[[II]][[III]]
NACH
REISEN UND STUDIEN
IM AUFTRAGE
DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN REGIERUNG DARGESTELLT
NATUR UND VOLK DES MIKADOREICHES.
TAFELN UND 2 KARTEN.
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN.
1881.
[[IV]]
Alle Rechte vorbehalten.
Druck von Breitkopf \& Härtel in Leipzig.
[[V]]
VORWORT.
Wenn es gleich richtig ist, dass ein jedes Werk vor allem
selbst für sich sprechen soll, so hat doch die Sitte ihm in Form
eines Vorwortes einen Geleitbrief mit auf den Weg in die
Oeffentlichkeit zu geben, ihre volle Berechtigung. Dies aner-
kennend, und ohne die Bedürfnissfrage zu berühren, will ich
zunächst hervorheben, dass das vorliegende sich gründet auf
einen nahezu zweijährigen Aufenthalt in Japan und ausgedehnte
Reisen durch die Inseln Hondo, Shikoku, Kiushiu und Amakusa
in den Jahren 1874 und 1875. Ich verfolgte dabei dem Auf-
trage des Königlich Preussischen Handelsministeriums gemäss
den Zweck, die eigenartigen und auf hoher Stufe der Voll-
kommenheit stehenden Industriezweige, sowie den Handel Japans
zu studieren und darüber zu berichten. Die Materie dieser
Berichte unter dem Titel »Industrie und Handel Japans« wird
der Gegenstand des zweiten Bandes sein.
Obgleich auch der folgende Band ebenso wie der jetzt er-
scheinende ein in sich geschlossenes Ganzes bilden wird, so
[VI]Vorwort.
erschien es mir doch zum besseren Verständniss aller dabei in
Betracht kommenden Verhältnisse angezeigt, die vorliegende
Arbeit vorauszuschicken; denn ohne Zweifel sind die Natur
eines Landes, die geschichtliche und sociale Entwickelung seiner
Bewohner und deren Beziehungen zu andern Völkern die Grund-
lagen, auf denen sich Form und Inhalt seines gewerblichen
und commerziellen Lebens nicht minder wie des geistigen ent-
wickeln.
Wenn es für den Verfasser ein schwerer Schritt war von
Frau und Kindern und einer seine ganze Zeit und Kraft in
Anspruch nehmenden öffentlichen Wirksamkeit als Oberlehrer
für Naturwissenschaften an der Musterschule und Director der
Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft zu Frankfurt
am Main hinweg nach Ostasien zu gehen, so trug ihn dabei
das hohe Vertrauen der Königlich Preussischen Regierung, sowie
die Hoffnung, dass Gott sein redliches Bemühen, demselben zu
entsprechen, segnen werde. Zu beurtheilen, wie weit sich
dieselbe erfüllt hat, ist Sache des geneigten Lesers, die meinige
aber ist es, meinen hohen Vorgesetzten in den Königlich Preus-
sischen Ministerien für Handel und Gewerbe, wie für Cultus
und Unterricht hier öffentlich meinen tiefgefühlten Dank aus-
zusprechen für das grosse Vertrauen und Wohlwollen, welches
dieselben mir geschenkt und bis zur Stunde erhalten haben.
Mein wärmster Dank gebührt ferner den früheren Vertretern
des Deutschen Reiches in Japan, den Herren Ministern von
Brandt in Peking und Dr. jur. von Holleben zu Buenos Ayres
für die Gastfreundschaft, mit der sie mich bei sich in der deut-
schen Legation zu Tôkio aufnahmen, und für alle sonstige För-
derung, welche sie der Lösung meiner Aufgabe zu Theil werden
[VII]Vorwort.
liessen. Auch den deutschen Consuln, den Herren Zappe in
Yokohama, Bair in Tôkio und Leysner in Niigata, fühle ich mich
in mehrfacher Hinsicht zu Dank verpflichtet. Nicht minder
danke ich der japanischen Regierung für den Schutz, welchen
sie mir gewährte, und verschiedenen Gouverneuren für ihre
grosse Bereitwilligkeit, nach Kräften zur Förderung meiner
Zwecke beizutragen.
Ausser dem geschichtlichen Theil des vorliegenden Bandes,
für welchen alle zugänglichen Quellen mit Sorgfalt geprüft und
benutzt wurden, ist jedes einzelne Kapitel, insbesondere des
ersten Abschnittes, vorwiegend aus eigenen Beobachtungen und
darauf gegründeten eingehenden Studien hervorgegangen. Ich
will hier nicht weiter betonen, in wie fern sich dieses Werk
in Folge dessen von sämmtlichen bisherigen Publikationen über
Japan wesentlich unterscheidet, noch auf die grossen Schwie-
rigkeiten aufmerksam machen, welche sich der Lösung einer so
umfangreichen Aufgabe entgegenstellten, sondern nur noch ver-
sichern, dass ich bei Abfassung aller Theile bestrebt war,
gründlich, klar und wahr zu sein. In zweifelhaften Fällen
stand mir der freundliche und entgegenkommende Rath von
Freunden und Collegen, nämlich der Herren Dunker, von
Fritsch, Geyler, Greeff, Hilgendorf, Fd. Justi, Kobelt, Tadashi
Sanda und Satow zur Seite, wofür ich denselben auch hier
meinen verbindlichsten Dank ausspreche. Herr Professor Dr.
Justi unterstützte mich nicht bloss bei mehreren Gelegenheiten
durch sein reiches linguistisches Wissen, sondern auch dadurch,
dass er nach verschiedenen Photographien die vorzüglichen
Federzeichnungen anfertigte, welche den beiden Typenbildern
der Ainos und Japaner zu Grunde liegen.
[VIII]Vorwort.
Zur besonderen Freude und Genugthuung gereicht es mir
noch hervorheben zu können, dass ich die kartographischen
Arbeiten des Werkes verschiedenen meiner hiesigen Zuhörer
anvertrauen konnte und beim Lesen der Correcturen an einem
andern, dem Herrn Cand. Jul. Winneberger, eine vortreffliche
Stütze fand.
Marburg, im November 1880.
Der Verfasser.
[[IX]]
INHALTSVERZEICHNISS.
- Seite
- Die Natur Japans,
eine physische Geographie des Landes. - I. Zur Orientierung3
- a. Lage, Grösse und Eintheilung Japans 3
- b. Erklärung häufig vorkommender geographischer Ausdrücke 14
- II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen17
- III. Geologische Verhältnisse30
- a. Stand unseres Wissens und Aufbau der Inseln 30
- b. Gebirgsformationen 35
- c. Wirkungen subterraner Kräfte 45
- 1. Vulkane 45
- 2. Heisse Quellen 53
- 3. Erdbeben 58
- 4. Säculäre Hebungen 64
- IV. Orographie67
- a. Grundzüge der Bodengestaltung 67
- b. Gebirge der Insel Hondo 70
- 1. Berge von Ôshiu und Dewa 71
- 2. Die Randgebirge der Aidzu-taira 73
- 3. Das Grenzgebirge im Osten von Echigo 74
- 4. Die Gebirge des Kuwantô 76
- 5. Gebirge westwärts des Kuwantô und Fuji-san 82
- c. Das Relief der Insel Shikoku 91
- d. Gebirge der Insel Kiushiu 93
- e. Die Insel Yezo 99
- f. Die Insel Sado 100
- V. Hydrographie des Landes101
- Flüsse und Seen 101
- VI. Klima120
- a. Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur 120
- b. Luftdruck und Winde 129
- c. Hydrometeore 137
- Seite
- VII. Die Flora der japanischen Inseln153
- A. Dauer der Vegetationsperiode 153
- B. Formationen und Regionen der Vegetation 158
- Sumpf- und Wasserpflanzen 160
- Das Gebüsch der Hügellandschaften 162
- Die Hara 163
- Der Wald (Hayashi) 166
- Vegetation des Hochgebirges 174
- C. Zusammensetzung der japanischen Flora und weitere bemerkens-
werthe Züge derselben; ihre Verwandtschaft mit anderen
Vegetationsgebieten 180 - VIII. Fauna199
- a. Allgemeine Züge derselben 199
- b. Säugethiere 201
- c. Vögel 207
- d. Reptilien und Batrachier 212
- e. Fische 216
- f. Insecten und Spinnen 228
- g. Crustaceen 233
- h. Mollusken 234
- i. Echinodermen 238
- k. Korallen und Schwämme 240
- Das japanische Volk.
Kurze Darstellung seiner Geschichte, Civilisation und socialen
Zustände von Jimmu-Tennô bis zur Gegenwart. - I. Geschichte des japanischen Volkes243
- 1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato bis zur Ver-
legung der Residenz nach Kiôto, oder von Jimmu-Tennô bis Ku-
wammu-Tennô (660 v. Chr. bis 794 n. Chr.). Expedition nach Korea.
Einführung der chinesischen Civilisation und des Buddhismus 243 - 2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto bis zum Tode
des Yoritomo (794—1199 n. Chr.). Beamtenherrschaft der Fuji-
wara, Militärdespotismus der Taira und Minamoto. Kuwambaku,
Shôgun und Feudalismus 258 - 3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga
(1199—1334 n. Chr.). Zeit der Schatten-Shogune, des Glanzes und
Falles der Hôjô-Familie 278 - 4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô bis auf
Nobunaga (1334—1573 n. Chr.). Entdeckung Japans durch die
Portugiesen, Verbreitung des Christenthumes 292 - 5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpa-
toren (1573—1603 n. Chr.). Nobunaga, Hideyoshi, Expedition nach
Korea, Schlacht bei Sekigahara 306 - 6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa oder die Zeit von der
Schlacht bei Sekigahara bis zur Restauration der Mikadoherrschaft
(1600—1868 n. Chr.) 347 - Seite
- a. Iyeyasu, Hidetata und Iyemitsu. Ausrottung des Christen-
thumes 347 - b. Die Gesetze des Iyeyasu, das Feudalsystem und die gesell-
schaftlichen Zustände während des Shôgunats der Tokugawa;
Mikado und Kuge, Daimio und Samurai, Lehnstreue und
Harakiri. Heimin und Eta 360 - c. Beziehungen der Holländer, Engländer und Russen zu Japan
während des Shôgunats der Tokugawa 381 - 7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854 393
- a. Die Perry-Expedition und ihre unmittelbaren Folgen. Han-
delsverträge mit Japan. Unzufriedenheit und wachsende
Gährung im Lande. Mordanfälle auf Einheimische und
Fremde. Beschiessung von Kagoshima und von Shimonoseki.
Streit des Bakufu mit Chôshiu 393 - b. Beseitigung des Shôgunats und Restauration der Mikadoherr-
schaft. Der Bürgerkrieg im Jahre 1868. Der Mikado ver-
legt seine Residenz und Regierung nach Yedo (Tôkiô). Ex-
pedition gegen Yezo 410 - c. Aufhebung des Feudalsystems, Mediatisierung der Fürsten
und Samurai und andere Neuerungen. Samurai-Aufstände.
Expedition nach Formosa. Die Satsuma-Rebellion 419 - d. Das heutige Japan, seine Regierung, Civilisationsbestrebungen
und Beziehungen zu den Fremden 434 - II. Ethnographie444
- 1. Ainos und Japaner. Ursprung, Körperbeschaffenheit und geistige
Anlagen 444 - 2. Die japanische Sprache und Literatur. Das Yamato und Sinico-
Japanisch. Katakana und Hirakana. Transliteration. Eigen-
thümlichkeiten der Sprache. Volkspoesie und Literatur 459 - 3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner. Bäder, Cos-
metica, Tätowierung. Feuersbrünste. Stimulanten 472 - 4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht. Individuelle
Vergnügen. Theater, Geshas und Yoshiwaras. Beerdigungen 489 - 5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus und Nen-gô.
Go-sekku, namentlich Neujahr, Blumenfeste und Matsuri 503 - 6. Religiöse Zustände 512
- Der Shintôismus oder Kamidienst. Die Lehre des Confucius.
Buddhismus. Christenthum. - III. Topographie539
- I. Das Go-kinai oder die fünf Stammprovinzen 540
- 1. Yamashiro. S. 541. — 2. Yamato. S. 545. — 3. Kawachi.
4. Idzumi. 5. Setsu. S. 546. - II. Der Tôkaidô oder Ostseestrassen-Bezirk 549
- a. Die Gruppe des Kuwantô 550
- 1. Musashi. S. 550. — 2. Shimosa. S. 558. — 3. Hitachi.
4. Kadsura. S. 559. — 5. Awa. 6. Sagami. S. 560. - b. Die Gruppe der Tôtômi-nada 562
- 7. Idzu. S. 562. — 8. Suruga. 9. Kai. S. 563. — 10. Tôtômi.
11. Sanshiu. 12. Bishiu. 13. Ise. 14. Shima. 15. Iga. S. 565. - Seite
- III. Der Tôsandô, die Ostberglandstrasse oder der östliche Bergweg 565
- a. Die Provinzen des Nakasendô 566
- 1. Ômi. S. 566. — 2. Mino. S. 567. — 3. Hida. 4. Shinano.
S. 568. — 5. Kôdzuke. S. 569. — 16. Shimotsuke. S. 570. - b. Mutsu oder Ôshiu 572
- 1. Iwashiro. S. 572. — 2. Iwaki. S. 573. — 3. Rikuzen. S. 574.
4. Rikuchiu. 5. Mutsu. S. 575. - c. Dewa 576
- 1. Ugo. S. 576. — 2. Uzen. S. 577.
- IV. Hokurokudô oder Nordlandstrasse 578
- 1. Wakasa. 2. Echizen. S. 579. — 3. Kaga. 4. Noto. 5. Echiu.
6. Echigo. S. 580. — 7. Die Insel Sado. S. 582. - V. Provinzen von Sanyôdô oder an der Strasse der Bergsonnenseite 582
- 1. Harima. S. 585. — 2. Mimasaka. 3. Bizen. 4. Bichiu.
S. 584. — 5. Bingo. 6. Aki. 7. Suwô. S. 585. — 8. Nagata.
S. 586. - VI. Provinzen von Sanindô oder der Bergschatten-Strasse 586
- 1. Iwami. 2. Idzumo. 3. Hôki. S. 587. — 4. Inaba. 5. Ta-
jima. S. 588. — 6. Tango. 7. Tamba. S. 589. — 8. Die
Insel Ôki. S. 590. - VII. Der Nankaidô oder Südliche Seeweg 590
- 1. Kii. S. 590. 2. Die Insel Awaji. S. 592. — 3. Die Insel
Shikoku. Awa. S. 593. — 4. Sanuki. S. 594. — 5. Iyo.
6. Tosa. S. 595. - VIII. Kiushiu oder die neun Provinzen des Saikaidô, d. h. der West-
seestrasse 596 - 1. Chikuzen. S. 597. — 2. Chikugo. S. 598. — 3. Buzen.
4. Bungo. S. 599. — 5. Hizen. S. 601. — 6. Higo. S. 605. —
7. Hiuga. S. 607. — 8. Ôsumi. 9. Satsuma. S. 608. - IX. Der Hokkaidô oder die Nordseestrasse 610
- 1. Ôshima. S. 611. — 2. Shiribeshi. 3. Iburi. 4. Ishikari.
5. Teshio. 6. Kitami. 7. Nemuro. 8. Kushiru. 9. Tokachi.
S. 612. — 10. Hidaka. 11. Chishima (Kurilen). S. 613. - Die Riukiu- oder Liukiu-Inseln 613
- Ogasawara-shima, Munintô oder Bonin-Inseln 615
- Nachträge und Berichtigungen617
- Register619
[[XIII]]
Verzeichniss der Illustrationen.
- Seite
- Subashiri am Fusse des Fuji-no-yama 69
- Cryptomerien-Allee und Dorf Imaichi bei Nikkô 172
- Karte von Korea 246
- Grabmal des Iyemidzu zu Nikkô 350
- Wappen des Mikado und der Tokugawa 366
- Theil der Burg von Kumamoto 371
- Aino-Familie 445
- Riukiu-Insulaner 449
- Koreaner 451
- Typen von Japanern 454
- Garten beim Tempel Kameido in Tôkio 486
- Der Shintôtempel Shokonsha zu Kudan in Tôkio 515
- Shintô-Thor und Pagode zu Nikkô 529
- Daibutsu (grosser Buddha) zu Kamakura 534
- Tempelhof zu Nikkô 536
- Plan von Kiôto 544
- Plan von Tôkio 551
- Bad Yumoto am Hayagawa und Hakonegebirge 560
- Uebergang über den Daiyagawa zu Nikkô 571
- Nagasaki 602
- Orographish-hydrographische Karte
- Topographisch-statistische Karte
[[XIV]]
DIE NATUR JAPANS,
EINE PHYSISCHE GEOGRAPHIE DES LANDES.
Rein, Japan I. 1
[[2]][[3]]
I.
Zur Orientierung.
a. Lage, Grösse und Eintheilung Japans.
Das Kaiserreich Japán*), das Nihón, Nippón oder Dai
Nippón seiner Bewohner, ist das östlichste Land Asiens und erstreckt
sich von 24° 20' N. (Terumashima in der Riu-kiu-Gruppe) bis 51° N.
(Insel Shumshu, die nördlichste der Kurilen) und von 122° 53' O. Gr.
(Riu-kiu-Insel Yonakuni) bis 156° 36' O. Gr. (Shumshu). Das Land
dehnt sich sonach über nahezu 27 Breiten- und mehr als 33½ Längen-
Grade aus; es ist nach japanischen Angaben 500 ri lang und 30—60 ri
breit. In dem weiten Ring thätiger und erloschener Vulkane, welcher
den Stillen Ocean umschliesst, bildet es mit seinen vier grossen In-
seln und einer beträchtlichen Anzahl kleinerer ein mehr als 450 Meilen
langes Glied, das sich von der Insel Formosa bis zum Cap Lopatka
erstreckt, an welchem sich die Wogen einer gefährlichen See oft in
wilder Brandung brechen und woran heftige Erdbeben nicht selten in
beängstigender Weise rütteln.
Japan zerfällt naturgemäss in 4 Gruppen, nämlich:
1) Das eigentliche Japan, gebildet von den drei grossen
Inseln Hondo (Honshiu oder Jicata, Hauptland), Kiushiu (Neun-
land) und Shikoku (Vierland), nebst einer Anzahl kleinerer Eilande
seitwärts von diesen. Auch die vierte grosse Insel des Reiches, Yezo,
muss, wenn sie auch politisch eine andere Stelle einnimmt, hierher
gerechnet werden. Die kleineren Inseln dieser Gruppe sind: Sado
und Oki im Japanischen Meer, Tsushima und Ikishima in der
Strasse von Korea, Hirado und die Gotô (Fünf-Inseln), sowie Ama-
kusa und die Koshiki-Gruppe auf der Westseite von Kiushiu,
Tanegashima und Yakunoshima im Süden derselben, Awaji
im Japanischen Binnenmeer und die Shichitô (Sieben-Inseln) im
1*
[4]I. Zur Orientierung.
Südosten der Halbinsel Idzu, nämlich Ôshima (Vries-Insel), Rishima,
Niijima, Miyakeshima, Mikurajima, Hachijoshima und Koshima.
Das Japanische Binnenmeer, »the Inland-Sea« englischer
Karten, oder Seto-no-uchi-umi (d. h. das Meer zwischen den
Strassen), oder Seto-uchi der Japaner, scheidet mit der Van der
Capellen-Strasse, der Linschoten-Strasse und der Bungo-
Strasse die drei südlichen grossen Inseln von einander, während
die Tsugaru-Strasse Yezo von der Hauptinsel oder Hondo trennt.
Die ganze Gruppe aber wird durch die Broughton-Strasse, das
Japanische Meer und die Strasse La Pérouse von Korea und
dem asiatischen Russland, durch die Colnet-Strasse von der nächst-
folgenden geschieden.
2) Die Riukiu-Inseln (Liukiu nach chinesischer Aussprache),
auch Lutschu genannt, zwischen dem 30. und 24. Parallel — der
Colnet-Strasse und Formosa.
3) Chijima (Tausend-Inseln) oder die Kurilen, zwischen
dem 43. und 51. Grad nördlicher Breite — von Yezo bis Kamtschatka.
4) Ogasawara-shima oder Munintô (Muninjima), gewöhn-
lich die Bonin-Inseln*) genannt, im Stillen Ocean zwischen 27° N.
und 28° N. und unter 142° O. Gr., etwa 30 Meilen südöstlich von der
Halbinsel Idzu.
Es ergibt sich aus nebenstehender Uebersicht, dass das eigent-
liche, ältere Japan ¾ des ganzen Areals umfasst, Honshiu fast 3mal
so gross als Yezo, mehr denn 6mal so gross als Kiushiu und 12mal
so gross als Shikoku ist. Das Areal der letztgenannten Insel beträgt
gerade die Hälfte desjenigen von Kiushiu oder Chinsei, wie dasselbe
in japanischen Büchern auch genannt wird. Vergleicht man die japa-
nischen Inseln nach ihrer Grösse mit uns näher liegenden Ländern, so
findet man, dass dieselben insgesammt England, Holland und Bel-
gien gleichkommen; Honshiu allein ist so gross wie Ungarn; Yezo
übertrifft nur wenig das Königreich Baiern, Kiushiu gleicht Baden
und Württemberg einschliesslich Hohenzollern, Shikoku der Provinz
Schleswig-Holstein. —
Die erste Kunde von der Existenz Japans erhielt Europa gegen
Ende des 13. Jahrhunderts durch Marco Polo, dem man in China
fabelhafte Geschichten von dem grossen Goldreichthum des im Osten
gelegenen Inselreichs Zipangu erzählt hatte. Mit diesem Worte gab
[5]Lage, Grösse und Eintheilung Japans.
Uebersicht
der Areal- und Bevölkerungs-Verhältnisse des japanischen Reichs.*)
**)
***)
[6]I. Zur Orientierung.
er die chinesische Bezeichnung Dschi-pen-Kuë*) oder Dschi-pon wie-
der, welche die Japaner in Nippon oder Nihon umgewandelt und all-
gemein als Bezeichnung ihres Landes an Stelle älterer einheimischer
Benennungen angenommen haben. Das Wort Nippon (Nihon) stammt
von nitsu, Sonne, und hon, Aufgang, Ursprung, und wurde von den
Chinesen in demselben Sinne angewandt, in welchem den Europäern
die Bezeichnungen Levante, Orient und Morgenland geläufig wurden,
oder wie Dagoe den Schweden**).
Nippon heisst bei den romanischen Völkern Japón, bei den ger-
manischen Japán, Namen, welche durch die Portugiesen, beziehungs-
weise Holländer eingeführt wurden, von den Japánern (Nippon-jin
d. h. Nippon-Leute) nicht angewandt werden und als Corruptionen
des Wortes Nippon zu betrachten sind. Dieses bezieht der Einge-
borene stets auf das ganze Reich, nie wie die Europäer auf die Haupt-
insel allein, für welche er sonderbarer Weise keinen besonderen Na-
men hat, denn die Ausdrücke Honshin oder Jicata, Hauptland, Hondo,
Haupttheil, welche in der Neuzeit auch von den Japanern wiederholt
angewandt wurden, werden vom Volke nicht gebraucht und erlangen
wohl erst allmählich allgemeines Bürgerrecht.
In dem ältesten deutschen Buche über Nippon von Johann Meyer,
welches 1587 in Dillingen erschien, betitelt: »Neue, wahrhafte aus-
führliche Beschreibung der jüngst abgesandten japanischen Lega-
tionen«, einer Uebersetzung aus dem Italienischen, wird das Land
Japón oder Japónien genannt.
Die Japaner sahen in ihrer früheren Abgeschiedenheit, ähnlich
wie so viele andere Völker, ihr Land als Centrum und wichtigsten
Theil der Welt an, freilich einer beschränkten Welt; denn dieselbe
wurde nach ihrer Auffassung begrenzt: im Osten vom Tai-yô oder
Taihei-Kai, dem grossen Weltmeer oder Stillen Ocean, im Norden
durch Makatsu, worunter Karafto (Saghalin) verstanden wird***), im
Westen durch Kara oder Shina (China), nach Süden durch Tenjiku
(Himmels-Stütze) oder Indien, woran man Portugal, Holland und an-
dere Länder, von denen man gehört hatte, unmittelbar anschloss.
Dem Namen Nippon wurde »Dai«, gross, vorgesetzt und diese Be-
nennung auch bei Regierungs-Documenten angewandt. So beginnt
z. B. noch der 1876 mit Korea abgeschlossene Vertrag mit den Wor-
[7]Lage, Grösse und Eintheilung Japans.
ten: »Freundschaft hat bestanden seit alter Zeit zwischen Dai Chôzen
und Dai Nippon« etc. In dem Maasse, in welchem in der Neuzeit die
Japaner ihren geographischen Blick durch Karten und Unterricht in
den Schulen, sowie auf Reisen erweitert haben, ist eine bedeutende
Ernüchterung in der Schätzung der Grösse ihres eigenen Landes ein-
getreten und der Gebrauch des »Dai« vor »Nippon« auf sonstigen
Publikationen geschwunden.
Nach alter Tradition stammt der Beherrscher Japans oder Mikádo
in directer Linie von der Sonnengöttin Amaterasu ab, deren Eltern
das Götterpaar Isanagi und Isanami waren. Als diese eines Tages
auf der von Wolken getragenen Himmelsbrücke erschienen, um das
unter ihnen in der Tiefe wogende Meer zu beschauen, senkte Isanagi
die Spitze seiner reichverzierten Lanze in dasselbe, worauf es sich
alsbald theilte. Die von der Lanze fallenden Tropfen gestalteten sich
zu Inseln, und aus den Wellen stieg zuerst Awaji hervor, auf der
sich das Götterpaar als Adam und Eva niederliessen. Sieben andere
Inseln entstanden mit demselben Schöpfungsacte und führten von da
an zusammen mit Awaji den Namen Oyashima, d. h. »die acht
grossen Inseln«. Es sind die oben bereits aufgezählten: Hondo,
Kiushiu, Shikoku, Sado, Tsushima, Awaji, Oki und Iki. Diese
und die umliegenden kleineren Inseln bildeten das alte Japan, ein
Gebiet von 5164 □Meilen, also nicht viel grösser als Preussen vor
1866: Ausser dem Namen Oyashima, später Nippon, hatten die Ja-
paner noch manches Epitheton ornans für ihr Land. So nannten sie
es z. B. Kami-no-kuni, Land der Götter, Shin-koku, Land der hei-
ligen Geister, Oyamato-no-kuni, Land des grossen Friedens, Ono-
goro-shima, Inseln der erstarrten Tropfen, Shiki-shima, ausgebreitete
Inseln etc.
Oyashima oder das alte Japan wird vom japanischen Meer
und Stillen Ocean zwischen 128½° O. Gr. und 142° O. Gr. umspült,
gegen Süden unter 30° N. durch die Colnet-Strasse von den Riukiu
und nach Norden unter 41½° durch die Tsugaru-Strasse von Yezo
geschieden. Sein südlichster Theil liegt sonach unter der Breite des
Nildeltas, der nördlichste unter derjenigen des Bosporus. Die erste
Eintheilung von Oyashima in Provinzen fand zur Zeit des 10. Mikado
(Sûjin Tennô 97—30 v. Chr.) statt, wurde aber durch den 13. Mikado
(Seimu Tennô 131—190 n. Chr.) umgestaltet und verbessert. Seine
Herrschaft erstreckte sich hiernach über 32 Provinzen, — nach Nor-
den etwa bis zu einer Linie von Sendai nach Niigata, denn den nord-
östlichsten Theil hatten damals noch Ureinwohner, die Emishi (auch
Yezo genannt), Verwandte der Ainos auf Yezo, inne. Die berühmte
[8]I. Zur Orientierung.
Kaiserin Jingô Kôgô (201—269 n. Chr.), welche als Wittwe des
14. Mikado zwischen diesem und dem 15. eine glorreiche Regierung
führte, theilte nach ihrer siegreichen Rückkehr aus Shiraki (Korea)
die Provinzen ihres Landes nach dem Muster von Korea ein in das
Kinai oder Gokinai*), d. h. die fünf Stammprovinzen oder kaiser-
lichen Residenzländer, weil darin die Residenzen aller Mikado’s**) bis
auf den jetzigen lagen, auch wohl Kamigata genannt, und in die
Shichi-dô oder Sieben Landstrassen-Bezirke.
Unter der Regierung des 42. Mikado Mommu Tennô (696—707
n. Chr.) wurden einzelne der Provinzen weiter gespalten und wuchs
dadurch die Zahl aller in den 8 Bezirken auf 66 an, wozu noch die
Inseln Tsushima und Iki als getrennte Provinzen kommen. Der
45. Mikado Shômu Tennô (723—755) liess dann die Grenzen der
einzelnen Provinzen genauer feststellen. Endlich wurden 1868 nach
Beseitigung des Shiogunats durch den jetzigen Mikado die beiden
nördlichsten und grössten Provinzen des Landes, Mutsu und Dewa,
weiter eingetheilt, jenes in 5, dieses in 2 Provinzen, sodass dadurch
die Zahl aller im Gebiete von Oyashima auf 73 anwuchs. Zur selben
Zeit theilte man auch Yezo in 10 Provinzen, wozu die Chijima (Ku-
rilen) als 11. kommen, und fügte sie unter dem Namen Hokkaidô oder
Nordseestrasse als 9. Landschaftsbezirk den übrigen bei. Die Riukiu
bildeten daneben bis vor kurzem ein besonderes Fürstenthum oder Han.
In der folgenden Uebersicht sind die 9 Landschaften mit ihren
82 Provinzen, ausserdem aber Tsushima und Iki, im Ganzen also
84 Provinzen aufgezählt, und zwar die meisten der letzteren mit 2
Namen: einem japanischen und einem chinesischen. Wo einer der-
selben gebräuchlicher ist als der andere, wurde er gesperrt ge-
druckt. Wo beide gleichviel angewandt werden, haben sie beide
gesperrten Druck erhalten.
Die chinesischen Provinznamen wurden in Folge des koreanischen
Einflusses gleichzeitig mit den Landstrassen-Bezirken eingeführt und
beziehen sich auf die ältere Eintheilung des Landes. Als daher ein-
zelne der grösseren ursprünglichen Provinzen später weiter gegliedert
wurden, wie z. B. Hi-no-kuni (Feuerland) in Hizen und Higo, das
vordere und hintere Hi, Bi in Bizen, Bichiu und Bigo, d. h. das
vordere, mittlere und hintere Bi, oder wie Mutsu (Ôshiu) sogar in
[9]Lage, Grösse und Eintheilung Japans.
5 Provinzen, führten sie den chinesischen Collectivnamen weiter.
Hierin aber liegt der Grund, weshalb in all diesen Fällen der japa-
nische Provinzname als der bestimmtere gebräuchlicher wurde. Für
Hokkaidô (Yezo) aber, das erst 1868 in Provinzen eingetheilt wurde,
gibt es gar keine andere gebräuchliche chinesische Benennung.
Uebersicht der 9 Landschaften und 84 Provinzen Japans.
A. Oyashima, Alt-Japan.
I. Go-kinai oder die fünf Stammprovinzen:
II. Tôkaidô (wörtlich Ostsee-Strasse) mit 15 Provinzen:
III. Tôsandô, d. h. Ostbergland-Strasse, mit 13 (früher 8) Provinzen:
IV. Hokurokudô, d. h. Nordland-Strasse, mit 7 Provinzen:
V. Sanindô oder Bergschuttenseiten-Strasse mit 8 Provinzen:
VI. Sanyôdô, d. h. Bergsonnenseiten-Strasse, mit 8 Provinzen:
VII. Nankaidô, d. h. Südsee-Strasse, mit 6 Provinzen:
VIII. Saikaidô, d. h. Westsee-Strasse, mit 9 Provinzen:
B. Späterer Erwerb unter besonderer Verwaltung.
IX. Hokkaidô oder Nordsee-Strasse mit 11 Provinzen:
In früherer Zeit schied eine Barriere, die von Ôsaka nach der
Grenze von Yamato und Omi ging, die 33 westlichen Provinzen von
den 33 östlichen. Jene wurden zusammen Kuwansei (sprich Kánsé),
d. h. westwärts des Thores, diese Kuwantô (sprich Kántô), d. h.
ostwärts des Thores, genannt. Später jedoch, als unter der Toku-
gawa-Herrschaft die Passzugänge zur Ebene, in welcher die neue
Hauptstadt der Shôgune, Yedo, emporwuchs, sorgfältig überwacht
wurden, verstand man unter dem Thor (Kuwan) die grosse Wache
auf dem Hakone-Pass und unter Kuwantô oder Kuwantô-Hashiu
(sprich Kantô-Hashiu) die 8 Provinzen östlich desselben: Sagami,
Musashi, Kôtsuke, Shimotsuke, Hitachi, Shimôsa, Katsusa und Awa.
Die Provinzen des Sanyôdô und San-indô aber pflegt man noch heute
gewöhnlich als Chiugoku oder Centralländer zu bezeichnen.
Als nach Beseitigung des Feudalsystems im Jahre 1872 eine neue
Verwaltung eingeführt wurde, theilte man das Gebiet von Oyashima
meist ohne Rücksicht auf die alten Provinzen ein in 3 Fu (Miyako oder
Hauptstädte) und in 72 Ken oder Departements, doch wurden im
Laufe der folgenden Jahre, insbesondere 1876, die Grenzen der letz-
teren wesentlich verändert und ihre Zahl schliesslich auf 35 reduciert.
Hokkaidô (Yezo und Kurilen) aber bildet eine Colonie unter beson-
derer Verwaltung, genannt Kaitakushi. Dasselbe gilt neuerdings
von Ogasawara-shima (Munintô), den Bonin-Inseln, während Riukin
als Han (Clan) unter einem eigenen Fürsten (König) stand, bis in
Folge von Vorgängen der allerneuesten Zeit (siehe Näheres im zweiten
Theil) dies Lehnsverhältniss aufgehoben, der Fürst gleich den Dai-
[13]Lage, Grösse und Eintheilung Japans.
mios mediatisiert und die Inselgruppe als 36. Ken dem Lande ein-
verleibt wurde. Die neuen Departements (Ken) werden nach ihren
Hauptstädten oder nach den Kreisen benannt, in welchen diese ge-
legen sind.
Uebersicht der Fu und Ken und ihrer Hauptstädte.
Aus Vorstehendem ergibt sich, dass seit der Restauration der
Mikado-Herrschaft die alten Provinzen aufgehört haben von politischer
Bedeutung zu sein. Aber zum Verständniss der Geschichte und Cul-
tur Japans, wie nicht minder zur sonstigen Orientierung sind sie noch
immer von Wichtigkeit, da ihre Eintheilung meist natürlichen Grenzen
folgt, während die neue Eintheilung in Verwaltungsbezirke (Fu und
Ken) ihrer Willkürlichkeit und Unbeständigkeit wegen für die Geo-
graphie nur von sehr untergeordnetem Werth und Interesse ist.
b. Erklärung häufig vorkommender geographischer Ausdrücke.
(Wo zwei Worte stehen, ist das erste die ursprünglich japanische, das zweite die
sino-japanische*)Bezeichnung).
1. Ortsbezeichnungen.
Higashi, tô = ost; nishi, sai = west; minami, nan = süd; kita,
hoku = nord; kami = ober; shimo = unter; naka = zwischen.
Sen(zen) = vor, vorder; chiu = mittel; go = nach, hinter, als
Affixe z. B. bei Ländernamen, wie Bizen, Bichiu, Bigo.
2. Eigenschaften.
Shiro (shira) = weiss; kuro = schwarz; aka = roth; aö (awo)
= grün; o (oki), tai (dai) = gross; ko = klein; takai = hoch; hikui
= niedrig.
3. Maasse.
10 mo = 1 rin, 10 rin = 1 bu, 10 bu = 1 sun, 10 sun = 1 shaku,
10 shaku = 1 jô; 6 shaku = 1 ken, 60 ken = 1 chô, 36 chô = 1 ri.
[15]Erklärung häufig vorkommender geographischer Ausdrücke.
1 sun, shaku, ken, ri = 1 Zoll, Fuss, Klafter, Meile, beziehungs-
weise.
Die geographische Längeneinheit ist das ri (vom chinesischen
li abgeleitet, doch weit grösser).
1 ri = 3927,27 m. Es gehen sonach 28,28 ri auf 15 geographische
Meilen und es ist 1 geogr. Meile = 1,886 ri.
1 tsubo = 36 □shaku = 3,305785 qm; 300 tsubo = 1 tan =
991,7355 qm; 10 tan = 1 cho = 9917,355 qm; 120 cho = 119 Hectare,
demnach ist 1 cho nahezu 1 Hectare. 1 ho-ri oder 1 ri-shi-ho = 1 ri
im Quadrat.
4. Das Land und seine Theile.
Kuni, koku (goku) oder shiu = Land, Provinz (tai-shiu, Con-
tinent); ken = Departement; kori (gori) = Kreis; shima (jima), tô =
Insel; han-tô = Halbinsel (nicht gebräuchlich); yama, san = Berg;
nobori = Berg (in der Ainio-Sprache); san-miaku = Gebirge (nicht
gebräuchlich), [yama in Verbindung mit Pflanzen- und Thiernamen
bedeutet wild, aus dem Bergwald kommend]; mine = Gipfel, Kamm;
take (dake) = hoher Gipfel, hoher Berg; saki oder misaki = Vorge-
birge; tôge = Pass; sakai = Grenze; tani (dani) = Thal; hira, chi
= Ebene; taira (daira) = Ebene (nur in einigen Fällen gebräuchlich,
wie Aidzutaira, Iwakitaira); hayashi oder ki = Wald; mori = Hain;
hara, no oder no-hara = Waldwiese, Moor, eine offene, uncultivierte
Ebene; ta = Reisland; inaka = Land, im Gegensatz zur Stadt; jôka
= Schlossstadt, früher die Residenz eines Fürsten; miyako (nicht ge-
bräuchlich), fu = Hauptstadt; machi = Stadt; mura = Dorf; shiro
= Schloss; tera (dera) = Buddhatempel; miya = Shintôtempel oder
Kamihalle.
5. Meerestheile.
Ô-nada, tai-yô oder tai-kai = Stiller Ocean; umi, kai = Meer;
uchi-umi oder naka-umi = Binnenmeer; iri-umi, ura oder wan =
Bucht; nada = Meerestheil, wird auch für ura (wan), Bucht und seto
oder kai-kio = Meerenge gebraucht; minato, tsu = Hafen; hama =
flache Küste; shiwo = Meeresströmung, Gezeiten, z. B. kuro-shiwo
= Japanischer Golfstrom, hiki-shiwo = Fluth, michi-shiwo = Ebbe.
6. Benennungen der süssen Gewässer oder Kako.
Kawa (gawa) = Fluss; minamoto, suigen = Quelle; kuchi (guchi)
= Mündung; taki (daki) = Wasserfall; yama-midzu = Bergwasser,
Gebirgsbach; taiga = Strom, doch ist diese Bezeichnung weniger ge-
bräuchlich als das Praefix ô, gross, im Gegensatz zu ko, klein, vor
[16]I. Zur Orientierung.
kawa, also ogawa, der grosse Fluss, ko-gawa, der kleine Fluss,
Bach; hori = Canal; hori-wari = canalisierter Fluss. Für Landsee
gebraucht man die Worte midzu-umi (Süsswasser-Meer), kosui und
ko, doch führen im nordwestlichen Japan, namentlich in Echigo ver-
schiedene Seen den Namen kata (gata), Haff, und in der Ebene von
Kuwantô den Beinamen ura, Bucht; ike ist ein Teich, numa ein
Sumpf, Sumpfsee. Die warme Quelle heisst onsen oder ide-yu und
yu (als Praefix oder Affix zum Eigennamen) das warme Bad, die
Therme; yu bedeutet überhaupt warmes Wasser, im Gegensatz zu
midzu, Kaltwasser. Jinoku (i. e. Hölle) ist eine Solfatare, gewöhn-
lich je nach ihrer Stärke ô-jinoku oder ko-jinoku genannt.
Lästig und vielfach verwirrend ist die Gewohnheit der Japaner,
den Namen eines Flusses wiederholt in seinem Laufe zu verändern.
Heisst er z. B. anfangs nach dem Berge oder Bezirke, an oder in
welchem er entspringt, so benennt man ihn oft schon unterhalb des
ersten grösseren Ortes nach diesem, um beim zweiten, dritten etc.
weitere Aenderungen vorzunehmen. So heisst der Fluss, welcher der
ganzen Länge nach seinen Lauf durch die Mitte der Provinz Musashi
nimmt, anfangs Arakawa, von der Poststation Todamura am Naka-
sendô an aber Todagawa, bis schon zwei ri weiter abwärts das Dorf
Sumida Anlass zu einer neuen Benennung ist. Der Sumida-gawa
fliesst durch den westlichen Theil der Hauptstadt Tôkio und nimmt
hier unterhalb der Hauptbrücke (Riôgoku-bashi) den Namen Ogawa
an, unter welchem er endlich in die Yedo-Bucht mündet.
Bei Bergen tritt uns eine andere Schwierigkeit entgegen. Es ist
die häufige Wiederholung desselben Namens. So finden wir das Wort
komagatake (Fohlenberg) mehr als zwei Dutzend mal. Der Ja-
paner setzt dann wohl den Provinz- oder Landschaftsnamen erläuternd
hinzu und redet z. B. von einem Shinano-no-komagatake, Kôshiu-no-
komagatake, Yezo-no-komagatake. Aber schon wenn der Berg an
der Grenze zweier Provinzen liegt, kann man im Zweifel sein, welcher
man ihn zuweisen soll, wie viel mehr da, wo auf ihm drei Provinzen
aneinanderstossen. Wiederholt heisst der Berg, beziehungsweise Pass
an einer solchen Stelle Mikuni-yama (Dreiländerberg) und Mikuni-
tôge (Dreiländerpass).
[[17]]
II.
Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
Die japanischen Inseln haben eine beträchtliche Küstenentwicke-
lung und besitzen namentlich auf der Süd- und Südwestseite viele
geschützte Buchten, die jedoch in manchen Fällen zu seicht sind,
um grösseren Schiffen den Zugang zu ermöglichen. Flache, sandige
Gestade wechseln häufig mit Steilküsten ab, doch herrschen letztere
vor. Der am meisten geschlossene Meerestheil ist das Japanische
Binnenmeer, »the Inland-Sea« englischer Karten, japanisch Seto-
uchi oder Seto-uchi-no-umi, d. h. das Meer innerhalb der Strassen.
Dasselbe dehnt sich zwischen den Inseln Hondo, Kiushiu und Shi-
koku aus, nimmt an dem Gezeitenwechsel des Oceans theil und gehört
deshalb ganz in die Kategorie der sogenannten Küstenmeere. Durch
die sehr schmale Meerenge von Shimonoseki (Shimonoseki-no-seto),
die Van der Capellen-Strasse der Europäer, an deren Seiten
Shimonoseki und Moso-saki so nahe sich gegenüberliegen, wie Rüdes-
heim und Bingen, wird Hondo von Kiushiu geschieden und Seto-uchi
mit dem Japanischen Meer verbunden. Die Bungo-nada (Bungo-
Strasse) zwischen Kiushiu und Shikoku und die Linschoten-Strasse
zwischen Shikoku und Honshiu stellen den Zusammenhang des Bin-
nenmeeres mit dem Stillen Ocean her.
Der Uebergang von Kiushiu nach Shikoku findet gewöhnlich von
Saga-no-seki nach Yawata-hama statt. Hier nähern sich beide
Inseln durch zwei Landzungen, von denen namentlich die von Shikoku
sehr lang und schmal ist, bis auf 5 ri (2⅔ g. M.). Der Meeresboden
hebt sich rasch vom Stillen Ocean zum Seto-uchi hin, sowohl in Bungo-
nada, als auch in der Linschoten-Strasse, und zwar von 50—60 Faden
Tiefe auf die Hälfte, ja ein Drittel, und wenn zu der rechtwinkeligen
Bewegung der Gezeiten-Wellen vom Kuroshiwo aus durch diese Engen
sich ein scharfer Ostwind gesellt, so entsteht eine wildbewegte, ge-
fährliche See, welche namentlich in der Bungo-nada gefürchtet wird.
Rein, Japan I. 2
[18]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
Die Linschoten-Strasse hat zwischen den Provinzen Kiishiu und
Awa eine mittlere Breite von 4 geogr. Meilen, wird aber dann durch
das vorgelagerte Awaji getheilt und eingeengt in die Idzumi-nada,
welche zur Bucht von Ôsaka führt, und in die Naruto-Passage
zwischen Awaji und Awa*). Hier befindet sich der Awa-no-na-
ruto oder Strudel von Awa, eine Art Charybdis, wo nach einer ja-
panischen Schilderung »das Meerwasser sich schraubenartig dreht und
die Brandung an den Felsen ein Geräusch verursacht, wie von hundert
Donnern. Der Durchmesser dieses Strudels ist mehr als 1 ri (½ g. M.).
Wenn Schiffe wider Willen hineingerathen, werden sie nach und nach
in drehende Bewegung versetzt, hinabgezogen und um und um ge-
dreht, ohne dass man weiss, wohin sie gerathen.« So die Sage; in
Wirklichkeit ist die Sache nicht so gefährlich. Nicht weit davon be-
findet sich der viel schwächere Ko-naruto oder kleine Strudel.
Das japanische Binnenmeer ist mit vielen, meist vulkanischen
Inselchen besät und durchweg so seicht, dass eine Hebung des Bo-
dens um nur 20 Faden an vielen Stellen trockene Landverbindungen
unter den benachbarten grossen Inseln bewirken würde. Manche
dieser Eilande sind mit Kiefern bewachsen, und es erinnert eine Boot-
fahrt zwischen ihnen einigermassen an eine Skärenfahrt im euro-
päischen Norden. Als Theile dieses Binnenmeeres werden unterschie-
den und nach benachbarten Provinzen benannt: die Suwo-nada,
Iyo-nada, Bingo-nada (oder Midzushima-nada), Harima-
nada und Idzumi-nada mit Kobe-no-minato und Ôsaka-
no-minato, den Häfen von Kobe und Ôsaka**).
Bei Kiushiu ist der grösste Theil der Ostküste flach und offen,
daher ohne Häfen. Auf der Südseite schneidet die Kagoshima-
ura zwischen den Halbinseln Ôsumi und Satsuma gen Norden weit
ein, ist von einer prächtigen Küste umgeben und ganz besonders aus-
gezeichnet durch die vulkanische Insel Sakurajima, welche sich als
eine grosse Zierde der Gegend steil darin erhebt. Die genannten
Halbinseln laufen in steile Vorgebirge aus, an denen die Meereswogen
sich brechen, so bei Satanomi-saki, der Südspitze von Ôsumi und
Kiushiu überhaupt.
[19]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
Auf der Westseite von Kiushiu tritt zwischen dem vieltheiligen
Hizen und dem östlich davon gelegenen Higo das Meer nordwärts
bis Saga unter der Breite von Bungo-nada vor. In diese Bucht schiebt
sich von Hizen her gen Südost die Halbinsel Shimabara mit dem
Vulkan Onzengatake. Auch liegen hier am Eingang mehrere grössere
bemerkenswerthe Inseln, vor allem Amakusa, dann auf ihrer Ost-
seite Kamishima und im Süden Nagashima. Der nördlichste
Theil der Bucht heisst Shimabara-nada (eigentlich Ariake-no-oki)
und hat flache Ost- und steile, vulkanische Westküste. Shimabara-nada
steht durch Hagasaki-nada zwischen Amakusa und der Halb-
insel Shimabara mit Chijiwa-nada in Verbindung, welche Bucht
sich zwischen dem südlichen Hizen, der Halbinsel Shimabara und
der Insel Amakusa ausbreitet.
Ganz Hizen ist eigentlich eine nach Südwesten gerichtete Halb-
insel mit Nomo-saki als südlichstem Vorsprung und meist mit steilen
Küsten, in welche ausser Chijiwa-nada auch von Westen her mehrere
Buchten tief einschneiden. Hierher gehört vor allem die schöne Bucht
von Nagasaki mit dem bekannten ausgezeichneten Hafen im Hinter-
grunde; sodann die Ômura-Bucht (Ômura-no-iri-umi) und die Buchten
von Imari, Karatsu und Fukuoka. Gen Norden, wo Kiushiu
im Hi-saki an der Strasse von Shimonoseki am weitesten vortritt,
macht das Binnenmeer die Buchten von Nakatsu und Funai.
Die Insel Shikoku ist an der Bungo-nada am meisten gegliedert.
Unter den kleinen Landzungen, welche das Meer hier bildet, ragt die
nördlichste wie ein langer Damm gegen das Binnenmeer am weitesten
vor und endet im Cap Mi-saki nur 5 ri (2⅔ g. M.) von Kiushiu. Gen
Süden endet die Insel in den beiden Vorgebirgen Isa-saki und
Muroto-saki. Zwischen beiden ist Toshiu-nada oder Tosa-no-
umi, eine breite Bucht mit theils flacher, theils steiler Küste, in deren
Nähe der Kampferbaum immer noch als wichtiger Bestandtheil der
immergrünen Wälder erscheint. Ihr gegenüber tritt auf der Nordseite
der Insel zwischen Kajitori-saki und Hakura-saki die Bingo-
nada gen Süden vor, so dass hier Shikoku die geringste Breite hat.
Die Südseite der Insel Honshiu von Shimonoseki bis Noshi-
ma-saki an der Südküste von Awa ist gegenüber dem übrigen Theil
sehr buchtenreich und besitzt einzelne vortreffliche Häfen, vor allem
Yokohama, dann Yokoska, Shimoda, sowie im Binnenmeer
Kobe. Die meisten der grösseren Buchten sind jedoch seicht und
ihre innersten Küsten flach; dagegen ragen die Halbinseln zwischen
ihnen mit steilen Ufern nach Süden. Zu diesen Halbinseln gehören
Kadsusa-Awa, östlich der Yedobucht, welche in den Vorgebirgen
2*
[20]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
Noshima-saki und Su-saki (Cape King) endet; ferner die Halb-
insel Sagami mit vielen kleinen Buchten und den Vorsprüngen
Kampon-saki, Tsurugi-saki und Mi-saki; die Halbinsel Idzu,
welche in dem Iro-saki endet; zwei Landzungen der Küste von Tô-
tomi und Mikawa, deren östliche im Omaye-saki, die westliche im
Irako-saki endet; die Halbinsel von Owari mit dem Moro-saki.
Zwischen Ise-no-umi und dem östlichsten Theil des Binnenmeeres
bilden die Provinzen Ise, Shima, Iga, Yamato, Kii, Kawachi und
Idzumi zusammen ebenfalls eine gebirgige und an Naturschönheiten
sehr reiche Halbinsel, welche nur auf der Seite von Idzumi eine flache,
seichte Küste hat, sonst aber durch tiefes Wasser in den vielen kleinen
Buchten sich auszeichnet. Wir wollen sie die Halbinsel Yamato
nennen.
Als erwähnenswerthe Meerestheile zwischen den vorbenannten
Halbinseln mögen hier folgen: Tôkio-wan zwischen Kadzusa-Awa
und Sagami mit den Baien von Yokohama und Yokoska auf der
Westseite, Sagami-nada zwischen Sagami und Idzu; Suruga-
wan (Suruga-nada) zwischen Idzu und Omaye-saki; Hama-no-
minato, flache Bucht an dem Gestade von Tôtomi; Mikawa-no-
iriye zwischen den Vorgebirgen Irako-saki und Moro-saki; Ise-no-
umi, auch Owari-wan genannt, zwischen Owari und Ise.
Die offene See zwischen Toba am Eingang des Meeres von Ise
und der Halbinsel Idzu heisst Tôtomi-nada und gilt gleich der
Bungo-nada für einen häufig sehr aufgeregten Meerestheil.
Von der steilen Ostküste der Halbinsel Kadzusa-Awa an beginnt
nordwärts eine offene, monotone Flachküste, welche in ihrem Charak-
ter mit geringen Unterbrechungen sich bis jenseits der Kitakami-
Mündung an der Sendai-wan erstreckt. Auf ihrer Westseite bildet
diese Sendaibucht eine seichte Lagune, in welcher die Inselgruppe
Matsushima gelegen ist. Dieselbe besteht aus vielen kleinen Ei-
landen, welche, nahe an einander gereiht, im Mittel 20—30 Meter
hoch, grösstentheils mit Kiefern (daher der Name) bewachsen sind
und in den Augen der Japaner für eine besondere Sehenswürdigkeit
des japanischen Nordens gelten.
Von der Kitakami-Mündung an um die kleine Halbinsel, welche
die Nordostgrenze der Sendaibucht bildet, und die vorgelagerte 300
Meter hohe Insel Kinkuasan herum nimmt die Ostküste von Hon-
shiu einen andern Charakter an. Er wird bedingt durch die zahl-
reichen Ausläufer, die vom Meridiangebirge östlich des Kitakami-gawa
nach Osten zum Meer ziehen und hier steil, wenn auch nicht sehr
hoch, vorspringen. Diese Gebirgsausläufer bilden die Wasserscheiden
[21]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
ebenso vieler kleiner Küstenbäche, deren Thälchen in schöne Baien
enden. An den dunklen Felsen aus alten Schiefern und krystallini-
schem Massengestein, welche diese kleinen Buchten nach Aussen be-
grenzen, brechen sich die Wellen des Oceans, sodass hier mancher
geschützte Ankerplatz zu finden ist, der aber nur in wenigen Fällen,
wie z. B. bei Kamaishi der Magneteisenstein-Vorkommnisse wegen,
eine grössere Bedeutung hat, da hier das Land sonst wenig bietet,
um einen regeren Schiffsverkehr hervorzurufen.
Auf der Nordseite von Honshiu öffnet sich an der Tsugaru-Strasse,
der Insel Yezo zugewandt, die Awomori-wan mit einem der tiefsten
und sichersten Häfen. Die innere Küste von Awomori ist vorherr-
schend flach, während die beiden die Bucht begrenzenden Halb-
inseln in den steilen Fuji-ishi-saki, Oma-saki, Ishi-saki
und Tatsuhi-saki nach Norden vorspringen.
Das Japanische Meer bespült die Westküste von Honshiu ihrer
ganzen Länge nach. Nur an den Grenzen der einzelnen Provinzen,
sowie da, wo mächtige Vulkane, wie der Iwakisan und Chôkaisan,
ihre Laven- und Aschen-Massen bis zur See gesandt haben, ferner
ganz im Süden von Sanindo ist die Küste steil, sonst auf weite
Strecken, wie bei Toyama, Niigata und Akita, flach, mit Kiesel-
schiefergeröll oder hellrothem Sande bedeckt und wenig gegliedert.
Es ergibt sich hieraus, dass während der einen Jahreshälfte, wenn
rauhe nördliche Winde herrschen und die hohen Wellen des Japa-
nischen Meeres diesen Gestaden zutreiben, hier für die meisten Küsten-
orte die Schifffahrt ruhen muss. Dies gilt namentlich auch von Nii-
gata, das deshalb als Vertragshafen wenig Bedeutung hat, da es nur
im Sommer directen auswärtigen Handel treiben kann.
Von den wenigen Meereseinschnitten und Landvorsprüngen an
dieser Küste sind hier von Nord nach Süd zu merken: der Jiûsa-
gata an der Küste von Mudzu und der grössere Hachiro-gata
an derjenigen von Akita. Diese lagunenartige Bucht erstreckt sich
3 Meilen lang von Norden nach Süden und besitzt an ihrem Südende,
nordwestlich von der Stadt Akita, einen engen Ausgang zum Meer.
Durch diese Bucht wird die Halbinsel von Iwasaki gebildet. Von
hier, dem 40. Parallel bis zum 37. Breitengrad und 137. Meridian O. Gr.,
ist die Küste sehr einförmig, dann ragt gen Norden die Halbinsel
Noto weit vor und endet im Cap Roiyen. Zwischen dieser Halbinsel
und der Küste von Echiu ist Toyama-wan oder das Fuse-no-
umi, und an der Ostseite von Noto selbst die Nagao-wan mit der
Noto-jima (Noto-Insel). Weiter folgt wiederum ein einförmiges Ge-
stade und dann die schöne Wakasa-wan, als deren östlichster Theil
[22]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
die Bai von Tsuruga mit ihrem trefflichen Hafen noch besonders
hervorzuheben ist. Zwischen dieser und der Mündung des Kisogawa
im Meerbusen von Owari hat die Breite der Insel beträchtlich abge-
nommen und beträgt nur noch 26 ri oder 14 geogr. Meilen. Diese
Linie bildet die Basis eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Spitze
in Ôsaka liegt und welches das Becken des Biwa-ko, sowie das Thal
des Yodo-gawa einschliesst.
Die letzte grössere Bucht an der Küste des Japanischen Meeres
gehört der Provinz Idzumo an. Dort bilden unter 35½° die Kreise
Aika und Shimane eine von West nach Ost gerichtete langge-
streckte Halbinsel, welche im Jizô-saki endet, während von Süd-
osten her das Land in der Halbinsel Yonago bis Sakai sich fortsetzt,
wo zwischen beiden Halbinseln ein schmaler Meeresarm eintritt und
sich als Naka-no-umi (Binnenmeer) erweitert, worin Daikon-jima
(die Rettiginsel) liegt. Diese Bucht ist etwa 3½ Meilen lang, gegen
2 Meilen breit und durchweg etwa 3 Meter tief. Nach Westen setzt
sich an der Stadt Matsuye vorbei durch einen Fluss die Wasserver-
bindung weiter fort und erweitert sich nach einer Stunde wieder
in dem seichten Süsswassersee Shindji-no-midzu-umi, welcher
3½ Meilen lang und 1 Meile breit ist und mehrere Bäche aufnimmt,
worunter der Hiigawa der bedeutendste ist.
Wenden wir uns schliesslich auch noch zu einer kurzen Betrach-
tung der Küste von Yezo. Gegenüber der Bucht und dem Hafen
von Awomori liegt die Bai von Hakodate mit dem gleichnamigen
Hafen, dem besten von Yezo. Folgt man derselben Richtung weiter
nordwärts, so kommt man erst an die Vulkan-Bucht und dann, in
etwas nordöstlicher Richtung das Land überschreitend, zur Mündung
des Ishikari und der Strogonoff-Bucht oder Otarunai-wan am
Tatarischen Meer. Durch die Volcano-Bay und Strogonoff-Bay er-
hält der Südwesten von Yezo die Gestalt einer Halbinsel. Auch nach
Süden und Norden, wie gen Osten spitzt sich Yezo mehr oder we-
niger halbinselartig zu. Die Namen der bemerkenswerthesten Vor-
gebirge sind: Shirakami gegenüber Cap Tappi in Mutsu auf der
Westseite der Tsugaru-Strasse, durch welche hier eine gefürchtete
Strömung geht, Nakano-shiwo genannt, welche beständig aus dem
Japanischen Meer zum Stillen Ocean gerichtet ist, und Shirokubi-
saki und Yesan-saki auf der Ostseite; ferner Yerimo-saki als
Südspitze von Hidaka, Nosshafu-saki an der Südost- und Shire-
toko-saki an der Nordost-Küste von Nemuro; sodann Entomo-
saki im Norden.
An all diesen Vorsprüngen bilden auslaufende Gebirgszüge steil
[23]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
zur See abfallende Küsten, während zwischen denselben an den Innen-
rändern der Buchten und insbesondere an den grösseren Flussmündungen
sich flache Gestade mit viel Dünensand ausbreiten. —
Das Meer spielt bei jener Gesammtheit von meteorologischen
Erscheinungen eines Ortes oder Gebietes, welche wir dessen Klima
nennen, eine sehr wichtige Rolle. Ist es doch als das grosse Reservoir
anzusehen, aus welchem das atmosphärische Wasser nicht blos zur
Wolken- und Regenbildung vornehmlich emporsteigt, sondern woselbst
sich alle Niederschläge am Ende wieder sammeln. Aber mit dem
Wasser sammelt sich im Meer auch ein grosser Theil der Wärme,
welche das feste Land durch Insolation empfing, und wird für kältere
Zeiten und Klimate aufgespeichert und denselben durch Strömungen
und Winde zugeführt. Eine genaue Kenntniss der Reliefverhältnisse
des Meeres, seiner horizontalen Gliederung, seiner Temperaturver-
hältnisse und Bewegungen muss zum Verständniss der Witterungs-
erscheinungen eines Inselreiches wie Japan wesentlich beitragen und
damit auch beitragen zum Verständniss der Eigenthümlichkeiten, welche
die Fauna und Flora, sowie endlich der Charakter und die Lebens-
weise der Bewohner so zahlreich aufweisen.
Nachdem eine gedrängte Darstellung der Gliederung des Meeres
an den japanischen Küsten vorausgegangen ist, mag desshalb eine
Besprechung seiner bemerkenswerthesten Bewegungen hier folgen.
Ueber die Gezeiten lässt sich bislang wenig sagen. Es fehlen
die näheren Untersuchungen über die Hafenzeiten der meisten Küsten-
orte von Bedeutung, oder wenigstens zugängige Berichte darüber,
ohne welche sich keine allgemeinen Schlüsse über diese Bewegung
ziehen lassen. Die Fluthhöhe wechselt zwar begreiflicherweise mit
der Jahreszeit und ist verschieden je nach der Breite und Beschaffen-
heit der Küste, doch ist sie im Allgemeinen nicht sehr beträchtlich
und hält sich zwischen 3 und 7 Fuss.
Unter den permanenten Strömungen in den japanischen Meeren
ist diejenige des Kuro-shiwo (schwarze Strömung) oder Japanischen
Golfstroms weitaus die auffallendste und wichtigste. Der Kuro-shiwo
beginnt zwischen Luzon und Formosa bei den Bashee-Inseln nördlich
vom 20. Breitengrad, fliesst von hier auf der Ostseite von Formosa
hin, den südlichen Riukiu entlang bis etwa zum 26. Parallel, wo eine
Gabelung eintritt, indem der Hauptstrom sich nordostwärts wendet und
die Südostseiten der grossen japanischen Inseln Kiushiu, Shikoku und
Honshiu der Reihe nach bestreicht, während ein kleiner Arm die
nördliche Richtung beibehält, den Westen von Kiushiu und die Gotô
umspült und östlich von Tsushima durch die Krusensternstrasse
[24]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
in das Japanische Meer tritt. Diese Strömung hat v. Schrenk, der
Hydrograph der an Ostsibirien und Amurland stossenden Theile des
Stillen Oceans, die Tsushima-Strömung genannt. Sie fliesst
über die Osthälfte des Japanischen Meeres von Südwest nach Nord-
ost, tritt theils durch die Tsugaru-Strasse, vornehmlich aber
durch die Strasse La Pérouse, und verliert sich bald im südlichen
Theil des Ochotskischen Meeres. Dieselbe bespült den Westen von
Yezo und den Südosten von Sachalin und macht sich hier bis zur
Bai der Geduld bemerkbar. Der Hauptstrom des Kuro-shiwo nimmt
nördlich des 38. Breitengrades eine mehr östliche Richtung an, biegt
endlich südlich der Aleuten nach der Küste Nordamerikas um, die
er von Nordwesten her, von Sitka bis Cap San Lucas unter dem
Namen »Nordpacifische Trift« bestreicht. Nur ein kleiner Theil des
Kuro-shiwo scheint jenseits des 38. Parallel die nordöstliche Richtung
beizubehalten und in einiger Entfernung von den Küsten zwischen
Kamtschatka und den Aleuten dem Beringsmeer zuzufliessen.
Wenn man auf dem Wege von Hongkong nach Yokohama das
Nordende der Insel Formosa passiert hat, tritt man bald in den Ku-
roshiwo ein. Eine auffallend unruhige Bewegung des Wassers und
fühlbare Temperatur-Zunahme machen den Uebergang auch dem-
jenigen bemerklich, der nicht gewöhnt ist, solche Dinge mit Aufmerk-
samkeit zu verfolgen. Die Meeresströmung treibt hier täglich 30 bis
40 Seemeilen — im Winter weniger weit — nordostwärts und weist eine
4—5°C. höhere Temperatur auf, als die angrenzende See. Bei be-
decktem Himmel ist ihre Farbe grau, bei Sonnenschein tief dunkel-
blau, und diese auffallend dunkle Färbung ist die Ursache des Na-
mens, denn der japanische Schiffer weiss zwischen dunkelblau und
schwarz nicht zu unterscheiden. Am 19. December 1873 betrug seine
Temperatur unter 29° 24' N. und 128° 18' O. Gr. 23°C. und stieg
noch etwas am folgenden Tage unter dem 130. Meridian zwischen
den Inseln Suwo-shima und Akiu-shima. Nach den Aufzeichnungen
an Bord des P. und O. Dampfers Avoca erreicht hier im Nachsommer
das Wasser 27°C. und bleibt daher nur 3 Grad hinter der höchsten
Temperatur des Atlantischen Golfstroms zurück. Zur nämlichen Zeit
(Ende September) findet der Seefahrer, welcher den Hafen von Ha-
kodate verlässt und südlich nach Yokohama steuert, dass an der
Küste von Nambu unter 39° N. die Meerestemperatur innerhalb einer
Stunde von 20°C. auf 25,5°C. steigt. Hieran, sowie durch andere
Veränderungen in seinem Fahrwasser merkt er, dass die kalte ark-
tische Strömung hinter ihm liegt und er in den Kuro-shiwo einge-
treten ist.
[25]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
Im Jahre 1827 fand Capitain Beechey auf seiner Reise von Port
Lloyd (Bonin-Inseln) nach Petropawlovsk folgende Temperaturen
der See:
den 25. Juni in Lat. 38° 30' N. und Longt. 154° 16' O. Gr. 18,4°C.
‒ 26. ‒ ‒ ‒ 40° 07' N. ‒ ‒ 156° 53' O. Gr. 11,4°C.
Dies macht also eine Differenz von 7°C. beim Uebergang aus dem
Japanischen Strom in die kalte, nordische Strömung. Im Winter ist
der Temperaturwechsel der See oft noch viel auffälliger und beträgt
8—10°C. innerhalb weniger Stunden Fahrt.
Südwestlich der Gotô und von Nagasaki, im westlichen Arme der
warmen Strömung steigt die Temperatur im August und September
auf 28°C. und sinkt gegen das Frühjahr auf 17°C. In der Tsushima-
Strömung hat das Japanische Meer Anfang Mai eine Temperatur von
19—20°C., d. h. etwa 2° weniger als der Hauptstrom südlich von
Yedo unter gleicher Breite. Endlich sei noch erwähnt, dass zwischen
Wladiwostok und dem Südwesten von Yezo Steigerungen der Meeres-
temperatur von 6—8° in jeder Jahreszeit den Uebergang aus der
kalten Küstenströmung in den Tsushima-Strom ebenfalls deutlich an-
zeigen. Auf der Nordwestseite ist dieser Uebergang in den Kuro-shiwo
hier, wie im Stillen Ocean, plötzlich und die Wärmesteigerung in Luft
und Wasser sehr fühlbar, weniger auffallend auf der Südostseite.
Man weiss, dass auch diese Strömung gleich dem Golfstrom in
Geschwindigkeit, Tiefe und Temperatur ab-, an Breite aber ansehn-
lich zunimmt, je weiter nordwärts sie rückt. Unter dem 140° O. Gr.
erstreckt sie sich von Muninto bis nach Cap King im Süden der Yedo-
Bucht*). An den Rändern des Kuro-shiwo, wo er sich an den kalten
arktischen Gegenströmungen reibt oder an den trägen Wassern des
Stillen Oceans bricht, wie nicht minder in seinem oberen Laufe, wo
Inseln, insbesondere die Riukiu, und Untiefen Wirbel und Strudel
hervorrufen, herrscht beständig eine hohe Brandung und starker Wel-
lenschlag. Da sind heftige Regenschauer — im Norden auch dichte
Nebel — sehr häufig und es wogt und kämpft zu jeder Jahreszeit
die nur selten ruhige See.
Die Monsune beeinflussen keineswegs in dem Grade die Aus-
dehnung und Richtung des Kuro-shiwo, wie man denken sollte, noch
viel weniger seine Stärke. Die Ursachen sind eben ganz andere, als
die der Triftströmungen, und darum passt auch die Behauptung
Croll’s, dass die Richtung einer oceanischen Strömung derjenigen
[26]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
des herrschenden Windes entspricht, in keiner Weise auf den Japa-
nischen Strom.
Der Kuro-shiwo wurde schon von dem holländischen Seefahrer
Vries im Jahre 1643 auf seiner Reise mit dem Schiffe Castricum
beobachtet*) und wird auch von vielen späteren Entdeckungsreisen-
den, insbesondere von Broughton und Krusenstern, erwähnt.
Unsere genaueren Kenntnisse über den ganzen Verlauf desselben da-
tieren jedoch erst aus der Zeit der Perry-Expedition, von der ab
die früher wenig gekannten japanischen Gewässer von Kriegs- und
Handelsschiffen nach allen Richtungen gekreuzt wurden.
Vergleichen wir den Kuro-shiwo mit dem Atlantischen Golfstrom,
so tritt eine grosse Aehnlichkeit beider hervor. Wie der Golfstrom
der äquatorialen Strömung im Atlantischen Ocean und der vorge-
lagerten centralamerikanischen Küste sein Dasein, der Küstengestal-
tung Nordamerikas, der Achsendrehung der Erde und im weiteren
Verlauf auch dem Südwestpassat seine Richtung und weite Erstreckung
verdankt, so ist auch der Ursprung des Japanischen Stromes der
Aequatorialströmung des Stillen Oceans und der eigenthümlichen
Küstenbildung Ostasiens zuzuschreiben und sein Verlauf auf die Dre-
hung der Erde und die Einwirkung der Monsune zurückzuführen.
Aber während der grösste Theil des Golfwassers endlich zwischen
Nordeuropa und Spitzbergen in die arktische Region eintritt, wird
der Kuro-shiwo durch die vulkanische Kette von Yezo bis Kam-
tschatka und von hier über die Aleuten und Alaschka nach
dem amerikanischen Festlande von dem Eintritt in das Berings- und
Polar-Meer ausgeschlossen. Der Norden des Stillen Oceans ist eben
in viel höherem Maasse ein Cul de Sac als derjenige des Atlantischen
Meeres, wie ein Blick auf seine viel geschlosseneren Umrisse zeigt;
denn hier ist die schmale und nur 180 Fuss tiefe Berings-Strasse
das einzige Verbindungsglied mit dem Eismeer. Das Paläocrystische
Meer des hohen Nordens, als Quell der kalten arktischen Ströme, sen-
det seine Eismassen wohl ungehindert sowohl durch Smithsound als
auch der Ostküste Grönlands entlang südwärts, aber durch die Beh-
rings-Strasse gelangt nur wenig Polareis in den Stillen Ocean, und
der Kuro-shiwo begegnet keinen Eisbergen, wie der Golfstrom. Bis
zu 500 Faden Tiefe lässt sich auch das wärmere Wasser des Kuro-
shiwo verfolgen, aber es bleibt in jeder Tiefenlage etwa 2—3° in der
Temperatur hinter der des Golfstrom in gleicher geogr. Breite und Tiefe
[27]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
zurück. So gleichen sich denn die beiden auffallendsten oceanischen
Ströme nach Wesen, Ursprung und Richtung und weichen nur hin-
sichtlich der Intensität und der letzten Strecke ihres Laufes wesent-
lich von einander ab.
Die kalten Strömungen im nördlichen Stillen Ocean, welche Japan
berühren oder mittelbar bei seinem Klima in Betracht kommen, haben
theils im Ochotskischen, theils im Berings-Meer ihren Ursprung.
Schrenk unterscheidet in ersterem nicht weniger als drei, die er
als Kurilische-, Sachalinische- und Liman-Strömung be-
zeichnet. Letztere ist eine Küstenströmung aus dem Nordwesten des
Ochotskischen Meeres, welche am ostasiatischen Festland hinzieht,
zwischen demselben und der Insel Sachalin (jap. Karafto) im Liman
des Amur vom kalten Wasser dieses Flusses überfluthet wird und
durch die Tatarische Meerenge der Westküste des Japanischen Meeres
entlang südwärts rückt. Schrenk konnte sie noch bei Wladiwo-
stock nachweisen. Es ist aber kaum zweifelhaft, dass sie durch die
Broughton-Strasse zwischen Tsushima und Korea ins Gelbe Meer ge-
langt und hier während des grösseren Theiles des Jahres, durch die
kalten Wasser der chinesischen Ströme verstärkt, unter dem Einflusse
des Nordostmonsuns bis in die Strasse von Formosa hin fühlbar wird.
Deshalb wählen im Winter Segelschiffe den Weg nach Japan im
Osten von Formosa.
Die Limanströmung bildet eine Parallele zu der Labradorströ-
mung längs der nordamerikanischen Küste, und wie diese den Ge-
staden der nordamerikanischen Colonien Englands und der Vereinigten
Staaten einen grossen Reichthum an schmackhaften Fischen, Mollus-
ken und Krustenthieren zuführt, so bringt auch die ostasiatische
Küstenströmung Korea und China eine Menge werthvoller Seethiere,
bei deren Fang und Zubereitung Hunderttausende von Menschen ihren
Lebensunterhalt finden.
Während nun die Limanströmung Sachalin im Nordwesten be-
rührt, wird diese Insel auf der Ostseite von einem schwächeren Strome
aus dem Ochotskischen Meere bespült, der Sachalin-Strömung,
die sich am Cap der Geduld mit den wärmeren Wassern der
Tsushimaströmung, welche durch die Strasse La Pérouse eintreten,
mischt und verliert.
Wo im Nordosten das Ochotskische Meer mit der Penschina- und
Gischiga-Bucht tief in das eisige Sibirien einschneidet, ist die Quelle
der Kurilischen Strömung. Der Westküste Kamtschatkas entlang
rückt sie gegen die Kurilen vor, welche sie nach Aufnahme einer
schwächeren Strömung von der Ostseite der grossen sibirischen Halb-
[28]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
insel bei Cap Lopatka ihrer ganzen Länge nach bespült. Sie be-
streicht hierauf den Norden und Osten der Insel Yezo und hat hier
selbst im Hochsommer kaum 5°C. Wärme. An den östlichen Ge-
staden von Nambu endlich, unter dem 39. Breitengrade, engt sich
diese arktische Strömung im Sommer als schmaler Streifen einer kal-
ten Küstenströmung ein, während sie im Winter um einen Grad mehr
nach Süden vordringt. Dieser kalte Meeresstrom heisst bei den Ja-
panern Oya-shiwo. Er hat eine dunkle trübe Farbe und contrastiert
auch hierin auffallend gegen das dunkelblaue Wasser der warmen
Strömung. Die neueren Untersuchungen des »Challenger« und der »Tus-
carora« haben indess die von deutschen Kriegsschiffen gemachten Be-
obachtungen bestätigt und nachgewiesen, dass am nördlichen Rande
des Kuro-shiwo Streifen von diesem und von der kalten arktischen
Strömung mehrmals mit einander abwechseln. In der Strasse La Pérouse
bewirkt jene warme Strömung ein jederzeit offenes Wasser, aber an
der Nord- und Ostküste von Yezo, welche der Oya-shiwo bestreicht,
bedeckt sich das Meer im Winter 1—2 Meilen weit mit dickem Eis.
Betrachten wir nun zum Schlusse auch noch die durch die Mon-
sune bewirkten Triftströmungen an den japanischen Küsten.
Wenn im Sommer auf dem Finnischen Meerbusen mehrere Tage
hindurch Südwind herrscht, steigt das Meerwasser im Seebade Swea-
borg und seine Temperatur, das zu Reval dagegen sinkt und wird
kalt. Ein andauernder Nordwind bewirkt das Umgekehrte und trägt
das warme Wasser an der Oberfläche des Finnischen Meerbusens
dessen Südküste zu. Wie hier die Winde im Kleinen wirken, so
haben die Monsune auf das Wasser der Oberfläche in den ostasiati-
schen Meeren und ihren Buchten einen bedeutenden Einfluss.
Auf der Südseite der kleinen, durch ihre Kieselschwämme bekannt
gewordenen Insel Eno-shima in der Nähe von Yokohama befindet
sich eine Höhle, in welcher ein kleiner Buddhatempel, Benten ge-
nannt, zu sehen ist. Derselbe muss beim Eintritt des Südwest-Mon-
suns, d. h. jedes Frühjahr, um 12—15 Schritte weiter zurückgerückt
werden, weil hier wie an allen südlichen Küsten Japans die Winde
den Sommer über das Wasser stauen und um mindestens 1—2 Fuss
höher treiben, als es im Winter zu stehen pflegt. Selbstverständlich
erstreckt sich dieser Einfluss auch auf das Wasser des Kuro-shiwo,
welches während der Herrschaft des Südwest-Monsuns an die japani-
schen Süd- und Südostküsten unmittelbar herantritt und wesentlich dazu
beiträgt, dass hier um diese Zeit sehr hohe Temperaturen herrschen.
Ueberhaupt aber wird die Wärme des Wassers in seichten Buchten
wesentlich von lokalen Verhältnissen abhängen, von der Stärke der
[29]II. Küstengestaltung, Meerestheile, Strömungen.
Insolation, der Menge und Temperatur des zugeführten Flusswassers,
der herrschenden Windrichtung und der dadurch bedingten Trift-
strömung. Aus all diesen Gründen sind die Buchten der japanischen
Inseln im Sommer sehr warm, im Winter kalt. Im Hafen von Yoko-
hama sinkt die Temperatur des Wassers im Winter zeitweise auf
8 bis 9°C.; vom April bis September steigt dieselbe von 12° auf 28°C.
Gleichförmiger erscheint die Temperatur des Binnenmeeres. Aber im
östlichsten Theile desselben geht, wahrscheinlich beeinflusst durch das
Wasser des Yodogawa und anderer Flüsse, die Wärme im Februar
ebenfalls bis auf 9°C. herunter, um dann allmählich wieder wie bei
Yokohama zu steigen, wie man im Hafen von Kobe es beobachtet
hat. Auch in andern Theilen des Binnenmeeres hat das Wasser im
Winter eine niedrigere, im Sommer eine wesentlich höhere Tempera-
tur, als in den benachbarten offenen Meeren. Diese Verhältnisse haben
namentlich auf den Fischfang einen grossen Einfluss, wie noch in
einem andern Kapitel näher gezeigt werden soll.
[[30]]
III.
Geologische Verhältnisse.
a. Stand unseres Wissens und Aufbau der Inseln.
Der Japaner kannte und suchte Erze zur Metallgewinnung, Thone
für seine keramische Industrie, Kalk als Dünger, Bergkrystalle als
Edelsteine, Schwefel zur Bereitung von Schiesspulver, aber er be-
durfte bei seinen leichten Holzbauten wenig Bausteine und bearbeitete
nur einzelne Steinbrüche. Für Granit, Trachyt, Lava, Sericitschiefer,
die er brach und zu den Cyclopenmauern seiner Burgen, zu Treppen
und Steinlaternen bei Tempeln, zur Ueberbrückung von Gräben, zu
Grab- und Denksteinen verwandte, hatte er keine Namen, nannte sie
vielmehr nach dem Ort, wo er sie gewann oder woher er sie bezog.
So kenne ich einen Granit, der Teshima-ishi (Teshima-Stein) genannt
wird, einen andern, den man Mikawa-ishi nennt u. s. w. Wie aber
die belebte Natur den Menschen zunächst überhaupt mehr anzieht, als
das Mineralreich, und er viel leichter und eher die Individuen, Gat-
tungen und Familien von Thieren und Pflanzen unterscheiden und
benennen lernt, als von Mineralkörpern, so auch hier. Fossile Ein-
schlüsse des Bodens fielen dem Japaner auf; er sammelte sie als
Curiosa, machte sich auch wohl Glossen über ihr Vorkommen, fand
aber Niemanden, der ihn belehrte. Die Aerzte im Dienste der hol-
ländischen Compagnie, welche sich als Botaniker und zum Theil auch
als Zoologen grosse Verdienste erworben haben, waren auf minera-
logischem und geologischem Gebiete Laien und nicht in der Lage,
die nöthige Belehrung und Anregung zu geben.
Nach der Wiedereröffnung Japans galt es den Einheimischen wie
Fremden vor allem darum, die gefabelten Schätze der Erde zu heben.
Bergingenieure aus Amerika, England, Frankreich und Deutschland
wurden engagiert und grösstentheils wieder entlassen, ohne dass sie
den Erwartungen entsprochen hätten. Thatsächlich ist das Vorkom-
men der meisten Metalle, wie Gold, Silber, Zinn, Blei, Zink, Queck-
[31]Stand unseres Wissens und Aufbau der Inseln.
silber, ein sehr bescheidenes und wird sich nie mit dem mancher
anderen Länder der Erde messen können. Kupfer und Antimon sind
schon reichlicher vorhanden, aber nur an Eisen und Kohlen ist das
Land reich. Jenes findet sich vorwiegend als Magneteisen in mäch-
tigen Stöcken oder als Eisensand in den Flussbetten und an den
Küsten; die Kohlen treten in vielen kleinen Flötzen in verschiedenen
Theilen des Landes auf, vornehmlich auf Yezo, und zwar von der äl-
testen Anthracitkohle bis zur jüngsten Braunkohle, doch nirgends in
grosser Mächtigkeit, noch in der Güte, welche viele europäische Stein-
kohlen auszeichnet. Petroleum wird in mehreren Provinzen gewon-
nen, doch lange nicht genügend für den Bedarf. Steinsalz fehlt*).
Kein Theil der Naturgeschichte Japans hat bisher so wenig Be-
achtung gefunden, als die Geologie. Was wir davon wissen, sind
da und dort gesammelte Bruchstücke. Aber die vielen Störungen,
welche das Gerippe der Inseln und die verschiedenen Sedimentbil-
dungen durch Eruptionen und sonstige vulkanische Thätigkeit im
Laufe der Zeit in ihrer Lagerung erfahren haben, machen die Lage-
rungsverhältnisse und wechselseitigen Beziehungen zum Theil sehr
verwickelt, so dass erst längere und umfassende, systematisch ange-
stellte Untersuchungen darüber ein vollkommen klares Bild gewähren
können. Das Bedürfniss hiernach scheint in der Neuzeit auch bei
der japanischen Regierung lebhafter empfunden zu werden, und es ist
erfreulich zu beobachten, dass sie neuerdings Männer engagiert hat,
vornehmlich Deutsche, die ihrer ganzen wissenschaftlichen Vorbildung
nach zu der Hoffnung berechtigen, dass hier endlich ein lang vernach-
lässigtes Feld erfolgreich bebaut werden wird.
Geologische Beobachtungen anzustellen gehörte zwar nicht in das
Bereich meiner besonderen Aufgaben in Japan, doch gab es dazu
während meiner Reisen vielfach Gelegenheit. Oft freilich konnte ich
von dem, was am Wege lag, nur flüchtig Notiz nehmen, so gern ich
manches sich darbietende interessante Profil weiter verfolgt hätte.
Wenn ich nichtsdestoweniger in dem Folgenden versuche, aus meinen
Beobachtungen Verschiedenes herauszugreifen und, soweit es geht,
übersichtlich zu ordnen, so leiten mich dabei wesentlich zwei Gründe.
[32]III. Geologische Verhältnisse.
Einmal kann ich nämlich der Vollständigkeit des naturwissenschaft-
lichen Bildes wegen, das ich vom Lande zu geben unternahm, die
Geologie nicht auslassen, und sodann war es mir immerhin möglich,
auch auf diesem Gebiete manche Beobachtung und Entdeckung zu
machen von allgemeinerem Interesse, und so mögen denn auch diese
Bausteine hier den verdienten Platz finden. Die Lückenhaftigkeit
meiner geologischen Beobachtungen aber kenne und bedauere ich
selbst am meisten. Vor Allem bedauere ich auch, dass v. Richt-
hofen’s ausführlichere und gründlichere Studien auf diesem Gebiete
im südlichen Japan, zumal auf Kiushiu und Amakusa, noch nicht
publiciert worden sind; sie wären mir sonst zur Beurtheilung mancher
Erscheinungen auf diesen Inseln ein sicherer Wegweiser gewesen.
Wie v. Richthofen bereits vor sieben Jahren hervorgehoben
hat, sind in den Gebirgssystemen Japans zwei Hauptrichtungen zu
unterscheiden, welche nicht bloss im Relief, sondern auch nach ihrem
geologischen Bau deutlich hervortreten, nämlich eine von SW. nach
NO. und eine zweite von SSW. nach NNO. Doch müssen wir da-
neben noch eine dritte hervorheben, welche namentlich im mittleren
Hondo bei mehreren Ketten zum Ausdruck kommt und der Meridian-
richtung folgt.
In zwei parallelen Haupt- und mehreren Seitenketten vermögen
wir das erste System im südlichen Theil von Alt-Japan zu verfolgen.
Als Hauptkette können wir auf Kiushiu jenes in nordöstlicher Rich-
tung diese Insel durchschneidende Gebirge bezeichnen, welches die
Grenze zwischen Higo und Satsuma einerseits, zwischen Bungo und
Hiuga anderseits bildet, das sich dann über die engste Stelle von
Bungo-nada nach Shikoku fortsetzt, der Längsrichtung dieser Insel
folgt und in seinem weiteren Verlaufe die Halbinsel Yamato durch-
zieht. Wir wollen es nach seinem vorherrschenden Gestein das süd-
liche Schiefergebirge nennen. Parallel zu ihm streicht das
Gebirge von Chiugoku, welches sich einerseits durch das nord-
westliche Kiushiu, anderseits an der Grenze zwischen Hôkurokudô
und Tôsandô bis zum mittleren und breitesten Theil von Hondo weiter
verfolgen lässt.
Diesen beiden Parallelketten im Süden entsprechen zwei andere
ebenfalls parallele Gebirgszüge im nördlichsten Theile von Hondo,
welche gleich diesem von SSW. gen NNO. streichen. Das eine —
man kann es den Rückgrat von Hondo nennen — scheidet Ôshiu
von Dewa, das andere treffen wir zwischen Kitakami-gawa und dem
Stillen Ocean. Da es vorwiegend aus alten Schiefern aufgebaut ist,
wollen wir es das nördliche Schiefergebirge nennen.
[33]Stand unseres Wissens und Aufbau der Inseln.
Der Zusammenhang dieser beiden Systeme von Parallelketten ist
im mittleren Hondo schwer zu constatieren. Dieser Theil der Insel
hat nämlich durch vulkanische Eruptionen die grössten Störungen
erlitten. Sehen wir jedoch zunächst ab von diesen, so ist hier das
schon angedeutete dritte System von Gebirgen vorwiegend zur Ent-
wickelung gekommen. Die Meridiankette an der Grenze von Shinano
und Hida, oder das Schneegebirge, ist der hervorragendste Reprä-
sentant. Alte krystallinische Massengesteine herrschen darin vor.
Auf Kiushiu erkennen wir die nordsüdliche Richtung im Streichen
eines Gebirgszuges, welcher der ganzen Länge nach die Insel durch-
schneidet, von der Strasse von Shimonoseki bis zur Südspitze von
Ôsumi. Dieses Gebirge kreuzt sich mit dem südlichen Schiefergebirge,
erscheint mehrfach unterbrochen und durch vulkanische Bildungen von
beträchtlicher Ausdehnung durchsetzt*).
Nach diesen kurzen Andeutungen über die orographischen Ver-
hältnisse von Alt-Japan, die eine eingehendere Behandlung im folgen-
den Kapitel erfahren sollen, wenden wir uns nun zu einer näheren
Betrachtung des Gebirgsbaues selbst. Drei Gruppen von Felsarten
herrschen in Japan bei weitem vor, nämlich plutonische Gesteine,
zumal Granit, vulkanische Gesteine, vornehmlich Trachyt und Dolerit,
und paläozoische Schiefer, während dagegen Kalksteine und Sand-
steine, insbesondere der mesozoischen Schichten, in auffallender Weise
zurücktreten. Oft wird das alte krystallinische Massengestein auf
weite Strecken von ebenfalls sehr alten Schiefern und Quarziten über-
lagert. Das Streichen derselben folgt im allgemeinen der Haupt-
richtung der Inseln von SW. nach NO. Dieses ältere Gebirge erreicht
durchschnittlich 1000—1200 Meter Höhe, ausnahmsweise 2000 Meter
und darüber. In einigen Distrikten schliessen sich mesozoische Sand-
und Kalksteine, viel häufiger jungtertiäre Bildungen an. Vulkanische
Massen durchbrechen und überlagern an unzähligen Stellen alle diese
Gebirgsglieder. Oft füllen sie Lücken zwischen denselben aus und
erscheinen herrschend auf weite Strecken, oft bilden sie auch nur die
höheren Kuppen im älteren Gebirge.
Das Fundament der Inseln besteht aus Granit, Syenit, Diorit,
Diabas und verwandten Felsarten, Porphyr erscheint verhältnissmässig
selten. Bald bildet der Granit, auf weite Strecken anstehend, das
herrschende Gestein, bald für mächtige Schiefer- und Sandsteinschichten
Rein, Japan I. 3
[34]III. Geologische Verhältnisse.
den Untergrund, der nur in Erosionsthälern und Flussgeröllen, in
Felsvorsprüngen an der Küste oder in den Kämmen der Berge zu
Tage kommt. So ist es namentlich auf Kiushiu und Shikoku, wo ich
seine Anwesenheit nur im Geröll der Flüsse zu constatieren vermochte,
auf jener Insel bei verschiedenen Bächen aus dem centralen Meridian-
gebirge, auf Shikoku unter anderem im Oberlaufe des Miyodo-gawa,
der vom Ischidzuchisan kommt. Das schöne Gestein, welches man zu
den Stufen beim Kotohira und bei anderen Tempeln der Insel Shikoku
verwendet, stammt jedoch nicht von dieser, sondern aus den Granit-
brüchen von Te-shima an der Küste von Bizen und heisst danach
Teshima-ishi.
In der Zusammensetzung vieler Gebirge von Hondo spielt der
Granit eine hervorragende Rolle. Wenn ich mit dem, was ich in der
Gegend von Kobe und Ôsaka, sowie auf der Seite des Binnenmeeres
sah, die Berichte von Woeikof und verschiedenen Bergingenieuren,
welche Theile von Chiugoku durchreisten, zusammenstelle, so ergibt
sich, dass der Granit auf dieser Halbinsel das Centralmassiv bildet,
welches an Hunderten von Stellen nach der Küste hin und im Innern
ansteht. Alte fossilfreie, quarzitreiche Schiefer überlagern ihn in
parallelen Ketten der ganzen Länge der Halbinsel nach, besonders
in den centralen und höchsten Rücken, und führen die Erze von
Chiugoku zumal Kupferkies und Magnetkies. Diese quarzitreichen
Schieferrücken zeigen bis zu 10 Metern Tiefe eine starke Verwitterung.
Der zurückgebliebene Quarzsand ist sehr unproduktiv, ernährt vor-
wiegend lichtes Gebüsch und krüppelhafte Kiefern mit stark verbrei-
teten, weit nach Nahrung suchenden Wurzeln.
In der Provinz Setsu herrscht Granit allenthalben vor, was man
auch an den Eisenbahnbauten zwischen Hiogo und Ôsaka, sowie bei
Tempeln und Mauern dieser Städte erkennen kann. Die Wasser-
fälle in der Nähe von Kobe stürzen über Granitwände, und der in
Japan berühmte Mikage-ishi (Stein von Mikage) ist Granit aus Setsu.
Aus ihm besteht z. B. der Wasserstein (On-chôdzu-ya) im Tempelhof
von Nikkô, ein Monolith von ansehnlicher Grösse, welcher auf Schild-
kröten ruht und stets von frischem, klarem Wasser überfliesst.
In dem Hügellande an der Grenze von Ise, Owari, Mikawa und
Tôtomi einerseits, Ômi, Mino und Shinano anderseits bildet Granit
vielfach dunkelgraue, stark verwitterte Felsvorsprünge über Schiefern
und diluvialem Quarzgeröll. Der Feldspath eines prächtigen Schrift-
granits und seine Verwitterungsprodukte an der Grenze von Owari,
Mino und Mikawa bilden das Rohmaterial der sehr ausgedehnten
keramischen Industrie dieser Gegend mit dem Hauptorte Seto.
[35]Stand unseres Wissens und Aufbau der Inseln. Gebirgsformationen.
Aus Granit sind vorwiegend die Meridiangebirge von Shinano
aufgebaut. Er, Diorit und andere plutonische Gesteine engen die
viel gewundenen oberen Thäler des Kiso-gawa, Sai-gawa und mancher
anderen Flüsse dieser Provinz ein; über Granitblöcke eilt ihr klares
Wasser dahin. Auch in den Randgebirgen der Ebene von Kuwantô
sind diese altkrystallinischen Gesteine viel verbreitet. Weiter nach
Norden treten sie wie im Süden gegen Schiefer und Eruptivgesteine
wieder mehr zurück, sind jedoch auch hier an vielen Stellen nach-
weisbar. Natürlich ist es nicht immer ein reiner Granit; auch Hablit
und Granitporphyr finden sich hier und da. So steht zum Beispiel
bei Nikkô im oberen Thale des Daiya-gawa und an mehreren anderen
Orten des benachbarten Gebirges ein Granitporphyr mit grossen blass
fleischfarbenen Orthoklaskrystallen, mattem triklinischem Feldspath,
Quarz und Horblende an.
In dem Grenzgebirge von Kotsuke und Echigo ist auf beiden
Seiten von Mikuni-tôge Diallag führender Diabasporphyrit mächtig
entwickelt, ein dunkles Gestein, das auch im Geröll mehrerer Neben-
flüsse des oberen Tone sich findet.
b. Gebirgsformationen.
Fossile Einschlüsse sind bis jetzt in den mächtigen alten Schiefer-
schichten noch nicht gefunden worden, und es ist desshalb zweifelhaft,
welcher der paläozoischen Formationen man sie zurechnen soll. Auf
alle Fälle aber gehören diejenigen des südlichen Schiefergebirges auf
Amakusa, Kiushiu und Shikoku demselben Systeme an. Dafür spricht
die gleiche petrographische Beschaffenheit und Streichrichtung, sowie
in Amakusa, Bungo und Iyo dasselbe Vorkommen von Spiessglanz und
kohlensauren Kupferhydraten.
Das älteste und interessanteste Vorkommen in dem südlichen
Schiefergebirge*), welches ich wahrzunehmen Gelegenheit hatte, ist
das von Serpentin und Talkschiefer auf den beiden Landzungen, in
welchen Kiushiu und Shikoku an der Bungo-nada sich bis auf 5 ri
nähern. Der Weg von Funai, der Hauptstadt Bungo’s, nach dem Ueber-
fahrtsorte Saganoseki, welcher meist in der Nähe der Küste hinführt,
steigt etwa 2 ri vom Hafenorte über verschiedene Hügel, welche aus
3*
[36]III. Geologische Verhältnisse.
stark geneigten Schichten quarzreicher Thonglimmerschiefer und Sericit-
schiefer, ganz wie sie im Taunus vorkommen, bestehen. Tiefer und
näher bei Saganoseki steht dunkler schieferiger Kalk, dann Talk-
schiefer von geringer Mächtigkeit, endlich schöner dunkler Serpentin
an, auf dem auch ein Theil des Städtchens ruht, das sich über den
engen Hals der Landzunge von Bungo-nada bis an die Suwo-nada
ausbreitet und somit trotz seiner geringen Bedeutung über zwei Häfen
verfügt. Eine den intelligenten Bewohnern auffallende Erscheinung,
auf welche man mich aufmerksam machte, dass nämlich von zwei
benachbarten kleinen Buchten das Strandgeröll der einen nur schwarze,
das der anderen nur weisse Steine zeige, konnte ihnen erklärt werden.
Dort steht nämlich der dunkle Serpentin und Kieselschiefer an, hier
tritt Quarzit auf und bleibt nach Zerstörung des weicheren Schiefers
als Geröll zurück. Die Strömung aber verhindert, dass Geröll aus
der einen Bai in die andere gelangen könnte.
Die erwähnten Gesteine treten auch auf der Saganoseki gegen-
über liegenden Landzunge von Shikoku in derselben Lagerung auf,
vermehrt durch mächtige Schichten Grauwackenschiefer und Grau-
wackensandsteine, welche auch auf Kiushiu stark entwickelt sind,
wie sie denn überhaupt im Japanischen Schiefergebirge eine hervor-
ragende Rolle spielen. Alle hier erwähnten Felsarten kann man
auch, mit Ausnahme des Talkschiefers, am Molo des Hafens Yawata-
hama auf Shikoku, welcher mit Saganoseki correspondiert, vertreten
finden. Gneiss kommt beiderseits nicht vor. Grüne Sericitschiefer
stehen auch am Wege von Nagasaki nach dem 3 ri südlicher gelegenen
Orte Mogi an, von welchem die Ueberfahrt nach Amakusa stattfindet.
Auch in unmittelbarer Nähe von Nagasaki scheinen aufgerichtete meta-
morphische Schiefer überall das Skelet der Berge zu bilden, von
vulkanischen und theilweise auch neptunischen Bildungen überlagert.
Ein weiteres bemerkenswerthes Profil im südlichen Schieferge-
birge bot sich in Shikoku auf dem Wege von Matsuyama in Iyo nach
Kochi in Tosa zwischen den Orten Kumamachi und Higashigawa.
Mitten im Walde (Urwald kann man wohl sagen) steigen hier auf
beiden Seiten des Weges auffallend gestaltete und zerrissene Fels-
wände 50—80 Meter hoch senkrecht empor, welche aus einem Con-
glomerat von Grauwacke, Sericitschiefer, Quarz und Eisenkiesel be-
stehen, dessen einzelne Bestandtheile oft faust- bis kopfgross sind.
Vom Strande der Insel Awaji kenne ich Glimmergneiss und Diorit,
vom Gipfel des Omine-san in Yamato Quarzit, beides nach Proben,
welche auf meinen Wunsch Bekannte von dort mitbrachten. Der Weg
durch die Halbinsel Yamato von Wakayama über Yoshino nach Yamata
[37]Gebirgsformationen.
in Ise führt fast beständig über alte fossilfreie Schiefer und Grau-
wacke, aber die nördlich davon gelegene Route von Matsusaka in
Ise über Iga nach Nara in Yamato, die ich gleich jener im Sommer
1875 kennen lernte, berührt solche Schieferschichten erst, wenn sie
sich Nara nähert, vorher in Ise jungtertiäre Bildungen, später Granit
und einen feinkörnigen grauen Syenit. Das südliche Schiefergebirge
erreicht im wesentlichen hier sein Ende. Aus den angegebenen That-
sachen darf man schliessen, dass es mit azoischen Schichten beginnt,
auf welche dann ältere Glieder der paläozoischen Formationsgruppe
in mächtiger Entwickelung folgen. Ob dieselben als silurische oder
devonische zu deuten, oder ob beide Formationen vertreten sind, lässt
sich, so lange man keine Versteinerungen daraus kennt, wohl schwer
bestimmen.
Wenn man von Sendai aus in nordöstlicher Richtung nach dem
unteren Kitakami reist, erkennt man schon an den immer häufiger
werdenden braunrothen und dunkelgrünen Sericitschiefer-Platten, auf
welchen die Gräben überschritten werden, dass man sich wieder
der Herrschaft des Schiefers nähert. Das nördliche Schiefergebirge,
welches wir jenseits des Flusses betreten, zeigt in seinen Gesteinen viel
Aehnlichkeit mit dem südlichen. Auch hier bilden altkrystallinische Ge-
steine das Grundmassiv, welches von Thonschiefern und Grauwacken-
schiefern, tiefer auch von älteren krystallinischen Schiefern überlagert
wird. Von der Centralkette, die zugleich Wasserscheide zwischen
Kitakami und dem Stillen Ocean ist, ausgehend, folgen lange, meist
flache Bergrücken in grosser Zahl auf einander mit der Hauptrichtung
von West nach Ost. Sie fallen steil, wenn auch meist nicht hoch,
zur Küste ab, wo ihre dunklen Grauwackenschiefer die Wogen brechen
und viele schöne Baien bilden. Mehrmals steht auch Kalk an, der
durch die weissen Kalkspathadern in der älteren graublauen Kalk-
steinmasse ebenfalls ein höheres geologisches Alter bekundet, so bei
Kisenuma und landeinwärts von Kamaishi, wo die grossen Magnet-
eisensteinlager sind. Hier treffen wir neben einem Kalksteingange
feinkörnigen Diabas, Epidot- und Granatfels, dem sich der Magnet-
eisenstein anschliesst.
Der Weg von Kamaishi nach Morioka am Kitakami wendet sich
zwischen Tasobe und Otobe jenseits Nagaoka-mura über eine wellen-
förmige hara (Grasheide), auf welcher rother Jaspisfels (Hornstein)
in verwittertem Thonschiefer ansteht. Dieses Vorkommen, sowie die
Schwefelkieswürfel im Jaspis erinnerten uns lebhaft an die unter ganz
gleichen Umständen beobachteten Braunsteinnester der Provinz Huelva
in Andalusien. Das petrographische Aussehen von Jaspis und Thon-
[38]III. Geologische Verhältnisse.
schiefer stimmt auffallend mit dem in der Sierra Morena überein.
Nun gehört aber die Schieferformation der letzteren, wie Petrefacten-
funde vor etwa 8 Jahren bewiesen, dem Kulm und nicht der Silur-
formation an, wie früher angenommen wurde, und so möchte ich hier
die Vermuthung aussprechen, dass auch in den oberen Schichten des
nördlichen japanischen Schiefergebirges die untere Steinkohlenforma-
tion vertreten ist.
Bergkalk findet sich an mehreren Stellen. Bei Mito, bei Akasaka
am Nakasendô und nordwärts von Kiôto ist er mit Sicherheit nach-
gewiesen, wahrscheinlich aber auch noch sonst zu finden. Bei Akasaka
sind es schwarze, braunrothe, graue, oft weiss gebänderte Kalksteine,
welche zu allerlei kleinen Gegenständen, wie Kugeln, Eiern, Dosen,
Tuschschalen und anderen Dingen mehr geschliffen werden. Encri-
nitenstiele sind häufig darin, mehr noch Fusulinen, besonders in der
aschgrauen Varietät, welche ganz von diesen erfüllt ist. Auf der
polierten Oberfläche erscheint die dunklere Matrix überall dicht besät
mit grauweissen kahnförmigen, elliptischen und kreisförmigen Längs-
und Querdurchschnitten derselben, und ein scharfes Auge kann schon
im unbewaffneten Zustande ihren durch die Kammerwände verursachten
symmetrischen Zellenbau wahrnehmen. Mächtige Blöcke desselben
Gesteins, reicher an Encrinitenstielen als bei Akasaka, findet man im
Walde bei Kuruma 3 ri nördlich von Kiôto. Das Vorkommen bei
Mito ist mir nicht näher bekannt.
Die meisten Steinkohlen von Alt-Japan sind jüngere Bildungen,
aber nach Lyman sollen auf Yezo Flötze aus der eigentlichen Kohlen-
formation vorkommen. Ob die Dyas in Japan vertreten ist, scheint
noch zweifelhaft. Zechstein und Kupferschiefer wurden bis jetzt
nicht gefunden; dagegen ist es nach dem Vorkommen von Porphyr
in Kaga und Echiu und der rothbraunen Farbe eines Hügelrückens
südlich von Kosugi und 4 ri südwestlich von Toyama in Echiu, den
ich nur aus der Ferne sah, möglich, dass hier Rothliegendes ansteht.
Glieder der Trias wurden noch nicht nachgewiesen. Für das
Vorkommen der Juraformation habe ich durch meine Reise in Kaga
1874 zuerst sichere Beweise beigebracht. Da dasselbe auch in pflanzen-
geographischer Hinsicht von grossem Interesse ist, mögen hier einige
nähere Notizen darüber folgen*).
Die Quellen des Tetori-gawa, des bedeutendsten Flusses der Pro-
[39]Gebirgsformationen.
vinz Kaga, liegen auf dem Haku-san in einem Schneefelde von etwa
2000 Meter Seehöhe, welches hier das vulkanische Gipfelgestein,
Hornblende-Andesit, bedeckt. Weiter abwärts bis zu etwa 800 Meter
Höhe ist das Flussbett in eine Sandstein-Breccie von röthlicher Farbe
eingegraben, mit oft faustdicken Quarzeinschlüssen, dann folgen Sand-
stein und Schiefer, endlich Granit. An mehreren Stellen sind diese
Gesteine jedoch durch trachytische Laven und tiefer im Thale einmal
von Porphyr überlagert.
Folgt man dem von Kanazawa aus durch das Thal nach Ichinose
am Fusse des Haku-san führenden Pfade, welcher sich meist auf der
rechten Flussseite am Thalabhange hinzieht, so überschreitet man bei
dem Orte Kojima-mura einen Seitenbach, dessen Name Nigorisumi-
gawa auf das schmutzige Wasser hinweist, welches derselbe das ganze
Jahr hindurch fortführt. Er schneidet tief in das enge, steilwandige
Thal ein. Nahe seiner Mündung, wo eine hohe Brücke über denselben
führt, steht auf der rechten Seite Kalk, auf der linken Thon- und
Grauwackenschiefer an, beide jedoch ohne Versteinerungen. Höher
hinauf im Hauptthale folgt das Dorf Fukase, 12 ri von Kanazawa
und 7 ri von Ichinose entfernt. Etwa mittewegs zwischen hier und
dem 2½ ri weiter gelegenen Hauptorte Ushikubi führt der Pfad an
mächtigen Felstrümmern vorbei, welche aus der oben erwähnten
Breccie bestehen; dann gelangt man an eine Stelle, wo dieselbe in
bedeutender Mächtigkeit ansteht und dunklen Schiefer (schieferigen
Sandstein) überlagert. Derselbe steht unmittelbar zur Linken des
Weges theils frei an, theils bedecken seine Bruchstücke den Abhang.
Hier sammelte ich darin im ganzen innerhalb der kurzen, mir zu
Gebote stehenden Zeit 16 Species Pflanzenabdrücke, welche dem
braunen Jura (Dogger) angehören. Dr. Geyler hat 15 derselben
abgebildet und wie folgt bestimmt.
Thyrsopteris elongata Glr., Adiantites Amurensis Heer, Asplenium
argutulum Heer, Pecopteris exiliformis Glr. (nahe verwandt mit P. exilis
Phill., welche auch auf Spitzbergen vorkommt), Pecopteris Saportana
Heer, Zamites parvifolius Glr., Podozamites ensiformis Heer, P. tenui-
striatus Glr., P. lanceolatus L. H. var. genuina, P. lanceolatus L. H.
var. intermedia, P. lanceolatus L. H. var. Eichwaldi, P. Reinii Glr.
var. latifolia, P. Reinii Glr. var. angustifolia, Cycadeospermum Japo-
nicum Glr. und Gingko sibirica Heer.
Wir haben sonach hier die ältesten Prototypen von noch gegen-
wärtig in Japans Flora vertretenen Gattungen. Geyler weist, indem
er sie mit den jurassischen Pflanzenresten anderer Gebiete vergleicht,
auf die nahe Verwandtschaft mit der Juraformation Ostsibiriens und
[40]III. Geologische Verhältnisse.
des Amurlandes hin, welche O. Heer bearbeitet hat, und mit der-
jenigen Spitzbergens und Englands.
Zu meinem grossen Bedauern habe ich es späteren Forschern
überlassen müssen, diese bemerkenswerthe Doggerformation des Tetori-
gawa-Thales weiter zu verfolgen. Ich bezweifle nicht, dass es solchen
bald gelingen wird, über Verbreitung und Verwandtschaft derselben
durch neue Funde bald weitere interessante Aufschlüsse zu geben.
Möglicherweise gehört auch der zwischen der Mündung des Kurobe
und Hime bei Natamura und Omi im südlichen Echigo an steiler
Meeresküste anstehende und über 100 Meter mächtige grauweisse
Kalkstein zur Juraformation, doch ist dies eine blosse Vermuthung,
denn es gelang uns bei dem kurzen Besuche nicht, irgend welche
sichere Anzeichen dafür zu entdecken.
Wie weit die Kreideformation, die auch auf Sachalin vorkommt,
in Japan vertreten ist, vermag ich nicht bestimmt anzugeben, da ich
charakteristische Versteinerungen für dieselbe nicht gefunden habe.
Es scheint jedoch, dass man die beste Kohle Japans, diejenige der
Insel Taka-shima, sowie die Sandsteine am Eingange der Bucht von
Nagasaki hierher zu rechnen hat. Auf Taka-shima streichen grau-
weisse, körnige und glimmerhaltige Sandsteine von W. nach O. und
fallen unter Winkeln von 25—30° nach N. ein. In Folge dessen ist
die Südküste am höchsten und steilsten. Unter dem Sandsteine liegt
bröckliger Schieferthon, dann folgt das 14—16 Fuss mächtige Kohlen-
flötz. Der tiefste Schacht hat nur 150 Fuss Teufe. Der Stollen be-
ginnt auf der Seite von Nagasaki, wo die Kohle früher anstand, und
senkt sich mit ihrem Einfallen nach Norden. Diese Bildung scheint
auch auf den anderen Inseln am Eingange der Nagasaki-Bucht ver-
treten zu sein. An mehreren Stellen sind hier jedoch die mächtigen
Sandsteinschichten verworfen und aufgerichtet.
Dass Tertiärbildungen einem Lande nicht fehlen können, das
nach allen Richtungen so zahlreiche Spuren jungvulkanischer Thätig-
keit aufzuweisen hat, leuchtet ein. Doch finden sich, wie es scheint,
nur die jüngeren Gruppen der Formation entwickelt. Jungtertiären,
fossilreichen Becken begegnet man auf allen grösseren Inseln von
Kiushiu bis nach Sachalin, und ohne Zweifel vielfach auch auf den
Riukiu und Kurilen. Auch in der Tertiärformation tritt der Kalkstein
fast allenthalben gegen Sandstein und Schieferthon zurück. Besonders
mächtig erscheinen auch fossilführende Schichten von vulkanischen
Tuffen und Conglomeraten. Die meisten Kohlenlager Japans gehören
dieser Formation an, sind also eigentlich Braunkohlen, wenngleich
ihr Aussehen in vielen Fällen mehr das der Steinkohlen ist. Aber
[41]Gebirgsformationen.
schon durch ihre grössere Leichtigkeit und mehr noch durch den Strich
unterscheiden sie sich äusserlich von letzteren. Wir wollen hier nur
diejenigen Tertiärbildungen kurz anführen, die wir durch eigene An-
schauung in loco oder wenigstens nach ihren Versteinerungen als
solche zu erkennen Gelegenheit hatten, und bedauern, dass letztere
noch einer näheren Bestimmung harren.
Von den Kohlen der Insel Kiushiu spielt diejenige von Mike in
Chikugo die bedeutendste Rolle. Die Grube befindet sich nicht weit
von der Grenze nach Higo und der Shimabara-nada in einem immer-
grünen Walde, in welchem eine Art Zimmetbaum hervorragt. Nur
wenige Fuss unter dem rothen Thonsande liegt erdige Braunkohle
von geringer Mächtigkeit, dann folgt eine bröcklige Thonschiefer-
Schicht von ½ Meter Mächtigkeit. Sie streicht ostwestlich und fällt
nach Nordosten unter 20° ein. Hier finden wir zahlreiche Blätterab-
drücke von Laubhölzern, woraus wir schliessen, dass die nun folgende
schwarzbraune Kohle jedenfalls tertiär ist.
In Ise findet sich die Tertiärformation auf dem Wege von Matsu-
saka über Iga nach Nara in Yamato entwickelt, und zwar in den
Vorbergen um Kaido und Naka-no-mura. Es sind jungtertiäre
Thon- und bröcklige Sandsteinschichten, worin theilweise gut erhaltene
marine Conchylien und Echinidenreste vorkommen.
In Mino treffen wir versteinerungsreiche jungtertiäre Schichten,
unter anderem zu Tsukiyoshi im Hügellande nahe der Grenze von
Owari, 1½ ri von der Station Hosokute am Nakasendô und 10 ri von
Owari-wan entfernt. Es ist ein kahles, flachrückiges Hügelland, be-
deckt mit diluvialem Sand und Kieselgeröll, aus welchem hier und
dort anstehende schwarzgraue, stark verwitterte Granitblöcke hervor-
ragen. Die Cultur bleibt auf die kleinen Thälchen und Mulden be-
schränkt. Unmittelbar hinter einigen Häusern von Tsukiyoshi streicht
eine mergelige Thonsandsteinschicht von West nach Ost und fällt nord-
wärts mit 6° ein. In ihr sind Meeresmollusken, sowohl Univalven als
Bivalven, welche noch jetzt lebend vorkommen, zahlreich und wohl-
erhalten. Ausserdem finden wir in sphärischen und ellipsoidischen
Septarien Wurm-(Schwamm-?)röhren. In einem Seitenthälchen nörd-
lich vom Orte und etwa 200 Meter über dem Meer kommen dieselben
Petrefacten vor, daneben aber in einer Thonschieferschicht auch zahl-
reiche Blattabdrücke von noch jetzt in Japan wachsenden dicotyledo-
nischen Holzgewächsen. Diese Schichten lehnen sich an die Hügel-
rücken an und machen den Eindruck, als ob sie sich am Rande einer
Bucht des in früherer Zeit viel weiter ins Land einschneidenden Ise-
no-umi abgelagert hätten.
[42]III. Geologische Verhältnisse.
In Gifu wurden uns gut erhaltene Blattabdrücke und andere
Tertiärversteinerungen auch von verschiedenen Orten des Kreises Kamo
(im Norden von Tsukiyoshi) vorgezeigt.
Aus erwähntem Diluvialgeröll, das zuweilen eisenschüssig gelb
oder geröthet ist, bestehen im nordöstlichen Owari bei Seto ganze
Hügel. Sie bergen hier Nester eines Quarzconglomerates, dessen
Bindemittel auffälliger Weise Asbolan (schwarzer Erdkobalt) ist.
Er lieferte die älteste Kobaltfarbe, welche man in der Keramik Japans
anwandte und die noch jetzt dem Seto-mono (der Seto-Waare) ihren
hervorragendsten Charakter verleiht. Noch jetzt, wo das Land Kobalt-
oxyd und andere Kobaltfarben aus Europa einführt, wird dieser
Erdkobalt ebenfalls benutzt. Man gräbt seinen Conglomeraten bei
Seto nach und gewinnt die Kobaltfarbe durch einen Process, der
in dem Abschnitt über Keramik eines späteren Bandes erläutert
werden wird.
In den benachbarten Tokaidô-Provinzen Mikawa und Tôtomi
kommen ebenfalls Tertiärschichten vor, wie sich aus Blattabdrücken
von dort, welche man auf Ausstellungen in Nagoya und anderwärts
zeigte, erkennen liess.
Trachyttuffe und sandige Conglomerate bilden die steilen Klippen
längs der Halbinseln Sagami und Katsusa-Awa. Zuweilen wechseln
die grauen Schichten mit Streifen eines schwarzen, magneteisenreichen
Conglomerates bis zu ½ Meter Mächtigkeit ab. Es sind ebenfalls
jungtertiäre und recente Schichten, wie sich sowohl aus Steinkernen,
als auch den anderwärts gut erhaltenen Lagen mariner Mollusken
ergibt. Hier und da findet man auch eine Thonsandsteinlage voll
von Blattabdrücken. Reich an Versteinerungen sind namentlich die
Klippen bei Yokohama, sowie die Ablagerungen am Eisenbahndurch-
schnitt bei Shinagawa. Die Schichten streichen auch in diesem Ge-
biete von Ost nach West und fallen gen Norden unter etwa 20° ein, so
dass man, aus der Ebene von Kuwanto südwärts gehend, mit ihnen an-
steigt. Sie überlagern Serpentin und Diorit, der sowohl in Kadsusa-
Awa als auch in Sagami ansteht.
Auch die bemerkenswerthe Inselgruppe am Westrande der Sendai-
Bucht, nach einem Orte daselbst Matsushima (Kiefern-Inseln) benannt,
sowie das benachbarte Hügelland muss als jungtertiär bezeichnet
werden. Es liegen über dieselben Mittheilungen dreier Besucher vor,
nämlich von Capt. St. John, mir und Lyman, wenn ich sie nach
der Zeit ordne. Im 7. Heft der Mittheilungen der deutschen Gesell-
schaft habe ich darüber Folgendes veröffentlicht: »Matsushima heisst
nicht blos ein Dorf an der Küste dieser Bai (von Sendai), sondern es
[43]Gebirgsformationen.
ist auch der Collectivname für die 808 kleinen Inselchen und Felsen,
womit die Bai besät ist. Sie erheben sich steil, doch im Durchschnitt
nur 10—15 Meter hoch aus der See*), sind mit Gebüsch und krüppel-
haften Kiefern bewachsen und haben denselben geologischen Bau, wie
das benachbarte Festland, von dem sie das Meer offenbar allmählich
losgerissen hat. Es ist ein japanischer Garten, den die Natur hier
in grossem Maassstabe geschaffen hat und der die Eingeborenen viel
mehr anspricht als uns Europäer. Die grauweissen Felswände werden
von Südwesten her unterwaschen und ausgehöhlt. Sie bestehen aus
wenig geneigten Schichten grauweisser, sehr bröckliger Sandsteine**),
unterbrochen durch eisenschüssiges Conglomerat aus Sand und Quarz.
Ich untersuchte sie an mehreren Inseln, aber es gelang mir nicht,
irgend welche fossile Reste darin zu entdecken, die einen sicheren
Anhalt zur Bestimmung ihres geologischen Alters hätten geben können;
doch zweifle ich nicht, dass es jungtertiäre Bildungen sind, wie man
sie auch an verschiedenen Stellen der Yedo-Bucht findet«.
In der Nähe des Dorfes Matsushima liegen mehrere der Inselchen
so nahe dem Festlande, dass sie durch Brücken damit verbunden
werden konnten. »Die See zwischen ihnen ist allenthalben seicht und
ihr Boden mit Zostera bewachsen«. Hiermit stimmt wiederum die
Bemerkung von St. John, wenn er schreibt: »Unfortunately this fine
space of protected water is merely a lagoon. At high tide it has about
6 feet of water«. … »The foundation of these Islands is either a
yellow sandstone rock of soft texture, or grey grit, closely approaching
conglomerate. The stratification is very distinct and horizontal; a few
slips and faults I observed, but they were rare«.
Die See hat an verschiedenen Stellen die kleinen Inseln von einer
Seite zur andern durchhöhlt und natürliche Brücken geschaffen. In
der Nähe von Matsushima trifft man alte verlassene Höhlenwohnungen,
welche einst Menschen in diesen weichen Felsen eingruben.
Lyman glaubt die hier vorkommenden Schichten mit denen der
Insel Yezo identificieren zu können, welche er die Horumiu-Gruppe
genannt hat.
[44]III. Geologische Verhältnisse.
In Morioka zeigte und übergab uns der zuvorkommende Gouver-
neur Tertiärpetrefacten vom Suye-no-matsu-yama beim Orte
Ichinohe, 18 ri nordöstlich von Morioka am Wege nach Awomori
gelegen. Der Berg ist nach seiner Beschreibung 2 ri hoch und
trägt nach seiner Angabe abwechselnd feste und lose Schichten, in
welche die wohlerhaltenen marinen Mollusken in grosser Menge ein-
gebettet sind.
Auf der Seite des Japanischen Meeres ist vor allem die Provinz
Echigo reich an Tertiärbildungen. Wir hatten Gelegenheit, im süd-
lichen Theile derselben zur Seite des Hokurokudô von der Meeres-
küste an bis in die Nähe von Zenkoji in Shinano solche wahrzu-
nehmen. Am Meer treten sie zwischen Itoi-gawa und Takata, beson-
ders zwischen Musho-mura und Gochi-mura auf. Ueber einer
starken Thonschicht steht hier eine helle, beinahe zwei Fuss mächtige
Braunkohle an, mit deutlich erkennbaren Einschlüssen eines Nadel-
holzes, dann folgt wieder Thon und schliesslich diluviales Quarzge-
röll. In der Nähe von Takata gewinnt man nahe der Oberfläche
eine dunklere Braunkohle und an mehreren Stellen auch Erdöl.
Zwischen Nojiri und Zenkoji breitet sich eine wellenförmige Hoch-
ebene aus mit einer grossen, fruchtbaren Mulde, in welcher die Sta-
tion Mure gelegen ist. Die Farbe des Ackerlandes ist auffallend
braun, wie mancher Torfboden. In der Nähe von Mure steht dicht
zur Seite des Weges in einem Erosionsthale unterhalb der Humus-
schicht Blätterkohle an.
Auch aus dem Innern der Insel Sado sind uns marine Bivalven
und Blattabdrücke zu Gesicht gekommen, welche dem Jungtertiär zu-
gerechnet werden müssen. Die Grenzen zwischen diesem und den post-
tertiären Ablagerungen, welche säculärer Hebung zuzuschreiben sind,
können erst durch eingehendere Untersuchungen festgestellt werden.
Schliesslich will ich nicht unerwähnt lassen, dass ich Moränen,
Gletscherschliffe und andere Spuren der Eiszeit auf meinen japanischen
Reisen nirgends wahrzunehmen vermochte.
Die geologischen Verhältnisse der Insel Yezo stimmen, soweit
wir sie aus den Berichten von Pumpelly, Lyman und anderen
amerikanischen Bergingenieuren kennen, mit denen von Alt-Japan im
wesentlichen überein. An der Küste von Hakodate erinnert der
leicht zerstörbare pluto-neptunische Fels an ähnliche Bildungen der
Sendai-Bucht und der Küsten des Kuwantô. Auch fehlen an anderen
Stellen die Tuffconglomerate und organischen Einschlüsse nicht. Die
Kohlen der Insel sind grösstentheils ebenfalls Braunkohlen und
darum zur Darstellung von Coaks und zur Verwendung im Hütten-
[45]Gebirgsformationen. Wirkungen subterraner Kräfte.
process wenig geeignet, und so viel Lärm mit Zahlen und Worten
über den grossen Reichthum der Insel an ihnen auch gemacht worden
ist, steht doch nach Allem fest, dass sie weder nach Güte noch
Mächtigkeit der Flötze auch nur mit den Steinkohlen mittlerer Qualität
in Europa sich zu messen vermögen.
Das ältere Tertiär, die mesozoischen Formationen, Zechstein und
Todtliegendes scheinen auch auf Yezo entweder ganz zu fehlen oder
nur schwach entwickelt zu sein. Pumpelly unterscheidet die Ge-
steine, welche er fand, als I. Old metamorphic, II. Pluto-neptunian,
III. Recent, including the marine terrace deposits, und IV. Eruptive
of all ages. Granulite und Conglomerat-Breccien schienen ihm die
ältesten metamorphischen Gesteine zu sein; dann lässt er als ältere
Eruptivgesteine Aphanit, Syenit-Granit und Diorit folgen. Schwarze
und graue Thonschiefer, mit Grünsteinen vergesellschaftet und an
anderen Stellen vielfach von auffallend weissen Porphyrgängen durch-
setzt oder nach allen Richtungen von Schwefelkies führenden Quarzadern
durchzogen, treten auch auf Yezo an vielen Orten und mächtig auf.
c. Wirkungen subterraner Kräfte.
1. Vulkane.
Den verschiedenartigen Spuren vulkanischer Thätigkeit begegnen
wir in Japan so zu sagen auf Schritt und Tritt*). Hunderte seiner
Gebirgsgipfel, darunter fast alle über 2000 Meter Höhe, wurden im
Laufe der Jahrtausende durch dieselbe über einer Grundlage von
krystallinischen Gesteinen und älteren Schiefern, oder direct über der
einst fruchtbaren Alluvialebene aufgebaut, wie dies die Beschaffenheit
ihres Gesteines bezeugt. Mächtige Lavaströme flossen von den Höhen
herab und breiteten sich an den Gehängen der Berge aus, während
stark gespannte Dämpfe die glühende Asche hoch in die Luft trieben,
so dass dieselbe die Sonne verfinsterte und theils als Staubregen um
den Fuss des Berges niederfallend diesen immer weiter hinausrückte,
theils von heftigen Winden erfasst und davongetragen oft erst in
weiter Entfernung wieder zur Erde gelangte und Ablagerungen bildete
an Stellen, wo man solche kaum vermuthen sollte. Auch gehören
diese Erscheinungen keineswegs lediglich vergangenen Zeiten an; denn
[46]III. Geologische Verhältnisse.
neben mindestens hundert sogenannten erloschenen Vulkanen gibt es
im Japanischen Reich immer noch eine Anzahl, in deren Schlünden
es wie gewaltiges Meeresbrausen rollt und zischt, aus denen beständig
glühende Dämpfe aufsteigen, den Schiffern ein Wahrzeichen in dunkler
Nacht, und die von Zeit zu Zeit ihre verderblichen Lavaergüsse oder
Aschenregen aussenden. Und wer kann sagen, ob an diesem oder
jenem »erloschenen Vulkan« nicht plötzlich wieder ein neuer Ausbruch
stattfindet und einen neuen Kegel aufbaut, wie dies in früheren
Zeiten so oft schon vorgekommen ist? — An einer ganzen Anzahl
japanischer Vulkane kann man alte umfangreichere Kraterwände nach-
weisen, der Somma des Vesuv vergleichbar, innerhalb deren oder
seitwärts von denen nach langer Ruhe sich ein neuer und engerer
Schlund öffnete und den Aufbau des Berges fortsetzte; ja oft folgte
eine zweite und dritte Wiederholung derselben Erscheinung. So kann
man nach der Lage und Beschaffenheit der verschiedenen Kratere
und ihrer Auswürflinge auch bei japanischen Vulkanen in grossen
Zügen verschiedene Perioden ihrer Thätigkeit feststellen, eben so
sicher, wie sie ein Historiker in der Geschichte eines Volkes nach-
weist. In den meisten Fällen geht auch bei japanischen Vulkanen
das sanfte Ansteigen des Kegels am Fusse in immer steilere Gehänge
über, je höher man kommt. Die Kraterweite beträgt bei der letzten
Kraterbildung der erloschenen, wie der noch thätigen Vulkane im
Durchschnitt 600—800 Meter, während sie bei den erkennbar ältesten
Auswürfen oft 3—4 mal so gross war und in ihrer Ausdehnung an
die gewaltigen Schlünde des Kilauea und Mokuaweoweo auf Hawaï
erinnern. Die steilsten Partieen japanischer Vulkane, die ich bestiegen
und gemessen habe, zeigten Böschungswinkel zwischen 30 und 40
Grad, während der sanfte Anstieg am Fusse oft auf weite Strecken,
wie beim Ganju-san in Nambu, zwischen 2—4° Neigung hat. Indess
sind auch bei vulkanischen Bergen Gestalt und Steilheit von mancherlei
Umständen abhängig, unter welchen die Beschaffenheit des Auswurfs-
materials und die herrschende Windrichtung zur Zeit der Eruption,
besonders wenn die Auswürfe nicht in Lava, sondern in Bomben,
Lapilli und Asche bestehen, vor allem aber die Umgebung und die
relative Lage der aufeinander folgenden Kratere von grösster Bedeu-
tung sind. Betrachten wir mit Rücksicht auf die letzteren Verhält-
nisse die durch ihre Kegelform besonders ausgezeichneten Vulkane-
den Fuji-no-yama, Chôkai-san, Ganju-san, Iwaki-san, Mioko-san und
andere mächtige Gipfel, von den zahlreichen kleineren nicht zu reden,
so finden wir, dass sie mehr oder minder abseits vom älteren Gebirge,
fast allseits frei aus der Ebene sich erheben und die der Zeit nach
[47]Wirkungen subterraner Kräfte.
aufeinander folgenden Kratere eine mehr oder weniger concentrische
Lage zu einander haben. Wo dagegen eine dieser Bedingungen fehlt,
kommt die Kegelform entweder gar nicht oder nur gegen die Spitze
des Berges zur Entwickelung. So bildet der Ontake, entsprechend
der Anordnung seiner 8 Kratere auf dem Gipfel, einen langen Rücken
von Norden nach Süden, so ragt der Asama-yama nur mit seinem
Gipfel und nur von der Süd- und Ostseite als Kegel hervor, nicht
auf der Nordwestseite, wo sich eine Gebirgskette anschliesst. Beim
Fuji-san sind nur noch die letzten Gipfelkratere deutlich erkennbar und
darf angenommen werden, dass durch ihre Eruptionen die älteren,
tiefer gelegenen Kraterwände ganz überdeckt wurden.
Bei fast allen japanischen Vulkanen treten in den jüngeren Erup-
tionsstadien Lavaströme gegen die losen Auswürflinge sehr zurück.
Dies und reiche Niederschläge im Sommer, sowie die damit zusammen-
hängende üppige Vegetation, welche auch das Lavafeld mit der Zeit
mehr oder weniger überdeckt, sind wohl die Hauptursachen, wesshalb
man in den vulkanischen Bezirken Japans solche grossartig öden,
wild zerrissenen und zerklüfteten Lavafelder, wie auf Island oder den
Canaren, nicht trifft. Es fehlen auch die mächtig emporsteigenden
Säulen und mauerartigen Wände anderer vulkanischer Gegenden fast
ganz. Offenbar ist die vulkanische Thätigkeit in der jüngsten geolo-
gischen Zeit sehr wirksam gewesen, da die Erosion noch nicht so
tiefe Einschnitte zu erzeugen im Stande war. Ich kenne in der That
nur ein Gebiet des Landes, wo das Relief des vulkanischen Gebirges
auf eine weitere Strecke die herrschenden sanfteren Formen ganz ver-
lässt und zu kühneren und malerisch schöneren Gestalten sich erhebt,
nämlich den nordwestlichen Theil von Jôshiu, wo zur Seite des
Echigo-kaidô etwa mitteweges zwischen Takasaki und Mikuni-tôge
verticale, säulenförmige Trachytbildungen bis zu ansehnlicher Höhe
emporsteigen. Wenn hier im Sommer die blattwechselnden Bäume
und Sträucher, welche am Fusse und aus den Spalten dieser Fels-
massen wachsen, mit Grün bekleidet sind und zierliche Farrenkräuter
das graue Gestein theilweise überziehen, dann bedarf es geringer Phan-
tasie, bei ihrem Anblick an Ruinen mächtiger alter Burgen zu denken.
Auch auf der Südwestseite dieser Provinz, südwärts vom Nakasendô
und Usui-tôge ragen die wahrscheinlich aus doleritischer Lava be-
stehenden dunklen Spitzen des Miogisan und benachbarter Berge wild
zerklüftet und burgähnlich aus dem schönen Laubwald hervor.
Im Uebrigen dürfte hinsichtlich der Beschaffenheit des vulka-
nischen Gesteins noch hervorzuheben sein, dass bei den neueren
Eruptionen überall doleritische Laven weit vorherrschen, bei den
[48]III. Geologische Verhältnisse.
älteren aber der Trachyt eine hervorragende Rolle spielt, wobei auch
Rhyolithe und schöne Andesite nicht selten sind. So finden wir z. B.
die Gipfel des Haku-san aus Andesit aufgebaut, und auch auf der
Halbinsel Shimabara, also in einem weit entfernten Gebiete, ist diese
Felsart sehr verbreitet. Ihre grossen Hornblende- und Oligoklas-
Krystalle haben Laien hier wiederholt verleitet, sie Porphyr zu nennen*).
Nach Obsidian sucht man bei den meisten Vulkanen Japans vergeb-
lich, und ebenso tritt Bimsstein nicht bei allen, wenn auch manchmal
in grossen Massen auf. So erstrecken sich Bimssteinstücke und Bims-
steinsand auf Kiushiu von Kirishima-yama gen Südwesten abwärts
bis zur Bucht von Kagoshima. Auf der Nordseite dieses Meeresein-
schnittes, der Insel Sakura-jima gegenüber, da wo der Weg von
Kagoshima nach Kajiki eingesäumt ist von mächtigen vulkanischen
Bomben, finden wir in der sphärolithischen Masse viele Obsidiankugeln
von Erbsen- bis Kirschengrösse.
Wie bei den trachytischen Gesteinen der Phonolith, so tritt bei
den basischen der Basalt ganz in den Hintergrund. Der Dolerit ver-
tritt ihn und erscheint in den verschiedensten Farbennuancen von
hell- bis schwarz-grau, bald feinkörnig und compact, bald durch-
löchert wie ein Schwamm. Bei seiner Verwitterung zeigt er oft
die bekannte concentrische Abschälung und bildet zuletzt einen sehr
fruchtbaren Lehm, so z. B. in Gumai-gori, der Provinz Koshiu und
auf dem Wege von Nagasaki nach der Omura-Bucht. Nicht selten
ist die vielgepriesene Terrassencultur, wie z. B. um Nagasaki, an
diese Zersetzungsproducte gebunden und hört auf, sobald magerer
Thonboden an die Stelle tritt. Auf Amakusa freilich, wo nur solcher
sich bietet, hat man auch an den Schiefergehängen Terrassen aufge-
baut, doch werden Mühe und Fleiss der Bewohner hier nur durch
spärliche Ernten belohnt.
Ein schönes Vorkommen älterer doleritischer Lava von sehr poröser
Beschaffenheit zeigt sich beim Orte Saruhashi am Koshiu-kaidô. Hier
führt eine hübsche 17 ken lange Holzbrücke über den Katsura-gawa,
dessen Bett von senkrechten Felswänden eingeengt ist. Das Profil
zeigt uns unten alte Chloritschiefer und darüber eine Decke von
schwarzgrauem, schwammigem Dolerit, auf welchem auch der schön
gelegene Ort ruht.
[49]Wirkungen subterraner Kräfte.
Unsere Kenntniss der japanischen Vulkane — und es ist hier
nur von den am meisten in das Auge fallenden Stratovulkanen die
Rede — ist bis jetzt eine sehr geringe. Sie beschränkt sich in den
meisten Fällen auf Namen und Lage der hervorragendsten Gipfel, von
deren Ausbrüchen in historischer Zeit sichere Berichte vorliegen. Nur
ein kleiner Theil derselben wurde von Fremden bis jetzt bestiegen,
und noch weit geringer ist natürlich die Zahl derer, welche der Fuss
eines geologisch gebildeten Naturforschers betrat. Eine beträchtliche
Zahl anderer Berge, die ich auf meinen Reisen berührte, oder deren
Gipfel ich von anderen Höhen aus sah, sind ohne Zweifel ebenfalls
geschichtete Vulkane mit gleich gut erhaltenen Krateren, obgleich
man sie kaum dem Namen nach kennt. So dürfen wir beispielsweise
die vielen Komagatake und Mitake vielleicht ohne Ausnahme hierher
zählen, von denen nur wenige bis jetzt betreten wurden. Welchen
geringen Werth unter diesen Umständen jene Angaben über die Zahl
der Vulkane Japans überhaupt und der noch thätigen insbesondere
haben, die wir in vielen Büchern finden, ergibt sich hiernach von selbst.
Die Unterscheidung zwischen thätigen und erloschenen Vulkanen
hat, wie dies schon öfter betont worden ist, grosse Schwierigkeiten
und Bedenken. Sollen wir Vulkane, über deren Ausbrüche keine
geschichtlichen Documente vorliegen, zu den erloschenen zählen, auch
wenn ihre Krater frisch und wohl erhalten, durch Erosion und Pflanzen-
wuchs noch nicht beeinflusst sind? — Gehören andere, deren Krater-
wände theilweise eingestürzt und mit Vegetation überzogen sind, auf
deren Kraterboden wir frei und sicher wie auf einem Bergsattel
stehen können, noch zu den thätigen, blos weil bei ihnen vor nach-
weisbar hundert oder tausend Jahren eine Eruption stattfand? — Nach
letzterem Princip scheint in der That Naumann verfahren zu sein,
der auf der Karte zu seinem Aufsatze ȟber Erdbeben und Vulkan-
ausbrüche Japans«*) folgende Berge als thätige Vulkane hinstellt:
Asama-yama, Fuji-san, Shirane-san (Shirane-yama im Gebirge von
Nikkô), Nasu-yama, Iwate-yama, Yake-yama, Arima-fuji, Aso-yama,
Onzen-ga-take, Sakurajima, Iwoshima, Ôshima, Kosashima, Miyako-
shima, Hachijio und Aogashima. Diesen gegenüber bezeichnet er als
erloschene Vulkane (von Alt-Japan, denn nur hierauf beziehen sich
seine Angaben) folgende 19: Iwaki-yama, Chôkai-san, Bandai-san,
Takahara-yama, Akagi-san, Haruna-yama, Kusatsu-yama, Mioko-san,
Yake-yama, Renge-san, Tade-yama, Mazuga-take, Haku-san, Mi-take,
Daisen, Hakone-yama, Amagi-san, Kirishima-yama, Kaimon-take.
Rein, Japan I. 4
[50]III. Geologische Verhältnisse.
Dass aber der Kirishima-yama, Ontake und mancher andere
vulkanische Berg der zweiten Liste mit ihren frisch ausgebrannten
Krateren und Solfataren in ansehnlicher Höhe wirklich in höherem
Grade erloschen sein sollten, wie der Fuji-no-yama mit seinem zu-
gänglichen Kraterboden und vollständigen Mangel jeder Art eruptiver
Thätigkeit, wird dem, der sie kennt, nimmermehr einleuchten. Will
man wirklich jene Unterscheidung treffen, so gibt es nur ein durch-
greifendes Criterium, und das ist der gegenwärtige Zustand des Kraters.
Ist der Boden desselben unzugängig, weil ihm beständig Wasser und
Schwefeldämpfe entweichen, wenn auch nur von einer ihn bedecken-
den Solfatare, so erscheint der Vulkan thätig, im anderen Falle in
Ruhe oder erloschen, was selbstverständlich nicht ausschliesst, dass
letzterer nach oft Jahrhunderte langer Ruhe plötzlich wieder von
Neuem ausbricht, wie manches Beispiel in Japan und anderwärts
lehrt. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet hat das Japanische
Reich, soweit unsere gegenwärtigen Kenntnisse reichen, im ganzen
18 noch thätige Vulkane. Es sind die folgenden:
- 1. Chacha-take auf der Kurilen-Insel Kunashiri.
- 2. Iwao-san in Kitami
- 3. Meakan in Kushiru
- 4. Iwanai-nobori in Shiribeshi
- 5. Tarumai-take in Iburi
- 6. Nuburibetsu-take in Iburi
- 7. Usu-take in Iburi
- 8. Komaga-take in Ôshima.
- 9. Te-san in Ôshima.
- 10. Riishiri, vulkanische Insel nordwestlich von Yezo.
- 11. Asama-yama in Shinano
- 12. Shirane-yama im Nikkôgebirge.
- 13. Mihara-yama auf Ô-shima
- 14. Nanahiro-yama auf Miyake-shima
- 15. Asô-yama in Higo, Kiushiu.
- 16. Iwo-ga-shima, südwestlich von Satano-saki auf Kiushiu.
- 17. Suwa-shima, eine der 7 Geschwister oder Linschoten-Is.
- 18. Tori-shima (Iwo-shima), Ôshima-Gruppe.
Die letzten verheerenden Ausbrüche, welche man von diesen Vul-
kanen kennt, fanden statt: beim Tarumai-take März 1867 und Februar
1874, Komaga-take September 1856, Shirane-yama Juni 1872, Asama-
yama 1783, Mihara-yama auf Ô-shima 1877, Nanahiro-yama (Otoko-
yama) auf Miyake-shima Juli 1874, Asô-yama März 1874.
[51]Wirkungen subterraner Kräfte.
Ueber den Ausbruch auf Miyake-shima berichtete man damals an
das Ministerium des Innern in Tôkio Folgendes: »Den 3 ten Juli 1874
Vormittags 11 Uhr begann die Eruption des Nanahiro-yama mit grossem
Geräusch. Unvergleichbar schrecklich zitterte die Erde und dröhnte
es. Für Kamizuki-mura am Fusse des Berges blieb keine Zeit der
Rettung, mit Ausnahme einer Familie. Um 12 Uhr sandte der alte
Krater (O-ana, das grosse Loch) mächtige Steinmassen, wie kleine
Hügel (?) und Asche ein ri weit, und von der See wurde ein Stück
15 chô (1636 m) lang und 3—4 chô breit gehoben und trockenes
Land. Kleine Krater bildeten sich um den alten herum und sandten
Steine hoch empor. Dieselben zerfielen beim Fallen in glühenden
Sand. Alles wurde ringsum etwa 6 Meter hoch damit überlagert.
Bei dem Orte Omori östlich von Kamizuki-mura bildeten sich plötz-
lich vier neue Hügel, jeder etwa 5 chô hoch und 1 ri im Umfange.
— Am 10. Juli dauerte der Aschenregen noch fort«. — Frühere
Anzeigen vom Eintreten dieses Ausbruches werden nicht genannt, doch
war es den Leuten aufgefallen, dass schon im Januar die Yama-
sakura-Bäume (Prunus pseudo-cerasus) im Walde des Berges geblüht
hatten, deren Blüthen sonst erst im April erscheinen.
Der Asama-yama ist der imposanteste unter allen noch thätigen
Vulkanen Japans. Seine Lava ist gleich der des On-take und Fuji-san
doleritisch, Obsidian nicht wahrnehmbar. Die jüngeren Eruptionen
brachten nur Aschenregen, während der letzte Lavastrom vor bald
hundert Jahren nordwärts nach Kotsuke zum Bett des Wagatsura-gawa
und dann diesem folgend nach Osten floss. Man kann dieses Lava-
feld, dessen schwarzgraue Felsblöcke ausserordentlich wild durch-
einander geworfen sind, — eine Seltenheit in Japan — von oben theil-
weise überblicken. Der verhängnissvolle Ausbruch, von dem es her-
rührt, fand im Nachsommer des Jahres 1783 statt und verbreitete
weithin seine Schrecken. Der Lavastrom zerstörte einen berühmten
Urwald und verschiedene Ortschaften. In seiner nördlichen Richtung,
sowie gen Osten und Südosten flogen die glühenden Steinmassen weit-
hin, und ein dichter Aschenregen verwandelte den Tag in finstere
Nacht. Die Gegend des Nakasendô zwischen Oiwake und Usui-tôge,
welche vordem mit Ackerfeldern bedeckt war, wurde in eine Einöde
verwandelt, 48 Dörfer hier und im Kreise Adzuma der Provinz Kotsuke
(Gebiet des Wagatsura-gawa) und Tausende ihrer Bewohner gingen
durch dieses furchtbare Ereigniss zu Grunde; Affen, Hirsche, Hunde
und andere Thiere erlagen dem Regen glühender Steine und Asche,
und diejenigen, welche vor ihm einen genügenden Schutz gefunden
hatten, kamen dann vor Hunger um, weil die niederfallenden Aus-
4*
[52]III. Geologische Verhältnisse.
würflinge viele Meilen weit ¾—1½ Meter hoch den Boden bedeckten
und die ganze Vegetation zerstört und begraben hatten.
Von den übrigen bemerkenswerthen Vulkanen Japans weiss man,
dass die letzte grosse Eruption stattfand: beim Fuji-san 1707, Onzenga-
take 1791—93, Mitake auf Sakura-jima 1828. Damals rauchte dieser
Berg noch beständig, wie mich Anwohner der Kagoshima-Bucht ver-
sicherten. Kämpfer erwähnt vom Onzen-ga-take (Wunzen, wie der
Berg von Fremden meist genannt wurde, ist eine Corruption des
Wortes), dass er den seinem Krater entsteigenden Rauch aus drei
Meilen Entfernung erkennen konnte. Nach anderen Angaben kamen
bei dem letzten Ausbruch des Vulkans 53000 Menschen um das Leben,
denn gleichzeitig mit den verderbenbringenden Auswürflingen des
Kraters erregte ein heftiges Erdbeben die See; Inseln entstiegen der-
selben, und die salzigen Fluthen überschritten ihre Gestade und brachten
den Anwohnern ein nasses Grab.
Die letzte unter den vielen verheerenden Eruptionen, welche die
Geschichte vom Fuji-san aufzählt, dauerte vom 24. November 1707
bis zum 22. Januar 1708. Während derselben öffnete sich auf der
Südseite des Berges ein neuer Krater und baute sich der parasitische
Kegel des Hôyei-san 2865 Meter hoch auf. Ueber diese furchtbare
Eruption berichtet unter Anderen ein Priester, dessen Tempel 2 Meilen
weit vom östlichen Fusse des Fuji-san entfernt war, wie folgt: »Ge-
wiss ist es ein seltenes Vorkommen, dass, wie es im Jahre 1707 der
Fall war, der Fuji-no-yama an einer Stelle, die mit stolzen Bäumen
überwachsen war, plötzlich sich öffnete, um Feuer zu speien, dass
Steine und Aschenregen umherfliegen und auf Kuni’s (Provinzen) und
Kori’s (Kreise) niederfallen. Dieser Stein- und Aschenregen hielt
10 Tage lang an, so dass Felder, Tempel, Häuser etc. mit den Aus-
wurfsmassen mehr als 3 Meter hoch bedeckt wurden. Die Bewohner
der Umgebung des Fuji verloren ihr Heim, und gar viele starben
Hungers. Von zahlreichen Dörfern ist keine Spur mehr zu entdecken.
Ich selbst bin einer der unglücklichen Augenzeugen dieses schreck-
lichen Ausbruches und die Erinnerung daran erfüllt mich mit Schmerz
und Weh«. — Dann werden mit lebhaften Farben alle Schrecken und
Verwirrungen gemalt, welche die Eruption hervorrief, wie die Aschen-
wolken den Tag in dunkle Nacht verwandelten und zu dem Aschen-
regen glühende Steine sich gesellten, welche zischend die Luft durch-
fuhren, und wie endlich das dumpfe Getöse der Erdstösse hinzukam,
um das Maass der höchsten Noth und Hülflosigkeit voll zu machen. —
In Yedo herrschte nach einem anderen Berichterstatter zur selben Zeit
Finsterniss Tag und Nacht, die Erde zitterte, und der Aschenregen
[53]Wirkungen subterraner Kräfte.
fiel immer dichter und bedeckte endlich 16 cm hoch Dächer und
Strassen. Dabei hörte man das Geräusch vom Fuji her ganz deutlich.
Aber noch weiter ostwärts bis zu den Gestaden des Stillen Oceans,
den Küsten von Shimosa und Awa-Kadsusa trugen Winde den dunklen
Aschenregen.
Bezüglich der räumlichen Verknüpfung der Vulkane Japans er-
scheint es nach dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse gewagt,
von einer anderen Anordnung derselben zu reden, als von der, welche
durch die Inselreihen und Hauptgebirgszüge gegeben ist. Auf dem
am besten bekannten Hondo vermögen wir folgende drei Reihen zu
unterscheiden:
1. Vulkane, welche als Gipfel den Rücken des centralen Gebirgs-
zuges krönen oder frei zur Seite desselben sich erheben und eine
Reihe von NNO. nach SSW. durch die Insel bilden, in welcher die
beiden Komaga-take von Nambu, der Zooga-take, Nasu-yama und
etwas mehr seitwärts im Norden der Ganju-san, weiter südlich der
Bantai-san und die Vulkane von Nikkô auftreten.
2. Vulkane, welche eine Parallelreihe westlich von No. 1 bilden,
mit den hervorragenden Gipfeln des Iwaki-san, Chôkai-san, Gas-san,
Jitoyo-san, Komaga-take, Yake-yama, Tate-yama, Haku-san.
3. Eine von NNW. gen SSO. gerichtete Reihe von Vulkangruppen,
welche im östlichen Shinano den Shirane-san und Asama-yama und
zur Linken des Chikuma-gawa den Yatsuga-take und Tateshima um-
fasst, dann in Suruga und Sagami den Fuji und das Hakonegebirge,
ferner die Halbinsel Idzu, und die sich dann fortsetzt über die Shichitô
nach den Munintô und Marianen.
Eine beträchtliche Anzahl anderer Vulkane ist in diesen Gruppen
nicht untergebracht, wir verzichten jedoch auf eine weitere Generali-
sierung.
2. Heisse Quellen.
Es gibt wohl kein Land der Erde, welches sich an warmen
Quellen mit Japan messen könnte. Dieselben zählen nach Hunderten,
sind über das ganze Reich verbreitet und keineswegs auf vulkanische
Districte beschränkt. Schwefelthermen und indifferente Quellen herr-
schen vor, während ausgesprochene Säuerlinge und saline Wasser zu
den Ausnahmen gehören. Die meisten, insbesondere die indifferenten,
besitzen die bei den Japanern beliebte hohe Badetemperatur von
40—50°C., während viele andere, insbesondere Schwefelquellen, bis
zur Siedehitze des Wassers hinaufsteigen. Jene weisen durch ihre
annähernd gleichen Temperaturen auf gemeinsamen Ursprung, oder
[54]III. Geologische Verhältnisse.
vielmehr auf einen Ursprung in gleicher Tiefe, wahrscheinlich im
krystallinischen Urgebirge hin, während die heissen Schwefelquellen
vorherrschend in vulkanischen Districten, vornehmlich am Fusse oder
an den Böschungen junger ruhender Vulkane vorkommen. In ihrem
Brodeln und Zischen und den aufsteigenden, mit Schwefelwasserstoff
durchdrungenen Dämpfen, sowie nach ihren zerstörenden Wirkungen
auf Gestein und Pflanzenwuchs ringsum sind sie ein schwacher Nach-
klang der Thätigkeit in den Krateren. Als O-jinoku und Ko-jinoku,
kleine und grosse Hölle, werden viele dieser zahlreichen Solfataren
bezeichnet und viel zum Baden, namentlich gegen syphilitische Leiden,
benutzt. Ausserdem sind sie wichtige Schwefellieferanten des Landes;
denn es unterliegt keinem Zweifel, dass der meiste Schwefel sich aus
Schwefelwasserstoff solcher Solfataren absetzte. Nur wenige der be-
rühmtesten Solfataren und Schwefelbäder Japans mögen hier Erwäh-
nung finden:
Yumoto im Gebirge von Nikkô liegt 1537 Meter hoch in einer
kleinen Mulde am Fusse des Shirane-yama. Es ist ein altmodisch
gebauter Ort mit nur 10 Häusern, deren Bewohner sich durch die
mächtigen Schwefelthermen nähren, welche im Sommer viele Kranke
anziehen. Es hat 12 verschiedene Quellen, deren bedeutendste nörd-
lich vom Orte eine Temperatur von 69°C. aufweist. Der Geruch der
Schwefelwasserstoffdämpfe erfüllt weithin die Luft, und das Wasser einen
grossen Teich, dessen milchige Farbe schon aus der Ferne auffällt.
Kusatsu, starke, viel besuchte Schwefelthermen in Adzuma-gori,
(Jôshiu) 46 ri (24 g. M.) NW. von Tôkio auf der Nordseite des Shirane-
san. Aus Spalten in vulkanischen Breccien treten hier ausserordent-
lich mächtige, bis 70°C. heisse Schwefelquellen auf. Die grossen
hölzernen Bassins, welche das Wasser zunächst auffangen, sind zoll-
dick mit Schwefel incrustiert.
Die Riusan-jita oder heissen Quellen am Fusse des Tate-yama
(Riusan) oder von Tashiwara. Der Teich oberhalb, O-jinoku genannt,
welcher etwa 40 Meter Durchmesser hat, soll eine beständig wallende
Bewegung und starke Dampfentwickelung zeigen und geschmackloses
Wasser von blaugrüner Farbe besitzen, also kein Schwefelwasser.
Die Schwefelthermen von Yamashiro-mura in Kaga haben
70—71° warmes Wasser.
Enoyu am Kirishima-yama, 844 Meter hoch gelegen, gehört zu
den mächtigsten Solfataren, die ich aus eigener Anschauung kenne.
Das Wasser steigt, mit Schwefelwasserstoff beladen und viel Schwefel
ausscheidend, 75° warm aus dem Boden. Man badet an einer Stelle,
wo seine Temperatur noch 44,5°C. beträgt. Die übrigen Solfataren
[55]Wirkungen subterraner Kräfte.
zwischen hier und Kirishima haben zum Theil dieselbe, zum Theil
eine noch höhere Temperatur.
Besonders reich an Thermalwassern auf verhältnissmässig be-
schränktem Areal ist das Hakone-Gebirge und die Halbinsel Idzu.
In ersterem finden wir in der Nähe der höchsten Gipfel eine ganze
Anzahl Solfataren, deren Quellentemperaturen zwischen 90 und 100°C.
liegen. Eine der auffallendsten trägt der Jigoku-yama (Höllenberg)
oder Kamuriga-take. Man erkennt sie schon von Sengoku-hara aus
an dem aufsteigenden Rauche, der weissen Farbe des zersetzten Lava-
tuffs und der Vegetationslosigkeit ringsum. Eine zweite, Iwo-yama
(Schwefelberg) genannt, liegt in 877 Meter Höhe am Südabhange des
Komaga-take. Sie hat ebenfalls weit und breit die Vegetation und
das Gestein zerstört und letzteres zugleich gebleicht. Einen Theil
ihres Wassers leitet man nach dem Badeorte Ashinoyu, der in
845 Meter Höhe eine halbe Stunde südwestlich davon gegen das
Städtchen Hakone hin gelegen ist. Nicht weit von hier ist eine Ko-
Jinoku, also schwächere Solfatare mit kochendem, 95°C. warmem
Wasser. Ashinoyu ist das höchst gelegene der 7 Hakone-Bäder. Die
6 anderen, nämlich Kiga, Sokokura, Miyanoshita, Doga-
shima, Tonosawa und Yumoto liegen der Reihe nach im engen,
gewundenen Thale des rauschenden Haiya-gawa, der dem Hakone-See
entspringt. Bemerkenswerth ist die Abnahme der Temperatur ihrer
Quellen mit abnehmender Höhe, dergestalt, dass, während die höchste
bei Sokokura 83—85°C. aufweist, Miyanoshita 45—59° hat, Tono-
sawa und Yumoto aber nur 43—45°C. Alle entspringen demselben
Lavatuff, enthalten kaum Spuren von Schwefel und geringe Mengen
Eisen, am meisten bei Sokokura, wo die Temperatur am höchsten.
Diese Sokokuraquellen liegen den Solfataren bei Ashinoyu am nächsten.
Ist es nicht denkbar, dass das meist im Boden sich wieder verlierende
heisse Schwefelwasser der letzteren seinen Schwefel auf dem sub-
terranen Weiterlauf verliert, dafür geringe Mengen Eisen aufnimmt
und im Thale des Hayagawa bei genannten Badeorten fast als in-
differente Thermen mit abnehmender Temperatur wieder zum Vorschein
kommt? — Interessanter aber als diese Frage ist die Thatsache, dass
das warme Wasser da, wo es an vielen Stellen unmittelbar oberhalb
des Dorfes Sokokura zur Seite des Weges nach Kiga und theilweise
an den Ufern des Waldbaches Susawa aus dem schwarzgrauen Felsen
hervorbricht, in einer Temperatur von 59°C. eine Conferve nährt.
Diese Thatsache wurde von mir 1874 und 1875 festgestellt, und dürfte
die dabei bestimmte Temperatur die höchste sein, unter welcher man
bisher vegetabiles Leben in der Natur wahrgenommen hat.
[56]III. Geologische Verhältnisse.
Am bekanntesten unter den Thermen der Halbinsel Idzu und den
Hakone-Bädern am nächsten ist Atami. O. Kuntze hat es das
Karlsbad Japans genannt, doch ist dies nur bezüglich des Sprudels
einigermassen richtig, nicht, was die Eigenschaften des Wassers be-
trifft. Diese nähern sich in jeder Beziehung denen der 6 unteren
Hakone-Bäder, auch bezüglich der Temperaturen. Atami ist der
Hauptort eines ganzen Thermaldistrictes. Von besonderem Interesse
ist jedoch der Geysir von Atami, soweit bekannt, der einzige in
Japan. Nur 800 Schritte vom Meer entfernt bricht sein überhitztes
Wasser, in regelmässigen Intervallen abwechselnd mit blossem Dampf,
hervor und zwar 6 mal in 24 Stunden, jedesmal 1½ Stunden lang und
zwischen 1—3 Meter hoch steigend.
Arima in Setsu, etwa 6 Wegstunden von Hiogo mitten in einem
engen Gebirgskessel gelegen, ist der besuchteste Badeort ganz Japans.
Die 38°C. warmen Thermen sind salzreiche Stahlquellen. Dwars,
der englische Chemiker der Münze in Ôsaka, hat von zweien derselben
Analysen gemacht, deren Resultate hier folgen:
A. Wasser fast farblos, klar, ohne Geruch; der Geschmack zeigt
die Gegenwart von viel Salz und Eisen an. An der Luft verliert es
etwas Kohlensäure, während sich die Oberfläche mit Eisenhydroxyd
bedeckt, das sich später als braunrothes flockiges Pulver am Boden
findet, mit unlösbaren Silicaten gemischt. Das spec. Gewicht bei
23°C. war 1,0115. 1 Liter = 1011,5 Gramm enthält 19,655 Gramm
fester Bestandtheile. Es sind:
- Chlornatrium ..... Na Cl — 14,717 Gr.
- Bromnatrium ..... Na Br — 0,105 »
- Chlorkalium ...... KCl — 1,281 »
- Chlorammonium .... NH4Cl — 0,013 »
- Chlorlithium ...... LiCl — Spuren
- Chlormagnesium .... MgCl2 — 0,241 »
- Chlorcalcium ...... CaCl2 — 2,896 »
- Schwefelsaurer Kalk . CaSO4 — 0,014 »
- Chloraluminium .... Al2Cl6 — 0,029 »
- Manganprotosesquioxyd Mn3O4 — 0,055 » zeigt sich als doppelt-
kohlens. Manganoxydul. - Eisensesquioxyd .... Fe2O3 — 0,246 » zeigt sich als doppelt-
kohlens. Eisenoxydul. - Kieselsäure ...... SiO2 — 0,058 »
- Organische Substanz .. kleine Menge
- 19,655 Gr.
[57]Wirkungen subterraner Kräfte.
Dwars vergleicht dieses Wasser mit der Kreuznacher Oranien-
quelle, findet es jedoch viel reicher an Eisen und Kochsalz.
B. Kalte Quelle von Arima, genannt Teppo-sui.
Sie hatte am 14. Dec. 1876 eine Temperatur von 16,8°C. Das
Wasser ist farblos, klar, reagiert sauer, liefert nach kurzer Zeit einen
Niederschlag von Eisen. Neben freier Kohlensäure enthält es auch
etwas Schwefelwasserstoff. Bei 16,8°C. und 730 mm (die Quelle
liegt 400 Meter hoch) enthielt ein Liter Wasser 0,689 Liter freie
Kohlensäure. Die festen Bestandtheile in 10 Liter Wasser waren:
- Doppeltkohlensaures Natron . 1,210 Gr.
- Chlornatrium ......... 0,038 »
- Chlorkalium ......... 0,076 »
- Schwefelsaurer Kalk ..... 0,077 »
- Doppeltkohlensaurer Kalk .. 0,266 »
- Doppeltkohlensaure Magnesia 0,043 »
- Thonerde ........... geringe Menge.
- Doppeltkohlens. Eisenoxydul . 0,125 Gr.
- Doppeltkohlens. Manganoxydul 0,021 »
- Kieselsäure und unlösl. Silicate 0,065 »
- Organische Bestandtheile ... geringe Menge.
- 1,921 Gr. oder 0,1921 Gr. pro Liter.
Sechs ri (3,2 g. M.) nördlich von Wakamatsu fand ich am Wege
nach Yonezawa in einem vulkanischen Gebirgskessel den Ort Oshiu
auf beiden Seiten eines kleinen Baches, den der Weg überschreitet.
Nahe dem letzteren befinden sich dicht an dem etwas erhöhten rechten
Ufer zwei Quellen, deren jede in 4—5 Minuten ein shô (1,8 Liter)
Wasser liefert, welches bis jetzt unbenutzt direct in den Bach fliesst.
Die Temperatur der oberen ist 39°C., der unteren 38°. Reiche Mengen
Kohlensäure entweichen, Eisenoxydhydrat wird viel niedergeschlagen,
und der eigenartig salzig zusammenziehende Geschmack des Wassers
weist ebenfalls auf die Anwesenheit von viel Kochsalz und Eisen hin.
In dieser Beziehung, wie in seiner Temperatur, hat dasselbe viel
Aehnlichkeit mit der Therme von Arima. Leider fehlte mir die Zeit,
das mitgenommene Wasser zu analysieren.
Schwache Eisensäuerlinge, sowohl warme als kalte, finden sich
häufig. Zu Ichinose z. B., am Fusse des Haku-san, hat die Therme
ebenfalls 38—39° Wärme, entwickelt viel freie Kohlensäure und scheidet
einen Eisenschlamm ab, der als Yu-no-hana (des Warmwassers Blume)
versandt und medicinisch benutzt wird. Nicht weit von Itaya in Ôshiu
auf dem Wege von Yonezawa nach Fukushima erblickt man in der
[58]III. Geologische Verhältnisse.
Mitte eines bewaldeten Bergrückens, einsam und schön gelegen, die
alten Gebäude des Bades Goshiki-(Goziochiki?) no-yu. Das warme
Wasser daselbst wird Kin-yu (Goldwasser) genannt, weil es die
Wirkung des Emser Kinderbrunnens haben soll. Nach den Angaben
der Umwohner zu schliessen, ist es eine Stahltherme, welche im
Sommer von Frauen viel benutzt wird.
Fast alle vorerwähnten warmen Quellen gehören vulkanischem
Terrain an; von den mir persönlich bekannten warmen, indifferenten
Quellen, welche in alten Schiefern auftreten, nenne ich Shika-no-yu
bei Yumoto am Aidzukaidô in Shimotsuke mit 43°C., Takeo in Hizen
mit 46°C. und Shimotsuke Fukei auf Amakusa mit 42°C. Alle
diese Thermen erinnern an Schlangenbad.
3. Erdbeben.
Die Erdbeben gehören zu den unheimlichsten und beängstigendsten
Erscheinungen. Es sind Vorgänge, gegen die der Mensch sich in
keiner Weise rüsten und vorbereiten kann, die ihn jeden Augenblick
überraschen und verderben können. Mit einem Ruck weckt ein hef-
tiges Erdbeben sämmtliche Bewohner einer volkreichen Stadt aus
tiefem Schlafe und bereitet im Handumdrehen Tausenden derselben
ihr Grab. Eine bange Vorahnung der nahenden Gefahr, wie sie
Humboldt und mehrere andere Reisende in Südamerika gefunden
haben wollen, kennt man in Japan nicht; eine solche ist in ihren
Ursachen nicht erklärbar und beruht meines Erachtens auf Täuschung.
In Japan sind Erdbeben häufig, von der leichten Vibration, die der
thätige Mensch kaum wahrnimmt, bis zu jenen gewaltigen Stössen,
die ihn emporheben und niederwerfen, Felsen spalten und Wohnstätten
in Trümmer legen. Solche heftige Erschütterungen mit auffallend
zerstörenden Wirkungen treten glücklicherweise nur selten auf, und
zwar nach früheren Annahmen und Erfahrungen etwa je einmal nach
zwanzig Jahren. Nun fand aber das letzte verderbliche Erdbeben in
Japan im Herbst 1855 statt, so dass bereits 25 Jahre ohne ein solches
verflossen sind und die alte Regel scheinbar nicht mehr stichhält*).
[59]Wirkungen subterraner Kräfte.
In der mythologischen Menagerie der Japaner lebt nach den Einen
in der Tiefe des Meeres ein riesiger Fisch, der in seinem Zorne wider
die Küsten schlägt und dadurch die Erde erbeben macht; nach Anderer
Ansicht ist es ein subterraner Molch, dessen Kopf im Norden von Hondo
sich befindet, während der Schwanz zwischen den beiden Hauptstädten
liegt, welcher die Erdbeben hervorruft. Diese Lage des Ungeheuers
wurde angenommen, weil die Erfahrung gelehrt hat, dass Erdbeben im
nördlichen Japan seltener und weniger heftig auftreten, als im mittleren
Theile von Hondo, in welchem wiederholt durch dieselben weittragende
Verwüstungen hervorgerufen wurden. Nach Kaempfer sind die
Go-tô frei von diesen Naturerscheinungen. Wie weit dies begründet
ist, konnte ich nicht zuverlässig ermitteln.
In den Zeitschriften der Asiatic Society und der deutschen Ge-
sellschaft in Japan haben Brunton, respective Naumann nach Japa-
nischen Quellen Zusammenstellungen aller Erdbeben des Landes ge-
macht, von denen man sichere Kunde hat. Wir entnehmen denselben
folgende nähere Angaben über eine Anzahl der verheerendsten Er-
schütterungen, welche darin aufgezählt sind:
Am 14. des 10. Monats 685 trat eine der fürchterlichsten Er-
schütterungen ein. Berge stürzten, das Wasser der Flüsse überfluthete
das Land, öffentliche Gebäude, Bauernhäuser, Tempel stürzten zu-
sammen, und Tausende von Menschen und Thieren fanden einen
schnellen Tod. Die Bäder der Provinz Idzu wurden zerstört. In der
Provinz Tosa fand eine plötzliche Submersion statt. Ein Areal von
5 Millionen tsubo (1653 ha) versank urplötzlich in den Schooss der
Fluthen. Auch im folgenden Jahre richtete ein Erdbeben grossen
Schaden an. Diesmal, heisst es, kamen die Stösse aus Westen.
Im 5. Monat des Jahres 844 richtete eine Erderschütterung grossen
Schaden in der Provinz Higo an, besonders in den Districten Ama-
kusa, Yazushiro und Ashinokita. Viele öffentliche Gebäude und Reis-
felder eines Flächenraumes von 29000 tsubo (9,6 ha) gingen zu Grunde.
Ueber 570 Dörfer verschwanden vom Erdboden, und 1500 Menschen
büssten ihr Leben ein. Bergstürze ereigneten sich an 280 Stellen,
und 40 Menschen fanden unter Felstrümmern ihren Tod.
