[][][][][][][[1]]
Kritiſche Waͤlder.

Oder
einige Betrachtungen
die
Wiſſenſchaft und Kunſt
des Schoͤnen

betreffend,
nach Maasgabe neuerer Schriften.

Drittes Waͤldchen
noch uͤber einige Klotziſche Schriften.

— There are — — who will draw a man’s character from
no other helps in the world, but merely from his evacua-
tions;
— but this often gives a very incorrect out-line, —
unleß, indeed, you take a ſketch of his repletions too; and
by correcting one drawing from the other, compound one
good figure out of them both —

(Tristram Shandy. Vol. I. Chap. 23.)

Riga,: bey Hartknoch, 1769.
[[2]][[3]]

Vorrede.


Ein Kunſtrichter ſoll nicht anders,
als ein boͤſes Herz, haben koͤnnen —
iſt dies, ſo wehe dem Verf. der
kritiſchen Waͤlder. Er hat mit Grimm und
Bitterkeit: er hat, weiß Gott, aus welchen
ſchwarzen Gruͤnden und zu welchen boͤſen
Abſichten geſchrieben — niger eſt!


Alſo muß ein Kunſtrichter ein boͤſes Herz
haben! warum? weil er Fehler aufſuchet,
und wer Fehler aufſuchet, der — Aber
mit einer Erlaubniß! wenn er ſie nicht auf-
ſucht, nicht aufſuchen darf, wenn ſie ihm in
vollem Maaße ſelbſt zuſtroͤmen? — Dann
ſollte er ſie bedecken! Fehler bedecken, das
A 2thut
[[4]]Vorrede.
thut die Menſchenliebe! — Bedecken alſo?
aber wenn ſie ſich nicht bedecken ließen, wenn
ſie, bedecket, und mit einem ſanften Vehiku-
lum verſchlucket, um ſo ſchaͤdlicher waͤren,
iſts da nicht doppelte Menſchenliebe, ſie zu
entlarven? Doppelte Menſchenliebe; denn
ſo wird der junge unerfahrne Leſer gewar-
net, ſie nicht fuͤr Tugenden anzuſehen und
anzunehmen: der fehlerhafte Schriftſteller
ſelbſt, wenn er noch zu beſſern iſt, gebeſſert,
oder wenigſtens dahin gebracht, nochmals
zu pruͤfen, auszutilgen oder zu verſtaͤrken.
Jch ſehe in keinem Falle Nutzloſen Men-
ſchenhaß.


Was der webende Wind wachſenden
Baͤumen iſt, Staͤrkung ihres Stammes,
das iſt der Wiederſpruch fuͤr unſere Meinun-
gen und Lehrſaͤtze. Ein freundſchaftliches
Geſpraͤch, ein Pro und Kontra im Umgange,
oder im lebendigen Vortrage, bringt oft
weiter, als hundert einſame Diſcuſſionen auf
einem und demſelben Pfade. Dort wird
jede Jdee gewandt, ventilirt, gepruͤft, und
alſo
[[5]]Vorrede.
alſo entweder beſtaͤrkt, oder geſchwaͤcht: der
Geiſt waͤchſet in dem Zwiſte der Akademie,
wie der Leib in den Uebungen der Palaͤſtra.


„Aber dazu ſind Journale, Zeitungen!„
Auch meine kritiſchen Waͤlder moͤgen ſo etwas
ſeyn, und wollen noch mehr ſeyn. Ein
Journal gibt Auszuͤge und nur uͤber dies
und ein anderes Einzelne ſeine Meinung:
der Zergliederer eines ganzen Buchs thut
mehr, als — vielleicht ſelbſt ſein Verfaſſer
gethan. Sich in den Plan des Ganzen
ſetzen, hier und im Einzeln auf die Fehler oder
Schoͤnheiten zeigen, ergaͤnzen, das thun
vielleicht nur einige Journale! das iſt ſo
ſchwer, als ſelbſt Schreiben, und eben bei
dem elendeſten Buche am ſchwerſten. Klotzens
Muͤnzbuͤchlein wird ihm nicht die halbe Arbeit
gekoſtet haben, die ſeine Analyſe mir; viel-
leicht aber wird dieſe auch um die Haͤlfte
nuͤtzlicher werden koͤnnen, als jenes ſelbſt.
Ein zergliedertes Buch iſt doch bildender, als
ein zuſammen geſchmiertes.


A 3Sollte
[[6]]Vorrede.

Sollte mein Zeugniß hierinn nicht gelten:
ſo mag der engliſche Swift *) zeugen: er
giebt ſo umſtaͤndlichen Zergliederungen einen
Werth, von dem ich mir gern auch nur die
Haͤlfte zueignen wollte. Eben daher wird
man auch das oft Kleinfuͤgige in meinen
Diſputationen entſchuldigen. Sollte das
Ausgefundne oft nicht wichtig ſeyn: ſo ſuche
man an der Methode ſelbſt zu lernen.


Jch habe dazu Schriften gewaͤhlt, die
bekannt gnug waren, und uͤber die, wenn
ich gefehlet habe, ich wenigſtens auf meine
Koſten gefehlet. Von Leſſings Laokoon
erinnere ich mich keine einzige Erinnerung,
die ich gemacht, ſonſt geleſen zu haben, und
uͤber Klotzens Schriften war, was ich ur-
theilte, auch noch nicht geurtheilt. Da ihr
Verf. ſich der meiſten Zeitungen und Jour-
nale in Deutſchland verſichert hat, und dieſe
doch leider! fuͤr das Publikum ſchon gelten:
was war nicht der Mann geworden? und
was ſind ſeine Schriften! Was iſt nicht
Hr.
[[7]]Vorrede.
Hr. Riedel geworden? und was ſind ſeine
Theorie und ſeine Briefe?


Hier den Ton der Gleichheit und des
Verdienſtes herzuſtellen: jene lobſchreiende,
alles uͤberſchreiende Stimmen etwas zu maͤßi-
gen, das war meine Abſicht. Leſſings Lao-
koon war, duͤnkte mich, noch nicht wuͤrdig
gelobt: denn er war noch nicht bis auf ſein
Weſen durchdrungen. Klotzens Schriften
uͤberſchwaͤnglich gelobt, und verdienten nicht,
angeſehen zu werden. Riedels Theorie uͤber-
maͤßig gelobt, und iſt das mittelmaͤßigſte,
unordentlichſte Werk, das ich mir bey einer
Theorie denken kann. Hier der Kritik die
Stimme der Freyheit wieder zu geben: das
Unwuͤrdige oͤffentlich zu tadeln, damit dem
Verdienſte ſein Lob noch angenehm ſeyn
koͤnnte — das war meine patriotiſche Abſicht!


„Aber ſo ernſthaft, ſo bitter!„ Noch
immer patriotiſcher Ernſt! ich mag die ſuͤß-
toͤnende lammartige Stimme nicht: mag
nicht den ſchmeichelhaft ſich buͤckenden Ton,
A 4in
[[8]]Vorrede.
in dem die ſprechen, die wieder gelobt ſeyn
wollen. Man tadle mich! man tadle mich
heftig! ich mag nicht kriechen! und wenn es
Mode des Jahrhunderts waͤre!


„Ernſthaft alſo, aber warum bitter?
„warum mit Galle?„ Mit Galle gegen
die Perſon im geringſten nicht. Da ich nicht
das Gluͤck habe, in Halle oder Erfurth zu
leben: warum ſollte ich den Lehrern daſelbſt
ihren Beifall beneiden? aus Eiferſucht ſchmaͤ-
lern? aus Habſucht an mich ziehen wollen?
„Aber mit Bitterkeit gegen den Schrift-
„ſteller, und dazu unwuͤrdig, unhoͤflich,
„ungezogen!„ Die Vorwuͤrfe ſind hart,
und ſie waͤren ſiebenfach hart, wenn man
ſie von meinem erſten Waͤldchen ſagen koͤnnte!
Aber in einem Zeitpunkte, wo das Schmei-
cheln Mode wird, wo der Geſchmeichelte
mit dem Publikum, mit Welt und Nach-
welt im hochtrabendſten Tone ſpricht, und
auf ſeinen eingebildeten Werth ſo ſicher rech-
net, als der Kaufmann auf ſeine Papiere —
wie? iſts da dem Patrioten ſo unverzeih-
lich,
[[9]]Vorrede.
lich, wenn er auch in der Gegenſtimme aus-
ſchweift? wenn er ſeinen rechtmaͤßigen Tadel
mit Feuer ſagt? O ſollte mancher ſo viel
zuruͤckzahlen muͤſſen, als er unrecht zu em-
pfangen gewußt, wie viel iſt er noch ſchul-
dig? — Und zudem, iſt hier wohl die Haͤlfte
der Ungezogenheiten, die die Klotziſche Bi-
bliothek gegen die beſten Schriftſteller Deutſch-
landes bewieſen? und iſt bey einem Klub,
wo ſanfte Kritik den Lauf des Muthwillens
nicht ſtoͤren kann, ein andrer Weg moͤg-
lich?


„Aber warum Namenlos, aus dem Dun-
„keln hervor?„ Habe ichs nicht ſchon geſagt:
mein Name iſt keine Suͤnde! War mein
Buch wider den Charakter der Ehrlichkeit
ſeines Schriftſtellers: war es wider die Re-
ligion und den Staat; ſo ging es die Cen-
ſur, ſo ſollte es nicht gedruckt werden! Und
in dieſem Fall allein iſt der Name des Schrift-
ſtellers und ſeine Perſon in ſein Werk ver-
flochten! — Aber nun! nichts als kritiſche
Streitigkeiten, Ventilationen dieſer und jener
A 5Frage,
[[10]]Vorrede.
Frage, Zergliederungen von Schriften, um
den Werth und Unwerth derſelben zu zei-
gen — wozu da der Name? Der Verf.
darf ihn nicht, und wird ihn auch nie ent-
decken: er wird nie das Buch unter die
Kinder ſeines Namens aufnehmen: denn
es war nicht dazu. Es war blos fuͤr eine
Zeitverbindung geſchrieben, die der Littera-
tur ſchaͤdlich ward: in einem Tone geſchrie-
ben, der fuͤr das Ohr dieſer Zeitverbindung
eingerichtet war: uͤber Sachen, wovon da-
mals jeder ſprach und ſchwatzte. Er kann
alſo wohl einmal einzelne Materien aus-
heben, und fuͤr die ſeinigen erkennen, die
etwa dauren koͤnnen: der Wald ſelbſt aber
hat keinen Namen — αγωνισμα μαλλον,
ου κτημα ες αει.



[[11]]

Jnhalt.



  • I.Ueber Herrn Klotzens Buch
    vom
    Muͤnzengeſchmacke.

    • 1. Die Schrift iſt weder ſchoͤn im Vortrage, noch Bei-
      trag zur Geſchichte, noch im wuͤrdigen Ton geſchrieben.
      Was der ſuͤße Kammerton unſrer Zeiten ſey?
    • 2. Probe von der Feinheit der Klotziſchen Empfindungen.
      Rettung der Muͤnzgelehrten, die mehr thun, als ſchme-
      cken. Einfuͤgung der Geſchmackslehre auf Muͤnzen mit
      andern eben ſo nutzbaren Zwecken.
    • 3. Ein langes Regiſter von Stellen, wo Addiſon mit unſerm
      Klotz gewandert. Vorzuͤge des Deutſchen vor dem
      Britten an redneriſchem Schmuck, an Beſtimmtheit
      und Ordnung.
    • 4. Vorzeichnung zu einer hiſtoriſchen Theorie des Geſchmacks
      alter und neuer Muͤnzen. Vorzuͤge der Griechiſchen Nu-
      mismatik erklaͤrt, aus ihrem Nationalcharakter, aus ihrer
      Succeſſion auf die Egypter in der Bilderſprache, aus
      ihrer Religion, ihren Allegorien von Staͤdten und Laͤn-
      dern, abzubildenden Sachen und Begebenheiten, Perſo-
      nen
      [[12]] nen und Jnſchriften, aus ihrer Bilderdenkart, und
      poetiſchen Cultur des Publikum — alles im Kontraſt
      unſrer Zeiten.
    • 5. Hiernach eine Pragmatiſche Muͤnzengeſchichte des Ge-
      ſchmacks. Pruͤfung der Klotziſchen Jdeen daruͤber. Ob
      ſich auf alten Muͤnzen nur ſchoͤne Geſtalten finden? Ob
      Winkelmann ſeine Geſetze der Allegorie fuͤr Muͤnzen
      gegeben? Ob eine Muͤnze freyes Kunſtwertk ſey? Jhre
      wahre Natur iſt ſymboliſch.
    • 6. Wie weit ſich aus Muͤnzen auf den Geſchmack einer
      Nation ſchließen laſſe? Nach Einer, nach allen Griechiſchen,
      nach den Roͤmiſchen, nach den Gothiſchen und Barbariſchen
      der mittlern Zeiten; nach der Numismatik unſrer
      Zeit gepruͤft. Wunſch nach einem numismatiſchen
      Goguet.
    • 7. Wie fern dle bildenden Kuͤnſte die Denkart des Kuͤnſtlers
      verrathen? Wie fern eine Muͤnze dies kann? Ob ſie die
      Denkart des Fuͤrſten ſchildere? Proben der Alberheit dieſes
      Satzes. Ob der moraliſche Charakter ganzer Nationen auf
      Muͤnzen zu ſuchen ſei? Beiſpiele an den mitlern Zeiten,
      Hollaͤndern, und Deutſchen? Lobrede auf die Epoche des
      Geſchmacks, die Hr. Klotz in Deutſchland macht.
    • 8. Wenn Muͤnzen vom Geſchmack der Nation zeugen ſollen:
      ſo muͤſſen ſie ein Werk des Publikum, und ein freies Kunſt-
      werk ſeyn. Ob ſich von ihnen die Bildung des Ge-
      ſchmacks anfange?
      • Statt des Beſchluſſes der Auszug aus einem
        Briefe.

II. Proben
[[13]]
  • II. Proben von der Gruͤndlichkeit und Un-
    partheilichkeit des kritiſchen Urtheils
    der actorum.

    • Ueber Harles Vitas philologorum. Ob ſich ein biogra-
      phiſcher Charakter aus Oden entwerfen laſſe? Laͤcherliche
      Kleinigkeiten in Hrn. Klotzens eignem Leben.
    • Ueber den Charakter Pindars. Rettung und Erklaͤrung
      der ausſchweifendſten Pindariſchen Ode.
    • Ueber Breitenbauchs Schilderungen, der uns einen Horaz
      liefern wird.
    • Hauſens Geſchichte: dergleichen noch nie erſchienen.
    • Ueber D’Argens Julian. Charakter Julians, wie ihn Hr.
      Klotz kennet.
    • Ueber Damms Lexicon. Nutzbarer Gebrauch deſſelben.
    • Ueber die Briefe eines Mentors. Beſte Probe von cha-
      rakteriſirenden Anekdoten.
    • Hauſens Weltgeſchichte. Seine ſchoͤne Gabe zu charakte-
      riſiren. Charaktere Karls des Großen, Ludwigs des
      Frommen u. ſ. w. Ueber die Charakterſtellung uͤberhaupt.
    • Urtheil uͤber die acta uͤberhaupt in ihrer Schreibart, und
      kritiſchem Geiſt.
    • 1. Hr. Klotz ſollte ſich nicht mit der Theologie befaſſen.
      Seine Claßification mit Teller und Baſedow. Ob unſre
      Ortho-
      [[14]] Orthodoxie in Klotziſch Latein umgegoſſen werden
      ſolle?
    • 2. Die Reichsgeſchichte iſt nicht à la Greeque oder à la
      Françoiſe
      zu ſchreiben. Unterſchied unſrer Geſchichte
      von andern in der aͤlteſten Zeit, und in den mittlern
      Jahrhunderten. Ob eine Deutſche und Reichshiſtorie
      zwey Dinge ſind? Bemerkungen uͤber die Eigenheit
      unſrer Geſchichte und wie ſie idiotiſtiſch zu ſchreiben
      ſei.
    • 3. Satyren auf die Metaphyſik und Philoſophie. Sie
      raͤchet ſich gegen ihre Veraͤchter.
    • 4. Von dem Buche uͤber geſchnittne Steine. Deſſen Be-
      leſenheit, Ordnung und Eintheilung wird gelobt. Pro-
      ben von dem guten Tone in ihm. Allgemeines Ur-
      theil. — —
    • — Leſſings Antiquariſche Briefe. Schluß —


[[15]]

Drittes Waͤldchen
uͤber einige Klotziſche Schriften.



1.


Muͤnzenſchmeckerei — das Wort
ſcheint veraͤchtlich: wie aber,
wenn ein Titel Geſchichte des
Geſchmacks und der Kunſt aus
Muͤnzen
a) ſeiner Ausfuͤhrung nach nicht beſſer,
als ſo, koͤnnte zuſammen gezogen werden? —
Jch will mich, ſo viel ich kann, nach Griechen-
land zuruͤck ſetzen, und leſen, als ob ich einen
Griechen laͤſe. Das attiſche Publikum in Deutſch-
land ſei zwiſchen ihm und mir Zeuge.


Zwar Griechiſchſchoͤn im Vortrage iſt dies
Schriftchen wohl eben nicht, daß naͤmlich einfaͤltige
Hoheit,
[16]Kritiſche Waͤlder.
Hoheit, nachdruͤckliche Kuͤrze, und feine Schoͤnheiten
des Styls ſich in ihm vereinigen ſollten. Der
klotziſche Styl mag immer die Schoͤnheiten haben,
die der Kupferſtecher Allechement nennet; aber
Richtigkeit der Zeichnung, und Kraft entgeht
ihm voͤllig. Der Freund und Beurtheiler b)
Hr. Klotzens, „bei dem ſeine zaͤrtliche Liebe ge-
„gen den Verf. diesmal uͤber ſeine großen Einſich-
„ten, und ſcharfe Beurtheilungskraft die Ober-
„hand behalten,„ mag davon ſagen „was Hr.
„Klotz ihm nicht verbothen„ c) ich kann nicht
anders, als durchgaͤngig einen langweiligen homi-
letiſchen Ton finden, der faſt nie ſo recht Griechiſch
oder Deutſch heraus ſagt, was er ſagen wollte.
Langweilig jedes Punkt umher geholet, gekettet
und umwunden, nach einem zehn Seiten langen
Eingange, der eine hoͤfliche Empfehlung ſein ſelbſt
und weiter nichts enthaͤlt, alsdenn erſt ein praͤch-
tiges ebenfalls zehnſeitiges Exordium vorausge-
ſchickt, alsdenn ein halbblindes Thema kanzel-
maͤßig in zween Theile zerſtuͤckt, ſo mit beſtaͤndi-
gen Ausſchweifungen, in lauter Geſchmacksvollen
Anmerkungen, mit oͤftern hoͤflichen Freundſchafts-
bezeigungen zweihundert Seiten hin deklamirt,
als wenn jede Periode aus dem Lateiniſchen uͤber-
ſetzt waͤre, als wenn zu jedem Staͤubchen zween
Wind-
[17]Drittes Waͤldchen.
Windmuͤhlen und zur Schriftſtellerhoͤflichkeit beſtaͤn-
dig fortſcharrende Komplimente noͤthig waͤren —
zu einem ſolchen Vortrage wuͤrde ein griechiſcher
Longin frei heraus ſagen φλοιωδης γαρ ὁ ανηρ και
φυσων, κατα τον Σοφοκλεα „ου σμικροις μεν
„αυλισκοισι - - φορβειας δ’ατερ„ - - ουδεν δε φασι
ξηροτερον υδρωπικου. Wer da will, verdeutſche
das Urtheil.


Was ein Grieche mit dem Worte Geſchichte
verbaͤnde, iſt hier nicht verbunden: ich mag das
Titelwort Beitrag zur Geſchichte ſo diminutiviſch
nehmen, als ich kann. Hier wird weder Zeitfolge
ſorgfaͤltig bemerkt: noch die uͤberhingeworfnen An-
merkungen wenigſtens durch einzelne Beiſpiele der
fortgehenden Zeitfolge ſcharf bewieſen: noch we-
niger von einer Nation nach der andern, inſon-
derheit in den neuern Zeiten, Beiſpiele der ſucceſſi-
ven und coexſiſtenten Geſchmacksveraͤnderungen
geſucht; noch weniger die Urſachen des veraͤnder-
ten Geſchmacks aus dem Chaos der Geſchichte her-
aufgeholt — iſt das Beitrag zur Geſchichte? Zu
einigen allgemeinen und zu ſehr bekannten Bemer-
kungen, die uͤber Voͤlker und Zeiten durchhingewor-
fen, und faſt; immer halbſchielend wiederholt wer-
den, zu dieſen einige leidliche Exempel beizutragen,
die aus bekannten Buͤchern, und im ganzen ſuͤßen
Flußwaſſer des Buchs doch nur rari nantes in gur-
gite vaſto
ſind — — aus dieſen von der Ehre
Bund
[18]Kritiſche Waͤlder.
und Schande aller neuern Muͤnzen ſo allgemein
und entſcheidend zu reden, als haͤtten ſich alle zur
Muſterung dargeſtellt, und doch nichts als die all-
gemeinen Geſchmacks - und Barbareiperioden, jede
mit Einem Beiſpiele vielleicht auszuruͤſten, und
dieſe ausgeruͤſtete Figur dann mit halbem Leibe
uns hinzuſtellen — iſt das die Ciceronianiſche An-
kuͤndigung „der Sache, die ich mir vorgeſetzt
„habe? Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen
„gleichſam eine Geſchichte des Geſchmacks und
„der Kuͤnſte
zuſammen zu ſetzen, und ihre Bluͤthe,
„oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen.
„Jch werde daher die alten Muͤnzen, welche be-
„ſonders unſre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen,
„mit den neuern vergleichen: Jch werde die
„merkwuͤrdigſten Perioden in der Geſchichte der
„Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je-
„der derſelben
gehoͤren, betrachten, und nach der
„groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke mein
„Urtheil faͤllen.
O Dea Moneta, wo iſt
dies alles in meinem lieben Buͤchlein?


Noch minder iſt der Ton getroffen, in dem die
Griechen etwas, was zur Geſchichte gehoͤrte, leſen
wollten: der Ton des beſcheidnen Anſtandes, der wei-
ſen Maͤßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit
ſeiner Hiſtorie als ein Wunder ſeiner Zeit auftrat,
kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder
andre Geſchichtsartige Schriftſteller kuͤndigte ſein
The-
[19]Drittes Waͤldchen.
Thema ſo koſtbar, ſo ſelbſtwichtig an, als wenn
man blos der Stirne nach von aller Welt ſchon mit
zuruͤckfahrender Bewunderung empfangen werde, a)
„Augen voll Entzuͤckungsvoller Aufmerkſamkeit
„habe, die Niemand hat, die nur ein Nikoma-
„chus, Pietro di Cortona, Angelo, Addiſon,
„oder wie die Litanei der Geſchmacksnamen nach
„der neueſten Mode weiter heiße, ohngefaͤhr habe:
„als wenn man an Muͤnzen hoͤren, ſehen, ſchmecken,
„und fuͤhlen koͤnne, was ſonſt niemand ſah, als wenn
„man von allen Vorgaͤngern in der Muͤnzwiſſen-
„ſchaft, (einen Addiſon ausgenommen) verſchie-
„den, als eine Seltenheit ſeiner Tage, als ein Ruͤſt-
„zeug des guten Geſchmacks auftrete, eine Epoche
„machen, und der Welt Tag geben ſolle u. ſ. w.„
ſo wuͤrde ein Grieche nicht ſprechen. Nicht bei
Ankuͤndigung ſeiner Schrift, nicht mitten in der
Materie zur Zeit und Unzeit, nicht bei dem Schluß-
ſeegen, nirgends wuͤrde er ſich als eine Mauer fuͤr
den Geſchmack eines ganzen Landes gegen die Aus-
laͤnder vorziehen, allen Zeiten vor ihm die Spitze
bieten, auf einen Zug von Nachfolgern hinter ſich
rechnen, uͤberall im Tone des Rednerego ſprechen —
ein Grieche ſpraͤche ſo nirgends.


Am wenigſten wuͤßte ein Grieche von dem ſeli-
gen Privattone, in dem unſre Zeit, die ſo ſehr das
B 2Na-
[20]Kritiſche Waͤlder.
Natuͤrliche liebt, in manchen ſchoͤnen und uͤber-
ſchoͤnen Schriften liebkoſet. Jene redeten vor
dem Publikum, als vor einem Kreiſe wuͤrdiger
Kenner und Richter; nicht aber ſo freundſchaftlich
ſuͤße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad fa-
miliares.
Jn ihren beſten Zeiten kannten ſie die
Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce
loquentem;
ſie ſprachen mit dem Publikum doch
Etwas anders, als der Ehegatte in ſeiner Schlaf-
kammer, oder der ſuͤße Schriftſteller im Cabinette
ſeines lieben, ſeines herzlich lieben Freundes.


Ein Grieche dachte ſelbſt — — doch wozu
der fortgeſetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz
iſt kein Grieche; er laͤßt andre fuͤr ſich denken und
ſchreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge-
dacht haben, und er anzufuͤhren beliebt, ſein. Jm
Alterthume iſt ſeine Kunſtmuſe von Winkelmann,
Leſſing, Du - bos, Caylus; und in Neuern
von Addiſon, Hagedorn, Watelet, Du - bos
und einigen andern Franzoſen ſo ganz beſeſſen, daß,
wie geſagt, immer Herr Klotz ſpricht, und faſt im-
mer ein andrer durch ihn. Er weiſet andre durch
andre, Winkelmann durch Wacker, Leſſing durch
Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Leſſing
durch Caylus zurecht; ſo zurecht, als wenn alle
dieſe, als Unterbibliothekare ſeiner Bibliothek unter
der Auſſicht des Herrn geheimden Raths, ſich wech-
ſelsweiſe verbeſſert und das entſcheidende Urtheil
dar-
[21]Drittes Waͤldchen.
daruͤber durch eine buͤndige Citation Jhm uͤberlaſſen
haͤtten. Ueberhaupt gehoͤrt hinter jede leidliche
Anmerkung ein fremder Name, und wo er nicht
ſteht, wollte ich ihn zuſchreiben. Zu dieſem Muͤnz-
buͤchlein wenigſtens doͤrfte ich nicht eben lange nach-
ſuchen: denn was Plato zum Antimachus ſagte:
wuͤrde ich hier zu Addiſon ſagen koͤnnen: hic mihi
inſtar omnium!
und Addiſon, welch ein guter
Troͤſter!


Da nun Hr. Kl. als Critikus uͤber den Ge-
ſchmack geſammter Voͤlker und Zeiten urtheilen;
als Sammler Beleſenheit zeigen: als ein Schrift-
ſteller
von ſittlich feinem Geſchmacke ſchoͤn ſchreiben:
als ein Ehrenmann hofmaͤßig ſprechen: als ein
Gefuͤhlvoller Freund, Dankbarkeit und Ergebenſt
bezeugen: und bei allen als Magiſter der freien
Kuͤnſte zuweilen noch eine kleine luſtige Schnurre
anbringen will; ſo denke man ſich in dieſem Gemi-
ſche den wuͤrdigen Ton eines Lehrers uͤber die Ge-
ſchichte der Kunſt, den wir an Winkelmann ſo tief
bewundern. Man vergleiche dieſen artigen Bei-
trag mit des andern ſeiner Geſchichte, und ſiehe da!
Winkelmann in klein Octav! — Verzogne Anprei-
ſungen des guten Geſchmacks wechſeln mit ſittlich-
feinen Artigkeiten, mit ſpaashaften Anekdoten, mit
herzlichſchoͤnen Complimenten an ſeine Freunde und
Goͤnner ab: bald ſpricht ein Kunſtrichter von rich-
„tigem Geſchmacke, Du Bos, bald der unſterb-
B 3„liche
[22]Kritiſche Waͤlder.
„liche Mengs, bald ein Mann, welcher die tiefen
„Einſichten, und alle Eigenſchaften eines großen
„Genies durch ſein Menſchenfreundliches und tu-
„gendhaftes Herz veredelt, und von welchem man
„ſagen kann, daß ſeine Schriften die Schilderung
„des liebenswuͤrdigſten Mannes ſind„ bald Hr.
von Voltaire in ſeinem temple du gout: bald thut
der Verf. „fuͤr Deutſchland das Gebet, das Hr.
„Watelet an die himmliſche Venus abſchickt:„
bald befielt er den Fuͤrſten im Namen der Nach-
kommenſchaft, wenn ſie Muͤnzen ſchlagen laſſen,
Longin zu leſen. „Der Abt Boͤhmer und„ jene
geiſtreiche Englaͤnderinn Montague: Spanheim und
ein franzoͤſiſcher Landjunker: Young in ſeinen
Nachtgedanken und Lucian, und „ein witziger
„Mann, der Abt Trublet„ — auf zwei Blaͤtter-
chen a) kommt dieſe ſeltne Geſellſchaft zuſammen,
und druͤckt ſich ſo auf einander, daß der Verf. mit
einmal „ermuͤdet von Scholiaſten und geſaͤttigt mit
„der Gelehrſamkeit ſtolzer Kunſtrichter, in Leſſings,
„Weißens, Duſchens, Uzens und Hagedorns
„Schriften Erquickung ſucht, von furchtbaren Fo-
„lianten in die lieblichen Umarmungen des freund-
„ſchaftlichen Gleims flieht, oder bewundert in
„den Schriften des Patrioten Moſers erhabne Zuͤge
„der deutſchen Redlichkeit.„ O wenn einſt Grie-
chen
[23]Drittes Waͤldchen.
chen wieder aufleben — unpartheiiſche Nachwelt,
die entfernt von unſerm Familienton und ſuͤßen Zeit-
geſchmack unſre viros ſuaviſſimos waͤgen wird —
oder du unſer deutſches Publikum, das von jeher ent-
mannete Weichlichkeit, und verwelkte Roſen verachtet
hat, deſſen Geſinnung immer ernſte Vernunft,
Kraft, und das Nahrhafte des Geſchmacks gewe-
ſen, wirſt du dich mit einem ſchoͤnen Blumenge-
ſpinſte, das man wie jenen alles uͤbertreffenden b)
Tryphoniſchen Schleier, dir uͤberwirſt, dich immer
taͤuſchen laſſen? — Jch ſchreibe fuͤr Deutſchland,
und ich weiß, die ſtillen Kenner (und ſie ſind das
wahre Deutſche Publikum) auf meiner Seite: der
große helle Haufe lobt und wird gelobt, allein —
the charms wound up!


Warum aber ſo lange bei dem Geruͤſte eines
Buchs? Denkart eines Schriftſtellers, Denkart,
die ſich in allen Schriften deſſelben aͤuſſert, Denk-
art, die ſich, wie eine Luſtſeuche des guten Ge-
ſchmacks, ſo gern weiter ausbreitet, iſt mehr als
Geruͤſt. Und wenn es auch nur dies waͤre: ins
Gebaͤude ſelbſt wage ich mich kaum; es drohet uͤber
mich einzuſtuͤrzen. Jch fuͤrchte: ich fuͤrchte die
B 4un-
[24]Kritiſche Waͤlder.
ungeheure Anheiſchung: aus Muͤnzen eine Ge-
„ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammen-
„zuſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall
„aus denſelben zu beurtheilen„ ſei, ſo wie ſie Hr.
Kl. nimmt, eine farbichte Luftblaſe, ſie iſt das
praͤchtige Thema des Buchs.


Geſchmack aus Muͤnzen: wie weit laſſen
ſich Muͤnzen ſchmecken? was laſſen ſie fuͤr Geſchmack
auf der Zunge?


Geſchichte des Geſchmacks aus Muͤnzen:
laͤßt ſie ſich geben? wie weit iſt ſie ſicher? Ge-
ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte aus
Muͤnzen nach Zeiten und Voͤlkern?
Kann die
Goͤttinn Moneta eine ſichre Zeuginn uͤber ſo Etwas
ſeyn?


Man ſieht, ich muß anfangen, wo der Autor
nicht anfing, von Grundaus; ich werde zeitig
gnug ans Gebaͤude und endlich auch ans Geruͤſte
zuruͤckkommen.


2.


Geſchmack aus Muͤnzen. „Vielleicht aͤuſ-
„ſern einige Antiquarien unſers Vaterlandes uͤber
„meine Abſicht, das Wachsthum und den Verfall
„des Geſchmacks und der Kuͤnſte bei einem
„Volke
aus deſſen Muͤnzen zu zeigen, eben die
„Verwunderung, mit welcher
man vor Zeiten
„die entzuͤckungsvolle Aufmerkſamkeit beglei-
„tete,
[25]Drittes Waͤldchen.
„tete, die die Augen des Nicoſtratus auf des
„Zeuxes Helena geheftet hatte. Jch wuͤnſchte,
„daß ich mich durch das Bewußtſeyn groͤßerer
„Verdienſte
und Einſichten in die Kunſt berech-
„tigt fuͤhlte,
mit dem edlen Stolze des Malers
„ihnen antworten zu koͤnnen: „Jhr wuͤrdet
„euch nicht wundern, wenn ihr meine Augen haͤt-
„tet.„ Es iſt gewiß, daß
viele Perſonen ei-
„nerlei Gegenſtand betrachten, und gleichwohl
„viele nicht daſſelbe an ihm bemerken koͤnnen, was
„ſich dem Auge eines Einzigen in einem reizen-
„den Glanze darſtellt.
Manchen wird der An-
„blick einer Gothiſchen Cathedralkirche eben ſo ſehr
„ruͤhren, als des Pantheons zu Rom, und die Ent-
„zuͤckung,
welche Pietro di Cortona bei dem
„Anblicke des Pferdes des Marcus Aurels in dem
„Hofe des Capitols die Worte oft ablockte: „So
„gehe doch fort, weißt du nicht, daß du lebendig
„biſt?„ kann von den wenigſten auch nur be-
„griffen
werden. Wie viele Kuͤnſtler waren
„nicht von jenem Rumpfe einer alten Bildſaͤule
„weggegangen, ohne die gluͤckliche Entdeckung ge-
„macht zu haben, die Michel Angelo fand! Er
„bemerkte blos an ihm einen gewiſſen Grundſatz,
„welcher nach Hogarths Urtheile, ſeinen Werken
„einen erhabnen Geſchmack gegeben, der den
„guten Stuͤcken des Alterthums gleich kommt.
„Jch glaube, daß Addiſon aus einer Empfin-
B 5„dung
[26]Kritiſche Waͤlder.
„dung, die er ſehr oft in ſeinem Leben erfah-
„ren haben muß,
die Vorzuͤge eines gluͤcklichen
„Geiſtes geſchildert habe. „Ein Menſch, ſagt er,
„von einer geſchaͤrften Einbildungskraft, wird in
„mancherlei große Vergnuͤgungen gefuͤhrt, die der
„gemeine Mann zu bekommen nicht faͤhig iſt.„ u.
ſ. w. a) So aufmerkſam man bei Erzaͤhlung
ſolcher vornehmen Empfindungen und Erfahrun-
gen ſeyn mag, wer kann dem Geſchmackvollen Au-
tor bis auf Felder und Wieſen folgen? Glaͤubig
hoͤre ich den Parenthyrſus unnennbarer Gefuͤhls-
arten: „entzuͤckungsvolle Aufmerkſamkeit, die die
„Augen anheftet, die mit Verwunderung beglei-
„tet wird: das Bewußtſeyn, das ſich wozu berech-
„tigt fuͤhlt: Die Bemerkungen an dem, was ſich
„dem Auge eines einzigen in einem reizenden Glanze
„darſtellt: die Entzuͤckung, die Worte ablockt, und
„die von den wenigſten auch nur begriffen werden
„kann: die Bemerkung eines Grundſatzes, der den
„Werken erhabnen Geſchmack gibt: die Empfin-
„dung, die der und jener ſehr oft in ſeinem Leben
„erfahren haben muß u. ſ. w.„ Dieſen aͤſthetiſch-
pſychologiſch- myſtiſch erhabnen Jargon von Kunſt-
gefuͤhlen, der jetzt in die Stelle abgelebter Theoſo-
phiſcher Empfindungen und Seelenerfahrungen tritt,
hoͤre ich andaͤchtig zu, und antworte Hr. Klotzen
auf
[27]Drittes Waͤldchen.
auf ſein Ei ja! „wenn ihr meine Augen haͤttet!„
durch den herzlichen Seufzer: „ach! haͤtte ich
„Deine Augen!„


Er faͤhrt epanorthotiſch fort a): „wie ver-
„ſchieden ſind nicht die Abſichten, welche die Ge-
„lehrten bei dem Studio der alten Muͤnzwiſſen-
„ſchaft haben! Unter einer großen Anzahl derer,
„welche ſich damit beſchaͤftigen, habe ich nur ſehr
„wenige angetroffen,
die einen andern Nutzen da-
„von zu ziehen gewuͤnſcht haͤtten, als welchen der ge-
„meine Haufe
der Antiquarien bei ſeinen muͤh-
„ſamen Arbeiten kennet. Zufrieden mit ſich ſelbſt
„und vergnuͤgt uͤber die Laſten, welche ſie ihrem ge-
„duldigen Gedaͤchtniſſe auflegen, lachen dieſe be-
„ſtaubten Maͤnner uͤber unſre gutgemeinte Frage,
„ob ſie auch in den Tempel des Geſchmacks gehen
„wollen? und antworten muthig: Nein! dem
„Himmel ſei Dank! das iſt nicht unſre Sache.
„Geſchmack iſt nichts: wir beſitzen die Geſchicklich-
„keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen
„zu erweitern; aber ſelbſt denken wir nicht. Die
„nuͤtzlichſten unter ihnen ſind die, welche die alten
„Muͤnzen um deßwillen lieben, weil ſie ihnen Ge-
„legenheit geben, chronologiſche Unterſuchungen an-
„zuſtellen. Jhre Arbeit muͤſſen wir mit Dank er-
„kennen, und ſie ſelbſt verdienen ein aufrichti-
„ges
[28]Kritiſche Waͤlder.
„ges Mitleiden, weil ihnen das Vermoͤgen ver-
„ſagt iſt, bey ihrer Gelehrſamkeit zugleich das Ver-
„gnuͤgen zu genießen, welches andern ein guter
„Geſchmack
gewaͤhret. Spon, unterrichtet in
„den Geheimniſſen der Phyſiognomie, las die
„Denkungsart und die Eigenſchaften der Menſchen
„auf dem Geſichte, das ihm die Muͤnze vorſtellte,
„und Addiſon, hoͤherer Gedanken faͤhig, verglich
„die Bilder auf Muͤnzen mit den Gedanken der
„Dichter, und rechtfertigte hiedurch ſeine Hoch-
„achtung fuͤr das Alterthum. Jch wuͤnſche
„meinem
Vaterlande mehrere Nachfolger des letz-
„tern, und ich werde mich freuen, wenn unſre
„Gelehrten kuͤnftig
an den Gott der Kuͤnſte und
„des Geſchmacks eben die Bitte thun, die Ajax
„beim Homer an den Jupiter that: „O! Vater
„vertreibe die Nacht, laß es helle werden, und
„gib, daß unſre Augen ſehen!„


Alle Hochachtung fuͤr Spons Sibyllenweiſ-
ſagungen, fuͤr Addiſons Vergleichungen, fuͤr
unſrer Deutſchen Ajaxe Gebet an den Jupiter,
oder fuͤr das Gebet des Aegyptiſchen Cynocepha-
lus,
daß der helle Mond wiederkehre; indeſſen duͤnkt
mich doch das „aufrichtige Mitleiden„, mit allen
Gelehrten, die nicht, wie Hr. Klotz, an einer Ge-
ſchichte des Geſchmacks der Voͤlker, Zeiten und
Kuͤnſte, aus Muͤnzen, arbeiten, ſehr entbehrlich.
Es waͤre umſonſt, die Nutzbarkeit des Muͤnzenſtu-
dium
[29]Drittes Waͤldchen.
dium zur Geſchichte, Chronologie, Geographie,
Naturwiſſenſchaft, Mythologie, Rechtslehre und
der ganzen Kaͤnntniß des Alterthums, erweiſen zu
wollen, da ſolche in dieſer Wiſſenſchaft große Na-
men vor dieſer Materie ſtehen, oder da viele, wel-
ches noch beſſer iſt, durch ihr Beiſpiel die Sache
ſelbſt erwieſen haben. Nur ſo viel alſo gegen Hr.
Kl., daß die Bearbeitung der Muͤnzwiſſenſchaft
aus einem andern Geſichtspunkte; er ſei nun Ge-
ſchichte, oder Rechtsgelahrheit, oder Mythologie,
oder eine Theorie der Medaillen uͤberhaupt, noch
gar nicht dem Geſchmack an Muͤnzen widerſpreche,
ihn nicht verdraͤnge; ihn vielmehr vorausſetze, und
mit ihm als Fuͤhrer einerlei Reiſe thue. Hier
den Geſchmack als ein entlegnes eignes Land anſe-
hen, iſt eine Ausſicht nach Utopien hin, und eben
ſo viel, als Lebenslang die Logik ſtudiren, ohne ſie
und alle ihre Zauberkuͤnſte jemals anzuwenden, ſich
lebenslang den Geſchmack zu kitzeln, ohne ſich ei-
nige Nahrung dadurch erſchmecken zu wollen. Der
wahre Tempel des Geſchmacks iſt nicht eine Orien-
taliſche Pagode, ein Ruheſitz, wo man als am Ende
feiner Wallfahrt ſich niederlaͤßt; er iſt vielmehr
wie der Tempel des Marcellus gebauet; die Pforte
des Geſchmacks, auch in Muͤnzen, ein Durch-
gang zur Wiſſenſchaft: zur Wiſſenſchaft, welche
es wolle.


