[][][][][][][[I]][[II]]
Fuͤrſten und Voͤlker
von
Suͤd-Europa

im
ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhundert.

Vornehmlich aus ungedruckten Geſandtſchafts-
Berichten


Zweiter Band.

Berlin,: 1834.
Bei Duncker und Humblot.

[[III]]
Die roͤmiſchen Paͤpſte,
ihre Kirche und ihr Staat

im
ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhundert.


Erſter Band.

Berlin,: 1834.
Bei Duncker und Humblot.

[[IV]][[V]]

Vorrede.


Jedermann kennt die Macht von Rom in alten
und mittleren Zeiten: auch in den neuern hat es
eine große Epoche verjüngter Weltherrſchaft erlebt.
Nach dem Abfall, den es in der erſten Hälfte des
ſechszehnten Jahrhunderts erfuhr, hat es ſich noch
einmal zum Mittelpunct des Glaubens und Den-
kens der ſüdeuropäiſchen, romaniſchen Nationen zu
erheben gewußt, und kühne, nicht ſelten glückliche
Verſuche gemacht, ſich die übrigen wieder zu un-
terwerfen.


Dieſen Zeitraum einer erneuerten kirchlich-
weltlichen Macht, ihre Verjüngung und innere Aus-
bildung, ihren Fortſchritt und Verfall habe ich
die Abſicht wenigſtens im Umriß darzuſtellen.


*2
[VI]Vorrede.

Ein Unternehmen, das, ſo mangelhaft es auch
ausfallen mag, doch nicht einmal verſucht werden
könnte, hätte ich nicht Gelegenheit gefunden, mich
einiger, bisher unbekannten Hülfsmittel zu bedie-
nen. Ich habe wohl vor allem die Pflicht, dieſe
Hülfsmittel und ihre Provenienz im Allgemeinen zu
bezeichnen.


Früher gab ich bereits an, was unſre Berli-
ner Handſchriften enthalten.


Aber um wie viel reicher iſt ſchon Wien an
Schätzen dieſer Art als Berlin.


Neben ſeinem deutſchen Grundbeſtandtheil hat
Wien noch ein europäiſches Element: die mannich-
faltigſten Sitten und Sprachen begegnen ſich von
den oberſten bis in die unterſten Stände, und na-
mentlich tritt Italien in lebendiger Repräſentation
auf. Auch die Sammlungen haben einen umfaſ-
ſenden Character. Er ſchreibt ſich von der Politik
und Weltſtellung des Staates, der alten Verbindung
deſſelben mit Spanien, Belgien, der Lombardei, dem
genauen nachbarlichen und kirchlichen Verhältniß zu
Rom unmittelbar her. Von jeher liebte man dort,
herbeizubringen, zu haben, zu beſitzen. Schon
die urſprünglichen und einheimiſchen Sammlun-
gen der K. K. Hofbibliothek ſind deshalb von gro-
ßem Werth. Später ſind einige fremde dazu er-
worben worden. Aus Modena hat man eine An-
[VII]Vorrede.
zahl Bände, unſern Informationi ähnlich, von dem
Hauſe Rangone, aus Venedig die unſchätzbaren
Handſchriften des Dogen Marco Foscarini ange-
kauft: darunter die Vorarbeiten des Eigenthümers
zur Fortſetzung ſeines literariſchen Werkes, italieni-
ſche Chroniken, von denen ſich nirgends eine wei-
tere Spur findet: aus dem Nachlaß des Prinzen
Eugen iſt eine reiche Sammlung hiſtoriſch-politi-
ſcher Manuſcripte, die dieſer auch als Staatsmann
ausgezeichnete Fürſt mit allgemeinem Ueberblick an-
gelegt hatte, herübergekommen. Mit Vergnügen
und Hoffnung ſieht man die Cataloge durch: bei
der Unzulänglichkeit der meiſten gedruckten Werke
über die neuere Geſchichte, ſo viele noch nicht ge-
hobene Kenntniß! eine Zukunft von Studien! Und
doch bietet Wien, wenige Schritte weiter, noch be-
deutendere Subſidien dar. Das kaiſerliche Archiv
enthält, wie man von ſelbſt erachtet, die wichtig-
ſten und zuverläſſigſten Denkmale für deutſche, all-
gemeine und beſonders auch italieniſche Geſchichte.
Zwar iſt von dem venezianiſchen Archive bei wei-
tem der größte Theil nach mancherlei Wanderungen
wieder nach Venedig zurückgekommen: aber eine
nicht unbedeutende Maſſe venezianiſcher Papiere fin-
det man noch immer in Wien: Depeſchen im Ori-
ginal oder in der Abſchrift; Auszüge daraus zum
Gebrauche des Staats verfaßt, genannt Rubrica-
[VIII]Vorrede.
rien; Relationen, nicht ſelten in dem einzigen Exem-
plar, welches exiſtiren mag und von hohem Werth;
amtliche Regiſter der Staatsbehörden; Chroniken
und Tagebücher. Die Nachrichten, die man in die-
ſem Bande über Gregor XIII. und Sixtus V. fin-
den wird, ſind größtentheils aus dem Wiener Ar-
chiv geſchöpft. Ich kann die unbedingte Liberali-
tät, mit der man mir den Zutritt zu demſelben
verſtattet hat, nicht genug rühmen.


Ueberhaupt ſollte ich wohl an dieſer Stelle die
mannichfaltige Förderung, die mir bei meinem Vor-
haben ſowohl zu Hauſe als in der Fremde zu Theil
geworden, im Einzelnen aufführen. Ich trage je-
doch, ich weiß nicht, ob mit Recht, Bedenken. All-
zuviele Namen müßte ich nennen, und darunter
ſehr bedeutende: meine Dankbarkeit würde faſt
ruhmredig herauskommen, und einer Arbeit, die
alle Urſache hat, beſcheiden aufzutreten, einen An-
ſtrich von Prunk geben, den ſie nicht vertragen
möchte.


Nach Wien war mein Augenmerk noch vorzüg-
lich auf Venedig und auf Rom gerichtet.


In Venedig hatten einſt die großen Häu-
ſer faſt ſämmtlich die Gewohnheit, ſich neben ei-
ner Bibliothek auch ein Kabinet von Handſchriften
anzulegen. Die Natur der Sache bringt es mit
ſich, daß ſich dieſe vornehmlich auf die Angele-
[IX]Vorrede.
genheiten der Republik bezogen: ſie repräſentirten
den Antheil, welchen die Familie an den öffentli-
chen Geſchäften genommen: als Denkmäler des
Hauſes, zur Unterweiſung ſeiner jüngeren Mitglie-
der wurden ſie aufbewahrt. Von ſolchen Privat-
ſammlungen beſtehn noch immer einige: eine und
die andre war mir zugänglich. Ungleich mehrere
dagegen ſind in dem Ruin des Jahres 1797 und
ſeitdem zu Grunde gegangen. Wenn davon doch
noch mehr erhalten worden iſt, als man vermu-
then ſollte, ſo hat man dieß vorzüglich den Bi-
bliothekaren von S. Marco zu danken, die in dem
allgemeinen Schiffbruch ſo viel zu retten ſuchten,
als nur immer die Kräfte ihres Inſtitutes erlaub-
ten. In der That bewahrt dieſe Bibliothek einen
anſehnlichen Schatz von Handſchriften, welche für
die innere Geſchichte der Stadt und des Staa-
tes unentbehrlich, und ſelbſt für die europäiſchen
Verhältniſſe von Bedeutung ſind. Nur muß man
nicht zu viel erwarten. Es iſt ein ziemlich neuer
Beſitz: aus Privatſammlungen zufällig erwachſen:
ohne Vollſtändigkeit oder durchgreifenden Plan.
Nicht zu vergleichen iſt er mit den Reichthümern
des Staatsarchives, zumal wie dies heut zu Tage
eingerichtet iſt. Bei Gelegenheit einer Unterſuchung
über die Verſchwörung im Jahre 1618 habe ich
das venezianiſche Archiv bereits geſchildert und will
[X]Vorrede.
mich nicht wiederholen. Für meinen römiſchen
Zweck mußte mir vor allem an den Relationen der
Geſandten, die von Rom zurückgekommen, gelegen
ſeyn. Sehr erwünſcht war es mir doch, auch ſo
manche andre Sammlung benutzen zu können: Lük-
ken ſind nirgends zu vermeiden: und dieß Archiv hat
bei ſo vielen Wanderungen beſondre Verluſte erleiden
müſſen. An den verſchiedenen Stellen brachte ich
acht und vierzig Relationen über Rom zuſammen:
die älteſte vom Jahre 1500: neunzehn für das
ſechszehnte, ein und zwanzig für das ſiebzehnte
Jahrhundert; eine beinahe vollſtändige, nur noch
hier und da unterbrochene Reihe; für das acht-
zehnte zwar nur acht, aber auch dieſe ſehr beleh-
rend und willkommen. Bei weitem von den mei-
ſten ſah und benutzte ich das Original. Sie ent-
halten eine große Menge wiſſenswürdiger, aus un-
mittelbarer Anſchauung hervorgegangener, mit dem
Leben der Zeitgenoſſen verſchwundener Notizen, die
mir zu einer fortlaufenden Darſtellung zuerſt die
Ausſicht und den Muth gaben.


Sie zu bewähren, zu erweitern, ließen ſich, wie
ſich verſteht, nur in Rom die Mittel finden.


War es aber zu erwarten, daß man hier ei-
nem Fremden, einem Andersgläubigen in den öf-
fentlichen Sammlungen freie Hand laſſen würde,
um die Geheimniſſe des Papſtthums zu entdecken?
[XI]Vorrede.
Es wäre vielleicht ſo ungeſchickt nicht, wie es aus-
ſieht, denn keine Forſchung kann etwas Schlimme-
res an den Tag bringen, als die unbegründete Ver-
muthung annimmt, und als die Welt nun einmal
für wahr hält. Jedoch ich kann mich nicht rüh-
men, daß es geſchehen ſey. Von den Schätzen des
Vatican habe ich Kenntniß nehmen und eine An-
zahl Bände für meinen Zweck benutzen können,
doch ward mir die Freiheit, die ich mir gewünſcht
hätte, keinesweges gewährt. Glücklicherweiſe aber
eröffneten ſich mir andere Sammlungen, aus denen
ſich eine wenn nicht vollſtändige, doch ausreichende
und authentiſche Belehrung ſchöpfen ließ. In den
Zeiten der blühenden Ariſtokratie — das iſt haupt-
ſächlich in dem ſiebzehnten Jahrhundert — behiel-
ten in ganz Europa die vornehmen Geſchlechter,
welche die Geſchäfte verwalteten, auch einen Theil
der öffentlichen Papiere in Händen. Nirgend mag
das wohl ſo weit gegangen ſeyn, wie in Rom.
Die herrſchenden Nepoten, die allemal die Fülle
der Gewalt beſaßen, hinterließen den fürſtlichen
Häuſern, die ſie gründeten, in der Regel auch ei-
nen guten Theil der Staatsſchriften, die ſich wäh-
rend ihrer Verwaltung bei ihnen angeſammelt, als
einen immerwährenden Beſitz. Es gehörte das mit
zur Ausſtattung einer Familie. In dem Pallaſte,
den ſie ſich erbaute, blieben immer ein paar Säle
[XII]Vorrede.
gewöhnlich in den oberſten Räumen für Bücher und
handſchriften vorbehalten, die dann würdig, wie
es bei den Vorgängern geſchehen, ausgefüllt ſeyn
wollten. Die Privatſammlungen ſind hier in ge-
wiſſer Hinſicht zugleich die öffentlichen, und das
Archiv des Staats zerſtreute ſich, ohne daß Jemand
Anſtoß daran genommen hätte, in die Häuſer der
verſchiedenen Familien, welche die Geſchäfte ver-
waltet hatten. Ungefähr eben ſo wie der Ueber-
ſchuß des Staatsvermögens den papalen Geſchlech-
tern zu Gute kam; wie ſich die vaticaniſche Galle-
rie, obwohl ausgezeichnet durch die Wahl der Mei-
ſterſtücke, die ſie enthält, doch in Umfang und hiſto-
riſcher Bedeutung mit einigen privaten, wie der
Gallerie Borgheſe oder Doria, nicht meſſen kann.
So kommt es, daß die Manuſcripte, welche in den
Palläſten Barberini, Chigi, Altieri, Albani, Cor-
ſini aufbewahrt werden, für die Geſchichte der rö-
miſchen Päpſte, ihres Staates und ihrer Kirche
von unſchätzbarem Werth ſind. Das Staatsarchiv,
das man noch nicht ſehr lange eingerichtet hat, iſt be-
ſonders durch die Sammlung der Regeſten für das
Mittelalter wichtig: ein Theil der Geſchichte dieſes
Zeitraums wird hier noch des Entdeckers harren:
doch ſo weit meine Kenntniß reicht, muß ich glau-
ben, daß es für die neueren Jahrhunderte nicht
viel ſagen will. Es verſchwindet, wenn ich nicht
[XIII]Vorrede.
mit Abſicht getäuſcht worden bin, vor dem Glanz
und Reichthum der Privatſammlungen. Von die-
ſen umfaßt eine jede, wie ſich verſteht, vor al-
lem die Epoche, in welcher der Papſt des Hauſes
ſaß; aber da die Nepoten auch noch nachher eine
bedeutende Stelle einnahmen, da Jedermann eine
einmal angefangene Sammlung zu erweitern und
zu ergänzen befliſſen iſt, und ſich in Rom, wo ſich
ein literariſcher Verkehr mit Handſchriften gebildet
hatte, hierzu Gelegenheit genug fand, ſo iſt keine,
die nicht auch andere, nähere und fernere Zeiten mit
erfreulichen Erläuterungen berührte. Von allen die
reichſte — in Folge einiger auch in dieſem Stück ein-
träglicher Erbſchaften — iſt die Barberiniana: die
Corſiniana hat man gleich von Anfang mit der mei-
ſten Umſicht und Auswahl angelegt. Ich hatte das
Glück, dieſe Sammlungen alle, und noch einige an-
dere von minderem Belang, zuweilen mit unbe-
ſchränkter Freiheit, benutzen zu können. Eine un-
verhoffte Ausbeute von zuverläſſigen und zum Ziele
treffenden Materialien boten ſie mir dar. Corre-
ſpondenzen der Nuntiaturen, mit den Inſtructionen,
die mitgegeben, den Relationen, die zurückgebracht
wurden: ausführliche Lebensbeſchreibungen meh-
rerer Päpſte, um ſo unbefangener, da ſie nicht
für das Publikum beſtimmt waren: Lebensbeſchrei-
bungen ausgezeichneter Cardinäle: offizielle und
[XIV]Vorrede.
private Tagebücher; Erörterungen einzelner Bege-
benheiten und Verhältniſſe; Gutachten, Rath-
ſchläge; Berichte über die Verwaltung der Provin-
zen, ihren Handel und ihr Gewerbe; ſtatiſtiſche
Tabellen, Berechnungen von Ausgabe und Ein-
nahme: — bei weitem zum größten Theile noch
durchaus unbekannt: gewöhnlich von Männern ver-
faßt, welche eine lebendige Kenntniß ihres Gegen-
ſtandes beſaßen, und von einer Glaubwürdigkeit, die
zwar Prüfung und ſichtende Kritik keinesweges aus-
ſchließt: aber wie ſie Mittheilungen wohlunterrichte-
ter Zeitgenoſſen allemal in Anſpruch nehmen. Von
dieſen Schriften betrifft die älteſte, die ich zu benutzen
fand, die Verſchwörung des Porcari wider Nico-
laus V.; für das funfzehnte Jahrhundert kamen
mir nur noch ein paar andre vor: mit dem Ein-
tritt in das ſechszehnte werden ſie mit jedem Schritt
umfaſſender, zahlreicher: den ganzen Verlauf des
ſiebzehnten, in welchem man von Rom ſo wenig
Zuverläſſiges weiß, begleiten ſie mit Belehrungen,
die ebendeshalb doppelt erwünſcht ſind; ſeit dem
Anfang des achtzehnten dagegen nehmen ſie an Zahl
und innerem Werth ab. Hatten doch damals auch
Staat und Hof von ihrer Wirkſamkeit und Bedeu-
tung bereits nicht wenig verloren. Ich werde dieſe
römiſchen Schriften wie die venezianiſchen, zum
Schluß ausführlich durchgehen und alles nachtra-
[XV]Vorrede.
gen, was mir darin noch denkwürdig vorkommen
möchte, ohne daß ich es im Laufe der Erzählung
hätte berühren können.


Denn für dieſe ergiebt ſich, ſchon wegen der
ungemeinen Maſſe des Stoffes, die ſich nun in ſo
vielen ungedruckten und den gedruckten Schriften vor
Augen legt, eine unerläßliche Beſchränkung.


Ein Italiener oder Römer, ein Katholik würde
die Sache ganz anders angreifen. Durch den Aus-
druck perſönlicher Verehrung, oder vielleicht wie jetzt
die Sachen ſtehen, perſönlichen Haſſes würde er ſei-
ner Arbeit eine eigenthümliche, ich zweifle nicht, glän-
zendere Farbe geben; auch würde er in vielen Stük-
ken ausführlicher, kirchlicher, localer ſeyn. Ein
Proteſtant, ein Norddeutſcher kann hierin nicht mit
ihm wetteifern. Er verhält ſich um vieles indif-
ferenter gegen die päpſtliche Gewalt; auf eine
Wärme der Darſtellung, wie ſie aus Vorliebe oder
Widerwillen hervorgeht, wie ſie vielleicht einen ge-
wiſſen Eindruck in Europa machen könnte, muß er
von vorn herein verzichten. Für jenes kirchliche
oder canoniſche Detail geht uns am Ende auch die
wahre Theilnahme ab. Dagegen ergeben ſich uns
auf unſrer Stelle andere, und wenn ich nicht irre,
reiner hiſtoriſche Geſichtspuncte. Denn was iſt es
heut zu Tage noch, das uns die Geſchichte der
päpſtlichen Gewalt wichtig machen kann? Nicht
[XVI]Vorrede.
mehr ihr beſonderes Verhältniß zu uns, das ja
keinen weſentlichen Einfluß weiter ausübt: noch auch
Beſorgniß irgend einer Art; die Zeiten, wo wir
etwas fürchten konnten, ſind vorüber; wir fühlen
uns allzu gut geſichert. Es kann nichts ſeyn, als
ihre weltgeſchichtliche Entwickelung und Wirkſam-
keit. Nicht ſo unwandelbar wie man annimmt
war doch die päpſtliche Gewalt. Sehen wir
von den Grundſätzen ab, welche ihr Daſeyn be-
dingen, die ſie nicht aufgeben kann, ohne ſich
ſelbſt dem Untergange zu widmen, ſo iſt ſie übri-
gens von den Schickſalen, welche die europäiſche
Menſchheit betroffen haben, immer nicht weniger
bis in ihr inneres Weſen berührt worden, als jede
andere. Wie die Weltgeſchicke gewechſelt, eine oder
die andere Nation vorgeherrſcht, ſich das allgemeine
Leben bewegt hat, ſind auch in der päpſtlichen Ge-
walt, ihren Maximen, Beſtrebungen, Anſprüchen,
weſentliche Metamorphoſen eingetreten, und hat vor
allem ihr Einfluß die größten Veränderungen erfah-
ren. Sieht man das Verzeichniß ſo vieler gleich-
lautender Namen durch: alle die Jahrhunderte
herab, von jenem Pius I. in dem zweiten, bis
auf unſre Zeitgenoſſen in dem neunzehnten, Pius
VII. und VIII., ſo macht das wohl den Ein-
druck einer ununterbrochenen Stetigkeit: doch muß
man
[XVII]Vorrede.
man ſich davon nicht blenden laſſen: in Wahr-
heit unterſcheiden ſich die Päpſte der verſchiede-
nen Zeitalter nicht viel anders als die Dynaſtien
eines Reiches. Für uns, die wir außerhalb ſtehen,
iſt gerade die Beobachtung dieſer Umwandlungen
von dem vornehmſten Intereſſe. Es erſcheint in
ihnen ein Theil der allgemeinen Geſchichte, der ge-
ſammten Weltentwickelung. Nicht allein in den Pe-
rioden einer unbezweifelten Herrſchaft, ſondern viel-
leicht noch mehr alsdann, wenn Wirkung und Ge-
genwirkung auf einander ſtoßen, wie in den Zei-
ten, die das gegenwärtige Buch umfaſſen ſoll, in
dem ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhundert, wo
wir das Papſtthum gefährdet, erſchüttert, ſich
dennoch behaupten und befeſtigen, ja aufs neue
ausbreiten, eine Zeitlang vordringen, endlich aber
wieder einhalten, und einem abermaligen Verfalle
zuneigen ſehen: Zeiten, in denen ſich der Geiſt
der abendländiſchen Nationen vorzugsweiſe mit
kirchlichen Fragen beſchäftigte und jene Gewalt,
die von den einen verlaſſen und angegriffen, von
den andern feſtgehalten und mit friſchem Eifer ver-
theidigt wurde, nothwendig eine erhöhte allgemeine
Bedeutung bekam. Sie von dieſem Geſichtspunct
aus zu faſſen, fordert uns unſre natürliche Stellung
auf und will ich nun verſuchen.


* *


[XVIII]Vorrede.

Ich beginne billig damit, den Zuſtand der
päpſtlichen Gewalt in dem Anfange des ſechszehn-
ten Jahrhunderts und den Gang der Dinge, der
zu demſelben geführt hatte, ins Gedächtniß zurück-
zurufen.


Druckfehler.


Seite 310 Zeile 14 lies: ſtarrſinnigen, ſtatt: ſcharfſinnigen.
— 484 — 13 l. den mythologiſchen, ſt. mythologiſch.


[[XIX]]

Inhalt.


  • Seite
  • Erſtes Buch. Einleitung1
  • Erſtes Kapitel. Epochen des Papſtthums.
    Das Chriſtenthum in dem roͤmiſchen Reiche 3
  • Das Papſtthum in Vereinigung mit dem fraͤn-
    kiſchen Reiche 13
  • Verhaͤltniß zu den deutſchen Kaiſern. Selbſt-
    ſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie 22
  • Gegenſaͤtze des vierzehnten und funfzehnten Jahr-
    hunderts 33
  • Zweites Kapitel. Die Kirche und der Kir-
    chenſtaat im Anfange des ſechszehnten
    Jahrhunderts
    .
    Erweiterung des Kirchenſtaates 43
  • Verweltlichung der Kirche 56
  • Geiſtige Richtung 60
  • Oppoſition in Deutſchland 74
  • Drittes Kapitel. Politiſche Verwickelungen.
    Zuſammenhang der Reformation mit
    denſelben
    79
  • Unter Leo X.80
  • Unter Adrian VI.90
  • Unter Clemens VII.98
  • Zweites Buch. Anfaͤnge einer Regeneration
    des Katholicismus
    129
  • Analogien des Proteſtantismus in Italien 132
  • Verſuche innerer Reformen und einer Ausſoͤhnung
    mit den Proteſtanten 144
  • Seite
  • Neue Orden 168
  • Ignatius Loyola 177
  • Erſte Sitzungen des tridentiniſchen Conciliums 195
  • Inquiſition 205
  • Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes 214
  • Schluß 231
  • Drittes Buch. Die Paͤpſte um die Mitte des
    ſechszehnten Jahrhunderts
    233
  • Paul III.237
  • Julius III. Marcellus II.269
  • Paul IV.279
  • Bemerkung uͤber den Fortgang des Proteſtan-
    tismus waͤhrend dieſer Regierung 307
  • Pius IV.314
  • Die ſpaͤteren Sitzungen des Conciliums von Trient 325
  • Pius V.350
  • Viertes Buch. Staat und Hof. Die Zeiten
    Gregors
    XIII.und SixtusV.375
  • Verwaltung des Kirchenſtaates 378
  • Finanzen 400
  • Die Zeiten Gregors XIII. und Sixtus V.
    Gregor XIII.419
  • Sixtus V.437
  • Ausrottung der Banditen 445
  • Momente der Verwaltung 450
  • Finanzen 459
  • Bauunternehmungen Sixtus V.469
  • Bemerkung uͤber die Veraͤnderung der geiſtigen Rich-
    tung uͤberhaupt 482
  • Die Curie 499
[[1]]

Erſtes Buch.
Einleitung.


1
[[2]][[3]]

Erſtes Kapitel.
Epochen des Papſtthums.


Das Chriſtenthum in dem römiſchen Reiche.


Ueberlicken wir den Umkreis der alten Welt in den fruͤ-
heren Jahrhunderten, ſo finden wir ihn mit einer großen
Anzahl unabhaͤngiger Voͤlkerſchaften erfuͤllt. Um das Mit-
telmeer her, ſo weit von den Kuͤſten die Kunde in das in-
nere Land reicht, wohnen ſie: mannichfaltig geſondert, ur-
ſpruͤnglich alle enge begrenzt, in lauter freien und eigen-
thuͤmlich eingerichteten Staaten. Die Unabhaͤngigkeit, die
ſie genießen, iſt nicht allein politiſch: allenthalben hat ſich
eine oͤrtliche Religion ausgebildet; die Ideen von Gott
und goͤttlichen Dingen haben ſich gleichſam localiſirt; na-
tionale Gottheiten von den verſchiedenſten Attributen neh-
men die Welt ein; das Geſetz, das ihre Glaͤubigen beob-
achten, iſt mit dem Staatsgeſetz unaufloͤslich vereinigt.
Wir duͤrfen ſagen: dieſe enge Vereinigung von Staat und
Religion, dieſe zwiefache Freiheit, nur durch ſtammver-
1*
[4]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
wandtſchaftliche Verbindungen leicht beſchraͤnkt, hatte den
groͤßten Antheil an der Bildung des Alterthums. Man
war in enge Grenzen eingeſchloſſen, aber innerhalb derſel-
ben konnte ſich die ganze Fuͤlle eines jugendlichen ſich ſel-
ber uͤberlaſſenen Daſeyns in freien Trieben entwickeln.


Wie wurde dieß alles ſo ganz anders als die Macht
von Rom emporkam. Alle die Autonomien, welche die
Welt erfuͤllen, ſehen wir eine nach der andern ſich beugen
und verſchwinden: wie ward die Erde ploͤtzlich ſo oͤde an
freien Voͤlkern.


Zu andern Zeiten ſind die Staaten erſchuͤttert worden,
weil man aufgehoͤrt hatte an die Religion zu glauben; da-
mals mußte die Unterjochung der Staaten den Verfall
ihrer Religionen nach ſich ziehen. Mit Nothwendigkeit,
im Gefolge der politiſchen Gewalt, ſtroͤmten ſie nach Rom
zuſammen: welche Bedeutung aber konnte ihnen noch bei-
wohnen, ſobald ſie von dem Boden losgeriſſen wurden,
auf dem ſie einheimiſch waren? Die Verehrung der Iſis
hatte vielleicht einen Sinn in Egypten: ſie vergoͤtterte die
Naturkraͤfte, wie ſie in dieſem Lande erſcheinen: in Rom
ward ein Goͤtzendienſt ohne allen Sinn daraus. Indem
dann die verſchiedenen Mythologien einander beruͤhrten,
konnten ſie nicht anders als ſich wechſelſeitig beſtreiten
und aufloͤſen. Es war kein Philoſophem zu erdenken, das
ihren Widerſpruch zu beſeitigen vermocht haͤtte.


Waͤre dieß aber auch moͤglich geweſen, ſo haͤtte es
dem Beduͤrfniß der Welt ſchon nicht mehr genuͤgt.


Bei aller Theilnahme, die wir dem Untergange ſo vie-
ler freien Staaten widmen, koͤnnen wir doch nicht leugnen,
[5]Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.
daß aus ihrem Ruin unmittelbar ein neues Leben hervor-
ging. Indem die Freiheit unterlag, fielen zugleich die
Schranken der engen Nationalitaͤten. Die Nationen wa-
ren uͤberwaͤltigt, zuſammen erobert worden, aber eben
dadurch vereinigt, verſchmolzen. Wie man das Gebiet des
Reiches den Erdkreis nannte, ſo fuͤhlten ſich die Einwoh-
ner deſſelben als ein einziges, ein zuſammengehoͤrendes Ge-
ſchlecht. Das menſchliche Geſchlecht fing an, ſeine Ge-
meinſchaftlichkeit inne zu werden.


In dieſem Moment der Weltentwickelung ward Jeſus
Chriſtus geboren.


Wie ſo unſcheinbar und verborgen war ſein Leben:
ſeine Beſchaͤftigung, Kranke zu heilen, ein paar Fiſchern,
die ihn nicht immer verſtanden, andeutend und in Gleich-
niſſen von Gott zu reden; er hatte nicht, da er ſein Haupt
hinlegte; — aber, auch auf dem Standpunkte dieſer un-
ſerer weltlichen Betrachtung duͤrfen wir es ſagen: unſchul-
diger und gewaltiger, erhabener, heiliger hat es auf Er-
den nichts gegeben, als ſeinen Wandel, ſein Leben und
Sterben: in jedem ſeiner Spruͤche wehet der lautere Got-
tes-Odem; es ſind Worte, wie Petrus ſich ausdruͤckt, des
ewigen Lebens; das Menſchengeſchlecht hat keine Erinne-
rung, welche dieſer nur von ferne zu vergleichen waͤre.


Wenn die nationalen Verehrungen jemals ein Ele-
ment wirklicher Religion in ſich einſchloſſen, ſo war dieß
nunmehr vollends verdunkelt; ſie hatten, wie geſagt, kei-
nen Sinn mehr; in dem Menſchenſohn, Gottesſohn er-
ſchien ihnen gegenuͤber das ewige und allgemeine Verhaͤlt-
niß Gottes zu der Welt, des Menſchen zu Gott.


[6]Kap. I. Epochen des Papſtthums.

In einer Nation ward Chriſtus geboren, die den Mo-
notheismus, den ſie bekannte, zwar eben auch nur als ei-
nen nationalen Dienſt dachte und mit einem abſtoßenden
einſeitigen Ritualgeſetz umgeben hielt, die ſich aber das
unermeßliche Verdienſt erworben, ihn feſtzuhalten, ſich ihn
nie entreißen zu laſſen. Nun erſt bekam derſelbe ſeine volle
Bedeutung. Chriſtus loͤſte das Geſetz auf, indem er es
erfuͤllte; der Menſchenſohn erwies ſich nach ſeinem Aus-
ſpruch als Herr auch des Sabbaths; er entfeſſelte den
ewigen Inhalt der von einem engen Verſtand unbegriffe-
nen Formen. Aus dem Volke, das ſich bisher von allen
andern abgeſondert, erhob ſich dann mit der Kraft der
Wahrheit ein Glaube, der ſie alle einlud und aufnahm.
Es ward der allgemeine Gott verkuͤndigt, der, wie Paulus
den Athenern predigte, der Menſchen Geſchlechter von Ei-
nem Blut uͤber den Erdboden wohnen laſſen. — Fuͤr dieſe
erhabene Lehre war, wie wir ſahen, eben der Zeitpunct
eingetreten: es gab ein Menſchengeſchlecht, ſie zu faſſen.
Wie ein Sonnenblick, ſagt Euſebius 1), leuchtete ſie uͤber
die Erde dahin. In der That ſehen wir ſie in kurzer Zeit
von dem Euphrat bis an den Ebro, bis an den Rhein
und die Donau, uͤber die geſammten Grenzen des Reiches
ausgebreitet.


So harmlos und unſchuldig ſie aber auch war, ſo
mußte ſie doch der Natur der Sache nach in den beſtehen-
den Dienſten, die mit ſo vielen Intereſſen des Lebens ver-
bunden waren, den ſtaͤrkſten Widerſtand finden. Ich will nur
Ein Moment anfuͤhren, das mir beſonders wichtig ſcheint.


[7]Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.

Noch einmal hatten die antiken Religionen ihre poli-
tiſche Richtung geltend gemacht. Die Summe aller jener
Autonomien, welche einſt die Welt erfuͤllt, ihr Geſammt-
inhalt war einem Einzigen zu Theil geworden; es gab nur
noch eine einzige Gewalt, die von ſich ſelber abhaͤngig zu
ſeyn ſchien; an dieſe ſchloſſen ſie ſich an: ſie widmeten
dem Imperator goͤttliche Verehrung 1). Man richtete ihm
Tempel auf, opferte ihm auf Altaͤren, ſchwur bei ſeinem
Namen, und feierte ihm Feſte; ſeine Bildniſſe gewaͤhrten
ein Aſyl. Die Verehrung, die dem Genius des Impera-
tors gewidmet wurde, war vielleicht die einzige allgemeine
die es in dem Reiche gab. Alle Goͤtzendienſte bequemten
ſich ihr: ſie war eine Stuͤtze derſelben.


Gegen das Chriſtenthum aber trat ſie, wie man leicht
einſieht, in den ſchaͤrfſten Gegenſatz, der ſich denken laͤßt.


Der Imperator faßte die Religion in dem weltlich-
ſten Bezuge, — an die Erde und ihre Guͤter gebunden:
ihm ſeyen dieſelben uͤbergeben, ſagt Celſus, was man habe,
komme von ihm. Das Chriſtenthum faßte ſie in der Fuͤlle
des Geiſtes und der uͤberirdiſchen Wahrheit.


Der Imperator vereinigte Staat und Religion; das
Chriſtenthum trennte vor allem das was Gottes, von dem
was des Kaiſers iſt.


Indem man dem Imperator opferte, bekannte man
ſich zur tiefſten Knechtſchaft. Eben darin, worin bei der
[8]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
fruͤheren Verfaſſung die volle Unabhaͤngigkeit beſtand, in der
Vereinigung der Religion und des Staates, lag bei der da-
maligen die Beſiegelung der Unterjochung. Daß das Chri-
ſtenthum dem Kaiſer zu opfern verbot, ſchloß die großar-
tigſte Befreiung ein. Das aͤlteſte urſpruͤngliche religioͤſe
Bewußtſeyn, wenn es wahr iſt, daß ein ſolches allem
Goͤtzendienſt vorangegangen, erweckte es in den Nationen
wieder, und ſetzte es dieſer weltherrſchenden Gewalt entge-
gen, die nicht zufrieden mit dem Irdiſchen, auch das Goͤt-
liche umfaſſen wollte. Dadurch bekam der Menſch ein gei-
ſtiges Element, in dem er wieder ſelbſtſtaͤndig, frei und
perſoͤnlich unuͤberwindlich wurde; es kam Friſche und neue
Lebensfaͤhigkeit in den Boden der Welt; ſie wurde zu neuen
Hervorbringungen befruchtet.


Es war der Gegenſatz des Irdiſchen und des Geiſti-
gen, der Knechtſchaft und der Freiheit; allmaͤhligen Ab-
ſterbens und lebendiger Verjuͤngung.


Es iſt hier nicht der Ort, den langen Kampf dieſer
Prinzipien zu beſchreiben. Alle Elemente des Lebens wurden
in die Bewegung gezogen, und allmaͤhlig von dem chriſt-
lichen Weſen ergriffen, durchdrungen, in dieſe große Rich-
tung des Geiſtes fortgeriſſen. Von ſich ſelber, ſagt Chry-
ſoſtomus, iſt der Irrthum des Goͤtzendienſtes verloſchen 1).
Schon ihm erſcheint das Heidenthum wie eine eroberte
Stadt, deren Mauern zerſtoͤrt, deren Hallen, Theater und
oͤffentliche Gebaͤude verbrannt, deren Vertheidiger umge-
[9]Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.
kommen ſeyen: nur unter den Truͤmmern ſehe man noch
ein paar Alte, ein paar Kinder ſtehen.


Bald waren auch dieſe nicht mehr, und es trat eine
Verwandelung ohne Gleichen ein.


Aus den Catacomben ſtieg die Verehrung der Maͤrty-
rer hervor; an den Stellen, wo die olympiſchen Goͤtter
angebetet worden, aus den naͤmlichen Saͤulen, die deren
Tempel getragen, erhoben ſich Heiligthuͤmer, zum Gedaͤcht-
niß derjenigen, die dieſen Dienſt verſchmaͤhet und daruͤber
den Tod gefunden hatten. Der Cultus, den man in Ein-
oͤden und Gefaͤngniſſen begonnen, nahm die Welt ein. Man
verwundert ſich zuweilen, daß gerade ein weltliches Ge-
baͤude der Heiden, die Baſilika, zu einem chriſtlichen um-
gewandelt worden. Es hat dieß doch etwas ſehr Bezeich-
nendes. Die Apſis der Baſilika enthielt ein Auguſteum 1)
die Bilder eben jener Caͤſaren, denen man goͤttliche Ehre
erwies. An die Stelle derſelben trat, wie wir es in ſo
vielen Baſiliken noch heute ſehen, das Bild Chriſti und
der Apoſtel; an die Stelle der Weltherrſcher, die ſelber als
Goͤtter betrachtet wurden, trat der Menſchenſohn, Gottes-
ſohn. Die localen Gottheiten wichen, verſchwanden. An
allen Landſtraßen, auf der ſteilen Hoͤhe des Gebirgs, in
den Paͤſſen durch die Thalſchluchten, auf den Daͤchern der
Haͤuſer, in der Moſaik der Fußboͤden ſah man das Kreuz.
Es war ein entſcheidender vollſtaͤndiger Sieg. Wie man
auf den Muͤnzen Conſtantins das Labarum mit dem Mono-
gramm Chriſti uͤber dem beſiegten Drachen erblickt, ſo er-
[10]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
hob ſich uͤber dem gefallenen Heidenthum Verehrung und
Name Chriſti.


Auch von dieſer Seite betrachtet, wie unendlich iſt die
Bedeutung des roͤmiſchen Reiches. In den Jahrhunderten
ſeiner Erhebung hat es die Unabhaͤngigkeiten gebrochen, die
Voͤlker unterworfen; es hat jenes Gefuͤhl der Selbſtſtaͤndig-
keit, das in der Sonderung lag, vernichtet; dagegen hat
es dann in ſeinen ſpaͤteren Zeiten die wahre Religion in
ſeinem Schooße hervorgehen ſehen, — die reinſte Form
eines gemeinſamen Bewußtſeyns; das Bewußtſeyn der Ge-
meinſchaft in dem Einen wahren Gott; es hat die Herr-
ſchaft derſelben entwickelt. Das Menſchengeſchlecht iſt ſich
ſelber inne geworden: es hat ſeine Religion gefunden.


Dieſer Religion gab nun auch uͤberdieß das roͤmiſche
Reich ihre aͤußere Form auf immer.


Die heidniſchen Prieſterthuͤmer waren wie buͤrgerliche
Aemter vergeben worden; in dem Judenthum war ein
Stamm mit der geiſtlichen Verwaltung beauftragt: es un-
terſcheidet das Chriſtenthum, daß ſich in demſelben ein be-
ſonderer Stand, aus freien Mitgliedern die ihn waͤhlten,
zuſammengeſetzt, durch Handauflegung geheiligt, von allem
irdiſchen Thun und Treiben entfernt, „den geiſtlichen und
goͤttlichen Geſchaͤften“ zu widmen hatte. Anfangs bewegte
ſich die Kirche in republikaniſcheren Formen, aber ſie ver-
ſchwanden, je mehr der neue Glauben zur Herrſchaft ge-
langte. Der Clerus ſetzte ſich nach und nach den Laien
vollſtaͤndig gegenuͤber.


Es geſchah dieß, duͤnkt mich, nicht ohne eine gewiſſe
innere Nothwendigkeit. In dem Emporkommen des Chri-
[11]Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.
ſtenthums lag eine Befreiung der Religion von den poli-
tiſchen Elementen. Es haͤngt damit zuſammen, daß ſich
ein abgeſonderter geiſtlicher Stand mit einer eigenthuͤmli-
chen Verfaſſung ausbildete. In dieſer Trennung der Kirche
von dem Staate beſteht vielleicht die groͤßte, am durch-
greifendſten wirkſame Eigenthuͤmlichkeit der chriſtlichen Zei-
ten uͤberhaupt. Die geiſtliche und weltliche Gewalt koͤn-
nen einander nahe beruͤhren, in der engſten Gemeinſchaft
ſtehen, voͤllig zuſammenfallen koͤnnen ſie hoͤchſtens aus-
nahmsweiſe und auf kurze Zeit. In ihrem Verhaͤltniß,
ihrer gegenſeitigen Stellung zu einander beruht ſeitdem eines
der wichtigſten Momente aller Geſchichte.


In dem roͤmiſchen Reiche erhob ſich die Hierar-
chie der Biſchoͤfe Metropolitane Patriarchen. Es dauerte
nicht lange, ſo nahmen die roͤmiſchen Biſchoͤfe den oberſten
Rang ein. Zwar iſt es ein eitles Vorgeben, daß denſel-
ben in den erſten Jahrhunderten und uͤberhaupt jemals ein
allgemeines von Oſten und Weſten anerkanntes Primat zu-
geſtanden habe; aber allerdings erlangten ſie ſehr bald ein
Anſehen, durch das ſie uͤber alle andere kirchliche Gewal-
ten hervorragten. Es kam Vieles zuſammen, um ihnen
ein ſolches zu verſchaffen. Wenn ſich ſchon allenthalben
aus der groͤßeren Bedeutung einer Provinzial-Hauptſtadt
ein beſonderes Uebergewicht fuͤr den Biſchof derſelben er-
gab, wie viel mehr mußte dieß bei der alten Hauptſtadt
des geſammten Reiches, die demſelben ſeinen Namen gege-
ben, der Fall ſeyn 1). Rom war einer der vornehmſten
[12]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
apoſtoliſchen Sitze; hier hatten die meiſten Maͤrtyrer ge-
blutet; waͤhrend der Verfolgungen hatten ſich die Biſchoͤfe
von Rom vorzuͤglich wacker gehalten; und oft waren ſie
einander nicht ſowohl im Amte, als im Maͤrtyrerthume
und im Tode nachgefolgt. Nun fanden aber uͤberdieß die
Kaiſer gerathen, das Emporkommen einer großen patriar-
chalen Autoritaͤt zu beguͤnſtigen. In einem Geſetz, das fuͤr
die Herrſchaft des Chriſtenthums entſcheidend geworden iſt,
gebietet Theodoſius der Große, daß alle Nationen, die von
ſeiner Gnade regiert werden, dem Glauben anhangen ſol-
len, der von dem heiligen Petrus den Roͤmern verkuͤndet
worden 1). Valentinian III. unterſagte den Biſchoͤfen ſo-
wohl in Gallien als in andern Provinzen, von den bishe-
rigen Gewohnheiten abzuweichen, ohne die Billigung des
ehrwuͤrdigen Mannes, des Papſtes der heiligen Stadt.
Unter dem Schutze der Kaiſer ſelbſt erhob ſich demnach die
Macht des roͤmiſchen Biſchofs. Eben hierin lag dann frei-
lich auch eine Beſchraͤnkung derſelben. Schon die Thei-
lung des Reiches mußte bei der Eiferſucht, mit der ſich
jeder Kaiſer gewiſſe kirchliche Rechte vorbehielt, die Aus-
dehnung der Gewalt eines einzigen Biſchofs uͤber getrennte
und entfernte Gebiete verhindern.


[13]Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.

Das Papſtthum in Vereinigung mit dem fraͤnki-
ſchen Reiche.


Kaum war dieſe große Veraͤnderung vollbracht, die
chriſtliche Religion gepflanzt, die Kirche gegruͤndet, ſo tra-
ten neue Weltgeſchicke ein: das roͤmiſche Reich, das ſo
lange geſiegt und erobert hatte, ſah ſich nun auch ſeiner-
ſeits von den Nachbarn angegriffen, uͤberzogen, beſiegt.


In dem Umſturz aller Dinge wurde ſelbſt das Chri-
ſtenthum noch einmal erſchuͤttert. In den großen Gefah-
ren erinnerten ſich die Roͤmer noch einmal der etruriſchen
Geheimniſſe, die Athenienſer glaubten von Achill und Mi-
nerva gerettet worden zu ſeyn, die Carthager beteten zu
dem Genius Coͤleſtis, — doch waren dieß nur voruͤberge-
hende Regungen; waͤhrend das Reich in den weſtlichen
Provinzen zerſtoͤrt wurde, erhielt ſich der geſammte Bau
der roͤmiſchen Kirche.


Nur kam auch ſie, wie unvermeidlich war, in
mannichfaltige Bedraͤngniß, und eine durchaus veraͤnderte
Lage. Eine heidniſche Nation nahm Britannien ein: aria-
niſche Koͤnige eroberten den groͤßten Theil des uͤbrigen We-
ſtens; in Italien vor den Thoren von Rom gruͤndeten ſich
die Lombarden, — lange Zeit Arianer, und immer ge-
faͤhrliche, feindſelige Nachbarn — eine maͤchtige Herrſchaft.


Indem nun die roͤmiſchen Biſchoͤfe, von allen Seiten
eingeengt, ſich bemuͤhten, wenigſtens in ihrem alten, pa-
triarchalen Sprengel wieder Meiſter zu werden, — mit viel
Klugheit verſuchten ſie dieß — traf ſie ein neues, noch
[14]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
groͤßeres Mißgeſchick. Die Araber, nicht allein Eroberer
wie die Germanen, ſondern von einem poſitiven ſtolzen,
dem Chriſtenthume von Grund aus entgegengeſetzten Glau-
ben bis zum Fanatismus durchdrungen, ergoſſen ſich uͤber
den Occident wie uͤber den Orient; in wiederholten Anfaͤl-
len nahmen ſie Africa, in einem einzigen Spanien ein:
Muza ruͤhmte ſich, durch die Pforten der Pyrenaͤen uͤber
die Alpen nach Italien vordringen zu wollen, um Muha-
mets Namen am Vatican ausrufen zu laſſen.


Im Anfange des achten Jahrhunderts war die roͤmi-
ſche Chriſtenheit in den mißlichſten Verhaͤltniſſen.


Waͤhrend die Araber das Mittelmeer zu beherrſchen
anfangen und ihr einen Krieg auf Tod und Leben machen,
iſt ſie in ſich ſelber zerfallen. Die beiden Oberhaͤupter,
der Kaiſer zu Conſtantinopel und der Papſt zu Rom, ha-
ben bei den ikonoklaſtiſchen Bewegungen verſchiedene Par-
teien ergriffen: oft trachtet der Kaiſer dem Papſte nach dem
Leben. Indeß haben die Lombarden eingeſehen, wie vor-
theilhaft ihnen dieſe Entzweiung iſt. Ihr Koͤnig Aiſtulph
nimmt Provinzen ein, die den Kaiſer bisher noch immer
anerkannten: er ruͤckt wider Rom heran, und fordert unter
heftigen Bedrohungen auch dieſe Stadt auf, ihm Tribut
zu zahlen, ſich ihm zu ergeben 1).


Bei dieſem inneren Zerwuͤrfniß auf der einen und der
entſchiedenen Ueberlegenheit einer feindſeligen Weltmacht
[15]Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.
auf der andern Seite ließ ſich nichts anderes, als der
Untergang dieſes ganzen Weſens erwarten, wofern es
nicht auf irgend eine Art eine nachhaltige gewaltige Huͤlfe
empfing.


Schon war eine ſolche vorbereitet. Es war eine Rich-
tung angebahnt, welche die Paͤpſte nur mit Entſchiedenheit
einzuſchlagen brauchten, um ſich aus ihren Bedraͤngniſſen
errettet zu ſehen. Verſuchen wir, ſie in ihren Grundzuͤgen
kuͤrzlich zu vergegenwaͤrtigen.


Von allen germaniſchen Nationen war allein die fraͤnki-
ſche, gleich bei ihrer erſten Erhebung in den Provinzen des
roͤmiſchen Reiches, katholiſch geworden. Dieß ihr Bekennt-
niß hatte ihr zu großer Foͤrderung gereicht. In den ka-
tholiſchen Unterthanen ihrer arianiſchen Feinde, der Bur-
gunder und Weſtgothen, fanden die Franken natuͤrliche
Verbuͤndete. Wir leſen ſo viel von den Wundern, die dem
Chlodwig begegnet ſeyn ſollen, wie ihm St. Martin durch
eine Hindin die Furt uͤber die Vienne gezeigt, wie ihm
St. Hilarius in einer Feuerſaͤule vorangegangen: wir wer-
den ſchwerlich irren, wenn wir vermuthen, daß in dieſen
Sagen die Huͤlfe verſinnbildet worden, welche die Einge-
bornen einem Glaubensgenoſſen leiſteten, dem ſie wie Gre-
gor von Tours ſagt, „mit begieriger Neigung“ den Sieg
wuͤnſchten.


Allmaͤhlig ward dieſe Nation der Mittelpunkt der ge-
ſammten germaniſch-weſtlichen Welt. Es ſchadet ihr nicht,
daß ihr Koͤnighaus, das merovingiſche Geſchlecht ſich ſelbſt
durch entſetzenvolle Mordthaten zu Grunde richtet; ſofort er-
hebt ſich an die Stelle deſſelben ein anderes zur hoͤchſten
[16]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Gewalt in ihr: alles Maͤnner voll Energie von gewalti-
gem Willen und erhabener Kraft. Indem die uͤbrigen
Reiche zuſammenſtuͤrzen und die Welt ein Eigenthum des
moslimiſchen Schwertes zu werden droht, iſt es dieß Ge-
ſchlecht, das Haus der Pippine von Heriſtall, nachmals
das carolingiſche genannt, welches den erſten und den ent-
ſcheidenden Widerſtand leiſtet. Es iſt maͤchtig uͤber viele
Staͤmme, ſiegreich, katholiſch: es kann nicht anders ſeyn,
als daß der Papſt, von Arabern, Lombarden und Griechen
bedraͤngt, ſein Augenmerk auf Fuͤrſten richtet, bei denen
er allein gegen alle dieſe Angriffe Huͤlfe zu finden vermag.


Indeſſen hat das Gebiet, uͤber welches dieſes Haus
gewaltig iſt, noch eine andere, einer Vereinigung entge-
genfuͤhrende Entwickelung erfahren.


Papſt Gregor der Große ſah einſt Angelſachſen auf
dem Sklavenmarkt zu Rom, die ſeine Aufmerkſamkeit er-
regten, und ihn beſtimmten, der Nation, der ſie angehoͤr-
ten, das Evangelium verkuͤndigen zu laſſen. Nie mag ſich
ein Papſt zu einer folgenreicheren Unternehmung entſchloſſen
haben. Nicht allein die Lehre faßte in dem germaniſchen
Britannien Wurzel, ſondern zugleich eine Verehrung fuͤr
Rom und den heiligen Stuhl, wie ſie bisher noch nie und
nirgend Statt gefunden hatte. Die Angelſachſen fingen an
nach Rom zu pilgern; ſie ſandten ihre Jugend dahin; zur
Erziehung der Geiſtlichen, zur Erleichterung der Pilger
fuͤhrte Koͤnig Offa den Peterspfennig ein; die Vornehme-
ren wanderten nach Rom, um daſelbſt zu ſterben und dann
von den Heiligen im Himmel vertraulicher aufgenommen
zu werden. Es war, als truͤge dieſe Nation den alten
deut-
[17]Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.
deutſchen Aberglauben, daß die Goͤtter einigen Oertern naͤ-
her ſeyen als andern, auf Rom und die chriſtlichen Heili-
gen uͤber.


Dieſe Richtung der Inſel nun entwickelte eine unbe-
rechenbare Wirkung auf das feſte Land und die fraͤnkiſchen
Gebiete. Der Apoſtel der Deutſchen war ein Angelſachſe.
Bonifacius, erfuͤllt wie er war von der Verehrung ſeiner
Nation fuͤr St. Peter und deſſen Nachfolger, leiſtete von allem
Anfang das Verſprechen, ſich treulich an die Einrichtungen
des roͤmiſchen Stuhles zu halten. Auf das ſtrengſte kam
er dieſer Zuſage nach. Der deutſchen Kirche, die er ſtiftete,
legte er einen ungewoͤhnlichen Gehorſam auf. Die Biſchoͤfe
mußten ausdruͤcklich geloben, gegen die roͤmiſche Kirche, den
h. Peter und deſſen Stellvertreter bis ans Ende ihres Lebens
in Unterwuͤrfigkeit zu verharren. Und nicht allein die Deut-
ſchen wies er hierzu an. Die Biſchoͤfe von Gallien hat-
ten bisher eine gewiſſe Unabhaͤngigkeit von Rom behauptet.
Bonifacius, welcher die Synoden derſelben einige Mal zu
leiten bekam, fand dabei Gelegenheit, auch dieſen weſtli-
chen Theil der fraͤnkiſchen Kirche nach denſelben Ideen ein-
zurichten —; die galliſchen Erzbiſchoͤfe nahmen ſeitdem ihr
Pallium von Rom. Ueber das geſammte fraͤnkiſche Reich
breitete ſich dergeſtalt die angelſaͤchſiſche Unterwuͤrfigkeit aus.
Das Haus von Heriſtall, das wir ſchon fruͤh mit Rom in
gutem Vernehmen finden, beguͤnſtigte dieſe Entwickelung 1);
2
[18]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Bonifacius arbeitete in dem beſondern Schutze Karl Mar-
tels und Pippin des Kleinen.


Man denke ſich nun die Weltſtellung der paͤpſtlichen
Gewalt. Auf der einen Seite das oſtroͤmiſche Kaiſerthum,
verfallend, ſchwach, unfaͤhig, das Chriſtenthum gegen den
Islam zu behaupten, unvermoͤgend, auch nur ſeine eige-
nen Landſchaften in Italien gegen die Lombarden zu ver-
theidigen, und dabei mit dem Anſpruch einer oberherrlichen
Einwirkung ſelbſt in geiſtlichen Sachen; auf der andern
die germaniſchen Nationen, lebenskraͤftig, gewaltig, ſieg-
reich uͤber den Islam; der Autoritaͤt, deren ſie noch bedurften,
mit der ganzen Friſche jugendlicher Begeiſterung ergeben.
Es konnte nicht fehlen: dieſe unbedingte freiwillige Devo-
tion mußte zuletzt auch eine Ruͤckwirkung auf den aus-
uͤben, dem ſie gewidmet wurde.


Schon Gregor II. fuͤhlt, was er gewonnen hat. Alle
Abendlaͤnder, ſchreibt er voll Selbſtgefuͤhl an jenen ikono-
klaſtiſchen Kaiſer, Leo den Iſaurier, haben ihre Augen auf
unſere Demuth gerichtet, ſie ſehen uns fuͤr einen Gott auf
Erden an. Immer mehr ſonderten ſich ſeine Nachfolger
von einer Gewalt ab, die ihnen nur Pflichten auferlegte
und keinen Schutz gewaͤhrte: die Nothwendigkeit ſelbſt trieb
ſie dazu; dagegen ſchloſſen ſie mit den großen Ober-
haͤuptern des Weſtens, mit den fraͤnkiſchen Fuͤrſten, eine
Verbindung, die von Jahr zu Jahr enger wurde, beiden
Theilen zu großem Vortheil gereichte, und zuletzt eine um-
faſſende weltgeſchichtliche Bedeutung entfaltete.


Als der juͤngere Pippin, nicht zufrieden mit dem We-
ſen der koͤniglichen Gewalt, auch den Namen derſelben be-
[19]Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.
ſitzen wollte, bedurfte er, er fuͤhlte es wohl, einer hoͤheren
Sanction; der Papſt gewaͤhrte ſie ihm. Dafuͤr uͤbernahm
dann der neue Koͤnig den Papſt, „die heilige Kirche und
Republik Gottes“ gegen die Lombarden zu vertheidigen. Zu
vertheidigen, genuͤgte ſeinem Eifer noch nicht. Gar bald
zwang er die Lombarden, auch das dem oſtroͤmiſchen Reiche
in Italien entriſſene Gebiet, das Exarchat, herauszugeben.
Wohl haͤtte die Gerechtigkeit verlangt, daß es dem Kaiſer,
dem es gehoͤrte, zuruͤckgeſtellt wuͤrde, und man machte Pip-
pin den Antrag. Er erwiederte, „nicht zu Gunſten eines
Menſchen ſey er in den Kampf gegangen, ſondern allein
aus Verehrung fuͤr St. Peter, um die Vergebung ſeiner
Suͤnden zu erwerben“ 1). Auf den Altar St. Peters ließ
er die Schluͤſſel der gewonnenen Staͤdte niederlegen. Es
iſt dieß die Grundlage der ganzen weltlichen Herrſchaft der
Paͤpſte.


In ſo lebhafter Gegenſeitigkeit bildete ſich dieſe Ver-
bindung weiter aus. Der ſeit ſo langer Zeit beſchwerlichen
und druͤckenden Nachbarſchaft lombardiſcher Fuͤrſten entle-
digte endlich Carl der Große den Papſt. Er ſelber zeigte die
tiefſte Ergebenheit; er kam nach Rom, die Stufen von St.
Peter kuͤſſend ſtieg er den Vorhof hinan, wo ihn der
Papſt erwartete; er beſtaͤtigte ihm die Schenkungen Pip-
pins. Dagegen war auch der Papſt ſein unerſchuͤtterlicher
Freund; die Verhaͤltniſſe des geiſtlichen Oberhauptes zu
den italieniſchen Biſchoͤfen machten es Carln ſo leicht,
2*
[20]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
der Lombarden Herr zu werden, ihr Reich an ſich zu
bringen.


Und ſogleich ſollte dieſer Gang der Dinge zu einem
noch groͤßeren Erfolge fuͤhren.


In ſeiner eigenen Stadt, in der ſich die entgegengeſetz-
ten Factionen mit heftiger Wuth bekaͤmpften, konnte der
Papſt nicht mehr ohne auswaͤrtigen Schutz beſtehen. Noch
einmal machte ſich Carl nach Rom auf, ihm denſelben zu
gewaͤhren. Der alte Fuͤrſt war nun erfuͤllt mit Ruhm
und Siegen. In langen Kaͤmpfen hatte er nach und nach
alle ſeine Nachbarn uͤberwunden: und die romaniſch-germa-
niſch-chriſtlichen Nationen beinahe ſaͤmmtlich vereinigt; er
hatte ſie zum Siege wider ihre gemeinſamen Feinde gefuͤhrt;
man bemerkte, daß er alle Sitze der abendlaͤndiſchen Impe-
ratoren in Italien, Gallien und Germanien, und ihre Gewalt
inne habe 1). Zwar waren dieſe Laͤnder ſeitdem eine voll-
kommen andere Welt geworden; aber ſollten ſie dieſe Wuͤrde
ausſchließen? So hatte Pippin das koͤnigliche Diadem be-
kommen: weil dem, der die Gewalt habe, nicht minder
die Ehre gebuͤhre. Auch dießmal entſchloß ſich der Papſt.
Von Dankbarkeit durchdrungen, und wie er wohl wußte,
eines fortwaͤhrenden Schutzes beduͤrftig, kroͤnte er Carln an
[21]Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.
jenem Weihnachtsfeſte des Jahres 800 mit der Krone des
abendlaͤndiſchen Reiches.


Es iſt nicht noͤthig, von der Wichtigkeit dieſes Er-
eigniſſes zu reden. Zunaͤchſt bewaͤhrte ſie ſich an dem
Papſt ſelber, der hiermit in eine ganz neue Stellung
gerieth.


Nicht als ob er um vieles unabhaͤngiger geworden
waͤre. Wir finden vielmehr Carln den Großen unzwei-
felhafte Acte einer hoͤchſten Autoritaͤt in den Landſchaf-
ten vollziehen, die Sanct Peter uͤbergeben ſind; auch
ſeine minder maͤchtigen Nachfolger uͤben dieſe aus; Lo-
thar ſetzt ſeine Richter daſelbſt ein und vernichtet Confis-
cationen, die der Papſt vorgenommen. Es iſt kein Zwei-
fel: der Papſt gehoͤrte weſentlich zum fraͤnkiſchen Reiche:
eben darin liegt ſein neues Verhaͤltniß. Von dem Orient
ſondert er ſich ab, und hoͤrt allmaͤhlig auf, weitere Aner-
kennung daſelbſt zu finden. Seines patriarchalen Sprengels
im Oſten hatten ihn die griechiſchen Kaiſer ſchon laͤngſt
beraubt 1). Dafuͤr leiſten ihm die abendlaͤndiſchen Kirchen
— die lombardiſche, auf welche die Inſtitute der fraͤnki-
ſchen uͤbertragen worden, nicht ausgeſchloſſen, — einen Ge-
horſam, wie er ihn fruͤher niemals gefunden hatte. Wie
[22]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
er zu Rom die Schulen der Frieſen, Sachſen, Franken
aufgenommen, durch welche dieſe Stadt ſelbſt germaniſirt
wurde, ſo iſt er in die Verbindung germaniſcher und ro-
maniſcher Elemente eingetreten, welche ſeitdem den Charak-
ter des Abendlandes ausgemacht hat. In dem bedraͤngteſten
Moment hat ſeine Gewalt in einem friſchen Boden Wur-
zel geſchlagen: als ſie zu dem Untergange beſtimmt ſchien,
hat ſie ſich auf lange Zeitraͤume feſtgeſtellt. Die Hierar-
chie, in dem roͤmiſchen Reich geſchaffen, hat ſich in die
germaniſchen Nationen ergoſſen; hier findet ſie ein unend-
liches Feld fuͤr eine immer fortſchreitende Thaͤtigkeit.


Verhaͤltniß zu den deutſchen Kaiſern. Selbſtſtaͤn-
dige Ausbildung der Hierarchie.


Wir laſſen neue Jahrhunderte voruͤbergegangen ſeyn,
um uns den Punkt der Entwickelung, auf den ſie gefuͤhrt
haben, deſto deutlicher zu vergegenwaͤrtigen.


Das fraͤnkiſche Reich iſt zerfallen: auf das gewaltigſte
hat ſich das deutſche erhoben.


Niemals hat der deutſche Name in Europa mehr ge-
golten, als im 10ten und 11ten Jahrhundert, unter den
ſaͤchſiſchen und den erſten ſaliſchen Kaiſern. Von den oͤſt-
lichen Grenzen, wo der Koͤnig von Polen ſich perſoͤnliche
Unterwerfung und eine Theilung ſeines Landes hat gefallen
laſſen, wo der Herzog von Boͤhmen zur Haft verurtheilt
worden, ſehen wir Conrad II. nach dem Weſten aufbre-
chen, um Burgund, den Anſpruͤchen franzoͤſiſcher Magnaten
[23]Verhaͤltniß zu den deutſchen Kaiſern.
gegenuͤber, zu behaupten. In den Ebenen der Champagne
uͤberwindet er ſie; uͤber den Bernhard kommen ihm ſeine
italieniſchen Vaſallen zu Huͤlfe; er laͤßt ſich kroͤnen zu Genf
und haͤlt ſeine Landtage zu Solothurn. Unmittelbar hier-
auf begegnen wir ihm in Unteritalien. „An der Grenze
ſeines Reiches,“ ſagt ſein Geſchichtſchreiber Wippo, „in
Capua und Benevent hat er durch ſein Wort die Zwiſtig-
keiten geſchlichtet.“ Nicht minder gewaltig herrſchte Hein-
rich III. Bald finden wir ihn an der Schelde und Lys,
— ſiegreich uͤber die Grafen von Flandern; bald in Un-
garn, das er wenigſtens auf eine Zeitlang zur Lehnspflicht
noͤthigte, jenſeits der Raab, und nur die Elemente ſetzen
ihm Schranken. Der Koͤnig von Daͤnemark ſucht ihn zu
Merſeburg auf; einen der maͤchtigſten Fuͤrſten von Frankreich,
den Grafen von Tours nimmt er als Vaſallen an; die
ſpaniſchen Geſchichten erzaͤhlen, daß er von Ferdinand I.
in Caſtilien, ſo ſiegreich und maͤchtig dieſer war, als Ober-
lehnsherr aller chriſtlichen Koͤnige anerkannt zu werden ge-
fordert habe.


Fragen wir nun, worauf dieſe ſo weit ausgebreitete,
ein europaͤiſches Supremat in Anſpruch nehmende Macht
in ihrem Innern ſich gruͤndete, ſo finden wir, daß ſie ein
ſehr bedeutendes kirchliches Element in ſich ſchloß. Auch
die Deutſchen eroberten, indem ſie bekehrten. Mit der Kirche
ruͤckten ihre Marken vorwaͤrts, uͤber die Elbe nach der
Oder hin, die Donau hinunter; Moͤnche und Prieſter gin-
gen dem deutſchen Einfluß in Boͤhmen und Ungarn vor-
auf. Allenthalben ward deshalb den geiſtlichen Gewalten eine
große Macht verliehen. In Deutſchland erhielten Biſchoͤfe
[24]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
und Reichsaͤbte nicht allein in ihren Beſitzthuͤmern, ſon-
dern auch außerhalb derſelben graͤfliche, ja zuweilen her-
zogliche Rechte; und man bezeichnet die geiſtlichen Guͤter
nicht mehr als in den Grafſchaften, ſondern die Grafſchaf-
ten als in den Bisthuͤmern gelegen. Im obern Italien
kamen faſt alle Staͤdte unter die Vicegrafen ihrer Biſchoͤfe.
Man wuͤrde irren, wenn man glauben wollte, es ſey die
Abſicht geweſen, den geiſtlichen Gewalten hiermit eigent-
liche Unabhaͤngigkeit zu gewaͤhren. Da die Beſetzung der
geiſtlichen Stellen den Koͤnigen zukam — die Stifter pfleg-
ten Ring und Stab ihrer verſtorbenen Vorſteher an das
Hoflager zuruͤckzuſchicken, wo ſie dann aufs neue verliehen
wurden — ſo war es in der Regel ſogar ein Vortheil fuͤr
den Fuͤrſten, den Mann ſeiner Wahl, auf deſſen Ergeben-
heit er rechnen durfte, mit weltlichen Befugniſſen auszu-
ruͤſten. Dem widerſpenſtigen Adel zum Trotz ſetzte Hein-
rich III. einen ihm ergebenen Plebejer auf den ambroſia-
niſchen Stuhl zu Mailand; den Gehorſam, den er ſpaͤter
in Oberitalien fand, hat er großentheils dieſer Maaßregel
zu danken gehabt. Es erlaͤutert ſich wechſelsweiſe, daß
Heinrich II. von allen dieſen Kaiſern ſich am freigebigſten
gegen die Kirche bewies, und dabei das Recht, die Bi-
ſchoͤfe zu ernennen, am ſchaͤrfſten in Anſpruch nahm 1). Auch
war dafuͤr geſorgt, daß die Begabung der Staatsgewalt
nichts entzog. Die geiſtlichen Guͤter waren weder von den
buͤrgerlichen Laſten, noch ſelbſt von der Lehenspflicht exi-
mirt; haͤufig ſehen wir die Biſchoͤfe an der Spitze ihrer
[25]Verhaͤltniß zu den deutſchen Kaiſern.
Mannen ins Feld ruͤcken. Welch ein Vortheil war es da-
gegen, Biſchoͤfe ernennen zu koͤnnen, die wie der Erzbiſchof
von Bremen, eine hoͤchſte geiſtliche Gewalt in den ſcandi-
naviſchen Reichen und uͤber viele wendiſche Staͤmme aus-
uͤbten!


War nun in den Inſtituten des deutſchen Reiches das
geiſtliche Element ſo uͤberaus bedeutend, ſo ſieht man von
ſelbſt, wie viel auf das Verhaͤltniß ankam, in welchem die
Kaiſer zu dem Oberhaupte aller Geiſtlichkeit, zu dem Papſte
in Rom ſtanden.


Wohl hatten die Paͤpſte, ehe das Kaiſerthum entſchie-
den an die Deutſchen fiel, als es in ſchwachen und ſchwan-
kenden Haͤnden war, Acte einer hoͤheren Autoritaͤt uͤber
daſſelbe ausgeuͤbt. So wie aber die kraͤftigen deutſchen
Fuͤrſten dieſe Wuͤrde erobert hatten, waren ſie nicht viel
weniger, als die Carolingen, Oberherren des Papſtthums.
Mit gewaltiger Hand beſchirmte Otto der Große den Papſt,
den er eingeſetzt hatte 1); ſeine Soͤhne folgten ſeinem Bei-
ſpiele; daß ſich einmal die roͤmiſchen Factionen wieder er-
hoben und dieſe Wuͤrde nach ihren Familienintereſſen an-
nahmen, wiederabgaben, kauften und veraͤußerten, machte
die Nothwendigkeit einer hoͤheren Intervention nur um ſo
einleuchtender. Man weiß, wie gewaltig Heinrich III. die-
ſelbe ausuͤbte. Seine Synode zu Sutri ſetzte die einge-
drungenen Paͤpſte ab; nachdem er erſt den Patricius-Ring
[26]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
an ſeinen Finger geſteckt und die kaiſerliche Krone empfan-
gen hatte, bezeichnete er nach ſeinem Gutduͤnken denjenigen,
der den paͤpſtlichen Stuhl beſteigen ſollte. Es folgten
einander vier deutſche Paͤpſte, alle von ihm ernannt; bei
der Erledigung der hoͤchſten geiſtlichen Wuͤrde erſchienen die
Abgeordneten von Rom nicht anders, als die Geſandten
anderer Bisthuͤmer an dem kaiſerlichen Hoflager, um ſich
den Nachfolger beſtimmen zu laſſen.


Bei dieſer Lage der Dinge war es dem Kaiſer ſelbſt
erwuͤnſcht, wenn das Papſtthum in bedeutendem Anſehn
ſtand. Heinrich III. befoͤrderte die Reformationen, welche
die von ihm geſetzten Paͤpſte unternahmen; der Zuwachs
ihrer Gewalt erregte ihm keine Eiferſucht. Daß Leo IX.
dem Willen des Koͤnigs von Frankreich zum Trotz, eine
Synode zu Rheims hielt, franzoͤſiſche Biſchoͤfe einſetzte und
abſetzte, und die feierliche Erklaͤrung empfing, der Papſt
ſey der einzige Primas der allgemeinen Kirche, konnte dem
Kaiſer ganz recht ſeyn, ſo lange er nur ſelber uͤber das
Papſtthum verfuͤgte. Es gehoͤrte dieß mit zu dem oberſten
Anſehen, das er in Europa in Anſpruch nahm. In ein
aͤhnliches Verhaͤltniß, wie durch den Erzbiſchof von Bre-
men zu dem Norden, kam er durch den Papſt zu den uͤbri-
gen Maͤchten der Chriſtenheit.


Es war aber hierbei auch eine große Gefahr.


Ganz ein anderes Inſtitut war der geiſtliche Stand
in den germaniſchen und germaniſirten Reichen geworden,
als er in dem roͤmiſchen geweſen. Es war ihm ein gro-
ßer Theil der politiſchen Gewalt uͤbertragen: er hatte fuͤrſt-
liche Macht. Wir ſehen, noch hing er von dem Kaiſer,
[27]Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie.
von der oberſten weltlichen Autoritaͤt ab: wie aber, wenn
dieſe einmal wieder in ſchwache Haͤnde gerieth, — wenn dann
das Oberhaupt der Geiſtlichkeit, dreifach maͤchtig, durch
ſeine Wuͤrde, der man eine allgemeine Verehrung widmete,
den Gehorſam ſeiner Untergebenen, und ſeinen Einfluß auf
andere Staaten, den guͤnſtigen Augenblick ergriff, und ſich
der koͤniglichen Gewalt entgegenſetzte?


In der Sache ſelbſt lag mehr als Eine Veranlaſſung
hierzu. Das geiſtliche Weſen hatte doch in ſich ein eig-
nes, einem ſo großen weltlichen Einfluß widerſtrebendes
Princip, welches es hervorkehren mußte, ſobald es ſtark
genug dazu geworden war. Auch lag, ſcheint mir, ein
Widerſpruch darin, daß der Papſt eine hoͤchſte geiſtliche
Gewalt nach allen Seiten hin ausuͤben, und dabei dem
Kaiſer unterthaͤnig ſeyn ſollte. Ein anderes waͤre es ge-
weſen, haͤtte es Heinrich III. wirklich dahin gebracht, ſich
zum Haupte der geſammten Chriſtenheit zu erheben. Da
ihm dieß nicht gelang, ſo konnte ſich der Papſt bei eini-
ger Verwickelung der politiſchen Verhaͤltniſſe durch ſeine
untergeordnete Stellung zu dem Kaiſer, allerdings gehin-
dert ſehen, voͤllig frei der allgemeine Vater der Glaͤubigen
zu ſeyn, wie ſein Amt es mit ſich brachte.


Unter dieſen Umſtaͤnden ſtieg Gregor VII. auf den
paͤpſtlichen Stuhl. Es hat ihn fuͤr alle Zeiten beruͤhmt
gemacht, daß er die Emancipation der paͤpſtlichen Gewalt
von der kaiſerlichen durchzuſetzen unternahm. Gregor hat
einen kuͤhnen, einſeitigen, hochfliegenden Geiſt; folgerecht,
man koͤnnte ſagen, wie ein ſcholaſtiſches Syſtem das iſt;
unerſchuͤtterlich in der logiſchen Conſequenz, und dabei eben
[28]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
ſo gewandt, die wahren und gegruͤndeten Oppoſitionen zu
eludirer. Als er ſein Ziel ins Auge gefaßt, griff er ohne
alle Ruͤckſicht, ohne einen Moment zu zoͤgern, zu dem ent-
ſcheidenden Mittel. Der Beſchluß, den er von einer ſei-
ner Kirchenverſammlungen faſſen ließ, daß in Zukunft nie-
mals wieder eine geiſtliche Stelle durch einen Weltlichen
verliehen werden duͤrfe, mußte die Verfaſſung des Reiches
in ihrem Weſen umſtoßen. Dieſe beruhte, wie beruͤhrt
worden, auf der Verbindung geiſtlicher und weltlicher In-
ſtitute: das Band zwiſchen beiden war die Inveſtitur; es
kam einer Revolution gleich, daß dieſes alte Recht dem
Kaiſer entriſſen werden ſollte.


Es iſt offenbar: Gregor haͤtte dieß nicht in Gedanken
zu faſſen, geſchweige durchzuſetzen vermocht, waͤre ihm nicht
die Zerruͤttung des deutſchen Reiches waͤhrend der Minder-
jaͤhrigkeit Heinrichs IV. und die Empoͤrung der deutſchen
Staͤmme und Fuͤrſten gegen dieſen Koͤnig zu Statten ge-
kommen. An den großen Vaſallen fand er natuͤrliche Ver-
buͤndete. Auch ſie fuͤhlten ſich von dem Uebergewicht der
kaiſerlichen Gewalt gedruͤckt; auch ſie wollten ſich befreien.
In gewiſſer Hinſicht war ja auch der Papſt ein Magnat
des Reiches. Es ſtimmt ſehr gut zuſammen, daß der
Papſt Deutſchland fuͤr ein Wahlreich erklaͤrte, — die fuͤrſt-
liche Macht mußte dadurch unendlich wachſen — und daß
die Fuͤrſten ſo wenig dawider hatten, wenn der Papſt ſich
von dem Reich emancipirte. Selbſt bei dem Inveſtiturſtreit
ging ihr Vortheil Hand in Hand. Der Papſt war noch
weit entfernt, die Biſchoͤfe geradezu ſelbſt ernennen zu wol-
len; er uͤberließ die Wahl den Capiteln, auf welche der
[29]Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie.
hoͤhere deutſche Adel den groͤßten Einfluß ausuͤbte. Mit
einem Wort: der Papſt hatte die ariſtokratiſchen Intereſſen
auf ſeiner Seite.


Aber auch ſelbſt mit dieſen Verbuͤndeten, wie lange
und blutige Kaͤmpfe hat es den Paͤpſten doch gekoſtet, ihr
Unternehmen durchzuſetzen! Von Daͤnemark bis Apulien,
ſagt der Lobgeſang auf den heil. Anno, von Carlingen bis
nach Ungarn hat das Reich die Waffen gegen ſeine Ein-
geweide gekehrt. Wie oft mußten die Paͤpſte von ihrer
Hauptſtadt weichen und Gegenpaͤpſte auf den apoſtoliſchen
Stuhl ſteigen ſehen!


Endlich aber war es ihnen doch gelungen. Den roͤ-
miſchen, den fraͤnkiſch-carolingiſchen, ſo vielen deutſchen
Kaiſern hatten die Paͤpſte gehorchen muͤſſen: jetzt zum er-
ſten Mal ſtanden ſie der weltlichen Gewalt mit gleicher
oder uͤberwiegender Autoritaͤt gegenuͤber. In der That hat-
ten ſie alsdann die großartigſte Stellung. Die Geiſt-
lichkeit war voͤllig in ihren Haͤnden. Es iſt der Bemer-
kung werth, daß die entſchloſſenſten Paͤpſte dieſes Zeit-
raums, wie Gregor VII. ſelbſt, Benedictiner waren. In-
dem ſie das Coͤlibat einfuͤhrten, verwandelten ſie die ganze
Weltgeiſtlichkeit in eine Art von Moͤnchsorden. Das all-
gemeine Bisthum, das ſie in Anſpruch nahmen, hat eine
gewiſſe Aehnlichkeit mit der Gewalt eines Cluniacenſer Abtes,
welcher der einzige Abt in ſeinem Orden war; ſo wollten
dieſe Paͤpſte die einzigen Biſchoͤfe der geſammten Kirche ſeyn.
Sie trugen kein Bedenken, in die Verwaltung aller Dioͤ-
ceſen einzugreifen 1); haben ſie doch ihre Legaten ſelbſt mit
[30]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
altroͤmiſchen Proconſuln verglichen! Waͤhrend ſich nun die-
ſer enge zuſammenſchließende und uͤber alle Laͤnder verbrei-
tete, durch ſeine Beſitzungen maͤchtige, und jedes Lebens-
verhaͤltniß beherrſchende Orden in dem Gehorſam eines ein-
zigen Oberhauptes ausbildete, verfielen ihm gegenuͤber die
Staatsgewalten. Schon im Anfange des 12ten Jahrhun-
derts durfte der Probſt Gerohus ſagen: „es werde noch da-
hin kommen, daß die goldene Bildſaͤule des Koͤnigreichs
ganz zermalmt, und jedes große Reich in Vierfuͤrſtenthuͤ-
mer aufgeloͤſt werde; erſt dann werde die Kirche frei und
ungedruͤckt beſtehen, unter dem Schutze des großen gekroͤn-
ten Prieſters“ 1). Es fehlte wenig, daß es woͤrtlich dahin
gekommen waͤre. Denn in der That, wer war in dem
dreizehnten Jahrhundert maͤchtiger in England, Heinrich III.
oder jene Vierundzwanzig, welchen eine Zeitlang die Re-
gierung aufgetragen war; in Caſtilien, der Koͤnig oder die
Altoshomes? Die Macht eines Kaiſers ſchien faſt entbehrlich
zu ſeyn, nachdem Friedrich den Fuͤrſten des Reiches die we-
ſentlichen Attribute der Landeshoheit gewaͤhrt hatte. Italien
wie Deutſchland waren mit unabhaͤngigen Gewalten erfuͤllt.
Eine zuſammenfaſſende, vereinigende Macht wohnte faſt
ausſchließlich dem Papſte bei. Der geiſtlich-weltliche Cha-
1)
[31]Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie.
rakter, den das Leben uͤberhaupt angenommen, der Gang
der Ereigniſſe mußte ihm eine ſolche an und fuͤr ſich zu
Wege bringen. Wenn Laͤnder, ſo lange verloren, wie Spa-
nien, endlich dem Mahumedanismus, — Provinzen, die
noch nie erworben geweſen, wie Preußen, dem Heidenthume
abgewonnen und mit chriſtlichen Voͤlkern beſetzt wurden;
wenn ſelbſt die Hauptſtaͤdte des griechiſchen Glaubens ſich
dem lateiniſchen Ritus unterwarfen, und noch immer Hun-
derttauſende auszogen, um die Fahne des Kreuzes uͤber dem
heiligen Grabe zu behaupten; mußte nicht der Oberprieſter,
der in allen dieſen Unternehmungen ſeine Hand hatte, und
den Gehorſam der Unterworfenen empfing, ein unermeßli-
ches Anſehn genießen? Unter ſeiner Leitung, in ſeinem Na-
men breiten ſich die abendlaͤndiſchen Nationen, als waͤren
ſie Ein Volk, in ungeheuren Colonien aus und ſuchen die
Welt einzunehmen. Man kann ſich nicht wundern, wenn
er dann auch in dem Innern eine allgewaltige Autoritaͤt
ausuͤbt, wenn ein Koͤnig von England ſein Reich von ihm
zu Lehen nimmt, ein Koͤnig von Aragon das ſeine dem
Apoſtel Petrus auftraͤgt, wenn Neapel wirklich durch den
Papſt an ein fremdes Haus gebracht wird. Wunderbare
Phyſiognomie jener Zeiten, die noch Niemand in ihrer gan-
zen Fuͤlle und Wahrheit vergegenwaͤrtigt hat. Es iſt die
außerordentlichſte Combination von innerem Zwiſt und
glaͤnzendem Fortgang nach Außen, von Autonomie und Ge-
horſam, von geiſtlichem und weltlichem Weſen. Wie hat
doch die Froͤmmigkeit ſelbſt einen ſo widerſprechenden Cha-
rakter! Zuweilen zieht ſie ſich in das rauhe Gebirg, in das
einſame Waldthal zuruͤck: um alle ihre Tage in harmloſer
[32]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Andacht der Anſchauung Gottes zu widmen; in Erwartung
des Todes verzichtet ſie ſchon auf jeden Genuß, den das
Leben darbietet; — wie bemuͤht ſie ſich, wenn ſie unter
den Menſchen weilt, jugendlich warm, das Geheimniß, das
ſie ahndet, die Idee, in der ſie lebt, in heitern Formen
auszuſprechen; — aber gleich daneben finden wir eine an-
dre, welche die Inquiſition erdacht hat, und die entſetzliche
Gerechtigkeit des Schwertes gegen die Andersglaͤubigen aus-
uͤbt; „keines Geſchlechtes“, ſagt der Anfuͤhrer des Zuges wider
die Albigenſer, „keines Alters, keines Ranges haben wir ver-
ſchont, ſondern Jedermann mit der Schaͤrfe des Schwertes
geſchlagen“. Zuweilen erſcheinen Beide in dem nemlichen
Moment. Bei dem Anblick von Jeruſalem ſtiegen die
Kreuzfahrer von den Pferden, und entbloͤßten ihre Fuͤße, um
als wahre Pilger an den heiligen Mauern anzulangen; in
dem heißeſten Kampfe meinten ſie die Huͤlfe der Heiligen
und Engel ſichtbar zu erfahren. Kaum aber hatten ſie die
Mauern uͤberſtiegen, ſo ſtuͤrzten ſie fort zu Raub und
Blut; auf der Stelle des ſalomoniſchen Tempels erwuͤrg-
ten ſie viele Tauſend Saracenen; die Juden verbrannten
ſie in ihrer Synagoge; die heiligen Schwellen, an denen
ſie anzubeten gekommen waren, befleckten ſie erſt mit Blut.
— Ein Widerſpruch, der jenen religioͤſen Staat durchaus
erfuͤllt und ſein Weſen bildet.


Ge-
[33]Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.

Gegenſaͤtze des vierzehnten und funfzehnten
Jahrhunderts.


An gewiſſen Stellen fuͤhlt man ſich beſonders ver-
ſucht, wenn wir es ausſprechen duͤrfen, den Planen der
goͤttlichen Weltregierung, den Momenten der Erziehung
des Menſchengeſchlechtes nachzuforſchen.


So mangelhaft auch die Entwickelung ſeyn mochte,
die wir bezeichneten, ſo war ſie doch nothwendig, um das
Chriſtenthum in dem Abendlande voͤllig einheimiſch zu ma-
chen. Es gehoͤrte etwas dazu, um die trotzigen, nordi-
ſchen Gemuͤther, die geſammten von althergebrachtem Aber-
glauben beherrſchten Voͤlkerſchaften, mit den Ideen des
Chriſtenthums zu durchdringen. Das geiſtliche Element
mußte eine Zeitlang vorherrſchen, um das germaniſche We-
ſen ganz zu ergreifen. Hierdurch vollzog ſich zugleich jene
enge Vereinigung germaniſcher und romaniſcher Elemente.
Es giebt eine Gemeinſchaftlichkeit der modernen Welt,
welche immer als eine Hauptgrundlage der geſammten Aus-
bildung derſelben in Staat und Kirche, Sitte, Leben und
Literatur betrachtet worden iſt. Um ſie hervorzubringen,
mußten die weſtlichen Nationen einmal gleichſam einen ein-
zigen weltlich-geiſtlichen Staat ausmachen.


Aber in dem großen Fortgange der Dinge war auch
dieß nur ein Moment. Nachdem die Umwandelung voll-
bracht worden, traten neue Erfolge ein.


Schon darin kuͤndigte ſich eine andre Epoche an, daß
die Landesſprachen faſt allenthalben zur nehmlichen Zeit
3
[34]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
emporkamen. Langſam, aber unaufgehalten drangen ſie in
die mannichfaltigen Zweige geiſtiger Thaͤtigkeit ein; Schritt
fuͤr Schritt wich ihnen das Idiom der Kirche. Die All-
gemeinheit trat zuruͤck; in einem hoͤhern Sinne ging aus
ihr eine neue Sonderung hervor. Das kirchliche Element
hatte die Nationalitaͤten bisher uͤberwaͤltigt; — veraͤndert,
umgeſtaltet, aber wieder geſchieden traten dieſe in eine neue
Bahn ein.


Es iſt nicht anders, als daß alles menſchliche Thun
und Treiben dem leiſen und der Bemerkung oft entzogenen,
aber gewaltigen und unaufhaltſamen Gange der Dinge un-
terworfen iſt. Die paͤpſtliche Macht war von den fruͤhe-
ren weltgeſchichtlichen Momenten gefoͤrdert worden: die neuen
traten ihr entgegen. Da die Nationen des Impulſes der
kirchlichen Macht nicht mehr in dem alten Maaße bedurf-
ten, ſo leiſteten ſie demſelben gar bald Widerſtand. Sie
fuͤhlten ſich in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit.


Es iſt der Muͤhe werth, ſich die wichtigeren Ereig-
niſſe ins Gedaͤchtniß zu rufen, in denen dieſe Richtung ſich
ausſpricht.


Es waren, wie man weiß, die Franzoſen, die den An-
maßungen des Papſtes den erſten entſchiedenen Widerſtand
leiſteten. In nationaler Einmuͤthigkeit ſetzten ſie ſich den
Bannbullen Bonifaz VIII. entgegen; in mehreren hundert
Adhaͤſionsurkunden ſprachen alle Gewalten des Volkes ihre
Beiſtimmung zu den Schritten Koͤnig Philipp des Schoͤnen aus.


Es folgten die Deutſchen. Als die Paͤpſte das Kai-
ſerthum mit der alten Leidenſchaft angriffen, obwohl daſ-
ſelbe die fruͤhere Bedeutung bei weitem nicht mehr hatte,
[35]Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.
als ſie hierbei fremdartigen Einwirkungen Raum gaben, —
kamen die Churfuͤrſten am Ufer des Rheins bei ihren ſtei-
nernen Sitzen auf jenem Acker von Renſe zuſammen, um
eine gemeinſchaftliche Maaßregel zur Behauptung „der Eh-
ren und Wuͤrden des Reiches“ zu uͤberlegen. Ihre Abſicht
war, die Unabhaͤngigkeit des Reiches gegen die Eingriffe
der Paͤpſte durch einen feierlichen Beſchluß feſtzuſetzen.
Bald hierauf erfolgte dieſer in aller Form, von allen Ge-
walten, Kaiſer, Fuͤrſten und Churfuͤrſten zugleich; gemein-
ſchaftlich ſtellte man ſich den Grundſaͤtzen des paͤpſtlichen
Staatsrechts entgegen 1)


Nicht lange blieb England zuruͤck. Nirgends hatten
die Paͤpſte groͤßeren Einfluß gehabt, mit den Pfruͤnden will-
kuͤhrlicher geſchaltet; als Edward III. endlich den Tribut
nicht mehr zahlen wollte, zu dem ſich fruͤhere Koͤnige ver-
pflichtet hatten, vereinigte ſich ſein Parlament mit ihm und
verſprach ihn hierbei zu unterſtuͤtzen. Der Koͤnig traf
Maaßregeln, um den uͤbrigen Eingriffen der paͤpſtlichen
Macht zuvorzukommen.


Wir ſehen, eine Nation nach der andern fuͤhlt ſich
in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit und Einheit; von keiner hoͤheren
Autoritaͤt will die oͤffentliche Gewalt mehr wiſſen; in den
mittlern Kreiſen finden die Paͤpſte keine Verbuͤndeten mehr;
ihre Einwirkungen werden von Fuͤrſten und Staͤnden ent-
ſchloſſen zuruͤckgewieſen.


In dem ereignete ſich, daß das Papſtthum ſelbſt in
3*
[36]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
eine Schwaͤche und Verwirrung gerieth, welche den welt-
lichen Gewalten, die ſich bis jetzt nur zu ſichern geſucht,
ſogar eine Ruͤckwirkung auf daſſelbe moͤglich machte.


Das Schisma trat ein. Man bemerke welche Fol-
gen es hatte. Lange Zeit ſtand es bei den Fuͤrſten, nach
ihrer politiſchen Convenienz dem einen oder dem andern
Papſte anzuhangen; — in ſich ſelbſt fand die geiſtliche
Macht kein Mittel, die Spaltung zu heben, nur die welt-
liche Gewalt vermochte dieß — als man ſich zu dieſem
Zwecke in Coſtnitz verſammelte, ſtimmte man nicht mehr,
wie bisher, nach Koͤpfen, ſondern nach den vier Nationen:
jeder Nation blieb es uͤberlaſſen, in vorbereitenden Ver-
ſammlungen uͤber das Votum zu berathſchlagen, das ſie
zu geben hatte — in Gemeinſchaft ſetzten ſie einen Papſt
ab; — der neugewaͤhlte mußte ſich zu Concordaten mit
den einzelnen verſtehen, die wenigſtens durch das Bei-
ſpiel, das ſie gaben, viel bedeuteten — waͤhrend des Baſe-
ler Conciliums und der neuen Spaltung hielten ſich einige
Reiche ſogar neutral — nur die unmittelbare Bemuͤhung
der Fuͤrſten vermochte dieſe zweite Kirchentrennung beizu-
legen 1). Es konnte nichts geben, was das Uebergewicht
der weltlichen Gewalt und die Selbſtſtaͤndigkeit der einzel-
nen Reiche kraͤftiger befoͤrdert haͤtte.


Und nun war zwar der Papſt neuerdings in gro-
ßem Anſehen, er hatte die allgemeine Obedienz; der Kai-
ſer fuͤhrte ihm noch immer den Zelter: es gab Biſchoͤfe
nicht allein in Ungarn, ſondern auch in Deutſchland, die
[37]Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.
ſich von des apoſtoliſchen Stuhles Gnaden ſchrieben 1);
in dem Norden ward der Peterspfennig fortwaͤhrend ein-
geſammelt; unzaͤhlige Pilger aus allen Laͤndern ſuchten bei
dem Jubilaͤum von 1450 die Schwellen der Apoſtel auf;
mit Bienenſchwaͤrmen, Zugvoͤgelſchaaren vergleicht ſie ein
Augenzeuge, wie ſie ſo kamen; doch hatten trotz alle dem
die alten Verhaͤltniſſe lange nicht mehr Statt.


Wollte man ſich davon uͤberzeugen, ſo brauchte man
ſich nur den fruͤheren Eifer, nach dem heiligen Grabe zu
ziehen, ins Gedaͤchtniß zu rufen und die Kaͤlte dagegen zu
halten, mit der in dem funfzehnten Jahrhundert jede Auf-
forderung zu einem gemeinſchaftlichen Widerſtand gegen die
Tuͤrken aufgenommen wurde. Wie viel dringender war es,
die eigenen Landſchaften gegen eine Gefahr, die ſich unauf-
haltſam unzweifelhaft heranwaͤlzte, in Schutz zu nehmen,
als das heilige Grab in chriſtlichen Haͤnden zu wiſſen.
Ihre beſte Beredſamkeit wandten Aeneas Sylvius auf dem
Reichstage, der Minorit Capiſtrano auf den Maͤrkten der
Staͤdte bei dem Volke an; und man ruͤhmt, welchen Ein-
druck ſie hervorgebracht; aber wir finden nicht, daß Je-
mand darum zu den Waffen gegriffen haͤtte. Welche
Muͤhe gaben ſich nicht die Paͤpſte! Der eine ruͤſtete eine
Flotte aus, der andre, Pius II., eben jener Aeneas Syl-
vius, erhob ſich, ſo ſchwach und krank er auch war, ſel-
ber zu dem Hafen, wo, wenn kein Anderer, doch die Zunaͤchſt-
gefaͤhrdeten ſich vereinigen ſollten; er wollte dabei ſeyn,
um wie er ſagte, was er allein vermoͤge, waͤhrend des
[38]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Kampfes ſeine Haͤnde zu Gott zu erheben, wie Moſes;
aber weder Ermahnung noch Bitte noch Beiſpiel vermochte
etwas uͤber dieſe Zeitgenoſſen. Mit jenem jugendlichen Ge-
fuͤhl eines ritterlichen Chriſtenthums war es voruͤber; kein
Papſt vermochte es wieder aufzuwecken.


Andre Intereſſen bewegten die damalige Welt. Es war
die Periode, in welcher die europaͤiſchen Reiche nach langen
inneren Kaͤmpfen ſich endlich conſolidirten. Den centralen
Gewalten gelang es, die Factionen zu uͤberwinden, welche
bisher die Throne gefaͤhrdet. Eine Tendenz, die ſofort auch
die Paͤpſte beruͤhren mußte. Unendlich groͤßere Anſpruͤche
als bisher machte das Fuͤrſtenthum. Man denkt ſich oft
das Papſtthum bis zur Reformation hin faſt unumſchraͤnkt;
in der That aber hatten waͤhrend des funfzehnten, im An-
fange des ſechszehnten Jahrhunderts die Staaten bereits
einen nicht geringen Antheil an den geiſtlichen Rechten und
Befugniſſen an ſich gebracht.


Wie ſehr beſchraͤnkte in Frankreich die pragmatiſche
Sanction, welche uͤber ein halbes Jahrhundert als ein
Palladium des Reiches angeſehen ward, die Ausuͤbung
paͤpſtlicher Gerechtſame! Zwar ließ ſich Ludwig XI. durch
eine falſche Religioſitaͤt, — der er um ſo mehr ergeben war,
je mehr es ihm an der wahren fehlte, — zur Nachgiebigkeit
in dieſem Stuͤcke fortreißen; allein ſeine Nachfolger kamen
ohne viel Bedenken auf jenes ihr Geſetz zuruͤck. Wenn
dann Franz I. ſein Concordat mit Leo X. ſchloß, ſo hat
man wohl behauptet, der roͤmiſche Hof ſey hierdurch neuer-
dings zu dem alten Uebergewicht gelangt. Auch iſt es
wahr, daß der Papſt die Annaten wieder bekam. Allein er
[39]Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.
mußte dafuͤr viele andre Gefaͤlle miſſen; und was die Haupt-
ſache, er uͤberließ dem Koͤnig das Recht, zu den Bisthuͤ-
mern und allen hoͤheren Pfruͤnden zu ernennen. Es iſt
unlaͤugbar: die gallicaniſche Kirche verlor ihre Rechte, aber
bei weitem weniger an den Papſt als an den Koͤnig. Das
Axiom, fuͤr das Gregor VII. die Welt bewegt, gab Leo X.
ohne viele Schwierigkeit auf.


So weit konnte es nun in Deutſchland nicht kommen.
Die Baſeler Beſchluͤſſe, die in Frankreich zur pragmatiſchen
Sanction ausgebildet worden 1), wurden in Deutſchland,
wo man ſie Anfangs auch angenommen, durch die Wiener
Concordate ungemein ermaͤßigt. Aber dieſe Ermaͤßigung
ſelbſt war doch nicht ohne Opfer des roͤmiſchen Stuhles
erworben worden. In Deutſchland war es nicht genug,
ſich mit dem Reichsoberhaupte zu verſtaͤndigen; man mußte
die einzelnen Staͤnde gewinnen. Die Erzbiſchoͤſe von Mainz
und Trier erhielten das Recht, auch in den paͤpſtlichen
Monaten die erledigten Pfruͤnden zu vergeben; der Chur-
fuͤrſt von Brandenburg erwarb die Befugniß, die drei Bis-
thuͤmer in ſeinem Lande zu beſetzen: auch minder bedeu-
tende Staͤnde, Straßburg, Salzburg, Metz erhielten
[40]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Verguͤnſtigungen 1). Doch war damit die allgemeine Op-
poſition nicht gedaͤmpft. Im Jahre 1487 widerſetzte ſich
das geſammte Reich einem Zehnten, den der Papſt aufle-
gen wollte, und hintertrieb ihn 2). Im Jahre 1500 ge-
ſtand das Reichsregiment dem paͤpſtlichen Legaten nur den
dritten Theil des Ertrages der Ablaßpredigten zu; zwei
Dritttheile wollte es ſelber an ſich nehmen und zu dem Tuͤr-
kenkriege verwenden.


In England kam man, ohne neues Concordat, ohne
pragmatiſche Sanction, uͤber jene Zugeſtaͤndniſſe von Coſt-
nitz weit hinaus. Das Recht, einen Candidaten zu den
biſchoͤflichen Sitzen zu benennen, beſaß Heinrich VII. ohne
Widerſpruch. Er war nicht zufrieden, die Befoͤrderung
der Geiſtlichen in ſeiner Hand zu haben, er nahm auch
die Haͤlfte der Annaten an ſich. Als hierauf Wolſey in den
erſten Jahren Heinrichs VIII. zu ſeinen uͤbrigen Aemtern
auch die Wuͤrde eines Legaten empfing, war die geiſtliche
und weltliche Macht gewiſſermaßen vereinigt; noch ehe dort
an Proteſtantismus gedacht wurde, ſchritt man zu einer
ſehr gewaltſamen Einziehung von Kloͤſtern.


Indeſſen blieben die ſuͤdlichen Laͤnder und Reiche nicht
zuruͤck. Auch der Koͤnig von Spanien hatte die Ernen-
nung zu den biſchoͤflichen Sitzen. Die Krone, mit der die
Großmeiſterthuͤmer der geiſtlichen Orden verbunden waren,
welche die Inquiſition eingerichtet hatte und beherrſchte,
genoß eine Menge geiſtlicher Attribute und Gerechtſame.
[41]Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.
Den paͤpſtlichen Beamten widerſetzte ſich Ferdinand der Ka-
tholiſche nicht ſelten.


Nicht minder als die ſpaniſchen, waren auch die por-
tugieſiſchen geiſtlichen Ritterorden St. Jacob, Avis, der
Chriſtorden, dem die Guͤter der Templer zugefallen, Pa-
tronate der Krone 1). Koͤnig Emanuel erlangte von Leo X.
nicht allein den dritten Theil der Cruciata, ſondern auch
den Zehnten von den geiſtlichen Guͤtern, ausdruͤcklich mit
dem Rechte, ihn nach Gutduͤnken und Verdienſt zu ver-
theilen.


Genug allenthalben, durch die ganze Chriſtenheit, im
Suͤden wie im Norden, ſuchte man die Rechte des Pap-
ſtes einzuſchraͤnken. Es war beſonders ein Mitgenuß der
geiſtlichen Einkuͤnfte und die Vergabung der geiſtlichen
Stellen und Pfruͤnden, was die Staatsgewalt in Anſpruch
nahm. Die Paͤpſte leiſteten keinen ernſtlichen Widerſtand.
Sie ſuchten zu behaupten ſo viel ſie konnten: in dem uͤbri-
gen gaben ſie nach. Von Ferdinand, Koͤnig in Neapel,
ſagt Lorenzo Medici bei Gelegenheit einer Irrung deſſelben
mit dem roͤmiſchen Stuhle, er werde keine Schwierigkeiten
machen, zu verſprechen: bei der Ausfuͤhrung ſeiner Ver-
pflichtungen werde man ihm ſpaͤter doch nachſehen, wie es
von allen Paͤpſten gegen alle Koͤnige geſchehe 2). Denn auch
[42]Kap. I. Epochen des Papſtthums.
nach Italien war dieſer Geiſt der Oppoſition gedrungen.
Von Lorenzo Medici ſelbſt werden wir [unterrichtet], daß
er hierin dem Beiſpiel der groͤßeren Fuͤrſten folgte und von
den paͤpſtlichen Befehlen ſo viel und nicht mehr gelten ließ,
als er ſelber Luſt hatte 1).


Es waͤre ein Irrthum, in dieſen Erfolgen nur die
Acte gleichzeitiger Willkuͤhr zu ſehen. Die kirchliche Rich-
tung hatte aufgehoͤrt, das Leben der europaͤiſchen Natio-
nen ſo durchaus zu beherrſchen, wie es fruͤher geſchah.
Die Entwickelung der Nationalitaͤt, die Ausbildung der
Staaten trat maͤchtig hervor. Das Verhaͤltniß zwiſchen
geiſtlicher und weltlicher Gewalt mußte hierdurch die groͤßte
Veraͤnderung erfahren.


[43]Erweiterung des Kirchenſtaates.

Zweites Kapitel.
Die Kirche und der Kirchenſtaat im Anfange
des ſechszehnten Jahrhunderts.


Erweiterung des Kirchenſtaates.


Was man auch von den Paͤpſten fruͤherer Zeit urthei-
len mag, ſo hatten ſie immer große Intereſſen vor Augen:
die Pflege einer unterdruͤckten Religion: den Kampf mit
dem Heidenthum: die Ausbreitung des Chriſtenthums uͤber
die nordiſchen Nationen: die Gruͤndung einer unabhaͤngi-
gen hierarchiſchen Gewalt; zu der Wuͤrde des menſchlichen
Daſeyns gehoͤrt es, daß man etwas Großes wolle, voll-
fuͤhre; dieſe ihre Tendenzen erhielten die Paͤpſte in einem
hoͤheren Schwunge. Jetzt aber waren mit den Zeiten die
Richtungen voruͤbergegangen; das Schisma war beigelegt;
man mußte ſich beſcheiden, daß man es zu einem allge-
meinen Unternehmen gegen die Tuͤrken doch nicht bringen
werde. Es geſchah, daß das geiſtliche Oberhaupt vor al-
lem und entſchiedener als jemals bisher, die Zwecke ſeines
weltlichen Fuͤrſtenthums verfolgte, und ihnen ſeine ganze
Thaͤtigkeit zuwendete.


Schon geraume Zeit lag dieß in den Beſtrebungen
des Jahrhunderts. Ehedem, ſagte bereits ein Redner des
Baſeler Conciliums, war ich der Meinung, es wuͤrde
wohlgethan ſeyn, die weltliche Gewalt ganz von der geiſt-
[44]Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.
lichen zu trennen. Jetzt aber habe ich gelernt, daß die
Tugend ohne Macht laͤcherlich iſt, daß der roͤmiſche Papſt
ohne das Erbgut der Kirche nur einen Knecht der Koͤnige
und Fuͤrſten vorſtellt. Dieſer Redner, welcher doch in der
Verſammlung ſo viel Einfluß hatte, um die Wahl des
Papſtes Felix zu entſcheiden, findet es ſo uͤbel nicht, daß
ein Papſt Soͤhne habe, die ihm gegen die Tyrannen bei-
ſtehen koͤnnen 1).


Von einer andern Seite faßte man dieſe Sache etwas
ſpaͤter in Italien. Man fand es in der Ordnung, daß ein
Papſt ſeine Familie befoͤrdere und emporbringe; man wuͤrde
es demjenigen verdacht haben, der es nicht gethan haͤtte.
„Andre, ſchreibt Lorenzo Medici an Innocenz VIII., ha-
ben nicht ſo lange gewartet, Paͤpſte ſeyn zu wollen, und
ſich wenig um die Ehrbarkeit und Zuruͤckhaltung gekuͤm-
mert, die E. Heiligkeit ſo geraume Zeit behauptet hat.
Jetzt iſt E. Heiligkeit nicht allein vor Gott und Menſchen
entſchuldigt, ſondern man koͤnnte dieß ehrſame Betragen
vielleicht gar tadeln und einem andren Grunde zuſchreiben.
Eifer und Pflicht noͤthigen mein Gewiſſen, E. Heiligkeit
zu erinnern, daß kein Menſch unſterblich iſt, daß ein Papſt
ſo viel bedeutet, als er bedeuten will; ſeine Wuͤrde kann
er nicht erblich machen; nur die Ehre und die Wohltha-
ten, die er den Seinen erweiſt, kann er ſein Eigenthum
nennen“ 2). Solche Rathſchlaͤge gab der, welcher als der
[45]Erweiterung des Kirchenſtaates.
weiſeſte Mann von Italien betrachtet ward. Er war da-
bei wohl auch ſelbſt betheiligt; er hatte ſeine Tochter mit
dem Sohne des Papſtes verheirathet; aber niemals haͤtte
er ſich ſo freimuͤthig und ruͤckſichtslos ausdruͤcken koͤnnen,
waͤre dieſe Anſicht nicht in der hoͤheren Welt die unzwei-
felhaft guͤltige und verbreitete geweſen.


Es hat einen inneren Zuſammenhang, daß zur nehm-
lichen Zeit die europaͤiſchen Staaten dem Papſte einen Theil
ſeiner Befugniſſe entwanden, und dieſer ſelbſt ſich in lau-
ter weltlichen Tendenzen zu bewegen anfing. Er fuͤhlte ſich
zunaͤchſt als italieniſcher Fuͤrſt.


Es war noch nicht ſo lange, daß die Florentiner ihre
Nachbarn uͤberwunden, und das Haus Medici ſeine Ge-
walt uͤber beide gegruͤndet hatte; die Macht der Sforza in
Mailand, des Hauſes Aragon in Neapel, der Venezianer
in der Lombardei waren alle bei Menſchengedenken erwor-
ben und befeſtigt; ſollte nicht auch ein Papſt der Hoffnung
Raum geben, in den Gebieten, welche als das Erbgut der
Kirche betrachtet wurden, aber unter einer Anzahl unab-
haͤngiger Stadtoberhaͤupter ſtanden, eine groͤßere eigene
Herrſchaft zu gruͤnden?


Zuerſt mit ſelbſtbewußter Abſicht und nachwirkendem
Erfolg ſchlug Papſt Sixtus IV. dieſe Richtung ein; auf
das gewaltigſte und mit ungemeinem Gluͤck verfolgte ſie
Alexander VI.; Julius II. gab ihr eine unerwartete, die
bleibende Wendung.


Sixtus IV. faßte den Plan, in den ſchoͤnen und rei-
chen Ebenen der Romagna fuͤr ſeinen Neffen Girolamo
Riario ein Fuͤrſtenthum zu gruͤnden. Schon ſtritten die
[46]Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16ten Jahrh.
uͤbrigen italieniſchen Maͤchte um das Uebergewicht in dieſen
Landſchaften oder ihren Beſitz, und wenn hier von Recht die
Rede war, ſo hatte der Papſt offenbar ein beſſeres Recht
als die uͤbrigen. Nur war er ihnen an Staatskraͤften und
Kriegsmitteln bei weitem nicht gewachſen. Er trug kein
Bedenken, ſeine geiſtliche Gewalt, ihrer Natur und Be-
ſtimmung nach erhaben uͤber alles Irdiſche, ſeinen weltlichen
Abſichten dienſtbar zu machen, und in die Verwickelungen
des Augenblicks, in welche ihn dieſe verflochten, herabzu-
ziehen. Da ihm vorzuͤglich die Medici im Wege waren,
ließ er ſich in die florentiniſchen Irrungen ein, und lud,
wie man weiß, den Verdacht auf ſich, als habe er um
die Verſchwoͤrung der Pazzi gewußt, um den Mordanfall,
den Dieſe vor dem Altare einer Cathedrale ausfuͤhrten, als
habe er um ſo etwas mitgewußt, er der Vater der Glaͤu-
bigen. — — Als die Venezianer aufhoͤrten, die Unterneh-
mungen des Neffen zu beguͤnſtigen, wie ſie eine Zeitlang
gethan hatten, war es dem Papſte nicht genug, ſie in ei-
nem Kriege zu verlaſſen, zu dem er ſie ſelber angetrieben
hatte; er ging ſo weit, ſie zu excommuniciren, als ſie den-
ſelben fortſetzten 1). — — Nicht minder gewaltſam ver-
fuhr er in Rom. Die Gegner des Riario, die Colonna,
verfolgte er mit wildem Ingrimme; er entriß ihnen Ma-
rino; den Protonotar Colonna ließ er uͤberdieß in ſeinem ei-
genen Hauſe beſtuͤrmen, gefangennehmen und hinrichten.
[47]Erweiterung des Kirchenſtaates.
Deſſen Mutter kam nach S. Celſo in Banchi wo die Leiche
lag; bei den Haaren erhob ſie den abgehauenen Kopf und
rief: „das iſt das Haupt meines Sohnes; das iſt die Treue
des Papſtes. Er verſprach, wenn wir ihm Marino uͤber-
ließen, wuͤrde er meinen Sohn freigeben; nun hat er Ma-
rino: in unſern Haͤnden iſt auch mein Sohn, aber todt!
Siehe da, ſo haͤlt der Papſt ſein Wort“ 1).


So viel gehoͤrte dazu, damit Sixtus IV. den Sieg
uͤber ſeine Feinde innerhalb und außerhalb des Staates
davon truͤge. In der That gelang es ihm, ſeinen Neffen
zum Herrn von Imola und Forli zu machen; doch iſt wohl
keine Frage, daß wenn ſein weltliches Anſehn hierbei gewann,
das geiſtliche unendlich viel mehr verlor. Es ward ein
Verſuch gemacht, ein Concilium wider ihn zu verſammeln.


Indeſſen ſollte Sixtus gar bald bei weitem uͤberbo-
ten werden. Bald nach ihm nahm Alexander VI. den paͤpſt-
lichen Stuhl ein.


Alexander hatte all ſein Lebtage nur die Welt zu ge-
nießen, vergnuͤgt zu leben, ſeine Geluͤſte, ſeinen Ehrgeiz zu
erfuͤllen getrachtet. Es ſchien ihm der Gipfel der Gluͤck-
ſeligkeit, daß er endlich die oberſte geiſtliche Wuͤrde beſaß.
In dieſem Gefuͤhl ſchien er taͤglich juͤnger zu werden, ſo
alt er auch war. Kein unbequemer Gedanke dauerte ihm
uͤber Nacht. Nur darauf ſann er, was ihm Nutzen ver-
ſchaffen, wie er ſeine Soͤhne zu Wuͤrden und Staaten brin-
gen koͤnne: nie hat ihn etwas andres ernſtlich beſchaͤftigt 2).


Seinen politiſchen Verbindungen, die einen ſo großen
[48]Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.
Einfluß auf die Weltbegebenheiten gehabt haben, lag dieſe
einzige Ruͤckſicht ausſchließend zu Grunde; wie ein Papſt
ſeine Kinder verheirathen, ausſtatten, einrichten wollte,
ward ein Moment der Weltbewegung.


Ceſar Borgia, ſein Sohn, trat in die Fußtapfen des
Riario. Er begann an dem nemlichen Punkte; eben das
war ſeine erſte Unternehmung, daß er die Witwe Riarios
aus Imola und Forli verjagte. Mit herzhafter Ruͤck-
ſichtsloſigkeit ſchritt er weiter; was jener nur verſucht, nur
begonnen hatte, ſetzte er ins Werk. Man betrachte, wel-
chen Weg er hierbei einſchlug: mit ein paar Worten laͤßt
es ſich ſagen. Der Kirchenſtaat war bisher von den bei-
den Parteien der Guelfen und der Gibellinen, der Colonna
und der Orſinen in Entzweiung gehalten worden. Wie
die andren paͤpſtlichen Gewalten, wie noch Sixtus IV.,
verbanden ſich auch Alexander und ſein Sohn anfangs mit
der einen von beiden, mit der orſiniſch-guelfiſchen. In
dieſem Bunde gelang es ihnen bald, aller ihrer Feinde Herr
zu werden. Sie verjagten die Sforza von Peſaro, die
Malateſta von Rimini, die Manfreddi von Faenza; ſie nah-
men dieſe maͤchtigen wohlbefeſtigten Staͤdte ein; ſchon gruͤn-
deten ſie hier eine bedeutende Herrſchaft. Kaum aber wa-
ren ſie ſo weit; kaum hatten ſie ihre Feinde beſeitigt, ſo
wandten ſie ſich wider ihre Freunde. Dadurch unterſchied
ſich die borgianiſche Gewalt von den fruͤheren, welche im-
mer ſelber wieder von der Partei, der ſie ſich angeſchloſ-
ſen, waren gefeſſelt worden. Ceſar griff ohne viel Zau-
dern auch ſeine Verbuͤndeten an. Den Herzog von Urbino,
der ihm bisher Vorſchub geleiſtet, hatte er, ehe dieſer das
Min-
[49]Erweiterung des Kirchenſtaates.
Mindeſte ahndete, wie mit einem Netz umgeben; kaum entrann
ihm derſelbe, in ſeinem eignen Lande ein verfolgter Fluͤcht-
ling 1). Vitelli, Baglioni, die Haͤupter der Orſinen woll-
ten ihm hierauf wenigſtens zeigen, daß ſie ihm Widerſtand
leiſten koͤnnten. Er ſagte: es iſt gut, die zu betruͤgen,
welche die Meiſter aller Verraͤthereien ſind; mit uͤberlegter,
von ferne her berechneter Grauſamkeit lockte er ſie in ſeine
Falle; ohne Erbarmen entledigte er ſich ihrer. Nachdem
er dergeſtalt beide Parteien gedaͤmpft hatte, trat er an ihre
Stelle; ihre Anhaͤnger, die Edelleute von niederem Range
zog er nun an ſich und nahm ſie in ſeinen Sold; die
Landſchaften, die er erobert, hielt er mit Schrecken und
Strenge in Ordnung.


Und ſo ſah Alexander ſeinen lebhafteſten Wunſch er-
fuͤllt, — die Barone des Landes vernichtet — ſein Haus
auf dem Wege eine große erbliche Herrſchaft in Italien
zu gruͤnden. Allein ſchon hatte er ſelbſt zu fuͤhlen bekom-
men, was die aufgeregten Leidenſchaften vermoͤgen. Mit
keinem Verwandten noch Guͤnſtling wollte Ceſar dieſe Ge-
walt theilen. Seinen Bruder, der ihm im Wege ſtand,
hatte er ermorden und in die Tiber werfen laſſen; auf der
Treppe des Pallaſtes ließ er ſeinen Schwager anfallen 2).
4
[50]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
Den Verwundeten pflegten die Frau und die Schweſter
deſſelben; die Schweſter kochte ihm ſeine Speiſen, um ihn vor
Gift ſicher zu ſtellen; der Papſt ließ ſein Haus bewachen,
um den Schwiegerſohn vor dem Sohne zu ſchuͤtzen. Vor-
kehrungen, deren Ceſar ſpottete. Er ſagte, was zu Mit-
tag nicht geſchehen, wird ſich auf den Abend thun laſſen:
als der Prinz ſchon wieder in der Beſſerung war, drang
er in das Zimmer deſſelben ein, trieb die Frau und die
Schweſter hinaus, rief ſeinen Henker und ließ den Un-
gluͤcklichen erwuͤrgen. Durch ſeinen Vater wollte er maͤch-
tig werden: ſonſt nahm er auf denſelben keine Ruͤckſicht.
Er toͤdtete den Liebling Alexanders, Peroto, indem ſich die-
ſer an den Papſt anſchmiegte, unter dem pontificalen Man-
tel; das Blut ſprang dem Papſt ins Geſicht.


Einen Moment lang hatte Ceſar Rom und den Kir-
chenſtaat in ſeiner Gewalt. Der ſchoͤnſte Mann; ſo ſtark,
daß er im Stiergefecht den Kopf des Stiers auf Einen
Schlag herunterhieb; freigebig, nicht ohne Zuͤge von Groß-
artigkeit; wolluͤſtig; mit Blut beſudelt. Wie zitterte Rom
vor ſeinem Namen. Ceſar brauchte Geld und hatte Feinde;
alle Naͤchte fand man Erſchlagene. Jedermann hielt ſich
ſtill: es war Niemand, der nicht gefuͤrchtet haͤtte, auch an
ihn komme die Reihe. Wen die Gewalt nicht erreichen
konnte, der wurde vergiftet 1).



[51]Erweiterung des Kirchenſtaates.

Es gab nur Eine Stelle auf Erden, wo ſo etwas
moͤglich war. Nur da war es das, wo man zugleich die
Fuͤlle der weltlichen Gewalt hatte und das oberſte geiſtliche
Gericht beherrſchte. Dieſe Stelle nahm Ceſar ein. Auch
die Ausartung hat ihre Vollendung. So viele paͤpſtliche
Nepoten haben aͤhnliche Dinge verſucht: ſo weit aber hat
es nie ein andrer getrieben. Ceſar iſt ein Virtuos des
Verbrechens.


War es nicht von allem Anfang an eine der weſent-
lichſten Tendenzen des Chriſtenthums, eine ſolche Gewalt
unmoͤglich zu machen? Jetzt mußte es ſelbſt, die Stel-
lung des Oberhauptes der Kirche mußte dazu dienen, ſie
hervorzubringen.


Da brauchte in der That nicht erſt Luther zu kom-
men, um in dieſem Treiben den graden Gegenſatz alles Chri-
ſtenthums darzulegen. Gleich damals klagte man, der Papſt
bahne dem Antichriſt den Weg, er ſorge fuͤr die Erfuͤllung
des ſataniſchen, nicht des himmliſchen Reiches 1).


Den Verlauf der Geſchichte deſſelben wollen wir hier
nicht ins Einzelne begleiten. Alexander beabſichtigte einſt,
wie es nur allzugewiß iſt, einen der reichſten Cardinaͤle
mit Gift aus dem Wege zu ſchaffen: aber dieſer wußte
durch Geſchenke, Verſprechungen und Bitten den paͤpſtli-
1)
4*
[52]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
chen Kuͤchenmeiſter zu erweichen: der Confect, den man fuͤr
den Cardinal zubereitet, ward dem Papſte vorgeſetzt; die-
ſer ſtarb an dem Gifte, mit dem er einen andren umbrin-
gen wollen 1). Nach ſeinem Tode entwickelte ſich aus ſei-
nen Unternehmungen ein ganz anderer Erfolg, als den er
im Auge gehabt.


Die paͤpſtlichen Geſchlechter hofften jedesmal ſich Herr-
ſchaften fuͤr immer zu erwerben; aber mit dem Leben des
Papſtes ging in der Regel auch die Macht der Nepoten
zu Ende, und ſie verſchwanden wie ſie emporgekommen.
Wenn die Venezianer den Unternehmungen Ceſar Borgia’s
ruhig zuſahen, ſo hatte das zwar andere Gruͤnde, jedoch
auch vornehmlich dieſen. Sie urtheilten, „es ſey doch
alles nur ein Strohfeuer: nach Alexanders Tode werde
ſich der alte Zuſtand von ſelbſt wiederherſtellen“ 2).


In dieſer letzten Erwartung aber taͤuſchten ſie ſich. Es
folgte ein Papſt, der ſich zwar darin gefiel, das Gegen-
theil der Borgia zu thun, aber darum doch ihre Unter-
nehmungen fortſetzte: er that es nur in einem entgegenge-
ſetzten Sinne. Papſt Julius II. hatte den unſchaͤtzbaren
Vortheil, Gelegenheit zu finden, den Anſpruͤchen ſeines Ge-
ſchlechts auf friedlichem Wege genug zu thun; er verſchaffte
demſelben die Erbſchaft von Urbino. Hierauf konnte er
ſich ungeſtoͤrt ſeiner eignen Leidenſchaft uͤberlaſſen: der Nei-
gung, Krieg zu fuͤhren, zu erobern, — aber zu Gunſten
[53]Erweiterung des Kirchenſtaates.
der Kirche, des paͤpſtlichen Stuhles ſelber. Andere Paͤpſte
hatten ihren Nepoten, ihren Soͤhnen Fuͤrſtenthuͤmer zu ver-
ſchaffen geſucht: er ließ es ſeinen ganzen Ehrgeiz ſeyn, den
Staat der Kirche zu erweitern. Er muß als der Gruͤnder
deſſelben betrachtet werden.


Er traf das geſammte Gebiet in der aͤußerſten Ver-
wirrung an. Es waren Alle zuruͤckgekommen, die vor Ce-
ſar noch hatten entfliehen koͤnnen; Orſini und Colonnen,
Vitelli und Baglioni, Varani, Malateſta und Montefeltri;
in allen Theilen des Landes waren die Parteien erwacht;
bis in den Borgo von Rom befehdeten ſie ſich. Man hat
Julius mit dem virgiliſchen Neptun verglichen, der mit
beruhigendem Antlitz aus den Wogen emporſteigt und ihr
Toben beſaͤnftigt 1). Er war gewandt genug, um ſich
ſelbſt Ceſar Borgia’s zu entledigen, und die Schloͤſſer deſ-
ſelben an ſich zu bringen; er nahm ſein Herzogthum ein.
Die minder maͤchtigen Barone wußte er im Zaum zu
halten, wie ihm dieſer denn den Weg dazu gebahnt; er
huͤtete ſich wohl, ihnen etwa in Cardinaͤlen Oberhaͤupter
zu geben, deren Ehrgeiz die alte Widerſpenſtigkeit haͤtte
entflammen koͤnnen 2); die maͤchtigeren, die ihm den Ge-
horſam verſagten, griff er ohne weiteres an. Auch reichte
ſeine Ankunft hin, um den Baglione, der ſich Perugia’s
wieder bemaͤchtigt hatte, in die Schranken einer geſetzli-
[54]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
chen Unterordnung zuruͤckzuweiſen; ohne Widerſtand leiſten
zu koͤnnen, mußte Johann Bentivoglio in hohem Alter von
dem praͤchtigen Pallaſt, den er ſich zu Bologna gegruͤndet,
von jener Inſchrift weichen, auf der er ſich zu fruͤh gluͤck-
lich geprieſen hatte; zwei ſo maͤchtige Staͤdte erkannten
die unmittelbare Herrſchaft des paͤpſtlichen Stuhles.


Jedoch war Julius damit noch lange nicht am Ziel.
Den groͤßten Theil der Kuͤſte des Kirchenſtaates hatten die
Venezianer inne; ſie waren nicht gemeint, ihn gutwillig fah-
ren zu laſſen, und den Streitkraͤften des Papſtes waren ſie
doch bei weitem uͤberlegen. Er konnte ſich nicht verber-
gen, daß er eine unabſehliche europaͤiſche Bewegung er-
weckte, wenn er ſie angriff. Sollte er es darauf wagen?


So alt Julius auch bereits war, ſo ſehr ihn all der
Wechſel von Gluͤck und Ungluͤck, den er in ſeinem langen
Leben erfahren, die Anſtrengung von Krieg und Flucht an-
gegriffen haben mochte, — Unmaͤßigkeit und Ausſchwei-
fungen kamen dazu — ſo wußte er doch nicht, was Furcht
und Bedenklichkeit war: in ſo hohen Jahren hatte er die
große Eigenſchaft eines Mannes, einen unbezwinglichen
Muth. Aus den Fuͤrſten ſeiner Zeit machte er ſich nicht
viel, er glaubte ſie alle zu uͤberſehen: grade in dem Tu-
mult eines allgemeinen Kampfes hoffte er zu gewinnen:
er ſorgte nur dafuͤr, daß er immer bei Gelde war, um den
guͤnſtigen Augenblick mit voller Kraft ergreifen zu koͤnnen:
er wollte, wie ein Venezianer treffend ſagt, der Herr und
Meiſter des Spieles der Welt ſeyn 1); mit Ungeduld
[55]Erweiterung des Kirchenſtaates.
erwartete er die Erfuͤllung ſeiner Wuͤnſche, aber er hielt
ſie in ſich verſchloſſen. Betrachte ich, was ihm ſeine Hal-
tung gab, ſo finde ich: es war vor allem, daß er ſeine
Tendenz nennen, daß er ſich zu ihr bekennen, ſich ihrer ruͤh-
men durfte. Den Kirchenſtaat herſtellen zu wollen, hielt
die damalige Welt fuͤr ein ruͤhmliches Unternehmen: ſie
fand es ſelbſt religioͤs: alle Schritte des Papſtes hatten
dieſen einzigen Zweck: von dieſer Idee waren alle ſeine Ge-
danken belebt, ſie waren, ich moͤchte ſagen geſtaͤhlt darin.
Da er nun zu den kuͤhnſten Combinationen griff, da er
alles an alles ſetzte — er ging ſelber zu Felde: und in
Mirandula, das er erobert, iſt er uͤber den gefrornen Gra-
ben durch die Breſche eingezogen: — da das entſchiedene
Ungluͤck ihn nicht bewog, nachzugeben, ſondern nur neue
Huͤlfsquellen in ihm zu erwecken ſchien: ſo gelang es
ihm auch: er entriß nicht allein ſeine Ortſchaften den Ve-
nezianern: in dem heißen Kampfe, der ſich hierauf entzuͤndete,
brachte er zuletzt Parma, Piacenza, ſelbſt Reggio an ſich;
er gruͤndete eine Macht, wie nie ein Papſt ſie beſeſſen.
Von Piacenza bis Terracina gehorchte ihm das ſchoͤnſte Land.
Er hatte immer als ein Befreier erſcheinen wollen: ſeine
neuen Unterthanen behandelte er gut und weiſe: er erwarb
ihre Zuneigung und Ergebenheit. Nicht ohne Furcht ſah
die uͤbrige Welt ſo viel kriegeriſch geſinnte Bevoͤlkerungen
in dem Gehorſam eines Papſtes. Sonſt, ſagt Machiavell,
1)
[56]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
war kein Baron klein genug, um die paͤpſtliche Macht
nicht zu verachten: jetzt hat ein Koͤnig von Frankreich Re-
ſpect vor ihr.


Verweltlichung der Kirche.


Es iſt an ſich nicht anders denkbar, als daß das
ganze Inſtitut der Kirche an dieſer Richtung, die das
Oberhaupt deſſelben genommen, Theil haben, ſie mithervor-
bringen, und von ihr wieder mit fortgeriſſen werden mußte.


Nicht allein die oberſte Stelle: auch alle andren wur-
den als weltliches Beſitzthum betrachtet. Cardinaͤle er-
nannte der Papſt, aus perſoͤnlicher Gunſt, oder um einem
Fuͤrſten gefaͤllig zu ſeyn, oder gradezu, was nicht ſelten
war, fuͤr Geld. Konnte man vernuͤnftiger Weiſe erwar-
ten, daß ſie ihren geiſtlichen Pflichten genuͤgen wuͤrden?
Sixtus IV. gab eines der wichtigſten Aemter, die Peni-
tenziaria, das einen großen Theil der dispenſirenden Ge-
walt auszuuͤben hat, einem ſeiner Nepoten. Er erwei-
terte dabei die Befugniſſe deſſelben; in einer beſondern Bulle
ſchaͤrfte er ſie ein; alle, welche an der Rechtmaͤßigkeit ſol-
cher Einrichtungen zweifeln wuͤrden, ſchalt er Leute von
hartem Nacken und Kinder der Bosheit 1). Es erfolgte,
[57]Verweltlichung der Kirche.
daß der Nepot ſein Amt nur als eine Pfruͤnde betrachtete,
deren Ertrag er ſo hoch zu ſteigern habe als moͤglich.


In dieſen Zeiten wurden bereits, wie wir ſahen, die
Bisthuͤmer an den meiſten Orten nicht ohne einen großen
Antheil der weltlichen Gewalt vergeben; nach den Ruͤckſich-
ten der Familie, der Gunſt des Hofes, als Sinecuren wur-
den ſie vertheilt. Die roͤmiſche Curie ſuchte nur bei den
Vacanzen und der Beſetzung den moͤglichſten Vortheil zu
ziehen. Alexander nahm doppelte Annaten: er machte ſich
zwei drei Zehnten aus; es fehlte nicht viel an einem voͤlli-
gen Verkaufe. Die Taxen der paͤpſtlichen Canzlei ſtiegen
von Tage zu Tage; der Regens derſelben ſollte den Klagen
abhelfen, aber gewoͤhnlich uͤbertrug er eben denen die
Reviſion, welche die Taxen feſtgeſetzt hatten 1). Fuͤr jede
Gunſtbezeugung, welche das Amt der Dataria ausgehen
ließ, mußte man ihr eine vorher beſtimmte Summe zah-
len. Der Streit zwiſchen Fuͤrſtenthum und Curie bezog
ſich in der Regel auf nichts andres als auf dieſe Leiſtun-
gen. Die Curie wollte ſie ſo weit als moͤglich ausdeh-
nen; in jedem Lande wollte man ſie ſo viel als moͤglich
beſchraͤnken.


Mit Nothwendigkeit wirkte dieß Prinzip in den der-
geſtalt Angeſtellten, bis in die untern Grade nach. Man
verzichtete wohl auf ſein Bisthum: behielt ſich aber die
Einkuͤnfte wenigſtens zum groͤßten Theile vor: zuweilen
[58]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
uͤberdieß die Collation der von demſelben abhaͤngenden Pfar-
ren. Selbſt die Geſetze, daß niemals der Sohn eines Geiſt-
lichen das Amt ſeines Vaters erhalten, daß Niemand
ſeine Stelle durch ein Teſtament vererben ſolle, wurden um-
gangen; da ein Jeder es dahin bringen konnte, wofern er
ſich nur das Geld nicht dauern ließ, zum Coadjutor zu
bekommen wen er wollte, ſo trat eine gewiſſe Art von Erb-
lichkeit in der That ein.


Es folgte von ſelbſt, daß hierbei die Erfuͤllung geiſt-
licher Pflichten meiſtens unterblieb. Ich halte mich in die-
ſer kurzen Darſtellung an die Bemerkungen, die von wohl-
geſinnten Praͤlaten des roͤmiſchen Hofes ſelber gemacht wor-
den ſind. „Welch ein Anblick, rufen ſie aus, fuͤr einen
Chriſten, der die chriſtliche Welt durchwandert; dieſe Ver-
oͤdung der Kirche; alle Hirten ſind von ihren Heerden
gewichen, ſie ſind alle Soͤldnern anvertraut“ 1).


Aller Orten waren Untaugliche, Unberufene, ohne Pruͤ-
fung, ohne Wahl zu der Verwaltung der kirchlichen Pflich-
ten gelangt. Da die Beſitzer der Pfruͤnden nur bedacht
waren, die wohlfeilſten Verweſer zu finden, ſo fanden ſie
hauptſaͤchlich die Bettelmoͤnche bequem. Unter dem in dieſer
Bedeutung unerhoͤrten Titel von Suffraganen hatten dieſe
die Bisthuͤmer, als Vicare hatten ſie die Pfarreien inne.


[59]Verweltlichung der Kirche.

Schon an ſich beſaßen die Bettelorden außerordentliche
Privilegien. Sixtus IV., ſelber ein Franziscaner, hatte
ſie ihnen noch vermehrt. Das Recht, Beichte zu hoͤren,
das Abendmahl auszutheilen, die letzte Oelung zu geben,
auf dem Grund und Boden, ja in der Kutte des Ordens
zu begraben, — Rechte, die Anſehn und Vortheil brach-
ten, hatte er ihnen in aller ihrer Fuͤlle gewaͤhrt, und die
Ungehorſamen, die Pfarrer, diejenigen, welche die Orden,
namentlich in Hinſicht der Verlaſſenſchaften, beunruhigen
wuͤrden mit dem Verluſte ihrer Aemter bedroht 1).


Da ſie nun zugleich auch die Bisthuͤmer, die Pfarren
ſelbſt zu verwalten bekamen, ſo ſieht man, welch einen un-
ermeßlichen Einfluß ſie ausuͤbten. Alle hoͤhere Stellen und
bedeutende Wuͤrden, der Genuß der Einkuͤnfte war in den
Haͤnden der großen Geſchlechter und ihrer Anhaͤnger, der
Beguͤnſtigten der Hoͤfe und der Curie: die wirkliche Amts-
fuͤhrung war in den Haͤnden der Bettelmoͤnche. Die Paͤpſte
beſchuͤtzten ſie dabei. Waren ſie es doch, die unter andern den
Ablaß vertrieben, dem man in dieſen Zeiten, — erſt Alexan-
der VI. erklaͤrte offiziell, daß er aus dem Fegefeuer erloͤſe,
— eine ſo ungemeine Ausdehnung gab. Aber auch ſie
waren in voͤllige Weltlichkeit verſunken. Welch ein Trei-
ben in den Orden um die hoͤheren Stellen! Wie ſuchte
[60]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
man zur Zeit der Wahlen ſich der Unguͤnſtigen, der Geg-
ner zu entledigen. Jene ſuchte man als Prediger, als
Pfarrverweſer auszuſenden: gegen dieſe ſcheute man ſelbſt
Dolch und Schwert nicht; oft griff man ſie mit Gift an! 1)
Indeſſen wurden die geiſtlichen Gnaden verkauft. Um
ſchlechten Lohn gedungen, waren die Bettelmoͤnche auf den
zufaͤlligen Gewinn begierig.


„Wehe,“ ruft Einer jener Praͤlaten aus: „wer giebt
meinem Auge den Quell der Thraͤnen. Auch die Verſchloſ-
ſenen ſind abgefallen, der Weinberg des Herrn iſt verwuͤſtet.
Gingen ſie allein zu Grunde, ſo waͤre es ein Uebel, aber
man koͤnnte es erdulden; allein da ſie die ganze Chriſten-
heit, wie die Adern den Koͤrper durchziehen, ſo bringt ihr
Verfall den Ruin der Welt nothwendig mit ſich.“


Geiſtige Richtung.


Koͤnnten wir die Buͤcher der Geſchichte, wie ſie ſich
ereignet hat, aufſchlagen, — ſtuͤnde uns das Voruͤberge-
hende Rede wie die Natur — wie oft wuͤrden wir, wie in
dieſer, in dem Verfalle, den wir betrauern, den neuen Keim
wahrnehmen, aus dem Tode das Leben hervorgehen ſehen.


So ſehr wir dieſe Verweltlichung der geiſtlichen
[61]Geiſtige Richtung.
Dinge, dieſen Verfall des religioͤſen Inſtitutes beklagen,
ſo haͤtte doch ohne denſelben der menſchliche Geiſt eine ſei-
ner eigenthuͤmlichſten, folgenreichſten Richtungen ſchwerlich
ergreifen koͤnnen.


Laͤugnen duͤrfen wir wohl nicht, daß ſo ſinnreich, man-
nichfaltig und tief die Hervorbringungen des Mittelalters
auch ſind, ihnen doch eine phantaſtiſche und der Realitaͤt
der Dinge nicht entſprechende Weltanſicht zu Grunde liegt.
Haͤtte die Kirche in voller, bewußter Kraft beſtanden, ſo
wuͤrde ſie dieſelbe ſtreng feſtgehalten haben. Allein wie ſie
nun war, ſo ließ ſie dem Geiſte die Freiheit einer neuen,
nach einer ganz andern Seite hingerichteten Entwickelung.


Man darf ſagen, es war ein enge begrenzter Horizont,
der waͤhrend jener Jahrhunderte die Geiſter mit Nothwen-
digkeit in ſeinem Umkreiſe beſchloſſen hielt; die erneuerte
Kenntniß des Alterthums bewirkte, daß er durchbrochen,
daß eine hoͤhere, umfaſſendere, groͤßere Ausſicht eroͤffnet
ward.


Nicht als haͤtten die mittleren Jahrhunderte die Alten
nicht gekannt. Die Begierde, mit der die Araber, von
denen ſo viel wiſſenſchaftliches Beſtreben hernach in das
Abendland uͤberging, die Werke der Alten zuſammenbrach-
ten und ſich aneigneten, wird dem Eifer, mit dem die
Italiener des funfzehnten Jahrhunderts das nehmliche tha-
ten, nicht viel nachſtehen, und Calif Mamun laͤßt ſich in
dieſer Hinſicht wohl mit Coſimo Medici vergleichen. Be-
merken wir aber den Unterſchied. So unbedeutend er ſchei-
nen moͤchte, ſo iſt er, daͤucht mich, entſcheidend. Die Ara-
ber uͤberſetzten: ſie vernichteten oft die Originale gradezu;
[62]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
da ſie nun die Uebertragungen mit ihren eigenthuͤmlichen
Ideen durchdrangen, ſo geſchah es, daß ſie den Ariſtote-
les, man moͤchte ſagen, theoſophirten, daß ſie die Aſtro-
nomie zur Sterndeuterei, dieſe auf die Medicin anwende-
ten, daß eben ſie zur Bildung jener phantaſtiſchen Weltan-
ſicht vorzuͤglich beitrugen. Die Italiener dagegen laſen und
lernten. Von den Roͤmern gingen ſie zu den Griechen fort;
in unzaͤhligen Exemplaren verbreitete die Buchdruckerkunſt
die Originale uͤber die Welt. Der aͤchte Ariſtoteles ver-
draͤngte den arabiſchen: aus den unveraͤnderten Schriften
der Alten lernte man die Wiſſenſchaften, Geographie gra-
dezu aus dem Ptolemaͤus, Botanik aus dem Dioskorides,
die Wiſſenſchaft der Medicin aus Galen und Hippokrates.
Wie ward man da der Einbildungen, die bisher die Welt
bevoͤlkert, der Vorurtheile, welche den Geiſt befingen, ſo
raſch erledigt!


Wir wuͤrden indeß zu viel ſagen, wenn wir in dieſer
Zeit nun ſofort von der Entwickelung eines ſelbſtthaͤtigen
wiſſenſchaftlichen Geiſtes, von der Entdeckung neuer Wahr-
heiten und der Hervorbringung großer Gedanken reden woll-
ten; man ſuchte nur die Alten zu verſtehen: man ging
nicht uͤber ſie hinaus; wirkſam waren dieſe weniger, weil
ſie eine productive wiſſenſchaftliche Thaͤtigkeit veranlaßt haͤt-
ten, als durch die Nachahmung, die ſie hervorriefen.


