buͤrgerlichen Geſellſchaft, zum Glau-
ben, zum Credit bilden, moͤglich.
Setzen wir ſtatt der Unendlichkeit von Waaren und Kaͤu-
fern, die auf dem Markte zuſammen treffen, und ſtatt des
großen Gewerbes von Verhaͤltniſſen, das ſie mit einander bil-
den, das einfache Verhaͤltniß: Perſon und Sache. — Perſon
und Sache muͤſſen im Gleichgewichte ſeyn wie Kaͤufer und
Verkaͤufer. Was iſt es, was uns in der Verbindung der Per-
ſon oder der Sache, oder in der Vorſtellung des Eigenthums
oder des Reichthums erfreuet. Es iſt der Gebrauch, den ſie von
einander machen, ihre Wechſelwirkung unter einander; die-
ſelbe Erſcheinung in ganz einfacher Geſtalt, die wir im Ge-
wuͤhl des Marktes Verkehr genannt haben. Eine Wechſel-
wirkung waͤre aber nicht moͤglich, wenn die Sache unbe-
dingt und privateigenthuͤmlich der Perſon unterworfen waͤre,
[179] das heißt: wie oben erlaͤutert, wenn die Perſon ſich unter
die Bothmaͤßigkeit der Sache ergaͤbe. Es wuͤrde ſich das
Verhaͤltniß einer heidniſchen und tuͤrkiſchen Wechſelſclaverey
ergeben, und dieſer Grundirrthum wuͤrde ſich allen Einrich-
tungen der buͤrgerlichen Geſellſchaft mittheilen: man wuͤrde
die Ueberzeugung allgemein werden ſehen, daß die ganze
Staatsverbindung keinen andern Zweck habe, als die Sicher-
heit der Sache, die Erhaltung des abſoluten Privateigen-
thums; an die Stelle eines lebendigen Gewerbes unvergaͤng-
licher Kraͤfte, wuͤrde ein todtes Zwangs- und Kettenweſen
treten; alles wuͤrde zur Sache werden, und das Perſoͤnliche,
verſcheucht aus den Wohnungen der Menſchen, wuͤrde wie
heidniſches Fatum, wie tuͤrkiſche Praͤdeſtination unſichtbar
und tuͤckiſch uͤber den menſchlichen Geſchaͤften walten.
Wenn man erwaͤgt, daß dieſes wirklich die Richtung un-
ſerer Zeit iſt, und, daß wir darin wirklich mit denen, die ſonſt
fuͤr die Erbfeinde der europaͤiſchen chriſtlichen Staatenverbin-
dung gehalten wurden, uͤbereinſtimmen; wenn man in allen
andern Buͤchern der Geſchichte vergebens nach einer Zeit
ſucht, wo dieſes Mutterverhaͤltniß aller uͤbrigen menſchlichen
Verhaͤltniſſe als wahre Wechſelwirkung behandelt worden waͤre,
wenn man uͤberall nur eine rohere oder aͤußerlich verfeinerte Wech-
ſelſclaverey findet, ſo muß man wohl eine Vorliebe fuͤr das
Mittelalter empfinden. Dort allein iſt von einer Vereinigung
der Perſon und der Sache um eines Hoͤheren Willen; von
einem irrdiſchen Eigenthum, das ſeinen ganzen Werth von
einem hoͤheren geiſtigen Eigenthum erhaͤlt; von einer Sonne,
die den Planeten zugleich mit ſeinem Trabanten ſchwebend
M 2
[180] erhaͤlt; von einer Wechſelwirkung zwiſchen dem Eigenthuͤmer
und dem Eigenthume um des Glaubens Willen, die Rede.
Dort wird das heilige Weſen des Credits, welches im Inner-
ſten ihres Herzens, obwohl bewußtlos, alle diejenigen mei-
nen, die ſich uͤber die Wechſelwirkung des Marktes, und der
Kaͤufer neben den Verkaͤufern freuen, in ſeiner ganzen welt-
herrſchenden Groͤße, als Mittelpunct des geſammten aͤußeren
und inneren Lebens anerkannt.
Dieſe Perle in der unſcheinbaren Schale, dieſes Princip
aller Cultur und aller wahren Erleuchtung in Zeiten, die man
finſter und barbariſch genannt hat, iſt in unſeren Tagen wie-
der gefunden worden. Der Irrthum des abſoluten Privat-
eigenthums mußte alle Koͤpfe ergreifen, alle Staatstheorien
mußten an der Conſtruction jener Wechſelſclaverey arbeiten,
und die buͤrgerliche Geſellſchaft mußte von ihnen in ein unend-
liches labyrinthiſches Gefaͤngniß umgeformt werden, damit
einigen freyen Seelen die großen verkannten Spuren jener
freyeren Zeiten in unſeren Staaten ſichtbar werden konnten.
Germaniſchen Urſprungs — denn, was den chriſtlichen Glau-
ben in ſeiner Wurzel ergriff, war alles Germaniſch — iſt
dieſes Princip der Freyheit auch nur unter Germaniſchen
Voͤlkern wieder entdeckt worden. Edmund Burke, Friedrich
Schlegel und Friedrich von Hardenberg, haben den Zauber
eines hochmuͤthigen Unverſtandes, der die Idee aller Ideen
verhuͤllt hatte, zuerſt durchbrochen, von ganz verſchiedenen
Seiten her, jeder mit eigenthuͤmlicher Kraft. Der Erſtge-
nannte unter ihnen iſt unbeerbt geſtorben, und da kein Beſſerer
die große Erbſchaft antreten wollte, ſo hat der Verfaſſer
[181] dieſes Buchs von der Staatshaushaltung ſich beſtrebt, in
ſeinem Sinne fortzuleben, ſein Werk zu ergaͤnzen, wo die
Schrancken der Zeit es beengt oder unterbrochen hatten.
Wir wollten das Mittelalter zuruͤck ziehen, wieder her-
ſtellen! ſo wird die Ohnmacht, welche große Argumente kaum
anzuhoͤren, geſchweige zu erwaͤgen und anzugreifen wagt,
noch lange von uns ſagen. Wenn aber neben dem, was uͤber
alles Zeitliche erhaben, von einer gemeinen Vergleichung der
Zeiten die Nede ſeyn kann, ſo achten wir die Gegenwart ge-
rade um ſo viel hoͤher als das Mittelalter, als das Gluͤck
des Wiederfindens das Gluͤck des Findens uͤbertrifft. So viel
als zarte Antwort auf eine rohe Beſchuldigung!
[182]
Fuͤnftes Kapitel.
Vom Maaßſtabe.
Daß ein Reich der Sachen nicht fuͤr ſich und unter der ab-
ſoluten Herrſchaft einer Sache, par excellence, wie des edeln
Metalls, beſtehen koͤnne, daß es eben ſo wenig wieder ein ab-
geſondertes Reich der perſoͤnlichen Kraͤfte gebe, daß vielmehr
ſich Perſonen und Sachen allenthalben mit beyderſeitiger Frey-
heit bedingen, daß ſie wie die zwey entgegen geſetzten Seiten
und Offenbarungen derſelben großen Grundkraft, die aus ihrer
Wechſelwirkung immer maͤchtiger hervorgeht, betrachtet wer-
den muͤſſen, und daß beyde, wenn ſie außer Beziehung auf die-
ſe große Grundkraft des Glaubens oder Credits geſtellt werden,
einander durch wechſelſeitige Verſuche der Unterjochung noth-
wendig zerſtoͤren muͤſſen, — dieß moͤchte nun keines weiteren
Beweiſes beduͤrfen. Auf das Geſellſchaftliche, auf das Credit-
erzeugende in beyden, nicht auf die Materie, welche dieſe pro-
ductiven Kraͤfte traͤgt, kommt es an; alſo nicht auf das was
jedes von beyden abgeſondert iſt, ſondern auf das, was beyde
im Verhaͤltniß zu einander, d. h. in Beziehung auf einen ge-
meinſchaftlichen Mittelpunct ſind, wird geachtet werden muͤſſen.
Geſetzt alſo, es gaͤbe unter den Sachen eine Sache, die gleich-
ſam das Szepter zu fuͤhren ſchiene uͤber die Sachen, wie das
edle Metall: geſetzt es gaͤbe andererſeits unter den perſoͤnlichen
[183] Kraͤften eine hervorragende, herrſchende Kraft, wie die des
Wortes, oder auch nur der Arbeit, nach den Begriffen des
Dr. Smith; ſo wird keine von dieſen herrſchenden Kraͤften,
weder die ſaͤchliche des Metalls noch die perſoͤnliche des Wortes,
oder der Arbeit abgeſondert fuͤr ſich, eben ſo wenig als irgend
eine einzelne perſoͤnliche Kraft ohne die ihr gegenuͤber ſtehende
ſaͤchliche fuͤr ein oͤkonomiſches Princip, oder fuͤr einen Maaß-
ſtab der geſammten Haushaltung, oder gar fuͤr den Mittel-
punct derſelben gelten koͤnnen. Wie jeder Punct an der Ober-
flaͤche der Kugel, dafern man ihn nur in Beziehung und Wech-
ſelwirkung, mit ſeinen Antipoden denkt, fuͤr einen Repraͤſen-
tanten des Mittelpuncts, der zwiſchen beyden liegt, gelten
kann, ſo kann man auch von den beyden Polen der oͤkonomi-
ſchen Sphaͤre, dem Metall und dem Worte ſagen, daß ſie
den Mittelpunct repraͤſentiren: Aber man darf die Functionen
des einen Pols, nie von denen des andern, und ſomit keine der
beyden Hemiſphaͤren, deren jede von einem der beyden Pole
regiert zu werden ſcheint, von der andern trennen.
Jede wahre und lebendige Wechſelwirkung zwiſchen Per-
ſon und Sache, erzeugt in ihrer Mitte den Credit, und beſteht
nur durch die Vermittlung des Credits: eben ſo die Wechſel-
wirkung zwiſchen dem Perſoͤnlichen par excellence (dem
Worte) und dem Saͤchlichen par excellence (dem Metall):
eben ſo wie alle gedenkbaren Puncte an der Oberflaͤche der Ku-
gel paarweiſe auf denſelbigen Mittelpunct deuten, ihn erzeu-
gen, und von ihm erzeugt werden. Dieſer Credit, dieſer Mit-
telpunct der oͤkonomiſchen Sphaͤre iſt alſo das eigentliche, wahre
Geld: alle Perſonen und Sachen an der Oberflaͤche dieſer
[184] Sphaͤre, wenn ſie in gehoͤriger ſphaͤriſcher Beziehung auf ein-
ander, und auf den Mittelpunct gedacht werden, repraͤſentiren
das Geld, und dieſe Geldeigenſchaft in ihnen, dieſes ihr Hin-
neigen zum und ihre Bezuͤglichkeit auf den Mittelpunct, for-
mirt den oͤkonomiſchen Werth.
Alle diejenigen Forderungen, welche der Cre-
dit in dieſem ausgedehnten Sinne des Wortes
erfuͤllet, macht der gemeine Mann an das Geld;
es ſoll ihn mit allen Puncten der oͤkonomiſchen Sphaͤre in eine
leichte und natuͤrliche Beziehung ſetzen, es ſoll ihn ſicher ſtellen,
tragen; es ſoll aber auch alle oͤkonomiſche Functionen unter
einander ins Gleichgewicht ſetzen, ſo daß gute Zeit ſey, im
Gegenſatz der theuren Zeit. — Dieſelben Forderungen, die
nur der das Ganze umfaſſende Credit erfuͤllen kann, macht der
Staatsmann an das Geld. — Mit Ruͤckſicht auf das Prob-
lem, die Aufgabe, den Zweck ſind wir alſo alle einig: aber
daß der eine Pol, das Metall, abgeſondert fuͤr ſich, außer-
halb der oͤkonomiſchen Sphaͤre, außer den Verhaͤltniſſen der
oͤkonomiſchen Richtungen unter einander gedacht, als bloße
Quantitaͤt, als ein Mehr oder Weniger angeſchaut, dieſe Forde-
rungen erfuͤllen koͤnne, das iſt der große Irrthum des gemeinen
Mannes.
Weil es ſich in der Privathaushaltung wohl ereignet, daß
der Metallpol verſaͤumt wird, und man ſich ausſchließend auf
den Wortpol, auf Verſprechung, Schuld und Schuldverſchrei-
bung ſtellt, und nun durch eine gelegentliche Acquiſition des
Metalls die Sache, wie durch eine Wunder, in augenblickliches
Gleichgewicht geſetzt wird, ſo waͤhnt man daß auf das Mehr
[185] oder Weniger des Metalls, und auf das Mehr oder Weniger des
Schuldpapiers alles ankomme. Wenn aber alle Verhaͤltniſſe
der Privathaushaltung unter einander zerruͤttet ſind, wenn
nicht das Perſoͤnliche und das Saͤchliche in dieſer Haushaltung,
das Eigenthum und die Kraft es zu bewirthſchaften, uͤberall
in ſphaͤriſchem (geometriſchem) Gleichgewichte ſtehen, ſo iſt das
Gleichgewicht, welches die Metallmaſſe hervorbringt, nur ſchein-
bar und vergaͤnglich. Werft Millionen in den einen Pol, wenn
nicht alle Puncte der Kugel mit gleichfoͤrmiger Macht reagiren,
d. h. wenn der Mittelpunct nicht Kraft hat, ſie zu tragen, ſo
habt ihr die Zerruͤttung des geſammten Haushalts nur um ſo
viel beſchleunigt, als die Kraft der Oekonomie von der Maſſe
des Metalls uͤbertroffen wird, die ihr aufgebuͤrdet wird.
Alſo Geldzerruͤttung, eine Krankheit, uͤber die zumahl in
unſern Tagen geklagt wird, iſt nie ein Lokaluͤbel, nie auf me-
chaniſchem Wege durch bloßes Abwaͤgen von Quantitaͤten zu
heilen, denn es hat in dem innern, geometriſchen Verhaͤltniſſe
der geſammten Oekonomie ſeinen Sitz.
Der gemeine Mann mit ſeiner beſonderen Haushaltung
verlangt im Gleichgewichte zu bleiben, mit der Geſammthaus-
haltung des Staates, und durch dieſe mit der Welthaushal-
tung, wenn es eine ſolche gaͤbe. Deßhalb verlangt er, da er
nun einmahl in der Haushaltung nichts ſo ſehr achtet, als die
dabey vorkommenden Maſſen und Summen, einen Maaßſtab,
um ſeine Arbeit, ſein Vermoͤgen abzumeſſen, oder das quan-
titative Verhaͤltniß der Summe ſeiner Produktion, zu der
Summe der Geſammtproduktion, oder zu den Summen der
[186] Produktion aller ſeiner Nachbarn beurtheilen zu koͤnnen. Weil
er verlangt, daß ſeine Arbeit immer denſelben oder doch regel-
maͤßig ſteigenden Genuß abwerfe, die Genußmittel aber von
allen ſeinen Mitbuͤrgern, einzeln durch Arbeit herbey geſchafft
werden, ſo ſtrebt er das Verhaͤltniß ſeiner Arbeit zur Arbeit
der uͤbrigen gleich zu erhalten. Er begehrt deßhalb in den Muͤn-
zen, Maaßen und Gewichten, einen ſichern Maaßſtab, der in
dem weitmoͤglichſten Umkreiſe, vor allen Dingen im Staate,
wo moͤglich aber gar uͤberall auf der Erde ein und derſelbe
ſey. Er verlangt noch mehr: dieſer Maaßſtab ſoll in der laͤngſt-
moͤglichen Zeit ein und derſelbe bleiben, ſo daß die Arbeit
ſeines Vorfahrs, vor einem Jahrhundert, in ſolchem Maaß-
ſtabe ausgedruͤckt, noch heute in demſelbigen Verhaͤltniß zu
aller uͤbrigen Arbeit ſtehe, und alſo relativ eben ſo viel Genuß-
mittel gewaͤhre, als damahls. —
Nun gibt es uͤberall auch wirklich ſolchen Maaßſtab, nur
daß jedes oͤkonomiſche Gebiet, wie Nelkenbrechers Taſchenbuch
ausweist, einen verſchiedenen hat, und daß, wenn wir jeden
Einzelnen dieſer Maaßſtaͤbe im Verhaͤltniß deſſen, was damit
gemeſſen worden, durch verſchiedene Zeitraͤume betrachten, die
groͤßten Veraͤnderungen wahrgenommen werden. Wenn wir
uns bloß an die Erfahrung halten, ſo ſcheint es, als wenn
dieſes Verlangen des Menſchen nicht befriedigt werden koͤnne.
Aber unterſuchen wir die Natur dieſer Forderung, eines
dauerhaften und gleichfoͤrmigen Maaßſtabes fuͤr die Abſchaͤtzung
der oͤkonomiſchen Werthe, naͤher. Was ſoll uns ein Maaßſtab
uͤberhaupt leiſten? — Er ſoll uns die Gleichheit zweyer Dinge
beſtimmen helfen, zweyer Laͤngen, zweyer Flaͤchen, zweyer
[187] geometriſcher Koͤrper. Wir nehmen an, daß dieſe Dinge in
allen uͤbrigen Beziehungen gleich ſeyen, und nur in der Groͤße,
in der raͤumlichen Ausdehnung verſchieden ſeyen. Dasjenige
was uns dieſe raͤumliche Verſchiedenheit vergleichen und aus-
gleichen hilft, nennen wir Maaßſtab. Wir koͤnnten ohne Ver-
mittlung eines Maaßſtabes die verſchiedenen Groͤßen an einan-
der ſelbſt meſſen; um aber genau beſtimmen zu koͤnnen,
um wie viel die eine groͤßer als die andere waͤre, muͤßten wir
jedesmahl eine von zweyen als Einheit, als Maaßſtab betrach-
ten, damit wir beſtimmt angeben koͤnnten, um wie viel ſie
von der andern uͤber- oder untertroffen wuͤrde. Jede Groͤße kann
aber wirklich als Maaßſtab der andern gleichartigen betrachtet
werden.
Da es uns aber darum zu thun iſt, nicht bloß zwey, ſondern
alle Groͤßen gleicher Art mit einander zu vergleichen; und da
wir ſie nicht alle an einem Orte und zu einer Zeit verſammeln
koͤnnen, da ferner die Ungleichheit unter den Groͤßen zu groß
iſt, um ohne unſaͤgliche Beſchwerde jedesmahl von Neuem ge-
meſſen werden zu koͤnnen, ſo creiren wir eine beſtimmte Groͤße,
auf die wir bey allen vorkommenden Meſſungen zuruͤckkommen-
und um das ganze Geſchaͤft der Groͤßenvergleichung moͤglichſt
zu erleichtern, ſo waͤhlen wir dazu eine ſolche, die unter den
ſaͤmmtlichen zu meſſenden Groͤßen in einer gewiſſen mittleren
Proportion ſteht, die zwiſchen den betraͤchtlichſten und kleinſten
vorkommenden Groͤßen, das Mittel haͤlt, und fuͤr die im ge-
meinen Leben am haͤufigſten erforderten Meſſungen, die geeig-
netſte iſt. — Der Maaßſtab ſoll mit moͤglichſter Leichtigkeit
vermitteln, [e]r ſoll allen Groͤßen, die er zu vergleichen beſtimmt
[188] iſt, ich moͤchte ſagen, auf halbem Wege entgegen kommen:
er wird alſo den Mittelpunct einer ganzen Sphaͤre von Groͤßen
bilden.
Wie der Menſch nun uͤberhaupt in ſolcher mittleren Pro-
portion zu allen ſeinen Umgebungen ſteht, und gleichſam der
Mittelpunct einer Kugel, einer Wirkungsſphaͤre iſt, welche die
menſchlichen Dinge um ihn her formiren — ſo iſt auch ſeine
koͤrperliche Groͤße und die Laͤnge derjenigen ſeiner Glieder, wel-
che den Raum noch ganz beſonders zu durchmeſſen beſtimmt
ſind, naͤhmlich der Haͤnde und Fuͤße, der natuͤrlichſte, aͤlteſte
und mittelſte Maaßſtab. Hier, wie uͤberall, muͤſſen Globular-
anſchauungen zu Huͤlfe kommen, wenn man die Dinge in ihrem
wahren Verhaͤltniſſe erkennen will.
So kann man annehmen, daß der Menſch ſich fuͤr jede Gat-
tung von Dingen zufoͤrderſt einen Maaßſtab bildet, indem er
z. B. von Thieren, von Fruͤchten einer Art ein gewiſſes mitt-
leres Thier, eine gewiſſe mittlere Frucht dieſer Art bewußtlos
in ſeiner Seele befeſtigt; die Groͤße dieſes mittleren Weſens
iſt der Maaßſtab der ganzen Gattung, wornach er beſtimmt,
ob das einzelne vorkommende Individuum groß oder klein
ſey. Alle dieſe verſchiedenen aus den Gattungen gebildeten
Maaßſtaͤbe erhalten ſich in der Seele des Menſchen nicht et-
wa einzeln und abgeſondert von einander: vielmehr nach
dem großen Geſetze der Kugel, das uns bey allem unſern Den-
ken, Betrachten und Handeln unwillkuͤhrlich leitet, treten die
Maaßſtaͤbe der einzelnen Gattungen wieder unmittelbar in ein
geſellſchaftliches Verhaͤltniß, und formiren einen allermittelſten
Maaßſtab: man wird ihn ſich am deutlichſten unter dem Bilde
[189] der Axe, des Diameters par excellence der Sphaͤre der
geſammten menſchlichen Angelegenheiten denken.
Bey Erfindung des neuen franzoͤſiſchen Maaßſtabes hat
man den Durchmeſſer der Erde, oder einen aliquoten Theil
desſelben zum Grunde gelegt, und die geſammten Maaß-
ſtabe der einzelnen Laͤnder, welche durch Tradition und uner-
funden auf uns herab gekommen ſind, ſind nichts anders als
Durchmeſſer der Sphaͤren, welche die geſammten menſchli-
chen Angelegenheiten jedes respectiven Lokals mit einander
bilden, oder aliquote Theile dieſer Durchmeſſer. Da nun
aber die koͤrperliche Groͤße des Menſchen und das Maaß
ſeiner koͤrperlichen Kraͤfte, ſchon von Natur in der Mitte
aller Groͤßen und Maaße ſteht, und es durch ſie beſtimmt
wird, mit welchen Groͤßen und mit welchen Kleinheiten ſich
der Menſch uͤberhaupt befaſſen kann, ſo folgt daraus, daß
dieſe koͤrperliche Groͤße allenthalben in einem ſehr beſtimm-
ten Verhaͤltniß zu dem Durchmeſſer jener Sphaͤre, die ſich
auf die oben beſchriebene Weiſe aus allen einzelnen menſch-
lichen Maaßſtaͤben bildet, ſtehen muͤſſe, und daß alle gedenk-
baren Maaßſtaͤbe zu den einfachen, von den menſchlichen
Gliedern hergenommenen Maaßſtaͤben wieder zuruͤckſtreben
muͤſſen.
Dieſes iſt die Geſchichte des Laͤngenmaaßſtabes; wer ſich
von den abſtrakten und vorgeblich mathematiſchen Vorſtel-
lungen des Maaßſtabes, nicht zu dieſer lebendigen und
ſphaͤriſchen Anſchauung desſelben erheben kann, der wird
das Weſen der ſtaatswirthſchaftlichen Maaßſtaͤbe nie ergruͤn-
den lernen.
[190]
Aus allen einzelnen Menſchen, wie oben aus den Indi-
viduen jeder beſonderen Gattung formirt ſich ein mittlerer
Menſch, und die Glieder dieſes mittleren Menſchen ſind die
vollkommenen Maaßſtaͤbe: alle andern Maaßſtaͤbe ſind nur
Repraͤſentanten, Subſtituten, Andeutungen dieſer mittelſten
Maaßſtaͤbe; alle andern ſind veraͤnderlich, dieſe ſind die moͤg-
lichſt feſten, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende
nach ihrer Feſtigkeit ſtreben koͤnnen. Dieſer mittlere Menſch,
von dem die feſten Maaßſtaͤbe kommen, iſt, wie ſchon in der
Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegenſtand des un-
endlichen Strebens aller einzelnen Menſchen; alle wollen ſich
zu ſeiner Fuͤlle und Vollſtaͤndigkeit erheben. Es iſt der Staat
ſelbſt.
Alſo gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf,
irgend einen Maaßſtab auf dem abſtrakten und vorgeblich
mathemathiſchen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen
des Lebens, mit den ſtarren Linien des abgetoͤdteten Ver-
ſtandes meſſen zu wollen.
Wie der Maaßſtab einer beſtimmten Gattung eigentlich
nichts anderes iſt, als die Axe, um die ſich die ganze Gat-
tung dreht, ſo muͤſſen auch uͤberhaupt die Begriffe des Men-
ſchen von den einzelnen Gattungen, als ſolche Axen gedacht
werden. Der Begriff Pferd iſt nicht etwa ein Convolut von
Eigenſchaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen
werden; vielmehr iſt er unzertrennlich von der ganzen Gat-
tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr;
er waͤchſt, er beſtimmt ſich ſchaͤrfer mit jeder neuen hinzu-
tretenden Anomalie. —
[191]
So iſt jedes Wort nicht etwa eine bloße Schale, ein
bloßer Umſchlag, eine bloße Etikette einer Gattung von
Worten, ſondern die Axe einer ganzen Welt von Worten
oder Begriffen. Eben ſo jedes Geſetz die Axe einer ganzen
Welt von untergeordneten Geſetzen und Faͤllen, und nicht etwa
eine duͤrre Abſtraktion von denſelbigen.
Maaßſtab, Begriff, Wort, Geſetz — kurz, jede Ein-
heit, unter der ſich eine Welt von Mannigfaltigkeiten ordnet,
iſt nie und an keiner Stelle abgeſondert fuͤr ſich gegeben,
ſondern ſie lebt, webt und waͤchſt, und beſtimmt ſich innerhalb
dieſer Mannigfaltigkeiten und unzertrennlich von ihnen. Die
Einheit kann nur anordnen, in wie fern ſie von den ihr
untergebenen Mannigfaltigkeiten unaufhoͤrlich ſelbſt wieder
angeordnet und berichtigt wird: daher die Schwierigkeit, ja
Unmoͤglichkeit irgend einen lokalen Maaßſtab, irgend ein
lokales Geſetz direct auf ein anderes Lokal zu uͤbertragen. —
Aber wie mit der Axe einer beſtimmten Kugel zugleich dieſe
beſtimmte Kugel ſelbſt, und das eigenthuͤmliche Geſetz ihrer
Bewegung gegeben worden, ſo empfangen wir mit jedem
Geſetz und jedem Maaßſtabe zugleich die ganze Sphaͤre,
in der ſie ſich gebildet. Der Maaßſtab mißt nur die
Sphaͤre von Groͤßen, das Geſetz richtet nur die Sphaͤre
von Faͤllen, aus der ſie hervorgegangen: in Beziehung auf
anderweiten Groͤßen und anderweite Faͤlle ſind ſie nicht
Maaßſtaͤbe, nicht Geſetze, ſo wenig die beſtimmte Axe
einer Kugel in Beziehung auf eine andere Kugel noch eine
Axe zu heißen verdient, ſo gewiß ſie in dieſer veraͤnderten
[192] Beziehung nichts anderes iſt, als eine unbeſtimmte abſtrakte
Linie.
Vor allen Dingen muß man alſo an einen allgemeinen
oͤkonomiſchen Standard keine groͤßeren Anſpruͤche machen,
als jeder Maaßſtab uͤberhaupt gewaͤhren kann. Der Maaßſtab
einer einzelnen Gattung oͤkonomiſcher Objecte, zum Beyſpiel:
der edeln Metalle oder die Axe dieſer beſonderen Sphaͤre,
kann unmoͤglich, wenn wir ihn in die groͤßere Sphaͤre der
Nationaloͤkonomie uͤbertragen, noch weiter fuͤr einen Maaß-
ſtab, oder fuͤr eine Axe gelten: ſein repraͤſentativer Cha-
rakter verſchwindet durch dieſe Uebertragung; in dieſer groͤ-
ßeren Sphaͤre kann der bisherige Maaßſtab fuͤr nichts mehr,
als eine duͤrre abſtrakte Linie gelten. Mit anderen Worten:
keine einzelne oͤkonomiſche Sphaͤre kann den Maaßſtab her-
geben, fuͤr die große Geſammtſphaͤre der Nationaloͤkonomie,
die aus dem Zuſammenwirken der einzelnen Sphaͤren gebil-
det wird.
Gold, Silber, uͤberhaupt kein einzelnes oͤkonomiſches Ob-
ject kann Standard fuͤr das geſammte oͤkonomiſche Gemein-
weſen werden. Der Standard einer beſtimmten National-
haushaltung kann weder abgeſondert von dieſer Haushaltung,
noch durch etwas Einzelnes in dieſer Haushaltung ausgedruͤckt
werden, denn er iſt die Axe der Haushaltung ſelbſt und
nichts Geringeres. Eine Sache kann nicht Maaßſtab einer
Haushaltung ſeyn, da dieſe ins Unendliche aus Perſoͤnlichkeit
und Saͤchlichkeit zuſammengeſetzt iſt, und wie das Geſammt-
reſultat dieſer Haushaltung (die eigentliche Realitaͤt in ihr),
etwas Idealiſches iſt, naͤhmlich der Credit, ſo wird es nach
[193] weiterer Erwaͤgung dieſes Gegenſtandes, auch wahrſcheinlich
darauf hinaus kommen, daß der Maaßſtab jeder beſtimmten
Nationaloͤkonomie etwas Idealiſches ſeyn muͤſſe; daß alſo
vielleicht das idealiſche (nicht imaginaͤre, nicht aus irgend
einer augenblicklichen Willkuͤhr, ſondern aus der recht realen
Freyheit Großbrittaniens hervor gegangene) Pfund Sterling
ein viel feſterer Maaßſtab ſey, als der Maaßſtab eines edeln
Metalles, den man der Haushaltung jenes Landes neuer-
lich fuͤr einen Standard hat aufdringen wollen.
In der Forderung, die an den Maaßſtab gemacht wird,
ſtimmt der gemeine Mann mit uns uͤberein, dieſe Forde-
rung aber kann nur durch etwas Idealiſches, Bewegliches,
Wachſendes befriedigt werden, weil die große Geſammtſphaͤre,
in welcher der Maaßſtab meſſen, in die er Einheit, Ord-
nung, Ruhe, Feſtigkeit bringen ſoll, ſelbſt ſich bewegt,
waͤchſt, und nur in der Idee aufzufaſſen iſt. —
Die Feſtigkeit, die Ruhe des Maaßſtabes kann nur eine
relative Feſtigkeit ſeyn; ſo bald wir uns erinnern, daß die
geſammte Nationaloͤkonomie ſich bewegt und fortſchreitet,
ſo bald kann auch der Maaßſtab nicht mehr ſtill ſtehen. Kurz
er iſt feſt wie die Axe der Erde feſt ſteht, ſo lange wir die
Erde nur um ſich ſelbſt laufend denken, er iſt beweglich,
ſo bald wir uns dieſe Kugel um einen hoͤheren Weltkoͤrper
laufend denken.
Da aber jede beſtimmte Haushaltung abhaͤngt von einer
hoͤheren Haushaltung, und ſich um dieſelbe bewegt, wie
die Erde um die Sonne, ſo iſt die Axe dieſer beſtimmten
Haushaltung beydes: feſt und beweglich, feſt mit Beziehung
Theoret. Theil N
[194] auf ſich ſelbſt, beweglich mit Beziehung auf die hoͤhere Bahn,
welche dieſe einzelne Haushaltung durchlaͤuft.
Waͤre zum Beyſpiel das Pfund Sterling der Standard
oder die Axe der brittiſchen Nationaloͤkonomie, ſo wuͤrde
dieſer Standard mit Bezug auf das Innere von England
feſt, mit Bezug auf die Welthaushaltung oder auf die aus-
waͤrtigen Verhaͤltniſſe beweglich ſeyn. Man wuͤrde das We-
ſen eines Maaßſtabes uͤberhaupt nicht verſtanden haben,
wenn man verlangte, daß er in beyden Beziehungen feſt,
das heißt: abſolut feſt ſeyn ſollte.
Da aber die Welthaushaltung an unzaͤhligen Stellen in
die Nationalhaushaltung eingreift, ſo wird man erwiedern,
daß ein Maaßſtab der bloßen Nationalhaushaltung an und
fuͤr ſich nichts werth ſey, und daß wir mit unſerem idealiſchen
Pfunde Sterling nicht weit reichen.
Wohlan alſo! auch die Welthaushaltung im Ganzen
und Großen hat ihre eigene Axe, ihren eigenen Standard,
der durch den Goldpreis und durch den Wechſelcours ange-
deutet wird. Dieſer Weltſtandard und jener National-
ſtandard muͤſſen und werden in ewiger lebendiger Wechſel-
wirkung bleiben. Der große Kaufmann, der große Staats-
mann wird in dieſer Wechſelwirkung einen hoͤheren, beyde
umfaſſenden Maaßſtab empfinden, ſein oͤkonomiſches Verlan-
gen darnach richten und dennoch eingeſtehen, daß es nur eine
Idee, aber eine hoͤchſt reale Idee ſey.
[195]
Sechstes Kapitel.
Von der Muͤnze.
Durch eine unendliche Vermittelung aller einzelnen Laͤngen
unter einander, oder dadurch, daß alle dieſe Laͤngen in eine
Kugel zuſammen getreten waren, hat ſich eine mittlere Laͤnge
unter ihnen feſt geſetzt, und dieſe mittlere Laͤnge nennen wir
Laͤngenmaaßſtab. Wir fixiren und legaliſtren dieſen Maaßſtab:
wir erklaͤren, daß ein beſtimmter handgreiflicher Stab von
Holz oder Meſſing uͤbereinſtimme mit dem idealiſchen Maaße,
welches ſich, zugleich mit dem Geſetze, aus dem langjaͤhrigen
Conflicte der menſchlichen Angelegenheiten als das Mittelſte
ergeben habe.