Der
[30]Kritiſche Waͤlder.

Der Poͤbel der Muͤnzverſtaͤndigen freilich —
aber wer wollte ſich (es ſei nun zu eignem Lobe,
oder zum Tadel anderer,) unter den Poͤbel mi-
ſchen? Die Nutzbaren, die Wuͤrdigen Muͤnzge-
lehrten gerechnet; und bei denen ſollte ihre Gelehr-
ſamkeit dem Geſchmacke widerſprechen muͤſſen?
dieſer von jener nicht oft eine Geſellinn, oft gar eine
verdeckte Minerva haben ſeyn doͤrfen, ſelbſt wenn
es auf wiſſenſchaftliche Unterſuchungen ausging?
— Nicht zweifeln ſoll einmal dieſe Frage; ſie ſoll
blos die Erinnerung wecken! Wie? alle die groſ-
ſen Bearbeitungen in den Feldern der Numisma-
tik, ohne Geſchmack der Muͤnzen bewerkſtelligt?
unter allen um dieſe Wiſſenſchaft ſo verdienten Na-
men, waͤre ein Addiſon, und Klotz das einige Duum-
virat des Geſchmacks? Jene Muͤnzenſammler und
Muͤnzenerklaͤrer, weil ſie nicht offenbar und allein
vom Geſchmacke ſchrieben; weil jener einen Theil
der Geſchichte, dieſer einen Theil der Alterthuͤmer,
ein andrer einzelne Stellen der Alten und ein vierter
die Chronologie aus Muͤnzen aufgeklaͤret; darum
ſollten ſie vom Geſchmacke nichts gewußt? nicht die
Schoͤnheit der Bilder, und das Bedeutende der
Allegorien, und die Weisheit der Jnſchriften ge-
fuͤhlt haben, an denen ſie eine ſo unerſaͤttliche Au-
genweide fanden? Nicht im Mechaniſchen der
Muͤnzen Geſchmack beſeſſen, dafuͤr ſie eben auch in
der Abbildung ſorgten, und das mit Entzuͤcken
prie-
[31]Drittes Waͤldchen.
prieſen, was ſich nicht abbilden ließ? Wie? daß
ſie bei dieſem Selbſtgefuͤhl nicht ſtehen blieben, und
eben mit der Erfahrenheit ihres Auges, und mit der
Gelehrſamkeit ihres Geſchmacks hoͤhere Zwecke aus-
zurichten ſuchten; nicht mit dem Jnſtrument
prahlten, ſondern lieber Werke aufwieſen, die ihr
Jnſtrument in ſtiller Werkſtaͤte verfertigt: ſoll dies
ihnen gegen den zum Nachtheile a) gereichen, der
nichts als ſein Jnſtrument vorzeiget, der blos von
Geſchmacke redet, ohne, was er damit zur ander-
weitigen Nahrung ausgekoſtet?


Hr. Kl. hat ungefaͤhr ſagen wollen: daß es
Leute gebe, die bei einer Muͤnze vorzuͤglich auf
Gelehrſamkeit ſehen, und bei denen dieſer Hang zur
Beleſenheit, das, was er Geſchmack nennt, ver-
ſchlinget; daß es Leute gebe, die bei einer Muͤnze
das Mechaniſche der Kunſt richtig im Auge haben,
und (man nenne dieſes nun, Kunſtwiſſenſchaft
oder Kunſtgeſchmack,) von ihnen, als Gepraͤgen,
urtheilen, und wenn ſie muntern Geiſtes ſind, ſich
uͤber
[32]Kritiſche Waͤlder.
uͤber ein Kunſtbild freuen koͤnnen; daß es endlich
auch Leute gebe, die vorzuͤglich auf das Schoͤne,
ihr Auge richten, und weder von Gelehrſamkeit
noch dem Kunſtmaͤßigen Hauptwerk machen. Wir
wollen jene Muͤnzgelehrten: die mittlern Kunſtken-
ner: die letzten Liebhaber nennen; ſie ſind alle drei
unterſchieden, ihre Unterſchiede aber fließen, ſo wie
die Farben eines Regenbogens, oder eines ſpielen-
den Seidengewandes, in einander. Der Kuͤnſtler
kann mehr oder weniger Liebhaber, der Gelehrte
mehr oder weniger Kunſtkenner, der Liebhaber
mehr oder minder Gelehrter ſeyn. Nichts ſchadet
dem andern: eins muß dem andern aufhelfen: und
der wahre Philoſoph der Numismatik iſt alles Drei.
Niemand alſo zum Nachtheile, wenn er ſeine Muͤn-
zenwiſſenſchaft auf Chronologie, auf Geſchichte, auf
Genealogie, auf Alterthuͤmer gewandr: haͤtte er
dem Publikum auch nichts als ſolche wiſſenſchaft-
liche Unterſuchungen geliefert, und den Geſchmack
an Muͤnzen fuͤr ſich behalten — unbeſchadet!
Koͤhlers hiſtoriſche Muͤnzbeluſtigungen moͤgen
nichts als hiſtoriſche, Beluſtigungen, Gatterers
Theorie der Medaillen nichts als Theorie der Me-
daillen; Vaillants Muͤnzenreihen der Koͤnige,
Staͤdte und Colonien nichts als Numiſmatiſche
Geſchichte ſeyn: das Schoͤne, das uͤberdem geſehen,
und gefuͤhlt werden kann, finde jedes Auge, jede
Seele von ſelbſt; wenn ihm nur das Bild des
Schoͤ-
[33]Drittes Waͤldchen.
Schoͤnen vorgehalten, wenn auch nicht jede Seite
herab Geſchmack geprediget wird — denn uͤber-
haupt laͤßt dieſer ſich wohl wenig predigen.


Von jeher ſind daruͤber Beeintraͤchtigungen
gnug entſtanden, daß Ein Gelehrter, oder uͤber-
haupt Ein Werkmeiſter die Arbeit einer andern
Gattung uͤber die Achſeln angeſehen: und es waͤre
Zeit, ſolche Blicke wenigſtens oͤfſentlich einzuhalten.
Der Muͤnzenſchmecker, der auf das Schoͤne aus-
geht, wirſt dem Muͤnzenkenner, der auf das Selt-
ne, auf das Gelehrte, auf das Erlaͤuternde ſieht,
vor, er habe nicht ſeine Augen. Habe er doch
nicht! Haſt du denn die ſeinigen? Wollte jeder nur
das Schoͤne auf Muͤnzen erjagen, wer wuͤrde ſich
um die Zeitpunkte bemuͤhen, da es nichts Schoͤnes
auf Muͤnzen gibt? Wer das Rechtsmaͤßige, das
Urkundliche, das Zeitberechnende, das blos Selt-
ne, auf ihnen bemerken? Und ob dies etwa nicht
auch noͤthig oder nuͤtzlich. Freilich ſagt Heuſinger
zu viel, daß ſich uͤber die Muͤnzen des mitlern Zeit-
punktes ein ſo ſchoͤnes Buch, als Spanheim, ſchrei-
ben ließe; nicht aber ein ſo nuͤtzliches Buch? Der
Rechtsgelehrte, der Diplomatikus, der Geſchicht-
ſchreiber, der Alterthumskenner Deutſchlands und
ſo viele fleißige Beiſpiele reden. Sollen wir nun
einen Joachim mit Mitleiden anſehen, weil er kein
Klotz iſt, und die Verdienſte eines Gatterers
uͤberſehen, weil er auf keine Jkonologie des Schoͤ-
Cnen
[34]Kritiſche Waͤlder.
nen arbeitet? Unbilliges Achſelzucken! ſo bleibt
Eine der nuͤtzlichſten Quellen von Urkunden unbe-
ruͤhrt! die nach unſerer jetzigen Weltverfaſſung in
guten Ausfluͤſſen ausgebreiteter ſeyn doͤrfte, als
blos ein Gericht vom Muͤnzengeſchmacke.


Weg alſo aus dem Schriftlein unſers Autors
— durch und durch weg mit dem gezierten hochtra-
benden Tone, der ſich uͤberall bruͤſtet. Herr Klotz
laſſe jeden die Muͤnzen anſehen, wie er wolle; wenn
er ſie nicht des Geſchmacks wegen anſiehet, gehoͤrt
er eigentlich nicht vor dieſen Richterſtuhl. Noch
weniger ſchließe man, daß, wenn jemand mit ſeiner
Muͤnzwiſſenſchaft zu der und jener andern nuͤtzlichen
Abſicht angeſchlagen, er deßwegen nicht das Gefuͤhl
des Schoͤnen beſeſſen, nicht der Grazie geopfert
habe, und wie die Modeausdruͤcke mehr heißen.
Am wenigſten halte ſich Herr Klotz fuͤr den erſten
Apoſtel des Geſchmacks in Deutſchland. Viele,
viele vor ihm Muͤnzenkenner, Muͤnzenſammler,
Muͤnzenbeſchreiber, Muͤnzenzeichner, und ſelbſt
Muͤnztheoriſten vor und neben ihm, die das Schoͤne
in den Alten geliebet, angeprieſen, und zum Theil
ſelbſt nachgeahmet; die lange vor ihm uͤber den
boͤſen Geſchmack geklagt; aber Hinderniſſe fanden,
die Herr Klotz mit ſeinen ſuͤßen Vorſchlaͤgen uͤber-
ſiehet. Ob alſo viel Neues, und Gruͤndliches im
Klotziſchen Buche ſey, wollen wir noch nicht wiſſen;
daß aber durchaus viel Geziertes, ein falſcher Fe-
der-
[35]Drittes Waͤldchen.
derſchmuck, ein unausſtehlich ſelbſtwichtiger Ton
herrſche — „o ich will nicht alle Stellen auszeich-
„nen, wo Herr Klotz von dem gelehrten Auge des
„Kenners, von der jetzigen und erſt jetzigen Epoche
„des Geſchmacks in Deutſchland, von den claſſiſchen
„Autoren deſſelben, von dem Zeitpunkte, der auch
„den ſpaͤteſten Nachkommen bewundernswuͤrdig ſeyn
„wird, von einem Manne, der die Vorzuͤge der
„Alten kennet, von einer ganz eignen Art von Au-
„gen, Kunſtwerke zu ſehen u. ſ. w.„ ſo ſehr in ſei-
ner Perſon ſpricht, daß der geneigte Leſer nichts
als Komplimente gegen einen Schriftſteller machen
kann, der ſich ſelbſt ſo gut kennet, und ſo artig
de ſe ipſo ad ſe ipſum und ad familiares zu reden
weiß, daß nichts druͤber.


3.


Dies bei Seite, ſo iſt doch das Schriftlein
vielleicht eine Aeſthetik, eine Geſchmackslehre der
Muͤnzen, die in den Haͤnden aller, deren Sache
dieſe ſind, von der Muͤnzobrigkeit bis zum Muͤn-
zenſchlager Wunder thun muͤßte. Oder vielleicht
eine philoſophiſche Grundlage zur Geſchichte der
Numismatik; oder — — wir wollen nicht zu
viel erwarten.


Ein wohlbekannter Autor Joſeph Addiſon
hat wohlbekannte Geſpraͤche uͤber den Nutzen und
die Vorzuͤge der alten Muͤnzen geſchrieben, die
C 2auch
[36]Kritiſche Waͤlder.
auch unter uns durch zwo oder drei Ueberſetzungen
bekannt ſind. Nun kommt ein wohlbekannter Au-
tor, Chriſt. Ad. Klotz, der die Geſpraͤche des
Englaͤnders ſo artig in ſeine Deklamationen ver-
pflanzen kann, daß es eine Freude iſt. Er ſagt
ſelbſt: Er koͤnne nicht dafuͤr, wenn er ſich mit die-
ſem Autor manchmal begegne: ich glaube wohl;
aber wer kann denn dafuͤr? — — Wir wollen
uns das Vergnuͤgen machen, die beiden Wandrer
neben einander traben zu ſehen: aber keine Natio-
nalwette! der Deutſche kommt gewiß vor.


Addiſon, oder vielmehr ſein Philander, giebts
als Unterſchied zwiſchen alten und neuen Muͤnzen,
„daß er ſich auf jenen keiner Bilder von Einnehmung
„der Staͤdte erinnere, weil damals noch kein Pul-
„ver und Blei im Gebrauche geweſen; unſre hin-
„gegen ſtelleten Belagerungen, Riſſe von Veſtun-
„gen u. ſ. w. mit allen ihren Theilen vor. — —
So Philander, und ſein Mitſprecher Eugen zeigts
ironiſch als ſehr recht und billig an, daß ein Fuͤrſt
Modelle von dem Platze hinterlaſſe, den er verwuͤ-
ſtet. — — Addiſon der zweite trift hier ſo un-
vermuthet auf das Paar, als faͤnde ers vornehm
und unverhofft ſelbſt als einen beſondern Einfall, auf
neuern Muͤnzen ganze Plane abzuzeichnen u. ſ. w. a)
— —„Kein Wunder, ſagt Hr. Klotz, b) denn wenn
„zwei
[37]Drittes Waͤldchen.
„zwei Wanderer auf verſchiedenen Wegen nach ei-
„ner Stadt gehen, ſo kann man nicht ſagen, daß
„einer dem andern als ſeinem Wegweiſer folge.„


„Die alten Muͤnzen, ſagt Addiſon, gehen in
„ihren Komplimenten gegen den Kaiſer weiter, in-
„dem ſie Gelegenheit nehmen, ſeine Privattugen-
„den zu ruͤhmen: nicht nur, wie ſie ſich in Tha-
„ten geaͤußert: ſondern auch, wie ſie uͤberhaupt
„aus ſeinem Leben hervorgeleuchtet haben. Dieß
„geht ſo weit, daß wir Neronen auf der Laute ſpie-
„len ſehen u. f.„ Als Unterſchied fuͤhrt Hr. Klotz
ſo Etwas nicht an, denn wer wird mit Addiſon
Einerlei Weg nehmen wollen? unvermuthet aber
und an deſto unrechterm Orte trift a) er mit ihm, wer
kann dafuͤr? ſo anſehnlich zuſammen, als folget:
„ob es gleich unter den Roͤmiſchen Kaiſern wunder-
„liche Leute gegeben, und ein Nero ſelbſt mit einer
„Citter auf Muͤnzen erſcheint: ſo haben ſie doch
„niemals etwas auf dieſelben geſetzt, das dieſem
„gleich kaͤme.„ Und dies wunderliche Dies iſt?
ein Deutſches Weinfaß. O wer nun noch ſa-
gen wollte, daß der Deutſche dem Britten folge,
ſclbſt wenn er ihm folget! Welche Neuheit im Kon-
traſt! welche Richtigkeit in der Vergleichung! wel-
che Genauigkeit zu charakteriſiren! „Wunderliche
„Leute von Kaiſern: denn ſelbſt Nero mit einer
„Citter! Wunderliche Leute von Deutſchen: denn
C 3ein
[38]Kritiſche Waͤlder.
ein Weinfaß auf der Muͤnze! Schoͤne Verglei-
chung, Citter und Weinfaß, Nero und der Deut-
ſche! — — Die wunderliche Citter ins wunderliche
deutſche Weinfaß geſpuͤndet — welche Neuigkeit!


„Muͤnzen wurden, ſagt Addiſon, bei den Roͤ-
„mern nicht zu Spoͤttereien angewandt: bei den
„Neuern oft,„ und die beiden Sprechenden wech-
ſeln daruͤber ihr unterhaltendes Pro und Contra.
— — Der deutſche Addiſon wird beſtimmter.
Was jener blos als Unterſchied, mit gehoͤriger
Einſchraͤnckung und Gegeneinanderabwaͤgung, an-
gegeben, wird bei dieſem der Nationalcharakter
einer Nation, und das Muͤnzenlob einer ganzen
Republik a). „Man hat den Hollaͤndern oft eine
„beleidigungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und
„Fuͤrſten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die
„Begierde uͤber andre zu lachen und zu ſpotten ge-
„laſſen, ſo hat man doch die Artigkeit, Hoͤflichkeit
„und den Anſtand von ihren Satyren getrennet.„
Kurz! nach einer langen Einſchaltung, wo Herr
Klotzens Saite wieder auf ſeine liebe Burmanns
ſpringt (denn wo kann Freund Sancho ans Wirths-
haus denken, ohne daß ihm nicht zugleich das Luft-
fliegen und der Balſam Fier a Bras einfalle?)
nach einer unpaſſenden Einſchaltung alſo laͤuſts wi-
der die Spottmuͤnzen der Hollaͤnder hinaus, die
ihr
[39]Drittes Waͤldchen.
ihr Nationalcharakter werden. — Welch eine neue,
und mehrere Beſtimmtheit!


Addiſon beſinnet ſich nicht, auf Roͤmiſchen
Muͤnzen das Geſicht einer einzigen Privatperſon
geſehen zu haben, und wendet ſich artig daruͤber
weg, unſre neuern Privatcomplimente auf Muͤn-
zen anders als mit einem ſtillen Winke anzuſpotten.
— — Doch was ſtille Winke! was doch ſich
artig vorbeiwenden!
Hier eben a) fand unſer
Landsmann von Geſchmack recht Zeit, auszuſchuͤt-
ten, und zu dehnen, und zu verſpotten, und mit
einem Ueberguß der beſten laune zu tadeln. Kein
Wunder! „wenn zwei Wandrer nach einer Stadt
„gehen: ſo iſts natuͤrlich, daß beide oft einerlei Ge-
„genſtand wahrnehmen muͤſſen, und es iſt auch
„eben ſo wahr, daß der eine einen Blumenreichern
„und angenehmern Weg, als der andre nehmen
„kann„ wie Hr. Kl. mit vieler Feinheit bemerket.


Addiſon kommt auf die Jnſchriften; „eine
„Ciceronianiſche Weitlaͤuftigkeit ſei bei den heutigen
„der erſte Fehler.„ Hr. Klotz kommt auf die Ju-
ſchriften b): „eine Ciceronianiſche Weitlaͤuftigkeit
„iſt bei den heutigen der erſte Fehler.„ Wie aber,
mein deutſcher Hr. Addiſon, und beim Nachſchrei-
ben, beim trocknen Ausſchreiben kein Fehler? bei
C 4einem
[40]Kritiſche Waͤlder.
einem recht Ciceronianiſchweitlaͤuftigen und deſto
unbeſtimmtern Wiederkauen kein Fehler?


Addiſon giebt Proben von der Machtvollen
Kuͤrze der Alten, ihre Kaiſer zu loben, und folgt
eben dadurch ihnen, daß er ſtatt ſchielender allge-
meiner Lobſpruͤche Beiſpiele giebt. Was Bei-
ſpiele? was Proben? Hr. Klotz, um nicht Ad-
diſon zu ſeyn, zieht eine lange Scheltrede a) dar-
aus uͤber die weitlaͤuftigen Titel der neuern Fuͤrſten,
uͤber die Schwachheit und Eitelkeit derſelben, uͤber
— — und was weiß ich, woruͤber mehr? Der
Deutſche wandelt auf einem blumenreichen Pfade.


Addiſon redet wider Wortſpiele und Spitzfuͤn-
digkeiten auf Muͤnzen. Er redet dagegen: Hr.
Klotz waͤhlt ſich einen beſſern Weg, daruͤber zu
ſcheltenb), Seitenlang erbaͤrmlich zu ſchelten, und
das arme Deutſchland, deſſen Krone ohne Zweifel
aus ſolchen Wortſpielen geflochten ſeyn muß, red-
lich zu beſeufzen. Gott troͤſte den deutſchen Pa-
trioten!


Addiſon ſpricht wider die Muͤnzverſe, Hexa-
meterausgaͤnge ꝛc. kurz und buͤndig. Der deut-
ſche Wandrer auch, aber mit der Mine, als wenn
er ſo etwas nur uͤber die Achſel im Vorbeigehen
anſehe c) — — Denn ſiehe! da kommt etwas,
was den Patrioten billiger beſchaͤftigt.


Ad-
[41]Drittes Waͤldchen.

Addiſon ſchreibt uns Deutſchen die Muͤnzchro-
noſtichen als Eigenthum, als Erb- und Lieblings-
eigenthum zu. — Uns armen Deutſchen! Und
ſiehe! da ſteht der ruͤſtige Deutſche auf: laͤßt alles,
was er unter Haͤnden hatte, liegen, um, als ein
wahrer Gottſched! ſeine Nation daruͤber zu entſchul-
digen a), „das waͤren nur Zeiten der Barbarei ge-
„weſen, jetzt nehme ſchon die Liebe zu ſolchem Spiel-
„werk ab, jetzt da der Geſchmack wachſe, jetzt da
„ — —„ Alles gut; aber gegen wen redet der
Mann? Vor wem entſchuldiget er? Warum wen-
det ſich ſeine Scheltmine auf einmal ins Antworten
hin? — — Ach! die beiden Wandrer ſind wie-
der zu nahe zuſammen: Die Addiſonſchen Dialo-
gen haben dem Pulte des Deutſchen zu nahe gele-
gen: der Britte beſchuldigt, muß nicht der brave
Deutſche entſchuldigen? — ſo wenig ſchlaͤft der
Verraͤther.


Doch verrathen, oder errathen? ich ſchreibe ab:


Addiſon


„Die Roͤmer erſcheinen
„allezeit in der gewoͤhnli-
„chen Tracht ihres Lan-
„des, ſo gar, daß man
„die kleinſten Aenderun-


„gen

Klotzb)redneriſch


Jch kenne die Frey-
„heit,
mit welcher der
„Kuͤnſtler an Statuen
„und Muͤnzen das Alter-
„thum nachahmen darf;
C 5„al-


[42]Kritiſche Waͤlder.

„gen der Mode auf der
„Kleidung der Muͤnzen
„wahrnimmt. Sie wuͤr-
„den es fuͤr laͤcherlich ge-
„halten haben, einen Roͤ-
„miſchen Kaiſer mit ei-
„nem Griechiſchen Man-
„tel, oder einer Phrygi-
„ſchen Muͤtze zu kleiden.
„Hingegen unſre heutige
„Muͤnzen ſind voll To-
„gen, Tuniken, Trabeen
„und Paludamente, nebſt
„einer Menge von andern
„dergleichen abgekomme-
„nen Kleidern, welche ſeit
„tauſend Jahren nicht
„mehr gewoͤhnlich gewe-
„ſen. Man ſiehet oft ei-
„nen Koͤnig von England
„oder Frankreich als ei-
„nen Julius Caͤſar geklei-
„det: man ſollte denken,
„ſie haͤtten bei den Nach-
„kommen vor Roͤmiſche
„Kaiſer angeſehen ſeyn
„wollen — — —


„Wir

„allein (man denke ſich
„den ſchoͤnen Gegenſatz!)
„allein ich kenne nicht
„die alten Originale, nach
„welchen die geharniſch-
„ten Bruſtbilder auf den
„meiſten neuen Muͤnzen
„gezeichnet ſeyn ſollen.
„Es bleibt dieſe Abbil-
„dung doch alle Zeit fuͤr
„unſre Zeiten fremd, und
„ſie ſtellt eine Sache vor,
„die wir in der Natur
„nicht mehr ſehen. Ha-
„ben ſich die Roͤmer je-
„mals in Egyptiſcher Klei-
„dung oder mit Parthi-
„ſchen Tiaren abbilden
„laſſen? Wuͤrden ſie nicht,
„wenn ſie das gethan haͤt-
„ten, was unſre Fuͤrſten
„thun, der Nachkom-
„menſchaft ganz falſche
„Begriffe von den Trach-
„ten ihrer Zeiten beige-
„bracht haben? u. ſ.
„f. — — —


„Lon-
[43]Drittes Waͤldchen.

„Wir muͤſſen die Muͤn-
„zen, als ſo manche Denk-
„male anſehen, welche der
„Ewigkeit uͤbergeben wer-
„den, und die vermuth-
„lich noch fortdauern,
„wenn alle andre Nach-
„richten verlohren gegan-
„gen ſind. Sie ſind eine
„Art des Geſchenks, wel-
„ches die jetztlebenden de-
„nen uͤbermachen, die ꝛc.


„Longin ermahnet die
„Schriftſteller, an das Ur-
„theil zu denken, welches
„dermaleinſt die Nach-
„kommenſchaft von ihren
„Schriften faͤllen werde.
„Ein Fuͤrſt, welcher ſei-
„ne Schaumuͤnzen als
„Denkmale anſieht, die er
„der Ewigkeit widmet und
„die zugleich der ſpaͤtſten
„Nachkommenſchaft ꝛc.


Da ſtehen die Menechmen zuſammen! zwei
Wandrer, auf einem Wege nach einer Stadt, mit
einerlei Fußtritten! Nur freilich daß der unſre Blu-
men lieſet, oder wie er beliebt, ſich Blumenrei-
chere Wege waͤhlt — er wird gelehrt; er gibt den
Fuͤrſten an, was ſie ihren Kuͤnſtlern aus Lichtwers
Fabeln und Lucian antworten ſollen: er geraͤth in
Patriotiſche Seufzer, und will zwar den Wunſch
des Ajax nicht wiederholen, thut aber fuͤr Deutſch-
land ein Reimgebetlein, das Hr. Watelet an die
himmliſche Venus abſchickt, macht einen Non-
ſens von Gegenſaͤtzen: „ich kenne allerdings — —
„aber ich kenne nicht„ ermahnet die Fuͤrſten Longin
zu leſen u. ſ. w. lauter Tand von Auszierung, wo
Addiſon immer Addiſon bleibt. Und gnug, das
merk-
[44]Kritiſche Waͤlder.
merkwuͤrdigſte bei Hr. Kl. in Vergleichung
alter und neuer Muͤnzen iſt Addiſon jaͤmmer-
lich
geraubt: jaͤmmerlich, denn der Britte redet
beſtimmt, buͤndig, angenehm; der kopirende Deut-
ſche kopirt und kompilirt unordentlich, unbeſtimmt,
mit ſchoͤnem Non-ſenſe durchſtuͤckt! O Ehre unſrer
Nation und Zeiten!


Auf Hrn. Kl. moͤchte ich am allerwenigſten ſo
ein Wort hingeſagt haben, wovon nicht die Probe
den Augen aller Welt vorlaͤge: hier ſind noch ein
Paar Streiche mehr, die den Kompilator verrathen,
den Kompilator; der nichts, gar nichts in ſeinem
Original umſonſt geleſen haben will, und der ſich
doch wieder nie will merken laſſen, daß er abſchreibt;
der immer den Schweif haͤngen laͤßt, um ſeine
Spuren zu vertreiben, und der ſeinen Schleichgang
eben damit deſto ſichrer verraͤth — laß ſehen!


Bei Addiſon ſprechen drei Freunde: jeder auch
in dieſen Muͤnzmaterien von eigner Denkart, ein
eigner Charakter. Cynthio, dem die Muͤnzwiſ-
ſenſchaſt unnuͤtz duͤnkt, kann alſo Einwuͤrfe ma-
chen, die Eugen nicht machen kann, die Philander
beantworten muß. Eugen haͤlt zwiſchen beiden
das Gleichgewicht, und bleibt Eugen: Philander
iſt Philander — und eben daher, aus dem Un-
terſchiede der Charaktere wird eine freundſchaftliche
Gruppe. Jeder ſteht in ſeiner Geſtalt, in ſeinem
Lichte da, und Addiſon, der geſellſchaftlichſte Schrift-
ſtel-
[45]Drittes Waͤldchen.
ſteller Britanniens, der den guten Ton worinn
anders ſetzt, als in artige Complimente, iſt auch
hier Geſellſchafter. Er hat die Rollen vertheilt,
jeder der Dialogiſten nimmt von ſeiner Seite An-
theil: aus der Verkettung, dem Contraſte, den
Wendungen des Dialogs wird das ſchoͤne Ganze,
das Leben des Stuͤcks.


Hr. Klotz aber immer in ſeiner Perſon, und
da er dem ohngeachtet auch die Vorwuͤrfe des Cyn-
thio gegen die Muͤnzwiſſenſchaft, nicht will um-
ſonſt geleſen haben, und ſie alſo auf die Geſchmack-
loſen Muͤnzenkenner bannet: ſo wird was bei Addi-
ſon durch den dialogiſchen Contraſt beſtimmt und
gemildert wurde, bei ihm, der immer in ſeinem
Namen ſpricht, und immer in ſeinem Namen ſchilt,
eine Misgeburt, dogmatiſche Satyre, und ſatyri-
ſche Dogmatik. Philander, Cynthio, Eugen
ſprechen alle durch eine Roͤhre auf einmal — —


an odd promiſ[c]ious Tone

as if h’ had talk’d three Parts in one

which made ſome think, when he had gabble,

Th’ had heard three Labourers of Babel. — —

Nun laß es noch gar ſeyn, daß Cynthio
Seitenlang den Oberton behalte, noch gar dazu
ſchreien, was Pope dem Addiſon im Namen des
Cynthio geſagt, noch gar, was andre ehrliche Leute
gegen den ſchlechten Muͤnzengeſchmack geſagt: —
ei! da iſt der ſchoͤne bunte Rock fertig, Farbe uͤber
Far-
[46]Kritiſche Waͤlder.
Farbe, Lappe an Lappe, Tuch uͤber Seide und Lein-
wand uͤber Tuch — ei! da iſt der ſchoͤne beleſene
gute Ton des Hrn. Klotz.


Ein andrer Streich, den Addiſon ſeinem deut-
ſchen Mitwandrer ſpielt, iſt noch aͤrger. Faſt
immer lockt er ihn von ſeinem Wege ab, und da
dieſer doch durchaus mit ihm nicht einen Weg neh-
men will, und ſich alſo immer wieder beſinnet, um
zuruͤck zu reiſen, und immer ſorgfaͤltig die Spu-
ren vertritt, auf denen er zu ihm gekommen, und
immer doch zu ihm zuruͤckkommt: ſo hat er endlich
gar keinen Weg. Er geht ab und zu: iſt, wie
jenes Ding


— — das ging und wiederkam: wie
wird der Wandrer nach der Stadt kommen? — —


Alle Praͤliminarausſchweiſe abgerechnet, fange
ich an, von „der Sache, die ich mir vorgeſetzt
„habe. Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen gleich-
„ſam eine Geſchichte des Geſchmacks und der
„Kuͤnſte zuſammen zu ſetzen,
und ihre Bluͤthe,
„oder ihren Verfall aus denſelben
zu beurthei-
„len.
Jch werde daher die alten Muͤnzen, wel-
„che beſonders unſre Aufmerkſamkeit an ſich zie-
„hen, mit den neuern vergleichen; ich werde die
„merkwuͤrdigſten Perioden
in der Geſchichte der
„Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je-
„der derſelben
gehoͤren, betrachten, und nach
„der groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke
„mein
[47]Drittes Waͤldchen.
„mein Urtheil faͤllen!a) Wie groß iſt das Jch
werde!
des Verfaſſers; aber der boͤſe Addiſon!
Er iſt im Stande, einen vielverſprechenden Wandrer
ſo weit von ſeinem Jch werde! abzubringen, ſo
weit in Kreuzgaͤnge zu verfuͤhren, daß er endlich
mit dem alten Fabelhanſen Aeſop wohl ſagen kann:
weiß ich doch ſelbſt nicht, wohin ich gehe!


Kaum iſt das Thema in allen ſeinem Werde
geſprochen: ſo wird nichts. So gleich kommt der
Autor auf eine Meilenlange Parentheſe b), was er
zu einem Zeitalter des Geſchmacks rechne? ſo gleich
auf eine Addiſonſche Parallele zwiſchen den A. und
N. c) und das aus Einer Muͤnze.


Er beſinnt ſich an ſein Thema, und kuͤndigt
die Theile ſeiner Abhandlung ab d): und unver-
muthet e) iſt er wieder bey Vergleichung der A. und
N. bei Addiſon. Es faͤngt eine lange Parallele
an, da doch der Autor etwas anders, als Paral-
lele, ſchreiben wollte.


Jetzt will er von der Allegorie auf Muͤnzen
uͤberhaupt reden: er will; aber da f) ſind ihm
wieder die Bilder der Alten und die Veſtungsplane
der Neuen vor Augen — aus Addiſon.


Jetzt
[48]Kritiſche Waͤlder.

Jetzt kommen ihm Winkelmann und Leſſing
in den Weg a), und werfen ihn wie einen Ball
umher: er kommt zu ſich und findet ſich bei Addi-
ſon b). Der gute Schriftſteller wollte von Vor-
ſtellungen des Geſchmacks uͤberhaupt reden, und
redet von Parallelen.


Er erinnert ſich wieder an ſeinen Weg: ei
aber! da c) ſind die Hrn. Mengs und Hagedorn —
ganz unvermuthet! Ach! und eben ſo unvermuthet
bei dem Cynthio Addiſons, und Pope an Addiſon,
und nachdem er uͤber die klaſſiſchen Schriftſteller
ſeiner Zeit hinweggeſchweifet iſt, wieder bei dem
Coſtume Addiſons auf alten Muͤnzen d).


Und nun haben ſich die beiden Wandrer ſchon
ſo lieb gewonnen e), daß ſie ſich ſeltner trennen.
Jnſchriften, Wortſpiele, Verſe, Chronoſtichen
ſind Addiſons und Klotzens Weg, und da bei dem
letztern ein kleiner freundſchaftlicher Zwiſt vorfiel:
ſo beugt der Deutſche in Entſchuldigung ab: eine
Addiſonſche Bemerkung kommt als Stempel dar-
auf und — — „Soviel vom erſten Theile.„ Er
ſollte freilich eine Theorie des Muͤnzengeſchmacks
nach Vorſtellungen, Sinnbildern und Aufſchriften
— er ſollte gar eine Geſchichte dieſes Geſchmacks
nach Voͤlkern und Zeiten enthalten — durch ein
Zuſam-
[49]Drittes Waͤldchen.
zuſammen treffen der Wege aber ward er ein unor-
dentliches Gemiſch fremder Bemerkungen, Regeln
und Beiſpiele, aus welchen nur der zaͤrtliche
Freund Hrn. Klotzens, und Hr. Klotzens eigne
Bibliothek, den ſchoͤnſten Plan und Ordnung aus-
ſpinnen kann. — Mich duͤnkt, Hr. Gatterer be-
halte zu ſeiner Theorie der Medaillen, zu welcher
er ſchon einen leſenswerthen Beitrag gegeben, die
Materie ziemlich ganz uͤbrig.


4.


Noch hab’ ich erſt nach Grundſaͤtzen zur Theo-
rie des Geſchmacks auf Muͤnzen nachgeſucht: nun
aber ein Beitrag zur Geſchichte des Geſchmacks?
Auch mir iſt die Numiſmatik vorzuͤglich eine
Aeſthetik des Schoͤnen, und eine Urkunde zur Ge-
ſchichte der Voͤlker, und da ich in dieſer uͤberhaupt
am liebſten die Geſchichte des menſchlichen Geiſtes
ſtudire: nach allem Betracht eine Geſchichte des
Geſchmacks auf Muͤnzen;
welch ein Geſchenk!
So nahm ich das klotziſche Schriftchen zur Hand
und — — legte es mit der beſchaͤmten Mine
weg, mit der ein Bogenſchuͤtze den lieben Bogen
weghaͤngt, den er freudig und hoffnungsvoll nahm,
mit dem er aber — — nichts getroffen.


Nichts thun, als den Geſchmack der
Alten auch von Muͤnzen herab loben, und in all-
gemeinen Ausdruͤcken preiſen — kommt heute
Detwas
[50]Kritiſche Waͤlder.
etwas zu ſpaͤt: Hieruͤber liegen ſchon Denkmale
und Sammlungen der Welt vor Augen, daß man
ſich eine Lobrede ins Allgemeine hin, ohne Bei-
ſpiele und faſt ohne Grundſaͤtze, erſparen kann.
Nichts thun, als den Geſchmack der mittlern und
neuen Zeiten fein laͤchelnd ausziſchen, oder an-
ſehnlich ausſchelten — immer auch zu ſpaͤt, da
ſchon ſo viele Klagen vergebens in die Winde ver-
flogen ſind, und ſelbſt beſſere Bemuͤhungen nichts
ausrichten koͤnnen. Am beſten alſo, weder prei-
ſen, noch tadeln; ſondern — erklaͤren. Die
Alten ſind auch in dieſem Stuͤcke ſo weit vor; was
hat ihnen dahin geholfen? wir ihnen ſo weit nach;
was haͤlt uns zuruͤck? was hat uns ſo lang zuruͤck
gehalten? — — Auf die Weiſe ſteigt man in
die Tiefen der Geſchichte alter und neuer Zeiten,
und kann die ſchwere Frage loͤſen: wie weit koͤn-
nen wir ihnen auch in dieſem Felde nachahmen?
wo ſie erreichen? wo ſie uͤbertreffen? und ſo wird
eine Geſchichte des Geſchmacks auch auf Muͤnzen
fuͤr unſre Zeit pragmatiſch.


Da Hr. Kl. ſich auf dieſen ſchluͤpfrigen Weg
nicht hat begeben wollen, und ich in allem, ohne wel-
ches ich keinen Beitrag zur Geſchichte des Ge-
ſchmacks mir denken konnte, meine Erwartung
betrogen fand, ſo entwarf ich, wie ſie mir einfie-
len, einige Linien, die wenigſtens zeigen moͤgen,
daß ich uͤber dieſe Materie geſchichtmaͤßig und
anti-
[51]Drittes Waͤldchen.
antiquariſch nachgedacht hatte: ein Riß, aber
nur ein unvollendeter Schattenriß, den ich dem
kuͤnftigen Verfaſſer einer Theorie und Geſchichte
der Medaillen uͤbergebe.


Die Numiſmatik, als Kunſt und als Wiſſen-
ſchaft iſt, ſo wie jede Wiſſenſchaft und Kunſt, die
Produktion einer Nationalgeſellſchaft. Aus der
Verfaſſung der Regierung, der Denkart, der Re-
ligion, den Unternehmungen, den Zwecken, den Be-
ſtrebungen eines Volks muß ſich alſo Urſprung,
Bluͤthe, und Verfall dieſer, ſo wohl als jeder an-
dern Kunſt und Wiſſenſchaft, erklaͤren. Nun will
ich nicht vom Ei der Leda anfangen, wie es mit
Nationen ſtehe, die keine Muͤnzen haben und
brauchen? welches Volk ſie in Gang gebracht?
wie die erſten Muͤnzen, die niemand geſehen, aus-
geſehen haben? u. f. warum, frage ich allein,
warum kamen die Muͤnzen in Griechenland und
Rom zu dem Glanze, daß ſie Vorbilder, und
meiſt unerreichte Vorbilder der Neuern ſeyn
koͤnnen?