In dieſer Nachahmung liegt eins der wichtigſten Mo-
mente fuͤr die Entwickelung jener Zeit.


Man wetteiferte mit den Alten in ihrer Sprache. Ein
beſondrer Goͤnner dieſes Beſtrebens war Papſt Leo X. Den
wohlgeſchriebenen Eingang der Geſchichte des Jovius las
[63]Geiſtige Richtung.
er ſelber ſeiner Geſellſchaft vor: er meinte, ſeit Livius ſey
ſo etwas nicht geſchrieben worden. Wenn er ſogar latei-
niſche Improviſatoren beguͤnſtigte, ſo kann man erachten,
wie ſehr ihn das Talent des Vida hinriß, welcher Dinge,
wie das Schachſpiel, in den vollen Toͤnen gluͤcklich fallen-
der lateiniſcher Hexameter zu ſchildern wußte. Einen Ma-
thematiker, von dem man ruͤhmte, daß er ſeine Wiſſen-
ſchaft in elegantem Latein vortrage, berief er aus Portu-
gal zu ſich; ſo wuͤnſchte er Jurisprudenz und Theologie
gelehrt, die Kirchengeſchichte geſchrieben zu ſehen.


Indeß konnte man hierbei nicht ſtehen bleiben. So
weit man dieſe unmittelbare Nachahmung der Alten in ih-
rer Sprache auch trieb, ſo konnte man damit doch nicht
das geſammte Gebiet des Geiſtes umfaſſen. Sie hat in
ſich ſelber etwas Unzureichendes, und Allzuvielen theilte ſie
ſich mit, als daß dieß nicht haͤtte in die Augen ſpringen
ſollen. Es entwickelte ſich der neue Gedanke, die Alten in
der Mutterſprache nachzuahmen; man fuͤhlte ſich ihnen ge-
genuͤber, wie die Roͤmer den Griechen; nicht im Einzelnen
mehr: in der geſammten Literatur wollte man mit ihnen
wetteifern; mit jugendlicher Kuͤhnheit warf man ſich in
dieß neue Feld.


Gluͤcklicherweiſe gelangte eben damals die Sprache zu
einer allgemein guͤltigen Ausbildung. Das Verdienſt des
Bembo wird weniger in ſeinem wohlſtyliſirten Latein, oder
in den Proben italieniſcher Poeſie liegen, die wir von ihm
haben, als in dem wohlangelegten und gluͤcklichen Bemuͤ-
hen, der Mutterſprache Correctheit und Wuͤrde zu geben,
ſie nach feſten Regeln zu conſtruiren. Das iſt was Arioſt
[64]Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16ten Jahrh.
an ihm ruͤhmt; er traf gerade den rechten Zeitpunct: ſeine
Verſuche dienten nur ſeinen Lehren zum Beiſpiel.


Betrachten wir nun den Kreis der Arbeiten, zu denen
man dieß in fluͤſſiger Geſchmeidigkeit und Wohllaut un-
vergleichliche, und nunmehr mit ſo vieler Einſicht vorbe-
reitete Material nach dem Muſter der Alten anwandte, ſo
draͤngt ſich uns folgende Bemerkung auf.


Nicht da war man gluͤcklich, wo man ſich ſehr enge
an ſie anſchloß. Tragoͤdien, wie die Rosmunda Rucel-
lai’s, die, wie die Herausgeber ſagen, nach dem Modell
der Antike gearbeitet waren, Lehrgedichte, wie deſſen Bie-
nen, in denen gleich von vorn herein auf Virgil verwie-
ſen und dieſer darnach tauſendfaͤltig benutzt wird, machten
kein Gluͤck und hatten keine wahre Wirkung. Freier bewe-
gen ſich ſchon die Comoͤdien: der Natur der Sache nach
muͤſſen ſie die Farbe und den Eindruck der Gegenwart an-
nehmen; allein faſt immer legte man eine Fabel des Al-
terthums; ein plautiniſches Stuͤck zu Grunde 1), und ſelbſt
ſo
[65]Geiſtige Richtung.
ſo geiſtreiche Maͤnner, wie Bibbiena und Machiavell, ha-
ben ihren komiſchen Arbeiten die volle Anerkennung der
ſpaͤteren Zeiten nicht ſichern koͤnnen. In andern Gattun-
gen finden wir einen gewiſſen Widerſtreit des antiken und
des modernen Elementes. Wie ſonderbar nimmt ſich in
der Arcadia des Sannazar die weitſchweifige, lateinartige
Periodologie der Proſa neben der Einfalt, Innigkeit und
Muſik der Verſe aus.


Wenn es nun hier, ſo weit man es auch brachte,
nicht voͤllig gelang, ſo kann man ſich nicht verwundern.
Immer ward ein großes Beiſpiel gegeben, ein Verſuch ge-
macht, der unendlich fruchtbar geworden iſt, allein in den
claſſiſchen Formen bewegte ſich das moderne Element nicht
mit voͤlliger Freiheit. Der Geiſt wurde von einer außer
ihm vorhandenen, nicht zum Canon ſeiner Natur geworde-
nen Regel beherrſcht.


Wie koͤnnte man auch uͤberhaupt mit Nachahmung
ausreichen? Es giebt eine Wirkung der Muſter, der gro-
ßen Werke, aber ſie iſt eine Wirkung des Geiſtes auf den
Geiſt. Heut zu Tage kommen wir alle uͤberein, daß die
ſchoͤne Form erziehen, bilden, erwecken ſoll: unterjochen
darf ſie nicht.


Die merkwuͤrdigſte Hervorbringung mußte es geben,
wenn ein der Beſtrebungen der damaligen Zeit theilhafter
Genius ſich in einem Werke verſuchte, wo Stoff und Form
vom Alterthum abwich, und nur die innerliche Wirkung
deſſelben hervortreten konnte.


Das romantiſche Epos iſt deshalb ſo eigenthuͤmlich,
weil dieß mit ihm der Fall war. Man hatte eine chriſt-
5
[66]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
liche Fabel geiſtlich heroiſchen Inhaltes zum Stoff: die
vornehmſten Geſtalten, mit wenig großen und ſtarken, all-
gemeinen Zuͤgen waren gegeben: bedeutende Situationen,
wiewohl wenig entwickelt, fand man vor; die Form des
Ausdrucks war vorhanden, unmittelbar aus der Unterhal-
tung des Volkes war ſie hervorgegangen. Dazu kam nun
die Tendenz des Jahrhunderts, ſich an die Antike anzu-
ſchließen. Geſtaltend, bildend, vermenſchlichend tritt ſie
ein. Welch ein andrer iſt der Rinald Bojardo’s, edel, be-
ſcheiden, voll freudiger Thatenluſt, als der entſetzliche Hay-
monsſohn der alten Sage. Wie ward das Gewaltige, Fa-
belhafte, Gigantiſche, das die alte Darſtellung hatte, zu
dem Begreiflichen, Anmuthigen, Reizenden umgebildet.
Auch die ungeſchmuͤckten alten Erzaͤhlungen haben in ihrer
Einfachheit etwas Anziehendes, Angenehmes; welch ein
anderer Genuß aber iſt es, ſich von dem Wohllaut ario-
ſtiſcher Stanzen umſpielen zu laſſen, und in der Geſell-
ſchaft eines gebildeten heiteren Geiſtes von Anſchauung zu
Anſchauung fortzueilen. Das Unſchoͤne und Geſtaltloſe
hat ſich zu Umriß und Form und Muſik durchgebildet 1).


Wenige Zeiten ſind fuͤr die reine Schoͤnheit der Form
empfaͤnglich; nur die beguͤnſtigtſten gluͤcklichſten Perioden brin-
gen ſie hervor. Das Ende des funfzehnten, der Anfang
des ſechszehnten Jahrhunderts war eine ſolche. Wie koͤnnte
ich die Fuͤlle von Kunſtbeſtreben und Kunſtuͤbung, die darin
lebte, auch nur im Umriß andeuten? Man kann kuͤhnlich
[67]Geiſtige Richtung.
ſagen, daß alles das Schoͤnſte, was in neuern Zeiten Ar-
chitectur, Bildhauerkunſt und Malerei hervorgebracht ha-
ben, in dieſe kurze Epoche faͤllt. Es war die Tendenz der-
ſelben, nicht im Raiſonnement, ſondern in der Praxis und
Ausuͤbung. Man lebte und webte darin. Ich moͤchte ſa-
gen: die Feſtung, die der Fuͤrſt dem Feinde gegenuͤber errich-
tet, die Note, die der Philologe an den Rand ſeines Autors
ſchreibt, haben etwas Gemeinſchaftliches. Einen ſtrengen und
ſchoͤnen Grundzug haben alle Hervorbringungen dieſer Zeit.


Dabei aber wird ſich nicht verkennen laſſen, daß, in-
dem Kunſt und Poeſie die kirchlichen Elemente ergriffen, ſie
den Inhalt derſelben nicht unangetaſtet ließen. Das ro-
mantiſche Epos, das eine kirchliche Sage vergegenwaͤrtigt,
ſetzt ſich mit derſelben in der Regel in Oppoſition. Arioſto
fand es noͤthig, ſeiner Fabel den Hintergrund zu neh-
men, der ihre urſpruͤngliche Bedeutung enthaͤlt.


Fruͤher hatte an allen Werken der Maler und Bild-
ner die Religion ſo viel Antheil als die Kunſt. Seit
die Kunſt von dem Hauche der Antike beruͤhrt worden,
loͤſte ſie ſich ab von den Banden der Religion. Wir koͤn-
nen wahrnehmen, wie dieß ſelbſt in Raphael von Jahr zu
Jahr entſchiedener der Fall iſt. Man mag dieß tadeln
wenn man will; aber es ſcheint faſt, das profane Ele-
ment gehoͤrte mit dazu, um die Bluͤthe der Entwicke-
lung hervorzubringen.


Und war es nicht ſehr bedeutend, daß ein Papſt ſelbſt
unternahm, die alte Baſilike St. Peter, Metropole der Chri-
ſtenheit, in der jede Staͤtte geheiligt, in der die Denkmale
der Verehrung ſo vieler Jahrhunderte vereinigt waren, nie-
5*
[68]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
derzureißen, und an ihrer Stelle einen Tempel nach den
Maaßen des Alterthums zu errichten. Es war ein rein
kuͤnſtleriſches Beſtreben. Beide Factionen, welche damals
die ſo leicht in Eiferſucht und Hader zu ſetzende Kuͤnſtlerwelt
theilten, vereinigten ſich, Julius II. dazu zu beſtimmen.
Michel Angelo wuͤnſchte eine wuͤrdige Stelle fuͤr das Grab-
mahl des Papſtes zu haben, das er nach einem umfaſſen-
den Entwurf in aller der Großartigkeit auszufuͤhren ge-
dachte, wie er den Moſes wirklich vollendet hat. Noch
dringender ward Bramante. Er wollte den kuͤhnen Ge-
danken ins Werk ſetzen, ein Nachbild des Pantheon in
ſeiner ganzen Groͤße auf coloſſalen Saͤulen in die Luft zu
erheben. Viele Cardinaͤle widerſprachen: es ſcheint, als
haͤtte ſich auch eine allgemeinere Mißbilligung gezeigt; es
knuͤpft ſich ſo viel perſoͤnliche Neigung an jede alte Kirche,
unendlich viel mehr an dieß oberſte Heiligthum der Chriſten-
heit 1). Allein Julius II. war nicht gewohnt auf Wider-
ſpruch zu achten. Ohne weitere Ruͤckſicht ließ er die Haͤlfte
der alten Kirche niederreißen; er legte ſelber den Grund-
ſtein zu der neuen.


So erhoben ſich in dem Mittelpunkt des chriſtlichen
Cultus die Formen wieder, in denen ſich der Geiſt der an-
[69]Geiſtige Richtung.
tiken Dienſte ſo eigen ausgeſprochen hatte. Bei St. Pie-
tro in Montorio baute Bramante uͤber dem Blute des
Maͤrtyrers eine Capelle in der heitern und leichten Form
eines Peripteros.


Liegt nun hierin ein Widerſpruch, ſo ſtellte er ſich zu-
gleich in dieſem geſammten Leben und Weſen dar.


Man ging nach dem Vatican weniger, um bei den
Schwellen der Apoſtel anzubeten, als um in des Papſtes
Hauſe die großen Werke der antiken Kunſt, den belvede-
riſchen Apollo, den Laocoon zu bewundern.


Wohl ward der Papſt auch damals ſo gut wie ſonſt
aufgefordert, einen Krieg gegen die Unglaͤubigen zu veranſtal-
ten; ich finde das z. B. in einer Praͤfation des Navagero 1);
allein des chriſtlichen Intereſſes, der Eroberung des heiligen
Grabes gedenkt er hiebei nicht; ſeine Hoffnung iſt, der
Papſt werde die verloren gegangenen Schriften der Grie-
chen und ſelbſt vielleicht der Roͤmer wieder auffinden.


Mitten in dieſer Fuͤlle von Beſtrebung und Hervor-
bringung, von Geiſt und Kunſt, in dem Genuß der weltli-
chen Entwickelung der hoͤchſten geiſtlichen Wuͤrde lebte nun
Leo X. Man hat ihm die Ehre ſtreitig machen wollen,
daß er dieſem Zeitalter den Namen giebt; und ſein Verdienſt
mag es ſo ſehr nicht ſeyn. Allein er war nun der Gluͤck-
liche. In den Elementen, die dieſe Welt bildeten, war er
aufgewachſen; er beſaß Freiheit und Empfaͤnglichkeit des
Geiſtes genug, ihre ſchoͤne Bluͤthe zu befoͤrdern, zu genie-
ßen. Hatte er ſchon ſeine Freude an den lateiniſchen Ar-
[70]Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.
beiten der unmittelbaren Nachahmer, ſo konnte er ſelbſtſtaͤn-
digen Werken ſeiner Zeitgenoſſen ſeine Theilnahme nicht ent-
ziehen. In ſeiner Gegenwart hat man die erſte Tragoͤdie,
und ſo vielen Anſtoß bei dem plautiniſch-bedenklichen In-
halt das gab, auch die erſten Comoͤdien in italieniſcher
Sprache aufgefuͤhrt. Es iſt faſt keine, die er nicht zuerſt
geſehn haͤtte. Arioſt gehoͤrte zu den Bekannten ſeiner Jugend;
Machiavell hat eins und das andre ausdruͤcklich fuͤr ihn ge-
ſchrieben; ihm erfuͤllte Raphael Zimmer, Gallerie und Ca-
pelle mit den Idealen menſchlicher Schoͤnheit und rein
ausgeſprochener Exiſtenz. Leidenſchaftlich liebte er die Muſik,
die ſich in kunſtreicherer Uebung eben damals in Italien
ausbreitete; taͤglich hoͤrte man den Pallaſt von Muſik er-
ſchallen; murmelnd ſang der Papſt ihre Melodien nach.
Es mag ſeyn, daß dieß eine Art geiſtiger Schwelgerei iſt;
es iſt dann wenigſtens die einzige, die einem Menſchen an-
ſteht. Uebrigens war Leo X. voller Guͤte und perſoͤnli-
cher Theilnahme: nie, oder nur in den glimpflichſten Aus-
druͤcken ſchlug er etwas ab, obgleich es freilich unmoͤglich
war, alles zu gewaͤhren. „Er iſt ein guter Menſch,“
ſagt einer dieſer aufmerkſamen Geſandten, „ſehr freigebig,
von gutartiger Natur; wenn ſeine Verwandten ihn nicht
dazu braͤchten, wuͤrde er alle Irrungen vermeiden“ 1).
„Er iſt gelehrt,“ ſagt ein andrer, „ein Freund der Ge-
lehrten, zwar religioͤs, doch will er leben“ 2). Wohl nicht
[71]Geiſtige Richtung.
immer behauptete er das paͤpſtliche Decorum. Zuweilen
verließ er Rom zum Schmerze des Ceremonienmeiſters, nicht
allein ohne Chorhemd, ſondern wie dieſer in ſeinem Tage-
buche bemerkt hat, „was das Aergſte iſt, mit Stiefeln an
ſeinen Fuͤßen.“ Er brachte den Herbſt mit laͤndlichen
Vergnuͤgungen zu; der Baize bei Viterbo, der Hirſchjagd
bei Corneto; der See von Bolſena gewaͤhrte das Ver-
gnuͤgen des Fiſchfangs; dann blieb er einige Zeit auf Mal-
liana, ſeinem Lieblingsaufenthalte. Leichte raſche Talente,
die jede Stunde zu erheitern vermoͤgen, Improviſatoren,
begleiteten ihn auch hier. Gegen den Winter kam man
zur Stadt zuruͤck. Sie war in großer Aufnahme. Die
Zahl der Einwohner wuchs binnen wenigen Jahren um ein
Dritttheil. Das Handwerk fand hier ſeinen Vortheil, die
Kunſt ihre Ehre, Jedermann Sicherheit. Nie war der
Hof belebter, anmuthiger, geiſtreicher geweſen; kein Auf-
wand fuͤr geiſtliche und weltliche Feſte, Spiel und Thea-
ter, Geſchenke und Gunſtbezeugungen war zu groß; nichts
ward geſpart. Mit Freuden vernahm man, daß Juliano
Medici mit ſeiner jungen Gemahlin ſeinen Wohnſitz in Rom
zu nehmen gedenke. „Gelobt ſey Gott,“ ſchreibt ihm Car-
dinal Bibbiena, „denn hier fehlt uns nichts als ein Hof
von Damen.“


Die Luͤſte Alexanders VI. muß man ewig verab-
ſcheuen; den Hofhalt Leo’s koͤnnte man an ſich nicht ta-
deln. Doch wird man freilich nicht in Abrede ſtellen,
daß er der Beſtimmung eines Oberhauptes der Kirche nicht
entſprach.


Leicht verdeckt das Leben die Gegenſaͤtze, aber ſo wie
[72]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
man ſich zuſammennahm und ſie uͤberlegte, mußten ſie her-
vortreten.


Von eigentlich chriſtlicher Geſinnung und Ueberzeu-
gung konnte unter dieſen Umſtaͤnden nicht weiter die Rede
ſeyn. Es erhob ſich vielmehr ein grader Widerſpruch gegen
dieſelbe.


Die Schulen der Philoſophen waren in Streit, ob
die vernuͤnftige Seele zwar immateriell und unſterblich, aber
eine einzige in allen Menſchen, oder ob ſie gradezu ſterblich
ſey. Das letzte zu behaupten, entſchied ſich der namhaf-
teſte der damaligen Philoſophen, Pietro Pomponazzo. Er
verglich ſich mit dem Prometheus, deſſen Herz der Geyer
freſſe, weil er dem Jupiter ſein Feuer ſtehlen wolle. Aber
mit aller dieſer ſchmerzvollen Anſtrengung, mit allem die-
ſen Scharfſinn gelangte er zu keinem andern Reſultat, „als
daß, wenn der Geſetzgeber feſtgeſtellt, daß die Seele un-
ſterblich, er dieß gethan habe, ohne ſich um die Wahrheit
zu bekuͤmmern“ 1).


Man darf nicht glauben, dieſe Geſinnung ſey nur We-
nigen eigen geweſen oder verheimlicht worden. Erasmus
iſt erſtaunt, welche Gotteslaͤſterungen er anzuhoͤren bekam;
man ſuchte ihm, einem Fremden, aus Plinius zu bewei-
[73]Geiſtige Richtung.
ſen, zwiſchen den Seelen der Menſchen und der Thiere
gebe es keinen Unterſchied 1).


Waͤhrend das gemeine Volk in einen faſt heidniſchen
Aberglauben verfiel, der in einem ſchlecht begruͤndeten Werk-
dienſte ſein Heil ſah, wandten ſich die hoͤheren Staͤnde zu
einer antireligioͤſen Richtung ab.


Wie erſtaunte der junge Luther, als er nach Italien
kam! In dem Moment, daß das Meßop[f]er vollzogen
wurde, ſtießen die Prieſter blasphemiſche Worte aus, mit
denen ſie es laͤugneten.


In Rom gehoͤrte es zum guten Ton der Geſellſchaft,
den Grundſaͤtzen des Chriſtenthums zu widerſprechen. Man
galt, ſagt P. Ant. Bandino 2), nicht mehr fuͤr einen ge-
bildeten Mann, wenn man nicht irrige Meinungen vom
Chriſtenthum hegte. Am Hofe ſprach man von den Saz-
zungen der katholiſchen Kirche, von den Stellen der heili-
gen Schrift nur noch ſcherzhaft, die Geheimniſſe des Glau-
bens wurden verachtet.


[74]Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.

Man ſieht, wie ſich alles bedingt, eins das andre
hervorruft: die kirchlichen Anſpruͤche der Fuͤrſten, die welt-
lichen des Papſtes; der Verfall der kirchlichen Inſtitute
die Entwickelung einer neuen geiſtigen Richtung; bis zuletzt
in der oͤffentlichen Meinung der Grund des Glaubens ſel-
ber angetaſtet iſt.


Oppoſition in Deutſchland.


Ueberaus merkwuͤrdig finde ich nun das Verhaͤltniß,
in welches Deutſchland, namentlich zu dieſer geiſtigen Ent-
wickelung, trat. Es nahm an ihr Theil, aber auf eine
durchaus abweichende Weiſe.


Wenn es in Italien Poeten, wie Boccaz und Pe-
trarca waren, die zu ihrer Zeit dieſes Studium befoͤrder-
ten und den nationalen Antrieb dazu gaben, ſo ging es in
Deutſchland von einer geiſtlichen Bruͤderſchaft, den Hieronymi-
ten des gemeinſamen Lebens, aus, einer Bruͤderſchaft, welche
Arbeitſamkeit und Zuruͤckgezogenheit verband. Es war ei-
nes ihrer Mitglieder, der tiefſinnige, unſchuldige Myſtiker
Thomas von Kempen, in deſſen Schule alle die wuͤrdigen
Maͤnner gebildet wurden, die von dem in Italien aufge-
gangenen Licht der alten Literatur zuerſt dahin gezogen,
dann zuruͤckkehrten, um es auch in Deutſchland auszu-
breiten 1).


[75]Oppoſition in Deutſchland.

Wie nun der Anfang, ſo unterſchied ſich auch der
Fortgang.


In Italien ſtudirte man die Werke der Alten, um
die Wiſſenſchaften aus ihnen zu erlernen: in Deutſchland
hielt man Schule. Dort verſuchte man die Loͤſung der
hoͤchſten Probleme des menſchlichen Geiſtes, wenn nicht auf
ſelbſtſtaͤndige Weiſe, doch an der Hand der Alten: hier
ſind die beſten Buͤcher der Unterweiſung der Jugend ge-
widmet.


In Italien war man von der Schoͤnheit der Form
ergriffen und fing an die Alten nachzuahmen: man brachte
es, wie wir beruͤhrten, zu einer nationalen Literatur. In
Deutſchland nahmen dieſe Studien eine geiſtliche Rich-
tung. Man kennt den Ruhm des Reuchlin und des Eras-
mus. Fragt man nach, worin das vornehmſte Verdienſt
des erſten beſteht, ſo iſt es, daß er die erſte hebraͤiſche
Grammatik ſchrieb, ein Denkmal, von dem er hofft, ſo
gut wie die italieniſchen Poeten, „daß es dauernder ſeyn
werde als Erz.“ Hat er hiermit das Studium des alten
Teſtaments zuerſt moͤglich gemacht, ſo wendete Erasmus
ſeinen Fleiß dem neuen zu; er ließ es zuerſt griechiſch
drucken; ſeine Paraphraſe, ſeine Anmerkungen dazu ha-
ben eine Wirkung gehabt, welche ſelbſt ſeine Abſicht bei
weitem uͤbertraf.


Indem nun in Italien die Richtung, die man ergriff,
ſich von der Kirche trennte, ſich ihr entgegenſetzte, ſo ge-
1)
[76]Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
ſchah etwas aͤhnliches auch in Deutſchland. Dort trat
die Freigeiſterei, welche niemals ganz unterdruͤckt werden
kann, in die literariſchen Elemente ein, und bildete ſich
hier und da zu einem entſchiedenen Unglauben aus. Auch
eine tiefere Theologie, aus unbekannten Quellen entſprungen,
hatte von der Kirche zwar beſeitigt, aber niemals unter-
druͤckt werden koͤnnen. Dieſe trat zu den literariſchen Be-
muͤhungen in Deutſchland. In dieſer Hinſicht finde ich
merkwuͤrdig, daß ſich ſchon im Jahre 1513 die boͤhmiſchen
Bruͤder dem Erasmus naͤherten, der doch ſonſt eine ganz
andere Richtung hatte 1).


Und ſo fuͤhrte die Entwickelung des Jahrhunderts
jenſeit und dieſſeit der Alpen zu einer Oppoſition wider
die Kirche. Jenſeit hing ſie mit Wiſſenſchaft und Litera-
tur zuſammen, dieſſeit entſprang ſie aus geiſtlichen Stu-
dien und tieferer Theologie. Dort war ſie negativ und
unglaͤubig: hier war ſie poſitiv und glaͤubig. Dort hob
ſie den Grund der Kirche vollends auf: hier ſtellte ſie den-
ſelben wieder her. Dort war ſie ſpoͤttiſch, ſatiriſch, und
unterwarf ſich der Gewalt: hier war ſie voll Ernſt und
Ingrimm und erhob ſich zu dem kuͤhnſten Angriff, der je
auf die roͤmiſche Kirche geſchehen.


Man hat es zufaͤllig gefunden, daß dieſer zuerſt dem
Mißbrauche galt, den man mit dem Ablaß trieb. Al-
lein wie die Veraͤußerung des Innerlichſten, die der Ab-
laß in ſich ſchloß, den ſchadhaften Punkt des ganzen
Weſens, der in der Verweltlichung der geiſtlichen Elemente
[77]Oppoſition in Deutſchland.
uͤberhaupt beſtand, grade auf das ſchneidendſte darſtellte, ſo
lief ſie dem Begriffe, der ſich in den tieferen deutſchen Theo-
logen gebildet, am ſchaͤrfſten entgegen. Ein Menſch, wie
Luther, von innerlich erlebter Religion, erfuͤllt mit den
Begriffen von Suͤnde und Rechtfertigung, wie ſie in dem
Buche deutſcher Theologie bereits vor ihm ausgeſprochen
waren, darin beſtaͤrkt durch die Schrift, die er mit dur-
ſtendem Herzen in ſich aufgenommen, konnte an nichts in
der Welt einen ſo großen Anſtoß nehmen, wie an dem Ab-
laß. Von einer fuͤr Geld zu habenden Suͤndenvergebung
mußte Der auf das tiefſte beleidigt werden, der eben von
dieſem Punkt aus das ewige Verhaͤltniß zwiſchen Gott und
Menſch inne geworden war, und die Schrift ſelbſt verſte-
hen gelernt hatte.


Er ſetzte ſich allerdings dem einzelnen Mißbrauche
entgegen; aber ſchon der ſchlechtbegruͤndete und einſeitige
Widerſpruch, den er fand, fuͤhrte ihn Schritt fuͤr Schritt
weiter; nicht lange verbarg ſich ihm der Zuſammenhang,
in welchem jenes Unweſen mit dem geſammten Verfalle
der Kirche ſtand; er war keine Natur, die vor dem Aeu-
ßerſten zuruͤckbebt. Das Oberhaupt ſelbſt griff er mit un-
erſchrockener Kuͤhnheit an. Aus der Mitte der ergeben-
ſten Anhaͤnger und Verfechter des Papſtthums, den Bet-
telmoͤnchen, erhob ſich ihm der kuͤhnſte gewaltigſte Gegner,
den es jemals gefunden. Da Luther einer ſo weit von ih-
rem Prinzip abgekommenen Macht eben dieß mit großer
Schaͤrfe und Klarheit entgegenhielt, da er ausſprach, wo-
von ſchon Alle uͤberzeugt waren, da ſeine Oppoſition, die
noch nicht ihre geſammten poſitiven Momente entwickelt
[78]Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.
hatte, auch den Unglaͤubigen recht war, und doch weil ſie
dieſelben in ſich enthielt, dem Ernſte der Glaͤubigen ge-
nug that, ſo hatten ſeine Schriften eine unermeßliche Wir-
kung; in einem Augenblicke erfuͤllten ſie Deutſchland und
die Welt.


[79]

Drittes Kapitel.
Politiſche Verwickelungen. Zuſammenhang
der Reformation mit denſelben.


Mit den weltlichen Beſtrebungen des Papſtthums hatte
ſich dergeſtalt eine doppelte Bewegung gebildet. Die eine:
religioͤs; ſchon begann ein Abfall, dem man es anſah,
daß er eine unermeßliche Zukunft in ſich ſchloß. Die an-
dere: politiſch; die in Kampf geſetzten Elemente waren noch
in der lebhafteſten Gaͤhrung begriffen und mußten zu neuen
Entwickelungen gedeihen. Dieſe beiden Bewegungen, ihre
Einwirkung auf einander, die Gegenſaͤtze, die ſie hervor-
riefen, haben dann die Geſchichte des Papſtthums Jahrhun-
derte lang beherrſcht.


Wollte ſich doch nie ein Fuͤrſt, ein Staat einbilden,
daß ihm etwas zu Gute kommen koͤnne, was er ſich nicht
ſelbſt verdankt, was er nicht mit eigenen Kraͤften erwor-
ben hat!


Indem die italieniſchen Maͤchte mit Huͤlfe fremder
Nationen eine die andre zu uͤberwinden ſuchten, hatten ſie
die Unabhaͤngigkeit, die ſie waͤhrend des funfzehnten Jahr-
hunderts beſeſſen, ſelber zerſtoͤrt, und ihr Land den Uebrigen
als einen allgemeinen Kampfpreis dargeſtellt. Den Paͤpſten
muß ein großer Antheil hieran zugeſchrieben werden. Sie
[80]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
hatten nunmehr allerdings eine Macht erworben, wie der
roͤmiſche Stuhl ſie nie beſeſſen; allein nicht durch ſich ſel-
ber war es ihnen gelungen. Sie verdankten es Franzoſen,
Spaniern, Deutſchen, Schweizern. Ohne ſeinen Bund mit
Ludwig XII. wuͤrde Ceſar Borgia ſchwerlich viel ausge-
richtet haben. So großartig die Abſichten Julius II., ſo
heldenmuͤthig ſeine Anſtrengungen auch waren, ſo haͤtte er
ohne die Huͤlfe der Spanier und der Schweizer unterliegen
muͤſſen. Wie konnte es anders ſeyn, als daß die, welche
den Sieg erfochten, auch des Uebergewichtes zu genießen
ſuchten, das ihnen dadurch zufiel. Wohl ſah es Julius II.
Seine Abſicht war, die uͤbrigen in einem gewiſſen Gleich-
gewicht zu erhalten und ſich nur der Mindeſtmaͤchtigen,
der Schweizer, zu bedienen, die er zu leiten hoffen durfte.


Allein es kam anders. Es bildeten ſich zwei große
Maͤchte, welche, wenn nicht um die Weltherrſchaft, doch
um das Supremat in Europa kaͤmpften, — ſo gewaltig,
daß ihnen ein Papſt bei weitem nicht gewachſen war; —
auf italieniſcher Erde fochten ſie ihren Wettſtreit aus.


Zuerſt erhoben ſich die Franzoſen. Nicht lange nach
der Thronbeſteigung Leo’s X. erſchienen ſie maͤchtiger als
ſie bisher noch jemals die Alpen uͤberſtiegen, um Mailand
wieder zu erobern. An ihrer Spitze in ritterlichem Ju-
gendmuthe Franz I. Es kam alles darauf an, ob ihnen
die Schweizer widerſtehen wuͤrden. Die Schlacht von Ma-
rignano iſt darum ſo wichtig, weil die Schweizer voͤllig
geſchlagen wurden: weil ſie ſeit dieſer Niederlage nie wie-
der einen ſelbſtſtaͤndigen Einfluß in Italien ausgeuͤbt haben.


Den erſten Tag war die Schlacht unentſchieden ge-
we-
[81]Unter LeoX.
weſen, und ſchon hatte man auf die Nachricht von einem
Siege der Schweizer in Rom Freudenfeuer abgebrannt.
Die fruͤheſte Meldung von dem Erfolg des zweiten Tages
und dem wahren Ausgang bekam der Botſchafter der Ve-
nezianer, die mit dem Koͤnig verbuͤndet waren und ſelber
zur Entſcheidung nicht wenig beigetragen. In aller Fruͤhe
begab er ſich nach dem Vatican, ſie dem Papſte mitzuthei-
len. Noch nicht voͤllig angekleidet kam dieſer zur Audienz
heraus. Ew. Heiligkeit, ſagte der Botſchafter, gab mir
geſtern eine ſchlimme und zugleich falſche Nachricht: heute
bringe ich Derſelben dafuͤr eine gute und wahre: die Schwei-
zer ſind geſchlagen. Er las ihm die Briefe vor, die hier-
uͤber an ihn gelangt waren: von Maͤnnern, die der Papſt
kannte, die keinen Zweifel uͤbrig ließen 1). Der Papſt ver-
barg ſeinen tiefen Schrecken nicht. „Was wird dann aus
uns, was wird ſelbſt aus euch werden?“ „Wir hoffen fuͤr
beide alles Gute.“ „Herr Botſchafter,“ erwiederte der
Papſt, „wir muͤſſen uns in die Arme des Koͤnigs wer-
fen und Miſericordia rufen“ 2).


In der That bekamen die Franzoſen durch dieſen Sieg
das entſchiedene Uebergewicht in Italien. Haͤtten ſie ihn
ernſtlich verfolgt, ſo wuͤrden ihnen weder Toscana noch
6
[82]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
der Kirchenſtaat, die ſo leicht in Rebellion zu ſetzen wa-
ren, viel Widerſtand geleiſtet haben, und es ſollte den
Spaniern ſchwer geworden ſeyn, ſich in Neapel zu behaup-
ten. „Der Koͤnig,“ ſagte Franz Vettori geradehin, „konnte
Herr von Italien werden.“ Wie viel kam in dieſem Au-
genblick auf Leo an!


Lorenzo Medici ſagte von ſeinen drei Soͤhnen, Ju-
lian, Peter und Johann: der erſte ſey gut, der andre ein
Thor, der dritte, Johann, der ſey klug. Dieſer dritte iſt
Papſt Leo X.; er zeigte ſich auch jetzt der ſchwierigen Lage
gewachſen, in die er gerieth.


Wider den Rath ſeiner Cardinaͤle begab er ſich nach
Bologna, um ſich mit dem Koͤnig zu beſprechen. Hier
ſchloſſen ſie das Concordat, in welchem ſie die Rechte der
gallicaniſchen Kirche unter ſich theilten. Auch mußte
Leo Parma und Piacenza aufgeben: aber uͤbrigens gelang
es ihm, den Sturm zu beſchwoͤren, den Koͤnig zum Ruͤck-
zuge zu bewegen und unangetaſtet in dem Beſitze ſeiner Laͤn-
der zu bleiben 1).


Welch ein Gluͤck dieß fuͤr ihn war, ſieht man aus
den Folgen, welche die bloße Annaͤherung der Franzoſen un-
mittelbar nach ſich zog. Es iſt aller Anerkennung werth,
daß Leo, nachdem ſeine Verbuͤndeten geſchlagen waren und
ein Landestheil hatte abgetreten werden muͤſſen, zwei kaum
erworbene, der Unabhaͤngigkeit gewohnte, mit tauſend Ele-
[83]Unter LeoX.
menten der Empoͤrung erfuͤllte Provinzen zu behaupten ver-
mochte.


Man hat ihm immer ſeinen Angriff auf Urbino zum
Vorwurf gemacht, auf ein Fuͤrſtenhaus, bei dem ſein eig-
nes Geſchlecht in der Verbannung Zuflucht und Aufnahme
gefunden hatte. Die Urſache war: der Herzog hatte Sold
von dem Papſte genommen, und war ihm darauf im Au-
genblick der Entſcheidung abtruͤnnig geworden. Leo ſagte,
„wenn er ihn nicht dafuͤr beſtrafe, ſo werde kein Baron im
Kirchenſtaate ſo ohnmaͤchtig ſeyn, um ſich ihm nicht zu wi-
derſetzen. Er habe das Pontificat in Anſehn gefunden und
wolle es dabei behaupten“ 1). Da aber der Herzog we-
nigſtens insgeheim Ruͤckhalt an den Franzoſen hatte, da
er in dem ganzen Staate und ſelbſt in dem Cardinalcolle-
gium Verbuͤndete fand, ſo war der Kampf noch immer gefaͤhr-
lich. Nicht ſo leicht war der kriegskundige Fuͤrſt zu ver-
jagen; zuweilen ſah man den Papſt bei den ſchlechten Nach-
richten erzittern, und außer ſich gerathen; es ſoll ein Com-
plott beſtanden haben, ihn bei der Behandlung eines Leib-
ſchadens an dem er litt, zu vergiften 2). Es gelang dem
Papſt, ſich dieſer Feinde zu erwehren: allein man ſieht,
wie ſchwer es ihm ward. Daß ſeine Partei von den
6*
[84]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Franzoſen geſchlagen war, wirkte ihm bis in ſeine Haupt-
ſtadt, bis in ſeinen Pallaſt nach.


Indeß aber hatte ſich die zweite große Macht conſo-
lidirt. Wie ſonderbar es ſchien, daß Ein und derſelbe
Fuͤrſt in Wien, Bruͤſſel, Valladolid, Saragoſſa und Nea-
pel, und uͤberdieß noch in einem andern Continent herr-
ſchen ſollte, ſo war es doch durch eine leichte, kaum bemerkte
Verflechtung von Familienintereſſen dahin gekommen. Dieſe
Erhebung des Hauſes Oeſtreich, die ſo verſchiedene Natio-
nen verknuͤpfte, war eine der groͤßten und folgenreichſten
Veraͤnderungen, welche Europa uͤberhaupt betroffen haben.
In dem Moment, daß die Nationen ſich von ihrem bis-
herigen Mittelpunkt abſonderten, wurden ſie durch ihre po-
litiſchen Angelegenheiten in eine neue Verbindung, ein neues
Syſtem verflochten. Die Macht von Oeſtreich ſetzte ſich
dem Uebergewicht von Frankreich auf der Stelle entgegen.
Durch die kaiſerliche Wuͤrde bekam Carl V. geſetzliche An-
ſpruͤche auf ein oberherrliches Anſehn wenigſtens in der
Lombardei. Ueber dieſe italieniſchen Angelegenheiten eroͤff-
nete ſich ohne viel Zoͤgern der Krieg.


Wie geſagt, die Paͤpſte hatten durch die Erweiterung
ihres Staates zu voller Unabhaͤngigkeit zu gelangen gehofft.
Jetzt ſahen ſie ſich von zwei bei weitem uͤberlegenen Ge-
walten in die Mitte genommen. Ein Papſt war nicht ſo
unbedeutend, bei dem Kampfe derſelben neutral bleiben zu
duͤrfen; auch war er nicht maͤchtig genug, ein entſcheiden-
des Gewicht in die Wagſchaale zu werfen; er mußte ſein
Heil in geſchickter Benutzung der Lage der Dinge ſuchen.
Leo ſoll geaͤußert haben, wenn man mit der einen Partei
[85]Unter LeoX.
abgeſchloſſen, ſo muͤſſe man darum nicht ablaſſen, mit der
andern zu unterhandeln 1). Eine ſo zweizuͤngige Politik
entſprang ihm aus der Stellung in der er ſich befand.


Im Ernſte konnte jedoch ſelbſt Leo ſchwerlich zweifel-
haft ſeyn, zu welcher Partei er ſich zu ſchlagen habe.
Haͤtte ihm auch nicht unendlich viel daran liegen muͤſſen,
Parma und Piacenza wiederzuerlangen: haͤtte ihn auch
nicht das Verſprechen Carls V., einen Italiener in Mai-
land einzuſetzen, das ſo ganz zu ſeinen Gunſten war, zu
beſtimmen vermocht, ſo gab es noch einen andern, wie
mich duͤnkt, voͤllig entſcheidenden Grund. Er lag in dem
Verhaͤltniß der Religion.


In der ganzen Periode, die wir betrachten, war den
Fuͤrſten in ihren Verwickelungen mit dem roͤmiſchen Stuhle
nichts ſo erwuͤnſcht geweſen, als demſelben eine geiſtliche
Oppoſition hervorzurufen. Wider Alexander VI. hatte
Carl VIII. von Frankreich keinen zuverlaͤßigeren Beiſtand, als
den Dominikaner Hieronymus Savonarola in Florenz.
Als Ludwig XII. jede Hoffnung zur Verſoͤhnung mit Ju-
lius II. aufgegeben, berief er ein Concilium zu Piſa: ſo
wenig Succeß daſſelbe hatte, ſo ſchien es doch zu Rom eine
hoͤchſt gefaͤhrliche Sache. Wann aber ſtand dem Papſt ein
kuͤhnerer gluͤcklicherer Feind auf, als Luther? Seine Erſchei-
nung allein, ſeine Exiſtenz gab ihm eine wichtige politiſche
Bedeutung. Von dieſer Seite faßte Maximilian die Sache;
er haͤtte nicht gelitten, daß dem Moͤnch Gewalt geſchaͤhe;
[86]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
er ließ ihn dem Churfuͤrſten von Sachſen noch beſonders
empfehlen: „man moͤchte ſeiner einmal beduͤrfen.“ Und ſeit-
dem war die Wirkung Luthers von Tage zu Tage gewach-
ſen. Der Papſt hatte ihn weder zu uͤberzeugen noch zu ſchrek-
ken, noch in ſeine Haͤnde zu bekommen vermocht. Man
glaube nicht, daß Leo die Gefahr mißkannte. Wie oft hat
er die Talente, von denen er zu Rom umgeben war, auf
dieſen Kampfplatz zu ziehen verſucht. Noch gab es aber auch
ein anderes Mittel. So wie er, wenn er ſich wider den
Kaiſer erklaͤrte, zu fuͤrchten hatte, eine ſo gefaͤhrliche Op-
poſition beſchuͤtzt und gefoͤrdert zu ſehn, ſo konnte er hof-
fen, wenn er ſich mit ihm verbinde, mit ſeiner Huͤlfe auch
die religioͤſe Neuerung zu unterdruͤcken.


Auf dem Reichstag von Worms im J. 1521 ward
uͤber die politiſchen und religioͤſen Verhaͤltniſſe unterhan-
delt. Leo ſchloß mit Carl V. einen Bund zur Wiederer-
oberung Mailands. Von dem nehmlichen Datum, von
welchem dieß Buͤndniß, iſt auch die Achtserklaͤrung, welche
uͤber Luther erging. Es moͤgen zu dieſer immerhin auch
noch andere Beweggruͤnde mitgewirkt haben: doch wird ſich
Niemand uͤberreden wollen, daß ſie nicht mit dem politi-
ſchen Tractat im naͤchſten Zuſammenhang geſtanden habe.


Und nicht lange ließ ſich der doppelſeitige Erfolg die-
ſes Bundes erwarten.


Luther ward auf der Wartburg gefangen und verbor-
gen gehalten 1). Die Italiener wollten ſogleich nicht glau-
[87]Unter LeoX.
ben, daß Carl ihn aus Gewiſſenhaftigkeit, um das ſichere
Geleit nicht zu brechen, habe ziehen laſſen; „da er be-
merkte,“ ſagen ſie, „daß ſich der Papſt vor der Lehre
Luthers fuͤrchtete, ſo wollte er ihn mit derſelben in Zaum
halten“ 1). Wie dem auch ſey, ſo verſchwand Luther al-
lerdings auf einen Augenblick von der Buͤhne der Welt;
er war gewiſſermaßen außer dem Geſetz, und der Papſt
hatte auf jeden Fall eine entſcheidende Maaßregel wider
ihn zu Wege gebracht.


Indeſſen waren auch die kaiſerlich paͤpſtlichen Waffen
in Italien gluͤcklich. Einer der naͤchſten Verwandten des
Papſtes, Sohn des Bruders ſeines Vaters, Cardinal Ju-
lius Medici, war ſelbſt im Felde, und zog mit in dem
eroberten Mailand ein. Man behauptete in Rom, der
Papſt denke ihm dieß Herzogthum zu. Ich finde dafuͤr doch
keinen rechten Beweis und ſchwerlich moͤchte ſich der Kai-
ſer ſo leicht dazu verſtanden haben. Allein auch ohne dieß
war der Vortheil nicht zu berechnen. Parma und Pia-
cenza waren wieder erobert, die Franzoſen entfernt; auf
den neuen Fuͤrſten in Mailand mußte der Papſt unaus-
bleiblich einen großen Einfluß erlangen.


Es war einer der wichtigſten Momente. Eine neue
politiſche Entwickelung war begonnen; eine große kirchliche
Bewegung eingetreten. Es war ein Augenblick, in wel-
chem der Papſt ſich ſchmeicheln konnte, jene zu leiten, die-
[88]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
ſer Einhalt gethan zu haben. Er war noch jung genug,
um zu hoffen, ihn ganz zu benutzen.


Sonderbares, truͤgeriſches Geſchick des Menſchen! Leo
war auf ſeiner Villa Malliana, als ihm die Nachricht von
dem Einzug der Seinen in Mailand gebracht ward. Er
gab ſich dem Gefuͤhl hin, in das ein gluͤcklich zu Ende
gefuͤhrtes Unternehmen zu verſetzen pflegt. Mit Vergnuͤ-
gen ſah er den Feſtlichkeiten zu, welche ſeine Leute des-
halb anſtellten; bis tief in die Nacht ging er zwiſchen dem
Fenſter und dem brennenden Kamin — es war im No-
vember — hin und her 1). Etwas erſchoͤpft, aber uͤber-
aus vergnuͤgt kam er nach Rom. Da hatte man noch
nicht das Siegesfeſt vollendet, als ihn der Anfall einer toͤdt-
lichen Krankheit ereilte. „Betet fuͤr mich,“ ſagte er zu
ſeinen Dienern, „ich mache euch noch alle gluͤcklich.“ Er
liebte das Leben, ſehen wir, doch war ſeine Stunde ge-
kommen. Er hatte nicht Zeit, das Sacrament und die
letzte Oelung zu empfangen. So ploͤtzlich, in ſo fruͤhen
Jahren, mitten in großen Hoffnungen, ſtarb er „wie der
Mohn hinwelkt“ 2).


[89]Unter LeoX.

Das roͤmiſche Volk konnte ihm nicht vergeben, daß
er ohne die Sacramente verſchieden war, daß er ſo viel
Geld ausgegeben hatte und doch Schulden genug zuruͤck-
ließ. Es begleitete ſeine Leiche mit Schmaͤhungen. „Wie
ein Fuchs,“ ſagten ſie, „haſt du dich eingeſchlichen, wie
ein Loͤwe haſt du regiert, wie ein Hund biſt du dahinge-
fahren.“ Die Nachwelt dagegen hat ein Jahrhundert und
eine große Entwickelung der Menſchheit mit ſeinem Na-
men bezeichnet 1).


Gluͤcklich haben wir ihn genannt. Nachdem er den
erſten Unfall, der nicht ſowohl ihn, als andre Mitglieder
ſeines Hauſes traf, uͤberſtanden, trug ihn ſein Geſchick von
Genuß zu Genuß, von Erfolg zu Erfolg. Grade die Wi-
derwaͤrtigkeiten mußten dienen, ihn emporzubringen. In
einer Art von geiſtiger Trunkenheit und immerwaͤhrender
Erfuͤllung ſeiner Wuͤnſche verfloß ihm ſein Leben. Es ge-
hoͤrte dazu, daß er ſo gutmuͤthig und freigebig, ſo bildungs-
faͤhig und voll Anerkennung war. Eben dieſe Eigenſchaf-
ten ſind die ſchoͤnſten Gaben der Natur, Gluͤcksguͤter, die
man ſich ſelten erwirbt, und die doch allen Genuß des Le-
bens bedingen. Die Geſchaͤfte ſtoͤrten ihn darin wenig.
Da er ſich nicht um das Detail bekuͤmmerte, da er ſie
nur im Großen anſah, ſo wurden ſie ihm nicht druͤckend
und beſchaͤftigten ihm nur die edelſten Faͤhigkeiten des Gei-
2)
[90]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
ſtes. Grade darin, daß er ihnen nicht jeden Tag und alle
Stunden widmete, mochte es fuͤr ihn liegen, daß er ſie
mit großer freier Ueberſicht behandelte, daß er in allen Ver-
wirrungen des Augenblicks die leitenden, den Weg vor-
zeichnenden Gedanken im Auge behielt. Die vornehmſte
Richtung gab er doch immer ſelber an. In ſeinem letz-
ten Moment trafen alle Beſtrebungen ſeiner Politik in freu-
digem Gelingen zuſammen. Wir koͤnnen es ſogar fuͤr ein
Gluͤck halten, daß er dann ſtarb. Es folgten andre Zei-
ten, und es iſt ſchwer zu glauben, daß er der Ungunſt
derſelben einen gluͤcklichen Widerſtand entgegengeſetzt haben
wuͤrde. Seine Nachfolger haben ihre ganze Schwere em-
pfunden.


Das Conclave zog ſich ſehr in die Laͤnge. „Herren,“
ſagte einſt der Cardinal Medici, den die Ruͤckkehr der
Feinde ſeines Hauſes nach Urbino und Perugia in Schrek-
ken ſetzte, ſo daß er ſelbſt fuͤr Florenz fuͤrchtete, „Herren,“
ſagte er, „ich ſehe daß von uns, die wir hier verſammelt
ſind, Keiner Papſt werden kann. Ich habe Euch drei oder
vier vorgeſchlagen, doch habt Ihr ſie zuruͤckgewieſen: dieje-
nigen, die Ihr in Vorſchlag bringt, kann ich dagegen auch
nicht annehmen. Wir muͤſſen uns nach Einem umſehen,
der nicht zugegen iſt.“ Beiſtimmend fragte man ihn, wen
er im Sinne habe. Nehmt, rief er aus, den Cardinal
von Tortoſa, einen ehrenwerthen bejahrten Mann, den man
allgemein fuͤr heilig achtet 1). Es war Adrian von Ut-
[91]Unter AdrianVI.
recht 1), fruͤher Profeſſor in Loͤwen, der Lehrer Carls V.,
durch deſſen perſoͤnliche Zuneigung er zu dem Amt eines
Governators von Spanien, zu der Wuͤrde eines Cardinals
befoͤrdert worden war. Cardinal Cajetan, der ſonſt nicht
zu der mediceiſchen Partei gehoͤrte, erhob ſich, den Vorge-
ſchlagenen zu loben. Wer haͤtte glauben ſollen, daß die
Cardinaͤle, von jeher gewohnt, ihren perſoͤnlichen Vortheil
bei einer Papſtwahl in Anſchlag zu bringen, auf einen Ent-
fernten, einen Niederlaͤnder fallen wuͤrden, den die Wenig-
ſten kannten, von dem ſich Keiner einen Vortheil ausbe-
dingen konnte? Sie ließen ſich von dem unerwarteten An-
ſtoß, den ſie empfingen, dazu fortreißen. Als es geſche-
hen war, wußten ſie ſelbſt nicht recht, wie ſie dazu gekom-
men. Sie waren todt vor Schrecken, ſagt einer unſerer
Berichterſtatter. Man behauptet, ſie haͤtten ſich noch ei-
nen Augenblick uͤberredet, er wuͤrde es nicht annehmen.
Pasquin ſpottete ihrer: er ſtellte den Gewaͤhlten als Praͤ-
ceptor dar: die Cardinaͤle als die Schulknaben, die er
zuͤchtige.


Einen wuͤrdigeren Mann hatte aber die Wahl lange
nicht getroffen. Adrian war von durchaus unbeſcholtenem
1)
[92]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Ruf; rechtſchaffen, fromm, thaͤtig; ſehr ernſthaft, man ſah
ihn nie anders als leiſe mit den Lippen laͤcheln: aber voll
wohlwollender, reiner Abſichten: ein wahrer Geiſtlicher 1).
Welch ein Gegenſatz, als er nun dort einzog, wo Leo ſo
praͤchtig und verſchwenderiſch Hof gehalten. Es exiſtirt
ein Brief von ihm, in welchem er ſagt: er moͤchte lieber
in ſeiner Probſtei zu Loͤwen Gott dienen, als Papſt ſeyn 2).
In dem Vatican ſetzte er in der That ſein Profeſſorenleben
fort. Es bezeichnet ihn und man erlaube es uns anzu-
fuͤhren, daß er ſich ſogar ſeine alte Aufwaͤrterin mitge-
bracht hatte, die ihm, nach wie vor, ſeine haͤuslichen Be-
duͤrfniſſe beſorgte. Auch in ſeiner ſonſtigen Lebensweiſe
aͤnderte er nichts. Mit dem fruͤheſten Morgen ſtand er
auf: las ſeine Meſſe: und ging dann in der gewohnten
Ordnung an ſeine Geſchaͤfte, ſeine Studien, die er nur mit
dem einfachſten Mittagsmahl unterbrach. Man kann nicht
ſagen, daß ihm die Bildung ſeines Jahrhunderts fremd
geweſen ſey; er liebte die niederlaͤndiſche Kunſt, und ſchaͤtzte
an der Gelehrſamkeit einen Anflug von Eleganz. Erasmus
[93]Unter AdrianVI.
bekennt, allein von ihm gegen die Angriffe der zelotiſchen
Scholaſtiker vertheidigt worden zu ſeyn 1). Nur die bei-
nahe heidniſche Richtung, der man ſich damals zu Rom
hingegeben, mißbilligte er: und von der Secte der Poeten
wollte er nichts wiſſen.


Niemand konnte ernſtlicher wuͤnſchen, als Adrian VI.,
— er behielt ſeinen Namen bei — die Uebelſtaͤnde zu hei-
len, die er in der Chriſtenheit antraf.


Der Fortgang der tuͤrkiſchen Waffen, der Fall von
Belgrad und Rhodus gab ihm noch einen beſondern An-
trieb, um auf die Herſtellung des Friedens zwiſchen den
chriſtlichen Maͤchten zu denken. Wiewohl er der Lehrer
des Kaiſers geweſen, nahm er doch ſofort eine neutrale
Stellung an. Der kaiſerliche Geſandte, der ihn bei dem
neu ausbrechenden Kriege zu einer entſcheidenden Erklaͤrung
zu Gunſten ſeines Zoͤglings zu bewegen gehofft, mußte
Rom unverrichteter Dinge verlaſſen 2). Als man dem
Papſt die Nachricht von der Eroberung von Rhodus vor-
las, ſah er zur Erde: er ſagte kein Wort: er ſeufzte tief 3).
Die Gefahr von Ungarn war einleuchtend. Er fuͤrchtete
[94]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
ſelbſt fuͤr Italien und fuͤr Rom. Sein ganzes Bemuͤhen
war, wenn nicht ſogleich einen Frieden, doch zunaͤchſt ei-
nen Stillſtand auf drei Jahr zu Stande zu bringen, um
indeſſen einen allgemeinen Feldzug wider die Tuͤrken vor-
zubereiten.


Nicht minder war er entſchloſſen, den Forderungen
der Deutſchen entgegenzukommen. Ueber die Mißbraͤuche,
die in der Kirche eingeriſſen waren, kann man ſich nicht
entſchiedener ausdruͤcken, als er ſelbſt es that. „Wir wiſ-
ſen,“ ſagt er in der Inſtruction fuͤr den Nuntius Chiere-
gato, den er an den Reichstag ſendete, „daß eine geraume
Zeit daher viel Verabſcheuungswuͤrdiges bei dem heiligen
Stuhle Statt gefunden hat; Mißbraͤuche in geiſtlichen Din-
gen: Ueberſchreitung der Befugniſſe; alles iſt zum Boͤſen
verkehrt worden. Von dem Haupte iſt das Verderben in
die Glieder, von dem Papſte uͤber die Praͤlaten ausgebrei-
tet worden; wir ſind alle abgewichen: es iſt Keiner, der
Gutes gethan, auch nicht einer.“ Er dagegen verſprach nun
alles, was einem guten Papſt zukomme: die Tugendhaften
und Gelehrten zu befoͤrdern, die Mißbraͤuche, wenn nicht
auf einmal, doch nach und nach abzuſtellen; eine Refor-
mation an Haupt und Gliedern, wie man ſie ſo oft ver-
langt hatte, ließ er hoffen 1).


Allein nicht ſo leicht iſt die Welt ins Gleiche zu
ſetzen. Der gute Wille eines Einzigen, wie hoch er auch
ſtehe, reicht dazu lange nicht hin. Zu tiefe Wurzeln pflegt
[95]Unter AdrianVI.
der Mißbrauch zu ſchlagen: mit dem Leben ſelbſt iſt er
verwachſen.


Es fehlte viel, daß der Fall von Rhodus die Fran-
zoſen bewogen haͤtte, Frieden einzugehn: ſie ſahen vielmehr,
daß dieſer Verluſt dem Kaiſer eine neue Beſchaͤftigung ge-
ben werde, und faßten ihrerſeits deſto groͤßere Abſichten
wider ihn. Nicht ohne Mitwiſſen desjenigen Cardinals,
dem Adrian noch am meiſten vertrauete, knuͤpften ſie Ver-
bindungen in Sicilien an, und machten einen Anſchlag auf
dieſe Inſel. Der Papſt fand ſich bewogen, zuletzt noch
ſelbſt einen Bund mit dem Kaiſer einzugehen, der weſent-
lich wider Frankreich gerichtet war.


Auch den Deutſchen war mit dem, was man ſonſt
eine Reformation an Haupt und Gliedern genannt, nicht
mehr zu helfen. Und ſelbſt eine ſolche, wie ſchwer, faſt
unausfuͤhrbar war ſie!


Wollte der Papſt bisherige Gefaͤlle der Curie aufhe-
ben, in denen er einen Schein von Simonie bemerkte,
ſo vermochte er das nicht, ohne die wohlerworbenen
Rechte derjenigen zu kraͤnken, deren Aemter auf jene Ge-
faͤlle gegruͤndet waren, Aemter, die ſie in der Regel gekauft
hatten.


Beabſichtigte er eine Veraͤnderung in den Ehedispenſen
zu treffen, und etwa einige bisherige Verbote aufzuheben, ſo
ſtellte man ihm vor, daß die Kirchendisciplin damit nur
verletzt und geſchwaͤcht werde.


Um dem Unweſen des Ablaſſes zu ſteuern, haͤtte er gern
die alten Buͤßungen wieder hergeſtellt; allein die Peniten-
ziaria machte ihn aufmerkſam, daß er alsdann Gefahr
[96]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
laufe, indem er Deutſchland zu behaupten ſuche, Italien
zu verlieren 1).


Genug bei jedem Schritte ſah er ſich von tauſend
Schwierigkeiten umgeben.


Dazu kam, daß er ſich zu Rom in einem fremden
Element befand, das er ſchon darum nicht beherrſchen
konnte, weil er es nicht kannte, ſeine innern Lebenstriebe
nicht verſtand. Man hatte ihn mit Freuden empfangen:
man erzaͤhlte ſich, er habe bei 5000 erledigte Beneficien
zu vergeben, und Jedermann machte ſich Hoffnung. Nie-
mals aber zeigte ſich ein Papſt hierin zuruͤckhaltender.
Adrian wollte wiſſen, wen er verſorge, wem er die Stel-
len anvertraue: mit ſcrupuloͤſer Gewiſſenhaftigkeit ging er
hierin zu Werke 2); er taͤuſchte unzaͤhlige Erwartungen.
Der erſte Beſchluß ſeines Pontificates war geweſen, die
Anwartſchaften abzuſtellen, die man bisher auf geiſtliche
Wuͤrden ertheilt hatte: ſelbſt die, welche ſchon verliehen
worden, hatte er zuruͤckgenommen. Es konnte nicht fehlen:
als er dieſen Beſchluß in Rom publicirte, mußte er ſich
damit bittere Feindſchaften in Menge zuziehen. Man
hatte bisher an dem Hofe eine gewiſſe Freiheit des Re-
dens, des Schreibens genoſſen: er wollte ſie nicht fer-
ner
[97]Unter AdrianVI.
ner geſtatten. Daß er bei der Erſchoͤpfung der paͤpſtlichen
Kaſſen und dem wachſenden Beduͤrfniß einige neue Aufla-
gen machte, fand man unertraͤglich von ihm, der ſo wenig
aufwende. Alles ward mißvergnuͤgt 1). Er empfand es
wohl: es wirkte auf ihn zuruͤck. Den Italienern traute
er noch weniger als bisher: die beiden Niederlaͤnder, de-
nen er Einfluß geſtattete, Enkefort und Hezius, jener ſein
Datar, dieſer ſein Secretaͤr, waren der Geſchaͤfte und des
Hofes nicht kundig; er ſelbſt konnte ſie unmoͤglich uͤberſe-
hen: auch wollte er noch immer ſtudiren, nicht allein le-
ſen, ſondern ſogar ſchreiben; zugaͤnglich war er nicht ſehr;
die Sachen wurden aufgeſchoben, in die Laͤnge gezogen,
ungeſchickt behandelt.


So kam es denn, daß in den wichtigſten allgemeinen
Angelegenheiten nichts ausgerichtet wurde. Der Krieg ging
in Oberitalien wieder an. In Deutſchland trat Luther
aufs neue hervor. In Rom, das uͤberdieß von der Peſt
heimgeſucht worden war, bemaͤchtigte ſich ein allgemeines
Mißvergnuͤgen der Gemuͤther.


Adrian hat einmal geſagt: wie viel traͤgt es aus, in
welche Zeiten auch der beſte Mann faͤllt. Das ganze Ge-
fuͤhl ſeiner Stellung iſt in dieſem ſchmerzlichen Ausruf ent-
halten. Mit Recht hat man ihn auf ſeinem Denkmal in
der deutſchen Kirche zu Rom eingegraben.


7
[98]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.

Wenigſtens iſt es nicht allein der Perſoͤnlichkeit Adrians
zuzuſchreiben, wenn ſeine Zeiten unfruchtbar an Erfolgen
blieben. Das Papſtthum war von großen weltbeherrſchen-
den Nothwendigkeiten umgeben, die auch einem, in den
Geſchaͤften deſſelben gewandteren, der Perſonen und der Mit-
tel kundigeren Manne unendlich viel zu ſchaffen machen
konnten.


Unter allen Cardinaͤlen gab es Keinen, der fuͤr die
Verwaltung des Papſtthums geeigneter, dieſer Laſt mehr
gewachſen zu ſeyn geſchienen haͤtte, als Julius Medici.
Unter Leo hatte er ſchon den groͤßten Theil der Geſchaͤfte,
das ganze Detail in Haͤnden gehabt. Selbſt unter Adrian
hatte er einen gewiſſen Einfluß behauptet 1). Dießmal
ließ er ſich die hoͤchſte Wuͤrde nicht wieder entgehen. Er
nannte ſich Clemens VII.


Mit vieler Sorgfalt vermied der neue Papſt die Ue-
belſtaͤnde, die unter ſeinen beiden Vorgaͤngern hervorgetre-
ten waren: die Unzuverlaͤſſigkeiten, Vergeudungen und an-
ſtoͤßigen Gewohnheiten Leo’s, ſo wie den Widerſtreit in
den ſich Adrian mit den Richtungen ſeines Hofes einge-
laſſen hatte; es ging alles vernuͤnftig her; wenigſtens an
ihm ſelber nahm man nichts als Unbeſcholtenheit und Maͤ-
ßigung wahr 2); die pontificalen Ceremonien wurden ſorg-
faͤltig vollzogen, die Audienzen unermuͤdlich von fruͤh bis
[99]Unter ClemensVII.
Abend abgewartet; Wiſſenſchaften und Kuͤnſte in der Rich-
tung, die ſie nun einmal eingeſchlagen hatten, befoͤrdert.
Clemens VII. war ſelbſt ſehr wohl unterrichtet. Mit eben
ſo viel Sachkunde, wie uͤber philoſophiſche und theologi-
ſche Fragen, wußte er ſich uͤber Gegenſtaͤnde der Mechanik
und Waſſerbaukunſt zu unterhalten. In allen Dingen
zeigte er ungewoͤhnlichen Scharfſinn; er penetrirte die ſchwie-
rigſten Angelegenheiten und ſah ihnen bis auf den Grund;
man konnte Niemand mit groͤßerer Gewandtheit discuriren
hoͤren. Unter Leo hatte er ſich in klugem Rath und um-
ſichtiger Ausfuͤhrung unuͤbertrefflich erwieſen.


Allein erſt im Sturme bewaͤhrt ſich der Steuermann.
Er uͤbernahm das Papſtthum, wenn wir es auch nur als
italieniſches Fuͤrſtenthum betrachten, in einer uͤberaus be-
denklichen Lage.


Die Spanier hatten zur Erweiterung und Behauptung
des Kirchenſtaates das Meiſte beigetragen; ſie hatten die
Medici in Florenz hergeſtellt. In dieſem Bunde mit den
Paͤpſten, mit dem Hauſe Medici waren ſie dann ſelber in
Italien emporgekommen. Alexander VI. hatte ihnen das
untere Italien eroͤffnet; Julius hatte ſie nach dem mittlern
gefuͤhrt; durch den mit Leo gemeinſchaftlich unternomme-
nen Angriff auf Mailand waren ſie Herren in dem oberen
geworden. Clemens ſelbſt hatte hierzu nicht wenig beige-
tragen. Es exiſtirt eine Inſtruction von ihm fuͤr einen
ſeiner Geſandten an dem ſpaniſchen Hofe, in der er die
2)
7*
[100]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Dienſte aufzaͤhlt, die er Carl V. und ſeinem Hauſe gelei-
ſtet habe. Er vor allem habe bewirkt, daß Franz I. bei
ſeiner erſten Ankunft nicht nach Neapel vorgedrungen; durch
ihn ſey es geſchehn, daß Leo der Wahl Carls V. zum
Kaiſer nichts in den Weg gelegt, und die alte Conſtitu-
tion, vermoͤge deren kein Koͤnig von Neapel zugleich Kai-
ſer ſeyn duͤrfe, aufgehoben habe; trotz aller Verſprechun-
gen der Franzoſen habe er doch die Verbindung Leo’s mit
Carl zur Wiedereroberung von Mailand befoͤrdert, und zu
dieſem Erfolg weder das Vermoͤgen ſeines Vaterlandes und
ſeiner Freunde, noch ſeine eigene Perſon geſpart; er habe
Adrian VI. das Papſtthum verſchafft, und damals habe
es faſt kein Unterſchied zu ſeyn geſchienen, ob man Adrian
oder den Kaiſer ſelbſt zum Papſt mache 1). Ich will
nicht unterſuchen, wie viel von der Politik Leo’s X.
dem Rathgeber und wie viel dem Fuͤrſten angehoͤrt; ge-
wiß iſt es, daß Cardinal Medici immer auf Seiten des
Kaiſers war. Auch nachdem er Papſt geworden, unter-
ſtuͤtzte er die kaiſerlichen Truppen mit Geld, Lebensmitteln
und der Gewaͤhrung geiſtlicher Gefaͤlle; noch einmal ver-
dankten ſie ihren Sieg zum Theil ſeiner Unterſtuͤtzung.


So enge war Clemens mit den Spaniern verbuͤn-
det; wie es aber nicht ſelten geſchieht, in den Erfolgen ih-
res Bundes traten ungemeine Uebelſtaͤnde hervor.


Die Paͤpſte hatten den Fortgang der ſpaniſchen Macht
veranlaßt, doch niemals eigentlich beabſichtigt. Sie hat-
[101]Unter ClemensVII.
ten Mailand den Franzoſen entreißen, an die Spanier hat-
ten ſie es nicht bringen wollen. Vielmehr war eben des-
halb mehr als ein Krieg gefuͤhrt worden, um Mailand und
Neapel nicht an den nehmlichen Beſitzer fallen zu laſſen 1);
daß nun die Spanier, ſchon ſo lange Meiſter von Unter-
italien, ſich in der Lombardei taͤglich feſter ſetzten, daß ſie
die Belehnung des Sforza verzoͤgerten, empfand man zu
Rom mit Ungeduld und Widerwillen.


Clemens war auch perſoͤnlich mißvergnuͤgt: aus jener
Inſtruction ſehen wir, daß er ſchon als Cardinal oft
nicht nach ſeinem Verdienſte beruͤckſichtigt worden zu ſeyn
glaubte; noch immer gab man wenig auf ihn, und aus-
druͤcklich wider ſeinen Rath unternahm man den Angriff
auf Marſeille im Jahre 1524. Seine Miniſter — ſie ſa-
gen es ſelbſt — erwarteten immer groͤßere Mißachtung des
apoſtoliſchen Stuhles; ſie nahmen in den Spaniern nichts
als Herrſchſucht und Inſolenz wahr 2).


Wie ſehr ſchien Clemens durch den bisherigen Gang
der Dinge, und ſeine perſoͤnliche Stellung, mit den Banden
der Nothwendigkeit und des Willens an die Spanier ge-
bunden zu ſeyn! Nunmehr ſtellten ſich ihm tauſend Gruͤnde
dar, die Macht zu verwuͤnſchen, die er gruͤnden helfen,
ſich eben denen zu widerſetzen, die er bisher beguͤnſtigt
und befoͤrdert hatte.


[102]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.

Von allen politiſchen Unternehmungen iſt es vielleicht
die ſchwerſte, eine Linie zu verlaſſen, auf der man ſich bis-
her bewegt, Erfolge ruͤckgaͤngig zu machen, die man ſelber
hervorgerufen.


Und wie viel kam dießmal darauf an! Die Italie-
ner fuͤhlten ganz, daß es eine Entſcheidung auf Jahrhun-
derte galt. Es hatte ſich in der Nation ein großes Ge-
meingefuͤhl hervorgethan. Ich glaube wohl, daß die li-
terariſch-kuͤnſtleriſche Ausbildung, ſo weit hervorragend
uͤber alles, was andere Nationen leiſteten, dazu das Meiſte
beitrug. Auch zeigte ſich die Hoffart und Habgier der
Spanier, der Anfuͤhrer ſo gut wie der Gemeinen, wahr-
haft unertraͤglich. Es war eine Miſchung von Verachtung
und Ingrimm, mit der man dieſe fremdgeborenen halbbarba-
riſchen Herrſcher im Lande ſah. Noch lagen die Dinge ſo,
daß man ſich ihrer vielleicht entledigen konnte. Aber man
mußte ſich nicht verbergen: wenn man es nicht mit allen
nationalen Kraͤften unternahm, wenn man unterlag, ſo war
man auf immer verloren.


Ich wuͤnſchte wohl, die Entwickelung dieſer Periode,
in ihrer Fuͤlle, den ganzen Kampf der aufgeregten Kraͤfte
ausfuͤhrlich darſtellen zu koͤnnen. Hier duͤrfen wir nur
einige Hauptmomente deſſelben begleiten.


Man begann damit, und es ſchien uͤberaus wohl aus-
geſonnen, daß man im Jahre 1525 den beſten General
des Kaiſers, der allerdings ſehr mißvergnuͤgt war, an ſich
zu ziehen ſuchte. Was brauchte man weiter, wenn man,
wie man hoffte, dem Kaiſer mit dem General die Armee
entzog, durch die er Italien beherrſchte. Man ließ es an
[103]Unter ClemensVII.
Verſprechungen nicht fehlen, ſelbſt eine Krone ſagte man
zu. Allein wie falſch war doch die Rechnung! wie ſchei-
terte die ihrer Feinheit ſich bewußte Klugheit an dem ſproͤ-
den Stoffe, auf den ſie ſtieß, ſo gaͤnzlich! Dieſer Ge-
neral, Pescara, war zwar in Italien geboren, aber aus
ſpaniſchem Gebluͤt; er ſprach nur ſpaniſch; er wollte nichts
ſeyn als ein Spanier; an der italieniſchen Cultur hatte er
keinen Theil; ſeine Bildung verdankte er den ſpaniſchen
Romanen, die nichts als Loyalitaͤt und Treue athmen.
Einer national italieniſchen Unternehmung war er von Na-
tur entgegen 1). Kaum hatte man ihm den Antrag ge-
macht, ſo zeigte er ihn ſeinen Cameraden, er zeigte ihn
dem Kaiſer an; er benutzte ihn nur, um die Italiener aus-
zuforſchen und alle ihre Plaͤne zu hintertreiben.


Eben hierdurch aber — denn wie haͤtte nicht alles
gegenſeitige Vertrauen nunmehr vollends verſchwinden ſol-
len — ward ein entſcheidender Kampf mit dem Kaiſer ganz
unvermeidlich.


Im Sommer 1526 ſehen wir endlich die Italiener
mit eigenen Kraͤften ans Werk gehen. Die Mailaͤnder
ſind bereits im Aufſtand wider die Kaiſerlichen. Ein ve-
nezianiſches und ein paͤpſtliches Heer ruͤcken heran, um ih-
[104]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
nen beizuſtehen. Man hat das Verſprechen ſchweizeriſcher
Huͤlfe: man iſt im Bunde mit Frankreich und England.
„Dießmal,“ ſagt der vertrauteſte Miniſter Clemens VII.,
Giberto, „gilt es nicht eine kleinliche Rache, einen Ehren-
punkt, eine einzelne Stadt; — dieſer Krieg entſcheidet die
Befreiung oder die ewige Sklaverei von Italien.“ Er zwei-
felt nicht an dem gluͤcklichen Ausgange. „Die Nachkom-
men werden neidiſch ſeyn, daß ſie nicht in unſere Zeiten
gefallen, um ein ſo großes Gluͤck erlebt, daran Theil ge-
nommen zu haben.“ Er hofft, man werde der Fremden
nicht beduͤrfen. „Unſer allein wird der Ruhm, die Frucht
um ſo ſuͤßer ſeyn“ 1).


In dieſen Gedanken und Hoffnungen unternahm Cle-
mens ſeinen Krieg wider die Spanier 2). Es war ſein
kuͤhnſter und großartigſter, ungluͤcklichſter, verderblichſter
Gedanke.


Auf das engſte ſind die Sachen des Staats und der
Kirche verflochten. Der Papſt ſchien die deutſchen Bewe-
gungen ganz außer Acht gelaſſen zu haben. In dieſen
zeigte ſich die erſte Ruͤckwirkung.


In dem Moment, daß die Truppen Clemens VII. in
Oberitalien vorruͤckten, hatte ſich der Reichstag zu Speier
verſammelt, um uͤber die kirchlichen Irrungen einen de-
finitiven Beſchluß zu faſſen. Daß die kaiſerliche Partei,
[105]Unter ClemensVII.
daß Ferdinand von Oeſtreich, der des Kaiſers Stelle ver-
trat, in einem Augenblick, in welchem ſie jenſeits der Al-
pen von dem Papſt auf das ernſtlichſte angegriffen waren,
— Ferdinand ſelbſt hegte eine Abſicht auf Mailand —
dieſſeit derſelben die paͤpſtliche Gewalt aufrecht zu erhalten
ſich ſehr angelegen laſſen ſeyn ſollten, laͤuft voͤllig wider
die Natur der Dinge. Was man auch fruͤher beabſichtigt,
angekuͤndigt haben mochte 1), durch den offenen Krieg, in
den man mit dem Papſt gerathen war, fielen alle Ruͤck-
ſichten weg, die man fuͤr ihn haben konnte. Niemals
aͤußerten ſich die Staͤdte freier; niemals drangen die
Fuͤrſten ernſtlicher auf eine Erledigung ihrer Beſchwer-
den: man hat den Antrag gemacht, die Buͤcher, in denen
die neueren Satzungen enthalten, lieber geradezu zu verbren-
nen, und nur die heilige Schrift zur Regel zu nehmen;
obwohl ſich ein gewiſſer Widerſtand regte, ſo wurde doch
niemals ein ſelbſtſtaͤndigerer Beſchluß gefaßt. Ferdinand
unterzeichnete einen Reichsabſchied, kraft deſſen es den
Staͤnden freigeſtellt ward, ſich in Sachen der Religion ſo
zu verhalten, wie es ein Jeder gegen Gott und den Kai-
ſer zu verantworten gedenke, d. i. nach ſeinem Ermeſſen zu
verfahren. Ein Beſchluß, in welchem des Papſtes auch
nicht einmal gedacht wird, der als der Anfang der eigent-
lichen Reformation, der Einrichtung einer neuen Kirche in
Deutſchland betrachtet werden kann. In Sachſen, Heſſen
und den benachbarten Laͤndern nahm ſie ſofort ihren An-
[106]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
fang. Die proteſtantiſche Partei bekam dadurch eine un-
gemeine Foͤrderung: ihre legale Exiſtenz gruͤndete ſich
darauf.


Wir duͤrfen ſagen, daß dieſe Stimmung von Deutſch-
land auch fuͤr Italien entſcheidend wurde. Es fehlte viel,
daß die Italiener ſaͤmmtlich fuͤr ihre große Unternehmung
begeiſtert, daß nur diejenigen, die an derſelben Theil nah-
men, unter einander einig geweſen waͤren. Der Papſt, ſo
geiſtreich, ſo italieniſch geſinnt er auch ſeyn mochte, war
doch kein Mann, wie ihn das Schickſal fordert, um von
ihm gefeſſelt zu werden. Sein Scharfſinn ſchien ihm zu-
weilen zu ſchaden. Mehr als gut iſt, ſchien er zu wiſſen
daß er der ſchwaͤchere war; alle Moͤglichkeiten, die Gefah-
ren von allen Seiten ſtellten ſich ihm dar und verwirrten
ihn. Es giebt eine praktiſche Erfindungsgabe, die in den
Geſchaͤften das Einfache wahrnimmt, das Thunliche oder
Rathſame mit Sicherheit ergreift. Er beſaß ſie nicht 1).
In den wichtigſten Momenten ſah man ihn zaudern,
ſchwanken, auf Gelderſparniß denken. Da ihm nun auch
ſeine Verbuͤndeten nicht Wort hielten, ſo war es zu den Erfol-
gen, die man gehofft, bei weitem nicht gekommen, und noch
immer hielten ſich die Kaiſerlichen in der Lombardei, —
als im Nov. 1526 Georg Frundsberg mit einem ſtattlichen
Heer von Landsknechten die Alpen uͤberſtieg, um dieſen
[107]Unter ClemensVII.
Kampf zu Ende zu bringen. Sie waren ſaͤmmtlich lutheriſch
geſinnt, er und ſeine Leute. Sie kamen den Kaiſer am Papſt
zu raͤchen. Deſſen Bundesbruͤchigkeit hatte man ihnen als
die Urſache alles Unheils, des fortdauernden Krieges der
Chriſtenheit, und des Gluͤckes der Osmanen, die ebenda-
mals Ungarn uͤberwanden, dargeſtellt. „Komm’ ich nach
Rom,“ ſagte Frundsberg, „ſo will ich den Papſt henken.“


Mit Beſorgniß ſieht man das Ungewitter aufſteigen,
den Horizont einnehmen und heranziehen. Dieſes Rom,
ſo voll es mag ſeyn von Laſtern, aber nicht minder von
edlem Beſtreben, Geiſt und Bildung, productiv, geſchmuͤckt
mit unuͤbertrefflichen Kunſtwerken, wie ſie die Welt nicht
wieder hervorgebracht, einem Reichthum, durch das Ge-
praͤge des Geiſtes geadelt, und von lebendiger Fortwir-
kung, iſt von dem Verderben bedroht. Wie ſich die Maſ-
ſen der Kaiſerlichen geſammelt, zerſtieben vor ihnen die ita-
lieniſchen Schaaren: die einzige Armee, die es noch giebt,
folgt ihnen von ferne. Der Kaiſer, der ſein Heer ſchon
lange nicht bezahlen koͤnnen, vermag ihm, wenn er auch
will, keine andere Richtung zu geben. Es zieht einher
unter den kaiſerlichen Fahnen, doch folgt es ſeinem eige-
nen ſtuͤrmiſchen Antriebe. Der Papſt hofft noch, unter-
handelt, fuͤgt ſich, ſchließt ab: aber das einzige Mittel, das
ihn retten kann — das Heer mit dem Gelde zu befriedi-
gen, das es fordern zu duͤrfen glaubt — will er oder kann
er nicht ergreifen. Wird man ſich dann wenigſtens mit
den Waffen, die man hat, dem Feinde ernſtlich entgegen-
ſetzen? Viertauſend Mann haͤtten hingereicht, die Paͤſſe
von Toscana zu ſchließen; jedoch macht man nicht ein-
[108]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
mal den Verſuch dazu. Rom zaͤhlte vielleicht 30000 waf-
fenfaͤhige Maͤnner; viele von ihnen hatten den Krieg ge-
ſehn: ſie gingen mit Schwertern an den Seiten, ſchlugen
ſich unter einander, und vermaßen ſich hoher Dinge. Aber
um dem Feinde, der die gewiſſe Zerſtoͤrung brachte, zu wi-
derſtehen, brachte man aus der Stadt nie uͤber 500 Mann
zuſammen. Der erſte Angriff uͤberwand den Papſt und ſeine
Macht. Am 6. Mai 1527, zwei Stunden vor Sonnen-
untergang, drangen die Kaiſerlichen in Rom ein. Der
alte Frundsberg war nicht mehr bei ihnen; als er einſt
bei einem Auflauf den gewohnten Gehorſam nicht fand,
war er vom Schlag geruͤhrt worden und krank zuruͤckge-
blieben. Bourbon, der das Heer ſo weit gefuͤhrt, war
beim erſten Anlegen der Sturmleiter umgekommen; von
keinem Anfuͤhrer in Zaum und Maͤßigung gehalten, ergoß
ſich der blutduͤrſtige, durch lange Entbehrungen verhaͤrtete,
von ſeinem Handwerk verwilderte Soldat uͤber die Stadt.
Nie fiel eine reichere Beute einer gewaltſameren Truppe in
die Haͤnde; nie gab es eine laͤngere, anhaltendere, verderb-
lichere Pluͤnderung 1). Der Glanz von Rom erfuͤllt den
Anfang des 16ten Jahrhunderts; er bezeichnet eine bewun-
derungswuͤrdige Periode menſchlicher Geiſtesentwickelung;
mit dieſem Tage ging ſie zu Ende.


[109]Unter ClemensVII.

Und ſo ſah ſich der Papſt, der Italien befreien wol-
len, in der Engelsburg belagert und gleichſam gefangen.
Wir koͤnnen ſagen: durch dieſen großen Schlag war das
Uebergewicht der Spanier in Italien unwiderruflich be-
gruͤndet.


Ein neuer Angriff der Franzoſen, vielverſprechend im
Anfang, mißlang doch zuletzt vollſtaͤndig: ſie bequemten ſich,
auf alle ihre italieniſchen Anſpruͤche Verzicht zu leiſten.


Nicht minder wichtig ward ein anderes Ereigniß.
Noch ehe Rom erobert worden, als man nur ſah, daß
Bourbon den Weg dahin genommen, hatten zu Florenz
die Feinde der Medici die Verwirrungen des Augenblicks
benutzt und das Haus des Papſtes aufs neue verjagt.
Faſt noch ſchmerzlicher empfand Clemens den Abfall ſeiner
Vaterſtadt, als die Einnahme von Rom. Mit Verwun-
derung bemerkte man, daß er nach ſo ſchweren Beleidigun-
gen doch wieder mit den Kaiſerlichen anknuͤpfte. Es kam
daher, weil er in der Huͤlfe der Spanier das einzige Mit-
tel ſah, ſeine Verwandten, ſeine Partei nach Florenz zu-
ruͤckzufuͤhren. Es ſchien ihm beſſer, die Uebermacht des
Kaiſers, als die Widerſetzlichkeit ſeiner Rebellen zu dulden.
Je ſchlechter es den Franzoſen ging, deſto mehr naͤherte
er ſich den Spaniern. Als jene endlich voͤllig geſchlagen
waren, ſchloß er mit dieſen ſeine Abkunft zu Barcelona;
ſo ganz aͤnderte er ſeine Politik, daß er ſich der nemlichen
Armee, die Rom vor ſeinen Augen erobert und ihn ſo
lange belagert gehalten, daß er ſich dieſer, die nur ver-
juͤngt und erneuert worden, nunmehr ſelber bediente, um
ſich ſeine Vaterſtadt wieder zu unterwerfen.


[110]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.

Seitdem war Carl maͤchtiger in Italien, als ſeit vie-
len Jahrhunderten ein anderer Kaiſer. Die Krone, die er
zu Bologna empfing, hatte einmal wieder ihre volle Be-
deutung. Mailand gehorchte ihm allmaͤhlig nicht weni-
ger als Neapel; auf Toscana hatte er eben deshalb, weil
er die Medici in Florenz hergeſtellt, ſein Lebenlang unmit-
telbaren Einfluß; die uͤbrigen ſchloſſen ſich an oder fuͤg-
ten ſich; zugleich mit den Kraͤften von Spanien und von
Deutſchland, von dem ſuͤdlichen Meer und den Alpen her,
mit ſiegreichen Waffen und den Rechten des Kaiſerthums
hielt er Italien in Unterwerfung.


Dahin fuͤhrte der Gang der italieniſchen Kriege. Seit-
dem haben die auswaͤrtigen Nationen nicht aufgehoͤrt, in
Italien zu regieren. Betrachten wir noch, wie die religioͤ-
ſen Irrungen ſich entwickelten, die mit den politiſchen ſo
genau zuſammenhaͤngen.


Wenn der Papſt ſich darin ergab, rings um ſich her
die Spanier maͤchtig zu ſehen, ſo hoffte er wenigſtens
durch dieſen gewaltigen Kaiſer, den man ihm katholiſch
und devot ſchilderte, ſeine Autoritaͤt in Deutſchland herge-
ſtellt zu ſehn. Gleich ein Artikel des Friedens von Bar-
celona enthielt dieß. Der Kaiſer verſprach, aus allen ſei-
nen Kraͤften die Reduction der Proteſtanten zu befoͤrdern.
Auch ſchien er dazu entſchloſſen. Den proteſtantiſchen Ge-
ſandten, die ihn in Italien aufſuchten, gab er eine ſehr
ungnaͤdige Antwort. An ſeine Reiſe nach Deutſchland, im
[111]Unter ClemensVII.
Jahre 1530, knuͤpften einige Mitglieder der Curie, beſon-
ders der Legat, den man ihm mitgegeben, Cardinal Cam-
peggi, kuͤhne und fuͤr unſer Vaterland hoͤchſt gefaͤhrliche
Entwuͤrfe.


Es exiſtirt eine Eingabe von ihm an den Kaiſer, zur
Zeit des Reichstages von Augsburg, in der er ſie aus-
ſpricht. Mit Widerwillen und ungern, aber der Wahrheit
zur Steuer, muß ich von derſelben ein Wort ſagen.


Cardinal Campeggi begnuͤgte ſich nicht, die religioͤſen
Verwirrungen zu beklagen; er bemerkte beſonders die po-
litiſchen Folgen: wie in den Reichsſtaͤdten der Adel durch
die Reformation herabgekommen, wie weder ein geiſtlicher
noch ſelbſt ein weltlicher Fuͤrſt rechten Gehorſam mehr
finde, ſogar auf die Majeſtaͤt des Kaiſers nehme man keine
Ruͤckſicht mehr. Er giebt dann an, wie man dem Uebel
begegnen koͤnne.


Nicht ſehr tief liegt das Geheimniß ſeiner Mittel. Es
bedarf nichts, meint er, als daß ein Bund zwiſchen dem
Kaiſer und den wohlgeſinnten Fuͤrſten geſchloſſen werde;
hierauf verſucht man die Abgeneigten umzuſtimmen, mit
Verſprechungen oder mit Drohungen: was thut man aber
wenn ſie hartnaͤckig bleiben? Man hat das Recht, „dieſe
giftigen Pflanzen mit Feuer und Schwert zu vertilgen 1).“
Die Hauptſache iſt, daß man ihre Guͤter einzieht, welt-
liche und geiſtliche, in Deutſchland ſo gut, wie in Ungarn
[112]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
und Boͤhmen. Denn gegen Ketzer iſt dieß Rechtens. Iſt
man ihrer nur erſt Herr geworden, ſo ſetzt man heilige
Inquiſitoren ein, die ihren Ueberreſten nachſpuͤren, die wi-
der ſie verfahren, wie man in Spanien wider die Mar-
ranen verfaͤhrt. Ueberdieß wird man die Univerſitaͤt Wit-
tenberg in Bann thun, und die, welche daſelbſt ſtudirt,
kaiſerlicher und paͤpſtlicher Gnaden fuͤr unwuͤrdig erklaͤren,
die Buͤcher der Ketzer wird man verbrennen; die ausgetre-
tenen Moͤnche in ihre Kloͤſter zuruͤckſchicken, an keinem
Hofe einen Irrglaͤubigen dulden. Zuerſt aber iſt eine mu-
thige Execution nothwendig. „Auch wenn Ew. Majeſtaͤt,“
ſagt der Legat, „ſich nur an die Oberhaͤupter haͤlt, kann
ſie denſelben eine große Summe Geldes entreißen, die oh-
nehin wider die Tuͤrken unentbehrlich iſt.“


So lautet dieſer Entwurf 1): das ſind ſeine Grund-
ſaͤtze. Wie athmet jedes Wort Unterdruͤckung, Blut und
Beraubung! Man kann ſich nicht wundern, wenn man
in Deutſchland von einem Kaiſer, der unter ſolchem Ge-
leite eintraf, das Aeußerſte erwartete, und die Proteſtan-
ten uͤber den Grad der Nothwehr, der ihnen rechtlich ver-
ſtattet ſey, zu Rathe gingen.


Gluͤcklicherweiſe ſtanden die Sachen anders, als daß
der Verſuch einer ſolchen Unternehmung zu fuͤrchten gewe-
ſen waͤre.


So maͤchtig war der Kaiſer bei weitem nicht, um
dieß
[113]Unter ClemensVII.
dieß ausfuͤhren zu koͤnnen. Erasmus hat es gleich damals
uͤberzeugend auseinandergeſetzt.


Allein waͤre er es auch geweſen, ſo haͤtte er ſchwer-
lich den Willen dazu gehabt.


Er war von Natur eher gutmuͤthig, bedaͤchtig, voll
Nachdenken und langſam, als das Gegentheil. Je naͤher
er dieſe Irrungen in das Auge faßte, deſto mehr beruͤhr-
ten ſie eine Ader ſeines eigenen Geiſtes. Gleich ſeine An-
kuͤndigung des Reichstages lautete dahin, daß er die
verſchiedenen Meinungen hoͤren, erwaͤgen und zu einer eini-
gen, chriſtlichen Wahrheit zu bringen ſuchen wolle: von
jenen gewaltſamen Abſichten war er weit entfernt.


Auch wer ſonſt an der Reinheit menſchlicher Geſin-
nung zu zweifeln gewohnt iſt, kann dieß nicht in Abrede
ſtellen: es waͤre Carls Vortheil nicht geweſen, ſich der Ge-
walt zu bedienen.


Sollte er, der Kaiſer, ſich zum Executor paͤpſtlicher
Decrete machen? ſollte er dem Papſt, und nicht allein dem
damaligen, ſondern jedem kuͤnftigen, die Feinde unterwer-
fen, die demſelben am meiſten zu ſchaffen machen mußten?
Hierzu war er der Freundſchaft der paͤpſtlichen Gewalt
doch bei weitem nicht ſicher genug.


Vielmehr lag in den Verhaͤltniſſen ein Vortheil fuͤr
ihn, ungeſucht, natuͤrlich, den er nur zu ergreifen brauchte,
um zu einer noch unbedingteren Superioritaͤt zu gelangen,
als er ſie bereits beſaß.


Ob mit Recht oder Unrecht will ich nicht unterſu-
chen: genug es war allgemein angenommen, daß nur eine
Kirchenverſammlung im Stande ſeyn werde, ſo große Ir-
8
[114]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
rungen beizulegen. Auch deshalb hatten ſich die Conci-
lien in Credit erhalten, weil die Paͤpſte einen natuͤrlichen
Widerwillen dagegen zeigten; alle Oppoſitionen erhoben von
jeher dieſen Ruf. Im Jahre 1530 ging Carl ernſtlich auf
dieſen Gedanken ein. Er verſprach ein Concilium in einer
beſtimmten kurzen Friſt.


Hatten die Fuͤrſten ſchon lange in ihren Verwickelun-
gen mit dem paͤpſtlichen Stuhle nichts ſo ſehr gewuͤnſcht,
als einen geiſtlichen Ruͤckhalt, ſo bekam Carl in einem
Concilium, unter dieſen Umſtaͤnden verſammelt, den ge-
waltigſten Verbuͤndeten. Auf ſeine Veranlaſſung waͤre es
zuſammengetreten, unter ſeinem Einfluß gehalten worden,
er haͤtte die Beſchluͤſſe deſſelben zu exequiren bekommen.
Nach zwei Seiten hin wuͤrden dieſe gegangen ſeyn: eben ſo
gut den Papſt, wie deſſen Gegner wuͤrden ſie betroffen haben:
der alte Gedanke einer Reformation an Haupt und Glie-
dern waͤre zur Ausfuͤhrung gekommen: welch ein Ueberge-
wicht mußte dieß der weltlichen Macht, vor allem dem
Kaiſer ſelber verſchaffen!


Es war vernuͤnftig; es war, wenn man will, unver-
meidlich, aber es war zugleich ſein großes Intereſſe.


Dem Papſt dagegen und ſeinem Hof konnte nichts
Bedenklicheres begegnen. Ich finde, daß bei der erſten
ernſtlichen Erwaͤhnung eines Conciliums der Preis der
ſaͤmmtlichen kaͤuflichen Aemter des Hofes um ein bedeu-
tendes fiel 1). Man ſieht, welche Gefahr darin fuͤr den
ganzen Zuſtand zu liegen ſchien, in dem man ſich befand.


[115]Unter ClemensVII.

Aber uͤberdieß hatte Clemens VII. auch perſoͤnliche
Ruͤckſichten: daß er nicht von geſetzmaͤßiger Geburt, daß
er nicht auf ganz reinem Wege zu der hoͤchſten Wuͤrde em-
porgeſtiegen war, und ſich von perſoͤnlichen Zwecken hatte
beſtimmen laſſen, gegen ſein Vaterland mit den Kraͤften
der Kirche einen koſtſpieligen Krieg zu fuͤhren, alles Dinge,
die einem Papſt hoch angerechnet werden mußten, floͤßte
ihm eine gerechte Furcht ein; ſchon der Erwaͤhnung eines
Conciliums, ſagt Soriano, wich Clemens ſo weit als moͤg-
lich aus.


Obwohl er den Vorſchlag nicht gradezu verwarf, —
ſchon um der Ehre des paͤpſtlichen Stuhles willen durfte
er es nicht — ſo kann man doch nicht zweifeln, mit wel-
chem Herzen er darauf einging.


Ja er giebt nach: er fuͤgt ſich: aber auf das ſtaͤrkſte
fuͤhrt er zugleich die Gegengruͤnde aus; alle Schwierigkei-
ten und Gefahren, die mit einem Concilium verknuͤpft
ſeyen, ſtellt er auf das lebhafteſte dar: den Erfolg findet
er mehr als zweifelhaft 1). Dann macht er Bedingungen
einer Mitwirkung aller andern Fuͤrſten, einer vorlaͤufigen
Unterwerfung der Proteſtanten, die ſich zwar im Syſteme
der paͤpſtlichen Doctrin hoͤren laſſen, aber bei der Lage der
allgemeinen Verhaͤltniſſe nimmermehr zu erfuͤllen ſind. Wie
1)
8*
[116]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
waͤre es von ihm zu erwarten geweſen, daß er in der vom
Kaiſer geſetzten Friſt nicht allein ſcheinbar und mit De-
monſtrationen, ſondern ernſtlich und entſchloſſen ans Werk
gegangen waͤre? Oft hat ihm Carl vorgeworfen, dieſe ſeine
Zoͤgerung ſey an allem weitern Unheil Schuld. Ohne Zwei-
fel hoffte er, der Nothwendigkeit, die uͤber ihm ſchwebte,
noch zu entgehen.


Aber gewaltig hielt ſie ihn feſt. Als Carl im Jahre
1533 wieder nach Italien kam, noch erfuͤllt von dem, was
er in Deutſchland geſehen und entworfen, drang er muͤnd-
lich — er hielt mit dem Papſt einen Congreß zu Bologna
— und mit erneuerter Lebhaftigkeit auf das Concilium,
das er ſo oft ſchriftlich gefordert hatte. Die verſchiedenen
Meinungen begegneten ſich unmittelbar: der Papſt blieb
bei ſeinen Bedingungen ſtehen; der Kaiſer ſtellte ihm die
Unmoͤglichkeit ihrer Erfuͤllung vor. Sie konnten ſich nicht
vereinigen. In den Breves, die uͤber dieſe Sache erlaſ-
ſen wurden, nimmt man ſogar eine gewiſſe Verſchieden-
heit wahr. In den einen ſchloß ſich der Papſt mehr als
in den andern der Meinung des Kaiſers an. Aber wie
dem auch ſey, er mußte zu einer erneuerten Ankuͤndi-
gung ſchreiten 1). Wollte er ſich nicht ganz verblenden,
[117]Unter ClemensVII.
ſo durfte er nicht zweifeln, daß es bei der Ruͤckkunft des
Kaiſers, der nach Spanien gegangen, nicht mehr bei blo-
ßen Worten ſein Bewenden haben: daß jene Gefahr, die
er fuͤrchtete und die ein Concilium unter dieſen Umſtaͤnden
fuͤr den roͤmiſchen Stuhl in der That mit ſich fuͤhrte, uͤber
ihn hereinbrechen werde.


Es war eine Lage, in der der Inhaber einer Gewalt,
welche ſie auch ſeyn mag, wohl entſchuldigt werden kann,
wenn er einen entſcheidenden Entſchluß ergreift, ſich ſicher
zu ſtellen. Schon war der Kaiſer politiſch ſo uͤbermaͤchtig.
Wenn gleich ſich der Papſt hierfuͤr reſignirt hatte, ſo
mußte er doch oft fuͤhlen, wohin er gekommen war. Daß
Carl V. die alten Streitigkeiten der Kirche mit Ferrara
zu Gunſten des letztern entſchied, beleidigte ihn tief; er
nahm es ſo hin, aber unter ſeinen Freunden beklagte er
ſich. Wie viel druͤckender war es aber, wenn nun dieſer
Fuͤrſt, von dem man die unverweilte Unterwerfung der Pro-
teſtanten gehofft hatte, ſtatt deſſen, ſich vielmehr auf den
Grund der ausgebrochenen Irrungen auch zu einem kirch-
lichen Uebergewicht erhob, wie man es ſeit Jahrhunderten
nicht mehr kannte, wenn er auch das geiſtliche Anſehn des
roͤmiſchen Stuhles in Gefahr ſetzte! Sollte Clemens er-
leben, ganz und gar in die Haͤnde deſſelben zu gerathen,
und ſeinem Gutbefinden uͤberlaſſen zu ſeyn?


Noch dort in Bologna faßte er ſeinen Entſchluß.
1)
[118]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Schon oͤfter hatte Franz I. dem Papſt Buͤndniß und Bluts-
verwandtſchaft angetragen. Clemens hatte es immer abge-
lehnt. In der Bedraͤngniß, in der er ſich jetzt ſah, ging
er darauf ein. Man verſichert uns ausdruͤcklich, der ei-
gentliche Grund, daß Clemens dem Koͤnige von Frankreich
wieder Gehoͤr ſchenkte, ſey die Forderung des Conciliums
geweſen 1).


Was dieſer Papſt rein-politiſcher Zwecke halber viel-
leicht nie wieder verſucht haͤtte, das Gleichgewicht der bei-
den großen Maͤchte herzuſtellen, und ihnen eine gleiche
Gunſt zu widmen, dazu entſchloß er ſich in Betracht der
kirchlichen Gefahren, denen er ausgeſetzt war.


Kurz hierauf hielt Clemens auch eine Zuſammenkunft
mit Franz I. Sie fand in Marſeille Statt, und die engſte
Verbindung ward geſchloſſen. Ganz, wie der Papſt fruͤher
in den florentiniſchen Gefahren ſeine Freundſchaft mit dem
Kaiſer dadurch befeſtigt hatte, daß er deſſen natuͤrliche
Tochter mit einem von ſeinen Neffen verheurathete, ſo be-
ſiegelte er jetzt, in den kirchlichen Bedraͤngniſſen, den Bund
den er mit Franz I. einging, durch eine Vermaͤhlung ſei-
[119]Unter ClemensVII.
ner jungen Nichte Catharina Medici mit dem zweiten
Sohne des Koͤnigs. Damals hatte er die Franzoſen und
ihren indirecten Einfluß auf Florenz, jetzt hatte er den
Kaiſer und ſeine Intentionen bei einer Kirchenverſammlung
zu fuͤrchten.


Auch erreichte der Papſt damit ſofort ſeinen Zweck.
Es exiſtirt ein Brief von ihm an Ferdinand I., in dem er
erklaͤrt, mit ſeiner Bemuͤhung eine Theilnahme aller chriſt-
lichen Fuͤrſten an dem Concilium zu Wege zu bringen,
ſey es ihm nicht gelungen; Koͤnig Franz I., den er ge-
ſprochen, halte die gegenwaͤrtige Zeit nicht fuͤr geeignet zu
einer ſolchen Verſammlung, und ſey nicht darauf einge-
gangen; er, der Papſt, hoffe aber noch immer, ein ander
Mal eine guͤnſtige Stimmung der chriſtlichen Fuͤrſten her-
vorgehn zu ſehen 1). Ich weiß nicht, wie man uͤber die
Abſichten Clemens VII. in Zweifel ſeyn kann. Noch in
ſeinem letzten Schreiben an die katholiſchen Fuͤrſten von
Deutſchland hatte er die Bedingung einer allgemeinen Theil-
nahme wiederholt; daß er nun erklaͤrt, eine ſolche nicht be-
werkſtelligen zu koͤnnen, enthaͤlt eine unzweideutige Weige-
rung, jener ſeiner Ankuͤndigung Folge zu geben 2). In
ſeiner Verbindung mit Frankreich fand er wie den Muth,
ſo auch den Vorwand dazu. Ich kann mich nicht uͤberre-
den, daß das Concilium jemals unter ihm zu Stande ge-
kommen waͤre.


[120]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.

Jedoch war dieß nicht die einzige Folge jener Ver-
bindung. Auf der Stelle entwickelte ſich noch eine andere,
unerwartete, die beſonders fuͤr uns Deutſche von der groͤß-
ten Wichtigkeit iſt.


Sehr ſonderbar war ſogleich die Combination, die bei
der Verflechtung kirchlicher und weltlicher Intereſſen dar-
aus hervorging. Franz I. war damals in dem beſten Ver-
ſtaͤndniß mit den Proteſtanten: indem er ſich nun zugleich
ſo enge mit dem Papſt verbuͤndete, vereinigte er gewiſſer-
maßen Proteſtanten und Papſt in das nemliche Syſtem.


Und hier erkennen wir, was die politiſche Staͤrke der
Stellung ausmachte, welche die Proteſtanten eingenommen
hatten. Der Kaiſer konnte nicht beabſichtigen, ſie dem Papſt
ſo geradehin aufs neue zu unterwerfen; er bediente ſich
vielmehr ihrer Bewegung, um dieſen damit in Schach zu
halten. Allmaͤhlig zeigte ſich, daß auch der Papſt nicht
wuͤnſchte, ſie auf Gnade oder Ungnade dem Kaiſer unter-
worfen zu ſehen: nicht ſo ganz unbewußt war ſogar die
Verbindung Clemens VII. mit ihnen, er hoffte, ihre Op-
poſition wider den Kaiſer zu benutzen, um dieſem hinwie-
derum zu ſchaffen zu geben.


Es iſt gleich damals bemerkt worden, der Koͤnig von
Frankreich habe den Papſt glauben gemacht, die vornehm-
ſten proteſtantiſchen Fuͤrſten ſeyen von ihm abhaͤngig: er
habe ihn hoffen laſſen, ſie dahin zu bringen, auf das
Concilium Verzicht zu leiſten 1). Allein wenn wir nicht
[121]Unter ClemensVII.
ſehr irren, gingen dieſe Verbindungen noch weiter. Kurz
nach der Zuſammenkunft mit dem Papſte hielt Franz I.
eine andere mit Landgraf Philipp von Heſſen. Sie verei-
nigten ſich zur Herſtellung des Herzogs von Wuͤrtemberg,
der damals von dem Hauſe Oeſtreich verdraͤngt worden
war. Franz I. bequemte ſich, Huͤlfsgelder zu zahlen. In
kurzem Kriegszug, mit uͤberraſchender Schnelligkeit ſetzte
hierauf Landgraf Philipp das Unternehmen ins Werk. Es
iſt gewiß, daß er in die oͤſtreichiſchen Erblande haͤtte vor-
dringen ſollen 1); allgemein vermuthete man, der Koͤnig
wolle Mailand einmal auch von deutſcher Seite her an-
greifen laſſen 2). Eine noch weitere Ausſicht eroͤffnet uns
Marino Giuſtinian, in jenen Zeiten Botſchafter der Vene-
zianer in Frankreich. Er verſichert gradehin, dieſe deutſche
Bewegung ſey von Clemens und Franz zu Marſeille be-
ſchloſſen worden: er fuͤgt hinzu, es habe allerdings nicht
außer dem Plane gelegen, dieſe Truppen nach Italien kom-
men zu laſſen: insgeheim wuͤrde der Papſt dazu mitgewirkt
haben 3). Es wuͤrde etwas raſch ſeyn, dieſe Behauptung,
1)
[122]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
ſo ſicher ſie auch ausgeſprochen wird, als beglaubigte That-
ſache zu betrachten: noch andere Beweiſe waͤren erforder-
lich: — allein wenn wir ſie auch nicht annehmen, ſtellt
ſich doch eine ſehr merkwuͤrdige Erſcheinung unbezweifelt
dar. Wer haͤtte es vermuthen ſollen? In dem Augen-
blicke, daß Papſt und Proteſtanten einander mit einem un-
verſoͤhnlichen Haſſe verfolgen, daß ſie ſich einen geiſtlichen
Krieg machen, der die Welt mit Zwietracht erfuͤllt, ſind
ſie auf der andern Seite durch gleiche politiſche Intereſſen
verbunden.


War aber fruͤher, in der Verwickelung der italieni-
ſchen Angelegenheiten, dem Papſt nichts ſo verderblich ge-
weſen, wie die zweideutige allzufeine Politik, die er be-
3)
[123]Unter ClemensVII.
folgte, ſo trugen ihm dieſe Maaßregeln auf dem geiſtlichen
Gebiete noch bitterere Fruͤchte.


Koͤnig Ferdinand, bedroht in ſeinen erblichen Pro-
vinzen, eilte den Frieden von Kadan zu ſchließen, in wel-
chem er Wuͤrtemberg fahren ließ, und ſogar in ein enge-
res Verſtaͤndniß mit dem Landgrafen ſelber trat. Es wa-
ren die gluͤcklichſten Tage Philipps von Heſſen. Daß
er einem verjagten deutſchen Fuͤrſten mit gewaltiger Hand
zu ſeinem Recht verholfen, machte ihn zu einem der an-
geſehenſten Oberhaͤupter des Reiches. Er hatte aber da-
mit auch noch einen anderen wichtigen Erfolg erkaͤmpft.
Dieſer Friede enthielt zugleich eine tiefgreifende Beſtim-
mung uͤber die religioͤſen Streitigkeiten. Das Kammerge-
richt ward angewieſen, uͤber die eingezogenen geiſtlichen Guͤ-
ter keine Klagen weiter anzunehmen.


Ich weiß nicht, ob irgend ein anderes einzelnes Er-
eigniß fuͤr das Uebergewicht des proteſtantiſchen Namens
in Deutſchland ſo entſcheidend eingewirkt hat, wie dieſe
heſſiſche Unternehmung. In jener Weiſung des Kammer-
gerichts liegt eine juridiſche Sicherung der neuen Partei,
die von ungemeiner Bedeutung iſt. Auch ließ ſich die
Wirkung nicht lange erwarten. Den Frieden von Kadan,
duͤnkt mich, koͤnnen wir als die zweite große Epoche der
Erhebung einer proteſtantiſchen Macht in Deutſchland be-
trachten. Nachdem ſie eine Zeitlang mindere Fortſchritte
gemacht, fing ſie aufs neue an ſich auf das glaͤnzendſte
auszubreiten. Wuͤrtemberg, welches man eingenommen, ward
ohne Weiteres reformirt. Die deutſchen Provinzen von
Daͤnemark, Pommern, die Mark Brandenburg, die zweite
[124]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Linie von Sachſen, eine Linie von Braunſchweig, die Pfalz
folgten in Kurzem nach. Binnen wenigen Jahren breitete
ſich die Reformation der Kirche uͤber das geſammte nie-
dere Deutſchland aus, und ſetzte ſich in dem oberen auf
immer feſt.


Und um eine Unternehmung, die dahin fuͤhrte, die
den begonnenen Abfall ſo unermeßlich befoͤrderte, hatte
Papſt Clemens gewußt, er hatte ſie vielleicht gebilligt.


Das Papſtthum war durchaus in einer falſchen un-
haltbaren Poſition. Seine weltlichen Tendenzen hatten ihm
einen Verfall hervorgerufen, aus dem ihm unzaͤhlige Wi-
derſacher und Abtruͤnnige entſprangen: aber die Fort-
ſetzung derſelben, die fernere Verflechtung geiſtlicher und
weltlicher Intereſſen richtete es vollends zu Grunde.


Auch das Schisma von England unter Heinrich VIII.
haͤngt doch weſentlich hiervon ab.


Es iſt ſehr bemerkenswerth, daß Clemens VII. dem
Koͤnig von England mehr als irgend einem andern Fuͤr-
ſten perſoͤnlich zugethan war 1). Er hatte guten Grund
dazu: als er ſich von Jedermann verlaſſen, in dem Caſtell
eingeſchloſſen ſah, hatte Heinrich VIII. Mittel gefunden,
ihm eine Unterſtuͤtzung zukommen zu laſſen. Auch iſt nicht
zu leugnen, daß der Papſt dem Koͤnig noch im Jahre 1528
eine guͤnſtige Erledigung ſeiner Eheſcheidungsſache, wenn
nicht zuſagte, doch moͤglich erſcheinen ließ, „ſobald nur
[125]Unter ClemensVII.
erſt die Deutſchen und die Spanier aus Italien verjagt
ſeyn wuͤrden“ 1). Es erfolgte hiervon, wie wir wiſſen,
das Gegentheil. Die Kaiſerlichen ſetzten ſich nun erſt recht
feſt: wir ſahen, in welch’ engen Bund Clemens mit ihnen
trat: unter ſo veraͤnderten Umſtaͤnden konnte er eine Hoff-
nung nicht erfuͤllen, die er uͤberdieß nur fluͤchtig angedeu-
tet hatte 2). Kaum war der Friede von Barcelona geſchloſ-
ſen, ſo avocirte er den Proceß nach Rom. Die Frau, von
der ſich Heinrich ſcheiden wollte, war die Tante des Kai-
ſers; von einem fruͤheren Papſt war die Ehe ausdruͤcklich
gut geheißen worden: wie haͤtte, ſobald die Sache einmal
in den proceſſualiſchen Gang vor den Gerichtshoͤfen der
Curie geleitet worden, zumal unter dem immerwaͤhrenden
Einfluß der Kaiſerlichen, die Entſcheidung zweifelhaft ſeyn
koͤnnen? Aber Heinrich wußte ſich zu raͤchen. Auch er
war im Grunde ſeines Herzens papiſtiſch geſinnt: dieſe
Sache jedoch rief die entgegengeſetzten Leidenſchaften in ihm
[126]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
auf. Jeden Schritt, der in Rom zu ſeinem Nachtheile
geſchah, erwiederte er mit einer Maaßregel gegen die Curie;
immer foͤrmlicher ſagte er ſich von derſelben los. Als
jene endlich im Jahre 1534 ihre definitive Sentenz erge-
hen ließ, bedachte auch er ſich nicht weiter, und ſprach die
vollſtaͤndige Trennung ſeines Reiches von dem Papſte aus.
So ſchwach waren bereits die Bande, welche den roͤmi-
ſchen Stuhl und die verſchiedenen Landeskirchen verknuͤpf-
ten, daß es nichts als den Entſchluß eines Fuͤrſten be-
durfte, um ſein Reich von demſelben loszureißen.


Dieſe Ereigniſſe erfuͤllten das letzte Lebensjahr Cle-
mens VII. Sie waren ihm um ſo bitterer, da er nicht
ohne alle Schuld daran war, und ſeine Unfaͤlle in einem
qualvollen Zuſammenhange mit ſeinen perſoͤnlichen Eigen-
ſchaften ſtanden. Und immer gefaͤhrlicher entwickelte ſich
der Gang der Dinge. Schon drohte Franz I. Italien aufs
neue anzufallen; er behauptete hierzu zwar nicht die ſchrift-
liche, aber doch eine muͤndliche Genehmigung des Papſtes
erhalten zu haben. Der Kaiſer wollte ſich nicht laͤnger
mit Ausfluͤchten abweiſen laſſen, und drang immer nach-
druͤcklicher auf die Einberufung des Conciliums. Haͤus-
liche Mißhelligkeiten kamen hinzu: nachdem es ſo viele
Muͤhe gekoſtet, Florenz zu unterwerfen, mußte der Papſt
erleben, daß die beiden Neffen, die er hatte, ſich uͤber die
Herrſchaft in dieſer Stadt entzweiten und in wilde Feind-
ſchaft geriethen: die Gedanken, die er ſich hieruͤber machte,
die Furcht vor den kommenden Dingen: — Schmerz und
geheime Qual, ſagt Soriano, fuͤhrten ihn zum Tode 1).


[127]Unter ClemensVII.

Gluͤcklich haben wir Leo genannt: vielleicht beſſer,
auf jeden Fall fehlerfreier, thaͤtiger, und im Einzelnen
ſelbſt ſcharfſinniger, aber in alle ſeinem Thun und Laſſen
ungluͤckſelig war Clemens. Wohl der unheilvollſte aller
Paͤpſte, die je auf dem roͤmiſchen Stuhle geſeſſen. Der
Ueberlegenheit feindlicher Kraͤfte, die ihn von allen Seiten
bedraͤngte, trat er mit einer unſichern, von den Wahrſchein-
lichkeiten des Augenblicks abhaͤngigen Politik entgegen, die
ihn vollends zu Grunde richtete. Die Verſuche, eine ſelbſt-
ſtaͤndige weltliche Macht zu bilden, denen ſich ſeine nam-
hafteſten Vorgaͤnger hingegeben, mußte er zu einem ganz
entgegengeſetzten Erfolge umſchlagen ſehen; er mußte ſich
darin finden, daß die, denen er Italien entreißen wollen,
ihre Herrſchaft daſelbſt auf immer befeſtigten. Der große
Abfall der Proteſtanten entwickelte ſich unaufhaltſam vor
ſeinen Augen: welches Mittel er auch wider denſelben er-
greifen mochte, ſie trugen alle zu ſeiner Ausbreitung bei.
In Reputation unendlich herabgekommen, ohne geiſtliche,
ohne weltliche Autoritaͤt hinterließ er den paͤpſtlichen Stuhl.
Jenes Norddeutſchland, das fuͤr das Papſtthum von jeher
ſo bedeutend war, durch deſſen erſte Bekehrung vor Zeiten
die Macht der Paͤpſte im Abendlande vorzuͤglich mit be-
gruͤndet worden, — deſſen Empoͤrung gegen Kaiſer Hein-
1)
[128]Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
rich IV. ihnen zur Vollendung der Hierarchie ſo große Dienſte
geleiſtet hatte — war wider ſie ſelber aufgeſtanden. Unſer
Vaterland hat das unſterbliche Verdienſt, das Chriſtenthum
in reinerer Geſtalt, als es ſeit den erſten Jahrhunderten
beſtanden, wiederhergeſtellt, die wahre Religion wieder ent-
deckt zu haben. Mit dieſer Waffe war es unuͤberwindlich
geruͤſtet. Seine Ueberzeugungen brachen ſich bei allen Nach-
barn Bahn. Scandinavien hatten ſie bereits eingenom-
men: wider die Abſicht des Koͤnigs, aber unter dem Schutze
der Maaßregeln, die er ergriffen, breiteten ſie ſich in Eng-
land aus; in der Schweiz erkaͤmpften ſie ſich, unter we-
nigen Modificationen, eine unantaſtbare Exiſtenz: in Frank-
reich drangen ſie vor: in Italien, ſelbſt in Spanien finden
wir noch unter Clemens ihre Spuren. Immer naͤher
waͤlzen ſich dieſe Fluthen heran. In dieſen Meinungen
lebt eine Kraft, die Jedermann uͤberzeugt und fortreißt.
Der Widerſtreit geiſtlicher und weltlicher Intereſſen, in
den ſich das Papſtthum geſetzt hat, ſcheint recht dazu ge-
macht, ihnen die vollſtaͤndige Herrſchaft zu verſchaffen.


[[129]]

Zweites Buch.
Anfänge einer Regeneration des Katholicismus.


9
[[130]][[131]]

Nicht erſt heutzutage hat die oͤffentliche Meinung Ein-
fluß in der Welt bekommen: in allen Jahrhunderten des
neueren Europa hat ſie ein wichtiges Lebenselement ausge-
macht. Wer moͤchte ſagen, woher ſie entſpringt, wie ſie
ſich bildet. Geheime Quellen naͤhren ſie: ohne vie-
ler Gruͤnde zu beduͤrfen, bemaͤchtigt ſie ſich der Geiſter:
durch eine unwillkuͤhrliche Ueberzeugung feſſelt ſie die Mehr-
zahl. Sie iſt ein Product unſerer Gemeinſchaftlichkeit.
Aber nur in den aͤußerſten Umriſſen iſt ſie mit ſich ſelber
in Uebereinſtimmung. In unzaͤhligen groͤßern und kleinern
Kreiſen wird ſie auf eigenthuͤmliche Weiſe wieder hervor-
gebracht: immer neue Wahrnehmungen und Erfahrungen
ſtroͤmen ihr zu: und ſo iſt ſie in unaufhoͤrlicher Metamor-
phoſe begriffen: fluͤchtig, vielgeſtaltig: zuweilen receptiv,
zuweilen fordernd und noͤthigend: oft mit einem richtigen
Gefuͤhl der Maͤngel, der Beduͤrfniſſe: deſſen dagegen was
auszurichten und ins Werk zu ſetzen, ſich faſt niemals be-
wußt: mit der Wahrheit und dem Recht zuweilen mehr,
zuweilen minder im Einklange: mehr eine Tendenz des Le-
bens und des Augenblicks, als eine fixirte Lehre. Selt-
ſam, wie ſie ſogar oft in ihr Gegentheil umſchlaͤgt. Sie
hat das Papſtthum gruͤnden, ſie hat es auch aufloͤſen hel-
9*
[132]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
fen. In den Zeiten, die wir betrachten, war ſie einmal
voͤllig profan: ſie wurde durchaus geiſtlich. Bemerkten
wir, wie ſie ſich in ganz Europa dem Proteſtantismus zu-
neigte, ſo werden wir auch ſehen, wie ſie in einem gro-
ßen Theile deſſelben eine andere Farbe empfing.


Gehen wir davon aus, wie ſich zunaͤchſt die Lehren der
Proteſtanten auch in Italien Bahn machten.


Analogien des Proteſtantismus in Italien.


Literariſche Vereinigungen haben auch in Italien auf
wiſſenſchaftliche und kuͤnſtleriſche Entwickelung einen unbe-
rechenbaren Einfluß ausgeuͤbt. Bald um einen Fuͤrſten,
bald um einen ausgezeichneten Gelehrten, bald um irgend
einen literariſch-geſinnten, bequem-eingerichteten Privat-
mann her, zuweilen auch in freier gleicher Geſelligkeit bil-
den ſie ſich; am meiſten pflegen ſie werth zu ſeyn, wenn
ſie friſch und formlos aus dem unmittelbaren Beduͤrfniß
hervorgehen: mit Vergnuͤgen verfolgen wir ihre Spuren.


Zu der nemlichen Zeit, als die proteſtantiſche Bewe-
gung in Deutſchland hervortrat, erſchienen in Italien li-
terariſche Reunionen, die eine religioͤſe Farbe annahmen.


Eben als es unter Leo X. der Ton der Geſellſchaft ge-
worden war, das Chriſtenthum zu bezweifeln, zu leugnen,
erhob ſich in geiſtreicheren Maͤnnern, in Solchen, welche
die Bildung ihrer Zeit beſaßen, ohne ſich an dieſelbe ver-
loren zu haben, eine Ruͤckwirkung dagegen. Es iſt ſo na-
tuͤrlich, daß ſie ſich zuſammenfanden. Der menſchliche
[133]Analogien des Proteſtantismus in Italien.
Geiſt bedarf der Beiſtimmung, wenigſtens liebt er ſie im-
mer; unentbehrlich aber iſt ſie ihm in religioͤſen Ueberzeu-
gungen, deren Grund das tiefſte Gemeingefuͤhl iſt.


Noch zu Leo’s Zeiten wird ein Oratorium der goͤttli-
chen Liebe erwaͤhnt, das einige ausgezeichnete Maͤnner in
Rom zu gemeinſchaftlicher Erbauung geſtiftet hatten. In
Trastevere, in der Kirche S. Silveſtro und Dorotea, un-
fern von dem Orte, wo man glaubte, daß der Apoſtel
Petrus gewohnt und die erſten Zuſammenkuͤnfte der Chri-
ſten geleitet habe, verſammelten ſie ſich zu Gottesdienſt,
Predigt und geiſtlichen Uebungen. Es waren ihrer funf-
zig bis ſechzig. Contarini, Sadolet, Giberto, Caraffa, die
nachmals ſaͤmmtlich Cardinaͤle geworden, Gaetano da
Thiene, den man canoniſirt hat, Lippomano, ein geiſtlicher
Schriftſteller von viel Ruf und Wirkſamkeit, und einige
andere namhafte Maͤnner waren darunter. Julian Bathi,
Pfarrer jener Kirche, diente ihnen zum Mittelpunkt ihrer
Vereinigung 1).


[134]BuchII.Regeneration des Katholicismus.

Es fehlte viel, daß die Richtung derſelben, wie man
leicht aus dem Orte der Verſammlung ſchließen koͤnnte, dem
Proteſtantismus entgegengelaufen waͤre: ſie war ihm vielmehr
gleichartig. Aus dem nemlichen Beduͤrfniß, ſich dem all-
gemeinen Verfalle entgegenzuſetzen, ging ſie hervor. Sie
beſtand aus Maͤnnern, welche ſpaͤter ſehr verſchiedene An-
ſichten entwickelt haben; damals begegneten ſie ſich in der
nemlichen allgemeinen Geſinnung.


Gar bald aber traten die beſtimmteren Tendenzen
hervor.


Einem Theile der roͤmiſchen Geſellſchaft begegnen wir
nach Verlauf einiger Jahre in Venedig wieder.


Rom war gepluͤndert, Florenz erobert worden; Mai-
land war fortwaͤhrend der Tummelplatz der Kriegsheere ge-
weſen; in dieſem allgemeinen Ruin hatte ſich Venedig un-
beruͤhrt von den Fremden, von den Kriegsheeren behaup-
tet; es wurde als eine allgemeine Zufluchtsſtaͤtte betrach-
tet. Da fanden ſich die zerſprengten roͤmiſchen Literatoren,
die florentiniſchen Patrioten, denen ihr Vaterland auf im-
mer geſchloſſen war, zuſammen. Namentlich in den letz-
ten trat, wie wir an dem Geſchichtſchreiber Nardi, dem
Ueberſetzer der Bibel Bruccioli ſehen, nicht ohne Nachwir-
kung der Lehren des Savonarola, eine ſehr ſtarke geiſtliche
Richtung hervor. Auch andere Fluͤchtlinge, wie Reginald
Poole, welcher England verlaſſen hatte, um ſich den Neue-
rungen Heinrichs VIII. zu entziehen, theilten dieſelbe. In
ihren venezianiſchen Gaſtfreunden fanden ſie ein bereitwil-
liges Entgegenkommen. Bei Peter Bembo in Padua, der
ein offenes Haus hielt, fragte man allerdings am meiſten
[135]Analogien des Proteſtantismus in Italien.
nach gelehrten Sachen, nach ciceronianiſchem Latein. Tie-
fer verlor man ſich bei dem gelehrten und verſtaͤndigen Gre-
gorio Corteſe, Abt von San Giorgio Maggiore bei
Venedig. In die Gebuͤſche und Lauben von S. Giorgio
verlegt Bruccioli einige ſeiner Geſpraͤche. Unfern Treviſo
hatte Luigi Priuli ſeine Villa genannt Treville 1). Er iſt
einer der rein ausgebildeten venezianiſchen Charactere, wie
wir ihnen noch heute dann und wann begegnen, voll ru-
higer Empfaͤnglichkeit fuͤr wahre und große Gefuͤhle und
uneigennuͤtziger Freundſchaft. Hier beſchaͤftigte man ſich
hauptſaͤchlich mit geiſtlichen Studien und Geſpraͤchen. Da
war der Benedictiner Marco von Padua, ein Mann von
tieferer Froͤmmigkeit, der es wahrſcheinlich iſt, an deſſen
Bruͤſten Poole Nahrung geſogen zu haben behauptet. Als
das Haupt von allen mochte Gaspar Contarini anzuſehen
ſeyn, von welchem Poole ſagt: es ſey ihm nichts unbe-
kannt, was der menſchliche Geiſt durch eigene Forſchung
entdeckt, oder was die goͤttliche Gnade ihm mitgetheilt
habe, und dazu fuͤge er den Schmuck der Tugend.


Fragen wir nun, in welchen Ueberzeugungen dieſe
Maͤnner ſich beruͤhrten, ſo iſt das hauptſaͤchlich dieſelbe
Lehre von der Rechtfertigung, welche in Luther der ganzen
proteſtantiſchen Bewegung ihren Urſprung gegeben hatte.
Contarini ſchrieb einen eigenen Tractat daruͤber, den Poole
nicht genug zu ruͤhmen weiß. „Du haſt,“ ſagt er ihm,
„dieſen Edelſtein hervorgezogen, den die Kirche in halber
Verborgenheit bewahrte.“ Poole ſelber findet, daß die
[136]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
Schrift in ihrem tieferen Zuſammenhange nichts als dieſe
Lehre predige; er preiſt ſeinen Freund gluͤcklich, daß er
dieſe „heilige, fruchtbringende, unentbehrliche Wahrheit“
ans Licht zu bringen angefangen 1). Zu dem Kreiſe von
Freunden, der ſich an ſie anſchloß, gehoͤrte M. A. Flami-
nio. Er wohnte eine Zeitlang bei Poole; Contarini wollte
ihn mit nach Deutſchland nehmen. Man hoͤre, wie ent-
ſchieden er jene Lehre verkuͤndigt. „Das Evangelium,“
ſagt er in einem ſeiner Briefe 2), „iſt nichts anders als
die gluͤckliche Neuigkeit, daß der eingeborne Sohn Gottes,
mit unſerm Fleiſch bekleidet, der Gerechtigkeit des ewigen
Vaters fuͤr uns genug gethan hat. Wer dieß glaubt,
geht in das Reich Gottes ein; er genießt die allgemeine
Vergebung; er wird von einer fleiſchlichen Creatur eine
geiſtliche; von einem Kind des Zorns ein Kind der Gnade;
er lebt in einem ſuͤßen Frieden des Gewiſſens.“ Man kann
ſich hieruͤber kaum lutheriſch-rechtglaͤubiger ausdruͤcken.


Ganz wie eine literariſche Meinung oder Tendenz
breitete ſich dieſe Ueberzeugung uͤber einen großen Theil von
Italien aus 3).


[137]Analogien des Proteſtantismus in Italien.

Bemerkenswuͤrdig iſt es doch, wie ſo ploͤtzlich der Streit
uͤber eine Meinung, von der fruͤher nur wenig die Rede
war, ein Jahrhundert einnehmen und erfuͤllen, die Thaͤ-
tigkeit aller Geiſter deſſelben herausfordern kann. In dem
ſechzehnten Jahrhundert brachte die Lehre von der Recht-
fertigung die groͤßten Bewegungen, Entzweiungen, ja Um-
waͤlzungen hervor. Man moͤchte ſagen, es ſey im Gegen-
ſatz gegen die Verweltlichung des kirchlichen Inſtitutes,
welches die unmittelbare Beziehung des Menſchen zu Gott
faſt ganz verloren hatte, geſchehen, daß eine ſo tranſcen-
dentale, das tiefſte Geheimniß dieſes Verhaͤltniſſes anbe-
treffende Frage die allgemeine Beſchaͤftigung der Geiſter
wurde.


Selbſt in dem lebensluſtigen Neapel ward ſie, und
zwar von einem Spanier, einem Secretaͤr des Vicekoͤnigs,
Johann Valdez, verbreitet. Die Schriften des Valdez ſind
leider ganz verſchollen; daruͤber aber, was die Gegner an
ihm tadelten, haben wir ein ſehr beſtimmtes Zeugniß. Um
das Jahr 1540 kam ein kleines Buch „von der Wohl-
that Chriſti“ in Umlauf, welches, wie ſich ein Bericht
der Inquiſition ausdruͤckt, „auf einſchmeichelnde Weiſe von
der Rechtfertigung handelte, Werke und Verdienſte herab-
ſetzte, dem Glauben allein alles zuſchrieb, und weil eben
dieß der Punkt war, an dem damals viele Praͤlaten und
Kloſterbruͤder anſtießen, eine ungemeine Verbreitung fand.“
Man hat dem Autor dieſes Buches oͤfter nachgefragt. Je-
ner Bericht bezeichnet ihn mit Beſtimmtheit. „Es war,“
3)
[138]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
ſagt derſelbe, „ein Moͤnch von San Severino, ein Schuͤler
des Valdez: Flaminio hat es revidirt“ 1). Auf einen
Schuͤler und einen Freund des Valdez fuͤhrt ſich demnach
dieſes Buch zuruͤck, das in der That einen unglaublichen
Succeß hatte, und die Lehre von der Rechtfertigung auf
eine Zeitlang in Italien populaͤr machte. Dabei war je-
doch die Tendenz des Valdez nicht ausſchließend theolo-
giſch, wie er denn ein bedeutendes weltliches Amt beklei-
dete; er hat keine Secte geſtiftet, aus einer liberalen Be-
ſchaͤftigung mit dem Chriſtenthume war dieſes Buch her-
vorgegangen. Mit Wonne dachten ſeine Freunde an die
ſchoͤnen Tage, die ſie mit ihm an der Chiaia und dem
Poſilippo genoſſen hatten, dort bei Neapel, „wo die Na-
tur in ihrer Pracht ſich gefaͤllt und laͤchelt.“ Valdez war
ſanft, angenehm, nicht ohne Schwung des Geiſtes. „Ein
[139]Analogien des Proteſtantismus in Italien.
Theil ſeiner Seele,“ ſagen ſeine Freunde von ihm, „reichte
hin, ſeinen ſchwachen, magern Koͤrper zu beleben; mit dem
groͤßern Theil, dem ungetruͤbten hellen Verſtand, war er
immer zur Betrachtung der Wahrheit erhoben.“


Bei dem Adel und den Gelehrten von Neapel hatte
Valdez außerordentlichen Einfluß: lebhaften Antheil an
dieſer religioͤs-geiſtigen Bewegung nahmen auch die
Frauen.


Unter andern Vittoria Colonna. Nach dem Tode ih-
res Gemahls Pescara hatte ſie ſich ganz den Studien hin-
gegeben. In ihren Gedichten, wie in ihren Briefen, iſt
eine ſelbſtgefuͤhlte Moral, eine ungeheuchelte Religion. Wie
ſchoͤn troͤſtet ſie eine Freundin uͤber den Tod ihres Bru-
ders, „deſſen friedfertiger Geiſt in den ewigen wahren Frie-
den eingegangen: ſie muͤſſe nicht klagen, da ſie nun mit
ihm reden koͤnne, ohne daß ſeine Abweſenheit, wie ſonſt
ſo haͤufig, ſie hindere von ihm verſtanden zu werden“ 1).
Poole und Contarini gehoͤrten zu ihren vertrauteſten Freun-
den. Ich ſollte nicht glauben, daß ſie ſich geiſtlichen Ue-
bungen auf kloͤſterliche Weiſe ergeben habe. Mit vieler
Naivetaͤt ſchreibt ihr wenigſtens Aretin: ihre Meinung ſey
gewiß nicht, daß es auf das Verſtummen der Zunge, das
Niederſchlagen der Augen, die rauhe Kleidung ankomme,
ſondern auf die reine Seele.


Ueberhaupt war das Haus Colonna, namentlich Ves-
paſiano, Herzog zu Palliano und deſſen Gemahlin, Julia
Gonzaga, dieſelbe, die fuͤr die ſchoͤnſte Frau in Italien ge-
[140]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
golten hat, dieſer Bewegung gewogen. Ein Buch des Val-
dez war der Julia gewidmet.


Aber uͤberdieß hatte dieſe Lehre in den mittlern Staͤn-
den einen ungemeinen Fortgang. Der Bericht der Inqui-
ſition ſcheint faſt zu uͤbertreiben, wenn er 3000 Schulleh-
rer zaͤhlen will, die derſelben angehangen. Doch auch eine
mindere Anzahl, wie tief mußte ſie auf Jugend und Volk
wirken!


Um nicht viel geringer mochte die Theilnahme ſeyn,
die dieſe Lehre in Modena fand. Der Biſchof ſelbſt, Mo-
rone, ein genauer Freund von Poole und Contarini, be-
guͤnſtigte ſie: auf ſein ausdruͤckliches Geheiß ward das
Buch von der Wohlthat Chriſti gedruckt und in vielen
Exemplaren verbreitet; ſein Capellan, Don Girolamo da
Modena, war der Vorſteher einer Akademie, in welcher
die nemlichen Grundſaͤtze herrſchten 1).


Es iſt von Zeit zu Zeit von den Proteſtanten in Ita-
lien die Rede geweſen, und wir haben ſchon mehrere Na-
men genannt, die in den Verzeichniſſen derſelben vorkom-
men. Und gewiß hatten in dieſen Maͤnnern einige Ueber-
zeugungen Wurzel gefaßt, welche in Deutſchland herrſchend
wurden; ſie ſuchten die Lehre auf das Zeugniß der Schrift
zu gruͤnden, in dem Artikel von der Rechtfertigung ſtreiften
ſie nahe an die lutheriſchen Meinungen hin. Allein daß
ſie dieſelben auch in allen andren Stuͤcken getheilt haͤtten,
[141]Analogien des Proteſtantismus in Italien.
kann man nicht ſagen: allzutief war das Gefuͤhl der Ein-
heit der Kirche, die Verehrung fuͤr den Papſt ihren Ge-
muͤthern eingepraͤgt; und gar manche katholiſche Gebraͤuche
hingen zu genau mit der nationalen Sinnesweiſe zuſam-
men, als daß man ſich ſo leicht von ihnen entfernt haͤtte.


Flaminio verfaßte eine Pſalmenerklaͤrung, deren dog-
matiſcher Inhalt von proteſtantiſchen Schriftſtellern gebil-
ligt worden iſt: aber eben dieſelbe verſah er mit einer Zu-
eignung, in welcher er den Papſt „den Waͤchter und Fuͤr-
ſten aller Heiligkeit, den Statthalter Gottes auf Erden“
nannte.


Giovan Battiſta Folengo ſchreibt die Rechtfertigung
allein der Gnade zu: er redet ſogar von dem Nutzen der
Suͤnde, was nicht weit von der Schaͤdlichkeit der guten
Werke entfernt iſt; lebhaft eifert er wider das Vertrauen
auf Faſten, haͤufiges Gebet, Meſſe und Beichte, ja auf
den Prieſterſtand ſelber, Tonſur und Mitra 1); dennoch iſt
er in dem nemlichen Benedictinerkloſter, in welchem er in
ſeinem 16ten Jahre eingekleidet worden, ungefaͤhr in dem
ſechzigſten ruhig geſtorben 2).


Nicht viel anders ſtand es lange Zeit mit Bernardino
Ochino. Glauben wir ſeinen eigenen Worten, ſo war es
von Anfang ein tiefes Verlangen, wie er ſich ausdruͤckt,
„nach dem himmliſchen Paradieſe, das durch die goͤttliche
Gnade erworben wird,“ was ihn dahin brachte, Francis-
caner zu werden. Sein Eifer war ſo gruͤndlich, daß er
[142]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
gar bald zu den ſtrengeren Bußuͤbungen der Capuziner
uͤbertrat. In dem dritten und noch einmal in dem vierten
Capitel dieſes Ordens ward er zum General deſſelben er-
nannt; ein Amt, das er mit außerordentlichem Beifall ver-
waltete. So ſtreng aber auch ſein Leben war: — er ging
immer zu Fuß: er ſchlief auf ſeinem Mantel: nie trank
er Wein: auch andren ſchaͤrfte er vor allem das Gebot
der Armuth ein, als das vornehmſte Mittel, die evange-
liſche Vollkommenheit zu erwerben, — ſo ward er doch
nach und nach von dem Lehrſatz der Rechtfertigung durch
die Gnade uͤberzeugt und durchdrungen. Auf das eindring-
lichſte trug er ſie in dem Beichtſtuhl und auf der Kanzel
vor. „Ich eroͤffnete ihm mein Herz“, ſagt Bembo, „wie
ich es vor Chriſto ſelber thun wuͤrde; mir kam es vor,
als haͤtte ich nie einen heiligeren Mann geſehen.“ Zu ſei-
nen Predigten ſtroͤmten die Staͤdte zuſammen: die Kirchen
waren zu klein: die Gelehrten und das Volk, beide Ge-
ſchlechter, alt und jung, alle wurden befriedigt. Seine
rauhe Kleidung, ſein bis auf die Bruſt herabhaͤngender
Bart, ſeine grauen Haare, ſein bleiches mageres Geſicht
und die Schwaͤche, die von ſeinem hartnaͤckigen Faſten her-
kam, gaben ihm den Ausdruck eines Heiligen 1).