Es iſt durchaus nothwendig, daß man nie vergeſſe, wie
der Stab durch die Anerkennung von Seiten des Geſetzes, ich
moͤchte ſagen, durch ſeine Vermaͤhlung mit dem Geſetze erſt
zum Maaßſtabe werde; durch dieſe Anerkennung des National-
geſetzes erhaͤlt er erſt den Charakter der Allgemeinheit, und
wird erſt die Hauptforderung erfuͤllt, welche jedermann an
einen Maaßſtab macht.
Es iſt keinem Zweifel unterworfen, daß man mit jedem
Stabe meſſen, mit jedem Steine waͤgen, mit jedem Gold-
barren andere Sachen — abwaͤgen und abmeſſen zugleich,
oder wie wir uns ausdruͤcken, bezahlen kann: da uns aber
N 2
[196] vor allen Dingen daran liegt, die Laͤnge, welche gemeſſen
werden ſoll, die Laſt, welche gewogen, und die Sache,
welche bezahlt werden ſoll, in ihren Verhaͤltniſſen zu allen
Laͤngen, Laſten und Waaren, welche in der Sphaͤre der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft vorkommen, und deren Gleichgewicht
unter einander uns noch vielmehr intereſſirt, als der einzelne
gerade vorliegende Handel, kennen zu lernen, ſo muß unſer
Maaß, unſer Gewicht, unſer Geldſtandard aus dem allge-
meinen Conflict der oͤkonomiſchen Intereſſen hervor gegangen
ſeyn, das heißt: die buͤrgerliche Geſellſchaft, der Staat,
das Geſetz muß ihn beſtaͤtigt, legaliſirt, benannt, durch das
Wort fixirt haben.
Wir glauben hinreichend bewieſen zu haben, daß keine
Sache abſolut fuͤr ſich irgend eine oͤkonomiſche Function ver-
richten koͤnne, daß vielmehr erſt eine Perſon hinzutreten, in
eine Wechſelverbindung mit der Sache eingehen, ihr eine ge-
wiſſe perſoͤnliche Eigenſchaft mittheilen muͤſſe, um ſie zu
einem Gliede der Haushaltung, zu einem wirklichen Organ
derſelben zu erheben; die edeln Metalle, die in Spanien bloße
Sachen blieben, wurden durch die lebendige Verbindung mit
der Perſoͤnlichkeit, in England und Holland ſelbſt perſoͤnlich
und demnach faͤhig, eine der wichtigſten oͤkonomiſchen Func-
tionen, naͤhmlich, die des materiellen Geldes zu verrichten.
Es muß den Sachen ein gewiſſer Geiſt des Lebens, der Liebe
mitgetheilt werden, kraft deſſen um ſie wirklich geworben
wird, und dieſes hoͤhere perſoͤnliche Verhaͤltniß artet nur erſt
ſpaͤter in das mechaniſche Gewerbe, in den gefuͤhlloſen
Erwerb aus. —
[197]
Um wie viel mehr muß dieſes allgemeine Geſetz der Oeko-
nomie von denen Sachen par excellence gelten, die wie
Maaße, Muͤnzen und Gewichte, ganze Sphaͤren von Saͤch-
lichkeiten repraͤſentiren. Die Perſon aller Perſonen, naͤhmlich,
oder der Staat ſelbſt iſt es, der dieſe verſchiedenen Maaß-
ſtaͤbe, wenn er ſie auch koͤrperlich fertig und vollendet, ſchon
aus der Hand der Natur empfangen haͤtte, erſt beleben muß,
damit ſie allgegenwaͤrtig und ordnend dem oͤkonomiſchen
Geſammtweſen dienen, damit ſie Axen desſelben werden
koͤnnen.
Hiernach wird es uns leicht werden, das Weſen der Muͤnze
in gehoͤriges Licht zu ſetzen. Wir haben ſchon oben bemerkt,
daß die bloße Stempelung des Metallſtuͤcks mit Anzeige ſei-
nes Gewichts und ſeiner Feinheit noch keine Muͤnze gebe:
auch unter dieſer Stempelung bleibt das Metall etwas Her-
renloſes, Vaterlandsloſes, Geſchlechtsloſes, Unorganiſches.
Erſt durch die beſtimmte Geldbenennung, durch die Lokali-
ſirung, kurz, durch eine Art von Vermaͤhlung mit irgend
einem Nationalgeſetz wird es zur Muͤnze.
Dieß iſt der ſo natuͤrliche und von den meiſten ſtaatswirth-
ſchaftlichen Schriftſtellern uͤberſehene Umſtand, deſſen Ver-
ſaͤumniß bey der neuerlichen Eroͤrterung der großen Frage
von der Depreciation der Engliſchen Banknoten unzaͤhlige
Mißverſtaͤndniſſe veranlaßt hat. Wenn naͤhmlich ungemuͤnztes
Gold 20 bis 30 pr. Ct. theurer war als das zu Guineen
vermuͤnzte, freylich in ſehr geringen Quantitaͤten vorhandene
Gold; Guineen, ferner, und Banknoten fuͤr gleichgeltend
[198] betrachtet wurden; in Banknoten aber fuͤr ungemuͤnztes Gold
20 bis 30 pr. Ct. mehr bezahlt wurde, als fuͤr in Guineen
vermuͤnztes, welche auszufuͤhren verbothen war, waͤhrend
uͤberall im freyen Welthandel gemuͤnztes Gold theurer iſt als
ungemuͤnztes — ſo glauben diejenigen, welche die Deprecia-
tion der Banknoten behaupten, aus dem einfachen Satz:
daß Gold allenthalben gleich ſey dem Golde, folgern zu koͤn-
nen, daß die Guineen keinesweges, wohl aber die Banknoten
depreciirt ſeyen, daß uͤberhaupt Gold, ſowohl gemuͤnztes als
ungemuͤnztes ſeinen Werth behauptet habe, und, daß nur
Banknoten geſunken waͤren. Durch Erfahrung laͤßt ſich die
Sache ſchwer ausmachen, weil die Guineen de Facto faſt
verſchwunden ſind: aber das Brittiſche Geſetz kennt keine
Ausfuhr, kein Einſchmelzen der Guineen, de jure alſo ſind
ſie noch vorhanden; es kennt ferner kein Agio der Guineen,
de jure iſt alſo eine Guinee noch immer gleich 21 Schilling
in Banknoten.
Das Brittiſche Geſetz alſo trotz den Veraͤchtern der Bank-
noten behauptet, daß Gold nicht immer gleich ſey dem Golde,
und aus unſerer Darſtellung folgt ganz dasſelbe. Wer in der
gemuͤnzten Guinee nichts anderes ſieht, als den dermahligen
Waarenpreis des darin enthaltenen Metalls, der hat uͤber-
haupt das Weſen des Geldes noch nicht verſtanden, auch des
Staates nicht, der ſich nur durch eine beſondere Bewegung
in der allgemeinen Bewegung, nur durch ein beſonderes Geſetz
in dem allgemeinen Geſetze conſtituirt und erhaͤlt.
Die Geldanlage des edeln Metalls tritt in jedem beſon-
deren Staat auch in ein beſonderes und eigenthuͤmliches
[199] Verhaͤltniß zu der politiſchen Perſoͤnlichkeit, zu dem National-
geſetze, das ſie dort vorfindet, es entſteht in jedem beſonderen
Staat eine beſondere Befreundung, eine beſondere Ehe des
Metalls und des Nationalcredites. Dieſe Ehe kann ihrer Na-
tur nach keine wilde, ſondern ſie muß eine geſetzliche ſeyn:
ſie muß zum Bewußtſeyn aller derer kommen, die den Staat
bilden, und die mit ihm oder mit dem Gelde verkehren ſol-
len, welches ſich aus der Vermaͤhlung erzeugen ſoll, das
heißt: ſie muß legaliſirt werden, durch Geſetz, durch den
Stempel beſtaͤtigt.
Das eigentliche Weſen des Geldes iſt, wie ſchon oben er-
wieſen, unendliche Vermittelung zwiſchen den Perſonen und
Sachen: wo alſo Perſonen und Sachen verbunden ſind, wo
alſo eine buͤrgerliche Geſellſchaft iſt, da wird es Geld geben.
Da aber in den Anfaͤngen der buͤrgerlichen Geſellſchaft bald
die eine, bald die andere gerade begehrte Sache die Functio-
nen des Geldes verrichtet; da die Vermittelung zwiſchen den
Perſonen und Sachen zwar nach demſelben Geſetze von Stat-
ten geht, wie in den Zeiten der ſpaͤteſten Entwickelung der
Geſellſchaft, aber ein handgreiflicher Vermittler noch nicht
vorhanden iſt, ſo waͤhnt die bisherige gemeine Nationaloͤko-
nomie, als ſey uͤberhaupt noch kein Geld vorhanden.
Das urſpruͤngliche in den erſten Anfaͤngen der Geſell-
ſchaft, wie in der hoͤchſten Entwickelung derſelben vorkom-
mende Geld iſt die Idee der Aequivalenz. Zwey Sachen wer-
den gegen einander ausgetauſcht, weil ſie beyde einem Drit-
ten gleich ſind, weil ſie vor dem Richterſtuhl dieſes Dritten,
vor dem Geſammtbeduͤrfniß der menſchlichen Natur gleich
[200] ſind. Ob dieſes Dritte eine bloße Sache des Gefuͤhls iſt,
oder ob es durch eine koͤrperliche Sache repraͤſentirt wird,
die in einer unendlichen Beziehung auf alle anderen Sachen
ſteht — immer wird in letzter Inſtanz das Geſammtbeduͤrf-
niß des Menſchen ſelbſt den Tauſch oder den Handel vollzie-
hen. Daß es fuͤr die Geſammterhaltung des einzelnen Men-
ſchen, und alſo auch der Geſellſchaft, von der wieder die
Erhaltung des Einzelnen an allen Stellen abhaͤngig iſt, gleich
ſey, ob die beyden Sachen ihre Plaͤtze vertauſchten, daß ſie
alſo aus dieſer uͤberwiegenden Ruͤckſicht Aequivalente ſeyen,
wird die Bedingung alles Umſatzes ſeyn.
Es iſt alſo unmittelbar ein idealiſches Geld im Umlauf,
ein Wortgeld, wie wir es fruͤher genannt haben: der Glaube
an das Gemeinweſen, der Glaube, daß dieſes Gemeinweſen
unaufhoͤrlich fuͤr das Geſammtbeduͤrfniß ſorgen werde, macht
es moͤglich, daß eine Sache von einer Perſon auf die andere
uͤbertragen werden koͤnne, und, daß ſich beyde Perſonen uͤber
die Aequivalenz des gegebenen und des empfangenen vereini-
gen koͤnnen. Mit andern Worten: Werthe koͤnnen nur gegen
einander vertauſcht werden, in wie fern es einen Maaßſtab
des Werthes gibt.
Wenn jeder der beyden Tauſchenden nur in Anſchlag
braͤchte, was die Sache, die er veraͤußern will, fuͤr ihn in-
dividuell werth ſey, ſo wuͤrde der Tauſch nie zu Stande kom-
men: aber beyderley Sachen haben einen geſellſchaftlichen
Werth, ſie werden vom ganzen Gemeinweſen begehrt; aus
dem Standpunct des Gemeinweſens koͤnnen ſie verglichen,
und kann ihre Aequivalenz ausgemacht werden. Das Geſammt-
[201] beduͤrfniß alſo iſt der Maaßſtab bey allem Verkehr, man
moͤge nun mit dem bloßen Glauben daran oder mit Wort-
gelde, oder man moͤge mit Sachen bezahlen, die, weil ſie
von ſehr vielen begehrt werden, wie Vieh, Salz, Naͤgel u.
ſ. f. dem Geſammtbeduͤrfniß ſelbſt ſehr aͤhnlich ſehen, ihm
ſehr nahe kommen, und es daher ſehr taͤuſchend repraͤſen-
tiren.
Ich habe ſchon fruͤher erwieſen, daß man ſich das Geld
immer einſeitig und unvollkommen denkt, wenn man etwas
Geringeres darunter verſteht, als das Beduͤrfniß der Geſell-
ſchaft ſelbſt, oder die Gegenwart des Staats bey allen ein-
zelnen Geſchaͤften des buͤrgerlichen Lebens; nun aber haͤtte ich
noch zu zeigen, daß die beyden fruͤher erwaͤhnten Grundfor-
men des Geldes, das Wortgeld und das Sachgeld (welches
letztere weiter ausgebildet zum Metallgelde wird) auch in
dieſem fruͤheſten Zuſtande der Geſellſchaft ihrem Weſen nach
vorkommen muͤſſen. Denn da nach meiner Anſicht der Dinge,
das Geld nur unter der Wechſelwirkung dieſer beyden Grund-
formen exiſtirt und erſcheint, ſo muß ich das Vorhandenſeyn
dieſer beyden Formen von Anfang der Dinge her beweiſen,
wenn ich die Unerfundenheit und Ewigkeit des Geldes dar-
thun will.
In jenen Zeiten wo es nach der Vorausſetzung der bis-
herigen ſtaatswirthſchaftlichen Theorien nur Tauſch, aber
noch keinen Handel gegeben hat, ſind viele Tauſchumſaͤtze,
heißt es, aus Mangel des Geldes, und wegen der Ungleich-
heit der gegen einander umzuſetzenden Objecte, wegen der
Unmoͤglichkeit ſich aus einander zu ſetzen, unterblieben. Ich
[202] behaupte, daß, ehe es Geld gegeben, der Tauſch in den
meiſten Faͤllen nicht hat vor ſich gehen koͤnnen: in den meiſten
Faͤllen wird man Sachen begehrt haben; 1) ohne gerade ein
entbehrliches Object dagegen anbiethen zu koͤnnen, oder we-
nigſtens, 2) ohne ein gleichgeltendes Object dafuͤr hergeben
zu koͤnnen.
Ehe ich indeß hieraus folgere, daß die Umſaͤtze der Sachen
gar nicht erfolgt ſeyen, oder mit anderen Worten, daß
in jenen Zeiten, wo die perſoͤnliche und wechſelſeitige
Huͤlfe der Menſchen einen beſonders hohen Werth hatte, ein
Beduͤrfniß nicht habe befriedigt werden koͤnnen, weil man
nicht gerade eine gleichgeltende Sache dagegen anzubiethen
gehabt habe; kurz, ehe ich annehme, daß das hoͤchſt unna-
tuͤrliche abſolute Privateigenthum, dieſes ſich ſelbſt zerſtoͤ-
rende Raffinement ganz verderbter und abgelebter Voͤlker,
aͤlter ſey, als das hoͤchſt natuͤrliche Geld, lieber entſchließe
ich mich doch zu der hoͤchſt natuͤrlichen Vorausſetzung, daß
in allen den Faͤllen, wo gar kein oder doch kein genuͤgendes
ſaͤchliches Aequivalent vorhanden geweſen, mit der perſoͤn-
lichen Kraft des Wortes und des Glaubens, oder doch der
Arbeit, des huͤlfreichenden Beyſtandes ſelbſt bezahlt wor-
den ſey.
Es ſind nicht die Sachen an ſich, ſondern nur die geſell-
ſchaftlichen Eigenſchaften, die geſellſchaftlichen Werthe der
Sachen, welche ich begehre und weggebe, einkaufe und ver-
kaufe: dieß haben wir ſchon fruͤher bemerkt; der perſoͤnliche
Beyſtand der Menſchen aber hat, je weniger ſolche Sachen
exiſtiren, einen um ſo hoͤheren Werth. Die perſoͤnliche Huͤlfe
[203] des Nachbars kann in jedes moͤgliche Beduͤrfniß umgeſetzt wer-
den, woran dem Menſchen in der Kindheit der Geſellſchaft
viel mehr liegen muß, als an dem Beſitz oder dem Einhan-
deln der Sache, die nur ein einzelnes Beduͤrfniß befriedigt.
Da man alſo eben ſo ſicher gereitzt iſt als gezwungen, in
dieſem fruͤheſten Verkehr neben den Sachen auch den per-
ſoͤnlichen Beyſtand, oder das Verſprechen desſelben, an Zah-
lungsſtatt anzunehmen, und da man den Beyſtand der gan-
zen Geſellſchaft noch unmittelbarer braucht, ſo ſind eigentlich
nicht nur beyde Geldformen, das Wortgeld und das Sach-
geld von Anfang an vorhanden, ſondern ſie ſind in einem
viel gerechteren Gleichgewichte vorhanden, als jetzt, wo in
dem Ueberfluß der Sachen ſich die Perſoͤnlichkeit des Menſchen
ganz verſteckt, und vor ihm verſchwindet; und weil man das
Gut aller Guͤter, naͤhmlich die Geſellſchaft ſelbſt und ihren
allgegenwaͤrtigen Werth noch viel naͤher vor Augen hat, ſo
iſt das Gleichgewicht zwiſchen nuͤtzlichen Perſonen und nuͤtz-
lichen Sachen, oder zwiſchen Wortgeld und Sachgeld noch
viel lebendiger, es wird von der hoͤheren eigentlichen Geld-
macht noch vielmehr in Ordnung erhalten, das Geld ſelbſt
alſo iſt in einem viel vollkommneren Zuſtande vorhanden, als
da, wo es, wie jetzt, ſich ſchon ganz in die bloßen Sachen
eingewickelt hat.
In Summa: das Geld an ſich, die verkaͤuflichſte Sache
an ſich hat keinen Werth, und iſt abſolut nichts, ohne den
Verkehr zwiſchen Perſonen und Sachen, wie wir oben in der
naͤheren Betrachtung des Marktes geſehen haben; aber es
[204] gibt auch umgekehrt keinen Verkehr zwiſchen den Perſonen
und Sachen, ohne dieſes dritte hoͤhere Vermittelnde, ohne
Geld; das heißt: es gibt keinen Tauſch der nicht zugleich
Handel waͤre. Wenn wir alſo drey Stadien der Entwickelung
der Nationaloͤkonomie annehmen, und uns bey ihrer Be-
zeichnung des hergebrachten Sprachgebrauchs bedienen, in-
dem wir das erſte Stadium als die Periode des Tauſches,
das zweyte als die des Handels, und das dritte als die des
Credits*) betrachten, ſo iſt das Geld, ſeinem vollen Weſen
nach, in allen dreyen vorhanden, nur im erſten ſind die bey-
den Geldformen noch Sachen und Perſonen ſelbſt, im zwey-
ten ſind es gemuͤnzte Metalle und Dienſte (wie denn die ge-
ſammten feudaliſtiſchen Dienſte des Mittelalters neben den
Metallen wirklich die Geldfunctionen verrichten), und im drit-
ten ſind es Metallgeld und Papiergeld.
In dieſem ganzen Entwickelungsprozeß beſteht die Vervoll-
kommnung der Geldformen nur darin, daß ſie immer mehr
zum Bewußtſeyn des Menſchen gelangen, daß ihr Weſen
immer deutlicher ausgeſprochen wird. Fuͤr denjenigen, der
dieſen wahren und einzigen Fortſchritt des Geldweſens nicht
anerkennt, oder wohl gar das beſtimmte Heraustreten und
ſich Aufdringen der Einen Geldform, naͤhmlich des Wort-
[205] geldes, des Papiergeldes fuͤr ein reines Uebel haͤlt, iſt das
Geldweſen aufs beſtimmteſte zuruͤck geſchritten: er verſteht
unendlich weniger vom Weſen des Geldes, als jene vermeint-
lichen ungluͤcklichen Barbaren in der Tauſchperiode, die vor
aller Geſchichte, vor allem Staate, vor allem Gelde vorher
gegangen ſeyn ſoll. Eine Zeit, wo die Sachen und das Sach-
geld allein gelten ſollen, iſt ſo oͤde und geldleer, als ein
Markt, auf dem es nur Verkaͤufer und Waaren gibt.
Wir hoͤren heutiges Tages an allen Ecken, daß das Me-
tallgeld Waare und Maaßſtab zugleich iſt, und man zerbricht
ſich den Kopf, wie eine Waare von ſo geringem Gebrauch in
der Haushaltung und in der Manufactur, ſich zu einem
Gegenſtande des aller allgemeinſten Begehrens erheben koͤnne;
man fuͤhrt als Erklaͤrungsgruͤnde die Theilbarkeit, Selten-
heit, Transportabilitaͤt, Dauerhaftigkeit, Beweglichkeit,
Gleichfoͤrmigkeit, und hundert andere Eigenſchaften der edeln
Metalle an, durch welche ſie ſich zu einem Maaßſtabe der
uͤbrigen Sachen, das heißt: zu einem Weſen, welches mehr
als Waare iſt, eignen ſollen. Wenn man doch erwaͤgen moͤchte,
daß die buͤrgerliche Geſellſchaft ſelbſt alle dieſe Eigenſchaften
in einem viel hoͤheren Grade ſchon vor allem Metallgelde be-
ſitzt, daß das Metall alſo in allen dieſen Ruͤckſichten nur den
Staat ſelbſt repraͤſentirt, und daß der Staat nun noch uͤber
alles dieß dieſelben Functionen auf den geiſtigen Gebieten der
menſchlichen Wirkſamkeit ausuͤbt, wohin das Metall, trotz
aller ſeiner Vollkommenheit ewig nicht reichen wird, daß
aber dieſe geiſtigen Gebiete unmittelbar und mittelbar
[206] allenthalben in die des koͤrperlichen Lebens eingreifen; geiſtige,
idealiſche, oder, wie man ſich ſehr unrichtig auszudruͤcken
pflegt, imaginaͤre Beduͤrfniſſe an allen Stellen die koͤrperlichen
Beduͤrfniſſe und ſomit das ganze geſellſchaftliche Leben hoͤchſt
weſentlich modificiren, — ſo wuͤrde man empfinden, daß der
Staat ſelbſt (oder ſeine Axe, mit der die ganze Kugel des
Staates) gegeben iſt, ein viel reinerer Maaßſtab aller Werthe
im Staate iſt, und daß das Metall nur Maaßſtab iſt, weil
es die Geberden und Functionen des Staates in gewiſſem Grade
nachzumachen im Stande iſt.
Die Europaͤiſchen Staaten haben dem Metalle dieſe Kuͤnſte
gelehrt, weil es eine gewiſſe Faͤhigkeit dazu, eine gewiſſe Ge-
lehrigkeit hatte; ſie haben es dazu abgerichtet; ſie haben ihre
Hand damit erweitert, in dem Sinne, in welchem ich das
Werkzeug des Kuͤnſtlers ſeine erweiterte Hand nannte.
Dieſer Gebrauch nun ſeit undenklichen Zeiten, der aller-
dings mit der Natur und dem Berufe der edeln Metalle ſehr
wohl uͤbereinſtimmte, die Menge der Beruͤhrungen, in welche
die Metalle mit der buͤrgerlichen Geſellſchaft gekommen ſind,
und deren ſich keine andere Sache hat erfreuen koͤnnen, hat
ihnen die Macht gegeben, auf die buͤrgerliche Geſellſchaft ge-
waltig zu reagiren: und wie muß eine einzelne Generation,
zumahl wenn ſie die moraliſche Macht der voran gegangenen
Geſchlechter nicht eben gegenwaͤrtig erhalten, wie ſie konnte;
wenn ſie die große geiſtige Erbſchaft der Vorfahren nicht
ungetreten hat, ergriffen werden von einer Sache, welche
durch den Verkehr aller dieſer fruͤheren Geſchlechter gewiſſer-
maßen geheiligt worden? Es iſt natuͤrlich, daß ſie von den
[207] Metallen abhaͤngig geworden, und daß ſie ſelbige fuͤr das
eigentliche Geld gehalten hat, nachdem ſie das Weſen der
Geſellſchaft ſelbſt, d. h. die Geldeigenſchaft, welche alle Per-
ſonen und Sachen durch das politiſche Zuſammenwirken ge-
winnen, vergeſſen hatte; ein handgreiflicher Repraͤſentant des
Verkehrs aller fruͤheren Generationen mußte in dem augen-
blicklichen Verkehr eines einzelnen Geſchlechtes, das der ge-
ſellſchaftlichen Majeſtaͤt, von der das Gold nur einen Ab-
glanz an ſich trug, ſich nicht mehr bewußt war, noth-
wendig eine große Rolle ſpielen: je mehr man den hoͤheren
politiſchen Maaßſtab des Rechts und der Geſetze verloren hatte,
um ſo mehr mußte der metallene Maaßſtab, der in tauſend-
jaͤhriger Abhaͤngigkeit von jenem hoͤheren Maaßſtabe ſich ge-
bildet hatte, nun da er allein ſtand, unentbehrlich werden.
Nichts deſto weniger iſt auch in unſerer heutigen Haus-
haltung der große Umſtand nicht zu uͤberſehen, daß das Gold
nur durch die Muͤnze erſt zum Maaßſtabe wird, daß es alſo
eine unendlich ſchwankende Waare bleibt, bis ein Geſetz,
ein Wort ihm befiehlt, daß es fuͤr ſo und ſo viel gelten ſoll.
Alles Muͤnzen der Welt ſetzt die Praͤexiſtenz eines Maaßſtabes
voraus: wer muͤnzen will, macht bekannt, daß er ein beſtimm-
tes Gewicht edeln Metalls ſo und ſo theuer bezahle, daß
er aus dieſem Gewicht ſo und ſo viel aliquote Theile eines
bereits vorhandenen Maaßſtabes ausmuͤnze, und daß dieſes
Verhaͤltniß des Gewichts der Metalle zu dem vorhandenen
Maaßſtabe bis auf weiter feſt und unveraͤndert verharren
ſoll. Wenn alſo dermahlen in Oeſtreich der Wiener Centner
[208] Kupfer in 213 fl. 20 kr. W. W. ausgemuͤnzt wird, ſo wird
ein Maaßſtab, der bloß die Maſſenkraft des Metalls mißt,
naͤhmlich der Centner, gleichgeſetzt mit einem anderen Maaß-
ſtabe, oder mit aliquoten Theilen dieſes Maaßſtabes, der
den Werth aller aͤußeren Lebensbeduͤrfniſſe mißt. Der Werth-
maaßſtab iſt alſo nicht etwa in dem Metalle abſolute vor-
handen, ſondern er wird erſt durch die Allianz des Geſetzes
mit dem Kupfer.
Dagegen koͤnnte man einwenden, das Metall habe ohne
Dazwiſchenkunft des Geſetzes auf dem Markte ſchon einen
Preis, d. h. es meſſe dort den Werth vieler Lebensbeduͤrfniſſe,
und wenn jener Preis auch ſchwanke, ſo ſey er doch relativ
feſt, im Verhaͤltniß zu vielen anderen noch ſchwankenderen
Waaren.
Man uͤberſehe nicht, daß das Kupfer ungleich mehr bey
andern oͤkonomiſchen Functionen, als in der Muͤnze dient,
daß der Geſetzgeber der Muͤnze alſo vielmehr von dem Markte
abhaͤngig bleibt, indem er den Muͤnzpreis des Kupfers an-
ſetzt, als wenn er den Muͤnzpreis des Goldes und Silbers
anſetzte, welche beyden Metalle vielmehr zur Muͤnze, als zu
anderweiten oͤkonomiſchen Zwecken dienen. Gold und Silber
koͤnnen, was beym Kupfer nicht der Fall iſt, vom inlaͤndi-
ſchen Markte ganz vertrieben werden, und behaupten ſich nur
auf dem auswaͤrtigen Markte; aber auch hier vielmehr durch
ihre Muͤnzbeſtimmung, als durch ihren Gebrauch bey ander-
weiten oͤkonomiſchen Functionen.
Es leuchtet auf dem erſten Blick ein, daß jemehr ein
Metall in den vielfaͤltigen Geſchaͤften der Haushaltung
[209] unmittelbar gebraucht wird, es auch um ſo weniger an ſei-
nem Preiſe fixirt werden koͤnne. Indeß was iſt denn der
Marktpreis des Kupfers anders als Vergleichung, als Allianz
des Kupfers mit einem bereits vorhandenen Maaßſtabe: jeder
Privatmann ſetzt fuͤr den Augenblick, in welchem er das
Kupfer kauft, einen Muͤnzpreis desſelben feſt; er thut das
fuͤr ſich und fuͤr den Augenblick, was die Muͤnze fuͤr alle und
fuͤr einen laͤngeren Zeitraum thut. Wenn alſo auf dem Markte
auch nicht das Geſetz ſelbſt den Preis des Kupfers anſetzt,
ſo ſtreben doch alle Einzelne, welche dieſen Preis anſetzen,
ſo viel als moͤglich nach einem mittleren Preiſe, d. h. ſie ſtre-
ben dem Geſetze ſo nahe zu kommen als moͤglich.
Geſetzt der Preis des Kupfers wuͤrde auch auf dem Markte
nach Silber gemeſſen, ſo wird doch das Silber ſelbſt wieder
nach einem vorhandenen idealiſchen Maaßſtabe gemeſſen,
der nicht im Metalle liegt, a[ber] nur von dem Geſetze her-
ruͤhren kann.
Wenn wir die Gleichgeltung des Gewichtes von einer
Mark Silber mit zwanzig Gulden, oder einen ſolchen Muͤnz-
preis des Silbers anſetzen, ſo erklaͤren wir damit, daß wir
bis auf weiteres fuͤr die Mark Silbers die Valuta von zwan-
zig Gulden zahlen wollen, der Marktpreis des Silbers moͤge
ſich bis dahin aͤndern wie er wolle. Die Idee eines Gulden
iſt in allen Gemuͤthern vorhanden; es iſt dieſes ein ideali-
ſcher Maaßſtab, der aus dem Verkehr eines beſtimmten Vol-
kes durch Jahrhunderte hervor gegangen, der ſich daraus her-
ausgemittelt hat: weil ſich nun die Preiſe des Silbers auf
eine aͤhnliche, jedoch nur ſubordinirte Weiſe aus den ſaͤch-
Theoret. Theil O
[210] lichen Beduͤrfniſſen dieſer Nation herausmitteln, wie der hoͤ-
here, allgemeinere, aber nothwendig idealiſche Maaßſtab aus
dem Geſammtbeduͤrfniß der Nation, ſo ſtreben wir dieſen
idealiſchen Maaßſtab mit jenem Silberpreiſe zu verknuͤpfen:
wir fixiren den Silberpreis um jenen idealiſchen Maaßſtab
deutlich und handgreiflich auszudruͤcken, ſo wie wir die Toͤ-
ne und Zeichen der Sprache fixiren, um die Idee auszudruͤ-
cken, obgleich dieſe Toͤne und Zeichen erſt von der Idee ihr
Maaß erhalten.
Auf die Frage: wie denn die Muͤnze ihr Silber oder Gold
bezahle, womit ſie es erkaufe? wird man mir antworten:
ſie bezahle fuͤr das rohe Metall, Stuͤcke desſelbigen aber
ausgepraͤgten Metalls, oder ſie zahle den Werth des einen
Metalls mit dem andern. Aber das ausgepraͤgte Metall muß
ſie auch fruͤher erkauft, und das andre Metall, womit ſie
das Silber oder das Gold bezahlt, muß ſelbſt fruͤher mit
irgend einer Valuta bezahlt worden ſeyn: alſo wird durch
dieſe Antwort die Frage nur immer weiter hinaus geſchoben.
So gut wie ich auf dem Markte das Silber oder Gold mit
jeder gedenkbaren Waare kaufen kann; ſo gut koͤnnte es auch
die Muͤnze mit jeder gedenkbaren Valuta, mit Credit, mit
Papieren, wie mit Banknoten in London, mit Einloͤſungs-
ſcheinen in Wien, kaufen: nur mit dem Unterſchiede, daß ſie
nach einem feſten, beſtimmten Verhaͤltniß des zu erkaufen-
den Metalls zu der Valuta, womit es erkauft wird, ihren
Handel ſchließt, waͤhrend auf dem Markte alle Verhaͤltniſſe
um einen unſichtbaren, und unergreiflichen Mittelpunct her
oſcilliren.
[211]
Deßhalb kann die Muͤnze das verlangte Metall nur mit
den wenigen Waaren kaufen, deren Verhaͤltniß zu dem fixir-
ten Hauptverhaͤltniß, ſelbſt wieder fixirt iſt; wenn alſo die
Londner Muͤnze das Verhaͤltniß 1 Unze Gold: 3. l. 17. s.
10½ d. fixirt hat, womit eigentlich vollwichtiges und
vollguͤltiges Silbergeld gemeint wird, ſo kann ſie dieſe Unze
Gold freylich mit 3. l. 17. s. 10½ d. in Banknoten zahlen,
weil dieſe als gleichgeltend mit dem darauf verzeichneten
Silberwerthe fixirt ſind; aber ſie kann dieſe Unze Gold ſchon
nicht mit ſo viel Silberbarren kaufen als 3. l. 17. s. 10½ d.
auf dem Markte koſten wuͤrden: Denn um das Verhaͤltniß
ihrer Silbervaluta zu der Unze Gold fixiren zu koͤnnen,
mußte ſie zuvor die Silbervaluta ſelbſt fixiren, indem ſie die
Unze Silber in ſo und ſo viel beſtimmte Theile, Schillinge
und Pence auspraͤgte.
Dieſelbe Unze Silber alſo, die auf dem Markte im Ver-
haͤltniß zu den dort umlaufenden Schillingen und Pence fort
oſcillirt, bald mehr, bald weniger derſelben Schillinge und
Pence bedeutet, wird in der Muͤnze ein fuͤr allemahl in die
immer gleiche Anzahl von Schillingen eingetheilt: in der
einen und in der andern Beziehung hat dasſelbige Silber
zwey ganz verſchiedene Bedeutungen; Silber iſt alſo nicht
in allen Faͤllen gleich dem Silber, ſo wenig als oben Gold
gleich dem Golde.