Die Liebe der Griechen zum Schoͤnen bleibt
wohl die erſte Triebfeder auch hier. Sie, die
von Dichterideen die erſte Bildung ihrer Jugend
erhielten: ſie, deren Auge uͤberall das Schoͤne zu
erblicken gewohnt war, im Schooße der wohlluͤ-
ſtigen Natur geboren, und an den Bruͤſten ſchoͤ-
ner Kunſt genaͤhret — ſie ſollten das Metall, das
D 2ein
[52]Kritiſche Waͤlder.
ein Kennzeichen des Werths fuͤr ihre Hand war,
ohne Werth fuͤr Aug’ und Seele laſſen? ſie eine
Gold - oder Silberflaͤche, die der Nachkommen-
ſchaft beſtimmt war, leer in die Haͤnde derſelben
ſenden? ſie Tafeln, die taͤglich ihren Blick auf
ſich zogen, ohne Augenweide bei ſich vorbeyſtrei-
chen laſſen? Das griechiſche Auge ſuchte Schoͤn-
heit; eine griechiſche Seele Weisheit in Schoͤn-
heit, und ſo ward auch ihre Muͤnze der Schoͤnheit,
und der ſchoͤnen Weisheit, der Allegorie, gewidmet.
Gewiß! ſo natuͤrlich, daß, wenn in dem Cirkel-
laufe der Weltveraͤnderungen ein nordiſches Volk
auf den Platz des Commerzes und der Cultur ge-
troffen waͤre, auf dem jetzt die Griechen ſtehen,
ſo gewiß ihre Muͤnzen mit nordiſcher Wiſſenſchaft,
mit Buchſtaben und Amuleten und Fratzengeſtal-
ten uͤberhaͤuft waͤren, ſo natuͤrlich, daß der Grie-
che ſeine Muͤnze der Schoͤnheit und offnen Alle-
gorie weihete — —


Der Charakter der griechiſchen Nation, der
ſich in allen ihren Nationalproduktionen, (ich will
es Hr. Klotzen uͤberlaſſen, ſie herzurechnen,) zeigte,
der muß ſich, die Numiſmatik ſei auch eine kleine,
eine unbetraͤchtliche Nationalproduktion, nach
Maaß auch in ihr zeigen, und welche Triebfedern
lagen alſo fuͤr dieſe, wie fuͤr alle Kuͤnſte des Schoͤ-
nen, in der Nation!


Die
[53]Drittes Waͤldchen.

Die vortreflichſte Bilderſprache war ihr. Sie,
die im Plane des Schickſals der Voͤlker zunaͤchſt
hinter die Egypter trafen, und Cultur, Kunſt und
Weisheit, ja wenn man will, auch politiſche Gluͤck-
ſeligkeit aus den Haͤnden dieſes Reichs, wie einer
ablebenden Matrone, empfangen, ſie, die den uͤber
Voͤlker und Zeiten fortgehenden Faden der Cultur
des menſchlichen Geſchlechts da auffaſſen ſollten,
wo er zunaͤchſt aus aͤgyptiſchen Haͤnden kam: ſie
erbten von dieſen Allegoriſten auch die reichſte, die
bedeutendſte Bilderſprache, die auf der Welt ge-
weſen. Aus den Haͤnden einer Nation, die uͤberall
Bedeutung ſuchte, und Bedeutung gnug in ihn
gelegt hatte, kam alſo ein Bilderſchatz in die
Haͤnde einer Erbinn, die fuͤr ihr Theil nichts als
Schoͤnheit ſehen und denken wollte. Reich, Be-
deutungsvoll, ſchoͤn,
was kann man von einer
Bilderſprache mehr ſagen?


So manche gelehrte Werke wir uͤber dies alle-
goriſche Alterthum haben: ſo fehlt uns eine wahre
Geſchichte der Allegorie noch, die das inſonderheit
zeige, wie aus der bedeutungsvollen Bilderlehre
Aegyptens die ſchoͤne Jkonologie Griechenlandes
zum Theil geworden? Und die Unterſuchung
hieruͤber iſt ſie nicht oft der Schluͤſſel zur Bilder-
gallerie griechiſcher Dichtkunſt, Kunſt und Weis-
heit? Die Hieroglyphen der Aegypter, ihre hie-
rographiſche und kyriologiſche Bilderſprache, behal-
D 3ten,
[54]Kritiſche Waͤlder.
ten, oder verſchoͤnert, oder verbeſſert, wie manches
hat ſie in Griechenland hervor bringen koͤnnen?
Und wenn auch nur dies, daß da auf ſolche Art
die Griechen einen Schatz von Bildern aus der
Geheimnißdunkelheit der Aegypter gezogen, und
auf den Maͤrkten gleichſam dem Volke gemein
machten, die ſchoͤne Bilderdenkart einer Nation
entſtehen koͤnnen, die ſich in allen Werken der Grie-
chen und auch auf Muͤnzen aͤuſſert —


Jn ſolcher Bilderſprache ſprach ihre Religion.
Jhre Gottheiten waren dem Auge ſichtbar, in
ſchoͤnen Geſtalten ſichtbar, in ihren Verrichtungen
menſchlich, in der Geſchichte ihrer Tugenden und
Schwachheiten dichteriſch, in allem ſinnlich. Es
iſt bekannt, welche vortrefliche Muͤnzenfolge mit
den Bildern der Goͤtter und Goͤttinnen, der Schutz-
gottheiten einzelner Laͤnder, Provinzen, Staͤdte,
Familien und Perſonen prangen — wer kann ihnen
dieſe nun nachbilden, ſo daß jede Gottheit, das,
wie ſie ihnen war, bliebe? Ueber eine Dreifaltig-
keit unter dem Bilde eines dreikoͤpfichten Janus
lachen a), iſt leicht, ſehr leicht; aber ein beſſres
Bild der Dreifaltigkeit angeben, das die Probe
griechiſcher Bildſamkeit hielte, waͤre ſchwerer,
ja unmoͤglich: dieſes Bild alſo gar zur Vergleichung
unſrer mit den Alten nehmen, iſt unzeitig. Die
Griechen hatten keine Dreifaltigkeit, wie wir;
ſonſt
[55]Drittes Waͤldchen.
ſonſt wuͤrden ſie dieſelbe ſo wenig, als wir, haben
bilden koͤnnen. Unſer Gott iſt ganz uͤber das
Sinnliche der Kunſt erhaben: die gewoͤhnlichen
Vorſtellungen der Dreieinigkeit in den Geſtalten
einzelner Perſonen von dem goͤttlichen Greiſe an
bis an die himmliſche Taube ſind nicht gnugthuend:
der Triangel blos eine tropiſche Symbole: die Glorie
mit dem heiligen Namen nichts als eine Epiſto-
liſche Hieroglyphe: die Wirkſamkeit unſrer Gott-
heit iſt nicht bildſam: einzelne Schutzgoͤtter hat
unſre Religion nicht: die Vorſteherſchaft beſondrer
Weſen uͤber beſondre Dinge kenner ſie nicht —
wer wird ſich hier mit den Heiden vergleichen
wollen?


Wo unſre Religion noch ſinnlichen Vorſtellun-
gen Raum gibt, wo ſie ſich einer poetiſchen
Bilderſprache bequemt: da iſt ſie — orientaliſch.
Unter einem Volke gebildet, das ihr Gott auf alle
Art von Bildniſſen abwenden wollte, in Gegen-
den, die das Uebermenſchliche ſuchten, in Natio-
nen, die Verhuͤllungen des Koͤrpers, und Geheim-
niſſe des Geiſtes lieber verehren, als das offne
Schoͤne lieben wollten — im Geiſt und in der
Sprache dieſes Volks die ſinnliche Bilderſprache
unſrer Religion alſo geoffenbaret; wer wird in ihr
Offenbarungen fuͤr die Kunſt ſuchen wollen. Ueber
das Bild von der ſeligen Abfarth Guſtav Adolphs
D 4iſt
[56]Kritiſche Waͤlder.
iſt wieder leicht ſpotten a), und der Spott faſt ſo
veraͤchtlich, als das Bild ſelbſt; gar aber dieſes
Bild als einen Revers mit der roͤmiſchen Vergoͤt-
terung anfuͤhren, vergleichen wollen? Der Spoͤtter
gebe uns nach chriſtlichen Begriffen eine Reihe ſol-
cher Verhimmelungen, als ſich auf griechiſchen
und roͤmiſchen Muͤnzen Vergoͤtterungen finden,
und wir wollen ihm danken.


Jch ward auf eine unangenehme Weiſe hinter-
gangen, da ich des Mery Malertheologie in die
Hand nahm, um meinen alten Wunſch ausge-
fuͤhrt zu leſen: wie weit ſich von den vornehmſten
Gegenſtaͤnden unſrer Religion maleriſche Vorſtel-
lungen geben laſſen? Und eben ſo unangenehm
getaͤuſchet, da ich bei der Recenſion dieſes Buchs
in den actis literariisb) ein genaues Urtheil, und
die tief eindringenden Ergaͤnzungen erwartete, die
ein wuͤrdiger Kunſtrichter jedesmal ſeinem Autor
uͤber ſolch eine Sache wiederfahren laͤſſet. Unſer
Kuͤnſtler hat noch eine Jkonologie unſrer Religion
zu wuͤnſchen, die ihn nicht blos vor unwuͤrdigen
Vorſtellungen bewahre, ſondern ihn mit wuͤrdigen
Bildern verſehe. — Auch auf Muͤnzen ließe ſich
in keiner Sorte von Abbildungen eine ſolche Reihe
abentheuerlicher, laͤcherlicher, und unwuͤrdiger
Vorſtellungen geben, als in dem, was an Reli-
gion trift: wer wird aber durch ſolch ein Lachen
Ge-
[57]Drittes Waͤldchen.
Geſchmack zeigen wollen? den erſten beſten Griff
in eine Muͤnzenſammlung Chriſtlicher, und inſon-
derheit der mittlern barbariſchen Moͤnchszeiten, und
man wird von Gott und Belial, von Himmel und
Hoͤlle, von Engeln und Teufeln, von Maͤrtrern
und Heiligen Bilder finden, nicht geſchwind gnug
zu uͤberſchlagen. Selbſt die beſte Vorſtellung des
Chriſtenthums, die betende Mine, die kniende Figur
der Andacht ſcheint nicht fuͤr einen ewigen, offnen
Anblick der Kunſt die beſte, ſo haͤufig uns der
Gothiſchpapiſtiſche Moͤnchsgeſchmack damit be-
ſchenket hat. Das wahre Gebeth flieht in eine
ſtille Kammer: es will ſich nicht zur Schau ſtellen
laſſen: die vor allem anſchauenden Volke verzuͤckte
Mine kommt bey dem langen Anblicke, der aͤrgernden
Mine des Heuchlers zu nahe, und das iſt noch
eine der wuͤrdigſten Kunſtvorſtellungen aus unſrer
Religion!


2. Sinnbilder von Staͤdten, Provinzen,
Laͤndern
geben auf den alten Muͤnzen eine ein-
fachere Bilderſprache, als in Zeiten, da die
Heraldik eine zuſammengeſetzte, kuͤnſtliche Wiſſen-
ſchaft geworden, die allein beynahe die Lebenszeit
eines Mannes fodert. Eine einfache Figur war
dort die Symbole einer Stadt, einer Kolonie,
eines Landes; unſre Wappen ſind eine Zuſammen-
ſetzung vieler Figuren, um deren Eine oft Stroͤme
D 5von
[58]Kritiſche Waͤlder.
von Menſchenblut vergoſſen, deren keine alſo, wo
es die Ehre und das Erbrecht des Muͤnzherrn
erfordert, ausgelaſſen werden darf, an deren Einer
in kuͤnftigen Zeiten vielleicht ein ganzes Land gele-
gen ſeyn kann. Nun iſts leicht, in ſolchem Fall
uͤber die mit Bildern beladnen Muͤnzen der Neuern
Geſchmackvoll zu ſpotten a): aber wie zu aͤndern?
Der Rechtsgelehrte, der Staatskundige, der
Heraldikus kuͤnftiger Zeiten wird, da die Sache
einmal ſo iſt, uns fuͤr die Geſchmackloſe Ueberla-
dung der Muͤnzfiguren vielleicht ſo danken, als
ein Grieche vergangener Zeiten ſie wegwerfen wuͤrde.
Wie alſo, da es hoͤherer Urſachen wegen nicht
anders ſeyn kann?


Die Wappen, wie bekannt, ſind eine Erfin-
dung und Anordnung der mittlern Gothiſch - bar-
bariſchen Turnierzeiten; ihre Schilde und Creuze,
und Sparren und Bandſtreifen, und Thierfiguren
und Fahnen haben ihren Urſprung dem Zeitge-
ſchmacke zu danken, der ſich, als eine Vermiſchung
des Nordiſchgothiſchen, des Spaniſch - Arabiſch
Ritterlichen, des Barbariſch - Chriſtlichen Moͤnchs-
geſchmacks uͤber Europa daherzog, Ritter - und
Rieſenkaͤmpfe, Turnier - und Kreuzzuͤge gebar,
und er waͤre, was er wolle, nur wenig Jdeen
von der Tapferkeit eines griechiſchen oder roͤmiſchen
Helden in ſich haͤlt — welcher Thor wird alſo
dieſe
[59]Drittes Waͤldchen.
dieſe unter jenen ſuchen? ſo verſchiedne Geſchoͤpfe ein
alter griechiſcher und ein gothiſcher Held der mit-
lern Zeiten: ein roͤmiſcher Patriot, der fuͤr ſein
Vaterland, und ein andaͤchtiger Kreuzkrieger,
der auch, aber fuͤr ein anders Rom, roͤmiſch geſin-
net, fuͤr Papſt und Kirche fochte — ſo verſchieden
dieſe: ſo verſchieden auch die Bilder ihrer Tapfer-
keit. Jn den Schilden und Helmen, in den He-
roldsfiguren und Ehrenſtuͤcken, in den Lilien, die
keine Lilien ſind, in Drutenfuͤßen und Alpenkreuzen,
in Kronen und Muͤtzen, Helmdecken und Wappen-
zelten wird da wohl eine Dea Roma oder das
einfache Sinnbild einer griechiſchen Stadt woh-
nen? — Einmal ſind ſchon die Wappen hoͤchſt-
verwilligte oder bruͤderlichbeliebte Charakterzeichen
der Perſonen, Familien und Laͤnder, daher die Anord-
nung und der Plan der Wappen; das Herkommen hat
ſie geſchlagen: jedes Faͤhnlein hat ſeine Rechte
und Deutung, woran nach unſrer Verfaſſung mehr
liegt, als an einem Gericht Geſchmack: ſie ſind
Urkunden und Diplome — wer will ſie aͤndern?
wer, wo ſie erſcheinen muͤſſen, als uͤberladen
ſchelten? wer den Kaiſern, Koͤnigen, Fuͤrſten,
Grafen und Herren, Erzbiſchoͤfen, Biſchoͤfen und
Aebten, Laͤndern und Staͤdten, Aemtern und
Familien in Europa neue Gnadenwappen nach
altem griechiſchen Geſchmacke geben, daß ſie doch
nicht ſo Gothiſch- Papiſtiſch- Barbariſch uͤberladen
aus-
[60]Kritiſche Waͤlder.
ausſehen — wer iſt der Muͤnzenlehrer vom Ge-
ſchmack?


Zu dem waren in den alten Zeiten der Grie-
chen weniger Staͤdte, und Laͤnder, die als Un-
terſcheidungszeichen auf Muͤnzen kamen, als jetzt.
Jch weiß die anſehnliche Zahl griechiſcher Muͤn-
zen von Staͤdten und Colonien, und auf roͤmiſchen
die oͤftern Bilder von eroberten Laͤndern und Pro-
vinzen; alles aber reicht auf keine Art, an die
dreißig tauſend Wappen unſrer Zeit, die Gatte-
rer
als die mindeſte Zahl der zuverlaͤßigen angibt.
Die Muͤnzen griechiſcher Staͤdte waren Patrony-
miſch; jede hatte den Genius, oder den hoͤhern
Schutzgott, oder die Symbole ihres Orts, und
damit wohl! Die roͤmiſchen Muͤnzen ſtellen die
eroberten Provinzen nicht anders, als erobert
vor: ſie waͤhlten ſich alſo ein Merkmal des Landes,
wodurch ſich daſſelbe fuͤr ſie, nach dem Geſichts-
punkte ihrer Unwiſſenheit oder politiſchen Abſichten
unterſchied, perſonificirten es zur Symbole: damit
wohl! Wo reicht dies aber an die Menge, an die
Beſchaffenheit, an die Beſtandheit, an die politi-
ſchen Rechte und Abſichten der Wappen, der
Unterſcheidungszeichen unſrer Laͤnder, Staͤdte und
Provinzen? Man erlaſſe mir uͤber Sachen von
ſolchem Augenſcheine alle leidige Gelehrſamkeit, die
ich in ſolchem Falle immer lieber bey Hrn. Klotz
leſen mag. Die mittelmaͤßigſte Kenntniß der al-
ten
[61]Drittes Waͤldchen.
ten und neuen Geſchichte, ſo fern ſie alte und
neue Muͤnzen erlaͤutert, macht den himmelweiten
Unterſchied begreiflich, wie die Alten ihre Staͤdte
und Laͤnder ſymboliſiren und perſonificiren und al-
legoriſiren konnten, nach dem damaligen Zuſtande
der Laͤnderkenntniß, oder der politiſchen Abſicht:
und wie wir ſie nach der Verfaſſung unſrer Welt
andeuten muͤſſen — hier vergleichen, heißt in den
Wind vergleichen! a)


3. Jn Anſehung der abzubildenden Sachen, und
Begebenheiten uͤberhaupt hat die numiſmatiſche
Welt der Alten vor der unſern große Vorzuͤge —


Selten waren die dort vorzuſtellenden Sachen
und Begebenheiten ſo verwickelt, ſo ſehr mit Um-
ſtaͤnden begleitet, mit Beſtimmungen umlagert,
als in jetzigen Zeitlaͤuften. Ein Sieg zu Lande
oder Waſſer hatte einmal ſeine Victorie mit dem
Kranze in der Hand, ſeine Minerva, ſeinen Ju-
piter mit dem Adler, und andre Symbole, die in
ihrer ſchoͤnen Einfoͤrmigkeit ſo gern auf alten Muͤn-
zen wiederkommen, und ſo oft ſie wiederkommen,
noch immer dem Auge gefallen. Die oͤffentlichen
Anreden, und Geſchenke, die Vergoͤtterungen,
Adoptionen, Vermaͤhlungen, Spiele, uͤberhaupt
die oͤffentlichen Gelegenheiten zu Muͤnzen waren
unverworrener, als jetzt, da man oft mit allen
Bil-
[62]Kritiſche Waͤlder.
Bildern rings um die zuſammengeſetzte Jdee her-
um gehet, ohne ſie zu treffen, ſie entweder halb
und ſchielend ausdruͤckt, oder die Muͤnze mit Sym-
bolen uͤberladen muß. Die Anlaͤſſe zu Muͤnzen,
haben ſich ins Große, und im Detail der anzu-
deutenden Umſtaͤnde ſo ſehr ins Kleine vermeh-
ret, daß mir grauet, uͤber alle politiſche, kirch-
liche, gelehrte, Kunſt - und wiſſenſchaftliche
Situationen und Merkwuͤrdigkeiten unſerer Zeit
Muͤnzen nach alter Art anzugeben, wo man ſie fo-
dert, und fodern kann. Gatterer hat ange-
merkt, daß die franzoͤſiſchen Muͤnzen auf die Ge-
burt eines Kronprinzen ſaͤmtlich nicht die concrete
Jdee ausdruͤcken, die ſie ausdruͤcken ſollen, ſie
ſagen entweder zu viel, oder zu wenig — und
wie, wenn ſich ein philoſophiſcher Theoriſt der Me-
daillenwiſſenſchaft nun uͤberhaupt darauf einlaſſen
muͤßte, die Vorſtellung aller vornehmſten Merkwuͤr-
digkeiten unſrer politiſch ſo verfeinerten Zeiten, nach
dem Geſchmacke der Alten zu verbeſſern — welch
Labyrinth! Jch ſage kein Wort davon; denn wie
viel waͤre ſonſt zu ſagen?


Wenigſtens alſo nicht ſo ganz unſinnig, daß
die neuern Muͤnzen in ein topographiſches, oder
hiſtoriſches, oder Ceremoniendetail a) abgewichen
ſind, das die Alten nicht haben: Die heutigen
Zeit - und Staatslaͤufte ſind damit uͤberhaͤuft, wie
konn-
[63]Drittes Waͤldchen.
konnten die Bilder derſelben frey bleiben? Geburt
und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen
und Eroberungen, Kroͤnungen und Jubelfeſte,
Stiftungen und Friedensſchluͤſſe, Aemter und
Staͤnde ſind mit einem Getuͤmmel individualiſiren-
der Umſtaͤnde begleitet, die dieſe Begebenheit von
allen aͤhnlichen Begebenheiten unterſcheiden ſollen.
Nun iſt freilich hier die Regel leicht zu geben:
Abſtrahire von allen dieſen concreten Umſtaͤnden
einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art
der Alten und du haſt eine Muͤnze von Geſchmack:
allgemein hingeſagt, iſt dies Recipe, miſce,
fiet,
leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal
die Sache nur eben die bleibt und keine andre
wird? Daß unter dem abſtrakten Begriffe im Bil-
de, nicht die concrete Begebenheit verſchwinde?
Wahrhaftig ſchwerer! und ein vollſtaͤndiges Re-
pertorium beſſerer Vorſtellungen geben im Ge-
ſchmacke der Alten, und doch, daß unſre Welt
omnimod angedeutet werde, vielleicht unmoͤglich.
Ueberweg alſo vergleichen, trift nicht. Das Mit-
telſtuͤck der Vergleichung ſchwankt; die ſinnlich
abzubildende und abgebildete Welt der Alten iſt
nicht mehr unſre Welt.


Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo-
graphiſchen Beſchreibungen unſerer Schlachten,
und Siege, die Riſſe unſrer Staͤdte und Veſtun-
gen, das Getuͤmmel von Figuren bei einer Kroͤnung,
oder
[64]Kritiſche Waͤlder.
oder Ankunft, das Gewuͤhl von Kriegsgeraͤth-
ſchaft bey einer Belagerung, das laͤcherliche Freu-
denleben bey manchen Jubelfeſten, alles Kinder-
zeug bey Geburten, und Himmelsanſtalten bei
dem Hintritt eines Wohl - oder Hochſeligen retten
oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder
gar laͤcherliche Muͤnzhiſtorien lange anſehen? Daß
aber uͤberhaupt unſere Muͤnzvorſtellungen mehr ins
Hiſtoriſche, ins genau beſtimmende einſchlagen, als
die Alten, das, ſage ich, iſt oft unvermeidlich, oft
noͤthig, und wenn man erlauben will, auch nuͤtzlich.
Muͤnzen ſind Denkmale einer Merkwuͤrdigkeit an
die Nachwelt — was ſind ſie, wenn ſie nicht
deutlich, nicht beſtimmt reden? und wenn ſie uͤber
unſre Welt von Denkwuͤrdigkeiten nicht immer
nach der Weiſe der Alten reden koͤnnen? Jmmer
laſſet ſie ſich alsdenn ihre eigne Weiſe nehmen.
Mit allen Vorzuͤgen der Alten hierinn ſind nicht
viele ihrer Muͤnzen deswegen fuͤr uns undeutlich,
weil ſie zu wenig hiſtoriſch, zu wenig individuell,
zu abſtrakt, zu allegoriſch ſind?


Nun ſtelle man ſich nach Jahrhunderten eine
Nachkommenſchaft auf unſern Graͤbern vor; eine
gegen uns ſo fremde Nation, als wir gegen Grie-
chen und Roͤmer eine, die mit eben der Begierde
in der Geſchichte von uns forſchen wollte, mit der
wir unter den Alten forſchen — Oder wenn wir
ein ſolches Gericht einer Nation nicht erwarten
doͤrfen:
[65]Drittes Waͤldchen.
doͤrfen: ſo laſſet nur im Verfolg der Zeiten nach-
kommenden Gelehrten und Staatskundigen an ge-
nauen Denkmalen der Vorwelt gelegen ſeyn doͤrfen:
wird ihnen etwa eine reine wuͤrdige hiſtoriſche Vor-
ſtellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die
Allegorie verſteckte? als eine allegoriſch halb ge-
ſagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeute-
te? — Jn dieſem Falle iſt der Unterſchied ſo; wie
in den mancherley Erzehlungsarten der Geſchichte.
Die aͤlteſte Geſchichte war Gedicht, war epiſcher
Geſang — ſchoͤn allerdings, in ruͤhrende Bilder
gekleidet freylich, ſo gar mit taͤuſchenden Fiktionen
untermiſcht; aber Geſchichte? Trockne Zeugniſſe
der Wahrheit? Wie verlaſſen iſt der Geſchicht-
ſchreiber in dieſen Gegenden ſchoͤner poetiſcher Halb-
wahrheit, oder ſchoͤner halbwahrer Dichtung!
Und was dieſe Miſchung einen langen mytholo-
giſchen Geſang hinunter; das iſt ſie, wenn eine
neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Alle-
gorie verſteckt wird, auf einer Muͤnze, auf einem
Denkmale fuͤr die Nachwelt.


Eben dazu iſts ſchon, daß die Neuern ihren
Medaillenvorſtellungen eine groͤſſere Flaͤche, als
je die Alten, eingeraͤumt haben. Moͤchten ſie nur
auch die hiſtoriſche Begebenheit ſo kurz, ſo an-
ſchaulich, ſo entladen von entbehrlichen Nebenum-
ſtaͤnden, von Zierrathen aus einer fremden Zeit,
und von verwirrender Dichtung vorſtellen: moͤchten
Eſie
[66]Kritiſche Waͤlder.
ſie nur ſtatt immer neue Vorſtellungen zu erkuͤn-
ſteln, bey wiederkommender Veranlaſſung auch
gute, obgleich ſchon gebrauchte, Abbildungen wie-
derholen, und das Jndividuelle des gegenwaͤrti-
gen Falls nur ſo leicht beſtimmen, als moͤglich:
freylich, ſo koͤnnten wir, weil ſich auch unſre
Welt von Merkwuͤrdigkeiten doch ſo oft wiederho-
let, auch einmal zu einer fuͤr uns eignen Jkono-
logie kommen, ſo beſtimmt, als die Antike in ih-
rer Art; nur freylich ein gut Theil hiſtoriſcher,
politiſcher, detaillirter.


4. Die vorzuſtellenden Perſonen nehmen in et-
was an dieſer Schwuͤrigkeit Theil. Wenn es in den
mittlern Zeiten Reichsgaͤngig war, den Kaiſer
ſitzend auf einem halben Cirkel, oder auf einem
Thore zwiſchen zween Thuͤrmen abzubilden, als
waͤren die Fuͤße dem Bauche entwachſen; wer doͤrfte
da bei ſolcher kaiſerlichen majeſtaͤtiſchen Stellung
nicht an die Mine Veſpaſians beim Sueton geben-
ken: velut nitentis! Er mit Kron und Scepter,
Schwert, und Reichsapfel — einen Fuͤrſten mit
Helm und Panzer, in ſeiner Hermelindecke und
Hermelinmuͤtze, mit Fahn und Wappen reitend —
der Biſchof mit Hut und Stab und Kreuz und
Oberrock — drei Heilige auf einer Zuͤrchermuͤnze,
mit einem Nimbus oben ſtatt des Haupts, das
jeder Rumpf zum Zeichen ihres Maͤrtrerthums in
der
[67]Drittes Waͤldchen.
der Hand haͤlt. — Dieſe erzwungene Tracht und
Stellung, die faſt jedes Land des guten Herkom-
mens wegen ſeinen Fuͤrſten und Herren gibt, durch-
laufen; und denn an das freie Kopfbild eines
Alexanders, zuruͤck gedacht — welch ein Unter-
ſchied! wo wohnt das freie Schoͤne?


Mich wundert, wie Hr. Kl. uͤber die gehar-
niſchten Bruſtbilder auf unſern Muͤnzen ſo fremde
als ein Kind thut a): „Wider das Coſtume ſind
„ſie doch: den alten Roͤmern ſind ſie nicht nach-
„geahmt, den byzantiniſchen Kaiſern auch nicht
„ſo recht: ſie muͤſſen endlich wohl aus Ruͤſtungen
„verſchiedner Zeiten zuſammen geſetzt ſeyn.„ — —
So wenig ich in dergleichen Reichs urkundlichen
Sachen beleſen ſeyn mag, ſo weiß ich doch außer
der Zeit unſres Coſtume, (in die kein Schuͤler der
Numiſmatik ihre Erfindung ſetzen wird,) außer der
roͤmiſchen und byzantiniſchen Ruͤſtung, noch eine
mittlere Zeit deutſchen Ritterthums, da die Her-
zoge und Grafen von den Kaiſern in denen ihnen
anvertraueten Laͤndern zu Heerfuͤhrern der Ritter-
ſchaft verordnet geweſen, da dieſe durch ſolche
Turnier - und Heldenruͤſtung ſich unterſchieden, da
alſo die Herzoge ihr Heerfuͤhrerthum durch Har-
niſche und Ritteraufzuͤge auch auf Muͤnzen ſignali-
ſirten, ſie als herzogliche Jnſignien und Gerecht-
E 2ſame
[68]Kritiſche Waͤlder.
ſame behielten u. ſ. w. dies weiß ich, und wer
ſollte das nicht wiſſen?


Und weiß man das; wem wird die weitlaͤuf-
tige praͤchtige Anmahnung: „die Fuͤrſten ſollten
„doch bedenken, daß ſie ihre Muͤnzen fuͤr die
„Nachwelt ſchlagen laſſen, daß dieſe ja der ſpaͤte-
„ſten Nachkommenſchaft ihren Geſchmack verkuͤn-
„digen ſollen: die geharniſchten Bruſtbilder waͤren
„doch wider das Uebliche unſrer Zeiten: an Muͤn-
„zen und Statuen des Alterthums faͤnde er doch
„ſolche Ruͤſtung nicht: an byzantiniſchen Kaiſern
„auch nicht ſo ganz: ſie bleibe doch fuͤr unſre Zei-
„ten fremde: ſie ſtelle doch eine Sache vor, die
„wir in der Natur nicht mehr ſehen: die Roͤmer
„haͤtten ſich doch nie in aͤgyptiſcher Kleidung, oder
„mit parthiſchen Tiaren abbilden laſſen: man
„braͤchte damit der Nachkommenſchaft nichts, als
„ganz falſche Begriffe von den Trachten unſrer
„Zeit bei — — und was der Verf. daruͤber
auf ſieben Seiten Gelehrtes, Wohlſchmeckendes
und Zurechtweiſendes von Heliogabalus und Chil-
derich, von Alexander und Ariſtobulus ſagen moͤge,
das artige Gebeth des Hrn. Watelets, und den
artigen Spaas vom Loͤwen und Affen d. i. vom
Fuͤrſten und ſeinem Kuͤnſtler, von der friedfertigen
und mit frommem Abſcheu gegen alles Morden und
Blutvergießen verwahrten Buͤrgerkompagnie, von
der lockichten Perucke und ihrer Herrlichkeiten brei-
tem
[69]Drittes Waͤldchen.
tem Halskragen — — dieſen artigen Spaas mit
eingeſchloſſen, wer wird die ganze Ermahnungs-
rede nicht ſo fade, als moͤglich, finden? Wenn die
liebe Nachkommenſchaft nur etwas weiß, ſo weiß
ſie, daß dies nicht eine Tracht unſeres Ueblichen
im gemeinen Leben, ſondern ein fuͤrſtliches Her-
kommen, das Jnſigne eines gewiſſen Ranges,
geweſen: ſo weiß ſie, daß, wenn den geheimden
Raͤthen unſrer Zeit dieſe Kleidungstracht, wie
billig, unbraͤuchlich iſt: ſie bei fuͤrſtlichen Jnſtal-
lationen in Deutſchland urkundlich ſey: ſo weiß
ſie, daß, wenn der Papſt nicht taͤglich ſeine dreifache
Krone trage, er ſich dieſelbe doch anmaaße, und
daß, wenn Jhre Herrlichkeiten den breiten Hals-
kragen nicht uͤber den Harniſch zu binden befugt
ſind, ſie es auch nicht thun werden, wie der Hr.
Verf. meinet: ſo weiß ſie — — und das weiß ja
jeder Schuͤler der Reichsgeſchichte.


Nun mag es etwa der Affe eines Loͤwen, das
iſt nach Hr. Kl. Fabeldeutung der Kuͤnſtler und
Hiſtoriograph eines Fuͤrſten ausmachen, wie weit
Seine Durchlauchten dies Erz abſchuͤtteln koͤnne,
oder nicht? Aber dazu gehoͤrt wahrhaftig kein
geheimder Rath, es auszumachen, daß kein Fuͤrſt
unſrer Zeiten dieſe Ruͤſtung erſonnen, um „der
„ſpaͤteſten Nachkommenſchaft ſeinen Geſchmack zu
„verkuͤndigen, um den Enkeln die vortheilhafte-
„ſte Schilderung von ſich zu uͤberlaſſen.„ Dazu
E 3gehoͤrt
[70]Kritiſche Waͤlder.
gehoͤrt auch kein erſter Philologe der Nachwelt,
um etwa das Coſtume unſrer Zeit daher zu muth-
maßen, ſo wenig die Ammonshoͤrner Alexanders
und Lyſimachus uns auf den Verdacht bringen,
als waͤre er eine gehoͤrnte Mißgeburt geweſen.
Wenn ſich indeſſen ein Fuͤrſt einem ſolchen Jn-
ſigne auch nur des Herkommens, des Ranges,
des Nationellen bei ſeiner Huldigung und Kroͤ-
nung wegen bequemt — immer ſei er zu bekla-
gen; denn hinter welchen Faͤſſern und Gewaͤndern
muß ich nicht einen ſolchen Koͤnig Saul ſuchen?
aber auch der Unterſchied werde erwogen zwiſchen
einer Zeit, die ihre Fuͤrſten frei hinſtellt, und ei-
ner Zeit, die ſie nach Recht und Herkommen
zu einem ſpaniſchen Mantel, oder zur Tonne des
Diogenes, verurtheilt — wer wird das ver-
kennen?


5. Jch komme auf die Jnſchriften, zu denen
ich hier ſo wohl Titel, als Legenden rechne. Ti-
tel! mit welchem Ballaſt ſind unſre Fuͤrſten nicht
uͤberladen? mit dieſem des Erbrechts, der Fa-
milie, eines hiſtoriſchen Umſtandes, einer Pro-
teſtation wegen, mit jenem der wirklichen Be-
ſitze halben — wo iſt hier die edle Armuth der
Griechen und Roͤmer? Der Roͤmer war Herr
und Kaiſer der Welt,
nichts mehr duͤnkte er
ſich aber auch nichts weniger: Ein Titel alſo
ſeiner
[71]Drittes Waͤldchen.
ſeiner roͤmiſchen Groͤße und Hoheit; jeder uͤbrige
Zuſatz nach Provinzen und Laͤndern waͤre fuͤr ihn
(ich nehme den Fall der Eroberung aus) verklei-
nernd. Ein Imperator, Caͤſar, Dictator,
Pater Patriaͤ,
war gnug, um gleichſam den Einen
zu bezeichnen, der nicht ſeines gleichen hat —


Vnde nil maius generatur ipſo

Nec viget quidquam ſimile aut ſecundum.

Das Titulaturrecht unſrer heutigen Fuͤrſten
muß von dieſer roͤmiſchen Groͤße mehr in die Cur-
rentmuͤnze der Titel gehen. Hier dieſe Acquiſi-
tion, dort jene Gerechtſame, dort jene Anwart-
ſchaft von Gottes Gnaden: ſie muß nicht vergeſ-
ſen werden, und ſo kommt eine Titelreihe her-
aus, die oft auch die Muͤnze beſaͤet. So mache
man, wird man ſagen, dieſe zu keiner Herolds-
tafel, und laſſe ſie weg! Gut, aber die laſſe man
doch nicht weg, die in dieſer Situation mit zur
Beſtimmung, zur hiſtoriſchen Erklaͤrung gehoͤren?
Und eben dies, wie ſehr laͤufts oft ins Detail?
Um nur der Nachwelt deutlich zu ſeyn, um dieſen
von ſo manchen andern Fuͤrſten zu unterſcheiden —
welche Unterſchiedenheit, von der ein Grieche und
Roͤmer nichts wußte! Um eben dieſe und keine an-
dre Denkwuͤrdigkeit der Nachwelt aus unſrer
Staatsverfaſſung zu erklaͤren — welche Unter-
ſchiedenheit, von der ein Grieche und Roͤmer nichts
wußte. Die bloße Schuldeklamation des Hrn.
E 4Ge-
[72]Kritiſche Waͤlder.
Geheimdenraths a) uͤber die Schwachheiten der
Fuͤrſten, uͤber eine Eitelkeit, von der ſie keinen Nu-
tzen ziehen, reicht hier kaum zu: in dieſem und
jenem einzelnen Falle wuͤrde ihn mancher andre Ge-
heimderath eines beſſern belehren.


Griechen und Roͤmer inſcribirten in ihrer
Sprache, und man kennet dieſelben nach ihrer
Staͤrke und Hoheit, nach ihrer Kuͤrze und Nach-
druck; verlaͤumden will ich die unſrige nicht: ſie
hat in manchem ſo gar Vorzuͤge; aber zur ſchoͤnen
Aufſchrift einer ſchoͤnen Muͤnzallegorie iſt ſie nicht
gebildet. Nicht gebildet dazu in der Form der
Buchſtaben, in den hart und vielfach zuſammen-
geſetzten Beſtandtheilen der Woͤrter, in dem Bau
der Rede, der ſich weniger mit einem ausgeriß-
nen Caſu, oder einer ellypſirten Conſtruktion ver-
traͤgt, in dem Geiſte der Sprache, der ſich hier-
inn eben ſo weit von der offnen χαρις der Grie-
chen, von der elegantia inſcriptionum der Roͤ-
mer, als von der franzoͤſiſchen Pointe, entfernen
doͤrfte. Unſre Sprache hat ihre gothiſchen Buch-
ſtaben, die gut erſcheinen moͤgen, nur nicht auf
Metall: ſie hat ihre vielen Konſonanten, die in
einem ſtarken Gedichte ſo praͤchtig klingen, als ſie
auf einer Muͤnze ſchwer zu buchſtabiren, noch
ſchwerer abzukuͤrzen ſind: ſie liebt den vollen Bau
der Rede mit Artikeln, Verſchraͤnkungen und Con-
ſtruktio-
[73]Drittes Waͤldchen.
ſtruktionen, ohne Ellypſen, ohne einzelne Rede-
theile: ſie liebt auch im Sinne mehr das voll-
und ausfuͤhrlich geſagte, als das ſchoͤn Andeu-
tende der Griechen und Roͤmer: ſie iſt alſo nicht,
wie dieſe, zur Muͤnzenaufſchrift. Was ſoll hier
ein Geſchmackvoller Tadel uͤber den Mangel an
Geſchmack in einer Sache, wo es an etwas mehr
fehlt, als dieſem?


So nehme man die roͤmiſche Sprache ſtatt der
unſrigen! Gut geſagt! aber iſt denn auch die Muͤn-
ze ſo national, als die roͤmiſche war? ſo einem
jeden verſtaͤndlich? ſo fuͤrs Publikum, als je-
ne? — Zudem: „man brauche die roͤmiſche:„
aber, ans Landuͤbliche, ans Coſtume nicht zu
denken, wird man ſie auch als ein Roͤmer brau-
chen? Jſt die roͤmiſche denn auch fuͤr unſre Welt
von Muͤnzdenkwuͤrdigkeiten gebildet? wird man
nicht oft, in dem man alte Worte auf neue Ge-
braͤuche anwendet, Centauren ſchmieden? Vermi-
ſchungen der Zeiten und Laͤnder, die einem Nach-
kommen befremdlich ſeyn muͤſſen, ſchielende Ue-
bertragungen roͤmiſcher Worte und Begriffe unter
deutſche oder neuere Begriffe uͤberhaupt, fuͤr einen
Kenner beider Zeiten unausſtehlich. Die griechi-
ſche und roͤmiſche Sprache war Rational: die
Denkwuͤrdigkeiten, welche auf Muͤnzen kamen,
National, eines alſo fuͤr das andre gebildet: Koͤr-
per und Seele. Jſt aber die roͤmiſche Sprache
E 5fuͤr
[74]Kritiſche Waͤlder.
fuͤr unſre Welt von Merkwuͤrdigkeiten, oder dieſe
fuͤr jene urſpruͤnglich gebildet worden? und doch
ſoll eine die andre ausdruͤcken? So ſtoßen ſich
zwo Zeiten und Voͤlker, wie jene Zwillinge im
Leibe der Mutter! — —


Will man alſo zur Nationalſprache zuruͤck
kehren, und einigermaaßen doch die ſinnreiche
Einfalt, die edle Kuͤrze, gleichſam die Poeſie
in Gedanken und Worten
erſetzen, die ſich bei
den Alten findet — ach! unſre Sprache bietet
uns auch eine Poeſie dar, aber ſinnreiche Leber-
reime, oder gar froſtige Wortſpiele. So wie
die Nordlaͤnder in der Dichtkunſt die Harmonie
der Alten durch Reime nach ihrer Art zu erſetzen
geſucht: ſo auch auf Muͤnzen durch Reime —
aber welche Erſetzung? National freilich, oft ſinn-
reich gnug und oft nicht blos fuͤr den Poͤbel, ſon-
dern auch fuͤr den Weiſen, ſinnreich; aber eine
Erſetzung der Griechiſchen und Roͤmiſchen Einfalt?
Jch ſehe von beiden Seiten Schwuͤrigkeiten:
Hr. Kl. ſieht keine, er ſtimmt eine Elegie uͤber
den poͤbelhaften Geſchmack der Neuern an —
wie vornehm!