Und ſo gab es noch eine Linie innerhalb des Katho-
licismus, welche von den Analogien der neuen Meinungen
nicht uͤberſchritten wurde. Mit Prieſterthum und Moͤnchs-
weſen ſetzte man ſich in Italien nicht geradezu in Streit;
das Primat des Papſtes anzugreifen, war man weit ent-
[143]Analogien des Proteſtantismus in Italien.
fernt. Wie haͤtte auch z. B. ein Poole nicht daran feſt-
halten ſollen, nachdem er aus England gefluͤchtet war, um
nicht in ſeinem Koͤnige das Haupt der engliſchen Kirche
verehren zu muͤſſen? Sie meinten, wie Ottonel Vida, ein
Schuͤler Vergerios, dieſem ſelber erklaͤrt, „in der chriſtlichen
Kirche habe jeder ſein Amt, der Biſchof die Seelſorge der
Einwohner ſeiner Dioͤces, die er vor der Welt und dem
Boͤſen zu beſchuͤtzen habe: der Metropolitan muͤſſe darauf
achten, daß von den Biſchoͤfen Reſidenz gehalten werde;
die Metropolitane ſeyen dann wieder dem Papſt unterwor-
fen, dem die allgemeine Verwaltung der Kirche aufgetragen
ſey, die er mit heiligem Geiſte leiten ſolle. Seines Amtes
muͤſſe ein Jeder warten“ 1). Die Abſonderung von der
Kirche hielten dieſe Maͤnner fuͤr das aͤußerſte Uebel. Iſi-
doro Clario, ein Mann, der mit Huͤlfe proteſtantiſcher Ar-
beiten die Vulgata verbeſſert, und dazu eine Einleitung
geſchrieben hat, welche einer Expurgation unterworfen wor-
den iſt, mahnte die Proteſtanten in einer eigenen Schrift
von einem ſolchen Vorhaben ab. „Kein Verderben,“ ſagt
er, „koͤnne ſo groß ſeyn, um zu einem Abfall von dem ge-
heiligten Verein zu berechtigen. Sey es nicht beſſer, das-
jenige, was man habe, zu reſtauriren, als ſich unſicheren
Verſuchen, etwas Anderes hervorzubringen, anzuvertrauen?
Nur darauf ſolle man ſinnen, wie das alte Inſtitut zu
verbeſſern und von ſeinen Fehlern zu befreien ſey.“


Unter dieſen Modificationen gab es eine große Anzahl
von Anhaͤngern der neuen Lehre in Italien. Antonio dei
[144]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
Pagliarici zu Siena, der ſelbſt fuͤr den Urheber des Buchs
von der Wohlthat Chriſti gehalten worden, Carneſecchi
aus Florenz, welcher als ein Anhaͤnger und Verbreiter deſ-
ſelben in Anſpruch genommen ward, Giovan Battiſta Rotto
zu Bologna, welcher an Morone, Poole und Vittoria Co-
lonna Beſchuͤtzer hatte und Mittel fand, die Aermſten un-
ter ſeinen Anhaͤngern mit Geld zu unterſtuͤtzen; Fra An-
tonio von Volterra und faſt in jeder Stadt von Italien
irgend ein bedeutender Menſch ſchloſſen ſich ihr an 1).
Es war eine Meinung, entſchieden religioͤs, kirchlich ge-
maͤßigt, welche das ganze Land von einem Ende bis zu
dem andern in allen Kreiſen in Bewegung ſetzte.


Verſuche innerer Reformen und einer Ausſöhnung
mit den Proteſtanten.


Man legt Poole die Aeußerung in den Mund, der
Menſch habe ſich mit der inneren Einſicht zu begnuͤgen,
ohne ſich viel darum zu kuͤmmern, ob es in der Kirche
Irr-
[145]Verſuche innerer Reformen.
Irrthuͤmer und Mißbraͤuche gebe 1). Aber grade von einer
Seite, der er ſelber angehoͤrte, kam der erſte Verſuch einer
Verbeſſerung.


Es iſt vielleicht die ruͤhmlichſte That Pauls III., mit
der er gleich ſeine Thronbeſteigung bezeichnete, daß er einige
ausgezeichnete Maͤnner, ohne andere Ruͤckſicht als auf ihr
Verdienſt, in das Collegium der Cardinaͤle berief. Mit
jenem Venezianer Contarini begann er und dieſer ſoll die
Uebrigen in Vorſchlag gebracht haben. Es waren Maͤn-
ner von unbeſcholtenen Sitten, die im Rufe der Gelehr-
ſamkeit und Froͤmmigkeit ſtanden, denen die Beduͤrfniſſe der
verſchiedenen Laͤnder bekannt ſeyn mußten: Caraffa, der ſich
lange in Spanien und den Niederlanden aufgehalten; Sa-
dolet, Biſchof zu Carpentras in Frankreich; Poole, fluͤch-
tig aus England; Giberto, der, nachdem er lange an der
Leitung der allgemeinen Angelegenheiten Theil gehabt, ſein
Bisthum Verona muſterhaft verwaltete; Federigo Fregoſo,
Erzbiſchof von Salerno; faſt alle, wie wir ſehen, Mitglie-
der jenes Oratoriums der goͤttlichen Liebe: Mehrere in der
nach dem Proteſtantismus neigenden religioͤſen Richtung 2).


Eben dieſe Cardinaͤle waren es nun, welche auf Be-
fehl des Papſtes einen Entwurf kirchlicher Reformen aus-
arbeiteten. Er wurde den Proteſtanten bekannt und ſie haben
ihn nicht ohne Wegwerfung verſpottet. Sie waren frei-
10
[146]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
lich indeſſen um vieles weiter geſchritten. Aber fuͤr die
katholiſche Kirche lag, es iſt ſchwerlich zu leugnen, eine
außerordentliche Bedeutung darin, daß man das Uebel in
Rom ſelbſt angriff, daß man einem Papſt gegenuͤber, den
Paͤpſten vorwarf, wie es in dem Eingange zu dieſer Schrift
heißt, „ſich haͤufig Diener gewaͤhlt zu haben, nicht um
von ihnen zu lernen, was ihre Pflicht erheiſche, ſondern
um ſich das fuͤr erlaubt erklaͤren zu laſſen, wonach ihre
Begierden getrachtet,“ daß man einen ſolchen Mißbrauch
der hoͤchſten Gewalt fuͤr die vornehmſte Quelle des Ver-
derbens erklaͤrte 1).


Und hierbei blieb man nicht ſtehen. Es ſind einige
kleine Schriften von Gaspar Contarini uͤbrig, in denen er
vor allem denjenigen Mißbraͤuchen, welche der Curie Gewinn
brachten, den lebhafteſten Krieg macht. Den Gebrauch
der Compoſitionen — daß man nemlich fuͤr die Verleihung
ſelbſt geiſtlicher Gnaden ſich Geld zahlen ließ — erklaͤrt er
fuͤr Simonie, die man fuͤr eine Art von Ketzerei halten
koͤnne. Man fand es uͤbel gethan, daß er fruͤhere Paͤpſte
tadle. „Wie,“ ruft er aus, „ſollen wir uns ſo ſehr um
den Namen von drei, vier Paͤpſten kuͤmmern, und nicht
lieber verbeſſern was verunſtaltet iſt, und uns ſelber einen
guten Namen erwerben? In der That, es waͤre viel ge-
fordert, alle Thaten aller Paͤpſte zu vertheidigen!“ Den
Mißbrauch der Dispenſationen greift er auf das ernſt-
[147]Verſuche innerer Reformen.
lichſte, nachdruͤcklichſte an. Er findet es goͤtzendieneriſch, zu
ſagen, was wirklich behauptet wurde, der Papſt habe fuͤr
Feſtſetzung und Aufhebung des poſitiven Rechts keine an-
dere Norm als ſeinen Willen. Es iſt der Muͤhe werth,
ihn hieruͤber zu hoͤren. „Chriſti Geſetz,“ ſagt er, „iſt ein
Geſetz der Freiheit und verbietet eine ſo grobe Knecht-
ſchaft, welche die Lutheraner ganz Recht haͤtten mit der
babyloniſchen Gefangenſchaft zu vergleichen. Aber auch
uͤberdieß kann wohl das eine Regierung heißen, deren Re-
gel der Wille eines Menſchen iſt der von Natur zum
Boͤſen neigt und von unzaͤhligen Affecten bewegt wird?
Nein! alle Herrſchaft iſt eine Herrſchaft der Vernunft. Sie
hat den Zweck, diejenigen, die ihr unterworfen ſind, durch
die rechten Mittel zu ihrem Ziele, dem Gluͤck zu fuͤhren.
Auch die Autoritaͤt des Papſtes iſt eine Herrſchaft der Ver-
nunft: Gott hat ſie dem heiligen Peter und deſſen Nach-
folgern verliehen, um die ihnen anvertraute Heerde zur ewi-
gen Seligkeit zu leiten. Ein Papſt muß wiſſen, daß es freie
Menſchen ſind, uͤber die er ſie ausuͤbt. Nicht nach Be-
lieben ſoll er befehlen oder verbieten oder dispenſiren, ſon-
dern nach der Regel der Vernunft, der goͤttlichen Gebote,
und der Liebe: einer Regel, die alles auf Gott und das
gemeine Beſte bezieht. Denn nicht die Willkuͤhr giebt die
poſitiven Geſetze. Sie werden gegeben, indem man das
natuͤrliche Recht und die goͤttlichen Gebote mit den Um-
ſtaͤnden zuſammenhaͤlt; nur nach denſelben Geſetzen und
der unabweislichen Forderung der Dinge koͤnnen ſie geaͤn-
dert werden.“ — „Deine Heiligkeit,“ ruft er Paul III.
zu, „trage Sorge, von dieſer Regel nicht abzuweichen.
10*
[148]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
Wende dich nicht zu der Ohnmacht des Willens, welche
das Boͤſe waͤhlt, zu der Knechtſchaft, die der Suͤnde dient.
Dann wirſt du maͤchtig, dann frei werden; dann wird in
dir das Leben der chriſtlichen Republik enthalten ſeyn“ 1).


Ein Verſuch, wie wir ſehen, ein rationelles Papſtthum
zu gruͤnden. Um ſo merkwuͤrdiger, weil es von derſelben
Lehre uͤber die Juſtification und den freien Willen ausgeht,
die dem proteſtantiſchen Abfall zur Grundlage gedient hat.
Wir vermuthen dieß nicht allein, weil Contarini dieſe Mei-
nungen hegte, er ſagt es ausdruͤcklich. Er fuͤhrt aus, daß
der Menſch zum Boͤſen neige: dieß komme von der Ohn-
macht des Willens her, welcher, ſobald er ſich zu dem Boͤſen
wende, mehr im Leiden als im Thun begriffen ſey; nur
durch Chriſti Gnade werde er frei. Er erkennt demnach
wohl die paͤpſtliche Gewalt an, doch fordert er von ihr die
Richtung auf Gott und das allgemeine Beſte.


Contarini legte ſeine Schriften dem Papſte vor. Im
November 1538 fuhr er mit ihm an einem heitern Tage
nach Oſtia. „Da auf dem Wege,“ ſchreibt er an Poole,
„hat mich dieſer unſer gute Alte bei Seite genommen und
mit mir allein uͤber die Reform der Compoſitionen gere-
det. Er ſagte, den kleinen Aufſatz, den ich daruͤber ge-
ſchrieben, habe er bei ſich und in den Morgenſtunden habe
er ihn geleſen. Ich hatte bereits alle Hoffnung aufgege-
[149]Verſuche innerer Reformen.
ben. Jetzt hat er aber ſo chriſtlich mit mir geredet, daß
ich neue Hoffnung gefaßt habe, Gott werde etwas Gro-
ßes ausrichten und die Pforten der Hoͤlle ſeinen Geiſt nicht
uͤberwaͤltigen laſſen.“ 1).


Es iſt leicht zu erachten, daß eine durchgreifende Ver-
beſſerung der Mißbraͤuche, an die ſich ſo viel perſoͤnliche
Rechte und Anſpruͤche, ſo viele Gewohnheiten des Lebens
knuͤpften, das Schwerſte von allem war, was man unter-
nehmen konnte. Indeß ſchien Papſt Paul nach und nach
ernſtlich daran gehen zu wollen.


So ernannte er Commiſſionen zur Ausfuͤhrung der
Reformen 2), — fuͤr Kammer, Ruota, Kanzlei und Peni-
tenziaria —; auch Giberti berief er wieder zu ſich. Es er-
ſchienen reformatoriſche Bullen: zu dem allgemeinen Conci-
lium, das Papſt Clemens ſo ſehr gefuͤrchtet und geflohen
hatte, das auch Paul III. in ſeinen Privatverhaͤltniſſen
manchen Anlaß finden konnte zu vermeiden, machte man
Anſtalt.


Wie nun, wenn in der That die Verbeſſerungen
Statt fanden, der roͤmiſche Hof ſich reformirte, die Miß-
braͤuche der Verfaſſung abgeſtellt wurden? Wenn dann
das nemliche Dogma, von welchem Luther ausgegangen,
das Prinzip einer Erneuerung im Leben und Lehre ward?
Waͤre da nicht eine Ausſoͤhnung moͤglich geweſen? Denn
auch die Proteſtanten riſſen ſich nur langſam und wider-
ſtrebend von der Einheit der Kirche los.


[150]BuchII.Regeneration des Katholicismus.

Vielen ſchien es moͤglich; auf die Religionsgeſpraͤche
ſetzten nicht Wenige eine ernſtliche Hoffnung.


Der Theorie nach haͤtte ſie der Papſt nicht billigen
ſollen, da ſie nicht ohne Einwirkung der weltlichen Gewalt
Religionsſtreitigkeiten zu entſcheiden ſuchten, uͤber die er ſelber
das oberſte Erkenntniß in Anſpruch nahm. Auch verwahrte
er ſich wohl; jedoch ließ er ſie vor ſich gehen und ſendete
ſeine Abgeordneten dazu.


Er ging dabei mit vieler Behutſamkeit zu Werke: er
waͤhlte immer gemaͤßigte Maͤnner: Leute, die ſpaͤter in vie-
len Faͤllen ſelbſt in den Verdacht des Proteſtantismus ge-
rathen ſind. Fuͤr ihr Leben und politiſches Verhalten gab
er ihnen uͤberdieß verſtaͤndige Anweiſungen.


Als er z. B. Morone’n, der noch jung war, im Jahre
1536 nach Deutſchland ſchickte, verſaͤumte er nicht, ihm
anzuempfehlen, „er ſolle keine Schulden machen, in den
angewieſenen Herbergen bezahlen, ſich ohne Luxus, ſo
wie ohne Armſeligkeit kleiden: zwar die Kirche beſuchen,
aber ja ohne den Schein der Heuchelei.“ Er ſollte die
roͤmiſche Reform, von der ſo viel die Rede geweſen, in
ſeiner Perſon darſtellen: eine durch Heiterkeit gemaͤßigte
Wuͤrde empfahl man ihm an 1). Im Jahre 1540 hatte
der Biſchof von Wien zu einem aͤußerſten Schritte gerathen.
Man ſollte, meinte derſelbe, den Neuglaͤubigen die fuͤr
ketzeriſch erklaͤrten Artikel Luthers und Melanchthons vor-
legen, und ſie kurzweg fragen, ob ſie von denſelben abzu-
ſtehen geneigt ſeyen. Zu einer ſolchen Maaßregel jedoch
[151]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.
wies der Papſt ſeinen Nunzius mit nichten an. „Sie
wuͤrden eher ſterben, fuͤrchten wir,“ ſagt er, „als einen
ſolchen Widerruf leiſten.“ Er wuͤnſcht nur, eine Hoffnung
der Ausſoͤhnung zu ſehen. Bei dem erſten Strahl derſel-
ben will er eine nicht beleidigende Formel ſenden, die von
weiſen und wuͤrdigen Maͤnnern bereits hierzu entworfen
worden. „Waͤre es doch ſchon dahin! Kaum duͤrfen wir
es erwarten“ 1)!


Niemals aber war man naͤher bei einander, als bei
dem Regensburger Geſpraͤch im Jahre 1541. Die politi-
ſchen Verhaͤltniſſe lagen ausnehmend vortheilhaft. Der
Kaiſer, welcher ſich der Kraft des Reiches zu einem Tuͤr-
kenkrieg oder wider Frankreich zu bedienen hatte, wuͤnſchte
nichts dringender, als eine Ausſoͤhnung. Er waͤhlte die
verſtaͤndigſten, gemaͤßigtſten Maͤnner unter den katholiſchen
Theologen, Gropper und Julius Pflug, zu dem Geſpraͤch
aus. Auf der andern Seite ſtand Landgraf Philipp wie-
der gut mit Oeſtreich; er hoffte die oberſte Anfuͤhrung in
dem Kriege, zu dem man ſich ruͤſtete, zu erhalten; mit
Bewunderung und Vergnuͤgen ſah ihn der Kaiſer auf ſei-
nem praͤchtigen Hengſt, kraͤftig wie der, in Regensburg
einreiten. Der friedfertige Bucer, der beugſame Melanch-
thon erſchienen von der proteſtantiſchen Seite.


Wie ſehr auch der Papſt einen gluͤcklichen Erfolg
[152]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
wuͤnſche, zeigte ſchon die Wahl des Legaten, den er ſen-
dete, eben jenes Gaspar Contarini, den wir in die neue
Richtung, welche Italien genommen, ſo tief verflochten,
den wir bei dem Entwurfe allgemeiner Reformen ſo thaͤtig
geſehen. Jetzt trat er in eine noch bedeutendere Stelle,
in die Mitte zwiſchen zwei Meinungen und Parteien, welche
die Welt ſpalteten: in einem vortheilhaften Moment: mit
dem Auftrag und der Ausſicht, ſie zu verſoͤhnen; — eine
Stelle, die uns, wenn nicht die Pflicht auflegt, doch die
Erlaubniß giebt, ſeine Perſoͤnlichkeit naͤher zu betrachten.


Meſſer Gaspar Contarini, der aͤlteſte Sohn aus ei-
nem adlichen Hauſe in Venedig, das nach der Levante han-
delte, hatte ſich beſonders philoſophiſchen Studien gewid-
met. Es iſt nicht unmerkwuͤrdig, wie er dieß that. Er be-
ſtimmte den Tag drei Stunden fuͤr die eigentlichen Stu-
dien; nie wandte er weniger, nie auch mehr darauf; er
begann alle Mal mit genauer Wiederholung; er brachte
es in jeder Disciplin bis zu ihrem Ende: nie uͤberſprang
er eine 1).


Von den Subtilitaͤten der Ausleger des Ariſtoteles
ließ er ſich nicht zu aͤhnlichen Spitzfindigkeiten fortreißen:
er fand, nichts ſey ſcharfſinniger als die Unwahrheit.


Er zeigte das entſchiedenſte Talent, doch noch groͤßere
Feſtigkeit. Nach dem Schmuck der Rede trachtete er nicht:
er druͤckte ſich einfach aus, wie die Sache es forderte.


Wie die Natur in regelrechter Folge hervorbringt,
Jahresring an Jahresring reihend, ſo entwickelte er ſich.


Als er, in ziemlich jungen Jahren, in den Rath der
[153]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.
Pregadi, den Senat ſeiner Vaterſtadt, aufgenommen ward,
wagte er eine Zeitlang nicht zu ſprechen: er haͤtte es ge-
wuͤnſcht, er haͤtte etwas zu ſagen gehabt; doch konnte er
ſich das Herz nicht faſſen; als er es endlich uͤber ſich ge-
wann, ſprach er, zwar weder ſehr anmuthig, noch witzig,
noch heftig und lebhaft, aber ſo einfach und gruͤndlich, daß
er ſich das groͤßte Anſehn verſchaffte.


In die bewegteſten Zeiten war er gefallen. Er er-
lebte, wie ſeine Vaterſtadt ihr Gebiet verlor, und trug
ſelbſt dazu bei, daß ſie es wiedererwarb. Bei der erſten
Ankunft Carls V. in Deutſchland ward er als Geſandter
an ihn geſchickt; hier nahm er den Anfang der Kirchen-
trennung wahr. Sie trafen in Spanien ein, als das
Schiff Vittoria von der erſten Weltumſeglung zuruͤckkam 1):
das Raͤthſel, daß es einen Tag ſpaͤter eintraf, als es nach
ſeinem Tagebuche haͤtte geſchehen ſollen, wußte er, ſo viel
ich finde, zuerſt zu loͤſen. Den Papſt, zu dem er nach
der Eroberung von Rom abgeordnet wurde, half er mit
dem Kaiſer verſoͤhnen. Von ſeiner treffenden, eindringen-
den Anſicht der Welt und ſeiner wohlverſtandenen Vater-
landsliebe, iſt das Buͤchelchen uͤber die venezianiſche Ver-
faſſung — ein ſehr unterrichtendes und wohlgefaßtes Werk-
chen — und ſind die Relazionen uͤber ſeine Geſandtſchaf-
ten, welche ſich hier und da handſchriftlich finden, helle
Zeugniſſe 2).


[154]BuchII.Regeneration des Katholicismus.

Eines Sonntags im Jahre 1535, als grade der große
Rath verſammelt war und Contarini, der indeß in die
wichtigſten Aemter gekommen, bei den Wahlurnen ſaß, traf
die Nachricht ein, Papſt Paul, den er nicht kannte, zu dem
er keinerlei Verhaͤltniß hatte, habe ihn zum Cardinal er-
nannt. Alles eilte herbei, um ihn, den Ueberraſchten, der
es nicht glauben wollte, zu begluͤckwuͤnſchen. Aluiſe Mo-
cenigo, der ihm bisher in den Staatsgeſchaͤften die Wi-
derpart gehalten, rief aus, die Republik verliere ihren be-
ſten Buͤrger 1).


Fuͤr ihn jedoch hatte dieß ehrenvolle Gluͤck auch eine
minder erfreuliche Seite. Sollte er die freie Vaterſtadt
verlaſſen, die ihm ihre hoͤchſten Wuͤrden und auf jeden
Fall einen Wirkungskreis in voͤlliger Gleichheit mit den
Haͤuptern des Staates darbot, um in den Dienſt eines
oft leidenſchaftlichen, durch keine bindenden Geſetze einge-
ſchraͤnkten Papſtes zu treten? Sollte er ſich aus ſeiner
altvaͤteriſchen Republik entfernen, deren Sitten den ſeinen
entſprachen, um ſich in dem Luxus und Glanz des roͤmiſchen
Hofes mit den Uebrigen zu meſſen? Hauptſaͤchlich hat ihn,
wie man verſichert, die Betrachtung, daß in ſo ſchwieri-
gen Zeiten das Beiſpiel der Verachtung einer ſo hohen
Wuͤrde, eine ſchaͤdliche Wirkung haben werde, dazu be-
ſtimmt, ſie anzunehmen 2).



[155]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.

Den ganzen Eifer nun, den er bisher ſeiner Vater-
ſtadt gewidmet, wandte er ſeitdem auf die allgemeinen An-
gelegenheiten der Kirche. Oft hatte er die Cardinaͤle gegen
ſich, die es ſeltſam fanden, daß ein kaum Angekommener,
ein Venezianer den roͤmiſchen Hof reformiren wolle: zuwei-
len auch den Papſt. Er widerſetzte ſich einſt der Ernen-
nung eines Cardinals. „Wir wiſſen,“ ſagte der Papſt,
„wie man in dieſen Gewaͤſſern ſchifft: die Cardinaͤle lieben
es nicht, daß ihnen ein andrer an Ehre gleich werde.“
Betroffen ſagte Contarini: „ich glaube nicht, daß der Car-
dinalhut meine groͤßte Ehre iſt.“


Auch hier behauptete er ſich in ſeiner Strenge, Einfach-
heit, Thaͤtigkeit: in der Wuͤrde und Milde ſeiner Geſinnung.


Die Natur laͤßt das einfach gegliederte Gewaͤchs nicht
ohne den Schmuck der Bluͤthe, in dem ſein Daſeyn ath-
met und ſich mittheilt. In dem Menſchen iſt es die Ge-
ſinnung, welche von allen hoͤhern Kraͤften ſeines Lebens
zuſammen hervorgebracht wird, und ihm dann ſeine mo-
raliſche Haltung, ſeiner Erſcheinung ihren Ausdruck ver-
leiht. In Contarini war es Milde: innere Wahrheit:
keuſche Sittlichkeit; beſonders die tiefere religioͤſe Ueber-
zeugung, die den Menſchen begluͤckt, indem ſie ihn er-
leuchtet.


Voll von dieſer Geſinnnung, gemaͤßigt, mit den Pro-
teſtanten in dem wichtigſten Lehrſtuͤck faſt von der gleichen
Anſicht, erſchien Contarini in Deutſchland; mit einer Re-
generation der Lehre von eben dieſem Punkte aus, der
Abſtellung der Mißbraͤuche hoffte er die Spaltung beilegen
zu koͤnnen.


[156]BuchII.Regeneration des Katholicismus.

Ob ſie aber nicht bereits zu weit gediehen war, ob
die abweichenden Meinungen nicht bereits zu maͤchtig Wur-
zel gefaßt hatten? Ich moͤchte daruͤber doch nicht ſofort
entſcheiden.


Ein andrer Venezianer, Marin Giuſtiniano, der unſer
Vaterland kurz vor dieſem Reichstag verließ, und die Lage
der Dinge ſorgfaͤltig beobachtet zu haben ſcheint, ſchildert
es wenigſtens als ſehr moͤglich 1). Nur ſeyen, findet er,
einige bedeutende Zugeſtaͤndniſſe unerlaͤßlich. Er macht
folgende namhaft. „Der Papſt duͤrfe nicht mehr als
Chriſti Stellvertreter im Weltlichen wie im Geiſtlichen an-
geſehen werden wollen — den ungelehrten und laſterhaften
Biſchoͤfen und Prieſtern muͤſſe man Subſtituten ſetzen, un-
tadelhaft in ihrem Leben und faͤhig das Volk zu unterrich-
ten — weder Verkauf der Meſſe noch Anhaͤufung der Pfruͤn-
den, noch den Mißbrauch der Compoſitionen duͤrfe man laͤnger
dulden — die Uebertretung der Faſtengeſetze hoͤchſtens mit
leichten Strafen belegen; — werde dann die Communion
unter beiden Geſtalten und die Prieſterehe geſtattet, ſo werde
man in Deutſchland ſofort aller Zwietracht abſagen, dem
Papſt in geiſtlichen Dingen Obedienz leiſten, die Meſſe ge-
ſchehen laſſen, die Ohrenbeichte zugeben, und ſogar die
Nothwendigkeit der guten Werke, als einer Frucht des Glau-
bens, inſofern ſie nemlich aus dem Glauben folgen, aner-
kennen. Wie die Zwietracht aus den Mißbraͤuchen entſprun-
gen, ſo werde ſie durch eine Abſtellung derſelben zu heben
ſeyn.“


[157]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.

Hierbei erinnern wir uns, daß Landgraf Philipp von
Heſſen ſchon das Jahr vorher erklaͤrt hatte, die weltliche
Macht der Biſchoͤfe koͤnne geduldet werden, wofern man
ein Mittel finde, auch die geiſtliche gebuͤhrend zu handha-
ben; in Hinſicht der Meſſe koͤnne man ſich wohl verglei-
chen, wenn nur beiderlei Geſtalt nachgelaſſen bleibe 1).
Den paͤpſtlichen Primat, ohne Zweifel unter gewiſſen Be-
dingungen, anzuerkennen erklaͤrte ſich Joachim von Bran-
denburg bereitwillig. Indeſſen naͤherte man ſich auch von
der andern Seite. Der kaiſerliche Botſchafter wiederholte,
man muͤſſe von beiden Seiten nachlaſſen, ſo weit es nur
immer mit Gottes Ehre moͤglich. Auch die Nicht-Prote-
ſtirenden haͤtten es gern geſehen, wenn die geiſtliche Ge-
walt den Biſchoͤfen, die zu eigentlichen Fuͤrſten geworden
waren, in ganz Deutſchland abgenommen und an Super-
intendenten uͤbertragen, wenn in Hinſicht der Verwendung
der Kirchenguͤter eine allgemein guͤltige Veraͤnderung be-
liebt worden waͤre. Man fing bereits an von neutralen
Dingen zu reden, die man thun oder laſſen koͤnne, ſelbſt
in geiſtlichen Churfuͤrſtenthuͤmern wurden Gebete fuͤr den
guͤnſtigen Gang des Ausſoͤhnungswerkes veranſtaltet.


Wir wollen uͤber den Grad der Moͤglichkeit und Wahr-
ſcheinlichkeit dieſes Gelingens nicht ſtreiten: ſehr ſchwer
[158]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
blieb es allemal; aber wenn ſich auch nur eine geringe
Ausſicht zeigte, ſo war es doch einen Verſuch werth;
ſo viel ſehen wir, daß ſich noch einmal eine große Nei-
gung zu einem ſolchen entwickelt hatte, daß ſich ungemeine
Hoffnungen daran knuͤpften.


Nur fragte ſich, ob auch der Papſt, ohne den nichts
geſchehen konnte, von der Strenge ſeiner Forderungen nach-
zulaſſen geneigt ſey. Sehr merkwuͤrdig iſt in dieſer Hin-
ſicht beſonders Eine Stelle der Inſtruction, mit der er Con-
tarini entließ 1).


Die unumſchraͤnkte Vollmacht, auf welche von kaiſer-
licher Seite gedrungen worden, hatte er demſelben nicht
gewaͤhrt. Er vermuthet, es koͤnnten in Deutſchland For-
derungen vorkommen, die kein Legat, die nicht einmal er,
der Papſt ſelbſt, ohne Beirath der anderen Nationen zugeſte-
hen duͤrfe. Doch weiſt er darum nicht alle Unterhandlung
von ſich. Wir muͤſſen erſt ſehen, ſagt er, ob die Proteſtan-
ten in den Principien mit uns uͤbereinkommen, z. B. uͤber
den Primat des heiligen Stuhles, die Sacramente und
einiges andere. Fragt man nun, was dieß Andere ſey,
ſo druͤckt ſich der Papſt daruͤber nicht ganz deutlich aus.
Er bezeichnet es als das, was ſowohl durch die heilige
Schrift, als durch den immerwaͤhrenden Gebrauch der Kirche
gebilligt worden: dem Legaten ſey es bekannt. Auf dieſe
Grundlage, fuͤgt er hinzu, koͤnne man ſich dann uͤber alle
Streitpunkte zu verſtaͤndigen ſuchen 2).


[159]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.

Es iſt wohl keine Frage, daß dieſe unbeſtimmte Art
des Ausdrucks mit Abſicht gewaͤhlt worden war; Paul III.
mochte verſuchen wollen, wie weit Contarini es bringe,
und ſich fuͤr die Ratification nicht im Voraus die Haͤnde
zu binden Luſt haben. Zunaͤchſt ließ er dem Legaten einen
gewiſſen Spielraum. Ohne Zweifel wuͤrde es dieſem neue
Anſtrengungen gekoſtet haben, dasjenige der hartnaͤckigen
Curie annehmlich zu machen, was man in Regensburg,
unmoͤglich zu ihrer vollen Zufriedenheit, erreicht haͤtte; aber
hierauf, auf eine Verſoͤhnung und Vereinigung der verſam-
melten Theologen kam doch fuͤr’s Erſte alles an. Allzu
ſchwankend war noch die vermittelnde Tendenz, ſie konnte
noch nicht bei Namen genannt werden: erſt wenn ſie einen
feſten Punkt gewann, ſo konnte ſie hoffen, ſich weiter gel-
tend zu machen.


An dem 5. April 1541 begann man die Verhandlun-
gen; einen von dem Kaiſer mitgetheilten, von Contarini
nach einigen leichten Abaͤnderungen gebilligten Entwurf legte
man dabei zu Grunde. Gleich hier hielt es der Legat fuͤr
rathſam, von ſeiner Inſtruction einen Schritt abzuwei-
chen. Der Papſt hatte vor allem andern die Anerkennung
2)
[160]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
ſeines Primates gefordert. Contarini ſah wohl, daß an die-
ſer Schwierigkeit, welche die Leidenſchaften ſo leicht in Be-
wegung ſetzen konnte, der Verſuch in ſeinem Beginn ſchei-
tern koͤnne. Er ließ geſchehen, daß von den zur Beſpre-
chung vorgelegten Artikeln der das paͤpſtliche Primat be-
treffende vielmehr der letzte wurde. Er hielt fuͤr beſſer, mit
ſolchen anzufangen, in denen er und ſeine Freunde ſich den
Proteſtanten naͤherten, ohnehin Punkten von der hoͤchſten
Wichtigkeit, welche die Grundlage des Glaubens betrafen.
An den Verhandlungen hieruͤber hatte er den groͤßten An-
theil. Sein Secretaͤr verſichert, daß von den katholiſchen
Theologen nichts beſchloſſen, ſelbſt keine einzelne Aenderung
vorgenommen worden ſey, ohne daß man ihn vorher be-
fragt haͤtte 1). Morone, Biſchof von Modena, Tomaſo
da Modena, Maeſtro di ſacro palazzo, beides Maͤnner, die
in dem Artikel der Juſtification der nemlichen Meinung
waren, ſtanden ihm zur Seite 2). Die Hauptſchwierigkeit
ſetzte ein deutſcher Theologe, jener alte Widerſacher Luthers,
Doctor Eck, entgegen. Allein indem man denſelben noͤ-
thigte, Punkt fuͤr Punkt zu beſprechen, brachte man auch
ihn zuletzt zu genuͤgenden Erklaͤrungen. In der That ver-
einigte man ſich — wer haͤtte es zu hoffen gewagt — in
Kurzem uͤber die vier wichtigen Artikel von der menſchli-
chen Natur, der Erbſuͤnde, der Erloͤſung und ſelbſt der
Juſtification. Contarini geſtand den Hauptpunkt der lu-
theriſchen Lehre zu, daß die Rechtfertigung des Menſchen
ohne
[161]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.
ohne Verdienſt durch den Glauben allein erfolge; er fuͤgte
nur hinzu, daß dieſer Glaube lebendig und thaͤtig ſeyn
muͤſſe. Melanchthon bekannte, daß eben dieß die prote-
ſtantiſche Lehre ſelber ſey 1). Kuͤhnlich behauptet Bucer,
in den verglichenen Artikeln ſey alles einbegriffen, „was
dazu gehoͤre, um vor Gott und in der Gemeinde gottſelig,
gerecht und heilig zu leben“ 2). Eben ſo zufrieden war
man auf der andern Seite. Der Biſchof von Aquila nennt
dieß Colloquium heilig: er zweifelt nicht, daß es die Ver-
ſoͤhnung der Chriſtenheit herbeifuͤhren werde. Mit Freu-
den hoͤrten die gleichgeſinnten Freunde Contarini’s, wie
weit er gekommen ſey. „Wie ich dieſe Uebereinſtimmung
der Meinung bemerkt,“ ſchreibt ihm Poole, „habe ich ein
Wohlgefuͤhl empfunden, wie es mir keine Harmonie der
Toͤne haͤtte verſchaffen koͤnnen. Nicht allein weil ich Friede
und Eintracht kommen ſehe, ſondern auch weil dieſe Artikel
die Grundlage des geſammten chriſtlichen Glaubens ſind.
Zwar ſcheinen ſie von mancherlei zu handeln, von Glau-
ben, Werken und Rechtfertigung: auf dieſe jedoch, die Recht-
fertigung, gruͤndet ſich alles uͤbrige, und ich wuͤnſche dir
Gluͤck, ich danke Gott, daß die Theologen beider Par-
teien ſich daruͤber vereinigt haben. Wir hoffen, er, der
ſo barmherzig angefangen hat, wird es auch vollenden“ 3).


11
[162]BuchII.Regeneration des Katholicismus.

Ein Moment, wenn ich nicht irre, fuͤr Deutſchland,
ja fuͤr die Welt von weſentlicher Bedeutung. Fuͤr jenes:
die Punkte, die wir beruͤhrt haben, ſchließen die Abſicht
ein, die geſammte geiſtliche Verfaſſung der Nation zu
aͤndern, und ihr dem Papſt gegenuͤber eine freiere, ſeiner
weltlichen Eingriffe uͤberhobene, ſelbſtſtaͤndige Stellung zu
geben. Die Einheit der Kirche, und mithin der Nation
waͤre behauptet worden. Unendlich viel weiter aber wuͤrde
der Erfolg nachgewirkt haben. Wenn die gemaͤßigte Par-
tei, von welcher dieſe Verſuche ausgingen und geleitet wur-
den, in Rom und Italien die Oberhand zu behaupten ver-
ſtand, welch eine ganz andere Geſtalt haͤtte auch die ka-
tholiſche Welt annehmen muͤſſen!


Allein ein ſo ungemeines Reſultat ließ ſich nicht ohne
lebhaften Kampf erreichen.


Was zu Regensburg beſchloſſen worden, mußte auf
der einen Seite durch die Billigung des Papſtes, auf der
andern durch die Beiſtimmung Luthers, an den man ſogar
eine eigene Geſandtſchaft abordnete, beſtaͤtigt werden.


Aber ſchon hier zeigten ſich viele Schwierigkeiten.
Luther konnte ſich nicht uͤberzeugen, daß auch auf der an-
dern Seite die Lehre von der Juſtification Wurzel ge-
3)
[163]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.
faßt habe. Seinen alten Gegner hielt er mit Recht fuͤr
unverbeſſerlich, und doch war dieſer auch hierbei thaͤtig ge-
weſen. In den verglichenen Artikeln ſieht Luther nichts
als ein Stuͤckwerk, zuſammengeſetzt aus beiden Meinun-
gen: er, der ſich immer im Kampfe zwiſchen Himmel und
Hoͤlle erblickte, glaubte auch hier das Treiben des Satans
zu erkennen. Seinem Herrn, dem Churfuͤrſten, rieth er auf
das dringendſte ab, den Reichstag perſoͤnlich zu beſuchen.
„Grade er ſey der, den der Teufel ſuche“ 1). Auf das Er-
ſcheinen und die Beiſtimmung des Churfuͤrſten waͤre in der
That unendlich viel angekommen.


Indeſſen waren dieſe Artikel auch nach Rom gelangt.
Sie erregten ein ungemeines Aufſehn. An der Erklaͤrung
uͤber die Rechtfertigung nahmen beſonders die Cardinaͤle
Caraffa und San Marcello großen Anſtoß, und nur mit
Muͤhe konnte ihnen Priuli den Sinn derſelben deutlich
machen 2). So entſchieden jedoch druͤckte ſich der Papſt
nicht ſogleich aus, wie Luther. Cardinal Farneſe ließ an
den Legaten ſchreiben: Seine Heiligkeit billige weder noch
mißbillige ſie dieſen Schluß. Aber alle Anderen, die ihn
geſehen, ſeyen der Meinung, vorausgeſetzt, daß der Sinn
deſſelben mit dem katholiſchen Glauben uͤbereinſtimme, ſo
koͤnnten die Worte doch deutlicher ſeyn.


Aber ſo ſtark auch dieſe theologiſche Oppoſition ſeyn
mochte, ſo war ſie doch weder die einzige noch vielleicht
11*
[164]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
die wirkſamſte. Noch eine andre kam von der politiſchen
Seite her.


Eine Verſoͤhnung, wie man ſie vorhatte, wuͤrde Deutſch-
land eine ungewohnte Einheit, und dem Kaiſer, der ſich
deren haͤtte bedienen koͤnnen, eine außerordentliche Macht
verliehen haben 1). Als das Oberhaupt der gemaͤßigten
Partei haͤtte er beſonders alsdann, wenn es zu einem Con-
cilium gekommen waͤre, ein oberſtes Anſehn in ganz Eu-
ropa erlangen muͤſſen. Hierwider erhoben ſich wie natuͤr-
lich alle gewohnten Feindſeligkeiten.


Franz I. glaubte ſich unmittelbar bedroht und ver-
ſaͤumte nichts, um die Vereinigung zu hintertreiben. Leb-
haft beklagte er ſich uͤber die Zugeſtaͤndniſſe, die der Legat
zu Regensburg mache 2). „Sein Betragen nehme den Gu-
[165]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.
ten den Muth und erhoͤhe ihn den Boͤſen: er werde es
aus Nachgiebigkeit gegen den Kaiſer noch ſo weit kommen
laſſen, daß der Sache nicht weiter zu helfen ſey. Man haͤtte
doch auch andere Fuͤrſten zu Rathe ziehen ſollen.“ Er nahm
die Miene an, als ſehe er Papſt und Kirche in Gefahr.
Er verſprach ſie mit ſeinem Leben, mit allen Kraͤften ſei-
nes Reichs zu vertheidigen.


Und ſchon hatten zu Rom nicht allein die angedeute-
ten geiſtlichen Bedenklichkeiten Wurzel gefaßt. Ueberdieß be-
merkte man, daß der Kaiſer bei der Eroͤffnung des Reichs-
tags, wo er eines allgemeinen Conciliums Meldung ge-
than, dabei nicht geſagt hatte, der Papſt allein habe es
zu berufen. Man glaubte Andeutungen zu finden, daß er
ſelbſt dieß Recht in Anſpruch nehme. In den alten Arti-
keln, mit Clemens VII. zu Barcelona abgeſchloſſen, wollte
man eine dahin zielende Stelle bemerken. Und ſagten nicht
die Proteſtanten fortwaͤhrend, ein Concilium zu berufen
ſtehe dem Kaiſer zu? Wie leicht konnte er ihnen da nach-
geben, wo ſein Vortheil mit ihrer Lehre ſo augenſcheinlich
zuſammenfiel 1). Es haͤtte dieß die groͤßte Gefahr einer
Spaltung eingeſchloſſen.


Indeſſen regte man ſich auch in Deutſchland. Schon
Giuſtinian verſichert, die Macht, welche der Landgraf da-
durch erworben, daß er ſich an die Spitze der proteſtanti-
ſchen Partei geſtellt, erwecke in Anderen den Gedanken,
ſich eine aͤhnliche an der Spitze der Katholiſchen zu ver-
ſchaffen. Ein Theilnehmer dieſes Reichstags zeigt uns an,
[166]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
daß die Herzoͤge von Baiern jeder Uebereinkunft abhold
ſeyen. Auch der Churfuͤrſt von Mainz war entſchieden
dagegen. Er warnt den Papſt in einem eigenen Schrei-
ben vor einem Nationalconcilium, ja vor einem Conci-
lium, das uͤberhaupt in Deutſchland gehalten werde; „all-
zuviel wuͤrde man darin zugeſtehen muͤſſen“ 1). Es fin-
den ſich noch andere Schreiben, in denen ſich andere
deutſche Katholiken unmittelbar bei dem Papſt uͤber den
Fortgang, den der Proteſtantismus auf dem Reichstag
nehme, die Nachgiebigkeit Groppers und Pflugs, die Ent-
fernung der katholiſchen Fuͤrſten von dem Geſpraͤche be-
klagen 2).


Genug, in Rom, Frankreich und Deutſchland erhob
ſich unter den Feinden Carls V., unter den, ſey es in
Wahrheit oder zum Schein, eifrigſten Katholiken eine
ſcharfe Oppoſition wider das vermittelnde Vorhaben deſſel-
ben. In Rom bemerkte man eine ungewohnte Vertraulich-
keit des Papſtes mit dem franzoͤſiſchen Botſchafter: es hieß,
er wolle ſeine Enkelin Vittoria Farneſe mit einem Guiſe
vermaͤhlen.


Es konnte nicht anders kommen: dieſe Bewegungen
mußten eine lebhafte Ruͤckwirkung auf die Theologen aͤu-
ßern. Eck hielt ſich ohnehin zu Baiern. „Die Feinde
des Kaiſers,“ ſagt der Secretaͤr Contarini’s, „innerhalb
[167]Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.
Deutſchland und außerhalb, die ſeine Groͤße fuͤrchteten, wo-
fern er ganz Deutſchland vereinige, fingen an Unkraut un-
ter jene Theologen zu ſaͤen. Der Neid des Fleiſches unter-
brach dieß Colloquium“ 1). Bei den Schwierigkeiten des
Gegenſtandes an ſich iſt es kein Wunder, wenn man ſich
ſeitdem uͤber keinen Artikel weiter vergleichen konnte.


Man uͤbertreibt die Gerechtigkeit, wenn man die Schuld
hiervon den Proteſtanten allein oder auch nur hauptſaͤchlich
zuſchreibt. In Kurzem ließ der Papſt dem Legaten als
ſeine feſte Willensmeinung ankuͤndigen, er ſolle weder oͤf-
fentlich noch als Privatmann einen Beſchluß billigen, in
welchem die katholiſche Meinung anders als in ſolchen
Worten die keiner Zweideutigkeit Raum geben, enthalten
ſey. Die Formeln, in denen Contarini die verſchiedenen
Meinungen uͤber das Primat des Papſtes und die Gewalt
der Concilien zu vereinigen gedacht hatte, verwarf man zu
Rom unbedingt 2). Der Legat mußte ſich zu Erklaͤrungen
bequemen, die mit ſeinen fruͤheren Aeußerungen ſelbſt in
Widerſpruch zu ſtehen ſchienen.


Damit doch etwas geſchehen waͤre, wuͤnſchte der Kai-
ſer wenigſtens, daß man ſich bis auf Weiteres in den ver-
glichenen Artikeln an die gefundenen Formeln halten, in
den uͤbrigen die Abweichungen zu beiden Seiten toleriren
[168]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
moͤge. Allein dazu war weder Luther zu bewegen noch der
Papſt. Man meldet dem Cardinal, das ganze Collegium
habe einſtimmig beſchloſſen, auf eine Toleranz in ſo we-
ſentlichen Artikeln unter keiner Bedingung einzugehn.


Nach ſo großen Hoffnungen, ſo gluͤcklichem Anfang
kehrte Contarini unverrichteter Dinge zuruͤck. Er haͤtte
gewuͤnſcht, den Kaiſer nach den Niederlanden zu begleiten,
doch ward es ihm verſagt. In Italien mußte er die Af-
terreden vernehmen, die uͤber ſein Betragen, uͤber die an-
geblichen Conceſſionen, welche er den Proteſtanten gemacht
habe, von Rom aus in dem ganzen Lande waren verbrei-
tet worden. Er war hochgeſinnt genug, das Mißlingen
ſo umfaſſender Abſichten noch ſchmerzlicher zu empfinden.


Welch eine großartige Stellung war es, welche die
gemaͤßigte katholiſche Meinung in ihm eingenommen hatte.
Da es ihr aber nicht gelang, ihre Welt-Intention durch-
zuſetzen, ſo war es die Frage, ob ſie ſich auch nur be-
haupten wuͤrde. Jede große Tendenz traͤgt in ſich ſelber
die unabweisliche Aufgabe ſich geltend zu machen und durch-
zuſetzen. Kann ſie die Herrſchaft nicht erlangen, ſo ſchließt
dieß ihren nahen Ruin ein.


Neue Orden.


Schon hatte ſich indeß eine andere Richtung entwik-
kelt, der geſchilderten urſpruͤnglich nahe verwandt, aber
immer abweichender, und ob wohl auch auf eine Reform
[169]Neue Orden.
angelegt, mit dem Proteſtantismus durchaus in Ge-
genſatz.


Wenn Luther das bisherige Prieſterthum in ſeinem
Prinzip und Begriff verwarf, ſo erhob ſich dagegen in Ita-
lien eine Bewegung, um eben dieſes Prinzip herzuſtellen
und durch ſtrengere Feſthaltung aufs neue in der Kirche
geltend zu machen. Auf beiden Seiten nahm man das
Verderben der geiſtlichen Inſtitute wahr. Aber waͤhrend
man in Deutſchland nur mit der Aufloͤſung des Moͤnch-
thums befriedigt wurde, ſuchte man es in Italien zu ver-
juͤngen; waͤhrend dort der Clerus ſich von ſo vielen Feſſeln
befreite, die er bisher getragen, dachte man hier darauf,
ihm eine ſtrengere Verfaſſung zu geben. Einen durchaus
neuen Weg ſchlugen wir dieſſeit der Alpen ein; jenſeit da-
gegen wiederholte man Verſuche, wie ſie ſeit Jahrhunder-
ten von Zeit zu Zeit Statt gefunden.


Denn von jeher hatten ſich die kirchlichen Inſtitute
zur Verweltlichung geneigt und dann nicht ſelten wieder
von neuem an ihren Urſprung erinnert und zuſammengenom-
men werden muͤſſen. Wie fanden es ſchon die Carolingen
ſo nothwendig, den Clerus, nach der Regel des Chro-
degang zu gemeinſchaftlichem Leben, zu freier Unterord-
nung anzuhalten! Den Kloͤſtern ſelbſt genuͤgte nicht
lange die einfache Regel Benedicts von Nurſia: waͤhrend
des 10ten und 11ten Jahrhunderts ſehen wir allenthalben
enge geſchloſſene Congregationen, mit beſondern Regeln,
nach dem Vorgang von Clugny, nothwendig werden. Auf
der Stelle hatte dieß ſeine Ruͤckwirkung auf die Weltgeiſt-
lichkeit; durch die Einfuͤhrung des Coͤlibats ward ſie, wie
[170]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
beruͤhrt, beinahe ſelber einer Ordensregel unterworfen. Nichts
deſto minder und trotz des großen geiſtlichen Impulſes,
welchen die Kreuzzuͤge den Nationen gaben, ſo daß ſogar
die Ritter und Herren ihr Kriegshandwerk den Formen
moͤnchiſcher Geſetze unterwarfen, waren alle dieſe Inſtitute
in tiefen Verfall gerathen, als ſich die Bettelmoͤnche er-
hoben. In ihrem Anfang haben ſie ohne Zweifel zur Her-
ſtellung urſpruͤnglicher Einfachheit und Strenge beigetra-
gen, allein wir ſahen, wie auch ſie allmaͤhlig verwildert
und verweltlicht waren, wie gerade in ihnen ein Hauptmo-
ment des Verderbens der Kirche wahrgenommen wurde.


Schon ſeit dem Jahre 1520 und ſeitdem immer leb-
hafter, je weitere Fortſchritte der Proteſtantismus in Deutſch-
land machte, regte ſich in den Laͤndern, die von demſelben
noch nicht ergriffen worden, das Gefuͤhl der Nothwendig-
keit einer neuen Verbeſſerung der hierarchiſchen Inſtitute. In
den Orden ſelbſt, bald in dem einen, bald in dem andern,
trat es hervor.


Trotz der großen Abgeſchiedenheit des Ordens von
Camaldoli fand ihn Paolo Giuſtiniani in das allgemeine
Verderben verflochten. Im Jahre 1522 ſtiftete er eine
neue Congregation deſſelben, die von dem Berge, auf wel-
chem ſie hernach ihren vornehmſten Sitz hatte, den Namen
Monte Corona empfing 1). Zur Erreichung geiſtlicher Voll-
lommenheit hielt Giuſtiniani drei Dinge fuͤr weſentlich:
[171]Neue Orden.
Einſamkeit, Geluͤbde und die Trennung der Moͤnche in ver-
ſchiedene Zellen. Dieſer kleinen Zellen und Bethaͤuſer, wie
man ſie noch hie und da findet, auf den hoͤchſten Bergen,
in reizender Wildniß, welche die Seele zugleich zu erhabe-
nem Schwung und tiefer Ruhe einzuladen ſcheinen, ge-
denkt er in einem ſeiner Briefe mit beſonderer Genug-
thuung 1). In alle Welt hat ſich die Reform dieſer Ere-
miten verbreitet.


Unter den Franziscanern, in denen das Verderben
vielleicht am tiefſten eingeriſſen war, verſuchte man nach ſo
vielen Reformen noch eine neue. Die Capuziner beabſichtig-
ten die Einrichtungen des erſten Stifters herzuſtellen, den
Gottesdienſt bei Mitternacht, das Gebet in den beſtimmten
Stunden, Disciplin und Stillſchweigen, die ganze ſtrenge
Lebensordnung der urſpruͤnglichen Inſtitution. Man muß
uͤber die Wichtigkeit laͤcheln, die ſie geringfuͤgigen Dingen
beilegten; daruͤber iſt aber nicht zu verkennen, daß ſie ſich
auch wieder z. B. waͤhrend der Peſt von 1528 ſehr wak-
ker benahmen.


Indeſſen war mit einer Reform der Orden allein nicht
viel gethan, da die Weltgeiſtlichkeit ſo ganz ihrem Berufe
entfremdet war. Sollte eine Verbeſſerung wirklich etwas
bedeuten, ſo mußte ſie dieſe betreffen.


Wir ſtoßen hier nochmals auf Mitglieder jenes roͤ-
miſchen Oratoriums. Zwei von ihnen, Maͤnner, wie es
ſchien, uͤbrigens von ganz entgegengeſetztem Character, un-
ternahmen, eine ſolche vorzubereiten. Der eine: Gaetano
[172]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
da Thiene, friedfertig, ſtillehin, ſanftmuͤthig, von wenig
Worten, den Entzuͤckungen eines geiſtlichen Enthuſiasmus
hingegeben: von dem man geſagt, er wuͤnſche die Welt zu
reformiren, aber ohne daß man wiſſe er ſey auf der
Welt 1). Der andere: Johann Peter Caraffa, von dem
noch ausfuͤhrlich zu reden ſeyn wird: heftig, aufbrauſend,
ſtuͤrmiſch, ein Zelot. Auch Caraffa aber erkannte, wie er
ſagte, daß ſein Herz nur um ſo bedraͤngter geworden, je
mehr es ſeinem Begehren nachgegangen ſey; daß es nur
Ruhe finden koͤnne, wenn es ſich ſelbſt fuͤr Gott verlaſſe;
nur in dem Umgang mit himmliſchen Dingen. So trafen
ſie in dem Beduͤrfniß der Zuruͤckgezogenheit, die dem Einen
Natur, dem Andern Wunſch und Begehren, und in der
Neigung zu geiſtlicher Thaͤtigkeit zuſammen. Ueberzeugt
von der Nothwendigkeit einer Reform vereinigten ſie ſich zu
einem Inſtitut, — man hat es den Orden der Theatiner
genannt — das zugleich Contemplation und Verbeſſerung
des Clerus zu ſeinem Endzweck hatte 2).


Gaetano gehoͤrte zu den Protonari partecipanti: er gab
dieſe Pfruͤnde: Caraffa beſaß das Bisthum Chieti, das
Erzbisthum Brindiſi: er gab ſie beide auf. Mit zwei
[173]Neue Orden.
enge verbuͤndeten Freunden, die ebenfalls Mitglieder jenes
Oratoriums geweſen waren, legten ſie am 14. September
1524 feierlich die drei Geluͤbde ab 1). Das Geluͤbde der
Armuth mit dem beſondern Zuſatz, daß ſie nicht allein
nichts beſitzen, ſondern auch das Betteln vermeiden wuͤr-
den: in ihrem Hauſe wollten ſie die Almoſen erwarten.
Nach kurzem Aufenthalt in der Stadt bezogen ſie ein klei-
nes Haus auf dem Monte Pincio, bei der Vigna Capi-
ſucchi, aus der ſpaͤter die Villa Medici geworden, wo da-
mals, obwohl innerhalb der Mauern von Rom eine tiefe
Einſamkeit war: hier lebten ſie in der Armuth, die ſie ſich
vorgeſchrieben, in geiſtlichen Uebungen, in dem genau vorge-
zeichneten und alle Monat wiederholten Studium der Evan-
gelien: dann gingen ſie nach der Stadt herab, um zu pre-
digen.


Sie nannten ſich nicht Moͤnche, ſondern regulare Cle-
riker: ſie waren Prieſter mit Moͤnchsgeluͤbden. Ihre Ab-
ſicht war, eine Art von Prieſterſeminar einzurichten. Das
Breve ihrer Stiftung erlaubte ihnen ausdruͤcklich, Welt-
geiſtliche aufzunehmen. Eine beſtimmte Form und Farbe
der Tracht legten ſie ſich urſpruͤnglich nicht auf: der Ge-
brauch der Landesgeiſtlichkeit ſollte dieſelbe beſtimmen. Auch
den Gottesdienſt wollten ſie allenthalben nach landuͤblichen
Gebraͤuchen halten. Und ſo machten ſie ſich von vielem
frei, was die Moͤnche feſſelte; ſie erklaͤrten ausdruͤcklich:
weder in Leben noch Gottesdienſt ſolle irgend ein Gebrauch
das Gewiſſen verpflichten 2); dagegen wollten ſie ſich den
[174]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
clericaliſchen Pflichten widmen, der Predigt, der Verwal-
tung der Sacramente, der Beſorgung der Kranken.


Da ſah man wieder, was in Italien ganz außer Ge-
brauch gekommen, Prieſter auf den Kanzeln erſcheinen: mit
dem Barett, dem Kreuz und der clericaliſchen Cotta. Zu-
naͤchſt in jenem Oratorium: oft auch in Form der Miſſion
in den Straßen. Caraffa ſelbſt predigte: er entwickelte
jene uͤberſtroͤmende Beredſamkeit, die ihm bis zu ſeinem
Tode eigen geblieben. Er und ſeine Gefaͤhrten, meiſtens
Maͤnner, die zu dem Adel gehoͤrten, und ſich der Genuͤſſe
der Welt haͤtten erfreuen koͤnnen, fingen an die Kranken
in Privathaͤuſern und Spitaͤlern aufzuſuchen, den Sterben-
den beizuſtehen.


Eine Wiederaufnahme der clericaliſchen Pflichten, die
von großer Wichtigkeit iſt. Zwar wurde dieſer Orden nicht
eigentlich ein Seminar von Prieſtern: dazu war er niemals
zahlreich genug: allein er bildete ſich zu einem Seminar von
Biſchoͤfen aus. Er ward mit der Zeit der eigentlich adliche
Prieſterorden: und wie von allem Anfang ſorgfaͤltig bemerkt
wird, daß die neuen Mitglieder von edler Herkunft geweſen,
ſo haben ſpaͤter hier und da Adelsproben dazu gehoͤrt, um in
denſelben aufgenommen zu werden. Man begreift leicht,
daß der urſpruͤngliche Plan, von Almoſen leben zu wollen,
ohne darum zu bitten, nur unter ſolchen Bedingungen aus-
zufuͤhren ſtand.



[175]Neue Orden.

Die Hauptſache indeſſen war, daß der gute Gedanke,
die clericaliſchen Pflichten und Weihen mit Moͤnchsgeluͤb-
den zu vereinigen, ſich auch an anderen Stellen Beifall
und Nachahmung erwarb.


Seit 1521 war Oberitalien mit fortwaͤhrendem Krieg
und in deſſen Gefolge mit Verwuͤſtung, Hungersnoth
und Krankheiten angefuͤllt. Wie viele Kinder waren auch
da zu Waiſen geworden und drohten an Leib und Seele
zu Grunde zu gehen. Gluͤcklicherweiſe wohnt unter den
Menſchen neben dem Ungluͤck das Erbarmen. Ein vene-
zianiſcher Senator Girolamo Miani ſammelte die Kinder,
welche die Flucht nach Venedig gefuͤhrt und nahm ſie in
ſein Haus auf; er fuhr nach den Inſeln um die Stadt
her, um ſie zu ſuchen: ohne viel auf die keifende Schwaͤ-
gerin zu hoͤren, verkaufte er das Silberzeug und die ſchoͤn-
ſten Teppiche des Hauſes, um den Kindern Wohnung und
Kleidung, Lebensmittel und Lehrmeiſter zu verſchaffen. All-
maͤhlig widmete er dieſem Berufe ausſchließend ſeine Thaͤ-
tigkeit. Vorzuͤglich in Bergamo hatte er großen Erfolg.
Das Hoſpital, das er daſelbſt gruͤndete, fand ſo gute Un-
terſtuͤtzung, daß er Muth bekam, auch in andern Staͤdten
etwas Aehnliches zu verſuchen. Nach und nach wurden in
Verona, Brescia, Ferrara, Como, Mailand, Pavia, Genua,
aͤhnliche Spitaͤler gegruͤndet. Endlich trat er mit einigen
gleichgeſinnten Freunden in eine Congregation, nach dem
Muſter der Theatiner, von regularen Clerikern zuſammen,
die den Namen di Somasca fuͤhrt. Hauptſaͤchlich die Er-
ziehung war ihre Beſtimmung. Ihre Spitaͤler bekamen
eine gemeinſchaftliche Verfaſſung 1).


[176]BuchII.Regeneration des Katholicismus.

Wenn irgend eine andere Stadt, ſo hatte Mailand in
ſo haͤufiger Belagerung und Eroberung bald von der einen,
bald von der andren Seite jene Uebel des Krieges erfah-
ren. Sie durch Mildthaͤtigkeit zu lindern — die damit
verbundene Verwilderung durch Unterricht, Predigt und
Beiſpiel zu heben, war der Zweck der drei Stifter des
Barnabitenordens, Zaccaria, Ferrari und Morigia. Man
ſieht, wie nahe er jenem verwandt iſt. Er waͤhlte auch
die Form von regularen Clerikern.


Was aber auch alle dieſe Congregationen in ihrem
Kreiſe ausrichten mochten, ſo war doch entweder die Be-
ſchraͤnkung des Zweckes, wie bei den zuletzt genannten, oder
die in der Natur der Sache liegende Beſchraͤnkung der Mit-
tel, wie bei den Theatinern, einer allgemeinen, durchgreifen-
den Wirkſamkeit hinderlich. Merkwuͤrdig ſind ſie, weil ſie
in freier Entſtehung eine große Tendenz bezeichnen, die zur
Wiederherſtellung des Katholicismus unendlich viel beitrug:
aber um dem kuͤhnen Fortgang des Proteſtantismus Wider-
ſtand zu leiſten, waren andere Kraͤfte erforderlich.


Auf einem aͤhnlichen Wege, aber auf eine ſehr uner-
wartete hoͤchſt eigenthuͤmliche Weiſe entwickelten ſich dieſe.



Ig-
[177]Ignatius Loyola.

Ignatius Loyola.


Von allen Ritterſchaften der Welt hatte allein die ſpa-
niſche noch etwas von ihrem geiſtlichen Element behauptet.
Die Kriege mit den Mauren, die auf der Halbinſel kaum
geendigt, in Africa noch immer fortgeſetzt wurden, die
Nachbarſchaft der zuruͤckgebliebenen und unterjochten Moris-
ken ſelbſt, mit denen man ſtets in glaubensfeindlicher Be-
ruͤhrung blieb, die abenteuerlichen Zuͤge gegen andere Un-
glaͤubige jenſeit des Weltmeers erhielten dieſen Geiſt. In
Buͤchern, wie der Amadis, voll einer naiv-ſchwaͤrmeriſchen
loyalen Tapferkeit ward er idealiſirt.


Don Iñigo Lopez de Recalde 1), der juͤngſte Sohn
aus dem Hauſe Loyola, auf dem Schloſſe dieſes Namens
zwiſchen Azpeitia und Azcoitia in Guipuscoa geboren,
aus einem Geſchlechte, welches zu den beſten des Landes
gehoͤrte — de parientes mayores — deſſen Haupt alle-
mal durch ein beſonderes Schreiben zur Huldigung einge-
laden werden mußte, aufgewachſen an dem Hofe Ferdi-
nands des Katholiſchen und in dem Gefolge des Herzogs
von Najara, war erfuͤllt von dieſem Geiſte. Er ſtrebte
nach dem Lobe der Ritterſchaft; ſchoͤne Waffen und Pferde,
der Ruhm der Tapferkeit, die Abenteuer des Zweikampfs
und der Liebe hatten fuͤr ihn ſo viel Reiz wie fuͤr einen
12
[178]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
Andern; aber auch die geiſtliche Richtung trat in ihm leb-
haft hervor: den Erſten der Apoſtel hat er in dieſen Jah-
ren in einer Ritterromanze beſungen 1).


Wahrſcheinlich jedoch wuͤrden wir ſeinen Namen un-
ter den uͤbrigen tapferer ſpaniſcher Hauptleute leſen, de-
nen Carl V. ſo viele Gelegenheit gab, ſich hervorzuthun,
haͤtte er nicht das Ungluͤck gehabt, bei der Vertheidigung
von Pamplona gegen die Franzoſen im Jahre 1521 von
einer doppelten Wunde an beiden Beinen verletzt, und
obwohl er ſo ſtandhaft war, daß er ſich zu Hauſe, wo-
hin man ihn gebracht, den Schaden zwei Mal aufbre-
chen ließ, — in dem heftigſten Schmerz kniff er nur
die Fauſt zuſammen — auf das ſchlechteſte geheilt zu
werden.


Er kannte und liebte die Ritterromane, vor allem den
Amadis. Indem er jetzt ſeine Heilung abwartete, bekam
er auch das Leben Chriſti und einiger Heiligen zu leſen.


Phantaſtiſch von Natur, aus einer Bahn weggeſchleu-
dert, die ihm das glaͤnzendſte Gluͤck zu verheißen ſchien,
jetzo zugleich zur Unthaͤtigkeit gezwungen und durch die
Krankheit gereizt, gerieth er in den ſeltſamſten Zuſtand von
der Welt. Auch die Thaten des S. Franciscus und S.
Dominicus, die hier in allem Glanze geiſtlichen Ruhmes
vor ihm erſchienen, daͤuchten ihm nachahmungswuͤrdig, und
wie er ſie ſo las, fuͤhlte er Muth und Tuͤchtigkeit, ſie nach-
zuahmen, mit ihnen in Entſagung und Strenge zu wettei-
fern 2). Nicht ſelten wichen dieſe Ideen freilich noch vor ſehr
[179]Ignatius Loyola.
weltlichen Gedanken. Er malte ſich nicht minder aus, wie er
die Dame, deren Dienſte er ſich in ſeinem Herzen gewidmet —
ſie ſey keine Graͤfin geweſen, ſagt er ſelbſt, keine Herzogin,
ſondern noch mehr als dieß — in der Stadt, wo ſie wohne,
aufſuchen, mit welchen Worten zierlich und ſcherzhaft er
ſie anreden, wie er ihr ſeine Hingebung bezeigen, welche
ritterliche Uebungen er ihr zu Ehren ausfuͤhren wolle.
Bald von jenen bald von dieſen Phantaſien ließ er ſich
hinreißen: ſie wechſelten in ihm ab.


Je laͤnger es aber dauerte, je ſchlechteren Erfolg ſeine
Heilung hatte, um ſo mehr bekamen die geiſtlichen die
Oberhand. Sollten wir ihm wohl Unrecht thun, wenn
wir dieß auch mit daher ableiten, daß er allmaͤhlig ein-
ſah, er koͤnne doch nicht vollkommen hergeſtellt und nie-
mals wieder recht zu Kriegsdienſt und Ritterehre tauglich
werden?


Auch war es nicht ein ſo ſchroffer Uebergang zu et-
was durchaus Verſchiedenem, wie man vielleicht glauben
koͤnnte. In ſeinen geiſtlichen Uebungen, deren Urſprung
immer mit auf die erſten Anſchauungen ſeiner Erweckung
zuruͤckgefuͤhrt worden, ſtellt er ſich zwei Heerlager vor,
eins bei Jeruſalem, das andere bei Babylon; Chriſti und
des Satans: dort alle Guten, hier alle Boͤſen; geruͤſtet,
2)
12*
[180]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
mit einander den Kampf zu beſtehen. Chriſtus ſey ein
Koͤnig, der ſeinen Entſchluß verkuͤndige, alle Laͤnder der
Unglaͤubigen zu unterwerfen. Wer ihm die Heeresfolge
leiſten wolle, muͤſſe ſich jedoch eben ſo naͤhren und kleiden,
wie er: dieſelben Muͤhſeligkeiten und Nachtwachen ertra-
gen, wie er: nach dieſem Maaße werde er des Sieges und
der Belohnungen theilhaftig werden. Vor ihm, der Jung-
frau und dem ganzen himmliſchen Hofe werde dann ein
Jeder erklaͤren, daß er dem Herrn ſo treu wie moͤglich
nachfolgen, alles Ungemach mit ihm theilen, und ihm in
wahrer, geiſtiger und leiblicher Armuth dienen wolle 1).


So phantaſtiſche Vorſtellungen mochten es ſeyn, die
in ihm den Uebergang von weltlicher zu geiſtlicher Ritter-
ſchaft vermittelten. Denn eine ſolche, aber deren Ideal durch-
aus die Thaten und Entbehrungen der Heiligen ausmach-
ten, war es, was er beabſichtigte. Er riß ſich los von
ſeinem vaͤterlichen Hauſe und ſeinen Verwandten und ſtieg
den Berg von Monſerrat hinan: nicht in Zerknirſchung
uͤber ſeine Suͤnden, noch von eigentlich religioͤſem Beduͤrfniß
angetrieben, ſondern wie er ſelber geſagt hat, nur in dem
Verlangen, ſo große Thaten zu vollbringen, wie diejeni-
gen, durch welche die Heiligen ſo beruͤhmt geworden: eben
ſo ſchwere Bußuͤbungen zu uͤbernehmen, oder noch ſchwe-
rere: und in Jeruſalem Gott zu dienen. Vor einem Ma-
rienbilde hing er Waffen und Wehr auf: eine andere Nacht-
wache, als die ritterliche, aber mit ausdruͤcklicher Erinne-
[181]Ignatius Loyola.
rung an den Amadis 1), wo die Uebungen derſelben ſo
genau geſchildert werden, knieend oder ſtehend im Ge-
bete, immer ſeinen Pilgerſtab in der Hand, hielt er vor
demſelben; die ritterliche Kleidung, in der er gekommen,
gab er weg: er verſah ſich mit dem rauhen Gewand der
Eremiten, deren einſame Wohnung zwiſchen dieſen nackten
Felſen eingehauen iſt: nachdem er eine Generalbeichte ab-
gelegt, begab er ſich nicht gleich, wie ſeine jeruſalemitani-
ſche Abſicht forderte, nach Barcelona — er haͤtte auf der
großen Straße erkannt zu werden gefuͤrchtet — ſondern
zuerſt nach Manreſa, um nach neuen Bußuͤbungen von da
an den Hafen zu gelangen.


Hier aber erwarteten ihn andere Pruͤfungen; die Rich-
tung, die er mehr wie ein Spiel eingeſchlagen, war gleich-
ſam Herr uͤber ihn geworden, und machte ihren ganzen Ernſt
in ihm geltend. In der Zelle eines Dominicanerkloſters
ergab er ſich den haͤrteſten Bußuͤbungen; zu Mitternacht
erhob er ſich zum Gebet, ſieben Stunden taͤglich brachte
er auf den Knieen zu, regelmaͤßig geißelte er ſich drei Mal
den Tag. Nicht allein aber fiel ihm das doch ſchwer genug,
und er zweifelte oft, ob er es ſein Lebenlang aushalten
werde; was noch viel mehr zu bedeuten hatte, er bemerkte
auch, daß es ihn nicht beruhige. Er hatte ſich auf Mon-
ſerrat drei Tage damit beſchaͤftigt, eine Beichte uͤber ſein
ganzes vergangenes Leben abzulegen; aber er glaubte damit
[182]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
nicht genug gethan zu haben. Er wiederholte ſie in Man-
reſa; er trug vergeſſene Suͤnden nach; auch die geringſten
Kleinigkeiten ſuchte er auf; allein je mehr er gruͤbelte, um
ſo peinlicher waren die Zweifel, die ihn befielen. Er meinte,
von Gott nicht angenommen, noch vor ihm gerechtfertigt
zu ſeyn. In dem Leben der Vaͤter las er, Gott ſey wohl
einmal durch Enthaltung von aller Speiſe erweicht und
gnaͤdig zu ſeyn bewogen worden. Auch er enthielt ſich
einſt von einem Sonntag zum andern aller Lebensmittel.
Sein Beichtvater verbot es ihm, und er, der von nichts
in der Welt einen ſo hohen Begriff hatte wie von dem
Gehorſam, ließ darauf davon ab. Wohl war ihm dann
und wann, als werde ſeine Melancholie von ihm genom-
men, wie ein ſchweres Kleid von den Schultern faͤllt,
aber bald kehrten die alten Qualen zuruͤck. Es ſchien
ihm, als habe ſich ſein ganzes Leben Suͤnde aus Suͤnde
fortgehend erzeugt. Zuweilen war er in Verſuchung, ſich
aus der Fenſter-Oeffnung zu ſtuͤrzen 1).


Unwillkuͤhrlich erinnert man ſich hierbei des peinli-
chen Zuſtandes, in welchen Luther einige Jahre fruͤher
durch ſehr aͤhnliche Zweifel gerathen war. Die Forderung
der Religion, eine voͤllige Verſoͤhnung mit Gott bis zum
[183]Ignatius Loyola.
Bewußtſeyn derſelben, war bei der unergruͤndlichen Tiefe
einer mit ſich ſelber hadernden Seele auf dem gewoͤhnli-
chen Wege, den die Kirche einſchlug, niemals zu erfuͤllen.
Auf ſehr verſchiedene Weiſe gingen ſie aber aus dieſem La-
byrinth hervor. Luther gelangte zu der Lehre von der Ver-
ſoͤhnung durch Chriſtum ohne alle Werke; von dieſem
Punkte aus verſtand er erſt die Schrift, auf die er ſich
gewaltig ſtuͤtzte. Von Loyola finden wir nicht, daß er in
der Schrift geforſcht, daß das Dogma auf ihn Eindruck
gemacht habe. Da er nur in inneren Regungen lebte, in
Gedanken, die in ihm ſelbſt entſprangen, ſo glaubte er die
Eingebungen bald des guten bald des boͤſen Geiſtes zu er-
fahren. Endlich ward er ſich ihres Unterſchiedes bewußt.
Er fand ihn darin, daß ſich die Seele von jenen erfreut
und getroͤſtet, von dieſen ermuͤdet und geaͤngſtigt fuͤhle 1).
Eines Tages war es ihm als erwache er aus dem Traume.
Er glaubte mit Haͤnden zu greifen, daß alle ſeine Peinen
Anfechtungen des Satans ſeyen. Er entſchloß ſich von
Stunde an, uͤber ſein ganzes vergangenes Leben abzuſchlie-
ßen, dieſe Wunden nicht weiter aufzureißen, ſie niemals
wieder zu beruͤhren. Es iſt dieß nicht ſowohl eine Beruhi-
gung als ein Entſchluß. Mehr eine Annahme, die man
ergreift, weil man will, als eine Ueberzeugung, der man
[184]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
ſich unterwerfen muß. Sie bedarf der Schrift nicht, ſie
beruht auf dem Gefuͤhle eines unmittelbaren Zuſammen-
hanges mit dem Reiche der Geiſter. Luthern haͤtte ſie nie-
mals genug gethan: Luther wollte keine Eingebung, keine
Geſichter, er hielt ſie alle ohne Unterſchied fuͤr verwerflich:
er wollte nur das einfache, geſchriebene, unzweifelhafte Got-
tes Wort. Loyola dagegen lebte ganz in Phantaſien und
innern Anſchauungen. Am meiſten vom Chriſtenthum ſchien
ihm eine Alte zu verſtehen, welche ihm in ſeinen Qualen
geſagt, Chriſtus muͤſſe ihm noch erſcheinen. Es hatte ihm
anfangs nicht einleuchten wollen, jetzt aber meinte er bald
Chriſtum, bald die Jungfrau mit Augen zu erblicken. Auf
der Treppe von S. Domenico zu Manreſa blieb er ſtehen
und weinte laut, weil er das Geheimniß der Dreieinigkeit
in dieſem Moment anzuſchauen glaubte 1); er redete den
ganzen Tag von nichts andrem: er war unerſchoͤpflich in
Gleichniſſen. Ploͤtzlich uͤberleuchtete ihn in myſtiſchen Sym-
bolen das Geheimniß der Schoͤpfung. In der Hoſtie
ſah er den, welcher Gott und Menſch. Er ging einſt an
dem Ufer des Llobregat nach einer entfernten Kirche. In-
dem er ſich niederſetzte und ſeine Augen auf den tiefen
Strom heftete, den er vor ſich hatte, fuͤhlte er ſich ploͤtz-
lich von anſchauendem Verſtaͤndniß der Geheimniſſe des
Glaubens entzuͤckt: er meinte als ein andrer Menſch auf-
zuſtehen. Fuͤr ihn bedurfte es dann keines Zeugniſſes, kei-
ner Schrift weiter. Auch wenn es ſolche nicht gegeben
haͤtte, wuͤrde er doch unbedenklich fuͤr den Glauben, den er
bisher geglaubt, den er ſah, in den Tod gegangen ſeyn 2).


[185]Ignatius Loyola.

Haben wir die Grundlagen dieſer ſo eigenthuͤmlichen
Entwickelung gefaßt, dieſes Ritterthum der Abſtinenz, dieſe
Entſchloſſenheit der Schwaͤrmerei und phantaſtiſche Ascetik,
ſo iſt es nicht noͤthig, Iñigo Loyola auf jedem Schritte
ſeines Lebens weiter zu begleiten. Er ging wirklich nach
Jeruſalem, in der Hoffnung, wie zur Staͤrkung der Glaͤu-
bigen, ſo zur Bekehrung der Unglaͤubigen beizutragen. Al-
lein wie wollte er zumal das Letzte ausfuͤhren, unwiſſend
wie er war, ohne Gefaͤhrten, ohne Vollmacht? An der
entſchiedenen Zuruͤckweiſung jeruſalemiſcher Obern, die dazu
eine ausdruͤckliche paͤpſtliche Berechtigung beſaßen, ſcheiterte
ſein Vorſatz, an den heiligen Orten zu bleiben. Auch als
er nach Spanien zuruͤckgekommen, hatte er Anfechtungen
genug zu beſtehen. Indem er zu lehren und die geiſtlichen
Uebungen, die ihm indeß entſtanden, mitzutheilen anfing,
kam er ſogar in den Verdacht der Ketzerei. Es waͤre das
ſeltſamſte Spiel des Zufalls, wenn Loyola, deſſen Geſellſchaft
Jahrhunderte ſpaͤter in Illuminaten ausging, ſelbſt mit einer
Secte dieſes Namens in Zuſammenhang geſtanden haͤtte 1).
Und leugnen kann man nicht, daß die damaligen Illuminaten
in Spanien, Alumbrados, zu denen er zu gehoͤren in Ver-
dacht war, Meinungen hegten, die einige Aehnlichkeit mit
ſeinen Phantaſien haben. Abgeſtoßen von der Werkheiligkeit
des bisherigen Chriſtenthums, ergaben auch ſie ſich inneren
2)
[186]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
Entzuͤckungen, und glaubten wie er, das Geheimniß — ſie
erwaͤhnten noch beſonders das der Dreieinigkeit — in unmit-
telbarer Erleuchtung anzuſchauen. Wie Loyola und ſpaͤter
ſeine Anhaͤnger machten ſie die Generalbeichte zur Bedin-
gung der Abſolution, und drangen vor allem auf das innere
Gebet. In der That moͤchte ich nicht behaupten, daß
Loyola ganz ohne Beruͤhrung mit dieſen Meinungen geblie-
ben waͤre. Allein daß er der Secte angehoͤrt haͤtte, iſt
auch nicht zu ſagen. Er unterſchied ſich von ihr haupt-
ſaͤchlich dadurch, daß, waͤhrend ſie durch die Forderungen
des Geiſtes uͤber alle gemeinen Pflichten erhaben zu ſeyn
glaubte, er dagegen — ein alter Soldat wie er war —
den Gehorſam fuͤr die oberſte aller Tugenden erklaͤrte. Seine
ganze Begeiſterung und innere Ueberzeugung unterwarf er
alle Mal der Kirche und ihren Gewalten.


Indeſſen hatten dieſe Anfechtungen und Hinderniſſe
einen fuͤr ſein Leben entſcheidenden Erfolg. In dem Zu-
ſtande, in dem er damals war, ohne Gelehrſamkeit und
gruͤndlichere Theologie, ohne politiſchen Ruͤckhalt, haͤtte ſein
Daſeyn ſpurlos voruͤbergehen muͤſſen. Gluͤck genug, wenn
ihm innerhalb Spaniens ein paar Bekehrungen gelungen
waͤren. Allein indem man ihm in Alcala und in Sala-
manca auferlegte, erſt vier Jahre Theologie zu ſtudiren,
ehe er namentlich uͤber gewiſſe ſchwerere Dogmen wie-
der zu lehren verſuche, noͤthigte man ihn, einen Weg ein-
zuſchlagen, auf dem ſich allmaͤhlig fuͤr ſeinen Trieb religioͤ-
ſer Thaͤtigkeit ein ungeahnetes Feld eroͤffnete.


Er begab ſich nach der damals beruͤhmteſten hohen
Schule der Welt, nach Paris.


[187]Ignatius Loyola.

Die Studien hatten fuͤr ihn eine eigenthuͤmliche Schwie-
rigkeit. Er mußte die Claſſe der Grammatik, die er ſchon
in Spanien angefangen, die der Philoſophie machen, ehe er zur
Theologie zugelaſſen wurde 1). Aber bei den Worten, die
er flectiren, bei den logiſchen Begriffen, die er analyſiren
ſollte, ergriffen ihn die Entzuͤckungen des tieferen religioͤ-
ſen Sinnes, den er damit zu verbinden gewohnt war. Es
hat etwas Großartiges, daß er dieß fuͤr Eingebungen des
boͤſen Geiſtes erklaͤrte, der ihn von dem rechten Weg ab-
fuͤhren wolle, und ſich der rigoroſeſten Zucht unterwarf.


Waͤhrend ihm nun aus den Studien eine neue, die
reale Welt aufging, ſo ließ er doch darum von ſeiner geiſt-
lichen Richtung und ſelbſt ihrer Mittheilung keinen Au-
genblick ab. Eben hier war’s, wo er die erſten nachhal-
tigen, wirkſamen, ja fuͤr die Welt bedeutenden Bekehrun-
gen machte.


Von den beiden Stubenburſchen Loyola’s in dem Col-
legium St. Barbara, war der eine, Peter Faber aus Sa-
voyen, — ein Menſch, bei den Heerden ſeines Vaters auf-
gewachſen, der ſich einſt des Nachts unter freiem Himmel
Gott und den Studien gewidmet hatte — nicht ſchwer zu
gewinnen. Er repetirte mit Ignatius, denn dieſen Namen
fuͤhrte Iñigo in der Fremde, den philoſophiſchen Curſus:
dieſer theilte ihm dabei ſeine ascetiſchen Grundſaͤtze mit.
Ignatius lehrte den juͤngeren Freund ſeine Fehler bekaͤm-
[188]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
pfen, kluͤglich nicht alle auf einmal, ſondern einen nach
dem andern, wie er denn auch immer einer Tugend vor-
zugsweiſe nachzutrachten habe; er hielt ihn zu Beichte und
haͤufigem Genuß des Abendmahls an. Sie traten in
die engſte Gemeinſchaft: Ignaz theilte die Almoſen, die
ihm aus Spanien und Flandern ziemlich reichlich zu-
floſſen, mit Faber. Schwerer machte es ihm der Andere,
Franz Xaver aus Pamplona in Navarra, der nur begierig
war, der Reihe ſeiner durch Kriegsthaten beruͤhmten Vor-
fahren, die von 500 Jahren her auf ſeinem Stammbaum
verzeichnet waren, den Namen eines Gelehrten hinzuzufuͤ-
gen; er war ſchoͤn, reich, voll Geiſt, und hatte ſchon am
koͤniglichen Hofe Fuß gefaßt. Ignaz verſaͤumte nicht, ihm
die Ehre zu erweiſen, die er in Anſpruch nahm, und zu
ſorgen, daß ſie ihm von andern erwieſen wurde. Fuͤr
ſeine erſte Vorleſung verſchaffte er ihm eine gewiſſe Fre-
quenz. Wie er ihn ſich erſt perſoͤnlich befreundet, ſo ver-
fehlte ſein Beiſpiel, ſeine Strenge ihre natuͤrliche Wirkung
nicht. Er brachte dieſen wie jenen dahin, die geiſtlichen
Uebungen unter ſeiner Leitung zu machen. Er ſchonte ih-
rer nicht: drei Tage und drei Naͤchte ließ er ſie faſten: in
dem haͤrteſten Winter — die Wagen fuhren uͤber die gefro-
rene Seine — hielt er Faber dazu an. Er machte ſich beide
ganz zu eigen und theilte ihnen ſeine Geſinnung mit 1).


Wie bedeutend wurde die Zelle von St. Barbara, die
[189]Ignatius Loyola.
dieſe drei Menſchen vereinigte, in der ſie voll phantaſtiſcher
Religioſitaͤt Plaͤne entwarfen, Unternehmungen vorbereite-
ten, von denen ſie ſelber nicht wußten, wohin ſie fuͤhren
ſollten.


Betrachten wir die Momente, auf denen die fernere Ent-
wickelung dieſer Verbindung beruhte. Nachdem ſich noch einige
Spanier, Salmeron, Lainez, Bobadilla, denen ſich allen Ig-
natius durch guten Rath oder Unterſtuͤtzung unentbehrlich ge-
macht, ihnen zugeſellt, begaben ſie ſich eines Tages nach der
Kirche von Montmartre. Faber, bereits Prieſter, las die Meſſe.
Sie gelobten Keuſchheit; ſie ſchwuren nach vollendeten Stu-
dien in voͤlliger Armuth ihr Leben in Jeruſalem der Pflege
der Chriſten oder der Bekehrung der Saracenen zu widmen;
ſey es aber unmoͤglich, dahin zu gelangen oder dort zu
bleiben, in dieſem Falle dem Papſt ihre Bemuͤhungen an-
zubieten, fuͤr jeden Ort, wohin er ihnen zu gehen befehle,
ohne Lohn noch Bedingung. So ſchwur ein Jeder und
empfing die Hoſtie. Darauf ſchwur auch Faber und nahm
ſie ſelbſt. An dem Brunnen St. Denys genoſſen ſie hier-
auf eine Mahlzeit.


Ein Bund zwiſchen jungen Maͤnnern: ſchwaͤrmeriſch,
nicht eben verfaͤnglich: noch in den Ideen, die Ignatius
urſpruͤnglich gefaßt hatte, nur in ſo fern davon abwei-
chend, als ſie ausdruͤcklich die Moͤglichkeit berechneten, die-
ſelben nicht ausfuͤhren zu koͤnnen.


Anfang 1537 finden wir ſie in der That mit noch
drei andern Genoſſen ſaͤmmtlich in Venedig, um ihre Wall-
fahrt anzutreten. Schon manche Veraͤnderung haben wir
in Loyola wahrgenommen: von einem weltlichen Ritter-
[190]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
thum ſahen wir ihn zu einem geiſtlichen uͤbergehen: in die
ernſthafteſten Anfechtungen fallen, und mit phantaſtiſcher
Ascetik ſich daraus hervorarbeiten: Theolog und Gruͤnder
einer ſchwaͤrmeriſchen Geſellſchaft war er geworden. Jetzt
endlich nahmen ſeine Abſichten die bleibende Wendung.
Einmal hinderte ihn der Krieg, der eben damals zwiſchen
Venedig und den Tuͤrken ausbrach, an der Abreiſe, und ließ
den Gedanken der Wallfahrt noch mehr zuruͤcktreten: ſodann
aber fand er in Venedig ein Inſtitut, das ihm, man moͤchte
ſagen, die Augen erſt recht oͤffnete. Eine Zeitlang ſchloß
ſich Loyola auf das engſte an Caraffa an; in dem Con-
vent der Theatiner, der ſich in Venedig gebildet, nahm
er Wohnung. Er diente in den Spitaͤlern, uͤber welche
Caraffa die Aufſicht fuͤhrte, in denen dieſer ſeine Novizen
ſich uͤben ließ. Zwar fand ſich Ignatius durch das thea-
tiniſche Inſtitut nicht voͤllig befriedigt; er ſprach mit Ca-
raffa uͤber einige in demſelben vorzunehmende Veraͤnderun-
gen, und ſie ſollen daruͤber mit einander zerfallen ſeyn 1).
Aber ſchon dieß zeigt, wie tiefen Eindruck es auf ihn
machte. Einen Orden von Prieſtern ſah er hier ſich den
eigentlich clericaliſchen Pflichten mit Eifer und Strenge
widmen. Mußte er, wie immer deutlicher wurde, dieſſeit
des Meeres bleiben, und ſeine Thaͤtigkeit in den Bezirken
der abendlaͤndiſchen Chriſtenheit verſuchen, ſo erkannte er
wohl, daß auch er nicht fuͤglich einen andern Weg ein-
ſchlagen konnte.


In der That nahm er in Venedig mit allen ſeinen
[191]Ignatius Loyola.
Gefaͤhrten die prieſterlichen Weihen. In Vicenza begann
er nach vierzigtaͤgigem Gebet mit dreien von ihnen zu pre-
digen. An dem nemlichen Tage zur nemlichen Stunde er-
ſchienen ſie in verſchiedenen Straßen, ſtiegen auf Steine,
ſchwangen die Huͤte, riefen laut und fingen an zur Buße
zu ermahnen. Seltſame Prediger, zerlumpt, abgehaͤrmt; ſie
ſprachen ein unverſtaͤndliches Gemiſch von Spaniſch und Ita-
lieniſch. In dieſen Gegenden blieben ſie, bis das Jahr, das
ſie zu warten beſchloſſen hatten, verſtrichen war. Dann
brachen ſie auf nach Rom.


Als ſie ſich trennten, denn auf verſchiedenen Wegen
wollten ſie die Reiſe machen, entwarfen ſie die erſten Re-
geln, um auch in der Entfernung eine gewiſſe Gleichfoͤr-
migkeit des Lebens zu beobachten. Was aber ſollten ſie
antworten, wenn man ſie nach ihrer Beſchaͤftigung fragen
wuͤrde? Sie gefielen ſich in dem Gedanken, als Soldaten
dem Satan den Krieg zu machen, den alten militaͤriſchen
Phantaſien des Ignatius zu Folge beſchloſſen ſie, ſich die
Compagnie Jeſu zu nennen, ganz wie eine Compagnie Sol-
daten, die von ihrem Hauptmann den Namen traͤgt 1).


In Rom hatten ſie anfangs keinen ganz leichten Stand:
Ignatius meinte, er ſehe alle Fenſter geſchloſſen, und von
dem alten Verdacht der Ketzerei mußten ſie hier noch ein-
mal frei geſprochen werden. Allein indeß hatte ihre Lebens-
[192]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
weiſe, ihr Eifer in Predigt und Unterricht, ihre Kranken-
pflege auch zahlreiche Anhaͤnger herbeigezogen, und ſo Viele
zeigten ſich bereit zu ihnen zu treten, daß ſie auf eine foͤrm-
liche Einrichtung ihrer Geſellſchaft denken konnten.


Zwei Geluͤbde hatten ſie bereits gethan: jetzt legten
ſie das dritte, das des Gehorſams, ab. Wie aber Ignatius
immer den Gehorſam fuͤr eine der vornehmſten Tugenden
erklaͤrt, ſo ſuchten ſie grade in dieſem alle anderen Orden
zu uͤbertreffen. Es war ſchon viel, daß ſie ſich ihren Ge-
neral allemal auf Lebenszeit zu waͤhlen beſchloſſen: allein
dieß genuͤgte ihnen noch nicht. Sie fuͤgten die beſondere
Verpflichtung hinzu, „alles zu thun, was ihnen der jedes-
malige Papſt befehlen, in jedes Land zu gehen, zu Tuͤrken,
Heiden und Ketzern, in das er ſie ſenden werde, ohne Wi-
derrede, ohne Bedingung und Lohn, unverzuͤglich.“


Welch ein Gegenſatz gegen die bisherigen Tendenzen
dieſer Zeit! Indem der Papſt auf allen Seiten Widerſtand
und Abfall erfuhr und nichts zu erwarten hatte, als fort-
gehenden Abfall, vereinigte ſich hier eine Geſellſchaft, frei-
willig, voll Eifer, enthuſiaſtiſch, um ſich ausſchließlich ſei-
nem Dienſte zu widmen. Er konnte kein Bedenken tragen,
ſie anfangs — im Jahre 1540 — unter einigen Beſchraͤn-
kungen, und alsdann — 1543 — unbedingt zu beſtaͤtigen.


Indeß that auch die Geſellſchaft den letzten Schritt.
Sechſe von den aͤlteſten Bundesgenoſſen traten zuſammen,
um den Vorſteher zu waͤhlen, der, wie der erſte Entwurf,
den ſie dem Papſt einreichten, beſagte, „Grade und Aem-
ter nach ſeinem Gutduͤnken vertheilen, die Conſtitution mit
Beirath der Mitglieder entwerfen, in allen andren Dingen
aber
[193]Ignatius Loyola.
aber allein zu befehlen haben ſolle; in ihm ſolle Chriſtus
als gegenwaͤrtig verehrt werden.“ Einſtimmig waͤhlten ſie
Ignaz, der wie Salmeron auf ſeinem Wahlzettel ſagte,
„ſie alle in Chriſto erzeugt und mit ſeiner Milch genaͤhrt
habe“ 1).


Und nun erſt hatte die Geſellſchaft ihre Form. Es
war auch eine Geſellſchaft von Chierici regolari: ſie beruhte
auch auf einer Vereinigung von clericaliſchen und kloͤſter-
lichen Pflichten: allein ſie unterſchied ſich vielfach von den
uͤbrigen dieſer Art.


Hatten ſchon die Theatiner mehrere minder bedeutende
Verpflichtungen fallen laſſen, ſo gingen die Jeſuiten darin
noch weiter 2). Es war ihnen nicht genug, alle kloͤſter-
liche Tracht zu vermeiden; ſie ſagten ſich auch von den ge-
meinſchaftlichen Andachtsuͤbungen, welche in den Kloͤſtern
den groͤßten Theil der Zeit wegnehmen, von der Obliegen-
heit im Chor zu ſingen los.


Dieſer wenig nothwendigen Beſchaͤftigungen uͤberhoben,
widmeten ſie ihre ganze Zeit und alle ihre Kraͤfte den we-
ſentlichen Pflichten. Nicht einer beſondern, wie die Bar-
nabiten, obwohl ſie die Krankenpflege, weil ſie einen gu-
ten Namen machte, ſich angelegen ſeyn ließen: nicht un-
13
[194]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
ter beſchraͤnkenden Bedingungen wie die Theatiner, ſondern
mit aller Anſtrengung den wichtigſten. Der Predigt. Schon
als ſie ſich in Vicenza trennten, hatten ſie ſich das Wort
gegeben, hauptſaͤchlich fuͤr das gemeine Volk zu predigen:
und ſich mehr eindruͤcklicher Bewegung als ausgewaͤhlter
Rede zu befleißigen; ſo fuhren ſie nunmehr fort. Der
Beichte. Denn damit haͤngt die Leitung und Beherrſchung
der Gewiſſen unmittelbar zuſammen: in den geiſtlichen Ue-
bungen, durch welche ſie ſelber mit Ignaz vereinigt wor-
den, beſaßen ſie ein großes Huͤlfsmittel. Endlich dem Un-
terrichte der Jugend. Hierzu hatten ſie ſich gleich in ihren
Geluͤbden durch eine beſondere Clauſel verpflichten wollen,
und ob dieß wohl da nicht durchgegangen war, ſo ſchaͤrf-
ten ſie es doch in ihrer Regel auf das lebhafteſte ein. Vor
allem wuͤnſchten ſie, die aufwachſende Generation zu ge-
winnen. Genug, alles Beiwerk ließen ſie fallen und wid-
meten ſich den weſentlichen, wirkſamen, Einfluß verſpre-
chenden Tendenzen.


Aus den phantaſtiſchen Beſtrebungen Ignatio’s hatte
ſich demnach eine vorzugsweiſe praktiſche Richtung entwik-
kelt; aus ſeinen ascetiſchen Bekehrungen ein Inſtitut, mit
weltkluger Zweckmaͤßigkeit berechnet.


Alle ſeine Erwartungen ſah er weit uͤbertroffen. Er
hatte nun die unbeſchraͤnkte Leitung einer Geſellſchaft in
Haͤnden, auf welche ein großer Theil ſeiner Intuitionen
uͤberging; welche ihre geiſtlichen Ueberzeugungen mit Stu-
dium auf dem Wege bildete, auf dem er ſie durch Zufall
und Genius erworben hatte; welche zwar ſeinen jeruſale-
miſchen Plan nicht ausfuͤhrte, bei dem ſich nichts erreichen
[195]Erſte Sitzungen d. tridentiſchen Conciliums.
ließ, aber uͤbrigens zu den entfernteſten erfolgreichſten Miſ-
ſionen ſchritt, und hauptſaͤchlich jene Seelſorge, die er im-
mer empfohlen, in einer Ausdehnung uͤbernahm, wie er ſie
niemals ahnen koͤnnen; die ihm endlich einen zugleich ſol-
datiſchen und geiſtlichen Gehorſam leiſtete.


Ehe wir die Wirkſamkeit, zu der die Geſellſchaft gar
bald gelangte, naͤher betrachten, muͤſſen wir noch eine der
wichtigſten Bedingungen derſelben eroͤrtern.


Erſte Sitzungen des tridentiniſchen Conciliums.


Wir ſahen, welche Intereſſen ſich an die Forderung
des Conciliums von der kaiſerlichen, an die Verweigerung
deſſelben von der paͤpſtlichen Seite knuͤpften. Nur in Ei-
ner Beziehung hatte eine neue Kirchenverſammlung doch
auch fuͤr den Papſt etwas Wuͤnſchenswerthes. Um die
Lehren der katholiſchen Kirche mit ungebrochenem vollen
Eifer einpraͤgen und ausbreiten zu koͤnnen, war es noth-
wendig, daß die Zweifel, welche ſich uͤber die eine oder
die andere in dem Schooße der Kirche ſelbſt erhoben hat-
ten, beſeitigt wuͤrden. Mit unbedingter Autoritaͤt ver-
mochte dieß allein ein Concilium zu thun. Es kam nur
darauf an, daß es zur guͤnſtigen Zeit zuſammenberufen
und unter dem Einfluß des Papſtes gehalten wuͤrde.


Jener große Moment, in dem ſich die beiden kirchli-
chen Parteien einander in einer mittlern gemaͤßigten Mei-
nung mehr als je genaͤhert hatten, ward auch hierfuͤr ent-
13*
[196]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
ſcheidend. Der Papſt, wie geſagt, glaubte wahrzunehmen,
daß der Kaiſer ſelbſt den Anſpruch hege, das Concilium
zu berufen. In dieſem Augenblick von allen Seiten der
Anhaͤnglichkeit katholiſcher Fuͤrſten verſichert, verlor er keine
Zeit, ihm darin zuvorzukommen. Es war noch mitten in
jenen Bewegungen, daß er ſich definitiv entſchloß zu der
oͤcumeniſchen Kirchenverſammlung zu ſchreiten, und allen
Zoͤgerungen ein Ende zu machen; ohne Verzug ließ er es
Contarini’n, und durch dieſen dem Kaiſer anzeigen 1); die
Verhandlungen wurden ernſtlich aufgenommen; endlich er-
gingen die Berufungsſchreiben: im naͤchſten Jahre finden
wir ſeine Legaten bereits in Trient 2).


Indeſſen traten auch dießmal neue Hinderniſſe ein:
allzugering war die Zahl der erſcheinenden Biſchoͤfe, all-
zukriegeriſch die Zeit, und die Umſtaͤnde nicht vollkom-
men guͤnſtig: es waͤhrte bis in den December 1545, ehe
es zu der wirklichen Eroͤffnung des Conciliums kam. End-
lich hatte der alte Zauderer den erwuͤnſchten Moment ge-
funden.


Denn welcher haͤtte es mehr ſeyn koͤnnen, als der,
in welchem der Kaiſer mit beiden Haͤuptern der Proteſtan-
[197]Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.
ten voͤllig zerfallen war, und ſich zum Kriege gegen ſie
vorbereitete. Da er die Huͤlfe des Papſtes brauchte, konnte
er die Anſpruͤche nicht geltend machen, die er ſonſt auf ein
Concilium gruͤnden zu wollen ſchien. Der Krieg mußte
ihn vollauf beſchaͤftigen: bei der Macht der Proteſtanten
ließ ſich nicht abſehen, in welche Verwickelungen er dabei
gerathen wuͤrde: um ſo weniger konnte er dann auf die
Reform dringen, mit welcher er bisher dem paͤpſtlichen
Stuhle gedroht. Auch uͤbrigens wußte ihm der Papſt zu-
naͤchſt den Weg dazu abzuſchneiden. Der Kaiſer forderte,
das Concilium ſolle mit der Reform beginnen: die paͤpſt-
lichen Legaten ſetzten den Beſchluß durch, es ſolle zugleich
uͤber Reform und Dogmen gehandelt werden 1): in der
That aber nahm man zuerſt nur die Dogmen vor.


Indem der Papſt zu entfernen wußte, was ihm haͤtte
ſchaͤdlich werden koͤnnen, ergriff er dasjenige, woran ihm
ſelber gelegen war. Die Feſtſtellung der bezweifelten Lehr-
ſaͤtze hatte fuͤr ihn, wie angedeutet, die groͤßte Wichtigkeit.
Es kam darauf an, ob von jenen zu dem proteſtantiſchen
Syſtem hinneigenden Anſichten ſich eine oder die andere
innerhalb des katholiſchen Lehrbegriffs zu halten vermoͤgen
wuͤrde.


Contarini zwar war bereits geſtorben, doch war Poole
zugegen, und es gab in dieſer Verſammlung noch andere
[198]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
warme Verfechter derſelben. Die Frage war, ob ſie ihre
Meinung geltend machen wuͤrden.


Zuerſt, denn ſehr ſyſtematiſch ging man zu Werke,
ſprach man von der Offenbarung ſelbſt, den Quellen, aus
denen die Kenntniß derſelben zu ſchoͤpfen ſey. Gleich hier
erhoben ſich einige Stimmen in der Richtung des Prote-
ſtantismus. Der Biſchof Nachianti von Chiozza wollte
von nichts, als von der Schrift hoͤren: in dem Evange-
lium ſtehe alles geſchrieben, was zu unſerer Seligkeit noth-
wendig. Allein er hatte eine ungeheure Majoritaͤt wider
ſich. Man faßte den Beſchluß, die ungeſchriebenen Tradi-
tionen, die aus dem Munde Chriſti empfangen, unter dem
Schutze des heiligen Geiſtes bis auf die neueſte Zeit fort-
gepflanzt worden, ſeyen mit gleicher Verehrung anzunehmen
wie die heilige Schrift. In Hinſicht dieſer wies man nicht
einmal auf die Grundtexte zuruͤck. Man erkannte in der
Vulgata die authentiſche Ueberſetzung derſelben an, und ver-
ſprach nur, daß ſie ins Kuͤnftige auf das ſorgfaͤltigſte ge-
druckt werden ſolle 1).


Nachdem dergeſtalt der Grund gelegt worden, nicht mit
Unrecht ward geſagt, es ſey die Haͤlfte des Weges, kam
man an jenes entſcheidende Lehrſtuͤck von der Rechtferti-
gung und die damit zuſammenhaͤngenden Doctrinen. An
dieſe Streitfrage knuͤpfte ſich das vornehmſte Intereſſe.


Denn nicht Wenige gab es in der That noch auf dem
[199]Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.
Concilium, deren Anſichten hieruͤber mit den proteſtanti-
ſchen Meinungen zuſammenfielen. Der Erzbiſchof von
Siena, der Biſchof della Cava, Giulio Contarini, Biſchof
zu Belluno, und mit ihnen fuͤnf Theologen ſchrieben die
Rechtfertigung einzig und allein dem Verdienſte Chriſti und
dem Glauben zu. Liebe und Hoffnung erklaͤrten ſie fuͤr die
Begleiterinnen, Werke fuͤr die Beweiſe des Glaubens; nichts
weiter ſeyen ſie: der Grund der Rechtfertigung aber allein
der Glaube.


Wie war es zu denken, daß in einem Moment, in
welchem Papſt und Kaiſer die Proteſtanten mit Gewalt
der Waffen angriffen, ſich die Grundanſicht, von der ſich
deren ganzes Weſen herleitete, auf einem Concilium unter
den Auſpicien des Papſtes und des Kaiſers geltend machen
ſollte? Vergebens ermahnte Poole, nicht etwa eine Mei-
nung nur deshalb zu verwerfen, weil ſie von Luther be-
hauptet worden. Allzuviel perſoͤnliche Erbitterungen knuͤpf-
ten ſich daran. Der Biſchof della Cava und ein griechi-
ſcher Moͤnch geriethen thaͤtlich an einander. Ueber einen
ſo unzweifelhaften Ausdruck einer proteſtantiſchen Meinung
konnte es auf dem Concilium gar nicht einmal zu bedeutenden
Discuſſionen kommen; dieſe galten, und ſchon dieß iſt
wichtig genug, nur der vermittelnden Meinung, wie ſie
Gaspar Contarini und ſeine Freunde aufgeſtellt.


Der Auguſtinergeneral, Seripando trug ſie, doch
nicht ohne die ausdruͤckliche Verwahrung vor, daß es nicht
die Meinungen Luthers ſeyen, die er verfechte, vielmehr
die Lehren der beruͤhmteſten Gegner deſſelben, z. B. eines
Pflug und Gropper. Er nahm eine doppelte Gerechtig-
[200]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
keit an 1): die eine uns inwohnend, inhaͤrirend, durch
welche wir aus Suͤndern Kinder Gottes werden, auch ſie
Gnade und unverdient; thaͤtig in Werken, ſichtbar in Tu-
genden, aber allein nicht faͤhig, uns zur Glorie Gottes
einzufuͤhren: die andere die Gerechtigkeit und das Ver-
dienſt Chriſti, uns beigemeſſen, imputirt, welche alle Maͤn-
gel erſetze, vollſtaͤndig, ſeligmachend. Eben ſo hatte Con-
tarini gelehrt. Wenn die Frage ſey, ſagt dieſer, auf welche
von jenen Gerechtigkeiten wir bauen ſollen, die inwoh-
nende, oder die in Chriſto beigemeſſene, ſo ſey die Ant-
wort eines Frommen, daß wir uns nur auf die letzte zu
verlaſſen haben. Unſere Gerechtigkeit ſey eben erſt ange-
fangen, unvollkommen, voller Maͤngel; Chriſti Gerechtig-
keit dagegen wahrhaft, vollkommen, in den Augen Got-
tes durchaus und allein wohlgefaͤllig; um ihretwillen al-
lein koͤnne man glauben, vor Gott gerechtfertigt zu wer-
den 2).


Jedoch auch in ſolch einer Modification — ſie ließ,
[201]Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.
wie wir ſehen, das Weſen der proteſtantiſchen Lehre beſte-
hen, und konnte von Anhaͤngern derſelben gebilligt werden
— fand dieſe Meinung lebhaften Widerſpruch.


Caraffa, der ſich ihr ſchon damals opponirt hatte,
als ſie in Regensburg verhandelt ward, ſaß auch jetzt un-
ter den Cardinaͤlen, welchen die Beaufſichtigung des triden-
tiniſchen Conciliums anvertraut war. Er kam mit einer
eignen Abhandlung uͤber die Rechtfertigung hervor, in der
er allen Meinungen dieſer Art lebhaft widerſprach 1). Ihm
zur Seite erhoben ſich bereits die Jeſuiten. Salmeron
und Lainez hatten ſich das wohl ausgeſonnene Vorrecht ver-
ſchafft, daß jener zuerſt, dieſer zuletzt ſeine Meinung vor-
zutragen hatte. Sie waren gelehrt, kraͤftig, in der Bluͤthe
ihrer Jahre, voller Eifer. Von Ignatius angewieſen, nie
einer Meinung beizupflichten, die ſich im mindeſten einer
Neuerung naͤhere 2), widerſetzten ſie ſich aus allen Kraͤften
der Lehre Seripando’s. Lainez erſchien mehr mit einem
Werke als mit einer Widerrede auf dem Kampfplatz. Er
hatte den groͤßten Theil der Theologen auf ſeiner Seite.


Jene Unterſcheidung der Gerechtigkeiten ließen dieſe
Gegner allenfalls gelten. Allein ſie behaupteten, die im-
putative Gerechtigkeit gehe in der inhaͤrirenden auf; oder
das Verdienſt Chriſti werde den Menſchen durch den Glau-
ben unmittelbar zugewendet und mitgetheilt; man habe al-
lerdings auf die Gerechtigkeit Chriſti zu bauen, aber nicht
weil ſie die unſere ergaͤnze, ſondern weil ſie dieſelbe her-
vorbringe. Eben hierauf kam alles an. Bei den Anſich-
[202]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
ten Contarini’s und Seripando’s konnte das Verdienſt der
Werke nicht beſtehen. Dieſe Anſicht rettete daſſelbe. Es
war die alte Lehre der Scholaſtiker, daß die Seele mit
der Gnade bekleidet ſich das ewige Leben verdiene 1). Der
Erzbiſchof von Bitonto, einer der gelehrteſten und bered-
teſten dieſer Vaͤter, unterſchied eine vorlaͤufige Rechtferti-
gung, abhaͤngig von dem Verdienſt Chriſti, durch welche
der Gottloſe von dem Stande der Verwerfung befreit werde;
und eine nachfolgende, die Erwerbung der eigentlichen Ge-
rechtigkeit, abhaͤngig von der uns eingegoſſenen und inwoh-
nenden Gnade. In dieſem Sinne ſagte der Biſchof von
Fano, der Glaube ſey nur das Thor zur Rechtfertigung;
aber man duͤrfe nicht ſtehen bleiben: man muͤſſe den gan-
zen Weg vollbringen.


So nahe dieſe Meinungen einander zu beruͤhren ſchei-
nen, ſo ſind ſie einander doch voͤllig entgegengeſetzt. Auch
die lutheriſche fordert die innere Wiedergeburt, bezeichnet
den Weg des Heiles und behauptet, daß gute Werke fol-
gen muͤſſen; die goͤttliche Begnadigung aber leitet ſie allein
von dem Verdienſte Chriſti her. Das tridentiniſche Con-
cilium dagegen nimmt zwar auch das Verdienſt Chriſti an,
aber die Rechtfertigung ſchreibt es demſelben nur in ſofern
zu, als es die innere Wiedergeburt, und mithin gute
Werke, auf die zuletzt alles ankommt, hervorbringt. Der
Gottloſe, ſagt es 2), wird gerechtfertigt, indem durch das
Verdienſt des heiligſten Leidens, vermoͤge des h. Geiſtes,
die Liebe Gottes ſeinem Herzen eingepflanzt wird und dem-
[203]Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.
ſelben inwohnt; dergeſtalt ein Freund Gottes geworden,
geht der Menſch fort von Tugend zu Tugend und wird er-
neuert von Tag zu Tag. Indem er die Gebote Gottes
und der Kirche beobachtet, waͤchſt er mit Huͤlfe des Glau-
bens durch gute Werke in der durch Chriſti Gnade er-
langten Gerechtigkeit, und wird mehr und mehr gerecht-
fertigt.


Und ſo ward die Meinung der Proteſtanten von dem
Katholicismus voͤllig ausgeſchloſſen: jede Vermittelung
ward von der Hand gewieſen. Ebendamals geſchah dieß,
als der Kaiſer in Deutſchland den Sieg bereits erfochten
hatte, die Lutheraner ſich ſchon von allen Seiten ergaben,
und Jener ſich aufmachte, die Widerſpenſtigen die es noch
gab, nicht minder zu unterwerfen. Schon hatten die Ver-
fechter der mittlern Meinung, Cardinal Poole, der Erzbiſchof
von Siena das Concilium wie natuͤrlich unter andern Vor-
waͤnden verlaſſen 1): ſtatt Andern in ihrem Glauben Maaß
und Ziel zu geben, mußten ſie beſorgt ſeyn, den eigenen
angegriffen und verdammt zu ſehen.


Es war aber hiermit die wichtigſte Schwierigkeit uͤber-
wunden. Da die Rechtfertigung innerhalb des Menſchen
vor ſich geht, und zwar in fortdauernder Entwickelung, ſo
kann ſie der Sacramente nicht entbehren, durch welche ſie
[204]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
entweder anfaͤngt, oder wenn ſie angefangen hat, fortge-
ſetzt, oder wenn ſie verloren iſt, wieder erworben wird 1). Es
hat keine Schwierigkeit, ſie alle ſieben, wie ſie bisher an-
genommen worden, beizubehalten und auf den Urheber des
Glaubens zuruͤckzufuͤhren, da die Inſtitute der Kirche Chriſti
nicht allein durch die Schrift, ſondern auch durch die Tra-
dition mitgetheilt ſind 2). Nun umfaſſen aber dieſe Sa-
cramente, wie man weiß, das ganze Leben und alle Stu-
fen, in denen es ſich entwickelt; ſie gruͤnden die Hierar-
chie, in ſo fern ſie Tag und Stunde beherrſcht; indem ſie
die Gnade nicht allein bedeuten, ſondern mittheilen, voll-
enden ſie den myſtiſchen Bezug, in welchem der Menſch
zu Gott gedacht wird.


Eben darum nahm man die Tradition an, weil der
heilige Geiſt der Kirche immerfort inwohne; die Vulgata,
weil die roͤmiſche Kirche durch beſondere goͤttliche Gnade
von aller Verirrung frei erhalten worden; dieſem Inwoh-
nen des goͤttlichen Elementes entſpricht es dann, daß auch
das rechtfertigende Prinzip in dem Menſchen ſelbſt Platz
nimmt, daß die in dem ſichtbaren Sacrament gleichſam
gebundene Gnade ihm Schritt fuͤr Schritt mitgetheilt
wird und ſein Leben und Sterben umfaßt. Die erſchei-
nende Kirche iſt zugleich die wahre, die man die unſicht-
bare genannt hat. Religioͤſe Exiſtenz kann ſie außer ihrem
Kreiſe nicht anerkennen.


[205]Inquiſition.

Inquiſition.


Dieſe Lehren auszubreiten, die ihnen entgegenſtehenden
zu unterdruͤcken, hatte man mittlerweile auch ſchon Maaß-
regeln ergriffen.


Wir muͤſſen hier noch einmal auf die Zeiten des
Regensburger Geſpraͤchs zuruͤckkommen. Als man ſah,
daß man mit den deutſchen Proteſtanten zu keinem
Schluß kam, daß indeß auch in Italien Streitigkeiten
uͤber das Sacrament, Zweifel an dem Fegfeuer, und an-
dere fuͤr den roͤmiſchen Ritus bedenkliche Lehrmeinungen
uͤberhandnahmen, ſo fragte der Papſt eines Tages den Car-
dinal Caraffa, welches Mittel er hiergegen anzurathen wiſſe.
Der Cardinal erklaͤrte, daß eine durchgreifende Inquiſition
das einzige ſey. Johann Alvarez de Toledo, Cardinal von
Burgos, ſtimmte ihm hierin bei.


Die alte dominicaniſche Inquiſition war vorlaͤngſt verfal-
len. Da es den Moͤnchsorden uͤberlaſſen blieb, die Inquiſitoren
zu waͤhlen, ſo geſchah, daß dieſe nicht ſelten die Meinungen
theilten, welche man bekaͤmpfen wollte. In Spanien war
man bereits dadurch von der fruͤhern Form abgewichen, daß
man ein oberſtes Tribunal der Inquiſition fuͤr dieſes Land
eingerichtet hatte. Caraffa und Burgos, beide alte Domi-
nicaner, von finſterer Gerechtigkeit, Zeloten fuͤr den rei-
nen Katholicismus, ſtreng in ihrem Leben, unbeugſam in
ihren Meinungen, riethen dem Papſt, nach dem Muſter
von Spanien, ein allgemeines hoͤchſtes Tribunal der In-
[206]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
quiſition, von dem alle anderen abhaͤngen muͤßten, zu Rom
zu errichten. Wie S. Peter, ſagte Caraffa, den erſten Haͤre-
ſiarchen an keinem andern Orte als in Rom beſiegt, ſo
muͤſſe der Nachfolger Petri alle Ketzereien der Welt in
Rom uͤberwaͤltigen 1). Die Jeſuiten rechnen es ſich zum
Ruhme, daß ihr Stifter Loyola dieſen Vorſchlag durch
eine beſondere Vorſtellung unterſtuͤtzt habe. Am 21. Juli
1542 erging die Bulle.


Sie ernennt ſechs Cardinaͤle, unter denen Caraffa und
Toledo zuerſt genannt werden, zu Commiſſarien des apo-
ſtoliſchen Stuhles, allgemeinen und allgemeinſten Inquiſi-
toren in Glaubensſachen dieſſeit und jenſeit der Berge. Sie
ertheilt ihnen das Recht, an allen Orten, wo es ihnen
gut ſcheine, Geiſtliche mit einer aͤhnlichen Gewalt zu dele-
giren, die Appellationen wider deren Verfahren allein zu ent-
ſcheiden, ſelbſt ohne die Theilnahme des ordentlichen geiſt-
lichen Gerichtshofes zu procediren. Jedermann, Niemand
ausgenommen, ohne Ruͤckſicht auf irgend einen Stand, ir-
gend eine Wuͤrde ſoll ihrem Richterſtuhle unterworfen ſeyn;
die Verdaͤchtigen ſollen ſie ins Gefaͤngniß werfen, die Schul-
digen ſelbſt am Leben ſtrafen und ihre Guͤter verkaufen. Nur
Eine Beſchraͤnkung wird ihnen auferlegt. Zu ſtrafen ſoll
ihnen zuſtehen: die Schuldigen, welche ſich bekehren, zu be-
gnadigen, behaͤlt der Papſt ſich vor. So ſollen ſie alles
thun, anordnen, ausfuͤhren, um die Irrthuͤmer, die in der
chriſtlichen Gemeine ausgebrochen ſind, zu unterdruͤcken und
mit der Wurzel auszurotten 2).


[207]Inquiſition.

Caraffa verlor keinen Augenblick, dieſe Bulle in Aus-
fuͤhrung zu bringen. Er war nicht etwa reich, doch haͤtte
es ihm dieß Mal ein Verluſt geſchienen, eine Zahlung aus
der apoſtoliſchen Kammer abzuwarten; er nahm ſofort ein
Haus in Miethe; aus eignen Mitteln richtete er die Zim-
mer der Beamten und die Gefaͤngniſſe ein; er verſah ſie
mit Riegeln und ſtarken Schloͤſſern, mit Bloͤcken, Ketten
und Banden und jener ganzen furchtbaren Geraͤthſchaft.
Dann ernannte er Generalcommiſſaͤre fuͤr die verſchiedenen
Laͤnder. Der erſte, ſo viel ich ſehe fuͤr Rom war ſein ei-
gener Theolog, Teofilo di Tropea, uͤber deſſen Strenge
ſich Cardinaͤle, wie Poole, bald zu beklagen hatten.


„Folgende Regeln,“ ſagt die handſchriftliche Lebens-
beſchreibung Caraffa’s, „hatte ſich der Cardinal hierbei als
die richtigſten vorgezeichnet“ 1):


  • „erſtens in Sachen des Glaubens duͤrfe man nicht einen
    Augenblick warten, ſondern gleich auf den mindeſten
    Verdacht muͤſſe man mit aͤußerſter Anſtrengung zu
    Werke gehen;“
  • „zweitens ſey keinerlei Ruͤckſicht zu nehmen auf ir-
    gend einen Fuͤrſten oder Praͤlaten, wie hoch er auch
    ſtehe;“
  • „drittens: vielmehr muͤſſe man gegen die am ſtrengſten
    2)
    [208]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
    ſeyn, die ſich mit dem Schutz eines Machthabers zu
    vertheidigen ſuchen ſollten; nur wer das Geſtaͤndniß ab-
    gelegt, ſey mit Milde und vaͤterlichem Erbarmen zu
    behandeln;“
  • „viertens Ketzern und beſonders Calviniſten gegenuͤber
    muͤſſe man ſich mit keinerlei Toleranz herabwuͤrdigen.“

Es iſt alles, wie wir ſehen, Strenge, unnachſichtige,
ruͤckſichtsloſe Strenge, bis das Bekenntniß erfolgt iſt. Furcht-
bar, beſonders in einem Momente, wo die Meinungen noch
nicht ganz entwickelt waren, wo Viele die tieferen Lehren des
Chriſtenthums mit den Einrichtungen der beſtehenden Kirche
zu vereinigen ſuchten. Die Schwaͤcheren gaben nach und
unterwarfen ſich: die Staͤrker-Gearteten dagegen ergriffen
nun erſt eigentlich die entgegengeſetzten Meinungen und ſuch-
ten ſich der Gewalt zu entziehen.


Einer der erſten von ihnen war Bernardin Ochin.
Schon eine Zeitlang wollte man bemerkt haben, daß er
ſeine kloͤſterlichen Pflichten minder ſorgſam erfuͤlle: im Jahr
1542 ward man auch an ſeinen Predigten irre. Auf das
ſchneidendſte behauptete er die Lehre, daß der Glaube allein
rechtfertige; nach einer Stelle Auguſtins rief er aus, „der
dich ohne dich geſchaffen, wird er dich nicht ohne dich
ſelig machen?“ Seine Erklaͤrungen uͤber das Fegefeuer
ſchienen nicht ſehr orthodox. Schon der Nunzius zu Venedig
verbot ihm auf ein paar Tage die Kanzel: hierauf ward er
nach Rom citirt; er war bereits bis Bologna, bis Florenz
gekommen, als er, wahrſcheinlich aus Furcht vor der eben
errichteten Inquiſition, zu fliehen beſchloß. Nicht uͤbel laͤßt
ihn
[209]Inquiſition.
ihn der Geſchichtſchreiber ſeines Ordens 1), wie er auf den
S. Bernard gekommen, noch einmal ſtillſtehen, und ſich
aller der Ehre, die ihm in ſeinem ſchoͤnen Vaterlande erwieſen
worden, der Unzaͤhligen erinnern, die ihn voll Erwartung
empfingen, mit Spannung hoͤrten und mit bewundernder
Genugthuung nach Hauſe begleiteten; gewiß verliert ein
Redner noch mehr als ein Andrer an ſeinem Vaterlande.
Aber er verließ es, obwohl in ſo hohem Alter. Er gab
das Siegel ſeines Ordens, das er bis hieher mit ſich ge-
tragen, ſeinem Begleiter und ging nach Genf. Noch im-
mer waren indeß ſeine Ueberzeugungen nicht feſt; er iſt in
ſehr außerordentliche Verirrungen gefallen.


Um die nemliche Zeit verließ Peter Martyr Vermigli
Italien. Ich riß mich, ſagt er, aus ſo vielen Verſtellun-
gen heraus, und rettete mein Leben vor der bevorſtehenden
Gefahr. Viele von den Schuͤlern, die er bis dahin in
Lucca gezogen, folgten ihm ſpaͤter nach 2).


Naͤher ließ ſich Caͤlio Secundo Curione die Gefahr
kommen. Er wartete bis der Bargello erſchien ihn zu ſu-
chen. Curione war groß und ſtark. Mit dem Meſſer, das
er eben fuͤhrte, ging er mitten durch die Sbirren hindurch,
ſchwang ſich auf ſein Pferd und ritt davon. Er ging nach
der Schweiz.


Schon einmal hatte es Bewegungen in Modena ge-
14
[210]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
gegeben: jetzt erwachten ſie wieder. Einer klagte den andern
an. Filippo Valentin entwich nach Trient. Auch Caſtel-
vetri fand es gerathen, ſich wenigſtens eine Zeitlang in
Deutſchland ſicher zu ſtellen.


Denn in Italien brach allenthalben die Verfolgung
und der Schrecken aus. Der Haß der Factionen kam den
Inquiſitoren zu Huͤlfe. Wie oft griff man, nachdem man
lange vergebens eine andere Gelegenheit geſucht, ſich an
ſeinen Gegnern zu raͤchen, zu der Beſchuldigung der Ketze-
rei. Nun hatten die altglaͤubigen Moͤnche wider jene
ganze Schaar geiſtreicher Leute, die durch ihr literari-
ſches Bemuͤhen auf eine religioͤſe Tendenz gefuͤhrt worden
— zwei Parteien, die einander gleich bitteren Haß wid-
meten, — die Waffen in den Haͤnden, und verdammten
ihre Gegner zu ewigem Stillſchweigen. Kaum iſt es
moͤglich, ruft Antonio dei Pagliarici aus, ein Chriſt zu
ſeyn und auf ſeinem Bette zu ſterben 1). Die Akade-
mie von Modena war nicht die einzige, welche ſich auf-
loͤſte. Auch die neapolitaniſchen, von den Seggi errich-
tet, urſpruͤnglich nur fuͤr die Studien beſtimmt, von de-
nen ſie allerdings, dem Geiſte der Zeit gemaͤß, zu theo-
logiſchen Disputationen fortgingen, wurden vom Vicekoͤnig
geſchloſſen 2). Die geſammte Literatur ward der ſtrengſten
[211]Inquiſition.
Aufſicht unterworfen. Im Jahre 1543 verordnete Caraffa,
daß in Zukunft kein Buch, von welchem Inhalt auch im-
mer, gleichviel ob alt oder neu gedruckt werden duͤrfe,
ohne die Erlaubniß der Inquiſitoren; die Buchhaͤndler muß-
ten eben Dieſen Verzeichniſſe aller ihrer Artikel einreichen;
ohne deren Erlaubniß ſollten ſie nichts mehr verkaufen; die
Zollbeamten der Dogana erhielten den Befehl, keine Sen-
dung handſchriftlicher oder gedruckter Buͤcher an ihre Be-
ſtimmung abzuliefern, ohne ſie vorher der Inquiſition
vorgelegt zu haben 1). Allmaͤhlig kam man auf den In-
dex der verbotenen Buͤcher. In Loͤwen und Paris hatte
man die erſten Beiſpiele gegeben. In Italien ließ Gio-
vanni della Caſa, in dem engſten Vertrauen des Hauſes
Caraffa, den erſten Catalog, ungefaͤhr von 70 Nummern,
zu Venedig drucken. Ausfuͤhrlichere erſchienen 1552 zu
Florenz, 1554 zu Mailand; der erſte in der ſpaͤterhin ge-
braͤuchlichen Form zu Rom 1559. Er enthielt Schriften
der Cardinaͤle, die Gedichte jenes Caſa ſelbſt. Nicht allein
Druckern und Buchhaͤndlern wurden dieſe Geſetze gegeben,
ſelbſt den Privatleuten ward es zur Gewiſſenspflicht ge-
macht, die Exiſtenz der verbotenen Buͤcher anzuzeigen, zu
ihrer Vernichtung beizutragen. Mit unglaublicher Strenge
ſetzte man dieſe Maaßregel durch. In ſo vielen Tauſend
Exemplaren das Buch uͤber die Wohlthat Chriſti verbreitet
ſeyn mochte, es iſt voͤllig verſchwunden und nicht mehr
aufzufinden. In Rom hat man Scheiterhaufen von weg-
genommenen Exemplaren verbrannt.


Bei allen dieſen Einrichtungen, Unternehmungen bediente
14*
[212]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
ſich die Geiſtlichkeit der Huͤlfe des weltlichen Arms 1). Es
kam den Paͤpſten zu Statten, daß ſie ein eigenes Land
von ſo bedeutendem Umfang beſaßen: hier konnten ſie das
Beiſpiel geben und das Muſter aufſtellen. In Mailand
und Neapel durfte ſich die Regierung um ſo weniger wi-
derſetzen da ſie beabſichtigt hatte, die ſpaniſche Inquiſition
daſelbſt einzufuͤhren: in Neapel blieb nur die Confiscation
der Guͤter verboten. In Toskana war die Inquiſition
durch den Legaten, den ſich Herzog Coſimo zu verſchaffen
wußte, weltlichem Einfluß zugaͤnglich; die Bruͤderſchaften,
die ſie ſtiftete, gaben jedoch großen Anſtoß; in Siena und
Piſa nahm ſie ſich wider die Univerſitaͤten mehr heraus als
ihr gebuͤhrte. Im Venetianiſchen blieb der Inquiſitor
zwar nicht ohne weltliche Aufſicht — in der Hauptſtadt
ſaßen ſeit dem April 1547 drei venezianiſche Nobili in ſei-
nem Tribunal; in den Provinzen hatte der Rettore jeder
Stadt, der dann zuweilen Doctoren zu Rathe zog, und
in ſchwierigen Faͤllen, beſonders ſobald die Anklage bedeu-
tendere Perſonen betraf, erſt bei dem Rathe der Zehn an-
fragte Antheil an der Unterſuchung; allein dieß hin-
derte nicht, daß man nicht im Weſentlichen die Verord-
nungen von Rom in Ausfuͤhrung gebracht haͤtte.


[213]Inquiſition.

Und ſo wurden die Regungen abweichender Religions-
meinungen in Italien mit Gewalt erſtickt und vernichtet.
Faſt der ganze Orden der Franciscaner wurde zu Retracta-
tionen genoͤthigt. Der groͤßte Theil der Anhaͤnger des
Valdez bequemte ſich zu widerrufen. In Venedig ließ man
den Fremden, den Deutſchen, die ſich des Handels oder
der Studien halber eingefunden hatten, eine gewiſſe Freiheit;
die Einheimiſchen dagegen wurden genoͤthigt, ihre Mei-
nungen abzuſchwoͤren: ihre Zuſammenkuͤnfte wurden zer-
ſtoͤrt. Viele fluͤchteten; in allen Staͤdten in Deutſchland
und der Schweiz begegnen wir dieſen Fluͤchtlingen. Diejeni-
gen, die weder nachgeben wollten noch zu entfliehen wuß-
ten, verfielen der Strafe. In Venedig wurden ſie mit
zwei Barken aus den Lagunen hinaus in das Meer
geſchickt. Man legte ein Brett zwiſchen die Barken, und
ſetzte die Verurtheilten darauf; in gleichem Augenblick fuh-
ren die Ruderer auseinander; das Brett ſtuͤrzte in die
Fluth: noch einmal riefen die Ungluͤcklichen den Namen
Chriſti aus und ſanken unter. In Rom hielt man
vor San Maria alla Minerva die Autodafe’s in aller
Form. Mancher floh von Ort zu Ort mit Weib und
Kind. Wir begleiten ſie eine Weile: dann verſchwinden
ſie: wahrſcheinlich ſind ſie den unbarmherzigen Jaͤgern in
die Netze gerathen. Andere hielten ſich ſtill. Die Herzo-
gin von Ferrara, welche, wenn es kein ſaliſches Geſetz
gegeben haͤtte, Erbin von Frankreich geweſen waͤre, ward
durch Geburt und hohen Rang nicht beſchuͤtzt. Ihr Ge-
mahl war ſelbſt ihr Gegner. „Sie ſieht Niemand“, ſagt
Marot, „gegen den ſie ſich beklagen koͤnnte: die Berge ſind
[214]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
zwiſchen ihr und ihren Freunden; ſie miſcht ihren Wein
mit Thraͤnen.“


Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.


In dieſer Entwickelung der Dinge, als die Gegner
mit Gewalt bei Seite gebracht, die Dogmen aufs neue in
dem Geiſte des Jahrhunderts feſtgeſetzt waren, die kirch-
liche Macht mit unabwendbaren Waffen die Beobachtung
derſelben beaufſichtigte, erhob ſich nun, im engſten Verein
mit dieſer, der Orden der Jeſuiten.


Nicht allein in Rom, in ganz Italien gewann er ei-
nen ungemeinen Erfolg. Er hatte ſich urſpruͤnglich fuͤr das
gemeine Volk beſtimmt: zunaͤchſt bei den vornehmen Claſ-
ſen fand er Eingang.


In Parma beguͤnſtigten ihn die Farneſen 1): Fuͤrſtin-
nen unterwarfen ſich den geiſtlichen Uebungen. In Vene-
dig erklaͤrte Lainez das Evangelium St. Johannis ausdruͤck-
lich fuͤr die Nobili, und mit Huͤlfe eines Lippomano gelang
es ihm bereits 1542, den Grund zu dem Jeſuitercollegium
zu legen. In Montepuciano brachte Franz Strada einige
[215]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.
von den vornehmſten Maͤnnern der Stadt ſo weit, daß ſie
mit ihm durch die Straßen gingen und bettelten: Strada
klopfte an die Thuͤre: ſie nahmen die Gaben in Empfang.
In Faenza gelang es ihnen, obwohl Ochino viel daſelbſt
gewirkt hatte, großen Einfluß zu erwerben, hundertjaͤhrige
Feindſchaften zu verſoͤhnen und Geſellſchaften zur Unterſtuͤz-
zung der Armen zu gruͤnden. Ich fuͤhre nur einige Bei-
ſpiele an: allenthalben erſchienen ſie, verſchafften ſich An-
haͤnger, bildeten Schulen, ſetzten ſich feſt.


Wie aber Ignatius ganz ein Spanier, und von na-
tionalen Ideen ausgegangen war, wie auch leicht ſeine geiſt-
reichſten Schuͤler ihm daher gekommen, ſo hatte ſeine Geſell-
ſchaft, in die dieſer Geiſt uͤbergegangen, auf der pyrenaͤiſchen
Halbinſel faſt noch groͤßeren Fortgang als in Italien ſelbſt.
In Barcelona machte ſie eine ſehr bedeutende Erwerbung
an dem Vicekoͤnig, Franz Borgia, Herzog von Gandia;
in Valencia konnte eine Kirche die Zuhoͤrer des Araoz
nicht faſſen, und man errichtete ihm eine Kanzel unter
freiem Himmel; in Alcala ſammelten ſich um Franz Vil-
lanova, obwohl er krank, von geringer Herkunft und ohne
alle Kenntniſſe war, gar bald bedeutende Anhaͤnger; von
hier und Salamanca, wo man 1548 mit einem ſehr en-
gen ſchlechten Hauſe begann, haben ſich die Jeſuiten her-
nach vornemlich uͤber Spanien ausgebreitet 1). Indeß wa-
ren ſie in Portugal nicht minder willkommen. Der Koͤnig
ließ von den beiden Erſten, die ihm auf ſein Erſuchen ge-
ſchickt wurden, nur den einen nach Oſtindien ziehen; —
[216]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
es iſt Xaver, der dort den Namen eines Apoſtels und ei-
nes Heiligen erwarb — den andern, Simon Roderich, be-
hielt er bei ſich. An beiden Hoͤfen verſchafften ſich die Je-
ſuiten außerordentlichen Beifall. Den portugieſiſchen refor-
mirten ſie durchaus; an dem ſpaniſchen wurden ſie gleich
damals die Beichtvaͤter der vornehmſten Großen, des Praͤſi-
denten des Rathes von Caſtilien, des Cardinals von Toledo.


Schon im Jahre 1540 hatte Ignatius einige junge
Leute nach Paris geſchickt, um daſelbſt zu ſtudiren. Von
da breitete ſich ſeine Geſellſchaft nach den Niederlanden
aus. In Loͤwen hatte Faber den entſchiedenſten Erfolg:
achtzehn junge Maͤnner, bereits Baccalaureen oder Magiſter,
erboten ſich, Haus, Univerſitaͤt und Vaterland zu verlaſ-
ſen, um ſich mit ihm nach Portugal zu begeben. Schon
ſah man ſie in Deutſchland, und unter den erſten trat
Peter Caniſius, der ihnen ſo große Dienſte geleiſtet
hat, an ſeinem drei und zwanzigſten Geburtstag in ihren
Orden.


Dieſer raſche Succeß mußte der Natur der Sache
nach auf die Entwickelung der Verfaſſung den wirkſamſten
Einfluß haben. Sie bildete ſich folgendergeſtalt aus.


In den Kreis ſeiner erſten Gefaͤhrten, der Profeſ-
ſen, nahm Ignatius nur Wenige auf. Er fand, Maͤnner
die zugleich vollkommen ausgebildet und gut und fromm
ſeyen, gebe es wenige. Gleich in dem erſten Entwurfe, den
er dem Papſte einreichte, ſpricht er die Abſicht aus, an ei-
ner oder der andern Univerſitaͤt Collegien zu gruͤnden, um
juͤngere Leute heranzubilden. In unerwarteter Anzahl, wie
[217]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.
geſagt, ſchloſſen ſich ihm ſolche an. Sie bildeten den Pro-
feſſen gegenuͤber die Claſſe der Scholaſtiker 1).


Allein gar bald zeigte ſich eine Inconvenienz. Da die
Profeſſen ſich durch ihr unterſcheidendes viertes Geluͤbde
zu fortwaͤhrenden Reiſen im Dienſte des Papſtes verpflich-
tet hatten, ſo war es ein Widerſpruch, ſo viel Collegien
wie noͤthig wurden, Anſtalten, die nur bei einer ununter-
brochenen Anweſenheit gedeihen konnten, auf ſie anzuwei-
ſen. Bald fand es Ignatius noͤthig, zwiſchen jenen bei-
den eine dritte Claſſe einzurichten: geiſtliche Coadjutoren,
ebenfalls Prieſter, mit wiſſenſchaftlicher Vorbildung, die
ſich ausdruͤcklich zum Unterricht der Jugend verpflichteten.
Eines der wichtigſten Inſtitute und ſo viel ich ſehe, den
Jeſuiten eigen, auf welchem der Flor ihrer Geſellſchaft be-
ruhte. Dieſe erſt konnten an jedem Orte ſich anſiedeln,
einheimiſch werden, Einfluß gewinnen und den Unterricht
beherrſchen. Wie die Scholaſtiker legten auch ſie nur drei
Geluͤbde ab: und bemerken wir wohl: auch dieſe einfach,
nicht feierlich. Das will ſagen: ſie ſelbſt waͤren in Ex-
communication gefallen, haͤtten ſie ſich von der Geſellſchaft
wieder trennen wollen. Aber der Geſellſchaft ſtand das
Recht zu, obwohl nur in genau beſtimmten Faͤllen, ſie zu
entlaſſen.