Das ganze Muͤnzen iſt nur moͤglich dadurch, daß Gold
als ungleich geſetzt wird derſelben Materie des Goldes, und
Silber ungleich derſelben Materie des Silbers. Eine Unze
Goldes alſo, die mit Silber, das nach einem fixen Preiſe
O 2
[212] ausgepraͤgt iſt, gekauft wird, kann nicht in demſelben Ver-
ſtande mit Silberbaaren, nach dem veraͤnderlichen Preiſe des
Marktes gekauft werden. Der Silberpreis der 3. l. 17. s.
10½ d. fuͤr die Unze Gold waͤre kein feſter Preis, kein Muͤnz-
preis, wenn man nach Belieben fuͤr dieſes fixirte Silber das
veraͤnderliche Silber des Marktes ſetzen koͤnnte.
Indem die Brittiſche Muͤnze ihren Muͤnzpreis feſtſetzt,
ſo erklaͤrt ſie, daß ſie die Unze Goldes mit einer beſtimm-
ten Anzahl aliquoter Theile einer Unze Silbers bezahlen wol-
le, oder mit einer ſolchen Valuta, die durch die Geſetze des
Landes (aber nicht bloß durch den Marktpreis) als gleichgeltend
mit dieſer beſtimmten Anzahl aliquoter Theile einer Unze
Silbers angeordnet ſey: ſo wie man in St. Domingo das
Verhaͤltniß eines Pfundes Caffee zu einem Pfunde Zucker durch
das Geſetz fixiren koͤnnte, waͤhrend dieſes Verhaͤltniß auf
dem Markte beweglich und unveraͤnderlich bliebe wie bisher.
Waͤre nun in dieſem Verhaͤltniſſe Caffee oder Zucker, in jenem
Gold oder Silber der Maaßſtab? — Keines von beyden iſt
abſoluter Maaßſtab des andern; jedes mißt das andre.
Es iſt alſo nur Taͤuſchung, wenn man meint, das eine
Glied dieſes Verhaͤltniſſes koͤnne fixirt, das andere der Dispo-
ſition des Marktes uͤberlaſſen werden; entweder werden bey-
de Glieder fixirt, oder es iſt uͤberhaupt kein Verhaͤltniß,
und alſo auch kein Glied des Verhaͤltniſſes fixirt worden.
Nun fraͤgt ſich: wer fixirt das Verhaͤltniß? — Die
Muͤnze. — Alſo der Muͤnzdirektor ſetzt das Verhaͤltniß nach
Willkuͤhr an? — Nein, er erhaͤlt ſeine Inſtruction von der
Staatsgewalt. — Alſo die Staatsgewalt ſetzt das Verhaͤlt-
[213] niß nach Willkuͤhr an? — Wie koͤnnte ſie es nach Willkuͤhr
anſetzen, da ſie die Metalle ſelbſt wieder kaufen muß, und
wenn ſie die Valuta, womit ſie kauft, zu hoch anſetzte, kei-
nen finden wuͤrde, der ſie ihr mit Metallen abkaufte; wie auch,
wenn ſie die Valuta zu niedrig anſetzte, mit dem verlang-
ten Metalle uͤberſchwemmt werden wuͤrde. Wodurch wird al-
ſo die Staatsgewalt dirigirt, wenn ſie den Muͤnzpreis an-
ſetzt? vielleicht durch den Marktpreis? — Ließe ſie ſich durch
den Marktpreis beſtimmen, ſo wuͤrde ſie nie zum Muͤnzen
kommen, weil der Marktpreis ſchon, ehe ſie die erkauften
Barren eingeſchmolzen haͤtte, ein andrer ſeyn wuͤrde. — Iſt alſo
die Staatsgewalt bey der Fixirung der Muͤnzpreiſe ganz un-
abhaͤngig vom Marktpreiſe? — Nein, ſie muß ſich in ei-
nem gewiſſen Gleichgewichte mit dem Marktpreiſe erhalten,
weil das Metall, welches ſie empfaͤngt, vom Markte kommt,
und die Muͤnze, welche ſie ausgibt, dahin zuruͤckkehrt, und
jenes nicht gegeben, dieſe nicht genommen werden wuͤrde,
wenn ſie beyde vom Marktpreis allzuſehr abwichen.
Alſo weder das Gold iſt abſoluter Maaßſtab, noch das
Silber; weder der Marktpreis noch die Staatsgewalt, un-
abhaͤngig fuͤr ſich, beſtimmt den Muͤnzpreis.
In den fruͤheſten Zeiten unſrer nationalen Haushaltung,
waren die wenigen damahls concurrirenden Werthe oder der
Markt noch leicht zu uͤberſehn, und da dieſe Werthe in un-
mittelbarer Beruͤhrung mit einander ſtanden, konnten ſie auch
noch nicht betraͤchtlich ſchwanken. Der Werth den die ein-
zelne Waare im Verkehr des Marktes, und der andre, den
[214] ſie durch das Geſetz hatte, fielen noch ſehr nahe zuſammen.
Das hoͤchſte Gut, die Geſammtexiſtenz, wornach ſich, wie
hinreichend erwieſen, jeder Werth beſtimmen mußte, ſtand
allen noch ſehr nahe vor Augen: und ſo war ein Wider-
ſpruch zwiſchen dem augenblicklichen Werth der Waare auf dem
Markt, und dem dauerhaften Werthe derſelben, mit Be-
ziehung auf die buͤrgerliche Geſellſchaft oder das Geſetz, eben
nicht moͤglich. Das Geſetz und der Markt waren alſo auch
uͤber den Werth des Goldes und Silbers ſehr einig. — Da-
her theilte ſich das Pfund Silber in ſeine Gewichttheile: das
Geſetz und der Markt waͤgen es mit demſelben Gewichte ab.
Aber je complicirter der Verkehr des Marktes wird, je mehr
Waaren auf den Markt und ſeine Preiſe influiren, um ſo
mehr veraͤndert ſich auch das Verhaͤltniß der Hauptwaaren
zu den uͤbrigen, oder das Verhaͤltniß der edeln Metalle zu
den Waaren; um ſo ſchwankender wird, unter den wechſeln-
den Reitzen, das Beduͤrfniß, alſo auch der Marktpreis der
edeln Metalle. — Auf der andern Seite aber ſtrebt das
Geſetz unaufhoͤrlich nach einer Befeſtigung dieſer Werthe, und
der Markt iſt ſelbſt dabey intereſſirt, daß alle Hauptwerthe
ſo viel als moͤglich dauerhaft und uͤber die Schwankungen
des Augenblickes erhoben ſeyn moͤchten, daß es alſo Muͤnzen
gebe, die, wenigſtens ſo weit der Arm des Geſetzes reicht,
welches ſie auspraͤgt, in einem unveraͤnderlichen Verhaͤltniß
zu den Metallen, und demnach zu allen Waaren, die wie-
der von den Metallen abhaͤngen, ſtaͤnden. Das Geſetz alſo,
das den Markt regieren ſoll, indem es ihm nachgibt, bildet
aus den fruͤheren Marktpreiſen und dem laufenden Markt-
[215] preiſe des edeln Metalles, einen mittleren Preis; aus
dem ehemahligen Verhaͤltniſſe der edeln Metalle unter einan-
der und zu den Waaren, und dem jetzigen Verhaͤltniſſe ein
mittleres Verhaͤltniß: und dieſes iſt der Muͤnzpreis.
Es iſt dieſes die Geſchichte nicht bloß des Muͤnzgeſetzes,
ſondern aller Staatsgeſetze uͤberhaupt, welche auf aͤhnliche
Weiſe fortſchreiten, um weiter befeſtigt zu werden, und deſto
ſichrer fortſchreiten zu koͤnnen. Aus den vergangenen Zeiten
bringt der Geſetzgeber fuͤr jedes Gebiet des politiſchen Le-
bens ein gewiſſes Normalverhaͤltniß oder Normalgeſetz her-
ab; dieß ſtellt er dem anderen Verhaͤltniß gegenuͤber, wel-
ches ſich aus dem dermahligen Zuſtande jenes Gebietes er-
gibt; aus beyden ergibt ſich ein mittleres Verhaͤltniß oder
Geſetz, welches weder aus der Vergangenheit noch aus der
Gegenwart allein herruͤhrt, ſondern nur die gerechte Modifi-
cation beyder iſt.
Da aber dieſe einzelnen Gebiete oder beſonderen Sphaͤren
des politiſchen und oͤkonomiſchen Lebens ſich alle unter ein-
ander bedingen, und uͤberhaupt nur exiſtiren, in wie fern
ſie ſich durchgaͤngig auf einen gemeinſchaftlichen Mittelpunct
beziehn, ſo wird die Geſetzgebung bey jedem einzelnen,
neuerdings feſtzuſtellenden Verhaͤltniß, den ganzen vergange-
nen und gegenwaͤrtigen Zuſtand der Dinge vor Augen haben
muͤſſen: der Muͤnzpreis, oder das wichtige, geſetzliche Ver-
haͤltniß der edeln Metalle wird alſo nicht etwa aus dem
Durchſchnitt der vergangenen Marktpreiſe, und dem gegen-
waͤrtigen Marktpreiſe mechaniſch berechnet werden koͤnnen,
ſondern das große oͤkonomiſche Verhaͤltniß, welches ſich im
[216] Laufe der Zeiten aus dem oͤkonomiſchen Geſammtleben der
Nation ergeben hat, oder der Maaßſtab, der ſich in die-
ſem Geſammtleben gebildet hat, (die Axe dieſes Geſammtle-
bens, wie wir uns fruͤher ausdruͤckten) wird mit dem Ver-
haͤltniſſe ausgeglichen werden muͤſſen, welches ſich aus dem
einheimiſchen und auswaͤrtigen Beduͤrfniſſe und Vorrathe der
edeln Metalle wie der uͤbrigen Waaren auf dem Markte
dieſes Augenblicks ergibt.
Auf dem Markte und durch den Marktpreis ergibt ſich,
was jedes oͤkonomiſche Object als Waare bedeute, was es
bedeute in dem Verhaͤltniß zu der Groͤße des Vorrathes und
zu der augenblicklichen Nachfrage; im Zuſammenhange mit
der ewigen Staatsgeſellſchaft, in Beziehung auf den Mit-
telpunct derſelben oder auf das Geſetz aller Geſetze, auf den
Maaßſtab par excellence, ergibt ſich was das oͤkonomi-
ſche Object als Maaßſtab bedeute: auf dem Markte ergibt
ſich der arithmetiſche Preis dieſes Objects; vor dem Geſetze
ergibt ſich der geometriſche Werth desſelben.
Der Maaßſtab liegt alſo in dem Geſetze ſelbſt, und in
keiner gedenkbaren Waare, als ſolcher; dasjenige was die
Metalle unter einander, und ihren Marktpreis mit ihrem Na-
tionalwerthe vermittelt, iſt der eigentlich lebendige Maaß-
ſtab. Dieſer Maaßſtab iſt ein idealiſcher (aber, wie ſchon bemerkt,
kein imaginaͤrer oder auf irgend eine Weiſe willkuͤhrlicher).
Unter dem Vorſitz des Geſetzes haben der augenblickliche
Markt und die ewige Geſellſchaft dieſes beſonderen Staates
ſchon in fruͤheſte[n] Zeiten Geld gemacht: jener hat die Ma-
[217] terie des Geldes, die edeln Metalle herbeygeſchafft, dieſe hat
den Maaßſtab des Nationalbeduͤrfniſſes hergegeben, und aus
dieſer Verbindung iſt die Muͤnze hervorgegangen, welche das
Geſetz fixirt, benannt und geſtempelt hat. Indeß iſt der Au-
genblick und der Markt mit ihm fortgeſchritten, aus den
Schranken, die ihm das Geſetz angewieſen, heraus getreten.
Das Verhaͤltniß muß von neuem feſtgeſtellt werden: Der
Markt liefert den Barren, die Staatsgeſellſchaft liefert ihre
bisherige Muͤnze, in der nun ſchon der Maaßſtab des Na-
tionalbeduͤrfniſſes enthalten iſt. Das Geſetz aber, welches
dieſen Maaßſtab lebendig und ohne materielle Vermiſchung
mit dem Metall, wie es bey der Muͤnze der Fall iſt, in ſich traͤgt,
vermittelt wieder zwiſchen dem Barrenpreiſe und der Muͤnze.
Geſetzt nun, es ſey, als der Muͤnzpreis des Silbers = 1
geweſen, aus dem gleichen Marktpreiſe und dem damahligen Na-
tionalbeduͤrfniſſe eine Muͤnze conſtruirt worden, die ein Pfund
Sterling Silbers wog, ſo wird dieſe Muͤnze, wenn der
Marktpreis des Silbers weit unter 1 herab geſunken, eine
Veraͤnderung erleiden muͤſſen. Die Muͤnzdirektion *) kann
fuͤr das auszumuͤnzende Pfund Silber den Muͤnzpreis: 1
nicht mehr bezahlen. — Das Pfund Sterling-Waare iſt
auf dem Markte wohlfeiler geworden; das fixe Pfund Ster-
[218] ling-Maaßſtab laͤßt alſo die Materie des Silbers und die
Beziehung auf das Marktpfund fahren, um nicht durch die
Schwankungen und Senkungen des Silberpreiſes ſeinen Cha-
rakter als Maaßſtab ganz zu verlieren. Durch alle Veraͤn-
derungen in den Marktpreiſen der edeln Metalle hindurch
laͤuft der alte Maaßſtab fort, wiewohl er ganz verſchie-
dene Maſſen des edeln Metalles bedeutet; das Pfund Ster-
ling Maaßſtab wird mehr und mehr zu einem idealiſchen
Weſen, womit die Verhaͤltniſſe der Metalle vielmehr unter
einander angeſetzt und regulirt werden, als daß es durch
ausſchließende und feſte Beziehung auf ein einzelnes Metall
dieſes zum Standard erheben ſollte. Es ſchwebt vermittelnd
uͤber den Verhaͤltniſſen des Goldes, des Silbers und der uͤbri-
gen Waaren; tritt als Wortgeld (Schrift- oder Papiergeld)
in den Banknoten unabhaͤngig ans Licht, und kommt, da
es im Herzen der ganzen Nation lebt und faſt im Mittel-
puncte aller nationalen Werthe ſteht, dem Maaßſtabe des
Geſetzes ſelbſt ſehr nahe; — das Geſetz bleibt freylich das
allerreinſte Geld, und behaͤlt noch immer die hoͤhere Func-
tion, zwiſchen dem Pfunde Sterling, dieſem perpetuirlichen Muͤnz-
preiſe der edeln Metalle, und dem Marktpreiſe derſelben, oder
zwiſchen dem Wortgelde und dem Metallgelde zu vermitteln.
Der Muͤnzpreis der edeln Metalle beruht auf der Vor-
ausſetzung, daß Nationalgeld und Weltgeld unter dem Vor-
ſitze des Geſetzes, ſchon wahres Geld erzeugt haben, daß
ſchon die Benennung und die Stempelung des Verhaͤltniſſes
beyder vorgenommen ſey: dieſes durch einen Nahmen z. B.
Pfund Sterling fixirte Verhaͤltniß wird mit dem veraͤnderten
[219] Marktpreiſe von neuem verglichen, und durch Nachgiebig-
bigkeit von beyden Seiten ein neues Verhaͤltniß, ein neuer
Muͤnzpreis, und demnach ein vollkommneres Pfund Ster-
ling hervor gebracht.
Wo alſo uͤberhaupt gemuͤnzt wird, da muß es einen feſten
Muͤnzpreis der edeln Metalle geben, und einen Muͤnzpreis
kann es nur geben, in wie ferne es ſchon ein ſolches idea-
liſches Geld gibt, wie es ſpaͤterhin in weiterer Entwickelung
der Nationaloͤkonomie aufs Papier ausgedruͤckt wird. Das
eigentliche Weſen des Papiergeldes, naͤhmlich ein idealiſches
Geld iſt alſo ſchon vorhanden, in wie ferne es Muͤnze gibt,
und iſt die unumgaͤngliche Bedingung der Moͤglichkeit einer
Muͤnze.
Muͤnzen heißt den ſchwankenden Werth der edeln Metalle
befeſtigen; was koͤnnte ihn befeſtigen als eine Sache von
einem hoͤheren, feſteren Werthe: dieſes iſt das Geſetz: durch
das Muͤnzen wird ein untergeordnetes und augenblickliches
Verhaͤltniß, von einem hoͤheren ewigen Verhaͤltniſſe, naͤhmlich
der buͤrgerlichen Geſellſchaft ſelbſt, abhaͤngig gemacht. —
Die buͤrgerliche Geſellſchaft reducirt ſich aber in letzter In-
ſtanz, wie ſchon fruͤher gezeigt, auf das Verhaͤltniß Perſon
und Sache. Dieſes Verhaͤltniß befeſtigen, indem man es mit
dem Geiſte des Glaubens oder des Credits durchdringt, oder
belebt, heißt den Staat befeſtigen. Da nun das Metall,
welches unter den Sachen regiert, und das Geſetz, welches
unter den perſoͤnlichen Kraͤften, beydes nur verſchiedene Aus-
druͤcke fuͤr das Verhaͤltniß Perſon und Sache ſind, ſo kann
[220] man die Nothwendigkeit jenes Verhaͤltniß zu fixiren, nicht
laͤugnen, ohne zugleich die Feſtſtellung des letzteren zu laͤugnen,
worin die ganze Feſtigkeit des Staates beruht.
So bald es alſo eine Muͤnze gibt, muß es einen Muͤnz-
preis geben; gibt es einen Muͤnzpreis, ſo iſt das Weſentliche
des Papiergeldes ſchon vorhanden; die Alleinherrſchaft des
Metalls, wenn es je eine ſolche gegeben, iſt zu Ende; das
andere Element des Geldes iſt da, welches die Widerſacher
des Papiergeldes nur als einen Sclaven des Metalls zu be-
greifen wiſſen. Schon durch die Muͤnze geht eine wirkliche
Transſubſtantiation *) des Goldſtuͤcks in dem Leib des Staats
vor ſich, welche die Engliſche Verfaſſung anerkennt, indem
ſie de jure, wie ſchon bemerkt, von keinem Einſchmelzen,
Ausfuͤhren der einmahl gepraͤgten Muͤnze, auch von keinem
weiteren Marktpreiſe derſelben weiß.
Aus allen dieſen Gruͤnden muͤſſen die conſequenten Gegner
des Papiergeldes, auch das Wunder des Muͤnzſtempels, alſo
die Autoritaͤt des Geſetzes uͤber die Haushaltung der Voͤlker
laͤugnen.
[221]
Der Menſch ſtrebt nach Einheit, aber ſo lange er un-
ter dieſer etwas Geringeres verſteht, als die unendliche Ver-
einigung, iſt er in ſeinem Thun und Denken allen Taͤuſchungen
der Welt preis gegeben. Geſetz, Maaß, Maaßſtab, Standard,
Gewicht und Muͤnze, wie ſie gemeiniglich zur Sicherſtellung
der irrdiſchen Geſchaͤfte begehrt werden, ſind auf dem Wege
der Vereinigung nichts weiter als beſtimmte Stationen, durch
die der Weg ſelbſt zum Bewußtſeyn des Menſchen gelangt;
die einzelnen Punete, durch welche die Linie; das arithmeti-
ſche, wodurch das geometriſche; das Endliche, durch welches
das Unendliche — das Wiſſen, wodurch das Glauben zur
Anſchauung kommt. In dem Verlangen nach dieſen Einhei-
ten, verſteckt ſich uͤberall das hoͤhere und unendliche Verlan-
gen nach dem Credit: es muß endliche und ſcheinbare Be-
friedigungen dieſes Verlangens geben, damit durch vielfaͤl-
tige Taͤuſchung das uͤberſchwengliche Weſen der Wahrheit
ſelbſt zum Bewußtſeyn komme.
Alle jene Einheiten ſind nichts als einzelne Glieder einer
unendlichen Progreſſion, deren zwey auf einander folgende zwar
den Exponenten ergeben, von denen aber Eines fuͤr ſich,
oder auch der abſolute Exponent fuͤr ſich, das Geſetz des
Lebens keineswegs auszudruͤcken im Stande iſt.
Wie oft ſoll es geſagt werden, daß es ein Geſetz nur
gibt, in wie fern man einen Fall — den Exponenten nur,
in wie fern man ein Glied der Progreſſion dazu erhaͤlt; daß
alle Verſuche der Menſchen den Exponenten an ſich, oder
ein ewiges Geſetz, Maaß, Standard ꝛc. zu ergreifen und
feſtzuſtellen, vergeblich ſind; daß die bloße Forderung einen
[222] Widerſpruch enthaͤlt. Setzen wir den Exponent der Lebens-
reihe = Gott. Ihn ohne Vermenſchlichung und Perſoͤnlich-
keit zu ergreifen, iſt unmoͤglich. Kommt aber zu dem Ex-
ponenten ein Glied der Progreſſion, oder wird Gott zum
Menſchen, ſo iſt das lebendige Geſetz offenbart, welches ſich
ins Unendliche weiter offenbaren muß.
So iſt das Geſetz im engeren Sinne der Exponent des
buͤrgerlichen, der Standard der Exponent des oͤkonomiſchen
Lebens. Die edeln Metalle, bloße Glieder dieſer oͤkonomi-
ſchen Progreſſion koͤnnen mit dem Exponenten derſelben nie
abſolut identiſch zuſammen fallen. Aber der Credit als Expo-
nent, und die Waare oder das Metall als Glied der Pro-
greſſion koͤnnen mit einander verbunden das feſte Geſetz der
ganzen Reihe geben oder den Standard, der dann recht
ideal und recht real zugleich ſeyn wird.
[223]
Siebentes Kapitel.
Daß der Werthmaaßſtab nicht bloß Groͤßen, ſondern auch
Richtungen und Verhaͤltniſſe meſſen ſolle.
Unter allen vorſtehenden Betrachtungen, die ja wohl eben
ſo gut als die Unterſuchungen des Adam Smith, auf eine
geneigte Entſchuldigung ihrer Umſtaͤndlichkeit und Weitſchwei-
ſigkeit Anſpruch machen duͤrfen, wenn auch die Darſtellung
an Klarheit und Faßlichkeit hinter jenem hoͤchſt verdienſtli-
chen Werke zuruͤck bleiben ſollte, kann dem Leſer nicht ent-
gangen ſeyn, daß der Begriff des Maaßſtabes in einem viel
umfaſſenderen Sinne angewendet worden, als in den fruͤheren
Theorien. Wir hatten mehrere Dinge zu meſſen, welche bis-
her abſichtlich von dem Gebiete der Staatswirthſchaft aus-
geſchloſſen wurden — die geſammten idealiſchen Guͤter des
Lebens — andere Dinge, von welchen dieſen vorhandenen
Theorien die Vorſtellung abging, die ſie alſo uͤberhaupt we-
der der Aufnahme wuͤrdigen, noch verbannen konnten —
die naͤhmlich, welche wir Richtungen der Kraͤfte, Verhaͤltniſſe
derſelben zu einander und zum Mittelpuncte nannten.
Da nun von dieſen Richtungen der einzelnen Kraͤfte auf
den Mittelpunct, und von der Verbindung der ſichtbaren Guͤ-
ter mit den aus der Staatswirthſchaft verbannten unſicht-
baren Guͤtern, mit andern Worten da von der Vereinigung
[224] aller ſaͤchlichen und perſoͤnlichen Kraͤfte in eine große Natio-
nalkraft — der Werth jedes einzenen Gutes abhing, ſo konn-
te ein ſolches Gut oder der Werth desſelben, hinfort ſchwerlich
mit einem Maaßſtabe genuͤgend gemeſſen werden, der nichts
weiter auswies, als die groͤßere oder geringere Handgreif-
lichkeit.
Alle bisher von der Nationaloͤkonomie beliebten Maaß-
ſtaͤbe beſtimmen nichts weiter als die Groͤße, und wenn man
den ganz unrecht gewuͤrdigten Vorzug der Anſicht des Adam
Smith ſtreng und gerecht beſtimmen will, ſo liegt er darin,
daß dieſer Mann, ungeachtet ſeiner uͤbrigen Einſeitigkeit,
das Unzureichende eines koͤrperlichen Maaßſtabes wenigſtens
gruͤndlich empfunden hat.
Es draͤngte ihn die koͤrperlichen Dinge mit etwas Hoͤhe-
rem und Allgemeinerem zu meſſen als mit koͤrperlichen Din-
gen; es draͤngte ihn, obwohl er nirgends zu verſtehen gibt,
daß es außer der Maſſengroͤße uͤberall auch auf die Dauer
ankommt, einen Maaßſtab zu erfinden, der nicht bloß das
Raͤumliche, ſondern auch zugleich die Zeit meſſe, und ſo ward
dieſer klare, praktiſche und materielle Gelehrte ſo myſtiſch,
unpraktiſch und idealiſtiſch, daß er die Arbeit, die Gel-
tung eines Arbeitstages zum Hauptmaaßſtab aller oͤkono-
miſchen Groͤßen erklaͤrte.
Es konnte nicht fehlen, daß dieſer chimaͤriſche Maaßſtab
unter den Haͤnden des Meſſenden wieder in eine unendliche
Mannigfaltigkeit zerfloß.
Es muß auf dem erſten Blick einleuchten, daß es genau
eben ſo viele Arten von Arbeit, als es verſchiedene Gattungen
[225] von Produkten gibt, und daß es genau eben ſo viele Abſtu-
fungen von Groͤße, Umfang, Intenſitaͤt der Arbeit als der
Produkte gibt. Unumgaͤnglich nothwendig war alſo die neue
Unterſuchung, welche Arbeit als ein Maaßſtab aller uͤbrigen
Arbeiten zu betrachten ſey. Da aber der Begriff der Arbeit
um keine Haarbreite allgemeiner aufgefaßt war oder werden
konnte, als der Begriff des Produkts, ſo blieben die geiſtigen
Arbeiten wieder außer dem Calcuͤl eben ſo gut als die geiſtigen
Produkte; und die nationalen Richtungen der Thaͤtigkeit,
welche durch ihre uͤberwiegende Gewalt alle Maaßſtaͤbe und
Calcuͤls der Welt zu zerſtoͤren vermoͤgen, blieben außer den
Grenzen der Vorſtellung wie bisher.
Was war aber das Impoſante, das Entdeckungsaͤhnliche
in dem Arbeitsmaaßſtabe des Adam Smith? was hat ſo
vortreffliche Koͤpfe, die mit vollem Herzen die neue Lehre
ergriffen, blenden koͤnnen? — Es war in den ſtarren und
mechaniſchen Umgebungen der alten Maſſenoͤkonomie ein er-
friſchender Anhauch jener lang vergeſſenen Elemente aller
Haushaltung, welche wir von der bitteren und gruͤndlicheren
Nothdurft unſerer Zeit, wieder zu gewinnen, angehalten wer-
den. Es floß in dem Jahrhundert des Adam Smith noch
mancher Tropfen Bluts bewußtlos durch das Herz des Men-
ſchen, der uns nunmehr abgezapft iſt: es konnte mancher
Irrthum gedacht und gehegt werden, deſſen unguͤnſtiger Ein-
fluß durch einen gewiſſen Reſt natuͤrlicher Geſundheit und
natuͤrlichen Gluͤckes wieder aufgehoben wurden; zumahl in
England. Die beſten Koͤpfe jener Zeit theilten mit Adam
Smith den Abſcheu vor dem Graͤuel des rohen Merkantilis-
Theoret. Theil P
[226] mus; corrigirten mit ihrer bloßen praktiſchen Geſundheit
bewußtlos den Irrthum des feineren Merkantilismus, worin
ſie die Theorie dieſes Autors verſtrickte; und freuten ſich uͤber
den Anhauch von ſo lang entbehrtem idealiſchem Weſen in
oͤkonomiſchen Dingen, den der neue Maaßſtab an ſich trug;
wiewohl die Anſpruͤche auf Feſtigkeit und Beſtimmtheit,
welche die alte, ſtark ins Holz geſchoſſene Vernunft zu
machen nicht aufhoͤrte, durch dieſen Maaßſtab viel weniger
befriedigt werden konnten, als durch das Metallgeld der Mer-
kantiliſten. Denn ein gewiſſes Maaß Getreide, ſo elenden
Werthmeſſer es, ungeachtet der Wichtigkeit ſeines Gehaltes,
abgibt, war immer noch ein viel zuverlaͤßigerer Standard,
als ein Arbeitstag des Adam Smith.
Aber nichts deſto weniger war der erſte Verſuch gemacht
worden, die Handgreiflichkeit auf etwas Unhandgreifliches,
die Maſſen, oder das Raͤumliche auf Zeit, auf Dauer, auf
ein geiſtiges Weſen, das Produkt auf das Produciren, das
Was? auf das Wie? zuruͤck zu fuͤhren. Weil nun dieſes
Wie? dieſes geiſtige Princip unmittelbar in die gehoͤrige Ver-
ſteinerung des alten Begriffs und der alten Begreiflichkeit
wieder zuruͤck ſank; weil es ſich immerfort noch handelte,
um den alten hartnaͤckigen Privatbeſitz, um die alten, blan-
ken, theuren Metalle; weil man von dem alten Menſchen
nichts auszuziehen brauchte, und ſich doch ganz behaglich waͤr-
men konnte, an den neuen Lichtſtrahlen von Freyheit und
Univerſalinduſtrie; weil es ſich ergab, daß man nur noch
viel eigennuͤtziger zu werden brauchte, um zugleich ohne alle
Muͤhe der Menſchheit noch viel mehr zu dienen; daß man ein
[227] großer Philanthrop und Weltbuͤrger geweſen war, ohne es
zu wiſſen; daß man vermittelſt des puren Geitzes Allmoſen
geben koͤnnte, ohne es zu wollen — ſo iſt die Popularitaͤt
des Adam Smith wohl hoͤchſt natuͤrlich.
Und daß ſeine Theorie, ungeachtet der Klagen und Er-
mahnungen ſeiner Schule, die Regierungen ſo wenig ange-
fochten hat, beweiſt, daß eine viel ſolidere Nothwendigkeit
in dieſer hoͤheren Sphaͤre, als in der des Privatlebens
herrſcht, und daß, was ich ſchon fruͤher behauptet, die
Willkuͤhr der Regierungen viel unſchaͤdlicher iſt, als die der
gebildeten Privatmaͤnner, in der Adam Smith das Welt-
geſetz zu entdecken glaubte; kurz, daß die bloße Stelle der
Regierungen, den Perſonen, die ſie erfuͤllen, eine gewiſſe
edle Unempfindlichkeit gegen ſolche einzelne Lichtſtrahlen,
welche die praktiſche Nacht, die ſie umgibt, nur noch dunkler
machen koͤnnen, mittheilt.
Da nun alſo dieſer neue Maaßſtab im Weſen nichts,
ſondern nur darin von dem alten des Metallgeldes verſchieden
iſt, daß er unbeſtimmter und chimaͤriſcher iſt als jener, da
ferner in dieſem neuen Maaßſtabe der Privatarbeit, das
Metallgeld nur noch, durch einen falſchen Exceß der Abſtrak-
tion, jener einzigen Eigenſchaft beraubt worden iſt, die ihm
Werth und Realitaͤt gegeben, naͤhmlich der Perſoͤnlichkeit,
das heißt: der Geſellſchaftlichkeit, der Nationalitaͤt; da alſo
durch dieſe Abſtraktion hoͤchſtens nur das zum Maaßſtabe
Abſolutunfaͤhige conſtruirt worden — ſo haͤtten wir noch
beſtimmter den Maaßſtab, den wir an die Stelle des Metall-
P 2
[228] geldes ſetzen, und ſein Verhaͤltniß zu dem neuerlich beliebten
Maaßſtabe der Tagarbeit zu beſchreiben.
Es muß noch erwieſen werden, daß unſer Maaßſtab durch
keinerley Abſtraktion von den concreten Maaßſtaͤben entſtanden
iſt; daß er in keiner Ruͤckſicht imaginaͤr, ſondern vielmehr
andringlich real und nothwendig iſt; ferner, daß er eben ſo
wohl ein idealer Maaßſtab ſey, als er ein realer iſt, weil
wir die Welt des zu meſſenden, um das ganze Gebiet des
idealen Lebens und der perſoͤnlichen Kraͤfte erweitern; end-
lich, daß er unter allen gedenkbaren Maaßſtaͤben der mittlere
ſey, oder ſich zu ihnen gerade ſo verhalte, wie jeder beſon-
dere Maaßſtab zu der kleinen Welt, darin er herrſcht. Wie
der beſondere Maaßſtab nicht durch Abſtraktion von
den zu meſſenden Dingen, das heißt: nicht nach der bisher
angenommenen Vorſtellung, ſondern aus der Vermitte-
lung dieſer zu meſſenden Dinge entſtehe, iſt ſchon oben
hinreichend beſchrieben.