Weiter mag ich mich nicht einlaſſen, in
die unendliche Verſchiedenheit der alten und
neuen numiſmatiſchen Muͤnzgeſetze, Kuͤnſtler,
einzelnen Veranlaſſungen, des aͤußern Werths
und
[75]Drittes Waͤldchen.
und Zubehoͤrs; noch zum Schluß eine allgemeine
Anmerkung, die Anfang haͤtte ſeyn ſollen.


6. Die Alten hatten uͤberhaupt mehr Bilderſpra-
che, mehr allegoriſche Dichtung, als wir. Von Dich-
tern
war ihre Sprache gebildet, und da bei den
Griechen inſonderheit die aͤlteſten Dichter Liebhaber
von Bildern, Metaphern, und Allegorien waren,
welch ein Schatz lag gleichſam ſchon in der Sprache
theils im Geſchlechte, theils in Form, theils in
Bedeutung der Worte! Jhre dichteriſche Sprache
war allegoriſchen Aufſchriften gleichſam in die Hand
gebildet! Allegorien wurden aus der Sprache
geſchoͤpft, und mit der Sprache, aus der ſie geſchoͤpft
waren, begleitet — welche gute Lage!


Zudem: Die erſte Schrift und die erſte Sprache
iſt eine Malerei von Begriffen: mit der Zeit
kommen in beide kuͤnſtliche Abkuͤrzungen der Bil-
der: mit der Zeit verlieren ſich gar viele Bilder
ſelbſt, und es bleiben allgemeine Begriffe. Wo
ſind wir nun in der Reihe der Voͤlker und Zeiten?
ohne Zweifel dieſem Ende naͤher, als jenem. Die
meiſten Allegorien allgemeiner Begriffe nach Grie-
chen, Roͤmern, zumal Aegyptern, ſind uns ſchon
fremde: die meiſten, die z. E. auch Winkelmann
aus den Alten anfuͤhrt, erkennen wir kaum mehr
unter ſolcher Geſtalt: ſie ſind nach unſrer Hori-
zonthoͤhe
[76]Kritiſche Waͤlder.
zonthoͤhe beinahe ſchon uͤber das ſinnliche Bild
erhoben, oder wenigſtens ſo oft von jenen Vor-
ſtellungen abgewichen, als waͤren ſie nicht mehr
dieſelbe. Jn dieſer, meines Wiſſens noch nicht
ſo bemerkten Ausſicht ſollte man das Winckelman-
niſche Werk a) durchgehen, ſo wuͤrde man ſehen,
wie vorzuͤglich bei den Aegyptern, (denn ſie ſind
die aͤlteſten,) ſo dann bei Griechen und Roͤmern
Tugenden und Laſter, und abſtrakte Jdeen von
allerlei Art faſt immer eine andre Geſtalt gehabt,
als bei uns, wenigſtens hie und da von einer Neben-
ſeite angeſehen worden, die ſie bei uns verlohren.
Oft iſt das allegoriſche Bild einer Tugend, einer
abſtrakten Jdee nach griechiſcher Art mit dem Na-
men derſelben nach dem Sinne unſrer Zeit, eine
Geſellſchaft zwoer Perſonen, die ſich ſehr ſeltſam
zuſammen finden.


Noch eine augenſcheinliche Folge. Dichter
haben den Alten ihre Allegorie und Sprache ange-
bildet:
National war alſo ihre Bilderſprache und
wenn ſie entlehnt war, ſo wurde ſie nationaliſiret.
Der Unterſchied wird wichtig: denn bey uns iſt
eine
[77]Drittes Waͤldchen.
eine Bilderſprache ſo patronymiſch nicht. Dort
konnte alles auf einem Wege fortgehen: der
Dichter hatte durch ſeine poetiſche Bilderſprache
das Volk gebildet: der Weiſe, der nach ihm
kam, trat, ſo viel er konnte, in ſeine Fußſtapfen:
er bediente ſich des Bilderſchatzes, den jener in
die Sprache gelegt, nach ſeinen Zwecken: er bil-
dete die Allegorien des erſtern zu Weſen ſeiner Art
um: er wurde ein Plato gegen einen Homer. An
ſeiner Hand gieng der dritte Mann, der Kuͤnſtler,
und erhob jene Bilderſprache der Dichter und Wei-
ſen zum ſchoͤnſten Anſchauen. Die Goͤtter, die
der Dichter dem Volke ſang, und der Weiſe er-
klaͤrte, ſchuf der Kuͤnſtler ihm vor: die Jdeen,
die es in alten geerbten und fruͤherlernten Geſaͤngen
auf der Zunge, und aus dem Munde des Weiſen
gleichſam im Ohre hatte, ſtanden ihm in den
Werken des Kuͤnſtlers vor Augen — durch alles
ward alſo ein poetiſches, ein allegoriſches Pu-
blikum gebildet,
das die Bilderſprache verſtand,
fuͤhlte, beurtheilte, fortpflanzte. Die Allegorie
hatte tiefe Wurzeln, in allem was National heißt,
geſchlagen, in Sprachen, Gedichten, Philoſo-
phien, Kunſtwerken: ſie gehoͤrte zur Cultur des
Volks, ſie ward Denkart des Publikum.


Unſer Publikum iſt aus dieſem Gleiſe der Cul-
tur, aus dieſem Vehikulum der Denkart hinaus.
Wenige Bilder ausgenommen, und die Jkono-
graphie
[78]Kritiſche Waͤlder.
graphie der Alten iſt uns nicht Nationell. Nicht
aus unſrer Sprache geſchoͤpft, und oft nicht ein-
mal mit dieſer ſtimmend; nicht aus unſern ange-
bohrnen Jdolen, in denen wir uns als Kinder
allgemeine Begriffe denken, gebildet, und oft
denſelben widerſprechend — nicht alſo dem Auge
des gemeinen guten Verſtandes unter uns kennbar,
nicht alſo National. Die Jdole etwa und Maͤr-
chen, in die unſre Kindheit allgemeine Begriffe
kleidet, ſind Gothiſch, oft ungeheuer, faſt nie-
mals fuͤr die Kunſt. Sie ſind nicht von griechi-
ſchen Dichtern der Schoͤnheit, ſondern durch nor-
diſche Maͤrchen eingepflanzet: einige von ihnen
beſtaͤtigt unſre Sprache, die ſich nach ihnen beque-
met: alle aber ſind gegen die Menge griechi-
ſcher Nationalbilder nur ein verſchwindendes Zwei
oder Drei. Jn den Schatten der Jahrhun-
derte ſind ſie verſchwunden; und fuͤr die Kunſt
haben wir auch an ſolchen gothiſchen Geſtalten
der Einbildungskraft nichts verlohren. Die rei-
nere Wiſſenſchaft, die in unſern nordiſchen Ge-
genden durchaus freier von ſolchen Huͤllen der
Mittagslaͤnder gedacht wird, die Cultur des
Publikum nach unſrer unſinnlichen Religion, und
unſinnlichen Philoſophie hat ſie vertrieben: wir
haben alſo kein dichteriſches, allegoriſches Publi-
kum mehr.


Und
[79]Drittes Waͤldchen.

Und koͤnnen uns die Allegorien der Alten dazu
machen? Selten ſind dieſe ja unſerm Volke, (ich
ſage nicht, unſerm Poͤbel,) kennbar: oft ihm ja
ſo unverſtaͤndlich, als die lateiniſche Ueberſchrift
ringsum. So wie es nach unſrer gelehrten Hand-
werksbildung in manchen Laͤndern dem Poͤbel zur
Synonyme geworden: er iſt ein Lateiner, das iſt
ein Gelehrter: ſo wenigſtens in dieſem Falle iſt
die Jkonologie der Alten eine Ueberpflanzung
fremder Nationalbilder, ſich in ihnen Goͤtter zu
denken, die wir nicht haben, Staͤdte und Laͤn-
der in Schutzgoͤttinnen und Genien zu denken,
die wir nicht kennen, Tugenden und Laſter zu
denken, wie wir ſie nicht denken wollen, allge-
meine Begriffe zu denken, ohne daß wir ſie in
der Symbole ſehen. Sie iſt alſo ein gelehrtes
Ruͤſt - ich will nicht ſagen Spielzeug aus frem-
den Laͤndern, das unter uns keinen Markt des
Anſchauens, kein Publikum hat.


Eben hiemit iſt Herrn Klotzen ein unerklaͤrlicher
leidesvoller Unterſchied erklaͤrt a); „Mit den Sinn-
„bildern auf alten Muͤnzen konnte der Lehrer des
„Geſchmacks, der Dichter, der Kuͤnſtler zufrieden
„ſeyn. Den neuern Vorſtellungen widerſpricht
„oft Vernunft, Geſchmack und Kunſt. Wer
„wollte es wagen, die Vorſtellungen auf neuern
„Muͤn-
[80]Kritiſche Waͤlder.
„Muͤnzen mit den Bildern unſrer Dichter zu ver-
„gleichen? Gleichwohl hat Addiſon mit den al-
„ten Muͤnzen und Verſen dieſes gethan: Er
„hat oft
eine große Aehnlichkeit zwiſchen beiden
„bemerkt, und Urſache gefunden, den feinen Ge-
„ſchmack deſſen zu loben, der die Vorſtellung zu ei-
„ner Muͤnze angegeben. Der Poet hat die
„Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem-
„pelſchneider gebraucht, um einen Gedanken
„ſinnlich zu machen.
„ Wie man ſieht, bleibt
Alles im Unterſchiede der Alten und Neuern bei
ihm eine qualitas occulta des Geſchmacks zum
Staunen. Freilich konnte der Dichter mit ſolchen
Muͤnzvorſtellungen zufrieden ſeyn: denn ſie waren
aus ihm geſchoͤpft, oder wenigſtens nach der Denk-
art gebildet, die er dem Weiſen, dem Kuͤnſtler,
dem Lehrer des Geſchmacks, die alle Soͤhne ſeines
Geſchlechts waren, angeſchaffen. Freilich laſſen
ſich Verſe und Muͤnzen unter den Alten vergleichen:
was aber jetzt in Addiſon eine ſolche gelehrte und
Geſchmackshexerei iſt, das konnte unter den Alten
ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn
er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi-
kum in Griechenland Dichterverſe und poetiſche
Bilder ihrer Mythologie im Kopfe ſchwebten, ohn-
gefaͤhr auf die Art, als unſerm Volke Kichenlieder,
Bibelſpruͤche, (eine Vergleichung, die hier blos
Nationalunterſchied ſeyn ſoll,) wenn die Sprache
und
[81]Drittes Waͤldchen.
und die Erziehung ſolchen anſchaulichen Vorſtel-
lungen entſprach — was natuͤrlicher, als eine
Vergleichung zwiſchen Bildern und Verſen? was
aber auch unnatuͤrlicher, als bei uns ſolche Ver-
gleichung zu fodern? Die Muͤnzallegorien ſind uns
meiſtens uͤberbrachte Jdeen: unſre Dichter, der
Muſe ſei Dank! aber uns National — ich ſehe
keine Parallele. Die Muͤnzvorſtellungen aus den
Alten entſprechen hoͤchſtens auch den Dichtern der
Alten; und ſo ſehr dieſe auch unſrer lieben Schul-
jugend eingepraͤgt werden: ſo haben wir doch nim-
mer ein Attiſches, ein Roͤmiſches Publikum, das,
wie jenes, nach dieſen Dichtern gebildet waͤre?
Die lange Deklamation des Hrn Kl. uͤber die Pa-
rallele, vom Geſchmack auf Muͤnzen a), der ſich
zu unſrer Zeit, unter der Regierung Friederichs
des Großen (vermuthlich zu Halle) angefangen,
und von Claſſiſchen Schriftſtellern, die unſern Zeit-
punkt allen Voͤlkern und der ſpaͤteſten Nachkommen-
ſchaft bewundernswuͤrdig machen werden, die ganze
Parallele iſt in Vergleichung der Alten link.


5.


Doch wie anders, als link iſts, wie unſer Verf.
am liebſten redet? Ein Buͤchlein uͤber die Ge-
ſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen; und dies
Buͤch-
F
[82]Kritiſche Waͤlder.
Buͤchlein wird ſeinem groͤßeſten Theile nach nichts,
als eine Vergleichung der Alten und Neuern: und
dieſe Vergleichung wieder nichts, als ein Preis des
Geſchmacks der Alten, und eine Satyre auf den
Muͤnzengeſchmack der Neuern. Beiderlei Arten
des Geſchmacks als die Produktion einer ganzen
Zeitverfaſſung und Nationaldenkart anzuſehen, den
Unterſchied zu entwickeln, der ſich zwiſchen der
Numismatiſchen Welt der Alten und der Neuern
in Bilderſprache der Religion, in den Symbolen
der Laͤnder, in den Allegorien der Begebenheiten,
in dem Cerimoniol der Perſonen, in der Sprache
der Aufſchriften, in dem Publikum, das Muͤnzen
erfand, ſah und beurtheilte, in allen aͤußern Um-
ſtaͤnden der Numismatik ereignet, dieſen Himmel-
weiten Unterſchied, von dem ich einige Schattenzuͤge
entworfen, vergißt er; ſchreibt dem lieben Addiſon
nach, macht deſſen Geſpraͤche zur feinen Satyre,
zur lahmſten, Lendenlahmſten Strafpredigt uͤber
den uͤbeln Muͤnzengeſchmack unſrer Zeit, von Fuͤr-
ſten an, bis zu Muͤnzenſtemplern zu —


Und das iſt ſein Beitrag zur Geſchichte des
Geſchmacks auf Muͤnzen. Wie von allen Natio-
nen, wie im Traume, durchhin reden? bei keiner
ihre hiſtoriſchen Data, als Erfolge, die aus einer
Urſache entſpringen, anſehen? bei keiner auch nur
darauf kommen, die Natur des Faktum, aus ei-
nem ſeiner Umſtaͤnde, und Veraͤnderungen in Ent-
wurf
[83]Drittes Waͤldchen.
wurf zu bringen? bei keiner auf den Boden der
Sache ſehen, aus dem ſie ſich erhob und aufbluͤ-
hete? die verſchiedenſten Zeitpunkte uͤberweg ver-
gleichen, die kaum einer Vergleichung faͤhig ſind?
O des armſeligen Alterthumskenners! keines Na-
mens unwuͤrdiger, als deſſen! Sein klingender
Beitrag iſt eine Satyre auf unſre Zeiten und Voͤl-
ker, ſo fein, ſo gruͤndlich, ſo treffend, als ſeine mo-
res eruditorum,
als ſein genius ſeculi. Nichts
als ridicula kann er ſchreiben; aber ſeine ridicula
literaria
und monetaria ſind von einem Gepraͤge.


Eine Geſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen,
was iſt ſie, wenn ſie uns bei den Griechen die Ur-
ſachen des Geſchmacks nicht entwickelt: jetzt Grie-
chen und Roͤmer vergleicht, und auch bei dieſen
nichts erklaͤret? Was iſt ſie, wenn ſie nicht genau
auf die Veranlaſſungen merket, durch welche der
Geſchmack fiel, den falſchen Geſchmack, der ſich
ſtatt des Roͤmiſchen einſchlich, nicht zergliedert, die-
ſen neuen Gothiſch Chriſtlichen Geſchmack nicht bis
auf ſeine Quellen, und bis in die Abgruͤnde der
Diplomatik, Heraldik und Staatsgeſchichte, die
ſeine Abfluͤſſe ſind, verfolgt, auf keine ſeiner Haupt-
veraͤnderungen merket, die Reformation des Ge-
ſchmacks, die eigentlichen Verdienſte der Reforma-
toren nicht beſtimmet, dem Lauſe ihrer Verbeſſe-
rungen nicht nacheilet: die Reſte des alten Herkom-
mens, die ſich ihm widerſetzten, nicht pruͤfet: und
F 2an
[84]Kritiſche Waͤlder.
an eine Anleitung denkt, uns zu unſrer Numiſma-
tiſchen Welt ein Muͤnzenkabinett nach dem Ge-
ſchmacke der Alten zu ſammlen — was iſt ſie,
wenn ſie nichts von dieſem iſt? Und iſts nach Ei-
nem der angegebnen Geſichtspunkte der Klotziſche
Beitrag auch nur im duͤrreſten Grundriſſe, (vom
Mechaniſchen der Kunſt rede ich noch nicht,) ſo will
ich umſonſt geleſen haben.


Ein paar mal kommt er auf ſo etwas, aber
beidemal iſts Ausſchweifung, und es wird grobe
Falſchheit. „Bei den Griechen, ſagt er a), hatten
„die Kuͤnſte uͤberhaupt engere Schranken, als bei
„uns. Wir erlauben ihnen groͤßtentheils die Nach-
„ahmung eines jeden Koͤrpers, ohne daß die Kunſt
„durch die Wuͤrde des Gegenſtandes veredelt
„wuͤrde. Der Grieche hatte ihnen blos die Nach-
„ahmung ſchoͤner Koͤrper verſtattet.„ Wer Leſ-
ſings Laokoon geleſen, weiß, wem die Bemerkung
zugehoͤre: dafuͤr aber, daß Leſſing Klotzen eine Be-
merkung lieh, ſchenkt dieſer ihm großmuͤthig eine
Verbeſſerung: „Entgegengeſetzte Zeugniſſe der
„Schriftſteller und Beiſpiele der Kuͤnſtler beſtim-
„men mich,
dieſer Beobachtung engere Graͤnzen
„zu ſetzen, und ſie blos auf oͤffentliche Denkmaͤler
„einzuſchraͤnken. —„ Die Verbeſſerung in ih-
rem Werthe und Unwerthe, was thut dies auf die
Muͤn-
[85]Drittes Waͤldchen.
Muͤnzen? gehoͤren die auch zu den oͤffentlichen
Denkmaͤlern, die nichts, als das Schoͤne, bildeten?


Allerdings, ſagt Hr. Kl. a) „Auf alten
„Muͤnzen ſinden wir weder haͤßliche, noch ſchreck-
„liche Vorſtellungen. Zwei derſelben zeigen uns die
„Furien: aber in welcher Geſtalt? Nicht mit den
„furchtbaren Geſichtszuͤgen, welche der Grimm
„auf neuern Werken vorſtellt. Blos Fackeln und
„Dolche zeigen dieſe Goͤttinnen an. Uebrigens iſt
„auch die Muͤnze, welche die Einwohner Antio-
„chiens zu Ehren des juͤngern Philipps haben ſchla-
„gen laſſen, aus der Zeit, da die Bluͤthe der
„Kuͤnſte laͤngſt verſchwunden und mit ihr zugleich
„der Begriff der Schoͤnheit aus den Seelen
„der Sterblichen entwichen war.
Wie un-
„gleich ſind hierinnen die neuern Stempelſchneider
„den Alten.„ Offenbarer geſagt kann nichts ſeyn.
Es werden in der Folge b) an dem himmliſchen
Geſichte der Meduſe ſo gar die Schlangen in Er-
waͤgung gezogen, und aus vier verſchiednen Urſa-
chen gerechtfertigt, daß „dieſe ein Sinnbild des
„Wohlthuns und des Heils geweſen, daher ſie
„viele Goͤtter zur Symbole gefuͤhret, daß Ho-
„garth
in ihnen das Wellenfoͤrmige Schoͤne ſuche,
„daß ſie mehr zieren, als verſtellen: daß endlich
„und inſonderheit Griechen und Roͤmer uͤber dieſen
F 3„Punkt
[86]Kritiſche Waͤlder.
„Punkt ein von dem unſern ganz verſchiednes Ge-
„fuͤhl, einen ganz beſondern Schlangenappetit ge-
„habt;„ und der Recenſent des Herrn Klotz, (bei
dem diesmal ſeine zaͤrtliche Liebe gegen den Herrn
Verfaſſer uͤber ſeine großen Einſichten und ſcharfe
Beurtheilungskraft im Kampfe die Oberhand be-
halten) findet eben die letzte Bemerkung von den
Schlangen gar nach dem Geſchmack der Alten,
vorzuͤglich wichtig. Jch kann alſo nach Hrn. Kl.
bis auf die Schlangen, bis auf zwo Muͤnzen mit
Furien nichts allgemeiners veſtſetzen, als „daß auf
„alten Muͤnzen ſich gar nicht, weder haͤßliche, noch
„ſchreckliche Figuren finden.„


Jch nehme indeß ein Paar Buͤcher zur Hand,
die Hr. Kl. zur Hand gehabt haben muß, weil er
ſie anfuͤhrt, und ſo zuerſt den lieben Beger: und
in ihm mehr als eine Vorſtellung auf alten Muͤn-
zen von Schweinen, fuͤrchterlichen Loͤwenhaͤu-
ptern
ohne die freundliche Mine der Meduſe, die
zum Kuͤſſen einladet, das bekannte unfoͤrmliche
Sinnbild Siciliens, drei Fuͤße, rings um ein
Haupt voll Schlangen, und andre, nicht eben ſo
unhaͤßliche, oder unſchreckliche Figuren, die Eule
der Minerva ungerechnet. Jch nehme Haym:
da Scorpionen, Elephanten, bruͤllende Loͤwen, Och-
ſenhaͤupter, Nachteulen, kaͤmpfende Schlangen: ſo
Geßner, ſo andre — keine Sammlung alter
Muͤnzen geht von ſolchen Vorſtellungen ganz leer
aus
[87]Drittes Waͤldchen.
aus — wenn ich nur dem Fleiße des Herrn ge-
heimen Raths nachfolgen und Bilderchen aufſuchen
wollte.


Ja, wird Hr. Kl. ſagen, das waren Sinn-
bilder von Staͤdten, von Laͤndern. Nicht alle,
und doch von griechiſchen Staͤdten? von griechi-
ſchen Laͤndern? doch Vorſtellungen auf griechi-
ſchen Muͤnzen? Sie ſtehen mit keinem mindern
Rechte darauf, als Furien nicht darauf ſtehen koͤn-
nen, weil ſie keine Schutzgoͤttinnen, keine Sinn-
bilder von Staͤdten waren.
Wie? weil Ga-
nymed
oder Antaͤus auf keiner Muͤnze Bild gibt:
wer wollte deßwegen deuten? Erſt beweiſe man,
daß Furien auf Muͤnzen gehoͤren, wenn, daß ſie
nicht da ſind, etwas beweiſen ſoll.


Ueberhaupt beſtimmet Herr Kl. das Allego-
riſche der Muͤnzen ſo, daß man ſieht, er habe vom
Muͤnzenartigen ſeltne Begriffe. Winkelmanns
Erklaͤrungen der Allegorie zu folgen, iſt gut; nur
ihnen mit Einſchraͤnkung auf Muͤnzen zu folgen,
noch beſſer. Da er ſeinen Verſuch von der Alle-
gorie uͤberhaupt fuͤr die bildenden Kuͤnſte, nicht
blos fuͤr die Muͤnzen, geſchrieben: ſo ſind ſeine Re-
geln ohne Beſtimmung auf dieſe zu lax, zu weit,
und nichts unſichrer, als der Klotziſche Satz: „die
„Pflichten des Malers ſind auch die Pflichten des
„Stempelſchneiders, nur daß jener ein geraͤumiger
„Feld hat.„ Um Gottes Willen nicht! die Alle-
F 4gorien
[88]Kritiſche Waͤlder.
gorien auf Muͤnzen haben ihre eigne Natur; ſie
ſind nicht etwa blos wie Malereien, der Kunſt
ſelbſt;
ſondern allemal der Deutung wegen da:
ſie ſind Mnemoniſch. Das Bild als Bild iſt
Nichts; der Sinn des Bildes iſt Alles. Jn al-
len Schriften wirft Hr. Klotz Muͤnzen, Gemmen,
Malereien, Statuen grauſam durcheinander; und
kaum kann Etwas verſchiedners an Natur, Zweck
und Geſetzen ſeyn! Ein Kunſtwerk iſt der Kunſt we-
gen da: aber bei einer Symbole, ſie ſei der Religion,
oder der politiſchen Verfaſſung, oder der Geſchichte
gewidmet, iſt die Kunſt dienend, eine Helferinn
zu einem andern Zwecke, ſo bei der Muͤnze. Laſ-
ſet uns alſo die Griechen nicht auf unrechte Art lo-
ben: ſie widerſprechen ſolchem Lobe, und es wird
Tadel auf ſie: es wird Unwiſſenheit fuͤr uns.


Auf der andern Seite, laſſet uns auch die
Neuern nicht ohne Urſache tadeln. Jch will ihre
„durch die haͤßlichſten Verzerrungen des Geſichts
„verunſtalteten Ungeheuer, die Hrn. Kl. vornehmes
„Auge beleidigen, das ſich an die griechiſche Schoͤn-
„heit gewoͤhnt hat„ nicht vertheidigen; aber ſo
billig ſollte man doch auch ſeyn, zu fragen: iſt
dieſes Ungeheuer die Haupt- oder nur eine Neben-
vorſtellung? Wenn z. E. ein Herkules, als Dra-
chentoͤdter, zum Sinnbilde der Tapferkeit da ſtuͤn-
de, und der Drache ſelbſt ein haͤßliches Ungeheuer
waͤre: nicht der Drache, der Drachentoͤdter iſt das
Bild,
[89]Drittes Waͤldchen.
Bild, und jener nur eine unterliegende Vorſtellung.
Daß die Alten eben ſo gedacht haben, bezeugen eine
Menge Gemmen, und Gemaͤlde, die ja doch ei-
gentlichere Kunſtwerke, als Muͤnzen, ſind —


Nebenfiguren alſo aber, wenn ſie auch ſelbſt Haupt-
figuren waͤren: noch ſind ſie auf Muͤnzen nichts,
als Revers; man kehre um, ſo hat man die Deu-
tung. Das ekle Auge meines Verfaſſers, das
ſich an Griechiſche Schoͤnheit gewoͤhnt hat, wird
am meiſten von hollaͤndiſchen Muͤnzen beleidigt.
„Die Zwietracht, die Tyrannei, die Grauſamkeit
„ſind als Ungeheuer mit der groͤßten Haͤßlichkeit
„vorgeſtellt„ und ſo gleich hat Hr. Kl. den bekann-
teſten Tadel ihrer Maler und ein Spruͤchlein aus
Hagedorn fertig, das hier ſo hingehoͤrt, als Fauſt
aufs Auge. Auch ich ſehe lieber das Schoͤne, als
das Haͤßliche, lieber das Liebliche, als Carrikatu-
ren; wie aber? wenn die Enthauptung Karls des
erſten durch kein lachendes Geſicht, und durch keine
Amors angedeutet werden konnte, und das wuͤten-
de vielkoͤpfichte Volk alſo als ein vielkoͤpfichtes
Schlangenungeheuer erſcheint — und neben an das
traurige Haupt des Koͤniges auf dem Boden —
wird da nicht die Vorſtellung von dem Sinne von
der Allegorie gleichſam verſchlungen? Und iſt dies
Bild denn anders geſchlagen, als um ſo verſchlun-
gen zu werden? und wird je eine Muͤnze als abſo-
lutes Kunſtwerk gepraͤget? Jſt ſie je unter den
F 5Grie-
[90]Kritiſche Waͤlder.
Griechen anders, als zum Denkmale gepraͤget wor-
den? — — Man denke ſich einen Autor, der ſo
ganz die erſten Grundſaͤtze der Kuͤnſte vergißt, der
ſo ſehr ihre Graͤnzen verwirret, und eben auf dieſe
Verwirrung den halben Theil ſeines Buchs bauet,
wie ſchief, wie elend wird er bauen? Alle dieſuͤßen
Anmerkungen uͤber die Griechiſche Lieblichkeit und
Schoͤnheit ſind entweder hier Halbſachen, oder Hr.
Kl. kennt die Natur der Muͤnzen halb. Er nimmt
ſie als Kunſtwerke und nicht als Denkmale; die
Kunſt bei ihnen nicht als Huͤlfsmittel des bedeuten-
den, den Kuͤnſtler nicht als Handarbeiter — ſo
ſchreibt er von ihnen, und verkennet ihre Natur.


Und das iſt Alles, was Hr. Klotz unter den
Griechen fand, um ihnen ihren Rang im Muͤn-
zengeſchmacke zu geben? — ja! und unter den
Roͤmern an ihrem Theil nichts beſondres? Wenig,
als eine ſichre Parallele mit den Griechen, die hier
nicht hingehoͤrt, und uͤber die ich zu anderer Zeit
reden werde. Und nichts beſtimmtes an Urſachen,
die den guten Geſchmack herunter gebracht? Nein!
und nichts vom Diplomatiſchen, Heraldiſchen und
Rechtlichen Urſprunge unſers Muͤnzengeſchmacks?
Auch nein! — O des ſonderbaren Beitrages zu
einer Geſchichte!


6.


„Jch thue dem Verfaſſer vielleicht Unrecht:
„Ein Beitrag kann ja ſo viel oder ſo wenig beitra-
„gen
[91]Drittes Waͤldchen.
„gen, als er will.„ — — Ei! ſo muß Hr.
Klotz nicht großſprechen: denn wie er jetzt an-
kuͤndiget, hat er uͤber einem weit weitern Thema
gearbeitet, als ich geſucht habe — nicht blos an
einer Geſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen, ſon-
dern gar an einer Geſchichte des Geſchmacks und
der Kuͤnſte bei einem Volk aus Muͤnzen.
Die-
ſen Faden will er uͤber die merkwuͤrdigſten Perio-
den der Geſchichte, uͤber Voͤlker und Zeiten verfol-
gen, und aus ihnen liefern eine Geſchichte des
Geſchmacks und der Kuͤnſte uͤberhaupt aus
Muͤnzen.


Das iſt freilich noch mehr! auf einer Muͤnze
mag ſich immer der Geſchmack einer Nation offen-
baren doͤrfen: aber daß ſie eigentlich eine Tafel des
Geſchmacks einer ganzen Nation vorſtellen ſollte,
vorſtellen muͤßte? — dem erſten Anblicke ſcheint
das ſchon gewagt. Auf einer Muͤnze mag ſich
immer Kunſt, und wenn man will auch Kuͤnſte,
offenbaren doͤrfen; daß ſie aber eigentlich eine
Zeuginn uͤber die Kunſt, ja uͤber die Kuͤnſte ſeyn
ſollte, ſeyn muͤßte — noch gewagter: und das
iſt doch „die Ausfuͤhrung der Sache, die ich mir
„vorgeſetzt habe. Meine Abſicht iſt aus den Muͤn-
„zen gleichſam eine Geſchichte des Geſchmacks und
„der Kuͤnſte zuſammenzuſetzen, und ihre Bluͤthe,
„oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen.
„Jch werde daher u. ſ. w. — —„ Mich duͤnkt,
der
[92]Kritiſche Waͤlder.
der Verfaſſer uͤbernahm, was niemand, als etwa
ein Sohn der Sibylle, ausfuͤhren kann.


Die ſchoͤne Griechiſche Muͤnze, und freilich
laͤßt ſich viel daraus erſehen. Das Volk, dem
ſie gehoͤrt, muß gebildet ſeyn, Commerz haben;
Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben;
Zeichner und Stempelſchneider haben, oder gehabt
haben: das ſehe ich. Traͤte ich auf ein fremdes
Eiland und faͤnde Muͤnzen, von denen ich vermu-
then koͤnnte, daß ſie kein Fremder verlohren: ſo
waͤren dieſe Muthmaaßungen fertig. Aber eine
Geſchichte ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte, den
Jnbegriff ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte —
unmoͤglich. Ob ſie Dichter oder Weltweiſe, Bild-
hauer, Tonkuͤnſtler und Taͤnzer neben ihren Stem-
pelſchneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Ge-
ſchmacks ihnen eigen oder einer Colonie, ob ein
langes oder kurzes Drama geweſen, ſehe ich das
aus einer Muͤnze? Und iſt nicht eben dieſe frap-
pante Jntonation: ich will aus Muͤnzen eine Ge-
ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte geben!
nach allen Zeitungspanegyren auf Hr. Kl. ſein er-
ſtes Verdienſt bei dieſem ganzen Buche? Jndianer,
Perſer, Araber! was kann man aus euren Muͤn-
zen nicht weiſſagen?


Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die
ganze Menge Griechiſcher Muͤnzen: und zwar,
welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeit-
folge
[93]Drittes Waͤldchen.
folge nach und neben einander — allerdings kann
man jetzt vieles auf die Nation ſchlieſſen, was Ge-
ſchichte, Regierung, Beſchaffenheit ihres Landes,
ihre Kleider, Waffen, Gebraͤuche, Gebaͤude, Re-
ligion und dergleichen anbetrift. — Hieraus laͤßt
ſich ohngefaͤhr ein Nationalcharakter bilden, der
viel in ſich hielte, aber keine Geſchichte des Ge-
ſchmacks und Kuͤnſte? — ich wollte, daß ein Nu-
miſmatiſcher Goguet ſo ein Werk ſchriebe. Wohl-
verſtanden, daß er in ſeinen Schluͤſſen keinen Schritt
vergebens thue, bei jedem den Grad der Wahr-
ſcheinlichkeit in Maas nehme, und den ſeltnen Phi-
loſophiſchen Genius haͤtte, einzelne Data niemals
zu allgemein zu generaliſiren, noch auch dieſſeit des
Ziels ſtehen bleibe, auf welches man zu ſchließen
koͤnnte — waͤre dies, was ſich bey Hrn. Kl. faſt
alles im Gegentheile zeiget: ſo haͤtte man freilich
„eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte bei
„den Griechen aus Muͤnzen„, aber auch zugleich
ein in Beiſpiele gebrachtes Lehrbuch der hiſtoriſchen
Wahrſcheinlichkeit, eine Logik hiſtoriſcher Schluͤſſe,
nicht ſolch eine Sammlung kahler Allgemeinſaͤtze,
als dies iſt.


Vorausgeſetzt wird hier zum Grunde der gan-
zen Schlußfolge: daß die Griechen auf der Bahn
ihrer Kultur ſelbſt fortgegangen, nicht etwa von der
unſichtbaren Macht fremder Voͤlker darauf fortge-
trieben, und umhergeſtoßen ſeyn, daß alſo aus
ih-
[94]Kritiſche Waͤlder.
ihrem Laufe die Kraft der Nation mit Grunde be-
rechnet werden koͤnne. Was es fuͤr Fehlſchluͤſſe
gebe, dieſen Lauf anzunehmen und zu berechnen,
wo er nicht iſt, werde ich an anderm Orte an den
Griechen zeigen; hier die Roͤmer.


Aus der Roͤmiſchen Muͤnzenfolge eine Ge-
ſchichte ihres Geſchmacks und der Kuͤnſte iſt durch-
aus truͤglich: denn nicht ſie, eine fremde Nation
iſts, die durch ſie wirket. So viel aus ihren
Muͤnzen geſchloſſen werden mag; auf ihren Ge-
ſchmack und Liebe zu den Kuͤnſten wenig. Was
in dem Roͤmiſchen Geſchmacke und Kuͤnſten denn
eigentlich Roͤmiſch, was hingegen nur von Grie-
chen geformt nach der Roͤmer Weiſe geweſen?
wo die Roͤmer ſelbſt gedacht, und gearbeitet, oder
nur denken und arbeiten laſſen? verliert ſich in den
Schatten, und iſt dies nicht eben das Hauptlicht
„einer Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte
„Roms aus Muͤnzen?„ Wie? wenn die Grie-
chen bis auf jedes Einzelne verlohren gingen, wie
wuͤrden die Roͤmer nicht Siegprangen? Da ſie
aber nicht verlohren ſind, da wir aus andern Quel-
len, als aus Muͤnzen, es wiſſen, wie ſehr ſie in
den Geſchmacks - und Kunſtlauf der Roͤmer un-
ſichtbar eingewirkt: welchen Behaupter wird das
nicht zweifelhaft machen, aus Muͤnzen ihre Ge-
ſchmacks- und Kunſtgeſchichte zimmern zu wollen?


Die
[95]Drittes Waͤldchen.

Die Zeit der ſo genannten Gothiſchen Muͤn-
zen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Roͤ-
mer weder an Geſchmack, noch an Kunſt, noch
an irgend Etwas geweſen: das ſieht der Blinde;
ja es laſſen ſich die Urſachen ſo gar einſehen, war-
um ſie nicht das Eine, nicht das Andre, haben ſeyn
koͤnnen? Es laͤßt ſich ſo gar der falſche Geſchmack,
der dieſe Voͤlker angefuͤllt, nach ſeinem Urſprunge
und Geſchichte berechnen; und ob ich gleich kein
Polykarp Lyſer bin: ſo wuͤnſchte ich dieſen Zeiten
einen ſolchen Berechner, aber einen, der ſich vor
dem Namen der Barbarei nicht ſcheue, noch dies
Wort ſo uͤberhin nehme, als wir gemeiniglich im
Zeitlaufe der Geſchichte, wenn wir aus Griechen
und Roͤmern, voll von ihrem Geſchmacke, kom-
men, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklaͤrer iſt mehr
als Tadler; und der muß er ſeyn, weil unſer Erbge-
ſchmack alle ſein gutes Herkommen von daraus
ableitet.


Wieder alſo ein Beitrag zur Geſchichte des
Geſchmacks und der Kunſt? Jmmer ja! da die-
ſem Zeitpunkte aber ſein Geſchmack und ſeine Kunſt
nicht ſo ganz eigenthuͤmlich, da die Litteratur die-
ſer Voͤlker ſo verdorben, als ſie ſey, urſpruͤng-
lich eine fremde Colonie iſt, die ſich im Stillen mehr
oder weniger ausgebreitet haben kann: ſo wird,
nach Maaß dieſer Ausbreitung, in eben dem Maaße
auch eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt
aus
[96]Kritiſche Waͤlder.
aus Muͤnzen unſichrer. Es iſt keine Hypotheſe,
es iſt eine von den Kennern der mittlern Zeit
laͤngſt angenommene Sache, daß die Reformation
der Wiſſenſchaften wahrhaftig nicht mit einmal los-
gebrochen: ſondern lange im Stillen genaͤhert, ge-
wachſen, gereift ſey. Und eben dieſer Fortgang
des ſtillen Wachsthums iſt der auf Muͤnzen be-
merkbar? Galt hier nicht einmal fuͤr alle Herkom-
men, Nationalgeſchmack, der bleierne Druck des
Zeitgeiſtes? unter dieſem konnte nicht immer viel
reifender guter Geſchmack liegen, der ſich nur
nicht aͤußern dorfte, und am wenigſten ja auf Muͤn-
zen zuerſt aͤußern konnte? galt wohl auf dieſen et-
was mehr, als Herkommen, das Joch des Jahr-
hunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Ge-
ſchichte des Geſchmacks, wo ich dieſe reifenden,
ausbrechenden Saamenkoͤrner verliere? Wie oft
kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuver-
laͤßig ſchlieſſen?