[60]III. Geologische Verhältnisse.
Im Jahre 745 schwankte der Erdboden vom 27. des 4. Monats
an 2 Tage und 3 Nächte lang ohne Unterbrechung. Die Oscillationen
waren in der Provinz Mino derart heftiger Natur, dass hohe Gebäude,
Magazine, Tempel und Häuser in Menge zusammenstürzten.
Am 14. des 8. Monats im Jahre 797 war grosses Erdbeben mit
Sturm in Kiôto. Ganze Strassenreihen stürzten. Alle Häuser und
Tempel fielen in Trümmer: die Stadt wurde vollständig vernichtet.
Im 7. Monate des Jahres 818 suchte ein gewaltiges Erdbeben die
Provinzen Sagami, Musashi, Shimosa, Hitachi, Kotsuke und Shimotsuke
heim. Der Menschen, die dabei um das Leben kamen, waren un-
zählig viele, so dass die Regierung für die Beerdigung sorgen musste.
Am 12. des 7. Monats 827 war ein grosses Erdbeben, und viele
Häuser brachen zusammen. An ein und demselben Tage fühlte man
einen Hauptstoss und 7—8 kleinere Stösse. Am 14. dauerte das
Erzittern noch immer fort, und um 10 Uhr dieses Tages wurde ein
furchtbar heftiger Stoss gefühlt. Bei jedem Stosse hörte man ein
donnerähnliches unterirdisches Geräusch. Es folgten in diesem und
dem folgenden Monate noch eine grosse Anzahl weiterer Erschütte-
rungen.
Im Jahre 830 fanden heftige Erdbeben in Akita statt.
Am 13. des 2. Monats 841 ereignete sich ein grosses Erdbeben
in Shinano. An einem Abende zählte man 94 Stösse. Viele Tausende
von Gebäuden wurden hierbei zerstört.
Heftige Erdbeben in den Jahren 850, 856, 857, 864, 868 zer-
störten Theile von Kiôto und zeigten sich mehr oder minder verderb-
lich in den Provinzen ringsum.
Im Jahre 877 wurden alle Provinzen des Kuwantô von Erdbeben
heimgesucht, welche in Sagami und Musashi die meisten Verwüstungen
anrichteten.
So gehen die Berichte fort und es scheint vor allem Kiôto häufig
in den Kreis der heftigsten Erschütterungen gefallen zu sein.
Diese Zusammenstellung bei Naumann beweist zur Genüge, wie
unbegründet die Annahme Brunton’s ist, als habe die Häufigkeit
heftiger, verderblicher Erderschütterungen in der neueren Zeit zuge-
nommen. Vielfach ist auch von Meeresfluthen die Rede, welche sich
unaufhaltsam über Städte und Dörfer dahinwälzten und bis zu Orten
vordrangen, die weit vom Meere entfernt lagen. Eine solche Erd-
bebenfluth zeigte sich z. B. im Sommer 869 im nördlichen Ôshiu und
nahm über 1000 Personen das Leben.
Nur noch einige der verhängnissvollsten Erderschütterungen dieses
und des vorigen Jahrhunderts mögen hier erwähnt werden. Nach
[61]Wirkungen subterraner Kräfte.
Kämpfer zerstörten ein Erdbeben und darauffolgende Feuersbrünste
1703 fast ganz Yedo. Die Erschütterung trat nach anderen Angaben
am 30. December früh 2 Uhr ein. In Odawara stürzten durch die-
selbe ganze Häuserreihen ein. Tausende von Menschen kamen um
das Leben. Wer eine Zuflucht in der Nähe des Meeres gesucht hatte,
wurde von der heranbrausenden Fluth verschlungen. Am Abend des
1. Januar regnete es tüchtig, und die Erschütterungen nahmen erst
am Morgen des nächsten Tages ein Ende. Dieses Erdbeben hat wohl
gegen 200000 Menschen das Leben gekostet, denn in Sagama kamen
allein 100000 Menschen um, in Yedo 37000. Vier Jahre später war
die letzte gewaltige Eruption des Fuji-no-yama von heftigen Erd-
erschütterungen im nämlichen Gebiete begleitet.
Dann folgt der Bericht über ein bedeutendes Erdbeben, das im
Jahre 1726 in Echizen auftrat.
Die Provinz Echigo, die Stadt Kiôto und andere Landestheile
wurden im März des Jahres 1751 durch Erdstösse bedeutend mitge-
nommen. In Echigo verloren dabei 16000 Menschen ihr Leben.
Im Jahre 1782 wurde das Kuwantô zweimal im August durch
starke Erdbeben heimgesucht, dann folgte am 10. September an der
Yedo-Bucht (wahrscheinlich als Folge einer Erderschütterung in einem
südlichen Gebiete) eine Fluth, welche unter anderem die Stadttheile
Fukagawa und Honjô überschwemmte und ebenfalls viele Zerstörungen
anrichtete.
Der letzte gewaltige Ausbruch des Asama-yama im folgenden
Jahre 1783 hatte gleichfalls weit verbreitete, heftige Erderschütterungen
im Gefolge. Auch die letzte Eruption des Onzenga-take auf Shimabara
1792 erschütterte die Umgegend in ungewöhnlicher Weise.
Dewa war im Hochsommer 1804 der Schauplatz häufig wieder-
holter, heftiger Erschütterungen, welche viele Veränderungen hervor-
riefen und ebenfalls manchem Menschen den Tod brachten. Im März
1822 machten sich in Ôshiu und auf Yezo innerhalb dreier Tage 150
mehr oder minder heftige Stösse bemerkbar.
Am 18. December 1828 verbreitete ein Erdbeben über Echigo
seine Schrecken. Ueber 30000 Menschen und 6000 grössere Hausthiere
verloren dadurch ihr Leben.
Zwei Jahre später, am 18. August, ist wieder einmal Kiôto vor
allem der Schauplatz der Verwüstung durch ein gleiches Naturereig-
niss. Das Tokugawa-Schloss Nijô, viele Häuser und Magazine stürzten
ein, und es wurden unzählige Menschen erschlagen. Unter donner-
ähnlichem Tosen trat das Ereigniss gegen 4 Uhr Nachmittags ein.
Anfangs war man nur erstaunt, aber bald wankten die Häuser wie
[62]III. Geologische Verhältnisse.
Meereswellen, und das Krachen der zusammenbrechenden Gebäude
klang wie tausendfacher Donner. Glücklicherweise wurde es, nach-
dem drei wuchtige Stösse schnell auf einander gefolgt waren, etwas
ruhiger. In diesem Augenblick flüchtete Alles auf die Strassen, wo
nun Leute der verschiedensten Stände neben einander campierten. Die
Häuser in Kiôto stürzten meist ein, nur wenige wurden blos beschä-
digt, keins blieb verschont. Durch den Einsturz der Godowns*), von
denen keines unbeschädigt blieb, wurden gar viele Menschen verletzt.
Dabei gab es Niemand, der die Trümmer bei Seite geschafft hätte.
Ein Jeder flehte zu den Göttern um Schutz und Rettung. Die Stärke
der Erschütterungen nahm bald ab, doch wiederholten sich dieselben
von Zeit zu Zeit, so dass man bis zum 19. August über 120 Stösse
zählte. Dann gab es etwa 3—4 Erschütterungen in jeder Stunde.
Abends um 4 Uhr kam nochmals ein sehr heftiger Stoss. Ueber die
engen Strassen spannten die von Angst gequälten und dem Regen
und Thau ausgesetzten Bewohner Strohseile; sie legten darauf Bambus-
stäbe, Strohmatten und Regenmäntel, um die Nacht wiederum im
Freien zuzubringen. Es gab auch viele Leute, die auf Bergen und
grossen, freien, entfernt gelegenen Plätzen Zuflucht suchten. Die
Erschütterungen dauerten auch am 20. August noch fort, doch kamen
nur 2—3 auf die Stunde. Noch an diesem Abende lagerte Alles im
Freien, mit Ausnahme einiger sorgsamen Leute, die Angst vor Er-
kältung hatten. Das Erdbeben hatte am Ende des Monates noch nicht
aufgehört, doch war die Zahl der Stösse auf 15—20 pro Tag herunter
gegangen. Am 2. und 3. September stellte sich starker Regen ein,
dann hob sich am letzten Tage das Meer, stürzte in das Land hinein
und drang bis Kiôto vor**). Viele Menschen verloren dabei ihr Leben.
Erst einen Monat später war das Erdbeben ganz abgeschlossen.
Am 21. Juli des Jahres 1835 ereignete sich ein grosses Erdbeben
in den Provinzen Rikuzen und Rikuchiu. Das Schloss von Sendai
wurde gänzlich zerstört, und 400—500 Häuser wurden durch die herein-
stürzende Erdbebenwelle mit in das Meer genommen, so dass viele
Menschen umkamen.
In der Provinz Shinano wüthete am 8. Mai 1847 Abends zwischen
8 und 10 Uhr ein ungewöhnlich heftiges Erdbeben. Berge und Häuser
stürzten ein, Thermen verschwanden und andere brachen hervor,
Flüsse veränderten ihren Lauf und überschwemmten weite Strecken.
[63]Wirkungen subterraner Kräfte.
Allenthalben sah man die Spuren der entsetzlichen Verwüstung,
namentlich im Gebiete des Chikuma-gawa. Benachbarte Provinzen
wurden ebenfalls mehr oder weniger heimgesucht.
Während des Jahres 1854 kam die Erde kaum zur Ruhe. Die
heftigsten und verderbenbringendsten Erschütterungen fanden jedoch
am 8. Juli und vor Allem am 4. November statt. Es war Letztere von
einer Meeresfluth begleitet und erstreckte sich fast über das ganze
Land, besonders heftig jedoch über die Südseite von Hondo, Shikoku
und Kiushiu. Das Kuwantô wurde weniger davon berührt, aber aus
allen übrigen südwärts gelegenen Provinzen des Tôkaidô, Nakasendô,
Gokinai, Sanyodô, Kiushiu und Shikoku liegen eine Menge Berichte
vor, welche beweisen, dass einerseits der Einsturz der Gebäude und
ihm folgende Brände, andererseits und vor Allem die Meeresfluth ihr
Vernichtungswerk an Hunderten von Orten trieben. Der Hafenort
Shimoda wurde bei dieser Gelegenheit überschwemmt, und es scheiterte
eine russische Fregatte.
Das letzte grosse Erdbeben für die Hauptstadt Tôkio war das
vom Jahre 1855. Die Schrecken, die es brachte, leben noch jetzt in
der Erinnerung des Volkes, und man fürchtet Nichts mehr, als eine
Wiederholung des Ereignisses. Im ganzen wurden innerhalb eines
Monates 80 Stösse wahrgenommen, die heftigsten am 10. November
Nachts. Bald war Yedo in einen Schutthaufen verwandelt, und es
brach gleichzeitig an 30 verschiedenen Stellen Feuer aus. Es war
so hell, wie am Tage, und die schwarzen Rauchwolken bedeckten
den ganzen Himmel. Die Einwohner, die nicht schon vorher an
Rettung gedacht hatten, fanden meist unter Balken und Trümmern
ihren Tod; andere wurden ein Opfer der Flammen. Die Ueberlebenden
hatten sich auf die Strassen geflüchtet. Die Erschütterungen dauerten
fast ununterbrochen fort bis zum 11. November. Von Zeit zu Zeit
wiederholten sich die Stösse, wurden jedoch immer schwächer, so dass
das Ende dieses Erdbebens eigentlich erst am 28. November eintrat.
Die Zahl der in Yedo eingestürzten Häuser betrug 14241, der
eingestürzten Magazine 1649. Doch bezieht sich dies blos auf die
eigentliche Stadt, nicht auf die Wohnungen der Daimio und Samurai.
104000 Menschen fanden bei diesem Ereigniss ihren Tod. Auffallend
ist, in Anbetracht der Heftigkeit, mit der es auftrat, der sehr be-
schränkte Verbreitungsbezirk. Auf dem Nakasendô nahm man es nur
bis Takasaki wahr, am Koshiu-kaidô bis Hachioji, am Tôkaidô bis
Hodogaya, am Ôshiu-kaidô bis Utsunomiya, in Shimosa bis Sakasai.
Die Ebene von Kuwantô war der Heerd und Tôkio das Centrum dieses
Erdbebens.
[64]III. Geologische Verhältnisse.
Während der fünf meteorologischen Beobachtungsjahre vom Decem-
ber 1872 bis December 1877 hat Knipping in Tôkio 86 Erdbeben
wahrgenommen. Seine sorgfältigen Aufzeichnungen darüber, nebst
graphischen Zusammenstellungen derselben nach den verschiedensten
Gesichtspunkten, finden sich im 14. Heft der Mittheilungen der deut-
schen Gesellschaft. Abgesehen davon, dass die Erschütterungen im
allgemeinen Nachts häufiger als am Tage, und im Jahre 1877 zahl-
reicher und heftiger als in den vorausgegangenen Jahren waren, lassen
sich jedoch keine allgemeinen Regeln daraus ableiten, wie denn auch
Naumann durch seine sehr sorgfältige und mühevolle Zusammen-
stellung zu keinerlei allgemeinen Resultaten gelangen konnte.
4. Säculäre Hebungen.
Dass die Japanischen Küsten im allgemeinen sich langsam heben,
wurde schon seit lange angenommen. Man schloss es aus Berichten
über plötzlichere Hebungserscheinungen bei vulkanischen Ausbrüchen
und Erdbeben hier und dort, aus dem Vorkommen jungtertiärer mariner
Schichten an einigen Buchten, wie der von Yedo, und aus der Ana-
logie mit anderen Inseln und Küstenländern im und am nördlichen
Theile des Stillen Oceans. So hatte z. B. F. Schmidt Sachalin ein-
gehender geologisch und botanisch untersucht und dabei an mehreren
Orten der Küste subfossile Muschellager in natürlicher Lage in Thon
gebettet aufgefunden und dies mit Recht als ein Zeichen der noch
fortdauernden Hebung dieser Insel gedeutet. Solche, mindestens
gleich zuverlässige Beweise einer allmählichen, sogenannten säculären
Hebung der Ostküste von Hondo wurden von mir für die Küste von
Nambu und neuerdings von Naumann für die Ebene von Kuwantô
vorgebracht. In der physischen Welt geht Nichts über die Beweis-
kraft der durch Beobachtung gewonnenen Thatsachen, und diejenige,
dass sich die Küste von Nambu in ganz recenter Zeit wesentlich ge-
hoben hat, ist noch deshalb besonders bemerkenswerth, weil sie einem
nicht vulkanischen Gebiete entnommen ist. Der Fall ist folgender:
Ungefähr in der Mitte der Küste zwischen der Sendai-Bucht und
dem Hafen Kamaishi befindet sich unter 38° 50' Kamamaye-ura (die
Bucht Kamamaë). Sie schneidet etwa ¾—1 geogr. Meile tief und
halb so breit in nordwestlicher Richtung in das Land ein und hat an
ihrem breiten Eingang die Insel Ôshima vorgelagert, zu deren Seiten
nur enge Canäle bleiben. Im Hintergrunde dieser Bai zieht sich das
reinliche Städtchen Kisenuma hin mit einem sicheren tiefen Hafen.
Der früher sehr lebhafte Schiffsverkehr ist nach Mittheilung des
Kôchô (Bürgermeisters) in den letzten 30 Jahren immer unbedeutender
[65]Wirkungen subterraner Kräfte.
geworden und zwar in Folge des Seichterwerdens der Eingänge beider-
seits von Ô-shima. Man wird hier zunächst an ein Versanden denken;
doch diese Annahme ist nicht zulässig, denn weder mündet hier ein
Fluss, von dem es herrühren könnte, noch ist die Strömung und
Wellenbewegung längs der Küste geeignet, dies zu bewirken.
Eine halbe Stunde von Kisenuma liegt am nördlichsten Zipfel
der Bai der kleine Ort Shishiori, dessen Bewohner am flachen Ge-
stade Seesalz gewinnen. Ein neu angelegter Weg führt von Kisenuma
am Rande der Bucht hin und hält sich etwa 0,5 Meter über dem
höchsten Wasserstande. Bald nach Kisenuma biegt er um eine steil
zu ihm abfallende graue Kalksteinwand, welche von schmalen Kalk-
spathadern durchzogen und gleich der Schieferformation ringsum ohne
Zweifel paläozoischen Ursprungs ist. An dieser Wand nun gewahrt
man dicht über dem Wege ein etwa 80 cm breites horizontales Band,
in welchem der Kalkstein wie ein Schwamm grob durchlöchert ist.
Lithophaga, die weit verbreitete Saxicava rugosa und insbesondere
Petricola japonica Dunker (sp. n.), deren Schalen noch wohl erhalten
in manchen der Höhlungen zu sehen sind, legen hier über die jüngste
Geschichte dieser Küste ein eben so deutliches Zeugniss ab, wie
Modiola lithophaga in den Säulen des Serapis-Tempels bei Puzzuoli.
Man muss die Hebung, welche die Küste von Kamaye-ura in neuester
Zeit erfahren hat, auf mindestens 1,5 Meter veranschlagen. Ohne
Zweifel steht damit das Seichterwerden der Einfahrt bei Ôshima in
innigster Verbindung und findet dadurch seine natürliche Erklärung.
In seiner Studie über die Ebene von Yedo*) hat Naumann
sichere Beweise für die recente Hebung derselben, ja der ganzen
Ebene von Kuwantô gebracht. Er hat darauf aufmerksam gemacht,
dass Karten aus der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts die Yedobucht
viel weiter nach Norden gehen lassen; die Mündung des Sumida lag
mehr zurück, und der Boden der ganzen Unterstadt des heutigen Tôkio
war unter Wasser. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts bedeckte
das Meer die beiden Stadttheile zur Linken des Flusses, nämlich
Fuka-gawa und Honjô, vollständig. Es gab somit eine Zeit, wo der
jetzt so dicht bevölkerte Distrikt Asakusa am Meere lag und die nur in
Salzwasser gedeihende Alge Porphyra vulgaris Ag. in seiner nächsten
Nähe wuchs. Daher stammt für sie der Name Asakusa nori, welcher
zuerst die Aufmerksamkeit Naumann’s auf diese interessanten Ver-
hältnisse lenkte.
Naumann weist nach, dass das Zurückweichen des Meeres nicht
Rein, Japan I. 5
[66]III. Geologische Verhältnisse. Wirkungen subterraner Kräfte.
der Zufuhr von Sediment durch den Fluss, also nicht der einfachen
Deltabildung allein zugeschrieben werden kann, sondern säculäre
Hebung hinzukommen musste. Einst reichte die Yedo-Bucht weiter
über das ganze Flachland von Shimosa und Hitachi hinweg und nord-
wärts, soweit die Ebene von Kuwantô geht. Das Gebirgsland von
Kadsusa-Awa ragte als Insel daraus hervor, und eine Strömung (ob
vom Kuro-shiwo, wie Naumann annimmt, oder nicht, ist gleichgültig)
bewegte sich in nordöstlicher Richtung zwischen dieser Insel und dem
nördlichen Randgebirge der heutigen Ebene hindurch nach NO. zum
offenen Ocean. Ihr schreibt Naumann den Transport des Bimssteines
zu. Das Vorkommen in dem Trachyttuff der die Ebene im Süden
begrenzenden Hügel wird dadurch erklärt. Säculäre Bewegung und
die Ablagerung von Silt bewirkten eine allmähliche Hebung des Meeres-
bodens und ein Zurückweichen der See. Für letzteres sprechen auch
im Unterlauf des eigentlichen, östlichen Tone manche andere That-
sachen. Neben der geologischen Beschaffenheit des Bodens weisen
historische Berichte und Namen im Innern, die nur für Küstenorte
sonst Sinn haben und gebräuchlich sind, auf ein Zurückweichen des
Meeres hin. Die flachen Landseen zu beiden Seiten des unteren
Tonegawa bildeten sich wohl dabei zuerst als Strandseen oder Haffe
und rückten erst ganz allmählich mehr landeinwärts.
Auch auf Shikoku und in vielen anderen Theilen Japans deutet
Manches auf die säculäre Hebung der Küsten hin. Da jedoch keinerlei
nähere Untersuchungen darüber vorliegen und einzelne Vorkommnisse
auch anders erklärt werden könnten, möge es hier mit den vorer-
wähnten Beispielen sein Bewenden haben.
[[67]]
IV.
Orographie.
a. Grundzüge der Bodengestaltung.
Das Japanische Reich ist ein Gebirgsland, in welchem der ebene,
cultivierte Boden, einschliesslich der bebauten Terrassen, kaum 12 Pro-
cent, also noch nicht ein Achtel des ganzen Areals ausmacht, wobei
die weniger oder nicht baufähigen Nebenlande noch nicht einmal in
Rechnung kommen. In der Regel wechseln Berg und Thal beständig
mit einander ab, und es breiten sich die wenigen bedeutenderen Ebenen
nur im Unterlaufe der grossen Flüsse aus. Hierher gehören: die
Ebene von Kuwantô nördlich der Yedobucht am Tone und Sumida;
die Ebene von Mino, Owari und Ise am Kiso und Ise-no-umi;
die Ebene von Ôsaka am Yodo; die Ebene von Echigo am Shinano;
die Ebene von Sendai am Abukuma und der Sendaibucht; die Ebene
des Ishikari auf Yezo. Nur das nördliche Hondo hat auch im
Innern einige rings von Gebirgen begrenzte fruchtbare Flächen von
ansehnlicher Ausdehnung, nämlich die Aidzu-taira bei Wakamatsu,
und weiter nordwärts die Ebene von Yonezawa, sowie die viel
grössere von Yamagata.
Im allgemeinen folgen die japanischen Gebirge der Längenaus-
dehnung der Inseln von NO. nach SW. und haben bei ansehnlichen
Gipfelhöhen verhältnissmässig niedrige Pässe. Dies rührt vornehmlich
daher, weil die Gebirgsmassive aus krystallinischen Urgesteinen und
alten Schiefern meist nicht hoch ansteigen, während die vulkanischen
Bildungen, welche sie vielfach durchbrochen und überlagert haben,
zwar ansehnliche Gipfel, aber selten lange und hohe Kämme bilden,
so dass die Uebergänge oft zwischen denselben über die ältere Grund-
lage hinführen. Vulkanische Bergmassen sind den Gebirgsketten nicht
selten auch vorgelagert und stellen Verbindungen zwischen den viel-
fach in ihrer Lagerung gestörten und verworfenen Gliedern des älteren
Gebirges her.
5*
[68]IV. Orographie.
Sanfte Bergformen herrschen bei weitem vor*). Japanische Ge-
birgslandschaften zeichnen sich weniger durch grossartige, wilde, zer-
rissene und zerklüftete Felspartieen, als vielmehr durch ihre Anmuth
und Frische aus. Neben der Beschaffenheit des Materials, aus wel-
chem sie aufgebaut sind, ist diese Erscheinung wohl vor allem der
starken Verwitterung zuzuschreiben, welche hier durch manche Fac-
toren gefördert wird und eine verhältnissmässig rasche Umgestaltung
der Profile bewirkt. In der That machen sich hier alle die Einflüsse,
welche man als den Zahn der Zeit bezeichnet, in hohem Grade geltend,
nämlich im Winter häufiger Wechsel zwischen Regen und Trockenheit,
Frost und Thau; im Sommer dagegen heftige, reiche Niederschläge,
welche im Verein mit der hohen Temperatur die Vegetation mächtig an-
regen, deren Wurzeln dann weiter ein nicht zu unterschätzendes Agens
zum Zersprengen und Zersetzen der Felsen und ihrer Trümmer bilden.
Ewigen Schnee und Gletscher findet man im Reich der aufgehen-
den Sonne nicht, wohl aber tragen viele der hohen Gipfel auf Hondo
und Yezo noch spät in den Nachsommer hinein ansehnliche Schnee-
felder und werden bereits Anfangs October von neuem in weisse Kleider
gehüllt. Auch kommt es bei verschiedenen Bergen, wie z. B. bei dem
Haku-san und Iitoyo-san**), nicht selten vor, dass einzelne Schnee-
streifen mehrere Jahre ohne Unterbrechung bleiben. Hierauf deuten
Namen, wie Yuki-yama (Schneeberg), Haku-san oder Shiro-yama
(Weissberg), und bezüglich des Jitoyo-san eine in Aidzu und Yonezawa
gebräuchliche Redensart, nämlich warten bis »Iitoyo-san no yuki-wa
kigetara (der Schnee des Ede-san weggeschmolzen ist)«, d. h. Etwas
ad calendas graecas verschieben.
Man darf jedoch — in Japan vielleicht noch weniger als sonst —
aus dem langen Verweilen des Schnees auf einem Berge keine Schlüsse
auf die relative Höhe ziehen, da jenes ja von verschiedenen Um-
ständen und vor allem von der Menge des Niederschlages während
des Winters abhängt.
Die Japaner kennen und unterscheiden durch besondere Namen
die einzelnen Berge ihres Landes, nicht aber die Gebirgszüge. Der
götterreiche Buddhismus und dann auch der Ahnencultus verliehen
ihnen für jeden bemerkenswerthen Gipfel einen besonderen Gott.
Das demselben wohlgefällige Werk, seine Wohnstätte aufzusuchen,
ihm dort ein Tempelchen zu errichten und daselbst zu ihm zu beten,
unternahmen sie um so freudiger, als sie damit Gewissheit erlangten,
[][]
[69]Grundzüge der Bodengestaltung.
dass ihnen der so Gefeierte hinfort geneigt sein und über die Sorgen
und Mühen des Lebens hinweg helfen werde, und unternehmende
Priester gaben und geben ihnen diese Versicherung für gutes Geld
sogar schriftlich. Solche Pilgerfahrten entsprachen überdiess den
Neigungen des japanischen Volkes zur Beschauung der Naturschön-
heiten, für welche dasselbe, wie bekannt, in hohem Grade Verständ-
niss und Empfänglichkeit zeigt.
So wurden viele der hervorragendsten Berge dem Volke näher
bekannt und nach Eröffnung des Landes auch uns Fremden leicht
zugängig. Hierher gehören vor allem folgende: Fuji-no-yama (Fuji-
san) in Suruga, On-take (Mi-take) in Schinano, ebenso Asama-yama;
Tate-yama (Riú-san) in Echiu, Haku-san (Shiro-yama) in Kaga, Omine
in Yamato, Koya-san in Kii, Tsukuba-san in Hitachi, Nikkô-san (Nan-
tai-san und Futara-san) in Shimotsuke, Bantai-san in Iwashiro, Tsuki-
yama (Gas-san) in Uzen, Chôkai-san (Tori-umi-yama) in Ugo, Iwaki-
yama (Iwaki-san) in Mutsu, Ganju-san (Iwawashi-yama) und Haya-
chine-san in Rikuchiu, Hiye-san in Omi; ferner auf der Insel Kiushiu:
Kirishima-yama in Hiuga, Asô-yama in Higo, Onsen-ga-take in Hizen.
Dies sind fast insgesammt vulkanische Gipfel, von denen viele
frei und kegelförmig aus der Ebene oder über das umgebende Ge-
birge sich erheben und daher dem Volke ganz besonders imponieren
mussten. Aber die imposanteste Gestalt unter diesen heiligen Bergen
besitzt doch der Fuji-san oder Fuji-no-yama, der höchste des
Landes. Darum wenden auch die Pilger ihm vor allem ihre Schritte
zu und besteigen ihn alljährlich auf drei Wegen in der Zahl von
15000—20000; darum ist er ferner das Wahrzeichen und die volks-
thümlichste Berggestalt des Landes, die man steiler als im Original
tausendfältig nachgebildet findet auf den verschiedenartigsten Erzeug-
nissen der japanischen Kunst und Industrie, gemalt auf Papier, Ge-
webe, Lack- und Thonwaaren, oder mit grossem Geschick ausge-
schnitzt als Relief auf Holz, oder auf der gegossenen und ciselierten
Bronzevase.
An den Grenzen der Provinzen Suruga und Kai, 13 Meilen
(96,47 km) Luftbahn westlich von Tôkio, das ihn aus verschiedenen
seiner Strassen schaut, erhebt sich der Fuji-san über breiter Basis
3745 Meter hoch isoliert in die Luft als ein seit dem letzten Ausbruch
von 1707 ganz ruhender Vulkan, den die alte Landessage in einer
Nacht gleichzeitig mit dem Biwa-See entstehen lässt, aus dessen Boden
die Götter ihn aufbauten.
Vom Fuji aus erblickt man bei klarem Wetter ein ansehnliches
Stück des breitesten und höchsten Theiles der Insel Hondo und des
[70]IV. Orographie.
ganzen Landes. Mächtige Gebirgsmassive, 2500—3000 Meter hoch
emporsteigend, erheben sich in verschiedenen Richtungen und Ent-
fernungen vom Fuji aus und zeigen hier die steil aufsteigende Granit-
wand, dort den gerundeten vulkanischen Dom oder den zerrissenen
Gipfel.
b. Gebirge der Insel Hondo.
Der Hauptgebirgszug bildet im allgemeinen die Wasserscheide
zwischen dem Stillen Ocean und dem Japanischen Meer und erstreckt
sich gewissermassen als Rückgrat der ganzen Länge nach durch die
Insel von der Strasse von Tsugaru bis zur Enge bei Shimonoseki,
indem er im Norden die natürliche Grenze zwischen Mutsu und Dewa
im Süden zwischen Sanindô und Sanyodô ist, und zugleich Aeste
aussendet, welche man als naturgemässe Grenzen zwischen den ein-
zelnen Provinzen dieser Landschaften verwendet hat. Viel verwickelter
gestalten sich die Verhältnisse mehr nach der Mitte der Insel hin,
wo zum Theil seitwärts von der grossen Wasserscheide viel mächtigere
Ketten sich erheben, deren Begrenzung sich schwerer bestimmen lässt.
An der Tsugarustrasse, ostwärts vom Hafen Awomori beginnend,
macht die erwähnte Wasserscheide, sich anfangs mehr der Westküste,
später der Ostküste nähernd, bald der ganzen Länge nach, und zwar
bis zum Gebirgsknoten des Adzuma-yama, westlich der Stadt
Fukushima die Grenze zwischen Mutsu und Dewa. Weiter südlich
scheidet das centrale Gebirge den Abukuma-gawa von dem Inawashiro
und Aidzu-kawa, etwa bis Sano-tôge. Von hier aus wendet sich
die Wasserscheide beider Meere mächtigen Gebirgszügen entlang,
welche von Tôkio aus in einem Bogen von 15—18 Meilen Radius einen
beträchtlichen Theil der Ebene von Kuwantô umspannen und deren
Nord- und Westgrenze bilden. In der Nähe des durch seine Berg-
krystalle berühmt gewordenen Kinpo-zan, 18 Meilen westlich von
Tôkio, tritt an der Grenze von Shinano und Kai eine Theilung des
Gebirges ein. Ein unbedeutender Zug setzt nämlich die bisherige
südliche Richtung und zugleich die westliche Grenze von Kuwantô
weiter südwärts fort und endet in der Halbinsel Idzu; der weit be-
deutendere Zug dagegen wendet sich südwestlich, bildet die Grenze
zwischen Tôkaidô und Tôsandô, geht endlich nach Yamato und Kii
über und endet an der Linschoten-Strasse.
Die Wasserscheide zwischen dem Stillen Ocean und Japanischen
Meere folgt diesem Zuge nur auf seiner ersten Strecke bis zu den
[71]Gebirge der Insel Hondo.
acht Gipfeln des Yatsuga-take, wendet sich dann über Wata- und
Shiwojiri-tôge zwischen Suwa-ko einerseits und dem Shinanoflusse
anderseits in westlicher Richtung nach dem Japanischen Schneegebirge
zwischen Shinano und Hida, folgt ihm jedoch nicht, sondern durch-
schneidet Hida bis zum Haku-san an der Grenze von Hida, Echizen
und Kaga. Von hier aus bildet die Wasserscheide in südwestlicher
Richtung die Grenze zwischen Mino und Omi auf der einen, Echizen und
Wakasa auf der anderen Seite und geht dann, wie oben bereits erwähnt
wurde, zwischen den beiden westlichen Landschaftsbezirken des Central-
landes (Chiugoku) durch zur Strasse von Shimonoseki. Vom Haku-san
an südwestlich kommt weder in dieser Wasserscheide noch seitwärts
derselben irgend ein Berg vor, der noch im Hochsommer Schnee trüge;
denn die Erhebung ist nirgends mehr so beträchtlich, als weiter nord-
wärts, und erreicht keine 1500 Meter. Die Ostgrenze des Hokurokudô
läuft auch in ihrer mehr nördlichen Erstreckung einem ansehnlichen
Gebirgszuge entlang mit manchen hervorragenden Gipfeln. Auch
weiter gen Norden, in Dewa, ist derselbe erkennbar und vereinigt
sich erst in Akita endgültig mit dem centralen Zuge. Mächtige Ver-
bindungsglieder ziehen von diesen Gebirgen an der Ostgrenze des
Hokurokudô nach der Hauptkette hin und bilden die Grenzen der
einzelnen Provinzen des Tôsandô.
Endlich ist noch als drittes Parallelgebirge ostwärts des Kita-
kami das nördliche Schiefergebirge zu erwähnen, welches
parallel der Küste von Mutsu bis zur Sendaibucht zieht.
1. Berge von Ôshiu und Dewa.
Im nördlichen Hondo bildet, wie bereits bemerkt wurde, ein con-
tinuierlicher Gebirgszug vom Cap Natsudomari aus (nordöstlich von
Awomori) bis zum Gebirgsknoten Adzuma-yama, an der Grenze
von Iwashiro, Uzen und Iwaki die Scheide zwischen dem Stillen
Ocean und dem Japanischen Meere — Ôshiu und Dewa. Seine Gipfel,
zumeist vulkanische Kuppen auf älterem Gebirge, erheben sich 1200
—2000 Meter hoch, sind aber noch nicht näher erforscht, während
die Passübergänge zwischen 600 und 1000 Meter Höhe liegen, so
Kunimi-tôge auf dem Wege von Akita nach Morioka aus dem Thale
des Toshima-gawa den Katsu-gawa hinauf zu dem Kitakami; Akita-
miyagi-tôge von Akita den Ommono-gawa hinauf über Jocobori
nach Sendai, Itaya-tôge von Yonezawa nach Fukushima. Unter
den hervorragendsten Gipfeln der Kette finden wir den Shiranegin-
san am Knie des Noshiro-gawa, den Numa-yama, Biobuga-
take, Nakano-yama und Sensiuga-take gerade westlich vom
[72]IV. Orographie.
Ganju-san, Morioshi-san, Komaga-take (auf der Nordseite von
Kunimi-tôge), Ôsarasawa-yama, Sugane-yama nordöstlich von
Shinjo, Sennen-san östlich von Yamagata, den Yoshiga-take,
Zooga-take und Adzuma-yama. Viel imposanter jedoch und
theilweise auch höher sind jene mehr isoliert auftretenden vulkanischen
Gipfel, welche zu beiden Seiten der Centralkette und theilweise in
nur loser Verbindung mit derselben sich erheben und von denen
namentlich drei, nämlich der Chôkai-san, Ganju-san und Iwaki-
san für die höchsten Berge des Japanischen Nordens gelten, weil sie
ihre Schneehauben früher als alle übrigen erhalten und länger tragen.
Der Chôkai-san ist wohl der gewaltigste unter ihnen. Er führt auch
den Namen Toriumi-yama und Akita-fuji, erhebt sich südlich
der Stadt Honjô 3 ri (2 g. M.) vom Japanischen Meer als ein mäch-
tiger, weithin schauender Kegel auf breiter Basis, etwa 2400 Meter
hoch. 4 ri (2½ g. M.) nordwestlich von Morioka erhebt sich der
Nambu-fuji. Gewöhnlich heisst er Ganju-san oder Iwawashi-
san, auch Iwawashi-yama und Iwade-san. Auf der West-
seite des Kitakami steigt er etwa 2000 Meter hoch steil empor und
hängt nach Westen mit der Centralkette zusammen. Im Osten von
ihm, auf der linken Flussseite, erblickt man den viel niedrigeren vul-
kanischen Kegel Himegami-yama, und auch südlich von Morioka
lagern sich dem centralen Gebirgszuge zum Kitakami hin eine Reihe
vulkanischer Berge vor, darunter mehrere mit Namen Komaga-take.
Desgleichen finden wir auf der Westseite des Gebirgszuges um den
Takogata-See kahle vulkanische Gipfel, als deren Fortsetzung der im
Hintergrunde der Ebene von Akita aufsteigende Taihei-san gelten
kann. Am nördlichen Ende von Rikuchiu, wo der Towada-See in
Waldeinsamkeit seinen Wasserspiegel ausbreitet, zweigt sich ein Ast
vom Centralzuge ab und bildet nach Westen hin die Wasserscheide
zwischen Noshiro und Hirosaki und zugleich die Grenze zwischen
Ugo und Mutsu. Im Nordwesten dieses Grenzgebirges erhebt sich
der Tsugaru-fuji oder Iwaki-san, wie er richtiger heisst, 1500
bis 1800 Meter hoch. Auch die beiden Halbinseln, welche die Bucht
von Awomori im Westen und Osten einfassen, tragen einige isolierte
vulkanische Gipfel, unter denen auf der Ostseite der Yake-yama,
1000 Meter hoch, und weiter nördlich der Oma-take zu erwähnen
sind. Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf die Terrainver-
hältnisse östlich des Kitakami, wo vulkanische Bildungen nur vereinzelt
auftreten, so erblicken wir südlich der Stadt Hachinohe in der Nähe des
Stillen Oceans einen ansehnlichen Berg Namens Toyahega-take.
In dem nördlichen Schiefergebirge, welches zwischen Kitakami und
[73]Gebirge der Insel Hondo.
zahlreichen Küstenbächen die Scheide bildet, ragt als höchster Gipfel
südöstlich von Morioka der Hayachine-san hervor mit 1500—1800
Meter Höhe. Lange, meist flachrückige Bergzüge von 300—400 Meter
Höhe erstrecken sich von diesem Gebirge östlich zum Meer, wo sie
steil, aber nicht hoch abfallen. Ein mit Gebüsch bedecktes, flach-
rückiges Hügelland stellt im südlichen Theil des Kitakami an der
Grenze von Sendai und Nambu den Uebergang von diesem Schiefer-
gebirge zur centralen Kette her, in der hier Komaga-take und
Sugane westlich vom Städtchen Ichinoseki besonders hervorragen.
Gegenüber, am Japanischen Meer, mündet bei Sakata der Mogami-
gawa im südlichen Dewa. Von den drei Ebenen, die er bewässert,
der von Yonezawa, Yama-gata und Shônai ist letztere im Süden durch
einige bemerkenswerthe vulkanische Gipfel begrenzt, unter welchen
vor allem der Gas-san (Tsuki-yama) oder Mondberg zu nennen ist,
den wir im Süden des Chôkai-san treffen. Südöstlich erhebt sich der
Haguro-san und südwestlich der Yudono-san. Den Göttern
dieser Berge und des Chôkai-san wird alljährlich gegen Ende Sep-
tember in Tsurugaoka (Shônai) ein Fest gefeiert.
2. Die Randgebirge der Aidzu-taira.
Vom Adzuma-yama bis zum Yamizo-yama, wo Shimo-
tsuke, Iwashiro und Iwaki sich berühren, setzt sich die südliche Rich-
tung des centralen Gebirges und der grossen Wasserscheide weiter
fort, trennt das Gebiet des Abukuma von dem des Inawashiro-Sees
und bildet damit die Ostgrenze jenes weiten, fruchtbaren Thalkessels,
der als Aidzu-taira bekannt ist. Nach Süden wird dieselbe durch
jene Fortsetzung der grossen Wasserscheide begrenzt, welche hier
den Naka und Tone nebst verschiedenen ihrer Nebenflüsse von den
Gewässern Aidzu’s trennt. Der Kamm des Gebirges führt zunächst
gen Südwesten zum Nasu-yama, dann über Sano-tôge und
Araumiga-take zum Akayasu-yama, dann westlich zum Ko-
maga-take, wo Iwashiro, Echigo und Kotsuke zusammenstossen.
Die Westgrenze der Aidzu-taira läuft vom Komaga-take bis zum
Iitoyo-yama an Echigo hin. Es ist ein Theil jenes hohen Gebirges,
welches den Osten dieser Provinz ihrer ganzen Länge nach natürlich
begrenzt, dem Tadami-gawa seine nördliche Richtung anweist und
endlich den Gewässern von Aidzu im Aka-gawa einen engen Durch-
gang zum Meer gestattet. Die vierte Seite, der Norden der Aidzu-
Ebene, zeigt uns einen Gebirgsrücken, welcher Adzuma-yama mit
Iitoyo-san verbindet und die Wasserscheide nach dem Mogami-gawa
und Arakawa hin bildet.
[74]IV. Orographie.
So ist denn jene reich bewässerte, fruchtbare Ebene von Aidzu
ringsum mit einem Gebirgsrahmen umgeben, dessen Ecken Iitoyo-
san, Komaga-take, Akayasu-yama, Yamizo-yama und
Adzuma-yama heissen und zwischen denen noch mancher nicht
näher bekannte Gipfel eine ansehnliche Höhe erreicht. Am höchsten
scheint jedoch der Iitoyo-san zu sein (etwa 2500 Meter), der sich weit
früher als alle anderen, nämlich schon Anfangs October, dauernd in
Schnee hüllt. Ausser ihm und 2 Komaga-take’s ragen in der west-
lichen Kette der Kimen-san und Otoriga-take besonders hervor.
Auf der Südseite, westlich vom Akayasu-yama, erhebt sich der Hiyu-
ziga-take (Feuersteinberg), an dessen Fuss im Ose-numa der Ta-
dami-gawa entspringt, östlich der Yokkai-yama, Kurowa-yama
und eine Anzahl anderer bedeutender Gipfel, welche in nördlicher
Richtung das Flussgebiet des Tadami von dem des Okawa scheiden.
Der Vulkan Nasu-yama ist 1912 Meter, der Yamizo-yama nur
990 Meter hoch. Der höchste Berg, welcher dicht an die Aidzu-taira
herantritt und darum am meisten imponiert, ist der Bantai-san,
ein vulkanischer Kegel, der auf der Nordseite des Inawashiro-Sees
1850 Meter hoch emporsteigt und weithin sichtbar ist.
Die wichtigsten Uebergänge, welche über die erwähnten Gebirge
nach der Aidzu-taira und ihrer Hauptstadt Wakamatsu führen, sind:
im Süden Sano-tôge (936 Meter) aus dem Thal des Kinu-gawa;
im Südosten Itabashi-tôge (760 Meter) und Andô-tôge (1050 Meter)
aus dem oberen Thale des Abukuma (von der Stadt Shirakawa aus);
im Osten Katanari-tôge, sowie Takisawa-tôge (533 Meter)
von Nihonmatsu am mittleren Abukuma zum Inawashiro-See, be-
ziehungsweise nach Wakamatsu; im Norden Kaya-tôge (909 Meter)
aus dem Thale des Mogami (von der Stadt Yonezawa aus); im Nord-
westen Tabanematsu-tôge (442 Meter) auf dem Wege von Nii-
gata den Aka-gawa (Tsu-gawa) hinauf.
3. Das Grenzgebirge im Osten von Echigo.
Betrachtet man an einem klaren Novembertage von den Dünen
bei Niigata aus dieses der centralen Erhebung von Hondo parallele,
also ebenfalls von NO. nach SW. gerichtete Gebirge, so erblickt man
unter einem Winkel von etwa 60° gen Nordosten eine Reihe schnee-
bedeckter Kuppen, die Grenzberge von Uzen, dann eine Einsenkung
im Profil (Durchbruch des Arakawa), hierauf gerade ostwärts den
langen weissen Rücken des Iitoyo-san, etwa 20 Bogengrade weit in
Schnee gehüllt. Nun folgen gen Südosten schneefreie Stellen und
schneebedeckte hohe Kuppen in Abwechselung. Unter letzteren ragen
[75]Gebirge der Insel Hondo.
namentlich Kimen-san und Gin-san hervor. Auch genau südlich
erblickt man manche beträchtliche Höhe. Nun wurde die Strecke
vom Iitoyo-san bis zum Komaga-take bereits als Westgrenze von
Aidzu-taira kurz erwähnt, nicht aber ihre nördliche und südliche
Fortsetzung. Was jene anlangt, so hat die Strasse, welche von Yone-
zawa zur Linken des Arakawa hinführt, obgleich sie sich in der
Senke des Gebirges hält, doch eine ganze Reihe Höhen zu über-
schreiten, unter denen 4—5 recht beträchtlich sind. Nordwärts des
Flusses jedoch und östlich von der Stadt Murakami steigt das Gebirge
bald wieder zu 1500—2000 Meter hohen Gipfeln empor, unter denen
der Asahiga-take, der Miomote-yama und der Dairi-yama
weithin bemerkbar sind. Noch weiter gen Norden senkt sich das
Gebirge an der Grenze von Echigo zum Meer hin und bildet hier eine
nicht hohe Steilküste aus basaltischer Lava, während mehr landein-
wärts in der bewaldeten Hügellandschaft auch Granit vielfach ansteht.
Ein Hügelrücken stellt den Zusammenhang mit den vulkanischen
Kegeln von Shônai her.
Als südliche Fortsetzung des westlichen Randgebirges der Aidzu-
taira müssen wir die Strecke vom Komaga-take über Mikuni-yama
und Okura-yama zum Jotoke-san und Shirane-san ansehen,
nicht blos, weil dieselbe Richtung bleibt, sondern auch im wesent-
lichen der gleiche Gebirgscharakter. Auch hier erheben sich über
einer breiten Basis aus krystallinischen Gesteinen, unter denen Diorit
und Diallag besonders häufig sind, höhere vulkanische Gipfel. Dies
und die reichen Niederschläge, namentlich die Schneefälle des Winters,
bedingen den üppigen Pflanzenwuchs und die schönen Wälder, welche
wir in dieser grossen Wetterscheide zwischen Echigo und Tôsandô
treffen. Das Gebirge trennt den Nakatsu und andere Nebenflüsse des
Shinano-gawa vom Wagatsuna-gawa und Tone und ist demnach ein Glied
der grossen oceanischen Wasserscheide, welche wir von der Tsugaru-
strasse bis hierher verfolgt haben. Als Knotenpunkt kann Mikuni-
yama gelten, wo Shinano, Echigo und Kotsuke sich berühren und
der »Dreiländer-Pass« einen der bemerkenswerthesten Gebirgsüber-
gänge in ganz Japan bildet. Ueber Mikuni-tôge führt die Strasse
von Tôkio-Takasaki nach Nagaoka-Niigata. Sie bleibt 17 ri (9 g. M.)
lang im Gebirge, erhebt sich in Kubô-tôge 860 Meter, in Mikuni-
tôge 1323 Meter und in Futaye-tôge 953 Meter hoch, während
der höchste Ort an ihr, Asakai, 961 Meter hoch liegt. Vom Jo-
toke-san führt ein anderes Gebirge nordwärts zwischen Nakatsu
und Chikuma-gawa hin zur Grenze von Echigo, der entlang andere
Berge die Verbindung mit Mikuni-yama herstellen.
[76]IV. Orographie.
4. Die Gebirge des Kuwantô.
Die Gebirgsketten, welche wir als südöstliche und südliche Grenze
der Aidzu-taira und als südliche Fortsetzung ihres Westrandes be-
trachtet haben, gehören zwar, da sie ja Iwashiro, beziehungsweise
Echigo von Shimotsuke und Kotsuke scheiden, mit Rücksicht auf die
beiden letzten Provinzen auch dem Kuwantô an, doch wurden ihre
diesem zugekehrten Seiten nicht näher beachtet. Hier aber lagern
sich mehrere bemerkenswerthe vulkanische Gebirgsketten und Massen-
gebirge vor, welche wir nun im Zusammenhange mit verschiedenen
anderen etwas näher ins Auge fassen wollen. Obenan steht das
vulkanische Gebirge von Nikkô. Nordwärts und etwa 36 ri
(19¼ g. M.) entfernt von Tôkio erhebt sich dieses interessanteste Gebiet
Japans an der nordwestlichen Ecke von Shimotsuke, sich anlehnend
an den Gebirgsknoten des Akayasu-yama und die von demselben aus
nordöstlich nach Sano-tôge führende Wasserscheide. Das ganze Ge-
biet, welches hier besonders in Betracht kommt, umfasst nur wenige
Quadratmeilen und wird von dem Daiya-gawa, einem rechten
Nebenflusse des von Sano-tôge kommenden Kinu-gawa, durchströmt.
Als Centrum und zweithöchster Gipfel desselben ist der Nantai-san
(Futaara-san) anzusehen, welcher auf der Nordostseite des Chiu-
zenji-Sees steil sich erhebt und bis zum Gipfel bewaldet ist. Der-
selbe heisst auch Nikkô-san, gehört zu den heiligen Bergen des
Landes und wurde früher nur nach strengen Bussübungen vom See
und einem Tempel daselbst aus während einer Juliwoche bestiegen.
Beim Abfluss aus dem See macht der Daiya-gawa den hohen und
berühmten Wasserfall Kegon-no-taki und weiter abwärts noch
verschiedene Stromschnellen. Seine Quellen liegen beim Badeort
Yumoto am Fusse des Shirane-yama.
Neben prächtigen Bergformen, wilden Schluchten und mauerartig
aufsteigenden Felswänden findet man hier einen grossen Reichthum
an Wasser, bald in Gestalt klarer, tiefer Gebirgsseen von feierlicher
Stille, bald wieder in reizenden Fällen oder als murmelnde Bäche
tief eingegraben in schattiger Waldesschlucht. Daneben interessiert
und erfreut nicht minder eine überaus üppige und mannichfaltige
Vegetation. Mit der Natur hat die Kunst sich vereinigt, Nikkô zur
sehenswerthesten Gegend Japans zu machen. Dort, wo der Daiya-
gawa die letzten Rhyolithfelsen bei dem Orte Hachiishi überspringt,
steigt zu seiner Linken ein Tempelhain sanft empor, in welchem sich
die Grabstätten der zwei mächtigsten Tokugawa-Shôgune, des Iyeyasu
und seines Enkels Iyemitsu, befinden. Das ganze Land hat ge-
[77]Gebirge der Insel Hondo.
wetteifert, diese Begründer der kräftigsten Regentenfamilie Japans zu
ehren und ihre Ruheplätze geschmackvoll auszuschmücken. Mit Recht
sagt eine Japanische Redensart: »Nikkô minai uchi-wa kekko-to iuna«
(Wer Nikkô nicht gesehen, rede nicht vom Schönen).
Aber mehr als Tempelschmuck, Stein- und Bronzelaternen und
andere Sehenswürdigkeiten dieses geweihten Haines fesseln uns seine
prächtigen Cryptomerien und Retinisporen, vor allem schon in jener
unvergleichlich schönen und grossartigen Allee, welche von den Ufern
des Tone an 18 ri (10 g. M.) weit über Utsunomiya bis nach Imaichi
führt und deren Bäume um so stattlicher werden, je näher man dem
Ziele kommt.
Folgendes sind einige der im Gebiete des Nikkô-san gemessenen
Höhen: Shirane-yama 2618 Meter, Nantai-san 2540 Meter,
Akanagi-san 2400 Meter, Omanago 2300 Meter, Schwefelbad
Yumoto 1531 Meter, Chiuzenji-See 1340 Meter, Kegon-no-
taki 1310 Meter, Nikkô (Brücke oberhalb Hachiishi) 630 Meter.
Das Gebirge von Nikkô senkt sich sowohl zum Daiya-gawa als
auch ostwärts zum Kuno-gawa hin, auf dessen Ostseite noch ein
Gipfel, der Takahara-yama, bis 1823 Meter emporsteigt. Derselbe
wird indess nicht mehr zu den Nikkôbergen gerechnet.
Die Westseite der Nikkôberge begrenzt ein Meridiangebirge, in
welchem Kotsuke und Shimotsuke sich berühren. Es beginnt am
Akayasu-yama und endet in der Nähe des Städtchens Ashikaya,
schiebt sich somit gen Süden in die Ebene von Kuwantô weit vor,
bis etwa dahin, wo der Watarashi-gawa, welcher ihm entspringt und
in seinem Oberlaufe im wesentlichen gleiche Richtung mit ihm hält,
ostwärts biegt. Man kann diesen Gebirgszug nach dem wichtigsten
Passübergange das Gebirge von Ashio nennen. Seine höchsten
Gipfel im Norden, zu denen auch der schon erwähnte Shirane-yama
gezählt werden muss, sind wohl insgesammt erloschene Vulkane, aber
gen Süden stehen die älteren Gebirgsglieder, krystallinische Massen-
gesteine, zumal Granulit und Diorit, höher an, als in den Bergen von
Nikkô. Bei Hakakura wird im Akayane-yama (Kupferberg) sogar
ein alter Bergbau betrieben. Durch seine sonderbaren Felsmassen
fällt der Kôshiu-zan auf, und auch der Jizoga-take (1811 Meter)
mehr im Süden gehört zu den bemerkenswerthen Höhen dieses Zuges.
Ashio-tôge hat 1343 Meter Höhe. Dieser Pass, welcher auf dem
Wege von Nikkô nach Hanawa und zum Nakasendô überschritten
wird, lässt auf eine beträchtliche Kammhöhe des Gebirges schliessen.
Gen Osten von ihm und ausser dieser Kette ragt der Osaku-san
über 900 Meter hoch steil empor.
[78]IV. Orographie.
Zwischen Numata und Mayebashi scheidet der Tone-gawa in
seinem nordsüdlichen Laufe zwei interessante vulkanische Massenge-
birge von geringer Ausdehnung, welche durch ihre kahlen, gerundeten
Bergformen nicht wenig auffallen. Man nennt sie nach ihren hervor-
ragendsten und besuchtesten Gipfeln, denen natürlich die Tempel
nicht fehlen, Akagi-san und Haruna-san. Die Akagi-Berge
liegen in Seta-gori zwischen Tone und Watarase-gawa südöstlich von
Numata und erreichen im Okurobo-san 1978 Meter Höhe. Der
kleine Akagi-See liegt 1439 Meter hoch. Unter den Haruna-Bergen
versteht man eine Reihe nackter Dome, welche nördlich des Naka-
sendô im Nordwesten von Takasaki steil zur Ebene des Tone ab-
fallen. Eigentlich sind es nur die äussersten Höhen einer vulkanischen
Berglandschaft, welche die ganze nordwestliche Ecke der Provinz
Kotsuke bis zur Grenze von Echigo und Shinano einnimmt und vom
Wagatsuna-gawa und seinen Nebenflüssen durchströmt wird. Ueber
die Höhenverhältnisse ist Nichts bekannt, doch scheinen nur wenige
Gipfel 1500 Meter zu überragen. Das Gestein besteht auch hier wahr-
scheinlich vorwiegend aus Trachyt, welcher zur Linken des Wagatsuna
auf dem Wege von Takasaki nach Mikuni-tôge ausserordentlich groteske
und an Ruinen alter Burgen erinnernde Bergformen bildet.
Wenden wir uns nun südwärts von Haruna-yama und dem Naka-
sendô, so treten uns auch hier eine Anzahl vulkanischer Berge ent-
gegen, welche durch ihre ruinenartigen, phantastischen Felsbildungen
sich auszeichnen und unter denen der Miogi-san oben ansteht.
Von Usui-tôge aus, jener hohen westlichen Grenzscheide des Ku-
wantô, überblickt man wohl diese interessante, waldreiche Bergland-
schaft, vermag aber ihre Grenzen nicht zu bestimmen. Ob sie bis
an den Ostrand von Shinano und an Musashi im Südwesten heran-
ragt, und ob das Baumaterial zu diesen grotesken Bergformen Trachyt,
wie weiter nordwärts, oder doleritische Lava ist, wie auf Usui-tôge,
bleibt späteren Untersuchungen vorbehalten.
Durch diese vulkanische Berglandschaft der Provinz Kotsuke steigt
das Kuwantô mit den von rechts kommenden Nebenflüssen des Tone
allmählich bis zur Grenze des nordöstlichen Shinano empor. Zwei Ge-
birgszüge und mehrere vulkanische Zwischenglieder bilden dieselbe und
zugleich die grosse oceanische Wasserscheide, welche vom Jotoke-
san bis zum Kinpo-san*) eine im wesentlichen südliche Richtung
hat. Der erste Gebirgszug endet mit dem Vulkan Asama-yama.
Seine Achse läuft parallel zum Chikuma-gawa, aus dessen Thal er
[79]Gebirge der Insel Hondo.
allmählich emporsteigt und den er zur Rechten mit abnehmender Höhe
bis zum Durchbruch an der Grenze von Echigo begleitet. Shirane-
san und Jotoke-san gehören auch ihm an. Die Achse des von
Mikuni-tôge kommenden Gebirgszuges setzt hier unter einem spitzen
Winkel ein. Das Gebirge scheint vorwiegend aus älteren Schiefern
zu bestehen und hat eine beträchtliche Kammhöhe. Die wenigen
bemerkenswerthen Gipfel sind Vulkane, vor allem der Shirane-san,
der Adzuma-yama, welchem der Wagatsuna-gawa entspringt, und
der Asama-yama. Letzterer ist 2525 Meter hoch. Unter den
jüngeren Vulkanen Japans gibt es kaum einen, von dessen verheeren-
den Eruptionen die Geschichte so viel zu berichten weiss, der seine
verderblichen Spuren so weit ringsum dem Lande aufgedrückt hat,
wie der Asama-yama, unter den activen keinen, der schon aus der
Ferne so imponierte, in unmittelbarer Nähe des ungeheuren Krater-
schlundes aber auf das Gemüth des Beschauers einen so gewaltigen
Eindruck hervorzurufen vermöchte, wie er. Seine grauweissen Bims-
steinauswürflinge bedecken nach verschiedenen Richtungen meilenweit
den Boden. An klaren Wintertagen, zumal im Januar und Februar,
ist der in Schnee gehüllte domförmige Gipfel mit der beständig dem
Krater entsteigenden Wolke sogar von höheren Theilen der Haupt-
stadt Tôkio aus nach NW. deutlich sichtbar, d. h. aus einer Entfer-
nung von 40 ri (22 g. M.). Die letzte verhängnissvolle Eruption fand
1783 statt, der letzte Aschenauswurf 1870.
Der Asama-yama tritt schon aus der Achse des Gebirges heraus.
Mit ihm verschiebt sich die Grenze von Shinano weiter nach Osten
und führt über einige unbedeutende Vorhöhen zum Usui-tôge. Es
ist dies einer der prächtigsten Gebirgsübergänge Japans. Er bildet
die 1235 Meter hohe Schwelle aus dem Hochlande von Shinano zum
Tieflande des Kuwantô, aus dem rauhen Innern zu den milden und
fruchtbaren Gefilden, aus denen die Macht der Toku-gawa erwuchs.
Das zweite Gebirge an der Ostgrenze von Shinano beginnt bei
Usui-tôge und zieht von hier bis zum Kinpo-san oder richtiger zum
Kobushi-yama. Beträchtlichere Berge erheben sich erst wieder
im südlichen Theile, wo an der Grenze von Shinano, Kotsuke und
Musashi der Mikuni-yama (Dreiländerberg) auffällt. Es ist nichts
Näheres über dieses Gebirge bekannt, doch darf man aus der Be-
schaffenheit des Gerölles der ihm entspringenden Flüsse Kana-gawa
und Kaburakawa, welche dem Tone ihr Wasser zuführen, schliessen,
dass Quarzitgesteine und Granit es zum Theil aufbauen. Der Ju-
manji-tôge, über welchen der Weg aus Musashi nach Shinano
führt (vom Arakawa zum Chikuma-gawa), soll 2256 Meter hoch sein.
[80]IV. Orographie.
Der ganzen Nordostgrenze der Provinz Kai entlang, sich einer-
seits nach Shinano, anderseits nach Musashi, wenn auch mit abneh-
mender Höhe, weiter fortsetzend, gewahren wir ein bemerkenswerthes
Gebirge, welches wir nach dem bekanntesten Berge, etwa in der Mitte
des ganzen Zuges, dem Kinpo-san*), benennen. Diese von SO.
nach NW. gerichtete Gebirgskette schliesst sich im Kobushi-yama
der vorerwähnten an, scheidet zuerst von hier bis über Wata-tôge
hinaus Chikuma-gawa von Fuji-kawa und Tenriu-gawa, dann in seinem
nordwestlichen Ausläufer den Chikuma vom Sai-gawa. Nach Südosten
wird das Quellgebiet des Ara-gawa und des Tama-gawa vom Baniu-
gawa geschieden. Unter den Bergen, welche hier in den Verzwei-
gungen des Gebirges besonders hervorragen, ist der Bukô-san oder
Chishibu-yama zu nennen, welcher in nordwestlicher Richtung
von Tôkio weithin sichtbar ist. Seine Höhe wird zu 1412 Meter an-
gegeben. Gemessene Höhen: Wada-tôge am Nakasendô 1646 Meter,
Tateshina 2400 Meter (nach Schätzung), Yatsuga-take 2725
Meter, Kinpo-san 2525 Meter, Kobushi-yama 2000—2400 Meter,
an der Grenze von Shinano, Kai und Musashi, Kobotoke-tôge
1400 Meter, beim Uebergang aus dem Baniu-gawa-Thale in das Ge-
biet des Tama-gawa, Yanagisawa-tôge 1413 Meter aus dem
Tama-gawa-Thal zum Fuyefuki-gawa.
Ein Zweig dieses Gebirges, vorwiegend aus Granit, Syenit und
anderen krystallinischen Gesteinen bestehend, zieht als Wasserscheide
zwischen dem oberen Baniu-gawa (Katzura-gawa) und Fuyefuki-gawa
gen Südwesten gegen den Fuji-san und setzt sich hier, die niedrigen
Vorberge auf dessen Nordseite bildend, weiter bis zum unteren Fuji-
kawa fort. Die beiden bemerkenswerthesten Pässe über denselben,
den Misaka-tôge von Kamiyoshida am Fuji nach Kofu und den
Sasago-tôge am Kôshiu-kaido fand ich 1563, beziehungsweise
1064 Meter hoch. Als höchster Gipfel darf der Tenmoku-san
nördlich vom Sasago-tôge mit etwa 1800 Meter Höhe angesehen werden.
Dieser Gebirgszug trennt Tsuru-gori vom übrigen Kai. Dieses ent-
wässert der Fujikawa, den Kreis Tsuru dagegen der Baniu-gawa.
Wo Musashi, Kai und Sagami zusammenstossen, zweigt sich ein
zweiter Gebirgsast gen Süden ab und bildet die Grenze des Kuwantô
bis zur Halbinsel Setsu hin zwischen Musashi und Sagami einerseits,
Kai und Suruga anderseits. Das Gebirge nimmt südwärts an Höhe
zu, besteht hier aus doleritischer Lava und erreicht 1000—1300 Meter
[81]Gebirge der Insel Hondo.
Höhe. Der Otomi-tôge am Wege von Hakone nach Subashiri auf
der Ostseite des Fuji hat 1031 Meter Höhe, der Hakone-Pass, wo
der Tôkaidô den Rücken überschreitet, liegt 855 Meter hoch. Hier
war das Kuwan oder Thor, die wichtige Grenzwache, welche man
beim Eintritt in das Kuwantô (den Osten vom Thore) überschreiten
musste. Hakone-tôge am Tôkaidô, Kobotoke-tôge am Koshiu-
kaidô, Usui-tôge am Nakasendô, Mikuni-tôge am Echigô-kaidô,
Sano-tôge am Aidzu-kaidô und Shirasaka-tôge am Ôshiu-kaidô
sind die grossen Gebirgspforten, durch welche man sich der Tiefebene
des Kuwantô und seiner Hauptstadt nähert.
Der Ort Hakone liegt 741 Meter hoch an einem hübschen Gebirgs-
see, dessen Abfluss, der Haya-gawa, in einem Bogen zum Meere bei
Odawara eilt. Die ganze Gegend, insbesondere das Gebiet innerhalb
dieses Bogens pflegt man das Hakonegebirge zu nennen. Das-
selbe gehört zu den lieblichsten vulkanischen Gebirgslandschaften
Japans. Muntere Bäche und prächtige kühle Wälder, viele Thermen,
darunter mehrere Solfataren, und Bäder und eine industrielle, freund-
liche Bevölkerung zeichnen dasselbe aus, und da es in einem Tage
und bequem von Yokohama aus zu erreichen ist, bildet es die von
den Fremden besuchteste und gekannteste Landschaft. Der höchste
Gipfel in ihr führt den häufigen Namen Komaga-take und hat
1345 Meter Höhe.
Nordöstlich vom Hakonegebirge und in genau westlicher Richtung
von Yokohama erhebt sich ein wenigstens nach Süden und Osten
isoliertes Gebirgsmassiv zu 1324 Meter Höhe. Es ist der Ô-yama.
Die Halbinsel Idzu, obgleich nicht mehr zum Kuwantô zäh-
lend, reiht sich geologisch und orographisch dem Hakonegebirge so
innig an, dass sie ebenfalls hier kurz besprochen werden muss. Ihr
hervorragendster Gipfel, der Amagi-san, hat 1430 Meter Höhe, ein
anderer Berg, der Kuro-take, wird zu 905 Meter angegeben. Auch
die Sieben-Inseln (Shichi-tô oder Idzu-no-sho-tô) schliessen sich, wie
politisch, so auch ihrer vulkanischen Natur nach hier an. Mihara-
yama auf Ôshima (Vries-Is.), Otoko-yama auf Miyake-shima und
Nishi-yama auf Hachijô-shima erheben sich 700—860 Meter hoch.
Auf der Halbinsel Kadsusa-Awa sind bis jetzt noch keine
genaueren hypsometrischen Messungen vorgenommen worden. Sie hat
ebenfalls beträchtliche Berge, namentlich in dem ostwestlich gerich-
teten Höhenzuge an der Grenze beider Provinzen, z. B. den Kiyo-
sumi-yama, den Shimidzu-yama. Bekannter und auffälliger
sind einige andere von Wallfahrern vielbesuchte Gipfel, namentlich
Rein, Japan I. 6
[82]IV. Orographie.
der Kano-san in Kadsusa, der Tomi-san, Ô-yama und Goten-
yama in Awa.
Gen Norden senkt sich die Halbinsel zur Tiefebene des Tone-gawa.
Aber über diese hinweg ragen die beiden Kuppen des Tsukuba-
san hervor. Obgleich ihre Höhe nur 800—1000 Meter (nach anderen
Angaben 1500 Meter) beträgt, erscheinen sie doch, weil sie sich so
unvermittelt aus der grossen Ebene erheben, als bemerkenswerthe
Wahrzeichen weithin*). Weiter nordwärts folgt in dieser Richtung
die Grenze zwischen Hitachi und Shimotsuke einem Höhenzuge, in
welchem Buche-san, Torika-yama und Yamizo-yama die bemerkens-
werthesten Punkte sind. Der letztgenannte Berg liegt in der Erhebung,
welche das Kuwantô nach Nordosten abschliesst, den Naka-gawa vom
Abukuma trennt und zum Nasu-san zurückführt, dem Ausgangs-
punkte unserer Betrachtung der Gebirge in und um das Kuwantô.
Von den erwähnten Bergen sind von verschiedenen Stellen in Tôkio
aus bei klarem Wetter deutlich sichtbar: der Tsukuba-san nach
NO., der Nantai-san (Nikkô-san) nach N., der Asama-yama
nach NW., der Bukô-san nach NW. zu W. und endlich der Fuji-
san in W. zu S. Letzterer, zwar nicht mehr dem Kuwantô selbst
angehörend, doch vor allem von ihm aus in seiner ganzen Eigen-
thümlichkeit und Würde geschaut, möge nun zum Ausgangspunkte
für unsere weitere Umschau über die orographischen Verhältnisse der
Insel Hondo dienen.
5. Gebirge westwärts des Kuwantô und Fuji-san.
Westlich des Fuji-san und Fuji-kawa bemerken wir an der Grenze
von Shinano und Kai ein Meridiangebirge, das sich im Sattel des
Kamanashi-gawa, dem entlang die Strasse von Kofu zum Suwa-ko
führt, den Ausläufern des langgestreckten Yatsuga-take (Achtgipfel-
berges) anschliesst, bald zu beträchtlichen Höhen emporsteigt und
vom Tô-yama aus, wo Shinano, Kai und Suruga sich berühren, sich
verzweigt und senkt. Ein Ausläufer setzt die südliche Richtung
zwischen Tenriu-gawa und Oi-gawa in Tôtomi fort. Ein zweiter Ast
wendet sich südostwärts an der Westseite von Suruga hin zum Unter-
lauf des Fujiflusses; ein dritter endlich setzt die Scheidung des Tô-
kaidô vom Tôsandô nach Westen fort und verliert sich endlich in der
Owari-mino-Ebene gegen den Kiso-gawa. Seine Erhebung ist nirgends
[83]Gebirge der Insel Hondo.
beträchtlich, und fast alle ansehnlicheren Flüsse des Tôkaidô, insbe-
sondere der Tenriu-gawa, durchschneiden ihn. Von Höhen merken
wir folgende: der Komaga-take (2723 Meter), Jisoga-take,
Arakawa-take, Tô-yama, Koitori-yama, Shichi-men-
san (1562 Meter), Horai-san, Fudo-yama, Akiha-san.
Mit etwaiger Ausnahme der höchsten Kuppen scheint das Central-
massiv dieses Gebirges, auch seine Aeste, aus Granit und verwandten
Gesteinen zu bestehen. Dieser Granit steht selbst noch in den Aus-
läufern von Mikawa und Owari vielfach an. Alte fossilfreie Schiefer
(Grauwacke, Kieselschiefer und dunkle Thonschiefer) schliessen sich
an, dann folgen Tertiärablagerungen, z. B. in Tôtomi, Mikawa und
Owari. Das Centralgebirge verzweigt sich gegen den Fuji-kawa und
liefert hier im Gebiete des Haya-gawa bei Amabata prächtige
dunkele Thonschiefer (Amabata-ishi), welche dem ganzen Lande
zu Tuschschalen dienen, und an einem anderen Orte goldführenden
Quarzit. Da der Komaga-take wahrscheinlich der höchste Gipfel des
ganzen Gebirges ist und nach ihm der Kreis in Kai heisst, welchen
der Haya-gawa (rechter Nebenfluss des Fuji) bewässert, so nenne ich
dieses Gebirge das östliche Komaga-take oder Fohlenge-
birge und bezeichne dagegen als westliche Komaga-take-
Kette*) den parallelen Gebirgszug, welcher als Wasserscheide zwi-
schen Tenriu-gawa, Sai-gawa und Kiso-gawa tritt und nach beiden
Seiten, insbesondere zum Kiso-gawa steil abfällt. Von Shiwojiri-
tôge am Suwa-no-kosui, wohin die grosse Wasserscheide beider
Meere vom Kinpo-san-Gebirge führt, folgt dieselbe diesem Gebirgs-
zuge südwärts und parallel zum Sai-gawa, indem sie hier über Höhen
von 1000—1400 Meter geht. Hierauf wendet sie sich um die Quellen
des Sai-gawa über Torii-tôge westlich nach Hida. Von Torii-tôge
aus erreicht nun das Gebirge zwischen Tenriu- und Kiso-gawa seine
bedeutendsten Gipfel. Keiner derselben wurde bisher erstiegen und
genau gemessen, aber nach Schätzung hat Yabune 2000 Meter,
Komaga-take 2600 Meter, Ono-yama und Nakibiso-take je
1600 Meter, Ena-san 2000 Meter Höhe In letzterem und weiter
südlich bildet das Gebirge die Grenze zwischen Mino und Shinano,
tritt dann nach Mikawa über und vereinigt sich hier mit dem west-
lichen Ausläufer der Ostkette.
Die Basis der westlichen Komaga-take-Kette besteht ebenfalls
aus Granit, welcher ihrer ganzen Länge nach an Hunderten von Orten
6*
[84]IV. Orographie.
ansteht, aber die höheren Gipfel scheinen alle Vulkane zu sein. Un-
zweifelhaft ist dies beim Komaga-take der Fall. Langgestreckt, steil-
wandig, zerrissen und nackt erscheint die Masse dieses mächtigen
Berges, dessen Gipfel ein See krönen soll und der schon von Mikawa
aus am Tôkaidô sichtbar ist.
Eine dritte parallele Kette wurde von mir das Schneegebirge*)
genannt. Man heisst sie auch wohl die Hidakette (Hida-no-yama),
weil sie an der Grenze von Hida und Shinano am charakteristischsten
entwickelt ist. Gleich den beiden anderen ist ihre Richtung NNO.
zu SSW. Es ist der mächtigste Gebirgszug Japans, einheitlich in
seinem geologischen Bau, steil zu ansehnlichen Höhen emporsteigend,
wilder, zerrissener und schwieriger zu übersteigen als jedes andere,
ein Gebirge, das schon aus weiter Ferne, z. B. vom Gipfel des Fuji,
des Asama-yama und anderen hohen Aussichtspunkten einen impo-
nierenden Eindruck macht, das an vielen Stellen mauerartig empor-
zusteigen scheint und noch im Spätsommer mächtige Schneestreifen,
selbst in den Passübergängen, zeigt. Von dem Japanischen Meere,
zu dem seine Granitfelsen steil, wenn auch nicht hoch abfallen,
erstreckt es sich bis zu den Quellen des Masuda-gawa am Fusse
des Norikura, indem es erst Echiu vom südlichen Echigo, dann
von Shinano scheidet und im weiteren Verlaufe dieses von Hida
trennt. Ein tiefer Sattel tritt zwischen Norikura und On-take und
endet die südliche Richtung des Gebirges; auch erreicht nach
dem On-take keine der vielen Höhen, welche nun in der Wasser-
scheide zwischen Kiso-gawa und Hida-gawa (Masuda-gawa) weiter
auftreten, mehr als 1600 Meter. Dennoch muss dieser dem Kiso
parallele und gen Südwesten gerichtete Höhenzug seinem ganzen
Charakter nach als die Fortsetzung der Hidakette angesehen werden.
Auf der Ostseite senkt sich der Fuss des ganzen Gebirges rasch
zu den Thälern des Hime-gawa und Sai-gawa, nach Südosten ebenso
zum Kiso-gawa. Granit (und stellenweise Diabas) bildet hier allent-
halben die Unterlage, ob er aber bis zu den steilen Spitzen der hohen
Hidaberge reicht oder diese nicht auch, wie ihre äussersten Pfosten
On-take und Tate-yama, vulkanisch sind, ist noch nicht genügend
erwiesen. Auf der Hida-Seite im Westen senkt sich das Gebirge
mehr allmählich zum Kurobe-gawa, Takara-gawa und Masura-gawa.
Die schönsten Wälder von hinoki und anderen geschätzten Nadel-
hölzern, welche das Land kennt, findet man in diesem Gebirge, und
wo in ansehnlichen Höhen der Baumwuchs aufhört, treten auf vielen
[85]Gebirge der Insel Hondo.
Gipfeln arctisch-alpine Sträucher und Kräuter auf, deren Beschaffen-
heit und Vergesellschaftung noch zu manchem interessanten Studium
Anlass geben wird. Eine genauere Erforschung dieses ganzen Ge-
birges ist noch ein pium desiderium. Von seinen beiden wichtigsten
Passübergängen wurde der nördlichere, Harinoki-tôge (Erlenpass),
im Sommer 1878 von Satow und Hawes überschritten. Derselbe
liegt in der Route von Matsumoto am Sai-gawa nach Tô-yama in
Echiu, welche über Ikeda den Takase-gawa hinauf zum Passe und
dann hinunter zum Kurobe-gawa führt. Man fand diesen Gebirgs-
übergang an der Grenze von Echiu, Hida und Shinano 2400 Meter
hoch (etwa 7900 Fuss)*).
Nicht viel niedriger dürfte Hida-tôge sein, über welchen man
auf dem Wege von Yabuhara am Nakasendô, oder auch von Matsu-
moto aus nach Taka-yama, der Hauptstadt von Hida, gelangt.
Der Tate-yama oder Riu-san in Echiu (2820 Meter) und der
Mi-take oder On-take in Hida sind bis jetzt die einzigen höheren
Gipfel, welche Europäer bestiegen haben, doch liegen sie etwas
ausserhalb der Kette nach Westen. In dieser selbst ragen in der
Ordnung von Norden nach Süden folgende Berge hervor: Kari-
yasubira, Goriô-san, Jiiga-take, Goroku, Yahatsuga-
take, Hato-mine, vor allem aber der steilzackige Yariga-take
und der breite Norikura oder Sattelberg. Beide stehen dem On-
take oder Mi-take mit 3004 Meter an Höhe wenig nach, aber
keiner kommt diesem an Ruhm gleich. Ein halbes Dutzend Kratere
liegen in einer Reihe, dem langen Rücken von Norden nach Süden
folgend. Doch nicht diese, sondern die imposante Berggestalt an und
für sich und der weite Blick, den er bei klarem Wetter fast nach
allen Richtungen gewährt, machten den On-take zum heiligen Berge
und bringen seinem Gipfel von Fukushima am Nakasendô aus jähr-
lich gegen 5000—6000 Besucher.
Wo die westliche Komaga-take-Kette im Ena-san,
Maya-san, Okabu und Nakibiso-take an der Grenze von
Shinano und Mino dem Kiso-gawa eine andere Richtung anweist und
auf dem rechten Ufer der Yatate-yama (Ishi-yama) das Thal einengen
hilft, wendet sich auch der südliche Ausläufer des Schneegebirges
mehr nach Westen. Mit Höhen von 1000—1200 Meter begleitet er
den Kiso bis zum Einfluss des Hida-gawa hin. Die beträchtlicheren
[86]IV. Orographie.
Höhen bleiben jedoch in Mino weit vom Kiso entfernt an der Grenze
gegen Hida und verlieren sich erst ganz in der Nähe von Gifu.
Eine interessante Gebirgslandschaft im nördlichen Shinano und
benachbarten Echigo, welche durch Sai-gawa und Hime-gawa vom
Schneegebirge getrennt wird, zieht vorwiegend an der Grenze beider
Provinzen bis zum Shinano-Durchbruch hin und zeichnet sich durch
tertiäre Schichten über älteren Schiefern und eine Anzahl isolierter
hoher vulkanischer Dome aus. In diesem Gebirge liegt der Fuyô-ko
oder See von Nojiri 652 Meter hoch. Nicht weit davon erreicht
der Hokkoku-kaidô als wichtigste Strasse aus Shinano und dem Ku-
wantô nach dem Hokurokudô in Nojiri-tôge 704 Meter Höhe. Er-
stiegen wurde der Vulkan Yaki-yama durch v. Drasche, der ihn
auf 7000 Fuss (2133 Meter) schätzt. Ein noch auffallenderer hoher
Gipfel links vom Wege, der von Nojiri nach Takata führt, der Mio-
ko-san, steht ihm an Höhe wohl nicht viel nach.
Der Shinano, Kiso und Tenriu entwässern Shinano. Wo der Kiso
die Provinz verlässt, liegt sein Bett noch 420 Meter hoch, 950 Meter
hoch, wo er bei Torii-tôge, aus den Bergen tretend, zuerst ein
urbares Thal bildet. Vom Tenriu-gawa wissen wir, dass sein Quell-
gebiet, der Suwa-ko, 800 Meter hoch liegt, und sind berechtigt, seinen
Austritt in Shinano in gleicher Höhe wie den des Kiso anzunehmen.
Gleich hoch wie am Kiso-gawa steigt die Culturregion am Sai-gawa.
Auch gegen das Quellgebiet des Chikuma-gawa ragt der Ackerbau
kaum über 1000 Meter Seehöhe hinauf. Der Hokkoku-kaidô über-
schreitet den Sai-gawa bei Tambashima wenig oberhalb seiner Mün-
dung in den Chikuma, der in etwa 300 Meter Höhe nach Echigo
eintritt. Aus dieser Betrachtung ergibt sich zunächst, dass Shinano
gen Norden am meisten geneigt ist, seine tiefste Stelle aber immer
noch 300 Meter über dem Meere liegt. Der cultivierte Boden der Pro-
vinz liegt zwischen 300 und 1000 Meter Höhe, im Durchschnitt etwa
600 Meter hoch und beträgt überdies kaum 8 % des ganzen Areals.
Shinano ist sonach im eminenten Sinne ein Hochland, ein Gebirgs-
land. Dasselbe gilt von dem benachbarten Hida.
Der Gebirgswall, welcher ganz Echigo von den Provinzen des
Tôsandô trennt, setzt sich auch bei den südlichen Provinzen des Ho-
kurokudô fort, wenngleich minder hoch und geschlossen. So bildet
vom Quellgebiete des Kurobe im Schneegebirge an ein Höhenzug die
Grenze zwischen Hida und Echiu, der die Hidaflüsse Jiutsu-gawa
und Shira-kawa auf ihrem Wege zur Küste nicht aufhält und den
Blick vom fernen On-take aus zum Meere und der Halbinsel Nota
nicht verschliesst. Einen geschlosseneren Charakter und grössere
[87]Gebirge der Insel Hondo.
Dimensionen zeigen die Kaga-Berge westlich vom Shiraflusse, wo
der Haku-san und Bishamon im Berührungsgebiete der vier
Länder Kaga, Echizen, Mino und Hida einen Gebirgsknoten bilden,
zu dem die grosse oceanische Wasserscheide vom Norikura aus quer
durch Hida verläuft. Der Hauptgebirgszug hat hier Meridianrichtung.
Nach Norden bildet er die Grenze zwischen Kaga und Echiu und
setzt sich dann mit abnehmender Höhe in die Halbinsel Noto fort,
wo der Washinosu zu 610 Meter angegeben wird. Die bewaldeten
Rücken treten jedoch geschlossener und höher auf, je mehr man sich
dem Knotenpunkte nähert. Nach Südosten folgen die Berge an der
Grenze von Hida, und ein anderer Zweig des Gebirges zieht nord-
westlich zum Japanischen Meere zwischen Kaga und Echizen hin,
darin der Dainichiga-take. Der Hauptzug, die fernere Grenz-
scheide zwischen Hokurokudô und Tôsandô und zugleich die grosse
Wasserwende zwischen Japanischem Meere und Stillem Ocean setzt
sich nach Südwesten bis zum Quellgebiete des Katsura-gawa an der
Grenze von Yamashiro, Omi, Wakasa und Tamba fort. Bevor wir
ihm jedoch weiter folgen, wollen wir noch einmal den Blick richten
nach jenem hohen Bergriesen, welcher, den grössten Theil des Jahres
sein Haupt in Schnee hüllend und selbst im Hochsommer noch manche
weisse Narbe zeigend, seinem Namen Weissberg (Haku-san oder
Shiro-yama) Ehre macht.
Der Haku-san, welcher dem Seefahrer auf dem Japanischen
Meere ein weithin leuchtendes Wahrzeichen ist, liegt mit den beiden
höchsten vulkanischen Gipfeln Japans, dem Fuji-san und On-take, in
einer Linie, welche den breitesten Theil von Hondo von SO. nach NW.
schneidet. Er reiht sich ihnen auch in der Höhe an, wenn dieselbe
auch um einige hundert Meter der des On-take nachsteht und nur
2720 Meter beträgt. Es ist eine imposante Bergmasse, welche sich
aufbaut über jurassischen Sandsteinen und trachytischen Conglome-
raten aus prächtigem Hornblende-Andesit. Dies und der überraschende
Reichthum an Pflanzenformen machen ihn zu einem der interessan-
testen Berge Japans. Keiner der vielen hohen Gipfel des Landes
hat bislang in pflanzengeographischer Hinsicht eine so interessante
Ausbeute geboten, wie er, und es scheint in der That, dass nur das
Schneegebirge eine gleich reiche und bemerkenswerthe Ansammlung
von Gewächsen verschiedener Florengebiete der Erde aufzuweisen hat.
Offenbar spielt der Schnee, welcher selbst am Fusse zu Ichinose in
nur 800 Meter Höhe im Winter 18—20 Fuss hoch den Boden bedeckt,
in der Conservierung vieler Pflanzenspecies hier eine wichtige Rolle.
Kleine Tempelchen zieren die drei Gipfel des Haku-san und werden
[88]IV. Orographie.
im Juli und August von Pilgern viel besucht. Am Fusse bei Ichinose
gibt eine eisenreiche Therme manchen Kranken der Umgegend Hoff-
nung auf Genesung.
Zwischen Biwa-See und Wakasa-wan bildet die vorhin erwähnte
grosse oceanische Wasserscheide nur einen niedrigen Rücken, auf
welchem die Uebergänge kaum 300 Meter hoch liegen, so Hoosaka-
tôge auf dem Wege von Imadzu nach Obama und Fukasaka-tôge
an der Strasse von Shiwotsu nach dem Hafen Tsuruga. Ansehnlicher
sind verschiedene südlich gerichtete Höhenzüge, welche von hier aus-
gehen und mit dem Gebirge von Yamato in Verbindung stehen. Es
sind ihrer drei, welche die Ostgrenze von Omi, sowie die Ost- und
die Westgrenze von Yamashiro bilden. An den Grenzen von Omi hin
bemerken wir zunächst zwei Bergzüge, welche zugleich das Becken des
Biwa-ko nach zwei Seiten umgürten, deren einzelne Glieder zum Theil
eine Rolle in der Geschichte und Sage Japans spielten und desshalb
bekannter sind, als manche viel ansehnlichere Gipfel. Auf der Ost-
seite des Biwa-Sees ragt unter diesen Höhen vor allem der Ibuki-
yama hervor. Seine Höhe beträgt etwa 1300 Meter, und da er einen
niedrigen Vordergrund hat und ziemlich steil emporsteigt, ist er die
imponierendste Berggestalt weit und breit. Er wurde bei den alten
Japanern immer als Residenz des Teufels angesehen. Wahrscheinlich
bot er in alten Zeiten berüchtigten Räubern sichere Schlupfwinkel,
von denen aus sie bald den Reisenden auf der nahen Landstrasse
(Nakasendô) überfielen, bald den friedlichen Bürgern der umliegenden
Städte (Hikone, Kiôto etc.) ihre nächtlichen Besuche abstatteten. So
bezwang schon Yamato-dake, der Sage nach, als er den Nakasendô
entlang aus dem Kuwantô zurückkehrte, einen Berggeist des Ibuki-
yama. In der früheren japanischen Arzneimittellehre hatte der
Ibuki-yama als Lieferant vieler officineller Kräuter einen hervorragen-
den Platz. Einige Vorberge des Ibuki-yama reichen bis zum Naka-
sendô. An ihrem Abhange liegt hier Sekigahara, das berühmte
Schlachtfeld vom Jahre 1600. Weiter südwärts ragen wieder Berge
von 1000—1200 Meter Höhe empor, so der Riozen, Hotokegai
und noch mehr im Süden der Kamiga-take. Der Höhenzug
nimmt hier die Richtung nach Südwesten an, folgt der Grenze von
Ise, erst gegen Omi, dann gegen Iga, und geht schliesslich in die
Berge von Yamato über. Die Berge auf der Westseite des Biwa-Sees,
welche die Ostgrenze der Ebene von Yamashiro bilden, sind nur 800
bis 900 Meter hoch. Die drei bekanntesten heissen Hirano-yama,
Hiye-san und Ko-yama. Sie bilden die höchsten Gipfel (900,
825 und 420 Meter) in der Wasserscheide zwischen Kamo-gawa und
[89]Gebirge der Insel Hondo.
Biwa-See, einem schmalen Bergrücken, welcher steil gegen den See
abfällt, aus alten Schiefern über Granit aufgebaut und mit basaltischen
Spitzen gekrönt ist. Der Hirano-yama als der nördlichste und höchste
trägt im Frühling am längsten Schnee. Am bekanntesten und be-
rühmtesten ist der Hiye-san. Als 794 der Mikado Kuwammu-Tennô
seine Residenz nach dem heutigen Kiôto verlegte und das Heyanjô
(Friedensschloss) erbaute, errichtete er auch auf dem Hiye-san der
Tendai-Secte jenen Tempel mit Klostergebäuden, welche in der Folge
so grosse Bedeutung gewannen. Nach buddhistischem Aberglauben
kommt alles Böse aus Nordosten, dem Ki-mon (Teufelsthor). Hier
nun, im Ki-mon vom Heyanjô sollten die Priester Tag und Nacht
wachen, beten, trommeln und die Glocken rühren, um das Böse
vom Schloss und von der Hauptstadt fern zu halten. Zur Blüthe-
zeit des buddhistischen Mönchswesens gab es auf dem Hiye-san
gegen 3000 Priester und Mönche, die auf die inneren Wirren oft
grossen Einfluss übten. Jetzt ist die Stätte verödet, nur wenige Ge-
bäude, aber ein prächtiger Hain aus Cryptomerien erinnern an den
ehemaligen Glanz. Zum Uji-gawa senkt sich der Höhenzug, aber
jenseits desselben setzt er sich in 500—600 Meter hohen Bergen
fort und geht dann über in das höhere Gebirge von Yamato. Der
Kasuga-yama östlich von Nara (600 Meter hoch) muss zu ihm
gerechnet werden.
Im dritten Parallelrücken, welcher die Westgrenze der Ebene
von Yamashiro bildet, sich zum Yodo-gawa senkt und jenseits all-
mählich wieder emporsteigt und nun zwischen Kawachi und Yamato
hinführt, bemerken wir nordwestlich von Kiôto den bekannten Atago-
yama (884 Meter), dann ostwärts von Ôsaka an der nach Nara
führenden Strasse den Ikoma (600 Meter) und weiter nach Süden
den Kongo-san und den etwa 1200 Meter hohen Kadsurahi-
yama im Norden des Yoshino-gawa. Der lange Rücken des Kongo-
san, in Yamato zur Rechten des Yoshinothales gelegen, ist bemerkens-
werth als Lieferant des Pyropensandes, mit dem man von Alters her
die suishô (Bergkrystalle) schleift.
Der engere Zusammenhang der Gebirge von Yamato und Ki ist
noch nicht genügend ermittelt. Ohne Zweifel hat der Hauptzug Meri-
dianrichtung und im Omine-san südöstlich von Yoshino seinen Haupt-
gipfel. Pilger besuchen ihn viel von genannter Stadt aus. Knipping
fand ihn 1882 Meter hoch. Der Weg führt auf einem bewaldeten
Grat südwärts durch Urwald, der die steilen, schluchtenreichen Ge-
hänge bedeckt und die anfangs schöne Aussicht zum Yoshinothal nach
Norden bald nimmt. An Höhe überragen ihn manche Berge in Japan,
[90]IV. Orographie.
an mächtigem Baumwuchs, an schroffen Formen und Zacken sucht
er seines Gleichen. Knipping brachte mir, der ich den Berg nur
aus einiger Entfernung betrachten konnte, eine Gesteinsprobe vom
Gipfel mit. Es war ein Stück Kieselschiefer. Der Ômine ist somit
unter den bis jetzt genau gemessenen nicht vulkanischen Bergen der
höchste, wenn wir den Kinpo-san ausnehmen.
Südöstlich vom Omine-san erhebt sich, wahrscheinlich als zweit-
höchster Gipfel der Halbinsel Yamato, der Odai-yama 1689 Meter
hoch (nach Capt. St. John) ebenfalls in wild zerrissener, prächtiger,
waldreicher Gebirgslandschaft. Ostwärts von Ômine und Odai-yama
nahe der Berührungsecke von Yamato, Ise und Ki befindet sich eine
sumpfige Hochebene, die Otaigahara, woselbst Yoshino-gawa, Miya-
gawa und Otonashi-gawa entspringen. Von Bergen der Provinz Kii
sind noch, wenn auch keineswegs als höchste, anzuführen: der Haki-
san (650 Meter) südlich des Odai-san unweit der Küste, der Nachi-
san südwestlich von Shingu, woran der berühmte Wasserfall Nachi-
no-taki, 84 Meter hoch, nur 2 ri von der Küste, und der Koya-san
mit der bekannten Tempel- und Freistadt Koya ostwärts von Waka-
yama 500 Meter hoch.
Die zahlreichen Vorsprünge der Steilküste von Kii und Ise, welche
eben so viele kleine und zum Theil sehr tiefe und geschützte Buchten
bilden, sind nur die Ausläufer der vielen Gebirgsrücken, welche, vom
Hochlande des südlichen Yamato ausgehend, fächerförmig sich ver-
zweigen. Es ist eine wild zerrissene Gebirgslandschaft. Wenig be-
tretene Urwälder bekleiden ihre Schieferberge bis zu den Kämmen
und bieten den wilden Thieren des Landes noch ein weites freies
Jagdrevier. Reizend sind im Sommer die Thäler, durch deren Sohlen
das klare Wasser der Bäche in viel gewundenem Laufe murmelnd
dahineilt, wenn neben zierlichen Farrenkräutern und mancherlei
Strauchwerk blühende Azalienbüsche die felsigen Ufer schmücken und
der Duft unzähliger weisser Lilien die Luft erfüllt. Vor den rauhen
Nord- und Nordostwinden geschützt, bieten verschiedene nach Süden
geöffnete Thäler von Kii unter dem milden Einflusse des Kuroshiwo
ein subtropisches Klima dar, in welchem die schönen Mandarinorangen
reifen, mit denen man in Tôkio so reichlich den Markt versieht. Die
Provinz Kii wird zu Nankaidô gerechnet, bildet also mit Shikoku und
Awaji eine Gruppe. Vom klimatischen Standpunkte aus ist dies ge-
rechtfertigt.
Die grosse südwestliche Halbinsel von Hondo, das Chiugoku
oder Centralland, welches sich zwischen dem Japanischen Meere und
Seto-uchi hinzieht, schliesst sich im Berglande von Tamba den Bergen
[91]Gebirge der Insel Hondo. Das Relief der Insel Shikoku.
von Yamashiro und Setsu an *). Es ist mehr Hügel- als Gebirgsland.
Der Haupthöhenzug folgt der Längsrichtung der Halbinsel und scheidet
Sanin-dô von Sanyo-dô. Verzweigungen desselben laufen nordwärts
und südwärts davon aus zwischen den einzelnen Provinzen hin. Die
grosse oceanische Wasserscheide folgt zwar meist dem centralen
Rücken, biegt jedoch auch wiederholt ansehnlich davon ab. Oft führt
der Uebergang kaum 300 Meter hoch über flachgewölbte Schiefer-
rücken und ist die Steigung kaum bemerkbar. Die Höhe der be-
deutendsten Berge an den Grenzrücken selbst übersteigt wohl nur
ausnahmsweise, wenn überhaupt, 1000 Meter. Beträchtlicher ist sie
bei einigen isolierten vulkanischen Kuppen des Sanin-dô. So fand
Naumann den aus Trachyt aufgebauten Daisen in Hoki 1640 Meter
hoch, während ihn Kempermann sogar zu 1702 Meter bestimmte.
In vielen Berglandschaften, z. B. in den Provinzen Iwami und
Inaba, beschränkt sich der Ackerbau auf die kleinen Mulden und
engen Thaleinschnitte und umfasst kaum 5—6 % des gesammten
Areals. Nicht die Steilheit des Bodens oder die Rauheit des Klimas
sind die Ursache einer solchen Culturunfähigkeit, sondern der felsige
trockene Boden der runden Schieferrücken. In den breiten Thal-
sohlen der grösseren Flüsse, namentlich von Sanyo-dô, ist der Alluvial-
boden meist sehr fruchtbar und eine blühende Landwirthschaft zu
finden, z. B. in Harima.
c. Das Relief der Insel Shikoku.
Die Westgrenze der Provinz Kishiu gegen das Gokinai wird durch
einen aus Yamato kommenden Höhenzug gebildet, welcher parallel
zum Yoshino-gawa von NO. nach SW. gerichtet ist und zur Idzumi-
nada steil abfällt. Jenseits derselben folgt ein Bergrücken im öst-
lichen Awaji derselben Richtung, und endlich sehen wir, dass auch
[92]IV. Orographie.
die langen Schieferrücken, welche in Shikoku auftreten, diese Linie
fortsetzen, d. h. ebenfalls ihr Hauptstreichen nach Südwesten richten.
Als Grenze zwischen Sanuki und Awa, später zwischen Iyo und Tosa,
durchzieht der Gebirgskamm, wenn ein solcher hier hervortritt, der
Länge nach Shikoku, wie dies auch der bedeutendste Fluss dieser
Insel, der Yoshino-gawa, für den nördlichen Theil thut. Aber es
treten Parallelketten auf, und es zweigen sich anderseits in nordsüd-
licher Richtung Aeste vom Hauptgebirge ab, die in lithologischem
Charakter, wie in der Erhebung den Centralketten wesentlich gleichen.
So erblicken wir denn auf Shikoku eine Menge ansehnlicher Berg-
rücken von im wesentlichen gleicher Höhe, von 1000—1200 Meter,
über welche die höchsten Gipfel um kaum 100—200 Meter hervor-
ragen. Das Auge vermag deshalb hier nicht zu unterscheiden, welcher
Berg die anderen wirklich überragt, und da die ersten Höhenmessungen
auf dieser Insel überhaupt von mir ausgeführt wurden und nur auf
Passübergänge sich erstrecken, liegt unsere hypsometrische Kenntniss
derselben noch sehr im Argen. An den Quellen des Mioto-gawa süd-
lich der Stadt Saijô erhebt sich als weithin sichtbarer Berg nördlich
der Centralkette der Ishichichi-yama. Ich schätze seine Höhe
auf 1400 Meter und halte ihn für einen der höchsten Gipfel der
Insel, wenn er nicht thatsächlich alle anderen überragt. Solchen
Gipfelhöhen gegenüber liegen die Passübergänge hoch, wie dies die
Natur der vielfach aufgerichteten und sonst in ihrer Lagerung ge-
störten alten Schiefer mit sich bringt. Sasa-gami-tôge und Hira-
yama-tôge z. B., in welchen die Strasse von Kochi in Tosa nach
Kawanoye am Binnenmeer in Iyo den centralen Grenzrücken und
einen parallelen überschreitet, befinden sich in 1100 Meter Höhe, und
in einer anderen Richtung, nämlich auf dem Wege von Kochi nach
Matsu-yama in Iyo, überschreitet man an der Grenze einen Rücken
in 835 Meter Höhe. An Wasser ist in diesen Bergen kein Mangel,
daher auch hier allenthalben noch prächtiger Wald, wo nicht die
Unvernunft der Menschen die zerstörende Brandfackel hingetragen
hat *). In den oberen Regionen erfreut ein kräftiger blattwechselnder
Laubwald das Auge, wo Rosskastanien und Magnolien mit Buchen,
Eichen, Ahornen, Eschen, Erlen bunt gemischt auftreten. Aber die
lorbeerblätterigen Eichen, Camellien und andere immergrüne Bäume
wagen sich viel näher als auf Hondo und höher zu ihnen heran,
während noch tiefer Kampferbäume und andere Cinnamomumarten,
[93]Das Relief der Insel Shikoku. Gebirge der Insel Kiushiu.
Sternanis, Nandina und viele andere Gewächse, die wir auf der
Hauptinsel nur angebaut finden, an der Zusammensetzung des immer-
grünen Waldes theilnehmen.
Im Unterlaufe der Flüsse breiten sich kleine fruchtbare Ebenen
aus, in welchen auch die grössten Städte liegen, so die Ebenen von
Tokushima, Takamatsu, Saijô, Matsuyama und Kochi.
In Sanuki lagern sich dieser Ebene von Takamatsu verschiedene vul-
kanische Kegel nach der See hin vor, ganz getrennt vom Schiefer-
gebirge im Innern. Sie besitzen keine bedeutende Höhe, sind aber
landschaftlich sehr auffallend. Vielleicht der regelmässigste und
schönste unter ihnen ist der hinter Marugame aufsteigende Shira-
mine oder Sanuki-fuji. Der südliche Theil der Insel, ebenso
Awa sind mir nicht bekannt, doch möchte ich aus der Analogie
schliessen, dass auch hier verschiedene der isolierten vorgeschobenen
Posten Vulkane sind. In Awa dürfte dies vom Nakatsumine und
Shôsanji-yama, in Tosa unter anderem von dem Gozaisho-
yama gelten.
d. Gebirge der Insel Kiushiu.
Der Längsachse dieser Insel entsprechend erstreckt sich ihre
bedeutendste Erhebung in Meridianrichtung von der Strasse von Shi-
monoseki bis zur Südspitze Satanomi-saki. Doch ist es weder ein con-
tinuierliches Gebirge von einheitlichem geologischen Bau, noch durch-
weg Grenz- und Wasserscheide, obgleich, was letztere anlangt, die
Quellen fast aller ansehnlicheren Flüsse hier zu finden sind. Ein
Blick auf die vorherrschende Richtung der meisten dieser Flüsse be-
lehrt uns, dass sie entweder ostwärts direct zum Stillen Ocean oder
gen Westen zur Amakusa-nada und ihren Theilen abfliessen, während
nur eine kleine Anzahl mit wesentlich nördlicher Richtung ihr Wasser
dem Binnenmeer zuwendet. Von dem Centralrücken aus streichen,
wie dies v. Richthofen bereits hervorgehoben hat, in der Richtung
von W. 30° S. zu O. 30° N., oder auch fast ostwestlich, ansehnliche
Rücken eines sehr alten Schiefergebirges als Wasserscheide zwischen
verschiedenen dieser Flüsse und dienen zum Theil als natürliche
Grenzen von Provinzen, so zwischen Higo und Satsuma, Hiuga
und Bungo; doch liegen die bedeutendsten Erhebungen nicht an
der Grenze, sondern mehr nordwärts, ganz in Bungo. Der Grenz-
rücken zwischen Katsuba und Shigeoka ist nur etwa 500 Meter
[94]IV. Orographie.
hoch, auf der Südseite sanft ansteigend und gut bewaldet, nach
Shigeoka hin steil abfallend und ziemlich steril. Es folgt nun ein
schieferiges Hügelland, worauf der Weg zur Kammhöhe von Mi-
kuni-tôge*) ansteigt, welche zwischen Onoichi und Miyenoichi
überschritten wird und in das Thal des Shirataki-gawa führt. Der
Pass ist 647 Meter hoch und gewährt, da die Bergrücken ringsum
nur wenig höher sind, eine weite interessante Rundschau. Gen O.
75° N. erblickt man die Berge von Shikoku, nach S. 67° W. einen
hohen bewaldeten Gipfel mit nackter, stark zerrissener First, den
man uns Nishi-yama-take (Westbergspitze) nannte. Etwas weiter
nordwestlich davon erhebt sich der vulkanische Kegel des Asô, fast
genau westlich von unserem Standpunkte erblicken wir aber eine
weite, muldenförmige Einsenkung im centralen Gebirge und über sie
hinweg Theile von Higo. Es ist die Richtung, in welcher der Weg
von Oka nach Kumamoto führt. Nördlich von dieser Depression
steigen wieder höhere Berge empor, während man fast nach Norden
die isolierten vulkanischen Kegel von Bungo aus der Ebene sich er-
heben sieht.
Den westlichen Theil des Grenzgebirges zwischen Satsuma und
Higo überschritt Woeikof auf dem Wege von Ushiyama nach Mitsu-
mata in 572 Meter Höhe. Auch hier zeigte sich, wie ich es auch
bei Mi-kuni-tôge in Bungo fand, der Anstieg von Süden sanft, der
Nordabhang sehr steil, dem Einfallen der Schieferschichten ent-
sprechend. »Im NW. war das Meer zu sehen mit tief einschneiden-
den Buchten und hohen Inseln, im SO. die Spitze Kiri-shima mit Schnee
bedeckt (es war Mitte November). Die höheren Bergrücken waren
ungefähr eben so hoch, wie der von mir bereiste, und theilweise mit
Wald, theilweise, wie dieser selbst, mit Gras und Zwergbambus be-
deckt. Die Richtung war meist von N. nach S.«, sagt Woeikof, was
freilich auf die von mir überschrittenen nicht passt.
Der centrale Gebirgszug senkt sich nach Norden, wie südwärts,
zum Meere. Abgesehen von den Vulkanen Asô und Kirishima-
yama scheinen seine höchsten Gipfel nahe der Grenze von Higo und
Hiuga zu liegen. Ihre Höhe übersteigt jedoch kaum 1400—1500 Meter.
Der Weg von Hitoyoshi nach Sadowara überschreitet erst in Higo
den Ichi-ri-yama-tôge (Ein-ri-Berg-Pass), dann an der Grenze
von Hiuga den Tempagoshi-tôge, der wohl gegen 1000 Meter
hoch ist. Nordwärts davon erhebt sich der Eshiro-yama und noch
[95]Gebirge der Insel Kiushiu.
weiter im Norden, ebenfalls in Hiuga, doch nahe der Grenze von
Bungo und Higo der Somo-take*).
In Higo erheben sich der Haku-san und weiter nordwärts der
Asô-yama. Letzterer ist zur Zeit der einzige thätige Vulkan der
Insel Kiushiu, und aus diesem Grunde, sowie seiner hervorragenden
Gestalt wegen (die Höhe dürfte 1500—1600 Meter betragen) besonders
bemerkenswerth. Verfolgt man von Kumamoto aus in östlicher Rich-
tung das Thal des Shira-kawa, so gelangt man am Ende des 10 ri
langen Weges, und nachdem man einen ansehnlichen Wasserfall, den
Nana-taki, passiert hat, an den Fuss des Asô. Die grauweisse
Bimssteinasche, welche er von Zeit zu Zeit dem Flusse zusendet,
färbt das Wasser weiss, daher der Name. 1874 geschah dies zum
letzten Mal. An der Grenze von Bungo und Buzen bemerken wir
den Hiko-san.
Eine besondere Beachtung verdient das vulkanische Gebirge an
der Grenze von Ôsumi und Hiuga nordostwärts der Kago-shima-Bucht,
welches als Kirishima-yama bezeichnet wird. Von der Meeres-
küste genannter Bucht aus durchschreitet man zunächst die Ebene des
Distriktes Kokubu, welche ihres Tabaksbaues wegen Bedeutung
hat. Hierauf tritt der Weg in das Thal eines starken Baches. Fluss-
bett und Felder sind mit grauweisser Bimssteinasche und grösseren
Bimssteinstücken (Karu-ishi, d. h. leichter Stein) bedeckt. Einige ri
weiter führt der Weg durch vulkanisches Hügelland 250—500 Meter
über der See — eine ziemlich öde, unwirthliche Gegend. Es ist eine
Hara auf vulkanischer Asche, die wenig hervorbringt. Adlerfarren
und Lespedeza-Stauden sind ihre hervorragendsten Gewächse. Nur
hier und da erscheint eine krüppelhafte Schwarzkiefer, welche bislang
den Flammen widerstand, die jeden Herbst die Vegetation des Som-
mers hinwegfegen. Nur in den Erosionsthälern, wahren Barancos,
in welche das Feuer nicht dringt, hat sich ein schöner Wald erhalten,
darunter essbare Kastanien, immergrüne Eichen und die Sakura
(Prunus pseudo-cerasus). Dies ist die südwestliche Vorstufe von
Kirishima-yama. Der Ort Kirishima selbst, wonach dies vulka-
nische Gebirge benannt ist, liegt 465 Meter hoch. Weiter nordwärts
in einsamer üppiger Thalschlucht ist das Schwefelbad Enoyu 844 Meter
hoch gelegen. Die Therme hat 75°C., die Badetemperatur beträgt 43°C.
Zwischen hier und Kirishima erblickt man die aufwallenden Dämpfe
von noch 7 weiteren Solfataren. Alle scheiden viel Schwefel aus.
[96]IV. Orographie.
Die beiden bedeutendsten Höhen des Gebirges, der Shiratori-
take und der Takachiho, werden leicht von Enoyu, beziehungs-
weise Kirishima aus bestiegen. In der Luftlinie sind ihre Gipfel
2½—3 ri von einander entfernt. Zwischen ihnen, an der steilen
Nordseite des Takachiho hin, führt 1060 Meter hoch der Weg von
Kirishima hinüber nach Nojiri, indem er sich bald durch einen herr-
lichen Mischwald aus immergrünen und blattwechselnden Laubhölzern
und Nadelbäumen senkt. Durch einen ähnlichen Wald steigt er von
Kirishima empor. Hier wachsen Bambus, Camellie und Sternanis noch
in 900 Meter Höhe. 5—6 Meter Umfang zeigende Momi (Abies firma)
und Sugi (Cryptomeria japonica) spielen hier die Rolle der bei uns zer-
streut im jüngeren Laubwald auftretenden alten Eichen. Hat man diesen
prächtigen Wald, in dem es auch an den gewöhnlichen Schlingern,
wie Katsura, Wistaria, Actinidia nicht fehlt, durchwandert, so über-
schreitet man ein altes Lavafeld mit einem sehr lichten Bestande
krüppelhafter Kiefern und Erlen. Man muss nun vom Wege rechts
abbiegen, wenn man den Takachiho ersteigen will. Es geht dann
bald steil aufwärts über Asche und Schlackengeröll, doch ist man
schon eine Stunde später in 1469 Meter Höhe am Rande des Kraters.
Schwefelwasserstoffgeruch und warmer Boden, die man beim Betreten
der nördlichen Wand wahrnimmt, zeigen, dass die vulkanische Thätig-
keit hier noch nicht ganz geschwunden ist. Der Krater mag 700 Meter
Umfang und 30 Meter Tiefe haben. Auf der Westseite, wo einst der
mächtige Lavastrom nach Kirishima hin sich ergoss, geht es allmäh-
lich abwärts in den theilweise mit Schutt und Vegetation bedeckten
Kraterboden. Auf der Ostseite, wo die höhere, steilere Wand, senkt
sich diese nach Aussen zu einem 20 Meter tiefer gelegenen sattel-
förmigen Einschnitt, dann steigt man ostwärts noch etwa eine halbe
Stunde lang steil empor zum Gipfel des Berges, der statt eines Kraters
über einem zusammengetragenen Steinhaufen das berühmte Himmels-
schwert trägt (siehe Näheres im historischen Theile). Die Nordseite
dieses steilen Gipfels ist bedeckt mit braunrothen Schlacken. Der
Shiratori-take erscheint von dem 1672 Meter hohen Takachiho aus
als eine gewaltige, fast gleich hohe, doch weniger spitz zulaufende
Bergmasse. Oben soll ein See sein. Ich halte diese beiden Gipfel
von Kirishima-yama für die höchsten auf Kiushiu.
Von den übrigen hervorragenden Bergen des südlichen Kiushiu,
die wohl sämmtlich Vulkane sind, merken wir den Komatsu-yama
nordwestlich der Stadt Obi, welchen Seekarten zu 1280 Meter angeben;
den Kaimon-take an der Südspitze von Satsuma, und vor allem
den Mi-take auf Sakura-jima in der Bucht von Kagoshima. Dieser
[97]Gebirge der Insel Kiushiu.
prächtige Berg nimmt die ganze Insel ein und steigt darin — auf der
Süd- und Ostseite steiler als von Norden her — bis zu etwa 1000 Meter
Höhe empor. Betrachtet man die Insel von Tano-ura an der Nord-
küste aus mit einem Feldstecher, so erkennt man deutlich die sorg-
sam gepflegten Felder, welche Kagoshima mit Gemüse und nament-
lich mit gepriesenen Rettigen versorgen, sowie die mit Talg- und
Orangenbäumen bepflanzten Terrassen. Hinter der allmählich sich
erhebenden Culturregion steigt der Berg dann steiler empor, erscheint
als eine ausserordentlich zerrissene gewaltige graue Masse, die stellen-
weise, namentlich in den unteren Schluchten, gut bewaldet ist, nach
oben aber kahl und stumpf endet. Noch vor hundert Jahren soll der
Krater dieses schönen Vulkans Dampfwolken entsandt haben.
Als die Kratere von Kirishima-yama, Sakura-jima und verschie-
denen andern vulkanischen Gipfeln im südlichen Kiushiu vor Jahr-
hunderten und länger ihre vulkanischen Laven, Bomben und Aschen-
regen entsandten, bedeckten diese Massen einen grossen Theil des
ehemals fruchtbaren Gebietes von Satsuma, Ôsumi und dem südlichen
Hiuga (den alten Humusboden kann man vielfach noch unter der
Decke von Tuff und Asche erkennen), und es entstand ein Hügelland,
in welchem die guten Wege jetzt zuweilen durch 10—25 Meter tiefe
Erosionsschluchten oder durch künstliche Einschnitte in die flachen
Hügelrücken aus grauweissen Aschen- und Tuffablagerungen führen.
Im Frühling zieren die Blüthen zahlreicher Azalien, Deutzien und
anderer Büsche, sowie schöne Farrenkräuter die Böschungen dieser
Hügel und Wege. Stellenweise trifft man auch Kiefernhaine und
Pflanzungen von Talgbäumen an, im ganzen aber ist der Boden un-
productiv und der Ackerbau auf die meist engen Thälchen, welche die
Erosion der Regengüsse und vom Gebirge kommender Bäche gebildet
hat, beschränkt. Dennoch entbehren auch diese Landestheile nicht
der Abwechselung. Sie wird durch die Sorgfalt der Cultur des dazu
geeigneten Bodens geboten, insbesondere aber durch jene prächtigen
Haine aus Bambusrohr und allerlei Zierbäumen, worunter 6—8 Meter
hohe und bis zu 1,5 Meter Umfang erlangende Camellienbäume be-
sonders auffallen. In diesen Hainen versteckt sich wie anderwärts
hier und da ein Wohnhaus, Tempelchen oder ein ganzer Ort. Hiuga
ist im allgemeinen viel fruchtbarer als Satsuma, namentlich am Meere
hin in der Ebene, welche sich über den Unterlauf verschiedener Flüsse
erstreckt. Die gesegnetsten Theile der Insel gehören jedoch Higo,
Chikugo, Chikuzen und Bungo an, in deren Ebenen und flachen
Hügellandschaften sich vielfach Verwitterungsproducte vulkanischen
Gesteins mit dem Alluvialboden der Flüsse zu einem sehr productiven
Rein, Japan I. 7
[98]IV. Orographie.
Boden gemengt haben. Hierher sind zu rechnen: die Gegend um
Kumamoto, die Ebene des unteren Chikuma-gawa, der grösste
Theil von Chikuzen, die Ebene von Funai. Unter den vulkani-
schen Kegeln, welche sich im Norden der letzteren erheben, ist der
600—800 Meter hohe Tsuruga-take der auffallendste. Höher er-
scheint der Hiko-san an der Grenze von Bugo und Buzen, doch ist
seine vulkanische Natur noch nicht genügend erwiesen.
Die Halbinsel Hizen bildet ein orographisches Gebiet für sich.
Die Hauptlandstrasse von Kiushiu, welche einerseits von Nagasaki
nach Saga, anderseits von Kagoshima über Kumamoto ebenfalls nach
Saga, hierauf weiter nach Kokura an der Strasse von Shimonoseki
führt, steigt auf der letzten Strecke nirgends 100 Meter hoch an.
Gleiches gilt von dem Wege, der Saga mit Fukuoka verbindet. Es ist
hier also eine Art Depression des Bodens, die man gewissermassen als
nördliche Fortsetzung der Bucht von Shimabara ansehen kann, durch
welche das bergige und durch tiefe Meereseinschnitte vielfach zer-
rissene Hizen vom übrigen Theile der Insel Kiushiu geschieden wird.
Vulkanische Bildungen wechseln auch hier mit Sedimentschichten
älterer und junger Schiefer und Sandsteine ab, doch herrschen im
allgemeinen im nordöstlichen Theile diese, im südlichen jene vor
und es gehören auch hier wieder die bedeutendsten Erhebungen zu
den vulkanischen. So sind die Anhöhen, welche Nagasaki 250—400
Meter hoch umgeben, vulkanisch, und der höchste Berg in der Nähe,
der Yagami-take, welcher sich einige ri östlich der Stadt 600—
700 Meter hoch erhebt und ihr vortreffliche Bausteine liefert, ist ein
Trachytkegel. Die bedeutendste Entwickelung haben Vulkan’s Ge-
bilde jedoch auf der Halbinsel Shimabara im Onzen-ga-take. Die
Höhe dieses wild zerrissenen Vulkanes, der noch vor 200 Jahren zu
Kämpfer’s Zeit beständig und 3 ri (1½ g. M) weit sichtbar rauchte,
wird auf 1000 Meter geschätzt. An seiner Basis sind viele heisse
Quellen. Die letzte Eruption fand vor etwa 90 Jahren statt. Der
Halbinsel Shimabara gegenüber, an der Küste von Higo, sind der
Ebene von Kumamoto einige vulkanische Berge vorgelagert, 200—400
Meter hoch, wie der Kinpu-zan, die offenbar demselben Eruptions-
gebiete angehören.
Die Insel Amakusa ist sehr gebirgig. Ihre Schieferrücken steigen
wie hohe steile Wellen hinter einander auf, erheben sich 300—400
Meter hoch, fallen steil, doch nicht hoch zur Küste ab und lassen
wenig Ackerland von geringer Güte zwischen sich.
[99]Die Insel Yezo.
e. Die Insel Yezo.
Die Gebirgssysteme auf Yezo können als Fortsetzungen derer
von Sachalin und den Kurilen betrachtet werden. Jenes von Sachalin
mit Meridianrichtung vermögen wir in seiner südlichen Fortsetzung
der ganzen Westküste von Yezo entlang zu verfolgen. Das zweite
Gebirgssystem setzt den Höhenzug der Kurilen fort, tritt demgemäss
unter N. 20—25° O. ein und streicht S. 20—25° W. Diesen zwei
Gebirgsketten verdankt Yezo seine vier Zipfel, ihrer Kreuzung seine
beträchtlichsten Erhebungen. Das Massiv des von Norden nach Süden
streichenden Gebirgszuges besteht aus Granit und alten Schiefern, in
der Achse des gen S. 20—25° W. gerichteten Zuges herrschen vul-
kanische Bildungen mit trachytischen und basaltischen Gesteinen vor.
Das Relief der Aino-Insel zeigt uns übrigens ein centrales und
ein laterales Erhebungsgebiet. Von dem centralen senkt sich das
Land nach allen Seiten in der Richtung seiner vier Zipfel. Der
2500 Meter hohe Tokachi-dake an den Quellen des Tokachi
(43° 48' N. und 143° 10' O. Gr.) ist der Knotenpunkt, von dem
aus nach allen Himmelsrichtungen die grossen Flüsse des Landes,
zum Theil, wie der Ishikari, in auffallend gewundenem Laufe,
dem Meere zueilen. Die zweitbedeutendste Erhebung dieses Gebirgs-
massives ist der 2350 Meter hohe Ishikari-dake, südwestlich von
jenem. Alle höheren Berge im Westen der Insel Yezo gehören der
lateralen Erhebungskette, dem Sachalin-Systeme an, oder sind Vul-
kane seitwärts derselben. Der Shiribetsu-dake gilt für den
höchsten darunter, mit etwa 2400 Meter Höhe. Der Ofuyu-dake
oder Shokambetsu in Teshio wird auf 1800 Meter Höhe geschätzt,
und etwa eben so hoch der Shibetsu-yama in derselben Provinz.
In Iburi befindet sich der Tarumai-, Mombetsu- und Usu-
yama, in Kushiru der Meakan. Auch in Ôshima, besonders nord-
wärts von Hakodate, erheben sich einige bemerkenswerthe Vulkane,
vor allem der 1200 Meter hohe kegelförmige Komaga-take, der
auch den Namen Sawara-dake führt. Unter den kleineren Inseln,
welche zu Yezo zählen, besitzt Rishiri an der Strasse La Pérouse
einen vulkanischen Gipfel; ebenso sollen auf den Kurilen oder Chi-
shima, deren gebirgige Natur längst bekannt ist, 8—10 Vulkane zu
finden sein.
7*
[100]IV. Orographie. Die Insel Sado.
f. Die Insel Sado.
Wie eine jede einigermassen gute Karte uns zeigt, zerfällt das
Relief dieser Insel in drei Theile: zwei parallele Gebirgsketten, welche
in kleinem Massstabe das Hauptstreichen der Gebirge auf Hondo von
Nordost nach Südwest wiederholen, und eine sie trennende Ebene, da
wo die Insel ihre geringste Breite hat. Man wird nicht fehl schliessen,
wenn man im Hinblick auf die Gestaltung der hier sich entgegen treten-
den Buchten, der im Innern vorkommenden, jungtertiären, marinen
Ablagerungen und der allgemeinen säculären Hebungserscheinungen
annimmt, dass hier einstmals das Meer eine völlige Trennung bewirkte
und Sado aus zwei kleineren Inseln bestand. In der nordwestlichen
Gebirgskette, die der alte und wichtigste Gold- und Silberlieferant
Japans ist, erhebt sich als höchster Berg der Insel der 1370 Meter
hohe Kinmoku-yama oder Kinmoku-san.
Was die Reliefverhältnisse der kleineren Inseln und Inselgruppen
anlangt, so sollen die bezüglichen Notizen den betreffenden Abschnitten
im politisch-geographischen Theile eingefügt werden.
[[101]]
V.
Hydrographie des Landes.
Flüsse und Seen.
Bei dem gebirgigen Charakter des Landes und der reichen Menge
der über das ganze Jahr vertheilten Niederschläge ist Japan natur-
gemäss sehr wasserreich. Ein dichteres Netz von Flüssen, Bächen
und flachen Seen, noch vermehrt durch zahlreiche Canäle, wie es
z. B. die Ebene von Kuwantô zeigt, ist kaum denkbar. Aber die
Stärke der fliessenden Gewässer wechselt oft und gewaltig, besonders
im Sommer und Herbst, und ist in dieser Zeit am grössten, nicht
blos, weil alsdann die reichsten Regengüsse fallen, sondern weil auch
durch das allmähliche Schmelzen mächtiger Schneelager, welche das
Gebirge während des Winters sammelte, eine in der kalten Zeit nicht
vorhandene reiche Zufuhr stattfindet.
Wenn im Sommer bei hoher Temperatur des herrschenden Süd-
westmonsuns länger andauernder Regen nicht selten mit tropischer
Heftigkeit einsetzt, eilt durch jede Bergfurche das Wasser herbei und
schwillt der kleine muntere Gebirgsbach zusehends zum mächtigen
Strome an. Mit dem Getöse seiner dahineilenden trüben Fluthen
mischt sich der dumpfe Donner loser Felsblöcke, welche die Wellen
gleich manchen der leicht gebauten Brücken und Stege mit sich fort-
reissen. Weiter thalabwärts aber vermögen selbst die sorgfältig an-
gelegten soliden Dämme zu beiden Seiten des weiten Fluthbettes nicht
immer die Macht der grossen Wassermassen zu bannen und ihren
Verheerungen Einhalt zu thun. Ueberschwemmungen gehören gleich
Erdbeben zu den bekanntesten und gefürchtetsten Landplagen.
Ist der Regen vorbei und der Fluss in sein enges, bescheidenes
Bett zurückgekehrt, so lassen die weiten Geröllfelder zu beiden Seiten
und zahllose mächtige Felsblöcke darin wohl noch deutlich genug die
[102]V. Hydrographie des Landes.
Stärke ahnen, zu der er oft und noch kurz zuvor herangewachsen war.
So weit diese Geröllmassen sich erstrecken, ist der Oberlauf des
Flusses; wo dagegen mit bedeutender Verringerung des Gefälles
Sandablagerungen an die Stelle treten, beginnt der Unterlauf. Die
Rollsteine aber finden vornehmlich bei der Construction der Dämme
wieder ihre Verwendung.
Einen besonderen Reiz gewähren die zahlreichen Gewässer den
herrlichen Waldlandschaften japanischer Gebirge. In vielen Windungen
führt der forellenreiche Bach sein klares Wasser dahin, bald an mäch-
tigen Felsblöcken vorbei, die es vorübergehend theilen und sehr häufig
mit einigen schönen Sträuchern, vornehmlich aber mit Farrenkräutern
und den rothen Blüthen kleiner Azalienbüsche, die lebhaft an unsere
Alpenrosen erinnern, geschmückt sind, bald über breite Geröllfelder
sich ausbreitend, bald eingeengt in eine enge Felsschlucht und über-
schattet vom Gebüsch und Baumschlag der Ufer, hier eilig über die
Felsen setzend und mit weissem Schaume bedeckt, dort langsam um
einen Felsvorsprung sich biegend, der den Bach aufzuhalten scheint
und woselbst er sein Bett tief eingegraben hat und wir uns am reinsten
Blaugrün seines klaren Wassers erfreuen können.
Die japanischen Inseln sind zu klein und zu schmal, um die
Entwickelung grosser Stromsysteme zu ermöglichen. Aber obgleich
die beträchtlichsten Flüsse kaum 300—400 Quadratmeilen Areal drai-
nieren und die Länge ihres Laufes nur der des Main gleichkommt,
ausserdem aber in ihrem Unterlaufe viele Canäle einen Theil ihres
Wassers nach den Reisfeldern ableiten, haben sie doch für den Binnen-
verkehr, vornehmlich in Folge der vielen Gebirge und des Mangels
an guten Strassen, eine grosse Bedeutung.
Der sehr ungleiche Wasserstand, stets wechselnde Sandbänke im
Unterlaufe und Barren an den Mündungen vieler derselben lassen
zwar tiefgehende Fahrzeuge nicht zu, aber in flachen Booten findet
trotz der erwähnten Hindernisse auf manchen derselben ein sehr leb-
hafter Verkehr statt, und man bedient sich thalwärts solcher Wasser-
strassen sogar in Fällen, wo bei uns weder Fährmann noch Passagier
das Betreten eines Bootes wagen würde.
Solche japanische Flussboote, insbesondere diejenigen, die man
zum Ueberschreiten der kleinen Stromschnellen benutzt, sind gegen-
über den Seebooten lang und schmal, gewöhnlich 7 ken (12 Meter)
lang und 1⅓ Meter breit. Bald müssen sie über Stromschnellen im
engen felsigen Bett, bald über sandige Untiefen oder an Rollsteinen
im ausgebreiteten vorbei gelenkt werden, und welcher Europäer, der
alle Hindernisse und Gefahren bei Bootfahrten auf japanischen Ge-
[103]Flüsse und Seen.
birgsbächen mitmachte, hätte nicht die grosse Aufmerksamkeit und
Kaltblütigkeit, den scharfen Blick und kräftigen, sicheren Arm be-
wundert, mit denen sein Fährmann ihn sicher und ohne ihm seine
Kleider zu bespritzen, darüber hinwegführte?
Als Sandai-ka, d. h. »die drei grossen Flüsse« im alten Japan
gelten der Tone-gawa, der Shinano-gawa und der Kiso-
gawa.
1. Der Tone-gawa bewässert mit dem Sumida-gawa die
Ebene von Kuwantô (Ebene von Yedo). Er entspringt am Monjiu-
san im Tone-gori (Kreis Tone) der Provinz Kotsuke und mündet
nach einem im wesentlichen südöstlichen Laufe von etwa 36 Meilen
bei Chôshiguchi am Stillen Ocean und in einem zweiten Arme bei
Horiye Shindén in die Bai von Yedo. Nicht weit von seinem linken
Ufer liegt noch in Tone-gori die Stadt Numata. Wenige Meilen unter-
halb derselben erhält der Tonefluss einen bedeutenden Zuwachs durch
den von Westen kommenden Wagatsuna-gawa, der nach seinem
Ursprunge am Adzuma-yama wohl auch Adzuma-gawa genannt
wird. Hier beginnt mit der Ebene von Kuwantô der Unterlauf des
Flusses. Bald theilt sich derselbe bei der berühmten Seidenstadt
Mayebashi in ein ganzes Netzwerk von Wasserläufen, die sich später
wieder vereinigen, worauf er die bisher vorwiegend südliche Richtung
verlässt und sich mehr ostwärts wendet. Es geschieht dies vornehm-
lich da, wo er rechts bei Goriô den von Takasaki kommenden Ka-
rasu-gawa aufnimmt, der oberhalb Yodo noch durch den Kana-
gawa verstärkt wurde; ihm entlang läuft die Grenze zwischen Mu-
sashi und Kotsuke, welche sich darauf am Tone hinzieht bis in die
Nähe der Mündung des Watarase-gawa, fast genau nordwärts von
Tôkio. Dieser ansehnlichere Nebenfluss des Tone kommt von Nord-
west aus der Provinz Shimotsuke, wo er die Gewässer auf der Ost-
seite der Akagane-Berge sammelt. Der Ôshiu-kaidô (Nordland-
strasse) hält sich ostwärts von ihm und seiner Mündung. Derselbe über-
schreitet bei Kurihashi auf einer Fähre das 214 ken (400 Meter) breite
Bett des Tone. Weiter abwärts bei Sekiyado gabelt sich dieser: der
rechte Arm wendet sich südwärts, bildet die Grenze zwischen Musashi
und Shimosa und fliesst unter dem Namen Yedo-gawa östlich von
Tôkio in die Yedobucht, während der linke Arm die bisherige Rich-
tung des Flusses beibehält. Er heisst Naka-tone-gawa (mittlerer
Tone-gawa) im Gegensatz zu Kami-tone-gawa (oberer Tone-gawa) ober-
halb Kurihashi. Bald wird er bedeutend verstärkt durch den von
Norden vom Sano-tôge an der Grenze von Aidzu kommenden Kinu-
gawa, welcher rechts unter anderem den Daiya-gawa von Nikkô
[104]V. Hydrographie des Landes.
aufnimmt. Bald darauf empfängt er noch die Abflüsse zahlreicher
seichter Seen, vornehmlich des Tega-numa, Imba-numa und
Naga-numa in Shimosa, des O-ura, Kasumiga-ura und Nishi-
ura in Hitachi, und mündet dann bei Chôshi in den Stillen Ocean.
An den Mündungen beider Aeste des Tone-gawa befindet sich
weit vorgeschobenes Schwemmland mit Sandbarren.
Der bereits erwähnte Sumida-gawa als der zweite Fluss der
Yedo-Ebene ist wenig mehr denn halb so lang als der Tone-gawa.
Seine Quellen liegen im Nordwesten von Tôkio an der Grenze von
Musashi und Kai, die Mündung ist unterhalb Tôkio, durch dessen
östlichsten Theil er fliesst. Verschiedene Arme (Canäle) verbinden
ihn mit dem Kami-tone-gawe und dem Yedo-gawa. Als Zwischen-
glied und zwischen beiden in die Yedobucht mündend erscheint der
Naka-gawa.
Von den kleineren Flüssen, welche theilweise noch der Ebene
von Kuwantô angehören, seien noch erwähnt: der Tama-gawa vom
Tenmoku-san in Kai, welcher unterhalb Kawasaki zwischen Tôkio
und Yokohama mündet; der Naka-gawa vom Nasuga-take in
Shimotsuke, welcher ostwärts von Mito in den Stillen Ocean fliesst,
nachdem er noch auf der Südseite die Abflüsse zweier Sumpfseen,
des Kare-numa und Chiba-numa aufgenommen hat; endlich der Kuji-
gawa nördlich von dem vorigen.
2. Der Shinano-gawa ist unter den Sandai-ka der bedeutendste.
Er entspringt am Kimpu-zan, fliesst unter dem Namen Chikuma-
gawa durch den östlichen Theil der Provinz Shinano, in der er den
Sai-gawa aufnimmt, aber schon vorher seine vorherrschend nord-
westliche Richtung in eine nördliche umwandelt. Bald tritt er, von
Bergen eingeengt, in die Provinz Echigo über, in der er erst den
Namen Shinanofluss erhält. Nachdem er noch durch ansehnliche
Flüsse von der rechten Seite her verstärkt wurde, mündet er rechts
von Nii-gata in das Japanische Meer. Sein Lauf beträgt etwa 130 ri
oder 70 Meilen. Gegen die Mündung erweitert sich im Dünensande
sein Bett und hat sich eine Barre gebildet, über welcher das Wasser
nur 6 Fuss Tiefe zeigt. Nach den Berechnungen eines holländischen
Ingenieurs (Lindo) fliessen zur Zeit des niedrigen Wasserstandes
hier 340 Raummeter Wasser per Secunde ins Meer, zur Regenzeit aber
566 Raummeter. Bis etwa 8 Meilen stromaufwärts wechselt die Breite
zwischen 1250 und 300 Meter und die Tiefe zwischen 6 und 1 Meter.
Da die Wasserscheide zur Rechten über das ansehnliche östliche
Grenzgebirge von Echigo hinführt und zahlreiche Nebenflüsschen aus
diesem dem Shinano-gawa bei jedem starken Regen neue Sandmassen
[105]Flüsse und Seen.
zuführen, so wäre eine künstliche Vertiefung des Bettes ein unnützes
Bemühen. Der Chikuma-gawa oder Oberlauf des Flusses fliesst meist
durch hara oder Wald und hat sein Bett in graue Lava und Aschen-
massen stellenweise tief eingeschnitten. Nur im unteren Laufe, vor
der Einmündung des Sai-gawa, erweitert sich das Thal zu einer
ansehnlichen bevölkerten Ebene, Tako-tani genannt, welche man
von dem höher gelegenen Zenkoji im Westen aus überblickt. Die
Städte Komoro und Uyeda, über welche von Oiwake aus der Hok-
koku-kaidô führt, liegen in einiger Entfernung von seinem rechten
Ufer; der Nakasendô überschreitet ihn beim Orte Shionada etwa
mittewegs zwischen seiner Quelle und der 32 ri (17 g. M.) abwärts
gelegenen Mündung des Sai-gawa. Dies ist sein bedeutendster Neben-
fluss und das ganze Jahr hindurch wasserreich. Derselbe bezieht fast
alles Wasser von der Ostseite des Shinano-Hida-Schneegebirges und
führt es nordwärts dem linken Ufer des Chikuma-gawa zu. Torii-
tôge, fast in der Mitte zwischen Tôkio und Kiôto am Nakasendô
gelegen, scheidet sein System von dem des Kiso-gawa. Von hier
aus bis zur Station Seba führt der genannte Weg im schönen oberen
Thale des Flusses hin, dann trennen sich beide; an der Stadt Matsu-
moto vorbei und durch manchen ansehnlichen Zufluss verstärkt, fliesst
der Sai-gawa nordwärts.
Der Unterlauf des Shinano-gawa führt durch die fruchtbare Ebene
von Echigo. Hier empfängt er auf der rechten Seite bei Kawaguchi
seinen zweitgrössten Nebenfluss, den Ono-gawa, welcher an der
Grenze von Echigo und Kotsuke am Eboshiga-take entspringt.
Sechs ri nördlich von Niigata mündet bei dem kleinen Städt-
chen Matsugasaki der Aga-gawa, welcher viel wasserärmer als der
Shinanofluss und nur 12 ri (6½ g. M.) aufwärts für Boote befahrbar ist.
Mit dem Shinano-gawa steht er nahe der Küste durch den Shin-
kawa und weiter landeinwärts durch den Kua-gawa in Verbindung.
Er führt die Gewässer der fruchtbaren Aidzu-taira, welche den
Gebirgen rings um dieselbe entströmen, dem Meere zu.
Die entferntesten Quellen liegen nahe der Grenze von Shimotsuke
und Kotsuke, wo das Gebirge von Nikkô und seine Ausläufer die
Wasserscheide bilden zwischen dem Stillen Ocean und dem Japanischen
Meere. Auf Sano-tôge entspringt der Aidzufluss oder Ô-kawa
und nimmt seinen Lauf nach Norden mitten durch die Aidzu-taira
und in grösserer Entfernung westlich von Wakamatsu. Durch wasser-
reiche Zuflüsse von rechts und links beständig verstärkt, nimmt er
endlich rechts den Dojima-gawa auf, welcher ihm von Osten her
das Wasser des Inawashiro-Sees und einiger ansehnlichen Bäche
[106]V. Hydrographie des Landes.
zuführt, und wendet sich hierauf gen Nordwesten. Bald empfängt er
von links den Tadami-gawa, der ihn an Länge des Laufes über-
trifft. Es ist dies der Abfluss des Ose-no-numa auf der Nord-
westseite des Gebirges von Nikkô und nicht weit vom Quellgebiete
des Tone, welcher sich später mit einem zweiten ansehnlichen Quell-
bache auf der Ostseite vom Akayasu-yama vereinigt. Beim Orte
Tsu-gawa ändert der Ô-kawa seinen Namen, durchschneidet eine Meile
weiter das Grenzgebirge von Echigo und macht hier, eingeengt durch
steile Felsen, eine Anzahl Stromschnellen, über welche indess Boote
von Tsugawa aus gelenkt werden, so dass man den Weg von 18 ri
(9½ g. M.) nach Niigata in einem Tage zu Wasser zurücklegt, auf
den man sonst mindestens doppelt so viel Zeit verwenden müsste.
Bald nach dem Eintritt in die Provinz Echigo nimmt der Tsu-gawa
den Namen Aga-gawa an und sendet einen Arm rechts gen Nord-
westen ab, der in seinem Unterlaufe sowohl mit dem Hauptflusse,
als auch mit dem weiter nördlich mündenden Ara-kawa durch Canäle
in Verbindung steht. Im Gebiete des unteren Shinano-gawa und
Aga-gawa befinden sich auch eine Anzahl flacher Süsswasserseen, so der
Fukushima-gata, Yora-gata, Toyano-gata und mehrere andere.
Im südlichen Echigo ist der Seki-gawa, an welchem Takata
liegt und der wenige ri weiter nördlich bei Imamachi und Kuroi
mündet, noch als Abfluss des Sees von Nojiri zu erwähnen; endlich
auch noch weiter südlich der Hime-gawa, welcher in Shinano an
der Ostseite des Schneegebirges entspringt und sich nordwärts an dem
kleinen ehemaligen Schlosstädtchen Itoyegawa vorbei zum Japani-
schen Meere wendet.
3. Der dritte unter den Sandai-ka, der Kiso-gawa, entspringt,
wie schon angedeutet wurde, nicht weit von dem Saigawa und Torii-
tôge in Shinano. Der linken Seite des reizenden Thales entlang,
welches sein Oberlauf in südwestlicher Richtung hier bildet, folgt der
Nakasendô, dann nach dem Uebergang in die Provinz Mino erweitert
und vertieft sich sein Bett mit der Aufnahme ansehnlicher Neben-
flüsse von der rechten Seite her. Unter diesen sind namentlich her-
vorzuheben:
Der Hida-gawa. Derselbe heisst in Hida Masuda-gawa
und hat seine Quellen in einem grossen Sumpfe am Norikura des
Schneegebirges, von wo er einen südöstlichen Lauf nimmt und in
Mino bei Ota, kurz bevor der Nakasendô von der linken Seite des
Kiso-gawa auf die rechte dauernd übertritt, mündet. Hier beginnt
der Unterlauf des Hauptflusses und die reichbewässerte, höchst frucht-
bare Alluvialebene von Mino, Owari und Theilen der Provinz Ise.
[107]Flüsse und Seen.
Der Gujo-gawa entsteht bei Hachiman aus der Vereinigung
des Kaminoho-gawa, welcher oberhalb Shirotori am Dainichi-
ga-take entspringt, und des von der Grenze von Hida im Osten
kommenden Miyogata-gawa. Von Hachiman aus hat der Gujo-
gawa mit dem Hidafluss im wesentlichen parallelen Lauf. Nachdem
er durch den Makida-gawa auf der rechten Seite und andere Bäche
verstärkt wurde, fliesst er rechts an den Städten Kodzuki und Gifu
vorbei, wo er schiffbar wird, zur Mino-Ebene.
Der Roku-gawa, welcher in der nordwestlichen Ecke von
Mino an der Grenze von Echizen entspringt, im allgemeinen eine
südliche Richtung verfolgt und sich im Unterlaufe dem Gujo-gawa
so nähert, dass hier verschiedene, theils künstliche, theils natürliche
Verbindungen zwischen beiden vorkommen.
Bald nach Aufnahme des Hidaflusses bildet der Kiso-gawa in
einem gen Nordwesten gerichteten Bogen die Grenze zwischen Mino
und Owari und dann, indem er sich südwärts wendet, zwischen letz-
terem und Ise, wo er auch bei der Stadt Kuwana unter Deltabildung
in das Ise-no-umi mündet.
Der zweite, viel kleinere Fluss von Owari, dessen Mündung etwas
mehr östlich liegt, der Shônai-gawa, ist besonders desshalb be-
merkenswerth, weil in einiger Entfernung von seinem linken Ufer
das zu Boot erreichbare industriereiche Nagoya sich ausbreitet.
Die bedeutendsten Flüsse der Insel Honshiu ausser den Sandai-ka,
dem Sumida-gawa und Aga-gawa sind:
a. auf der Seite des Stillen Oceans: Kitakami-gawa, Abu-
kuma-gawa, Fuji-kawa, Tenriu-gawa und Yodo-gawa.
b. auf der Seite des Japanischen Meeres: Mogami-gawa und
Omo-gawa.
Der Kitakami-gawa entspringt nördlich vom 40. Parallel bei
Yabukawamura in Nambu und fliesst in viel gewundenem, 73 ri
(38½ g. M.) langem Laufe gen Süden, wo er unter 38° 26' N. und
141° 15' O. Gr. beim Städtchen Ishinomaki in die Sendaibucht mündet.
An seine Quellen knüpft sich die Geschichte des Hachiman-Taro-
Yoshiiye, eines berühmten Helden, der von Kiôto gegen die Yezo oder
Ainos geschickt wurde. »Sein Heer verschmachtete vor Durst, da bat
er die Götter um Hülfe, stiess mit seinem Pfeil an einen Fels, und
siehe, da kam Wasser in Fülle hervor und wurde die Quelle des
grossen Kitakami-gawa«.
Das Thal des Kitakami bietet sehr schöne Landschaftsbilder,
ist reich bewässert und eines der fruchtbarsten im Norden des Landes.
Gen Westen fällt der Blick auf die lange beschneiten Gipfel der hohen
[108]V. Hydrographie des Landes.
Centralkette und ihre vulkanischen Vorberge; nach Osten auf die
Höhen der Wasserscheide zwischen dem Flusse und dem Stillen Ocean.
An der Grenze von Sendai und Nambu, bei Ishinoseki am Ôshiu-
kaidô, treten die Berge von beiden Seiten nahe an den Kitakami
heran und engen auf längere Strecken sein Thal ein, dann, nachdem
dasselbe sich wieder etwas erweitert hat, findet etwa 4 ri (2⅕ g. M.)
nördlich von Ishino-maki eine Bifurkation des Flusses statt, indem ein
Arm unter dem Namen Oiba-gawa sich ostwärts wendet und direkt
in den Stillen Ocean fliesst. Unter den zahlreichen Nebenflüssen des
Kitakami kommen die meisten und wasserreichsten vom centralen
Gebirgszuge auf der rechten Seite. Der bedeutendste Ort in seinem
Gebiete ist Morioka, die Hauptstadt von Nambu (Iwade-ken) am linken
Ufer, bis wohin der Ôshiu-kaidô sich von Sendai aus auf der rechten
Seite hält und wo seine Schiffbarkeit beginnt, welche für den Ver-
kehr von grosser Wichtigkeit ist. So wird z. B. alles Kupfer von
dem berühmten Bergwerke Osarisawa in der Nähe von Kadzuno, 24 ri
(13 g. M.) nordwestlich von Morioka, von hier in Booten weiter be-
fördert.
Westlich vom Kitakami mündet bei Nobiru ein kleiner Fluss,
der Naruse-gawa, in die Sendaibucht. Sein Thal bildet den süd-
lichen Rand der unteren Ebene des Kitakami, welche von der grossen,
fruchtbaren Sendai-Ebene gen Süden durch einen breiten, flachen
Landrücken abgeschlossen ist, dessen hoch gelegene Theile Busch-
wald und Kiefern bedecken, während der Reisbau sich auf die engen
Thälchen beschränken muss.
Die Ebene von Sendai, benannt nach der grössten Stadt des nörd-
lichen Nippon, welche am rechten Ufer des kleinen Shoshi-gawa,
4 ri (2⅕ g. M.) von der Küste, liegt, bringt Reis und Hanf in Ueber-
fluss hervor. Verschiedene Küstenflüsschen und im südlichen Theile
der grosse Abukuma-gawa versorgen sie mit Wasser.
Etwa 45 ri (23½ g. M.) nordwärts von Tôkio, wo ein von der
Centralkette gen Osten verlaufender Höhenzug das Kuwantô abschliesst
und zum letzten Mal den Blick rückwärts auf den fernen Fuji gewährt,
entspringt am Ôkuma-take und Yasutsuki-yama, nahe der Grenze
von Aidzu, Shimotsuke und Iwaki, der Abukuma. Der Ôshiu-
kaidô überschreitet ihn bei der Stadt Shira-kawa, 50 ri (26½ g. M.)
von der Landeshauptstadt, und bleibt dann immer zu seiner Linken. Bis
dahin ist sein Lauf ostwärts gerichtet; er wendet sich nun nach Norden,
endlich wieder nach Osten, wo er jenseits des 38. Breitegrades bei
Arahama mündet. Hier und meilenweit aufwärts hat er 180—250 Meter
Breite, doch keine grosse Tiefe. An seinem linken Ufer liegt in
[109]Flüsse und Seen.
seidenreicher Gegend 70 ri (37 g. M.) nördlich von Tôkio die an-
sehnliche Stadt Fukushima.
Der Fuji-kawa entsteht aus der Vereinigung des Fuyefuki-
gawa mit dem Kamanashi-gawa. Mit diesen Quellflüssen, von
denen der Fuyefuki-gawa noch durch den Arai-kawa und Nik-kawa
verstärkt wurde, bewässert er die Ebene von Kôshiu und umgürtet
in einem weiten Bogen auf der Nord- und Westseite den Fuji-no-
yama. Seine Gewässer bezieht er aus den hohen Randgebirgen der
Provinz Kai und führt sie am Tô-kaidô bei Yui in die Suruga-nada.
Da im unteren Theile des Flusses die Berge zwischen Suruga und
Kai sein Thal einengen und er mit ansehnlichem Gefälle der Küste
zueilt, so wiederholt sich hier noch einmal das weite Geröllbett,
welches seinen Oberlauf südlich des Yatsuga-take begleitet, und macht
ihn für die Schifffahrt ungeeignet.
Der grösste Fluss längs des Tô-kaidô ausser dem Kiso-gawa ist
der Tenriu-gawa. Seinen Quellbezirk bildet der See von Suwa
in Shinano, welcher am Naka-sendô zwischen die Flussgebiete des
Chikuma und Saiga tritt. Im Suwa-ko sammelt sich das Wasser
der Bäche von der Südwestseite von Wata-tôge, Tateshima-yama und
anderen Bergen und fliesst dann gen Südwesten als Tenriu-gawa ab.
Dieser fliesst in einiger Entfernung an den Städten Takata (links) und
Iida (rechts) vorbei durch das südwestliche Shinano, geht dann nach
Tôtomi über und mündet nach einem Laufe von etwa 55 ri (29 g. M.)
zwischen Mitsuke und Hamamatsu unter Deltabildung in die Tôtomi-
nada. Der grössere Arm wird vom Tô-kaidô auf einer 153 ken
(280 Meter) langen Holzbrücke überschritten; das ganze Geröllbett ist
aber 710 ken (1710 Meter) breit und weist auf Granit und altes
Schiefergebirge als Ursprung hin.
Der Yodo-gawa stellt eine leichte Verbindung der beiden west-
lichen Hauptstädte Kiôto und Ôsaka her. Er ist der Abfluss des
grossen Biwa-Sees, beginnt unterhalb Ôtsu und fliesst in süd-
westlicher Richtung der Bucht von Ôsaka an der Idzumi-nada zu.
Seinen Namen nimmt er vom Städtchen Yodo am linken Ufer und
dem rechten des Kidzu-gawa, der hier mündet. Weiter oberhalb
heisst er Uji-gawa nach Uji-gori, dem berühmten Theedistrikte der
Provinz Yama-shiro, den er durchfliesst. Hier liegt an seinem rechten
Ufer nur eine Stunde oberhalb Yodo die Stadt Fushimi, ein Vorort von
Kiôto, und ihr gegenüber der umfangreiche Sumpf Sawada.
Trotzdem der Fluss seicht ist und Sandbänke oft die Schifffahrt
stören, unterhält man doch abwärts bis zu seiner Mündung mittelst
flacher Dampf- und Ruderboote eine lebhafte Verbindung mit Ôsaka.
[110]V. Hydrographie des Landes.
Zahlreiche Canäle und Arme des Yodo-gawa durchschneiden die frucht-
bare Ebene im Unterlaufe und das brückenreiche Ôsaka, wo der Name
Uji-gawa für einen der Arme zurückkehrt.
Der bedeutendste linke Nebenfluss ist der schon erwähnte Kitsu-
gawa von Südosten, welcher dem Yodo-gawa vorzugsweise den Sand
und Schlamm zuführt. Er heisst in seinem Oberlaufe, wo er die
Bäche von Iga, der Hauptheimat des Riesensalamanders, sammelt,
Koto-gawa.
Yodo gegenüber mündet unterhalb Fushimi der Katsura-gawa.
Derselbe kommt von Norden aus Tamba, fliesst auf der Westseite
von Kiôto vorbei und nimmt dann in der Nähe von Fushimi den
Kamo-gawa auf, welcher durch den östlichen Theil von Kiôto führt.
Der Mogami-gawa ist ein breiter, aber seichter Fluss, welcher
die Gewässer der Provinz Uzen an der linken Seite der Stadt Sakata
vorbei zum Japanischen Meere führt und an der Grenze von Aidzu
seine Quellen hat. Er kommt vom Adzuma-yama und heisst in
seinem Oberlaufe, wo er die Ebene von Yonezawa durchfliesst,
Matsu-kawa. Nach dem Eintritt in die grössere Ebene von Yama-
gata ändert er den Namen und zugleich die bisher nördliche Richtung
allmählich in eine westliche.
Der Toshima-gawa heisst in seinem oberen Laufe Omo-
gawa, entspringt an der Grenze von Uzen und Ugo, durchfliesst
letzteres in nordwestlicher Richtung und mündet unterhalb Akita ins
Japanische Meer. Auf der rechten Seite nimmt er den von Norden
kommenden Katsu-kawa auf, welcher im Unterlaufe Kami-gawa
heisst und zu dem auch der Gebirgssee Tako-gata abfliesst.
Ausser den im Vorstehenden erwähnten grösseren Flüssen der
Insel Honshiu mögen hier noch die Namen einiger anderen folgen.
Es fliessen in das Japanische Meer:
Der Ihaki oder Hirosaki-gawa, in dessen Thale Hirosaki
liegt, durch Mutsu zum Jûsa-gata im Norden; der Noshiro-gawa im
nördlichen Akita, welcher im nordwestlichen Nambu entspringt, seinen
Lauf erst nordwärts, dann westlich richtet und im Oberlaufe Yone-
tsuru-gawa heisst. Es folgt nun weiter südwärts der Toshima-gawa
(im Oberlaufe Omo-gawa genannt, rechter Nebenfluss Katsu-gawa),
dann der Mogami-gawa, und nun in Echigo der Ara-kawa, Aga-
gawa, Shinano-gawa, Seki-gawa und Hime-gawa. Es folgen weiter
südwestlich in der Provinz Echiu der Kurobe, dann der Jintsu und
Shira. Der Kurobe-gawa kommt aus dem Herzen des Schneege-
birges, wo Hida, Echiu und Shinano zusammenstossen, und zwar vom
Goriô-san und Hannoki-tôge. Der Jintsu-gawa fliesst durch den
[111]Flüsse und Seen.
südlichen Theil der Stadt To-yama und mündet 2 ri unterhalb. Er
entspringt in Hida, dessen Hauptstadt Takayama in seinem Gebiete
liegt, und führt hier den Namen Miya-gawa. Vor dem Uebergang
nach Echiu nimmt derselbe rechts den Takara-gawa auf, welcher
vom Yariga-take kommt und hier beim Orte Hirayu einen grossen
Wasserfall macht. Am Haku-san entspringt der Shira-kawa, wendet
sich nordwärts durch das westliche Hida und mündet in der Nähe
von Takaoka in Echiu. In der Provinz Kaga mündet der ebenfalls
vom Haku-san kommende Tetori-gawa, in Echizen bei Mikuni der
ansehnliche Funabashi-gawa, an dessen rechtem Nebenfluss Ikeda
die Stadt Fukui sich ausbreitet.
In Chiugoku oder den Centralprovinzen (San-indô und San-
yodô) gibt es wenige grössere Flüsse. Da die Wasserscheide zwischen
dem Japanischen und dem Binnen-Meere sich in grösserer Nähe von
jenem hinzieht, fliessen die meisten ansehnlicheren Bäche, worunter
mehrere meilenweit schiffbar sind, diesem zu. Hierher gehören der
Ichi-kawa in Harima, an dessen rechtem Ufer unweit der Mündung
Himeji liegt; der Yoshii-gawa und der Okayama-gawa in Bizen.
Beide kommen aus Mimasaka und sind von ansehnlicher Grösse.
Der Yoshii-gawa heisst in seinem oberen Laufe Nakasu-gawa,
kommt von der Grenze von Hôki und Inaba, ist 29 ri (15⅓ g. M.) lang
und 18 ri (9½ g. M.) weit schiffbar. Selbst sein linker Nebenfluss,
der Watari-no-gawa in Mimasaka, wird noch eine Strecke weit
befahren. Der Fluss mündet unweit Saidaiji in das Binnenmeer. Am
Okayama-gawa, der in Mimasaka Nishi-gawa (Westfluss) genannt
wird, liegen die Städte Katsuyama und Okayama. Die Provinz Bichiu
wird vom Kawabe-gawa und seinen Nebenflüssen bewässert und
Bingo vom Tôjô-gawa. Der bedeutendste Fluss in Aki, an dem
auch die Hauptstadt Hiroshima erbaut ist, führt den Namen Koya-
gawa; in Suwo heisst der ansehnlichste Fluss Iwakuni-gawa nach
der Hauptstadt an ihm, und in Nagato ist der Yoshida-gawa am
grössten. Zum Japanischen Meere fliessen: der Takasumi-gawa
und der Yeno-gawa aus Iwami, der Ichiri-gawa zum Shindji-
no-midzu in Idzumo, der Hine-gawa in Hôki, der Karu-gawa
in Inaba und der Toyaoka-gawa in Tajima.
Auf der Ostseite des Binnenmeeres mündet zwischen den Städten
Osaka und Sakai der Yamato-gawa, welcher im Unterlaufe die
Grenze bildet zwischen Setsu und Idzumi; ferner der Yoshino-
gawa. Derselbe entspringt auf Odaiga-hara in Yamato, fliesst in
westlicher Richtung an Yoshino vorbei und mündet unterhalb Waka-
yama in Kii, dessen bedeutendster Fluss er ist.
[112]V. Hydrographie des Landes.
Unter den Flüssen, welche sich direkt in den Stillen Ocean er-
giessen, sind ausser den bereits früher genannten noch die bedeu-
tendsten: der Otonasi-gawa in Kii, welcher ebenfalls aus Yamato
kommt, und an dessen linkem Ufer nahe der Mündung die Stadt
Shingu liegt; der Miya im südlichen Ise, welcher der Odaiga-
hara entspringt und nicht weit von Yamada vorbei in östlicher Rich-
tung dem Meere zufliesst; der Fujiwara-gawa und der Kusida-
gawa, zwei Mündungsarme des Kawata-gawa, eines prächtigen
Flusses, welcher von der Grenze von Yamato ebenfalls eine wesent-
lich östliche Richtung durch Ise nimmt. Auf eine Anzahl kleinerer
Flüsse folgt dann der Kiso-gawa. Unter den Flüssen, welche ausser
ihm, dem Tenriu, Fuji und Tamaga der Tô-kaidô überschreitet, sind
der Yahagi in Mikawa, der Oi an der Grenze von Tôtomi und
Suruga, der Numa bei Numadzu und der Baniu in Sagami die
bedeutendsten.
Der beträchtlichste Fluss der Insel Shikoku heisst Yoshino-
gawa. Sein Quellgebiet liegt in Tosa und Iyo, von wo er in viel ge-
wundenem Laufe mit vorherrschend östlicher Richtung durch die Provinz
Awa fliesst und unterhalb ihrer Hauptstadt Tokushima unter Delta-
bildung an der Linschotenstrasse mündet. Auf seiner Südseite ist die
Mündung des kleineren Naga-gawa, welcher sich ziemlich parallel
zu ihm hält. Einen südöstlichen Lauf haben die an der Küste von
Tosa mündenden Flüsse Miyodo und Tsuno, von denen der erstere
am Ishidzuchi-san entspringt und unterhalb Ino drei ri südwest-
lich von Kochi endet. Am Unterlaufe des grösseren Tsuno-gawa
liegt die Stadt Nakamura. Beide Flüsse kommen aus Iyo und durch-
brechen in engen, gewundenen und prächtigen Thälern das Grenz-
gebirge, werden aber für Boote schiffbar, sobald sie dasselbe ver-
lassen haben.
Von den Flüssen der Insel Kiushiu sind erwähnenswerth: der
Chikugo, welcher seine Quellen im östlichen Higo und in Bungo
hat, in einem nach Norden gerichteten Bogen durch den nördlichsten
Theil der Provinz Chikugo fliesst, endlich zwischen ihr und Hizen
die Grenze bildet und in die Bucht von Shimabara mündet. Weiter
südlich wird die fruchtbare Provinz Higo vom Takase, Shira und
Kuma bewässert, dann folgt in Satsuma der Sendai-gawa. Auf
der Ostseite der Insel sind die bedeutendsten Flüsse: der Oyodo-
gawa, Se-gawa, Gogase-gawa. Der Oyodo-gawa, welcher
seine Gewässer aus den Bergen von Kirishima-yama und südlich davon
bezieht und 1 ri unterhalb der Stadt Miyasaki, die an seinem linken
Ufer liegt, mündet, heisst höher hinauf beim Städtchen Takaoka
[113]Flüsse und Seen.
Akaye-gawa. Unterhalb Sadowara, der bedeutendsten Stadt von
Hiuga, mündet der Se-gawa und unterhalb Nobeoka der viel grössere
Gogase-gawa.
Im Norden von Kiushiu mündet 2½ ri ostwärts von Funai der
Shirataki-gawa, der bedeutendste Fluss von Bungo.
Die ansehnlichsten Flüsse der Insel Yezo sind der Ishikari,
Teshio, Tokachi und Tokoro. Im gebirgigsten Theile der Insel,
zwischen 43° 40' N. und 44° N. und etwa unter 143° O. Gr. ist ihr
Quellbezirk, von dem aus sie nach verschiedenen Richtungen dem
Japanischen und Ochotskischen Meere, sowie dem Stillen Ocean sich
zuwenden. Weitaus der grösste und bedeutendste unter ihnen mit dem
weitesten und culturfähigsten Thale ist der Ishikari. Länge und
Flussgebiet desselben werden mit der Themse verglichen, der Wasser-
reichthum ist aber bei weitem grösser. Seine Quellen liegen am
Ishikari-yama 43° 40' N. und 143° 20' O. Gr., von wo er mit
unzähligen Windungen eine im allgemeinen südwestliche Richtung
einschlägt und nach einem Laufe von etwa 112 ri (60 g. M.) bei dem
Städtchen Ishikari in die Bucht von Otarunai (Golf Strogonoff) des
Japanischen Meeres mündet. Hier und meilenweit aufwärts ist er
zwischen 200 und 280 Meter breit und über der Barre je nach der
Jahreszeit 2—4 Meter tief. Er durchfliesst eine schöne parkartige
Ebene, Kami-kawa genannt, passiert dann in vielen kleinen
Schnellen die Schlucht Kamoyé-kotan, worauf sich sein Thal zu
einer zweiten Alluvialebene erweitert, in der links an seinem linken
Nebenflusse Toyohira und 1½ Meilen von ihm selbst die Hauptstadt
Sapporo angelegt wurde. Während der ersten 6 Meilen fliesst er
mit starkem Gefälle durch eine Reihe basaltischer oder trachytischer
Schluchten, deren Seiten oft senkrecht und von ansehnlicher Höhe
sind. Das Bett ist hier besäet mit Felsblöcken, welche viele Schnellen
verursachen; hierauf wird die Gegend flacher, das Thal weiter, setzt
aber die mäanderartigen Windungen fort und hat auf 6—8 Meilen
Länge noch verschiedene Begleiter vom Gebirge her, wie Birken, Rho-
dodendren und andere Holzgewächse, welche dem Unterlaufe fehlen.
Dann folgt die obere Ebene, durch die der Fluss, verstärkt durch
ansehnliche Nebenflüsse, sein viel gewundenes Bett eingräbt und in
der Treibholz, wie weiter unten, seinen Lauf vielfach hemmt und zu
Veränderungen desselben Anlass gibt. Diese Ebene ist 8—10 Meilen
lang und halb so breit. Mit den blumenreichen Grasflächen wechselt
das die Ufer begleitende Weiden-, Erlen- und Eschengehölz, sowie
Partieen mit Wallnussbäumen, Eichen und Ulmen. Diese Ebene ist
auf drei Seiten von bewaldeten Gebirgszügen begrenzt, und wer im
Rein, Japan I. 8
[114]V. Hydrographie des Landes.
Herbst sie betrat, war entzückt von der Farbenpracht derselben, dem
klaren Himmel und tiefen Frieden, welche diese Landschaft um jene
Zeit so sehr auszeichnen. Denn wenige Dutzend Ainos sind bis jetzt
die einzigen Bewohner dieses Gebietes, so dass die tiefe Stille, welche
in ihm herrscht, nur durch das Murmeln einer fernen Schnelle oder
durch die Lockrufe von Vögeln und wilden Thieren unterbrochen
wird. In Camoye-Gotan (Wohnung der Götter) treten Diorit, Serpentin
und alte Schiefer beiderseits an den Fluss heran, engen ihn auf eine
Meile weit bedeutend ein und sind die Ursache vieler Schnellen.
Bald aber tritt er in die Ebene von Sapporo ein und ist nun ein
ansehnlicher Fluss, der ruhig seine Schlangenwindungen durch die
Alluvialebene beschreibt und auf dem einmal ein reger Verkehr statt-
finden kann, wenn es gelingt, dieses Gebiet einer rationellen Land-
wirthschaft zu erschliessen; denn bisher lag die Bedeutung des Ishi-
kari nur in dem grossartigen Lachsfischfange, der alljährlich im Herbst
an ihm und seiner Mündung betrieben wird. Sein ansehnlichster Neben-
fluss in der Sapporo-Ebene ist der Ebets oder Chitose, welcher
mit seinem rechten Zuflusse, dem Yubari-betsu, auch das Wasser
dreier Seen ihm zuführt.
Weiter nordwärts endet in der Nähe des 45. Parallels der Teshio
am Japanisch-Tatarischen Meere. Derselbe durchfliesst in nordwest-
licher Richtung die nach ihm benannte Provinz. Den entgegenge-
setzten Weg nimmt der Tokachi-gawa, welcher am Tokachi-
ga-take nicht weit vom Quellgebiete des Ishikari entspringt und
gen Südosten zum Stillen Ocean fliesst, in den er bei Otsuma-mura
mündet.
Unbedeutender als die drei vorerwähnten Flüsse der Insel Yezo
ist der Tokoro, welcher in östlicher Richtung durch Kitami fliesst
und in das Ochotskische Meer mündet.
Die grösseren stehenden Gewässer Japans beschränken sich auf
die beiden grossen nördlichen Inseln und füllen theils flache Alluvial-
mulden grösserer Flussthäler aus, theils sind es wirkliche Gebirgsseen
und als solche meist von einem Wall vulkanischer Berge umgeben,
doch keineswegs alte Krater. Ueber die Seen der Insel Yezo ist noch
nichts Näheres bekannt geworden. Ausser dem Ô-numa im Nord-
osten von Hakodate, der nur ein ausgedehnter Sumpf ist, fehlen selbst
die Namen für dieselben. Eine Anzahl der Seen von Honshiu, und
darunter die ansehnlichsten, liegen in einer Linie, welche sich gleich
weit von dem Stillen Ocean und dem Japanischen Meere hält. Es
sind dies der Biwa-, Suwa-, Chiuzenji-, Inawashiro-,
Takogata- und Towada-See. Näher der Ostküste treffen wir
[115]Flüsse und Seen.
die Seen am Fusse des Fuji-san, den Hakone und die Strandseen
im Unterlaufe des Tone-gawa; der Küste des Japanischen Meeres
nahe sind der Shindji-no-midzu und die Kata’s in Echigo.
Der Biwa-ko oder Omi-no-kosui ist der grösste und inter-
essanteste Binnensee Japans. In der Mitte der Provinz Omi und
zwischen den Buchten von Wakasa, Ôsaka und Owari erstreckt er
sich etwa 8 Meilen lang von Nordost nach Südwest, wo er bedeutend
eingeengt wird und unterhalb Otsu als Uji-gawa abfliesst. An Grösse
kommt er dem Genfer See nahe. Der Spiegel seines schönen, grünen
Wassers liegt ungefähr 100 Meter über dem des Meeres; die grösste
Tiefe soll gegen 100 Meter betragen, ist aber an den meisten Stellen
viel geringer. Viele Ortschaften und wohl cultivierte Felder breiten
sich ringsum aus, an vielen Stellen allmählich zu bewaldeten Bergen
emporsteigend. Ein paar kleine Felseninselchen treten aus ihm her-
vor, bewohnt von Cormoranen und Möven, die hier dem Fischfang
obliegen. Seegelboote und Dampfschiffchen kreuzen ihn und unter-
halten den Verkehr zwischen Otsu, Hikone, Nagahama und anderen
Orten an seinen Ufern. Einer alten Sage gemäss wäre der See in
einer Nacht gleichzeitig mit dem Fuji entstanden. Seine Umgebungen
bilden einen an Geschichte und Sagen reichen Boden. Da sind in
einiger Entfernung die langen Rücken des Hiyä-san und Hira-yama auf
der Westseite, im Osten der kräuterreiche Ibuki-yama und in grösserer
Entfernung das Feld von Sekigahara, wo Iyeyasu 1600 in folgen-
schwerer Schlacht seine Gegner vernichtete. Aber auch ganz in der
Nähe des Sees sind zahlreiche bemerkenswerthe Punkte, so das weiss
getünchte Schloss von Hikone, welches schon aus der Ferne am süd-
östlichen Ufer erglänzt, und die berühmte Kiefer von Kurasaki (Kura-
saki-no-matsu) dicht am westlichen; die Seto-no-karahashi oder die
schöne alte Brücke über den Uji-gawa und die Glocke von Miidera
und vieles Andere, was den, der die darauf bezügliche Geschichte
kennt, wie den Freund von Natur und Kunst in hohem Grade
fesseln kann.