Jedermann erinnert ſich aus der kleinen mathematiſchen
Vorſchule, die er in ſeiner Jugend durchgemacht, an zweyer-
ley Arten von Meſſungen, welche die Geometrie darboth:
an Laͤngenmeſſungen und Winkelmeſſungen. Der Laͤngenmaaß-
ſtab vermochte uͤber den Winkel nichts zu beſtimmen; aus der
Laͤnge der Schenkel eines Winkels ließ ſich durchaus auf die
Natur des Winkels, oder, wie die moderne Barbarey der
Mathematik ſich ausdruͤckt, auf die Groͤße des Winkels, keine
Folgerung ziehen. Indeß hatte man fuͤr die meiſtentheils
arithmetiſchen Zwecke des gemeinen Lebens, eine Meſſung der
[229] Winkel nach Zahlen eingefuͤhrt, deren ausſchließende Anwen-
dung nebenher die Veranlaſſung unzaͤhliger beklagenswuͤrdiger
Irrthuͤmer, und des tieferen Verfalls der Geometrie gewor-
den. Der Winkel, oder die Neigung zweyer nach einem Ver-
einigungspuncte ſtrebenden Richtungen, konnte nur in der
Totalitaͤt aller nach demſelben Puncte moͤglichen Richtungen
befriedigend beſtimmt werden, das heißt: er konnte wiſſen-
ſchaftlich angeſchauet werden, nur vermittelſt des Gegen-
winkels, den ſeine beyden Schenkel an ihrer entgegen ge-
ſetzten Seite mit einander bildeten, alſo nur in dem Kreiſe,
der um den Vereinigungspunct her beſchrieben wurde, und
dieſer Kreis war uͤberhaupt in 360 gleiche Theile getheilt
worden.
Auf die Groͤße eines einzelnen unter dieſen gleichen Thei-
len konnte zufoͤrderſt nichts ankommen, ſo wenig als auf die
Groͤße des Kreiſes in den der Winkel gedacht wurde; alſo
druͤckten dieſe Zahlen nur Verhaͤltniſſe und durchaus keine
Groͤßen aus, obwohl dieß auch nur approximativ und ohne
mathematiſche Beſtimmtheit. Alſo war der Kreis zwar der
Maaßſtab des Winkels, jedoch in einem andern und voͤllig
entgegen geſetzten Sinne, als in welchem man ſich eines
Laͤngenmaaßſtabes fuͤr die Meſſung der geraden Linie be-
diente.
Nach dieſen und fruͤheren Vorausſetzungen gehoͤrt zur
geometriſchen Beſtimmung der geraden Linie weſentlich noth-
wendig der Winkel, zur Beſtimmung des Winkels der Kreis.
Der Kreis aber, wie an einem andern Ort erwieſen werden
wird, iſt nur zu beſtimmen durch die Kugel. In allen dieſen
[230] Beſtimmungen iſt die Groͤße noch nicht in Anſchlag gekom-
men, ſondern nur die Richtung oder das geometriſche Ver-
haͤltniß.
Aber die Linie iſt auch groß: ſie iſt es im Verhaͤltniß
zu andern Linien, oder was gerade dasſelbe, nur noch be-
ſtimmter ausdruckt, im Verhaͤltniß zu andern Kugeln. Bis-
her hatten wir nur den allgemeinen Charakter der Linie,
des Kreiſes, der Kugel im Auge: jetzt erwaͤgen wir die
Linie, den Kreis, die Kugel, in ihrer Beſonderheit. Bisher
war bloß von den innern Verhaͤltniſſen der Kugel die Rede;
jetzt erwaͤgen wir, daß ſie ein Ganzes, eine Einheit ſey,
alſo einem andern aͤhnlichen Ganzen gegen uͤber ſtehen, kurz,
auch auswaͤrtige Verhaͤltniſſe haben muͤſſe.
Die Anſchauung, welche ſich uns ergibt, wenn wir zwey
Weſen gleicher Art mit einander vergleichen, iſt das Verhaͤlt-
niß ihrer Groͤße: ſo iſt das, was ſich ergibt, wenn wir
zwey gleichartige Linien (Parallellinien) mit einander ver-
gleichen, das Verhaͤltniß der Groͤßen beyder; eben ſo Groͤ-
ßenverhaͤltniß zweyer Kugeln, wenn wir beyde in allen Be-
ziehungen voͤllig gleichartig ſetzen. Nur gleichartige Weſen
koͤnnen in ein Groͤßenverhaͤltniß treten; in wie fern wir ihre
Groͤße meſſen, ſetzen wir ihre Art gleich: ein bloßes Groͤßen-
maaß kann alſo nicht Groͤße und Art zugleich meſſen.
Andererſeits iſt das, was ſich ergibt, wenn wir die Groͤ-
ßen zweyer Weſen gleich ſetzen, und ſie nunmehr vergleichen,
ihre Art, ihre Qualitaͤt, ihr qualitatives Verhaͤltniß: und
um das qualitative Verhaͤltniß zweyer Weſen zu meſſen,
muͤſſen wir ſie als gleich groß ſetzen, zum Beyſpiel: um den
[231] Winkel oder um das Verhaͤltniß der Art und Richtung zweyer
Linien zu meſſen, muͤſſen wir die Schenkel oder die beyden
convergirenden Linien gleich ſetzen, wir muͤſſen dieſe Linien
als Radien betrachten. Es iſt alſo nur die Idee des Kreiſes
oder der Kugel, womit wir dieſe Verhaͤltniſſe der Richtung
oder der Art zu beſtimmen im Stande ſind, wie dieß alle
Winkel-Meſſungsinſtrumente, Transporteur, Aſtrolabium,
Bouſſole ꝛc. durch ihre kreisfoͤrmige Geſtalt andeuten: nie-
mandem aber wird es beyfallen, mit dieſen Maaßſtaͤben direkt
Laͤngen und Groͤßen meſſen zu wollen, weil ſie uͤberhaupt nur
meſſen koͤnnen, ſo lange auf die Groͤße keine Ruͤckſicht ge-
nommen, oder ſelbige als gleich geſetzt wird.
Es iſt alſo an jeder gedenkbaren Linie zweyerley zu meſ-
ſen, zuerſt die Laͤnge derſelben, und dann mit einem ganz
verſchiedenen Maaßſtabe, mit der Idee der Kugel ihre Rich-
tung. Wie nun alſo die gerade Linie, wiewohl ſie lang iſt,
deßhalb nicht aufhoͤrt, eine beſtimmte Richtung zu haben,
wie ſie alſo keinesweges bloß lang iſt, wenn auch alle
mathematiſchen Lehrbuͤcher der Welt nichts anderes von ihr
auszuſagen wiſſen ſollten — ſo wuͤrde auch eine beſtimmte
oͤkonomiſche Thaͤtigkeit oder Arbeit, wenn auch Adam Smith
nichts weiter von ihr auszuſagen wuͤßte, als wie lang oder
wie groß ſie ſey, nicht aufhoͤren, in einem beſtimmten Ver-
haͤltniſſe zu den uͤbrigen oͤkonomiſchen Thaͤtigkeiten zu ſtehen;
denn zuerſt iſt jede oͤkonomiſche Thaͤtigkeit, wie ſchon fruͤher
erwieſen, ſelbſt nur anzuſchauen als Wechſelwirkung zweyer
oͤkonomiſchen Thaͤtigkeiten, einer Perſon und einer Sache,
[232] oder einer Arbeit und eines Materials, eben ſo wie jede Linie
nur zu beſtimmen iſt durch den Winkel.
Wie aber ferner der Winkel nur durch ſeinen Gegenwinkel,
das heißt: durch den Kreis zu beſtimmen iſt, ſo iſt der oͤkono-
miſche Bund, die oͤkonomiſche Societaͤt der Perſon und der
Sache, oder der Arbeit und des Materials, welche nach
einem Vereinigungspunct ſtreben, worin ihre Verbindung
eben beſteht, nur anzuſchauen durch eine Erwaͤgung der Tota-
litaͤt aller uͤbrigen Richtungen, die nach demſelben Puncte
hinſtreben. Wenn uns alſo dasjenige, was wir Maaßſtab,
Standard nennen, das Weſen einer gewiſſen oͤkonomiſchen
Thaͤtigkeit, ihre Art und Groͤße befriedigend beſtimmen ſollte,
ſo muͤßte es aus einem Maaßſtabe beſtehen, der uns die Groͤße
dieſer Thaͤtigkeit, und aus einem andern, der uns die Rich-
tung derſelben (oder ihre Art) anſchaulich machte.
In der Nationaloͤkonomie koͤnnen aber die geſammten
Functionen nur gedacht werden, als nach einem Vereini-
gungspuncte ſtrebend, oder nach demjenigen Puncte unendlich
zuruͤckſtrebend, von welchem ſie ausgegangen: wenn man alſo
die Groͤße der Functionen, oder nach Adam Smith die Groͤße
der Arbeit, oder eigentlich nach ihm und allen andern die
Groͤße des Produkts zum Zwecke aller Nationaloͤkonomie er-
hebt, dieß auch dadurch bethaͤtigt, daß man ſich mit einem
bloßen Groͤßenmaaßſtabe begnuͤgt, und doch zugeben muß,
daß dieſe Groͤße an allen Stellen bedingt ſey durch das Ver-
haͤltniß der Richtungen, das heißt: durch das Verhaͤltniß der
oͤkonomiſchen Function zu allen andern oͤkonomiſchen Functio-
nen derſelben Sphaͤre, welches Verhaͤltniß man unbeſtimmt
[233] und ungemeſſen laͤßt, ſo kann das Reſultat um nichts rich-
tiger ſeyn, als das, welches irgend ein anderer Widerſpruch
ergibt.
Das Produkt, welches man erzeugt ſehen will, ſoll nicht
bloß groß ſeyn, ſondern in gerechtem Verhaͤltniſſe zu allen
uͤbrigen Produkten und Beduͤrfniſſen ſtehen, und die Arbeit,
das Mittel jenen Zweck zu erreichen, ſoll bloß groß ſeyn,
und nach einem bloßen Groͤßenmaaßſtabe beurtheilt werden;
ja noch mehr, ein Maaßſtab, der bloß von der Groͤße
auszuſagen vermag, ſoll auf befriedigende Weiſe den
Werth des Produktes beſtimmen, der ohne die Verhaͤltniſſe
der Nationalprodukte unter einander, oder des Markts,
die mit der Groͤße nichts zu ſchaffen haben, nicht zu den-
ken iſt.
Das iſt die große Abſurditaͤt in der Forderung, die man
bis jetzt uͤberall an einem Geld-Standard gemacht hat: er
hat nicht wie der Laͤngenmaaßſtab, oder wie das Gewicht die
bloße Groͤße, oder die bloße Schwere nachweiſen und beſtim-
men ſollen, ſondern die Groͤße, die Schwere, und alle an-
deren oͤkonomiſchen Eigenſchaften zugleich. Das Pfund Ster-
ling hat nicht bloß das Silbergewicht, ſondern zugleich das
Verhaͤltniß des Silbers zu allen andern Produkten, und mit
ihnen zu allen andern oͤkonomiſchen Functionen feſthalten ſol-
len, und dennoch hat man nie aufgehoͤrt, ſich das Pfund
Sterling als eine bloße Silbermaſſe zu denken. Es iſt gewiß
niemanden beygefallen, das alte immerfort vorhandene Pfund
Troy, wornach alles Silber abgewogen wird, einen Geld-
Standard zu nennen, und doch hat man einen Geld-Standard
[234] begehrt, deſſen Functionen dieſes alte Schwergewicht voll-
ſtaͤndig verrichtet.
Alſo, wie man einen Transporteur conſtruirt hat, der
nicht nach den 360 Graden, ſondern nach dem Verhaͤltniß
der Sinus eingetheilt iſt, der alſo in gewiſſem Grade die
Functionen des Laͤngen- und des Winkelmaaßes zugleich ver-
richtet, ſo, in aͤhnlicher, obwohl viel umfaſſenderer Art
muͤßte der oͤkonomiſche Maaßſtab fuͤr die Meſſung beyder,
der Verhaͤltniſſe und der Groͤßen zugleich conſtruirt ſeyn.
So muß die Aufgabe, einen Standard zu conſtruiren, ge-
dacht werden.
Der Werthmaaßſtab ſoll uns bey jedem einzelnen Ge-
brauch, eine Groͤße beſtimmen, aber außer der Groͤße auch
noch die Art. Wie nun der Laͤngenmaaßſtab uns angibt
eine Zahl, dieſe Zahl aber nichts bedeutet, wenn ſie nicht
benannt wird, als Fuß, Elle, Meile ꝛc. oder, wie man ſich
gleichfalls ausdruͤcken kann, wenn nicht die Art und Qua-
litaͤt hinzugeſetzt wird, — ſo thut der Werthmaaßſtab des-
gleichen, nur daß der Nahme, die Artbenennung, welche er
hinzuſetzt, von unendlich umfaſſenderer Bedeutung iſt als
die Laͤngenart. Wenn nun in dem Werthausdruck 20 Pfund
Sterling, der Nahme Pfund Sterling keine andere oder hoͤ-
here Art anzeigte als Pfundgewichte Silbers von einer ver-
langten Feinheit, ſo waͤre dieß offenbar nur ein Schwer-
maaßſtab: Werthmaaßſtab aber kann es nur ſeyn, wenn
der Nahme Pfund Sterling eine viel hoͤhere Qualitaͤt und
Art in ſich ſchließt, als das bloße Silbergewicht.
[235]
Offenbar denkt ſich auch jeder einzelne Englaͤnder, wenn
er die Worte Pfund Sterling ausſpricht, etwas viel Hoͤheres
als das Silbergewicht; er denkt ſich zum Beyſpiele, nach
Maaßgabe ſeiner reicheren oder aͤrmeren Station 1∫20,
1∫200, 1∫2000 deſſen, was zu ſeinem jaͤhrlichen Auskom-
men, das heißt zu ſeiner geſellſchaftlichen Exiſtenz gehoͤrt;
er denkt ſich darunter 1∫4 eines Sack Mehls, und einen
Buſchel Salz, und zwey Buſchel Erbſen und 1∫2 Keſſel
Kohlen — kurz er bezieht das ganze, ihm gerade gegen-
waͤrtige Gebiet des oͤkonomiſch Brauchbaren und Nuͤtzlichen
darauf. Jeder Einzelne hat ſein beſonderes oͤkonomiſches Ge-
biet, und indem er dieſes beſondere Gebiet, im Verhaͤltniſſe
zu der Totalitaͤt aller oͤkonomiſchen Gebiete oder zum Na-
tionalvermoͤgen betrachtet, beſchreibt er es nach Pfunden
Sterling; er hat dabey ſein beſonderes Bild von Gluͤck und
Wohlſtand und dennoch zugleich eine in gewiſſem Grade be-
ſtimmte Anſicht von dem Wohlſtande des Ganzen. Er hat
ſein beſonderes Pfund Sterling und dennoch wieder darin
das allen gemeinſchaftliche Geld: er ſieht ſeinen beſonderen
Regenbogen, und doch auch wieder die allen gemeinſchaft-
liche Sonne. Er ſtrebt nach ſeinem beſonderen Pfund Sterling,
und muß doch, er mag wollen oder nicht, dabey in gewiſ-
ſem Grade das allgemeine Pfund Sterling meinen, ſo wie
bey ſeinem beſonderen Intereſſe das allemeine Intereſſe im
Auge haben.
Die meiſten nun von denen vorgeblichen Staatswirthen,
welche ſich bis jetzt mit der Theorie des Werthmaaßſtabes
oder des Geldes befaßt, laufen dem Regenbogen nach, ohne
[236] auf die Sonne zuruͤckzuſehn. Sie verlangen einen Maaßſtab
der alle einzelnen, ſcheinbar handgreiflichen Guͤter meſſe,
und verſaͤumen doch die Bedingung zu machen, daß er auch
zugleich den St[a]at ſelbſt meſſe, naͤhmlich die Richtung, das
Verhaͤltniß zum Ganzen, die Art, die geſellſchaftliche Art
der Guͤter: ſo kommen ſie der Werthbeſtimmung nicht naͤher,
bleiben bey der gemeinen Wagſchale, und anſtatt der Werthe
waͤgen ſie Silber und Gold; ſtatt des Geldes erfinden ſie
Gewichte.
Was iſt nun die Art, die Qualitaͤt, welche zur Zahl
hinzukommen muß, damit der Werth beſtimmt werde? Bey
der Laͤngenbeſtimmung iſt es eine Laͤnge (Elle), bey der
Schwerbeſtimmung iſt es eine Schwere, ein Gewicht (Pfund);
daß jene Laͤnge und jenes Gewicht nicht etwa durch Spe-
culation abſtrahirt waren von allen Laͤngen und allen Ge-
wichten, daß ſie noch weniger willkuͤhrlich erfunden waren,
ſondern daß ſie durch unendliche lebendige Vermittelung im
Laufe der Zeit, als wahre Mittler aus dem vollen praktiſchen
Leben hervor gegangen ſind, iſt oben bereits gezeigt worden.
Nun aber die Werthbeſtimmung! ſie kann nur geſchehen durch
einen Werth aller Werthe, wie die Laͤngenbeſtimmung durch
eine Laͤnge aller Laͤngen: der Werthmaaßſtab muß alſo gleich-
falls aus allen gedenkbaren buͤrgerlichen, geſellſchaftlichen
Werthen heraus gemittelt ſeyn, im Leben, im Fortgange der
Zeiten: der Nahme, die Artbenennung, welche wir der Zahl
hinzufuͤgen, wenn wir einen Werth beſtimmen, kann alſo
nichts Geringeres bedeuten, als das oͤkonomiſche Ganze, den
[237] Staat ſelbſt; 20 Pfund Sterling heißt alſo nicht 400 der-
jenigen Schillinge, von denen 62 ein Pfund Troy reinen
Silbers ausmachen, ſondern 20 Theile von England, vom
Glauben an England, oder 20 Theile des Credits von
England.
Wenn die Groͤße beſtimmt werden ſolle, ſo muͤſſe die
Qualitaͤt, die Art, gleichgeſetzt werden, ſo druͤckten wir uns
oben in Uebereinſtimmung mit allen mathematiſchen Lehr-
buͤchern *) der Welt aus. Worin koͤnnten aber die geſammten
oͤkonomiſchen Objecte gleichgeſetzt werden, als im Staate,
und was iſt ihnen allen gemeinſchaftlich, was iſt der Gat-
tungsbegriff fuͤr alles andere, als der Staat? —
Der Staat aber iſt nicht die chaotiſche Maſſe dieſer oͤko-
nomiſchen Objecte, ſondern er iſt die nach inneren gerechten
Verhaͤltniſſen geordnete, ſphaͤriſch geordnete Totalitaͤt der-
ſelben. Die verſchiedenen Arten und Qualitaͤten, die der ein-
zelne Menſch nach einer gewiſſen gegebenen Groͤße in ſich
vereinigte, ſind aus ihm heraus getreten; die Art des Gan-
zen iſt dieſelbe geblieben, weil die einzelnen Qualitaͤten (Func-
tionen) in dem alten Verhaͤltniß der Groͤßen unter einander
verbleiben mußten, wie oben beſchrieben worden; aber der
Menſch hat ſich uͤber ſich ſelbſt hinaus erweitert, er iſt
[238] gewachſen; er hat auf den verſchiedenen Stufen ſeiner Ent-
wickelung dasſelbe Verhaͤltniß ſeiner einzelnen Qualitaͤten und
Groͤßen, alſo dieſelbe Art des Ganzen dargeſtellt; er iſt zum
Staat geworden, aber dieſer Staat iſt, wie gleichfalls hin-
reichend beſchrieben, mit dem einzelnen Menſchen an Art und
Qualitaͤt gleich, und nur an Groͤße von ihm verſchieden:
ſein Maaß iſt gewachſen, ſeine Art dieſelbe geblieben. —
Wenn dieſer ſo entſtandene Staat das eigentliche Maaß
iſt, woran alle einzelnen oͤkonomiſchen Objecte in ſeinem
Umkreiſe gemeſſen, wenn er das Geld, das tertium com-
parationis iſt, womit dieſe Objecte alle unter einander ver-
glichen werden, ſo iſt die oben aufgeſtellte Forderung erfuͤllt,
und wir haben einen Maaßſtab, der, wie er alle Groͤßen
und Arten in ſich vereinigt, ſo auch Art und Groͤße zugleich
mißt; einen Maaßſtab, der alle Quantitaͤten und Qualitaͤten
aufs vollſtaͤndigſte und beſtimmteſte umfaßt, ſo wie dieſes mit
der Axe der Kugel im Verhaͤltniß zu allen Groͤßen und Ver-
haͤltniſſen innerhalb der Kugel der Fall iſt. —
Jede beſondere Haushaltung iſt ganz nach demſelben Ge-
ſetze organiſirt, und bildet ſich auf gleiche Weiſe ihren Maaß-
ſtab. Der einzelne Menſch erweitert ſich zur Familie, aber
dieſe Familie bleibt in demſelben Totalverhaͤltniſſe: ſie iſt
nichts anderes als der aus einander gelegte, aus einander
gewachſene Menſch. Die bloßen, in der Gemeinſchaft erwor-
benen Guͤter, druͤcken keineswegs das Familienvermoͤgen ge-
nuͤgend aus: vielmehr die perſoͤnlichen Kraͤfte, die eben ſo
viele ſichere Andeutungen kuͤnftiger Guͤter ſind, und alles,
[239] was im Umkreiſe der Familie lebt und webt, muß mit einge-
ſchloſſen werden, wenn man das Vermoͤgen dieſer Familie
beurtheilen, ihr Maaß kennen will. Das Wort Credit druͤckt
dieſe Geſammtheit und das Weſen dieſes Maaßes am be-
ſten aus. —
Eben ſo lebt und entwickelt ſich ſphaͤriſch jede Wirthſchaft,
jedes Handlungshaus, jede oͤkonomiſche Corporation u. ſ. f.:
nach demſelben Geſetze wornach ſich das Ganze ordnet, ordnet
ſich auch alles Einzelne im Bezirke des Ganzen. Daß dieſes
Geſetz der ſphaͤriſchen Bildung nicht bloß den betrachteten
Gegenſtaͤnden, ſondern auch eben ſowohl dem betrachtenden
Verſtande inwohne, und daß dieſer, naͤhmlich im Stande
der Unſchuld oder der Erloͤſung, uͤberall dieſes Geſetz des
Lebens den Dingen entgegen bringe, kurz, daß das Geſetz
der Kugel der Vermittler nicht bloß der Perſonen und der
Sachen, ſondern uͤberhaupt auch des Verſtandes und der
Dinge ſey, werde ich in einer kuͤnftigen Kritik der Mathematik
weiter ausfuͤhren.
Der Credit eines Handlungshauſes iſt nicht bloß das Ver-
trauen in deſſen Geſammtvermoͤgen, ſondern auch der Glaube,
daß dieſes Vermoͤgen in jedem verlangten Augenblicke werde
realiſirt werden koͤnnen. Der Staat und die Richtung zum
Staate nun, iſt die eigentliche Realitaͤt in allen Dingen:
alſo meinen wir in letzter Inſtanz mit der Realiſirbarkeit des
Vermoͤgens eigentlich nichts anderes, als die beſtaͤndige Um-
ſetzbarkeit des beſondern Vermoͤgens in das Allgemeine; des
beſondern Credits, der, wie groß er auch ſey, immer noch
einer Ergaͤnzung beduͤrfen wird, in den Allgemeinen; des
[240] beſonderen Geldes in das Nationalgeld, zum Beyſpiel: in
England der Privat- und Provinzialbanknoten, wie auch der
Schatzkammerſcheine, oder Regierungsnoten — in Noten der
Bank von England, oder in baares Geld.
Das Geld eines Landes, oder der Werthmaaßſtab des-
ſelben iſt, wie ich oben erwieſen habe, durch eine unendliche
Vermittelung aller beſonderen oder Privatmaaßſtaͤbe entſtan-
den, die Axe des Nationalvermoͤgens durch eine Vermittelung
aller der einzelnen Axen der Privatvermoͤgen. In England,
wo dieſer ganze Prozeß der Geld- oder Maaßſtabserzeugung
oͤffentlicher, vollſtaͤndiger und natuͤrlicher vor ſich gegangen
iſt, als irgend wo ſonſt, zeigt es ſich deutlich genug, daß der
Werthmaaßſtab nicht bloß auf dem von mir beſchriebenen
Wege entſteht, ſondern auch nur ſichrer Maaßſtab zu ſeyn
fortdauert, in wie fern die geſammte Nation und alles
Privatvermoͤgen unaufhoͤrlich in der vermittelnden Gelder-
zeugung begriffen ſind. Jeder Provinzialbanquier ſtrebt da-
hin, ſein Privatgeld zum Nationalgelde zu erheben: er ſtrebt
nach der groͤßtmoͤglichen und moͤglichſt allgemeinen Umſetz-
barkeit ſeines Privatgeldes. Es iſt in England nicht bloß die
Regierung, welche Geld macht, ſondern die Bank von Eng-
land, jede Privatbank, ja jede einzelne Haushaltung (ohne
gerade beſtimmte Noten auszugeben, aber, in wie fern ſie
ſich an eine beſtimmte Bank thaͤtig anſchließt) helfen das
Geld machen. Alle aber ſtreben zugleich bey dieſem Geſchaͤft
ſo wenig als moͤglich Geldzeichen zu brauchen: und nirgend
wird mit den Geldzeichen, ſie moͤgen nun von Metall oder
Papier ſeyn, ſo oͤkonomiſirt als in England.
[241]
Es iſt im Verhaͤltniß zu den Geſchaͤften von Großbritta-
nien eine unglaublich geringe Summe von nationalem Papier
oder Metallen, welche den geſammten Commerz des Landes
traͤgt: es iſt dort nur an der Umſetzbarkeit ſelbſt, an der leben-
digen Vermittelung jedes Einzelnen mit dem Allgemeinen gele-
gen, es iſt nur um den unſichtbaren und unergreifbaren Mittel-
punct ſelbſt zu thun. Und wenn die Umſetzbarkeit des Papiers
in Metall, oder die gegenwaͤrtig ſuspendirte Convertibilitaͤt
der Banknoten in Metallgeld allgemein gewuͤnſcht wird, ſo
wird damit nichts anderes gemeint, als daß Großbrittanien
in demſelben freyen und natuͤrlichen Verhaͤltniſſe zu der Welt-
haushaltung ſtehen moͤchte, als in welchem jede einzelne
Brittiſche Haushaltung zu der Nationalwirthſchaft ſteht: es
werden nicht Maſſen von Metallgeld, ſondern es wird nur
dieſelbe, in dieſem Momente freylich unausfuͤhrbare Conver-
tibilitaͤt alles Nationalgeldes in das Weltgeld gewuͤnſcht,
mit welcher offenbar ganz idealiſchen Kraft ſich jeder Ban-
quieur vollſtaͤndig begnuͤgen wuͤrde, ohne auf die Maſſe
und den Vorrath der Geldzeichen einen weiteren Werth zu
legen.
Dieſe Umſetzbarkeit iſt alſo die große Eigenſchaft, die aller
Privatcredit mit allem Nationalcredite gemein haben muß,
und damit die Verſchiedenartigkeit der Groͤßen ihr kein Hin-
derniß in den Weg lege, ſo muß das quantitative Verhaͤltniß
des beſondern Credits zu dem Allgemeinen, mit einem ſichern
Maaßſtabe gemeſſen werden koͤnnen, der aber wieder von
keiner Sache, wie das Metall, und von keinem abſtrakten
Begriffe, wie die Arbeit des Adam Smith, ſondern nur aus
Theoret. Theil Q
[242] der Totalitaͤt des geſammten Nationallebens, die ihn erzeugt
hat, hergenommen werden kann.
Je vollkommener alſo das geſammte Geldweſen eines
Landes iſt, um ſo idealiſcher wird es auch ſeyn, um ſo deut-
licher wird ſich der geſammte oͤkonomiſche Staatskoͤrper ſeiner
Seele bewußt; um ſo unmoͤglicher wird es, daß irgend ein
einzelnes Organ, alſo irgend eine einzelne Waare ausſchlie-
ßend, die Functionen dieſer Seele oder dieſes Geldes genuͤ-
gend verrichten koͤnne.
[243]
Achtes Kapitel.
Von den beyden Elementen des Werthmaaßſtabes: dem
Metallmaaßſtabe und dem Creditmaaßſtabe.
Die ſaͤmmtlichen bisherigen Betrachtungen haben nur da-
zu dienen ſollen, mehrere, uͤber die Natur des Standard
oder des Werthmaaßſtabes umlaufende Irrthuͤmer zu beſeiti-
tigen. Alle gedenkbaren Abſichten bey der Errichtung eines
ſolchen Maaßſtabes laufen nur darauf hinaus, das wahre
und gerechte Verhaͤltniß der verſchiedenen Werthe unter ein-
ander zu errichten, und zu erhalten, oder dieſes Verhaͤltniß,
welches ohne Einwirkung des Staates, ein unendlich ſchwan-
kendes ſeyn wuͤrde, zu befeſtigen.
Um alſo einen Maaßſtab zu erhalten, kaͤme es vor allen
Dingen darauf an, auszumachen, welches das Hauptverhaͤlt-
niß in der Nationaloͤkonomie ſey. Es iſt die Frage, ob ſich
alle die unendlichen Verhaͤltniſſe, aus denen eine Haushal-
tung beſteht, auf ein einziges Grundverhaͤltniß reduciren
laſſen? — Ich habe dieſe Frage bejaht und erklaͤrt, daß in
allen gedenkbaren oͤkonomiſchen Verhaͤltniſſen das Eine
Grundverhaͤltniß: Perſon und Sache wiederkehre,
und daß die Bedingung aller richtigen oͤkonomiſchen Anſicht
die gerechte Anordnung dieſes Verhaͤltniſſes ſey; die Perſon,
habe ich geſagt, koͤnne nicht unbedingt von der Sache ihr
Geſetz empfangen, d. h. eine Sache, Gold oder Silber koͤnnt
Q 2
[244] nicht der genuͤgende Standard des Werthes ſeyn; eben ſo
wenig aber koͤnne die Sache von der unbeſchraͤnkten Will-
kuͤhr der Perſon abhangen, ein bloß perſoͤnliches Verſprechen,
perſoͤnlicher Wille oder Meinung, muͤndlich oder ſchriftlich
ausgedruͤckt, koͤnne als Standard eben ſo wenig genuͤgen. —
Die ganze Sphaͤre des Staates habe nur entſtehen koͤnnen,
indem Perſoͤnliches und Saͤchliches im hoͤchſten Gleichgewicht
um einen Mittelpunct her angeſchoſſen ſey, indem alſo das
Allerperſoͤnlichſte, naͤhmlich das Wort des Menſchen, und das
Allerſaͤchlichſte, das edle Metall, deren jenes im Mittelpuncte
aller Perſoͤnlichkeit, dieſes im Mittelpuncte aller Saͤchlichkeit
ſtehe, zu den beyden Polen dieſer Kugel geworden, und
nun die Linie, welche ſie beyde unter einander und mit dem
Mittelpuncte verbindet (die Axe) zur Regel, zum Kanon,
zum Maaßſtab der ganzen Kugel und ihrer Bewegung er-
hoben ſey.
Die buͤrgerliche Geſellſchaft, die eigentliche Realitaͤt des
Staates ſey alſo der rechte Maaßſtab fuͤr alles Einzelne im
Staate, um ſo mehr da ſie, als die Totalitaͤt aller Groͤ-
ßen und Richtungen im Staate, allein im Stande ſey, Groͤße
und Richtung der einzelnen oͤkonomiſchen Function zugleich
zu meſſen, waͤhrend alle andere Maaßſtaͤbe entweder nur die
Groͤße, oder nur die Richtung, alſo niemahls den aus bey-
den zuſammen geſetzten Werth zu beſtimmen vermoͤchten.
Jeder einzelne Staatsbuͤrger hat bey allen ſeinen Hand-
lungen und Arbeiten offenbar zweyerley Richtſchnur: nie-
mand wird entſcheiden koͤnnen, welche von beyden die we-
ſentlichere ſey: das Recht und den Nutzen. Weil wir nun in
[245] dem gegenwaͤrtigen Werke aus dem Standpuncte der Oeko-
nomie oder des Nutzens ſprechen, und dennoch, um uͤber
das Einzelne zu entſcheiden, das Ganze des Staates, alſo
das eben ſo weſentliche Recht nicht außer Acht laſſen koͤn-
nen, ſo wollen wir das Wort: Recht, in die Sprache der
Oekonomie uͤberſetzen, und es den dauernden Nutzen
nennen. — Wenn wir nun von einem einzelnen oͤkonomi-
ſchen Objecte ſpraͤchen, ſo waͤre vielleicht eine Erwaͤgung des
Nutzens ſchlechthin moͤglich: einen Werthmaaßſtab verlangen
wir aber um des dauernden Nutzen willen eben ſo ſehr, als
um des augenblicklichen; er ſoll uns den Werth nicht bloß
fuͤr den Augenblick beſtimmen, ſondern auch fuͤr die Zukunft
garantiren. Eine Richtſchnur des augenblicklichen Nutzens al-
lein, oder ein feſtes Metallgeld, kann uns alſo nie die Dienſte
leiſten, die wir von einem Standard verlangen; ſondern die
Richtſchnur des dauernden Nutzens oder des Rechts muß uns
bey der Conſtruction des Werthmaaßſtabes zu Huͤlfe kommen,
und dieſe andere Richtſchnur nennen wir Geſetz.