Endlich die neuere Muͤnzgeſchichte, und eben
ſie iſt die unzuverlaͤßigſte auf einer Geſchichte des
Geſchmacks und der Kuͤnſte bei ganzen Voͤlkern
und Zeiten. Jn dieſen iſt die ganze ſchoͤnere Nu-
miſinatik ein Zweig Griechiſcher und Roͤmiſcher
Zeiten, in die Geſchichte des damaligen Zeitge-
ſchmacks eingepfropfet; nichts weniger aber, als
ein im Boden des Jahrhunderts ſelbſtgewachſener
Stamm. Bilderſchrift, Sprache und Kunſt iſt
Nach-
[97]Drittes Waͤldchen.
Nachahmung der Alten: immerhin alſo eine Zeu-
ginn, daß der Urheber dieſer Muͤnze die Alten ge-
kannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch
nichts weiter. Ob der gnaͤdigſte Fuͤrſt, der auf
der Muͤnze ſteht, und dem Urheber und Kuͤnſtler
ſeinen guten Geſchmack allergnaͤdigſt vergoͤnnet;
ob jedermann, der dieſe Muͤnze in ſeiner Taſche
getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk
und Zeit, eben den Geſchmack gehabt, iſt dem
erſten Anblicke nach die abentheuerlichſte Folge.
Wie kunterbunt wuͤrde doch in den neuern Zeiten
die Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte lau-
fen, wenn hie und da ein einzelner guter Medail-
leur, ein Antiquitaͤtenprofeſſor, dem eine Muͤnzen-
allegorie und Jnſchrift geraͤth, ſo gleich ein Zeuge
ſeyn ſollte: wie ſehr ſein durchlauchtiger Herr den
Geſchmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet ſein
Jahrhundert im Geſchmack und in Kuͤnſten gewe-
ſen? — faſt nichts kann mehr Mitleiden verdienen,
als dieſe Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedun-
gener gegluͤckter oder verungluͤckter Muͤnzenſchmidt,
ein Schulfuchs, der ſeinen lieben Alten eine Alle-
gorie und Aufſchrift entwenden kann — der ein
Ruͤſtzeug fuͤr den Geſchmack und die Kuͤnſte ſeiner
Zeit, der ein Apollo und Praxiteles ſeines Jahr-
hunderts an die Nachwelt? Schoͤner Apollo!
Ohne daß ſein Jahrhundert vielleicht ihn verſteht,
beurtheilt, ſchaͤtzet, ſoll er ihren Geſchmack und
GKunſt-
[98]Kritiſche Waͤlder.
Kunſt predigen — Was fuͤr ein leichter Wegweiſer
zum Tempel des Geſchmacks, und zur Unſterblich-
keit iſt doch der Geſchmackvolle unſterbliche Klotz!


Eben ſo unbegreiflich iſt die Gegenſeite der
Schlußfolge auf den boͤſen Geſchmack neuerer Zei-
ten und Voͤlker aus Muͤnzen. Ein Land, das
einem Staatsſyſteme, einem Cerimoniel, einem
Herkommen alter Jahrhunderte von boͤſem Ge-
ſchmack unterworfen iſt: eine Zeit, deren Religion
hoͤhere und geiſtigere Zwecke hat, als in Allegorien
auf Muͤnzen zu paradieren: ein Volk, deſſen Spra-
che faſt vortreflich, wiſſenſchaftlich und genau ſeyn
kann, nur daß ſie, gerade aus geſagt, keine Muͤnzen-
ſprache iſt: eine Nation, deren Merkwuͤrdigkeiten
eben ſo verwickelt von der politiſchen Wiſſenſchaft
ſind, daß eine einzelne Muͤnzenſymbole ſie nicht
vorſtellen kann, ein Volk, das aus der verbluͤm-
ten Bilderzeit hinaus, Wahrheit ſuchet, und Wahr-
heit findet: ein Volk endlich, in dem die Muͤnzen
und der Geſchmack auf demſelben durchaus fuͤr kei-
ne Produktion des Publikum gelten kann — ein
ſolches Volk ſoll ſich ſeine Geſchichte des Geſchmacks
und der Kunſt aus Muͤnzen weiſſagen, ſich ein
Buch durch mit einem andern, deſſen Numiſma-
tik Himmelweit von der ihrigen abliegt, haͤmiſch
vergleichen laſſen? wer iſt Buͤrger dieſes Volks,
und ſagt nicht: vnde mihi lapides?


Nun
[99]Drittes Waͤldchen.

7.


Nun ſo arg kann es doch Hr. Klotz nicht ge-
macht haben, da ihm ja oͤffentlich ſo viele Ehren-
ſaͤulen ſchwarz auf weiß geſetzt ſind, ihm, dem
Patrioten, der fuͤr den Geſchmack ſeiner Nation,
ſeines Vaterlands eifere — — o ja! Eifern iſt
gut, aber wohin kann Eifer nicht fuͤhren? ich habe
im vorigen Abſchnitte mich nicht durch ſeine Bey-
ſpiele unterbrechen wollen: laſſet uns ſeiner Gedan-
kenreihe folgen.


„Ueberhaupt koͤnnen wir die bildenden Kuͤnſte
„als verborgne Verraͤtherinnen der Denkungsart
„desjenigen anſehen, welcher ſich mit ihnen beſchaͤf-
„tiget. Die Wahl des Gegenſtandes und die Be-
„arbeitung deſſelben mahlen uns den Kuͤnſtler
„auf eine ihm ſelbſt unbemerkte Art. Ein Werk
„eines Kuͤnſtlers iſt oft eine noch getreuere Schil-
„derung ſeines ſittlichen Charakters, als eine
„Schrift das Bild des Schriftſtellers. Wir le-
„ſen in jenem noch deutlicher, als in dieſer, die Trieb-
„federn, die den Geiſt des Kuͤnſtlers in Bewegung
„geſetzt und die Neigungen, welche gleichſam ſeine
„Hand geleitet a).„


So unbeſtimmt und Moderecht, als dieſer All-
gemeinſatz hier ſtehet, iſt er wieder blos das Meteor
von einer Bemerkung. Welche bildende Kuͤnſte
G 2ſind
[100]Kritiſche Waͤlder.
ſind Verraͤtherinnen der Denkungsart desjenigen,
der ſich mit ihnen beſchaͤftigt? Ohne Zweifel, die
ihm Wahl, Eigenheit, und Eigenſinn erlauben:
Dieſes ſind nicht alle in einem Grade, ja die voll-
kommenſten der bildenden Kuͤnſte erlauben am we-
nigſten. Die Bildhauerkunſt, die Baukunſt hat
bei ihren Jdealen ſo hohe und ſtrenge Regeln, daß
es wohl kaum dem Kuͤnſtler frei ſtehet, mit der
Kunſt gleichſam zu buhlen, die eine goͤttliche koͤnigli-
che Juno iſt. — — Die Malerei, die in Allem
ungemein viele Eigenheiten, Veraͤnderungen, und
willkuͤhrliche Pinſelſtriche erlaubt, mag an ihrem
Theile eine verborgne Verraͤtherinn der Denkart
ſeyn, als alle Sibyllenbruͤder wollen: die Mode-
beiſpiele, die Hr. Kl. anfuͤhrt a), vom ſanften
Raphael und vom ernſthaften Angelo, vom hitzi-
gen Hannibal Caraccio und vom ſchreckhaften Ribe-
ra, und vom niedrigen Brouwer, vom verſaͤum-
ten Kupetzki, und vom fuͤhlbaren Vandyk —
alle dieſe Taſchenraritaͤten, mit denen er ſich ſo gern
umher traͤgt, ſind aus ihr, der Malerei, und in ſo
gutem Tone ſie auch moͤgen geſagt ſeyn, was gehen
ſie an die Muͤnzkunſt? Unter allen kann dieſe am
wenigſten vom Kuͤnſtler verrathen: ſelten iſt der
Erfinder der Medaille auch der Zeichner, der
Stempelſchneider, der Arbeiter: meiſtens iſt dieſer
nur der Handarbeiter von dem Kopfe des erſten —
und
[101]Drittes Waͤldchen.
und wie nun? daß die Muͤnze „eine noch getreuere
„Schilderung ſeines ſittlichen Charakters ſeyn ſoll,
„als eine Schrift das Bild des Schriftſtellers„
welch ein Dunft! — Unter allen bildenden Kuͤn-
ſten iſt das Muͤnzengepraͤge am wenigſten freies
Kunſtwerk.
Landesherrſchaftliches Hoheitszei-
chen, Denkmal einer Begebenheit, veranlaßte
Symbole — alſo der Hofherrlichkeit, der Ge-
ſchichte, des Bedeutenden wegen, dazu iſts. Das
Schoͤne tritt zuruͤck, und wie weit hinten nach die
freie Wahl des Kuͤnſtlers? die Willkuͤhr ſeiner
Bearbeitung? ſeine Denkungsart? zudem die
Triebfedern, die ihn in Bewegung geſetzt? zudem
gar ſein ſittlicher Charakter? und gar deutlicher,
als eine Schrift das Bild des Schriftſtellers mah-
let? Das alles, liebe Goͤttinn Moneta! auf einer
Muͤnze! O der erleuchtete Muͤnzenſchauer!


Es iſt nicht gut, daß es dem Verf. beinahe zur
Gewohnheit geworden, die Gedanken andrer ſo anzu-
fuͤhren, daß ſie ſich ſelbſt kaum mehr aͤhnlich ſehen,
und ſo ſelbſt mit ſeinen Leibautoren. Hier a) citirt er,
z. E. ſo ſeltſam und weitſchweifig, als der verſpottete
b) Grillo ſeinen Pindar nicht beirufen kann, um eini-
ge Seiten des unbeſtimmteſten Gemiſches zu beſtaͤti-
gen: „So wahr iſt der Ausſpruch eines Mannes,
„welcher die tiefen Einſichten und alle Eigenſchaften
G 3„eines
[102]Kritiſche Waͤlder.
„eines großen Genies„ u. ſ. w. — wie? und die-
ſer wirklich große Mann ſollte mit ſeinem Ausſpru-
che das vorhergehende Getuͤmmel von Halbwahr-
heiten beſtaͤtigen? Er es beſtaͤtigen, daß alle bil-
dende Kuͤnſte uͤberhaupt als verborgne Verraͤthe-
rinnen der Denkungsart desjenigen ſind, der
ſich mit ihnen beſchaͤftigt? Er es beſtaͤtigen, daß
Ein Werk eines Kuͤnſtlers eine noch getreuere
Schilderung ſeines ſittlichen Charakters (ſeines
ſittlichen Charakters!) ſey, als eine Schrift das
Bild des Schriftſtellers? Er die erniedrigende Be-
ſichtigung anrathen, in einem Kunſtwerke die Trieb-
federn leſen zu wollen, die den Geiſt des Kuͤnſtlers
(wie eines Tagloͤhners) in Bewegung geſetzt, und
die Neigungen, welche ſeine Hand geleitet? Er
mit dem Geiſt erſehen zufrieden ſeyn, in Kunſt-
werken nichts ſo eigentlich, als das vornehme oft
ſo unverſtandne Wort: ſittlicher Charakter! ſehen
zu wollen? — So ſchielende Anfuͤhrungen, die
Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat,
entehren, und einen von Hagedorn entehren ſie
doppelt. — — Wir wollen es unterwegens laſ-
ſen, aus der Lippe Leopolds des großen auf ſeinen
Muͤnzen den ſittlichen Charakter, die Triebfedern,
die Neigungen, den Geiſt, die Denkungsart ſeines
Stempelſchneiders zu weißagen.


Jch wuͤnſche unſrer Zeit, die ſich beinahe dar-
ein verliebt hat, aus Dichtungs- und Kunſtwerken
den
[103]Drittes Waͤldchen.
den ſittlichen Charakter des Dichters und Malers
zu ſtudiren, einen zweiten Leſſing, der die Graͤnze
zwiſchen Dichtkunſt und perſoͤnlicher Sittlichkeit,
zwiſchen Kunſtwerk und Charakter ſcheide. Auf
den Muͤnzmeiſter aber, der ſeine Denkungsart auf
Muͤnzen offenbaret, wird der ſich wohl nicht einmal
herablaſſen wollen und doͤrfen: denn dieſer wiſcht
durch die Haͤnde. — — Das war der Kuͤnſtler und


2. Der Fuͤrſt.a) „Auf eine zwar ver-
„ſchiedne, aber eben ſo deutliche Art ſcheint der
„Fuͤrſt, welcher die Bilder zu Muͤnzen entwirft
„und die Aufſchrift dazu ſetzt, ſeine Denkungsart
„an den Tag zu legen.„ Und wie viel Fuͤrſten
ſinds denn, die Bilder zu Muͤnzen entwerfen, und
die Aufſchrift dazu ſetzen? Und wenn ſie es thun,
wie werden ſie ſich auf Denkmaͤlern anders ſchil-
dern, als ſie ſich der Welt und der Ewigkeit zeigen
wollen? Worauf kann ich alſo mit Zuverlaͤßigkeit
ſchließen? Da auſ alten Muͤnzen ſelbſt die ent-
ſchloſſenſten Geſchichtforſcher aus der Numismatik
nicht Herz gnug gehabt, jede Vorſtellung eines
Kaiſers oder Koͤniges fuͤr ein Sinnbild ſeines Cha-
rakters anzunehmen: wie? ſo haͤtten wirs bei den
Neuern? Was fuͤr eine einfoͤrmige und falſche
Charakteriſtik, der Fuͤrſten ihre Denkungsart
(man uͤberdenke den wichtigen Namen) aus ihren
G 4Muͤn-
[104]Kritiſche Waͤlder.
Muͤnzen zu ſtudiren? Welcher roͤmiſche Tyrann
waͤre alsdenn nicht Vater des Vaterlandes? Wel-
cher ſchlaͤfrige Monarch neuerer Zeiten nicht auf
ſeinen Muͤnzen thaͤtig, tapfer, groß und edel?


Statt daß man die Wahrſagungskunſt des
Hrn. Kl. aus Muͤnzen durch einen Kontraſt neuer
und alter Beiſpiele laͤcherlich machen koͤnnte: will
ich im ganzen Buche ſeine Beiſpiele aufſuchen, da
er mit der geheimnißvollen Mine eines Weißagers
herantritt: ei doch! habe ich nicht getroffen? —
Nur ei doch! daß ich nicht lauter Meteoren von
praͤchtigen Perioden abſchreiben muͤßte: „der go-
„thaiſche Ernſt
a), welcher ſeinen Unterthanen da
„ein Muſter gab, wo er ihnen keine Geſetze geben
„konnte, ſchaͤmte ſich nicht, auch auf ſeinen Muͤn-
„zen zu bekennen, daß er ſich uͤberzeugt habe,
„es ſei das Gluͤck und die Pflicht eines Fuͤrſten, ein
„Freund und Verehrer der Religion zu ſeyn. Wir
„leſen auf ſeinen Muͤnzen den Charakter eines Prin-
„zen, der ſeinen ehrwuͤrdigen Beinamen, welchen
„der Kaiſer Ludwig durch Einfalt und thoͤrichte
„Freigebigkeit von den Moͤnchen erkaufen mußte,
„durch die Rechtſchaffenheit ſeines Herzens erlangt
„hat, und deſſen vortrefliche Geſinnungen deſto groͤſ-
„ſere Hochachtung verdienen, da er ſie nicht aus
„einer Schwachheit und einem Unvermoͤgen im
„Nach-
[105]Drittes Waͤldchen.
„Nachdenken angenommen hatte, ſondern weil er
„nach Pruͤfungen, deren ſein großer Geiſt faͤhig war,
„ſie fuͤr wahr gefunden.„ Welcher Parenthyrſus
von Denkungsart, den kaum ein Geſchichtſchrei-
ber, der ſein ganzes Leben vor ſich haͤtte, anſtim-
men ſollte, von Denkungsart, die kaum ſein Bu-
ſenfreund ſo unwiderſprechlich predigen wollte! o
was kann Hr. Kl. aus Muͤnzen nicht alles leſen?


Nun aber die Medaillen andrer Fuͤrſten, die
nach der Geſchichte auch rechtſchaffen und fromm
geweſen; ihre Muͤnzen indeſſen haben nichts aus-
zeichnendes und Schautragendes von Froͤmmig-
keit — was goͤlt’es, wenn man im Gegenſatze
unſres Autors ſie als Negativen charakteriſirte?
Nun alte Muͤnzen, die auch mit der Pietas pran-
gen: was goͤlt’es, wenn man im Tone unſres
Klotz ihre Froͤmmigkeit charakteriſirte? Was? wenn
man allen Fuͤrſten, die nicht wie Ernſt die Muͤn-
zen zu Heroldstafeln ihrer Froͤmmigkeit gemacht,
dieſe und die ewige Seligkeit ab -; allein denen, die
davon auf ihren Muͤnzen gepredigt, ſie zuſpraͤche —
Weißager! Weißager! wo kommen wir hin?


„Offenbahret ſich der Geiſt Ludewigs des
XIV, welcher ſeiner Ehrbegierde keine Graͤnzen
„wußte, und ihr mit Freuden Treue, Menſchen-
„liebe und das Wohl ſeiner Laͤnder aufopferte, nicht
„eben ſo deutlich auf den Muͤnzen dieſes Koͤnigs,
G 5„als
[106]Kritiſche Waͤlder.
„als in allen ſeinen Handlungen?„ a) Nichts
weniger! und mich wundert, daß ein Geſunder ſo
etwas behaupten koͤnne. Vielmehr iſt auf Muͤn-
zen nichts, als die Groͤße, die Tapferkeit, der Hel-
denmuth Ludwigs, recht das Jdeal eines Ludwigs
des Großen ſichtbar. Eine graͤnzenloſe Ehrbe-
gierde, eine freudige Aufopferung der Treue, der
Menſchenliebe, des Wohls ſeiner Laͤnder offenbart
ſich da nicht, und Ludwig wuͤrde es der Akademie
ſchlecht verdankt haben, wenn ſie ſo etwas auf
Muͤnzen haͤtte offenbaren wollen. Umgekehrt kann
beinahe kein Fuͤrſt ſeyn, deſſen wirkliche Handlun-
gen und Muͤnzvorſtellungen, was Geiſt, was Cha-
rakter anbetrift, uneiniger ſeyn koͤnnen, und Gnade
allen Koͤnigen und Fuͤrſten des Jahrhunderts Lude-
wigs und unſrer Zeit, wenn die Nachwelt ſo, wie
der Richter unſrer und der Vorwelt, Hr. Kl. aus
Muͤnzen ihr Urtheil faͤllen,
auf Muͤnzen Gei-
ſter ſehen, Charaktere kennen, Denkungsarten er-
forſchen, und ſo den Rang beſtimmen wollte. Wie
ſehr riefe alsdenn Ludwig vor allen Neuern her-
vor? und wie klein iſt oft die Veranlaſſung zu ſei-
ner praͤchtigſten Muͤnze.


„Mir wenigſtens, faͤhrt Klotz fort b), gibt
„die Akademie, welche dafuͤr bezahlt wurde, daß
„ſie ihren Stifter durch pralende Muͤnzen ver-
„gnuͤg-
[107]Drittes Waͤldchen.
„gnuͤgte, keinen geringern Beweis von der damals
„in Frankreich herrſchenden Schmeichelei und all-
„gemeinen Bemuͤhung, den Koͤnig leichtſinnig zu
„vergoͤttern, als jener Biſchof, welcher von dem
„Strome der Niedertraͤchtigkeit, als ihm Lud-
„wig —„ ich kann den Redneriſchen Ton bei dem
Geſchichtchen eines Biſchofs, der Ludwigen zu gefal-
len keine Zaͤhne haben will, nicht aushalten —
fuͤhlt denn Hr. Kl. nicht, daß dies eine Geſchicht-
chen ſein ganzes Syſtem der Hieroſcopie aus Muͤn-
zen umwerfe? Konnte eine ganze Akademie, die
dafuͤr bezahlt wurde, auf ihren Muͤnzen nichts als
ſchmeicheln? Kann eine Legion von Muͤnzen noch
ſo wenig Zeuginn uͤber den Charakter eines Prin-
zen werden: ein ganzes Jahrhundert beinahe konnte
im Strome praͤchtiger Luͤgen fortgehen — „ach
„Sire! wo findet man alsdenn jemand, der Zaͤhne
„hat?„ wer wird alsdenn den Charakter, die
Denkungsart, die Wahrheit eines Fuͤrſten aus
deſſen Muͤnzen leſen wollen?


Des Fuͤrſten Hauptbeſchaͤftigung etwa koͤnnte
man noch endlich aus vielen Muͤnzen, am liebſten
aus allen ſeinen zuſammen genommen, erſehen:
ohngefaͤhr die Richtung ſeiner Naſe und das Pro-
fil ſeines Geſichts. Aber Geiſt, Denkungsart,
hiſtoriſcher Charakter, Wahrheit? — Alle Muͤn-
zen haben gleichſam den Ton, den ſie als Muͤnzen
anſtimmen muͤſſen; ſo wie eine Epopee, eine Er-
he-
[108]Kritiſche Waͤlder.
hebung uͤber die Geſchichte, und das Drama eine
Erhoͤhung uͤber das gemeine Leben zum Weſen hat.
Wer nun eine Epopee zur Urkunde, und ein Dra-
ma zur Moral des Lebens machen kann, der ſtudire
auch die Geſchichte vom Geiſte und Charakter
eines Prinzen aus ſeinen Muͤnzen, und aus ſei-
nem Grabmonumente, wo, ohne noch an unter-
thaͤnige Schmeicheleien und Luͤgen zu gedenken,
beide ſchon ihren Ton, ihr Epos haben, der im-
mer, ja auch bey der wahrſten Aufſchrift, poe-
tiſche Natur hat, und keine hiſtoriſche Natur
haben will. — — Wie ſehr koͤnnte ein Fuͤrſt den
Hrn. Geheimdenrath in Verlegenheit ſetzen, aus
den Muͤnzen ſeiner Vorfahren die Geſchichte ihrer
Denkungsart zu entwerfen? Und zu folge dieſes
Grundſatzes wuͤrde ich ihm wahrhaftig nicht ſeine
Paraͤneſis uͤber die Muͤnzen neuerer Zeiten nach-
ſchreiben, um dieſe nach ſeinem Calcul zu charakte-
riſiren, und Augen zu zeigen, die nur ein Angelo,
Pietro di Cortona, Nikoſtratus, Addiſon und
Klotz haben!


Drittens aber gar, und endlich a): „Jch
„glaube nicht zu irren, wenn ich den moraliſchen
„Charakter gewiſſer Nationen und gewiſſer Zeiten
„auf den Muͤnzen ſuche, und entdecke.„ O ganz
goͤttlich! Weiß Hr. Kl. was eine Nation, eine
Zeit,
[109]Drittes Waͤldchen.
Zeit, ein moraliſcher Character einer Nation und
Zeit ſei: die Feder wuͤrde ihm entfallen ſeyn, da
er ſo etwas ſchreiben wollte. Nicht auf den mo-
raliſchen Charakter der Griechen und Roͤmer ein-
mal, als Zeiten, als Nationen betrachtet, laͤßt
ſich aus ihren Muͤnzen, aus allen ihren Muͤnzen
zuſammengenommen, ſchließen: und in neuern Zei-
ten, auf neuere Voͤlker, wo die Numiſmatik
beinahe ganz Privatſache, beinahe ganz hiſtoriſche
Urkunde iſt, im Tone des Herkommens, das auf
Muͤnzen einmal gaͤng und gaͤbe geworden — da
aus ihnen auf den moraliſchen Charakter ganzer
Nationen und Zeiten ſchließen? — O Logik! Lo-
gik! Logik!


Hr. Kl. fuͤhrt Beiſpiele a). „Die Gewalt des
„Aberglaubens und einer ſklaviſchen Unterwerfung
„gegen die Prieſter herrſcht in den Buͤchern und
„Briefen jener finſtern Zeiten eben ſo ſehr, als auf
„den Muͤnzen, welche die Fuͤrſten, vornehmlich in
„Deutſchland, damals ſchlagen ließen, als man
„theils zu ohnmaͤchtig und ſchwach war, ſich der
„geiſtlichen Herrſchaft zu widerſetzen, theils nach
„der wohlthaͤtigen Huͤlfe der Weltweisheit, dieſer
„Freundinn und Schweſter der Religion, entbehrte,
„um die Feſſeln des Vorurtheils zu zerbrechen. Jſt
„es zu verwundern, daß ein Zeitalter — nun kom-
„men
[110]Kritiſche Waͤlder.
men ein Paar ſchoͤne Poſſen, die ich uͤbergehe —
„— daß ein ſolches Zeitalter nichts lieber auch auf
„Muͤnzen ſah, als Kreuze, Schluͤſſel, Buͤcher,
„Biſchofsſtaͤbe und Kirchen. — —„ Der Viel-
wiſſer Klotz muß nichts wiſſen, was er wiſſen ſoll.
Wie? die mittelmaͤßigſte Kenntniß der mittlern
Geſchichte und Rechtsgelehrſamkeit, die diplomati-
ſche Stavrologie und Sphragiſtik, zeigt ſie nicht,
daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen
geweſen, das freilich im Anfange aus Aberglauben
aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg ur-
kundliche Gewohnheit, beſtimmtes Rechts - und
Hoheitszeichen u. ſ. w. blieb — wie alſo in jedem
Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf
Moraliſchen Charakter? Wie manche von dieſen
werden noch heut zu Tage ſigniret, wo ſie ihres
Orts ſind? und in den damaligen Zeiten ſollte man
ſie aus gutem Wohlgeſchmack unterlaſſen, ſich den
Haß der Geiſtlichen, und vielleicht die Unguͤltig-
keit der Gepraͤge zuziehen, die ſich dem Herkommen
nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz ſigniren,
wo es Zeit - und Landuͤblich war, als ein Thor und
ein Ketzer des guten Geſchmacks wegen ſeyn wollen?
Unzeitiges Anbringen des guten Geſchmacks zuerſt
auf einer Muͤnze, noch unzeitiger aber da, wo
alles Herkommen iſt,
guten Geſchmack ſuchen
und verurtheilen wollen — was in der Welt geht
uͤber die Halbkenntniß!


„Man
[111]Drittes Waͤldchen.

„Man hat den Hollaͤndern oft eine beleidi-
„gungsvolle Verachtung
gegen Koͤnige und Fuͤr-
„ſten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die
„Begierde, uͤber andre zu lachen und zu ſpotten ge-
„laſſen, ſo hat man doch die Artigkeit, Hoͤflichkeit,
„und den Anſtand von ihren Satyren getrennet.
„Die bei vielen Gelegenheiten in Holland erfunde-
„nen und geſchlagenen Muͤnzen beſtaͤtigen jenes
„Urtheil vollkommen.„ a) Aber wer hat ſie er-
funden? wer hat ſie praͤgen laſſen? gewiß nicht
die ganze Nation, uͤber deren ſittlichen Charakter
der Hr. Geheimderath nach dem Voͤlkerrechte ſo
billig urtheilt: oft Privatperſonen, und oft Frem-
de. Wer die Freiheit der hollaͤndiſchen Muͤnze
kennet, den Zuſammenfluß ſo vieler Nationen da-
ſelbſt, das Jntereſſe, das dies Volk des Commer-
zes wegen an den Begebenheiten der meiſten Laͤnder
hat, und denn die ehrliche Dreuſtigkeit, die ſich
der Hollaͤnder nimmt, ſeine Meynung heraus zu ſa-
gen, und denn die ehrliche Dreuſtigkeit andrer,
die ſich hinter dieſen Schirm verſtecken — der wird
ſich, ohne in den Loostopf der Sibylle greifen zu doͤr-
fen, die Menge ſatyriſcher Muͤnzen, die in Hol-
land herauskommen, erklaͤren koͤnnen. Wird er
aber auch den weiſen Schluß auf den Charakter
und zwar den moraliſchen Charakter der. Nation
„beleidigunsvolle Verachtung gegen Koͤnige und
„Fuͤr-
[112]Kritiſche Waͤlder.
„Fuͤrſten: Begierde uͤber andre zu lachen und ſpot-
„ten: Mangel der Artigkeit, der Hoͤflichkeit und
„des Anſtandes„ ich weiß nicht; wenigſtens kenne
ich den Hollaͤnder zwar als einen Menſchen, der
ſeinen trocknen Spotteinfall reinweg ſagt; aber als
ein Thier, das ſo begierig waͤre, uͤber andere zu
lachen und zu ſpotten, das eine beleidigungsvolle
Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤrſten eben zu ſei-
nem „moraliſchen Charakter„ haͤtte? — das mag
ein Hollaͤnder wiſſen.


Ueber Holland kommt Hr. Kl. an ſein liebes
Vaterland, um den ſittlichen Charakter deſſelben
aus Muͤnzen zu erklaͤren a). „Es war eine Zeit,
„da Deutſchlands Fuͤrſten es fuͤr eine Ehre hielten,
„groſſe Weinfaͤßer zu bauen, ſo wie etwan andre
„Fuͤrſten ſich beeiferten, ihren Geſchmack an der
„Bildhauerei und Baukunſt zu zeigen. Damit
„auch die Nachkommenſchaft die wichtige Geſchichte
„des Heidelbergiſchen Faſſes erfuͤhre, wurde dieſelbe
„im Jahre 1664. durch zwei Muͤnzen verewiget,
„wovon die eine mit den elendeſten Reimen ange-
„fuͤllet iſt. — — Jch als ein Deutſcher ſchaͤme
mich, den Schluß hieraus zu ziehen, welchen ein
„Auslaͤnder leicht machen wird.„ — — Nur
herausgeſagt! der Schluß ſoll vom Weinfaſſe einer
Muͤnze auf nichts minder, als den ſittlichen Cha-
rakter, den ganzen ſittlichen Charakter, die Denk-
kungs-
[113]Drittes Waͤldchen.
kungsart, den Geiſt der Deutſchen gehen: denn
Deutſchland verraͤth ſich ja gegen die Auslaͤnder hier-
mit ſo ſtark, daß Er, Hr. Kl., als ein Deutſcher,
ſich deßwegen gegen die Auslaͤnder faſt ſchaͤmet, ein
Deutſcher zu ſeyn. —


O welchem Leſer wird es nicht in die Laͤnge
unausſtehlich, mit mir durch alle die Schluͤſſe
hinzuſchleppen, die Hr. Kl. Laͤngelang ſeines Buchs
aus einigen Muͤnzen auf den Geſchmack ſeiner
Nation, ſeiner ganzen Nation ſo ſicher macht, als
waͤre er zum Dictator formandi guſtatus einhellig
von ſeinem Vaterlande gewaͤhlt. Mehr als ein-
mal iſt ſeine patriotiſche Schlußfolge: „was
„muͤſſen ſich nicht die Auslaͤnder von dem Ge-
„ſchmacke unſrer Großen fuͤr Begriffe machen, wenn
„ſie dergleichen Muͤnzen zu ſehen bekommen? doch
„ſie haben es uns leider! deutlich gnug geſagt,
„was ſie denken. a)„ Er wirft die Frage auf b):
wie es vor ſeiner Zeit um den Geſchmack in Deutſch-
land ausgeſehen? und beantwortet ſie durch eine
andre feine Frage: „wenn hat Deutſchland in ſeiner
„Sprache Schriftſteller bekommen, denen man
„von den Enkeln den Titel claſſiſcher Autoren
„unſers Vaterlandes verſprechen kann?„ Er iſt
zwar zu furchtſam, dieſe Epoche zu beſtimmen;
aber doch auch, wie er ſich hoͤflich ausdruͤckt, ſo
Hkuͤhn
[114]Kritiſche Waͤlder.
kuͤhn, zu ſagen, daß man nicht allzuweit zuruͤckgehen
muͤſſe. Er beſtimmt endlich, nach artigen Ver-
weiſen, dieſe Epoche mit dem Anfange ſeiner und
ſeiner Freunde Zeitalter, und ſchließt urploͤtzlich:
„Brauche ich mehr zu ſagen, um die Urſachen
„zu erklaͤren, warum die Erfindung und Vorſtel-
„lung auf ſo vielen deutſchen Muͤnzen ſchlecht,
„kindiſch, undeutlich, laͤcherlich ſey.„ Durch-
gaͤngig alſo ſieht er aus einer Muͤnze ſehr mitleidig
auf den Geſchmack ſeiner Nation herab, und wie
ſein Freund, und Beurtheiler c) uns verſichert,
iſt dies ein Eifer im patriotiſchen Tone, ein edler
Enthuſiasmus fuͤr ſein Vaterland. Eine andere
Bibliothek, d) die ſich ſonſt durch ein gruͤndliches
und kaltes Urtheil vor andern ſo ſehr auszeichnet,
haͤlt dem Verfaſſer eben in ſeinem artigen Tone
eine foͤrmliche lange Lobrede daruͤber, „daß er mit
„ſeinen geſchmackvollen Vergleichungen ſeine Lan-
„desleute eine ſehr laͤcherliche Rolle ſpielen
„laſſe. — —


Jch kann alſo nichts, als dem Hr. V. zu
ſeiner Logik, und Deutſchland zum Hrn. Verfaſſer
Gluͤck wuͤnſchen.


8.


1. Muͤnzen koͤnnen nicht eigentlich auf den
Geſchmack eines Volks, einer Zeit zeugen, wenn
das
[115]Drittes Waͤldchen.
das Muͤnzweſen nicht ein Werk des Volks und der
Zeit iſt. Nichts iſt deutlicher, als dieſe Ein-
ſchraͤnkung: nichts raͤumt auch mehr auf. Jn
Griechenland, zu den Zeiten der Republiken war
das Muͤnzweſen eine Sache des Publikum: die
Vorſtellungen waren entweder oͤffentlich beſtimmt,
oder wenn ſie neu beſtimmt wurden, ſo von der
Obrigkeit, die den Staat vorſtellte. Man konnte
alſo in gelindem Verſtande ſagen, dieſe waͤhlten
im Namen des Volks, das wenigſtens ihr Bild
und Aufſchrift kannte, beurtheilen konnte, und
vielleicht gebilligt hatte. — — Jn den Republi-
kaniſchen Zeiten Roms weiß man die ſtrengen
Muͤnzgeſetze, die kein Privatbild auf die Muͤnzen
zuließen. Jn dieſen Zeiten kann man noch ſagen,
daß die Muͤnzen ein Werk des Publikum; allein
man weiß auch, wie ſimpel und einfoͤrmig beinahe
ſie damals gerathen, da man in freien Republiken
nie gern ohne Noth Abaͤnderungen machet.


Zu den Zeiten einer Monarchie kann ſich aus
vielen Urſachen die Muͤnzenkunſt mehr aufnehmen:
allein um ſo uneigentlicher ſchon ein Werk des
Publikum. Unter einem Philippus, und Alexan-
der dem Großen, und den Ptolomaͤern, und den
Seleuciden, und den Caͤſaren ſind die Muͤnzen
vortreflich: ſie koͤnnen uͤber nichts als die Unver-
werflichkeit derer zeugen, denen der Hof die Muͤnz-
ſorge aufgetragen, und wenn man will, uͤber die
H 2Guͤte
[116]Kritiſche Waͤlder.
Guͤte des Hofgeſchmacks. Unter Ludwig XIV
war die Akademie der Jnſchriften das Publikum,
das Muͤnzen ſchuff — ſie dem ganzen Frankreich,
das ſie groͤßtentheils nicht verſtand, zur Laſt zu
legen, waͤre ungerecht. Zu Chriſtinens Zeiten
waren ihre Antiquitaͤtenlieblinge das gebildete
ſchwediſche Publikum, das ſich nach ihrer antiqua-
riſchen Koͤniginn bequemte. Und die Cultur Ruß-
lands aus den guten Muͤnzen zu berechnen, a) die
unter der Kaiſerinn Anna und andern geſchlagen, iſt
fuͤr Rußland eine ſehr leidige Ehre, die ihm ein
Mitglied der Akademie und ein Stempelſchneider
verſchaffen und verderben kann. Jch weiß, daß
Hr. Kl. alle dieſe Beiſpiele fuͤr ſich anziehet, und
in ſeinem ſuͤßen Molltone ſinget „wie genau mit
„der Verbeſſerung der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte
„in einem Lande auch eine beſſere Geſtalt der
„Muͤnzen verbunden ſey, koͤnnen wir unter andern
„auch aus Rußlands Beiſpiel ſehen u. ſ. w. Man
„mag mir immer einwenden, daß die Kuͤnſtler
„Auslaͤnder ſind: es zeigen doch allezeit jene
„Schauſtuͤcke den Geſchmack der Großen des Lan-
„des und die Liebe des Hofes zu den Kuͤnſten —„
und da er ſich alſo nichts einwenden laͤßt: ſo
zucke ich die Achſeln.


Hume ſoll fuͤr mich reden. Er macht bei
ſeiner vortreflichen Abhandlung von dem Urſprunge
und
[117]Drittes Waͤldchen.
und Fortgange der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften
gleich anfangs den Grundſatz: „was auf wenige
„Perſonen ankommt, muß großentheils dem Zufalle
„oder verborgnen und unbekannten Urſachen zuge-
„ſchrieben werden: nur was aus einer großen An-
„zahl herkommt, kann oftmals aus beſtimmten
„und bekannten Urſachen erklaͤret werden.„ Er
giebt von dieſem Grundſatze die ſcharfſinnigſten
Gruͤnde, und mit ihnen faͤllt das Gebaͤude des
ganzen klotziſchen Werks. Bei neuern Muͤnzen
kommt es nur auf zwo Perſonen an, einen Er-
finder und einen Kuͤnſtler: ſo iſt das Ding gut
oder boͤſe. Und wie kann hier der Zufall tyranni-
ſiren! Der Erfinder, vielleicht ein Mann von
Geſchmack und Wiſſenſchaft, iſt eben kein Muͤnzen-
kopf, er iſt ein Gruͤbler — die Muͤnze iſt ver-
dorben! Er hat eben jetzt ſein boͤſes Stuͤndlein:
ihm will kein Muͤnzeneinfall gluͤcken — verdorben!
Er hat in dieſem und dem Punkte ſeinen Eigen-
ſinn — verdorben! Er iſt ein Auslaͤnder, viel-
leicht durch einen Zufall dahingeſpielt, vielleicht unge-
ſchaͤtzt, vielleicht verachtet: vielleicht durch einen Zufall
zur Ehre, Erfinder zu ſeyn, gekommen: vielleicht
zu einem gluͤcklichen Einfalle, durch das Aufſchla-
gen eines Buchs, vielleicht in einem gluͤcklichen
Traume zu dieſem gluͤcklichen Einfalle gelanget,
ich weiß nicht, wie? — So auch ſein Kuͤnſtler:
ſie moͤgen ſich ſecundiren oder entgegenarbeiten —
H 3es
[118]Kritiſche Waͤlder.
es ſind zwo Privatperſonen: und ſie ſollen mit
ihrer Armſeligkeit fuͤr oder gegen den Geſchmack
eines ganzen Landes ſtreiten? — O Logik ohne
ihres gleichen!


Wenn aber viele Muͤnzen von einerlei Art - -
o ſo ſind auch viele Reihen von Zufaͤllen von einer-
lei Art: gnug! bei uns iſt keine Muͤnze national,
keine Sache des Publikum, ſo kann auch ihr
Zeugniß nicht oͤffentlich ſeyn. Der groͤßeſte Theil
des klotziſchen Buchs iſt auf dieſen Schluß gebauet,
und Gnade Gott dem Schluſſe. Er hat vermuth-
lich ſeinen Grund in den Augen, die Nikoſtratus
und Klotz, Michael Angelo und Klotz, Pietro di
Cortona und Klotz, Addiſon und Klotz hat, und
ſonſt niemand!


2. Nie kann etwas ein Zeugniß vom Ge-
ſchmacke
ſeyn, wenn es nicht ein freies Kunſtwerk
iſt, und das iſt die Muͤnze bey uns ſelten. Leſſing
hat die alten Religionskuͤnſtler von der Regel ſeiner
ſtrengen Kunſt beurlaubet, und Klotz redet ihm
zu Gefallen die Beurlaubung nach, die er doch
in allen ſeinen Schriften ſo ſchlecht anwendet.
Schon bei den Alten war die Muͤnze Symbole —
bei uns gar hiſtoriſch - politiſch - kirchlich - landes-
herrliche Urkunde — wer will ſie nach Geſetzen
der Kunſt richten? Geldeswerth tritt voran:
Herrſchaftszeichen hinten drauf: Denkmal der
Geſchichte alsdenn: nun erſt Symbole — und
nach
[119]Drittes Waͤldchen.
nach allem erſt Geſchmack: will dieſer ſich vor-
draͤngen, wie uͤbel kann er oft zuruͤckkommen. Jch
habe den Unterſchied gezeigt, ich mag ihn nicht
wiederholen.