Wenn man von Tôkio aus den Nakasendô verfolgt und endlich
in Shinano seinen höchsten Anstieg, Wada-tôge, erreicht hat, erblickt
man S. 20° W. ein ansehnliches Seebecken in schönem Kesselthale
und weit im Osten davon die Spitze des Fuji-no-yama. Wir haben
den Suwa-ko vor uns, den See vom Kreise Suwa in der Provinz
Shinano. In seiner Umgebung liegen viele Orte, darunter auch die
Städtchen Takashima und Shimonosuwa; durch letzteres führt die
Landstrasse, durch ersteres der Weg östlich nach Koshiu. Der Suwa-
ko liegt 800 Meter hoch und bedeckt sich im Januar und Februar
8*
[116]V. Hydrographie des Landes.
mit einer mehr als fussdicken Eiskruste. Der breite Gürtel von
Potamogeton und anderen Wasserpflanzen an seinen flachen Ufern
weist auf geringe Tiefe hin, und in der That muss man weit durch
den schlammigen Boden waten, bevor man auf der Seite von Shimo-
nosuwa den Grund verliert. An mehreren Stellen seiner Umgebung
treten warme Quellen auf, so in Shimonosuwa. Offenbar war der
See früher weit umfangreicher und umfasste einmal auch das schöne
Reisland, welches sich auf seiner Westseite ausbreitet. Das Zurück-
gehen lässt sich wohl am einfachsten durch eine Vertiefung seines
Abflusses, des Tetori-gawa, erklären.
Der Chiuzenji-See oder Nikkô-no-kosui liegt 1340 Meter
hoch im Nikkô-Gebirge und ist in wenigen Stunden von dem berühmten
Tempelhain aus erreichbar. Es ist ein reizendes, friedlich und ab-
geschieden gelegenes klares Wasserbecken mit der schönsten Um-
gebung. Ein überaus mannichfaltiger Mischwald bedeckt die ihn
einrahmenden Hügel, während auf der Ostseite der Nantai-san zu
stattlicher Höhe sich erhebt. An seinem Fusse und an dem Ufer des
Sees hin führt der Pfad nach dem 3 ri weiter und mehrere hundert
Meter höher gelegenen Schwefelbade Yumoto. Zur Seite des Weges
ganz dicht am See ist eine Reihe Theebuden, die nur im Sommer
bewohnt sind, dann folgen auf der anderen Seite mehrere Priester-
wohnungen und Tempel. Von einem derselben führt der Pfad zum
Gipfel des Nantai-san und darf nur mit Erlaubniss des Oberpriesters
in Nikkô betreten werden. Japaner übertreiben die Dimensionen des
Sees, wenn sie seine Länge von Ost nach West zu 3 ri, die Breite
zu 1 ri, die Tiefe aber gleich der Höhe des Nantai-san angeben.
Dass er übrigens ansehnlich tief ist, lässt sich aus seiner ganzen Be-
schaffenheit und Umgebung, sowie aus dem Umstande schliessen, dass
seine Oberfläche trotz hoher Lage nie zufriert. Ein Daimio von Mito
hat ihn Setsu-ro-ko, d. h. klaren Schneewassersee genannt. Sein
Abfluss, der Daiya-gawa, bildet gleich nach seinem Austritt aus
dem See den Kegon-no-taki. In 2 Absätzen stürzt er hier
125 Meter hoch mitten in einer Waldschlucht über doleritische Laven
hinunter. Der See von Chiuzenji beherbergt keine Fische; dasselbe
soll der Fall sein mit den vielen kleineren Seen und Teichen im Ge-
biete des Nikkô-Gebirges.
Verschiedene Flüsse der Aidzu-taira sind, wie dies schon früher
hervorgehoben wurde, die Abflüsse von Seen, unter denen der Kose-
numa, der Tsuru-numa und vor allem der Inawashiro-no-
kosui oder Inonaë-ko hervorzuheben sind. Dieses beträchtliche
Wasserbecken, benannt nach einem Städtchen auf der Nordseite, be-
[117]Flüsse und Seen.
deckt etwa 2 Quadratmeilen und liegt 560 Meter hoch nordöstlich
und wenige ri von Wakamatsu. Die Berge, welche den tiefen und
fischreichen See umgeben, sind meist bewaldet und nur 150 bis 200
Meter höher. Weit über sie hinweg ragt auf der Nordseite der Ban-
tai-san empor. Der See soll im Winter nicht zufrieren. Auf dem
Quarzsande an seinem westlichen Ufer fand ich eine kleine Corbicula
in Menge und im Oberlaufe seines Abflusses, des Dojima-gawa,
den schönen Unio Dahuricus Schrenk.
Ostwärts von Akita liegt nicht weit von der Station Obonai und im
Norden des Weges, welcher über Kunimi-tôge nach Nambu und Morioka
führt, der von Bergen umwallte Tako-gata. Er soll 1 ri im Quadrat
messen und ist von mehreren Stellen des Weges von Obonai zur
Passhöhe sichtbar. Nach der Lage zu schliessen, hat auch dieser
See eine ansehnliche Tiefe. Der Towada-numa in Mutsu, dessen
Abfluss der Ôsaka-gawa ist, welcher dem Stillen Ocean zu-
fliesst, liegt auf der Ostseite des centralen Gebirgszuges 400 Meter
hoch in menschenleerer Gegend, von Urwald umgeben, und hat keine
Fische.
Von den Gebirgsseen, welche näher der Ostküste zu finden sind,
ist der von Hakone oder der Tôgitsu-no-kosui, auch Ashi-ko
genannt, am bekanntesten. Der Tô-kaidô führt südwestlich von Yoko-
hama an seinem südlichen Ufer hin. Es ist ein klares, langgestrecktes
Gewässer von etwa ½ Quadratmeile und 740 Meter hoch gelegen.
Vulkanische Berge, meist unbewaldet, umgeben ihn. Auf seiner Ost-
seite erhebt sich der Komaga-take als höchster Gipfel des Hakone-
Gebirges, das der Abfluss des Sees, der Haya-gawa, im Bogen
umfliesst. In seinem unteren Laufe berührt dieser schöne Bach mehrere
der bekannten Hakone-Bäder und fliesst dann unterhalb Odawara in
das Meer. Aber der See hat auch noch einen künstlichen Abfluss,
einen alten Tunnel, durch den ein Theil seines Wassers nach Süd-
westen zur Bewässerung der Reisfelder im benachbarten Suruga ge-
leitet wird.
Fast in gleicher Höhe mit dem Hakone-See liegen die sieben
kleineren Seen am nördlichen Fusse des Fuji-no-yama, unter denen
der Mikka-zuki oder See von Yamanaka und der Benten-ko
oder Kawaguchi-no-kosui die bedeutendsten sind.
Im Gebiete des Japanischen Meeres liegt der kleine Gebirgssee
Fuyô-ko am Hokoku-kaidô zwischen Takata und Zenkoji 650 Meter
hoch auf der Südostseite des Ortes Nojiri, nach dem er gewöhn-
lich genannt wird. Er füllt die tiefste Stelle einer ziemlich weiten
Thalmulde aus, soll sein Wasser aus drei starken Quellen in ihm
[118]V. Hydrographie des Landes.
beziehen und sich im Winter mit einer dicken Eiskruste bedecken,
so dass die Anwohner über dieselbe hinweg mit einander verkehren
können. Sein Abfluss geht als Seki-gawa nach dem Japanischen
Meere.
Der seichten Strandseen im Unterlaufe des Tone-gawa, den Pro-
vinzen Shimosa und Hitachi angehörend, wurde bereits früher ge-
dacht. Der Kasumiga-ura ist der grösste unter ihnen und umfasst
nahezu 4 Quadratmeilen. Er hat eine Länge von 10 ri (5, 3 g. M.) und
7 ri (3, 7 g. M.) als grösste Breite, flache bewaldete Ufer und geringe
Tiefe. Ostwärts von ihm zieht sich der nur 1 ri breite Nishi-ura
weit nach Norden und ist vom Meere durch eine gleich breite, aber 13 ri
lange Landzunge, Shika-shima oder Hirschinsel genannt, getrennt.
Zu den Gestade-Seen am Japanischen Meere gehören der Shindji-
no-midzu in Idzumo, sowie die Seen im unteren Gebiete vom Shi-
nano-gawa, insbesondere der Fukushima-gata. Weiter nordwärts
und mehr landein liegt in Uzen der Sumpfsee Ukishima-gata
und nahe dem Meere ostwärts der Station Shiogosi der mit Inselchen
besäete Zoo-gata.
Das Kapitel über die süssen Gewässer Japans würde unvollständig
bleiben, wenn ich nicht auch einiger der berühmten Wasser-
fälle des Landes gedenken wollte, Fälle, die an Höhe und Schön-
heit der Umgebung sich mit den hervorragendsten in Europa messen
können. Das Wasser stürzt bei fast allen über Wände aus altkrystal-
linischen oder vulkanischen Massengesteinen. Beim Chiuzenji-See
wurde bereits des Falles, welchen der Daiya unterhalb desselben
macht, des hohen Kegon-no-taki, gedacht. Aber das Gebirge
von Nikkô ist reich an ähnlichen, wenn auch minder hohen Erschei-
nungen, und man kann in wenigen Stunden ausser dem genannten
noch ein halbes Dutzend sich ansehen, welche linke Nebenflüsse des
Daiya bilden. Ich will hier nur noch eines derselben erwähnen, des
Uramiga-taki, der an einer überhängenden Doleritwand hinab-
stürzt und seinen Namen (von ura, Unterseite, miru, sehen, taki,
Fall) dem Umstande verdankt, dass man unter ihm her gehen und
ihn von hier aus besehen kann.
Als die schönsten Wasserfälle des Landes werden jedoch die des
Natchi-no-taki auf der Südostseite von Kii, eine Meile von dem
kleinen Hafen Katsura, angesehen. Nach Capt. St. John stürzt hier
das Wasser erst 16 Meter, dann 23—25 Meter und endlich 86 Meter
hoch herab.
Auch in der Nähe von Kobe sind einige sehr ansehnliche Fälle,
wo Bäche an senkrechten Granitwänden herabgleiten. Der bekann-
[119]Flüsse und Seen.
teste unter ihnen, nur eine halbe Stunde nordöstlich von der Stadt,
heisst Nunobike-no-taki (Fall des hängenden Baumwollzeuges)
und hat 18—25 Meter Höhe. Wunderbare Erzählungen cursieren in
Japan über die Höhe der Wasserfälle in Hida. So soll der Taketani-
no-taki an den Quellen des Takara-gawa am Yariga-take 660 Meter
hoch sein und der Shiromidzu-ga-taki am Haku-san 675 Meter.
Wenn nun auch diese Zahlen durch Europäer noch auf ein beschei-
deneres Maass zurückzuführen sind, so zeugen sie doch immer von
der ansehnlichen Höhe, welche diese bislang von keinem Fremden
geschauten und gemessenen Erscheinungen haben müssen.
[[120]]
VI.
Klima.
a. Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur.
Die Japanischen Inseln bilden das langgestreckte östliche Glied
des nordöstlichen Monsungebietes, worunter wir die nächsten
Grenzländer des Gelben und des Japanisch-Tatarischen Meeres ver-
stehen wollen, von Formosa und der Fokianstrasse an bis zur Mün-
dung des Amur. Das Klima dieser ganzen Region wird nämlich
wesentlich durch die Herrschaft der Monsune geregelt, warmer,
feuchter Südwinde im Sommer, kalter, rauher Nord- und Nordwest-
winde während des Herbstes und Winters.
Bei der bedeutenden Längenausdehnung des japanischen Reiches
und der grossen Verschiedenheit in der orographischen Beschaffenheit
kann zwar von einer Gleichförmigkeit des Klimas keine Rede sein,
doch beherrscht ein gemeinsamer Zug das ganze Gebiet und insbe-
sondere die vier grossen Inseln. Die Witterungserscheinungen Japans
spiegeln nämlich das Klima des benachbarten Continentes wieder,
indem sie uns einen feuchtheissen Sommer und einen langen, verhält-
nissmässig kalten und heiteren Winter zeigen. Aber die Umgebung
des Meeres und insbesondere die warme äquatoriale Strömung des-
selben, der Kuro-shiwo und sein westlicher Zweig, die Tsushima-
Strömung, bewirken eine beträchtliche Abschwächung jener continen-
talen Extreme und lassen den Monsunen keineswegs die ungetheilte
Herrschaft. Sie bewirken insbesondere kühlere Sommer und viel
mildere Winter, sowie mehr Feuchtigkeit während des ganzen Jahres,
als sie den Ländern auf der Westseite des Gelben und des Japani-
schen Meeres zu Theil werden. Immerhin aber sind die klimatischen
Gegensätze zwischen Sommer und Winter auch in Japan sehr gross,
und wer im Winter zum ersten Mal dieses Land betritt, nachdem er
wenige Wochen zuvor die milden Gestade Californiens unter annähernd
[121]VI. Klima. Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur.
gleicher Breite verlassen, oder unter den tropischen Regen des Küsten-
gebietes von Malakka geschwitzt hat, ist nicht wenig durch die
niedrigen Temperaturen und die rauhen nordischen Winde überrascht,
welche um diese Jahreszeit hier herrschen. Seine Vorstellungen vom
Klima eines Landes, wo im Winter die Camellie im Freien blüht,
wo Bambusrohre Stämme von 20 Meter Höhe und 45 Centimeter Um-
fang entwickeln, ja, wo noch eine Palme fortkommt und stellenweise
sogar noch Zuckerrohr gebaut wird, waren unstreitig andere. Was
er auch über die grossen Gegensätze des Continentalklimas von China
und Sibirien gehört und gelesen haben mag: er wendet es auf Japan
schwerlich an. Indem er seine südliche Lage in Betracht zieht, ist er
eher geneigt, an die milden Mittelmeerländer zu denken und an einen
steten Sommer, der wenigstens in einzelnen Theilen derselben herrscht.
In der That, wenn das Klima Japans nur von der Stärke der Be-
sonnung abhinge, könnte man kaum begreifen, wie dasjenige seiner
Hauptstadt Tôkio von dem der Insel Malta, unter gleicher Breite, so
abweichen könnte, oder wie es möglich ist, dass Nagasaki im Winter
zuweilen Schnee und Eis und eine Durchschnittstemperatur von nur
6,3°C. hat, während in dem nur wenige Minuten südlicher gelegenen
Funchal auf Madeira das Thermometer während derselben Zeit nicht
unter 12°C. sinkt, im Mittel aber 15—16°C. hoch steht.
Alle Gebirge Japans sind den Winter über in tiefen Schnee ge-
hüllt; von manchen Bergen verschwindet er nur in besonders günstigen
Sommern vollständig, und selbst die nur wenig über 1200 Meter sich
erhebenden Schieferrücken der Insel Shikoku, die doch vom Kuro-
shiwo bespült und durch die Gebirge des benachbarten Honshiu
einigermassen gegen die rauhen Nordwinde geschützt wird, zeigen
noch bis zum April ihre weissen Hauben.
Im Westen von Yokohama erblickt man wie einen riesigen um-
gekehrten Fächer den majestätischen Fuji-no-yama, dessen Gipfel
pfirsichblüthroth erglänzt, wenn die ersten Morgenstrahlen ihn treffen,
oder rein weiss, wie ein mächtiger Zuckerhut, wenn am klaren
Wintertage die Sonne höher steigt. So sehr er auch absticht
gegen das Dunkel der mit Nadelholz bestandenen näheren Hügel,
so ist doch das ganze Landschaftsbild rings um uns her ein durch-
aus winterliches. Graubraun und dürrer wie bei uns sieht der
Rasen aus, entblättert stehen die Obstbäume da, und die Pfützen im
kahlen Reisfelde, der Tummelplatz wilder Enten, Gänse und Becas-
sinen, bedecken sich Nachts nicht selten mit einer Eiskruste, die
allerdings in der Regel den warmen Strahlen einer hochstehenden
Mittagssonne nicht zu widerstehen vermag. Ausnahmsweise und nach
[122]VI. Klima.
langen Intervallen kommt es jedoch noch in Yokohama und Tôkio
vor, dass diese Eisdecke über den seichten stehenden Gewässern viele
Tage lang bleibt und durch die sich allnächtlich wiederholenden
Fröste eine ansehnliche Dicke erlangt. So war es Mitte Januar 1878,
wo die Fremden den Eingeborenen das noch nicht gesehene Schlitt-
schuhlaufen zeigen konnten Am 13. Januar desselben abnormen
Winters und an den folgenden Tagen erlebten Hiogo, Kumamoto und
andere Orte des südlichen Japan einen Schneesturm, wie er seit 70
Jahren nicht vorgekommen sein soll. In der Provinz Higo bedeckte
der Schnee Berichten zufolge 1,6—1,8 Meter hoch das flache Land und
verhinderte mehrere Tage hindurch den Verkehr, und selbst im warmen
Satsuma hatte die Natur ein ungewöhnlich dickes und dauerhaftes
weisses Kleid angelegt.
Die Monsunwechsel fallen nicht vollständig mit den Aequinoctien
zusammen; insbesondere steht der grösste Theil des September schon
ganz unter der Herrschaft der nördlichen Luftströmung, welche um
diese Zeit aus naheliegenden Gründen noch nicht den rauhen Cha-
rakter hat, wie später in den eigentlichen Wintermonaten. Die Ueber-
gangszeiten zwischen Winter und Sommer sind im Norden kurz und
verlängern sich gen Süden mehr und mehr auf Kosten des Winters.
Ein meist heiterer Himmel und mehr noch eine genügend milde, er-
frischende Luft machen allenthalben die Herbst- und Frühjahrszeit
zur angenehmsten des Jahres. Der Sommer ist endgültig vorbei,
wenn im October in den Tempelhöfen und Hainen die gelben Icho-
blätter (Ginkgo), vom Morgenthau geknickt, langsam zu Boden fallen
und das Laub des Momiji (Acer polymorphum) wieder die scharlach-
rothe Färbung zeigt, mit der es im Frühling erschien. Es ist die
Zeit der Reisernte und der Bestellung der Felder mit Winterfrüchten.
Der Fuji-san erscheint schon wochenlang im neuen Winterkleide, und
auch die höchsten Gipfel weiter nordwärts, wie der Itoyo-san, Chô-
kai-san, Ganju-san und Iwaki-san, erhalten schon Anfangs October
weisse Hauben. Einen Monat später sind die Gebirge des ganzen
nördlichen Gebietes dauernd in Schnee gehüllt.
Der Uebergang in den Sommer fällt in den Monat April; denn
im März sind nicht bloss Nachtfröste und vorübergehender leichter
Schneefall keineswegs unerhörte Dinge, sondern die Temperatur ist
durchweg noch so niedrig, dass von einem Wiedererwachen der Natur
noch nicht gut die Rede sein kann.
Der japanische Winter ist sonach ein langer und dauert im mitt-
leren Theile des Landes 5—6, auf Yezo sogar 7 Monate, aber er ist
nicht streng zu nennen: denn selbst zu Hakodate und zu Sapporo
[123]Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur.
auf Yezo sinkt das Thermometer nur ausnahmsweise einmal auf — 16°C.,
wie aus den angefügten Tabellen weiter ersichtlich. An den Küsten-
plätzen, mit Ausnahme der Insel Yezo, sind Frosttage, d. h. Tage,
an denen während 24 Stunden das Thermometer nicht über 0° steigt,
eine grosse Seltenheit und kommen südlich des 36. Breitegrades wohl
kaum noch vor.
Monsune und Meeresströmungen sind, wie schon hervorgehoben
wurde, neben der Insolation und orographischen Beschaffenheit der
japanischen Inseln die wichtigen Factoren, von denen der Charakter
ihres Klimas vornehmlich abhängt. In seinen Hauptzügen hierdurch
zwar feststehend, hat das Wetter dieses Gebietes im übrigen keines-
wegs Jahr für Jahr denselben normalen Verlauf, ist vielmehr grossen
Schwankungen unterworfen, wie dies auch bei den verschiedenartigen
und sich theilweise widerstreitenden Einflüssen leicht erklärlich ist.
Desshalb können auch hier nur vieljährige Beobachtungen, die bis
jetzt nur von wenigen Orten vorliegen, zur Feststellung sicherer
Durchschnittswerthe führen, auch wenn wir nicht gewillt sind, den
periodischen Veränderungen der Sonnenscheibe einen so grossen Ein-
fluss auf viele irdische Erscheinungen einzuräumen, wie er von den
weitgehenden Vertretern der Sonnenfleckentheorie behauptet wird.
Bisher hat man nur an wenigen Orten Japans über den täglichen
Gang der Temperatur zuverlässige Beobachtungen angestellt. Es er-
gibt sich aus denselben aber die wichtige Thatsache, dass hier wie
im übrigen nordöstlichen Monsungebiete die Zeit, während welcher
die Temperatur über dem Mittel steht, um etwa zwei Stunden kürzer
ist, als diejenige, während der sie den mittleren Stand nicht erreicht.
Im Sommer liegt nämlich das Minimum zwischen 2 und 3 Uhr Morgens,
im Winter gegen 3 Uhr, im Frühling um 4 Uhr und im Herbst
gegen 5 Uhr, während das Maximum fast das ganze Jahr hindurch
in die Zeit von 2½ bis 3 Uhr Nachmittags fällt. Die mittlere täg-
liche Amplitude ist im allgemeinen geringer, als in den meisten Län-
dern unter gleicher Breite. Wie sehr dieselbe indess von dem Feuch-
tigkeitsgehalt der Luft abhängt, zeigt die nachstehende Zusammen-
stellung der Mittelwerthe derselben in den verschiedenen Monaten zu
Yokohama.
Hier entspricht z. B. die geringere Amplitude im Juni, Juli und
September mehr dem grösseren Feuchtigkeitsgehalte der Luft und
den reicheren Niederschlägen, als dem Grade der allgemeinen Er-
[124]VI. Klima.
wärmung. Die grossen Temperatur-Minima folgen fast ohne Aus-
nahme, wie bei uns, hellen Tagen und geringem Feuchtigkeitsgehalte
der Luft, wie sie im Winter während der Herrschaft nördlicher Winde
häufig sind. Nicht selten kommt die grösste Differenz zwischen der
Tageswärme und Nachtkühle während einer Woche innerhalb 18 Stun-
den vor. Ueberhaupt aber sind die monatlichen Extreme gegenüber
den Monatsmitteln sehr beträchtliche, wie dies aus den Tabellen ge-
nügend ersichtlich ist.
Nur im Gebiete des Kampferbaumes, auf den Gôtô, im südlichen
Kiushiu und in Tosa, sind Winter mit Schneefall die Ausnahme und
Frostnächte wenig zahlreich. Doch gefriert selbst in Kagoshima unter
31½° N. das Wasser in den Tuschschalen während des Winters ziem-
lich häufig, wobei freilich auch der leichte, luftige Bau der Häuser
in Betracht kommt, und nicht weit davon, ebenfalls an der Kagoshima-
bucht, pflegt man noch im April die jungen Tabakspflanzen Nachts
gegen eine zu starke Abkühlung des Bodens durch Strohdächer zu
schützen. Nach den Beobachtungen in Tôkio kommen dort im Jahre
durchschnittlich 67 Frostnächte vor, in Sapporo 148, denen sich 35
Frosttage anschliessen. Ihre Vertheilung auf die einzelnen Monate
ist folgende:
Eine solche Zusammenstellung gewährt zugleich ein gutes Bild
von der Länge und Stetigkeit des Winters, wie er der Insel Yezo zu
Theil wird.
Unseren Betrachtungen über den jährlichen Gang der Temperatur
in Japan schicken wir nachstehende Vergleichstabelle für eine Reihe
Orte des nordöstlichen Monsungebietes voran.
Wenn Ôsaka, wie wir hieraus ersehen, obgleich es um 2⅓°
nördlicher liegt als Nagasaki, nicht bloss dieselbe mittlere Jahres-
temperatur von 16°C. hat, sondern auch einen nahezu gleichen Gang
der Wärme durch die einzelnen Monate, so erklärt dies seine geschützte
Lage. Ebenso müssen wir es als eine Folge der Lage ansehen, dass
in Nagasaki der Frühling, in Ôsaka der Herbst etwas wärmer ist;
denn dort machen sich die Monsunwechsel eher fühlbar als hier.
Bei einem Vergleich der Temperaturen von Yokohama und Tôkio,
mit annähernd gleichen Jahresmitteln von 14,3, beziehungsweise 13,8
Grad, zeigt sich durchweg der grössere Einfluss des Meeres bei
[125]Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur.
Vergleichstabelle
für den jährlichen Gang der Temperatur in japanischen Städten und an verschiedenen anderen Orten
des nordöstlichen Monsungebietes.
[126]VI. Klima.
ersterem, der seine Winter milder, die Sommermonate aber kühler
macht, trotz der geringen räumlichen Entfernung beider Städte.
Bei Niigata überrascht, dass die mittlere Jahreswärme daselbst
mit 13,1° derjenigen von Tôkio nur wenig nachsteht und auch in den
einzelnen Monaten die Differenzen nicht so gross sind, wie man dies
bei der nördlicheren Lage und der grösseren Annäherung an den
Continent erwarten sollte. Offenbar bewirken hier das Japanische
Meer, die häufige Bewölkung des Himmels und der reiche Schneefall
während des Winters den bedeutenden Ausgleich und sind die Ur-
sache, wesshalb in dem ganzen westlichen Küstenlande Japans keine
hohen Kältegrade vorkommen und Camellie und Theestrauch noch so
weit nach Norden reichen. Aus demselben Grunde hat selbst das
westliche und südliche Yezo noch milde Winter, in denen eine Kälte
von —16°C. nur selten vorkommt.
Vergleicht man hiermit die Temperaturerscheinungen der be-
nachbarten Festlandsküste, so ergeben sich auffällige Differenzen zu
Gunsten Japans. Der südliche Theil des letzteren ist um etwa 2°
wärmer als die chinesische Küste unter gleicher Breite, aber zwischen
Sapporo an der Westküste von Yezo und Wladiwostok unter gleichem
Parallel ist der Unterschied noch viel beträchtlicher und beträgt 5,2°
aufs Jahr und sogar 20,3° für die drei Wintermonate. So sind auch
die Westküsten von Yezo und Sachalin um mehrere Grad wärmer als
die Ostküsten. Hier thaut der zwei Fuss tief gefrorene Boden nach
Capt. John erst Ende Mai auf und verschwindet der Schnee erst
vollständig unter dem Einflusse der hochstehenden Junisonne. Häufige
Nebel schwächen überdies den Einfluss der Insolation während des
kurzen Sommers auf den Boden, so dass hier eine Cultur desselben
wohl für immer ausgeschlossen ist. Das Klima von Yezo und Sachalin
ist im Vergleich zu anderen Gebieten der Erde unter gleicher Breite
sehr kalt, ebenso das des Amurlandes; der übrige Theil des nord-
östlichen Monsungebietes aber hat im Winter negative, im Sommer
positive thermische Anomalien. Im eigentlichen Japan (Oyashima)
sind also ebenfalls die Winter kälter, die Sommer aber wärmer als
sonst in Ländern unter gleicher Breite. Die mittlere Jahreswärme von
Tôkio ist 13,8°C. Im Winter sinkt das Quecksilber im Thermometer
ausnahmsweise auf —9°C., im Durchschnitt auf —5 bis —6,5°C., im
Sommer steigt es auf 35,5°C., so dass die grösste Amplitude 44,3°C.
beträgt. Von diesen Extremen kommt jedoch die angeführte Kälte
in fünf Jahren kaum einmal vor, während die Sommerhitze eben-
falls nur ausnahmsweise und nur an wenigen Tagen 34°C. übersteigt.
Von Orten unter annähernd gleicher Breite mit Tôkio (35½° N.)
[127]Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur.
hat Canea auf Kreta 18°C. als Jahresmittel, Gibraltar 17,3°C.; da-
gegen führt die Isotherme von Yokohama über Bologna (44° 30' N.)
und Marseille (43° 18' N.). Sehr beachtenswerth ist die niedrige
Wintertemperatur in ganz Japan. Sie beträgt in Tôkio 3,6°C. Aber
auch März und November weisen mit 6,8° und 9°C. noch eine sehr
niedrige mittlere Wärme auf. Das Mittel während der 3 Sommer-
monate beträgt 24°C., so dass zwischen Sommer und Winter eine
Temperaturdifferenz von über 20° herrscht. Zwischen dem heissesten
Monat aber, dem August mit 26,4°, und dem Januar als dem kältesten
mit 2,4°C. zeigt sich ein Unterschied von 24°C., d. h. so gross
wie in Prag und Pest. Auch die Thermometerschwankungen inner-
halb eines Monates sind oft sehr gross, insbesondere im März, wo
sie durchschnittlich 24° betragen, während die äussersten Maxima
und Minima, welche im Laufe einer achtjährigen Beobachtungsreihe
vorkamen, eine noch viel grössere Differenz liefern. Stetig heisses
Wetter tritt erst gegen Ende Juni ein und hört gewöhnlich gegen
Mitte September auf.
Die Temperaturextreme des Jahres weichen in Niigata nur wenig
von denen in Tôkio ab. Vergleichen wir mit den Wärmeverhältnissen
in Niigata diejenigen einiger Orte unter gleicher Breite (38°), so finden
wir das Jahresmittel für San Francisco mit 13,5°C., für Athen mit
17,7°C. und für Palermo mit 19,5°C. um —1,3°C., beziehungsweise
4,6°C. und 6,4°C. höher. In Niigata haben Januar und August, als
kältester, resp. wärmster Monat, mittlere Temperaturen von 0,9°C.
und 26,4°C. In San Francisco dagegen hat der Januar 9,8°C.,
dagegen der September als wärmster Monat nur 16,2°C. So herrscht
hier ausgeprägtes Seeklima, dort nahezu Continentalklima.
Die Isotherme von 8,9°C. verbindet Hakodate (41° 46' N.) mit
Berlin (52½° N.); die Isothere von Hakodate mit 18,5°C. führt
aber über Moskau und München, während es mit Breslau und Ray-
kiavig dieselbe Isochimene von —1,3°C. hat. Die Amplitude zwi-
schen dem kältesten Monatsmittel und dem heissesten mit —2,6°C.
und 21,4°C., also 24°C., kommt derjenigen von Washington und
Tiflis gleich.
Für Nagasaki hat man 16°C. als Jahresmittel, 6,5° als Durch-
schnittstemperatur der 3 Wintermonate und 25,1° für den Sommer
gefunden, Werthe, die ebenfalls weit abweichen von sonstigen Orten
unter gleicher Breite. So führt die Isochimene beispielsweise über
das um 11° weiter nordwärts gelegene Montpellier.
Fragen wir aber schliesslich nach den Ursachen all dieser Er-
scheinungen, so werden wir wiederum in erster Linie auf die Meeres-
[128]VI. Klima.
strömungen hingewiesen. Es bestätigt sich auch in dem nordöstlichen
Monsungebiete die Regel, dass warme Klimate den äquatorialen Meeres-
strömungen gegen die Pole folgen, während kalte die polaren Gewässer
auf ihrem Vorrücken gegen den Aequator hin begleiten.
Als ein weiteres Resultat des Vergleiches der einzelnen Daten
obiger Tabelle dürfte hervorzuheben sein, dass die Abnahme der
mittleren Sommerwärme mit zunehmender Breite viel geringer ist, als
die Zunahme der Winterkälte.
Endlich ersehen wir aus dieser Zusammenstellung, dass an fast
allen Orten der continentalen Seite unseres Monsungebietes das Mini-
mum der Temperatur in die erste Hälfte des Januar, das Maximum
in die zweite Hälfte des Juli fällt, während die ostasiatische Insel-
reihe ihre Temperaturminima Ende Januar oder Anfang Februar und
die Maxima in der ersten Hälfte des August aufweist. Der Voll-
ständigkeit wegen möge hier auch noch die pacifische Küste Nord-
amerikas in den Vergleich gezogen werden und eine Zusammenstellung
aus einer früheren Arbeit des Verfassers Platz finden *).
Vergleichs-Tabelle.
Wir erkennen aus derselben den Uebergang des continentalen
Klimas der Küste Ostasiens in das Seeklima der pacifischen Küste
Nordamerikas, die Abnahme der Jahresamplitude und endlich die
Verschiebung der heissesten Zeit vom Juli in Ostasien zum August
in Japan und Sitka und auf den September in Fort Vancouver und
San Francisco. Die grössere Wärmecapacität des Meeres gegen-
über dem Festlande bedingt, dass seine Maximaltemperaturen in den
August und September fallen, und diesen Verhältnissen entspricht der
[129]Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur. Luftdruck und Winde.
Gang der Sommerwärme an der amerikanischen Küste. Die japa-
nischen Inseln bilden aber in all diesen Dingen, wie nach ihrer Lage,
den Uebergang von Ostasien nach der Westküste Nordamerikas.
Aus dem Innern Japans liegen bis jetzt keine meteorologischen
Beobachtungen vor, doch dürften hier trotz der geringen Breiten-Aus-
dehnung der Inseln in mehreren Districten die Verhältnisse wesent-
lich anders liegen, so namentlich in den hoch gelegenen Provinzen
Shinano und Hida. Nicht sowohl die Höhenlage derselben an und
für sich, als vielmehr die hohen Randgebirge bedingen eine trockene,
heitere Luft und darum beträchtlichere Kälte während des Winters,
als im übrigen Lande, womit die Angabe der Eingeborenen im Ein-
klange steht, dass der Suwa-ko während dieser Jahreszeit sich mit
dickem Eis bedecke und über dasselbe hinweg die Anwohner mit
einander verkehren.
b. Luftdruck und Winde.
Bei der vorwiegenden Abhängigkeit des Luftdruckes von der
Temperatur lassen sich aus dem, was über letztere hervorgehoben
wurde, schon die Hauptzüge des Barometerstandes erkennen. Die
sommerliche Auflockerung der Luft ruft gegenüber dem höheren Druck
im Winter Differenzen von etwa 10 mm hervor, während dieselben
für China unter gleicher Breite nahezu doppelt so gross ausfallen.
Wie bei der Wärme, so sind auch beim Luftdruck die jährlichen
Schwankungen in Japan minder gross, als auf dem benachbarten
Festlande.
In Tôkio, wo das Jahresmittel 761,6 mm beträgt (nach Knipping
berechnet es sich auf 761,1 mm), wird dasselbe in 7 Monaten über-
schritten und in den übrigen fünf (Mai, Juni, Juli, August, September)
nicht erreicht. Der höchste durchschnittliche Barometerstand fällt in
den Januar mit 764,4 mm; ein zweites Maximum weist der October
mit 764,2 mm auf, während der Juni mit 758,3 mm mit dem tiefsten
Stande erscheint. Wir erkennen daraus, dass ausser der Temperatur
noch andere Factoren, wie namentlich der Feuchtigkeitsgehalt der
Luft, sowie die Stärke und Richtung des herrschenden Luftstromes
hier, wie anderwärts, auf den Barometerstand von wesentlichem Ein-
flusse sind und die jährlichen Extreme eben so wenig in umgekehrter
Ordnung dem Maximum und Minimum der Temperatur entsprechen,
wie die täglichen.
Rein, Japan I. 9
[130]VI. Klima.
Einen weit regelmässigeren Verlauf nimmt die jährliche Periode
des Luftdruckes in Nagasaki, wo dem niedrigsten Thermometerstande
im Januar der höchste Luftdruck mit 766,5 mm, der höchsten Luft-
temperatur im August aber der niedrigste Barometerstand mit 755,6 mm
entspricht und die Monatsmittel für den jährlichen Luftdruck nur ein
Maximum und ein Minimum aufweisen, welche aber vom Jahres-
mittel mit ebenfalls 761,6 mm viel mehr abweichen als in Tôkio.
In Hakodate, dessen mittlerer Luftdruck 756,5 mm beträgt, fällt
der höchste monatliche mit 760,0 mm in den März, der niedrigste mit
752,7 mm in den Juli. Dies und der niedrige durchschnittliche Stand
haben indess nichts Auffallendes. Den erwähnten auffallend grossen
Temperaturschwankungen analog sind auch die jährlichen Oscillationen
des Luftdruckes sehr beträchtliche. Häufig steigt das Barometer über
770,0 mm, ja zuweilen auf 775,0 mm und darüber und sinkt nicht selten
unter 750,0 mm, des Verhaltens bei grossen Stürmen gar nicht zu
gedenken. Nicht selten zeigt es die Anomalie, dass es mit den
Winden, welche Regen bringen, steigt und stundenlang im Verlaufe
eines Regens einen sehr hohen Stand (765,0—770,0 mm) bewahrt und
erst sinkt, nachdem mit verändertem Winde besseres Wetter einge-
treten ist.
Ueber den stündlichen Gang des Luftdruckes liegt nur von De-
shima (Nagasaki) eine längere Beobachtungsreihe vor, aus der sich
ergibt, dass das tägliche Hauptminimum im Herbste Nachmittags 4 Uhr,
sonst aber auf 5 Uhr Nachmittags fällt. Das erste Maximum tritt im
Sommer um 2 Uhr ein, im Frühling um 6 Uhr, im Winter um 9 Uhr
und im Herbst um 10 Uhr Vormittags.
Die hohen Barometerstände und niedrigen Temperaturen, welche
den Winter Japans kennzeichnen und in deren Gefolge ein meist
heiterer Himmel erscheint, werden, wie schon früher angedeutet
wurde, durch die Herrschaft kalter, nördlicher Winde bedingt. Ihre
vorherrschende Richtung ist an den verschiedenen Küsten keineswegs
überall dieselbe, und es passt die Bezeichnung »Nordostmonsun« mit
Ausnahme der südlichen Inseln nicht mehr. Während der Winter-
monate weht zu Wladiwostok und an der ganzen Küste des asiati-
schen Festlandes Japan gegenüber vorherrschend kalter, heftiger und
Alles durchdringender Nord- und Nordwestwind. Dass die Meeres-
Strömungen um die Japanischen Inseln im weiteren Verlaufe dieser
Winde ihre Richtung wesentlich beeinflussen werden, dass insbesondere
das Japanische Meer dieselbe stark deflectieren muss, wird man ohne
weiteres annehmen können. So finden wir denn als vorherrschende
Winde im Winter für Hakodate NW.- und W.-Winde auftreten, in
[131]Luftdruck und Winde.
Niigata S.-, SW.-, W.- und NW.-Winde, in Tôkio N.- und NO.-Winde,
in Nagasaki N.- und NW.-Winde.
In Tôkio dauert der Nordostwind zuweilen eine Woche an und
bringt bei hohem Barometerstande schönes, klares Wetter mit leichtem
Frost während der Nacht. Seiner Drehung nach O. und SO. folgt
gewöhnlich Regen, doch sind Winde aus dieser letzten Richtung im
Winter gerade nicht häufig.
Staubstürme, wie sie im Winter China so häufig heimsuchen,
kommen in Japan nur selten vor. Doch erlebte ich einen solchen
in Tôkio am 4. Februar 1875. Das Thermometer war Nachts auf
—6,5°C. gefallen und erhob sich auch im Laufe des Tages nicht über
+4,5°C., das Wetterglas ging gegen 11 Uhr Morgens auf 743,4 mm
herunter. Von Norden her wehte ein kalter, heftiger Wind, die
Häuser schaukelten bei seinen Stössen, und die Gegenstände an den
Wänden vibrierten, wie bei einem starken Erdbeben. Nach wochen-
langer Trockenheit war durch ihn der leichte, lockere Staub von
Feldern und Wegen zu bedeutender Höhe emporgewirbelt worden,
so dass, obgleich der Himmel wolkenleer zu sein schien, von dem-
selben keine Spur zu sehen war, mit Ausnahme eines kleinen matt-
begrenzten Ringes um die Sonne. Diese selbst schien herabgestiegen
zu sein und als eine gelbrothe Kugel im Staubmeere zu schwimmen;
ihre Strahlen vermochten die Erde nicht zu erreichen und keine
Schatten zu werfen. Die Erde selbst war wie in einen dichten Nebel
gehüllt, nur dass das Grau des letzteren sich mit einem eigenthüm-
lichen Feuergelb der von oben beschienenen Staubtheile mischte.
Die im Winter auf dem Japanischen Meere herrschenden N.- und
W.-Winde wehen hier und an der ganzen Küste mit solcher Heftig-
keit, dass die Westküste Japans in dieser Zeit von Schiffen gemieden
wird und selbst die Dampfschiffverbindungen, z. B. von Niigata mit
Hakodate, unterbrochen werden. Obgleich sie von Asien her über
das breite wärmere Meer streichen und hier viel Feuchtigkeit auf-
nehmen, machen sie sich doch längs der japanischen Küste als rauhe,
durchdringende Winde in empfindlicher Weise geltend, so dass die
Bewohner besondere Vorkehrungen gegen sie treffen, wie nirgends
sonst im Lande. So sah ich zwischen Akita und Niigata im November
1874 in vielen Küstenorten die Leute damit beschäftigt, längs der
Seeseite ihrer Häuser und in 2—3 Fuss oder mehr Entfernung von
denselben für den Winter aus Balkengerüst Wände zu errichten und
die Zwischenräume mit Reisig, Moos und dergleichen auszufüllen.
Vom April oder Mai bis zum September wehen warme südliche
Winde. Auf dem Japanischen Meere sind es vorherrschend Südwest-
9*
[132]VI. Klima.
winde (Südwestmonsune), zu Yokohama und an allen dem Stillen
Ocean benachbarten Orten Japans überwiegen dagegen die Südwinde.
Dieser sommerliche Monsun herrscht keineswegs mit gleicher
Stärke und Regelmässigkeit, wie die kalten nördlichen Winde des
Winters. Calmen wechseln häufig mit leichten, veränderlichen Winden
ab, das Japanische Meer ist dabei nicht selten spiegelglatt, und die
Schifffahrt geht ihren regelmässigen Gang. In Indien sind die Mon-
sune des Sommers die heftigeren, weil um diese Zeit die Unterschiede
des Luftdruckes in Folge der sehr starken Erwärmung des Landes
am beträchtlichsten sind. Im nordöstlichen Monsungebiete aber ent-
sprechen den geringen Unterschieden der Barometerstände über Meer
und Land auch schwächere Luftströme. Die Zahl der Windstillen
ist jedoch auf dem ganzen Inselgürtel des nordöstlichen Monsunge-
bietes ansehnlich kleiner, als auf dem Festlande. An solchen ruhigeren
Tagen treiben auch an den Küsten Japans Land- und Seewinde ihr
täglich abwechselndes Spiel, während die stärkeren und weiter ver-
breiteten Luftbewegungen gewöhnlich diese interessanten, aber be-
schränkteren Erscheinungen nicht zur Entwickelung kommen lassen.
Ihr Gegenstück bilden die Berg- und Thal- oder Nacht- und Tag-
winde, die durch analoge Ursachen hervorgerufen werden. In jung-
vulkanischen Gebirgen wehen namentlich die den Tag über gipfel-
wärts streichenden Thalwinde besonders stark und führen manche
Pflanze dadurch bergan, ja sie sind in Japan das wichtige Mittel,
durch welches die Gewächse auf die erkalteten Vulkane gelangten,
wie ich dies in einem anderen Theile dieses Werkes noch näher
zeigen werde.
Wenn man bei Ostasien von Winden redet, muss man auch jener
gewaltigen Drehstürme, der Taifúne*), gedenken, welche, den Hurri-
canes Westindiens und den Cyclonen des Indischen Oceans nahe ver-
wandt, ein Schrecken der Seefahrer und nächst den Ueberschwem-
mungen die gefürchtetste Landplage Japans sind. Mit den sonstigen
Wirbelstürmen haben die Taifúne das Sichdrehen um ein Centrum,
welches dabei selbst beständig mehr oder weniger rasch fortrückt
und eine parabolische Curve, die Sturmachse oder Sturmbahn, von
Südost durch Süd und West nach Nordwest bis Nordost, oft aber
auch nur von West nach Ost beschreibt, gemein. Die Sturmachse
wird dabei vom Sturmwinde mehr oder weniger kreisförmig von Süd
[133]Luftdruck und Winde.
nach Ost, Nord etc. umströmt, und zwar mit einer Geschwindigkeit
und einem Barometerdruck, welche ihr Minimum in der Achse haben
(die Geschwindigkeit ist dort stets gleich Null, der Druck sinkt zu-
weilen auf 720—710 mm) und von da mit der Entfernung zunehmen.
Auch blasen die Taifúne wie andere Drehstürme nicht stetig, sondern
zeitweise in heftigen Böen und sind dabei stets von starken Regen-
güssen begleitet. Letzteres ist so sehr die Regel, dass man in Japan
im August oder September, wenn ein anhaltender reicher Regenfall
eintritt und noch kein Taifún vorausgegangen ist, einen solchen ziem-
lich bestimmt erwartet, da ein oder zwei dieser Stürme erfahrungs-
mässig jeden Nachsommer eintreten. Ebenso weiss man, dass um
diese Zeit eine längere andauernde Hitze nicht selten mit dem Ein-
tritt eines solchen Wirbelsturmes ihren Abschluss findet. Juli, August
und September sind die Monate, in welchen diese Winde vorzukommen
pflegen; seltener stellen sie sich schon im Juni ein oder verspäten
sich bis in den October.
Nach einer Zusammenstellung in H. Mohn’s »Grundzüge der
Meteorologie« hat man im Chinesischen Meere von 1780—1845 im
Ganzen 46 Taifúne beobachtet. Es ist jedoch anzunehmen, dass die
Zahl dieser Winde im angegebenen Zeitraume in Wirklichkeit eine
ansehnlich grössere war, da man erst in der Neuzeit das Wehen der-
selben richtig erkannt hat und auch die Aufzeichnungen darüber in
den Logbüchern mit mehr Sorgfalt geführt werden. Eine Zusammen-
stellung aller in den japanischen Gewässern seit der Perry-Expedition
wahrgenommenen Drehstürme dürfte von grossem Interesse sein, ist
aber bis jetzt nicht versucht worden. Die folgende Uebersicht über
das Auftreten der Cyclonen in dem Gebiete des Indischen Oceans
und der im Chinesischen Meere wahrgenommenen Taifúne ist Alles,
was wir bezüglich der Statistik über diese auffälligen Stürme zu bieten
vermögen.
Wir erkennen daraus die wichtige Thatsache, dass diese Dreh-
stürme den scheinbaren Bewegungen der Sonne zwischen den Tropen
von Süden nach Norden und umgekehrt folgen und in jedem Gebiete
am häufigsten auftreten, nicht, wenn die Sonne ihren höchsten Stand
erreicht hat, sondern zwei oder mehr Monate später, wenn das Meer-
[134]VI. Klima.
wasser seine höchste Temperatur besitzt und die darauf ruhende
Luftschicht besonders reich an Wasserdampf ist. In den kältesten
Monaten des Jahres kommen Wirbelstürme fast eben so wenig auf
dem Indischen Ocean, wie in dem östlichen Monsungebiete vor.
Die relative Häufigkeit der Taifúne nimmt im allgemeinen vom
38. Breitegrade, der Nordgrenze ihres Auftretens, nach Süden zu,
scheint auch auf der Ostseite der Inseln grösser zu sein, als im Westen,
und hängt ohne Zweifel mit dem Kuro-shiwo zusammen, dem sie
wenigstens theilweise folgen. Die deflectierende Wirkung des Kuro-
shiwo und der Tsushima-Strömung auf manche Taifúne hat sich auch
wieder bei denen im September 1878 gezeigt, welche E. Knipping
im 18. Hefte der Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft einer ein-
gehenden und interessanten Untersuchung unterwirft. Nebenbei scheint
das Binnenmeer, wenn auch nicht ein Ausgang, so doch ein besonders
geeigneter Weg für das Weiterschreiten der mehr südwärts entstehen-
den Drehstürme zu sein.
Von den letzten 10 Jahren war der Nachsommer 1874 durch ver-
heerende Taifúne besonders ausgezeichnet. Tafel IX gibt die meteoro-
logischen Beobachtungen, welche während des Verlaufes eines solchen
in Nagasaki angestellt wurden. Derselbe trat in der Nacht vom
20. auf den 21. August ein und richtete in ganz Hizen grosse Ver-
wüstungen an. Das Barometer war im Laufe des Tages von 759,0 mm
am Morgen bis 6 Uhr Abends um 15,5 mm gefallen; in den folgen-
den 6¾ Stunden sank es bis auf 719,8 mm, also im Laufe von
18 Stunden um 39,2 mm oder 1,45 p. Zoll, und stieg dann in den
folgenden 9 Stunden wieder bis beinahe zur normalen Höhe. Be-
merkenswerth ist ferner, dass die Temperatur bei Ausbruch dieses
Taifún hoch war und noch etwas stieg, dass heftige Regen voraus-
gingen, seinen Verlauf begleiteten und ihm noch 3 Tage lang nach-
folgten. Der Niederschlag während seiner Dauer betrug 57,9 mm
und an den drei folgenden Tagen sogar die enorme Menge von
351,8 mm, im ganzen also 409,7 mm oder mehr als 15 p. Zoll.
Noch sechs Tage lang nach dem Sturme war der Himmel stark be-
wölkt und traten häufig südwestliche Regenschauer ein.
Gross waren die Verheerungen, welche dieser Sturm an den
Häusern der Stadt, insbesondere auch auf Deshima, unter den Schiffen
im Hafen, sowie auf dem Felde anrichtete, und noch im folgenden
Jahre konnte man an vielen Orten seine Spuren verfolgen. Leider
war es nicht möglich, das ganze Verbreitungsgebiet dieses Sturmes
festzustellen; von dem, was sich noch weiter über ihn ermitteln liess,
möge das Wichtigste hier folgen:
[135]Luftdruck und Winde.
Der Dampfer Costa Rica war, während der Taifún im nordwest-
lichen Kiushiu wüthete, nur 150 Seemeilen davon entfernt auf seinem
Wege von Shanghai nach Nagasaki, ohne die mindesten Anzeigen
davon wahrzunehmen. In Yokohama herrschte zur Zeit desselben
und am folgenden Tage mässiger Südwind, der Himmel war schwach
bewölkt, das Barometer stand auf 756,2 mm und war seit zwei Tagen
nur wenig gefallen, das Thermometer zeigte 28°C.
Anders lagen die Verhältnisse im japanischen Binnenmeere und
seiner Nachbarschaft. Zwischen Hiroshima in Aki und Onomichi in
Bingo, etwa Mitte Weges von Shimonoseki nach Hiogo und unter
33° 20' N. und 133° O. Gr. trat der Sturm am 21. August 6 Uhr
15 Min. a. m. ein, und zwar von Norden her, drehte sich dann über
Ost nach Süd und Südwest, erreichte seine stärkste Entwickelung
um 10 Uhr 30 Min. Vormittags und sank gegen 2 Uhr Nachmittags,
als der Wind mit abnehmender Stärke von Westen blies. Schon
gegen Mittag am Tage zuvor hatte bei Windstille ein andauernder
Regen begonnen und dann an Stärke mit dem Sturme zugenommen.
In Hiogo fing das Barometer am 21. August Morgens 1½ Uhr
zu fallen an, um welche Zeit eine schwache Briese aus Nordost wehte.
Bei Tagesanbruch blies der Wind heftig aus Süden. Er nahm an
Stärke zu und entwickelte sich zu einem Taifún, der zwischen 11
und 12 Uhr seine bedeutendste Höhe erreichte, dann liess er rasch
nach, und es folgte ihm ein mässiger Westwind. Der niedrigste Baro-
meterstand, welcher beobachtet wurde, war 751,0 mm. Aus Allem
ergibt sich, dass Hiogo von der Sturmbahn weit entfernt war und
verhältnissmässig nur schwach vom Orkan berührt wurde.
In Yokohama machte sich am 13. September desselben Jahres
ein Taifún fühlbar, der seine stärkste Entwickelung in Awa und
Katsusa östlich der Yedo-Bucht erlangte. Seine Achse ging 25 See-
meilen östlich von Yokohama vorüber und beschrieb eine eigenthüm-
liche Bahn, welche nebst sonstigen Angaben in dem 6. Hefte der
Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft etc. in Yokohama dargestellt
ist, und zwar nach den Beobachtungen des Capt. Freiherr v. Reibnitz
an Bord der Arkona. Dieser Sturm begann für Yokohama um 6 Uhr
Morgens bei 756,0 mm Barometerstand und 21°C. mit Nordwind und
hatte um 3 Uhr p. m. seine grösste Stärke erreicht bei 728,5 mm Luft-
druck und 24°C. Wärme. Der Sturm war mittlerweile über O. nach
S. und SW. gegangen und wehte endlich aus NW. mit abnehmender
Stärke bei 25,5°C. und 749,0 mm Barometerstand. In Tôkio stand
um Mittag das Barometer auf 727,5 mm. Der Regen war schon seit
frühem Morgen und bei nahezu windstillem Wetter in Strömen ge-
[136]VI. Klima.
fallen, dann hatte sich der Sturm hinzugesellt und seine Drehung von
Nordost bis Nordwest gemacht, aber bei SW. seine grösste Stärke
erreicht. Die an diesem Tage niedergefallene Regenmenge betrug
80 mm. Bemerkenswerth ist ferner noch, dass während des ganzen
Verlaufes der beiden hier erwähnten Taifúne keinerlei wesentliche
Temperaturveränderung, namentlich aber kein Fallen des Thermo-
meters beobachtet wurde.
Seitdem Reye in seinem trefflichen Buche: »Die Wirbelstürme,
Tornados und Wettersäulen« nachdrucksvoller und überzeugender, als
es vor ihm bereits geschehen war, die durch Condensation atmosphä-
rischen Wasserdampfes freiwerdende Wärme als die bewegende Kraft
und erste Ursache solcher Drehstürme hingestellt und ihre Zuläng-
lichkeit mathematisch bewiesen hat, neigen wohl die meisten Meteoro-
logen von Fach seinen Ansichten zu. Für dieselben und gegen die
Dove’sche, wonach das Eindringen des oberen zurückkehrenden
Passats in den unteren die Ursache dieser Erscheinungen sei, sprechen
fast alle Thatsachen. Auch haben die Taifúne nichts mit den Monsun-
wechseln gemein, denn die Frühlingszeit ist frei davon. Berück-
sichtigt man, dass sie gleich den Cyclonen nur in den Monaten vor-
kommen, wo das Meer durch eine lang andauernde kräftige Insolation
am stärksten erwärmt, die Luft darüber verhältnissmässig ruhig und
mit Wasserdampf erfüllt ist, so wird man begreifen, dass irgend eine
Störung dieser Verhältnisse, wie das Eindringen eines kälteren Luft-
stromes, Wolkenbildung und eine Bewegung in der Luft in verticaler
Richtung, alsbald aber auch ein horizontales Herbeiströmen der schwe-
reren Luft von allen Seiten stattfinden muss. Die Drehung folgt dann
in Folge der Erdrotation und anderer Ursachen von selbst.
Im Einklang mit dieser Ansicht steht folgende Bemerkung des
Prof. Ferrel in der Am. Coast-Survey: »Die geringe barometrische
Depression, welche der Condensation des Wasserdampfes zu Wasser
folgt, bildet den Anfang einer Zuströmung der Luft nach einem
Centrum, welche durch die Kreisbewegung der Luftströmung und die
Drehung der Erde weitere Stärke und Richtung erhält. Hierin liegt
der Anfang und die Ursache der Wirbelstürme«.
Sehr beachtenswerth in dieser Beziehung ist besonders ein Artikel
von H. F. Blanford, dem indischen Staatsmeteorologen, in »Nature«
1878 pag. 328 und 329, betitelt: »The Genesis of Cyclones«, aus
welchem folgende Stelle hier Platz finden möge: »Wir finden, dass
die vorausgehenden Bedingungen für eine Cyclone leichte variable
Winde und Windstillen sind mit einem nahezu übereinstimmenden
Luftdruck rings um die Küste des Indischen Oceans, und nur im Süden,
[137]Luftdruck und Winde. Hydrometeore.
in der Nähe des Aequators, ist eine bemerkenswerthe Bewegung in
der Luft, nämlich von Westen her. Unter diesen Umständen fällt
der Luftdruck über irgend einem Theile des Bengalischen Golfes, am
häufigsten in der Mitte und besonders westlich der Adamanen. Diese
Region fallenden Luftdruckes ist charakterisiert durch Ströme von
Regen mit Anfangs nur wenig Wind; aber nach ein auch zwei Tagen
(zuweilen erst nach mehreren Tagen) dieses Wetters beginnt eine
cyclonische Circulation mit einer bemerkenswerthen Einströmung in der
Nachbarschaft der Wiege der Cyclone und so entsteht der Sturm«....
»Es wurde zuerst von Elliot die Thatsache bemerkt, dass während
des Entstehens einer Cyclone über dem Bengalischen Golf an den
Küsten ringsum wenig oder kein Regen fällt«.
Die Erfahrungen und Beobachtungen, welche hier Betreffs der
Cyclonen der Indischen Meere niedergelegt sind, gelten, wie man
leicht erkennt, auch für die Taifúne. Irrthümlich ist die verbreitete
Ansicht bezüglich der letzteren, dass sie stets von Gewittern begleitet
seien. Electrische Erscheinungen in der Atmosphäre sind im ganzen
östlichen Monsungebiete nicht häufig und werden nur ausnahmsweise
bei Wirbelstürmen wahrgenommen.
c. Hydrometeore.
Wolkenbildung, Feuchtigkeitsgehalt der Luft und Niederschläge,
welche wir unter vorstehender Ueberschrift betrachten wollen, haben
als meteorologische Elemente für das Klima sehr ungleichen Werth,
wenn sie auch in innigem Zusammenhang zu einander stehen und
Niederschläge, auf die es uns hier zumeist ankommt, ohne die beiden
anderen nicht denkbar sind. Für eine tägliche Periode der Bewöl-
kung liegen noch von keinem Orte Japans ausreichende Beobachtungen
vor, die jährliche wurde bereits bei Besprechung der Monsune ange-
deutet und hervorgehoben, dass im nordöstlichen Monsungebiete die
kältere Jahreszeit im allgemeinen den heitersten Himmel hat; doch
ist die Jahresamplitude der Bewölkung auf den japanischen Inseln
viel geringer als auf dem Festlande, oder mit anderen Worten, der
Unterschied der stärkeren Bewölkung während des Sommers gegen-
über dem Winter ist bei weitem nicht so auffallend als z. B. in China
und Sibirien, und es tritt desshalb auch der Gegensatz des heiteren
Himmels im Winter und des bewölkten im Sommer zum Mittelmeer-
gebiete, wo das Umgekehrte stattfindet, nicht stark hervor.
[138]VI. Klima.
Die relative Feuchtigkeit ist im allgemeinen im Sommer
am beträchtlichsten und im Süden Japans etwas grösser als im Norden.
Durchschnittlich beträgt sie 82 % für die warme, 71 % für die kalte
Jahreszeit und 76 % für das Jahr. Von der Regel, dass sie gen
Süden zunimmt, scheint Hakodate in so fern eine Ausnahme zu machen,
als hier im Sommer 85,6 %, im Winter 81 %, im Jahre aber 82 %
angegeben werden. Die Beobachtungen daselbst als zuverlässig an-
genommen, dürfte diese auffallende Abweichung auf die durch die
Tsugaru-Strasse, sowie die von Nordosten herkommende Meeresströ-
mung zurückzuführen sein; denn durch die Begegnung beider und
die Vermischung kalter und warmer Luftschichten lässt sich hier der
höhere Feuchtigkeitsgehalt der Luft eben so leicht verstehen, wie die
häufige Nebelbildung.
Was die Menge und Vertheilung der jährlichen Nieder-
schläge anlangt, so sind die meisten hierüber bis jetzt gemachten
Beobachtungen sehr lückenhaft und schon desshalb ungenügend, weil
sie sich über eine zu kurze Zeit erstrecken. Immerhin erkennen wir
daraus die wichtige Thatsache, dass diese Niederschläge durchweg
beträchtlich und viel ansehnlicher, als auf dem benachbarten Conti-
nente, dass sie über das ganze Jahr vertheilt sind, der wärmeren
Jahreszeit aber im allgemeinen in viel grösserer Menge zu Gute
kommen als der kalten.
Die nachstehende Uebersicht bestätigt das hier Gesagte. Fast
allenthalben sind die fünf Monate November bis März relativ trocken;
nur auf Yezo scheint eine gleichmässigere Vertheilung der Nieder-
schläge auf das ganze Jahr zu bestehen. Auffallend gross ist die
Jahresmenge von Tôkio und Yokohama gegenüber anderen Orten.
So lange indess nicht mehr Beobachtungen vorliegen und von grösseren
Zeiträumen, erscheint es als ein sehr fruchtloses Bemühen, die beim
Vergleich der Jahresmengen und ihrer Vertheilung sich ergebenden
Differenzen deuten zu wollen; denn bei keinem meteorologischen Ele-
mente sind dieselben in den verschiedenen Jahren so gross und be-
deutend, als gerade hier. So hatte beispielsweise San Francisco im
Jahre 1865 nur 11,73 Zoll Regen, ein Jahr darauf aber 34,04 Zoll,
also fast die dreifache Menge, und in Yokohama steht der hier ver-
zeichneten Menge von 1794 mm, als Mittel von siebenjährigen Beob-
achtungen des Dr. Hepburn, die einjährige des Dr. Mourier mit
nur 1058,4 mm gegenüber. Der Nachsommer und Herbst 1878 zeich-
neten sich durch besonders reiche Niederschläge aus, und das Land
litt in Folge derselben vielfach durch Ueberschwemmungen. In Tôkio
betrug nach Knipping die Regenmenge während des September
[139]Hydrometeore.
482 mm, und nach einer anderen Quelle fielen gegen die Mitte des
Monats in Yokohama 176 mm (6,9″ engl.) während 30 Stunden, ein
seit Menschengedenken nicht dagewesener Fall. Das Wasser der
Flüsse stieg um 3—5 Meter, trat über die Ufer und verwandelte
die Reisfelder in Seen.
Diese Beispiele mögen zur Bestätigung des oben Gesagten ge-
nügen, und den ungleichen Werth der nachfolgenden Zahlenangaben
erhellen.
Vergleichstabelle der jährlichen Niederschläge in Japan.
Wenn die Temperaturunterschiede während des Winters zwischen
Mittelmeergebiet und Japan zu Gunsten des ersteren sprechen, so
wird doch dieser Vortheil im Sommer, soweit die Vegetation in Be-
tracht kommt, durch die reichen Niederschläge in Nippon mehr als
aufgewogen; denn ihre Höhe wird in den Mittelmeerländern nirgends
erreicht. Für das mittlere Japan bringt der warme Monsun zwei
Hauptregenperioden, im September und Juni, denen sich Theile der
benachbarten Monate anschliessen, so dass jede etwa 6 Wochen um-
fasst. Die Frühsommer-Regenzeit führt den Namen Niu-bai, d. h.
wörtlich Pflaumenreife. Es ist die für den Reisbau wichtigste Periode,
während welcher der Regen oft in Strömen niederfällt. Manchmal
hält er mehrere Tage ohne Unterbrechung an, ja 1875 regnete es in
Iwade-ken (Nambu) unter dem 40. Parallel unaufhörlich vom 2. bis
10. Juli. Alle Flüsse traten aus ihren Ufern, durchbrachen die Dämme,
zerstörten Wege und Stege, führten Bäume und Häuser mit sich fort
und verwandelten lachende Felder in einförmige Schlammmassen.
Auf Niu-bai folgt Doyo, die Zeit der Hundstage, von Mitte Juli
bis Mitte oder Ende August, wo die Menge des Niederschlages be-
deutend geringer, die Hitze am grössten ist. Eine zweite und zwar
die bedeutendste Regenzeit umfasst den September und einen Theil
vom October. Die warmen, mit Feuchtigkeit beladenen Seewinde
scheiden dann in Folge der kürzeren Tage und grösseren Abkühlung
[140]VI. Klima.
des Landes eine sehr beträchtliche Menge Wasser aus; aber auch
der Monsunwechsel an und für sich hat um diese Zeit ansehnliche
Niederschläge zur Folge. Die Regenzeit im Frühsommer verspätet
sich weiter nördlich mehr und mehr und schliesst sich endlich auf
Yezo den Herbstregen an.
In Yokohama und Tôkio steht dem regenreichsten Monat Sep-
tember der Januar als trockenster gegenüber. Auf die vier Winter-
monate November bis Februar kommen nur 18 %, auf die acht übrigen
Monate des Jahres 82 % des ganzen Niederschlages, so dass sich die
relativen Mengen für die gleiche Zeit wie 9 : 20 verhalten.
Es gibt nur wenige Gebiete der Erde, welche in Bezug auf die
Menge und Vertheilung der jährlichen Niederschläge Japan gleichen.
Am meisten dürfte das bei den Golfstaaten Nordamerikas der Fall
sein, wo der Sommer ebenfalls die regenreichste Zeit des Jahres ist
und auch die Regenhöhe derjenigen Japans gleichkommt. So hat
Mobile 1626 mm, Baton Rouge 1528 mm, New-Orleans 1295 mm,
St. Augustin 1092 mm Niederschlag.
In den Ebenen auf der Seite des Stillen Oceans ist der Schnee-
fall unbedeutend. In Tôkio schneit es gewöhnlich 4—5 Mal im Januar
und Februar und zuweilen im März. Selten ist die Schneedecke
stärker als 10 cm und nur ausnahmsweise bleibt sie länger als 2—3
Tage liegen.
Ganz anders steht es im Norden und namentlich auf der Seite
des Japanischen Meeres und in den Gebirgen. Insbesondere bieten
die Provinzen des Hokuro-kudo zwischen 35° und 39° N. bemerkens-
werthe klimatische Eigenthümlichkeiten dar. In den Thälern dieser
Landschaft hüllt ein tiefer Schnee den Winter über den Boden ein,
und es bedeckt ein düsterer Wolkenschleier den Himmel, so dass
heitere Tage eine seltene Erscheinung sind. »Es ist, als ob es be-
ständig regnen wollte«, drückte sich ein Eingeborener dieser Gegend
dem Verfasser gegenüber mit Bezug auf diese Erscheinung aus. Dies
gilt vor allem von den Provinzen Kaga, Noto und Echiu, aber auch
Echigo, Shônai und Akita theilen im wesentlichen den Charakter
dieses Winters.
Ueberraschend ist das verschiedene Aussehen des Himmels auf
der Seite des Japanischen Meeres gegenüber dem Gebiete des Stillen
Oceans während dieser Jahreszeit. Wenn man z. B. Anfangs December
auf dem Wege von Niigata nach Tôkio nach langem Marsche durch
tiefen Schnee im Gebirge endlich die Höhe von Mikuni-tôge erreicht
hat, erblickt man ostwärts heiteren Himmel, der das Auge erfreut,
während ein tiefer Wolkenschleier die Landschaft nach dem Japanischen
[141]Hydrometeore.
Meere hin verhüllt. Dort scheint noch der Sommer zu weilen, hier
ist bereits der lange Winter eingezogen.
Im oberen Thale des Tetori-gawa der Provinz Kaga sind 700—
800 Meter über der See 6 Meter Schnee die Regel und 2 Meter eine
seltene Ausnahme. Dort bezieht man im Winter die oberen Räume
der Häuser, um das Tageslicht zu geniessen, und schnallt plumpe
Schneeschuhe an, um mühsam von Ort zu Ort gelangen zu können.
Aehnliche Verhältnisse findet man in manchem anderen Gebirgsthale
dieser Seite des Landes, während östlich von dem Gebirgskamme viel
bedeutendere Höhen kaum 25—36 cm Schnee haben.
In Echigo wird im November der Winter durch Gewitter und
Hagelstürme eingeleitet, das Gebirge aber schon vorher in sein Winter-
kleid gehüllt. Dann bringen im December N.- und NW.-Winde auch
der Ebene reichen Schneefall. Auf Niigata kommen im Winter 32
Schneetage. Der Schnee bedeckt auf dem freien Lande 1—2½ Meter
hoch den Boden und ist unstreitig für manches Gewächs, so für Camellie
und Theestrauch, ein wirksamer Schutz gegen die Winterkälte. Diese
erreicht ihr Maximum von etwa —9°C. Ende Januar oder zeitig im
Februar. Dass der Winter in diesem Gebiete nicht strenger auftritt,
dürfen wir zum grossen Theile ebenfalls dem reichen Niederschlage,
bedeckten Himmel und der dadurch frei werdenden Wärme, be-
ziehungsweise dem verminderten Ausstrahlungsvermögen der Erde zu-
schreiben.
Ganz anders gestaltet sich der Winter auf der Westseite des
Japanischen Meeres, z. B. zu Wladiwostok. Hier weist er nur 15—20
Schneetage auf, zeichnet sich aber sonst durch fast beständig klaren
Himmel ohne Wolken aus.
Die Erklärung der erwähnten Eigenthümlichkeiten des Winters
in den japanischen Landschaften längs des Japanischen Meeres ist
leicht. Wenn der kalte, trockene Nordwestwind des Continents über
das Japanische Meer streicht, vermischt er sich mit den feuchteren,
wärmeren Luftschichten daselbst und gelangt endlich mit höherer
Temperatur und feuchter nach Japan, dessen Temperatur um diese
Zeit bedeutend niedriger ist, als die des Meeres. Je nach dem Feuch-
tigkeitsgehalte der Luft und dem Maasse der nun folgenden Abküh-
lung findet dann eine Ausscheidung von Schnee schon in der Ebene
statt oder erst, wenn der Wind am östlichen Grenzgebirge derselben
anlangt und nun beim Emporsteigen an demselben seine Temperatur
ansehnlich verringern muss. Hat er endlich die Kammhöhe erreicht
und senkt sich jenseits derselben wieder, so nimmt hiermit und mit
seiner Verdichtung auch seine Wärme zu; er wird mehr und mehr
[142]VI. Klima.
untersättigt, und von Wolkenbildung kann dann natürlich keine Rede
sein. Daher schneit es auch in der Ebene von Kuwantô selten vor
Neujahr; denn erst wenn das Land hier, sowie das benachbarte Meer
beträchtlich abgekühlt sind, ist eine Condensation der Wasserdämpfe
zu Schnee möglich.
Gewitter sind in Japan weder häufig, noch heftig. In Yoko-
hama zählt man jährlich 4—10, die fast alle in den Sommer fallen.
I. Klima von Tôkio, 35° 40' nördl. Br.,
A. Nach dreijährigen Beobachtungen des Imperial Meteoro-
[143]Hydrometeore.
In Niigata ist die Zahl etwas grösser und vertheilt sich vorwiegend
auf den Nachsommer und Herbst. Das Gleiche gilt von der Insel
Yezo. Dass hier, wo die kalten, arktischen Strömungen des Meeres
dem Kuro-shiwo und der Tsushima-Strömung begegnen, Nebelbildungen
an der Küste häufig sein müssen, dürfen wir mit Sicherheit schliessen,
wenn auch über die Zeit ihres Eintretens und über ihre Verbreitung
noch wenige Beobachtungen vorliegen.
139° 45' 10″ ö. v. Gr. Seehöhe 19,2 Meter.
logical Observatory berechnet von O. Dersch, stud. geogr.
Klima von Tôkio, 35° 40' n. Br.,
B. Nach fünfjährigen Beobachtungen
II. Klima von Yokohama, 35° 26' n. Br.,
Nach siebenjährigen Beobachtungen von Dr. Hepburn
139° 47' 0. Gr. Seehöhe 7 Meter.
von E. Knipping. (1873—1877.)
139° 49' 0. Gr. Seehöhe 7 Meter.
(1863—1869), die Extreme nach zweijährigen Beobachtungen.
[146]VI. Klima.
III. Klima von Ôsaka, 34° 20'
Nach den Beobacht. von Dr. Gratama,
IV. Klima von Nagasaki, 32° 44'
Nach 10jährigen Beobachtungen auf Deshima,
(Die Hydrometeore beziehen
V. Klima von Nafa (Riukiu-Inseln).
Nach Beobachtungen des Pater Furet, Decbr.
nördl. Br., 135° 19' 0. Gr.
December 1869 bis Januar 1871.
nördl. Br., 129° 42' 0. Gr.
angestellt in 8 Meter Seehöhe, 1845—1855.
sich blos auf das Jahr 1872.)
26° 13,3' n. Br., 128° 43,6' 0. Gr.
1856 bis September 1858. 10 Meter Seehöhe.
[148]VI. Klima.
VI. Klima von Niigáta.
A. Nach fünfjährigen Beobacht. von Consul
Temperatur
B. Nach den Beobachtungen von
VII. Klima von Hakodate,
Nach neunjährigen Beobachtungen von
37° 55' n. Br., 139° 10' 0. Gr.
Leysner, Station in 6,5 Meter Seehöhe.
nach Celsius.
Consul Enslie 1870—1871.
41° 46' n. Br., 140° 45' 0. Gr.
Albrecht, Kosteroff und Blakiston.
VIII. Klima von Sapporo, 43° 3' 56″ n. Br.,
Nach 16-monatlichen Beobachtungen (September 1876 bis Januar 1878)
141° 22' 49″ 0. Gr. Seehöhe 23 Meter.
im Agricultural College zusammengestellt und reduciert von O. Dersch.
IX. Der Taifún zu Nagasaki in der Nacht vom
20. auf den 21. August 1874.
Beobachtet 47 Meter über der See; die Beobachtungen auf das Meeresniveau
reduciert von Dr. A. Geertz.
VII.
Die Flora der japanischen Inseln.
A. Dauer der Vegetationsperiode.
Bei früheren Gelegenheiten wurde bereits des Reichthums, der
grossen Mannigfaltigkeit und Ueppigkeit der japanischen Vegetation
gedacht, welche das Land für den Botaniker und Pflanzengeographen
zum interessantesten Gebiete ausserhalb der Tropen machen *). Schon
aus diesem Grunde könnte es nicht auffallen, dass von den Tagen
Engelbert Kaempfer’s an bis auf die Gegenwart keinem Theil der
Naturgeschichte Japans so viel Aufmerksamkeit und geistige Kraft
zugewandt wurde, wie der Flora. Die meisten hervorragenden Natur-
forscher, welche Japan besuchten, waren Botaniker und sammelten
und beschrieben seine Gewächse: Kaempfer, Thunberg, v. Sie-
bold, Bürger und verschiedene andere Aerzte und Apotheker im
Dienste der holländischen Compagnie, vornehmlich um Nagasaki;
Maximowicz hier, bei Yokohama, Hakodate, am Fuji-san und
anderwärts; Savatier, Vidal und Dickins im Gebiete des Ku-
wantô; Wright und Hodgson in der Nachbarschaft von Hako-
date; und unter denen, deren Sammel- und Beobachtungsgebiet be-
sonders umfangreich war und sich namentlich auch auf die Vegetation
der hohen Gebirge erstreckte, werde ich neben Kramer auch mich
nennen dürfen. Und mit diesen vielen Namen ist die lange Liste
derer, welche zur Erweiterung unserer botanischen Kenntnisse jenes
Inselreiches beitrugen, noch lange nicht erschöpft. Zu ihnen gesellen
sich Männer, wie Zuccarini, Miquel, Grisebach, Asa Gray,
Sir William und Sir Joseph D. Hooker, welche zum Theil das von
[154]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Jenen Gesammelte ordnen und bestimmen halfen und sich daneben
die viel schwierigere Aufgabe stellten, die vielen Beziehungen der
japanischen Pflanzenwelt zu den Floren anderer Länder zu deuten.
Ein anderer Grund, wesshalb die Flora von Nihon am längsten
und besten bekannt ist, lange bevor andere Theile seiner Naturge-
schichte genügende Beachtung fanden, liegt in den hundertfachen
nahen Beziehungen der Eingeborenen zur Pflanzenwelt. Die alte
chinesische Heilkunde insbesondere, welcher man bis zur Restauration
folgte, machte die Erkenntniss und genaue Bestimmung durch Wort
und Bild von hunderten von Gewächsen nöthig, und der ausgebildete
Natursinn, insbesondere die Freude an schönen Blumen, that das
Uebrige. Kein anderes Volk der Erde besitzt eine so alte und aus-
gebildete Pflanzen-Nomenclatur, wie die Japaner. Diese landesüb-
lichen Namen für eine so grosse Anzahl wildwachsender Gewächse
sind einer der besten Beweise dafür, dass Naturanschauung und
scharfe Beobachtung sich hier schon sehr frühzeitig entwickelten. So
fand denn bereits Thunberg japanische Kräuterbücher mit guten
Abbildungen vor, unter denen namentlich eins, Kwawi, obenan steht,
dem später andere Werke, wie Sômoku Zussetzu und Phonzo zufu
sich ebenbürtig angereiht haben. Von den noch lebenden eingeborenen
Botanikern Japans aber, die sich um die bessere Kenntniss der Pflan-
zenwelt ihres Landes besonders grosse Verdienste erworben haben,
nenne ich den ehrwürdigen Ito Keiske, der als Greis im Silber-
haar sich die jugendliche Frische und Energie bewahrt hat, mit
welcher er vor Jahrzehnten als junger Mann so wesentlich zu den
Erfolgen v. Siebold’s beitrug.
Die lange Dauer der kälteren Jahreszeit beschränkt die Vegeta-
tionsperiode der meisten Gewächse in Yezo auf fünf, im mittleren
Japan auf sechs und im südlichen auf sieben Monate des Jahres und
unterbricht auch das Wachsthum aller Holzgewächse, selbst der immer-
grünen. Alle zeigen daher, wie dies in allen Ländern mit niedrigen
Wintertemperaturen und einem regelmässig wiederkehrenden Stillstand
des Wachsthums vorkommt, deutliche Jahresringe und liefern nur
wenige schwerere Hölzer, und diese nur im südlicheren Theile, wie
das Holz von Buxus, Distylium racemosum und immergrünen Eichen.
Man hat wohl als Beispiel für die Eigenthümlichkeiten Japans
hervorgehoben, dass hier neben dem Bambusrohr, der Palme und der
lorbeerblätterigen, wintergrünen Eiche die nordische Kiefer gedeiht
und man die blattwechselnden Baumtypen unserer Wälder wieder
findet, ferner bezüglich des Thierreiches neben dem Affen den Bären.
In gewisser Beziehung ist dies richtig; betreffs der Palmen muss
[155]Dauer der Vegetationsperiode.
jedoch, wie für das Bambusrohr, hinzugefügt werden, dass dieselben
nur in Folge der Cultur nordwärts bis zur Bucht von Yedo und stellen-
weise noch höher hinauf vorkommen, nicht wild wachsend. In höherem
Grade gilt dies noch von Cycas revoluta Thbg., die selbst im süd-
lichen Kiushiu nur ausnahmsweise Blüthen und Früchte entwickelt,
in Tôkio aber durch Umwickeln mit Stroh gegen die Nachtfröste des
Winters geschützt wird.
Die Früchte der Agrumen reifen nur noch an wenigen geschützten
Stellen nördlich des 34. Breitegrades, und die herrlichen Mandarin-
orangen, welche man in Tôkio in Menge billig zu Markte bringt,
stammen aus den warmen Thälern von Kiushiu an der Linschoten-
strasse.
Der Pflanzengeograph wird erkennen, dass unter solchen Um-
ständen von einer Cultur des Zuckerrohres im gewöhnlichen Sinne
selbst auf Kiushiu keine Rede sein kann, und in der That, wo dies
Gewächs in beschränktem Maasse im südlichen Japan gebaut wird,
wie in Owari, Tosa, Satsuma und anderen wärmeren Provinzen, pflegt
man Ableger im dritten Monate des Jahres in die Erde zu stecken
und die Rohre schon im neunten Monate, also nach kaum sechsmonat-
licher Vegetationsdauer, zu ernten.
Wenn Ende September die Reisfelder ihr Grün verlieren und im
Gehölz der Häher schreiend umherfliegt, färbt sich auch der Berg-
wald. Sein Herbstkleid übertrifft an Schönheit und Verschiedenartig-
keit der Muster und Farben das vielgepriesene der nordamerikanischen
Wälder. Insbesondere liefern Eichen und wilde Prunus, Verwandte
unserer Kirschbäume, wie Prunus Pseudo-cerasus, wilde Reben und
Sumacharten, namentlich der schlingende Rhus Toxicodendron, ver-
schiedene Ahornarten, der Dôdan (Enkianthus japonicus Hook. im
Herbst, wenn seine Blätter sich röthen, mit Acer polymorphum die
grösste Zierde japanischer Gärten), Birken und andere Holzgewächse
in ihren Blättern ein überaus buntes Farbengemisch von tiefbraun,
durch purpurroth zu gelb und weiss; und wo zu diesen vielen Far-
bentönen der absterbenden Blätter und anderen der reifen Früchte
sich das tiefe dunkelgrüne Laub immergrüner Gewächse gesellt, wie
mehr im Süden, da bietet das Bild nur noch grössere Contraste und
Vielseitigkeit.
Gegen Ende October ist das sommergrüne Gehölz kahl, wie bei
uns, und es gibt nur noch wenige Gewächse, die nicht ihre Winter-
ruhe angetreten haben. Es sind dies vor allem immergrüne Sträucher
und Bäume, welche ihre Knospen bereits gegen den Herbst vorge-
bildet hatten und zur Entfaltung ihrer Blüthen keiner hohen Tempe-
[156]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
ratur, sondern nur der Besonnung während des Tages bedürfen, so
dass bei ihnen die Florescenz in die ersten Wintermonate fällt. Hier-
her gehören Olea aquifolium S. und Z., Aralia japonica Thbg. und
einige andere Araliaceen, welche im November blühen, Thea chinensis
Sims. und Camellia Sasanqua Thbg., deren Blüthezeit in den November
und December fällt und bei denen schliesslich Nachtfröste die letzten
Knospen zerstören, einige Arten Daphne, welche im Januar und
Februar zur Blüthe kommen, und vor allem auch Camellia japonica,
die in dieser Zeit zuweilen den überraschenden Anblick gewährt,
Blüthen und Schnee zugleich zu tragen, deren Blüthezeit sich aber
bis in den April verlängert.
Unter den Kräutern finden wir noch weniger Arten, deren Blüthe-
zeit in den Spätherbst fällt oder gar in den eigentlichen Winter hinein-
ragt, wie bei einigen Compositen, insbesondere bei Pyrethrum und
Aster. Der Rasen verliert in weit höherem Grade in der kalten
Jahreszeit seine grüne Farbe, als bei uns, und erscheint graubraun
und abgestorben.
Anfangs April ist selbst in südlich gelegenen Landestheilen, wie
in der Nachbarschaft des Seto-no-uchi-umi, die Vegetation noch sehr
zurück. Einer der Lieblinge des japanischen Volkes, die Mumepflaume
(Prunus Mume S. und Z.) hat sich zwar schon sechs Wochen vorher in
den Gärten und Tempelhöfen mit weissen oder rosafarbenen Blüthen
bedeckt und gleich den gelben Glöckchen der Forsythia suspensa
Vahl. den Frühling und das Wiedererwachen der Natur angekündet,
aber nur wenige Gewächse, wie Isopyrum adoxoides DC., Magnolia
stellata Maxim., Berberis sinensis Desf., Corydalis Wilfodti Reg.,
Draba nemoralis, Capsella Bursa pastoris Moench., Amygdalus persica
L., Rubus corchorifolius L., Chrysosplenium macrostemon Cham.,
Distylium racemosum S. und Z., Hamamelis japonica S. und Z.,
Aucuba japonica Thbg., Taraxacum officinale Wigg., Veronica agrestis
und Veronica hederaefolia, Lamium amplexicaule, Ulmus campestris
und Narcissus Tazetta L. folgen schon im Februar oder März ihrem
Beispiel. Die Zahl der blühenden Gewächse steigt zwar im April,
bleibt jedoch noch unter 3 % der Gesammtflora. Ausser verschiedenen
der vorerwähnten Pflanzen fand ich Ende März 1875 folgende in der
Nachbarschaft von Kiôto in Blüthe: Illicium religiosum L., Euptelea
polyandra S. und Z., Skimmia japonica Thbg., Eurya japonica Thbg.,
Parapyrola trichocarpa Miq., Chrysosplenium alternifolium B., Mer-
curialis leiocarpa S. und Z., Oxalis Acetosella L., Bothryospermum
tenellum Mey, Corydalis aurea Willd., Clematis Williamsii As. Gr.,
Coptis quinquefolia Miq., Andromeda japonica Thbg., Camellia japo-
[157]Dauer der Vegetationsperiode.
nica L., Populus tremula L. und Petasites spurius Reich., Cymbidium
virens Ldl., Helionopsis japonica Maxim., Asarum variegatum Al. Br.,
Arum japonicum Bl.
Die hervorragendsten Winterfrüchte, Gerste, Weizen und Raps,
welche Ende October in Reihen gesäet werden, treiben im November
und Anfangs December kräftige Rasen und bedecken die betreffenden
Felder den Winter über mit schönem Grün. Gegen Mitte December
aber hört auch im gemässigten Japan ihre Entwickelung auf und ruht,
bis die warme Frühlingssonne sie von neuem weckt. In der Ebene
von Ôsaka zeigt der Raps Anfangs April seine ersten Blüthen; bei
Nagasaki ist seine Entwickelung zur selben Zeit um etwa 14 Tage
weiter vor. Dort, wie überall im südlichen und mittleren Japan, fällt
seine Reife, wie die der Gerste, in den Anfang Juni, während die
Weizenernte zwei Wochen später stattfindet. Die Entwickelungsperiode
des Weizens ist in Japan um beinahe zwei Monate länger als auf
Malta unter gleicher Breite, nämlich 210 Tage gegen 160, weil dort
ein mehrmonatlicher Stillstand eintritt, hier aber selbst der kälteste
Tag mit 10°C. noch warm genug ist, um das Wachsthum zu fördern.
Die zum Theil grossen Differenzen, welche sich im Vorsommer in
der Zeit der Blüthe und Fruchtreife derselben Gewächse je nach der
geographischen Breite, unter welcher sie wachsen, zeigen, bestehen
in Japan wie in Europa bei den im Nachsommer und Herbst zur
Florescenz und Samenreife gelangenden Arten nicht, oder doch nicht
in gleichem Maasse. Es scheint sonach auch hier die in höheren
Breiten im Hochsommer durch längere Tagesdauer gebotene vermehrte
Insolation stark zu Gunsten der Entwickelung zu compensieren. Dass
dieser Ausgleich aber die früh blühenden Gewächse nicht wesentlich
berührt, hat wohl vornehmlich darin seinen Grund, weil neben der
Dauer der Besonnung auch die Stärke der Erwärmung in Betracht
kommt, und diese eben in höherer Breite viel später die für das
Wachsthum einer Pflanzenart nothwendige untere Grenze erreicht.
Wie die niedrigen Temperaturen des langen Winters die Vege-
tation im Vergleich zur Mittelmeerregion zurückhalten, zeigt sich auch
bei einem japanischen Obstbaume, der Eriobothrya japonica Lindl.,
den die Engländer nach ihren meisten tropischen und subtropischen
Colonieen verpflanzt haben und dessen Früchte in Gibraltar schon
Mitte April reifen, während sie in Ôsaka und Tôkio erst Anfang Juni
auf den Markt kommen.
Im Norden Japans geht der Winter, wie in den Ländern mit
continentalem Klima, rasch in den Sommer über, und der Wald ist in
kürzester Zeit wieder grün; im Süden findet dieser Uebergang ganz
[158]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
allmählich statt. Auf der Insel Amakusa und im benachbarten Kiushiu
waren die meisten blattwechselnden Holzgewächse in der zweiten
Hälfte des April wieder neu belaubt; Rhus succedanea L. und Casta-
nea vulgaris Lamk. hatten ihre jungen Blätter zum Theil entwickelt,
und nur die Albizzia Julibrissin Bow. (Mimosa arborea Thbg.) zeigte
noch ihr unverändert winterliches Ansehen, ja noch einen Monat später,
Mitte Mai, fanden wir diesen kleinen Baum in den Bergwaldungen
der Insel Shikoku in etwa 800 Meter Höhe völlig blattlos, so dass
sein japanischer Name »Nemu, Schläfer« nicht blos wegen der Reiz-
barkeit seiner Blätter und des Schlafens während der Nachtzeit auf
ihn passt.
Aber im südlichen Japan gibt es ausser dem allmählichen Ueber-
gang der zwei extremen Jahreszeiten in einander noch einen anderen
Grund, wesshalb der Sommeranfang nicht besonders überrascht. Die
blattwechselnden Gehölze der Waldungen und Haine sind hier näm-
lich mit immergrünen zu sehr vermischt, als dass ihre neue Belau-
bung besonders auffallen könnte. Dazu kommt, dass die winter-
grünen Bäume und Sträucher, einschliesslich des Bambusrohres, um
diese Zeit eine Art Mauser durchmachen. Ihre alten Blätter haben
den gewohnten Glanz verloren, sterben ab und weichen jungen, die
erst hellgrün, wie beim Kampferbaume, oder weisslich und röthlich,
wie bei verschiedenen immergrünen Eichen, nur allmählich in tiefes,
glänzendes Dunkelgrün übergehen.
Anfang Mai, wenn die Felder mit Sommerfrüchten bestellt werden
und aus dem neubelaubten Gebüsch der flötende Gesang der Unguisu
(Ficedula coronata) ertönt, ist der volle Sommer da, und nun beginnt
unter einer kräftigen Insolation, gepaart mit reichen, häufigen Regen-
güssen, die Vegetation jene Mannigfaltigkeit und Fülle zu entwickeln,
die an die Tropen erinnert und im Mittelmeergebiet nirgends zu finden
ist. Diesen warmen, befruchtenden Sommerregen verdankt Japan
sein reiches Pflanzenkleid und die Möglichkeit, auf demselben Felde
zweimal im Jahre ernten zu können.
B. Formationen und Regionen der Vegetation.
Obgleich die vier grossen Inseln Kiushiu, Shikoku, Honshiu und
Yezo und dazu noch das südliche Sachalin sich ihrer Lage und ihrem
wesentlichen Pflanzencharakter nach innig an einander anschliessen,
so bilden sie doch, wie genügend gezeigt wurde, weder klimatisch,
[159]Formationen und Regionen der Vegetation.
noch orographisch ein einheitliches Gebiet. Die nachfolgenden Er-
örterungen über die pflanzengeographischen Verhältnisse beziehen sich
aber vorzugsweise auf die drei südlichen Inseln, da ich Yezo aus
eigener Anschauung nicht kenne und von anderer Seite die Flora der
Insel nicht so durchgearbeitet ist, dass ich sie überall mit hätte be-
nutzen können.
Innerhalb einer geographisch begrenzten Pflanzenregion finden
wir in Folge beträchtlicher Unterschiede in der geologischen Be-
schaffenheit des Bodens, im Maasse der demselben zu Theil werden-
den Feuchtigkeit und Erwärmung, die Gewächse nach ihren ungleichen
Bedürfnissen gruppiert und dadurch physiognomisch verschiedenartige
Abschnitte in der Landschaft geschaffen, welche man Vegetations-
bilder oder Vegetationsformationen nennen kann. Mit Bezug hierauf
vermögen wir in Japan die Dünensandflora, die Vegetation der süssen
Gewässer, der Hara, der Busch- und Hügellandschaft, des Gebirgs-
waldes und des Hochgebirges zu unterscheiden.
Die Flora des japanischen Dünensandes, beeinflusst
und bedingt durch den Dünensand und Salzstaub des Meerwassers,
ist zwar nicht sehr artenreich, noch allenthalben dieselbe, wird aber
durch einige allgemeine Eigenschaften und eine Anzahl sehr häufig
vorkommender Gewächse charakterisiert. Viele folgen in ihrem Wuchse
dem Charakter der meisten Sand- und Salzpflanzen überhaupt und
entwickeln entweder ein starkes, tiefdringendes Wurzelwerk, während
der oberirdische Theil sich wenig erhebt, vielmehr vorwiegend sich
über den Boden ausbreitet, oder sie bekommen durch ihre dicken
fleischigen Blätter den Charakter der Succulenten. Die japanischen
Namen dieser Strandpflanzen sind fast immer Composita aus dem
Worte hama (ein flacher, sandiger Strand) und dem Namen anderer
Gewächse, an die sie mehr oder weniger erinnern mögen. Folgendes
ist eine Liste der hierher zu rechnenden Species:
Arabis perfoliata Lam., Dianthus japonicus Thbg., Honckenya
peploides Ehrbg., Eurya chinensis R. Br., Hibiscus Hamabo S. und Z.,
Tribulus terrestris L., Paliurus aubletia R. und Sch., Lathyrus mari-
timus Big., Canavalia lineata DC., Raphiolepis japonica S. und Z.,
Phellopterus littoralis Sr. und Sch., Selinum japonicum Miq., Angelica
Kiusiana Maxim., Peucedanum japonicum Thbg., Aster Tripolium L.,
Eclipta alba Hask., Wedelia calendulacea Less., Leucanthemum arcti-
cum DC., L. nipponicum Fr. und Sav., Pyrethrum marginatum,
P. Decaisneanum Maxim., Artemisia capillaris Thunbg., A. japonica
Thbg., Gynura pinnatifida DC., Ixeris repens A. Gray, I. integra
Miq., Calystegia soldanella Br., Tournefortia arguzia R. und Sch.,
[160]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Mertensia maritima Don., Linaria japonica Miq., Lippia nodiflora Rich.,
Vitex trifolia L., Statice japonica, Chenopodium accliminatum Willd.,
Atriplex littoralis L., A. Gmelini May, Kochia scoparia Schrad.,
Schoberia maritima Miq., Salsola soda L., Polygonum maritimum L.,
Juniperus littoralis Maxim., Crinum asiaticum L., Carex macrocephala
Willd., C. Satsumensis F. und S., C. Bongardi Boott., C. pumila Thbg.,
Polypogon littorale Sim.
Von diesen sind hervorzuheben: Rosa rugosa (Hama-nashi oder
Küstenbirne), Juniperus littoralis (Hama-matsu, d. h. Dünenkiefer),
Lathyrus maritimus Bigel (Hama-endo oder Dünenerbse), Calystegia
soldanelloides (Hama-hirugao oder Dünenwinde), Selinum japonicum
(Hama-ninjin oder Küstenmöhre), Carex macrocephala (Hama-mungi
oder Dünengerste).
Die Rose und der Wachholder sind namentlich an den nördlichen
Küsten ausserordentlich verbreitet. Den grossen rothen Blüthen der
ersteren folgen ansehnliche flach sphäroidische oder birnförmige Hage-
butten, welche die Eingeborenen, sowohl Ainos als Japaner, gern
essen. Der Küstenwachholder hat einen sehr bizarren Wuchs und
sticht, namentlich in der kälteren Jahreszeit, mit seinen tiefgrünen
Nadeln und grossen blaubereiften Beeren scharf ab gegen den fahlen
Sand und die abgestorbene sonstige Vegetation.
Hat die dem Wellenschlage des Meeres entrückte Düne durch
die Ansiedelung der vorerwähnten Gewächse den nöthigen Halt ge-
wonnen, so wird sie durch die Anpflanzung der Pinus Massoniana S.
und Z. (Kuro-matsu, d. h. Schwarzkiefer) nutzbar gemacht, wie es
z. B. zwischen Niigata und dem Meere, an der Küste von Tôtomi,
sowie an sehr vielen anderen Orten geschehen ist. Die Genügsam-
keit dieses Baumes übertrifft bei weitem diejenige der Aka-matsu oder
Rothkiefer (Pinus densiflora S. und Z.), welche an so sandigen, un-
fruchtbaren Stellen kaum noch fortkommen würde.
Sumpf- und Wasserpflanzen.
Japan hat weder Heiden, noch Moore. Das charakteristische
Heidekraut der ersteren kommt nicht vor und die Torfmoose der letz-
teren (Sphagnum, Leucobryum) sind auf verhältnissmässig so wenige
und so unbedeutende Stellen des Landes beschränkt, dass man monate-
lange Gebirgsreisen unternehmen kann, ohne ihnen zu begegnen. Daher
fehlen entweder die an unsere Brüche und Moore gebundenen Pflanzen
ganz, wie Pinguicula, deren Typus durch Helionopsis vertreten wird,
Tofieldia, Scheuchzeria, oder sie sind wie Drosera rotundifolia, Ledum
[161]Formationen und Regionen der Vegetation.
palustre, Rubus Chamaemorus, Andromeda polifolia und andere mehr
auf den nördlichsten Theil des Landes und einzelne Berggipfel be-
schränkt.
Eine eigenthümliche Vegetation entwickelt sich auf und in dem
schlammigen Wasser der Reissümpfe und ähnlicher stagnierender Ge-
wässer. Hier bemerken wir vor allem neben der bekannten Calli-
triche verna L. die Azolla pinnata R. Br., welche gleich ihrer nahen
Verwandten, der Salvinia vulgaris Michx., oft ganze Strecken des
Wasserspiegels bedeckt und namentlich im Spätherbst nach der Ernte
sehr häufig getroffen wird. Die Namen der übrigen Gewächse, welche
sich vorwiegend in den überschwemmten Reisfeldern und ihren Be-
wässerungsgräben angesiedelt haben, mögen in systematischer Ord-
nung hier folgen:
Elatine alsinastrum L., E. triandra Schk., Ammania verticillata
L., A. japonica Miq., Ludwigia ovalis Miq., L. prostrata Roxb.,
Myriogyne minuta Less., Vandellia angustifolia Benth., V. erecta Benth.,
V. pachypoda Fr. und Sav., Polygonum Posumbu Hmlt., Alisma
Plantago L., Sagittaria pygmaea Miq., Blyxa Roxburghii Rich., Ottelia
alismoides Pers., O. japonica Miq., Monochoria vaginalis Presl., Pon-
tederia plantaginea Kunth. Von letzterer ist die Varietät cordifolia
besonders häufig, auch in den Sümpfen und Teichen von Yezo, Be-
richten von Böhmer zufolge. Juncus alatus F. und S., Cyperus
pygmaeus Rottb., C. paniciformis F. und S., C. difformis L., C. trun-
catus Turcz., Beckmannia erucaeformis Host., Jachne australis R. Br.
Die bemerkenswerthesten Gewächse, welche wir an der Ober-
fläche der zahlreich bei Tempeln und als Reservoire zur Bewässerung
der Reisfelder angelegten Teiche, sowie auch bei natürlichen der-
artigen Wasserbecken treffen, sind Leichkräuter und Wassernüsse
(Potamogeton natans L., P. crispus L., P. polygonifolius Pourr., P.
hybridus Michx. und Trapa bispinosa Roxb.). Seltener und mehr in
den nördlichen Theilen des Landes findet man Nuphar japonicum DC.
und Nymphaea tetragona Georgi, während die übrigen Nymphaeaceen
entweder, wie Brasenia peltata Pursh. und Euryale ferox Salisb., sich
auf einzelne Gebiete beschränken, oder wie die reizende Lotosblume
(Nelumbo nucifera Gaertn.) nur der Cultur ihr Dasein verdanken und
offenbar erst mit dem Buddhismus in das Land kamen. Brasenia
peltata Pursh. (japanisch Junsai, Limnanthemum peltatum Griseb.) soll
viel auf den flachen Seen von Yezo vorkommen und den Ô-numa
oder »grossen Sumpf« in Ôshima ganz bedecken.
Von batrachischen Ranunkeln kommt nur einer und zwar keines-
wegs häufig vor, vornehmlich in langsam fliessendem Wasser, nämlich
Rein, Japan I. 11
[162]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Ranunculus Drouctii Schultz. Ausserdem bemerken wir an den Rän-
dern der stehenden und langsam fliessenden Gewässer vornehmlich
noch folgende, meist selten auftretende Arten: Montia fontana L.,
Myriophyllum verticillatum L., M. spicatum L., Inula, Villarsia crista
Galli Grsb., Menyanthes trifoliata L., Limnanthemum nymphoides Lk.,
Veronica Anagallis L., Sparganium longifolium Turcz., Lemna sp.
Spirodela polyrhiza Schl., Najas major All., N. minor All., N. serri-
stipula Maxim., Sagittaria sagittaefolia L., Hydrilla verticillata Casp.,
Vallisneria spiralis L., Hydrocharis asiatica Miq., Alpinia japonica
Miq., Cyperus complanatus Presl. und andere Arten, Scirpus in vielen
Species, Isolepis sp. Paspalum brevifolium, Phragmites communis
Trin., P. Roxburghii Kunth, von denen vornehmlich die beiden letz-
teren sehr verbreitet sind, vornehmlich in den Bewässerungsgräben
der Reisfelder.
Das Gebüsch der Hügellandschaften.
Wellenförmige Hügellandschaften, in denen der Ackerbau sich
auf enge Thälchen und kleine Mulden beschränken muss, finden sich
in Japan sehr häufig. Die flachrückigen Hügel und ihre Vegetation,
welche ihnen den eigenthümlichen Charakter verleihen, erheben sich
in der Regel nur 100—300 Meter hoch über die See. Dieselben sind
sehr verschiedenen Ursprungs. In dem einen Falle, wie z. B. in
der Hügelregion, welche ansehnliche Theile der Provinzen Mino, Mi-
kawa, Owari und Omi umfasst, bestehen die Anhöhen vornehmlich
aus Thonen und Sanden, den unlösbaren Zersetzungsproducten eines
stark verwitterten Granitgebirges, welche häufig mit diluvialem Kiesel-
geröll überlagert sind, wie in der Gegend von Seto in Owari, oder
aus Kieselschiefern, die vielleicht wie die Kalke bei Akasaka zur
Kohlenformation zu rechnen sind. Anderwärts, wie an der Bucht
von Yedo und Sendai, sind jungtertiäre Bildungen vielfach mit Lapilli
und vulkanischer Asche überlagert und haben Erosion und säculäre
Hebungen Hügel geschaffen, die ein ganz ähnliches Pflanzenkleid
tragen. Auch kommen Hügelzüge, die ganz dem älteren Schieferge-
birge angehören, häufig vor.
Der Grundcharakter aller dieser Hügel, welches auch ihr geolo-
gischer Aufbau sein möge, ist der, dass sie entweder mit lichten
Kiefernwaldungen, vornehmlich von Pinus densiflora, oder mit nie-
derem Gebüsch bedeckt, stellenweise wohl auch ganz nackt sind.
Die Unfruchtbarkeit und Trockenheit des Bodens wird durch die meist
krüppelhafte Entwickelung der Kiefern (Pinus densiflora und Pinus
Massoniana S. und Z.) und anderer Bäume, sowie das Vorherrschen
[163]Formationen und Regionen der Vegetation.
von Adlerfarren (Pteris aquilina L.) und Stechweiden (Smilax China
L. und anderen Arten) genügend angezeigt.
Immergrüne Sträucher, wie Juniperus rigida S. und Z., Eurya
japonica, Aucuba japonica Th., Photinia villosa DC., Pittospora
Tobira Ait., Gardenia florida L. und andere sind im mittleren Japan
mit blattwechselnden, wie Azaleen, Vaccinieen, Deutzien, Rosen, Rhus
sylvestris S. und Z., mit Gräsern, Kräutern und Trockenheit lieben-
den Farrenkräutern bunt gemischt; und wenn im Vorsommer Alles
grünt und blüht und sich der Harzgeruch zu dem Blüthendufte gesellt
und das Schleifen und Zirpen unzähliger Cicaden von den Stämmen
und Aesten der Kiefern herunter zu dem Summen und Schwirren
honigsammelnder Insecten: dann bieten auch diese, sonst weniger
ansprechenden Landesstrecken belebte, lehrreiche Bilder. So sind in
Satsuma z. B. schon im April die niedrigen unfruchtbaren Hügel be-
deckt mit einem Gemisch rothblühender Azalien- (Rhododendron Indi-
cum) und weissblühender Deutzienbüsche, der Anemone cernua, welche
an unsere Küchenschelle erinnert, Osmunda regalis und anderer Ge-
wächse und erscheinen auf den ersten Blick nicht wie ein freies
Naturprodukt, sondern mehr wie eine künstliche Anlage.
Die Hara.
In den Thalsohlen und kleinen Ebenen wird jeder Fleck cultivier-
baren Landes sorgfältigst benutzt, vornehmlich zur Reiscultur. Wiesen
und Weideland in unserem Sinne gibt es eben so wenig, wie unkraut-
nährende Brachfelder. Die ursprüngliche Physiognomie der Natur
und der Reichthum an Gewächsen ist hier verschwunden und hat
sich auf höher gelegene, der Bewässerung nicht zugängige und dem
Feldbau nicht unterworfene Gebiete zurückgezogen. Wer daher die
Hauptfundstätte der Gräser und Kräuter kennen lernen will, muss
auf die Hara oder in den Wald gehen. Jenes ist eine eigenthümliche,
überaus häufig und in den verschiedensten Höhenlagen von 100—2500
Metern wiederkehrende Vegetationsformation, die am meisten an unsere
Wald- und Gebirgswiesen erinnert. Am Fusse der grossen Vulkane,
wie Asama-yama, Fuji-no-yama, Ganju-san und vieler anderer nimmt
sie ein weites Areal ein, das sich zwischen 500 und 1500 Meter Höhe
hinzieht, der Viehzucht vortreffliche Dienste leisten könnte, bislang
aber nur wenig benutzt wird.
Die Hara und der sich meist anschliessende Gebirgswald sind
die Wohnstätten jenes überaus bunten und hochinteressanten Gemisches
der vielen Pflanzentypen, an denen Japan so reich ist; und wer sich
11*
[164]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
nicht auf und in diesem auffallend mannichfaltigen lebenden Mosaik-
boden bewegte, kann unmöglich die Gruppierung der japanischen Ge-
wächse richtig beurtheilen. Von unseren Wiesen unterscheidet sich die
Hara vor allem dadurch, dass sie keine dichten Graspolster aufweist.
Das bunte Gemisch von Gräsern, Kräutern und Halbsträuchern, sowie
einigen Farrenkräutern, welche dieselbe bewohnen, reiht sich ziem-
lich locker an einander an und ist nirgends zu einem dichten Ge-
webe verbunden. Es ist ein »O hana batake« (grosses Blumenfeld),
wie in bezeichnender Weise eine Hara im Gebirge von Nikkô am
Wege vom Chiuzenji-See nach Yumoto heisst, in welcher wir manche
gute alte Bekannte unserer Bergwiesen oder nahe Verwandte der-
selben in seltsamer Gesellschaft mit mancher beliebten Zierpflanze
und vielen nie gesehenen Fremdlingen wieder finden.
Zu den hervorragendsten europäischen Pflanzenformen gehören
vor allem: verschiedene Veilchen (Viola Patrinii DC., V. japonica
Langsd., V. Reichenbachiana Jord.) und ein Kreuzkraut (Polygala
japonica Houth.), braune Wiesenknöpfe (Poterium tenuifolium Fisch.),
Hasenohr (Bupleurum falcatum L.) und Bibernelle (Pimpinella magna
L., P. sinica Hance), verschiedene Labkräuter (Galium verum L.,
G. boreale L., G. pogonanthum F. und S., G. trachyspermum L.),
hellblaue Scabiosen (Scabiosa japonica Miq.), eine Anzahl Compositen
(Arnica angustifolia Vahl, Senecio campestris DC., S. Kaempferi DC.,
S. clivorum Maxim., S. flammeus DC., Saussurea gracilis Maxim.,
S. triptera Maxim., S. japonica DC., Serratula coronata L. und andere
mehr), Glockenblumen (Platycodon grandiflorum DC., Campanula
punctata Lam., Adenophora verticillata Fisch.), der gemeine Augen-
trost (Euphrasia officinalis L.), Brunellen (Prunella vulgaris L., Pru-
nella grandiflora Jacq.) und Günsel (Ajuga genevensis L.), Sauer-
ampfer (Rumex acetosa L.) und Hirschzunge (Polygonum bistorta L.),
Flachs (Linum stelloides Pl.) und Leinblatt (Thesium decurrens Bl.);
ferner von Monocotyledonen: verschiedene Orchideen (Habenaria, Ce-
phalanthera, Platanthera, Listera und vor allem Spiranthes australis
Lindl.), Heinsimsen (Luzula campestris DC.), Riedgräser (Carices)
und eine Anzahl Gräser (Agrostis perennans Tuckerm., Calamagrostis
robusta F. und S., Aira flexuosa L., Trisetum cernuum Trim., Poa
pratensis L., Koeleria cristata Pers., Andropogon Schoenanthus L.)
und von Farrenkräutern Ophioglossum vulgatum L., Osmunda regalis
L. und Pteris aquilina L.
Dagegen vermissen wir auf der Hara fast alle Ranunkeln und
Nelken unserer Wiesen, ferner viele Papilionaceen (Trifolium, Medi-
cago, Melilotus, Genista, Ononis, Anthyllus, Lathyrus). Besonders
[165]Formationen und Regionen der Vegetation.
auffallend ist auch das Fehlen einer Reihe allbekannter Compositen
(Hieracium, Hypochoeris, Scorzonera, Crepis, Cineraria, Bellis, Chry-
santhemum), des Quendel und Heidekrautes, sowie von einer Anzahl
der gewöhnlichsten Wiesengräser (Anthoxanthum, Phleum, Alopecurus,
Briza, Dactylis, Avena, Sesleria, Lolium, Nardus).
Unter den fremden Charakterpflanzen der Hara treten vor allem
die staudenartigen Schmetterlingsblüthler Lespedeza und Indigofera
in verschiedenen Arten uns entgegen; ferner ist hier die Heimath
vieler Schwertlilien und Lilien (Arten der Gattungen Iris, Pardanthus,
Lilium, Hemerocallis, Funkia), welche mit ihren grossen weissen,
blauen und gelben Blüthen dieser Region zur besonderen Zierde ge-
reichen. Gleiches gilt von einem der schönsten und beliebtesten Gräser
Japans, der Eulalia japonica Trim. Auch begegnen wir nicht selten
dem bekannten Pyrus japonica, welcher als sehr niedriger Strauch
auch an trockenen Rainen und in lichten Gebüschen vorkommt. Glei-
ches gilt, und in noch höherem Grade, von Azalien, Deutzien und
Diervillen, wilden Rosen, wie Rosa multiflora, und verschiedenen
sonstigen Sträuchern.
Selbstverständlich ändert sich der hier nur in seinen Hauptzügen
vorgeführte Vegetationscharakter der Hara nach Höhe und geogra-
phischer Breite wesentlich ab. So stellen sich im mittleren Japan
die prächtigen blaublühenden Kikiyo (Platycodon grandiflorum DC.),
die Gibōshi und Midzu-Gibōshi (Funkia ovata Spreng. und F. lanci-
folia Spr.), sowie die mit gelben Blüthchen sich bedeckende Omina-
meshi (Patrinia scabiosaefolia Link.) erst in einer Höhe von etwa
1000 Metern massenhaft ein, wo Scabiosa, Bupleurum, Kanzô (Hemero-
callis flava L.) und andere Lilien spärlicher werden. Noch etwas
höher treten Polygonum bistorta L. und P. Weyrichii Schm., Parnassia
palustris, Deutzien und Diervillen, wohl auch hier und da Aralia
cordata Thunbg. und Bupleurum Sachalinense Fr. Schm., Gentianeen,
Trollius japonicus Miq. und Caltha palustris L. auf.
In den nördlichen Theilen von Honshiu, aber auch schon am
japanischen Schneegebirge zwischen Hida und Shinano trägt manche
Hara zahlreiche Büsche der grossblätterigen Kashiwa (Quercus dentata
Thbg.), welche nie über 3 Meter hoch werden und so zerstreut auf-
treten, dass der sonstige Charakter der Vegetation dadurch nicht be-
einträchtigt wird. Ueberraschend war für mich das massenhafte Auf-
treten unserer Maiblume (Convallaria majalis L.) auf der sonnigen
Hara am Fusse des Ganju-san bei Morioka, welche man bisher nur
auf Yezo unter ähnlichen Verhältnissen, d. h. im offenen Graslande,
nicht im Walde, gefunden hatte.
[166]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Wo die Hara den Fuss mächtiger Vulkane breit umgürtet und
tief einschneidende Erosionsthäler sie durchfurchen, setzt sich diesen
entlang die Waldvegetation von oben nicht selten noch weit bergab
fort, wie z. B. auf der Südwestseite des Kirishima-yama in Kiushiu.
Die Ursache hiervon mag theils in dem natürlichen Schutz liegen,
welchen Bäume und Sträucher hier gegen Stürme finden, mehr aber
noch in demjenigen, welcher ihnen im Herbst gegen die über die
dürre Hara dahineilenden Brände gewährt wird.
In den Thalebenen des Ishikari und anderer grossen Flüsse der
Insel Yezo findet man dagegen statt der offenen Hara ausgedehnte
Parklandschaften, in denen der Baumwuchs sich längs der Flussufer
concentriert. Den Berichten zufolge ist hier die Esche neben Weiden
und Erlen der vorherrschende Baum. An trockneren Stellen gesellen
sich weiter zwei Ulmenarten, Ahorne, Kastanien, Wallnuss- und Eich-
bäume hinzu und bilden allmählich den Uebergang in den bunten
Mischwald, der im wesentlichen noch denselben Charakter trägt wie
auf der Hauptinsel.
Der Wald (Hayashi).
Es gibt keinen grösseren Gegensatz unter den Wäldern ausser-
tropischer Gebiete, als zwischen dem Laubwalde des gemässigten
Europas und demjenigen Japans. Als Grundcharakter von jenem hebt
schon Alexander v. Humboldt hervor, dass er aus wenigen Baum-
arten, aus echten Plantae sociales, besteht, denen sich die geringe
Anzahl strauchartiger Gewächse bescheiden unterordnet, der aber eine
ansehnliche Zahl waldbewohnender Kräuter und Gräser beherbergt.
Unter den Sträuchern spielen Kletter- und Schlingpflanzen eine sehr
untergeordnete Rolle und kommen nur in wenigen Arten vor. Der
japanische Laubwald (Asa-ki) ist dagegen zusammengesetzt aus
einem überaus bunten Gemisch einer grossen Anzahl von Baum- und
Straucharten auf allen Altersstufen, und nur ausnahmsweise bilden
wenige Arten der ersteren, wie Eichen und Buchen, für sich ge-
schlossene Hochwald-Bestände. Schling- und Kletterpflanzen, meist
mit den japanischen Namen Tsuta-no-ki, Kadzura oder Tsuru aus-
gezeichnet, epiphytische und andere Farren spielen neben vielen Kräu-
tern unter den Waldbewohnern eine viel grössere Rolle und erinnern
an den tropischen Urwald.
Sir Joseph D. Hooker hebt in einer neueren pflanzengeogra-
phischen Arbeit über die Flora Nordamerikas die überraschend grosse
Zahl buntgemischter Holzgewächse hervor, die er z. B. im Walde
bei St. Louis, ja noch auf der Ghoat-Insel bei den Niagarafällen auf
[167]Formationen und Regionen der Vegetation.
beschränktem Areal fand und die nach seiner Meinung die tropische
Mannigfaltigkeit erreicht. Nun, jeder Botaniker, der Gelegenheit
hatte, einen japanischen Bergwald zwischen 600 und 1600 Meter Höhe
mit einem nordamerikanischen oder tropischen Urwalde zu vergleichen,
wird nicht zweifelhaft sein, dass in dieser Beziehung Japan unüber-
troffen dasteht. Vom Fusse des Nantai-san am Chiuzenji-See bis
zum Gipfel desselben zählte ich, ohne vom Wege abzuschweifen,
97 Holzgewächse, und der Botaniker, welcher Anfang Juni die Wälder
des Hakonegebirges, Fuji-san, Haku-san oder irgend einen anderen
üppigen Bergwald durchstreift, kann gegen hundert Baum- und Strauch-
arten aus wenigstens 70 Gattungen in Blüthe finden. So beobachtete
ich beispielsweise im Walde bei Ichinose am Fusse des Haku-san
zwischen 900 und 1000 Meter Höhe am 10. Juli 1874 innerhalb zweier
Stunden folgende Gewächse im vollen oder kaum beendeten Blüthen-
stande: Clematis japonica, Magnolia hypoleuca, Kadsura japonica,
Trochodendron aralioides, Cocculus Thunbergii, Cleyera japonica,
Actinidia platyphylla, A. polygama, Zanthoxylon piperitum, Ilex
crenata, I. Sieboldi, Evonymus Hamiltoniana, Berchemia racemosa,
Vitis Labrusca, Aesculus turbinata, Acer capillipes, A. crataegifolium,
Rhus sylvestris, Rh. Toxicodendron, Albizzia Julibrissin, Spiraea cal-
losa, S. Blumei, Rubus rosifolius, Rodgersia podophylla, Hydrangea
paniculata, Schizophragma hydrangeoides, Philadelphus coronarius,
Acanthopanax ricinifolia, Fatsia horrida, Benthamia japonica, Cornus
brachypoda, C. canadensis, Diervilla versicolor, Rhododendron Indi-
cum, R. semibarbatum, Ligustrum Ibota, Castanea vulgaris *).
Die Bildner und Bewohner des japanischen Gebirgswaldes alle
aufzuzählen, hiesse mindestens die Hälfte der ganzen Flora nennen.
Im höheren Gebirge und mehr im Norden finden wir nur wenige
immergrüne Sträucher, keine Bäume. Die hervorragendsten Bestand-
theile eines solchen blattwechselnden Waldes sind Eichen, Buchen,
Hainbuchen, Ahorne, Birken, Rosskastanien, Magnolien, Aralien, Wall-
nüsse, Ulmen, Planeren, verschiedene Rosaceen und an mehr feuchten
Stellen auch Eschen und Erlen (Quercus serrata und Q. dentata,
Q. crispula und Q. glandulifera, Fagus Sieboldi und F. silvatica,
[168]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Castanea vulgaris und Aesculus turbinata, Cercidiphyllum japonicum,
Tilia cordata und T. mandschurica, Calopanax ricinifolia, Magnolia
hypoleuca, Acer japonicum, A. pictum und andere, Carpinus laxiflora,
C. coradata, Planera Keaki Sbd., Ulmus campestris, U. montana,
U. parvifolia, Prunus pseudocerasus, Perocaria rhoifolia, Fraxinus
longicuspis, Betula alba, Alnus sp. und verschiedene andere). Von
den hier angeführten häufigen Bestandtheilen eines sommergrünen
japanischen Hochwaldes durchziehen Magnolia hypoleuca, Aesculus
turbinata und Acanthopanax ricinifolium mit der Buche alle grösseren
Inseln vom Gebirgswalde des südlichen Kiushiu bis zu demjenigen
der Insel Yezo und Sachalin, erreichen aber erst im mittleren und
nördlichen Theile des Landes ihre Hauptentwickelung.
Was die eigentlichen Kletterer anlangt, so übertreffen Schizo-
phragma hydrangeoides S. und Z. (Tsuru-demari), Hydrangea petio-
laris S. und Z. und Rhus Toxicodendron, Var. radicans Miq. (Tsuta-
urushi) alle anderen an Stärke und Häufigkeit. Bis zu 25 Meter
hoch kriechen ihre mehr als armdicken und selbst bemoosten Stämme
an den alten Eichen, Buchen, Ahornen und anderen Waldbäumen,
aber auch an Felswänden empor, und es tragen die weissen Trug-
dolden der ersteren im Sommer eben so sehr zur Buntheit im Colorit
des Waldes bei, wie die gerötheten Blätter der letzteren im Herbst.
An lichten Stellen, vor allem auch an Nadelhölzern, klettert der
immergrüne Evonymus radicans Sbd. (Tsuru-masaki) gern empor,
vertritt gewissermassen den weniger häufigen Epheu und begleitet die
drei erstgenannten durch die gesammte Inselgruppe nordwärts bis zu
den Wäldern im südlichen Sachalin. »Die noch aufrechtstehenden
modernden Baumstämme überzieht (hier) Hydrangea cordifolia Maxim.
(H. petiolaris S. und Z.) mit dichtem Geflecht und wandelt sie in grüne
Säulen von 4—5 Faden Höhe um, die im Juli mit zahlreichen weissen
Blüthensträussen geschmückt sind und eine der schönsten Zierden des
Waldes bilden« (Fr. Schmidt).
Weniger hochstrebend als die genannten erscheinen Menisper-
mum dahuricum DC. (Komori Kadzura), Celastrus articulata (Tsuru-
mume-modoki) und Vitis inconstans Miq. (Tsuta). Zeigt sich nun bei
einigen der vorerwähnten bereits hin und wieder auch die Neigung
zum Schlingen, so tritt diese doch mit viel mehr Entschiedenheit bei
verschiedenen Arten blattwechselnder Magnoliaceen und Ternstroemia-
ceen hervor, nämlich bei den Gattungen Schizandra und Kadsura der
erstgenannten und der Gattungen Actinidia und Stuartia der zweiten
Familie. Wir haben es bei den letzteren mit einem halben Dutzend
und mehr Arten zu thun, den speciellen Tsuta-no-ki, deren dicke
[169]Formationen und Regionen der Vegetation.
Stämme mit äusserst porösem Holze, an dem das Auge keine Spur
von Jahresringen erkennen kann, in der Regel mehrere Meter hoch
frei aufsteigen, sich dann einem benachbarten Baume zuwenden, ihn
mehrmals von links nach rechts umwinden und dann mit ihm zu an-
sehnlicher Höhe emporsteigen, um nicht selten darauf zu einem an-
deren Nachbar überzuspringen und auch hier durch mehrere kräftige
Windungen sich zu befestigen und zu stützen, worauf sie ihre Aeste
mehr oder minder frei mit denen ihrer Stütze mischen. Es muss
jedoch hervorgehoben werden, dass einzelne Arten Actinien diese
Bewegungen nur im Kleinen ausführen und wie Matatabi (Actinidia
polygama Planch.) sich desshalb immer nur Gebüschen oder niedrigen
Bäumen zugesellen. Die kletternden und schlingenden Magnoliaceen
haben ganz ähnliche Gewohnheiten, nur dass ihre Windungen von
rechts nach links erfolgen. Wo der Hochstamm fehlt, begnügen sie
sich mit einem Busch, ist auch dieser nicht vorhanden, so genügt
es ihnen auch wohl, über den Boden zu kriechen. Aber es ist im
schattigen Walde, wo sie ihre schönste Entwickelung erlangen. Kad-
sura japonica L., auch wohl Kurogane Modoshi, eiserner Schlinger,
genannt, ist nicht blos durch seine starke Korkbildung und das braun-
rothe Herbstkleid ausgezeichnet, sondern auch durch die grosse Elasti-
eität und Stärke seiner daumendicken Stämme, so dass diese vielfach
zur Befestigung von Stegen und sonst statt starker Taue benutzt
werden.
Die ausgebildetsten Schlingpflanzen der japanischen Wälder sind
indess Wistaria chinensis S. und Z. (Fuji) und die Lardizabaleen,
insbesondere Akebia quinata Decsne (Akebi Kadzura, A. tsuru) und
A. lobata (Mitsu-ba-Akebi, d. h. Dreiblatt-Akebie).
Die Wistaria schlingt 20—30 Meter hoch um die Hochstämme
im tiefen Waldesschatten, aber auch durch das lichte Gebüsch, und
wenn überhaupt keinerlei Stütze erreichbar, wohl auch frei um sich
selbst; die Akebien dagegen halten sich meist im Gebüsch und nicht
weit von den Waldrändern, wo von Aussen, insbesondere der Hara,
die krautartige Pueraria Thunbergiana Thbg. (Kudzu) sich durch das
Buschwerk windet und es allmählich mit ihren Ranken und violetten
Blüthentrauben ganz überdeckt.
Das Vorkommen der meisten vorerwähnten Lianen ist jedoch
keineswegs auf den blattabwerfenden Gebirgswald beschränkt, son-
dern erstreckt sich eben so gut auf den wintergrünen Laubwald des
Südens, in welchem lorbeerblätterige, glattrindige Eichen, Kampfer-
lorbeer und Verwandte, Ternstroemiaceen, namentlich Camellien,
Ilicium anisatum und Ilicineen die wichtigsten Bestandtheile bilden.
[170]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Der immergrüne Hochwald besteht oft auf weite Strecken nur aus
einigen Eichenarten (Quercus cuspidata, Qu. glabra, Qu. acuta,
Qu. glauca) mit Ternstroemia japonica, Eurya japonica und anderen
immergrünen Sträuchern als Unterholz.
Noch einige der bemerkenswerthesten Bewohner der sommer-
grünen Bergwaldungen mögen hier Erwähnung finden. Bis zu einer
Höhe von 1300, ja 1400 Metern erblicken wir in den Gebirgen des
mittleren Japan (z. B. bei Chiuzenji und auf Mikuni-tôge) inmitten der
vielerlei Pflanzenformen einen Baum von nur 6—8 Meter Höhe und
mässigem Umfang, dessen glatter, bräunlicher Stamm uns durch die
stückweise, wie bei der Platane abspringende Rinde auffällt und der
im Hochsommer eine Fülle grosser rother Blüthensträusse trägt, derent-
wegen er auch als Zierpflanze in Gärten vorkommt. Es ist der Saru-
suberi, d. h. Affengleiter (Lagerstroemia indica). Auch der Sanshio
(Zanthoxylum piperitum), ein als Gewürzpflanze häufig in der Nähe
der Häuser angebauter Strauch, dessen Stamm und Aeste sich durch
stumpfe Dornen auszeichnen, ist hier zu Hause, ebenso das noch viel
stärker bewehrte Acanthopanax spinosum Miq. und die Aralia horrida
Smith. Unter den Hydrangeen ist es namentlich die Hydrangea pani-
culata, ein ansehnlicher Strauch, welcher diese Region bis 1700 Meter
Höhe bewohnt, und unter den Sumacharten neben dem kletternden
Giftsumach der Rhus semialata Murray, welcher sich von Rhus Os-
beckii DC. nicht unterscheidet und hier im September zur Blüthe
kommt, an den Südabhängen des Himalaya in derselben Höhe aber
schon 3—4 Monate früher.
Rhus sylvestris, der dritte Waldbewohner unter den japanischen
Sumacharten, steigt in der Regel nicht so hoch, sondern findet sich
am häufigsten in den Laubwäldern unter 1000 Meter, d. h. bis zu
der äussersten Grenze, welche in günstigen Lagen Castanea vulgaris
Lamk. nach oben erreicht. Zwischen 600 und 1000 Meter Höhe
finden wir die essbare Kastanie wohl zuweilen neben der Rosskastanie
(Aesculus turbinata Bl.), doch hat sie andere Bedürfnisse. Aesculus
liebt die Gesellschaft von Fagus, Calopanax ricinifolium und Magnolia
hypoleuca, den humusreichen Boden schattiger Hochwälder, auf dem
Lomarien, Woodwardien und andere schöne Farrenkräuter ihre Wedel
ausbreiten und Asperula odorata kein seltener Gast ist; Castanea da-
gegen zieht die sonnigen Bergabhänge vor, an denen sie nicht selten
für sich lichte Bestände bildet. Sie ist dann meist auch der Träger
der durch ganz Japan bis nach Sachalin hin verbreiteten Mistel
(Viscum album L.), die ich auch auf Birnbäumen, Weissdorn und
Eberesche, auf blattwechselnden Buchen und Eichen (eine Seltenheit
[171]Formationen und Regionen der Vegetation.
in Europa!), auf Wallnussbäumen und Eschen, sowie Erlen und Wei-
den beobachtet habe *).
Die Zahl der Sträucher und niedrigen Bäume, welche kaum bis
zur gleichen Höhe wie die Kastanie emporsteigen und in den Laub-
waldungen von 400—800 Meter Erhebung am häufigsten auftreten,
ist sehr beträchtlich. Ich nenne von den gewöhnlicheren folgende:
Ternstroemia japonica, Eurya japonica, Stachyurus praecox,
Stuartia, Orixa japonica, Skimmia japonica, Ilex crenata, Berchemia
racemosa, Sapindus Mukoroshi, Staphylea Bunalda, Euscaphis staphy-
leoides, Albizzia Julibrissin, Kerria japonica, Deutzia, Philadelphus,
Hamamelis japonica, Helwingia japonica, die meisten Caprifoliaceen,
mit Ausnahme der Diervillen, die noch viel höher steigen, die grösseren
Arten von Andromeda, z. B. A. japonica und A. ovalifolia, Symplocos
und Styrax, Ligustrum, Daphne, Wickströmia, Rottlera japonica, die
gleich Clerodendron vornehmlich die Waldränder bewohnt, hier aber
oft sehr ausgebreitete Büsche von 3—4 Meter Höhe bildet, Elaeagnus,
Lindera, insbesondere L. sericea.
Die Vielgestaltigkeit des japanischen Laubwaldes wird in ver-
schiedener Höhenlage noch erhöht durch diverse Arten Nadelhölzer,
insbesondere Tannen, Kiefern, Retinisporen und Cryptomerien, welche
theilweise als sehr ansehnliche Bäume so zerstreut auftreten, dass
dadurch der Gesammtcharakter nicht wesentlich beeinträchtigt wird.
Während im Urwalde die abgestorbenen Laubbäume bald morsch und
vom Winde gebrochen zur Erde stürzen und hier die Wohnstätte von
Moosen und Pilzen, Käfern und Schnecken werden, bleibt das dürre
Nadelholz noch lange stehen. So sieht man denn häufig Tannen,
welche statt grüner Nadeln graue Bartflechten tragen, denen der
Blick auch schon an gesunden Bäumen nach allen Richtungen be-
gegnet. Hier im Innern des Gebirges gibt es wirklich noch vom
Menschen unberührte Urwälder, in die selbst der Kohlenbrenner noch
nicht eingedrungen ist.
Wie der Laubwald, so kommt auch der geschlossene Nadel-
wald (Kuro-ki) in verschiedener Höhe vor, und zwar von der Meeres-
küste an bis zur oberen Baumgrenze; nur bleiben selbstverständlich
seine Bestandtheile nicht dieselben, denn nur selten finden sich mehr
als vier Baumarten darin gemischt. Die Aka-matsu oder Rothkiefer
(Pinus densiflora S. und Z.) und die Kuro-matsu oder Schwarzkiefer
[172]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
(P. Massoniana Lamb.) sind die häufigsten Coniferen des Landes und
bilden sowohl jede für sich als auch gemischt die lichten Nadelwälder
der unteren Region, des alten Dünensandes und der unfruchtbaren
Hügel. Auf Wälder aus diesen Kiefern fällt der Blick des Ankömm-
lings in einem der offenen Häfen, so wie dessen, der das Binnen-
meer durchfährt. So ist es denn leicht erklärlich, dass sich allge-
mein die irrige Ansicht verbreitet hat, es herrsche in Japan der
Nadelwald vor. Solche in der Regel wenig ausgedehnte Kiefern-
waldungen trifft man ausnahmsweise im Gebirge noch in einer Höhe
von 1500 Meter. Ausser ihren beiden Bestandtheilen und dem alpinen
Knieholze kommt, wenigstens auf den drei grossen südlichen Inseln,
keine weitere wildwachsende Kiefer vor.
In einer Höhe von 500—1000 Meter treffen wir die Heimath
der schönsten japanischen Nadelhölzer mit dem geschätztesten Holze
zugleich für bauliche und sonstige technische Zwecke, Wälder aus
Sugi (Cryptomeria japonica Don.), Hi-no-ki (Chamaecyparis obtusa
Endl.), Sawara (Ch. pisifera Endl.) und Hiba (Thujopsis dolabrata
S. und Z.).
Alle diese Bäume lieben geschützte Thaleinschnitte und Mulden.
Das endemische Vorkommen der Cryptomerie dürfte nur ausnahms-
weise den 36. Breitegrad erreichen; angepflanzt findet man sie da-
gegen ausser den Kiefern viel häufiger als jeden anderen Waldbaum
und noch in stattlichen Exemplaren auf der Insel Yezo. Es ist der
Stolz der Tempelhaine, die grösste Zier japanischer Alleen, insbe-
sondere jener berühmten am Wege von Tôkio nach Nikkô. Viel häu-
figer trifft man die beiden Cypressen, die auch noch viel höher em-
porsteigen, in vereinzelten Exemplaren noch bis 1600 Meter, und
selbst der dritte Lebensbaum im Bunde, der Hiba, ist nicht selten
im mittleren Japan. Die schönsten Cypressenwälder besitzen Shinano
und Hida, doch hat auch hier die Axt schon sehr gelichtet. Das
Holz dieser Bäume, insbesondere der Sonnencypresse (Hi-no-ki) ist
seiner weissen Farbe und anderer guten Eigenschaften wegen für
Lackwaaren sehr gesucht; auch dient es zum Bau der Shinto-Tempel.
Auf dem Koya-san in Kiushiu folgt nach einem schönen Mischwalde
von Hi-no-ki und Sugi ein Hain aus stattlichen Bäumen der Sciado-
pitys verticillata S. und Z., welcher den berühmten Tempelort theil-
weise umgibt. Der Baum heisst hiernach der Podocarpus von Koya
(Koya-maki) und ist hier wie anderwärts, wo er spärlich vorkommt,
ohne Zweifel angebaut. Er erreicht 15—20 Meter Höhe und 1 Meter
Stammumfang, also viel stattlichere Dimensionen, als v. Siebold
angibt.
[]
Rein, Japan I. Lichtdruck v Strumper \& Co. Hamburg.
CRYPTOMERIEN-ALLÉE VOR IMAICHI BEI NIKKÔ.
Verlag von Wilh. Engelmann, Leipzig.
[][173]Formationen und Regionen der Vegetation.
Die japanische Eibe oder Araragi (Taxus cuspidata S. und Z.),
so gesucht ihres feinmaserigen rothen Holzes wegen, findet sich am
häufigsten in Hida. Gleich ihren Verwandten, der Inugaya (Cephalo-
taxus drupeacea S. und Z.) und der Kaya (Torreya nucifera S. und Z.)
findet man sie häufiger strauch-, als baumartig und zwar zerstreut
im Laubwalde, nicht in eigenen Beständen.
Eine dritte Nadelwaldregion von 1500—2400 Meter Höhe wird
von Tannen und Lärchen eingenommen. Die stattlichste der ersteren,
die Momi (Abies firma S. und Z.), bleibt zwar gewöhnlich unter
dieser Höhe im gemischten Laubwalde oder in Gesellschaft von Sugi
und Hinoki, aber alle übrigen haben hier so recht ihre Heimath. An
Häufigkeit des Vorkommens übertrifft eine nahe Verwandte der nord-
amerikanischen Schirlingstanne, die Tsuga (Abies Tsuga S. und Z.),
alle übrigen und fehlt gleich der Lärche oder Kara-matsu (Larix
leptolepis Gord.) kaum einem Berge über 1500 Meter Höhe. Ge-
mischt mit Toro-no-o-momi, d. h. der Tigerschwanz-Fichte (Abies
polita S. und Z.) bildet sie den Kuro-ki (Schwarzholz, Schwarzwald)
über dem Asa-ki (hellgrünen Holze, Laubwald) des Nantai-san von
1900 Meter Höhe an bis nahe zum Gipfel. Am Fuji-san beginnt sie
über der Hara in etwa 1500 Meter Höhe mit Larix leptolepis, Abies
firma und Abies Menziesi Lond. und wird stellenweise in etwa 2000
Meter Höhe durch A. bicolor Maxim. und A. Veitchii Henk. ersetzt.
In der 2200 Meter hohen Yunotaira auf dem Asama-yama mischt sich
diese so sehr an Abies canadensis erinnernde Fichte ebenfalls mit
Larix leptolepis.
Von besonderem Interesse ist auch die Zusammensetzung des
oberen Nadelwaldes auf dem On-take. Wie beim Fuji-san beginnt er
am Ende der Hara in etwa 1560 Meter Höhe, wo auf alter Brand-
stätte Epilobium angustifolium auftritt, und geht bis über 2000 Meter
empor. Es ist ein Gemisch von Tsuga (Abies Tsuga), Hinoki (Cha-
maecyparis obtusa Endl.), Kara-matsu (Larix leptolepis) und Tôhi
(Abies bicolor Maxim.), dem sich einzelne Weissbirken und der an
Ebereschen erinnernde Pyrus sambucifolia zugesellen. Statt des Unter-
holzes bedeckt, wie in so manchen höheren Bergwaldungen Japans,
der Zwergbambus (Arundinaria japonica S. und Z.) 1½—2 Fuss den
Boden. Höher hinauf verschwinden zuerst Chamaecyparis und Larix,
dann Tsuga und endlich Tôhi. Es geht hieraus und aus den Beob-
achtungen von Maximowicz und Veitch am Fuji-no-yama hervor,
dass Abies bicolor Maxim. (A. Alcockiana DC.) und A. Veitchii Henk.
unter allen Tannen wohl am höchsten steigen.
Die vierte Coniferenregion ist diejenige des Knieholzes, Gojo-no-
[174]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
matsu, d. h. fünfnadelige Kiefer (Pinus parviflora S. und Z.) oder
der Yezokiefer, von der noch weiter im folgenden Abschnitt bei den
Gewächsen der alpinen Region die Rede sein soll.
Vegetation des Hochgebirges.
Hierzu müssen alle Gewächse gerechnet werden, welche man
oberhalb der Waldgrenze höherer japanischer Gipfel trifft, unbeküm-
mert ob dieselben auch schon im Walde selbst auftreten oder nicht.
Diese obere Grenze des Waldes kann im allgemeinen zu 2000 Meter
angenommen werden, eine Höhe, die zwar manchmal um noch einige
hundert Meter überschritten, aber noch viel häufiger nicht erreicht wird.
Da nun die hier in Betracht kommenden Gebirgspflanzen zum
Theil ein sehr biegsames Naturell haben, d. h. keineswegs auf eine
scharf begrenzte Höhenzone angewiesen sind, sondern oft schon viel
tiefer auftreten als da, wo die günstigsten Bedingungen zu ihrer
Existenz gegeben zu sein scheinen, so treffen wir auf den Gipfeln
mancher japanischen Berge, die wie der Ibuki-yama oder der Komaga-
take im Hakonegebirge kaum 1400 Meter Höhe erreichen, schon eine
Vegetation von ausgesprochen alpinem Habitus, während andere be-
deutendere Berge in dieser Höhe noch den schönsten Hochwald tragen.
Die Existenz des Waldes und der Beginn der hochalpinen Flora
hängen hier in erster Linie nicht von der Temperatur, sondern von
den Winden ab, welche letztere oft zulassen, wo der Baumwuchs
unmöglich ist. Nur Betreffs der Zeit des Eintrittes der Florescenz
und der Fruchtreife, wie nicht minder auch bezüglich der Grösse der
Individuen wird bei derselben Art die mit zunehmender Höhe sich
verringernde Wärme in erster Linie in Betracht kommen. So finden
wir bei Arten, die wie Polygonum Weyrichii und Solidago virgaurea
oft eine Höhenzone von 1200—1500 Metern überspannen, eine Ver-
schiebung der Blüthezeit vom Frühsommer zum Nachsommer und
Herbst und eine ziemlich stete Verkürzung der Pflanzenachse mit der
Zunahme der Höhe. Diese Abnahme der Grössenverhältnisse mit der
Höhe ist indess keineswegs bei allen Arten bemerkbar, vielmehr zeigen
viele, wie z. B. Angehörige der Gattungen Anemone, Coptis, Primula,
in ihrem Wuchse viel Beständigkeit.
In den Alpen gelangen Gewächse, welche eine breite Höhenzone
bewohnen, zum Theil, wie Linaria alpina Mill. und Epilobium Dodonaei
Vill., dadurch aus ihren höheren Wohnsitzen thalabwärts, dass das
fliessende Wasser Rasen und Samen derselben mit sich fortreisst,
ausspült und ihnen so zur Ansiedelung in grösserer Tiefe Gelegenheit
[175]Formationen und Regionen der Vegetation.
gibt; bei den Gebirgspflanzen Japans konnten ähnliche Vorgänge nicht
beobachtet werden, es scheint dort das Wandern bergauf die allge-
meine Regel zu sein.
Bei den japanischen Pflanzennamen deutet das häufig vorgesetzte
»yama, Berg« nicht blos den Fundort, sondern häufig auch den
Gegensatz zwischen wild, insbesondere in Bergwaldungen wachsend
und angebaut an. So ist budo die cultivierte Rebe und Traube,
yama-budo die wildwachsende Vitis Labrusca, urushi der Lackbaum,
und yama-urushi der Rhus sylvestris, kaki die angebaute Dattelfeige
und yama-kaki der Diospyros kaki L. in verwildertem Zustande.
Allerdings gehören viele der mit »yama« zusammengesetzten Pflanzen-
namen wirklichen Gebirgspflanzen an, doch findet der gebirgige Cha-
rakter des Fundortes einen viel bezeichnenderen Ausdruck durch
Vorsetzung des Wortes »iwa, Fels«, z. B. Rindo = Gentiana, Iwa-
rindo = Gentiana triflora Pall., Kuruma, das Rad, die Radblume,
Iwaguruma = Geum dryaoides S. und Z., Kikiyo = die Glocken-
blume, insbesondere Platycodon, Iwa-kikiyo = Campanula lasiocarpa.
Aus der nachfolgenden systematischen Zusammenstellung der
Gewächse des japanischen Hochgebirges wird man erkennen, dass
die Zahl der Arten eine recht beträchtliche ist, doch darf mit Sicher-
heit erwartet werden, dass eine gründliche Erforschung mancher hohen
Gipfel, insbesondere des Shinano-Hida-Schneegebirges, die Liste noch
wesentlich bereichern wird. Die reichste Ausbeute haben bis jetzt
der Haku-san und der On-take geliefert; aber auch hier wäre meine
Ernte eine noch viel beträchtlichere gewesen, wenn ich ihr mehr Zeit
hätte widmen können.
Noch muss hervorgehoben werden, dass die nachfolgende Liste
japanischer Hochgebirgspflanzen nur solche Arten umfasst, über deren
Vorkommen oberhalb der Waldregion sichere Beobachtungen vorliegen,
während alle Species mit unbestimmten Fundorten ausgeschlossen
blieben.
- Ranunculaceae: Anemone Nikoensis Max., A. altaica Fisch.,
A. flaccida Fr. Schm., A. debilis Fisch., A. Raddeana Regel, A.
narcissiflora L., Adonis Apennina L. (A. amurensis Regel), Traut-
vetteria palmata Fisch., Glaucidium palmatum S. und Z., Trollius
japonicus Miq., Ledebourii Rchb., Coptis trifolia Salsb. - Berberideae: Berberis japonica R. Br., B. Tschonoskiana
Regel, B. vulgaris L., Aceranthus diphyllus Morr. et. Dec., Diphylleia
Grayi Fr. Schm. - Papaveraceae: Corydalis Senanensis Fr. und Sav., C. Rad-
deana Regel, Dicentra pusilla S. und Z.
[176]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
- Cruciferae: Barbarea vulgaris R. Br., Arabis serrata Fr. und
Sav., A. Halleri L., Cardamine Nipponica Fr. und Sav., Draba
borealis DC. - Violarieae: Viola biflora L., V. pubescens Aït.
- Caryophylleae: Stellaria florida Fisch.
- Leguminosae: Trifolium Lupinaster L., Astragalus adsurgens
Pall., Hedysarum esculentum Led. - Rosaceae: Geum dryadoïdes S. und Z., G. montanum L., G.
calthaefolium Menz., Poterium canadense L., Pyrus aucuparia Gaertn. - Saxifrageae: Tanakea radicans Fr. und Sav., Saxifraga andro-
sacea L., S. tellimoides Maxim., S. Isuroei Fr. und Sav., Parnassia
palustris L. - Crassulaceae: Sedum Aizon L., S. Rhodiola DC., S. sub-
tile Miq. - Cornaceae: Cornus Canadensis L., C. suecica L. (?).
- Compositae: Solidago Virgaurea L., Artemisia pedunculosa
Miq., A. Schmidtiana Maxim., Arnica angustifolia Vahl, Gnaphalium
leontopodioides Wild., Saussurea scabiosa Fr. und Sav., Ainsliaea
dissecta Fr. und Sav. - Campanulaceae: Campanula lasiocarpa Cham., Platycodon
grandiflorum DC. (steigt nicht viel über 2000 Meter empor). - Ericaceae: Vaccinium Vitis idaea L., V. uliginosum L., V.
ovalifolium Sin., V. longeracemosum Fr. und Sav., V. Idsuroei Fr.
und Sav., Arctostaphylos alpina Spreng., Andromeda nana Maxim.,
Cassiope Lycopodioides Don., C. Stelleriana DC., Phyllodoce taxifolia
Salisb., P. Pallasiana Don., Menziesia ciliicalix Maxim., M. multiflora
Maxim., Rhododendron Metternichii S. und Z., Rh. brachycarpum Don.,
Rh. macrocephalum Maxim., Rh. Tschonoskii Maxim., Rh. Kamtscha-
ticum Pall., Rh. chrysanthum?, Azalea procumbens L., Ledum pa-
lustre L., Tripetaleia bracteata Maxim. - Diapensiaceae: Diapensia Lapponica L., var. β. Asiatica
Herd., Shortia uniflora Maxim., Schizocodon soldanelloides S. und Z.,
Sch. ilicifolius Maxim. - Primulaceae: Primula cortusoides L. P. Kisoana Miq., P.
Reinii Fr. und Sav., P. farinosa L., P. japonica A. Gray., P. cuneï-
folia Ldb., P. macrocarpa Maxim., Trientalis europaea L. - Gentianeae: G. frigida Haenk, G. scabra Bunge, G. triflora
Pall., Swertia perennis L., Halenia sibirica Bork. - Scrophulariaceae: Pedicularis japonica Miq., P. Keiskei Fr.
und Sav., P. rubens Steph.
[177]Formationen und Regionen der Vegetation.
- Polygonaceae: Polygonum Weyrichii Fr. Schm. var. β. alpi-
num Maxim. (nom. jap. »Iwatate« i. e. Felsenknöterich), P. Bistorta L.
var. nana Meisn., P. Nepalense Meisn. - Empetraceae: Empetrum nigrum L.
- Betulaceae: Betula alba L., Betula corylifolia Reg., Alnus
viridis DC. - Salicineae: Salix glabra Scop.
- Coniferae: Pinus parviflora S. und Z.
- Orchideae: Gymnadenia conopsea R. Br., G. rupestris Miq.,
Platanthera Reinii Fr. und Sav. - Smilaceae: Majanthemum bifolium DC., Trillidium japonicum
Fr. und Sav. - Liliaceae: Fritillaria Camtschatcensis Gawl.
- Melanthaceae: Veratrum stamineum Maxim., V. nigrum L.,
V. album L. - Cyperaceae: Carex nana Boott., C. Ontakensis Fr. und Sav.,
C. Hakonensis Fr. und Sav., C. stenantha Fr. und Sav., C. macro-
chaeta C. A. Mey., C. flavocuspis Fr. und Sav., C. tristis. - Gramineae: Hierochloa borealis R. und L., Aira flexuosa L.
var. montana L., Lophatherum annulatum Fr. und Sav. - Filices: Polypodium Phegopteris L., P. Dryopteris L., P. tri-
cuspe Sw., Osmunda regalis L., Woodsia ilvensis R. Br., W. polysti-
choides Eat., W. Manchuriensis Hook.
Von den strauchartigen Gewächsen der japanischen Hochgebirgs-
flora gehen Birken, mehrere grössere Arten Heidelbeersträucher, ins-
besondere Vaccinium ovalifolium Sin. und Vaccinium hirtum Thbg.
(V. Smallii A. Gray), und Rhododendren nicht viel über die obere
Buschwaldregion hinaus, während Alnus viridis, Salix glabra, Pyrus
sambucifolia sich bis in die Nähe der höchsten Gipfel behaupten und
beim On-take und Fuji-san noch in einer Höhe von 3000 Meter vor-
kommen. Zu ihnen gesellt sich das japanische Knieholz (Pinus parvi-
flora), welches oft ansehnliche Strecken 1—1½ Meter hoch überdeckt.
Auf Sachalin fand F. Schmidt diese »Knieholzregion« stellenweise
schon in 320 Meter Höhe und darunter. Unter und zwischen den
Büschen dieser Holzgewächse hat sich angesiedelt, was ohne ihren
bescheidenen Schatten und Schutz vor den Winden nicht gut fort-
kommt: Coptis trifolia, Trautvetteria palmata, Glaucidium palmatum,
Diphylleia Grayi, Viola biflora, Parnassia palustris und Drosera ro-
tundifolia (diese beiden nur ausnahmsweise noch über 2000 Meter
hoch), Cornus canadensis, Solidago Virga aurea, Vaccinium uligi-
nosum und V. Vitis idaea, Majanthemum bifolium, Oxalis Acetosella,
Rein, Japan I. 12
[178]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Trientalis europaea (die beiden letzteren nicht über 2200 Meter
hinauf).
Den trockenen, sonnigen Fels und seine ersten Verwitterungs-
produkte überziehen vornehmlich die kleinen zierlichen Ericineen, wie
Arctostaphylus alpina, Andromeda nana, Azalea procumbens, die
Gattungen Cassiope und Phyllodoce zuweilen in Gesellschaft von Em-
petrum nigrum. Daneben treffen wir Saxifraga androsacea und Dia-
pensia Lapponica, die einzigen unter all diesen Gewächsen, welche
dichte Polster bilden. Anemonen, Primeln, Steinbreche und andere
bekannte alpine Formen treten im allgemeinen mehr zurück. Man
wird ferner aus der Zusammenstellung erkennen, dass glaciale Ra-
nunkeln fehlen, Papilionaceen, Saxifrageen und Gentianeen aber nur
schwach vertreten sind. — Besonders häufig und schon von 1600 Meter
Höhe an erscheint Schizocodon soldanelloides, das japanische Alpen-
glöckchen. Nicht blos in seiner Blüthenform, sondern auch in der Art
des Auftretens erinnert es lebhaft an Soldanella alpina, indem es oft
mit seinen schönen Blüthenglöckchen die abschmelzenden Schnee-
schrammen umsäumt und hier im Spätsommer sich entwickelt, wäh-
rend es 500, ja 1000 Meter tiefer bereits im Frühling zur Blüthe
kommt. Aber es ist viel grösser und schöner als jener Alpenbewohner
und, wie schon angedeutet, über eine viel grössere Höhenzone aus-
gebreitet. Die runden herzförmigen Blätter sind an den Rändern
zurückgeschlagen und auf der Unterseite häufig geröthet, wie die stets
rothen Blüthenstiele. Diese tragen in einseitswendiger kurzer Traube
3—8 Blüthen. Der glockige Kelch ist fünftheilig, die grosse Krone
glockenförmig, rosafarben, nach violett neigend, mit fünf zerschlitzten
Zipfeln und einer kleinen Nebenkrone. Hinzu kommen 6 Staubge-
fässe mit weissen Antheren und ein Griffel.
Aus dem im Vorstehenden über die Flora des japanischen Hoch-
gebirges Gesagten ergibt sich, dass sie ein eigenthümliches Gemisch
alpiner und hochnordischer Pflanzenformen ist, aus Arten, die zum
Theil in der subarctischen Region der alten und neuen Welt eine
weite Verbreitung haben oder selbst in schattigen Wäldern der nörd-
lich gemässigten Zone ganz gewöhnlich und die weiter südlich in die
Gebirge emporgestiegen sind, neben einer geringen Anzahl bis jetzt
nur in Japan aufgefundener Species. Es ist eine Flora, welche ohne
Zweifel aus Ostsibirien und Kamtschatka stammt, mit den kalten und
heftigen Monsunen und Meeresströmungen des Winters südwärts und
durch Thalwinde bergan gelangte. Diese Wanderung lässt sich sowohl
nach der Breite als auch nach der Höhe verfolgen und zeigt sich am
deutlichsten bei jenen hohen vulkanischen Gipfeln, die ihre eruptive
[179]Formationen und Regionen der Vegetation.
Thätigkeit noch nicht lange eingestellt haben. Da sehen wir, wie
die Samen vieler dieser Gewächse von ihrer ersten unteren Ansiede-
lung aus, durch Thalwinde gehoben, immer höher getragen werden,
bis sie zuletzt die erkalteten Gipfel erreichen. Obenan unter diesen
Vorläufern und ersten Anfängern der Hochgebirgsflora treffen wir
Polygonum Weyrichii, Stellaria florida und Carex tristis. Bei ver-
schiedenen späteren Ansiedlern, zumal den beerentragenden, mögen
immerhin auch andere Vehikel mitgewirkt haben, z. B. Vögel, ins-
besondere das Schneehuhn, doch ist eine solche Verbreitung leichter
denkbar, als nachweisbar.
Fassen wir zum Schlusse das, was in Vorstehendem über die
Vegetationsformen Japans und insbesondere über die Verbreitung
seiner Nadelhölzer in verticaler Richtung gesagt wurde, zusammen,
so vermögen wir fünf Pflanzenregionen zu unterscheiden, nämlich:
1. Zone des Kiefernwaldes und des Wachholders,
bis 400 Meter hoch. Sie umfasst die Culturregion, die Vegetation
des Dünensandes, der stehenden und langsam fliessenden Gewässer,
der buschigen Hügellandschaften und des immergrünen Waldes im
Süden, welcher nur ausnahmsweise 200 Meter höher reicht.
2. Zone der Cryptomerien, Cypressen und Eiben,
400—1000 Meter Höhe. Es ist dies zugleich das Gebiet des unteren
sommergrünen Laubwaldes, in welchem die Vegetation an Ueppigkeit
und Artenverschiedenheit ihre grösste Kraft entwickelt, die Region
der Castanien, blattwechselnden Laurineen, der meisten Magnoliaceen
Ternstroemiaceen, Lardizabaleen, Hydrangeen, Caprifoliaceen und an-
derer reich vertretener Sippen, sowie endlich das Gebiet der unteren
und ausgebreitetsten Hara.
3. Zone der Abies firma und des mittleren Laub-
waldes, 1000—1500 Meter Höhe. Hierher gehört der grösste Theil
des blattwechselnden Hochwaldes mit Eichen, Buchen, Ahornen, Erlen,
Eschen, Rosskastanien, Aralien, ferner die obere Hara.
4. Zone der Tannen und Lärchen, 1500—2000 Meter. Es
ist zugleich das Gebiet des oberen Laubwaldes mit Birken, Erlen,
der subalpinen Kräuter und Sträucher.
5. Zone des Knieholzes, von 2000 Meter an aufwärts, die
Region der kriechenden Ericineen und hochalpinen Kräuter.
12*
[180]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
C. Zusammensetzung der japanischen Flora und weitere
bemerkenswerthe Züge derselben; ihre Verwandtschaft mit anderen
Vegetationsgebieten.
Von den beiden neuesten und ausführlichsten Werken über die
Flora Japans weist Miquel’s Prolusio Florae Japonicae mehr als
2100 Arten Gefässpflanzen in 923 Gattungen auf, die Enumeratio
Plantarum von Franchet und Savatier dagegen 2743 Arten in
1035 Gattungen. Innerhalb der letzten 9 Jahre — von 1867, wo die
Prolusio erschien, bis Herbst 1876, wo die Enumeratio geschlossen
wurde — hat sich demnach unsere Kenntniss der höheren Gewächse
Japans um 112 Gattungen und etwa 650 Arten, worunter viele ganz
neue sich befinden, erweitert. Nach Franchet und Savatier be-
sitzt nämlich Japan:
Der bedeutende Zuwachs, den sonach die Kenntniss der japani-
schen Flora in der Neuzeit erfahren hat, ist vornehmlich der genaueren
Erforschung des gebirgigen Innern zuzuschreiben. Er besteht darum
auch vorzugsweise aus Vertretern des nordeuropäisch-sibirischen Floren-
gebietes oder aus nahen Verwandten von solchen. Noch aber fehlt eine
genaue naturwissenschaftliche Durchforschung mancher japanischer Ge-
birge, sodann der Insel Yezo und insbesondere der kleineren Insel-
gruppen. Bei dem steigenden Verkehr, auch der wissenschaftlichen
Welt, mit Japan, den besseren Verkehrsmitteln daselbst und der
wachsenden Zahl gut vorgebildeter Sammler und Beobachter dürfen
wir bestimmt erwarten, dass manche noch vorhandene botanische
Lücke bald ausgefüllt und durch neue sichere Fundorte die Zahl der
endemischen Gewächse noch ansehnlich vermehrt werden wird.
Von grosser Wichtigkeit ist ferner, dass die Botaniker in Japan,
mehr als die meisten bisherigen, kritisch zu Werke gehen und die
wirklich und unzweifelhaft wild wachsenden Gewächse von den durch
die Cultur eingeführten streng unterscheiden. Der Umstand, dass
dies bisher so wenig geschehen ist, dass vielmehr als endemische
Arten bei Siebold, Miquel und selbst bei Savatier viele einge-
führte Zier- und Culturpflanzen fungieren, hat unsere Pflanzengeo-
graphen zum Theil ganz irre geleitet und zu falschen Schlüssen be-
züglich der Zusammensetzung der japanischen Flora geführt. Das
[181]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
Werk von Franchet und Savatier ist mit viel Fleiss und Sorgfalt
verfasst worden, hat sich aber von dem beregten Fehler, wie schon
angedeutet wurde, ebenfalls nicht ganz frei halten können.
Eine kritische Flora der japanischen Inseln bleibt noch zu schrei-
ben. Sie wird viele der bisherigen Rechnungen zu Schanden machen!
Es ist darum sehr zu wünschen, dass Maximowicz, der Einzige,
welcher dies mit Aussicht auf guten Erfolg zu thun vermag, dazu
die Zeit und Kraft behalte und dass ihm die Unterstützung aller Bo-
taniker in Japan zu einer so verdienstlichen, mühsamen Arbeit nicht
fehlen möge.
Aus der nachstehenden Zusammenstellung der Artenzahl ver-
schiedener Familien und der artenreicheren Gattungen, wie sie bei
Franchet und Savatier gegenüber der Prolusio erscheinen, wird
man den grossen Fortschritt, welchen unsere Kenntniss der Flora
Japans im letzten Jahrzehnt gemacht hat, am besten zu würdigen
vermögen.
Japan besitzt
- nach Miquel: nach Franchet und Savatier:
- Arten Arten
- Ericaceae . . . . . 54 76
- Cyperaceae . . . . . 101 168
- Coniferae . . . . . 69 41
- Filices . . . . . . . 118 165
- Carex . . . . . . . 55 97
- Polygonum . . . . . 26 44
- Asplenium . . . . . 27 43
- Aspidium . . . . . 21 39
- Cnicus . . . . . . . ? 26
- Vincetoxicum . . . . 8 26
- Cyperus . . . . . . 15 24
- Acer . . . . . . . 16 24
- Rubus . . . . . . 15 22
- Senecio . . . . . . 7 22
- Quercus . . . . . . 25 20
- Aster . . . . . . . 4 20
- Rhododendron . . . 12 20
- Scirpus . . . . . . 4 19
- Artemisia . . . . . 12 17
- Salix . . . . . . . 20 17
- Lilium . . . . . . . 17 17
- Clematis . . . . . . 12 16
[182]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
- nach Miquel: nach Franchet und Savatier:
- Arten Arten
- Potentilla . . . . . . 10 16
- Polypodium . . . . . 11 16
- Ranunculus . . . . . 11 15
- Lonicera . . . . . . 10 15
- Ilex . . . . . . . . 13 14
- Chrysosplenium . . . 3 14
- Veronica . . . . . . 13 14
- Corydalis . . . . . . 9 13
- Prunus . . . . . . . 13 13
- Arabis . . . . . . . 9 12
- Hypericum . . . . . 9 12
- Viola . . . . . . . . 8 12
- Spiraea . . . . . . . 9 12
- Viburnun . . . . . . 12 12
- Galium . . . . . . . 7 12
- Saussurea . . . . . . 5 12
- Vaccinium . . . . . 11 12
- Euphorbia . . . . . ? 12
- Allium . . . . . . . ? 12
- Geranium . . . . . . 3 11
- Anemone . . . . . . 10 10
- Stellaria . . . . . . 6 10
- Rosa . . . . . . . . 10 10
- Lysimachia . . . . . 12 10
- Bambusa . . . . . . 11 10
- Sedum . . . . . . . 9 10
- Arisaema (Arum) . . 9 9
- Hydrangea . . . . . 16 7
Man wird aus Vorstehendem auch erkennen, wie wenig begründet
und wie hinfällig bisherige Berechnungen und Vergleiche des Procent-
satzes einzelner hervorragender Familien oder grösserer Gruppen,
z. B. der Holzgewächse in der Zusammensetzung der japanischen
Flora sind, gegenüber anderen Vegetationsgebieten. Hierzu kommt,
wie schon erwähnt, dass dabei manches eingeführte Gewächs als en-
demisch mitgezählt wird und die Unsicherheit des Bodens, auf dem
jene Berechnungen beruhen, noch vermehrt. Von bekannteren Ge-
wächsen will ich nur nennen: Nelumbo nucifera, Arten von Melia,
Rhus vernicifera und R. succedanea, Pawlownia imperialis, Ricinus
communis, Elaeococca cordata, Cycas revoluta, Chamaerops excelsa,
[183]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
die nebst manchen anderen bei den meisten Botanikern als gute
japanische Arten angesehen werden, es aber nichtsdestoweniger nicht
sind. Anderseits kann ich die besten Beweise dafür vorbringen, dass
Wistaria chinensis, Castanea vulgaris, Nandina domestica, Gardenia
florida und Lagerstroemia indica gute japanische Species sind, ob-
gleich dies bisher von den meisten Autoren bezweifelt wurde.
Eine besondere Besprechung verdienen noch die Coniferen. Fran-
chet und Savatier haben zwar die hohe Zahl von 69 Arten bei
Miquel auf 41 reduciert, allein auch hierbei sind manche vor einer
strengen Kritik nicht haltbar. Ich streiche vor allem Salisburia adian-
tifolia Sm., und zwar mit Zustimmung meines Freundes Ito Keiske,
weil wir ihr nur angebaut auf Tempelgründen begegnen, und rechne
weiter zu den sehr zweifelhaften: Pinus koraiensis, Larix Kaempferi,
Sciadopitys verticillata, Thuja gigantea, Biota orientalis, Chamae-
cyparis squarrosa und Ch. pendula, Taxus tardiva und alle Arten
von Podocarpus, weil ich auf all meinen Reisen dieselben nie anders
als angebaut gefunden habe. Die Gattungen Salisburia und Podo-
carpus gehören zwar zu einem sehr alten ostasiatischen Stamme —
finden sich doch Arten derselben im mittleren Jura des Amurlandes
und der japanischen Provinz Kaga —, scheinen aber gegen das Ende
der Tertiärzeit viel weiter südwärts gerückt zu sein. Der Ginkgo
Japans stammt selbst nach der Meinung der eingeborenen Botaniker
aus China, doch ist noch nicht erwiesen, ob und wo er hier wild
wächst. Die Podocarpus-Arten aber, welche man in Japan theils
zu Hecken verwandt, theils als Bäume in Gärten und Tempelhainen
trifft, dürften erst auf den Riukiu wirklich endemisch sein.
Seine Culturgewächse bezog Japan mit Ausnahme weniger, wie
des Tabaks und der Kartoffeln, aus China, ganz so wie seine In-
dustrie, die Schriftsprache und die herrschende Religion. So wurden
denn auch für die Japaner Hanf, Baumwolle und Seide die wichtig-
sten Bekleidungsstoffe, Reis das Hauptnahrungsmittel und Thee das
vorwiegende Getränk.
In Anbetracht der sehr alten gemeinsamen Cultur Chinas, Koreas
und Japans ist es übrigens wahrscheinlich, dass eine Anzahl der
diesem Gebiete eigenen Zier- und Nutzpflanzen gar nicht mehr im
wilden Zustande vorkommen, wobei wir nicht einmal an unsere ein-
heimischen Culturgewächse zu denken brauchen. Scheint doch der
Angelsachse in Californien den Beweis zu liefern, dass dieselbe Gene-
ration, die ein vegetabiles Denkmal aus alter Zeit (die Sequoia
gigantea) entdeckte und bewunderte, ihm auch mit der Fackel
und der Säge in der Hand den Untergang zu bereiten vermag,
[184]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
wie dies Sir Joseph Hooker und Andere vor mir bereits angedeutet
haben.
Bei einer ziemlichen Anzahl japanischer Gewächse deuten die
Beinamen Shina, Kara oder Tô (China), Chôzen (Korea), Tenjiku
(Indien), Jagatara (Batavia), Oranda (Holland), Nanban (fremde Bar-
baren: Portugiesen) schon den fremden Ursprung an, z. B. Shina-
no-ô (Corchorus capsularis), Kara-mume (Chimonanthus fragrans),
Kara-avoi (Alcea rosea), Tô-garasashi (Capsicum longum), Kara-
matsu-momi (Larix Kaempferi), Tô-giri (Clerodendron squamatum),
Tô-jin-mame, Tô-goma (Ricinus communis), Tô-gibosi (Funkia sub-
cordata), Tô-kibi (Zea Mais), Chôzen-giku (Boltonia indica), Chôzen-
asagao (Datura alba), Tenjiku-manori (Capsicum annuum), Jaga-
tara-imo (Solanum tuberosum), Oranda- (Orlanda-) genge (Trifolium
repens), Oranda-mitsuba (Apium graveolens), Oranda-giseru (Aegi-
netia indica), Nanban-hakobe (Cucubalus bacciferus), Nanban-kibi
(Zea Mais).