Wenn wir alſo eine bloße Richtſchnur des augenblickli-
chen Nutzen feſtſetzten, mit andern Worten, wenn wir den
Metallpol unſrer Haushaltung fixirten, indem wir das Ver-
haͤltniß des Goldes und des Silbers ein fuͤr allemahl be-
ſtimmten, indem wir proclamirten, das Gold ſolle ſich zum
Silber verhalten wie 1 : , und nun zwiſchen dem
Golde und Silber eine Einheit aufſtellten, die Pfund Sterling
hieße, und nach Belieben in Pfund Troy Silbers von der
feſtgeſetzten Feinheit, oder in eines Goldſtuͤcks, das 5 dwts
9½ gr. desſelbigen Pfundes Troy in Golde von der feſtgeſetzten
[246] Feinheit enthielte, ausgedruͤckt werden koͤnnte, ſo wuͤrde es
der groͤbſte Irrthum ſeyn, dieſe einſeitige Richtſchnur an ſich, fuͤr
einen genuͤgenden Werthmaaßſtab zu halten. Wir wuͤrden
aber ganz eben ſo einſeitig und irrig verfahren, wenn wir
den Wortpol allein fixirten, die Einheit des Pfundes Ster-
ling willkuͤhrlich und eigenmaͤchtig beſtimmten, und verlang-
ten, daß dieſe ſo deſpotiſch creirte Einheit, etwa durch die
Schrift auf einem Blatte Papier ausgedruͤckt, fuͤr einen
Werthmaaßſtab gelten ſollte. Es waͤre dieſes allerdings ein
Act der Perſoͤnlichkeit, der aber die Gegenwirkung der Sa-
chen, durch welche das Agiren der Perſonen erſt moͤglich
wird, aufhoͤbe, und alſo, da ſich dieſe Reaction der Sa-
chen einmahl nicht vernichten laͤßt, zu einem Kriege auf
Tod und Leben zwiſchen der Perſoͤnlichkeit und Saͤchlichkeit,
oder zwiſchen dem Geſetz und den Sachen fuͤhren muͤßte.
Bey dem ewig denkwuͤrdigen Streit uͤber die Deprecia-
tion der Londer Banknoten im Jahre 1811, einer Verhand-
lung, die an Wichtigkeit keiner Deliberation, die je auf die-
ſer Erde uͤber die Heiligthuͤmer der Menſchheit gefuͤhrt wor-
den, nachſteht, theilten ſich die beyden ſtreitenden Parteyen
in die beyden hier angegebenen, einſeitigen Anſichten des
Maaßſtabes. Die Committee des Unterhauſes hatte ſich fuͤr
den Metallpol entſchieden, und glaubte den Werthmaaßſtab
nirgends anders als in einem Pfunde Sterling von feſtgeſetztem
Gewichte Goldes oder Silbers finden zu koͤnnen. Die Gegen-
partey entſchied fuͤr den Wortpol, und wollte das Pfund Sterling
nicht anders, als wie es durch die oͤffentliche Meinung exi-
ſtirte, anerkennen. — Das Parliament oder vielmehr Groß-
[247] brittanien ſelbſt entſchied dießmahl fuͤr den Wortpol, nicht
etwa als wenn es uͤberhaupt den Maaßſtab nur in der
oͤffentlichen Meinung anerkannte; ſondern weil der Metall-
pol durch die Weltumſtaͤnde, Theurung des Goldes, Ungunſt
des Wechſelcurſes u. ſ. w. ſich ſchon von ſelbſt aufdraͤngte,
ſo ſetzte das Parliament fuͤr dießmahl ſeinen Accent, ſeine
ganze Kraft auf den Wortpol.
In keinem europaͤiſchen Lande ſind die geſammten oͤko-
nomiſchen Verhaͤltniſſe auf eine ſo gerechte Weiſe angeord-
net, und darin ſo lange erhalten worden, als in Großbrit-
tanien. Deßhalb waͤre nichts ſo wichtig als die brittiſche An-
ſicht vom Werthmaaßſtabe zu kennen, und dieſen Maaßſtab
wo moͤglich ſelbſt in die Haͤnde zu bekommen.
Wir koͤnnten indeß dieſen Zweck nicht ſicherer verfehlen,
als wenn wir den einzelnen Britten daruͤber befragten; denn
es iſt gerade die gruͤndliche Einſeitigkeit der Anſicht des Ein-
zelnen neben der Ergebenheit und dem Gehorſam ſeines Her-
zens gegen das Ganze, welche uns berechtigt, von Großbrit-
tanien ſelbſt einen Orakelſpruch in dieſer dunkeln und doch
ſo wichtigen Angelegenheit zu erwarten. Wir verlangen ja
nur das, was ſich aus dem Conflict aller einſeitigen Anſich-
ten ergibt, und daß alle einſeitigen Anſichten nothwendig zum
Worte kommen, iſt ja eben das vortreffliche Weſen der brit-
tiſchen Verfaſſung. Den Kampf der brittiſchen Parteyen durch
den Lauf ganzer Jahrhunderte zu verfolgen, iſt gewiß die
ſicherſte und vollſtaͤndigſte Schule der Staatsweisheit, die
es uͤberhaupt gibt: aus demſelben Grunde aber iſt der ein-
zelne Britte, in wie fern man ſich an den Buchſtaben
[248] ſeiner augenblicklichen Staatsanſicht haͤlt, der aller unzu-
verlaͤßigſte Fuͤhrer: wie wenige außer Burke und Pitt koͤnnen
dafuͤr gelten, daß ſie Großbrittanien ſelbſt repraͤſentiren; auch
leidet es England nicht, daß je ein Einzelner ſo groß und un-
befangen werde, daß er mit dem Vaterlande verwechſelt
werden koͤnnte: er ſoll einſeitig ſeyn; daher hat man auch
die beyden genannten: Apoſtaten geſchimpft.
Die Anſicht Großbrittaniens vom Maaßſtabe wird ſich
ergeben, wenn wir die oͤkonomiſche Geſchichte und Verfaſſung
dieſes Landes im Laufe des letzten Jahrhunderts ſelbſt be-
fragen: Wir ſehen am Schluße des ſiebzehnten Jahrhunderts
die Compagnie der Bank von England, als eine reiche und
mit mancherley Privilegien ausgeruͤſtete, uͤbrigens aber voͤllig
freye Corporation entſtehen; ſie diskontirt mit ihren Noten,
ſie handelt mit Gold und Silber, ſie beſorgt mancherley
Geldgeſchaͤfte fuͤr die Regierung, ſie wechſelt auf Verlangen
ihre Noten gegen baares Geld um, indeß hat ſie auf die
Beſtimmung oder Veraͤnderung des Werthmaaßſtabes keinen
weiteren Einfluß, als irgend ein anderes großes Handlungs-
haus. — Am Ende des erſten Jahrhunderts ihrer Dauer im
Jahre 1797, befiehlt der geheime Rath daß ſie ihre Noten
in baares Geld umzuſetzen aufhoͤren ſolle; er, und mit
ihm das Parliament erklaͤrt alſo, daß dieſe Noten, deren
Creation wie das ganze Bankgeſchaͤft uͤberhaupt fortdauerte,
auch abgeſehen von ihrer Umſetzbarkeit in baares Geld
und von ihrer unmittelbaren Beziehung darauf zu circuliren
haͤtten, daß die Pfunde Sterling der Banknoten alſo eben ſo
wohl den vollen Werthmaaßſtab in ſich enthielten, als die
[249] in einer Guinee oder in 20 Schillingen enthaltenen Pfun-
de Sterling.
Was noch mehr ſagen will: die ganze Nation erkennt
dieſe Unabhaͤngigkeit der Banknote und des in ihr enthalte-
nen Maaßſtabes ſo vollſtaͤndig und einmuͤthig an: daß heute,
nachdem der Marktpreis des in einer Guinee enthaltenen
Goldes um 20 bis 30 pr. Ct. geſtiegen iſt, und eines
Pfundes Sterling in Noten einer Guinee geſetzlich gleich ge-
achtet werden, zwar das Gold verſchwunden iſt, ſich aber
keine Spur eines Disconts der Noten gezeigt hat, und,
was das Wichtigſte iſt, die Preiſe der Dinge in Banknoten
ausgedruͤckt zwar geſtiegen ſind, aber durchaus um nichts
mehr in dieſer Creditmuͤnze geſtiegen, als in der ſeltenen
Goldmuͤnze und in der noch in hinreichender Quantitaͤt cir-
culirenden Silbermuͤnze des Landes. Dieſe Silbermuͤnze iſt,
wohl zu bemerken, ſo ungleich zerſchliſſen und abgetragen,
als ſie am Schluße des ſiebzehnten Jahrhunderts nur ſeyn
konnte, wo derſelbe Zuſtand eine gaͤnzliche Handlungsver-
wirrung herbeyzufuͤhren drohte, und die ungeheure, koſtſpie-
lige Operation der Ummuͤnzung alles vorhandenen Silbers
erzwang. Lord Liverpool in ſeinen vortrefflichen Briefe an
den Koͤnig uͤber die Muͤnzen des Reichs, erklaͤrt die gegen-
waͤrtige Unſchuld und Folgenloſigkeit derſelben Corruption der
Silbermuͤnze, die in den Jahren 1694 und 1695 den Handel
und Credit von England mit den ſchrecklichſten Revolutionen
bedrohte, dadurch, daß ſeitdem das Gold Standard des Wer-
thes geworden ſey, und daß das Silber, welches damahls
allen Verkehr regulirt habe, gegenwaͤrtig nur den kleinen
[250] Verkehr und dieſen in der Dienſtbarkeit und Abhaͤngigkeit
vom Golde regulire. Es iſt wahr, die Goldmuͤnze war in je-
nen Zeiten in England ſo wenig, als noch heute in Deutſch-
land, geſetzliche Zahlung (legal tender); niemand war ge-
zwungen, ſie anders als nach einem verabredeten Werthe an-
zunehmen, bis die Proclamation vom vierten Jahre Georg
des Erſten, den Werth der Guineen auf 21 Schilling feſt-
ſetzte, und das Statut vom vierzehnten Jahre Koͤnig Georg
des Dritten anordnete, daß keine Schuld uͤber 25. l. in
Silbermuͤnze ſollte aufgedrungen werden koͤnnen, außer nach
dem Gewicht, die Unze Silbers zu 5. 3. 2. d. — Das ge-
ſammte in den Jahren 1696—1699 neu umgepraͤgte Sil-
bergeld war verſchwunden oder corrumpirt, und ſo mochte
es wirklich ſcheinen, daß ſich in der nunmehrigen Lage Groß-
brittaniens das Gold viel mehr als das Silber zum Maaß-
ſtabe des Werthes eignete. Indeß hatte bereits im J. 1773
die Goldmuͤnze das ganze fruͤhere Schickſal der Silbermuͤnze
erlebt: in dieſem Jahre wurde eine Ummuͤnzung des ge-
ſammten Goldes nothwendig, die bis in das Jahr 1777
dauerte; und eine der Hauptbeſchwerden in der gegenwaͤrti-
gen Lage von England iſt wieder, daß das ganze Product
dieſer und folgender Ummuͤnzungen groͤßtentheils verſchwun-
den iſt. Welche beſonderen Umſtaͤnde auch jede von dieſen beyden
Depreciationen und Ummuͤnzungen und Auswanderungen vor
den andern auszeichnen moͤgen, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß
weder die Corruption der Goldmuͤnze nach dem ſiebenjaͤhri-
gen Kriege bis auf 1777, noch der gegenwaͤrtige Mangel
derſelben, der noch uͤberdieß von einer bedeutenden Corruption
[251] der Silbermuͤnzen begleitet iſt, irgend eine ungluͤckliche Folge
fuͤr den innern Verkehr veranlaßt hat, die an Umfang mit
der Handelszerruͤttung am Schluße des ſiebenzehnten Jahr-
hunderts zu vergleichen geweſen waͤre. Und ſo moͤchten wir,
nach der Analogie der Behauptung des Lord Liverpool, die
andere Behauptung wagen, daß die Folgenloſigkeit der Cor-
ruption und des Stillſtandes des geſammten Muͤnzweſens
nur dadurch zu erklaͤren ſey, daß Banknoten der eigentliche
Standard des Reiches geworden waͤren. Der geheime Rath
und das Parliament haben durch den Befehl der Suspenſion
der baaren Zahlungen, und durch die ſpaͤteren Prolongatio-
nen dieſes Geſetzes, ſich fuͤr dieſelbe Anſicht der Sache ent-
ſchieden.
Bey Erwaͤgung der Lage von Großbrittanien, und der
ungeheuren Progreſſion ſeines Handels und ſeiner Induſtrie im
Laufe des letzten Jahrhunderts, ſpringt es in die Augen, daß
ein ſo bedeutendes Handelsobject als die edeln Metalle, viel
weniger zum unbedingten Werthmaaßſtabe geeignet ſeyn muͤſ-
ſe, jetzt, als damahls, wo die Beſorgung des innern Ver-
kehrs noch die Hauptfunction der edeln Metalle war. Ein
Handelsſtaat von dieſem Umfange, der noch in abſoluter Ab-
haͤngigkeit von den edeln Metallen waͤre, laͤßt ſich uͤberhaupt
nicht denken: alſo die Banknoten fortgedacht, ſo haͤtte wenig-
ſtens der geſammte Verkehr mit dem hinterſten Orient, China
und Indien, ferner die ungeheure Maſſe von Induſtrie,
welche durch die bedeutenden Korneinfuhren in den neueren
Zeiten gedeckt worden iſt, endlich der ſaͤchliche Antheil Groß-
brittaniens an den Europaͤiſchen Welthaͤndeln, der in bedeu-
[252] tendem Grade wieder den Handel hat tragen helfen, großen-
theils unterbleiben muͤſſen.
Was iſt nun die ganze Inſtitution der Bank von England
anderes, als die freye Concentration des geſammten perſoͤn-
lichen Credites von [Großbrittanien]. Die Banknote bildet recht
eigentlich den Mittelpunct, oder den vermittelnden Punct, zu-
naͤchſt zwiſchen allen perſoͤnlichen Verpflichtungen des Volks
und der Regierung, zwiſchen allen Arten von Schatzkammer-
ſcheinen, Stocks, Wechſeln, Privat- und Provinzialbanknoten
im Umfange des Reichs, und dem zu Folge fuͤr allen perſoͤn-
lichen Verkehr, fuͤr alle Handelsgeſchaͤfte, und mittelbar durch
dieſe fuͤr alle [gedenkbaren] Werthe. Sie bildet ſehr beſtimmt
den einen Pol der Haushaltung von Großbrittanien, den ich
den Wortpol nenne: das jetzt ſuspendirte Geſetz der Umſetzbar-
keit der Banknoten in baares Geld, druͤckt auch ſehr deutlich
die Verbindung des Wortpols mit dem Metallpol, oder die
Axe der Brittiſchen Nationaloͤkonomie aus.
Die erſte Haushaltung von Europa hat alſo erwieſen,
daß, wenn einerſeits ein unbegrenzter Verkehr mit dem Aus-
lande, welcher eine weſentliche Bedingung alles innern Wohl-
ſtandes iſt, nicht ohne Metall-Circulation zu denken iſt, dieſer
Verkehr andererſeits eben ſo nothwendig, ohne eine wahre
Papier-Circulation fuͤr die Dauer nicht vor ſich gehen koͤnne:
dem Metall fehlt die fuͤr ſo große Geſchaͤfte nothwendige
Elaſticitaͤt; es iſt um ſo vieles wichtiger im Welthandel, als
es in dem innern Verkehr unentbehrlich iſt; es iſt, ſo lange
es kein Papier zur Seite hat, ſo vielmehr Waare als Geld,
und demnach ſo ſchwerfaͤllig, daß es mit der erhabenen
[253] Verſatilitaͤt der Geſchaͤfte eines ſolchen Reiches wie Großbritta-
nien, nicht nur nicht Schritt halten kann, ſondern ſie noth-
wendig hemmen muß: kurz, das Metallgeld kann die Geld-
functionen erſt genuͤgend verrichten, wenn die Moͤglichkeit da
iſt, es auch entbehren zu koͤnnen, wie uͤberhaupt der wahre
Genuß und Gebrauch der Guͤter des Lebens nur fuͤr den moͤg-
lich iſt, der ſie auch wieder entbehren, alſo ohne Zwang,
ohne Dependenz von ihnen, alſo mit Freyheit gebrauchen
kann.
Gerade wie die aͤußere Sprache der Rede, und die innere
Sprache der Figuren und Gedanken bey dem einzelnen Men-
ſchen ſich unter einander bedingen, und das Gleichgewicht,
der ebenmaͤßige Fortſchritt beyder, Wechſelbedingung ſeines
ſowohl aͤußern als innern Fortſchritts iſt; und wie die
Sprachfertigkeit an und fuͤr ſich, wie ſie bey ſo vielen Men-
ſchen unverhaͤltnißmaͤßig gegen die Denkfertigkeit ausgebildet
iſt, den ganzen hoͤheren Verkehr der Menſchen nur hemmen
kann, obgleich die Sprache das Hauptmittel dieſes Verkehrs
iſt, ſo auch das Metallgeld ohne das Papiergeld.
Durch eine der in dem Schickſale einer ſo großen Haus-
haltung, als die Brittiſche, unvermeidlichen Wendungen iſt
im Laufe der letzten funfzehn Jahre die Metall-Circulation aus
dieſem Lande großentheils verſchwunden, und ein Zuſtand der
Dinge herbey gefuͤhrt, den wir in keiner Ruͤckſicht einſeitiger
und unnatuͤrlicher finden, als den andern, deſſen Unnatuͤrlich-
keit und Einſeitigkeit man auf dem Continente von Europa noch
kaum zu ahnden anfaͤngt, den naͤhmlich, wo der geſammte
Verkehr nur von einer Metall-Circulation getragen wird.
[254]
Der freye Wille, die Meinung aller, die oͤffentliche Mei-
nung hat das große, in alle Haushaltung von Großbrittanien
verwachſene Inſtitut, welches wir heut die Bank von England
nennen, errichtet. Was urſpruͤnglich das Werk einer kleinen
Handlungsſocietaͤt war, iſt durch die Mitwirkung von ganz
England im Laufe eines Jahrhunderts zum Stuͤtz- und Anle-
gungspuncte allen Credits, zum Vermittler des Ganzen und
jedes Einzelnen, der Oekonomie, der Regierung und jeder
beſonderen Haushaltung geworden.
Jede Handelsunternehmung, alle Induſtrie, ſetzt Geld
voraus: das beſondere Vermoͤgen des Unternehmers, ſein
Privatcredit muß realiſirt, oder, damit ich mich beſtimmter
ausdruͤcke, in den Stand des Nationalgeldes erhoben werden,
oder des Weltgeldes, wenn die Unternehmung auf das Aus-
land gerichtet iſt. Die Perſon des Kaufmanns will mit einer
beſtimmten Waare, einem ſaͤchlichen Antipoden in der Sphaͤre
der Nationaloͤkonomie, wie ich dieß fruͤher beſchrieben, in un-
mittelbare Beziehung treten. Es iſt nicht zu berechnen, wie
groß die beſtimmte Geldkraft werde ſeyn muͤſſen, welche zur
Fortfuͤhrung und Durchfuͤhrung eines beſtimmten Geſchaͤftes
nothwendig iſt: gibt es alſo uͤberhaupt nur Metallgeld, ſo iſt
klar, daß das zu betreibende Geſchaͤfte nur durch das moͤgliche
Maximum von Vorrath des Metalls geſichert werden koͤnne.
Dieſes Maximum des Vorraths iſt bey den einzelnen Handels-
geſchaͤften nicht vorhanden: der einzelne Kaufmann oder Pri-
vatunternehmer ergaͤnzt den Mangel durch ſeinen Privatcredie,
der ihn allerdings in den Stand ſetzt, die edeln Metalle zu
erſparen. Indeß ſo gut wie das Privatprodukt, die einzelne
[255] Waare welche der Privatmann erzeugt oder beſitzt, und die
in ſeiner Privathaushaltung dieſelbige Geldfunction verrichtet,
die in der Nationalhaushaltung, das edle Metall — erſt reali-
ſirt werden muß, erſt in die allgemeine Waare verwandelt
werden, wenn die Oekonomie fortruͤcken ſoll, eben ſo gut muß
auch der Privatcredit erſt realiſirt, erſt im Allgemeinen in
Nationalcredit verwandelt werden. Die allgemeine Waare,
die Realitaͤt, in welche die Waaren umgeſetzt werden, wenn
ſie nach unſerer Benennung realiſirt werden, iſt das Metall-
geld: in Staaten, wo nur eine Metall-Circulation exiſtirt,
wo das Metall das einzige oͤkonomiſch Allgemeine iſt, kann
auch der Privatcredit wieder in nichts anderem realiſirt wer-
den, als in Metallgeld; es iſt alſo klar, daß in ſolchen
Staaten (wenn ſie uͤberhaupt noch den Nahmen Staat ver-
dienen) die Schwerfaͤlligkeit, Unnachgiebigkeit des Metalls,
welches nur durch ſeine Maſſe gilt, ſich allen einzelnen Ge-
ſchaͤften mittheilt; waͤhrend, wenn aller Privatcredit eben ſo
gut ſeinen eigenthuͤmlichen Mittelpunct haͤtte, als alle Pri-
vatwaaren in dem Metallgeld den ihrigen haben, die zur
Maſſenkraft des Metalls nothwendige Seltenheit desſelben
geſchont, und dennoch das Geſchaͤft durch eine Garantie ganz
anderer Art als der Maſſe, ſicher geſtellt werden koͤnnte.
Die Realitaͤt, par excellence, unter allen Realitaͤten,
Waaren, Sachen, iſt in Großbrittanien ſo gut wie uͤberall
das edle Metall die Realitaͤt, par excellence, in die aller
Privatcredit umgeſetzt werden muß, um allgemeine Wirkun-
gen hervor zu bringen, iſt die Bank von Großbrittanien.
Die Bank von England iſt, noch richtiger ausgedruͤckt, die
[256] Perſonalitaͤt, par excellence, unter allen Perſonalitaͤten,
Wechſeln, Obligationen, perſoͤnlichen Verpflichtungen.
Die oͤkonomiſchen Objecte ſind, wie ſchon oben erwieſen,
nur weſentlich verſchieden nach den Graden ihrer Allgemein-
guͤltigkeit: das Geſammtbeduͤrfniß der Nation entſcheidet,
ſagte ich, uͤber den Werth, und deßhalb iſt der Staat ſelbſt
als das Allgemeinguͤltigſte der vollſtaͤndigſte Werthmaaßſtab.
In der Sprache der bisherigen Oekonomie wird dieß ſehr
richtig, obwohl bewußtlos bezeichnet durch das Wort: Reali-
ſiren. Durch die Allgemeinguͤltigkeit iſt das Metallgeld res
inſonderheit. Es gibt aber ſo unendlich viele Abſtufun-
gen des Credits als der Waaren, mit Ruͤckſicht auf die Allge-
meinguͤltigkeit. Grade des Credits ſind nichts anderes, als
Grade der perſoͤnlichen Bedeutung: unter dieſen tauſendfaͤlti-
gen Formen des Privatcredits und der Perſoͤnlichkeit, muß es
einen mittleren Credit, eine personainſonderheit geben,
und in allem beſonderen Credit ein Streben nach der Per-
ſonaliſirung, wie unter den Waaren ein Streben nach der
Realiſirung.
Da nun die Maſſe des Metalgeldes an der Oberflaͤche der
Erde gegeben, und nur in ſehr geringerem Grade von der
menſchlichen Induſtrie abhaͤngig iſt, ſo waͤre das ganze oͤkono-
miſche Leben wie eingemauert, wenn die Realiſation in dem
hier aufgeſtellten beſtimmteren Sinne des Wortes, die einzige
Bedingung aller oͤkonomiſchen Geſchaͤfte waͤre: aber da die
Realiſation an ſich noch nichts hilft, wenn man ſich nicht
vermittelſt der Perſonaliſation, außer der geſellſchaftlichen
Maſſenkraft, die in den edeln Metallen liegt, auch der
[257] Elaſticitaͤt, ich moͤchte ſagen, der Seele bemeiſtern kann,
die den Metallen erſt Leben und organiſches Wachsthum, und
organiſche Beweglichkeit einhaucht — ſo leuchtet hier von
neuem, und zwar durch das große Beyſpiel von Großbritta-
nien bekraͤftigt, die Nothwendigkeit ein, das eigentliche Geld
in der ewigen Vermittelung zwiſchen beyden Geldformen, der
perſoͤnlichen und der ſaͤchlichen, das heißt: wie den unſicht-
baren zwiſchen zwey Polen ſchwebenden Mittelpunct anzu-
ſchauen. Jeder Kaufmann, jeder Wirth begehrt bey ſeinem
Geſchaͤft dieſen mittleren ſchwebenden Standpunct, zwiſchen
dem allgemeinen Credit und der allgemeinen Waare zu erlan-
gen; und der Brittiſche Kaufmann iſt, wenn er in ſeiner be-
ſonderen Haushaltung dasſelbe Gleichgewicht zwiſchen Credit
und Waare, zwiſchen dem Perſoͤnlichen und Saͤchlichen zu er-
richten und zu behaupten weiß, welches der Staat im Großen
gluͤcklich zu Stande gebracht und behauptet, in dieſer gluͤck-
lichen Lage, vor allen andern Kaufleuten der Welt.
Um alſo die große Frage zu beantworten, was der eigent-
liche Werthmaaßſtab fuͤr Großbrittanien, und aus dem Stand-
puncte der Brittiſchen Verfaſſung ſey, wird die Erwaͤgung eines
einzelnen Statutes oder Muͤnzgeſetzes ſo wenig hinreichen,
als die Erklaͤrung eines einzelnen Englaͤnders. Wie aber die
Vorzuͤglichkeit der Brittiſchen Verfaſſung uͤberhaupt, in dem
Gleichgewichte des Perſoͤnlichen und Saͤchlichen liegt, und wie
das, durch das Parliament dargeſtellte Gleichgewicht zwiſchen
dem Geldintereſſe und dem Landintereſſe, zwiſchen dem Talent
und dem Beſitz, zwiſchen dem Seyn und dem Haben, ſich
in jeder beſondern Haushaltung wiederholt; ja wie jeder
Theoret. Theil R
[258] ordentliche Englaͤnder die ſaͤchliche Einſeitigkeit einer beſtimm-
ten oͤkonomiſchen Function vollſtaͤndig ausdruͤckt, und doch
wieder ein eben ſo maͤchtiges perſoͤnliches Gefuͤhl von der uͤber-
ſchwenglichen Gerechtigkeit und Allſeitigkeit des ganzen Groß-
brittaniens naͤhrt — ſo iſt es leicht begreiflich, daß uͤber-
haupt in jenem Lande ein bloß ſaͤchlicher Werthmaaßſtab nicht
Statt finden koͤnne.
Geſetzt auch in allen Statuten und Parliamentsverhand-
lungen bis auf das Jahr 1797 herab, werde unter Standard
nichts Hoͤheres gemeint, als eine beſtimmte, durch ein gewiſ-
ſes Metallgewicht ausgedruͤckte Einheit, ſo bewieſe dieß bloß,
daß der eigentliche Werthmaaßſtab in den Parliamentsver-
handlungen bis dahin noch nicht zur Sprache gekommen, daß
man unter Standard nichts anderes verſtanden habe, als den
untergeordneten Maaßſtab der ſaͤchlichen Verhaͤltniſſe, den der
Werthmaaßſtab keineswegs ausſchließt, neben oder uͤber dem
aber, wenn auch unausgeſprochen ein eigentlicher Werthmaaß-
ſtab laͤngſt beſtehen konnte.
Wenn nun im Jahre 1797 der geheime Rath ſowohl, als
das Parliament das Papier der Bank von England fuͤr unab-
haͤngig von der Vormundſchaft des Metallgeldes erklaͤren;
wenn ſie, obwohl mit einiger, bey einem ſo großen Schritte
ſehr natuͤrlichen Unbeſtimmtheit und Dunkelheit, jedoch im
Weſen nichts anderes verordnen, als daß die Muͤnze von Groß-
brittanien, welche bisher der Werthmaaßſtab der Banknoten
zu ſeyn ſchien, und die doch wieder in gewiſſer Hinſicht von
dem Welt- oder Marktpreiſe der edeln Metalle abhaͤngig ge-
weſen war, nunmehr von der Banknote ihren Werth ableiten,
[259] alſo von dieſer ihren Maaßſtab empfangen ſolle; wenn ganz
Großbrittanien, von der unermeßlichen Wichtigkeit der Per-
ſonaliſirung alles Privatcredits, wie es ſcheint, noch viel
mehr uͤberzeugt, als von der Nothwendigkeit der Realiſ[i]rung
aller beſonderen Waaren, den Beſchluß der Staatsgewalt
und der Geſetzgebung einmuͤthig ſanctionirt; wenn uͤbrigens
ein welthandelndes Volk, den Werth der Realiſation, die
Wichtigkeit des edeln Metalls, und des daran haftenden
Elementes der Sicherheit fuͤr alle merkantiliſchen Geſchaͤfte,
durchaus, auch nicht uͤber die ſchreyendſte Nothdurft des ge-
faͤhrlichſten Augenblickes vergeſſen kann — ſo iſt klar, daß
der perſoͤnliche Werthmaaßſtab der Banknote nicht etwa im
Jahre 1797 erſt erfunden, oder errichtet worden ſeyn koͤnne,
ſondern daß er vielmehr, ſowohl von der Geſetzgebung und
Staatsgewalt, als von der oͤffentlichen Meinung des ganzen
England laͤngſt anerkannt geweſen, und daß die Banknoten
durchaus nicht als bloße Surrogate, Subſtitute oder Noth-
zeichen des Metallgeldes, ſondern auf dem Fuße vollkom-
mener Paritaͤt mit dem Metallgelde, als wahres eben ſo
maͤchtiges und unentbehrliches Creditgeld laͤngſt betrachtet und
behandelt worden ſind.
Wenigſtens haͤtte ſich unmittelbar, nach Suspenſion der
Realiſation, ein Diskont der Banknoten aͤußern muͤſſen, ſie
haͤtten aus dem mittleren Geldſtandpuncte, den ſie unter den
geſammten Privatcreditpapieren einnehmen, unmittelbar her-
aus treten muͤſſen, wovon ſich bis jetzt kaum eine Spur ge-
zeigt hat. Aller Credit im Umfange der Reiche Großbrittanien,
kennt auch heute nur eine einzige Art der Perſonaliſirung,
R 2
[260] naͤhmlich die, vermittelſt der Banknoten; und daß dieß neben
der großen Steigerung des Goldpreiſes, und ungeachtet der
großen Ungunſt des Wechſelcourſes, das heißt: ungeachtet der
ſteigenden Wichtigkeit der Realiſation, fuͤr den vermehrten
auswaͤrtigen Kriegs- und Handelsverkehr von England, noch
heute der Fall iſt, dieß iſt ein Beweis mehr fuͤr den Satz, daß
die Banknoten ein eben ſo weſentliches Element des Werth-
maaßſtabes bilden, als die edeln Metalle.
Es bedarf wohl keines Beweiſes, daß um den Forderun-
gen, die an einen wahren Werthmaaßſtab gemacht werden,
zu genuͤgen, es keineswegs hinreiche, daß nur die Rechnungs-
oder Zahlungseinheit des Landes, zum Beyſpiel: das Pfund
Sterling, in Silbergewicht oder durch das Wort einer ſo
maͤchtigen Corporation wie die Bank von England, gehoͤrig
und unabaͤnderlich feſtgeſetzt werde. Denn es kommt nicht dar-
auf an, daß die oͤkonomiſchen Werthe im Umfange des Lan-
des, jeder einzeln, auf die feſte Einheit eines Maaßſtabes
reducirt werden, ſondern alle dieſe oͤkonomiſchen Werthe ſol-
len vornaͤhmlich ihr Verhaͤltniß unter einander behaupten:
die Menge ſolcher Einheiten, die ich heute verleihe, ſoll noch,
wo moͤglich, nach langen Jahren in demſelben Verhaͤltniß zu
allen weſentlichen Lebensbeduͤrfniſſen, und durch ſie mit allen
uͤbrigen minder weſentlichen ſtehen, als worin ſie heute zu
derſelben ſteht.
Dieſer Forderung kann durch die noch ſo gruͤndliche
Fixirung der Rechnungseinheit nicht genuͤgt werden: vielmehr
iſt dieſe abſolute Fixirung des Maaßſtabes, waͤhrend das
[261] geſammte zu meſſende Weſen waͤchſt, einer voͤlligen Zerſtoͤrung
des Maaßſtabes gleich zu achten. Deßhalb verlangt man mit
Recht, daß ſich die Maſſe der Geldzeichen in demſelben Ver-
haͤltniſſe vermehren muͤſſe, als ſich die geſammte von dem
Gelde zu beherrſchende Nationaloͤkonomie ausbreitet, und daß
man fuͤr den relativ ſinkenden Werth der Geldeinheit, durch
die groͤßere Leichtigkeit ſich in Beſitz dieſer Einheiten zu ſetzen,
entſchaͤdigt werden muͤſſe.
Wenn die Nationaloͤkonomie im Gleichgewichte iſt, wenn
ſie ſphaͤriſch ausgebildet iſt, ſo iſt das Geſetz ihrer Bildung
wie ihrer Bewegung ausgedruͤckt, durch die Axe dieſer
Sphaͤre. Dieſe Axe, habe ich geſagt, iſt ihr Werthmaaß-
ſtab. Denn da die bloße Fixirung einer Metall- Gewichts-
oder Worteinheit zu den Werthbeſtimmungen nicht hinreicht,
indem die Vermehrung oder Verminderung der Einheiten alle
Verhaͤltniſſe ſtoͤren wuͤrde, die wir durch den Werthmaaßſtab
berichtigen oder erhalten wollen, ſo hat man uͤberhaupt nur
eine halbe Vorſtellung vom Standard, wenn man nicht we-
nigſtens eben ſo beſtimmt die ganze Summe von Einheiten
kennt, womit der Verkehr dieſes beſtimmten Landes betrie-
ben wird. Wird dieſe ſehr weſentliche Bedingung erfuͤllt, ſo
erhalten wir eine Groͤße, die nunmehr in einem ſichern Ver-
haͤltniß zu dem Geſammtverkehr der Nationalhaushaltung
ſteht, die alſo auch mit dieſem Geſammtverkehr wachſen oder
abnehmen kann.