Eben daher nimmt ſich in ſehr unabhaͤngigen
Monarchien, wo alles auf die Willkuͤhr und den
Geſchmack des Landesherrn ankommt, die Muͤn-
zenkunſt eben ſo leicht auf, als ſie in einem Lande
voll Fuͤrſten und Staͤnde, voll Staatsrecht und
Herkommen, wie z. E. Deutſchland iſt, dem
anderweitigen guten Geſchmacke unbeſchadet, leider!
zuruͤckbleiben muß. Jch wuͤnſchte, daß ein Mann
von Staatskunde zugleich der Lehrer des Geſchmacks,
der Koͤnige und Fuͤrſten geworden waͤre; die
Satyre meines Verf. uͤber Deutſchland ohne Ein-
ſicht in die deutſche Verfaſſung iſt mit nichts; als
der Satyre uͤber das deutſche Publikum, zu ver-
gleichen, die er ſelbſt an ſeinem liebſten Grillo ſo
ſuͤß verſpottet hat a).


3. So ſehr ich auch den Muͤnzen Geſchmack
wuͤnſche: ſo ſehe ich doch eine Reformation ihrer
am wenigſten als die Reformation eines Landes
an. Nach unſrer Verfaſſung kann von ihnen am
mindeſten der beſſere Geſchmack ausgehen, da ſie
nur durch das ſchwaͤchſte Band mit der Cultur
einer Nation in Wiſſenſchaften und Kuͤnſten zuſam-
H 4menhaͤn-
[120]Kritiſche Waͤlder.
menhaͤngen. Und nimmer - - doch gnug! die
klotziſche Schrift, ihrem Tone und Jnhalte, ihrer
Schlußart und Ordnung nach, zuſammt den Lob-
ſpruͤchen, die ſie ertheilt und erhalten, wird unſrer
Nachkommenſchaft eine ſo ſchoͤne Probe vom buͤn-
digen Geſchmacke unſrer Zeit geben, daß ich ihr
alſo mit gutem Herzen die Ewigkeit wuͤnſche, und
unwillig die Feder wegwerfe — —


— ſtatt des Beſchluſſes
ein Auszug aus einem Briefe. —


Nun das heißt Geduld! Sagen Sie mir
doch, welcher guͤtige oder unguͤtige Daͤmon ſie bei
einem Buche hat veſthalten koͤnnen, das fuͤr mich
eins der langweiligſten unſres Jahrhunderts gewe-
ſen? welcher Daͤmon ſie veſtgehalten, die Schluͤſſe,
die Schlußreihen zu entbloͤßen, die keine Schluͤſſe,
die die groͤßten Armſeligkeiten des feinen Geſchmacks
ſind, der von unerklaͤrlichen Empfindungen kommt,
und wieder zu unerklaͤrlichen Empfindungen hin-
eilet. — —


Und Jhre Analyſe dieſes Muͤnzenwerks ſoll
gedruckt werden? Sie wollen es wagen, den Ar-
tigſten unſrer Schriftſteller in dem Jaͤmmerlichen
zu zeigen, was er wiederkauet, in dem voͤllig
Unbeſtimmten, wie ers herlallet, in dem Unzu-
ſammenhangenden, wie er fremde halbverſtandne
Gedan-
[121]Drittes Waͤldchen.
Gedanken neben einander ſtoppelt? Und wiſſen
Sie denn nicht, wie ſich dieſer urbane Mann
betragen wird? Mit einer vornehmen Mine auf
ſie herab hohnlaͤcheln oder gar ſpotten: ſagen, daß
Sie aus unedlen Geſinnungen gegen ihn geſchrieben
haͤtten: daß Sie ihn nicht verſtanden: daß er ſo
etwas nicht habe ſagen wollen: kurz! ohne auf einen
Jhrer Gruͤnde und Vorwuͤrfe beſtimmt und gruͤnd-
lich zu antworten, wird alles dahin auslaufen,
daß es Jhm, und nur Jhm allein frei ſtehe,
ſo unbeſtimmt, ſo ſchielend, ſo ſehr mit frem-
den Federn zu ſchreiben, als er wolle.


Glauben Sie mir, Freund! ich weiß keinen
Deutſchen, der ohne alles A. B. C. der Wiſſen-
ſchaft, uͤber die er ſchreibt, ſo wie Klotz ſchreiben
kann. Jſt Jhnen im Muͤnzenbuͤchlein die Stelle
entgangen: mittelmaͤßige Kuͤnſtler muͤßten mit
guten zuſammen leben: ſo fodre es die Natur der
Dinge: ſo wie in einem Gemaͤlde neben große
Schatten große Lichter geſetzt werden
— ein
Mann, der ſo etwas ſchreiben kann, und doch
immer von Kunſt und Kolorit predigt, iſt der
nicht unter der Critik? u. ſ. w.



H 5II.
[122]Kritiſche Waͤlder.

II.


Ob das kritiſche Urtheil des Hrn. Klotz in alle
dem Vielfachen, woruͤber er urtheilt, uͤber-
all gleich gruͤndlich, und unpartheiiſch ſey? —
gruͤndlich und unpartheiiſch zugleich? — —
Jch glaube, der Leſer wird die Wahl ha-
ben — —


Act. litter. Vol. I. Pars. I. Die einzige Re-
cenſion dieſes Stuͤcks, die Geſchmack betrift,
waͤre die a) uͤber Hrn. Harles Vitas Philolo-
gorum, noſtra ætate clariſſimorum:
wie aber
hat Hr. Klotz dieſe Lebensbeſchreibungen mit ſo
vielem Lobe, ohne die geringſte Eroͤrterung ihres
hiſtoriſchen Baues, oder wie man jetzt ſpricht,
ihrer hiſtoriſchen Kunſt, als einen zweiten Ne-
pos in die Welt ſenden koͤnnen?


Jch nehme z. E. das Richtmaaß, nach wel-
chem die Bibliothek, b) die unter des naͤmlichen
Hrn. Klotz Aufſicht geſchrieben wird, die nicolai-
ſche Biographie Abts beurtheilt: und halte es an
die Biographie, die Harles von c) (nun wer kann
ſich mit allem kalten Blute denn rechtlicher und
billiger
[123]Drittes Waͤldchen.
billiger unter den Philologis noſtra ætate clariſſi-
mis
erwarten)? von Hrn. Klotz liefert:


Chriſtianus Adolphus Klotzius


Philoſophiaͤ et L. L. A. A. Magiſter, Profeſſor Philo-
ſophiaͤ in - - - - - Ordinarius Reu. Capitul. Wurc.
Capitul. Extraord. Poet. Caͤſ. Laur. Acad. Caͤſ.
Scient. Roboret, Soc. Altdorf. Teuton. Acad. Elect.
Mogunt. Scientiar. Vtil. Soc. Litterariaͤ Zittavienſ.
et latinaͤ Jenenſis collega.


Si — wuͤrde ich hinzuſetzen, wenn ich den
feinen Spaß wiederholen muͤßte, den Hr. Klotz
den Titeln ſeines lieben Burmanns zwiſchen
ſchiebt —


Si ante lucem ire occipias ab huius primo nomine,
Concubium ſit noctis, priusquam ad poſtremum
Perveneris —
()

Doch zur Sache!


Zuerſt nimmt ſich Hr. Harles den neuen und
ſeltnen Griff, das Bildniß ſeines Freundes ganz
aus — ſeinen poetiſchen Jugenduͤbungen zu ent-
werfen. Aus Gedichten? aus Jugenduͤbungen?
aus Nachahmungen eines fremden Originals einen
biographiſchen Charakter entwerfen? — Freilich
ſelten! unerhoͤrt! denn mit eben dem Rechte, da
Hr. Klotz jetzt aus ſeinen Gedichten der Laͤnge nach,
ein Stoiker, ein Weiſer, ein Held, ein Patriot,
ein
[124]Kritiſche Waͤlder.
ein Veraͤchter des Lebens u. ſ. w. wird: mit eben
dem Rechte wuͤrde ich ja einen Gleim, Wieland,
und Leſſing aus ihren Gedichten zu ganz etwas an-
ders machen; und wollten das die Herren Klotz
und Harles verantworten? Ja aus Hrn. Klotzens
Gedichten ſelbſt, wenn aus ihnen ſein perſoͤnlicher
Charakter gebildet werden ſollte, was wuͤrde Hr.
Kl. nicht alles ſeyn? Schon vor mir hats Abbt a)
bemerkt, daß ſich derſelbe in allen Gedichten
durchweg nicht einmal ſo treu bleibe, als ſich je-
der Dichter, dem einmal angenommenen Charak-
ter gemaͤß treu bleiben ſollte, und alſo? Wer auf
der einen Seite den Amor und die Venus ſingt,
und den Mond anſieht, — der ſtuͤrzt auf der fol-
genden Seite in den Feind — und auf der dritten
hat er wider die friedlichſte, und ruhigſte Denkart,
die je der, bequeme, Kriegſcheueſte Wolluͤſtling
haben kann — laͤßt ſich daraus nicht recht tapfer
charakteriſiren:


Humana fortis ſubiiciam mihi

Magnoque ſpernam pectore! \&c.

Und laͤßt ſich fuͤr einen ſolchen Charakter nicht
nachher in der Recenſion der Biograph aufs waͤrm-
ſte umarmen: In ſumma voluptate, quam ex
amore erga me Tuo, mi Harleſi, percipio, do-

leo
[125]Drittes Waͤldchen.
leo \&c. Da iſt ja wohl eine Liebe der an-
dern werth.


Hr. Harles erzaͤhlt von ſeinem Helden, daß er
an Genie und Gelehrſamkeit wenige ſeines gleichen
habe, daß er im Griechiſch und Latein den meiſten
uͤberlegen, daß er ehrgeizig und jachzornig ſey, daß
er Geld und Titel verachte, ſelten traurig, unbe-
ſtaͤndig in Anſchlaͤgen und Meinungen, nicht lan-
ge fortarbeiten koͤnne, mehr ſeinem Kopfe, als
ſeinem Fleiße, ſchuldig ſey, ſich allein hoͤre, an-
dre gern verſpotte; gern etwas von der Malerei,
auch gerne deutſche Buͤcher leſe u. ſ. w. (warum
nicht gar, daß er auch Deutſch koͤnne?) das al-
les Hr. Harles; Hr. Klotz haͤtte uns ſagen ſollen,
ob das ſein Bild ſey?


Nun gehen die Lebensumſtaͤnde an, wie in-
den Perſonalien eines Verſtorbnen: den Hrn.
Hofmeiſter, der jetzt Prediger ſeyn ſoll, unver-
geſſen. Unvergeſſen, daß der Hr. Geh. Rath
als Gymnaſiaſt auch oͤfters in den Vorſtaͤdten von
Goͤrlitz gepredigt: unvergeſſen, daß er auch habe
Herrnhuter werden wollen: unvergeſſen, daß er
auch ſo gar einigemal in ſeiner Vaterſtadt gepre-
digt: — — Und ach! warum denn vergeſſen,
wie ſehr ſich daruͤber vielleicht die lieben Seinigen
erfreuet!
[126]Kritiſche Waͤlder.
erfreuet! wie herzlich ſie geweint! wie herzlich
ſie ſich erbaut! u. ſ. w.


„Sein Hochzeitstag war der vierzehnte Ju-
„nius. Wobei er das inſonderheit wunderbar
„fand (mirabile illud ſibi videri, aliquoties
„dixit)
daß ihm eine Braut eben des Namens,
„als ſein Freund, der beruͤhmte Saxe, fuͤhret, be-
„ſcheret geweſen, ob dieſe gleich mit jenem in kei-
„ner Verwandſchaft ſtuͤnde.„ Spotten moͤchte
ich nicht gern, und inſonderheit nicht uͤber eine
Freude der heiligen Ehe. Allein das Bewunde-
rungswuͤrdige darinn, daß ein Profeſſor Saxe in
Utrecht lebt, und daß Hr. Klotz eine Jungfer
Sachſen in Goͤttingen heirathet, dies Wunder-
bare ſei nun ein oft wiederholtes Wortſpiel, (ali-
quoties dictum)
oder ein galantes Kompliment
in der Brautkammer, oder ein artiger Einfall im
Hochzeitsſchreiben an Hrn. Prof. Saxe in Utrecht,
oder endlich eine tiefe Betrachtung uͤber die wun-
derbaren Fuͤhrungen Gottes mit ſeinen Kindern —
in keinem Betrachte ſcheint es mir des Herrn,
der den Einfall hatte, und des Hrn. der den Ein-
fall, als einen Brocken von Hochzeitreden, auf-
ſchrieb, wuͤrdig.


Und ſo gehts in ein chronologiſches Buͤcher-
verzeichniß mit beygeſetzten Zeitungsurtheilen ge-
ſtempelt:
[127]Drittes Waͤldchen.
ſtempelt: bis der Biograph auf die burmanniſche
Streitigkeit kommt, wo er ſo ſehr die Wuͤrde ſeines
Autors und die Unpartheilichkeit eines Biogra-
phen vergißt, daß die richteriſche Nachwelt viel-
leicht kurzweg ſagen wird: Paſtillos Rufillus olet,
Gorgonius hircum!
— —


So viel Lob Hr. Harles uͤber ſeinen Fleiß in
Sammlung der Materialien verdienen mag: ſo
bleibt er in allen ſeinen Lebenslaͤufen einem Tone
von Gemeinheiten und bald geſagt, Nichtswuͤr-
digkeiten, treu: er vergißt das Eigne ſeiner philo-
logiſchen Perſon, und das Erleſene ihrer Verdien-
ſte, was allein auf die Nachwelt komme: er
vergraͤbt ſie unter triviale Umſtaͤnde, Diſputa-
tionstitel und Zeitungsgebuͤhre, daß er endlich
jenes Klotziſchen Lobes wohl werth war: bene,
bene reſpondere \&c.


Act. litt. Vol. I. Pars II.Ruͤckersfelder
„uͤber den Charakter der Oden Pindars.
a)
Den gemeinen Begriff haben wir geſehen, b) den
ſich der Recenſent von den Digreſſionen in Pin-
dars Oden macht, und hier die gemeinen Beweiſe.
Aber, wie billig und Klotziſch iſt: zuerſt Bei-
ſpiele
[128]Drittes Waͤldchen.
ſpiele von andern Zeugen. Jch wollte, daß Hr.
Kl. niemals Buͤcher anfuͤhrte, als die eigentlich
an den Ort gehoͤren, eigentlich beweiſen, und die
er, wenn ich hinzuſetzen darf, ſelbſt geleſen. Der
Franz Blondel, den er anfuͤhrt, a) beſchaͤftigt
ſich ja in ſeiner Parallele zwiſchen Pindar und
Horaz mehr mit der elenden Analogie von den
Lebensumſtaͤnden beider Dichter, als mit ihren
Gedichten: mehr damit, daß ſie beide honnetes-
gens
und es fehlet nicht viel auch galant - hom-
mes
geweſen, als welchen Charakter ſie als Dich-
ter beſeſſen — in dieſem uͤberhaupt verdient er
kaum angezogen zu werden. La-Motten kennet
man ſchon als Richter griechiſcher Oden, ſo wenig
als den Abt Maſſieu und andre, die der Ver-
faſſer noch uͤberdem haͤtte anfuͤhren koͤnnen. Weil
aber Hr. Klotz einmal dieſe Schriftſteller unter ſei-
nen locus communis: Lyriſche Poeſie, Ode, an-
geſchrieben: ſo ſchreibt er ſie auch mehrmals unter
ſeinen Text, ſelbſt wo ſie ſo wenig Entſcheidung geben
koͤnnen, als Er ſelbſt Beiſpiele der Ausſchweifungen
im Pindar: wer hoffet wohl ein eheres, als die
vierte pythiſche Ode, und doch auch ſie, die ſo
manchem zum Aergerniſſe dient, iſt als National-
Local - und Jndividualſtuͤck auf den Arceſilaus aus
Cyrene betrachtet, nicht blos zu retten, ſondern in
der
[129]Drittes Waͤldchen.
der That zu loben. Wenn man einmal den unpin-
dariſchen Begriff verbannet, der Pythiſche Dich-
ter habe ſolch ein Lobgedicht auf eine Perſon,
blos wegen dieſes Sieges und weiter nichts, ma-
chen wollen, wie heut zu Tage Todten - und Hoch-
zeitgedichte verfertiget werden: wenn man ſich in
die griechiſchen Zeiten zuruͤckſetzt, da der Sieger
eine oͤffentliche Perſon Griechenlands, und der
Saͤnger ein Saͤnger fuͤrs Vaterland, und ein Leh-
rer der Koͤnige war: ſo tritt auch die gegenwaͤr-
tige Ode mit allen ihren ſogenannten Ausſchwei-
fungen in herrliches Licht. Ein Pythiſcher Sieg
wars: ein Delphiſcher Geſang ſollt’ es werden, und
was alſo angemeßner, als die Stimme: aus Del-
phis, o Arceſilaus, haben deine Vorfahren, und
dein Anherr Battus Cyrene empfangen: Der Py-
thiſche Apollo hat es euch gegeben. Der ganze
erſte Theil der Ode in aller Feier des goͤttlichen,
des weiſſagenden Urſprungs iſt praͤchtig, hat Per-
ſonalintereſſe:
Denn Arceſilaus, der aus ſeinem
Koͤnigreiche vertrieben geweſen, tritt eben damit
in den Glanz ſeines rechtmaͤßigen Urſprungs: hat
Familienintereſſe, denn wie viel galt bei den
Griechen das Anſehen großer Vaͤter! und wie viel
mußte bei einem herabgekommenen, abgetheilten
Battiaden, der Ruhm ſeines Urvaters, des goͤttli-
chen Battus, gelten! — iſt Ort und Zeitmaͤßig:
Denn der Pythiſche apollinariſche Geſang, wovon
Jkonnte
[130]Kritiſche Waͤlder.
konnte er wuͤrdiger, als von ſolchen Wohlthaten
des Apollo, reden? Mit Pracht alſo ſchließt Pindar
dieſen Theil der Ode, und ſtellt ſeinen Arceſilaus
als einen vom Apollo ernannten und zum zweiten-
mal jetzt beſtaͤtigten Koͤnig von Cyrene im Schmuck
des Pythiſchen Sieges dar. Und nur Hr. Kl.
etwa kann, wie wenn Pindar uͤber ein Schul-
thema gearbeitet haͤtte, ſagen: Pythicum IV.
maxima hiſtoriarum varietate diſtinctum. Nam
dum parat ſe ad laudes Arceſilai cantandas, quo-
modo, qui e maioribus illius, Battus in Cyre-
naicam venerit, enarrat: Medeæ vaticinio copioſe
commemorato. Quibus dictis ad Arceſilaum
quidem redit, ſed \&c.
Nur Er: denn hat Pindar
nicht ſchon laͤngſt einen Unterſchied gemacht zwi-
ſchen dem Gros ſeiner Ausleger, (το παν ερμε-
νεων) und zwiſchen denen, die ſich um das Jn-
nere ſeiner Geſaͤnge bemuͤhen — —


Pindar bekommt Luſt, die Geſchichte der Ar-
gonauten, und des guͤldnen Vlieſſes einzuweben.
Man ſollte dieſe Epiſode nicht als ein Beiſpiel
ſeiner gewoͤhnlichen Ausſchweifungen nehmen:
denn er ſelbſt kuͤndigt ſie als Epiſode, als etwas
auſſerordentliches an. Wer weiß nun die Zeit-
urſachen, die Pindar’n damals vorlagen, einmal
die ganze Geſchichte ausfuͤhrlich zu erzaͤhlen? So
viel ich aus dieſen und andern Stellen Pindars
vermuthe, lag bei vielen folgende Urſache vor.
Pindar
[131]Drittes Waͤldchen.
Pindar lebte in einem Zeitalter, da die Traditio-
nen der heroiſchen Mythologie, auf welchen mei-
ſtens der heruntergeerbte Vorzug im Urſprunge
der Staͤdte, der Geſchlechter, der Koͤnigreiche,
die er ſang, beruhete, ſchon halb in das Licht hi-
ſtoriſcher Urkunden treten ſollten: und da ihn alſo
die Muſe zum National- und Patronymiſchen
Saͤnger griechiſcher Geſchlechter und Perſonen
ſandte, ſo hatte er auch das Geſchaͤfte, den Reſt
ſolcher heroiſchen Urkunden zu retten, und mit der
Weisheit zu erklaͤren, die ſein Zeitalter forderte,
und deren er ſich in ſo vielen Geſaͤngen ruͤhmt.
Wenn mir die Muſe Pindars die Muße geben
wird, uͤber den Charakter dieſes Thebaners, des
edeln Freundes meiner Jugend, mich ausfuͤhrlich
zu erklaͤren: ſo werde ich bei den mythologiſchen
Expoſitionen deſſelben dieſe poetiſche Weisheit, die
ein aufbrechender Roſenkeim zur kuͤnftigen hiſtori-
ſchen Wahrheit war, entwickeln, um auch in ihr
Pindarn, als den Saͤnger ſeiner Zeit, ohne tolle
Ausſchweifungen zu zeigen. Hier ſtehe ſo viel:
daß die Geſchichte der Argonauten der Situation
gegenwaͤrtiger Ode nicht ſo fremde iſt, als Hr.
Kl. meinet.


Von den Argonauten ſtammte das Geſchlecht
des Arceſilaus ab: und nach griechiſcher Denkart,
auf welche Ahnen laͤßt ſich herrlicher kommen, als
auf die Argonouten? Die Einnahme, das Anrecht
J 2der
[132]Kritiſche Waͤlder.
der Battiaden auf Cyrene war aus dem Schooß
der Argonautiſchen Geſchichte hergenommen: ſie
war ein Zweig mitten aus der Verwicklung dieſer
Abentheurer hinausgeriſſen — wo iſt er in ſeiner
Generation beſſer zu erkennen, als wenn er wieder
mitten in die Verwicklung zuruͤck gepflanzt, leben-
dig da ſteht. Die Vorfaͤlle ſo wohl des Zweiges,
der Theraͤer, als des Stammes, der Argonauten
und Jaſons inſonderheit, ruͤhrten vom Pythiſchen
Apollo her: wo ſchallten ſie wuͤrdiger, als am
Feſte ſeines Tempels? Die Epiſode wird ja auch
nicht anders, als pythiſch, als apollinariſch, ein-
gelenkt, und erzaͤhlt: und endlich, der ganze Zweck,
die verflochtne Veranlaſſung der Ode in dieſem
Zuſtande von Cyrene und Arceſilaus macht alles
nothwendig. Arceſilaus war ſeines Ungehorſames
wegen gegen die Einrichtungen des Orakels, ver-
trieben geweſen: er fragte den Apollo, und der gab
ihm, dem achten Battiaden, nur einen ſehr einge-
ſchraͤnkten Troſt, aber dabei deſto ſchaͤrfere An-
mahnungen. Arceſilaus nach ſeiner Wiederer-
ſtattung blieb ihnen nicht treu: das Vaterland
und alle Unordnungen ſeiner Regierung klagten:
wer war der Erfuͤllung des drohenden Orakels,
ſeinem Verderben, und dem Untergange ſeines
Stammes naͤher, als der dem Apollo ungehorſa-
me, unweiſe Arceſilaus? Hier ward der Pythoni-
ſche Saͤnger ein Lehrer des Koͤniges im Namen
ſeines
[133]Drittes Waͤldchen.
ſeines Gottes: er legt ſeinen ganzen Geſang ſchon
von ferne auf dieſe erhabne Pflicht an: er predigt
ihm die Wohlthaten, die Apollo um ſeine Vaͤter,
und die Lehnsherrſchaft, die er uͤber Cyrene habe:
hiezu und zu nichts weiter laͤßt er die Stimme der
alten Weiſſagung, und die Geſchichte der Argo-
nauten und Battiaden reden: hiezu lenkt er bei
dem Vorbilde der Weisheit des Oedipus zuruͤck,
und gibt dem Koͤnige im erhabenſten Tone die be-
ſten Weisheitslehren zur Gelindigkeit und Weis-
heit, ſein Volk zu regieren. Hiezu nimmt er zu-
letzt fuͤr den unſchuldig vertriebenen, klugen, auf-
richtigen, vom Vaterlande bedaureten Demophilus
das Wort, und kommt, da er fuͤr dieſen im Na-
men ſo vieler ſpricht, dem Herzen des Koͤnigs am
naͤchſten. — — Ein weiſer Geſang! nichts iſt
in ihm unnuͤtz: nichts da, um vierzige von Stro-
phen auszufuͤllen: nichts da, um doch bei einem
ſo unfruchtbaren Thema etwas zu ſagen: nichts
da, um Pindariſch zu raſen — nein! ein ſo
individueller, griechiſcher und cyrenaiſcher Ge-
ſang, ſo ganz fuͤr Arceſilaus geſungen, ſo weiſe
darauf angelegt, was ihm geſagt werden ſollte:
ſo pythiſch, ſo pindariſch — daß ich zum Kon-
traſt nichts als die Klotziſchen Worte a) zuſchrei-
ben darf: Quid eſt longe a re propoſita digredi,
aut omittere potius eam, ſi hoc non eſt?
Wie,
J 3wenn
[134]Kritiſche Waͤlder.
wenn Pindar auflebte, wie wuͤrde er ſich freuen,
einen ſolchen geheimen Ausleger des Jnnerſten
ſeiner Geſaͤnge zu haben?


Jch habe das ειδος Pindars gerettet, das
Hr. Kl. als das Verzweifeltſte hinzugeben ſcheint,
und mag die Vorwuͤrfe nach andern Oden nicht
verfolgen: ein Mann, der Pindar ſo von der
Oberflaͤche kennet, wie wollte der einen Ruͤckers-
felder
verbeſſern? Wie konnte der ſagen: ita, cre-
dimus, complures nobiſcum exſiſtimaturos eſſe.


Vol. I. P. III.Schilderungen beruͤhmter
Gegenden des Alterthums vom Hrn. v. Brei-
tenbauch.
a) Nun ja! vom Hrn. v. Breitenbauch,
und ſo gleich ſind die Ehrennamen erklaͤrt, die die-
ſer — dieſer vir generoſus, qui nuper paſtoralia
carmina edidit, in quibus illam naturæ incundi-
tatem, illam ſimplicitatem morum, illud ama-
bile vivendi genus feliciter expreſſit,
dieſer vir
elegantiſſimi ingenii, qui eleganter \& venuſte - - -
etiam in hoc libro regionum amoenitatem depin-
xit, hiſtoriam rerum docte exponit \&c.
ja, der im
ganzen Werke ſich ſo gezeigt hat, daß wir eine
neue Ueberſetzung des Horaz,
die er Deutſch-
land verſprochen, nicht blos ſehnlich erwarten,
ſondern auch beinahe mit Ungeduld fodern koͤn-
nen.
Zwar werden manche von dieſen Lobſpruͤ-
chen, als einer Sprache des Publikum nicht wiſ-
ſen,
[135]Drittes Waͤldchen.
ſen, da die an ſich mittelmaͤßigen und oft ſchlech-
ten Gedichte des Verf. nie einen Dichter der er-
ſten Groͤße zu errathen gegeben. Noch wenigern
wird je das ſehnliche Verlangen, die fodernde Un-
geduld angekommen ſeyn, an einem jungen Schrift-
ſteller, der noch nicht korrekt ſchreibt, und immer
zwiſchen Proſe und Poeſie ſchwankt, einen deutſchen
Horaz zu erwarten. Gnug aber! Hr Klotz. ſagts,
und wer die Erklaͤrung wuͤnſcht, ſehe die ſuͤße
Zuſchrift der homeriſchen Briefe.


Johann Winkelmanns Geſchichte der
Kunſt
a): ohne Anmerkungen und eigne Gedan-
ken in klotziſches Latein hingegoſſen und ausgeſpuͤ-
let — ſeliger Winkelmann! wo ſchwebt dein Geiſt
uͤber dieſen Waſſern der Suͤndfluth?


Act. litt. Vol. I. P. IV. Lowth de ſacra
poeſi Hebraeorum
b): ohne alles critiſche Urtheil,
mit dem ſo lange abgelebten Spotte uͤber eine gewiſſe
Gattung von Theologen begleitet, die Herrn Klotz
wenigſtens nicht graͤnzen — —


Briefe zur Bildung des Geſchmacks an
einen jungen Herrn c). Es iſt ein Vergnuͤgen,
wie hier der Gott Stupor die gemeinſten Sachen
in dieſen an ſich nuͤtzlichen, oft aber ſo ſeichten und
unvollkommenen Briefen anſtaunet, uͤberſetzt,
abſchreibt,
und ohne allen Beitrag zur Vervoll-
kommenheit anpreiſet. Bei ſo gemeinnuͤtzigen
J 4Hand-
[136]Kritiſche Waͤlder.
Handbuͤchern eben ſollte ſich ja die Einſicht und
der Fleiß des Kritikus zuerſt zeigen — —


Act. litt. Vol. II. P. I.Hauſens Geſchichte
des achtzehnten Jahrhunderts.
a)Quae a
viris doctis dudum deſiderata tuit, copioſa, accu-
rata, immo vera rerum hoc ſeculo geſtarum expo-
ſitio: eam nunc primus adgreſſus eſt Cl. Hauſe-
nius
, vir magni ingenii, plurimae induſtriae,
praeclarae doctrinae, quodque in primis hiſtori-
cum decet, ab omni adulatione abhorrens, \&
veritatis ſtudioſus. — — In ipſo opere ſcribendo
deſeruit morem plurimorum hiſtoricorum, res
minutas \& exiguae vtilitatis negotia auxia cura
enarrantium. — — Totus fuit in eo, vt quae
ad rem publicam accuratius cognoſcendam, ad
arcanas ſingulorum eventuum cauſſas intelligen-
das, eorumque inopinatos ſaepe effectus perſpi-
ciendos, ad artes, quibus res a legatis
tractatae
fuerint, aperiendas, ad ſingularum gentium
commoda demonſtranda
, facerent, non accurata
ſolum narratione exponeret, verum etiam obſer-
vationibus e civili prudentia, ipſaque rerum, qude
tum erat, conditione collectis illuſtraret.
Res
vero in bello geſtas paucis attigit, atque ex iis
attulit, quae pragmaticae hiſtoriae ſtudioſi noſſe
intereſt. Quae quidem omnia non e turbidis rivu-
lis ſed e limpidis fontibus hauſit
— — „O alle,
die
[137]Drittes Waͤldchen.
„die die Staaten von Europa tief und genau ein-
„ſehen, die geheimſten Urſachen jedes einzelnen
„Verfalls ausforſchen, und ihre oft unvermuthe-
„ten Wirkungen ſich erklaͤren wollen — alle, die
„die verborgenſten Kunſtgriffe der Geſandten bei
„ihren Staatsgeſchaͤften aufgedeckt, das Jntereſſe
„aller Voͤlker deutlich erklaͤrt, das alles in der
„genauſten Erzaͤhlung vorgetragen, mit tiefen Be-
„merkungen der Staatsklugheit begleitet, aus den
„Kriegslaͤuften das Pragmatiſche herausgele-
„ſen„ — — die alles dies ſehen und lernen
wollen, ladet Hr. Klotz ein zu ſeinem Freunde,
dem Hr. Magiſter Hauſen. — Was alle gelehrte
Maͤnner bisher gewuͤnſcht, was die Maſcovs,
und Buͤnaus, und Struve und Koͤlers und
Haͤberline und Puͤtters nicht haben leiſten koͤn-
nen: ſehet! das hat endlich erfuͤllet Cl. Hauſenius
vir magni ingenii, plurimae iuduſtriae, praeclarae
doctrinae, \&c. \&c.
Wunder unſrer Tage, Hau-
ſens Geſchichte des achtzehnten Jahrhunderts!


Vol. II. P. II. Defenſe du paganiſme par
l’ Empereur Julien.
a) Da dieſe Schrift des
Marq. d’Argens wenigſtens das Verdienſt hat,
genauere Eroͤrterungen uͤber Julians Charakter
und Zeitpunkt veranlaßt zu haben, unter welchen
die Gedanken eines Meiers, Crichtons, Abbts
und andrer, jede in ihrer Art ſchaͤtzbar ſind: ſo
J 5wird
[138]Krittiſche Waͤlder.
wird man begierig ſeyn, auch die Zeichnung
Klotzens von Julian zu ſehen: hier iſt die Rari-
taͤt: Iulianum exſiſtimo virum fuiſſe elegantiſ-
ſimi magnique ingenii
(etwas davon hat Klopf-
ſtock im nordiſchen Aufſeher a) gezeigt, und wo
wird nicht ein Klotz und ein Klopſtock einerlei ſehen?)
magnique animi, nec militaris ſolum rei, ſed
artium quoque liberalium
(wenn dieſe vielleicht
die Redekunſt eines ſchwatzenden Sophiſten heißen
kann) inſigni ſcientia ornatiſſimum: eundem libe-
ralem, caſtum, ſobrium, frugalem et pruden-
tem cenſeo. Patres quos appellant eccleſiaſticos,
non nego, mihi, ſi paucos exceperim, non ea laude
integritatis, pietatis et eruditionis dignos videri,
qua a quibusdam celebrati ſunt. In aliis multum
ſtuporis, parum ingenii:
in aliis partium ſtudium:
in aliis arrogantem, ſuperbum et atrocem animum
invenio. De Iuliani denique opinionibus mitius
cenſendum eſſe exiſtimo, quam vulgo fit,
(und
warum denn? wichtige Urſache!) aut non conſi-
derata ingenii humani imbecillitate
, aut non ſatis
illorum temporum ratione cognita
— wer hat
nun wohl, der in den Zeiten Julians, und in den
neuern Zeugniſſen von ihm geforſchet hat, je etwas
ſeichters von ihm und den Kirchenvaͤtern uͤber-
haupt,
und dem ganzen Zeitraume deſſelben gele-
ſen, als was hier Hr. Klotz dafuͤr haͤlt, daß
man’s
[139]Drittes Waͤldchen.
man’s dafuͤr halten ſolle?Vol. II. P. III. Lexi-
con Graecum: collegit \& congeſſit Damm.
a)
Gleich bei dem erſten Vorwurfe fuhr ich zuruͤck:
pro noſtra aequitate illud nobis ab Auctore dari
volumus, vt profiteatur nobiscum, non ad vni-
verſam Graecam linguam hoc Lexicon ſpecta-
re
— — wie? und hat es darauf abſehen wollen?
und hat nicht der muͤhſame und gelehrte Sammler
es ausdruͤcklich zur Baſis einer Concordanz und
Erlaͤuterung uͤber Homer und Pindar dargeboten?
und muß nicht eben das jedem Liebhaber Griechen-
lands, der aus der Sprache den Geiſt der Griechen
ſtudirt, ſchaͤtzbar ſeyn, in dieſem Werke der Cy-
klopen die Bluͤthe der poetiſchen Sprache Griechen-
lands zu finden, unvermiſcht mit der ſpaͤtern Proſe:
in ihm die Mythologie der ſchoͤnſten Dichterzeiten
Griechenlands zu finden, unvermiſcht mit der
ſpaͤtern Philoſophie und Sophiſtik uͤber die Goͤtter-
lehre: in ihm die Keime der griechiſchen Dichter-
weisheit zu finden, unvermiſcht mit der ſpaͤtern
politiſchen Denkart und Sittlichkeit: in ihm alſo
das Gebiet einer griechiſchen Zeit zu uͤberſehen, die
man durchgehends zu vermiſchen gewohnt iſt, und
der ſich alles Spaͤtere erzeuget hat? — Und iſt
fuͤr einen Mann, der dies nicht weiß, der dies
nicht einmal vom Titelblatte herab leſen mag, iſt fuͤr
ſolchen das Lexicon zu beurtheilen? — —


Ueber
[140]Kritiſche Waͤlder.

Ueber jede Sache in der Welt laͤßt ſich ſpot-
ten, und ein Mann, wie Damm, traͤgt ſeine
Fehler am wenigſten unter dem Mantel: allein
die nutzbaren Fruͤchte eines ſo langen Fleißes,
des Fleißes eines halben Menſchenalters beinahe,
einiger Fehler wegen, die jeder - - - findet, ver-
ſpotten zu ſehen, verdient Mitleiden der Menſch-
heit, und ich wenigſtens lege dem Verf. hiemit
fuͤr ſeine zwar nicht klotzianiſch ſuͤße, aber gruͤnd-
liche Ueberſetzungen, fuͤr ſeine in Allegorien zwar
gekuͤnſtelte, aber ſo reiche Goͤtterlehre, als ich
keine andre im Kleinen kenne: und denn fuͤr ſein
zwar oft gekuͤnſteltes, aber ſehr nutzbares Woͤrter-
buch, meine weiße Scherbe unbekannt hin — —


Orphei opera: recenſuit Geſnerus.a) Mit
einem kalten matten Lobe geht das vortrefliche
und auf manchen Seiten ſo unerkannte Werk
voruͤber.


Poetique Francoiſe par M. Marmontel.b)
Nicht auszuſtehen, mit welchem Jubeltone die
Deutſchen noch immer franzoͤſiſche Werke aufneh-
men, die, ſo Gott will! ſchoͤn, aber von Herzen
mittelmaͤßig ſind. Da in Frankreich jetzt ſelten
Hauptwerke des menſchlichen Geiſtes, und Gebur-
ten, die Jahrhunderte leben werden, erſcheinen:
ſo handeln die Franzoſen Landesmaͤnniſch, auch
mittel-
[141]Drittes Waͤldchen.
mittelmaͤßige Werke mit Entzuͤcken aufzunehmen,
und mit ihrem gewohnten Tone: nichts geht daruͤ-
ber! zu verkuͤndigen. Aber daß wir Deutſche
ihnen ſo gleich nachrufen, uͤberſetzen, cittiren, poſau-
nen: daß iſt wider alle Geſetze der Nation. — —
Hr. Klotz hat fuͤr gut gefunden, Marmontels
Poetik in einem langen Auszuge, ohne weitere
critiſche Verpflegung in ſein liebes Latein auszu-
gießen, und ein paar Notchen mit unter zu miſchen,
die den Zeh veſtſtellen, da der Koͤrper wankt.


Act. litter. Vol. III. P. II.Winkelmanns
Verſuch einer Allegorie.
a) Das Ganze im Wer-
the dieſes Buchs und das Weſentliche in den Feh-
lern deſſelben bleibt verkannt und unberuͤhrt. Ei-
nige einzelne Vorſtellungen, wo man Winkelmann
durch ein Muͤnzchen, durch eine Scherbe etwas
anhaben kann: im uͤbrigen auf den lieben Du-
Bos
gewieſen; der es ja nie zum Zwecke gehabt,
den Begriff der Allegorie uͤberhaupt zu erſchoͤ-
pfen; ſondern nur den Kuͤnſtlergebrauch derſelben
einigermaſſen zu ſichern.


Lettres de Mentor à un jeune Seigneur.b)
Auch hier werden Dinge angeſtaunet, von denen
ein deutſcher Mentor zu ſeinem Zuͤglinge ſagen
wuͤrde: wir gehn voruͤber! So z. E. einige be-
kannte Gedanken von der Biographie, die er aus
Liebe, ſo gar durch ein Maͤrchen beweiſet —
durch
[142]Kritiſche Waͤlder.
durch ein Maͤrchen aus Voltairs Geſchichte Karls
des Zwoͤlften. Dieſer vortreffliche Biograph,
deſſen dichteriſcher Kopf gewiß vollzufuͤllen weiß,
was die Geſchichte ſelbſt leer laͤſſet, erzaͤhlt uns
von Karl dem Schweden ſo manches ſchoͤne Fa-
belchen und Maͤrchen. (Ein kritiſches Journal, c)
das viel Verdienſte um Deutſchland hat, hat ei-
nige offenbar uns als Maͤrchen gezeigt) und Hr.
Klotz zieht daraus ſehr buͤndige Schluͤſſe.


Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts.
Neue Geſchichte von Hauſen:
Kein Werk der
neuern Litteratur iſt, ehe es erſchien, mehr aus-
poſaunet worden; und kein Werk hat, da es er-
ſchien, mehr die Hoffnungen des Publikum verei-
telt, als dies. Daß Klotz zum Erſten das Seine
redlich beigetragen, iſt auch gegenwaͤrtige Recen-
ſion Zeuge. Zuerſt richtet ſie, wie billig, die
Weltgeſchichte der Englaͤnder und alle deutſche Ge-
ſchichte, die wir haben, Hahn, Buͤnau, Bar-
re, Maſcov,
und alle die neuern Compendien,
„die ſich des Vortrages bedienen, der die deutſchen
„Akademien, und die Regensburgiſchen-Reichs-
„vortraͤge kleiden ſoll, Buͤcher, die ſelten ihre
„Verfaſſer uͤberleben, und nicht fuͤr die Nachwelt,
„ſondern fuͤr einen Knabenunterricht, und fuͤr
„duͤſtre Schuloͤrter geſchrieben ſind„ alle dieſe,
und wem hat er ſie hiemit nicht kennbar gemacht?
richtet
[143]Drittes Waͤldchen.
richtet er jede mit einem Streiche hin, damit auf
dem Gerippe aller das Haupt Hauſens prange.