Befreit von all den vorerwähnten und vielen anderen fremden
Anhängseln, aber bereichert durch manche neue Entdeckung, wird
das Verzeichniss der endemischen Gefässpflanzen Japans schon nach
wenigen Jahren voraussichtlich gegen 3000 Nummern aufweisen.
Reicher und mannigfaltiger noch als bisher erscheint uns sonach trotz
vieler vorzunehmender Abzüge dieses schon so oft besprochene und
gepriesene Vegetationsgebiet, und während nicht anzunehmen ist,
dass die Zahl der tropischen Typen noch einen wesentlichen Zuwachs
erhalten wird, gestaltet sich die Liste der Arten, welche Japan mit
dem nördlichen gemässigten Theile des alten Continents und mit Nord-
amerika verknüpfen, immer umfangreicher.
Mehr als durch ihren Artenreichthum überrascht und interessiert
die Flora Japans durch die grosse Zahl und Mannigfaltigkeit ihrer
Gattungen und erinnert hierdurch, sowie durch den hohen Procentsatz
an Holzgewächsen stark an die Tropen, wie kein anderes Land der
gemässigten Zone. Sind auch eine Anzahl derselben, wie die voraus-
gegangene Liste dies zeigte, artenreich, so überrascht doch die enorme
Zahl der monotypen Gattungen, sowie solcher mit höchstens 2—3
Species in hohem Grade, so dass auch hierin Japan unter den ausser-
tropischen Ländern einzig dasteht. Unser Interesse an seiner Flora
wird noch erhöht, wenn wir nach der geographischen Verbreitung
ihrer Glieder fragen und finden, dass sie in dieser Beziehung ein
auffallendes Gemisch ist vieler dem Lande eigenthümlicher Arten
mit solchen, welche über China und den Himalaya, das tropische
Indien und den Malayischen Archipel, Nordeuropa und Sibirien, end-
[185]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
lich über Nordamerika und zwar vorwiegend über die Canadische
Platte und die Apalachen verbreitet sind.
Die Flora der Mittelmeerregion ist in Japan nur spärlich vertreten,
es fehlen vor allem die vielen aromatischen Kräuter und Sträucher der
Labiaten und Cistineen, Compositen und anderer Familien, was wohl
den grossen Unterschieden in dem Maasse und der Vertheilung von
Wärme und Niederschlag zugeschrieben werden muss. Irrig ist da-
gegen die Behauptung, dass die Blumen Japans, bei aller Schönheit
vieler, nicht riechen; denn verschiedene Lilien und Rhododendren,
mehrere Orchideen, die Maiblume, wo sie vorkommt, Pittosporum
Tobira, Rosa rugosa und andere können sich an Wohlgeruch mit den
in dieser Beziehung ausgezeichnetsten Blumen anderer Länder wohl
messen. Wie aber die Flora Japans wenig aromatische Pflanzen auf-
weist, so auch wenige mit Filzbildung auf den grünen Organen, dagegen
neigen manche zu Panachierung ihrer Blätter in hohem Grade.
Diejenigen Gewächse, welche Japan mit dem tropischen Indien
und malayischen Archipel gemein hat, erreichen meist in seinem süd-
lichen und mittleren Theile ihre Nordgrenze. Es gehören hierher von
tropischen und subtropischen Familien die: Bixineen, Pittosporeen,
Ternstroemiaceen, Sterculiaceen, Simarubeen, Meliaceen, Olacineen,
Sabiaceen, Melastomaceen, Begoniaceen, Ficoideen, Cucurbitaceen,
Myrsineaceen, Ebenaceen, Styraceen, Loganiaceen, Acanthaceen, Myo-
porineen, Phytolaccaceen, Basellaceen, Amaranthaceen, Proteaceen,
Lauraceen, Artocarpeen, Piperaceen, Chloranthaceen, Palmen, Scita-
mineen, Hypoxideen, Haemodoraceen, Dioscoreen, Smilaceen, As-
parageen, Stemonaceen, Commelineen, Pontederiaceen, Salviniaceen
und eine sehr grosse Anzahl Gattungen aus anderen Familien. Sie
folgten dem Kuro-shiwo über die Riukiu-Inseln und bilden zum Theil
auf den zwei grossen südlichen Inseln die wichtigsten Bestandtheile
des immergrünen Waldes, der sich dem Küstengebiete der Hauptinsel
entlang bis etwa zum 36. Parallel, dem nördlichsten Theile der Yedo-
bucht, fortsetzt, während wir ihn im höheren Innern schon viel süd-
licher nicht mehr treffen. Sicher erreicht er hier eine Höhenzone von
600 Meter nicht mehr und fehlt daher auch den Provinzen Shinano
und Hida durchaus. Die Lorbeerform herrscht in demselben vor, und
seine Hauptbestandtheile sind ohne Zweifel die immergrünen Eichen
(Quercus cuspidata, Qu. glabra, Qu. thalasiana, Qu. phylliraeoides,
Qu. acuta, Qu. sessilifolia, Qu. glauca, Qu. gilva). Zu denselben
gesellen sich von immergrünen Laurineen selbst Arten der Gattungen
Cinnamomum, Machilus, Tetranthera, Actinodaphne, Litsaea und
Daphnidium, unter denen Cinnamomum Camphora Nees die wichtigste
[186]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
ist. Er bildet einen interessanten Bestandtheil der Wälder an der
Kagoshima-Bucht, wo Buxus sempervirens theilweise das Unterholz
liefert, und der Hügelwaldungen von Tosa. Weitere wintergrüne
Gehölze Südjapans sind Illicium anisatum und Magnolia salicifolia,
Nandina domestica, Pittosporum Tobira, Ternstroemia japonica,
Cleyera japonica, Eurya japonica, Camellia japonica. Die Camellie
bildet im südlichen Japan einen ansehnlichen Baum, der bis 1,5 Meter
Stammumfang und 10 Meter Höhe erreicht und bis 1000 Meter hoch
in den Bergwaldungen von Kiushiu und Shikoku vorkommt, so dass
er hier die untere Grenze der Buche berührt und mit ihr und Aspe-
rula odorata auf Sasagami-tôge von mir in 970 Meter Höhe gefunden
wurde, wo er noch baumartig 5—6 Meter hoch war. Weiter nord-
wärts verringert sich mehr und mehr die Höhe derselben und nimmt
mehr Strauchform an. Die Mündung des Tone-gawa bei Chôki-
guchi unter dem 36. Parallel dürfte auf der Seite des Stillen Oceans
die Nordgrenze des wilden Vorkommens sein, während auffallender
Weise gegen das Japanische Meer hin die Pflanze noch mehr als
2 Grad weiter geht und in Hügelwaldungen des nördlichen Echigo
das etwa ein Meter hohe Unterholz bildet. Angebaut hält sie noch
auf Yezo im Freien aus, der Theestrauch bis zum 40. Breitengrade.
Trochodendron aralioides, sowie die immergrüne Skimmia japo-
nica Thbg. halten noch auf Yezo aus, ebenso Ilex crenata, während
die übrigen wintergrünen Ilicineen theilweise gleichzeitig mit den
Camellien enden.
Celastrus Kiusiana Fr. und S. fand ich als Bestandtheil des
immergrünen Waldes im südlichen Kiushiu neben dem Bux. Von
Rosaceen gehören hierher Photinia villosa und P. japonica, Raphio-
lepis japonica und Rosa Luciae, von Corneen: Aucuba japonica, von
Rubiaceen: Gardenia florida, von Oleaceen: Olea fragrans Thbg.,
O. aquifolium S. und Z.
Gehören schon viele der vorerwähnten Gewächse keineswegs dem
tropischen Florengebiete an, sondern sind vielmehr, wie die Tern-
stroemiaceen, nur der Vollständigkeit wegen hier aufgezählt worden,
so gilt dies noch vielmehr von den immergrünen Thymelaceen (Daphne)
und breitblätterigen Ericineen, wie Epigaea asiatica (Parapyrola),
Rhododendron Metternichii und anderen. Dagegen müssen wir hier
als durchaus tropische Formen noch mehrere Parasiten erwähnen,
welche sich von ihrer Heimath im malayischen Archipel bis in das
südliche Japan verbreitet haben. Es sind dies Viscum articulatum
Burm. (V. Opuntia Thbg.), Loranthus Yadoriki S. und Z., Luisia
teres Bl. (Epidendrum teres Thbg.), Malaxis japonica Fr. und Sav.
[187]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
Die interessante, blattlose Mistel (Viscum articulatum Burm.) mit
ihren flachen gegliederten und gabelförmig sich theilenden Aesten
erinnert in ihrem Habitus an manche Cacteen. Ihre Heimath erstreckt
sich über die Bergwaldungen Vorder- und Hinter-Indiens, der malayi-
schen Inseln und des wärmeren Australiens, Südchinas und Japans.
Ihre Wirthe sind theils periodisch-, theils immergrüne Bäume und
Sträucher aus sehr verschiedenen Familien. Im südlichen Japan hat
man sie bisher nur auf Symplocos, Litsaea und Eurya gefunden; ich
kann hinzufügen, dass sie in Satsuma auch auf den Aesten der Ca-
mellia japonica vorkommt.
Loranthus Yadoriki S. und Z. wurde zwar bisher nur auf der
Insel Kiushiu gefunden, wo er Ilex und Quercus (Quercus acuta) be-
wohnt, dürfte sich aber ebenfalls weiter nach Süden erstrecken. Von
den beiden epiphytischen Orchideen ist Luisia teres auf Kiushiu ziem-
lich häufig. In Satsuma und ôsumi bewohnt sie nach meinen Beob-
achtungen den Talgbaum (Rhus succedanea). Da sie auf Java und
auch im südlichen China zu Hause ist, dürfte sie auch den Riukiu-
Inseln nicht fehlen. Auffallend ist, dass Malaxis japonica nach
Savatier auf Cephalotaxus drupacea wohnt und mit diesem in den
Bergwaldungen des mittleren Japan vorkommt, ein Abweichen von
den Gewohnheiten der epiphytischen Orchideen, welches gewiss ohne
Beispiel ist.
Gleich den blattwechselnden Eichen und Magnolien gehen auch
die periodisch belaubten Gattungen der Lauraceen, Ternstroemiaceen,
Araliaceen, Styraceen, Rutaceen, Melastomaceen und anderer tropi-
scher oder in die Tropen hineinragender Familien viel weiter nach
Norden, als die beständig grünen. So finden wir Arten von Lindera,
Actinidia, Acanthopanax, Symplocos, Styrax, Evodia, Osbeckia noch
auf Yezo und dem südlichen Sachalin.
Viel auffallender noch ist die weite nördliche Verbreitung einer
ganzen Reihe von Cucurbitaceen. Während Deutschland nur noch
die bekannte Zaunrübe (Bryonia alba) beherbergt und Nordamerika
nur drei einheimische Arten von eben so vielen Gattungen (Bryonia,
Melothria und Sicyos) kennt, hat Japan 9—10 Arten in 7 Gattungen
(Trichosanthes, Lagenaria, Luffa, Momordica, Melothria, Actinostemma,
Gynostemma). So fand ich noch in Nambu Trichosanthes cucume-
roides Ser. und T. japonica, während Maximowicz bei Hakodate
Gynostemma cissoides Benth. beobachtet hat.
Den Zusammenhang der japanischen Flora mit der tropisch-
indischen zeigt vor allem auch das graciöse Bambusrohr, dieses über-
aus wichtige Glied im Vegetationsbilde japanischer Ortschaften und
[188]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
im Haushalte ihrer Bewohner. Die grössten und bedeutendsten Arten
derselben kommen hier nie zur Blüthe und bekunden schon hierdurch,
dass dies nicht ihre eigentliche Heimath ist. Darum ist auch die
Bestimmung derselben schwierig und unsicher und erscheint es noch
sehr zweifelhaft, ob diese grossen Species mit dem generischen Namen
Take (Bambusa variegata Sieb., B. puberulata Miq. und mehrere an-
dere) wohlbegründet, oder ob sie nicht vielmehr als Varietäten indi-
scher Arten, insbesondere der B. tulda Roxb., anzusehen sind. Man
findet Haine derselben, yabu genannt (ein gewöhnlicher Hain heisst
mori), nicht viel über Meereshöhe noch bis zum 38° N. Im süd-
lichen Kiushiu steigen sie bis 900 Meter bergan und im mittleren
Japan zwischen 34° und 36° N. (Hakonegebirge, Usui-tôge, Mikuni-
tôge, Kaga) findet man sie stellenweise noch in 500—600 Meter Höhe.
Nirgends erlangen sie grössere Dimensionen, als in der Umgebung
von Tôkio, wo Exemplare von 45—50 cm Umfang und 17—20 Meter
Höhe keine Seltenheit sind.
Zwergbambus und verwandte Grasarten, mit dem Collectivnamen
Sasa, theils zur Zierde in Gärten, zu Hecken etc. gezogen, theils
wild wachsend, blühen jedes Jahr. Unter den wild wachsenden
Arundinarien bilden mehrere Arten den gewöhnlichen Unterwuchs
lichter, höherer Gebirgswälder und erzeugen zwar kein hohes, aber
oft ein so geschlossenes Dickicht, dass es schwer hält, hindurchzu-
dringen.
Nach der Enumeratio Plantarum von Franchet und Savatier
zähle ich unter den wild wachsenden Gewächsen Japans folgende
eigenthümliche und grösstentheils monotype Gattungen:
- 2 Ranunculaceen: Glaucidium S. und Z. und Anemopsis S. und Z.
- 1 Berberidee: Aceranthus Decaisne.
- 2 Magnoliaceen: Trochodendron S. und Z. und Cercidiphyllum
S. und Z. - 1 Silenee: *Krascheninikowia Maxim.
- 1 Papaveracee: Pteridophyllum S. und Z.
- 1 Tiliacee: Corchoropsis S. und Z.
- 1 Celastrinee: *Reinia Fr. und Sav.
- 1 Sapindacee: Euscaphis S. und Z.
- 2 Rosaceen: Stephanandra S. und Z. und Rhodotypus S. und Z.
- 6 Saxifrageen: *Rodgersia A. Gray, *Tanakea Fr. und Sav.,
Schizophragma S. und Z., Platycrater S. und Z., Cardiandra S. und
Z., *Deinanthe Maxim. - 1 Hamamelidee: *Disanthus Maxim.
- 2 Umbelliferen: *Nothosmyrnium Miq. und *Chamaele Miq.
[189]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
- 1 Rubiacee: *Pseudopyxis Miq.
- 3 Compositeen: Mallotopus Fr. und Sav., *Macroclinidium Maxim.,
*Pertya Schultz Bip. - 1 Ericacee: *Tsusiophyllum Maxim.
- 1 Diapensiacee: Schizocodon S. und Z.
- 1 Primulacee: Stimpsonia Wright.
- 1 Cyrtandracee: Conandron S. und Z.
- 1 Hydrophyllacee: *Ellisiophyllum Maxim.
- 1 Boraginee: *Ancistrocarya Maxim.
- 1 Scrophularinee: Monochasma Maxim.
- 1 Orobanchacee: Clandestina Miq.
- 3 Labiaten: Keiskeia Miq., *Perilula Maxim., Chelonopsis Miq.
- 1 Juglandee: Platycarya S. und Z.
- 1 Urticacee: *Sceptrocnide Maxim.
- 1 Conifere: Thujopsis dolabrata S. und Z.
- 1 Orchidee: *Yoania Maxim.
- 1 Smilacee: *Periballanthus Fr. und Sav.
- 3 Melanthaceen: *Chionographis Maxim., *Helionopsis A. Gray,
*Metanarthecium Maxim.
Dies sind 44 specifisch japanische Genera, gegenüber 34, welche
Grisebach nach Miquel aufzählt, obgleich ich Chimonanthus Lindl.,
Pawlownia S. und Z. und Sciadopitys S. und Z. als nicht wild
wachsend, Skimmia Thbg., Tripetaleia S. und Z., Pentacalium S. und
Z. als auch anderwärts (Himalaya oder Nordamerika) vertreten, und
Diaspananthus, Orthodon, Rhodea, Helionopsis und Sugerokia als zu
anderen Gattungen zählend, gestrichen habe. Die Zahl der neu
etablierten Genera (in obiger Zusammenstellung mit einem * ausge-
zeichnet) ist somit eine recht beträchtliche. Wohl kann dies als ein
neuer Beweis des grossen Formenreichthums gelten, aber weitragende
Schlüsse darauf zu gründen, wäre gewiss sehr gewagt. Höchst wahr-
scheinlich wird eine genaue Durchforschung Koreas und Chinas später
die grosse Mehrzahl dieser endemischen Gattungen Japans auch auf
dem Festlande nachweisen. Es wird sich dann zeigen, dass zwischen
diesen drei Ländern ein noch viel innigerer Zusammenhang der Vege-
tation besteht, als dies bisher schon angenommen werden konnte.
Wie aber die Alpen die Südgrenze der nordeuropäischen Waldregion
gegen das Mittelmeergebiet bilden, so erscheinen der Himalaya und
seine südöstlichen Verzweigungen als der südwestliche Rand dieses
grossen chinesisch-japanischen Florengebietes, in welchem, begünstigt
durch reiche Niederschläge und eine der japanischen entsprechende
Temperatur, sich manche Gattungen und Arten des östlichen Monsun-
[190]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
gebietes wieder finden, die dem Innern Chinas und seinem continen-
talen Klima wahrscheinlich fehlen. So hat man wenigstens bisher
nur in Japan und dem Himalaya gefunden: Michelia Champaca L.,
Stachyurus S. und Z., Boeninghausenia albiflora Reich, Skimmia,
Helwingia und einige andere. Viel wichtiger und zahlreicher sind
jedoch die Gattungen und Arten, welche Japan mit China und aller
Wahrscheinlichkeit nach auch mit Korea theilt. Die bemerkens-
werthesten unter diesen Genera sind: Akebia, Stauntonia, Nandina,
Hovenia, Koelreuteria, Pueraria, Kerria, Raphiolepis, Deutzia, Phel-
lopterus, Aucuba, Rehmannia, Pentacalium, Paulownia, Sciadopitys,
Cryptomeria, Cephalotaxus, Salisburya. Diesen reihen sich, wenn
wir die Verbreitung über den grössten Theil des ganzen östlichen
Monsungebietes ins Auge fassen, weiter an: Kadsura, Euptelea,
Dontostemon, Eutrema, Actinidia, Phellodendron, Distylium, Cory-
lopsis, Hamamelis, Damnacanthus, Serissa, Ainsliaea, Platycodon,
Codonopsis, Glossocoma, Enkianthus, Anodendron, Metaplexis, Craw-
furdia, Lysionotus, Bothriospermum, Pteirospermum, Corylopteris,
Premna, Mosla.
Die Zahl der japanischen Arten aus anderen Gattungen, welche
auch in China und der Mandschurei gefunden wurden, ist sehr be-
trächtlich, ebenso derjenigen, welche Japan mit dem ganzen nörd-
lichen Waldgebiete des alten Continentes und theilweise auch des
neuen theilt und von denen hier nur die Namen der am weitesten
verbreiteten Arten folgen mögen:
Anemone triloba, Ranunculus repens, R. sceleratus, Caltha pa-
lustris, Coptis trifolia (nicht im mittleren Europa), Actaea spicata,
Draba nemorosa, Drosera rotundifolia, Parnassia palustris, Helianthus
peploides, Stellaria uliginosa, Cerastium vulgatum, Oxalis corniculata,
O. Acetosella, Lathyrus palustris, Spiraea aruncus, Potentilla palustris,
P. Anserina, Rubus Chamaemorus, Chrysosplenium oppositifolium,
Cornus Suecica, Linnaea borealis, Viburnum Opulus, Sambucus race-
mosa, Galium triflorum, G. Aparine, Valeriana dioica, Solidago Virg-
aurea, Taraxacum Dens-leonis, Vaccinium Oxycoccus, V. Vitis Idaea,
Empetrum nigrum, Ledum palustre, Pyrola rotundifolia, P. minor,
P. uniflora, Diapensia Lapponica, Trientalis europaea, Naumburgia
thyrsiflora, Veronica Anagallis, Brunella vulgaris, Stachys palustris,
Mertensia maritima, Solanum nigrum, Calystegia Soldanella, Meny-
anthes trifoliata, Chenopodium maritimum, Polygonum aviculare,
Callitriche verna, Humulus lupulus, Alnus viridis, Potamogeton natans,
Convallaria majalis, Luzula campestris, Scirpus lacustris, Eriophorum
gracile, Carex stellulata, C. vesicaria, C. muricata, Beckmannia erucae-
[191]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
formis, Phalaris arundinacea, Poa pratensis, P. nemoralis, P. serotina,
Glyceria fluitans, Festuca rubra, Triticum caninum, Asplenium filix-
femina, Polypodium vulgare, Lastrea dilatata, Ophioglossum vulgatum,
Osmunda regalis, Lycopodium Selago.
Neben diesen allbekannten Arten und einer Menge anderer, die
sich anreihen liessen und deren Verbreitungsgebiet ebenfalls fast so
weit geht, als das der periodisch belaubten Wälder der nördlichen
Hemisphäre, steht aber das nordamerikanische Waldgebiet östlich des
Mississippi mit Japan und der östlichen Monsunregion überhaupt noch
in einer ganz besonders nahen Pflanzenverwandtschaft. Dieselbe zeigt
sich nicht blos in der Gemeinsamkeit vieler Gattungen und einer
grossen Anzahl von Arten, welche den benachbarten Gebieten und
auch Europa durchaus fehlen, sondern auch in einer Gleichartigkeit
der Physiognomie des ganzen Vegetationsbildes, welche überrascht
und stark absticht gegen die Wälder westlich des Mississippi *). Die
grosse Mannichfaltigkeit und das bunte Gemisch der Baum- und
Straucharten, wie sie den japanischen Laubwald charakterisieren,
finden sich, wie bereits früher angedeutet wurde, auch in den Wäl-
dern der östlichen Vereinigten Staaten und der sich anschliessenden
canadischen Platte wieder. Auch diese amerikanischen Wälder weisen
neben dem herrschenden blattabwerfenden Gehölz und seinem bunten
Herbstkleide viele immergrüne Gewächse auf, auch in ihnen spielen
Lianen eine viel bedeutendere Rolle als bei uns.
Die Gemeinsamkeit vieler Gattungen und Arten fiel bereits Thun-
berg auf, aber Zuccarini hat sie zuerst weiter verfolgt und durch
eingehendere Vergleiche diese nahe Verwandtschaft des östlichen
Gebirgs- und Waldgebietes der Vereinigten Staaten mit dem japa-
nisch-chinesischen Gebiete dargethan. Dieselbe Sache hat später auch
A. Gray, Miquel, Grisebach und Sir Joseph Hooker beschäftigt
und namentlich Seitens des Erstgenannten eine gründliche Untersuchung
vieler dabei in Betracht kommenden Fragen hervorgerufen. Nach
seinen Vergleichen hat das atlantische Waldgebiet Nordamerikas mit
Japan und dem angrenzenden Monsungebiete nicht weniger als 65
Gattungen gemeinsam, die entweder anderwärts überhaupt oder doch
wenigstens in Europa und dem westlichen Theile von Nordamerika
fehlen. Hier ist die Liste derselben:
Illicium, Magnolia, Menispermum, Caulophyllum, Diphylleia,
Brasenia, Stuartia, Zanthoxylum, Cissus, Ampelopsis, Berchemia, Sa-
[192]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
pindus, Wistaria, Desmodium, Lespedeza, Rhynchosia, Astilbe, Hy-
drangea, Itea, Penthorum, Hamamelis, Liquidambar, Cryptotaenia,
Archemora, Fatsia, Diervilla, Mitchella, Oldenlandia, Leucothoë, Pieris,
Clethra, Symplocos, Ardisia, Catalpa, Tecoma, Leptandra, Callicarpa,
Cedronella, Amsonia, Phytolacca, Benzoin, Saururus, Pachysandra,
Laportea, Pilea, Boehmeria, Microptelea, Maclura, Juglans, Arisaema,
Pogonia, Arethusa, Dioscorea, Aletris, Coprosmanthus, Chamaelirium,
Arundinaria, Onoclea, wobei ich nur Nelumbium ausgeschieden habe,
welches unstreitig in Japan eine aus Indien über China eingeführte
Culturpflanze ist. Aber nicht blos durch das ausschliessliche Auf-
treten vorerwähnter zahlreicher Gattungen im atlantischen Waldgebiete
von Nordamerika und demjenigen Japans und in der Physiognomie
ihrer Wälder zeigt sich die grosse Aehnlichkeit beider, sondern selbst
in der Uebereinstimmung von gegen 250 Arten. Eine beträchtliche
Anzahl anderer Gattungen, welche dem östlichen Monsungebiete an-
gehören, bewohnt zwar auch das pacifische Waldgebiet Nordamerikas
und dehnt ihre Heimath von da bis zum Atlantischen Ocean aus,
fehlt aber Europa durchaus. Ich nenne hier nur die bekannteren:
Dicentra, Aesculus, Negundo, Sophora, Philadelphus, Aralia,
Gaultheria, Menziesia, Chamaecyparis, Torreya, Trillium, Adiantum.
A. Gray hat neuerdings einen sehr interessanten Vergleich an-
gestellt der Gattungs- und Arten-Zahl der Waldbäume von 4 Regionen
der nördlichen Hemisphäre, welcher hier folgen möge:
Atlantisches Waldgebiet Nordamerikas 66 Gattungen, 155 Arten.
Pacifische Waldregion Nordamerikas 31 Gattungen, 78 Arten.
Japanisch-mandschurisches Waldgebiet 66 Gattungen, 168 Arten.
Wälder Europas 33 Gattungen, 85 Arten.
Diese auffälligen Verhältnisse treten noch anschaulicher hervor,
wenn man, wie Gray es that, sie durch Diagramme darstellt, durch
Rechtecke, entsprechend den 4 Gebieten, so dass die Länge derselben
der Artenzahl und die Breite der Zahl der Gattungen entspricht, wie
folgt:
1. Atlant. N.-Amerika. 2. Pacifisches N.-Amerika. 3. Japan-Mandschurei. 4. Europa.
[193]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
Unsere Betrachtungen der hervorragendsten Züge und Beziehungen
der Flora Japans würden des Abschlusses entbehren, wenn wir schliess-
lich nicht auch die Deutung dieser Verhältnisse versuchen oder die
Versuche Anderer hier kurz erwähnen wollten.
Die Ueppigkeit der japanischen Flora wird, wo sie sich, wie in
den Gebirgswaldungen und Bambushainen, zeigt, durch das Zusam-
menwirken eines fruchtbaren Bodens, hoher Temperaturen und reicher,
über das ganze Jahr vertheilter Niederschläge bedingt, die insbe-
sondere auch dem warmen Sommer in beträchtlicher Menge zu theil
werden, der Reichthum und die Mannichfaltigkeit derselben haben
aber daneben noch ganz andere Ursachen. Wenn wir dieselben er-
forschen und zu einem richtigen Verständniss der Vereinigung einer
so grossen Zahl tropisch-indischer, chinesisch-mandschurischer, euro-
päisch-sibirischer und nordost-amerikanischer Gattungen und Arten
mit einer ansehnlichen Menge endemischer Formen gelangen wollen,
müssen wir nicht blos die heutigen geographischen und klimatischen
Verhältnisse in Betracht ziehen, sondern vor allem auch die paläonto-
logische Vorgeschichte dieser Vegetation berücksichtigen; denn wenn
es richtig ist, was Areschoug*) in Bezug auf die ältere skandina-
vische Vegetation sagt, dass die Vegetationsbeschaffenheit eines Landes
nicht ausschliesslich durch die gegenwärtig herrschenden kosmischen
Verhältnisse bestimmt wird, so gilt dies vor allem von Japan. Den
gegenwärtig noch fortdauernden Verhältnissen und einer posttertiären
Einwanderung schreibe ich die tropischen Bestandtheile seiner Flora,
wie nicht minder die arktisch-alpinen, sowie auch die der nördlichen
Waldregion des alten Continentes angehörenden zu, während ich nicht
blos wie Gray und Hooker die nordamerikanischen Glieder der japa-
nischen Flora, sondern auch die blos über China und die Mandschurei
verbreiteten, sowie alle endemischen, als einen sehr alten, der Ter-
tiärzeit entstammenden Grundstock betrachte.
In Folge der Verbindungen der grossen japanischen Inseln durch
die Kurilen mit Kamtschatka, durch Sachalin mit Amurland, durch
Oki, Iki und Tsushima mit Korea und durch die Riukiu mit Formosa
und dem Malayischen Archipel waren der Einwanderung asiatischer
Gewächse von Nord und Süd die Wege gebahnt. Die Unterbrechungen
zwischen den einzelnen Inseln werden durch Meeresströmungen und
Winde gewissermassen überbrückt, welche die Keime leicht von Insel
zu Insel tragen. Aber das Herbeiführen derselben würde allein noch
Rein, Japan I. 13
[194]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
keine Ansiedelung bedingt haben, wenn nicht Klima und Boden günstig
mitgewirkt hätten. Die immergrünen Bäume und Sträucher, welche
gleich manchen anderen tropischen Pflanzenformen auf dem ange-
deuteten Wege allmählich nach Norden vorrückten, gewöhnten sich —
so dürfen wir annehmen — bis zu einem gewissen Grade auf dieser
Wanderung und Abschweifung von ihrer eigentlichen Heimath all-
mählich an die kälteren Winternächte und fanden in der verhältniss-
mässig starken Erwärmung während des Tages, vor allem aber in
der warmen, feuchten Atmosphäre während des Sommers ihre wesent-
lichen Lebensbedingungen noch erfüllt. Die von Norden und Nord-
westen eingewanderten, an lange, strenge Winter gewöhnten Bürger
der nördlichen alten Welt aber stiegen die Gebirge hinan bis zu
den Höhen, die in klimatischer Hinsicht ihren Gewohnheiten am
besten zusagten. Auch ihre Einwanderung muss in die posttertiäre
Zeit verlegt werden, als die vulkanischen Gipfel zum grössten Theil
gebildet und das Land, wenn auch nicht vollständig, so doch an-
nähernd seine jetzige Höhe und Reliefverhältnisse, so wie die noch
herrschenden klimatischen Zustände erlangt hatte. Hierfür sprechen
alle Thatsachen, wogegen die Annahme, dass diese borealen Bestand-
theile der Flora Japans zur Eiszeit schon vorhanden, aber weiter
südlich geschoben und später wieder nordwärts und bergan gerückt
wären, in der Beschaffenheit des Landes und der thatsächlichen Ver-
breitung nordischer Pflanzen keine Stütze findet. Mit der rauhen und
heftigen nordischen Monsunströmung in Luft und Meer wandern die
Samen dieser Gewächse höherer Breiten allmählich südlich, gelangen
zu den Gehängen der Berge und werden durch Thalwinde, wie dies
bereits an einer anderen Stelle angedeutet wurde, gipfelwärts geführt.
Dass dabei, je nach Beschaffenheit der Früchte und Samen noch
andere Verbreitungsmittel, wie das Schneehuhn, Zugvögel und andere
mitwirken mögen, stelle ich ausser Frage, schreibe ihnen aber gegen-
über den Winden nur eine untergeordnete Rolle zu.
Wenn einmal die Floren all der zahlreichen Inseln von Formosa
bis zum Cap Lopatka, sowie diejenige von Korea und der Man-
dschurei näher erforscht sind, wird man die angedeuteten Wande-
rungen japanischer Gewächse mit fremden Verbreitungscentren erst
recht übersehen. Für viele derselben, welche bislang als endemisch
gelten, werden wir einen weit grösseren Verbreitungsbezirk kennen
lernen, für den verbleibenden Rest erst die rechte Deutung ge-
winnen.
Für das Fortkommen mancher perennierender Pflanzen, die nach
dem tropischen Ostasien weisen, ist auch die mächtige Schneedecke,
[195]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
welche sie in den nördlichen Landestheilen und allenthalben im Ge-
birge Monate lang einhüllt, von grosser Wichtigkeit, so z. B. für die
Cucurbitaceen, deren grüne oberirdische Theile wohl der erste Herbst-
reif knickt, deren Wurzeln aber durch den Schnee vor dem Erfrieren
geschützt sind. Wir müssen eben im Auge behalten, dass selbst auf
Yezo das Thermometer nur ausnahmsweise auf —16°C. sinkt, und
dies in der rauheren Luft, während unter dem Schnee so niedrige
Temperaturen nie vorkommen.
Insbesondere aber ist es die überraschend grosse Zahl von Holz-
gewächsen, deren Fortkommen wir, unbekümmert um die Frage nach
ihrem Ursprung, vor allem der Gunst des Klimas zuschreiben müssen.
Die nordischen Formen fanden hier die gewohnte lange Winterruhe,
die tropischen die nöthigen warmen Sommerregen wieder. In einem
Klima mit strengen Wintern würden letztere, in einem solchen mit
trockenen heissen Sommern die meisten Arten aus beiden Kategorien
nicht fortkommen.
Es ist desshalb mit Sicherheit anzunehmen, dass in dem Maasse,
in welchem von der ostasiatischen Küste aus landeinwärts der Cha-
rakter des Klimas sich ändert, der Gegensatz zwischen strengen
Wintern und heissen Sommern sich schärfer ausgebildet hat und die
Menge des Niederschlages rasch abnimmt; auch der Charakter der
Vegetation sich wesentlich ändert. Das chinesisch-japanische Floren-
gebiet Grisebach’s umfasst ausser Japan, der russischen Küsten-
provinz und Korea keineswegs das ganze chinesische Reich, sondern
nur den von den Monsunen beeinflussten östlichsten Theil desselben.
Ich ziehe desshalb die Bezeichnung nordöstliches Monsunge-
biet vor. Dieses pflanzengeographische Gebiet erstreckt sich nach
meiner Auffassung von der Fukian-Strasse und den Gebirgen der
Insel Formosa bis gegen die Amurmündung hin und umfasst alle
Küstenländer und Inseln rings um das Gelbe und das Japanische
Meer, also weit mehr als »Kämpfer’s Reich, das Gebiet der Ca-
mellien und Celastrineen« nach Schouw. Wir dürfen es das Reich
der Magnolien, Camellien und Aralien nennen; denn wenn auch die
drei Familien, welche durch diese Namen repräsentiert werden, ihre
Hauptentwickelung in den Tropen finden, so sind sie doch dort über
ein enormes Gebiet zerstreut und bilden keineswegs einen so cha-
rakteristischen und wichtigen Bestandtheil der Vegetation wie im
nordöstlichen Monsungebiete, dem gegenüber auch die Vertretung der
Magnoliaceen, Ternstroemiaceen und Araliaceen in Nordamerika (auch
was die Zahl der Gattungen und Arten betrifft) untergeordnet er-
scheint. Das nordöstliche Monsungebiet ist ferner die Region von
13*
[196]VII. Die Flora der japanischen Inseln.
Akebia, Acer, Polygonum und Lilium, da auf dasselbe das Vorkommen
der ersteren sich beschränkt, die drei anderen Gattungen aber nirgends
anderwärts so artenreich und massenhaft vertreten sind. Endlich
können wir unser Gebiet auch mit Fug und Recht das Reich der
Saxifrageen nennen, obgleich die Artenzahl des Genus Saxifraga in
Japan eine verhältnissmässig geringe ist und dasselbe in der Zusam-
mensetzung der alpinen Flora keineswegs die Bedeutung hat, wie in
den europäischen Hochgebirgen. Aber der grosse Formenreichthum
der Familie, wie er sich in 14 wohlbegründeten Gattungen ausspricht,
wird in keinem anderen Vegetationsgebiete auch nur annähernd er-
reicht.
Dieses nordöstliche Monsungebiet kann nach den beiden Meeres-
theilen, um die es sich ausbreitet, in eine südliche und eine nörd-
liche Zone getheilt werden. Jene, das Gebiet des Gelben Meeres,
ist die Heimath der Camellie und anderer immergrüner Ternstroemia-
ceen, der wintergrünen Magnoliaceen, Araliaceen, Laurineen, der
lorbeerblätterigen Eichen und des Bambusrohres. In der nördlichen
Zone, dem Gebiete des Japanischen Meeres, finden wir die periodisch
belaubten Glieder der genannten Familien, wie Actinidia, Stachyurus,
Magnolia hypoleuca und M. Kobus, Schizandra, Kadsura, Cercidi-
phyllum, Trochodendron, Acanthopanax, Lindera und statt der hohen
Bambusrohre die Zwergbambus- und riesigen Polygonum-Arten, ins-
besondere P. cuspidatum, P. Sieboldi und P. Sachalinense. Durch den
Kuro-shiwo rückt die Zone der Camellien bei den japanischen Inseln
weiter nach Norden, als auf der Seite des Festlandes.
Will man die Nadelhölzer mit in Betracht ziehen, so ist die
Umgebung des Gelben Meeres die Heimath der Sciadopitys, Crypto-
meria, Thuja und Biota, sowie mehrerer Retinisporen, des Ginkgo
und der Podocarpus-Arten, während das Gebiet des Japanischen
Meeres als Region der Kiefern, Tannen, Lärchen, Eiben und Wach-
holder zu bezeichnen ist. Die erstgenannten Nadelhölzer gehören
meist sehr alten Typen an, welche sich schon zur Zeit der mittleren
Jurabildungen im Gebiete des heutigen Japanischen Meeres befanden
und erst am Schlusse der Tertiärzeit weiter nach Süden rückten.
Dies führt uns zu unseren Schlussbetrachtungen, zur Deutung der
Beziehungen der Flora des nordöstlichen Monsungebietes zu derjenigen
der atlantischen Waldregion Nordamerikas, bei welcher wir im wesent-
lichen Asa Gray folgen.
Aus der Untersuchung und Vergleichung der zahlreichen mittel-
und jungtertiären Pflanzenreste, wie sie an hunderten von Stellen und
unter den verschiedensten Breiten in allen circumpolaren Ländern und
[197]Zusammensetzung der japan. Flora u. weitere bemerkenswerthe Züge etc.
der gemässigten Zone der nördlichen Hemisphäre gefunden wurden,
haben sich folgende wichtige Resultate ergeben:
1. Das Klima der gemässigten und kalten Zone der nördlichen
Erdhälfte war in der Tertiärzeit ein viel gleichförmigeres wärmeres
und wahrscheinlich auch feuchteres als gegenwärtig.
2. Die vegetabilen Reste, welche hierfür sprechen, gehören im
wesentlichen denselben Gattungen und Arten an, ob sie z. B. in den
Braunkohlenlagern Mitteleuropas, Grönlands oder Sibiriens gefunden
werden.
3. Die Wälder, von denen sie abstammen und die bis hoch in
die Polarregion hinaufragten, bestanden aus einem bunten Gemisch
verschiedener immergrüner und blattwechselnder Pflanzentypen. So
besass Europa gegen das Ende der Tertiärzeit neben Eichen, Ahornen,
Erlen, Weiden etc. auch Magnoliaceen, Laurineen, Juglandaceen,
Hippocastaneen, Taxodien, Sequojen und andere Typen, welche seiner
jetzigen Flora nicht mehr angehören, sich aber in den Wäldern
Nordamerikas und des nordöstlichen Monsungebietes erhalten haben.
4. Nicht einer Einwanderung der Gewächse des letzteren in das
atlantische Waldgebiet Nordamerikas oder umgekehrt ist darum die
grosse Verwandtschaft in der Physiognomie, den Gattungen und Arten
ihrer Gewächse zuzuschreiben, sondern dem Umstande, dass in
beiden die südliche Gebirgsrichtung und vielleicht noch andere nicht
näher bekannte Ursachen während der Eiszeit der Erhaltung eines
ansehnlichen Theiles der Tertiärflora günstig waren. In dem west-
lichen und mittleren Theile des alten Continentes aber bildete der
mächtige Gebirgsgürtel, welcher sich zwischen 35° und 47° N. von
West nach Ost erstreckt und als dessen hervorragendste Glieder
Pyrenäen, Alpen, Kaukasus und Thienschan zu nennen sind, für die
Waldvegetation des nördlichen Festlandes eine mächtige Barriere,
über welche sie sich nicht nach Süden zurückziehen konnte. Als
darum von ihr aus mit dem Eintritt der Eiszeit gewaltige Gletscher
sich entwickelten und dem Vordringen der arktischen Eismassen ent-
gegenrückten, wurde hier die Tertiärflora vernichtet.
5. Wie der physiognomische Charakter und die Gemeinsamkeit
der Gattungen und der Arten selbst in den Wäldern des nordöstlichen
Monsungebietes und Nordamerikas aus der Tertiärzeit stammen und
ähnlichen günstigen Umständen das Ueberleben der Eiszeit verdanken,
so ist auch die Fortdauer ihrer Existenz analogen klimatischen Ver-
hältnissen der Gegenwart zuzuschreiben; denn was die Höhe und
Vertheilung der Wärme und jährlichen Niederschläge anlangt, so
[198]VII. Die Flora der japan. Inseln. Zusammensetzung der japan. Flora etc.
gibt es auf der ganzen nördlichen Hemisphäre keine zwei Gegen-
den, die, obgleich räumlich so weit von einander geschieden, sich
so nahe stehen, wie das nordöstliche Monsungebiet und das Wald-
revier der Vereinigten Staaten zwischen Mississippi und dem Atlan-
tischen Ocean. Insbesondere bringen warme Südwestwinde beiden
Regionen während des Sommers jene reichen Niederschläge, die vor
allem geeignet sind, ihr interessantes Pflanzenleben zu fördern und
zu erhalten.
[[199]]
VIII.
Fauna.
a. Allgemeine Züge derselben.
Auch unter der Thierwelt Japans begegnen wir einer ganzen
Reihe bemerkenswerther Formen und zwar vom menschenähnlichen
Affen bis herab zu den einfachen Protozoen, Arten, deren Ueberein-
stimmung oder morphologische Verwandtschaft mit anderen oft räumlich
weit davon getrennten Species und deren geographische Verbreitung
und Vergesellschaftung unser Interesse in Anspruch nehmen. Die
Landfauna weist vorwiegend auf das benachbarte Festland hin, nach
Nordchina, Korea und der Mandschurei *). »Habitusähnlichkeit mit
der europäischen Fauna tritt fast in allen Klassen hervor«, sagt
E. von Martens, »Artengemeinschaft namentlich unter den Raub-
thieren, Raubvögeln, Wasservögeln und Fröschen; sie erklärt sich
leicht aus der ununterbrochenen Verbreitung derselben über das nörd-
liche Asien«. Aber während in einzelnen Thierklassen, z. B. den
Käfern, keine eigentliche Grenze der Artenvertheilung auf der langen
Linie von Westen nach Osten durch Europa und ganz Nordasien
bis zu den äussersten Vorposten dieses Erdtheiles zu erkennen ist,
weisen andere Repräsentanten solche Typen auf, die in Europa der
Jetztwelt nicht mehr angehören, wie den Riesensalamander. So hat
denn auch die Fauna Japans bei aller Verwandtschaft mit derjenigen
[200]VIII. Fauna.
der Nachbarschaft und der ganzen Nordhälfte des alten Continentes,
doch ihr eigenartiges Gepräge, wenn es sich auch in den verschie-
denen Thierklassen ungleich stark ausspricht. Es zeigt sich in der
Abwesenheit mancher continentaler Gattungen, in der Variation gemein-
samer Arten und in dem Nochauftreten von anderen, die in den Nach-
barländern verschwunden zu sein scheinen und zu alten Stämmen ge-
rechnet werden müssen. So lange indess Korea auch in zoologischer Hin-
sicht noch terra incognita ist, werden vergleichende Betrachtungen über
die Anzahl und Differenzierung japanischer Arten mit denen des Fest-
landes auf unsicheren Füssen stehen; denn die Bedeutung, welche jene
Halbinsel als vermittelndes Glied hat, wird kaum zu überschätzen sein.
Die allgemeine Regel, wonach Fauna und Flora der Inseln ärmer
sind, als beim benachbarten Festlande, dem sie gewöhnlich ent-
stammen, ist auf Japan kaum anwendbar. Hier überrascht nament-
lich auch die Insectenwelt durch einen grossen Reichthum an Formen
und Individuen, dergestalt, dass ein fleissiger Sammler von Käfern,
Schmetterlingen, Netzflüglern etc. in einem Umkreise von wenigen
Meilen bei Tôkio mehr Arten auffindet, als die gesammten britischen
Inseln aufweisen, mit denen man wohl zuweilen Japan hinsichtlich
seiner Grösse und Lage zum nächsten Festlande vergleicht.
Besonders reich an Arten und meist auch an Individuen, nament-
lich bezüglich der Fische, Krusten- und Weichthiere ist die Meeres-
fauna. Hier reichen sich wieder, wie bei der Flora, Tropen und
Polarregion — die Philippinen nebst Formosa und Kamtschatka —
gewissermassen die Hand, indem die Lage und Längenausdehnung
der Inseln, Meeresströmungen und Klima ein theilweises Berühren
und Vermischen beider Zonen bewirken.
Herrscht auf dem Lande und im Süsswasser der Charakter der
gemässigten Zone des alten Continentes hinsichtlich der Thierwelt vor,
so gilt dies keineswegs auch für die Meeresfauna. Hier überwiegen
vielmehr tropische und subtropische Gattungen und Arten und es
zeigen sich weit mehr Species, denen man auch in den malayischen
und indischen Gewässern begegnet, als solche aus dem Polarmeere.
Nebenher läuft eine sehr beträchtliche Anzahl specifisch japanischer
Arten, obgleich man annehmen darf, dass eine gründliche Erforschung
benachbarter Gebiete für manche derselben einen viel grösseren Ver-
breitungsbezirk ergeben wird.
Wenn in den malakozoischen Arbeiten von Woodward, Adams,
Liesche, von Schrenk und Anderen Japan als besondere Provinz
aufgestellt wird, so dürfte diese nach Norden durch die Tsugaru-
Strasse für die Ostseite und durch die La Pérouse-Strasse für die
[201]Allgemeine Züge derselben. Säugethiere.
Westseite der Insel Yezo zu begrenzen sein, da, wie in einem früheren
Kapitel gezeigt wurde, bis hierher der Kuro-shiwo einerseits, die
kalten nördlichen Strömungen anderseits sich geltend machen, marine
Organismen aber vorwiegend von den durch Strömungen beeinflussten
Meerestemperaturen abhängen. Auch für die Fischfauna mit wesent-
lich tropischem und subtropischem Charakter wird diese Nordgrenze
gelten können und das »Reich der Scomberoideen«, wie Schmarda
die chinesisch-japanischen Gewässer nennt, hier seinen natürlichen
Abschluss finden; denn gerade das in diesem Gebiete so artenreiche
und wichtige Makrelengeschlecht ist nach seiner räuberischen Lebens-
weise auf der Meeresoberfläche an die daselbst herrschenden Strö-
mungen gebunden. Ueberhaupt aber handelt es sich bei diesen »zoo-
logischen Provinzen« um die Thierwelt der obersten Meeresschicht
von höchstens 80—100 Faden Tiefe, welche alle japanischen Buchten
und das ganze Binnenmeer erfüllt, deren Temperatur ganz unter dem
Einflusse der Insolation und Meeresströmungen steht. Für grössere
Tiefen aber kommt ausschliesslich die rasch abnehmende Wärme in
Betracht, welche jene typischen Unterschiede der Zonen verwischt
und boreale Formen viel weiter südwärts führt, als man vor den
systematischen Tiefseeforschungen ahnte, so dass sich abwärts mit
der Temperaturabnahme gewissermassen im Ocean wiederholt, was
auf dem Festlande bei zunehmender Erhebung eintritt: das Aufsteigen
von Thier- und Pflanzenarten höherer Breiten nach den Gebirgsgipfeln
milderer Himmelsstriche.
Wo aber liegt für die Fauna der oberen Meeresschicht Japans
die Südgrenze? — Alle Versuche, eine solche zu bestimmen, ent-
sprechen nicht den Anforderungen, die man an eine genügende Ant-
wort auf diese Frage stellen muss, beruhen vielmehr mehr oder minder
auf Willkür. Nach Süden bemerken wir nämlich einen ganz allmäh-
lichen Uebergang in das tropische Gebiet des Stillen und des Indischen
Oceans, in das »Reich der Corallen und Holothurien«, die indo-paci-
fische Provinz Woodward’s, der Japan namentlich in Bezug auf
den Charakter seiner Mollusken entschieden angehört.
b. Säugethiere.
Was die japanischen Säugethiere betrifft, welche v. Siebold
sammelte, Temmink und Schlegel abbildeten und beschrieben, so
hat die Liste derselben mit rund 50 Arten in der Neuzeit trotz vieler
Reisen durch Landestheile, welche den Europäern früher verschlossen
[202]VIII. Fauna.
waren, keine nennenswerthe Bereicherung erfahren, wohl aber konnten
die Notizen über Lebensweise und Verbreitung einzelner Species
wesentlich berichtigt und ergänzt werden. Unsere zoologische Kennt-
niss des Binnenlandes beschränkt sich nicht mehr, wie noch vor 10
Jahren, auf die Angaben der Japaner, und hat namentlich auf dem
Gebiete der wirbellosen Thiere viel gewonnen.
Von dem Vertreter der Quadrumana, Inuus speciosus Tem.,
dem Saru der Japaner, nahmen v. Siebold und v. Martens an,
dass der 35. oder 36. Parallel seine Nordgrenze sei. Er findet sich
aber, wie ich bereits vor Jahren zeigte *), bis über den 41. Breitegrad
hinaus, bis zur Tsugaru-Strasse, in Theilen des nördlichen und nord-
westlichen Honshiu, wo im Winter der Schnee oft 15—20 Fuss hoch
liegt und die Temperatur in wenigstens 100 Nächten 2—12°C. unter
Null sinkt. Im Spätherbst kommt dieser rothwangige Affe dem Land-
mann nicht selten im Ernten seiner Hülsenfrüchte und Hirse am
Waldrande zuvor, im Winter aber müssen ihm die Früchte beeren-
tragender Sträucher und Schlingpflanzen, vor allem aber der Cupuli-
feren die nöthige Nahrung liefern, bis er selbst, von der Flinte oder
Falle des Jägers erreicht, abgezogen und verspeist wird.
Saru ist ein allenthalben wohlbekanntes Thier, dessen Name sich
in den verschiedensten Landestheilen bei den Benennungen von Flüssen,
Orten und Pflanzen angewandt findet. So heisst der bedeutendste
linke Nebenfluss des Kitakami Saru-ga-ishi-gawa (Affensteinfluss),
so gibt es Orte, wie Saruhashi (Affenbrücke) und Saruhara (Affenfeld)
und ähnliche. Ein grosser Löcherschwamm an diversen Baumarten
des Nikkôgebirges heisst Sarukoshikake (Affenstuhl), die Lager-
stroemia indica führt den Namen Sarusuberi (Affengleiter), die Früchte
mehrerer Actinidien werden Sarunashi (Affenbirnen) und von Smilax-
Arten Sarumame (Affenbohnen) genannt.
In China findet man einen nahen Verwandten des japanischen
Affen, nämlich Macacus (Inuus) Tscheliensis M. Edw., fast eben so
weit nordwärts, während bekanntlich eine dritte Art (Inuus ecaudatus)
noch spärlich auf Gibraltar vorkommt, dagegen im übrigen Südeuropa
ganz verschwunden ist. Es ist bemerkenswerth, dass, wie die hier
angeführten Affen nahe Verwandte sind, so auch die Palmen, welche
in den extremsten Theilen des alten Continentes im wilden Zustande
am weitesten nordwärts ragen (Chamaerops humilis und Ch. excelsa),
derselben Gattung angehören.
[203]Säugethiere.
Aus der Classe Chiroptera (japanisch Komori) werden 10 Japan
angehörende Arten beschrieben, darunter 2 Frugivoren, welche sich
von ihren malayischen Verwandten jedoch nur bis zum südlichen
Kiushiu, beziehungsweise bis Munintô entfernen. Unter den eigent-
lichen Fledermäusen kommt keine auch nur annähernd so häufig vor,
wie die Zwergfledermaus (Vesperugo pipistrellus Buff.) bei uns.
Insectenfresser kennt man 6 Arten, den Gattungen Talpa,
Urotrichus, Crossopus und Sorex angehörend, während der noch in
China verbreitete Igel fehlt. Der japanische Maulwurf, Talpa Wogura
Tem. und Schl. (japanisch Mugura), steht seinem europäischen Ver-
wandten sehr nahe, hat aber ein helleres, fast graues Kleid. In der
Färbung dem unserigen ähnlicher, ein interessantes Uebergangsglied
zu den Spitzmäusen, mit denen er in Gebiss und Schnauzenbildung
übereinstimmt, ist Urotrichus talpoides Tem., ein Thier von nur
3½ Zoll Länge, das in mittleren Gebirgslandschaften wohnt, auf allen
grossen Inseln, doch nirgends häufig vorkommt, keine Hügel aufwirft
und von den Eingeborenen passend Yama-mugura (Bergmaulwurf)
genannt wird. Eine grössere Spitzmaus, welche nicht blos die Ufer
der Bäche, sondern auch die Ränder der Gebirgsquellen bewohnt, ist
Crossopus platycephalus, die Kawa-nedzumi (Flussratte) der Japaner.
Von eigentlichen Raubthieren weist das Land sehr interessante
Arten des Bären-, Hunde- und Mardergeschlechtes auf, während wilde
Katzenarten fehlen *). Wenn der Tiger (tora) in Abbildungen und
Sprichwörtern häufig wiederkehrt, so sind dies Uebertragungen aus
China durch den Buddhismus und chinesischen Zodiacus, aber keines-
wegs Andeutungen auf ein früheres Vorkommen. Bären (kuma)
kennt man 3 Arten, den Kuma (Ursus jap. Schl.), den Oki-kuma
oder Aka-kuma (Ursus ferox) und den Eisbären (Ursus maritimus).
Letzterer verliert sich jedoch nur selten mit der arktischen Strömung
(aus der Beringsstrasse?) nach den Kurilen.
Der Kuma oder gemeine japanische Bär, schwarz bis auf einen
weissen Flecken an der Kehle, erreicht 2 Meter Länge und findet
sich in allen höheren Gebirgen ziemlich häufig, besonders in den
Randgebirgen von Aidzu. Sein Fell wird oft zum Kauf ausgeboten,
sein Fleisch frisch und geräuchert gegessen, wie das seiner Ver-
wandten. Der Shiguma (auch der grosse Bär, Oki-kuma, oder rothe
Bär, Aka-kuma, genannt) ist der braune Yezo-Bär, der Grisly Nord-
amerikas. Derselbe bewohnt Yezo und die Kurilen und ist dort noch
sehr häufig. Die Ainos tödten ihn, wie die Hirsche, mit vergifteten
[204]VIII. Fauna.
Pfeilen. Sie bereiten das Gift aus Udzu, den Wurzeln des Tori-kabuto
(Aconitum Fischeri Rehb., A. napellus Thbg.). Früher pflegten sie
mit den Schädeln der erlegten Thiere die Pfähle der todten Zäune
um ihre Wohnungen zu krönen, während junge Bären oft von ihnen
aufgezogen und wie übernatürliche Wesen göttlich verehrt wurden.
Der japanische Dachs (Meles Anakuma Tem.) ist namentlich in
Echigo und Akita häufig, doch auch sonst weit verbreitet. Man jagt
ihn im Herbst mit Hunden, geniesst das fette Fleisch und benutzt
das schöne Pelzwerk, welches an das des Waschbären erinnert, zum
Schutze gegen die Kälte. Sein Siebold’scher Name Anakuma
(Höhlenbär) ist wenig gebräuchlich, wohl aber nennt man ihn Sasa-
kuma (Bambusbär) nach Bambusa Kumasasa Zoll., doch ist die ge-
wöhnliche Benennung Mujina, welche nicht für Nyctereutes viverrinus
gilt, wie Siebold angibt.
Wenig aufgeklärt ist noch das Vorkommen und die Lebensweise
von Canis hodopylax, dem japanischen Wolf oder Yama-inu (Berg-
hund), der seinem europäischen Verwandten an Grösse weit nachsteht
und zu den seltensten Säugethieren des Landes gehört, doch soll man
in den Bergwaldungen von Yamato sein Heulen oft vernehmen.
Eine wohl bekannte, überaus häufige und sehr interessante Ge-
stalt ist die des Kitsune oder Fuchses (Canis vulpes L.), der selbst
den Gärten der grossen Städte nicht fehlt und seiner Schlauheit und
diebischen Neigungen wegen eine noch viel populärere Rolle spielt,
als im Volksmunde Europas. Seiner Klugheit wegen wurde Kitsune
unter die Wächter der Tempel aufgenommen und, aus Holz oder Stein
in sitzender Stellung nachgebildet, an die Eingänge postiert, während
er anderseits als Ernte- und Reisgott unter dem Namen Inari-sama
göttliche Verehrung geniesst. Die ihm geweihten Tempelchen treffen
wir häufig auf kleinen Erhöhungen inmitten der Felder, von Bambus-
gebüsch oder einigen Bäumen, vornehmlich Kiefern, umgeben, und
werden durch zwei in Stein ausgehauene sitzende Füchse zu beiden
Seiten des schmalen Pfades, der von unserem Wege ab zu demselben
führt, darauf aufmerksam. Eine besonders bevorzugte Stellung in
der Dienerschaft Inari-sama’s haben weisse Füchse, und wer einem
solchen seltenen Albino einmal in seinem Leben begegnet, deutet sich
dies als ein besonders glückliches Ereigniss. Bei der Huldigung, die
man Inari-sama darbringt, scheint indess der Landwirth mehr das
Böse eines gefürchteten Teufels verhüten als einem segenspendenden
Gotte dienen zu wollen.
Allgemein verbreitet bei Hoch und Niedrig ist der Glaube an die
Fähigkeit des Fuchses, den Wanderer vom rechten Wege ablenken,
[205]Säugethiere.
unstät umhertreiben und dem sicheren Verderben zuführen zu können.
Diese Eigenschaft und ein hohes Maass von Schlauheit wird auch
einem eigenthümlichen Obstfuchse Chinas und Japans, dem Waschbär-
hunde oder Tanuki (Nyctereutes viverrinus Tem. oder N. Procyonoides),
zugeschrieben, der ebenfalls häufig ist. Das interessante Thier lebt
auf ähnliche Weise wie der Dachs in den Hügellandschaften, auch
in der Nähe der grossen Städte, erinnert in mancher Beziehung an
den amerikanischen Waschbär, liefert ein eben so werthvolles, aber
viel dunkleres Pelzwerk und wird auch gegessen, was bei Fuchs- und
Hundearten nicht der Fall ist.
Das Mardergeschlecht weist als häufige Thiere den Ten
(Mustela melampus), das Itachi (M. Itachi), die Fischotter oder Kawa-
oso (Lutra vulgaris), ferner mehr im Norden, auf Yezo und den
Kurilen, den Yezo-ten (M. brachyura) und die Seeotter oder Rakko
(Enhydris marina) auf. Das Itachi ist das japanische Wiesel und
insofern eine Wohlthat für das Land, als es mit Vorliebe auf die Böden
der Häuser klettert und dort die zahlreichen Ratten jagt.
Die Classen der Beutelthiere und der Zahnarmen sind in
Japan nicht vertreten, dagegen gibt es Nager in ziemlicher Arten-
zahl. Neben zwei Eichhörnchen oder Kinedzumi (Baumratten) be-
merken wir zwei Flughörnchen (Pteromys), nämlich das Musasabi
(Pt. leucogenys Tem.) und das Momodori, d. h. Pfirsichvogel (Pt. mo-
monga Tem.). Das zierliche lichtscheue Momodori lebt wie sein
grösserer Verwandter den Tag über in hohlen Baumstämmen der Ge-
birgsgegenden, zumal von Nikkô und Shinano, und ist keineswegs
selten, ebenso ein Siebenschläfer (Myoxus elegans Tem.). Mehr im
Süden, z. B. in den Bergwaldungen von Yamato und Shikoku haust
das Musasabi, welches in Yamato den Namen Bantori (Nachtvogel)
führt und an Grösse unserem Eichhörnchen gleicht.
Die Mäuse sind bei weitem weniger zahl- und artenreich wie bei
uns und treten gegenüber dem ungemein häufigen Vorkommen der
Wanderratte oder Nedzumi (Mus decumanus Pall.) ganz in den Hinter-
grund. Die Ratte fehlt kaum irgend einem japanischen Hause und
ist eine wahre Landplage, die Nachts Alles durchstöbert, auch in die
Wohn- und Schlafräume dringt und dadurch lästiger wird, wie Rauch
und Flöhe.
Hasen, japanisch Usagi (Lepus brachyurus Tem.), sind allver-
breitet, wenn auch keineswegs so zahlreich, wie in offenen deutschen
Ebenen. Abgesehen von ihren kürzeren Ohren gleichen sie unserem
Lampe vollkommen.
[206]VIII. Fauna.
Das Wildschwein (Sus Leucomystax Tem.), der einzige Vertreter
der Vielhufer, nähert sich seinem europäischen Verwandten eben-
falls so sehr, dass die geringen Abweichungen kaum die Aufstellung
einer neuen Art rechtfertigen. Die Japaner nennen dieses, in allen
Landestheilen, namentlich dem Norden, sehr häufige Thier Ii oder
Shishi. Sie müssen in manchen Gegenden ihre heranreifenden Früchte
Nachts durch die Unterhaltung offener Feuer längs der Waldränder
gegen die Verheerungen derselben schützen.
Zwei Wiederkäuer, Cervus Sika Tem. und Antilope crispa
Tem., beschliessen die Zahl der Landsäugethiere. Der japanische
Hirsch oder Shika, ein prächtiges Thier, kleiner und schlanker als
unser Edelhirsch, meist Achtender, kommt in vielen Theilen des Lan-
des häufig vor, besonders auf Yezo, wo er sich im Winter vornehm-
lich von einer Arundinaria bambusoides S. und Z., welche in den
Bergwaldungen den Unterwuchs bildet und auf Yezo auch das offene
Land oft weithin bedeckt, nährt. Nach Böhmer wurde im Winter
1874/75 auf den Ebenen bei Horoidzumi, Provinz Hidaka an der Süd-
küste von Yezo, die kaum glaubliche Zahl von 30000 Hirschen ge-
tödtet *). — Von den fünf bekannten und nahe verwandten Arten der
Gattung Nemorhedus oder ostasiatischen Antilopen kommt Antilope
crispa Tem., Kamoshika oder Karasishi, im Süden des Landes auch
Nik und Nigu genannt, in Japan vor. Ziegengemsen könnte man
diese Thiere ihrer Gestalt und Behaarung nach nennen. Die Kamo-
shika ist in allen hohen Gebirgen Japans zu finden, häufig in den
Bergen um Echigo, z. B. auf Mikuni-tôge und im Nikkô-gebirge.
Scheu, wie die Gemsen und Steinböcke, hält sie sich gewöhnlich
gleich diesen nur in den höchsten und unzugänglichsten Gebirgs-
partien auf und wird gejagt, wenn im Winter hoher Schnee und
Raubthiere, besonders Wölfe, sie in die Tiefe treiben.
Von Flossensäugethieren werden acht an den Gestaden
Japans, zumal den Kurilen, vorkommende Arten erwähnt. Am be-
merkenswerthesten unter denselben dürfte Physeter Tursio sein, den
eine hohe Rückenflosse auszeichnet und Capt. St. John an der Ost-
küste Yezos häufig wahrnahm. Man fängt denselben nach diesem
Zeugen mit Netzen vor dem Harpunieren und isst sein Fleisch.
Die Viehzucht tritt in Japan noch immer, wie in den meisten
Ländern, wo der Buddhismus herrscht, weit hinter den Ackerbau
zurück. Die gewöhnlichen Hausthiere sind: das Pferd (uma, sprich
[207]Säugethiere. Vögel.
m-ma), eine kleine Rasse, verwandt mit der mongolischen, welche
bis Finnland und Esthland vorkommt, das Rind (ushi), das vorwiegend
als Last- und Zugthier, gar nicht der Milch und wenig des Fleisches
wegen gehalten wird, das Schwein (buda), welches indess ebenfalls
eine untergeordnete Rolle spielt, der Strassenhund (inu), ein Zwerg-
schosshund (chin), die Katze (neko), besonders mit kurzem, von Ge-
burt aus verstümmeltem Schwanze, das Kaninchen (usagi), das Huhn
(tori, auch der Vogel überhaupt, on-dori, der Hahn, men-dori, die
Henne), die Ente (ahiru), die Taube (hato), die Seidenraupe (kai-ko),
die Biene (hachi). Ausserdem werden zur Belustigung besonders
weisse und bunte Mäuse (hazuka-nedzumi, d. h. Zwanzigtag-Ratten)
und Ratten (nedzumi) unter dem Namen Koma-nedzumi (Spielmäuse)
viel gehalten, weniger Singvögel.
Von unseren Hausthieren fehlten sonach bisher der Esel (usagi-
m-ma), das Maulthier (roba), das Schaf (rashamen, hitsuji, menyo),
die Ziege (hitsuji, yagi), die Gans (gachô).
c. Vögel.
Die Vogelfauna Japans wurde bisher nur durch Sammler an
einzelnen Küstenplätzen bekannt und bietet im Innern des Landes,
zumal den Gebirgen, tüchtigen Ornithologen noch ein sehr ergiebiges
Feld. Man kennt gegen 250 Arten. Viele derselben stimmen überein
mit Europäern, die über einen grossen Theil des alten Continentes
verbreitet sind, andere zeigen so geringe Unterschiede in Grösse,
Färbung des Gefieders etc., wie Häher, Kukuk und Rothbrüstchen,
dass man sie kaum als selbständige Arten gelten lassen kann, noch
andere, wie die Fasanen, reihen sich speciell der nordchinesischen
Fauna an, während tropische Gattungen nur ausnahmsweise ver-
treten sind.
In den Städten und Ortschaften bilden Spatzen (Passer montanus
L.) und Raben (Corvus japonicus Bp.) die allgewöhnlichen stehenden
Gäste, während die Rauchschwalben nur im Sommer, andere, wie
Milvus gorinda, ein Verwandter unserer Gabelweihe, nur den Winter
über sich zeigen. Zu Hakodate soll der schöne Pastor (Heterornis
pyrrhogenys Tem.) an Häufigkeit des Vorkommens mit dem Spatz
wetteifern.
Sperlinge (Susume) und Raben (Karasu) zeigen die allbekannten
Gewohnheiten, dagegen fällt die unseren Bussarden ähnliche Weihe
(Tobi) sehr auf. Mit den beiden ersten treibt sich dieser Raubvogel
[208]VIII. Fauna.
auf den Dächern der niedrigen Häuser und in den Höfen und Strassen
umher und begnügt sich mit den Abfällen auf Dünger- und Kehricht-
haufen, mit Möven und Kormoranen fischt er am Meeresstrande.
Sobald aber die milden Frühlingslüfte wehen, treibt es ihn in höhere
Regionen. Verlassen und vergessen wird die alte niedrige Gesell-
schaft und Lebensweise. Seinen edleren Verwandten, den Falken
(taka) und Adlern (washi), nach — Geier kommen nicht vor — steigt
er hoch in die Lüfte und begibt sich paarweise zum Brutgeschäft
ins Gebirge.
Unsere Schwarzamsel und Singdrossel fehlen, aber eine ganze
Anzahl anderer Turdus-Arten (tsugumi) bewohnen das Land und
kommen den Winter über gleich einem Staar (Sturnus cinereus) und
einer sehr häufigen schieferfarbenen Taube (Columba intermedia Bp.),
der Yama-hata, zahlreich nach den Bäumen und Gebüschen in der
Nähe der Wohnungen.
Die Rauchschwalbe (Tsubame) hat den Sommer über freien Zu-
gang zum inneren Gebälk der Häuser und nistet entweder hier oder
auf Brettchen, welche man ihr an die Decke hängt. Eine Verwandte
derselben (Hirundo alpestris japonica) finden wir in den höheren Ge-
birgen, wo sie oft in alten Kraterwänden, wie am Asama-yama,
ihre Wohnung aufschlägt. Auf den freien Plätzen von Tôkio er-
scheinen zeitweise, besonders gegen das Frühjahr, ganze Schaaren von
Bachstelzen (Sekirei), zumal Motacilla lugens Tem., welche unserer
M. alba sehr nahe steht, während die gelbe, M. sulfurea Mt., mehr
paarweise auftritt.
Von den scheueren krähenartigen Vögeln kommt der Seiden-
schwanz, wie bei uns, nur ausnahmsweise aus den nordischen Nadel-
wäldern, seiner Heimath, in die Gärten des mittleren Japans. Neun-
tödter (Modzu), Häher (Kashi-dori, d. h. Eichelvögel) und Elstern
(Korai-garasu) sind im Gefieder wenig, in ihrer Lebensweise gar
nicht von den unsrigen verschieden. Der Name Korai-garasu (korea-
nischer Rabe), dessen schon Kämpfer erwähnt, soll auf die frühere
Einführung der Elster aus Korea hinweisen. Ich fand diesen immer-
hin seltenen Vogel am häufigsten auf Kiushiu zur Seite der Bucht
von Shimabara, woselbst am 11. April ein Nest sieben stark ange-
brütete Eier aufwies. — Auch der Kukuk oder Hotongiso (Cuculus
canorus L.) fehlt Japan nicht, ist aber seltener als bei uns.
Die übrigen in Japan vorkommenden Klettervögel, vor allem zwei
Spechtarten, Eisvogel und Wiedehopf stimmen mit bekannten euro-
päischen Arten überein oder stehen denselben sehr nahe. Die Papa-
geien aber sind in Ostasien ihrer sonstigen Gesellschaft von Affen
[209]Vögel.
und Palmen nicht gefolgt, kommen selbst auf den Riukiu nicht vor,
gehen somit nicht so weit nordwärts als in Amerika.
Unter den artenreichen Singvögeln finden wir nur wenige be-
vorzugte Sänger. Obenan steht der Unguisu (sprich Unguïs, Cettia
cantans T. und Schl.), die japanische Nachtigall. Dieser ausge-
zeichnete Vogel ist kleiner als unser Meistersänger, welchem sich seine
Lebens- und Singweise nähert, und gleicht mehr einer Grasmücke.
Die Rückseite zeigt eine olivengrüne, mit grau vermischte Farbe, der
Bauch ist grauweiss. Der Unguisu ist ausserordentlich häufig und
über das ganze Land verbreitet, von den Gärten und Tempelhainen
in der Nähe der Wohnstätten durch die Hügellandschaften und
Bergwaldungen hinauf, so weit nur Gebüsch steigt. Im April und
Mai, wenn sich Alles neu belaubt, erscheint er in der Ebene, und
wenn hier im Nachsommer sein Gesang verstummt, erfreut uns der-
selbe noch nahe den Schneeschrammen im Hochgebirge. Dieser Ge-
sang, obgleich weniger klangvoll als der unserer Nachtigall, beginnt
tief und sanft flötend, wie bei dieser und ähnelt demselben auch in
Bezug auf den grossen Wechsel der Noten und die Verschiedenheit
der Weisen, so dass, wenn man ein halbes Dutzend und mehr
dieser Vögel um sich herum musicieren hört, die einen am Anfang,
die anderen in der Mitte, noch andere gegen das Ende ihrer Lieder,
man glauben sollte, die Stimmen eben so vieler ganz verschieden-
artiger Sänger zu vernehmen.
Von sonstigen Dünnschnäblern treffen wir in den Wäldern das
japanische Rothbrüstchen (Lusciola akahige Schl.), Koma genannt, das
Blauköpfchen oder Ruri (Lusciola cyanura Pall.), das Goldhähnchen
oder Itadaki (Regulus ignicapillus Brehm), verschiedene Meisenarten,
japanisch Kara, und andere. Betreffs des Goldhähnchens erfuhr ich
durch einen alten Japaner und Naturbeobachter in Kaga, dass das-
selbe von seiner südlichen Wanderung bereits Ende Januar nach Owari,
aber erst Anfang März nach Kaga zurückkehre.
Zahlreicher als die Dünnschnäbler sind die Finken vertreten, von
denen einige Arten nur hoch im Gebirge vorkommen und noch näher
studiert werden müssen. Als Sänger verdient auch noch eine Lerchen-
art, japanisch Hibari, nämlich Alauda japonica Schlegl., Erwähnung,
die sich in ihrer Lebensweise unserer Feldlerche anschliesst.
Fern von den Stätten menschlicher Cultur und abweichend von
den Gewohnheiten anderer Singvögel, insbesondere auch seiner näheren
Verwandten, der Drosselarten, finden wir auch in Japan den Wasser-
staar (Cinclus aquaticus), von dessen einsamer Lebensweise uns Brehm
ein so treues und anziehendes Bild entwirft. An den klaren Gebirgs-
Rein, Japan I. 14
[210]VIII. Fauna.
bächen können wir häufig das muntere Treiben dieses über den ganzen
Norden der alten Welt verbreiteten, ausgezeichneten Tauchers beob-
achten und uns seiner graziösen Bewegungen, die er bald auf dem
trockenen Felsvorsprunge, bald in dem ihn umspülenden Wasser aus-
führt, erfreuen.
Des zahlreichen Auftretens der wilden Tauben wurde bereits
gedacht. Von Hühnerarten finden wir Wachteln (Udzura), Birk-
hühner (Shakô), Schneehühner (Raichô), Auerhähne (Yama-Shigi) und
Fasanen (Kiji). Das Schneehuhn bewohnt nur die höchsten Berg-
gipfel und ist eine seltene Erscheinung. Nur zweimal — auf dem
Haku-san und dem On-take — hatte ich Gelegenheit, es zu beob-
achten und eine Uebereinstimmung mit Lagopus mutus Gould. zu er-
kennen. Auf Yezo und den Kurilen dürfte es viel häufiger auftreten,
obwohl mir keine Andeutungen darüber vorliegen. Das Birkhuhn ist
nur von Yezo bekannt.
Die Fasanen nehmen unzweifelhaft unter dieser ganzen Vogel-
gruppe nicht blos des Jagdliebhabers, sondern auch des Naturforschers
besonderes Interesse in Anspruch. In zwei Arten, Phasianus versicolor
Tem., dem eigentlichen Kiji, und Ph. Sömmerringi Tem., Yama-dori
(Bergvogel) genannt, finden wir diese bemerkenswerthe Gattung über
alle Inseln des japanischen Reiches nordwärts bis zur Tsugaru-Strasse
vertreten, den ersteren oder grünen Fasan jedoch bei weitem häufiger
als den Kupferfasan (Ph. Sömmerringi). In allen Hügellandschaften
und insbesondere auf der Hara hören wir im Sommer seinen Ruf »Kiji«,
oft von fünf, sechs verschiedenen Stellen rasch hinter einander. Bei
herannahendem Winter ziehen sich viele in das Röhricht aus Phrag-
mites (Yoshi) und anderen Gräsern längs der Flüsse und Reisgräben,
ja selbst in die Gärten der Städte, und es ist für einen Jäger mit
einem guten Hunde dann keine schwere Aufgabe, innerhalb weniger
Stunden 8—12 Stück seine Beute zu nennen.
So schliesst sich denn die japanische Inselwelt auch in dieser
Beziehung an Korea und China, »das Reich der Fasanen« par excel-
lence, eng an. Der Pfau aber, der uns so oft in Abbildungen, selten
lebend als Ziervogel begegnet, wurde erst am Ende des 6. Jahr-
hunderts von China aus eingeführt und ist der japanischen Fauna
fremd, eben so wie die Laufvögel, zu denen der oft bildlich darge-
stellte mythologische Glücksvogel Howo in keiner Beziehung steht.
Von den Stelzvögeln nehmen vor allem zwei über ein weites
Gebiet der alten Welt verbreitete Gattungen wegen der Häufigkeit
des Vorkommens und der volksthümlichen Beliebtheit unsere Auf-
merksamkeit in Anspruch, die Kraniche (Tsuru) und die Reiher (Sagi).
[211]Vögel.
Keine anderen Thiere, die Schildkröte vielleicht ausgenommen, treffen
wir so häufig in Bilderbüchern und auf den verschiedensten Erzeug-
nissen des Kunstgewerbes abgebildet, keine anderen Abbildungen
gewähren uns einen besseren Blick in die tiefgreifende Naturbeob-
achtung und das hohe Talent der Japaner, das Wahrgenommene
lebensvoll und treu darzustellen, wie diese.
Der Kranich (Grus Montignesia Bp.) mit rothem Scheitel, schwar-
zen Schwanzfedern und schwarzem Vorderhals, sonst weiss, eine
schlanke, edle Vogelgestalt, war und ist dem Japaner heilig und ein
Symbol des Glückes. Man begegnet ihm viel seltener als dem eben-
falls geschützten Silberreiher, der in Schaaren und ohne Furcht wie
in Indien und Aegypten den Arbeiten des Landmannes auf dem Reis-
felde, vom Frühling bis zum Spätherbst, folgt und in der Landschafts-
staffage durch sein schönes weisses Gefieder, besonders im Hoch-
sommer, wenn sein Rücken aus dem lieblichen Grün der Reisflur
hervorschaut, eine charakteristische Figur ist. Am häufigsten be-
gegnen wir dem grossen Silberreiher (Ardea egretta L.), kurzweg Sagi
oder Shiro-sagi genannt, viel seltener dem kleinen Ippai-sagi (Ardea
garzetta L.) und dem die Einsamkeit liebenden grauen Reiher (Ardea
cinerea), welcher sich mit anderen Sumpf- und Wasservögeln ge-
wöhnlich erst nach der Ernte auf dem Reissumpfe einfindet. Auch
der kosmopolitische Goi-sagi (Ardea nycticorax L.) fehlt nicht. Gleich
den Krähen gründet er oft auf den hohen Kiefern und anderen Bäumen
der Parkanlagen colonieweise seinen häuslichen Heerd und wird
durch das nächtliche Schreien und andere unangenehme Eigenschaften
der menschlichen Umgebung recht lästig, dessen ungeachtet aber
freundlich von derselben geduldet. So sah ich z. B. eine Brutstätte
dieser Vögel im Schlossparke von Kochi auf der Insel Shikoku mit
80—100 Horsten. Viel seltener erscheint der Hira-sagi oder Löffel-
reiher (Platalea major), während ich dem Storche Kodzuru (d. h.
kleiner Kranich, Ciconia Boyciana) und seinem Neste nie begegnet bin.
Kibitze kommen vor, sind aber nicht häufig, dagegen bilden Strand-
läufer und Becassinen, im allgemeinen Shigi genannt, eine vielver-
breitete Sippe, die den Winter über kaum einem sumpfigen Reisfelde
fehlt. Endlich ist auch noch das Vorkommen des gemeinen Wasser-
huhnes oder Ban (Gallinula chloropus L.) zu erwähnen.
Schwimmvögel sind, wie zu erwarten, sehr zahlreich. Sehen
wir ab von den Möven und verwandten Bewohnern der See- und
Strandregion, so fallen wilde Enten und Gänse durch ihre grosse
Häufigkeit besonders auf. Auf einem Teiche 2—3 Meilen nördlich
der Sendaibucht fand ich an einem Herbsttage diese Vögel in solcher
14*
[212]VIII. Fauna.
Menge, dass auf einen Pistolenschuss hin sich mindestens 10000 Stück
erhoben. Selbst auf den Schlossgräben und Teichen der Städte, z. B.
mitten in Tôkio, finden sich wilde Enten (Kamo) und Gänse (Gan)
in grossen Schaaren das ganze Jahr hindurch. Sogar der sonst
scheue und vorsichtige U oder Cormoran, den übeler Geruch und
schwarzgraues Gefieder nicht gerade empfehlen, findet hier Schutz
und gesellt sich als dritter im Bunde allenthalben hinzu. Er ist ein
besonders geschickter Taucher und Fischer, der sein Jagdgebiet
keineswegs auf Binnenwasser beschränkt und auch den Seefisch zu
würdigen weiss. Gleich Krähen und Reihern liebt er es, auf Bäumen
in Colonien sein Brutgeschäft zu besorgen. Zum Fischfang abgerichtet
und verwendet fand ich ihn nur in beschränktem Maasse in Owari
und Mino, woran seine grosse Unreinlichkeit schuld sein mag, welche
der in solchen Dingen weniger empfindliche Chinese leichter übersieht.
d. Reptilien und Batrachier
treten unter der japanischen Thierwelt, ebenso wie in derjenigen
Chinas, weder durch ihre Artenzahl, noch durch die Menge der
Individuen besonders hervor. Um so bemerkenswerther ist die Art
der Zusammensetzung der 30 Species mit ihren Beziehungen zur
indischen, nordamerikanischen und nordeuropäischen Fauna. Nach
den tropischen Gewässern weisen die 7 marinen Glieder — 3 Schild-
kröten und 4 Seeschlangen — hin, welche mit dem Südwestmonsun
und Kuro-shiwo im Sommer bis zu den Südküsten der grossen Inseln
gelangen; auf das indische Festland verweist eine Trionyx, ein
Gekko und ein Trigonocephalus, nach Nordamerika gehen die Be-
ziehungen mehrerer Salamander, nach Europa und Nordasien die des
übrigen Theiles. Wenn wir hier der systematischen Ordnung folgen,
so kommen zunächst in Betracht drei Meeres- und zwei Süsswasser-
Schildkröten, nämlich Chelonia imbricata, Ch. viridis und Ch. cephalo,
ferner Trionyx stellatus und Emys japonica Schl.
Das seltene Vorkommen der Seeschildkröten (umi-game)
wird von allen Seiten constatiert und lässt sich schon aus den unge-
nauen japanischen Abbildungen sowie daraus schliessen, dass alles
in Japan verarbeitete Schildpat (bekko) importiert wird. Offenbar
ist hier für die werthvolle Caretschildkröte (Ch. imbricata) und die
viel grössere C. cephalo (Shogakubo) die Nordgrenze der Ueberschrei-
tung ihrer tropischen Heimat. Gleiches gilt von den vier See-
[213]Reptilien und Batrachier.
schlangen (umi-hebi), nämlich Hydrophis pelamis, H. striata, H. pe-
lamiiodes und H. colubrina, welche nie über das Gebiet der warmen
Meeresströmungen hinaus beobachtet worden sind.
Von den Süsswasserschildkröten kommt die indische Trio-
nyx stellatus Schl., welche gewöhnlich Suppon genannt wird, nur in
den Flüssen und Teichen von Kiushiu, Shikoku und dem südlichen
Honshiu vor, während Emys vulgaris japonica Schl. (E. japonica Gray)
ihre Nordgrenze erst auf Yezo findet und allenthalben, wenn auch
nicht häufig, so doch bekannt ist. Von der weit verbreiteten süd-
europäischen E. palustris ist sie, abgesehen von ihrer viel dunkleren
Färbung, nicht wesentlich verschieden. Sie führt den Namen Kame,
ist Symbol des langen Lebens und Glückes, wird, oft mit Jungen
auf dem Rücken, überaus häufig nachgebildet auf Geweben, Lack-,
Thon- und Bronzewaaren und ist eine der volksthümlichsten Thier-
gestalten. In manchen heiligen Tempelteichen führt sie unter dem
Schutze der Priester und frommen Pilger ein glückliches Leben und
erreicht ein hohes Alter. Hier kommt es nicht selten vor, dass sich
an dem Schilde alter Exemplare Conferven festsetzen und entwickeln,
die dann beim Umherschwimmen des Thieres wie ein Kranz von
langen grünen Wimperhaaren den hinteren Theil des Rückens um-
geben.
Bei der allgemeinen Werthschätzung der Schildkröte lag es nahe,
dass im Buddhistischen Ostasien gerade solche ausgezeichnete Exem-
plare sich einer besonderen Gunst erfreuten. Unter dem Namen
Mino-game (Mantelschildkröte) und als Symbol des friedlichen Greisen-
alters, einer der sieben Glückseligkeiten des menschlichen Lebens,
wird sie mehr oder minder verzerrt, doch immer leicht erkennbar,
abgebildet. Diese Deutung ist wenigstens naturgemässer, als wenn
man Mino-game blos als Phantasiestück, wie den Drachen und Howo,
betrachtet und diese natürliche Grundlage für ihre Gestalt und sym-
bolische Bedeutung nicht anerkennt.
Die japanischen Schlangen (Hebi) hat Dr. Hilgendorf neuer-
dings einer eingehenden Untersuchung unterworfen und zu den sechs
durch Siebold bekannten Arten noch zwei neue gefügt. Auffallend
ist, dass der Japaner, während er sich mit Widerwillen von den un-
schädlichen abwendet, der giftigen Trigonocephalus Blomhoffi, welche
er Mamushi nennt, nachstellt, um sie gleich Aalen abzuziehen, zu-
zubereiten und dann als nervenstärkendes Mittel zu verzehren. Die
grösste japanische Schlange ist Elaphis virgata, die Aodaisho der
Japaner, eine graugrüne Natter, die nicht selten 160 cm lang wird.
Von einer anderen Art, E. quadrivirgata, der Shima-hebi, d. h.
[214]VIII. Fauna.
Streifennatter, gibt es eine fast schwarze Varietät, die Karasu-hebi
oder Rabenschlange, welche auf allen grossen Inseln vorkommt.
Mehrere Arten Tropidonotus, in Grösse, Färbung und Lebensweise
unserer gewöhnlichen Ringelnatter nahestehend, findet man besonders
häufig in Reisfeldern.
Von Eidechsen hat Japan drei Arten aufzuweisen: Lacerta
tachydromoides, Tokage genannt, Eumeces quinquelineatus L., die
Aotokage oder blaugrüne Eidechse, und einen kleinen Gekkonen,
Platydactylus Yamori. Yamori, d. h. Hauswächter, ist der sehr be-
zeichnende Name dieses zierlichen Thierchens, das im südlichen Japan
Abends an den Decken und Wänden der Wohnungen zum Insecten-
fange erscheint, wie seine Verwandten in Indien, wenn auch bei
weitem weniger zahlreich. Den Tag über lebt es zurückgezogen und
verborgen in dunklen Ritzen.
Unseren über ein weites Gebiet der Erde verbreiteten Fröschen
und Kröten begegnen wir auch in Japan, nämlich Bufo vulgaris,
Kike und Gama bei den Eingeborenen, Rana esculenta, japanisch
Kawadzu oder Kaëru, R. temporaria (Aka-kaëru, d. h. rother Kaëru),
R. rugosa (Tsutsi-kaëru), Hyla arborea (Ama-kaëru) und ausserdem
H. Bürgeri. Dagegen finden wir einige uns fremdartige Molche,
welche noch eine etwas eingehendere Erwähnung verdienen. Da ist
zunächst der kleine Imori oder Brunnenwächter (Triton subcristatus)
mit seinem dunkel zinnoberrothen Bauche, welcher kaum einer offenen
Quelle, einem Wassergraben, Teich oder kleinen Bassin im Garten
fehlt. Eine ganz andere Lebensweise führt der viel grössere San-jo-
no-uwo *) oder Gebirgsmolch (Onychodactylus japonicus Schl., Lacerta
japonica Thbg.), der 10—12 cm lang wird, den Tag über verborgen an
feuchten, schattigen Stellen der Gebirge sitzt, Nachts und bei Regen
hervorkommt und dann gefangen, abgekocht und getrocknet wird,
besonders im Hakone-Gebirge. Man verkauft die Thiere in Päckchen,
eingereiht an zugespitzten Holzstäbchen, welche durch die Köpfe ge-
führt werden, und gebraucht sie gegen Schwindsucht und Würmer
der Kinder. Zwei andere Arten, Ellipsoglossa naevia und E. nebulosa,
geben zu keiner besonderen Bemerkung Veranlassung, dagegen fesselt
der Riesensalamander (Cryptobranchus japonicus Hoev.) noch
unser besonderes Interesse, einmal wegen seines engen Verbreitungs-
bezirkes und seiner Lebensweise, sodann auch und ganz besonders
wegen seiner Beziehungen zu anderwärts vorkommenden noch leben-
den oder fossilen Arten.
[215]Reptilien und Batrachier.
Wie schon v. Siebold, der Entdecker dieses trägen, plumpen
und unförmigen Thieres hervorhob, ist dasselbe auf die Gebirgsland-
schaften zwischen 34° und 36° n. Br. der grössten japanischen Insel
beschränkt, lebt jedoch nicht, wie derselbe Autor weiter angibt, in
vulkanischen Regionen und Kraterseen, auch nicht in 5000 Fuss Höhe,
sondern in klarem, fliessendem Bergwasser des Granit- und Schiefer-
gebirges 400—1000 Meter über dem Meeresspiegel, und zwar von
Forellen, Insectenlarven und kleineren Batrachiern. Seine Haupt-
fundstätten sind:
1. Die Quellbäche längs der Wasserscheide, welche die dem
Meere von Ise (Ise-no-umi) zueilenden Küstenflüsse vom Gebiete des
bei Ôsaka mündenden Yodo-gawa (Biwasee und Kitsu-gawa) trennt,
insbesondere die dem Kitsu-gawa angehörenden Bäche der kleinen
Provinz Iga.
2. Die Bergwasser der Grenzgebirge von Hida, namentlich gegen
Mino hin.
3. Die Bäche an der Wasserscheide zwischen San-in-dô und
San-yo-dô in den Provinzen Tamba, Iwami und Mimasaka.
Der von Siebold eingeführte japanische Name Sancho-no-uwo
ist nicht für dieses Thier anzuwenden und beruht auf einer Ver-
wechselung mit Onychodactylus japonicus. Man nennt den Riesen-
salamander vielmehr in Iga Hazekoi, in Mimasaka Hanzaki, in
Iwami Hanzake, in Tamba Hadakasu und Ango.
Das Thier wird theils seines Fleisches wegen, dem man auch
medicinische Wirkungen zuschreibt, gefangen, theils um es zur Rein-
haltung des Wassers in Brunnen zu setzen. Die grössten Exemplare
aber (bis 160 cm Länge) bringt man nach den Hauptstädten des
Landes Tôkio, Kiôto und Ôsaka, wo sie als Merkwürdigkeiten in
kleinen Thierbuden oft zu sehen sind. Letzteres beweist ebenfalls,
dass das »Reich des Riesensalamanders« keineswegs ganz Japan um-
fasst, das Thier vielmehr ziemlich selten vorkommt und nur Wenigen
bekannt ist.
Ein naher Verwandter des Hazekoi lebt in China, ein anderer
ist der Salamandrops giganteus Nordamerikas, ein dritter der durch
Scheuchzer aus dem Ober-Miocän von Oeningen bekannt und be-
rühmt gewordene Andrias Scheuchzeri, der ihm von allen am näch-
sten stand.
Trotz der Zähigkeit und langen Dauer seines Lebens, welche
dieses japanische Thier in den Aquarien bekundet hat, liegt die
Wahrscheinlichkeit nahe, dass es in Folge seiner schwachen Ver-
mehrung und beschränkten Verbreitung, sowie der Verfolgungen,
[216]VIII. Fauna.
denen es in höherem Grade als früher ausgesetzt ist, seinem ausge-
storbenen Vetter Andrias Scheuchzeri, dem »homo diluvii testis« der
Oeninger Schichten folgen und in nicht allzu ferner Zeit der lebenden
Fauna Japans nicht mehr angehören wird *).
e. Fische.
Mit Recht haben ältere Autoren, wie solche der Neuzeit, auf die
hohe Bedeutung der Fische als der wichtigsten täglichen Fleischnah-
rung des japanischen Volkes hingewiesen und eben so auf die Menge
und Mannichfaltigkeit der Arten **), die in diesem Lande zu Markte
kommen. Reicher als alle anderen Theile des Weltmeeres, ja uner-
schöpflich erscheinen die chinesisch-japanischen Gewässer an diesem
Artikel, wenn man sieht, wie Hunderttausende von Menschen dem
Fischfange hier obliegen, ohne dass eine wahrnehmbare Abnahme
dieser hochwichtigen Nährquelle eintritt, und wenn man bedenkt, dass
seit Jahrtausenden dieser Zustand fortdauert.
Dem Fischreichthum des Meeres gegenüber treten die Binnen-
wasser natürlich sehr zurück, ohne dass ihre Bedeutung desshalb
unterschätzt werden darf. Auch hier scheint sich die beträchtliche
Menge der alljährlich gefangenen Forellen, Karpfen, Welse, Aale etc.
durch raschen Nachwuchs wieder vollständig zu ersetzen, wobei aller-
dings zu berücksichtigen ist, dass der Hecht, der grosse Räuber
unserer Flüsse, und manches Andere, was bei uns der Vermehrung
der Fische entgegensteht, nicht vorkommt. Fälle, wo Gewässer durch
sogenannten Raubfang entvölkert oder doch fischarm geworden wären,
wie sie bei europäischen Flüssen und innerhalb des grossen baltischen
Seenbezirkes so häufig sind, kenne ich aus Japan nicht, und doch
gibt es hier keine Schonzeit, noch sonstige besondere Schutzver-
ordnungen.
Wie in der Vogelwelt beim Herannahen der kalten Jahreszeit
manche Arten ihre sommerlichen Brut- und Wohnstätten verlassen
und südwärts wandern, während andere nordische Formen nachrücken
und während des Winters gewissermassen ihre Stellen einnehmen,
so ist es auch mit den Fischen Japans. Neben den stehenden Arten
gibt es eine grosse Anzahl anderer, welche mit den Monsunen und
Driftströmungen des Oceans kommen und gehen. So erscheint im
[217]Fische.
Sommer ein ansehnlicher Theil der gestalten- und artenreichen Fisch-
welt des Indischen Oceans und Malayischen Archipels an den Ge-
staden Japans, zumal den südlichen, welche man im Winter vergeb-
lich hier suchen würde *). Anderseits kommen mit dem Eintritt des
nördlichen Monsun schlichter gekleidete Bürger des Ochotskischen
Meeres heran und liefern durch ihr massenhaftes Auftreten und
schmackhaftes Fleisch eine reiche Nährquelle für viele Bewohner,
namentlich der mehr nördlichen Küsten. Diese Thatsachen muss der
Ichthyologe wohl beachten; denn wollte er das Bild der japanischen
Fischfauna nur so entwerfen, wie sich dasselbe in einer der beiden
extremen Jahreszeiten präsentiert, so müsste es nothgedrungen mangel-
haft ausfallen und zu irrigen Schlüssen führen.
Die bis jetzt gesammelten und beschriebenen Fische Japans be-
finden sich meist im Britisch Museum und in den Museen zu Leyden und
Berlin. Unter den älteren Naturforschern, welche mit Japan in Be-
rührung kamen, hat nur Thunberg auch den Fischen grössere Auf-
merksamkeit zugewandt. Ansehnlich bereicherte dann am Anfange
dieses Jahrhunderts das Mitglied der Krusenstern’schen Expedition,
v. Langsdorf, unsere Kenntnisse dieser Thierklasse. Die in der
Siebold’schen Fauna japonica beschriebenen 358 Arten wurden
hauptsächlich von Dr. Bürger in Nagasaki gesammelt. Man muss
es diesem Umstande zuschreiben, dass einzelne mehr nordische Fa-
milien, wie die der Salmoniden in jenem grossen Werke nur schwach
und ungenügend vertreten sind und die Stachelflosser überhaupt in
noch viel höherem Grade vorwalten, als in Wirklichkeit. Die Berichte
der Perry-Expedition, welche auf den meisten naturwissenschaftlichen
Gebieten unsere Kenntnisse über Japan nur wenig förderten, bringen
Brevoort’s Beschreibungen und meist auch die colorierten Abbil-
dungen (leider nicht nach Originalen) von 62 Arten Fischen, darunter
eine Anzahl, die bis dahin unbekannt waren. Eine weitere Bereiche-
rung erhielt die Fauna durch Bleeker, sodann durch den Zoologen
der preussischen Expedition, Dr. E. v. Martens, sowie neuerdings
durch Dr. Hilgendorf, während es dem unermüdlichen Fleisse
Dr. Günther’s, des hervorragendsten lebenden Ichthyologen, ge-
lang, durch andere, meist englische Sammler eine ansehnliche Zahl
neuer Arten der japanischen Fauna zu sichern.
Man hat die japanischen Meere das Reich der Scomberoideen
(Makrelen), aber auch das Reich der Cataphracten (Panzerwangen)
[218]VIII. Fauna.
genannt. Beide Bezeichnungen sind indess nicht gleichwerthig; denn
während die erste, wie bereits früher hervorgehoben wurde, wohlbe-
gründet ist, gilt dies keineswegs auch von der anderen. Weder der
Procentsatz der Panzerwangen von der Gesammtzahl der japanischen
Fischarten, noch die Menge ihres Vorkommens ist eine solche, dass
Japan in Bezug auf dieselben eine hervorragende Rolle einnimmt.
Dies kann man sowohl bei der Durchmusterung der bis jetzt be-
kannten und beschriebenen Arten erkennen, als auch namentlich dann,
wenn man, wie Schreiber, an verschiedenen Küsten des Landes den
Fischfang beobachtet und die Vorräthe der Fischmärkte näher unter-
sucht. Zur näheren Begründung dieser allgemeinen Bemerkungen
möge hier eine Aufzählung und kurze Besprechung der wichtigsten
Genera und Arten, welche bis jetzt in den japanischen Gewässern
gefunden wurden, folgen.
I. Ordnung. Stachelflosser (Acanthopterygii).
Familie Berycidae. In wenigen Gattungen und Arten er-
streckt sich diese schöngebaute und gutbewehrte Gruppe vom Mittel-
meer durch den Atlantischen und Indischen Ocean zum Malayischen
Archipel und den japanischen Küsten, an denen besonders Monocentris
japonicus Hout., der Yebisu-dai (d. h. die dem Gott des Marktes ge-
widmete Brasse) oder Matsu-kasa (Tannenzapfen, nach den grossen
Schuppen also benannt) durch seine Gestalt auffällt. Mehrere Arten
Beryx erinnern an die Fauna der Ostatlantischen Inseln und 4 Ver-
treter der Gattung Holocentrum an die Stachelbarsche der Meeres-
küsten Ost- und Westindiens. Der Zahnbarsch, Myripristis japonicus,
zeichnet sich durch seine schönen Farben und einen hohen Grad von
Goldglanz aus, wesshalb er die Namen Umi-kingiyo, Meergoldfisch,
und Nishi-ki-dai, Regenbogen-Brasse, erhalten hat.
Familie Percidae, Barscharten. In den süssen Gewässern
ist diese artenreiche Familie nicht vertreten, dagegen weist das Meer
manches bemerkenswerthe Glied derselben auf, und wie überall, so
bieten auch im Lande der aufgehenden Sonne diese wohlgestalteten
Stachelflosser eine wohlschmeckende, geschätzte Nahrung dar. Zu
den Arten, welchen man an allen Küsten und während des ganzen
Jahres begegnet, gehört vor allem der Seebarsch, Percalabrax japo-
nicus Schl., der Suzuki (Seigo, wenn jung) und der Ara (Niphon
spinosus Schl.), welcher besonders die Küste von Yezo frequentiert,
was auch sch on sein zweiter Name Matsumaye-ara andeutet. Die
artenreiche Gattung der Sägebarsche (Serranus), welche alle tropischen
[219]Fische.
und subtropischen Meere bewohnt und zu ihren schönsten Insassen
zählt, ist in Japan in 16 Arten vertreten. Sie führt die Namen hata
und jime. Zu den schönsten gehört der Aka-hata (rothe hata) und
Tsirimen-ara (Chirimen-ara, d. h. Krepp-ara). Vier Arten der indi-
schen Gattung Diacope, darunter D. vitta (Okionbutsu?), mehrere
Plectropomen (insbesondere P. susuki, jetzt als Serranus fasciatus
Thbg. erkannt), ferner die schöngefärbten Schwarzbarsche Aulacoce-
phalus Temminckii (Hana-ara oder Blumenbarsch) und C. hirundinaceus
(Nada-itoyori) besuchen nur im Sommer mit Kuro-shiwo und warmer
Driftströmung Japans Küsten. Dasselbe gilt von verschiedenen Arten
anderer hierher gehörender Geschlechter, wie Apogon, Diplopion,
Mesoprion.
Die Familie Pristipomatidae oder Sägedeckel bewohnt
ebenfalls vornehmlich die tropische Zone und erstreckt sich von da
bis in südlich gemässigte Regionen der Erde. Für Japan kommen
hier vor allem die Gattungen Diagramma und Dentex in Betracht,
dann auch Therapon, Pristipoma, Scolopsis, Caesio. Von Zahnbrassen
(Dentex) sind D. griseus (Umi-dai) und der sehr schöne D. setigerus
(Itoyori-dai oder Fadenbrasse) häufig. Mehrere Arten Diagramma und
Therapon oxyrhynchus (japanisch Shima-isaki) kommen dagegen nur
im Sommer und an den südlichen Küsten vor.
Die Familie der Seebarben (Mullidae) ist vornehmlich
durch die indische Gattung Upeneus repräsentiert. Wichtiger als sie
sind die Brassen (Sparoidae). Viele Glieder derselben führen
den Namen Tai *) mit besonderen Zunamen. Der eigentliche Tai ist
eine schöne hochrothe bis braunrothe Goldbrasse (Chrysophris cardinalis
oder Pagrus cardinalis Lac.). Wie die Griechen und Römer das Fleisch
seines Verwandten, der Dorade (Ch. aurata) des Mittelmeeres hoch-
schätzten, so zählen die Japaner den Tai zu ihren besten Fischen. In
den chinesisch-japanischen Gewässern hat er eine weite Verbreitung
von der Fukian-Strasse bis zu den Küsten von Yezo und Saghalin.
Mehrere andere verwandte Arten stehen ihm nur wenig nach. Von
den meist indischen Arten der Gattung Lethrinus wurde eine, L. hae-
matopterus, an der japanischen Küste gefunden. Zwei Arten der
Familie Cirrhitidae reihen sich hier an, nämlich die Ishi-dai oder
Steinbrasse (Cheilodactylus zonatus) und Shima-dai oder Inselbrasse
(Ch. quadricornus Gth.); endlich auch der Kuro-dai oder die Schwarz-
brasse (Chrysophrys hasta Bl.).
[220]VIII. Fauna.
Familie Klippfische (Squamipennes), japanisch Hata-
tate. Diese interessante Gruppe meist kleiner Fische, gleich ausge-
zeichnet durch eigenthümliche Gestalt und Zeichnung, sowie durch
hohe Farbenpracht, wird überall auf der Erde nur durch warme
Strömungen aus ihrer tropischen Heimath in etwas höhere Breiten
geführt, so auch aus den indischen und malayischen Gewässern bis
zu den wärmeren Gestaden Japans. Arten der Gattungen Chaetodon,
Heniochus, Holacanthus, Platax, Pimelepterus, Histiopterus und Sca-
rodon, denen wir im Winter nur in den genannten tropischen Meeren
begegnen, spielen während des Sommers in gewohnter Weise auch
um die Klippen Japans und zeigen dabei ihre bunten Bänder und
Flecken, wie ihre meist grossen, eigenthümlich gestalteten und schil-
lernden Flossen. Kann auch keine unter ihnen mit dem stolzen
Engelfisch Westindiens (Holacanthus ciliaris) oder dem Kaiserfisch
(H. imperator) des Indischen Oceans sich messen, so gehören doch
ihr naher Verwandter, der Hatatate-nori (H. septentrionalis), ferner
der sehr geschätzte Tafel-visch Holländisch-Indiens (Heniochus macro-
lepidopterus), japanisch Ko-hatatate, Chaetodon strigatus, sowie Sca-
rodon fasciatus und S. punctatus ebenfalls zu den besten Repräsen-
tanten der farbenreichen, glänzenden tropischen Fischfauna.
Familie der Panzerwangen (Cataphracti), auch der
Knurrhähne (Triglidae). Wie die deutschen Namen Knurrhahn,
Seekukuk, Panzerhahn, Flughahn, Drachenkopf, Kopffisch, Ulkfisch,
Seeteufel etc, theils auf die Eigenschaft dieser Thiere, ausserhalb des
Wassers bei ausgespreizten grossen Brustflossen knurrende Töne von
sich zu geben, theils auf die unverhältnissmässig grossen Köpfe
und die ganze hässliche Gestalt hinweisen, so hat man auch bei
anderen Völkern diesen Eindrücken Ausdruck gegeben. So nennt
der Japaner z. B. Pelor japonicum C. und V. Oni-o-koze, d. h.
teufel-ähnlich. Nur in wenigen Gattungen nähern sich die Panzer-
wangen normalen Fischgestalten, so namentlich bei Sebastes. Der
Aehnlichkeit einer sehr bekannten Art derselben (S. marmoratus C.
und V.) mit den Sägebarschen gibt der Japaner durch die Benen-
nung ara-kaba Ausdruck. Die japanischen Meere beherbergen Arten
der Gattungen: Chirus, Agrammus, Sebastes, Scorpaena, Synanceïa,
Pterois, Apistus, Tetraroge, Haploactes, Minous, Pelor, Platyce-
phalus, Trigla, Dactylopterus, Cottus. Platycephalus guttatus, Kochi
genannt, wird mit Gobioniden vornehmlich in den Flussmündungen
gefangen.
Die Familie der Drachenfische (Trachinidae) ist durch
die Gattungen Uranoscopus, Percis, Sillago und Latilus vertreten und
[221]Fische.
die der Schatten- oder Umberfische durch Sciaena, Corvina,
Pogonias, Otolithus.
Aus der kleinen tropischen Gruppe Polynemidae oder Finger-
fische weist Japan den P. plebejus des Malayischen Archipels auf,
Hirano akinasi genannt, und von Pfeilhechten (Sphyraenidae),
japanisch Kamasu, mehrere Arten, die namentlich im Frühjahre,
nach dem Monsunwechsel zahlreich auftreten. Zur selben Zeit stellt
sich auch ein Degenfisch (Trichiurus japonicus Schl.), Tatsu oder
Tatsi-uwo häufiger ein.
Das Makrelengeschlecht (Scomberoidae) spielt, wie be-
reits früher hervorgehoben wurde, in der marinen Fauna der japani-
schen Inseln und der Oekonomie ihrer Bewohner eine hervorragende
Rolle. Wir begegnen diesen leicht erkennbaren Fischgestalten auf
den Märkten des ganzen Landes und den grössten Theil des Jahres
hindurch in etwa 40 Arten. Sind es vornehmlich die Sommermonate,
während deren die Riesen des Geschlechtes, Arten von Thynnus,
Cybium, Seriola und Coryphaena gefangen werden, so kommen mehrere
kleinere Species der Gattungen Scomber, Elacate, Stromateus und
kleine Seriolen vornehmlich im Herbst und im Norden vor. Einige
derselben, vor allem der Saba (Scomber pneumatophorus japonicus
Schl.), folgen den Häringsschaaren, unter denen sie ihre beliebte Nah-
rung finden, und gerathen mit ihnen in das Netz der Fischer. Andere,
wie Elacate bivittata, Seriola purpurascens (Akabana) und Stromateus
punctatissimus (Mana-katsuwo), tummeln sich im Herbst wohl auch
für sich schaarenweise an den nordischen Flussmündungen herum,
werden hier, besonders bei Yezo, massenhaft gefangen und gesalzen
selbst nach China versandt. Die grossen Thunfische und Boniten
(Thynnus), Tassarde (Cybium) und Grünzlinge (Seriola), von denen
manche über centnerschwer werden, fängt man in der Regel mit der
Angel und zerlegt ihre Muskeln in gleichgrosse Stücke, die an Schnüren
aufgereiht, in der Sonne getrocknet und dann in allen Städten zum
Verkauf aufgehängt werden, aber auch frisch zur Verwendung kommen.
Obenan steht unter diesen die gemeine Bonite oder Katsu-uwo (Thynnus
pelamys), einer der wichtigsten und geschätztesten Fische Japans.
Viel zahlreicher als in Westindien und dem Golfstrome folgt dieser
Hochseeräuber und grosse Feind der fliegenden Fische und mancher
anderen schwächeren Thiere der Meeresoberfläche dem Kuro-shiwo an
die japanischen Gestade. Bemerkenswerth durch ihre Grösse oder ihr
häufiges Vorkommen sind noch der Maguro (Th. thunnica C. V.) der
Sawara (Cybium chinense), der Nagotsi (C. niphonium), der geschätzte
Hirasu (Seriola aureovittata), der Oiwo (S. quinqueradiata), der Shiira
[222]VIII. Fauna.
(Coryphaena japonica). Die Gattung Caranx (japanisch Aji) ist reich
vertreten, besonders häufig der Hira-aji (C. trachurus), der Kansaji
(C. ciliaris) und der Hiiraji (C. equula). Alle diese Bastardmakrelen
erscheinen vornehmlich im Sommer, wie auch der kleine und sehr
auffällige Blepharis indicus.
Von den nahe verwandten Xiphiideen ist der Tatsi-uwo
(Degenfisch) genannte Trichiurus ein häufig vorkommender Gast.
Auch Histiophorus orientalis gehört hierher.
Aus der Familie der Scheibenbäuche (Gobiidae) kommen
an den Küsten, sowie in den Flüssen und ihren Mündungen eine
grössere Zahl von Arten der Gattungen Gobius, Sicydium, Amblyopus,
Periophthalmus, Boleophthalmus, Eleotris und Callionymus vor. Unter
denselben sind die häufigsten Süsswasserbewohner der Haze (Gobius
virgo) und der Dabo-haze (Periophthalmus modestus), ferner mehr an
den Mündungen der Kihaze (G. flavimanus), der Kuro-haze (G. brun-
neus) und der Kawa-motsiguro (Sicydium obscurum).
Von den seltsam und hässlich gestalteten Krötenfischen oder
Armflossern (Pediculati) findet man besonders häufig und in allen Meeres-
theilen Japans den Anko (Lophius setigerus), seltener und vornehmlich
während des Winters den Hari-anko (Halieutaea stellata), ferner mehrere
Arten der auch in Westindien verbreiteten Gattung der Angler (Chiro-
nectes), deren Fleisch sogar für giftig angesehen wird. Auch von den
nahe verwandten Schleim- und Butterfischen (Blenniidae)
kommen mehrere Arten häufig vor, vor allem Centronotus (Gunellus)
nebulosus, der Gimpo und Gunellus dolichogaster, dieser im nörd-
lichen Stillen Ocean so weit verbreitete Butterfisch, und mehrere andere.
Von der Gattung Amphacanthus des Indischen Oceans weisen
die japanischen Gewässer mehrere Arten während des ganzen Jahres
auf, und ebenso ist Prionurus scalprum (japanisch Niza) von der
Familie der Acanthuridae auch im Winter auf den Fischmärkten
als untergeordnete Waare zu treffen. Atherina Bleekerii Gthr. steht
schon den Meeräschen (Mugilidae) nahe, welche in den süssen
Gewässern durch den Bora oder Ina (Mugil japonicus Schl.) vertreten
sind, welcher namentlich in fast allen grösseren Seen vorkommt.
Auch die geschätzten Bandfische (Cepolidae) sind, namentlich
im Sommer, vertreten, vornehmlich durch den Sakeno-uwo (C.
Krusensterni).
Von den Pfeifenfischen (Fistulariidae) findet sich eine
Art, der Yagara (Fistularia serrata C.), nicht selten. Den Besuchern
von Enoshima wird er z. B. neben Ostracion, Monacanthus und an-
deren Seethieren getrocknet angeboten.
[223]Fische.
II. Ordnung. Schlundkiefer (Pharyngognathi).
Aus der Familie der Pomacentridae kommen mehrere Arten
vor, aber interessanter ist noch das Auftreten verschiedener Glieder
der Lippfische (Labridae), insbesondere der Jungfernfische (Julis)
und Papageifische (Scarus), die in ihrem bunten Farbenkleide eben-
falls lebhaft an die tropische Heimath ihrer Verwandten erinnern, in
Japan aber noch im Spätherbst vorkommen. Hierher gehören Julis
poecilopterus (Kusabi, Grasfisch) und mehrere andere; ferner Choerops
japonicus (Kandai), Labrichthys rubiginosus (Bera), Crenilabrus fla-
gellifer, dann der sehr geschätzte Nobuzu (Labrus reticulatus) und
Shima-nobuzu (Labrus japonicus), Inokô (Scarus ovifrons), Ôganu
(Callyodon japonicus) und mehrere andere.
III. Ordnung. Weichflosser (Anacanthini) mit
geschlossener Schwimmblase.
Von der über die ganze paläarktische Region verbreiteten hoch-
wichtigen Familie der Schellfische (Gadidae) waren bisher nur
wenige untergeordnete Glieder aus den japanischen Meeren bekannt,
insbesondere die Meerquappe (Motella pacifica) und das Umi-itatsi,
d. h. Meerwiesel (Lotella phycis). Vor mehreren Jahren hat aber
Dr. Hilgendorf nachgewiesen, dass auch ein echter Schellfisch,
der Tara (Gadus Brandtii Hilg.), die nordjapanischen Gewässer
frequentiert und von der Insel Yezo in gesalzenem Zustande massen-
haft nach den südlichen Städten gesandt wird. Auch kann ich aus
eigener Anschauung hinzufügen, dass bald nach Eintritt des nörd-
lichen Monsun dieser Fisch auch an südlichere Gestade des Japani-
schen Meeres herankommt.
Mit Uebergehung der ebenfalls vertretenen Schlangenfische
(Ophidiidae) und Grenadierfische (Macruridae) gelangen
wir dem Systeme nach zu den Schollen (Pleuronectidae), welche,
wie in Europa, so auch auf den japanischen Fischmärkten ihres ge-
schätzten Fleisches und häufigen Vorkommens wegen eine Rolle spielen.
Zu den bekannten Gattungen der kälteren Meere kommen hier die
Formen Plagusia und Achirus des Indischen Oceans. Obgleich die
meisten das ganze Jahr hindurch vorkommen, erstreckt sich ihr Haupt-
fang doch vorwiegend über die kältere Jahreszeit. Obenan stehen
die Karei oder Flunder, insbesondere Platessa asperrima, dann der
Sternflunder oder Hoshi-garei (P. variegata), ferner der Taiwan-garei
(Pleuronectus scutifer Steind.), auch Ishi-garei (Steinbutte) genannt. Die
[224]VIII. Fauna.
Zungen (Solea) und Plagusen (Plagusia japonica) heissen wohl ins-
gesammt shita, Zungen, so Solea zebrina oder Ushino-shita, Ochsen-
zungen, wie die Synaptura ommatura Rich., während Hippoglossus
olivaceus als Ma-garei bezeichnet wird.
IV. Ordnung. Physostomi, Weichflosser mit Luftgang
an der Schwimmblase.
Die Familie der Welse (Siluridae) ist in den süssen Ge-
wässern Japans vornehmlich durch den Namadzu (Silurus japonicus)
vertreten, eine sehr verbreitete und geschätzte Art, die sich nament-
lich in den Seen, Teichen und Reisgräben findet. Seltener ist Lioba-
grus Reinii Hilg., eine zweite, nahe verwandte Species, welche ich
im Süden fand. Hier beherbergen die grösseren Flüsse auch den
kleinen Gigi oder Gigi-jô (Bagrus aurantiacus), wohingegen ein
Streifenwels, der Miko-uwo (Plotosus lineatus) und seine nahen Ver-
wandten das Meer bewohnen.
Bemerkenswerther als die vorige Familie sind für Japan die
lachsartigen Fische (Salmonidae), mit denen die holländi-
schen Ichthyologen in Nagasaki so wenig bekannt waren, dass die
Fauna japonica Siebold’s Manche zu dem irrigen Schlusse führte,
als sei diese charakteristische nordische Sippe hochgeschätzter Fische
in Japan nur schwach vertreten. Erst durch die Perry-Expedition
und die Arbeit Brevoort’s über Lachse aus den Gewässern von
Yezo verbreitete sich hierüber mehr Licht. Nach der neuesten ein-
gehenderen Arbeit über den Gegenstand von Dr. Hilgendorf*) be-
sitzt Japan mindestens 10 Species dieser Familie, unter denen einzelne
nur auf die Flüsse, eine nur auf das Meer angewiesen sind. Diese
letztere ist der Shira-uwo oder Weissfisch (Salanx microdon Blkr.),
ein kleines transparentes Fischchen, das erst nach dem Tode opak-
weisse Farbe annimmt. Es wird massenhaft an den japanischen Ge-
staden gefangen, so namentlich im Frühjahre an der Surugabucht.
Die verbreitetste Lachsart der japanischen Flüsse und Seen und der
häufigste Süsswasserfisch überhaupt, ein Thier, dem wir von Formosa
bis zu den Kurilen begegnen, ist der Ayu (sprich Ai) oder Pleco-
glossus altivelis Schlegel. Der Ayu findet sich nicht im Quellbezirke der
Flüsse, überlässt diesen, d. h. die eigentlichen Gebirgsbäche, vielmehr
einem fernen Verwandten, dem Ameno-uwo, d. h. Regenfisch, welchen
[225]Fische.
Hilgendorf für junge Exemplare von Salmo Perryi Hilgd. ansieht,
während ich sie für eine eigene Art, eine specifisch japanische Berg-
forelle halte, die sich nie in den unteren Lauf der Flüsse verliert
und unter anderem durch drei Reihen zinnober- oder mennigrother
Punkte, deren mittlere der Linea lateralis entlang läuft, auszeichnet
und an unsere gewöhnliche Forelle erinnert. Verschieden hiervon ist
der Salmo pluvius Hilgd., eine Lachsart, deren Junge man unter
dem Namen »Iwana« ebenfalls in den Gebirgsbächen Japans findet,
doch viel seltener als den Amano-uwo und ohne dessen schöne Flecken
und Zeichnung. Die eigentlichen Lachse Japans, welche im Herbst
in ungeheueren Schaaren aus dem Meere in die unteren Flüsse der
mehr nördlichen Küsten, zumal der Insel Yezo, steigen und hier viele
Tausende von Menschen beschäftigen und nähren, sind: Oncorhynchus
Haberi Hilgd., der Shake, ferner der Masu (Oncorhynchus Perryi
Brevoort). Hilgendorf erwähnt weiter noch des Kiuri-uwo (Os-
merus eperlanus L.), eine Art Stint, ferner den Chika (Hypomesus
olidus Pall.).
Als häufig vorkommende Schnabel- und Hornhechte (Scom-
bresocidae) sind anzuführen der Kuddera (Belone gigantea) und der
Saira (B. gracilis), ferner der geschätzte Sayori (Hemiramphus sayori
Schl.) und eine oder mehrere Arten fliegender Fische (Exocoetus),
von den Eingeborenen mit Tobi-no-uwo, d. h. Hühnerweihefisch, be-
zeichnet. Lieben die Glieder dieser Familie, gleich den grossen
Scomberoideen, ihren ärgsten Feinden, das freie Leben auf der Ober-
fläche des offenen Meeres, so begegnen wir im Gegensatze zu ihnen
in den beiden folgenden Familien fast ausschliesslich Süsswasser-Be-
wohnern, die sich zum Theil in schlammigen Gräben und Teichen
am wohlsten fühlen. Die Zahnkarpfen (Cyprinodonten) sind
durch den Metaka (Hoplochilus latipes) vertreten, das eigentliche
Karpfengeschlecht (Cyprinoideae) aber durch eine ganze
Reihe von Gattungen und Arten, unter denen indess nach Grösse und
Bedeutung der Karpfen oder Koi (Cyprinus carpio L.) und die japa-
nische Karausche oder Funa (C. Langsdorfii Schl., Carassius auratus L.)
obenan stehen. In fast allen Seen und Teichen, sowie in den grösseren
Flüssen und Bewässerungsgräben findet man dieselben und fängt sie
wie bei uns auf mancherlei Weise. Ihnen gegenüber treten mehrere
andere Arten, welche die Fauna japonica aufzählt, in den Hinter-
grund, ebenso eine kleine Barbenart, die ich als solche nachträglich
an den Schlundzähnen erkannte. Dieselbe findet sich unter dem
Namen Ida in Flüssen von Tosa auf Shikoku. Die Goldfische sind
in den Teichen bei Tempeln und sonst sehr häufig zu sehen. Die
Rein, Japan I. 15
[226]VIII. Fauna.
Japaner züchten zwei Arten, den gewöhnlichen Goldkarpfen, welchen
sie Higoi nennen, und eine davon wesentlich abweichende Fisch-
gestalt, Kingio (Goldfisch, Carassus auratus) genannt, die sich vor-
nehmlich durch eine eigenthümliche Dreigabelung der langen Afterflosse
auszeichnet, indem nämlich neben die senkrechte Ruderflosse noch zwei
gleich lange, mehr horizontal gestellte Seitenflossen treten. Der Kingio
ist im ganzen empfindlicher und seltener, als der Higoi, zuweilen jedoch,
wie in der Goldfischanstalt bei Yokohama, in grosser Zahl zu sehen.
Die meisten der kleineren Süsswasserfische Japans, Arten der
Günther’schen Gattungen Pseudogobio, Pseudorasbora, Achilogna-
thus, Pseudoperilamprus, Opsariichthys, Misgurnus, Botia, also Ver-
wandte unserer Gründlinge, Grundeln und Weissfische, findet man
auch in China und Formosa. Sehr häufig ist unter den Bartgrundeln
der Dojo (Misgurnus rubripennis Schl.) in den schlammigen Gräben;
auch der Tanago (Achilognathus oder Leuciscus lanceolatus), sowie
der Ugui (Leuciscus Hakonensis G.) werden viel gefunden.
Die Häringsfamilie (Clupeacei) tritt, ihren sonstigen Ge-
wohnheiten entsprechend, vornehmlich im Winter und an den nörd-
lichen Küsten der japanischen Inselwelt auf, und zwar reich an Arten
und Individuen, doch kennt man die verschiedenen Conservierungs-
arten, welche eine Anzahl Glieder derselben für Europa so werthvoll
machen, noch wenig und fängt die grossen Mengen zur Erzielung von
Thran und Dünger. Hierher gehört vor allem der Iwashi oder
Maiwashi (Clupea melanosticta und Cl. gracilis), dessen Herannahen
oft durch Mövenschaaren angekündigt und der namentlich im Herbst
gemeinsam mit seinem Verfolger, Saba (Scomber pneumatophorus ja-
ponicus Schl.), in grosser Menge an der Küste von Yezo und Nord-
Hondo gefangen wird. Dasselbe gilt vom Nishin (Clupea harengus L.)
und mehreren anderen. Auch der Isaza (Engraulis japonicus Schl.)
wird während der kälteren Jahreszeit massenhaft gefangen. Von den
grösseren Arten sieht man den Borstenhäring Konoshiro (Chatoëssus
punctatus Schl.) im Winter viel auf den Märkten. Er wird wenig
geschätzt und meist von der ärmeren Klasse gegessen.
Unter den aalartigen Fischen (Muraenidae) ist vor allem
der Unagi (Anguilla japonica Schl.) zu nennen, der in allen süssen
Gewässern Japans häufig vorkommt, trotz der grossen Zahl, die all-
jährlich gefangen wird. Unter den grösseren Meeresbewohnern der
Familie sind hervorzuheben der Hamo (Conger bagio Cant.), welcher
über 3 Meter lang und 50 Pfund schwer werden soll, der Anago
(Congromuraena anago Schl.) und der Kidako (Muraena variegata
Richs.).
[227]Fische.
V. Ordnung. Lophobranchii, Büschelkiemer.
Meernadeln und Seepferde, Syngnathus und Hippocampus (Kaiba),
die bekanntesten Vertreter dieser eigenthümlichen, unbedeutenden
Sippe von Meeresbewohnern, kommen in den japanischen Gewässern
in etwa sechs Arten vor.
VI. Ordnung. Plectognathi, Haftkiefer.
Aus der Familie der Harthäuter (Sclerodermi) treffen
wir im Sommer vor allem mehrere Arten Kofferfische (hako-uwo), so
Ostracion immaculatus und O. brevicornis, die namentlich im Jugend-
zustande häufig in das Netz des Fischers gerathen. Auch Balistes,
Monacanthus und Triacanthus stellen sich mit dem Südwestmonsun
an Japans Gestaden häufig ein. Ihre nahen Verwandten, die sich
kugelig aufblasenden Nacktzähne (Gymnodontes), sind viel
artenreicher und theilweise auch im Winter vertreten, so vor allem
das Genus Tetrodon (Fugu). Mehrere Species desselben, insbesondere
T. rubripes Schl. und T. xanthopterus, die der Japaner vorherrschend
Fugu nennt, gelten für giftig, wie schon Kaempfer erwähnt. Strenge
Strafen sollten früher das Verkaufen und Verspeisen dieser Fische
verhindern, und zwar mit Recht; denn erst vor einigen Jahren zeigte
Dr. Görtz in Yokohama, dass in drei Fällen, welche zu seiner
Kenntniss und Behandlung gekommen waren, durch den Genuss des
Fugu, vornehmlich seines Rogens, schwere Erkrankungen vorgekom-
men waren, die sich in Kopfweh und Uebelkeit, Blässe, starker
Transpiration und auffallend verringerter Herzthätigkeit äusserten *).
Die Familie weist ausser der erwähnten Gattung auch noch mehrere
Arten Diodon auf, sowie den grossen Mondfisch (Orthagoriscus sp.),
von den Japanern Ukiki genannt; doch heisst man ihn auch Funrei,
z. B. an der Küste von Tôtomi und Suruga, wo er oft 1½ Meter
lang und über 1 Meter breit gefischt wird.
VII. Ordnung. Ganoideï, Glanzschupper.
Von den zwei Familien dieser Sippe ist in den japanischen Meeren
nur die der Störe (Acipenseridae) in zwei verhältnissmässig
selten vorkommenden Arten vertreten.
15*
[228]VIII. Fauna.
VIII. Ordnung. Chondropterygii, Knorpelflosser.
a. Seedrachen (Chimaeridae). Von dieser kleinen Gruppe
haiartiger Fische begegnen wir auf japanischen Märkten der weit ver-
breiteten Chimaera monstrosa, den die Eingeborenen Gin-same (Silber-
hai) nennen. b. Die eigentlichen Haie (Squalini) führen die
japanischen Namen Same und Fuka und sind durch verschiedene
wohlbekannte und weit verbreitete Gattungen vertreten. Die kleineren
Arten der Hundehaie (Scilliidae), japanisch Tora (Tiger), kommen
wie in Europa viel auf die Fischmärkte, spielen jedoch anderen
Fischen gegenüber eine untergeordnete Rolle. Besonders bemerkens-
werth ist sonst noch ein Schnauzenhai Nekosame (Cestracion
Phillippi Bl.), welcher als einer der wenigen lebenden Repräsen-
tanten einer fast ganz ausgestorbenen Familie von Haifischen, die
in der Tertiärzeit lebten, von Neu-Seeland bis zu den Gewässern
Japans vorkommt. Auch die Familie der Hairochen (Rhinobatidae),
japanisch Ken-same oder Kemei, ist durch mehrere Arten vertreten.
Rochen (Rajacei), japanisch Yei, kommen ebenfalls häufig
und in verschiedenen Arten auf die Fischmärkte, und zwar sowohl
die eigentlichen Rochen oder Keno-yei, als auch die Aka-yei (rothe
oder Stachelrochen), Shibirei (Zitterrochen) und andere Gattungen.
IX. Ordnung. Cyclostomi, Rundmäuler.
Die Gattung Petromyzon oder Neunauge, diese aalartig gestal-
tete, unbedeutende Abtheilung von Fischen ist durch einen nahen
Verwandten unserer einheimischen Art, Petromyzon japonicus Martens,
vertreten, welcher sich in den Flussmündungen aufhält und den Ja-
panern unter dem Namen Yatsume-unagi, d. h. Achtaugen-Aal,
bekannt ist.
f. Insecten und Spinnen.
Insecten (Mushi) sind, wie schon früher hervorgehoben wurde,
reich vertreten. Auch bei ihnen ist die Verwandtschaft mit den Be-
wohnern des benachbarten Festlandes gross, und es entspricht der
allgemeine Charakter der einzelnen Classen durchaus dem des nörd-
lich gemässigten Theiles der alten Welt. Eine ansehnliche Zahl von
Arten hat sich, wie bei den Säugethieren und Vögeln, vom Atlanti-
schen bis zum Stillen Ocean verbreitet und findet sich ebenso im
[229]Insecten und Spinnen.
Reiche Nippon, wie auf den Britischen Inseln. Andere sehen wir,
indem wir ihrer Verbreitung gen Osten folgen, endlich verschwinden,
um neuen verwandten Arten Platz zu machen. Aber zu dieser, man
kann sagen modificierten Insectenfauna des gemässigten westlichen
Europas kommen auch eine Reihe tropischer Formen, welche durch
Gestalt, Farbe und Lebensart gleich auffallen, wie z. B. die Arten
der Gattungen Papilio und Mantis.
Mehrere Abtheilungen harren noch einer eingehenderen Unter-
suchung. Am besten sind Käfer und Schmetterlinge bekannt. In den
verschiedensten Farben erglänzend, artenreich und massenhaft treten
vor allem die Blattkäfer auf*), insbesondere die Melolonthidae und
Cetonidae, auf welche der indigene Name für Käfer, nämlich Kogane-
mushi (Goldinsect) besonders passt. Chrysochroa fulgidissima ist, wie
der Name andeutet, wohl der schönste Käfer des japanischen Archi-
pels. Im hellen Sonnenschein der heissesten Jahreszeit umschwärmt
derselbe die Spitzen der Keaki (Zelkowa Keaki) und Yenoki (Celtis
sinensis) und wahrscheinlich auch noch andere Bäume aus der Familie
der Ulmaceen, von deren Holz seine Larve sich nährt, und ist, ob-
gleich häufig, doch schwer zu fangen. Die Japaner nennen ihn
Tama-mushi, das Edelstein-Insect. Unter den Laufkäfern liefert
vor allem die Gattung Damaster fünf anderwärts seltene und viel be-
gehrte Arten. In Japan sind mehrere derselben ziemlich häufig, so
D. blaptoides auf Kiushiu, D. pandurus bei Yokohama, D. Fortuneï
im nördlichen Japan.
Eine auffallende und an die Riesen der Tropen erinnernde Art
Nashornkäfer ist Xylotrupes dichotomus L., der über das ganze Mon-
sungebiet verbreitet zu sein scheint.
Unter den Bockkäfern ist mir vor allem Melanauster chinensis
var. macularia aufgefallen, den man schon seit einem Jahrhundert
aus China kennt. Er ist ein Freund der Bachufer, wo man ihn auf
Gebüsch von Erlen, Weiden und Styrax japonicum häufig trifft. Eine
glänzend schwarze Farbe, wie ein Lackanstrich, sowie viele weisse
Punkte zeichnen ihn aus. Verschiedene Lampyris-Arten, japanisch
Hotaru, pflegt man im Hochsommer einzufangen und in besondere
Käfige zu setzen, um sich Abends ihres Leuchtens zu erfreuen **).
[230]VIII. Fauna.
Von Schmetterlingen (Chô-chô) fallen, wie bereits ange-
deutet wurde, namentlich die sogenannten Ritter (Papilio), besonders
auf und geben der Fauna ein tropisches Colorit. Nicht weniger als
9—10 Arten dieser stattlichen Sippe finden wir hier vertreten, darunter
verschiedene recht häufig vorkommend. Unter ihnen ist Papilio maci-
lentus Janson dem Lande eigenthümlich. Ausser ihm fallen noch
mehrere andere durch ihre dunkele Farbe, durch Grösse und trägen
Flug besonders auf, so P. Dehaani Feb., P. helenus L., P. maakii
Brewer, P. demetrius Cramer, P. alcinous Klug. Die Raupen meh-
rerer dieser Arten sehen sich sehr ähnlich und leben oft gemeinsam
auf den Blättern des Kara-tachi (Citrus trifolia) und des Inu-san-sen
(Xanthoxylon schinnifolium). Papilio Hippocrates ist von unserem
Schwalbenschwanze kaum zu unterscheiden.
Neben diesen und anderen auffallenden Gestalten finden wir
unter den Tagfaltern viele alte Bekannte, wie den Heckenweissling
(Pontia crataegi), den kleinen Eisvogel (Limenitis sibylla), das Tag-
pfauenauge (Vanessa jo), den Fuchs (Vanessa urticae), den kosmopo-
litischen Distelfalter (Vanessa cardui), den Perlmutterfalter (Argynnis
paphia) und eine Reihe anderer.
Die Sphingiden, wie Triptogo roseipennis, T. complacens,
Acherontia medusa, der japanische Todtenkopf und andere erinnern
ebenfalls an unsere Arten. Noch schärfer aber tritt der europäische
Charakter bei den Nachtfaltern hervor. Nach Butler sind sie fast
ohne Ausnahme identisch oder nahe verwandt mit chinesischen Arten.
Schon kennt man allein über 100 auch in England einheimische
Species. Bemerkenswerth ist namentlich Pterodecta gloriosa, ein
eigenthümlicher Schmetterlings-Schwärmer, welcher am Tage fliegt
und sitzend seine Flügel aufrichtet, wie ein Tagfalter. Von seinem
beliebten Ruheplatz aus, zu dem er wie eine Thecla immer wieder
zurückkehrt, jagt er jedes vorüberfliegende Insect *).
Japan hat 7 grosse Seidenspinner, nämlich Trophaea Artemis
Butl. und aliena: Samia, Cynthia, Caligula Jonasii Butl., C. japonica
Butl., Rhodia fugax Butl., Antheraea Yama-mai Guérin. Brahmaea
japonica ist ein anderer sehr grosser und schöner Bombyx. Eine
ausserordentlich häufige und bemerkenswerthe Art ist Caligula japonica
**)
[231]Insecten und Spinnen.
Butl. Die Japaner nennen sie Genjiki-mushi. Sie scheint gleich
der essbaren Kastanie, von deren Blättern sie sich vorzugsweise nährt
und mit deren Blüthenkätzchen ihre ausgewachsene Raupe grosse
Aehnlichkeit hat, über das ganze Land verbreitet zu sein. Einzeln-
stehende Bäume fand ich zuweilen durch die Raupen des Genjiki-
mushi ganz kahl gefressen. — Ihre Cocons werden wohl zur Ver-
fertigung von Angelschnuren verwandt *).
Der Seidenzucht dienen nur zwei Spinner: Bombyx mori und
Antheraea Yama-mai.
Unter den Adlerflüglern führen Wespen, Bienen und Hornisse
den Namen Hachi, während Ameisen Ari genannt werden. Bienen-
zucht wird zwar betrieben, doch in sehr beschränktem Maasse und
mit wenig Sorgfalt. Die Seidenzucht beeinträchtigt ein Ichneumonide,
dessen Larven Uchi genannt werden. Eigenthümlich werthvolle Gallen
erzeugt, wie in China, eine Art Cynips auf den Blättern von Rhus
semialata.
Betreffs der Zweiflügler ist zunächst zu bemerken, dass Brem-
sen (abu) im Freien und Fliegen (hai) in den Wohnungen im allge-
meinen weniger zahlreich und lästig auftreten als bei uns. Nur in
den Räumen, wo die Seidenzucht betrieben wird, und in deren Nähe
werden, wie in dem Viehstalle bei uns, die Fliegen in Menge ge-
funden und zur Plage. Hungerige, blutgierige Mosquitos (ka) können
in der heissen Jahreszeit den Schlaf stören, wenn man sich nicht
durch Netze gegen sie schützt, doch ist auch ihr Auftreten keines-
wegs ein so massenhaftes, wie man es bei dem vielen Wasser der
Reissümpfe erwarten sollte und anderwärts in weit trockneren Gegen-
den findet. Ueberdies sind Gebirgsorte, sobald sie 600—800 Meter
hoch liegen und kühle Nächte haben, ganz frei von Stechmücken.
Gleiches lässt sich nicht von den Flöhen (nomi) behaupten, über deren
Zahl und Zudringlichkeit in vielen Herbergen schon mancher Reisende
geklagt hat. Dagegen fehlt unter den Zimmerplagen bis jetzt die
Bettwanze, dieser widerwärtigste und lästigste Mitbewohner mensch-
licher Lagerstätten, nicht blos in Japan, sondern, wie es scheint, in
ganz Ostasien, was bei dem vielen Verkehr mit Europa und Nord-
amerika immerhin auffallen muss.
Für den Freund der Netzflügler ist Japan ein wahres Eldo-
rado. Das viele Wasser der Reisfelder scheint die Entwickelung der
Larven, sowohl von Wasserjungfern (tombô) als auch der Eintags-
[232]VIII. Fauna.
fliegen wesentlich zu fördern. Eine Art Libellenlarve, Magotaro-
mushi (Magotaro’s Insect) genannt, ist in ganz Japan berühmt und
gegen Kinderkrankheiten gebräuchlich. Man fängt sie in einem kleinen
Bache bei Saigawa am Ôshiu-kaidô zwischen Fukushima und Shiroishi.
Termiten kommen in Japan nicht vor und beruht die gegen-
theilige Behauptung bei Kaempfer offenbar auf einem Irrthum.
Orthopteren sind ebenfalls artenreich, insbesondere Heu-
schrecken (Batta). Auch sie werden, namentlich die grünen Lo-
custen, zuweilen in Käfigen gehalten. In einigen Gegenden des Landes-
innern pflegt man Heuschreckenlarven (Inago), insbesondere solche
von Acridien, in Oel zu braten und in Ermangelung von Fischen als
Zuspeise zum Reis zu servieren, doch bilden sie ein sehr ungenügen-
des Aequivalent, wie ich aus eigener Erfahrung weiss.
Mehrere Arten Mantis (Kama-kiri-mushi) sind häufig, fallen aber
bei ihrer stillen Lebensart auf oft gleich gefärbten Pflanzen wenig
auf. Um so mehr wissen sich Gryllen (Kôrogi) und Schaben (Abura-
mushi, d. h. Oelinsecten) bemerkbar zu machen. Noch mehr gilt
dies von einer Abtheilung der Schnabelkerfen, den Cicaden
(hemi), von denen mindestens 6 Arten vorkommen, die auch der Ein-
geborene durch besondere Namen unterscheidet. Etwa Mitte Mai be-
ginnt ihr Ohren zerreissendes Schleifen und wird bis in den September
fortgesetzt. Gleich den Heuschrecken sind sie, wie überall, Freunde
des warmen Sonnenscheines und am regsten, wenn dieser mit voller
Kraft wirkt und der Gesang der Vögel darunter verstummt. Kaempfer
sagt von ihnen: »Die Berge und Büsche sind mit ihrem Geräusch
erfüllt, welches in einer weiten Entfernung in die Ohren gellt«. Er
unterscheidet drei Arten, die er auch nebst ihren Larven abbildet
und von denen er richtig bemerkt, dass ihr eigenartiges Schnarren
und Schleifen nicht ganz in dieselbe Tages- und Jahreszeit fällt, sie
sich vielmehr gewissermassen darin ablösen.
An Feld- und Baumwanzen fehlt es nicht, dass dagegen die
Bettwanze das Land bis jetzt verschont hat, wurde schon hervorge-
hoben. Auch kommen keine giftigen Scorpione und Scolopender vor.
Spinnen (Kumo) sind artenreich vertreten, bedürfen aber noch der
näheren Untersuchung, ebenso die Schildläuse.
[233]Crustaceen.
g. Crustaceen.
Den Krustenthieren Japans hatten v. Siebold und andere Ge-
lehrte der holländischen Colonie zu Deshima viel Aufmerksamkeit
zugewandt und für das von ihnen gesammelte Material in W. de Haan
einen vortrefflichen Bearbeiter gefunden. Die lange Liste von zum
Theil sehr interessanten Arten, welche dadurch bekannt wurden, ist
durch spätere Funde noch wesentlich bereichert und erweitert worden.
Unter Kani (gani) versteht man im allgemeinen in Japan eine
Krabbe, unter Yebi (ebi) die eigentlichen Krebse oder Macruren.
Der Flusskrebs (Astacus japonicus) scheint auf Yezo beschränkt zu
sein; denn wenn von Kaempfer und von Anderen sein Vorkommen
in Alt-Japan erwähnt wird, so beruht dies, wie bereits v. Martens
hervorgehoben hat, auf Verwechselungen mit verschiedenen Seekrebsen.
Dagegen weisen die süssen Gewässer der japanischen Inseln wenig-
stens ein halbes Dutzend Arten Krabben auf, von denen einige sehr
häufig sind. Diese Süsswasserkrabben unterscheiden sich in ihrer
Lebensweise ebenso sehr von den Landkrabben als auch von den
Küstenkrabben tropischer Gegenden, einmal dadurch, dass diese nur
Nachts ihre Schlupfwinkel — selbstgegrabene Löcher im Thonboden
oder Dünensande — verlassen und nach Nahrung suchen, wie nicht
minder dadurch, dass beide Categorien das süsse Wasser meiden,
dagegen zeitweise das Meer aufsuchen, wenn auch nur, um darin zu
laichen. Die japanische Süsswasserkrabbe wohnt dagegen in der
Regel, ähnlich wie der Flusskrebs, in Uferlöchern, und zwar meist
über dem Wasserstande und kommt oft auch am Tage, besonders bei
Regen, gleich Landschnecken aus ihrem Verstecke hervor, um sich
mit ihres Gleichen munter umherzutummeln und zuweilen weite Wan-
derungen anzustellen. So treffen wir eine kleine Art (Sesarma hae-
matochir Haan) oft im Gebirge, so dass ihr japanischer Name Yama-
gani, Bergkrabbe, ganz passend ist. Auch S. quadrata Haan geht
oft weit vom Wasser weg, während verschiedene Telphusen die nassen
Reisfelder vorziehen, wie Telphusa Berardi, welche die T. fluviatilis
der Mittelmeerländer vertritt. Eine viel grössere Art soll nur im
Katsura-gawa westlich von Kiôto vorkommen und scheint bis jetzt
noch nicht beschrieben zu sein. Auch Garneelen, Palaemon (Kawa-
yebi) und selbst Amphipoden, wie Gammarus, ferner Kugelasseln,
Sphaeroma, findet man in den Flüssen und Reisgräben. Doch der
Haupttummelplatz der Krustenthiere ist auch hier das Meer. Mit dem
Südwestmonsun und tropischen Fischen, doch auch in Gesellschaft
von Häringen und Makrelen erscheinen ganze Schaaren von Lupa
[234]VIII. Fauna.
und andere Schwimmkrabben und üben an den kranken und todten
Fischen die Gesundheitspolizei aus, wie dies andere Gattungen an
der Küste und auf dem Meeresboden thun.
Nicht wenige dieser marinen Krustenthiere haben eine weite Ver-
breitung. So kommen nach Milne Edwards folgende japanische
Arten auch in den australischen Gewässern vor: Cancer integerrimus,
C. Ocyrhoë, Lupa pelagica, L. Tranquebarica, L. sanguinolenta, Tha-
lamita crucifera, T. truncata, T. prymna, Podophthalmus vigil, Calappa
lophus, womit übrigens die Liste noch lange nicht erschöpft ist. Auch
ein Pfeilschwanz, japanisch Kabuto-gani, d. h. Helmkrabbe (Limulus
longispina Hoeven), der namentlich im Seto-uchi oft gefangen wird,
gehört zu diesen tropischen Formen. Denselben Verbreitungsbezirk
von Japan durch den Malayischen Archipel hat Macrocheirus Kaempferi
Sbd., der Riese unter den Seespinnen, welche die Japaner mit Recht
Taka-ashi (Langbein) nennen, denn die Beine des Männchens werden
1½ Meter lang. Ebenso sind die Namen Ibara-gani (Dornkrabbe)
und Yado-kari (Hausmiether) für Lithodes histrix und Paguren sehr
passend gewählt.
Wie der Flusskrebs dem Lande, so fehlt der Hummer den Küsten
des eigentlichen Japans. An seine Stelle treten, wie anderwärts in
wärmeren Meeren, verschiedene Arten Heuschreckenkrebse (Palinurus)
und Brillenkrebse (Scyllarus). Die grösste und wichtigste davon ist
wohl Palinurus Burgeri, welcher unter den Namen Umi-yebi (Seekrebs)
und Ise-yebi (Krebs der Provinz Ise) viel auf die Märkte gelangt.
Von Cirrhipeden fehlen natürlich Lepas und Balanus nicht;
auch kommt ein Pollicipes vor, den v. Martens bei Mogi auf Kiushiu
und ich an der Küste von Enoshima fand.
Im 41. Band der Denkschriften der K. K. Academie beschreibt
Dr. E. v. Marenzeller 30 Arten Anneliden aus Japan, welche
in den letzten Jahren durch seine beiden Landsleute Dr. v. Drasche
und Dr. v. Roretz gesammelt wurden. Es ist auch hier ein Ge-
menge specifisch tropischer und nordischer Formen zu constatieren.
24 der beschriebenen Species waren neu. Sonst haben die Würmer
Japans noch wenig Beachtung gefunden.
h. Mollusken.
Lange Zeit war das Verzeichniss von 90 Species mariner Mollusken,
welches Thunberg im 4. Bande seiner Resa, pag. 98 und 99 im
Jahre 1793 gab, das Einzige, was man von diesem Theile der Thier-
welt des Landes wusste. Zwar gelangte später noch manche andere
[235]Mollusken.
Species von Deshima aus in die Sammlungen Hollands, doch blieb es
den Conchyliologen der letzten zwei Jahrzehnte vorbehalten, dieses
Gebiet eingehender zu erforschen. Durch Sammler, wie Dr. Stimpson,
Nuhn, Adams, Schrenk, Boeddinghaus, v. Martens,
Hilgendorf, den Verfasser und Andere wurde das bekannte Material
wesentlich vermehrt, während die Land- und Süsswasserfauna vor-
nehmlich durch die drei Letztgenannten näher erschlossen wurde.
Die bedeutendsten Arbeiten über die Mollusken Japans sind
von Adams, Crosse, Dunker, Gould, Kobelt, Lischke,
v. Martens und v. Schrenk erschienen. Dunker gibt in seiner
ersten Fauna 128 Arten Meeresconchylien an. In der Arbeit von
Lischke finden wir bereits 327 Species beschrieben und theilweise
abgebildet, während das neueste Werk von Dunker über den
Gegenstand gegen 1200 bis zur Stunde bekannte Arten aufzählt und
kritisch beleuchtet *). Dass aber hiermit der Formenreichthum noch
lange nicht erschöpft ist und Späterkommende noch eine beträchtliche
Nachlese halten können, beweist schon der Umstand, dass selbst
die Fischmärkte von Kagoshima und Tôkio, auf welche doch nur die
leicht erreichbaren grösseren und in Menge vorkommenden Thiere ge-
langen, erst vor wenigen Jahren zwei bisher noch nicht beschriebene
Species lieferten.
Wenn v. Martens bezüglich der Land- und Süsswasser-Mollusken
die Ansicht aussprach, dass sie gleich den Süsswasserfischen sich im
wesentlichen denen der ostasiatischen Küstenländer anreihen, so findet
dieselbe durch die vielen neuen Funde Hilgendorf’s und meine
eigenen nur eine weitere Bestätigung. Die Zahl der tropisch-indi-
schen Formen ist gering gegenüber den Arten, welche nach China
und Sibirien weisen. Nach Kobelt**) sind jetzt 193 Arten bekannt.
Charakteristisch ist das Ueberwiegen der Gruppen Camena, Fruticicola
und Plectotropis unter der Gattung Helix, der Artenreichthum, in
welchem die Clausilien vorkommen, das Auftreten zahlreicher Palu-
dinen, Cyrenen und Dipsas in süssen Gewässern, vornehmlich soweit
solche mit dem Reisbau in Beziehung stehen, sowie der auf nassen
Reisfeldern ebenfalls häufigen Melanien. Unter den 57 Species Helix
(Maimaitsuburi, d. h. wandernde Köpfe) ist die sehr häufige H. quaesita
stets links gewunden und neben der sehr veränderlichen H. peliomphala
Pfr. die verbreitetste Art. Von 34 Arten Clausilia (Kiserugai, Pfeifen-
[236]VIII. Fauna.
schnecken, weil sie die Gestalt japanischer Pfeifchen haben) sind
Cl. Martensi Herklots (48 mm) und Cl. Yokohamensis Crosse (44 mm)
die Riesen ihres Geschlechtes. Die letztere Art ist häufig, zumal im
südlichen Japan, wo alte, abgestorbene, immergrüne Eichenstämme
oft zu ihrem Aufenthalt dienen. So fand ich sie namentlich zahlreich
in einem Walde von Quercus cuspidata beim Orte Kajiwara auf der
Tosa-Seite des Sasagamine-tôge in Shikoku. Von Bivalven fand ich die
früher nur vom asiatischen Festlande bekannte Margaritana Dahurica
Middend. (Fankai genannt) in Menge am Abflusse des Inawashiro-
Sees in Aidzu. Die grossen Anodonten (numa-gai *), Teichmuschel,
Karasu-gai, Rabenmuschel), wie A. Woodiana, A. lauta, A. japonica,
erinnern an unsere einheimischen Arten, ebenso verschiedene Unio
(nagata-gai, lange Muschel, kamisori-gai, Rasiermessermuschel), Dipsas
plicata (Hire-gai) aber einigermassen an unsere Unio batatus, während
das in nicht weniger als 9 Arten auftretende Genus Corbicula (Shi-
shimi) seine lebenden Verwandten in dem subtropischen Gürtel der
nördlichen Hemisphäre hat, die anderen in unseren Tertiärschichten.
Die japanischen Meeresmollusken bilden ein eigenthümliches Ge-
menge aus drei Faunengebieten. Nordische, circumpolare Arten folgen
den kalten Strömungen und herrschen desshalb bei Yezo und den
Kurilen vor, während sie an den Gestaden von Oyashima entweder
gar nicht oder nur selten und in grösserer Tiefe sich finden. Hier-
her gehören beispielsweise Buccinum, Neptuna, Trophon, nordische
Arten von Purpura, Littorina, Acmaea und zahlreiche Bivalven, darunter
die Brachiopoden Terebratula, Terebratella, Rhynchonella, ferner von
eigentlichen Muscheln Mya, verschiedene Pecten, z. B. Pecten Yezo-
nensis, Lutraria, Neptunea. Das bekannte Buccinum undatum mit
seinen Varietäten, welches man an der Nordseeküste so häufig trifft
und das nordwärts weit in das Polarmeer hineinreicht, findet man
auch bei Yezo, ebenso das arctische B. glaciale. Mya arenaria und
M. truncata gehen an den japanischen Küsten viel weiter nach Süden,
sind jedoch meist klein, etwa wie die aus der Ostsee.
Weitaus die meisten japanischen Meeresmollusken weisen jedoch
auf den Indischen Ocean und Malayischen Archipel hin. Hierher ge-
hören schöne Arten von Argonauta, Murex, Fusus, Tritonium, Cassis,
Cypraea, Pleurotoma, Terebra, Cancellaria, Dolium, Voluta, Oliva;
ferner von Zweischalern unter anderem allein mehr denn 60 Arten
Veneraceae, viele Solenaceae, Mytilaceae, Arcaceen. Eine beträcht-
liche Zahl von Arten der hier aufgezählten Gattungen und Familien,
[237]Mollusken.
sowie verschiedener anderen treffen wir bis zum Rothen Meere; Tri-
tonium nodiferum Luck. reicht sogar vom Mittelmeer durch den Atlan-
tischen und Stillen Ocean bis zu den japanischen Inseln, während
man T. Rumphii nur aus dem Indischen und Stillen Ocean kennt.
Beide Arten (japanisch Hora-gai), die Linné als T. Tritonis zusammen-
fasst, wurden früher in Japan zu Signalhörnern verwandt und an
Stelle der abgeschlagenen Spitze mit einem messingenen Mundstück
versehen. Nach Pinto wurden beim Blasen derselben Aufruhr durch
einen Stoss, Brand durch zwei, Plünderung durch drei, Verrätherei
durch vier Stösse angedeutet, doch spielten sie auch eine Rolle als
Signalhörner im Kriege und hiessen desshalb auch Jin-gai, Kriegs-
Muschelschalen oder Lager-Schnecken. Ihre Bläser waren die Hora-
fiu oder Hora-wo-fuku *).
Scheiden wir von der Molluskenfauna Japans die borealen und
tropischen Beimengungen aus, welche allerdings überwiegen, so bleibt
immerhin noch ein hoher Procentsatz als specifisch japanischer, oder
richtiger boreal-pacifischer Grundstock übrig, wovon die meisten Arten
in allen Meerestheilen des nordöstlichen Monsungebietes und nicht
wenige auch an der pacifischen Küste Nordamerikas gefunden werden,
so dass z. B. die Weichthierfauna der Küste Californiens einen der
japanischen verwandten Charakter hat.
Von Gastropoden ist namentlich die Gattung Fusus in den japa-
nischen Gewässern reich vertreten und kaum minder gut die verwandte
Gattung Siphonalia, welche fast nur in diesem Gebiete gefunden wird.
Auch von Trochideen treffen wir viele und zum Theil höchst eigen-
thümliche Formen, wie z. B. die merkwürdige Guildfordia triumphans.
Von Umbonium oder Rotella kommen die meisten bekannten Arten
bei Japan vor.
Die Gattung Seeohr (Haliotis) ist durch 6 Arten vertreten, von
denen namentlich die grösseren, trotzdem sie massenhaft alljährlich
gefangen und verspeist werden, doch immer noch recht häufig sind.
Der Riese unter denselben, Haliotis gigantea Chemn. (Awabi), reicht,
begleitet von H. discus Reeve, bis nach Kamtschatka, erreicht aber
im kalten Norden eine geringere Grösse.
Manche der marinen Mollusken bilden neben vielen anderen See-
thieren eine geschätzte, vielgesuchte Nahrung. Wo die grösseren
fehlen, werden selbst Lingula und Cerithium nicht verschmäht, doch
[238]VIII. Fauna.
herrschen natürlich gerade unter der Marktwaare die grösseren Arten
vor. »Dieser Reichthum an auffallend grossen, aber von aussen glanz-
losen — ich möchte sagen — groben Conchylien ist ein Zug, den die
japanische Fauna mit ihrer nördlichen Nachbarin, der kamtschada-
lisch-nordwest-amerikanischen Fauna und überhaupt mit den Fau-
nen des höheren Nordens gemein hat, während die Conchylien der
subtropischen und tropischen Gegenden im allgemeinen durch das
feinere Detail der Sculptur und Zeichnung hervortreten. Jene sind
sozusagen die Bären und Walfische unter den Muscheln« (v. Martens).
Mehr oder minder gilt dies indess überhaupt von den grösseren Weich-
thieren, welche verspeist werden, unbekümmert um ihren geographi-
schen Verbreitungsbezirk.
Schliesslich mögen hier noch die wissenschaftlichen und japani-
schen Benennungen einer Anzahl dieser grösseren und häufigen Formen
folgen: Naga-nishi und Kiri-gai (Fusus), Bai (Eburna japonica; dies
Schneckenhaus wird von den Knaben oft als Kreisel benutzt), Aka-
nishi (Rapana bezoar), Ki-gai (Dolium luteostoma, D. perdix), Subetai
(Natica vesicalis), Yeiraku-gai (Murex foliatus), Hora-gai (Tritonium
tritonis), Sasai (Turbo cornutus), Su-gai (Rotella gigantea), Awabi
(Haliotis gigantea, H. japonica), Tokobushi (Haliotis supertexta), Kaki
(Ostrea grandis, O. multilamellosa), Umi-kami (Pecten japonicus),
Hira-gai, Tairagi (Pinna japonica), Shuru-gai (Mytilus), Aka-gai (Sca-
pharca inflata), Yayembo oder Sarubo (Arca subcrenata), Tori-gai
(Cardium japonicum), Hamaguri (Meretrix lusoria), Suji-gai (Dosinia
japonica), Asari (Tapes Philippinarum), Baca (Mactra sulcataria),
Wara-gai (Lutraria), Miro (Mya arenaria).
Von grosser Bedeutung, sowohl der Menge ihres Vorkommens,
als auch der Verwerthung als Nahrungsmittel wegen, sind auch eine
Anzahl Cephalopoden, so Tako (Octopus), Shidako (Eledone), Ika
(Sepia), Tachi-ika (Loligo, Loliopsis), Surume (Onychotheuthis Banksii),
Ika-surume (Ommastrephes). Auch Tako-fune, d. h. das Polypenboot
(Argonauta), kommt in mehreren Arten, wenn auch nicht in grosser
Zahl, auf den Fischmarkt. Zu den seltenen Erscheinungen gehört
der riesige Megateuthus Martensii Hilgd.
i. Echinodermen.
Bei der kurzen Betrachtung der in Japan bis jetzt gefundenen
Arten dieser Thierklasse folge ich den freundlichen Mittheilungen
unserer ersten Autorität auf diesem Gebiete, meines Collegen Greeff.
Man kennt hiernach 26 Arten Seeigel (japanisch uni), Clypeaster und
[239]Echinodermen.
Verwandte, von denen manche gegessen werden, und 12 Arten Asteriden
oder Seesterne. Auch in der Zusammensetzung der Liste dieser Thiere
ist der grosse Einfluss des Kuro-shiwo und der Driftströmung zur Zeit
des Südwestmonsuns unverkennbar; denn diesen Agentien müssen wir
in erster Linie die Verbreitung mancher Arten über den Indischen und
Stillen Ocean und insbesondere über den Malayischen und Japanischen
Archipel zuschreiben. Hierher gehören von eigentlichen Echiniden
Echinotrix turcarum Pet., Echinometra lacunter Bl., Strongylocentrotus
tuberculatus Al. Ag., Microcyphus maculatus Al. Ag. und M. zigzag
Al. Ag., Mespilia globulus Al. Ag., Hipponoë variegata Ag., Fibularia
australis Desm., Echinanthus testudinarius Gray, Peronella decagonalis
Ag., Echinodiscus laevis Al. Ag., Lovenia subcarinata Gray, Breynia
Australasiae Gray, Echinocardium australe Gray, während Strongylo-
centrotus depressus Al. Ag., St. intermedius Al. Ag., Sphaerechinus
pulcherrimus Al. Ag., Temnopleurus Hardwickii Al. Ag., Phymosoma
crenulare Al. Ag., Echinocardium mirabile Al. Ag., Spatangus Lütkeni
Al. Ag. und Maretia alta Al. Ag. bis jetzt nur in japanischen Ge-
wässern gefunden wurden.
Als Kosmopolit warmer Meerestheile erscheint das langstachelige
Diadema setosum Gray, überraschend aber das Vorkommen der Doro-
cidaris papillata Al. Ag.; denn während man diese Species bisher nur
aus dem Nordatlantischen Ocean von Westindien über den Golfstrom
bis zur Küste von Norwegen kannte, führte sie mir ein Zufall frisch
auf Enoshima in die Hände. Ein Fischer, von dem ich das betreffende
Exemplar erwarb, versicherte mich, dass er sie beim Suchen nach
Hyalonema aus einer Tiefe von 200 Faden erhalten habe *).
Sehr merkwürdig ist bezüglich der Seesterne (tako-no-makura)
das Vorkommen von Asterias rubens an der japanischen Küste. Dieses
Thier zeigt eine fast beispiellose Häufigkeit und Verbreitung in der
ganzen Nordsee, in den westlichen Theilen der Ostsee, an den Faröer,
Island, Grönland und den englischen Küsten, so dass es für die Nord-
see als eine charakteristische Echinodermenform angesehen werden
kann. Nach Süden hin verschwindet dieser Seestern, wie es scheint,
vollständig; denn man kennt ihn bis jetzt mit Sicherheit weder aus
dem Mittelmeere, noch aus den südlichen Theilen des Atlantischen
Oceans. Auch aus anderen Meeren ist Asterias rubens nicht bekannt,
und nun taucht er plötzlich in Japan wieder auf. Archaster typicus
hat eine ziemlich weite Verbreitung über den Indischen Ocean; die
[240]VIII. Fauna. Echinodermen. Korallen und Schwämme.
übrigen Asteriden Japans scheinen dagegen auf dessen Gestade be-
schränkt zu sein.
Trepange oder Holothurien (japanisch namako) werden zwar
sowohl frisch als getrocknet auch von den Japanern gegessen, bilden
aber vor allem einen wichtigen Ausfuhrartikel nach China.
k. Korallen und Schwämme.
Auch die Coelenteraten sind an Japans Gestaden reich vertreten,
wenn auch viele Charakterformen des Indischen Oceans, wie z. B.
die Fungien, nicht so weit reichen und Milleporen, Oculinen und
andere Riffebildner nicht vorkommen. Aber andere Steinkorallen, zum
Theil verwandt mit Bewohnern des Mittelmeeres, wie Astraea, Caryo-
phyllia, Dendrophyllia etc. findet man nicht selten, vor allem auch
schöne Rindencorallen, z. B. Gorgonien, Corallium, Isis. Mehr
Interesse erregen freilich die Kieselschwämme, von denen die soge-
nannte Glaskoralle (hoshi-gai) oder Hyalonema Sieboldi geradezu eine
Berühmtheit genannt werden kann. Sie ist von Enoshima an der
Nordwestseite der Sagami-Halbinsel verbreitet worden, wurde aber
bis jetzt nur am Eingange der Yedobucht zur Seite von Awa in etwa
200 Faden gefischt. Verschiedene andere Gattungen Glasschwämme,
obgleich weniger auffallend, haben für Kenner gleichfalls ein hohes
Interesse, harren aber noch einer eingehenden Untersuchung *). Hier-
her gehören ein prächtiger Lithistide, Farrea, Leiodermatium, Dactylo-
calyx und Andere, welche an Formen erinnern, die wir jetzt aus dem
Mexicanischen Meerbusen kennen.
[[241]]
DAS JAPANISCHE VOLK.
KURZE DARSTELLUNG
SEINER GESCHICHTE, CIVILISATION UND SOCIALEN ZUSTÄNDE
VON JIMMU-TENNÔ BIS ZUR GEGENWART.
Rein, Japan I. 16
[[242]][[243]]
I.
Geschichte des japanischen Volkes.
1. Periode.
Von der Gründung des Reiches Yamato bis zur Verlegung
der Residenz nach Kiôto, oder von Jimmu-Tennô bis
Kuwammu-Tennô (660 v. Chr. bis 794 n. Chr.). Expedition
nach Korea. Einführung der chinesischen Civilisation
und des Buddhismus.
Die älteste Geschichte Japans ist, wie die aller Völker, in Dunkel
gehüllt. Aber selbst lange nachdem die Sagen, mit denen sie be-
ginnt, eine greifbarere Gestalt angenommen haben und der Schleier
etwas gelüftet ist, fehlt es an jeder sicheren Quelle, den Kern von
der Schale zu trennen und die alten Helden von dem mythischen Ge-
wande zu befreien, in das viele Jahrhunderte lang fortgeführte münd-
liche Ueberlieferungen sie gehüllt haben *).
16*
[244]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Nach der alten Sage erschuf das Götterpaar Isanagi und Isa-
nami, wie bereits früher erwähnt wurde, nicht blos die japanische
Inselwelt, sondern auch das Herrschergeschlecht derselben. Von den
fünf auf Awa-jima erzeugten Kindern dieses Schöpferpaares wurden
die beiden ältesten, zwei Töchter, von Isanagi am meisten geliebt
und darum als Herrscherinnen des Tages und der Nacht an den
Himmel erhoben. Die Sonnengöttin Amaterasu-o-mi-kami (chi-
nesisch Tenshô-Daijin) *), d. h. die vom Himmel schauende Gott-
heit, war nach einer Legende aus dem linken **) Auge des Gottes
beim Waschen im Meere erzeugt worden, während Tsuki-no-kami,
die Mondgöttin, aus dem rechten Auge entstand. Ein Enkel der
Sonnengöttin war Ninigi-no-Mikoto***), den sie zur Regierung
Japans vom Himmel sandte. Mit seinem Himmelsschwerte (Ama-no-
sakahoko) sondierte er den Boden unter sich und liess sich dann auf
dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von Hiuga und
Ôsumi nieder, um von hier aus seine Herrschaft anzutreten †). Sein
Nachkomme ist Jimmu-Tennô (660—585 v. Chr.), mit dem die
japanische Geschichte beginnt ††).
Im Jahre 663 v. Chr. verliess derselbe mit seinen Getreuen im
Boote den kleinen Hafen Mimidzu an der Ostküste von Hiuga und
gelangte nach dreijähriger stürmischer Fahrt durch Bungo-nada und
Seto-uchi nach Naniwa, der Bucht von Ôsaka. Von hier aus unter-
warf er das angrenzende Gebiet, gründete im Gokinai sein O-Yamato
(Land des Friedens) und schlug zu Kashiwara in der Nähe der
Stadt Nara seine Residenz auf (660 v. Chr.).
Jimmu-Tennô ist der Begründer der heute noch über Japan herr-
schenden Dynastie und der gegenwärtige Mikado der 121. in seiner
[245]1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato etc.
Nachfolge. Das japanische Herrscherhaus leitet sich also von der
Sonnengöttin Amaterasu ab, die desshalb im Ahnencultus oder Shintô
(der Staatsreligion) unter den Göttern die höchste Stelle einnimmt *).
Von den beiden Namen »Jimmu-Tennô« bedeutet der erste Kriegs-
geist, der zweite ist aus dem Chinesischen Ten und Nô oder Ô, Himmel
und resp. König, zusammengesetzt. Diesen Titel »Tennô«, König des
Himmels, führt jeder Mikado; es ist der Name, mit dem er vom Volke
gewöhnlich genannt wird. Statt »Tennô« gebraucht man auch viel
das Wort Tenshi (Sohn des Himmels) **). Als Palladien und älteste
Symbole der kaiserlichen Macht hatte Tenshô-Daijin dem Jimmu
Tennô einen runden Spiegel und ein Schwert übergeben, jenen mit
den Worten: »Behalte diesen Spiegel, mein Ebenbild, und deine
Dynastie wird so lange dauern als Himmel und Erde«.