Geſetzt ein Pfund Sterling Silberwerth ſey das Maaß
der Geſammtbeduͤrfniſſe des einzelnen Menſchen im Laufe einer
Woche, zu einer gewiſſen Zeit geweſen, und mir wuͤrde heut
[262] geſagt, daß er uͤber zehn ſolcher Pfunde Sterling Silberwerth
woͤchentlich disponiren koͤnne, ſo weiß ich noch nicht, was
dieſer Menſch nunmehr oͤkonomiſch werth ſey, eben weil der
beſtimmteſte Silberwerth ein durchaus unvollſtaͤndiger Maaß-
ſtab war: geſetzt aber, ich wuͤßte, daß ein ſolches Pfund Ster-
ling woͤchentlich hingereicht habe, als das Geſammtbeduͤrfniß
von England woͤchentlich mit drey Millionen derſelben Pfund
Sterling beſtritten wurde, und daß das gegenwaͤrtige Ge-
ſammtbeduͤrfniß von England dreyßig Millionen derſelben
Pfund Sterling erfordert und beherrſcht, ſo kann ich nun
mit ziemlicher Beſtimmtheit behaupten, daß der einzelne
Menſch das andere Mahl gerade ſo viel werth geweſen ſey,
als das erſte Mahl.
Es iſt oben gezeigt worden, daß dieſes bey allen gedenk-
baren Maaßſtaͤben der Fall iſt: eine Laͤngeneinheit, eine Ge-
wichtseinheit koͤnnte man nach Belieben erfinden, und durch
Kunſt befeſtigen; aber mit ſolchen nach Willkuͤhr erfundenen
Maaßſtaͤben dringen wir nicht durch, weil der Maaßſtab in
einem mittleren Verhaͤltniß aller damit zu meſſenden Groͤßen
ſtehen muß, welches mittlere Verhaͤltniß, zum Beyſpiel: bey
den Laͤngenmaaßſtaͤben, durch die Groͤße des menſchlichen
Koͤrpers und ſeiner Glieder, zwar ſchon richtig voran gedeu-
tet wird, aber ſich erſt im Laufe der Zeiten, und im unend-
lichen Verkehr aller verſchiedenen Laͤngen unter einander
ergibt.
In noch viel hoͤherem Grade gilt dieß vom Werthmaaß-
ſtabe: die bloße Groͤßeneinheit entſcheidet uͤber den Werth
noch nichts, wie ſie auch feſtgeſtellt ſey, denn ich will nicht
[263] die bloße Groͤße wiſſen, ſondern den Werth der, wie hinlaͤng-
lich gezeigt, aus Groͤße und Verhaͤltniß zuſammen geſetzt iſt:
der Werthmaaßſtab muß alſo aus Groͤße und Verhaͤltniß zu-
ſammen geſetzt ſeyn, ſo gut wie der zu meſſende Werth. Ein
feſter Werthmaaßſtab iſt alſo ein feſtes Verhaͤltniß zwiſchen
dem Vermoͤgen des Einzelnen im Durchſchnitt und dem Na-
tionalvermoͤgen, welches Verhaͤltniß zu beſtimmen man frey-
lich erſt beyderley Vermoͤgen auf einerley Benennung und
Einheit reduciren muß.
Es iſt alſo dringend nothwendig den Werthmaaßſtab, von
dem oͤkonomiſchen Groͤßenmaaßſtabe ſo ſtreng als moͤglich zu
unterſcheiden, und nicht Anſpruͤche an den letzteren zu machen,
welche nur der erſtere befriedigen koͤnnte. Das Metall an und
fuͤr ſich kann nichts als einen oͤkonomiſchen Groͤßenmaaßſtab
hergeben, denn da deſſen Vermehrung oder Verminderung
nie in dem Gebiete der menſchlichen Kunſt liegt, ſo wird ſein
Totalbelauf, ſchon wegen der inwohnenden Sproͤdigkeit und
Steifheit, in beſtaͤndigem Mißverhaͤltniß zu der Welt von
Werthen ſtehen, die es meſſen ſoll. Das menſchliche Wort,
der menſchliche Credit hingegen hat anderſeits in hohem Grade
die Fuͤglichkeit, Nachgiebigkeit und Elaſticitaͤt um das andere
Element des Werthmaaßſtabes, naͤhmlich das Verhaͤltniß
aller Werthe zum Nationalvermoͤgen auszudruͤcken.
Die Bank von England an ſich vermag freylich nicht das
beſtimmte Silber- oder Goldgewicht in dem Pfunde Sterling
feſt zu halten, daher wird ſie ohne die Bedingung der Umſetz-
barkeit ihrer Noten in Metallgeld keinen ganz vollkommenen
Werthmaaßſtab darzuſtellen im Stande ſeyn, dagegen genuͤgt
[264] ſie deſto mehr der andern eben ſo weſentlichen Forderung an
den Werthmaaßſtab, naͤhmlich ſie kann in der Summe ihrer
Noten das Verhaͤltniß der Totalwerthe des geſammten Natio-
nalvermoͤgens in zwey verſchiedenen Zeiten deſto beſtimmter
aufrecht erhalten, wozu, wie es in der Natur der Sache
liegt, das noch ſo beſtimmt fixirte Silbergewicht des Pfundes
Sterling, voͤllig unnuͤtz iſt.
So wie nun das Metall, fuͤr die mechaniſchen Zwecke der
Circulation wegen ſeiner Sproͤdigkeit und anderer widerſtre-
benden Eigenſchaften unbrauchbar, erſt mit einem anderen
Metall verſetzt oder legirt werden muß, und das Verhaͤltniß
dieſer Legirung, der Standard der Feinheit genannt
wird; ſo findet eine zweyte und hoͤhere Legirung Statt,
indem das Metall zur Werthvermittelung in den Kreis der
buͤrgerlichen Geſellſchaft wirklich eintritt. Schon in der Muͤnze
wird, wie ich erwieſen habe, das Metall erſt durch das
Geſetz, durch die Anſetzung und Fixirung des Muͤnzpreiſes,
durch die geſetzliche Benennung auf eine hoͤhere Weiſe legirt,
und nun entſteht das, was ich den Standard der oͤko-
nomiſchen Groͤße*) genannt habe, und was von den
ſtaatswirthſchaftlichen Schriftſtellern, zumahl von den Ver-
faſſern und Vertheidigern des Berichts der Bullion-Committee
[265] des Brittiſchen Unterhauſes im Jahre 1810 und 1811 allzu
voreilig Standard des Werthes genannt wird.
Aus der Exiſtenz eines ſolchen ſicheren Standard der oͤko-
nomiſchen Groͤße, folgt die Gerechtigkeit des Verhaͤltniſſes der
geſammten Geldzeichen zu dem Totalwerthe des Nationalver-
moͤgens noch nicht, und da von dieſem Verhaͤltniß die Dauer
aller einzelnen Werthe abhaͤngt, ſo kann jener Standard auch
nichts uͤber die Werthe entſcheiden. Es muß erſt eine dritte
Legirung vor ſich gehen, das Metallgeld muß erſt mit wirk-
lichem Creditgelde verſetzt werden, damit es in ein feſtes Ver-
haͤltniß zu dem Geſammtwerth der Nationaloͤkonomie, und
ſo mit allen einzelnen Werthen treten koͤnne. So nun entſteht
der dritte Standard, der Standard des Werthes.
Dieſen dreyen Arten des Standard entſprechen nun genau
drey Arten der Depreciation, oder der Corruption des
Standard: die erſte, da das Verhaͤltniß des edeln Metalles
zu ſeiner Legirung von unedelm Metalle veraͤndert wird, da
man von dem Standard der Feinheit abweicht; die andere,
da man eine Veraͤnderung in dem Silber- oder Goldgewicht
der Muͤnze abſichtlich vornimmt oder einſchleichen laͤßt, da
man alſo den Standard der oͤkonomiſchen Groͤße verliert.
Dieſe beyden Arten der Depreciation ſind in der Europaͤiſchen
Geldgeſchichte der drey letzten Jahrhunderte die Allergewoͤhn-
lichſten. Eben weil die Nationaloͤkonomie ſich noch nicht zur
dritten Art des Standard erhoben hatte, weil die Legirung
des Metallgeldes vermittelſt des Creditgeldes noch nicht aus-
gebildet war, alſo uͤberhaupt noch kein Standard des Wer-
thes exiſtirte, ſo mußte man ſich wohl an den beyden anderen
[266] Standards halten, und ſelbige durch eine abſichtliche Depre-
ciation und Herabſetzung ſowohl des Schwergehalts als des
Feingehalts in einer Art von Gleichgewicht mit dem Geſammt-
werth zu erhalten, und ſie fuͤr eine Beſtimmung, der ihre
innere Natur widerſtrebte, wenigſtens, ich moͤchte ſagen, zu-
recht zu ſtutzen ſuchen.
Die abnehmende Reihe von Silbergewichten, welche uns
die reſpectiven Standard des Franzoͤſiſchen Pfundes, des
Deutſchen Gulden und der Mark, und ſogar die des Pfund
Sterling im Laufe der letzten drey Jahrhunderte zeigen, be-
deutet nichts anderes als die zunehmende Reihe von Credit-
geld, die dem auf jenen Standards errichteten Metallgelde
eigentlich beſtaͤndig haͤtte zur Seite gehen, und ſelbiges im
Gleichgewichte mit dem Geſammtwerthe der Nationaloͤkono-
mie haͤtte erhalten ſollen. Und wenn das Pfund Sterling un-
ter allen Europaͤiſchen Muͤnzen ſeinem urſpruͤnglichen Standard
der Feinheit und des Schwergehalts, bey weitem am naͤchſten
geblieben, wenn es nur in dem Verhaͤltniſſe 31 : 10 von
ſeinem urſpruͤnglichen Groͤßenſtandard abgefallen iſt, und das
heutige Pfund Sterling nur etwas weniger als ein Drittel
des urſpruͤnglichen vollen Pfundes enthaͤlt, waͤhrend das
Franzoͤſiſche Livre kaum 1∫72 ſeines urſpruͤnglichen Standard
enthaͤlt, und alle andern Europaͤiſchen Muͤnzen gleichfalls in
viel bedeutenderem Verhaͤltniß depreciirt ſind, ſo iſt dieſe Er-
ſcheinung nur dadurch zu erklaͤren, daß das Creditgeld in
England ſich viel fruͤher, als in allen andern Europaͤiſchen
Reichen, ausbildete, auch ſchon vor Errichtung der Bank
dem Weſen nach, wenn auch nicht in der nachherigen Voll-
[267] kommenheit vorhanden war, und alſo die Depreciation der
beyden erſten Standards dadurch verhindert, oder doch ge-
hemmt wurde, daß ſich ein eigentlicher Werthmaaßſtab
(standard of value) bildete, der nun im Jahre 1797 zum
vollſtaͤndigen Bewußtſeyn erhoben, und geſetzlich anerkannt
worden iſt.
Die Geſchichte der Brittiſchen Nationaloͤkonomie beſtaͤtigt
dieſe Vermuthung auf das glaͤnzendſte; denn wie moͤchte es
wohl ſonſt zu erklaͤren ſeyn, daß England den Standard der
Feinheit ſeiner Silbermuͤnze ſeit dem drey und vierzigſten
Jahre der Koͤniginn Eliſabeth, und den ſeiner Goldmuͤnze
ſeit dem funfzehnten Jahre der Regierung Carls des Zweyten;
ferner den geſetzlichen Schwergehalt ſeiner Silbermuͤnze ſeit
dem drey und vierzigſten Jahre der Regierung der Koͤniginn
Eliſabeth, und den ſeiner Goldmuͤnze ebenfalls ſeit dem funf-
zehnten Jahre Koͤnig Carls des Zweyten; endlich das Ver-
haͤltniß des Goldes zum Silber, oder den Muͤnzpreis ſeit
dem vierten Jahre Georg des Erſten, aufrecht zu erhalten im
Stande geweſen iſt? Es war das Creditſyſtem Englands —
und niemand wird nach dem Vorausgeſetzten mich ſo miß-
verſtehen, als meinte ich unter dieſem Ausdruck das Schul-
denſyſtem in Specie — welches die gelegentliche Disharmonie
zwiſchen dieſen beyden Standard, und den allgemeinen Revo-
lutionen der Werthe gluͤcklich corrigirte. Die Elaſticitaͤt des
Credits kam der Sproͤdigkeit der edeln Metalle zu Huͤlfe,
und ſo beſaß England einen wirklichen Werthmaaßſtab, der
ſo feſt als beweglich war, und der gerade in Folge der Be-
weglichkeit, die er durch die Concentrirung allen Credites,
[268] oder in letzter Inſtanz durch die Bank erhalten hatte, den in
ihm enthaltenen Groͤßenmaaßſtab um ſo unveraͤnderlicher be-
haupten konnte.
Freylich iſt auch dieſer Werthmaaßſtab einer Depreciation
unterworfen: es iſt die von den Engliſchen Schriftſtellern ſo
genannte Depreciation durch Exceß. Das Gleichgewicht der
Sache und Perſon, und ihre ebenmaͤßige Wechſelwirkung iſt
in allen Staatsangelegenheiten, zumahl in nationaloͤkonomi-
ſcher Hinſicht, das oberſte Geſetz. Es gibt eine gewiſſe unver-
kennbare, durch unzaͤhlige Symptome angedeutete Grenze,
jenſeits der die unbedingte Herrſchaft des Credits, oder der
perſoͤnlichen Kraft aufhoͤrt, und wo die Gewalt, welche die
Natur in die Sachen legen mußte, um ein Gleichgewicht
zwiſchen ihnen und der Perſoͤnlichkeit moͤglich zu machen,
ewig ihr Recht behaupten wird. Auf dieſes Gebiet hat der
Credit nur mittelbaren Einfluß.
Wenn die Bank von England verſuchen ſollte, ihr
Papier gegen andere als perſoͤnliche Sicherheit auszugeben,
wenn ſie je zum Beyſpiel auf der Hypothek liegender Gruͤnde
Banknoten ausliehe, oder wenn ſie ſich zum Lombard con-
ſtituirte, und uͤber die edeln Metalle hinaus auch auf ander-
weite Realeſſecten und Mobilien borgen ſollte, kurz, wenn
ſie direkt zu perſonaliſiren unternaͤhme, was nur realiſirt
werden kann, ſo wuͤrde die Depreciation ihres Papiers, und
alſo des Werthmaaßſtabes ſelbſt eintreten.
So lange aber die Bank ſich ſtreng innerhalb derjenigen
Hemisphaͤre der Staatshaushaltung erhaͤlt, die ſie oͤkono-
miſch zu beherrſchen und zu vermitteln beſtimmt iſt, ſo
[269] lange ſie ihre Noten gegen ſichere Wechſelbriefe ausgibt,
derjenige Werth alſo, den ſie perſonaliſiren ſoll, indem ſie
ihn in ihr allgemeinguͤltiges Papier umſetzt, die perſoͤnlichſte
Form erhalten hat, welche die Verpflichtungen des Privat-
manns in unſern Staaten uͤberhaupt erlangen koͤnnen; ſo
lange ſie die Zeit vollſtaͤndig in ihrer Gewalt behaͤlt, wie
dieß auch bey keiner andern Sicherheit in dem Grade als bey
Wechſelbriefen moͤglich iſt; ſo lange ſie alſo ihre vollſtaͤndige
Elaſticitaͤt erhaͤlt, die in dem Maaße verloren gehen wuͤrde,
als ſie ſich mit der Traͤgheit und Steifheit der Sachen be-
faßte — ſo lange hat ſie das ihr anvertraute Element des
Werthmaaßſtabes treu verwaltet, und ihr Papier iſt uͤber alle
Depreciation erhaben.
Waͤre nun durch irgend eine Fuͤgung der Weltumſtaͤnde der
andere Pol der Staatshaushaltung, naͤhmlich der Metall-
geldpol, von Metallen entbloͤßt, wie es dermahlen in England
der Fall iſt, ſo wird durch die Feſtigkeit, mit der ſich die
Bank innerhalb ihrer perſoͤnlichen Hemisphaͤre erhaͤlt, die
Gefahr, in der das Ganze ſchwebt, wirklich abgewendet wer-
den. Die Banknoten werden in der anderen Hemisphaͤre die
Functionen des Metallgeldes verrichten, immer aber ſymbo-
liſch, deutend auf die Nothwendigkeit, die Metalle bey der
erſten guͤnſtigen Gelegenheit (die nicht fehlen kann, wenn
man nur das Beduͤrfniß nach den Metallen nicht verliert,
das heißt: wenn man das Creditgeld nur nicht zu einem
Surrogat des Metallgeldes herabwuͤrdigt, und ſich dabey be-
gnuͤgt) wieder in ihre alten und natuͤrlichen Rechte einzu-
ſetzen. Da die Bank ſelbſt ihre Noten nie mit dem Metallgelde
[270] verwechſelt, da ſie fortwaͤhrend nur mit perſoͤnlichen Ver-
pflichtungen und dem Credite zu thun hat, und alle Reali-
taͤten, welche die Bank honoriren ſoll, ſich erſt in ſichere
Wechſelbriefe, in Papiere von einem kurzen und ſichern Ter-
min verwandelt haben muͤſſen, ſo concentrit ſich gleichſam in
der Bank, das allen Perſonen inwohnende dringende Ver-
langen die Sache par excellence, oder das Metall wieder
herbey zu ſchaffen, waͤhrend die Banknoten auf der Stelle
depreciirt ſeyn wuͤrden, ſo bald ſich die Bank des andern
Poles wirklich bemaͤchtigen, und ihr Creditgeld aus ſeinen
Schranken heraus, und zu einer Art von Univerſalgeld zu
erheben, unternaͤhme.
Die Guineen ſind aus der Circulation von Großbrittanien
faſt verſchwunden: das Geſetz in England kennt, wie ſchon
bemerkt, kein Einſchmelzen oder Ausfuͤhren der Guineen, und
in den letzt verfloſſenen vierzig Jahren, ſind unter Autoritaͤt
des Staates weit uͤber zwanzig Millionen ausgepraͤgt wor-
den. Durch die Reſtriction der Zahlungen der Londner Bank,
insbeſondere aber durch die Beſtaͤtigung dieſer Maaßregel
von Seiten der oͤffentlichen Meinung, iſt die Banknote von
einem Pfunde Sterling gleichgeſetzt 20∫21 einer vollwichtigen
Guinee. —
Diejenigen nun, welche in England die Depreciation der
Banknoten behaupten, indem ſie ſich auf die große Ungunſt
des Wechſelcourſes, und auf die Theurung des Goldes beru-
fen, finden die Praͤſumtion des Geſetzes, von einer Fortexiſtenz
der Guineen im hoͤchſten Grade abſurd. Ich glaube uͤber
allen Zweifel erhoben zu haben, daß nicht bloß das Geſetz,
[271] ſondern auch die ganze Haushaltung von Großbrittanien,
insbeſondere aber, worauf am meiſten ankommt, die Bank
von England ſelbſt dieſe große Praͤſumtion naͤhrt, und in
allen Stuͤcken ſo agirt, als waͤren die Guineen wirklich vor-
handen. Die Bank betraͤgt ſich wie der treue Verwalter eines
fuͤr eine Zeitlang abweſenden Koͤnigs, und deßhalb weil ſie
und die oͤffentliche Meinung ihre Noten nie mit dem Metall-
gelde eigentlich verwechſelt oder vermiſcht, ſo repraͤſentiren
die Noten ſo vollſtaͤndig die Guineen. Ich frage: iſt, was
das Geſetz, die oͤffentliche Meinung, die ganze Staatshaus-
haltung von Großbrittanien, und was die Bank von England
als vorhanden praͤſumirt, und ſo behandelt, als ſey es vor-
handen, nicht ſo gut als wirklich vorhanden? gibt es in
dieſem Augenblick, wo das Haupt, welches die Krone von
England uͤber ein halbes Jahrhundert glorreich getragen,
wirklich abweſend iſt, gibt es einen Koͤnig von England? —
Wer wird es laͤugnen? — Wer alſo kann das Geſetz
verlachen, welches die Fortexiſtenz der Guineen praͤſu-
mirt? —
Die inneren Geldverhaͤltniſſe von Großbrittanien ſind
heute, funfzehn Jahre nach der Suspenſion der baaren Zah-
lungen der Londner Bank, noch ganz dieſelben wie vor der
Suspenſion, und bey der prompteſten Umſetzbarkeit der Bank-
noten in Guineen. Die oͤffentliche Meinung, unterſtuͤtzt vom
Geſetze, gebraucht die Noten als vollſtaͤndige Repraͤſentanten
der Guineen und zur Realiſation der Sachwerthe, ohne daß ſie
je in dem Wahn ſtaͤnde, die Guineen ganz entbehren, und
[272] ſich der Noten als eines Surrogates der Metalle bedienen zu
koͤnnen: die oͤffentliche Meinung glaubt ſo feſt, daß das
Gold, oder die eigentliche Realitaͤt am Golde vorhanden ſey,
als ſie glaubt, daß der Koͤnig, oder der Koͤnig im Koͤnige,
nie abweſend ſeyn, oder ſterben koͤnne. Die Bank verhaͤlt
ſich zum Golde, wie ſich das Parliament zum Koͤnige verhaͤlt;
und wie die Gewalt des Prinzen Regenten vom Parliamente
zur Repraͤſentation der Krone delegirt iſt, ſo iſt auch die Me-
tallgeld-repraͤſentirende Macht der Banknoten von der Bank
deligirt, ohne daß weder hier die Bank die Graͤnze der perſoͤn-
lichen, der Credit-Hemisphaͤre uͤberſchritte, noch dort das
Parliament ſich uͤber das ihm angewieſene, perſoͤnliche Theil
des Staatgeſchaͤfts oder uͤber die Geſetzgebung hinaus, in das
ſaͤchliche Theil des Staatsgeſchaͤfts oder in die eigentliche
Adminiſtration hinuͤber wagte.
Man betrachte die dermahlige wunderbare Lage von Groß-
brittanien etwas naͤher! Waͤhrend auf dem Continent von
Europa die oͤffentliche Meinung dahin uͤberein kommt, daß
alles politiſche Heil in der Perſoͤnlichkeit des Koͤnigs, und in
dem Vorrath des Goldes, oder der edeln Metalle liegt —
fehlt in England der Koͤnig, fehlt daſelbſt das Gold, beydes in
dem Continental-Sinne des Wortes; und dennoch haben ſich
weder Parliament und Volk der Staatsgewalt bemeiſtert,
noch die Bank und der Credit, den ſie repraͤſentirt, die
Stelle des Goldes uſurpirt: die Realitaͤt des ſaͤchlichen Ver-
moͤgens reagirt auf die Perſoͤnlichkeit der Bank und des Cre-
dits, gerade eben ſo, als wenn das Gold in ſeiner ganzen
Macht noch wirklich vorhanden waͤre, und wie ehemahls,
[273] vermittelſt des Geſetzes der Convertibilitaͤt jede einzelne Bank-
note durch eine baare Guinee bekraͤftigt werden muͤßte; an-
dererſeits reagirt die Realitaͤt der koͤniglichen Gewalt mit
derſelbigen Majeſtaͤt auf die Perſoͤnlichkeit des Parliaments,
als wenn der Koͤnig ſelbſt in voller Jugendkraft an der Spitze
der Adminiſtration ſtaͤnde.
Dieß ſind die erhabenen Pruͤfungen, welche die Freyheit
und die Verfaſſung eines Landes vollenden. Was man von
den Miniſterialſtellen in England geſagt hat, daß ſie naͤhm-
lich das Individuum, welches ſie bekleide, wie ſeine Privat-
anſicht, ſein Privatcharakter auch beſchaffen ſeyn moͤge, zwin-
gen, im miniſteriellen Geiſte zu handeln, gilt im Grunde von
allen Stellen in England: der Thron zwingt den Koͤnig,
was er auch uͤbrigens als Menſch ſeyn moͤge, zu koͤniglichen
Geſinnungen; die Stelle, welche im natuͤrlichen Gange der
Dinge das Gold einnimmt, zwingt die Banknote, die das
Gold gelegentlich zu repraͤſentiren genoͤthigt wird, im Geiſte
des Goldes zu agiren. Kurz, die Perſoͤnlichkeit ſelbſt iſt ſo
maͤchtig, daß es auf die einzelne Perſon und ihre kurzen
vergaͤnglichen Eigenſchaften, die Saͤchlichkeit ſelbſt ſo maͤch-
tig, daß es auf die einzelne Sache, welche Zeit und Um-
ſtaͤnde entwenden koͤnnen, nicht weiter ankommt. —
Der Strom der Weltereigniſſe kann das Gold mit ſich
fortreiſſen, und wer iſts, der fuͤr den einzelnen Menſchen,
und fuͤr das, was man perſoͤnliches Talent, perſoͤnliche
Klugheit, perſoͤnlichen Charakter nennt, gut zu ſagen
wagte: aber, wenn die Verhaͤltniſſe des Ganzen ſo ſicher und
harmoniſch geordnet ſind, daß das Einzelne auf nationale
Theoret. Theil S
[274] Weiſe handeln und wirken muß, dann kann das Schickſal ſein
Recht ausuͤben; es kann ein vermeintliches Nationalbeduͤrfniß
nach dem anderen rauben, und dennoch wird die Nation im
Entbehren erſt recht fuͤhlen lernen, daß ſie das eigentlich
Nothwendige in dem Beduͤrfniſſe behauptet, naͤhmlich die
Richtung der Kraft des Dinges oder der Perſon, die ſcheinbar
entwendet worden: es iſt nur die aͤußere Schale des Goldes,
welche geraubt werden kann, der Kern desſelben bleibt; es
iſt nur der vergaͤngliche Koͤnig, der verloren geht, die ewige
Krone bleibt. So iſt auch England durch den ganzen Lauf
ſeiner Geſchichte ſein Entbehren, und jede Nationalcalamitaͤt
zu Gute gekommen: es iſt uͤberall fuͤr das ſcheinbar Verlorne,
durch die eigentliche Weſentlichkeit des verlornen Gutes ent-
ſchaͤdigt worden. So war in den Kriegen der rothen und
weißen Roſe, ich moͤchte ſagen, die gemeine Krone von Eng-
land verloren gegangen, und gerade durch dieſe Kriege und
durch den Mißbrauch ſchlechter Koͤnige, wie Heinrich des
Achten, iſt die Idee der wahren koͤniglichen Gewalt, des
Koͤnigs, who can do no wrong, und der nicht ſtirbt,
erobert worden; ſo ferner ging in den Zeiten der Republik
und Cromwells die gemeine Freyheit verloren, und wurde da-
fuͤr die mit jener Idee der koͤniglichen Gewalt ſehr vertraͤgliche
Idee der Freyheit erobert, welche die großen Statute der
Freyheit in dem Zeitraum von 1660 bis 1688 ausgeſprochen
haben.
Dahin habe ich mit meiner ganzen Argumentation kom-
men wollen: die Verhaͤltniſſe des Ganzen ſind ſicher und har-
moniſch geordnet, alſo alle die Zwecke, die durch den Werth-
[275] maaßſtab erreicht werden ſollen, ſind erreicht: ein ſolcher
Standard des Werthes muß alſo vorhanden und undepreciirt
vorhanden ſeyn. Die ganze innere Wohlfahrt eines
Reiches reducirt ſich auf das Gleichgewicht zwiſchen der Per-
ſoͤnlichkeit und Saͤchlichkeit: das eigentlich Perſoͤnliche in
aller Perſoͤnlichkeit iſt oͤkonomiſch ausgedruckt der Credit, das
eigentlich Reale in aller Saͤchlichkeit iſt das edle Metall. Die
Bank von England, voͤllig unbekuͤmmert um die Realiſation
und Circulation des ſaͤchlichen Vermoͤgens, hat fortgefahren
allen ſichern Privatcredit zu perſonaliſiren, und die ganze
Nation, Koͤnig und Parliament haben die Banknoten zu einſt-
weiligen Repraͤſentanten des verſchwundenen Goldes ernannt.
Vor der Reſtriction, ſo moͤchte ich mich figuͤrlich ausdruͤcken,
beſtand die eine Haͤlfte der Axe der Brittiſchen Nationaloͤko-
nomie, die Haͤlfte, welche in die ſaͤchliche Hemisphaͤre hinuͤber
fiel aus Gold, die andere Haͤlfte in der perſoͤnlichen Hemis-
phaͤre aus Banknoten.
Beyde, Banknoten und Gold, durch ihre beſtaͤndige Um-
wechslung, und ſo durch ihre ewige Wechſelwirkung haben
ſich gegenſeitig ihre Eigenſchaften mitgetheilt; und dabey
uͤberſehe man nicht, daß die Banknoten nicht bloß an der
Bank in Guineen umgeſetzt worden ſind, ſondern daß in allen
Geſchaͤften ohne Unterſchied mit Banknoten Sachen erkauft
und realiſirt, und mit Guineen Wechſelbriefe und andere per-
ſoͤnliche Verpflichtungen perſonaliſirt worden ſind, daß alſo
die Banknoten allenthalben frey in die Hemisphaͤre der Saͤch-
lichkeit, die Guineen eben ſo frey in die Sphaͤre der Perſoͤn-
lichkeit hinuͤber geſpielt haben, ohne daß die Bank ihre Noten
S 2
[276] je anders als zur Perſonaliſation des Credites angewendet und
ausgegeben haͤtte, ohne daß die Bank je bey der Creation
ihrer Noten etwa das ſo genannte Beduͤrfniß der Circulation,
oder die Sicherheit ſaͤchlicher Unterpfaͤnder beruͤckſichtigt, ohne
daß ſie je ein anderes Geſetz dabey befolgt haͤtte, als (Aus-
ſage der Bankdirektoren, in denen, dem Bericht der Bullion-
Committee beygefuͤgten minutes of evidence) die Sicher-
heit der perſoͤnlichen Effecten der Regierung, oder der Priva-
ten, auf die ein Vorſchuß von ihr begehrt wurde.
Wenn das Geſetz alſo die Indentitaͤt der Banknoten und
der geſetzlichen Muͤnze des Reichs behauptet, ſo wird damit
nur ausgeſprochen, was ſich in hoͤchſter Freyheit ſelbſt ſchon
laͤngſt gemacht hat. Erwaͤgt man nun, wie in Laͤndern, wo
es nie etwas anders als eine Metall-Circulation, und in Er-
manglung einer wahren Bank, nie eine ordentliche Credit-
Circulation gegeben hat, das Metall ſeine Sproͤdigkeit und
Steifheit, und alle ſeine ſchwerfaͤlligen Eigenſchaften dem
geſammten oͤkonomiſchen Geſchaͤftsgange mittheilt; wie der
Credit und die ſolide Unternehmung gerade dadurch gehemmt
werden, daß es nichts als Metall gibt, und ſich jeder in
deſſen rohen und handgreiflichen Beſitz zu erhalten ſtreben muß;
wie der Beſitzer des Metalls abhaͤngig wird von dem Metall,
und alſo das Metall vielmehr mit ihm wirthſchaftet, als er
mit dem Metall: ſo wird man mich verſtehen, wenn ich ſage,
daß die Guineen durch den hundertjaͤhrigen Einfluß der Bank-
noten, durch den hundertjaͤhrigen genauen Umgang mit dem
Credite erſt zu wahrem Metallgelde geworden, daß ſie in dem
Umgange mit den Banknoten die Perſoͤnlichkeit ſich angeeignet
[277] haben, wie die Banknoten umgekehrt in dieſem genauen
Verkehr die Saͤchlichkeit, die Dauerbarkeit, und alle eigen-
thuͤmlichen Eigenſchaften des Metalls. Nun koͤnnte die Axe
der Brittiſchen Nationaloͤkonomie ganz aus Banknoten beſte-
hen, wie ſie ganz aus Guineen beſtehen konnte: die Bank-
noten werden in der ſaͤchlichen Hemisphaͤre alle ſaͤchlichen
Eigenſchaften des Goldes zu repraͤſentiren im Stande ſeyn,
und bloß durch die Stelle dazu genoͤthigt werden, eben ſo,
wie die Guineen in der perſoͤnlichen Hemisphaͤre, in der
Hemisphaͤre des Credits alle perſoͤnlichen Eigenſchaften, und
die ganze Elaſticitaͤt, die man fruͤher nur den Banknoten zu-
getraut hat, annehmen. Ja, wenn man in Anſchlag bringt,
daß das Gold unter allen Verhaͤltniſſen viel leichter wieder zu
gewinnen iſt, als ein hundertjaͤhriger Credit, und daß auch die
Materie des Goldes, wenn ſie einmahl verloren, nicht immer
mit bloßer Privatkraft wieder zu erſetzen iſt, ſo muͤßte man,
wenn fuͤr die Haushaltung von Großbrittanien uͤberhaupt eine
Gefahr waͤre, eine viel groͤßere Gefahr darin finden, wenn die
Bank von England, auch ohne Bankerout, durch freyes Ein-
ziehen ihrer Noten einginge, und die Axe der Oekonomie
nunmehr bloß aus Guineen beſtaͤnde, als da, wie es jetzt der
Fall iſt, das Gold, das eben ſo leicht wiederkehrt, als ver-
ſchwindet, ſich entfernte, und Banknoten alle Creditgeld- und
Metallgeldfunctionen zugleich verrichteten.
In der gegenwaͤrtigen Lage der Sache verrichten alſo die
Banknoten zwey Functionen, die Perſonaliſirung alles Credits
als Banknoten, und die Realiſirung aller ſaͤchlichen Werthe als
Repraͤſentanten des Goldes, als currency: als Banknoten
[278] kehren ſie zu einem gewiſſen Termin, alſo periodiſch zur Bank
zuruͤck, als vollguͤltige Repraͤſentanten des Goldes haben ſie
die entſchiedene Neigung in der Circulation zu verbleiben.