Hernach ein Lob, das erſt mit Hr. Klotz,
nachher mit Hr. Hauſens Worten geſagt, uͤber
zwei voͤllige Seiten, aus ſo vollem Munde ſtroͤ-
met, daß eine Periode, mit Lobeserhebungen ver-
ſchnuͤrt, ſich uͤber eine Seite hinſtrecket. Ohne
Zweifel wird es der Nachwelt eine vergnuͤgte Stun-
de geben, den panegyriſchen Ton des Recenſenten,
und das Werk des Verf. das ja ſo eigentlich fuͤr
die Nachwelt geſchrieben ſeyn ſoll, zuſammen zu
halten. O wehe denn! wehe den viris Cl. die
ſich wechſelsweiſe loben!


Noch aber hat der Cenſor uͤber alles vorige ſo
manches Bewundernswuͤrdige ausgegeichnet: Daß
Proben uͤber Proben Beweiſe ſeyn ſollen, von
der tiefen Kunſt des Verf. die Fuͤrſten zu charakte-
riſiren, und von der Denkart deſſelben, ſein Werk
durch eigne Bemerkungen Pragmatiſch zu machen:
wohlan alſo an die Ausruffungen!


„Wem wird das Bild Karls des Großen nicht
„gefallen? a) Jn ihm findet unſer beruͤhmter Schrift-
„ſteller, alles, was einen groſſen Mann machet,
„u. ſ. w.„ Wem es nicht gefallen koͤnnte? Mir
nicht; und wem, der einen ſchoͤnen Charakter ken-
net, koͤnnte es gefallen? Statt ſo viel von hiſto-
riſcher Kunſt zu ſprechen, ſollte ſich der V. vorher
Eins
[144]Kritiſche Waͤlder.
Eins erbitten, hiſtoriſches Temperament: die
gleichmaͤßige Denkart, was er ſieht, gerad an zu
ſehen, und was er ſpricht, ganz zu ſprechen; noch
hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen
recht ſchoͤn geſagten, und beinahe redneriſchen Cha-
rakter von Karl dem Großen leſen will: ſo leſe
ich ihn, gegen den der Hauſenſche nichts iſt, in
unſerm deutſchen Boſſuet: in dieſem claſſiſchen
Werke — vielleicht das Einzige, womit unſer
Cramer vor der Nachwelt erſcheinen wird — —


Das war das Gefallende: aber was iſt das
Schoͤngeſagte bei einem Charakter der Geſchichte?
nichts! Leget mir der Geſchichtſchreiber nicht erſt
die Data der Geſchichte ausfuͤhrlich, richtig,
ordentlich vor, daß ich nachher ſelbſt mit ihm
den Charakter ausziehen darf, daß er, nach jener
laͤngſtabgekommenen ſokratiſchen Manier, nur meine
Erinnerung wecket, und nicht mir vorcharakteri-
ſirt, ſondern mich aus vorgelegten Einzelnheiten
den Charakter ſelbſt finden lehret — thut er dies
nicht: ſo iſt der Geſchichtſchreiber ein Romanen-
ſchreiber. Und das iſt Hauſen bei ſeinen geprie-
ſenen Charakteren. Die Lebensdata, die Thaten,
wo ſich Denkart aͤuſſert, ſind bei ihm wenig oder
nichts — mit einmal ſtroͤmt Seiten herab ein
Charakter: ein vom Himmel gefallenes Bild, eine
Figur, zu der das Vorſtehende auch nicht einmal
Fußgeſtelle ſeyn kann — iſt das Geſchichte?
Roman,
[145]Drittes Waͤldchen.
Roman, Dichtung mag es ſeyn: aber in der Ge-
ſchichte will ich nichts glauben, was ich nicht
ſehe: Thaten hoͤren, ehe ich das Bild erkenne:
Geſichtszuͤge ſehen, ehe ich Perſonen charakteri-
ſire: das will ich. Was druͤber iſt, iſt vom
Uebel.


Hr. Hauſen iſt von dieſem, ſo wie von andern
Sachen, ein williger Nachahmer der Franzoſen:
aber wie jaͤmmerlich geraͤth doch meiſtens die
Creatur, wenn der Deutſche den Franzoſen nach-
ahmt? Dieſer mahlet uns ſeine ganze Geſchichte
wenigſtens ſo, daß nachher nichts mehr und nichts
weniger, als ſein Charakter, herauskommt: er
ſtellet alles ſo hin, daß ſeine endliche Reflexion
eben daraus erhellet, und wie, wenn die Geſchichte
ſo gegangen waͤre, auch wir freilich nichts mehr
und wenigers folgern wuͤrden, als was er folgert.
Wir leſen alſo einen ſinnreichen Roman, den wir
mit ſeinen Portraͤten und Charakteren ſo lange fuͤr
Wahrheit halten, bis wir etwa zu einer andern
Geſchichte kommen. Nun aber der trockne Deut-
ſche? er ziehet ein verſtuͤmmeltes Skelet von Ge-
ſchichte aus einer, und ein Fratzenbild von Cha-
rakter aus einer andern Quelle heraus: ſtellt ſie ne-
ben einander, daß Eins das Andre nicht erkennet
und — — ſiehe da! iſt Hr. Hauſen. Ingenia
principum exploravit, moresque deſcripſit, at-
que cum his cauſſas elicuit eorum quæ ab iis acta,

Kſunt,
[146]Kritiſche Waͤlder.
ſunt, tum, quam principum mores vim ad civium
vitam fingendam formandamque habuerint, do-
cuit: non ſolum docto lectori, ſed cuicunque
ciui, qui maiorum vitia cognoſcere, eorum-
que exemplis ſapere cupiat, prodeſſe ſtuduit:
porro ſummum veritatis ſtudium vbique oſtendit,
liberrime vitia principum enarrauit \& — —
— \&c.
Vortrefliche Charaktere! eingeklebte,
uͤberkleckte Bilderchen, die — aus ſeiner Ge-
ſchichte nicht folgen —


Und oft der Wahrheit ſelbſt im Wege; oft
ſind ſie nur eben ſo, wie ſie ſich die Stunde Hr.
Hauſen dachte. Ob das Karl der große ſei, was
er mahlet? ſo wenig, als was er uns an Luthern
vorzuzeichnen beliebt. Wie? Karl, ganz ohne
Fehler, ausgenommen etwas viel Liebe? Und was
hat denn in ihm den Eroberungsgeiſt angefacht?
was ihn von den Pyrenaͤen bis zur Nordſee, und
von der Nordſee nach Pannonien, und von Panne-
nien nach Rom getrieben? was die Blutſtroͤme
der Sachſen vergoſſen, und Voͤlker zu Sklaven ge-
macht, denen die Freiheit Alles war? Und was hat
durch ihn das Longobardiſche Reich verheeret? Und
was ihn zu einem Vater des Pabſts gemacht? Und
was zu dem, der um die Kaiſerinn Jrene warb?
Und was zu einem Liebhaber der Kuͤnſte und Wiſ-
ſenſchaften? Und was zu dem Menſchenfeinde, der
ſeine Haͤnde mit Blut der Deutſchen faͤrbte? —
Ehr-
[147]Drittes Waͤldchen.
Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wolluſt laͤßt
ſich wahrhaftig weder die gute noch boͤſe Seite
Karls erklaͤren, und es iſt Partheilichkeit, vor die-
ſer ganz die Augen verſchließen zu wollen. Moͤnche
und Capitularen und Kanzler und Schwiegerſoͤhne
haben Karls Leben geſchrieben: im Moͤnchsgeiſt, im
Geiſts des Pabſtthums und der lateiniſchen Verdien-
ſte — wo iſt ein wahrer Deutſcher, der ihn ſichte?


Und was Hr. Hauſen dem an ſich großen
Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich ſo unaͤhn-
lichen Ludwig: eins trift alſo ſo wenig als das An-
dre. Ludwig der Fromme war eine der gewoͤhnli-
lichen Produktionen ſeines Jahrhunderts, nicht
beſſer und nicht ſchlechter, als ein mittelmaͤßiger
gutherziger Mann der Zeit ſeyn konnte. Gelehrt,
fromm, gutherzig, auf ſeine Art philoſophiſch,
das ohngefaͤhr, was Jakob der erſte, nach dem
Geiſte ſeiner Zeit und ſeines Landes, und manche.....
unter uns. Schon ſein Vater nahm ihn zum
Mitregenten an: unter ihm wurden gluͤckliche
Kriege gefuͤhrt: alles ging gut bis auf die Thei-
lung ſeiner Laͤnder. Dieſe aber, lag die allein in
ſeiner Schwachheit oder nicht auch in dem Altfraͤn-
kiſchen lange gebraͤuchlichen Herkommen? Und die
uͤbeln Folgen daher allein in ſeiner Schwachheit
oder auch in dem Charakter ſeiner Soͤhne? Und
das Gluͤck dieſer uͤbeln Folgen allein in ſeiner
Schwachheit, oder auch in dem Zuſtande der Kir-
K 2che,
[148]Kritiſche Waͤlder.
che, an dem ſo wohl ſein Vater, als Er, Schuld
war, an dem Geiſte ſeines Jahrhunderts, den auch
Karl nicht aͤndern konnte, an einer Verwicklung
von Zufaͤllen, die nur der kennet, der die Zeit Lud-
wigs ſtudiret. Ludwig wurde ein Opfer dieſer
Zeit: daß wir ihm aber neunhundert Jahr nachher
Staatsfehler nachrechnen, die uns nur der Erfolg
von Jahrhunderten gezeigt hat, iſt freilich eine
gute Sache, nur iſts die Sache des Geſchicht-
ſchreibers?


Aber „nirgends iſt ja Hauſen nach Hr. Klotz
„mehr in ſeinem Felde, als wenn er uns Aberglau-
„ben, Dummheit, und Betrug der Pfaffen mahlet„.
Ganz gut, wie ich glaube: nur ſollte es nicht ſo
gemein, ſo ſchwatzhaft wiederholt, ſo ſchielend, und
etwas eigenthuͤmlicher der Zeit ſeyn, die es gilt.
Aus ſeinem Lehrſtuhle mit einem halb Voltairi-
ſchen, halb noch Proteſtantiſchen Auge, nach dem
Jahrhundert Ludwigs, der Ottonen, und der Hein-
riche hinzielen, kann freilich nichts, als ſolche Cha-
raktere, geben, wie Hr. Hauſen zeichnet, und ohne
Zweifel iſts blos ſchonende Nachſicht geweſen, daß
Haͤberlin, ein ſo ganz andrer Mann, der Ge-
ſchichte, und den Charakteren, das iſt, den geſchwaͤ-
tzigen Wiederholungen ſeines Vorgaͤngers vor ſei-
ner Geſchichte noch Platz gegoͤnnet.


Und das iſt der Geſchichtſchreiber, deſſen Cha-
raktere, deſſen Anmerkungen uͤber Ludwig, die Ot-
tonen,
[149]Drittes Waͤldchen.
tonen, die Heinriche, deſſen tiefe Betrachtungen
uͤber die Pfaffen, uͤber die Religion, und Refor-
mation eine Erleuchtung unſres Jahrhunderts ſind,
die Hr. Klotz ſo getreu uͤberſetzet? Das iſt der Ge-
ſchichtſchreiber, der hier ſchon alle jene fruchtbare
Saamenkoͤrner fallen laͤßt, die nachher zu dem
Philoſophiſchhiſtoriſchen Roman uͤber die Reforma-
tion aufgewachſen: buͤndige Wahrheiten, die Hr.
Klotz zum Poſſen aller mit Vorurtheil behafteten,
zum Voraus als Geheimniſſe der Welt vorlatini-
ſirte. Das ſind die Maͤnner, die an der Religion
arbeiten, deren „voͤlliger Tag ſich erſt jetzt allmaͤ-
lich naͤhert. a).„


— — Kaum bin ich in der Mitte des drit-
ten Bandes der Actorum, und ach! wer mag
den hercyniſchen Wald durchgehen? Hr. Klotzens
vollſtaͤndige Anmerkungen uͤber d’Argens Ge-
ſchichte des menſchlichen Verſtandes,
ſeine vor-
treflichen Verbeſſerungen des Leſſingiſchen Laokoons,
ſein zuruͤckſetzendes Urtheil uͤber Gebauers altes
Deutſchland, die Zuſaͤtze zu Winkelmanns Kunſt-
geſchichte, die ſuͤßlaͤchelnde Umarmung an ſeinen
Herelius, uͤber deſſen ſo alte, mittelmaͤßige und
gegen Nuͤrnberg inurbane Satyren — — die
niedrigen Verſpottungen ſolcher Schuͤtze, die Poͤ-
belpasquille auf einen Fiſcher u. a. wo mag ich
K 3die-
[150]Kritiſche Waͤlder.
dieſen Moraſt durchwaten? und ſelbſt mit dieſen
noch kein Ende. — — Jeder pruͤfende Leſer
wird ſich ungemein irren, in den Actis einen Schatz
von eigner Critik des Cenſors, ſelbſtgedachte Anmer-
kungen, um etwa die Luͤcken, der geruͤgten Autoren
vollzufuͤllen, und ihre Werke vollkommner zu ma-
chen: ſtille Beleuchtungen der verborgnen Fehler,
die eben nicht jedes leſende Auge ſehen doͤrfte und
doch ſehen muß: eigen ausgedachte Betrachtun-
gen, die da zeigen, daß der Recenſent mit dem
Autor
gedacht, und uͤber ihn weg, ihm vorden-
ken koͤnne: ſolche Critik, und ſie iſt die einzig wahre,
in den Actis? ich zucke die Schultern. Auszuͤge,
Gemmenregiſter, am unrechten Orte ſchreiende Ver-
beſſerungen, die jeder ſieht und wegwirft, mit un-
ter niedriger Spott — ſiehe da den Geiſt der
Actorum. Die lateiniſche Huͤlle hat die Deut-
ſchen geblendet, und auch die wird unertraͤglich,
wenn wir ein nahrhaftes Buch durch Auszuͤge in
ein Phraſeslatein hingeſchwemmet ſehen, wo nichts
minder, als der urſpruͤngliche individuelle Charakter
von der Denk- und Schreibart des Verfaſſers,
uͤbrig geblieben. Auf Hrn. Klotz lateiniſcher Scene
lallet Winkelmann ſo wie Hauſen, und Hauſen ſo
wie Leſſing, und alle wie — — der lateiniſche
Hr. Klotzius.


Der Verfaſſer hat uͤberhaupt ſeine ſehr enge
Sphaͤhre zu urtheilen, und da er innerhalb dieſer
nicht,
[151]Drittes Waͤldchen.
nicht bleibt, ſondern ſeinen einſeitigen Geſichtspunkt,
als Polyhiſtor, allgemein machen will: wie anders
als Fehltritte uͤber Fehltritte, und ſchaale Urtheile
durch einander. Ein Mann, wie Klotz, ſchreibt
von Allem, Gottesgelahrtheit, Rechtsgelahrtheit,
Geſchichte, Philoſophie, Alterthum, geſchnittnen
Steinen, Muͤnzen, Gedichten, und von allen
gleich. Beiſpiele — wer mag ſie geben? wer
wird in ſolchen Buͤchern des Nachſchlagens nicht
muͤde? ich gebe ſie alſo aus dem Gedaͤchtniſſe. Trie-
gen wirds mich nicht; denn die Spuren darinn
ſind zu oft und aͤrgerlich wiederholet.



Ueber
[152]Kritiſche Waͤlder.

Ueber die Gottesgelahrtheit.



Wie kommt Herr Klotz, der Vielſchreiber, da-
zu, daß er ſich bei allem Anlaſſe, zur Zeit und
Unzeit, hinter die Baſedowe und Heilmanns und
Tellers, als ein Maͤrtrer der Wahrheit hindraͤnge,
und ſich in Klagen und Konteſtationen zu Maͤn-
nern nebenanſetzet, mit denen er nichts gemein hat?
Das Publikum ſchlaͤft eine Viertheilſtunde, oder
iſt uͤber Feld gegangen; nachher aber machts genau
Unterſcheid, wohin jemand gehoͤre, und wohin es
ihm beliebt, ſich zu claſſificiren; und ſpricht als-
denn gerade hin: Freund! ruͤcke hinweg!


Herr Klotz hat die Namen einiger Theologen
auf der Zunge, ſelten mit Ehren, ohne daß Er doch
uͤber ſie Richter und der Ueberweiſer ihrer Meinun-
gen geweſen waͤre. Einer davon iſt Goͤtze. Se-
nior Goͤtze mag ſeine Fehler, und wenn man will,
ſeine Jrrthuͤmer haben: gut oder nicht gut, daß
er dieſelbe vertheidigt: aber was gewinnt der liebe
Leſer fuͤr Wahrheit und Ueberzeugung, wenn er in
einer Klotziſchen Satyre das Pasquill lieſet:


Gœtzius Hamburgi clamoribus omnia complet,

Voce tonat rauca, turris templumque tremiſcit.

Was hat man damit anders geleſen, als daß Hr.
Goͤtze eine durchdringende Stimme habe und Hr.
Klotz
[153]Drittes Waͤldchen.
Klotz ein — — Spoͤtter ſey. Will der Verf.
antworten: das Fehlerhafte, das Jrrige haben
ihm und ſeines Gleichen ſchon andre Theologen ge-
zeigt, worauf ich mich gleichſam mit einer ſtum-
men Anzeige berufen darf: o ſchoͤn! die Richter
haben ihr Urtheil geſprochen, und wer ſind die nun,
die ſich auf der Straße hinzufinden, die dem Ver-
urtheilten nachrufen, nachſpotten — wer ſind die?


Jn unſerm Kritiſchen Jahrhunderte ſollten wir
endlich einmal ſo weit ſeyn, auf eignem Boden und
nicht nach ſolchen fremden Poſtulaten zu urtheilen.
Alle Annehmenswuͤrdigkeit der Kritik faͤllt weg,
wenn man, ohne Gruͤnde und Beweiſe, mit einer
Schimpfſentenz losbricht, ohne daß man weiß, wo-
her und wo hieher? Solche Fußung auf fremde
Machtſpruͤche, mit einem Machtſtreiche begleitet,
ſind immer Vorboten vom Verfalle der Litteratur
geweſen: und zu unſrer Zeit iſt dies ja der Lieb-
lingston dieſer und jener Zeitungen und Journaͤle.
So bekommt mancher ehrliche Mann einen Ban-
ditenſtich, wo er ſichs am wenigſten verſah.


Ferner: Der ſchoͤne, reinlateiniſche Styl iſt
bei Hr. Klotz ſo nahe mit dem Herzen ſeiner Littera-
tur verwandt, daß er an mehr als einem Orte die
dogmatiſche Barbarei der Theologen, aus ihres
Koͤnigs theologia poſitiva, oder Neumanns apho-
riſmis
ſich ſehr vornehm leid ſeyn laͤßt. Mich
dauert der manchmal unnoͤthig verflogne Seufzer.
K 5Bar-
[154]Kritiſche Waͤlder.
Barbarei iſt nirgends gut, und bei dem Lehrer der
Religion, der uns Geſchmack an den Wahrheiten
derſelben beibringen ſoll, am wenigſten; nie aber
kann die Reinigkeit des Styls, die Suͤßigkeit der
lateiniſchen Schreibart, nach Hr. Klotz Halbbegrif-
fen in der Theologie Souveraine ſeyn, oder es wird
noch aͤrger. Die Wahrheiten der Religion ſind
uns nicht in Cicerons Buͤchern von der Natur
der Goͤtter, ſondern in andern Sprachen, offenbart,
aus denen in ihren Vortrag bei aller einzelnen Wort-
reinigkeit ſich ein Orientaliſcher Hellenismus ein-
ſchleichen wird, und vielleicht als Geiſt des Ganzen.
Der gute Geßner hat mit Recht aus Cellars Lati-
nitas eccleſiaſtica
viele Barbarismen canoniſirt:
und der ſtrenge Schriftausleger wird noch' weit
mehr canoniſiren: wo ihm an dem Ganzen, dem
Unverfaͤlſchten, dem Unverworrenen des Begriffs
Alles gelegen iſt. Wer will nun lieber eine nach
den Buͤchern der Offenbarung ſtreng geſagte, un-
halbirte Theologie; oder ſuͤßes lateiniſches Ge-
ſchwaͤtz, wo das Runde des bibliſchen Begriffes in
dem Spuͤlwaſſer ſchoͤner Umſchreibungen zerfließt?
Wem iſt nicht die Sicherheit ſeines theoretiſchen
Glaubens mehr, als Alles? — Zweytens: Aus den
Haͤnden der Exegeten, wird nun erſt die Wahrheit in
die Haͤnde der Dogmatiker geliefert, denen es wie-
derum Hauptgeſichtspunkt iſt, ihre Saͤtze von den
Verwirrungen ſo vieler Jahrhunderte, von dem
Ge-
[155]Drittes Waͤldchen.
Gewebe ſo mancher Ketzer und Ketzermacher loszu-
wickeln, und ſie ſo rund, ſo gewiß, ſo klar darzu-
ſtellen, als es hinter den Denkarten und Vermi-
ſchungen ſo vieler Perioden der Religion geſchehen
kann. Auch hier alſo iſt die Strenge des Begrif-
fes und Beweiſes Alles. Wer will jenen und die-
ſen im Gefolge ſuͤßer und reiner Worte erſt aufſu-
chen? Ein Erneſti, (und weſſen Zeugniß kann hier-
inn mehr ſeyn, als dieſes theologiſchen Cicero?) hat
uͤber Materien, die hiezu die Grundlage ſeyn muͤſ-
ſen, geredet, und ſelbſt an Heilmann die Schwuͤ-
rigkeit gezeigt, lateiniſche Worte und Ausdruͤcke
Gedanken des Syſtems zu ſubſtituiren. Einige
neuere Dogmatiken, wovon ich ſelbſt die Schriften
Mosheims nicht ausnehme, beſtaͤtigen es, wie viel
von der genauen Praͤciſion und Dogmatiſchen Ve-
ſtigkeit oft durch den ſchoͤnen Styl verloren gehe,
und denn ſelbſt in Reden ſind die Bergerſchen
Orationes ſelectiores Zeugen von den Schwuͤrig-
keiten, beides zu gatten. — — Geſchmack-
voll alſo moͤgen ſolche Klagen uͤber die Dogmatiſche
Barbarei der Theologen immer ſeyn; nur gruͤnd-
lich? — — Am beſten, daß ſich Hr. Kl. nicht
darein miſche, und die Namen guter und boͤſer
Theologen dem Urtheile andrer uͤberlaſſe.



Ueber
[156]Kritiſche Waͤlder.

Ueber die Reichsgeſchichte:
ein hiſtoriſcher Spatziergang.



Was muͤßte ein vernuͤnftiger Alter denken,
wenn er auflebte, und unſre Geſchichte be-
trachtete? Die Lehren unſrer hiſtoriſchen Kunſt,
und den Kontraſt in Ausuͤbung derſelben? —
Doch, ach! wenn dies nur der einzige unverant-
wortliche Wiederſpruch in unſrer Litteratur zwi-
ſchen Lehren und Thaten waͤre!


Die Alten, Griechen und Roͤmer, haben uns
ſo vortrefliche Muſter der Geſchichte hinterlaſſen,
daß es ein canoniſirter Spruch geworden: hos ſe-
quere!
und wer waͤre es, dem man dieſen Spruch,
und das nachahmungswuͤrdige Schoͤne ihrer Hiſto-
riographie erſt vorbeweiſen muͤßte. Warum zie-
het der kleine ſuͤdliche Strich von Europa, Grie-
chenland und Rom, Jahrhunderte durch die Au-
gen aller Welt ſo auf ſich? Warum gehen wir an
die Geſchichte der mittlern Zeiten, im Occidente und
ſo gar im Oriente, ſo ungern daran? Warum iſt in
dem Koͤrper unſrer Welthiſtorie die Beſchreibung
dieſer beiden Voͤlker uns gewiß nicht blos Natio-
nalgeſchichte, Thaten, die im Winkel geſchehen,
ſondern Merkwuͤrdigkeiten der Welt? — —
Eine kleine Vergleichung mit andern Zeiten und
Ge-
[157]Drittes Waͤldchen.
Gegenden wird zeigen, wie vieles dazu auch der
Ton
der Stimme beitrage, der Alles dies der
Welt verkuͤndigte.


Das iſt nun gut fuͤr Griechen und Roͤmer:
aber warum, daß wir unſre Geſchichte nicht eben
ſo verkuͤndigen? und den Ton unſrer Stimme nicht
auch wuͤrdig unſres Vaterlandes und unſrer Zeit
machen? — Regeln genug liegen da. Hiſtori-
ſche Geſellſchaften ſind errichtet. Jeder arbeitet
an der hiſtoriſchen Kunſt: nur, an der Hiſtorie
ſelbſt — wenige. Und ſelbſt unter den wenigen,
wo ſind die Thucydides, Xenophons, Livius, Ta-
citus, und Hume’s unſres Deutſchlandes? — —
Jſt es einem Wanderer, der nicht ein dogmatiſcher
Kuͤnſtler der Geſchichte ſeyn will, und kein prakti-
ſcher Kuͤnſtler ſeyn kann, erlaubt, den mittlern
Weg der Unterſuchung zu nehmen: nicht, worinn
und warum ſich die Hiſtoriographie der Neuen und
Alten unterſcheide? „denn dieſes große Thema iſt
„fuͤr dieſen Ort zu groß„; ſondern nur, warum ſich
die deutſche Geſchichte nicht ſo ſchlechtweg à la Grec-
que
oder à la Françoiſe behandeln laſſe, wie unſre
Graͤciſirenden und Franzoͤſirenden Schoͤnſprecher
wollen.


Zuerſt, die aͤlteſten Nachrichten von Deutſch-
land haben eine andre Bewandniß, als die alte
Geſchichte des griechiſchen oder roͤmiſchen Urſprun-
ges. Wenn dieſe Altmuͤttermaͤrchen iſt, ſo iſt ſie
es
[158]Kritiſche Waͤlder.
es wenigſtens im Munde ihrer Landesmuͤtter, im
Munde ihrer Liederſaͤnger, ihrer Dichter, ihrer
Fabelſchreiber. Aus dieſer Blume von eigner
Nationalmythologie wird mit der Zeit die Frucht
reifer wahrer Geſchichte, ohne wunderſame Ein-
pfropfungen und Bezauberungen, nach dem Laufe
der Natur. Und eben das Ordentliche dieſes Na-
turlaufes ergaͤnzet ungemein die Luͤcken der aͤl-
teſten Geſchichte.
Die erſten hiſtoriſch dichteri-
ſchen Mythologiſten waren eine Produktion ihres
Zeitalters: der Zeitgeiſt nahm ihnen allgemach im-
mer mehr von ihrem dichteriſchen Wunderbaren:
ſie fanden das Zeitalter der Wahrheit — Wie
viel laͤßt ſich nun bei dieſem ungeſtoͤrten Naturlaufe
ruͤckwaͤrts ſchließen? wie manche Wahrſchein-
lichkeit
zuruͤck ausfinden, wo ſonſt nur Fabel waͤre?
Wie ungemein viel von der Veraͤnderung ſolcher
Landesſcenen mit Gruͤnden und Urſachen erklaͤren?
Philoſophie tritt hier der Geſchichte zur Seite, wo
ſie kaum noch Geſchichte iſt: ſie leuchtet auch ſelbſt,
Chronologiſch gerechnet, der Wahrheit gleichſam
vor: die aͤlteſte Halbgeſchichte wird pragmatiſch —
wenigſtens ein lehrender, ein bildender dichteriſcher
Roman.


Nicht ſo unſre aͤlteſte Landesgeſchichte. Unſre
Barden ſind vertilgt, mit ihnen alſo auch die ſinn-
reichen Dichtungen vertilgt, die ſich aus den alt-
griechiſchen Dichtern zuſammenleſen und zu dem
Tem-
[159]Drittes Waͤldchen.
Tempel voll ehrwuͤrdigen Ruinen aufhaͤufen laſſen,
an dem die Antiquarien ſeit Jahrtauſenden gebauet.
Aus Dichtern und uͤber Dichter laͤßt ſich auch hi-
ſtoriſch am beſten dichten: wie aber, wo keine ſolche
Dichter da ſind? Man tritt in den Tempel der
griechiſchen Geſchichte: Choͤre von Saͤngern em-
pfangen uns, und hinter ihnen dringen Dollme-
ſcher ihrer Geſaͤnge doch unmittelbar an. Doll-
metſcher der Wahrheit? freilich nicht! aber ſo man-
cher Wahrſcheinlichkeit, ſo mancher Erzaͤhlung, die
den Boden der Geſchichte nicht ganz leer laͤßt, ſo
mancher Sage, die ungemein klug machen kann:
durch die Griechen und Roͤmer ihrer Geſchichte ſo viel
Farbe des pragmatiſchen Urſprunges gegeben, die
manchen Schulgruͤbler geblendet, die unſre Huͤb-
ners mit ſo artigen Maͤhrchen ausgefuͤllt, die ſo
viel antiquariſche Hypotheſen und Unterſuchungen
veranlaſſet — alles nicht bei der deutſchen Ge-
ſchichte. Jch trete in ihren Tempel und — die
Stimme der Barden ſchweigt. Kein Laut, kein
Echo vergangener Zeiten.


Aber die Taciti unter den Roͤmern? Sie
haben mit ihren einzelnen Sylben und Stuͤckwerken
von den Deutſchen uns mehr Ton gegeben, als
ganze Liederſammlungen der Barden. Sie, Schrift-
ſteller eines gebildeten Roms, Geſchichtſchreiber, die
an den Merkwuͤrdigkeiten ſo viel anderer Voͤlker ihren
hiſtoriſchen Geiſt gebildet hatten: ſie, Geſchicht-
ſchrei-
[160]Kritiſche Waͤlder.
ſchreiber der Deutſchen nach roͤmiſcher Weiſe —
— und eben des alles wegen ſehr einſeitige Schrift-
ſteller Deutſchlands. Da ſie die Deutſchen nur
uͤber und von den Graͤnzen aus, nur als Fremde,
nur als ungeſittete Barbaren, nur als Feinde kann-
ten: ſo kannten ſie ſie nur immer, ſo fern ſie nicht
Roͤmer waren, und das iſt wenig. Wer ſich nicht
in die eigenthuͤmliche Denkart eines ſo verſchied-
nen Volks verſetzen, aus dem eigenthuͤmlichen Geiſte
deſſelben, aus den Geheimniſſen ſeiner und ihrer Er-
ziehung urtheilen kann, der weiß nur immer wenig:
und wer als fremder, unbekannter, politiſcher
Feind, und was uͤber alles iſt, als Menſch einer
andern Denkart ſchreibet, immer wenig. Er kann
blos die von ſeinem Volke und ſeiner Cultur abſte-
hende, oder hoͤchſtens die ihnen zugekehrte Seite
zeichnen, und freilich die zeichnen Roͤmiſche Taciti
vortreflich.


Jndeſſen ſieht man, was hier zu einer prag-
matiſchen Geſchichte fehlt? wie ſehr ſie in dieſem
verlaſſenen Anfange von der Roͤmiſchen und Grie-
chiſchen Hiſtorie, die die Origines ihres Volks, in
einlaͤndiſchen alten Schriftſtellern beſitzen, abſteche?
in welchem Geſichtspunkte man allein die Roͤmer
brauchen? auf welche Luͤcken man lieber zeigen, als
ſie hinterliſtig verbergen? kurz! daß von den alten
Deutſchen keine innere pragmatiſche Geſchichte zu
geben ſey — —


So
[161]Drittes Waͤldchen.

So bis auf den Karl den groſſen: in ihm aber
entwickelt ſich ein Zeitpunkt, der freilich ſo vieler
hiſtoriſchen Jntuition faͤhig iſt, als einer ſeyn kann,
nur daß er noch keinen ſo intuitiven Philoſophen
uͤber ſich gehabt. Karl koͤnnte in der Nacht ſeiner
Zeiten, wie ein Stern ſeyn, der uͤber Frankreich,
Deutſchland und Jtalien leuchtet.


Jetzt aber ſein Geſchlecht — wie viel gehet hier
von dem Stempel der pragmatiſchen Geſchichte weg.
Ein Zeitpunkt der Barbarei und des Aberglaubens;
ſiehe da! dieſe Larve liegt auch auf allen Geſichtern
der Zeit, ſie iſt Geſichtspunkt der Begebenheiten,
Triebfeder der Thaten, Farbe der Veraͤnderungen,
Ton der Hiſtoriographen. Nun wolle ein griechi-
ſcher Portraitmahler Charaktere zeichnen: und ſiehe!
da ſtehet eine Reihe voll heiliger oder unheiliger
Affengeſtalten, Kreuz in der Hand, und Kreuz
auf dem Haupte, vor oder gegen die Pfaffen be-
ſchaͤftigt, entweder canoniſirt oder im Fegefeuer,
weder im Guten noch Boͤſen frei, eigenthuͤmlich,
Roͤmiſch, Griechiſch. — Einfoͤrmige Moͤnchspa-
trone, oder Moͤnchsfeinde, ein in Nichtswuͤrdig-
keiten wuͤhlender Unheiliger, oder was noch ſeichter
iſt, ein — Heiliger ora pro nobis — Eine Gal-
lerie ſolcher Koͤpfe, was iſt ſie gegen die Reihe Roͤ-
miſcher und Griechiſcher Helden und Unmenſchen in
Plutarch und Tacitus? — Hauſen ſei Gewaͤhrs-
mann unter Carolingern, Sachſen und Franken.
LEr
[162]Kritiſche Waͤlder.
Er betet ſeine einfoͤrmigen Charaktere ſo wiederho-
lentlich her, als eine Nonne die Vaterunſer ihres
Roſenkranzes: und Haͤberlin, der nicht hinter her
beten wollte, muß alſo nur zu Ende der Zeitraͤume
charakteriſiren — wie viel kluͤger!


Jn dieſer Zeit faͤngt ſich an das heutige Roͤ-
miſche Reich zu bilden. Die große Waſſerblaſe
iſt zerſprungen: kleinere reißen ſich los: und durch
ein wechſelndes Zerſpringen und Werden iſt die
Menge kleiner Fuͤrſten, gleichſam am Rande des
Gefaͤßes, geſichert. Hauptgeſichtspunkt iſt alſo
nicht blos der Reichs-, ſondern der deutſchen Ge-
ſchichte uͤberhaupt,
daß man dieſe allmaͤliche
Schoͤpfung
zum heutigen Staatskoͤrper bei je-
der Progreſſion der Umbildung merke, genau
aus Urkunden anmerke, auszeichne.


Einige ſuͤße Herren unſers Jahrhunderts haben
ſich mit guter Manier von dieſem dunkeln und be-
ſchwerlichen Wege losgezaͤhlet, und vornehm zwi-
ſchen Reichsgeſchichte und Geſchichte Deutſchlands,
zwiſchen genauen Nachrichten von der jedesmaligen
Staatsverfaſſung, und zwiſchen einer ſchoͤnen Ge-
ſchichte voll Charaktere und huͤbſcher moraliſchen
Reflexionen unterſchieden. Das Citiren der Ur-
kunden, die veſte Beſtimmtheit bei jedem Schritte,
das gerade Hinblicken auf Staatskoͤrper u. ſ. w. iſt
eine Pedanterie, die man einem Profeſſor des Staats-
rechts allenfalls verzeihen koͤnne: die Mascove,
Buͤ-
[163]Drittes Waͤldchen.
Buͤnaus und Hahne ſind veraltete Bibliothekenwaͤch-
ter: die Puͤtters und Gatterers endlich noch zum
leidigen Gebrauch ihrer Reichsurkundlichen Zuhoͤrer:
die Hauſens und alle neuere ſchoͤne Geiſter ſchrei-
ben beſſer: ſchoͤn, mahlend, pragmatiſch. Scha-
de der trocknen Reichs- und Staatsgeſchichte.


Und was iſt denn eine Geſchichte Deutſchlands,
die dies nicht waͤre? Eine Griechiſche und Roͤmi-
ſche war eine Geſchichte von Republiken ganz andrer
Art, oder einzelnen großen Welthaͤndeln, eines
großen Mannes, oder einer großen Verſammlung,
die das Triebrad der groͤßten Begebenheiten waren.
Deutſchland im Verfolg ſeiner Jahrhunderte iſt we-
der Athen noch Rom, weder eine Monarchie,
noch eine Republik, die der ganzen Welt (dieſer
orbis terrarum ſei nun ſo groß, als er wolle) Ton
gaͤbe: weder ein Schauplatz Griechiſcher Cultur
und Freiheit, noch des Roͤmiſchen Eroberungsgei-
ſtes. Es iſt in ſich eingezogen ein werdendes
heiliges Roͤmiſches Reich,
das noch heute in
ſeiner Einrichtung das ſonderbarſte von Europa iſt;
es iſt Jahrhunderte durch ein Chaos, aus dem ſich
Herzoge, Grafen und Herren, Biſchoͤfe und Praͤ-
laten heben: ohne die es kein Deutſchland gibt.
Wie alſo eine Geſchichte Deutſchlandes, die keine
Staats - oder Reichsgeſchichte ſei? Eine Reihe von
Roͤmiſchen Kaiſern in ihren Bruſtbildern, in ihren
Privatanekdoten, in ihren Leibes- und Seelenbe-
L 2ſchaf-
[164]Kritiſche Waͤlder.
ſchaffenheiten, zuſammt ein Paar ihrer Thaten, fuͤl-
let nichts aus, ſo lange Deutſchland kein Schau-
platz des Deſpotiſmus oder der Diktatur geweſen; ja
das Meiſte von dieſem allen hat oft nicht einmal
aufs Ganze Einfluß. Eine Kaiſerhiſtorie fuͤr eine
Geſchichte Deutſchlands genommen: ſo wird alles
neben ihnen vergeſſen, was doch das wahre Deutſch-
land iſt: das liebe Herz der Kaiſer mahlen, das
doch nicht eben, wie der Charakter Alcibiades, Ale-
xanders, Auguſtus und Nero, zugleich das Herz
Deutſchlands war? Eine Kaiſerkrone ſchildern die
auf ihren Kuͤſſen oft ruhig lag, und gewiß den
Kopf von Deutſchland nicht ausmachte. — —


Jeder ſiehet, daß hier kaum eine Pragmati-
ſche Geſchichte nach Art der Alten moͤglich iſt.
Dort gingen alle Faͤden an gewiſſe Hauptenden zu-
ſammen, aus denen ſie ſich geſponnen: hier ſteht
man Jahrhunderte durch am brauſenden Meere,
damit aus ihm eine Menge von Jnſeln werde. Wo
hier Einheit? wo Evidenz? wo Jntereſſe nach
Art der Alten,
wenn ihre Geſchichte das Muſter
ſeyn ſoll? Die Geſchichte von Deutſchland muß ſo
ein Original ſeyn, als Deutſchlands Verfaſſung.