Und nun war nur noch eins erforderlich. Die Stu-
[218]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
dien und Beſchaͤftigungen, zu denen dieſe Claſſen beſtimmt
waren, wuͤrde es geſtoͤrt haben, wenn ſie ſich zugleich
der Sorge fuͤr ihre aͤußere Exiſtenz haͤtten widmen muͤſ-
ſen. Die Profeſſen in ihren Haͤuſern lebten von Almoſen:
den Coadjutoren und Scholaſtikern ward dieß erſpart,
die Collegien durften gemeinſchaftliche Einkuͤnfte haben. Zu
deren Verwaltung, in ſo fern ſie nicht den Profeſſen, die
ihrer indeß ſelber nicht genießen konnten, zukam, und der
Beſorgung aller Aeußerlichkeiten nahm Ignaz auch noch
weltliche Coadjutoren an; welche zwar nicht minder die ein-
fachen drei Geluͤbde ablegen, aber ſich mit der Ueberzeu-
gung, daß ſie Gott dienen, indem ſie eine Geſellſchaft un-
terſtuͤtzen, welche fuͤr das Heil der Seelen wacht, zu begnuͤ-
gen und nach nichts Hoͤherem zu trachten haben.


Dieſe Einrichtungen, an ſich wohlberechnet, gruͤndeten
auch zugleich eine Hierarchie, die in ihren verſchiedenen
Abſtufungen die Geiſter noch beſonders feſſelte 1).


Faſſen wir die Geſetze, welche dieſer Geſellſchaft nach
und nach gegeben wurden, ins Auge, ſo war eine der
oberſten Ruͤckſichten, die ihnen zu Grunde lag, die voll-
kommenſte Abſonderung von den gewohnten Verhaͤltniſſen.
Die Liebe zu den Blutsverwandten wird als eine fleiſch-
liche Neigung verdammt 2). Wer ſeine Guͤter aufgiebt,
[219]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.
um in die Geſellſchaft zu treten, hat ſie nicht ſeinen Ver-
wandten zu uͤberlaſſen, ſondern den Armen auszutheilen 1).
Wer einmal eingetreten, empfaͤngt weder noch ſchreibt er
Briefe, ohne daß ſie von einem Obern geleſen wuͤrden.
Die Geſellſchaft will den ganzen Menſchen: alle ſeine Nei-
gungen will ſie feſſeln.


Selbſt ſeine Geheimniſſe will ſie mit ihm theilen.
Mit einer Generalbeichte tritt er ein. Er hat ſeine Feh-
ler, ja ſeine Tugenden anzuzeigen. Ein Beichtvater wird
ihm von den Oberen beſtellt: der Obere behaͤlt ſich die
Abſolution fuͤr diejenigen Faͤlle vor, von denen es nuͤtzlich
iſt, daß er ſie erfahre 2). Schon darum dringt er hier-
auf, um den Unteren voͤllig zu kennen und ihn nach Be-
lieben zu brauchen.


Denn an die Stelle jedes andern Verhaͤltniſſes, jedes
Antriebes, den die Welt zur Thaͤtigkeit anbieten koͤnnte,
tritt in dieſer Geſellſchaft der Gehorſam: Gehorſam an
ſich, ohne alle Ruͤckſicht worauf er ſich erſtreckt 3). Es
ſoll Niemand nach einem andern Grade verlangen, als
dem, welchen er hat: der weltliche Coadjutor ſoll nicht le-
ſen und ſchreiben lernen, ohne Erlaubniß, wenn er es
nicht bereits kann. Mit voͤlliger Verleugnung allen eige-
[220]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
nen Urtheils in blinder Unterwuͤrfigkeit ſoll man ſich
von ſeinen Oberen regieren laſſen, wie ein lebloſes Ding,
wie der Stab, der Demjenigen, der ihn in ſeinen Haͤn-
den hat, auf jede beliebige Weiſe dient. In ihnen erſcheint
die goͤttliche Vorſicht 1).


Welch eine Gewalt, die nun der General empfing,
der auf Lebenslang, ohne irgend Rechenſchaft geben zu muͤſ-
ſen, dieſen Gehorſam zu leiten bekam. Nach dem Ent-
wurf von 1543 ſollten alle Mitglieder des Ordens, die
ſich mit dem General an Einem und demſelben Orte be-
finden wuͤrden, ſelbſt in geringen Dingen zu Rathe ge-
zogen werden. Der Entwurf von 1550, welchen Ju-
lius III. beſtaͤtigte, entbindet ihn hiervon, in ſo fern er
es nicht ſelbſt fuͤr gut haͤlt 2). Nur zur Veraͤnderung
der Conſtitution und zur Aufloͤſung einmal eingerichteter
Haͤuſer und Collegien bleibt eine Berathung nothwendig.
Sonſt iſt ihm alle Gewalt uͤbertragen, die zur Regierung
der Geſellſchaft nuͤtzlich ſeyn moͤchte. Er hat Aſſiſtenten
[221]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.
nach den verſchiedenen Provinzen, die aber keine anderen Ge-
ſchaͤfte verhandeln als die, welche er ihnen auftragen wird.
Nach Gutduͤnken ernennt er die Vorſteher der Provinzen,
Collegien und Haͤuſer: nimmt auf und entlaͤßt, dispenſirt
und ſtraft: er hat eine Art von paͤpſtlicher Gewalt im
Kleinen 1).


Es trat hierbei nur die Gefahr ein, daß der General im
Beſitz einer ſo großen Macht, ſelber von den Prinzipien der
Geſellſchaft abtruͤnnig wuͤrde. In ſo fern unterwarf man ihn
einer gewiſſen Beſchraͤnkung. Es will zwar vielleicht nicht
ſo viel ſagen, wie es dem Ignatius geſchienen haben mag,
daß die Geſellſchaft oder ihre Deputirten uͤber gewiſſe Aeu-
ßerlichkeiten, Mahlzeit, Kleidung, Schlafengehen und das ge-
ſammte taͤgliche Leben — zu beſtimmen hatten 2): indeß iſt
es immer etwas, daß der Inhaber der oberſten Gewalt
einer Freiheit beraubt iſt, die der geringſte Menſch genießt.
Die Aſſiſtenten, die nicht von ihm ernannt waren, beauf-
ſichtigten ihn uͤberdieß fortwaͤhrend. Es gab einen beſtellten
Ermahner, Admonitor; bei großen Fehltritten konnten die
Aſſiſtenten die Generalcongregation berufen, die dann be-
fugt war, ſelbſt die Abſetzung des Generals auszuſprechen.


Es fuͤhrt uns dieß einen Schritt weiter.


Laſſen wir uns nicht von den hyperboliſchen Aus-
druͤcken blenden, in denen die Jeſuiten dieſe Gewalt dar-
geſtellt haben, und betrachten wir vielmehr, was bei
der Ausdehnung, zu der die Geſellſchaft gar bald gedieh,
ausfuͤhrbar ſeyn konnte, ſo ſtellt ſich folgendes Verhaͤltniß
[222]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
dar. Dem General blieb die hoͤchſte Leitung des Ganzen,
und vornehmlich die Beaufſichtigung der Oberen, deren Ge-
wiſſen er kennen ſoll, denen er die Aemter ertheilt. Dieſe
hatten dagegen in ihrem Kreiſe eine aͤhnliche Gewalt und
machten ſie haͤufig ſchaͤrfer geltend als der General 1).
Obere und General hielten einander gewiſſermaßen das
Gleichgewicht. Auch uͤber die Perſoͤnlichkeit aller Unterge-
benen, aller Mitglieder der Geſellſchaft mußte der General
unterrichtet werden; — wenn er gleich hier, wie es ſich
von ſelbſt verſteht, nur in dringenden Faͤllen eingreifen
konnte, ſo behielt er doch die oberſte Aufſicht. Ein Aus-
ſchuß der Profeſſen dagegen beaufſichtigte hinwiederum ihn.


Es hat andere Inſtitute gegeben, welche auch in der
Welt eine eigene Welt bildend, ihre Mitglieder von allen
uͤbrigen Beziehungen losriſſen, ſich zu eigen machten, ein
neues Lebensprinzip in ihnen erzeugten. Eben hierauf war
auch das jeſuitiſche Inſtitut berechnet. Eigenthuͤmlich iſt
ihm aber, daß es dabei auf der einen Seite eine indivi-
duelle Entwickelung nicht allein beguͤnſtigt, ſondern for-
dert, und auf der andern dieſelbe voͤllig gefangennimmt.
und ſich zu eigen macht. Daher werden alle Verhaͤltniſſe
Perſoͤnlichkeit, Unterordnung, wechſelſeitige Beaufſichtigung.
Dennoch bilden ſie eine ſtreng geſchloſſene, vollkommene
Einheit: es iſt in ihnen Nerv und Thatkraft; eben darum
haben ſie die monarchiſche Gewalt ſo ſtark gemacht; ſie
unterwerfen ſich ihr ganz, es waͤre denn, deren Inhaber
fiele ſelbſt von dem Prinzip ab.


[223]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.

Mit der Idee dieſer Geſellſchaft haͤngt es ſehr wohl
zuſammen, daß keines ihrer Mitglieder eine geiſtliche Wuͤrde
bekleiden ſollte. Es wuͤrde Pflichten zu erfuͤllen gehabt
haben, in Verhaͤltniſſe gerathen ſeyn, die nicht mehr zu
beaufſichtigen waren. Wenigſtens im Anfange hielt man
auf das ſtrengſte daruͤber. Jay wollte und durfte das
Bisthum Trieſt nicht annehmen; — als Ferdinand I., der
es ihm angetragen, auf ein Schreiben des Ignatius, von
ſeinem Wunſche abſtand, ließ dieſer feierliche Meſſen hal-
ten und ein Tedeum anſtimmen 1).


Ein anderes Moment iſt, daß ſo wie die Geſellſchaft
ſich im Ganzen beſchwerlicher Gottesverehrungen uͤberhob,
auch die Einzelnen angewieſen wurden, die religioͤſen Ue-
bungen nicht zu uͤbertreiben. Mit Faſten, Nachtwachen
und Caſteiungen ſoll man weder ſeinen Koͤrper ſchwaͤchen,
noch dem Dienſte des Naͤchſten zu viel Zeit entziehen. Auch
in der Arbeit wird empfohlen, Maaß zu halten. Man ſoll
das muthige Roß nicht allein ſpornen, ſondern auch zaͤh-
men: man ſoll ſich nicht mit ſo viel Waffen beſchweren,
daß man dieſelben nicht anwenden koͤnne: man ſoll ſich
nicht dergeſtalt mit Arbeit uͤberhaͤufen, daß die Freiheit des
Geiſtes darunter leide 2).


Es leuchtet ein, wie ſehr die Geſellſchaft alle ihre
Mitglieder gleichſam als ihr Eigenthum beſitzen, aber da-
[224]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
bei zu der kraͤftigſten Entwickelung gedeihen laſſen will, die
innerhalb des Prinzipes moͤglich iſt.


In der That war dieß auch zu den ſchwierigen Ge-
ſchaͤften, denen ſie ſich unterzog, unerlaͤßlich. Es waren,
wie wir ſahen, Predigt, Unterricht und Beichte. Vornehm-
lich den beiden letzteren widmeten ſich die Jeſuiten auf ei-
genthuͤmliche Art.


Der Unterricht war bisher in den Haͤnden jener Lite-
ratoren geweſen, die, nachdem ſie lange die Studien auf
eine durchaus profane Weiſe getrieben, darnach auf eine
dem roͤmiſchen Hofe von Anfang nicht ganz genehme, endlich
von ihm verworfene geiſtliche Richtung eingegangen waren.
Die Jeſuiten machten es ſich zu ihrem Geſchaͤft, ſie zu ver-
draͤngen und an ihre Stelle zu treten. Sie waren erſtens
ſyſtematiſcher: ſie theilten die Schulen in Claſſen, von den
erſten Anfangsgruͤnden an bis zu der letzten Ausbildung
hinauf gaben ſie ihren Unterricht in demſelben Geiſte; ſie
beaufſichtigten ferner die Sitten und bildeten wohlgezogene
Leute; ſie waren von der Staatsgewalt beguͤnſtigt; end-
lich, ſie gaben ihren Unterricht umſonſt. Hatte die Stadt
oder der Fuͤrſt ein Collegium gegruͤndet, ſo brauchte kein
Privatmann weiter etwas zu zahlen. Es war ihnen aus-
druͤcklich verboten, Lohn oder Almoſen zu fordern oder an-
zunehmen; wie Predigt und Meſſe, ſo war auch der Un-
terricht umſonſt; in der Kirche ſelbſt war kein Gotteska-
ſten. Wie die Menſchen nun einmal ſind, ſo mußte ihnen
dieß, zumal da ſie nun wirklich mit eben ſo viel Erfolg
wie Eifer unterrichteten, unendlich foͤrderlich ſeyn. Nicht
allein den Armen werde damit geholfen, ſondern auch den
Rei-
[225]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.
Reichen eine Erleichterung gewaͤhrt, ſagt Orlandini 1).
Er bemerkt, welch ungeheuren Succeß man gehabt. „Wir
ſehen,“ ſagt er, „Viele im Purpur der Cardinaͤle glaͤnzen,
die wir noch vor Kurzem auf unſern Schulbaͤnken vor uns
hatten: Andere ſind in Staͤdten und Staaten zur Regie-
rung gelangt; Biſchoͤfe und ihre Raͤthe haben wir erzo-
gen; ſelbſt andere geiſtliche Genoſſenſchaften ſind aus un-
ſern Schulen erfuͤllt worden.“ Die hervorragenden Talente
wußten ſie, wie leicht zu erachten, ſich ſelber zuzueignen.
Sie bildeten ſich zu einem Lehrerſtand aus, der — indem er
ſich uͤber alle katholiſchen Laͤnder verbreitete, dem Unterricht
die geiſtliche Farbe, die er ſeitdem behalten, erſt verlieh, in
Disciplin, Methode und Lehre eine ſtrenge Einheit behaup-
tete — ſich einen unberechenbaren Einfluß verſchafft hat.


Wie ſehr verſtaͤrkten ſie denſelben aber, indem ſie ſich
zugleich der Beichte und der Leitung der Gewiſſen zu bemaͤch-
tigen verſtanden! Kein Jahrhundert war dafuͤr empfaͤng-
licher, deſſen gleichſam beduͤrftiger. Den Jeſuiten ſchaͤrft
ihr Geſetzbuch ein, „in der Art und Weiſe die Abſolu-
tion zu ertheilen, die nemliche Methode zu befolgen, ſich
in den Gewiſſensfaͤllen zu uͤben, ſich eine kurze Art, zu
fragen, anzugewoͤhnen und gegen jedwede Art von Suͤnde
die Beiſpiele der Heiligen, ihre Worte und andere Huͤlfe
bereit zu halten“ 2). Regeln, wie am Tage liegt, auf
15
[226]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
das Beduͤrfniß des Menſchen ganz wohl berechnet. Indeſ-
ſen beruhte der ungemeine Erfolg, zu dem ſie es brachten,
der eine wahre Ausbreitung ihrer Sinnesweiſe einſchloß, noch
auf einem anderen Momente.


Sehr merkwuͤrdig iſt das kleine Buch der geiſtlichen
Uebungen, welches Ignaz, ich will zwar nicht ſagen zuerſt
entworfen, aber auf das eigenthuͤmlichſte ausgearbeitet 1),
mit dem er ſeine erſten, und dann auch ſeine ſpaͤteren
Schuͤler, ſeine Anhaͤnger uͤberhaupt geſammelt und ſich zu
eigen gemacht hat. Fort und fort war es wirkſam. Um
ſo mehr vielleicht grade darum, weil es nur gelegentlich,
in dem Augenblicke innerer Unruhen, eines inneren Beduͤrf-
niſſes anempfohlen wurde.


Es iſt nicht ein Lehrbuch: es iſt eine Anweiſung zu
eigenen Betrachtungen. Die Sehnſucht der Seele, ſagt
Ignatius, wird nicht durch eine Menge von Kenntniſſen,
nur durch die eigene innere Anſchauung wird ſie erfuͤllt 2).


Dieſe zu leiten nimmt er ſich vor. Der Seelſorger
deutet die Geſichtspuncte an: der Uebende hat ſie zu ver-
folgen. Vor dem Schlafengehen und ſogleich bei dem er-
ſten Erwachen hat er ſeine Gedanken dahin zu richten;
alle anderen weiſt er mit Anſtrengung von ſich: Fenſter und
Thuͤren werden geſchloſſen: auf den Knieen und zur Erde
geſtreckt vollzieht er die Betrachtung.


[227]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.

Er beginnt damit, ſeiner Suͤnden inne zu werden. Er
betrachtet, wie um einer einzigen willen die Engel in die
Hoͤlle geſtuͤrzt worden, fuͤr ihn aber, obwohl er viel groͤ-
ßere begangen, die Heiligen vorgebeten, Himmel und Ge-
ſtirne, Thiere und Gewaͤchſe der Erde ihm gedient haben;
um nun von der Schuld befreit zu werden und nicht in
die ewige Verdammniß zu fallen, ruft er den gekreuzigten
Chriſtus an; er empfindet ſeine Antworten: es iſt zwiſchen
ihnen ein Geſpraͤch wie eines Freundes mit dem Freund,
eines Knechtes mit dem Herrn.


Hauptſaͤchlich ſucht er ſich dann an der Betrachtung
der heiligen Geſchichte aufzuerbauen. „Ich ſehe“, heißt es,
„wie die drei Perſonen der Gottheit die ganze Erde uͤber-
ſchauen, erfuͤllt von Menſchen, welche in die Hoͤlle fahren
muͤſſen: ſie beſchließen, daß die zweite Perſon zu ihrer Er-
loͤſung die menſchliche Natur annehmen ſoll; ich uͤberblicke
den ganzen Umkreis der Erde, und gewahre in einem Win-
kel die Huͤtte der Jungfrau Maria, von der das Heil aus-
geht.“ Von Moment zu Moment ſchreitet er in der heili-
gen Geſchichte weiter fort: er vergegenwaͤrtigt ſich die Hand-
lungen in allen ihren Einzelnheiten nach den Kategorien
der Sinne: der religioͤſen Phantaſie, frei von den Banden
des Wortes, wird der groͤßte Spielraum gelaſſen; man
vermeint die Kleidungsſtuͤcke, die Fußtapfen der heiligen
Perſonen zu beruͤhren, zu kuͤſſen. In dieſer Exaltation der
Einbildungskraft, in dem Gefuͤhl, wie groß die Gluͤckſe-
ligkeit einer Seele ſey, die mit goͤttlichen Gnaden und Tu-
genden erfuͤllt worden, kehrt man zur Betrachtung der eige-
nen Zuſtaͤnde zuruͤck. Hat man ſeinen Stand noch zu waͤh-
15*
[228]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
len, ſo waͤhlt man ihn jetzt, nach den Beduͤrfniſſen ſeines
Herzens; indem man das Eine Ziel vor Augen hat, zu
Gottes Lobe ſelig zu werden; indem man glaubt vor Gott
und allen Heiligen zu ſtehen. Hat man nicht mehr zu
waͤhlen, ſo uͤberlegt man ſeine Lebensweiſe: die Art ſeines
Umgangs, ſeinen Haushalt, den nothwendigen Aufwand,
was man den Armen zu geben habe — alles in demſel-
ben Sinne, wie man im Augenblick des Todes ſich bera-
then zu haben wuͤnſchen wird: ohne etwas andres vor
Augen zu haben, außer was zu Gottes Ehre und der ei-
genen Seligkeit gereicht.


Dreißig Tage werden dieſen Uebungen gewidmet. Be-
trachtung der heiligen Geſchichte, der eigenen Zuſtaͤnde,
Gebete, Entſchluͤſſe wechſeln mit einander ab. Immer iſt
die Seele geſpannt und ſelber thaͤtig. Zuletzt, indem man
ſich die Fuͤrſorge Gottes vorſtellt, „der in ſeinen Geſchoͤ-
pfen wirkſam gleichſam fuͤr die Menſchen arbeitet,“ glaubt
man nochmals im Angeſicht des Herrn und ſeiner Heili-
gen zu ſtehen: man fleht ihn an, ſich ſeiner Liebe und Ver-
ehrung widmen zu duͤrfen: die Freiheit bringt man ihm
dar; Gedaͤchtniß, Einſicht, Willen widmet man ihm: ſo
ſchließt man mit ihm den Bund der Liebe. „Die Liebe
beſteht in der Gemeinſchaft aller Faͤhigkeiten und Guͤter.“
Ihrer Hingebung zum Lohne theilt Gott der Seele ſeine
Gnaden mit.


Es genuͤgt hier, eine fluͤchtige Idee von dieſem Buche
gegeben zu haben. In dem Gange, den es nimmt, den
einzelnen Saͤtzen und ihrem Zuſammenhange liegt etwas
Dringendes, was den Gedanken zwar eine innere Thaͤtig-
[229]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.
keit geſtattet, aber ſie in einem engen Kreiſe beſchließt und
feſſelt. Fuͤr ſeinen Zweck, eine durch die Phantaſie be-
herrſchte Meditation, iſt es auf das beſte eingerichtet. Es
verfehlt ihn um ſo weniger, da es auf eigenen Erfahrun-
gen beruht. Die lebendigen Momente ſeiner Erweckung und
ſeiner geiſtlichen Fortſchritte vom erſten Anfang bis zum
Jahre 1548, wo es von dem Papſt gebilligt wurde, hatte
ihm Ignaz nach und nach einverleibt. Man ſagt wohl,
der Jeſuitismus habe ſich die Erfahrungen der Proteſtan-
ten zu Nutze gemacht, und in einem und dem andern
Stuͤcke mag das wahr ſeyn. Im Ganzen aber ſtehen ſie
in dem ſtaͤrkſten Gegenſatz. Wenigſtens ſetzte Ignatius
hier der discurſiven, beweiſenden, gruͤndlichen, ihrer Na-
tur nach polemiſchen Methode der Proteſtanten eine
ganz andere entgegen: kurz, intuitiv und zur Anſchauung
anleitend: auf die Phantaſie berechnet; zu augenblicklicher
Entſchließung begeiſternd.


Und ſo war jedes phantaſtiſche Element, das ihn von
Anfang belebte, doch auch zu einer außerordentlichen Wirk-
ſamkeit und Bedeutung gediehen. Wie er aber zugleich ein
Soldat war, ſo hatte er, eben mit Huͤlfe der religioͤſen
Phantaſie, ein ſtehendes geiſtliches Heer zuſammengebracht,
Mann bei Mann erleſen und zu ſeinem Zweck indivi-
duell ausgebildet, das er im Dienſte des Papſtes befehligte.
Ueber alle Laͤnder der Erde ſah er es ſich ausbreiten.


Als Ignatius ſtarb, zaͤhlte ſeine Geſellſchaft, die roͤ-
miſche ungerechnet, dreizehn Provinzen 1). Schon der
[230]BuchII.Regeneration des Katholicismus.
bloße Anblick zeigt, wo der Nerv derſelben war. Die
groͤßere Haͤlfte dieſer Provinzen, ſieben, gehoͤrten allein der
pyrenaͤiſchen Halbinſel und ihren Colonien an. In Caſti-
lien waren zehn, in Aragon fuͤnf, in Andaluſien nicht min-
der fuͤnf Collegien: in Portugal war man am weiteſten:
man hatte zugleich Haͤuſer fuͤr Profeſſen und Novizen.
Der portugieſiſchen Colonien hatte man ſich beinahe be-
maͤchtigt. In Braſilien waren 28, in Oſtindien von Goa
bis Japan gegen 100 Mitglieder des Ordens beſchaͤftigt.
Von hier aus hatte man einen Verſuch in Aethiopien ge-
macht und einen Provinzial dahin geſendet: man glaubte
eines gluͤcklichen Fortgangs ſicher zu ſeyn. Alle dieſe Pro-
vinzen ſpaniſcher und portugieſiſcher Zunge und Richtung
wurden von einem Generalcommiſſaͤr, Franz Borgia, zu-
ſammengefaßt. Wie geſagt, hier, wo der erſte Gedanke der
Geſellſchaft entſprungen, war auch ihr Einfluß am um-
faſſendſten geweſen. Nicht viel geringer aber war er in
Italien. Es gab drei Provinzen italieniſcher Zunge: die
roͤmiſche, die unmittelbar unter dem General ſtand, mit
Haͤuſern fuͤr Profeſſen und Novizen, dem Collegium Ro-
manum und dem Germanicum, das auf den Rath des
Cardinals Morone ausdruͤcklich fuͤr die Deutſchen eingerichtet
wurde, jedoch noch keinen rechten Fortgang gewann: auch
Neapel gehoͤrte zu dieſer Provinz — die ſicilianiſche mit vier
bereits vollendeten und zwei angefangenen Collegien: der Vi-
cekoͤnig della Vega hatte die erſten Jeſuiten dahin ge-
bracht 1), Meſſina und Palermo hatten gewetteifert, Col-
legien zu gruͤnden: von dieſen gingen dann die uͤbrigen
[231]Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.
aus; — und die eigentlich italieniſche, die das obere Italien
begriff, mit 10 Collegien. Nicht ſo gluͤcklich war es in
andern Laͤndern gegangen; allenthalben ſetzte ſich der Pro-
teſtantismus oder eine ſchon ausgebildete Hinneigung zu
demſelben entgegen. In Frankreich hatte man doch nur ein
einziges Collegium eigentlich im Stande: man unterſchied
zwei deutſche Provinzen, allein ſie waren nur in ihren erſten
Anfaͤngen vorhanden. Die obere gruͤndete ſich auf Wien,
Prag, Ingolſtadt, doch ſtand es allenthalben noch ſehr be-
denklich, die untere ſollte die Niederlande begreifen: doch
hatte ihr Philipp II. noch keine geſetzliche Exiſtenz daſelbſt
geſtattet.


Aber ſchon dieſer erſte raſche Fortgang leiſtete der Ge-
ſellſchaft Buͤrgſchaft fuͤr die Macht, zu der ſie beſtimmt
war. Daß ſie ſich in den eigentlich katholiſchen Laͤndern,
den beiden Halbinſeln, zu ſo gewaltigem Einfluß erhoben,
war von der groͤßten Bedeutung.


Schluß.


Wir ſehen, jenen proteſtantiſchen Bewegungen gegen-
uͤber, welche jeden Moment weiter um ſich griffen, hatte
ſich dergeſtalt auch in der Mitte des Katholicismus, in
Rom, um den Papſt her eine neue Richtung ausgebildet.


Nicht anders, als jene, ging ſie von der Verweltli-
chung der bisherigen Kirche, oder vielmehr von dem Be-
duͤrfniß aus, das dadurch in den Gemuͤthern entſtan-
den war.


[232]BuchII.Regeneration des Katholicismus.

Anfangs naͤherten ſich beide einander. Es gab einen
Moment, wo man ſich in Deutſchland noch nicht entſchloſ-
ſen hatte, die Hierarchie ſo voͤllig fallen zu laſſen: wo man
auch in Italien geneigt geweſen waͤre, rationelle Modifi-
cationen in derſelben anzunehmen. Dieſer Moment ging
voruͤber.


Waͤhrend die Proteſtanten, geſtuͤtzt auf die Schrift,
immer kuͤhner zu den primitiven Formen des chriſtlichen
Glaubens und Lebens zuruͤckgingen, entſchied man ſich auf
der andern Seite, das im Laufe des Jahrhunderts zu
Stande gekommene kirchliche Inſtitut feſt zu halten und
nur zu erneuern, mit Geiſt und Ernſt und Strenge zu
durchdringen. Dort entwickelte ſich der Calvinismus bei
weitem antikatholiſcher als das Lutherthum: hier ſtieß man
in bewußter Feindſeligkeit alles von ſich, was an den Pro-
teſtantismus uͤberhaupt erinnerte, und trat ihm in ſcharfem
Gegenſatz gegenuͤber.


So entſpringen ein paar Quellen in vertraulicher
Nachbarſchaft auf der Hoͤhe des Gebirgs: ſo wie ſie ſich
nach verſchiedenen Senkungen deſſelben ergoſſen haben, ge-
hen ſie in entgegengeſetzten Stroͤmen auf ewig aus ein-
ander.


[[233]]

Drittes Buch.
Die Päpſte um die Mitte des ſechszehnten
Jahrhunderts.


[[234]][[235]]

Vor allem iſt das ſechszehnte Jahrhundert durch den
Geiſt religioͤſer Hervorbringung ausgezeichnet. Bis auf
den heutigen Tag fuͤhlen wir uns, leben wir in den Ge-
genſaͤtzen der Ueberzeugung, welche ſich damals zuerſt Bahn
machten.


Wollten wir den welthiſtoriſchen Augenblick, in wel-
chem ſich die Sonderung vollzog, noch genauer bezeich-
nen, ſo wuͤrde er nicht mit dem erſten Auftreten der Re-
formatoren zuſammenfallen — denn nicht ſogleich ſtellten
ſich die Meinungen feſt, und noch lange ließ ſich eine Ver-
gleichung der ſtreitigen Lehren hoffen; — erſt um das Jahr
1552 waren alle Verſuche hierzu vollſtaͤndig geſcheitert,
und die drei großen Formen des abendlaͤndiſchen Chriſten-
thums ſetzten ſich auf immer aus einander. Das Luther-
thum ward ſtrenger, herber, abgeſchloſſener: der Calvinis-
mus ſonderte ſich in den wichtigſten Artikeln von ihm ab,
waͤhrend Calvin fruͤher ſelbſt fuͤr einen Lutheraner gegol-
ten: beiden entgegengeſetzt nahm der Katholicismus ſeine
moderne Geſtalt an. Einander gegenuͤber ſuchten ſich die
drei theologiſchen Syſteme auf dem Punkte feſtzuſtellen,
[236]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
den eine jede eingenommen, und von ihm aus die anderen
zu verdraͤngen, ſich die Welt zu unterwerfen.


Es koͤnnte ſcheinen, als werde es die katholiſche Rich-
tung, die doch vornehmlich nur die Erneuerung des bis-
herigen Inſtitutes beabſichtigte, leichter gehabt haben, auf
ihrer Seite durchzudringen, vorwaͤrts zu kommen, als die
uͤbrigen. Doch war ihr Vortheil nicht groß. Von vielen
anderen Lebenstrieben weltlicher Geſinnung, profaner Wiſ-
ſenſchaftlichkeit, abweichender theologiſcher Ueberzeugung, war
auch ſie umgeben und beſchraͤnkt; ſie war mehr ein Gaͤh-
rungsſtoff, von dem es ſich noch fragte, ob er die Ele-
mente, in deren Mitte er ſich erzeugt, wahrhaft ergreifen,
uͤberwaͤltigen, oder von ihnen erdruͤckt werden wuͤrde.


In den Paͤpſten ſelbſt, ihrer Perſoͤnlichkeit und Poli-
tik ſtieß ſie auf den naͤchſten Widerſtand.


Wir bemerkten, wie eine ſo durchaus ungeiſtliche Sin-
nesweiſe in den Oberhaͤuptern der Kirche Wurzel gefaßt,
die Oppoſition hervorgerufen, dem Proteſtantismus ſo un-
endlichen Vorſchub gethan hatte.


Es kam darauf an, in wiefern die ſtrengen kirchlichen
Tendenzen dieſe Geſinnung uͤbermeiſtern, umwandeln wuͤr-
den oder nicht.


Ich finde, daß der Gegenſatz dieſer beiden Principien,
des eingewohnten Thun und Laſſens, der bisherigen Poli-
tik mit der Nothwendigkeit eine durchgreifende innere Re-
form herbeizufuͤhren, das vornehmſte Intereſſe in der Ge-
ſchichte der naͤchſten Paͤpſte bildet.


[237]PaulIII.

Paul III.


Heut zu Tage giebt man oft nur allzu viel auf die
Beabſichtigung und den Einfluß hochgeſtellter Perſonen,
der Fuͤrſten, der Regierungen; ihr Andenken muß nicht ſel-
ten buͤßen, was die Geſammtheit verſchuldete: zuweilen
ſchreibt man ihnen auch das zu, was weſentlich von freien
Stuͤcken aus der Geſammtheit hervorging.


Die katholiſche Bewegung, die wir in dem vorigen
Buche betrachteten, trat unter Paul III. ein, aber in die-
ſem Papſte ihren Urſprung erblicken, ſie ihm zuſchreiben zu
wollen, waͤre ein Irrthum. Er ſah ſehr wohl, was ſie
dem roͤmiſchen Stuhle bedeutete: er ließ ſie nicht allein
geſchehen, er befoͤrderte ſie in vieler Hinſicht; aber getroſt
duͤrfen wir ſagen, daß er ihr nicht einmal ſelbſt in ſeiner
perſoͤnlichen Geſinnung ergeben war.


Alexander Farneſe — ſo hieß Paul III. fruͤher —
war ein Weltkind, ſo gut wie irgend ein Papſt vor ihm.
Noch im funfzehnten Jahrhundert — er war im Jahre
1468 geboren — gelangte er zu ſeiner vollen Ausbildung.
Unter Pomponius Laͤtus zu Rom, in den Gaͤrten Lorenzo
Medici’s zu Florenz ſtudirte er: die elegante Gelehrſamkeit
und den Kunſtſinn jener Epoche nahm er voͤllig in ſich
auf; auch die Sitten derſelben blieben ihm dann nicht
fremd. Seine Mutter fand es einmal noͤthig, ihn in dem
Caſtell S. Angelo gefangen halten zu laſſen; er wußte in
einem unbewachten Augenblicke, den ihm die Proceſſion
des Frohnleichnamtages gewaͤhrte, an einem Seile aus der
Burg herabzugelangen und zu entkommen. Einen natuͤr-
[238]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
lichen Sohn und eine natuͤrliche Tochter erkannte er an.
Trotz alle dem ward er bei ziemlich jungen Jahren, —
denn in jenen Zeiten nahm man an ſolchen Dingen nicht
viel Anſtoß — zum Cardinal befoͤrdert. Noch als Cardi-
nal legte er den Grund zu dem ſchoͤnſten aller roͤmiſchen
Pallaͤſte, dem farneſianiſchen; bei Bolſena, wo ſeine Stamm-
guͤter lagen, richtete er ſich eine Villa ein, die Papſt Leo
einladend genug fand, um ſie ein paar Mal zu beſuchen.
Mit dieſem praͤchtigen und glaͤnzenden Leben verband er
aber auch noch andere Beſtrebungen. Er faßte von allem
Anfang die hoͤchſte Wuͤrde ins Auge. Es bezeichnet ihn,
daß er ſie durch eine vollkommene Neutralitaͤt zu erreichen
ſuchte. Die franzoͤſiſche und die kaiſerliche Faction theil-
ten Italien, Rom und das Cardinal-Collegium. Er betrug
ſich mit einer ſo uͤberlegten Behutſamkeit, einer ſo gluͤckli-
chen Klugheit, daß Niemand haͤtte ſagen koͤnnen, zu welcher
von beiden er ſich mehr hinneige. Schon nach Leo’s, noch
einmal nach Adrian’s Tode war er nahe daran gewaͤhlt zu
werden: er war ungehalten auf das Andenken Clemens VII.,
der ihm zwoͤlf Jahre des Papſtthums, die ihm gehoͤrt haͤtten,
entriſſen habe; endlich, im October 1534, im vierzigſten
Jahre ſeines Cardinalates, dem 67ſten ſeines Lebens, er-
reichte er ſein Ziel und wurde gewaͤhlt 1).


Noch auf eine ganz andere Weiſe beruͤhrten ihn nun
die großen Gegenſaͤtze der Welt — der Widerſtreit jener
beiden Parteien, zwiſchen denen er jetzt ſelbſt eine ſo be-
deutende Stelle einnahm: die Nothwendigkeit, die Prote-
ſtanten zu bekaͤmpfen und die geheime Verbindung, in die
er um ihrer politiſchen Haltung willen mit ihnen gerieth:
[239]PaulIII.
die natuͤrliche Neigung, die ihm aus der Lage ſeines ita-
lieniſchen Fuͤrſtenthums hervorging, das Uebergewicht der
Spanier zu ſchwaͤchen und die Gefahr, die mit jedem Ver-
ſuch hierzu verbunden war: das dringende Beduͤrfniß einer
Reform und die unerwuͤnſchte Beſchraͤnkung, mit der ſie
die paͤpſtliche Macht zu bedrohen ſchien.


Es iſt ſehr merkwuͤrdig, wie ſich in der Mitte zwi-
ſchen ſo vielen einander zuwiderlaufenden Forderungen ſein
Weſen entwickelte.


Paul III. hatte eine bequeme, praͤchtige, geraͤumige
Art zu ſeyn. Selten iſt ein Papſt in Rom ſo beliebt ge-
weſen wie er es war. Es hat etwas Großartiges, daß er
jene ausgezeichneten Cardinaͤle ohne ihr Wiſſen ernannte;
wie vortheilhaft unterſcheidet ſich dieß Verfahren von den
kleinlichen, perſoͤnlichen Ruͤckſichten, die faſt in der Regel
genommen wurden! Aber er berief ſie nicht allein: er ließ
ihnen auch eine ungewohnte Freiheit: er ertrug in dem
Conſiſtorium den Widerſpruch und ermunterte zu ruͤckſichts-
loſer Discuſſion 1).


[240]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Ließ er aber Anderen ihre Freiheit, goͤnnte er einem
Jeden den Vortheil, der ihm durch ſeine Stellung zufiel,
ſo wollte auch er von ſeinen Praͤrogativen nicht ein einzi-
ges fallen laſſen. Der Kaiſer machte ihm einmal Vorſtel-
lungen, daß er zwei ſeiner Enkel in allzufruͤhen Jahren
zum Cardinalat befoͤrdert habe; er entgegnete: er werde
verfahren wie ſeine Vorgaͤnger; gebe es doch Beiſpiele,
daß Knaben in der Wiege Cardinaͤle geworden. Fuͤr dieß
ſein Geſchlecht zeigte er eine ſelbſt an dieſer Stelle un-
gewohnte Vorliebe 1). Er war entſchloſſen, es eben ſo
gut wie andere Paͤpſte, zu fuͤrſtlichen Wuͤrden zu be-
foͤrdern.


Nicht als ob er nun, wie ein Alexander VI., alles
Uebrige dieſer Ruͤckſicht untergeordnet haͤtte: das koͤnnte
man nicht ſagen; er beabſichtigte auf das ernſtlichſte, den
Frieden zwiſchen Frankreich und Spanien herzuſtellen, die
Proteſtanten zu unterdruͤcken, die Tuͤrken zu bekaͤmpfen,
die Kirche zu reformiren: aber dabei lag es ihm ſehr am
Herzen, zugleich ſein Haus zu erhoͤhen.


Indem er nun alle dieſe Abſichten, die einander wi-
derſtreben, in ſich aufnimmt, indem er zugleich oͤffentliche
und
[241]PaulIII.
und private Zwecke verfolgt: iſt er zu einer hoͤchſt bedaͤch-
tigen, aufmerkſamen, zoͤgernden, abwartenden Politik ge-
noͤthigt; an dem guͤnſtigen Augenblick, der gluͤcklichen Com-
bination der Umſtaͤnde iſt ihm alles gelegen: er muß ſie
langſam herbeizufuͤhren, und dann auf das raſcheſte zu er-
greifen, zu behaupten ſuchen.


Die Geſandten fanden es ſchwer mit ihm zu unter-
handeln. Sie erſtaunten, daß er keinen Mangel an Muth
ſpuͤren ließ, und doch ſelten zum Schluß zur Entſcheidung
zu bringen war. Den Andern ſuchte er zu feſſeln: ein bin-
dendes Wort, eine unwiderrufliche Sicherheit zu erlangen:
er ſelbſt wollte ſich niemals verpflichten. Man bemerkte es
auch in kleineren Sachen: er war ungeneigt, im Voraus
etwas abzuſchlagen oder zu verſprechen: bis auf den letzten
Augenblick wollte er freie Hand haben. Wie viel mehr
in ſchwierigeren Angelegenheiten! Zuweilen hatte er ſelbſt
eine Auskunft, eine Vermittlung angezeigt: wollte man ſie
ergreifen, ſo zog er ſich nichts deſto minder zuruͤck: er
wuͤnſchte immer Meiſter ſeiner Unterhandlungen zu blei-
ben 1).


16
[242]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Er war, wie geſagt, noch von claſſiſcher Schule:
er wollte ſich lateiniſch ſo wie italieniſch nicht anders als
ausgeſucht und elegant ausdruͤcken: immer mit der doppel-
ten Ruͤckſicht, auf den Inhalt und auf die Form, waͤhlte
und erwog er ſeine Worte; leiſe, mit dem langſamſten
Bedacht ließ er ſich vernehmen.


Oft wußte man nicht recht, wie man mit ihm ſtand.
Man glaubte zuweilen von dem, was er ſagte, eher auf
das Gegentheil ſchließen zu duͤrfen. Doch waͤre das nicht
immer richtig geweſen. Die ihn naͤher kannten, hatten be-
merkt, daß er dann am meiſten etwas auszufuͤhren hoffte,
wenn er gar nicht davon redete, weder die Sache beruͤhrte,
noch die Perſonen, welche ſie anging 1). Denn ſo viel
ſah man wohl, daß er eine einmal gefaßte Abſicht nie
wieder fallen ließ. Er hoffte alles durchzuſetzen, was er
ſich einmal vorgenommen: wenn nicht ſogleich, doch ein
andermal, unter veraͤnderten Umſtaͤnden, auf einem anderen
Wege.


Einer ſolchen Sinnesweiſe, von ſo weit ausſehender
Berechnung, allſeitiger Ruͤckſicht und geheimnißvoller Er-
waͤgung widerſpricht es nicht, wenn neben den irdiſchen
auch die himmliſchen Gewalten in Betracht gezogen wur-
1)
[243]PaulIII.
den. Der Einfluß der Geſtirne auf die Erfolge der menſch-
lichen Thaͤtigkeit ward in dieſer Epoche wenig bezweifelt.
Paul III. unternahm keine wichtige Sitzung des Conſiſto-
riums, keine Reiſe, ohne die Tage zu waͤhlen, ohne die
Conſtellation beobachtet zu haben 1). Ein Bund mit Frank-
reich fand darum Anſtand, weil zwiſchen den Nativitaͤten
des Koͤnigs und des Papſtes keine Conformitaͤt ſey. Die-
ſer Papſt fuͤhlte ſich, wie es ſcheint, zwiſchen tauſend wi-
derwaͤrtigen Einwirkungen: nicht allein den irdiſchen der
Welt, ſondern auch den uͤberirdiſchen einer Configura-
tion der Geſtirne: ſein Sinn iſt, die Macht der einen
wie der andern nach Gebuͤhr zu beruͤckſichtigen, ihrer Un-
gunſt auszuweichen, ihre Gunſt zu benutzen, zwiſchen alle
den Klippen, die ihm von allen Seiten drohen, geſchickt
nach ſeinem Ziele zu ſteuern.


Betrachten wir, wie er dieß verſuchte, ob es ihm
damit gluͤckte, ob er ſich zuletzt uͤber die entgegenſtreben-
den Kraͤfte der Weltbewegung wirklich erhob, oder ob auch
er von ihnen ergriffen worden iſt.


In der That gelang es ihm gleich in ſeinen erſten
Jahren einen Bund mit Carl V. und den Venezianern ge-
gen die Tuͤrken zu Stande zu bringen. Lebhaft draͤngte er
die Venezianer dazu: man erhob ſich auch dießmal zu der
Hoffnung, die chriſtlichen Graͤnzen bis nach Conſtantinopel
erweitert zu ſehen.


16*
[244]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Nur war der indeß zwiſchen Carl V. und Franz I.
erneuerte Krieg ein gefaͤhrliches Hinderniß jedes Unterneh-
mens. Der Papſt ließ ſich keine Muͤhe dauern, um dieſe
Feindſeligkeit beizulegen. Die Zuſammenkunft der beiden
Fuͤrſten zu Nizza, der auch er beiwohnte, war voͤllig ſein
Werk. Der venezianiſche Geſandte, der zugegen war, fin-
det nicht Worte genug, um den Eifer und die Geduld zu
ruͤhmen, die der Papſt dort bewieſen habe. Nur mit
außerordentlicher Muͤhwaltung und nur erſt in dem letz-
ten Augenblick, als er ſchon wegzureiſen drohte, vermit-
telte er endlich den Stillſtand 1). Er brachte es zu einer
Annaͤherung zwiſchen den beiden Fuͤrſten, die ſich dann
gar bald zu einer Art von Vertraulichkeit zu entwickeln
ſchien.


Indem der Papſt dergeſtalt die allgemeinen Geſchaͤfte
foͤrderte, verſaͤumte er jedoch auch ſeine eigenen Angelegen-
heiten nicht. Man bemerkte, daß er die einen immer mit
den andern verflocht, und dann beide zugleich weiter brachte.
Der tuͤrkiſche Krieg gab ihm Gelegenheit, Camerino einzu-
ziehn. Es ſollte eben mit Urbino verbunden werden; die
letzte Varana, Erbin von Camerino, war mit Guidobaldo II.
vermaͤhlt, der im Jahre 1538 die Regierung von Urbino
antrat 2). Aber der Papſt erklaͤrte, Camerino koͤnne durch
Frauen nicht vererbt werden. Die Venezianer haͤtten bil-
lig den Herzog unterſtuͤtzen ſollen, deſſen Vorfahren immer
[245]PaulIII.
in ihrem Schutze geweſen und in ihren Heeren gedient:
auch jetzt verwandten ſie ſich dringend und lebhaft fuͤr ihn:
aber mehr zu thun trugen ſie um des Krieges willen Be-
denken. Sie fuͤrchteten, der Papſt rufe den Kaiſer oder
Frankreich zu Huͤlfe: umſichtig bedachten ſie, gewinne er
den Kaiſer, ſo koͤnne dieſer dann um ſo weniger gegen die
Tuͤrken leiſten: gewinne er Frankreich, ſo werde die Ruhe
von Italien gefaͤhrdet, und ihre Lage noch mißlicher und
einſamer 1): und ſo uͤberließen ſie den Herzog ſeinem Schick-
ſale: er war gezwungen, Camerino abzutreten: der Papſt
belehnte ſeinen Enkel Ottavio damit. Denn ſchon er-
hob ſich ſein Haus zu Glanz und Macht. Wie nuͤtz-
lich wurde ihm die Zuſammenkunft von Nizza! Eben da-
mals als ſie im Werke war, erlangte ſein Sohn Pier
Luigi Novara und deſſen Gebiet von dem Kaiſer, und die-
ſer entſchloß ſich unwiderruflich, ſeine natuͤrliche Tochter
Margarethe — nach dem Tode des Aleſſandro Medici —
mit Ottavio Farneſe zu vermaͤhlen. Wir koͤnnen es dem
Papſt glauben, wenn er verſichert, daß er darum nicht un-
bedingt zu der kaiſerlichen Partei uͤbergetreten ſey. Er
wuͤnſchte vielmehr mit Franz I. in ein nicht minder nahes
Verhaͤltniß zu treten. Auch ging der Koͤnig darauf ein,
und verſprach ihm zu Nizza einen Prinzen von Gebluͤt,
den Herzog von Vendome fuͤr ſeine Enkelin Vittoria 2).
[246]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
In dieſer Verbindung mit den beiden groͤßten Haͤuſern der
Welt fuͤhlte ſich Paul III. gluͤcklich: er war ſehr empfaͤng-
lich fuͤr die Ehre, die darin lag: er ſprach davon in dem
Conſiſtorium. Auch die friedenſtiftende, vermittelnde Stel-
lung, die er zwiſchen den beiden Maͤchten einnahm, ſchmei-
chelte ſeinem geiſtlichen Ehrgeiz.


Nicht ganz ſo guͤnſtig aber entwickelten ſich dieſe An-
gelegenheiten weiter. Es fehlte viel, daß man den Osma-
nen etwas abgewonnen haͤtte: Venedig mußte ſich zu ei-
nem unguͤnſtigen Frieden verſtehen. Jenes perſoͤnliche Ver-
ſprechen nahm Franz I. ſpaͤter zuruͤck: und obwohl der
Papſt niemals die Hoffnung fallen ließ, eine Familien-Ver-
bindung mit den Valois wirklich durchzuſetzen, ſo zog
ſich doch die Unterhandlung in die Laͤnge. Das Verſtaͤnd-
niß, das der Papſt zwiſchen Kaiſer und Koͤnig eingeleitet,
ſchien zwar eine Zeitlang immer enger werden zu wollen:
der Papſt war ſelbſt einmal beinahe eiferſuͤchtig darauf: er
beklagte ſich ſchon, er habe es geſtiftet, und jetzt ver-
nachlaͤßige man ihn dafuͤr 1); jedoch nur allzubald loͤſte
es ſich wieder auf, und der Krieg begann aufs neue. Zu
neuen Abſichten erhob ſich alsdann der Papſt.



[247]PaulIII.

Fruͤher hatte er immer unter ſeinen Freunden laut
ausgeſprochen und ſelbſt dem Kaiſer zu verſtehen gegeben:
Mailand gehoͤre den Franzoſen, und ſey ihnen von Rechts-
wegen zuruͤckzuſtellen 1). Allmaͤhlig ließ er dieſe Meinung
fallen. Von Cardinal Carpi, der unter allen Cardinaͤlen
mit ihm am vertrauteſten war, finden wir vielmehr einen
Vorſchlag an Carl V., der ganz wo anders hinzielt 2).


„Der Kaiſer,“ heißt es darin, „muͤſſe nicht Graf,
Herzog, Fuͤrſt, er muͤſſe nur Kaiſer ſeyn wollen: nicht
viele Provinzen, ſondern große Lehensleute muͤſſe er haben.
Sein Gluͤck habe aufgehoͤrt, ſeit er Mailand in Beſitz ge-
nommen. Man koͤnne ihm nicht rathen, es an Franz I.
zuruͤckzugeben, deſſen Laͤnderdurſt er damit nur reizen wuͤrde,
aber auch behalten duͤrfe er es nicht 3). Deshalb allein
habe er Feinde, weil man von ihm argwoͤhne, er ſuche
ſich fremder Laͤnder zu bemaͤchtigen. Vernichte er dieſen
Argwohn, gebe er Mailand an einen beſondern Herzog, ſo
werde Franz I. keine Anhaͤnger mehr finden: er dagegen,
der Kaiſer, werde Deutſchland und Italien fuͤr ſich haben,
ſeine Fahnen zu den entfernteſten Nationen tragen, und ſei-
[248]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
nen Namen — dieß iſt der Ausdruck — der Unſterblich-
keit zugeſellen.“


Hatte nun aber der Kaiſer Mailand weder den Fran-
zoſen zu uͤberlaſſen noch auch ſelbſt zu behalten, wer war
es, dem er dieß Herzogthum uͤbergeben ſollte? Es ſchien
dem Papſt kein unebener Ausweg, wenn es ſeinem En-
kel, dem Schwiegerſohn des Kaiſers, uͤbertragen wuͤrde.
Schon bei fruͤheren Miſſionen hatte er darauf hingedeutet.
Bei einer neuen Zuſammenkunft, die er mit dem Kaiſer
1543 zu Buſſeto hielt, brachte er es foͤrmlich in Antrag.
Es ward daruͤber ſehr ernſtlich unterhandelt, und der Papſt
hegte die lebhafteſten Hoffnungen. Der Governator von
Mailand, Marcheſe von Vaſto, den er dafuͤr gewonnen,
etwas leichtglaͤubig und praͤchtig wie er war, erſchien ſchon
eines Tages mit wohlvorbereiteten Worten, um Marga-
rethen als ſeine kuͤnftige Herrin nach Mailand zu fuͤhren.
Ich finde: die Unterhandlung ſey an einigen allzuſtarken
Forderungen des Kaiſers geſcheitert 1). Doch iſt es ſchwer
zu glauben, daß der Kaiſer, ein ſo bedeutendes wohlgele-
genes Fuͤrſtenthum jemals, um welchen Preis auch immer,
fremdem Einfluß zu uͤberlaſſen geneigt ſeyn konnte.


[249]PaulIII.

Denn ohnehin war die Stellung, welche ſich die Far-
neſen gegeben, fuͤr ihn voll Gefahr. Von den italieniſchen
Provinzen, die Carl beherrſchte, oder auf die er Einfluß
hatte, war keine, wo die beſtehende Regierung nicht durch
Gewalt haͤtte gegruͤndet oder wenigſtens befeſtigt werden
muͤſſen. Allenthalben, in Mailand, wie in Neapel, in Flo-
renz, Genua, Siena gab es Mißvergnuͤgte, deren Partei
unterlegen: Rom und Venedig waren voll von Ausgewan-
derten. Die Farneſen ließen ſich durch ihr nahes Verhaͤlt-
niß zu dem Kaiſer nicht abhalten, ſich mit dieſen zwar
unterdruͤckten aber durch Bedeutung ihrer Oberhaͤupter,
Reichthum und Anhang noch immer maͤchtigen Parteien
zu verbinden. An der Spitze der Sieger ſtand der Kai-
ſer: die Geſchlagenen ſuchten bei dem Papſt eine Zuflucht.
Unzaͤhlige geheime Faͤden verknuͤpften ſie unter einander: mit
Frankreich blieben ſie immer in ſichtbarem oder unſichtbarem
Zuſammenhang; immer neue Plaͤne und Unternehmungen
gaben ſie an die Hand. Bald betrafen dieſelben Siena, bald
Genua, bald Lucca. Wie oft ſuchte der Papſt auch in
Florenz Fuß zu faſſen, Eingang zu gewinnen! An dem
jungen Herzog Coſimo fand er aber ganz den Mann, der
ihm Widerſtand leiſten konnte. Mit herbem Selbſtgefuͤhl
druͤckt ſich Coſimo daruͤber aus. „Der Papſt,“ ſagt er,
1)
[250]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
„dem ſo viele Unternehmungen gluͤcklich gelungen ſind, hat
keinen lebhafteren Wunſch uͤbrig, als auch in Florenz etwas
zu vermoͤgen, als dieſe Stadt dem Kaiſer zu entfremden:
aber mit dieſem Wunſche ſoll er in die Grube fahren 1).“


In gewiſſer Hinſicht ſtehen Kaiſer und Papſt einan-
der noch immer als die Haͤupter zweier Factionen gegen-
uͤber. Hat der Kaiſer ſeine Tochter in das Haus des Pap-
ſtes vermaͤhlt, ſo hat er es nur gethan, um ihn damit
im Zaum zu halten, um, wie er ſelbſt ſagt, den beſtehen-
den Zuſtand in Italien zu behaupten. Der Papſt dagegen
wuͤnſcht ſeine Verbindung mit dem Kaiſer zu benutzen, um
der kaiſerlichen Macht etwas abzugewinnen. Sein Haus
moͤchte er zugleich im Schutze des Kaiſers und durch die
Beihuͤlfe der Gegner deſſelben erhoͤhen. In der That giebt
es noch eine gibelliniſche und eine guelfiſche Partei. Jene
haͤlt ſich noch immer zu dem Kaiſer, dieſe noch immer zu
dem Papſt.


Im Jahre 1545 finden wir trotz alle dem die beiden
Haͤupter wieder in freundſchaftlichem Vernehmen. Daß
Margarethe guter Hoffnung war, die Ausſicht, bald einen
Abkoͤmmling des Kaiſers in ihrem Geſchlechte zu haben,
machte den Farneſen neues Herz zu Carl V. Cardinal
Aleſſandro Farneſe begab ſich zu ihm nach Worms. Es
iſt eine der wichtigſten Sendungen Pauls III. Dem Car-
dinal gelang es, den Unmuth des Kaiſers noch einmal zu
beguͤtigen. Ueber einige Beſchuldigungen ſuchte er ſich und
[251]PaulIII.
ſeine Bruͤder zu rechtfertigen: wegen des Uebrigen bat er
um Verzeihung: er verſprach, daß ſie in Zukunft alle ge-
horſame Diener und Soͤhne S. Maj. ſeyn wuͤrden. Der
Kaiſer entgegnete, dann wolle auch er ſie wie ſeine eigenen
Kinder behandeln. Hierauf gingen ſie zu wichtigeren Ver-
abredungen uͤber. Sie beſprachen ſich uͤber den Krieg ge-
gen die Proteſtanten und das Concilium. Sie vereinigten
ſich, daß das Concilium unverzuͤglich angehen ſolle. Ent-
ſchließe ſich der Kaiſer, wider die Proteſtanten die Waffen
zu brauchen, ſo machte ſich der Papſt anheiſchig, ihn
aus allen ſeinen Kraͤften, mit allen ſeinen Schaͤtzen dazu
zu unterſtuͤtzen, ja, „waͤre es noͤthig, ſeine Krone dazu zu
verkaufen“ 1).


In der That ward noch in dem nehmlichen Jahre das
Concilium eroͤffnet: erſt hier uͤberſehen wir vollſtaͤndig, wie
es noch endlich dazu kam: im Jahre 1546 ging auch der
Krieg an. Papſt und Kaiſer vereinigten ſich, den ſchmal-
kaldiſchen Bund zu vernichten, der dem Kaiſer nicht viel
minder den weltlichen Gehorſam verſagte, als dem Papſte
den geiſtlichen. Der Papſt zahlte Geld und ſchickte Truppen.


[252]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Die Abſicht des Kaiſers war, die Gewalt der Waffen
und die friedliche Unterhandlung zu verbinden. Waͤhrend
er den Ungehorſam der Proteſtanten durch den Krieg zaͤhme,
ſollte das Concilium die geiſtlichen Streitigkeiten ſchlichten
und vor allem zu Reformen ſchreiten, durch welche es je-
nen einigermaßen moͤglich wuͤrde, ſich zu unterwerfen.


Ueber alles Erwarten gluͤcklich ging der Krieg. An-
fangs haͤtte man Carln fuͤr verloren halten ſollen, aber in
der gefaͤhrlichſten Lage hielt er ſtandhaft aus: im Spaͤt-
jahr 1546 ſah er ganz Oberdeutſchland in ſeinen Haͤnden:
wetteifernd ergaben ſich Staͤdte und Fuͤrſten: der Augen-
blick ſchien gekommen, wo die proteſtantiſche Partei in
Deutſchland unterworfen, der ganze Norden wieder katho-
liſch gemacht werden koͤnne.


In dieſem Momente, was that der Papſt?


Er rief ſeine Truppen von dem kaiſerlichen Heere ab:
das Concilium, das eben nun ſeinen Zweck erfuͤllen,
und ſeine pacificatoriſche Thaͤtigkeit beginnen ſollte, ver-
ſetzte er von Trient — wohin es auf den Antrag der Deut-
ſchen berufen worden — angeblich, weil daſelbſt eine an-
ſteckende Krankheit ausgebrochen ſey, nach ſeiner zweiten
Hauptſtadt Bologna.


Es iſt nicht zweifelhaft, was ihn dazu bewog. Noch
einmal traten die politiſchen Tendenzen des Papſtthums mit
den kirchlichen in Gegenſatz und Widerſtreit. Daß ganz
[Deutſchland] beſiegt und dem Kaiſer in Wahrheit unter-
wuͤrfig wuͤrde, hatte er nie gewuͤnſcht. Ganz etwas ande-
res hatten ſeine feinen Berechnungen ihn erwarten laſſen.
Wohl mag er geglaubt haben, dem Kaiſer werde Einiges
[253]PaulIII.
zum Vortheil der katholiſchen Kirche gelingen: dabei aber,
er geſteht es ſelbſt 1), zweifelte er nicht, ihn auf unzaͤh-
lige Schwierigkeiten ſtoßen, in Verwickelungen gerathen zu
ſehen, die ihm, dem Papſt, ſeinerſeits eine vollere Freiheit,
ſeine Zwecke zu verfolgen, gewaͤhren wuͤrden. Das Gluͤck
ſpottete ſeiner Anſchlaͤge. Jetzt mußte er fuͤrchten, und Frank-
reich machte ihn aufmerkſam darauf, daß dieſe Uebermacht
auf Italien zuruͤckwirken, und ihm ſowohl in geiſtlichen
als in weltlichen Geſchaͤften nur allzubald fuͤhlbar werden
wuͤrde. Aber uͤberdieß wuchſen ſeine Beſorgniſſe wegen
des Conciliums. Es hatte ihn ſchon lange gedruͤckt 2):
er hatte bereits daran gedacht es aufzuloͤſen: jetzt aber tha-
ten die kaiſerlich geſinnten Praͤlaten, durch die Siege mu-
thig und muthiger geworden, einige beſonders kuͤhne
Schritte. Die ſpaniſchen Biſchoͤfe brachten unter dem Na-
men: Cenſuren, einige Artikel in Vorſchlag, die ſaͤmmtlich
eine Verringerung des paͤpſtlichen Anſehens bezweckten: die
Reformation, von der Rom immer ſo viel gefuͤrchtet, ſchien
ſich nicht mehr verzoͤgern zu laſſen.


Es lautet ſeltſam: aber nichts iſt wahrer: in dem
Augenblicke, daß ganz Norddeutſchland vor der Wiederein-
fuͤhrung der paͤpſtlichen Gewalt zitterte, fuͤhlte ſich der
[254]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Papſt als ein Verbuͤndeter der Proteſtanten. Er bezeigte
ſeine Freude uͤber die Fortſchritte des Churfuͤrſten Johann
Friedrich wider Herzog Moriz: er wuͤnſchte nichts ſehn-
licher, als daß ſich derſelbe auch gegen den Kaiſer hal-
ten moͤge: Franz I., der ſchon alle Welt zu einem
Buͤndniß wider Carl zu vereinigen ſuchte, ließ er ausdruͤck-
lich ermahnen, „die zu unterſtuͤtzen, die noch nicht ge-
ſchlagen ſeyen“ 1). Er fand es aufs neue wahrſcheinlich,
daß der Kaiſer auf die groͤßten Hinderniſſe ſtoßen, noch
lange zu thun haben werde: „er glaubt das,“ ſagt der
franzoͤſiſche Abgeordnete, „weil er es wuͤnſcht.“


Allein er taͤuſchte ſich wie zuvor. Das Gluͤck des
Kaiſers machte alle ſeine Berechnungen zu Schanden. Carl
ſiegte bei Muͤhlberg: die beiden Oberhaͤupter der proteſtan-
tiſchen Partei fuͤhrte er gefangen mit ſich fort. Schaͤrfer
als jemals konnte er nun ſein Augenmerk auf Italien
richten.


Denn auf das tiefſte, wie ſich denken laͤßt, hatte ihn
das Betragen des Papſtes entruͤſtet. Er durchſchaute ihn
ſehr wohl. „Die Abſicht ſeiner Heiligkeit iſt von Anfang
geweſen,“ ſchreibt er an ſeinen Geſandten, „uns in dieſe
Unternehmung zu verwickeln, und dann darin zu verlaſ-
ſen“ 2). Daß die paͤpſtlichen Truppen zuruͤckgezogen wor-
[255]PaulIII.
den, hatte nicht ſo viel zu bedeuten. Schlechtbeſoldet und
eben deshalb nicht recht in Gehorſam noch Mannszucht,
hatten ſie niemals viel getaugt. Daß aber das Concilium
verlegt worden, war von dem groͤßten Einfluß. Wunder-
bar wie auch dieß Mal die Entzweiung des Papſtthums
und des Kaiſerthums, hervorgerufen von der politiſchen
Stellung des erſten, den Proteſtanten zu Huͤlfe kam. Man
haͤtte jetzt wohl die Mittel gehabt, ſie zur Unterwerfung
unter das Concilium zu noͤthigen. Da ſich dieß aber ſel-
der geſpalten hatte — denn die kaiſerlichen Biſchoͤfe blie-
ben in Trient — da ſich keine allgemein guͤltigen Beſchluͤſſe
mehr faſſen ließen, konnte man auch Niemand zur Adhaͤ-
ſion zwingen. Der Kaiſer mußte erleben, daß der weſent-
lichſte Theil ſeiner Plaͤne an dem Abfall ſeines Verbuͤnde-
ten ſcheiterte. Er drang nicht allein fortwaͤhrend auf die
Zuruͤckverlegung der Kirchenverſammlung nach Trient, er
ließ ſich vernehmen: „er werde nach Rom kommen, um
das Concilium dort ſelber zu halten.“


Paul III. nahm ſich zuſammen: der Kaiſer iſt maͤch-
tig, ſagte er, doch auch wir vermoͤgen etwas und haben
einige Freunde. Die lange beſprochene Verbindung mit
Frankreich kam jetzt zu Stande: Oratio Farneſe verlobte
2)
[256]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſich mit der natuͤrlichen Tochter Heinrichs II.: man ließ
kein Mittel unverſucht, um zunaͤchſt die Venezianer zu ei-
nem allgemeinen Buͤndniß zu gewinnen. Alle Ausge-
wanderten regten ſich. Grade zur rechten Zeit brachen
Unruhen in Neapel aus: ein neapolitaniſcher Abgeordneter
erſchien, den Papſt um Schutz fuͤr ſeine dortigen Lehns-
leute zu erſuchen, und es gab Cardinaͤle, die ihm riethen,
hierauf einzugehen.


Noch einmal faßten die italieniſchen Factionen einan-
der ins Angeſicht. Sie ſtanden einander um ſo ſchroffer
gegenuͤber, da die beiden Oberhaͤupter nunmehr offen ent-
zweit waren. Auf der Einen Seite: die Governatoren in
Mailand und Neapel, die Medici in Florenz, die Doria
in Genua: als ihr Mittelpunct kann Don Diego Men-
doza, kaiſerlicher Botſchafter zu Rom, angeſehen werden:
noch hatten ſie allenthalben einen großen gibelliniſchen An-
hang: — auf der andern der Papſt und die Farneſen, die
Ausgewanderten und Mißvergnuͤgten, eine neugebildete or-
ſiniſche Partei, die Anhaͤnger der Franzoſen. Fuͤr jene war
der in Trient zuruͤckgebliebene, fuͤr dieſe der nach Bo-
logna gegangene Theil des Conciliums.


Der Haß, den dieſe Parteien gegeneinander hegten,
trat ploͤtzlich in einer gewaltſamen That hervor.


Jene ſeine engere Vertraulichkeit mit dem Kaiſer
hatte der Papſt benutzt, um Parma und Piacenza, als ein
bei dem paͤpſtlichen Stuhl zu Lehen gehendes Herzogthum
ſeinem Sohne Pier Luigi zu uͤbergeben. Nicht mehr mit
jener Ruͤckſichtsloſigkeit, wie ein Alexander, ein Leo, konnte
er zu dieſer Maaßregel ſchreiten. Er ſtellte dafuͤr Camerino
und
[257]PaulIII.
und Nepi an die Kirche zuruͤck: durch eine Berechnung der
Koſten, welche die Bewachung jener Grenzplaͤtze verurſache,
des Zinſes, den ſein Sohn davon zahlen werde, des Er-
trages der zuruͤckgegebenen Ortſchaften ſuchte er zu bewei-
ſen, daß die Kammer keinen Schaden leide. Aber nur in-
dem er mit den einzelnen Cardinaͤlen ſprach, vermochte er
ſie, und auch dann nicht einmal alle, zu uͤberreden. Einige
widerſprachen laut: andere verſaͤumten gefliſſentlich das
Conſiſtorium, in welchem die Sache vorkam: den Caraffa
ſah man an dieſem Tage zu einem feierlichen Beſuche der
ſieben Kirchen ſchreiten 1). Auch der Kaiſer war nicht dafuͤr;
wenigſtens haͤtte er gewuͤnſcht, daß das Herzogthum ſeinem
Eidam Ottavio, dem doch auch Camerino gehoͤrte, uͤberge-
ben wuͤrde 2). Er ließ es geſchehen, weil er der Freundſchaft
des Papſtes eben bedurfte, doch hat er es niemals gebil-
ligt: allzugut kannte er Pier Luigi. Die Faͤden der gehei-
men Verbindungen der italieniſchen Oppoſition hielt eben der
Sohn des Papſtes alle in ſeiner Hand. Man zweifelte
nicht, daß er um das Unternehmen des Fiesco in Genua
gewußt, daß er dem gewaltigen Oberhaupt der florentini-
ſchen Ausgewanderten, Pietro Strozzi, nach einem mißlun-
genen Anſchlag auf Mailand in dem bedraͤngteſten Augen-
blick uͤber den Po geholfen, und allein ſeine Rettung be-
17
[258]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
wirkt habe; man vermuthete, daß er ſelbſt fortwaͤhrend Ab-
ſichten auf Mailand hege 1).


Eines Tages war der Papſt, der noch immer unter
gluͤcklichen Geſtirnen zu ſtehen und alle die Stuͤrme, die
ihn bedrohten, beſchwoͤren zu koͤnnen meinte, in der Au-
dienz vorzuͤglich heiter: er zaͤhlte die Gluͤckſeligkeiten ſei-
nes Lebens auf und verglich ſich in dieſer Hinſicht mit Kai-
ſer Tiberius: an dieſem Tage ward ihm der Sohn, der
Inhaber ſeiner Erwerbungen, der Traͤger ſeines Gluͤckes, zu
Piacenza von Verſchworenen uͤberfallen und ermordet 2).


Die Gibellinen von Piacenza, von den Gewaltſamkei-
ten des Herzogs, der zu den ſtrenge verwaltenden Fuͤr-
ſten dieſer Zeit gehoͤrte, und beſonders den Adel in Gehor-
ſam zu halten ſuchte, beleidigt und gereizt, hatten die That
vollbracht; wie aber damals Jedermann uͤberzeugt war,
der Governator zu Mailand, Ferrante Gonzaga, habe ſeine
Hand im Spiel gehabt 3), ſo koͤnnen auch wir daran nicht
zweifeln. Der Biograph Gonzaga’s, in jenen Zeiten ſein
vertrauter Geheimſchreiber, der ihn zu entſchuldigen ſucht,
verſichert, die Abſicht ſey nur auf die Gefangennehmung,
nicht auf die Ermordung des Farneſe gegangen 4). Ich
[259]PaulIII.
finde in einigen Handſchriften ſelbſt noch naͤhere Andeu-
tung, — doch moͤchte ich ihnen nicht ohne Weiteres Glauben
beimeſſen — daß der Kaiſer von dieſem Unternehmen im Vor-
aus in Kenntniß geſetzt geweſen ſey. Auf jeden Fall eilten
die kaiſerlichen Truppen herbei, um Piacenza in Beſitz zu
nehmen; ſie machten die Rechte des Reichs auf dieſe Stadt
geltend. Es war auf gewiſſe Weiſe die Vergeltung fuͤr
die Abtruͤnnigkeiten des Papſtes in dem ſchmalkaldiſchen
Kriege.


Ohne Gleichen iſt das Verhaͤltniß, das ſich nun
bildete.


Man wollte wiſſen, Cardinal Aleſſandro Farneſe habe
geſagt, er koͤnne ſich nicht helfen, als mit dem Tode eini-
ger kaiſerlichen Miniſter: mit Gewalt koͤnne er ſich derſel-
ben nicht entledigen: er muͤſſe ſeine Zuflucht zur Kunſt
nehmen. Indem ſich dieſe hierauf vor Gift ſicher zu ſtel-
len ſuchten, ergriff man zu Mailand ein paar Bravi, Cor-
ſen, die man zu dem, ich will nicht entſcheiden, ob wah-
ren oder falſchen Geſtaͤndniß brachte, ſie ſeyen von den
paͤpſtlichen Angehoͤrigen gedungen, um Ferrante Gonzaga
zu ermorden. Wenigſtens war Gonzaga aufs neue voll von
Ingrimm. Er muͤſſe, ſagte er, ſein Leben ſichern, ſo gut
wie er koͤnne: es bleibe ihm nichts uͤbrig, als von dieſen
ſeinen Feinden zwei oder drei, durch eigne oder fremde
Hand, auf die Seite zu ſchaffen 1). Mendoza meint, dann
4)
17*
[260]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
werde man in Rom alle Spanier toͤdten: man werde das
Volk insgeheim dazu aufreizen, und die geſchehene That
nachher mit der unaufhaltſamen Wuth deſſelben entſchul-
digen.


An eine Verſoͤhnung war nicht zu denken. Man haͤtte
ſich dazu der Tochter des Kaiſers zu bedienen gewuͤnſcht.
Allein ſie hatte ſich in dem Hauſe der Farneſen nie gefal-
len: ſie verachtete den um vieles juͤngeren Gemahl; dem
Geſandten enthuͤllte ſie ohne Schonung deſſen ſchlechte Ei-
genſchaften: ſie ſagte, ſie wolle eher ihrem Kinde den Kopf
abſchneiden, als ihren Vater um etwas bitten, das ihm
mißfallen koͤnne.


Die Correſpondenz Mendoza’s mit ſeinem Hofe liegt
vor mir. Nicht leicht mag es etwas geben, was dem In-
halt dieſer Briefe an tiefgegruͤndetem von beiden Seiten zu-
ruͤckgehaltenem, beiden Theilen offenbarem Haſſe gleich kaͤme.
Es iſt ein Gefuͤhl von Ueberlegenheit darin, das ſich mit
Bitterkeiten erfuͤllt hat; von Verachtung, die doch auf ih-
rer Hut iſt, von Mißtrauen, wie man es gegen einen ein-
gewohnten Uebelthaͤter hegt.


Suchte der Papſt in dieſer Lage der Dinge einen Ruͤck-
halt, eine Huͤlfe, ſo konnte ſie ihm allein Frankreich ge-
waͤhren.


In der That finden wir ihn zuweilen in Gegenwart
des franzoͤſiſchen Botſchafters, der Cardinaͤle Guiſe und
Farneſe ſtundenlang das Verhaͤltniß des roͤmiſchen Stuh-
les zu Frankreich eroͤrtern. „In alten Buͤchern,“ ſagt er,
1)
[261]PaulIII.
„habe er geleſen, es waͤhrend ſeines Cardinalates von An-
dern gehoͤrt, und in Erfahrung gebracht ſeit er ſelbſt Papſt
ſey, daß der heilige Stuhl ſich in Macht und Aufnahme
befunden, ſo oft er mit Frankreich Bund gehabt, dagegen
wo nicht, immer Verluſte gelitten habe; er koͤnne es Leo
dem Zehnten, ſeinem Vorgaͤnger Clemens, er koͤnne es ſich
ſelbſt nicht vergeben, daß ſie jemals den Kaiſer beguͤnſtigt:
jetzt aber ſey er entſchloſſen, ſich auf immer mit Frank-
reich zu vereinigen. Er hoffe noch lange genug zu leben,
um den paͤpſtlichen Stuhl in Devotion gegen den fran-
zoͤſiſchen Koͤnig zu hinterlaſſen: zum groͤßten Fuͤrſten der
Welt wolle er denſelben machen: ſein eignes Haus ſolle ſich
mit ihm unaufloͤslich verbinden“ 1).


Seine Abſicht war, einen Bund mit Frankreich, der
Schweiz und Venedig zu ſchließen, zunaͤchſt ein Vertheidi-
gungsbuͤndniß, von dem er aber ſelber ſagt, es ſey die
Thuͤre zu einem offenſiven 2). Die Franzoſen berechneten:
ihre Freunde vereinigt wuͤrden ihnen ein eben ſo großes
Gebiet in Italien verſchaffen, als das ſey, welches der
Kaiſer beſitze; die ganze orſiniſche Partei wolle dem Koͤ-
nig aufs neue Gut und Blut weihen. Die Farne-
[262]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſen meinten, im Gebiete von Mailand wenigſtens auf Cre-
mona und Pavia zaͤhlen zu koͤnnen; die Neapolitaniſchen
Ausgewanderten verſprachen 15000 Mann ins Feld zu
ſtellen, Averſa und Neapel ſofort zu uͤberliefern. Auf
alle dieſe Dinge ging der Papſt ſehr lebhaft ein. Einen
Anſchlag auf Genua laͤßt er zuerſt dem franzoͤſiſchen Ge-
ſandten wiſſen. Er haͤtte nichts dawider, wenn man, um
ſich Neapels zu bemaͤchtigen, einen Bund mit dem Groß-
herrn oder mit Algier ſchloͤſſe. Eben war Eduard VI. auf
den Thron von England geſtiegen und eine unzweifelhaft
proteſtantiſche Regierung daſelbſt an dem Ruder: der Papſt
raͤth nichts deſto minder Heinrich II. mit England Friede
zu machen: „um andere Abſichten,“ ſagt er, „zum Be-
ſten der Chriſtenheit in Ausfuͤhrung bringen zu koͤnnen“ 1).


So heftig war der Papſt mit dem Kaiſer verfeindet:
ſo enge ſtand er mit den Franzoſen: ſo großen Ausſichten
gab er ſich hin; und dennoch, niemals vollzog er ſeinen
Bund, niemals that er den letzten Schritt.


Die Venezianer ſind ganz erſtaunt. „Der Papſt,“
ſagen ſie, „iſt in ſeiner Wuͤrde angegriffen, in ſeinem Blute
beleidigt, der vornehmſten Beſitzung ſeines Hauſes beraubt;
zu jedem Buͤndniß ſollte er greifen, auf jede Bedingung;
dennoch nach ſo vielen Beleidigungen ſieht man ihn zau-
dern und ſchwanken.“


[263]PaulIII.

In der Regel treiben Beleidigungen zu einem aͤußer-
ſten Entſchluß. Doch giebt es auch Naturen, in denen das
nicht der Fall iſt, die auch dann noch uͤberlegen, wenn ſie
ſich am tiefſten verletzt fuͤhlen, nicht weil das Gefuͤhl der
Rache minder ſtark in ihnen waͤre, ſondern weil das Be-
wußtſeyn der fremden Ueberlegenheit ſie gewaltiger uͤber-
meiſtert; die Klugheit, welche eine Vorausſicht der Zu-
kunft iſt, uͤberwiegt in ihnen; die großen Widerwaͤrtigkei-
ten empoͤren ſie nicht, ſondern machen ſie muthlos, ſchwan-
kend und ſchwach.


Der Kaiſer war zu maͤchtig, um noch etwas Ernſt-
liches von den Farneſen fuͤrchten zu muͤſſen. Er ſchritt
auf ſeinem Wege, ohne auf ſie Ruͤckſicht zu nehmen, wei-
ter. Feierlich proteſtirte er gegen die Sitzungen des Con-
ciliums in Bologna: alle Acte, die man daſelbſt vorneh-
men werde, erklaͤrte er im Voraus fuͤr null und nichtig.
Im Jahre 1548 publicirte er das Interim in Deutſchland.
So unertraͤglich es der Papſt fand, daß der Kaiſer eine
Norm des Glaubens vorſchreiben wolle, ſo lebhaft er ſich
beklagte, daß man die Kirchenguͤter ihren gegenwaͤrtigen
Beſitzern laſſe: — Cardinal Farneſe ſagte uͤberdieß, er
wolle ſieben bis acht Ketzereien darin aufzeigen 1) — ſo ließ
[264]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſich der Kaiſer nicht irre machen. Auch in der Sache
von Piacenza wich er kein Haarbreit. Der Papſt forderte
zunaͤchſt Wiederherſtellung des Beſitzes: der Kaiſer behaup-
tete, ein Recht von Seiten des Reiches zu haben. Der
Papſt bezog ſich auf den Bund von 1521, in welchem
jene Staͤdte dem roͤmiſchen Stuhl garantirt worden: der
Kaiſer machte auf das Wort: Inveſtitur aufmerkſam, wo-
durch ſich das Reich oberherrliche Rechte vorbehalten habe.
Der Papſt erwiederte, das Wort ſey hier in einem an-
dern, als dem feudalen Sinne genommen: den Kaiſer focht
das nicht an: er erklaͤrte, ſein Gewiſſen verbiete ihm, Pia-
cenza zuruͤckzugeben 1).


Gern haͤtte nun der Papſt zu den Waffen gegriffen,
ſich an Frankreich geſchloſſen, ſeine Freunde, ſeine Partei
in Bewegung geſetzt — in Neapel, Genua, Siena, Piacenza,
ſelbſt in Orbitello bemerkte man die Umtriebe ſeiner An-
haͤnger, — gern haͤtte auch er ſich durch irgend einen un-
erwarteten Schlag geraͤcht; aber auf der andern Seite
war ihm die Uebermacht des Kaiſers uͤberaus furchtbar,
vor allem deſſen Einfluß auf die geiſtlichen Angelegenhei-
ten; er beſorgte, ein Concilium werde berufen, das ſich
ganz gegen ihn erklaͤre, das ſelbſt zu ſeiner Abſetzung
ſchreite. Mendoza behauptet, die That der Corſen gegen
Ferrante Gonzaga habe ihm noch beſonders Furcht ein-
gefloͤßt.


[265]PaulIII.

Wie dem auch ſey, ſo viel iſt gewiß, daß er an ſich
hielt und ſeinen Ingrimm verbarg. Die Farneſen ſahen
ſelbſt nicht ungern, daß der Kaiſer Siena einnahm: ſie
hofften, er werde es ihnen fuͤr ihre Verluſte einraͤumen.
Die ſeltſamſten Vorſchlaͤge wurden hieran geknuͤpft. „Ver-
ſtehe ſich der Kaiſer hierzu,“ ſagte man Mendoza’n, „ſo
muͤſſe der Papſt das Concil nach Trient zuruͤckbringen,
und hier nicht allein ſonſt nach den Wuͤnſchen des Kai-
ſers verfahren, — z. B. deſſen Recht an Burgund feierlich
anerkennen laſſen — ſondern Carl V. zu ſeinem Nachfolger
auf dem paͤpſtlichen Stuhle erklaͤren. Denn, ſagten ſie,
Deutſchland hat ein kaltes Clima, Italien ein warmes:
fuͤr die Gicht, an der der Kaiſer leidet, ſind die warmen
Laͤnder geſuͤnder“ 1). Ich will nicht behaupten, daß es ihnen
damit Ernſt geweſen: der alte Papſt lebte des Glaubens,
der Kaiſer werde noch vor ihm ſterben: aber man ſieht,
auf wie bedenkliche, von der gewoͤhnlichen Ordnung der
Dinge weit abweichende Pfade ihre Politik ſich gewagt
hatte.


Den Franzoſen entgingen ihre Bewegungen, ihre Un-
terhandlungen mit dem Kaiſer nicht. Von dem Connetable
Montmorency haben wir einen Brief voller Entruͤſtung, in
dem er unverholen von „Heucheleien, Luͤgen, ja von wahr-
haft ſchlechten Streichen“ redet, die man zu Rom gegen
den Koͤnig von Frankreich ausuͤbe 2).


[266]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Endlich, um doch etwas zu thun, und wenigſtens
Einen feſten Punct in dieſen Streitigkeiten zu gewinnen,
beſchloß der Papſt, da das Recht an Piacenza nicht allein
ſeinem Hauſe, ſondern der Kirche ſelbſt beſtritten wurde,
dieß Herzogthum unmittelbar an die Kirche zuruͤckzugeben.
Es war das erſte Mal, daß er etwas gegen das Intereſſe
ſeiner Enkel that; er zweifelte nicht, daß ſie ſich gern fuͤgen
wuͤrden: er glaubte eine unbedingte Autoritaͤt uͤber ſie zu
haben: immer hatte er ihren unverbruͤchlichen Gehorſam ge-
prieſen und ſich darin gluͤcklich gefuͤhlt. Aber der Unter-
ſchied war, daß er bisher jedesmal ihren augenſcheinlichen
Vortheil verfochten, jetzt dagegen etwas ausfuͤhren wollte,
was demſelben zuwiderlief 1). Sie verſuchten anfangs, ihm
auf indirecte Weiſe beizukommen. Sie ließen ihm vorſtel-
len: der Tag, auf den er das Conſiſtorium angeſetzt, ſey
ein ungluͤcklicher: es war Rochustag; der Tauſch mit Ca-
merino, das er ihnen dafuͤr wiedergeben wollte, werde fuͤr
die Kirche eher ein Verluſt ſeyn: die Gruͤnde, deren er ſich
ehedem ſelbſt bedient, ſetzten ſie ihm jetzt entgegen: aber ſie
konnten die Sache damit nur aufhalten, nicht verhindern:
den Befehlshaber von Parma, Camillo Orſino, wies Paul III.
endlich an, dieſe Stadt im Namen der Kirche beſetzt zu hal-
ten, und ſie an Niemand auszuliefern, wer es auch ſey. Nach
dieſer Erklaͤrung, die keinen Zweifel uͤbrig ließ, hielten
2)
[267]PaulIII.
auch die Farneſen nicht mehr an ſich. Um keinen Preis
wollten ſie ſich eines Herzogthums berauben laſſen, das
ſie den unabhaͤngigen Fuͤrſten von Italien gleich ſtellte.
Ottavio machte einen Verſuch, Parma dem Papſt zum
Trotz mit Liſt oder mit Gewalt in ſeine Haͤnde zu bekom-
men. Camillo betrug ſich geſchickt und entſchloſſen genug,
um dieß noch zu hintertreiben. Was mußte aber Paul III.
empfinden, als er es erfuhr! Dem alten Mann war es
aufbehalten, daß ſeine Enkel, denen er eine ſo große Vor-
liebe gewidmet, zu deren Gunſten er den Tadel der Welt
auf ſich geladen hatte, jetzt am Ende ſeiner Tage ſich ge-
gen ihn empoͤrten! Selbſt der geſcheiterte Verſuch brachte
Ottavio nicht von ſeinem Vorhaben ab. Er ſchrieb dem
Papſte gradezu, wenn er Parma nicht in Guͤte wiederbe-
komme, ſo werde er mit Ferrante Gonzaga Friede machen,
und es mit kaiſerlichen Waffen einzunehmen ſuchen. Und
in der That waren ſeine Unterhandlungen mit dieſem Tod-
feinde ſeines Hauſes ſchon ſehr weit gediehen: ein Courier
war mit den beſtimmten Vorſchlaͤgen an den Kaiſer abge-
gangen 1). Der Papſt klagte laut, er werde von den Seini-
gen verrathen: ihre Handlungen ſeyen ſo beſchaffen, daß
ſein Tod daraus erfolgen muͤſſe. Am tiefſten verwundete
ihn, daß ſich das Geruͤcht erhob, er habe insgeheim ſelbſt
Kenntniß von den Unternehmungen Ottavio’s und einen
ſeinen Aeußerungen widerſprechenden Antheil daran. Er
ſagte dem Cardinal Eſte, niemals, in ſeinem ganzen Le-
ben, habe ihn etwas dergeſtalt gekraͤnkt, ſelbſt nicht der
[268]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Tod Pier Luigi’s, nicht die Beſetzung von Piacenza. Aber
er werde der Welt keinen Zweifel uͤbrig laſſen, welche Geſin-
nung er hege 1). Sein einziger Troſt war, daß wenigſtens
Aleſſandro Farneſe der Cardinal unſchuldig und ihm erge-
ben ſey. Allmaͤhlig ward er inne, daß auch dieſer, dem
er ganz vertraute, der die Summe der Geſchaͤfte in Haͤn-
den hatte, darum nur allzuwohl wußte, und damit einver-
ſtanden war. Dieſe Entdeckung brach ſein Herz. Am
Tage aller Seelen (2ten Nov. 1549) theilte er ſie dem
venezianiſchen Botſchafter in bitterem Herzeleid mit. Den
Tag darauf ging er, um ſich wo moͤglich ein wenig zu
zerſtreuen, nach ſeiner Vigna auf dem Monte Cavallo.
Allein er fand keine Ruhe. Er ließ Cardinal Aleſſandro
rufen: ein Wort gab das andre: der Papſt gerieth in die
heftigſte Aufwallung: er hat dem Nepoten das Barett aus
den Haͤnden geriſſen und es auf die Erde geſchleudert 2).
Schon vermuthete der Hof eine Veraͤnderung: man glaubte
[269]PaulIII.
allgemein, der Papſt werde den Cardinal von der Staats-
verwaltung entfernen. Dahin kam es jedoch nicht. Dieſe
heftige Gemuͤthsbewegung in dem hohen Alter von 83
Jahren warf den Papſt ſelbſt zu Boden. Er ward gleich
darauf krank: nach wenigen Tagen, am 10. Nov. 1549,
ſtarb er. Alles kam ihm den Fuß zu kuͤſſen. Er war
eben ſo geliebt, wie ſeine Enkel gehaßt: man bemitleidete
ihn, daß er durch Die den Tod erlitten, denen er das
meiſte Gute erwieſen hatte.


Ein Mann, voll von Talent und Geiſt, durchdringen-
der Klugheit, an hoͤchſter Stelle! Aber wie unbedeutend
erſcheint auch ein maͤchtiger Sterblicher der Weltgeſchichte
gegenuͤber. In all ſeinem Dichten und Trachten iſt er
von der Spanne der Zeit, die er uͤberſieht, von ihren mo-
mentanen Beſtrebungen, die ſich ihm als die ewigen auf-
draͤngen, umfangen und beherrſcht; dann feſſeln ihn noch
beſonders die perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe an ſeine Stelle, ge-
ben ihm vollauf zu thun, erfuͤllen ſeine Tage zuweilen es
mag ſeyn mit Genugthuung, oͤfter mit Mißbehagen und
Schmerz, reiben ihn auf. Indeſſen er umkommt, vollzie-
hen ſich die ewigen Weltgeſchicke.


Julius III. Marcellus II.


Waͤhrend des Conclaves ſtanden einmal fuͤnf oder
ſechs Cardinaͤle um den Altar der Capelle: ſie ſprachen uͤber
die Schwierigkeit, die es habe, einen Papſt zu finden.
[270]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Nehmt mich, ſagte einer von ihnen, der Cardinal Monte:
den andern Tag mache ich Euch meinen Lieblingshausge-
noſſen zum Collegen-Cardinal. Ich frage, ob wir ihn neh-
men ſollen, ſagte ein andrer, Sfondrato, als ſie ausein-
andergegangen waren 1). Da Monte fuͤr aufbrauſend und
jaͤhzornig galt, hatte er auch ſonſt wenig Hoffnung: auf
ſeinen Namen wurden die geringſten Wetten gewagt. Deſ-
ſenungeachtet kam es ſo, daß er gewaͤhlt wurde (7. Febr.
1550). Zum Andenken an Julius II., deſſen Kaͤmmerer
er geweſen, nannte er ſich Julius III.


An dem kaiſerlichen Hofe erheiterten ſich alle Geſich-
ter, als man dieſe Wahl erfuhr. Herzog Coſimo hatte das
Meiſte zu derſelben beigetragen. Zu der hohen Stufe von
Gluͤck und Macht, auf welcher ſich der Kaiſer damals be-
fand, gehoͤrte es mit, daß endlich auch ein ergebener Papſt,
auf den man zaͤhlen konnte, den roͤmiſchen Stuhl beſtieg.
Es ſchien ſogleich, als wuͤrden die oͤffentlichen Geſchaͤfte
nun einen andern Gang nehmen.


Dem Kaiſer lag noch immer ſehr viel daran, daß das
Concilium wieder in Trient zu Stande kaͤme: noch immer
hoffte er die Proteſtanten zu noͤthigen, es zu beſuchen, ſich
ihm zu unterwerfen. Gern ging der neue Papſt auf die-
ſen Antrag ein. Wenn er ja auf die Schwierigkeiten auf-
merkſam machte, die in der Sache lagen, ſo beſorgte er
nur, man moͤchte das fuͤr Ausfluͤchte nehmen: er ward
[271]JuliusIII.
nicht muͤde zu verſichern, dem ſey nicht ſo; er habe ſein
Lebtage ohne Verſtellung gehandelt und wolle dabei blei-
ben; in der That ſetzte er die Reaſſumtion des Conciliums
auf das Fruͤhjahr 1551 an; er erklaͤrte, er mache dabei
weder Pacta noch Bedingungen 1).


Nur war mit der Geneigtheit des Papſtes lange nicht
mehr alles gewonnen.


Ottavio Farneſe hatte auf einen Beſchluß der Cardi-
naͤle im Conclave, den Julius ausfuͤhrte, Parma wieder-
bekommen. Es war dieß nicht gegen den Willen des Kai-
ſers geſchehen: eine Zeitlang ward noch zwiſchen beiden
unterhandelt; und man hegte einige Hoffnung auf die Her-
ſtellung eines guten Verhaͤltniſſes. Einmal aber wollte ſich
der Kaiſer nicht entſchließen, ihm Piacenza wieder einzu-
raͤumen: auch die Ortſchaften, die Gonzaga auf dem Gebiet
von Parma eingenommen, behielt er in ſeiner Hand: ſodann
behauptete ſich Ottavio fortwaͤhrend in einer kriegeriſchen
Stellung 2). Nach ſo vielen wechſelſeitigen Beleidigungen
gab es keine Moͤglichkeit eines wahren Vertrauens zwiſchen
beiden. Es iſt wahr, der Tod Pauls III. hatte ſeinen En-
keln eine große Stuͤtze entriſſen: aber er hatte ſie auch be-
freit. Jetzt brauchten ſie keine Ruͤckſicht weiter auf die
allgemeinen, auf die kirchlichen Verhaͤltniſſe zu nehmen:
ausſchließend nach ihrem eigenen Intereſſe konnten ſie ihre
[272]BuchIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Maaßregeln ergreifen. Noch immer finden wir Ottavio
voll bitteren Haſſes. Man ſuche, klagt er, ihm Parma
zu entwinden, und ihn ſelbſt auf die Seite zu ſchaffen.
Aber es ſolle ſeinen Feinden weder mit dem einen noch
mit dem andern gelingen 1).


In dieſer Stimmung wandte er ſich an Heinrich II.
Mit Freuden ging der Koͤnig auf ſeine Antraͤge ein.


Italien und Deutſchland waren mit Mißvergnuͤgten
erfuͤllt. Was der Kaiſer bereits ausgefuͤhrt, was man
noch von ihm erwartete, ſeine religioͤſe und ſeine politiſche
Haltung, alles hatte ihm unzaͤhlige Feinde erweckt. Hein-
rich II. beſchloß die antioͤſtreichiſchen Plaͤne ſeines Vaters
nochmals aufzunehmen. Er ließ ſeinen Krieg gegen Eng-
land fallen: ſchloß einen Bund mit Ottavio, und nahm
die Beſatzung von Parma in ſeinen Sold. Bald erſchie-
nen auch in Mirandula franzoͤſiſche Truppen. In dem
Herzen von Italien ſah man die Fahnen von Frankreich
fliegen.


In dieſer neuen Verwickelung hielt ſich Julius III.
ſtandhaft zu dem Kaiſer. Er fand es unertraͤglich, „daß
ſich ein elender Wurm, Ottavio Farneſe, gegen einen Kai-
ſer und einen Papſt zugleich empoͤre.“ „Unſer Wille iſt,“
erklaͤrt er ſeinem Nunzius, „das nemliche Schiff mit S.
Maj. zu beſteigen und uns dem nemlichen Gluͤck anzuver-
trauen. Ihm, welcher die Einſicht und die Macht hat,
uͤber-
[273]JuliusIII.
uͤberlaſſen wir den Beſchluß zu faſſen“ 1). Der Kaiſer
erklaͤrte ſich fuͤr die ungeſaͤumte Entfernung der Franzoſen
und ihrer Anhaͤnger auf dem Wege der Gewalt. Gar bald
ſehen wir denn die vereinigten paͤpſtlichen und kaiſerlichen
Truppen ins Feld ruͤcken. Ein bedeutendes Schloß im
Parmeſaniſchen fiel in ihre Hand, und ſie verwuͤſte-
ten das ganze Gefilde; Mirandula ſchloſſen ſie vollkom-
men ein.


Jedoch nicht durch dieſe kleinen Feindſeligkeiten war
die allgemeine Bewegung zu entſcheiden, die ſeit dem far-
neſiſchen Antrag Europa ergriffen hatte. An allen Gren-
zen, wo ſich die Gebiete des Kaiſers und des Koͤnigs be-
ruͤhrten, zu Lande und zur See war der Krieg ausgebro-
chen. Noch ganz ein anderes Gewicht, als die Italiener,
legten die deutſchen Proteſtanten in die Wagſchale, wie ſie
ſich endlich auch mit den Franzoſen verbanden. Es er-
folgte der entſchloſſenſte Angriff, den Carl jemals erfahren.
Die Franzoſen erſchienen am Rhein, Churfuͤrſt Moritz in
Tyrol. Der alte Sieger, indem er auf dem Gebirgland
zwiſchen Italien und Deutſchland Platz genommen, um
beide in Pflicht zu halten, ſah ſich ploͤtzlich gefaͤhrdet, be-
ſiegt, beinahe gefangen.


Unmittelbar wirkte dieß auf die italieniſchen Angele-
genheiten zuruͤck. „Nie haͤtten wir geglaubt,“ ſagte der
18
[274]BuchIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Papſt, „daß uns Gott ſo heimſuchen wolle“ 1). Er
mußte ſich im April 1552 zu einem Stillſtand mit ſeinen
Feinden bequemen.


Es giebt zuweilen Ungluͤcksfaͤlle, die dem Menſchen
nicht ſo durchaus unangenehm ſind. Sie machen einer
Thaͤtigkeit ein Ende, die ſchon ſeinen Neigungen zu wider-
ſprechen anfing. Sie geben dem Entſchluß, von derſelben
abzulaſſen, einen legalen Grund, eine einleuchtende Ent-
ſchuldigung.


Faſt ſcheint es, als ſey der Unfall, der den Papſt be-
traf, ein ſolcher geweſen. Mit Mißbehagen hatte er ſei-
nen Staat ſich mit Truppen anfuͤllen, ſeine Caſſen ſich lee-
ren ſehen, und er glaubte zuweilen Urſach zu haben, ſich
uͤber die kaiſerlichen Miniſter zu beklagen 2). Wahrhaft
bedenklich war ihm auch das Concilium geworden. Seit-
dem die deutſchen Abgeordneten, denen man eine Reforma-
tion zugeſagt hatte, erſchienen waren, nahm es einen kuͤh-
neren Gang; ſchon im Januar 1552 beklagte ſich der Papſt,
man wolle ihn ſeiner Autoritaͤt berauben: die Abſicht der
ſpaniſchen Biſchoͤfe ſey, auf der einen Seite die Capitel
knechtiſch zu unterwerfen, auf der andern dem Papſte die
Collation aller Beneficien zu entziehen; jedoch er werde nicht
ertragen, daß man unter dem Titel von Mißbraͤuchen ihm
auch das entreiße, was nicht Mißbrauch, ſondern ein At-
tribut ſeiner weſentlichen Gewalt ſey 3). Es konnte ihm
[275]JuliusIII.
nicht ſo ganz unangenehm ſeyn, daß der Angriff der Pro-
teſtanten das Concilium auseinanderſprengte; er eilte die
Suspenſion deſſelben zu decretiren; von unzaͤhligen Praͤten-
ſionen und Mißhelligkeiten ward er dadurch befreit.


Seitdem hat ſich Julius III. nicht weiter ernſtlich in
politiſche Thaͤtigkeiten eingelaſſen. Die Einwohner von
Siena beſchwerten ſich wohl, er habe, obwohl durch ſeine
Mutter ihr halber Landsmann, den Herzog Coſimo unter-
ſtuͤtzt, ſie ſich zu unterwerfen; eine ſpaͤtere gerichtliche Un-
terſuchung hat die Falſchheit dieſer Behauptung dargethan.
Eher hatte Coſimo Grund ſich zu beklagen. Die florenti-
niſchen Ausgewanderten, die erbittertſten Feinde dieſes ſei-
nes Verbuͤndeten hinderte der Papſt nicht, ſich in dem Ge-
biete der Kirche zu ſammeln und zu ruͤſten.


Vor der Porta del Popolo beſucht der Fremde noch
immer die Villa di Papa Giulio. In Vergegenwaͤrtigung
jener Zeit ſteigt man die geraͤumigen Treppen zu der Gallerie
hinauf, von der man Rom in ſeiner ganzen Breite von
dem Monte Mario her und die Kruͤmmung der Tiber uͤber-
ſieht. In dem Bau dieſes Pallaſtes, in der Anlegung die-
ſes Gartens lebte und webte Julius III. Er hat ſelbſt
den erſten Entwurf gemacht: aber niemals wurde man fer-
tig; alle Tage hatte er neue Einfaͤlle und Wuͤnſche, die
dann die Baumeiſter zur Ausfuͤhrung zu bringen eilten 1).
3)
18*
[276]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Hier lebte der Papſt ſeinen Tag und vergaß die uͤbrige
Welt. Seine Verwandten hat er ziemlich befoͤrdert; Her-
zog Coſimo gab ihnen Monte Sanſovino, von wo ſie
ſtammten, der Kaiſer Novara: er ſelbſt theilte ihnen die
Wuͤrden des Kirchenſtaates und Camerino zu. Jenem ſei-
nen Liebling hatte er Wort gehalten, und ihn zum Cardinal
gemacht. Es war ein junger Menſch, den er in Parma
lieb gewonnen. Er hatte ihn einſt von einem Affen um-
faßt und in dieſer Gefahr muthig und guter Dinge ge-
ſehen: ſeitdem hatte er ihn erzogen, und ihm eine Zu-
neigung gewidmet, die leider auch ſein ganzes Ver-
dienſt blieb. Julius wuͤnſchte ihn und ſeine Verwandten
wohl verſorgt und angeſehen zu erblicken, aber ſich um
ihretwillen in gefaͤhrliche Verwickelungen einzulaſſen, hatte
er nicht die Neigung. Wie geſagt, das harmloſe vergnuͤg-
liche Leben auf ſeiner Villa genuͤgte ihm. Er gab Gaſt-
maͤler, die er mit ſeinen ſprichwoͤrtlichen Redensarten wuͤrzte,
welche freilich wohl zuweilen erroͤthen machten. An den
großen Geſchaͤften der Kirche und des Staates nahm er
nur ſo viel Antheil, als nun ſchlechterdings unvermeid-
lich war.


Allerdings aber konnten dieſe dabei nicht ſehr gedei-
hen. Immer gefaͤhrlicher entwickelten ſich die Entzweiun-
1)
[277]MarcellusII.
gen zwiſchen den beiden großen katholiſchen Maͤchten: die
deutſchen Proteſtanten hatten ſich aus ihrer Unterwerfung
von dem Jahre 1547 gewaltig erhoben, und ſtanden feſter
als jemals; an die oft beabſichtigte katholiſche Reforma-
tion war nicht zu denken; die Zukunft der roͤmiſchen Kirche,
man konnte es ſich nicht verbergen, war uͤberaus dunkel
und zweifelhaft.


Hatte ſich aber, wie wir ſahen, eine ſtrengere Rich-
tung im Schooße derſelben entwickelt, die das Weſen, wie
es ſo viele Paͤpſte trieben, von Herzen verdammte, mußte
nicht dieſe endlich auch bei der Wahl eines neuen Papſtes
ſich regen? Auf die Perſoͤnlichkeit deſſelben kam ſo viel
an; eben darum war dieſe hoͤchſte Wuͤrde von der Wahl
abhaͤngig, damit ein Mann in dem Sinne der uͤberwie-
genden kirchlichen Richtung, an die Spitze der Geſchaͤfte
traͤte.


Nach dem Tode Julius III. war es das erſte Mal,
daß die ſtrengere religioͤſe Partei auf die Papſtwahl Ein-
fluß bekam. Julius hatte ſich in ſeinem wenig wuͤrdevol-
len Betragen oft durch die Anweſenheit des Cardinals
Marcello Cervini beſchraͤnkt gefuͤhlt. Eben dieſen traf die
Wahl. — 11. April 1555. Es iſt Marcellus II.


Sein ganzes Leben hindurch hatte er ſich wacker und
tadellos betragen: die Reformation der Kirche, von der die
Andern ſchwatzten, hatte er in ſeiner Perſon dargeſtellt.
Man faßte die groͤßten Hoffnungen. „Ich hatte gebetet,“
ſagt ein Zeitgenoſſe, „es moͤchte ein Papſt kommen, der
die ſchoͤnen Worte Kirche, Concilium, Reform von der Ver-
achtung zu befreien wuͤßte, in die ſie gefallen; jetzt hielt
[278]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ich meine Hoffnung fuͤr erfuͤllt, mein Wunſch ſchien mir
Thatſache, Beſitzthum geworden zu ſeyn“ 1). Die Mei-
nung, ſagt ein andrer, die man von der Guͤte und unver-
gleichlichen Weisheit dieſes Papſtes hatte, erhob die Welt
zu der Hoffnung: wenn jemals, ſo werde es der Kirche
jetzt moͤglich werden, die ketzeriſchen Meinungen auszuloͤ-
ſchen, die Mißbraͤuche und das verdorbene Leben abzuſtel-
len, geſund zu werden und ſich wieder zu vereinigen 2).
Ganz in dieſem Sinne begann Marcellus. Er duldete
nicht, daß ſeine Verwandten nach Rom kaͤmen; in dem
Hofhalt fuͤhrte er eine Menge Erſparniſſe ein; er ſoll ein
Memorial uͤber die in dem Inſtitute der Kirche vorzu-
nehmenden Verbeſſerungen verfaßt haben; zunaͤchſt den Got-
tesdienſt ſuchte er zu ſeiner aͤchten Feierlichkeit wieder zu-
ruͤckzufuͤhren; alle ſeine Gedanken gingen auf Concilium
und Reform 3). In politiſcher Hinſicht nahm er eine
neutrale Stellung an, mit welcher der Kaiſer ſich begnuͤgte.
„Jedoch,“ ſagen jene Zeitgenoſſen, „die Welt war ſeiner
nicht werth:“ ſie wenden die Worte Virgils von einem
andern Marcellus „Ihn wollte das Schickſal der Erde
nur zeigen“ auf dieſen an. Schon am 22ſten Tage ſei-
nes Pontificates ſtarb er.


Wir koͤnnen nicht von einer Wirkung reden, die eine
[279]PaulIV.
ſo kurze Verwaltung hervorgebracht, aber ſchon dieſer An-
fang, dieſe Wahl zeigen die Richtung, welche uͤberhand-
zunehmen begann. Auch in dem naͤchſten Conclave blieb
ſie die herrſchende. Der ſtrengſte aller Cardinaͤle, Jo-
hann Peter Caraffa, ging aus demſelben als Papſt hervor.
23. Mai 1555.


Paul IV.


Wir haben ihn ſchon oft erwaͤhnt: es iſt der nemliche,
der die Theatiner ſtiftete, die Inquiſition wiederherſtellte, die
Befeſtigung des alten Dogma’s zu Trient ſo weſentlich be-
foͤrderte. Wenn es eine Partei gab, welche die Reſtaura-
tion des Katholicismus in ſeiner ganzen Strenge beabſich-
tigte, ſo beſtieg in ihm nicht ein Mitglied, ſondern ein
Gruͤnder, ein Oberhaupt derſelben den paͤpſtlichen Stuhl.
Paul IV. zaͤhlte ſchon neun und ſiebzig Jahre, aber ſeine
tiefliegenden Augen hatten noch alle das Feuer der Ju-
gend; er war ſehr groß und mager: raſch ging er einher;
er ſchien lauter Nerv zu ſeyn. Wie er ſich ſchon in ſei-
nem taͤglichen Leben an keine Regel band, oft bei Tage
ſchlief, bei Nacht ſtudirte: wehe dem Diener, der in ſein
Zimmer getreten waͤre, ehe er die Glocke gezogen hatte: —
ſo folgte er auch uͤbrigens immer den Impulſen des Au-
genblicks 1). Sie wurden ihm aber von einer in einem
[280]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
langen Leben ausgebildeten, zur Natur gewordenen Geſin-
nung beherrſcht. Keine andere Pflicht, keine andere Be-
ſchaͤftigung als die Wiederherſtellung des alten Glaubens
in ſeine fruͤhere Herrſchaft ſchien er zu kennen. Von
Zeit zu Zeit bilden ſich ſolche Naturen wieder aus, und
wir begegnen ihnen auch heut zu Tage zuweilen. Leben
und Welt haben ſie von einem einzigen Punct aus begrif-
fen: ihre individuelle, perſoͤnliche Richtung war ſo gewal-
tig, daß ihre Anſicht voͤllig davon beherrſcht wird; ſie
ſind die unermuͤdlichen Redner und haben immer eine ge-
wiſſe Friſche; unaufhoͤrlich ſtroͤmen ſie die Geſinnung aus,
welche ſich in ihnen mit einer Art von Nothwendigkeit
entwickelte. Wie hoͤchſt bedeutend werden ſie dann, wenn
ſie an eine Stelle gelangen, wo ihre Thaͤtigkeit lediglich
von ihrer Meinung abhaͤngig iſt, und die Macht ſich zu
dem Willen geſellt. Was ließ ſich alles von Paul IV. er-
warten, der nie eine Ruͤckſicht gekannt, der ſeine Meinung
immer mit der aͤußerſten Heftigkeit durchgeſetzt hatte, als
er nun auf die hoͤchſte Stufe erhoben war 1). Er wun-
derte ſich ſelbſt, daß er dahin gelangt war, da er doch nie
einem Cardinal das Mindeſte eingeraͤumt und nie etwas
1)
[281]PaulIV.
anders als die aͤußerſte Strenge an ſich hatte ſpuͤren laſ-
ſen. Nicht von den Cardinaͤlen, ſondern von Gott ſelbſt
glaubte er erwaͤhlt und zur Durchſetzung ſeiner Abſichten
berufen zu ſeyn 1).


„Wir verſprechen und ſchwoͤren,“ ſagt er denn in der
Bulle, mit der er ſein Amt antrat, „in Wahrheit dafuͤr zu
ſorgen, daß die Reform der allgemeinen Kirche und des
roͤmiſchen Hofes ins Werk geſetzt werde.“ Den Tag ſei-
ner Kroͤnung bezeichnete er mit Befehlen in Bezug auf Kloͤ-
ſter und Orden. Er ſchickte unverweilt zwei Moͤnche von
Monte Caſſino nach Spanien, um die verfallene Kloſter-
disciplin daſelbſt herzuſtellen. Er richtete eine Congrega-
tion zu der allgemeinen Reform ein: in drei Claſſen: eine
jede ſollte aus 8 Cardinaͤlen, 15 Praͤlaten und 50 Gelehr-
ten beſtehen. Die Artikel, welche zur Berathung kommen
ſollten — ſie betrafen die Beſetzung der Stellen — wur-
den den Univerſitaͤten mitgetheilt. Mit großem Ernſte,
wie man ſieht, ging er ans Werk 2). Es ſchien, als
haͤtte die kirchliche Tendenz, die ſich ſchon geraume Zeit
in den untern Regionen geltend gemacht hatte, nun auch
von dem Papſtthum Beſitz genommen, als wuͤrde ſie gleich
die Amtsfuͤhrung Pauls IV. allein leiten.


[282]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Da fragte ſich nur, welche Stellung er in den allge-
meinen Weltbewegungen einnehmen wuͤrde.


Nicht ſo leicht ſind die großen Richtungen, die eine
Gewalt genommen hat, zu aͤndern; ſie haben ſich mit ih-
rem Weſen allmaͤhlig verſchmolzen.


Mußte es der Natur der Sache nach immer ein
Wunſch der Paͤpſte bleiben, ſich der ſpaniſchen Uebermacht
zu entledigen, ſo war jetzt ein Moment, in dem dieß noch
einmal moͤglich zu werden ſchien. Jener Krieg, den wir
aus den farneſiſchen Bewegungen hervorgehen ſehen, war
der ungluͤcklichſte, den Carl V. gefuͤhrt; in den Nieder-
landen war er bedraͤngt, Deutſchland war von ihm abge-
fallen; Italien nicht mehr getreu; auch auf die Eſtes und
Gonzagas konnte er nicht mehr trauen: er ſelbſt war le-
bensmuͤde und krank. Ich weiß nicht, ob ein anderer
Papſt, in ſo fern er nicht gradezu der kaiſerlichen Partei
angehoͤrte, den Lockungen widerſtanden haben wuͤrde, die
hierin lagen.


Fuͤr Paul IV. waren ſie beſonders ſtark. Er hatte
Italien noch in der Freiheit des funfzehnten Jahrhunderts
geſehen (er war 1476 geboren): ſeine Seele hing an die-
ſer Erinnerung. Einem wohlgeſtimmten Inſtrumente von
vier Saiten verglich er das damalige Italien. Neapel,
Mailand, Kirche und Venedig nannte er die vier Saiten;
er verwuͤnſchte das Andenken Alfonſo’s und Ludwigs des
Mohren „unſelige und verlorene Seelen,“ wie er ſagte,
deren Entzweiung dieſe Harmonie zerſtoͤrte 1). Daß nun
ſeitdem die Spanier Herren geworden, hatte er noch immer
[283]PaulIV.
nicht ertragen lernen. Das Haus Caraffa, aus dem er
ſtammte, gehoͤrte zu der franzoͤſiſchen Partei; unzaͤhlige
Mahle hatte es wider Caſtilianer und Catalanen die Waffen
gefuͤhrt; noch 1528 hatte es ſich zu den Franzoſen geſchla-
gen; waͤhrend der Unruhen von 1547 war es Johann Pe-
ter Caraffa, der Paul III. den Rath gab, ſich Neapels zu
bemaͤchtigen. Zu dieſem Parteihaß aber kam noch ein an-
derer. Caraffa hatte immer behauptet, Carl V. beguͤnſtige
aus Eiferſucht gegen den Papſt die Proteſtanten: den Fort-
gang dieſer Partei ſchrieb er dem Kaiſer ſelber zu 1).
Wohl kannte ihn dieſer. Er ſtieß ihn einſt aus dem fuͤr
die Verwaltung von Neapel gebildeten Rathe; er ließ ihn
nie zu ruhigem Beſitz ſeiner neapolitaniſchen Kirchenaͤm-
ter gelangen; uͤberdieß hat er ihn zuweilen wegen ſeiner
Declamationen in dem Conſiſtorium ernſtlich bedeutet.
Um ſo heftiger, wie man denken kann, ſteigerte ſich der
Widerwille des Caraffa. Er haßte den Kaiſer als Neapo-
litaner und Italiener, als Katholik und als Papſt. Neben
ſeinem reformatoriſchen Eifer hegte er keine andere Leiden-
ſchaft als dieſen Haß.


Kaum hatte er Beſitz von dem Pontificat ergriffen,
— nicht ohne ein gewiſſes Selbſtgefuͤhl, wenn er den Roͤ-
mern Taxen erließ, Getreide zufuͤhrte, und ſich dafuͤr eine
Bildſaͤule errichten ſah, wenn er im Gepraͤnge eines praͤch-
1)
[284]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
tigen, von neapolitaniſchen Edelleuten verwalteten Hofdien-
ſtes die Obedienz der von allen Seiten herbeieilenden Ge-
ſandtſchaften empfing — ſo war er in tauſend Streitigkei-
ten mit dem Kaiſer. Da ſollte Dieſer ſich bei den Car-
dinaͤlen ſeiner Partei uͤber eine ſolche Wahl beklagt haben;
ſeine Anhaͤnger hielten verdaͤchtige Zuſammenkuͤnfte; Einige
derſelben nahmen in dem Hafen von Civitavecchia ein paar
Schiffe weg, die ihnen fruͤher von den Franzoſen entriſſen
worden 1). Bald war der Papſt in Feuer und Flammen.
Die kaiſerlich geſinnten Lehensleute und Cardinaͤle nahm er
gefangen, oder ſie entflohen und er zog ihre Beſitzungen
ein. Aber es war ihm nicht genug. Auf jene Verbin-
dung mit Frankreich, die Paul III. zu vollziehen ſich nie-
mals hatte entſchließen koͤnnen, ging er ohne viel Beden-
ken ein. Der Kaiſer wolle ihn nur, ſagte er, durch eine
Art von geiſtigem Fieber zu Grunde richten: er werde ſich
zu offenem Spiel entſchließen, mit der Huͤlfe des Koͤnigs
von Frankreich wolle er dieß arme Italien von der Ty-
rannei der Spanier befreien: er hoffe noch zwei franzoͤſi-
ſche Prinzen in Mailand und Neapel regieren zu ſehen.
Stunden lang ſaß er nach Tiſche bei dem ſchwarzen, dicken
vulkaniſchen Wein von Neapel, den er trank, — man
nannte die Sorte Mangiaguerra — und ergoß ſich in
ſtuͤrmiſcher Beredſamkeit gegen dieſe Schismatiker und
Ketzer, Vermaledeiete Gottes, Saame von Juden und Mar-
[285]PaulIV.
ranen, Hefe der Welt, und wie er ſonſt noch die Spanier
nannte 1). Aber er getroͤſte ſich des Spruches, du wirſt
uͤber Schlangen wandeln, Loͤwen und Drachen wirſt du
zertreten. Jetzt ſey die Zeit gekommen, wo Kaiſer Carl
und deſſen Sohn fuͤr ihre Suͤnden die Zuͤchtigung empfan-
gen ſollten. Er der Papſt werde es thun: er werde Ita-
lien von ihm befreien. Wolle man ihn nicht hoͤren, ihm
nicht beiſtehen, ſo werde man doch in Zukunft einmal ſa-
gen muͤſſen, daß ein alter Italiener, ſo nahe dem Tode,
der eher haͤtte ruhen und ſich zum Sterben bereiten ſollen,
noch ſo erhabene Plaͤne gefaßt habe. Es iſt nicht noͤthig
in das Einzelne der Unterhandlungen einzugehen, die er
voll von dieſen Gedanken pflog. Als die Franzoſen, trotz
eines ſchon mit ihm getroffenen Verſtaͤndniſſes, doch einen
Stillſtand mit Spanien geſchloſſen 2), ſendete er ſeinen
Neffen, Carl Caraffa, nach Frankreich, dem es denn auch
[286]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
gelang, die verſchiedenen Parteien, die dort um die Gewalt
kaͤmpften, die Montmorency und die Guiſen, die Gemah-
lin des Koͤnigs und deſſen Buhle, in ſein Intereſſe zu zie-
hen und einen neuen Ausbruch der Feindſeligkeiten zu ver-
anlaſſen 1). In Italien gewann er an dem Herzog von
Ferrara einen ruͤſtigen Verbuͤndeten. Sie ſahen es auf
eine voͤllige Umwaͤlzung von Italien ab. Florentiniſche
und neapolitaniſche Ausgewanderte erfuͤllten die Curie. Die
Zeit ihrer Wiederherſtellung ſchien gekommen. Der paͤpſt-
liche Fiscal machte eine foͤrmliche Rechtsklage wider Kai-
ſer Carl und Koͤnig Philipp anhaͤngig, in der er auf eine
Excommunication dieſer Fuͤrſten und eine Entbindung ihrer
Unterthanen vom Eide der Treue antrug. In Florenz hat
man immer behauptet, die Beweiſe in Haͤnden zu haben,
daß auch das mediceiſche Haus dem Untergang beſtimmt
geweſen 2). Es bereitete ſich alles zum Kriege: die ganze
bisherige Entwickelung dieſes Jahrhunderts ward noch ein-
mal in Frage geſtellt.


Welch eine ganz andere Wendung nahm aber hiermit
dieß Papſtthum, als man erwartet hatte! Die reformatori-
ſchen Beſtrebungen mußten vor den kriegeriſchen zuruͤckwei-
chen, und ganz entgegengeſetzte Erfolge fuͤhrten dieſe mit ſich.


Man ſah Den, der als Cardinal das Nepotenweſen
auf das eifrigſte, ſelbſt mit Gefahr, verdammt hatte, ſich
nunmehr eben dieſem Mißbrauch ergeben. Seinen Neffen
Carl Caraffa, der ſich immer in einem wilden und anſtoͤ-
[287]PaulIV.
ßigen Soldatenleben gefallen 1), — Paul IV. ſagt ſelbſt,
ſein Arm ſey bis an den Elbogen in Blut getaucht — er-
hob er zum Cardinal. Carl hatte Mittel gefunden, den
ſchwachen Alten zu beguͤtigen: er hatte ſich zuweilen be-
tend und in anſcheinender Zerknirſchung vor dem Crucifix
finden laſſen 2). Die Hauptſache aber war, daß ſie ſich
Beide in dem nemlichen Haſſe begegneten. Carl Caraffa,
der dem Kaiſer in Deutſchland Kriegsdienſte gethan, be-
klagte ſich, daß ihm dieſer dafuͤr lauter Ungnade erweiſe.
Daß man ihm einen Gefangenen entriſſen, von dem er ein
ſtarkes Loͤſegeld erwartete, und ein Priorat der Maltheſer,
das ihm ertheilt worden, nicht hatte antreten laſſen, er-
fuͤllte ihn mit Haß und Rachbegier. Dieſe Leidenſchaft
war dem Papſte ſtatt aller Tugenden. Er fand kein Ende
ihn zu loben; er verſicherte, nie habe der roͤmiſche Stuhl
einen faͤhigeren Diener gehabt; er uͤbertrug ihm die Summe
nicht allein der weltlichen, ſondern ſogar der geiſtlichen
Geſchaͤfte, und ſah es gern, wenn man ihn als den Ur-
heber der Gunſtbezeugungen, die man empfing, betrachtete.


Seine beiden andern Nepoten wuͤrdigte der Papſt
lange keines gnaͤdigen Blickes. Erſt als auch ſie ſich zu
der antiſpaniſchen Geſinnung des Oheims bekannten, ſchenkte
er ihnen ſein Wohlwollen 3). Niemals haͤtte man erwar-
tet was er that. Er erklaͤrte, den Colonneſen, ſteten Re-
[288]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
bellen gegen Gott und Kirche, habe man ihre Schloͤſſer oͤf-
ter entriſſen, aber ohne ſie je zu behaupten: jetzt wolle er
ſie Lehensleuten auftragen, welche ſie zu vertheidigen wiſſen
wuͤrden. Er theilte ſie ſeinen Neffen zu. Den aͤltern er-
nannte er zum Herzog von Palliano, den juͤngern zum
Marcheſe von Montebello. Die Cardinaͤle ſchwiegen ſtill,
als er ihnen dieſen ſeinen Willen eroͤffnete und ſahen zur
Erde. Die Caraffas erhoben ſich zu den weitausſehendſten
Entwuͤrfen. Die Toͤchter ſollten in die Familie, wenn nicht
des Koͤnigs von Frankreich, doch des Herzogs von Fer-
rara verheirathet werden. Die Soͤhne hofften wenigſtens
Siena an ſich zu bringen. Es ſcherzte Einer uͤber das mit
Edelſteinen beſetzte Barett eines Kindes aus dieſem Hauſe.
Man duͤrfe jetzt wohl von Kronen reden, verſetzte die Mut-
ter der Nepoten 1).


In der That kam alles auf den Erfolg des Krieges
an, der nunmehr ausbrach; und freilich anfangs nicht die
guͤnſtigſte Wendung nahm.


Nach jenem Acte des Fiscal war der Herzog von Alba
aus dem neapolitaniſchen in das roͤmiſche Gebiet vorge-
ruͤckt. Die paͤpſtlichen Vaſallen begleiteten ihn: ihre Ver-
ſtaͤndniſſe erwachten. Nettuno verjagte die kirchliche Be-
ſatzung und rief die Colonneſen zuruͤck; Alba beſetzte Fro-
ſinone, Anagni, Tivoli in dem Gebirg, Oſtia an der See:
er ſchloß Rom von beiden Seiten ein.


Der Papſt verließ ſich anfangs auf ſeine Roͤmer. Er
hatte
[289]PaulIV.
hatte in Perſon Muſterung uͤber ſie gehalten. Von Cam-
pofiore kamen ſie, die Engelsburg, die ſie mit ihrem Ge-
ſchuͤtz begruͤßte, voruͤber, nach dem Petersplatz, wo er
mit ſeinem Neffen an einem Fenſter ſtand. Es waren 340
Reihen mit Hakenbuͤchſen, 250 mit Piken bewaffnet, jede
9 Mann hoch, ſtattlich anzuſehen, unter lauter adligen
Anfuͤhrern; wenn Caporionen und Fahnentraͤger bis vor
ihn gekommen, gab er ihnen ſeinen Segen 1). Das nahm
ſich alles wohl gut aus, aber zur Vertheidigung der Stadt
waren dieſe Leute nicht geeignet. Nachdem die Spanier ſo
nahe herbeigeruͤckt, war ein falſches Geruͤcht, ein kleiner
Reitertrupp hinreichend, alles in ſolche Verwirrung zu
ſetzen, daß ſich Niemand mehr bei den Fahnen einfand.
Der Papſt mußte ſich nach anderer Huͤlfe umſehen. Pietro
Strozzi fuͤhrte ihm endlich die Truppen zu, die vor Siena
gedient: er eroberte Tivoli und Oſtia in der That wieder
und entfernte die naͤchſte Gefahr.


Welch ein Krieg aber war dieß!


Es iſt zuweilen als traͤten die Ideen, welche die Dinge
bewegen, die geheimen Grundlagen des Lebens einander
ſichtbar gegenuͤber.


Alba haͤtte im Anfang Rom ohne viel Schwierigkeit
erobern koͤnnen; allein ſein Oheim, Cardinal Giacomo, er-
innerte ihn an das ſchlechte Ende, das Alle genommen,
die an der bourboniſchen Eroberung Theil gehabt. Als ein
guter Katholik fuͤhrte Alba den Krieg mit aͤußerſter Zuruͤck-
haltung: er bekaͤmpfte den Papſt, aber ohne aufzuhoͤren,
19
[290]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ihn zu verehren: nur das Schwert will er ihm aus den
Haͤnden winden; nach dem Ruhme zu den Eroberern von
Rom gezaͤhlt zu werden, geluͤſtet ihn nicht. Seine Trup-
pen klagen, es ſey ein Rauch, ein Nebel, gegen den man
ſie ins Feld fuͤhre; er belaͤſtige ſie und ſey nicht zu faſ-
ſen, noch in ſeinem Urſprung zu daͤmpfen.


Und wer waren dagegen Die, welche den Papſt gegen
ſo gute Katholiken vertheidigten? Es waren meiſtens Deut-
ſche, alles Proteſtanten. Sie verſpotteten die Heiligenbil-
der an den Landſtraßen, in den Kirchen, verlachten die
Meſſe, uͤbertraten die Faſten und begingen hundert Dinge,
von denen der Papſt ſonſt ein jedes mit dem Tode be-
ſtraft haben wuͤrde 1). Ich finde ſelbſt, daß Carl Caraffa
mit dem großen proteſtantiſchen Parteigaͤnger, Markgraf
Albrecht von Brandenburg, einmal ein Verſtaͤndniß an-
geknuͤpft hatte.


Staͤrker konnten die Gegenſaͤtze nicht hervortreten. In
den Einen, die ſtrenge katholiſche Richtung, von der we-
nigſtens der Heerfuͤhrer durchaus ergriffen iſt, — wie weit
lagen ihm die bourboniſchen Zeiten ruͤckwaͤrts! In den
Anderen die Erfolge der weltlichen Tendenzen des Papſt-
thums, die auch Paul IV., ſo ſehr er ſie an ſich ver-
dammen mag, dennoch ergriffen haben: ſie bewirken, daß
ſeine Glaͤubigen ihn angreifen, die von ihm Abgefallenen ihn
vertheidigen; aber jene bewaͤhren auch bei dem Angriff ihre
Unterwuͤrfigkeit, dieſe, indem ſie ihn beſchuͤtzen, beweiſen
ſeinem Weſen Feindſchaft und Wegwerfung.


[291]PaulIV.

Zu eigentlichem Kampfe kam es aber erſt dann, als
endlich die franzoͤſiſche Huͤlfsmacht — 10000 Mann zu Fuß,
eine minder zahlreiche, aber ſehr ſtattliche Reiterei — uͤber
den Alpen erſchien. Die Franzoſen haͤtten ihre Kraͤfte lie-
ber gleich gegen Mailand verſucht, das ſie minder verthei-
digt glaubten: aber ſie mußten dem Impuls folgen, den
ihnen die Caraffas gegen Neapel gaben. Dieſe zweifelten
nicht, in ihrem Vaterlande unzaͤhlige Anhaͤnger zu finden;
ſie zaͤhlten auf die Macht der Ausgewanderten, auf die Er-
hebung ihrer Partei, wo nicht in dem ganzen Koͤnigreich,
doch zunaͤchſt in den Abruzzen, dort um Aquila und Mon-
torio, wo ihre vaͤterlichen und muͤtterlichen Ahnherren im-
mer einen großen Einfluß behauptet hatten.


Auf irgend eine Weiſe muͤſſen ſich die Triebe der
Dinge Luft machen.


Zu haͤufig hatte ſich die Oppoſition der paͤpſtlichen
Gewalt gegen das Uebergewicht der Spanier geregt, als daß
ſie nicht noch einmal haͤtte offen hervorbrechen ſollen.


Der Papſt und ſeine Nepoten waren zu dem Aeußer-
ſten entſchloſſen. Caraffa hat nicht allein die Proteſtanten
um Huͤlfe erſucht, er hat Suleiman I. den Antrag gemacht,
er moͤge von ſeinen ungariſchen Feldzuͤgen abſtehen, um ſich
mit aller Macht auf beide Sicilien zu werfen 1). Die Huͤlfe
der Unglaͤubigen rief er auf gegen den katholiſchen Koͤnig.


19*
[292]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Im April 1557 uͤberſchritten die paͤpſtlichen Truppen
die neapolitaniſche Grenze. Den gruͤnen Donnerſtag bezeich-
neten ſie mit der Eroberung und graͤuelvollen Pluͤnde-
rung von Compli, das voll von eigenen und dahin gefluͤch-
teten Reichthuͤmern war. Hierauf ging auch Guiſe uͤber
den Tronto und belagerte Civitella.


Er fand jedoch das Koͤnigreich in guter Bereitſchaft.
Alba wußte wohl, daß keine Bewegung wider ihn entſte-
hen werde, ſo lange er der Maͤchtigſte im Lande ſey. In
einem Parlament der Baronen hatte er ein bedeutendes
Donativ erlangt: die Koͤnigin Bona von Polen, von dem
alten aragoniſchen Geſchlecht, die vor kurzem mit vielen
Reichthuͤmern in ihrem Herzogthume Bari angekommen,
von ganzem Herzen eine Feindin der Franzoſen, unterſtuͤtzte
ihn mit einer halben Million Scudi; die geiſtlichen Ein-
kuͤnfte, die nach Rom haͤtten gehen ſollen, zog er ein: ſelbſt
das Gold und Silber der Kirchen, die Glocken von Bene-
vent nahm er in Anſpruch 1). Alle neapolitaniſchen und
ſo viel roͤmiſche Grenzplaͤtze als er noch behauptete, hatte er
denn auf das beſte zu befeſtigen, ein ſtattliches Heer auf die
alte Weiſe aus Deutſchen, Spaniern und Italienern zuſam-
men zu bringen vermocht: auch neapolitaniſche Centurien
unter der Anfuͤhrung des Adels hatte er gebildet. Civi-
tella ward von dem Grafen Santafiore tapfer vertheidigt:
[293]PaulIV.
er hatte die Einwohner zu thaͤtiger Theilnahme begeiſtert:
ſelbſt einen Sturm ſchlugen ſie ab.


Waͤhrend dergeſtalt das Koͤnigreich zuſammenhielt und
nichts als Ergebenheit gegen Philipp II. blicken ließ, bra-
chen dagegen unter den Angreifenden, zwiſchen Franzoſen
und Italienern, Guiſe und Montebello lebhafte Zwiſtig-
keiten aus. Guiſe beklagte ſich, daß der Papſt den mit
ihnen geſchloſſenen Vertrag nicht halte, und es an der ver-
ſprochenen Huͤlfe ermangeln laſſe. Als der Herzog von
Alba mit ſeinem Heere in den Abruzzen erſchien, — in
der Mitte des Mai — hielt es Guiſe fuͤr das Beſte, die
Belagerung aufzuheben, und uͤber den Tronto zuruͤckzuge-
hen. Der Krieg zog ſich wieder auf das Roͤmiſche Gebiet.


Ein Krieg, in dem man vorruͤckte, zuruͤckwich, Staͤdte
beſetzte und wieder verließ, in dem es aber nur einmal zu
einem ernſtlichen Gefecht kam.


Marc Antonio Colonna bedrohte Palliano, das ihm
der Papſt entriſſen hatte: Giulio Orſino machte ſich auf,
es mit Lebensmitteln und Truppen zu erfriſchen. Es wa-
ren eben 3000 Schweizer unter einem Oberſten von Unter-
walden in Rom angelangt. Mit Freuden hatte ſie der
Papſt empfangen, ihre Hauptleute mit goldenen Ketten und
dem Rittertitel geſchmuͤckt: er hatte ſie fuͤr die Legion von
Engeln erklaͤrt, die ihm Gott zuſende. Eben dieſe und ei-
nige italieniſche Schaaren zu Fuß und zu Pferde fuͤhrte
Giulio Orſino an. M. A. Colonna ſtellte ſich ihm in den Weg.
Es kam noch einmal zu einer Schlacht, im Geiſte der ita-
lieniſchen Kriege von 1494 — 1531. Paͤpſtliche und kai-
ſerliche Truppen, ein Colonna und ein Orſino: den Schwei-
[294]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
zern ſtellten ſich, wie ſonſt ſo oft, unter ihren letzten nam-
haften Oberſten, Caspar von Feltz und Hans Walter, die
deutſchen Landsknechte entgegen. Noch einmal ſchlugen die
alten Gegner fuͤr eine Sache, die beide wenig anging; nichts
deſto minder waren ſie außerordentlich tapfer 1). Endlich
warf ſich Hans Walter, groß und ſtark wie ein Rieſe, ſagen
die Spanier, in die Mitte eines ſchweizeriſchen Faͤhnleins;
mit dem Piſtol in der einen und dem bloßen Schlacht-
ſchwert in der andern Hand drang er grade auf den Fah-
nentraͤger ein: zugleich durch einen Schuß in die Seite
und einen gewaltigen Hieb uͤber den Kopf, erlegte er den-
ſelben: die ganze Schaar ſtuͤrzte nun auf ihn her; aber
ſchon waren auch ſeine Landsknechte hinter ihm, um ihn
zu beſchuͤtzen. Die Schweizer wurden voͤllig gebrochen und
geſchlagen. Ihre Fahnen, auf denen in großen Buchſta-
ben zu leſen war: Vertheidiger des Glaubens und des
heiligen Stuhls, ſanken in Staub: ihr Oberſt brachte von
ſeinen eilf Hauptleuten nur zwei nach Rom zuruͤck.


Indeſſen man hier dieſen kleinen Krieg fuͤhrte, lagen
an den niederlaͤndiſchen Grenzen die großen Heere einander
gegenuͤber. Es erfolgte die Schlacht von S. Quintin. Die
Spanier trugen den vollkommenſten Sieg davon. In Frank-
reich wunderte man ſich nur, daß ſie nicht gradezu auf Pa-
ris losgingen, welches ſie haͤtten erobern koͤnnen 2).


„Ich hoffe,“ ſchrieb hierauf Heinrich II. an Guiſe,
„der Papſt wird in meiner Noth eben ſo viel fuͤr mich
[295]PaulIV.
thun wie ich in der ſeinen fuͤr ihn gethan“ 1). So wenig
durfte Paul IV. nun laͤnger auf franzoͤſiſche Huͤlfe zaͤhlen,
daß die Franzoſen vielmehr Beiſtand von ihm erwarteten.
Guiſe erklaͤrte, „keine Ketten ſeyen laͤnger vermoͤgend, ihn
in Italien zuruͤckzuhalten:“ 2) er eilte mit ſeiner Mann-
ſchaft zu ſeinem bedraͤngten Fuͤrſten zuruͤck.


Hierauf ruͤckten, wie es nicht mehr zu hindern ſtand,
Spanier und Colonneſen aufs neue gegen Rom vor. Noch
einmal ſahen ſich die Roͤmer mit Eroberung und Pluͤnde-
rung bedroht. Ihre Lage war um ſo verzweifelter, da ſie
ſich vor ihren Vertheidigern nicht viel weniger fuͤrchteten
als vor ihren Feinden. Viele Naͤchte lang hielten ſie alle
Fenſter hell, alle Straßen erleuchtet, und man ſagt, daß
ein Trupp ſpaniſcher Voͤlker, der einen Streifzug bis nahe
an die Thore machte, hierdurch zuruͤckgeſchreckt worden ſey:
hauptſaͤchlich aber ſuchten ſie hiermit gegen die Gewalt-
ſamkeiten der paͤpſtlichen Soldaten vorbereitet zu ſeyn.
Alles murrte: man wuͤnſchte dem Papſt tauſend Mal den
Tod: man forderte, daß das ſpaniſche Heer durch eine
foͤrmliche Uebereinkunft eingelaſſen werden ſolle.


So weit ließ es Paul IV. kommen. Erſt als ſeine
Unternehmung durchaus geſcheitert, ſeine Verbuͤndeten ge-
ſchlagen, ſein Staat zum großen Theile von den Feinden
beſetzt und ſeine Hauptſtadt zum zweiten Male bedroht
war, bequemte er ſich zum Frieden.


Die Spanier ſchloſſen ihn in dem Sinne wie ſie den
[296]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Krieg gefuͤhrt. Alle Schloͤſſer und Staͤdte der Kirche ga-
ben ſie zuruͤck: ſelbſt fuͤr Palliano, das die Caraffas ver-
loren, ward denſelben eine Entſchaͤdigung verſprochen 1). Alba
kam nach Rom: in tiefer Ehrfurcht kuͤßte er ſeinem Ueber-
wundenen, dem geſchworenen Feinde ſeiner Nation und ſei-
nes Koͤnigs, den Fuß. Er hat geſagt, nie habe er eines
Menſchen Angeſicht, wie das des Papſtes, gefuͤrchtet.