Diese Insignien der Macht wurden von Jimmu-Tennô und den
acht folgenden Herrschern in ihren Thronsälen aufbewahrt, bis Sujin
Tennô, der 10. Mikado, sich davon facsimilia anfertigen liess, die
Originale aber in den von ihm erbauten und der Tenshô-Daijin ge-
widmeten Tempel bei der heutigen Stadt Yamada in Ise gebracht
und aufbewahrt wurden. Dieser Tempel der Sonnengöttin wurde von
da ab Nationalheiligthum, das Mekka, nach dem noch heutigen Tages
viele Tausende aus allen Theilen des Landes wallfahren und wohin
sich in der Regel auch die Machthaber des Landes in regelmässigen
Intervallen, sowie am Vorabende grosser Unternehmungen begaben.
Im übrigen erzählt noch die alte Geschichte von Jimmu-Tennô,
dass er ein mächtiger und erleuchteter Fürst gewesen sei, der alle
[246]I. Geschichte des japanischen Volkes.
seine Feinde besiegte, dem Lande weithin den Frieden sicherte und
für die Entwickelung friedlicher Arbeit, insbesondere des Ackerbaues
besorgt war. Er liess Cerealien pflanzen, heisst es, und Hanf, sowie
Knoblauch und Ingwer.
Der 10. Mikado, Sûjin-Tennô (97—30 v. Chr.), dessen Name
bereits genannt wurde, war ein bemerkenswerther Civilisator seines
Volkes. Er ermuthigte die Landwirthschaft und liess unter anderem
die ersten Reservoire anlegen zur Bewässerung der Reisfelder in
regenarmen Sommern. Als ein weiteres Zeichen seiner grossen Für-
sorge wird hervorgehoben, dass er auf eine gerechtere Besteuerung
bedacht war und Bestimmungen zum Unterhalt der Priester traf.
Nachdem er einen Aufstand unterdrückt hatte, kam Japan zum ersten
Male, soweit die Geschichte darüber berichtet, in Beziehung zu Korea.
Der nordwestliche Theil dieser Halbinsel gehörte damals zu
China, während das Uebrige in eine Anzahl kleiner selbständiger
Staaten zerfiel, welche in der Folge viel erwähnt werden *). Nun
ereignete sich der in der Geschichte so oft wiederkehrende Fall, dass
einer derselben durch einen mächtigen Nachbar bedrückt wurde und
fremde Hilfe anrief. Hier war es Mimana an der Südküste Koreas,
das sich an Japan um Schutz gegen seinen nördlichen Nachbar Shiraki
wandte und dafür Tribut zu zahlen versprach. Hieraus und aus dem
ferneren Umstande, dass die Entsendung eines japanischen Gesandten
nach Shiraki genügte, um dieses zum Nachgeben zu bewegen, dürfen
wir auf das Ansehen schliessen, in welchem um diese Zeit Japan
bereits bei seinen westlichen Nachbarn stand. Mimana hielt sein
Versprechen, sandte Geschenke und Tribut an Sûjin-Tennô (32 v. Chr.)
[]
nach japanischen Karten entworfen von C. Harff.
[][247]1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato etc.
und begründete damit ein Abhängigkeitsverhältniss zu Japan, das sich
in der Folge auch auf andere koreanische Staaten ausdehnte und
für die Fortentwickelung Japans von grösster Bedeutung wurde.
Auch der jüngere Sohn und Nachfolger von Sûjin-Tennô, der
11. Mikado Namens Sûinin-Tennô, der vom Jahre 29 v. Chr. bis
70 n. Chr. regiert haben soll, wird als ein einsichtsvoller, guter Fürst
gerühmt. Durch Anlage weiterer Teiche und Canäle trug er zur
Entwickelung des Reisbaues bei, durch Reismagazine suchte er der
Hungersnoth vorzubeugen. Die Hebung des Kamidienstes, welche
sich schon sein Vater sehr angelegen sein liess, suchte er unter an-
derem dadurch weiter zu fördern, dass er in Ise der Sonnengöttin
Tenshô-Daijin den berühmten Tempel bauen liess, der zum grössten
Nationalheiligthume wurde. Der bemerkenswertheste Act seiner Re-
gierung ist jedoch das im Jahre 2 n. Chr. erlassene Gesetz, welches
eine alte grausame Sitte abschaffte, die darin bestand, dass beim
Tode des Mikado oder eines seiner nahen Verwandten die Diener-
schaft lebendig mit begraben wurde. Von nun ab pflegte man dafür
menschliche Figuren aus Terracotta, Tsutschi Nigio genannt, als
Repräsentanten der Diener dem Grabe des Verstorbenen beizufügen.
Keikô-Tennô (71—130 n. Chr.), der 12. Mikado, wird eben-
falls als ein thatkräftiger und auf das Wohl seines Volkes bedachter
Fürst hingestellt. Gleich nach seinem Regierungsantritt hatte er
eine Invasion der Kumaso, welche von Kiushiu her in das Gebiet des
heutigen Nagato und Suwo einfielen, zurückzuschlagen *). Zur Er-
weiterung seiner Herrschaft trug nun vor allem sein jüngerer Sohn
O-usu bei, der unter dem Namen Yamato-Dake, Kriegerfürst, als
einer der gefeiertsten alten Helden Japans in vielen Sagen fortlebt.
Er unterwarf die Kumaso in Tsukushi (Kiushiu), die Bewohner von
Idzumo und die Emishi im Kuwantô und gilt darum mit Recht als
der eigentliche Eroberer dieses in der Folge so wichtigen Gebietes,
der Ebene zwischen der Yedobucht und dem Gebirge von Nikkô,
sowie zwischen dem Stillen Ocean und Usuitôge im Westen. Dieses
Kuwantô oder Land im Osten vom Thor (dem Hakone-Pass) wurde
auch Adzuma-kuni (das Land meiner Frau) genannt. Man leitet diese
[248]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Benennung von einer Klage des Yamato-Dake über den Verlust seiner
geliebten Frau, Tachibana-Hime, ab, die sich bei der Ueberfahrt
über die Yedobucht in das stürmische Meer gestürzt hatte, um Neptun
(Kompira) zu besänftigen und ihrem Manne die glückliche Landung
auf der Halbinsel Kadzusa-Awa zu ermöglichen.
Bemerkenswerth ist noch, was im Kojiki als Veranlassung zu
dieser Eroberung des Kuwantô mitgetheilt wird. Hiernach hörte Keikô
Tennô von einem Lande Hikami im Norden seines Reiches, das
sehr fruchtbar sei und dessen Bewohner, die Emishi, sich tättowierten
und ihr Haar wild und ohne jede Pflege wachsen liessen. Diese
Emishi, auch Ezo (Yezo) genannt, waren offenbar nahe Verwandte
der Ainos. Aus dem Umstande, dass sie auffielen, dürfen wir schliessen,
dass bis dahin die Begründer und Erweiterer der Herrschaft Yamato
mit solchen Ureinwohnern nicht in Berührung gekommen waren, ihre
Kämpfe sich vielmehr ausschliesslich auf verwandte und gleich ihnen
eingewanderte Stämme bezogen hatten.
Unter der Regierung des 14. Mikado Chuai-Tennô (191—200
n. Chr.) empörten sich die Kumaso in Tsukushi und machten eine
Expedition nach dieser Insel nöthig. Chuai führte selbst seine Armee,
begleitet von Okinaga-Tarashi-Hime, seiner durch Schönheit,
Intelligenz, Frömmigkeit, Energie und kriegerischen Muth gleich aus-
gezeichneten Gemahlin, welcher Japan unter dem Namen Jingu-Kôgô
ein dankbares Andenken bewahrt hat. In Kiushiu fasste sie den
Plan einer Expedition nach Korea, welchen der greise Rath Take-
nouchi theilte, der Mikado aber verwarf. Dieser starb jedoch bald
nachher, ohne die in Aussicht stehenden Vaterfreuden zu erleben.
Sein Tod wurde geheim gehalten, Jingu-Kôgô übernahm, unterstützt
durch Takenouchi, die Regentschaft und schritt alsbald zur Ausfüh-
rung ihres Lieblingsgedankens. Sie liess eine Flotte ausrüsten, über-
nahm in männlicher Rüstung selbst den Oberbefehl und segelte in
Begleitung ihres treuen Rathes nach Shiraki ab, indem sie das Com-
mando in Kiushiu einem der Generäle überliess (202 n. Chr.).
Der König von Shiraki, bestürzt durch die Nachricht von der
Landung einer japanischen Flotte, bat um Frieden, schickte Geschenke,
versprach Tribut und stellte Geiseln. Auch die Könige von Koma
und Kudara (siehe Kartenskizze) unterwarfen sich, vom allgemeinen
Schrecken erfasst, und versprachen die Zahlung von Tribut. Nach-
dem die Kaiserin noch einige Functionäre zurückgelassen hatte, kehrte
sie mit der Flotte, den Geschenken und Geiseln nach Tsukushi (Kiushiu)
zurück und gebar hier einen Sohn, Ôjin-Tennô, der als 15. Mikado
ihr später in der Regierung folgte.
[249]1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato etc.
Zu den weiter bemerkenswerthen Regierungsacten der Kaiserin
Jingu-Kôgô gehört die Unterdrückung eines Aufstandes, welchen ihre
beiden Stiefsöhne, die berechtigten Thronerben von Chuai, veranlasst
hatten, die Entsendung von Functionären nach China, um dieses Land
und seine Sitten zu studieren, sowie nicht lange darauf der Empfang
einer chinesischen Gesandtschaft, Begebenheiten, welche im wesent-
lichen durch chinesische Annalen bestätigt, doch in etwas anderem
Lichte dargestellt werden. In Korea machte das Verhalten von Shiraki,
wie auch in späterer Zeit, Schwierigkeiten und neue Expeditionen nöthig.
Die Eroberung von Korea durch Jingu-Kôgô ist für die Fortent-
wickelung Japans ein Ereigniss von unberechenbarer Tragweite. Korea
ward zur Verbindungsbrücke, über welche in der Folge die ganze
chinesische Civilisation und Cultur nach dem Lande der aufgehenden
Sonne gelangte, der Buddhismus und die Philosophie des Confucius
als Träger derselben und mit ihnen die Sprache, Gesetze und Lite-
ratur, die Culturpflanzen und Hausthiere Chinas, sowie die eigenartige,
hochinteressante Industrie desselben.
Ôjin-Tennô*), der 15. Mikado (270—310 n. Chr.), Sohn von
Jingu-Kôgô, liess durch Émishi und Koreaner Gräben ziehen und
Wasserreservoire für den Reisbau anlegen, die zum Theil noch in
Anwendung sind. Aus Kudara bezog er Pferde, Waffen, Spiegel,
Schneiderinnen, Schmiede, Weber, Branntweinbrenner, ferner von
China den Gelehrten Wani, dem er die Erziehung seines Sohnes an-
vertraute. Durch Wani gelangte zuerst die chinesische Philosophie
des Confucius und Mencius nach Japan. In diese Zeit fällt auch die
erste starke Einwanderung von Koreanern nach Japan, sowie eine
siegreiche Expedition gegen das sich auflehnende Shiraki.
In den japanischen Annalen folgt Ôjin-Tennô als Mikado un-
mittelbar seinem Vater, also noch bevor er geboren war. Nach
alter Auffassung war es sein Geist, der seine Mutter Jingu-Kôgô
beseelte und ihr den kriegerischen Muth verlieh, welchen sie in so
überraschend hohem Grade an den Tag legte. Geleitet von dieser
Ansicht erhob man ihn nach seinem Tode zum Gotte des Krieges und
[250]I. Geschichte des japanischen Volkes.
errichtete ihm auf der Insel Tsukushi in Buzen einen Tempel. Bei
der Gelegenheit, so berichtet die Sage, senkten sich acht weisse
Fahnen vom Himmel. In Folge dessen erhielt die Miya *) den Namen
Yabata-no-Yashiro, das Heiligthum der acht Fahnen. Als dann
später die buddhistischen Priester, um ihrer Lehre leichter Eingang
zu verschaffen, die hervorragendsten Shintôgötter ihrem Systeme als
Erscheinungsformen von Buddha incorporierten, wurde Ôjin-Tennô
als achte Incarnation eines Bosatsu (Bodhisattva) dargestellt und das
Wort Yabata in das chinesische Hachi-man (Acht Fahnen) übersetzt.
Seitdem verehren Shintôisten wie Buddhisten Ôjin als Hachiman.
In allen Theilen des Landes sind diesem japanischen Mars Tempel
errichtet worden; auch tragen viele Orte nach ihm den Namen Hachi-
man oder Yabata. An Hachiman wandte sich der strebsame japa-
nische Jüngling mit seinem Gebete, wenn er, begeistert durch alte
Heldensagen, sich gleich grosse Tapferkeit wünschte; seiner Protec-
tion empfahlen Mütter ihre Söhne und Frauen ihre Männer, wenn
dieselben in den Krieg zogen.
Unter der Regierung des 16. Mikado, Nintoku-Tennô (311—
399 n. Chr.) scheinen die ersten Versuche mit der Seidenzucht ge-
macht worden zu sein. Auch sonst war dieser wohlwollende Fürst
auf die Hebung seines Landes bedacht, durch einen dreijährigen Er-
lass der Abgaben, Vermehrung der Bewässerungsgräben für den Reis-
bau, Anlage von neuen Magazinen, von Strassen. Unregelmässig-
keiten im Zahlen des Tributes machten eine neue Expedition nach
Shiraki nöthig. Auch fällt eine Revolte der Emishi in diese Zeit.
Von den nächstfolgenden Herrschern wird wenig berichtet. Sen-
suelle Neigungen derselben und sonstige Verweichlichung führten
zu Bürgerkriegen und warfen das Land offenbar theilweise in die
frühere Barbarei zurück, die Bande mit Korea lockerten sich, und
die Streitigkeiten der einzelnen Staaten, sowie eine Revolte in Mimana
führten dann zu neuen Expeditionen nach dieser Halbinsel.
Es geschah dies unter dem 21. Mikado Yuriaku-Tennô (457—
479 n. Chr.). Das ganze fünfte Jahrhundert scheint unter häufigen
Revolten und Thronwechseln, sowie Streitigkeiten in und mit Korea
verflossen zu sein. Eine neue, bessere Zeit kam erst mit der Ein-
führung des Buddhismus gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts. Die
ersten Statuen von indischen Heiligen sollen schon gegen das Ende
der Regierung Ketai-Tennô’s (507—531 n. Chr.), des 26. Mikado,
nach Japan gekommen sein, doch fand damals die neue Lehre offenbar
[251]1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato etc.
noch nicht den günstigen Boden, sich weit zu verbreiten, so dass
allgemein das Jahr 552 als die Zeit der Einführung des Buddhismus
angenommen wird. Kudara ist der Hauptvermittler. Sein König
sendet an Kimmei-Tennô, den 29. Mikado (540—571), Bonzen,
Buddhastatuen, Gebetbücher, Tempelornamente, empfiehlt die neue
Lehre und rühmt ihren guten Einfluss. Noch überwiegen jedoch bei
Hofe die Anhänger des Kamidienstes, und der Mikado sieht sich ge-
nöthigt, die Geschenke einem dem Buddhismus bereits ergebenen
hohen Beamten zu überweisen und seinen Vasallen in Korea zu bitten,
ihm statt Bonzen Gelehrte und Künstler zu senden. Insbesondere
verlangt er Aerzte und Apotheker, Wahrsager, Kalendermacher und
schickt dagegen Kriegsbedarf.
Der Einfluss des Reiches Wo, wie die Chinesen Japan nannten,
auf die Angelegenheiten Koreas war schon längst sehr gesunken.
Theils freiwillig, theils gezwungen hatte es sein altes Besitzthum
Mimana den Nachbarn überlassen und diese, Kudara im Westen,
Shiraki im Osten und Koma (Korai), nördlich von Shiraki, theilten sich
factisch in den Besitz der Halbinsel und bildeten die San-kan (drei
Clane) derselben. In ihren beständigen Streitigkeiten wurde die Hülfe
des Reiches Yamato meist von Kudara bald gegen diesen, bald gegen
jenen Nachbar angerufen, so dass, was die japanischen Annalen als
Tributzahlung Seitens des einen oder des anderen dieser drei Stämme
erwähnen, wohl richtiger als die Uebersendung von Geschenken zu
deuten ist, welche der eine oder der andere Stamm dem Mikado
machte, wenn es galt, dessen Hülfe gegen seine Nachbarn in An-
spruch zu nehmen. Durch das ganze 6. Jahrhundert dauern diese
Verhältnisse fort. Der Wunsch, Mimana als japanische Provinz zu
reconstruieren, geht von einem Mikado auf den anderen über, aber
keinem gelingt die Ausführung.
Was den Buddhismus anlangt, so gelingt es den Vertretern des
Alten noch einmal, herrschende Krankheiten als Strafe der Kami zu
deuten und die vorhandenen Buddhas und ihre Tempel zu verbrennen.
Aber Kudara sendet neue, und die Zahl und der Einfluss der An-
hänger des indischen Heiligen wachsen zusehends schon unter der
Regierung Sushun-Tennô’s, des 32. Mikado (588—592). Während
dieser Zeit sendet Kudara Tempelarchitekten, Dreher, Maler, Priester,
Buddhas und Reliquien, doch erst der 33. Herrscher, die Kaiserin
Suikô-Tennô (593—628), erklärt sich offen für den neuen Glauben
und verschafft ihm weiteren Eingang. Sie scheint jedoch die Regie-
rung ganz ihrem erwählten Thronerben, dem Prinzen Mumaya-Donooshi
oder Toyoto-Mimi überlassen zu haben, der als dem Buddhismus
[252]I. Geschichte des japanischen Volkes.
eifrig ergeben, intelligent und sehr unterrichtet geschildert wird.
Seinem Einflusse, wahrscheinlich aber mehr noch dem der Bonzen,
ist es zuzuschreiben, dass die blutigen Kämpfe in Korea bald ein
Ende nahmen, bessere Beziehungen zu den Staaten jener Halbinsel
hergestellt wurden und Koma sogar einen Beitrag von 300 rios zu
einer Buddhastatue einsandte, ausserdem aber mehrere Priester. Einer
derselben, Donchô, ein grosser Gelehrter und Techniker zugleich,
lehrt die Japaner Papier und Tusche bereiten, sowie den Gebrauch
der Mühlsteine (gegen 600 n. Chr.). Aus Kudara kommt ein Tanz-
und Musiklehrer, und auch das himmlische Reich sendet seine Civili-
satoren. Ueberhaupt scheint unter der Herrschaft der Kaiserin Suikô
ein ziemlich lebhafter Verkehr zwischen China und Japan stattge-
funden zu haben, was auch aus einer chinesischen Geschichtsquelle,
durch Hervey de Saint-Denys ins Französische übersetzt, her-
vorgeht. Suikô-Tennô führte unter anderem auch die am chine-
sischen Hofe gebräuchlichen Aemter und Ceremonien ein, mit einer
scharf durchgeführten Rangordnung. Der Regent starb 10 Jahre
früher als die Kaiserin und erhielt den posthumen Titel Shotoku-
Taishi (Grosser Meister der strahlenden Tugendlehre). Bei seinem
Tode gab es nach dem Nihonshi bereits 46 Tera (Buddhatempel) und
816 Bozu (Bonzen oder Buddhapriester), sowie 569 Mönche in Japan.
Innere Kämpfe um die Thronfolge schwächten nach dem Tode
der Kaiserin das Land, und auch während der bemerkenswertheren
Regierung des 36. Mikado, Kôtoku-Tennô, sowie seines Nachfolgers
war Japan unter einer Dictatur und die eigentliche Regierung nicht
in den Händen des Landesfürsten. Verschiedene Einrichtungen, fast
insgesammt China entnommen, dessen Staatsverfassung mehr und
mehr zum Muster gewählt wurde, sind aus der Zeit von Kôtoku-Tennô
(645—654) besonders anzuführen, Institutionen, welche sich theilweise
bis zur Gegenwart erhalten haben. Hierher gehört vor allem die
Einführung des Kalenders und der Zeitrechnung der Chinesen mit
ihren Jahrperioden (Nengô), dem Thierkreis und Anderem mehr,
ferner der höchsten Aemter des Sadaijin, Udaijin und Naidaijin *).
Auch die genauere Eintheilung Japans in das Kinai und die 7 Dô
schreibt man der Regierung des 36. Mikado zu, wie nicht minder
ein strenges Verbot gegen die uralte Sitte der Beerdigung lebender
Diener (Sklaven) und Frauen mit den Leichnamen ihrer Herren, woraus
[253]1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato etc.
hervorgeht, dass seit Sûjin-Tennô dieser barbarische Gebrauch wieder
vorgekommen war.
Im Jahre 662 kam der kaiserliche Prinz Nakano-oye, welcher
unter seinen beiden Vorgängern die Verwaltung geleitet hatte, als
38. Herrscher auf den Thron (662—670). Sein historischer Name ist
Tenji-Tennô. Mehrere bemerkenswerthe Ereignisse zeichnen seine
kurze Herrschaft aus. Hierher gehört vor allem, dass er das höchste
Amt eines Ministerpräsidenten Daijô-Daijin (Grosser Minister der
grossen Regierung) creïerte und damit seinen ältesten Sohn Otomo
betraute, während er seinen Freund und Rathgeber Nakatomi-no-
Kamatari zum Naidaijin machte. Zugleich gestattete er Naka-
tomi, als ein Zeichen seiner Anerkennung für viele treue Dienste, für
sich und seine Familie den Namen Fujiwara zu führen. Fuji-
wara (Glycinenfeld) ist neben dem Mikado-Hause die älteste Familie
Japans, ein Geschlecht, das in der Folge eine hohe Rolle spielte und
sich bis auf unsere Zeit mancher Vorrechte erfreut hat.
Unter der Regierung des Tenji-Tennô überzog der König von
Shiraki, unterstützt durch China, das Land Kudara mit Krieg, schlug
die japanische Besatzung und zwang sie zur Einschiffung in ihre
Heimath. Mehrere Tausend Bewohner Kudaras folgten und fanden
in Japan freundliche Aufnahme. Man vertheilte sie zur Niederlassung
unter die einzelnen Provinzen und gewährte ihnen, wie früheren Ein-
wanderern, eine zehnjährige Steuerfreiheit, welche später vom 40. Mi-
kado noch weiter ausgedehnt wurde *). Dieser Herrscher, unter dem
Namen Temmu-Tennô bekannt, suchte während seiner Regierungs-
zeit (673—686) China noch weiter nachzuahmen als seine Vorgänger.
Er schuf eine Menge neuer Rangstufen, erliess detaillierte Anordnungen
bezüglich der Haartracht, namentlich bei Hofe, und machte das
buddhistische Bekenntniss obligatorisch. Auch verbot er den Fleisch-
genuss. Unter seiner Regierung wurde die erste Silbermine des
Landes entdeckt, und zwar auf Tsu-shima.
Als 41. Souverain wird in den Annalen die Kaiserin Jitô-Tennô
(687—696) angeführt. Unter ihrer Regierung war die Zahl der Buddha-
[254]I. Geschichte des japanischen Volkes.
tempel im Lande auf 545 gestiegen. Ein wichtiger Fortschritt im
Bau der Häuser war die Einführung der Dachziegeln.
Der 42. Mikado, Mommu-Tennô (697—707), zwang die Bauern
zur Cultur des Maulbeer- und des Lackbaumes, legte Märkte an,
revidierte die Gesetze und förderte das Studium der chinesischen
Philosophie. — Der buddhistische Priester Dôshô, welcher während
seiner Regierung starb, hatte die Verbrennung seiner Leiche ange-
ordnet und damit den Grund zur Leichenverbrennung gelegt, welche
später wenigstens bei einer Secte, den Monto, allgemein gebräuch-
lich wurde.
Aus der Zeit der Kaiserin Gemmei-Tennô (708—714), des
43. Herrschers, ist die Anlage einer Strasse durch Mino und Shinano,
also des Nakasendô, erwähnenswerth, sowie die Entdeckung einer
Kupfermine in Musashi. In diese Periode fällt die Compilation der
ältesten noch vorhandenen Annalen, des Kojiki, welchem unter der
nächsten Herrschaft, derjenigen der Kaiserin Genshô-Tennô (715—
723), die Herausgabe des Nihongi als der zweitältesten Quelle der
alten japanischen Geschichte folgte. Im übrigen ist noch von beiden
Fürstinnen zu erwähnen, dass sie die Zahl der vorhandenen Provinzen
vermehrten und ihnen neben anderen Dewa und Mutsu zufügten; die
Emishi des nördlichen Hondo waren also unterworfen. Aber unter
der Regierung des 45. Mikado, Shomu-Tennô (723—748), machten
sie einen Aufstand, wurden von Fujiwara-no-Umakai, der gegen
sie ausgesandt wurde, von neuem geschlagen und zum Theil unter
die anderen Provinzen vertheilt. Um neue Aufstände zu verhüten,
wurde kurze Zeit darauf auch das Fort von Taga angelegt (724).
Dasselbe befand sich in der Nähe des Dorfes Shikawa 2½ ri östlich
der Stadt Sendai. Die Stelle wird heute noch durch einen Denkstein
angedeutet, das Taga-jô-no-hi, oder Denkmal vom Schloss Taga,
das älteste in Japan. Es ist eine 6 Fuss hohe und 3,4 Fuss breite,
graugrüne Platte von Sericitschiefer, deren eine abgeschliffene Seite
eine chinesische Inschrift trägt *). Die Regierung des Shomû-Tennô
zeichnete sich aus durch die Pflege der chinesischen Gelehrsamkeit
unter Leitung von Shimotsu-Michi-no-Makibe, der 19 Jahre
in China den Studien gelebt hatte und nach seiner Rückkehr zum
Range eines Udaijin stieg. Bemerkenswerther als durch dieses ist
er für die Geschichte der japanischen Civilisation als Erfinder der
Silbenschrift, des Katakana, welche er von chinesischen Zeichen
[255]1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato etc.
ableitete. In diese Zeit fällt auch die Entdeckung der ersten Gold-
mine, sowie die Einführung der Orangenbäume aus China.
Die Zeit der vier folgenden Herrscher ist durch wenige hervor-
ragende Ereignisse ausgezeichnet. Um das Volk gegen Hungersnoth
in Folge von Missernten des Reis zu schützen, werden nicht blos
Magazine angelegt und in billigen Jahren gefüllt, sondern auch der
Anbau anderer Feldfrüchte aufs eifrigste gefördert.
Einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte Japans füllt die Zeit
des Kuwammu-Tennô*) (782—807) aus, der zu den hervorragend-
sten Fürsten des Landes zählt, dessen Geschicke er als 50. Mikado
mit Umsicht und Erfolg leitete. Auf allen Gebieten zeigte er ein
hohes Interesse und Verständniss für die vielseitigen Bedürfnisse des
Landes. Er sorgte für Anlage von Dämmen und Canälen zur Rege-
lung der Flussläufe und Förderung des Verkehres, machte dem Vaga-
bundenwesen ein Ende und brachte Ordnung in den Beamtenstand.
Für die Bildung der Jugend und die religiösen Bedürfnisse war sein
Interesse nicht minder wach. Die bemerkenswertheste That seiner
Regierung ist jedoch die Verlegung der Residenz nach Kadzuno,
dem späteren Kiôto (794), wo er zur Rechten des Kamo-gawa das
Heianjô (Friedensschloss) erbauen liess, worin von da ab alle seine
Nachfolger bis zum Jahre 1868 wohnten. Es hatte 12 Thore, und
die es umgebende Stadt zählte bald 1216 Strassen und wurde in der
Folge wegen ihrer schönen Lage, regelmässigen Bauart, Reinlichkeit,
wegen ihrer Baudenkmäler und historischen Erinnerungen, sowie als
Sitz der Gelehrsamkeit und Kunst der hochgepriesene Mittelpunkt des
Landes. Buddhistischer Aberglaube hatte um jene Zeit in allen
Schichten der Gesellschaft tiefe Wurzeln geschlagen. Unter den vielen
auffallenden Producten desselben ist hier vor allem der Glaube er-
wähnenswerth, dass gen Nordosten das Ki-mon (Teufelsthor) liege,
durch welches alles Böse komme. Kuwammu-Tennô liess desshalb
auf dem höchsten Berge im Nordosten seines Schlosses, dem Hiye-
san, einen prächtigen Tempel **) errichten und übergab ihn der
Tendai-Secte, damit diese hier als Wächter über das Heianjô
und die Stadt durch beständiges Recitieren von Gebetsformeln, Läuten
und Pauken das Böse fernhalte. Hierdurch wurde der Grund gelegt
zu dem hohen Ansehen, welches der Hiye-san als heiliger Berg in
der Folge genoss, und zu dem mächtigen Einfluss der Tendai-Secte,
den erst Nobunaga brach.
[256]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Von sonstigen bemerkenswerthen Begebenheiten aus der Zeit des
Kuwammu-Tennô ist noch ein neuer Aufstand der Emishi im Norden
zu erwähnen, der bald durch Tamura-Maro unterdrückt wurde,
sowie die erste Einführung der Baumwolle. Indier strandeten, wie
die Chronik berichtet, an der Küste von Mikawa. Sie brachten Baum-
wollsamen von ihrem Schiffe an das Land, welchen man in den süd-
lichen und westlichen Provinzen vertheilte. Es scheint jedoch, dass
die Cultur später verloren gegangen ist, denn manche Anzeichen deuten
auf eine nochmalige, viel später erfolgte Einführung aus China hin.
Kuwammu substituierte zuerst den chinesischen Titel Tennô für
den alten japanischen Sumera oder Sumera-Mikoto.
Ueberblicken wir nochmals die Ereignisse, welche in den 14 Jahr-
hunderten seit der Begründung der Herrschaft Yamato durch Jimmu
Tennô bis zu Kuwammu-Tennô’s Verlegung der Residenz nach Kiôto
in den Vordergrund treten, so stehen die theilweise Eroberung von
Korea durch Jingu-Kôgô um das Jahr 202 n. Chr. und ihre Folgen
ohne Zweifel allen anderen weit voran. Wenn auch in den folgenden
Jahrhunderten sich noch manche Expedition und viele Kämpfe an
diesen überseeischen Besitz knüpfen und das Abhängigkeitsverhältniss
der koreanischen Fürsten von Japan sich mehr und mehr bis zur
völligen Auflösung lockert, so wurden diese Jahrhunderte langen Be-
ziehungen zum asiatischen Festlande doch das Mittel, durch welches
neues Leben in die alten barbarischen Zustände Japans strömte. Es
ist der Strom der chinesischen Civilisation, der sich über Korea nach
dem Lande des Sonnenaufganges ergoss. Chinesische Staatseinrich-
tungen und Rechtspflege, chinesische Schrift und Literatur, chinesische
Ethik und Heilkunde, chinesische Künste und Gewerbe gelangten
meist auf diesem Wege nach Japan und fanden hier eine günstige
Aufnahme. Der Träger dieser eigenartigen Civilisation ist, weit mehr
als die einflussreiche Philosophie der chinesischen Weisen, der Buddhis-
mus. Dieser in Indien wurzelnde mächtige Baum breitete im 6. Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung seine Aeste auch über Japan aus. Unter
seinem Schatten keimten und entwickelten sich weiter die Früchte,
wie er sie in China bereits gereift hatte. Der Machtentfaltung des
japanischen Volkes nach Aussen folgte nun die Verfeinerung des
Lebens nach Innen und das Bedürfniss, die vielen eingetragenen
Samen sich in Ruhe entwickeln zu lassen. Bisher hatte innerhalb
des Gokinai fast jeder neue Mikado sich eine andere Residenz ge-
wählt. Solch ein steter Wechsel des Regierungssitzes war von nun
[257]1. Periode. Von der Gründung des Reiches Yamato etc.
an nicht mehr zulässig und fand mit der Verlegung desselben nach
Kiôto durch Kuwammu-Tennô sein Ende. So wurde Kiôto (in alten
Werken stets Miako, d. h. Hauptstadt, genannt) gewissermassen das
Herz Japans, von dem viele Jahrhunderte hindurch die Pulsschläge
des nationalen Lebens ausgingen. Ôsaka (Naniwa) aber war die
grosse Vorkammer, wenigstens für die materielle Seite desselben.
Wie Pulsadern liefen von Kiôto die Hauptstrassen (dô) des Landes
von N. und S. zusammen, jede als wichtiger Nahrungsleiter für einen
langgestreckten Körpertheil, für eine durch das Meer und Gebirge
eingefasste Reihe von Provinzen.
Der Einfluss der chinesischen Civilisation auf den Hof war kein
vortheilhafter. Es schwand der alte kriegerische Geist und trat Ver-
weichlichung aller Art an seine Stelle. Man schuf ein ganzes Heer
von Beamten und Titeln, modelte den Schnitt der Kleidung, des
Haares, die Ceremonien und vieles Andere nach dem Range und
überliess die viel wichtigere Sorge um das Land den Beamten und
Generälen. Das Abdicieren in jungen Jahren wurde zur Mode, ent-
weder um geschorenen Kopfes und zurückgezogen als buddhistischer
Mönch das Leben zu verträumen, oder in Ausschweifungen aller Art
es zu vergeuden; doch erfolgte es in den meisten Fällen wohl un-
freiwillig. Auch kam es zur Zeit der Fujiwara vielfach vor, dass
edeldenkende Herrscher, in ihrem Streben nach Selbständigkeit nach
langem vergeblichen Ringen entmuthigt und verzweifelnd, den mäch-
tigen Schutz eines Klosters aufsuchten, blos um den widerwärtigen
Fesseln am Hofe, die keinerlei freie Bewegung zuliessen, entrückt zu
sein. Unmündigen Kindern und ränkesüchtigen Frauen fiel häufig
das Erbe zu, und da dieselben ausser Stande waren, die Geschäfte
des Landes zu leiten, gab es Souveräne, welche herrschten, und be-
vorzugte Familien, denen das Amt des Major domus, des Regierens,
zufiel. Im Streben nach diesem grossen Einfluss suchten sich die
vornehmsten Geschlechter den Rang abzulaufen und brachten dadurch
häufige Bürgerkriege über das Land. Drei Familien, nämlich die
Fujiwara, Taira und Minamoto, spielen in dieser Beziehung
nach einander eine besonders hervorragende Rolle, wie dies im folgen-
den Abschnitte weiter gezeigt werden soll.
In den ersten Jahrhunderten des Reiches Yamato war die Re-
gierungsform sehr einfach. Damals gab es keinen Unterschied zwi-
schen Civil- und Militärbeamten. Jeder kräftige Mann war Soldat
und der Mikado der Führer seines Heeres. Niemals fiel der Ober-
befehl einem Unterthanen zu. War der Krieg vorbei, so löste sich
die Armee auf und es ging ein Jeder wieder seinen gewohnten fried-
Rein, Japan I. 17
[258]I. Geschichte des japanischen Volkes.
lichen Beschäftigungen nach. Die souveräne Gewalt lag ganz in der
Hand des Fürsten.
Mit der Einführung des chinesischen Regierungssystemes änderte
sich die Sache. Man unterschied Civil und Militär. Nicht mehr trat
bei Ausbruch eines Krieges der Mikado als Oberbefehlshaber an die
Spitze seines Heeres, noch übte er direkt die höchste Civilgewalt.
Mehr und mehr entwickelte sich ein erbliches Beamtenthum auf der
einen, eine erbliche Soldatenklasse auf der anderen Seite. An der
Spitze von jenem stand der Hofadel, die Kuge; die Führerschaft der
Militärklasse oder Samurai erhielten die Buke (der Militäradel) und
vor allem die Familien Minamoto und Taira. Als endlich die Fuji-
wara das Land regierten, wurde die Verleihung des Oberbefehles an
Glieder der Minamoto und der Taira zur stehenden Regel.
2. Periode.
Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto bis zum Tode
des Yoritomo (794—1199 n. Chr.). Beamtenherrschaft der
Fujiwara, Militärdespotismus der Taira und Minamoto.
Kuwambaku, Shôgun und Feudalismus.
Wie bereits pag. 253 erwähnt wurde, erhielt Nakatomi-no-
Kamatari, der Freund und Berather des 38. Mikado, gegen das
Jahr 670 den Beinamen Fujiwara (Glycinenfeld). Es war dies ein
Ehrentitel, den er und seine Nachkommen in Anerkennung seiner
treuen Dienste führen sollten, ein Titel, an den sich in der Folge
viele Vorrechte knüpften, die theilweise noch heute fortdauern.
Die Fujiwara bilden neben der engeren Mikadofamilie das älteste,
angesehenste und einflussreichste Geschlecht in Japan. Dasselbe leitet
seinen Ursprung von einem Vorfahr des Jimmu-Tennô ab. Jahr-
hunderte lang hatten die Fujiwara alle Macht in Händen. Das 888
gegründete Amt eines Kuwambaku (Regenten), welches erst durch die
Restauration 1868 beseitigt wurde, war erblich in dieser Familie,
wie später das Amt des Shôgun bei den Minamoto. Von den 155
Familien des alten japanischen Hofadels (der Kuge) leiten sich die
95 ersten von Kamatari her und führen den Namen Fujiwara neben
ihrem besonderen Familiennamen. Fünf derselben, Gosekke genannt,
haben bis zum heutigen Tage eine besonders bevorzugte Stelle ein-
genommen; nur aus ihnen kann der Mikado seine Frau wählen. Das
[259]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
Amt des Daijô-Daijin (Ministerpräsidenten) ist ebenfalls an hohe Kuge
des Fujiwara-Geschlechtes gebunden. Der jetzige Inhaber desselben,
Sanjô-Saneyoshi, gehört dem Range nach der achten Kuge-
familie an.
Die Fujiwara hatten viele Jahrhunderte hindurch fast alle höheren
Civilämter inne. Hier und in der Hofintrigue entwickelten sie ihre
Hauptthätigkeit. Viele Verwandtschaftsbande verknüpften sie mit
dem Herrscherhause. Die Mütter und die Frauen der Mikado waren
alle Fujiwara und die Prinzessinnen von Blut fast alle an Glieder
dieser Familie verheirathet.
Heizei-Tennô (806—809), der älteste Sohn und Nachfolger
von Kuwammu, dankte schon nach drei Jahren zu Gunsten seines
Bruders Saga-Tennô (810—823) ab, conspirierte jedoch später gegen
diesen. Derartige Vorkommnisse weist die Geschichte in der Folge
noch viele auf. Bisher hatten viele Emishi zerstreut im Lande als
Kriegsgefangene gelebt. Saga-Tennô liess Ländereien zur Bebauung
unter sie vertheilen und gab ihnen dieselben bürgerlichen Freiheiten,
wie seinen übrigen Unterthanen. Auch führte er die Cultur des
Theestrauches ein. Am Hofe hielt er viel auf strenge Befolgung des
chinesischen Ceremoniels; der Ausartung des Priesterthums suchte er
durch strenge Edicte gegen die Unmoralität desselben und den Miss-
brauch der Leichtgläubigkeit des Volkes entgegenzuwirken. Erdbeben
und Erdbebenfluthen suchten das Land heim und gaben dem Mikado
Veranlassung, die Reichen zur Mitwirkung bei der Linderung der
Noth heranzuziehen und auf die Hebung des Getreidebaues Bedacht
zu nehmen.
Während der Regierung seines Bruders Junna-Tennô (824—
833) litt das Land weiter in Folge von Dürre und ansteckenden Krank-
heiten.
Der 54. Mikado, Ninmio-Tennô (834—851), der Sohn von Saga
Tennô, wird als eifriger Beförderer des Ackerbaues gerühmt und als
Fürsorger und Wohlthäter der Armen und Kranken, für die er Asyle
bauen liess. Um dazu die nöthigen Mittel zu beschaffen, führte er
einen sparsamen Haushalt bei Hofe ein und reducierte die Einkünfte
seiner Functionäre um 25 Procent. Er wurde dabei berathen und
beeinflusst von Gliedern der Fujiwarafamilie, welche bald allmächtig
wurden und zwar schon unter dem 56. Mikado, Seiwa-Tennô
(859—876), den sie als neunjährigen Knaben zum Herrscher procla-
mierten, während der Daijô-Daijin Fujiwara-no-Yoshinisa das
Land regierte. Als dieser dann starb und der Mikado selbst die
Zügel der Regierung ergreifen wollte, wurde er zur Abdankung
17*
[260]I. Geschichte des japanischen Volkes.
gezwungen, sein zehnjähriger Sohn Yozei-Tennô (877—884) als
57. Mikado auf den Thron gehoben und Fujiwara-Motatsune als
Regent proclamiert. Ein Verwandter des letzteren, der Gouverneur
in Akita, Fujiwara-Okio, erlitt eine schwere Niederlage durch die
revoltierenden Emishi. In den Fujiwara zeigte sich überhaupt wenig
kriegerisches Blut. Der Civildienst und die Hofintrigue waren ihre
Domäne, die sie später verloren, als die Taira und Minamoto sich
mit ihrer bisherigen Thätigkeit als Heerführer in den Provinzen nicht
mehr begnügten.
Als Yozey-Tennô volljährig geworden war, wurde auch er
entthront — angeblich, weil er den Frauen zu sehr ergeben und un-
gerecht war —, und sein Sohn, wieder ein Knabe, auf den Thron
gehoben, dem es nicht besser erging. Gleich nach dem Regierungs-
antritte von Uda-Tennô, der als 59. Mikado eine Scheingewalt
(888—897) repräsentierte, nahm Fujiwara-Motatsune, der im Intri-
guieren und Mikadomachen alt gewordene Daijô-Daijin, die erbliche
Würde Kuwambaku (d. h. Wache der inneren Riegel) an und
brachte damit sich und seine Familie auf die höchste Stufe der Macht,
denn der Kuwambaku war der Regent des Landes, der Mikado in
der Regel nur eine Puppe, sein willenloses Spielzeug. Dem Regenten
aber kam es zu, jede Verbindung mit dem Mikado zu vermitteln und
die Berichte der übrigen Civil- und Militärbeamten zu übergeben.
Um diese Zeit suchten Piraten von Shiraki die Küsten von Kiushiu
und von Tsushima heim, wurden aber von den Japanern geschlagen.
Nach der Anzahl der Schiffe (45), welche koreanischerseits dabei
betheiligt waren, scheint die Sache weniger ein privater Raubzug,
als eine vom Staate Shiraki ausgegangene Invasion gewesen zu sein,
von ganz analogem Charakter, wie die früher von den Japanern nach
Korea unternommenen.
Gegen Ende der Regierungszeit des Uda-Tennô erwuchs den
Fujiwara ein einflussreicher Rivale in der Person von Sugawara-
Michizune, den sie unter allen Umständen aus dem Felde schlagen
mussten. Derselbe war seiner grossen Gelehrsamkeit wegen berühmt,
ein Mann, der vom einfachen Lehrer des Uda-Tennô zum Freunde
und Minister desselben emporstieg und einen heilsamen Einfluss auf
den Fürsten übte. Da galt es auch diesen gut beanlagten und edel-
denkenden Herrscher zur Abdiction zu zwingen und ein scheinbar
gefügigeres Werkzeug, den zwölfjährigen Sohn desselben auf den
Thron zu setzen. Es gelang, im Jahre 898 wurde Daigo-Tennô
der 60. Mikado und regierte bis 930. Sein Vater überliess ihm Suga-
wara-Michizune als Minister, den jedoch der Kuwambaku Tokihira
[261]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
zu beseitigen und in die Verbannung nach Tsukushi (Kiushiu) zu
senden wusste. Dort starb Sugawara-Michizune im Elend, den
Hungertod, wie es heisst. Als Tenjin (Himmelsmensch) wurde der-
selbe später deïficiert und Patron der Gelehrsamkeit, welchem man
manchen Tempel errichtet hat und zu dem die japanische Schuljugend
zu beten pflegte. Die Sugawara bildeten übrigens ein sehr altes
Geschlecht, das ebenfalls dem Mikadohause entsprossen war und
dessen Abzweigung fast eben so weit zurück datiert als die der
Fujiwara. Es hat politisch nie eine so hohe Rolle gespielt, wohl
aber wegen der Gelehrsamkeit vieler seiner Mitglieder stets in hohem
Ansehen gestanden. Sechs der alten Kugefamilien leiten von ihm
sich ab.
Von Tokihira ab rückten zwei andere hohe Adelsgeschlechter,
die schon genannten Taira und Minamoto allmählich in den Vorder-
grund; der Stern der Fujiwara fing an langsam zu erblassen. In
Folge der vielen verwandtschaftlichen Bande mit dem Kaiserhause
vermochten sie freilich zunächst ihre alten Ränke noch fortzuspinnen.
So erzählt uns denn die Geschichte, dass, als nach Tokihira’s Tode
sein Sohn Tadahira in die Würde des Kuwambaku einrückte, der-
selbe den Daigo-Tennô zur Thronentsagung zu bestimmen wusste und
zu seinem Nachfolger den jüngsten der 11 Söhne desselben, einen
Knaben von 8 Jahren. Dies ist Shujaku-Tennô, der als 61. Mi-
kado von 931—946 den Thron einnahm. Während seiner Regierung
trat in Shiraki ein Dynastie- und Namenswechsel ein, indem auf die
Kinfamilie die Wo folgten und für das Land den Namen der nord-
östlichsten Provinz Korai annahmen, aus dem unser Korea hervor-
gegangen ist.
In diese Zeit fällt auch der grosse Aufstand des Taira-Masa-
kado, der als Gouverneur des Kuwantô den Plan fasste, sich
unabhängig zu machen, nachdem seine Stellung schon mehrere
Generationen hindurch erblich in seiner Familie gewesen war. Er
nahm den Titel Hei-Shinô (neuer Kaiser Hei) an, sammelte um sich
eine Armee, sowie alle mit der Verwaltung der Fujiwara Unzufrie-
denen und befestigte sich zu Sarushima in Shimosa. Gleichzeitig
pflanzte sein Verbündeter, Fujiwara-Sumitomo, in Iyo die Fahne
des Aufstandes auf. Fujiwara-Hidesato, der den Auftrag er-
hielt, die Rebellen zu unterwerfen, nahm für sich den pompösen
Titel Sei-tô-tai-shôgun (Grosser friedenstiftender Generalissimus des
Ostens) in Anspruch, blieb ruhig in Kiôto und sandte zwei Unter-
gebene aus, und zwar den Taira-no-Sadamori gegen Masakado und
Tachibana-no-Tôyasu gegen Sumitomo. Die Rebellen wurden ge-
[262]I. Geschichte des japanischen Volkes.
schlagen, und die Macht und Arroganz der Fujiwara in Kiôto dauerte
weiter fort.
Zum ersten Male, wenn auch zunächst nur vorübergehend, war
das Geschlecht der Taira (chinesisch Hei, Frieden) in den Vorder-
grund der Ereignisse getreten. Gegründet wurde dasselbe durch
Taira-Takamochi, einen natürlichen Grossenkel des Kuwammu-
Tennô. Seine grosse politische Rolle fällt zwischen die der Fujiwara
und Minamoto in die Mitte des 12. Jahrhunderts. Als sie ausgespielt
war, lebte der Name in fünf Kugefamilien weiter, die sich von den
Taira herleiten. Auch die früheren Besitzer von Tsushima und ver-
schiedene andere Daimiofamilien leiten sich von den Taira ab.
Auch die tapferen Minamoto (chinesisch Gen, Genji, Ursprung
der Quelle) rücken von jetzt mehr und mehr auf den Schauplatz der
Geschichte vor. Diese hochgeachtete Familie, welche dem Lande
seine grössten und gefeiertsten Helden gab, wird vom 52. Mikado,
Saga-Tennô, abgeleitet. Letzterer hatte vier Töchter, denen er den
Beinamen Minamoto gab, welche denselben dann auf ihre Männer
übertrugen. Als eigentliches Haupt und Begründer der Familie wird
jedoch Tsunemoto, ein Enkel des 56. Mikado (Seiwa) angesehen.
Das Amt des Sei-i-tai-shôgun, d. h. »des grossen Generals,
der die Barbaren züchtigt«, wurde ihre besondere Domäne. Die
späteren Shôgunfamilien Ashikaga und Tokugawa waren nur
Zweige derselben. Sieben Jahrhunderte und viele Wechselfälle hin-
durch hat diese Familie bis zum Jahre 1868 die weltliche Macht
behauptet.
Im 9. 10. und 11. Jahrhundert, so lange die Fujiwara die Re-
gierung noch in Händen hatten und die Taira als tapfere Generale
im Südwesten des Reiches, die Minamoto mehr im Nordosten sich
Waffenruhm erwarben, standen beide Geschlechter noch auf erträg-
lichem Fusse, als sie aber anfingen, die Fujiwara zu verdrängen und
abzulösen, trat ihre Rivalität und Feindschaft mit ganzer Wuth hervor,
und es entspannen sich blutige Kämpfe, welche das Land in fast
steter Aufregung hielten. Zuerst kam die Gewalt an die Taira, dann
an die Minamoto. Bevor wir jedoch diese Verhältnisse näher erörtern,
gilt es, in chronologischer Ordnung die Hauptmomente ihrer Vorge-
schichte hervorzuheben.
In der Zeit vom 62. bis 74. Mikado (947—1108) dauert der
Einfluss der Fujiwara noch fort. Bei allen Hofintriguen und Thron-
wechseln ist ihre Hand im Spiele und namentlich dann thätig, wenn
ein Mikado bestrebt ist, sich über das Niveau zu erheben und von
den ihn umgebenden Fesseln der Vormundschaft zu befreien, um als
[263]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
freier Herrscher direct mit seinem Volke zu verkehren und dessen
wahre Lage und Bedürfnisse kennen zu lernen. So ging es dem
wohlgesinnten 62. Herrscher, Murakami-Tennô, und vor allem
auch dem 71., Go-Sanjô-Tennô, dessen Intelligenz und Energie
den Fujiwara sehr unwillkommen waren. Nach nur dreijähriger
Regierungszeit machte seine Abdankung (nach einer anderen Dar-
stellung ein früher Tod) den auf ihn gesetzten Hoffnungen des Volkes
ein Ende.
Von bemerkenswerthen Ereignissen aus dieser Zeit sind noch die
Mission des Bonzen Tônen nach China, ein Einfall der Koreaner in
Kiushiu, Aufstände der Emishi und Japaner in Mutsu und die Macht-
entfaltung und Insolenz der Bonzen des Hiyesan hervorzuheben.
Tônen, ein Fujiwara, gehörte dem Convent des Hiyesan an. Mit
Geschenken seines Hofes (einigen Bronzevasen und einem Abriss der
japanischen Geschichte) an den Kaiser von China versehen, begab
sich dieser gelehrte Priester 984 unter der Regierung des 64. Mikado
zu längerem Aufenthalte nach Peking. Im Jahre 984 kehrte er zurück,
starb 1016 und wurde dann als Kôji-Daishi deïficiert. Das erwähnte
Geschichtswerk übersetzte Matuanlin ins Chinesische.
Der Einfall der Koreaner in Kiushiu fällt in die Zeit des 67. Mi-
kado (1012—1017). Der Kuwambaku sandte einen Minamoto und
einen Taira gegen den Feind. Es gelang denselben, die Koreaner
völlig zu schlagen und zur Rückkehr zu zwingen. Auch bei ver-
schiedenen anderen Gelegenheiten sind die Generale aus den Familien
der Minamoto und Taira noch die gefügigen Werkzeuge der Fujiwara,
mit denen erstere durch Heirath auch vielfach in Verwandtschaftsbe-
ziehungen traten.
Zu den gefeiertsten Thaten der Minamoto gehören die Expedi-
tionen von Minamoto-Yoriyoshi gegen die Rebellen im Norden
von Hondo. Dort, in der Provinz Mutsu, hatten sich Emishi und
Japaner, geführt von Abe-Yoritoki, zur Zeit des 70. Mikado um
die Mitte des 11. Jahrhunderts empört und den Aufstand weit ver-
breitet. Yoriyoshi wurde zum Shôgun ernannt und zur Bewältigung
des Aufstandes ausgesandt. Yoriyoshi und sein Sohn Sadasumi
stellten den Frieden wieder her und wurden dafür hochgeehrt. Unter
Horikawa-Tennô, dem 73. Mikado (1087—1107), brach in Mutsu
eine neue Empörung aus, bei deren Unterdrückung der greise Mina-
moto-Yoriyoshi abermals mitwirkte. Diesmal fiel der Hauptantheil des
Ruhmes in den dreijährigen Kämpfen jedoch seinem Sohne Yoshiiye
zu, der damals als Gouverneur der nördlichen Provinzen fungierte.
Yoshiiye entwickelte bei dieser Gelegenheit eine bewundernswerthe
[264]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Tapferkeit, und da er ausserdem bei seinem Heere sehr beliebt war,
erhielt er den Beinamen Hachiman-Taro (erstgeborener Sohn des
Hachiman, des japanischen Mars, siehe auch pag. 107) und wurde
gleich seinem Vater zum Shôgun ernannt. Ein Bruder desselben,
Namens Yoshikuni, wurde schon bei seiner Geburt zum Herrn von
Ashikaga in Shimotsuke ernannt, wonach die Nachfolger desselben
den Namen Ashikaga annahmen.
Die buddhistischen Klöster, zumal diejenigen des Hiyesan, hatten
allmählich eine grosse Macht entfaltet und wiederholt den Gesetzen
und Anordnungen der Regierung Trotz geboten. Unter Shirakawa-
Tennô, dem devoten 72. Mikado (1073—1086), der übrigens den
Fujiwara gegenüber grosse Selbständigkeit entwickelte, erreichte die
Corruption und Arroganz jener Priester des Hiyesan eine solche Höhe,
dass sie nicht blos bei Streitigkeiten mit anderen Klöstern und Secten
zu den Waffen griffen, sondern sogar wohlbewaffnet in der Haupt-
stadt einrückten, um ihren Forderungen bei der Regierung Gehör zu
verschaffen. »Es gibt drei Dinge«, so soll Shirakawa gesagt haben,
ȟber welche ich keinerlei Macht habe: die Wasser des Kamo-gawa,
die Würfel beim Spiele und die Priester«.
Shirakawa trat den Thron an seinen achtjährigen Sohn Horikawa
ab, leitete aber thatsächlich noch 15 Jahre weiter die Geschicke des
Landes. Auf Horikawa folgte von 1108—1123 sein Sohn Toba-
Tennô als 74. Mikado. Dieser war damals ein fünfjähriges Kind und
erst 20 Jahre alt, als er, dem verderblichen Beispiele seiner Vor-
fahren folgend, abdankte.
Mit dem Beginn des 12. Jahrhunderts tritt der Feudalismus und
Militärdespotismus in den Vordergrund. Die Fujiwara haben nur
noch einen Schatten von Einfluss bei Hofe und gar keinen in den
Provinzen. Ein alter japanischer Geschichtsschreiber vergleicht die
Autorität des Mikado um jene Zeit passend mit einer leeren Kasse,
zu welcher die Fujiwara den Schlüssel führten. Das den Chinesen
entlehnte Regierungssystem mit seiner ausgebildeten Hofetiquette und
seinem Heer von Beamten hat sich überlebt. Wo früher die Hof-
intrigue den Ausschlag gab und Regierungswechsel bewirkte, ent-
scheidet von jetzt ab das Schwert, welches die Heerführer gegen
einander kehren, während der Mikado ganz im Hintergrunde der
politischen Ereignisse bleibt. Fünf Jahrhunderte hindurch dauern die
Kämpfe um den jeweiligen Besitz der factischen Gewalt und verheeren
das Land. Der bescheidene Landmann hat die Zeche zu zahlen.
Verwüstete Felder, Druck und barsche Behandlung und eine allge-
meine Verarmung sind seines Fleisses Lohn.
[265]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
Kaiser Toba verbot den Samurai verschiedener Provinzen, sich
als Vasallen der Minamoto und der Taira zu constituieren. Es war
ein Kämpfen gegen den Wind. Das Feudalwesen hatte sich allmäh-
lich so entwickelt und gekräftigt, dass solche Autoritäten, wie sie in
Kiôto vertreten waren, den Anhängern der Minamoto und Taira nicht
mehr imponieren konnten. Die Rivalität beider Häuser wuchs mit
ihrem Gefühle der Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Nicht aus
Loyalität, sondern um dem eigenen Streben nach Herrschaft eine
rechtliche Form zu geben, gehorchte bald die eine, bald die andere
Partei den Befehlen des Hofes, um sie gegen den Gegner zu ver-
werthen.
Es währte nicht mehr lange, und über die Häupter der Herrscher-
familie und ihres Beamtenheeres hinweg raste der Sturm, wüthete der
lang vorbereitete Kampf zwischen Taira und Minamoto um die höchste
Macht. In der japanischen Geschichte führt er den Namen Gen-Pei-
Kassen*). Die Kämpfe der Welfen und Ghibelinen, der rothen und
weissen Rose und andere bemerkenswerthe Bürgerkriege erscheinen
kurz gegen diese Jahrhunderte lang dauernde bittere Fehde des japa-
nischen Mittelalters. Ihre Geschichte ist jedem Japaner geläufig. Es
knüpft sich daran die Erinnerung an die grössten Verwirrungen, die
aufregendsten Ereignisse und die blutigsten Kämpfe, welche sich je
in Japan abwickelten. Neben der Entfaltung grosser Tapferkeit und
eines wahrhaft bewundernswerthen Heldenmuthes werden die denkbar
gemeinsten Mittel, wie Arglist, lang vorbereitete Rache und Meuchel-
mord nicht verschmäht, um den gefürchteten Concurrenten oder ver-
hassten Gegner zu vernichten. Man hat diesen Streit um den Vorrang
in der Feudalherrschaft in historischen Romanen viel beschrieben;
auch gibt es eine besondere Geschichte der Minamoto (Genji mono-
gatari) sowohl, als der Taira (Heike monogatari) **). In dem Folgen-
den wird eine kurze Darstellung seiner Entwickelung und seines Ver-
laufes gegeben.
[266]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Als Shirakawa sich um das Jahr 1073 von Kiôto zurückzog, um
vom Kloster aus freier und unabhängiger von den Fujiwara die Re-
gierung zu leiten, die er formell seinem Sohne Horikawa-Tennô über-
tragen hatte, gehörte zu seiner Leibwache ein junger, tapferer Offizier
Namens Taira-no-Tadamori, den er in hohem Grade begünstigte
und der dadurch bald, trotz vieler Gegner am Hofe, zu einer bedeu-
tenden Stellung im Staate gelangte. Das Resultat seiner zu intimen
Beziehungen zu einem der Nebenweiber seines Herrn war ein Sohn,
Namens Kiyomori (1118). Die Corruption des Hofes war so gross,
dass man an diesem Vorfalle keinen Anstoss nahm. Tadamori blieb
auch in der Gunst des prunksüchtigen und ausschweifenden Toba-
Tennô. Unter der Regierung seines Nachfolgers Shutoku-Tennô
(1124—1141) suchten koreanische Piraten die Küsten von Kiushiu und
Shikoku heim. Tadamori erhielt den Auftrag, diesem Unwesen
ein Ende zu machen, und entledigte sich desselben mit vielem Erfolg.
Etwa um dieselbe Zeit musste in Kiôto der Minamoto Tameyoshi
einen erneuten bewaffneten Einfall von Priestern des Hiyesan zurück-
schlagen.
Mit 20 Jahren wurde Shutoku-Tennô, der eingerissenen Sitte
gemäss, depossediert, und bezog gleich seinem Vater Toba ein Kloster,
um einem dreijährigen Stiefbruder Toshi-hito Platz zu machen, den
seine ränke- und gefallsüchtige Mutter (Tochter eines Fujiwara) gern
auf dem Throne sehen wollte. Unter dem Namen Konoye-Tennô
nahm dieser von 1142—1150 als 76. Mikado den Thron ein. Im
ersten Jahre seiner Herrschaft erschien ein grosser Komet (hoki-bôshi
oder Besenstern) am Himmel. Jedermann deutete dies als ein Zeichen
eines nahen, grossen Krieges, den Weiterblickende indess auch aus
anderen Ursachen zu fürchten Grund hatten. Mit 17 Jahren starb
der Kaiser plötzlich und eben so unerwartet sechs Jahre darauf sein
schwacher Vater Toba. Das Intriguenspiel und der Streit wegen der
Thronfolge, für welche nicht weniger als drei Candidaten, unmündige
Kinder, beziehungsweise Enkel von Toba, aufgestellt wurden, waren
alsbald im vollen Gange. Shutoku-Tennô trat hervor und bean-
spruchte das Erbe für sich und seinen Sohn. Ein Fujiwara, der Sa-
Daijin Yorinaga, ein jüngerer Bruder des Kuwambaku Tadamitsu,
fast alle Minamoto unter Führung von Tameyoshi, nebst einem
Taira Namens Tadamasa unterstützten seine Ansprüche. Die Gegen-
parteien vereinigten sich und machten unter der Führung des Kuwam-
baku rasch einen der vielen Söhne des Toba zum Kaiser. Derselbe
führte unter dem späteren Namen Go-Shirakawa-Tennô (Shira-
kawa II.) drei Jahre lang (1156—1159) die fingierte Herrschaft.
[267]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
Auf seiner Seite standen ausser Tadamitsu, dem Kuwambaku, fast
alle Taira. Noch fehlte es an einem fähigen Heerführer. Da bot
Taira Kiyomori, der Bastard, ein Mann von 38 Jahren, dem neuen
Kaiser seine Dienste an. Obwohl er sich bis dahin noch nicht be-
sonders hervorgethan hatte, wurden sie angenommen, denn er hatte
alle Aemter und Würden seines Vaters ererbt und mit ihnen die
Führerschaft seiner Familie. Ausserdem aber imponierte er durch
seine hohe, kräftige Gestalt und hervorragende Geistesgaben, denn er
war klug und besonnen im Rath, kühn und tapfer in der That. Seine
zwei Söhne, Shigemori und Munemori, standen ihm tapfer zur
Seite, ebenso Minamoto-Yoshitomo, Bruder von Tameyoshi. Elf
Tage nach dem Tode des Toba kam es schon zur Schlacht zwischen
beiden Parteien. Auf beiden Seiten wurde tapfer gekämpft, aber
Kiyomori blieb Sieger. Yorinaga, als er sah, dass seine Sache ver-
loren war, gab sich selbst den Tod; der Exkaiser Shutoku aber
gerieth in Gefangenschaft und wurde nach Shikoku verbannt, der
Minamoto Tameyoshi aber nach Idzu *). Kiyomori war nun Herr der
Lage. Bald hatte er als Daijô-Daijin die höchste, ihm mögliche Stelle
im Staate erreicht und schaltete nun unbekümmert um den nominellen
Landesherrn und den Kuwambaku. Die Macht, welche er theils
durch seine Tapferkeit, theils durch Mord und andere verwerfliche
Mittel sich und seinem Hause errungen hatte und zu erhalten suchte,
war nur von kurzer Dauer. Er machte Mikado und depossedierte sie
nach Gutdünken **) und gab sich einem Nepotismus hin, welcher sich
dem der Fujiwara ebenbürtig zur Seite stellen konnte. Freundlich
und freigebig gegen seine Freunde, war er grausam und unversöhnlich
gegen seine Feinde und argwöhnisch gegen alle, die seinem unbe-
[268]I. Geschichte des japanischen Volkes.
grenzten Ehrgeize entgegentreten konnten. Hierzu gehörten vor allem
die Minamoto. Yoshitomo, der einzige unter ihnen, welcher Kiyomori
bisher zur Seite gestanden hatte, wandte sich, als er sah, mit wel-
cher Herrschsucht und unversöhnlichen Grausamkeit derselbe gegen
viele Glieder seiner Familie verfuhr, nun ebenfalls von ihm ab.
Seit der Verbannung seines Bruders Tameyoshi war er das Haupt
der Minamoto, die er nun alle gegen ihren erklärten Feind sammelte.
Auch verband er sich insgeheim mit den Fujiwara zum Sturze des
Tyrannen. Kiyomori kam ihm zuvor. Mit seinen beiden Söhnen
und seinem Gefolge fiel er rasch über den Feind her und schlug ihn
vollständig. Diese Vorgänge spielten sich 1159 innerhalb der Thore
von Kiôto ab. Yoshitomo entfloh, wurde aber in Owari im Bade
durch einen von Kiyomori bestochenen Vasallen ermordet. Shigemori,
der älteste Sohn des Dictators, vermochte allein noch die tyrannischen
Gelüste seines Vaters zu mässigen. Derselbe fühlte schmerzlich die
wachsende Unbeliebtheit desselben. Er starb zwei Jahre früher,
nämlich 1179. Nun wurde der Exmikado, Go-Shirakawa, Schwieger-
sohn von Kiyomori, weil er im Einverständniss mit den Feinden ge-
standen hatte, verbannt, die Minamoto aber sollten ganz vernichtet
werden. Auch dauerte es nicht lange, so fing Kiyomori an, diesen
Vorsatz auszuführen, und liess tödten, wer von der Familie ihm nur
in die Hände fiel.
Yoshitomo hinterliess eine zahlreiche Familie. Von den sieben
Söhnen aus legitimer Ehe waren bereits drei aus ihren Verstecken
vor Kiyomori gebracht worden und dem Tode verfallen, einem vierten
drohte dasselbe Schicksal. Es war der drittälteste, Namens Yori-
tomo, damals ein 13jähriger Knabe. Seiner erbarmten sich die
Söhne des Tyrannen, verhinderten die schon befohlene Enthauptung,
bewirkten die Fürsprache der einflussreichen Schwiegermutter des
Kiyomori und dadurch die Verbannung des jungen Minamoto nach
der Insel Hiruga-Kojima im Süden von Idzu. Dort wurde er zwei
ergebenen Vasallen der Taira, Namens Ito-Sukechita und Hôgô-
Tokimasa, zur strengen Beaufsichtigung übergeben.
Yoshitomo hatte ausser seinen Söhnen aus erster Ehe auch drei
andere hinterlassen, welche ihm Tokiwa, seine Concubine *), ge-
boren hatte. Diese stammte aus einem Bauernhause. Sie zeichnete
sich durch grosse Schönheit aus und war dabei eine gute Mutter und
treue Gattin. Um sich und ihre Kinder zu retten, floh sie mit den-
[269]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
selben, ohne zu wissen, wohin. Diese Flucht ist eins der beliebtesten
Motive japanischer Maler geworden. Tokiwa wird dabei dargestellt
mit einem Säugling, Namens Yoshitsune, an der Brust und dessen
beiden älteren Brüdern an der Hand, barfuss über das Feld eilend,
während die Schneeflocken ringsum zur Erde fallen.
So umherirrend, ermattet vor Hunger und starr vor Frost, be-
gegnet sie einem Soldaten ihres Feindes, den ihr und ihrer Kinder
Zustand rührt, der auf die Gefahr hin, sich ins eigene Verderben zu
stürzen, mitleidig denselben Obdach und Speise gewährt. Hier er-
fährt sie, dass Kiyomori in der Hoffnung, dadurch der Tochter hab-
haft zu werden, in Kiôto ihre Mutter in das Gefängniss geworfen hat.
Was nun thun? — Hineilen und dieselbe zu befreien suchen, das
gebietet ihr die alles übersteigende Kindespflicht. Doch die Erfüllung
bringt wahrscheinlich ihre eigenen Kinder ins Verderben. Es gibt nur
ein Mittel und eine Hoffnung, nämlich sich selbst dem Tyrannen vorzu-
stellen, durch ihre Schönheit ihn zu rühren und so Gnade für Mutter
und Kinder zu erwirken. So eilt sie denn nach Kiôto und erkauft
der Ihrigen Leben, indem sie dem Feinde ihres Mannes ihre eigene
Freiheit opfert. Ihre Kinder werden ihr genommen und getrennt in
verschiedene Klöster geschickt. Yoshitsune, das jüngste, kam nach
Kurama, 1½ g. Meilen nördlich von Kiôto gelegen und ringsum von
bewaldeten Bergen umgeben. Es war ein eigenthümlicher Junge, der
hier emporwuchs. Sein Freiheitssinn und Eigenwille passten schlecht
zum Klosterleben, der ushi-waka (junge Ochs, wie man ihn nannte)
liess sich schwer zähmen. In Waldeseinsamkeit und nächtlicher
Dunkelheit umherzuschweifen war ihm Genuss. Nur ein Wunsch be-
seelte ihn, nämlich ein berühmter Held zu werden. Derselbe wurde
über alle Massen erfüllt. Noch zeigt man im Walde bei Kurama die
riesige Sugi (Cryptomeria), woselbst Yoshitsune eines Nachts den
Kobold Tengu traf, der sein Freund wurde und ihn das Fechten
lehrte. Sie misst über 6 Meter Stammumfang, ist umzäunt und als
Ô-sugi bekannt, wie denn die sagenreiche Geschichte von Kurama-
yama noch manche andere Reminiscenz aus jener Zeit aufzuweisen hat.
Als Yoshitsune zum kräftigen Jüngling herangewachsen war,
drangen Gerüchte von Kämpfen im fernen Mutsu zwischen den An-
hängern seiner Familie und den Taira zu seinen Ohren. Nun hielt es
ihn nicht länger in der Klostereinsamkeit; er wollte hineilen und daran
theilnehmen. Einem Eisenhändler aus Kiôto, Namens Yorishige,
der Kurama-yama oft besuchte und ihm näher getreten war, vertraute
er seinen Wunsch, heimlich zu entfliehen, an und bat denselben um
seine Beihülfe. Auf Umwegen gelangten beide nach Kadzusa. Hier
[270]I. Geschichte des japanischen Volkes.
entfaltete er zuerst im Kampfe mit gefürchteten Räubern seine Tapfer-
keit und sein wunderbares Geschick. Doch trieb ihn sein Freund
an, weiter nach Norden und aus dem unmittelbaren Bereich seiner
Feinde mit ihm zu wandern. So kamen sie endlich nach Mutsu zu
einem Fujiwara Namens Hidehira, der ihn freundlich aufnahm.
Hier verbrachte er seine Zeit bis zum 21. Lebensjahre mit militärischen
Uebungen, der Jagd und anderen männlichen Vergnügungen und er-
warb sich weit und breit den Ruhm eines tapferen Ritters, wie ihn
der japanische Samurai sich nicht vollkommener vorstellen konnte.
Yoritomo, der um 12 Jahre ältere Bruder des Yoshitsune, hatte
Masado, die Tochter seines Pflegers und Aufsehers Hôjô Toki-
nasa in Idzu, geheirathet und diesen insgeheim in alle seine Pläne,
seinen Vater zu rächen und das Land von den Taira zu befreien,
eingeweiht. Schlug auch der erste Versuch fehl, so trat er damit
doch als Führer seiner Familie und aller Gegner des Kiyomori offen
hervor. Nach kurzer Verborgenheit im Hakonegebirge schiffte er sich
nach der Halbinsel Awa ein, erklärte sich zum Herrn des Kuwantô
und sammelte alsbald Gesinnungsgenossen in grosser Zahl, welche
von allen Seiten der weissen Fahne des Minamoto zueilten. Hierauf
zog er über den Sumida-gawa nach Kamakura, das er zu seinem Sitz
erwählte und befestigte. Das Heer der Taira rückte unter seiner rothen
Fahne ihm entgegen. Wo der Tokaidô den Fuji-gawa überschreitet,
begegneten sich die Feinde. Die Taira stellten sich am rechten Ufer,
gegenüber, am linken, die Minamoto auf. Wider alles Erwarten zogen
jene jedoch südwärts wieder ab, und es kam noch nicht zur Entschei-
dungsschlacht zwischen beiden Parteien.
Bald darauf starb Kiyomori in seinem Schlosse zu Fukuwara,
das er an der Stelle des heutigen Kobe sich hatte erbauen und mit
allem denkbaren Luxus ausstatten lassen. Dass ihm die Vernichtung
der Minamoto nicht gelungen war, quälte ihn noch auf seinem Sterbe-
lager. »Verrichtet, wenn ich sterbe,« so soll er zu den Seinigen ge-
sagt haben, »nicht den gebräuchlichen buddhistischen Ritus und lasst
für mich keine Liturgien lesen, schlagt blos Minamoto-no-Yoritomo’s
Kopf ab und pflanzt ihn auf vor meinem Grabe. Mögen alle meine
Nachkommen diesen Wunsch beherzigen und sich hüten, ihn zu ver-
gessen«.
Das Erbe, welches Taira Kiyomori seinem ihn überlebenden
Sohne Munemori überliess, war kein beneidenswerthes. Die Familie
hatte sich im ganzen Lande durch grausame Unterdrückung und Ver-
folgung aller Gegner, sowie durch ihr Streben nach Luxus und Reich-
thümern verhasst gemacht. Shigemori, der einzige, dem sich die
[271]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
Sympathien zugewandt hatten, lag seit zwei Jahren im Grabe. Mit
seinem und seines Vaters Tod begann das Schicksal der Taira seinen
raschen verderblichen Lauf; denn es fehlte der Partei von jetzt ab
der Kopf, der sie führte und zusammenhielt, eine Aufgabe, der Mune-
mori nicht gewachsen war. Dieser berief die grossen Würdenträger,
in Kiôto und berieth mit ihnen die Lage. Sie erkannten den Ernst
derselben und riethen zu einem Versuche nach Aussöhnung mit den
Gegnern. Munemori aber, dem noch die letzten Ermahnungen seines
Vaters in den Ohren nachklangen, konnte und durfte darauf nicht
eingehen. So schritt man denn zum Entscheidungskampfe.
Schon ein Jahr vor Kiyomori’s Tod hatte sich Mochihito, der
zweite Sohn des ausschweifenden und zu Fukuwara gefangen gehal-
tenen Exmikado Go-Shirakawa, mit Yoritomo zum Sturze der Taira
in Verbindung gesetzt; ebenso nahmen die Bonzen des Hiyesan offen
die Partei der Genji. Drei Armeen standen diesen bereit und rückten
nun unaufhaltsam gen Süden vor, die Armee des Kuwantô, geführt
von Yoritomo selbst, die Armee von Mutsu unter Yoshitsune und die
Armee am Nakasendô in Shinano, wo ein Vetter jener, Namens
Yoshinaka, den Oberbefehl hatte. Dieser tritt nun zunächst in
den Vordergrund.
Minamoto-no-Yoshinaka oder Kiso-Yoshinaka hatte
frühzeitig gleich manchem anderen Minamoto durch die Hand der
Taira seinen Vater verloren. Als er zum Manne herangewachsen war,
setzte er sich mit Verwandten und Vasallen im prächtigen Thale des
oberen Kiso-gawa, das der Nakasendô durchschneidet, fest. Wie die
alten deutschen Ritter, so errichteten sie auf den Gipfeln steiler
und schwer zugängiger Berge ringsum ihre Burgen. Auf dem etwa
1300 Meter hohen Yatate-yama hauste Yoshinaka selbst, auf dem fast
gleich hohen Hiyakkinawa ein tapferer Verwandter Imaii Kane-
hira und auf dem 1900 Meter hohen Yabune einer seiner tapfersten
und berühmtesten Vasallen Higuchi-Jiro. Als der Entscheidungs-
kampf im Gen-Pei-Kassen immer näher rückte, bildete er hier im
Einverständniss mit Yoritomo eine tapfere Armee, mit der er nun,
unterstützt von seinem Onkel Yukiiye, dem jüngsten Bruder des
Yoshitomo, den Nakasendô entlang gegen Kiôto vorrückte. Das Heer,
welches ihm Munemori entgegensandte, wurde im Jahre 1182 total
geschlagen. Auf die Kunde davon flüchtete Munemori mit allen Glie-
dern seiner Familie, den jungen (81.) Mikado Antoku und die kaiser-
lichen Insignien mit sich führend, nach Yashima in Sanuki, liess
dagegen die beiden Exkaiser Go-Shirakawa und Takakura in Kiôto
zurück. Go-Shirakawa, welcher in der Zwischenzeit eine Art provi-
[272]I. Geschichte des japanischen Volkes.
sorischer Regierung eingerichtet hatte, begrüsste den einrückenden
Sieger als Befreier und überhäufte ihn zum Lohne mit offiziellen
Titeln. Antoku wurde entthront und sein jüngerer Bruder Go-Toba-
Tennô (Toba II.) zum Mikado gemacht (1183—1198).
Yoshinaka war jedoch weit entfernt, blos den gefügigen Diener
zu machen und die Macht, welche er einmal errungen hatte, wieder
aus der Hand zu geben. Seine Arroganz wurde unerträglich. Indem
er sich zum Sei-i-tai-Shôgun*) ernennen liess, trat er zugleich
in Opposition zu Yoritomo, der während all dieser Vorgänge in Kama-
kura geblieben war und dasselbe zu seiner Residenz ausgebaut hatte.
Nachdem ein Versuch des Gô-Shirakawa, den ihm lästigen Yoshinaka
durch Gift zu beseitigen, misslungen war, wandte er sich um Hülfe
an Yoritomo. Dieser sandte seine jüngeren Brüder Yoshitsune und
Noriyori an der Spitze eines Heeres nach Kiôto. Yoshinaka zog
seinen Verwandten entgegen, wurde bei Seta-no-Karahashi am
Ausflusse des Biwasees von Yoshitsune geschlagen und nahm sich
hierauf das Leben (1184).
Yoshitsune wandte sich nun gegen Munemori und setzte, nach-
dem er den Palast der Taira zu Fukuwara von Grund aus zerstört
hatte, nach Sanuki über. Hier schlug er die Taira und verbrannte
ihre Burg zu Yashima. Munemori fand kaum Zeit zu entfliehen.
Mit Antoku-Tennô, den die Wittwe des Kiyomori in den Armen hielt,
schiffte er sich nach Kiushiu ein. Bei Dan-no-ura in der Nähe
von Shimonoseki kam es zum letzten verzweifelten Kampfe und zwar
auf dem Meere (1185). Die Anhänger der Taira aus Chingoku hatten
hier sich versammelt, um auf mehr denn fünfhundert Schiffen mit
ihrem Führer, ihren Frauen, Eltern und Säuglingen nach Kiushiu
überzusetzen. Yoshitsune war wie der Wind hinter ihnen her. In dem
heissen Kampfe, der sich nun entspann, wurden die meisten Gegner
niedergemacht. Nur ein kleiner Theil entkam nach Higo, wo noch
heutigen Tages die Bewohner einiger Gebirgsdörfer als Abkömmlinge
dieser Taira-Flüchtlinge betrachtet werden. Die Wittwe des Kiyomori,
seit dessen Tod eine Nonne Namens Nii-no-ama, war mit Antoku-
Tennô, einem fünfjährigen Kinde, in das Meer gesprungen und er-
trunken. Viele von denen, welche die Pfeile der Genji nicht erreicht
hatten, gaben sich selbst den Tod, stand ihnen doch kaum ein besseres
Loos in der Hand ihrer Feinde bevor. Die gänzliche Ausrottung,
[273]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
welche Kiyomori diesen früher zugedacht hatte, setzten nun die Mina-
moto allenthalben den Taira gegenüber ins Werk. Da wurde kein Alter
noch Geschlecht geschont, und wer nicht mit dem Schwerte in der Hand
sterben konnte, war meist auf andere Weise dem Tode geweiht *).
Munemori und einer seiner Söhne geriethen in Gefangenschaft,
wurden vor Yoritomo in Kamakura geführt und später zu Shinowara
am Nakasendô enthauptet **).
Es wird berichtet, dass Yoritomo seinem Bruder Yoshitsune in
dessen Kämpfen gegen die Taira als eine Art Generalstabschef einen
gewissen Kajiwara zugesellt habe, dessen Rathschlägen der Heer-
führer zuweilen nicht gefolgt sei und auf eigene Eingebung gekämpft
und gesiegt habe. Hierdurch verletzt und verbittert, habe dann Kaji-
wara Alles aufgeboten, um den Helden des Tages in Kamakura zu
verdächtigen und zu verläumden. Man darf wohl annehmen, dass
auch Hôjô-Tokimasa seinen grossen Einfluss auf Yoritomo in dieser
Richtung übel anwandte und dessen Argwohn gegen Yoshitsune mit
Erfolg nährte. Als daher letzterer nach der Schlacht bei Danoura
nach Kamakura zog, um dem Haupte seiner Familie und Bruder die
Siegestrophäen vorzulegen, verbot ihm dieser das Betreten der Stadt
und nöthigte ihn, in der Nähe, nämlich in dem Enoshima gegenüber-
liegenden Orte Koshigoye zu bleiben. Der rührende Brief, den
Yoshitsune von hier aus an Yoritomo schrieb, worin er auf alle Mühen
und Strapazen aufmerksam macht, die er in seinem Interesse erduldet
habe, und ihn innig bittet, seinen Argwohn gegen ihn fallen zu lassen
und ihn von der Verläumdung zu befreien, ein Muster brüderlicher
Liebe und Offenheit, ist noch vorhanden. Andere Einflüsse über-
täubten diese Stimme, Yoshitsune musste nach langem vergeblichen
Warten und ohne seinen Bruder gesehen zu haben, nach Kiôto, wo er
Oberkommandant war, abziehen.
Rein, Japan I. 18
[274]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Yoshitsune’s Ruhm überstrahlte Alles. Seine grosse persönliche
Tapferkeit und Gewandtheit und sein ungewöhnliches Kriegsglück
waren in Aller Mund. Sein Jugendleben und seine dann folgende
Flucht von Kurama wurden mit Sagen ausgeschmückt, seine Thaten
besungen. Die grosse Schwärmerei der Japaner für das Haus Mina-
moto galt vor allem ihm und seinem berühmten Vorfahr Hachiman-
Taro. Er ist der Ritter ohne Furcht und Tadel, dessen Name und
Thaten von nun an der aufstrebenden Jugend bis in die Neuzeit als
Muster vorgeführt wurden. Im ganzen Lande gab es wohl keinen
Knaben eines Samurai, der seine Geschichte nicht gekannt, dessen
Herz beim Anhören derselben nicht höher geschlagen hätte.
Als Yoritomo sah, welchen Ruhm und welche grosse Popularität
sein jüngerer Bruder genoss, erfüllten Neid und die Besorgniss, der-
selbe möge gleich Yoshinaka seine einflussreiche Stellung gegen ihn
ausbeuten, seine Brust und er sann darauf, Yoshitsune zu beseitigen.
Nachdem sein Versuch, denselben meuchlings ermorden zu lassen,
fehlgeschlagen und Yoshitsune von Kiôto geflohen war, erklärte er
denselben unter nichtigem Vorwande als Landesverräther und schickte
besondere Emissäre in alle Provinzen, um nach ihm fahnden zu lassen.
Es geschah dies auf Rath des Ôye-Hirotomo, des Chefs des von
ihm eingeführten Staatsrathes, der damit den weiteren Zweck verband,
ein dauerndes Institut zur besseren Controle des Landes zu schaffen.
Hinfort bildeten diese Abgesandten, die den Titel Shiugu (Protec-
toren) führten, die Militärgouverneure der Provinzen, welche sich
mit den Kokushiu oder Civilgouverneuren in die Verwaltung zu
theilen und letztere in gewissem Sinne zu überwachen hatten.
Abermals suchte und fand Yoshitsune bei seinem alten Freunde
Fujiwara Hidehira, dem Gouverneur von Mutsu, ein Asyl. Als der-
selbe jedoch bald darauf starb, liess dessen feiger Sohn Yasuhira
ihn, der damals erst 30 Jahre alt war, ermorden, um sich Yoritomo’s
Gunst und Verzeihung zu erwerben dafür, dass sein Vater mit seinem
Wissen Yoshitsune Aufnahme und Schutz gewährt hatte. Yoritomo,
dem dies sehr willkommen war, heuchelte Entrüstung und rückte
mit einem Heere gen Norden, um Yasuhira zu bestrafen. Nachdem
dies geschehen war, machte Yoritomo Vorbereitungen, um von Kama-
kura aus Kiôto zu besuchen.
Nach einer anderen Darstellung hätte sich Yoshitsune, als er
gesehen, dass keine Rettung für ihn übrig blieb, selbst entleibt. Auch
gibt es eine Sage, wonach er mit seinem treuen Diener Benkei von
Mutsu nach Yezo und endlich nach dem asiatischen Festlande ge-
flohen und hier gestorben sein soll.
[275]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
Benkei*), der Riese Goliath der Japaner, war ein sehr ge-
wandter und verschlagener Charakter. Ursprünglich gefürchteter
Räuber und Mörder, wurde er später der bis zum Tode treu ergebene
Diener des Minamoto Yoshitsune, den er auf seinen Siegesfahrten,
wie auf der Flucht vor Yoritomo stets begleitete. Auf einer Brücke
zu Kiôto, wo er früher die Passanten zu berauben und zu morden
pflegte, traf ihn einst Yoshitsune, der einzige, der ihm gewachsen
war. Im Kampfe, welcher sich bei dieser Gelegenheit entspann,
lernte er die imponierende Kraft und Gewandtheit seines Gegners
kennen, unterwarf sich ihm und folgte ihm für immer.
Viele Sagen von Benkei-san’s Kraft und Verschlagenheit cursieren
im Volke, auf den bemalten Drachen ist er eine Lieblingsfigur. Als
er mit Yoshitsune auf der Flucht den Hakonepass überschritt, hatten
sich beide als wandernde buddhistische Priester von der Secte der
Yamabushi verkleidet. Der Genji-Soldat, welcher die Wache hatte,
redete sie an, worauf Benkei, auf dessen Unkenntniss des Lesens
speculierend, mit grosser Würde eine Rolle unbeschriebenen Papieres
hervorzog, und, nachdem er sie ehrerbietig an die Stirn gedrückt
hatte **), in der gewähltesten und frommsten Sprache den Inhalt
eines Briefes improvisierte, den der Oberpriester des Hokoji-Tempels
in Kiôto geschrieben und womit er sie autorisiert haben sollte, Geld-
beiträge für den Guss einer grossen Glocke zu sammeln. Beim ersten
Nennen des Namens jenes im ganzen Lande berühmten und hoch-
verehrten Priesters sei die Schildwache, heisst es, ehrerbietig auf die
Knie gesunken und habe mit zur Erde gebeugtem Gesicht und ehr-
furchtsvoller Scheu den Inhalt des Briefes angehört. Um weiter allen
Verdacht zu beseitigen, bat Benkei den Posten um Entschuldigung
wegen des unpassenden Benehmens seines Burschen, welcher unter-
dess stehen geblieben war, indem er hervorhob, dass derselbe noch
ein grober Klotz sei, der eben erst aus dem Reisfelde komme. Dann
gab er dem Burschen einen Stoss und sagte ihm, er solle schnell auf
seine Markknochen fallen und sich nicht wieder unterfangen, stehen
18*
[276]I. Geschichte des japanischen Volkes.
zu bleiben in Gegenwart eines Samurai und Soldaten. Der Streich
gelang vollkommen und sie passierten ungehindert das streng be-
wachte Thor.
Im Gokinai werden zahlreiche Reminiscenzen an Benkei’s grosse
Kraft gezeigt. In uralten, grossen und centnerschweren eisernen
Pfannen, wie solche nicht weit von Kiôto und Yoshino zu sehen sind,
soll er sich seinen Reis gekocht, Felsen und enorm schwere Glocken
versetzt haben und anderes mehr.
Im Jahre 1190 zog Yoritomo von Kamakura mit grossem Ge-
folge und Gepränge nach Kiôto, um sich dem regierenden und dem
zurückgezogenen Mikado vorzustellen. Alle Welt, selbst der Hof,
staunte über den stattlichen Aufzug und grossen Reichthum, welchen
er bei der Gelegenheit zu entfalten wusste. Er war jetzt der erste
Unterthan, und was mehr ist, er besass factisch, wenn auch nicht
formell, eine grössere Macht, als sie selbst Kiyomori je geübt hatte.
Kein Wunder, dass ihm ein glänzender Empfang zu Theil wurde.
Man tauschte werthvolle Geschenke aus, von denen einzelne noch
jetzt in Kiôto und Kamakura von Priestern der Tempel, denen sie
später zuflossen, gezeigt werden; man liess täglich neue Feste und
Unterhaltungen folgen. Einen vollen Monat hindurch ging dies so
fort, dann kehrte Yoritomo, mit hohem Civil- und Militärrang vom
Hofe versehen, nach seiner Residenz Kamakura zurück. Diese, eine
kleine Tagereise westlich von Yokohama nicht weit von Sagami-
wan im Jahre 1184 angelegt, wurde bald die reichste und nächst
Kiôto die bedeutendste Stadt von Japan. Verschiedene Tempel, alte
Ginkgobäume und der berühmte Daibutsu von Kamakura lassen
als einzige Ueberbleibsel jetzt noch den Umfang und die Macht er-
kennen, welche diese Residenz der Minamoto und später der Hôjô
entfaltete.
Im Jahre 1192 starb der Exkaiser Go-Shirakawa im Alter von
67 Jahren. Kein anderer Mikado hat eine wechselvollere Zeit, eine
Zeit mit grösserer Corruption und Erniedrigung des Hofes durchlebt,
wie er. In der herrschenden Verderbtheit geboren und erzogen und
ganz ihr Produkt, hat er sehen müssen, wie viele seiner Verwandten,
Eltern, Kinder und Kindeskinder durch sie zu Grunde gingen und er
selbst mehr denn einmal einem unnatürlichen Tode nahe war; und
wenn er beim endlichen Scheiden das Land in Frieden sah, so war
es ein Friede, den nicht er und seine Familie herbeigeführt hatten,
noch zu erhalten im Stande waren. Gleich nach seinem Tode sandte
der 82. Mikado Go-Toba-Tennô einen hohen Würdenträger des Hofes
nach Kamakura, um Yoritomo mit der höchsten militärischen Würde,
[277]2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
der eines Sei-i-tai-Shôgun, zu belehnen, die von nun ab in der
Familie der Minamoto erblich wurde.
Der Titel Shôgun erhielt jetzt eine neue, höhere Bedeutung.
Früher war es eine gewöhnliche Bezeichnung der Generäle, und in
dieser Anwendung redet man auch von den Taira-Shôgunen des Südens
und Westens; von jetzt ab änderte sich aber die Natur der Würde,
indem mit ihrer Erblichkeit der Dualismus im Staate eine feste,
dauernde Gestalt annahm. Von nun an waren die Shôgune formell
die ersten Vasallen, factisch aber die wahren Herren des Landes.
Das Feudalwesen, welches sich schon seit einigen Jahrhunderten
langsam entwickelt hatte, erhielt durch Yoritomo seine systematische
Ausbildung, so dass Viele ihn als den Begründer desselben ansehen.
Yoritomo besuchte Kiôto zum zweiten Mal im Jahre 1195 und
starb zu Kamakura in Folge eines Sturzes vom Pferde im Jahre 1199.
Auf einem Hügel unweit des grossen Tempels zeigt man sein ein-
faches Grab. Während der letzten 10 Jahre seiner Herrschaft hatte
das Land im Genusse des bürgerlichen Friedens und guter Gesetze
sich von den Drangsalen des Krieges erholt und befand sich in neuer
Blüthe. Dies war besonders sein Verdienst, und darum steht er unter
den hervorragendsten Männern der japanischen Geschichte.
Er war ein Mann von imponierender Gestalt, tapfer, unwandel-
bar kaltblütig und sehr energisch, auch im allgemeinen gerecht und
jederzeit bereit, den Missethäter ohne Mitleid zu bestrafen und das
Verdienst zu belohnen, wo er es fand. Mit diesen vielen löblichen
Eigenschaften vereinte er jedoch grosse Selbstsucht, Arglist und Grau-
samkeit. Für die Hebung des Nährstandes und der Landwirthschaft,
des Rechtsbewusstseins und der persönlichen Sicherheit hat er viel
gethan. Seinem Einflusse dankt man es vor allem, dass im Kuwantô
und im ganzen Tôkaidô manche wüste Strecke bevölkert und in
blühende Reisfelder umgewandelt wurde. Indem er eine allgemeine
Abgabe von etwa 2 % des Feldertrages einführte, steuerte er der
Willkür, ebenso durch Errichtung eines Tribunals zur Entscheidung
von Klagesachen. Den Priestern verbot er, Waffen zu tragen oder
Bewaffnete in Dienst zu nehmen.
Gegen den Hof in Kiôto benahm sich Yoritomo stets zuvorkommend
und versäumte nie, für alle seine Neuerungen des Mikado Sanction
einzuholen, die ihm natürlich nicht verweigert wurde. So erlangte
er dessen Zustimmung zur Ernennung von fünf Gouverneuren von
Provinzen, deren Stellung erblich sein sollte und womit er fünf Glie-
der seiner Familie belohnte. Sein Schwiegervater wurde Militär-
gouverneur von Kiôto, und auch für viele andere Hôjô fanden sich
[278]I. Geschichte des japanischen Volkes.
lucrative und wichtige Stellen. Was ihn aber dabei von seinem
früheren Gegner Kiyomori vortheilhaft unterschied, war, dass er da-
durch das Land nicht aussaugen, sondern die Bevölkerung schützen
und ihr Wohl befördern liess.
Die Erinnerung an die Behandlung seiner nächsten Verwandten,
denen er doch seine ganze Macht verdankte, wirft einen dunklen
Schatten über das Bild des sonst bedeutenden Mannes. Nur ein ab-
scheulicher Undank und grosse Herzlosigkeit vermochten Verläumdern
den Einfluss einzuräumen, welcher ihn bestimmte, nicht blos Yorinaka,
sondern selbst seine leiblichen Brüder Yoshitsune und Noriyori nicht
zu schonen, als er glaubte, sie könnten ihm gefährlich werden. Der
Brudermord rächte sich schwer an seinen Kindern und Kindeskindern,
die der Reihe nach eines unnatürlichen Todes starben, welcher ihnen
durch den Ehrgeiz von mütterlichen Verwandten bereitet wurde. Als
grosser Missgriff in seinem Regierungssysteme muss es angesehen
werden, dass er weniger sein eigenes Haus, die Minamoto, als viel-
mehr die Familie seines Schwiegervaters Hôjô Tokimasa begünstigte,
dem er wohl seine Lebensrettung verdankte, dessen Einfluss aber
nicht blos den Minamoto überhaupt, sondern auch seiner eigenen
Nachkommenschaft höchst verderblich wurde.
3. Periode.
Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga
(1199—1334 n. Chr.). Zeit der Schatten-Shôgune, des
Glanzes und Falles der Hôjô-Familie.
Yoritomo war erst 53 Jahre alt, als er starb. Das Erbe fiel seinem
achtzehnjährigen Sohne Yoriiye zu. Aber »taisha tane ga nashi« *),
einem grossen Mann folgt selten ein bedeutender Sohn, sagt die japa-
nische Redensart. Yoshiiye war seinem Vater, ausser in der Körper-
kraft, unähnlich, dachte nur an sein Vergnügen, umgab sich mit
galanten Frauen und sittenlosen Cavalieren und zeigte weder Talent
noch Neigung zu den ernsteren Aufgaben des Lebens und seiner
Stellung.
In seinen ausschweifenden Neigungen wurde er aber unterstützt
von Hiki-Yoshikazu, seinem eigenen Schwiegervater, während
[279]3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga etc.
der nach Herrschaft strebende Grossvater dies Leben ebenfalls nicht
ungern sah. Masago, die Mutter des Yoriiye, war nach dem Tode
des Yoritomo, der Sitte jener Zeit entsprechend, Nonne geworden.
Dies hinderte jedoch die kluge und gewandte Frau nicht, an den
Staatsangelegenheiten den lebhaftesten Antheil zu nehmen. So wurde
auf ihren Betrieb aus den hervorragendsten Freunden ihres Mannes
unter dem Vorsitze ihres Vaters Hôjô-Tokimasa ein Familienrath
gegründet, zu dem Oye-Hiromoto und Miura-Yoshinobu ge-
hörten *), um die Mittel zu berathen, durch welche man den schlechten
Gewohnheiten Yoriiye’s am besten ein Ende machen könne. Man
schlug diesem vor, die Administration der östlichen Provinzen an
seinen jüngeren Bruder Sanetomo, der westlichen an seinen Sohn
Ichiman abzugeben. Da aber jener nur 12 Jahre zählte, dieser
noch in den Windeln lag, so hiess dies einfach die Regierung den
Hôjô übergeben. Yoshikazu rieth seinem Schwiegersohne ab, darauf
einzugehen und zettelte eine Verschwörung an, durch die sich Yoriiye
der Hôjô entledigen und dann seinen Sohn zum Nachfolger machen
sollte. Tokimasa schlug die Gegner und zögerte nun seinerseits nicht,
nicht blos Yoshikazu, sondern auch seinen eigenen Grossenkel Ichiman
ermorden zu lassen (1203). Hierauf wurde Yoriiye depossediert, nach
Idzu verbannt und dann ebenfalls heimlich ermordet. Zu seinem
Nachfolger machte man Sanetomo (1203). Hiermit war die Familie
Hôjô auf den Gipfel ihrer Macht gelangt, indem sie factisch die Ge-
schicke des Landes in Händen hatte. Die Rolle, welche früher die
Fujiwara und dann die Taira am Hofe zu Kiôto unter Frauen und
unmündigen Kindern so lange gespielt hatten, übernahmen nun die
Hôjô in Kamakura den Erben Yoritomo’s und des Shôgunats gegen-
über und somit auch in Bezug auf den Hof in Kiôto. Nie waren
sie in der Anwendung der verwerflichsten Mittel irgendwie scru-
pulös, ja übertrafen darin sogar alle ihre Vorbilder. Die Shôgune
waren blose Puppen, vom Shôgunat blieb nur die Form und der
Name, während die Hôjô unter dem Titel Shukken das Land
regierten und in ihren ersten Gliedern einen Nepotismus entfalteten,
welcher ebenfalls den der Taira weit in den Schatten stellte. Mit
Recht nennt man daher diese lange Periode von 1199 bis 1334 die
Zeit der Schatten-Shôgune oder der Regentschaft des Hauses Hôjô.
Einzelne der zwölf auf einander folgenden Shukken (Tokimasa,
[280]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Yoshitoki, Yasutoki, Hirotoki, Tsunetoki, Tokiyori, Masatoki, Toki-
mune, Sadatoki, Morotoki, Takatoki und Moritoki) waren ohne Zweifel
tüchtige Männer, welche dem Lande manchen grossen Dienst leisteten,
dennoch ist das Gesammturteil, welches die Nachwelt über die
Tyrannei der Hôjô gefällt hat, ein recht ungünstiges; die Familie
steht bei den Japanern in noch schlechterem Andenken als die Taira,
von denen sie abstammten. Sie führten somit ihre Herkunft ebenfalls
auf den fünfzigsten Mikado, Kuwammu-Tennô, zurück und nannten
sich Hôjô nach ihrem Stammsitze in Idzu, wo einer ihrer Vorfahren
sich niedergelassen hatte.
Unter den Hôjô, insbesondere den besseren, welche während des
13. Jahrhunderts regierten, entwickelten die buddhistischen Mönche
in ihren Klöstern die grösste Macht. Das Bemühen verschiedener
Shukken, dieselbe zu brechen und die Mönche auf die Beschäftigung
mit Wissenschaft und Künsten zu beschränken, blieb erfolglos. Der
Friede, welchen das Land im ganzen während des 13. Jahrhunderts
genoss und in dessen Gefolge ein neuer materieller und geistiger Auf-
schwung unverkennbar ist, wurde zeitweise durch kleine Aufstände
unterbrochen, welche in der Regel von jenen ausgingen, im Volke
keinen Hinterhalt hatten und leicht unterdrückt wurden.
Als Yoriiye 1204 auf Anstiften seines Grossvaters und seiner
eigenen Mutter, wie man allgemein annahm, im Bade ermordet wurde,
zählte sein jüngerer Bruder, der unter dem Namen Sanetomo das
Shôgunat ererbt hatte, nur 12 Jahre, während von den beiden hinter-
lassenen Söhnen des Yoriiye der ältere Namens Kugiô nur fünf Jahre
alt war. Diesen adoptierte Sanetomo und liess ihn dann in einem
Kloster zum Priester erziehen. Hôjô Tôkimasa, jetzt 68 Jahre alt,
hatte endlich durch seine vielen verwerflichen Handlungen selbst die
Geduld und das Vertrauen seiner Tochter Masago ganz erschöpft.
Er wurde genöthigt, Kamakura zu verlassen (1205), zog sich nach
Idzu in ein Kloster zurück, wo er als Mönch geschorenen Kopfes
noch 11 Jahre lebte. (Ein solches Klosterleben hatte indess mit den
ascetischen Regeln mancher späteren Buddhaklöster nichts gemein.)
Als Shukken folgte ihm sein Sohn Yoshitoki. Die unmittelbare
Ursache von Tokimasa’s Verbannung war indess das Bestreben des-
selben, den Sohn einer Stiefschwester der Masago, welche er einem
gewissen Hiraga Tomomasa zur Frau gegeben hatte, ein unmün-
diges Kind, an Stelle des Sanetomo zu setzen. Schon hatte er vom
Mikado die Verleihung des Namens Minamoto an seinen Enkel Hiraga
erwirkt und war auf dem besten Wege, das Erbe des Yoritomo auf
eine ganz andere Familie überzuspielen, als Masago, entrüstet, dass
[281]3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga etc.
nun auch ihr zweiter und einziger Sohn seine Stellung verlieren sollte,
den Intriguen ihres Vaters ein Ende machte. Hiraga-Tomomasa wurde
bald darauf ermordet, dann starb sein Kind, wie man annahm, keines
natürlichen Todes, sondern nach dem Willen der Masago.
Sanetomo war nach Neigung und Erziehung ein Weichling. Kin-
dische Spiele und den Umgang mit Frauen zog er jeder männlichen
Bestrebung vor und war desshalb unmündig an Geist und Willen,
auch dann noch, als er dem Alter und Gesetze nach hätte selbständig
sein können. Nichts destoweniger befürchtete Yoshitoki, seinen Ein-
fluss zu verlieren, und trachtete danach, ihn zu beseitigen. Das Mittel
war wieder der Mord und der Ausführende jener Priester Kugiô, der
Neffe des Sanetomo, der mittlerweile zum Manne herangewachsen
war. Er hatte immer Sanetomo als Mörder seines Vaters angesehen
und diesen zu rächen als grösste Kindespflicht und Ziel seines Lebens
erkannt und war darin von Yoshitoki insgeheim bestärkt worden,
obwohl dieser sich sagen konnte, dass nicht der zwölfjährige Sanetomo,
sondern sein Grossvater Tokimasa der intellectuelle Urheber der Er-
mordung des Yoshiiye gewesen war.
Das Nähere über das Ende des Shôgun Sanetomo berichtet Rai
Saniyo im Nihon Guai-shi*), wie folgt:
Sanetomo hatte den 27. Januar 1219 Abends 9 Uhr als die Zeit
bestimmt, zu welcher er sich, einer alten Sitte seiner Vorgänger
folgend, zum Tempel (des Kriegsgottes Hachiman) Tsurugaoka, an
welchem Kugiô Priester war, begeben wollte, um seine Andacht zu
verrichten. Vor seinem Weggang aus dem Schlosse trat sein alter
Diener Hirotomo an ihn heran und sagte: »Bisher hat dein Diener
selten Thränen vergossen und jetzt vergiesst er sie, ohne irgend eine
Ursache angeben zu können. Furcht erfüllt deinen Diener. Als der
verstorbene taishô (grosse General, nämlich Yoritomo) den Tôdaiji
(Tempel in Nara) einweihte, trug er aus Vorsicht einen Panzer unter
seinen Kleidern. Mögest du, mein Fürst, dieses Beispiel nachahmen
und nicht zu rasch handeln!« Minamoto no Nakaakira ant-
wortete (anstatt des Shôgun): »Daijin **) und taishô können keine
[282]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Panzer tragen«. Wiederum bat Hirotomo seinen Herrn, die Ceremonie
dann doch bei Tage vorzunehmen, worauf Nakaakira erwiederte:
»Es bei Lampenlicht zu thun ist alter Brauch«. Als Sanetomo weg-
gehen wollte, liess er sich von Hada Kinuji sein Haar kämmen, zog
sich dann ein Haar aus und gab es demselben, indem er lächelnd
bemerkte: »Dieses vermache ich dir«. Die hohen Staatsbeamten und
eine tausend Mann starke Eskorte begleiteten Sanetomo. Yoshitoki
war auch dabei, doch als die Procession in den Tempelhof eintrat,
entschuldigte er sich wegen Unwohlseins, übergab Nakaakira sein
Schwert und ging heim. Dann entliess Sanetomo seine ganze Eskorte
und behielt nur Nakaakira bei sich. Als er die Treppe hinunter
ging, sprang plötzlich ein Mann mit geschwungenem Schwert von der
Seite an ihn und Nakaakira heran und hieb beiden mit zwei wuch-
tigen Schlägen die Köpfe ab, dann entfloh er, indem er die Köpfe
mitnahm. Dunkle Nacht herrschte, während dies geschah. Das Ge-
folge gerieth in Bestürzung, denn Niemand wusste, wer die That
begangen hatte. Da rief Jemand mit lauter Stimme: »Ich bin Kugiô!
ich habe Rache genommen an meines Vaters Mördern!« Nun wusste
man, dass Kugiô es gethan hatte, und umstellte seine Wohnung.
Dieser aber hielt Sanetomo’s Kopf in der Hand und begab sich un-
verzüglich in das Haus eines gewissen Bichiu, wo er Speise zu sich
nahm, ohne den Kopf aus der Hand zu lassen. Nun war der jüngste
Sohn von Miura Yoshimura ein Zögling des Kugiô. Denselben sandte
dieser an dessen Vater Yoshimura, um sich Rath zu holen. Yoshi-
mura aber täuschte ihn, indem er ihm sagen liess, dass er mit Truppen
ihm entgegen kommen wolle, und benachrichtigte Yoshitoki, welcher
den Kugiô sofort zu tödten befahl. Hierauf sandte Yoshimura den
Nagao Sadakage an der Spitze von fünf starken Kriegern zur Stelle.
Nachdem Kugiô längere Zeit auf die zugesagten Truppen gewartet
hatte, überschritt er den Hügel beim Tempel auf dem Wege nach
dem Hause des Yoshimura. Hier begegneten ihm die Soldaten, gegen
die er sich tapfer zur Wehre setzte. Indessen gelang es Sadakage,
ihm den Kopf abzuhauen, mit dem er sich zu Yoshitoki begab. Am
folgenden Tage begrub man Sanetomo ohne den Kopf, der nicht auf-
zufinden war. Kugiô zählte 19, Sanetomo 28 Jahre. So endete die
Hauptlinie der Minamoto.
Die einzigen Personen, mit welchen Yoshitoki nunmehr noch zu
rechnen hatte, waren Masago in Kamakura und Go-Toba (Toba II.)
in Kiôto. Erstere war nicht gewillt, das Erbe ihres Mannes nun auch
im einzigen noch übrigen Theile, der Shôgun-Würde, auf ihre männ-
lichen Geburtsverwandten, welche ihre eigenen Kinder und Enkel zu
[283]3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga etc.
Grunde gerichtet hatten, übergehen zu lassen. Sie erbat sich daher
und erhielt vom Exmikado Go-Toba den zweijährigen Sohn des Sa-
daijin zum Shôgun und führte für denselben bis zu ihrem Tode 1225
formell die Regentschaft. Dieser junge, »die Barbaren vertreibende
Obergeneral« hiess Fujiwara-no-Yoshitsune. Die Abneigung
des ganzen Hofes in Kiôto gegen die Hôjô überhaupt und gegen
Yoshitoki insbesondere war so gross, dass Toba II. sich endlich
entschloss, sich womöglich der Tyrannen zu entledigen. Er er-
klärte Yoshitoki für einen Vaterlandsverräther, den Mörder der
Minamoto, und rief das Volk gegen ihn zu den Waffen. Doch, wo
Gewalt Recht hat, hat Recht wenig Gewalt, sagt ein englisches
Sprüchwort. Nur eine schwache, undisciplinierte Schaar folgte seinem
Aufrufe; dagegen sammelte sich bald ein stattliches Heer um die
Fahne der Hôjô. Den Oberbefehl übertrug Yoshitoki seinem Bruder
Tokifusa und gesellte demselben seinen Sohn Yasutoki zu (1221).
Bald war Tokifusa Herr von Kiôto, und nun liess Yoshitoki die kaiser-
liche Familie seine Macht fühlen. Der Exmikado Toba II. wurde
nach Ôki verbannt, wo er als sechzigjähriger Greis 1239 im Gefäng-
niss starb; sein Sohn Tsuchi-Tennô, ebenfalls Exmikado, ging
nach Tosa in die Verbannung, später nach Awa auf Shikoku und
starb daselbst, 37 Jahre alt (1231), obgleich er an den Unternehmungen
gegen die Hôjô nicht betheiligt gewesen war, sogar davon abgerathen
hatte. Auch der dritte und jüngste Exmikado, Bruder des vorigen,
Namens Juntoku-Tennô, wurde exiliert und zwar nach der Insel
Sado, der herrschende (85.), Namens Chukiô-Tennô, aber abge-
setzt und an seine Stelle ein Verwandter erhoben, der unter dem
posthumen Namen Go-Horikawa-Tennô als 86. Mikado von 1221
—1232 in den Annalen erscheint.
Yoshitoki verbannte auch die meisten derer, welche mit dem
Kaiserhause gemeinsame Sache gemacht hatten, liess ihre Lehen con-
fiscieren und unter seine Anhänger vertheilen, behielt jedoch Nichts
für sich und seine Familie. Seinen Bruder liess er als Militärgouver-
neur in Kiôto und hatte somit das Land in noch weit höherem Grade
wie sein Vater ganz in seiner Gewalt. Er starb im Jahre 1225,
wenige Monate vor seiner Schwester, der siebenzigjährigen Masago.
Yasutoki, Sohn des Yoshitoki, wurde nun unbeanstandet Sikken
(Regent oder Ministerpräsident). Bald wurde er sehr populär, denn
er verband mit dem Talente seines Vaters Gerechtigkeitsliebe, Fleiss
und Sparsamkeit, so dass seine Administration dem Lande zum Vor-
theile gereichte. Yoritomo war sein Vorbild in der Verwaltung. Die
Einrichtungen und Gesetze desselben wurden von ihm erweitert und
[284]I. Geschichte des japanischen Volkes.
vervollständigt. Auch nahm er sich der Künste und Wissenschaften
an, welche seit einigen Jahrhunderten vernachlässigt und zurückge-
gangen waren. Wiederholte Missernten und ihre weit fühlbare Folge,
eine grosse Hungersnoth, gaben ihm Gelegenheit, sein gutes Herz
zu zeigen und die Noth der Armen lindern zu helfen, so viel er
vermochte.
Die Bonzen des Kinai, insbesondere der Provinz Yamato, sahen
indess das stete Wachsen seines Ansehens und Einflusses ungern,
weil dadurch ihr eigenes Verlangen nach Macht geschädigt wurde.
Sie deuteten den Bauern die Missernten und allgemeine Noth als
Strafen der Götter für die Verbrechen der Hôjô und insbesondere für
die Verbannung der drei Ex-Mikado und zettelten unter denselben
einen Aufstand an, welchen sie selbst mit den Waffen in der Hand
leiteten. Um ihn zu besänftigen, dankte Go-Horikawa-Tennô 1232
ab und liess die Herrschaft auf seinen zweijährigen Sohn übergehen,
welcher in den Annalen als 87. Mikado unter dem Namen Shijô-
Tennô zehn Jahre lang (1232—1242) nominell dem Lande vorstand.
Yasutoki liess die Aufständischen durch einen Verwandten ausein-
ander jagen, doch fand die Empörung neue Nahrung, als kurz darauf
der Exmikado im Alter von 23 Jahren plötzlich starb, indem man
auch dies den Hôjô zuschrieb und als Strafe der Götter hinstellte,
die erzürnt seien, dass nicht der rechtmässige Erbe, sondern ein Ver-
wandter desselben und Günstling der Hôjô den Thron einnehme.
Nara war Hauptsitz dieser erneuten Priesterbewegung. Um ihr ein
Ende zu machen, unterdrückte Yasutoki die Einkünfte der Klöster
und suchte ausserdem, indem er mit grossem Pompe den Shôgun
Yoritsune von Kamakura nach Kiôto geleitete, damit er hier dem
Mikado Shijô-Tennô seine Huldigung darbringe, die Aufmerksamkeit
des Volkes auf andere Dinge zu lenken. Dann veranlasste er den
Shôgun, durch Yamata zu reisen, die widerspenstigen Klöster zu be-
suchen und ihnen liberale Geschenke zuzuwenden, um so dieselben für
sich zu gewinnen. Im Jahre 1241 wurde der junge Mikado, obgleich
er erst 11 Jahre alt war, für mündig erklärt und ihm eine Verwandte
des Shôgun von nur 9 Jahren zur Frau gegeben. Ein Jahr darauf
starb der Mikado plötzlich, und nun verlangte die öffentliche Meinung
dringend die Rückkehr der legitimen Dynastie. Eine mächtige Partei
in Kiôto, darunter die Häupter der Fujiwara, wünschte Tadanari,
den Sohn des nach Sado verbannten Juntoku auf den Thron; Yasu-
toki aber widersetzte sich diesem Streben und protegierte die Candi-
datur von Kunihito, Sohn des 83. Mikado Tsuchi. Derselbe war
bei der Verbannung der drei Exmikado geflüchtet, hatte später eine
[285]3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga etc.
Minamoto geheirathet und von dem politischen Treiben sich fern ge-
halten. Unterstützt durch Akita Yoshikage, den Abgesandten
des Shukken Yasutoki, gelangte derselbe auf den Thron, welchen er
unter dem Namen Go-Saga-Tennô (Saga II.) vier Jahre lang
(1242—1246) inne hatte. Bald darauf starb Yasutoki im Alter von
sechzig Jahren. Ihm folgte sein Enkel Tsunetoki in der Würde
eines Shukken, obgleich Yoritsune schon majorenn war. Man bestimmte
denselben, das Shôgunat seinem sechsjährigen Sohne Yoritsugu zu
übergeben und sich zurückzuziehen. Yoritsugu nahm nach seiner
Mutter den Namen Minamoto an (1244). Er wurde veranlasst, bald
zu heirathen und erhielt zur Frau die Tochter seines Erziehers, die
mehr als zweimal so alt war als er selbst.
Saga II., der Mikado, stand mit seinem Protektor, dem Shukken,
auf gutem Fusse und machte denselben zum Herrn von Musashi. Seit
langer Zeit war er der erste Tennô, welcher als Mann (mit 27 Jahren)
auf den Thron gekommen war. Aber die Sitte, dass nur unmündige
Kinder denselben einnahmen, war mächtig eingerissen, und so fügte
sich ihr auch Saga II., abdicierte zu Gunsten seines Sohnes Go-
Fukakusa-Tennô, liess sich den Kopf rasieren und wurde Mönch
(1246). Der neue Shukken Tsunetoki trat ein Jahr darauf ebenfalls
zurück. Weder an Talent noch Streben konnte er sich mit seinen
Vorgängern messen. Es folgte ihm sein jüngerer Bruder Tokiyori.
Bald nach diesem Wechsel starb er, 33 Jahre alt. Tokiyori glich
seinem Vater an Bildung und strengem Rechtssinn. Ohne Rücksicht
auf Familienrang wählte er zu Beamten Leute, welche ihm durch
Bildung, Redlichkeit und Pflichttreue Garantie gaben, dass sie ihr
Amt wohl verwalten würden. Sein oberster Richter Awodo war der
Schrecken aller Verbrecher, ob ihre Stellung hoch oder niedrig. Der
Ex-Shôgun Yoritsune, welcher mit zwei Söhnen des Miura-Yoshimura
eine Verschwörung angezettelt hatte, um Mitshitoki von einer
Seitenlinie der Hôjô zum Dictator zu machen, wurde nach Kiôto ver-
bannt, Mitshitoki aber nach Idzu. Seinen beiden anderen Gegnern,
den Miura Yasumura und Michimura, verzieh Tokiyori und liess sie
in Kamakura. Nachdem dieselben jedoch verrätherischerweise einen
neuen Aufstand angezettelt hatten und auch dieser besiegt war, mussten
sie das Harakiri vornehmen. Doch der Ex-Shôgun Yoritsune gab
auch in Kiôto das Anzetteln von Intriguen und Verschwörungen nicht
auf, und da er auch seinen Sohn, den Shôgun Yoritsugu, in dieselben
verwickelte, wurde dieser abgedankt und nach Kiôto zu seinem Vater
gesandt (1252). Man ernannte zu seinem Nachfolger den achten Sohn
des Saga-Tennô II., Namens Munetaka, welcher damals 12 Jahre
[286]I. Geschichte des japanischen Volkes.
alt war. Vier Jahre darauf entsagte Tokiyori im Alter von nur
30 Jahren zu Gunsten seines sechsjährigen Sohnes Tokimune der
Regentschaft, wurde Mönch und bereiste als solcher unerkannt das
Land, um dessen Bedürfnisse kennen zu lernen. Bei den Bauern
kehrte er ein und nahm mit ihrer frugalen Kost vorlieb, und wo er
berechtigte Klagen gegen die Verwaltung vernahm, säumte er nicht,
sie dem Erzieher seines Sohnes Hôjô-Nagatoki zu berichten. Im
Jahre 1623 starb er. Das gute Andenken, welches er hinterlassen
hat, steht dem seines Vaters Yosutoki kaum nach.
Mit acht Jahren wurde Tokimune, sein Erbe, schon für erwachsen
erklärt, doch führte Nagatoki die Regentschaft weiter. Eine grössere
Widersinnigkeit als die, welche nun die complicierte Staatsmaschine
Japans zeigte, ist kaum denkbar. Da war zunächst Hôjô-Tokimune
der Sukken, ein unmündiges Kind unter der Vormundschaft eines
Verwandten, des Nagatoki, berufen, den ebenfalls unreifen, doch
viel älteren Shôgun Munetaka zu leiten, während dieser seinerseits
wieder das Staatsruder führen und den unmündigen, machtlosen Mi-
kado vertreten sollte. Es war dies (von 1260—1274) der 90., Namens
Kameyama-Tennô, ein jüngerer Bruder von Go-Fukakusa-Tennô,
welcher zu dessen Gunsten abdiciert hatte.
Der Shôgun Munetaka war den chinesischen Wissenschaften sehr
ergeben und verkehrte darum viel mit verschiedenen Priestern, wo-
runter Riyôki, Genye und andere. Indigniert über die unwürdige
Rolle, welche er, der Sohn eines Tennô, dem Shukken und seinem
Vormunde gegenüber spielte, zettelte er mit jenen Priestern eine
Verschwörung an, welche die Ermordung des Nagatoki und Shukken,
sowie die Befreiung des Landes von den Hôjô zum Ziele hatte. Naga-
toki kam ihnen jedoch zuvor, Riyôki wurde getödtet, Genye floh
nach Kiôto und Munetaka rettete sein Leben nur in Folge der Für-
sprache seines Vaters, des Exmikado Saga II., doch musste er das
Shôgunat an seinen Sohn Koreyasu abtreten (1266) und sich
nach Kiôto zurückziehen. Nagatoki starb bald nachher, so dass
Tokimune nun als Shukken unumschränkt die Hôjô bis zu seinem Tode
repräsentierte.
Ein Ereigniss, dessen Bedeutung und Tragweite über das japa-
nische Inselreich weit hinausragt, fällt in diese Zeit. Es ist die
Invasion der Mongolen unter Kublai-Khan. Hôjô Tokimune gehört
das Verdienst, sie zurückgeschlagen und das Land von ihnen befreit
zu haben (1281).
Kublai-Khan oder Kopitsuletsu, wie ihn die Japaner nennen,
hatte an der Spitze seiner Mongolen die Sung-Dynastie in China über
[287]3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga etc.
den Haufen geworfen, das ganze Land und auch das benachbarte
Korea erobert und warf nun auch seine Augen auf Japan. Korea-
nische Abgesandte desselben überbrachten dem 91. Mikado Go-Uda-
Tennô, der um diese Zeit den Thron einnahm (von 1275—1287),
einen Brief, dessen Insolenz den Hof empörte; denn in ihm verlangte
der Mongolenfürst mit klaren Worten Unterwerfung und Tributzahlung,
also Dinge, an welche Japan nicht gewöhnt war. Man wies die Ab-
gesandten mit ihrem Gesuche nach Kamakura an Tokimune, der sie
entrüstet abwies, aber Kublai-Khan schickte neue Gesandtschaften
und liess seine Forderung wiederholen, jedoch mit keinem besseren
Erfolg. Darauf überzog er von Korea aus die zunächst gelegenen
japanischen Inseln mit Krieg, liess auf 450 Dschunken ein Heer auf
Tsushima und Iki landen und sie in Besitz nehmen. Dann wandten
sich die Mongolen nach Kiushiu, wo jedoch japanische Streitkräfte
die Küste besetzt hatten und zum Empfang bereit waren, so dass sie
mit Verlust wieder abzogen (1275). Drei Jahre darauf landete ein
neuer Gesandter des Kublai-Khan in Nagato. Der Shukken liess ihn
vor sich nach Kamakura bringen und enthaupten, und dies wieder-
holte sich noch einmal. Bald darauf erschien der Feind auf mehreren
Tausend chinesischen und koreanischen Dschunken bei Tsushima von
neuem, landete wieder auf Kiushiu, und zwar nach japanischen
(offenbar übertriebenen) Angaben mit mehr denn 100000 Mann,
worunter 10000 Koreaner waren. Das verbreitete Schrecken über
ganz Japan, zumal die ersten herbeigeeilten Truppen geschlagen
wurden. Wie in derlei ernsten Zeiten immer, begab sich der Mikado
zum Tempel seiner Urahnin, der Sonnengöttin Amaterasu, um seine
Opfer zu bringen und ihre Hülfe zu erflehen. Hôjô Tokimune aber
sammelte alle verfügbaren Truppen des Landes, rückte dem Feinde
entgegen und schlug ihn in der Nähe von Takashima. Ein schreck-
licher Taifún kam den Japanern zur Hülfe, erfasste und vernichtete
den grössten Theil der in ihren Dschunken fliehenden Feinde (1281).
Wenige Jahre nach diesen Ereignissen starb der Shukken im Alter
von 30 Jahren. Ihm folgte sein Sohn Sadatoki, der Fürst von
Sagami (1285).
Die chinesischen Historiker, welche dieser tatarischen Invasion
Erwähnung thun, sollen im wesentlichen mit den japanischen Bericht-
erstattern übereinstimmen. Um jene Zeit war Marco Polo Gast,
Freund und Berather des Kublai-Khan am chinesischen Hofe, wo er
zuerst Kunde erhielt von der Existenz eines Inselreiches im Osten
von China und von den grossen Reichthümern, welche es besitzen
sollte. Offenbar waren solche Nachrichten für Kublai-Khan ein
[288]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Hauptsporn, und so wird man nicht fehl gehen, anzunehmen, dass die
erwähnte Invasion zum Theil dadurch hervorgerufen wurde.
Das erwähnte Ereigniss hatte auf die inneren Zustände Japans
keinen erkennbaren Einfluss. Allem gesunden Menschenverstande zum
Hohne nahmen nach wie vor Kinder in Kiôto den Thron ein, Kinder
in Kamakura als Shôgune ihre Stelle in der Verwaltung des Landes
und endlich Glieder der Hôjôfamilie, die ebenfalls oft unmündig
waren, die Administration oder Regentschaft an Stelle der Shôgune.
Auf allen drei Stufen, in der Würde des Mikado, Shôgun und Shukken
bestand schliesslich streng geregelte Erblichkeit, wonach kein Hôjô
Shukken jemals Shôgun werden, kein Minamoto oder Fujiwara den
Thron einnehmen konnte. Sobald die Kinder-Mikado, -Shôgune,
-Shukken mündig und einigermassen selbständig geworden waren, ab-
dicierten sie freiwillig oder gezwungen zu Gunsten ihrer nächsten
Verwandten, liessen sich den Kopf rasieren und in einen buddhisti-
schen Mönchsorden aufnehmen, der ihnen keinerlei Entsagung aufer-
legte und in gar mancher Intrigue behilflich war. Der entartete
Buddhismus entfaltete seine grösste Macht; ihm war die Confusion
und Machtlosigkeit der regierenden Häuser nur willkommen.
Hôjô Sadatoki, Shukken von 1284—1300, spielte mit den Mikado
und Shôgunen, deren Macht nur eine nominelle war, wie mit Puppen,
dankte sie ab und erhob andere an ihre Stelle nach Gutdünken.
Gegen das Jahr 1290 gab es in Kiôto neben Fushimi-Tennô,
dem regierenden Mikado, nicht weniger als drei depossedierte,
nämlich Fukakusa II., der Vater von Fushimi-Tennô, Kameyama,
jüngerer Bruder des Fukakusa, und Uda II. (Go-Uda), Sohn des
vorigen, der dann mit 20 Jahren zu Gunsten seines Vetters Fushimi
abdiciert hatte. Auch lebte damals in Kiôto der Ex-Shôgun Kore-
yasu, den man seinem Vater Munetaka in die Verbannung nach-
geschickt hatte. Als Shôgun fungierte in Kamakura ein jüngerer Sohn
des Go-Fukakusa, also Bruder des herrschenden Mikado Fushimi-
Tennô, Namens Hisa-Akira. Endlich dankte der Shukken Sadatoki
im Jahre 1300 selbst zu Gunsten seines Adoptivsohnes Morotoki
ab, blieb aber bis zu seinem Tode 1311 factisch der Regent des
Landes. Morotoki starb im nämlichen Jahre. Es folgte ihm als
Shukken Hôjô Takatoki, der neunjährige Sohn des Takakoki, der,
obgleich er im Jahre 1326 abdankte und andere Titulare ihm folgten,
doch bis zum Untergange des Hauses Hôjô thatsächlich die Regie-
rung führte. Diese längst erwartete und von vielen herbeigesehnte
Katastrophe rückte endlich im Jahre 1333 heran. Glieder der Familie
Minamoto waren es wiederum, welche dem übermächtig gewordenen
[289]3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga etc.
alten Zweig der Taira abhieben und der Administration und Tyrannei
derselben ein Ende machten. Der Hergang war folgender: Takatoki,
von Natur schwach und kränklich und durch manche Intriguen in
Kamakura und Kiôto anderweitig in Anspruch genommen, konnte
sich um die Verwaltung wenig kümmern und überliess diese einem
Rendanten, Namens Nagasaki Takasuke, einem geizigen und
verschrobenen Manne, der bestrebt war, sich auf Kosten des Landes
zu bereichern, und dadurch die Abneigung gegen die Hôjô-Regent-
schaft rasch steigerte. Besonders geschah dies durch sein Verhalten
während einer drückenden Theuerung. Bisher hatten die Sukken
den Ueberfluss reicher Ernten aufgekauft, in ihren Magazinen ver-
wahrt und dann nach Misswachs zu billigen Preisen an das Volk
abgegeben, wohl auch verschenkt, um der Hungersnoth vorzubeugen.
Jetzt aber, als in Folge langer Trockenheit Theuerung und Noth
eingetreten war, wetteiferte der Rendant mit den ärgsten Wucherern
und gab den Reis, Buchweizen und andere Früchte nur zu hohen
Preisen her. Dies und seine Bestechlichkeit machten ihn und seinen
Rückhalt, die Hôjô, mehr und mehr verhasst. Auf der anderen Seite
lebte in Kiôto als 96. Mikado von 1319—1338 Go-Daigô-Tennô
(Daigô II.), der ausnahmsweise erst mit 30 Jahren auf den Thron
gekommen war und ungeachtet seiner Vorliebe für Prunk und Frauen
die unwürdige Rolle der Nachkommen jener am Himmel glänzenden
Gottheit bitter fühlte und bestrebt war, für sich und sein Geschlecht
das alte geschwundene Ansehen wieder zu gewinnen. In dem Maasse,
in welchem die Hôjô namentlich durch das vorerwähnte Verhalten des
Rendanten verhasst wurden, wuchs sein Ansehen und sein Einfluss,
namentlich zur Zeit jener Theuerung. Er selbst besass zwar wenig,
die Noth lindern zu helfen, aber seine Aufforderung an die Reichen
und Grossen, dabei mitzuwirken, fand Gehör, da sie von neuem auf
das Mikado-Haus ihre Hoffnung setzten. Verschiedene sonstige Zwi-
schenfälle, die wir übergehen, sowie ein Streit wegen der Thron-
folge führten endlich dahin, dass Go-Daigô-Tennô dem Sukken den
Krieg erklärte. Seine Anhänger wurden jedoch geschlagen und der
Mikado von Takatoki nach der Insel Ôki verbannt. Indess kam ein
Mann von grossem militärischen Talent und Ruf, Namens Kusunoki
Masashige dem exilierten Mikado zu Hülfe, sammelte in seiner
Provinz Kawachi ein Heer, mit dem er, obgleich es der Zahl nach
der Armee der Hôjô weit nachstand, diese mehrere Monate lang im
Zaum hielt. Dies gab dem verbannten Fürsten und seinen Anhängern
neuen Muth. Daigô II. verliess Ôki, sammelte ein Heer in Hôki und
rückte damit gen Kiôto. Die entscheidende Hülfe kam jedoch von
Rein, Japan I. 19
[290]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Norden, aus Kotsuke und Musashi, und die sie brachten, waren
Nitta-Yoshisada und Ashikaga-Taka-uji, die nun in den
Vordergrund der Geschichte treten. Der gemeinsame Vorfahr beider
ist jener Minamoto Yoriiye, welcher sich in der 2. Hälfte des 11. Jahr-
hunderts gegen die Emishi in Mutsu so sehr hervorthat, dass er als
Hachiman-Taro in der japanischen Geschichte fortlebt. Der dritte
Sohn dieses Yoriiye hatte zwei Söhne, von denen der ältere seinem
Vater in der Feudalherrschaft von Nitta in Kotsuke folgte, der jüngere
aber durch einen Verwandten die Herrschaft Ashikaga in Shimotsuke
erhielt.
Nitta-Yoshisada, eine hervorragende Heldengestalt in Japans Ge-
schichte, der, wie sein Sohn, bis zu seinem Tode die Sache des Mikado
wacker verfocht, war als Kapitän in der Hôjô-Armee gegen Kusunoki
gesandt worden, hatte aber dann mit diesem gemeinsame Sache ge-
macht. Darauf war er nach Kotsuke geeilt, um hier sein weisses
Banner gegen die Hôjô aufzurichten. Die Feudalherren des Kuwantô,
welche meistens ihre Lehen den Minamoto verdankten, sammelten
sich unter demselben mit ihrem Gefolge in grosser Zahl. Dreizehn
Tage später erschien Yoshisada bereits mit einer stattlichen Armee
vor Kamakura, um es anzugreifen. Am Tage zuvor lagerte dieselbe
am flachen Strande bei Inamura-saki, nicht weit von Enoshima in
Sagami. Hier trug Nitta-Yoshisada vor seinen Truppen am Vorabend
des Kampfes den Göttern im Gebete seine Absicht vor, dem Mikado
wieder zu seinem guten alten Rechte zu verhelfen, und bat insbe-
sondere Compira, den japanischen Neptun, um seine Hülfe, damit
die Fluthen sich zurückziehen und seinem Heere sich ein Pfad längs
des Strandes öffnen möge. Dann schleuderte er sein Schwert als
Opfer in die Wellen*). Am anderen Morgen war das Wasser zurück-
gewichen. Die Soldaten betrachteten es als ein Zeichen der gött-
lichen Gunst, gingen freudig von drei Seiten in den Kampf, in
welchem ihr Führer Wunder der Tapferkeit verrichtete, und nahmen
nach wenigen Stunden schweren Kampfes Kamakura. Die grosse
Stadt wurde mit ihren meisten Baudenkmälern und Kunstschätzen
ein Raub der Flammen. Manches hervorragende Glied der Hôjô-
familie war nach tapferer Wehr im Kampfe gefallen, die meisten
anderen zogen das Harakiri der Gefangenschaft vor, darunter auch
Takatoki**).
[291]3. Periode. Von Yoritomo’s Tod bis zur Dynastie der Ashikaga etc.
Während dies in Kamakura sich zutrug, hatte Kusunoki-Masa-
shige das befestigte Akasaka am Nakasendo erobert und zog mit
seinem Heere gegen Kiôto. Von Süden her rückte Akamatsu-Nori-
mura, Herr von Harima, welcher ebenfalls die kaiserliche Sache
vertrat, demselben Ziele zu. Kiôto war in den Händen der Hôjô.
Ashikaga-Takauji befehligte als Vasall derselben die Truppen, welche
Takatori zum Schutze der Hauptstadt gegen die anrückenden Feinde
entsandt hatte. Als derselbe die Macht der Kaiserlichen und das
wankende Glück der Hôjô wahrnahm, liess er Norimura in Kiôto
einrücken und ging mit seinem Heere zu ihm über. Auf Kiushiu
hatte Ôtomo, der Daimio von Bungo, dessen Haus in der folgenden
Periode durch Annahme des Christenthums eine hervorragende Rolle
spielte, ebenfalls mit Glück die Sache des Mikado vertreten und die
Hôjô-Gouverneure beseitigt. Go-Daigô-Tennô gab seinen Hauptstützen,
wie Yoshisada, Masashige, Takauji und Anderen den Titel Shugo
(Wächter und Protectoren des Kaiserhauses) und machte seinen Sohn
Moriyoshi zum Sei-i-tai-Shôgun. Seine Wege waren geebnet; er
konnte in die Hauptstadt seiner Ahnen wieder einziehen und die
Zügel der Regierung selbst übernehmen. Er that es, doch nur für
eine kurze Zeit, dann brachen Bürgerkrieg und Elend von neuem
über das Land herein und lockerten die Autorität und Rechtsverhält-
nisse, sowie alle Bande der Zucht und Ordnung weitere 240 Jahre
hindurch, bis es einem grösseren Geist, als Daigô II., endlich gelang,
einen dauernden Frieden zu begründen.
Mit dem Falle der Hôjô endet die Zeit der Schatten-Shôgune,
worunter man die Periode zwischen dem Shôgunat der Minamoto und
dem der Ashikaga versteht, also von 1219—1334. Sachlich richtiger
und genauer begrenzt erscheint uns diese Periode, wenn man sie von
Yoritomo’s Tod an rechnet. Als Shôgune oder Könige von Kamakura
folgen den drei Minamoto im Jahre 1219 zwei Fujiwara und endlich
diesen sechs kaiserliche Prinzen von 1251 ab. Die Fujiwara und
kaiserlichen Prinzen nahmen jedoch alle auch den Namen Minamoto
an, so dass formell wenigstens der Anforderung genügt wurde, wonach
der Shôgun ein Minamoto sein musste.
19*
[292]I. Geschichte des japanischen Volkes.
4. Periode.
Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô bis auf
Nobunaga (1334—1573 n. Chr.). Entdeckung Japans durch
die Portugiesen, Verbreitung des Christenthums.
Durch die Vernichtung der Hôjô waren eine Menge Lehen con-
fisciert und frei geworden. Der Gedanke lag nahe, dass Go-Daigô-
Tennô sie unter jene Ritter vertheilen werde, die Alles für ihn einge-
setzt und ihn nach Kiôto zurückgeführt hatten. Statt dessen schenkte
er sie an unwürdige Parasiten des Hofes, Genossen seiner Vergnü-
gungen, die zum Theil schon früher durch ihre Bacchanalien den
Bewohnern der Hauptstadt Aergerniss gegeben hatten, was für jene
Zeit und bei einem in diesen Dingen so abgehärteten und nachsichtigen
Volke viel sagen will. Es erregte dies natürlich grosse Unzufrieden-
heit unter den Samurai (der Militärklasse) und reifte namentlich in
einem derselben den Entschluss, daraus möglichst viel Nutzen zu
ziehen und sich das Amt des Sei-i-tai-Shôgun zu verschaffen, nämlich
in Ashikaga-Takauji, obgleich dieser sich am wenigsten zu be-
klagen hatte, da auch ihm die Gunst des Mikado über Verdienst
zugewandt war, indem er die reichen Provinzen Hitachi, Musashi und
Shimosa erhielt. Moriyoshi, der neue Shôgun zu Kamakura, machte
sich alsbald sehr missliebig, indem er sich mit entkutteten Mönchen
und Abenteurern aller Art umgab, die ihren schlechten Neigungen
freien Lauf lassen konnten. Zu diesen Günstlingen gehörte auch ein
Expriester, Namens Rochiu. An der Spitze einer bewaffneten Bande
durchzog dieser das Kuwantô unter dem Vorwande, dasselbe von den
Anhängern der Hôjô zu befreien, in Wirklichkeit, um zu rauben und
zu plündern. Als er dabei auch das Gebiet des Takauji betrat, liess
ihn dieser ergreifen und ans Kreuz schlagen, eine Strafe, die sonst
nur Brandstiftern zu Theil wurde. Moriyoshi war entrüstet hierüber,
und da er selbst nicht die Macht hatte, den eigenmächtigen Vasallen
zu bestrafen, so bat er seinen Vater, den Mikado, darum. Bei diesem
aber hatte Ashikaga-Takauji durch die Vermittelung einer Hofschönen
geebnete Wege und blieb nach wie vor in Gunst, vielleicht auch,
weil der Tennô selbst mit der Grausamkeit und dem unordentlichen
Leben seines Sohnes, über den viele Klagen bei Hofe erhoben wurden,
unzufrieden war. Endlich erhob sich der jüngere Bruder des Takauji,
Namens Ashikaga-Tadayoshi, unter nichtigem Vorwande gegen
den König von Kamakura, indem er einen jüngeren Sohn des Mikado
zum Sei-i-tai-Shôgun proclamierte (nach anderen Angaben einen nach-
[293]4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
gebliebenen Sohn des Hôjô Takatoki), zahlreiche Volontäre aus Sagami
und Musashi, die Moriyoshi hassten, um sich sammelte und gegen
Kamakura rückte. Der Mikado ertheilte nun dem Takauji Auftrag,
den Aufstand zu unterdrücken. Dieser that es, vereinigte sich aber
schliesslich in Tôtomi mit seinem verjagten Bruder Tadayoshi, mar-
schierte mit ihm gegen Kamakura, wurde hier von der Bevölkerung
als Befreier von der Tyrannei des Moriyoshi mit Jubel empfangen
und erklärte sich nun selbst zum Shôgun (1335), hatte aber noch
manchen Kampf zu bestehen, bis er endlich auch vom Mikado (1338)
officiell als solcher anerkannt wurde. Sein grösster Gegner war
Nitta-Yoshisada, dem das verrätherische, treulose Wesen seines
entfernten Verwandten im höchsten Grade verhasst war. Go-Daigô-
Tennô, dem allmählich die Augen aufgingen, beauftragte die beiden
Nitta, den Usurpator von Kamakura und seinen Anhang zu züchtigen.
In Tôtomi stiess ihr Heer mit dem des Ashikaga-Takayoshi zusammen.
Trotz kleiner Misserfolge setzten sie ihren Marsch auf Kamakura fort.
Da sammelte Takauji hier alle verfügbaren Streitkräfte, rückte dem
kaiserlichen Heere über den Hakone-Pass entgegen und schlug das-
selbe bei Takenoshita (1336) total. Nach diesem Siege sammelten
sich viele der bisher unentschiedenen Lehnsherren des Kuwantô und
anderer Provinzen unter seinen Fahnen. Rasch führte er sie den
Tôkaidô entlang nach Kiôto. Der Mikado und sein Anhang mussten
abermals flüchten und fanden eine Zuflucht im Miidera oberhalb
Otsu am Hiyesan. Von hier sandte er neue Aufrufe zur Unterstützung
gegen den undankbaren Rebellen an seine Getreuen. Viele kamen
denselben nach. Die Fürsten von Ôshiu und Sanindô, Minamoto
Akiye und Nawa-Osatoshi, sowie vor allem Akamatsu-Nori-
mura von Harima erneuten den früheren Bund zur Unterstützung
des Mikado und sammelten die zu Schiff von Kiushiu ankommenden
Genossen. Der alte tapfere und ehrenwerthe Kusunoki-Masashige
von Kawachi stiess zu ihnen und stellte sich an ihre Spitze. Die
Ashikaga hatten unterdess den Hof aus der Tempelfeste Miidera nach
den oberen Klöstern des Hiyesan vertrieben, doch wurden sie nun
selbst aus dem Miidera durch die anrückenden Verbündeten verdrängt.
Dann griff Masashige mit den beiden Nitta den Takauji in Kiôto
selbst an, so unerwartet ungestüm, dass dieser kaum Zeit hatte, sich
nach seinem Hauptquartiere nach Hiogo zu flüchten. Der Mikado
wurde im Triumphe wieder in seine Hauptstadt geführt. Er ernannte
nun Yoshisada zum Gouverneur von Chiugoku, Minamoto Akiye wurde
mit erhöhtem Militärrange nach Ôshiu zurück und Kikuchi Taka-
toshi dem Feinde nachgesandt nach Setsu. Er erlitt jedoch mehrere
[294]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Niederlagen und sah seine Truppen zum Gegner überlaufen. Wiederum
wandte sich der Kaiser in dieser Noth an Kusunoki-Masashige. Gegen
seine bessere militärische Erfahrung und Ueberzeugung folgte dieser
dem erhaltenen Befehle, griff die Ashikaga an den Ufern des Minato-
gawa bei Hiogo an und wurde total geschlagen. Er selbst und Nawa
verloren dabei ihr Leben, während sein Sohn mit dem loyalen Reste
der Armee nach Yamato flüchtete. Go-Daigô-Tennô verliess mit
seinen Insignien Kiôto von neuem, suchte und fand wieder Zuflucht
auf dem Hiyesan. Takauji kehrte nach Kiôto zurück. Noch war er
ein Rebell, dessen Unternehmungen, sollten sie Aussicht auf Bestand
haben, der Sanction eines Tennô bedurften. Dies fühlte er und war
gewandt und verschlagen genug, um sich zu helfen. Go-Daigô-Tennô
wurde des Thrones verlustig erklärt und der Prinz Yutahito, ein
jüngerer Sohn von Fushimi II. und Bruder des früheren Gegen-
kaisers Kuwo-gon, zum Mikado ernannt. Unter dem Namen Kômiyo-
Tennô bestieg er, zwar ohne die kaiserlichen Insignien, aber von
mächtiger Hand gestützt, den Thron. Der neue Mikado zu Kiôto
ernannte alsbald Takauji zum Sei-i-tai-Shôgun von Kamakura, dessen
Bruder Tadayoshi zum Vice-Shôgun und seine Söhne zu Gouverneuren
jener Stadt. Die neuen Proclamationen, welche der vertriebene Mi-
kado von dem Tendaikloster auf dem Hiyesan, seinem Asyl, aus-
sandte, hatten wenig Erfolg. Nur ein Daimio von Belang kam herzu,
für die verlorene Sache einzutreten, nämlich Fujiwara-no-Yori-
tomo, Herr zu Kanagasaki in Echizen. Seinem Schutze übergab
Go-Daigô seine beiden Söhne Tsuneyoshi und Takayoshi, konnte
aber selbst trotz seiner precären Lage nicht bestimmt werden, ihnen
nach Echizen zu folgen. Bald darauf bot ihm Takauji von Kiôto
aus die Hand zur Versöhnung an. Sie sollte auf Grund des Testa-
mentes von Go-Saga erfolgen, d. h. der Rückkehr zum zehnjährigen
Alternat in der Herrschaft zwischen dem Hause des Tennô Go-Daigô
und seines Zweiges Fushime. Go-Daigô willigte ein, händigte die
Insignien der Macht aus, damit Kômiyo rechtlich gekrönt werden
konnte, und erhielt sie dann dem Uebereinkommen gemäss von Takauji
zurück. Statt aber nun den Dingen ihren Lauf zu lassen und, wie
erwartet wurde, zurückgezogen im Kloster bei Kiôto zu leben, er-
füllten die Nachrichten aus Yamato die Brust des Go-Daigô und
seines Anhanges, darunter die beiden Nitta, von neuem mit grossen
Hoffnungen. Dorthin hatte, wie oben erwähnt wurde, Kusunoki
Masayuki, der Sohn des Masashige, die Trümmer der kaiserlichen
Armee geflüchtet und reorganisiert, dorthin, nach Yoshino, begab sich
nun Go-Daigô insgeheim aus seinem Kloster. Er erliess abermals
[295]4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
eine Proclamation, worin er sich als den einzig rechtmässigen Erben
des göttlichen Vermächtnisses hinstellte und seine Gegner, die Usur-
patoren in Kiôto, in die Acht erklärte (1337). Von jetzt ab hat Japan
56 Jahre lang zwei Dynastien neben einander, diejenige des Uda II.
(Go-Uda-Tennô) in Yoshino, welche auch Nanchô oder Dynastie
des Südens genannt und als die legitime in der japanischen Geschichte
betrachtet wird, und die Dynastie des Nordens oder Hokuchô,
welche von Fushimi abstammt, in Kiôto. Man hat die inneren Kämpfe,
welche nunmehr von neuem über das Land hereinbrachen und die
trostlosesten Zustände schufen von allen, die Japan je kennen gelernt
hat, wohl auch nach Analogie des langen englischen Erbfolgekrieges
unter den beiden Rosen, den Krieg der Chrysanthemums genannt,
weil die Blüthe des Chrysanthemum indicum (jap. Kiku) gewisser-
massen das Sinnbild der Sonne und der kaiserlichen Autorität ist.
Takauji hatte neben manchen schlechten Eigenschaften, unter
denen seine Treulosigkeit erst gegen die Hôjô und dann gegen den
Kaiser obenan stehen, auch viele gute Seiten. So war er gewinnend
freundlich und dankbar gegen Alle, die ihm zur Seite standen, wohl-
wollend, versöhnlich selbst gegen seine Feinde. Er hatte das Glück,
eine Reihe tüchtiger Männer an sich und seine Familie zu fesseln,
vornehmlich die Hosokawa, Akamatsu, Hatakeyama, Shiba und Uye-
sugi, seine Vasallen, unter denen wohl Hosokawa-Yoriyuki, ein
Vorfahr der späteren Daimiofamilie von Higo, Allen voranstand. Als
Tai-Shôgun musste er seine Interessen in Kiôto wahren, während
sein Sohn Yoshimori unter dem einfachen Titel Shôgun in Kama-
kura residierte. Unter ihm führte ein Shikken (Premierminister) in
Kiôto die Regierung über die westlichen Provinzen, während von
Kamakura aus ein Kuwan-rei (Gouverneur) unter dem Shôgun die
Angelegenheiten der östlichen Provinzen leitete. Ashikaga-Tada-
tsune stand im Innern des Landes, engagiert durch Kämpfe gegen
die Anhänger Go-Daigô-Tennô’s in Echigo. Für dessen Sache kämpften
hier tapfer Fujiwara-no-Yoritomo und die beiden Nitta, wurden jedoch
endlich überwunden. Von Nitta-Yoshisada’s Ende im Jahre 1338 er-
zählt die Geschichte Folgendes:
Als Yoshisada in der Nähe von Fuchiu, der Hauptstadt von
Echizen, mit etwa fünfzig Begleitern ohne Schild auf einer Recogno-
scierung begriffen war, wurden sie plötzlich in einem Hohlwege von
etwa 3000 Feinden angegriffen. Einige baten Nitta, zu entfliehen.
Er aber antwortete: »Es ist nicht mein Wunsch, meine erschlagenen
Gefährten zu überleben«. Darauf kehrte er sein Pferd gegen den
Feind und vertheidigte sich mit seinem Schwerte, bis sein Pferd
[296]I. Geschichte des japanischen Volkes.
gefallen war und ihn selbst ein tödtlicher Pfeil ins Auge getroffen
hatte. Dann zog er den Pfeil heraus, nahm sein Schwert und hieb
sich selbst den Kopf ab, damit der Feind ihn nicht erkennen möge.
Alle seine Begleiter, die ihn noch überlebten, folgten seinem Beispiel.
Als man den Haufen kopfloser Leichname näher untersuchte, fand
man bei einem in einem Beutel den eigenhändigen Auftrag des Go-
Daigô, die Rebellen zu unterwerfen, und erkannte ihn damit. Er
wurde bei Fuchiu begraben, den Kopf aber sandte man nach Kiôto
und stellte ihn hier auf einem Pfahle öffentlich aus. Nitta Yoshisada
war erst 38 Jahre alt, als er starb. Sein ritterlicher Sinn, sein grosser
Heldenmuth und die unwandelbare Treue, mit welcher er seinem
Herrn zugethan war, haben ihm neben Yoshitsune, Kusunoki Masa-
shige und verschiedenen anderen Helden des japanischen Mittelalters
in der Achtung der Nachwelt einen hervorragenden Platz gesichert.
In Mutsu und Dewa verfügten die Anhänger der kaiserlichen
Sache über grössere Streitkräfte. Geführt vom jungen Takaye,
dem Sohne des Minamoto Akiye, erfochten sie sogar einige glänzende
Siege vor den Thoren von Kamakura. Unerfahrenheit, jugendliches
Ungestüm und der Wunsch, möglichst bald mit dem jüngeren Kusu-
noki in Yoshino zusammenzutreffen, verleiteten Takaye zu einem
Marsche gegen Kiôto, auf welchem er im Alter von 21 Jahren Schlacht
und Leben verlor.
Von den ferneren Ereignissen dieser Periode mögen hier nur die
wichtigsten weiter Erwähnung finden.
Go-Daigô-Tennô starb in Yoshino und überliess das bestrittene
Erbe seinem zwölfjährigen Sohne Norinaga, der nun als 97. Mikado
unter dem posthumen Titel Go-Murakami-Tennô 34 Jahre lang
(von 1339—1374) in Yoshino residiert, eine verhältnissmässig lange
Periode. Die officielle »Histoire du Japon«, welche gelegentlich der
letzten Pariser Ausstellung erschien, weiss wenig Nennenswerthes aus
ihr zu berichten. Die hervorragenden Helden von der kaiserlichen
Seite waren bald alle gestorben und das Ansehen der südlichen
Dynastie mit ihnen mehr und mehr geschwunden. Auf der an-
deren Seite abdicierte Kômiyo-Tennô 1349 zu Gunsten seines Neffen
Shûkô-Tennô, der aber schon nach drei Jahren abgesetzt wurde.
Ihm folgte von 1352—1371 Go-Kuwô-Tennô. Bald darauf starb,
53 Jahre alt, Ashikaga-Takauji. Ihm folgte sein Sohn Yoshimori
(1359—1367), worauf derselbe zu Gunsten seines Enkels Yoshimitsu
abdankte. Dieser regierte als Tai-Shôgun von 1367—1393, wo
er im Alter von 37 Jahren ebenfalls abdankte. Sein Tod fällt in
das Jahr 1409. Dies ist der grosse Ashikaga, welchen sein Gross-
[297]4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
vater noch dem Hosokawa-Yoriyuki warm empfohlen hatte.
Dieser leitete die Erziehung des jungen Prinzen auf das sorgfältigste
und stattete ihn nicht blos mit einem reichen Wissen aus, sondern
gewöhnte ihn frühzeitig auch an die Uebung aller ritterlichen Tugen-
den der damaligen Zeit. Dieser Kuwan-rio-Hosokawa war eine
Leuchte seiner Zeit in Bezug auf Wissen und Wollen, ein Mann von
streng rechtlicher Gesinnung und mit der nöthigen Energie, den Uebel-
thätern zu Leibe zu gehen.
Um das Jahr 1392, als die Sache der südlichen Dynastie be-
sonders schlecht stand, schlug Shôgun Ashikaga-Yoshimitsu dem
Gô-Kameyama-Tennô (Nachfolger von Go-Murakami-Tennô) den
Frieden vor und zwar unter gleichen Bedingungen, wie er früher
zwischen seinem Grossvater Takauji und Go-Daigô vereinbart, von
diesem aber alsbald wieder gebrochen worden war. Kameyama
willigte ein, kam mit den Reichsinsignien nach Kiôto, händigte die-
selben seinem bisherigen Gegner Go-Komatsu-Tennô aus, so dass
mit diesem noch nachträglich das sôkui (die öffentliche Krönung)
vorgenommen werden konnte, und zog sich zurück. Die japanischen
Annalen zählen daher die Regierungsjahre des Komatsu II. nur vom
Krönungsact an und bringen die früheren 10 Jahre Regierungszeit
nicht in Betracht. Als 99. Mikado fungierte er nach denselben von
1392—1412.
Für kurze Zeit hatte nun das Land Ruhe, deren es so sehr be-
durfte; denn in Folge der beständigen Bürgerkriege waren die consti-
tutionellen Gewalten in völlige Auflösung gerathen, namentlich in den
von den Hauptstädten entfernteren Landestheilen. Der Landmann war
ausgesogen, sein Muth gebrochen, die Hoffnung auf Besserung bei
ihm geschwunden. So verträumte er sein elendes Dasein und liess
die Felder unbebaut. Räuberbanden folgten den Kriegsheeren im
Landesinnern und vermehrten ihre Schrecken und das Gefühl der
Rechtlosigkeit und Unsicherheit. Die Küstenbevölkerung, namentlich
diejenige der Insel Kiushiu, hatte sich massenhaft dem Seeraub er-
geben. Selbst an den Küsten von Korea und China erschienen diese
unternehmenden japanischen Seeräuber. Der Schrecken, welchen sie
allenthalben verbreiteten, war so gross, dass er wie Gespensterglaube
von Generation auf Generation weiter verpflanzt wurde und noch
heutigen Tages die Mütter an chinesischen Küstenstrichen ihren Kin-
dern, wenn sie nicht einschlafen wollen, mit den japanischen Corsaren
drohen*).
[298]I. Geschichte des japanischen Volkes.
In Kiushiu hatte die einflussreiche Familie Kikuji gleich ver-
schiedenen anderen dieses Corsarenthum wesentlich unterstützt und
grossen Vortheil daraus gezogen. Ein Glied derselben, Namens Take-
masa, machte einen grossen Hof und lebte in fürstlicher Pracht.
Wiederholt empfing und entliess er mit reichen Geschenken und hohen
Versprechungen Gesandtschaften, welche die Höfe von China und
Korea nach Japan beordert hatten, um wegen dieses Räuberwesens
Vorstellungen und Beschwerden zu erheben, ohne dass dieselben ihr
Ziel erreicht und bis zur Regierung in Yoshino oder Kiôto gelangt
wären. Eine neue koreanische Gesandtschaft drang endlich durch.
Yoshimitsu, der thatkräftige Shôgun, vernahm ihre Klagen, und da
dies in die Zeit der Aussöhnung beider Dynastien fiel, konnte er auch
Abhülfe schaffen und unter anderem mehrere hundert Koreaner, welche
jene Seeräuber nach Kiushiu geschleppt hatten, ihrem Vaterlande zu-
rückgeben. China versäumte nicht, ihm hierfür seinen Dank abzu-
statten. Diese Ereignisse fallen in die erste Zeit der Ming. Nach-
dem diese Dynastie die Tatarenherrschaft abgeschüttelt und im Innern
Chinas wieder geordnete Zustände geschaffen hatte, warf sie ihren
Blick auf die Küsten und bemühte sich hier ebenfalls, die lang ent-
behrte Sicherheit wiederzuschaffen. Durch das Entgegenkommen und
die Mitwirkung Japans gelang dies auch. Für beide Länder erwuchs
daraus ein freundlicher gegenseitiger Verkehr, der indess verschieden
gedeutet wird. China war damals in den Augen der gebildeten Ja-
paner das mustergültige Land, und die grösste Staatsweisheit der-
selben bestand darin, dasselbe nachzuahmen. Freundliche Beziehungen
zu ihm sah man daher als einen grossen Vortheil für Japan an. Nun
scheint es aber, dass der Shôgun Ashikaga-Yoshimitsu in seinem Be-
streben, solche zu schaffen, zu weit ging, indem er Japan in eine
Art Abhängigkeitsverhältniss zu China brachte. Um das Jahr 1400
nahm er, wie aus chinesischen und japanischen Annalen hervorgeht,
vom chinesischen Kaiser Sing-Sung-Hoan-ti den Titel Jippan-nang
(Nippon-ô), König von Japan, an und verpflichtete sich zur Zahlung
eines jährlichen Tributs von 1000 Unzen Gold. Die Japaner, deren
Patriotismus dies ungern zugiebt, deuten dies so, dass jene Summe
*)
[299]4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
nicht sowohl ein Tribut, als vielmehr eine Entschädigung gewesen
sei für die Verluste, welche japanische Seeräuber den chinesischen
Küsten zugefügt hatten.
In Kiôto entfaltete Yoshimitsu grossen Glanz. Die beiden Tempel
Kinkakuji und Ginkakuji (Gold- und Silberhaus) in der Nähe der
Stadt, welche ihrer Gartenanlagen wegen zu den grossen Sehens-
würdigkeiten der südlichen Hauptstadt gerechnet werden, verdanken
ihm ihren Ruf.
Bald nach dem Tode des Yoshimitsu gab es neue Zerwürfnisse
mancherlei Art, nicht bloss wegen der Erbfolge in der Kaiserwürde
und dem Shôgunat, sondern auch unter den grossen Vasallen des
Landes, durch welche weitere anderthalb hundert Jahre hindurch das
Land verwüstet wurde. Viele Vasallen waren übermächtig geworden
und kümmerten sich wenig um Kaiser und Reich, oder nur dann,
wenn ihre eigenen Interessen mit ins Spiel kamen. Ihre Fehden
unter einander nahmen kein Ende. So führten beispielsweise die
mächtigen Häuser Takeda von Kôshiu und Uyesugi von Echizen
viele Jahre hindurch Krieg mit einander. Es war dies ein alljähr-
lich wiederkehrendes Sommervergnügen für Takeda-Shingen, bei dem
es sogar ganz ritterlich und commentmässig herging. Die meisten
bedeutenden Daimio (grosse Namen) der Folgezeit, wie die Shimadzu,
Hosokawa, Ôtomo, Môri, Tokugawa, Hôjô (von Odawara), Takeda,
Maëda, Satake, Ota etc. legten in ihr den Grund zu ihrer Herrschaft,
oder erweiterten und befestigten dieselbe. Ihre Vasallen, die Kerai
oder Samuraiklasse, fühlten sich nur noch in ihren Beziehungen zum
nächsten Lehnsherrn, dem sie blindlings folgten, ob es galt für oder
gegen den Mikado das Schwert zu ziehen*).
Wie gross der materielle Ruin des Landes und wie gesunken das
Ansehen des Mikado in der letzten Hälfte dieser Periode waren, beweist
auch die Thatsache, dass, als im Jahre 1500 Go-Tsuchi-Tennô,
der 102. Mikado, in Kiôto starb, sein Leichnam 40 Tage lang an
den Thoren des Schlosses aufbewahrt werden musste, weil es an den
nöthigen Mitteln fehlte, die Kosten der vorschriftsmässigen Beerdigung
zu bestreiten. M. v. Brandt, welcher dieses interessante Factum
erwähnt**), weist sehr passend darauf hin, dass es in die Zeit fällt,
[300]I. Geschichte des japanischen Volkes.
wo Columbus noch immer bestrebt war, den westlichen Weg nach
Zipangu und Cathai und ihren von Marco Polo so sehr gerühmten
Schätzen zu finden.
Zu den Schrecken des nie endenden Bürgerkrieges kamen in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts häufig gewaltige Erdbeben, Dürre
und Misswachs, Hungersnoth und verheerende Krankheiten und ver-
mehrten das Elend und die Noth, unter welchen die Masse der Be-
völkerung ohne Aussicht auf Erlösung seufzte. Selbst der Trost der
Religion fehlte, denn die buddhistische Priesterschaft war der hohen
Aufgabe, solchen zu bringen, welche Siddhârtha ihr einst zugedacht
hatte, längst entfremdet. Im Streben nach Macht und Einfluss nahm
sie an allen Händeln und Intriguen der Zeit lebhaften Antheil, im
genusssüchtigen, ausschweifenden Leben stand sie den Grossen nicht
nach. Ihre Klöster waren Festungen, in welchen nur der grosse po-
litische Kartenspieler, nicht der unterdrückte gemeine Mann Trost
und Hülfe fand. Handel und Gewerbe, ausser denen, welche der
Ausrüstung des Kriegers dienten, lagen ganz danieder; immer allge-
meiner und tiefer greifend wurde die Verwilderung. Manche Stadt,
manches glückliche Heim wurde ein Raub der Flammen; die es be-
sessen, irrten umher. Das Land verödete, denn die es hätten be-
bauen können, waren verscheucht oder zu Frohndiensten für militä-
rische Zwecke in Anspruch genommen.
»Um das Jahr 1545«, so erzählt Dickson, »war Kiôto so redu-
ciert, dass Niemand darin leben konnte, und wer es dennoch wagte,
sich in den Ruinen aufzuhalten, riskierte entweder verbrannt oder
ermordet zu werden, oder sonst Hungers zu sterben. Die Kuge (der
Hofadel) hatten die Stadt verlassen und bei Buke (Feudalherren) in
der Provinz Obdach und Schutz gesucht«.
Dies ist in kurzen Zügen das Bild Japans um die Mitte des
16. Jahrhunderts während der letzten Jahrzehnte des Shôgunats der
Ashikaga. Es war die Zeit der grössten politischen Verwirrung, der
rechtlosesten und trübseligsten Zustände, welche die Geschichte des
Landes aufzuweisen hat. Da fiel plötzlich mitten in diese Finsterniss
und schaudererregenden Verhältnisse hinein aus dem fernen Abend-
lande ein Lichtstrahl, an dem sich bald viele Tausende erwärmen und
wieder aufrichten sollten, der Lichtstrahl des Evangeliums. Es waren
»die Waffen und die hochberühmten Helden, die von dem Westge-
stade Portugals in früher niemals noch durchschifften Meeren sogar
bis jenseits Taprobana *) drangen« —, welche ihm den Weg bahnten.
[301]4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
Fernão Mendez Pinto, ein portugiesischer Abenteurer, der fast
alle durch seine Landsleute erschlossenen Meere durchfahren und die
von ihnen eroberten Länder bereist hatte, war der Pionier, welcher
zuerst nach den japanischen Inseln gelangte und Europa über die-
selben die ersten näheren Nachrichten brachte, die schon der Sänger
in Macao (Camoẽns) dann weiter verwerthete, indem er X 131 seiner
Louisiaden sagt: »Doch übersieh die Inseln nicht im Meer, womit
sich die Natur mehr schmücken wollte. Die halb verborgne, welche
dort der Küste Chinas entspricht, von wo man sie entdeckte, ist
Japan, die so feines Silber zeugt und einst vom göttlichen Gesetz
erhellt wird«.
Die Entdeckung Japans durch Mendez Pinto fällt in das Jahr
1542, in die Zeit, wo Martin Affonso de Sosa Generalcapitän von
portugiesisch Indien wurde und dieses mit den Entdeckungen und
Eroberungen an der Ostküste Asiens seine grösste Ausdehnung erlangt
hatte. Mit Affonso de Sosa war einer der eifrigsten Schüler Loyola’s,
Namens Francisco Xavier, nach Goa gelangt, den man später
den Apostel Japans genannt hat.
Mendez Pinto hat uns die näheren Umstände, unter welchen er
nach Japan gelangte, selbst erzählt. Die Geschichte seiner Erlebnisse
in den chinesischen Gewässern ist so verwickelt, und was er von dem
neu entdeckten Lande und Volke berichtete, klang so fremdartig,
dass man lange die Wahrhaftigkeit seiner Erzählung bezweifelt und
seinen Namen Mendez als gleichbedeutend mit Mendaz, Lügner, be-
handelt hat*).
Besondere Umstände hatten Mendez Pinto, Diego Zaimoto und einen
dritten Portugiesen, Namens Christobal Baralho, veranlasst, an Bord
der Dschunke eines chinesischen Piraten zu gehen, um von Cochin-
china zurück nach China zu gelangen. Im Kampfe mit einem anderen
Piraten war dann diese Dschunke von ihrer Begleitung getrennt und
hierauf durch einen Sturm verhindert worden, auf den Riukiu-Inseln
[302]I. Geschichte des japanischen Volkes.
zu landen, wie der Führer des Schiffes beabsichtigt hatte. Nach
einer mühseligen Irrfahrt von 23 Tagen im offenen Meere gewahrten
sie dann eine fremde Insel, der sie zusteuerten. Es war Tanega-
shima (Tanixumah bei Pinto) im Süden von Kiushiu, und Kura
der Ort, wo sie landeten. Sie fanden freundliche Aufnahme, wurden
aber mit ihrem Boote nach der Hafenstadt Akaoki (Miaygimah bei
Pinto) verwiesen. Bald nach ihrer Ankunft kam der Statthalter mit
Gefolge an Bord, der sie gründlich ausfragte. Eine alte Frau von
den Lekios-Inseln (Liukiu oder Riukiu), welche die Sprache des
chinesischen Capitäns verstand, diente als Dolmetsch. Die Geschichte
der Portugiesen und was sie von ihrer fernen Heimath erzählten
interessierte im höchsten Grade; auch erregten ihre Waffen und Bärte
nicht geringes Aufsehen. Hierauf lud sie der Statthalter zum nächsten
Tage alle zu sich ein, damit sie ihm noch weiter erzählen sollten,
denn dies interessierte ihn weit mehr als die Waaren, welche der
Necoda (so nennt Pinto seinen Capitän) mitgebracht hatte. Nachdem
er sich verabschiedet hatte, kam eine Barke und brachte ihnen in
seinem Auftrage allerlei Erfrischungen, worunter Weintrauben, Me-
lonen und Birnen. Am folgenden Tage begab man sich zum Nanta-
quin (dem Statthalter) und hatte sich der herzlichsten Aufnahme zu
erfreuen. Der Necoda wurde veranlasst, in einem besonderen Ge-
bäude seine Waaren vor den herbeigerufenen einheimischen Kaufleuten
auszubreiten, und verkaufte sie bald mit hohem Gewinn. Die Portu-
giesen aber, welche offenbar nach der Landesanschauung einer höheren
Gesellschaftsklasse zugerechnet wurden, erhielten ein eigenes Haus in
der Nähe des Gouverneurs überwiesen und konnten sich mit Jagd
und anderen Dingen vergnügen.