Und iſt dieſe werdende Verfaſſung Hauptge-
ſichtspunkt, wo kommen wir hin, wenn wir Ur-
kunden und Diplome, u. ſ. w. verachten, und ſchoͤn
franzoͤſiſch dichten? Dichten laͤßt ſich noch zur
Noth der Roman eines Monarchen, einer einfa-
chen
[165]Drittes Waͤldchen.
chen Republik: aber uͤber die trockne Frage: wie
ward jeder in Deutſchland, was er iſt? was iſt
er in jedem Zeitalter geweſen? uͤber die laͤßt ſich
nicht dichten. Eine Geſchichte voll Geiſt und
Thaten, wie die Alte, wird unſre nie werden; ſie
iſt eine trockne Geſchichte des Ranges, des Rech-
tes, des Zanks; aber eine Franzoͤſiſche ſollte ſie
nie werden wollen, weil ſie bei ihren Materien mit
Wahrheit und Genauigkeit Alles verliert. Nicht
der Geiſt des Vernuͤnftelns kann ihre Seele ſeyn;
denn wie wenig iſt in Deutſchland durch Vernuͤnf-
telei geworden? fortgehende Aufklaͤrung ihres
ganzen Seyns iſt ihr Geiſt und Leben —


Die Geſchichte der Carolinger, Sachſen und
Franken iſt hiezu eine wichtige, aber wie verdrieß-
liche, wie verwirrte, wie unannehmliche Scene,
wenn wir franzoͤſiſch denken, wenn wir blos malen,
vernuͤnfteln, uͤberraſchen, und darf ich noch dazu
ſetzen, blos bilden wollen? Der Charakter der
Deutſchen hat von jeher das Trockne gehabt, ſich
um einen Ceremonienrang, um dies und jenes ur-
kundliche Hoheitszeichen, um ein und das andre
Recht, nicht weil es Vortheil, ſondern weil
es Rechtsfoderung war, zu intereſſiren, ſich inte-
reſſiren zu laſſen, ſich oft die Haͤlſe zu brechen.
Dieſen Charakter wird auch die Geſchichte Deutſch-
lands nicht verlaͤugnen, und muß ſie es nicht, wenn
wir ſie nach einer andern, ſie ſei Griechiſch oder
L 3Roͤ-
[166]Kritiſche Waͤlder.
Roͤmiſch, Brittiſch oder Franzoͤſiſch, modeln wollen?
Der Geiſt, der alle dieſe Voͤlker belebte, und wenn
wir ihn auch jedesmal Ehre nennen wollen; Him-
mel! wie ſehr iſt nicht die Griechiſche Ehre, und
die Roͤmiſche Ehre, und die Brittiſche Ehre, und
die Franzoͤſiſche Gloire und der Deutſchen Rang
verſchieden? oder wenn wir dieſe Triebfeder hier
und da auch Freiheit nennen wollen, nicht noch im-
mer verſchieden? — — Und wenn nun eine idio-
tiſtiſche Nationalgeſchichte der Deutſchen, Merkmale
dieſer deutſchen Freiherrlichkeit, einige Franzen
dieſes Ceremonienhimmels, und wenn ſie auch ſo
ſehr auf Koſten ihrer Nation geſponnen waͤren, ha-
ben muß; wird da nicht eine gewiſſe trockne Puͤnkt-
lichkeit, ein ſteifer gemeſſener Schritt von Urkunde
zu Urkunde oft beinahe unvermeidlich ſeyn?


Und fuͤr Deutſche faſt unentbehrlich. Es ſei
Ungelenkigkeit, oder was es ſei, daß ich bei Ge-
ſchichte auf ſchoͤnen Vortrag und Weltweiſe Anmer-
kungen nur immer zuletzt ſehe, bei jedem Factum
trockne und genaue Nachricht, bei jedem Datum ſiche-
re Gewaͤhrleiſtung verlange, und bei manchen ſchoͤ-
nen Geſchichtsromaͤnen mal uͤber mal mit Unwillen
frage: redeſt du das von dir oder haben dirs andre
geſagt? daß ich mit Unwillen umherirre, wenn
ich nicht weiß, ob dies Sache, That, Geſchichte
— oder Bemerkung, Einfall, Meinung des Ge-
ſchichtſchreibers iſt: daß ich mit Peinlichkeit unter-
ſchei-
[167]Drittes Waͤldchen.
ſcheide: iſt dies Geſchichte Englands, wie ſie ge-
ſchehen iſt, oder wie Hume meint, daß ſie ſich
haͤtte zutragen koͤnnen? ja, daß ichs fuͤr Fehler und
Verderbniß aller Geſchichte halte, auf nichts als
Hiſtoriſche Kunſt, Epiſche Anordnung, Pragma-
tiſche Bemerkungen, Philoſophiſche Einlenkungen
zu dringen, unter denen ich den nackten wahren
Koͤrper der Geſchichte ſo wenig erkennen kann, wie
er iſt, als wenn der Emil des Bruder Philipps
vor ſeinen Gaͤnschen ſtille ſtehen, und aus dem
aͤußerlichen Anzuge, und dem Reifrocke, und der
Schnuͤrbruſt deſſelben auf die verborgene wahre
Geſtalt des geputzten weiblichen Koͤrpers weiſſagen
ſollte. — — Bei aller unſrer Zurichtung der Hi-
ſtorie fuͤr den guten Geſchmack ſollte es alſo Haupt-
regel ſeyn, genau dem Leſer die Graͤnze zu bezeich-
nen, wo Geſchichte aufhoͤrt, und Vermuthung
anfaͤngt; ja genau den Grad der Gewißheit bei je-
dem Tritte. Gehoͤrt dies nun der ganzen Ge-
ſchichtskunde als Eigenthum zu: vielmehr unſrer
ſtrengen trocknen Deutſchen. Bei uns kommt das
Wort Geſchichte, nicht von Schichten und
Epiſch ordnen, und Pragmatiſch durchweben,
ſondern von dem vielbedeutenden ſtrengen Worte:
geſchehen her, und daruͤber will ich auch nicht bis
auf Einen Punkt in Ungewißheit bleiben.


Darf ich mein Gutachten zu einer deutſchen Reichs-
geſchichte fortſetzen? Viele Jahrhunderte durch iſt
L 4Deutſch-
[168]Kritiſche Waͤlder.
Deutſchland in die Geſchichte eines andern Landes
rechtlich, und dazu kirchlich verwickelt geweſen,
und eine rechtlich - kirchliche Verwicklung iſt fuͤr
Deutſchland nach ſeiner Verfaſſung, und fuͤr einen
Geſchichtſchreiber, der dieſer Verfaſſung folgen will,
die groͤßre Verwicklung. Dies Land iſt Jtalien.
Pfaffen waren die Bekehrer der Deutſchen zum
Pabſt, und dieſe Paͤbſtlichen Apoſtel, vom heil.
Bonifacius an, wurden die erſten Reichsfuͤrſten:
Pfaffen und Biſchoͤfe wurden die erſten Reichsſtaͤnde
und Freiherrlichkeiten: die erſten kleinen Souverai-
nen und Friedensſtoͤrer. Nicht blos alſo daher,
daß Deutſchland gleich von ſeiner erſten Formung
vor andern eine ſehr kirchliche Geſtalt bekam, ſon-
dern auch, daß lange nachher ſeine Kriege ſo oft
nahe an Pfaffenſtreitigkeiten und Biſchofsvorzuͤge
graͤnzten. Und da dieſe Rang- und Rechtsgeiſtli-
che zwei Haͤupter hatten, eins in, und eins außer
Deutſchland: wie anders, als daß daher der Mit-
telpunkt deutſcher Thaten und Geſchichte ſo lange
und oft außer Deutſchland faͤllt, nach Jtalien,
nach Rom hin — eine neue Quelle hiſtoriſcher Ver-
wirrungen! Und wie anders, als da dieſe Paͤb-
ſtiſch- Jtalieniſch- Deutſchen- Geſchichte ſo lange und
oft wieder nichts als Rang - Kirchen - und Rechts-
ſtreitigkeiten enthalten, dieſe die trockenſten, ver-
wickeltſten, und oft eckelhaft ſeyn muͤſſen? Und
doch muͤſſen ſie es ſeyn. Und doch iſt eben dieſe
Ent-
[169]Drittes Waͤldchen.
Entaͤußerung Deutſchlands deutſche Geſchichte.
Und doch eben dieſe Streitigkeiten und Rang - und
Roͤmerzuͤge der Urſprung deutſcher Verfaſſung —
wie wenig Franzoͤſiren kann hier unſre Geſchichte!
Der Hiſtoriograph muß hier ſchon Schild - und
Wappentraͤger des heil. Roͤmiſchen Reichs werden,
er wolle, oder nicht.


So laͤuft die Geſchichte viele Kaiſerreihen her-
unter, wo der Hiſtorikus auf einem Gebirge ſitzen
muß, um auf Deutſchland und Jtalien ſeine
Augen fliegen zu laſſen, um keine bloße Fuͤrſten-
noch Kaiſer - noch Pabſtgeſchichte, ſondern eine Hi-
ſtorie deutſcher Nation zu ſchreiben, wo dieſe ſich
findet, in Kreuz - oder Roͤmerzuͤgen; wo ſie lernet,
in Neapel bei den Saracenen, oder in Schwaben
bei den Saͤngern der Liebe: womit ſie ſich beſchaͤf-
tigt, es ſei mit dem Fauſtrechte oder Guelfenſtreite
— uͤberall Deutſche Geſchichte: und jedesmal der
Geſchichtſchreiber ein Hausgenoſſe, ein Miniſterial
des Zeitgeiſtes. Helle Punkte, leuchtende Sterne,
Milchſtraßen gibts uͤberall, inſonderheit im Schwaͤ-
biſchen Zeitalter: aber der Grund bleibt naͤchtlicher
Himmel: Reichsurkundliche Trockenheit!


Bis auf die mittlere Habsburgiſche Geſchichte,
wo ſie ſich mehr entwickelt, aber auch mit jedem
Zolle der Entwickelung rechtlicher und Reichsurkund-
licher wird. Das Gerechtſame, das Reichskraͤf-
L 5tige
[170]Kritiſche Waͤlder.
tige wird immer augenſcheinlicher Deutſchlands
Geiſt, und ſo auch Geiſt Deutſcher Geſchichte.
So fort bis auf Maximilian und Karl den fuͤnf-
ten,
deren Zeitalter ich fuͤr den Mittelpunkt aller
Geſchichte hinter den Roͤmern, fuͤr die Baſis aller
neuern Europaͤiſchen Verfaſſung, und fuͤr einen
Raum halte, der durch alle Laͤnder Europens hin-
uͤber der vortreflichſte zu der beſten hiſtoriſchen Be-
arbeitung ſeyn muͤßte. Von hieraus faͤngt ſich
alles an, Staats - Litteratur - Religionsveraͤnde-
rung — eine neue Geburt des menſchlichen Gei-
ſtes durch ganz Europa.


Weiter gehe ich nicht: wie ſich die neueſte
Deutſche Geſchichte pragmatiſch behandeln laſſe,
werden Adlung und Hauſen beantworten, jener ein
Zeitungsſtoppler, dieſer ein Geſchichtmaler zur
Gnuͤge. Jch ziehe aus meinen Miſcellaneen nur
dies heraus: daß die Deutſche Geſchichte ſich gar
nicht halbgriechiſch oder halbfranzoͤſiſch behandeln
laſſe — ein Thema, das ich an anderm Orte mit
verungluͤckten Beiſpielen beweiſen werde. Hier
nur ſo viel: daß Hr. Kl. ohne innere Kenntniß der
Sache urtheile, wenn er die Mascove, und Buͤ-
naus, und Puͤtters ſo tadelt, wie er tadelt,
und ohne Kenntniß der Sache urtheilet, wenn er
die Hauſens auf Koſten dieſer Maͤnner lobet. Ei-
ne deutſche Geſchichte ſoll freilich noch geſchrieben
werden: aber wahrhaftig nicht nach Klotziſchem
Jdeal,
[171]Drittes Waͤldchen.
Jdeal, da dieſer Vielwiſſer aus einigen Proben a)
nichts weniger zu wiſſen ſcheint, als Deutſche Ge-
ſchichte — —


Und Griechiſche Geſchichte — wenn ich man-
che ſeiner Urtheile uͤber das Jnnere Griechenlandes,
und am meiſten ſeinen ſuͤßen in lauter hogarthſchen
Wellen und Schlangenlinien ſchleppenden Stil be-
trachte — nie hat Hr. Kl. weiſer geurtheilet, und
weiſer geſchrieben, als da er dem Auszuge aus der
Allgemeinen Weltgeſchichte, wichtigerer Thaten
wegen,
entſagte.



Ueber die Philoſophie des Hrn.
Klotz.



Klotz und die Philoſophie! das Paar ſcheint ſich
nicht ſonderlich zu lieben, und wenn beide
gar offenbar gegen einander antipathiſiren, was
wollte ſie verbinden? Nur ſollte das Maͤnnlein auch
alſo das arme Fraͤulein unbeſchimpft laſſen, und
nicht an ihrer Ehre kraͤnken.


Gegen die Metaphyſik hat Hr. Klotz feierlich
eine ſatyriſche Lobrede b) gehalten: er hat ihre
allwei-
[172]Kritiſche Waͤlder.
allweite Herrſchaft, ihre Abſtammuug von der
Zankgoͤttinn, ihr Regiment uͤber die Theologen,
Juriſten und Poeten, ihre Nutzbarkeit zu Zaͤn-
kereyen und Erfindung neuer Woͤrter, ihre An-
nehmlichkeit und Unſterblichkeit — ſo fein und
langweilig ausgeziſcht, daß ich nicht weiß, was
ich erſt fragen ſoll? ob nach der Gruͤndlichkeit der
Materie, oder der Neuheit der Jronie, oder der
Beſtimmtheit des Spottes, oder der Kuͤrze in
Wendungen — wornach zuerſt? Hr. Kl. geruhet,
die ganze Metaphyſik, ohne Einſchraͤnkung und
Beſtimmung, ihrem Weſen und Nutzen, und
nicht ihrem Misbrauche nach, ohne Reim und Ur-
ſache, ſchaal und matt auszuziſchen — O des Phi-
loſophiſchen Satyrs im achtzehnten Jahrhundert.


Gegen die ſcientifiſche Methode, und gegen die
ſyſtematiſche Philoſophie und gegen die barbari-
ſchen Kunſtwoͤrter der Philoſophie hat Hr. Kl. einen
magern, wiederholten Spott ſich ſo zur Falte eines
verrunzelten Geiſtes werden laſſen a), daß er auf
dieſer Saite ſehr gerne leiert. So tief wie Cicero,
und ſo ſyſtematiſch wie Montagne, ſollen unſre Phi-
loſophen philoſophiren; ſie ſollen die metaphyſiſche
Grundlage, die Polybius und Tacitus geliefert,
weiter ausbauen: ſie ſollen ſo genau und beſtimmt
wie Baco ſprechen, und Montesquieu, wie wir
ſchon
[173]Drittes Waͤldchen.
ſchon eine Probe haben, in ein Compendium bringen:
das will Hr. Klotz, oder redet wenigſtens ſo unbe-
ſtimmt, und der trocknen philoſophiſchen Genauig-
keit und Ordnung ſo gehaͤßig, als ob er dies wollte.


„Sie raͤchet ſich gegen ihre Veraͤchter!„ dies
ſagt Luther von der Grammatik der Worte, und
noch mehr ließe es ſich von der Grammatik der
Gedanken, von der Philoſophie, ſagen. Sie raͤ-
chet ſich gegen ihre Veraͤchter, und ſie hat ſich reich-
lich an Hrn. Klotz gerochen. Sie, die genaue
Philoſophie iſts, die jeden Satz in ſeinem Muͤnzen-
gerichtlein beſtimmt und veſt gemacht hat: ſie, die
genaue Philoſophie iſts, die ſein Buͤchlein von der
verecundia Virgils geſchrieben, die mit ihm uͤber
Homer critiſiret, die die Mythologie verworfen und
uns eine neue geſchaffen, die gegen Leſſing geſtritten,
die aus geſchnittnen Steinen eine Aeneide und
Jliade erbauet, die die Halliſche deutſche Biblio-
thek, wie ein Weltgeiſt, und ein rector Archaeus
fuͤllet; die in alle Schriften meines Hrn. Verfaſ-
ſers Ordnung bringet; die ihn nie ein Wort zu
viel und unzeitig und unertraͤglich ſchielend ſchrei-
ben laͤſſet; die die Baumgartenſche Aeſthetik, und
die Wolfiſche Philoſophie in Stuͤcken zerhauen a);
die in einem Athemzuge ohne ein ſtummes Wort
des Beweiſes „Hollmann zum Schulphiloſophen
und
[174]Kritiſche Waͤlder.
„und Palaͤologus, der nichts, was ſchoͤn iſt, ken-
„net, Cruſius zum Diebe Hoffmanns, und die
„Darjeſianer ihrem meiſten Theile nach zu Barba-
„ren ohne Geſchmack, ohne Wiſſenſchaft und
„Kenntniſſe„ macht: ſie iſts, die große Freundinn
des Hrn. Klotz, die Philoſophie. — — Sie
raͤchet ſich gegen ihre Veraͤchter!



Nun komme ich endlich in das rechte Feld des
Hrn. Kl., wo er unter geſchnittenen Steinen und
Muͤnzen und Scherben daſitzt, wie ein Kind unter
Schnecken, und bunten Steinchen und Spielzeuge:
Jch ſoll von ſeinem Buche reden:


Ueber die geſchnittnen Steine.



Wo doch Hr. Kl. wahrhaftig alle ſeine Bele-
ſenheit, recht haͤßlich weite Gelehrſamkeit,
und recht honigſuͤßen Geſchmack bewieſen hat?
Habe er doch! Mein einziges Urtheil iſt dies, daß,
wenn ein Mann wirklich ſo viel große, ſchoͤne, koſt-
bare Werke nachgeleſen, nachgeſchlagen hat, und
nichts mehr, als die elenden, trivialen Anmerkun-
gen, das halbkluge und verzuckertſuͤße Geſchwaͤtz
herausleſen und herausauſſchlagen kann, was Hr.
Kl. hier vorzeiget: ſo ſchlage man ihm die Buͤcher zu.
Mit
[175]Drittes Waͤldchen.
Mit allem ſeinen Leſen wird der beleſene Leſer
in ſeinem Leben nichts Rechts herausbringen.


Ein denkender Schriftſteller, der da irrt; und
ein irrender Schriftſteller, der da denkt; und ein
ſtrauchelnder Schriftſteller, der noch nicht gnug ge-
leſen, aber leſen kann: der nehme Buͤcher in die
Hand; er wird denken, er wird nuͤtzliche und große
Sachen hervordenken: ſein Geiſt wird wachſen.
Aber der Anagnoſte, der da lieſet, um geleſen zu
haben, und citirt, was er nicht geleſen, und mit
allen ſeinen Citationen nichts herausbringt, als
was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe
man die Hoffnung auf; der flickt ſich einen Rock
von Citationen zuſammen, um ſeine Bloͤße zu
decken. — —


Fuͤr wen ich zu frei ſchreibe, der ſage mir:
was der Stein-Muͤnzen - und Bilder - und Buch-
ſtabenbeleſne Klotz denn bisher mit ſeiner Lecture
Neues geſagt? Wer mit ſo vieler Beleſenheit uͤber
Tyrtaͤus, und Homer, und Virgil, und Horaz,
und den Geſchmack auf Muͤnzen, und den Nutzen
der geſchnittnen Steine nicht mehr ſagt, als Er,
der hat mir nichts geſagt: der ſage Nichts.


Herr Klotz hat aus Urſachen, die ich nicht
weiß, und nicht wiſſen will, den guten Vorſatz ge-
habt, die Lipppertſche Dactyliothek der Welt und
inſonderheit den Schulen anzupreiſen. Es ſei gu-
ter
[176]Kritiſche Waͤlder.
ter Vorſatz. Es ſei, daß dazu die Anpreiſung
unſrer halbhundert Deutſchen und Lateiniſchen
Journale, Bibliotheken, Akten, Zeitungen nicht
gnug war: es ſei, daß das eigne Lippertſche Ver-
zeichniß, woraus ich mich nicht ſchaͤme, manches
gelernt zu haben, nicht gnug war: es ſei, daß die
Anpreiſung der Bibliothek d. ſch. W., der Goͤt-
tingſchen Zeitungen, und aller der Journale, in de-
nen Hr. Klotz, als ein Proteus, in mehr als einer
Zunge und Sprache redet, nicht gnug war: aber
warum mußte denn Hr. Klotz ſo gar Lipperten
pluͤndern, und was dieſer in Reihen ſagt, Seiten-
lang wiederkauen? warum denn Caylus und Win-
kelmann pluͤndern, die doch jeder Halbkenner ken-
net! warum ſo ein unordentliches Gemiſch von An-
merkungen, wo man nicht weiß, ob der Steinle-
ſer mit Knaben oder mit Kuͤnſtlern, oder Gelehr-
ten, oder Liebhabern ſpreche? warum nach allen
ſolchen Anfuͤhrungen ſo arm, wie eine Kirchenmaus,
erſcheinen? — —


Es wird mir ſchwer, mich uͤber Einzelnheiten
zu erklaͤren, und das wiederzufinden, was ich im
Buche des Hrn. Kl. vorbeiging. Ohne Abſchnitte
und Theilungen watet man in ihm eine Strecke von
zweihundert ſieben und dreyßig Seiten, ich haͤtte
beinahe geſchrieben, Meilen, durch eine große
Sandwuͤſte, ohne Ruheplaͤtze, voll lauter Miſch-
materien, in denen der Autor bald mit der lieben
Ju-
[177]Drittes Waͤldchen.
Jugend, bald mit dem lieben Kuͤnſtler, und bald
mit dem Antiquarienſammler ohne Geſchmack, und
bald mit dem Liebhaber voller Geſchmack, und mit
Einem, wie mit dem Andern redet — ſo wallet
man eine Duͤrre von eignen Gedanken durch, um
hinten auf ein ſehr unterrichtendes Furienhaupt a)
zu kommen, das mich nicht aus dem Gedaͤchtniß
herfragen ſollte, was ich geleſen? So watete Ale-
xanders Heer die Lybiſche Sandwuͤſte durſtig und
in der Sonnenhitze gebraten durch, und fand —
ein Ziegenbild, einen gehoͤrnten Jupiter Ammon.


Fallen wir Deutſche nicht immer von einem
Aeußerſten aufs andre? Vor kurzem der Geſchmack
in Paragraphen: aus Paragraphen wurden zer-
ſchnittne Brocken von Capiteln à la Montesquieu:
nun wieder Akademiſche Diskurſe ein ganzes Buch
durchweg, ohne Kopf und Hand, eine langgeſtreckte
ſich fortringelnde Schlange, ein liebes Bild der
Unendlichkeit. Jn Kritiſchen Waͤldern herumſpa-
tzieren, heißt freilich nicht wie ein Seiltaͤnzer ſchrei-
ben; aber in einem Werke, wie des Hrn. Klotz,
wo er die Kuͤnſtler lehret, und den Liebhaber vor-
ſchmecket, und den Antiquaren vorerklaͤrt, und die
liebe Jugend umarmet, und uͤberall ſo wichtig und
vornehm ſpricht: da keinen Plan und Ordnung
haben? — —


Doch
M
[178]Kritiſche Waͤlder.

Doch ich weiß, warum ihn Hr. Klotz nicht
haben mag; wenigſtens darf ichs rathen. Jſt
ein Buch genau eingetheilt: ſteht jedes Chor unter
ſeinem Hauptmanne: ſo iſts leicht zu uͤberſehen und,
wenn ich dazu ſetzen darf, auch leicht zu pruͤfen. Das
Auge laͤuft druͤber weg, und da es jedes ſeine
Stelle weiß, ſo weiß es auch: wo dieſes her? war-
um jenes nicht da iſt? Es haͤlt ſcharfe Muſterung
im Einzelnen und im Ganzen, es pruͤft, wie viel
jede Materie neu, wahr, vollſtaͤndig ſey. Wer
ſeine Voͤlker aber nach Codomannus Art, auf gut
Scythiſch oder Perſiſch ſtellt: freilich, der iſt auf eine
ſehr eigne Weiſe unuͤberſehbar.


Jch nehme z. E. das Winkelmanniſche Ge-
baͤude der Kunſtgeſchichte — welch ein großer er-
goͤtzender Blick, der ſich an der Ordnung, Har-
monie und Vollkommenheit der Theile und des
Ganzen weidet! Einheit und Mannichfaltigkeit!
Groͤße und Schoͤnheit! zum Anſtaunen und zur
ſuͤßen Anſchauung des Schoͤnen! Ein Griechiſcher
Pallaſt, an Materialien ein Werk der Cyklopen, an
Bauart und Form ein Maͤchtniß der Goͤtter, in
Auszierung eine Arbeit der Grazien und Muſen —
wer wuͤnſchte ſich nicht, es gebauet zu haben? Jch
nehme Klotzens Buch uͤber die geſchnittnen Steine;
mit allem ſeinem kleinen Mannichfaltigen iſts ein
Haufen kleiner Ruinenſtuͤcke und Scherbchen.


— — Und ſein Vortrag, ſein Styl? damit es
nicht heiße, als ſuche ich mißguͤnſtige Stellen auf:
o ſo
[179]Drittes Waͤldchen.
o ſo leſe man den honigſuͤßen, bis zum Ekeln ſuͤ-
ßen Anfang:


„Wenn die gute Abſicht, die ein Schrift-
„ſteller bei ſeiner Arbeit gehabt hat, zugleich fuͤr
„dieſelbe eine Empfehlung ſeyn kann: ſo ver-
„ſpreche ich
dieſem Buche einigen Beyfall und ih-
„rem (des Buchs oder der Abſicht?) Verfaſſer von
„den Freunden der Kuͤnſte und des Geſchmacks
„Dank.„ An guter Abſicht hat es bisher, Gott
ſei Dank! noch keinem Schriftſteller gefehlt; und
kann ſchon die gute Abſicht nach Hr. Kl. ſuͤßer
Manier zu ſchreiben: Empfehlung ſeyn: ſo ver-
ſpreche ich
allen Betruͤbten und Bloͤden Beifall, und
von allen Freunden der Kuͤnſte und des Geſchmacks
den ergebenſten Dank.


„Dieſes Bekaͤnntniß macht nicht aus der Ur-
„ſache
den Anfang meiner Schrift, aus welcher
„es von vielen fuͤr ein weſentliches Stuͤck ihrer
„Vorreden angeſehen wird. Dieſe moͤgen allein
„und aus eigner Erfahrung
die Staͤrke dieſer
„Worte kennen, und man mißgoͤnne ihnen die
„Kunſt nicht,
hiedurch entweder gutherzige Rich-
„ter zu ihrem Vortheile einzunehmen, oder wenn
„ihnen dieſe Hoffnung mißlingt, das Publikum,
„deſſen groͤßerer Theil ſich aus gewiſſen eignen
„Empfindungen
auf die Seite des getadelten
„Schriftſtellers ſchlaͤgt, zum Mitleiden zu bewe-
„gen.„ — Tand! lauter ſuͤßer Tand! Hr. Kl.
will nichts mit dem gemeinen Haufen der Schrift-
M 2ſtel-
[180]Kritiſche Waͤlder.
ſteller gemein haben, als was er mit ihnen gemein
hat, und mit ihnen das nicht gemein haben, was
er mit ihnen nicht gemein hat, und alles dies laͤuft
in die kleinzaͤhligen Bruͤche von Abſichten, von Em-
pfindungen ein, deren Aeſthetometrie ich nicht verſtehe.


Jch rechne mir den aufrichtigen Wunſch,
„daß die gruͤndlige Gelehrſamkeit ꝛc. in meinem
„Vaterlande ausgebreitet werde, zu einem Ver-
„dienſte
an, deſſen Werth ich nie verkennen
„werde und deſſen Bewußtſeyn
mir den Man-
„gel andrer Verdienſte erſetzen muß u. ſ. w.
Wie? ſo iſt dies der ganze Unterſchied des Ver-
faſſers von den vorigen Schriftſtellern? So
iſt ein Wunſch, ein kruͤppelhafter Wunſch ſchon
ein Verdienſt? ein Verdienſt, das man ſich ſelbſt
vor den Augen des Publikum anrechnen, ſo kuͤhn
anrechnen kann, daß es der Welt bei dem Anfange
der Schrift dreuſt vorſchwoͤre „ein Verdienſt, deſ-
„ſen Werth ich nie verkennen werde, deſſen Be-
„wußtſeyn mir den Mangel andrer Verdienſte er-
„ſetzen muß„ Und das alles ein Wunſch: Und das
alles heißt Urbanitaͤt, guter Ton, Patriotismus? —


„Eben um deßwillen halte ich es auch fuͤr mei-
„ne Pflicht, die Lehrer der Wiſſenſchaften auf ge-
„wiſſe Mittel, wodurch ſie ſich dieſem Endzwecke,
„der auf das Wohl unſrer Mitbuͤrger und das Gluͤck
„der Nachkommenſchaft abzielt, naͤhern koͤnnen,
„aufmerkſamer
zu machen, als ſie es bisher ge-
„weſen find, oder vielmehr haben ſeyn koͤnnen.
— Und
[181]Drittes Waͤldchen.
— Und was ſind dieſe geheimen gewiſſen Mittel, die
ſo ſehr aufs Große der Welt und Nachwelt gehen,
die keiner bisher hat wiſſen koͤnnen — es kommt
im Meteorenzuge: „Jſt aber ein Mittel leichter,
„gewiſſer und edler, als wenn man ihnen behuͤlflich
„wird, das Herz unſrer Jugend den ſanften Ein-
„druͤcken des Schoͤnen zu oͤffnen, und welches allezeit
„eine Folge von der aufrichtigen und weiſen Cultur
„der Wiſſenſchaften iſt, es ſelbſt gegen die Reize der
„Tugend fuͤhlbarer zu machen. —„ Und das iſt
Alles: und wer hat dies Mittel nicht laͤngſt gewußt?
noͤthig erkannt? angeprieſen? Von Quintilian bis
auf unſre Quintiliane, wer hoͤrt damit etwas Neues?
und wenn es, beſtimmter als Hr. Klotz geſprochen,
auf die Bildung der Kunſt abzwecken ſoll: wer
kennt nicht auch hieruͤber die vortrefliche Winkel-
manniſche Abhandlung? Und was hat Hr. Kl. un-
ter dem, was er geſchrieben hat, und ſchreiben wird,
was hiebei geſtellt zu werden verdiente? Und was
bleibt ihm alſo uͤbrig, als ſein frommer chriſtlicher
Wunſch, und ein honigſuͤßes Geſchwaͤtze?


Das letzte zieht ſich fort: Er lobt die heutige
Verfaſſung der Schulen, beklagt den Mangel an
geſchickten Maͤnnern, bekennet endlich, „daß eini-
„ge vernuͤnftige Maͤnner das Gluͤck gehabt (denn
„an den Siegen uͤber Vorurtheile und Unwiſſenheit
„haͤtte das Gluͤck einen viel groͤßern Antheil, als
„unſre Kraͤfte und Arbeiten) andre zu uͤberzeugen,
„daß der gute Geſchmack — —„ Gottlob! ſo
M 3ge-
[182]Kritiſche Waͤlder.
gehoͤrt ſchon das außerordentlichſte Wundergluͤck da-
zu, um das Publikum von der Nuͤtzlichkeit des
guten Geſchmacks zu uͤberzeugen: ſo ſind wir nicht
weiter, als daß einige vernuͤnftige Maͤnner, und das
blos durch ein Gluͤcksſpiel, andre davon uͤberzeuget:
ſo tief haͤtte ich mir doch nicht unſre Zeit gedacht!


Doch Hr. Kl. weiß es gut zu machen. Er
frohlockt, wie weit man in Verbeſſerung der Schu-
len gekommen, mahlet eine Seitenlang verkleckte
Ausſicht uͤber die Gelehrſamkeit, und empfiehlt ſich
folgender Geſtalt: „Meine Schrift wird einſichts-
„vollen Richtern vielleicht nicht mißfallen, wenn man
„es ihr gleich anſieht, daß ihr Verf. ſie nicht mit
„der ſeufzenden und duͤſtern Mine geſchrieben hat,
„welche ſo viele unſrer Verbeſſerer der Schulen an-
„nehmen. Das Bewußtſeyn meiner Abſicht,
„und die Ueberzeugung von dem Nutzen, welchen
„mein Vorſchlag nothwendig haben muß, gibt
„mir den Muth, mich unter dem Haufen derer,
„die einerlei Endzweck mit mir haben, hervorzu-
„draͤngen,
und zu verlangen, daß man mich an-
„hoͤre — —„ Sachte! ſachte! Ueber nichts,
als eine Schulmaterie, wer wird ſich unter dem
Haufen aller u. ſ. w. hervordraͤngen: uͤber eine
Materie, uͤber die andre ſchon beſſer geſchrieben,
deren ſchuͤchterne Mine gewiß mehr gefallen wird,
als die fodernde unſres Schreiers, der ſich hervor-
draͤngt, und verlangt, daß man ihn hoͤre: uͤber
eine Materie — Kurz! hier iſt mein Urtheil:


Hat
[183]Drittes Waͤldchen.

Hat Hr. Klotz fuͤr Schulen geſchrieben: ſo
finde ich ſein Buch weder zu einem bildenden Buche
in die Hand der Jugend, noch in die Hand der
Lehrer wuͤrdig. Fuͤr jene ein Ruinenhaufen von
alten Schloͤſſern, in dem ſie wahrhaftig nicht wer-
den umher klettern wollen: fuͤr dieſe ein Mengſel
von unbeſtimmten, zuſammengerafften Materien,
wo eben das fehlt, was ſie zu Bildung der Ju-
gend deutlich, ausfuͤhrlich, gruͤndlich, beſtimmt
ſuchten.


Hat Hr. Kl. zu Lipperts Dactyliothek geſchrie-
ben: ſchlecht! Die ſchoͤnſten und einzigen Anmer-
kungen ſind aus Lipperts Commentar: und welcher
Liebhaber, welche Schule dieſen hat, wirft jenen weg.


Hat ers fuͤr Liebhaber, fuͤr Exoteriſche Leſer ge-
ſchrieben, wie etwa ein Algarotti, ein Fontenelle;
— ich habe Proben ſeines ſchoͤnen Styls, ſeiner
Ordnung, ſeines guten Tons gegeben.


Soll es endlich fuͤr Gelehrte, fuͤr Kuͤſtler ſeyn —


Und da kommen mir eben Leſſings antiquariſche
Briefe, die ich gern eher gehabt haͤtte! Welch ein
hinreiſſender Strom! welche Beleſenheit! welche
Kaͤnntniß des Alterthums! welcher Scharfſinn! —
Schade, daß Ein Leſſing ſeine Zeit verſchwenden
muß, um einem Klotz das zu ſagen, was ihm jetzt
mehrere von Geſicht anſehen werden.


Jn meinen Waͤldern wird bisher wohl nie-
mand eine Spur von Verabredung und Einſtim-
mung haben ertraͤumen wollen, und daher ſo ent-
fernt
[184]Kritiſche Waͤlder.
fernt L. von mir lebt; ſo einen Stral von gutem
Vorurtheile geben mir ſeine Briefe fuͤr manches, das
ich an Klotz ausgeſetzt. Ein Schriftſteller, wie die-
ſer, von dem unſer Luſtrum bisher ſo willig ge-
lernt, iſt ja auch wohl werth, daß das zweite Lu-
ſtrum
an ihm lerne.


So wenig die Grazien im Styl des Hrn. Kl.
meine Freundinnen ſeyn moͤgen; ſo wuͤnſche ich doch
mich in Entſchuldigung meines oft ſcharfen, oft An-
tiquariſchen Ausdrucks an ihn anzuſchließen. Mit
ihm ſage ich: „der ſchleichende fuͤße Komplimenten-
„ton ſchickte ſich weder zu dem Vorwurfe, noch zu
„der Einkleidung; auch liebt ihn der Verfaſſer uͤber-
„haupt nicht. Die Alten kannten das Ding nicht,
„was wir Hoͤflichkeit nennen. Jhre Urbanitaͤt war
„von ihr eben ſo weit, als von der Grobheit, entfernet.


„Der Neidiſche, der Haͤmiſche, der Rangſuͤch-
„tige, der Verhetzer, der iſt, er mag ſich noch ſo
„hoͤflich ausdruͤcken, der wahre Grobe„ und wer
in dieſem ſuͤßen Tone ſeine Seichtigkeit und Halbge-
lehrtheit verbirgt, fuͤr alle, die er anlockt, ſich nach
ihm zu bilden, der ſchaͤdlichſte Gleißner — Die
Klotziſche Epiſode in der Deutſchen Litteratur
Schande, wahre Schande!


— — Doch, wie viel Zeit habe ich verloh-
ren — —



[[185]][[186]][[187]][[188]][[189]][[190]]
Notes
*)
Vertheid. des Maͤhrchens von der Tonne.
a)
Beitr. zur Geſch. des Geſchm. und der Kunſt aus Muͤn-
zen. vom Hon. Geheimdenrath Klotz, Altenb. 1767.
b)
Klotz. eigne Bibliothek St. I. Vorr.
c)
Ebendaſ. Seite 71.
a)
Eigne Worte Klotzens. S.3.4.5.6. — —
a)
S. 98. 99.
b)
Die Allegorie der Griechen und Roͤmer (das muß
ich doch ſagen, Hr. Klotz mags wollen, oder nicht,
daß dieſe Stelle vortrefflich iſt!) iſt wie der leichte
Schleier des Tryphon. ſ. Klotz. Bibl. S. 64.
a)
S. 3. 4. 5. 6. \&c.
a)
S. 6. 7. 8. 9. 10.
a)
Schon lange haben gruͤndliche Kenner des Alter-
thums es beklagt, daß man ſo gern mit einigem ſchoͤ-
nen Blendewerk aus den Alten davon prale; ohne
die Antiquitaͤt zur Wiſſenſchaft anzuwenden. Roch
neulich hat Erneſti in der Vorrede zu ſeiner Archaͤolo-
gie daruͤber geklagt, daß dieſe verſaͤumt — er haͤtte
dazu ſetzen koͤnnen, daß ſie nach der neueſten Mode
gar verſpottet werde.
a)
S. 34. 35. 36.
b)
S. 30.
a)
S. 22.
a)
S. 20.
a)
S. 96. 97. 98. ꝛc.
b)
S. 85. u. f.
a)
S. 88. 89.
b)
S. 90. 91. 92. u. ſ. f.
c)
S. 92.
a)
S. 93. - 97.
b)
S. 79.
a)
S. 22. 23.
b)
S. 24. u. f.
c)
S. 26. 27.
d)
S. 27.
e)
S. 30.
f)
S. 32. 33. u. f.
a)
S. 38. 39. 51.
b)
S. 52.
c)
S. 65. 69.
d)
S. 70 - 79.
e)
S. 85 - 99.
a)
S. 53.
a)
S. 26.
b)
Vol. III.
a)
S. 33. u. f.
a)
S. 35. 36.
a)
S. 32. 33. 34.
a)
S. 79. 80, u. f.
a)
S. 88. 89.
a)
Ueber die Allegorie. Getadelt gnug hat man dieſen
Verſuch, der doch nichts als Verſuch ſeyn ſollte; aber
recenſirt in der vorgeſteckten Ausſicht durchgegangen?
ich weiß nicht. Und ſie iſt die einzige, nach der man
die Frage entſcheiden kann, wie weit wir den Alten
nachallegoriſiren koͤnnen, oder nicht?
a)
S. 55. 56.
a)
S. 70-76.
a)
S. 40.
a)
S. 43.
b)
S. 46.
a)
S. 10. 11.
a)
S. 12.
a)
S. 14.
b)
S. Klotzens bibl. St. 3.
a)
S. 15.
a)
S. 17.
a)
S. 19.
b)
S. 19.
a)
S. 15.
a)
S. 15.
a)
S. 20.
a)
S. 21.
a)
S. 55.
b)
S. 70.
c)
Klotz. Bibl. St. I. S. 61.
d)
N. Bibl. der ſch. W.
a)
S. 170.
a)
S. Klotz. Bibl. St. 3.
a)
p. 58.
b)
Klotz. Bibl. St. 4. p. 44.
c)
p. 64.
a)
Jn den Litt. Br.
a)
Klotz. act. p. 117.
b)
Zweites Waͤldchen p. 239. 40. 41.
a)
p.[12]5.
a)
p. 126.
a)
p. 245.
a)
p. 336.
b)
p. 403.
c)
p. 436.
a)
p. 64.
a)
p. 175.
a)
Th. I. St. 17.
a)
p. 272.
a)
p. 288.
b)
p. 296.
a)
p. 107.
b)
p. 143.
c)
Litt. Br. Th. 4.
a)
p. 172.
a)
Klotz Beitr. zu Muͤnzen S. 17.
a)
Siebe zuruͤck in die Veurtheil. des Beitr. zur Ge-
ſchichte der Muͤnzen.
b)
Ridic. litter.
a)
Opuſc. var. argum. und Ueber das Stud. des
Alth. u. ſ. w.
a)
S. Klotz. Bibl. vom Anfange an bis zum kuͤnftigen
ſeligen Ende.
a)
Jch habe es beigefuͤgt, um Hr. Leſſing zu uͤberzeugen,
daß die alten Kuͤnſtler u. ſ. w.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Kritische Wälder. Kritische Wälder. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bndn.0