So vortheilhaft aber auch fuͤr die paͤpſtliche Gewalt
dieſer Friede erſcheint, ſo war er doch wider ihre bisheri-
gen Beſtrebungen entſcheidend. Mit ihren Verſuchen, ſich
des ſpaniſchen Uebergewichtes zu entledigen, hatte es ein
Ende: in dem alten Sinne iſt es nie wieder zu einem ſol-
chen gekommen. In Mailand und Neapel hatte ſich die
Herrſchaft der Spanier unerſchuͤtterlich gezeigt. Ihre Ver-
buͤndeten waren ſtaͤrker als je. Herzog Coſimo, den man
aus Florenz verjagen wollen, hatte Siena dazu erworben, und
beſaß nunmehr eine bedeutende ſelbſtſtaͤndige Macht; durch
die Ruͤckgabe von Piacenza waren die Farneſen fuͤr Philipp II.
gewonnen; Marc Antonio Colonna hatte ſich einen großen
Namen gemacht und die alte Stellung ſeines Geſchlechts
erneuert. Es blieb dem Papſte nichts uͤbrig, als ſich in
dieſe Lage der Dinge zu finden. Auch Paul IV. mußte
daran: man kann denken, wie ſchwer es ihm wurde. Phi-
lipp II. ward einmal ſein Freund genannt: „ja mein
Freund,“ fuhr er auf, „der mich belagert hielt, der meine
Seele ſuchte!“ Anderen gegenuͤber verglich er ihn wohl
[297]PaulIV.
einmal mit dem verlorenen Sohn des Evangeliums, aber
im Kreiſe ſeiner Vertrauten ruͤhmte er nur ſolche Paͤpſte,
welche franzoͤſiſche Koͤnige zu Kaiſern zu machen beabſich-
tigt hatten 1). Sein Sinn war der alte: aber die Um-
ſtaͤnde engten ihn ein: er konnte nichts mehr hoffen noch
unternehmen: ſelbſt beklagen durfte er ſich nur insgeheim.


Sich der Wirkung der vollzogenen Begebenheit wider-
ſetzen zu wollen, iſt jedoch allemal vergeblich. Auch auf
Paul IV. uͤbte ſie nach einiger Zeit eine Ruͤckwirkung aus,
welche wie fuͤr ſeine Verwaltung, ſo fuͤr die Umwandlung
dieſes paͤpſtlichen Weſens uͤberhaupt von der groͤßten Wich-
tigkeit iſt.


Sein Nepotismus beruhte nicht auf der Selbſtſucht
und Familien-Neigung fruͤherer Paͤpſte: er beguͤnſtigte ſeine
Nepoten, weil ſie ſeine Richtung gegen Spanien unterſtuͤtz-
ten: er betrachtete ſie als ſeine natuͤrlichen Gehuͤlfen in
dieſem Kampfe. Daß es nun mit demſelben zu Ende ge-
gangen, machte ihm auch die Nepoten unnuͤtz. Gluͤckliche
Erfolge gehoͤren zu jeder ausgezeichneten, am meiſten zu
einer nicht ganz geſetzmaͤßigen Stellung. Cardinal Caraffa
unternahm noch vornehmlich im Intereſſe ſeines Hauſes, um
jene Entſchaͤdigung fuͤr Palliano feſtzuſetzen, eine Geſandt-
ſchaft an Koͤnig Philipp. Seit er auch von dieſer zuruͤck-
gekommen war, ohne eben viel ausgerichtet zu haben, ſah
[298]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
man den Papſt kaͤlter und kaͤlter gegen ihn werden. Bald
war es dem Cardinal nicht mehr moͤglich, die Umgebungen
ſeines Oheims zu beherrſchen, und wie er bisher gethan, nur
den ergebenſten Freunden den Zutritt zu geſtatten. Auch un-
guͤnſtige Stimmen kamen dem Papſt zu Ohren und moch-
ten die widrigen Eindruͤcke fruͤherer Zeiten wieder erwecken.
Der Cardinal erkrankte einmal: der Papſt beſuchte ihn un-
erwartet: er fand ein paar Leute von dem ſchlechteſten Rufe
bei ihm. „Die Alten ſind mißtrauiſch,“ ſagte er: „ich
bin da Dinge gewahr worden, die mir ein weites Feld
eroͤffneten.“ Wir ſehen, es bedurfte nur einen Anlaß, um
einen Sturm in ihm zu erregen. Ein uͤbrigens unbedeu-
tendes Ereigniß bot einen ſolchen dar. In der Neujahrs-
nacht 1559 war ein Tumult auf der Straße vorgefallen,
bei dem auch ein junger Cardinal, jener Liebling Julius III.
Cl. Monte, den Degen gezogen hatte. Der Papſt erfuhr
es gleich am Morgen: er empfand es tief, als ſein Neffe
ihm kein Wort davon ſagte; er wartete ein paar Tage:
endlich ſprach er ſeinen Verdruß aus. Der Hof, ohnehin
auf jede Veraͤnderung begierig, ergriff dieſes Zeichen der
Ungunſt mit Begierde. Der florentiniſche Geſandte, der
tauſend Kraͤnkungen von den Caraffas erfahren hatte, drang
jetzt zu dem Papſt hindurch und brachte die bitterſten Be-
ſchwerden vor. Die Marcheſa della Valle, eine Verwandte,
der man auch nie freien Zutritt geſtatten wollen, fand Mit-
tel, einen Zettel in das Brevier des Papſtes legen zu laſſen,
auf dem einige Miſſethaten der Nepoten verzeichnet waren:
„wuͤnſche S. Heiligkeit noch naͤhere Aufklaͤrung, ſo moͤge
ſie ihren Namen unterſchreiben;“ Paul unterſchrieb und die
[299]PaulIV.
Aufklaͤrungen werden nicht gemangelt haben. Dergeſtalt,
bereits mit Unwillen und Mißvergnuͤgen erfuͤllt, ging der
Papſt am 9. Januar in die Verſammlung der Inquiſition.
Er kam auf jenen naͤchtlichen Tumult zu ſprechen, ſchalt
heftig auf den Cardinal Monte, drohte ihn zu beſtrafen,
und donnerte immer: Reform, Reform. Die ſonſt ſo
ſchweigſamen Cardinaͤle hatten jetzt Muth bekommen. „Hei-
liger Vater,“ unterbrach ihn Cardinal Pacheco, „die Re-
form muͤſſen wir bei uns ſelber anfangen.“ Der Papſt
verſtummte. Das Wort traf ſein Herz: die in ihm gaͤh-
renden, ſich bildenden Ueberzeugungen brachte es ihm zum
Bewußtſeyn. Er ließ die Sache des Monte unbeendigt:
in verzehrendem Ingrimm ging er auf ſein Wohnzimmer.
Er ſtellte unverweilt genaue Nachforſchungen an. Nach-
dem er ſogleich befohlen, daß auf des Cardinal Caraffa
Anordnung nichts mehr auszufertigen ſey, ließ er ihm ſeine
Papiere abfordern; Cardinal Vitellozzo Vitelli, der in dem
Rufe ſtand, die Geheimniſſe der Caraffas zu kennen,
mußte ſchwoͤren, alles entdecken zu wollen, was er davon
wiſſe: Camillo Orſino ward zu dem nemlichen Zweck von
ſeinem Landgut hereinbeſchieden: die ſtrenge Partei, die
lange dem Treiben der Nepoten mit Unmuth zugeſehen,
erhob ſich jetzt: der alte Theatiner, Don Hieremia, den
man fuͤr heilig hielt, war Stundenlang in den paͤpſtlichen
Gemaͤchern: der Papſt erfuhr Dinge, die er nie geahndet
hatte, die ihm Entſetzen und Grauen erregten. Er gerieth
in die groͤßte Bewegung: er mochte weder eſſen noch ſchla-
fen: zehn Tage lang war er in Fieber und Krankheit:
merkwuͤrdig auf immer ein Papſt, der ſich mit innerer Ge-
[300]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
waltſamkeit von der Neigung zu ſeinen Anverwandten los-
riß: endlich war er entſchloſſen. Am 27. Januar berief
er ein Conſiſtorium: mit leidenſchaftlicher Bewegung ſtellte
er das ſchlechte Leben ſeiner Neffen vor: er rief Gott und
Welt und Menſchen zu Zeugen an, daß er nie darum ge-
wußt, daß er immer betrogen worden. Er ſprach ihnen
ihre Aemter ab, und verwies ſie ſammt ihren Familien nach
verſchiedenen entfernten Ortſchaften. Die Mutter der Ne-
poten, 70 Jahr alt, von Krankheiten gebeugt, perſoͤnlich
ohne Schuld, warf ſich ihm zu Fuͤßen, als er in den Pal-
laſt ging: mit ſcharfen Worten ſchritt er voruͤber. Eben
kam die junge Marcheſa Montebello aus Neapel: ſie fand
ihren Pallaſt verſchloſſen: in keinem Wirthshauſe wollte
man ſie aufnehmen: in der regneriſchen Nacht fuhr ſie von
einem zu dem andern, bis ihr endlich ein entfernt wohnen-
der Gaſtwirth, dem man keine Befehle zukommen laſſen,
noch einmal Herberge gab. Vergebens erbot ſich Cardinal
Caraffa ſich ins Gefaͤngniß zu ſtellen und Rechenſchaft ab-
zulegen. Die Schweizergarde bekam Befehl, nicht allein
ihn, ſondern alle, die irgend in ſeinem Dienſte geweſen,
zuruͤckzuweiſen. Nur eine einzige Ausnahme machte der
Papſt. Den Sohn Montorio’s, den er liebte, den er
ſchon in ſeinem 18ten Jahre zum Cardinal ernannt, be-
hielt er bei ſich und betete mit ihm ſeine Horen. Aber
niemals durfte der junge Menſch der Verwieſenen erwaͤh-
nen: wie viel weniger eine Fuͤrbitte fuͤr ſie wagen: er
durfte ſelbſt mit ſeinem Vater keine Gemeinſchaft haben:
das Ungluͤck, das ſein Haus erlitten, ergriff ihn darum
nur um ſo tiefer: was ihm nicht in Worten auszudruͤcken
[301]PaulIV.
erlaubt wurde, ſtellte ſich in ſeinem Geſicht, in ſeiner Ge-
ſtalt dar 1).


Und ſollte man nicht glauben, daß dieſe Ereigniſſe
auch auf die Stimmung des Papſtes zuruͤckwirken wuͤrden?


Es war, als waͤre ihm nichts geſchehen. Gleich da-
mals als er in dem Conſiſtorium mit gewaltiger Bered-
ſamkeit die Sentenz geſprochen, als die meiſten Cardinaͤle
von Erſtaunen und Schrecken gefeſſelt worden, ſchien er
ſeinerſeits nichts zu empfinden: er ging ohne weiteres zu
anderen Geſchaͤften uͤber. Die fremden Geſandten waren
verwundert, wenn ſie ſeine Haltung beobachteten. „In
ſo ploͤtzlichen durchgreifenden Veraͤnderungen,“ ſagt man
von ihm, „in der Mitte von lauter neuen Miniſtern und
Dienern haͤlt er ſich ſtandhaft, hartnaͤckig, unangefochten:
Mitleid fuͤhlt er nicht, er ſcheint keine Erinnerung an die
Seinigen uͤbrig behalten zu haben.“ Einer ganz andern
Leidenſchaft uͤberließ er ſich nunmehr.


Gewiß, auf immer bedeutend iſt dieſe Umwand-
lung. Der Haß gegen die Spanier, die Idee, der Be-
freier Italiens werden zu koͤnnen, hatte auch Paul IV. zu
weltlichen Beſtrebungen fortgeriſſen, Begabung der Nepo-
ten mit kirchlichen Landſchaften, Erhebung eines Solda-
ten zur Verwaltung ſelbſt der geiſtlichen Geſchaͤfte, Feind-
ſeligkeiten, Blutvergießen. Die Ereigniſſe zwangen ihn, dieſe
[302]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Idee aufzugeben, jenen Haß zu unterdruͤcken; damit oͤff-
neten ſich ihm allmaͤhlig auch die Augen fuͤr das tadelns-
werthe Verhalten ſeiner Angehoͤrigen: mit heftiger Gerech-
tigkeit, in innerm Kampf entledigte er ſich ihrer: von
Stund an kehrte er dann zu ſeinen alten reformatoriſchen
Abſichten zuruͤck; er fing an zu regieren, wie man gleich
anfangs vermuthet hatte, daß er thun werde: mit gleicher
Leidenſchaft, wie bisher Feindſeligkeiten und Krieg, trieb
er nun die Reform des Staates und hauptſaͤchlich der
Kirche.


Die weltlichen Geſchaͤfte wurden von oben bis unten
andern Haͤnden anvertraut. Die bisherigen Podeſtas und
Governatoren verloren ihre Stellen: wie dieß geſchah, war
doch zuweilen auch ſehr beſonders. In Perugia erſchien der
neuernannte Governatore bei Nacht: ohne den Tag abzuwar-
ten, ließ er die Anzianen zuſammenrufen: in ihrer Mitte zog
er ſeine Beglaubigung hervor und befahl ihnen, den bisherigen
Governator, der mit zugegen war, unverzuͤglich gefangen zu
nehmen. Seit undenklichen Zeiten war nun Paul IV. der
erſte Papſt, der ohne Nepoten regierte. An ihre Stelle
traten Cardinal Carpi und Camillo Orſino, die ſchon un-
ter Paul III. ſo viel vermocht. Auch der Sinn der Re-
gierung ward veraͤndert. Nicht unbedeutende Summen
wurden erſpart und an den Steuern erlaſſen; es wurde ein
Kaſten aufgeſtellt, in den Jedermann ſeine Beſchwerden
werfen konnte, zu dem der Papſt allein den Schluͤſſel
hatte: taͤglichen Bericht erſtattete der Governator; mit groͤ-
ßerer Sorgfalt und Ruͤckſicht, und ohne die alten Miß-
braͤuche ging man zu Werke.


[303]PaulIV.

Hatte der Papſt auch unter den bisherigen Bewegun-
gen die Reform der Kirche niemals aus den Augen verlo-
ren, ſo widmete er ſich ihr doch nun mit vollerem Eifer und
freierem Herzen. In den Kirchen fuͤhrte er eine ſtrengere
Disciplin ein: er verbot alles Betteln, ſelbſt das Almoſen-
ſammeln der Geiſtlichen fuͤr die Meſſe: er entfernte die an-
ſtoͤßigen Bilder: man hat eine Medaille auf ihn geſchla-
gen, mit dem geißelnden Chriſtus, der den Tempel ſaͤu-
bert. Die ausgetretenen Moͤnche verjagte er aus Stadt
und Staat. Den Hof noͤthigte er, die Faſten ordentlich
zu halten, und Oſtern mit dem Abendmahl zu feiern.
Mußten doch die Cardinaͤle zuweilen predigen! Er ſelbſt
predigte. Viele Mißbraͤuche, welche Gewinn brachten,
ſuchte er abzuſtellen. Von Ehedispenſen und ihrem Ertrag
wollte er nichts mehr wiſſen. Eine Menge Stellen, welche
bisher immer verkauft worden, auch die Chiericati di Ca-
mera 1), wollte er ins Kuͤnftige nur nach dem Verdienſte
der Perſon vertheilen. Wie viel mehr ſah er auf Wuͤr-
digkeit und kirchliche Geſinnung bei der Verleihung geiſt-
licher Aemter. Jene Receſſe, wie ſie noch immer gebraͤuch-
lich waren, ſo daß Einer die Pflichten verwaltete, und
Ein Andrer den beſten Ertrag der Guͤter genoß, duldete
er nicht laͤnger. Auch hegte er die Abſicht, den Biſchoͤ-
fen viele von den ihnen entzogenen Rechten zuruͤckzugeben:
[304]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
die Gierigkeit, mit der man alles nach Rom gezogen, fand
er hoͤchſt tadelnswuͤrdig 1).


Nicht allein abſchaffend, negativ verhielt er ſich: er
ſuchte auch den Gottesdienſt mit groͤßerem Pomp zu um-
geben: das Bekleiden der ſixtiniſchen Capelle, die feierliche
Darſtellung des Grabmahls ſchreiben ſich von ihm her 2).
Es giebt ein Ideal des modern-katholiſchen Gottesdien-
ſtes, voll Wuͤrde, Devotion und Pracht, das auch ihm
vorſchwebte.


Keinen Tag, wie er ſich ruͤhmte, ließ er voruͤberge-
hen, ohne einen auf die Wiederherſtellung der Kirche zu
ihrer urſpruͤnglichen Reinheit bezuͤglichen Erlaß bekannt zu
machen. In vielen ſeiner Decrete erkennt man die Grund-
zuͤge zu den Anordnungen, denen bald nachher das triden-
tiniſche Concilium ſeine Sanction gab 3).


Wie man erwarten kann, zeigte er auch in dieſer Rich-
tung die ganze Unbeugſamkeit, die ihm von Natur ei-
gen war.


Vor allen andern Inſtituten beguͤnſtigte er die Inqui-
ſition, die er ja ſelbſt hergeſtellt hatte. Oft ließ er die
Tage
[305]PaulIV.
Tage voruͤbergehn, die fuͤr Segnatura und Conſiſtorium be-
ſtimmt waren: niemals aber den Donnerſtag, an welchem
ſich die Congregation der Inquiſition vor ihm verſammelte.
Auf das ſchaͤrfſte wollte er dieſe gehandhabt wiſſen. Er un-
terwarf ihr noch neue Verbrechen: er gab ihr das grauſame
Recht, auch zur Ermittelung der Mitſchuldigen die Tortur
anzuwenden: bei ihm galt kein Anſehn der Perſon: die vor-
nehmſten Barone zog er vor dieß Gericht; Cardinaͤle, wie
Morone und Foscherari, die fruͤherhin ſelbſt waren gebraucht
worden, um den Inhalt bedeutender Buͤcher, z. B. der
geiſtlichen Uebungen des Ignatius zu pruͤfen, ließ er jetzt,
weil ihm Zweifel an ihrer eigenen Rechtglaͤubigkeit auf-
geſtiegen, ins Gefaͤngniß werfen. Das Feſt San Dome-
nico richtete er zu Ehren dieſes großen Inquiſitors ein.


Und ſo bekam die geiſtlich-ſtrenge, reſtauratoriſche
Richtung des Papſtthums das Uebergewicht.


Paul IV. ſchien faſt vergeſſen zu haben, daß er je
eine andere gehegt; das Andenken an die verfloſſenen Zei-
ten war in ihm erloſchen. Er lebte und webte in ſeinen
Reformen, in ſeiner Inquiſition, gab Geſetze, nahm gefan-
gen, excommunicirte, und hielt Auto da Fe’s. Endlich,
wie ihn eine Krankheit, keine andere, als die auch ei-
nem Juͤngern den Tod haͤtte bringen koͤnnen, niederwirft,
beruft er die Cardinaͤle noch einmal, empfiehlt ſeine Seele
ihrem Gebet, ihrer Sorgfalt den heiligen Stuhl und die
Inquiſition: noch einmal will er ſich zuſammennehmen und
aufrichten. Da verſagen ihm die Kraͤfte, er ſinkt hin und
ſtirbt (18. Aug. 1559).


Darin wenigſtens ſind dieſe entſchiedenen, leidenſchaft-
20
[306]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
lichen Menſchen gluͤcklicher als das ſchwaͤchere Geſchlecht.
Ihre Sinnesweiſe verblendet ſie, aber ſie ſtaͤhlt ſie auch
und macht ſie in ſich ſelber unuͤberwindlich.


Nicht ſo geſchwind aber, wie der Papſt ſelbſt, vergaß
das Volk was es unter ihm gelitten. Es konnte ihm den
Krieg nicht vergeben, den er uͤber Rom gebracht; daß er
die Nepoten entfernt, die man allerdings haßte, war noch
nicht genug fuͤr die Menge. Bei ſeinem Tode verſammel-
ten ſich die Einen auf dem Capitol und beſchloſſen, weil
er ſich um die Stadt und den Erdkreis uͤbel verdient ge-
macht, ſeine Denkmale zu vernichten. Andere pluͤnderten das
Gebaͤude der Inquiſition, legten Feuer an, und mißhan-
delten die Diener des Gerichts. Auch das Dominicaner-
kloſter bei der Minerva wollte man mit Gewalt abbren-
nen. Die Colonna, Orſini, Ceſarini, Maſſimi, alle von
Paul IV. toͤdtlich beleidigt, nahmen Theil an dieſen Tu-
multen. Die Bildſaͤule, die man dem Papſt errichtet,
ward von ihrem Poſtament geriſſen, zerſchlagen, und der
Kopf derſelben mit der dreifachen Krone durch die Straßen
geſchleift 1).


Wie gluͤcklich aber waͤre das Papſtthum zu preiſen ge-
[307]PaulIV.
weſen, haͤtte es keine andere Reaction gegen die Unterneh-
mungen Pauls IV. erfahren.


Bemerkung über den Fortgang des Proteſtantismus
waͤhrend dieſer Regierung.


Wir ſahen, wie jene fruͤhere Entzweiung des Papſt-
thums mit der kaiſerlichen der ſpaniſchen Macht vielleicht
mehr als jedes andere aͤußere Ereigniß zur Gruͤndung des
Proteſtantismus in Deutſchland beitrug. Dennoch hatte
man eine zweite nicht vermieden, die nun noch umfaſſen-
dere Wirkungen in groͤßeren Kreiſen entwickelte.


Als ihren erſten Moment koͤnnen wir jene Abberu-
fung der paͤpſtlichen Truppen von dem kaiſerlichen Heere,
die Translation des Conciliums betrachten. Gleich da er-
ſchien auch ihre Bedeutung. Der Unterdruͤckung der Pro-
teſtanten hat nichts ein ſo weſentliches Hinderniß in den
Weg gelegt, als das Thun und Laſſen Pauls III. in je-
nem Zeitpunkt.


Ihre welthiſtoriſchen Erfolge hatten aber die Maaßre-
geln dieſes Papſtes erſt nach ſeinem Tode. Die Verbin-
dung mit Frankreich, in die er ſeine Nepoten brachte, ver-
anlaßte einen allgemeinen Krieg.


Einen Krieg, in welchem nicht allein die deutſchen
Proteſtanten einen ewig denkwuͤrdigen Sieg erkaͤmpften, durch
den ſie vor Concilium, Kaiſer und Papſt auf immer ge-
ſichert wurden, ſondern in welchem auch, ſchon unmittel-
bar durch die deutſchen Soldaten, die zu beiden Seiten
fochten, und von dem Kriegsgetuͤmmel, das keine ſtrenge
20*
[308]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Aufſicht geſtattete, beguͤnſtigt, die neuen Meinungen in
Frankreich und den Niederlanden gewaltig vordrangen.


Paul IV. beſtieg den roͤmiſchen Stuhl. Er haͤtte die-
ſen Gang der Dinge ins Auge faſſen, und vor allem den
Frieden herſtellen ſollen. Aber mit blinder Leidenſchaft
ſtuͤrzte er ſich in die Bewegung. Und ſo mußte ihm, dem
heftigſten Zeloten, begegnen, daß er ſelber die Ausbreitung
des Proteſtantismus, den er haßte, verabſcheute und ver-
folgte, mehr, als vielleicht irgend Einer ſeiner Vorgaͤnger,
befoͤrderte.


Erinnern wir uns nur ſeiner Einwirkung auf Eng-
land!


Der erſte Sieg der neuen Meinungen in dieſem Lande
war lange nicht vollkommen: es bedurfte nur eines Ruͤck-
trittes der Staatsgewalt, nichts weiter brauchte es noch
als eine katholiſche Koͤnigin, um das Parlament zu einer
neuen Unterwerfung der Kirche unter den Papſt zu beſtim-
men. Aber freilich mußte Dieſer nun mit Maͤßigung ver-
fahren; den aus den Neuerungen hervorgegangenen Zuſtaͤn-
den durfte er nicht geradezu den Krieg machen. Wohl ſah
das Julius III. ein. Gleich der erſte paͤpſtliche Abgeord-
nete bemerkte 1), wie wirkſam das Intereſſe der eingezo-
genen geiſtlichen Guͤter war: Julius faßte den großarti-
gen Entſchluß, nicht auf ihre Ruͤckgabe zu dringen. In
der That durfte der Legat England nicht eher betreten, als
[309]PaulIV.
bis er hieruͤber genuͤgende Verſicherungen geben konnte. Sie
bildeten die Grundlage ſeiner ganzen Wirkſamkeit 1). Nun
aber hatte er auch den groͤßten Succeß. Es war Regi-
nald Poole, den wir kennen, unter allen damals lebenden
Menſchen wohl Derjenige, der ſich am meiſten eignete,
fuͤr die Herſtellung des Katholicismus in England zu ar-
beiten: uͤber allen Verdacht unlauterer Abſichten erhaben,
verſtaͤndig, gemaͤßigt, als ein Eingeborner von hohem Rang
bei Koͤnigin, Adel und Volk gleich angeſehen. Ueber alles
Erwarten ging das Unternehmen von Statten. Pauls IV.
Thronbeſteigung war mit der Ankunft engliſcher Geſandten
bezeichnet, die ihn der Obedienz dieſes Landes verſicherten.


Paul IV. hatte ſie nicht zu erwerben, nur zu be-
haupten. Betrachten wir, welche Maaßregeln er in dieſer
Lage ergriff.


Er erklaͤrte die Zuruͤckgabe der geiſtlichen Guͤter fuͤr
eine unerlaͤßliche Pflicht, deren Hintanſetzung die Strafe
der ewigen Verdammniß nach ſich ziehe: er vermaß ſich
auch den Peterspfennig wieder einſammeln zu laſſen 2). —
Aber uͤberdieß, konnte etwas ungeeigneter ſeyn fuͤr die
Vollendung der Reduction, als daß er den Fuͤrſten, der
doch zugleich Koͤnig von England war, Philipp II., ſo
leidenſchaftlich befehdete? An der Schlacht von Sanct
Quintin, die auch fuͤr Italien ſo wichtig wurde, nahmen
[310]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
engliſche Kriegsvoͤlker Theil. — Endlich den Cardinal Poole,
den er nun einmal nicht leiden konnte, verfolgte er, be-
raubte ihn der Legaten-Wuͤrde, die nie ein Anderer zu
groͤßerem Vortheil des h. Stuhles verwaltet hatte, und
ſetzte einen ungeſchickten, von den Jahren gebeugten, aber
in ſeinen Meinungen heftigeren Moͤnch an die Stelle deſ-
ſelben 1). Waͤre es die Aufgabe Pauls IV. geweſen, das
Werk der Wiederherſtellung zu hintertreiben, ſo haͤtte er
ſich nicht anders betragen koͤnnen.


Kein Wunder, wenn nun nach dem unerwartet fruͤ-
hen Tode ſowohl der Koͤnigin als des Legaten die entge-
gengeſetzten Tendenzen ſich aufs neue gewaltig erhoben.
Die Verfolgungen, welche von Poole verdammt, aber von
den ſcharfſinnigen Gegnern deſſelben gebilligt worden, tru-
gen unendlich dazu bei.


Jedoch auch dann ward die Frage dem Papſte noch
einmal vorgelegt. Sie forderte um ſo bedaͤchtigere Erwaͤ-
gung, da ſie ohne Zweifel Schottland mitbegriff. Auch
hier waren die religioͤſen Parteien in heftigem Kampf mit
einander: wie die Sache ſich in England feſtſetzte, mußte
auch die Zukunft Schottlands beſtimmen.


Wie wichtig war es nun, daß Eliſabeth in ihren
Anfaͤngen ſich keinesweges voͤllig proteſtantiſch zeigte 2),
daß ſie dem Papſt ihre Thronbeſteigung notificiren ließ.
Ueber eine Vermaͤhlung Philipps II. mit ihr ward wenig-
ſtens unterhandelt, und ſie war der damaligen Welt ſehr
[311]PaulIV.
wahrſcheinlich. Man ſollte glauben, nichts habe einem
Papſt erwuͤnſchter ſeyn koͤnnen.


Aber Paul IV. kannte keine Maͤßigung. Dem Ge-
ſandten der Eliſabeth gab er eine zuruͤckſchreckende, ſchnoͤde
Antwort. „Sie muͤſſe,“ ſagte er, „vor allem ihre An-
ſpruͤche ſeinem Urtheil uͤberlaſſen.“


Man glaube nicht, daß ihn die Conſequenz des apo-
ſtoliſchen Stuhles allein hierzu bewogen. Es gab noch
einige andere Motive. Die Franzoſen wuͤnſchten aus Staats-
eiferſucht jene Vermaͤhlung zu hintertreiben. Sie wußten
ſich der Frommen, der Theatiner zu bedienen, um dem alten
Papſt vorſtellen zu laſſen, Eliſabeth ſey doch im Herzen
proteſtantiſch, und jene Vermaͤhlung werde nie etwas Gu-
tes ſtiften 1). Das groͤßte Intereſſe hierbei hatten die
Guiſen. Wenn Eliſabeth von dem paͤpſtlichen Stuhle ver-
worfen ward, ſo bekam die Tochter ihrer Schweſter, Ma-
ria Stuart, Dauphine von Frankreich, Koͤnigin von Schott-
land, die naͤchſten Anſpruͤche auf England: die Guiſen
durften hoffen, in deren Namen uͤber alle drei Reiche zu
gebieten. In der That nahm dieſe Fuͤrſtin die engliſchen
Wappen an: ſie unterzeichnete ihre Edicte bereits nach
den Jahren ihrer Regierung in England und Irland: man
machte Kriegsanſtalten in den ſchottiſchen Haͤfen 2).


Haͤtte Eliſabeth nicht von ſelbſt dahin geneigt, ſo waͤre
ſie durch die Umſtaͤnde genoͤthigt geweſen, ſich in den Pro-
[312]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
teſtantismus zu werfen. Sie that es auf das entſchloſ-
ſenſte. Es gelang ihr, ein Parlament mit einer proteſtan-
tiſchen Majoritaͤt zu Stande zu bringen 1), durch welches
in wenigen Monaten alle Veraͤnderungen getroffen wurden,
die den Charakter der engliſchen Kirche weſentlich aus-
machen.


Von dieſer Wendung der Dinge ward denn auch
Schottland mit Nothwendigkeit betroffen. Den Fortſchrit-
ten der katholiſch-franzoͤſiſchen Partei ſetzte ſich hier eine na-
tionale, proteſtantiſche entgegen. Eliſabeth zauderte nicht
ſich mit der letzten zu verbinden. Hat doch der ſpaniſche
Botſchafter ſelbſt ſie darin beſtaͤrkt! 2) Der Bund von
Berwick, den ſie mit der ſchottiſchen Oppoſition ſchloß, gab
dieſer das Uebergewicht. Noch ehe Maria Stuart ihr Koͤ-
nigreich betrat, mußte ſie nicht allein auf den Titel von
England verzichten, ſondern auch die Beſchluͤſſe eines im
proteſtantiſchen Sinne verſammelten Parlaments beſtaͤtigen,
Beſchluͤſſe, von denen einer die Meſſe bei Todesſtrafe ab-
ſchaffte.


Und ſo war es zum guten Theil eine Reaction gegen
die von dem Papſte beguͤnſtigten franzoͤſiſchen Anſpruͤche,
was den Sieg des Proteſtantismus in Großbritannien auf
immer feſtſtellte.


Nicht etwa als ob die innern Antriebe der Proteſtan-
tiſchgeſinnten von dieſen politiſchen Bewegungen abgehan-
gen haͤtten; ſie hatten eine bei weitem tiefere Begruͤndung;
[313]PaulIV.
aber in der Regel trafen die den Ausbruch, Fortgang und
die Entſcheidung des Kampfes herbeifuͤhrenden Momente
mit den politiſchen Verwickelungen genau zuſammen.


Selbſt auf Deutſchland hatte eine Maaßregel Pauls
IV. noch einmal vielen Einfluß. Daß er ſich in alter Ab-
neigung gegen das Haus Oeſtreich der Uebertragung der
kaiſerlichen Krone widerſetzte, noͤthigte Ferdinand I., auf
die Erhaltung ſeiner Freundſchaft mit proteſtantiſchen Ver-
buͤndeten noch mehr Ruͤckſicht zu nehmen, als bisher.
Seitdem war es eine Vereinigung der gemaͤßigten Fuͤrſten
von beiden Seiten, welche Deutſchland leitete, unter deren
Einfluſſe ſich zunaͤchſt der Uebergang niederdeutſcher Stif-
ter an proteſtantiſche Verwaltungen vollzog.


Es ſchien, als ſollte das Papſtthum keinen Nachtheil
erfahren, ohne durch ſeine politiſchen Beſtrebungen auf eine
oder die andere Weiſe ſelbſt dazu beigetragen zu haben.


Ueberblicken wir aber in dieſem Moment einmal von
der Hoͤhe von Rom aus die Welt, wie ungeheuer waren
die Verluſte, welche das katholiſche Bekenntniß erlitten
hatte! Scandinavien und Britannien abgefallen: Deutſch-
land faſt durchaus proteſtantiſch: Polen und Ungarn in
ſtarker Gaͤhrung: Genf fuͤr den Weſten und die romani-
ſche Welt ein ſo bedeutender Mittelpunkt, wie Wittenberg
fuͤr den Oſten und die germaniſchen Voͤlker: ſchon erhob
ſich wie in den Niederlanden, ſo in Frankreich eine Partei
unter den Fahnen des Proteſtantismus.


Nur Eine Hoffnung hatte der katholiſche Glaube noch.
In Spanien und Italien waren die Regungen abweichen-
der Lehren gedaͤmpft und erdruͤckt worden: eine reſtaurirende
[314]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſtreng kirchliche Meinung hatte ſich erhoben. So nachthei-
lig auch die Staatsverwaltung Pauls IV. uͤbrigens war,
ſo hatte ſie doch zuletzt dieſer Richtung auch am Hofe und
im Pallaſt das Uebergewicht verſchafft. Die Frage war,
ob ſie ſich hier ferner erhalten, ob ſie die ganze katholi-
ſche Welt zu durchdringen und zu vereinigen vermoͤgen
wuͤrde.


Pius IV.


Man erzaͤhlt, einſt bei einem Gaſtmahl von Cardinaͤ-
len habe Aleſſandro Farneſe einem Knaben, der zur Lyra zu
improviſiren verſtand, einen Kranz gegeben, um ihn Dem-
jenigen von ihnen zu uͤberreichen, der einmal Papſt werden
wuͤrde. Der Knabe, Silvio Antoniano, ſpaͤter ein nam-
hafter Mann und ſelber Cardinal, ſey augenblicklich zu
Johann Angelo Medici herangetreten und das Lob deſſel-
ben anſtimmend habe er ihm den Kranz gewidmet. Dieſer
Medici ward Pauls Nachfolger, Pius IV.1).


Er war von geringer Herkunft. Erſt ſein Vater Ber-
nardin war nach Mailand gezogen, und hatte ſich durch
Staatspachtungen ein kleines Vermoͤgen erworben 2). Die
[315]PiusIV.
Soͤhne mußten ſich jedoch noch ziemlich aͤrmlich behelfen:
der eine, Giangiacomo, der ſich dem Soldatenſtand wid-
mete, nahm anfangs Dienſte bei einem Edelmann: der
andere, eben unſer Johann Angelo, ſtudirte, aber unter
ſehr beſchraͤnkten Verhaͤltniſſen. Ihr Gluͤck hatte folgen-
den Urſprung. Giangiacomo, verwegen und unterneh-
mend von Natur, ließ ſich von den damaligen Gewalt-
habern in Mailand brauchen, einen ihrer Gegner, einen
Visconti, Monſignorin genannt, auf die Seite zu ſchaf-
fen. Kaum war aber der Mord vollbracht, ſo wollten
die, welche ihn veranſtaltet, ſich auch des Werkzeugs ent-
ledigen, und ſchickten den jungen Mann nach dem Schloſſe
Mus, am Comer See, mit einem Schreiben an den Ca-
ſtellan, worin ſie dieſem auftrugen, den Ueberbringer zu
toͤdten. Giangiacomo ſchoͤpfte Verdacht, oͤffnete den Brief,
ſah was man ihm vorbereitet hatte, und war ſofort ent-
ſchloſſen. Er waͤhlte ſich einige zuverlaͤſſige Begleiter:
durch den Brief verſchaffte er ſich Eingang: es gelang ihm
ſich des Schloſſes zu bemaͤchtigen. Seitdem betrug er ſich
hier als ein unabhaͤngiger Fuͤrſt: Mailaͤnder, Schweizer
und Venezianer hielt er von dieſem feſten Punct aus in
unaufhoͤrlicher Bewegung: endlich nahm er das weiße Kreuz
und trat in kaiſerliche Dienſte. Er ward zum Marcheſe
von Marignano erhoben: er diente als Chef der Artillerie
in dem Kriege gegen die Lutheraner: und fuͤhrte das kai-
ſerliche Heer vor Siena an 1). Eben ſo klug wie verwe-
2)
[316]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
gen, gluͤcklich in allen ſeinen Unternehmungen, ohne Erbar-
men: wie manchen Bauer, der Lebensmittel nach Siena
ſchaffen wollte, hat er ſelbſt mit ſeinem eiſernen Stab er-
ſchlagen: es war weit und breit kein Baum, an dem er
nicht Einen hatte aufhaͤngen laſſen: man zaͤhlte 5000, die
er umbringen ließ. Er eroberte Siena und gruͤndete ein
angeſehenes Haus.


Mit ihm war nun auch ſein Bruder Johann Angelo
emporgekommen. Er wurde Doctor und erwarb ſich Ruf
als Juriſt: dann kaufte er ſich zu Rom ein Amt: er ge-
noß bereits das Vertrauen Pauls III., als der Marcheſe
eine Orſina heurathete, die Schweſter der Gemahlin Peter
Ludwig Farneſe’s 1). Hierauf wurde er Cardinal. Seit-
dem finden wir ihn mit der Verwaltung paͤpſtlicher Staͤdte,
der Leitung politiſcher Unterhandlungen, mehr als einmal
mit dem Commiſſariat paͤpſtlicher Heere beauftragt. Er
zeigte ſich gewandt, klug und gutmuͤthig. Nur Paul IV.
konnte ihn nicht leiden, und fuhr einſt in dem Conſiſto-
rium heftig auf ihn los. Medici hielt es fuͤr das Beſte,
Rom zu verlaſſen. Bald in den Baͤdern zu Piſa, bald
in Mailand, wo er viel baute, hatte er ſich durch litera-
riſche Beſchaͤftigungen und eine glaͤnzende Wohlthaͤtigkeit,
[317]PiusIV.
die ihm den Namen eines Vaters der Armen verſchaffte,
ſein Exil zu erleichtern gewußt. Vielleicht, daß grade der
Gegenſatz, in dem er ſich zu Paul IV. befunden, jetzt das
Meiſte zu ſeiner Wahl beitrug.


Auffallender als ſonſt war dieſer Gegenſatz.


Paul IV., ein vornehmer Neapolitaner von der anti-
oͤſtreichiſchen Faction, zelotiſch, Moͤnch und Inquiſitor:
Pius IV., ein mailaͤndiſcher Emporkoͤmmling, durch ſeinen
Bruder und einige deutſche Verwandte enge an das Haus
Oeſtreich geknuͤpft, Juriſt, lebensluſtig und weltlich geſinnt.
Paul IV. hatte ſich unzugaͤnglich gehalten: in ſeiner ge-
ringſten Handlung wollte er Wuͤrde und Majeſtaͤt zeigen:
Pius war lauter Guͤte und Herablaſſung. Taͤglich ſah
man ihn zu Pferde oder zu Fuß auf der Straße, faſt ohne
Begleitung: er redete leutſelig mit Jedermann. Wir ler-
nen ihn aus den venezianiſchen Depeſchen kennen 1). Die
Geſandten treffen ihn, indem er in einem kuͤhlen Saale
ſchreibt und arbeitet: er ſteht auf und geht mit ihnen auf
und ab: oder indem er ſich nach dem Belvedere begeben
will: er ſetzt ſich, ohne den Stock aus der Hand zu le-
gen, hoͤrt ihr Vorbringen ohne Weiteres an: und macht
dann in ihrer Begleitung ſeinen Weg. Geht er nun mit
ihnen vertraulich um, ſo wuͤnſcht auch er mit Gewandt-
heit und Ruͤckſicht behandelt zu ſeyn. Die geſchickte Aus-
kunft, die ihm zuweilen die Venezianer vorſchlagen, macht
ihm Vergnuͤgen: laͤchelnd lobt er ſie: ſo gut oͤſtreichiſch er
geſinnt iſt, ſo verdrießen ihn doch die unbeugſamen und ge-
[318]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
bieteriſchen Manieren des ſpaniſchen Botſchafters Vargas.
Ungern laͤßt er ſich mit Einzelnheiten uͤberhaͤufen: ſie ermuͤ-
den ihn leicht: aber wenn man bei dem Allgemeinen, dem
Wichtigen ſtehen bleibt, findet man ihn immer wohlgelaunt
und leicht zu behandeln. Er ergießt ſich dann in tauſend
traulichen Verſicherungen, wie er die Boͤſen von Herzen
haſſe, von Natur die Gerechtigkeit liebe, Niemanden in
ſeiner Freiheit verletzen, Jedermann Guͤte und Freundlich-
keit beweiſen wolle: beſonders aber denke er fuͤr die Kirche
aus allen ſeinen Kraͤften zu wirken: er hoffe zu Gott, er
werde etwas Gutes vollbringen. Man wird ſich ihn leb-
haft vergegenwaͤrtigen koͤnnen, einen wohlbeleibten alten
Mann, der indeß noch ruͤhrig genug iſt, um vor Sonnen-
aufgang auf ſeinem Landhauſe anzukommen, mit heiterem
Geſicht und munterem Auge: Geſpraͤch, Tafel und Scherz
vergnuͤgen ihn; von einer Krankheit wieder hergeſtellt, die
man fuͤr gefaͤhrlich gehalten hat, ſetzt er ſich ſogleich zu
Pferde, reitet nach der Behauſung, die er als Cardinal be-
wohnte, ſchreitet ruͤſtig Treppe auf Treppe ab: nein, nein!
ruft er, wir wollen noch nicht ſterben.


War nun aber auch ein ſolcher Papſt, ſo lebensluſtig
und weltlichgeſinnt, dazu geeignet, die Kirche in der ſchwie-
rigen Lage, in der ſie ſich befand, zu verwalten? Mußte
man nicht fuͤrchten, er werde von der kaum in den letzten
Zeiten ſeines Vorgaͤngers eingeſchlagenen Richtung wieder
abweichen? Seine Natur, ich will es nicht leugnen, mag
dahin geneigt haben, doch geſchah es nicht.


Er fuͤr ſeine Perſon hatte kein Wohlgefallen an der
Inquiſition; er tadelte die moͤnchiſche Haͤrte des Verfah-
[319]PiusIV.
rens: ſelten oder nie beſuchte er die Congregation; aber
ſie anzutaſten wagte er auch nicht: er erklaͤrte, er verſtehe
nichts davon: er ſey nicht einmal Theologe: er ließ ihr die
ganze Gewalt, die ſie unter Paul IV. bekommen 1).


An den Nepoten dieſes Papſtes ſtatuirte er ein furcht-
bares Exempel. Die Exceſſe, die der Herzog von Palliano
auch nach ſeinem Falle beging, — er brachte aus Eifer-
ſucht ſeine eigene Frau um — machte den Feinden der Ca-
raffen, die nach Rache duͤrſteten, leichtes Spiel. Es ward
ein peinlicher Proceß gegen ſie eingeleitet: der abſcheulich-
ſten Verbrechen, Raͤubereien, Mordthaten, Verfaͤlſchungen
und uͤberdieß einer ſehr eigenmaͤchtigen Staatsverwaltung,
fortwaͤhrenden Betrugs jenes armen alten Pauls IV. wurden
ſie angeklagt. Wir haben ihre Verantwortung: ſie iſt gar nicht
ohne Schein von Rechtfertigung abgefaßt 2). Aber ihre
Anklaͤger behielten das Uebergewicht. Nachdem der Papſt ſich
eines Tages von fruͤh bis gegen Abend, in dem Conſiſtorium
die Acten hatte vorleſen laſſen, ſprach er das Todesurtheil
[320]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
uͤber ſie: den Cardinal, den Herzog von Palliano und zwei
ihrer naͤchſten Verwandten, den Grafen Aliffe und Leonardo
di Cardine. Montebello und einige Andere waren entflo-
hen. Der Cardinal hatte vielleicht Verweiſung, niemals
hatte er die Todesſtrafe erwartet. Als ſie ihm angekuͤn-
digt wurde — eines Morgens, er lag noch zu Bett — als
ihm jeder Zweifel benommen war, verhuͤllte er ſich einige
Augenblicke iu die Decke: dann, indem er ſich erhob, ſchlug
er die Haͤnde zuſammen und rief jenes ſchmerzliche Wort
aus, das man in Italien in verzweifelten Faͤllen hoͤrt:
Wohlan! Geduld! Man geſtattete ihm ſeinen gewohnten
Beichtvater nicht: dem, welchen man ſchickte, hatte er, wie
ſich leicht begreift, viel zu ſagen: und es dauerte etwas
lange. „Monſignore, macht ein Ende,“ rief der Polizei-
beamte: „wir haben noch andere Geſchaͤfte.“


So kamen dieſe Nepoten um. Es ſind die letzten,
die nach unabhaͤngigen Fuͤrſtenthuͤmern getrachtet: und um
politiſcher Zwecke willen große Weltbewegungen hervor-
gerufen haben. — Seit Sixtus IV. begegnen wir ihnen.
Hieronymo Riario, Ceſar Borgia, Lorenzo Medici, Pier-
luigi Farneſe; — die Caraffas ſind die letzten. Es haben
ſich ſpaͤter andere Nepotenfamilien gebildet, doch in einem
ganz anderen Sinne. In dem bisherigen hat es keine wei-
ter gegeben.


Wie haͤtte auch namentlich Pius IV. nach einer ſo
gewaltſamen Execution daran denken koͤnnen, den ſeinigen
eine Gewalt zu verſtatten, wie die geweſen, die er an den
Caraffen ſo unerbittlich heimgeſucht hatte? Ohnehin, als
ein von Natur lebhaft regſamer Mann, wollte er ſelber re-
gie-
[321]PiusIV.
gieren: die wichtigen Geſchaͤfte entſchied er nur nach eige-
nem Ermeſſen: an ihm tadelte man eher, daß er ſich zu
wenig nach fremdem Beiſtand umſehe. Dazu kam, daß von
ſeinen Neffen derjenige, welchen er zu befoͤrdern haͤtte in
Verſuchung kommen koͤnnen, Friedrich Borromeo, in fruͤhen
Jahren hinſtarb. Der andere, Carl Borromeo, war kein
Mann fuͤr weltliche Erhebung: er haͤtte ſie niemals ange-
nommen. Carl Borromeo ſah ſeine Stellung zu dem Papſt,
das Verhaͤltniß in das er hierdurch zu den wichtigſten
Geſchaͤften kam, nicht mehr als ein Recht an, ſich etwas
zu erlauben, ſondern als eine Pflicht, der er ſich mit aller
Sorgfalt zu widmen habe. Mit eben ſo viel Beſcheiden-
heit als Ausdauer that er dieß; er gab ſeine Audienzen
unermuͤdlich: ſorgfaͤltig widmete er ſich der Verwaltung des
Staates; er iſt dadurch fuͤr dieſelbe wichtig, daß er ſich
ein Collegium von acht Doctoren bildete, aus dem ſpaͤter
die Conſulta geworden iſt: dann aſſiſtirte er dem Papſt.
Es iſt derſelbe, den man ſpaͤter heilig geſprochen. Gleich
damals zeigte er ſich edel und unbeſcholten. „Man weiß
nicht anders,“ ſagt Hieronymo Soranzo von ihm, „als
daß er rein von jedem Flecken iſt; er lebt ſo religioͤs und
giebt ein ſo gutes Beiſpiel, daß er den Beſten nichts zu
wuͤnſchen uͤbrig laͤßt. Zu großem Lobe gereicht es ihm, daß
er in der Bluͤthe der Jahre, Nepote eines Papſtes und im
vollkommenen Beſitze der Gunſt deſſelben, an einem Hofe,
wo er ſich jede Art von Vergnuͤgen verſchaffen koͤnnte, ein
ſo exemplariſches Leben fuͤhrt.“ Seine Erholung war, Abends
einige Gelehrte bei ſich zu ſehen. Die Unterhaltung fing
mit profaner Literatur an, aber von Epiktet und den Stoi-
21
[322]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
kern, die Borromeo, der noch jung war, nicht verſchmaͤhte,
ging man doch ſehr bald auch in dieſen Stunden der Muße
zu kirchlichen Fragen uͤber 1). Tadelte man etwas an
ihm, ſo war es nicht ſein guter Wille, ſein Fleiß: ſon-
dern nur etwa ſein Talent; oder ſeine Diener klagten, daß
ſie die reichlichen Gunſtbezeugungen entbehren muͤßten, wie
ſie von fruͤheren Nepoten ausgegangen.


Und ſo erſetzten die Eigenſchaften des Neffen, was die
Strenggeſinnten an dem Oheim haͤtten vermiſſen koͤnnen.
Auf jeden Fall blieb man ganz auf dem eingeſchlagenen
Wege: geiſtliche und weltliche Geſchaͤfte wurden mit Eifer
und nach den Ruͤckſichten der Kirche vollzogen, die Re-
formen fortgeſetzt. Der Papſt ermahnte oͤffentlich die Bi-
ſchoͤfe zur Reſidenz, und Einige ſah man unverzuͤglich ihm
den Fuß kuͤſſen und ſich beurlauben. In den einmal zur
Herrſchaft gekommenen allgemeinen Ideen liegt eine noͤthi-
gende Gewalt. Die ernſten Tendenzen kirchlicher Geſin-
nung hatten in Rom das Uebergewicht bekommen und lie-
ßen ſelbſt in dem Papſte keine Abweichung weiter zu.


War nun aber die weltlichere Richtung dieſes Pap-
ſtes der Reſtauration eines ſtrengen geiſtlichen Weſens nicht
nachtheilig, ſo duͤrfen wir hinzufuͤgen, daß ſie auf einer
andern Seite zur Beilegung der in der katholiſchen Welt
aufgeregten Entzweiungen ſogar unendlich viel beitragen
mußte.


Paul IV. hatte gemeint, es ſey mit die Beſtimmung
eines Papſtes, Kaiſer und Koͤnige zu unterwerfen: deshalb
[323]PiusIV.
hatte er ſich in ſo viel Kriege und Feindſeligkeiten geſtuͤrzt.
Pius ſah den Fehler um ſo beſſer ein, weil ein Vorgaͤn-
ger ihn begangen, mit dem er ſich ohnedieß in Wider-
ſpruch fuͤhlte. „Damit haben wir England verloren,“ rief
er aus, „das wir noch haͤtten erhalten koͤnnen, wenn man
Cardinal Poole beſſer unterſtuͤtzt haͤtte; dadurch iſt auch
Schottland verloren gegangen; waͤhrend des Krieges ſind
die deutſchen Lehren in Frankreich eingedrungen.“ Er da-
gegen wuͤnſcht vor allem den Frieden. Selbſt einen Krieg
mit den Proteſtanten mag er nicht; den Geſandten von
Savoyen, der ihn um Unterſtuͤtzung zu einem Angriff auf
Genf erſucht, unterbricht er oft, „was es denn fuͤr Zeiten
ſeyen, um ihm ſolche Vorſchlaͤge zu machen? er beduͤrfe
nichts ſo ſehr wie den Frieden“ 1). Er moͤchte gern mit
Jedermann gut ſtehen. Leicht gewaͤhrt er ſeine kirchlichen
Gnaden, und wenn er etwas abzuſchlagen hat, thut er es
geſchickt, beſcheiden. Er iſt uͤberzeugt, und ſpricht es aus,
daß ſich die Macht des Papſtes ohne die Autoritaͤt der
Fuͤrſten nicht laͤnger halten koͤnne.


Die letzten Zeiten Pauls IV. waren damit bezeichnet,
daß die ganze katholiſche Welt aufs neue das Concilium
forderte. Es iſt gewiß, daß ſich Pius IV. nur mit gro-
ßer Schwierigkeit dieſer Forderung wuͤrde haben entziehen
koͤnnen. Den Krieg konnte er nicht mehr vorſchuͤtzen wie
21*
[324]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſeine Vorfahren: endlich war Friede in ganz Europa. Es
war ſogar fuͤr ihn ſelbſt dringend, da die Franzoſen ein
Nationalconcilium zu verſammeln drohten, was leicht ein
Schisma nach ſich ziehen konnte. Die Wahrheit zu ſagen,
finde ich aber, daß er uͤberdieß auch allen guten Willen
dazu hatte. Man hoͤre, wie er ſich ausdruͤckt. „Wir wol-
len das Concilium,“ ſagt er, „wir wollen es gewiß, wir
wollen es allgemein. Wollten wir es nicht, ſo koͤnnten
wir die Welt Jahrelang mit den Schwierigkeiten hinhal-
ten, aber vielmehr ſuchen wir ſolche wegzuraͤumen. Es
ſoll reformiren was zu reformiren iſt: auch an unſerer Per-
ſon, in unſeren eigenen Sachen. Haben wir etwas an-
dres im Sinn, als Gott zu dienen, ſo mag Gott uns
zuͤchtigen.“ Oft ſcheint es ihm, als werde er von den Fuͤr-
ſten zu einem ſo großen Vorhaben nicht ſattſam unterſtuͤtzt.
Eines Morgens trifft ihn der venezianiſche Geſandte im
Bett, vom Podagra gelaͤhmt; er findet ihn voll von ſei-
nen Gedanken. „Wir haben gute Abſicht,“ ruft er aus,
„aber wir ſind allein.“ „Es kam mich ein Mitleid
an,“ ſpricht der Geſandte, „ihn in dem Bette zu ſehen
und ſagen zu hoͤren: wir ſind allein fuͤr eine ſo große
Laſt.“ Indeſſen ſetzte er die Sache doch ins Werk. Am
18. Januar 1562 waren ſo viel Biſchoͤfe und Abgeord-
nete in Trient beiſammen, daß man das zwei Mal unter-
brochene Concilium zum dritten Mal beginnen konnte. Der
Papſt hatte daran den groͤßten Antheil. „Gewiß,“ ſagt
Girolamo Soranzo, der ſonſt ſeine Partei nicht nimmt, „Seine
Heiligkeit hat hierbei alle den Eifer bewieſen, der ſich von
[325]PiusIV.
einem ſo großen Oberhirten erwarten ließ; ſie hat nichts
unterlaſſen, was zu einem ſo heiligen und nothwendigen
Werke beitragen konnte.“


Die ſpaͤteren Sitzungen des Conciliums von Trient.


Wie ſo ganz veraͤndert war die Lage der Welt ſeit
der erſten Berufung dieſes Conciliums. Jetzt hatte der
Papſt nicht mehr zu fuͤrchten, daß es ein maͤchtiger Kai-
ſer benutzen werde, um ſich zum Herrn des Papſtthums
zu machen. Ferdinand I. hatte keinerlei Gewalt in Ita-
lien. Auch war eine ernſtliche Irrung uͤber weſentliche
Punkte des Dogmas nicht mehr zu beſorgen 1). Wie es
ſich in den erſten Sitzungen feſtgeſtellt hatte, war es, ob-
wohl noch nicht voͤllig entwickelt, bereits uͤber einen gro-
ßen Theil der katholiſchen Welt herrſchend geworden. An
eine eigentliche Wiedervereinigung der Proteſtanten war
nicht mehr ernſtlich zu denken. In Deutſchland hatten ſie
eine gewaltige, nicht mehr anzugreifende Stellung einge-
nommen; im Norden war ihre kirchliche Tendenz mit der
Staatsgewalt ſelbſt verſchmolzen; das Nemliche ſetzte ſich
[326]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſo eben in England ins Werk. Indem der Papſt erklaͤrte,
das neue Concilium ſey nur eine Fortſetzung des fruͤheren,
und die Stimmen, die ſich hiewider erhoben, endlich zum
Schweigen brachte, gab er alle Hoffnung hiezu ſelber auf.
Wie ſollten die freien Proteſtanten ſich an ein Concilium
anſchließen, durch deſſen fruͤhere Beſchluͤſſe die wichtigſten
Artikel ihres Glaubens bereits verdammt worden 1)? Hier-
durch ward von vorn herein die Wirkſamkeit des Conciliums
auf den ſo unendlich verengten Umkreis der katholiſchen Na-
tionen beſchraͤnkt. Seine Abſicht konnte hauptſaͤchlich nur
dahin gehen, die zwiſchen dieſen und der hoͤchſten kirchli-
chen Gewalt hervorgetretenen Entzweiungen beizulegen, das
Dogma in einigen noch nicht beſtimmten Punkten weiter
zu bilden, vor allem die angefangene innere Reform zu
vollenden, und allgemein guͤltige disciplinariſche Vorſchrif-
ten zu geben.


Allein auch dieß zeigte ſich uͤberaus ſchwer; unter den
verſammelten Vaͤtern traten gar bald die lebhafteſten Strei-
tigkeiten ein.


Die Spanier brachten die Frage in Anregung, ob die
Reſidenz der Biſchoͤfe in ihren Dioͤceſen goͤttlichen Rechts
ſey, oder auf menſchlicher Anordnung beruhe. Es koͤnnte
dieß ein muͤßiger Streit zu ſeyn ſcheinen, da man von al-
[327]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
len Seiten die Reſidenz fuͤr nothwendig hielt. Allein die
Spanier behaupteten im Allgemeinen, die biſchoͤfliche Gewalt
ſey kein Ausfluß der paͤpſtlichen, wofuͤr man ſie in Rom
erklaͤren wollte, ſondern ihr Urſprung beruhe unmittelbar auf
einer goͤttlichen Veranſtaltung. Hiermit trafen ſie den Nerv
des geſammten Kirchenweſens. Die Unabhaͤngigkeit der un-
teren Kirchengewalten, die von den Paͤpſten ſo ſorgfaͤltig
niedergehalten worden, haͤtte durch die Entwickelung die-
ſes Grundſatzes wiederhergeſtellt werden muͤſſen.


Waͤhrend man hieruͤber bereits in lebhaften Streitig-
keiten war, kamen die kaiſerlichen Geſandten an. Ueber-
aus merkwuͤrdig ſind die Artikel, welche ſie eingaben. „Es
moͤge,“ lautet einer, „auch der Papſt ſich nach Chriſti Bei-
ſpiel erniedrigen, und ſich eine Reform in Hinſicht ſeiner
Perſon, ſeines Staates und ſeiner Curie gefallen laſſen.
Das Concilium muͤſſe ſowohl die Ernennung der Cardi-
naͤle als das Conclave reformiren.“ Ferdinand pflegte zu
ſagen: „da die Cardinaͤle nicht gut ſind, wie wollen ſie
einen guten Papſt waͤhlen?“ Fuͤr die Reform, die er be-
abſichtigte, wuͤnſchte er den Entwurf des Concils zu Coſt-
nitz, der dort nicht zur Ausfuͤhrung gekommen, zu Grunde
gelegt zu ſehen. Die Beſchluͤſſe ſollten durch Deputationen
aus den verſchiedenen Nationen vorbereitet werden. Aber
uͤberdieß forderte er die Erlaubniß des Kelches und der Prie-
ſterehe, fuͤr einige ſeiner Unterthanen Nachlaß der Faſten,
die Errichtung von Schulen fuͤr die Armen, die Reini-
gung der Breviere, Legenden und Poſtillen, verſtaͤndlichere
Catechismen, deutſche Kirchengeſaͤnge, eine Reform der
Kloͤſter, auch darum, „damit ihre großen Reichthuͤmer nicht
[328]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſo ruchlos angewendet werden moͤchten“ 1). Hoͤchſt wich-
tige, auf eine durchgreifende Umgeſtaltung des Kirchenwe-
ſens zielende Antraͤge! In wiederholten Briefen drang der
Kaiſer auf ihre Eroͤrterung.


Endlich erſchien auch der Cardinal von Lothringen mit
den franzoͤſiſchen Praͤlaten. Er ſchloß ſich im Ganzen den
deutſchen Vorſchlaͤgen an. Hauptſaͤchlich forderte er die Ge-
waͤhrung des Laienkelchs, die Adminiſtration der Sacra-
mente in der Mutterſprache, Unterricht und Predigt bei der
Meſſe, die Erlaubniß, in voller Kirche die Pſalmen in
franzoͤſiſcher Sprache zu ſingen, — alles Dinge, von de-
nen man ſich dort den groͤßten Erfolg verſprach. „Wir
haben die Gewißheit,“ ſagt der Koͤnig, „daß die Gewaͤh-
rung des Laienkelchs viele beunruhigte Gewiſſen ſtillen,
ganze Provinzen, die ſich von der katholiſchen Kirche abge-
ſondert, mit derſelben vereinigen, und eins der beſten Mit-
tel ſeyn werde, die Unruhen in unſerem Reiche beizulegen 2).“
Allein uͤberdieß ſuchten die Franzoſen die Baſeler Beſchluͤſſe
[329]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
wieder hervor; ſie behaupteten offen, ein Concilium ſey
uͤber den Papſt.


Nun waren zwar die Spanier mit den Forderungen der
Deutſchen und der Franzoſen nicht einverſtanden; — Laien-
kelch und Prieſterweihe verdammten ſie auf das lebhafteſte;
und wenigſtens auf dem Concilium konnte es zu keinem
Zugeſtaͤndniß in dieſer Hinſicht gebracht werden: nur die
Heimſtellung der Erlaubniß an den Papſt wurde durchgeſetzt;
— aber es gab Punkte, in denen ſich die drei Nationen zu-
ſammen den Anſpruͤchen der Curie entgegenſtellten. Sie
fanden es unertraͤglich, daß die Legaten allein das Recht
haben ſollten, Vorſchlaͤge zu machen. Daß dieſe Legaten
aber außerdem uͤber jeden Beſchluß, der zu faſſen war, erſt
das Gutachten des Papſtes einholten, ſchien ihnen eine Be-
ſchimpfung der Wuͤrde eines Conciliums. Auf dieſe Weiſe,
meinte der Kaiſer, gebe es eigentlich zwei Concilien: das
eine in Trient, das andere, wahrere, zu Rom.


Haͤtte man bei dieſem Zuſtande der Meinungen nach
Nationen geſtimmt, zu wie ſonderbaren auffallenden Be-
ſchluͤſſen muͤßte es gekommen ſeyn!


Da dieß nicht geſchah, blieben die drei Nationen,
auch zuſammengenommen, immer in der Minoritaͤt. Bei
weitem zahlreicher waren die Italiener, die denn nach ih-
rer Gewohnheit die Meinung der Curie, von der ſie groͤß-
tentheils abhingen, ohne viel Bedenken verfochten. Es
entſtand eine große gegenſeitige Erbitterung. Die Franzo-
ſen brachten den Scherz auf, der heilige Geiſt komme im
Felleiſen nach Trient. Die Italiener redeten von ſpani-
ſchem Ausſatz, von franzoͤſiſchen Krankheiten, mit denen die
[330]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Rechtglaͤubigen nach einander heimgeſucht wuͤrden. Wie
der Biſchof von Cadiz ſich vernehmen ließ, es habe be-
ruͤhmte Biſchoͤfe, es habe Kirchenvaͤter gegeben, die kein
Papſt geſetzt, ſchrien die Italiener laut auf: ſie forderten
ſeine Entfernung, ſie ſprachen von Anathema und Ketze-
rei. Die Spanier gaben ihnen die Ketzerei zuruͤck 1). Zu-
weilen ſammelten ſich verſchiedene Haufen unter dem Ge-
ſchrei: Spanien, Italien, auf den Straßen und an der
Staͤtte des Friedens ſah man Blut fließen.


War es da zu verwundern, wenn man es einmal
zehn Monate lang zu keiner Seſſion brachte, wenn der erſte
Legat dem Papſte widerrieth, nach Bologna zu kommen,
denn was werde man ſagen, wofern auch dann das Conci-
lium nicht zu einem regelmaͤßigen Schluß gelange, ſondern
aufgeloͤſt werden muͤſſe 2)? Jedoch auch eine Aufloͤſung,
eine Suspenſion, nur eine Translation, an die man oͤf-
ters dachte, waͤre hoͤchſt gefaͤhrlich geweſen. In Rom er-
wartete man nichts als Unheil. Man fand, daß ein Con-
cilium fuͤr den geſchwaͤchten Leib der Kirche eine allzuſtarke
Medizin ſey, daß es dieſe und Italien vollends ruiniren
werde. „Wenige Tage vor meiner Abreiſe, im Anfang des
Jahres 1563,“ erzaͤhlt Girolamo Soranzo, „ſagte mir
[331]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
Cardinal Carpi, Decan des Collegiums und ein wahrhaft
einſichtsvoller Mann, daß er in ſeiner letzten Krankheit Gott
gebeten habe, ihm die Gnade des Todes angedeihen, ihn
nicht den Untergang und die Beerdigung von Rom erleben
zu laſſen. Auch alle andere angeſehene Cardinaͤle beklagen
unaufhoͤrlich ihr Mißgeſchick: ſie ſehen deutlich ein, daß
es keine Rettung fuͤr ſie giebt, wofern nicht die heilige
Hand Gottes ſich ihrer beſonders annimmt“ 1). Alle Uebel,
von denen ſich jemals andere Paͤpſte durch ein Concilium
bedroht geglaubt, fuͤrchtete Pius IV. uͤber ſich hereinbre-
chen zu ſehen.


Es iſt eine erhabene Idee, daß es in ſchwierigen Zei-
ten und lebhaften Irrungen der Kirche vor allem eine
Verſammlung ihrer Oberhirten ſey, die denſelben abhel-
fen koͤnne. „Ohne Anmaßung und Neid, in heiliger Nie-
drigkeit, im katholiſchen Frieden,“ ſagt Auguſtinus, „be-
rathſchlage eine ſolche; nach weiterentwickelter Erfahrung er-
oͤffne ſie, was verſchloſſen und bringe an Tag, was verbor-
gen war.“ Allein ſchon in den fruͤheſten Zeiten war man
weit entfernt, dieß Ideal zu erreichen. Es haͤtte eine Rein-
heit der Geſinnung, eine Unabhaͤngigkeit von fremdartigen
Einwirkungen dazu gehoͤrt, die dem Menſchen nicht verlie-
[332]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
hen zu ſeyn ſcheint. Wie viel minder aber war es jetzt zu
erreichen, da die Kirche in ſo unzaͤhlige, wider einander
laufende Verhaͤltniſſe mit dem Staat verflochten war.
Wenn die Concilien deſſenungeachtet immer in großem An-
ſehn blieben, und ſo oft, ſo dringend gefordert wurden, ſo
kam das am meiſten von der Nothwendigkeit her, der Gewalt
der Paͤpſte einen Zuͤgel anzulegen. Jetzt aber ſchien ſich
zu bewaͤhren, was dieſe immer geſagt, daß eine Kirchen-
verſammlung in Zeiten großer Verwirrung viel eher geeig-
net ſey, dieſe zu vermehren, als ſie zu heben. Alle Italie-
ner nahmen an den Befuͤrchtungen der Curie Antheil. „Ent-
weder,“ ſagten ſie, „wird das Concilium fortgeſetzt, oder es
wird aufgeloͤſt werden. In jenem Fall, zumal wenn der
Papſt indeß mit Tode abgehen ſollte, werden die Ultra-
montanen das Conclave nach ihrer Abſicht, zum Nachtheil
von Italien einrichten; ſie werden den Papſt dahin be-
ſchraͤnken wollen, daß er nicht viel mehr bleibt, als einfa-
cher Biſchof von Rom; unter dem Titel einer Reform wer-
den ſie die Aemter und die ganze Curie ruiniren. Sollte
es dagegen aufgeloͤſt werden, ohne guten Erfolg, ſo wuͤrden
auch die Glaͤubigen ein großes Aergerniß daran nehmen,
und die Zweifelhaften in außerordentliche Gefahr gerathen,
ganz verloren zu gehen.“


Betrachtete man die Lage der Dinge, ſo mußte es unmoͤg-
lich ſcheinen, in dem Concilium ſelbſt eine Aenderung der
herrſchenden Stimmung hervorzurufen. Den Legaten, die der
Papſt leitete, den Italienern, die von ihm abhingen, ſtanden
die Praͤlaten der andern Nationen gegenuͤber, die ſich ihrerſeits
wieder an die Geſandten ihrer Fuͤrſten hielten. Da war
[333]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
an keine Ausſoͤhnung, an keine vermittelnde Abkunft zu den-
ken. Noch im Februar 1563 ſchienen die Sachen verzwei-
felt zu ſtehen: alles war in Hader: jede Partei hielt hart-
naͤckig ihre Meinungen [fest].


So wie man aber einmal die Lage der Dinge rein wie
ſie war ins Auge faßte, ſo zeigte ſich auch eine Moͤglich-
keit, aus dieſem Labyrinth zu entkommen.


In Trient trafen und bekaͤmpften ſich nur die Mei-
nungen: ihren Urſprung hatten ſie zu Rom und bei den
verſchiedenen Fuͤrſten. Wollte man die Mißhelligkeiten he-
ben, ſo mußte man ſie an ihren Quellen aufſuchen. Wenn
Pius IV. ſchon ſonſt geſagt, das Papſtthum koͤnne ſich
ohne eine Vereinigung mit den Fuͤrſten nicht mehr halten,
ſo war jetzt der Moment, dieſe Maxime in Ausfuͤhrung
zu bringen. Er hatte einmal den Gedanken, ſich die For-
derungen der Hoͤfe einreichen zu laſſen, und ſie ohne das
Concilium zu erfuͤllen. Aber es waͤre eine halbe Maaßre-
gel geweſen. Die Aufgabe war, im Einverſtaͤndniß mit
den groͤßeren Maͤchten das Concilium zu Ende zu bringen:
ein anderes Mittel gab es nicht.


Paul IV. entſchloß ſich es zu verſuchen. Sein ge-
ſchickteſter ſtaatskundigſter Cardinal, Morone, ſtand ihm
darin zur Seite.


Zunaͤchſt kam es auf Kaiſer Ferdinand an: an wel-
chen ſich die Franzoſen, wie geſagt, anſchloſſen: auf den
auch Philipp II., als auf ſeinen Oheim, nicht wenig Ruͤck-
ſicht nahm.


Morone, vor Kurzem zum Praͤſidenten des Conci-
liums ernannt, aber ſofort uͤberzeugt, daß ſich in Trient
[334]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
nichts ausrichten laſſe, begab ſich im April 1563, ohne
die Begleitung eines einzigen andern Praͤlaten, zu ihm her-
uͤber nach Inſpruck. Er fand ihn unmuthig, mißvergnuͤgt,
gekraͤnkt: uͤberzeugt, daß man zu Rom keine ernſtlichen
Verbeſſerungen wolle, entſchloſſen, dem Concilium zuerſt
ſeine Freiheit zu verſchaffen 1).


Es ward eine außerordentliche, in unſern Zeiten wuͤrde
man ſagen diplomatiſche Geſchicklichkeit des Legaten erfordert,
um nur zuerſt den aufgebrachten Fuͤrſten zu beguͤtigen 2).


Ferdinand war verſtimmt, weil man ſeine Reforma-
tionsartikel hintangeſetzt und niemals zu wirklichem Vor-
trag gebracht habe. Der Legat wußte ihn zu uͤberzeugen,
daß man es aus nicht ganz verwerflichen Gruͤnden bedenk-
lich gefunden, ſie in aller Form zu berathen, aber nichts-
deſtominder den wichtigſten Theil ihres Inhalts vorgenom-
men und ſogar bereits beſchloſſen hatte. Der Kaiſer be-
klagte ſich ferner, daß man das Concilium von Rom aus
leite und die Legaten durch Inſtructionen regiere: Morone
bemerkte dagegen, was nicht zu laͤugnen war, daß auch
die fuͤrſtlichen Geſandten von Hauſe inſtruirt und ſtets mit
neuen Anweiſungen verſehen wuͤrden.


[335]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.

In der That kam Morone — der ohnehin ſchon lange
das Vertrauen des Hauſes Oeſtreich genoß — uͤber dieſe
empfindlichſten Stellen gluͤcklich hinweg: er beſchwichtigte
die unguͤnſtigen perſoͤnlichen Eindruͤcke, die der Kaiſer
empfangen, und machte ſich nun daran, uͤber diejenigen
Streitpunkte, welche die großen Zerwuͤrfniſſe in Trient
veranlaßt hatten, eine wechſelſeitige Uebereinkunft zu ver-
ſuchen. In den weſentlichen Dingen nachzugeben, die Au-
toritaͤt des Papſtes ſchwaͤchen zu laſſen, war nicht ſeine
Meinung: „es kam darauf an,“ ſagt er ſelbſt, „ſolche
Beſtimmungen zu treffen, daß der Kaiſer glauben konnte,
Genugthuung empfangen zu haben, ohne daß man doch
der Autoritaͤt des Papſtes oder der Legaten zu nahe getre-
ten waͤre“ 1).


Der erſte von dieſen Punkten war die ausſchließende
Initiative der Legaten, von der man immer behauptet, ſie
laufe den Freiheiten eines Conciliums entgegen. Morone
bemerkte, daß es nicht im Intereſſe des Fuͤrſten ſey, allen
Praͤlaten die Initiative zu gewaͤhren. Es konnte ihm nicht
ſehr ſchwer werden, den Kaiſer davon zu uͤberzeugen. Es war
leicht zu ſehen, daß die Biſchoͤfe im Beſitze dieſes Rechtes
gar bald auch Vorſchlaͤge in einem den bisherigen Anſpruͤ-
chen und Rechten des Staates entgegenlaufenden Sinne
machen wuͤrden. Augenſcheinlich war, welche Verwirrung
aus einem ſolchen Zugeſtaͤndniß entſtehen mußte. Den-
[336]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
noch wollte man auch den Wuͤnſchen der Fuͤrſten einigerma-
ßen entgegenkommen, und es iſt merkwuͤrdig, welche Auskunft
man traf. Morone verſprach alles in Vorſchlag zu brin-
gen, was die Geſandten ihm zu dieſem Zwecke vorlegen
wuͤrden. Thaͤte er es nicht, alsdann ſolle ihnen ſelber das
Recht zuſtehen, den Antrag zu machen. Eine Vermittelung,
die den Geiſt bezeichnet, der allmaͤhlig in dem Concilium
zu herrſchen anfing. Die Legaten geben einen Fall zu, in
welchem ſie ſich der ausſchließenden Initiative entaͤußern
wollen, aber nicht ſowohl zu Gunſten der Vaͤter des Con-
ciliums, als zu Gunſten der Geſandten 1). Es erfolgt
daraus, daß nur die Fuͤrſten in einen Theil der Rechte
treten, die der Papſt ſich uͤbrigens vorbehaͤlt.


Ein zweiter Punkt war die Forderung, die Deputa-
tionen, welche die Beſchluͤſſe vorbereiten, nach den verſchie-
denen Nationen zuſammentreten zu laſſen. Morone be-
merkte, daß es ſchon immer geſchehen, daß aber, weil es
der Kaiſer wuͤnſche, nun noch genauer daruͤber gehalten
werden ſolle.


Man kam auf den dritten Streitpunkt: die Reform.
Ferdinand gab endlich zu: daß der Ausdruck einer Refor-
ma-
[337]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
mation des Hauptes, auch die alte ſorboniſche Frage, ob
das Concilium uͤber dem Papſt ſtehe oder nicht, vermie-
den werden ſolle, aber dafuͤr verſprach Morone eine wahrhaft
durchgreifende Reform in allen andern Stuͤcken. Der Ent-
wurf, den man hierzu machte, betraf ſelbſt das Conclave.


Wie man erſt dieſe Hauptſache erledigt, ſo vereinigte
man ſich leicht uͤber die Nebendinge. Der Kaiſer ließ von
vielen ſeiner Forderungen ab und gab ſeinen Geſandten den
Auftrag, vor allem mit den paͤpſtlichen Legaten ein gutes
Vernehmen aufrecht zu erhalten. Nach wohlausgerichteten
Dingen kehrte Morone uͤber die Alpen zuruͤck. „Als man
in Trient,“ ſagt er ſelbſt, „den guten Entſchluß des Kai-
ſers vernahm, und die Vereinigung ſeiner Geſandten mit
den paͤpſtlichen inne ward, ſo fing das Concilium an, ſeine
Geſtalt zu veraͤndern, und ſich um vieles leichter behan-
deln zu laſſen.“


Hierzu trugen noch einige andere Umſtaͤnde bei.


Die Spanier und Franzoſen hatten ſich uͤber das Recht
des Vortritts der Repraͤſentanten ihrer Koͤnige entzweit,
und hielten ſeitdem viel weniger zuſammen. Auch waren
mit beiden beſondere Unterhandlungen angeknuͤpft worden.


Fuͤr Philipp II. lag in der Natur der Sache die
dringende Nothwendigkeit eines Einverſtaͤndniſſes. Seine
Macht in Spanien war zum großen Theil auf geiſtliche
Intereſſen gegruͤndet, und er mußte vor allem dafuͤr ſor-
gen, ſie in ſeiner Hand zu behalten. Wohl wußte dieß
der roͤmiſche Hof, und der Nuntius von Madrid ſagte oft,
eine ruhige Beendigung des Conciliums ſey fuͤr den Koͤnig
ſo wuͤnſchenswerth wie fuͤr den Papſt. Schon hatten ſich
22
[338]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
zu Trient die ſpaniſchen Praͤlaten wider die Belaſtungen
der geiſtlichen Guͤter geregt, die dort einen bedeutenden
Theil der Staatseinkuͤnfte bildeten; der Koͤnig hatte es mit
Beſorgniß vernommen; er bat den Papſt, ſo anſtoͤßige Re-
den zu verhindern 1). Wie haͤtte er noch daran denken koͤn-
nen, ſeinen Praͤlaten die Initiative des Vorſchlags zu ver-
ſchaffen? Vielmehr ſuchte auch er ſie in Schranken zu
halten. Pius beſchwerte ſich uͤber die heftige Oppoſition,
die ihm von den Spaniern fortwaͤhrend bewieſen werde:
der Koͤnig verſprach Mittel zu ergreifen, um ihren Unge-
horſam abzuſtellen. Genug, der Papſt und der Koͤnig wur-
den inne, daß ihre Intereſſen die nemlichen ſeyen. Es
muͤſſen noch andere Verhandlungen Statt gefunden haben.
Der Papſt warf ſich ganz in die Arme des Koͤnigs: der
Koͤnig verſprach feierlich dem Papſt in jeder Bedraͤngniß
mit aller Kraft ſeines Reichs zu Huͤlfe zu kommen.


Auf einer andern Seite naͤherten ſich indeß auch die
Franzoſen. Die Guiſen, die einen ſo großen Einfluß zu
Hauſe auf die Regierung und hier auf das Concilium aus-
uͤbten, verſchmolzen ihre politiſchen Richtungen immer mehr
mit ſtreng-katholiſchen. Nur der Nachgiebigkeit des Car-
dinal Guiſe verdankte man, daß es nach zehnmonatli-
cher Zoͤgerung, achtmaligem Aufſchub, endlich wieder zu
einer Seſſion kommen konnte. Aber es war uͤberdieß von
der engſten Vereinigung die Rede. Guiſe brachte eine Zu-
ſammenkunft der maͤchtigen katholiſchen Fuͤrſten, des Pap-
ſtes, des Kaiſers, der Koͤnige von Frankreich und Spa-
[339]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
nien in Vorſchlag 1). Zu naͤherer Beſprechung ging er ſelbſt
nach Rom: und der Papſt kann nicht Worte genug finden,
um „den chriſtlichen Eifer deſſelben fuͤr den Dienſt Gottes
und die oͤffentliche Ruhe, nicht allein in Sachen des Conci-
liums, ſondern auch in andern, welche die allgemeine Wohl-
fahrt anbetreffen“ 2), zu ruͤhmen. Die vorgeſchlagene Zu-
ſammenkunft waͤre dem Papſt ſehr erwuͤnſcht geweſen. Er
ſchickte Geſandte deshalb an Kaiſer und Koͤnig.


Nicht in Trient demnach, ſondern an den Hoͤfen und
durch politiſche Unterhandlung wurden die weſentlichen Ent-
zweiungen beigelegt und die großen Hinderniſſe einer gluͤck-
lichen Beendigung des Conciliums weggeraͤumt. Morone,
der hierzu das Meiſte beigetragen, wußte indeß auch die
Praͤlaten perſoͤnlich zu gewinnen; er widmete ihnen alle die
Anerkennung, das Lob, die Beguͤnſtigung, deren ſie begehr-
ten 3). Er zeigte einmal recht, was ein geiſtreicher ge-
ſchickter Mann, der die Lage der Dinge begreift, und ſich
ein Ziel ſetzt, das derſelben gemaͤß iſt, auch unter den
ſchwierigſten Umſtaͤnden leiſten kann. Wenn irgend einem
Menſchen uͤberhaupt, ſo hat die katholiſche Kirche den gluͤck-
lichen Ausgang des Conciliums ihm zu verdanken.


22*
[340]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Der Weg war geebnet. Man konnte nunmehr, ſagt
er ſelbſt, auf die Schwierigkeiten eingehen, die in der Sache
lagen.


Noch ſchwebte die alte Streitfrage uͤber die Nothwen-
digkeit der Reſidenz und das goͤttliche Recht der Biſchoͤfe.
Lange zeigten ſich die Spanier in ihren Lehrſaͤtzen hieruͤber
unerſchuͤtterlich: noch im Juli 1563 erklaͤrten ſie dieſelben
fuͤr eben ſo unfehlbar, als die zehn Gebote; der Erzbiſchof
von Granada wuͤnſchte alle Buͤcher verboten zu ſehen, in
denen das Gegentheil behauptet werde 1): bei der Redac-
tion des Decretes ließen ſie ſich hierauf dennoch gefallen,
daß ihre Meinung nicht ausgeſprochen wurde. Man nahm
jedoch eine Faſſung an, bei der es ihnen auch noch ferner
moͤglich blieb, ihre Anſicht zu verfechten. Grade dieſe Dop-
peldeutigkeit fand Lainez an dem Decrete lobenswuͤrdig 2).


Auf aͤhnliche Weiſe ging es mit der andern Streitig-
keit, uͤber die Initiative, das „proponentibus legatis.“
Der Papſt erklaͤrte, ein Jeder ſolle fordern und ſagen duͤr-
fen, was ihm nach den alten Concilien zu fordern und zu
ſagen zuſtehe: doch huͤtete er ſich wohl, das Wort vor-
ſchlagen hierbei zu gebrauchen 3). Es ward eine Auskunft
getroffen, mit der ſich die Spanier begnuͤgten, ohne daß
darum der Papſt das Mindeſte aufgegeben haͤtte.


Nachdem der Ruͤckhalt der politiſchen Tendenzen weg-
[341]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
gefallen, ſuchte man die Fragen, die zu Bitterkeiten und
Entruͤſtung Anlaß gegeben, nicht ſowohl zu entſcheiden,
als durch eine geſchickte Vermittelung zu beſeitigen.


Bei dieſer Stimmung kam man dann uͤber die minder
bedenklichen Punkte um ſo leichter hinweg. Niemals ſchritt
das Concilium raſcher vorwaͤrts. Die wichtigen Dogmen
von der Prieſterweihe, dem Sacrament der Ehe, dem Ab-
laß, dem Fegfeuer, der Verehrung der Heiligen, und bei
weitem die bedeutendſten reformatoriſchen Anordnungen,
welche es uͤberhaupt abgefaßt hat, fallen in die drei letz-
ten Seſſionen in der zweiten Haͤlfte des Jahres 1563.
Sowohl fuͤr die einen als fuͤr die andern waren die Con-
gregationen aus verſchiedenen Nationen zuſammengeſetzt.
Der Entwurf der Reform ward in fuͤnf beſonderen Ver-
ſammlungen, einer franzoͤſiſchen, die bei dem Cardinal Guiſe,
einer ſpaniſchen, die bei dem Erzbiſchof von Granada zuſam-
menkam, und drei italieniſchen in Berathung gezogen 1).


Ueber die meiſten Fragen verſtaͤndigte man ſich leicht:
eigentliche Schwierigkeiten boten nur noch zwei dar, die
Fragen uͤber die Exemtion der Capitel und die Pluralitaͤt
der Beneficien, in denen wieder die Intereſſen eine große
Rolle ſpielten.


Die erſte beruͤhrte vor allem Spanien. Von den au-
ßerordentlichen Freiheiten, welche die Capitel ſonſt hier be-
ſeſſen, hatten ſie ſchon einiges verloren. Waͤhrend ſie dieß
[342]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
wieder zu erlangen wuͤnſchten, faßte der Koͤnig die Abſicht,
ſie noch viel weiter einzuſchraͤnken: da er die Biſchoͤfe ſetzte,
ſo lag ihm ſelbſt an einer Ausdehnung der biſchoͤflichen
Gewalt. Der Papſt dagegen war fuͤr die Capitel. Ihre
unbedingte Unterwerfung unter die Biſchoͤfe wuͤrde ſeinen
Einfluß auf die ſpaniſche Kirche nicht wenig geſchmaͤlert
haben. Noch einmal ſtießen hier dieſe beiden großen Ein-
wirkungen zuſammen. Es fragte ſich in der That, welche
von beiden die Majoritaͤt fuͤr ſich gewinnen wuͤrde. Au-
ßerordentlich ſtark war doch auch der Koͤnig an dem Con-
cilium; einen Abgeordneten, den die Capitel dahin geſen-
det, um ihre Vorrechte wahrzunehmen, hatte ſein Geſand-
ter zu entfernen gewußt; er hatte ſo viel geiſtliche Gnaden
auszutheilen, daß Jedermann Bedenken trug, es mit ihm
zu verderben. Bei der muͤndlichen Abſtimmung ergab ſich
ein unguͤnſtiges Reſultat fuͤr die Capitel. Man bemerke,
welchen Ausweg die paͤpſtlichen Legaten trafen. Sie be-
ſchloſſen, die Stimmen dieß Mal ſchriftlich geben zu laſſen:
nur die muͤndlichen Erklaͤrungen, in der Gegenwart ſo vie-
ler Anhaͤnger des Koͤnigs abgelegt, wurden von der Ruͤck-
ſicht auf Spanien beherrſcht, nicht die ſchriftlichen, die
den Legaten zu Haͤnden kamen. Wirklich erlangten ſie auf
dieſe Weiſe eine bedeutende Majoritaͤt fuͤr die paͤpſtliche
Anſicht und fuͤr die Capitel. Darauf geſtuͤtzt, traten ſie
dann, unter Vermittelung Guiſe’s, in neue Unterhandlun-
gen mit den ſpaniſchen Praͤlaten, die ſich endlich auch mit
einer um vieles geringeren Erweiterung ihrer Befugniſſe be-
gnuͤgten, als ſie beabſichtigt hatten 1).


[343]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.

Noch wichtiger fuͤr die Curie war der zweite Artikel
von der Pluralitaͤt der Beneficien. Von jeher war von
einer Reform des Inſtitutes der Cardinaͤle die Rede gewe-
ſen, und es gab Viele, die in dem Verfall deſſelben den
Urſprung alles Unheils zu erkennen glaubten: grade ſie lie-
ßen ſich oft eine Menge Pfruͤnden uͤbertragen; es war die
Abſicht, ſie hierin durch die ſtrengſten Geſetze zu beſchraͤn-
ken. Man begreift leicht, wie empfindlich der Curie jede
Neuerung in dieſer Hinſicht gefallen ſeyn wuͤrde: ſchon
eine ernſtliche Berathung daruͤber fuͤrchtete und floh ſie.
Sehr eigenthuͤmlich iſt auch hier der Ausweg, welchen Mo-
rone einſchlug. Er warf die Reform der Cardinaͤle mit
den Artikeln uͤber die Biſchoͤfe zuſammen. „Wenige,“ ſagt
er ſelbſt, „ſahen die Wichtigkeit der Sache ein, und auf
dieſe Weiſe wurden alle Klippen vermieden.“


Setzte dergeſtalt der Papſt die Erhaltung des roͤmi-
ſchen Hofes in ſeiner bisherigen Geſtalt gluͤcklich durch, ſo
zeigte auch er ſich bereit, die Reformation der Fuͤrſten, wie
man ſie im Sinne gehabt, fallen zu laſſen; er gab hierin
den Vorſtellungen des Kaiſers nach 1).



[344]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

In der That war alles, wie ein Friedenscongreß.
Waͤhrend die Fragen von untergeordnetem Intereſſe von
den Theologen zu allgemeinen Beſchluͤſſen vorbereitet wur-
den, unterhandelten die Hoͤfe uͤber die bedeutenderen. Un-
ablaͤßig flogen die Eilboten hin und her. Eine Conceſ-
ſion verguͤtete man mit der andern.


Vor allem lag dem Papſte nun daran, einen baldigen
Schluß herbeizufuͤhren. Eine Zeitlang weigerten ſich noch
die Spanier, hierauf einzugehen: die Reform that ihnen
noch nicht Genuͤge: der koͤnigliche Botſchafter machte ſogar
einmal Miene zu proteſtiren: da ſich aber der Papſt ge-
neigt erklaͤrte, dringenden Falls eine neue Synode zu be-
rufen 1), da man vor allem Bedenken trug, eine Sedis-
vacanz bei eroͤffnetem Concilium abzuwarten, endlich, da
Jedermann muͤde war, und alles nach Hauſe zu kommen
wuͤnſchte, ſo gaben zuletzt auch ſie nach.


Der Geiſt der Oppoſition war weſentlich uͤberwunden.
Eben in ſeiner letzten Epoche zeigte das Concilium die groͤßte
Unterwuͤrfigkeit. Es bequemte ſich, den Papſt um eine
Beſtaͤtigung ſeiner Beſchluͤſſe zu erſuchen: es erklaͤrte aus-
druͤcklich, alle Reformationsdecrete, wie auch immer ihre
Worte lauten moͤchten, ſeyen in der Vorausſetzung abge-
faßt, daß das Anſehn des paͤpſtlichen Stuhles dabei un-
verletzt bleibe 2). Wie weit war man da zu Trient ent-
fernt, die Anſpruͤche von Coſtnitz und Baſel auf eine Su-
perioritaͤt uͤber die paͤpſtliche Gewalt zu erneuern. In den
Acclamationen, mit denen die Sitzungen geſchloſſen wur-
[345]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
den, — von Cardinal Guiſe verfaßt — wurde das allge-
meine Bisthum des Papſtes noch beſonders anerkannt.


Gluͤcklich war es demnach gelungen. Das Concilium,
ſo heftig gefordert, ſo lange vermieden, geſpalten, zwei
Mal aufgeloͤſt, von ſo vielen Stuͤrmen der Welt erſchuͤt-
tert, bei der dritten Verſammlung aufs neue voll von Ge-
fahr, war in allgemeiner Eintracht der katholiſchen Welt
beendigt. Man begreift es, wenn die Praͤlaten, als ſie am
4ten Dez. 1563 zum letzten Mal beiſammen waren, von
Ruͤhrung und Freude ergriffen wurden. Auch die bisheri-
gen Gegner wuͤnſchten einander Gluͤck: in vielen Augen
dieſer alten Maͤnner ſah man Thraͤnen.


Hatte nun aber ſo viel Beugſamkeit und politiſche
Gewandtheit, wie wir bemerkten, dazu gehoͤrt, um zu dieſem
Reſultat zu gelangen, ſo koͤnnte man fragen, ob nicht hier-
durch das Concilium auch wieder an ſeiner Wirkſamkeit
nothwendig verloren habe.


Wenn nicht unter allen Concilien uͤberhaupt, auf je-
den Fall unter denen der neueren Jahrhunderte bleibt das
tridentiniſche immer das wichtigſte.


In zwei großen Momenten draͤngt ſich ſeine Bedeu-
tung zuſammen.


In dem erſten, den wir fruͤher beruͤhrten, waͤhrend
des ſchmalkaldiſchen Krieges, ſonderte ſich das Dogma nach
mancherlei Schwankungen auf immer von den proteſtanti-
ſchen Meinungen ab. Aus der Lehre von der Rechtferti-
gung, wie man ſie damals aufſtellte, erhob ſich alsdann
das ganze Syſtem der katholiſchen Dogmatik, wie es noch
heut zu Tage behauptet wird.


[346]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

In dem zweiten, den wir zuletzt betrachteten, nach den
Conferenzen Morone’s mit dem Kaiſer, im Sommer
und Herbſt des Jahres 1563 ward die Hierarchie theore-
tiſch durch die Decrete von der Prieſterweihe, praktiſch
durch die Reformationsbeſchluͤſſe aufs neue begruͤndet.


Hoͤchſt wichtig ſind und bleiben dieſe Reformen.


Die Glaͤubigen wurden wieder unnachſichtiger Kirchen-
zucht, und im dringenden Falle dem Schwerte der Excom-
munication unterworfen. Man gruͤndete Seminarien und
nahm Bedacht, die jungen Geiſtlichen darin in ſtrenger
Zucht und Gottesfurcht aufzuziehen. Die Pfarren wurden
aufs neue regulirt, Verwaltung des Sacraments und Pre-
digt in feſte Ordnung gebracht, die Mitwirkung der Klo-
ſtergeiſtlichen an beſtimmte Geſetze gebunden. Den Biſchoͤ-
fen wurden die Pflichten ihres Amtes, hauptſaͤchlich die
Beaufſichtigung ihres Clerus, nach den verſchiedenen Graden
ihrer Weihen eingeſchaͤrft. Von großem Erfolg war es,
daß die Biſchoͤfe durch ein beſonderes Glaubensbekenntniß,
welches ſie unterſchrieben und beſchworen, ſich feierlich zur
Beobachtung der tridentiniſchen Decrete und zur Unterwuͤr-
figkeit gegen den Papſt verpflichteten.


Nur war die Abſicht, die anfangs allerdings auch
bei dieſer Kirchenverſammlung Statt gehabt, die Macht
des Papſtes zu beſchraͤnken, damit nicht erreicht wor-
den. Vielmehr ging dieſelbe ſogar erweitert und ge-
ſchaͤrft aus dem Kampfe hervor. Da ſie das ausſchlie-
ßende Recht behielt, die tridentiniſchen Beſchluͤſſe zu inter-
pretiren, ſo ſtand es immer bei ihr, die Normen des Glau-
[347]PiusIV.Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient.
bens und Lebens vorzuſchreiben. Alle Faͤden der hergeſtell-
ten Disciplin liefen in Rom zuſammen.


Die katholiſche Kirche erkannte ihre Beſchraͤnkung an:
auf die Griechen und den Orient nahm ſie keinerlei Ruͤck-
ſicht mehr: den Proteſtantismus ſtieß ſie mit unzaͤhligen
Anathemen von ſich. In dem fruͤheren Katholicismus war
ein Element des Proteſtantismus einbegriffen: jetzt war
es auf ewig ausgeſtoßen. Aber indem man ſich be-
ſchraͤnkte, concentrirte man ſeine Kraft und nahm ſich in
ſich ſelber zuſammen.


Nur durch Einverſtaͤndniß und Uebereinkunft mit den
vornehmſten katholiſchen Fuͤrſten, wie wir ſahen, kam es
ſo weit. In dieſer Vereinigung mit dem Fuͤrſtenthume liegt
eine der wichtigſten Bedingungen fuͤr die ganze ſpaͤtere Ent-
wickelung. Sie hat eine Analogie mit der Tendenz des
Proteſtantismus, fuͤrſtliche und biſchoͤfliche Rechte zu ver-
einigen. Erſt nach und nach bildete ſie ſich bei den Ka-
tholiken aus. Allerdings begreift man, daß hierin auch zu-
gleich eine Moͤglichkeit neuer Entzweiung liegt: es iſt die
einzige legale Oppoſition, welche noch denkbar bleibt. Zu-
naͤchſt aber war hiervon nichts zu fuͤrchten. In einer Pro-
vinz nach der andern recipirte man bereits die Beſchluͤſſe
der Verſammlung. Eben dadurch iſt Pius IV. welthi-
ſtoriſch wichtig, daß er dieß bewirkte: er war der erſte
Papſt, der die Tendenz der Hierarchie, ſich der fuͤrſtli-
chen Gewalt entgegenzuſetzen, mit Bewußtſeyn aufgab.


[348]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Mit dem Erfolg glaubte er nun allerdings das Werk
ſeines Lebens vollendet zu haben. Es iſt merkwuͤrdig, daß
mit der Beendigung des Conciliums die Spannung ſeiner
Seele nachließ. Man glaubte zu bemerken, daß er den
Gottesdienſt vernachlaͤßige, daß er doch allzugern gut eſſe
und trinke, daß er ſich in glaͤnzendem Hofhalt, praͤchtigen
Feſten, koſtbaren Bauten allzuſehr gefalle. Die Eiferer
bemerkten einen Unterſchied zwiſchen ihm und ſeinem Vor-
gaͤnger, den ſie laut beklagten 1).


Doch war hiervon keine beſondere Ruͤckwirkung mehr
zu erwarten. Es hatte ſich eine Tendenz in dem Katholi-
cismus entwickelt, die nicht mehr zuruͤckzudraͤngen, noch
einzuhalten war.


Iſt einmal der Geiſt erweckt, ſo wird es unmoͤglich
ſeyn, ihm ſeine Bahnen vorzuzeichnen. Jede, auch eine
geringfuͤgige Abweichung derjenigen, die ihn repraͤſentiren
ſollen, von ſeiner Regel, wird die auffallendſten Symptome
hervorrufen.


Der Geiſt, der ſich in der ſtreng katholiſchen Rich-
tung entwickelte, ward auf der Stelle dieſem Papſt ſelber
gefaͤhrlich.


Es lebte ein gewiſſer Benedetto Accolti in Rom: katho-
liſch bis zur Schwaͤrmerei, der immer viel von einem Ge-
[349]PiusIV.
heimniß redete, das ihm von Gott anvertraut worden; er
werde es eroͤffnen, und zum Beweiſe, daß er die Wahr-
heit ſpreche, vor dem verſammelten Volke auf der Piazza
Navona, durch einen brennenden Scheiterhaufen unverletzt
hindurchgehen.


Sein Geheimniß war, daß er vorauszuwiſſen meinte,
in Kurzem werde eine Vereinigung zwiſchen der griechiſchen
und der roͤmiſchen Kirche Statt finden; dieſe vereinte ka-
tholiſche Kirche werde ſich die Tuͤrken und alle Abgefallene
wieder unterwerfen; der Papſt werde ein heiliger Menſch
ſeyn, zur allgemeinen Monarchie gelangen, und die einige
vollkommene Gerechtigkeit auf Erden einfuͤhren. Von die-
ſem Gedanken war er bis zum Fanatismus erfuͤllt.


Nur fand er, daß Pius IV., deſſen weltliches Thun
und Treiben von ſeinem Ideal unendlich weit entfernt
war, ſich zu einem ſo großen Unternehmen nicht eigne.
Benedetto Accolti meinte von Gott beſtimmt zu ſeyn, die
Chriſtenheit von dieſem untauglichen Oberhaupt zu be-
freien.


Er faßte den Plan, den Papſt ſelbſt zu toͤdten. Er
fand einen Gefaͤhrten, dem er die Belohnungen Gottes und
des zukuͤnftigen heiligen Monarchen zuſicherte. Eines Tages
machten ſie ſich auf. Schon ſahen ſie den Papſt in der
Mitte einer Proceſſion herankommen: leicht zu erreichen,
friedlich, ohne Verdacht noch Vertheidigung.


Accolti, ſtatt auf ihn loszugehn, fing an zu zittern und
wechſelte die Farbe. Die Umgebung eines Papſtes hat etwas,
was auf einen ſo fanatiſch-katholiſchen Menſchen ſchlechter-
dings Eindruck machen mußte. Der Papſt ging voruͤber.


[350]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Andere hatten indeſſen Accolti bemerkt. Der Ge-
faͤhrte, den er gewonnen, des Namens Antonio Canoſſa, war
von keiner beharrlicheren Entſchloſſenheit: bald ließ er ſich
uͤberreden, die Sache ein andermal ausfuͤhren zu wollen,
bald fuͤhlte er ſich verſucht, ſie ſelber anzuzeigen. Sie
ſchwiegen nicht ganz. Endlich wurden ſie feſtgenommen
und zum Tode verdammt 1).


Man ſieht, welche Geiſter in dem bewegten Leben
ſich regen. So viel auch Pius IV. fuͤr die Reconſtruction
der Kirche gethan, ſo gab es Viele, denen das bei wei-
tem nicht genug war, und die noch ganz andere Entwuͤrfe
hegten.


Pius V.


Es hatten aber die Anhaͤnger der ſtrengen Geſinnung
ſofort einen unerwarteten und großen Succeß. Es ward
ein Papſt gewaͤhlt, den ſie durchaus zu den Ihren zaͤhlen
konnten: Pius V.


Ich will nicht die mehr oder minder zweifelhaften Be-
richte wiederholen, welche das Buch uͤber die Conclaven
und einige Geſchichtſchreiber jener Zeit uͤber dieſe Wahl
mittheilen. Wir haben ein Schreiben von Carl Borro-
[351]PiusV.
meo, das uns hinreichende Aufklaͤrung giebt. „Ich be-
ſchloß,“ ſagt er darin, — und es iſt gewiß, daß er den
groͤßten Einfluß auf die Wahl gehabt hat — „auf nichts
ſo ſehr zu ſehen, wie auf die Religion und den Glauben.
Da mir die Froͤmmigkeit, Unbeſcholtenheit und heilige Ge-
ſinnung des Cardinal von Aleſſandria — nachher Pius V.
— bekannt waren, ſo glaubte ich, daß die chriſtliche Re-
publik von ihm am beſten verwaltet werden koͤnne, und
widmete ihm meine ganze Bemuͤhung“ 1). Von einem
Mann einer ſo vollkommen geiſtlichen Richtung, wie Carl
Borromeo war, laͤßt ſich ohnehin keine andere Ruͤckſicht
erwarten. Philipp II. von ſeinem Geſandten fuͤr den nem-
lichen Cardinal gewonnen, hat dem Borromeo ausdruͤcklich
fuͤr ſeinen Antheil an dieſer Wahl gedankt 2). Grade eines
ſolchen Mannes glaubte man zu beduͤrfen. Die Anhaͤnger
Pauls IV., die ſich bisher doch immer ſtill gehalten, prie-
ſen ſich gluͤcklich. Wir haben Briefe von ihnen uͤbrig.
„Nach Rom, nach Rom,“ ſchrieb einer dem andern,
„kommt zuverſichtlich, ohne Verzug, aber mit aller Be-
ſcheidenheit; Gott hat uns Paul IV. wieder auferweckt.“


[352]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.

Michele Ghislieri — nunmehr Pius V. — von ge-
ringer Herkunft, zu Bosco unfern Aleſſandria im Jahre
1504 geboren, ging bereits in ſeinem vierzehnten Jahr in
ein Dominicanerkloſter. Er ergab ſich da mit Leib und
Seele der moͤnchiſchen Armuth und Froͤmmigkeit, die ſein
Orden von ihm forderte. Von ſeinen Almoſen behielt er
nicht ſo viel fuͤr ſich, um ſich davon einen Mantel machen
zu laſſen; gegen die Hitze des Sommers fand er, das
beſte Mittel ſey, wenig zu genießen; obwohl Beichtva-
ter eines Governators von Mailand, reiſte er doch immer
zu Fuß, und ſeinen Sack auf dem Ruͤcken. Lehrte er, ſo
that er es mit Praͤciſion und Wohlwollen: hatte er ein
Kloſter als Prior zu verwalten, ſo war er ſtrenge und
ſparſam: mehr als eines hat er von Schulden frei ge-
macht. Seine Entwickelung fiel in die Jahre, in denen
auch in Italien die bisherige Lehre mit den proteſtantiſchen
Regungen kaͤmpfte. Er nahm fuͤr die Strenge der alten
Lehre Partei: von 30 Streitſaͤtzen, die er 1543 in Parma
verfocht, bezogen ſich die meiſten auf die Autoritaͤt des
roͤmiſchen Papſtes, und waren den neuen Meinungen ent-
gegengeſetzt. Gar bald uͤbertrug man ihm das Amt eines
Inquiſitors. Grade in Orten von beſonderer Gefahr, in
Como und Bergamo 1), wo der Verkehr mit Schweizern
und
[353]PiusV.
und Deutſchen nicht vermieden werden konnte, im Valtel-
lin, das unter Graubuͤnden ſtand, hatte er es zu verwal-
ten. Er bewies darin die Hartnaͤckigkeit und den Muth
eines Eiferers. Zuweilen iſt er bei ſeinem Eintritt in Como
mit Steinwuͤrfen empfangen worden; oft hat er, um nur
ſein Leben zu retten, des Nachts ſich in Bauerhuͤtten ver-
bergen, wie ein Fluͤchtling zu entkommen ſuchen muͤſſen;
doch ließ er ſich keine Gefahr irre machen; der Graf della
Trinita drohte ihn in einen Brunnen werfen zu laſſen: er
entgegnete: es wird geſchehen, was Gott will. So war
auch er in den Kampf der geiſtigen und politiſchen Kraͤfte
verflochten, der damals Italien bewegte. Da die Rich-
tung, der er ſich zugewandt, den Sieg davon trug, ſo kam
er mit ihr empor. Er wurde Commiſſarius der Inquiſi-
tion in Rom; gar bald ſagte Paul IV., Fra Michele ſey
ein großer Diener Gottes, und hoher Ehren werth; er er-
nannte ihn zum Biſchof von Nepi, — denn er wolle ihm
eine Kette an den Fuß legen, damit er nicht kuͤnftig einmal
ſich in die Ruhe eines Kloſters zuruͤckziehe 1) — und 1557
zum Cardinal. Ghislieri hielt ſich auch in dieſer neuen
Wuͤrde ſtrenge, arm und anſpruchlos: er ſagte ſeinen
Hausgenoſſen, ſie muͤßten glauben, daß ſie in einem Klo-
ſter wohnten. Er lebte nur ſeinen Andachtsuͤbungen und
der Inquiſition.


In einem Manne von dieſer Geſinnung glaubte nun
23
[354]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Borromeo, Philipp II., die geſammte ſtrengere Partei das
Heil der Kirche zu ſehen. Die roͤmiſchen Buͤrger waren
vielleicht nicht ſo zufrieden. Pius V. erfuhr es: er ſagte:
„deſto mehr ſollen ſie mich beklagen wenn ich todt bin.“


Er lebte auch als Papſt in der ganzen Strenge ſei-
nes Moͤnchthums; er hielt die Faſten in ihrem vollen
Umfange, unnachlaͤßlich; er erlaubte ſich kein Kleid von
feinerem Zeug 1); oft las er, alle Tage hoͤrte er Meſſe; doch
ſorgte er dafuͤr, daß die geiſtlichen Uebungen ihn nicht an
den oͤffentlichen Geſchaͤften hinderten; er hielt keine Sieſte,
mit dem fruͤheſten war er auf. Wollte man zweifeln, ob
ſein geiſtlicher Ernſt in ihm einen tieferen Grund gehabt,
ſo moͤchte dafuͤr ein Beweis ſeyn, daß er fand, das Papſt-
thum ſey ihm zur Froͤmmigkeit nicht foͤrderlich; zum Heile
der Seele, die Glorie des Paradieſes zu erlangen, trage
es nicht bei; er meinte, dieſe Laſt wuͤrde ihm ohne das
Gebet unertraͤglich ſeyn. Das Gluͤck einer inbruͤnſtigen
Andacht, das einzige, deſſen er faͤhig war, einer Andacht,
die ihn oft bis zu Thraͤnen ruͤhrte, und von der er mit
der Ueberzeugung aufſtand, er ſey erhoͤrt, blieb ihm bis
an ſein Ende gewaͤhrt. Das Volk war hingeriſſen, wenn
es ihn in den Proceſſionen ſah, barfuß, und ohne Kopf-
bedeckung, mit dem reinen Ausdruck einer ungeheuchelten
Froͤmmigkeit im Geſicht, mit langem ſchneeweißen Bart;
ſie meinten einen ſo frommen Papſt habe es noch niemals
gegeben; ſie erzaͤhlten ſich, ſein bloßer Anblick habe Pro-
[355]PiusV.
teſtanten bekehrt. Auch war Pius guͤtig und leutſelig: mit
ſeinen aͤlteren Dienern ging er auf das vertraulichſte um.
Wie ſchoͤn begegnete er jenem Grafen della Trinita, der nun
einmal als Geſandter zu ihm geſchickt wurde. „Sehet
da,“ ſagte er ihm, als er ihn erkannte, „ſo hilft Gott
den Unſchuldigen:“ ſonſt ließ er es ihn nicht empfinden.
Mildthaͤtig war er von jeher: er hatte eine Liſte von den
Duͤrftigen in Rom, die er regelmaͤßig nach ihrem Stand
unterſtuͤtzen ließ.


Demuͤthig, hingegeben, kindlich ſind Naturen dieſer
Art: — ſo wie ſie aber gereizt und beleidigt werden, er-
heben ſie ſich zu heftigem Eifer, unerbittlichem Zorn. Ihre
Geſinnung ſehen ſie als eine Pflicht, eine hoͤchſte Pflicht
an, deren Nichterfuͤllung ſie entruͤſtet und empoͤrt.


Pius V. war ſich bewußt, daß er immer die grade
Straße gewandelt. Daß ihn dieſe bis zum Papſtthum ge-
fuͤhrt hatte, erfuͤllte ihn mit einem Selbſtvertrauen, wel-
ches ihn vollends uͤber jede Ruͤckſicht erhob.


In ſeinen Meinungen war er aͤußerſt hartnaͤckig. Man
fand daß ihn auch die beſten Gruͤnde von denſelben nicht
zuruͤckbringen konnten. Leicht fuhr er bei dem Widerſpruch
auf: er ward roth im Geſicht, und bediente ſich der hef-
tigſten Ausdruͤcke 1). Da er nun von den Geſchaͤften der
Welt und des Staates wenig verſtand, und ſich vielmehr
23*
[356]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
von den Nebenumſtaͤnden auf eine oder die andere Weiſe
afficiren ließ, ſo war es uͤberaus ſchwer, mit ihm fertig
zu werden.


In perſoͤnlichen Verhaͤltniſſen ließ er ſich zwar nicht
gleich von dem erſten Eindruck beſtimmen: hielt er aber
Jemand einmal fuͤr gut oder fuͤr boͤſe, ſo konnte ihn darin
nichts weiter irre machen 1). Allemal jedoch glaubte er
eher, daß man ſich verſchlechtere, als daß man ſich beſ-
ſere; er hatte die meiſten Menſchen in Verdacht.


Man bemerkte, daß er die Criminalſentenzen niemals
milderte: er haͤtte vielmehr in der Regel gewuͤnſcht, ſie
waͤren noch ſchaͤrfer ausgefallen.


Es war ihm nicht genug, daß die Inquiſition die
neuen Verbrechen beſtrafte: den alten von zehn und zwanzig
Jahren ließ er nachforſchen.


Gab es einen Ort, wo weniger Strafen verhaͤngt
wurden, ſo hielt er ihn darum nicht fuͤr rein: er ſchrieb es
der Nachlaͤſſigkeit der Behoͤrden zu.


Man hoͤre mit welcher Schaͤrfe er auf die Handha-
bung der Kirchenzucht drang. „Wir verbieten,“ heißt es
in einer ſeiner Bullen, „jedem Arzt, der zu einem bettlaͤ-
gerigen Kranken gerufen wird, denſelben laͤnger als drei
Tage zu beſuchen, wofern er nicht alsdann eine Beſcheini-
gung erhaͤlt, daß der Kranke ſeine Suͤnden aufs neue ge-
beichtet habe“ 2). Eine andere ſetzt Strafen fuͤr Ent-
[357]PiusV.
weihung des Sonntags und Gotteslaͤſterungen feſt. Bei
den Vornehmeren ſind es Geldſtrafen. „Ein gemeiner
Mann aber, welcher nicht bezahlen kann, ſoll bei dem er-
ſten Male einen Tag uͤber vor den Kirchthuͤren ſtehen, die
Haͤnde auf den Ruͤcken gebunden: beim zweiten ſoll er
durch die Stadt gegeißelt werden: beim dritten Male
wird man ihm die Zunge durchbohren und ihn auf die Ga-
leeren ſchicken.“


So iſt der Styl ſeiner Verordnungen uͤberhaupt: wie
oft hat man ihm ſagen muͤſſen, er habe es nicht mit En-
geln, ſondern mit Menſchen zu thun 1).


Die jetzt ſo dringende Ruͤckſicht auf die weltlichen
Gewalten hielt ihn hierin nicht auf: die Bulle in Coena
Domini, uͤber welche ſich die Fuͤrſten von jeher beklagt,
ließ er nicht allein aufs neue verkuͤndigen: er ſchaͤrfte ſie
auch mit einigen beſondern Zuſaͤtzen; ganz im Allgemeinen
ſchien er darin den Regierungen das Recht abzuſprechen,
neue Abgaben aufzulegen.


Es verſteht ſich, daß auf ſo gewaltige Eingriffe auch
Ruͤckwirkungen erfolgten. Nicht allein, daß die Forderun-
gen niemals befriedigt werden koͤnnen, die ein Menſch von
dieſer Strenge an die Welt machen zu duͤrfen glaubt: es
zeigte ſich auch ein abſichtlicher Widerſtand; unzaͤhlige Miß-
helligkeiten entſtanden. So devot Philipp II. auch war,
[358]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſo hat er doch den Papſt einmal erinnern laſſen, er moͤge
nicht erproben, was ein aufs Aeußerſte gebrachter Fuͤrſt
zu thun vermoͤge.


Auf das tiefſte empfand das der Papſt ſeinerſeits
wieder. Oft fuͤhlte er ſich ungluͤcklich in ſeiner Wuͤrde.
Er ſagte: er ſey muͤde zu leben: da er ohne Ruͤckſicht
verfahre, habe er ſich Feinde gemacht: ſeit er Papſt ſey,
erlebe er lauter Unannehmlichkeiten und Verfolgungen.


Allein wie dem auch ſey, und obwohl es Pius V.
ſo wenig wie ein andrer Menſch zu voller Befriedigung
und Genugthuung brachte, ſo iſt doch gewiß, daß ſeine
Haltung und Sinnesweiſe einen unermeßlichen Einfluß auf
ſeine Zeitgenoſſen und die ganze Entwickelung ſeiner Kirche
ausgeuͤbt hat. Nachdem ſo viel geſchehen, um eine geiſt-
lichere Tendenz hervorzurufen, zu befoͤrdern; nachdem ſo
viele Beſchluͤſſe gefaßt worden, um dieſelbe zu allgemei-
ner Herrſchaft zu erheben, gehoͤrte ein Papſt wie dieſer
dazu, damit ſie allenthalben nicht allein verkuͤndigt, ſon-
dern auch eingefuͤhrt wuͤrde: ſein Eifer, ſo wie ſein Bei-
ſpiel war dazu unendlich wirkſam.


Man ſah die ſo oft beſprochene Reformation des Ho-
fes, wenn auch nicht in den Formen, welche man vorge-
ſchlagen, aber in der That eintreten. Die Ausgaben der
paͤpſtlichen Haushaltung wurden ungemein beſchraͤnkt: Pius
V. bedurfte wenig fuͤr ſich: und oft hat er geſagt, „wer
regieren wolle, muͤſſe mit ſich ſelber anfangen.“ Seine
Diener, welche ihm, wie er glaubte, ohne Hoffnung auf
Belohnung, bloß aus Liebe, ſein ganzes Leben treu geblie-
ben, verſorgte er wohl nicht ohne Freigebigkeit, doch ſeine
[359]PiusV.
Angehoͤrigen hielt er mehr in Schranken, als irgend ein
Papſt vor ihm. Den Neffen, Bonelli, den er nur darum
zum Cardinal gemacht, weil man ihm ſagte, es gehoͤre
dieß zu einem vertraulicheren Verhaͤltniß mit den Fuͤrſten,
ſtattete er maͤßig aus; als derſelbe einſt ſeinen Vater nach
Rom kommen ließ, noͤthigte er dieſen in derſelben Nacht,
in derſelben Stunde die Stadt wieder zu verlaſſen; ſeine
uͤbrigen Verwandten wollte er nie uͤber den Mittelſtand hin-
aus erheben: und wehe dem, der ſich auf irgend einem
Vergehen ſelbſt nur auf einer Luͤge betreten ließ, er haͤtte
ihm nie verziehen, er jagte ihn ohne Gnade von ſich. Wie
weit war man da von einer Beguͤnſtigung der Nepoten
entfernt, wie ſie ſeit Jahrhunderten einen ſo bedeutenden
Theil der paͤpſtlichen Geſchichte ausgemacht hatte. Durch
eine ſeiner ernſtlichſten Bullen verbot Pius fuͤr die Zukunft
jede Belehnung mit irgend einer Beſitzung der roͤmiſchen
Kirche, unter welchem Titel und Vorwand es auch ſey; er
erklaͤrte diejenigen im Voraus in Bann, die dazu auch nur
rathen wuͤrden; von allen Cardinaͤlen ließ er dieſe ſeine
Satzung unterſchreiben 1). In der Abſtellung der Miß-
braͤuche fuhr er eifrig fort; von ihm ſah man wenig Dis-
penſationen, noch weniger Compoſitionen; den Ablaß, den
die Vorfahren gegeben, hat er oft beſchraͤnkt. Seinem Gene-
ralauditor trug er auf, wider alle Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe,
die in ihren Dioͤceſen nicht reſidiren wuͤrden, ohne Weite-
res zu procediren, und ihm Vortrag zu machen, damit er
[360]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
zur Entſetzung der Ungehorſamen ſchreite 1). Allen Pfar-
rern gebietet er, bei ſchwerer Strafe bei ihren Pfarrkirchen
auszuhalten, und den Dienſt Gottes zu verſehen; er wi-
derruft die Dispenſationen, die ſie daruͤber erhalten haben
moͤchten 2). Die Ordnung der Kloͤſter ſuchte er nicht min-
der ſtrenge herzuſtellen. Er beſtaͤtigte ihnen auf der einen
Seite ihre Exemtionen von Auflagen und andren Laſten,
z. B. von Einquartierung; er wollte ſie in ihrer Ruhe
nicht ſtoͤren laſſen; aber er verbot den Moͤnchen zugleich, ohne
die Erlaubniß und die Pruͤfung des Biſchofs, Beichte zu
hoͤren; jeder neue Biſchof ſolle die Pruͤfung wiederholen koͤn-
nen 3). Er verordnete die ſtrengſte Clauſur auch der
Nonnen. Nicht immer hat man das gelobt. Man beklagte
ſich, daß er zu ſtrengeren Regeln noͤthige, als zu denen man
ſich ſelber verpflichtet habe; einige geriethen in eine Art
von Verzweiflung, andere entflohen 4).


Alle dieſe Dinge ſetzte er nun zuerſt in Rom und dem
Kirchenſtaate durch. Die weltlichen Behoͤrden verpflichtet er
ſo gut wie die geiſtlichen zur Handhabung ſeiner geiſtlichen
Anordnungen 5). Er ſelbſt ſorgte indeß fuͤr eine ſtarke und
parteiloſe Handhabung der Gerechtigkeit 6). Er ermahnte
[361]PiusV.
nicht allein die Magiſtratsperſonen noch beſonders dazu: jeden
letzten Mittwoch des Monats hielt er eine oͤffentliche Sitzung
mit den Cardinaͤlen, wo ein Jeder ſeine Beſchwerden uͤber
die Gerichte vortragen konnte. Auch ſonſt war er unermuͤdlich,
Audienz zu geben. Von fruͤh an ſaß er auf ſeinem Stuhl:
Jedermann ward vorgelaſſen. In der That hatte dieſer
Eifer eine totale Reform des roͤmiſchen Weſens zu Folge.
„Zu Rom,“ ſagt Paul Tiepolo, „geht es jetzt auf eine
andere, als die bisher uͤbliche Weiſe her. Die Menſchen
ſind um vieles beſſer geworden, oder wenigſtens haben ſie
dieſen Anſchein.“


Mehr oder minder geſchah etwas Aehnliches in ganz
Italien. Allenthalben ward mit der Verkuͤndigung der De-
crete des Conciliums auch die Kirchenzucht geſchaͤrft; dem
Papſt ward ein Gehorſam geleiſtet, wie ihn lange keiner
von ſeinen Vorgaͤngern genoſſen hatte.


Herzog Coſimo von Florenz trug kein Bedenken, ihm
die Angeſchuldigten der Inquiſition auszuliefern. Carneſecchi,
noch einer von jenen Literaten, die an den erſten Regun-
gen des Proteſtantismus in Italien Theil genommen, war
bisher immer gluͤcklich durchgekommen; jetzt vermochte ihn
weder ſein perſoͤnliches Anſehn, noch die Reputation ſeiner
Familie, noch die Verbindung, in der er mit dem regie-
6)
[362]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
renden Hauſe ſelber ſtand, laͤnger zu ſchuͤtzen; in Banden
ward er der roͤmiſchen Inquiſition uͤberliefert, und mußte
den Tod im Feuer erleiden 1). Coſimo war dem Papſt
vollkommen ergeben. Er unterſtuͤtzte ihn in allen ſeinen
Unternehmungen und geſtand ihm ſeine geiſtlichen Forde-
rungen ohne Weiteres zu. Der Papſt fuͤhlte ſich bewo-
gen, ihn dagegen zum Großherzog von Toskana zu ernen-
nen, und zu kroͤnen. Das Recht des heiligen Stuhls zu
einer ſolchen Maaßregel war hoͤchſt zweifelhaft; die Sitten
des Fuͤrſten gaben gerechten Anſtoß: aber die Ergebenheit,
die er dem heiligen Stuhl bewies, die ſtrengen kirchlichen
Einrichtungen, die er in ſeinem Lande einfuͤhrte, erſchienen
dem Papſt als ein Verdienſt uͤber alle Verdienſte.


Die alten Gegner der Medici, die Farneſen, wettei-
ferten mit ihnen in dieſer Richtung; auch Ottavio Farneſe
machte ſich eine Ehre daraus, die Befehle des Papſtes auf
den erſten Wink in Ausfuͤhrung zu bringen.


Nicht ganz ſo gut ſtand Pius mit den Venezianern.
Sie waren weder ſo feindſelig gegen die Tuͤrken, noch ſo
nachſichtig gegen die Kloͤſter, oder der Inquiſition ſo zu-
gethan, wie er es gewuͤnſcht haͤtte. Doch huͤtete er ſich
wohl, ſich mit ihnen zu entzweien. Er fand: „die Re-
publik ſey auf den Glauben gegruͤndet, ſie habe ſich im-
mer katholiſch gehalten: von der Ueberſchwemmung der Bar-
baren ſey ſie allein frei geblieben: die Ehre von Italien
beruhe auf ihr“: er erklaͤrte, er liebe ſie. Auch gaben ihm
die Venezianer mehr nach, als irgend einem andern Papſt.
Was ſie ſonſt nie gethan haͤtten, — den armen Guido
[363]PiusV.
Zanetti von Fano, der ſeiner religioͤſen Meinungen wegen
in Unterſuchung gerathen und nach Padua gefluͤchtet war,
lieferten ſie ihm aus. In ihrem ſtaͤdtiſchen Clerus, der
ſich ſchon ſeit geraumer Zeit um die kirchlichen Verord-
nungen wenig gekuͤmmert, machten ſie ziemlich gute Ord-
nung. Aber uͤberdieß war ihnen auf dem feſten Lande
die Kirche von Verona durch J. Matteo Giberti auf das
trefflichſte eingerichtet worden. An ſeinem Beiſpiel hat
man zu zeigen verſucht, wie ein wahrer Biſchof leben
muͤſſe 1): ſeine Einrichtungen haben in der ganzen katho-
liſchen Welt zum Muſter gedient: das tridentiniſche Con-
cilium hat eine und die andere aufgenommen. Carl Bor-
romeo ließ ſich ſein Bildniß malen, um ſich fortwaͤhrend an
ſeinen Vorgang zu erinnern.


Einen noch groͤßeren Einfluß aber hatte Carl Bor-
romeo ſelbſt. Bei den mancherlei Wuͤrden und Aemtern,
die er beſaß, — er war unter andern Großpenitenziere —
als das Oberhaupt der Cardinaͤle, die ſein Oheim gewaͤhlt,
haͤtte er in Rom eine glaͤnzende Stellung einnehmen koͤn-
nen: aber er gab alles auf, er ſchlug alles aus, um ſich
in ſeinem Erzbisthum Mailand den kirchlichen Pflichten
zu widmen. Er that dieß mit ungemeiner Anſtrengung,
ja mit Leidenſchaft. In allen Richtungen bereiſte er fort-
waͤhrend ſeine Dioͤces; es gab in derſelben keinen Ort, den
er nicht zwei, drei Mal beſucht haͤtte: in das hoͤchſte Ge-
[364]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
birge, in die entlegenſten Thaͤler verfuͤgte er ſich. In der
Regel war ihm ſchon ein Viſitator vorausgegangen und er
hatte deſſen Bericht bei ſich; er unterſuchte nun alles mit
eigenen Augen: er verhaͤngte die Strafen, ſetzte die Ver-
beſſerungen feſt 1). Zu aͤhnlichem Verfahren leitete er ſeine
Geiſtlichkeit an: ſechs Provinzialconcilien ſind unter ſeinem
Vorſitz gehalten worden. Aber uͤberdieß war er in eige-
nen kirchlichen Functionen unermuͤdlich. Er predigte und
las Meſſe: ganze Tage lang theilte er das Abendmahl aus:
ordinirte Prieſter: kleidete Kloſterfrauen ein, weihete Al-
taͤre. Einen Altar zu weihen, forderte eine Ceremonie von
acht Stunden: man rechnet 300 die er nach und nach ge-
weihet hat. Viele ſeiner Einrichtungen ſind freilich wohl
ſehr aͤußerlich: ſie gehen beſonders auf Herſtellung der Ge-
baͤude, Uebereinſtimmung des Ritus, Aufſtellung und Ver-
ehrung der Hoſtie. Die Hauptſache iſt die ſtrenge Disci-
plin, in der er die Geiſtlichkeit zuſammennimmt, in der
dieſer hinwiederum die Gemeinden unterworfen werden. Sehr
wohl kannte er die Mittel, ſeinen Anordnungen Eingang zu
verſchaffen. In den ſchweizeriſchen Gebieten beſuchte er die
Staͤtten der aͤlteſten Verehrung, theilte Geſchenke in dem
Volke aus, zog die Vornehmen zur Tafel. Dagegen wußte
er auch den Widerſpenſtigen wirkſam zu begegnen. Das
Landvolk in Valcamonica wartete auf ihn, um von ihm
geſegnet zu werden. Da es aber ſeit einiger Zeit die Zehn-
ten nicht zahlte, fuhr er voruͤber, ohne die Hand zu be-
[365]PiusV.
wegen, ohne Jemand anzuſehen. Die Leute waren entſetzt
und bequemten ſich, die alte Pflicht zu leiſten 1). Zuweilen
fand er jedoch hartnaͤckigeren und erbitterten Widerſtand.
Daß er den Orden der Humiliaten reformiren wollte, machte
die Mitglieder, die nur hineingetreten waren, um die Reich-
thuͤmer deſſelben in ungebundenem Leben zu genießen 2), in
einem Grade mißvergnuͤgt, daß ſie ihrem Erzbiſchof nach dem
Leben ſtanden. Waͤhrend er in ſeiner Capelle betete, ward
auf ihn geſchoſſen. Niemals aber war ihm etwas nuͤtzlicher
als dieß Attentat. Das Volk hielt ſeine Rettung fuͤr ein
Wunder und fing von dieſem Augenblick erſt recht an ihn
zu verehren. Da ſein Eifer eben ſo rein und von irdi-
ſchen Zwecken ungetruͤbt war, wie beharrlich, da er auch
in der Stunde der Gefahr, zur Zeit der Peſt, eine uner-
muͤdliche Fuͤrſorge fuͤr das Heil des Lebens und der See-
len ſeiner Pflegebefohlenen bewies, da er nichts als Hin-
gebung und Froͤmmigkeit an ſich wahrnehmen ließ, ſo
wuchs ſein Einfluß von Tage zu Tage, und Mailand
nahm eine ganz andere Geſtalt an. „Wie ſoll ich dich prei-
ſen, ſchoͤnſte Stadt,“ ruft Gabriel Paleotto gegen das Ende
der Verwaltung Borromeo’s aus: „ich bewundere deine
Heiligkeit und Religion: ein zweites Jeruſalem ſehe ich in
[366]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
dir.“ So begeiſterte Ausrufungen koͤnnen bei aller Weltlich-
keit des mailaͤndiſchen Adels doch unmoͤglich ohne Grund ge-
weſen ſeyn. Der Herzog von Savoyen wuͤnſchte dem Erzbiſchof
feierlich Gluͤck zu dem Erfolge ſeiner Bemuͤhungen. Auch
fuͤr die Zukunft ſuchte dieſer nun ſeine Anordnungen feſtzu-
ſtellen. Eine Congregation ſollte die Gleichfoͤrmigkeit des
Ritus behaupten: ein beſonderer Orden der Gewidmeten,
genannt Oblati von regularen Clerikern, verpflichtete ſich zu
dem Dienſte des Erzbiſchofs und ſeiner Kirche: die Bar-
nabiten empfingen neue Regeln und ſeitdem haben ſie ſich zu-
erſt hier, dann allenthalben wo ſie eingefuͤhrt wurden, die
Biſchoͤfe in ihrer Seelſorge zu unterſtuͤtzen angelegen ſeyn
laſſen 1). Einrichtungen, welche die roͤmiſchen im Kleinen
wiederholen. Auch ein Collegium Helveticum zur Herſtel-
lung des Katholicismus in der Schweiz ward zu Mailand
errichtet, wie zu Rom ein Germanicum fuͤr Deutſchland.
Das Anſehn des roͤmiſchen Papſtes konnte dadurch nur um
ſo feſter werden. Borromeo, der ein paͤpſtliches Breve
nie anders als mit unbedecktem Haupt in Empfang nahm,
pflanzte die nemliche Devotion ſeiner Kirche ein.


Indeß war Pius V. auch in Neapel zu ungewohn-
tem Einfluß gelangt. Gleich am erſten Tage ſeines Pon-
tificats hatte er Tomaſo Orfino da Foligno zu ſich geru-
fen, und ihm eine reformirende Viſitation der roͤmiſchen
Kirchen aufgetragen. Nachdem ſie vollendet war, ernannte
er denſelben zum Biſchof von Strongoli und ſchickte ihn
[367]PiusV.
nach Neapel. Unter großem Zulauf dieſes devoten Volks
vollzog Orfino ſeine Viſitation in der Hauptſtadt, und
in einem großen Theile des Koͤnigreichs.


Zwar hatte der Papſt in Neapel, wie in Mailand
nicht ſelten Streitigkeiten mit den koͤniglichen Behoͤrden.
Der Koͤnig beſchwerte ſich uͤber die Bulle in Coena Domini:
der Papſt wollte von dem Exequatur regium nichts wiſſen;
jenem thaten die geiſtlichen Behoͤrden zu viel, dieſem die
koͤniglichen zu wenig; zwiſchen den Vicekoͤnigen und den
Erzbiſchoͤfen gab es unaufhoͤrliche Reibungen. Am Hofe
von Madrid war man wie geſagt oft von Herzen mißver-
gnuͤgt, und der Beichtvater des Koͤnigs beklagte ſich laut.
Indeſſen kam es doch zu keinem Ausbruch eines Mißver-
ſtaͤndniſſes. Beide Fuͤrſten maßen immer den Behoͤrden,
den Raͤthen des Andern die vornehmſte Schuld bei. Sie
ſelber blieben perſoͤnlich in vertraulichem Verhaͤltniß. Als
Philipp II. einmal krank war, erhob Pius V. ſeine
Haͤnde und bat Gott, denſelben von ſeiner Krankheit zu
befreien; der alte Mann betete, Gott moͤge ihm einige
Jahre abnehmen und ſie dem Koͤnig zulegen, an deſſen Le-
ben mehr gelegen ſey, als an dem ſeinigen.


Auch wurde Spanien ſonſt voͤllig in dem Sinne der
kirchlichen Reſtauration regiert. Der Koͤnig war einen
Augenblick zweifelhaft geweſen, ob er die tridentiniſchen
Beſchluͤſſe ohne weiteres anerkennen ſolle oder nicht; und we-
nigſtens haͤtte er die paͤpſtliche Macht in dem Rechte, Zu-
geſtaͤndniſſe im Widerſpruch mit denſelben zu machen, gern
beſchraͤnken moͤgen: — allein der geiſtliche Character ſeiner
Monarchie ſtand jedem Verſuch dieſer Art entgegen; er ſah
[368]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
daß er auch den Anſchein einer ernſtlicheren Differenz mit
dem roͤmiſchen Stuhle vermeiden muͤſſe, wofern er des Ge-
horſams gewiß bleiben wolle, den man ihm ſelber leiſtete.
Die Decrete des Conciliums wurden allenthalben abgekuͤn-
digt und ihre Anordnungen eingefuͤhrt. Die ſtreng-dog-
matiſche Richtung nahm auch hier uͤberhand. Carranza,
Erzbiſchof von Toledo, der erſte Geiſtliche des Landes, fruͤ-
her Mitglied des Conciliums von Trient, der neben Poole
das Meiſte zur Wiederherſtellung des Katholicismus in
England unter Koͤnigin Maria beigetragen, durch ſo viele
Titel erhaben, konnte dennoch der Inquiſition nicht entge-
hen. „Ich habe,“ ſagt er, „nie etwas anders beabſich-
tigt, als die Ketzerei zu bekaͤmpfen: Gott hat mir in die-
ſer Hinſicht beigeſtanden. Ich ſelber habe mehrere Irr-
glaͤubige bekehrt; die Koͤrp c einiger Haͤupter der Ketzer
habe ich ausgraben und verbrennen laſſen; Katholiken und
Proteſtanten haben mich den erſten Vertheidiger des Glau-
bens genannt.“ Allein dieß ſo unzweifelhaft katholiſche
Bezeigen half ihm alles nicht gegen die Inquiſition. Man
fand in ſeinen Werken 16 Artikel, in denen er ſich den
Meinungen der Proteſtanten, hauptſaͤchlich in Hinſicht der
Juſtification zu naͤhern ſchien. Nachdem er in Spanien
lange gefangen gehalten und mit dem Proceß gequaͤlt wor-
den war, brachte man ihn nach Rom; — es ſchien eine
große Gunſt, ihn ſeinen perſoͤnlichen Feinden zu entreißen,
doch konnte er auch hier zuletzt dem Verdammungsurtheil
nicht entfliehen 1).


Ge-
[369]PiusV.

Geſchah dieß aber an einem ſo hochgeſtellten Manne,
in einem ſo zweifelhaften Falle, ſo laͤßt ſich erachten, wie
wenig die Inquiſition geneigt ſeyn konnte, unlaͤugbare Ab-
weichungen an untergeordneten Perſonen zu dulden, wie ſie
allerdings hier und da auch in Spanien vorkamen. Die
ganze Strenge, mit der man bisher die Reſte juͤdiſcher und
mahumetaniſcher Meinungen verfolgt hatte, kehrte man nun
wider die proteſtantiſchen. Es folgte Auto da Fe auf Auto
da Fe; bis endlich jeder Keim derſelben erſtickt war. Seit
dem Jahre 1570 finden wir faſt nur noch Auslaͤnder um
des Proteſtantismus willen vor die Inquiſition gezogen 1).


In Spanien beguͤnſtigte die Regierung die Jeſuiten
nicht. Man fand, es ſeyen meiſtens Juden-Chriſten, nicht
von dem rein ſpaniſchen Gebluͤt; man traute ihnen den
Gedanken zu, ſich fuͤr alle die Mißhandlungen, die ſie er-
duldet, wohl auch einmal raͤchen zu wollen. In Portu-
gal dagegen gelangten die Mitglieder dieſes Ordens nur
allzubald zu unumſchraͤnkter Gewalt; ſie regierten das
Reich im Namen des Koͤnigs Sebaſtian. Da ſie auch in
Rom, auch unter Pius V. den groͤßten Credit hatten, ſo
brauchten ſie ihre Autoritaͤt in jenem Lande nach den Ge-
ſichtspunkten der Curie.


Und ſo beherrſchte Pius V. die beiden Halbinſeln voll-
kommener, als lange Einer ſeiner Vorfahren; allenthalben
traten die Tridentiner Anordnungen ins Leben; alle Biſchoͤfe
1)
24
[370]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
ſchwuren auf die Profeſſio fidei, welche einen Inbegriff
der dogmatiſchen Satzungen des Conciliums enthaͤlt;
Papſt Pius V. machte den roͤmiſchen Catechismus bekannt,
in welchem dieſelben hier und da noch weiter ausgebildet
erſcheinen; er abolirte alle Breviarien, die nicht vom roͤ-
miſchen Stuhl ausdruͤcklich gegeben, oder uͤber zweihundert
Jahr lang eingefuͤhrt ſeyen, und machte ein neues bekannt,
nach den aͤlteſten der Hauptkirchen von Rom entworfen,
von dem er wuͤnſchte, daß es allenthalben eingefuͤhrt
werde 1); er verfehlte nicht, auch ein neues Miſſale „nach
der Norm und dem Ritus der heiligen Vaͤter“ 2), zu
allgemeinem Gebrauch zu publiciren; die geiſtlichen Semi-
narien erfuͤllten ſich; die Kloͤſter wurden wirklich reformirt:
die Inquiſition wachte mit erbarmungsloſer Strenge uͤber
die Einheit und Unantaſtbarkeit des Glaubens.


Eben hierdurch ward nun aber zwiſchen allen dieſen
Laͤndern und Staaten eine enge Vereinigung gebildet. Es
trug dazu unendlich bei, daß Frankreich, in innere Kriege
gerathen, ſeine alte Feindſeligkeit gegen Spanien entweder
aufgab, oder doch nicht mehr ſo lebendig geltend machte.
Die franzoͤſiſchen Unruhen hatten auch noch eine andere
Ruͤckwirkung. Aus den Ereigniſſen einer Zeit tauchen im-
mer einige allgemeine politiſche Ueberzeugungen auf, welche
dann die Welt praktiſch beherrſchen. Die katholiſchen Fuͤr-
ſten glaubten inne zu werden, daß es einen Staat ins Ver-
[371]PiusV.
derben ſtuͤrze, wenn er Veraͤnderungen in der Religion ge-
ſtatte. Hatte Pius IV. geſagt, die Kirche koͤnne nicht
fertig werden ohne die Fuͤrſten, ſo waren jetzt die Fuͤrſten
uͤberzeugt, auch fuͤr ſie ſey eine Vereinigung mit der Kirche
unumgaͤnglich nothwendig. Fortwaͤhrend predigte es ihnen
Pius V. In der That erlebte er, dieſe fuͤdlich-chriſtliche
Welt ſogar zu einer gemeinſchaftlichen Unternehmung um
ſich vereinigt zu ſehen.