Die unbedeutende Totalſumme von ungefaͤhr 24 Millionen
Pfund Sterling, hat im Jahre 1811 fuͤr beyde Functionen
hingereicht — welche im Verhaͤltniß zu der ungeheuren Haus-
haltung Großbrittaniens hoͤchſt unbedeutende Zahl, nur
durch das erſtaunliche Gleichgewicht der inneren Thaͤtigkeit
zu erklaͤren iſt, welches die Skontrirung und Abrechnung
ſo beguͤnſtigt, daß ein großer Theil aller oͤkonomiſchen
Geſchaͤfte von Großbrittanien unmittelbar und ohne Dazwi-
ſchenkunft irgend eines Geldzeichens, und ohne direkte Ver-
mittelung des Centralcredits der Bank abgemacht werden
kann.
Die beyden Functionen der Banknoten reagiren alſo voll-
ſtaͤndig auf einander, was am beſten in die Augen faͤllt, wenn
man ſie mit der einfoͤrmigen Function eines gezwungenen
Papiergeldes vergleicht. Waͤhrend naͤhmlich die Banknoten
unaufhoͤrlich vom Centrum ausſtroͤmen, und ganz in demſel-
ben Verhaͤltniß zu dem Centrum zuruͤck ſtroͤmen, ſtroͤmt das
Papiergeld bloß vom Mittelpuncte aus, und haͤuft ſich in
der Peripherie. Auch in dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Bank,
wo die Metall-Realiſation nicht Statt findet, koͤnnte man
behaupten, daß der in der Verfaſſung der Bank begruͤndete
Prozeß des regelmaͤßigen Zuruͤckſtroͤmens aller Noten, einer
beſtaͤndigen Realiſation gleich zu achten ſey, wenigſtens
in ſo weit die Noten die Functionen des Creditgeldes ver-
richten. —
[279]
In der andern Hemisphaͤre zeigt ſich nun das Beduͤrfniß
nach Metallgelde, und in Ermanglung desſelben nach Bank-
noten, als Repraͤſentanten des Sachgeldes: da aber die
Bank bey ihrem alten Creditſyſteme verharrt, und keine Noten
fuͤr das bloße Beduͤrfniß der Circulation ausgibt, ſo muß ſich
die ſaͤchliche Hemisphaͤre mit dem geſetzlichen Zeitraum begnuͤ-
gen, welcher der Banknote zu ihrer Circulation vergoͤnnt
wird. Nun freylich diskontirt die Bank nicht ruckweiſe, in
gewiſſen Terminen, ſo daß etwa zu einer geſetzlichen Zeit all
ihr Papier ausgegeben wuͤrde, und zu einer andern wieder
zuruͤck kehren muͤßte, ſondern von einem Tage zum andern;
indeß wird die einzelne Note uͤberall von zweyerley entgegen-
geſetzten Kraͤften regiert, die eine, welche nach der Bank zu-
ruͤckſtrebt, die andere, welche abwaͤrts von der Bank nach der
Circulation hinſtrebt: beyde Kraͤfte capituliren mit einander
und reguliren ſich unter einander. Alles wahre Circulations-
beduͤrfniß wird ſich leicht in ein Creditbeduͤrfniß verwan-
deln, und von der Bank Noten extrahiren koͤnnen: aller
wahre Ueberfluß der Circulation wird ſich in ein Debet an
die Bank verwandeln, und ſich dergeſtalt ſelbſt vernichten
koͤnnen.
Kurz die Banknoten, in wie großen Maſſen ſie auch exi-
ſtirten, zerfallen in zweyerley Papier, das ſich unter einander
vollſtaͤndig beſchraͤnkt und balancirt; je nachdem dieſelbe Bank-
note aus der einen Hemisphaͤre in die andere hinuͤber ſpielt,
wird ſie wechſelsweis bloß durch die Stelle etwas durchaus
Entgegengeſetztes: als Repraͤſentant des Metallgeldes reagirt
und proteſtirt ſie gegen ſich in ihrer fruͤheren Qualitaͤt als
[280] Banknote und umgekehrt. Nur in ſo fern, als die Banknote
die ihrer Natur als Creditgeld vollſtaͤndig entgegen geſetzte
Natur des Metallgeldes unparteyiſch anzunehmen weiß, iſt
ſie mehr als Surrogat, iſt ſie Repraͤſentant des Metallgeldes.
Ihre Summe iſt, ſo lange auf die inneren Verhaͤltniſſe allein
Ruͤckſicht genommen wird, immer die moͤglichſt geringe, ein
Exceß iſt nicht moͤglich, alſo eine Theurung der Lebensbeduͤrf-
niſſe kann durch ſie nicht veranlaßt werden: wird der Credit
der Bank ſelbſt, oder ihrer Schuldner nicht depreciirt, ſo iſt
keine anderweite Depreciation gedenkbar, und dann errichtet
und verwaltet und behauptet die Bank den Werthmaaßſtab
des Reichs.
Man hat in neueren Zeiten, unter mancherley dreiſten
und unbeſtimmten Grundſaͤtzen uͤber die Behandlung des
Papiergeldes auch den Satz aufgeſtellt, daß es auf die Anzahl
der Geldzeichen uͤberhaupt nicht ankomme, daß tauſend Mil-
lionen dieſelben Functionen verrichteten als hundert Millionen,
und daß der ganze Unterſchied ſich am Ende nur auf einen
groͤßeren oder geringeren Aufwand von Muͤhe im Zaͤhlen,
Transportiren und Berechnen der Summen reducire. Ich will
hier nicht betrachten, was der Uebergang von den kleinen
Zahlen auf die großen Zahlen in der Berechnung, auf die
Gemuͤther der Voͤlker fuͤr einen Einfluß habe, und wie viel
darauf ankomme, ſich auch in den Zahlen ſelbſt im Gleich-
gewichte mit den Nachbarſtaaten zu erhalten. Ich will nur
das Unbeſtimmte jenes Grundſatzes zeigen.
Einſichtsvolle praktiſche Staatswirthe haben die Bedin-
[281] gung hinzugefuͤgt: die Anzahl ſey gleichguͤltig, in wie fern
ſie ſich nur nicht vermehre oder vermindere, und in wie fern
ſich nur der Werth des einzelnen unter dieſen Geldzeichen
dauerhaft fixire. Ich druͤcke ihn folgender Geſtalt aus: die
Anzahl iſt gleichguͤltig, und es laͤßt ſich aus der bloßen Zahl,
wie groß oder wie gering ſie ſey, weder auf einen Exceß noch
auf einen Mangel der Circulation ſchließen, vorausgeſetzt,
daß die inneren oͤkonomiſchen Verhaͤltniſſe, alle verſchiedenen
Richtungen der oͤkonomiſchen Functionen, im Gleichgewichte
ſind; vorausgeſetzt, daß alle dieſe Verhaͤltniſſe nach dem
Schema der Kugel, das, wie ich gezeigt, auf die oͤkonomi-
ſche Verfaſſung von Großbrittanien ſehr wohl anzuwenden
iſt, gerecht, feſt, harmoniſch und unendlich auf einander
reagiren.
Ich ſage nicht: vorausgeſetzt, daß dieſe Geldzeichen
gleichfoͤrmig unter alle oͤkonomiſche Functionen vertheilt ſind,
obgleich dieſer Ausdruck dasſelbe ſagt, ſo bald eine gewiſſe in-
nere Nothwendigkeit da iſt, daß die Gleichfoͤrmigkeit der Ver-
theilung dauerhaft ſey. Die Anzahl der Geldzeichen iſt gleich-
guͤltig, wenn die Stelle, die Hand, in der ſich das Geld-
zeichen befindet, ſolche Gewalt uͤber dasſelbe hat, daß, wie
die eine Hemisphaͤre des Staats gegen die andere, und jede
oͤkonomiſche Function gegen eine entgegen geſetzte reagirt, ſo
auch die eine Haͤlfte der Geldzeichen gegen die andere vollſtaͤn-
dig reagirt. Dieß kann nur der Fall ſeyn, wenn der Staat
uͤbrigens ein gruͤndliches Gleichgewicht ſeiner Oekonomie ſchon
erlangt hat; die Circulation ſetzt ein vollſtaͤndiges und gerechtes
Syſtem von Circulationscanaͤlen voraus.
[282]
Die Anzahl iſt nicht gleichguͤltig, ſo bald der Doppel-
charakter, die Doppelfunction desſelben Geldzeichens mangelt,
die ich in den Noten der Bank von England nachgewieſen
habe. Die geſammten Geldzeichen muͤſſen durch die Einrich-
tung der Nationalwirthſchaft gezwungen ſeyn, ſich unter ein-
ander in ſo vollſtaͤndige Oppoſition zu ſetzen, daß ſie ein-
ander arithmetiſch aufheben, und das arithmethiſche Reſul-
tat = o geben.
Fuͤhren die Geldzeichen nicht unter einander dieſen unend-
lichen Krieg, den die Natur dadurch angedeutet hat, daß ſie
jedem Staate, urſpruͤnglich zwey entgegen geſetzte Geldfor-
men, das Metallgeld und das Creditgeld gegeben, ſo entſtehen
jene Haͤufungen des Bluts an einzelnen Theilen des Koͤrpers,
die von den ſchrecklichſten Folgen ſind: nun wird die Zahl fuͤr
den Staatsmann ſehr wichtig, nun erſt wird die arithmeti-
ſche Verminderung, der Aderlaß nothwendig, der aber ſo
lange eine bloße Palliative bleibt als der Organiſche, der
Conſtitutionsfehler der die einſeitige Bluthaͤufung veranlaßt,
nicht ſelbſt durch Mittel gehoben wird, die ganz außerhalb
dem Gebiete der Zahl und der Berechnung liegen.
Iſt hingegen die geſammte Organiſation geſund; iſt das
Syſtem von unendlichen Oppoſitionen, welches wir am
Staatskoͤrper ſowohl als am menſchlichen Koͤrper Organiſa-
tion nennen, im Gleichgewicht; ſind, wie ich mich ausdruͤcke,
die geometriſchen Verhaͤltniſſe der Oekonomie in gehoͤriger
ſphaͤriſcher Ordnung, dann kommt die Groͤße gar nicht in
Betracht: wohl bemerkt, in wie fern bloß von dem Innern
des menſchlichen Koͤrpers oder des Staatskoͤrpers die Rede iſt.
[283] Wie groß die Kraft auch im Ganzen ſey, ſo muß doch jede
einzelne Function der beſonderen Kraft in dem gerechten
Verhaͤltniß zum Ganzen ſtehen, alſo genuͤgend groß ſeyn.
Die Anzahl der Geldzeichen iſt dann immer ein ſicherer
Werthmaaßſtab; vorausgeſetzt, daß das einzelne Geld-
zeichen nur ſich ſelbſt gleich ſey, oder der in dem Werth-
maaßſtab enthaltene oͤkonomiſche Groͤßenmaaßſtab zuverlaͤ-
ßig ſey.
Nun aber iſt weder der menſchliche Koͤrper, noch der
Staatskoͤrper zu iſoliren, oder auf ſich ſelbſt zu beſchraͤnken:
der Staatskoͤrper erlangt nur vermittelſt unendlicher Beruͤh-
rungen mit der Außenwelt, mit allen anderen Staaten die
oben beſchriebene Fuͤlle der inneren Organiſation, und behaup-
tet ſich in dieſer Fuͤlle nur vermittelſt jener Beruͤhrungen.
Geſetzt auch, die Natur haͤtte den Staat mit dieſem Gleich-
gewichte der Kraͤfte urſpruͤnglich erſchaffen, wie den einzelnen
Menſchen — und daß dieſes wirklich der Fall iſt, habe ich
gezeigt — ſo helfen die Kraͤfte, und dieſes Gleichgewicht der
Kraͤfte nichts, wenn ſie nicht zum Bewußtſeyn ihres Traͤgers
kommen, dadurch, daß er ſie fuͤhlen lernt, daß er ſie aner-
kennt, das heißt: zum Geſetz, zum Staatsgeſetze erhebt;
und wie moͤchte er ſie fuͤhlen lernen, außer in der Beruͤhrung,
wie moͤchte er ſie erkennen lernen, außer in dem Spiegel an-
derer Staaten?
Dasſelbige Oppoſitionsverhaͤltniß demnach, welches wir
im Innern des Staates bemerkt und beſchrieben haben, muß
ſich alſo auch wieder in allen ſeinen aͤußeren Verhaͤltniſſen
einſtellen. Oekonomiſch ausgedruͤckt: alle oͤkonomiſchen Func-
[284] tionen des Weltverkehrs muͤſſen denſelbigen Oppoſitions-
charakter annehmen, der die innere Haushaltung des Staates
angeordnet, ſyſtematiſirt hat; und wie im einzelnen Staate
die Groͤßen der einzelnen Kraͤfte ſo lange ſehr wichtig bleiben,
als der Staat ſich noch zu dem Gleichgewichte der inneren
Kraͤfte aus dem Chaos empor arbeitet, und ſelbiges noch nicht
erreicht hat, wie da nur vermittelſt der Groͤßen die Gerechtig-
keit der geometriſchen Verhaͤltniſſe, vermittelſt der Ausglei-
chung der Radien die Kugel zu erreichen iſt, — ſo bleibt im
aͤußeren Staatenverkehr die Geſammtgroͤße der oͤkonomiſchen
Macht des einzelnen Staates, das heißt: die Groͤße ſeines
Werthmaaßſtabes von erheblichſter Bedeutung, bevor der Staa-
tenbund ſelbſt errichtet und ſphaͤriſch vollendet iſt. Da dieſes
aber eine unendliche Aufgabe iſt, ſo wird die Groͤße des Werth-
maaßſtabes eines beſonderen Staates, und mit ihr aller an-
dern Groͤßen im Umfange des beſondern Staates nie gleichguͤl-
tig ſeyn.
Das unendliche Beduͤrfniß der Vereinigung beherrſcht die
großen Verhaͤltniſſe unter den Staaten eben ſowohl, als alle
kleineren Verhaͤltniſſe innerhalb des einzelnen Staates: es zeigt
ſich dort in der Welthaushaltung dasſelbe nur in unendlicher
Oppoſition zu befriedigende Streben nach einem Mittelpuncte,
oder, wie wir dieſes Streben in der Beſchreibung der Staats-
haushaltung genannt haben, nach dem eigentlichen Gelde. Das
Weltgeld nun, ſo gut als das Nationalgeld, zerfaͤllt wieder-
um in zwey einander ewig bedingende Geldformen, in Credit-
geld und Sach- (oder Metall-) Geld.
[285]
Die Hauptſchwierigkeit, welche die bisherigen ſtaatswirth-
ſchaftlichen Theorien in den Materien des Wechſelcurſes und
des Weltwerthſtandard, der ſich in dem Curſe und in den Gold-
und Silberpreiſen offenbaren ſollte, fanden — lag vornaͤhmlich
darin, daß man uͤberhaupt nur von Einer Form des Weltgeldes
naͤhmlich der ſaͤchlichen, der metalliſchen wiſſen wollte; ich
habe das Pari des Wechſelcurſes ſelten anders definiren hoͤren,
als daß es die Aequivalenz des Gold- und Silbergehaltes
und Gewichts in den metalliſchen Circulationen zweyer ver-
ſchiedener Laͤnder ſey; und doch haͤtte das Gewicht, welches
in Welthandel auf die gemuͤnzten Metalle im Verhaͤltniß zu
den Barren gelegt wird, ſchon darauf hindeuten ſollen, daß
die Creditverhaͤltniſſe — man verſteht mich, wenn ich ſage
die perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe — der Staaten unter einander
auf die Feſtſetzung dieſes Pari eben ſo gut Einfluß haben, als
die ſaͤchlichen metalliſchen.
In jeder Periode des Welthandels pflegt ſich in dem Mit-
telpuncte der dieſen Handel dirigirenden Staaten, und zwar
geographiſch in ihrer Mitte, eine Handelsſtadt, eine Bank zu
erheben, auf welche die geſammten Geldverhaͤltniſſe der umlie-
genden Staaten vorzugsweiſe bezogen werden. In fruͤheren
Zeiten waren Venedig und Genua ſolche Schwerpuncte des
Voͤlkerverkehrs; in den beyden letzten Jahrhunderten waren
die Niederlaͤndiſchen und Deutſchen Kuͤſten der Nordſee, und
zumahl Amſterdam und Hamburg die dazu beſonders geeigne-
ten Stellen von Europa: auch Augsburg hatte vermoͤge ſeiner
geographiſchen Lage einen aͤhnlichen Beruf. In den neueſten
Zeiten hat Hamburg dieſe große Beſtimmung zum Vortheil
[286] aller Nationen in bis daher unbekannter Vollkommenheit er-
fuͤllt. Offenbar aber zerfiel das Geſchaͤft von Hamburg in
zwey durchaus verſchiedene Functionen; einerſeits vermittelte
es den Credit, andererſeits den Metallgeldverkehr der umlie-
genden Staaten. Die Wichtigkeit ſowohl des Hamburger
Wechſels, als des noch beſonders zu unterſcheidenden Bank-
geldes von Hamburg fuͤr alle Nordiſchen, ja fuͤr alle Han-
delsſtaaten, Großbrittanien nicht ausgenommen, iſt allge-
mein anerkannt und [empfunden] worden; und der gewaltige
Einfluß der bloßen centralen Lage Hamburgs, ohne alle Be-
gleitung von aͤußerer politiſchen Maſſenkraft, iſt der beſte
Beweis fuͤr das Daſeyn jenes centripetalen Strebens in allen
ſtaatswirthſchaftlichen Angelegenheiten, deſſen gruͤndliche Be-
trachtung von der Wiſſenſchaft allzu lange verſaͤumt worden
iſt. — Man kann ſagen, daß, wenn es auch keine Sonne
gaͤbe, ſo muͤſſe ſich bloß durch die Beziehungen der Planeten
unter einander, da, wo jetzt die Sonne iſt, ein centraler
Weltkoͤrper bilden. Eben ſo mußte aus den Verhaͤltniſſen
Englands, Frankreichs, Rußlands, Deutſchlands ꝛc. die
commerzielle Macht Hamburgs hervor gehen.
Nichts aber kann der, unſerer gegenwaͤrtigen Darſtellung
zum Grunde gelegten Lehre von den Wechſel- oder Geſchlechts-
verhaͤltniſſen aller politiſchen Kraͤfte guͤnſtiger ſeyn, als der
Umſtand, daß in dem neueren Europa ſolche Centralpuncte
des Geſammtverkehres, wenn man auf politiſche und mili-
taͤriſche Maſſenkraft ſieht, in einer gewiſſen aͤußeren Ohn-
macht und Huͤlfloſigkeit erſchienen. Alle dieſe großmaͤchtigen
politiſchen Weltkoͤrper bewegen ſich um ein anſcheinend
[287] ſchwaches, um ein gleichſam weibliches, welches bloß durch
ſeine Art, durch ſein Geſchlecht, durch ſeine Stellung, durch
ſein Verhaͤltniß und nicht durch ſeine Groͤße, die Wirkſamkeit
aller jener gewaltigen Maͤchte empfindlich beſchraͤnkt. Wie
viel hat die Hamburger Courszahl ausgerichtet, welche Un-
ternehmungen gehemmt, wie oft iſt ſie Richtſchnur der ge-
ſammten Finanzadminiſtration maͤchtiger Staaten geweſen?
und doch deutet dieſe Zahl keineswegs große Waarenmaſſen,
ſondern nur Verhaͤltniſſe an. Es iſt dieſes eine Erfahrung,
die man im Kleinen auf der Boͤrſe jedes Landes macht: die
Zahl, welche der Courstag ergibt, leitet gleichfalls ihren ge-
bietheriſchen Einfluß keineswegs von der Maſſe der Geſchaͤfte
her; vielmehr einige wenige Geſchaͤfte koͤnnen bloß dadurch,
daß ſie an dieſer Centralſtelle allen Verkehrs gemacht werden,
das Schickſal der geſammten Finanzen und unzaͤhliger anderer
viel groͤßeren Geſchaͤfte, bloß deßhalb, weil dieſe Letzteren
nicht im Mittelpuncte gemacht werden, beſtimmen.
Dieſes große, und in ſo vielen Faͤllen furchtbare Geheim-
niß des Centrums der Staatswirthſchaft, hat ſchon manchen
Staatswirth, der mit den gewoͤhnlichen oͤkonomiſchen Maſſen
wohl zu handthieren wußte, zur Verzweiflung gebracht. Mit
keinem Vorrathe von Produkten, von edeln Metallen, oder
andern beruͤhmten Werthen iſt dagegen etwas Gruͤndliches
auszurichten. Das ganze Geheimniß aber liegt nur darin,
daß man auf die unſichtbaren Beduͤrfniſſe und Guͤter des
Menſchen keine Ruͤckſicht nimmt. Man ahndet wohl eine Ge-
walt der oͤffentlichen Meinung, aber man ſieht nicht die in
dieſer ſo genannten Meinung eingewickelte große Gewißheit
[288] und Unwiderſprechlichkeit des accumulirten Credits, hoͤrt nicht
das in dieſem ſcheinbar oberflaͤchlichen zuſammen geſchwatzten
Weſen verborgene unwiderlegliche Orakel. So, im Mittel-
puncte aller Europaͤiſchen Macht, „ein Knecht der Knechte”
ſtand einſt die geiſtliche Herrſchaft, und aller irrdiſche Credit,
durch natuͤrliche Verwandtſchaft, gruppirte ſich darum her:
und die geiſtliche Herrſchaft mußte es empfinden, als der mer-
kantiliſche Credit ſich von ihr losriß, und ſein Centrum von
den Kuͤſten des Mittellaͤndiſchen Meeres an die Kuͤſten der
Nordſee hinuͤber getragen wurde. Hier, in ſeinem neuen
Wohnſitz mußte der irrdiſche Credit nothwendig ein religioͤſes
Centrum zu errichten ſtreben: von dem Gelingen dieſes Stre-
bens hing ſeine eigene Dauer ab, und jetzt wiſſen wir, daß
es nicht gelungen iſt.
Dieſe Verwandtſchaft, oder ohne Umſtaͤnde, dieſe Unzer-
trennlichkeit, dieſe Identitaͤt des goͤttlichen und irrdiſchen Cre-
dits, welche ſehr wohl empfunden wurde damahls, als
noch Markt und Kirche die Menſchen gleichzeitig, und wie zu
einem und demſelben Zwecke zu verſammeln pflegte, gilt ge-
genwaͤrtig fuͤr eine myſtiſche Paradoxie einzelner Schwaͤrmer:
daher die unendliche Reihe von Abſurditaͤten, die uͤber Voͤl-
kerrecht, Weltmarkt und Welthandel in dem letzt verfloſſenen
merkantiliſchen und cosmopolitiſchen Jahrhundert vorgetragen
worden ſind; und ſo kann man ſagen, daß die Welt aus
Furcht vor dem Dunkel und dem Geheimniß — in das aller-
dickſte Dunkel verfallen iſt.
[289]
Wohlan alſo: Im Verkehr der Voͤlker gilt es, eben ſo
wie im inneren Staatsverkehr, die goͤttlichen Beduͤrfniſſe um
nichts weniger als die irrdiſchen: ſie ſtreben nach einem Mit-
telpuncte, in welchem alle unſichtbare ſowohl als ſichtbare,
alle perſoͤnliche ſowohl als alle ſaͤchliche Kraft zuſammen tref-
fen muß, und den wir eben ſowohl Weltcredit, als vollſtaͤn-
dig Deutſch, Weltglaube nennen koͤnnen. Die hoͤchſte ſaͤchliche
Kraft, naͤhmlich die des edeln Metalls, und die hoͤchſte per-
ſoͤnliche, naͤhmlich die des Wortes, welche beyde durch ihre
Wechſelwirkung der geſammten inneren Staatsorganiſation
Geſetz und Regel hergeben, treten in der Welthaushaltung
noch reiner und noch gebietheriſcher ans Licht. Da nun die
ſaͤchliche Hemisphaͤre des politiſchen Lebens in den letztver-
floſſenen Jahrhunderten allein anerkannt worden iſt, und die
verkannte perſoͤnliche Haͤlfte der Welt ihr Daſeyn in dieſem
Zeitraume nur durch ungeheure Erſchuͤtterungen und Stoͤrun-
gen jenes mechaniſchen Weſens zu erkennen geben konnte; ſo
mußten die allein vergoͤtterten Metalle, gegen die keine Huͤlfe
war, als in den perſoͤnlichen Verhaͤltniſſen, und die nur durch
die ganz entgegengeſetzte Gewalt des Glaubens, den man
verſchmaͤhte, in ihren Schranken erhalten werden konnten,
eine tyranniſche Bothmaͤßigkeit auch uͤber alle hoͤheren Inter-
eſſen der Menſchheit ausuͤben. Daher die gefuͤrchtete Gewalt
eines ſo unſicheren, ſchwankenden, launiſchen Regenten, als
des Marktpreiſes der edeln Metalle uͤber die Circulation, den
Handel, den Verkehr, die Finanzen aller Europaͤiſchen
Voͤlker.
Theoret. Theil T
[290]
Der Werthmaaßſtab der Welthaushaltung waͤre alſo im
natuͤrlichen Zuſtande der Dinge eben ſowohl, als der nationale
Werthmaaßſtab aus einem metalliſchen Elemente, und einem
Credit-Elemente zuſammen geſetzt: er muͤßte eben ſowohl die
Richtung aller voͤlkeroͤkonomiſchen Werthe nach dem Mittel-
punct der Welthaushaltung, als die metalliſche Groͤße dieſer
Werthe meſſen. So lange noch Hamburg ſtand, druͤckte der
dort notirte Cours zu allen Haupthandelsplaͤtzen der Welt
auch wirklich vielmehr, als das bloße Verhaͤltniß der reſpectiven
metalliſchen Circulationen zu dem fixirten Bankgelde aus, ob-
wohl das hoͤhere Glaubensband der Voͤlker mangelte, und
alſo der Cours und alle uͤbrigen Anzeichen vom Stande des
Voͤlkerverkehrs, worauf bloß merkantiliſche und weltliche
Ereigniſſe influiren konnten, dem Zufalle preis gegeben
blieben.
Wenn nun im Laufe der letzten zwanzig Jahre eine Euro-
paͤiſche Macht den Schwerpunct des Welthandels, und alſo
des aͤußeren Voͤlkerverkehrs auf ihr Gebiet heruͤber gezogen
haͤtte, und dieſe Macht zugleich in der oben beſchriebenen Art
ihre Creditverfaſſung ſo ausgebildet, ihre Perſoͤnlichkeit ſo
erhoben haͤtte, daß ihre Geſetzgebung, ihre Moral eins ge-
worden waͤre mit ihrer merkantiliſchen Verfaſſung, daß dort
dasjenige, was in dem gemeinen Weltverkehr Credit heißt,
ſich von dem weltumfaſſenden Weſen, welches in Deutſchland
Glauben heißt, kaum mehr unterſcheiden ließe, ſo wuͤrde ein
Kanon aller Haushaltung, ſowohl der Welt- als der Natio-
naloͤkonomie vorhanden ſeyn, und der Welthandel von daher
vielmehr ſein Geſetz empfangen. Wenn man nun den augen-
[291] blicklichen hohen Goldpreis, oder den dermahligen unguͤnſtigen
Wechſelcours fuͤr ein Kennzeichen des Verfalls der Werthe in
ſolchem Lande halten wollte, ſo wuͤrde man damit nichts
anderes behaupten, als daß der unvollſtaͤndige Werthmaaß-
ſtab, der bloße Groͤßenmaaßſtab des zerriſſenen, und ſeiner
religioͤſen Garantie beraubten, alſo ganz zufaͤlligen Welt-
marktes uͤber den Werthmaaßſtab einer vollſtaͤndigen, durch
und durch lebendigen und regelmaͤßigen Haushaltung entſchei-
den muͤßte, welches unmoͤglich iſt.
Nach allem dieſen iſt nunmehr das Weſen des Werthmaaß-
ſtabes klar; nicht gerade klar fuͤr die rohe greifende Hand,
aber fuͤr das Gemuͤth des vollſtaͤndigen Buͤrgers, Menſchen
und Staatsmanns. Die erſte Frage bey aller Werthbeſtimmung
iſt, in welchem Verhaͤltniß ſtehen Metall- und Creditgeld un-
ſeres Landes, und mit ihnen alle perſoͤnlichen und ſaͤchlichen
Verhaͤltniſſe: ſind dieſe im Gleichgewichte, im ſphaͤriſchen
Gleichgewichte, dann kann ſchon keine bedeutende Dispropor-
tion der Werthe Statt finden. Nun erſt kommt um des aus-
waͤrtigen Verkehrs Willen die andere Frage in Anregung:
Welches iſt die Groͤße der in Metall oder in Credit ausge-
druͤckten Einheit, womit die Groͤßen der Werthe gemeſſen wer-
den? und in welcher Menge ſind die, ſolche Einheit aus-
druͤckenden Geldzeichen vorhanden? — daß die aus den letzte-
ren Fragen ſich ergebenden aͤußeren Zahlenverhaͤltniſſe, nur
fuͤr den einen Werth haben, der ſie durch eine lebendige An-
ſchauung vom ganzen Staate, und durch eine bewegliche
Ruͤckſicht auf die inneren ſphaͤriſchen oder geometriſchen
T 2
[292] Verhaͤltniſſe der geſammten Nationalhaushaltung zu ergaͤnzen
weiß, glaube ich uͤber allen Zweifel erhoben zu haben.
Der ganze vollſtaͤndige, von public spirit erfuͤllte, ſei-
nem Vaterlande hingegebene Menſch, im Gegenſatz des egoi-
ſtiſchen Arbeiters bey Adam Smith, iſt alſo der einzige ge-
nuͤgende Maaßſtab des Werthes aller Guͤter im Umkreiſe die-
ſes Vaterlandes: und wenn die oͤffentliche Meinung, ich
moͤchte ſagen, das innerſte Fleiſch der Realitaͤt des politiſchen
Lebens ergriffen hat, wie meiner obigen Beſchreibung nach
die Banknote das Weſen des Geldes, und wie die Sachen
uͤberhaupt von der Perſoͤnlichkeit ergriffen werden ſollen,
dann ſind Wechſelcours, Marktpreis des Goldes, und alle
gemeinen Werthmeſſer des Marktes ungenuͤgend und unbe-
ſtimmt neben ihr.
Die Dauerhaftigkeit und Feſtigkeit der edeln Metalle iſt
bloßer Trug und Schein, wenn ſie nicht von ſolcher oͤffent-
licher Meinung, oder von ſolchem Nationalglauben erſt recht
befeſtigt und verewigt ſind. Iſt aber dieſes der gluͤckliche Fall,
dann iſt die momentane Abweſenheit der Materie der edeln
Metalle auch nichts weiter als ein Beweis ihrer Entbehr-
lichkeit, und dann iſt das Problem ihrer Herbeyſchaffung
fuͤr die augenblickliche Erleichterung auswaͤrtiger Unterneh-
mungen, auch nur eine Aufgabe fuͤr die gemeine und mecha-
niſche Politik.
[293]
Neuntes Kapitel.
Vom Ueberfluß und vom Mangel des Geldes.
Seitdem die Europaͤiſchen Staaten wider ihren Willen mit
Papier-Circulationen uͤberſchwemmt worden ſind, hat man an
ſehr vielen Stellen die Klage uͤber die unverhaͤltnißmaͤßige
Menge an Geldzeichen gehoͤrt, und da dieſer Ueberfluß dem
gemeinſten Verſtande ſehr nahe zuſammen zu haͤngen ſchien
mit der Depreciation der Geldzeichen, ſo war es wohl ſehr
natuͤrlich, daß man alles Heil in die Verminderung derſelben
geſetzt hat. Wir haben indeß ſchon in dem vorſtehenden Kapi-
tel einigen Verdacht gegen alle die Schluͤſſe erregt, die man
aus der arithmetiſchen Summe dieſer Geldzeichen in einem
gegebenen Staate, ſehr voreilig zu ziehen fuͤr gut findet. Wir
haben ferner bereits fruͤher der ſonderbaren Erſcheinung er-
waͤhnt, die in neueren Zeiten an ſehr vielen Orten den Ueber-
fluß der Geldzeichen begleitet hat, naͤhmlich des empfind-
lichſten Geldmangels, ſo daß alſo das auf der einen
Seite durch den Ueberfluß depreciirte und ungebuͤhrlich wohl-
feil gewordene Geld, auf der anderen Seite wieder theurer
war, als je.
[294]
Es iſt dieſes eine alte nur etwas vergeſſene Bemerkung,
die ſich im gemeinen Leben und bey Erwaͤgung der oͤkonomi-
ſchen [Angelegenheiten] des Privatmannes, in manche ſehr be-
kannte Formeln eingekleidet hat: je mehr der Menſch hat, je
mehr will er haben, je mehr braucht er, je mehr fehlt ihm,
oder: wer mit kleinen Summen hauszuhalten nicht verſteht,
der wird es mit großen Summen noch viel weniger vermoͤ-
gen; oder, im Gebiet des wiſſenſchaftlichen Lebens: je mehr
ich weiß, um ſo beſtimmter erfahre ich, daß ich wenig weiß
u. ſ. f. — Es waͤre alſo nach dieſer ſehr natuͤrlichen Analo-
gie ſehr wahrſcheinlich, daß die großen Geldmaſſen in der
Staatshaushaltung nur dazu dienten, die Maͤngel dieſer
Staatshaushaltung noch viel fuͤhlbarer, und die inneren Miß-
verhaͤltniſſe augenſcheinlicher zu machen.