Die Glaubwürdigkeit dieses Berichtes wird noch erhöht durch
die sonstigen Bemerkungen über die Schönheit der Tempel und das
freundliche Entgegenkommen ihrer Priester, der Bonzen. Ausdrück-
lich betont Pinto, dass Freundlichkeit ein sehr angenehmer Zug des
japanischen Charakters sei.
Das grösste Aufsehen erregte Zaimoto, ein guter Schütze, mit
seiner Flinte. Als er die ersten paar Enten mit ihr erlegt hatte,
eilten die Zuschauer, welche keinen Begriff von der Beschaffenheit
und Wirkung der Schusswaffen hatten, zum Statthalter Tokitaka und
erzählten ihm das grosse Wunder. Dieser aber liess sich die Arke-
buse zeigen und war davon so entzückt, dass er Zaimoto als Sohn
adoptierte und mit Ehren überhäufte, die theilweise auch seinen Ge-
fährten zu Gute kamen. Zaimoto machte die Flinte dem Nantaquin
zum Geschenk und lehrte die Japaner die Bereitung des Schiess-
[303]4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
pulvers. Pinto rühmt die grosse Geschicklichkeit der Leute, denen
es bald gelang, eine gleich gute Waffe nachzumachen und anzu-
wenden. »Als wir nach etwa sechs Monaten die Insel verliessen«,
sagt er, »waren schon über 600 Feuergewehre vorhanden und später,
als mich der Vicekönig Alphonso de Noronha im Jahre 1556 nach
Japan sandte, waren schon alle Städte dieses Reiches reichlich mit
dieser Waffe versehen«. Dabei hebt Pinto auch hervor, dass die
Japaner grossen Gefallen am Kriegshandwerk finden und darin alle
benachbarten Völker übertreffen.
Die Nachricht von der Ankunft des Pinto und seiner Gefährten
auf Tanega-shima war allmählich auch nach Funai zu Ôtomo (Orgemdo
schreibt Pinto), dem Fürsten von Bungo und Hakata gekommen. Er
hatte viel über die Fremdlinge und ihre wunderbare Waffe gehört,
auch dass sie, wie die Samurai, Schwerter trügen, auf Ehre hielten
und keine Kaufleute seien. Dies veranlasste ihn, den alten gicht-
geplagten Mann, einen Gesandten an den Nantaquin von Tanega-shima,
seinen Schwiegersohn, mit einem langen Briefe zu senden und ihn
zu bitten, ihm einen der Fremdlinge zu übersenden. Der Statthalter
theilte diesen Wunsch seines Schwiegervaters mit und bemerkte, dass
er Zaimoto nicht gern entbehren möchte. Da stellten sich Pinto und
Boralho zur Verfügung. Der Statthalter wählte Pinto als den heiteren,
der eher im Stande sei, seinem kranken Schwiegervater Kurzweile
zu bringen. Bald ging Pinto mit dem Gesandten an Bord und trat
die Reise an. Man legte an mehreren Küstenplätzen an und gelangte
endlich im Jahre 1543 nach Funai, welches von da ab das Hauptziel
der bald folgenden portugiesischen Immigration wurde*).
Pinto wurde aufs freundlichste empfangen und erregte namentlich
mit seiner Arkebuse das grösste Aufsehen. Jedoch hätte ihn der
Umstand, dass der siebenzehnjährige Prinz einmal in Pinto’s Wohnung
ohne dessen Wissen damit spielte, dabei den Lauf zersprengte und
sich schwer an Stirn und Hand verletzte, beinahe das Leben gekostet,
wenn nicht der Prinz noch rechtzeitig dem erzürnten Hofe gegenüber,
welcher herbeigeeilt war, Pinto’s Unschuld an dem Vorfalle betheuert
hätte. Glücklicherweise gelang es diesem auch, die Wunden zu
heilen. Er wurde reich beschenkt und konnte endlich in einer Barke
des Fürsten nach Tanega-shima zu seinen Gefährten zurücksegeln und
[304]I. Geschichte des japanischen Volkes.
bald darauf mit diesen und dem chinesischen Corsaren sich nach
China einschiffen. Hier landete man in Liampo (Ningpo?).
Die Berichte über das japanische Volk, seine Reichthümer und
den grossen Gewinn, welchen der Pirat an seinen Waaren gemacht
hatte, verlockten Viele zur Nachahmung. In grösster Eile rüsteten
andere in Ningpo ansässige Portugiesen, wie auch Chinesen, neun
Dschunken aus, und auch Pinto liess sich verleiten, sein Geld in diese
Speculation zu stecken und an der Befrachtung einer dieser Dschunken
Theil zu nehmen. Die kleine Handelsflottille wurde bei den Sand-
bänken von Gotom (Gôtô?) vom Sturm erfasst und alle Schiffe bis
auf zwei vernichtet. Auf einer dieser beiden Dschunken befand sich
Pinto. Doch kam ein neues Unwetter, vernichtete auch diese beiden
Fahrzeuge und die meisten Insassen derselben, so dass nur 24 Männer,
wobei Pinto, und einige Frauen auf Gross-Lekio (Gross-Riukiu)*)
das nackte Leben retteten. Die Aufnahme war hier Anfangs keine
freundliche, ja eine Zeit lang schien es, als ob die Unglücklichen
aus Neptun’s Gewalt nur gerettet worden seien, um dem Schwerte
anheimzufallen. Endlich aber fanden sie auch hier mitleidige Men-
schen, wurden bewirthet und reich beschenkt auf einer chinesischen
Dschunke nach Ningpo zurückgesandt.
Durch den unglücklichen Ausgang dieses ersten kaufmännischen
Unternehmens liessen sich die an der Küste Chinas ansässigen Portu-
giesen jedoch nicht abschrecken. Erneute Versuche, von Ningpo und
Macao aus unternommen, hatten bald bessere Resultate zur Folge.
Die Feudalherren im südlichen Japan begünstigten diesen neuen Han-
del, der ihnen Geld und bessere Waffen zuführte und sie somit in
ihren Fehden wesentlich unterstützte.
In jener Zeit folgte dem Kaufmann auch bald der Missionär.
Nicht immer waren sie Friedensbringer. Nur zu oft gingen Handel
und Seeraub, Schwert und Kreuz eng zusammen und arbeiteten für
einander zum Schaden der christlichen Sache. Der Geist der Zeit
hatte auch viele Verkünder des Evangeliums erfasst, so dass ihr
Leben oft nicht der hohen Lehre entsprach, welche sie unter den
Heiden zu verbreiten suchten. Einmischung in weltliche Angelegen-
heiten, Streben nach Reichthum und Macht sind die Dinge, welche
man mit Recht der Kirche vorwarf. Francisco Xavier, der Apostel
Japans, war nicht von diesem Schlage; ein wahrhafter Diener der Reli-
gion, strebte er nicht nach eitlem Ruhme, noch nach Gold (Cams. X. 150).
[305]4. Periode. Das Shôgunat der Ashikaga vom Falle der Hôjô etc.
Er bot ein seltenes Beispiel von Anspruchslosigkeit und Sittenreinheit,
entsprechend der Begeisterung und Ueberzeugungstreue, mit welcher
er Gottes Wort unter den Japanern verkündete. Es geschah dies zuerst
1549 in Kagoshima, der Hauptstadt von Satsuma. Dorthin war Xavier
von Malacca aus in Begleitung zweier andern Jesuiten, Balthasar de
Torres und Johann Fernandez, und eines Japaners auf einer chinesi-
schen Dschunke gekommen und hatte bei dem Hause Shimadzu, der
Daimiofamilie, und der Bevölkerung eine freundliche Aufnahme ge-
funden. Als Dolmetscher diente ihm sein japanischer Begleiter Anjiro,
ein junger Samurai, der seinerzeit eines Mordes wegen auf das Cor-
sarenschiff nach Tanega-shima geflüchtet und dann mit Pinto und seinen
Begleitern nach Macao gelangt war. Später kam er nach Goa, lernte
portugiesisch, wurde Christ und auf den Namen Paul getauft und war
wohl für Xavier eine Haupttriebfeder in seinen Entschlüssen.
Auf Xavier machten die Japaner den günstigsten Eindruck. In
seinen Epistolae Japonicae wünscht er sich Glück, dass er hier keine
frechen Mohamedaner, noch schmutzige Juden treffe. Keine andere
ungläubige Nation habe ihm so sehr gefallen als diese, die sich so
gesittet und gutmüthig benehme und so frei von Falschheit und Bosheit
sei. An einer anderen Stelle verleiht er von neuem diesen Eindrücken
Worte, indem er sagt: »Ich kann nicht aufhören, diese Japaner zu
loben, ich bin wahrhaft entzückt von ihnen«.
Die Hoffnungen, welche Xavier an diese ersten Eindrücke knüpfte,
sollten sich jedoch nicht verwirklichen. Der Daimio war missmuthig
darüber, dass die portugiesischen Kaufleute Waffen und Handelsvor-
theile seinem Gegner Ôtomo von Bungo gebracht hatten und nicht
ihm. Hierzu kam der Einfluss der Priester, welche ihn warnten, die
neue Lehre zu begünstigen, und so musste Xavier bald mit seiner
Begleitung Kagoshima wieder verlassen. Sie begaben sich nach
Hirado, dann nach Nagato und Bungo und wurden überall aufs beste
empfangen. Auch gelang es ihnen hier bald, christliche Gemeinden
zu gründen.
Von Yamaguchi in Nagato aus reiste Xavier 1550 zu Fuss nach
Kiôto (Miyako). Krieg erfüllte das Land, und bewaffnete Banden
machten die Strasse unsicher. In der Hauptstadt fand der fromme
Pilger statt des von Marco Polo geschilderten Glanzes Ruinen, Verwir-
rung und Elend. Er wollte den Kubosama (Shôgun) und den Dairi
(Mikado) sprechen, konnte aber dies Ziel nicht erreichen. Seine arm-
selige Kleidung und das bescheidene Auftreten machten ihn verächt-
lich. Er tröstete sich, als er hörte, dass beide, Mikado und Shôgun,
nur geringen Einfluss im Lande hätten. In den Strassen, wo er dann
Rein, Japan I. 20
[306]I. Geschichte des japanischen Volkes.
predigte, hörte ihm Niemand zu, weil Kriegslärm und Sorge die Be-
wohner beängstigte. So kehrte er denn nach vierzehntägigem Auf-
enthalte der Stadt den Rücken, um nach Funai in Bungo zurückzu-
kehren. Hier verweilte er noch mehrere Monate, hatte manchen
Streit mit den Bonzen, gegen die ihn der Daimio in Schutz nahm, und
schiffte sich dann auf dem Schiffe des Duarte de Gama nach Macao
ein (1551). Er starb bald darauf auf der Insel Shanshan am Kanton-
flusse am 2. December 1551. Die Saat, die er nach Japan getragen
und die andere Missionäre nach ihm weiter pflanzten und begossen,
trug bald ihre Früchte. Besondere Umstände förderten das Missions-
werk, so dass schon nach zwei Decennien die Zahl der Christen in
Japan auf über 30000 geschätzt wurde. Das Nähere über die Fort-
entwickelung des Christenthums, seine Widersacher und die endliche
Vernichtung desselben soll bei Besprechung der weiteren politischen
Ereignisse in den beiden folgenden Kapiteln angegeben werden.
5. Periode.
Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren
(1573—1603 n. Chr.), Nobunaga, Hideyoshi, Expedition
nach Korea, Schlacht bei Sekigahara.
Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ist die interessanteste
und wichtigste Epoche in der Geschichte des japanischen Mittelalters,
das mit ihr abschliesst. Es ist die Zeit der Ausbreitung des Christen-
thums und der ersten blutigen Verfolgungen desselben, die Zeit der
grössten Machtentfaltung des Landes nach Aussen und der folgen-
schwersten Umgestaltungen im Innern. An der Spitze der bedeuten-
den Ereignisse, welche wir für diese Periode zu betrachten haben,
stehen drei berühmte Namen, die gewaltigsten und bedeutendsten
Männer, welche Japan hervorgebracht hat, Nobunaga, Hideyoshi
und Iyeyasu, doch fällt die Hauptrolle des letzteren in den Anfang
des 17. Jahrhunderts.
Wir haben gesehen, dass unter der Dynastie der Ashikaga Japan
nie zum inneren Frieden kam, Bürgerkriege ohne Ende dasselbe ver-
wüsteten, Leben und Eigenthum in den Händen der Gewaltigen lagen,
Druck, Armuth und Noth das Loos des Bürgers und Landmannes
waren, dass die Mikado und Shôgune jener Epoche meist wenig An-
sehen und Einfluss, die Gesetze keine Vertheidiger hatten, und dass
diese verwirrten, trostlosen Zustände namentlich um die Mitte des
[307]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
16. Jahrhunderts aller Beschreibung spotteten. Da trat plötzlich ein
Mann auf und suchte nicht ohne Erfolg mit eiserner Faust das poli-
tische und sociale Gewebe zu zerreissen und von neuem Zucht und
Ordnung herzustellen. Dieser Mann war Ota Nobunaga.
Die Familie Ota war von Taira-Abstammung und von Ota
Chikazane, einem Grossenkel des Taira Kiyomori, gegründet wor-
den. Seinen Vater Sukemori hatten die Minamoto getödtet. Darauf
war seine Mutter mit ihm nach dem Dorfe Tsuda in Ômi geflohen
und hatte sich hier mit dem Nanushi (Ortsvorsteher) wieder verhei-
rathet. Nun war eines Tages ein Shintôpriester vom Dorfe Ota nicht
weit von Fukiu in Echizen auf seinem Wege nach Kiôto beim Nanushi
in Tsuda eingekehrt und hatte denselben gebeten, ihm einen seiner
Söhne zu übergeben, den er adoptieren und zu seinem Nachfolger
machen wolle. Man übergab ihm Kiyomori’s Grossenkel, der von
nun ab den Namen Ota Chikazane erhielt, Shintôpriester wurde,
heirathete und eine Nachkommenschaft hinterliess, die theilweise
wieder zum Waffenhandwerk ihrer Vorfahren zurückkehrte. Zwei
derselben erwarben sich durch ihre Tapferkeit grossen Ruhm, Ota
Nobunaga und Shibata Katsuye. Zu dem Erbe, welches Ota
Nobunaga 1542 in Owari vorfand, gewann sein Kriegsglück ihm bald
Suruga, Mino, Ômi, Mikawa, Ise und Echizen, so dass er der mäch-
tigste Feudalherr des Landes wurde. Dabei war er nicht wählerisch
in seinen Mitteln und scheute sich nicht, 1557 seinen eigenen jüngeren
Bruder und 1564 seinen Schwiegervater, den Herrn von Mino zu Gifu,
zu tödten und ihre Besitzthümer an sich zu reissen, als diese seinem
Streben nach Gewalt und Einfluss entgegentraten. Nach der Ein-
nahme von Gifu verlegte er seine Residenz von Nagoya hierher. Der
Ruf von seiner grossen Tapferkeit und seinem ungewöhnlichen Kriegs-
glück drang zum Hofe und bestimmte den Mikado Oki Machi, ihn
aufzufordern, die Pacification des Landes zu übernehmen. Gleichzeitig
wandte sich Ashikaga Yoshiaki an ihn mit der Bitte, ihm das
Shôgunat zu verschaffen. Beiden Aufforderungen suchte er zu ent-
sprechen, rückte mit Yoshiaki an der Spitze eines mächtigen Heeres
in Kiôto ein, trieb den bisherigen Shôgun Hisahide und seinen
Anhang in die Flucht und bewirkte für Yoshiaki die Nachfolge (1568).
Da diesem jedoch die bescheidene Rolle, welche ihm sein Patron zu-
kommen liess, nicht zusagte, zettelte er gegen Nobunaga eine Ver-
schwörung an und bewirkte damit, dass dieser ihn 1573 absetzte.
Hiermit endete das Shôgunat der Ashikaga. Die Würde eines Sei-i-
tai-shôgun blieb frei bis zum Jahre 1603, wo Tokugawa Iyeyasu für
sich und seine Nachkommen damit belehnt wurde.
20*
[308]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Nobunaga’s Einzug und Aufenthalt in Kiôto erwies sich sehr
heilsam für die Stadt und das Land. Sicherheit, Ruhe und Ordnung
kehrten wieder, und es konnte der Bürger von neuem seinem fried-
lichen Berufe nachgehen. Heianjô, die kaiserliche Burg, wurde
wieder hergestellt und für Nobunaga selbst ein grosses Schloss mit
Festungswerken auf der Westseite der Stadt erbaut. Dies ist Nijô,
das später die Tokugawa besassen und jetzt als Regierungsgebäude
für Kiôto-fu dient. Nobunaga sorgte ferner für die Verbesserung und
Sicherheit der Landstrassen und erwarb sich hierdurch viel Verdienst
um das Land, welches der Mikado durch seine Ernennung zum
Udaijin und später zum Naidaijin anerkannte.
Nobunaga strebte danach, im Namen des Mikado das Land zu
regieren. Noch standen zwei mächtige Feinde der Verwirklichung
dieses Zieles hindernd im Wege, die buddhistische Priesterschaft und
die ungebrochene Macht der grossen und factisch selbständigen Feu-
dalherren in den ferneren Landestheilen. Sie führten ihre blutigen
Fehden unbekümmert um die Vorgänge in Kiôto weiter. Der Zweck
eines Jeden war, den Nachbar und Gegner womöglich zu vernichten,
um durch dessen Herrschaft die eigene zu vermehren. So standen
sich in Kiushiu das Haus Ôtomo von Bungo und das Haus Shimatsu
von Satsuma gegenüber. Ersteres kämpfte ausserdem mit Môri, dem
mächtigen Fürsten von Yamaguchi in Suwo, welcher ausser dieser
Provinz noch neun andere in seine Gewalt gebracht hatte. Im Ku-
wantô wehrte sich Takeda von Kai gegen Hôjô von Odawa, mit dem
Nobunaga und Iyeyasu gemeinsame Sache machten. In diesem ver-
zweifelten Kampfe nahm sich schliesslich der letzte Takeda auf dem
Ten-moku-san das Leben (Ten-moku-san Kassen), als seine Armee
vernichtet und sein Land verloren war. Auch in vielen anderen Ge-
bieten war der Kampf um Herrschaft und Besitz noch im Gange.
Fünf berühmte Heerführer standen Nobunaga zur Seite, Hideyoshi,
Goroza, Shibata, Ikeda und Iyeyasu, von denen namentlich der erste
und letztgenannte unter seiner Führung zu stets wachsendem Einfluss
und Ruhme gelangten. Mit ihnen wäre es ihm wohl schliesslich
sicher gelungen, den Willen seiner mächtigsten Gegner in Waffen zu
beugen und das Land zur Ruhe zu bringen. Ein grosses Hinderniss
an der Erreichung dieses Zieles schien ihm die Macht und der Ein-
fluss der entarteten buddhistischen Priesterschaft zu sein. Diese zu
brechen, war sein ernster Wille, und er wählte zwei Wege, ihn durch-
zuführen. Zunächst begünstigte er die neue Lehre, das Christen-
thum, welches überall Wurzeln fasste, indem er seinen Verkündern
Land zur Errichtung von Kirchen anweisen liess und sie gegen die
[309]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
Anfeindung der Bonzen in Schutz nahm. Sodann ging er direkt mit
dem Schwerte vor, um ihre Festen, in welche manche buddhistische
Klöster sich verwandelt hatten, zu brechen. So kam es denn, dass
Nobunaga von den Buddhisten als Dämon und Wütherich angesehen
wurde, der bemüht war, ihren Glauben auszurotten, während die
Jesuiten und Historiographen der Kirche in Japan ihn als Freund
und Gönner ihrer Sache rühmen.
Unter den buddhistischen Klöstern hatten namentlich zwei durch
ihren grossen Reichthum und Einfluss, sowie als Festungen, in wel-
chen Nobunaga’s Gegner stets Zuflucht und Stütze fanden, seinen
Zorn erregt, nämlich das der Tendai-Secte auf dem Hiyesan am
Biwasee und Hoanji, das mächtige Kloster der Shin- oder Ikko-Secte
in Ôsaka, das spätere Schloss dieser Stadt.
Zu Seta am Nakasendô und Ausfluss des Biwasees, den Hiyesan
und seine Klöster in Sicht, war es, wo Nobunaga im Jahre 1571
seinen Heerführern befahl, diese Mönchssitze mit Feuer und Schwert
auszurotten. Vergeblich waren alle Hinweise auf Alter und hohen
Ruf derselben und alle Bitten, den Befehl zurückzunehmen. Nobu-
naga’s Antwort lautete: »Diese Bonzen gehorchten nie meinem Befehl,
sondern unterstützten stets die schlechten Kerle und widerstehen so
der kaiserlichen Armee. Wenn ich sie jetzt nicht wegschaffe, wird
diese Noth immer fortdauern. Ueberdies habe ich gehört, dass diese
Priester ihre eigenen Regeln übertreten. Sie essen Fische und stin-
kende Kräuter *), halten sich Concubinen und rollen die heiligen
Schriften zusammen, statt darin zu lesen und zu beten. Wie können
sie Wächter gegen das Böse **) und Bewahrer der Gerechtigkeit
sein?« — Am folgenden Tage wurde sein Befehl ausgeführt und
Nichts geschont, vielmehr durch das Schwert vernichtet, was das
Feuer übrig liess.
Zu Azuchiyama am Biwa-See hatte sich Nobunaga ein prächtiges
Schloss erbaut und nicht weit davon auch den Jesuiten einen Platz
zur Niederlassung angewiesen. Zwei mächtige buddhistische Secten,
die Nichiren und Jôdô, kamen hier im Jahre 1579 zu einem
Religionsgespräche vor Nobunaga zusammen, über welches noch ein
Buch existiert, das Azuchi-Ron (Religionsstreit von Azuchi). Bei
der Gelegenheit entwickelte ein Zweig der Jôdô in den Augen des
Nobunaga so staatsgefährliche Ideen, dass ihn dieser unterdrückte.
[310]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Endlich im Jahre 1580 ging Nobunaga auch gegen Hoganji in
Ôsaka ernstlich vor. Seit 12 Jahren waren die Bonzen dieses be-
festigten Klosters seine erklärten Feinde. Die Belagerung kostete
auf beiden Seiten viele Opfer. Schliesslich legte sich noch der Mikado
ins Mittel und bewirkte den Insassen, unter denen eine Menge Flücht-
linge sich befanden, gegen Uebergabe freien Abzug.
Zwei Jahre später, als Nobunaga noch in der Fülle seiner Körper-
kraft, seiner Macht und seines Ansehens stand, ereilte ihn in Kiôto
ein gewaltsamer Tod. Er hatte kurz zuvor zu Akuchi einen prächtigen
Tempel erbauen, die Idole aller Götter des Landes und in ihrer Mitte
eine Statue von sich selbst unter dem Titel Kusanti (erhabener Herr-
scher) aufstellen und derselben Reverenz erweisen lassen. Sein ältester
Sohn war der erste gewesen, sich vor derselben zu verneigen, dann
waren seine Vasallen und das Volk dem Beispiele gefolgt.
In Chiugoku nämlich kämpfte für ihn sein Günstling und bewähr-
tester Heerführer Hideyoshi gegen den immer noch sehr mächtigen
Môri und hatte alle verfügbaren Streitkräfte an sich gezogen. Die
letzten, welche in Kiôto sich befanden, sollte Akechi-Mitsuhide, ein
stolzer und tapferer General, demselben zuführen. Diese Gelegenheit
hielt derselbe für günstig, eine frühere Beleidigung seines Herrn zu
rächen und sich selbst auf die Spitze der Gewalt empor zu schwingen.
Er verliess mit seiner Truppe Kiôto; statt jedoch die angegebene Route
einzuschlagen, nahm er seine Capitäne auf die Seite, stellte ihnen
vor, wie Nobunaga die Götter verspottet und die Priester getödtet
habe, versprach ihnen Reichthümer und hohe Würden und gewann
sie so für seine verbrecherischen Pläne. Dann wandte er sich mit
seinem Gefolge um, erschien plötzlich wieder in Kiôto und umringte
Honnoji, den Tempel, in welchem Nobunaga wohnte. Als dieser
ein Fenster öffnete, um nach der Ursache des zu ihm dringenden
Lärmes zu sehen, erkannte er alsbald seine Lage, denn es folgte
ein Hagel von Pfeilen auf ihn, deren einer ihn in der Schulter ver-
wundete. An ein Entkommen war nicht zu denken. So legte er
Feuer an seine Wohnung und verbrannte mit ihr im 39. Jahre seines
Lebens 1582 n. Chr.
In der »Geschichte der Kirche« wird Nobunaga geschildert als
ein Prinz von hoher, doch schmächtiger Gestalt, mit Herz und Seele,
die alle anderen Mängel ersetzten, und einem unermesslichen Ehr-
geize. Er war nach Ansicht der Jesuitenväter ferner tapfer, gross-
müthig und kühn und nicht ohne viele ausgezeichnete Tugenden, der
Gerechtigkeit zugethan und ein Feind des Verrathes. Mit einem
raschen und durchdringenden Verstande schien er für seine Stelle
[311]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
wie geschaffen. In militärischer Zucht und Gewandtheit ausgezeichnet,
galt er für den tapfersten und besten Heerführer, der, wenn es galt,
eine Stadt zu belagern oder zu befestigen, ein Lager abzustecken
und dergleichen, nie Anderer Rath bedurfte. Ueberall suchte er die
Gedanken Anderer zu erforschen und seine eigenen zu verbergen.
Er lachte über den Götzendienst und hielt die Bonzen für Betrüger,
welche die Leichtgläubigkeit des Volkes missbrauchten und ihre
Schwelgereien damit zu decken suchten. Diesem Urtheile gegenüber
steht dasjenige Kaempfer’s, der etwa 100 Jahre später unter dem
Einflusse seiner japanischen Umgebung Nobunaga einen Wütherich
nannte.
Fassen wir die Hauptzüge des hier über Nobunaga Erwähnten
schliesslich noch einmal zusammen, so ist es Folgendes:
In der Periode von 1542—1582 tritt inmitten der inneren Wirren
Nobunaga in den Vordergrund als Kämpfer für die Rechte des Mikado
und macht dem Shôgunat der Ashikaga ein Ende, als Feind des
buddhistischen Mönchthums, dessen Macht er bricht, als Begünstiger,
doch nicht als Freund des Christenthums, dessen Geist ihm fremd
bleibt. Das Lob, welches ihm der Jesuitenpater Crasset in seiner
»L’histoire de l’Eglise du Japon« spendet, stimmt nicht mit dem
citierten Ausspruch Kaempfer’s, noch mit vielen anderen Thatsachen
aus seiner Lebensgeschichte. Ota Nobunaga war ein Taira, doch
hatte diese Familienabstammung nichts mit seiner Erhebung zur Macht
zu thun, letztere war vielmehr ausschliesslich das Resultat einer her-
vorragenden militärischen Befähigung und eines unbegrenzten Ehr-
geizes. Aber es gelang ihm trotz dieser Eigenschaften nicht, dem
nach Frieden schmachtenden Lande die so nöthige Ruhe zu bringen.
Der Mann, dessen Ehrgeiz und Misstrauen das Leben der nächsten
Verwandten nicht schonte, der das nur dem Mikado zustehende und
nur auf Verstorbene anwendbare Recht der Apotheose für sich in
Anspruch nahm und seine Statue unter die Bildnisse der Götter ver-
setzte und ihr vor diesen Reverenz erweisen liess, war bei allen
sonstigen hohen Gaben kein Kenner und Freund des Christenthums.
Nur aus Hass gegen die buddhistischen Priester und um einen unge-
fährlichen, billigen Alliierten im Kampfe gegen dieselben zu haben,
begünstigte er die Ausbreitung der neuen Lehre.
Das Christenthum hatte in wenigen Jahrzehnten unter der Pro-
tection des Nobunaga erstaunliche Fortschritte gemacht. Um das
Jahr 1581 zählten die Jesuiten gegen 150000 Bekenner desselben in
allen Schichten der Gesellschaft und über 200 Kirchen. Die Daimio
(Könige schreiben die Jesuiten) von Bungo, Ômura, Arima auf
[312]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Kiushiu, sowie von Amakusa, Hirado und den Gotô waren der
neuen Lehre ergeben und begünstigten ihre Ausbreitung in jeder
Weise. Auf Shikoku trat 1576 der Daimio von Tosa zum Christen-
thume über, trotz vieler Anfeindungen in seiner Familie und bei
den Grossen seines Landes. Auch auf Honshiu gab es mehrere christ-
liche Fürsten.
Manche günstige Umstände wirkten zusammen, dem Missions-
werke der Freunde Loyola’s unter den Japanern solche Erfolge zu
sichern, welche sich mit der Raschheit der Ausbreitung des Christen-
thums durch die ersten Apostel vergleichen lassen. Die Gründung
des Jesuiten-Ordens fiel gerade in die Zeit der Entdeckung Japans
durch Mendez Pinto. Viele seiner Sendlinge brachten fast alle Er-
fordernisse mit, die einem Reformator Erfolg sichern. Hand in Hand
mit einem heiligen Ernste ging ihr sittlich makelloses Leben, ihre
Freudigkeit, Mühen und Entbehrungen aller Art, ja selbst den Tod
um Christi willen gern zu erdulden, ihre Herablassung und Mild-
thätigkeit gegen die Armen, während die Bonzen in ihrer sittlichen
Verderbtheit und Entartung kein Herz und Ohr für die Noth des ge-
meinen Mannes hatten. Und diese Noth war ja gerade um jene Zeit,
wie wir gesehen haben, besonders gross. Konnte das Christenthum
davon in diesem Leben auch nicht erlösen, so stellte es doch nach
dem Tode dem frommen Dulder das Paradies in Aussicht und gab
ihm Freudigkeit und neues Selbstbewusstsein.
Mit Xavier waren 1549 noch Torres und Fernandez nach Japan
gekommen. Ersterer theilte schon im selben Jahre Loyola seine Ab-
sicht mit, nach China zu gehen. Er hatte in Kagoshima erfahren,
dass die Japaner in allen Stücken auf die Chinesen als ihre Lehr-
meister blickten und sie nachahmten, von denselben auch ihre Reli-
gion erhalten hatten. Darum wollte er nun das Christenthum den
bezopften Nachbarn der Japaner verkünden, um dadurch demselben
auch in Japan leichteren Eingang zu verschaffen. Pater Balthasar de
Torrez blieb dagegen im Reiche Nippon, woselbst er seinem erfolg-
reichen Missionswerke 21 Jahre lang oblag bis zu seinem Tode auf
Xequi (Koshiki) im Jahre 1570. Es wird von ihm berichtet, dass er
ein echtes Vegetarianerleben führte, nie Fleischspeisen noch geistige
Getränke zu sich nahm und fast immer barfuss einherging.
Ein weiterer Grund, dem Christenthume rasch Eingang zu ver-
schaffen, lag in der Verwandtschaft des katholischen Ritus und Cere-
moniels mit dem buddhistischen; denn im Buddhismus finden wir ja
fast Alles, wenn auch in anderer Bedeutung wieder, was den katho-
lischen Cultus auszeichnet; Bilderverehrung, Weihrauch und Messe,
[313]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
bunte Gewänder und Rosenkränze, Reliquienverehrung, Mönchs- und
Nonnenklöster, Cölibat, Priesterhierarchie, pomphafte Processionen,
Wallfahrten und vieles Andere. Der neue Convertite konnte also
seinen alten Rosenkranz, seine Glöckchen, Lichter, sein Räucherwerk
und sonstige äussere Zugaben seines alten Glaubens benutzen, um
den neuen Gottesdienst mitzumachen; beugte er vorher seine Kniee
vor buddhistischen Götzen in Tempeln und längs der Wege, so that
er dies nun nach Anleitung der neuen Lehrer vor Christus-, Marien-
und Heiligenbildern.
Nach dem Zeugniss der Holländer, das freilich nicht immer un-
parteiisch erscheint, stellten die Jesuiten zuweilen in den Kirchen
die Geschichten aus der heiligen Schrift auch auf Schaugerüsten dar,
ein Verfahren, das jedenfalls viel Anklang fand und an das Panto-
mimenspiel vor den Shintôtempeln an den grossen Festtagen erinnern
mochte. »An diesen ungewöhnlichen Kirchengeprängen vergafften
sich die Japaner überaus sehr, sonderlich im Königreiche Amangu-
zium«, d. i. Yamaguchi (Denkwürdige Gesandtschaften etc. pag. 211.
Amsterdam 1669).
Die nächsten Motive zur freundlichen Aufnahme der Fremden
sind ausser in der natürlichen Gutmüthigkeit und Neugier der Japaner
jedenfalls in den materiellen Interessen der Fürsten zu suchen, welche
dadurch wesentlich gefördert wurden. Die Portugiesen brachten reich-
beladene Schiffe aus Goa, Malacca, den Philippinen und Macao nach
Japan. Die Fürsten von Bungo, Ômura, Arima, Kagoshima, Yama-
guchi, Hiratô und Gotô boten ihnen gute Häfen zur Landung. Ein
Jeder trachtete durch solchen Handel zu gewinnen. Wer nun die
Jesuiten zu Freunden hatte, konnte die Ruder der Portugiesen lenken,
wohin er wollte, weil die Schiffer sich ganz nach deren Wünschen
und Weisungen richteten. Lange Zeit hindurch waren Schusswaffen
die begehrteste Waare. Sie, Christenthum und Portugiesen (Namban)
bildeten die neuen Erscheinungen, welche man gleichzeitig kennen
gelernt hatte und in der Folge stets mit einander associierte, so dass
vielfach die Furcht vor dem einen auch Schrecken vor den übrigen
einflösste.
Pater Alex. Valignan, der Superior, eine von Nobunaga gern
gesehene Persönlichkeit, theilte Japan in drei Districte, die Haupt-
insel (Hondo), Kiushiu, welches die Väter Ximo nannten, und Shikoku.
Auf Hondo hatten die Jesuiten drei Niederlassungen, nämlich in der
Hauptstadt Meako (Miako), zu Anzuquiama (d. i. Azuchiyama in Omi)
und Takaçuqui (d. i. Takazuki in Setsu). In Miako gab es gegen
20000 Christen; dort wohnten zwei Patres und zwei Fratres. Sie
[314]I. Geschichte des japanischen Volkes.
hatten eine Kirche *), in der sie täglich predigten und Messe lasen.
Zu Azuchiyama am Biwasee, »dem Paradiese Nobunaga’s«, wie
es die Eingeborenen nannten, hatten sich ebenfalls vier Väter mit
Unterstützung ihres mächtigen Gönners niedergelassen, besassen eine
Kirche und ein prächtiges Haus und lehrten Tag für Tag. Ihre
dritte Niederlassung zu Takazuki beherbergte zwei Jesuitenväter.
Takayama (Justo Ukondo der Jesuiten), der christliche Gouverneur
dieser festen Stadt, baute ihnen Haus und Kirche. Auch verschie-
dene Städte ringsum hatten christliche Gotteshäuser. Eine Kirche
erhob sich ferner zu Sakai am Binnenmeere. Justo Ukondo erwies
sich namentlich eifrig, besonders später, als ihn Hideyoshi veranlasste,
Takazuki mit Akashi in Harima zu vertauschen. Hier wollte er
bald keine anderen als christliche Unterthanen dulden und zeigte
desshalb den Heiden gegenüber keineswegs die gewinnende christ-
liche Liebe. Durch seinen Einfluss trat auch Konishi (Don Augustin),
Setsu-no-Kami, der berühmte General und spätere Eroberer von Korea,
zum Christenthume über.
Auch in verschiedenen anderen Centralprovinzen, insbesondere in
Nagato und Suwo, gab es viele Christen. Ihr Centrum war Ama-
guchium (Yamaguchi) in Suwo, welches damals der Familie Ouji
gehörte. Als die Herrschaft jedoch an das mächtige Haus Môri fiel,
verlor die Kirche hier ihren früheren Halt.
Die älteste Niederlassung der Jesuiten auf Kiushiu und eine
ihrer Hauptstützen war Funai in Bungo. Der dortige Fürst Jakaton-
dono oder König Francis, »unser Maecenas«, wie die Jesuiten ihn
nannten (Ôtomo Yoshishige Bungo no Kami), dessen Bekanntschaft
bereits Mendez Pinto gemacht hatte, der ihn auch ein zweites Mal
von Goa aus 1553 in Gesellchaft von Missionären besuchte, war mit
vielen Mitgliedern seiner Familie zum Christenthume übergetreten **).
(Er starb 1587.) In seiner Hauptstadt gab es ein Jesuiten-Colleg und
eine Universität, an welcher 20 portugiesische Patres wirkten und
akademische Grade verliehen. Ausserdem besassen die Schüler und
Freunde Loyola’s nahe der Stadt drei Klöster, und so lange Takata
[315]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
in Chikuzen zu Bungo gehörte, auch hier ein Haus. Als sich aber
Aquizugui (Kikuji Takemasa?) zum Herren dieser Stadt gemacht hatte,
wurden die Jesuiten vertrieben. In Chikugo gab es eine Kirche, der
ein frommer, eingeborener Christ vorstand, da der Landesfürst Riozogi
keine Jesuiten in seiner Herrschaft duldete. In Hizen waren die
Fürsten von Ômura, Arima und Shimabara Christen und grosse För-
derer des neuen Glaubens, so dass z. B. um das Jahr 1580 fast die
ganze Bevölkerung der Herrschaft Ômura, d. h. gegen 50000 Seelen,
dem Christenthume angehörte. Das Land hatte 40 Kirchen, die
prächtigste in Nagasaki, welches der Daimio auf den Rath der
Jesuiten 1566 dem Verkehr mit den Portugiesen übergeben hatte,
der ihm grosse Reichthümer brachte. Dieser Daimio von Ômura war
der erste christliche Fürst Japans und ein treuer Anhänger seiner
portugiesischen Freunde, welche ihn Don Bartholomäus, den christ-
lichen Hero, nannten. Sonst heisst er bei denselben auch Xumitanda
und Sumitanda.
Die Herrschaft Arima umfasste den grössten Theil der Halbinsel
Shimabara mit den Städten Shimabara und Arima, sowie Theile vom
eigentlichen Hizen, die sich im Süden an Ômura anschlossen. Sie
gehörte einem Bruder des Bartholomäus. Derselbe liess sich 1576
taufen und erhielt dabei den Namen Don Andreas. In Arima war ein
Jesuiten-Seminar für junge japanische Edelleute. Die Herrschaft be-
sass ausserdem viele Kirchen und mehrere andere Niederlassungen
der Portugiesen. Als Riozogi von Chikugo und Kikuji von Chikuzen
dem Sohne des Daimio von Bungo die Provinz Higo abnahmen und
unter sich theilten, gab es hier zwei Niederlassungen der Jesuiten
und 20 Kirchen. Die ganze Bevölkerung der Insel Amakusa war
bekehrt. Auch die Insel Xequi (Koshiki bei Satsuma) hatte eine
grosse christliche Gemeinde mit einer Kirche, welche unter einem
eingeborenen Prediger stand, da Jesuiten dieselbe wohl besuchen,
nicht aber dort wohnen durften. In Satsuma gab es nur wenige
Christen.
Auf den Gotô hatte das Christenthum anfangs viele Widersacher
gefunden, dann aber von etwa 1566 ab, nachdem Pater Almeida den
Fürsten von einer schweren Krankheit geheilt und dieser den christ-
lichen Glauben ergriffen hatte, rasche Fortschritte gemacht. Wenige
Jahre darauf starb jedoch Don Luis, der Daimio, und es folgte ihm
sein Sohn, ein noch unmündiges Kind. Der Erzieher und Vormund
desselben, ein naher Verwandter, hasste das Christenthum und be-
wirkte, dass es um das Jahr 1581 weder Kirche noch Jesuiten in
dieser Herrschaft gab. Der König von Firato oder Firando (Daimio
[316]I. Geschichte des japanischen Volkes.
der Insel Hirado) war zwar Heide, erwies jedoch der Ausbreitung
des Christenthums jede Förderung, nachdem sein Oheim Don Johann
und sein Sohn Don Antonius dasselbe angenommen hatten.
Von den vier Provinzen der Insel Shikoku wird wenig berichtet.
Es scheint, dass ausser Tosa keine der neuen Lehre besonders günstig
gewesen ist, und auch hier erregte die Conversion des Daimio, wie
bereits oben erwähnt wurde, viel Unzufriedenheit.
Aus dem, was hier in Kürze über die Verbreitung des Christen-
thums in Japan gesagt wurde, ergibt sich, dass dasselbe auf Kiushiu
in den Herrschaften Bungo, Ômura und Arima am festesten gewurzelt
hatte. Dies zeigte sich denn auch weiter dadurch, dass die drei
christlichen Daimio dieser Länder auf Veranlassung der Jesuiten im
Jahre 1582 eine Gesandtschaft von vier Personen an den Papst
Gregor XIII. sandten, um ihm die Füsse zu küssen, und nach Lissa-
bon und Madrid, um Philipp II. ihre Aufwartung zu machen. Die-
selbe gelangte erst 1585 nach Rom und fünf Jahre später in ihre
Heimath zurück. Diese Gesandtschaft bestand aus Don Mancius Isto,
dem Schwestersohne des Franciscus von Bungo, und Don Michael
Cingina, dem Brudersohne des Bartholomäus, Daimio von Ômura und
Vetter des Fürsten von Arima. Denselben waren noch zwei höhere
Samurai beigegeben, welche als Don Julius Nacaura und Don Martin
Fara (Hara?) bezeichnet werden. Es waren insgesammt junge, un-
erfahrene Leute von 15—18 Jahren. Pater Alexander Valignan, der
sie mit zwei anderen Jesuiten begleitete, versprach ihren Angehörigen,
sie nicht zu verlassen und selbst nach ihrer Heimath zurückzuführen.
Mit Briefen der drei Daimio und reichen Geschenken für den Papst
versehen, schiffte man sich am 22. Februar 1582 in Nagasaki auf
einem portugiesischen Schiffe nach Macao ein, hatte unterwegs einen
heftigen Sturm durchzumachen und kam erst nach 17 Tagen an.
Von hier pflegten nur einmal im Jahre Schiffe nach Indien abzugehen
und so mussten sie 9 Monate bis zu einer solchen Gelegenheit warten.
Man wählte unter dreien das Boot, mit dem man von Nagasaki ge-
kommen, ging mit ihm am letzten December 1582 in See und kam
nach vielen Gefahren und Beschwerden Ende Januar 1583 in Malacca
an. Vier Tage später folgte die Abfahrt nach Cochin und Goa.
Diese Reise, welche gewöhnlich einen Monat dauerte, verlief diesmal
sehr ungünstig. Conträre Winde, Fieber an Bord und Wassermangel
waren die schlimmen Zugaben derselben. Endlich landete Valignan
mit seinen Japanern in Tricandur, feierte hier mit den Jesuiten des
Platzes das Osterfest und begab sich zu Land nach Cochin, während
seine beiden portugiesischen Begleiter die Reise dorthin auf dem
[317]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
Schiffe fortsetzten. Im April kamen alle nach Cochin, hatten hier
zu warten bis zum September und segelten dann in 20 Tagen nach
Goa, wo Generalcapitän und Patres sie herzlich empfingen. Zum
grossen Bedauern der Reisenden musste hier Pater Alexander Valignan
als Provincial von Indien einer aus Rom ihm zugegangenen Weisung
nach zurückbleiben, so dass nun Pater Jacobus Mesquita die Führung
zu übernehmen hatte. Am 20. Februar 1584 fand in einem reich
und bequem ausgestatteten Schiffe die Abreise nach Lissabon statt.
Es war eine durchweg günstige Fahrt, bei der man am 9. März die
Linie passierte, am 10. Mai das Cap und dann nach einem kleinen
Aufenthalte auf St. Helena endlich am 10. August 1584 in Lissabon
landete. Die Reise durch Portugal, Spanien und Italien glich einem
Triumphzuge, der Empfang Seitens der städtischen Corporationen,
Fürsten und hohen Würdenträger der Kirche liess an Herzlichkeit
und Pomp, der dabei entfaltet wurde, nichts zu wünschen übrig.
Man wollte den jungen, unerfahrenen Japanern imponieren, den Glanz
der Kirche und die Früchte der christlichen Cultur zeigen, ander-
seits aber auch mit ihnen prahlen, als den Abgesandten mächtiger
Könige — denn von der Bedeutung und damaligen Unbeständigkeit
einer japanischen Daimioherrschaft hatte ja Niemand ausser den
Jesuiten in Japan selbst eine Vorstellung —, welche aus der Ferne
kamen, um vor der siegreichen Kirche und ihrem Haupte, dem Papste,
ihre Kniee zu beugen. Dieser grosse Sieg über ein gebildetes Heiden-
volk eines fernen Reiches, das »dem wahren Schafstalle der christlichen
Kirche einverleibt und zugethan worden«, erweckte, wie Johannes
Mayer von Dillingen 1587 schrieb, »weit und brait in der gantze
Christenheit freud, frolockung und verwunderung«. Man sah ihn an
als von Gott gesandt, »dem rechten Adiutor in opportunitatibus, in
tribulatio etc.«, der Kirche zum Troste für die Aergernisse und den
Kummer, welche die deutschen Ketzer ihr bereitet hatten. Die
Japaner sollten den Deutschen, gleichsam wie Daniel den Kindern
Israel, zurufen: »Sie fatui filii Israël, non judicantes, neque quod
verum est cognoscentes, condemnatis filiam Israel *)?«
In Rom war kurz zuvor Papst Gregor XIII. gestorben und
Sixtus V. auf dem heiligen Stuhle gefolgt. Die Antworten auf die
Schreiben der japanischen Fürsten sind Rom den 26. Mai 1585 im
ersten Jahre seines Pontificats datiert. Ende April 1586 verliess die
Gesandtschaft Lissabon in einem wohl ausgerüsteten Schiffe und in
[318]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Begleitung von 17 weiteren Jesuitenvätern; Ende Mai 1587 kam
dieselbe in Goa an. Gross war die gegenseitige Freude, als der
Provincial Valignan sie hier wieder begrüsste und den Entschluss
aussprach, sie nach Japan zu begleiten. Man blieb noch 10 Monate
in Goa, verliess dasselbe am 1. April 1588 und landete in Nagasaki
1590 nach einer achtjährigen Abwesenheit. Grosse Ereignisse hatten
sich in dieser Zeit in Japan zugetragen, die Territorialverhältnisse
und auch die Stellung der Kirche waren wesentlich verändert, und es
gab schon manche Anzeichen, dass sich der heitere Himmel, welcher
sich über die Sache des Christenthums bisher gewölbt hatte, bald
trüben und grosse Stürme hereinbrechen würden.
Akechi Mitsuhida, der Mörder des Nobunaga, erntete mit seinen
Spiessgesellen bald den Lohn seiner verbrecherischen That. Nur
zwölf Tage dauerte seine Gewalt in Kiôto und Nachbarschaft, lange
genug, um viel Schönes, das Nobunaga gesammelt und gebaut hatte,
zu rauben und zu verwüsten.
Die Nachricht von Nobunaga’s Tod verbreitete überall grosse
Bestürzung. Die Jesuiten sahen darin und in dem Umstande, dass
auch der älteste Sohn desselben, der König von Mino, umgekommen
war, welcher zuerst zu Azuchiyama vor dem Götzenbilde desselben
seine Kniee gebeugt hatte, eine gerechte Strafe Gottes. Einer der-
selben, der Pater Organtin, an den sich der Rebell Aquechi (Akechi)
mit dem Versprechen wandte, den Christen noch mehr beistehen zu
wollen als Nobunaga, wenn er Justo Ucondo (Takayama) bestimmen
wolle, zu ihm überzutreten, erklärte sich wirklich hierzu bereit (His-
toire de l’Eglise I, pag. 490). Es gereicht dem christlichen General
zur Ehre, dass er seine Pflicht besser kannte und befolgte. Noch
ehe Hideyoshi, der rasch mit Môri Frieden schloss und mit seinem
Heere zur Hauptstadt eilte, um seinen Herrn und Gönner zu rächen
und sich dessen Erbe, die höchste Gewalt, zu sichern, Kiôto erreichte,
war Takayama hier. Seinem christlichen Heere von nur 1000 Mann
stellte Akechi eine Streitmacht von 8000 Mann gegenüber. Dennoch
errang jener bedeutende Vortheile, die der mittlerweile heranrückende
Faxiba (Hideyoshi) weiter ausnutzte. Die grosse Räuberbande war
bald zerstreut; Akechi, ihr Führer, floh, wurde von Bauern erkannt
und getödtet.
Soweit hatte Hideyoshi im Einverständniss und unter Mitwirkung
von Nobutaka, dem König von Awa, wie ihn die Jesuiten nannten,
gehandelt, der auf die Nachricht von seines Vaters Tode ebenfalls
mit Truppen von Shikoku herbeigeeilt war. Er stand nun im Vorder-
grunde unter den bedeutenden Männern Japans, dessen Geschicke er
[319]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
16 Jahre lang bis zu seinem Tode 1598 in Händen hatte und dem
er den inneren Frieden brachte, ein Ziel, das sein Vorgänger und
Meister vergeblich erstrebt hatte. Nobunaga war eine hervorragende
Persönlichkeit, klug und gewandt als Diplomat, tapfer und schlag-
fertig als Heerführer, ein Mann, der viel wagte und grosse Erfolge
zu verzeichnen hatte. Aber Hideyoshi, der Bauernjunge aus Owari,
der keine Ahnen und Verwandte zu seinen Gunsten nennen konnte,
dem ein hässliches Gesicht und ungeschliffene Manieren ebenfalls nicht
zur Empfehlung dienten, den aber Nobunaga sich als Liebling erzogen
hatte, übertraf seinen alten Freund und Protector noch in vielen
Stücken und so auch im Erfolge.
Zu Nakamura, einem Dorfe in Aichi-gori in der Provinz Owari,
lebte ein bescheidener Bauersmann, Namens Kinoshita Yasuke, dem
im Jahre 1536 ein Knabe geboren wurde, der sich durch eine dunkle
Hautfarbe und affenähnlichen Kopf auszeichnete. Aus diesem Kinde
wurde ein verschlagener, kecker und wagehalsiger Junge, der in
seinen Neigungen wesentlich abwich von der übrigen Dorfjugend.
Wenn diese willig und folgsam ihren Eltern bei den Feldarbeiten
behülflich war, trieb sich Yasuke’s Sohn keck und witzig im Dorfe
umher und führte ein wildes, unnützes Leben. Einst kam Nobunaga
in den Ort, sah den Burschen, fand Interesse an seinen klaren schel-
mischen Augen und dem hässlichen Gesicht und machte ihn zu seinem
Betto oder Stalljungen. Dies ist der Anfang zur Carriere des Toyo-
tomi Hideyoshi. Es dauerte nicht lange, so rieth Nobunaga
seinem Betto, ein Soldat zu werden, und nun stieg derselbe rasch
empor von Stufe zu Stufe. Es war ein wahres Kriegsgenie. Sein
Banner bestand aus einem Bündel Flaschenkürbise. Wo er es auf-
richtete, war der Sieg. Kein Wunder, dass man ihm gern folgte! —
Doch wusste er nicht blos zu siegen, sondern auch den Sieg zu ver-
werthen. Von allen Vorgängern in der Gewalt unterschied er sich
wesentlich dadurch, dass er sich an seinen bisherigen Gegnern nicht
zu rächen suchte, sondern ihnen verzieh. Sein Regiment wurde sehr
beliebt, denn er übte Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person, des
Namens, Ranges und der geleisteten Dienste.
Bevor wir nun die wichtigsten Ereignisse der Zeit des Hide-
yoshi näher erörtern, dürfte eine kurze Uebersicht über die Macht-
vertheilung im Lande, soweit sie hier in Betracht kommt, angezeigt
sein. Hideyoshi hatte kein ererbtes Lehen, auf das er sich stützen
konnte, aber eine wohlgeschulte, ihm blindergebene Armee, welche
jenes reichlich aufwog. Nobunaga hinterliess seinen Nachkommen
als directes Erbe die Provinzen Ômi, Ise, Mino, Owari, Shinano und
[320]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Kai, sowie Theile von einigen anderen. In Hamamatsu residierte
Tokugawa Iyeyasu, der Mikawa-Häuptling, wie er oft genannt wird,
über Mikawa, Tôtomi und Suruga. Er hatte zum Nachbarn in Oda-
wara den Hôjô Ujimasa *), Herrn des Kuwantô Ha’shiu (acht Pro-
vinzen des Kuwantô, nämlich Sagami, Musashi, Awa, Kadzusa,
Shimosa, Hitachi, Shimotsuke und Kotsuke). Echizen war im Besitze
von Shibata Katsuye, dem schon erwähnten General Nobunaga’s, der
eine Schwester von diesem geheirathet hatte. Im Chiugoku hatte die
Familie Môri von Hagi (Chôshiu) sich allmählich in den Besitz von
10 Provinzen gesetzt und auf Kiushiu die Familie Shimatsu auf Kosten
von Ôtomo grosse Macht erlangt.
Nobunaga hatte drei Söhne, von denen der älteste mit ihm in
Kiôto sein Leben verlor. Derselbe hinterliess einen Sohn, Namens
Hidenobu, welchen die angestammten Vasallen der Familie (der
Ota-Clan in Ômi) zum Nachfolger seines Grossvaters wählten und
mit Ômi belehnen liessen. Hidenobu war damals drei Jahre alt.
Hideyoshi machte sich zu seinem Vormund und Erzieher und gewann
so die äussere Berechtigung zu der Rolle, welche er nun zu spielen
gesonnen war. Der dritte Sohn, Nobutaka, ein Schwächling, war
unter Führung seines Onkels Shibata Katsuye Gouverneur in Shikoku
gewesen und erhielt nun die Provinzen Mino und Owari. Der zweite
Sohn des Nobunaga, Namens Nobuwo, hatte bisher bei der Armee
gegen Môri gestanden. Er fand nun eine Stütze an Iyeyasu, an
dessen Besitzungen die seinigen grenzten. Der Anarchie, welche in
Kai, Shinano und Kotsuke eingerissen war, machte Iyeyasu schon im
Jahre 1582 ein Ende und vermehrte seine Besitzungen um die beiden
erstgenannten Provinzen, so dass zur Neujahrsgratulation 1583 die
Barone von fünf Provinzen (Mikawa, Tôtomi, Suruga, Kai und Shinano)
in Hamamatsu vor Iyeyasu erschienen, Vasallen, die ihm von da ab
treu ergeben waren, da sie unter dieser hervorragenden Persönlichkeit
den besten Beistand zur Wahrung ihrer Interessen fanden.
Hideyoshi stand um diese Zeit mit Iyeyasu und Nobuwo auf
gutem Fusse. Letzterer belagerte in Folge eines Erbstreites seinen
Bruder Nobutaka in Gifu und nahm dieses ein. Nobutaka floh, fand
sich aber bald vom Feinde umringt und nahm sich, als er keinen
anderen Ausweg sah, das Leben. Ein gleiches Ende fand 1583 sein
Oheim und Verbündeter Shibata Katsuye. Nachdem derselbe in Mino
[321]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
gegen Hideyoshi eine Schlacht verloren hatte, floh er in seine Provinz
Echizen, wohin ihm der Sieger folgte. In seiner Burg zu Kitanoshô,
dem heutigen Fukui, wurde er von Hideyoshi belagert. Als Shibata
sah, dass keine Hülfe und kein Ausweg für ihn blieb, beschloss er,
sich selbst den Tod zu geben, um nicht in die Hände des Feindes
zu fallen, und theilte dies seinen Vasallen mit, ihnen anheimstellend,
Frieden zu schliessen und so sich und ihre Familien zu retten. Diese
aber erklärten alle, auch im Tode ihres Herrn würdig sein zu wollen
und seinem Beispiele zu folgen. Shibata Katsuye dankte ihnen,
dann liess er nach dem Grundsatze der Epicuräer: »Lasset uns essen,
trinken und fröhlich sein, denn morgen sind wir todt«, ein grosses
Fest bereiten. Mitten im fröhlichen Verlaufe desselben theilte er
dann seiner Frau den Entschluss, das Harakiri auszuführen, mit und
stellte ihr anheim, mit den übrigen Frauen und Kindern aus dem
Schlosse zu ziehen und ihr Leben zu retten. Die Schwester Nobu-
naga’s wollte aber ihrem Bruder und ihrem Manne an heroischem
Muthe nicht nachstehen. Mit Thränen in den Augen dankte sie diesem
für alle empfangene Güte und bat um die Ehre, mit ihm sterben zu
dürfen. Aehnlich verhielten sich die übrigen Frauen. Hierauf liess
Shibata das Schloss anzünden, gab dann seiner Frau, den Kindern
und weiblichen Dienstboten den Todesstoss und schlitzte sich zuletzt
selbst den Leib auf. Seinem Beispiele folgten die übrigen Bewaffneten.
Die Flammen verzehrten darauf Schloss und Leichname.
Noch zeigt man bei Fukui unter einigen alten Kiefern in einem
Tempel das Grabmal von Shibata Katsuye zusammen mit verschie-
denen Andenken, die man, wie Theile seiner Rüstung, nach dem
Brande auffand. Die Geschichte aber von diesem tragischen Ende
eines eigenartig heroischen Geschlechtes hat sich in Fukui von Gene-
ration zu Generation fortgepflanzt. Sie stimmt überein mit dem, was
die Jesuiten seiner Zeit über den Xibatadono (Shibata-dono, Herrn
von Shibata) berichteten.
Nach diesen Ereignissen in Mino und Echizen kehrte Hideyoshi
nach Kiôto zurück und zeigte nun, dass er nicht blos Heere führen
und Schlachten gewinnen konnte, sondern auch die Werke des Frie-
dens zu fördern gesonnen war. Die Hauptstadt blühte unter seiner
Leitung von neuem auf und wurde durch manches hervorragende
Bauwerk verschönert. Das Bett des Kamo-gawa wurde corrigiert
und mit Steinplatten ausgelegt. Auch die stattlichste der Brücken,
welche darüber führt, die Sanjô-bashi, ist Hideyoshi’s Werk. Er
befestigte Fushimi, das Vorwerk von Kiôto, und baute an Stelle des
früheren Klosters in Ôsaka, welches Nobunaga zerstört hatte, eine
Rein, Japan I. 21
[322]I. Geschichte des japanischen Volkes.
starke Festung, in welcher er oft residierte. Wie für Kiôto, so
sorgte er auch für Ôsaka und begründete dadurch die hohe Bedeu-
tung dieser Stadt als Handelsemporium des Reiches. Das blühende
Nagasaki nahm er 1590 dem Daimio von Omura ab und machte es
ebenfalls zur unmittelbaren Reichsstadt. Seine Regierung wurde sehr
populär, da er versöhnlich gegen seine Feinde war, dem Lande Frie-
den brachte und Gesetz und Ordnung in ihre Rechte treten liess.
Im Jahre 1586 erhielt er vom Mikado die Würde eines Kuwambaku *)
oder Regenten, ein Amt, welches bisher nur Fujiwara bekleidet hatten.
Wie er bei aller Verschmitztheit, Unverschämtheit und Selbstsucht
diese Stellung erreichen konnte, ist unbegreiflich. Zu den hier er-
wähnten Fehlern seines Charakters gesellte sich noch, namentlich in
den letzten Jahren seines Lebens, eine grosse Sinnlichkeit. Wie er
seine Frauen oft wechselte, so auch seinen Namen. Seine Eltern
hiessen ihn Hiyoshi-maro, als Soldat nannte er sich Kinoshita
Tokichiro, und als er zu einem berühmten General emporgestiegen
war, aus bloser Laune Hashiba, welchen Namen er aus Silben der
Namen zweier anderen Generäle, Niwa (Ha) und Shibata, zusammen-
setzte. Die Jesuiten schrieben dafür Faxiba und statt Kuwambaku
Cambaku-dono. Seine niedrige Herkunft war ihm und Anderen ein
Stein des Anstosses. Er suchte vergeblich, sich von einer Kugefamilie
abzuleiten und erhielt endlich die Genugthuung, dass ihn der Mikado
mit einem alten Familiennamen Toyotomo belehnte, worauf er sich
Toyotomi Hideyoshi nannte, wie ihn die Geschichte gewöhnlich
bezeichnet. Daneben ist der Name Taikô-sama sehr gebräuch-
lich. Derselbe datiert vom Jahre 1591, in welchem er der Landes-
sitte gemäss zu Gunsten seines Adoptivsohnes Hidetsugu abdankte,
ohne damit die Leitung der Regierung aus den Händen zu geben.
Als Kuwambaku vermochte er die beiden mächtigsten Lehnsfürsten
des Landes, Môri von Chôshiu und Iyeyasu, zu bestimmen, nach
Kiôto zu kommen und dem Mikado ihre Huldigung darzubringen.
Das gute Verhältniss, welches um diese Zeit zwischen ihm und Iyeyasu
bestand, dauerte bis zu seinem Tode. Es war getrübt worden bald
nach der Niederlage von Shibata und Nobutaka im Jahre 1584, wäh-
rend Hideyoshi und Nobuwo in Ôsaka waren. Letzterer hielt sich
durch Hideyoshi in seinen Rechten verletzt und wandte sich Hülfe
suchend an Iyeyasu. Dieser gewährte sie, nachdem er entrüstet den
[323]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
Antrag seines Rivalen auf Theilung der Provinzen Mino und Owari,
der Besitzthümer des Nobuwo, zurückgewiesen hatte. In den Kämpfen,
welche nun folgten, zog Hideyoshi im ganzen vor Nobuwo und
Iyeyasu den Kürzeren und fand, dass er hier einen ihm mindestens
ebenbürtigen Gegner hatte, so dass es gerathen schien, unter allen
Umständen eine Aussöhnung zu versuchen. Sie gelang erst mit
Nobuwo und dann durch dessen Vermittelung, wiewohl nicht leicht,
auch mit Iyeyasu und zwar dadurch, dass Hideyoshi diesem, der
Wittwer geworden war, seine Schwester zur Frau anbot. Nichtsdesto-
weniger traute Iyeyasu seinem Schwager so wenig, dass er sich erst
zur Reise nach Kiôto entschloss, nachdem Hideyoshi ihm seine Mutter
als Geissel nach Okazaki gesandt hatte. Iyeyasu erhielt in Kiôto
von dem neuen Mikado Goyôsei-Tennô (dem 106.) einen höheren
Rang und schien befriedigt. Man bat den Mikado, einen festlichen
Umzug zu halten, den er zusagte und den seine drei Hauptstützen,
Hideyoshi, Iyeyasu und Nobuwo, mit grossem Pomp ausstatteten.
Dem kaiserlichen Wagen voraus ritten Minamoto Iyeyasu und Taira
Nobuwo, während Toyotomo Hideyoshi mit 27 anderen Feudalherren
den Nachtrab bildete. Dann nahm am folgenden Tage Hideyoshi
seinen Sitz zur Rechten des Thrones und ordnete seinen Verwandten
Toyotomi Hideaki ab, um Iyeyasu und seine Begleiter einzuladen,
dem Mikado ihre Huldigung darzubringen. Nachdem dies geschehen
war und der Tennô denselben hohe Plätze angewiesen hatte, kehrte
er in seine gewöhnliche Residenz zurück.
Hideyoshi hatte wiederholt auch Einladungen an Hôjô Ujimasa
in Odawara ergehen lassen, sich bei Hofe zu zeigen, doch ohne Er-
folg. Derselbe entschuldigte sich mit seinem hohen Alter, sein Sohn
Hôjô Ujinawo auf andere Weise. Wohl mochten sie fühlen, dass
die Zeit des Kampfes für die Erhaltung ihrer grossen Herrschaft, nach
der Iyeyasu strebte, heran nahte und es besser war, wenn sie sich
durch Verbindungen und sonst dafür vorbereiteten, statt vor Hideyoshi
sich zu beugen. Dieser erbat und erhielt endlich die Erlaubniss des
Mikado, eine Expedition gegen das Kuwantô ausrüsten zu dürfen.
Er bot 47 Provinzen auf, ihre Hülfstruppen zum Sammelplatze in
Kiôto zu stellen, übergab den Schutz dieser Stadt dem Môri Tera-
moto, und von Ôsaka seinem Verwandten Toyotomi Hideaki. Am
ersten Tage des dritten Monats 1590 stellte sich Hideyoshi dem Hofe
vor und erhielt vom Mikado die Insignien des Obercommandos, Stab
und Schwert. Dann ging es ostwärts an der Spitze einer wohl aus-
gerüsteten Armee von 170000 Mann. Sechsundzwanzig Tage später
kam er zu Shimadzu in Suruga an und stiess am folgenden Tage mit
21*
[324]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Iyeyasu zusammen. Ujimasa, der Feind, hatte unterdess nichts ver-
säumt, um seine acht Provinzen und vor allem die Hauptstadt Odawa
in Vertheidigungszustand zu setzen. Auf Rath des Mikawa-Häupt-
lings wurde die Armee der Verbündeten in drei Theile getheilt. Die
eine sollte Nirayama in Idzu angreifen, eine zweite Yamanaka (auch
Hagi-no-yamanaka, zweite Schlossstadt in Sagami), während Iyeyasu
selbst direct über den Hakonepass, der stark befestigt war, auf Oda-
wara losgehen wollte und Hideyoshi in Reserve bleiben sollte. Nobuwo
befehligte die 30000 Mann gegen Nirayama, während Hidetsugu an
der Spitze von 50000 Mann Nachts gegen Yamanaka aufbrach. Das
Unternehmen war auf allen Seiten mit Erfolg gekrönt, die Vasallen
von Hôjô hielten nicht zusammen, so dass Hideyoshi und Iyeyasu
bald vor Odawara standen, das Schloss belagerten und bald auch
einnahmen. Ujimasa wurde gefangen und hingerichtet, sein Sohn
Ujinawo aber und Gefolge nach der Klosterstadt Koya in Kii in die
Verbannung geschickt. Die acht Provinzen des Kuwantô erhielt
Iyeyasu, der bald sein neues Land bereiste und auf Rath des Hide-
yoshi seine Residenz nach Yedo verlegte. Es geschah im Jahre 1590.
Bald wurde aus dem unbedeutenden Fischerdorfe eine blühende Stadt,
die Stadt der Tokugawa. Am Neujahrstage 1591 brachten die Va-
sallen der acht Provinzen des Kuwantô ihrem neuen Lehnsherrn zum
ersten Mal ihre Glückwünsche dar.
Im Herbst 1590 kehrte Hideyoshi nach Kiôto zurück, stattete
dem Mikado Bericht über die Pacification des Kuwantô ab und gab
ihm Stab und Schwert zurück. Der Janustempel war damit ge-
schlossen, Friede herrschte im ganzen Reiche. Die mächtigsten
Fürsten, wie Iyeyasu, Môri und Shimatsu, oder Kuwantô, Chôshiu,
Satsuma, wie man sie nach ihren Besitzungen auch nennt, waren
befriedigt und Hideyoshi’s weiteren grossen Plänen geneigt. Diese
hatten einen weiten Flug. Korea zu züchtigen und wieder zu seinen
längst vergessenen Vasallenpflichten zurückzubringen, ja das mächtige
China zu erobern und sich zum Herrn der Welt (im japanischen Sinne)
zu machen, war der Traum seiner Jugend gewesen und sein höchstes
Ziel als Mann. Vergeblich hatte er Nobunaga gebeten, ihm die Ein-
künfte von Kiushiu nur für ein Jahr und seine Zustimmung zu geben,
um dem Ziele zuzusteuern. Er hatte dasselbe dann nicht aus dem
Auge verloren, als er sich Nobunaga’s Nachfolge erkämpfte und seine
Aufmerksamkeit durch mancherlei Vorgänge in Japan selbst stark in
Anspruch genommen war. Nun schritt er zur Ausführung des Ge-
dankens. Zwar fehlte es an jedem triftigen Grunde, die friedlichen
Koreaner mit Krieg zu überziehen, doch seine Insolenz fand Mittel
[325]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
und Wege, einen solchen zu schaffen, um das, was eine unbegrenzte
Eitelkeit ihm dictierte, wenigstens einigermassen zu beschönigen.
Schon im Jahre 1582 hatte auf Hideyoshi’s Veranlassung der Daimio
von Tsushima einen gewissen Yuyaji Yashiro an den koreanischen
Hof abgesandt, um sich über die Nachlässigkeit Koreas zu beklagen
und zu verlangen, dass dasselbe wieder die früher üblichen Gesandt-
schaften nach Japan sende. Das ungebührliche Auftreten und die
herausfordernde Sprache bewirkten, dass man Yashiro abwies. Er
hatte diesen Misserfolg nach seiner Rückkehr durch den Tod zu
büssen, womit auch seine Familie bestraft wurde. Bald darauf sandte
Hideyoshi den Daimio von Tsushima, Namens Yoshitoshi, selbst ab,
den zwei seiner Vasallen begleiteten. Die koreanische Regierung
aber forderte, bevor sie sich in Unterhandlungen einlassen könnte,
erst ihre Unterthanen zurück, welche japanische Seeräuber einige
Jahre zuvor von ihren Küsten weggeschleppt hatten. Wirklich wur-
den dieselben auch aufgefunden und zurückgebracht. Der König
empfing nun diese japanische Gesandtschaft auf das zuvorkommendste
und fertigte mit ihr eine eigene nach Japan ab, welche mit Geschenken
an den Hof reich versehen wurde. Dies geschah im Frühling 1590.
Drei Monate später kamen die Gesandten in Kiôto an. Hideyoshi
war noch im Felde und liess sie ungebührlich lange auf seine Rück-
kehr warten. Endlich wurden sie von ihm empfangen. Man kennt
den Brief, welchen er ihnen an den König von Korea mitgab, und
auch den Bericht derselben über den Empfang. Aus der Ueber-
setzung beider durch W. G. Aston*) mögen folgende Stellen hier
Platz finden:
»Ich will ein mächtiges Heer versammeln«, so schreibt Hideyoshi
an den König von Korea, »und indem ich in das Land des grossen
Ming einfalle, will ich mit dem Reif von meinem Schwerte den ganzen
Himmel seiner vierhundert Provinzen erfüllen. Ich hoffe, dass Korea
meinen Vortrab bildet, wenn ich diese Absicht ausführe. Dass es
nicht versäume, dies zu thun, denn meine Freundschaft zu Deinem
ehrenwerthen Lande hängt lediglich von Deinem Verhalten ab, wenn
ich meine Armee gegen China führe«.
Im Bericht der Gesandten aber ist zu lesen:
»Hideyoshi ist ein ordinär und unedel aussehender Mann, seine
Gesichtsfarbe ist dunkel und seine Züge entbehren des Charakters.
Aber seine Augen senden Feuer aus in Blitzen — genug, um Einen
zu durchbohren. Er sass auf einem dreifachen Kissen mit dem Gesicht
[326]I. Geschichte des japanischen Volkes.
gegen Süden *) . . . . . Dann wurden Erfrischungen gereicht in sehr
unceremonieller Weise. . . . . . . Er (Hideyoshi) schien überhaupt zu
thun, was ihm gefiel, und benahm sich so gleichgültig, als ob sonst
Niemand zugegen wäre«.
Riyen Koku-ô (König) von Korea sah aus dem Tone des Briefes
und dem Berichte seiner zurückgekehrten Gesandten, dass der Krieg
mit Japan unvermeidlich war. Hideyoshi hatte ihn beschlossen, darum
halfen auch die Versuche, ein freundliches Abkommen zu Wege zu
bringen, welche Yoshitoshi von Tsushima noch machte, nichts, denn
sie wollten nur den Theil zum Nachgeben bringen, der nichts ver-
brochen hatte, und sprachen nur von den umfangreichen Rüstungen,
die Hideyoshi anstellte. In der Antwort, welche der Gesandte nach
Kiôto überbrachte, wurde das Project, China zu erobern, verglichen
mit einem Versuch, den Ocean zu messen mit einer Herzmuschel, oder
mit einer Biene, die sich abmühe, eine Schildkröte durch ihren Panzer
zu stechen.
Diese Vergleiche erregten Hideyoshi’s Zorn. Er selbst wollte
sich an die Spitze des Heeres stellen, dessen Ausrüstung mit ver-
stärktem Eifer betrieben wurde. Darum gab er das Amt eines Ku-
wambaku an seinen Adoptivsohn und Neffen Hidetsugu ab, doch nur
mit einem Schein von Gewalt. In Wirklichkeit behielt er die Zügel
der Regierung bis zu seinem Tode in Händen. Mit dieser Aenderung
war sein letzter Namenswechsel verbunden. Er nannte sich von nun
ab Taikô (grosses Verdienst), ein Titel, den zwar jeder emeritierte
Kuwambaku führte, der aber mit dem Zusatze »sama«, Herr, beim
japanischen Volke und in der Geschichte nur auf ihn angewandt wird.
Auf beiden Seiten wurde das Jahr 1591 mit eifrigen Rüstungen
zugebracht, doch mit sehr ungleichem Erfolg. Korea hatte einen zwei-
hundertjährigen Frieden genossen und war dem Kriege entfremdet.
Es kannte keine Feuerwaffen und war auch von dieser Seite Japan
gegenüber in grossem Nachtheile. Ganz anders stand Japan da.
Da der Hauptzweck nicht Krieg gegen Korea, sondern die Eroberung
Chinas war, so wurden hier die Vorbereitungen in viel grösserem
Umfange betrieben, als dies sonst nöthig gewesen wäre. Die Haupt-
last fiel Kiushiu zu. Jeder Daimio musste hier auf je 10000 Koku
Reis, die seine Ländereien brachten, 600 Mann ausrüsten, und
jeder, dessen Besitzung ans Meer grenzte, ausserdem zwei grosse
Dschunken. Zu ihrer Bemannung hatte jedes Fischerdorf auf je 10
Häuser einen Matrosen zu stellen. Der Sammelpunkt war Karatsu
[327]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
in Hizen, damals Nagoya genannt. Manche geben das Heer, Matrosen
und alles Schiffsvolk mit eingeschlossen, zu 480000 Mann an, Andere
zu 300000, Zahlen, die wohl viel übertreiben. Zu Obergenerälen
ernannte Taikô-sama den Konishi Yukinaga Setsu no Kami und
Katô Kiyomasa.
Nach der niedrigsten Schätzung japanischer Autoren setzten
130000 Mann über nach Korea, denen einige Monate später weitere
50000 folgten. Auch diese Zahlen scheinen indess übertrieben, denn
man kann wohl annehmen, dass alle verfügbaren Dschunken zum
Transport eines so grossen Heeres nicht ausgereicht hätten. Glaub-
würdiger erscheint uns daher die Angabe in der Histoire de l’Eglise,
wonach das eine Heer unter Konishi 40000 Mann zählte. Nimmt
man für das zweite eine gleiche Stärke an, so ergeben sich für
die Invasionsarmee 80000 Mann, also immerhin eine grosse Armee,
besonders in Anbetracht der Zeit und Umstände. Vergebens hatte
sich Taikô-sama bemüht, für den Transport auch zwei grosse portu-
giesische Schiffe zu gewinnen, die damals im Hafen von Nagasaki
lagen.
Der eine Commandant, Admiral Konishi Yukinaga, oder wie die
Jesuiten ihn nennen, Don Augustin Giacuran-dono, war der Sohn
eines Droguisten, also gleich Taikô-sama ein Emporkömmling. Wie
dieser die Flaschenkürbisse, so führte er einen Arzneibeutel aus Papier
an seiner Fahne, wie er als Schild der Apotheker in Japan noch
üblich ist. Es wurde bereits oben erwähnt, das er mit seinen Eltern
1584 zum Christenthume übergetreten war. Sein Heer bestand fast
nur aus Christen. Unter ihm befehligte der Prinz von Bungo; ferner
waren die Fürsten von Omura, Arima und andere unter seinem
Commando.
Katô Kiyomasa, der Oberbefehlshaber des anderen heidnischen
Heeres, hasste die Christen und verachtete ihren Führer, namentlich
auch seiner niedrigen Herkunft wegen. Ihm gab Taikô-sama die
Flagge, welche er seiner Zeit von Ota Nobunaga gegen Môri erhalten
hatte, während er Konishi mit einem schönen Pferde beschenkte,
damit er über die bebärteten Wilden (Koreaner) hinweggaloppieren
könne. Er selbst hatte den Gedanken, den Oberbefehl zu übernehmen,
aufgegeben, hauptsächlich seiner betagten Mutter wegen. Endlich
war Alles zur Abfahrt bereit. Unter lautem Jubel der Zurückbleiben-
den fand dieselbe statt. Konishi landete in Korea Mitte April 1592,
drei Tage vor seinem Rivalen Katô. Unverzüglich nahm er Fusankai
(den Hafen Fusan), Tsushima gegenüber, sowie ein benachbartes
Schloss, Namens Torai. Als Katô ankam, fand er die Hauptarbeit
[328]I. Geschichte des japanischen Volkes.
schon vollbracht. Sein Stolz war dadurch in hohem Grade verletzt
und sein Hass gegen Konishi und die Christen fand neue Nahrung.
Auf verschiedenen Wegen marschierten beide Heere gegen die
Hauptstadt. Nirgends fanden sie ernsten Widerstand. Einer der
Haupterfolge des Konishi war die Einnahme der Stadt Shang-chiu
(Shonju) in der Provinz Kiung-shang (Kion-shan). Hier fand man
unter den Gefangenen einen, welcher Japanisch konnte. Diesen
sandte Konishi nach der Hauptstadt mit einem Briefe des Hideyoshi
und einer Mittheilung von ihm selbst an den Minister der auswärtigen
Angelegenheiten. Sein Schreiben lautete: »Der in Tôrai zum Ge-
fangenen gemachte Gouverneur von Urusan wurde frei gegeben, da-
mit er einen Brief an seine Regierung überbringe, auf den noch keine
Antwort erfolgt ist *). Wenn die Koreaner den Frieden wünschen,
so mögen sie den Ri Tokukei (ein gewisser Beamter) nach Tiûng-
chiu schicken, damit er mich dort am 28. d. M. treffe«. Die Koreaner,
zum Frieden geneigt, sandten den verlangten Unterhändler mit Urusan,
dem Dolmetscher. Dieser fiel aber unterwegs der Armee des Katô
in die Hände und wurde als Spion hingerichtet. In Folge dessen
gab Tokukei seine Mission auf und kehrte zur Hauptstadt zurück.
Tiûng-chiu am oberen Kang-kiang wurde als eine der stärksten
Festungen des Königreiches angesehen, so dass die Nachricht von
ihrem Falle in der Hauptstadt grossen Schrecken verbreitete. Alles,
was konnte, floh nordwärts gegen die chinesische Grenze, selbst die
königliche Familie. Solches geschah 17 Tage nach Konishi’s Landung.
Drei Tage später kamen die beiden feindlichen Heerführer in der
offenen Hauptstadt Hanshon (Han-Tshing oder Kjöng) an, vereinigten
ihre Armeen und rückten weiter nordwärts vor bis zum Rinchinkiang,
wo ihnen ein koreanisches Heer den Weg verlegte. Man simulierte
Flucht, lockte dadurch einen grossen Theil der Koreaner über den
Fluss, fiel dann über sie her und schlug sie vollständig. Da in-
dess die Disharmonie zwischen Konishi und Katô wuchs, beschlossen
sie, ihre Heere wieder zu trennen, und entschieden durch das Loos
(ein bei den Japanern aller Stände noch heutiges Tages beliebtes
Verfahren), welche Route jeder von ihnen weiter einschlagen sollte.
Katô fiel die nordöstliche Provinz Hankion (Hankiung-tô) zu, welche
sich am Japanischen Meere hinzieht. Er durchzog die ganze Provinz,
hatte manchen harten Kampf zu bestehen, machte zwei Prinzen und
[329]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
viele andere Koreaner von hoher Stellung zu Gefangenen und bezog
endlich Quartiere in den fruchtbaren Niederungen an der Brough-
ton-Bai.
Konishi’s Loos war auf die nordwestliche Provinz Pionan (Pingan-
tô) gefallen. Er rückte demgemäss nordwärts gegen den Tatong-Kiang
(Taitong-Kiang) vor, an dessen nördlichem Ufer bei Pingshang (Pjöng-
jang) die koreanische Armee sich von neuem gestellt hatte. Hier
stiessen Kuroda und Yoshitoshi, der Daimio von Tsushima, mit ihren
Truppentheilen zu ihm. Konishi machte einen neuen Versuch, die
Koreaner zum Frieden zu bestimmen. Die Japaner verlangten eine
offene Strasse nach China. Die Koreaner aber, täglich auf chinesische
Hülfe wartend, wiesen die japanische Forderung ab. Pingshang war
gut befestigt, und da die Japaner keine Boote hatten, um über den
Fluss setzen zu können, erfolgte der Angriff erst nach längeren Vor-
bereitungen. Der König floh weiter nordwärts nach Wichu (Ichiu) an
der Mündung des Yalon und der chinesischen Grenze. Auf seiner
Flucht hörte er, dass auch Pingshang gefallen sei, eine Nachricht,
die neuen Schrecken verbreitete. Der Einnahme von Pingshang ging
ein nächtlicher Ueberfall der Koreaner voraus, auf den Konishi nicht
vorbereitet war und der ihm trotz mangelhafter Ausführung ansehn-
liche Verluste brachte und noch folgenschwerer für ihn geworden
wäre, wenn nicht Kuroda ihm zur Hülfe gekommen wäre und den
Feind wieder über den Fluss zurückgedrängt hätte. Die Japaner
folgten nun und eroberten die Festung. Grosse Vorräthe fielen ihnen
in die Hände.
Bis hierher hatte der Gouverneur der benachbarten chinesischen
Provinz Laotung nur den aufmerksamen Beobachter gespielt. Erst
als die Koreaner mit ihren Bitten um Hülfe dringender wurden und
versprachen, sich unter chinesische Oberhoheit stellen zu wollen, wenn
man ihnen beistehe, schickte China ein kleines Hülfscorps von 5000
Mann. Dasselbe rückte auf Pingshang vor, wurde von den Japanern
in die Stadt gelassen und hier in den engen Strassen derselben so
total geschlagen, dass der Rest, ohne den General, welcher fiel, die
Flucht ergriff und erst in Laotung wieder zum Halten kam.
Um diese Zeit trug sich ein folgenschweres Ereigniss im Süden
Koreas zu. Konishi hatte die japanische Flotte, welche bisher un-
thätig nicht weit von Fusan vor Anker gelegen hatte, nach Pingshang
beordert. Bevor dies ausgeführt wurde, lockte die koreanische Flotte
die japanische auf die offene See, griff sie von allen Seiten an und
erfocht einen grossen Sieg über dieselbe, so dass die übrig bleiben-
den japanischen Schiffe sich wieder nach Fusan-kai zurückziehen
[330]I. Geschichte des japanischen Volkes.
mussten. Dieses Ereigniss gab den Koreanern neuen Muth. Ueberall
regte sich nun ihr Widerstand gegen den Eindringling.
Die erste Niederlage der Chinesen zu Pingshang veranlasste sie
zu neuen Rüstungen, dazwischen aber zu einem Versuche, mit Konishi
Frieden zu schliessen. Ein Abgesandter von Peking, Namens Chin
Ikei, dessen Vollmacht, mit Konishi zu unterhandeln, zweifelhafter
Art war, erlangte von den Japanern einen Waffenstillstand von fünfzig
Tagen. Auf seinem Rückwege nach der chinesischen Hauptstadt traf
er auf eine Armee von 40000 Mann, welche im Begriff war, den
Koreanern zu Hülfe zu kommen. Ihr Führer, Ri Joshô, wird als
ein prahlerischer, feiger Mensch geschildert, der Verrath und andere
verwerfliche Mittel dem offenen Kampfe vorzog. Als er gegen Ende
1592 mit seinem Heere Shunan in der Provinz Kionshan (Pjöngan)
erreicht hatte, liess er Konishi wissen, Ikei sei angekommen und
bereit, weiter mit ihm zu unterhandeln. Der japanische Heerführer
sandte alsbald eine Escorte von 20—30 Mann, um Ikei abzuholen
und in das japanische Lager zu begleiten. Ri (Li) Joshô, der chine-
sische Commandant, von dessen nahendem Heere die Japaner keine
Ahnung hatten, liess diese Escorte durch einen Hinterhalt plötzlich
überfallen und niedermachen, so dass nur Wenige entkamen, um
Konishi Bericht über das Vorgefallene abzustatten.
Die japanische Besatzung von Ping-shang (Pean in der Histoire
de l’Eglise) befand sich um diese Zeit in einer sehr üblen Lage.
Unbekannt mit den Bewegungen des Feindes, der die meisten ihrer
Spione ergriffen und hingerichtet hatte und seinerseits von allen Vor-
gängen in der Festung wohl unterrichtet war, ohne Verstärkung vom
Mutterlande zu erhalten, hatte sie viel durch Krankheit und Mangel
zu leiden und hielt sich nur durch ihre gute Disciplin und ihren her-
vorragenden Muth. Ihre Proviantcolonnen wurden wiederholt von den
Koreanern, die Alles ringsum verwüstet hatten, überfallen und nieder-
gemacht, so dass sich Jedermann nach endlicher Erlösung aus diesem
Zustande sehnte, wie nur der Friede sie bringen konnte. Bald stiess
das chinesische Heer, verstärkt durch koreanische Truppen, bei Ping-
shang auf die Japaner. Letztere bewährten ihre alte Tapferkeit,
mussten jedoch ungeachtet der Niederlage, welche sie dem Feinde
bereiteten, sich in die Stadt zurückziehen, wurden hier von neuem
angegriffen und in die Festung geworfen. Zwar gelang es Konishi,
den Feind nochmals aus der Stadt zu vertreiben, doch war dies nur
ein vorübergehender Erfolg. Die dreitägigen Kämpfe hatten sein
Heer so reduciert, dass er nicht mehr Stand halten konnte. Eilig
zog er im strengen Winter ab nach der nächsten südlicheren Festung,
[331]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
welche er in den Händen des Fürsten von Bungo gelassen hatte und
woselbst er eine neue Stütze zu finden hoffte. Dieser hatte seine
Pflichten schlecht wahrgenommen, zwei Stützpunkte der Armee auf-
gegeben und sich in das dritte Fort südlich von Pingshang, welches
Konishi gebaut hatte, zurückgezogen. So musste Konishi mit seinem
reducierten Heere Tag und Nacht weiter marschieren, bis er endlich
am dritten Tage den Fürsten von Bungo mit Truppen und Vorräthen
wohl versehen traf und nun beschloss, hier den Winter zu verbringen
und im Frühjahre wieder nordwärts gegen Pingshang vorzurücken.
Taikôsama, der von all diesen Vorgängen unterrichtet wurde,
nahm dem Daimio von Bungo *) seine Herrschaft, weil er sich einer
solchen nicht würdig gezeigt habe, belobte Konishi und die übrigen
Führer, ermahnte sie, auszuhalten bis zum Frühling, wo er selbst
Hülfe bringen wolle, und sprach die Erwartung aus, dass der Feind
sie unbelästigt lassen werde. Hierin hatte er sich jedoch getäuscht.
Derselbe rückte mit einer zahlreichen Armee heran; Konishi zog ihm
entgegen, man kämpfte mit grosser Wuth den ganzen Tag und trotz
bedeutender Verluste beiderseits ohne bestimmten Erfolg. Indess
boten, als die Nacht herankam, die Chinesen und Koreaner Waffen-
stillstand und Friedensunterhandlungen an, was Konishi sehr er-
wünscht kam.
Nach der Uebereinkunft, welche nun getroffen wurde, sollten
sich die Japaner auf die 12 von ihnen eroberten festen Küstenplätze
zurückziehen und, so lange die Friedensverhandlungen dauerten, die
Waffen ruhen. Alsbald reiste Konishi in Begleitung eines chinesischen
und zweier koreanischen Abgesandten an den Hof des Taikô-sama,
um hier über die Friedensbedingungen weiter zu unterhandeln. Die
Japaner stellten folgende Forderungen: 1. Korea cediert die fünf
südlichsten seiner acht Provinzen an Japan. 2. Der Kaiser von China
sendet Taikô-sama eine seiner Töchter zur Frau, um das Band des
Friedens und der Freundschaft zwischen den beiden Reichen zu be-
festigen. 3. China und Japan treten wieder in ihre alten Handels-
beziehungen zu einander. 4. China und Korea zahlen an Japan jähr-
lich einen noch näher zu bestimmenden Tribut.
[332]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Die Gesandten wurden auf das zuvorkommendste aufgenommen
und nichts gespart, was ihnen die Macht und den Glanz der Herr-
schaft des Taikô-sama vorführen konnte. Nachdem Alles bezüglich
der Präliminarien geordnet war, kehrte Konishi mit den fremden Ge-
sandten und einem neuen Heere von fünfzigtausend Mann, das die
alten zur Heimkehr bestimmten Truppen ablösen sollte, nach Korea
zurück. Ein Beamter des Taikô-sama hatte den chinesischen Ge-
sandten an den Hof nach Peking zu begleiten, um hier weiter wegen
des Friedens zu verhandeln. Unterdessen bauten die Japaner in
Korea zwei neue Festungen, um für alle Fälle auf den Wiederaus-
bruch der Feindseligkeiten vorbereitet zu sein.
Nach einiger Zeit kam eine neue chinesische Gesandtschaft in
Folge der Bemühungen des Konishi mit grossem Gefolge und reichen
Geschenken im japanischen Lager an, um sich an den Hof des Taikô-
sama zu begeben. Konishi überbrachte diesem selbst die Nachricht
und bereitete ihm damit grosse Genugthuung, denn es war schon
lange sein ehrgeiziges Verlangen, dass alle Welt erkennen möge, wie
China sich vor ihm beuge. Die grossen Vorbereitungen, welche er
zum Empfang der Gesandtschaft traf, nahmen viel Zeit in Anspruch,
wurden aber schliesslich gleich so manchem hervorragenden Gebäude,
das er geschaffen hatte, im Sommer 1596 durch heftige Erdstösse
vernichtet. Endlich kam die Gesandtschaft an, überbrachte ihre Ge-
schenke und einen Brief des Kaisers von China, der nicht, wie Taikô-
sama’s Stolz es gehofft und Schmeichler es ihm in Aussicht gestellt
hatten, eine demüthige Unterwerfung unter seinen Willen, sondern
vielmehr die Forderung enthielt, er möge die Festungen in Korea
schleifen und seine Truppen daraus zurückziehen. Dies versetzte
ihn in Wuth. Die Gesandtschaft wurde sehr ungnädig entlassen und
Konishi beordert, sich sofort nach Korea zurückzubegeben und den
Krieg aufs eifrigste fortzusetzen. Die Feinde des Obergenerals be-
nutzten die Gelegenheit, denselben aufs neue bei Taikô-sama zu
verdächtigen, als sei er an dieser Insulte schuld, während er wahr-
scheinlich von dem Inhalte des Briefes keine Ahnung hatte und nur
von dem allgemeinen Verlangen nach Frieden geleitet wurde. Katô
Kiyomasa (Toronosuque der Jesuiten) war an der Spitze dieser Intri-
guen gegen Konishi und die Christen, zumal seitdem er wegen Un-
fähigkeit zurückberufen worden war. Jetzt erlangte er ein neues
Commando in Korea. Konishi erhielt unter dem Oberbefehl von
Kuroda Yoshitaka bedeutende Verstärkungen aus Kiushiu zugesandt,
mit denen er erfolgreich operierte, bis der Tod des Taikô-sama im
Jahre 1598 die Zurückberufung der Truppen veranlasste.
[333]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
Die eigenthümlichste unter den vielen Trophäen, welche man aus
Korea mitbrachte, bestand in den abgeschnittenen Ohren mehrerer
Tausend gefallener Feinde. Sonst war es Sitte, dem getödteten
Gegner den Kopf abzuschneiden und ihn im Triumphe mitzuführen,
wie dies auch die halbcivilisierten Völker der Balkanhalbinsel ge-
wohnt sind; in Korea aber schnitt man ihm mit Rücksicht auf die
Entfernung von der Heimath nur die Ohren ab und salzte sie ein.
Diese Tausende von Ohren getödteter Koreaner wurden in Kiôto be-
graben. Auf dem darüber aufgehäuften Erdhügel erhob sich ein
steinernes Denkmal, Mimidzuka (Ohrmonument) genannt, welches noch
heutiges Tages zur Erinnerung an jene Zeit besteht.
Verschiedene Fürsten von Kiushiu, wie Satsuma und Hizen,
brachten ihren Herrschaften werthvollere Andenken an die grosse
Expedition mit, koreanische Töpfer nämlich, welche von ihnen die
Rechte von Samurai erhielten und angesiedelt wurden, um die be-
rühmt gewordene Porzellan- und Fayance-Industrie einzuführen. In
Arita und zu Naheshirogawa oder Tsuboya, dem »Koreanerdorfe« in
Satsuma, leben noch Nachkommen derselben. Auch nach Kiôto,
Hagi in Nagato und anderen Städten hatte man während des Krieges
Koreaner gebracht, um durch dieselben die feinere Keramik zu ver-
breiten.
In das letzte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, die Zeit der un-
bestrittenen Macht des Taikô-sama, fallen neben der Expedition gegen
Korea und China noch einige andere bemerkenswerthe Ereignisse,
welche hier kurz erwähnt werden müssen. Es sind dies der Tod des
Hidetsugu und die ersten Christenverfolgungen.
Es wurde bereits früher hervorgehoben, dass Hideyoshi in Er-
mangelung eigener Kinder seinen Neffen Hidetsugu adoptierte und im
Jahre 1591, als er im Begriffe stand, selbst an der Spitze der Armee
nach Korea zu gehen, demselben das Amt des Kuwambaku über-
tragen liess. Diesen Schritt scheint er bereut zu haben, und zwar
vom Jahre 1592 ab, als ihm eine seiner vornehmsten Frauen, die
Prinzessin Azai von Ômi, Tochter des Shibata Katsuye, einen Sohn
schenkte, den er Hideyori nannte *). Bei der Habsucht und dem
unbegrenzten Ehrgeize, welche ihn beherrschten, gab es bald Ge-
legenheiten, durch welche Hidetsugu seine Eifersucht wachrief. Der-
selben folgten Zeichen des gegenseitigen Misstrauens und Vorsichts-
massregeln verschiedener Art, welche bewiesen, dass Onkel und Neffe
[334]I. Geschichte des japanischen Volkes.
in Furcht vor einander lebten. Taikô-sama schritt endlich zur Aus-
führung seines Planes, den lästigen Neffen und Kuwambaku zu be-
seitigen. Er sandte demselben eines Tages fünf Adjutanten, deren
jeder ihm eine Anklage vortragen musste und die ihm die kategorische
Aufforderung überbrachten, unverzüglich sein Schloss in Kiôto zu
verlassen und sich mit keinem anderen Gefolge als zehn seiner Pagen
nach Fushimi vor Taikô-sama zu begeben und sich zu verantworten.
Taikô-sama sandte ihn noch am nämlichen Tage nach dem Kloster
Koya in Kii in die Verbannung. Dies geschah 1594. Ein Jahr
darauf wurden fünf der Pagen in seiner Begleitung zurückberufen,
Hidetsugu erhielt den Befehl, das Harakiri vorzunehmen, und folgte
demselben, als er gesehen, auf welche heroische Weise seine fünf
jungen Gefährten vor ihm sein Schicksal getheilt hatten. Taikô-sama
begnügte sich nicht mit diesen Opfern; seiner Rache fielen Alle an-
heim, welche mit Hidetsugu in näheren Beziehungen gestanden hatten;
alle Rathgeber, Weiber und Kinder des unglücklichen Prinzen wurden
gleichfalls dem Tode geweiht.
Zeitgenossen des Hidetsugu, insbesondere die portugiesischen Je-
suiten, schildern denselben als einen Mann von hohen Geistesgaben,
mit scharfem Verstande und Urtheile, weise, klug und discret, mit
feinen, zuvorkommenden Manieren, als wissbegierig und dem Christen-
thume geneigt. Aber diese guten Eigenschaften wurden verdunkelt
durch einen unbegreiflich rohen Zug seines Charakters, eine Herz-
losigkeit und Grausamkeit ohne Beispiel. Hidetsugu kannte kein
grösseres Vergnügen, als Menschen zu tödten, den zum Tode Verur-
theilten die Köpfe abzuschlagen oder auch Glied für Glied von den-
selben zu trennen. Es wird sogar berichtet, dass er Schwangeren
den Leib öffnete, um zu sehen, welche Lage die Kinder hatten.
Die Beziehungen des Hideyoshi zu den Missionären und dem
Christenthume schienen sich beim Beginn seiner Herrschaft freundlich
zu gestalten, doch dauerte die Gunst, welche er damals den portu-
giesischen Vätern erwies, nur so lange, als ihn die Sorge um die
Befestigung seiner Herrschaft sonst in Anspruch nahm. Die ersten
feindlichen Acte desselben gegen die neue Lehre fallen in das Jahr
1587. Um diese Zeit gab es in Japan nach der Histoire de l’Eglise
200000 Christen. Personen in hervorragender Lebensstellung, Könige
(Daimios), Prinzen, Generäle, hohe Beamte am Hofe, mit einem Worte
die Blüthe des japanischen Adels, sagt unser Gewährsmann mit ge-
ringer Uebertreibung, gehörten dazu. Immerhin aber war der Ein-
fluss der Feinde des Christenthums bei Hofe überwiegend. Er fand
eine gewaltige Stütze in der grenzenlosen Eitelkeit und Sinnlichkeit
[335]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
des Taikô-sama, denen natürlich das Christenthum entgegentrat. Im
Juli 1587, während der Emporkömmling zu Takata in Chikuzen
weilte, fühlte er sich nach dem Bericht der Jesuiten durch einen
portugiesischen Kapitän, der ihm zu Gefallen mit seinem grossen
Schiffe nicht in die seichte Bucht einlaufen wollte, und durch die
Keuschheit schöner Christenmädchen von Arima verletzt, die seine
Anträge zurückgewiesen hatten. Da erschien plötzlich ein Erlass von
ihm, der allen Jesuiten befahl, binnen zwanzig Tagen das Land zu
verlassen. Als man ihm vorstellte, dass in dieser Zeit kein Schiff
abgehe, wies er die Väter an, sich auf die Insel Hirado zu begeben
und hier zu warten, bis die nächste Fahrgelegenheit sich biete. Er
gewährte ihnen dazu eine halbjährige Frist. Dem Justo Ucondono
(Takayama, Daimio zu Akashi), der in seinem Eifer für das Christen-
thum hart gegen seine heidnischen Unterthanen gewesen war, stellte
er die Wahl, dem Christenthume oder seiner Herrschaft zu entsagen.
Derselbe wählte das letztere, erklärte bereit zu sein, für seinen Glau-
ben in den Tod zu gehen, und fand mit seiner Familie ein Asyl in
dem Territorium seines Freundes, des Admirals Konishi, nahe bei
Ôsaka. Diesen und den Commandanten der Cavallerie, Don Simon
Condera (Tago-no-Kami), liess Taikô-sama in ihren Stellungen, weil
er ihre Ergebenheit kannte und ihre Dienste zu sehr schätzte, als
dass er sie ihres Glaubens wegen hätte verlieren mögen.
Die Väter, 65 an der Zahl, versammelten sich dem Befehle ge-
mäss auf Hirado, beschlossen aber, im Lande zu bleiben, doch Alles
zu vermeiden, was den Verfolger weiter reizen könnte, ihre Kirchen
und Kapellen zu schliessen, nicht mehr öffentlich zu predigen und
keine Prozessionen zu veranstalten. Auf Einladung der christlichen
Fürsten vertheilten sie sich in deren Herrschaften, predigten und er-
mahnten die Christen, welche sich in Privathäusern versammelten, und
spendeten denselben die Sacramente. Taikô-sama, obgleich er dies
wusste, liess sie gewähren, zerstörte verschiedene Kirchen zu Ôsaka,
Sakai und anderwärts, trieb aber die Sache nicht auf die Spitze.
Anders verhielt sich Don Constantin, der junge König von Bungo,
dessen lockeres Leben sich schlecht mit der christlichen Lehre ver-
trug. Nachdem er in Folge seiner militärischen Unfähigkeit an Satsuma
fast sein ganzes Besitzthum verloren und dann im Jahre 1586 einen
Theil desselben durch die Tapferkeit seines Onkels und die Hülfe
des Taikô-sama wieder erhalten hatte, fürchtete er bei der Publication
des Edictes gegen die Christen seine Herrschaft zu verlieren, wenn
er nicht alsbald dem Christenthume entsagen und auch seine Unter-
thanen zur Rückkehr zum Heidenthume anhalten würde. Unter dem
[336]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Einflusse eines heidnischen Onkels, der die Christen hasste, suchte er
Taikô-sama zu überbieten und verfolgte die Christen auf das grau-
samste. Zu Funai, wo das Evangelium seine ersten eifrigen Bekenner
gefunden hatte, wurde der erste zum Märtyrer. Es war ein siebzig-
jähriger Greis, Namens Joram Macama, ein alter tapferer Soldat, der
am 27. Juli 1589 auf Befehl des Königs Nachts getödtet wurde.
Seine Frau und Kinder waren die nächsten, welche den Tod erlitten.
In dieser Zeit der ersten Verfolgungen zeigte sich die Standhaftigkeit
der meisten Christen im schönsten Lichte. Angesichts derselben wuchs
die Zahl der Gläubigen in überraschender Weise, nach den Berichten
um 10000 jährlich.
Alles wäre vielleicht wieder ins rechte Geleise gekommen, wenn
dem Christenthume nicht ein neuer Feind von ganz anderer Seite
erwachsen wäre. Im Jahre 1592 erschien Lupus di Liano, ein Ge-
sandter des Gouverneurs der Philippinen, um sich bei Taikô-sama
über portugiesische Kaufleute zu beklagen. Auf seiner Rückreise
ging derselbe mit seinem Schiffe unter. Ein Jahr darauf folgte ihm
ein neuer Abgesandter in Begleitung von vier spanischen Francis-
canern. Dieselben baten Taikô-sama um die Erlaubniss, sein Schloss
sehen und sich in Kiôto ein Haus bauen zu dürfen. Beides wurde
ihnen, die sich als Gesandte benahmen, gewährt, doch unter der aus-
drücklichen Bedingung, dass sie nicht predigen würden. »Sie werden
meinem Befehle nicht entgegen handeln, wenn sie klug sind, wenn
nicht, so will ich sie lehren, über mich zu lachen«, antwortete Taikô-
sama dem Gouverneur von Kiôto, als dieser ihm seine Besorgniss
aussprach. Doch die Bettelmönche kümmerten sich weder um das
Verbot, noch ihr Versprechen, predigten öffentlich in ihren Gewändern
und erregten die Gemüther durch die Heftigkeit ihrer Sprache und
die Zwietracht, welche sie in die Gemeinde der Christen selbst
brachten. Auch liessen sie andere Ordensbrüder nachkommen, er-
richteten eine Kirche in Kiôto, eine in Ôsaka und waren eben daran,
eine dritte in Nagasaki zu gründen, als Taikô-sama, aufs höchste er-
zürnt über ihr Gebahren, ihrem Thun ein gewaltsames Ende machte.
Er erneute seinen Befehl gegen die fremden Missionäre, liess die
Häuser der Franciscaner und Jesuiten in Kiôto, Ôsaka und Sakai
umstellen, ihre Insassen gefangen nehmen, in den Hauptstrassen dieser
Städte umherführen und durch einen Beamten den Schandpfahl voraus-
tragen, auf dessen Brett eine Inschrift folgenden Inhaltes sich befand:
Taikô-sama.
Ich habe diese Leute zum Tode verurtheilt, weil sie von den
Philippinen nach Japan gekommen sind, sich für Gesandte ausgegeben
[337]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
haben, ohne es zu sein, und weil sie in meinem Lande ohne meine
Erlaubniss gewohnt haben und das Gesetz der Christen verkündet
haben gegen mein Verbot. Ich will, dass sie gekreuzigt werden zu
Nagasaki.
Dies letztere geschah am 5. Februar 1597. Drei portugiesische
Jesuiten, sechs spanische Franciscaner und 17 eingeborene Christen
erlitten hier den Tod, dem sie standhaft und freudig entgegengingen.
Im Jahre 1627 wurden dieselben vom Papst Urban II. heilig ge-
sprochen.
In den Augen des Taikô-sama starben sie nicht ihres Glaubens
wegen, sondern weil sie sein Gebot missachtet hatten und weil er in
ihnen eine grosse Gefahr für die Selbständigkeit Japans sah, eine
Ansicht, die auch späteren Verfolgungen theilweise zu Grunde lag
und in der Taikô-sama unter anderem bestärkt worden war durch
einen spanischen Schiffscapitän. Derselbe hatte ihm oder seinen Be-
amten eine Karte der spanischen Herrschaft gezeigt und auf die
Frage, wie Spanien in den Besitz eines so ungeheueren Länderge-
bietes gekommen sei, geantwortet, dass der Hergang gewöhnlich der
sei, dass sein König erst Priester aussende, um die Heiden zum
Christenthume zu bekehren, und dann Soldaten, um diesen Christen
seinen Schutz zu gewähren und mit ihrer Hülfe das Land zu erobern.
In dem Kampfe mit Korea und China, der mittlerweile von neuem
ausgebrochen war, sah Taikô-sama den einzigen Ausweg, die Christen
los zu werden und die ihm immer mehr zum Bewusstsein kommende
Gefahr für seine Herrschaft zu beseitigen. Ein grosser Theil der-
selben kämpfte, wie bereits hervorgehoben wurde, unter Konishi.
Eroberten sie das Land, so mochten sie darin bleiben, sich eine neue
Heimath gründen und ihre Verwandten und Anhänger nachziehen;
unterlagen sie, so hatte er ebenfalls vor ihnen Ruhe. Es galt also
nach seiner Ansicht vor allem, den Einfluss der Jesuiten zu beseitigen.
Man kann ihn, den Zeitgenossen Philipp’s II. von Spanien, keiner
grossen Härte anklagen, wenn er dem Gouverneur von Nagasaki Be-
fehl gab, die Jesuiten auf einem Schiffe nach China zu schaffen, mit
Ausnahme einiger, denen er bedingungsweise gestattete, in Nagasaki
zu bleiben. Auch dieser Befehl wurde nur theilweise ausgeführt,
indem von 125 Portugiesen (Priestern und Coadjutoren der Gesell-
schaft Jesu) sich 11 im Jahre 1598 nach China einschifften, die übri-
gen aber zurückgezogen in Japan verblieben. Sie hatten unter den
höheren Beamten warme Freunde, welche ihnen heimlich Winke
gaben und anderseits den Zorn des Taikô-sama zu besänftigen
suchten.
Rein, Japan I. 22
[338]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Dieser hatte bald ausgespielt. Das ausschweifende Leben, dem
er sich in den letzten Jahren mehr und mehr hingegeben hatte, zer-
rüttete seine Gesundheit. Eine Dysenterie, welche sich Ende Juni
1598 bei ihm einstellte und nicht mehr wich, führte seinen Tod her-
bei, der im September 1598 eintrat. Die Zeit seiner Krankheit be-
nutzte er zum Theil zu Vorbereitungen, um seinem sechsjährigen
Kinde Hideyori sein Erbe zu sichern. Zunächst versammelte er alle
seine Vasallen, soweit dieselben nicht bei der Armee in Korea waren,
und liess sie seinem Sohne und Hause Treue schwören. Indem er
dann in Gedanken bei den übrigen Fürsten des Landes Umschau
hielt, fand er besonders einen, den er noch näher an sein Haus
fesseln und seinen Interessen dienstbar machen musste, wenn die-
selben Bestand haben sollten. Dies war Tokugawa Iyeyasu (Gieiaso,
wie die Jesuiten schrieben), der Herr des Kuwantô, den er als den
mächtigsten, tapfersten, edelsten, geachtetsten und von seinen Unter-
gebenen am meisten geliebten Fürsten des Landes ansah. Denselben
lud er zu sich ein nach Fushimi, hielt ihm in Gegenwart des ver-
sammelten Hofes und aller seiner grossen Würdenträger eine Lobrede,
bat ihn dann, seinem Sohne beizustehen, während dessen Minder-
jährigkeit die Geschäfte des Landes zu leiten und ihm dann die
Verwaltung zurückzugeben. Damit die Sache für beide Theile mehr
Sicherheit und Befriedigung gewinne, proponierte ihm Taikô-sama
eine Heirath zwischen Hideyori und Iyesasu’s Grosstochter, die auch,
obgleich beide noch unmündige Kinder waren, schon kurze Zeit
darauf feierlich vollzogen wurde *). Iyeyasu war durch dies Alles
scheinbar sehr gerührt. Er erinnerte Taikô-sama daran, wie er, der
Herr des Kuwantô, beim Tode seines Schwagers Nobunaga nur die
Provinz Mikawa besessen, dann aber bald durch seines Freundes Hülfe
noch drei weitere Provinzen erworben habe. Schon kurze Zeit darauf
habe ihm Taikô-sama’s Güte die acht Provinzen des Kuwantô zuge-
wandt. Bei so viel Gunst sei es natürlich seine und seiner Nachfolger
Pflicht, Taikô-sama’s Sohn treu zu dienen und sich des grossen Ver-
trauens würdig zu erweisen, das jetzt wieder in ihn gesetzt werde **).
[339]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
Damit hielt Taikô-sama jedoch die Zukunft seines Sohnes noch
nicht genügend gesichert. Neben Iyeyasu ernannte er noch weitere
vier Tairô (Haupt-Aelteste) seines Sohnes, die sich zwar in Allem
Iyeyasu, dem fünften, unterordnen, doch aber gewissermassen als
Wache und Gegengewicht dienen sollten, damit dieser seine Gewalt
nicht missbrauche. Ausserdem hatte er schon früher fünf Gouverneure
(Bugiô) ernannt. Den Gotairô (fünf grosse Altehrwürdige) fiel die
Sorge um das allgemeine Staatswohl und die Besprechung aller wich-
tigen allgemeinen Fragen zu, während die Gobugiô (fünf Gouver-
neure) an der Spitze der Verwaltung standen. Ein dritter Körper,
aus drei Mitgliedern bestehend und Chiurô (Vermittelnde Aelteste)
genannt, sollte, wie der Name andeutete, bei Streitigkeiten zwischen
den beiden ersten die Vermittlerrolle spielen. Die Gobugiô, welche
in der Folge neben Iyeyasu und theilweise in Opposition zu ihm eine
Rolle spielten, waren Asano Nagamasa, Ishida Mitsunari,
Masuda Nagamori, Nagatsuka Masaïye und Masuda Geni.
Nachdem Taikô-sama diese Dinge zur scheinbaren Zufriedenheit
geregelt hatte, befahl er, die Citadelle von Ôsaka zu verstärken, und
liess zu dem Zwecke 17000 Häuser niederreissen, um Raum für die
grosse Aussenmauer zu gewinnen. Seine letzten Gedanken waren
auf die Armee in Korea gerichtet. Indem er Asano Nagamasa und
Ishida Mitsunari befahl, dieselbe zurückzurufen, starb er mit dem
Ausrufe: »Lasst nicht meine Armeen vernichtet werden in einem
fremden Lande«.
Die Gouverneure machten den letzten Willen ihres Herrn bekannt
und begaben sich dann von Kiôto und Ôsaka nach Fushimi, um dem
neuen, Hideyori, ihre Huldigung darzubringen, worauf sich dieser,
der Weisung seines Vaters gemäss, mit seinem Verwandten Maëda
Toshiiye und dem persönlichen Gouverneur Katagiri Katsumoto
nach Ôsaka begab. Die Officiere der zurückkehrenden Armee wurden
von Iyeyasu in Fushimi in zuvorkommender Weise empfangen und
reich beschenkt.
Der Tod Taikô-sama’s erfüllte die Christen mit neuen Hoffnungen.
Dieselben stützten sich theils auf die zurückkehrende Armee und das
einflussreiche christliche Element in derselben, welches für den jungen
Hideyori eintrat, theils darauf, dass ein anderer Prätendent um die
höchste Staatsgewalt, Hidenobu, ein Enkel Nobunaga’s, einige Zeit
zuvor zum Christenthume übergetreten war. Namentlich scheinen die
Jesuiten auf diesen, der jedoch ohne allen Anhang war, grosse Hoff-
nungen gesetzt zu haben. Die Väter traten wieder hervor, bemühten
sich um die Gunst der Mächtigen und fanden überall, auch bei Iyeyasu,
22*
[340]I. Geschichte des japanischen Volkes.
freundliches Gehör und Aufmunterung. Unter diesen Umständen
wuchs die Zahl der Christen zusehends.
Misstrauen gegen Iyeyasu erfüllte die Gouverneure, sowie die
meisten Daimios des Südens, einschliesslich Môri’s von Chôshiu und
Shimadsu’s von Satsuma, der beiden mächtigsten derselben. Der
Mikawa-Häuptling, in dessen Abstammung von Minamoto sie Zweifel
setzten, war ihnen schon zu stark und einflussreich geworden. Zu
einer weiteren Vermehrung seiner Macht mitzuwirken, schien ihnen,
die auf ihre Herkunft grosses Gewicht legten, eine Erniedrigung und
vor allem ihrem Interesse zuwider. So bildeten sich denn bald zwei
mächtige Parteien im Lande aus, die sich erst insgeheim, dann offen
feindlich gegenüber traten, die Partei des Iyeyasu, die sich um diese
hervorragende Persönlichkeit willig und vertrauensvoll schaarte, und
die Partei des Hideyori, in deren Vordergrund Ishida Mitsunari trat.
Wie in dem Gen-Pei-Kassen, so stand auch hier im allgemeinen,
wenngleich mit Ausnahmen, der Norden unter Führung des Iyeyasu
dem Süden unter den Gouverneuren gegenüber. Dort war Einheit,
hier gab es nur ein lockeres Band, das die verschiedensten Interessen
vereinigte. Da waren zunächst die Vasallen des Hideyori, welche
ihre Stellung und der Hideyoshi geleistete Eid hierher wies, wie die
christlichen Generäle. Zu diesen gesellten sich, nicht aus Zuneigung
zu Hideyori, sondern aus rein persönlichen Interessen, viele Fürsten
des Südens, wie schon erwähnt wurde, und endlich eine Anzahl un-
entschiedener Daimios, die nur den Gang der Ereignisse abwarten
wollten, um bei der ersten Iyeyasu günstigen Operation zu diesem
überzugehen. In den Städten Fushimi und Ôsaka waren die meisten
Barone des Landes mit grossem Gefolge versammelt, so dass die Zahl
der Bewaffneten, welche neben den Bewohnern die Häuser und Strassen
erfüllten, auf 200000 geschätzt wurde. Um die grosse Gefahr für
den öffentlichen Frieden, welche darin lag, wesentlich zu verringern,
hatte man beschlossen, denjenigen, der einen Streit anfange, als
Feind des Vaterlandes zu behandeln, so dass Jeder auf seiner Hut
sein musste, dass sein Schwert in der Scheide bleibe. Das christ-
liche Element war getheilt. Während Konishi und einige seiner
Freunde auf der Seite der Gouverneure standen, traten Ômura, Arima
und mehrere Andere für Iyeyasu ein.
Den Anfang der Wirren machte ein Streit der Gouverneure Ishida
(Jibu-no-sho) und Asano unter einander gleich nach der Rückkehr
der Truppen aus Korea, welcher grosse Dimensionen annahm und
wobei Konishi, der die Herrschaft Higo erhalten hatte, und die meisten
Daimio von Kiushiu Partei für Ishida Mitsunari nahmen. Man wandte
[341]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
sich an Iyeyasu als Schiedsrichter, der ebenfalls zu Gunsten Mitsu-
nari’s urteilte. Asano Nagamasa und seine Anhänger schlossen sich
trotzdem enger an Iyeyasu an. Bald darauf wurden die Gouverneure,
insbesondere Mitsunari, eifersüchtig auf den zunehmenden Einfluss des
Iyeyasu, dem gegenüber ihre Stellungen leere Titel waren. Mitsunari
intriguierte nun gegen den Daifu-sama (Daifu-Naidaijin, eine vom
Mikado verliehene Würde) Iyeyasu, den er zu beseitigen suchte. Zu
seinen Complicen gehörte unter Anderen Maëda Toshinaga, Sohn
des Tairô Maëda Toshiiye, Fürsten von Kaga. Toshinaga theilte ihre
Pläne seinem Freunde Hosokawa Tadaoki mit, der ihn mit Thränen
in den Augen bat, von dem gefährlichen Treiben abzustehen, und
mit ihm zum alten Toshiiye ging, um hier die Sache weiter zu be-
sprechen. Dieser, obwohl kein Freund des Daifu-sama, liess sich
alsbald in seiner Sänfte von Ôsaka nach Fushimi zu Iyeyasu tragen,
theilte ihm die Intriguen der Gouverneure und insonderheit Mitsu-
nari’s mit und bat ihn, auf seiner Hut zu sein und nach seinem Tode
seinem Sohne Toshinaga seinen Schutz angedeihen zu lassen. Iye-
yasu versprach es. Einige Zeit darauf erwiderte Daifu-sama auf
Rath des Hosokawa Tadaoki den Besuch und begab sich zum alten
Daimio von Kaga nach Ôsaka, wobei er die Fürbitte desselben für
Hideyori mit dem Versprechen beantwortete, dass er nach Kräften
dessen Interesse fördern wolle.
Mitsunari glaubte, dass seine und seiner Verbündeten Pläne ohne
die Mitwirkung des Hosokawa Tadaoki wenig Aussicht auf Erfolg
haben würden. Darum suchte er diesen durch grosse Versprechungen
für die Zwecke seiner Partei zu gewinnen. Tadaoki widerstand je-
doch der Versuchung und theilte die Unterredung Iyeyasu mit, in-
dem er denselben bat, auf seiner Hut zu sein. Bald darauf stellte
er gemeinsam mit Katô Kiyomasa, Kuroda Nagamasa und Fuku-
shima Masanori bei Iyeyasu den Antrag, dass Mitsunari als Ver-
schwörer getödtet werde, doch weigerte sich der Daifu-sama, ihrem
Verlangen zu willfahren. Es war um die Zeit, als der Ashô oder
Dainagon*) Toshiiye, Daimio von Kaga, auf dem Sterbebette in
Ôsaka lag. Katô und seine Partei besuchten ihn und wollten ihn
bestimmen, dahin zu wirken, dass Mitsunari, der Toshiiye ebenfalls
zuvor gesehen hatte, verurtheilt werde, was derselbe jedoch ablehnte.
Hierauf beschlossen sie, ihrem Gegner aufzulauern und ihn zu er-
schlagen. Mitsunari, der hiervon in Kenntniss gesetzt wurde, wandte
sich an Môri, Ukita, Uyesugi, Satake und Shimadzu, die Chefs von
[342]I. Geschichte des japanischen Volkes.
fünf mächtigen Häusern, mit denen das seinige seit lange in Freund-
schaft gelebt hatte, und bat sie um ihren Beistand. Als Satake
Yoshinobu die missliche Lage erkannte, in welche Mitsunari gerathen
war, empfahl er ihm, zu Iyeyasu zu gehen und dessen Schutz zu
erbitten. Iyeyasu empfing ihn sehr freundlich und suchte ihm zu
zeigen, wie unbegründet sein Verdacht und wie verwerflich seine
Handlungen gegen ihn seien. Als aber Katô und die übrigen Feinde
des Mitsunari weiter dessen Tod verlangten, drang Iyeyasu in den
Bugiô, seiner Stelle zu entsagen und sich in seine Provinz Ômi zurück-
zuziehen. Zum Zeichen, dass er nichts gegen Mitsunari im Schilde
führe, gab er ihm sogar einen seiner Söhne mit. Dann berief er
Mitsunari’s Feinde zu sich und bestimmte sie, ihrem Anschlag gegen
denselben zu entsagen. Don Austin (Konishi Yukinaga), ein alter
Freund des Ishida Mitsunari, wollte sich mit diesem auf das Schloss
Sawoyama (Hikone) in Ômi in die Verbannung begeben, doch liess
dies Mitsunari nicht zu und bestimmte ihn, in Fushimi zu bleiben.
Mitsunari setzte, ungeachtet des persönlichen, zuvorkommenden
Wesens von Iyeyasu, seine Intriguen gegen denselben fort. In der
Geschichte der Kirche wird sein uns schwer begreifliches Verhalten
damit erklärt und entschuldigt, dass er als Christ seinem dem Hide-
yoshi gegebenen Eide gemäss gehandelt habe, um zu verhüten, dass
Hideyori durch Iyeyasu um sein Erbe komme. Er bewirkte das
Gegentheil, denn er stürzte bald den jungen Prinzen sowohl als auch
sich und alle seine Freunde ins Verderben. Uyesugi Kagekatsu,
der Herr von Echigo und Aidzu und neben Iyeyasu der reichste und
mächtigste Fürst des Nordens, kam zu ihm und verabredete mit ihm
einen Plan, den Daifu-sama im folgenden Jahre (1600) anzugreifen.
Sie beschworen den Vertrag, welchen sie abschlossen, und besiegelten
ihn mit ihrem Blute *). Uyesugi besuchte dann seine Schlösser in
Aidzu. Auch Môri, Ukito, Maëda und Satake besuchten ihre Staaten.
Man sah darin eine Fortsetzung der feindlichen Vorbereitungen gegen
Iyeyasu und rieth diesem, den Gegnern zuvorzukommen und sich des
westlichen Theiles vom Schlosse zu Ôsaka zu bemächtigen. Dies
geschah Mitte Winter **). Zu Neujahr 1600 brachten die meisten
Barone dem Daifu-sama in Ôsaka ihre Glückwünsche dar, was so
[343]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
viel bedeutete, als dass sie ihn als Nachfolger des Hideyoshi und
Führer anerkannten.
Bald darauf forderte man auch Kagekatsu auf, an den Hof nach
Ôsaka zu kommen. Derselbe gab jedoch Unwohlsein vor, sowie,
dass er von Taikô-sama die Erlaubniss erhalten habe, drei Jahre
auf seinen Besitzungen leben zu dürfen, und kam nicht. Iyeyasu
war ungehalten über diese Opposition, übergab den westlichen Theil
der Festung Ôsaka sowie das Schloss zu Fushimi dem Schutze zweier
Vasallen und begab sich mit grossem Gefolge nach Yedo, um sich
auf die bevorstehenden Kämpfe zu rüsten.
Die Gouverneure Mitsunari und Yoshitaka sandten nun ein Cir-
cular an alle Daimios, worin sie gegen Iyeyasu dreizehn verschiedene
Klagen erhoben, die darin gipfelten, dass er das Erbe Taikô-sama’s
an sich reisse, obgleich er diesem versprochen, es Hideyori erhalten
helfen zu wollen. Man schwor sich gegenseitig Treue und ernannte
Môri Terumoto zum Führer der Liga. Mit dem Heere von etwa
150000 Streitern, das dieselbe rasch zusammen brachte, nahm man
den westlichen Theil der Burg von Ôsaka, hinterliess hier Môri Teru-
moto und Masuda Naganori mit einem Beobachtungscorps sowie zum
Schutze des Hideyori und rückte mit der Hauptarmee nordwärts vor
Fushimi, dessen stattliches Schloss nach zehntägiger Belagerung in
ihre Hände fiel, dabei aber in Flammen aufging. Sein Vertheidiger,
Torii Mototada, nahm sich bei der Gelegenheit das Leben. Von
Fushimi rückte die Armee der Liga nach Ômi vor, um Mino und
Owari zu besetzen.
Iyeyasu hatte sich von Yedo nach Koyama in Shimotsuke be-
geben, wo ihn die Nachricht von der Belagerung von Fushimi er-
reichte. Er hielt nun mit seinen Söhnen und Vasallen Rath über die
Schritte, welche er zu thun habe, wobei Ii Yoshimasa erklärte,
dass dies eine günstige Gelegenheit sei, die Regierung des Landes
in seine Hände zu bekommen, die er nicht vorübergehen lassen dürfe.
Iyeyasu möge die zerstreuten Truppen sammeln und an ihrer Spitze
dem Feinde entgegenrücken. Iyeyasu beschloss, demgemäss zu han-
deln. Da jedoch bei der Einnahme der Festungswerke zu Ôsaka
und Fushimi die Familien vieler seiner Anhänger in Gefangenschaft
gerathen waren, so stellte er es jedem frei, sich der Liga zuzuge-
sellen, um Frau und Kinder zu retten, und versprach sogar denen,
die dies thun wollten, sie mit den nöthigen Reisevorräthen zu ver-
sehen. Da trat Fukushima Masanori vor und rief aus: »Es ist
Niemand unter uns, der unter Umständen, wie die vorliegenden, seinen
Lehnsherrn verlassen würde aus Rücksicht auf seine Familie!« Alle
[344]I. Geschichte des japanischen Volkes.
stimmten dieser entschiedenen Erklärung bei. Nun wurde der Ope-
rationsplan entworfen. Man würdigte Masanori der Ehre, den Vortrab
führen zu dürfen, vertraute Yuki Hideyasu, dem ältesten Sohne
des Iyeyasu, die Sorge um die Hauptstadt und das Kuwantô und
theilte die Armee in zwei Heere, deren eines Iyeyasu selbst den
Tôkaidô entlang führen sollte, während sein zweiter Sohn Hidetada
mit dem andern die Nakasendô-Route einzuschlagen hatte.
Mitsunari hatte die Schlossstadt Ogaki in Mino erreicht, rasch
in Vertheidigungsstand versetzt und viele kleinere Barone von Ise
und Owari zu sich herangezogen. Das Heer der Liga, welches unter
ihm stand, wird auf 180000 Mann geschätzt. Durch Versprechungen
war es ihm weiter gelungen, Ota Hidenobu, den Enkel des Nobu-
naga, einen verschwenderischen, vergnügungssüchtigen Menschen, für
die Liga zu gewinnen, und hatte ihm die Vertheidigung des Schlosses
zu Gifu anvertraut, eines sehr wichtigen Punktes, insofern als er
zur Vertheidigung eines Vorstosses auf dem Nakasendô sowohl als
dem Tôkaidô diente.
Die Barone längs des Tôkaidô schlossen sich Iyeyasu an, der
ohne Hinderniss bald Owari erreichte und zu Kiyosu, 7 ri von
Ogaki, ein Lager bezog. Sein Heer (75000 Mann) war viel schwächer
an Zahl, aber es folgte voll Vertrauen einem Willen und war damit der
Armee der Liga gegenüber in grossem Vortheile, wie sich bald zeigte.
Ukita Hideiye, der Obercommandant in Ogaki, hatte sich in Korea
unter Konishi grosse Verdienste erworben und war ein tüchtiger Führer,
dessen Begabung Iyeyasu vollkommen anerkannte. Statt ihm zu folgen
und in Ogaki zu bleiben, pflichtete die Mehrzahl der Verbündeten
dem Vorschlage des militärisch wenig geschulten Ishida Mitsunari bei,
und so verliess man im Vertrauen auf die numerische Ueberlegenheit
die Festung, um Iyeyasu in offener Feldschlacht zu begegnen. Mit
der Einnahme von Gifu hatte dieser erfolgreich die Offensive ergriffen,
ohne die Armee seines Sohnes, der in Shinano aufgehalten wurde,
abzuwarten. Die Armee der Liga zog sich gegen Sekigahara
zurück und nahm hier, 130000 Mann stark, zur Seite des Nakasendô
und sich anlehnend an die südlichen Ausläufer des 3 ri entfernten
Ibukiyama eine günstige Stellung ein, während Iyeyasu mit 75000
Mann von Gifu her heranrückte. Im October 1600 kam es zur Ent-
scheidungsschlacht. Auf beiden Seiten wurde den ganzen Tag tapfer
gekämpft, lange blieb das heisse Ringen unentschieden, aber Aus-
dauer, Einheit im Befehl, Raschheit und Umsicht verschafften schliess-
lich Iyeyasu den Sieg. Sein Sohn kam zu spät und konnte nur noch
an der Verfolgung des Feindes gegen Kiôto und Ôsaka theilnehmen.
[345]5. Periode. Von Nobunaga bis auf Iyeyasu, oder Zeit der Usurpatoren etc.
Etwa fünf Minuten Weges von Sekigahara führt vom Nakasendô
aus eine Kiefernallee nach einem alten Erdaufwurf am Fusse von
Aikawa-tôge. Ein Steinpflaster über demselben und die moosbedeckte
Einfriedigung deuten die Stelle an, von wo Iyeyasu während der
Schlacht seine Befehle ertheilte. Auf der Kiôto zugekehrten Seite
des Dorfes aber erinnert ein Erdhügel mit dem ihn krönenden Ge-
denkstein daran, dass hier ein Kubi-dzuka, d. h. Kopfhaufen, ist.
Die Stelle befindet sich unweit eines dem Kriegsgotte Hachiman ge-
weihten Tempels. Solcher Hügel, wo die Köpfe der erschlagenen
Feinde beerdigt wurden, gibt es jedenfalls noch viele ringsum, denn
es sollen in der Schlacht von Sekigahara gegen 10000 Mann der
besiegten Armee ihr Leben verloren haben. Von ihren Führern ge-
riethen Ishida Mitsunari, Konishi Yukinaga und Otani Yekei in Ge-
fangenschaft, weil sie als Christen es verschmäht hatten, der Sitte
des Landes zu folgen und selbst Hand an ihr Leben zu legen. So
erlitten sie nach Ansicht der Japaner einen schmählichen Tod, indem
sie in Kiôto enthauptet und ihre Köpfe auf Pfählen im Bette des
Kamo-gawa öffentlich ausgestellt wurden. Bei dem Intriguanten Mitsu-
nari war dies begreiflich, während betreffs des Konishi, dessen Sohn
eine Enkelin des Iyeyasu geheirathet und vor dessen Talent und
Charakter der Daifu-sama stets die höchste Achtung bekundet hatte,
wohl seine Freundschaft zu Mitsunari und der Einfluss seines Tod-
feindes Katô das gleiche Ende bewirkte. Sicher fiel keiner seines
Glaubens wegen. Gegen seine meisten übrigen Gegner bewies sich
Iyeyasu mild und versöhnlich.
In Kusatsu erreichte Hidetada mit seinem Corps das Hauptheer
und marschierte mit demselben nach Ôtsu am Biwasee. Hier trennte
er sich wieder von demselben und wandte sich nach Kiôto, während
Iyeyasu direct südlich nach Fushimi und Ôsaka zog. Der Mikado
sandte diesem nach Ôtsu seine Glückwünsche, und auch die meisten
Barone beeilten sich, Iyeyasu zu dem grossen Erfolge zu gratulieren
oder ihre Unterwerfung anzubieten. Zu letzteren gehörten auch Môri
Terumoto und Masuda Nagamori. Dieselben erhielten zunächst noch
keine bestimmte Antwort. Nachdem Iyeyasu jedoch in Ôsaka einge-
zogen war, wurde ihre Submission angenommen. Damals besass das
mächtige Haus Môri noch acht Provinzen. Es verlor sechs derselben
und musste sich fortan mit zweien, Chôshiu und Suwo, begnügen *).
[346]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Noch schlimmer ging es Masuda Nagamori. Er wurde seiner Herrschaft
beraubt und zu den Mönchen des Koyasan geschickt. Auch die Besitzung
des Ukita Hideiye und manches anderen Gegners wurde confisciert.
Das Schloss zu Ôsaka liess Iyeyasu zunächst im ungestörten Be-
sitze des Hideyori und seiner Mutter, welche hier ihren kleinen Hof
weiter führten.
Die Generäle Katô Kiyomasa und Kuroda Yoshitaka erhielten
nun Befehl, den Westen und Süden zu pacificieren, eine Aufgabe,
die nicht schwer zu lösen war, da kaum ein Daimio ernsten Wider-
stand leistete. Auf Kiushiu unterwarf Yoshitaka die Provinzen Bungo,
Buzen und Chikuzen, während Kiyomasa Hizen zur Ruhe brachte.
Tachibana Muneshige, der Fürst von Chikugo, war nicht gewillt,
sich ohne weiteres zu unterwerfen, so dass Nabeshima Nawoshige
von Saga dem Katô zur Hülfe kam. Auf den Rath von Kuroda
wurde der Führer von Tachibana’s Armee zu einer Conferenz einge-
laden, auf welcher ein Vergleich zu Stande kam. Nun marschierten
die Generäle des Iyeyasu, verstärkt durch den ganzen Norden von
Kiushiu, südwärts gegen Satsuma, das sich nun ebenfalls unterwarf.
Im Norden von Japan waren Uyesugi Kagekatsu und Satake
Yoshinobu die Haupttriebfedern zur Gründung der Liga gegen Iyeyasu
gewesen, hatten aber dann nichts beigetragen, um dieselbe materiell
zu stärken. Als dann die Nachricht von dem Ausgange der Schlacht
von Sekigahara zu ihnen gelangte, beeilten sie sich, dem Hideyasu
ihre Unterwerfung anzuzeigen. Sie wurden von diesem an seinen
Vater Iyeyasu nach Fushimi gewiesen, wo sie sich auf Gnade und
Ungnade ergaben und mit dem Verluste des grössten Theiles ihres
seitherigen Besitzes sich abfinden mussten. Waren doch selbst Satsuma
und Chôshiu, die mächtigsten Clane des Landes, nicht im Stande ge-
wesen, der gewaltigen Strömung zu widerstehen, sondern mussten
sich, so schwer es ihnen auch werden mochte, unter das Joch des
Mikawa-Häuptlings und seiner Nachfolger beugen.
Grosse Veränderungen im Besitze fanden statt, bei welchen alle
Anhänger des Iyeyasu reich belohnt wurden. Nachdem dies geschehen
war und allenthalben die Waffen ruhten, sandte Iyeyasu seinen Sohn
Hidetada zum Mikado nach Kiôto, um demselben einen ausführlichen
Bericht abzustatten über alle Vorgänge und Veränderungen im Reiche
während der letzten Zeit und seine Sanction einzuholen, deren er im
*)
[347]5. Periode. 6. Periode.
Voraus gewiss sein konnte. Hidetada wurde dann zurück nach Yedo
gesandt, während Iyeyasu noch länger in Fushimi blieb, dessen
Schloss er wieder herrichten liess und woselbst er auch Shimadzu
Tadatsune, den Sohn des Yoshihiro von Satsuma, in Audienz empfing.
Ukita Hideiye, welcher bei demselben Zuflucht gefunden hatte, wurde
nach der Insel Hachijô verbannt. Gegen das Haus Shimadzu aber
erwies sich Iyeyasu sehr gnädig und liess es in dem ungeschmälerten
Besitz von Satsuma, Ôsumi und dem südlichen Hiuga.
Im Jahre 1603 wurde Iyeyasu vom Mikado mit dem Titel Udaijin
beehrt, sowie zum Haupte der Minamato und Sei-i-tai-shôgun ernannt
und empfing bald darauf in seiner Residenz Yedo die Huldigung der
Barone. Nunmehr stand er auf dem Gipfel der Macht, die ihm in
keinem Landestheile weiter bestritten wurde und wozu ihm persönliche
Tüchtigkeit und günstige Umstände den Weg gebahnt hatten.
6. Periode.
Das Shôgunat der Tokugawa oder die Zeit von der
Schlacht bei Sekigahara bis zur Restauration der Mi-
kadoherrschaft (1600—1868 n. Chr.).
a. Iyeyasu, Hidetada und Iyemitsu. Ausrottung des Christenthums.
Mit der Schlacht von Sekigahara, der blutigsten und folgen-
schwersten, welche die japanische Geschichte kennt, beginnt für das
Land eine ganz neue Epoche. Es ist das Shôgunat der Tokugawa,
welche über 250 Jahre lang unbestritten im Besitze der höchsten Ge-
walt bleiben und dem Lande nach jahrhundertelangen Bürgerkriegen
eine überraschend lange Periode des Friedens sichern. Der Beginn
dieser Epoche ist zugleich die Zeit, in welcher das Feudalsystem
seine vollendetste Ausbildung erhält, das Christenthum mit allen
Mitteln der Gewalt und List ausgerottet und der Verkehr mit Aus-
ländern auf Chinesen und Holländer zu Nagasaki beschränkt wird.
Nach schweren Kämpfen war es Iyeyasu gelungen, die höchste
Macht, das Shôgunat, an sein Haus zu bringen. Sie zu befestigen
und demselben zu erhalten, war nun sein ganzes Streben. Dazu
schien ihm der Friede im Innern und nach Aussen nöthig. Zu den
Massregeln, welche er, beziehungsweise seine nächsten Nachfolger
zur Sicherung desselben ergriffen, gehören die Ausrottung des Christen-
thums und die detaillierteste Regelung der Beziehungen, in welchen
[348]I. Geschichte des japanischen Volkes.
die verschiedenen Classen der japanischen Gesellschaft fortan zu leben
hatten. Bevor wir jedoch diese Dinge eingehender besprechen, wie
ihre hohe Bedeutung es verlangt, mögen hier erst verschiedene an-
dere Ereignisse von mehr untergeordneter Tragweite aus der Zeit der
drei ersten Shôgune des Hauses Tokugawa erwähnt werden.
Die plötzliche Zurückberufung der japanischen Armee beim Tode
des Hideyoshi hatte eine Regelung der Beziehungen zu Korea und
und China verhindert. Noch weilte das Heer der Ming auf der korea-
nischen Halbinsel als eine schwere Bürde für ihre Bewohner. Als
daher Iyeyasu durch Sô Yoshitomo, den Herrn von Tsushima, dem
König von Korea Friedensanträge machen liess, kamen dieselben sehr
willkommen. Man sandte in Begleitung des Yoshitomo einen Bevoll-
mächtigten nach Kiôto, mit welchem Iyeyasu im Jahre 1605 den
Frieden vereinbarte, welcher von neuem freundlichen Verkehr mit
den westlichen Nachbarn anbahnen sollte und vielen hundert korea-
nischen Kriegsgefangenen die Rückkehr in ihre Heimath gestattete.
Auch mit China wurden neue Verbindungen angeknüpft.
In diese Zeit fällt auch die Ankunft der ersten Holländer und
Engländer, um mit Japan in Handelsverbindung zu treten. Sie wur-
den von Iyeyasu freundlich empfangen, gründlich ausgefragt, natür-
lich auch nach dem Charakter der Namban (Portugiesen und Spanier),
ihrem Christenthume und den Jesuiten, und waren dann ohne Zweifel
von grossem Einfluss auf die Entschlüsse und Massregeln, die bald
gegen die Bekenner des Evangeliums gefasst wurden.
Im Jahre 1605, und zwar bald nach dem Frieden mit Korea,
übertrug Iyeyasu seinem Sohne Hidetada das Shôgunat und zog sich
nach dem von ihm erbauten Schlosse zu Sumpu (Shidzuoka) in der
Provinz Hiuga zurück, um hier ungestörter zusammen mit einigen
gelehrten Räthen der Ausarbeitung der nach ihm benannten Gesetze *)
obliegen zu können. Doch blieb er bis zu seinem Tode im Jahre
1616 die Seele der Regierung, so dass sein Sohn wenig Belangreiches
ohne sein Wissen und seinen Rath unternahm. Im herrlichen Tempel-
haine zu Nikkô, den er sich zum Begräbnissplatz auserwählt hatte,
wurde ein Jahr nach seinem Tode seine Leiche mit grossen Feier-
lichkeiten beigesetzt. Der Mikado hatte ihn unter die Götter versetzt
mit dem posthumen Titel Shô-ichi-i Tôshô Dai-gongen, d. h. »Hoheit
[349]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
des ersten Ranges, Licht des Ostens, grosse Incarnation Buddhas« *).
Unter dem abgekürzten Titel Gongen-sama lebte Iyeyasu im Munde
des Volkes fort, das nicht versäumte, dem neuen Gott in den ihm
geweihten Tempeln an seinen Festtagen gleich den übrigen Gottheiten
seine Reverenz zu machen.
Tokugawa Iyeyasu stammte von Minamoto Yoshiiye (Hachiman
Tarô) und zwar dem Nitta-Zweige. Den Familiennamen leitet man
von einem Orte und Flusse in Shimotsuke ab, wo seine Vorfahren
lange wohnten. Tokugawa Shiro, der Vater des Iyeyasu, lebte als
bescheidener Landmann im Dorfe Matsudaira der Provinz Mikawa **).
Hier wurde Iyeyasu im Jahre (1542) der Entdeckung Japans durch
Pinto geboren. Unter Nobunaga verdiente er sich seine ersten Sporen
und erwarb das erste grössere Besitzthum in seiner Heimathprovinz;
deshalb heisst er lange bei seinen Gegnern der Mikawa-Häuptling.
Nachdem ihm das Kuwantô zugefallen war, musste er Mikawa an
Hideyoshi abtreten.
Iyeyasu gilt allgemein für die bedeutendste Persönlichkeit, welche
die Geschichte Japans aufzuweisen hat. Er war eine gewinnende
Erscheinung, ein Mann von hervorragender Menschenkenntniss und
bedeutenden sonstigen Geistesgaben, die er nicht blos als erfolgreicher
Heerführer an den Tag legte, sondern auch als Regent und Gesetz-
geber. Besonders rühmt man seine grosse Wahrheitsliebe und hebt
hervor, dass er nie sein Wort brach, so dass er in dieser Beziehung
unbedingtes Vertrauen genoss. Auch soll er von Natur friedliebend
und milde gewesen sein und jedes Leben bedauert haben, das er
durch die Macht der Verhältnisse zu kürzen gezwungen wurde. In
dieser Beziehung steht er allen seinen Vorgängern gegenüber erhaben
da. Er bewilligte, wie wir bereits sahen, nach der Schlacht bei
Sekigahara allen Gegnern, mit Ausnahme einiger wenigen, Amnestie,
sobald sie darum nachsuchten, ja zeigte sich sogar nachsichtig in
einigen Fällen, wo dies nicht geschah, indem er, wenn für seine
Stellung nichts zu fürchten war, die Aussöhnung der Betreffenden mit
den neuen Verhältnissen der Zeit überliess.
[350]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Hidetada, der Sohn und Nachfolger des Iyeyasu, führte das
Shôgunat von 1605—1623. Die zwei hervorragendsten Handlungen
während desselben, die Erneuerung des Edictes von Taikô-sama
gegen die Christen (1614) und die Belagerung und Einnahme des
Schlosses von Ôsaka (1615) fallen noch in die Zeit seines Vaters,
der sie veranlasste. Beim Tode des letzteren rieth ihm der Mikado,
eifrig, arbeitsam und seinem Souverain ergeben zu bleiben und die
trügerischen Träume des Ehrgeizes aus seinem Geiste zu verbannen.
Hidetada scheint diesen Rath befolgt und sich damit begnügt zu haben,
die Pläne seines Vaters auszuführen, für eine friedliche Fortentwicke-
lung des Landes, sowie für die Verstärkung und Verschönerung der
Hauptstadt zu sorgen. In letzterer Beziehung ist bemerkenswerth,
dass die Tempelhaine von Uyeno und Shiba im Norden und Süden
von Yedo, welche fortan die grössten Sehenswürdigkeiten dieser Stadt
der Tokugawa wurden, unter Hidetada im wesentlichen ihre Begren-
zung und Ausschmückung erhielten. Von den vierzehn Shôgunen
seiner Familie wurden nur zwei, Iyeyasu und sein thatkräftiger Enkel
Iyemidzu, in Nikkô beigesetzt. Von den übrigen ruhen sechs, darunter
Hidetada, in Shiba und sechs in Uyeno.
Iyemidzu, der dritte Shôgun und Sohn des Hidetada, welcher
von 1623—1651 regierte, besass die Energie und Thatkraft seines
Grossvaters, wie kein anderer aus der Familie. Er brachte dessen
System zur Vollendung, zog die Zügel der Regierung, welche sich
unter seinem Vater gelockert hatten, wieder fester an, bewirkte die
völlige Ausrottung des Christenthums, Absperrung des Landes und
Durchführung des bis ins Detail geordneten Abhängigkeitsverhältnisses
aller Classen der Gesellschaft von ihm, dem ersten Vasallen des
Mikado und höchsten Gebieter des Landes. Die Stadt Yedo erhielt
ihre noch bestehende Wasserleitung und Einrichtung gegen Brände,
welche allenthalben nachgeahmt wurde. Iyemidzu errichtete ferner
eine Münze, regulierte Maasse und Gewichte und ordnete eine allge-
meine Vermessung und Kartographierung des Landes an. Dem Mi-
kado erwies er viel Aufmerksamkeit und besuchte ihn fünfmal in
pompösen Aufzügen. Seinem grossen Stolze schmeichelte der Bakufu
(die Regierung des Shôgun) in einem Antwortschreiben an den König
von Korea, in welchem derselbe ihm den Titel Taikún beilegte, um
den Koreanern mehr zu imponieren *).
[351]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Es wurde bereits früher hervorgehoben, dass in der Schlacht bei
Sekigahara verschiedene christliche Fürsten mit ihren Vasallen, wie
namentlich die Daimio von Ômura und Arima, dem Iyeyasu tapfer
zur Seite standen. Dies und verschiedene andere Umstände mochten
denselben bestimmen, dass er in den nächstfolgenden Jahren den
Jesuiten noch manche Freundlichkeit erwies und ihr Missionswerk in
keiner Weise hemmte, so dass, ungeachtet der Verfolgungen, welchen
die Kirche in einigen Landestheilen, deren Besitzer gewechselt hatten,
wie namentlich in Higo und auf Amakusa, ausgesetzt war, dieselbe
anderwärts während des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert an
Ausdehnung und Zahl ihrer Bekenner wuchs. Ihre Sendboten ver-
kündeten das Wort Gottes nordwärts bis an die Grenzen des Reiches
und erwarben demselben namentlich in Sendai und auf der Insel
Sado viele neue Bekenner. Die Gesammtzahl der japanischen Christen
um diese Zeit betrug gegen 600000, nach anderen Angaben jedoch
das dreifache dieser Zahl.
Die Verfolgungen, welche mit den grausamsten Mitteln betrieben
wurden, begannen in Higo, der früheren Herrschaft des Konishi. In
der kurzen Zeit, welche dieser nach seiner Rückkehr aus Korea jene
Provinz besessen hatte, war es seinem Eifer gelungen, den heidnischen
Cultus auszurotten und dessen unwandelbare Anhänger zu verbannen.
Nach seinem Tode wurde Katô Kiyomasa von Iyeyasu mit dieser
Provinz belehnt, während der Gouverneur von Nagasaki, Namens
Terasawa, die Insel Amakusa erhielt. Kaum sassen beide in ihren
neuen Besitzthümern fest, so liessen sie ihrer alten Feindschaft gegen
das Christenthum freien Lauf, riefen die Bonzen zurück und verfuhren
nun umgekehrt wie ihr Vorgänger, doch mit viel grösserer Härte,
gegen die Christen. Von Toronosqui (Katô) sagen die Jesuiten: »Er
fing an wie ein Fuchs und endete wie ein Löwe. Den Weinberg des
Herrn verwüstete er wie ein wilder Eber, der nach Blut lechzet«.
Kaum hatte er sein Werk vollendet, so musste er in Fushimi auf
Befehl des Iyeyasu Gift nehmen, weil er der Opposition und Intriguen
gegen denselben angeklagt war. Hosokawa, ein anderer Anhänger
des Iyeyasu, erhielt nun die Herrschaft Higo.
Auch in Arima hatten die Christen bald viel zu leiden. Don
Michael, der Sohn des Protase, hatte seine christliche Frau verstossen,
um die Tochter des Shôgun Hidetada zu heirathen, und war zum
Apostaten geworden. Als solcher klagte er bei Hofe seinen eigenen
Vater der Intrignen gegen denselben an und bewirkte dessen Tod,
um sich die Herrschaft über das Ländchen zu sichern. Dann verlegte
er seinen Sitz von Arima nach Shimabara und begann die Restitution
[352]I. Geschichte des japanischen Volkes.
des Heidenthums mit allen denkbaren Mitteln. Die meisten seiner
Unterthanen blieben ihrem Glauben treu und erduldeten alle Art von
Entbehrung, Verfolgung und Tortur aufs standhafteste. Dass hier
der gemeine, in knechtischer Unterwürfigkeit lebende Mann sich nicht
willig in allen Dingen seinem Herrn fügte, war eine neue Erscheinung,
welche diese Christenverfolgungen zu Tage brachten und die bei Hofe
viel zu denken gab. Tausende wurden nach den Bergwerken der Insel
Sado verbannt. Ihre Glaubenstreue und persönliche Tüchtigkeit be-
stimmten den Gouverneur derselben, Namens Ôkubo Nagayasu, zur
Annahme des Evangeliums *). Griffis erwähnt, dass derselbe bald
darauf das Haupt einer christlichen Verschwörung geworden sei, welche
beabsichtigte, die Insel Sado selbständig und Ôkubo zum Herrn der-
selben zu machen. Man habe die Unterschriften der Verschworenen,
besiegelt mit ihrem Blute, auf einem Document gefunden und andere
sichere Anzeichen von dem Vorhaben erhalten. Ob dies begründet
oder die ganze Geschichte nicht ein boshaftes untergeschobenes Werk
der Feinde des Christenthums und insbesondere der Apostaten war,
die sich damals überall mit Anklagen regten, konnte ich nicht er-
mitteln. Schon im Jahre 1606 hatte Iyeyasu das Verbot des Taikô-
sama gegen das Christenthum erneuert, sich aber jahrelang mit einer
äusseren Befolgung desselben begnügt, bis mancherlei Einflüsse zu-
sammenwirkten, um ihn zu strengeren Massregeln zu bestimmen.
Diese Einflüsse kamen theils von den Feinden des Christenthums
überhaupt, theils von den Holländern und Engländern und endlich
durch die Unklugheit und das herausfordernde Benehmen der christ-
lichen Missionare selbst. Seitdem im Jahre 1608 der Papst auch
anderen religiösen Orden ausser den Jesuiten das Missionswerk in
Japan gestattet hatte, kamen wieder spanische Mönche von Manila
und erregten den Zorn des Iyeyasu, indem sie sich um sein Verbot,
das Christenthum zu verkünden, nicht kümmerten und die christlichen
Bewohner, wie es heisst, zum Ungehorsam reizten. Selbst die Glie-
der der Gesellschaft Jesu vergassen, als die Nachricht von der Beati-
fication ihres Gründers Loyola nach Japan kam, ihre gewohnte Klug-
heit und Vorsicht und veranstalteten in Nagasaki mit viel Gepränge
eine öffentliche Procession, an welcher allein vierzig Väter des Ordens
sich betheiligten und der eine Illumination folgte.
[353]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Am 27. Januar 1614 erschien jene verhängnissvolle Proclamation,
durch welche die Christenverfolgung im Lande allgemein wurde. In
ihr erklärt Iyeyasu die fremden Bateren (Patres) und Iruman
(portugiesisch irmaos oder Fratres) für Feinde des Landes, der Götter
(Kami) und Buddhas und befiehlt ihre Austreibung, die Zerstörung
der christlichen Kirchen und die Rückkehr ihrer Anhänger zum heid-
nischen Glauben. In 15 Artikeln werden den Behörden strenge Ver-
haltungsmassregeln den Christen gegenüber gegeben. Im letzten der-
selben werden die Kirishitan (Christen) nochmals als Feinde des
Reiches und des öffentlichen Friedens hingestellt, nachdem dies schon
wiederholt in dem Edict selbst ausgesprochen ist, so namentlich da,
wo es heisst: »Die Kirishitan- (christliche) Bande ist nach Japan ge-
kommen, nicht blos damit ihre Handelsschiffe Waaren austauschen,
sondern auch mit dem Verlangen, ein böses Gesetz zu verbreiten, die
rechte Lehre über den Haufen zu werfen, damit sie eine Veränderung
in der Regierung des Landes bewirken und von ihm Besitz ergreifen
können. Dies ist der Keim zu viel Unglück und muss darum zer-
stört werden«.
Die Verfolgung fing damit an, dass man die ausländischen Priester,
sowie die eingeborenen Glieder der Gesellschaft Jesu in Kiôto, Fushimi,
Ôsaka und anderen Orten ergreifen, nach Nagasaki schicken und von
hier auf drei Schiffen nach Macao bringen liess. Es waren etwa
300 Personen in Allem, nämlich 22 Franciskaner, Dominikaner und
Augustiner, 117 fremde Jesuiten und gegen 200 eingeborene Priester
und Catecheten. Um die nämliche Zeit wurde Justo Ukondo-dono
(Takayama), der frühere Daimio von Akashi, welchen schon Taikô-
sama nach Kanazawa in Kaga verbannt hatte, nebst anderen Christen
auf einer chinesischen Dschunke nach Manila geschickt, wo er bald
darauf starb.
Im Zusammenhang mit dieser Christenverfolgung steht die Be-
lagerung und Einnahme des Schlosses zu Ôsaka durch Iyeyasu und
seinen Sohn Hidetada im Jahre 1615. Hideyori, der nun 23jährige
Sohn des Taikô-sama, war daselbst, wie oben bereits erwähnt wurde,
mit seiner Mutter und reichen ererbten Einkünften von Iyeyasu nach
der Schlacht bei Sekigahara gelassen worden. Die Jesuitenväter
hatten ihm wiederholt Besuche abgestattet und Geschenke überbracht,
auch war das Schloss für viele Verfolgte und Unzufriedene, Christen
wie Heiden, zur Zufluchtsstätte geworden. Dies und die Furcht, dass
dem Hause Tokugawa oder dem Lande daraus noch ernste Gefahren
erwachsen könnten, bestimmten Iyeyasu endlich zu der angedeuteten
Expedition, zu der die Truppen des Kuwantô und von Kiushiu auf-
Rein, Japan I. 23
[354]I. Geschichte des japanischen Volkes.
geboten wurden. Das feste Schloss wurde vortrefflich vertheidigt.
Die Schlacht, welche am 9. Juni 1615 um seinen ferneren Besitz
stattfand, war ausserordentlich blutig, wenn auch die Angabe, dass
dabei gegen 100000 Menschen ihr Leben verloren, etwas übertreiben
mag. Schon schien den Belagerten der Sieg zuzufallen, da ging ein
Theil des Schlosses in Flammen auf, denen Tausende zum Opfer fielen,
so dass der Kampf mit einer völligen Niederlage der Angegriffenen
endete. Von Hideyori und seiner Mutter fand man keine Spur mehr
und nimmt daher an, dass beide sich das Leben nahmen und dann
verbrannten.
Da von den exilierten Priestern und Mönchen heimlich manche
wieder zurückkehrten, andere das Land noch gar nicht verlassen
hatten, wurde 1617 von Hidetada die Todesstrafe ausgesprochen gegen
jeden fremden Priester, der noch im Lande gefunden werden sollte.
Die Berichte der Jesuiten sind voll von Details über die ausgesuchten
Qualen, welchen man die Christen nun aussetzte, und den Heroismus,
mit welchem die meisten dieselben erduldeten. Andere Nachrichten
aus jener Zeit, denen man keine Parteifärbung zuschreiben kann, be-
stätigen nur, was jene mittheilen. So berichtet Capt. Cocks, wel-
cher 1619 im Dienste der East-India-Company Japan besuchte,
darüber Folgendes:
»Die Verfolgung in diesem Lande, welche früher nicht weiter
sich erstreckte als auf Verbannung und Verlust der bürgerlichen und
religiösen Freiheiten, ist seitdem bis zu den strengsten Mitteln der
Körperstrafe gesteigert worden. Die Christen haben so verschiedene
Qualen und Todesarten erduldet, wie jene in den ersten Verfolgungen
der christlichen Aera. Ihre Standhaftigkeit ist so gross gewesen,
dass die Gegner eher müde wurden, Strafen zu verhängen, als jene,
die Wirkungen ihres Zornes zu erdulden. Sehr wenige, wenn welche
überhaupt, entsagten ihrem Glauben; die scheusslichsten Formen, in
welchen der Tod erschien (durch die Erfindung ihrer Gegner), konnten
sie nicht entmuthigen, noch vermochten alle Schrecken einer feier-
lichen Execution jene Geistesstärke zu besiegen, mit denen sie durch
ihre Leiden zu gehen schienen. Sie machten sogar ihre Kinder zu
Märtyrern mit sich und trugen sie in den Armen auf den Scheiter-
haufen, indem sie vorzogen, dieselben den Flammen zu übergeben,
statt sie den Bonzen zurückzulassen, damit sie im heidnischen Glauben
erzogen würden. Alle Kirchen, welche der letzte Sturm noch stehen
gelassen hatte, wurden von diesen niedergeworfen und zerstört und
heidnische Pagoden über ihren Ruinen errichtet«.
Im nämlichen Jahre (1617) beschränkte Hidetada den auswärtigen
[355]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Handel auf Hirado und Nagasaki und verbot 1621 den Japanern, das
Land zu verlassen. Endlich wurden 1624 durch Iyemitsu alle Frem-
den, mit Ausnahme der Holländer und Chinesen, des Landes ver-
wiesen und ein weiteres Edict erlassen, welches die Zerstörung aller
grösseren Schiffe und die Beschränkung des Schiffsbaues auf eine
gewisse bescheidene Grösse der Fahrzeuge befahl, um zu verhüten,
dass Japaner hinfort das offene Meer aufsuchten und mit fremden
Nationen in Berührung kämen. Neue Verfolgungen der einheimi-
schen Christen, noch schrecklicher als zuvor, schlossen sich an.
Tausende flohen nach China, Formosa und den Philippinen, während
wiederum Tausende am Kreuze starben, enthauptet, ertränkt oder
lebendig verbrannt wurden. Alle Torturen, welche Barbarei und Hass
nur ersinnen konnten, kamen in Anwendung. Es wird uns warm
ums Herz und erfüllt uns mit höchster Bewunderung, wenn wir die
verschiedenen Berichte über die Freudigkeit und Standhaftigkeit lesen,
mit denen diese unglücklichen Opfer ihres Glaubens starben. Passend
schliesst Griffis seine Schilderung dieser Erscheinung mit den Worten:
»Wenn irgend Jemand die Aufrichtigkeit und Tiefe der christlichen
Convertiten heutiges Tages bezweifelt, oder die Fähigkeit der Japaner,
eine höhere Form des Glaubens anzunehmen, oder ihre Bereitwillig-
keit, zu leiden für das, was sie glauben, so braucht er nur die Be-
richte zu lesen, welche in englischer, holländischer, französischer,
lateinischer und japanischer Sprache von verschiedenen Zeugen der
Standhaftigkeit der japanischen Christen erhalten sind. Die Annalen
der ersten Kirche liefern keine Beispiele von Opfern und heroischer
Standhaftigkeit im Colosseum oder den römischen Arenas, die nicht
in den trockenen Flussbetten und auf den Richtplätzen Japans ihre
Parallele gefunden hätten«.
»Die Beschreibung der Qualen, welchen die Christen unterworfen
wurden, liest sich wie ein Capitel aus Dante’s Hölle«, sagte Gubbins
in einem sehr interessanten Vortrage, den derselbe vor mehreren
Jahren in Tôkio hielt. Während die Einen auf die verschiedenste
Weise gemartert wurden, hatten die Anderen zuzusehen. Man be-
gnügte sich nicht mit den gewöhnlichen Todesarten des Erhängens,
Kreuzigens, Ertränkens, Köpfens, sondern stürzte die Opfer von steilen
Anhöhen hinunter, begrub sie lebend, liess sie durch Ochsen zerreissen,
band sie in aus Stroh geflochtene Reissäcke, die man auf einander
häufte und mit dem Scheiterhaufen anzündete, oder man übergab sie
in Käfigen dem Hungertode, mit Speisen vor ihren Augen.
Nachdem diese Greuel ohne nennenswerthen Widerstand der
Christen zwei Jahrzehnte hindurch, wenn auch mit ungleicher Heftig-
23*
[356]I. Geschichte des japanischen Volkes.
keit, fortgedauert hatten, fanden sie schliesslich durch eine Empörung
der noch übrigen Christen und einen ihr folgenden Massenmord der-
selben, welchem über 30000 derselben zum Opfer fielen, vorübergehend
ihren Abschluss. Dieses Ereigniss wird in der Geschichte als der Auf-
stand, beziehungsweise das Blutbad von Shimabara bezeichnet
und nicht blos in der Geschichte der Kirche und den Schriften der Hol-
länder beschrieben, sondern auch in japanischen Schriften, wie dem
Shimabara Kassenki (Bericht über den Krieg von Shimabara) und an-
deren mehr. Die ersten Anfänge dieser Revolte datierten wohl viele
Jahre zurück, als der neue Daimio und Apostat seine christlichen Unter-
thanen in jeder Weise zu bedrücken anfing. Aber erst um das Jahr 1636
wurden das alte verlassene Schloss von Arima und die benachbarten
Inseln zur Zufluchtsstätte und zum Sammelplatz von 30—40000
Christen, die nicht blos der Herrschaft Shimabara (Arima), sondern
auch anderen Theilen der Insel Kiushiu entstammten und sich hier
gegen ihre Verfolger in Vertheidigungszustand setzten. Ihr Haupt-
führer scheint ein Mann, Namens Nirada Shirô, von der Insel
Amakusa gewesen zu sein. Im Jahre 1637 wurde Itakura Shige-
masa vom Shôgun beauftragt, an der Spitze des meist auf der Insel
Kiushiu gesammelten Heeres gegen die Rebellen zu marschieren und
»die Bauern« zu vernichten. Dies war jedoch keine so leichte Sache,
wie man sich vorgestellt hatte. Erst nach einer dreimonatlichen Be-
lagerung zu Wasser und zu Lande, bei welcher Itakura und sein
Sohn fielen und holländische Kanonen, wie es heisst, mitwirkten, ge-
lang es, des befestigten Platzes Arima Herr zu werden. Das Blutbad,
welches folgte, spottet jeder Beschreibung. Sämmtliche Belagerte
waren dem Tode geweiht. Tausende derselben wurden nach dem
»Papenberg« (Pfaffenberg), einer Insel am Eingange zum Hafen
Nagasaki, geführt und von der steilen Höhe ins Meer gestürzt; weitere
3000 tödtete und begrub man bei Tomioka auf der Insel Amakusa,
wie Inschriften auf Denksteinen daselbst es bezeugen; doch die grosse
Mehrzahl fand bei Arima selbst ihr Grab.
Zu den vielerlei Mitteln, welche in Anwendung kamen, um
Christen, als ihre Zahl geringer wurde, zu entdecken, gehörte auch
das E-fumi oder Trampeln auf dem Bildnisse Christi. Anfangs
war es eine Tuschzeichnung, welche man auf den Boden legte, um
die Leute aufzufordern, durch das Darauftreten ihre Verachtung zu
bekunden, bis im Jahre 1669 ein Erzgiesser in Nagasaki ein Relief
desselben in Kupfer anfertigte, das nun viel in Anwendung kam und
leihweise von einem Daimio zum anderen gelangte. Besondere Be-
amte, sogenannte Kirishitan Bugiô, wurden ernannt, die Entdeckung
[357]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
und Ausrottung der Christen zu leiten; sie hatten eidlich zu ver-
sichern, dass sie unparteiisch und dem Shôgun ergeben ihres Amtes
warten wollten. Auch wurden Preise ausgeworfen für die Entdeckung
und Anzeige fremder Priester oder einheimischer Christen und solche
später noch wesentlich erhöht. Man sprach von den Christen als
Jashû oder Jashû mon (sprich Tschàschu mong), der corrupten,
bösen Secte, und lehrte Jedermann, Kinder und Erwachsene, das
Christenthum als das leibhaftige Böse scheuen. Verordnungen gegen
die Jashû mon wurden in der Mitte der Ortschaften, an den Kreuz-
wegen der Landstrassen und auf den Gebirgspässen angeschlagen.
Sie waren noch bis zur Zeit des Zusammenbruches der Tokugawa-
herrschaft im Jahre 1868 vielfach zu lesen, sind aber seitdem längst
verschwunden.
Dass unter solchen Umständen das Licht des Evangeliums nicht
ganz erlosch, sondern stellenweise Jahrhunderte hindurch weiter
glomm, ja dass in geringer Entfernung nordwärts von Nagasaki eine
ganze grosse Gemeinde (Urakami) ihren christlichen Glauben bewahren
und durch viele Generationen bis auf unsere Zeit fortpflanzen konnte,
muss uns erstaunen, wie denn auch die japanische Behörde bei Ent-
deckung dieser Thatsache im Jahre 1868 nicht wenig überrascht war.
Nachdem wir in einem früheren Capitel Gelegenheit genommen
haben, die Umstände hervorzuheben, welche der Ausbreitung des
Christenthums in Japan so förderlich waren, wollen wir nun am
Schlusse unserer Darstellung der Verfolgung und Ausrottung desselben
uns nochmals nach den Gründen fragen, welche ein Volk, das sonst
immer grosse religiöse Duldsamkeit gezeigt hatte, zu solcher Ge-
hässigkeit und grausamen Verfolgung der Christen treiben konnten.
Da müssen wir denn in erster Linie bekennen, dass die Intoleranz,
welche die Jesuiten gelehrt hatten, einen grossen Theil dieser Schuld
trägt und sich nun an ihnen selbst und ihrem Werk so bitter rächte.
Wir lassen uns in diesem Urtheil nicht durch Berichte der holländi-
schen Zeitgenossen und der Japaner bestimmen, sondern schöpfen es
aus den Berichten der Missionäre selbst. Sie lebten in der Zeit und
in dem Geiste der Inquisition, wo man Manches zur grösseren Ehre
Gottes unternahm, was der christlichen Lehre widerstreitet. Die Un-
duldsamkeit der christlichen Fürsten gegen ihre heidnischen Unter-
thanen, die Vertreibung derselben und die Zerstörung ihrer Tempel
sind Handlungen, welche die Jesuiten als Zeichen des religiösen Eifers
priesen, die aber geeignet waren, der christlichen Sache manchen
Todfeind zu schaffen, namentlich unter den heidnischen Priestern.