Noch immer war die osmaniſche Macht in gewalti-
gem Fortſchritt: ſie beherrſchte das Mittelmeer: ihre Unter-
nehmungen erſt auf Malta, dann auf Cypern, zeigten,
wie ernſtlich ſie eine Eroberung der bisher nicht bezwungenen
Inſeln beabſichtigte: von Ungarn und Griechenland aus be-
drohte ſie Italien. Es gelang Pius V., den katholiſchen
Fuͤrſten dieſe Gefahr endlich einmal recht einleuchtend zu
machen; bei dem Angriff auf Cypern entſprang in ihm der Ge-
danke eines Bundes derſelben: den Venezianern auf der einen,
den Spaniern auf der andern Seite ſchlug er einen ſolchen vor.
„Als ich die Erlaubniß erhalten, daruͤber zu unterhandeln,
und ſie ihm mittheilte,“ ſagt der venezianiſche Geſandte,
„erhob er ſeine Haͤnde gegen den Himmel und dankte Gott:
er verſprach, dieſem Geſchaͤfte ſeinen ganzen Geiſt und alle
ſeine Gedanken zu widmen 1).“ Es koſtete ihm unendliche
Muͤhe, die Schwierigkeiten wegzuraͤumen, die einer Verei-
24*
[372]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
nigung der beiden Seemaͤchte entgegenſtanden: die uͤbrigen
Kraͤfte Italiens geſellte er ihnen zu: er ſelbſt, obwohl er
anfangs weder Geld noch Schiffe noch Waffen hatte, fand
doch Mittel, auch paͤpſtliche Galeeren zu der Flotte ſtoßen
zu laſſen: an der Wahl des Anfuͤhrers Don Johann von
Oeſtreich hatte er Antheil: deſſen Ehrgeiz und Devotion
wußte er zugleich zu entflammen. Und ſo kam es zu dem
gluͤcklichſten Schlachttag — bei Lepanto — den die Chri-
ſten je gehalten. So ſehr lebte der Papſt in dieſem Un-
ternehmen, daß er an dem Tage der Schlacht in einer Art
von Entzuͤckung den Sieg zu ſehen meinte. Daß dieſer er-
fochten ward, erfuͤllte ihn mit hohem Selbſtvertrauen und
den kuͤhnſten Entwuͤrfen. In ein paar Jahren hoffte er
die Osmanen ganz erniedrigt zu haben.


Nicht allein aber zu ſo unbedenklich ruhmwuͤrdigen
Unternehmungen benutzte er ſeine Vermittelung. Seine
Religioſitaͤt war von einer ſo ausſchließenden und gebiete-
riſchen Art, daß er den andersglaͤubigen Chriſten den bit-
terſten Haß widmete. Daß die Religion der Unſchuld und
der Demuth, daß wahre Froͤmmigkeit verfolge, welch ein
Widerſpruch! Pius V., hergekommen bei der Inquiſition,
in ihren Ideen alt geworden, fand darin keinen. Suchte
er die Reſte abweichender Regungen, die es in den katho-
liſchen Laͤndern gab, mit unermuͤdlichem Eifer zu vertilgen,
ſo verfolgte er die eigentlichen, frei gewordenen oder noch
im Kampf begriffenen Proteſtanten mit noch wilderem In-
grimm. Den franzoͤſiſchen Katholiken kam er nicht allein
ſelbſt mit einer kleinen Kriegsmacht zu Huͤlfe: dem Anfuͤh-
rer derſelben, dem Grafen Santafiore, gab er die unerhoͤrte
[373]PiusV.
Weiſung, „keinen Hugenotten gefangen zu nehmen: jeden,
der ihm in die Haͤnde falle, ſofort zu toͤdten“ 1). Bei
den niederlaͤndiſchen Unruhen ſchwankte Philipp II. anfangs,
wie er die Provinzen zu behandeln habe: der Papſt rieth ihm
zu bewaffneter Dazwiſchenkunft. Sein Grund war: wenn
man ohne den Nachdruck der Waffen unterhandle, ſo em-
pfange man Geſetze: habe man dagegen die Waffen in den
Haͤnden, ſo ſchreibe man deren vor. Er billigte die blutigen
Maaßregeln des Alba: er ſchickte ihm dafuͤr den geweihe-
ten Hut und Degen. Es kann nicht bewieſen werden, daß
er um die Vorbereitungen zu der Bartholomaͤusnacht ge-
wußt habe: aber er hat Dinge begangen, die keinen Zwei-
fel uͤbrig laſſen, daß er ſie ſo gut wie ſein Nachfolger
gebilligt haben wuͤrde.


Welch eine Miſchung von Einfachheit, Edelmuth,
perſoͤnlicher Strenge, hingegebener Religioſitaͤt und herber
Ausſchließung, bitterem Haß, blutiger Verfolgung.


In dieſer Geſinnung lebte und ſtarb Pius V.2). Als
er ſeinen Tod kommen ſah, beſuchte er noch einmal die ſie-
ben Kirchen, „um,“ wie er ſagte, „von dieſen heiligen
Orten Abſchied zu nehmen:“ dreimal kuͤßte er die letzten
Stufen der Scala ſanta. Er hatte einſt verſprochen, zu
einer Unternehmung gegen England nicht allein die Guͤter
der Kirche, Kelche und Kreuze nicht ausgenommen, aufzu-
wenden, ſondern auch in Perſon zu erſcheinen, um ſie zu
[374]BuchIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
leiten. Auf dem Wege ſtellten ſich ihm einige aus Eng-
land verjagte Katholiken dar; er ſagte: er wuͤnſche ſein
Blut fuͤr ſie zu vergießen. Hauptſaͤchlich ſprach er von
der Liga, zu deren gluͤcklicher Fortſetzung er alles vorbe-
reitet hinterlaſſe: das letzte Geld, das er ausgab, war
dafuͤr beſtimmt 1). Die Geiſter ſeiner Unternehmungen
umgaben ihn bis auf ſeinen letzten Augenblick. An ihrem
gluͤcklichen Fortgange zweifelte er nicht. Er meinte: Gott
werde noͤthigenfalls aus den Steinen den Mann erwecken,
deſſen man beduͤrfe.


Ward nun gleich ſein Verluſt mehr empfunden, als er
ſelbſt geglaubt hatte, ſo war doch eine Einheit gebildet, es
war eine Macht vorhanden, deren innere Triebe die einge-
ſchlagene Richtung behaupten mußten.


[[375]]

Viertes Buch.
Staat und Hof. Die Zeiten Gregors XIII. und
Sixtus V.


[[376]][[377]]

Mit verjuͤngter, neu zuſammengenommener Kraft trat
nunmehr der Katholicismus der proteſtantiſchen Welt ent-
gegen.


Wollte man ſie im Ganzen mit einander vergleichen,
ſo war der Katholicismus ſchon dadurch in ungemeinem
Vortheil, daß er einen Mittelpunkt hatte, ein Oberhaupt,
das ſeine Bewegungen nach allen Seiten hin leitete.


Nicht allein vermochte der Papſt die Kraͤfte der uͤbri-
gen katholiſchen Maͤchte zu gemeinſchaftlichen Anſtrengun-
gen zu vereinigen: er hatte auch einen eigenen Staat,
der ſtark genug war, um etwas Weſentliches dazu beizu-
tragen.


In einer neuen Bedeutung erſcheint uns nunmehr der
Kirchenſtaat.


Er war gegruͤndet worden, indem die Paͤpſte ihre Ge-
ſchlechter zu fuͤrſtlicher Gewalt zu erheben, oder ſich ſelbſt
ein uͤberwiegendes Anſehn unter den Maͤchten der Welt,
vornehmlich den italieniſchen Staaten zu verſchaffen ſuch-
ten. Weder das eine noch das andere hatten ſie in dem
Maaße erreicht, wie ſie es gewuͤnſcht haͤtten; jetzt war es
auf immer unmoͤglich geworden, dieſe Beſtrebungen zu er-
[378]BuchIV.Staat und Hof.
neuern. Ein eigenes Geſetz verbot die Veraͤußerung kirch-
licher Beſitzthuͤmer: allzu maͤchtig waren die Spanier in
Italien, als daß man noch mit ihnen haͤtte wetteifern duͤr-
fen. Dagegen ward der Staat nunmehr zu einer Stuͤtze
fuͤr die geiſtliche Gewalt. Mit den finanziellen Mitteln,
die er darbot, wurde er fuͤr die allgemeine Entwickelung
wichtig. Ehe wir weiter gehen, iſt es nothwendig, ſeine
Verwaltung, wie ſie ſich in dem Laufe des 16ten Jahr-
hunderts allmaͤhlig ausbildete, naͤher ins Auge zu faſſen.


Verwaltung des Kirchenſtaates.


Ein wohlgelegenes, reiches, herrliches Gebiet war den
Paͤpſten zu Theil geworden.


Die Relationen des 16ten Jahrhunderts koͤnnen nicht
Worte genug finden, um die Fruchtbarkeit deſſelben zu ruͤh-
men. Wie ſchoͤne Ebenen biete es um Bologna, durch
ganz Romagna dar. Die Apenninen hinan verknuͤpfe es
Anmuth und Fruchtbarkeit. „Wir reiſten,“ ſagen die ve-
nezianiſchen Geſandten von 1522, „von Macerata nach
Tolentino durch das ſchoͤnſte Gefilde, Huͤgel und Ebenen
voller Getreide; 30 Miglien weit wuchs nichts anderes;
keinen Fußbreit Landes haͤtte man unbebaut finden koͤnnen:
es ſchien uns unmoͤglich, ſo viel Getreide einzuſammeln,
geſchweige zu verbrauchen.“ Die Romagna brachte jaͤhr-
lich 40000 Stara Getreide mehr hervor, als ſie ſelbſt be-
durfte; es war große Nachfrage darnach; nachdem die ge-
[379]Verwaltung des Kirchenſtaates.
birgigen Landſtriche von Urbino, Toscana und Bologna
verſorgt worden, fuͤhrte man zuweilen noch 35000 Stara
ſeewaͤrts aus. Waͤhrend von der Romagna und der Mark
aus Venedig 1), wurden an dem andern Meere, aus dem
Gebiete von Viterbo und dem Patrimonium in der Regel
Genua, zuweilen ſogar Neapel mit ihrem Beduͤrfniß verſehen.
In einer ſeiner Bullen vom Jahre 1566 preiſt Pius V. die
goͤttliche Gnade, durch die es geſchehen ſey, daß Rom,
welches in fruͤheren Zeiten nicht ohne fremdes Getreide be-
ſtehen koͤnnen, jetzt nicht allein daran Ueberfluß habe, ſon-
dern auch Nachbarn und Auswaͤrtigen, zu Land und See,
deſſen oftmals aus ſeiner Campagna zuzufuͤhren vermoͤge 2).
Im Jahre 1589 berechnet man die Getreideausfuhr des
Kirchenſtaates auf einen Werth von jaͤhrlich 500000 Sc. 3).
Einzelne Landſchaften waren noch durch beſondere Produkte
beruͤhmt: Perugia durch Hanf, Faenza durch Lein, Vi-
[380]BuchIV.Staat und Hof.
terbo durch beides 1), Ceſena durch einen Wein, den man
verſchiffte, Rimini durch Oel, Bologna durch Waid, S.
Lorenzo durch ſein Manna; das Weingewaͤchs von Mon-
tefiascone hatte Ruf in der ganzen Welt. In der Cam-
pagna fand man damals eine Gattung Pferde, die den nea-
politaniſchen nicht viel nachgab: nach Nettuno und Terracina
hin hatte man die ſchoͤnſte Jagd, zumal von Ebern. Es
fehlte nicht an fiſchreichen Seen: man beſaß Salzwerke,
Alaunwerke, Marmorbruͤche; man ſchien alles in Fuͤlle
zu haben, was man ſich nur zum Leben wuͤnſchen konnte.


Von dem Verkehr der Welt war man denn auch mit
nichten ausgeſchloſſen. Ancona hatte einen ſehr bluͤhenden
Handel. „Es iſt ein ſchoͤner Ort,“ ſagen jene Geſandten
von 1522, „voll von Kaufleuten, hauptſaͤchlich Griechen
und Tuͤrken: — es ward uns verſichert, daß einige von
ihnen im vorigen Jahre ein Geſchaͤft von 500000 Duc.
gemacht haben.“ Im Jahre 1549 finden wir daſelbſt 200
griechiſche Familien angeſiedelt, die ihre eigene Kirche ha-
ben, alles Handelsleute. Der Hafen iſt voll von levanti-
niſchen Caravallen. Armenier, Tuͤrken, Florentiner, [Lucche-]
ſen, Venezianer, Juden von Orient und Occident ſind zu-
gegen. Die Waaren, die man hier austauſchte, beſtanden
in Seide, Wolle, Leber, Blei von Flandern, Tuchen. Der
Luxus nahm zu: die Miethen der Haͤuſer waren im Stei-
gen: man nahm Aerzte und Schullehrer zahlreicher und zu
hoͤherer Beſoldung an, als bisher 2).


[381]Verwaltung des Kirchenſtaates.

Noch viel mehr aber, als Regſamkeit und Handels-
thaͤtigkeit, ruͤhmt man uns die Tapferkeit der Einwohner
des Kirchenſtaates: zuweilen wird ſie uns ſogar nach ihrer
mannichfaltigen Abſtufung vorgeſtellt. Man findet die Peru-
giner wacker im Dienſt: die Romagnolen tapfer, aber un-
vorſichtig; die Spoletiner voll von Kriegsliſten; die Bo-
logneſen muthig, und nur ſchwer in Mannszucht zu hal-
ten; die Marchianen zur Pluͤnderung geneigt: die Faenti-
ner vor allem geeignet, einen Angriff auszuhalten und den
Feind auf ſeinem Ruͤckzug zu verfolgen; in der Ausfuͤh-
rung ſchwieriger Manoͤver ſchienen die Forliveſen, im Ge-
brauch der Lanze die Einwohner von Fermo den Vorzug
zu verdienen 1). „Das ganze Volk“, ſagt einer unſerer Vene-
zianer, „iſt zum Kriege geſchickt und wild von Natur. So-
bald dieſe Menſchen nur einmal ihre Heimath verlaſſen
haben, ſind ſie zu jeder Kriegsthat, zu Belagerungen wie
zu offener Schlacht zu brauchen; leicht ertragen ſie die
Muͤhſeligkeiten des Feldzugs 2).“ Noch immer bekam Vene-
dig ſeine beſten Truppen aus der Mark und aus Romagna;
darum war die Freundſchaft eines Herzogs von Urbino
fuͤr die Republik ſo wichtig; immer finden wir Hauptleute
aus dieſen Gegenden in ihren Dienſten. Man ſagte aber,
es gebe hier Capitaͤne fuͤr alle Fuͤrſten der Welt; man er-
innerte daran, daß von hier die Compagnie des heiligen
[382]BuchIV.Staat und Hof.
Georg ausgegangen ſey, mit der Alberich von Barbiano
die auslaͤndiſchen Soͤldnerhaufen ausgerottet, und den Ruhm
der italieniſchen Waffen erneuert hatte; es ſey noch der
Stamm und Saame der Menſchen, welcher einſt zur Gruͤn-
dung des roͤmiſchen Reiches ſo viel beigetragen 1). In
neueren Zeiten hat ſich ein ſo ſtark ausgeſprochenes Lob
weniger bewaͤhrt: doch ſoll der letzte Kriegsfuͤrſt, der ſich
dieſer Mannſchaft außerhalb ihrer Heimath bedient hat,
ihnen vor den uͤbrigen italieniſchen und einem guten Theil
ſeiner franzoͤſiſchen Truppen unbedenklich den Vorzug zu-
geſtanden haben.


Alle dieſe reichen Landſchaften und tapfern Bevoͤlke-
rungen waren jetzt der friedlichen, geiſtlichen Gewalt des
Papſtes unterworfen; die Natur des Staates, die ſich un-
ter ihr entwickelte, haben wir uns nun in ihren Grund-
zuͤgen zu vergegenwaͤrtigen.


Er beruhte, wie der italieniſche Staat uͤberhaupt, auf
einer mehr oder minder durchgreifenden Beſchraͤnkung der
municipalen Unabhaͤngigkeit, welche ſich im Laufe der Jahr-
hunderte ziemlich allenthalben ausgebildet hatte.


Noch waͤhrend des funfzehnten Jahrhunderts empfin-
gen die Prioren von Viterbo auf ihren ſteinernen Sitzen
vor der Thuͤr des Stadthauſes den Eid des Podeſta, wel-
cher ihnen von dem Papſt oder ſeinem Stellvertreter zuge-
ſendet wurde 2).


[383]Verwaltung des Kirchenſtaates.

Als ſich im Jahre 1463 die Stadt Fano dem paͤpſt-
lichen Stuhle unmittelbar unterwarf, machte ſie zuvor ihre
Bedingungen; nicht allein Unmittelbarkeit auf alle Zukunft,
ſondern auch das Recht, ihren Podeſta ſelbſt zu erwaͤhlen,
ohne weitere Beſtaͤtigung, auf 20 Jahre Befreiung von
allen neuen Laſten, den Vortheil von dem Salzverkauf und
mehrere andere Berechtigungen bedang ſie ſich aus 1).


Selbſt ein ſo gewaltſamer Herrſcher wie Ceſar Bor-
gia konnte es nicht umgehen, den Staͤdten, aus welchen
er ſeine Herrſchaft zuſammengeſetzt, Privilegien zu gewaͤh-
ren. Der Stadt Sinigaglia trat er ſogar Einkuͤnfte ab,
die bisher dem Fuͤrſten gehoͤrt hatten 2).


Wie viel mehr mußte Julius II. dieß thun, deſſen Ehr-
geiz es war, als ein Befreier von der Tyrannei zu erſcheinen.
Die Peruginer erinnerte er ſelbſt daran, daß er die bluͤhen-
den Jahre ſeiner Jugend in ihren Mauern zugebracht habe.
Als er den Baglione aus Perugia verdraͤngte, begnuͤgte er
ſich, die Ausgewanderten zuruͤckzufuͤhren, dem friedlichen
Magiſtrat der Priori ſeine Macht zuruͤckzugeben, die Pro-
feſſoren der Univerſitaͤt mit beſſeren Beſoldungen zu er-
freuen; die alten Freiheiten taſtete er nicht an. Noch
lange nachher leiſtete dieſe Stadt nichts weiter, als eine
Recognition von ein paar tauſend Ducaten; noch unter
Clemens VII. finde ich eine Berechnung, wie viel Trup-
pen ſie ins Feld ſtellen koͤnne, gleich als waͤre es eine
voͤllig freie Commune 3).


[384]BuchIV.Staat und Hof.

Eben ſo wenig ward Bologna unterjocht. Es hat
allezeit mit den Formen auch viele weſentliche Attribute
municipaler Unabhaͤngigkeit behauptet. Frei verwaltete es
ſeine Einkuͤnfte: es hielt ſeine eigenen Truppen; der Legat
des Papſtes nahm eine Beſoldung von der Stadt.


In dem venezianiſchen Kriege eroberte Julius II. die
Staͤdte der Romagna. Er hat keine einzige an ſich ge-
bracht, ohne beſchraͤnkende Bedingungen einzugehen, oder
ohne beſtimmte neue Vorrechte zu gewaͤhren; auf die Ca-
pitulationen, die ſie damals ſchloſſen, ſind ſie ſpaͤter immer
zuruͤckgekommen. Das ſtaatsrechtliche Verhaͤltniß, in das
ſie traten, bezeichneten ſie mit dem Titel der kirchlichen
Freiheit 1).


Faſſen wir den Staat, der auf dieſe Weiſe zuſammen-
kam, im Ganzen, ſo hat er eine große Aehnlichkeit mit
dem venezianiſchen. In dem einen wie in dem andern war
die Staatsgewalt bisher in den Haͤnden der Communen
geweſen, die in der Regel andere kleinere Gemeinheiten
unterworfen hatten und beherrſchten. Im Venezianiſchen
begaben ſich dieſe regierenden Municipalitaͤten, ohne darum
ihre Unabhaͤngigkeit in allen Stuͤcken einzubuͤßen, auf
ſehr genau beſtimmte Bedingungen unter die Herrſchaft der
Nobili von Venedig. Im Kirchenſtaat geriethen ſie unter
das Gemeinweſen der Curie. Denn ein Gemeinweſen, wie
dort der Adel, bildete hier der Hof. Zwar war die Wuͤrde
der Praͤlatur, waͤhrend der erſten Haͤlfte dieſes Jahrhun-
derts,
[385]Verwaltung des Kirchenſtaates.
derts, noch ſelbſt nicht fuͤr die bedeutendſten Stellen un-
entbehrliches Erforderniß: es finden ſich weltliche Vicele-
gaten in Perugia: in Romagna ſcheint es faſt die Regel
zu ſeyn, daß ein weltlicher Praͤſident die Verwaltung lei-
tet; Laien erwarben zuweilen die groͤßte Macht und ein
unbedingtes Anſehn, wie unter Clemens VII. Jacopo Sal-
viati; aber einmal gehoͤrten auch dieſe zu der Curie: ſie
waren Angehoͤrige eines Papſtes, und hierdurch Mitglieder
jener Corporation: ſodann liebten die Staͤdte weltliche Go-
vernatoren nicht; ſie forderten ſelbſt Praͤlaten: es ſchien
ihnen ehrenvoller, hohen Geiſtlichen zu gehorchen. Mit
einem deutſchen Fuͤrſtenthum und deſſen ausgebildetem ſtaͤn-
diſchen Weſen verglichen, ſieht ein italieniſches auf den er-
ſten Blick faſt rechtlos aus. Aber in der That gab es
auch hier eine bemerkenswerthe Gliederung mannichfaltiger
Gerechtſame: der Nobili einer Stadt der Staatsgewalt ge-
genuͤber, der Cittadini in Bezug auf die Nobili, der un-
terworfenen Communen gegen die vornehmſte, der Bauern
gegen die Stadt. Auffallend iſt, daß es in Italien faſt
nirgends zu Provinzialberechtigungen kam. Auch in dem
Kirchenſtaat wurden wohl Provinzialzuſammenkuͤnfte gehal-
ten; man bezeichnet ſie mit dem viel bedeutenden Namen
von Parlamenten; allein auf irgend eine Weiſe muß es
den Sitten des Landes und dem italieniſchen Charakter wi-
derſprochen haben, ein ſolches Inſtitut auszubilden: zu ei-
ner nachhaltigen Wirkſamkeit ſind ſie niemals gelangt.


Haͤtte ſich aber auch nur die municipale Verfaſſung
vollkommen entwickelt, wie ſie dazu die Moͤglichkeit hatte
und auf dem Wege zu ſeyn ſchien, ſo wuͤrde ſie bei der
25
[386]BuchIV.Staat und Hof.
Beſchraͤnkung der Staatsgewalt auf der einen, den poſitiven
Rechten, und der großen Macht der Communen auf der an-
dern Seite und der Menge einzelner Privilegien das Prin-
zip der Stabilitaͤt — ein durch beſondere Berechtigungen
und gegenſeitige Beſchraͤnkung fixirtes Staatsweſen — auf
das ſtaͤrkſte dargeſtellt haben.


In dem Venezianiſchen iſt man ſehr weit darin ge-
kommen: um vieles weniger in dem Kirchenſtaat.


Es liegt das ſchon in dem urſpruͤnglichen Unterſchied
der Regierungsformen. In Venedig war es eine erbliche,
ſich ſelbſt regierende Corporation, welche die Regierungs-
rechte als ihr Eigenthum anſah. Die roͤmiſche Curie war
dagegen hoͤchſt beweglich: nach jedem neuen Conclave ſtie-
ßen neue Elemente dazu; die Landsleute der verſchiedenen
Paͤpſte bekamen allemal einen großen Antheil an den Ge-
ſchaͤften. Dort ging jede Wahl zu einer Stelle in der
Verwaltung von der Corporation ſelber aus: hier hing ſie
von der Gunſt des Oberhauptes ab. Dort wurden die
Regierenden durch ſtrenge Geſetze, ſcharfe Aufſicht und Syn-
dication in Zaum gehalten: hier wurde die Perſoͤnlichkeit
weniger durch Furcht vor der Strafe, als durch Hoffnung
auf Befoͤrderung, die indeß doch ſehr von Gunſt und Wohl-
wollen abhing, eingeſchraͤnkt, und behauptete einen weite-
ren Spielraum.


Auch hatte ſich die paͤpſtliche Regierung von allem An-
fang eine freiere Stellung ausbedungen.


In dieſer Hinſicht giebt es ein merkwuͤrdiges Reſul-
tat, wenn man irgendwo roͤmiſche Zugeſtaͤndniſſe mit vene-
zianiſchen vergleicht. Unter andern iſt das bei Faenza
[387]Verwaltung des Kirchenſtaates.
leicht, welches ſich erſt wenige Jahre, ehe es an den Papſt
fiel, den Venezianern ergeben hatte, und mit beiden Capi-
tulationen abſchloß 1). Beide Male hatte es z. B. gefor-
dert, daß nie eine neue Auflage eingefuͤhrt werden duͤrfe,
ohne die Billigung der Mehrheit des großen Rathes von
Faenza; die Venezianer hatten das ohne Bedenken zugege-
ben: der Papſt fuͤgte die Clauſel hinzu: „wofern es nicht
ihm aus bedeutenden und vernuͤnftigen Gruͤnden anders ge-
falle.“ Ich will dieſe Capitel nicht durchgehen: allenthal-
ben zeigt ſich ein aͤhnliches Verhaͤltniß: es iſt genug, wenn
ich noch Einer Abweichung gedenke. Die Venezianer hat-
ten ohne Weiteres zugeſtanden, daß alle Criminalurtheile
von dem Podeſta und deſſen Curie gefaͤllt werden ſollten;
der Papſt geſtattete das im Allgemeinen nicht minder: nur
Eine Ausnahme ſetzte er feſt. In Faͤllen der beleidigten
Majeſtaͤt oder aͤhnlicher Verbrechen, die ein oͤffentliches
Aergerniß veranlaſſen koͤnnten, ſoll die Autoritaͤt des Go-
vernators eintreten. Man ſieht, daß ſich die paͤpſtliche
Regierung gleich von vorn herein eine viel ſtaͤrkere Einwir-
kung der ſouveraͤnen Gewalt vorbehielt 2).


Es iſt nicht zu leugnen, daß man es ihr von der an-
dern Seite her ſehr erleichterte.


25*
[388]BuchIV.Staat und Hof.

In den unterworfenen Staͤdten hielten ſich zwar in
jener Zeit die mittleren Staͤnde, die Buͤrger, auch wenn
ſie Einkuͤnfte beſaßen, um davon zu leben, die Kaufleute
und Handwerker ruhig und gehorſam: in ewiger Bewegung
aber ſah man die Patrizier, die Nobili, welche es doch
waren, die die municipale Gewalt in ihren Haͤnden hat-
ten. Sie trieben keine Gewerbe; ſie bekuͤmmerten ſich we-
nig um den Ackerbau; weder hoͤhere Bildung noch Ge-
wandtheit in der Fuͤhrung der Waffen lag ihnen ſehr am
Herzen; nur ihre Entzweiungen und Feindſeligkeiten be-
ſchaͤftigten ſie. Noch immer beſtanden die alten Parteiun-
gen der guelfiſchen und gibelliniſchen Geſchlechter; durch
die letzten Kriege, die eine Eroberung bald von der einen,
bald von der andern Seite herbeigefuͤhrt, waren ſie ge-
naͤhrt worden: man kannte alle Familien, die zu der einen
oder zu der andern gehoͤrten. In Faenza, Ravenna, Forli
waren die Gibellinen, in Rimini die Guelfen am ſtaͤrkſten,
doch hielten ſich in jeder dieſer Staͤdte auch die entgegenge-
ſetzten Factionen; in Ceſena und Imola waren ſie einander
gleich. Auch bei aͤußerlicher Ruhe ging doch ein geheimer
Krieg fort; ein Jeder ließ es ſich vor allem angelegen
ſeyn, ſeine Gegner von der andern Partei niederzuhalten,
in Schatten zu ſtellen 1). Die Oberhaͤupter hatten An-
[389]Verwaltung des Kirchenſtaates.
haͤnger in der geringſten Claſſe an der Hand; ſtarke ent-
ſchloſſene Leute, herumſchweifende Bravi, welche diejenigen
ſelber aufſuchen, von denen ſie wiſſen, daß ſie vor ihren
Feinden Furcht hegen, oder daß ſie wohl eine Beleidigung
zu raͤchen haͤtten: einen Mord fuͤr Geld auszufuͤhren ſind
ſie immer bereit.


Dieſe durchgehende Feindſeligkeit bewirkte nun, daß,
indem keine Partei der andern die Gewalt goͤnnte, noch
ihr traute, die Staͤdte ſelbſt ihre Privilegien weniger ſtreng
behaupteten. Wenn der Praͤſident, der Legat in die Pro-
vinz kam, ſo fragte man nicht, ob er die municipalen
Rechte zu beobachten geſonnen ſey; man ſuchte nur zu er-
forſchen, mit welcher Partei er es halte. Man kann nicht
ausdruͤcken, wie ſehr ſich die Beguͤnſtigten freuten, die An-
dern betruͤbten. Der Legat mußte ſich ſehr in Acht neh-
men. Die angeſehenſten Maͤnner ſchloſſen ſich leicht an ihn
an, ſuchten ihm gefaͤllig zu ſeyn, gaben einen großen Ei-
fer fuͤr das Intereſſe des Staates zu erkennen, und billig-
ten alle Maaßregeln, welche zur Befoͤrderung deſſelben er-
griffen wurden; aber alles dieß thaten ſie oft nur, um bei
ihm Fuß zu faſſen, ſich einzuſchmeicheln, und alsdann die
Partei, welche ſie haßten, deſto empfindlicher benachtheili-
gen, verfolgen zu koͤnnen 1).


In etwas anderer Lage waren die Barone auf dem
Lande. In der Regel waren ſie arm, aber freigebig und
[390]BuchIV.Staat und Hof.
ehrgeizig, ſo daß ſie ſelbſt offenes Haus hielten, und ohne
Ausnahme einen Aufwand machten, der ihre Kraͤfte uͤberſtieg.
In den Staͤdten hatten ſie noch immer Anhaͤnger, deren ſie
ſich manchmal zu Ungeſetzlichkeiten bedienten. Ihre vornehmſte
Sorge aber ließen ſie es ſeyn, mit ihren Bauern, die im-
mer bei weitem den meiſten Grund und Boden beſaßen,
obwohl eben auch keine Reichthuͤmer, ein gutes Verhaͤlt-
niß zu behaupten. In den ſuͤdlichen Laͤndern haͤlt man wohl
auf das Anſehn der Geburt, die Praͤrogative des Bluts;
aber der Unterſchied der Staͤnde iſt doch lange nicht ſo
ſtark, wie in den noͤrdlichen; er ſchließt die engſte perſoͤn-
liche Vertraulichkeit nicht aus. Auch dieſe Barone lebten
mit ihren Bauern mehr in dem Verhaͤltniß einer bruͤderli-
chen Unterordnung; man konnte nicht ſagen, ob die Un-
terthanen zu Gehorſam und Dienſt, oder die Barone zu
Huͤlfleiſtungen williger waren; es lag noch etwas Patriar-
chales in ihrer Verbindung 1). Dieß kam unter andern da-
her, weil der Baron vor allem den Recurs ſeiner Hinterſaſſen
an die Staatsgewalt zu vermeiden ſuchte. Von der Lehns-
herrlichkeit des paͤpſtlichen Stuhles wollte er nicht viel
wiſſen. Daß der Legat die zweite und zuweilen ſogar die
erſte Inſtanz in Anſpruch nahm, hielten dieſe Lehensleute
nicht ſowohl fuͤr ein Recht, als fuͤr die Folge einer un-
gluͤcklichen politiſchen Conjunctur, welche bald voruͤber ge-
hen werde.


Noch gab es auch hier und da, beſonders in der Ro-
[391]Verwaltung des Kirchenſtaates.
magna, ganz freie Bauerſchaften 1). Es waren große Ge-
ſchlechter, die ſich von Einem Stamm herleiteten; Herren
in ihren Doͤrfern, alle bewaffnet, beſonders geuͤbt im Ge-
brauch der Hakenbuͤchſe, in der Regel halb verwildert.
Man kann ſie mit den freien griechiſchen oder ſlawiſchen
Gemeinden vergleichen, die unter den Venezianern ihre Un-
abhaͤngigkeit behaupteten, oder die verlorene unter den
Tuͤrken wieder erkaͤmpften, wie wir ihnen in Candia, Mo-
rea und Dalmatien begegnen. In dem Kirchenſtaat hiel-
ten auch ſie ſich zu den verſchiedenen Factionen. Die Ca-
vina, Scardocci, Solaroli waren Gibellinen; die Man-
belli, Cerroni und Serra Guelfen. Die Serra hatten in
ihrem Gebiet eine Anhoͤhe, die zu einer Art Aſyl fuͤr die-
jenigen diente, die etwas verbrochen hatten. Die ſtaͤrkſten
von allen waren die Cerroni, die auch noch in das flo-
rentiniſche Gebiet hinuͤberwohnten. Sie hatten ſich in zwei
Aeſte getheilt, — Rinaldi und Ravagli, die trotz ihrer
Verwandtſchaft in ewiger Fehde lagen. Sie ſtanden in
einer Art von erblicher Verbindung, nicht allein mit den
vornehmen Geſchlechtern der Staͤdte, ſondern auch mit
Rechtsgelehrten, welche die eine oder die andere Faction in
ihren Streithaͤndeln unterſtuͤtzten. In ganz Romagna gab
es keine ſo maͤchtige Familie, daß ſie nicht von dieſen
Bauern leicht haͤtte verletzt werden koͤnnen. Immer hatten
[392]BuchIV.Staat und Hof.
die Venezianer einen oder den andern Oberſten unter ihnen,
um ihrer Huͤlfe in Kriegsfaͤllen gewiß zu ſeyn 1).


Waͤren, wie geſagt, alle dieſe Einwohner einmuͤthig
geweſen, ſo haͤtte es den roͤmiſchen Praͤlaten ſchwer fallen
ſollen, die Staatsgewalt geltend zu machen. Ihre Entzweiung
aber gab der Regierung Kraft. In der Relation eines
Praͤſidenten der Romagna an Papſt Gregor XIII. finde ich
die Worte: „es regiert ſich ſchwer, wenn das Volk allzugut
zuſammenhaͤlt: iſt es dagegen entzweit, ſo laͤßt es ſich
leicht beherrſchen.“ Aber uͤberdieß bildete ſich in dieſen
Laͤndern noch eine Partei, zu Gunſten der Regierung. Es
waren die friedlichen Leute, welche die Ruhe wuͤnſchten, je-
ner Mittelſtand, der von den Factionen nicht ergriffen war.
In Fano trat er in eine Verbindung zuſammen, die man
die heilige Union nannte; dazu genoͤthigt, wie es in der
Stiftungsurkunde heißt, „weil ſich die ganze Stadt mit
Raub und Mord erfuͤllt habe, und nicht allein Diejenigen
unſicher ſeyen, die ſich in die Feindſeligkeiten verwickelt, ſon-
dern auch Die, welche lieber im Schweiß ihres Angeſichts
ihr Brot aͤßen;“ ſie vereinigen ſich durch einen Eidſchwur
in der Kirche als Bruͤder auf Leben und Tod, die Ruhe
in der Stadt aufrecht zu erhalten, und die Stoͤrer derſel-
ben zu vernichten 2). Die Regierung beguͤnſtigte ſie und
gab ihnen das Recht, Waffen zu tragen. In der ganzen
[393]Verwaltung des Kirchenſtaates.
Romagna finden wir ſie unter dem Namen der Pacifici:
ſie bilden allmaͤhlig eine Art von plebejiſchem Magiſtrat.
Auch unter den Bauern hatte die Regierung ihre Anhaͤn-
ger. Die Manbelli hielten ſich zu dem Hofe des Legaten.
Sie ſchafften Banditen herbei und bewachten die Grenzen:
es gab ihnen dieß wieder unter ihren Nachbarn ein nicht
geringes Anſehen 1). Nachbarliche Eiferſucht, der Gegen-
ſatz der Landgemeinden gegen die Staͤdte und manche an-
dere innere Uebelſtaͤnde kamen der Regierung uͤberdieß zu
Huͤlfe.


Und ſo finden wir ſtatt jener Geſetzlichkeit, Ruhe und
Stabilitaͤt, zu welcher der Idee nach dieſe Verfaſſung haͤtte
entwickelt werden koͤnnen, eine lebhafte Bewegung der
Factionen, Einwirkung der Regierung, ſo lange dieſe ent-
zweit ſind, Gegendruck der Municipalitaͤten, ſo wie ſie
ſich einmal vereinigen: Gewalt fuͤr das Geſetz, Gewalt
wider das Geſetz. Ein jeder ſieht, wie weit ers bringen
kann.


Gleich unter Leo X. machten die Florentiner, welche
die Regierung groͤßtentheils in Haͤnden hatten, die Rechte
der Curie auf eine ſehr druͤckende Weiſe geltend. Man
ſah die Geſandtſchaften der Staͤdte eine nach der an-
dern nach Rom gelangen, und um eine Abhuͤlfe ihrer Be-
ſchwerden nachſuchen. Ravenna erklaͤrte, es werde ſich eher
[394]BuchIV.Staat und Hof.
den Tuͤrken ergeben, als die Fortſetzung eines ſolchen Re-
giments dulden 1). Noch oft kamen waͤhrend der Sedis-
vacanzen die alten Herren zuruͤck: nur mit Muͤhe wurden
ſie dann von den Paͤpſten wieder verjagt. Auf der andern
Seite fuͤrchteten auch die Staͤdte, wieder alienirt zu wer-
den. Bald iſt es ein Cardinal, bald ein Angehoͤriger des
Papſtes, bald ein benachbarter Fuͤrſt, der fuͤr eine Summe,
die er der Kammer zahlt, die Regierungsrechte in einer
oder der andern Stadt an ſich zu bringen ſucht. Die
Staͤdte halten auch darum Agenten und Geſandten zu Rom,
um jeden Plan dieſer Art, ſo wie er gefaßt iſt, kennen zu
lernen, ſo wie er zur Ausfuͤhrung gelangen ſoll, zu hinter-
treiben. In der Regel gelingt es ihnen. Aber zuweilen
kommen ſie auch in den Fall, gegen paͤpſtliche Autoritaͤ-
ten, ſelbſt gegen paͤpſtliche Truppen Gewalt zu brauchen.
Beinahe in jeder Geſchichte dieſer Ortſchaften findet ſich
ein oder das andere Beiſpiel einer groben Widerſetzlichkeit.
In Faenza kam es einmal, in dem Sommer des Jahres
1521, zwiſchen den Schweizern des Papſtes Leo und den
Buͤrgern zu einem foͤrmlichen Kampf, zu einer Art von
Schlacht auf der Straße. Den Schweizern gelang es noch,
ſich auf der Piazza zu vereinigen: aber alle Ausgaͤnge der
Straßen, die in dieſelbe muͤnden, waren von den Buͤrgern
verrammelt, und die Schweizer mußten zufrieden ſeyn, daß
man eine eroͤffnete, und ſie ohne Beſchaͤdigung abziehen
[395]Verwaltung des Kirchenſtaates.
ließ. In Faenza hat man dieſen Tag ſeitdem lange Jahre
hindurch mit religioͤſen Feſtlichkeiten begangen 1). Jeſï,
nicht grade eine bedeutende Stadt, hatte doch den Muth,
den Vicegovernator, der gewiſſe Ehrenbezeigungen verlangte,
die man ihm nicht erwieſen mochte, am 25. Nov. 1528
in ſeinem Pallaſt anzugreifen. Buͤrger und Bauern waren
vereinigt, 100 Albaneſer, die in der Naͤhe ſtanden, in
Sold genommen. Der Vicegovernator ergriff mit allen ſei-
nen Beamten die Flucht. „Mein Vaterland,“ ſagt der
uͤbrigens ſehr devote Chroniſt dieſer Stadt, „das ſich
dergeſtalt zu ſeiner urſpruͤnglichen Freiheit hergeſtellt ſah,
beſchloß dieſen Tag jaͤhrlich auf oͤffentliche Koſten feierlich
zu begehen“ 2).


Hieraus konnte, wie ſich verſteht, nichts anderes fol-
gen, als neue Uebermannung, Strafe und groͤßere Be-
ſchraͤnkung. Gegen Staͤdte, welche noch bedeutende Ueber-
reſte der alten Freiheit beſaßen, ergriff die Regierung ſolche
Gelegenheiten, um ihnen dieſelben zu entreißen, um ſie vol-
lends zu unterwerfen.


Wie dieß geſchah, davon bieten beſonders Ancona und
Perugia merkwuͤrdige Beiſpiele dar.


Auch Ancona bezahlte dem Papſt nur eine jaͤhrliche
Recognition. Sie erſchien um ſo unzureichender, je mehr
die Stadt in Aufnahme kam. Am Hofe berechnete man
die Einkuͤnfte von Ancona auf 50000 Scudi, und fand es
unertraͤglich, daß der dortige Adel dieß Geld unter ſich
[396]BuchIV.Staat und Hof.
theile. Da nun die Stadt ſich zugleich neuen Auflagen
entzog, und ein Caſtell, auf das ſie Anſpruch hatte, mit
Gewalt einnahm, ſo kam es zu offenen Mißhelligkeiten.
Man bemerke, wie damals noch Regierungen zuweilen ihr
Recht geltend machten. Die paͤpſtlichen Beamten ließen
das Vieh aus der anconitaniſchen Feldmark wegtreiben,
um zu dem Betrag ihrer Auflage zu gelangen: man nannte
das Repreſſalien.


Indeſſen war Clemens VII. hiermit nicht zufrieden.
Er erwartete nur einen guͤnſtigen Augenblick, um ſich zum
wirklichen Herrn von Ancona zu machen. Nicht ohne Hin-
terliſt ſuchte er ihn herbeizufuͤhren.


Indem er eine Feſtung in Ancona anzulegen befahl,
gab er vor, er thue das allein deshalb, weil die tuͤrkiſche
Macht, nach ihren Erfolgen in Aegypten und Rhodus in
ſo großer Aufnahme auf dem ganzen Mittelmeer, ſich in
Kurzem ohne Zweifel auch auf Italien werfe. Welch eine
Gefahr ſey es denn, wenn Ancona, wo ohnedieß ſtets eine
Anzahl tuͤrkiſcher Fahrzeuge liege, durch keinerlei Werke
geſchuͤtzt werde. Er ſchickte Antonio Sangallo, die Fe-
ſtung anzulegen. Die Arbeiten gingen auf das raſcheſte
vorwaͤrts: bald nahm eine kleine Mannſchaft daſelbſt Platz.
Eben dieß war der Moment, den der Papſt erwartete.
Als man ſo weit war, im September 1532, erſchien eines
Tages der Governator der Mark, Monſignor Bernardino
della Barba, zwar ein Prieſter, aber von kriegeriſcher Ge-
ſinnung, mit einem ſtattlichen Heer, das ihm die Eifer-
ſucht der Nachbarn zuſammengebracht, in dem Gebiete von
Ancona, nahm ein Thor ein, ruͤckte ſofort auf den Markt-
[397]Verwaltung des Kirchenſtaates.
platz und ließ ſeine Truppen vor dem Pallaſt aufmarſchi-
ren. Unbeſorgt wohnten hier, mit den Zeichen der hoͤch-
ſten Wuͤrde, die vor kurzem durch das Loos beſtimmten
Anzianen. Monſignore della Barba trat mit militaͤri-
ſchem Gefolge ein, und erklaͤrte ihnen ohne viel Ruͤckhalt,
„der Papſt wolle die Regierung von Ancona unumſchraͤnkt
in ſeine Haͤnde haben.“ In der That konnte man ihm
keinen Widerſtand entgegenſetzen. Die juͤngeren Nobili lie-
ßen in aller Eile einige Mannſchaften, die ihnen ergeben
waren, von dem Lande hereinkommen: aber was wollte
man anfangen, da die paͤpſtlichen Truppen ſchon durch die
neuen Befeſtigungen fuͤr alle Faͤlle uͤberlegen waren? Der
Gefahr einer Pluͤnderung und Zerſtoͤrung der Stadt woll-
ten die aͤlteren ſich nicht ausſetzen. Sie ergaben ſich in
das Unvermeidliche.


Die Anzianen verließen den Pallaſt; in Kurzem er-
ſchien der neue paͤpſtliche Legat, Benedetto delli Accolti,
welcher der apoſtoliſchen Kammer fuͤr die Regierungsrechte
in Ancona 20000 Sc. des Jahrs zugeſagt hatte.


Der ganze Zuſtand ward veraͤndert. Alle Waffen muß-
ten abgeliefert werden, 64 angeſehene Nobili wurden exi-
lirt. Man machte neue Inboſſolationen: den Unadlichen,
den Einwohnern der Landſchaft wurde ein Antheil an den
Aemtern gewaͤhrt; das Recht ward nicht mehr nach den
alten Statuten geſprochen.


Wehe dem, der ſich wider dieſe Anordnungen regte!
Einige Oberhaͤupter machten ſich einer Verſchwoͤrung ver-
daͤchtig; ſie wurden ſofort eingezogen, verurtheilt und ent-
hauptet. Den andern Tag breitete man einen Teppich auf
[398]BuchIV.Staat und Hof.
dem Markte aus: darauf legte man die Leichen: neben je-
der brannte eine Fackel: ſo ließ man ſie den ganzen Tag.


Zwar hat hernach Paul III. einige Erleichterungen
zugeſtanden, allein die Unterwerfung ward damit nicht ge-
hoben: die alten Freiheiten herzuſtellen, war er weit ent-
fernt 1).


Bediente er ſich doch vielmehr eben jenes Bernardino
della Barba, die Freiheiten einer andern ſeiner Staͤdte auf-
zuheben.


Der Papſt hatte den Salzpreis um die Haͤlfte er-
hoͤht. Die Stadt Perugia glaubte ſich durch ihre Privi-
legien berechtigt, ſich dieſer Auflage zu widerſetzen. Der
Papſt ſprach das Interdict aus; die Buͤrger, in den Kir-
chen vereinigt, waͤhlten ſich einen Magiſtrat von „25 Ver-
theidigern;“ vor einem Crucifix auf dem Markte legten ſie
die Schluͤſſel ihrer Thore nieder. Beide Theile ruͤſteten.


Daß eine ſo bedeutende Stadt ſich gegen die Herr-
ſchaft des Papſtes erhob, erregte eine allgemeine Bewegung.
Es wuͤrde bemerkenswerthe Folgen gehabt haben, wenn es
ſonſt einen Krieg in Italien gegeben haͤtte. Da aber al-
les ruhig war, konnte ihr kein Staat die Huͤlfe gewaͤh-
ren, auf die ſie gerechnet hatte.


Denn obwohl Perugia nicht ohne Macht war, ſo
beſaß es doch auch lange nicht die Kraft, einem Heere
zu widerſtehen, wie es Peter Ludwig Farneſe zuſammen-
brachte, von 10000 Italienern, 3000 Spaniern. Auch
zeigte ſich die Regierung der Fuͤnfundzwanzig eher gewalt-
[399]Verwaltung des Kirchenſtaates.
ſam und heftig, als beſonnen und ſchuͤtzend. Nicht ein-
mal Geld, den Sold fuͤr die Truppen, die ihnen ein Ba-
glione zufuͤhrte, hielten ſie bereit. Ihr einziger Verbuͤnde-
ter Ascanio Colonna, der ſich der nehmlichen Auflage wi-
derſetzte, begnuͤgte ſich, Vieh von dem kirchlichen Gebiete
wegzutreiben: zu ernſtlicher Huͤlfe entſchloß er ſich nicht.


Und ſo mußte ſich die Stadt nach kurzer Freiheit am
3. Juni 1540 wieder ergeben. In langen Trauerkleidern,
mit Stricken um den Hals erſchienen ihre Abgeordneten in
dem Porticus von St. Peter zu den Fuͤßen des Papſtes,
ihn um Begnadigung anzurufen.


Wohl gewaͤhrte er ihnen ſolche, aber ihre Freiheiten
hatte er indeß ſchon zerſtoͤrt. Alle ihre Privilegien hatte
er aufgehoben.


Jener Bernardino della Barba kam nach Perugia, um
es einzurichten wie Ancona. Die Waffen wurden ausge-
liefert, die Ketten, mit denen man bisher die Straßen ver-
ſchloß, weggenommen, die Haͤuſer der Fuͤnfundzwanzig, die
bei Zeiten entwichen waren, dem Erdboden gleich gemacht;
an der Stelle, wo die Baglionen gewohnt, ward eine Feſtung
aufgerichtet. Die Buͤrger ſelbſt mußten dazu ſteuern. Man
hatte ihnen einen Magiſtrat gegeben, deſſen Name ſchon
den Zweck anzeigt, zu dem er beſtimmt war. Conſervato-
ren des kirchlichen Gehorſams nannte man ihn. Ein ſpaͤ-
terer Papſt gab ihm den Titel: Prioren zuruͤck, doch
keins von den alten Gerechtſamen 1).


[400]BuchIV.Staat und Hof.

Auch Ascanio Colonna war indeß von dem nehmli-
chen Heere uͤberzogen und aus ſeinen feſten Plaͤtzen ver-
trieben worden.


Durch ſo viele gluͤckliche Schlaͤge ward die paͤpſtliche
Gewalt in dem Kirchenſtaate unendlich vergroͤßert; weder
die Staͤdte noch die Barone wagten ſich ihr laͤnger zu
widerſetzen: von den freien Communen hatte ſie eine nach
der andern unterworfen: alle Huͤlfsquellen des Landes konnte
ſie zu ihren Zwecken anſtrengen.


Wir betrachten nun wie ſie das that.


Finanzen.


Vor allem kommt es dann darauf an, daß wir uns
das Syſtem der paͤpſtlichen Finanzen vergegenwaͤrtigen: —
ein Syſtem, welches nicht allein fuͤr dieſen Staat, ſondern
durch das Beiſpiel, das es aufſtellte, fuͤr ganz Europa von
Bedeutung iſt.


Wenn man bemerkt hat, daß die Wechſelgeſchaͤfte des
Mittelalters ihre Ausbildung hauptſaͤchlich der Natur der
paͤpſtlichen Einkuͤnfte verdankten, die in aller Welt faͤllig,
von allen Seiten an die Curie zu uͤbermachen waren: ſo
iſt es nicht minder bemerkenswerth, daß das Syſtem von
Staatsſchulden, welches uns in dieſem Augenblicke alle
umſchließt, und das ganze Getriebe des Verkehrs bedingt
und
1)
[401]Finanzen.
und feſſelt, in dem Kirchenſtaate zuerſt ſyſtematiſch entwik-
kelt wurde.


Mit wie vielem Recht man auch uͤber die Erpreſſun-
gen Klage gefuͤhrt haben mag, welche ſich Rom waͤhrend
des funfzehnten Jahrhunderts erlaubte, ſo iſt doch au-
genſcheinlich, daß von dem Ertrage derſelben nur wenig
in die Haͤnde des Papſtes kam. Pius II. genoß die all-
gemeine Obedienz von Europa: dennoch hat er einmal
aus Mangel an Geld ſich und ſeine Umgebung auf Eine
Mahlzeit des Tages einſchraͤnken muͤſſen. Die 200000 Duc.,
die er zu dem Tuͤrkenkriege brauchte, den er vorhatte,
mußte er erborgen. Selbſt jene kleinlichen Mittel, deren
ſich mancher Papſt bediente, um von einem Fuͤrſten, einem
Biſchof, einem Großmeiſter, der eine Sache am Hofe hatte,
ein Geſchenk, etwa von einem goldenen Becher mit einer
Summe Ducaten darin, oder von Pelzwerk zu erlangen 1),
beweiſen nur, wie die Wirthſchaft, die man fuͤhrte, doch
eigentlich armſelig war.


Das Geld gelangte, wenn nicht in ſo außerordentli-
chen Summen, wie man angenommen, doch in ſehr be-
traͤchtlichen allerdings an den Hof, aber hier zerfloß es
in tauſend Haͤnde. Es wurde von den Aemtern abſorbirt,
die man ſchon ſeit geraumer Zeit zu verkaufen pflegte.
26
[402]BuchIV.Staat und Hof.
Sie waren meiſt auf Sporteln gegruͤndet; der Induſtrie
der Beamten war ein großer Spielraum gelaſſen. Der
Papſt hatte nichts davon, als den Kaufpreis, ſobald ſie
vacant wurden.


Wollte der Papſt zu irgend einer koſtſpieligen Unter-
nehmung ſchreiten, ſo bedurfte er dazu außerordentlicher
Mittel. Jubileen und Indulgenzen waren ihm eben darum
hoͤchſt erwuͤnſcht; die Gutmuͤthigkeit der Glaͤubigen gewaͤhrte
ihm dadurch ein reines Einkommen. Noch ein anderes
Mittel ergab ſich dann leicht. Um uͤber eine bedeuten-
dere Summe verfuͤgen zu koͤnnen, brauchte er nur neue
Aemter zu creiren und dieſelben zu verkaufen. Eine ſon-
derbare Art von Anleihe, von der die Kirche die Zinſen in
erhoͤhten Gefaͤllen reichlich abtrug. Schon lange war ſie
in Gebrauch. Einem glaubwuͤrdigen Regiſter aus dem
Hauſe Chigi zufolge, gab es in dem Jahre 1471 gegen
650 kaͤufliche Aemter, deren Einkommen man ungefaͤhr auf
100000 Sc. berechnete 1). Es ſind faſt alles Procuratoren,
Regiſtratoren, Abbreviatoren, Correctoren, Notare, Schrei-
ber, ſelbſt Laufer und Thuͤrſteher, deren wachſende Anzahl
die Unkoſten einer Bulle, eines Breves immer hoͤher brachte.
Eben darauf waren ſie angewieſen; ihre Geſchaͤfte wollten
wenig oder nichts ſagen.


Man erachtet leicht, daß die folgenden Paͤpſte, die
ſich ſo tief in die europaͤiſchen Haͤndel verſtrickten, ein ſo
[403]Finanzen.
bequemes Mittel, ihre Caſſen zu fuͤllen, begierig ergriffen
haben werden. Sixtus IV. bediente ſich hierbei des Ra-
thes ſeines Protonotar Sinolfo. Er errichtete auf ein-
mal ganze Collegien, in denen er die Stellen um ein paar
hundert Ducaten verkaufte. Sonderbare Titel, die hier er-
ſcheinen: z. B. ein Collegium von 100 Janitſcharen, die
fuͤr 100000 Duc. ernannt und auf den Ertrag der Bullen
und Annaten angewieſen wurden 1). Notariate, Protono-
tariate, Stellen von Procuratoren bei der Kammer, alles
verkaufte Sixtus IV.; er trieb es ſo weit, daß man ihn
fuͤr den Gruͤnder dieſes Syſtemes gehalten hat. Wenig-
ſtens kam es erſt ſeit ihm recht in Aufnahme. Innocenz
VIII., der in ſeinen Verlegenheiten bis zur Verpfaͤndung
der paͤpſtlichen Tiare ſchritt, ſtiftete ein neues Collegium
von 26 Secretaͤren fuͤr 60000 Sc. und andere Aemter die
Fuͤlle. Alexander VI. ernannte 80 Schreiber von Bre-
ven, deren jeder 750 Sc. zu bezahlen hatte; Julius II.
fuͤgte 100 Schreiber des Archivs um den nemlichen Preis
hinzu.


Indeſſen waren die Quellen, aus denen alle dieſe Hun-
derte von Beamten ihre Einkuͤnfte zogen, doch auch nicht
unerſchoͤpflich. Wir ſahen, wie faſt alle chriſtliche Staaten
zugleich Verſuche und gluͤckliche Verſuche machten, die Ein-
wirkungen des paͤpſtlichen Hofes zu beſchraͤnken. Grade
26*
[404]BuchIV.Staat und Hof.
damals geſchahen ſie, als ſich die Paͤpſte durch ihre großen
Unternehmungen zu ungewohntem Aufwand veranlaßt ſahen.


Da war es ein Gluͤck fuͤr ſie, daß ſie den Staat, und
hiermit, ſo mild ſie ihn im Anfange auch behandelten, doch
viele neue Einkuͤnfte erwarben. Man wird ſich nicht wun-
dern, daß ſie dieſe ganz auf die nemliche Weiſe wie die
kirchlichen verwalteten.


Wenn Julius II. die erwaͤhnten Schreiber auf die
Annaten anwies, ſo fuͤgte er ihnen doch noch eine Anwei-
ſung auf Dogana und Staatscaſſe hinzu. Er errichtete
ein Collegium von 141 Praͤſidenten der Annona, welches
ganz aus Staatscaſſen dotirt wurde. Den Ueberſchuß der
Einkuͤnfte ſeines Landes wandte er demnach dazu an, An-
leihen darauf zu gruͤnden. Das ſchien den andern Maͤch-
ten das Ausgezeichnete an dieſem Papſt, daß er Geld auf-
bringen koͤnne ſo viel er wolle. Zum guten Theil beruhte
ſeine Politik darauf.


Noch viel groͤßere Beduͤrfniſſe aber als Julius hatte
Leo X., der nicht minder in Kriege verſtrickt, um vie-
les verſchwenderiſcher und von ſeinen Verwandten abhaͤn-
giger war. „Daß der Papſt jemals tauſend Ducaten
beiſammen halten ſollte,“ ſagt Franz Vettori von ihm,
„war eben ſo gut unmoͤglich, als daß ein Stein von ſelbſt
in die Hoͤhe fliege.“ Man hat uͤber ihn geklagt, er habe
drei Papſtthuͤmer durchgebracht, das ſeines Vorgaͤngers,
von dem er einen bedeutenden Schatz erbte, ſein eignes,
und das ſeines Nachfolgers, dem er ein Uebermaaß von
Schulden hinterließ. Er begnuͤgte ſich nicht, die vorhan-
denen Aemter zu verkaufen: ſeine große Cardinalernennung
[405]Finanzen.
brachte ihm eine namhafte Summe; auf dem einmal ein-
geſchlagenen Wege, neue Aemter zu creiren, lediglich um
ſie zu verkaufen, ſchritt er auf das kuͤhnſte fort. Er al-
lein hat deren uͤber 1200 errichtet 1). Das Weſen aller
dieſer Portionarii, Scudieri, Cavalieri di S. Pietro und
wie ſie ſonſt heißen, iſt, daß ſie eine Summe zahlen, von
der ſie dann Lebenslang unter jenem Titel Zinſen beziehen.
Ihr Amt hat keine andere Bedeutung, als daß es den Ge-
nuß der Zinſen noch durch kleine Praͤrogativen vermehrt.
Weſentlich iſt dieß nichts, als eine Anleihe auf Leibrenten.
Leo zog aus jenen Aemtern gegen 900000 Sc. Die Zin-
ſen, die doch ganz bedeutend waren, da ſie jaͤhrlich den
achten Theil des Capitals betrugen 2), wurden zwar zu
einem gewiſſen Theil auf einen kleinen Aufſchlag kirchlicher
Gefaͤlle angewieſen: hauptſaͤchlich aber floſſen ſie aus den
Teſorerien der vor Kurzem eroberten Provinzen, das iſt
dem Ueberſchuß der Municipalverwaltungen, welcher der
Staatskaſſe zu Gute kam, dem Ertrag der Alaunwerke, des
Salzverkaufs und der Dogana zu Rom: Leo brachte die
Anzahl der Aemter auf 2150: ihren jaͤhrlichen Ertrag
berechnete man auf 320,000 Sc., welche zugleich die Kirche
und den Staat belaſteten.


[406]BuchIV.Staat und Hof.

Wie tadelnswerth nun auch dieſe Verſchwendung an
ſich war, ſo mochte Leo darin doch auch dadurch beſtaͤrkt
werden, daß ſie fuͤr den Augenblick eher vortheilhafte als
ſchaͤdliche Wirkungen hervorbrachte. Wenn ſich die Stadt
Rom zu dieſer Zeit ſo ausnehmend hob, ſo hatte man das
zum Theil auch dieſer Geldwirthſchaft zu danken. Es gab
keinen Platz in der Welt, wo man ſein Capital ſo gut
haͤtte anlegen koͤnnen. Durch die Menge neuer Creationen,
die Vacanzen und Wiederverleihungen entſtand eine Bewe-
gung in der Curie, welche fuͤr einen Jeden die Moͤglichkeit
eines leichten Fortkommens darbot.


Auch bewirkte man damit, daß man den Staat uͤbri-
gens nicht mit neuen Auflagen zu beſchweren brauchte. Ohne
Zweifel zahlte der Kirchenſtaat damals von allen Laͤndern
und Rom von allen Staͤdten in Italien die wenigſten Ab-
gaben. Schon fruͤher hatte man den Roͤmern vorgehalten,
daß jede andere Stadt ihrem Herrn ſchwere Anleihen und
harte Gabellen erlege, waͤhrend ihr Herr, der Papſt, ſie
vielmehr reich mache. Ein Secretaͤr Clemens VII., der
das Conclave, in welchem dieſer Papſt gewaͤhlt ward, bald
nachher beſchrieb, bezeigt ſeine Verwunderung daruͤber, daß
das roͤmiſche Volk dem heiligen Stuhl nicht ergebener ſey,
da es doch von Auflagen ſo wenig leide. „Von Terracina
bis Piacenza,“ ruft er aus, „beſitzt die Kirche einen gro-
ßen und ſchoͤnen Theil von Italien, weit und breit erſtreckt
ſich ihre Herrſchaft: jedoch ſo viele bluͤhende Laͤnder und
reiche Staͤdte, die unter einer andern Regierung mit ihren
Abgaben große Kriegsheere wuͤrden erhalten muͤſſen, zah-
[407]Finanzen.
len dem roͤmiſchen Papſte kaum ſo viel, daß die Koſten
der Verwaltung davon beſtritten werden koͤnnen“ 1).


Der Natur der Sache nach konnte dieß aber nicht
laͤnger dauern, als ſo lange es noch Ueberſchuͤſſe aus den
Staatskaſſen gab. Schon Leo vermochte nicht alle ſeine An-
leihen zu fundiren. Aluiſe Gaddi hatte ihm 32000, Bernardo
Bini 200000 Duc. vorgeſtreckt: Salviati, Ridolfi, alle
ſeine Diener und Angehoͤrige hatten das Moͤglichſte gethan,
um ihm Geld zu verſchaffen: bei ſeiner Freigebigkeit und
ſeinen jungen Jahren hofften ſie auf Erſtattung und glaͤn-
zende Dankbarkeit. Durch ſeinen ploͤtzlichen Tod wurden
ſie ſaͤmmtlich ruinirt.


Ueberhaupt ließ er eine Erſchoͤpfung zuruͤck, die ſein
Nachfolger zu fuͤhlen bekam.


Der allgemeine Haß, den der arme Adrian auf ſich
lud, ruͤhrte auch daher, weil er in der großen Geldnoth,
in der er ſich befand, zu dem Mittel griff, eine directe
Auflage auszuſchreiben. Sie ſollte einen halben Ducaten
[408]BuchIV.Staat und Hof.
auf die Feuerſtelle betragen 1). Sie machte einen um ſo
ſchlimmeren Eindruck, da man ſolche Forderungen ſo we-
nig gewohnt war.


Aber auch Clemens VII. konnte wenigſtens neue indi-
recte Auflagen nicht umgehen. Man murrte uͤber den Car-
dinal Armellin, den man fuͤr den Erfinder derſelben hielt;
beſonders uͤber die Erhoͤhung des Thorzolls fuͤr die Lebens-
mittel war man mißvergnuͤgt: allein man mußte ſich hierin
finden 2). Die Dinge waren in einem Zuſtande, daß noch
zu ganz andern Huͤlfsmitteln gegriffen werden mußte.


Bisher hatte man die Anleihen unter der Form von
kaͤuflichen Aemtern gemacht; der reinen Anleihe naͤherte ſich
zuerſt Clemens VII., in jenem entſcheidenden Moment, als
er ſich wider Carl V. ruͤſtete, in dem Jahre 1526.


Bei den Aemtern ging das Capital mit dem Tode
verloren, inſofern die Familie es nicht von der paͤpſtlichen
Kammer wiedererwarb. Jetzt nahm Clemens ein Capital
von 200000 Duc. auf, das zwar nicht ſo hohe Zinſen
trug, wie die Aemter einbrachten, aber doch immer ſehr
bedeutende, 10 Proc., und dabei an die Erben uͤberging.
Es iſt dieß ein Monte non vacabile, der Monte della
Fede. Die Zinſen wurden auf die Dogana angewieſen.
Auch dadurch gewaͤhrte der Monte eine groͤßere Sicherheit,
[409]Finanzen.
daß den Glaͤubigern ſogleich ein Antheil an der Verwal-
tung der Dogana zugeſtanden wurde. Hierin liegt aber
wieder, daß man ſich von der alten Form nicht durchaus
entfernte. Die Montiſten bildeten ein Collegium. Ein paar
Unternehmer hatten die Summe an die Kammer ausge-
zahlt, und ſie dann einzeln an die Mitglieder dieſes Col-
legiums untergebracht.


Darf man wohl ſagen, daß die Staatsglaͤubiger, in-
ſofern ſie ein Recht an das allgemeine Einkommen, an das
Product der Arbeit Aller haben, dadurch zu einem mittel-
baren Antheil an der Staatsgewalt gelangen? Wenigſtens
ſchien man es damals in Rom ſo zu verſtehen, und nicht
ohne die Form eines ſolchen Antheils wollten die Beſitzer
ihr Geld herleihen.


Es war dieß aber, wie ſich zeigen wird, der Anfang
zu den weitausſehendſten Finanzoperationen.


Paul III. ſetzte ſie nur maͤßig fort. Er begnuͤgte ſich
die Zinſen des clementiniſchen Monte zu verringern: da es
ihm gelang, deren neue anweiſen zu koͤnnen, ſo brachte er
das Capital faſt um die Haͤlfte hoͤher. Einen neuen Monte
aber errichtete er nicht. Die Creation von 600 neuen
Aemtern mag ihn fuͤr dieſe Maͤßigung entſchaͤdigt haben.
Die Maaßregel, durch die er ſich in der Finanzgeſchichte
des Kirchenſtaates merkwuͤrdig gemacht, beſtand in etwas
Anderem.


Wir ſahen, welche Bewegung die Erhoͤhung des Salz-
preiſes, zu der er ſchritt, hervorrief. Auch von dieſer ſtand
er ab. An ihrer Stelle aber und mit dem ausdruͤcklichen
Verſprechen, ſie fallen zu laſſen, fuͤhrte er die directe Auf-
[410]BuchIV.Staat und Hof.
lage des Suſſidio ein. Es iſt dieſelbe Auflage, die damals
in ſo vielen ſuͤdeuropaͤiſchen Laͤndern eingefordert ward; die
wir in Spanien als Servicio, in Neapel als Donativ, in
Mailand als Menſuale, unter andern Titeln anderswo
wiederfinden. Im Kirchenſtaat ward ſie urſpruͤnglich auf
drei Jahr eingefuͤhrt und auf 300000 Scudi feſtgeſetzt.
Gleich zu Rom beſtimmte man den Beitrag einer jeden
Provinz; die Provinzialparlamente verſammelten ſich, um
ſie nach den verſchiedenen Staͤdten zu vertheilen. Die
Staͤdte legten ſie dann weiter auf Stadt und Landſchaft
um. Jedermann ward dazu herbeigezogen. Die Bulle ver-
ordnet ausdruͤcklich, daß alle weltliche Unterthanen der roͤ-
miſchen Kirche, auch wenn ſie eximirt, wenn ſie privile-
girt ſeyen, Marcheſen, Barone, Lehensleute und Beamte
nicht ausgeſchloſſen, ihre Raten an dieſer Contribution ab-
tragen ſollen 1).


Nicht ohne lebhafte Reclamation aber zahlte man ſie,
zumal als man bemerkte, daß ſie von drei Jahr zu drei
Jahr immer aufs neue prorogirt wurde, wie ſie denn nie
wieder abgeſchafft worden iſt. Vollſtaͤndig iſt ſie auch nie-
mals eingekommen 2). Bologna, das auf 30000 Sc. ange-
ſetzt worden, war klug genug, ſich mit einer Summe, die
es auf der Stelle zahlte, fuͤr immer loszukaufen. Parma
und Piacenza wurden alienirt und zahlten nicht mehr: wie
[411]Finanzen.
es in den andern Staͤdten ging, davon giebt uns Fano
ein Beiſpiel. Unter dem Vorwand, zu hoch angeſetzt zu
ſeyn, verweigerte dieſe Stadt eine Zeitlang die Zahlung.
Hierauf fand ſich Paul III. einmal bewogen, ihr die ab-
gelaufenen Termine zu erlaſſen, doch unter der Bedingung,
daß ſie die nemliche Summe zur Herſtellung ihrer Mauern
verwende. Auch ſpaͤter ward ihr immer ein Drittheil ih-
rer Rata zu dieſem Behufe erlaſſen. Nichtsdeſtominder
haben ſich noch die ſpaͤten Nachkommen uͤber ihre allzu-
hohe Schaͤtzung beklagt; unaufhoͤrlich beſchwerten ſich auch
die Landgemeinden uͤber den ihnen von der Stadt auferleg-
ten Antheil: ſie machten Verſuche, ſich dem Gehorſam des
Rathes zu entziehen; und waͤhrend dieſer ſeine Unmittel-
barkeit verfocht, haͤtten ſie ſich mit Vergnuͤgen dem Her-
zog von Urbino unterworfen. Jedoch es wuͤrde uns zu
weit fuͤhren, dieſe kleinen Intereſſen weiter zu eroͤrtern.
Genug, wenn wir erkennen, wie es kam, daß von dem
Suſſidio nicht viel uͤber die Haͤlfte einlief 1). Im Jahre
1560 wird der ganze Ertrag auf 165000 Sc. geſchaͤtzt.


Wiewohl dem nun ſo iſt, ſo hatte doch dieſer Papſt die
Einkuͤnfte des Kirchenſtaates ausnehmend erhoͤht. Unter
Julius II. werden ſie auf 350000, unter Leo auf 420000,
[412]BuchIV.Staat und Hof.
unter Clemens VII. im Jahre 1526 auf 500000 Sc. be-
rechnet. Unmittelbar nach dem Tode Pauls III. werden
ſie in einem authentiſchen Verzeichniß, daß ſich der vene-
zianiſche Geſandte Dandolo aus der Kammer verſchaffte, auf
706473 Sc. angegeben.


Dennoch fanden ſich die Nachfolger nicht viel gebeſ-
ſert. In einer ſeiner Inſtructionen klagt Julius III., ſein
Vorfahr habe die ſaͤmmtlichen Einkuͤnfte alienirt — ohne
Zweifel mit Ausſchluß des Suſſidio, welches nicht veraͤu-
ßert werden konnte, da es wenigſtens nominell immer nur
auf 3 Jahr ausgeſchrieben ward — und uͤberdieß 500000
Sc. ſchwebende Schuld hinterlaſſen 1).


Indem ſich Julius III. deſſenungeachtet in ſeinen
Krieg mit Franzoſen und Farneſen einließ, mußte er ſich
die groͤßten Verlegenheiten zuziehen. Obwohl ihm die Kai-
ſerlichen eine fuͤr jene Zeit nicht unbedeutende Geldhuͤlfe
gewaͤhrten, ſo ſind doch alle ſeine Briefe voll von Klagen.
„Er habe in Ancona 100000 Sc. zu bekommen gedacht;
nicht 100000 Bajocchi habe er erlangt; ſtatt 120000 Sc.
von Bologna habe er nur 50000 empfangen; unmittelbar
nach den Zuſagen genueſiſcher und luccheſiſcher Wechsler
ſeyen Widerrufungen derſelben eingelaufen: wer einen Carlin
beſitze, halte ihn zuruͤck und wolle ihn nicht aufs Spiel
ſetzen“ 2).


Wollte der Papſt ſein Heer beiſammen halten, ſo mußte
er zu nachdruͤcklicheren Maaßregeln greifen: er entſchloß
[413]Finanzen.
ſich einen neuen Monte zu errichten. Er that das auf
eine Weiſe, die hernach faſt immer befolgt worden iſt.


Er machte eine neue Auflage. Er legte zwei Carlin
auf den Rubbio Mehl; nach allen Abzuͤgen kamen ihm da-
von 30000 Sc. ein; dieſe Summe wies er zu den Zinſen
fuͤr ein Capital an, das er ſofort aufnahm; ſo gruͤndete
er den Monte della Farina. Wir bemerken, wie nah ſich
dieß an die fruͤheren Finanzoperationen anſchließt: eben wie
man fruͤher kirchliche Aemter ſchuf und auf die zu vermeh-
renden Gefaͤlle der Curie anwies, lediglich um jene Aem-
ter verkaufen zu koͤnnen und die Summe in die Haͤnde zu
bekommen, die man grade brauchte, ſo erhoͤhte man jetzt
die Einkuͤnfte des Staates durch eine neue Auflage, de-
ren man ſich aber nur als Zins fuͤr ein großes Capital
bediente, das man ſonſt nicht zu bekommen wußte. Alle
folgende Paͤpſte fuhren ſo fort. Bald waren dieſe Monti
wie der Clementiniſche non vacabili: bald waren ſie aber
vacabili, d. i. mit dem Tode des Glaͤubigers hoͤrte die
Verpflichtung der Zinszahlung auf, dann waren die Zin-
ſen noch hoͤher, und bei dem collegialiſchen Verhaͤltniß der
Montiſten ſchloß man ſich noch naͤher an die Aemter an.
Paul IV. errichtete den Monte novennale de’ frati auf eine
Abgabe, zu der er die regularen Moͤnchsorden noͤthigte;
Pius IV. legte einen Quatrin auf das Pfund Fleiſch und
benutzte den Ertrag, um ſofort den Monte Pio non va-
cabile darauf zu gruͤnden, der ihm dann 170000 Sc. ein-
brachte. Pius V. legte einen neuen Quatrin auf das Pfund
Fleiſch, und errichtete davon den Monte Lega.


Faſſen wir dieſe Entwickelung ins Auge, ſo tritt die
[414]BuchIV.Staat und Hof.
allgemeine Bedeutung des Kirchenſtaates zunaͤchſt hervor.
Welches ſind doch die Beduͤrfniſſe, durch welche die Paͤpſte
genoͤthigt werden, zu dieſer ſonderbaren Art von Anleihe,
die eine ſo unmittelbare Belaͤſtigung ihres Landes einſchließt,
vorzuſchreiten? Es ſind in der Regel die Beduͤrfniſſe des
Katholicismus uͤberhaupt. So wie es mit den rein-poli-
tiſchen Tendenzen voruͤber iſt, giebt es keine anderen, als
die kirchlichen, die man durchzufuͤhren beabſichtigen koͤnnte.
Die Unterſtuͤtzung der katholiſchen Maͤchte in ihrem Kam-
pfe wider die Proteſtanten, in ihren Unternehmungen gegen
die Tuͤrken iſt nunmehr faſt immer der naͤchſte Anlaß, der zu
neuen Finanzoperationen fuͤhrt. Der Monte Pius des V.
heißt darum Monte Lega, weil das Capital, das er einbrachte,
auf den Tuͤrkenkrieg verwendet ward, den dieſer Papſt im
Bunde mit Spanien und Venedig unternahm. Immer
mehr bildete ſich dieß aus. Jede europaͤiſche Bewegung
beruͤhrt den Kirchenſtaat in dieſer Geſtalt. Durch irgend
eine neue Laſt muß derſelbe zur Verfechtung der kirchlichen
Intereſſen beitragen. Eben darum war es fuͤr die kirch-
liche Stellung der Paͤpſte ſo wichtig, daß ſie den Staat
beſaßen.


Denn nicht allein mit Monti begnuͤgten ſie ſich. Auch
die alten Mittel ließen ſie nicht fallen. Fortwaͤhrend errich-
teten ſie neue Aemter, oder Cavalierate mit beſondern Pri-
vilegien, ſey es, daß die Remunerationen ebenmaͤßig durch
neue Auflagen gedeckt wurden, oder daß der damals ſehr
bemerklich ſinkende Geldwerth namhaftere Summen in die
Kammer lieferte 1).


[415]Finanzen.

Hierdurch geſchah es nun, daß die Einkuͤnfte der
Paͤpſte, nach einem kurzen Sinken unter Paul IV., das
durch die Kriege deſſelben veranlaßt wurde, immerfort ſtie-
gen. Noch unter Paul kamen ſie doch wieder auf 700000
Sc.; unter Pius berechnete man ſie auf 898482 Scudi.
Paul Tiepolo iſt erſtaunt, ſie im Jahre 1576 nach einer
Abweſenheit von 9 Jahren um 200000 Sc. vermehrt und
bis auf 1,100,000 Sc. angewachſen zu finden. Nur war
das Sonderbare, was aber nicht anders ſeyn konnte, daß
die Paͤpſte damit im Grunde nicht mehr einnahmen. Mit
den Auflagen ſtiegen die Veraͤußerungen. Man berechnet,
daß Julius III. 54000, Paul IV. 45960, Pius IV. aber
der alle Mittel geltend machte, ſogar 182550 Sc. von dem
Einkommen veraͤußert habe. Pius IV. brachte denn auch
die Zahl der verkaͤuflichen Aemter bis auf viertehalbtau-
ſend, wie ſich verſteht, mit Ausſchluß der Monti, die zu
den Aemtern nicht gerechnet wurden 1). Unter dieſem
Papſt ſtieg die Summe der Alienationen auf fuͤnftehalb-
hunderttauſend; noch immer nahm ſie zu; im Jahr 1576
war ſie auf 530000 Sc. gewachſen. So ſehr das Einkom-
men vermehrt war, ſo betrug dieß doch beinahe die ganze
Haͤlfte deſſelben 2).



[416]BuchIV.Staat und Hof.

Einen merkwuͤrdigen Anblick bieten die Verzeichniſſe
der paͤpſtlichen Einkuͤnfte um dieſe Zeit dar. Nachdem bei
jedem Poſten die Summe genannt worden, welche der Paͤch-
ter einzuliefern ſich verpflichtet hat, — die Vertraͤge mit
den Paͤchtern wurden gewoͤhnlich auf 9 Jahr geſchloſ-
ſen — giebt man uns an, wie viel davon veraͤußert war.
Die Dogana von Rom z. B. warf 1576 und die folgen-
den Jahre die anſehnliche Summe von 133000 Sc. ab:
davon waren aber 111170 aſſignirt, noch andere Abzuͤge
traten ein und die Kammer bekam nicht mehr als 13000
Scudi. Einige Gabellen auf Getreide, Fleiſch und Wein
gingen rein auf: die Monti waren darauf angewieſen. Von
mehreren Provinzialcaſſen, genannt Teſorerien — welche
ſogleich auch die Beduͤrfniſſe der Provinzen zu beſtreiten
hatten, — z. B. aus der Mark und aus Camerino, kam
kein Bajocco in die paͤpſtliche Kammer. Und doch war
oft das Suſſidio zu denſelben geſchlagen. Ja auf die
Alaungraͤbereien von Tolfa, auf welche man fruͤher vor-
zuͤglich zaͤhlte, waren ſo ſtarke Aſſignationen gemacht, daß
der Ertrag um ein paar tauſend Scudi geringer ausfiel 1).


Fuͤr ſeine Perſon und ſeine Hofhaltung war der Papſt
vorzuͤglich auf die Dataria verwieſen. Die Dataria hatte
zweierlei Einkuͤnfte. Die einen waren mehr kirchlicher Na-
tur: es waren die Compoſitionen, beſtimmte Geldzahlungen,
fuͤr
2)
[417]Finanzen.
fuͤr welche der Datar Regreſſe, Reſervationen und andere
canoniſche Unregelmaͤßigkeiten bei dem Uebergang von einer
Pfruͤnde zu der andern geſtattete; Paul IV. hatte ſie durch
die Strenge, mit der er verfuhr, ſehr verringert, doch nah-
men ſie allmaͤhlig wieder zu. Die anderen waren mehr
von weltlicher Beſchaffenheit. Sie liefen bei der Vacanz
und neuen Uebertragung der Cavalierate, verkaͤuflichen Aem-
ter und Stellen in den Monti vacabili ein; ſie nahmen
in dem Grade zu, in welchem dieſe an Zahl ſtiegen 1).
Nicht hoͤher aber beliefen ſich um das Jahr 1570 beide
zuſammen, als um das taͤgliche Beduͤrfniß des Haushal-
tes gerade zu decken.


Durch dieſe Entwickelung der Dinge war nun aber der
Kirchenſtaat in eine ganz andere Lage gerathen. Hatte er
ſich fruͤher geruͤhmt, von den italieniſchen Staaten der min-
deſtbelaſtete zu ſeyn, ſo trug er jetzt ſo ſchwer, ja ſchwe-
rer als die anderen 2); und laut beklagten ſich die Ein-
wohner. Von der alten municipalen Unabhaͤngigkeit war
nur wenig uͤbrig. Immer regelmaͤßiger ward die Verwal-
tung. Die Regierungsrechte waren fruͤher haͤufig beguͤn-
ſtigten Cardinaͤlen und Praͤlaten uͤberlaſſen, die einen nicht
unbedeutenden Vortheil davon machten. Die Landsleute
27
[418]BuchIV.Staat und Hof.
der Paͤpſte, wie unter den Medici die Florentiner, ſo un-
ter Paul IV. Neapolitaner, unter Pius IV. Mailaͤnder
hatten ſich dann der beſten Stellen erfreut. Pius V. ſtellte
dieß ab. Jene Beguͤnſtigten hatten doch die Verwaltung
niemals ſelber gefuͤhrt: ſie hatten ſie immer einem Doctor
Juris uͤberlaſſen 1): Pius V. ſetzte dieſen Doctor ſelbſt, und
zog den Vortheil der jenen zugefloſſen fuͤr die Kammer ein.
Es ward alles ordentlicher, ſtiller. Man hatte fruͤher eine
Landmiliz eingerichtet, und 16000 Mann waren in die
Rollen eingetragen; Pius IV. hatte ſich ein Corps leichter
Reiterei gehalten: Pius V. ſchaffte eins wie das andre
ab, er caſſirte die Reiterei, die Landmiliz ließ er verfallen;
ſeine ganze bewaffnete Macht belief ſich noch nicht auf 500
Mann: die Maſſe derſelben bildeten 350 Mann meiſtens
Schweizer zu Rom. Haͤtte man nicht die Kuͤſte gegen die
Einfaͤlle der Tuͤrken zu ſchuͤtzen gehabt, ſo wuͤrde man ſich
der Waffen ganz entwoͤhnt haben. Dieſe kriegeriſche Bevoͤl-
kerung ſchien vollkommen friedlich werden zu wollen. Die
Paͤpſte wuͤnſchten das Land zu verwalten, wie eine große
Domaͤne, deren Rente alsdann zum Theil wohl ihrem
Hauſe zu Statten kaͤme, hauptſaͤchlich aber fuͤr die Be-
duͤrfniſſe der Kirche verwendet wuͤrde.


Wir werden ſehen, daß ſie hierbei doch noch einmal
auf große Schwierigkeiten ſtießen.


[419]GregorXIII.

Die Zeiten GregorsXIII.und SixtusV.


Gregor XIII.


Gregor XIII., — Hugo Buoncompagno aus Bologna
— als Juriſt und in weltlichen Dienſten emporgekommen,
war von Natur heiter und lebensluſtig; er hatte einen
Sohn, der ihm zwar ehe er die geiſtliche Wuͤrde empfangen,
aber doch außer der Ehe geboren worden; wenn er gleich
ſeitdem einen regelmaͤßigen Wandel gefuͤhrt hatte, ſo war er
doch zu keiner Zeit ſcrupuloͤs, und uͤber eine gewiſſe Art
von Strenge zeigte er eher ſeine Mißbilligung; mehr an
das Beiſpiel Pius IV., deſſen Miniſter er auch ſogleich
wieder in die Geſchaͤfte zog, als an ſeinen unmittelbaren
Vorgaͤnger ſchien er ſich halten zu wollen 1). Aber an
dieſem Papſte ſieht man, was eine zur Herrſchaft ge-
langte Geſinnung vermag. Hundert Jahre fruͤher wuͤrde
er hoͤchſtens wie ein Innocenz VIII. regiert haben. Jetzt
dagegen konnte auch ein Mann wie er, ſich den ſtrengen
kirchlichen Tendenzen nicht mehr entziehen.


An dem Hofe gab es eine Partei, die es ſich vor al-
lem zur Aufgabe gemacht hatte, dieſelben zu behaupten und
zu verfechten. Es waren Jeſuiten, Theatiner und ihre
Freunde. Man nennt uns die Monſignoren Frumento
und Corniglia, den furchtloſen Prediger, Franz Toledo,
27*
[420]BuchIV.Staat und Hof.
den Datarius Contarell. Sie bemaͤchtigten ſich des Pap-
ſtes um ſo eher, da ſie zuſammenhielten. Sie ſtellten ihm
vor, daß das Anſehn, welches Pius V. genoſſen, haupt-
ſaͤchlich von der perſoͤnlichen Haltung deſſelben hergekom-
men; in allen Briefen, die ſie ihm vorlaſen, war nur von
dem Andenken an das heilige Leben des Verſtorbenen, von
dem Ruhme ſeiner Reformen und ſeiner Tugenden die Rede.
Jede entgegengeſetzte Aeußerung hielten ſie entfernt. Dem
Ehrgeiz Gregors XIII. gaben ſie durchaus eine geiſtliche
Farbe 1).


Wie nahe lag es ihm, den Sohn zu befoͤrdern, zu
fuͤrſtlichen Wuͤrden zu erheben. Allein gleich aus der er-
ſten Beguͤnſtigung, die er demſelben gewaͤhrte — er ernannte
ihn zum Caſtellan von S. Angelo und zum Gonfaloniere
der Kirche — machten ihm die Freunde eine Gewiſſens-
ſache; waͤhrend des Jubileums von 1575 haͤtten ſie Gia-
como nicht in Rom geduldet; erſt als dieß voruͤber war,
ließen ſie ſich ſeine Ruͤckkehr gefallen, und auch dann nur
darum, weil das Mißvergnuͤgen des jungen emporſtreben-
den Mannes ſeiner Geſundheit nachtheilig wurde. Dann ver-
heurathete ihn Gregor; er geſtattete, daß ihn die Republik
Venedig zu ihrem Nobile 2), der Koͤnig von Spanien zum
[421]GregorXIII.
General ſeiner Hommes d’armes ernannte. Allein noch im-
mer hielt er ihn ſorgfaͤltig in Schranken. Als er es ſich
einmal beikommen ließ, einen ſeiner Univerſitaͤtsfreunde aus
dem Gewahrſam zu befreien, verwies ihn der Papſt aufs
neue, und wollte ihn aller ſeiner Aemter berauben.
Ein Fußfall der jungen Gemahlin verhinderte dieß noch.
Aber mit groͤßeren Hoffnungen war es auf lange Zeit vor-
bei 1). Erſt in den letzten Jahren des Papſtes hatte Gia-
como Einfluß auf ſeinen Vater; und auch dann weder in
den wichtigen Staatsgeſchaͤften noch unbedingt 2). Wenn
man ihn um ſeine Verwendung bat, zuckte er die Achſeln.


War nun dieß mit dem Sohne der Fall, wie viel
weniger durften andere Verwandte auf unregelmaͤßige Be-
guͤnſtigung oder einen Antheil an der Gewalt hoffen. Zwei
ſeiner Neffen nahm Gregor in das Cardinalat auf; auch
Pius V. hatte etwas aͤhnliches gethan; aber dem dritten,
der ſich nicht minder einſtellte, verweigerte er die Audienz;
er noͤthigte ihn, ſich binnen zwei Tagen wieder zu entfernen.
2)
[422]BuchIV.Staat und Hof.
Der Bruder des Papſtes hatte ſich auch aufgemacht, um
den Anblick des Gluͤckes zu genießen, das ſeinem Hauſe
widerfahren: er war ſchon bis Orvieto gekommen: aber
hier traf ihn ein Abgeſandter des Hofes, der ihm umzu-
kehren befahl. Dem Alten traten die Thraͤnen in die Au-
gen, und er konnte ſich nicht enthalten, noch eine Strecke
Weges nach Rom hin zu machen; dann aber, auf einen
zweiten Befehl, begab er ſich in der That zuruͤck nach
Bologna 1).


Genug den Nepotismus befoͤrdert, ſeine Familie un-
geſetzlich beguͤnſtigt zu haben, kann man dieſem Papſt nicht
vorwerfen. Als ihm ein neuernannter Cardinal ſagte, er
werde dem Hauſe und den Nepoten S. Heiligkeit dankbar
ſeyn, ſchlug er mit den Haͤnden auf den Armſeſſel, und
rief aus: „Gott muͤßt ihr dankbar ſeyn und dem heiligen
Stuhle.“


So ſehr war er bereits von den religioͤſen Tendenzen
durchdrungen. Er ſuchte Pius V. in frommem Bezeigen
nicht allein zu erreichen, ſondern zu uͤbertreffen 2). Die
erſten Jahre ſeines Pontificats las er alle Woche drei Mal
ſelbſt die Meſſe, und Sonntags hat er es niemals unter-
[423]GregorXIII.
laſſen. Sein Lebenswandel war nicht allein tadellos, ſon-
dern erbaulich.


Gewiſſe Pflichten ſeines Amtes hat nie ein Papſt treu-
licher verwaltet, als Gregor. Er hielt ſich Liſten von Maͤn-
nern aus allen Laͤndern, die zu biſchoͤflichen Wuͤrden taug-
lich ſeyen: bei jedem Vorſchlag zeigte er ſich wohlunter-
richtet; mit großer Sorgfalt ſuchte er die Beſetzung dieſer
wichtigen Aemter zu leiten.


Vor allem bemuͤhte er ſich, einen ſtreng kirchlichen
Unterricht zu befoͤrdern. Den Fortgang der jeſuitiſchen
Collegien unterſtuͤtzte er mit außerordentlicher Freigebigkeit.
Dem Profeßhaus zu Rom machte er anſehnliche Geſchenke;
er kaufte Haͤuſer, ſchloß Straßen und widmete Einkuͤnfte,
um dem ganzen Collegium die Geſtalt zu geben, in der wir
es noch heute ſehen. Es war auf 20 Hoͤrſaͤle und 360
Zellen fuͤr die Studirenden berechnet: man nannte es das
Seminar aller Nationen; gleich bei der erſten Gruͤndung
ließ man, um zu bezeichnen, wie die Abſicht die ganze
Welt umfaſſe, 25 Reden in verſchiedenen Sprachen hal-
ten, und zwar eine jede ſogleich mit lateiniſcher Verdol-
metſchung 1). Das Collegium germanicum, ſchon fruͤher
geſtiftet, war aus Mangel an Einkommen in Gefahr ein-
zugehen; der Papſt gab ihm nicht allein den Pallaſt San
Apollinare, und die Einkuͤnfte von S. Stephano auf dem
Monte Celio, er wies ihm auch 10000 Sc. auf die apo-
ſtoliſche Kammer an; man darf Gregor als den eigentlichen
Begruͤnder dieſes Inſtitutes anſehen, aus welchem ſeitdem
Jahr fuͤr Jahr eine ganze Anzahl Verfechter des Katholi-
[424]BuchIV.Staat und Hof.
cismus nach Deutſchland entlaſſen worden ſind. Auch ein
engliſches Collegium ſtiftete er zu Rom, und fand Mittel,
es auszuſtatten. Er unterſtuͤtzte die Collegien zu Wien und
zu Graͤtz aus ſeiner Schatulle, und es war vielleicht keine
Jeſuitenſchule in der Welt, die ſich nicht auf die eine oder
die andere Weiſe ſeiner Freigebigkeit haͤtte zu ruͤhmen ge-
habt. Auf Anrathen des Biſchofs von Sitia richtete er
auch ein griechiſches Collegium ein. Junge Leute von drei-
zehn bis ſechzehn Jahren ſollten darin aufgenommen wer-
den: nicht allein aus Laͤndern, die noch unter chriſtlicher
Botmaͤßigkeit ſtanden, wie Corfu und Candia, ſondern
auch von Conſtantinopel, Morea und Salonichi; ſie beka-
men griechiſche Lehrmeiſter: mit Kaftanen und dem vene-
zianiſchen Barett wurden ſie bekleidet; ganz griechiſch wollte
man ſie halten; es ſollte ihnen immer in Gedanken blei-
ben, daß ſie nach ihrem Vaterlande zuruͤckzukehren haͤtten.
Ihr Ritus ſollte ihnen ſo gut gelaſſen werden wie ihre
Sprache; nach den Lehrſaͤtzen des Conciliums, in welchen
die griechiſche und lateiniſche Kirche vereinigt worden, wollte
man ſie im Glauben unterrichten 1).


Zu dieſer, die geſammte katholiſche Welt umfaſſenden
Sorgfalt gehoͤrt es auch, daß Gregor den Kalender refor-
mirte. Das tridentiniſche Concilium hatte es gewuͤnſcht;
die Verruͤckung der hohen Feſte von ihrem durch Concilien-
ſchluͤſſe feſtgeſetzten Verhaͤltniß zu den Jahreszeiten machte
es unerlaͤßlich. Alle katholiſche Nationen nahmen an die-
[425]GregorXIII.
ſer Reform Theil. Ein uͤbrigens wenig bekannter Cala-
breſe, Luigi Lilio, hat ſich dadurch einen unſterblichen
Nachruhm erworben, daß er die leichteſte Methode anzeigte,
dem Uebelſtande abzuhelfen. Allen Univerſitaͤten, unter an-
dern auch den ſpaniſchen, Salamanca und Alcala wurde
ſein Entwurf mitgetheilt: von allen Seiten liefen Gut-
achten ein. Eine Commiſſion in Rom, deren thaͤtigſtes
und gelehrteſtes Mitglied unſer Landsmann Clavis war 1),
unterwarf ſie dann einer neuen Unterſuchung und faßte den
definitiven Beſchluß. Auf das ganze Getriebe hatte der
gelehrte Cardinal Sirlato den groͤßten Einfluß. Man ging
dabei mit einem gewiſſen Geheimniß zu Werke: der neue
Kalender wurde Niemand, ſelbſt den Geſandten nicht ge-
zeigt, ehe er von den verſchiedenen Hoͤfen gebilligt wor-
den 2). Dann machte ihn Gregor feierlich bekannt. Er
ruͤhmt die Reform als einen Beweis der unermeßlichen
Gnade Gottes gegen ſeine Kirche 3).


Nicht alle Bemuͤhungen dieſes Papſtes aber waren
von ſo friedlicher Natur. Es machte ihn ungluͤcklich, daß
erſt die Venezianer Frieden, dann auch ſogar der Koͤnig
Philipp II. einen Stillſtand mit den Tuͤrken geſchloſſen.
Waͤre es auf ihn angekommen, ſo waͤre die Liga, die den
Sieg von Lepanto erfocht, niemals wieder getrennt wor-
den. Einen unermeßlichen Kreis der Thaͤtigkeit eroͤffneten
[426]BuchIV.Staat und Hof.
ihm die Unruhen in den Niederlanden, in Frankreich, die
Reibungen der Parteien in Deutſchland. Unermuͤdlich iſt
er in Entwuͤrfen wider die Proteſtanten. Die Empoͤrun-
gen, welche Koͤnigin Eliſabeth in Irland zu bekaͤmpfen
hatte, wurden faſt immer von Rom aus unterhalten. Der
Papſt hatte kein Hehl, daß er es zu einer allgemeinen Un-
ternehmung gegen England zu bringen wuͤnſche. Jahr fuͤr
Jahr unterhandeln ſeine Nuncien hieruͤber mit Philipp
II., mit den Guiſen. Es waͤre nicht ohne Intereſſe alle
dieſe Unterhandlungen und Verſuche, die oft Denjenigen
nicht bekannt wurden, deren Ruin ſie bezweckten, und zu-
letzt zu der großen Unternehmung der Armada gefuͤhrt haben,
einmal zuſammenzuſtellen. Mit dem lebhafteſten Eifer be-
trieb ſie Gregor. Die Ligue von Frankreich, die Heinrich
dem III. und dem IV. ſo gefaͤhrlich wurde, hat ihren Ur-
ſprung in dem Verhaͤltniß dieſes Papſtes zu den Guiſen.


Iſt es nun wahr, daß Gregor XIII. dem Staate
mit ſeinen Verwandten nicht ſehr zur Laſt fiel, ſo ergiebt
ſich doch aus ſo umfaſſenden, ihrer Natur nach koſtſpieli-
gen Unternehmungen, daß er die Huͤlfsquellen deſſelben
darum nicht minder in Anſpruch nahm. Hat er ſich doch
ſelbſt jene Expedition Stukleys, die hernach in Africa ſchei-
terte, ſo geringfuͤgig ſie war, eine bedeutende Summe ko-
ſten laſſen. Noch Carln IX. ſchickte er einſt 400000 Duc.
aus einer unmittelbaren Beiſteuer der Staͤdte des Kirchen-
ſtaates. Oefter unterſtuͤtzte er den Kaiſer, den Großmei-
ſter der Malteſer mit Geldſummen. Aber auch ſeine fried-
licheren Beſtrebungen forderten einen namhaften Aufwand.
Man berechnete, daß die Unterſtuͤtzung junger Leute zu ih-
[427]GregorXIII.
ren Studien ihm 2 Millionen gekoſtet habe 1). Wie
hoch mußten ihm allein die 22 Collegien der Jeſuiten zu
ſtehen kommen, die ihm ihren Urſprung verdankten.


Bei der Geldwirthſchaft des Staates, die trotz der
ſteigenden Einnahme doch niemals einen freien Ueberſchuß
darſtellte, mußte er ſich hierdurch oft genug in Verlegen-
heit geſetzt finden.


Die Venezianer machten kurz nach ſeiner Thronbeſtei-
gung einen Verſuch, ihn zu einer Anleihe zu bewegen.
Mit ſteigender Aufmerkſamkeit hoͤrte Gregor dem ausfuͤhr-
lichen Vortrag des Geſandten zu; als er endlich ſah, wo
er hinauswollte, rief er aus: „Wo bin ich, Herr Bot-
ſchafter? Die Congregation verſammelte ſich alle Tage,
um Geld herbeizuſchaffen, und findet nie ein taugliches
Mittel“ 2).


Die Staatsverwaltung Gregors XIII. ward nun von
vorzuͤglicher Wichtigkeit. Man war bereits dahin gekommen,
die Alienationen, ſo wie die Erhebung neuer Auflagen zu ver-
dammen: man ſah das Bedenkliche, ja Verderbliche eines
ſolchen Syſtems vollkommen ein. Gregor gab der Congre-
gation auf, ihm Geld zu ſchaffen, aber weder durch geiſt-
[428]BuchIV.Staat und Hof.
liche Conceſſionen, noch durch neue Auflagen, noch durch
den Verkauf kirchlicher Einkuͤnfte.


Welches Mittel aber war außerdem noch zu erden-
ken? Es iſt ſehr merkwuͤrdig, welche Maaßregeln man er-
griff, und welche Wirkungen dieſe hernach hervorbrachten.


Gregor, der immer einem unbedingten Rechtsbegriff
folgte, meinte zu finden, daß das kirchliche Fuͤrſtenthum
noch viele Gerechtſame beſitze, die es nur geltend zu ma-
chen brauche, um neue Huͤlfsquellen zu gewinnen 1). Er
war nicht gemeint Privilegien zu ſchonen, die ihm im Wege
ſtanden. Ohne alle Ruͤckſicht hob er unter andern das
Recht auf, das die Venezianer beſaßen, aus der Mark
und Ravenna Getreide mit gewiſſen Beguͤnſtigungen aus-
zufuͤhren. Er ſagte, es ſey billig, daß der Auslaͤnder ſo
viel Auflagen zahle, wie der Eingeborne 2). Da ſie ſich
nicht ſogleich fuͤgten, ſo ließ er ihre Magazine zu Ravenna
mit Gewalt eroͤffnen, deren Inhalt verſteigern, die Eigen-
thuͤmer verhaften. Jedoch dieß wollte noch wenig ſagen,
es bezeichnet nur den Weg, auf dem er zu gehen gedachte.
Bei weitem wichtiger war, daß er in dem Adel ſeines
Landes eine Menge Mißbraͤuche wahrzunehmen glaubte,
die man zum Vortheil der Staatscaſſe abſtellen koͤnne.
Sein Kammerſecretaͤr, Rudolf Bonfiglivolo, brachte eine
weitgreifende Ausdehnung und Erneuerung von lehnsherr-
lichen Rechten, an die man kaum noch gedacht hatte, in
[429]GregorXIII.
Antrag. Er gab an, ein großer Theil der Schloͤſſer und
Guͤter der Barone des Kirchenſtaates ſey dem Papſte heim-
gefallen, die einen durch den Abgang der eigentlich belehn-
ten Linie, die andern, weil der Zins, zu dem ſie verpflich-
tet, nicht abgetragen worden 1). Nichts konnte dem Papſte,
der ſchon einige aͤhnliche Guͤter durch Heimfall oder um
Geld erworben, gelegener kommen. Er ſchritt ſogleich ans
Werk. In den Gebirgen von Romagna entriß er Caſtel-
novo den Iſei von Ceſena, Corcana den Saſſatelli von
Imola. Lonzano auf ſchoͤnem Huͤgel, Savignano in der
Ebene wurden den Rangonen von Modena confiscirt. Al-
berto Pio trat Bertinoro freiwillig ab, um den Proceß zu
vermeiden, mit dem ihn die Kammer bedrohte: allein ſie
begnuͤgte ſich nicht damit: ſie entriß ihm auch noch Ve-
rucchio und andre Ortſchaften. Er praͤſentirte hierauf ſei-
nen Zins alle Peterstage, doch ward derſelbe niemals wie-
der angenommen. Dieß geſchah allein in der Romagna.
Eben ſo verfuhr man aber auch in den uͤbrigen Provinzen.
Nicht allein Guͤter, von denen die Lehnspflicht nicht gelei-
ſtet worden, nahm man in Anſpruch: es gab andere, die
urſpruͤnglich den Baronen nur verpfaͤndet worden: laͤngſt
aber war dieſer Urſprung in Vergeſſenheit gerathen: als
ein freies Eigenthum war das Gut von Hand in Hand
gegangen und um vieles verbeſſert worden: jetzt gefiel es
[430]BuchIV.Staat und Hof.
dem Papſt und ſeinem Kammercommiſſaͤr, ſie wieder ein-
zuloͤſen. So bemaͤchtigten ſie ſich des Schloſſes Sitiano,
indem ſie die Pfandſumme von 14000 Sc. niederlegten, eine
Summe, die den damaligen Werth bei weitem nicht er-
reichte.


Der Papſt that ſich auf dieſe Unternehmungen viel zu
gut. Er glaubte einen Anſpruch mehr auf die Gnade des
Himmels zu erwerben, ſobald es ihm gelang, die Ein-
kuͤnfte der Kirche nur um 10 Sc. zu vermehren, voraus-
geſetzt, ohne neue Auflagen. Er berechnete mit Genug-
thuung, daß man den Ertrag des Kirchenſtaats in Kurzem
auf gerichtlichem Wege um 100000 Sc. vermehrt habe.
Wie viel mehr werde man hierdurch zu Unternehmungen gegen
Ketzer und Unglaͤubige faͤhig. An dem Hofe ſtimmte man
ihm großentheils bei. „Dieſer Papſt heißt der Wachſame“:
(es iſt dieß die Bedeutung von Gregorius) ſagte der Car-
dinal von Como: „er will wachen und das Seine wieder-
erwerben“ 1).


In dem Lande dagegen, unter der Ariſtokratie, mach-
ten dieſe Maaßregeln einen andern Eindruck.


Viele große Familien fanden ſich ploͤtzlich aus einem
Beſitz vertrieben, den ſie fuͤr hoͤchſt rechtmaͤßig gehalten.
Andere ſahen ſich bedroht. Taͤglich durchſuchte man in
Rom alte Papiere und fand alle Tage einen neuen Anſpruch
[431]GregorXIII.
heraus. Bald glaubte ſich Niemand mehr ſicher und Viele
entſchloſſen ſich, ihre Guͤter eher mit den Waffen zu ver-
theidigen, als ſie dem Kammercommiſſaͤr auszuantworten.
Einer dieſer Feudatare ſagte dem Papſt ins Geſicht: ver-
lieren ſey verlieren: wenn man ſich wehre, empfinde man
dabei wenigſtens eine Art von Vergnuͤgen.


Bei dem Einfluß des Adels auf ſeine Bauern und
auf die Nobili in den benachbarten Staͤdten, brachte dieß
eine Gaͤhrung in dem ganzen Lande hervor.


Es kam hinzu, daß der Papſt durch andre ſchlecht
berechnete Maaßregeln einigen Staͤdten ſehr fuͤhlbaren Ver-
luſt zugefuͤgt hatte. Unter andern hatte er die Zoͤlle von
Ancona erhoͤht, in der Meinung, die Erhoͤhung falle auf
die Kaufleute und nicht auf das Land. Hiermit brachte er
dieſer Stadt einen Schlag bei, den ſie niemals hat verwin-
den koͤnnen: der Handel zog ſich ploͤtzlich weg, es half
nur wenig, daß die Auflage zuruͤckgenommen und nament-
lich den Raguſanern ihre alten Freiheiten erneuert wurden.


Hoͤchſt unerwartet und eigenthuͤmlich iſt der Erfolg,
den dieß hervorbrachte.


Der Gehorſam in jedem, am meiſten aber in einem
ſo friedlichen Lande beruht auf einer freiwilligen Unterord-
nung. Hier waren die Elemente der Bewegung nicht beſei-
tigt, nicht unterdruͤckt, durch die daruͤber ausgebreitete Herr-
ſchaft der Regierung waren ſie nur verdeckt. So wie die
Unterordnung an Einer Stelle nachließ, traten dieſe Ele-
mente ſaͤmmtlich hervor und erſchienen in freiem Kampfe.
Das Land ſchien ſich ploͤtzlich zu erinnern, wie kriegeriſch,
waffenfertig, in Parteiungen unabhaͤngig es Jahrhunderte
[432]BuchIV.Staat und Hof.
lang geweſen: es fing an, dieß Regiment von Prieſtern
und Doctoren zu verachten; es fiel in einen Zuſtand zu-
ruͤck, der ſeine Natur war.


Nicht als haͤtte man ſich der Regierung geradehin
entgegengeſetzt, ſich gegen ſie empoͤrt: es war genug, daß
allenthalben die alten Parteien erſtanden.


Ganz Romagna war aufs neue von ihm getheilt. In
Ravenna waren Rasponi und Leonardi, in Rimini Ric-
ciardelli und Tignoli, in Ceſena Venturelli und Bottini,
in Furli Numai und Sirugli, in Imola Vicini und Saſ-
ſatelli wider einander; die erſtgenannten waren immer Gi-
bellinen, die andern Guelfen: auch nachdem die Intereſſen
ſich ſo ganz veraͤndert, erwachten doch die Namen. Oft
hatten die Parteien verſchiedene Quartiere, verſchiedene Kir-
chen inne: — ſie unterſchieden ſich durch kleine Abzeichen: der
Guelfe trug die Feder am Hut immer auf der rechten, der
Gibelline auf der linken Seite 1); — bis in das kleinſte Dorf
ging die Spaltung; Keiner haͤtte ſeinem Bruder das Leben ge-
ſchenkt, wenn dieſer ſich zur entgegengeſetzten Faction bekannt
haͤtte. Es haben Einige ſich ihrer Weiber durch Mord ent-
ledigt, um eine Frau aus einem Geſchlecht nehmen zu koͤnnen,
das zu derſelben Partei gehoͤrte. Die Pacifici nuͤtzten nichts
mehr, auch deshalb, weil man aus Gunſt minder taugliche
Leute in dieſe Genoſſenſchaft hatte eintreten laſſen. Die
Factionen ſprachen ſelbſt Recht unter ſich. Oft erklaͤrten
ſie
[433]GregorXIII.
ſie die fuͤr unſchuldig, die von den paͤpſtlichen Gerichts-
hoͤfen waren verurtheilt worden. Sie erbrachen die Ge-
faͤngniſſe, um ihre Freunde zu befreien; ihre Feinde da-
gegen ſuchten ſie auch hier auf, und den andern Tag ſah
man zuweilen die abgeſchnittenen Koͤpfe derſelben an dem
Brunnen aufgeſteckt 1).


Da nun die oͤffentliche Macht ſo ſchwach war, ſo
bildeten ſich in der Mark, der Campagna, in allen Pro-
vinzen die Haufen von ausgetretenen Banditen zu kleinen
Armeen.


An ihrer Spitze zogen Alfonſo Piccolomini, Roberto
Malateſta und andre junge Maͤnner aus den vornehmſten
Geſchlechtern einher. Piccolomini nahm das Stadthaus
von Monte-abboddo ein, alle ſeine Gegner ließ er aufſu-
chen und vor den Augen ihrer Muͤtter und Weiber hin-
richten: von dem Namen Gabuzio allein mußten ihrer neun
ſterben; indeſſen hielt ſein Gefolge Taͤnze auf dem Markt-
platz. Als Herr des Landes durchzog er das Gefilde; er
hatte einmal das Wechſelfieber, doch hielt ihn das nicht
auf: an dem ſchlimmen Tage ließ er ſich in einer Saͤnfte
vor ſeinen Truppen hertragen. Den Einwohnern von Cor-
neto kuͤndigte er an: ſie moͤchten ſich beeilen, mit ihrer
Ernte fertig zu werden: er werde kommen und die Saaten
ſeines Feindes Latino Orſino verbrennen. Er fuͤr ſeine
Perſon hielt noch auf eine gewiſſe Ehre. Er nahm einem
Courier ſeine Briefe ab; das Geld, das derſelbe bei ſich
28
[434]BuchIV.Staat und Hof.
fuͤhrte, beruͤhrte er nicht. Deſto gieriger, raͤuberiſcher
bewieſen ſich ſeine Gefaͤhrten. Von allen Seiten kamen
die Abgeordneten der Staͤdte nach Rom, und baten um
Huͤlfe 1). Der Papſt vermehrte ſeine Streitkraͤfte. Er
gab dem Cardinal Sforza eine umfaſſendere Vollmacht, als
Jemand ſeit dem Cardinal Albornoz beſeſſen, — nicht allein
ohne Ruͤckſicht auf ein Privilegium, ſondern ſelbſt ohne an
Rechtsordnungen gebunden zu ſeyn, ja ohne allen Proceß,
manu regia ſolle er verfahren duͤrfen 2): — Giacomo Bon-
compagno ging ins Feld; auch gelang es ihnen wohl, die
Haufen zu zerſtreuen, das Land von ihnen zu reinigen: ſo
wie ſie ſich entfernt hatten, erhob ſich das alte Unweſen
hinter ihnen wie zuvor.


Zu der Unheilbarkeit deſſelben trug noch ein beſonde-
rer Umſtand vieles bei.


Dieſer Papſt, der oft fuͤr allzugutmuͤthig gilt, hatte
doch wie ſeine fuͤrſtlichen, ſo auch ſeine kirchlichen Gerecht-
ſame mit großer Strenge behauptet 3). Weder den Kaiſer
[435]GregorXIII.
noch den Koͤnig von Spanien ſchonte er, auf ſeine
Nachbarn nahm er keine Ruͤckſicht. Nicht allein mit Ve-
nedig lag er in tauſend Zwiſtigkeiten, uͤber die Sache
von Aquileja, uͤber die Viſitation ihrer Kirchen und an-
dere Punkte: — die Geſandten koͤnnen nicht beſchreiben, wie
er bei jeder Beruͤhrung dieſer Angelegenheiten auffaͤhrt,
welch eine innere Bitterkeit er zeigt; — eben ſo ging es in
Toskana und Neapel; Ferrara fand keine Gunſt: Parma
hatte vor kurzem in ſeinen Streithaͤndeln bedeutende Sum-
men verloren. Alle dieſe Nachbarn ſahen den Papſt mit
Vergnuͤgen in ſo unangenehmen Verwickelungen: ohne wei-
teres nahmen ſie die Banditen in ihrem Lande auf, die
dann, ſobald es die Gelegenheit gab, wieder nach dem
Kirchenſtaat zuruͤckkehrten. Der Papſt bat ſie nur ver-
gebens dieß nicht ferner zu thun. Sie fanden es beſon-
ders, daß man ſich zu Rom aus Niemand etwas mache,
und hernach von Jedermann Ruͤckſichten verlange 1).


Und ſo vermochte denn Gregor ſeiner Ausgetrete-
nen niemals Herr zu werden. Es ward keine Auflage be-
zahlt; das Suſſidio blieb aus. In dem Lande griff ein
allgemeines Mißvergnuͤgen um ſich. Selbſt Cardinaͤle war-
3)
28*
[436]BuchIV.Staat und Hof.
fen die Frage auf, ob es nicht beſſer ſey, ſich an einen
andern Staat anzuſchließen.


An die Fortſetzung der Maaßregeln des Kammerſe-
cretaͤrs war unter dieſen Umſtaͤnden nicht zu denken. Im
Dezember 1581 berichtet der venezianiſche Geſandte aus-
druͤcklich, der Papſt habe alle Proceduren in Confiscations-
ſachen eingeſtellt.


Er mußte geſtatten, daß Piccolomini nach Rom kam,
und ihm eine Bittſchrift uͤberreichte 1). Es uͤberlief ihn
ein Grauen, als er ſie las, dieſe lange Reihe von Mord-
thaten, die er vergeben ſollte, und er legte ſie auf den
Tiſch. Allein man ſagte ihm: von drei Dingen ſey eins
nothwendig: entweder muͤſſe ſein Sohn Giacomo den Tod
von der Hand des Piccolomini erwarten, oder er muͤſſe die-
ſen ſelber umbringen, oder aber man muͤſſe dem Piccolo-
mini Vergebung angedeihen laſſen. Die Beichtvaͤter zu S.
Johann Lateran erklaͤrten, obwohl ſie das Beichtgeheimniß
nicht brechen duͤrften, ſo ſey ihnen doch erlaubt, ſo viel zu
ſagen, wenn nicht etwas geſchehe, ſo ſtehe ein großes Un-
gluͤck bevor. Es kam hinzu, daß Piccolomini von dem
Großherzog von Toskana offen beguͤnſtigt ward, wie er
denn im Pallaſt Medici wohnte. Endlich entſchloß ſich
der Papſt, aber mit tief gekraͤnktem Herzen, und unterzeich-
nete das Breve der Abſolution.


Die Ruhe ſtellte er aber damit immer noch nicht her.
[437]SixtusV.
Seine eigene Hauptſtadt war voll von Banditen. Es kam
ſo weit, daß der Stadtmagiſtrat der Conſervatoren ein-
ſchreiten und der Polizei des Papſtes Gehorſam verſchaffen
mußte. Ein gewiſſer Marianazzo ſchlug die angebotene
Verzeihung aus: es ſey ihm vortheilhafter, ſagte er, als
Bandit zu leben: da habe er groͤßere Sicherheit 1).


Der alte Papſt, lebensſatt und ſchwach, ſah zum Him-
mel und rief: du wirſt aufſtehen Herr und dich Zions
erbarmen.


Sixtus V.


Es ſollte zuweilen ſcheinen, als gaͤbe es in den Ver-
wirrungen ſelbſt eine geheime Kraft, die den Menſchen bil-
det und emporbringt, der ihnen zu ſteuern faͤhig iſt.


Waͤhrend in der ganzen Welt erbliche Fuͤrſtenthuͤmer
oder Ariſtokratien die Herrſchaft von Geſchlecht zu Ge-
ſchlecht uͤberlieferten, behielt das geiſtliche Fuͤrſtenthum das
Ausgezeichnete, daß es von der unterſten Stufe der menſch-
lichen Geſellſchaft zu dem hoͤchſten Range in derſelben
fuͤhren konnte. Eben aus dem niedrigſten Stande erhob
ſich jetzt ein Papſt, der die Kraft und ganz die Natur dazu
hatte, um jenem Unweſen ein Ende zu machen.


[438]BuchIV.Staat und Hof.

Bei den erſten gluͤcklichen Fortſchritten der Osmanen
in den illyriſchen und dalmatiniſchen Provinzen flohen viele
Einwohner derſelben nach Italien. Man ſah ſie ankom-
men, in Gruppen geſchaart an dem Ufer ſitzen und die
Haͤnde gegen den Himmel ausſtrecken. Unter ſolchen Fluͤcht-
lingen iſt wahrſcheinlich auch der Ahnherr Sixtus V., Za-
netto Peretti, heruͤbergekommen; er war von ſlawiſcher Na-
tion. Wie es aber Fluͤchtlingen geht: weder er noch auch
ſeine Nachkommen, die ſich in Montalto niedergelaſſen,
hatten ſich in ihrem neuen Vaterlande eines beſondern
Gluͤckes zu ruͤhmen: Peretto Peretti, der Vater Sixtus V.,
mußte ſogar Schulden halber dieſe Stadt verlaſſen: erſt
ſeine Verheurathung machte ihn faͤhig, einen Garten in
Grotte a Mare bei Fermo zu pachten. Dieſer Ort hat
einen milderen Winter als ſonſt die Mark: er bringt Po-
meranzen und Citronen hervor: um die Ruinen eines alten
Tempels der etruskiſchen Juno, der Cupra her war der
Garten angelegt. Hier ward dem Peretti am 18. Dez.
1521 ein Sohn geboren. Es hatte ihm getraͤumt, er be-
klage ſein Ungluͤck, und eine himmliſche Stimme troͤſte
ihn mit der Verſicherung, er werde einen Sohn bekom-
men, der ſein Haus gluͤcklich machen werde. Deshalb
nannte er ihn Felix 1).


[439]SixtusV.

In welchem Zuſtande die Familie war, ſieht man
wohl, wenn z. B. das Kind in einen Teich faͤllt, und
die Tante, die an dem Teiche waͤſcht, es herauszieht; der
Knabe muß das Obſt bewachen, ja die Schweine huͤten;
die Buchſtaben lernt er aus den Fibeln kennen, welche an-
dere Kinder, die uͤber Feld nach der Schule gegangen und
von da zuruͤckkommen, bei ihm liegen laſſen: der Vater
hat nicht die fuͤnf Bajocchi uͤbrig, die der naͤchſte Schul-
meiſter monatlich fordert. Gluͤcklicherweiſe hat die Familie
ein Mitglied in dem geiſtlichen Stande, einen Franzisca-
ner Fra Salvatore, der ſich endlich erweichen laͤßt, das
Schulgeld zu zahlen. Dann ging auch der junge Felix
mit den uͤbrigen zum Unterricht: er bekam ein Stuͤck Brot
mit; zu Mittag ſetzte er ſich an den Brunnen, der ihm
das Waſſer dazu gab. Trotz ſo kuͤmmerlicher Umſtaͤnde
waren doch die Hoffnungen des Vaters auch bald auf den
Sohn uͤbergegangen: als dieſer ſehr fruͤh, im zwoͤlften Jahr,
denn noch verbot kein tridentiniſches Concilium ſo fruͤhe
Geluͤbde, in den Franciscanerorden trat, behielt er den Na-
men Felix bei. Fra Salvatore hielt ihn ſtreng; er brauchte
die Autoritaͤt eines Oheims, der zugleich Vatersſtelle ver-
tritt; doch ſchickte er ihn auch auf Schulen. Oft ſtudirte
1)
[440]BuchIV.Staat und Hof.
Felix, ohne zu Abend gegeſſen zu haben, bei dem Schein
einer Laterne im Kreuzgang, oder wenn dieſe ausging, bei der
Lampe, die vor der Hoſtie in der Kirche brannte; es findet ſich
nicht gerade etwas bemerkt, was eine urſpruͤngliche religioͤſe
Anſchauung, oder eine tiefere wiſſenſchaftliche Richtung in ihm
andeutete; aber gluͤckliche Fortſchritte machte er allerdings,
ſowohl auf der Schule zu Fermo, als auf den Schulen und
Univerſitaͤten zu Ferrara und Bologna: mit vielem Lob erwarb
er die academiſchen Grade. Am meiſten entwickelte er ein
dialectiſches Talent. Die Moͤnchsfertigkeit, verworrene theo-
logiſche Fragen zu behandeln, erwarb er ſich in hohem Grade.
Bei dem Generalconvent der Franziscaner im Jahr 1549,
der zugleich mit literariſchen Wettkaͤmpfen begangen wurde,
beſtritt er einen Teleſianer, Antonio Perſico aus Calabrien,
der ſich damals zu Perugia viel Ruf erworben, mit Ge-
wandtheit und Geiſtesgegenwart 1). Dieß verſchaffte ihm
zuerſt ein gewiſſes Anſehn. Der Protector des Ordens,
Cardinal Pio von Carpi, nahm ſich ſeitdem ſeiner eifrig
an. Sein eigentliches Gluͤck aber ſchreibt ſich von einem
andern Vorfall her.


Im Jahre 1552 hielt er die Faſtenpredigten in der
Kirche S. Apoſtoli zu Rom mit dem groͤßten Beifall.
Man fand ſeinen Vortrag lebhaft, wortreich, fließend:
[441]SixtusV.
ohne Floskeln: ſehr wohl geordnet: er ſprach deutlich und
angenehm. Als er nun einſt dort, bei vollem Auditorium,
in der Mitte der Predigt inne hielt, wie es in Italien
Sitte iſt, und nachdem er ausgeruht, die eingelaufenen
Eingaben ablas, welche Bitten und Fuͤrbitten zu enthal-
ten pflegen, ſtieß er auf eine, die verſiegelt auf der Kan-
zel gefunden worden, und ganz etwas andres enthielt. Alle
Hauptſaͤtze der bisherigen Predigten Peretti’s, vornehmlich
in Bezug auf die Lehre von der Praͤdeſtination, waren darin
verzeichnet: neben einem jeden ſtand mit großen Buchſta-
ben: du luͤgſt. Nicht ganz konnte Peretti ſein Erſtaunen
verbergen: er eilte zum Schluß: ſo wie er nach Hauſe ge-
kommen, ſchickte er den Zettel an die Inquiſition 1). Gar
bald ſah er den Großinquiſitor, Michel Ghislieri, in ſei-
nem Gemach anlangen. Die ſtrengſte Pruͤfung begann.
Oft hat Peretti ſpaͤter erzaͤhlt, wie ſehr ihn der Anblick
dieſes Mannes, mit ſeinen ſtrengen Brauen, den tiefliegen-
den Augen, den ſcharfmarkirten Geſichtszuͤgen in Furcht
geſetzt habe. Doch faßte er ſich, antwortete gut und gab
keine Bloͤße. Als Ghislieri ſah, daß der Frate nicht al-
lein unſchuldig, ſondern in der katholiſchen Lehre ſo gut
begruͤndet war, wurde er gleichſam ein anderer Menſch,
[442]BuchIV.Staat und Hof.
er umarmte ihn mit Thraͤnen; er ward ſein zweiter Be-
ſchuͤtzer.


Auf das entſchiedenſte hielt ſich ſeitdem Fra Felice Pe-
retti zu der ſtrengen Partei, die ſo eben in der Kirche em-
porkam. Mit Ignatio, Felino, Filippo Neri, welche alle
drei den Namen von Heiligen erworben, war er in ver-
trautem Verhaͤltniß. Daß er in ſeinem Orden, den er zu
reformiren ſuchte, Widerſtand fand, und von ſeinen Or-
densbruͤdern einmal aus Venedig vertrieben wurde, ver-
mehrte nur ſein Anſehn bei den Vertretern der zur Macht
gelangenden Geſinnung. Er ward bei Paul IV. eingefuͤhrt
und oft in ſchwierigen Faͤllen zu Rathe gezogen: er arbeitete
als Theolog in der Congregation fuͤr das tridentiniſche Con-
cilium, als Conſultor bei der Inquiſition: an der Verur-
theilung des Erzbiſchofs Carranza hatte er großen Antheil:
er hat ſich die Muͤhe nicht verdrießen laſſen, in den Schrif-
ten der Proteſtanten die Stellen aufzuſuchen, welche Car-
ranza in die ſeinen aufgenommen: das Vertrauen Pius V.
erwarb er voͤllig. Dieſer Papſt ernannte ihn zum Gene-
ralvicar der Franziscaner, — ausdruͤcklich in der Abſicht,
um ihn zur Reformation des Ordens zu autoriſiren —
und in der That fuhr Peretti gewaltig durch: er ſetzte die
Generalcommiſſaͤre ab, die bisher die hoͤchſte Gewalt in
demſelben beſeſſen: er ſtellte die alte Verfaſſung her, nach
welcher dieſe den Provincialen zuſtand, und fuͤhrte die
ſtrengſte Viſitation aus. Pius ſah ſeine Erwartungen uͤber-
troffen: die Zuneigung, die er fuͤr Peretti hatte, hielt er
fuͤr eine Art von goͤttlicher Eingebung: ohne auf die Af-
terreden zu hoͤren, die denſelben verfolgten, ernannte er
[443]SixtusV.
ihn zum Biſchof von S. Agatha, im Jahre 1570 zum
Cardinal.


Auch das Bisthum Fermo ward ihm ertheilt. In
dem Purpur der Kirche kam Felice Peretti in ſein Vater-
land zuruͤck, wo er einſt Obſt und Vieh gehuͤtet; doch
waren die Vorherſagungen ſeines Vaters und ſeine eignen
Hoffnungen noch nicht voͤllig erfuͤllt.


Es iſt zwar unzaͤhlige Mal wiederholt worden, welche
Raͤnke Cardinal Montalto — ſo nannte man ihn jetzt —
angewendet habe, um zur Tiara zu gelangen: wie de-
muͤthig er ſich angeſtellt, wie er gebeugt, huſtend und am
Stocke einhergeſchlichen: — der Kenner wird von vorn
herein erachten, daß daran nicht viel Wahres iſt: nicht
auf dieſe Weiſe werden die hoͤchſten Wuͤrden erworben.


Montalto lebte ſtill, ſparſam und fleißig fuͤr ſich hin.
Sein Vergnuͤgen war, in ſeiner Vigna bei S. Maria Mag-
giore, die man noch beſucht, Baͤume, Weinſtoͤcke zu pflan-
zen, und ſeiner Vaterſtadt einiges Gute zu erweiſen. In
ernſteren Stunden beſchaͤftigten ihn die Werke des Ambroſius,
die er 1580 herausgab. So vielen Fleiß er auch darauf
wandte, ſo war ſeine Behandlung doch etwas willkuͤhrlich.
Sein Character ſchien gar nicht ſo harmlos wie man geſagt hat.
Bereits eine Relation von 1574 bezeichnet Montalto als ge-
lehrt, und klug, aber auch als argliſtig und boshaft 1). Doch
[444]BuchIV.Staat und Hof.
zeigte er eine ungemeine Selbſtbeherrſchung. Als ſein Neffe,
der Gemahl der Vittoria Accorambuona ermordet worden,
war er der Erſte, der den Papſt bat, die Unterſuchung fal-
len zu laſſen. Dieſe Eigenſchaft, die Jedermann bewun-
derte, hat vielleicht am Meiſten dazu beigetragen, daß als
die Intriguen des Conclaves von 1585 dahin gediehen,
ihn nennen zu koͤnnen, die Wahl wirklich auf ihn fiel.
Auch beachtete man, wie es in der unverfaͤlſchten Erzaͤh-
lung des Vorgangs ausdruͤcklich heißt, daß er nach den
Umſtaͤnden noch in ziemlich friſchem Alter, nemlich 64
Jahre, und von ſtarker und guter Complexion war. Je-
dermann geſtand, daß man unter den damaligen Umſtaͤn-
den vor allem eines kraͤftigen Mannes bedurfte.



[445]SixtusV.

Und ſo ſah ſich Fra Felice an ſeinem Ziele. Es mußte
auch ein menſchen-wuͤrdiges Gefuͤhl ſeyn, einen ſo erhabe-
nen und legalen Ehrgeiz erfuͤllt zu ſehen. Ihm ſtellte ſich
alles vor die Seele, worin er jemals eine hoͤhere Beſtim-
mung zu erkennen gemeint hatte. Er waͤhlte zu ſeinem
Sinnſpruch: Von Mutterleib an biſt du, o Gott, mein
Beſchuͤtzer.


Auch in allen ſeinen Unternehmungen glaubte er fortan
von Gott beguͤnſtigt zu werden. So wie er den Thron
beſtiegen, erklaͤrte er ſeinen Beſchluß, die Banditen und
Miſſethaͤter auszurotten. Sollte er dazu an ſich nicht
Kraͤfte genug haben, ſo wiſſe er, daß ihm Gott Legionen
von Engeln zu Huͤlfe ſchicken werde 1).


Mit Entſchloſſenheit und Ueberlegung ging er ſogleich
an dieß ſchwere Werk.


Ausrottung der Banditen.

Das Andenken Gregors war ihm zuwider: die Maaß-
regeln deſſelben mochte er nicht fortſetzen: er entließ den
groͤßten Theil der Truppen, die er vorfand: die Sbirren
verminderte er um die Haͤlfte. Dagegen entſchloß er ſich
[446]BuchIV.Staat und Hof.
zu einer unnachſichtigen Beſtrafung der ergriffenen Schul-
digen.


Es war laͤngſt verboten, kurze Waffen, beſonders eine
gewiſſe Art von Buͤchſen zu tragen. Vier junge Menſchen
aus Cora, nahe Verwandte unter einander, ließen ſich den-
noch mit ſolchen Gewehren ergreifen. Den andern Tag
war die Kroͤnung: und ein ſo freudiges Ereigniß nahm
man zum Anlaß fuͤr ſie zu bitten. Sixtus entgegnete: „ſo
lange er lebe, muͤſſe jeder Verbrecher ſterben“ 1). Noch
an demſelben Tage ſah man ſie alle vier an Einem Gal-
gen bei der Engelsbruͤcke aufgehaͤngt.


Ein junger Transtiberiner war zum Tode verurtheilt,
weil er ſich den Sbirren widerſetzt hatte, die ihm einen
Eſel wegfuͤhren wollten. Alles war voll Mitleiden, wie
der Knabe weinend wegen ſo geringer Verſchuldung auf
den Richtplatz gefuͤhrt wurde; man ſtellte dem Papſt ſeine
Jugend vor. „Ich will ihm ein paar Jahre von den
meinen zulegen,“ ſoll er geſagt haben: er ließ das Ur-
theil vollſtrecken.


Dieſe erſten Thaten Sixtus V. ſetzten Jedermann in
Furcht: ſie gaben den Verordnungen, die er nunmehr er-
ließ, einen gewaltigen Nachdruck.


Barone und Gemeinden wurden angewieſen, ihre
Schloͤſſer und Staͤdte von den Banditen rein zu halten:
— den Schaden, den die Banditen anrichten wuͤrden, ſoll-
ten der Herr oder die Gemeinde, in deren Gebiet er vor-
falle, ſelber zu erſetzen haben“ 2).


[447]Sixtus V. Banditen.

Man hatte die Gewohnheit, auf den Kopf eines Ban-
diten einen Preis zu ſetzen. Sixtus verordnete, daß dieſe
Preiſe nicht mehr von der Kammer, ſondern vielmehr
von den Verwandten des Banditen, oder wenn dieſe zu
arm, von der Gemeinde, aus der er ſtamme, zu tragen
ſeyen.


Es leuchtet ein, daß er das Intereſſe der Herren, der
Gemeinden, der Verwandten fuͤr ſeine Zwecke in Anſpruch
zu nehmen ſuchte. Das Intereſſe der Banditen ſelbſt be-
muͤhte er ſich zu erwecken. Er verſprach einem Jeden, der
einen Genoſſen todt oder lebendig einliefern wuͤrde, nicht
nur die eigene Begnadigung, ſondern auch die Begnadigung
einiger ſeiner Freunde die er nennen koͤnne, und uͤberdieß
ein Geldgeſchenk.


Nachdem dieſe Anordnungen getroffen worden, und
man ihre ſtrenge Handhabung an ein paar Beiſpielen er-
lebt hatte, bekam die Verfolgung der Banditen in Kurzem
eine andere Geſtalt.


Es war ein Gluͤck, daß es bald im Anfang mit ein
paar Oberhaͤuptern gelang.


Es ließ den Papſt nicht ſchlafen, daß der Prete Guer-
cino, der ſich Koͤnig der Campagna nannte, der ein-
mal den Unterthanen des Biſchofs von Viterbo verboten
hatte, ihrem Herrn zu gehorchen, noch immer ſein Handwerk
fortſetzte, und neue Pluͤnderungen vorgenommen hatte. „Er
betete,“ ſagt Galeſinus, „Gott moͤge den Kirchenſtaat von
dieſem Raͤuber befreien:“ den andern Morgen lief die
Nachricht ein, Guercino ſey gefangen. Der Kopf ward
mit einer vergoldeten Krone an der Engelsburg ausgeſtellt;
[448]BuchIV.Staat und Hof.
der Ueberbringer empfing ſeinen Preis, 2000 Scudi; das
Volk lobte die gute Rechtspflege Seiner Heiligkeit.


Dennoch wagte ein Anderer, della Fara, einſt des
Nachts die Waͤchter an der Porta Salara herauszuklopfen;
er nannte ſich und bat ſie, dem Papſt und dem Governatore
ſeinen Gruß zu bringen. Hierauf gebot Sixtus den Ver-
wandten deſſelben, ihn herbeizuſchaffen; bei eigener Lei-
besſtrafe gebot ers ihnen. Es verging kein Monat, ſo
brachte man den Kopf des Fara ein.


Zuweilen war es faſt noch etwas andres, als Gerech-
tigkeit, was man gegen die Banditen uͤbte.


Bei Urbino hatten ſich ihrer dreißig auf einer Anhoͤhe
verſchanzt; der Herzog ließ Maulthiere mit Lebensmitteln
beladen in ihre Naͤhe treiben; ſie verfehlten nicht, den Zug
zu pluͤndern. Aber die Lebensmittel waren vergiftet; die
Raͤuber ſtarben ſaͤmmtlich. „Bei der Nachricht hiervon,“
ſagt ein Geſchichtſchreiber Sixtus V., „empfand der Papſt
eine große Zufriedenheit.“


In Rom fuͤhrte man Vater und Sohn zum Tode,
obwohl ſie ihre Unſchuld fortwaͤhrend betheuerten. Die
Hausmutter ſtellte ſich in den Weg: ſie bat nur um einen
geringen Verzug: ſie koͤnne die Unſchuld der Ihrigen au-
genblicklich beweiſen 1). Der Senator ſchlug es ihr ab.
„Weil ihr denn nach Blut duͤrſtet,“ rief ſie, „ſo will ich
euch ſaͤttigen,“ und ſtuͤrzte ſich aus dem Fenſter des Ca-
pitols. Indeſſen kamen jene Beiden auf den Richtplatz;
jeder
[449]Sixtus V. Banditen.
jeder wollte den Tod zuerſt erleiden; der Vater wollte nicht
den Sohn, der Sohn nicht den Vater ſterben ſehen. Das
Volk ſchrie auf vor Mitleid. Der wilde Henker ſchalt auf
ihren unnuͤtzen Verzug.


Da galt kein Anſehn der Perſon. Der Graf Johann
Pepoli, aus einem der erſten Haͤuſer von Bologna, der
aber an dem Banditenweſen viel Antheil genommen, ward
in dem Gefaͤngniß ſtrangulirt; ſeine Guͤter, ſein baares
Geld zog der Fiscus ein. Kein Tag war ohne Hinrich-
tung: aller Orten in Wald und Feld traf man auf Pfaͤhle,
auf denen Banditenkoͤpfe ſtaken. Nur diejenigen von ſei-
nen Legaten und Governatoren lobte der Papſt, die ihm
hierin genug thaten und ihm viele Koͤpfe einſendeten. Es
iſt zugleich etwas Barbariſch-orientaliſches in dieſer Juſtiz.


Wen ſie aber nicht erreichte, der fiel durch die Raͤu-
ber ſelbſt. Die Verſprechungen des Papſtes hatten ſie un-
eins gemacht: keiner traute dem andern; ſie mordeten ſich
unter einander 1).


Und ſo verging kein Jahr, ſo waren die Bewegungen
des Kirchenſtaates, wenn nicht in ihren Quellen erſtickt,
doch in ihrem Ausbruch bezwungen. Im Jahr 1586 hatte
man die Nachricht, daß auch die letzten Anfuͤhrer Monte-
brandano und Arara getoͤdtet worden.


Gluͤcklich fuͤhlte ſich der Papſt, wenn ihm nun die
eintreffenden Geſandten bemerkten, ſie ſeyen in ſeinem Staate
allenthalben durch ein ſicheres friedliches Land gereiſt 2).


29
[450]BuchIV.Staat und Hof.

Momente der Verwaltung.

So wie aber der Mißbrauch, den der Papſt daͤmpfte,
noch einen andern Urſprung hatte, als allein den Mangel
an Aufſicht, ſo hing auch der Erfolg, welchen er hervor-
rief, noch mit andern Schritten, die er that, zuſammen.


Man ſieht zuweilen Sixtus V. als den alleinigen
Gruͤnder der Ordnungen des Kirchenſtaates an: man ſchreibt
ihm Einrichtungen zu, die lange vor ihm beſtanden: als
einen unvergleichlichen Meiſter der Finanzen, einen hoͤchſt
vorurtheilsfreien Staatsmann, einen Herſteller der Alter-
thuͤmer ruͤhmt man ihn. Er hatte eine Natur, die ſich
dem Gedaͤchtniß der Menſchen einpraͤgte, und fabelhaften,
großartig lautenden Erzaͤhlungen Glauben verſchaffte.