Wenn zum Beyſpiel ein Theil der Nation ſo geſtellt waͤre,
daß ihm der Erwerb des Geldes beſonders leicht, ein anderer
Theil wieder, daß ihm dieſer Erwerb beſonders ſchwer fiele;
wenn der Naͤhrſtand auf den beſonderen Erwerb gerichtet,
alſo beſtaͤndiger Meiſter des Geldes, der Wehr- und Lehrſtand
hingegen auf die Sorge des Ganzen gerichtet, und dabey
abhaͤngig vom Gelde waͤre, ſo koͤnnten die vermehrten Maſſen
des Geldes dieſen organiſchen Fehler des Staates nur noch
um vieles empfindlicher und gefaͤhrlicher machen. Es wuͤrde
alſo, wie ſich auch wirklich zeigt, das widerſprechende Ge-
ſchrey uͤber Mangel und Ueberfluß des Geldes zugleich ver-
nommen werden; und ſo koͤnnten wir auch aus eben dieſer wi-
derſprechen Klage ſchließen, daß ein organiſcher Fehler vorhan-
den ſey, dem durch eine bloße Vermehrung des mangelnden,
[295] oder durch eine bloße Verminderung des Ueberfließenden nicht
abgeholfen werden koͤnne.
Es kann Gefahr beym Verzuge ſeyn, eine Verminderung,
eine Reduction nothwendig, nachdem eine ploͤtzliche und will-
kuͤhrliche Vermehrung vorgenommen: aber der wahre Arzt
weiß, daß dieſe Aderlaͤße mit der eigentlichen Cur, welche
die innerliche Organiſation ergreifen muß, nichts zu thun
haben.
Wo zu viel Geldzeichen vorhanden ſind, da ſind auch
ſicherlich zu gleicher Zeit wieder zu wenig, eben ſo, wie, wo
zu viel Blut auch wieder Mangel des Bluts: das zu Viel
und zu Wenig deutet auf Haͤufungen in einzelnen Organen,
und auf Stockungen in Andern. Obgleich nun ploͤtzliche und
willkuͤhrliche Creationen ſolcher Geldzeichen, diejenigen Ge-
werbe, Staͤnde und Organe, welche mit der Geldwirthſchaft
unmittelbar zu thun haben, zu uͤberhaͤufen, die andern hin-
gegen, welche nur mittelbar auf den Erwerb des Geldes ge-
ſtellt ſind, in relativen Mangel zu verſetzen ſtreben, und
demnach beyderley Organe in ihrer Einſeitigkeit und Kraͤnk-
lichkeit zu beſtaͤrken dienen, ſo darf man dennoch nie hoffen,
durch die bloße Einziehung der Geldzeichen dieſe organiſchen
Fehler wieder zu heben: das verwoͤhnte und von der Har-
monie des Ganzen abtruͤnnige Organ wird ſich, ſo lange der
Arzt nicht in die inneren Verhaͤltniſſe eingreift, ſo lange er
nicht Art und Richtung dieſer ſchaͤdlichen Function zu
verbeſſern weiß, im Ueberfluß zu erhalten wiſſen.
Geſetzt ein Papier habe fuͤr eine Zeitlang das Metall wirk-
lich repraͤſentirt und ergaͤnzt, darauf ſey es durch unnatuͤrliche
[296] Creationen ſo vermehrt worden, daß derjenige Theil der Nation,
welcher unmittelbar mit dem Gelde hantirt, der dabey
alle Vortheile des Augenblicks benutzen kann, der alſo fuͤr
den Wucher, im weiteſten Sinne des Worts beſonders geeig-
net iſt, uͤbermaͤßig beguͤnſtigt waͤre, waͤhrend der andere
Theil der Geſellſchaft, der mit dem Grundeigenthum oder
mit dem Staate ſelbſt, als Civil- oder Militaͤrbeamter, wirth-
ſchaftet, alle dieſe Vortheile entbehren muß; geſetzt in Folge
dieſer unnatuͤrlichen Beguͤnſtigung habe alſo das Geld ein-
mahl eine beſtimmte Richtung nach der Seite des Wuchers
hin erhalten, ſo moͤgen wir die Maſſe des Papiers vermin-
dern wie wir wollen, das beguͤnſtigte Organ oder der Wucher
wird das Vacuum unmittelbar zu erfuͤllen wiſſen; denn wir
haben dieſes Organ nicht bloß mit Blut uͤberfuͤllt, ſondern
wir haben es auch, da das Geld einmahl in der Wechſelwir-
kung zwiſchen dem Einzelnen und dem Ganzen erzeugt wird,
zur Bluterzeugung beſonders faͤhig gemacht; oder wir moͤgen
die Maſſe des baaren Geldes vermehren, wie wir wollen, ſo
wird es gleichſam magnetiſch dorthin gezogen werden, wo
einmahl die groͤßte Geldkraft etablirt iſt; das Mißverhaͤltniß
wird nur groͤßer werden durch alle dieſe mechaniſchen Opera-
tionen, alle anderen Organe werden mit dem beguͤnſtigten
Organe nun erſt recht in Kriegszuſtand gerathen: alle ander-
weiten Lebensſaͤfte werden relativ mangeln; ein Gefuͤhl der
Unzulaͤnglichkeit, des Entbehrens — und was iſt die Stei-
gerung aller Preiſe, die Theurung aller Beduͤrfniſſe und
Lebensmittel in der Staatswirthſchaft anders — wird den
ganzen Koͤrper ergreifen.
[297]
Wie nun die Klage uͤber die unverhaͤltnißmaͤßige Menge
der Geldzeichen immer andeutet, daß auch wieder ein Man-
gel an dieſen Geldzeichen Statt findet, was ſich ſchon in dem
hohen Diskont der Wechſel aͤußert, welcher jenen Ueberfluß
allezeit zu begleiten pflegt — ſo iſt andererſeits die Klage
uͤber die unverhaͤltnißmaͤßige Theurung der Produkte und Lebens-
beduͤrfniſſe, ein Zeichen des relativen Ueberfluſſes derſelben:
waͤren Geld und Produkte gleichfoͤrmig und verhaͤltnißmaͤßig
vertheilt nach Maaßgabe des Beduͤrfniſſes, ſo wuͤrden beyder-
ley Klagen nicht Statt finden: die verhaͤltnißmaͤßige Ver-
theilung aber kann nur dauerhaft Statt finden, in wie fern
alle Kraͤfte, die arbeitenden wie die beduͤrfenden ſphaͤriſch
und harmoniſch geordnet ſind, das heißt: in wie fern alles
Einzelne in gerechter Beziehung auf das Ganze oder auf den
Mittelpunct ſteht.
Wenn nun ein und derſelbige Staatsbuͤrger mit einem
Athemzuge klagt: 1) uͤber den Ueberfluß des Geldes, 2) uͤber
den Geldmangel, 3) uͤber die Theurung der Produkte,
4) uͤber den Vorrath der Produkte und die Ueberfuͤllung des
Marktes mit Waaren — ſo leuchtet ein, daß in den Groͤßen,
in den Summen und Maſſen an ſich der Fehler nicht liegen
koͤnne, daß es einen tieferen Grund des Uebels geben, daß
nicht in den Sachen ſondern in den Perſonen, nicht in der
circulirenden Materie der Waaren oder des Geldes, ſondern
in dem Organismus des Traͤgers dieſer Materie, dem Grunde
der ungluͤcklichen Erſcheinung nachgeſpuͤrt werden muͤſſe. So
lange man ausſchließend das arithmetiſche Verhaͤltniß der
Waaren und Geldzeichen ins Auge faßt, und die Perſoͤnlichkeit
[298] derer, die ſich zwiſchen dieſen Verhaͤltniſſen mit Leichtigkeit
bewegen ſollen, derer, um derentwillen dieſe Verhaͤltniſſe
uͤberhaupt angeordnet werden ſollen, das heißt: derer,
welche die oben bezeichneten vier widerſprechenden Klagen
fuͤhren, vernachlaͤßigt, ſo lange iſt an keine Huͤlfe zu
denken.
Was iſt aber die Perſoͤnlichkeit dieſer Traͤger der ſaͤch-
lichen Verhaͤltniſſe? was iſt das eigentlich Perſoͤnliche und
Wirkliche in aller Perſon? — Nichts anders als die Bezie-
hung dieſer Perſoͤnlichkeit auf die Perſon Inſonderheit,
das heißt: auf den Staat. Neben den Sachen auf die Per-
ſoͤnlichkeit Ruͤckſicht nehmen, heißt alſo, neben den Einzeln-
heiten der Dinge, die ſich Addiren, Subtrahiren, Summen-
weis, Maſſenweis anſchauen laſſen, auf die Verhaͤltniſſe,
auf die geometriſchen ſphaͤriſchen Verhaͤltniſſe zum Ganzen,
auf die Lebensrichtungen aller dieſer Dinge nach dem Mittel-
puncte des Lebens hin Ruͤckſicht nehmen; und dieſes iſt die
große und doch ſo natuͤrliche Kunſt, welche unſere Theorie
nicht minder als unſere Praxis verlernt hat.
Es iſt die verderbliche Formel des abſoluten Privat-
eigenthums und Privatlebens, oder der Vereinze-
lung und der Verſaͤchlichung aller Dinge, aller Verhaͤlt-
niſſe, welche unſerer Rettung zunaͤchſt und an allen Stellen
im Wege ſteht.
Wir haben oben in der Darſtellung der Credit-Circulation
von Großbrittanien darauf aufmerkſam gemacht, daß die
Banknoten in ihrer Function als Creditgeld vollſtaͤndig rea-
[299] giren gegen die andere Function, welche ſie als Repraͤſentanten
des Metallgeldes verrichten. Dieß iſt in jeder natuͤrlichen und
geordneten Circulation der Fall: auch abgeſehen von dem
Vorrathe der Waaren, ſetzt ſich im geſunden Zuſtande der
Haushaltung das Geld in ſich ſelbſt, bloß durch das Gleich-
gewicht der beyden Functionen die es verrichtet, oder der bey-
den Formen, unter denen es uͤberall, wie ich erwieſen, noth-
wendig erſcheint, ins Gleichgewicht: als Creditgeld ſtellt es
eine Kraft dar, welche der andern Kraft, die es als Metall-
geld darſtellt, vollſtaͤndig widerſtrebt.
Alle gedenkbaren Geldgeſchaͤfte reduciren ſich auf die zwey
Hauptformen: die erſte, da es fuͤr eine Sache hingegeben
wird, die andere, da man eine perſoͤnliche Verpflichtung da-
fuͤr empfaͤngt; die erſte nennen wir die ſaͤchliche, die zweyte
die Credit-Function des Geldes. Da nun das Geld ſelbſt in
einer von den beyden Formen erſcheinen muß, naͤhmlich als
Sachgeld, oder als Creditgeld, ſo entſtehen vier Hauptclaſ-
ſen der Geldgeſchaͤfte, 1. der gemeine Kauf, daß Sachgeld
fuͤr eine Sache hingegeben wird, 2. der Kauf mit Credit, da
Creditgeld fuͤr Sachen hingegeben wird, 3. die gemeine An-
leihe und dergleichen, da Sachgeld fuͤr eine perſoͤnliche Ver-
pflichtung hingegeben wird, 4. die Anleihe und dergleichen
mit Credit, da Creditgeld fuͤr eine perſoͤnliche Verpflichtung
hingegeben wird, zu welcher letzteren Gattung eigentlich das
ganze Geſchaͤft der Bank von England gehoͤrt.
In den bisherigen ſtaatswirthſchaftlichen Theorien wird
entweder das geſammte Schuldenweſen oder Creditgeſchaͤft,
als eine Anomalie von dem ordentlichen Gange der Oekonomie
[300] betrachtet, und vielmehr als nothwendiges Uebel, denn als
weſentliches Glied aller Haushaltung behandelt, oder man
ſtatuirt doch nur ſolche perſoͤnliche Verpflichtungen, die auf
beſtimmte Sachen, Unterpfaͤnder, Hypotheken u. ſ. f. baſirt
ſind. Da nun der ganze Geſichtspunct dieſer Theorie von dem
Begriffe des abſoluten Privateigenthums verruͤckt iſt; da die
Theorie des Geldes ſo wenig verſtanden wird, daß man eigent-
lich nur mit dem ſogenannten innerlichen Werth (intrinsical
value) des Geldes, mit dem Werth des Geldes als Waare,
als Privat-Aequivalent zu thun hat; da man nicht einſteht,
daß das Streben nach dem Gelde nichts anderes iſt, als das
Streben, ſein Privateigenthum zum Staatseigenthum zu er-
heben, oder durch die ganze buͤrgerliche Geſellſchaft und ihre
vereinigte Kraft zu garantiren — ſo ſtellt man die erſte
unter den hergezaͤhlten Claſſen der Geldgeſchaͤfte als die
Regel auf, und alle anderen im Grunde nur als Anomalien
von dem gemeinen Kauf, und dreht ſich mit dieſem ganzen
vorgeblichen Syſteme um die Theorie des Preiſes und des
Marktes.
Darin aber lag auch die große Schwierigkeit, welche man
bis jetzt uͤberall in Erklaͤrung des Geldumlaufes gefunden hat,
daß man naͤhmlich den ſichtbaren Theil der Circulation ohne
den unſichtbaren, den ſaͤchlichen Theil ohne den perſoͤnlichen,
das handgreifliche Geld ohne das Creditgeld, in dem Syſtem
ſeiner Bewegung anſchaulich machen wollte: man begann
dieſe allerdings verwickelte Unterſuchung mit demſelben Vor-
urtheil, wie alle ſtaatswirthſchaftlichen Unterſuchungen uͤber-
haupt; naͤhmlich damit, daß der gemeine Kauf fuͤr baares
[301] Geld die Regel unter den Geldgeſchaͤften, dagegen alle andere
Form und Anwendung des Geldes nur Ausnahme ſey.
Denken wir uns das Verhaͤltniß des Menſchen zur buͤrger-
lichen Geſellſchaft uͤberhaupt, wie des Kaufmanns zu der
Geſammtheit ſeiner Handelsfreunde, und laſſen wir den
Nebenmenſchen, wie den einzelnen Correspondenten des Kauf-
manns, einſtweilen aus der Betrachtung; nennen wir den
geſammten Beſitz, und die Arbeit des Menſchen ſein Credit,
und alles was er damit zu erreichen denkt, was er von der
buͤrgerlichen Geſellſchaft gewinnen will, ſein Debet: was er
begehrt und bedarf, kann nur die Geſellſchaft gewaͤhren, es
iſt alſo ihr Credit, wie andererſeits, was er beſitzt und ver-
mag, und womit er wieder ſeines Orts die Geſellſchaft un-
terſtuͤtzt, ihr Debet iſt. Der Staat ſelbſt iſt die große
Balanz des geſammten Credit und Debet; er iſt zugleich
das große Ausgleichende und Balanzirende in dieſem Ver-
haͤltniſſe, und uͤbertraͤgt bey weiterer Entwickelung einen Theil
dieſer erhabenen Function dem Metallgelde. So lang nun der
Markt noch ohne Metallgeld beſtand, fiel es ganz deutlich in
die Augen, daß dieſe Ausgleichung nicht in jedem Moment
vollſtaͤndig abgeſchloſſen werden konnte: in unzaͤhligen einzel-
nen Faͤllen wurden Aequivalente gegen einander ausgetauſcht
oder balancirt, aber in eben ſo vielen andern Faͤllen verblieb
es auf beyden Seiten bey einem Credit. Wenn nun das
Metallgeld eingefuͤhrt iſt, ſo aͤndert ſich im Weſen des großen
Geſchaͤftes nichts, nur daß das Reſultat der einzelnen Aus-
gleichung noch beſtimmter in die Augen faͤllt: das Metallgeld,
welches der Einzelne empfangen hat, und das Credit, welches
[302] ihm verbleibt, ſind nunmehr bey der Abrechnung deutlicher zu
unterſcheiden.
Da er nun aber kein Bedenken tragen wird, bey einem
Ueberſchlage ſeines Vermoͤgens Credit und Caſſe in eine Rub-
rik zu ſetzen, und aus der Summe beyder ſeinen Activſtand
zu beurtheilen; da alſo dieſes Credit nothwendig und an
allen Stellen das Metallgeld begleitet, ſo iſt es klar, daß
eine genuͤgende Theorie der Circulation ſo lange unmoͤglich
iſt, als das Metallgeld außer Begleitung und Wechſelwirkung
des Credits gedacht wird; ferner, daß Metallgeld durch die
ſaͤchlichen Verhaͤltniſſe, die einer Auseinanderſetzung faͤhig
ſind, die centriſugale Kraft der Haushaltung repraͤſentirt,
waͤhrend andererſeits das Creditgeld in allen ſeinen Formen,
da es die geſammten neuangeknuͤpften und unabgemachten
perſoͤnlichen Verbindungen darſtellt, als centripetale Kraft
dem Metallgelde entgegen wirkt; daß alſo endlich das Credit-
geld, in wie fern es nur ſeinen perſoͤnlichen Charakter be-
hauptet, und nicht als ein Surrogat des Metallgeldes be-
handelt wird, nothwendig mit dem Sachgelde im Gleich-
gewichte ſtehen muͤſſe. Im Großen und auf die Dauer
werden ſich allenthalben die Auseinanderſetzungsfaͤhigkeit
der Menſchen, und ihre Verknuͤpfungsfaͤhigkeit unter ein-
ander bedingen; jemehr die Geſellſchaft ſich ſaͤchlich aus-
einander zu ſetzen vermoͤgen wird, um ſo innigere per-
ſoͤnliche Verbindungen wird ſie eingehen koͤnnen, um ſo ge-
wiſſer wird das Geld im zweyten Falle gerade um ſo viel
in den Mittelpunct der Geſellſchaft zuruͤck ſtreben, als es
im erſteren Falle aus der Geſellſchaft heraus zu treten,
[303] aufgeſpeichert zu werden, Sache, Waare zu werden ſtreben
wird.
Wenn eine Regierung die Maſſe der umlaufenden Geld-
zeichen ploͤtzlich, willkuͤhrlich und bedeutend vermehrt, ſo wird
nicht bloß die Auseinanderſetzungsfaͤhigkeit der einzelnen Haus-
haltungen erhoͤht, ſondern es entſtehen ganz in demſelben
Verhaͤltniſſe auch neue Verknuͤpfungen und Verpflichtungen
unter dieſen Haushaltungen; mit andern Worten, die Regie-
rung kann das Sachgeld nicht vermehren, ohne das Credit-
geld zu vermehren; es reagirt alſo unmittelbar eine perſoͤn-
liche Gegenkraft gegen den ſaͤchlichen Ueberfluß. Weil aber
das Sachgeld nur willkuͤhrlich und von einer aͤußern Macht
gegeben iſt, und nicht im Mittelpuncte der wirklich vorhan-
denen ſaͤchlichen Verhaͤltniſſe ſteht, ſo erhebt ſich von der an-
dern Seite ein eben ſo kuͤnſtlicher und ſcheinbarer Privatcre-
dit, der ſich im Wucher und in der Agiotage vornehmlich
aͤußern wird. Dieſes große oͤkonomiſche Scheinleben wird die
ganzen innern Verhaͤltniſſe der Haushaltung verderben; die
Organiſation des Staates ſelbſt wird in Unordnung gebracht
werden.
Aber nicht die Summe, nicht die Maſſe der Geldzeichen
muß als die Urſache dieſer Uebel betrachtet werden, ſondern
es iſt die Willkuͤhr in der Creation der Geldzeichen. Der
Staat hat an und fuͤr ſich einen ganz unendlichen Credit:
wenn die Regierung in gleichem Maaße das innere oͤkonomi-
ſche Leben zu ſteigern, die Wechſelwirkung aller oͤkonomiſchen
Verhaͤltniſſe zu erhoͤhen verſteht, ſo gibt es eigentlich keine Graͤnze
fuͤr die Vermehrung der Geldzeichen. Aber indem ſie dieſe
[304] ihre ſaͤchliche Kraft zu realiſiren unternimmt, muß ſie in
demſelben Maaße auch ihren Credit, ihre perſoͤnliche
Kraft zu perſonaliſiren verſtehen, das heißt: da der ganze
Staat, naͤhmlich Volk und Regierung gemeinſchaftlich in
ihrer unendlichen Wechſelwirkung das Geld machen, ſo darf
die Macht des Privatcredits nicht durch Vermehrung der
Geldzeichen erhoͤht werden, ohne daß der oͤffentliche Credit
zugleich in demſelben Maaße zunaͤhme.
Eben ſo wenig als in der bloßen Fuͤlle der Geldzeichen die
Quelle des Uebels geſucht werden darf, eben ſo wenig darf von
der Verminderung derſelben das Heil und die Rettung des
Ganzen erwartet werden, wenn auch Faͤlle eintreten ſollten,
wo fuͤr die augenblickliche Erleichterung eine Verminderung
rathſam ſeyn ſollte. Sie iſt immer nur rathſam, in wie fern
ſie der Regierung Luft und Raum gibt, mit ganz anderer und
tieferer Kunſt die Organiſation der Haushaltung ſelbſt, und
ihre inneren Verhaͤltniſſe anzugreifen und wieder herzuſtellen.
Ohne dieſen Vorbehalt, und unabhaͤngig von dieſer gruͤnd-
lichen Cur, wird das Uebel eben durch die Verminderung erſt
recht unheilbar.
Der ganze Koͤrper ſoll das Blut erzeugen, nicht aber ſoll
ein einzelnes Organ fuͤr dieſe Bluterzeugung beſonders einge-
richtet und privilegirt werden. Die Regierung erzeugt alſo
nur Geld, wirkliches Geld, in wie fern ſie das Ganze, und
alle ſeine Beduͤrfniſſe, nicht aber etwa nur einen einſeitigen
Geldmangel, oder ein beſonderes und augenblickliches Beduͤrf-
niß im Auge hat. Es ſind aber einzelne Organe des Staats
beſonders empfaͤnglich fuͤr die Aneignung der Geldzeichen,
[305] andern hingegen kommen die Wohlthaten dieſer Geldzeichen nur
mittelbar zu Gute. Sobald die Regierung alſo die Geld-
zeichen mechaniſch vermehrt, ohne in demſelben Maaße jene
andern Organe, denen die Vortheile der Geldvermehrung nur
indirekt zu gute kommen, zu ſtaͤrken, ohne um ſo kraͤftiger
und gerechter das Ganze zu umfaſſen, ſo uͤbertraͤgt ſie im
Grunde nur das Privilegium der Gelderzeugung, das ſie im
Nahmen des Ganzen ausuͤbt, auf ein einzelnes Organ. Sollte
ſie nun die Geldzeichen eben ſo mechaniſch vermindern, ohne
zugleich eine Radicalcur zu unternehmen; ſollte ſie alſo ihr
Privilegium der Gelderzeugung nicht bloß aufheben, ſondern
das bisher erzeugte Geld zuruͤck nehmen, ſo gibt ſie damit nur
dem Privatcredit, das heißt, dem verwoͤhnten verderbten
Privatcredit, oder dem Wucher die foͤrmliche Befugniß in die
Haͤnde, die Luͤcken zu ergaͤnzen, ſelbſt Geldmarken zu machen,
und ſomit ſeinen verderblichen und vernichtenden Einfluß auf
das Ganze nun erſt recht zu aͤußern.
Ich glaube hinreichend, vielleicht nur mit zu großer Um-
ſtaͤndlichkeit erwieſen zu haben, wie ſehr die Vernachlaͤßigung
der oͤkonomiſchen Verhaͤltniſſe alle ſtaatswirthſchaftlichen
Geſichtspuncte uͤberhaupt verruͤckt habe, und wie voͤllig unwirk-
ſam alle calculatoriſchen Handgriffe an und fuͤr ſich bey einem
Geſchaͤft ſeyn muͤſſen, welches unzaͤhlige Dinge umfaßt, die
weder der Zahl noch irgend einer Berechnung zu unterwerfen
ſind. Der wahre Land- und Hauswirth, und der große
Kaufmann haben dieß zu allen Zeiten empfunden und aus-
geuͤbt, wenn ſie ſich davon auch nicht gerade wiſſenſchaftliche
Theoret. Theil U
[306] Rechenſchaft gegeben. Was aber in Privatverhaͤltniſſen dem
Gefuͤhl uͤberlaſſen werden darf, muß in Staatsangelegenhei-
ten zum Bewußtſeyn, zum Geſetz erhoben, und anerkannt
werden, weil hier viele ſich in Einem Gefuͤhl vereinigen muͤſ-
ſen, welches nur moͤglich iſt, in wie fern es wirklich aus-
geſprochen wird.
In fruͤheren Zeiten iſt es wohl von vielen gemeinſchaftlich
empfunden worden, daß alle Werthe und alle Wirkſamkeiten
im Staate nur mit Ruͤckſicht auf das Heil des Ganzen, alſo
mit Ruͤckſicht auf ihre Richtung nach dem Mittelpuncte beur-
theilt werden koͤnnten. Aber: un peuple, qui a perdu ses
moeurs, ſagt der Marquis de Bonald, en voulant se
donner des loix écrites, s’est imposé la necessité de
tout ecrire, et même les moeurs. — Voͤlker, welche
das Gefuͤhl des Ganzen und Oeffentlichen verloren haben, in-
dem ſie roͤmiſches Geſetz, roͤmiſches Privateigenthum und
roͤmiſchen Egoismus angenommen, koͤnnen bey der Schrift-
und Zahlbeſtimmung ihrer Privatverhaͤltniſſe nicht ſtehen blei-
ben. Das Ganze bleibt in ſeiner tiefſten Verwirrung noch
immer maͤchtiger als alle Einzelnen zuſammen genommen:
was fruͤher mit unſichtbarer Gewalt als Sitte, als Gefuͤhl
das Ganze verband, muß nunmehr ausgeſprochen, aufge-
ſchrieben werden: reicht die Sprache nicht aus, ſo muͤſſen
die Urformen der Dinge ſelbſt, es muß alſo die Lehre von die-
ſen Urformen, das heißt: die Geometrie, zu Huͤlfe genommen
werden.
Es wird uͤberhaupt in allen andern Wiſſenſchaften etwas
Aehnliches geſchehen muͤſſen. Denn, wiewohl die Sprache, in
[307] ihrer gerechten und vollkommenen Ausuͤbung, wie man ſich
aus den Werken der großen Dichter aller Zeiten davon uͤber-
zeugen kann, ſowohl ein bezeichnendes als ein abbildendes,
ein arithmetiſches ſowohl als ein geometriſches Element ent-
haͤlt, ſo hat doch die Barbarey unſrer ſowohl, als aller an-
dern Alexandriſchen Zeiten, das Weſen der Wiſſenſchaft in
eine ſtrenge Ausſonderung des bezeichnenden oder arithmeti-
ſchen Elementes der Sprache geſetzt. Dasjenige hoͤchſt Weſent-
liche, ja Heilige, welches die Poeſie durch ihren Rythmus,
durch ihre Bilder, und durch den Wechſel ihrer Formen aus-
druͤckt, glaubte man in der Wiſſenſchaft nicht bloß entbehren
zu koͤnnen, ſondern nicht dulden zu duͤrfen. Ja man raͤumte
es der Poeſie ſelbſt nur als ein aͤußeres Beyweſen, als einen
unweſentlichen Schmuck, als ein Gewand, als ein Mittel
zur Verſtaͤrkung und Belebung ihrer Eindruͤcke ein. Wiſ-
ſenſchaft war dasjenige, was ausſchließend in Zeichen, in
Zahlen, in Chiffern verkehrte: und nach dem Grade des
Mangels alles bildenden Vermoͤgens ſollte die Strenge, die
Exaktheit der Wiſſenſchaft beurtheilt werden. Wenn daher
einige wenige groͤßere Seelen fuͤr die Wiſſenſchaft die kuͤnſt-
leriſche Form reklamirt haben, ſo haben ſie damit etwas
viel Hoͤheres als die aͤußere Geſchliffenheit oder die Eleganz
des Gewandes, gemeint. Sie haben das zum Denken ſo
gut als zum Dichten unentbehrliche bildende Vermoͤgen
zuruͤck verlangt; und meine Elemente der Mathematik wer-
den auf unuͤberwindliche Weiſe zeigen, daß die Geometrie
der eigentliche Buͤrge dieſer Vollſtaͤndigkeit und Befriedigung
der Wiſſenſchaft ſey.
U 2
[308]
Nachdem ich mich, ſo weit fuͤr jetzt uͤber dieſe, in eben
ſo tiefer Verderbniß befangene Wiſſenſchaft der Geometrie
ein Verſtaͤndniß moͤglich war, ihrer bedient, ſo beſchließe ich
dieſen erſten Abſchnitt meiner Arbeit, indem ich diejenige
oͤkonomiſche Verfaſſung, welche ihren innern Verhaͤltniſſen
am treueſten geblieben iſt, weil ſie ſich von der Tyranney der
Zahlen und der Buchſtaben am entfernteſten gehalten hat,
in einer geometriſchen Figur abbilde, die wahrſcheinlich nach
allem Vorausgeſchickten keiner weiteren Erklaͤrung beduͤrfen
wird.
ruhig, durch die Bewegung. So bedarf die friſche und
natuͤrliche Ruhe des Kindes der Wiege.
ſtimmten Linie, nur durch eine andere auf ſie in Beziehung
geſetzte, das heißt: mit ihr in der Verlaͤngerung convergi-
rende Linie.
Meiſtentheils vergeſſen wir, daß der Rand der Tafel oder
des Papiers, worauf wir unſere Linie verzeichnen, dieſe
Linie ſchon individualiſirt, oder die Antilinie darbiethet,
durch die ſie erſt zu einer Linie wird, und ſo uͤberſehen wir
den wichtigſten Umſtand in der Geometrie, daß es naͤhmlich
zwey Linien geben muͤſſe, damit eine. Daher die Unmoͤglichkeit
die Parallellinien auf dem gewoͤhnlichen Wege zu demonſtri-
ren. Es ſind identiſche Linien, wie ſich ausweiſt, wenn ſie,
wie beym Euklides geſchehen, durch eine dritte convergirende
Linie individualiſirt werden.
ßen und vollſtaͤndigen Menſchen, zu welchem ſich ihre Ge-
brechlichkeit und Vergaͤnglichkeit, durch alle Produktion nur
erheben will.
Da wie in einer fruͤheren Anmerkung gezeigt, jede
beſtimmte Linie eine andere convergirende oder divergirende
Linie vorausſetzt, damit ſie uͤberhaupt als Linie angeſchauet
werden koͤnne, ſo denke man ſich eine ſolche gerade Linie,
durch alle die unendlichen anderen gleich großen geraden
Linien, die von allen Seiten her nach demſelben Vereini-
gungspunct moͤglich ſind, beſtimmt, ſo hat man zugleich das
Skelett der Kugel. Hierdurch iſt nun auch die beſagte gerade
Linie befriedigend beſtimmt. Man ſetze auf den einen End-
punct einer geraden Linie den Accent der Ruhe, auf den
andern die unendliche Bewegung, ſo erhaͤlt man gleichfalls
das Schema der Kugel.
Ein großer ahndungsvoller Autor, dem wir unzaͤhlige
Berichtungen unſerer Anſicht verdanken, der verſtorbene
Friedrich von Hardenberg (Novalis) ſagt: „jede Linie ſey
eine Weltaxe.”
tuiren das Weſen der Muͤnze noch nicht. Das Wort iſt nichts
ohne die Perſon des Sprechers: jedermann wird fragen, wer
Gewicht und Feinheit auf dem Metalle angegeben. Das Bild
oder Zeichen, oder der Wahlſpruch, oder das Wappen des
praͤgenden Souveraͤns, oder der praͤgenden Commune muß
hinzugefuͤgt werden. Ferner die Beſtimmungen des Gewichts,
der Feinheit, der Benennung der Muͤnze, ſind Einrichtun-
gen der buͤrgerlichen Geſellſchaft, ſind Sachen der Convention.
Der Inbegriff aller dieſer Dinge iſt das Wort, welches zum
Metall hinzu kommen muß, damit es zur Muͤnze werde.
man des Privateigenthums ſchone, zeigt deutlich genug, daß
der Staat und alle perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe nur als Accidenz
des Privateigenthums betrachtet werden. —
wendigſten Hausthiere, ſind ſolche gezaͤhmte reine Uebel.
Auch der Krieg laͤßt ſich inoculiren, indem man alle Friedens-
inſtitute des Staates mit ſeinem Geiſte durchdringt.
geben, daß der Schritt von dem Handel der Vorzeit zu dem
heutigen Europaͤiſchen Creditgewerbe viel groͤßer ſey, als der
Schritt von dem vorgeblichen Tauſchweſen der Antediluvianer
zum Handel; daß ich alſo hinreichenden Grund habe, drey
ſolcher Perioden abzuſtecken.
praͤgende Werkſtatt bald das ausgepraͤgte Metall, bald
mint, bald coin bedeutet, erſchwert die Darſtellung ſehr.
Ueberhaupt iſt die deutſche Sprache fuͤr Abhandlungen der
Nationaloͤkonomie noch wenig formirt.
einen der ſcharfſinnigſten und beruͤhmteſten Gegner des Pa-
piergeldes (letter to the r. h. William Pitt. second
edition pag. 103). Alle Beobachtungen und Erfahrungen
ſeines Lebens, ſagte er, noͤthigten ihn zu behaupten, that
all the adsurdities of the doctrine of transubstantia-
tion are really nothing to the monstrous prin-
ciple, that a sterile piece of paper is
equal to gold.
ſes Satzes, naͤhmlich, daß die Beſtimmung der Art,
eine Gleichſetzung der Groͤßen vorausſetze, in
ihrem gehoͤrigen Umfange zu begreifen, woruͤber dann das
eigentliche geometriſche Weſen in der Geometrie abhaͤnden ge-
kommen iſt.
daß, wenn meine fruͤher aufgeſtellte Diſtinction zwiſchen Werth
und Preis ſchon allgemein angenommen waͤre, ich dieſen
zweyten Standard ſehr fuͤglich und paſſend Standard des
Preiſes nennen koͤnnte.
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- TextGrid Repository (2025). Müller, Adam Heinrich. Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnf9.0