Auch die Anfeindung der christlichen Orden unter einander, namentlich
[358]I. Geschichte des japanischen Volkes.
von der Zeit an, wo auch spanische Mönche von Manila her sich in
Japan einfanden, konnten der Sache der Christen nur schaden. Ferner
konnte das unchristliche Leben und böse Beispiel der fremden Kauf-
und Seeleute zu Nagasaki, Hirado und anderwärts nicht dazu beitragen,
die Achtung vor dem Christenthume selbst zu erhöhen. Jene Häfen
waren der Sammelplatz der verkommensten europäischen Abenteurer,
welche allen Lastern fröhnten, Arme und Hülflose, insbesondere Kinder
als Sklaven kauften und nach Macao oder Manila fortführten, und
durch dies Alles den Abscheu aller besser denkenden Japaner her-
vorriefen. Menschenfleisch war um jene Zeit billig. Vergebens be-
mühte sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts der Bischof Cerquera,
gegen diesen schändlichen Handel einzuschreiten, von dem er sagt,
derselbe habe so viele Japaner und Koreaner auf den Markt nach
Macao gebracht, dass selbst Neger und Malayen im Dienste der por-
tugiesischen Kaufleute sich solche Sklaven halten konnten.
Wie ein rother Faden zieht durch alle Proclamationen gegen das
Christenthum der Gedanke durch, dass es die Pietät gegen die Eltern
und Ahnen, sowie den Gehorsam gegen die Vorgesetzten lockere, eine
Behauptung, welche auch noch in der Neuzeit gegen dasselbe auf-
gestellt wurde, so namentlich in der sehr bemerkenswerthen Schrift
Bemmo oder eine Darstellung des Irrthums von Yasui Chinhei.
In den ältesten holländischen Werken über Japan wird als Haupt-
grund der Christenverfolgung und Austreibung der Fremden die Ver-
rätherei der Jesuiten hingestellt, die danach getrachtet hätten, Japan
in eine portugiesische oder päpstliche Provinz umzuwandeln. So
schrieb z. B. Johann Hugo von Linschoten über die Jesuiten
in Japan, dass sie öffentlich bemüht seien, Alles unter ihre Macht zu
bekommen. (Denkwürdige Gesandtschaften pag. 213.)
Eine Begründung dieser Anschuldigung lässt sich aus den Schriften
der Jesuiten nicht entnehmen, dass aber die Furcht, die Christen
möchten durch den fremden Einfluss zu Landesverräthern werden, den
Hauptgrund für ihre Verfolgung abgab, unterliegt keinem Zweifel.
Alle Feinde der Jesuiten und ihrer Anhänger wurden nicht müde,
die Staatsgefährlichkeit derselben immer und immer wieder zu be-
tonen. Mit den Heiden wirkten in dieser Beziehung auch die Eng-
länder und Holländer auf die Entschlüsse des Iyeyasu und seiner
Nachfolger wesentlich ein, denen es aus Handelsinteresse darum galt,
die Portugiesen zu verdrängen, und die natürlich auch ihrem Hass
gegen die katholischen Portugiesen und Spanier keinerlei Zwang an-
thaten. Wir müssen bedenken, dass der Abfall der Niederlande und
die Besiegung der Armada noch lebhaft im Gedächtniss der protestan-
[359]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
tischen Holländer und Engländer, welche zur Zeit des Iyeyasu nach
Japan kamen, stand und der Katholik diesen Eiferern gefährlicher
schien als der Heide.
War durch diese verschiedenen Einflüsse schon Iyeyasu von der
Staatsgefährlichkeit der fremden Missionäre und ihrer Lehre überzeugt
worden und hatte er darnach seine Entschlüsse gefasst, er, der noch
im Jahre 1606 den portugiesischen Bischof Cerquera mit allen Ehren
empfangen und beschenkt entlassen hatte, so galt dies noch vielmehr
von seinem Enkel Iyemitsu. Ein Ausspruch, welchen man demselben
zuschreibt, ist in dieser Beziehung zu bezeichnend, als dass wir ihm
nicht am Schlusse dieser Betrachtungen eine Stelle gönnen sollten:
»Wenn meine Dynastie in Folge von Bürgerkriegen verschwindet, so
ist dies eine Schande, die nur auf mich fällt; wenn jedoch nur ein
Zoll unseres Landes in fremde Hände fiele, so hätte sich dessen die
ganze Nation zu schämen«.
Der Verlust des Handelsverkehres mit Japan wurde von den
Portugiesen zu Macao, sowie im Mutterlande schwer empfunden.
Mehrmals versuchte man, ihn wieder anzuknüpfen, doch mit sehr
ungünstigem Ausgange. So landeten im Jahre 1640 vier Abgesandte
des Gouverneurs von Macao, welche man gefangen nahm und in
Nagasaki mit dem grössten Theile der Schiffsmannschaft enthauptete.
Die Wenigen, denen man das Leben schenkte, wurden zurück nach
Macao gesandt, damit sie hier das Schicksal ihrer Gefährten als ab-
schreckendes Beispiel verkünden möchten. Bald darauf, nachdem
Portugal wieder selbständig geworden und König Johann IV. auf den
Thron gelangt war, erneute man von Lissabon aus den Versuch.
Zwei wohl ausgerüstete und mit reichen Geschenken versehene Kriegs-
schiffe unter Gonzales de Sequeira wurden abgesandt und warfen
Anker bei Iwo-shima im Süden von Satsuma. Nach 43 Tage langen
vergeblichen Bemühungen, mit der Regierung einen neuen Verkehr
anzuknüpfen, musste man wieder absegeln und das Feld für immer
den Holländern überlassen, die auch bereits im übrigen Ostasien die
portugiesische Erbschaft angetreten hatten und gerade um diese Zeit,
wo ein Abel Tasman und Martin Gerritszoon Vries ihre Schiffe durch
den Stillen Ocean führten, auf dem Gipfel ihrer Unternehmungslust
standen.
Der nahezu hundertjährige Verkehr der Portugiesen mit Japan
hat, abgesehen von der Geschichte, trotz der grossen Erleichterungen,
unter welchen derselbe stattfand, nur in bescheidenem Maasse zur
Erweiterung unserer Kenntnisse über jene ferne Inselwelt beigetragen.
Es blieb ihren Nachfolgern, den Holländern, und insbesondere den
[360]I. Geschichte des japanischen Volkes.
fremden Aerzten in deren Diensten, vorbehalten, Europa mit der eigen-
thümlichen Natur Japans bekannt zu machen und unsere Blumentische,
Ziergärten und öffentlichen Anlagen durch eine Fülle der schönsten
japanischen Gewächse schmücken zu helfen. Selbst über die Sprache
und Ethnographie des Landes wurde Europa erst durch die Holländer
näher unterrichtet, obgleich es unter den Jesuitenvätern nicht wenige
gab, welche des japanischen Idioms vollkommen mächtig waren.
Wie zu Pinto’s Zeit die Schusswaffen besonderen Beifall fanden,
so erfreuten zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Portugiesen durch
den Tabak das japanische Volk. Das Rauchen wurde trotz des Ver-
botes, welches Iyeyasu dagegen erliess, bald von allen Ständen und
beiden Geschlechtern mit Eifer geübt und hat seitdem noch keine
Abschwächung erfahren, so dass behauptet werden darf, »Tabako«
ist das beliebteste und am meisten gebrauchte Wort, womit die Namban
(Portugiesen) die japanische Sprache bereichert haben. Von anderen
Worten und Begriffen, welche durch die Portugiesen in das Japanische
übergingen, sind ausser den auf das Christenthum bezüglichen vor-
nehmlich folgende zu nennen: pan (pão), Brod; kasutera (sprich
kastéra, von Castilla), ein Saffrankuchen; tanto, viel; kappa (capa),
ein Regenmantel; koppu (copa), ein Becher oder Weinglas; birôdo
(velludo), Sammet; biidoro (vidro), Glas.
b. Die Gesetze des Iyeyasu, das Feudalsystem und die gesell-
schaftlichen Zustände während des Shôgunats der Tokugawa:
Mikado und Kuge, Daimio und Samurai, Lehnstreue und Hara-
kiri. Heimin und Eta.
Wie bereits früher angedeutet wurde, ging das Streben des Iye-
yasu und seiner nächsten Nachfolger von der Schlacht bei Sekiga-
hara an darauf hinaus, ihrer Familie die Herrschaft über Japan,
welche nun in ihren Händen war, zu erhalten und dem Lande den
Frieden zu sichern. Auch die Ausrottung des Christenthums und die
Absperrung des Landes sollten diesem Zwecke dienen. Vor allem
aber wurde mit den sogenannten Gesetzen des Iyeyasu ein scharf
ausgedachtes System der Beziehungen unter den einzelnen Ständen
durchgeführt, bei welchem Furcht das Hauptmotiv des Gehorsams
und Spionage, sowie harte Strafen die Träger und Erhalter der Furcht
waren. Das neue Shôgunat nahm seine Stärke aus der persönlichen
Tüchtigkeit seines Begründers und aus dem Bande, das derselbe um
seine Vasallen und Günstlinge schloss, denen er nach Niederwerfung
seiner Feinde reiche Lehen gab, doch unter solchen Beschränkungen
[361]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
einerseits und Vorrechten anderseits, dass das Bewusstsein ihrer Ab-
hängigkeit von seinem Hause nie schwinden konnte. Durch diese
eigenthümliche Verquickung der Interessen des Hauses Tokugawa mit
denen seiner Vasallen schuf Iyeyasu sich eine Macht, stark genug
sowohl dem Mikado als auch den alten Fürstenhäusern gegenüber.
Er und sein Enkel Iyeyasu schmiedeten hier das Eisen, so lange es
warm und biegsam war. Die demüthigenden Fesseln, welche er
alten, stolzen Geschlechtern, wie den Häusern Satsuma, Chôshiu und
vielen anderen anlegte, mussten ruhig ertragen werden, weil der
Einzelne der Gesammtmacht gegenüber ohnmächtig war und die Um-
grenzung seines Gebietes durch die Besitzthümer anderer Daimios,
welche von den Tokugawa abhingen, sowie das ausgebildete Spionage-
system eine Verständigung und ein Zusammengehen mit anderen un-
zufriedenen Fürsten nicht zuliessen.
Als das mächtige und stolze Haus Shimadzu von Satsuma sich
vor Iyeyasu gebeugt hatte, fand es dieser in seinem Interesse, dem-
selben nicht blos seine bisherige Herrschaft zu lassen, sondern noch
vermehren zu helfen, indem er im Jahre 1609 Shimadzu Yoshihisa
beauftragte, das Fürstenthum der Riukiu-Inseln zu unterwerfen, und
dasselbe, nachdem solches geschehen war, Satsuma zutheilte. Auch
wurde der Daimio von Satsuma zum Kiushiu-Tandai (Vicekönig von
Kiushiu) ernannt und bestimmt, dass er dies Amt, die Führerschaft
unter den Daimio der Insel, abwechselnd mit Nabeshima, dem Daimio
von Saga (Hizen), jedes zweite Jahr ausübe. Aber zwischen diese
beiden einflussreichsten Häuser setzte Iyeyasu eine Anzahl grösserer
und kleinerer Barone seiner Schöpfung, um ihre Macht in Schranken
zu halten. So wissen wir bereits, wie er nach Konishi’s Tode dessen
schöne und reiche Provinz Higo dem Katô Kiyomasa zu Lehen gab,
dann 1621 den Hosokawa, einem Hause, das stark genug war, um
seinem südlichen Nachbar zu opponieren und dies in der Folgezeit oft
genug that. Bungo, die frühere Herrschaft des Ôtomo, war zerstückelt;
dem reducierten Gebiete des Hauses Môri in Chôshiu wurden südlich
der wichtigen Strasse von Shimonoseki zwei eifersüchtige Rivalen
entgegengestellt, die Häuser Ogasawara in Buzen und Kuroda in
Chikuzen, welche zugleich die nördliche Nachbarschaft von Hizen
bildeten. Dasselbe ingeniöse System wurde auch auf den übrigen
grossen Inseln durchgeführt. So erhielt das loyale Haus Ii das reiche
Erbe des Ishida Mitsunari, die Herrschaft Hikone in Ômi, und wurde
damit zu einem zuverlässigen Vorposten von Kiôto. Ebenso wurde
die schöne Landschaft Aidzu der alten Familie Uyesugi, die sich
fortan mit Yonezawa im Norden derselben begnügen musste, genommen
[362]I. Geschichte des japanischen Volkes.
und einem Vasallen gegeben, dessen Nachfolger 1868 ein schönes
Beispiel unwandelbarer Lehnstreue gaben.
Die Gesetze des Iyeyasu oder das Testament des
Gongen-sama*), wie man sie bezeichnender häufig nennt, sind
die geistige Hinterlassenschaft des grossen Mannes, bestimmt, seinen
Nachfolgern zur Richtschnur zu dienen, denselben das Shôgunat, dem
Lande Frieden und gedeihliche Entwickelung zu sichern. Schon der
Umstand, dass sie diesem Zwecke dritthalbhundert Jahre hindurch
entsprachen, gibt ihnen eine grosse Bedeutung. Aber sie sind uns
auch zum Verständniss der gesellschaftlichen Zustände, sowie der
Denk- und Handlungsweise unter dem Shôgunat der Tokugawa von
grossem Werthe. Indem Iyeyasu einerseits die schon bestehende und
meist von Yoritomo herrührende Feudalordnung, anderseits die Prin-
cipien der chinesischen Weisen Confucius und Mencius seinem
Werke zu Grunde legte, schloss er sich den herrschenden Anschau-
ungen und Verhältnissen an und schuf einen Codex, der, als die her-
vorragendste legislative Leistung Japans, auch im Vergleich mit den
Codices der europäischen Völker aus ihrer Feudalzeit viel Interessantes
bietet.
Die Lehre des Confucius von den fünf Universalpflichten (Go-rin)
und Beziehungen der Menschen zu einander, nämlich zwischen Sou-
verän und Unterthanen, Eltern und Kindern, Gatten, Geschwistern
und Freunden, nahm Iyeyasu zum Ausgangspunkt für seine Gesetze,
und so betrachtete er denn auch gleich Confucius die Familie mit
Recht als die Grundlage des Staates und als Basis der Familie ihr
Haupt. Aus diesem Grunde und aus religiösen Rücksichten musste
die Familie erhalten werden. Ein Mittel, dies zu ermöglichen, wo
sie sonst ausgestorben sein würde, war die Adoption.
»Die Gesetze des Gongen-sama zerfallen in zwei Theile. Der
erste umfasst die achtzehn Gesetze, durch welche der Gründer der
Tokugawa-Herrschaft ein Jahr vor seinem Tode Kaiser und Fürsten
des letzten Restes von Unabhängigkeit beraubte und seinen Nach-
[363]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
folgern die Mittel an die Hand gab, mit denen sie das Wiederauf-
blühen der zerrütteten Macht der Vasallen im Keime ersticken konnten.
Der andere Theil enthält die sogenannten 100 Gesetze, die aber
eigentlich keine Landesgesetze waren, sondern nur seinen Nachfolgern
als Richtschnur für die Regierung dienen sollten« (Kempermann).
Publiciert wurden diese Gesetze nicht, ja es war ihres Urhebers aus-
drücklicher Wunsch, dass sie ausser seinen Nachkommen und dem
Staatsrathe Niemand gezeigt werden sollten. Es waren eben vor-
nehmlich für jene bestimmte Verhaltungsregeln, die sie sich wohl zu
Herzen nehmen sollten, dann würden sie selten vom Rechten weit
abweichen.
Wir können uns heutiges Tages bei unseren Begriffen von Recht
und Gesetz kaum ein Volk vorstellen, das nach Satzungen sich ver-
halten und gerichtet werden soll, die ihm absichtlich fremd bleiben.
Analogieen finden sich jedoch auch bei den Gesetzgebungen für arische
Völker, z. B. eines Solon und Lykurg; denn die Kenntniss und Hand-
habung der Gesetze fiel auch in Hellas und Sparta der bevorzugten
aristokratischen Classe zu. Die Sitte war eben der Leitstern des
Verhaltens bei den Japanern, ja sie ist es auch bei uns und allen
Völkern, weit mehr als das geschriebene Wort.
Die hundert Kapitel (Gesetze) des Werkes von Iyeyasu sind ohne
logische Ordnung. Nur 22 sind wirkliche Gesetzesparagraphen, 55
weitere beziehen sich auf Politik und Verwaltung, 16 bestehen aus
moralischen Grundsätzen und Betrachtungen, und in den übrigen er-
zählt der Verfasser Episoden aus seinem Leben. Folgen wir nun
weiter der Analyse, welche Grigsby gibt, so gleicht dieses Testa-
ment des Gongen-sama anderen alten Codices in mehreren Stücken,
vor allem aber darin, dass Iyeyasu keine strenge Grenze zwischen
Gesetz und Moral, zwischen der Pflicht des Bürgers und der Tugend
des Familiengliedes zieht. Tugendhaft ist, wer die Gesetze befolgt,
ganz nach der Auffassung des Confucius und seiner Schüler. Das
substantive Gesetz fehlt ganz. Da das Leben im einzelnen Clane
sich nach Sitte und nicht nach Uebereinkunft richtete und es zwischen
benachbarten Fürstenthümern nur wenig Verkehr gab, so finden
Contractgesetze, Gesetze über persönliches Eigenthum, Handel und
Schifffahrt keinen Raum in diesem Codex. Dagegen legt Iyeyasu
viel Gewicht auf die Criminalgesetze, einschliesslich der Belei-
digungen und Strafen für jede besondere Art, auf das rechtliche Ver-
hältniss der einzelnen Gesellschaftsclassen, Etiquette, Rang, Präcedenz,
Administration und Regierung. Er trifft ferner genaue Bestimmungen
über die Ausübung der Privatrache und persönlichen Satisfaction für
[364]I. Geschichte des japanischen Volkes.
empfangenes Unrecht. In dem Maasse, in welchem die Regierungen
in alten Zeiten zu schwach waren, die Unterthanen zu schützen,
reservierten sich diese, insbesondere die Militärclasse, das Recht der
Selbsthülfe, der Privatrache, wovon die sogenannte Lynchjustiz Ame-
rikas ein Zweig ist. So gestattete denn auch Iyeyasu, geleitet von
den Anschauungen des Confucius und der auf ihre Ehre eifersüchtigen
Kriegerclasse, dass derjenige, dessen Vater oder Feudalherr Gewalt
erduldete, in einer vorgeschriebenen Zeit sich rächen durfte, wenn
er von der Absicht, dies zu thun, die nöthige Anzeige machte. Es
galt also, wie bei den meisten alten Völkern, auch bei den Japanern
das Auge um Auge und Zahn um Zahn.
Die Classenunterschiede, wie sie sich mit dem Feudalismus all-
mählich herausgebildet hatten, prägen sich im Testament des Gongen-
sama scharf aus und erhalten eine ganz besondere Berücksichtigung.
Die Japaner zerfielen damals in drei scharf getrennte Gruppen, näm-
lich in das Mikadohaus mit dem Hofadel (Kuge) in Kiôto, in den
Wehrstand oder die Samurai und in den Nährstand oder das Volk
(Heimin).
Der Mikado*). Recht und Autorität des Mikado waren und
sind in dem Glauben an seine göttliche Abstammung begründet. Durch
alle Wechsel der Zeiten, über factische Machtlosigkeit des Trägers
der Würde, Unfähigkeit und selbst Gemeinheit des Charakters hinweg
half und erhielt sich diese Doctrin vom Himmelssohne (Tenshi). Ehren,
die er verlieh, galten jederzeit für die höchste Auszeichnung, welche
einem Unterthan, den allgewaltigen Shôgun nicht ausgeschlossen, zu
Theil werden konnte. Nicht nur die absolute Macht des Mikado
war eine Consequenz seiner göttlichen Abstammung, sondern auch
das abgeschiedene, klosterähnliche Leben desselben, zu dem er von
der Zeit an, wo der Dualismus im Staate sich entwickelte, mehr und
mehr gedrängt wurde, denn die geheiligte Person desselben durfte
nicht in allzunahe Berührung mit der gewöhnlichen Menschheit ge-
bracht werden. Diese Consequenz hat Niemand schärfer gezogen und
mehr zu seinem Vortheil auszubeuten gewusst als Iyeyasu. Er verfuhr
dabei suaviter in modo und fortiter in re. Mit dem Scheine grösster
[365]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Reverenz und Loyalität nahm er seinem Herrn, was ihm seine Vor-
gänger in der Gewalt als Macht und Einfluss noch gelassen hatten,
und drückte dieselben zu einem blosen Schatten herunter. Das Argu-
ment, dessen sich Iyeyasu dabei bediente, ist, dass es sich für den
Göttersohn, der gewissermassen als vermittelndes Glied zwischen
seinen staubgeborenen Unterthanen und himmlischen Vorfahren er-
scheint, nicht zieme, unter dem Volke einherzugehen und um dessen
weltliche Angelegenheiten sich zu kümmern. Diese niedrige Sorge
hat derselbe darum ganz ihm, dem Shôgun und Herrn des Kuwantô
und dessen Nachfolgern, anvertraut, die ihm für Alles verantwortlich
sind. Aber dieser verantwortliche Diener, der Shôgun, schreibt seinem
Herrn, aus dessen Händen er formell Titel und Lehen empfängt, die
er thatsächlich mit dem Schwerte errang, Gesetze vor. Der Mikado
darf hinfort nicht mehr nach Ise wallfahren, um auf dem Wege die
Leiden des Volkes kennen zu lernen, denn das ist jetzt Sache der
Buke (des Kriegsadels), noch soll er überhaupt seinen Palast ver-
lassen, ausser, wenn er einmal seinem abgedankten Vorgänger einen
Besuch abstatten will, dessen Residenz Senkokiu nicht weit von der
seinigen lag. In dieser »esclavage doré du Gosho«, wie Bousquet
mit Recht dieses Verhältniss nennt, lebten die angestammten Herren
des Landes in den unlöslichen Banden einer strengen Etiquette als
zurückgezogene und unsichtbare Idole des japanischen Volkes *). Es
muss hier nochmals betont werden, dass Iyeyasu dies Verhältniss
nicht schuf, sondern es im wesentlichen so vorfand und nur aus-
beutete und verschlimmerte. Es hatte sich allmählich herausgebildet,
theils nach chinesischem Muster, vor allem aber in Folge des ent-
nervenden Lebens am Hofe. Selbst die Einkünfte bestimmt der Diener
seinem hohen Herrn, indem er sie zu 10 000 Koku (etwa 60 000 Thaler)
normiert. Am Schlusse der 18 Paragraphen, in welchen er sich mit
demselben auseinandersetzt, denkt er ernstlich oder zum Schein noch-
mals daran, dass er doch eigentlich nur Diener ist, indem er sagt:
»Dass ich in diesen achtzehn Bestimmungen meinem Herrn Gesetze
vorgeschrieben, erfüllt mich mit Furcht; aber ich habe sie abgefasst,
weil mir der kaiserliche Befehl zu Theil geworden, dass hinfort nur
die Buke die Regierung führen und für den Frieden des Reiches
[366]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Sorge tragen sollen«. Iyeyasu accommodierte sich im Uebrigen ganz
dem Volksglauben und liess dem Mikado das Recht, Lebenden leere
Titel zu verleihen und die Todten zu den Göttern zu erheben, daher
hat man den letzteren vielfach früher den geistlichen Herrn oder
den Papst Japans genannt, gegenüber dem weltlichen oder Shôgun.
»Dairo war ehemals der Japaner Alleinherrscher, itzund aber ist er
ihr Papst«*). (Blattweiser zu holländischen Gesandtschaften etc.)
Die Palladien oder Symbole der kaiserlichen Gewalt (s. pag. 245)
waren der Spiegel, als Ebenbild der Sonnengöttin, das Siegel oder
statt seiner eine Kugel von Bergkrystall und das Schwert, wozu
später noch als viertes das Brocadebanner kam.
Das gewöhnliche Wappen oder mon**) des Mikado ist eine Chry-
santhemum-Blüthe (Kiku-no-hana), zugleich Sinnbild der Sonne. Sie
wird mit 16 abgerundeten Petalen dargestellt (siehe Figur), welche
von einem kleinen centralen Kreise ausgehen und an ihren äusseren
Enden abgerundet und verbunden sind durch 16 kleine Bogen, welche
einen zweiten Kreis von Blüthenstrahlen vorstellen. Wir finden dieses
kaiserliche Abzeichen unter öffentlichen Documenten der Regierung,
Wappen des Mikado.
Wappen der Tokugawa.
auf den Bannern und Cocarden des Militärs, auf Münzen etc. Ein
zweites Wappen, das mehr privaten Charakter trägt und nur von der
Familie des Mikado gebraucht wird, stellt in kaum erkennbarer Weise
drei Blätter und Blüthensträusse des Kiri (Paulownia imperialis) dar.
[367]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Jene sind wie die Blättchen des Klees zusammengestellt und mit ihren
Mittelnerven durch einen Ring verbunden. Von den drei Blüthen-
sträussen, welche sich symmetrisch darüber erheben, trägt der mittlere
vom Ring ausgehende 7 Blüthen, während die beiden seitlichen deren
nur je fünf aufweisen.
Die Dynastie des Mikado ist die älteste auf Erden, auch wenn
man sie nur auf Jimmu-Tennô zurückdatiert. Bei dem Prestige, wel-
ches dieselbe zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag beim japani-
schen Volke hatte, und bei der sehr liberalen Einrichtung, die Familie
zu erhalten, hat diese Thatsache nichts Auffallendes. Der Mikado hat
eine ebenbürtige Frau, Kôgô genannt, welche, wie bereits pag. 258
hervorgehoben wurde, den fünf ersten Kugefamilien (Gosekke) ange-
hören muss. Ausser ihr besitzt er aber noch das Recht auf zwölf
Nebenfrauen, welche den unteren Kugefamilien entnommen werden.
Wenn ihm nun die Kôgô keinen Nachfolger bescheert, so tritt ein
Kind von einer der Concubinen ins Erbrecht, und wenn er überhaupt
kinderlos ist, so geht die Erbfolge an eine der Shinnô (Prinzenfamilien
des Kaiserhauses), Fushimi oder Arisugawa über. Ueberdies liess
sich im ungünstigsten Falle durch Adoption noch Rath schaffen.
Die Kuge oder der Hofadel, im Ganzen 155 Familien, folgten
im Range dem Kaiserhause und standen viel höher als der Feudal-
adel, den Shôgun nicht ausgenommen. Alle leiten sich von früheren
Mikado ab. Sie blickten mit Stolz auf ihre Ahnen, selbst wenn sie,
wie es unter dem Shôgunat viel der Fall war, in grösster Armuth
lebten. Ihre Wohnungen umgaben das Kaiserschloss in Kiôto. Als
Inhaber von meist erblichen Hofämtern waren die meisten ungenügend
beschäftigt und bezahlt. Viele gaben sich daneben mit dem Studium
der chinesischen Literatur ab, einzelne auch mit der Kunst. Sich
bei ihren Reisen von Ochsen ziehen zu lassen, war ein Vorrecht, das
sie mit der kaiserlichen Familie theilten, meist aber aus Mangel an
Mitteln nicht gebrauchten. In älterer Zeit war es die einflussreichste,
regierende Classe, als aber unter den Taira und Minamoto der Feu-
dalismus sich entwickelte, sank ihre Bedeutung im Staate; auch ver-
loren sie damit ihren Grundbesitz. Man unterschied zwei Classen,
von denen die erstere, wozu die Geschlechter der Fujiwara, Suga-
wara, Tachibana und Nakatomi gehörten, ihren Stammbaum fast eben
so weit als das Kaiserhaus zurückdatierte, während die niedrigeren
Kuge, wie solche der Taira, Minamoto, Kiowara und mehrerer an-
deren Familien sich vom Mikado-Hause in der christlichen Zeit ab-
zweigten. Die Bedeutung des grossen Fujiwara-Geschlechtes wurde
bereits früher hervorgehoben; von den anderen sehr alten Kugefamilien
[368]I. Geschichte des japanischen Volkes.
bildeten die Nakatomi lange Zeit hindurch den erblichen höheren
Priesterstand im Ahnencultus.
Der Wehrstand während der Feudalzeit, Shôgun, Daimio
und Samurai. Abgesehen von der kaiserlichen Familie gab es in Japan
eigentlich zwei grosse Classen der Gesellschaft, eine privilegierte mit
genauer Gliederung nach Rang und Einkommen und eine ohne solche
Vorrechte. Erstere waren insgesammt Samurai*), berechtigt und
verpflichtet, Schwerter zu tragen, abgabenfrei, mit erblichen Einkünften
und meist auch erblichen Functionen. Aus den Samurai gingen alle
Beamten des Staates hervor, sie führten das Schwert oder die Feder.
Die zweite und weitaus zahlreichste Bevölkerungsklasse bildeten die
Heimin oder das gemeine Volk. Zur Zeit, als der Feudalismus
zusammenbrach, gab es unter etwa 34 Millionen Bewohnern des
Landes gegen 2 Millionen Samurai. Zwölf Jahrhunderte hindurch lag
die Regierungsgewalt in den Händen der Kuge, und vornehmlich in
denen der besonders privilegierten Fujiwara-Familie. Schmeichelei,
Intriguen und jede Art von Corruption waren die Mittel, welcher sich
die Fujiwara bedienten, um ihren Einfluss zu erhalten. Sie lieferten
den Mikado’s, ihren Puppen, die Frauen und Concubinen. Die Taira-
generäle lösten sie ab, dann kam der siegreiche Minamoto Yoritomo
an die Reihe und legte systematisch das Fundament der Feudalord-
nung, auf welches Iyeyasu später den Schlussstein des Gebäudes
setzte. Yoritomo’s Vasallen wurden die Gründer der Feudalaristokratie
oder Buke, als deren Repräsentanten nach Abstammung sowohl als
Stellung die späteren Daimio anzusehen sind. Dieser neue Adel
des Schwertes wuchs und blühte auf Kosten des alten Hof- und
Dienstadels. Iyeyasu stellt diese Verlegung von Macht und Einfluss
so dar, als ob sie nach dem Willen des Mikado stattgefunden hätte.
Im 15. Paragraphen der 18 Gesetze sagt er: »Weil die Kuge die
Regierung lässig führten und nicht im Stande waren, die Ordnung
im Lande aufrecht zu erhalten, blieb nichts anderes übrig, als dass
die Buke vom Kaiser den Befehl erhielten, die uralte Regierung zu
übernehmen. Mit geringen Einkünften aber ist es unmöglich, das
Land zu regieren, das Volk zu ernähren und die öffentlichen Dienst-
leistungen auszuführen. Die Kuge würden nun ein grosses Unrecht
begehen, wenn sie die Buke gering schätzen wollten. Dem alten
Satze gemäss: »alles Land unter dem Himmel gehört dem Tennô«,
hat der Mikado vom Himmel den Auftrag erhalten, das Volk zu
[369]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
ernähren und zu erziehen und desshalb befiehlt derselbe den Buke,
für die Ruhe und das Wohl des Landes Sorge zu tragen«.
So gingen denn schon zur Zeit des Yoritomo die Ländereien, aus
welchen der Hofadel bisher seine Einkünfte gezogen hatte, rasch in
die Hände der Militärhäuptlinge über, und diese theilten sie wieder
mit denen, durch deren Arme und scharfe Schwerter sie dieselben
errungen hatten. Unter den Hôjô, Ashikaga und Tokugawa blieb
dieses Verhältniss im wesentlichen dasselbe, nur dass die Besitzer
der Lehen häufig wechselten, bis mit Iyeyasu die Ordnung stabil
wurde. Nach Allem war der Mikado der eigentliche Oberlehnsherr
und der Shôgun nur primus inter pares, doch hatte der letztere diese
Herrschaft usurpiert und übte sie den Buke gegenüber in Allem, ausser
dem Namen. Die Gliederung des Wehrstandes ist zugleich die der
Feudalherrschaft. Obenan steht der Shôgun, dann folgen gegen 250
Daimios und endlich deren und des Shôguns Vasallen, die Samurai
im engeren Sinne. Die Daimio*) oder Buke bildeten den Militär-
oder Landadel. Jedes einzelne Daimiat war ein Feudalreich im
Kleinen. Die Mittel zu seiner Existenz zog es aus der Landtaxe der
Hiyakushô oder Bauern. Die Erträge des Landes waren auf Koku**)
Reis berechnet, wovon etwa die Hälfte in Natur den Rentereien der
Feudalherren zufloss, das übrige aber dem Erzeuger verblieb. Ein
jeder Daimio hatte mindestens 10 000 Koku Revenüen, d. h. (nach
der Erklärung in der Anmerkung) eine Herrschaft, welche als Mini-
mum 10 000 Koku Reis oder das Aequivalent in anderen Feldfrüchten
eintrug. Iyeyasu theilte die ganze Classe dieses Feudal- oder
Yedo-Adels in Sanke, Kokushiu, Tozama und Fudai. Im
Bukan (Bu-Kuwan, Militärliste oder Militärspiegel) von 1862 werden
aufgezählt: 3 Sanke, 36 Kokushiu, 75 Tozama und 141 Fudai, zu-
sammen also 255 Daimios. Die Sanke und Kokushiu wurden gewöhn-
lich nach den Provinzen genannt, welche ganz oder zum grössten Theil
unter ihrer Herrschaft standen, z. B. Satsuma, Hizen, Chôshiu, Owari,
Rein, Japan I. 24
[370]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Sendai, Nambu. Fast alle Daimios nahmen den Titel Kami *), Herr,
an und lehnten ihn an den Namen einer Provinz an, die ihnen meist
nicht gehörte. So nannte sich z. B. der Daimio Matsudaira, welcher
in Matsumaye auf Yezo residierte, Matsudaira Idzu no Kami, Matsu-
daira, Herr von Idzu; Ômura Tango no Kami besass die Herrschaft
Ômura in Hizen, Nambu die Herrschaft gleichen Namens mit der
Residenz Morioka. Derselbe nannte sich aber Herr von Mino (Nambu
Mino no Kami). Von den drei Provinzen Kadsusa, Hitachi und Kôtsuke
durfte kein Daimio seinen Titel nehmen, noch war es gestattet, dass
zwei gleichzeitig sich Mutsu-, Mikawa-, Musashi- oder Echigo-no-
Kami nannten.
Iyeyasu gab seinen drei jüngsten Söhnen die reichsten Lehen, mit
Ausnahme von Kaga, Satsuma, Mutsu und einigen anderen, mächtigen
Daimios gehörigen, deren Länder er Klugheits halber nicht antastete
und deren Lehnstreue er nur durch Verständigung mit denselben ge-
winnen konnte. Jene drei Söhne des Iyeyasu erhielten die Provinzen
Owari, Kii und Mito und bildeten drei Familien, welche unter dem
Titel Sanke (drei Herren) oder Gosanke (drei erhabene Herren
oder Familien) an der Spitze der Daimios und in hohen Ehren stan-
den. Oft werden dieselben nach ihren Hauptstädten Nagoya, Waka-
yama und Mito genannt. Ihre relativen Einkünfte betrugen 610 500,
555 000 und 350 000 Koku. Wenn ein Shôgun ohne directen Erben
starb, so hatten die Sanke von Owari und Ki unter ihren Söhnen
einen Nachfolger im Shôgunat zu bestimmen; auch führten sie gleich
dem Shôgun selbst das Familienwappen der Tokugawa. Dasselbe
bestand in drei herzförmigen Blättern des Awoï, einer Malvenart
(Alcea rosea?), in einem Kreise, deren Spitzen sich im Centrum be-
rühren. Dieses Wappen der Tokugawa findet man noch vielfach an
den Tempeln und ihren Thoren zu Shiba, Uyeno, Nikkô und ander-
wärts, sowie auf mancherlei Gegenständen, welche der Familie ge-
hörten (siehe pag. 366).
Die Kokushiu (Herren von Provinzen) waren grösstentheils aus
den Gouverneuren unter Yoritomo hervorgegangen, einige auch aus
Familiengliedern und Vasallen des Iyeyasu. Die Kenntniss ihrer
Namen, Besitzungen und Hauptstädte ist zum besseren Verständniss
mancher späteren Ereignisse und Erscheinungen von Bedeutung; dess-
halb folgt hier ein Verzeichniss derselben.
[371]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Von diesen 18 grossen Daimios des Landes hiessen die drei zuerst
angeführten grosse Kokushiu; Echizen und Aidzu waren Verwandte
des Iyeyasu; Sataki und Nambu leiteten sich von Hachiman Tarô her
und gehörten somit zu den ältesten Bukegeschlechtern. Diesen 18
Kokushiu folgten eben so viele Kamon (Familienthore), alles Ver-
wandte der Tokugawa mit dem Namen Matsudaira. Die Besitzungen
derselben wechselten zwischen 10 000 und 200 000 Koku. Hierauf
kommen die Tozama (ausserhalb stehende Herren) mit Besitzungen
von 10 000—100 000 Koku. Es waren zur Zeit des Iyeyasu 86, später
91—100. Der Name soll andeuten, dass sie ausserhalb des Hauses
Tokugawa, d. h. weder in verwandtschaftlichem, noch in Lehnsver-
hältniss zu demselben standen. Die meisten bildeten Seitenlinien der
Kokushiu.
Die Fudai (erfolgreiche Geschlechter) bildeten die letzte und
zahlreichste Gruppe der Daimios. Im Jahre 1862 gab es ihrer 115,
deren Einkünfte zwischen 10 000 und 350 000 Koku variierten. Her-
vorgegangen aus den Vasallen des Iyeyasu, bildeten sie die Haupt-
stütze seines Hauses. Insbesondere wurden die 18 Familien: Honda,
Katô, Torii, Itakura, Toda, Okubo, Tsugiya, Nagasaki, Ogasawara,
Akimoto, Sakakibara, Sakai, Ishikawa, Nakane, Kudze, Abe, Aka-
gami und Idsawa, welche schon dem Mikawahäuptling treu gedient
hatten, als alte Fudai bevorzugt. Sie sollten als Verwandte (Riu-shin)
24*
[372]I. Geschichte des japanischen Volkes.
des Shôgunhauses betrachtet und zu den höchsten Aemtern berufen
werden, die nach einer Bestimmung des Iyeyasu nie in den Händen
der anderen Daimios, noch der Samurai sein durften. Der Gôtairô
(ehrwürdiger, grosser Aeltester) oder Regent, welcher die Regierung
während der Minderjährigkeit eines Shôgun zu leiten hatte, sollte
immer aus den vier grossen Fudaihäusern Ii, Honda, Sakakibara und
Sakai gewählt werden. An der Spitze derselben und aller Fudai
stand Ii, Herr von Hikone in Ômi mit 350 000 Koku; Sakakibara,
Daimio zu Takata in Echigo, und Sakai, Herr von Himeji in Harima,
hatten je 150 000 Koku Land und Honda zu Zeze in Ômi 60 000 Koku.
Nur das Fudai-Haus Tôdô zu Tsu in Ise mit 353 900 Koku kam im
Grundbesitze dem Hause Ii gleich, hatte aber nicht den grossen
Einfluss.
Die Besitzungen sämmtlicher hier erwähnten Feudalherren Japans
waren feststehende, erbliche Lehen, die nur durch den Willen des
Shôgun verändert oder der Familie ganz genommen werden konnten;
im letzteren Falle verloren gleichzeitig alle Untervasallen ihre er-
erbten Rechte.
Im 9. Paragraphen der 18 Gesetze verbietet Iyeyasu den Fürsten
der westlichen Provinzen, auf ihren Reisen nach Yedo ihren Weg
durch Kiôto zu nehmen, selbst wenn der Mikado dies befehlen sollte.
Wenigstens durfte von nun ab das Rakuchiu, d. h. der Grund,
worauf das Mikadoschloss stand, und das Revier der Kuge unter
keinen Umständen, und der ganze rechts des Kamogawa gelegene
(Haupt-) Stadttheil nur mit besonderer Erlaubniss des Shôgun von
denselben betreten werden.
Dann wird den Daimio im 10. Gesetz verboten, zur Erlangung
höherer Titel sich direct an den Mikado zu wenden. Auch durften
Heirathen zwischen Kuge- und Buke-Familien nur mit Erlaubniss des
Bakufu*) oder der Shôgunregierung stattfinden. Damit man diese
strengen Massregeln auf alle Fälle befolge und in Kiôto Frieden
halte, sollte einer der zuverlässigsten und mächtigsten Fudai-Daimio,
Nijô, das feste Schloss besetzt halten und zugleich als Gouverneur
aller westlichen Provinzen fungieren. Auch die wiederaufgebauten
Schlösser zu Ôsaka und Fushimi, welche Iyeyasu die Schlüssel des
Landes nennt, und ihre Besatzungen wurden erprobten Gouverneuren
anvertraut.
[373]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Das grosse Abhängigkeitsverhältniss, in welches durch all diese
Anordnungen die Daimio des Landes zum Shôgun traten, erhielt
jedoch seine Krönung durch einen Schritt des Iyemitsu und seines
Sohnes Iyetsuna, der empfindlicher in die Rechte der einzelnen
eingriff und von weitragenderen Folgen wurde als Alles, was bisher
in dieser Beziehung geleistet worden war. Er bestand darin, dass
sämmtliche Daimio gezwungen wurden, Yedo als ihre eigentliche
Residenz anzusehen, jedes zweite Jahr dort bei ihren Familien zu
wohnen, die als eine sichere Bürgschaft für ihr Wohlverhalten,
während sie in ihrer Provinz waren, hier zurückbleiben mussten. Die
Sitte, jährlich dem Feudalherrn einen Besuch abzustatten und durch
Uebergabe von Geschenken und Anderes mehr Loyalität zu bezeugen,
war eine ziemlich alte. Früher galt sie dem Mikado, jetzt dem
Shôgun. Dem entsprechend ordnete Iyemitsu an, dass die Daimio
hinfort die Hälfte des Jahres in Yedo wohnen sollten, doch mehr in
Form einer Einladung als eines Befehles. Auch kam er seinen Be-
suchern bis zur nächsten Vorstadt freundlich entgegen und hiess sie
willkommen. Diese beschworen ein Document über ihre Lehnstreue
und besiegelten dasselbe der Sitte gemäss mit dem Daumennagel und
dem Blute vom Mittelfinger der rechten Hand. Mehr und mehr schwand
jedoch das Entgegenkommen des Shôgun, der Besuch wurde zum
Zwang und genau geregelt. Der Bakufu bestimmte die Zeit, wann
jeder Feudalherr vor dem Shôgun zu erscheinen hatte, die Stärke
seines Gefolges, die Art des Ausweichens auf der Landstrasse, das
Maass der dem Hofe zu machenden Geschenke und vieles Andere.
Auf den verschiedenen Gebirgspässen und Eingangsthoren zum Ku-
wantô (siehe pag. 12) waren Wachen errichtet und benachbarten Fudai
übertragen, welche dafür zu sorgen hatten, dass jede Person, unbe-
kümmert um ihren Rang, einer strengen Untersuchung unterworfen
wurde, damit nicht etwa Frauen oder Kinder der Daimios heimlich
Yedo verliessen, um ihre heimathliche Provinz zu erreichen. Die
Daimiozüge selbst von und nach Yedo waren mit grossem Pomp aus-
gestattet und nach dem Range des Feudalherrn aus einer grösseren
oder kleineren Zahl Kerai zusammengesetzt. Sie brachten Leben und
Verkehr auf die Landstrassen und in die Orte, durch welche sie
gingen und die sich so ausdehnten, dass oft mehrere aneinander
stiessen. Zahlreiche und umfangreiche Gasthäuser (Yadoyas) und
Theehäuser (Chaya’s) sorgten für die leibliche Verpflegung, Tänze-
rinnen und Sängerinnen (Gesha’s) für die Abendunterhaltung. Dem
Zuge wurde ein Sakibure oder Quartiermacher vorausgeschickt, und
wo derselbe das Eintreffen zum Mittagessen oder Uebernachten ver-
[374]I. Geschichte des japanischen Volkes.
kündete, wurde das Haus aufs sorgfältigste geputzt und Alles zum
würdigen Empfang vorbereitet. In den mit feinen Binsenmatten be-
legten und durch zerlegbare Schiebewände getrennten Zimmern hatte
man die alte Bronze- oder Porzellanvase mit einigen blühenden Zwei-
gen einer beliebten Zierpflanze und das Hibachi (den Feuerkasten)
mit glühenden Kohlen zum Wärmen oder Anzünden der kleinen Pfeif-
chen versehen. Die Mädchen und Frauen, welche die Gäste zu be-
dienen hatten, erschienen in ihrem grössten Staate, wobei eine reiche
Verwendung verschiedener Cosmetica nicht fehlen durfte, und in
heiterster Simmung.
An der Spitze des Zuges, der sich bei den grössten Daimios aus
600—1000 Bewaffneten zusammensetzte, ging der Herold, dessen Wink
mit dem Fächer und Ruf Shitaniiro (werft euch nieder) genügten,
um die Leute, welche dem Zuge begegneten, auf die Seite zu treiben
und auf die Kniee. Wer zu Pferde entgegenkam, musste absteigen
und sein Thier auf die Seite des Weges führen, wer eine Kopfbe-
deckung trug, und wenn es nur ein blaues baumwollenes Tuch um die
Stirn war, dieselbe abnehmen. Dies war Ordnung und Gesetz. Zu-
widerhandelnde beleidigten den Feudalherrn und mussten gewärtig sein,
dass die nächsten aus dem Gefolge hervortraten und sie niederhieben.
Die Residenz eines Daimio in seiner Herrschaft hiess Joka. Hier
wohnte er auf seinem Shiro oder Schlosse, das, wie bei vielen asia-
tischen Fürsten und wie bei unseren mittelalterlichen Burgen, ge-
wöhnlich einen Hügel krönte und von einem oder mehreren Systemen
breiter Wassergräben umgeben war. Eine hohe Cyclopenmauer erhob
sich auf der innersten Grabenseite und umgürtete den Schlossgrund.
Holzbauten, die an den Enden höher und thurmartig mit mehreren
Etagen versehen waren, mit Schiessöffnungen ruhten darauf. Die
Wohnung des Schlossherrn, sowie die Häuser der höheren Beamten
lagen mehr einwärts. Meist schloss sich ein parkartiger Garten an.
An das Schloss reihten sich zwischen den Wallgräben oder ausserhalb
derselben die Yashiki oder Wohnungen der Samurai an. Gewöhn-
lich lagen dieselben in wohlgepflegten Gärtchen, etwas abseits von
der vorbeiführenden Strasse, gegen welche sie eine grüne Hecke ab-
schloss. Ein einfaches hölzernes Galgenthor mit Inschrift befand sich
über dem Eingange zu der kleinen Besitzung.
Das ganze Terrain, welches die Wohnungen dieser bevorzugten
Classe einnahmen, einschliesslich des Schlosses, hiess Yashikigrund
im Gegensatze zu der sich anschliessenden Unterstadt oder machi,
wo die Kaufleute und Handwerker wohnten. Dasselbe wiederholte
sich in Yedo, nur in grossartigerem Maassstabe und mit dem Unter-
[]
[][375]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
schiede, dass hier um das Oshiro erst die Yashiki der Daimio folgten
und mit ihren Parkanlagen und Nebengebäuden für die Baishin oft
grosse Strecken einnahmen.
Die Samurai (chinesisch Shi oder Bushi) im gewöhnlichen, enge-
ren Sinne des Wortes bildeten die privilegierte Militärklasse des Shô-
gun und der Daimio *). Es waren Vasallen (Hörige) derselben mit
erblichen Einkünften unter 10 000 Koku. Nur ein kleiner Theil hatte
Grundbesitz; die meisten lebten gewissermassen von ihrer Herren
Tische, erhielten aus deren Magazinen für sehr geringe Leistungen
ihre regelmässigen Reisbezüge für kleine Familien von 3 — 5 Per-
sonen und waren in ihrem Wohl und Wehe ganz abhängig vom Schick-
sal ihrer Herren. Die bei uns oft angewandte Bezeichnung »niederer
Adel« für diese Samuraiklasse ist nicht geeignet, von ihrer Stellung
und Bedeutung eine rechte Vorstellung zu geben. Ausser in ihrem
Stolze gibt es kaum noch Verwandtes zwischen ihnen und unserem
kleinen Adel, wenn auch der Ausgangspunkt des letzteren so ziem-
lich derselbe ist. Bezeichnender dürfte ein Vergleich der Samurai
mit den ehemaligen Strelitzen Russlands sein. Nicht sowohl durch
ihre individuelle Stellung und Bedeutung, als vielmehr in Folge der
durch ihre Gesammtheit von etwa 400 000 Haushaltungen repräsen-
tierten Macht und Intelligenz bildeten sie bis in die neueste Zeit die
einflussreichste, tonangebende Classe der japanischen Gesellschaft.
Sie waren nicht blos die berechtigten Träger scharfer Schwerter,
sondern auch der Nationalehre und der eigenthümlichen Formen, in
welchen sich das japanische Ehrgefühl äusserte; auch gingen alle
politischen Umwälzungen, einschliesslich der letzten epochemachenden,
welche den Zusammenbruch des Feudalismus bewirkten, von ihnen
aus. Die grosse Menge derselben bestand, wie Adams mit Recht
hervorhebt, aus sorglosen, trägen Burschen, die keinen andern Ge-
horsam kannten als den gegen ihren Herrn, für den sie jeden Augen-
blick bereit waren, ihr Leben zu lassen, sowohl auf dem Schlacht-
felde, als in Vertheidigung desselben gegen Mörder oder auch durch
freiwilligen oder befohlenen Selbstmord, wenn die Ehre und das Fa-
milieninteresse es erheischte. Des Samurai Begriffe von Ehre ver-
boten ihm jede Beschäftigung, die mit Gelderwerb verbunden war,
und bewirkten, dass er mit Verachtung auf den Gewerbe- und be-
sonders den Kaufmannstand herabsah; doch durfte er das Feld be-
bauen **). Die Pflichten dieses Gros der Samuraiklasse bestanden
[376]I. Geschichte des japanischen Volkes.
darin, als Soldaten mit in den Krieg zu ziehen, während des Frie-
dens auf der Burg oder vor der Wohnung ihres Herrn Wache zu hal-
ten, in dessen Gefolge zu gehen und bei Feierlichkeiten in Ceremonie-
tracht zu erscheinen. Ein kleiner Theil zeichnete sich durch kriege-
rische Uebungen und Studien aus; die Mehrzahl schien zum Essen,
Trinken, Rauchen und zu Excessen in Thee- und öffentlichen Häu-
sern geboren. Es waren Leute, die nichts Höheres kannten, als ihre
Schwerter in Ordnung zu halten und anzuhängen und die Schultern
zu stemmen, Leute, die mit Verachtung die unteren Stände be-
trachteten und ein Vergnügen daran fanden, den, von welchem sie
glaubten beleidigt zu sein, niederzuhauen. Manche Samurai wurden
Rônin (Wellenleute) und schweiften als solche herren- und rechtlos
umher, zu jeder Schandthat fähig. Doch gab es unter den Rônin
(also Samurai, die ihren angestammten Herrn und ihre Rechte ver-
loren) auch solche, die keine schlechten Handlungen, noch Hang zum
Vagabundieren, sondern ehrbare Gründe um Haus und Einkünfte
gebracht hatten. Viele derselben gingen dann zu einem der drei
Stände des Volkes über. Man begreift, dass ein so zahlreicher un-
productiver Stand mit seinen Privilegien schliesslich zur grossen Last
des Volkes und ein bedeutendes Hinderniss für dessen materielle
und sittliche Entwickelung werden musste.
Unter den Samurai gab es übrigens ebenfalls mehrere Rang-
klassen. Obenan standen die Hatamoto (Fahnenstützen *). Sie
bildeten den Kern der Armee des Shôgun, waren dessen unmittel-
bare Vasallen und Soldaten und Offiziere aus guten alten Familien
und berühmten Kriegern unter den Minamoto hervorgegangen. Die-
selben folgten im Range den Fudai-Daimio, durften wie diese vor
dem Shôgun erscheinen (waren also hoffähig), und ebenso auf der
Landstrasse, sowie in Yedo reiten. Ihre Einkünfte variierten zwischen
500 und 9999 Koku. Jeder hatte wieder 3—30 Vasallen. Ein Hata-
moto konnte jedes Regierungsamt unter dem Staatsrathe bekleiden.
Die meisten Civil- und Militärbeamten unter der fünften Rangclasse,
alle sogenannten Yakunin (Geschäftsleute) des Shôgunats, wie Ge-
sandte, Dolmetscher, Spione, Verwalter kleinerer Schlösser, der Gär-
ten, sowie die Leibwache des Shôgun etc., gingen aus dieser Classe
hervor. Erwies sich ein Hatamoto besonders tüchtig und sollte er in
ein höheres Amt aufrücken, so wurde er Fudai, indem man seine
Einkünfte auf 10 000 Koku erhöhte. Es gab etwa 80 000 Hatamoto-
**)
[377]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
familien, wovon weitaus die meisten in Yedo und Sumpu (Shidzuoka)
lebten. Eine zweite Classe von Samurai des Shôgun bildeten die
Gokenin. Es waren die gemeinen Soldaten der Shôgun-Armee und
niederen Beamten der Verwaltung. Sie hatten bis 500 Koku Reve-
nüen, durften in Yedo und auf der Landstrasse nicht reiten und muss-
ten sich in allen Stücken den Hatamoto gegenüber, welche vielfach
ihre Herren und Vorgesetzten waren, eines höflichen und entgegen-
kommenden Benehmens befleissigen.
Alle Vasallen der Daimio führten den Namen Kerai oder Bai-
shin, d. h. doppelte Vasallen oder Diener der Diener. Sie kannten
blos die Interessen ihrer eigenen Feudalherrn und blickten mit Stolz
herab auf andere Samurai, wenn ihre Herren alten Familien ange-
hörten und grosse Besitzungen unter sich hatten. So dünkte sich der
Kerai des Daimio von 100 000 Koku mehr als der eines Lehnsherrn
von nur 10 000 Koku. Kamen sie aber nach Yedo, so galt allen
gegenüber das 40. Gesetz des Gongen-sama, welches anordnete, dass
Baishin den unmittelbaren Vasallen des Shôgun gegenüber, ob es
nun Hatamoto oder Gokenin, und unbekümmert ob ihre Einkünfte
verhältnissmässig hoch oder niedrig waren, dieselbe Höflichkeit
zu beachten hatten, die sie ihren eigenen Fürsten erwiesen. Die
höchsten Beamten, selbst Karô (Minister), beugten sich dem entspre-
chend auf das unterwürfigste vor allen Samurai im Dienste des Shôgun,
wenn sie auf das Schloss zu Yedo kamen.
Elternliebe und Vasallentreue bis zum Tode war die höchste
Pflicht, und das Schwert der grösste Stolz eines Samurai vom Daimio
herunter bis zu seinem Thürhüter. In letzterer befolgte man die Vor-
schriften des Confucius, welcher sagt: »Du sollst nicht leben unter
demselben Himmel und nicht betreten dieselbe Erde mit dem Mörder
deines Herrn.« Geleitet von diesem Ausspruche gestattete Iyeyasu
die Blutrache, verlangte jedoch, dass Derjenige, welcher sie nehmen
wollte, dies einem besonders dazu bestimmten Beamten anzeige und
die Zeit angebe, innerhalb welcher er seinen Entschluss ausführen
wollte und musste. Versäumte er dies, so galt er für einen gemeinen
Mörder und wurde dem entsprechend bestraft. Das grossartigste und
interessanteste Beispiel der Lehnstreue gibt die Geschichte des Daimio
von Ako und der 47 Rônin, welche das Herz eines jeden Japaners
rührt und höher hebt, etwa wie die Tellsgeschichte wirkt bei uns *).
[378]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Unter allen Privilegien, welche der Samurai dem gemeinen Manne
gegenüber genoss, schätzte er keines höher als das Recht, ja die
Pflicht, Schwerter zu tragen. Aussprüche des Iyeyasu, wie »die Um-
gürtung des Schwertes verleiht dem Samurai kriegerischen Muth«
und »das Schwert ist die Seele des Samurai« waren der innersten
Empfindung des Standes entnommen und konnten darum das lebhafte
Ehrgefühl nur noch weiter anspornen, so dass dieser ritterlichsten
und bei allen Völkern geachtetsten Waffe in Japan eine ganz be-
sondere Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Tüchtige Schwertfeger
waren die angesehensten Handwerker und stiegen oft empor zu
hohem Rang. Ihre Namen wurden so berühmt, wie manche Schwer-
ter, welche sie hervorragenden Helden geschmiedet hatten und die
man noch jetzt wie kostbare Reliquien in Tempeln aufbewahrt und
zeigt. Die älteren japanischen Schwerter hiesen ken, waren gerade,
nahezu 1 Meter lang, 6—7 cm breit und beiderseits scharf. Man
trug sie über dem Rücken und schwang sie mit beiden Armen. In-
dem man später das ken der Länge nach halbierte und etwas ver-
kürzte, schuf man eine andere Waffe, das katana oder gewöhn-
liche Schwert der Japaner mit einer Schneide, welche gegen das
Ende schwach gebogen ist und dessen Griff oft reich verziert wurde.
Dieses trugen die Samurai entweder allein oder zusammen mit einem
zweiten, dolchähnlichen, senkrecht oder schräg geneigt an der linken
Seite. Die kleinere Waffe hiess wakizashi, ihre Klinge war in
späterer Zeit auf 9½ Zoll (27 cm) verkürzt worden. Es war die
Waffe, womit man das Harakiri (Bauchaufschlitzen) vornahm *).
Der Samurai ging nicht aus ohne sein Schwert, und selbst der
Knabe, welcher die Schule besuchte, hatte es umgegürtet, wie ich
dies noch 1875 in Satsuma beobachten konnte.
Im Wohnraume durften weder im amtlichen, noch gesellschaft-
lichen Verkehr die Schwerter getragen werden. Wie bei uns beim
Eintritt Vorrichtungen zur Aufnahme von Ueberrock, Stock und Schirm,
so gab es in jedem Samuraihause Schwertrepositorien. Es galt als
besondere Vergünstigung und Zeichen des höchsten Vertrauens, als
der Mikado dem Iyeyasu erlaubte, vor ihm mit dem Schwerte er-
scheinen zu dürfen. Wenn Jemand das Schwert aus der Scheide
ziehen wollte, musste er seine Umgebung um Erlaubniss bitten. Das
[379]6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc.
Aneinanderstossen mit den Schwertscheiden war ein grober Bruch
der Etiquette, das Drehen des Schwertes in der Scheide, als wolle
man es ziehen, kam einer Herausforderung und das Niederlegen
desselben auf den blossen Boden oder das verächtliche Anstossen des
Schwertgestells einer tödtlichen Beleidigung gleich.
Doch der auffallendste und eigenthümlichste Brauch, zu welchem
schon frühzeitig das hohe Ehrgefühl und der ritterliche Sinn die ja-
panischen Samurai geführt hatte, der aber erst mit der Ausbildung
des Feudalwesens sich in feststehenden Normen bewegte, ist das
Harakiri, Seppuku oder Bauchaufschlitzen *). Diese Japan ganz
eigene Art des Selbstmordes war in den Augen der Samurai der
ehrenvollste und würdigste unnatürliche Tod, mochte er nun aus
eigener Wahl oder als verhängte Strafe erfolgen. Das Harakiri galt
als der beste Ausweg, die gekränkte Ehre zu retten, wenn Rache
nicht möglich war, oder einer unvermeidlichen Strafe wegen Ver-
sehen im Amte zu entgehen, oder dem Kopfabschlagen durch den
Feind in verlorener Schlacht; und wenn die Regierung einen Samurai
wegen irgend eines Vergehens zum Tode verurteilen musste, so sah
man es als eine hohe Vergünstigung an, falls der Verurteilte denselben
in Gegenwart von Freunden und Zeugen mit eigener Hand herbeiführen
durfte. Unter allen Umständen reinigte das Seppuku von jedem Makel,
sicherte ein ehrenvolles Begräbniss und ein geachtetes Andenken.
Wenn der sich selbst Entleibende nach dem Aufschlitzen des Unter-
leibes noch Kraft und Geistesgegenwart genug hatte, um den Dolch
umzukehren und sich damit die Kehle zu durchstechen, oder wenn
er ihn wohl gar noch zurück in die Scheide zu stecken vermochte,
so galt dies für die grösstmögliche ritterliche Bravour, welche viele
Generationen hindurch gerühmt wurde.
Besonders feierlich war die Ausführung des Harakiri, wenn es
als Strafe zu erfolgen hatte, ein Brauch, den die Tokugawa-Shôgune
erst einführten. Es fand dann Nachts unter freiem Himmel, in einem
Tempel oder besonders zugerichteten Zimmer statt. War der Ver-
urteilte ein angesehener Mann, so wurde das Gemach mit weisser
Seide behangen und schwach erleuchtet. Auf etwas erhöhter Stelle
in der Mitte des so hergerichteten Raumes nahm der aus dem Leben
Scheidende knieend Platz, das Gesicht gen Norden gewendet. Laut-
los umgaben ihn in weitem Bogen seine Freunde und die Zeugen
der Handlung. Dann las der designierte Beamte das Urteil vor und
[380]I. Geschichte des japanischen Volkes.
überreichte auf weissem Taburet aus Hinoki-Holz das kurze dolch-
artige Schwert (wakizashi), dessen Klinge bis auf die mehrere Zoll
freie Spitze umwickelt war, und in einfacher weisser Scheide stack.
Der Verurteilte äusserte hierauf seinen letzten Willen und bat noch-
mals den zur Seite kauernden Freund, ihm die letzte Ehre zu er-
weisen und nach vollendetem Schnitt ihm mit dem ausgewählten
Schwerte den Kopf abzuschneiden. Alsdann erfasste er mit der linken
Hand ruhig die ihm präsentierte Waffe, entblösste sie und führte mit
dem scheinbar grössten Gleichmuthe den Schnitt von rechts nach links
20—24 cm weit unter der Nabelgegend, während unmittelbar darauf
der hinter ihm stehende Freund mit sicherem Hiebe den Kopf vom
Rumpfe trennte und den Zeugen des Actes vorzeigte.
Alle Regungen des Gefühls wurden bei dem Harakiri unterdrückt.
Es war ein Zeichen der grössten Mannhaftigkeit, hochgehalten von
der ganzen Nation; die geringste Angst, ein Schauder nur davor
würde Verachtung nach sich gezogen haben.
Die Heimin oder das gewöhnliche Volk zerfiel in drei Classen.
Oben an standen im Range die Hiyakushô oder Bauern, von denen
die grösseren Grundbesitzer sogar Schwerter tragen durften, dann
folgten die Shokunin oder Handwerker und endlich kamen die
Akindo*) oder Kaufleute.
Ausserhalb dieser verschiedenen Classen der Gesellschaft stan-
den, wie Parias verachtet, die Eta’s und Hinin. Die Etas (Un-
reine) waren Schinder, Gerber und Lederarbeiter; daneben fiel ihnen
auch das Gräbermachen zu. Sie lebten abgeschlossen in besonderen
Ortschaften oder Stadttheilen, besassen eine eigene Organisation und
theilweise grosse Reichthümer. Das Heirathen mit Personen ausser-
halb ihres Standes war ihnen untersagt. Höhergestellte betraten nie
ihre Häuser, noch durften sie mit ihnen essen und trinken. Die Ab-
kunft der Eta’s steht nicht ganz sicher. Wahrscheinlich waren es
Nachkommen von Fleischern, welche in diese missachtete Stellung
kamen, als der Buddhismus herrschend wurde und in Folge dessen
der Mikado Temmu (672—686) die Fleischnahrung verbot, ein Gesetz,
das indess später nicht streng befolgt wurde, mit Ausnahme von eini-
gen Secten. Die Hinin (Nichtmenschen) bildeten eine Classe Armer,
welche erst mit der Tokugawa-Herrschaft aufkamen, zerlumpt und
schmutzig einhergingen und sich von Almosen nährten. Man erlaubte
[381]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
ihnen, sich auf uncultiviertem Lande niederzulassen. Zu ihrer Be-
schäftigung gehörte das Wegtragen der Leichen von den Richtplätzen
und Einscharren derselben. Auch sie durften sich nur mit ihres
Gleichen verheirathen. Die Yamabushi, eine Gruppe niederer,
verachteter Bettelmönche, welche aus Wahrsagern und Zauberern her-
vorgegangen waren, gesellten sich hinzu. Alle diese Ausgestossenen
gehörten der freisinnigen buddhistischen Secte der Ikkoshiu (Shin) an,
welche in der Neuzeit so viel Ansehen geniesst.
Gesha’s (Tänzerinnen und Sängerinnen) und Jôrô’s (Dirnen),
kurzum Alle, die dem Vergnügen dienten, waren verachtet und standen
als nothwendiges Uebel gesellschaftlich noch unter den Hinin. Auch
die Schauspieler waren gleich jenen von niedriger Abkunft und hatten
keine viel höhere Stellung in der gesellschaftlichen Rangordnung.
c. Beziehungen der Holländer, Engländer und Russen zu Japan
während des Shôgunats der Tokugawa.
Kaum hatten die Holländer gegen Ende des 16. Jahrhunderts
das spanische Joch abgeschüttelt, so fingen sie an, ihren Handel
nach allen Richtungen auszubreiten. So wurden sie, von commer-
ciellen Interessen getrieben, während ihr Unternehmungsgeist den
grössten Aufschwung nahm, am Schlusse des 16. und in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts hervorragende Entdecker und Begründer
eines reichen und ausgedehnten Colonialbesitzes. In Ostasien wurde
Jakatra (Batavia) auf Java ihr Hauptstützpunkt, von welchem aus
ihre Schiffe die holländische Flagge nord- und südwärts nach den
Inseln und westlichen Gestaden des Stillen Oceans trugen. Schon
im Jahre 1600 erschien ein solches zu Funai in Bungo. Die zwei
englischen Steuerleute desselben, William Adams und Timothy
Shotten, welche mit einem Theile der Mannschaft ans Land kamen,
wurden von den Japanern freundlich empfangen, nicht so von den
Portugiesen. Diese klagten die Engländer des Seeraubes und ver-
schiedener Verbrechen an und wurden darin von einem Theile der
Mannschaft unterstützt. Bald darauf sandte man Adams gefangen
nach Ôsaka zu Iyeyasu, der ihn freundlich empfing und ausforschte.
Adams war kein Freund der Jesuiten, konnte Schiffe bauen, in Mathe-
matik und Astronomie Unterricht ertheilen und war desshalb Iyeyasu
willkommen. Bald entliess dieser ihn aus seiner Gefangenschaft,
sandte ihn nach Yedo und benutzte seine Talente. Bill Adams ge-
wann viel Einfluss, wurde zum Samurai gemacht, mit den Einkünften
eines Dorfes Hemi (bei Yokoska) belehnt, erhielt ein Haus in Yedo,
durfte aber das Land nicht verlassen. Nach seinem Tode im Jahre
[382]I. Geschichte des japanischen Volkes.
1620 fand er auf einem der Hügel an der Yedobucht seinem Wunsche
gemäss eine hübsche Grabstätte. In Yedo aber erhielt eine Strasse
zu seinem Andenken den Namen Anjin Chô (Pilotengasse).
Die Eröffnung des holländischen Handels mit Japan wurde durch
Spex und Segersohn um das Jahr 1610 bewirkt. Bei den Verhand-
lungen, welche in Suruga vor Iyeyasu und dann vor dessen Sohn,
dem Shôgun, in Yedo stattfanden, diente Adams als Dolmetscher und
Befürworter. Offenbar waren die gefügigen Holländer den Tokugawa
sehr willkommen, konnte man doch aus ihnen, die nicht Missions-
drang, sondern nur Handelsinteressen nach Japan führten, all die
Handelsvortheile ziehen, welche die verhassten Namban gebracht
hatten, sie auch als Lehrer im Kanonengiessen, der Schiesspulverbe-
reitung und mancher anderen nützlichen und begehrenswerthen Fertig-
keit viel besser verwenden, als die Jesuiten. Dazu kam, dass die
Abneigung der neuen Fremdlinge gegen die Portugiesen und Spanier
und deren Religion kaum geringer war, als diejenige der tonangeben-
den Heiden, ja es wird nicht ohne Grund behauptet, dass die An-
klage der Staatsgefährlichkeit und manche falsche Beschuldigung
gegen die Jesuiten und ihre Lehre, welche jene schon geschilderten
blutigen Verfolgungen der Christen hervorriefen, von den Holländern
und Engländern wesentlich genährt wurden. Ja noch mehr! Nach
den Mittheilungen des durchaus glaubwürdigen und wohl unterrichteten
E. Kaempfer und anderen Anzeichen kann es kaum noch bezwei-
felt werden, dass bei dem letzten grossen Act gegen die eingeborenen
Christen, nämlich bei der Belagerung und Einnahme von Arima auf
Shimabara, die Holländer nicht anstanden, eine Probe ihres Gehor-
sams und ihrer Feindschaft gegen das katholische Christenthum zu
geben, welche den Japanern genügen konnte. »Unser Resident Köke-
becker«, heisst es bei Kaempfer ausdrücklich, »verfügte sich selbst
mit dem noch vorhandenen Schiffe nach Shimabara und beschoss
binnen 14 Tagen die belagerten Christen sowohl vom Schiffe als auch
vom Lande aus mit 426 groben Kanonenschüssen«.
In Folge des Freibriefes, den Adams und Spex von Iyeyasu für
den holländischen Handel erlangt hatten, gründete Spex auf einer
kleinen Insel im Hafen von Hirado eine Factorei. Fast zur näm-
lichen Zeit sandte die East-India-Company von England aus drei
Schiffe unter dem Oberbefehle des Capitain John Saris mit einem
Briefe des Königs James I. an den Kaiser (Shôgun) von Japan,
um ebenfalls Handelsverbindungen mit diesem Lande anzuknüpfen.
Saris erreichte im Juni 1613 Hirado, fand aber weder bei den Hol-
ländern, noch den Portugiesen viel Entgegenkommen. Zwei Monate
[383]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
darauf besuchte er mit Adams, welchen Iyeyasu ihm zugesandt
hatte, diesen in Sumpu und dann den Shôgun in Yedo, wurde
von beiden freundlich empfangen, schloss mit denselben einen von
Iyeyasu unterzeichneten Handelsvertrag, in dessen 8 Artikeln den
Engländern gleiche Freiheiten des Verkehrs eingeräumt waren, als
den Holländern, und langte drei Monate später wieder in Hirado
an. Nachdem er hier noch viel Aerger durch undisciplinierte Ma-
trosen gehabt, eine Factorei gegründet und seinem Collegen, Capt.
Cocks, unterstellt hatte, kehrte er nach England zurück und übergab
bald darauf den Directoren seiner Company einen ausführlichen Be-
richt über seine Erlebnisse in Japan und über die wichtigsten Artikel
für den Verkehr mit diesem Lande. Anfangs ging hier das Geschäft
nach Wunsch, dann aber trat in Folge verschiedener Beschränkungen,
welche der Shôgun dem Vertrag entgegen auflegte, und namentlich
auch durch die Eifersucht der Holländer, welche sich nach Kräften
bemühten, ihre Rivalen aus dem Felde zu schlagen, ein solcher Rück-
gang ein, dass endlich 1623 die Factorei aufgelöst wurde und Cocks
nach England zurückkehrte.
Erst im Jahre 1673 wurde von England aus wieder ein Versuch
gemacht, auf Grund des alten Statuts die Handelsverbindung mit
Japan wieder anzuknüpfen. Doch mussten die Bevollmächtigten,
welche im Juni des folgenden Jahres mit dem Schiffe Return in
Nagasaki ankamen, nach langem Hoffen und Harren unverrichteter
Sache zurückkehren, weil der damalige König von England, Charles II.
ein Schwiegersohn des Königs von Portugal war. Zu jener Zeit lag
England mit Holland im Kriege, so dass es, abgesehen vom Han-
delsinteresse, kaum bezweifelt werden kann, dass die Krämer auf
Deshima so glücklich gewesen waren, diesen triftigen Grund zur Ab-
lehnung des englischen Anerbietens für den Bakufu ausfindig zu
machen. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde in der East-India-
Company der Gedanke eines Handelsverkehrs von neuem angeregt,
doch wieder fallen gelassen. Versuche, welche von Privaten im fol-
genden halben Säculum ausgingen, hatten ebenfalls keinen Erfolg,
und so bleibt uns bezüglich der Engländer nur übrig, im Zusammen-
hang mit den Unternehmungen anderer Nationen noch des Antheils
zu gedenken, welchen sie an der Erforschung der entfernteren
japanischen Gewässer und Inselgruppen innerhalb der Periode des
Shôgunats der Tokugawa genommen haben. Es sind vor allem die
Capitäne Broughton und Beechey, deren Namen neben denen
eines de Vries, La Pérouse und Krusenstern in erster Linie
hier genannt werden müssen.
[384]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Martin Gerritszoon van Vries, der unternehmendste hollän-
dische Seefahrer in den japanischen Gewässern, führte auf Befehl
des Generalstatthalters Van Diemen zu Batavia die Schiffe Castricom
und Breskes gemeinsam mit H. C. Schaep, dem Capitän des letzteren,
im Jahre 1643, also genau hundert Jahre nach der Landung Pinto’s
in Bungo, nordwärts und entdeckte die Shichitô, deren eine (Ôshima)
seinen Namen erhielt, die Insel Yezo und eine Anzahl Kurilen, sowie
die Durchfahrt zwischen zweien derselben, Iturup und Urup, welche
noch den Namen de Vries-Strasse trägt. Ihm folgte der berühmte
Franzose La Pérouse. Derselbe zeigte 1787, dass Yezo und Sa-
chalin kein zusammenhängendes Land, sondern zwei verschiedene
Inseln seien, indem er die nach ihm benannte Meerenge durchfuhr
und so als erster Europäer aus dem Tatarischen in das Ochotskische
Meer gelangte. Die Conturen von Yezo lernte er nicht genau kennen,
daher auch die Karte, welche der berühmte englische Kartograph
Arrowsmith im Jahre 1803 nach seinen Angaben anfertigte, noch ein
Zerrbild der richtigen Verhältnisse ist und namentlich die Breite der
Tsugarustrasse viel zu gross angibt. Eine genauere Vermessung dieser
Meerenge und der Süd- und Westküste von Yezo nahm zehn Jahre
später der englische Schiffscapitän W. R. Broughton vor, welcher
im Herbst 1796 mit der Corvette Providence, von den Sandwich-Inseln
kommend, an der Küste von Nambu anlief und sich dann nordwärts
gen Yezo wandte. Er gibt in seinem Berichte eine gute Beschrei-
bung der Ainos und des Landes um die Volcano-bay, die er
entdeckte und benannte. Nachdem er noch den Kurilen einen Besuch
abgestattet und der starken Strömung wegen vergeblich durch die
Tsugaru-Strasse zu dringen suchte, wandte er sich südwärts der Ost-
küste von Hondo entlang zur Yedobucht, in welche er jedoch un-
günstigen Windes wegen nicht einsegeln konnte; er nahm desshalb
seinen Cours südwestlich und gelangte an den Riukiu-Inseln und
Formosa vorbei nach Macao. Bald darauf, im Mai 1797 verliess er
diesen Hafen wieder, um seine vorjährigen Entdeckungen fortzusetzen,
scheiterte aber auf einem Corallenriffe bei den Miyake-shima (südlichen
Riukiu) und kehrte mit einem kleinen Schooner, den er sich vorher
zugesellt hatte, nach Macao zurück, doch nur um einen Theil der
Mannschaft auszuschiffen, neue Vorräthe einzunehmen und in dem
kleinen Fahrzeug seine Unternehmungen fortzusetzen. Im Verlaufe
derselben besuchte er Nafa auf der grossen Riukiu-Insel Okinawa-
schima, und liess den freundlichen Bewohnern derselben zwei Paar Gänse
zurück, wandte dann seinen Cours an den grossen japanischen Inseln
vorbei und gelangte abermals in die Volcano-bay bei Yezo. Das heraus-
[385]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
fordernde, unfreundliche Benehmen der Japaner an der Küste gegen
die frühere Zuvorkommenheit fällt ihm auf, er steuert durch die
Tsugaru-Strasse, an Matsumaye vorbei und nun nordwärts an den
Westküsten von Yezo und Sachalin hin bis zum 52. Breitengrad,
worauf er sich südlich wendet dem asiatischen Continent entlang, die
nach ihm benannte Bucht an der Ostküste von Korea entdeckt, an
Tsushima vorbeisegelt und endlich nach Macao zurückkehrt. Der
Ausdauer und sorgfältigen Beobachtung Broughton’s, welcher trotz
mancher grossen Widerwärtigkeiten, wie der Bruch eines Arms und der
Verlust seiner Corvette, doch stetig die ihm von der britischen Ad-
miralität gestellte Aufgabe verfolgte, verdanken wir die ersten ge-
naueren Karten der Insel Yezo und des Japanischen Meeres.
Unter den Besuchen, welche in der ersten Hälfte dieses Jahr-
hunderts englische Kriegsschiffe der japanischen Küste abstatteten,
ist wohl derjenige des Capitän Pellew mit dem Phaëton im Sep-
tember 1808 der erwähnenswertheste. Man hatte damals in Nagasaki
schon lange auf die Ankunft eines holländischen Schiffes von Batavia
gewartet und war erfreut, als ein solches vom Eingang zum Hafen
signalisiert wurde. Bald stellte sich jedoch die Täuschung heraus
und setzte nicht blos ganz Nagasaki, sondern auch den Hof und das
umliegende Land in grosse Aufregung. Truppen wurden aufgeboten,
um den Feind zu vertreiben, der indess nach der Einnahme von
Wasser plötzlich wieder verschwand. Die Folge war, dass der Gou-
verneur von Nagasaki und fünf Militär-Commandanten wegen der
Blössen, welche sie sich in ihrer Rathlosigkeit gegeben hatten und
im Gefühl der Strafe, welche ihrer vom Bakufu aus wartete, das
Harakiri vornahmen.
Wie Broughton’s Name mit der näheren Kenntniss der Insel Yezo *)
verknüpft ist, so verdanken wir Capitän Beechey die erste gute
Karte und zuverlässige Kunde über die beiden südlichsten der japa-
nischen Inselgruppen, die Munintô und Riukiu. An Bord des
Schiffes Blossom besuchte er dieselben 1827 und bildete durch das
»Narrative« seiner Reise die Grundlage, auf welcher dann die Perry-
Expedition weiter baute.
Als nördliche Nachbarn der Japaner hatten die Russen auf Sachalin
und den Kurilen bereits im vorigen Jahrhundert Berührung mit den-
selben, welche ihnen den Wunsch nahe legte, in regeren Verkehr
Rein, Japan I. 25
[386]I. Geschichte des japanischen Volkes.
mit Japan zu treten. Versuche, welche Katharina II. zu dem Zwecke
anstellen liess, misslangen jedoch vollständig, obgleich man sie mit
einem freundlichen Act gegen Japan einleitete, indem man japanische
Schiffbrüchige zurückführte, welche 10 Jahre zuvor an die Aleuten
verschlagen, gerettet, nach Irkutsk gebracht, hier freundlich behandelt
und in vielen nützlichen Dingen unterrichtet worden waren. Kaiser
Alexander I. erneuerte mehrmals die Bemühungen, doch mit keinem
besseren Erfolg. Bemerkenswerth ist jedoch aus seiner Zeit die Welt-
umsegelung Krusenstern’s und dessen sechsmonatlicher Aufenthalt
in der Bucht von Nagasaki (1805), welche der genauen Ermittelung der
Hafenzeit *) dieses Ortes und mancher anderen wichtigen Beobachtung
gewidmet war, während die an Bord befindlichen deutschen Gelehrten
Dr. Horner, Langsdorf und Thilenius theils assistierten, theils
mit anderen Beobachtungen, sowie mit dem Sammeln naturwissen-
schaftlicher Objecte beschäftigt waren. Die Südspitze von Satsuma,
wie die Westküste von Yezo und andere Punkte mehr wurden astro-
nomisch genau bestimmt und manche Verbesserung der bestehenden
Karten damit bewirkt, die noch jetzt zur Erinnerung einige russische
Namen tragen, wie die Strogonoff-Bucht. Doch der Hauptzweck der
Mission, Handelsverbindungen mit Japan anzuknüpfen, wurde ver-
eitelt. Die Gesandtschaft mit ihren Geschenken an Bord kehrte nach
Kamtschatka und Petersburg zurück, wie sie gekommen war.
Im Jahre 1811 legte Golovin, Capitän der russischen Kriegs-
schaluppe Diana, bei der Einfahrt in die Bucht von Kunashiri an,
um Wasser einzunehmen. Zwei Kanonenschüssen von einem benach-
barten Fort und dem Herbeieilen von Soldaten folgte eine längere
Auseinandersetzung, worauf Golovin und fünf Begleiter veranlasst
wurden, ans Land zu kommen, wo man sie erst mit Thee und Sake
(Reisschnaps) bewirthete, dann aber gefangen nahm und gefesselt nach
Hakodate führte. Hier erlangten sie ihre Freiheit wieder, konnten an
Bord der herbeigerufenen Diana gehen und ihre Reise fortsetzen,
wozu sie sich ohne weiteres bequemen mussten.
Nach diesen kurzen Andeutungen über Engländer, Franzosen und
Russen in Japan wenden wir uns wieder den Holländern zu und
betrachten nun in Kürze die Rolle, welche ihnen das 250 jährige
Handelsmonopol mit Japan zu spielen auferlegte. Wir werden sehen,
dass es keine ehrenvolle war, dass die grossen Handelsvortheile
[387]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
dieselben bewogen, sich in ihren Bewegungen Gefangenen gleich be-
schränken und in ihrer nationalen und individuellen Würde aufs tiefste
demüthigen zu lassen.
Am 11. Mai 1641 erschien von Yedo aus der Befehl, die Hol-
länder sollten ihre Factorei zu Hirado aufgeben, nach Nagasaki über-
siedeln und dort das früher für die Portugiesen bestimmte Deshima
einnehmen. Die Abreise fand schon zehn Tage darauf statt.
Das kleine Deshima (De-shima, Vorinsel) von nur 600 Fuss
(185 Meter) Länge und 240 Fuss (74 Meter) Breite liegt dicht bei
Nagasaki und ist eine künstliche Bildung, die der seichten Bucht ab-
genommen, von einer Mauer gegen den Hafen und einem Graben
nach der Stadt zu umgeben wurde. Sie hat die Gestalt eines aus-
gebreiteten Fächers und erhebt sich nur 2 Meter über den höchsten
Wasserstand. Mit der Stadt verbindet sie eine kleine steinerne
Brücke, an deren Ende sich ein Thor befand zur strengen Ueber-
wachung des Verkehres. Auf diesem kleinen Inselchen, Gefangenen
gleich bewacht und beschränkt, lebten 16—20 Holländer im Dienste
der Ostindischen Compagnie, um mit Japan den Handel zu vermitteln.
Der Chef führte den Titel Resident. Deshima trug die Wohnungen
der Beamten, die Magazine, einen kleinen botanischen Garten und
einen die Insel durchschneidenden Weg, woran der freie Platz stiess,
auf welchem die holländische Flagge aufgehisst wurde. Anfangs
empfing man den Abmachungen gemäss jährlich nur ein Schiff von
Batavia, später deren acht. Ihre Ankunft war stets ein aufregendes
Ereigniss für diese von der Welt abgeschlossene kleine Colonie. Man
schätzt den durchschnittlichen Werth des jährlichen Verkehres auf
£ 660000. Der Gewinn an den Exportartikeln Silber (dessen Aus-
fuhr später verboten wurde), Gold, Kupfer, Seide, Kampfer, Porzellan,
Bronze *) war ein sehr grosser, so dass die Gesellschaft trotz der sehr
hohen Gagen, welche sie ihren Beamten zahlen musste, und sonstiger
belangreicher Unkosten, darunter allein 20000 Thaler für die jähr-
liche Reise des Residenten an den Hof und die bei der Gelegenheit
zu überbringenden Geschenke, doch glänzende Geschäfte machte.
Kaempfer bemerkt in Bezug hierauf und auf die erniedrigende
Stellung im Gefängniss Deshima Folgendes:
»In dieser Dienstbarkeit haben wir uns viele beschimpfende Ein-
schränkungen von diesen stolzen Heiden müssen gefallen lassen. Wir
25*
[388]I. Geschichte des japanischen Volkes.
dürfen keine Sonn- und Festtage feiern, keine geistliche Gesänge
und Gebete hören lassen, niemals den Namen Christi nennen; kein
Bild des Kreuzes oder irgend ein äusseres Zeichen des Christenthums
bei uns führen. Dabei müssen wir noch immer viel andere be-
schimpfende Zumuthung ausstehen, die einem edelmüthigen Herzen
allemal sehr empfindlich sind. Die einzige Ursache, welche die Hol-
länder bewegt, alle diese Leiden so geduldig zu ertragen, ist blos
die Liebe des Gewinnes und des kostbaren Marks der japanischen
Gebirge«.
Neben der japanischen Wache am Eingangsthor nach Deshima
war auf einem grossen Anschlagbrette die Verordnung (Kinsatsu) in
Betreff der Deshima-machi (Deshima-Strasse) zu lesen. Nach der-
selben durften vom weiblichen Geschlechte nur Dirnen dieses Gebiet
betreten, ferner von Priestern und Bonzen nur diejenigen des Koya-
san, keine Bettler. Niemand sollte sich unter irgend welchem Vor-
wande unterstehen, mit einem Boote innerhalb der Pallisaden oder
unter die Brücke zu kommen; endlich sollte kein Holländer Deshima
ohne triftige Gründe und ausserhalb der bestimmten Zeit verlassen.
Der Resident musste jährlich einmal nach Yedo reisen, um dem
Shôgun seine Huldigung und Geschenke zu überbringen. Zum Auf-
bruch war der 15. oder 16. Tag vom ersten Monat des japanischen
Jahres, d. h. der 4. oder 5. März bestimmt. Der Resident reiste
dabei wie ein Daimio und gleich dem ihn begleitenden Bugiyô (Gou-
verneur) in einer Sänfte (Norimono), die anderen höheren Beamten
in Tragkörben (Kago) oder zu Pferde. Denselben begleiteten ge-
wöhnlich sein holländischer Secretär und der Arzt der kleinen Colonie.
Die Vorbereitungen zur Reise nahmen viel Zeit in Anspruch und er-
folgten nach bestimmten Regeln. Der Zug selbst bestand aus 100—
200 Personen, vornehmlich Trägern, dann auch aus verschiedenen
japanischen Beamten, darunter Dolmetsch und Spione (och uppassare
Thbg.). Thunberg, der diese Resan til Hofvet im Jahre 1776 als
Arzt mitmachte, sowie Kaempfer, welcher zweimal (1691 und 1692)
daran theilnahm, haben uns von derselben die ausführlichsten und
interessantesten Schilderungen hinterlassen. Der Weg führte von
Nagasaki zu Lande bis Kokura, dann über die Enge von Shimonoseki
und nun den Sanyôdô entlang nach Ôsaka und Miako (Kiôto), end-
lich von hier längs des Tôkaidô nach Yedo. Die Räume der Gast-
häuser (Honjin, Yadoya), in welchen man abstieg, wurden verschlossen
und bewacht, »um uns, wie sie sagen, vor Belästigung und Dieben
zu hüten, eigentlich aber, wie Diebe und Ausreisser zu bewahren«
(Kaempfer). Abgesehen jedoch von dieser lästigen Bewachung wurden
[389]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
den holländischen Reisenden alle Ehren und Zuvorkommenheiten er-
wiesen, welche sonst den Daimio zukamen.
Auch während des Aufenthaltes der Holländer in Yedo wurde
jede freie Bewegung derselben verhindert und ging Alles den vor-
schriftsmässigen Gang. Am Tage der Audienz mussten die Geschenke
für den Hof in dem dazu bestimmten Schlossraume ausgebreitet sein
und zur Besichtigung derselben eingeladen werden. Kaempfer er-
wähnt unter ihnen Borneokampfer, spanische Weine, Edamer Käse,
linnene und seidene Stoffe und andere europäische Industrie-Erzeug-
nisse. Bei der Audienz, welche im Hundert-Mattensaale stattfand,
wurde der holländische Resident vorgerufen, um dem Shôgun, der
gewöhnlich hinter einem Vorhange sass, seine Ehrerbietung zu be-
weisen, worauf der Resident »auf Händen und Füssen hervorkroch,
das Haupt, auf den Knien liegend, zum Boden neigte, und sich ganz
stillschweigend eben so wie ein Krebs wieder kriechend zurückzog.
Hierin«, sagte Kaempfer weiter, »besteht die ganze Ceremonie, die
mit so vielen Umständen vorbereitet wird. Bei den Daimio geht es
gerade so her«. War diese Vorstellung vorbei, so führte man die
Gesandtschaft tiefer in den Palast hinein, um auch den Frauen und
dem übrigen Hofe zum Vergnügen und zur Betrachtung zu dienen,
woran auch der Kaiser (Shôgun) theilnahm. Der Resident blieb dann
passiv, Kaempfer’s und des Secretärs Rolle begann, und was uns
unser biederer Landsmann davon erzählt, ist ebenfalls nicht beneidens-
werth, eine wahre Affencomödie, welche der Kaiser verlangte: »Bald
mussten wir nämlich aufstehen und hin und her spazieren, bald uns
unter einander komplimentieren, dann tanzen, springen, einen betrun-
kenen Mann vorstellen, Japanisch stammeln, malen, Holländisch und
Deutsch lesen, singen, die Mäntel bald um- und wieder wegthun
u. dergl., ich an meinem Theile stimmte hierbei eine deutsche Liebes-
arie an«. Kaempfer scheint in dem Rufe eines lustigen Sängers ge-
standen zu haben, denn auch bei anderen Gelegenheiten wurde er
veranlasst, ein Liedchen zu singen, mit dem Secretär die Rollen in
verschiedenen Arten des Umganges in Holland zu spielen und Anderes
mehr, was zur Unterhaltung und Befriedigung der Neugierde dienen
konnte.
Wenn der Repräsentant der holländischen Compagnie sich vom
Hofe verabschiedete, musste er sich verpflichten, in keine Verbindung
mit der Kirishitan-shiu (christlichen Secte, d. h. Katholiken) zu treten,
keine Missionäre ins Land zu bringen und alljährlich solche Informa-
tionen über die christliche Secte dem Hofe zu machen, wie sie für
den Shôgun von Interesse sein könnten. Ob diese Declaration jährlich
[390]I. Geschichte des japanischen Volkes.
erneuert wurde, ist nicht festgestellt, doch weiss man, dass z. B.
Zacharias Wagenaer in 1659 und 1661 sie gab, ebenso, dass sie
1673 erfolgte.
Dass die Holländer (Oranda-jin, wie dieselben richtig, Akage,
Rothhaar, oder Akaban, rothe Barbaren, wie sie verächtlich genannt
wurden) diese sclavische Stellung mit allen Insulten, welche dieselbe
begleiteten, geduldig ertrugen, muss gewiss auffallen. Man könnte
geneigt sein, die Darstellung ihres Verhältnisses zu den Japanern,
wie sie hier gegeben wurde, für Uebertreibung anzusehen, allein die
Berichte der erwähnten Aerzte werden durch andere nur ergänzt und
bestätigt. Zum Vergleiche lese man beispielsweise nur, was Krusen-
stern im 1. Bande seiner Reise um die Welt, pag. 290 etc. nach
eigenen Wahrnehmungen über die Insolenz der Japaner und die Ge-
fügigkeit der Holländer mittheilt. Da tritt unter anderem Myn Heer
van Doeff, der Resident, mit einem unverschämten japanischen
Dolmetsch auf, und es erscheint auf der anderen Seite der Bugiyo
oder Gouverneur. »Myn Heer Opperhooft«, befiehlt nun der Dolmetsch,
»complement bevor de Opper Baijô«. Der Opperhooft (Director) ver-
säumt nicht, sich gehorsamst tief zu verbeugen, aber sein Compliment
wird von der anderen Seite nicht einmal durch ein gelindes Kopf-
nicken erwidert *). Doch liessen die Japaner auch die Russen die
Demüthigungen in vollem Maasse erdulden. Krusenstern schlägt die
Leistungen der Holländer während ihres langen Verkehres mit Japan
für die Navigation gering an und betont, dass die bedeutenden wissen-
schaftlichen Arbeiten von fremden Aerzten in holländischem Dienste
ausgingen. Ohne in dieser Beziehung zwischen Deutschen, beziehungs-
weise Schweden und Holländern abwägen zu wollen, muss vor allem
festgehalten werden, dass die holländische Compagnie den Aerzten
E. Kaempfer (1690—1692), C. P. Thunberg (1775—1776) und
Ph. Fr. von Siebold (1823—1829 und 1859—1861) doch die Ge-
legenheit und Mittel an die Hand gab zu den Arbeiten, durch welche
ihre Namen in der Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung
Japans so hoch stehen.
[391]6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Wenn auch Kaempfer die Naturwissenschaften und insbesondere
die Botanik nicht unbeachtet liess, so liegt doch sein Hauptverdienst
in seinen historischen und culturhistorischen Leistungen. Es gibt
keine grössere Anerkennung für seine Hauptwerke, die »Amaenitates
exoticae« und »Historia imperii japonici germanice scripta«, als dass
dieselben jetzt, nach bald 200 Jahren und nachdem über Japan seit
seiner Eröffnung für die Fremden so viel geschrieben worden ist,
jeder mit japanischen Verhältnissen Vertraute dieselben noch gern
liest und von der Zuverlässigkeit des Autors überzeugt ist *).
Als erster Naturforscher von Belang, der uns die herrliche japa-
nische Flora erschloss und dessen Name mit Dutzenden unserer schön-
sten Zierpflanzen aus derselben aufs innigste verknüpft ist, der auch
in seinem vierbändigen Reisewerke sich als feinen, kenntnissreichen
Beobachter und Darsteller zeigt, ist C. P. Thunberg zu nennen.
Er war 1763 zu Jönköping geboren, studierte in Upsala Medicin
und Naturkunde und nahm nach seiner Rückkehr von der neunjährigen
Reise nach Europa, Afrika und Asien als Botaniker den Stuhl seines
Lehrers Linné ein.
Die Leistungen unseres Würzburger Landsmannes v. Siebold
endlich, der mehr als unermüdlicher und höchst erfolgreicher Samm-
ler, denn als selbständiger, tiefer Forscher auftrat, sind so bekannt,
dass ich kaum nöthig habe, sie besonders hervorzuheben. Selten hat
ein einzelner Mann vermocht, das Wissenswerthe über ein fremdes
Land aus den verschiedensten Gebieten so zu sammeln und zur
Kenntniss Europas zu bringen, wie er in seinem Archiv über Nippon
und der Flora und Fauna japonica. Siebold verstand es, eine Menge
Japaner zu instruieren, anzuregen und sich dienstbar zu machen, wie
er denn auch für seine reichen Sammlungen auf vielen Gebieten her-
vorragende holländische und deutsche Gelehrte fand, die ihm halfen,
denselben ein wissenschaftliches Kleid anzulegen. Endlich muss auch
noch die Munificenz der holländischen Compagnie sowie der Regie-
rung rühmend hervorgehoben werden, welche v. Siebold und seine
Mitarbeiter in der Herausgabe ihrer kostspieligen Foliobände über
Japan aufs wirksamste unterstützten.
Fast 150 Jahre hindurch war beinahe die ganze geistige Anregung,
welche Japan durch die Holländer erhielt, beschränkt auf das, was
[392]I. Geschichte des japanischen Volkes.
holländische Industrieerzeugnisse, wie Barometer und Thermometer,
Uhren und andere Gegenstände mehr hier und da boten. Dann erst
begann das Studium der holländischen Sprache und die Verbreitung
holländischer Bücher, doch kam erst in diesem Jahrhundert mit
einer laxeren Praxis in der Handhabung der alten Verordnungen
gegen das Fremde mehr Leben in die Sache. Mit unendlichen
Schwierigkeiten kämpften diejenigen, in welchen zuerst das Bedürf-
niss nach fremder, geistiger Nahrung wieder erwachte, in einer Zeit,
wo selbst die in Deshima beschäftigten Dolmetscher nicht wagten,
sich der holländischen Schrift zu bedienen, und kein Buch mit fremden
Typen geduldet wurde. Dann kamen holländische Bücher und Illustra-
tionen meist medicinischen und technischen Inhalts spärlich da und
dort hin und brachten fremde Gedanken den denkenden und streb-
samen Japanern, namentlich verschiedenen Aerzten. Mit Eifer stu-
dierte man Anatomie, lernte durch die Holländer zur Ader lassen,
das Linné’sche und andere Pflanzensysteme durch v. Siebold und
manches Andere. Mehr und mehr gewann das Studium des Hollän-
dischen warme Freunde. Eine Menge Fortschritte waren in seinem
Gefolge. So legte man nach holländischen Zeichnungen in der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts Hohöfen und Mühlen an und führte manche
andere gewerbliche Verbesserung ein. Die Buchdruckerkunst ver-
dankt dem Verkehr mit den Holländern die Einführung beweglicher
Lettern, und selbst Dampfmaschinen, Telegraph und andere Erzeug-
nisse der modernen Cultur wurden dem Lande der aufgehenden Sonne
auf diesem Wege zuerst bekannt. Als endlich das alte System er-
lahmt war, die Geister wieder zu selbständigem politischen Denken
erwachten und ihre Gedanken auch gegenseitig auszusprechen wagten,
da fand es sich, dass der Sauerteig, welchen die holländischen Bücher
in viele Köpfe gebracht hatten, kein geringes Gährungsmittel war.
Unter den einflussreichsten Persönlichkeiten, welche die neue Zeit
einleiteten, erschienen Leute, die, wie Terashima, der Minister des
Auswärtigen, oder Yanagawa, der Begründer der japanischen Jour-
nalistik, ihren Geist durch die Lectüre holländischer Werke gebildet
hatten.
[393]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
7. Periode.
Japan seit dem Jahre 1854.
a. Die Perry-Expedition und ihre unmittelbaren Folgen.
Handelsverträge mit Japan. Unzufriedenheit und wachsende
Gährung im Lande. Mordanfälle auf Einheimische und Fremde.
Beschiessung von Kagoshima und von Shimonoseki. Streit des
Bakufu mit Chôshiu.
Es sind jetzt etwa 13 Jahre her, seitdem eine Bewegung ohne
Gleichen in der Geschichte orientalischer Völker die Japaner erfasste
und antrieb, das Shôgunat mit sammt dem Feudalsystem zu stürzen,
mit alten Vorurteilen, Sitten und Gewohnheiten zu brechen, die
grossen Verkehrsschranken zu beseitigen und diejenigen als Lehr-
meister ins Land zu rufen, welche noch kurz vorher als fremde Bar-
baren verhasst waren. Diese politischen und socialen Umwälzungen
überraschten in hohem Grade das gebildete Abendland, welches die
langen Vorbereitungen auf den Sturm nicht kannte, der so plötzlich
über das Land dahin brauste.
Der Niedergang und endliche Zusammenbruch der Herrschaft
der Tokugawa begann, als die Nachfolger der ersten so einflussreichen
Shôgune Schwächlinge wurden und die Macht einzelner Fürsten des
Südens, wie Satsuma, Chôshiu und Tosa so gewachsen war, dass sie
es wagen durften, in einzelnen Dingen dem Bakufu Trotz zu bieten.
Die alten politischen Gegensätze und die grosse Abneigung dieser Clane
gegen das Haus Tokugawa waren im Laufe der Jahrhunderte nicht
ausgestorben, sondern hatten sich von Generation auf Generation
fortgepflanzt und immer neue Nahrung in der unwürdigen Rolle ge-
funden, welche sie gegenüber den Usurpatoren der Gewalt spielten.
Diese Stimmung fand endlich offenen Ausdruck, als nach der Landung
des Commodore Perry im Jahre 1854 der Bakufu Verträge mit den
Fremden abschloss und ihnen Yokohama öffnete. In geschickter Weise
wurde nun alle Unzufriedenheit im Lande und die Abneigung gegen
die Fremden genährt und verwerthet und keine Gelegenheit versäumt,
um die Regierung zu Yedo bei den Samurai in Misscredit zu bringen
und ihr Verlegenheiten zu bereiten. Das Stichwort war: »Ehret den
Mikado und vertreibet die fremden Barbaren.« Die Führerschaft
dieser Bewegung unternahmen die Kuge und jetzigen Minister Sanjô
und Iwakura, sowie die Samurai Kido von Chôshiu, Saigo von
Satsuma und Itagaki von Tosa. Shimadzu Saburo, einer der
wenigen, auch geistig mehr hervorragenden Fürsten des Landes —
[394]I. Geschichte des japanischen Volkes.
die meisten waren junge unmündige Kinder — lebte ganz in dieser
Bewegung. Sie war schon Jahrzehnte lang genährt und gefördert
worden durch das wiedererwachte Interesse für das Studium der alten
Kamilehre und früheren Zustände, welches wesentlich dazu beitrug,
den Respect vor dem Mikado zu erhöhen und in ihm den einzigen
rechtmässigen Herrn des Landes zu erkennen. Besonders am Hofe
zu Mito, in Echizen, Kiôto und Satsuma gab man sich Betrachtungen
über die alte goldene Zeit hin und träumte von der Rückkehr zur
wahren Religion, d. h. dem Ahnencultus ohne buddhistische Ein-
wirkung, der nationalen Reinheit unter Führung des Mikado. Buddhis-
mus, chinesischer Einfluss, Confucius, Despotismus und Bakufu waren
in den Augen der strengen Shintôisten dasselbe und zu beseitigen.
»Im sechsten Monat (5. Juli — 3. August) 1853«, so beginnt
Shôzan Yashi in seiner Kinsei Shiriaku (neuen Geschichte Japans),
»kam der amerikanische Gesandte mit vier Schiffen zu Uraga in
Sagami an *) und übergab einen Brief, worin er um einen Freund-
schafts- und Handelsvertrag bat«. Am 16. Juli segelte Commodore
Perry wieder ab mit der kurzen Bemerkung, dass er im nächsten
Jahr kommen und sich die Antwort holen wolle. Grosse Aufregung
beim Bakufu, in Kiôto und dem ganzen Lande folgte diesem über-
raschenden Ereigniss. Der Shôgun befahl den Daimio, die Zugänge
von Musashi zu bewachen und in Vertheidigungszustand zu setzen.
Der Mikado verordnete, dass die Shintôpriester zu Yamada in Ise
der Göttin Amaterasu Gebete um Vertreibung der Barbaren vortragen
sollten. Vergeblich hatte man frühere Abschreckungsmittel versucht
und sich bemüht, das Geschwader nach Nagasaki zu schicken; man
fühlte, dass dieser Fall sich nicht gleich früheren erledigen lasse,
und war getheilter Ansicht bezüglich des weiter einzuschlagenden
Verhaltens. Während die Rathgeber des Mikado und auch mancher
ungestüme Anhänger des Alten in Yedo den Abbruch aller Beziehungen
zu den Fremden verlangte, fühlte der einflussreichere und einsichts-
vollere Theil des Bakufu, dass dazu die Kraft fehle und anderseits
die fremden Barbaren doch Manches besässen, das nachahmens-
werth sei.
Perry liess den Japanern genügende Zeit zum Nachdenken und
den Eindrücken, welche er mit seiner Flotille und dem Briefe des
nordamerikanischen Präsidenten gemacht hatte, um zu wirken, segelte
[395]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
feierlich ab, wandte sich nach den Riukiu, schrieb seinen Bericht
nach Amerika, bat darin um weitere Schiffe und bestimmte Nafa zum
Sammelplatze. Hier erhielt er durch ein russisches Kriegsschiff, das
im September bei Nagasaki angelaufen war, um für Russland Han-
delsverbindungen anzuknüpfen, die Nachricht, dass in Yedo Jyeyashi,
der 12. Shôgun, gestorben und dessen Sohn Jyesada demselben in
der Regierung gefolgt sei. Nachdem er die gewünschte Verstärkung
erhalten, wandte er sich im Februar 1854 mit einer Flotte, so stolz,
wie die Japaner nie zuvor sie gesehen, bestehend aus 8 Schiffen,
darunter drei Dampfer, wieder zur Yedobucht und warf am 13. Februar
12 engl. Meilen näher der Hauptstadt, als das erste Mal, wieder Anker.
Vergebens versuchte man Perry zur Rückkehr nach Uraga zu be-
wegen, er bestand darauf und es gelang ihm endlich, dass die Unter-
handlungen zu Kanagawa angeknüpft wurden, während die Flotte
nahebei im vortrefflichen Hafen von Yokohama lag. Zu Kanagawa
war es, wo man zum grössten Erstaunen und Ergötzen der Japaner
denselben Telegraph und Eisenbahn vorführte, ein wirksames Mittel
zur Förderung der Verhandlungen, welche endlich am 31. März 1854
zum sogenannten Vertrag von Kanagawa führten, welcher den Ameri-
kanern vorerst zwei Häfen, Shimoda und Hakodate, öffnete. Perry
sandte Commander Adams mit der Saratoga und dem Vertrage zur
Ratificierung nach Washington und machte dann mit der Flottille dem
Hafen von Shimoda eine fünfundzwanzigtägige Visite, um Vermes-
sungen etc. vorzunehmen. Hierauf besuchte er zu gleichem Zwecke
Hakodate. Von hier kehrte derselbe noch einmal nach Shimoda zu-
rück, schloss mit den japanischen Behörden einen Zusatz-Vertrag
bezüglich der beiden Häfen und verliess dann Japan Ende Juni 1854,
indem er sich mit seiner Flottille über Nafa nach China begab.
Commander Adams hatte nach einer Reise von 3½ Monaten
Washington erreicht, wo der von Perry abgeschlossene Vertrag allseits
Beifall fand, so dass er denselben alsbald mit des Präsidenten Unter-
schrift versehen zurück nach Japan bringen konnte. Er wählte den
Postweg über England nach Hongkong, erhielt hier das nordameri-
kanische Kriegsschiff Powhatan und erreichte mit demselben Shimoda
am 26. Januar 1855. Die Auswechselung der Verträge mit den japa-
nischen Behörden erfolgte alsbald, so dass der Powhatan schon am
22. Februar wieder absegeln konnte.
Commodore Perry war der geistige Urheber der nach ihm be-
nannten und hiermit endenden Expedition. Er hatte sie mit grossem
Geschick geleitet und zu einem befriedigenden Abschlusse gebracht
und damit ein Ziel erreicht, das von den grössten Folgen war und
[396]I. Geschichte des japanischen Volkes.
welches andere Nationen bisher vergeblich erstrebt hatten. Japan und
sein Heimathland vor allem, dann aber auch die ganze civilisierte Welt
ernteten die daraus entspringenden Vortheile und werden seinen Namen
immer hoch halten müssen. Menschenkenntniss und diplomatisches
Geschick verrieth Perry vor allem dadurch, dass er mit Selbstgefühl
und kluger Berechnung Nagasaki, die Holländer und auch die an-
gebotenen Dienste des Dr. von Siebold vermied und offen erklärte,
dass die Amerikaner sich niemals solchen Beschränkungen und Er-
niedrigungen wie die Holländer und Chinesen unterwerfen würden.
Sein zwar freundliches, aber würdevolles und bestimmtes Auftreten,
die Beobachtung und Entfaltung von viel Etikette und Glanz, ohne das
geringste Bestreben, die Japaner in diesen Dingen ängstlich nach-
zuahmen, imponierten diesen eben so, wie die Macht, welche er ihnen
vorführte, und die Proben, die er ihnen von der amerikanischen Civi-
lisation durch reiche Geschenke an den Hof, ganz besonders aber
durch Anlage und Benutzung einer kleinen Eisenbahn, sowie eines
Telegraphen gab. Solches waren die Mittel, mit denen er den diplo-
matischen Zweck seiner Expedition erreichte und Japan erschloss.
Sobald diese Erfolge der Union bekannt wurden, regten sich
auch die europäischen Mächte, schickten Schiffe mit Gesandtschaften
und Geschenken nach Japan und bemühten sich mit Erfolg um die
gleichen Vergünstigungen. Den Vorsprung gewann Russland. Der
russische Admiral Putiatin erschien schon im September 1852 zu diesem
Zwecke vor Nagasaki und dann bei Perry in Nafa. Sein Anerbieten,
mit Perry gemeinsame Sache zu machen, lehnte dieser ab. Der rus-
sische Admiral zog unverrichteter Sache von Nagasaki wieder ab,
erschien aber im folgenden Jahre von neuem und zwar nur mit der
Fregatte Diana, mit der er von Petropawlowsk glücklich durch die
auf ihn fahndende englische Flotte nach Shimoda gelangte. Hier
erlebten die Russen am 23. December 1854 ein heftiges Erdbeben,
welches zusammen mit der dann hereinbrechenden Fluth den grössten
Theil der Stadt zerstörte und das stolze Schiff so mitnahm, dass es
verlassen werden musste. Einen Monat später erschien, wie bereits
bemerkt wurde, Commander Adams mit dem Powhatan und nahm
die Schiffbrüchigen auf. Putiatin brachte seine Verhandlungen mit
dem Bakufu zu einem glücklichen Abschluss, wonach den Russen
Kanagawa (Yokohama) und Nagasaki geöffnet wurde. Auf einem
amerikanischen Schooner kehrte er bald darauf mit seiner Mannschaft
nach Petropawlowsk zurück. Die Holländer suchten noch im näm-
lichen Jahre ihre Stellung zu den Japanern gleichfalls zu verbessern
und hatten zu dem Zweck einen Kriegsdampfer von Batavia nach
[397]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Nagasaki gesandt, der hier lange vor Anker lag und auf dem viele
junge Japaner frei verkehrten, um die Lenkung und Einrichtung
solcher Fahrzeuge kennen zu lernen. Dessenungeachtet erreichte
Holland diesmal seinen Zweck nicht.
Ueberall in Japan regte man sich. Die Daimios erhielten Er-
laubniss, Kriegsschiffe auszurüsten, und mussten viel zur Landesver-
theidigung beitragen. Tempelglocken wurden zu Kanonen umge-
gossen und am Eingang zu den grossen Städten Yedo, Ôsaka und
andern Batterien errichtet. Der Bakufu hatte ausserdem viel Kosten
durch den Wiederaufbau des Mikadoschlosses in Kiôto, sowie mehrerer
Tempel in Shiba und Uyeno, welche Gebäude durch Feuersbrünste
im Jahre zuvor zu Grunde gegangen waren. Durch dies Alles zeigte
die Kasse des Bakufu bald eine bedenkliche Ebbe.
Im Jahr 1856 erschien der Nordamerikaner Harris als General-
Consul mit Vollmacht in Shimoda, verlangte die Erlaubniss, nach Yedo
gehen und den Shôgun sprechen zu dürfen, und setzte damit den Bakufu
in Aufregung, verfolgte aber so beharrlich sein Ziel, dass dieser end-
lich nachgab. In Folge dessen zogen sich die Fürsten von Mito,
Owari und Kii, also die nächsten Verwandten des Shôgun, unwillig
aus der Regierung zurück.
Allmählich lernten die Fremden auch die verwickelte Natur der
Machtverhältnisse kennen, sowie, dass die mit dem Bakufu bisher
abgeschlossenen Verträge in sofern keine legale Kraft besassen, als
der eigentliche Landesherr, der Mikado, sie nicht ratificiert hatte.
Harris liess sich jedoch durch solche Bedenken nicht abschrecken.
Mitte October 1857 kam er nach Yedo, hatte eine Unterredung mit
dem Shôgun (Taikún, wie er von den Amerikanern meist genannt
wurde) und seinen Ministern, wobei er verlangte, dass Shimoda,
welches sich für den Handel als ungeeignet erwiesen hatte, aufge-
geben und dafür Kanagawa (Yokohama) und Ôsaka geöffnet würden,
endlich auch, dass einem bevollmächtigten Minister von Amerika ge-
stattet werde, dauernd in Yedo zu wohnen. Diese Forderungen glaubte
der Bakufu erst dem Mikado und seinem Hofe vorlegen zu müssen,
wo die Ansichten darüber, wie in Yedo, getheilt waren. Wiederholt
wurden von der Shôgunregierung Abgesandte an den Mikado geschickt,
um ihm die gedrückte Lage, in welcher sich dieselbe befand, vor-
zustellen. Doch überwog hier noch der Einfluss derjenigen Kuge,
welche, wie Sanjô und Iwakura, verlangten, es möge der Bakufu alle
Verbindung mit den Barbaren abbrechen, worauf dieser dann wieder
erklärte, das sei nicht möglich, man habe in Kiôto von den Fremden
und ihrer Macht keine rechte Vorstellung. Bald darauf wurde Ii
[398]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Kamon-no-Kami, Fürst von Hikone, Tairô (Premierminister).
Er war jetzt die tonangebende Persönlichkeit des Bakufu, und da er
Angst hatte vor den Fremden und befürchtete, dass die Warnung
des holländischen Residenten in Erfüllung gehen und Japan, wenn
es sich den Barbaren feindlich entgegenstellen sollte, verwüstet würde,
wie die chinesische Provinz Kuantung durch die Engländer, so gab
er endlich dem Drängen nach und schloss ohne Zustimmung des
Mikado-Hofes neue Verträge und zwar mit Harris zu Kanagawa,
mit Engländern, Franzosen und Russen zu Yedo.
Diese Verträge waren so ziemlich von gleicher Tragweite. Die
wichtigsten Bestimmungen derselben sind folgende:
1. Diplomatische Agenten der betreffenden Regierungen erhalten
das Recht, in Yedo zu wohnen, stehen unter dem Schutze des Shôgun
und dürfen im Lande ungehindert reisen.
2. Ebenso dürfen die Vertragsmächte an allen dem Handel zu
öffnenden Häfen Consulate errichten.
3. Kanagawa (Yokohama), Nagasaki und Hakodate werden am
1. Juli 1859 dem fremden Verkehr geöffnet, Niigata 1860, Hiogo und
Ôsaka 1863.
4. An jedem dieser Orte wird den Fremden ein bestimmtes Ter-
rain eingeräumt, das sie nach Zahlung einer festgesetzten Taxe be-
bauen können.
5. Dieselben bleiben unter der Jurisdiction ihrer eigenen Con-
sulatsbehörden.
6. Sie geniessen Religionsfreiheit und Handelsfreiheit, soweit sie
die festgesetzten Zollabgaben entrichten.
7. Innerhalb eines Rayon von 10 ri dürfen sie sich frei bewegen,
die Grenze jedoch ohne Erlaubniss der japanischen Regierung unter
keinen Umständen überschreiten.
Neben diesen und einigen anderen Bestimmungen enthält ein
jeder Vertrag auch noch die Clausel von der meistbegünstigten Nation.
Man sieht, es waren gewaltige Errungenschaften; doch sollten, wie
sich zeigte, die Fremden sie noch nicht so ungestört geniessen.
Um die nämliche Zeit, in welcher jene Verträge abgeschlossen
wurden, starb der nur 35 Jahre alte Shôgun kinderlos. Als sein
nahes Ende vorausgesehen werden konnte, hatten die nächsten Ver-
wandten, die Fürsten von Owari, Echizen und Mito beschlossen, dass
der achte Sohn des Letzteren, Namens Shitotsubashi Giôbukio,
ein populärer, sehr gelehrter Prinz und Liebling seines Vaters, der
Nachfolger werden sollte; allein Ii Kamon berief sich auf die Be-
stimmungen des Jyeyasu, setzte seinen Willen durch und bewirkte
[399]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
die Adoption von Jyemochi, dem Sohne des Fürsten von Kishiu.
Derselbe war nur 12 Jahre alt, als er Shôgun wurde, so dass nun die
Regierung ganz in den Händen des Daimio von Hikone lag, des
Bakkô Genrô (prahlerischen ersten Ministers), wie man ihn nannte.
Als ihm jene Verwandten des Shôgun hierüber, sowie über die Ver-
träge Vorwürfe machen wollten, verbot ihnen Ii Kamon das Betreten
des Schlosses. Erzürnt über sein Benehmen, verliessen dieselben nun-
mehr Yedo und klagten den Tairô beim Mikado des Landesverrathes
an; dasselbe geschah Seitens verschiedener anderen Daimio. Als
dann der Hof (des Mikado) Ii Kamon, sowie die Fürsten von Owari,
Mito und Echizen aufforderte, nach Kiôto zu kommen, um ihre Zwistig-
keiten zu begleichen, entschuldigte sich der Tairô, dass er durch
mancherlei Dienstpflichten verhindert sei, und blieb in Yedo, wo er
jedoch Zeit fand für sein Vergnügen und, um die Kosten desselben
zu bestreiten, sogar 10000 riô aus dem Staatsschatze borgte.
Bald darauf erhielt der alte Fürst von Mito geheime Instructionen
von Kiôto folgenden Inhaltes: »Der Bakufu hat, indem er Verträge
abschloss, ohne die Ansicht des Hofes abzuwarten, und Prinzen be-
schimpfte, welche so nahe Blutsverwandte des Shôgun sind, der
öffentlichen Meinung grosse Missachtung bewiesen. Die Ruhe des
Mikado ist durch das Schauspiel solcher Missregierung zur Zeit, wo
der heftige Barbar vor unseren Thoren steht, gestört worden. Unter-
stütze deshalb den Bakufu mit deinem Rathe; vertreibet die Bar-
baren, beruhigt die Gefühle des Volkes und stellet den Frieden in
Sr. Majestät Busen wieder her.«
Ii Kamon hatte ausser seinen officiellen Berichterstattern in Kiôto
noch einen Spion, der ihn über alle Vorgänge daselbst auf das genaueste
unterrichtete, ihm auch das vorerwähnte Schreiben mittheilte, sowie
die Namen aller Derer, welche bei Hofe gegen ihn wirkten. Er
sandte nun einen seiner Minister hin, der sich mit dem Gouverneur
besprach, worauf 30 seiner Gegner gefangen genommen und unter
militärischer Bedeckung nach Yedo gesandt wurden, wo ihre Zahl
durch 27 weitere Verdächtige vermehrt wurde. Die Hauptführer
hatten das Harakiri vorzunehmen oder wurden geköpft; die andern
blieben in strengem Verwahr. Im nämlichen Jahre (1859) erhielten
eine Anzahl Daimio Hausarrest, obenan der Ex-Daimio zu Mito.
Die Daimio von Owari, Echizen, Tosa und Uwajuna aber mussten
ihre Lehen an ihre Söhne abtreten und sich zurückziehen. Mit diesen
Gewaltacten des Tairô wuchs der Hass und die Erregung gegen ihn
und die Fremden. Sie erfasste nicht das Volk, welches denselben
nach wie vor freundlich und zuvorkommend entgegenkam, wohl aber
[400]I. Geschichte des japanischen Volkes.
die Samuraiklasse, von der viele Glieder in der Agitation zur Ver-
treibung der Barbaren, genannt Jô-i oder Son-ô, sehr thätig und
bereit waren, an dem ersten besten Fremden, der ihnen in den Weg
kam, ihre Schwerter zu probieren *). Die ersten Streiche galten je-
doch nicht blos den sogenannten Barbaren, welche nun in grosser
Zahl nach den geöffneten Häfen strömten, sondern vor allem ihrem
Gönner Ii Kamon. Es waren Rônin **) aus Mito, welche denselben
am 3. März auf seinem Wege zum Schlosse am Sakurada-Thor nebst
einem Theile seiner Eskorte niederhieben und mit seinem Kopfe davon-
eilten. Einige der Mörder blieben todt auf dem Platze, die andern
flüchteten in das Haus eines Ministers, dem sie einen Brief sandten,
worin sie die That meldeten und ihre Beweggründe zu derselben.
Es waren fünf: 1. Ii Kamon habe sich des jungen Shôgun bemäch-
tigt und Beamte angestellt oder entlassen, je nach dem eigenen selbst-
süchtigen Interesse; 2. habe er sich bestechen lassen und sich nicht
unparteiisch gezeigt; 3. durch Vertreibung der Fürsten von Owari,
Mito und Echizen den Shôgun der Stütze seiner nächsten Verwandten
beraubt; 4. habe er den Kuwambaku durch Andere irre geleitet,
Kuge und Samurai ins Gefängniss geworfen und verschiedene der
letzteren getödtet, endlich 5. habe er sich durch die leeren Drohungen
der fremden Barbaren so erschrecken lassen, dass er ohne Zustim-
mung des Mikado mit ihnen Verträge abgeschlossen unter dem Vor-
wande der politischen Nothwendigkeit. Dies seien fünf Verbrechen.
welche weder Götter noch Menschen verzeihen könnten, darum hätten
sie als Vertreter des göttlichen Zornes Ii Kamon gezüchtigt. Zum
Schlusse baten sie, dass die Todesstrafe bald über sie verhängt
werden möge, ein Wunsch, dessen Erfüllung nicht lange auf sich
warten liess.
Der Tod des Tairô war ein grosser Verlust für die liberale
Partei und schwächte die Macht des Shôgun auf das empfindlichste.
Die Unzufriedenheit im Lande wuchs, überall sammelten sich Rônin,
so dass der Bakufu bald nicht mehr für die öffentliche Sicherheit,
[401]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
zumal der Fremden, einstehen konnte. Solches zeigte sich bereits
bei dem nächtlichen Ueberfall der englischen Legation im Tempel
Tozenji von Takanawa, der südlichen Vorstadt von Yedo, am 5. Juli
1861. Derselbe fand um Mitternacht statt, während die japanische
Wache schlief. Mehrere Engländer wurden niedergehauen oder ver-
wundet, die übrigen vertrieben die Mörder mit ihren Revolvern. Man
nahm an, dass auch dieser Ausbruch des Fremdenhasses vom Ex-
Daimio von Mito ausging, der um jene Zeit ohne Zweifel die Führer-
schaft der feindlichen Bewegung hatte, obgleich die meisten direct
betheiligten Rônin, soweit man erfahren konnte, zum Tsushima-
Clane gehörten.
Diesen Mordanfällen waren verschiedene andere schon voraus-
gegangen; eine weit grössere Zahl sollte nachfolgen. Der letzte galt
unserem harmlosen Landsmann, dem Consul Haber in Hakodate,
welchen 1874 mitten am Tage ein junger Samurai mit seinem Schwerte
rücklings niederschlug, der ihn gar nicht kannte und nie ein Wort
mit ihm gewechselt hatte. Allgemeiner Fremdenhass, dann der
Glaube, dem Lande einen Dienst und den Göttern (Kami) einen Ge-
fallen zu erweisen, waren die gewöhnlichen und noch einigermaassen
entschuldbaren Motive, doch gab es unter den Mördern auch viele
schlechte, lebensmüde Gesellen, welche, auf die allgemeine Stimmung
rechnend, durch das Hinschlachten eines Ausländers mit dem Scheine
einer ritterlichen, patriotischen That ihr Leben beschliessen wollten.
Die Art des Ueberfalls war fast immer eine sehr feige, hinterlistige,
so viel Muth und Todesverachtung die Uebelthäter nachher auch be-
kunden mochten.
Unter solchen Umständen war die Lage der Fremden und ihrer
Vertreter um das Jahr 1860 und noch einige Jahre weiter hinaus eine
sehr precäre. Muth, Geschick und Ausdauer bewiesen die meisten
fremden Diplomaten in nicht geringem Grade. Sie verdienen dafür
volles Lob; denn nur mit solchen Eigenschaften konnte es endlich
gelingen, bessere Zustände schaffen und Japan in andere Bahnen
überführen zu helfen. Im Vordergrunde erscheinen unter diesen
Pionieren die diplomatischen Vertreter Amerikas, Englands und
Preussens: Harris, Alcock und von Brandt. Sir Rutherford
Alcock, jetzt einer der Vicepräsidenten der Royal Geographical Society,
hat ungeachtet der grossen Lebensgefahr, in welcher er mehrmals
schwebte, ausgehalten, sich auch nicht gescheut, schon 1860 eine
grössere Reise ins Innere des Landes, einschliesslich einer Bestei-
gung des Fuji-san zu unternehmen.
Wir sind hier den Ereignissen etwas vorausgeeilt und wollen
Rein, Japan I. 26
[402]I. Geschichte des japanischen Volkes.
nun noch nachtragen, dass im Jahr 1860 auch Holland und Preussen
ihre Verträge mit dem Bakufu abschlossen. Die Expedition, welche
Seitens Preussens diese Aufgabe zu lösen hatte, stand unter Graf
Eulenburg, dem späteren Minister des Innern, welchem der Legations-
sekretär Pieschel und die Gesandtschafts-Attaché v. Brandt, v. Bunsen
und Graf A. zu Eulenburg beigegeben waren. Ausserdem hatten
daran Theil die Naturforscher Wichura, von Martens, Freiherr von
Richthofen, der Landwirth Dr. Maron, der Arzt Dr. R. Lucius, Maler
Berg, Zeichner Heine (General Heine, wie er sich nach dem ameri-
kanischen Secessionskriege nannte), Photograph Bismark, Gärtner
Schottenmüller und mehrere Kaufleute. Das kleine Geschwader,
welches diese Beamten nach Ostasien brachte, stand unter dem Be-
fehle des Kapitän zur See Sundewall und umfasste die Dampfcorvette
Arcona, die Segelfregatte Thetis, den Schooner Frauenlob und das
Transportschiff Elbe. Am 24. Januar wurde der von Graf Eulenburg
mit dem Bakufu abgeschlossene Vertrag, bestehend aus 23 Artikeln,
unterzeichnet und M. v. Brandt als Vertreter Preussens installiert *).
Am Schlusse des Jahres 1861 bestand die Fremdencolonie in
Yokohama aus 126 Köpfen. Sie feierte ungestört das Weihnachts-
fest und erfreute sich bereits einer englischen Zeitung, des Japan
Herald, war aber sonst keineswegs auf Rosen gebettet. Ueberall
mischten sich die japanischen Beamten in den Verkehr der einheimi-
schen mit den fremden Kaufleuten und bereiteten diesen Plackereien
ohne Ende. Man fühlte mehr und mehr, dass alle Beziehungen zu
den Japanern keine solide Grundlage hatten und der Shôgun und
Bakufu die Verträge nicht halten konnten, weil ihnen gar nicht das
Recht zustand, solche abzuschliessen, und ihre Abhängigkeit von einer
Macht in Kiôto, die allmählich aus ihrem alten langen Schlummer
erwachte und immer mehr Einfluss gewann, mehr und mehr zu
Tage trat.
Zu Anfang des Jahres 1862 ging die erste japanische Gesandt-
schaft auf einem ihr zur Verfügung gestellten englischen Kriegs-
dampfer nach Europa ab, um die Vertragsmächte zu bestimmen, in
eine Verschiebung der vorgesehenen Eröffnung von Hiogo, Ôsaka und
[403]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Niigata zu willigen. Alle Ereignisse des Jahres zeigten, dass der
Einfluss des Mikado wuchs und der Bakufu demselben sich, soweit
es ging, zu fügen suchte. Die noch gefangenen Kuge wurden frei
gegeben und andere Anordnungen des Ii Kamon beseitigt, seine Spione
und sonstige Helfer bestraft, der Bakufu umgestaltet. Beim Shôgun
gewannen die früheren Daimio von Owari und Echizen, sowie Shito-
tsubashi grossen Einfluss, in Kiôto das Kleeblatt Sat-chô-to (Sat-
suma, Chô-shiu, To-sa).
Auf Wunsch des Mikado wurde eine Versammlung der mächtigeren
Daimio des Landes nach Yedo berufen, um hier gemeinsam mit dem
Shôgun und seinen Ministern, sowie mit dem als Vertreter des Mikado
fungierenden Kuge Ohara die Lage des Landes zu besprechen. Zu
dieser Conferenz reiste auch Shimadzu Saburo, der Vater des
Daimio von Satsuma. Auf seinem Wege nach Kiôto traf er in Himeji
mehrere hundert Rônin, welche ihn baten, ihr Führer zu sein und
mitzuwirken, um den Mikado in seine Rechte einzusetzen und dann
die Fremden zu vertreiben. Er suchte sie zu beschwichtigen und
liess sie in Fushimi zurück, wo es später zwischen ihnen und seinen
Vasallen zu einem grossen Gemetzel kam. Seine Abneigung gegen
die Fremden wurde dann durch das, was er in Yokohama sah und
hörte, noch vermehrt und von seinem Gefolge getheilt.
Der Bakufu hatte um diese Zeit grosser Aufregung, wo die Land-
strassen durch die Daimiozüge besonders belebt waren, die Fremden
bitten lassen, den Tôkaidô zu meiden, aber eine kleine englische
Gesellschaft aus Yokohama achtete nicht darauf und machte am
14. September 1862 einen Spazierritt dahin, als der grosse Zug des
Shimadzu Saburo gerade des Weges von Yedo kam. Es waren drei
Herren und eine Dame; man sprach von Umkehr, aber einer aus der
Gesellschaft, ein junger Kaufmann, Namens Richardson aus Shanghai,
bestand darauf, dass man weiter reite, indem er erklärte, er wisse,
wie man solches Volk behandeln müsse. Die Landessitte aber ver-
langte in solchem Falle ein Einbiegen in einen Seitenweg, oder das
Absteigen und Halten zur Seite der Strasse. Das Gefolge des Shimadzu
Saburo, schon an und für sich von keinen freundlichen Gefühlen
gegen die Fremden getragen, betrachtete in diesem Falle das Ver-
halten derselben als Beleidigung ihres Herrn, welche auf der Stelle
gerächt werden musste. So traten denn alsbald mehrere Samurai
aus dem Zuge vor, entblössten ihre Arme und hieben unbarmherzig
mit ihren grossen Schwertern auf die Herren ein. Zwei derselben
entkamen mit ihren leichteren Wunden in Gesellschaft der Dame durch
die Schnelligkeit ihrer Pferde glücklich nach Yokohama, Richardson
26*
[404]I. Geschichte des japanischen Volkes.
aber fiel tödtlich verwundet vom Pferde und starb kurz darauf. Die
nächste Folge dieser viel Aufsehen machenden »Richardson affair«
war die, dass der Bakufu ₤ 100000 Entschädigung zahlen musste,
von Satsuma aber weitere ₤ 25000 und die Auslieferung Shimadzu
Saburo’s verlangt wurde. Diesem Verlangen wurde nicht entsprochen,
und so folgte im August 1863 durch eine englische Flotte unter
Admiral Kuper die Beschiessung von Kagoshima, das trotz
tapferer Vertheidigung grösstentheils zerstört wurde, und die Weg-
nahme dreier Dampfschiffe, welche Satsuma gehörten.
Schon im Frühling dieses Jahres, also bevor noch die englische
Flotte vor Kagoshima erschienen war, hatte eine Versammlung der
Daimio in Kiôto stattgefunden, an der auch der Shôgun in Folge
dringender Aufforderung des Mikado theilnahm. Am 8. April wurde
der Versammlung ein Erlass des Mikado vorgelesen, worin derselbe
die Vertreibung der widerwärtigen Barbaren verlangt. Der Premier-
minister des Shôgun, Exdaimio von Echizen, soll noch näher den Tag
bestimmen, an welchem der Wunsch des Tennô zu verwirklichen sei;
derselbe legt jedoch in Erwägung der grossen Schwierigkeiten sein
Amt nieder. Nun will der Mikado mit dem Shôgun eine Pilgerreise
nach Iwashimidzu in Yamashiro zum Tempel des Kriegsgottes Hachi-
man unternehmen, um demselben das Schwert des Ôjin-Tennô zum
Vertreiben der Barbaren zu übergeben. Der Shôgun schützt indess
Unwohlsein vor und geht nicht, seinem Beispiel folgt sein Verwandter
und Berather Shitotsubashi. Der Exdaimio von Ôwari wird dem
Shôgun als Berather beigegeben und der Fürst von Hizen zum General-
Inspector der Armee ernannt. Bald darauf brannte man in Yedo die
Gebäude der englischen und amerikanischen Legation nieder *).
Ueberall im Lande regten sich die Samurai und erwarteten un-
geduldig, gleich dem Hofe in Kiôto, dass der Bakufu endlich den
Tag zum Losschlagen gegen die Fremden festsetzen möge, allein dies
geschah nicht, obgleich in Yedo grosse Neigung herrschte, dem Befehl
des Mikado nachzukommen. Der einsichtsvollere Theil der Regie-
rung erkannte nämlich bald, dass die Fremden keine Lust hatten,
freiwillig wieder abzuziehen und mit Gewalt nicht mehr zu vertreiben
waren. Diese richtige Erkenntniss der Lage wurde wesentlich ge-
fördert durch das Erscheinen der imponierenden englischen Flotte vor
Shinagawa, der südlichen Vorstadt von Yedo, zu dem Zwecke, die
[405]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
lange verschobene Zahlung der oben erwähnten Indemnität zu erwirken,
den sie auch erreichte.
Ein amerikanischer Handelsdampfer durchfuhr im Juni 1863 das
Seto-uchi (Binnenmeer) auf seinem Wege von Yokohama nach Shanghai.
In der Nähe von Shimonoseki wurde er von zwei Kriegsschiffen des
Fürsten von Chôshiu, sowie von Strandbatterien heftig beschossen
und rettete sich mit genauer Noth durch die Bungo-nada. Dasselbe
widerfuhr 10 Tage später einem französischen Schiffe, das der Flotte
zugehörte. Ebenso wurde bald darauf die holländische Corvette Me-
dusa, welche ihren Weg von Nagasaki nach Yokohama durch die
Meerenge von Shimonoseki nahm, hier vom Land und Wasser heftig
beschossen und erwiderte, ohne Schaden zu nehmen, energisch das
Feuer. Als die Nachricht von dem erst erwähnten Vorgang nach
Yokohama gelangte, wurde alsbald die amerikanische Corvette Wyo-
ming beordert, den dem Sternenbanner angethanen Schimpf zu rächen.
Das Engagement, welches in Folge dessen vor Shimonoseki im Juli
erfolgte, musste jedoch als wirkungslos und gefährlich für die Wyoming
abgebrochen werden. Wirksamer bewies sich das Bombardement
durch die französischen Kriegsdampfer Semiramis und Tancrède unter
Admiral Jaurez, welches bald darauf folgte und bei dem auch eine
Landung und Zerstörung einer Batterie bewerkstelligt wurde.
Der Chôshiu-clan (Nagato und Suwô) wurde mehr und mehr der
Sammelpunkt aller Unzufriedenen *). Man beschoss von Shimonoseki
aus im nämlichen Jahre nicht blos ein Schiff des Bakufu, sondern
auch eines des Fürsten von Satsuma. Die Folge war, dass längere
Zeit hindurch Satsuma und Chôshiu sich feindlich gegenüberstanden.
Als dann in Kiôto Verschworene des letzteren angeblich im Einver-
ständniss mit 7 Kuge, darunter Sanjô und Iwakura, des Versuches
verdächtig wurden, den Mikado zu entführen, und die Raschheit und
Umsicht des Fürsten von Aidzu und seiner Truppen dies verhinderte,
wurden jene Kuge nach Chôshiu verbannt, Aidzu vom Mikado belobt
und beschenkt und volle Eintracht zwischen diesem und dem Bakufu
hergestellt. Beide tadelten die Handlungsweise vom Chôshiu-clan,
auch hinsichtlich der Beschiessung der Schiffe. Damit war die Sache
jedoch noch nicht abgethan. Auf Betrieb des übereifrigen englischen
Gesandten, Sir Rutherford Alcock, wurde, obgleich England von
Chôshiu gar nicht beleidigt und der Ehre der drei anderen Nationen
[406]I. Geschichte des japanischen Volkes.
volles Genüge geschehen war, eine grosse Flotte gesammelt, bestehend
aus 9 englischen, 3 französischen, 4 holländischen und einem ameri-
kanischen Kriegsschiffe, und Shimonoseki am 5. und 6. September
1864 beschossen. Man vertheidigte sich tapfer, doch vergeblich, die
Schiffe und Batterien wurden zum Schweigen gebracht, genommen
oder zerstört und Chôshiu gezwungen, um Frieden zu bitten. Es war
eine bittere Lection für Chôshiu nicht blos, sondern für das ganze
Land, denn dieses hatte eine Indemnität (The Shimonoseki Indemnity)
von 3 Millionen Dollars zu zahlen, je $ 750000 an Frankreich, Hol-
land und die Vereinigten Staaten und $ 645000 an England, und
zwar in Raten, deren letzte erst erfolgte, lange nachdem in Japan
andere Zustände eingetreten waren.
Man hat das Vorgehen Englands in dieser Angelegenheit scharf
getadelt und wohl mit Recht, und ebenso die anderen Vertreter, dass
sich dieselben von Alcock so sehr beeinflussen liessen. Anderseits
wird man zugeben müssen, dass gerade die beiden Lectionen, welche
die Japaner in Kagoshima und Shimonoseki erhielten, wesentlich
dazu beitrugen, den Gedanken an die Vertreibung der Fremden mehr
und mehr fallen zu lassen und jene Umstimmung der einflussreichsten
Männer zu bewirken, deren Fremdenhass früher keine Grenzen kannte.
Satsuma und Chôshiu, die streitbarsten und ihrer grossen Tapferkeit
wegen angesehensten Clane, hatten zunächst die Ueberlegenheit frem-
der Waffen und Kampfweise kennen gelernt und waren nun eifrig
bemüht, beides sich anzueignen. In Satsuma war ein Samurai, Na-
mens Saigo Takamori, welcher in der Folge noch eine grosse
Rolle spielte, zu grossem Einfluss gelangt. Derselbe war einer der
ersten hier, welcher einsah, dass das Vertreiben der Fremden ein
vergebliches Bemühen sei und man wohl oder übel den Hass gegen
dieselben fallen lassen und von ihnen lernen müsse. Auch gelang es
ihm, diese Ansicht im ganzen Clane zu Geltung zu bringen. Mit Kido
von Chôshiu verband er sich dann zur Begleichung der Differenzen
zwischen den Häusern und Samurai beider Herrschaften, und nach-
dem ihm dies gelungen, zur Verfolgung ihres gemeinsamen Strebens
für Beseitigung des Shôgunats und zur grösseren Machtentwickelung
Japans unter dem Mikado als legitimen Herrn des Landes. Sie waren
vereint mit mehreren Anderen die tonangebenden Männer, den Boden
vorzubereiten, auf welchen dann der Mikado sich stützen und die ihm
gebührende Macht aus den Händen des Shôgun zurückfordern konnte.
Im Jahre 1868 führten dann die vier mächtigsten Feudalherren des
Südens, von Satsuma, Hizen, Chôshiu und Tosa, diesen Willen des
Mikado aus und beseitigten in einem blutigen Bürgerkriege allen
[407]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Widerstand, den alte Lehnstreue im Norden und Abneigung gegen
die südlichen Clane zu bieten vermochten. Satsuma und Chôshin
hassten die Tokugawa und deren Anhang von Alters her und stellten
sich an die Spitze dieser Bewegung, nicht sowohl aus Patriotismus,
der bei Einzelnen ja immerhin die Triebfeder sein mochte, sondern
um selbst eine grössere Rolle zu spielen, wie dies namentlich aus
dem späteren Verhalten von ersterem, das immer den anderen Clanen
gegenüber eine bevorzugte Stellung beanspruchte, deutlich genug her-
vorgeht.
Die eigenmächtigen feindlichen Acte von Chôshiu blieben auf die
oben erwähnten nicht beschränkt. Im Jahre 1864, bevor es noch die
Züchtigung durch die verbündete Flotte erfahren hatte, sammelten
sich in und um Kiôto viele Hunderte von Chôshiu-Leuten, geführt
von Karo’s (den ersten Räthen des Clan), obgleich ihnen das Betreten
der Hauptstadt verboten war. Zum Schutze derselben befanden sich
hier Truppen von Satsuma, Echizen, Aidzu und anderen Fürsten-
thümern, sowie der Regent Shitotsubashi. Man befahl diesen, sich
zum Angriff auf die Eindringlinge bereit zu halten. Die Bewohner
aber packten ihre Habseligkeiten ein und rüsteten sich zur Flucht.
Ein mörderischer Kampf entspann sich in den Strassen und Häusern
der Stadt, von denen viele in Flammen aufgingen. Die Chôshiu-
Rônin wurden bewältigt. Kurze Zeit nach diesem Ereigniss kam die
Gesandtschaft aus Europa zurück, entzückt von dem, was sie dort
gesehen, so dass ein Mitglied derselben sogar in die Worte ausbrach:
»Nicht die Fremden, sondern wir sind die Barbaren!« Der Bakufu
war indess von diesem Resultat der Mission wenig erbaut, tadelte die
Mitglieder derselben und enthob sie ihrer Posten.
Chôshiu hatte viel gelitten, auch durch innere Parteistreitigkeiten;
nichtsdestoweniger führte der Bakufu im Jahre 1865 einen früheren
Beschluss aus, rüstete ein Heer, übergab es dem Oberbefehl der
Daimio von Kishiu und Buzen, und sandte es hin, um auch seiner-
seits dasselbe für alle Gewaltacte zu bestrafen. Auch Satsuma sollte
Hilfstruppen stellen, verweigerte aber die Heerfolge mit der Erklä-
rung, Chôshiu sei genug gezüchtigt. Dieses raffte alle Kraft zusam-
men und schlug unter Führung des Inouye Bunda die Armee des
Shôgun, der damit einen grossen Theil des noch vorhandenen Prestige
verlor. Der Bakufu musste mit Chôshiu Frieden schliessen und zu-
sehen, wie die grossen Clane von jetzt ab ihre eignen Wege gingen.
Ende September 1866 starb der Shôgun Iyemochi, 21 Jahre alt,
in Ôsaka, und Histotsubashi wurde sein Nachfolger. Um diese Zeit
war der Fremdenhass bei allen einsichtsvollen und einflussreichen
[408]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Japanern geschwunden. Satsuma hatte bereits den neuen englischen
Gesandten, Sir Harry Parkes, nach Kagoshima eingeladen und festlich
bewirthet und auch mit andern fremden Vertretern freundlichen Ver-
kehr angeknüpft und der Mikado die Verträge mit den Fremden be-
stätigt. Bemerkenswerth ist ein Memorandum, welches der Daimio
von Echizen schon ein Jahr zuvor (1865) an den Mikado zu Gunsten
der Fremden gerichtet hatte und aus dem einige Stellen hier Platz
finden mögen: »Westliche Fremde heutiges Tages unterscheiden sich
wesentlich von solchen früherer Zeit. Sie sind viel gebildeter und
liberaler. … Das Land wieder abzuschliessen und die Fremden zu
vertreiben, wäre ein positives Uebel. Ueberdies giebt es fünf grosse
und mächtige Continente, und selbst wenn ganz Japan vereinigt wäre,
würde es ein ungleicher Kampf sein, die Fremden zu vertreiben.
Japan würde in Stücke zerschlagen werden, wie ein Dachziegel. …
Das Geschrei, die Fremden zu vertreiben, geht von Solchen aus,
welche sie nicht kennen. …«
Nun ging alles Streben der einen Partei darauf hinaus, die Herr-
schaft des Mikado herzustellen, und der andern, sie dem Shôgun aus
dem Hause Tokugawa zu erhalten. Beide bemühten sich um die
Gunst der Fremden, importierten Kriegsmaterial und sahen sich um
nach fremden Instructoren. Die japanische Jugend wurde nach Naga-
saki und Yokohama gesandt und lernte von Missionaren und andern
fremden Lehrern mit Eifer englisch und andere europäische Sprachen:
das Verbot, das Land zu verlassen, wurde aufgehoben und mancher
Jüngling ins Ausland geschickt, um die westliche Civilisation zu lernen.
Die ersten Jünger derselben kamen um diese Zeit nach einem fünf-
jährigen Aufenthalte, den sie auf Wunsch des Bakufu in Holland
und England genommen hatten, zurück und zwar an Bord eines für
den Shôgun gekauften Dampfers, des Kaiyo Maru, unter Befehl
des Enomoto Kamajirô, der jetzt Admiral ist. In Folge all
dieser günstigen Beziehungen zu den Fremden fanden sich die be-
treffenden Mächte bewogen, die Shimonoseki-Indemnität auf die Hälfte
zu reducieren.
Der Anfang des Jahres 1867 brachte den Tod des Mikado Kômei
Tennô am 3. Februar. Ihm folgte sein Sohn Mutsuhito als 121.
(nach anderer Zählung 123.) Herrscher Japans *). Bald darauf lud der
neue Shôgun fünf der hervorragendsten Daimio zu einer Berathung nach
[409]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Kiôto ein, bei der auch das Verlangen der fremden Gesandten um
endliche Eröffnung des Hafens von Hiogo zur Sprache kam, welche der
Shôgun beim Mikado befürwortete und die von den meisten Daimio gut
geheissen wurde, und so erfolgte dieselbe nebst derjenigen von Ôsaka
und Yedo am 1. Januar 1868. Der Bakufu führte zwar die Regie-
rung noch weiter, fragte aber in allen wichtigen Angelegenheiten den
Hof zu Kiôto. Hier blieben auch die zur Berathung herangezogenen
Fürsten mit Ausnahme von Yamanouchi Yôdô, dem Daimio von
Tosa, welchen Krankheit bestimmt hatte, in seine Heimath Kochi in Tosa
zurück zu kehren. Im Herbst des nämlichen Jahres 1867 sandte er je-
doch einen bemerkenswerthen Brief folgenden Inhaltes an den Shôgun:
»Es scheint mir, dass, obgleich die Regierung und Executive durch
die Militärklasse seit dem Mittelalter ausgeführt wurden, wir uns
doch seit Ankunft der Fremden beständig mit einander gestritten
haben. Der Osten und Westen sind gegen einander in Waffen auf-
gestanden, Bürgerkrieg hat nie geendet und die Folge war, dass wir
uns die Insulte fremder Nationen zuzogen. Die Ursache hiervon liegt
darin, dass die Administration von zwei Mittelpunkten ausgeht, wodurch
des Reiches Augen und Ohren nach zwei verschiedenen Richtungen
gewandt werden. Der Gang der Ereignisse hat eine grosse Umwäl-
zung hervorgebracht, und man kann nicht mehr hartnäckig das alte
System verfolgen. Ew. Hoheit sollte die Regierungsgewalt in die
Hände des Souveräns zurückgeben und so den Grund legen, auf dem
Japan gleichberechtigt allen andern Ländern gegenüber auftreten
kann. Dies ist die gebieterische Pflicht im gegenwärtigen Augen-
blick und die tiefempfundene Bitte von Yôdô. Ew. Hoheit ist weise
genug, um diesen Rath zu überlegen.«
Zwei vertraute Vasallen des Fürsten waren beauftragt, diesen
Brief zu überbringen und dem Shôgun auch ihrerseits zu rathen, die
Regierungsgewalt abzugeben.
Der Shôgun wurde von der Berechtigung und Zweckmässigkeit
dieser Vorschläge überzeugt und entwarf ein Dokument an seine Va-
sallen folgenden Inhaltes:
»Wenn ich über die Veränderungen nachdenke, welche in der
politischen Lage des Reiches eingetreten sind, so scheint es mir, dass,
als vor vielen hundert Jahren das kaiserliche Ansehen in Verfall ge-
rieth, die Familie Fujiwara die Staatsgewalt an sich riss. Während
der Kriege von Hôgen (Taira) und Heiji (Minamoto) ging dieselbe
auf die Militärklasse über. Mein Vorfahr war der Empfänger be-
sonderer Gunst aus den Händen des Mikado, und von da ab haben
seine Nachkommen über 200 Jahre hindurch sich derselben Gunst
[410]I. Geschichte des japanischen Volkes.
erfreut. Obgleich ich meiner Vorfahren Amt bekleide, so sind doch
die Regierung und das Criminalgesetz vielfach schlecht gehandhabt
worden, und das Resultat ist der jetzige Zustand. Mir scheint es,
dass die Gesetze bei den täglich wachsenden fremden Beziehungen
nicht aufrecht erhalten werden können, es sei denn, dass ein Kopf
die Regierung leite, daher bin ich bereit, die Regierungsgewalt in
die Hände des kaiserlichen Hofes zurückzugeben. Dies ist das
Beste, was ich in diesem Augenblick für die Wohlfahrt des Reiches
thun kann, und ich fordere euch Alle auf, mir eure Meinung über die
Zweckmässigkeit dieses Verfahrens kund zu geben.«
Obgleich nun keiner der unmittelbaren Vasallen offen opponierte,
erregte dieser Entschluss doch grosse Unzufriedenheit unter vielen
derselben, konnte jedoch nicht verhindert werden. Am 19. November
1867 sandte der Shôgun dem Mikado ein Memorandum mit seiner
Resignation ein. Sie wurde in erkenntlicher Form angenommen, doch
liess der Mikado den Ex-Shôgun oder Tokugawa Naifu *), wie er
jetzt viel genannt wurde, bitten, die Verwaltung einstweilen noch weiter
zu führen, mit Ausnahme der Verhaltungsmassregeln gegen die
Daimio, über welche sich der Hof demnächst nach Anhörung einer
Versammlung derselben und des Fürsten von Kaga schlüssig machen
wolle.
b. Beseitigung des Shôgunats und Restauration der Mikado-
Herrschaft. Der Bürgerkrieg im Jahre 1868. Der Mikado verlegt
seine Residenz und Regierung nach Yedo (Tôkiô). Expedition
gegen Yezo.
Der Daimio von Aidzu hatte mit seinen ihm und den Tokugawa
blind ergebenen Truppen seit Jahren die ehrenvolle Aufgabe, in Kiôto
beim kaiserlichen Schloss den Wachtdienst zu versehen, und war der-
selben gewissenhaft nachgekommen, namentlich auch bei den Zu-
sammenstössen mit Rônin aus Chôshiu und der Verbannung der sieben
Kuge. Dies und der grosse Einfluss, welchen der Aidzu-clan stets
zu Gunsten des Shôgun und Bakufu in Kioto übte, hatten ihn bei
den Chôshiu-Samurai und vielen anderen Clanen des Südens verhasst
gemacht. Jetzt nun, wo der Süden täglich mehr Einfluss auf den
Hof gewann, kam die Zeit, Aidzu den Zorn fühlen zu lassen. Am
3. Januar 1868 erliess der Hof plötzlich einen Befehl, wodurch dem
Aidzu-clan jene Wache an den Schlossthoren genommen und damit
die Truppen von Satsuma, Tosa und Geishiu (Aki) betraut wurden,
[411]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
wozu bald auch solche von Chôshiu kamen. Um die nämliche Zeit
wurden die verbannten Kuge zurückberufen und in ihre Aemter ein-
gesetzt. Ebenso erhielt das Haus Môri von Chôshiu alle Ehren, Titel
und Rechte zurück, welche ihm bei Verbannung der Kuge entzogen
worden waren. Shôgunat und Bakufu wurden beseitigt und dafür
in Kiôto eine neue Regierung eingesetzt. Die Aidzu-Samurai waren
durch diese Vorgänge tief verletzt und Tokugawa-Naifu nicht minder,
da man ihn damit überraschte. Er bedauerte nun seine dem Mikado
entgegenkommenden Schritte, versammelte im Nijô (Neuschloss) den
Aidzu-clan und andere ergebene Vasallen zu einer Berathung um
sich und war in Folge derselben entschlossen, bei der veränderten
Lage, in welcher der Mikado nicht freie Entschlüsse fassen könne,
sondern nur ausführe, was Satsuma und seine Alliierten angaben,
sich nicht ohne weiteres zu fügen. So verliess er plötzlich in der
Nacht vom 6. Januar an der Spitze seiner Haustruppen und in Be-
gleitung der Daimio von Aidzu und Kuwana, sowie seines Rathes
Itakura die Stadt Kiôto und wandte sich nach Ôsaka. Hier erreichte
seine Gefährten von Aidzu und Kuwana eine Ordre vom Hofe, die
ihnen das fernere Betreten von Kiôto untersagte.
Um jene Zeit waren die Vertreter der fremden Mächte alle in
Ôsaka versammelt. Sie machten dem Uye-sama*) ihre Aufwar-
tung und überreichten ihm eine Adresse, worin sie ihm für alle Be-
mühungen, die Verträge aufrecht zu erhalten, ihren Dank aussprachen
und ihn baten, ihnen bei den vorgehenden Veränderungen die Regie-
rung zu nennen, mit welcher sie in Zukunft zu verhandeln hätten.
Die Antwort lautete, dass, so lange der Streit um die Gewalt noch
nicht entschieden sei, ihm von Rechtswegen die Vertretung zufalle, wie
bisher; er bitte nur um neutrales Verhalten. Letzteres hatten die
fremden Diplomaten schon vorher beschlossen, insgeheim freilich waren
mehrere bereits in engere Beziehungen zu den jetzt leitenden Persön-
lichkeiten der Mikadopartei getreten, weil sie fühlten, dass dieser
der Erfolg sicher sei.
Die Nachricht von all diesen Vorgängen versetzte Yedo in grosse
Aufregung. Die Stadt verdankte ihr Sein und Gedeihen den Toku-
gawa und hatte durch die Ereignisse der letzten Jahre schon viel ge-
litten, besonders 1862 in Folge eines vom Daimio von Echizen befür-
[412]I. Geschichte des japanischen Volkes.
worteten Decrets, das den Fürsten erlaubte, ihre Familien nach ihren
heimathlichen Burgen zu nehmen. Hierdurch war das Schlossviertel
verödet und mancher Mann brodlos geworden. Rônin, welche sich
vom nächtlichen Ueberfall und der Beraubung der reicheren Bürger
nährten, trieben sich in den verlassenen Yashiki’s herum und waren
zur Stadtplage geworden. Eine Gesellschaft von mehreren hundert
dieser verwegenen Menschen hauste in Satsuma Yashiki und stammte
wenigstens theilweise aus Satsuma. Sakai, Daimio von Shônai, wel-
chem die öffentliche Sicherheit der Stadt unterstellt war, umgab end-
lich das Räubernest mit seinen Truppen und nahm die Rônin gefangen,
wobei der Yashiki in Flammen aufging. Die Nachricht von diesem
Vorgang vermehrte beim Satsuma-clan die schon vorhandene Feind-
schaft gegen die Anhänger der Tokugawa. Diese beeilten sich, Yedo
in Vertheidigungszustand zu setzen.
Der Naifu verlangte vom Mikado die Entlassung aller Angehö-
rigen des Satsuma-clans, welche bei Hofe und in der neugebildeten
Regierung Stellen gefunden hatten, worauf jedoch nicht eingegangen
wurde. Anderseits bemühten sich die Verwandten des Tokugawa,
die Fürsten von Ôwari und Echizen, welche in Kiôto geblieben waren,
einen Ausgleich zu bewirken, doch vergeblich. Im Auftrag des Mi-
kado begaben sie sich zum Ex-Shôgun nach Ôsaka, um ihn einzuladen,
mit kleinem Gefolge nach dem Hofe zu kommen, wo er gleiche Ehren
mit den Prinzen des Kaiserhauses und der höchsten Kuge geniessen
sollte. Der überaus wankelmüthige Mann versprach zu kommen, liess
sich aber dann von Aidzu und Kuwana bereden, mit ihnen an der
Spitze seines Heeres nach Kiôto zu ziehen. Nun wurden südliche
Truppen, insbesondere von Satsuma und Chôshiu beordert, dem Feind
den Weg zu verlegen, und so kam es am 28. Januar bei Fushimi
zum Treffen, in welchem die Rebellen von loyalen (Regierungs-
Truppen geschlagen wurden. Dies ist der Anfang des blutigen Bürger-
krieges, der, weil es sich dabei um die Wiederherstellung der kaiser-
lichen Macht und Herrschaft handelte, auch Restaurationskrieg ge-
nannt wird. Auf dem Rückzuge der Besiegten nach Ôsaka kam es
in Yôdô und Hashimoto zu neuen Kämpfen, welche ebenfalls, ob-
gleich die Rebellen der Zahl nach weit überlegen waren und sich
aufs tapferste vertheidigten, einen ungünstigen Ausgang für sie nahmen,
hauptsächlich weil nun verschiedene Fudai-Daimio sich Angesichts der
allgemeinen Lage und des zweifelhaften Rechtes ihres Feudalherrn
zu den Mikadotruppen schlugen. In Ôsaka wurde vom Naifu den
fremden Vertretern erklärt, dass er mit Satsuma im Krieg sich be-
finde. Er vermochte hier weder das Schloss, welches bald in Flammen
[413]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
aufging, noch die Stadt zu halten, noch auch den Fremden, welche
sich nach Hiogo zurückzogen, Schutz zu bieten, flüchtete unerkannt
auf ein amerikanisches Schiff und ging dann von hier mit seinen
Begleitern über auf seine Corvette Kayô-maru, welche ihn nach Yedo
brachte.
Am 7. Februar kam ein besonderer Gesandter des Mikado zu
den fremden Vertretern nach Hiogo und überreichte denselben ein
Schreiben, datiert vom 3. desselben, worin der Kaiser den Fürsten aller
fremden Nationen und deren Unterthanen anzeigt, dass infolge der
Resignation des Shôgun er die Regierungsgewalt übernommen habe und
hinfort ausüben werde, sowie, dass er ein besonderes Amt gebildet
habe zur Behandlung fremder Angelegenheiten. Dieses Schreiben,
welches in feierlichster Weise überreicht wurde, trug die Unterschrift
Mutsuhito, und ist bemerkenswerth als das erste, in welchem
der Personenname eines Mikado an die Oeffentlichkeit trat. Am
5. Februar erklärte der Hof den Tokugawa Keiki und seine An-
hänger für Rebellen und aller Rechte und Ehren verlustig. Zugleich
wurde eine grosse Armee aufgeboten, dieselben zu unterwerfen. Der
Mikado ernannte seinen Verwandten, den Prinzen Arisugawa (Arisu-
gawa-no-miya) zum Oberbefehlshaber und übergab demselben die
Embleme eines solchen, das Brocatbanner und das Schwert der
Gerechtigkeit. Die fremden Diplomaten informierten ihre Landsleute
über die bevorstehenden Kämpfe, während deren die strengste Neu-
tralität zu wahren sei.
Auf Einladung der Regierung begaben sich am 16. März zwei
Mitglieder der englischen Legation, E. Satow und Dr. med. Willis,
nach Kiôto, wo sie auf das zuvorkommendste aufgenommen wurden.
Der Fürst von Satsuma machte ihnen seinen Besuch und dankte
Willis für seine bisherigen Dienstleistungen den Verwundeten gegen-
über und seine Bereitwilligkeit, sie ferner zu gewähren. Es ist dieser
Besuch bemerkenswerth als der erste, welchen die alte Mikadostadt
seit dem Beginn der neuen Beziehungen von Fremden erhielt. Nach-
dem die Gesandten nach Ôsaka übergesiedelt waren, erging vom
Mikado eine Einladung an dieselben nach Kiôto, welcher die Ver-
treter Englands, Frankreichs und Hollands bald darauf entsprachen.
Schon vorher hatte die Regierung eine Proclamation erlassen, dass
sie die bestehenden Verträge anerkenne und mit den fremden Na-
tionen in freundlichen Verkehr treten wolle. —
Damit war jedoch der langgenährte Fremdenhass bei vielen Sa-
murai noch nicht beseitigt. Derselbe äusserte sich bald in Kiôto
durch einen Mordanfall zweier Samurai auf die englische Gesandt-
[414]I. Geschichte des japanischen Volkes.
schaft und noch eclatanter und etwas früher durch die Ermordung
von einem Offizier und zehn Matrosen eines französischen Kriegs-
schiffes zu Sakai, zwei Meilen östlich von Ôsaka, durch Tosatruppen.
Der französische Gesandte zog seine Flagge ein und forderte: 1. Die
öffentliche Hinrichtung der Schuldigen, einschliesslich der Offiziere,
welche über dieselben den Befehl hatten; 2. eine Indemnität von
150000 Dollars für die Verwandten der Opfer; 3. eine Apologie
Seitens des Ministers der fremden Angelegenheiten im Namen der Re-
gierung; 4. eine Apologie des Fürsten von Tosa; 5. Ausschluss der
Tosatruppen von den Vertragshäfen. Die Regierung und der Fürst
von Tosa beklagten den Vorfall selbst auf das lebhafteste, willigten
bereitwilligst in die Forderungen ein und hatten drei Tage später
20 Mörder, darunter 2 Offiziere, in einem Tempel zu Sakai bereit,
um vor japanischen und französischen Zeugen das Harakiri vornehmen
zu lassen. Nachdem 11 derselben es ausgeführt, wurde auf Ver-
wendung des commandierenden französischen Capitäns den übrigen
das Leben geschenkt.
Nach dem oben angedeuteten Mordanfalle in Kiôto, welcher statt-
fand, als Sir Harry Parkes und Gefolge durch die Strassen der Stadt
zog, um dem Mikado seine Aufwartung zu machen, wurde auf Wunsch
des englischen Gesandten eine Proclamation erlassen, in welcher der
Mikado seine Absicht aussprach, die Verträge zu achten, mit den
fremden Nationen in freundschaftlichem Verkehr zu bleiben und jeden
Samurai aufs strengste zu bestrafen, der diesen seinen Willen miss-
achte und sich feindseliger Handlungen gegen einen Fremden schuldig
mache. Ungefähr zur selben Zeit erneute die Regierung das alte
Edict gegen das Christenthum: »Die böse Secte, Christen genannt,
ist streng verboten. Verdächtige Personen sollen den betreffenden
Beamten angezeigt und Belohnungen (für die Anzeige) ausgetheilt
werden«. Alle Remonstrationen gegen dieses Edict seitens der frem-
den Gesandten halfen nichts, die Regierung war nur zu einer mil-
deren Fassung und Beseitigung des Ausdruckes »böse Secte« zu be-
wegen, indem sie hervorhob, dass die allgemeine Abneigung gegen
das Christenthum und die Furcht vor demselben zu gross sei, um der
öffentlichen Meinung entgegen handeln zu können. Im Jahre zuvor
war die Christengemeinde zu Urakami bei Nagasaki (siehe pag. 357)
entdeckt worden. Im Juni 1868 befahl die Regierung, die 3000 Seelen
derselben in die Verbannung zu schicken und als Arbeiter unter 34
Daimio zu vertheilen. Sie sandte Kido (siehe pag. 393) nach Naga-
saki, um die Ausführung dieses Befehles zu überwachen. Der eng-
lische Consul Flowers daselbst remonstrierte, konnte aber nicht ver-
[415]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
hindern, dass wenigstens 120 dieser harmlosen christlichen Bauern
auf einem Schiffe nach Kaga gesandt wurden. Kido *) sprach sich
bei dieser Gelegenheit gegen die Missionäre aus und erklärte sie
in Uebereinstimmung mit den Ansichten zur Zeit der Christenver-
folgungen unter den ersten Tokugawa für Leute, die nach Japan ge-
sandt würden, um die Japaner zum Ungehorsam gegen die Gesetze
zu verleiten.
Im Frühjahr 1868 hatte der Staatsrath und später so einfluss-
reiche Minister Ôkubo ein Memorandum an den Mikado gerichtet mit
folgendem Inhalte:
»Obgleich Ew. Majestät Truppen in den Kämpfen bei Fushimi
und Toba siegreich gewesen sind, so ist der Führer der Rebellen
doch entkommen. Die Gesinnungen der verschiedenen Clane sind
unbestimmt und unsere Beziehungen zu fremden Mächten auf keiner
befriedigenden Basis. Aussergewöhnliche Massregeln sind in einer
Krisis nöthig. Seit dem Mittelalter hat unser Kaiser hinter einer
spanischen Wand gelebt und nie die Erde betreten. Nichts, was
ausserhalb vorkam, drang je bis zu seinen geheiligten Ohren; die
kaiserliche Residenz war gründlich abgeschlossen und natürlich un-
gleich der Aussenwelt. Niemand, ausser einigen Hofadeligen, durfte
sich dem Throne nahen, eine Sitte, welche den Grundsätzen des
Himmels ganz entgegengesetzt war. Obgleich es die erste Pflicht des
Menschen ist, seinen Vorgesetzten hoch zu achten, so vernachlässigt
er doch seine Pflichten, wenn er diese Hochachtung übertreibt, wäh-
rend ein Bruch entsteht zwischen dem Souverän und seinen Unter-
thanen, welche nicht im Stande sind, ihre Anliegen vor ihn zu bringen.
Diese verderbliche Praxis ist in allen Zeitaltern häufig vorgekommen.
Möge jedoch von nun an pomphafte Etikette bei Seite bleiben und
Einfachheit unser erstes Bestreben sein. Kiôto hat eine abseitige
Lage und ist als Sitz der Regierung ungeeignet. Möge Ew. Majestät
vorübergehend in Ôsaka residieren und dieses zu seiner Hauptstadt
machen, und so einen der Missbräuche beseitigen, welche wir aus
alter Zeit ererbt haben. Dieses scheint mir eine dringende Ange-
legenheit zu sein, und ich bitte Ew. Majestät Weisheit unterthänigst,
es ohne Zeitverlust zu beschliessen«.
Dies Memorandum, entsprechend dem Geiste, welcher den ganzen
Hof beherrschte, verfehlte nicht seine Wirkung. Der Mikado begab
[416]I. Geschichte des japanischen Volkes.
sich vorübergehend zu einer kleinen Flottenschau nach Ôsaka und
verlegte bald darauf seine Residenz nach Yedo.