Iſt nun dem auch nicht voͤllig ſo, wie man ſagt, ſo
bleibt ſeine Verwaltung doch immer ſehr merkwuͤrdig.


In einem beſondern Verhaͤltniß ſtand ſie gegen die
gregorianiſche. Gregor war in ſeinen allgemeinen Maaß-
regeln ſtreng, durchgreifend, einſeitig; einzelne Faͤlle des
Ungehorſams ſah er nach. Eben dadurch, daß er auf der
einen Seite die Intereſſen gegen ſich aufregte, und doch
auf der andern eine Strafloſigkeit ohne Gleichen einreißen
ließ, veranlaßte er die unheilvolle Entwickelung, die er er-
2)
[451]Sixtus V. Verwaltung.
lebte. Sixtus dagegen war im Einzelnen unerbittlich; uͤber
ſeine Geſetze hielt er mit einer Strenge, die an Grau-
ſamkeit grenzte: in allgemeinen Maaßregeln dagegen finden
wir ihn mild, nachgiebig und verſoͤhnend. Unter Gregor
hatte der Gehorſam nichts genuͤtzt und die Widerſetzlichkeit
nichts geſchadet. Unter Sixtus hatte man alles zu fuͤrch-
ten, ſobald man ihm Widerſtand zeigte; dagegen durfte
man Beweiſe ſeiner Gnade erwarten, wenn man in gutem
Vernehmen mit ihm ſtand. Nichts foͤrderte ſeine Abſich-
ten beſſer.


Gleich von Anfang ließ er alle die Mißhelligkeiten
fallen, in welche der Vorgaͤnger ſeiner kirchlichen Anſpruͤche
halber mit den Nachbarn gerathen war. Er erklaͤrte, ein
Papſt muͤſſe die Privilegien, welche den Fuͤrſten gewaͤhrt
worden, erhalten und vermehren. Den Mailaͤndern gab er
die Stelle in der Rota zuruͤck, die ihnen Gregor XIII. ent-
reißen wollen; als die Venezianer endlich ein Breve zum
Vorſchein brachten, das fuͤr ihre Anſpruͤche in der Sache
von Aquileja entſcheidend zu ſeyn ſchien, zeigte er ſich hoͤch-
lich zufrieden. Jene anſtoͤßige Clauſel in der Bulle in Coena
Domini war er entſchloſſen zu tilgen. Die Congregation
uͤber die kirchliche Gerichtsbarkeit, von der die meiſten
Streitigkeiten ausgegangen, hob er gradezu auf 1). Ge-
29*
[452]BuchIV.Staat und Hof.
wiß, es liegt etwas Großartiges darin, daß Jemand aus
freier Bewegung beſtrittene Rechte fallen laͤßt. Ihm brachte
dieſe Geſinnung ſofort den gluͤcklichſten Erfolg zu Wege.
Der Koͤnig von Spanien meldete dem Papſt in einem ei-
genhaͤndigen Schreiben, er habe ſeinen Miniſtern in Mai-
land und Neapel befohlen, paͤpſtlichen Anordnungen nicht
minder zu gehorchen als ſeinen eigenen. Sixtus war bis
zu Thraͤnen geruͤhrt, daß der groͤßte Monarch der Welt ihn,
wie er ſich ausdruͤckte, einen armen Moͤnch dergeſtalt ehre.
Toscana zeigte ſich ergeben, Venedig befriedigt. Jetzt nahmen
dieſe Nachbarn eine andre Politik an. Von allen Seiten
ſchickte man dem Papſt Banditen zu, die ſich in die be-
nachbarten Grenzen gefluͤchtet hatten. Venedig verpoͤnte
ihnen die Ruͤckkehr in den Kirchenſtaat und verbot ſeinen
Schiffen, bei Beruͤhrung der Kuͤſten deſſelben Ausgetretene
aufzunehmen. Der Papſt war entzuͤckt daruͤber. Er ſagte,
er werde es der Republik ein ander Mal gedenken: er
werde, ſo druͤckt er ſich aus, ſich die Haut fuͤr ſie abzie-
hen laſſen, ſein Blut fuͤr ſie vergießen. Eben darum ward
er der Banditen Herr, weil ſie nirgends mehr Aufnahme
und Huͤlfe fanden.


So war er denn auch in ſeinem Lande von jenen
ſtrengen Maaßregeln, die Gregor zum Vortheil der Kam-
mer vorgenommen, weit entfernt. Nachdem er die ſchul-
digen Feudatare geſtraft, ſuchte er die uͤbrigen Barone
eher an ſich zu ziehen und zu gewinnen. Die beiden gro-
ßen Familien Colonna und Orſini verband er durch Heu-
rathen zugleich mit ſeinem Hauſe und untereinander. Gre-
gor hatte den Colonneſen Schloͤſſer weggenommen: Six-
[453]Sixtus V. Verwaltung.
tus regulirte ſelbſt ihren Haushalt und machte ihnen
Vorſchuͤſſe 1). Er gab dem Conteſtabile M. A. Colonna
die eine, dem Duca Virginio Orſini die andere von ſeinen
Enkel-Nichten. Er gewaͤhrte ihnen eine gleiche Dote, und
ſehr aͤhnliche Beguͤnſtigungen: ihre Praͤcedenzſtreitigkeiten
glich er dadurch aus, daß er immer dem Aelteſten von bei-
den Haͤuſern den Vortritt zuſprach. Praͤchtig nahm ſich
dann Donna Camilla aus, die Schweſter des Papſtes,
zwiſchen ihren Kindern, ſo edlen Schwiegerſoͤhnen und ver-
heuratheten Enkelinnen.


Sixtus hatte uͤberhaupt ſeine Freude daran, Privile-
gien auszutheilen.


Vornehmlich der Mark zeigte er ſich als ein wohl-
wollender Landsmann. Den Anconitanern gab er einige
ihrer alten Gerechtſame wieder; in Macerata errichtete er
fuͤr die ganze Provinz einen hoͤchſten Gerichtshof; das Col-
legium der Advocaten dieſer Provinz zeichnete er durch neue
Zugeſtaͤndniſſe aus; Fermo erhob er zum Erzbisthum, To-
lentino zum Bisthum; den Flecken Montalto, in dem ſeine
Vorfahren zuerſt Wohnung genommen, erhob er durch eine
eigene Bulle zur Stadt und zum Bisthum: „denn es hat,“
ſagt er, „unſerer Herkunft ihren gluͤcklichen Urſprung gege-
ben.“ Schon als Cardinal hatte er eine gelehrte Schule
daſelbſt geſtiftet: jetzt als Papſt gruͤndete er an der Univer-
ſitaͤt Bologna das Collegium Montalto fuͤr funfzig Schuͤler
aus der Mark, von denen Montalto allein acht, und auch
das kleine Grotte al Mare zwei zu praͤſentiren hatte 2).


[454]BuchIV.Staat und Hof.

Auch Loreto beſchloß er zur Stadt zu erheben. Fon-
tana ſtellte ihm die Schwierigkeiten davon vor. „Mache
dir keine Gedanken, Fontana,“ ſagte er, „ſchwerer war
es mir mich zu entſchließen, als mir die Ausfuͤhrung fal-
len wird.“ Ein Theil des Landes wurde den Recanateſen
abgekauft; Thaͤler wurden ausgefuͤllt, Huͤgel geebnet, hier-
auf bezeichnete man die Straßen; die Communitaͤten der
Mark wurden ermuntert, jede ein Haus daſelbſt zu bauen;
Cardinal Gallo ſetzte neue Stadtbeamten in der heiligen Ca-
pelle ein. Zugleich ſeinem Patriotismus und ſeiner Devo-
tion gegen die heilige Jungfrau that der Papſt hierdurch
genug.


Auch allen andren Staͤdten in den andern Provinzen
widmete er ſeine Fuͤrſorge. Er traf Einrichtungen, um dem
Anwachſen ihrer Schulden zu ſteuern und beſchraͤnkte ihre
Alienationen und Verbuͤrgungen: ihr geſammtes Geldweſen
ließ er genau unterſuchen: von ſeinen Anordnungen ſchreibt
es ſich her, daß die Gemeinden nach und nach wieder in
Aufnahme kamen 1).



[455]Sixtus V. Verwaltung.

Allenthalben foͤrderte er den Ackerbau. Er ſuchte die
Chiana von Orvieto, die pontiniſchen Suͤmpfe auszutrock-
nen. Die letzten beſuchte er ſelbſt: der Fiumo Siſto,
vor Pius VI. das Beſte, was fuͤr dieſelben geſchehen, ver-
dankt ihm ſeinen Urſprung.


Und ſo haͤtte er denn auch gern die Gewerbe empor-
gebracht. Ein gewiſſer Peter von Valencia, ein roͤmiſcher
Buͤrger, hatte ſich erboten, Seidenfabriken in Gang zu
bringen. Es bezeichnet dieſen Papſt, mit welch einer durch-
fahrenden Verordnung er ihm zu Huͤlfe zu kommen ſuchte.
Er befahl, in ſeinem ganzen Staat, in allen Gaͤrten und
Vignen, auf allen Wieſen und Waldſtrecken, in allen Thaͤ-
lern und Huͤgeln, wo kein Getreide wachſe, Maulbeerbaͤume
zu pflanzen: fuͤr jeden Rubbio Landes ſetzte er fuͤnf feſt;
im Unterlaſſungsfall bedrohte er die Gemeinde mit einer
bedeutenden Geldſtrafe 1). Auch die Wollarbeiten ſuchte
er zu befoͤrdern: „damit die Armen,“ ſagt er, „etwas zu
verdienen bekommen;“ dem erſten Unternehmer gab er eine
Unterſtuͤtzung aus der Kammer; er ſollte dafuͤr eine be-
ſtimmte Anzahl Stuͤcke Tuch einzuliefern haben.


Man wuͤrde den Vorgaͤngern Sixtus V. unrecht thun,
1)
[456]BuchIV.Staat und Hof.
wenn man Gedanken dieſer Art einzig ihm zuſchreiben wollte.
Auch Pius V. und Gregor XIII. beguͤnſtigten Landbau und
Gewerbe. Nicht ſowohl dadurch unterſchied ſich Sixtus,
daß er einen ganz neuen Weg einſchlug, als vielmehr da-
durch, daß er auf dem ſchon eingeſchlagenen raſcher und
nachdruͤcklicher verfuhr. Eben daher ruͤhrt es, daß er den
Menſchen im Gedaͤchtniß blieb.


Wenn man ſagt, daß er die Congregationen der Car-
dinaͤle geſtiftet, ſo iſt das nicht ſo eigentlich zu verſtehen.
Die ſieben wichtigſten: fuͤr Inquiſition, Index, die Sachen
des Conciliums, der Biſchoͤfe, der Moͤnche, fuͤr Segnatura
und Conſulta fand er bereits vor. Auch der Staat war
bei denſelben nicht ganz außer Acht gelaſſen: die beiden
letztgenannten waren fuͤr Juſtiz und Verwaltung. Sixtus be-
ſchloß, acht neue Congregationen hinzuzufuͤgen, von denen ſich
jedoch nur noch zwei mit den Angelegenheiten der Kirche —
die eine mit der Gruͤndung neuer Bisthuͤmer, die andere
mit der Handhabung und Erneuerung kirchlicher Gebraͤuche
— beſchaͤftigen ſollten 1): die uͤbrigen ſechs wurden fuͤr
den Staat beſtimmt; fuͤr Annona, Straßenbau, Abſchaf-
fung druͤckender Auflagen, Bau von Kriegsfahrzeugen, die
Druckerei im Vatican, die Univerſitaͤt zu Rom 2). Man ſieht
[457]Sixtus V. Verwaltung.
wie wenig ſyſtematiſch der Papſt hierbei zu Werke ging;
wie ſehr er voruͤbergehende Intereſſen mit allgemeinen gleich-
ſtellte: nichts deſtominder hat er es damit gut getroffen und
ſeine Einrichtung hat ſich mit leichten Abaͤnderungen Jahr-
hunderte lang erhalten.


Von den Cardinaͤlen ſelbſt ſtellte er uͤbrigens einen ho-
hen Begriff auf. Es ſollen alles ausgezeichnete Maͤnner
ſeyn, ihre Sitten muſterhaft, ihre Worte Orakel, ihre
Ausſpruͤche eine Norm des Lebens und Denkens fuͤr an-
dere; das Salz der Erde, der Leuchter auf dem Candela-
ber 1). Man muß darum nicht glauben, daß er bei den
Ernennungen jedes Mal ſehr gewiſſenhaft verfahren ſey.
Fuͤr Gallo, den er zu dieſer Wuͤrde erhob, wußte er nichts
anzufuͤhren, als daß derſelbe ſein Diener ſey, dem er aus
vielen Gruͤnden wohlwolle, der ihn einmal auf einer Reiſe
ſehr gut aufgenommen habe 2). Auch hier aber gab er
eine Regel: die man ſpaͤter, wenn nicht immer befolgt,
doch meiſtentheils in Gedanken gehabt hat. Er ſetzte die
Zahl der Cardinaͤle auf ſiebzig feſt: „gleichwie Moſes,“
ſagt er, „ſiebzig Greiſe aus allem Volke gewaͤhlt, um ſich
mit ihnen zu berathen.“


Nicht ſelten hat man auch dieſem Papſte die Zerſtoͤ-
[458]BuchIV.Staat und Hof.
rung des Nepotismus zugeſchrieben. Wir ſahen, wie un-
bedeutend die Beguͤnſtigungen der Nepoten bereits unter
Pius IV., Pius V. und Gregor XIII. geworden waren.
Gebuͤhrt Einem von ihnen in dieſer Hinſicht ein beſonde-
res Lob, ſo iſt es Pius V., der die Alienationen kirchli-
cher Laͤnder ausdruͤcklich verpoͤnte. Wie geſagt, dieſe fruͤ-
here Art des Nepotismus iſt niemals wieder hergeſtellt
worden. Unter den Paͤpſten des folgenden Jahrhunderts
bildete ſich aber eine andere Form deſſelben aus. Es gab
immer zwei bevorzugte Nepoten, von denen der eine zum
Cardinal erhoben die oberſte Verwaltung kirchlicher und po-
litiſcher Geſchaͤfte in die Hand bekam, der andre, von welt-
lichem Stande, reich verheurathet, mit liegenden Gruͤnden
und Luoghi di Monte ausgeſtattet, ein Majorat ſtiftete und
ſich ein fuͤrſtliches Haus gruͤndete. Fragen wir, wann dieſe
Form nun eingetreten, ſo finden wir, daß ſie ſich all-
maͤhlig ausgebildet, zuerſt aber unter Sixtus V. ange-
bahnt hat. Cardinal Montalto, den der Papſt zaͤrtlich
liebte, ſo daß er ſogar ſeine natuͤrliche Heftigkeit gegen ihn
maͤßigte, bekam Eintritt in die Conſulta und an den aus-
waͤrtigen Geſchaͤften wenigſtens Antheil: deſſen Bruder Mi-
chele ward Marcheſe und gruͤndete ein wohlausgeſtattetes
Haus.


Wollte man aber glauben, Sixtus habe hiermit ein
Nepotenregiment eingefuͤhrt, ſo wuͤrde man ſich doch voͤllig
irren. Der Marcheſe hatte keinerlei Einfluß, der Cardinal
wenigſtens keinen weſentlichen 1). Es wuͤrde dieß der Sin-
[459]Sixtus V. Finanzen.
nesweiſe dieſes Papſtes widerſprochen haben. Seine Be-
guͤnſtigungen haben etwas Naives und Vertrauliches: ſie
verſchaffen ihm eine Grundlage von oͤffentlichem und pri-
vatem Wohlwollen: aber niemals giebt er das Heft aus
den Haͤnden: immer regiert er ſelbſt. So ſehr er die Con-
gregationen zu beguͤnſtigen ſchien, ſo ſehr er ſelbſt freimuͤ-
thige Aeußerungen herausforderte, ſo ward er doch allemal
ungeduldig und heftig, ſobald ſich Jemand dieſer Erlaubniß
bediente 1). Seinen Willen ſetzte er immer eigenſinnig durch.
„Bei ihm,“ ſagt Giov. Gritti, „hat beinahe Niemand
eine berathende, geſchweige eine entſcheidende Stimme“ 2).
Bei allen jenen perſoͤnlichen und provinziellen Gunſtbezeugun-
gen hatte ſeine Verwaltung doch ſchlechthin einen durchgrei-
fenden, ſtrengen, eigenmaͤchtigen Charakter.


Nirgends wohl mehr als in ihrem finanziellen Theile.


Finanzen.

Das Haus Chigi zu Rom verwahrt ein kleines eigen-
haͤndiges Gedenkbuch Papſt Sixtus V., das er ſich als
als Moͤnch gehalten hat 3). Mit großem Intereſſe ſchlaͤgt
[460]BuchIV.Staat und Hof.
man es auf. Was ihm in ſeinem Leben Wichtiges begeg-
net iſt, wo er jedes Mal in den Faſten gepredigt, welche
Commiſſionen er empfangen und ausgefuͤhrt hat, auch die
Buͤcher, die er beſaß, welche einzeln und welche zuſam-
mengebunden, endlich ſeinen ganzen kleinen moͤnchiſchen
Haushalt hat er darin ſorgfaͤltig verzeichnet. Da lieſt
man z. B. wie ſein Schwager Baptiſta 12 Schafe fuͤr
ihn kaufte; wie er, der Frate, erſt 12, dann noch einmal
2 Floren 20 Bolognin darauf bezahlte, ſo daß ſie ſein
Eigenthum waren: der Schwager hatte ſie bei ſich, wie es
in Montalto herkoͤmmlich, um die halbe Nutzung. In
dieſer Weiſe geht es fort. Man ſieht, wie er ſeine klei-
nen Erſparniſſe zu Rathe hielt, wie ſorgfaͤltig er Rechnung
daruͤber fuͤhrte, wie dann die Summen allmaͤhlig bis zu
ein paar hundert Floren anwuchſen; mit Intereſſe verfolgt
man dieß: es iſt die nemliche haushaͤlteriſche Geſinnung,
welche dieſer Franciscaner kurz darauf auf die Verwaltung
des paͤpſtlichen Staates uͤbertrug. Seine Sparſamkeit iſt
eine Eigenſchaft, deren er ſich in jeder Bulle, wo es die
Gelegenheit irgend zulaͤßt, und in vielen Inſchriften ruͤhmt.
In der That hat weder vor noch nach ihm ein Papſt mit
aͤhnlichem Erfolg verwaltet.


Bei ſeiner Thronbeſteigung fand er eine voͤllige Erſchoͤ-
pfung vor; bitter beſchwert er ſich uͤber Papſt Gregor, der
zugleich von den Pontificaten ſeines Vorgaͤngers und ſeines
Nachfolgers einen guten Theil aufgebraucht habe 1). Er
[461]Sixtus V. Finanzen.
bekam eine ſo ſchlechte Vorſtellung von demſelben, daß er
einmal Meſſen fuͤr ihn angeordnet hat, weil er ihn im
Traume jenſeitige Strafen hatte leiden ſehen; das Einkom-
men war bereits im Voraus bis zum naͤchſten October
verpfaͤndet.


Deſto angelegener ließ er es ſich ſeyn, die Caſſen zu
fuͤllen. Es gelang ihm uͤber alles Erwarten. Als Ein
Jahr ſeines Pontificates um war, im April 1586, hatte
er bereits eine Million Scudi Gold geſammelt; im Nov.
1587 eine zweite; im April 1588 eine dritte. Es macht
dieß uͤber fuͤnftehalb Millionen Sc. in Silber. So wie
er eine Million beiſammen hatte, legte er ſie in der En-
gelsburg nieder; indem er ſie, wie er ſich ausdruͤckte, der
heil. Jungfrau Maria, Mutter Gottes, und den heiligen
Apoſteln Peter und Paul widmete. Er uͤberſchaue, ſagt er
in ſeiner Bulle, nicht allein die Fluthen, auf denen das
Schifflein Petri jetzt zuweilen ſchwanke, ſondern auch die
von fernher drohenden Stuͤrme; unerbittlich ſey der Haß
der Ketzer, der gewaltige Tuͤrke, Aſſur, die Ruthe des Zor-
nes Gottes drohe den Glaͤubigen; von dem Gott, auf den
er ſich hierbei verlaſſe, werde er zugleich unterwieſen, daß
der Hausvater auch bei Nacht zu wachen habe. Er folge
dem Beiſpiel der Vaͤter des alten Teſtaments, von denen
auch immer eine gute Summe Geldes im Tempel des
Herrn aufbewahrt worden.“ Er ſetzte, wie man weiß, die
Faͤlle feſt, in denen es allein erlaubt ſeyn ſolle, ſich die-
1)
[462]BuchIV.Staat und Hof.
ſes Schatzes zu bedienen. Es ſind folgende: — wenn man
einen Krieg zur Eroberung des heiligen Landes oder ei-
nen allgemeinen Feldzug wider die Tuͤrken unternehme;
— wenn Hungersnoth oder Peſtilenz eintrete — in offen-
barer Gefahr eine Provinz des katholiſchen Chriſtenthums
zu verlieren — bei einem feindlichen Einfall in den Kir-
chenſtaat — oder wenn eine Stadt, die dem roͤmiſchen
Stuhl gehoͤre, wieder erworben werden koͤnne. Beim Zorn
des allmaͤchtigen Gottes und der heil. Apoſtel Peter und
Paul verpflichtete er ſeine Nachfolger, ſich an dieſe Faͤlle
zu binden 1).


Wir laſſen einen Augenblick den Werth dieſer Beſtim-
mungen auf ſich beruhen: billig fragen wir, welche Mit-
tel Sixtus anwandte, um einen fuͤr jene Zeiten ſo erſtau-
nenswerthen Schatz zuſammenzubringen.


Eine Aufſammlung des reinen Einkommens war es
nicht: Sixtus ſelbſt hat oft geſagt, der paͤpſtliche Stuhl
habe deſſen nicht uͤber 200000 Sc. 2).


Auch iſt es ſeinen Erſparniſſen nicht geradehin zuzu-
ſchreiben. Er hat deren gemacht; er beſtritt ſeine Tafel
mit 6 Paoli den Tag: er ſchaffte viel unnuͤtze Stellen am
Hofe ab; er verminderte die Truppen: aber wir haben
nicht allein das Zeugniß der Venezianers Delfino, daß dieß
alles die Ausgaben der Kammer um nicht mehr als um
[463]Sixtus V. Finanzen
150000 Sc. verringerte: Sixtus ſelbſt hat einmal die Er-
leichterungen, die ihm die Kammer verdankte, nur auf
146000 Sc. 1) berechnet.


Und ſo ſtieg ihm mit allen Erſparniſſen nach ſeinen
eigenen Erklaͤrungen das reine Einkommen doch nur auf
viertehalbhunderttauſend Sc. Kaum zu den Bauten, die
er ausfuͤhrte, geſchweige denn zu einem ſo coloſſalen Theſau-
riren, reichte ihm dieß hin.


Wir betrachteten oben die ſonderbare Geldwirthſchaft,
die ſich in dieſem Staate eingerichtet hatte: dieſes Steigen
der Auflagen und Laſten, ohne daß ſich das reine Ein-
kommen vermehrte, dieſe Mannichfaltigkeit der Anleihen
durch Aemterverkauf und Monti, die wachſende Belaſtung
des Staates, um der Beduͤrfniſſe der Kirche willen. Es
leuchtet ein, welche Uebelſtaͤnde damit verknuͤpft waren,
und wenn man die Lobeserhebungen vernimmt, die Six-
tus V. ſo reichlich geſpendet worden, ſo ſollte man dafuͤr
halten, er habe das Uebel abzuſtellen gewußt. Wie er-
ſtaunt man, wenn man findet, daß er grade den nemli-
chen Weg auf das ruͤckſichtsloſeſte verfolgte, und dieſe Geld-
wirthſchaft auf eine Weiſe fixirte, daß ihr niemals wieder
Einhalt zu thun war.


Eine ſeiner vornehmſten Finanzquellen war der Ver-
kauf der Aemter. Erſtens erhoͤhte er von vielen, die be-
reits verkauft worden waren, die Preiſe. Ein Beiſpiel ſey
das Amt eines Schatzmeiſters der Kammer. Es war bis-
her fuͤr 15000 Sc. veraͤußert worden; er verkaufte es zu-
erſt an einen Juſtinian fuͤr 50000 Sc.: als er dieſen zum
[464]BuchIV.Staat und Hof.
Cardinal gemacht, verkaufte er es an einen Pepoli fuͤr 72000
Sc.; als er auch dieſem den Purpur gegeben, zweigte er
von den Einkuͤnften des Amtes die volle Haͤlfte, 5000
Sc., ab, die er einem Monte zuwies; um ſo vieles ge-
ſchmaͤlert verkaufte er es noch immer fuͤr 50000 Scudi
Gold. — Zweitens fing er an Aemter zu verkaufen, die
man fruͤher immer umſonſt gegeben hatte: Notariate, Fis-
calate, die Stellen des Generalcommiſſaͤrs, des Sollecita-
tors der Kammer, des Armenadvocaten: oft zu bedeuten-
den Preiſen, das Generalcommiſſariat um 20000, die No-
tariate um 30000 Sc. — Endlich aber errichtete er auch
eine Menge neuer Aemter, oft ſehr bedeutende darunter,
ein Schatzmeiſteramt der Dataria, die Praͤfectur der Ge-
faͤngniſſe, 24 Referendariate, 200 Cavalierate, Notariate
in den Hauptorten des Staates: er verkaufte ſie ſaͤmmtlich.


Allerdings brachte er auf dieſe Weiſe ſehr bedeutende
Summen zuſammen: der Verkauf der Aemter hat ihm
608510 Sc. Gold, 401805 Sc. Silber, mithin zuſam-
men gegen anderthalb Millionen Silber eingetragen 1): al-
lein wenn die kaͤuflichen Stellen ſchon fruͤher ein Ungemach
dieſes Staates waren: — es lag darin, wie beruͤhrt, eine
Mittheilung der Regierungsrechte, auf den Grund einer An-
leihe, die man ebendeshalb gegen die Zahlungspflichtigen
ſehr rigoros geltend machte, ohne der Pflichten des Am-
tes zu gedenken — um wie vieles wurde dieß Uebel hier-
durch vermehrt! Eben daher kam es denn, daß man das
Amt
[465]Sixtus V. Finanzen.
Amt wie geſagt als einen Beſitz betrachtete, welcher Rechte
gebe, nicht als eine Pflicht, welche Bemuͤhungen auferlege.


Ueberdieß aber vermehrte Sixtus nun auch die Monti
außerordentlich. Er errichtete drei Monti non vacabili und
acht Monti vacabili, mehr als irgend einer ſeiner Vorgaͤnger.


Wir ſahen, daß die Monti immer auf neue Auflagen
angewieſen werden mußten. Auch Sixtus V. fand kein an-
deres Mittel, obwohl er ſich Anfangs davor ſcheute. Als
er im Conſiſtorium der Cardinaͤle zum erſten Mal von einer
Anlegung des Schatzes ſprach, entgegnete ihm Cardinal
Farneſe, auch ſein Großvater Paul III. habe dieß beab-
ſichtigt, doch habe er eingeſehen, es werde nicht ohne Ver-
mehrung der Auflagen moͤglich ſeyn; deshalb ſey er davon
abgeſtanden. Heftig fuhr ihn Sixtus an. Die Andeu-
tung, daß ein fruͤherer Papſt weiſer geweſen, brachte
ihn in Harniſch. „Das machte,“ erwiederte er, „unter
Papſt Paul III. gab es einige große Verſchleuderer, die es
Gott ſey Dank bei unſern Zeiten nicht giebt.“ Farneſe
erroͤthete und ſchwieg 1). Allein es kam, wie er geſagt
hatte. Im Jahre 1587 nahm Sixtus V. keine Ruͤckſicht
mehr. Den muͤhevollſten Erwerb, z. B. derjenigen, welche
die Tiberſchiffe mit Buͤffeln und Pferden ſtromaufwaͤrts
30
[466]BuchIV.Staat und Hof.
ziehen ließen: die unentbehrlichſten Lebensbeduͤrfniſſe, z. B.
Brennholz und die Foglietta Wein im kleinen Verkehr,
beſchwerte er mit neuen Auflagen und gruͤndete unverzuͤglich
Monti darauf. Er verſchlechterte die Muͤnzen, und da ſich
hierauf ſogleich ein kleines Wechslergeſchaͤft an allen Stra-
ßenecken bildete, ſo benutzte er auch dieß, um die Befug-
niß dazu zu verkaufen 1). So ſehr er die Mark beguͤn-
ſtigte, ſo belaſtete er doch den Handel von Ancona mit
neuen 2 Procent auf die Einfuhr. Die kaum auflebende
Induſtrie mußte ihm wenigſtens indirect Vortheil bringen 2).
Er hatte einen portugieſiſchen Juden, der aus Furcht vor
der Inquiſition aus Portugal entwichen war, des Namens
Lopez, an der Hand, der das Vertrauen des Datars, der
Signora Camilla, und endlich auch des Papſtes ſelber ge-
wann, und der ihm dieſe und aͤhnliche Operationen angab.
Nach jener Abfertigung Farneſe’s wagte kein Cardinal mehr
zu widerſprechen. Als von der erwaͤhnten Impoſt auf den
Wein die Rede war, ſagte Albano von Bergamo: ich bil-
lige alles, was Ew. Heiligkeit gefaͤllt, doch wuͤrde ich es
noch mehr billigen, wenn ihr dieſe Auflage mißfiele.


Und ſo brachte ſich Sixtus ſo viel neue Einkuͤnfte zu
[467]Sixtus V. Finanzen.
Wege, daß er in den Monti eine Anleihe von drittehalb
Millionen Scudi, genau 2,424,725, aufnehmen, und mit
Zinſen ausſtatten konnte.


Geſtehen wir aber ein, daß dieſe Staatswirthſchaft
etwas Unbegreifliches hat.


Durch die neuen Auflagen und ſo viele Aemter wer-
den dem Lande neue und ohne Zweifel ſehr druͤckende Laſten
aufgebuͤrdet: die Aemter ſind auf Sporteln angewieſen,
was den Gang der Juſtiz und der Adminiſtration nicht
anders als hemmen kann: die Auflagen fallen auf den
Handel im Großen und auf den kleinen Verkehr, und
muͤſſen der Regſamkeit ſchaden. Und wozu dient zuletzt ihr
Ertrag?


Rechnen wir zuſammen, was Monti und Aemter
im Ganzen eingebracht haben, ſo betraͤgt das ungefaͤhr
eben die Summe, die in das Caſtell eingeſchloſſen ward;
fuͤnftehalb Millionen Sc.: wenig mehr. Alle Unterneh-
mungen, die dieſen Papſt beruͤhmt gemacht, haͤtte er mit
dem Ertrag ſeiner Erſparniſſe ausfuͤhren koͤnnen.


Daß man Ueberſchuͤſſe ſammelt und aufſpart, laͤßt ſich
begreifen: daß man Anleihen macht, um einem Beduͤrfniß
der Gegenwart abzuhelfen, iſt in der Regel: daß man aber
Anleihen macht und Laſten aufbuͤrdet, um einen Schatz fuͤr
kuͤnftige Beduͤrfniſſe in ein feſtes Schloß einzuſchließen, iſt
hoͤchſt außerordentlich.


Dennoch iſt es dieß, was die Welt an Papſt Six-
tus V. immer am meiſten bewundert hat.


Es iſt wahr, die Maaßregeln Gregors XIII. hatten
etwas Gehaͤſſiges, Gewaltſames und eine ſehr ſchlechte
30*
[468]BuchIV.Staat und Hof.
Ruͤckwirkung. Deſſenungeachtet ſollte ich glauben, wenn
er es dahin gebracht haͤtte, daß die paͤpſtliche Caſſe ſo-
wohl neuer Auflagen als der Anleihe in Zukunft haͤtte ent-
behren koͤnnen, ſo wuͤrde dieß eine ſehr wohlthaͤtige Wir-
kung hervorgerufen, der Kirchenſtaat vielleicht eine gluͤckli-
chere Entwickelung genommen haben.


Allein es fehlte Gregorn zumal in den ſpaͤtern Jah-
ren an der Kraft, ſeine Gedanken durchzuſetzen.


Grade durch dieſe vollfuͤhrende Kraft zeichnete ſich Six-
tus aus. Sein Theſauriren durch Anleihen, Aemterverkauf
und neue Auflagen haͤufte Laſt auf Laſt; wir werden die
Folgen davon beobachten: aber daß es gelang, blendete die
Welt, und fuͤr den Augenblick gab es wirklich dem Papſt-
thum eine neue Bedeutung.


In der Mitte von Staaten, denen es meiſtentheils an
Geld fehlte, bekamen die Paͤpſte durch den Beſitz eines
Schatzes eine groͤßere Zuverſicht auf ſich ſelbſt, ein unge-
wohntes Anſehn bei den Uebrigen.


In der That gehoͤrte dieſe Staatsverwaltung recht ei-
gentlich mit zu dem katholiſchen Syſteme jener Zeit.


Indem ſie alle finanziellen Kraͤfte des Staates in die
Haͤnde des kirchlichen Oberhauptes legte, machte ſie den-
ſelben erſt vollkommen zu einem Organe geiſtlicher Gewalt.


Denn wozu anders konnte dieß Geld angewendet wer-
den, als zur Vertheidigung und Ausbreitung des katholi-
ſchen Glaubens?


Sixtus V. lebte und webte in Entwuͤrfen, die dahin
zielten. Zuweilen betrafen ſie den Orient und die Tuͤrken,
oͤfter den Occident und die Proteſtanten. Zwiſchen den
[469]Sixtus V. Bauunternehmungen.
beiden Syſtemen, dem katholiſchen und dem proteſtantiſchen,
brach ein Krieg aus, an dem die Paͤpſte den lebhafteſten
Antheil nahmen.


Wir betrachten ihn in dem folgenden Buche. Zunaͤchſt
bleiben wir noch einen Augenblick bei Rom ſtehen, welches
von neuem eine allgemeine Wirkung auf die Welt auszu-
uͤben wußte.


Bauunternehmungen Sixtus V.

Es war das dritte Mal, daß ſich Rom auch aͤußer-
lich als die Hauptſtadt einer Welt darſtellte.


Man kennt die Pracht und Groͤße des antiken Roms;
aus Truͤmmern und Erzaͤhlungen hat man es ſich mannich-
faltig zu vergegenwaͤrtigen geſucht. Auch das Mittelalter
verdiente wohl einmal einen aͤhnlichen Fleiß. Herrlich war
auch dieß mittlere Rom mit der Majeſtaͤt ſeiner Baſiliken,
dem Dienſt ſeiner Grotten und Catacomben, den Patriar-
chien des Papſtes, in denen die Denkmaͤler des fruͤheſten
Chriſtenthums aufbewahrt wurden, dem noch immer praͤch-
tigen Kaiſerpallaſt, der den deutſchen Koͤnigen gehoͤrte, den
Feſtungen, welche ſich in der Mitte ſo vieler Gewalten
unabhaͤngige Geſchlechter trotzig eingerichtet hatten.


Waͤhrend der Abweſenheit der Paͤpſte in Avignon war
dieß mittlere Rom ſo gut verfallen, wie das antike laͤngſt
in Truͤmmern lag.


Als Eugenius IV. im Jahre 1443 nach Rom zuruͤck-
kehrte, war es eine Stadt der Ruhhirten geworden; die
[470]BuchIV.Staat und Hof.
Einwohner unterſchieden ſich nicht von den Bauern und
Hirten der Landſchaft. Man hatte laͤngſt die Huͤgel verlaſ-
ſen: in der Ebene an den Beugungen der Tiber wohnte man;
auf den engen Straßen gab es kein Pflaſter; durch Balkone
und Bogen, welche Haus an Haus ſtuͤtzten, waren ſie
noch mehr verdunkelt; man ſah das Vieh wie auf dem
Dorfe herumlaufen. Von St. Sylveſter bis an die Porta
del Popolo war alles Garten und Sumpf: man jagte da
wilde Enten. An das Alterthum war beinahe auch die
Erinnerung verſchwunden. Das Capitol war der Berg der
Ziegen, das Forum Romanum das Feld der Kuͤhe gewor-
den; an einige Monumente, die noch uͤbrig waren, knuͤpfte
man die ſeltſamſten Sagen. Die Peterskirche war in Ge-
fahr zuſammenzuſtuͤrzen.


Als endlich Nicolaus die Obedienz der geſammten Chri-
ſtenheit wieder hatte, faßte er, reich geworden durch die
Beitraͤge der zum Jubilaͤum ſtroͤmenden Pilgrime, den Ge-
danken auf, Rom dergeſtalt mit Gebaͤuden zu ſchmuͤcken,
daß Jedermann mit der Anſchauung erfuͤllt werden ſollte,
dieß ſey die Hauptſtadt der Welt.


Es war dieß aber nicht das Werk eines einzigen
Mannes. Alle Paͤpſte haben Jahrhunderte lang daran mit-
gearbeitet.


Ich will ihre Bemuͤhungen, die man in ihren Lebens-
beſchreibungen aufgezeichnet findet, hier nicht im Einzelnen
wiederholen. Am bedeutendſten waren ſowohl durch ih-
ren Erfolg als ſelbſt durch ihren Gegenſatz die Epochen
Julius II. und unſres Sixtus.


Unter Julius II. wurde die untere Stadt an den
[471]Sixtus V. Bauunternehmungen.
Ufern der Tiber, wohin ſie ſich gezogen, voͤllig erneuert.
Nachdem Sixtus IV. die beiden Theile jenſeits und dieſ-
ſeits des Fluſſes durch jene ſolide einfache Bruͤcke von Tra-
vertino, die noch heute ſeinen Namen fuͤhrt, beſſer verbun-
den hatte, baute man zu beiden Seiten mit dem groͤßten
Eifer. Jenſeits begnuͤgte ſich Julius nicht mit dem
Unternehmen der Peterskirche, die unter ihm maͤchtig
emporſtieg; er erneuerte auch den vaticaniſchen Pallaſt.
In der Vertiefung zwiſchen dem alten Bau und dem Land-
hauſe Innocenz VIII., dem Belvedere, legte er die Loggien
an, eins der wohlerfundenſten Werke die es geben mag.
Unfern von ihm wetteiferten ſeine Vettern, die Riari, und
ſein Schatzmeiſter Agoſtino Chigi, wer von beiden ein ſchoͤ-
neres Haus aufrichten wuͤrde. Ohne Zweifel behielt Chigi
den Preis; das ſeine iſt die Farneſina, bewundernswuͤrdig
ſchon in der Anlage, von Raphaels Hand aber unvergleich-
lich ausgeſchmuͤckt. Dieſſeit verdanken wir Julius II. die
Vollendung der Cancelleria mit ihrem Cortile, das die
kuͤhnſten und reinſten Verhaͤltniſſe ausſpricht, dem ſchoͤn-
ſten Gehoͤfte der Welt. Seine Cardinaͤle und Barone wett-
eiferten mit ihm: Farneſe, deſſen Pallaſt ſich durch ſeinen
großartigen Eingang den Ruf des vollkommenſten unter
den roͤmiſchen Pallaͤſten erworben hat: Franz de Rio, der
von dem ſeinen ruͤhmte, er werde ſtehen, bis die Schildkroͤte
die Erde durchwandle: mit allen Schaͤtzen der Literatur und
Kunſt war das Haus der Medici erfuͤllt; auch die Orſi-
nen ſchmuͤckten ihren Pallaſt auf Campofiore innen und
außen mit Statuen und Bildwerken aus 1). Den Reſten
[472]BuchIV.Staat und Hof.
dieſer ſchoͤnen Zeit, in der man ſo kuͤhn mit dem Alter-
thum wetteiferte, um Campofiore und den farneſiſchen
Platz her, widmet der Fremde nicht immer die Aufmerk-
ſamkeit, die ſie verdienen. Es war Wetteifer, Genius,
Bluͤthe: ein allgemeiner Wohlſtand. Da das Volk zu-
nahm, ſo baute man ſich auf dem Campo Marzo, um das
Mauſoleum des Auguſt her an. Unter Leo entwickelte ſich
dieß noch mehr: aber ſchon Julius hatte Gelegenheit, jen-
ſeit die Lungara gegenuͤber dieſſeit die Strade Julia zu
ziehen. Man ſieht noch die Inſchrift, in der ihn die Con-
ſervatoren ruͤhmen, daß er neue Straßen abgemeſſen und
eroͤffnet habe „der Majeſtaͤt der neuerworbenen Herrſchaft
gemaͤß.“


Durch die Peſt, durch die Eroberung ſank die Volks-
menge wieder: die Bewegungen unter Paul IV. fuͤgten der
Stadt aufs neue großen Schaden zu: erſt nachher nahm
ſie ſich wieder auf, mit dem erneuten Gehorſam der ka-
tholiſchen Welt ſtieg auch die Anzahl der Einwohner.


Schon Pius IV. dachte darauf, die verlaſſenen Huͤ-
gel wieder anzubauen. Auf dem Capitolin gruͤndete er den
Pallaſt der Conſervatoren: auf dem Viminal erhob ihm
Michel Angelo aus den Truͤmmern der diocletianiſchen
Thermen die Kirche S. Maria degli Angeli; die Porta Pia
auf dem Quirinal traͤgt noch heute ſein Abzeichen 1). Auch
Gregor XIII. baute hier.



[473]Sixtus V. Bauunternehmungen.

Es waren dieß aber der Natur der Sache nach ver-
gebliche Bemuͤhungen, ſo lange die Huͤgel des Waſſers
entbehrten.


Eben hier tritt Sixtus V. hervor. Es hat ihn vor
allen uͤbrigen Paͤpſten beruͤhmt gemacht, daß er mit den
alten Caͤſaren zu wetteifern und der Stadt ihr Beduͤrfniß
an Waſſer in coloſſalen Aquaͤducten herbeizufuͤhren beſchloß.
Er that es, wie er ſagt, damit dieſe Huͤgel, „noch zu den
chriſtlichen Zeiten durch Baſiliken verherrlicht, ausgezeichnet
durch geſunde Luft, anmuthige Lage, angenehme Ausſicht,
wieder bewohnt werden moͤgen.“ „Darum,“ fuͤgt er hinzu,
„haben wir uns von keinen Schwierigkeiten, keinen Unko-
ſten abſchrecken laſſen.“ In der That ſagte er den Archi-
tecten von allem Anfang, er wolle ein Werk, das ſich mit
der alten Pracht des kaiſerlichen Roms meſſen koͤnne. Zwei-
undzwanzig Miglien weit, von dem Agro Colonna her fuͤhrte
er die Aqua Martia zum Theil unter der Erde, zum Theil
auf hohen Boͤgen nach Rom. Es waren nicht wenig
Schwierigkeiten zu uͤberwinden. Mit großer Genugthuung
ſah endlich der Papſt den Strahl dieſes Waſſers ſich in
ſeine Vigna ergießen: er fuͤhrte es weiter nach St. Su-
ſanna auf den Quirinal: er nannte es nach ſeinem Eigen-
namen Aqua Felice; nicht mit geringem Selbſtgefuͤhl
ließ er bei der Fontaͤne Moſen abbilden, wie bei dem
Schlag ſeines Stabes das Waſſer aus dem Felſen ſtroͤmt 1).


[474]BuchIV.Staat und Hof.

Fuͤr jene Gegend und die ganze Stadt war dieß ein
großer Vortheil. Die Aqua Felice giebt in 24 Stunden
20537 Cubikmeter Waſſer und ſpeiſt 27 Fontaͤnen.


In der That fing man an, die Hoͤhen wieder anzu-
bauen. Durch beſondere Privilegien lud Sixtus dazu ein.
Er ebnete den Boden bei Trinita de’ Monti, und legte den
Grund zu der Treppe am ſpaniſchen Platz, welche die naͤchſte
Communication von der unteren Stadt nach dieſer Anhoͤhe
bildet 1). Hier legte er Via Felice und Borgo Felice an;
er eroͤffnete die Straßen, die noch heute nach S. Maria
Maggiore fuͤhren, von allen Seiten; er hatte die Abſicht
alle Baſiliken durch breite und große Wege mit dieſer zu
verbinden. Die Poeten ruͤhmen, Rom verdopple ſich
gleichſam und ſuche ſeine alten Wohnungen wieder auf.


Jedoch war es dieſe Anbauung der Hoͤhen nicht al-
lein, wodurch ſich Sixtus V. von den fruͤheren Paͤpſten
unterſchied. Er faßte zugleich Abſichten, die den aͤltern
gradezu entgegenliefen.


Mit einer Art von Religion betrachtete man unter Leo X.
die Truͤmmer des alten Roms; man nahm mit Entzuͤcken
den goͤttlichen Funken des antiken Geiſtes an ihnen wahr:
wie ließ ſich jener Papſt die Erhaltung derſelben empfoh-
len ſeyn, „deſſen was von der alten Mutter des Ruhmes
und der Groͤße von Italien noch allein uͤbrig geblieben“ 2).


[475]Sixtus V. Bauunternehmungen.

Von dieſem Geiſt war Sixtus V. himmelweit ent-
fernt. Fuͤr die Schoͤnheit der Ueberreſte des Alterthums
hatte dieſer Franciscaner keinen Sinn. Das Septizonium
des Severus, ein hoͤchſt merkwuͤrdiges Werk, das ſich
durch alle Stuͤrme ſo vieler Jahrhunderte bis auf ihn er-
halten, fand keine Gnade vor ſeinen Augen. Er zerſtoͤrte
es von Grund aus und brachte einige Saͤulen davon nach
St. Peter 1). Er war eben ſo heftig im Zerſtoͤren als
eifrig im Bauen. Jedermann fuͤrchtete, er werde auch darin
kein Maaß finden. Man hoͤre, was der Cardinal von
Santa Severina erzaͤhlt: es wuͤrde unglaublich ſcheinen, wenn
2)
[476]BuchIV.Staat und Hof.
er es nicht ſelbſt erlebt haͤtte. „Da man ſah,“ ſagt er,
„daß ſich der Papſt ganz und gar zur Zerſtoͤrung der roͤ-
miſchen Alterthuͤmer hinneigte, ſo kamen eines Tages eine
Anzahl roͤmiſcher Edelleute zu mir, und baten mich, das
Meine zu thun, um S. Heiligkeit von einem ſo ausſchwei-
fenden Gedanken abzubringen.“ An den Cardinal wandten
ſie ſich, der damals ohne Zweifel ſelbſt als der groͤßte Ze-
lot anzuſehen war. Cardinal Colonna ſchloß ſich an ihn
an. Der Papſt antwortete ihnen, er wolle die haͤßlichen
Antiquitaͤten wegſchaffen, die uͤbrigen aber, die dieß beduͤrf-
ten, reſtauriren. Man denke, was ihm haͤßlich vorkom-
men mochte! Er hatte die Abſicht, das Grab der Caͤcilia
Metella, ſchon damals den einzigen bedeutenden Reſt der
republicaniſchen Zeiten, ein bewundernswuͤrdiges, erhabe-
nes Denkmal, gradehin zu zerſtoͤren. Wie viel mag unter
ihm zu Grunde gegangen ſeyn!


Konnte er ſich doch kaum entſchließen, den Laocoon
und den belvederiſchen Apoll im Vatican zu dulden. Die
antiken Bildſaͤulen, mit denen die roͤmiſchen Buͤrger das
Capitol geſchmuͤckt hatten, litt er nicht daſelbſt. Er er-
klaͤrte, er werde das Capitol zerſtoͤren, wenn man ſie nicht
entferne. Es war ein Jupiter tonans, zwiſchen Minerva
und Apoll. Die beiden andern mußten in der That ent-
fernt werden: nur die Minerva ward geduldet. Aber Six-
tus wollte, daß ſie Rom und zwar das chriſtliche bedeu-
ten ſolle. Er nahm ihr den Speer den ſie trug und gab
ihr ein ungeheures Kreuz in die Haͤnde 1).


[477]Sixtus V. Bauunternehmungen.

In dieſem Sinne reſtaurirte er die Saͤulen des Trajan
und des Antonin: aus jener ließ er die Urne wegnehmen,
welche, wie man ſagte, die Aſche des Kaiſers enthielt; er
widmete ſie dem Apoſtel Petrus, die andere dem Apoſtel
Paulus: deren Bildſaͤulen ſeitdem in dieſer luftigen Hoͤhe
uͤber den Haͤuſern der Menſchen einander gegenuͤberſtehen.
Er meinte damit dem chriſtlichen Glauben einen Triumph
uͤber das Heidenthum 1) zu verſchaffen.


Die Aufſtellung des Obelisken vor S. Peter lag ihm
darum ſo ſehr am Herzen, weil er „die Monumente des Un-
glaubens an dem nemlichen Orte dem Kreuze unterworfen
zu ſehen wuͤnſchte, wo einſt die Chriſten den Kreuzestod
erleiden muͤſſen“ 2).


In der That ein großartiges Unternehmen, das er
aber ganz auf ſeine Weiſe ausfuͤhrte: mit einer ſonderbaren
Miſchung von Gewaltſamkeit, Groͤße, Pomp und zelotiſchem
Weſen.


Dem Baumeiſter, Domenico Fontana, der ſich unter
ſeinen Augen vom Maurerlehrburſchen heraufgearbeitet hatte,
drohte er ſogar Strafen an, wenn es ihm mißlinge und
er den Obelisken beſchaͤdige.


Es war alles ſchwer, ihn dort, wo er ſtand — bei der
Sacriſtey der alten Peterskirche — von ſeiner Baſis zu er-
[478]BuchIV.Staat und Hof.
heben, ihn niederzuſenken, auf eine neue Stelle zu fuͤhren
und hier wieder aufzurichten.


Man ſchritt dazu, mit dem Gefuͤhle, daß man ein
Werk unternehme, welches alle Jahrhunderte hindurch be-
ruͤhmt ſeyn werde. Die Arbeiter, ihrer 900 an der Zahl,
begannen damit, daß ſie die Meſſe hoͤrten, beichteten und
die Communion empfingen. Dann traten ſie in den Raum,
der fuͤr die Arbeit durch einen Zaun abgeſondert worden.
Der Meiſter nahm einen hoͤheren Sitz ein. Der Obelisk
war mit Strohmatten und Bohlen umkleidet, die von fe-
ſten eiſernen Ringen umfaßt waren: 35 Winden ſollten
die ungeheure Maſchine in Bewegung ſetzen, die ihn mit
gewaltigen haͤnfenen Tauen emporzuheben beſtimmt war:
an jeder arbeiteten 2 Pferde und 10 Menſchen. Endlich
gab eine Trompete das Zeichen. Gleich der erſte Ruck griff
vortrefflich: der Obelisk erhob ſich von der Baſis, auf der
er ſeit 1500 Jahren ruhete: bei dem zwoͤlften war er 2¾
Palm erhoben und feſtgehalten: der Baumeiſter ſah die un-
geheure Maſſe, mit ihrer Bekleidung uͤber eine Million
roͤmiſcher Pfund ſchwer, in ſeiner Gewalt. Man hat ſorg-
faͤltig angemerkt, daß es am 30. April 1586 war, Nach-
mittag gegen drei, um die zwanzigſte Stunde. Vom Ca-
ſtell S. Angelo gab man Freudenſignale: alle Glocken der
Stadt wurden gelaͤutet: die Arbeiter trugen ihren Meiſter
mit unaufhoͤrlichem Lebehoch triumphirend um die Um-
zaͤunung.


Sieben Tage darnach ſenkte man den Obelisk mit
nicht minderer Geſchicklichkeit; hierauf fuͤhrte man ihn auf
Walzen an ſeine neue Stelle. Erſt nach Ablauf der hei-
[479]Sixtus V. Bauunternehmungen.
ßen Monate wagte man zu ſeiner Wieder-Aufrichtung zu
ſchreiten.


Der Papſt waͤhlte zu dieſem Unternehmen den 10ten
Sept., einen Mittwoch, welchen Tag er immer gluͤcklich
gefunden, den naͤchſten vor dem Feſte der Erhoͤhung des
Kreuzes, dem der Obelisk gewidmet werden ſollte. Auch
dieß Mal begannen die Arbeiter ihr Tagewerk damit, daß
ſie ſich Gott empfahlen: ſie fielen auf die Kniee, als ſie in
die Umzaͤunung traten. Fontana hatte ſeine Einrichtungen
nicht ohne Ruͤckſicht auf die letzte Erhebung eines Obe-
lisken, die von Ammianus Marcellinus beſchrieben worden,
getroffen: doch hatte er die Kraft von 140 Pferden vor-
aus. Auch hielt man es fuͤr ein beſonderes Gluͤck, daß
der Himmel an dieſem Tage bedeckt war. Alles ging er-
wuͤnſcht von Statten. In drei großen Abſaͤtzen wurde der
Obelisk bewegt; eine Stunde vor Sonnenuntergang ſenkte
er ſich auf ſein Piedeſtal auf den Ruͤcken der vier bronze-
nen Loͤwen, die ihn zu tragen ſcheinen. Der Jubel des
Volks war unbeſchreiblich; der Papſt fuͤhlte die vollkom-
menſte Genugthuung: ſo viele von ſeinen Vorgaͤngern hat-
ten es gewollt, in ſo vielen Schriften hatte man es ge-
wuͤnſcht; er hatte es nunmehr ausgefuͤhrt. In ſeinem
Diarium ließ er anmerken, daß ihm das groͤßte und ſchwie-
rigſte Werk gelungen ſey, welches der menſchliche Geiſt er-
denken koͤnne; er ließ Medaillen darauf praͤgen: er empfing
Gedichte in allen Sprachen daruͤber: den auswaͤrtigen Maͤch-
ten gab er davon Kunde 1).


[480]BuchIV.Staat und Hof.

Sonderbar lautet die Inſchrift, in der er ſich ruͤhmt,
er habe dieß Denkmal den Kaiſern Auguſt und Tiberius
entriſſen, und dem heiligſten Kreuze gewidmet. Er ließ ein
Kreuz darauf errichten, in das ein Stuͤck Holz von dem
angeblichen wahren Kreuze Chriſti eingeſchloſſen war. Es
druͤckt dieß ſeine ganze Geſinnung aus. Die Monumente
des Heidenthums ſollten ſelber zur Verherrlichung des Kreu-
zes dienen.


Mit ganzer Seele widmete er ſich dieſen ſeinen Bauten.
Ein Hirtenknabe, in Garten und Feld aufgewachſen, liebte
er die Staͤdte; von einer Villeggiatura wollte er nichts wiſ-
ſen: er ſagte, „ſeine Erholung ſey, viele Daͤcher zu ſehen.“
Ich verſtehe: ſeine Bauunternehmungen machten ihm das
groͤßte Vergnuͤgen.


Viele tauſend Haͤnde waren unaufhoͤrlich beſchaͤftigt:
keine Schwierigkeit ſchreckte ihn ab.


Noch immer fehlte die Kuppel an St. Peter, und die
Baumeiſter forderten 10 Jahr zu ihrer Vollendung. Six-
tus wollte ſein Geld dazu hergeben, doch an dem Werke
1)
[481]Sixtus V. Bauunternehmungen.
auch ſelber noch ſeine Augen weiden. Er ſtellte 600 Ar-
beiter an: auch die Nacht ließ er nicht feiern: im 22ſten
Monate wurde man fertig. Nur erlebte er nicht, daß das
bleierne Dach gelegt wurde.


Aber auch in Werken dieſer Art ſetzte er ſeiner Ge-
waltſamkeit keine Grenzen. Die Ueberbleibſel des paͤpſtli-
chen Patriarchiums bei dem Lateran, die noch keineswegs
geringfuͤgig und ausnehmend merkwuͤrdig waren, ließ er ohne
Erbarmen niederreißen, um an der Stelle derſelben ſeinen
Lateranpallaſt zu errichten, an ſich unnuͤtz und ganz in der
einfoͤrmigen Regelmaͤßigkeit moderner Architectur.


Wie ſo ganz hatte ſich das Verhaͤltniß geaͤndert, in
welchem man zu dem Alterthum ſtand. Man wetteiferte
fruͤher und auch jetzt mit demſelben: aber damals ſuchte
man es in der Form zu erreichen, jetzt bemuͤhte man ſich,
in maſſenhaften Unternehmungen ihm gleich zu kommen
oder es zu uͤberbieten. In dem geringſten Denkmal ver-
ehrte man fruͤher eine Spur des antiken Geiſtes: dieſe
Spuren haͤtte man jetzt lieber vertilgt. Man folgte einer
Idee, die man allein gelten ließ, neben der man keine an-
dere anerkannte. Es iſt die nemliche, die ſich in der Kirche
die Herrſchaft erworben, die den Staat zu einem Organ
der Kirche gemacht hat. Dieſe Idee des modernen Katho-
licismus durchdringt in den verſchiedenſten Richtungen alle
Adern des Lebens.


31
[482]BuchIV.Staat und Hof.

Bemerkung über die Veränderung der geiſtigen
Richtung überhaupt.


Denn man darf nicht etwa glauben, nur der Papſt
ſey von dieſem Geiſt beherrſcht worden; in jedem Zweige
thut ſich am Ende des Jahrhunderts eine Richtung her-
vor, derjenigen entgegengeſetzt, welche den Anfang deſſelben
bezeichnete.


Ein Hauptmoment iſt, daß das Studium der Alten,
von dem damals alles ausgegangen, nunmehr unendlich
zuruͤckgetreten war. Auch jetzt erſchien wieder ein Aldus
Manutius zu Rom und wurde Profeſſor der Beredtſam-
keit. Aber weder fuͤr ſein Griechiſch noch ſelbſt fuͤr ſein
Latein fanden ſich Liebhaber. Zur Stunde ſeiner Vorle-
ſungen ſah man ihn mit einem und dem andern ſeiner Zu-
hoͤrer vor dem Portal der Univerſitaͤt auf- und abgehen;
es waren die einzigen, welche ihm Theilnahme bewieſen.
Wie hatte das Studium des Griechiſchen im Anfang des
Jahrhunderts ſo unglaublichen Fortgang! Am Ende deſ-
ſelben gab es in Italien keinen namhaften Helleniſten
mehr.


Nun moͤchte ich dieß nicht durchaus als Verfall be-
zeichnen: in gewiſſer Beziehung haͤngt es mit dem noth-
wendigen Fortſchritt der wiſſenſchaftlichen Entwickelung zu-
ſammen.


Wenn nemlich fruͤher die Wiſſenſchaft unmittelbar aus
den Alten geſchoͤpft wurde, ſo war dieß jetzt nicht mehr
moͤglich. Auf der einen Seite hatte der Stoff ungeheuer
[483]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
zugenommen. Welch eine ganz andere Maſſe naturhiſtori-
ſcher Kenntniſſe brachte z. B. Uliſſe Aldrovandi, durch die
unablaͤſſige Bemuͤhung eines langen Lebens auf vielen Rei-
ſen zuſammen, als irgend ein Alter beſitzen koͤnnen; in
ſeinem Muſeum hatte er es auf eigentliche Vollſtaͤndigkeit
abgeſehen: was ihm an Naturalien abging, erſetzte er durch
Bilder: jedes Stuͤck bekam ſeine ausfuͤhrliche Beſchreibung.
Wie hatte ſich die Erdkunde ſo uͤber jeden Begriff der an-
tiken Welt erweitert! Auf der andern Seite begann auch
eine tiefer eingehende Forſchung. Die Mathematiker ſuch-
ten anfangs nur die Luͤcken auszufuͤllen, welche die Alten
gelaſſen. Commandin z. B. glaubte zu finden, daß Archi-
medes etwas uͤber den Schwerpunct entweder geleſen oder
ſogar verfaßt haben muͤſſe, was alsdann verloren gegan-
gen: er ließ ſich dieß einen Anlaß ſeyn, den Gegenſtand
ſelbſt zu unterſuchen. Aber eben hierdurch ward man um
Vieles weiter gefuͤhrt, noch an der Hand der Alten riß
man ſich von ihnen los: man machte Entdeckungen, die
jenſeit des von ihnen beſchriebenen Kreiſes lagen, und ei-
ner weiteren Forſchung neue Bahnen eroͤffneten.


Vornehmlich widmete ſich dieſe der Erkenntniß der
Natur. Man ſchwankte noch einen Augenblick zwiſchen
der Anerkennung des Geheimniſſes und der muthigen Un-
terſuchung. Doch uͤberwog die letztere. Schon ward ein
Verſuch gemacht, das Pflanzenreich rationell abzutheilen:
in Padua lebte ein Profeſſor, den man den Columbus des
menſchlichen Leibes nannte. Auf allen Seiten ſtrebte man
weiter: das Alterthum ſchloß die Wiſſenſchaft nicht mehr
ſo unbedingt ein.


31*
[484]BuchIV.Staat und Hof.

Es folgte, wenn ich nicht irre, von ſelbſt, daß das
Studium der Antike, dem man ſich in Hinſicht des Ob-
jects nicht mehr mit ſo voller Hingebung uͤberlaſſen durfte,
auch in Hinſicht der Form nicht mehr die Wirkung her-
vorbringen konnte, die es fruͤher gehabt.


In den gelehrten Werken fing man an, es durchaus
auf die Anhaͤufung des Stoffes abzuſehen. Im Anfang
des Jahrhunderts hatte Corteſius das Weſentliche der ſcho-
laſtiſchen Philoſophie, ſo unfuͤgſam es ſich auch zeigen
mochte, in einem wohlgeſchriebenen claſſiſchen Werke, das
voll von Geiſt und Witz iſt, mitgetheilt; jetzt ſtellte ein
Natal Conte einen antiken Stoff, der die geiſtreichſte, groß-
artigſte Behandlung zugelaſſen haͤtte, mythologiſch in einem
ungenießbaren Quartanten zuſammen. Dieſer Autor hat
auch eine Geſchichte geſchrieben: die Sentenzen, mit denen
er ſein Buch ausſtattet, leitet er faſt immer unmittelbar
aus den Alten her und citirt die Stellen; doch iſt er da-
bei von allem Sinn fuͤr eigentliche Darſtellung entfernt
geblieben. Es ſchien den Zeitgenoſſen ſchon hinreichend,
das Material der Thatſachen in Maſſen aufzuhaͤufen. Man
darf ſagen, ein Werk, wie die Annalen des Baronius, ſo
ganz formlos, — lateiniſch, aber ohne alle Spur von Ele-
ganz ſelbſt nur im einzelnen Ausdruck, — waͤre im An-
fange des Jahrhunderts nicht einmal denkbar geweſen.


Indem man dergeſtalt wie in den wiſſenſchaftlichen
Beſtrebungen, ſo noch vielmehr in der Form und Darſtel-
lung die Bahn des Alterthums verließ, traten in dem Le-
ben der Nation Veraͤnderungen ein, die auf alles literari-
ſche und kuͤnſtleriſche Bemuͤhen unberechenbaren Einfluß
ausgeuͤbt haben.


[485]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.

Einmal ging das republikaniſche ſich ſelbſt uͤberlaſſene
Italien, auf deſſen eigenthuͤmlichen Zuſtaͤnden die fruͤheren
Entwickelungen, auch des Geiſtes ſelbſt beruht hatten, nun-
mehr zu Grunde. Die ganze Freiheit und Naivetaͤt des
geiſtigen Zuſammenſeyns verſchwand. Man bemerke, daß
ſich die Titulaturen einfuͤhrten. Schon um das Jahr 1520
ſahen Einige mit Verdruß, daß Jedermann Herr genannt
ſeyn wollte: man ſchrieb es dem Einfluß der Spanier zu.
Um das Jahr 1550 verdraͤngen bereits ſchwerfaͤllige Eh-
renbezeigungen die einfache Anrede in Brief und Geſpraͤch.
Gegen das Ende des Jahrhunderts nahmen die Titel Mar-
cheſe und Duca uͤberhand; Jedermann wollte ſie haben;
alles wollte Excellenz ſeyn. Man hat gut ſagen, daß dieß
nicht viel bedeute: hat es doch noch jetzt ſeine Wirkung,
nachdem dieß Weſen laͤngſt veraltet iſt: um wie viel mehr
damals als man es aufbrachte. Aber auch in jeder an-
dern Hinſicht wurden die Zuſtaͤnde ſtrenger, feſter, abge-
ſchloſſener; mit der heiteren Unbefangenheit der fruͤheren
Verhaͤltniſſe, der Unmittelbarkeit der gegenſeitigen Beruͤh-
rungen war es voruͤber.


Liege es woran es wolle, ſey es ſogar eine in der
Natur der Seele begruͤndete Veraͤnderung, ſo viel iſt of-
fenbar, daß in allen Hervorbringungen ſchon gegen die Mitte
des Jahrhunderts hin, ein anderer Geiſt weht, daß auch
die Geſellſchaft, wie ſie lebt, und weſentlich iſt, andere
Beduͤrfniſſe hat.


Von allen Erſcheinungen, die dieſen Wechſel bezeich-
nen, vielleicht die auffallendſte iſt die Umarbeitung, welche
Berni mit dem Orlando inamorato des Bojardo vorge-
[486]BuchIV.Staat und Hof.
nommen hat. Es iſt das nemliche Werk, und doch ein
ganz anderes. Aller Reiz, alle Friſche des urſpruͤnglichen
Gedichts iſt verwiſcht. Wenn man ein wenig tiefer ein-
geht, ſo wird man finden, daß der Autor allenthalben
ſtatt des Individuellen ein Allgemein-guͤltiges, ſtatt des
ruͤckſichtsloſen Ausdruckes einer ſchoͤnen und lebendigen Na-
tur eine Art von geſellſchaftlichem Decorum untergeſchoben
hat, wie ſie die damalige und die ſpaͤtere italieniſche Welt
forderte 1). Er traf es damit vollkommen. Mit einem
unglaublichen Beifall wurde ſein Werk aufgenommen: die
Ueberarbeitung hat das urſpruͤngliche Gedicht durchaus ver-
draͤngt. Und wie raſch hatte ſich dieſe Umwandelung voll-
zogen. Seit der erſten Ausgabe waren noch nicht funfzig
Jahr verfloſſen.


Man kann dieſen veraͤnderten Grundton, dieſe Ader
eines anderen Geiſtes in den meiſten Hervorbringungen
jener Zeit verfolgen.


Es iſt nicht grade Mangel an Talent, was die gro-
ßen Gedichte von Alamanni und Bernardo Taſſo, ſo un-
genießbar, ſo langweilig macht, wenigſtens bei dem letzten
nicht. Aber gleich ihre Conception iſt kalt. Nach den For-
derungen eines zwar keineswegs ſehr tugendhaften, aber ernſt-
gewordenen, gehaltenen Publikums waͤhlten ſie ſich tadel-
loſe Helden, Bernardo den Amadis: von dem der juͤngere
Taſſo ſagt: „Dante wuͤrde das verwerfende Urtheil, das
er uͤber die Ritterromane ausſpricht, zuruͤckgenommen ha-
ben, wenn er den Amadis von Gallien oder von Graͤcia
[487]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
gekannt haͤtte; ſo voll ſey dieſe Geſtalt von Adel und
Standhaftigkeit;“ — Alamanni bearbeitete Giron le cour-
toys, den Spiegel aller Rittertugend. Sein ausgeſproche-
ner Zweck iſt dabei, der Jugend an dieſem Beiſpiele zu
zeigen, wie man Hunger und Nachtwachen, Kaͤlte und
Sonnenſchein zu ertragen, die Waffen zu fuͤhren, gegen Je-
dermann Gerechtigkeit und Froͤmmigkeit zu beweiſen und
den Feinden zu vergeben habe. Da ſie nun bei dieſem mo-
raliſch-didactiſchen Abſehen eben auch auf die Weiſe des
Berni verfahren, und ihrer Fabel den poetiſchen Grund,
den ſie hat, recht mit Abſicht entreißen, ſo iſt erfolgt, daß
ihre Arbeiten uͤberaus weitſchweifig und trocken ausgefal-
len ſind.


Es ſchien, wenn man ſo ſagen darf, als haͤtte die
Nation das Capital poetiſcher Vorſtellungen, das ihr ihre
Vergangenheit gewaͤhrte, das ihr aus dem Mittelalter her-
vorgegangen, verbraucht, verarbeitet, und ſogar kein Ver-
ſtaͤndniß derſelben uͤbrig. Sie ſuchte etwas Neues. Aber
weder wollten die ſchoͤpferiſchen Genien erſcheinen, noch bot
das Leben friſche Stoffe dar. Bis gegen die Mitte des
Jahrhunderts iſt die Proſa — lehrhaft ihrer Natur nach
— noch geiſtreich, warm, beugſam und anmuthig. All-
maͤhlig erſtarrt und erkaltet ſie aber auch.


Wie in der Poeſie, war es in der Kunſt. Sie ver-
lor die Begeiſterung, die ihr ehemals ihre geiſtlichen, gar
bald auch die welche ihr ihre profanen Gegenſtaͤnde einge-
floͤßt. Hauptſaͤchlich nur in den Venezianern blieb etwas
davon uͤbrig. Wie ſo voͤllig fallen die Schuͤler Raphaels,
einen einzigen ausgenommen, von Raphael ab. Indem ſie
[488]BuchIV.Staat und Hof.
ihn nachahmen, verlieren ſie ſich in das gemachte Schoͤne,
theatraliſche Stellungen, affectirte Grazie, und ihren Wer-
ken ſieht man es an, in wie kalter, unſchoͤner Stimmung
ſie entworfen worden ſind. Die Schuͤler Michel Angelo’s
machten es nicht beſſer. Die Kunſt wußte nichts mehr
von ihrem Object; ſie hatte die Ideen aufgegeben, welche
ſie ſonſt ſich angeſtrengt hatte, in Geſtalt zu bringen: nur
die Aeußerlichkeiten der Methode waren ihr uͤbrig.


In dieſer Lage der Dinge, als man ſich von dem
Alterthum bereits entfernt hatte, ſeine Formen nicht mehr
nachahmte, ſeiner Wiſſenſchaft entwachſen war: — als zu-
gleich die altnationale Poeſie und religioͤſe Vorſtellungs-
weiſe von Literatur und Kunſt verſchmaͤht ward: — trat
die neue Erhebung der Kirche ein: ſie bemaͤchtigte ſich der
Geiſter mit ihrem Willen oder wider denſelben: ſie brachte
auch in allem literariſchen und kuͤnſtleriſchen Weſen eine
durchgreifende Veraͤnderung hervor.


Es hatte aber die Kirche, wenn ich nicht irre, eine
ganz andere Einwirkung auf die Wiſſenſchaft, als auf die
Kunſt.


Philoſophie und Wiſſenſchaft uͤberhaupt erlebten noch
einmal eine ſehr bedeutende Epoche. Nachdem man den
aͤchten Ariſtoteles wieder hergeſtellt, begann man, wie in
andern Zweigen von andern Alten geſchah, ſich in der
Philoſophie auch von ihm loszureißen; zu einer freien Er-
oͤrterung der hoͤchſten Probleme ging man fort. Der Na-
tur der Sache nach konnte die Kirche dieß nicht beguͤnſti-
gen. Sie ſelber ſetzte bereits die oberſten Prinzipien auf
eine Weiſe feſt, die keinen Zweifel zuließ. Hatten ſich aber
[489]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
die Anhaͤnger des Ariſtoteles haͤufig zu antikirchlichen, na-
turaliſtiſchen Meinungen bekannt, ſo war auch von ſeinen
Beſtreitern etwas aͤhnliches zu befuͤrchten. Sie wollten,
wie ſich einer von ihnen ausdruͤckte, die Dogmen bisheri-
ger Lehrer mit der originalen Handſchrift Gottes, der Welt
und der Natur der Dinge vergleichen. Ein Unternehmen,
deſſen Erfolg unabſehlich war, bei dem es, ſey es Ent-
deckungen, ſey es Irrthuͤmer, von ſehr verfaͤnglichem In-
halt geben mußte, das deßhalb die Kirche nicht aufkom-
men ließ. Obwohl ſich Teleſius nicht eigentlich uͤber die
Phyſik erhob, blieb er doch ſein Lebelang auf ſeine kleine
Vaterſtadt eingeſchraͤnkt: Campanella hat als ein Fluͤcht-
ling leben, die Tortur hat er ausſtehen muͤſſen; der Tief-
ſinnigſte von allen, Giordano Bruno, ein wahrer Philo-
ſoph, ward nach vielen Verfolgungen und langen Irrfahr-
ten endlich, wie es in der Urkunde heißt, „nicht al-
lein als ein Ketzer, ſondern als ein Haͤreſiarch, der ei-
nige Sachen geſchrieben, welche die Religion anbetreffen,
und die ſich nicht geziemen“ 1), von der Inquiſition in
[490]BuchIV.Staat und Hof.
Anſpruch genommen, eingezogen, nach Rom geſchafft und
zum Tode im Feuer verurtheilt. Wer haͤtte da noch zu
freier Geiſtesregung den Muth fuͤhlen ſollen? Von den
Neuerern, die dieß Jahrhundert hervorgebracht hat, fand
nur Einer, Francesco Patrizi, Gnade in Rom. Auch er
griff den Ariſtoteles an, jedoch nur deshalb, weil die Lehr-
ſaͤtze dieſes Alten der Kirche und dem Chriſtenthum zuwi-
der ſeyen. Im Gegenſatz mit den ariſtoteliſchen Meinun-
gen ſuchte er eine aͤchte philoſophiſche Tradition nachzuwei-
ſen; von dem angeblichen Hermes Trismegiſtus an, bei
dem er eine deutlichere Erklaͤrung der Dreieinigkeit zu fin-
den glaubte, als ſelbſt in den moſaiſchen Schriften, durch
die folgenden Jahrhunderte: dieſe ſuchte er aufzufriſchen,
zu erneuern und an die Stelle der ariſtoteliſchen zu ſetzen.
In allen Dedicationen ſeiner Werke ſtellt er dieſe ſeine Ab-
ſicht, den Nutzen, die Nothwendigkeit ihrer Ausfuͤhrung
vor. Es iſt ein ſonderbarer Geiſt: nicht ohne Kritik, doch
bloß fuͤr das was er verwirft, nicht fuͤr das was er an-
1)
[491]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
nimmt. Er ward nach Rom berufen und behauptete ſich
hier mehr durch die Eigenthuͤmlichkeit und die Richtung
ſeiner Arbeiten, als durch den Erfolg und die Wirkung
derſelben in großem Anſehen.


Mit den philoſophiſchen Unterſuchungen waren damals
phyſiſche und naturhiſtoriſche faſt ununterſcheidbar ver-
ſchmolzen. Das ganze Syſtem bisheriger Vorſtellungen
war in Frage geſtellt worden. In der That iſt in den
Italienern dieſer Epoche eine große Tendenz: Suchen, Vor-
dringen, erhabene Ahndung. Wer will ſagen, wohin ſie
gelangt ſeyn wuͤrden? Allein die Kirche zeichnete ihnen
eine Linie vor, die ſie nicht mehr uͤberſchreiten durften.
Wehe dem, der ſich uͤber dieſelbe hinauswagte.


Wirkte dergeſtalt, es kann daran kein Zweifel ſeyn,
die Reſtauration des Katholicismus auf die Wiſſenſchaft
reprimirend, ſo fand in der Kunſt und Poeſie vielmehr
das Gegentheil hiervon Statt. Sie ermangelten eines In-
haltes, des lebendigen Gegenſtandes, die Kirche gab ihnen
denſelben wieder.


Wie ſehr die Erneuerung der Religion ſich der Ge-
muͤther bemaͤchtigte, ſieht man an dem Beiſpiele Torquato
Taſſo’s. Sein Vater hatte ſich einen moraliſch-tadelloſen
Helden ausgeſucht: er ging einen Schritt weiter als dieſer.
Wie noch ein anderer Dichter dieſes Zeitalters die Kreuz-
zuͤge zu ſeinem Gegenſtande gewaͤhlt, „darum, weil es beſ-
ſer ſey, ein wahres Argument chriſtlich zu behandeln, als in
einem erlogenen einen wenig chriſtlichen Ruhm ſuchen:“
ſo that auch Torquato Taſſo: er nahm ſich einen Helden,
nicht der Fabel, ſondern der Geſchichte, einen chriſtlichen
[492]BuchIV.Staat und Hof.
Helden. Gottfried iſt mehr als Aeneas: er iſt wie ein
Heiliger, ſatt der Welt und ihres vergaͤnglichen Ruhmes.
Es wuͤrde indeß ein ſehr trockenes Werk gegeben haben,
wenn ſich der Dichter mit der Darſtellung einer ſolchen
Perſoͤnlichkeit haͤtte begnuͤgen wollen. Taſſo ergriff zugleich
die ſentimental-ſchwaͤrmeriſche Seite der Religion, was
denn ſehr wohl zu dem Feenweſen ſtimmt, deſſen bunte
Faͤden er in ſein Gewebe einſchlug. Das Gedicht iſt hier
und da etwas lang ausgefallen: nicht allenthalben iſt der
Ausdruck recht durchgearbeitet: doch iſt es ein Gedicht;
— voll Phantaſie und Gefuͤhl, nationaler Geſinnung,
Wahrheit des Gemuͤths, durch welche Taſſo die Gunſt und
Bewunderung ſeiner Landsleute bis auf den heutigen Tag
in hohem Grade behauptet hat. Welch ein Gegenſatz aber
gegen Arioſt! Die Dichtkunſt war fruͤher von der Kirche
abgefallen; der verjuͤngten Religion unterwirft ſie ſich
wieder.


Unfern von Ferrara, wo Taſſo ſein Poem verfaßt,
in Bologna, erhob ſich gleich nachher die Schule der Ca-
racci, deren Emporkommen eine allgemeine Umwandlung
in der Malerei bezeichnet.


Fragen wir, worauf dieſe beruhte, ſo nennt man uns
die anatomiſchen Studien der bologneſiſchen Academie, ihre
eklektiſche Nachahmung, die Gelehrſamkeit ihrer Kunſtma-
nier. Und gewiß iſt der Eifer, mit welchem ſie auf ihre
Weiſe den Erſcheinungen der Natur beizukommen trachte-
ten, ein großes Verdienſt. Nicht minder wichtig aber
ſcheint mir zu ſeyn, welche Aufgaben ſie waͤhlten, wie ſie
dieſelben geiſtig angriffen.


[493]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.

Lodovico Caracci beſchaͤftigte ſich viel mit dem Chri-
ſtusideal. Nicht immer, aber zuweilen, wie in der Be-
rufung des Matthaͤus, gelingt es ihm, den milden und
ernſten Mann voll Wahrheit und Waͤrme, Huld und Ma-
jeſtaͤt darzuſtellen, der hernach ſo oft nachgebildet worden.
Wohl ahmt er fruͤhere Meiſter nach: doch iſt es fuͤr ſeine
Sinnesweiſe bezeichnend, wie er dieß thut. Die Transfi-
guration Raphaels hat er einmal offenbar vor Augen,
aber er eignet ſie ſich nicht an, ohne ſeinen Chriſtus die
Hand lehrend gegen Moſes erheben zu laſſen. Ohne Zwei-
fel das Meiſterſtuͤck Agoſtino Caracci’s iſt der heilige Hie-
ronymus, ein Alter, nahe dem Tode, der ſich nicht mehr
bewegen kann, und mit dem letzten Lebensodem nur noch
inbruͤnſtig nach der Hoſtie verlangt, die ihm gereicht wird.
Annibale’s Ecce homo, bei den Borgheſe, mit ſtarkem
Schatten, von feiner durchſichtiger Haut, in Thraͤnen, iſt
das Ideal Lodovico’s auf einer andern Stufe. Bewun-
dernswuͤrdig, jugendlich groß erſcheint es ſelbſt in der Er-
ſtarrung des Todes in der Pietà, einem Werke, in welchem
auch uͤbrigens das troſtloſe Ereigniß mit neuem Gefuͤhl
ergriffen und ausgeſprochen iſt. In den Lunetten bei
den Doria wird die Landſchaft, durch die einfache Auf-
faſſung der menſchlichen Momente in der heiligen Geſchichte,
ſinnreich belebt.


Wir ſehen, obwohl ſich dieſe Meiſter auch profanen
Gegenſtaͤnden widmeten, ſo ergriffen ſie doch die heiligen
mit beſonderem Eifer: hier iſt es dann nicht ein ſo ganz
aͤußerliches Verdienſt, was ihnen ihre Stelle giebt; die
Hauptſache wird ſeyn, daß ſie von ihrem Gegenſtand wie-
[494]BuchIV.Staat und Hof.
der lebendig erfuͤllt ſind, daß ihnen die religioͤſen Vorſtel-
lungen, die ſie vergegenwaͤrtigen, wieder etwas bedeuten.


Eben dieſe Tendenz unterſcheidet auch ihre Schuͤler.
Auf die Erfindung Agoſtino’s, jene Idee des Hieronymus,
wandte Domenichino einen ſo gluͤcklichen Fleiß, daß er
in Mannichfaltigkeit der Gruppirung und Vollendung des
Ausdrucks den Meiſter vielleicht noch uͤbertraf. Seinen
Kopf des heiligen Nilus finde ich herrlich, gemiſcht aus
Schmerz und Nachdenken: ſeine Prophetinnen voll Jugend,
Unſchuld und Tiefſinn. Hauptſaͤchlich liebte er die Freu-
den des Himmels mit der Qual der Erde in Gegenſatz zu
ſtellen: wie ſo ſehr in der Madonna del Roſario die himm-
liſche gnadenreiche Mutter mit dem beduͤrftigen Menſchen.


Zuweilen ergreift auch Guido Reni dieſen Gegenſatz;
waͤre es auch nur, daß er die in ewiger Schoͤnheit prangende
Jungfrau abgehaͤrmten moͤnchiſchen Heiligen gegenuͤberſtellt.
Guido hat Schwung und eigene Conception. Wie herrlich
iſt ſeine Judith, aufgegangen im Gefuͤhle der gelungenen That
und des Dankes, welchen ſie himmliſcher Huͤlfe ſchuldig iſt!
Wer kennt nicht ſeine Madonna, entzuͤckt, und etwas ver-
ſchwimmend in ihrem Entzuͤcken? Auch fuͤr ſeine Heili-
gen ſchuf er ſich ein ſentimental-ſchwaͤrmeriſches Ideal.


Hiermit haben wir jedoch noch nicht die ganze Eigen-
thuͤmlichkeit dieſer Richtung bezeichnet: ſie hat noch eine
andere nicht ſo anziehende Seite. Die Erfindungen dieſer
Maler bekommen auch zuweilen etwas Geltſam-Fremdar-
tiges. Die ſchoͤne Gruppe der heil. Familie z. B. wird
wohl einmal dahin ausgebildet, daß der St. Johannes
dem Jeſukind foͤrmlich den Fuß kuͤßt; oder die Apoſtel er-
[495]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
ſcheinen, um der Jungfrau, was man ſagt, zu condoliren,
darauf vorbereitet, ſich die Thraͤnen abzuwiſchen. Wie
oft wird ferner das Graͤßliche ohne die mindeſte Schonung
vorgeſtellt! Der S. Agnete des Domenichino ſehen wir
das Blut unter dem Schwert hervordringen: Guido faßt
den bethlehemitiſchen Kindermord in ſeiner ganzen Abſcheu-
lichkeit: die Weiber, welche ſaͤmmtlich den Mund zum Ge-
ſchrei oͤffnen, die graͤulichen Schergen, welche die Unſchuld
morden.


Man iſt wieder religioͤs geworden, wie man es fruͤ-
her war: aber es waltet ein großer Unterſchied ob. Fruͤ-
her war die Darſtellung ſinnlich naiv: jetzt hat ſie oft-
mals etwas Barockes und Gewaltſames.


Dem Talent des Guercino wird Niemand ſeine Be-
wunderung verſagen. Aber was iſt das fuͤr ein Johannes,
den die Gallerie Sciarra von ihm aufbewahrt! Mit brei-
ten nervigen Armen, coloſſalen, nackten Knien, dunkel
und allerdings begeiſtert, doch koͤnnte man nicht ſagen, ob
ſeine Begeiſterung himmliſcher oder irdiſcher Art iſt. Sein
Thomas legt die Hand ſo entſchloſſen in die Seitenwunden
des Erloͤſers, daß es dieſen ſchmerzen muͤßte. Den Pietro
Martyre ſtellt Guercino vor, gradezu wie ihm noch das
Schwert im Kopfe ſteckt. Neben jenem aquitaniſchen Her-
zog, der von S. Bernard mit der Kutte bekleidet wird,
laͤßt er noch einen Moͤnch auftreten, der einen Knappen
bekehrt, und man ſieht ſich einer beabſichtigten Devotion
unerbittlich uͤbergeben.


Wir wollen hier nicht unterſuchen, in wie fern durch
dieſe Behandlung — zuweilen unſinnlich ideal, zuweilen
[496]BuchIV.Staat und Hof.
hart und unnatuͤrlich, — die Grenzen der Kunſt hinwie-
derum uͤberſchritten wurden: genug, wenn wir bemerken,
daß die Kirche ſich der wiederhergeſtellten Malerei voͤllig
bemaͤchtigte. Sie belebte dieſelbe durch einen poetiſchen
Anhauch und die Grundlage poſitiver Religion; aber ſie
gab ihr zugleich einen geiſtlichen, prieſterlichen, modern-
dogmatiſchen Character.


Leichter mußte ihr dieß noch in der Baukunſt werden,
die unmittelbar in ihren Dienſten ſtand. Ich weiß nicht,
ob Jemand den Fortgang unterſucht hat, der in den moder-
nen Bauwerken von der Nachahmung der Antike bis zu
dem Canon fuͤhrte, den Barozzi fuͤr die Erbauung der
Kirchen erfand, und der ſich ſeitdem zu Rom und in der
ganzen katholiſchen Kirche erhalten hat. Die Leichtigkeit
und freie Genialitaͤt, mit der das Jahrhundert begann,
hat ſich auch hier zu Ernſt und Pomp und devoter Pracht
umgeſtaltet.


Nur von Einer Kunſt blieb es lange zweifelhaft, ob
ſie ſich den Zwecken der Kirche werde unterwerfen laſſen.


Die Muſik hatte ſich um die Mitte des ſechszehnten
Jahrhunderts in die verſchlungenſte Kuͤnſtlichkeit verloren.
Verlaͤngerungen, Proportionen, Nachahmungen, Raͤthſel,
Fugen machten den Ruhm eines Tonſetzers. Auf den Sinn
der Worte kam es nicht mehr an: man findet eine ganze
Anzahl Meſſen aus jener Zeit, die nach dem Thema be-
kannter weltlicher Melodien abgefaßt ſind: die menſchliche
Stimme ward nur als Inſtrument behandelt 1).


Kein
[497]Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.

Kein Wunder, wenn das tridentiniſche Concilium an
der Auffuͤhrung ſo beſchaffener Muſikſtuͤcke in der Kirche
Anſtoß nahm. In Folge der Verhandlungen deſſelben ſetzte
Pius IV. eine Commiſſion nieder, um gradezu uͤber die Frage
zu berathſchlagen, ob die Muſik in der Kirche zu dulden
ſey oder nicht. Die Entſcheidung war doch ſehr zweifel-
haft. Die Kirche forderte Verſtaͤndlichkeit der Worte,
Uebereinſtimmung des muſikaliſchen Ausdrucks mit denſel-
ben: die Muſiker behaupteten, bei den Geſetzen ihrer Kunſt
ſey das nicht zu erreichen. Carl Borromeo war in der
Commiſſion und bei der ſtrengen Geſinnung dieſes Kirchen-
hauptes konnte leicht ein ſcharfer Spruch erfolgen.


Gluͤcklicherweiſe erſchien wieder einmal der rechte Mann
zur rechten Zeit.


Unter den damaligen Tonſetzern von Rom war Pier
Luigi Paleſtrina.


Der ſtrenge Paul IV. hatte ihn aus der paͤpſtlichen
Capelle geſtoßen, weil er verheurathet war: zuruͤckgezogen
und vergeſſen, in einer armſeligen Huͤtte zwiſchen den Wein-
gaͤrten des Monte Celio hatte er ſeitdem gelebt. Er war
ein Geiſt, den mißliche Verhaͤltniſſe nicht zu beugen ver-
mochten. Eben in dieſer Einſamkeit widmete er ſich ſeiner
Kunſt mit einer Hingebung, welche der ſchoͤpferiſchen Kraft,
die in ihm war, freie und originale Hervorbringungen geſtat-
tete. Hier ſchrieb er die Improperien, die noch alle Jahr
in der ſixtiniſchen Capelle die Feier des ſtillen Freitags
verherrlichen. Den tiefen Sinn eines Schrifttextes, ſeine
1)
32
[498]BuchIV.Staat und Hof.
ſymboliſche Bedeutung, ſeine Anwendung auf Gemuͤth
und Religion hat vielleicht nie ein Muſiker geiſtiger auf-
gefaßt.


Wenn irgend ein Menſch geeignet war, zu verſuchen,
ob dieſe Methode auch auf das umfaſſende Werk einer
Meſſe angewendet werden koͤnne, ſo war es dieſer Meiſter:
die Commiſſion trug es ihm auf.


Paleſtrina fuͤhlte ganz, daß es ein Verſuch war, auf
dem ſo zu ſagen Leben und Tod der großen Muſik der
Meſſen beruhte; mit ſelbſtbewußter Anſtrengung ging er
daran: auf ſeiner Handſchrift hat man die Worte gefun-
den: Herr, erleuchte meine Augen.


Nicht ſogleich gelang es ihm: die beiden erſten Arbei-
ten mißriethen: endlich aber in gluͤcklichen Momenten
brachte er die Meſſe zu Stande, die unter dem Namen
der Meſſe des Papſtes Marcellus bekannt iſt, mit der er
jede Erwartung uͤbertraf. Sie iſt voll einfacher Melodie
und kann ſich doch in Mannichfaltigkeit mit fruͤheren Meſ-
ſen vergleichen: Choͤre trennen ſich und vereinigen ſich wie-
der: unuͤbertrefflich iſt der Sinn des Textes ausgedruͤckt:
das Kyrie iſt Unterwerfung, das Agnus Demuth, das
Credo Majeſtaͤt. Papſt Pius IV., vor dem ſie aufgefuͤhrt
wurde, war hingeriſſen. Er verglich ſie mit den himmli-
ſchen Melodien, wie ſie der Apoſtel Johannes in der Ent-
zuͤckung gehoͤrt haben moͤge.


Durch dieß Eine große Beiſpiel war nun die Frage
auf immer entſchieden; eine Bahn war eroͤffnet, auf der
die ſchoͤnſten, auch fuͤr die Andersglaͤubigen ruͤhrendſten
Werke hervorgebracht worden ſind. Wer kann ſie hoͤren
[499]Die Curie.
ohne Begeiſterung? Es iſt als ob die Natur Ton und
Stimme bekaͤme, als ob die Elemente ſpraͤchen, und die
Laute des allgemeinen Lebens ſich in freier Harmonie der
Anbetung widmeten: bald wogend wie das Meer, bald in
jauchzendem Jubel aufſteigend gen Himmel. In dem All-
gefuͤhl der Dinge wird die Seele zu religioͤſem Entzuͤcken
emporgehoben.


Grade dieſe Kunſt, die ſich von der Kirche vielleicht
am weiteſten entfernt hatte, ſchloß ſich nun am engſten an
ſie an. Nichts konnte fuͤr den Katholicismus wichtiger
ſeyn. Hatte er doch ſelbſt in das Dogma, wenn wir nicht
irren, innere Anſchauung und etwas Schwaͤrmeriſches auf-
genommen. In den wirkſamſten Buͤchern der Buße und
Erbauung bildete es einen Grundton. Geiſtliche Senti-
mentalitaͤt und Hingeriſſenheit war der vorzuͤglichſte Ge-
genſtand der Poeſie und Malerei. Unmittelbarer, dringen-
der, unwiderſtehlicher als jede Unterweiſung und jede an-
dere Kunſt, in dem Reiche eines idealen Ausdrucks auch
zugleich reiner, angemeſſener, ſtellte dieß die Muſik dar
und umfing damit die Gemuͤther.


Die Curie.


Waren auf dieſe Weiſe alle Elemente des Lebens und
des Geiſtes von der kirchlichen Richtung ergriffen und um-
gewandelt, ſo war auch der Hof zu Rom, an dem ſie alle
mit einander zuſammentrafen, ſehr veraͤndert.


32*
[500]BuchIV.Staat und Hof.

Schon unter Paul IV. nahm man es wahr; das
Beiſpiel Pius V. hatte eine ungemeine Wirkung: unter
Gregor XIII. ſtellte es ſich Jedermann vor Augen. „Zum
Beſten der Kirche,“ ſagt P. Tiepolo 1576, „traͤgt es un-
endlich viel bei, daß mehrere Paͤpſte hintereinander von ta-
delloſem Lebenswandel geweſen ſind: auch alle anderen ſind
dadurch beſſer geworden, oder ſie haben wenigſtens den An-
ſchein davon angenommen. Cardinaͤle und Praͤlaten beſu-
chen die Meſſe fleißig; ihr Hausſtand ſucht alles zu ver-
meiden, was anſtoͤßig ſeyn koͤnnte; die ganze Stadt hat
von der alten Ruͤckſichtsloſigkeit abgelaſſen, in Sitten und
Lebensweiſe iſt ſie um vieles chriſtlicher als fruͤher. Man
kann behaupten, daß Rom in Sachen der Religion von
der Vollkommenheit, welche die menſchliche Natur uͤber-
haupt erreichen kann, nicht gar entfernt iſt.“


Nicht als ob nun dieſer Hof aus Froͤmmlern und
Kopfhaͤngern zuſammengeſetzt geweſen waͤre: er beſtand ohne
Zweifel aus ausgezeichneten Leuten — die ſich aber jene
ſtreng kirchliche Sinnesweiſe in hohem Grade angeeignet
hatten.


Vergegenwaͤrtigen wir ihn uns, wie er zu den Zeiten
Sixtus V. war, ſo ſaßen unter den Cardinaͤlen nicht
wenige, die einen großen Antheil an den Weltgeſchaͤften
genommen: Gallio von Como, der unter zwei Pontifica-
ten die Regierung als erſter Miniſter geleitet, mit dem
Talent, durch Fuͤgſamkeit zu herrſchen; jetzt machte er ſich
nur noch durch die Anwendung ſeiner großen Einkuͤnfte zu
kirchlichen Stiftungen bemerklich; — Ruſticucci, maͤchtig
ſchon unter Pius V., auch unter Sixtus nicht ohne gro-
[501]Die Curie.
ßen Einfluß, ein Mann voll Scharfſinn und Herzensguͤte,
arbeitſam, aber um ſo bedaͤchtiger und unbeſcholtener in
ſeinen Sitten, da er auf das Pontificat hoffte; — Sal-
viati, der ſich durch eine wohlgefuͤhrte Verwaltung von Bo-
logna beruͤhmt gemacht; untadelhaft und einfach: noch
mehr ſtreng, als bloß ernſt; — Santorio, Cardinal von
S. Severina, der Mann der Inquiſition, in allen geiſtli-
chen Geſchaͤften ſchon lange von leitendem Einfluß; hart-
naͤckig in ſeinen Meinungen, ſtreng gegen ſeine Diener,
ſelbſt gegen ſeine Verwandten voll Haͤrte, wie viel mehr
gegen Andere: unzugaͤnglich fuͤr Jedermann; — im Ge-
genſatz mit ihm Madruzz, der immer das Wort der Po-
litik des Hauſes Oeſtreich, ſowohl der ſpaniſchen als der
deutſchen Linie hatte, den man den Cato des Collegiums
nannte, doch nur in Gelehrſamkeit und unbeſcholtener Tu-
gend, nicht in cenſoriſcher Anmaßung, denn er war die
Beſcheidenheit ſelbſt. Noch lebte Sirlet, von allen Cardi-
naͤlen ſeiner Zeit ohne Zweifel zugleich der wiſſenſchaftlichſte
und ſprachkundigſte, eine lebendige Bibliothek, wie Muret
ſagte; der aber, wenn er von ſeinen Buͤchern aufſtand,
auch wohl die Knaben heraufrief, die ihre Buͤndel Holz
im Winter zu Markte gebracht, ſie in den Geheimniſſen
des Glaubens unterrichtete und ihnen dann ihre Buͤndel
abkaufte; durchaus gutmuͤthig und barmherzig 1). Einen
großen Einfluß hatte das Beiſpiel Carlo Borromeo’s, deſ-
[502]BuchIV.Staat und Hof.
ſen Andenken ſich nach und nach zu dem Rufe eines Hei-
ligen verklaͤrte. Federico Borromeo war von Natur reiz-
bar und heftig; aber dem Muſter ſeines Oheims gemaͤß
fuͤhrte er ein geiſtliches Leben, und ließ ſich die Mortifi-
cationen, die er nicht ſelten erfuhr, nicht aus der Faſſung
bringen; beſonders aber erinnerte Agoſtino Valier an ihn:
ein Mann von eben ſo edler und reiner Natur, als un-
gewoͤhnlicher Gelehrſamkeit: der nur ſeinem Gewiſſen folgte
und nunmehr in hohem Alter das Bild eines Biſchofs aus
den erſten Jahrhunderten darzuſtellen ſchien.


Nach dem Beiſpiel der Cardinaͤle bildete ſich die
uͤbrige Praͤlatur: die ihnen in Congregationen zur Seite
ſtand und einmal ihren Platz einzunehmen beſtimmt war.


Unter den Mitgliedern des hoͤchſten Gerichtshofes, den
Auditori di Rota, thaten ſich damals beſonders zwei her-
vor, zwar von entgegengeſetztem Character: Mantica, der nur
zwiſchen Buͤchern und Acten lebte, durch ſeine juridiſchen
Werke dem Forum und der Schule diente, und ſich kurz,
ohne viel Umſtaͤnde, auszudruͤcken pflegte: und Arigone,
der ſeine Zeit nicht ſo ſehr den Buͤchern, als der Welt,
dem Hofe und den Geſchaͤften widmete, Urtheil und Ge-
ſchmeidigkeit zeigte; aber gleich bemuͤht, ſich den Ruf der
Unbeſcholtenheit und Religioſitaͤt zu erhalten. Unter den
Biſchoͤfen, die ſich am Hofe aufhielten, bemerkte man vor
allen die, welche ſich in Nunziaturen verſucht hatten, Tor-
res, der einen großen Antheil an dem Abſchluß der Liga
Pius V. wider die Tuͤrken gehabt; Malaſpina, der die
Intereſſen der katholiſchen Kirche in Deutſchland und dem
Norden wahrgenommen; Bolognetti, dem die ſchwierige Vi-
[503]Die Curie.
ſitation venezianiſcher Kirchen uͤbertragen ward, alle durch
Gewandtheit und Eifer fuͤr ihre Religion emporgekommen.


Einen bedeutenden Rang nahmen die Gelehrten ein:
Bellarmin, Profeſſor, Grammatiker, der groͤßte Contro-
verſiſt der katholiſchen Kirche, dem man ein apoſtoliſches
Leben nachruͤhmt: ein anderer Jeſuit: Maffei, der die Ge-
ſchichten der portugieſiſchen Eroberungen in Indien beſon-
ders aus dem Geſichtspunct der Ausbreitung des Chriſten-
thums im Suͤden und Oſten, und das Leben des Loyola,
Phraſe fuͤr Phraſe, mit bedachtſamer Langſamkeit und
abgewaͤgter Eleganz ausfuͤhrte 1); zuweilen Fremde, wie
unſer Clavius, der tiefe Wiſſenſchaft mit unſchuldigem
Leben verband, und Jedermanns Verehrung genoß; oder
Muret, ein Franzoſe, der beſte Latiniſt jener Zeit; nachdem
er lange Zeit die Pandecten auf eine originelle und claſſiſche
Weiſe erlaͤutert hatte — er war eben ſo witzig, als beredt —
ward er noch in ſeinem Alter Prieſter, widmete ſich theo-
logiſchen Studien und las alle Tage Meſſe; der ſpaniſche
Canoniſt Azpilcueta, deſſen Reſponſa am Hofe und in der
ganzen katholiſchen Welt wie Orakel betrachtet wurden: Papſt
Gregor XIII. hatte man oft Stundenlang vor ſeinem Hauſe
halten und ſich mit ihm unterreden ſehen: dabei verrichtete
er doch auch in den Spitaͤlern die niedrigſten Dienſte.


Unter dieſen merkwuͤrdigen Perſoͤnlichkeiten erwarb
ſich Filippo Neri, Stifter der Congregation des Orato-
riums, ein großer Beichtvater und Seelſorger, einen tie-
fen und ausgebreiteten Einfluß: er war gutmuͤthig, ſcherz-
[504]BuchIV.Staat und Hof.
haft, ſtreng in der Hauptſache, in den Nebendingen nach-
ſichtig; — er befahl nie, er gab nur Rathſchlaͤge: er bat
gleichſam; er docirte nicht: er unterhielt ſich; er beſaß den
Scharfſinn, welcher dazu gehoͤrt, die beſondere Richtung
jedes Gemuͤthes zu unterſcheiden. Sein Oratorium erwuchs
ihm aus Beſuchen, die man ihm machte, durch die An-
haͤnglichkeit einiger juͤngeren Leute, die ſich als ſeine Schuͤ-
ler betrachteten und mit ihm zu leben wuͤnſchten. Der
beruͤhmteſte unter ihnen iſt der Annaliſt der Kirche, Caͤſar
Baronius. Filippo Neri erkannte ſein Talent, und hielt
ihn an, ohne daß er anfangs große Neigung dazu gehabt
haͤtte, die Kirchengeſchichte in dem Oratorium vorzutra-
gen 1). Dreißig Jahr lang hat Baronius dieſe Arbeit
fortgeſetzt. Auch als er Cardinal geworden, ſtand er noch
immer vor Tage auf, um daran fortzuarbeiten: er ſpeiſte
mit ſeinen Hausgenoſſen regelmaͤßig an Einem Tiſche; er
ließ nur Demuth und Gottergebenheit an ſich wahrneh-
men. Wie in dem Oratorium, ſo war er in dieſer Wuͤrde
auf das engſte mit Tarugi verbunden, der ſich als Pre-
diger und Beichtvater viel Anſehn verſchafft hatte, und
eine eben ſo unſchuldige Gottesfurcht zeigte: ihre Freund-
ſchaft hielt ihnen bis zum Tode aus: gluͤcklich ſind ſie
darin zu preiſen: neben einander ſind ſie beerdigt worden.
Ein dritter Schuͤler S. Filippo’s war Silvio Antoniano, der
zwar eine freiere literariſche Tendenz hatte, ſich mit poeti-
ſchen Arbeiten beſchaͤftigte, und als ihm ſpaͤter ein Papſt
die Abfaſſung ſeiner Breven auftrug, dieß mit ungewohn-
[505]Die Curie.
ter literariſcher Geſchicklichkeit that, aber uͤbrigens von den
ſanfteſten Sitten war, demuͤthig und leutſelig, lauter Guͤte
und Religion.


Alles was an dieſem Hof emporkam, Politik, Staats-
verwaltung, Poeſie, Kunſt, Gelehrſamkeit trug die nem-
liche Farbe.


Welch ein Abſtand von der Curie im Anfange des
Jahrhunderts, wo die Cardinaͤle den Paͤpſten den Krieg
machten, die Paͤpſte ſich mit Waffen guͤrteten, Hof und
Leben von ſich wieſen, was an ihre chriſtliche Beſtimmung
erinnerte. Wie ſtill und kloͤſterlich hielten jetzt die Cardi-
naͤle aus. Daß Cardinal Tosco, der einmal die naͤchſte
Ausſicht dazu hatte, dennoch nicht Papſt wurde, kam vor
allem daher, weil er ſich ein paar lombardiſche Sprich-
woͤrter angewoͤhnt, die den Leuten anſtoͤßig vorkamen. So
ausſchließend in ſeiner Richtung, ſo leicht zu verletzen war
der oͤffentliche Geiſt.


Verſchweigen wir aber nicht, daß er, wie in Litera-
tur und Kunſt ſo auch im Leben noch eine andere, fuͤr un-
ſer Gefuͤhl unerfreuliche Seite entwickelte. Wunder began-
nen wieder, die ſich lange nicht gezeigt. Bei S. Silveſtro
fing ein Marienbild an zu ſprechen: was denn einen ſo
allgemeinen Eindruck auf das Volk machte, daß die wuͤſte
Gegend um die Kirche gar bald angebaut ward. In dem
Rione de’ monti erſchien ein wunderthaͤtiges Marienbild in
einem Heuſchober, und die Umwohner hielten dieß fuͤr eine
ſo augenſcheinliche Gunſt des Himmels, daß ſie ſich mit
den Waffen widerſetzten, als man es wegfuͤhren wollte:
aͤhnliche Erſcheinungen finden wir in Narni, Todi, San
[506]BuchIV.Staat und Hof.
Severino und von dem Kirchenſtaat breiten ſie ſich weiter
in der ganzen katholiſchen Welt aus. Auch die Paͤpſte
ſchreiten aufs neue zu Heiligſprechungen, welche ſie eine
geraume Zeit unterlaſſen hatten. Nicht viele Beichtvaͤter
waren ſo einſichtsvoll wie Filippo Neri; eine dumpfe Werk-
heiligkeit ward beguͤnſtigt, die Vorſtellung von goͤttlichen
Dingen vermiſchte ſich mit phantaſtiſchem Aberglauben.


Duͤrfte man nun wenigſtens die Ueberzeugung hegen,
daß damit auch in der Menge eine volle Hingebung unter
die Vorſchriften der Religion eingetreten ſey!


Schon die Natur des Hofes aber brachte es mit ſich,
daß ſich neben den geiſtlichen auch die lebendigſten weltli-
chen Beſtrebungen regten.


Die Curie war nicht allein ein kirchliches Inſtitut:
ſie hatte einen Staat, ſie hatte indirect einen großen Theil
der Welt zu beherrſchen. In dem Grade, daß Jemand
an dieſer Gewalt Antheil nahm, erwarb er Anſehn, Gluͤcks-
guͤter, Wirkſamkeit und alles wonach die Menſchen zu be-
gehren pflegen. Die menſchliche Natur konnte ſich nicht
ſo veraͤndert haben, daß man nach den Kampfpreiſen der
Geſellſchaft und des Staates nur auf geiſtlichem Wege ge-
trachtet haͤtte. Man griff es hier an, wie im Ganzen an
andern Hoͤfen, nur wieder auf eine dieſem Boden entſpre-
chende, ſehr eigenthuͤmliche Weiſe.


Von allen Staͤdten der Welt hatte Rom damals
wahrſcheinlich die beweglichſte Bevoͤlkerung. Unter Leo X.
war ſie bereits auf mehr als 80000 Seelen geſtiegen, un-
ter Paul IV., vor deſſen Strenge alles fluͤchtete, auf
45000 geſunken; gleich nach ihm erhob ſie ſich wieder,
[507]Die Curie.
in ein paar Jahren auf 70000, unter Sixtus V. bis uͤber
100000. Das Merkwuͤrdige war, daß die Angeſeſſenen
zu einer ſo großen Anzahl in keinem Verhaͤltniß ſtanden.
Es war mehr ein langes Beiſammenwohnen, als ein Ein-
gebuͤrgertſeyn; man konnte es mit einer Meſſe, mit einem
Reichstag vergleichen; ohne Bleiben und Feſtigkeit, ohne
zuſammenhaltende Blutsverwandtſchaften. Wie Viele wand-
ten ſich hierher, weil ſie in ihrem Vaterlande kein Fort-
kommen finden konnten. Gekraͤnkter Stolz trieb die Ei-
nen, ſchrankenloſer Ehrgeiz die Andern an. Viele fanden,
daß man hier am freieſten ſey. Ein jeder ſuchte auf ſeine
Weiſe emporzuſteigen.


Noch war nicht alles ſo ſehr in Einen Koͤrper zuſam-
mengewachſen: die Landsmannſchaften waren noch ſo zahl-
reich und ſo geſondert, daß man die Verſchiedenheit der
nationalen und provinzialen Character ſehr wohl bemerkte.
Neben dem aufmerkſamen gelehrigen Lombarden unterſchied
man den Genueſer, der alles mit ſeinem Geld durchſetzen zu
koͤnnen glaubte, den Venezianer, der fremde Geheimniſſe
zu entdecken befliſſen war. Man ſah den ſparſamen, viel-
redenden Florentiner: den Romanesken, der mit inſtinct-
artiger Klugheit nie ſeinen Vortheil aus den Augen ver-
lor: den anſpruchvollen und cerimonioͤſen Neapolitaner.
Die Nordlaͤnder zeigten ſich einfach und ſuchten zu genie-
ßen, ſelbſt unſer Clavius mußte ſich uͤber ſein doppeltes
allemal ſehr gut beſetztes Fruͤhſtuͤck verſpotten laſſen; die
Franzoſen hielten ſich abgeſondert, und gaben ihre vater-
laͤndiſchen Sitten am ſchwerſten auf; in ſeine Sottana und
ſeinen Mantel gehuͤllt trat der Spanier einher, voll von
[508]BuchIV.Staat und Hof.
Praͤtenſionen und ehrgeizigen Abſichten, und verachtete alle
anderen.


Es war nichts was nicht ein Jeder begehrt haͤtte.
Mit Vergnuͤgen erinnerte man ſich, daß Johann XXIII.,
als man ihn fragte, weshalb er nach Rom gehe, geant-
wortet hatte, er wolle Papſt werden, und daß er es ge-
worden war. So eben waren Pius V. und Sixtus V.
aus dem geringſten Stande zu der oberſten Wuͤrde empor-
gekommen. Ein Jeder hielt ſich zu allem faͤhig und hoffte
auf alles.


Man hat damals oft bemerkt, und es iſt vollkommen
wahr, daß Praͤlatur und Curie etwas Republikaniſches
hatten; es lag eben darin, daß Alle Anſpruch machen konn-
ten an Alles, daß man fortwaͤhrend von geringem Anfang
zu den hoͤchſten Wuͤrden ſtieg: allein die ſonderbarſte Ver-
faſſung hatte doch dieſe Republik: der allgemeinen Berech-
tigung ſtand die abſolute Gewalt eines Einzelnen gegen-
uͤber, von deſſen Willkuͤhr jede Begabung, jede Befoͤrde-
rung abhing. Und wer war alsdann Dieſer? Es war
Der, welcher durch eine ſchlechthin unberechenbare Combi-
nation aus den Kaͤmpfen der Wahl als Sieger hervor-
ging. Wenig bedeutend bisher, bekam er ploͤtzlich die Fuͤlle
der Macht in ſeine Hand. Seine Perſoͤnlichkeit konnte er
ſich um ſo weniger veranlaßt fuͤhlen zu verlaͤugnen, da
er der Ueberzeugung lebte, durch eine Einwirkung des hei-
ligen Geiſtes zu der hoͤchſten Wuͤrde erkoren worden zu
ſeyn. In der Regel begann er gleich mit einer durchgrei-
fenden Veraͤnderung. Alle Legaten, alle Governatoren in
den Provinzen wechſelten. In der Hauptſtadt gab es
[509]Die Curie.
einige Stellen, die ohnehin immer den jedesmaligen Ne-
poten zufielen. War nun auch, wie in den Zeiten, die
wir zunaͤchſt betrachten, der Nepotismus in Schranken ge-
halten, ſo beguͤnſtigte doch jeder Papſt ſeine alten Vertrauten
und Angehoͤrigen; es iſt ſo natuͤrlich, daß er es ſich nicht
nehmen ließ, mit ihnen weiter zu leben: der Secretaͤr, der dem
Cardinal Montalto lange gedient, war auch dem Papſt Six-
tus der bequemſte: die Anhaͤnger der Meinung, der ſie ange-
hoͤrten, brachten ſie nothwendig mit ſich empor. In allen
Ausſichten, Erwartungen, in dem Wege zur Gewalt, und
in kirchlichen wie weltlichen Wuͤrden bewirkte dieß die voll-
kommenſte Veraͤnderung. „Es iſt,“ ſagt Commendone, „als
wuͤrde in einer Stadt die fuͤrſtliche Burg verlegt, und als
wuͤrden die Straßen ſaͤmmtlich nach ihr hingerichtet; wie
viele Haͤuſer muͤßten niedergeriſſen, wie oft muͤßte mitten
durch einen Pallaſt der Weg genommen werden: neue
Gaſſen und Durchgaͤnge fingen an ſich zu beleben.“ Nicht
uͤbel bezeichnet dieſe Vergleichung die Gewaltſamkeit der
Umwandelung und die Stabilitaͤt der jedesmaligen Ein-
richtungen.


Mit Nothwendigkeit bildet ſich hierdurch ein Zuſtand
eigenthuͤmlichſter Art.


Da dieß ſo oft geſchah, die Paͤpſte ſo viel aͤlter
auf den Thron kamen, als andere Fuͤrſten, in jedem Mo-
ment eine neue Veraͤnderung eintreten und die Gewalt in
andre Haͤnde uͤbergehen konnte, ſo lebte man wie in einem
unaufhoͤrlichen Gluͤcksſpiel: unberechenbar, wie dieſes, aber
unablaͤßig in Hoffnung erhaltend.


Emporzukommen, befoͤrdert zu werden wie ein Jeder
[510]BuchIV.Staat und Hof.
es wuͤnſchte, hing beſonders von perſoͤnlichen Beguͤnſtigun-
gen ab: bei der außerordentlichen Beweglichkeit alles per-
ſoͤnlichen Einfluſſes mußte der berechnende Ehrgeiz eine dem
entſprechende Geſtalt annehmen und ſehr beſondere Wege
einſchlagen.


In unſern handſchriftlichen Sammlungen findet ſich
eine ganze Anzahl von Anweiſungen, wie man ſich an die-
ſem Hofe zu halten habe 1). Es ſcheint mir der Beob-
achtung nicht unwerth, wie man es treibt, wie ein Jeder
ſein Gluͤck zu machen ſucht. Unerſchoͤpflich in Bildſamkeit
iſt die menſchliche Natur: je bedingter die Verhaͤltniſſe, um
ſo unerwarteter ſind die Formen, in welche ſie ſich wirft.


Nicht Alle koͤnnen den nemlichen Weg einſchlagen. Wer
nichts beſitzt, muß ſich zu Dienſten bequemen. Noch be-
ſtehen die freien literariſchen Hausgenoſſenſchaften bei Fuͤr-
ſten und Cardinaͤlen. Iſt man genoͤthigt, ſich in ein ſolches
Verhaͤltniß zu fuͤgen, ſo ſtrebt man ſich vor allem der
Gunſt des Herrn zu verſichern. Man ſucht ſich ein Ver-
dienſt um ihn zu erwerben, in ſeine Geheimniſſe einzudrin-
gen, ihm unentbehrlich zu werden. Man erduldet alles,
auch erlittenes Unrecht verſchmerzt man lieber. Wie leicht,
daß bei dem Wechſel des Papſtthums auch ihm ſein Ge-
ſtirn aufgeht, das dann ſeinen Glanz uͤber den Diener aus-
[511]Die Curie.
breitet. Das Gluͤck ſteigt und faͤllt: die Perſon bleibt die
nemliche.


Andere koͤnnen ſchon von vorn herein nach einem klei-
nen Amt trachten, das ihnen bei Eifer und Thaͤtigkeit eine
gewiſſe Ausſicht eroͤffnet. Freilich iſt es allemal mißlich,
dort, wie zu jeder andern Zeit, in jedem andern Staat,
erſt auf den Nutzen, und dann auf die Ehre ſehen zu muͤſſen.


Wie viel beſſer ſind die Wohlhabenden daran! Aus
den Monti, an denen ſie Theil nehmen, laͤuft ihnen von
Monat zu Monat ein ſicheres Einkommen ein: ſie kaufen
ſich eine Stelle, durch welche ſie unmittelbar in die Praͤlatur
treten, und nicht allein ein ſelbſtſtaͤndiges Daſeyn erwer-
ben, ſondern auch ihr Talent auf eine glaͤnzende Weiſe
entfalten koͤnnen. Wer da hat, dem wird gegeben. An
dieſem Hofe nuͤtzt es doppelt etwas zu beſitzen, weil der
Beſitz an die Kammer zuruͤckfaͤllt, ſo daß der Papſt ſelbſt
bei der Befoͤrderung ein Intereſſe hat.


In dieſer Stellung braucht man ſich nicht mehr ſo
unbedingt an einen Großen anzuſchließen: eine ſo erklaͤrte
Partheilichkeit koͤnnte dem Fortkommen vielmehr ſogar ſcha-
den, wenn ihr das Gluͤck nicht entſpraͤche. Man hat vor
allem darauf zu ſehen, daß man Niemand beleidige. Bis
in die feinſten, leiſeſten Veruͤhrungen wird dieſe Ruͤckſicht
durchgefuͤhlt und beobachtet. Man huͤtet ſich z. B., Je-
mand mehr Ehre zu erweiſen, als ihm grade zukommt:
Gleichheit des Betragens gegen Verſchiedene waͤre Ungleich-
heit und koͤnnte einen uͤblen Eindruck machen. Auch von
den Abweſenden ſpricht man nicht anders als gut; nicht
allein weil die Worte einmal ausgeſprochen nicht mehr in
[512]BuchIV.Staat und Hof.
unſerer Gewalt ſind: ſie fliegen, Niemand weiß, wohin:
ſondern auch, weil die wenigſten einen ſcharfen Unterſucher
lieben. Von ſeinen Kenntniſſen macht man einen gemaͤ-
ßigten Gebrauch, und huͤtet ſich, Jemand damit beſchwer-
lich zu fallen. Man vermeidet eine ſchlimme Neuigkeit zu
bringen; ein Theil des unguͤnſtigen Eindrucks faͤllt auf den
Ueberbringer zuruͤck. Hierbei hat man nur andrerſeits die
Schwierigkeit, nicht ſo viel zu ſchweigen, daß die Abſicht
bemerkt wird.


Von dieſen Pflichten befreit es nicht, daß man hoͤher
ſteigt, ſelbſt nicht, daß man Cardinal geworden iſt: man hat
ſie dann in ſeinem Kreis nur um ſo ſorgfaͤltiger zu beob-
achten. Wie duͤrfte man verrathen, daß man Einen aus
dem Collegium fuͤr minder wuͤrdig hielte, zu dem Papſt-
thum zu gelangen? Es war Keiner ſo gering, daß ihn
die Wahl nicht haͤtte treffen koͤnnen.


Vor allem kommt es dem Cardinal auf die Gunſt des
jedesmaligen Papſtes an. Gluͤck und Anſehn, die allge-
meine Befliſſenheit und Dienſtwilligkeit haͤngt davon ab.
Jedoch nur mit großer Vorſicht darf man ſie ſuchen.
Ueber die perſoͤnlichen Intereſſen eines Papſtes beobachtet
man ein tiefes Stillſchweigen, doch ſpart man indeß keine
Muͤhe, um ſie zu ergruͤnden und ſich insgeheim darnach zu
richten. Nur ſeine Nepoten, ihre Treue und ihr Talent
darf man ihm jezuweilen loben: dieß hoͤrt er in der Regel
gern. Um die Geheimniſſe des paͤpſtlichen Hauſes zu er-
fahren, bedient man ſich der Moͤnche, die unter dem Vor-
wand der Religion weiter vordringen, als ſich Jemand
einbildet.


Bei
[513]Die Curie

Bei der Wirkſamkeit und dem raſchen Wechſel der
perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe ſind beſonders die Geſandten zu
außerordentlicher Aufmerkſamkeit verpflichtet. Wie ein gu-
ter Pilot merkt der Botſchafter auf, woher der Wind blaͤſt:
er ſpart kein Geld um Kundſchafter zu halten: alle ſein
Aufwand wird ihm durch eine einzige gute Nachricht ein-
gebracht, die ihm den gelegenen Moment anzeigt, deſſen er
fuͤr ſeine Unterhandlung bedarf. Hat er dem Papſt eine
Bitte vorzutragen, ſo iſt ſein Bemuͤhen, die anderweiten
Intereſſen deſſelben unvermerkt mit einzuflechten. Vor allem
ſucht er ſich des Nepoten zu bemaͤchtigen und ihn zu uͤber-
zeugen, daß er von keinem andern ſo ſehr wie von ſei-
nem Hofe Reichthuͤmer und fortdauernde Groͤße zu erwar-
ten habe. Auch der Gewogenheit der Cardinaͤle ſucht er
ſich zu verſichern. Er wird Keinem das Papſtthum ver-
ſprechen, doch wird er ihnen allen mit Hoffnungen ſchmei-
cheln. Keinem wird er ganz ergeben ſeyn, doch auch dem
Feindſelig-geſonnenen zuweilen eine Beguͤnſtigung zuwen-
den. Er iſt wie ein Jaͤger, der dem Sperber das Fleiſch
zeigt, aber ihm davon nur wenig nur nach und nach
giebt.


So leben und verkehren ſie unter einander: Cardinaͤle,
Botſchafter, Praͤlaten, Fuͤrſten, oͤffentliche und geheime
Machthaber: voll Ceremonie, fuͤr welche Rom der claſſi-
ſche Boden wurde, Ergebenheit, Unterordnung: aber Egoi-
ſten durch und durch: nur immer begierig, etwas zu errei-
chen, durchzuſetzen, dem Andern abzugewinnen.


Sonderbar, wie der Wettſtreit um das, was Alle
wuͤnſchen, Macht, Ehre, Reichthum, Genuß, der ſonſt
33
[514]BuchIV.Staat und Hof.
Feindſeligkeit und Fehde veranlaßt, ſich hier als Dienſtbe-
fliſſenheit gebehrdet: wie man der fremden Leidenſchaft
ſchmeichelt, deren man ſich gewiſſermaßen ſelbſtbewußt iſt,
um zum Ziele der eigenen zu gelangen: die Enthaltſamkeit
iſt voll von Begier, die Leidenſchaft ſchreitet behutſam
einher.


Wir ſahen die Wuͤrde, den Ernſt, die Religion, welche
an dem Hofe herrſchten: wir ſehen nunmehr auch ſeine
weltliche Seite, Ehrgeiz, Habſucht, Verſtellung und
Argliſt.


Wollte man dem roͤmiſchen Hof eine Lobrede halten,
ſo wuͤrde man von dieſen Elementen, die ihn bilden, nur
das erſte, wollte man ihm den Krieg machen, ſo wuͤrde
man nur das zweite anerkennen. So wie man ſich zu
einer reinen und unbefangenen Beobachtung erhebt, ſo wird
man beide gleich wahr, ja bei der Natur der Menſchen,
der Lage der Dinge gleich nothwendig finden.


Die welthiſtoriſche Entwickelung, die wir betrachteten,
hat die Forderung von Wuͤrde, Unbeſcholtenheit und Reli-
gion lebendiger als jemals geltend gemacht: ſie faͤllt mit
dem Princip des Hofes zuſammen: deſſen Stellung zur
Welt beruht darauf. Es folgt mit Nothwendigkeit, daß
vor allem Diejenigen emporkommen, deren Weſen die-
ſer Forderung am meiſten entſpricht: die oͤffentliche Geſin-
nung wuͤrde ſich nicht allein verlaͤugnen, ſondern zerſtoͤren,
wenn ſie dieß nicht bewirkte. Aber daß es nun geſchieht,
daß mit den geiſtlichen Eigenſchaften ſo unmittelbar die
Guͤter des Gluͤckes verbunden ſind, iſt ein ungeheurer Reiz
des Geiſtes dieſer Welt.


[515]Die Curie.

Wir koͤnnen nicht zweifeln an der Originalitaͤt der
Geſinnung, wie ſie unſre aufmerkſamen und geſcheuten
Berichterſtatter uns nicht ſelten ſchildern. Aber wie Viele
werden ſich lediglich anbequemen, um durch den Schein
das Gluͤck zu feſſeln. In wie vielen Andern werden ſich
die weltlichen Tendenzen in dem Dunkel halbentwickelter
Motive mit den geiſtlichen durchdringen.


Es verhaͤlt ſich mit der Curie, wie mit Literatur
und Kunſt. Es war alles von der Kirche abgefallen und
Richtungen, die an das Heidniſche ſtreiften, hingegeben.
Durch jene welthiſtoriſche Entwickelung iſt das Prinzip der
Kirche wieder erwacht: wie mit neuem Anhauch hat es die
Kraͤfte des Lebens beruͤhrt, und dem geſammten Daſeyn
eine andre Farbe verliehen. Welch ein Unterſchied zwiſchen
Arioſt und Taſſo, Giulio Romano und Guercino, Pom-
ponazzo und Patrizi. Eine große Epoche liegt zwiſchen
ihnen. Dennoch haben ſie auch etwas Gemeinſchaftliches
und die Spaͤteren beruhen mit auf den Fruͤheren. Auch
die Curie hat die alten Formen behauptet, und von dem
alten Weſen vieles uͤbrig behalten. Doch hindert das
nicht, daß nicht ein anderer Geiſt ſie beherrſche. Was
dieſer nicht voͤllig umgeſtalten, in ſich ſelbſt verwandeln
koͤnnen, dem hat er wenigſtens ſeinen Impuls gegeben.


Indem ich die Miſchung der verſchiedenen Elemente
betrachte, erinnere ich mich eines Schauſpiels der Natur,
das ſie vielleicht in einer Art von Abbild und Gleichniß
zu vergegenwaͤrtigen vermag.


Bei Terni ſieht man die Nera zwiſchen Wald und
Wieſen, in ruhigem, gleichen Fluſſe durch das hintere Thal
[516]BuchIV.Staat und Hof.
daher kommen. Von der andern Seite ſtuͤrzt der Velin,
zwiſchen Felſen gedraͤngt, in ungeheurer Flucht und endlich
in praͤchtigem Falle, ſchaͤumend und in tauſend Farben
ſpielend, von den Anhoͤhen herab: unmittelbar erreicht er
die Nera, und theilt ihr augenblicklich ſeine Bewegung
mit. Toſend und ſchaͤumend, in reißender Geſchwindigkeit
fluthen die vermiſchten Gewaͤſſer weiter.


So hat der neuerwachte Geiſt der katholiſchen Kirche
allen Organen der Literatur und Kunſt, ja dem Leben uͤber-
haupt einen neuen Antrieb gegeben. Die Curie iſt zugleich
devot und unruhig, geiſtlich und kriegsluſtig, auf der einen
Seite voll Wuͤrde, Pomp, Ceremonie: auf der andern in
berechnender Klugheit, nie ermuͤdender Herrſchſucht ohne
Gleichen. Ihre Froͤmmigkeit und ihre ehrgeizigen Entwuͤrfe,
beide beruhend auf der Idee einer ausſchließenden Recht-
glaͤubigkeit fallen zuſammen. So macht ſie noch einmal
einen Verſuch, die Welt zu uͤberwinden.


Appendix A

Gedruckt bei A. W. Schade.


[][][]
Notes
1).
Hist. eccl. II, 3.
1).
Eckhel: Doctrina numorum veterum P. II, vol. VIII.
p. 456;
er fuͤhrt eine Stelle des Tertullian an (apol. c. 28), aus
der ſich zu ergeben ſcheint, daß die Verehrung des Caͤſars zuweilen
auch die lebhafteſte war.
1).
λόγος εἰς τὸν μακάϱιον Βαβύλαν καὶ κατὰ Ἰουλιανοῦ καὶ
πϱὸς Ἕλληνας. Chrysostomi Opp. ed. Paris. II, 540.
1).
Ich nehme dieſe Notiz aus E. Q. Visconti: zum Museo
Pio-Clementino. VII, p. 100.
(Ausg. v. 1807.)
1).
Casauboni Exercitationes ad annales ecclesiasticos Ba-
ronii p. 260.
1).
Codex Theodos. XVI, 1, 2. „Cunctos populos quos
clementiae nostrae regit temperamentum in tali volumus reli-
gione versari, quam divinum Petrum Apostolum tradidisse Ro-
manis religio usque nunc ab ipso insinuata declarat.“
Das Edict
Valentinians III. erwaͤhnt auch Planck: Geſchichte der chriſtlich-
kirchlichen Geſellſchaftsverfaſſung I, 642.
1).
Anastasius Bibliothecarius: Vitae Pontificum. Vita Ste-
phani III. ed. Paris. p. 83. Fremens ut leo pestiferas minas
Romanis dirigere non desinebat, asserens omnes uno gladio ju-
gulari, nisi suae sese subderent ditioni.
1).
Bonifacii Epistolae; ep. 12. ad Danielem episc. Sine
patrocinio principis Francorum nec populum regere nec pres-
byteros vel diaconos monachos vel ancillas dei defendere pos-
sum nec ipsos paganorum ritus et sacrilegia idolorum in Ger-
mania sine illius mandato et timore prohibere valeo.
1).
Anastasius: affirmans etiam sub juramento, quod per
nullius hominis favorem sese certamini saepius dedisset, nisi
pro amore Petri et venia delictorum.
1).
So verſtehe ich den Annalista Lambecianus: ad annum 801.
„Visum est et ipsi apostolico Leoni, — — ut ipsum Carolum,
regem Francorum, Imperatorem nominare debuissent, qui ipsam
Romam tenebat, ubi semper Caesares sedere soliti erant et reli-
quas sedes, quas ipse per Italiam seu Galliam nec non et Ger-
maniam tenebat
(er wollte wohl ſagen: ipsi tenebant) quia deus
omnipotens has omnes sedes in potestatem ejus concessit, ideo
justum eis esse videbatur, ut ipse cum dei adjutorio — — ip-
sum nomen haberet.“
1).
Nicolaus I. beklagt ſich uͤber den Verluſt der patriarchalen
Macht des roͤmiſchen Stuhles „per Epirum veterem Epirumque
novam atque Illyricum, Macedoniam, Thessaliam, Achaiam, Da-
ciam ripensem Daciamque mediterraneam, Moesiam, Dardaniam,
Praevalim;
und die Verluſte des Patrimoniums in Calabrien und
Sicilien. Pagi (Critica in Annales Baronii III, p. 216) ſtellt
dieß Schreiben mit einem andern von Adrian I. an Carl d. Gr.
zuſammen, aus dem man ſieht, daß dieſe Verluſte bei der ikono-
klaſtiſchen Streitigkeit erlitten worden.
1).
Beiſpiele dieſer Strenge bei Planck: Geſchichte der chriſtl
kirchl. Geſellſchaftsverfaſſung III, 407.
1).
Bei Goldaſt: Constitutt. Imperiales I, p. 221 findet ſich ein
Inſtrument (mit den Scholien Dietrichs von Niem), durch welches
das Recht Carls des Gr. ſich ſelbſt einen Nachfolger und in Zukunft
roͤmiſche Paͤpſte zu ernennen, auf Otto und die deutſchen Kaiſer
uͤbertragen wird. Es iſt jedoch ohne Zweifel erdichtet.
1).
Einer der Hauptpuncte, uͤber den ich doch eine Stelle aus
1).
Schroͤckh fuͤhrt dieſe Stelle an: Kirchengeſchichte Th. 27.
p. 117.
1).
einem Briefe Heinrichs IV. an Gregor aufuͤhren will; (Mansi Con-
cil. n. collectio. XX, 471.) Rectores sanctae ecclesiae videl. ar-
chiepiscopos, episcopos, presbyteros sicut servos pedibus tuis
calcasti.
Wir ſehen, der Papſt hatte hierbei die oͤffentliche Mei-
nung auf ſeiner Seite. In quorum conculcatione tibi favorem
ab ore vulgi comparasti.
1).
Licet juris utriusque. Bei Olenſchlaͤger Staatsgeſchichte
des roͤm. Kaiſerthums in der erſten Haͤlfte des 14ten Jahrhunderts.
Nr. 63.
1).
Erklaͤrung des Papſtes Felix bei Georgius Vita Nicolai V.
p.
65.
1).
Coſtniz, Schwerin, Fuͤnfkirchen. Schroͤckh Kirchengeſchichte
Bd. 33, p. 60.
1).
Man erkennt das Verhaͤltniß aus folgenden Worten des
Aeneas Sylvius. „Propter decreta Basiliensis concilii inter se-
dem apostolicam et nationem vestram dissidium coepit, cum vos
illa prorsus tenenda diceretis, apostolica vero sedes omnia reji-
ceret. Itaque fuit denique compositio facta — per quam aliqua
ex decretis concilii praedicti recepta videntur, aliqua rejecta.
Aen. Sylvii Epistola ad Martinum Maierum contra murmur
gravaminis Germanicae nationis 1457.“
In Muͤller’s Reichstags-
theatrum unter Friedrich III. Vorſt. III. p. 604.
1).
Schroͤckh’s Kirchengeſch. Bd. 32, p. 173. Eichhorn Staats-
und Rechtsgeſchichte Bd. III. §. 472. n. c.
2).
Muͤller’s Reichstheatrum Vorſt. VI. p. 130.
1).
Instruttione piena delle cose di Portogallo al Coadju-
tor di Bergamo: nuntio destinato in Portogallo. Ms.
der In-
formationi politiche in
der K. Bibl. zu Berlin Tom. XII. Leo X.
gewaͤhrte dieß Patronat der Orden: contentandosi il re di pagare
grandissima compositione di detto patronato.
2).
Lorenzo an Johann de Lanfredinis. Fabroni Vita Lau-
rentii Medici II. p.
362.
1).
Antonius Gallus de rebus Genuensibus: Muratori scriptt.
R. It. XXIII. p.
281 ſagt von Lorenzo: regum majorumque
principum contumacem licentiam adversus romanam ecclesiam
sequebatur de juribus pontificis nisi quod ei videretur nihil per-
mittens.
1).
Ein Auszug aus dieſer Rede bei Schroͤckh Bd. 32. p. 90.
2).
Schreiben Lorenzo’s — ohne Datum, doch wahrſcheinlich
vom Jahre 1489, weil darin vom fuͤnften Jahre Innocenz VIII.
die Rede iſt, bei Fabroni Vita Laurentii II, 390.
1).
Ueber den ferrariſchen Krieg ſind 1829 die Commentarii di
Marino Sanuto
zu Venedig gedruckt worden; p. 56. beruͤhrt er den
Abfall des Papſtes. Er verweiſt auf die Reden des venezianiſchen
Geſandten, „Tutti vedranno, aver noi cominciato questa guerra
di volontà del Papa: egli però si mosse a rompere la lega.“
1).
Alegretto Alegretti: diari Sanesi p. 817.
2).
Relatione di Polo Capello 1500. Ms.
1).
In der großen handſchriftlichen Chronik des Sanuto fin-
den ſich im ganzen 4ten Bande noch viele merkwuͤrdige Notizen uͤber
Ceſar Borgia: auch einige Briefe von ihm; an Venedig vom Dez.
1502; an den Papſt; in dem letzten unterzeichnet er ſich: Vṟa̱e̱. Sṯi̱s̱.
humillimus servus et devotissima factura.
2).
Diario de Sebastiano di Branca de Telini: Ms. bibl.
Barb. nr.
1103. zaͤhlt die Graͤuelthaten Ceſars folgender Ge-
ſtalt auf: Il primo, il fratello che si chiamava lo duca di Gan-
dia, lo fece buttar in fiume: fece ammazzare lo cognato che
1).
Der Mannichfaltigkeit der hieruͤber vorhandenen Notizen
2).
era figlio del duca di Calabria era lo piu bello jovane che mai
si vedesse in Roma: ancora fece ammazzare Vitellozzo della
città di castello et era lo piu valenthuomo che fusse in quel
tempo.
Den Herrn von Faenza nennt er lo piu bello figlio del
mondo.
1).
Ein fliegendes Blatt, Ms., aus der Chronik Sanutos. Im
Anhang.
1).
habe ich noch Einiges aus Polo Capello hinzugefuͤgt. — Bei bedeu-
tenden Todesfaͤllen dachte man ſogleich an Vergiftungen durch den
Papſt. Schreiben bei Sanuto von dem Tode des Cardinals von
Verona: Si judica, sia stato atosicato per tuorli le facultâ per-
chè avanti el spirasse el papa mandò guardie attorno la caxa.
1).
Successo de la morte di Papa Alessandro. Ms. Ebend.
2).
Priuli Cronaca di Venezia Ms. „Del resto poco sti-
mavano, conoscendo, che questo acquisto che all’ hora faceva
il duca Valentinois sarebbe foco di paglia, che poco dura.“
1).
Tomaso Inghirami bei Fea Notizie intorno Rafaele San-
zio da Urbino p.
57.
2).
Machiavelli (Principe c. XI,) bemerkt dieß nicht allein.
Auch bei Jovius Vita Pompeji Columnae p. 140 klagen die roͤmi-
ſchen Barone unter Julius II.: principes urbis familias solito pur-
purei galeri honore pertinaci pontificum livore privari.
1).
Sommario de la relation di Domenigo Trivixan. Ms. „Il
papa vol esser il dominus et maistro del jocho del mundo.“
Auch
1).
exiſtirt eine zweite Relation von Polo Capello von 1510, aus der
hier ein paar Notizen aufgenommen ſind. Francesco Vettori: Som-
mario dell’ istoria d’Italia, Ms.
ſagt von ihm: Julio piu fortu-
nato che prudente e piu animoso, che forte ma ambitioso e de-
sideroso di grandezze oltra a modo.
1).
Bulle vom 9ten Mai 1484. Quoniam nonnulli iniquita-
tis filii elationis et pertinaciae suae spiritu assumpto potestatem
majoris poenitentiarii nostri — in dubium revocare — praesu-
munt, — decet nos adversus tales adhibere remedia etc. Bul-
larium Romanum ed. Cocquelines III, p.
187.
1).
Reformationes cancellariae apostolicae Sm̱i̱. Dṉi̱. Nṟṯ.
Pauli III. 1540. Ms.
der Bibl. Barberini zu Rom Nro. 2275
zaͤhlt alle ſeit Sixtus und Alexander eingeſchlichenen Mißbraͤuche
auf. Die Gravamina der deutſchen Nation betreffen beſonders dieſe
„neuen Funde“ und Aemter der roͤmiſchen Canzlei. §. 14. §. 38.
1).
Consilium delectorum cardinalium et aliorum praelato-
rum de emendanda ecclesia Sm̱o̱. Dm̱o̱. Paulo III. ipso ju-
bente conscriptum, anno
1538; gleich damals oͤfters gedruckt; und
deshalb wichtig, weil es das Uebel, in ſo fern es in der Verwal-
tung lag, gruͤndlich und unzweifelhaft anzeigt. In Rom hat man
es, auch nachdem es laͤngſt gedruckt war, noch immer den Samm-
lungen curialiſtiſcher Handſchriften einverleibt.
1).
Amplissimae gratiae et privilegia fratrum minerum con-
ventualium ordinis S. Francisci, quae propterea mare magnum
nuncupantur 31 Aug. 1474. Bullarium Rom. III, 3, 139.
Fuͤr
die Dominicaner war eine aͤhnliche Bulle gegeben. Auf dem Late-
ranconcilium von 1512 beſchaͤftigte man ſich viel mit dieſem mare
magnum
: doch ſind Privilegien — wenigſtens waren ſie es damals
— leichter gegeben als genommen.
1).
In einer großen Information Careffas an Clemens, wel-
che bei Bromato: Vita di Paolo IV. nur verſtuͤmmelt vorkommt,
heißt es in der Handſchrift von den Kloͤſtern: Si viene ad homicidi
non solo col veneno ma apertamente col coltello e con la
spada, per non dire con schiopetti.
1).
Marco Minio berichtet unter ſo vielem andern Merkwuͤr-
digen auch uͤber eine der erſten Auffuͤhrungen einer Comoͤdie in Rom
an ſeine Signorie. Er ſchreibt 13. Maͤrz 1519. Finita dita festa
(es iſt vom Carneval die Rede) se andò ad una comedia che fece
el reverendm̱o̱. Cibo dove è stato bellissima cosa lo apparato
tanto superbo che non si potria dire. La comedia fu questa
che fu fenta una Ferrara e in dita sala fu fata Ferrara preciso
come la è. Dicono che Monsignor Revm̱o̱. Cibo aveva per Fer-
rara e volendo una comedia li fu data questa comedia. E sta
tratta parte de li suppositi di Plauto e dal Eunucho di Terenzio
molto bellissima.
Er meint ohne Zweifel die Suppoſiti des Arioſt,
— doch man ſieht: er bemerkt nicht den Namen des Autors,
nicht den Titel des Stuͤcks, ſondern nur woher es gezogen ſey.
1).
Ich habe dieß in einer beſondern Abhandlung auszufuͤhren
geſucht, die ich in der K. Akademie der Wiſſenſchaften vorgetragen
habe.
1).
Aus dem ungedruckten Werke des Panvinius de rebus an-
tiquis memorabilibus et de praestantia basilicae S. Petri Apo-
stolorum Principis etc.
theilt Fea notizie intorno Rafaele p. 41
folgende Stelle mit: Qua in re (in der Abſicht des Neubaues) ad-
versos pene habuit cunctorum ordinum homines et praesertim
cardinales non quod novam non cuperent basilicam magnificen-
tissimam extrui, sed quia antiquam toto terrarum orbe venera-
bilem tot sanctorum sepulcris angustissimam, tot celeberrimis
in ea gestis insignem funditus deleri ingemiscant.
1).
Naugerii Praefatio in Ciceronis orationes T. I.
1).
Zorzi. Per il papa non voria ni guerra ni fatiche, ma
questi soi lo intriga.
2).
Marco Minio: Relazione. E docto e amador di docti,
ben religioso ma vol viver.
Er nennt ihn bona persona.
1).
Pomponazzo hatte hieruͤber ſehr ernſtliche Anfechtungen, wie
unter andern aus einem Auszug paͤpſtlicher Briefe von Contelori
hervorgeht. Petrus de Mantua heißt es darin asseruit, quod anima
rationalis secundum propria philosophiae et mentem Aristotelis
sit seu videatur mortalis, contra determinationem concilii Late-
ranensis: Papa mandat ut dictus Petrus revocet: alias contra
ipsum procedatur. 13 Junii
1518.
1).
Burigny: Leben des Erasmus I, 139. Ich will hier noch
folgende Stelle des Paul Canenſius in der vita Pauli II. anfuͤh-
ren. Pari quoque diligentia e medio Romanae curiae nefandam
nonnullorum juvenum sectam scelestamque opinionem substulit,
qui depravatis moribus asserebant, nostram fidem orthodoxam
potius quibusdam sanctorum astutiis quam veris rerum testimo-
niis subsistere.
— Einen ſehr ausgebildeten Materialismus athmet
der Triumph Carls des Großen, ein Gedicht von Ludovici, wie man
aus den Citaten Daruͤs in dem 40ten Buche der histoire de Ve-
nise
ſieht.
2).
Im Caracciolo’s Vita Ms. von Paul IV. In quel tempo
non pareva fosse galantuomo e buon cortegiano colui che de’
dogmi della chiesa non aveva qualche opinion erronea ed he-
retica.
1).
Meiners hat das Verdienſt, dieſe Genealogie aus des Re-
1).
vius Daveritria illustrata zuerſt eruirt zu haben. Lebensbeſchrei-
bungen beruͤhmter Maͤnner aus den Zeiten der Wiederherſtellung
der Wiſſenſchaften II, 308.
1).
Fuͤßlin: Kirchen- und Ketzergeſchichte II, 82.
1).
Summario de la relatione di Zorzi. E cussi dismisiato
venne fuori non compito di vestir. L’orator disse: Pater santo
eri vra santà mi dette una cattiva nuova e falsa, io le daro ozi
una bona e vera, zoe Sguizari è rotti.
Die Briefe waren von
Pasqualigo, Dandolo und Anderen.
2).
Domine orator, vederemo quel fara il re christmo. se
metteremo in le so man dimandando misericordia. Lui, ora-
tor, disse: pater sante, vostra santità non avrà mal alcuno.
1).
Zorzi. Questo papa è savio e praticho di stato e si
pensò con li suoi consultori di venir abocharsi a Bologna con
vergogna di la sede (ap.); molti cardinali tra i qual il cardinal
Hadriano lo disconsejava pur vi volse andar.
1).
Franc. Vettori (Sommario della storia d’Italia) mit dem
Medici ſehr vertraut giebt dieſe Erklaͤrung. Der Vertheidiger Franz
Marias, Giov. Batt. Leoni (Vita di Francesco Maria) erzaͤhlt
Dinge — p. 166 f. — die ſehr nahe daran hinſtreifen.
2).
Fea hat in der Notizie intorno Rafaele p. 35. die Sen-
tenz gegen die drei Cardinaͤle aus den Conſiſtorialacten mitgetheilt,
die ausdruͤcklich auf ihr Einverſtaͤndniß mit dem Franz Maria
hinweiſt.
1).
Suriano Relatione di 1533: dicesi del Pp. Leone, che
quando ’l aveva fatto lega con alcuno, prima soleva dir che pero
non si dovea restar de tratar cum lo altro principe opposto.
1).
Man hielt Luther fuͤr todt; man erzaͤhlte, wie er von den
Paͤpſtlichen ermordet worden ſey. Pallavicini (Istoria del concilio
di Trento I, c.
28) entnimmt aus den Briefen des Aleander, daß
die Nuncien daruͤber in Lebensgefahr gerathen ſeyen.
1).
Vettori: Carlo si excusò di non poter procedere piu ol-
tre rispetto al salvocondotto, ma la verità fu che conoscendo
che il Papa temeva molto di questa doctrina di Luthero, lo
volle tenere con questo freno.
1).
Copia di una lettera di Roma alli Sgri. Bolognesi a di
3 Dcbr. 1521 scritta per Bartholomeo Argilelli.
Bei Sanuto im
32ſten Bande. Die Nachricht traf den Papſt 24. Nov. beim Be-
nedicite. Er nahm dieß noch beſonders fuͤr eine gute Vorbedeu-
tung. Er ſagte: Questa è una buona nuova, che havete portato.
Die Schweizer fingen ſogleich an, Freude zu ſchießen. Der Papſt
ließ ſie bitten, ſtill zu ſeyn, aber vergeblich.
2).
Man redete ſogleich von Gift. Lettera di Hieronymo Bon
a suo barba a di 5 Dec.
bei Sanuto „non si sa certo se ’l pon-
tefice sia morto di veneno. Fo aperto. Maistro Ferando ju-
dica sia stato venenato; alcuno de li altri no; è di questa opi-
1).
Capitoli di una lettera scritta a Roma 21 Dcbr. 1521
„concludo, che non è morto mai papa cum peggior fama dapoi
è la chiesa di Dio.“
2).
nione Mastro Severino che lo vide aprire, dice che non è ve-
nenato.
1).
Lettera di Roma a di 19 Zener. bei Sanuto. Medici
1).
So nennt er ſich in einem Briefe von 1514, den man in
Caspar Burmannus: Adrianus VI. sive analecta historica de Adri-
ano VI. p.
443 findet. In einheimiſchen Urkunden heißt er Mey-
ſter Aryaͤn Floriße van Utrecht. Neuere haben ihn zuweilen Boyens
genannt, weil der Vater ſich Floris Boyens ſchrieb, doch heißt das
aber auch nur Bodewins Sohn, und iſt kein Familienname. S.
Burmann in den Anmerkungen zu Moringi Vita Adriani p. 2.
1).
dubitando de li casi suoi, se la cosa fosse troppo ita in
longo, deliberò mettere conclusione et havendo in animo que-
sto cḻe̱. Dertusense, per esser imperialissimo — disse: etc.
1).
Literae ex Victorial directivae ad Cardinalem de Flisco
— in dem 33ſten Bande des Sanuto ſchildern ihn folgendermaßen.
Vir est sui tenax, in concedendo parcissimus: in recipiendo
nullus aut rarissimus. In sacrificio cotidianus et matutinus est.
Quem amet aut si quem amet nulli exploratum. Ira non agitur,
jocis non ducitur. Neque ob pontificatum visus est exultasse,
quin constat graviter illum ad ejus famam nuntii ingemuisse.

In der Sammlung von Burmann ſteht ein Itinerarium Adriani
von Ortiz, der den Papſt begleitete und genau kannte. Er verſi-
ſichert p. 223 nie etwas Tadelnswerthes an ihm bemerkt zu haben.
Ein Spiegel aller Tugenden ſey er geweſen.
2).
An Florenz Oem Wyngaerden: Vittoria 15. Febr. 1522
bei Burmann p. 398.
1).
Erasmus ſagt in einem ſeiner Briefe von ihm: licet scho-
lasticis disciplinis faveret satis tamen aequus in bonas literas.

Burm. p. 15. Jovius erzaͤhlt mit Behagen, wie viel ihm der Ruf
eines scriptor annalium valde elegans bei Adrian geholfen, beſon-
ders da er kein Poet geweſen.
2).
Gradenigo: relatione nennt den Vicekoͤnig von Neapel.
Girolamo Negro, von dem ſich in den Lettere di principi T. I.
einige ganz intereſſante Briefe uͤber dieſe Zeit finden, ſagt p. 109
von Johann Manuel. „Se parti mezo disperato.“
3).
Negro aus der Erzaͤhlung des venezianiſchen Secretaͤrs.
p. 110.
1).
Instructio pro te Francisco Cheregato etc. etc., unter
andern bei Rainaldus Tom. XI, p. 363.
1).
In dem erſten Buche der historia del concilio Triden-
tino
von P. Sarpi Ausg. v. 1629 p. 23 findet man eine gute
Auseinanderſetzung dieſer Lage der Dinge, entnommen aus einem
Diario des Chieregato.
2).
Ortiz Itinerarium c. 28. c. 39, vorzuͤglich glaubwuͤrdig
wie er ſagt, cum provisiones et alia hujusmodi testis oculatus
inspexerim.
1).
Lettere di Negro. Capitolo del Berni:
E quando un segue il libero costume

Di sfogarsi scrivendo e di cantare

Lo minaccia di far buttare in fiume.
1).
Relatione di Marco Foscari 1526 ſagt von ihm in Bezug
auf jene Zeiten: Stava con grandissima reputation e governava
il papato et havia piu zente a la sua audientia cha il papa.
2).
Vettori ſagt, ſeit 100 Jahren ſey kein ſo guter Menſch Papſt
2).
geweſen: non superbo non simoniaco non avaro non libidinoso,
sobrio nel victo, parco nel vestire, religioso, devoto.
1).
Instruttione al Card. reverendm̱o̱. di Farnese, che fu poi
Paulo III., quandò andò legato all Imperatore Carlo V. doppo
il sacco di Roma.
Eigene Sammlung.
1).
Es heißt in jener Inſtruction ausdruͤcklich: der Papſt habe
ſich auch zu dem, was ihm mißfaͤllig, bereit gezeigt: purchè lo stato
di Milano restasse al Duca, al quale effetto si erano fatte tutte
le guerre d’Italia.
2).
M. Giberto datario a Don Michele di Silva. Lettere
di principi I, 197 b.
1).
Vettori haͤlt ihm die ſchlechteſte Lobrede von der Welt. Era
superbo oltre modo invidioso ingrato avaro venenoso e crudele
senza religione, senza humanità, nato proprio per distruggere l’Ita-
lia.
Auch Morone ſagte einmal Guiccardini’n, es gebe keinen treu-
loſeren boshafteren Menſchen als Pescara ſey (Hist. d’Italia XVI,
476) und machte ihm doch den Antrag. Ich fuͤhre dieſe Urtheile
nicht an, als ob ſie wahr ſeyen: ſie zeigen nur, daß Pescara ge-
gen die Italiener nur Feindſeligkeit und Haß hatte blicken laſſen.
1).
G. M. Giberto al Vescovo di Veruli. Lettere di prin-
cipi I, p. 192 a.
2).
Auch Foscari ſagt: Quello fa a presente di voler far
lega con Francia, fa per ben suo e d’Italia non perchè ama
Francesi.
1).
Die Inſtructionen des Kaiſers, die den Proteſtanten einige
Furcht einfloͤßten, ſind vom Maͤrz 1526, einer Zeit, in welcher ſich
der Papſt noch nicht mit Frankreich verbuͤndet hatte.
1).
Suriano Rel. di 1533 findet in ihm „core frigidissimo:
el quale fa, la Beatṉe̱. S. esser dotata di non vulgar timidita,
non diro pusillanimità. II che pero parmi avere trovato comu-
nemente in la natura fiorentina. Questa timidità causa che S.
Sà. è molto irresoluta.“
— —
1).
Vettori: La uccisione non fu molta, perchè rari si uc-
eidono quelli che non si vogliono difendere, ma la preda fu
inestimabile in danari contanti, di gioie, d’oro e d’argento lavo-
rato, di vestiti, d’arazzi, paramenti di casa, mercantie d’ogni
sorte e di taglie.
Nicht der Papſt ſey an dem Ungluͤck Schuld:
es habe an den Einwohnern gelegen: superbi, avari, homicidi, in-
vidiosi, libidinosi e simulatori
nennt er ſie, ſolch’ eine Bevoͤlke-
rung koͤnne ſich nicht halten.
1).
Se alcuni ve ne fossero che dio nol voglia, li quali ob-
stinatamente perseverassero in questa diabolica via quella (S.
M.) potrà mettere la mano al ferro et al foco, et radicitus ex-
tirpare questa mala venenosa pianta.
1).
Einen ſolchen Entwurf wagte man eine Inſtruction zu nen-
ner. Instructio data Caesari a reverendm̱o̱. Campeggio in dieta
Augustana 1530.
Ich fand ihn in einer roͤmiſchen Bibliothek in
gleichzeitigen Schriftzuͤgen, uͤber alle Zweifel erhaben.
1).
Lettera anonima all’ Arcivescovo Pimpinello (Lettere di
principi III, 5.): „Gli ufficii solo con la fama del concilio sono
1).
Z. B. all’ imperatore: di man propria di Papa Clemente.
Lettere di principi II, 197. Al contrario nessun (remedio) è
piu pericoloso e per partorir maggiori mali (del concilio) quando
non concorrono le debite circonstanze.
1).
inviliti tanto, che non se ne trovano danari.“ Ich ſehe, auch
Pallavicini citirt dieſen Brief III, 7, 1; ich weiß nicht, wie er
dazu kommt, ihn dem Sanga zuzuſchreiben.
1).
Ueber die Verhandlungen zu Bologna findet man in einem
der beſten Capitel des Pallavicini, lib. III, c. XII gute Nachricht,
— gezogen aus dem vaticaniſchen Archiv. Er beruͤhrt jene Verſchie-
denheit, und erzaͤhlt, daß ſie auf ausdruͤcklicher Verhandlung be-
ruhe. In der That finden wir in dem Schreiben an die katholi-
ſchen Staͤnde bei Rainaldus XX, 659, Hortleder I, XV, die Be-
dingung einer allgemeinen Theilnahme wiederholt; der Papſt ver-
ſpricht, uͤber den Erfolg ſeiner Bemuͤhungen zu berichten; in den
Punkten, die den Proteſtanten vorgelegt wurden, heißt es dagegen
1).
Artikel 7 ausdruͤcklich: quod si forsan aliqui principes velint tam
pio negotio deesse, nihilominus summus Ds nr procedet cum
saniori parte consentiente.
Es ſcheint doch als ob dieſe Verſchie-
denheit es ſey, welche Pallavicini im Sinne hat, obwohl er noch
eine andere Abweichung meldet.
1).
Soriano Relatione 1535. II Papa andò a Bologna con-
tra sua voglia e quasi sforzato, come di buon logo ho inteso e
fu assai di ciò evidente segno, che S. Sà.̱ consumò di giorni
cento in tale viaggio, il quale potea far in sei di. Considerando
dunque Clemente questi tali casi suoi e per dire cosi la ser-
vitu nella quale egli si trovava per la materia del concilio la quale
Cesare non lasciava di stimolare cominciò a rendersi piu facile
al christianissimo. E quivi si trattò l’andata di Marsilia et in-
sieme la pratica del matrimonio, essendo gia la nipote nobile
et habile.
Fruͤher haͤtte der Papſt ihre Herkunft und ihr Alter
zum Vorwand ſeiner Ausfluͤchte genommen.
1).
20. Maͤrz 1534. Pallavicini III, XVI, 3.
2).
Soriano. La Serṯà.̱ Vṟa.̱ dunque in materia del concilio
può esser certissima, che dal canto di Clemente fu fuggita con
tutti li mezzi e con tutte le vie.
1).
Sarpi: Historia del concilio Tridentino: lib. I, p. 68.
Nicht alles was Sarpi hat, aber einen wichtigen Theil deſſelben
beſtaͤtigt Soriano. Dieſer Geſandte ſagt: avendo fatto credere a
1).
In der Inſtruction an ſeine Geſandten nach Frankreich Au-
guſt 1532 (Rommel Urkundenbuch 61) entſchuldigt er ſich, „daß
wir nit furtzugen, den Koͤnig in ſeinen Erblanden anzugreifen.“
2).
Jovius Historiae sui temporis, lib. XXXII, p. 129, Pa-
ruta Storia Venez. p. 389.
3).
Relatione del clarissimo M. Marino Giustinian el Kr.̱
venuto d’Ambasciator al Christianissimo re di Francia del 1535
(Archivio Venez.) Francesco fece l’aboccamento di Marsilia con
1).
Clemente, che da S. M. Chm̱a.̱ dipendessero quelli Sṟi.̱ princi-
palissimi e capi della fattione luterana — si che almeno si fug-
gisse il concilio.
— Nur dieß habe ich mich getraut zu behaupten.
3).
Clemente nel qual vedendo loro che Cesare stava fermo —
conchiusero il movimento delle armi in Germania,
sotto pretesto di voler metter il duca di Virtenberg in casa:
nel quale se Iddio non avesse posto la mano con il mezzo di
Cesare, il quale all’ improviso e con gran prestezza senza sa-
puta del Xm̱o̱. con la restitution del ducato di Virtenberg fece
la pace, tutte quelle genti venivano in Italia sotto il favor se-
creto di Clemente.
Man wird, denke ich, wohl noch einmal ge-
nauere Nachrichten hieruͤber finden. Soriano enthaͤlt noch folgen-
des. Di tutti li desiderii (del re) s’accommodò Clemente con
parole tali, che lo facevano credere, S. S. esser disposta in
tutto alle sue voglie, senza però far provisione alcuna in scrit-
tura.
Daß von einer italieniſchen Unternehmung die Rede war,
laͤßt ſich nicht leugnen. Der Papſt behauptete, ſie abgelehnt zu ha-
ben, — non avere bisogno di moto in Italia. Der Koͤnig hatte
ihm geſagt, er ſolle ruhig bleiben: con le mani accorte nelle ma-
niche.
Wahrſcheinlich behaupteten die Franzoſen, was die Italiener
leugneten: ſo daß der Geſandte in Frankreich poſitiver iſt, als der
Geſandte in Rom. Sagte aber der Papſt, eine Bewegung in Ita-
lien koͤnne er nicht brauchen, ſo ſieht man, wie wenig das eine Be-
wegung in Deutſchland ausſchließt.
1).
Contarini: Relatione di 1530 verſichert das ausdruͤcklich.
Auch Soriano 1533 ſagt: Anglia S. Santità ama et era conjun-
c[l]issimo prima.
Die Abſicht des Koͤnigs, ſich ſcheiden zu laſſen,
erklaͤrt er ohne weiteres fuͤr eine „pazzia.“
1).
Aus den Depeſchen des Doctor Knight von Orvieto, 1ſten
und 9ten Januar 1528; Herbert Life of Henry VIII, p. 218.
2).
Die ganze Lage erkennt man aus folgender Stelle eines
Schreibens des paͤpſtlichen Secretaͤrs Sanga an Campeggi: Viterbo
2. Sept. 1528, in dem Augenblick, daß die neapolitaniſche Unter-
nehmung mißlungen war (ein Erfolg, deſſen in dem Briefe gedacht
wird) und Campeggi nach England gehen wollte. Come vostra Sign.
Revm̱a̱. sa, tenendosi N. Signore obligatissimo come fa a quel
Serenm̱o̱. re, nessuna cosa è si grande della quale non desideri
compiacerli, ma bisogna ancora che sua Beatitudine, vedendo
l’imperatore vittorioso e sperando in questa vittoria non trovarlo
alieno della pace — non si precipiti a dare all’ imperatore
causa di nuova rottura, la quale leveria in perpetuo ogni spe-
ranza di pace: oltre che al certo metteria S. Sà.̱ a fuoco et a
totale eccidio tutto il suo stato. (Lettere di diversi autori Ve-
netia 1556 p. 39.)
1).
Soriano. L’imperatore non cessava di sollecitar il con-
1).
cilio — S. M. Christm̱a̱. dimandò che da S. Sà.̱ li fussino os-
servate le promesse essendo le conditioni poste fra loro. Per-
cio S. Sà.̱ si pose a grandissimo pensiero e fu questo dolore
et affanno che lo condusse alla morte. Il dolor fu accresciuto
dalle pazzie del cardinal de Medici, il quale allora piu che mai
intendeva a rinuntiare il capello per la concurrenza alle cose di
Fiorenza.
1).
Ich ſchoͤpfe dieſe Notiz aus Caracciolo: Vita di Paolo
IV. Ms. Quei pochi huomini da bene ed eruditi prelati che
erano in Roma in quel tempo di Leone X. vedendo la città di
Roma e tutto il resto d’Italia dove per la vicinanza alla sede
apostolica doveva piu fiorire l’osservanza de’ riti essere cosi
maltrattato il culto divino — si unirono in un’ oratorio chia-
mato del divino amore circa sessanta di loro, per fare quivi
quasi in una torre ogni sforzo per guardare le divine leggi.

In der Vita Cajetani Thienaei (AA. SS. Aug. II.) c. I, 7—10
hat dieß Caracciolo wiederholt und noch weiter ausgefuͤhrt, jedoch
zaͤhlt er hier nur funfzig Mitglieder. Die Historia clericorum
regularium vulgo Theatinorum
von Joſeph Silos beſtaͤtigt es in
vielen Stellen, die in dem Commentarius praevius zu der vita Ca-
jetani
abgedruckt ſind.
1).
Epistolae Reginaldi Poli ed. Quirini Tom. II. Diatriba
ad epistolas Schelhornii CLXXXIII.
1).
Epistolae Poli. Tom. III, p. 57.
2).
An Theodorina Sauli 12. Febr. 1542. Lettere volgari (Rac-
colta del Manuzio) Vinegia 1553. II,
43.
3).
Unter andern iſt das Schreiben Sadolets an Contarini
(Epistolae Sadoleti lib. IX, p. 365) uͤber ſeinen Commentar an
die Roͤmer ſehr merkwuͤrdig „in quibus commentariis, ſagt Sa-
dolet, mortis et crucis Christi mysterium totum aperire atque
illustrare sum conatus.“
Doch hatte er Contarini nicht ganz be-
friedigt. Auch war er nicht ganz einer Meinung mit demſelben.
Er verſpricht indeß in die neue Ausgabe eine deutliche Erklaͤrung
uͤber Erbſuͤnde und Gnade aufzunehmen: „de hoc ipso morbo na-
3).
turae nostrae et de reparatione arbitrii nostri a spiritu sancto
facta.“
1).
Schelhorn, Gerdeſius und Andere haben dieß Buch dem
Aonius Palearius zugeſchrieben, der in einer Rede ſagt: hoc anno
tusce scripsi Christi morte quanta commoda allata sint humano
generi.
Das Compendium der Inquiſitoren, das ich in Caracciolo
Vita di Paulo IV. Ms.
fand, druͤckt ſich dagegen folgendergeſtalt
aus. Quel libro del beneficio di Christo, fu il suo autore
un monaco di Sanseverino in Napoli, discepolo del Valdes, fu
revisore di detto libro il Flaminio fu stampato molte volte ma
particolamente a Modena de mandato Moroni, ingannò molti,
perche trattava della giustificatione con dolce modo ma hereti-
camente.
— — Da nun jene Stelle des Palearius dieß Buch doch
nicht dergeſtalt bezeichnet, daß nicht auch ein andres gemeint ſeyn
koͤnnte, da Palearius ſagt, er ſey noch das nemliche Jahr dar-
uͤber in Anſpruch genommen worden, das Compendium der In-
quiſitoren dagegen ſich unzweifelhaft ausdruͤckt und hinzufuͤgt: quel
libro fu da molti approbato solo in Verona fu conosciato e re-
probato, dopo molti anni fu posto nell indice
— ſo halte ich die
Meinung jener Gelehrten doch fuͤr irrig.
1).
Lettere volgari I, 92. Lettere di diversi autori p. 604.
Beſonders die erſte eine ſehr nuͤtzliche Sammlung.
1).
In Schelhorn’s Amoenitatt. Literar. Tom. XII, p. 564 findet
man die articuli contra Moronum, welche Vergerio im J. 1558
herausgab, wieder abgedruckt, in denen auch dieſe Beſchuldigungen nicht
fehlen. Die genauern Notizen nahm ich aus dem Compendium der
Inquiſitoren.
1).
Ad Psalm. 67, f. 246. Man findet einen Auszug aus die-
ſen Erklaͤrungen in des Gerdesius Italia reformata p. 257—261.
2).
Thuani Historiae ad a. 1559. I, 473.
1).
Boverio: Annali di frati minori Capuccini I, 375. Gra-
tiani Vie de Commendone p.
143.
1).
Ottonello Vida Dot. al Vescovo Vergerio; lettere vol-
gari I,
80.
1).
Der Auszug aus dem Compendium der Inquiſitoren iſt
hieruͤber unſere Quelle. Bologna, ſagt es z. B., fu in molti peri-
coli perchè vi furono heretici principali fra quali fu un Gio
Ba. Rotto, il quale haveva amicizia et appoggio di persone po-
tentissime, come di Morone, Polo, Marchesa di Pescara e rac-
coglieva danari a tutto suo potere e gli compartiva tra gli he-
retici occulti e poveri, che stavano in Bologna, abjurò poi nelle
mani del padre Salmerone
(des Jeſuiten) per ordine del legato
di Bologna (Compend. fol. 9. c.
94.). So werden alle Staͤdte
durchgegangen.
1).
Stelle aus Atanagi bei M’Crie: Reformation in Ita-
lien. D. Ueb. S. 172.
2).
Vita Reginaldi Poli in der Ausgabe der Briefe deſſelben
von Quirini Tom. I, p. 12. Florebelli de vita Jacobi Sadoleti
Commentarius
vor den Epp. Sadoleti Col. 1590 vol. 3.
1).
Es iſt das ſchon angefuͤhrte Consilium delectorum Cardi-
nalium et aliorum praelatorum de emendanda ecclesia
. Von
Contarini, Caraffa, Sadolet, Poole, Fregoſo, Giberto, Corteſe und
Aleander unterzeichnet.
1).
G. Contarini Cardinalis ad Paulum III. P. M. de po-
testate pontificis in compositionibus.
Gedruckt bei Roccaberti
Bibliotheca Pontificia Maxima Tom. XIII. In meinen Haͤnden
iſt noch ein Tractatus de compositionibus datarii Revmi D. Gas-
paris Contareni,
1536, von dem ich nicht finden kann, daß er ir-
gendwo gedruckt ſey.
1).
Gaspar C. Contarenus Reginaldo C. Polo. Ex ostiis
Tiberinis XI. Nov. 1538. (Epp. Poli II. 142).
2).
Acta consistorialia (6. Aug. 1540) bei Rainaldus Anna-
les ecclesiastici Tom. XXI, p.
146.
1).
Instructio pro causa fidei et concilii data episcopo Mu-
tinae. 24 Oct. 1536. Ms.
1).
Instructiones pro Revmo. D. ep. Mutinensi Apostolico
Nuncio interfuturo conventui Germanorum Spirae 12 Maji 1540
celebrando. „Timendum est atque adeo certo sciendum, ista,
quae in his articulis pie et prudenter continentur, non solum
fretos salvo conductu esse eos recusaturos verum etiam ubi mors
praesens immineret, illam potius praeelecturos.“
1).
Joannis Casae Vita Gasparis Contarini: in Jo. Casae
Monimentis latinis ed. Hal. 1708. p.
88.
1).
Beccatello Vita del C. Contarini (Epp. Poli III.) p.
CIII.
Es giebt auch eine beſondere Ausgabe, die aber nur aus
dem Bande der Briefe herausgenommen iſt und dieſelben Seiten-
zahlen hat.
2).
Die erſte iſt von 1525, die andre von 1530. Vornehmlich
1).
Daniel Barbaro an Domenico Veniero; Lettere volgari
I,
73.
2).
Casa p. 102.
2).
iſt die erſte fuͤr die fruͤhere Zeit Carls V. ſehr wichtig. Ich habe
von derſelben weder in Wien noch Venedig eine Spur gefunden. In
Rom entdeckte ich ein Exemplar: ein andres habe ich nie zu ſe-
hen bekommen.
1).
Relazione del clarmo. M. Marino Giustinian Kavr. (ri-
tornato) dalla legazione di Germania sotto Ferdinando, re di
Romani. Bibl. Corsini
zu Rom nr. 481.
1).
Schreiben des Landgrafen in Rommels Urkundenbuche p.
85. Vrgl. das Schreiben des Biſchofs von Lunden bei Seckendorf
p. 299. Contarini al Cl. Farnese 1541. 28 April. (Epp. Poli
III, p. CCLV.).
Der Landgraf und der Churfuͤrſt forderten beide
Prieſterehe und beiderlei Geſtalt; in Hinſicht des Primats zeigte ſich
jener, in Hinſicht der Lehre, de missa quod sit sacrificium, zeigte
ſich dieſer ſchwieriger.
1).
Instructio data Revmo. Cli. Contareno in Germaniam le-
gato d. 28 Mensis Januarii
1541. In vielen Bibliotheken hand-
ſchriftlich: gedruckt in Quirini: Epp. Poli III, CCLXXXVI.
2).
Videndum inprimis est, an Protestantes et ii qui ab eccle-
2).
siae gremio defecerunt, in principiis nobiscum conveniant, cujus-
modi est hujus sanctae sedis primatus, tanquam a deo et salva-
tore nostro institutus, sacrosanctae ecclesiae sacramenta et alia
quaedam, quae tum sacrarum litterarum autoritate, tum univer-
salis ecclesiae perpetua observatione hactenus observata et com-
probata fuere et tibi nota esse bene scimus, quibus statim
initio admissis omnis super aliis controversiis concordia tenta-
retur.
Man muß hierbei nur immer die hoͤchſt orthodoxe, ihrer
Natur nach inflexible Stellung eines Papſtes im Auge haben, um
zu bemerken, wie viel in einer ſolchen Wendung liegt.
1).
Beccatelli Vita del Cardinal Contarini p. CXVII.
2).
Pallavicini IV, XIV, p. 433 aus den Briefen Contarini’s.
1).
Melanchthon an Camerar 10. Mai: (Epp. p. 360) „ad sen-
tiuntur justificari homines fide et quidem in eam sententiam ut
nos docemus.“
Vgl. Planck: Geſch. d. proteſt. Lehrbegriffs III, II, 93.
2).
Alle Handlungen und Schriften, zu Vergleichung der Re-
ligion durch die Kaiſerl. Majeſtaͤt ꝛc. verhandelt ao. 1541 durch
Martinum Bucerum, bei Hortleder Buch I, Cap. 37. S. 280.
3).
Polus Contareno. Capranicae 17 Maji 1541. Epp.
3).
Poli T. III, p. 25. Merkwuͤrdig ſind auch die Briefe jenes Bi-
ſchofs von Aquila bei Rainaldus 1541 Nr. 11. 12. Man meinte,
wenn man nur noch uͤber den Punkt vom Abendmahl wegkomme,
ſo werde ſich alles andre beſeitigen laſſen. Id unum est, quod
omnibus spem maximam facit, assertio caesaris se nullo pacto,
nisi rebus bene compositis discessurum atque etiam, quod omnia
scitu consiliisque revm̱i̱ legati in colloquio a nostris theologis
tractantur et disputantur.
1).
Luther an Joh. Friedrich in de Wette’s Sammlung V, 353.
2).
Ich kann es Quirini nicht vergeben, daß er den Brief Priu-
li’s uͤber dieſe Verhaͤltniſſe, den er in Haͤnden hatte, nicht vollſtaͤn-
dig mitgetheilt hat.
1).
Es gab immer eine kaiſerliche Partei, welche dieſe Tendenz
verfocht. Darin liegt unter andern das ganze Geheimniß der Un-
terhandlungen des Erzb. von Lunden. Er hatte dem Kaiſer vorge-
ſtellt: che se S. M. volesse tolerare che i Lutherani stessero
nelli loro errori disponeva a modo e voler suo di tutta la Ger-
mania. Instruzione di Paolo III. a Montepulciano
1539. Auch
jetzt wuͤnſchte der Kaiſer eine Toleranz.
2).
Er ſprach daruͤber mit dem paͤpſtlichen Geſandten an ſeinem
Hofe: Il Cl.̱ di Mantova al Cl.̱ Contarini bei Quirini III,
CCLXXVIII.: Loces 17 Maggio 1541. S. Má̱. Chm̱a.̱ diveniva
ogni di piu ardente nelle cose della chiesa le quali era risoluto di
voler difendere e sostenere con tutte le forze sue e con la vita
sua e de’ figlivoli, giurandomi, che da questo si moveva princi-
palmente a far questo officio.
Dagegen hatte Granvella andere
Notizen: m’affermò, ſagt Contarini in einem Briefe an Farneſe,
ibid. CCLV, con giuramento havere in mano lettere del re
Christm̱o̱., il quale scrive a questi principi protestanti, che non
si accordino in alcun modo e che lui aveva voluto veder l’opi-
nioni loro le quali non li spiacevano.
Zu beiden Seiten haͤtte
hiernach Franz I. die Verſoͤhnung gehindert.
1).
Ardinghello al nome del Cl. Farnese al Cl. Contarini
29 Maggio
1541.
1).
Literae Cardinalis Moguntini bei Rainaldus 1541 nr. 27.
2).
Anonym, ebenfalls bei Rainaldus Nr. 25. Von welcher Seite
ſie kamen, laͤßt ſich daraus entnehmen, weil es darin von Eck heißt:
unus duntaxat peritus theologus adhibitus est. Sie ſind voll
Inſinuationen gegen den Kaiſer: „nihil, heißt es darin, ordinabi-
tur pro robore ecclesiae, quia timetur, illi (Caesari) displicere.“
1).
Beccatelli Vita p. CXIX. Hora il diavolo che sempre
alle buone opere s’attraversa fece si, che sparsa questa fama
della concordia che tra catholici e protestanti si preparava, gli
invidi dell’ imperatore in Germania e fuori che la sua gran-
dezza temevano, quando tutti gli Alemani fussero stati uniti,
cominciarono a seminare zizania tra quelli theologi collocutori.
2).
Ardinghello a Contarini. Ebend. p. CCXXIV.
1).
Die Stiftung iſt billig von der Abfaſſung der Regeln an
zu datiren, nachdem Maſacio 1522 der neuen Congregation uͤber-
laſſen worden. Monte Corona ſtiftete erſt Basciano, der Nachfol-
ger Giuſtiniani’s. Helyot Histoire des ordres monastiques V,
p.
271.
1).
Lettera del b. Giustiano al Vescovo Teatino bei Bromato
Storia di Paolo IV. lib. III,
§. 19.
1).
Caracciolus: Vita S. Cajetani Thienaei c. IX, 101. „In
conversatione humilis, mansuetus, modestus pauci sermonis —
— Meminique me illum saepe vidisse inter precandum lacryman-
tem.
Sehr wohl bezeichnet ihn das Zeugniß einer frommen Ge-
ſellſchaft in Vicenza, das man eben dort findet c. I, nr. 12.
2).
Caracciolus c. 2, §. 19., bezeichnet ihre Abſicht „clericis,
quos ingenti populorum exitio improbitas inscitiaque corrupis-
sent, clericos alios debere suffici, quorum opera damnum, quod
illi per pravum exemplum intulissent sanaretur.“
1).
Die Acte hieruͤber findet man in dem commentarius prae-
vius AA. SS. Aug. II,
249.
2).
Regel der Theatiner bei Bromato Vita di Paolo IV, lib.
2).
III, §. 25. Nessuna consuetudine nessun modo di vivere o rito
che sia, tanto di quelle cose, che spettano al culto divino, e
in qualunque modo fannosi in chiesa, quanto di quelle, che pel
viver comune in casa o fuori da noi si sogliono praticare,
non permettiamo in veruna maniera, che acquistino vigore di
precetto.
1).
Approbatio societatis tam ecclesiasticarum, quam secu-
1).
larium personarum, nuper institutae ad erigendum hospitalia pro
subventione pauperum orphanorum et mulierum convertitarum

(welchen letzten Zweck man an einigen Orten mit dem erſten ver-
bunden.) Bulle Paul’s III. 5. Juni 1540 Bullarium Cocquelines
IV,
173. Aus der Bulle Pius V.: Injunctum nobis: 6. Decbr.
1568 ergiebt ſich doch, daß die Mitglieder dieſer Congreg. erſt da-
mals die Geluͤbde ablegten.
1).
So heißt er in gerichtlichen Acten; daß man nicht weiß,
wie er zu dem Namen Recalde gekommen, kann nichts gegen die
Aechtheit deſſelben beweiſen. Acta Sanctorum 31 Julii. Commen-
tarius praevius p.
410.
1).
Maffei: Vita Ignatii.
2).
Die acta antiquissima, a Lodovico Consalvo ex ore
2).
Sancti excepta, AA. SS. 1. l. p. 634. unterrichten hieruͤber ſehr
authentiſch. Er dachte einmal: „Quid, si ego hoc agerem, quod
fecit b. Franciscus, quid si hoc, quod b. Dominicus?
— Dann:
de muchas cosas vanas que se le ofrecian una tenia: eben jene
Ehre, die er ſeiner Dame zu erweiſen dachte. Non era condesa ni
duquesa mas era su estado mas alto, que ninguno destas.
Ein
ſonderbar naives Bekenntniß.
1).
Exercitia spiritualia: secunda hebdomada. Contempla-
tio regni Jesu Christi ex similitudine regis terreni subditos suos
evocantis ad bellum
u. a. St.
1).
Acta antiquissima: cum mentem rebus iis refertam ha-
beret quae ab Amadeo de Gaula conscriptae et ab ejus gene-
ris scriptoribus
— was ein ſeltſamer Mißverſtand der Concipien-
ten iſt, denn Amadis iſt wahrhaftig kein Schriftſteller — nonnul-
lae illi similes occurrebant.
1).
Maffei, Ribadeneira, Orlandino und alle Anderen erzaͤhlen
dieſe Anfechtungen. Am meiſten authentiſch bleiben immer die Acten
die von Ignaz ſelbſt herruͤhren: den Zuſtand, in dem er war, bezeich-
net z. B. folgende Stelle. Cum his cogitationibus agitaretur, ten-
tabatur saepe graviter magno cum impetu, ut magno ex foramine
quod in cellula erat sese dejiceret. Nec aberat foramen ab eo
loco ubi preces fundebat. Sed cum videret esse peccatum se
ipsum occidere rursus clamabat: domine non faciam quod te
offendat.
1).
Eine von ſeinen eigenſten und urſpruͤnglichſten Wahrneh-
mungen, deren Anfang er ſelbſt auf ſeine Phantaſien waͤhrend der
Krankheit zuruͤckgefuͤhrt hat. In Manreſa ward ſie ihm zur Gewiß-
heit. In den geiſtlichen Uebungen iſt ſie ſehr ausgebildet. Man
findet da ausfuͤhrliche Regeln: ad motus animae quos diversi ex-
citant spiritus discernendos ut boni solum admittantur et pellan-
tur mali.
1).
En figura de tres teclas.
2).
Acta antiquissima: „his visis haud mediocriter tum con-
1).
Auch Lainez und Borgia haben dieſen Vorwurf erfahren.
Llorente Hist. de l’inquisition III, 83. Melchior Cano nannte ſie
gradezu Illuminaten, die Gnoſtiker des Jahrhunderts.
2).
firmatus est, (— das Original: y le dieron tanta confirmacione
siempre de la fe) ut saepe etiam id cogitarit, quod etsi nulla
scriptura mysteria illa fidei doceret, tamen ipse ob ea ipsa quae
viderat, statueret sibi pro his esse moriendum.“
1).
Nach der aͤlteſten Chronik der Jeſuiten Chronicon breve
AA. SS. l. l. p.
525 war Ignatius von 1528 bis 1535 in Pa-
ris: „Ibi vero non sine magnis molestiis et persecutionibus pri-
mo grammaticae de integro tum philosophiae ac demum theo-
logico studio sedulam operam navavit.“
1).
Orlandinus, der auch ein Leben Fabers geſchrieben hat, wel-
ches ich nicht ſah, iſt auch in ſeinem großen Werke Historiae so-
cietatis Jesu pars I, p.
17. hieruͤber ausfuͤhrlicher, als Riba-
deneira.
1).
Sachinus: cujus sit autoritatis quod in b. Cajetani Thie-
naei vita de beato Ignatio traditur
vor dem Orlandinus, eroͤrtert
dieß Verhaͤltniß ausfuͤhrlich.
1).
Ribadeneira Vita brevior c. 12 bemerkt, daß Ignaz dieß
gewaͤhlt „ne de suo nomine diceretur.“ Nigroni: erklaͤrt Socie-
tas: quasi dicas cohortem aut centuriam quae ad pugnam cum
hostibus spiritualibus conserendam conscripta sit. Postquam
nos vitamque nostram Christo Dmn. nostro et ejus vero ac legi-
timo vicario internis obtuleramus,
— heißt es in der delibera-
tio primorum patrum. AA. SS. l. l. p.
463.
1).
Suffragium Salmeronis.
2).
Sie finden hierin ihren Unterſchied von den Theatinern
ſelbſt. Didacus Payva Andradius Orthodoxarum Explicatt. lib.
I, fol. 14.: Illi (Theatini) sacrarum aeternarumque rerum me-
ditationi psalmodiaeque potissimum vacant: isti vero (Jesui-
tae) cum divinorum mysteriorum assidua contemplatione do-
cendae plebis evangelii amplificandi sacramenta administrandi
atque reliqua omnia apostolica munera conjungunt.
1).
Ardinghello al Cl. Contarini. 15 Giugno 1541 bei Qui-
rini III, CCXLVI: Considerato che nè la concordia a Chri-
stiani è successa e la tolerantia
(die in Regensburg in Antrag
gebracht, aber von dem Conſiſtorium der Cardinaͤle verworfen wor-
den war) è illecitissima e damnosa e la guerra difficile e peri-
colosa — pare a S. S. che si ricorra al rimedio del concilio.
— — Adunque — S. Beatitudine ha determinato di levar via
la prorogatione della suspensione del concilio e di dichiararlo
e congregarlo quanto piu presto si potrà.
2).
Am 22ſten Nov. 1542 trafen ſie ein.
1).
Eine Auskunft, welche Thom. Campeggi vorſchlug. Pallavi-
cini VI, VII, 5.
Uebrigens war eine Reformationsbulle von allem
Anfang entworfen, doch iſt ſie nicht publicirt worden. Bulla refor-
mationis Pauli Papae III. concepta non vulgata, primum edidit
H. N. Clausen. Havn.
1829.
1).
Conc. Tridentini Sessio IV.: „in publicis lectionibus dis-
putationibus praedicationibus et expositionibus pro authentica
[h]abeatur.“
Verbeſſert ſoll ſie gedruckt werden posthac, nicht ganz
wie Pallavicini hat: quanto si potesse piu tosto. VI, 15, 2.
1).
Parere dato a 13 di Luglio 1544. Excerpirt von Palla-
vicini VIII, XI. 4.
2).
Contareni tractatus de justificatione. Nur muß man nicht
an die Venez. Ausg. von 1589, wie es auch mir zuerſt ging, gera-
then: da ſucht man dieſe Stelle vergebens. Noch 1571 hatte die
Sorbonne den Tractat, wie er war, gebilligt; in der Pariſer
Ausgabe von dieſem Jahre findet er ſich unverſtuͤmmelt; 1589 da-
gegen ließ ihn der Generalinquiſitor von Venedig, Fra Marco Me-
dici nicht mehr paſſiren: er begnuͤgte ſich nicht, die Stellen wegzu-
laſſen: ſie wurden dem recipirten Dogma gemaͤß umgeſchmolzen.
Man erſtaunt, wenn man im Quirini Epp. Poli III, CCXIII, auf
die Collation ſtoͤßt. Man muß ſich dieſer unverantwortlichen Ge-
waltſamkeiten erinnern, um ſich einen ſo bittern Haß, wie ihn Paul
Sarpi hegte, zu erklaͤren.
1).
Bromato Vita di Paolo IV. Tom. II, p. 131.
2).
Orlandinus VI, p. 127.
1).
Chemnitius examen concilii Tridentini I, 355.
2).
Sessio VI, c. VII, X.
1).
Wenigſtens waͤre es ſeltſam, wenn ſie beide durch den Zu-
fall einer außerordentlichen Krankheit wie es hieß, abgehalten worden
waͤren, nach Trient zuruͤckzukommen. Polo ai Cli. Monte e Cervini
15 Set. 1546. Epp. T. IV,
189. Es that dieß dem Poole vie-
len Schaden. Mendoza al Emperador Carlos 13 Jul. 1547. Lo
Cardinal de Inglaterra le haze danno lo que se a dicho de la
Justificacion.
1).
Sessio VII. Prooemium
2).
Die Discuſſionen hieruͤber theilt Sarpi mit: Historia del
concilio Tridentino; p.
241 (Ausg. v. 1629.). Pallavicini iſt dar-
uͤber ſehr unzureichend.
1).
Bromato Vita di Paolo IV. Lib. VII. §. 3.
2).
Licet ab initio. Deputatio nonnullorum S. R. E. Car-
1).
Caracciolo Vita di Paolo IV. Ms. c. 8. „Haveva egli
queste infrascritte regole tenute da lui come assiomi verissimi:
la prima, che in materia di fede non bisogna aspettar punto,
ma subito che vi è qualche sospetto o indicio di peste heretica
far ogni sforzo e violenza per estirparla“ etc.
2).
dinalium generalium inquisitorum haereticae pravitatis 21 Julii
1542. Cocquelines IV,
1, 211.
1).
Boverio: Annali I, 438.
2).
Ein Schreiben Peter Martyrs an ſeine zuruͤckgelaſſene Ge-
meine, worin er noch ſeine Reue ausdruͤckt, daß er die Wahrheit
zuweilen in Dunkel gehuͤllt, in Schloſſer: Leben Beza’s und Peter
Martyrs S. 400. Viele einzelne Notizen haben Gerdeſius und
M’Crie in den oben angefuͤhrten Buͤchern geſammelt.
1).
Aonii Palearici Opera ed. Wetsten. 1696. p. 91. Il
Cl. di Ravenna al Cl. Contarini — Epp. Poli III,
208 fuͤhrt
dieſen Grund ſchon an: Sendo quella città (Ravenna) partialis-
sima nè vi rimanendo huomo alcuno non contaminato di questa
macchia delle fattioni si van volontieri dove l’occasion s’offe-
risce, caricando l’un l’altro da inimici.
2).
Giannone Storia di Napoli XXXII, c. V.
1).
Bromato VII, 9.
1).
Auch andere Laien ſchloſſen ſich ihren Beſtrebungen an.
„Fu rimediato,“ ſagt das Compendium der Inquiſitoren, „oppor-
tunamente dal S. officio in Roma con porre in ogni città va-
lenti e zelanti inquisitori servendosi anche talhora de secolari
zelanti e dotti per ajuto della fede come verbi gratia del Go-
descalco in Como, del conte Albano in Bergamo, del Mutio in
Milano. Questa risolutione di servirsi de’ secolari fu presa
perche non soli moltissimi vescovi vicarii frati e preti, ma
anco molti dell’ istessa inquisitione erano heretici.
1).
Orlandinus druͤckt ſich ſeltſam aus. Et civitas, ſagte er
II, p. 78, et privati quibus fuisse dicitur aliqua cum Romano
pontifice necessitudo supplices ad eum literas pro Fabro retinendo
dederunt.
Gleich als wuͤßte man nicht, daß Paul III. einen Sohn
gehabt. Uebrigens ward hernach bei Gelegenheit einer Oppoſition
gegen die jeſuitiſch-geſinnte Prieſterſchaft die Inquiſition in Parma
eingefuͤhrt.
1).
Ribadeneira Vita Ignatii c. XV, n. 244. c. XXXVIII,
nr.
285.
1).
Pauli III. faeultas Coadjutores admittendi d. V Junii 1546:
ita ut ad vota servanda pro eo tempore quo tu fili praeposite et
qui pro tempore fuerint ejusdem societatis praepositi, eis in
ministerio spirituali vel temporali utendum judicaveritis et non
ultra astringantur. Corpus institutorum I, p.
15.
1).
Die Grundlage bildeten die Novizen, Gaͤſte, Indifferente,
aus denen die verſchiedenen Claſſen emporſtiegen.
2).
Summarium Constitutionum §. 8. in dem Corpus insti-
tutorum societatis Jesu. Antverpiae 1709. T. I.
Bei Orlandi-
nus III, 66 wird Faber deshalb geprieſen, weil er einſt, nach eini-
gen Jahren der Abweſenheit, bei ſeiner Vaterſtadt in Savoyen an-
langte und uͤber ſich gewann, voruͤberzureiſen.
1).
Examen generale c. IV, §. 2.
2).
Vorſchriften, einzeln enthalten in dem Summarium Consti-
tutionum
§. 32, §. 41, dem Examen generale §. 35, §. 36 und
Constitutionum P. III, c. 1. nr. 11. Illi casus reservabuntur,
heißt es in der letzten Stelle, quos ab eo (superiore) cognosci
necessarium videbitur aut valde conveniens.
3).
Das Schreiben von Ignatius „fratribus societatis Jesu,
qui sunt in Lusitania“ 7 Kal. Ap.
1553. §. 3.
1).
Constitutiones VI, 1. Et sibi quisque persuadeat, quod
qui sub obedientia vivunt se ferri ac regi a divina providentia
per superiores suos sinere debent, perinde ac cadaver essent.

Hier giebt es nun noch die andere Conſtitution VI, 5, nach welcher
auch eine Suͤnde geboten werden kann. „Visum est nobis in do-
mino — — nullas constitutiones declarationes vel ordinem ul-
lum vivendi posse obligationem ad peccatum mortale vel veniale
inducere, nisi superior ea in nomine domini Jesu Christi vel in
virtute obedientiae juberat.“
Man traut ſeinen Augen kaum,
wenn man dieß lieſt.
2).
Adjutus, quatenus ipse opportunum judicabit fratrum
suorum consilio, per se ipsum ordinandi et jubendi, quae ad dei
gloriam pertinere videbuntur, jus totum habeat,
ſagt Julii III
confirmatio instituti.
1).
Constitutiones IX, III.
2).
Schedula Ignatii AA. SS. Commentatio praevia nr. 872.
1).
Mariana discurso de las enfermedadas de la compania
de Jesus. c. XI.
1).
Excerpt aus dem liber memorialis des Ludovicus Conſal-
vus: quod desistente rege S. Ignatius indixerit missas, et Te-
deum laudamus, in gratiarum actionem. Commentarius praevius
in AA. SS. Julii VII. nr.
412.
2).
Constitutiones V, 3, 1. Epistola Ignatii ad fratres qui
sunt in Hispania. Corpus institutorum. II,
540.
1).
Orlandinus lib. VI, 70. Es waͤre eine Vergleichung an-
zuſtellen mit den Kloſterſchulen der Proteſtanten, in denen auch die
geiſtliche Richtung voͤllig vorherrſchend wurde. S. Sturm bei Ruh-
kopf Geſch. des Schulweſens S. 378. Es kaͤme auf den Unter-
ſchied an.
2).
Regula sacerdotum §. 8, 10, 11.
1).
Denn nach allem, was fuͤr und wider geſchrieben worden,
leuchtet wohl ein, daß Ignatius ein aͤhnliches Buch von Garcia de
Cisneros
vor Augen hatte. Das Eigenthuͤmlichſte aber ſcheint von
ihm zu ſtammen. Comm. praev. nr. 64.
2).
Non enim abundantia scientiae, sed sensus et gustus
rerum interior desiderium animae replere solet.
1).
Im Jahre 1556. Sacchinus Historia societatis Jesu p.
II. sive Lainius;
von Anfang.
1).
Ribadeneira Vita Ignatii nr. 293.
1).
Onuphrius Panvinius Vita Pauli III.
1).
Im Jahre 1538 hat Mc. Anton Contarini uͤber den Hof
des Papſtes im venezianiſchen Senat referirt. Leider habe ich dieſe
Arbeit weder im venezianiſchen Archiv noch ſonſt wo gefunden. In
einem Ms. uͤber den damaligen Tuͤrkenkrieg unter dem Titel: tre
libri delli commentari della guerra 1537, 8, 9,
in meinem Beſitz
finde ich einen kurzen Auszug daraus, aus dem ich obige Notizen
entnommen. Disse del stato della corte, che molti anni inanzi
li prelati non erano stati in quelle riforma di vita, ch’ eran al-
lora e che li cardinali havevano libertà maggiore di dire l’opi-
nion loro in concistoro ch’avesser avuto gia mai da gran tempo
e che di ciò il pontefici non solamente non si doleva, ma se
n’era studiatissimo onde per questà ragione si poteva sperare di
giorno in giorno maggior riforma. Considerò che tra cardinali
vi erano tali nomini celeberrimi, che per opinione commune il
mondo non n’avria altretanti.
1).
Soriano 1535. È Romano di sangue et è d’animo molto
gagliardo: si promette assai e molto pondera e stima assai l’in-
giurie che gli si fanno et è inclinatissimo a far grandi i suoi.

Varchi (Istorie fiorentine p. 636) erzaͤhlt von Paul’s erſtem Se-
cretaͤr, Meſſer Ambrogio, „der alles vermochte was er wollte und
alles wollte was er vermochte.“ Unter vielen andern Geſchenken be-
kam er einſt 60 ſilberne Waſchbecken mit ihren Gießkannen. Wie
koͤmmt es, ſagte man, daß er bei ſo vielen Waſchbecken doch nicht
reine Hand haͤlt?
1).
In den Lettres et Mémoires d’Estat par Guill. Ribier
Paris 1666
— findet man eine Menge Proben ſeiner Unterhand-
lungen und ihres Characters von 1537 bis 1540, von 1547 bis
1549, in den Depeſchen franzoͤſiſcher Geſandten. Direct ſchildert
ſie Matteo Dandolo, Relatione di Roma, 1551 d. 20 Junii in se-
natu, Ms.
in meinem Beſitz. „Il negotiare con P. Paolo fu
giudicato ad ogn’un difficile, perchè era tardissimo nel parlare,
perchè non voleva mai proferire parola che non fusse elegante
et exquisita, cosi nella volgare, come nella latina e greca, che
di tutte tre ne faceva professione
(Griechiſch, denke ich, wird er
wohl nicht oft unterhandelt haben) e mi aveva scoperto di quel
poco che io ne intendeva. E perchè era vecchissimo parlava
1).
Bemerkungen des Cl. Carpi und Margarethens, che son
los,
ſagt Mendoza, que mas platica tienen de su condicion.
1).
bassissimo et era longhissimo nè volea negar cosa che se gli
addimandasse; mar nè anche (volea) che l’uomo che negotiava
seco potesse esser securo di havere havuto da S. Sà. il si più
che il no; perchè lei voleva starsi sempre in l’avantaggio di po-
ter negare e concedere, per il che sempre si risolveva tardis-
simamente, quando volea negare.
1).
Mendoza: E venido la cosa a que ay muy pocos carde-
nales, que concierten negocios aunque sea para comprar una
carga de leña, sino es o por medio de algun astrologo o he-
chizero.
Ueber den Papſt ſelbſt finden wir die unzweifelhafteſten
Particularitaͤten.
1).
Relatione del Clmo. M. Niccolo Tiepolo del convento
di Nizza. Informatt. Politiche VI
(Bibl. zu Berlin). Es findet ſich
davon auch ein alter Druck.
2).
Adriani Istorie 58. H.
1).
Die Deliberationen ſind im oben angefuͤhrten Commentar
uͤber den tuͤrkiſchen Krieg, der dadurch ein beſonderes Intereſſe be-
kommt, mitgetheilt.
2).
Grignan, Ambassadeur du roi de France à Rome, au Con-
nétable. Rib. I, p. 251. Monseigneur, sa dite Sainteté a un mer-
veilleux désir du mariage de Vendosme: car il s’en est entièrement
1).
Grignan 7 Mars 1539. Ribier I, 406. Le cardinal de
Boulogne au roi. 20 Avril 1539. Ibid. p. 445.
Der Papſt ſagte
ihm, qu’il étoit fort étonné, veu la peine et travail qu’il avoit
pris pour vous appointer, Vous et l’Empereur que vous le lais-
siez ainsi arrière.
2).
declaré à moy, disant que pour être sa nièce unique et tant
aimée de luy, il ne désiroit après le bien de la Chrestienté autre
chose plus, que voir sa dite nièce mariée en France, dont le
dit seigneur (le roi) lui avoit tenu propos à Nice et après Vous
Monseigneur lui en aviez parlé.
1).
Auch M. A. Contarini beſtaͤtigte dieß in ſeiner Relation.
2).
Discurso del Rmo. Cle. di Carpi del 1543 (vielleicht jedoch
ſchon ein Jahr fruͤher) a Carlo V. Cesare del modo del domi-
nare Bibl. Corsini nr. 443.
3).
Se la M. V. dello stato di Milano le usasse cortesia
non tanto si spegnerebbe quanto si accenderebbe la sete sua:
si che è meglio di armarsi di quel ducato contra di lui — —
V. M. a da esser certa, che non per affettione che altri ab-
bia a questo re, ma per interesse particolare e la Germania e
l’Italia sinche da tal sospetto non saranno liberate, sono per
sostentare ad ogni lor potere la potentia di Francia.
1).
Pallavicini hat dieſe Unterhandlungen gradezu gelaͤugnet.
Auch nach dem, was Muratori (Annali d’Italia X, II, 51) dar-
uͤber anfuͤhrt, ließe ſich vielleicht noch zweifeln. Er ſtuͤtzt ſich auf
Hiſtoriker, die doch allenfalls nach Hoͤrenſagen geſchrieben haben
koͤnnten. Entſcheidend aber iſt ein Schreiben von Girolamo Guic-
ciardini an Coſimo Medici Cremona 26 Giugno 1543 im Archi-
vio Mediceo
zu Florenz. Granvella ſelbſt hatte davon geſprochen.
S. Mà. mostrava non esser aliena, quando per la parte del Papa
fussino adempiute le larghe offerte eran state proferte dal Duca
di Castro sin a Genova.
Ich weiß nicht, welche Anerbietungen
1).
das geweſen ſeyn moͤgen, doch waren ſie zu ſtark fuͤr den Papſt.
Nach Goſſelini, dem Secretaͤr Ferrante Gonzaga’s, fuͤrchtete der Kai-
ſer bei ſeiner Abreiſe, „che in volgendo egli le spalle (i Farnesi)
non pensassero ad occuparlo (Vita di Don Ferrando p. IV.)

Sehr ausfuͤhrlich und ergoͤtzlich iſt hieruͤber auch eine neapolitaniſche
noch ungedruckte Lebensbeſchreibung von Vaſto, die ſich in der Bi-
bliothek Chigi zu Rom findet.
1).
Schreiben Coſimo’s, gefunden in dem mediceiſchen Archiv.
Noch vom Jahre 1537. Al Papa non è restato altra voglia in
questo mondo se non disporre di questo stato e levarlo dalla di-
votione dell’ imperatore etc.
1).
Wir ſind uͤber die Sendung authentiſch durch Granvella
ſelbſt unterrichtet. Dispaccio di Monsignor di Cortona al Duca
di Fiorenza. Vormatia 29 Maggio 1545. (Granvella) mi con-
cluse in somma ch’ el cardinale era venuto per giustificarsi
d’alcune calumnie e supplica S. M. che quando non potesse in-
teramente discolpare l’attioni passate di Nro. Signore sue e di
sua casa ella si degnasse rimetterle e non ne tener conto — —
Expose di piu, in caso che S. M. si risolvesse, di sbattere per
via d’arme perche per giustitia non si vedeva quasi modo al-
cuno li Luterani, S. Beatitudine concorrerà con ogni somma di
denari.
1).
Charles Cl. de Guise au roi 31 Oct. 1547 (Ribier II,
p.
75), nach einer Audienz bei dem Papſt. Paul fuͤhrt die Gruͤnde
an, die ihn zur Theilnahme an dem deutſchen Krieg vermocht. Aussi
à dire franchement qu’il étoit bien mieux de l’empescher (l’em-
pereur) en un lieu, dont il pensoit, qu’aisement il ne viendroit
à bout.
2).
Du Mortier au roi 26 Avril 1547. Je vous assure, Sire,
que pendant il étoit à Trente, c’étoit une charge qui le pres-
soit fort.
1).
Le même au même. (Ribier I, 637). S. S. — a entendu,
que le duc de Saxe se trouve fort, dont elle a tel contente-
ment, comme celuy qui estime le commun ennemy estre par ces
moyens retenu, d’exécuter ses entreprises et connoist on bien
qu’il seroit utile sous main d’entretenir ceux qui lui resistent,
disant, que vous ne scauriez faire dépense plus utile.
2).
Copia de la carta que S. M. scrivio a Don Diego de
2).
Mendoça a XI de Hebrero 1547 aōs. Quanto mas yva el dicho
(prospero suceso) adelante, mas nos confirmavamos en creher
que fuese verdad lo que antes se havia savido de la intention y
inclinacion de S. S. y lo que se dezia (es) que su fin havia
sido por embaraçar nos en lo que estavamos y dexarnos en ello
con sus fines desiños y platicas, pero que, annque pesasse a
S. S. y a otros esperavamos con la ayuda de N. S., aunque sin
la de S. S. guiar esta impresa a buen camino.
1).
Bromato. Vita di Paolo IV. II, 222.
2).
Die Unterhandlungen daruͤber gehen aus dem Schreiben
Mendoza’s vom 29. November 1547 hervor. Der Papſt ſagt, er
habe Pier Luigi belehnt, weil dieß die Cardinaͤle vorgezogen: und
„haviendo de vivir tempoco come mostrava su indisposi-
cion.“
1).
Gosselini Vita di Ferr. Gonzaga p. 20. Segni storie
Fiorentine p.
292.
2).
Mendoça al Emperador 18 Sept. 1547. — Gastò la
mayor parte del tempo
(an jenem Tag) en contar sus felicidades
y compararse a Tiberio Impdor.
3).
Compertum habemus, Ferdinandum esse autorem, ſagte
der Papſt im Conſiſtorium. Extrait du consistoire tenu par N.
S. Père
in einer Depeſche von Morvillier Venise 7 Sept. 1547.
Rib. II,
61.
4).
Gosselini p. 45. Nè l’imperatore nè D. Fernando, come
1).
Mendoça al Emp. Don Hernando procurara de asegurar
4).
di natura magnanimi consentirono mai alla morte del duca Pier
Luigi Farnese, anzi fecero ogni opera di salvarlo comandando
in specialità a congiurati che vivo il tenessero.
1).
su vida come mejor pudiere, hechando a parte dos o tres di
estos o por su mano o por mano de otros.
1).
Guise au roi 31 Oct. 1547. Ribier II, 75.
2).
Guise au roi 11 Nov. 1547. Rib. II, 84. Sire il semble
au pape à ce qu’il m’a dit qu’il doit commencer à vous faire dé-
claration de son amitié par vous présenter lui et sa maison: et
pour ce qu’ils n’auroient puissance de vous faire service ni
vous aider à offenser, si vous premièrement ne les aidez à de-
fendre, il lui a semblé devoir commencer par la ligue défensive
laquelle il dit estre la vraie porte de l’offensive.
Die ganze fol-
gende Correſpondenz gehoͤrt hierher.
1).
François de Rohan au roi 24 Février 1548. Ribier II,
117. S. S. m’a commandé de vous faire entendre et conseiller
de sa part, de regarder les moyens que vous pouvez tenir, pour
vous mettre en paix pour quelque tems avec les Anglais, afin
que n’estant en tant d’endroits empesché vous puissiez plus fa-
cilement exécuter vos desseins et entreprises pour le bien public
de la Chrestienté.
1).
„Hazer intender a V. M. como en el interim ay 7 o 8
heregias.“ Mendoça 10 Juni 1548.
In den Lettere del com-
mendatore Annibal Caro scritte al nome del Cl. Farnese,
die
ſonſt mit großer Zuruͤckhaltung verfaßt ſind, findet ſich I, 65. doch
ein Schreiben an den Cl. Sfondrato in Bezug auf das Inte-
rim, worin es heißt, „der Kaiſer habe einen Scandal in der
Chriſtenheit gegeben: er haͤtte wohl etwas Beſſeres vornehmen
koͤnnen.“
1).
Lettere del Cardinal Farnese scritte al Vescovo di Fano,
nuntio all’ imperatore Carlo: Informationi politiche XIX,
und
einige Inſtructionen des Papſtes und Farneſe’s ib. XII. enthuͤllen
dieſe Unterhandlungen, von denen ich nur die wichtigſten Momente
beruͤhren konnte.
1).
Der Cardinal Gambara machte Mendoza’n, bei einer ge-
heimen Zuſammenkunft in einer Kirche, dieſen Antrag. Er ſagte
wenigſtens, que havia scripto al Papa algo desto y no lo havia
tomado mal.
2).
Le connestable au roi 1 Sept. 1548 (Ribier II, 155).
1).
Auch Dandolo verſichert ſeinen beſtimmten Entſchluß. S. S.
era al tutto volta a restituir Parma alla chiesa.
2).
Le pape avec ses ministres vous ont jusque ici usé de toutes
dissimulations lesquels ils ont voulu couvrir de pur mensonge,
pour en former une vraie mechanceté puisqu’il faut que je l’ap-
pelle ainsi.
1).
Gosellini: Vita di Ferr. Gonzaga p. 65.
1).
Hippolyt Cardinal de Ferrare au roi 22 Oct. 1549. Ri-
bier. II, 248. „S. S. m’a asseuré, n’avoir en sa vie eu
chose, dont elle tant receu ennuy pour l’opinion qu’elle craint,
qu’on veuille prendre que cecy ait été de son consentement.
2).
Dandolo: Il Revmo. Farnese si risolse di non voler che
casa sua restasse priva di Roma e se ne messe alla forte — —
S. S. accortasi di questa contra operatione del Rmo. Farnese
me la comunicò il di de’ morti in gran parte con grandissima
amaritudine et il di dietro la mattina per tempo se ne andò
alla sua vigna di monte Cavallo, per cercar transtullo dove si
incolerò per tal causa con esso Revmo. Farnese — — Gli fu
trovato tutto l’interiore nettissimo d’ havera viver ancor quel-
che anno se non che nel core tre ghioccie di sangue aggia-
ciato,
(was nun wohl ein Irrthum iſt) giudicati dal moto della
colera.
1).
Dandolo Relatione 1551: Questo revmo. di Monte se ben
subito in consideratione di ogn’ uno, ma all’ incontro ogn’ uno
parlava tanto della sua colera e subitezza che ne passò mai che
di pochissima scommessa.
1).
Lettere del Nunzio Pighino 12, e. 15 Aug. 1550. Inff.
Polit. XIX
.
2).
Gosellini Vita di Ferr. Gonzaga, und die im 3ten Buche
enthaltene Rechtfertigung Gonzaga’s gegen die Beſchuldigung, daß er
den Krieg veranlaßt habe, ſetzen dieſe Wendung der Dinge authen-
tiſch auseinander.
1).
Lettere delli Signori Farnesiani per lo negotio di Par-
ma, — Informatt. Pol. XIX
. Obiges aus einem Schreiben Ot-
tavio’s an Card. Aleſſandro Farneſe, Parma 24. Maͤrz 1551.
1).
Julius Papa III. Manu propria. Instruttione per voi
Monsignor d’Imola, con l’imperatore. L’ultimo di Marzo. In-
formatt. Polit. XII
. Auch giebt er den Grund dieſer engen Ver-
einigung an: non per affetto alcuno humano, ma perchè vedemo
la causa nostra esse con S. Mà. Cesarea in tutti li affari e
massimamente in quello della religione
.
1).
Al C1. Crescentio 13 April 1552.
2).
Lettera del Papa a Mendoza. 26 Dec. 1551. (Inff. Pol.
XIX.)
„Ohne Stolz ſey es geſagt: Rath beduͤrfen wir nicht;
wir koͤnnen ſelbſt damit dienen: Huͤlfe beduͤrften wir wohl.“
3).
Al C1. Crescentio 16 Gen. 1552. Er ruft aus: „non
1).
Vasari. Boiſſard beſchreibt ihren damaligen Umfang: oc-
cupat fere omnes colles qui ab urbe ad pontem milvium pro-
tenduntur
— ihre Pracht, und theilt einige Inſchriften mit: z. B.
honeste voluptarier cunctis fas honestis esto: und beſonders:
3).
sarà vero, non comportaremo mai, prima lassaremo ruinare il
mondo.“
1).
„De hinc proximo in templo Deo ac divo Andreae gratias agunto
(ich verſtehe die Beſuchenden) vitamque et salutem Julio III.
Pontei. Maximo Balduino ejus fratri et eorum familiae universae
plurimam et aeternam precantor.
— Julius ſtarb 23. Maͤrz 1555.
1).
Seripando al Vescovo di Fiesole. Lettere di principi
III
, 162.
2).
Lettere di principi III, 141. Der Herausgeber ſelbſt hat
hier das Wort genommen.
3).
Petri Polidori de vita Marcelli II. commentarius 1744.
p.
119.
1).
Relatione di M. Bernardo Navagero (che fu poi Cardi-
nale), alla Serma. Repca. di Venetia tornando di Roma Am-
basciatore appresso del Pontefice Paolo IV.
1558. In vielen
1).
Man kann erachten, daß ſein Weſen nicht Jedermanns Bei-
fall hatte. Aretins Capitolo al re di Francia bezeichnet ihn:
Caraffa ippocrita infingardo
Che tien per coscienza spirituale
Quando si mette del pepe in sul cardo.
1).
italieniſchen Bibliotheken, auch in den Informationi politiche zu
Berlin. La complessione di questo pontefice è colerica ad-
usta; ha una incredibil gravità e grandezza in tutte le sue azioni
et veramente pare nato al signoreggiare.
1).
Relatione del Clmo. M. Aluise Mocenigo K. ritornato
dalla corte di Roma 1560. (Arch. Venez.) Fu eletto Pontefice
contra il parer e credere di ogn’ uno e forse anco di se stesso
come S. S. propria mi disse poco inanzi morisse, che non avea
mai compiaciuto ad alcuno e che se un cardinale gli avea do-
mandato qualche gratia gli avea sempre risposta alla riversa nè
mai compiaciutolo, onde disse: io non so, come mi habbiano
eletto Papa e concludo che Iddio faccia li pontefici.
2).
Bromato Vita di Paolo IV. lib. IX. §. 2. §. 17. (H,
224, 289.)
1).
Infelici quelle anime di Alfonso d’Aragona e Ludovico
1).
Memoriale dato a Annibale Rucellai Sept. 1555. (Infor-
matt. Pol. T. XXIV.) chiamava liberamenti la Mà. S. Cesarea
fautore di heretici e di scismatici.
1).
Duca di Milano, che furno li primi che guastarono cosi nobil
instrumento d’Italia
Bei Navagero.
1).
Instruttioni e lettere di Monsignor della Casa a nome
del C1. Caraffa, dove si contiene il principio della rottura della
guerra fra Papa Paolo IV. e l’imperatore Carlo V.
1555. Auch
in den Inf. Pol. 24.
1).
Navagero. Mai parlava di S. Mà. e della natione Spag-
nola, che non gli chiamasse eretici scismatici e maladetti da
dio, seme di Giudei e di Mori, feccia del mondo, deplorando la
miseria d’Italia che fosse astretta a servire gente cosi abjetta
e cosi vile.
Die Depeſchen der franzoͤſiſchen Geſandten ſind voll
von dieſen Ausfaͤllen. Z. B. von Lanſac und von Avançon bei Ri-
bier II
, 610—618.
2).
Sehr bezeichnend iſt die Darſtellung des anfaͤnglichen Unglau-
bens der Caraffas bei Navagero. Domandando io al pontefice et al
C1. Caraffa, se havevano avviso alcuno delle tregue
(von Vaucelles)
si guardorno l’un l’altro ridendo: quasi volessero dire, si come
mi disse anche apertamente il Pontefice che questa speranza di
tregue era assai debole in lui e nondimeno venne l’avviso il
giorno seguente, il quale si come consolò tutta Roma cosi diede
tanto travaglio e tanta molestia al papa et al cardinale che
non lo poterono dissimulare. Diceva il papa, che queste tregue
sarebbero la ruina del mondo.
1).
Rabutin Mémoires Collect. univers. Tom. 38, 358. Vor-
nehmlich Villars Mémoires Ib. Tom. 35, 277.
2).
Gussoni Relne. di Toscana.
1).
Babon b. Ribier II, 745. Villars p. 255.
2).
Bromato.
3).
Extractus Processus Cardinalis Caraffae. Similiter dux
Palliani deponit, quod donec se declaravit contra imperiales,
Papa eum nunquam vidit grato vultu et bono oculo.
1).
Bromato IX, 16. II, 286. Woͤrtlich: non esser quel
tempo da parlar di berette, ma di corone.
1).
Diario di Cola Calleine Romano del rione di Traste-
vere dall’ anno 1521 sino all’ anno 1562. Ms.
1).
Navagero: Fu riputata la piu esercitata gente la Todessa
(3500 fanti) e piu atta alla guerra, ma era in tutto Luterana.
1).
Seine Geſtaͤndniſſe bei Bromato Vita di Paolo IV, T. II,
p.
369. Uebrigens hat Bromato auch uͤber den Krieg gute Nach-
richten. Er nahm ſie, was er auch nicht verſchweigt, oft Wort
fuͤr Wort aus einem weitlaͤufigen Ms. von Nores, das dieſen Krieg
zum Gegenſtande hat, und in italieniſchen Bibliotheken haͤufig vor-
kommt.
1).
Giannone Istoria di Napoli lib. XXXIII, c. 1. Nicht
allein Goſſelini, auch Mambrino Roſeo delle historie del mondo
lib. VII.,
der dieſen Krieg ausfuͤhrlich und nach guten Nachrichten
erzaͤhlt, und Andere ſchreiben dem Ferrante Gonzaga einen großen
Antheil an den geſchickten Maaßregeln zu, die Alba ergriff.
1).
Die einzelnen Umſtaͤnde dieſes kleinen Treffens ſchoͤpfe ich
aus Cabrera Don Folipe Segundo lib. III, p. 139.
2).
Monluc. Mémoires p. 116.
1).
Le roy à Mons. de Guise bei Ribier II, p. 750.
2).
Lettera del Da. di Palliano al Cl. Caraffa. Inff. Politt.
XXII.
1).
Ueber Palliano ward eine geheime Convention zwiſchen Alba
und Cardinal Caraffa geſchloſſen: geheim nicht allein fuͤr das Publi-
kum, ſondern fuͤr den Papſt ſelbſt. (Bromato II, 385.)
1).
L’évesque d’Angoulême au roy 11 Juin 1558. Ribier II,
745. Der Papſt habe geſagt, que vous Sire n’estiez pas pour
dégénérer de vos prédécesseurs qui avoient toujours été conser-
vateurs et défenseurs de ce saint siège, comme au contraire, que
le roy Philippe tenoit de race de le vouloir ruiner et confondre
entièrement
.
1).
Bei Pallavicini, vornehmlich aber bei Bromato findet man
hieruͤber genuͤgende Mittheilungen. In unſeren Berliner Informationi
befindet ſich noch Bd. VIII. ein Diario d’alcune attioni piu nota-
bili nel pontificato di Paolo IV. l’anno 1558 sino alla sua
morte,
— (vom 10. Sept. 1558 an) das keinem von beiden bekannt
war, aus eigener Anſchauung gefloſſen iſt, und mir noch neue No-
tizen gewaͤhrt hat.
1).
Caracciolo Vita di Paolo IV. Ms. erwaͤhnt ſie beſonders.
Der Papſt ſagte: che simili offici d’amministratione e di giu-
stitia conveniva che si dassero a persone che li facessero, e
non venderli a chi avesse occasion di volerne cavare il suo
danaro.
1).
Bromato II, 483.
2).
Mocenigo Relatione di 1560. Nelli officii divini poi e
nelle cerimonie procedeva questo pontefice con tanta gravità e
devotione che veramente pareva degnissimo vicario di Gesu
Christo. Nelle cose poi della religione si prendeva tanto pensiero
et usava tanta diligentia che maggior non si poteva desiderare.
3).
Mocenigo. Papa Paolo IV. andava continuamente facendo
qualche nova determinatione e riforma e sempre diceva prepa-
rare altre, acciò che restasse manco occasione e menor necessità
di far concilio.
1).
Mocenigo. Viddi il popolo correr in furia verso la casa
di Ripetta deputata per le cose dell’ inquisitione, metter a
sacco tutta la robba, ch’era dentro, si di vittualie come d’altra
robba che la maggior parte era del Rmo. Cl. Alessandrino som-
mo inquisitore, trattar male con bastonate e ferite tutti i mi-
nistri dell’ inquisitione, levar le scritture gettandole a refuso per
la strada e finalmente poner foco in quella casa. I frati di S.
Domenico erano in tant’ odio a quel popolo che in ogni modo
volevan abbruciar il monastero della Minerva.
Er giebt dann an,
daß der Adel dabei am meiſten Schuld geweſen. Uebrigens hatten
in Perugia aͤhnliche Tumulte Statt.
1).
Lettere di Mr. Henrico Nov. 1553. In einem Ms., be-
titelt Lettere e negotiati di Polo, welches noch manchen Moment
fuͤr dieſe Geſchichte enthaͤlt. Ueber die Verhandlung Pallavicini
XIII, 9,
411.
1).
Er trug kein Bedenken, die bisherigen Beſitzer anzuerken-
nen. Litterae dispensatoriae Clis. Poli. Concilia M. Britanniae
IV,
112.
2).
Er lebte und webte damals in dieſen Ideen. Er publicirte
ſeine Bulle Rescissio alienationum (Bullarium IV, 4, 319), in der
er alle Veraͤußerungen der alten Kirchenguͤter uͤberhaupt aufhob.
1).
Auch Goodwin Annales Angliae etc. p. 456.
2).
Noch Nares: Memoirs of Burgley II, p. 43 findet ihre
religioͤſen Grundſaͤtze „at first liable to some doubts.“
1).
Eigenthuͤmliche Nachricht des Thuanus.
2).
In Forbes Transactions findet ſich p. 402 eine respon-
sio ad Petitiones D. Glasion et episc. Aquilani,
von Cecill, wel-
cher alle dieſe Motive aufs lebhafteſte hervorhebt.
1).
Neal: History of the Puritans I, 126. The court took
such mesures, about elections, as seldom fail of success.
2).
Camden: Rerum Anglicarum Annales p. 37.
1).
Nicius Erythraͤus erzaͤhlt dieſe Anekdote in dem Artikel
uͤber Antoniano Pinacotheca p. 37. Auch Mazzuchelli wieder-
holt ſie. — Die Wahl 26. Dez. 1559.
2).
Hieronymo Soranzo Relatione di Roma. Bernardino
patre della B. S. Fu stimata persona di somma bontà e di gran
industria ancora che fusse nato in povero e basso stato: non-
1).
Ripamonte Historiae urbis Mediolani. Natalis Comes
Hist.
2).
dimeno venuto habitar a Milano si diede a pigliar datii in
affitto.
1).
Soranzo. Nato 1499, si dottorò 1525 vivendo in studio
cosi strettamente che il Pasqua suo medico che stava con lui a
dozena l’accommodò un gran tempo del suo servitore e di qual-
che altra cosa necessaria. Del 1527 comprò un protonotariato
Servendo il Cl. Farnese
(Ripamonte gedenkt ſeines guten Verhaͤlt-
niſſes zu Paul III. ſelbſt) colla piu assidua diligenza s’andò met-
tendo inanzi; ebbe diversi impieghi dove acquistò nome di per-
sona integra e giusta e di natura officiosa.
Die Heurath des
Marcheſe erfolgte con promessa, di far lui cardinale.
1).
Ragguagli dell’ Ambasciatore Veneto da Roma 1561.
Von Me. Anton Amulio (Mula) Inf. Politt. XXXVII.
1).
Soranzo. Se bene si conobbe, non esser di sua satisfa-
tione il modo che tengono gl’ inquisitori di procedere per l’or-
dinario con tanto rigore contra gli inquisiti, e che si lascia in-
tendere che piu li piaceria che usassero termini da cortese gen-
tiluomo che da frate severo, non dimeno non ardisce o non
vuole mai opponersi ai giuditii loro.
2).
Bei Bromato findet ſich hauptſaͤchlich aus Nores ausfuͤhr-
liche Notiz von dieſen Vorfaͤllen. In den Informatt. finden wir
noch die Briefe des Mula z. B. 19. Juli 1560. den Extractus pro-
cessus cardinalis Caraffae,
und el sucesso de la muerte de los
Carrafas con la declaracion y el modo, que murieron. La morte
del Cl. Caraffa
(Bibl. zu Ven. VI, nr. 39) iſt das Ms., das Bro-
mato noch außer dem Nores vor ſich hatte.
1).
Es ſind die Noctes vaticanae, deren Glussianus erwaͤhnt:
Vita Caroli Borromei I, IV, 22.
1).
Mula: 14 Febr. 1561. — — Pius bat ihn zu berichten:
„che havemo animo di stare in pace e che non sapemo niente
di questi pensieri del duca di Savoia e ci meravigliamo che vada
cercando queste cose; non è tempo da fare l’impresa di Ginevra
nè da far generali. Scrivete che siamo constanti in questa opi-
nione di star in pace.“
1).
So ſah Ferdinand I. die Sache an. Litterae ad legatos
12 Aug.
1562 bei Le Plat Monum. ad hist. conc. Tridentini V.
p. 452. Quid enim attinet — disquirere de his dogmatibus, de
quibus apud omnes non solum principes, verum etiam privatos
homines catholicos nulla nunc penitus existit disceptatio
?
1).
Der Hauptgrund der Recuſationsſchrift der Proteſtanten:
Causae cur electores principes aliique Augustanae confessioni ad-
juncti status recusent adire concilium. Le Plat IV. p.
57. Sie
bemerken gleich in der erſten Ankuͤndigung die bedenklichen Worte:
„omni suspensione sublata.“ Sie erinnern an die Verdammung,
die ihre Grundſaͤtze fruͤherhin erfahren haben, und fuͤhren weitlaͤuf-
tig aus, „quae mala sub ea confirmatione lateant.“
1).
Pallavicini uͤbergeht dieſe Poſtulate XVII, 1, 6. beinahe
ganz. Sie ſind ihm unbequem. Auch ſind ſie in der That in ih-
rer eigentlichen Geſtalt niemals bekannt geworden. In drei Auszuͤ-
gen liegen ſie vor uns. Der erſte findet ſich bei P. Sarpi lib. VI,
p.
325 und ganz eben ſo, jedoch lateiniſch, bei Rainaldi und Goldaſt.
Der zweite iſt bei Bartholomaͤus de Martyribus, und etwas ausfuͤhr-
licher. Den dritten hat Schelhorn aus den Papieren des Staphy-
lus entnommen. Sie ſtimmen nicht ſehr gut zuſammen. In Wien
ſollte ich glauben, muͤßte ſich das Original davon finden; es waͤre
immer ein merkwuͤrdiges Actenſtuͤck. Ich habe mich an den Schel-
hornſchen Auszug gehalten. Le Plat hat ſie ſaͤmmtlich, ſo wie die
Antwort.
2).
Mémoire baillé à Mr. le Cl. de Lorraine, quand il est
parti pour aller au concil. Le Plat IV,
562.
1).
Pallavicini XV, V, 5. Paleotto Acta: „Alii praelati
ingeminabant clamantes: exeat exeat; et alii Anathema sit, ad
quos Granatensis conversus respondit: Anathema vos estis.“
Mendham Memoirs of the council of Trent p.
251.
2).
Lettera del Cle. di Mantua Legato al concilio di Trento
scritta al Papa Pio IV. li 15 Gen. 1563. Quando si havesse
da dissolversi questo concilio — per causa d’altri e non nostra
— mi piaceria più che Vra. Beatitudine fusse restata a Roma.
1).
Li Cardinali di maggior autorità deploravano con tutti
a tutte l’ore la loro miseria la quale stimano tanto maggiore
che vedono e conoscono assai chiaro, non esservi rimedio al-
cuno se non quello che piacesse dare al Sr. Dio con la sua
santissima mano! — Certo non si può se non temere,
ſetzt So-
ranzo ſelbſt hinzu, Sermo. Principe che la povera Italia afflitta
per altre cause habbi ancor a sentire afflittione per questo par-
ticolamente: lo vedono e lo conoscono tutti i savj.
1).
Hieher gehoͤrt auch Relatione in scr. fatta dal Comen-
done ai Sri. legati del concilio sopra le cose ritratte dall’ impre.
19 Febr. 1563. Pare che pensino trovar modo e forma di ha-
ver piu parte et autorità nel presente concilio per stabilire in
esso tutte le loro petitioni giuntamente con li Francesi.
2).
Das wichtigſte Stuͤck, das mir uͤber die Trienter Verhand-
lungen vorgekommen, iſt die Relation von Morone uͤber ſeine Lega-
tion: nur kurz aber buͤndig. Weder Sarpi noch auch Pallavicini
haben Notiz von derſelben. Relatione sommaria del Cl. Morone
sopra la legatione sua. Bib. Altieri
in Rom. VII, F. 3.
1).
Fu necessario trovare temperamento tale, che paresse
all’ imperatore, di essere in alcun modo satisfatto et insieme
non si pregiudicasse all’ autorità del papa ne de’ legati, ma re-
stasse il concilio nel suo possesso.
1).
Summarium eorum, quae dicuntur acta inter Caeseam.
Majem. et illustrissimum Clem. Moronum
in den Acten des Torel-
lus — auch bei Salig: Geſch. des tridentin. Conciliums III, A.
292
— druͤckt dieß folgendergeſtalt aus: Maj. S. sibi reservavit
vel per medium dictorum legatorum, vel si ipsi in hoc grava-
rentur per se ipsum vel per ministros suos proponi curare:

ich bekenne, daß ich daraus nicht leicht auf eine Verhandlung ge-
ſchloſſen haben wuͤrde, wie ſie Morone mittheilt: obwohl ſie darin
liegt.
1).
Paolo Tiepolo Dispaccio di Spagna 4 Dec. 1562.
1).
Instruttione data a Mons. Carlo Visconti mandato da
Pp. Pio IV. al re catt. per le cose del concilio di Trento (ul-
timo Ottobre 1563). Bibl. Barb. 3007.
2).
„Il beneficio universale.“ Lettera di Papa Pio 20 Ot-
tobre 1563.
3).
Das Leben von Ayala bei Villanueva, in dem, wie ich
finde, hiervon Meldung geſchehen muß, ſah ich noch nicht. In-
deſſen iſt die Verſicherung Morone’s auch ſchon ganz genuͤgend.
„I prelati,“ ſagt er, „accarezzati e stimati e lodati, e gratiati
si fecero piu trattabili.“
1).
Scrittura nelle lettere e memorie del Nuncio Visconti
II, 174.
2).
„Ejus verba in utramque partem pie satis posse exponi.“
Paleotto bei Mendham: Memoirs of the council of Trent p. 262.
3).
Pallavicini 23, 6, 5.
1).
Die beſten Notizen hieruͤber finden ſich, wo man es nicht
ſuchen ſollte, in Baini Vita di Palestrina I, 199; aus authentiſchen
Briefſchaften. Auch das Diarium des Servantio, das bei Mend-
ham benutzt iſt (p. 304) beruͤhrt die Sache.
1).
Aus Sarpi VIII, 816. wird man uͤber dieſe Sache doch
1).
Daß eine ſtrenge Reform der Curie, der Cardinaͤle, des
Conclave’s nicht zu Stande kam, haͤngt genau mit der Unterlaſſung
der Reformation der Fuͤrſten zuſammen. Auszuͤge aus dem Brief-
wechſel der Legaten bei Pallavicini 23, 7, 4.
1).
noch nicht klar. Sehr erwuͤnſcht iſt die authentiſche Erlaͤute-
rung Morone’s. L’articolo delle cause e dell’ essenzioni de ca-
nonici fu vinto seeondo la domanda degli oltramontani; poi fa-
cendosi contra l’uso che li padri tutti dessero voti in iscritto,
furono mutate molte sententie e fu vinto il contrario. Si venne
al fin alla concordia che si vede nei decreti e fu mezzano Lo-
rena che gia era tornato da Roma tutto additto al servitio di S.
Beatne. et alle fine del concilio.
1).
Pallavicini 24, 8, 5.
2).
Sessio XXV, c. 21.
1).
Paolo Tiepolo. Doppo che questo (il concilio) hebbe
fine, liberato da una grande sollecitudine fattosi fermo e ga-
gliardo nell’ autorità sua, incominciò più liberamente ad operare
conforme alla sua inclinatione e pensieri, onde facilmente si co-
nobbe in lui animo piu tosto da principe, che attendesse solamente
al fatto suo che di pontefice, che avesse rispetto al beneficio
e salute degli altri.
Bei Panvinius wird das Nemliche bemerkt.
1).
Ich entnehme dieſe Notizen, die ich ſonſt nirgend fand, aus
einem Ms. der Bibliothek Corſini zu Rom Nr. 674, unter dem
Titel: Antonio Canossa: Questo è il sommario della mia depo-
sitione per la qual causa io moro, quale si degnerà V. S. man-
dare alli miei Sri. Padre e Madre.
— Pius ſtarb 9. Dez. 1565.
1).
Clis Borromeus Henrico Cli. Infanti Portugalliae Romae
d. 26 Febr. 1566. Glussiani Vita Cli. Borromei p.
62. Vgl.
Ripamonti Historia urbis Mediolani lib. XII, p. 814.
2).
Ich finde dieß in einem Dispaccio di Soranzo Ambre. in
Spagna: non essendo conosciute le qualità di S. Sà. di questo
Sermo. re, mentre era in Cardinalato, il detto Commendator
(Luigi Requesens Comm. maggior) sempre lo laudò molto, pre-
dicando questo soggetto esser degno del pontificato, con il che
S. M. si mosse a dargli ordine che con ogni suo potere li desse
favore.
Hiermit faͤllt das Geſchichtchen, das Oltrocchi in den An-
merkungen zu dem Giuſſano p. 219 erzaͤhlt, von ſelbſt. Die Wahl
8. Jan. 1566.
1).
Paolo Tiepolo Relazione di Roma in tempo di Pio IV
et V: In Bergamo li fu levato per forza dalle prigioni del mo-
nastero di S. Domenico dove allora si solevano mettere i rei, un
principale heretico, nominato Giorgio Mondaga
(noch ein Name
fuͤr das Verzeichniß der italieniſchen Proteſtanten) con gran pen-
colo suo e de’ frati. Nella medesima città poi travagliò assai
per formare il processo contra il vescovo allora di Bergamo.
1).
Catena, Vita di Pio V., aus dem wir hier die meiſten
Notizen entnommen, hat auch dieſe. Pius V. erzaͤhlte es den ve-
nezianiſchen Botſchaftern ſelbſt, wie dieſe — Mich. Suriano, Paul
Tiepolo 2. Oct. 1568 — berichten.
1).
Catena. Tiepolo: Nè mai ha lasciato la camisia di
rassa, che come frate incominciò di portare. Fa le orationi di-
votissimamente et alcune volte colle lacrime.
1).
Informationi di Pio V. (Bibl. Ambrosiana zu Mailand
F. D. 181.) La Sà. S. naturalmente è gioviale e piacevole, se
ben per accidente pare di altra dispositione, e di qui viene che
volontieri onestamente ragiona con Mr. Cirillo suo Mro. di casa,
il quale con le sue piacevolezze essendo huomo destro et ac-
corto diletta S. Beatne. e sempre profitta a se stesso et altri.
1).
Informatione di Pio V. (Bibl. Ambrosiana). È pin dif-
ficultoso di lasciar la cattiva impressione, che la buona e mas-
simamente di quelle persone che non ha in pratica.
2).
Supra gregem dominicum Bull. IV, II, p. 281.
1).
In den Informationi Politiche XII. findet ſich z. E. eine
epistola a N. S. Pio V. nella quale si esorta S. S. tolerare
gli Ebrei et le corteggiane,
von einem gewiſſen Bertano, die dar-
auf hinauslaͤuft. Die Caporionen baten den Papſt wenigſtens um
die letzte Toleranz. Der Papſt antwortete, er wolle lieber Rom ver-
laſſen, als durch die Finger ſehen.
1).
Prohibitio alienandi et infeudandi civitates et loca S. R.
E. Admonet nos. 1567. 29 Mart.
1).
Cum alias 1566. 10 Junii. Bull. IV, II, 303.
2).
Cupientes 1568. 8 Julii. Ib. IV, III, 24.
3).
Romani 1571. 6 Aug. Ib. IV, III, 177.
4).
Tiepolo: Spesse volte nel dar rimedio a qualche disor-
dine incorre in un’ altro maggiore, procedendo massimamente
per via degli estremi.
5).
IV, III, 284.
6).
Informatione delle qualità di Pio V. e delle cose, che
da quelle dopendono.
(Bibl. zu Berlin) „Nel conferire le gratie non
6).
si cura delle circonstanze secondo che alle volte sarebbe neces-
sario per qualsivoglia rispetto considerabile nè a requisition
d’alcuno la giustitia si ha punto alterata ancora che sia senza
dar scandalo e con esempio d’altri pontefici potesse fare.“
So-
riano findet, er erweiſe keine Gnade, ohne Ermahnung: il che mi
parse proprio il stilo de’ confessori che fanno una gran ripren-
sione al penitente, quando sono per assolverlo.
1).
1567. Cantini Vita di Cosimo p. 458.
1).
Petri Francisci Zini, boni pastoris exemplum, ac speci-
men singulare ex Jo. Matthaco Giberto episcopo expressum at-
que propositum.
Geſchrieben 1556, und urſpruͤnglich fuͤr England
beſtimmt. Opera Giberti p. 252.
1).
Glussianus de vita et rebus gestis S. Caroli Borromaei
Mediol. p.
112. iſt uͤber den „ritus visitationis“ und alle dieſe
Dinge ſehr ausfuͤhrlich.
1).
Ripamonte: Historia urbis Mediolani bei Graevius II, I,
p.
864. Uebrigens hat Ripamonte den ganzen zweiten Theil ſeiner
Geſchichte lib. XI—XVII dem Carl Borromeo geweiht.
2).
Sie hatten zuſammen 94 Haͤuſer, von denen jedes 100
Menſchen haͤtte ernaͤhren koͤnnen, doch waren die Mitglieder ſo we-
nig zahlreich, daß nur ihrer zwei auf ein Haus kamen. Der Or-
den ward aufgehoben und ſeine Reichthuͤmer kamen alsdann den
Stiftungen Borromeo’s, auch den Jeſuiten zu gute.
1).
Ripamonte 857. Er nennt die erſten Stifter Beccaria
Ferraria, und Morigia: Giuſſano hat p. 442 die gewoͤhnlichen
Namen.
1).
Llorente hat dieſem Ereigniß drei lange Capitel ſeiner Ge-
1).
M’Crie: History of the progress and suppression of
the reformation in Spain. p.
336.
1).
ſchichte der Inquiſiton gewidmet. Histoire de l’inquisition III,
183—315.
1).
Remotis iis quae aliena et incerta essent. — Quoniam
nobis 9 Julii
1568.
2).
Collatis omnibus cum vetustissimis nostrae Vaticanae
bibliothecae aliisque undique conquisitis emendatis atque incor-
ruptis codicibus.
1).
Soriano. Havuta la risolutione — andai subito alla an-
dienza, benchè era di notte e l’hora incommoda et S. Sà. tra-
vagliata per li accidenti seguiti quel giorno per la coronatione
del Da. di Fiorenza ed il protesto dell Ambasciatore Cesareo

(dagegen) e communicato la commissione che haveva S. Sà. si
allegrò tutta.
1).
Catena Vita Pio V. p. 85. Pio si dolse del Conte che
non havesse il comandamento di lui osservato d’ammazzar subito
qualunque heretico gli fosse venuto alle mani.
2).
Er ſtarb 1. Mai 1572.
1).
Informatione dell’ infermità di Pio V. Havendo in sua
stanza in una cassettina 13m. sc. per donare e fare elemosine
di sua mano, due giorni avanti sua morte fece chiamare il de-
positario della camera e levarli, dicendo, che sarieno boni per
la lega.
1).
Badoer: Relatione 1591. Die Freundſchaft von Romagna
gruͤnde ſich auf die Einſicht: quanto importa la vicinità di questa
città, per ben vendere per l’ordinario le loro biade, vini, frutti,
guadi et altre cose, riportandone all’ incontro boni danari.
2).
Jurisdictio consulum artis agriculturae urbis — 9 Sept.
1566. — Bullar. Cocquel. IV, II, 314.
3).
Giovanni Gritti: Relatione 1589. La Romagna e la
Marca sola si mette che alcune volte abbia mandato fuori 60m.
rubbia di grano e piu di 30m. di menudi. Il paese di Roma e
lo stato di là dell’ Alpi quasi ogni anno somministra il viver al
paese di Genova et altri luoghi circonvicini onde dell’ uscita di
grani e di biade dello stato ecclesiastico si tien per cosa certa
che ogn’ anno entri in esso valsente di 500m. sc. almeno: nè
all’ incontro ha bisogno di cose di fuori se non di poco mo-
mento et in poca stima che sono specierie e cose da vestirsi di
nobili e persone principali.
1).
Voyage de Montaigne II, 488.
2).
Saracini notizie istoriche della città d’Ancona. Rom. 1675.
p. 362.
1).
Landi: Quaestiones Forcianae, Neapoli 1536 ein Buch
voll guter und beſonderer Notizen uͤber den damaligen Zuſtand von
Italien.
2).
Soriano 1570: „Quanto a Soldati, è commune opinione,
che nello stato della chiese siano i migliori di tutto il resto
d’Italia, anzi d’Europa.“
1).
Lorenzo Priuli: Relatione 1586. Lo stato pieno di vi-
veri per darne anco a popoli vicini, pieno di huomini bellicosi:

— er nennt die Genga, Carpagna, Malateſta — Pareno tutti
questi popoli nati et allevati nella militia. E molto presto si
metteria insieme molto buona gente toccando il tamburo.
2).
Feliciano Bussi: Istoria di Viterbo p. 59.
1).
Amiani: Memorie istoriche della città di Fano. T. II,
p. 4.
2).
Siena: Storia di Sinigaglia. App. nr. VI.
3).
Suriano: Relatione di Fiorenza. 1533.
1).
Rainaldus gedenkt deſſen, aber ſehr kurz. Ueber Ravenna
Hieronymi Rubei Historiarum Ravennatum lib. VIII, p. 660.
1).
Historie di Faenza, fatica di Giulio Cesare Tonduzzi
Faenza 1675
enthalten die mit den Venezianern 1501 abgeſchloſſenen
Capitel p. 569, die von Julius II. 1510 zugeſtandenen p. 587.
2).
Welche Mittel ſie brauchte deutet Paul III. an, wenn er
ſagt (1547) „ceux qui viennent nouvellement au papat viennent
pauvres, obligés de promesses, et la dépense, qu’ils font, pour
s’asseurer dans les terres de l’église monte plus que le profit
des premières années. Le Cl. de Guise au roy de France
bei
Ribier II. 77.
1).
Relatione della Romagna (Bibl. Alt.): Li nobili hanno
seguito di molte persone delle quali alcune volte si vagliono ne
consegli per consequire qualche carica o per se o per altri, per
potere vincere o per impedire all’ altri qualche richiesta; ne
giuditii per provare et alcune volte per testificare nelle inimi-
citie per fare vendette ingiurie: alcuni ancora a Ravenna Imola
e Faenza usavano de contrabandare grano.
1).
Relatione di Monsre. Revmo. Gio. P. Ghisilieri al P. Gre-
gorio XIII. tornando egli dal Presidentato di Romagna.
Aus
Tonduzzi (Storia di Faenza p. 673) ſehen wir, daß Ghiſilieri
1578 in die Provinz kam.
1).
Relatione della Romagna: essendosi aggiustati gli uni
all’ humore degli altri.
1).
Die Bauern hatten oft die Herrſchaft der Staͤdte ſo eben
abgeſchuͤttelt. Ghisilieri: Scossi da quel giogo e recati quasi
corpo diverso da quella città
(z. B. Forli, Ceſena) si governano
con certe loro leggi separate sotto il governo d’un protettore
eletto da loro medesimi li quali hanno amplma. antorità di far
le resolutioni necessarie per li casi occorrenti alli contadini.
1).
Ghiſilieri. Siccome il popolo disunito facilmente si
domina, cosi difficilmente se regge, quande è troppo unito.
2).
Sie iſt wie die Hermandad. Amiani: Memorie di Fano
II, 146.
hat ihre Formel, die ſich auf den Spruch gruͤndet: Beati
Pacifici, quia filii dei vocabuntur.
Daher mag ihr Name in
andern Staͤdten ſtammen.
1).
Nach der Relatione della Romagna nannten ſie ſich auch
von ihrem Wohnſitz huomini da Schieto: — huomini, ſagt die-
ſelbe, che si fanno molto riguardare: sono Guelfi: la corte di
Romagna si è valuta dell’ opera loro molto utilmente massime
in havere in mano banditi et in ovviare alle frandi, che si fanno
in estrarre bestiami dalle montagne.
1).
Marino Zorzi Relne. di 1517. Le terre di Romagna è
in gran combustione e desordine: li vien fatta poca justitia; e
lui orator a visto tal x man di oratori al Cl. di Medici, che
negotia le facende lamentandosi di mali portamenti fanno quelli
rettori loro.
1).
Tonduzzi: Historie di Faenza p. 609.
2).
Baldassini: memorie istoriche dell’ antichissima città di
Jesi. Jesi 1744. p.
256.
1).
Saracinelli: Notizie istoriche della città d’Ancona. Roma
1675. II, XI, p.
335.
1).
Mariotti: Memorie istoriche civili ed ecclesiastiche della
città di Perngia e suo contado Perugia
1806. erzaͤhlt dieſe Er-
1).
eigniſſe I. p. 113—160 urkundlich und ausfuͤhrlich. Auch ſpaͤter ge-
denkt er ihrer z. B. Tom. III, p. 634.
1).
Vogt: Stimmen aus Rom uͤber den paͤpſtlichen Hof im
funfzehnten Jahrhundert in dem Hiſtoriſchen Taſchenbuch von Fr.
v. Raumer 1833 hat eine Menge Notizen hieruͤber. Wer das
Buch: Schleſien vor und ſeit dem Jahre 1740 zur Hand hat, fin-
det darin II, 483, eine nicht uͤble Satire auf dieß Unweſen des Ge-
ſchenkgebens aus dem 15ten Jahrh.: Passio domini papae secun-
dum marcam auri et argenti.
1).
Gli ufficii piu antichi. Ms. Bibliotheca Chigi N. II. 50.
Es ſind 651 Aemter und 98340 Sc. fin alla creatione di Sisto IV.
So wenig iſt es wahr, was Onuphrius Panvinius ſagt, daß Six-
tus IV. ſie zuerſt verkauft habe. p. 348.
1).
Es waren auch Stradioten und Mameluken, die aber ſpaͤ-
ter abgeſchafft wurden, dabei. „Adstipulatores, sine quibus nul-
lae possent confici tabulae;“ Onuphrius Panvinius.
Nach dem
Regiſter ufficii antichi wuͤrde dieſe Creation nur 40000 Duc. ein-
getragen haben.
1).
Sommario di la relation di M. Minio 1520: „non a
contanti perche è liberal, non sa tenir danari: poi li Fiorentini
(che) si fanno e sono soi parenti, non li lassa mai aver un
soldo; e diti Fiorentini è in gran odio in corte perchè in ogn’
e cosa è Fiorentini.
2).
Die 612 portionarii di ripa — aggiunti al collegio dei
presidenti
— zahlten 286200 und erhielten jaͤhrlich 38816 Ducaten;
die 400 cavalieri di S. Pietro zahlten 400000, und empfingen da-
fuͤr des Jahrs 50610 Duc.
1).
Vianesius Albergatus: Commentarii rerum sui temporis
(eben nichts als jene Beſchreibung des Conclaves): opulentissimi
populi et ditissimae urbes, quae si alterius ditionis essent, suis
vectigalibus vel magnos exercitus alere possent, Romano pontifici
vix tantum tributum pendunt, quantum in praetorum magistra-
tuumque expensam sufficere queat.
In der Relation von Zorzi
1517 wird nach einer Angabe des Franz Armellin das Einkommen
von Perugia, Spoleto, Mark und Romagna zuſammen auf 120000
Duc. berechnet. Davon kam die Haͤlfte in die paͤpſtliche Kammer.
Di quel somma la mità è per terra per pagar i legati et altri
offici e altra mità a il papa.
Leider ſind in der Abſchrift der Re-
lation bei Sanuto nicht wenige Fehler.
1).
Hieronymo Negro a Mc. Antonio Micheli. 7 April 1523
Lettere di principi I. p.
114.
2).
Foscari Relatione 1526. E qualche murmuration in Roma
etiam per causa del cardinal Armellin, qual truova nuove in-
vention, per truovar danari in Roma e fa metter nove angarie,
e fino chi porta tordi a Roma et altre cose di manzar paga
tanto: la qual angaria importa da duc.
2500.
1).
Bull. In dem J. 1537 erklaͤrt er dem franzoͤſiſchen Ge-
ſandten „la débilité du revenu de l’église (wobei der Staat)
dont elle n’avoit point maintenant 40m. écus de rente par an,
de quoi elle puisse faire état.
Bei Ribier I, 69.
2).
Bulle: Decens esse censemus 5 Sept. 1543. Bull. Cocq.
IV, I,
225.
1).
Bulle Pauls VII. Cupientes indemnitati; 15 April 1559.
Bullar. Cocq. IV, I, 358. Exactio, causantibus diversis exceptio-
nibus libertatibus et immunitatibus a solutione ipsius subsidii
diversis communitatibus et universitatibus et particularibus per-
sonis nec non civitatibus terris oppidis et locis nostri status ec-
clesiastici concessis et factis diversarum portionum ejusdem sub-
sidii donationibus seu remissionibus vix ad dimidium summae
trecentorum millium scutorum hujusmodi ascendit.
1).
Instruttione per voi Monsignore d’Imola: ultimo di Marzo
1551. Informationi politiche Tom. XII.
2).
Il. Papa a Giovamb. di Monte 2 April 1552.
1).
So ſtanden um 1580 viele luoghi di monte ſtatt 100 auf
1).
Lista degli ufficii della corte Romana 1560. Bibl. Chigi
N. II,
50. Viele andere einzelne Verzeichniſſe von verſchiedenen
Jahren.
2).
Tiepolo rechnet, daß außerdem 100000 Sc. fuͤr Beſoldungen,
270000 fuͤr Caſtelle und Nuntiaturen aufgehe, ſo daß der Papſt noch
immer 200000 frei habe. Er rechnet nach, daß die Paͤpſte unter
1).
130; die Zinſen der Vacabili wurden von 14 auf 9 herabgeſetzt,
was im Ganzen eine gewaltige Erſparniß ausmachte.
1).
Z. B. Entrata della reverenda camera apostolica sotto
il pontificato di N. S. Gregorio XIII. fatta nell’ anno 1576 Mss.
Gothana nr.
219.
2).
dem Vorwand der Beduͤrfniſſe zu dem tuͤrkiſchen Krieg 1,800,000
Sc. eingenommen und doch dazu nur 340000 aufgewendet hatten.
1).
Nach Mocenigo 1560 ertrug die Dataria fruͤher monatlich
zwiſchen 10000 und 14000 Duc. Unter Paul IV. kam ſie bis auf
3000 bis 4000 Duc. herab.
2).
Paolo Tiepolo: Relatione di Roma in tempo di Pio IV.
e Pio V.
ſagt ſchon: L’impositione allo stato ecclesiastico è gra-
vezza quasi insopportabile per essere per diversi altri conti
molto aggravato; — — d’alienare più entrate della chiesa, non
vi è piu ordine: perche quasi tutte l’entrate certe si trovano gia
alienate, e sopra l’incerto non si trovaria chi desse danari.
1).
Tiepolo. Ibid. Qualche governo o legatione rispondeva
sino a tre, quatro o forse sette mila e piu scudi l’anno. E quasi
tutti allegramente ricevendo il denaro si scaricavano del peso
del governo col mettere un dottore in luogo loro.
1).
Man erwartete, er werde anders regieren als ſeine Vorgaͤn-
ger: mitiori quadam hominumque captui accommodatiori ratione.
Commentarii de rebus Gregorii XIII. (Ms. Bibl. Alb.).
1).
Relatione della corte di Roma a tempo di Gregorio XIII.
(Bibl. Corsini 714) 20 Febr.
1574 iſt hieruͤber ſehr unterrichtend.
Von der Geſinnung des Papſtes ſagt der Autor: non è stato scru-
puloso nè dissoluto mai e le son dispiaciute le cose mal fatte.
2).
Sie hatte dabei die Schwierigkeit, ſeine Herkunft zu be-
zeichnen. Man hat es als einen Beweis venezianiſcher Geſchicklich-
keit geruͤhmt, daß man ihn Sgr. Giacomo Boncompagno, enge ver-
bunden mit Sr. Heiligkeit, nannte. Es iſt das eigentlich eine Aus-
kunft des Cardinal Como. Als von der Sache die Rede war,
1).
Antonio Tiepolo Dispacci Agosto Sett. 1576. — Im Jahr
1583 (29. Maͤrz) heißt es in einer dieſer Depeſchen: „il Sr. Gia-
come non si lascia intromettere in cose di stato.“
2).
Nur von dieſen letzten Zeiten gilt die Meinung von ihm,
die ſich ſehr feſtgeſetzt hat, die ich z. B. auch in den Memoiren von
Richelieu finde: prince doux et bénin fut meilleur homme que
bon pape.
Man wird ſehen wie in beſchraͤnktem Maaße das wahr iſt.
2).
fragte der Geſandte den Miniſter, ob man Giacomo den Sohn Sr.
Heiligkeit nennen ſolle. „S. Sgra. Illma. prontamtente dopo avere
scusato con molte parole il fatto di S. Stà. che prima che ha-
vesse alcune ordine ecclesiastico, generasse questo figlivolo,
disse: che si potrebbe nominarlo per il Sr. Jacomo Boncompagno
Bolognese, strettam. congiunto con S. Stà. Dispaccio Paolo Tie-
polo 3 Marzo
1574.
1).
Der gute Menſch beklagte ſich, daß ihm das Papſtthum
des Bruders mehr ſchade als nuͤtze, weil es ihn zu groͤßerem Auf-
wand noͤthige, als der Zuſchuß Gregors betrage.
2).
Seconda relazione dell’ ambasciatore di Roma Clmo. M.
Paolo Tiepolo Carre. 3 Maggio 1576. Nella religione ha tolto
non solo d’imitar ma ancora d’avanzar Pio V. dice per l’ordi-
nario almeno tre volte messa alla settimana. Ha avuto parti-
colar cura delle chiese facendole non solo con fabriche et al-
tri modi ornar ma ancora colla assistentia e frequentia di preti
accrescer nel culto divino.
1).
Dispaccio Donato 13 Gen. 1582.
1).
Dispaccio Antonio Tiepolo 16 Marzo 1577. „accio che
fatto maggiori possano affettionatamente e con la verità impa-
rata dar a vedere ai suoi Greci la vera via.“
1).
Erythraͤus: in quibus Christophor. Clavius principem
locum obtinebat.
2).
Dispaccio Donato 20 Dz. 1581. 2 Giugno 1582. Er
preiſt den Cardinal als einen „huomo veramente di grande litte-
ratura.“
3).
Bulle vom 13. Febr. 1582. §. 12. Bull. Cocq. IV, 4, 10.
1).
Berechnung des Baronius. Poſſevinus in Ciacconius Vitae
Pontificum IV,
37. Lorenzo Priuli rechnet, daß er jaͤhrlich 200000
Sc. auf opere pie gewendet. Am ausfuͤhrlichſten und glaubwuͤr-
digſten hieruͤber ſind die Auszuͤge, welche Cocquelines aus den Re-
lationen des Cardinal von Como und Muſotti’s am Schluſſe der
Annalen des Maffei mittheilt.
2).
Dispaccio 14 Marzo 1573. Es iſt eine congregatione
deputata sopra la provisione di danari.
1).
Maffei Annali di Gregorio XIII. I, p. 104. Er rech-
net, daß der Kirchenſtaat nur 160000 Sc. reine Einnahme gewaͤhrt
habe.
2).
Disp. Antonio Tiepolo 12 Ap. 1577.
1).
Disp. A. Tiepolo 12 Gen. 1579. Il commissario della
camera attende con molta diligentia a ritrovare e rivedere scrit-
ture per ricuperare quanto dalli pontefici passati si è stato obli-
gato o dato in pegno ad alcuno e vedendo che S. Stà. gli as-
sentisse volontieri, non la sparagna o porta rispetto ad al-
cuno.
1).
Disp. 21 Ott. 1581. „Sono molti anni, che la chiesa
non ha havuto pontefice di questo nome Gregorio, che secundo
la sua etimologia greca vuol dire vigilante: questo che è Gre-
gorio è vigilante, vuol vigilare e ricuperare il suo e li par di
far un gran servitio, quando ricupera alcuna cosa, benchè mi-
nima.
1).
Die Relatione di Romagna findet die Unterſchiede nel ta-
gliar del pane, nel cingersi, in portare il pennacchio fiocco o
fiore al capello o all’ orecchio.
1).
In dem Ms. Sixtus V. Pontifex M. (Bibl. Altieri zu Rom)
findet ſich die ausfuͤhrlichſte Schilderung dieſes Zuſtandes. Ich denke
meinen Auszug im Anhang abdrucken zu laſſen.
1).
Dispacci Donato del 1582 durchaus.
2).
Breve fuͤr Sforza: in den Dispacci mitgetheilt. Omnimo-
dam facultatem, potestatem auctoritatem et arbitrium, contra quos-
cunque bannitos facinorosos receptatores fautores complices et
seguaces etc. nec non contra communitates universitates et ci-
vitates, terras et castra, et alios cujuscunque dignitatis vel
praeeminentiae, Barones, Duces et quovis autoritate fungen-
tes et extrajudicialiter et juris ordine non servato etiam sine
processu et scripturis et manu regia illosque omnes et singulos
puniendi tam in rebus in bonis quam in personis.
3).
Schon 1576 bemerkt dieß P. Tiepolo. Quanto più cerca
d’acquistarsi nome di giusto tanto più lo perde di gratioso, per-
che concede molto meno gratie estraordinarie di quel che ha
fatto altro pontefice di molti anni in quà: — la qual cosa ag-
1).
Dispaccio Donato 10 Sett. 1581. È una cosa grande
che con non dar mai satisfatione nissuna si pretende d’avere
da altri in quello che tocca alla libertà dello stato suo corren-
temente ogni sorte d’ossequio.
3).
giunta al mancamento, ch’è in lui di certe offici grati et accetti
per la difficultà massimam. naturale, che ha nel parlar e per le
pochissime parole che in ciascuna occasione usa, fa, ch’ egli
in gran parte manca di quella gratia appresso le persone.
1).
Donato 9 April 1583. „Il sparagnar la spesa e l’as-
sicurar il Sr. Giacomo che lo desiderava et il fuggir l’occasione
di disgustarsi ogni di più per questo con Fiorenza si come ogni
di avveniva, ha fatto venir S. Sà. in questa risolutione.“
1).
„Che il viver fuoruscito li torni più a conto e di mag-
gior sicurtà.“
— Gregor regierte vom 13. Mai 1572 bis 10. Apr.
1585.
1).
Tempesti: storia della vita e geste di Sisto V. 1754 hat
uͤber den Urſprung ſeines Helden das Archiv von Montalto unter-
ſucht. Authentiſch iſt auch die vita Sixti V., ipsius manu emen-
data. Ms.
der Bibl. Altieri zu Rom. Sixtus ward geboren, cum
pater Ludovici Vecchii Firmani hortum excoleret, mater Dia-
nae nurui ejus perhonestae matronae domesticis ministeriis ope-
ram daret.
Dieſe Diana erlebte im hohen Alter das Pontificat des
1).
Sixtus. Anus senio confecta Romam deferri voluit, cupida ve-
nerari eum in summo rerum humanarum fastigio positum, quem
olitoris sui filium paupere victu domi suae natum aluerat.
Ue-
brigens „pavisse puerum pecus et Picentes memorant et ipse
adeo non diffitetur, ut etiam prae se ferat.“
Auf der Ambro-
siana R.
124 findet ſich F. Radice dell’ origine di Sisto V., eine
Information, datirt Rom 4. Mai 1585, die indeß nur wenig ſa-
gen will.
1).
Sixtus V. Pontifex Maximus Ms. der Bibl. Altieri. Exi-
mia Persicus apud omnes late fama Perusiae philosophiam ex
Telesii placitis cum publice doceret, novitate doctrinae tum pri-
mum nascentis nativum ingenii lumen mirifice illustrabat. —
Montaltus ex universa theologia excerptas positiones Cli. Car-
pensi inscriptas tanta cum ingenii laude defendit, ut omnibus
admirationi fuerit.
1).
Erzaͤhlung der nemlichen Handſchrift. „Jam priorem ora-
tionis partem exegerat cum oblatum libellum resignat ac tacitus
ut populo summam exponat, legere incipit. Quotquot ad eam
diem catholicae fidei dogmata Montaltus pro concione affirma-
rat, ordine collecta continebat singulisque id tantum addebat,
literis grandioribus: Mentiris. Complicatum diligenter libellum
sed ita ut consternationis manifestus multis esset, ad pectus di-
mittit orationemque brevi praecisione paucis absoluit.“
1).
Ein discorso sopra i soggetti papabili unter Gregor XIII.
ſagt von Montalto: La natura sua, tenuta terribile imperiosa et
arrogante non li può punto conciliare la gratia.
Man ſieht, er
war im Cardinalat wie er wurde als Papſt. Gregor XIII. ſagte
oft zu den Seinen: „Caverent magnum illum cinerarium“ Far-
neſe ſah ihn zwiſchen den beiden Dominicanern, Trani und Juſti-
1).
nian, die ſich auch Hoffnung machten. Der Autor von Sixtus V.
P. M.
laͤßt ihn ſagen: Nae Picenum hoc jumentum magnifice olim
exiliet, si duos illos, quos hinc atque illinc male fert, carbonis
saccos excusserit.
Er fuͤgt hinzu, daß grade um dieſer Ausſicht
willen die Accorambuona ſich mit dem Neffen des Sixtus verheu-
rathet habe. Uebrigens hatte der Großherzog Franz von Toskana
einen großen Antheil an dieſer Wahl. In einer Depeſche des flo-
rentiniſchen Geſandten Alberti vom 11. Mai 1585 (Roma Filza
nr.
36.) heißt es: Vra. Altezza sia sola quella: che come con-
viene goda il frutto dell’ opera, che ella ha fatta
(er ſpricht von
dieſer Wahl) per avere questo Pontefice amico e non altro se ne
faccia bello.
In einem andern florentiniſchen Dispaccio heißt es:
Il Papa replica che il Gran Duca aveva molte ragione, di de-
siderargli bene, perche egli era come quel agricoltore che pi-
anta un frutto che ha poi caro insieme di vederlo crescere et
andare avanti lungo tempo, aggiungendoli che egli era stato
quello che dopo il Sr. Iddio aveva condotta quest’ opera, che a
Lui solo ne aveva ad aver obligo e che lo conosceva, se ben
di queste cose non poteva parlar con ogn’uno.
Wir ſehen,
daß hier noch eine ganz andere Geſchichte hinter der Scene vorfiel,
von der wir wenig oder nichts wiſſen. — Die Wahl am 24. Apr. 1585.
1).
Dispaccio Priuli 11 Maggio 1585. Rede des Papſtes in
dem Conſiſtorium. Disse di due cose che lo travagliavano, la
materia della giustitia e della abondantia, alle quali voleva at-
tender con ogni cura sperando in dio che quando li mancassero
li ajuti proprii e forastieri, li manderà tante legioni di angeli
per punir li malfattori e ribaldi et esortò li cardinali di non
usar le loro franchigie nel dar ricapito a tristi, detestando il
poco pensier del suo predecessor.
1).
Se vivo facinorosis moriendum esse.
2).
Bullarium Tom IV. p. IV. p. 137. Bando b. Tempesti I,
IX,
14.
1).
Memorie del Ponteficato di Sisto V. „ragguagliato Si-
sto ne prese gran contento.“
1).
Dispaccio Priuli bereits am 29 Juni 1585. Li fuorusciti
s’ammazzano l’un l’altro per la provision del novo breve.
2).
Vita Sixti i. m. em. Ea quies et tranquillitas, ut in
2).
urbe vasta, in hoc conventu nationum, in tanta peregrinorum ad-
venarumque colluvie ubi tot nobilium superbae eminent opes nemo
tam tenuis tam abjectae fortunae sit, qui se nunc sentiat cujus-
quam injuriae obnoxium.
— Nach Gualterius Vita Sixti V.
wandte dieſer den Spruch an: fugit impius, nemine persequente.
1).
Lorenzo Priuli Relatione 1586. È Pontefice che non
cosi leggiermente abbraccia le querele con principi, anzi per
fuggirle ha levata la congregatione della giurisdittione ecclesia-
stica
(an einer andern Stelle ſagt er, hauptſaͤchlich aus Ruͤckſicht
auf Spanien) e stima di potere per questa via concluder con
maggior facilità le cose e di sopportare con manco indegnità
quelle che saranno trattate secretamente da lui solo.
1).
Dispaccio degli Ambri. estraordinarii 19 Ott. 25 Nov. 1585.
2).
Auch die benachbarten Orte rechnete er zu Montalto. Vita
1).
Gualterius. Ad ipsarum (universitatum) statum cogno-
scendum corrigendum constituendum 5 camerae apostolicae cle-
ricos misit.
Auch in den Memorie bemerkt man den Nutzen die-
ſer Einrichtungen. Con le quali provisioni si diede principio a
rihaversi le communità dello stato ecclesiastico: le quali poi de
2).
Sixti V., ipsius manu emendata. Porculam Patrignorum et
Mintenorum quia Montalto haud ferme longius absunt, quam ad
teli jactum, et crebris affinitatibus inter se et comerciis rerum
omnium et agrorum quadam communitate conjunguntur haud se-
cus, quam patriae partem, Sixtus fovit semper atque dilexit
omniaque iis in commune est elargitus, quo paulatim velut in
unam coalescerent civitatem.
1).
Cum sicut accepimus. 28 Maji 1586. Bull. Cocq. IV,
4, 218. Gualterius. Bombicinam sericam laneficiam vitreamque
artes in urbem vel induxit vel amplificavit. Ut vero serica ars
frequentior esset, mororum arborum seminaria et plantaria per
universam ecclcam. ditionem fieri praecepit obeamque rem Maino
cuidem Hebreo ex bombicibus bis in anno fructum et sericam
amplificaturum sedulo pollicenti ac recipienti maxima privilegia
impertivit.
1).
tutto ritornorono in piedi: con quanto l’istesso provedimento per-
fezionò Clemente VIII.
1).
Congregation de sacri riti e cerimonie ecclesiastiche,
delle provisioni consistoriali; a questa volle appartenesse la co-
gnitione delle cause dell’ erettione di nove cattedrali.
2).
Sopra alla grascia et annona — sopra alla fabrica ar-
mamento e mantenimento delle galere — sopra gli aggravi del
popolo — sopra le strade acque ponti e confini — sopra alla
stamperia Vaticana
— (er gab dem erſten Inhaber der kirchlichen
Druckerei Wohnung im Vatican und 20000 Sc. auf 10 Jahr.) —
sopra l’università dello studio Romano.
1).
Bulla: postquam verus ille. 1586. 3 Dec. Bullar. M.
IV, IV. 279.
2).
Da Sixtus keinen andern Widerſpruch litt, erfuhr er den
der Oppoſition der Predigt. Der Jeſuit Franz Toledo ſagte hierauf
in einer Predigt: man ſuͤndige, wenn man Jemand um privater
Dienſte willen eine oͤffentliche Stelle gebe. „Non perche,“ fuhr
er fort, „uno sia buon coppiere o scalco, gli si commette senza
nota d’imprudenza o un vescovato o un cardinalato.
Eben Kuͤ-
chenmeiſter war Gallo geweſen. (Memorie della vita di Sisto V.)
1).
Bentivoglio Memorie p. 90. non aveva quasi alcuna par-
tecipatione nel governo.
1).
Gualterius: Tametsi congregationibus aliisque negotia
mandaret, illa tamen ipse cognoscere atque conficere consuevit.
Diligentia incredibilis sciendi cognoscendique omnia quae a
rectoribus urbis provinciarum populorum omnium a ceteris se-
dis apostolicae agebantur.
2).
Gritti Relatione: non ci è chi abbi con lui voto deci-
sivo, ma quasi ne anche consultivo.
3).
Memorie autografe di Papa Sisto V.
1).
Vita e successi del Cl. di Santaseverina. Ms. Bibl.
Alb. Mentre gli parlavo del collegio de neofiti e di quel degli
Armeni, che havevano bisogno di soccorso, mi rispose con
qualche alteratione, che in castello non vi erano danari e che
1).
non vi era entrata, che il Papa passato havea mangiato il pon-
tificato di Pio V. e suo, dolendosi acremente dello stato nel
quale haveva trovato la sede apostolica.
1).
Ad clavum. 21 Apr. 1586 Cocq. IV, IV. 206.
2).
Dispaccio Gritti 1586. 7 Giugno. Der Papſt tadelt Hein-
rich III., daß er bei 14 Millionen Einkuͤnfte nichts erſpare. Con
addur l’esempio di se medesimo nel governo del pontificato, che
dice non haver di netto piu di 200000 sc. all’ anno, battuti li
interessi de’ pontefici passati e le spese che convien fare.
1).
Dispaccio Badoer 2 Giugno 1589.
1).
Berechnung eines ausfuͤhrlichen Ms. uͤber die roͤmiſchen Fi-
nanzen unter Clemens VIII. (Bibliot. Barberina zu Rom.)
1).
Memorie del pontificato di Sisto V. Mutatosi per tanto
nel volto mentre Farnese parlava irato piu tosto che grave gli
rispose: Non è maraviglia Monsignore che a tempo di vostro
avo non si potesse mettere in opera il disegno di far tesoro per
la chiesa con l’entrate e proventi ordinarii perche vi erano di
molti e grandi scialaquatori
(ein Wort das er ſehr liebte) i quali
non sono dio gratia a tempi nostri: notando amaramente la mol-
titudine di figli e figlie e nepoti d’ogni sorte di questo ponte-
fice. Arrossì alquanto a quel dire Farnese e tacque.
1).
Man bekam fuͤr einen alte Giulio außer 10 Bajocchi, die er
geſchlagen, noch ein Aufgeld von vier bis ſechs Quatrin.
2).
Ein rechtes Beiſpiel ſeiner Verwaltung. Le stesse me-
morie: ordinò non si vendesse seta o sciolta o tessuta in
drappi nè lana o panni se non approbati da officiali, creati a tal
effetto nè si estraessero senza licenza degli stessi; inventione
utile contro alle fraudi ma molto più in prò della camera per-
che pagandosi i segni e le licenze se n’imborsava gran danaro
dal Pontefice.
Das konnte denn auch der Induſtrie nicht ſehr vor-
theilhaft ſeyn.
1).
Opusculum de mirabilibus novae et veteris urbis Romae
1).
Luigi Contarini Antichità di Roma p. 76 preiſt vor al-
lem die Bemuͤhungen Pius IV. S’egli viveva ancora 4 anni,
Roma sarebbe d’edificii un altra Roma.
1).
editum a Francisco Albertino 1515, beſonders in dem zweiten
Theile de nova urbe.
1).
Von Taſſo haben wir Stanze all’ acqua felice di Roma
(Rime II, 311.)
wie das Waſſer anfangs auf dunkelm Pfad wandle
und dann froͤhlich nach dem Sonnenlicht heraufkomme, um Rom zu
ſehen, wie es Auguſtus ſah.
1).
Gualterius: Ut viam a frequentioribus urbis locis per
Pincium collem ad Exquilias commode strueret. Pincium ip-
sum collem ante sctmae. Trinitatis templum humiliorem fecit et
carpentis rhedisque pervium reddidit scalasque ad templum illud
ab utroque portae latere commodas perpulcrasque ad modum
extruxit, e quibus jucundissimus in totam urbem prospectus est.
2).
Stellen aus dem bekannten Schreiben Caſtiglione’s an Leo X.
1).
Gualterius: Praecipue Severi Septizonii quod incredibili
Romanorum dolori demoliendum curavit columnis marmoribus-
que usus est passimque per urbem caveae videbantur unde lapi-
des omnis generis effodiebantur.
2).
Lettere di Castiglione Padova 1796 p. 149. Von einem Entwurfe
zu einem planmaͤßigen Aufgraben der alten Stadt kann ich in die-
ſem Briefe doch nichts finden. Offenbar ſcheint mir, daß es eine
Vorrede zu einer Beſchreibung von Rom mit einem Plane iſt; auf
dieſe Beſchreibung und dieſen Plan wird fortwaͤhrend hingewieſen:
hoͤchſt wahrſcheinlich bleibt es, daß Raphael ſelbſt es iſt, deſſen Ar-
beiten mit dieſer Vorrede eingeleitet werden ſollten. Es ergiebt ſich
das beſonders aus den zuſammentreffenden Ausdruͤcken in dem be-
kannten Epigramm auf Raphaels Tod und in dieſem Briefe. Z. B.
„vedendo quasi il cadavero di quella nobil patria eosi misera-
mente lacerato;“ — „urbis laceram ferro igni annisque cada-
ver Advitam revocas:“
— Es bezeichnet das wohl eine Wiederher-
ſtellung, aber nur in der Idee, in einer Beſchreibung. Dieſe Mei-
nung hebt die bisher geaͤußerten Anſichten im Weſentlichen nicht
auf, ſondern beſtimmt ſie nur naͤher. Wir koͤnnen annehmen, daß
die Arbeit, mit der ſich Raphael in der letzten Zeit ſeines Lebens
beſchaͤftigte, ſchon ziemlich weit vorgeruͤckt war, da bereits eine De-
dication dazu in ſeinem Namen verfaßt wurde. Welch einen Na-
men mehr gaͤbe das unter den Aſtygraphen! Die Papiere und der
Plan moͤgen in die Haͤnde des Fulvius gekommen ſeyn, der an den
Unterſuchungen wahrſcheinlich großen Antheil hatte.
1).
Stelle aus der vita Sixti V. ipsius manu emendata, ab-
gedruckt in Bunſen’s Beſchreibung von Rom I, S. 702.
1).
So ſieht das unter andern J. P. Maffei Historiarum ab
excessu Gregorii XIII. lib. I, p.
5. an.
2).
Sixti V. i. m. e.: ut ubi grassatum olim suppliciis in
Christianos et passim fixae cruces, in quas innoxia natio sub-
lata teterrimis cruciatibus necaretur ibi supposita cruci et in
crucis versa honorem cultumque ipsa impietatis monumenta
cernerentur.
1).
Die Dispacci des Gritti vom 3, 10 Maggio, 12 Luglio,
11 Ottobre
handeln von dieſer Aufrichtung. Nicht uͤbel ſchildert
1).
die vita Sixti ipsius manu emendata den Eindruck: tenuitque uni-
versae civitatis oculos novae et post 1500 amplius annos rela-
tae rei spectaculo cum aut sedibus suis avulsam tolleret molem,
uno tempore et duodenis vectibus impulsam et quinis tricenis
ergatis, quas equi bini homines deni agebant in sublime elatam
aut cum suspensam inde sensim deponeret extenderetque humi
junctis trabibus atque ex his ingenti composita traha quae ja-
centem exciperet aut cum suppositis cylindris (sunt hae ligneae
columnae teretes et volubiles) quaternis ergatis protracta pau-
latim per editum et ad altitudinem basis, cui imponenda erat,
excitatum aggerem atque undique egregie munitum incederet,
denique cum iterum erecta librataque suis reposita sedibus est.
1).
Ich ſuche dieß in der oben bezeichneten akademiſchen Ab-
handlung naͤher auszufuͤhren.
1).
In einem venez. Ms. im Wiener Archiv unter der Rubrik
Roma, Espositioni 1592. 28 Sett. findet ſich das Original eines
Protokolls uͤber die Auslieferung Giordano Bruno’s. Vor dem
Collegium erſcheinen der Vicar des Patriarchen: der Vater Inqui-
ſitor, und der Aſſiſtent der Inquiſition Thomas Moroſini. Der
Vicar traͤgt vor. „Li giorni passati esser stato ritenuto e tut-
tavia ritrovarsi nelle prigioni di questa città deputate al servi-
cio del santo ufficio Giordano Bruno da Nola, imputato non
solo di heretico, ma anco di heresiarca, havendo composto di-
versi libri nei quali laudando assai la regina d’Inghilterra et
altri principi heretici scriveva alcune cose concernenti il parti-
cular della religione che non convenivano sebene egli parlava
filosoficamente, e che costui era apostata, essendo stato primo
1).
frate domenicano, che era vissuto molt’ anni in Ginevra et In-
ghilterra e che in Napoli et altri luoghi era stato inquisito della
medesima imputatione. E che essendosi saputa a Roma la pri-
gionia di costui, lo illmo. Sta. Severina supremo Inquisitore ha-
veva scritto e dato ordine che fusse inviato a Roma — — con
prima sicura occasione.
Eine ſolche Gelegenheit ſey jetzt vorhan-
den Sie bekommen nicht ſogleich Antwort. Nach Tiſch erſcheint
der Vater Inquiſitor wieder und wird ſehr dringend, denn die Barke
wolle abfahren. Allein die Savj antworteten: „che essendo la
cosa di momento e consideratione e le occupationi di questo
stato molte e gravi non si haveva per allhora potuto fare riso-
lutione.“
Und ſo fuhr die Barke dieß Mal ohne den Gefangenen
ab. Ich habe nicht finden koͤnnen, ob ſpaͤterhin die wirkliche Aus-
lieferung durch neue Verhandlungen motivirt ward.
1).
Giuseppe Baini: Memorie storico-critiche della vita e
1).
delle opere di Giovanni Pier Luigi de Palestrina, Roma 1828,
theilt die Notizen mit, deren ich mich bedient habe.
1).
Ciaconius Vitae Paparum III, p. 978. Man findet da
auch die Grabſchrift Sirleto’s, worin er als „eruditorum pauperum-
que patronus“
bezeichnet wird. In Cardella Memorie storiche
de’ cardinali
finden ſich nur die Notizen bei Ciaconius italieniſch
zuſammen geſtellt.
1).
Vita Jo. Petri Maffeji Serassio auctore. In der Aus-
gabe der Werke Maffei’s, Berg. 1747.
1).
Gallonius: Vita Phil. Nerii. Mog. 1602. p. 163.
1).
Z. B. Instruttione al Sr. Cle. di Medici, del modo come
si deve governare nella corte di Roma; — Avvertimenti all’ ill.
Cl. Montalto sopra il modo col quale si possa e debba ben go-
vernare come Cle. e nepote del Papa. Inform. XII. — Avver-
timenti politici et utilmi. per la corte di Roma.
78 hoͤchſt bedenk-
liche Saͤtze. Inform. XXV. — Das wichtigſte: Discorso over ri-
tratto della corte di Roma di Mr. Illmo. Commendone. Codd.
Rang.
zu Wien XVIII.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bncb.0