Bevor dies jedoch geschehen konnte, musste die Stadt in den Hän-
den seiner Truppen sein. Dieselben zogen auf dem Tôkaidô, Nakasendô
und Kôshiu-kaidô nach ihr heran. Keiki, der Ex-Shôgun, bereute wie-
der einmal seine letzten Handlungen und ihre Folgen, ermahnte seine
Vasallen, wiewohl meist vergeblich, zur Aufgabe des Widerstandes
und sandte einen Oberpriester und Verwandten des Mikado, sowie die
Wittwen seiner beiden Vorgänger, nach Sumpu in Suruga, dem da-
maligen Hauptquartier des Arisugawa, für ihn um Gnade zu bitten. In
Folge dessen wurde das Schloss den Kaiserlichen übergeben, welche
am 26. April in Yedo einzogen. Keiki ging nach Mito in die Verban-
nung, später nach Sumpu. Die meisten seiner Vasallen im Kuwantô,
sowie die reichen Bürger unterstützten Aidzu, Itagura und Ogasawara,
welche mit 22 anderen Daimio und vielen Hatamoto beschlossen
hatten, unbekümmert um Keiki den Kampf fortzusetzen *). Derselbe
wurde mit viel Geschick und grosser Tapferkeit von ihnen geführt,
kostete noch viel Gut und Blut, zog sich langsam mehr und mehr
nordwärts und endete endlich auf Yezo. Nur einige Vorgänge aus
demselben mögen hier Erwähnung finden.
Bei Uebergabe des Schlosses zu Yedo bemächtigte sich eine
Gruppe von Hatamoto und Samurai, welche sich Shôgitai (die Pflicht-
klaren) nannten, des Parkes und grossen Tempels Tôyeizan zu Uyeno
im Norden der Stadt, wo sie sich des Rinnôji-no-Miya (eines kaiser-
lichen Prinzen, der Oberpriester war) bemächtigten und diesen zum
Gegenkaiser machten. Am 4. Juli kam es in Uyeno zum Kampfe, bei
welchem der stattlichste und mit den schönsten Kunstwerken ausge-
stattete Tempel Yedos, der Tôyeizan, bis zum Fundamente abbrannte.
Die Shôgitai unterlagen und flüchteten zum Theil nach Aidzu, wohin
sie den Miya (kaiserlichen Prinzen) mitnahmen **).
[417]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Um den Besitz vieler Schlossstädte nördlich von Yedo, wie
Yuki, Utsunomiya, Iwakitaira, Shirakawa, wurde hartnäckig und mit
wechselndem Glücke gekämpft. Allen voran standen, was Geschick
und unerschütterlichen Muth anlangt, auf der Seite der Rebellen Kondô
Isami und Ôtori Keiske, doch vermochten sie der grossen Ueber-
macht gegenüber sich nicht zu halten. Ersterer gerieth in Gefangen-
schaft *), letzterer flüchtete mit dem Rest seines Heeres, als Shira-
kawa gefallen war, nach Aidzu. Von allen Seiten zogen nun schwere
Gewitter an den Randgebirgen dieses schönen Landes zusammen,
denn Aidzu wurde für die Wurzel der Rebellion erklärt, die man vor
allem abhauen müsse. In Echigo war die ansehnliche Stadt Nagaoka
nach tapferer Vertheidigung ihrer Besatzung in Flammen aufgegangen
und auch Yonezawa, der Alliierte an der Nordgrenze, hielt nicht mehr
Stand, sondern ging zum Feind über. Ringsum drang dieser nun über
die Gebirgspässe, wo nach kurzem Kampfe die Besatzungen nieder-
gehauen waren, in die Aidzu-taira ein und marschierte auf Waka-
matsu, die Hauptstadt. Auch sie wurde ein Raub der Flammen.
Endlich fiel auch das Schloss, wo selbst Frauen an der Vertheidigung
theilnahmen. Der Daimio und sein Sohn mussten sich auf Gnade
und Ungnade ergeben (3. November 1868). Diesen blutigen Kämpfen
folgten noch einige in Nambu, dann war der Widerstand auf Hondo
gebrochen und, wie es schien, der Friede hergestellt. Verschiedene
der rebellischen Daimios verloren ihre Besitzthümer ganz oder theil-
weise, keine ihr Leben. Hoshina, die Daimiofamilie von Aidzu, verlor
ihr schönes Fürstenthum, erhielt aber später ein kleines Besitzthum
in Mutsu von 30000 Koku, angeblich damit sie im Stande sei, die
Familienopfer zu bringen, in Wirklichkeit aber wohl, weil ihre Lehns-
treue doch Vielen Achtung einflösste und man sich schämte, dieselbe
an den Bettelstab zu bringen. Hoshina war der alte Familienname,
den sie später mit Matsudaira vertauscht hatte. Letzterer, ein Ehren-
name unter den Tokugawa, wurde nach dem Falle dieses Hauses
nicht mehr gebraucht.
Noch einmal kam es, und zwar gegen alles Erwarten, auf Yezo
**)
Rein, Japan I. 27
[418]I. Geschichte des japanischen Volkes.
zu Kämpfen zwischen Anhängern der Tokugawa und den Regierungs-
truppen. Dorthin waren nach Einnahme von Aidzu und Nambu die
Unversöhnlichen geflüchtet, darunter Ôtori Keiske, dorthin begab sich
auch der Admiral Enomoto mit der aus acht Schiffen bestehenden
Flotte des Ex-Shôgun, welche am 4. October die Yedobucht verliess.
Man nahm rasch hinter einander Hakodate und Matsumaye ein,
etablierte eine Art Republik, litt viel durch Hunger und Kälte, ver-
lor die besten Schiffe und ergab sich Ende Juni 1869.
Wir müssen hier noch einiger Ereignisse Erwähnung thun, welche
zwischen die Pacification des nördlichen Hondo und die Kämpfe auf
Yezo fallen. Am 6. November 1868 wurde die chronologische Periode
geändert und beschlossen, dass hinfort für die Regierungszeit eines
Mikado nur eine solche Periode (ein Nengô) gerechnet werde. Es
begann das erste Jahr Meiji*) (erleuchtete Regierung). Am 26. No-
vember verlegte der Mikado seine Residenz nach Yedo, das von nun
ab Tôkio (nach einer anderen Lesart Tôkei), Osthauptstadt, genannt
wurde, zum Unterschied von Saikio (Kiôto), der Westhauptstadt.
Bald darauf wurde er von den fremden Mächten anerkannt und em-
pfing deren Vertreter am 5. Januar 1869, reiste hierauf zu Lande
nach Kiôto, um die vorgeschriebenen Ahnenopfer zu bringen und sich
zu verheirathen. Auf der Rückreise drängten sich dem Zuge mehrere
Tausend Shimpei (freiwillige Leibgarde) als Begleiter auf, Leute,
welche aus verschiedenen Clanen stammten und nur durch gemein-
samen Fremdenhass sich zusammengefunden hatten. In Tôkio steckte
man sie ins Heer. Bald darauf ermordete man in Tôkio einen kaiser-
lichen Rath auf seinem Wege zum Schlosse, weil er im Verdacht
stand, »böse Meinungen zu bekennen«, d. h. dem Christenthume zu-
zuneigen. Die Rônin, welche diese That ausgeführt hatten, wurden
später ergriffen und exemplarisch bestraft. Insulte gegen Fremde
und deren Vertreter zwangen die Regierung zu einer Bekanntmachung,
wonach die alte Strassenordnung für Daimiozüge aufgehoben und der
Ruf »Shita-ni-iro« nicht mehr erlaubt wurde. Wie sehr man jedoch
im allgemeinen noch in den alten Anschauungen lebte, zeigte sich
auch in einer Versammlung von Edelleuten, welche kurze Zeit darauf
stattfand und bei der die Frage, ob nicht das Schwertertragen zu
beseitigen sei, von Allen verneint wurde und ein Antrag auf Ab-
schaffung des Harakiri nur geringe Unterstützung fand.
[419]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
c. Aufhebung des Feudalsystems, Mediatisierung der Fürsten
und Samurai und andere Neuerungen. Samurai-Aufstände. Expe-
dition nach Formosa. Die Satsuma-Rebellion.
Dem Sturz des Shôgunats und Bürgerkriege folgte im Jahre 1869
die Mediatisierung der Daimios, wozu sie theils freiwillig die Hand
boten, theils durch die Macht der Verhältnisse gezwungen wurden *).
Kido entwarf das denkwürdige Memorandum an den Thron, welches
von den hervorragendsten Fürsten des Südens unterzeichnet wurde, zu
dem aber Tosa die erste Anregung gab und in dem die Daimio er-
klärten, dass sie ihre Herrschaften in die Hände des Mikado, welchem
sie nach göttlichem Rechte gehörten, zurückgeben wollten. Es ist
dieser Schritt vielfach bei uns als eine hervorragende patriotische
That bezeichnet worden; wenn man aber die Verhältnisse näher
kennen lernt, aus denen er hervorging, so verliert derselbe viel von
seinem Bewundernswerthen und erscheint vor allem auch als kein
grosses Opfer des Feudaladels. Derselbe besass nämlich mit wenigen
rühmlichen Ausnahmen nicht den Geist und das Ansehen, um den
Strom aufzuhalten, sondern war aufgewachsen in Indolenz, Luxus
und Fiction, meist schwach an Körper und Geist. Die Daimio waren
vielfach Kinder und ganz in den Händen ihrer höchsten thätigen
und ehrgeizigen Beamten, welche nach der Restauration viel mehr
Einfluss und einträglichere Stellen fanden. Ueberdies aber darf der
Menschen Fühlen, Denken und Handeln in so ausserordentlichen
Zeitläufen mit ihren mächtig einwirkenden äusseren Impulsen nicht
nach dem Maassstabe des Alltagslebens gemessen werden, noch dürfen
wir im vorliegenden Falle ausser Acht lassen, dass wir es mit einem
Volke von ganz eigenem Entwickelungsgange und von einer in man-
cher Hinsicht uns fremden Denk- und Handlungsweise zu thun haben.
Und gerade hierfür fehlt den meisten Fremden, welche mit Japanern
in Berührung kommen, bei der grossen Schwierigkeit, die ihre Sprache
bietet, und ihrem verschlossenen Charakter, vielfach das rechte Ver-
ständniss.
Die alte Regel »dem Sieger gehört die Beute« fand bei der Re-
construction Japans ihre volle Anwendung. Nicht blos wurden alle
27*
[420]I. Geschichte des japanischen Volkes.
hervorragenden Führer und Stützen der siegreichen Bewegung vom
Mikado reich beschenkt, sondern den Samurai von Chôshiu, Geishiu,
Satsuma, Hizen und Tosa fiel auch der Löwenantheil an den Stellen
der neuen Regierung und Verwaltung zu *). Freilich waren diese
Posten für die talentvollen und gewissenhaften unter ihnen keine
Sinecuren; denn dem allgemeinen Rausche folgte nur zu bald die
nüchterne Wirklichkeit, welche klar machte, dass Aufbauen schwie-
riger ist und viel mehr Zeit, Umsicht und Ausdauer erfordert als das
Niederreissen. Letzteres hatte man in umfassendem Maassstabe be-
wirkt und setzte es, wenn auch in langsamerem Tempo, weiter fort.
Dabei fielen nicht blos zum Wohle der Gesellschaft verrottete Ein-
richtungen und Vorurteile, sondern auch manche Dinge, welche wohl
des Erhaltens werth gewesen wären, wie die meisten Daimioburgen,
sowie auch einzelne Tempel mit ihren werthvollen Andenken aus
alter Zeit, darunter namentlich Producte des Kunstgewerbes, die un-
ersetzbar sind.
Bei der Mediatisierung der Daimio im Jahre 1869 hatte die
Central-Regierung zu Tôkio die Feudalherren gebeten, vorerst als
Gouverneure und mit ihrem bisherigen Beamtenstabe die Verwaltung
ihrer Herrschaften weiter fortzuführen. Für die Dauer war dieses
Verhältniss nicht möglich, und so wurden schon im folgenden Jahre
diese Fürsten mit ihren Familien nach Tôkio berufen, die alte Ein-
theilung ganz beseitigt und das Land in Ken oder Regierungsbezirke
zerlegt. In den nördlichen setzte man Leute aus dem Süden in die
höchsten Stellen derselben, während man am Bestande der grossen
südlichen Clane wenig änderte, so namentlich bei Satsuma, das lange
mit Handschuhen angefasst wurde, bis die grosse Revolution von 1877
auch hier andere Zustände herbeiführte.
Man unterscheidet die japanische Bevölkerung von der Beseitigung
des Feudalwesens an, wie folgt:
- 1. Der Mikado, Tennô oder Tenshi.
- 2. Die Shin-nô, oder kaiserliche Familie.
- 3. Die Kuwa-zoku (sprich Kadzoku), d. h. Blume der Familien,
der Adel Japans, bestehend aus den früheren Kuge und Daimio. - 4. Shi-zoku, d. h. ehrbare Familien, die Samurai.
[421]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
- 5. Hei-min, d. h. gemeines Volk in seinen drei Unterabtheilungen
der Bauern, Handwerker und Kaufleute.
Der Wechsel berührte die drei grossen Gesellschaftsklassen in
sehr verschiedener Weise. Das gemeine Volk, friedlich, fleissig, ge-
nügsam und von je her an hohe Abgaben und blinden Gehorsam ge-
wöhnt, änderte zunächst nur seinen Herrn und befand sich im ganzen
unter den neuen Verhältnissen bald glücklicher als früher. Die
Daimio hatten sich bei [Abtretung] ihrer Besitzthümer den Fortbezug
eines Zehntels aus den Revenüen derselben ausbedungen und behielten
damit genug, um mit Würde leben zu können, ja waren besser ge-
stellt als früher, wo sie für den Unterhalt ihrer Samurai und Yashikis,
für Aufzüge, Geschenke etc. zu sorgen hatten. Die Einkünfte der
Kuge waren bedeutend erhöht worden. Ganz anders gestaltete sich
die neue Lage der Samurai. Auch ihr erbliches Einkommen wurde
auf 10 Procent reduciert. Aber hier wurde diese Beschränkung bei
den meisten, welche nicht als Beamte eintreten oder eine andere
lohnende Beschäftigung finden konnten, aufs bitterste empfunden.
Manche beschränkten sich, um nicht Hungers zu sterben, auf ein
Nebengebäude ihres früheren Yashiki und suchten durch Niederreissung
des übrigen Land zum Thee-, Maulbeer- oder Reisbau zu gewinnen.
Andere würden gern den Spaten ergriffen haben, wenn sich ihnen
nur cultivierbares Land geboten hätte, ja selbst die vordem ver-
achtete Rechenmaschine (soro-ban, den abacus) des Kaufmannes,
wenn sie nur die nöthige Summe zum Anfang und das Verständniss
zum Fortbetrieb eines Geschäftes gehabt hätten. Hier war Schonung
und billige Rücksicht am meisten geboten, aber die Regierung er-
mangelte dieser Eigenschaften vielfach. Man verlangte Abschaffung
der absoluten Gewalt, welche das Ministerium übte, und Einführung
einer Constitution unter Mitwirkung des Volkes, wie es der Mikado
beim Ausbruch des Krieges zu Kiôto feierlich versprochen hatte. Die
Regierung glaubte jedoch, das Volk sei zu einer solchen Theilnahme
noch nicht reif und wies die Memoranda, welche zu verschiedenen
Zeiten einflussreiche Samurai über diesen Punkt einreichten, als un-
praktisch ab.
Mit den Pensionen für Adel und Samurai hatte das Land eine
grosse Last übernommen, die bald schwer empfunden wurde. Die-
selben verschlangen beinahe die Hälfte aller Staatseinnahmen und
waren, da diese letzteren vornehmlich in Grundsteuern bestanden,
besonders dem Landmann drückend; denn auch das Bestreben, dem
Lande die Vortheile der abendländischen Civilisation zuzuwenden,
kostete viel Geld, so löblich es an und für sich auch war. Die Auf-
[422]I. Geschichte des japanischen Volkes.
gabe der Regierung bot nach allen Richtungen grosse Schwierigkeiten,
welche sie vielfach noch durch ihre Unerfahrenheit und Ueberstürzung
vermehrte. Mit blinder Hast stürzte sie sich in alle möglichen kost-
spieligen Neuerungen. Enorme Summen wurden durch den Unter-
halt eines unnützen Beamtenheeres, die irrationellen Versuche, Yezo
zu colonisieren, den Bergbau zu heben und viele andere unnütze
Experimente und die fremden Rathgeber zu solchen verschlungen.
Fehlte Erfahrung und gereiftes Urteil bei Inaugurierung vieler dieser
Neuerungen, so mangelte es noch mehr an Ausdauer und geduldiger
Pflege zu ihrer gedeihlichen Entwickelung. In kindlicher Freude
und Hast ergriff man vielfach jeden neuen Gedanken, in kindlicher
Unbeständigkeit wurde man ihn bald müde.
Die Finanzen litten aber unter all diesen Ansprüchen an die-
selben mehr und mehr. Um ihnen aufzuhelfen, schritt man allmäh-
lich zu einer sogenannten Kapitalisierung des erblichen Einkommens
von Adel und Samurai, indem man für die Lebensrente Abfindungs-
summen substituierte und, statt solche baar zu zahlen, Obligationen
ausstellte. Dies geschah ohne Mitwirkung der Betheiligten, obgleich
es deren Interessen aufs empfindlichste schädigte. Die Regierung
vermehrte dadurch, sowie durch manche andere Massregeln die Zahl
derer, welche sich nach den Reistöpfen ihrer Feudalherren zurück-
sehnten und die ganze Revolution, theilweise ihr eigenes Werk, be-
klagten. Der Hass fiel, theils aus diesen, theils aus religiösen Grün-
den, in gleichem Grade auf die Fremden, wie auf diejenigen, welche
sich von denselben beeinflussen liessen. Jene Rônin, welche als
Auswurf ihrer Gesellschaftsklasse zu jedem schlechten Streiche fähig,
arbeitsscheu und unzufrieden waren, sobald es an den Magen ging,
hatten sich mit allen religiösen Fanatikern in ihrem Fremdenhass
und dem Rufe »Jô-i« so lange vereint, dass sie sich in die neuen
Verhältnisse nicht zu finden vermochten. Sie hatten zur Beseitigung
des Shôgunats nach Kräften mitgewirkt *) und glaubten, nach der
Revolution am Ziele ihrer Wünsche zu sein, als sie plötzlich mit Er-
staunen und Entrüstung wahrnahmen, dass die Regierung des Mikado
den Bakufu in seiner Hinneigung zu den Fremden noch weit über-
traf und anfing, Alles nach ausländischem Einfluss und Schnitt ein-
zurichten.
Die Störungen und Gefahren, welche dem neuen Staatsleben in
dem ersten Jahrzehnt seiner Entwickelung erwuchsen, sind nicht von
[423]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
den geschlagenen Anhängern der früheren Herrschaft ausgegangen,
sondern von Solchen, welche im letzten Bürgerkriege eine hervor-
ragende Rolle unter den Stützen des Mikado gespielt hatten und dann,
weil ihr Ehrgeiz und ihre Erwartungen keine Befriedigung fanden,
ihre früheren Freunde in der Regierung verliessen, um sich als Führer
an die Spitze der Unzufriedenen und Rebellen gegen dieselbe zu
stellen. Bevor wir jedoch den bedeutendsten Aufständen, welche
hierdurch veranlasst wurden, uns zuwenden, wollen wir erst noch
der wichtigsten sonstigen Ereignisse gedenken, welche die Regierung
des jetzigen Mikado zu einer so denkwürdigen machen. Neuerungen
aller Art und ein lebhaftes Bestreben, die westliche Civilisation ein-
zuführen, zeichnen dieselbe aus. Schon im Jahre 1870 wurde Tôkio
mit dem immer mehr emporblühenden Hafen Yokohama durch einen
Telegraphen verbunden und die Pläne zur Anlage einer Eisenbahn
genehmigt. Diese Arbeiten gingen von Engländern aus, welche auch
Leuchtthürme errichteten und in Ôsaka eine Münze anlegten. Bald
darauf gründete man eine von Engländern geleitete Navigationsschule,
sowie eine Art Polytechnicum. Franzosen hatten bereits unter dem
Shôgunat zu Yokoska nicht weit von Yokohama ein Arsenal und eine
Werfte errichtet und waren in den Dienst der neuen Regierung über-
getreten. In Folge eines Vertrages mit der napoleonischen Regierung
kamen nach Beendigung des grossen Krieges in Frankreich franzö-
sische Instructeure nach Tôkio, um die Armee zu reorganisieren.
Auch im Bergbau, bei Anlage einer Musterfilanda und als Rathgeber
bei Abfassung neuer Gesetze waren Franzosen thätig. Es ist nicht
mehr als billig, anzuerkennen, dass die meisten derselben tüchtige
Leute waren und, soweit sie vermochten, die ihnen anvertrauten Werke
löblich ausführten. Von den Holländern wollte man die Kunst des
Canalisierens, von den Amerikanern das Colonisieren lernen. Deutsche
wurden als Lehrer einer medicinischen Schule, sowie zur Leitung von
Bergwerken berufen.
Schon im Jahre 1871 erhielten die Samurai die Erlaubniss, ohne
Schwerter gehen zu dürfen. Viele machten davon Gebrauch. Hinfort
war die Beibehaltung der alten Tracht und des Schwertes das Schibolet
für den Samurai nach altem Schlage, die Nachahmung europäischer
Tracht aber verrieth den Fortschrittsmann. Auf der ersten Stufe dieses
Fortschrittes wurden nur die Extreme des Körpers bedacht, das Rasier-
messer stellte seine Functionen am Kopfe ein, denn nun trug man
das Haar nach Art der Europäer, Filzhüte und Stiefel, sowie Regen-
schirme kamen in Gunst und — last, but not least — im Haushalte
und Geschäfte die Petroleumlampen.
[424]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Wichtiger und tiefer greifend war die Erlösung der Eta und
Hinin aus ihrer verachteten Stellung und die Aufhebung der Heiraths-
beschränkung unter den verschiedenen Gesellschaftsklassen. Das
Leder kam zu seinem Rechte, Eta’s und Andere etablierten Schuster-
werkstätten in der Nähe von Regierungsgebäuden.
Auch der Mikado blieb jetzt hinter den Fortschrittsbestrebungen
seiner Regierung und der Einsichtsvolleren seines Volkes nicht zurück.
Am 2. October 1871 zeigte er sich demselben zum ersten Male in einem
offenen, von vier Pferden gezogenen Wagen, womit er nach dem
Hamagoten (Küstenschloss) auf der Südseite von Tôkio fuhr. Im
folgenden Jahre besuchte er das Arsenal zu Yokoska, die Münze zu
Ôsaka, machte eine Reise mit einem Kriegsdampfer nach den süd-
lichen Provinzen und kehrte endlich von Yokohama nach Tôkio mit
der Eisenbahn zurück. Bald erschien er häufig in der Oeffentlichkeit,
in einer Art Uniform, ganz nach europäischem Schnitt, im Wagen
sowohl, wie zu Pferde, und wurde vom Volke respectvoll, doch nicht
kriechend begrüsst. Das »Shita-ni-iro« war vorbei. Auch die Kaiserin
fand sich in bewundernswerther Weise und mit grosser Würde in die
neuen Verhältnisse. Sie empfing 1873 zum ersten Male die Frauen
der fremden Gesandten auf das leutseligste und begann der vernach-
lässigten Erziehung des weiblichen Geschlechtes ihr besonderes Inter-
esse zuzuwenden.
Schon im Jahre 1870 tauchten Zeitungen auf und wurden viel
gelesen. Dieselben bereiteten die öffentliche Meinung vielfach vor
auf Neuerungen von grosser Tragweite, die in Folge dessen ohne
jede Störung eingeführt werden konnten. Hierher gehört namentlich
die Substitution des gregorianischen Kalenders für die alte chinesische
Zeitrechnung, welche 1873 erfolgte.
In diese Zeit fällt auch die erste grosse Gesandtschaft des Mikado
nach Amerika und an die europäischen Höfe unter Führung von Iwa-
kura, einem der hervorragendsten Staatsmänner Japans. Ausser
diesem gehörten derselben die Minister und Staatsräthe Terashima,
Kido, Ôkubo, Ito, Yamaguchi und viele andere Japaner an. Der
diplomatische Zweck Iwakura’s, die Vertragsmächte zur Aufgabe der
Jurisdiction über ihre in Japan lebenden Unterthanen zu bewegen, wurde
nicht erreicht; im übrigen aber hatten diese einflussreichen Japaner
von der Landung in San Francisco am 15. Januar 1872 bis zum Be-
suche der Wiener Weltausstellung im Sommer des folgenden Jahres
reichlich Gelegenheit, ihrem Bildungstriebe und lebhaften Interesse
für die westliche Civilisation täglich neue Nahrung zuzuführen.
Zu den hier kurz erwähnten Ereignissen und vielen anderen,
[425]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1874.
welche den gewaltigen Umschwung in Japan bekunden, müssen wir
noch einige weitere von grosser Tragweite zählen, die in das Jahr
1876 fallen, nämlich die Beseitigung der Verordnung gegen das
Christenthum, die Annahme des Sonntags als officiellen Feiertags und
das Verbot des Schwertertragens. In ihrem Verhalten zum Christen-
thum hing die Regierung lange an den alten Anschauungen fest, dass
es nämlich staatsgefährlich sei, Aufruhr und Missachtung des Mikado
errege und desshalb nicht geduldet werden könne. Dem entsprechend
setzte dieselbe im Januar 1870 die Verfolgung der armen, harmlosen
Bauern von Urakami fort und sandte sie trotz der Remonstration von
Sir Harry Parkes, dem englischen Gesandten, welcher damals gerade
in Nagasaki war, auf Schiffen nach verschiedenen Provinzen, vor-
nehmlich aber nach Kaga. Hier mussten sie in besonderen Gebäuden
bei schlechter Kost und zum Theil roher Behandlung unthätig leben,
die Frauen getrennt von ihren Männern, die Kinder entfernt von
ihren Eltern, bis auch für sie endlich mildere Ansichten zur Geltung
kamen und im Jahre 1873 ihre Zurückführung in die Heimath erfolgte.
Schon im Jahre 1871 erschien eine viel gelesene Flugschrift, welche
das Christenthum befürwortete. Die Schulen, welche Missionäre in
Yokohama, Nagasaki und anderen Vertragshäfen eröffneten, wurden
fleissig besucht, besonders von jungen Samurai, wenn auch nur um
englisch oder französisch und andere zum Fortkommen nöthige Dinge
zu lernen. Endlich schwanden auch die alten Anschlagbretter mit
ihren Verordnungen gegen die »böse Secte«, so dass schon 1873
Niemand gehindert war, christliche Bücher zu lesen, am Gottes-
dienste in den Fremdenvierteln sich zu betheiligen und offen sich
zum Evangelium zu bekennen. Endlich wurden im Jahre 1876 alle
früheren Erlasse und Verwarnungen gegen das Christenthum zurück-
genommen.
Die Einführung des christlichen Sonntags als Feiertag für den
Beamten — der gemeine Mann hat ausser Neujahr keine regelmäs-
sigen Feiertage — hatte nur äussere, practische Motive. Bisher war
es Sitte, dass jeder fünfte Tag vom ersten des Monats an gerechnet,
also der 1., 6., 11., 16., 21., 26. des Monats, officieller Feiertag
war, den man als Ichi-roku (erster — sechster) bezeichnete. Die
vielen Fremden, zumal Engländer und Amerikaner, welche in japa-
nische Dienste traten, hielten auf ihren Sonntag; an ichi-roku-Tagen
konnten, an Sonntagen mochten sie nicht arbeiten. Hierdurch ent-
standen manche Missstände, welche durch Annahme des Sonntags
als Ruhetag am 1. April 1876 beseitigt wurden. Drei Tage zuvor
war folgende Proclamation erschienen:
[426]I. Geschichte des japanischen Volkes.
»Kein Individuum darf von jetzt ab mehr ein Schwert tragen,
es sei denn in Hoftracht, ein Mitglied der Armee, Flotte oder Polizei.«
Das Verbot des Schwertertragens wurde von den Fremden freudig
begrüsst, von denen, die es anging, theils gleichgültig, theils mit
Entrüstung hingenommen. In Tôkio und den Vertragshäfen war die
Sitte schon fast ganz geschwunden. Dort konnte der Anblick eines
Trupps zweischwertiger Satsuma-Leute im Jahr 1874 und 1875 noch
manchem Europäer ein gelindes Schaudern erwecken und die Er-
innerung an manchen hinterlistigen Hieb, der zuvor mit diesen schar-
fen Waffen ausgetheilt worden war. In den ferneren Provinzen und
Städten hing man vielfach um so fester an diesem Vorrecht aus der
Feudalzeit, je mehr die anderen schon geschwunden waren. In Kana-
zawa z. B. sah der Verfasser 1874 alle Beamte mit ihren Schwertern
auf die Bureaux gehen, in Akita wenige Monate später und kurz nach
Consul Haber’s Ermordung keinen einzigen Samurai anders als
im alten Aufzuge. In Satsuma ‘aber legte 1875 selbst die’ Schul-
jugend, wenn sie ausging, nach altem Recht und Brauch noch das
eine Schwert an.
Die Unzufriedenheit mit der neuen Lage, wie sie seit Beseitigung
des Feudalsystems geschaffen worden war, trat bei den früheren
Stützen der Revolution, den Samurai von Satsuma, Hizen, Chôshiu,
Tosa und anderen Provinzen, mehr und mehr hervor und äusserte
sich schliesslich in einer Reihe von Aufständen, von denen die her-
vorragendsten hier kurz erwähnt werden sollen. Zunächst herrschte
im Jahre 1873 im südlichen Japan eine sehr kriegerische Stimmung
gegen Korea und grosse Neigung zu einer Wiederholung der Ex-
pedition unter Taikô-sama, ohne dass jenes Nachbarland dazu irgend
wie herausgefordert hätte. Auch im Staatsrathe fand dieser Gedanke
warme Vertreter und Förderer, namentlich durch General Saigô. Es
war eine der ersten Aufgaben des aus Europa zurückgekehrten Vice-
präsidenten Iwakura, sowie seines Collegen Ôkubo, kluger und be-
sonnener Männer, welche ihr Land nicht in kostspielige Abenteuer
stürzen wollten, dieser Strömung energisch entgegen zu treten. Die
Folge ihres Einflusses war der Austritt Saigô’s und mehrerer anderer
Mitglieder des Staatsrathes *), sowie ein Mordanfall auf Iwakura;
im weiteren Verlaufe hingen damit die Aufstände von Saga und von
Satsuma zusammen.
[427]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Der Aufstand von Saga in Hizen wurde vom vormaligen Staats-
rathe Yeto, dem Bruder des früheren Ministers der auswärtigen An-
gelegenheiten Sogeshima, angeregt und geleitet. Krieg mit Korea,
Restauration der Daimioherrschaften und Vertreibung der Fremden
war das Begehr der Revolutionäre, deren Besiegung nur 10 Tage
erforderte, da die Regierung den Telegraphen, Dampfschiffe und ein
geschultes Heer zu ihrer Verfügung hatte und die anderen Unzufrie-
denen aus verschiedenerlei Bedenken sich ruhig verhielten. Dennoch
gingen 40 Ortschaften durch diesen Aufstand in Flammen auf; ausser-
dem verloren 500 Mann, Aufständische und Soldaten, dabei ihr Leben.
Die Regierung erkannte aus diesem Vorgange und manchen ande-
ren Erscheinungen, dass sie etwas thun müsse, um die Gedanken
der unthätigen, unzufriedenen und ruhmsüchtigen Samurai von den
heimathlichen Angelegenheiten ab auf ein fremdes Gebiet zu lenken.
So beschloss sie im Einverständniss mit dem reactionären Shimadzu
Saburo eine Expedition nach Formosa, angeblich um die wilden Stämme
im Nordosten dieser Insel dafür zu züchtigen, dass sie wiederholt
schiffbrüchige Seeleute aus Japan und den Riukiu-Inseln ermordet
hatten, wohl aber mit dem Hintergedanken, das Gebiet derselben
und, wenn möglich, die ganze Insel zu annectieren. Im Mai 1874
segelte die Expedition von 3000 Mann unter General Saigô Yori-
michi, dem jüngeren Bruder von Saigô Kichinosuke, von Nagasaki
ab und schlug bald darauf die wilden Ureinwohner vom nordwest-
lichen Formosa in mehreren Treffen. Nunmehr regten sich jedoch
die von Europäern aufgestachelten Chinesen, beanspruchten ein Hoheits-
recht über die ganze Insel und bedrohten Japan mit Krieg, wenn es
sich nicht zurückziehe. In Folge dieser veränderten Haltung Chinas
ging Ôkubo an den Hof nach Peking und vereinbarte einen für Japan
ehrenvollen Frieden, insofern er eine Geldentschädigung für die von
Japan gehabten Unkosten erwirkte, welche freilich der Höhe der
letzteren lange nicht gleich kam. Im folgenden Jahre bewirkte der
japanische Gesandte Enomoto in Petersburg den Abschluss eines Ver-
trages zwischen Japan und Russland bezüglich der Insel Sachalin
oder Karafto, um deren Besitz man sich lange diplomatisch gestritten
hatte. Die Rechtstitel beider Mächte an diese Insel waren von glei-
chem Werthe, indem von Norden her die Russen, von Süden die
Japaner hauptsächlich des Fischfangs wegen allmählich vorgedrungen
waren. Japan vertauschte endlich seinen Antheil gegen 18 bis dahin
zu Russland zählende, unbewohnte und uncultivierbare Kurilen,
die nur für den Fischfang von Werth sind, und dehnte seine Grenze
dadurch bis Cap Lopatka aus. Im Jahre 1876 bewirkte der japa-
[428]I. Geschichte des japanischen Volkes.
nische Gesandte Kuroda den Abschluss eines Freundschafts- und
Handelsvertrags mit Korea, in Folge dessen erst Fusan und dann
im Mai dieses Jahres Gensan dem japanischen Handel geöffnet
wurde. Das Jahr 1876 brachte zwei neue Aufstände in Kumamoto
und Chôshiu. Dort stand ein alter Samurai von 70 Jahren an der
Spitze der Verschworenen, welche streng an den alten Anschauungen
und Sitten hingen und mit tödtlichem Hass gegen Fremde und ihre
japanischen Gönner erfüllt waren. »Sakoku Joi« (schliesset das Land,
vertreibet die Fremden) war der Ruf, welcher sie kennzeichnete.
Charakteristisch ist die Erklärung, welche sie abgaben: »Ein Adler
wird nie zum Samenfresser, sondern stirbt lieber Hungers; so wird
auch ein Samurai von Ehre sich nicht dem Handel und ähnlichen
Geschäften hingeben, noch sonstigen Dingen, die gegen sein Wesen
sind. Aber diabolische Geister herrschen jetzt in diesem Lande der
Götter und sind darauf aus, Sitten zu beseitigen, welche uns theuer
waren und bei uns von Alters her gepflegt wurden. Diese Thatsache
verursacht uns grossen Kummer. Vor einiger Zeit wurden wir unserer
kostbaren Schwerter beraubt, und nun befiehlt man uns, den Scheitel-
zopf unseres Haares abzuschneiden und dasselbe in fremder Weise
zu tragen. Es bleibt uns unter diesen Umständen nur eins zu thun
übrig, nämlich unsere Schwerter in den Häusern der Beamten zu
gebrauchen, welche die Fremden nachahmen. Dies allein ist Männern
unserer Classe würdig.« Und dieser Anschauung gemäss handelten
sie. Nach alter Kriegerart bewaffnet und gekleidet, überfielen einige
Hunderte dieser Samurai eines Nachts die Offiziere der Garnison in
ihren Wohnungen und die Soldaten in der Kaserne (auf dem alten
Schlossplatz zu Kumamoto) und würgten und brannten Alles nieder.
Wer von ihnen in dem Kampfe nicht fiel und nicht entfliehen konnte,
nahm dann Seppuku vor.
An der Spitze des fast gleichzeitigen Aufstandes in Chôshiu stand
Mayebara, der im Bürgerkriege ein tapferer Führer und nachher
ein unfähiger Verwaltungsbeamter gewesen und desshalb mit einer
Pension entlassen worden war. In seiner Proclamation versprach er,
»den Mikado aus der Gefangenschaft schlechter Rathgeber zu be-
freien, von Männern, die des Volkes Ehre und Interessen nicht kennen,
noch achten, sondern zulassen, dass fremde Barbaren die Schätze
des Landes fortführen etc.« Auch seinem Treiben wurde bald ein
Ende gemacht.
Ganz anders gestaltete sich der Aufstand von Satsuma im Jahre
1877, die grösste Krisis, welche das neue Japan durchgemacht hat,
die alle seine Kräfte in Anspruch nahm und erst nach 7 Monaten be-
[429]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
wältigt werden konnte. Urheber und Führer desselben war kein ge-
ringerer, als General Saigô Kichinosuke, der Mann, welcher
durch seinen klugen Rath (er war Generalstabschef von Arisugawa)
und tapferen Arm dem Mikado vornehmlich zur Wiedererlangung der
weltlichen Macht verholfen und dafür reiche Belohnung und die höch-
sten Ehren erlangt hatte. Sein Ansehen stand nach der Restauration
nur dem des Mikado nach, und es war keine Uebertreibung, wenn
eine japanische Zeitung eines Tages behauptete, auf seinen Ruf seien
50000 Samurai bereit, ihr Leben zu lassen *).
Schmollend hatte sich Saigô im Jahre 1873 aus der Regierung
in seine Heimath Kagoshima zurückgezogen und alle späteren Ver-
suche, ihn zum Wiedereintritt zu bewegen, kurz zurückgewiesen.
Seine Freunde und engeren Landsleute, die Generale Kinrio, Shino-
wara und Andere, waren bald seinem Beispiel gefolgt. Nicht lange,
so gründeten sie in Satsuma sogenannte Privatschulen für Samurai,
in welchen dieselben täglich eine Stunde chinesischen Studien, in der
übrigen Zeit aber militärischen Uebungen oblagen. Das waren Männer,
die sich strengen Regeln unterwarfen und die Befolgung derselben
mit ihrem Blute geloben mussten. Die Zahl dieser sogenannten
Privatschüler wuchs auf über 30000 Mann und bildete ein respec-
tables Heer, über welches Saigô und seine Freunde volle Verfügung
hatten. Es war eine Macht, die selbst Ôyama, den Gouverneur, lenkte
und alle Stellen des Gouvernements inne hatte, und auf welche die
Centralregierung in Tôkio ohne allen Einfluss war. Schon im Jahre
1875 machte die Presse auf diesen Zustand aufmerksam und fragte,
wie ihn die Regierung dulden könne. Besonders bemerkenswerth
war ein Artikel der Akebono-Shimbun (Morgenzeitung) vom 20. Juli
1876, worin es heisst:
»Unter den unzufriedenen Samurai, welche ihre Augen offen
halten, um Unruhe zu stiften, gibt es hervorragende in Satsuma und
Chôshiu, dort General Saigô und Generallieutenant Kinrio. Diese
zwei Männer, welche hohe Posten in der Armee einnehmen, sind die
Führer jener Samurai und ihre Militärschulen mächtiger als der Gou-
[430]I. Geschichte des japanischen Volkes.
verneur Ôyama selbst, denn bevor dieser irgend etwas unternimmt,
fragt er sie erst. Dies sind in der That die Männer, von denen man
annehmen darf, dass sie den Frieden der Nation gefährden. Die-
selben unterscheiden sich wesentlich von den Zeitungen, welche
weder Schwert, noch Flinte besitzen (damals aber viel gemassregelt
wurden). … Die Satsuma-Samurai handeln, wie Leute einer unab-
hängigen Nation. Es mag begründet sein, dass man die Zeitungen
einschränkt, wenn sie den öffentlichen Frieden stören, aber es ist
gefährlich, die Macht derer, welche wir genannt haben, unbeschränkt
zu lassen. Und so hoffen wir denn, dass die Regierung die Frage
des inneren Friedens allseits erwägen und ihre Aufmerksamkeit zu-
gleich auch diesen Samurai widmen wird.« In einer anderen Zei-
tung vom 30. September 1876 heisst es: »Die Leute von Kagoshima
kaufen Waffen auf zu einem unbekannten Zweck; Niemand zwischen
15 und 50 Jahren darf ohne Erlaubniss des Gouverneurs Satsuma-ken
verlassen.«
Ende Januar 1877 brach endlich der lange vorbereitete Aufstand
aus. Saigô, Kinrio, Shinowara, Beppu, Hemmi und andere bekannte
Persönlichkeiten erschienen als Leiter desselben und überschritten
an der Spitze von 14000 wohlbewaffneten Insurgenten auf dem Wege
nach Kumamoto bald die Grenze von Higo. Den Oberbefehl führte
Saigô. Er, dessen Geschicklickeit und Muth die Restauration zu
Wege gebracht, den das Volk bisher nicht blos als Ideal von Tapfer-
keit, sondern auch von Selbstlosigkeit und Loyalität betrachtet hatte,
erscheint als Führer der tapfersten Samurai Japans, die kriegsgeübt,
wohlbewaffnet und ihm blind ergeben sind, als Feind der kaiser-
lichen Armee, in der er die höchste Würde bekleidete, deren Mar-
schallsuniform er noch vor kurzem trug. Das ist kein zu verachtender
Gegner, kein Aufstand, wie die früheren, planlos von einigen hundert
exaltierten Köpfen begonnen und rasch unterdrückt! Nun heisst es
endlich, Regierung spute dich, sende dein Polizeiheer und deine besten
Soldaten, so viel du auftreiben kannst, nach dem Süden und biete
vor allem auch alle deine Kunst und deine Getreuen von Einfluss in
anderen Landestheilen auf, damit die Fackel nicht weiter über die
übrigen grossen Inseln getragen werde und ein allgemeiner Brand
entstehe, denn Zündstoff ist auch hier genug! —
Saigô war sich wohl bewusst, dass er bei diesem Schritt alle
früher erlangten Ehren, sein Leben und Familienglück auf das Spiel
setzte, aber er hatte die Schwierigkeiten, welche ihm in den Weg
traten, unterschätzt und glaubte, wie vor 10 Jahren, so auch jetzt
nur das Signal geben zu müssen, um eine allgemeine Erhebung in
[431]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Scene zu setzen *). Sein Zweck war, nach Tôkio zu ziehen, die
Regierung zu stürzen und Satsuma einen Einfluss beim Mikado zu
verschaffen, wie ihn früher die Tokugawa besessen hatten. Die langen
Vorbereitungen dazu hatte er noch nicht beendet; das Ungestüm seiner
Leute und Freunde riss ihn in den Strudel, früher als er selbst es
wünschte. Shimadzu Saburo hatte keinen Theil an der Bewegung,
so sehr er sie innerlich wohl bewillkommnen mochte, denn seine
Reactionsgelüste wuchsen mit zunehmendem Alter.
Ôyama, den Gouverneur von Satsuma, das willenlose Werkzeug
der Verschwörer, hatte bald nach Ausbruch des Aufstandes ein kaiser-
licher Abgesandter, welcher vor Kagoshima erschien, bestimmt, auf
sein Schiff zu kommen, und dann gefangen weggeführt. Zu Naga-
saki wurde demselben der Process gemacht. Er bekannte, durch ver-
schiedene Acte den Aufstand wesentlich gefördert zu haben, und
besiegelte das Geständniss nach Landessitte mit seinem Blut und
Daumennagel. Am 30. September 1877 wurde er in Nagasaki ent-
hauptet.
Saigô war mit seinem durch Zuzüge verstärkten Heer ungehindert
bis Kumamoto in Higo gekommen, wo ihm die aus 3000 Mann
bestehende Besatzung des Schlosses den ersten grösseren Halt gebot.
Während ein Theil die Belagerung vornahm, rückten 9000 Mann
weiter nordwärts vor, bis ihnen im nördlichen Higo die von Kokura
heranziehenden kaiserlichen Truppen den Weg verlegten. Arisugawa-
no-miya führte wieder das Brocatbanner und kaiserliche Schwert. Am
20. März wurden die Rebellen im blutigen Treffen von Tawarazaka
zwischen Takase und Uyeki geschlagen und Shinowara getödtet. Die
Belagerung von Kumamoto musste aufgegeben werden, der Krieg spielte
sich über Yatsushiro und Hitoyoshi nach Hiuga auf die Ostseite von
Kiushiu. Nach vielen kleineren Kämpfen, die wir übergehen, fiel am
24. Juli die wohlbefestigte Stadt Miyakonojô in die Hände der
Kaiserlichen. Der Kriegsschauplatz schob sich wieder nordwärts und
es kam endlich zu heissen Kämpfen um den Besitz der alten Schloss-
stadt Nobeoka, des letzten festen Haltes der Rebellen, welcher am
[432]I. Geschichte des japanischen Volkes.
14. August fiel. Ueber 8000 der Aufständischen, darunter gegen
3000 Verwundete, ergaben sich, Saigô und seine Freunde aber hatten
sich mit etwa 500 Männern, die ihn trotz seiner Zureden nicht ver-
lassen wollten, durchgeschlagen. Am 1. September erschienen sie
zur grössten Ueberraschung der neu eingesetzten Regierung, die sich
rasch nach dem Hafen flüchtete, wieder in Kagoshima. Viele Vor-
räthe fielen ihnen hier in die Hände, doch wurden sie ihrer nicht
mehr froh, denn das Spiel ging rasch zu Ende, das wussten Alle.
Mit 14000 Mann war Saigô 7 Monate zuvor ausgerückt, mit 500
kehrte er wieder zurück, damals voll Zuversicht auf Erfolg, jetzt
aller Hoffnung bar; denn schon nahte der Feind mit Macht heran,
und nirgends bot sich Aussicht auf Rettung. Auf dem Shira-yama,
einem Hügel bei Kagoshima, nahm Saigô mit seinen Getreuen Stellung,
als ihn gegen 15000 Mann Regierungstruppen von allen Seiten um-
zingelten. Am 24. September erfolgte der Angriff. Der Widerstand
war bald gebrochen, der letzte Rest der Aufständischen vernichtet
oder gefangen. Am folgenden Tage sammelte man die Todten, um
sie zu identificieren und zu bestatten. Da fand man auch Kinrio
mit Wunden bedeckt, Beppu, Hemmi, Murata. Neben Kinrio lag
der Rumpf eines grossen Mannes, mit einer Kugelwunde und einem
Schwertstich am Leibe im Anzuge eines Arbeiters, doch deutete die
helle Hautfarbe sogleich den Samurai an. War es Saigô? — Ein
nur unvollständig verscharrter Kopf ward bald gefunden und ange-
passt, es ist kein Zweifel an der Identität! Als der tapfere Führer
verwundet worden war, hatte ihm Beppu nach alter Sitte den letzten
Freundschaftsdienst erwiesen, den Kopf abgehauen und verscharrt,
darauf an sich selbst das Harakiri vorgenommen, so berichteten
Augenzeugen.
Admiral Kawamura, der Commandant der Kaiserlichen und selbst
ein Satsuma-Samurai, wusch den Kopf des früheren Freundes als
Zeichen seiner Achtung vor dessen Tapferkeit. Die gefallenen Re-
bellen kamen in ein gemeinsames Grab bei einem Tempel in Kago-
shima, Saigô, Kinrio, Beppu, Murata und Hemmi, ihre Führer, da-
gegen wurden jeder in einen besonderen Sarg gelegt und nebenbei
bestattet.
Die Theilnahme am tragischen Ende Saigô’s war eine allge-
meine und erstreckte sich auch auf die Fremden. Von allen Seiten
wurden ihm die Tugenden eines Helden zuerkannt; denn Saigô war
furchtlos in Gefahr, standhaft im Unglück, schöpferisch in Bezug
auf seine Hilfsquellen, und bot, als sein unvermeidliches Ende heran-
nahte, demselben muthig die Stirn. Eigennutz war ihm fremd und
[433]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
auch den Gegner behandelte er milde und duldete nicht, dass der
friedliche Mann unterdrückt oder seiner Habe beraubt wurde. Zur
Zeit der Restauration nannte man ihn das Herz und Schwert der
Sache des Mikado, während man seinen Freund Kido als Kopf und
Feder derselben ansah. Beide verlor das Land im nämlichen Jahre.
Aber während Kido im Mai zu Kiôto auf dem Krankenbette starb,
noch im Tode hochgeehrt wurde und einen makellosen Namen hinter-
liess, folgte Saigô einem Phantom und ging als Rebell dahin.
Mit den 42500 Personen, welche der Rebellion angeklagt waren,
verfuhr man gnädig, entliess 39632 unbestraft und verurteilte nur
20 der übrigen zum Tode, eine Milde, welche dem allgemeinen
Wunsche des Landes Rechnung trug. Am Niederwerfen des Auf-
standes waren nicht weniger als 65000 Mann, Truppen und Polizei,
betheiligt gewesen, mit einem Verlust von 6400 Todten und 10500
Verwundeten. Die Rebellen brachten 40000 Bewaffnete auf, davon
wurden 7000 getödtet und 11000 verwundet. Abgesehen von diesem
grossen Verluste an Menschen, den vielen eingeäscherten Ortschaften
und verwüsteten Feldern, sowie den Geldopfern, welche die Insur-
genten ihrer Sache brachten, kostete der Aufstand die Regierung
laut amtlichem Nachweise die Summe von 42 Millionen yen oder
176 Millionen Mark, so dass in finanzieller Hinsicht seine Nachwirkung
wohl am längsten noch gefühlt werden wird. Die Regierung ver-
säumte nach diesem Aufstande nicht, Satsuma alle Sonderstellung zu
nehmen und dasselbe fester dem Reiche anzuschliessen. Sie darf
wohl sicher sein, dass eine Nachahmung dieser Rebellion nicht ver-
sucht wird, und kann dieselbe als das letzte Zucken des geschie-
denen Feudalismus ansehen. Doch fehlte es nicht an Nachwehen
verschiedener Art, welche dieses grosse Ereigniss hatte. Hierzu sind
namentlich eine Meuterei in einer Artilleriekaserne in Tôkio, deren
Bewohner sich wegen ungenügender Auszeichnung gekränkt fühlten,
die Cholera von 1879, welche 100000 Menschen dahin raffe, und
die Ermordung Ôkubo’s am 14. Mai 1878 zu rechnen. Dieser talent-
und verdienstvolle Minister des Innern galt als einer der grössten
Gegner liberaler Reformen, für welche er das Volk noch nicht reif
hielt, und Saigô’s, für dessen Schicksal so grosse Sympathie herrschte.
Er stand bei Vielen in dem wahrscheinlich unbegründeten Verdacht,
vor Ausbruch des grossen Aufstandes Polizisten nach Satsuma gesandt
und ihnen die Ermordung Saigô’s und seiner Freunde nahe gelegt
zu haben, wodurch diese erst zur Empörung getrieben worden seien.
Auf seiner Fahrt zum kaiserlichen Schlosse stürzten am genannten
Tage, als die Kutsche einen wenig betretenen Hohlweg passierte,
Rein, Japan I. 28
[434]I. Geschichte des japanischen Volkes.
sechs als Bauern verkleidete Samurai aus einem Bambusdickicht her-
vor und hieben ihn und den Kutscher nieder. Die Mörder, aus der
Provinz Kaga stammend, meldeten hierauf sich und ihre That auf
der nächsten Polizeistation. Am nämlichen Tage erhielten zwei ja-
panische Zeitungen in Tôkio Abschriften eines Documents an den
Mikado, welches der Führer der Bande auf dem Körper trug, mit der
Ueberschrift: »Geschichte der Ermordung eines Verräthers«. Als ihr
Hauptmotiv zur That geben sie darin an, den Tod Saigô’s an dessen
grösstem Gegner zu rächen, und wiederholten zugleich alle Anklagen
der Tosa-Samurai gegen die bestehende Regierung, welche in dem
Folgenden noch näher erwähnt wird.
d. Das heutige Japan, seine Regierung, Civilisationsbestrebungen
und Beziehungen zu den Fremden.
Man kann die neue Epoche, in welche Japan mit dem Sturze
des Feudalsystems eintrat, die Zeit seiner Aufklärung nennen, da
das japanische Volk mit ihr zur geistigen Selbständigkeit und Selbst-
thätigkeit gelangte, und diese auf allen Gebieten äussert, besonders
aber durch die Presse. So wenig wie eine Rückkehr zum alten
System und seiner Absperrung möglich scheint, so wenig ist das
wachsende Volksbewusstsein geneigt, sich irgend einer anderen abso-
luten Gewalt blind zu ergeben. Aus dem Occident zurückkehrende
Japaner haben, gleich den vielen fremden Büchern und ihren Ueber-
setzungen, eine Menge neuer Ideen ins Land getragen, vermehrt durch
die, welche von in Japan weilenden Fremden vermittelt wurden, und
bewirkt, dass fast alle wichtigen Fragen des Staatslebens, namentlich
Seitens der Samurai, auf das eifrigste discutiert werden. Das Volk
verlangt seit Jahren eine Controle der Regierung und eine Theil-
nahme an der für dasselbe bestimmten Gesetzgebung und hat diesem
Verlangen oft und in verschiedener Weise Ausdruck gegeben. Wäh-
rend der Satsuma-Rebellion hatten z. B. die drei politischen Parteien,
in welche die Samurai von Tosa zerfielen, Denkschriften über die
politische Lage und die Ursachen ihrer Unzufriedenheit an den Thron
gerichtet. Das lange Memorandum der Rishisha (rechtschaffenen Ge-
sellschaft), wozu auch Itagaki gehörte, erregte damals auch bei den
Fremden wegen des Freimuthes und der logischen Schärfe, verbun-
den mit einer gemässigten, ehrerbietigen Sprache, worin dasselbe ab-
gefasst war, viel Aufsehen und Beifall. Die Beschwerde bezog sich
auf folgende sieben Punkte:
1. Die Rathgeber der Krone haben bisher verhindert, dass der
Mikado das feierliche Versprechen constitutioneller Reformen und
[435]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
legislativer Behörden zur Besprechung der Landesangelegenheiten,
welches derselbe bei Ergreifung der Regierung gab, gehalten hat;
2. die Regierung hat die Samurai durch rücksichtslose Behandlung
tief gekränkt, 3. die Kopfsteuer nicht recht vertheilt, 4. sich um
die so nothwendige Reform der Landtaxe nicht gekümmert; 5. die
Finanzverwaltung liegt im Argen; 6. die Verträge mit fremden Mächten
bedürfen der Reform; 7. in den Angelegenheiten betreffs Korea,
Formosa und Sachalin hat die Regierung die Ehre des Landes nicht
gewahrt.
Was die beiden letzten Punkte anlangt, so waren die Vorwürfe,
welche man auch von anderen Seiten den leitenden japanischen Staats-
männern gemacht hat, jedenfalls nicht gerechtfertigt und entsprangen
einer Unkenntniss der Verhältnisse und einer grossen Ueberschätzung
der Macht und Mittel des Landes; im übrigen aber sagte das Schrift-
stück der Regierung manche bittere Wahrheit und konnte immerhin
als Ausdruck der herrschenden Stimmung im Lande gelten.
Keine der erwähnten Empörungen war gegen die Person des
Mikado selbst gerichtet, dessen Prestige als Tennô unbedingten, blin-
den Gehorsam verlangt und von keiner Seite bestritten wird. Aber
dieser Gehorsam wurde oft verweigert, wenn man glaubte, nicht dem
freien Willen des Landesherrn, sondern dem verderblichen Einfluss
corrupter, selbstsüchtiger Räthe gegenüber zu stehen. Nicht der abso-
lute Wille des Mikado regiert Japan, sondern eine Oligarchie, be-
stehend aus einer Anzahl mehr oder weniger talentvoller Männer,
welche die grosse Umwälzung planten und leiteten und seit dem
Sturze des Shôgunats das Staatsschiff gelenkt haben, im ganzen mit
Geschick und Glück an mancher gefährlichen Klippe vorbei. Das
System, welches sie wählten, ist im wesentlichen dasjenige, welches
vor der Entwickelung des Feudalismus in Japan herrschte und nichts
weniger als mustergültig. Eine allmächtige, unverantwortliche Bureau-
kratie beherrscht factisch das Land. Dieselbe zerfällt in drei Stufen
mit 15 Rangklassen, nämlich die Choku-nin (1.—3. Classe), die So-
nin (4.—7. Classe) und die Han-nin (8.—15. Classe).
Der Dai-jô-kuan (grosse Staatsrath), welcher schon 786 n. Chr.
nach chinesischem Vorbilde eingesetzt wurde und aus drei Staats-
ministern (Dai-jin, d. h. grosse Personen) und den Staatsräthen (Sagi)
besteht, ist die oberste legislative und administrative Behörde, deren
Sitzungen der Mikado beiwohnt und die durch Gouverneure (Rei oder
Ken-rei) die Verwaltungsbezirke (Ken) regiert. Die Vorstände der
drei Fu (Hauptstädte) führen den Titel Chiji. Zu den Dai-jin gehört:
1. der Daijô-Daijin (grosser Minister der grossen Regierung) oder
28*
[436]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Ministerpräsident, ein Posten, den seit der Restauration der frühere
Kuge Sanjô Saneyoshi ausfüllt; 2. der Sa-Daijin (linker grosser
Minister), ein Amt, welches eine Zeit lang Shimadzu Saburô über-
tragen war, sonst unbesetzt ist; 3. der U-Daijin (rechter grosser
Minister). Der Inhaber dieses Postens und die Seele der Regierung
ist der schon oft genannte Iwakura Tomomi. Die zehn Ressort-Minister
(Kio) müssen Sagi sein; sie haben einen Tayu (älteren Viceminister)
und einen oder mehrere Shoyu (jüngere Viceminister) und ein ganzes
Heer von Unterbeamten zur Seite. Die zehn Abtheilungen der Re-
gierung sind:
- 1. Guwaimusho (sprich Gaimuscho), das auswärtige Amt.
- 2. Naimusho, das Ministerium des Innern.
- 3. Okurasho, das Finanzministerium.
- 4. Rikugunsho, das Kriegsministerium.
- 5. Kaigunsho, das Marineministerium.
- 6. Mombusho, das Unterrichtsministerium.
- 7. Kiyobusho, das Cultusministerium.
- 8. Kobusho, das Ministerium der öffentlichen Arbeiten.
- 9. Shihosho, das Justizministerium.
- 10. Kunaisho, das Ministerium des kaiserlichen Haushaltes.
Hierzu kommt noch das Colonialamt, genannt Kaitakushi, für
Yezo, die Kurilen und die Bonin-Inseln.
Nach Beseitigung der Feudalherrschaften wurde das Land in 3 Fu
(Hauptstädte), 72 Ken (Regierungsbezirke), die Colonie Yezo ein-
schliesslich der Kurilen, und einen Han (Clan), die Riukiu-Inseln,
getheilt. Im Jahre 1876 fand eine Reduction jener 72 Ken auf 35
und die Umwandlung des Riukiu-han in den 36. Ken statt. (Näheres
pag. 13.) Die Leitung des Ken hat ein Beamter 4. Classe, genannt
Ken-rei (Gouverneur), mit dem Sanji (Secretär).
Als die neue Regierung nach Beseitigung des Shôgunats zur
Ueberraschung Vieler die vom Bakufu mit den fremden Regierungen
abgeschlossenen Verträge nicht blos bestätigte, sondern auf fast allen
Gebieten, mit Ausnahme des religiösen, bestrebt war, die westliche
Civilisation einzuführen, trat an Stelle des alten schwerfälligen, aber
anständigen Beamtenstandes vom Bakufu vielfach ein neues Geschlecht,
die jungen Creaturen der tonangebenden Persönlichkeiten, die nament-
lich dann, wenn sie von der fremden Cultur beleckt waren, eine
europäische Sprache radbrechten und sich nach Art der Fremden zu
kleiden suchten, die besten Aussichten hatten, über erfahrene, im
Dienst ergraute Männer hinweg auf einträgliche Posten zu gelangen.
Ein ganz anderer Ton und Geist zog in die Bureaus ein, eine brüske
[437]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Nonchalance, wozu Selbstüberschätzung den Halbgebildeten so leicht
führt. Die »westliche Civilisation«, getragen, oder besser gesagt,
nachgeäfft von solchen unreifen Jünglingen, wie lächerlich erschien
sie nicht! Welcher Europäer, der in Tôkio lebte, hat nicht die Er-
innerung an die Sanganichi (drei ersten, der officiellen Begrüssung
gewidmeten Neujahrstage) und die Costüme, in welchen dann viele
dieser jungen Beamten ihren Vorgesetzten ihre Aufwartung machten?
— Konnte man für sie einen ungeeigneteren Galaanzug ersinnen als
unseren Frack? Man denke sich einen Gratulanten in importierten,
schiefgetretenen Fabrikstiefeln, welche die Füsse nicht ausfüllten, mit
schwarzen Hosen, bei denen am Zeug gespart, Frack, Cylinder und
Handschuhen, die aufs Wachsen berechnet, und einer wohl bunten
Weste, welche ihren Anschluss an die Beinkleider verfehlte, und
zu alledem ein baumwollenes Handtuch mit rothen Randstreifen, um
den Hals gegen die kalte Luft zu schützen! — Manche lächerliche
Verordnung erschien in den Provinzen. So befahl ein mir bekannter
Gouverneur in seinem grossen Ken der männlichen Bevölkerung die
allerdings zweckmässige europäische Haartracht und gebot den Bürger-
meistern und der Polizei, mit der Scheere darüber zu wachen, dass
kein Scheitelzopf sich sehen lasse.
Im Verhalten der Regierung gegen die Fremden hatte der Bürger-
krieg, wie bereits früher bemerkt wurde, eine überraschende Wand-
lung hervorgebracht. Der Ban-i (fremde Barbar) von gestern war
heute der Ichin-san (fremde Herr) und in der Anrede wohl gar ein
Sen-sei (achtbarer Gelehrter)*). »Blaue Augen und rothes Haar (d. h.
Fremde) waren bei uns nie so viel werth als jetzt«, sagte mir 1874
ein befreundeter alter Samurai, als ich ihm meine Verwunderung
darüber aussprach, dass ein älterer deutscher Barbier aus New-York
zum Chefarzt der Expedition nach Formosa mit 500 Dollars Monats-
gehalt ernannt worden war.
Es geziemt uns jedoch, diese und viele ähnliche Erscheinungen
mit Rücksicht auf die Neuheit und die enormen Schwierigkeiten der
Verhältnisse milde zu beurteilen, unsere Anforderungen nicht allzu
hoch zu stellen und nicht ausser Acht zu lassen, dass die Regierung
bei verschiedenen Missgriffen von fremden Rathgebern, in welche sie
ihr Vertrauen setzte, falsch geleitet wurde.
Irrige Vorstellungen von den Reichthümern und natürlichen Hilfs-
[438]I. Geschichte des japanischen Volkes.
quellen des japanischen Reiches, wie sie zuerst Marco Polo gehegt
und verbreitet hatte und die später durch die Berichte der Portugiesen
und Holländer weiter genährt wurden, riefen im Verein mit den poli-
tischen Umwälzungen eine fieberhafte Speculation auf Japan hervor.
In den Vertragshäfen zu Yokohama (Kanagawa), Nagasaki, Kobe
(Hiogo), Ôsaka, Tôkio, Niigata und Hakodate sammelte sich zur
Ausbeutung der wirklichen oder geträumten Vortheile eine äusserst
gemischte Gesellschaft aus fast allen Ländern des christlichen Abend-
landes. Neben dem talentvollen, achtbaren und redlich strebenden
Manne erschienen, wie in jedem neu erschlossenen Lande, Abenteurer
aller Art, Leute, die materiell nur gewinnen konnten und moralisch
nichts zu verlieren hatten. In ihren Systemen, bei den Eingeborenen
und insbesondere bei der Regierung sich in Gunst zu setzen, wichen
sie weit von einander ab, gemeinsam war ihnen nur das Streben, das
Land ausbeuten zu helfen. Einzelne glaubten dies Ziel am sicher-
sten dadurch zu erreichen, dass sie möglichst rasch in Kleidung,
Lebensweise und sonstigen Aeusserlichkeiten sich im lächerlichen
Copieren der Landessitte übten, worin namentlich ein amerikani-
scher Rechtsconsulent der Regierung Grosses leistete. Andere wieder
hofften gerade dadurch zu imponieren, dass sie ihrer natürlichen
Rohheit freien Lauf liessen und sich möglichst wenig biegsam und
rücksichtsvoll zeigten. Noch Andere schlugen den goldenen Mittel-
weg ein oder suchten, klüger als alle Uebrigen, der nationalen
Eitelkeit möglichst zu schmeicheln und dann in Gemeinschaft mit
käuflichen Beamten, an denen die moderne Regierung keinen Mangel
haben soll, der goldenen Gans die Federn auszurupfen. Dass in
dieser Richtung namentlich mehrere amerikanische Fortschrittsapostel
mit vielem Erfolg ihr Glück versuchten, darf uns bei der grossen
Schule »of smartness«, welche Viele jenseits des Oceans durchmachen,
nicht Wunder nehmen.
Die Civilisation eines Volkes ist keine Treibhauspflanze, sondern
einem im Freien sich entwickelnden Baume vergleichbar, der aus
schwachem Keime auf günstigem Boden und bei genügender Pflege
kräftig emporwächst, tief wurzelt, manchem Sturme trotzt, kühlenden
Schatten gewährt und reichlich Früchte bringt. Die wahre Civilisa-
tion besteht nicht blos in angenehmen äusseren Umgangsformen, wie
sie sich im geselligen Verkehre darstellen, sondern sie ist der Aus-
druck des ganzen Culturzustandes eines Volkes, als dessen höchste
Producte die Bildung im allgemeinen, das in guten Gesetzen sich
aussprechende Rechtsbewusstsein, die Entwickelung der Künste und
eine von edlem Geiste getragene Literatur anzusehen sind. Eine
[439]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
solche Civilisation hat stets eine religiöse Grundlage, darum reden
wir von einer christlichen, heidnischen etc. Civilisation. Sie ist ferner
keine feststehende unveränderliche Grösse, sondern befindet sich je
nach ihrer Grundlage auf sehr verschiedener Stufe der Entwickelung.
Die alte japanische Civilisation z. B., welche sich auf dem Boden
der chinesischen Philosophie und des Buddhismus entwickelte, brachte
das Volk in den Umgangsformen, Künsten und einigen anderen Dingen
sehr weit, nicht so in der sittlichen und Gesetz-Entwickelung. Wo
die religiöse Grundlage schwindet, schwinden auch die idealen, sitt-
lichen Ziele, und die Civilisation wird zum Zerr- und Trugbilde.
Das Epicuräerthum z. B., das zu erwerben sucht, nur um zu ge-
niessen, dem nicht das Rechtsgefühl, sondern nackte Selbstsucht das
leitende Motiv ist, das göttliches und menschliches Gesetz in gleicher
Weise missachtet, gehört nicht zur wahren Civilisation, wie civilisiert
auch die Formen sein mögen, in denen es einherschreitet. Der
Buddhismus wirkte desshalb so bildend auf seine Bekenner, weil er
ihnen ein hohes Ziel vorhielt, das sie nur durch fortgesetzte sittliche
Arbeit erreichen konnten.
Unsere europäische Civilisation ist das Product einer vielhundert-
jährigen Entwickelung durch Arbeit und Kämpfe ohne Ende auf dem
gesunden, sittlichen Boden des Christenthums. In Japan aber wollte
man diese Errungenschaften des christlichen Abendlandes ohne weiteres
und ohne die Grundlage zu verstehen und anzunehmen, sich zu eigen
machen. Jung-Japan war der Ansicht, es gäbe keinen besseren Weg,
das Ziel zu erreichen, als wenn es gewissermassen aus der Vogel-
perspective sich Europa und Amerika beschauen und dann den Rahm
abschöpfen würde, wo es ihn finde. Leider gab es genug Rathgeber,
die, um ihre Taschen zu füllen, diese Illusion unterstützten.
Der erste Anstoss zu den neuen japanischen Culturbestrebungen
ging aus der inneren Nothwendigkeit hervor, aus dem Gefühle der
Inferiorität in der Bewaffnung und den Verkehrsmitteln. Kanonen
und Hinterlader, Dampfschiffe und Leuchtthürme, Eisenbahnen und
Telegraphen waren die begehrenswerthen Dinge, wegen deren man
mit Europäern zunächst in nähere Beziehungen trat. Die Armee
wurde reorganisiert, eine Flotte gegründet und unter Leitung des eng-
lischen Ingenieurs Brunton die Küste mit einer Reihe von Leucht-
thürmen versehen, besser wie manches europäische Gestade. Eine
einheimische Dampfschifffahrtsgesellschaft (die Mitsubishi) organisierte,
unterstützt von der Regierung, den Küstenverkehr und nahm ihn, wie
die Postverbindung mit Shanghai, den Fremden ab. Das Telegraphen-
netz, welches gleich den Eisenbahnen Engländer anlegten, verbindet
[440]I. Geschichte des japanischen Volkes.
Tôkio mit allen grösseren Städten des Landes. Von Nagasaki, be-
ziehungsweise Shimonoseki, führen submarine Verbindungen nach
Shanghai und Wladiwostok, so dass die Hauptstadt Japans mit allen
grösseren Orten der civilisierten Welt telegraphisch verkehren kann.
Nicht minder gut geregelt ist der Postdienst. Zu der Eisenbahn von
Tôkio nach Yokohama kam zwei Jahre später eine zweite von Hiogo
nach Ôsaka, welche jetzt weiter bis Kiôto und Ôtsu am Biwasee
führt und in nicht langer Zeit der Ostseite dieses Sees entlang nach
Tsuruga gehen wird.
Der Entwickelung eines guten Strassennetzes und der Einführung
von Post- und Lastwagen für den Binnenverkehr hat man dagegen
bislang nicht die Aufmerksamkeit zugewendet, deren sie im Interesse
des Verkehres im Innern bedürfen. Die alten japanischen dô oder
Landstrassen, welche wie der Tôkaidô, Nakasendô und andere zum
Theil schon über tausend Jahre bestehen, waren und sind keine
Kunststrassen, wie bei uns. Macadamisierte Strecken kommen auf
denselben gar nicht, gepflasterte nur ausnahmsweise vor, wo die
Steilheit wichtiger Gebirgspässe es nöthig machte. Militärische Rück-
sichten waren bei ihrer Anlage allein massgebend, und da man Last-
wagen nicht kannte, der Mensch zu Fuss ging, ritt oder sich in einer
Sänfte (Norimono, Kago) tragen liess, Gepäck und Waaren bis in die
neueste Zeit fast ausschliesslich durch Träger oder Lastthiere (Pferde
und Ochsen) befördert wurden, waren auch die Anforderungen an
einen soliden Untergrund und grössere Breite nicht vorhanden. Noch
jetzt gibt es ausser den zahlreichen Jinrikishas *), einigen Postkutschen,
welche von Tôkio aus die besseren Strecken des Tôkaidô, Nakasendô,
Ôshiukaidô befahren, und schwerfälligen Karren in den grösseren
Städten kaum ein anderes Fuhrwerk auf den Landstrassen. Dieselbe
Strasse hat eine wechselnde Breite, ist auf einer Strecke eingeengt
zum blossen Pfade, auf einer anderen bis 10 und mehr Meter breit:
hier führt sie über soliden felsigen oder kiesigen Untergrund hin,
dort über Alluvialboden zwischen Reisfeldern, die zur Regenzeit leicht
einen Theil ihres Wasserüberflusses an sie abtreten. Der Uebergang
über die Flüsse wird durch Stege, Brücken und Fähren vermittelt,
[441]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
ist aber zur Zeit heftiger, anhaltender Regen oft tagelang unterbrochen,
weil dann die zu starken Strömen angeschwollenen Gebirgsbäche nur
allzu häufig die leichten Holzbrücken und Stege mit sich fortreissen
und kein Schiffer sein Boot in den Fluthen lenken kann.
Den Seiten der japanischen Landstrassen entlang hat man viel-
fach immergrüne Nadelhölzer angepflanzt, vor allem den beliebtesten
Baum des Landes, die Kiefer (matsu). Ihre Stämme haben oft 5—6
Meter Umfang und 25—30 Meter Höhe. Seltener trifft man die Cy-
presse (Chamaecyparis), sowie die noch viel stattlicheren Cryptome-
rien (Sugi) als Alleebäume an (siehe Abbildung: Imaichi).
Auf dem Gebiete des Unterrichtes und der Gesundheitspflege
sind die grossen Fortschritte unverkennbar, wenn auch selbst bezüg-
lich der Leistungen der »Tôkio-University« (Kaisei-Gakko) und der
von Deutschen geleiteten blühenden medicinischen Schule man aus
mancherlei Gründen bescheidenere Anforderungen stellen muss, als an
unsere höchsten Bildungsanstalten.
Erinnern wir uns ferner bei Aufzählung der grossen socialen
Veränderungen während der Regierung Meiji nochmals, dass das
Harakiri als Strafe und das Schwertertragen als Auszeichnung des
Samurai beseitigt und der letztere gleich dem Heimin der allgemeinen
Wehrpflicht unterworfen ist und aufgehört hat, der privilegierte Soldat
zu sein. Mehr und mehr erkennt er die Nothwendigkeit und das
Ehrenvolle der Arbeit an, ob sie geistiger oder körperlicher Natur
sei, und schämt sich weder des Handels, noch des Gewerbes. Das
Schwinden seines hoffärtigen Wesens hält gleichen Schritt mit dem
wachsenden Selbstbewusstsein des Volkes. Der alte Bann ist gelöst,
überall herrscht freiere Bewegung. Japan ist in den Weltverkehr
eingetreten, unterhält in Europa und Amerika Gesandtschaften und
Consulate und betheiligt sich mit Auszeichnung an den internationalen
Ausstellungen. Es interessiert sich für die Vorgänge in der grossen
Welt. Auf seinen Landstrassen reist der Fremde sicherer wie in
manchem europäischen Lande und ohne von Bettlern belästigt zu
werden; seine Briefe vermittelt die wohlorganisierte Post eben so
sicher wie in der Heimath. Dies Alles sind fürwahr grosse Fort-
schritte während einer verhältnissmässig so kurzen Zeit! Aber wenn
der moderne Verkehr dem Lande auch nur die Petroleumlampe und
den Impfzwang *) gebracht hätte, so wären dies allein schon Wohl-
[442]I. Geschichte des japanischen Volkes.
thaten, deren Werth die Summen für viele unnützen Experimente
mehr als aufwiegt.
Wir wollen den hier erwähnten Vortheilen des modernen Ver-
kehres der Japaner gegenüber nicht lange versuchen, dessen Schatten-
seiten ebenfalls hervorzuheben, und nur noch der Finanzverwaltung,
Rechtspflege und der damit zusammenhängenden Fragen eine kurze
Betrachtung widmen. Zu den wachsenden Sorgen der neuen japa-
nischen Staatsmänner gehören ohne Zweifel die schlechten Finanzver-
hältnisse und die Frage der Jurisdiction über die Fremden.
Da der Import den Export während der letzten 15 Jahre an
Werth stets weit überstieg und die Differenz in Form von Edelmetall
ins Ausland ging, ist der Baarvorrath an Geld mehr und mehr ge-
schwunden und Kinsatsu (Papiergeld) an seine Stelle getreten. Dieses
wurde in den letzten Jahren in erschreckender Weise vermehrt und
zwar nicht blos von der Regierung, um z. B. die enormen Kosten
des Aufstandes von 1877 zu decken, sondern auch von mehr als
6 Dutzend sogenannter nationaler Banken, die wie Pilze aus der
Erde schossen. Die grossen hierdurch begangenen Fehler vermehrte
die Regierung noch dadurch, dass sie Adel und Samurai gestattete,
die Schuldscheine, welche dieselben zur Ablösung ihrer Jahresrenten
erhalten hatten, wie Waare zu übertragen. Grosse Beträge kamen
hierdurch zu erheblichem Disconto auf den Markt und wurden gegen
Papiergeld umgesetzt. Noch vor sechs Jahren stand dieses Kinsatsu
al pari und wurde von den Eingeborenen der Silber- und Gold-
währung sogar vorgezogen; jetzt zahlt man 40—45 % agio. So ist
das Papiergeld zur Plage des Landes geworden, indem es den Handel
beeinträchtigt, den Credit schädigt und den Staat an den Rand des
Bankerotts bringt, wenn nicht bald Mittel ergriffen werden, das Uebel
zu beschwören. Verminderung der Ausgaben, Erhöhung des Credits
hierdurch, sowie durch eine andere und weniger feuergefährliche
Bauart der Häuser, Einführung einer rationellen Viehzucht und Forst-
wirthschaft wären solche Gegenmittel, vor allem und zunächst aber
eine geeignete Controle der Finanzen und des Papiergeldes durch
das Volk.
Seit Jahren haben die Kaufleute in den japanischen Vertrags-
häfen, sowie die Vertreter ihrer Regierungen den japanischen Ministern
den Wunsch nach Eröffnung weiterer Häfen (z. B. von Tsugaru am
*)
[443]7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
Japanischen Meer) oder des ganzen Landes nahe gelegt, weil sie —
wohl aus einer Verkennung der Leistungsfähigkeit des Landes —
damit ein neues Emporblühen des schon lang darniederliegenden
Handels erwarten. Die Japaner weigern sich, solche weiteren Zuge-
ständnisse zu machen, wenn nicht die Jurisdiction über die Fremden
in ihre Hände gelegt wird. Nicht nur fürchten sie, und zwar mit
Recht, dass jede weitere Concession in dieser Richtung dem Lande
nur neue Kosten und manche Verwickelung bereiten würde, sondern
es sträubt sich noch mehr ihr Stolz und Unabhängigkeitsgefühl, dass
sie in diesem Punkte nicht den Vertragsmächten gleichberechtigt
dastehen. Dennoch tragen diese gewichtige Bedenken, jene Clausel
aus den Verträgen zu streichen; ihre Vertreter kennen die japanische
Rechtspflege und haben noch kein Vertrauen in dieselbe. Sie wissen,
dass es dem Lande an juristisch gebildeten Richtern fehlt, seine
Rechtsanschauungen von den unserigen noch vielfach abweichen, das
Gefängnisswesen noch im Argen liegt und der japanische Strafge-
fangene noch oft einer so grausamen Behandlung ausgesetzt ist, wie
man sie bei uns selbst dem Verbrecher nicht angedeihen lässt.
[[444]]
II.
Ethnographie.
1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit
und geistige Anlagen.
Die Eingeborenen Japans zerfallen in zwei Stämme mongolischer
Rasse: die eigentlichen Japaner und die Ainos. Letztere be-
wohnen das Gebiet nordwärts der Tsugarustrasse, also die Insel
Yezo und die Kurilen, ausserdem aber den südlichen Theil von
Sachalin bis zum 50. Breitegrad. Doenitz und Hilgendorf haben
über die Körperbeschaffenheit derselben eingehende Untersuchungen
angestellt und ihre Resultate in den »Mittheilungen der Deutschen
Gesellschaft Ostasiens« veröffentlicht. Als unzweifelhafte Thatsache
ergab sich, »dass die Ainos Mongolen sind, die sich von den Japanern
vielleicht weniger unterscheiden als die Germanen von den Romanen«.
Wenn die geradliegenden Augen und die derberen Gesichtszüge, vor
allem aber der starke Bartwuchs der Männer ihnen eine gewisse
Aehnlichkeit mit Europäern verleiht, so ist diese nur scheinbar und
schwindet bei näherer Betrachtung.
Von Wuchs sind die Ainos *) klein, wie die Japaner, aber kräf-
tiger und breitschulteriger. Die Hautfarbe, obgleich durch die Sonne
und den Mangel an Reinlichkeit wesentlich beeinflusst, ist dunkler
als beim Japaner im Durchschnitt, hat eine bräunliche Schattierung
und spielt in das Colorit des Berber oder vielleicht noch mehr in
das des Indianers Nordamerikas über. Scharf tritt der mongolische
Typus in der Gesichtsbildung und am Haar hervor. Wir erkennen
[][]
[445]II. Ethnographie. 1. Ainos und Japaner, Ursprung etc.
ihn leicht an dem flachen, etwas eckigen Gesichte mit den vorsprin-
genden Jochbeinen und etwas wulstigen Lippen, an der platten Nase
mit ihrer breiten, niedrigen Wurzel, den weiten Flügeln und der
flach abgerundeten Spitze, und wenn die Augen auch nicht schief
liegen, so sind sie nichtsdestoweniger Schlitzaugen und namentlich
durch die Falte am oberen Augenlide wohl charakterisiert. Die
scheinbar hohe Stirn ist flach und liegt schräg zurück.
Gegenüber den anderen mongolischen Völkern, insbesondere Ja-
panern und Chinesen, fallen die Ainos vor allem durch ihren starken
Haarwuchs auf. Der wallende Vollbart, sowie das üppige Haupthaar,
deren Wuchs bei den Männern weder durch Rasiermesser noch durch
Scheere gehemmt wird, verleiht dem Aussehen derselben männliche
Würde, welcher indess das sonstige Verhalten keineswegs entspricht.
Der auffallend starke Haarwuchs wurde zwar vielfach übertrieben
dargestellt, doch ist er bei älteren Männern auch auf Brust und
Rücken entschieden kräftiger als selbst bei Europäern. Aber nicht
blos durch die grössere Dicke und elliptische Gestalt des Querschnittes,
sondern auch durch seine schwarze Farbe und grosse Straffheit zeigt
sich das Ainohaar in Uebereinstimmung mit dem der übrigen Mon-
golen und hat selbst im Bart, in den Achselhöhlen und an anderen
Körpertheilen eben so wenig Neigung, sich zu kräuseln, wie bei den
Nachbarvölkern. Bei den Ainos bilden die Frauen keineswegs das
»schöne Geschlecht«. Ihr Aussehen macht einen weniger angenehmen
Eindruck als das der Männer, namentlich auch desshalb, weil sie
das plumpe Gesicht mit dem kurzgehaltenen, struppigen Kopfhaar
noch durch eine blaue Tätowirung auf der Oberlippe, die in den Ab-
bildungen wie ein Schnurrbart erscheint, verunstalten (siehe die bei-
stehende Skizze einer Ainosfamilie, bei der der Mann lebhaft an einen
russischen Bauer erinnert).
Den mit Recht viel gepriesenen Reinlichkeitssinn des Japaners
suchen wir bei den Ainos vergebens, ja es wird sogar behauptet,
dass das Waschen und Baden des Körpers bei vielen derselben nie
vorkomme. Wie gross muss da erst die Vernachlässigung des Körpers
bei den im Norden von ihnen, das östliche Sibirien bewohnenden
Polarvölkern, ihren Stammverwandten, sein, wenn Rittich von den
Ainos sagt, dass sie sich des Vorzugs grösserer Reinlichkeit erfreuten!
Im Verkehr erscheinen die Ainos kindlich freundlich und gut-
müthig, zugleich furchtsam und unterwürfig, so dass es den vordrin-
genden Japanern leicht wurde, mit ihnen fertig zu werden.
An den alten patriarchalischen Gewohnheiten und Sitten halten
sie fest und trennen sich trotz glänzender Verlockungen höchst ungern
[446]II. Ethnographie.
von ihren einfachen Geräthen, die vorzugsweise dem Fischfang und
der Jagd dienen, denn um Feld- und Gemüsebau, auch da, wo Boden
und Klima dafür noch günstig sind, hat sich dies Naturvölkchen bis
jetzt noch wenig gekümmert. Das Beispiel der neben ihnen sich an-
siedelnden Japaner hat sie hier und da nur zum Anbau von etwas
Hirse und Bohnen vermocht.
Ihre einfache Kleidung besteht im wesentlichen aus einem groben
Kittel mit weiten Aermeln, der vorn offen ist und durch eine Schnur
um die Lenden zusammengehalten wird. Sie verzieren die Ränder
häufig mit Streifen eines blauen Baumwollzeuges, das sie von den
Japanern kaufen und auf dem sie auch Stickereien anbringen. Das
dazu dienende braungelbe Gewebe bereiten die Ainos aus dem Bast
einer glattrindigen Ulme (Ulmus montana?), welche von ihnen Ohiyo
genannt wird.
Die geringen Bedürfnisse des Aino erkennen wir auch an seiner
Wohnung. Es ist eine niedrige Hütte, getragen von Pfosten, welche
um den geebneten freien Platz in den Boden eingerammt, mit einem
Stangengerüst als Dach überdeckt und gleich diesem ringsum mit
Röhricht bekleidet werden. Zwei verschliessbare Oeffnungen, die eine
für eine kleine Thür, die andere zum Eintritt des Lichtes, vollenden
das Aeussere. Der Boden im Innern besteht aus geebneter und ein-
gestampfter Erde. Ringsum laufen an der Wand hin erhöhte, mit
groben Matten bedeckte Bänke, welche als Schlafstätte dienen. Hitze,
Rauch und Ungeziefer, sowie üble Gerüche machen im Sommer dem
Fremden den Aufenthalt in solchen Wohnräumen unerträglich, wäh-
rend dieselben gegen die kalten Winde des Winters kaum genügend
schützen dürften. Sprache, Religionsanschauungen und Sitten der Ainos
sind, die auffallendsten Erscheinungen ausgenommen, bis jetzt eben
so wenig wie die ihrer nördlichen Verwandten, der Gilänen im nörd-
lichen Sachalin, eingehend genug erforscht, um ein klares Gesammtbild
zu gewähren. Während von der einen Seite jede höhere Religions-
äusserung derselben bestritten wird, scheinen nach anderen Beob-
achtern Sonne und Mond, sowie der Bär als Kamui göttliche Ver-
ehrung zu geniessen. Der Bär spielt überhaupt im Leben der Ainos
eine hervorragende Rolle. Wenn im Frühling ein junger Petz durch
Hunde aufgespürt wird, bringt man ihn ins Dörfchen und lässt ihn
hier von einer stillenden Ainofrau wie ein Kind mit Milch aufziehen.
Ist der Zögling etwas grösser geworden, so erhält er Fische zur
Nahrung und wächst so bis zum Herbst ansehnlich heran. Nun aber
veranstaltet man ein Fest, bei welchem er auf eigenthümliche Weise
und unter vielen Ceremonien getödtet und aufgezehrt wird. Besonders
[447]1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
auffallend und schwer verständlich bei diesem ganzen Verfahren er-
scheint uns nur die Thatsache, dass, während man den jungen Bären
mit Sorgfalt aufzieht, seine Anwesenheit im Ainohause keineswegs
lediglich der Erzielung eines guten Bratens gilt, er vielmehr als Fe-
tisch oder gar als eine Art höheres Wesen angesehen und verehrt
wird. Eine eigenthümliche Sitte ist ferner das Aufstecken der Schädel
solcher Bären, welche auf der Jagd getödtet wurden, auf Pfählen
todter Zäune oder auf Stangen in der Nähe der Wohnungen.
Die Zahl der Ainos auf Yezo selbst wird sehr verschieden ange-
geben, zu 17000 bis 80000, doch kommen 17000 der Wahrheit wohl
am nächsten. Man findet sie in kleinen Dörfchen längs der Küste
und grösseren Flüsse, nicht im gebirgigen Innern.
Die Gilänen im nördlichen Sachalin und die Kamtschadalen in
Kamtschatka nördlich der Kurilen sind nahe Verwandte der Ainos.
Alle diese Völkchen, sowie eine Anzahl anderer wenig zahlreicher
Stämme des nordöstlichen Asiens trennt Rittich von den Mongolen
und fasst sie als Hyperboräer oder Arktiker zusammen, indem er her-
vorhebt, dass sie ihrem Ursprung nach noch völlig unbekannt seien *).
Die heutigen Japaner (Nippon jin) sind ein Mischvolk, hervor-
gegangen aus fremden Einwanderern, die grösstentheils lange vor
Christo den südlichen Theil des Reiches einnahmen und dann von
hier gen Norden erobernd vordrangen, und einer schon vorhandenen
autochthonen Bevölkerung. Die japanische Geschichte erwähnt diese
Ureinwohner nur im Norden der Insel Hondo, nennt sie Emishi und
Ezo (Yezo), hebt hervor, dass sie sich tätowierten und ihr Kopf- und
Barthaar nicht pflegten, gibt aber sonst wenig Aufschluss über
dieselben. Man nimmt jedoch an, dass sie auch der mongolischen
Rasse angehörten und, wenn nicht gleichen Stammes mit den Ainos,
so doch nahe Verwandte derselben waren, deren Hauptnahrquellen
ebenfalls im Fischfang und in der Jagd bestanden.
Ob die bekannten Waffen aus der Steinzeit, welche man in Japan
vielfach gefunden hat, von den Emishi herrühren, oder von einem
noch älteren Volke, auf welches dieselben selbst erst als Einwanderer
folgten, hat man nicht zu ermitteln vermocht. Dagegen stammen
jene kupfernen Glocken, die von Zeit zu Zeit in grösserer Zahl, doch
nie weiter nordwärts als das Hakonegebirge, beim Bebauen des Feldes
gefunden wurden, davon einige schon vor mehr als 1200 Jahren, wohl
ohne Zweifel aus der älteren Zeit des jetzigen Volkes, da man nicht
[448]II. Ethnographie.
annehmen kann, dass seine Vorgänger bereits das Kupfer und seine
Bearbeitung kannten.
Da die Japaner im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung über-
haupt erst eine Schriftsprache, die chinesische, kennen lernten und
ihre davon abgeleitete Silbensprache, das Katakana, noch viel späteren
Ursprungs ist, ihr ältestes Geschichtswerk aber, das Kojiki, aus dem
Jahre 711 stammt, gewährt uns die japanische Literatur für ethno-
graphische Fragen keine Anhaltspunkte. Alte Bauwerke, welche
sonst dem Forscher auf diesem Gebiete ein so geschätztes Material
liefern, fehlen ebenfalls, da das älteste Denkmal, das man kennt,
der Denkstein von Taga-jô-no-hi ist, welcher ostwärts von Sendai
im Jahre 761 errichtet wurde, die Reste unförmiger, steinerner Ge-
bäude aber, welche bei Hakata in Chikuzen vorkommen, zwar gewiss
einer sehr alten Zeit entstammen, aber nichts bieten, was zu einer
genaueren Bestimmung derselben und ihrer Erbauer führen könnte.
Die Lösung der Frage nach dem Ursprung eines Volkes, das in
vorgeschichtlicher Zeit in einem fremden Gebiete erschienen ist, bietet,
wie überall, so auch hier besondere Schwierigkeiten. Sie kann nicht
nach dem Körperbau allein erfolgen, denn dieser verändert sich all-
mählich, wie bekannt ist, mit Klima und Lebensweise, aber noch
vielmehr durch Vermischung mit anderen Volksstämmen. Ferner bietet
die Sprache nicht immer sichere Anhaltspunkte, denn Europa und
seine Geschichte zeigen uns genug Beispiele von Siegern und Be-
siegten, die ihre eigene Sprache nach dem Contact aufgaben und
diejenige des Volkes annahmen, mit dem sie sich vermischten. Auch
Sitten und Lebensweise, die Beschaffenheit der Haus- und Ackerge-
räthe und Anderes mehr, so schätzenswerthe ethnographische Merk-
male und Winke dieselben auch bieten mögen, reichen allein nicht
aus. Erst wenn verschiedene dieser Spuren nach demselben Ursprung
hinweisen, sind wir berechtigt, letzteren als gemeinsamen Ausgangs-
punkt anzunehmen.
Die japanische Sage leitet, wie dies bereits im ersten Kapitel
dieses Buches hervorgehoben wurde, nicht blos die Entstehung von
Oyashima, sondern auch der Herrscherfamilie, ja des ganzen japa-
nischen Volkes von dem Götterpaare Isanagi und Isanami ab. Von
seinen fünf auf Awaji geborenen Kindern bevorzugte Isanagi die bei-
den ältesten Töchter am meisten. Sie waren aus seinen Augen durch
Waschen im Meere erzeugt worden, die erstgeborene aus dem linken,
die jüngere aus dem rechten Auge. Als Sonnen- und als Mondgöttin
erhob er sie an den Himmel und machte sie zu Beherrscherinnen von
Tag und Nacht. Amaterasu-o-mi-kami (chinesisch Tenshô Daijin),
[][]
[449]1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
d. h. die vom Himmel scheinende Gottheit, thronte über der Erde,
die ihr unterstellt wurde, und Tsuki-no-kami, die Mondgöttin, vertrat
ihre Stelle während der Nacht.
Als Enkel der Sonnengöttin wird Ninigi-no-mikoto genannt.
Derselbe erhielt von ihr den Auftrag, vom Himmel herabzusteigen
und die Erde zu regieren. Mit seinem Himmelsschwerte, Ama-no-
sakahoko genannt, sondierte er den Boden unter sich, liess sich als-
dann auf dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von
Hiuga und Ôsumi nieder und gründete in Kiushiu ein Reich. Sein
Grossenkel war Jimmu-Tennô (siehe pag. 244).
Der mythischen Ausschmückung entkleidet, erscheint uns dieser
Stammvater des japanischen Herrscherhauses wie ein normannischer
Viking, der mit seinem Gefolge auf Abenteuer und Eroberung aus-
fährt. Die Feinde, welche er traf und besiegte, dürften kein fremdes,
sondern ein stamm- und sprachverwandtes Volk gewesen sein, Nach-
kommen von alten Einwanderern, welche Jahrhunderte zuvor gleich
seinen eigenen Vorfahren wahrscheinlich von Asien herübergekommen
waren. Zur Begründung dieser Ansicht mag unter anderem hervor-
gehoben werden, dass in der Geschichte des 12. Mikado (pag. 248)
ein hoher Würdenträger erwähnt wird, den sein Herrscher auf eine
Inspectionsreise nach den nordöstlichen Provinzen aussandte. Als der-
selbe zurückkehrte, erzählte er dem Mikado von einem seltsamen
Volke, das ganz im Norden wohne, dem Haarwuchs keine Schranke
setze, noch Pflege zu Theil werden lasse, und die befremdende Sitte
des Tättowierens übe. Dieses Volk nannte er Emishi oder Yezo
(sprich Esso).
Ohne Zweifel darf hieraus geschlossen werden, dass diese neue
und auffallende Erscheinung im Gegensatz zur Civilisation des er-
oberten Landes stand, dass sie nur auffallen konnte, wenn hier das
ganze Volk, die Abkömmlinge der aus Kiushiu gekommenen Eroberer
sowohl als die Unterworfenen, von vornherein eine grössere Gemein-
schaft der Sprache, Sitte und Abstammung besass. Es geht dies
ferner auch aus den Namen der von Jimmu-Tennô und seinen Nach-
folgern besiegten Feinde hervor, welche in den alten Geschichtsquellen
erwähnt und in gleicher Weise wie die Namen der Eroberer gebildet
sind. Waren, wie man weiter annehmen darf, die südlichen Theile
des japanischen Reiches bei der Einwanderung von Jimmu-Tennô’s
Vorfahren nicht menschenleer, sondern wahrscheinlich ebenfalls von
Emishi oder Verwandten derselben, wenn auch nur dünn bevölkert, so
hatte doch seitdem eine totale Vermischung stattgefunden, ebenso, wie
sich dieselbe später mit den Eingeborenen des nördlichen Hondo vollzog.
Rein, Japan I. 29
[450]II. Ethnographie.
Alte japanische Traditionen weisen nicht blos auf eine frühe Be-
siedelung der Insel Kiushiu hin, sondern auch des westlichen Chiu-
goku, insbesondere der Provinzen Idzumo, Hôki und Iwami, sowie
der Insel Ôki. Woher kamen die Einwanderer? — und welche Mittel
gibt es, ihre Herkunft abzuleiten? — Solche und ähnliche Fragen sind
nicht neu; Fremde und intelligente Japaner haben dieselben in der
Neuzeit oft aufgeworfen, ohne darauf eine völlig befriedigende Ant-
wort zu erhalten. Ohne Zweifel weicht das japanische Volk in
Körperbau, Sprache und Sitten von allen Nachbarvölkern so be-
deutend ab, dass nur eine mittelbare Verwandtschaft mit den-
selben möglich, keine directe Ableitung von einem derselben zulässig
erscheint.
Es ist auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass die ersten
Japaner, welche einst im südlichen Kiushiu landeten, verschlagene
Seeleute gewesen seien, und zwar Malayen, die in die Gewalt des
Kuro-shiwo geriethen und von ihm an die Gestade der japanischen
Inseln getragen wurden. Doenitz, der diese Auffassung theilt, hat
weiter im Gesichtsausdruck der Japaner, in der Bauart ihrer Häuser,
welche ihn an die Pfahlbauten der Malayen erinnern, und in der
Anlage der Abtritte Beweise für den malayischen Ursprung zu finden
geglaubt.
Man wird die Möglichkeit einer Verschlagung von Malayen durch
den Kuro-shiwo immerhin zugeben müssen, wenn auch die Geschichte
kein Beispiel einer solchen aufweist. Das Verbindungsglied zwischen
Kiushiu und dem Malayischen Archipel bilden die Riukiu-Inseln,
welche in erster Linie vom Japanischen Strom bespült werden. Hier-
her also konnten und mussten Malayen doch eher und leichter ge-
langen als nach dem eigentlichen Japan. Nun zeigt sich aber bei
den Riukiu-Insulanern in Nichts eine grössere Annäherung an die
Malayen, vielmehr stimmen sie in allen wesentlichen Dingen, in
Körperbau, Kleidung, Lebensart, Sprache, Sitte, mit den Japanern
überein und zeigen daneben in einigen Stücken sogar eine bemerkens-
werthe Hinneigung zu den Koreanern, so in der ganzen Gestalt und
in der Tracht des Haares. (Man vergleiche beistehende Skizzen eines
Riukiu-Insulaners und eines Koreaners mit der Ainogruppe pag. 445.)
Was die Bauart der Wohnungen anlangt, so ist hervorzuheben,
dass dieselbe hauptsächlich ein Product des Bedürfnisses und der vor-
handenen Mittel ist, daher thatsächlich ganz fremde, räumlich und
zeitlich sich fernstehende Völker auf die gleiche Hauseinrichtung ge-
kommen sind. Im ganzen Monsungebiete baut man mit Bambusrohr,
Palmen oder leichtem Holzwerk und muss bei den reichen Nieder-
[451]1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
schlägen das Haus über der Erde durch Pfosten oder einzelne Steine
an den Ecken tragen lassen, damit die Luft durchzieht und der Boden
vor Fäulniss und Moder geschützt wird. Das Pfahlgerüst schwindet
erst, wenn mit fortschreitender Civilisation und entsprechend grösserem
Wohlstande eine solide Mauer an die Stelle tritt. Japan zeigt uns
diese Uebergänge zur Genüge.
Die japanische Sprache hat mit dem Malayischen und Polynesi-
schen keinerlei Verwandtschaft, weder im Bau, noch im Wortschatze.
Sie ist vielsilbig und stellt das Verb an das Ende des Satzes, etwa
wie es unter den lateinischen Schriftstellern Caesar besonders oft
thut, während bei der malayischen Sprachgruppe, wie im Chinesischen,
29*
[452]II. Ethnographie.
das Zeitwort dem von ihm regierten Object vorausgehen muss. In
der japanischen Sprache folgt nicht, wie bei den Malayen und Süd-
see-Insulanern, das Adjectiv seinem Substantiv, noch der Genitiv dem
Nominativ, sondern geht ihm voran. So liessen sich noch manche
durchgreifende Sprachunterschiede hervorheben, welche beweisen,
dass auch sprachlich keinerlei malayischer Einfluss und damit keinerlei
Einwanderung, wie die angenommene, zu erkennen ist.
Der japanische Volkscharakter ist dem der Polynesier verwandter
als dem malayischen. Dem lasciven Tanze Hula-hula der Sandwichs-
Insulaner steht z. B. das Ôdori, welches Fremden oft zu Nagasaki,
dem früheren Naukratis Japans, vorgeführt wurde, in seiner obscönen
Form wohl wenig nach. Das Lome-lome oder Schampuieren der
Kanaken wird gerade so ausgeführt, wie das Amma der Japaner,
nur dass dort Mädchen, hier Blinde das Gliederrecken und Kneten
des Körpers besorgen. Die Kanaken kamen von den im Süden der
Sandwichs-Inseln unter dem Aequator gelegenen Inseln, und so ist
eine Einwanderung verwandter Stämme in das südliche Japan eben-
falls denkbar. Die Ethnographie hat sich jedoch an Facta zu halten,
und diese weisen uns nach einer ganz anderen Richtung.
Nach den chinesischen Annalen kamen ungefähr 1200 v. Chr.
tatarische Stämme nach Korea und siedelten sich zum Theil hier,
zum Theil auf den östlichen Inseln an. Wenn nun der Gesichts-
typus und Haarwuchs der Japaner mongolisch, nicht malayisch ist,
wenn die Sprache über Korea zum tatarisch-mongolischen Stamme in
Centralasien weist, und wenn endlich die Lage des Landes und die
alten Traditionen sich mit jenem Berichte der Chinesen sehr wohl in
Einklang bringen lassen, so erscheint uns die Wahrscheinlichkeit
gross, dass die eingewanderten Japaner in der That ein Glied jener
grossen altaischen Völkerfamilie waren, welche einst nach allen
Richtungen von ihrem Stammsitze aus sich zerstreute und sich über
Asien vom Stillen Ocean bis zum Pontus und Mittelmeer verbreitete.
Ueber Korea, Tsushima, Iki und Ôki gelangte jenes losgerissene
Glied, die Vorfahren des japanischen Volkes, zum südlichen Japan
und nahm es allmählich von den Riukiu-Inseln bis vielleicht zur
Breite vom Hakone-Gebirge oder noch weiter nordwärts in Besitz,
während verwandte Stämme, wie Koreaner und Mandschu, sich auf
dem benachbarten Festlande niederliessen.
Die muthmassliche Urbevölkerung des südlichen Japans wurde
nach unserer Annahme theils verdrängt, theils assimiliert, wie dies
thatsächlich später mit den Emishi im Norden der Insel Hondo ge-
schah. Lange nachdem sich dieser Vermischungsprocess im südlichen
[453]1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
Japan vollzogen hatte, trat Jimmu-Tennô auf. Der Gründung und
Erweiterung des Mikadoreiches durch ihn und seine Nachfolger reiht
sich dann zu Anfang des dritten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung
die theilweise Eroberung von Korea durch die Kaiserin Jingu-Kôngô
an. Eine theils freiwillige, theils gezwungene Einwanderung von
Koreanern — später auch von Chinesen, wiewohl in geringerem
Grade — folgt diesem Ereigniss und wiederholt sich im Laufe der
nächsten 8—10 Jahrhunderte von Zeit zu Zeit, während Emishi aus
dem Norden ebenfalls unter die mehr südlichen Provinzen vertheilt
werden. Diese verschiedenartigen fremden Elemente gingen allmäh-
lich im japanischen Volke auf und trugen wesentlich dazu bei, seinen
ursprünglichen Charakter mehr und mehr zu verwischen.
Indess treten uns noch jetzt in den verschiedensten Theilen
Japans zwei leicht erkennbare Typen entgegen, deren einer sich, ab-
gesehen vom Bartwuchse, dem der Ainos nähert und ein viel ausge-
sprocheneres Mongolengesicht zeigt, als der andere. Eine dunklere
Hautfarbe, welche an die malayische erinnert, gedrungenere, derbere
Gestalt mit starkem Knochen- und Gliederbau zeichnet ihn aus. Das
kurze flache Gesicht weist unter einer niedrigen Stirn fast gerad-
liegende grosse Augen, hervortretende Backenknochen und eine flache
Stumpfnase mit dicken weiten Flügeln auf. Der grosse Mund ist
meist etwas geöffnet, die Geberden sind linkisch. Dieser Typus ist
im Norden und Nordwesten mehr vertreten als im Süden und gehört
vornehmlich der an die Scholle gebundenen Landbevölkerung an,
obgleich seine Vertreter zum Theil bis in die höchsten Gesellschafts-
kreise hinaufragen. Hellere, gelblich weisse Hautfarbe, eine schlankere
Gestalt, mehr Ebenmaass in allen Körpertheilen und zarterer Glie-
derbau sind bemerkenswerthe Kennzeichen des zweiten Typus. Der
brachycephale Kopf zeigt ein prognathes ovales Gesicht und eine höhere
Stirn. Die grossen Augen erscheinen durch starke Lider verschleiert,
geschlitzt und zur Nase mehr oder weniger schief (geneigt) gestellt,
ausserdem von hohen Augenbrauen überragt. Die Backenknochen
treten nicht merklich hervor, noch auch der Mund, wohl aber die
feine, leicht gekrümmte Nase. Somit vertritt dieser Typus die edleren,
regelmässigen Züge, und da er vor allem in der höheren Gesellschafts-
klasse und im Süden mehr als im Norden vertreten ist, so liegt die
Annahme nahe, dass er mehr das eingewanderte Element, die Er-
oberer des Landes, repräsentiert. Das stereotype ovale Frauengesicht
japanischer Maler mit seinen übertrieben schrägliegenden Schlitzaugen,
der feinen Adlernase und den kleinen rothen Lippen, obwohl nur
eine Carricatur und nicht im entferntesten ein Maassstab der japani-
[454]II. Ethnographie.
schen Kunstfertigkeit, gehört diesem Typus an. In Wirklichkeit ist
das weibliche Geschlecht hier schöner, als das Ideal einheimischer
Künstler; eine blühende Gesichtsfarbe mit rothen Wangen und einem
feingeschnittenen, gerötheten Munde herrschen bei den Mädchen vor,
sie werden durch das wohlgepflegte rabenschwarze Haar noch ge-
hoben. Sie sind früh entwickelt und früh verblüht, auch selten,
wenn je, unserem Begriff von einer schönen Frauengestalt ganz ent-
sprechend.
Zwischen diesen beiden, hier kurz charakterisierten Grundge-
stalten, denen meist geringer und auf das Kinn beschränkter Bartwuchs
gemein ist, bemerken wir nun eine Menge Abstufungen und Ueber-
gänge, denen weitaus die Mehrheit der japanischen Bevölkerung an-
gehört. In der That zeigt sich in der japanischen Gesellschaft eine
überraschend grosse Verschiedenheit und Veränderlichkeit in den Ge-
sichtszügen und der Hautfarbe. Letztere, obgleich im allgemeinen
weit dunkler als bei den Kaukasiern, nähert sich in einzelnen Fällen
sogar der hellen Farbe des Germanen. Nicht selten sind Ebenmaass
und Regelmässigkeit des Gesichtes so gross und abweichend von der
herrschenden mongolischen Grundgestalt, dass man einen wohlgebil-
deten Europäer vor sich zu haben glaubt. Unter den Jünglingen der
Samuraiklasse finden sich solche, die in ihrem Aussehen überraschend
mädchenhaft erscheinen. Allein dies sind Ausnahmen, das japanische
Volk ist nichtsdestoweniger im ganzen keineswegs ein schöner Men-
schenschlag. Aber die Physiognomieen verrathen Intelligenz und sind
meist beweglich und ausdrucksvoll.
Im Vergleiche zu den Europäern ist die japanische Rasse klein,
der Mann im Mittel etwa 150 Centimeter hoch, also kleiner als ihre
westlichen Nachbarn, die Koreaner und Chinesen. Wie in China, so
bleibt auch in Japan die Durchschnittsgrösse der Frauen weit hinter
derjenigen der Männer zurück; doch sieht man hier weder Riesen
noch Zwerge, noch auch jene Fettleibigkeit, welche unter Chinesen
und manchen anderen Völkern so häufig ist. Nur die Ringkämpfer
(sumo-tôri) machen in letzterer Beziehung eine Ausnahme und zeichnen
sich durch grosse Körperfülle aus. Eine sehr merkliche Verdrehung
der Beine durch Einwärtskrümmung der Kniee beeinträchtigt sehr
häufig den günstigen Eindruck der übrigen Gestalt und zeigt sich
bei den Männern namentlich, wenn sie in eng anschliessendem [euro-
päischen] Anzug erscheinen. Sie wird wahrscheinlich hervorgerufen
durch die eigenthümliche Art, wie Kinder von Müttern, Wärterinnen
oder älteren Schwestern auf dem Rücken getragen werden. Man
bindet sie nämlich durch ein Tuch, das der Träger sich um Schultern
[]
[][455]1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
und Leib, dem Kinde um Rücken und Oberschenkel schlingt, fest
wider den Rücken, wobei die Kniee gegen einander, die Füsse aber
nach Aussen zu liegen kommen.
Kinder, welche der Vermischung von Weissen mit Japanern ent-
stammen, schlagen in der Regel den letzteren nach, ganz so, wie
auch anderwärts der mongolische Typus bei Mischlingen sich scharf
ausprägt, ja das Uebergewicht über die kaukasische Rasse davonträgt.
(Der gegenüberstehende Holzschnitt enthält 6 nach Photographieen
zusammengestellte und treu wiedergegebene Personen der höheren Ge-
sellschaftsklasse, von denen nur der zur Linken stehende Samurai
den ordinären, den Aino zuneigenden Gesichtsausdruck, doch nicht
in seiner Reinheit veranschaulicht. Besser sind die Repräsentanten
des edleren Typus, vor allem in den drei stehenden Figuren, nämlich
rechts die Tochter eines Kuge, als solche erkennbar an der Tracht
des über den Rücken hängenden Haares; in der Mitte ein Samurai
von 16—18 Jahren mit auffallend weiblichen Zügen; im Hintergrunde
ein Edelmann in alter Tracht. Eine sehr charakteristische Gestalt
ist der nach japanischer Art auf den Knieen ruhende alte Samurai,
ebenso der auf einem europäischen Stuhle sitzende, welcher wohl am
besten die intelligenten Gesichtszüge der Japaner in reiferen Jahren
zum Ausdruck bringt.)
Die meisten Fremden, welche bisher über Japan schrieben, lernten
nur die Aussenseite seines Volkslebens kennen. Selbst für solche,
die sich länger im Lande aufhielten, bildeten die bedeutenden Sprach-
schwierigkeiten, sowie die grossen Unterschiede der Rasse, Religions-
anschauung, Denk- und Lebensweise in der Regel mächtige Hinder-
nisse, tiefer in dasselbe einzudringen und seine inneren Impulse zu
verstehen. Aus gleichen Gründen ist es bis jetzt auch nur ausnahms-
weise zu einem intimeren freundschaftlichen Verkehr zwischen Frem-
den und Eingeborenen gekommen, einem Verkehr, der auf gegen-
seitiger Hochachtung und Zuneigung und nicht auf Leidenschaft oder
sonstigen materiellen Interessen beruht hätte.
Das japanische Volk zeigt viele löbliche Eigenschaften, welche
uns sympathisch berühren und bei anderen Orientalen wenig oder gar
nicht entgegentreten. Wie der Anblick der schönen Natur den An-
kömmling im Reiche Nippon erfreut, so wird er auch durch die Rein-
lichkeit seiner Bewohner, durch ihr freundliches, humanes Wesen,
dem Würde und Selbstbewusstsein nicht fehlen, durch ihre Intelligenz
und Empfänglichkeit für die Schönheiten der Natur und die Vortheile
der abendländischen Civilisation angenehm überrascht und für sie
eingenommen, etwa wie ein Gast, dem sein Wirth einen freundlichen
[456]II. Ethnographie.
Empfang bereitet. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen die
Urteile derjenigen Fremden, welche in Japan nur ein kurzes Gast-
recht beanspruchen, dem Volke überaus günstig sind. Die Japaner
sind gefällig, passen sich gern an und ahmen leicht nach; sie sind
neugierig, aber wenig mittheilsam. Doch muss man ihre Verschlossen-
heit in allem, was Staatseinrichtungen, Religion etc. betrifft, theils
der Ignoranz, theils einer Jahrhunderte langen eigenartigen Erziehung
unter dem Drucke der Gesetze des Iyeyasu und der Spione zuschreiben.
In Wahrheitsliebe stehen die Japaner nach meinen Erfahrungen uns
Europäern nicht nach.
»Ich kam nun zurück«, so schreibt ein Landsmann und feiner
Beobachter *), »in ein mir bekanntes Land, nach dem ich mitten in
China eine tiefe Sehnsucht empfunden hatte. Schmutz, Gestank, Be-
trug, unwürdiger und widerlicher Sklavensinn, gepaart mit unmoti-
viertem Hochmuth, sind die Grundelemente der chinesischen Welt.
Ueber der japanischen ruht charakteristisch: höchste Reinlichkeit,
Zierlichkeit, Gefühl für Schicklichkeit und Maass, unverkennbare
Würde und Selbstachtung«.
Derselbe Autor, zugleich ein guter Kenner des polnischen Volkes,
stellt zwischen diesem und dem japanischen Vergleiche an und er-
kennt dabei manche verwandte Züge. Arbeitsam, bedürfnisslos und
genügsam, abgehärtet gegen Witterungseinflüsse, leichtlebig und von
ritterlichem Sinne findet er beide und ist geneigt, darin die tiefsitzen-
den Spuren des tatarischen Einflusses zu erkennen, welcher sich einst-
mals von der Oder bis zum Stillen Ocean geltend machte und wie in
Sitte und Lebensanschauung, so auch in der Sprache nachweisbar ist.
Nach mancher anderen Seite sind die Unterschiede zwischen beiden
Völkern freilich so auffallend und gross, wie nur möglich.
Der Japaner stellt sein Licht nicht unter den Scheffel. Wer aber
länger mit ihm verkehrt, lernt neben den erwähnten und einigen an-
deren lobenswerthen Eigenschaften, zu denen wir vor allem auch
blinde Ergebenheit und Liebe der Kinder gegen ihre Eltern und eine
warme Vaterlandsliebe rechnen müssen, auch manche andere kennen,
durch die sich derselbe nicht besonders empfiehlt. Wir sind, ge-
stützt auf vielseitige und mancherlei Beobachtungen, zwar nicht ge-
neigt, Alles zu unterschreiben, was jeder mit enttäuschten Hoff-
nungen aus japanischen Diensten in die Heimath Zurückkehrende
über die Schattenseiten des Volkscharakters zu berichten weiss, finden
aber, dass es darunter manchen scharfen Beobachter und objectiven
[457]1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
Beurteiler gibt, dessen Erfahrungen und Ansichten volle Beachtung
verdienen.
Zu einem Anstandsgefühl, welches in vielen Stücken das der
meisten Europäer weit übertrifft, gesellt sich eine sorglose Blosstellung
der Person und Vieles, was wir geradezu unkeusch nennen. Der
allgemein verbreitete Geschmack an Blumen, landschaftlichen Schön-
heiten und Gegenständen der graphischen und bildenden Künste ist
gepaart mit grober Sinnlichkeit, deren verderbliche Folgen auch dem
Nichtarzte vielfach vor Augen treten. Neben warmer Vaterlandsliebe
und einem eigenthümlichen Rechtssinn bemerken wir eine grosse Ge-
neigtheit, die schlechteste Aufführung zu übersehen, und in der Be-
amtenwelt viel Bestechlichkeit und Nepotismus. Dem lebhaften Ver-
langen nach Kenntnissen und der Raschheit in ihrer Erwerbung steht
Mangel an Ausdauer gegenüber und an Geschick, dieselben zu ver-
werthen, soweit es sich nicht um blinde Nachahmung handelt. Zur
Oberflächlichkeit und Zusammenhangslosigkeit des Wissens gesellt
sich nicht selten eine unergründliche Verschlagenheit. Die japanische
Jugend ist die folgsamste, welche ich je kennen gelernt habe. In ihrer
Erziehung wird, wie bei der Behandlung des Viehes, das Schlagen
vermieden, das überhaupt verpönt ist, wie jede lärmende Aeusserung
des Affectes. Aber zu dieser Selbstbeherrschung, welche diejenige
unserer kalten Nordländer weit in den Schatten stellt, welche mit
lächelndem Munde Dinge besprechen kann, die unser Gemüth aufs
tiefste ergreifen, kommt eine kalte berechnende Grausamkeit, die das
Opfer überfällt und herzlos niederschlägt.
Bemerkenswerth ist das Urteil eines hochgebildeten und allge-
mein geachteten Franzosen *), der mehr als die meisten Fremden in
Japan Gelegenheit hatte, den Volkscharakter kennen zu lernen. Er
schreibt: »Das Privatleben (der Japaner) gleicht dem politischen, wie
es aus ihrer Geschichte zu erkennen ist, und beide gleichen den
klimatischen Zügen des Landes. Lange Perioden der Ruhe und
Schläfrigkeit wechseln mit plötzlichem Erwachen, mit ungestümen
Ausbrüchen ab. Eine natürliche Lethargie unterbrochen durch heftige
Stösse. Die Fanfaren des Carneval dringen mitten durch den Nebel
der Melancholie. Alles bestätigt ihnen ein Temperament ohne Gleich-
gewicht, Geister, die wie Schiffe auf dem Meere treiben, ohne Ballast,
träge Naturen, die ruck- und sprungweise sich fortbewegen. Viel
Liebe zu Vergnügen und Ueberraschungen! Abneigung gegen an-
dauernde Arbeit! Plötzlicher Aufschwung und plötzliches Erschlaffen
[458]II. Ethnographie.
folgen rasch auf einander. Viel Lebhaftigkeit, Intelligenz und Talent,
wenig Princip und kein Charakter. Gleich den Geiseln, welche das
Land heimsuchen (Bousquet meint damit Taifùne, Erdbeben und
Feuersbrünste), hat ihre Energie langen Schlaf und unordentliches
Erwachen«.
Diese Beurteilung des japanischen Volkscharakters ist freilich
eine keineswegs schmeichelhafte. Sie steht in auffallendem Gegen-
satze zu der günstigen Meinung, welche man sich bei uns, ja im
ganzen Abendlande von demselben gebildet hat. Ist letztere auch
übertrieben, so kann ich mich ihr doch mehr wie jener anschliessen,
vielleicht, weil ich ebenfalls mehr Gelegenheit hatte, vorwiegend nur
die Lichtseiten der Japaner kennen zu lernen, und mein Urteil dadurch
möglicherweise etwas befangen ist.
Die japanische Nation ist nach meiner Ansicht in mancher Be-
ziehung ein Volk von Kindern, harmlos zutraulich, heiter und zu
kindlichen Spielen geneigt auf allen Altersstufen, für alles Neue leicht
interessiert, ja begeistert, aber wenn nur halb und kurze Zeit damit
vertraut, es eben so leicht überdrüssig werdend, mit einem Worte
ein Volk, das, wie die Gallier nach Caesar rerum novarum cupidi,
aber vielfach ohne Stetigkeit und Ausdauer ist. Letzteres dürfte je-
doch mehr von der höheren Gesellschaftsklasse als von dem Volke
gelten, auf das ich alle Attribute anwenden möchte, die schon Thun-
berg dem japanischen Volkscharakter zuschreibt. Sie sind hiernach
im allgemeinen verständig und vorsichtig, frei, lenksam und höflich,
neugierig, fleissig und geschickt, sparsam und nüchtern, reinlich,
gutmüthig und freundlich, aufrichtig und gerecht, ehrlich und treu,
daneben freilich auch argwöhnisch, abergläubisch und sinnlich. Eine
natürliche Heiterkeit und Unverdrossenheit verlässt den gemeinen Mann
auch bei schwerer Arbeit nicht und ist neben der Eintracht und Ruhe,
womit alle Geschäfte im Haus und Feld verrichtet werden, eines der
beneidenswerthesten Güter des japanischen Volkscharakters.
Einer der herrschenden Fehler der Orientalen ist ihr Mangel an
Stetigkeit und Ausdauer. Japan macht, wie schon angedeutet wurde,
keine Ausnahme von dieser Regel, dessen sind sich die Einsichtsvollen
im Lande wohl bewusst. Das Urteil, welches einer derselben im
Jahre 1876 in einer japanischen Zeitung in dieser Beziehung über
die studierende Jugend fällte, wird jeder Fremde, welcher mit dieser
zu thun hatte, bestätigen und leicht auch auf viele andere Verhält-
nisse anwenden können.
»Unsere Studenten«, so hiess es darin, »heften ihre Augen nur
auf die Spitze der Leiter, beachten aber die Stufen nicht, über welche
[459]2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
dieselbe sicher erreicht werden kann. So nehmen sie eine oberfläch-
liche, äussere Politur an, während sie die Gediegenheit missachten.
Aus diesen Gründen haben unsere Leute in äusseren Dingen die
abendländische Civilisation vortrefflich nachgeahmt, aber dieselbe hat
keinen soliden Grund und desshalb keine Stabilität. Wer mit mir
dieser Frage einige Aufmerksamkeit schenken will, wird finden, dass
ihm überall Mangel an Gründlichkeit und Stetigkeit entgegen tritt«.
Es gibt indess Beispiele genug, auf welche dieses Urteil nicht
passt, von jungen Japanern, welche mit einer Stetigkeit und Zähig-
keit ihre Ziele verfolgen und mit einer Ausdauer alle ihnen entgegen-
stehenden Schwierigkeiten überwinden, die unseren ganzen Beifall
verdienen. Bis jetzt zeigte Japan sich besonders talentvoll in der
Nachahmung und entwickelte wenig eigene schöpferische Kraft. Die
Producte seiner früheren Civilisation, seine Sitten, Gesetze, Literatur
und selbst alle Kunstgewerbe, in welchen es unübertroffen, ja uner-
reicht dasteht, wie die Lack- und Bronze-Industrie, feinere Töpferei
und Seidenweberei, entnahm es, wie fast alle anderen Industriezweige,
China. Jetzt copiert es das christliche Abendland. Wird es dadurch
zu einer freieren, selbständigen Stellung seines geistigen und ge-
werblichen Schaffens gelangen? Die Schule ist noch zu kurz, um
auf diese Frage eine sichere Antwort geben zu können. Man lasse
also dem strebsamen und talentvollen Schüler Zeit, denn »gut Ding
will Weile haben«.
2. Die japanische Sprache und Literatur. Das Yamato- und
Sinico-japanisch. Katakana und Hirakana. Transliteration. Eigen-
thümlichkeiten der Sprache. Volkspoesie und Literatur.
Die jetzige Schrift- und Umgangssprache Japans besteht aus
dem eigenartigen Gemisch zweier sehr verschiedenen Idiome, deren
eines aus der alten Sprache des japanischen Volkes, dem Yamato
Kotoba oder Nippon-no-Kotoba (Sprache Yamato’s oder Nip-
pon’s), das andere aus dem Chinesischen hervorging, etwa wie das
Englische aus teutonischen und romanischen Quellen zusammenfloss.
Wie beim gebildeten Engländer der in Anwendung kommende Wort-
schatz einen höheren Procentsatz romanischer Worte als teutonischer
aufweist, so bedient sich auch der besser unterrichtete Japaner,
wenigstens in der Schrift, vorzugsweise des chinesischen Theiles seines
Sprachconglomerats. Aber diese beiden Sprachelemente Japans, so
[460]II. Ethnographie.
sehr sie auch im mündlichen Verkehre, selbst des gemeinen Mannes,
mit einander verknüpft und verschmolzen werden, wahren in der
Schrift ihren ursprünglichen Charakter, insofern die Worte chinesi-
schen Ursprungs mit ihren alten Wurzelzeichen; die japanischen in
der Silbenschrift wiedergegeben werden. Die japanische Sprache ist
ein Mosaik aus chinesischen und indigenen Worten, kein Amalgam,
und hierdurch wieder vom Englischen wesentlich verschieden.
Zur Zeit, als mit der Philosophie von Kôshi und Môshi (Confucius
und Mencius), ganz besonders aber durch den Buddhismus die chine-
sische Sprache zu den Japanern gelangte und bei denselben mehr
und mehr in Uebung kam, besassen sie für ihre eigene alte Um-
gangssprache, das Yamato, noch keine Schriftzeichen, sondern ent-
nahmen solche erst — und zwar ein Silbenalphabet — um das Jahr
800 n. Chr. chinesischen Wortzeichen. Die chinesischen Wurzel-
zeichen sind dieselben geblieben, wie im Mutterlande, aber ihre
Aussprache *) hat unter dem Einflusse des wohlklingenden japanischen
Idioms eine gewaltige Umwandlung und Accommodation an letzteres
erfahren, dergestalt, dass die vielen Gutturaltöne der Chinesen ganz
und die nasalen Laute alle bis auf das finale n (ng) geschwunden
sind, ebenso die eigenartigen Intonierungen. Damit hat aber der
Japaner auch aufgehört, manche Begriffswörter, wie der Chinese,
durch die Aussprache zu unterscheiden und eine überraschende Menge
von Homonymen erhalten, deren verschiedener Sinn nur durch den
Zusammenhang und die Wortfolge, in einzelnen Fällen jedoch nur
aus den Schriftzeichen zu erkennen ist. So kann das phonetisch ge-
schriebene Wort »san« drei, Berg, Herr, Geburt, Rechnen mit dem
Abacus etc. bedeuten und für die Silbe »sho« gibt es wenigstens
zwei Dutzend verschiedene chinesische Wurzelzeichen und Bedeutungen.
Aus den erwähnten Gründen vermag ein Chinese den Japaner
und umgekehrt der Japaner den Chinesen nicht zu verstehen, wäh-
rend sich beide schriftlich sehr wohl unterhalten können **). Dieses
so veränderte colloquial-chinesisch der Japaner pflegt man mit dem
Namen sinico- (sino-) japanisch zu bezeichnen.
[461]2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
Armuth im Wortschatz einer Sprache wird mit Recht als ein
Zeichen der Ideenarmuth Seitens derer angesehen, welche sich ihrer
bedienen; noch mehr dürfte dies jedoch von dem Sprachbau gelten.
Agglutinierende Sprachen, wozu auch das Japanische gehört, gestatten
nicht den leichten freien Gedankenausdruck, wie z. B. das Deutsche
oder Griechische mit seiner ausgebildeten Flexion. Verglichen mit
europäischen Sprachen und ihrer Literatur ist die japanische arm.
Dies wird im modernen Verkehr von allen Japanern empfunden,
welche aus einer europäischen Cultursprache in das japanische über-
setzen wollen. Es fehlen oft die geeigneten Ausdrücke und sogar
die Begriffe, und es fragt sich, ob das Yamato — vom chinesischen
Bestandtheile der japanischen Umgangssprache und seinen starren
Formen kann hier selbstverständlich keine Rede sein — soweit bil-
dungs- und umwandlungsfähig ist, um den steigenden Anforderungen
der modernen Culturbestrebungen zu genügen.
Bisher kostete es einem jungen Japaner etwa sieben Jahre Arbeit,
um sich die chinesischen Wortzeichen einzuprägen und so geläufig zu
machen, dass er sie mit gleicher Leichtigkeit wie seine einfache
Silbenschrift anwenden konnte. Das Streben nach diesem Ziele, das
überdies nur von den Bevorzugteren erreicht wurde, war die Haupt-
aufgabe der Schule, so dass die eigentliche Geistesgymnastik dagegen
sehr zurücktreten musste. Das Auge jedoch und die Hand wurden
sehr geübt, jenes zu beobachten und Formen aufzufassen, diese, um
den Pinsel leicht und sicher zur Wiedergabe derselben zu führen.
Die hervorragenden Leistungen der Japaner in verschiedenen Zweigen
ihres Kunstgewerbes, namentlich was Geschmack und Decoration an-
langt, sind jedenfalls durch dieses Malen chinesischer Wortzeichen
mit dem Tuschpinsel wesentlich gefördert worden.
Vom ethnographischen Gesichtspunkte aus betrachtet, nimmt das
Yamato vorzugsweise unser Interesse in Anspruch. Kôbô-Daishi,
einer der grössten Gelehrten — er hatte 19 Jahre in China zuge-
bracht und kannte ausser dem Chinesischen auch das Sanskrit und
Pali — und Förderer des Buddhismus zur Zeit des Shomu-Tennô
(pag. 254), führte im achten Jahrhundert das Kata-kana*), die
japanische Silbenschrift, ein, indem er 47 chinesische Ideogramme
auswählte, vereinfachte und als Zeichen für eben so viele Silben des
japanischen Idioms anwandte, wozu ein 48. Zeichen für das finale
und nasale n mancher sinico-japanischen Wörter kam; denn dieses
[462]II. Ethnographie.
Kata-kana diente auch zur Transliteration der chinesischen Zeichen,
für Alle, welche dieser nicht mächtig waren. Das japanische Alphabet,
welches so in Gebrauch kam, führt nach seinen drei ersten Silben
auch den Namen I-ro-ha. Neben den einfachen winkeligen und
quadratischen Zeichen des Kata-kana kam allmählich eine Current-
schrift, das Hira-kana, in Gebrauch, bei welcher die Ecken des-
selben abgerundet und die Linien mit einander verbunden wurden.
Dieses Hira-kana ist die Schrift des Volkes, während der Gebildete
und Beamte sich ausschliesslich oder vorwiegend der chinesischen
Ideogramme bedient.
(Zu lesen wie das Chinesische von oben nach unten und von rechts nach links,
also i, ro, ha, ni, ho, he, to, chi etc.)
Anmerkung: Die Silbe mi wird oft auch durch drei parallele nach rechts geneigte Striche
oder durch drei horizontale, wie die Zahl drei, bezeichnet.
In japanischen ABC-Büchern wird dieses Alphabet zum besseren
Memorieren gewöhnlich in folgender Ordnung zusammengestellt: a, i,
u, e, o; — ka, ki, ku, ke, ko; — sa, shi, su, se, so; — ta, chi,
tsu, te, to; — na, ni, nu, ne, no; — ha, hi, fu, he, ho; — ma, mi,
mu, me, mo; — ya, yi, yu, ye, yo; — ra, ri, ru, re, ro; — wa,
wi, wu, we, wo, wie nachstehende Uebersicht zeigt. In derselben
sind statt obiger 47 Silben deren 50 und das finale n aufgenommen,
also drei doppelt gezählt, nämlich yi = i, wu = u, we = ye, um
die Reihen für das Memorieren zu füllen. Wenn die Silben der k-,
[463]2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
s-, t- und h-Reihe der letzten Zusammenstellung in mehrsilbigen
Worten offenen Vocalen folgen, so wird ihr Anlaut umgeändert, näm-
lich k in g, s (sh) in z (vor u in dz), beziehungsweise j, t in d, ts
in dz und ch (ts) in j, h (f) in b verwandelt. Hierdurch entstehen
20 weitere Silben, welche man Nigori- (die Umwandlung heisst
nigori) oder unreine Silben nennt. Ihre Zeichen sind dieselben, wie
die der Stammsilben; nur werden diesen oben rechts zwei Häkchen
angehängt, wie beifolgende Uebersicht zeigt, welche in der ersten und
dritten Horizontalreihe, die nach unserer Schreibweise von links nach
rechts geordneten Stammsilben und darunter in der zweiten und vierten
Reihe die Nigori-Silben enthält. In der fünften Reihe erscheinen die
Nigori und Maru.
[464]II. Ethnographie.
fünf Silben der h-Reihe mit einem anderen diakritischen Zeichen,
dem maru (Kreis), welches das h (f) in p verwandelt, also die Silben
pa, pi, pu, pe, po andeutet. Das Kata-kana weist sonach einschliess-
lich des n, nigori und maru im Ganzen 73 Silben auf.
Durch die Umlautung harter Silben in weiche, wie sie das Nigori
zeigt, wird ein grösserer Fluss der Rede bewirkt.
In den folgenden Beispielen, welche meist dem geographischen
Theile dieses Buches entnommen wurden, ist der durch das Nigori
oder Maru *) veränderte Consonant durch fetten Druck ausgezeichnet.
Die phonetische Schreibweise der meisten Wörter mit dem Maru ver-
doppelt das p:
Kaga, Tone-gawa, Hagi, sagi (Reiher), Kawa-guchi (Flussmün-
dung), uguisu (Nachtigall), hige (Bart), mage (Scheitelzopf), Nagoya,
Tone-gori, Kanazawa, Yonezawa, Sakura-jima, kiji (Fasan), sudzuki
(Seebarsch), Kodzu (Papiermaulbeere), Echizen, Hazekoi (Riesensala-
mander), Yezo, mizo (eine Furche), Hida, Sendai, Awaji, jiji (ein
alter Mann), Idzumi, midzu (Wasser), Miidera, tade (Knöterich),
Hondô, Yedo, Chiba, Tamba, Yabi, Bizen, Kokubu, abura (Oel),
Kurobe, Betsu, Nobori, jibo (die fünf Vocale), pan (Brod), happa (64),
ganpi (Wickströmia), roppiaku (600) von roku-piaku, Kinpuzan,
seppuku, Pei (Taira), Nippon, Sapporo, go-pun (fünf Minuten, aus
go und fun).
Bei der Transliteration japanischer Silben und Worte bin ich
dem gebräuchlichen phonetischen Verfahren, welches Dr. Hepburn
in seinem bekannten »Japanese-English and English-Japanese Dictio-
nary« anwendet, gefolgt, wenn auch mit einigen Abweichungen. Die
Sprache lässt sich ziemlich leicht phonetisch wiedergeben, weil die
Vocallaute sehr deutlich sind, keine eigentlichen Diphthonge vor-
kommen, noch schwierige Consonantenverbindungen. Die phonetische
Uebertragung, obgleich sie nicht alle Anforderungen des Sprach-
forschers erfüllt, hat vor allem den Vorzug der Einfachheit und Kürze.
Bezüglich der Aussprache sind folgende Regeln zu merken:
1. Die Vocale a, e, i, o, u werden in der Regel voll und klar,
wie im deutschen Alphabet ausgesprochen, doch sind i und u oft
stumm, z. B. in shita (Zunge, nieder) = shta, shikimi (Illicium reli-
giosum) = skimmi, Amakusa = Amaksa, Hakusan = Haksan.
Ferner wird in den Silben su, tsu und dzu, zumal am Ende vieler
Wörter das u nur schwach oder gar nicht gehört, z. B. Iyeyasu =
Iyeyas, Setsu fast wie Sets, Kôtsuke wie Kôtske. Auch werden Silben
[465]2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
nicht selten zusammengezogen und Vokale dadurch lang, besonders
das o. Es wurde in solchen Fällen ô geschrieben, z. B. Ôsaka für
Ohosaka, Shôgun für Shiyogun.
2. Die Diphthonge ai und oi, welche durch Contraction entstan-
den sind (z. B. Kai, die Provinz Kôshiu, aus Kahi und Koi, der
Karpfen, aus Kohi), werden wie ei und eu in Leib und Leute aus-
gesprochen, während ei z. B. in Keishi (Cassia) wie das einfache e
in heben lautet.
3. Von den Consonanten werden die meisten wie im deutschen
Alphabet ausgesprochen.
In der Silbe shi wird das sh annähernd wie im Englischen, d. h.
wie unser sch ausgesprochen und nicht wie ein bloses s. Die richtige
Aussprache hält die Mitte zwischen s und sch; es ist ein s-Laut mit
angehängtem Hauch für das h. Auf den meisten Karten und in
vielen Büchern wird die besonders häufig im Worte shima, Insel,
vorkommende Silbe durch ein einfaches s wiedergegeben, doch ent-
spricht dies nicht der richtigen Aussprache.
In der Silbe chi lautet ch wie im Englischen und wie unser
tsch und in ji das j etwa wie ein Mittelding zwischen ds und dsch.
Für das h der h-Reihe gebraucht man in verschiedenen Gegen-
den, z. B. auf Kiushiu (doch nicht in Bungo) und im nördlichen
Hondo ein f. Daher schrieben die Holländer, denen nur der Dialect
von Nagasaki geläufig war, Firado, Fizen, Figo, Fon, statt Hirado,
Hizen, Higo, Hon, wie man im grössten Theile des Landes und vor
allem in seinen drei Hauptstädten sagt.
y ist wie unser j auszusprechen, doch nicht in der ganzen damit
beginnenden Silbenreihe, denn yi ist auch nach dem Zeichen von i
nicht verschieden und ye nur wenig von e. Nur in einem kleinen
Theile des Landes spricht man ye deutlich je aus, sonst wie e, und
sagt daher eigentlich Edo (statt Jedo), Esso (statt Jezo) und fast all-
gemein Echizen, Echiu, Echigo (sprich Etschissén, Etschiu, Etschingo)
statt Yechizen, Yechiu, Yechigo.
In der Silbenreihe mit g wird dieser Consonant einfach wie ein
weiches k ausgesprochen (wie g in gab) oder nasal, wie unser ng.
Letzteres ist der Fall im Dialect der Hauptstadt, wonach Nagasaki,
Hagi, Yamaguchi, mege, Ugo wie Nangasaki, Hangi, Yamanguchi,
menge, Ungo auszusprechen sind. In Kiushiu und Chiugoki ist der
Nasallaut nicht gebräuchlich.
Für l und r haben Chinesen und Japaner nur einen Laut, jene
das l, diese ein r, dessen Aussprache etwas nach l neigt. Daher
nennt der Japaner die Inseln zwischen Formosa und Kiushiu Riukiu,
Rein, Japan I. 30
[466]II. Ethnographie.
der Chinese Liukiu; bei jenem heisst die Meile ri, bei diesem li.
Der Chinese sagt lice für das englische rice, der Japaner liest right
für light. Das n, welches am Ende chinesischer Worte auftritt —
japanische enden stets auf Vocale —, wird etwas nasal, doch selten
ganz wie ng in Menge ausgesprochen, sondern mehr wie in man.
Wenn ihm dagegen in Zusammensetzungen ein b, p oder m folgt,
hat es den Laut m, z. B. nan-ban, der südliche Barbar (Portugiese),
lautet namban, mon-ban, der Thorhüter, = momban(g), Kinpo-zan =
kimposan, san-mon, drei Thore, = sam-mon(g), kim-pun, Goldstaub
(aus kin, Gold, und fun, Staub).
In der Silbenreihe mit w wird dieser Laut nur bei wa deutlich,
wie in Wasser, gehört, kaum in der Silbe wo und nicht in wi, we
und wu.
Das z endlich ist überall wie ein scharfes s auszusprechen.
Die Dialectunterschiede, auf welche bereits hingewiesen wurde,
sind gross, sowohl was die Aussprache, als auch was die Betonung
betrifft, dergestalt, dass z. B. der Bewohner der Hauptstadt Tôkio
Leute vom nördlichen Hondo oder dem südlichen Kiushiu nur schwer
verstehen kann.
Der Accent japanischer Wörter folgt nicht so strengen allgemeinen
Regeln, wie wir sie im Deutschen gewohnt sind. Im allgemeinen
ruht bei zweisilbigen Wörtern der Ton auf der ersten Silbe, wie bei
Sétsu, Íga, Míno, óki (gross), mídzu (Wasser), nóru (reiten). Drei-
silbige Wörter haben den Accent meist auf der penultima, viersilbige
auf der antipenultima, z. B. Musáshi, Chikúgo, Iwáshiro, yoróshi
(gut), hibáchi (Ofen), watákushi (watakshi, ich), kowágaru (fürchten),
Bei Contractionen fällt der Accent jedoch immer auf den doppelten
oder langen Vocal, in welcher Silbe er auch auftreten möge, z. B.
Shimôsa, Ôsumi, takaí (hoch, theuer), shiroí (weiss), Daímio, Samuraí,
Tôkio.
Dass die phonetische Transliteration der japanischen Sprache
manche Uebelstände hat, unterliegt keinem Zweifel. Der individuellen
und nationalen Auffassung und Wiedergabe der Laute ist bei dem
Mangel eines einheitlichen, von allen Fremden adoptierten Alphabetes
zu viel Spielraum gelassen; auch wird bei der besten phonetischen
Uebertragung nur der Tonlaut, nicht der Tonfall erkannt. Vor allem
aber ist dieselbe kein Ausdruck für die Etymologie des Wortes und
kann bei Homonymen, deren Zahl sehr gross ist, leicht zu Irrthümern
und Begriffsverwechselungen führen. Diese und andere Gründe mehr
haben daher in der Neuzeit mehrere der hervorragendsten Forscher
auf dem Gebiete der japanischen Sprache, insbesondere den englischen
[467]2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
Legations-Secretär Dr. E. Satow in Tôkio veranlasst, die soge-
nannte orthographische Transliteration in Vorschlag und Anwendung
zu bringen. Wir müssen uns hier jedoch mit der blosen Erwähnung
der Sache bescheiden und solche, welche sich näher dafür interessieren,
auf die sehr interessante und lehrreiche Abhandlung über den Gegen-
stand verweisen, welche E. Satow unter dem Titel »Transliteration
of the Japanese Syllabary« in den Transactions of the Asiatic Society
of Japan, Vol. VII, pag. 226—260, veröffentlicht hat.
Die japanische Sprache gehört der turanischen oder tatarischen
Sprachfamilie an und ist wie die ihr nahe verwandten Glieder der-
selben, das Türkische, Mandschu und Mongolische, agglutinierend.
In allen diesen Sprachen kommt das Verb an das Ende des Satzes
und nach dem Object, welches dasselbe regiert. Der Japaner sagt
z. B. Watakushi-wa neko-o mochimasu, ich Katze habe, für »ich habe
eine Katze«; Watakushi-domo-wa tomodachi-o kutabire-asemasu, wir
den Freund ermüden, für »wir ermüden den Freund«. Er setzt im
Imperativ nicht das Verb, sondern sein Object an die Spitze des
Satzes und sagt für »bringe mir meine Kleider!« Kimeno-o mottekoi!
(meine) Kleider bringe (mir)! Mache die Thür zu! heisst: »Tô-o
shimero!« (Thür mache zu!). Die Frage: gibt es Geld? lautet:
»Kane-ga aruka?« d. h. Geld gibt es?
Wie im Satze das Verb, so steht auch in Satztheilen und ein-
fachen Begriffsverbindungen das Hauptwort nach. Wenn z. B. hachi,
Biene, und mitsu, Honig, zu hachi-mitsu oder mitsu-hachi verbunden
werden, so entspricht dies ganz dem Sinne nach unserem Bienen-
honig, beziehungsweise Honigbiene. Kono machi-no na heisst dieser
Strasse Namen, hako-no kagi ist »des Kastens Schlüssel«, Gin-no ko
= Silberpulver.
Wie in allen agglutinierenden Sprachen, so wird auch im Japa-
nischen die fehlende Flexion zur Unterscheidung von Geschlecht, Zahl
und Casus, sowie hinsichtlich des Verbs zur Unterscheidung der Zeit
und Redeweise durch Wörter bewirkt, welche als Postpositionen oder
Affixe dem Begriffsworte folgen. Ihre Anwendung macht die Sprache
aber entschieden schwerfällig und ist nur theilweise ein Aequivalent
für den Reichthum, welche unsere Flexionen der Sprache gewähren.
Betrachten wir einzelne Redetheile noch etwas genauer, so müssen
wir zunächst hervorheben, dass der Artikel fehlt. Am Substantiv
wird weder Geschlecht noch Zahl unterschieden *). Der Nominativ
30*
[468]II. Ethnographie.
wird durch das Affix wa oder ga, der Genitiv durch no, der Dativ
durch ni, der Accusativ durch o gebildet, z. B.:
Dieser Garten ist alt, kono niwa-wa furu gozarimasu.
Die Bäume dieses Gartens sind hoch, kono niwa-no ki-wa taku
gozarimasu.
In diesem Garten gibt es viele Blumen, kono niwa-ni hana-ga
taxan gozarimasu.
Ich habe diesen Garten gesehen, Watakushi-wa kono niwa-o
mimashita.
Die Schwerfälligkeit der japanischen Sprache tritt namentlich
auch hervor, wenn unsere persönlichen und besitzanzeigenden Für-
wörter wiedergegeben werden sollen. Nehmen wir z. B. die Con-
jugation des Präsens Indicativ von sein. Dieselbe lautet:
- ich bin, watakushi-wa aru,
- du bist, anata-wa aru,
- er ist, ano hito-wa aru,
- sie ist, ano onna-wa aru,
- es ist, are (sore)-wa aru.
- wir sind, watakushi domo
- ihr seid, anata gata
- sie sind, ano hito tatsu
Soll von den hier gebrauchten Fürwörtern die Possessivform ge-
bildet werden, so geschieht dies durch Anhängung von no, z. B.
Watakushi-no fune, mein Schiff, anata gata-no tomodachi, euer
Freund. Dies gilt jedoch nur für den gewöhnlichen Umgang, wäh-
rend im Verkehr mit Höhergestellten wieder andere Ausdrücke an die
Stelle treten müssen.
Das japanische Verbum hat nur die drei Hauptzeiten der Gegen-
wart, Vergangenheit und Zukunft, ist dagegen reich an Aussageformen.
Eine nähere Betrachtung desselben liegt indess ausserhalb des hier
gesteckten Rahmens *).
Ihre Zahlwörter haben die Japaner fast alle den Chinesen ent-
liehen, da das einheimische (Yamato) Idiom nur Grundzahlen ein-
schliesslich der Zahl 10 aufweist. Sie heissen: 1 hitotsu (schtots),
2 futatsu (ftats), 3 mitsu (mits), 4 yotsu (yots), 5 Itutsu (schtuts),
6 mutsu (muts), 7 nanatsu (nanats), 8 yatsu (yats), 9 kokonotsu
(kokonots), 10 tô. Beim Gebrauche (nur vor japanischen Worten)
[469]2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
verlieren sie die Endsilbe tsu, z. B. futa hako, zwei Kasten, yo nashi,
vier Birnen.
Uebersicht der sinico-japanischen Grundzahlen und
ihrer Zeichen.
Es ergibt sich hieraus, dass die höchste Einheit des von den
Chinesen und Japanern in Anwendung kommenden decadischen Zahlen-
systems die Zahl 10000 oder man ist und alle höheren Stufen als
multipla davon erscheinen. Die Ordnungszahlen werden von den
Grundzahlen durch das Wort ban (eine Wache) gebildet, welches man
einfach anhängt, z. B. ichi-ban, ni-ban, san- (sam-) ban, der erste,
zweite, dritte etc. Weniger einfach ist die Bildung der Wieder-
holungszahlen.
Die Rolle, welche in unserem Verkehr dem Dutzend, der Stiege
und dem Schock zufallen, spielt in Japan die Zahl fünf. Schachteln,
Becher und viele andere Dinge werden go-mai, d. h. zu je fünf ver-
kauft. Aber auch sonst ist fünf eine besonders ausgezeichnete Zahl.
Neben den fünf Fingern und fünf Sinnen des Körpers redet der
[470]II. Ethnographie.
Japaner z. B. von den go-giyô oder fünf Elementen (Holz, Feuer, Erde,
Metall und Wasser), den go-in oder fünf Musiknoten, den go-jô oder
fünf Haupttugenden (jin, gi, rei, chi, shin oder Humanität, Aufrichtig-
keit, Anstand, Weisheit, Treue), den go-kai oder fünf Geboten der
Buddhisten (gegen Diebstahl, Lüge, Unmässigkeit, Mord und Ehe-
bruch), den go-rin oder fünf menschlichen Beziehungen (zwischen
Vater und Sohn, Herrn und Diener, Mann und Frau, Freunden und
Geschwistern), den go-koku oder fünf Hauptfrüchten des Feldes
(Reis, Gerste, Hirse, Hanf und Bohnen), den go-sekku oder fünf
grossen Festen des Jahres und verschiedenen anderen fünffach vor-
handenen Begriffen. Nächst der Zahl fünf spielt auch drei eine be-
vorzugte, volksthümliche Rolle. Die san-ga-nichi, drei (ersten) Tage
(des Jahres) sind der Begrüssung gewidmet; die san-koku, drei Län-
der par excellence waren Japan, China und Indien. Unter san-jô
versteht man die drei Hauptpflichten der Frau (Gehorsam gegen den
Vater, Mann und ältesten Sohn, je nachdem der eine oder der andere
das Haupt der Familie ist). San-kiyo nennt man die drei Religionen
(Shintôismus, Buddhismus und Lehre des Confucius), welchen Iyeyasu
Berechtigung zusprach. Die drei höchsten Minister des Mikado (Daijo-
daijin, Sa-daijin und U-daijin) heissen zusammen San-kô; die dreier-
lei Leuchten des Himmels, Sonne, Mond und Sterne, werden san-
kuwô genannt, und die drei Welten oder Zustände aller Dinge,
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft (kon-se, diese Welt, sen-ze,
die vorige Welt, rai-se, die nächste Welt), werden wohl mit san-ze
bezeichnet.
Die japanische Sprache ist nach dem Urteil Aller, welche sich
mit ihr beschäftigt haben, vocalreich und wohlklingend, in ihrem
Wortschatze, ihrer Grammatik und Syntax jedoch zu arm, unent-
wickelt und schwerfällig, um den Anforderungen einer höheren Geistes-
cultur zu genügen. Sie ist wie ein plumpes, ungefügiges Werkzeug,
mit dem selbst der geschickteste Arbeiter nur theilweise und mühsam
seinen Zweck erreicht. Dieser Mangel wird um so mehr empfunden
werden, je tiefer die jetzige Generation in unsere abstracten Wissen-
schaften einzudringen sucht und je mehr sie geneigt sein wird, von
der blossen Nachahmung zu selbständigem, geistigem Schaffen über-
zugehen. Wiederholt ist desshalb der Gedanke angeregt worden, die
japanische Sprache mit der englischen als einflussreichsten und einer
der einfachsten und reichsten Sprachen der christlichen Culturvölker
zu vertauschen. Doch sträubt sich dagegen nicht blos der National-
stolz, sondern auch die Furcht vor den enormen Schwierigkeiten,
welche ein solcher Schritt bereiten würde.
[471]2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
Die metrische Poesie hat in den Ländern des chinesischen
Culturkreises keinen hohen Flug genommen. G. Bousquet sagt mit
Recht von dieser Armut an poetischen Leistungen, dass dieselbe ihre
Erklärung in den Schwierigkeiten der unbiegsamen Sprache finde.
»Der Gedanke erblasst und schwindet, bevor er seine Gestalt gefunden
hat, und es bleibt nichts übrig, als das enge Skelet«. Daher beschränkt
sich die schöpferische Kraft gerade des gebildeten Theiles der japa-
nischen Gesellschaft auf Silbenabmessen, Epigramme, Wortspiele und
andere geringfügige Erzeugnisse des Geistes.
Viel interessanter ist die Volkspoesie, wie sie sich in Dramen
und Comödien für das Theater, in Romanen für das weibliche Ge-
schlecht, in einem grossen Schatz von Fabeln, Sagen und Sprich-
wörtern äussert. Die hierher gehörende Literatur ist fast nur im hira-
kana geschrieben, der einzigen Schrift, mit welcher der gemeine Mann
und auch die Frau vertraut wird. In den Dramen spielen das Harakiri
und die Vendetta eine Hauptrolle. Sehr anziehend sind die Comödien.
Bei der grossen Empfänglichkeit des Volkes für alles Komische und
Lächerliche und dem ausgezeichneten Talent, es wiederzugeben, ist
hier die Hauptstärke der japanischen Schauspieler. Ihre Darstellung
komischer Scenen aus dem Familienleben steht den Leistungen unserer
berühmtesten Mimen nicht nach. Die vielen Romane, welche in
Japan noch mehr als bei uns, besonders vom weiblichen Geschlecht
gelesen werden, behandeln die nämlichen Gegenstände, wie die Co-
mödien, besonders Liebesgeschichten.
Von dem, was die eigentliche Volkspoesie leistet, hat uns zuerst
Mitford in seinen »Tales of Old Japan« eine grössere Zahl von
Proben gegeben *). Das Volk ist reich an treffenden Sprichwörtern,
an Märchen und Sagen, welche durch ihre naive Fassung und den
poetischen Reiz derselben uns in hohem Grade ansprechen. Für den
mit der japanischen Sprache vertrauten Sammler bietet sich hier noch
ein ergiebiges Feld. Er braucht nur das Land zu durchwandern und
mit Aufmerksamkeit den Erzählungen zu folgen, welche das Volk an
alte Denksteine, Glocken, Tempel und Geräthe an vielen Orten knüpft.
Auf dem Tôkaidô allein könnte er das Material zu einem dicken
Buche finden. Wie zahlreich sind schon die Märchen, welche in
Beziehung zu Oto-Hime-Sama, der jugendlichen und bezaubernd
schönen Königin von Riugu-jô, dem schönen Schlosse auf dem Meeres-
[472]II. Ethnographie.
grunde, stehen! Hier möge nur eines derselben in möglichster Kürze
Platz finden:
»Urashima Taro rettete einer Schildkröte das Leben und entliess
dieselbe ins Meer, wo sie sehr gross wurde. Als er nach vielen
Jahren Schiffbruch erlitt und mit den Wellen um sein Leben rang,
erkannte ihn jene Schildkröte, nahm ihn aus Dankbarkeit auf ihren
Rücken und trug ihn nach Riugu-jô zu Oto-Hime-Sama, welche ihn
sehr lieb gewann und ihm ein glückliches Leben bereitete. Doch
zog es ihn nach der Oberwelt zurück, der er noch einmal einen
kurzen Besuch abstatten wollte. Die Königin gibt endlich seinem
vielen Bitten nach und entlässt ihn nach oben mit einem Kästchen,
das er um keinen Preis öffnen soll. An das Land gekommen, findet
er sich auffallend jung, doch in einer ihm fremden Welt. Die Neu-
gierde lässt ihm keine Ruhe, er öffnet das Kästchen und bricht damit
den Zauber. Nach dreihundertjähriger Abwesenheit ist er als uralter
Mann wieder in seiner alten Heimath und ohne die Mittel, zu seiner
Königin zurückzukehren«.
3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner. Bäder,
Cosmetica, Tätowierung. Feuersbrünste. Stimulanten.
Die Kleidung der Japaner ist so oft beschrieben und abge-
bildet worden, dass wir uns bei ihrer Besprechung kurz fassen können.
Sie wird aus Hanf-, Baumwoll- oder Seidengewebe verfertigt, zu
denen erst in der Neuzeit auch Leinwand und Wollstoffe getreten
sind. Mit Ausnahme des Schuhwerkes ist sie leicht, gefällig und im
allgemeinen zweckentsprechend. In den Hauptzügen war und ist sie
bei allen Ständen und durch das ganze japanische Reich dieselbe
und nur im Detail hatte man, sowohl bezüglich des Materials als auch
namentlich im Schnitt, die feststehenden Rangunterschiede der grossen
Gesellschaftsklassen genau zu beachten.
Der kimono, ein langer, vorn offener Rock, ist bei beiden Ge-
schlechtern das Hauptkleid und nur nach der Länge, dem Schnitt
und der Wahl des Stoffes verschieden. Ein mehr oder weniger breiter
Gürtel, der obi, befestigt denselben am Leibe. Er ist aus Baum-
wolle oder Seide besonders gewoben und bildet bei Männern einen
einfachen Zeugstreifen, den sie mehrmals um die Lenden winden.
[473]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
Der Samurai steckte früher durch denselben auf der linken Seite
seine Schwerter; an der rechten aber trägt Jedermann eine kleine
Tasche mit feingeschnittenem Tabak und ein Pfeifchen. Der kimono
der Frauen liegt enger an, reicht tiefer, nämlich bis zu den Knöcheln,
ja bildet bei Staatskleidern sogar eine mehrere Fuss lange Schleppe,
welche unten mit Watte ausgesteift ist. Er besteht in der Regel
gleich dem obi aus schwereren Stoffen mit bunteren Farben als beim
Manne. Die obi für Frauen werden, wie bei uns die Bänder, in
besonderen Webereien dargestellt. Es sind prächtige, steife Gewebe,
oft einen Fuss breit, welche als Scherpe um den Leib gehen, auf
dem Rücken eine grosse Schmetterlingsschleife bilden und von da in
zwei langen Zipfeln herabhängen. Die weiten, fliegenden Aermel
des kimono bilden unter den Ellbogen hängende Säcke, tamoto
genannt, welche als Taschen dienen. In ihnen führt jeder Japaner
unter anderem weiches Papier mit, das ihm das Taschentuch ersetzt.
Bei der wohlhabenderen Classe besteht der kimono im Sommer aus
leichtem Baumwollgewebe, im Winter aus schweren Seidenstoffen.
Für den einfachen Arbeiter und Landmann kommt die Seide nicht
in Betracht. Er kleidet sich in grobe Hanfgewebe, die er selbst er-
zeugt, oder in baumwollene, und färbt sie unrein blau mit dem ein-
heimischen Indigo (von Polygonum tinctorium, welches überall zu
dem Zwecke angebaut wird). Die ziemlich eng anliegenden Bein-
kleider (momo-hike) legt er in der Regel erst mit Eintritt der
kalten Jahreszeit an, ebenso eine Art Strümpfe. Im Sommer ge-
schieht dies blos, wenn er sich beim Arbeiten im Reisfelde gegen die
Blutegel oder im Walde gegen Stechfliegen schützen will. Hemden
oder sonstige Leibwäsche fehlt bei den Japanern *). Für den männ-
lichen Ninsoku (oder gewöhnlichen Arbeiter) besteht im Sommer
der ganze Anzug aus dem kittelähnlichen und bis zu den Waden
reichenden kimono und ein paar waraji (Strohsandalen) an den
sonst nackten Füssen. Selbst der kimono erscheint vielen lästig und
überflüssig; sie werfen ihn nach alter Sitte gern ab und begnügen
sich mit einem baumwollenen Schamtuch (shita-obi).
Der Samurai trägt auf seinem kimono oder haori die Familien-
[474]II. Ethnographie.
abzeichen oder Wappen, fünf oder drei beim Färben des Zeuges
weiss gelassene Cocarden von 2—3 Centimeter Durchmesser, und zwar
eine an den Aermeln, zwischen den Schultern und an den Brustseiten,
doch nicht an dem grau und weiss gestreiften oder weissen Trauer-
kleide (mofuku). Seine besondere Auszeichnung besteht in der ha-
kama, sehr weiten, kurzen Hosen, welche bis unter die Waden
reichen und häufig aus gleichem Stoffe wie der haori bestehen. Zum
Ceremonie-Anzug gehörte ausser der hakama vor allem der kami-
shimo oder rei-fuku, eine Art Tunica, welche über dem Kimono
getragen wurde. Der unkleidsame Frack hat sie in der Beamtenwelt
meist verdrängt.
Die Fussbekleidung beider Geschlechter besteht in blauen oder
weissen baumwollenen Socken, mekura-jima, bei denen, wie beim
Fausthandschuh, nur die grosse Zehe abgesondert ist, um zwischen ihr
und den übrigen die Schnur durchzuführen, mit deren Hülfe die San-
dalen am Fusse befestigt werden. Dieselben heissen zôri, die ein-
fachsten und billigsten derselben waraji. Sie werden aus Reisstroh
geflochten und vornehmlich bei trockenem Wetter gebraucht. Viel
schwerfälliger, obgleich in der Regel vom leichtesten Holze, dem kiri
(Paulownia imperialis), verfertigt, sind die Holzschuhe oder geta, auf
denen der Fuss wie auf Stelzen ruht. Sie werden im gewöhnlichen
Verkehr mehr gebraucht als die zôri und waraji, aber nicht auf Reisen.
Die feinste Fussbekleidung bildeten die fast ganz ausser Gebrauch
gekommenen kutsu, wirkliche Schuhe, insofern sie allein auch die
Oberseite des Fusses bedeckten, und zwar mit schwarzlackiertem
Lederpapier *). Daher wird denn auch der Name kutsu für euro-
päische Schuhe und Stiefel angewandt. Die leichte Befestigung der
zôri und waraji, besonders aber der geta am Fusse gestattet ein
rasches Ablegen und Anziehen derselben, wie es zur Schonung der
Matten in den japanischen Wohnungen nöthig ist.
Der Japaner ging gewöhnlich ohne eine besondere Kopfbedeckung.
Beim Ninsoku vertritt noch immer ein blauer Baumwollstreifen, den
er ein- oder zweimal um die Stirn wickelt, die Mütze oder den Hut.
Zur Ceremoniekleidung gehörte der yeboshi, ein steifer, schwarz-
lackierter Hut aus Lederpapier, welcher über dem abrasierten Scheitel
ruhte und durch ein Band unter dem Kinn befestigt war. Auf Pilger-
zügen und sonstigen Reisen pflegt der gemeine Mann den Kopf gegen
[475]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
Regen und Sonnenschein durch ein korbähnliches Geflecht aus Weiden,
Bambusrohr oder Rotang zu schützen, den kasa. Mit diesem Worte
wird auch der Regenschirm aus geöltem Papier bezeichnet. Den
Körper schützt man gegen Regen durch das itodate, ein Stück
Matte, das man an einer Schnur um den Hals hängt, oder durch die
Kappa (vom spanischen capa abgeleitet), einen Regenmantel aus
geöltem Papiere, der, wie der Name andeutet, eine neuere Einführung
ist und nicht so viel gebraucht wird, wie der uralte mino oder Regen-
mantel aus geflochtenem Stroh. Uebrigens erfreut sich der europäische
Regenschirm mit Recht einer wachsenden Beliebtheit, da er alle die
ungenügenden und schwerfälligen japanischen Vorrichtungen gegen
den Regen ersetzt und zugleich — ein wirklicher en tout cas — auch
gegen die Sonne schützen kann.
Eine besondere Sorgfalt verwenden die Japaner auf die Pflege
und Tracht ihres Kopfhaares. Frauen jedes Alters und Standes be-
dienen sich, um das schöne rabenschwarze, aber steife Haar, welches
oft bis zu den Fersen herunterreicht, glänzend und geschmeidig zu
machen, des fetten Oeles aus den Samen der Camellie oder des Thee-
strauches. Ihre Coiffuren sind so kunst- und geschmackvoll, dass
sich keine europäische Salondame derselben zu schämen brauchte.
Die Hauptmasse bildet einen Chignon, den eine oder mehrere lange
Nadeln aus Schildpat oder einem billigeren Material, sowie Holz-
kämme zusammenhalten und ausserdem eingeflochtene Streifen eines
eigenthümlichen rothen oder blauen Kreppgewebes zieren.
Zu den sonstigen Cosmetica japanischer Frauen gehört vor allem
das oshiro, ein breiiges Präparat aus unreinem Bleiweiss und Stärke,
womit Gesicht und Hals der Mädchen eingerieben werden, um eine
zarte, weisse Haut zu schaffen, sowie Carthamin (beni) zum Röthen
der Lippen. Verheirathete Frauen rasieren sich die Augenbrauen ab
und färben sich die Zähne durch eine Art Tinte schwarz. Es ge-
schieht dies durch successives Einreiben der Zähne mit einer Eisen-
lösung in Branntweinessig und mit Galläpfelpulver, doch ist es in
manchen Gegenden auch bei Mädchen Sitte, das Röthen der Lippen
mit dem Schwärzen der Zähne zu vertauschen, sobald sie das zwan-
zigste Lebensjahr überschritten und die Hoffnung, sich zu verheirathen,
aufgegeben haben.
Nach alter Sitte rasierte man den Kopf der Kinder bis auf drei
Locken über Scheitel und Schläfen oder bis auf einen Kranz Haare
um die grosse Tonsur. Wenn die Mädchen 5 Jahre alt waren, hörte
dies auf. Bei Knaben trat mit vollendetem 14. (nach japanischer
Rechnung 15.) Jahre ein Wechsel ein. Man feierte das Gembuku,
[476]II. Ethnographie.
ein Familienfest, bei welchem die Stirnlocken abrasiert, der Knabe
zum Mann erklärt und mit einem anderen Namen versehen wurde *).
Fortan stand er als Erwachsener bezüglich seiner Haartracht unter
anderen Regeln. Stirn und Scheitel wurden glatt rasiert, das Haar
des Hinterhauptes aber sorgfältig eingeölt, nach dem Scheitel ge-
kämmt und hier zu einem kleinen Horn oder Zopf, dem mage, ver-
einigt, der durch einen breiten schwarzen Ring aus Lederpapier führt
und auf dem kahlen Scheitel ruht und endet. Diese Haartracht gab
vielen Haarkünstlern Arbeit und Verdienst und war ausserdem sehr
zeitraubend. Daher verbreitet sich mehr und mehr die europäische
Sitte, wonach die Männer das Kopfhaar nur dem Kamm und der
Scheere unterstellen. Die Frauen aber sind, wie in ihrer Kleidung,
so auch in ihrem Haarschmuck der alten Sitte treu geblieben; nur
das Schwärzen der Zähne nimmt mit Recht ab.
Das Glattrasieren des Gesichtes, Jahrhunderte lang allgemeine
Sitte, hat ebenfalls bei vielen Männern schon aufgehört. Man trägt
einen hige oder Knebelbart oder auch einen Vollbart, wenn er, was
selten der Fall ist, wächst, und nähert sich so wieder der alten
Sitte, wie sie vor Yoritomo bestand.
Die Reinlichkeit des Japaners ist eine seiner empfehlens-
werthesten Eigenschaften. Sie zeigt sich an seinem Körper, im Hause,
in der Werkstatt, wie nicht minder in der grossen Sorgfalt und
mustergültigen Genauigkeit, womit er seine Felder pflegt.
Jeder Japaner, ob hoch oder niedrig, nimmt womöglich täglich
sein warmes Bad (yu). Die dabei beliebte Temperatur des Wassers
wechselt zwischen 38° und 45°C., ist also für unser Gefühl eine
unerträglich hohe **). In kaltem oder lauwarmem Wasser badet für
gewöhnlich Niemand, weder der Landmann, welcher doch durch seine
Arbeit im schlammigen Reisfelde gewöhnt ist, stundenlang barfuss in
solchem zu stehen, noch der Ninsoku (Kulie), obgleich er halbnackend
die Winterkälte aushält. Nur ausnahmsweise, z. B. wenn es sich
um eine selbstauferlegte Bussübung handelt oder um die Erfüllung
eines Gelübdes, wird ein kaltes Bad genommen. So pflegten früher
die Pilger, welche den Nantai-san bei Nikkô besteigen wollten, sich
der Vorschrift gemäss vorher im Chiuzenji-See zu baden. Auch sah
[477]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
ich einmal in dem von Tôkio aus viel besuchten Meguro einen alten
Mann im Winter bei 4°C. ein Douchebad im Wasser einer kalten
Quelle nehmen, das ein ausgehauener Tigerkopf in ein Bassin speit.
Hierauf ging derselbe, ohne sich vorher abzutrocknen, nackend und
nur mit dem üblichen Lendentuche versehen, die Handflächen zum
Gebete gegen einander gestemmt, über ein langes kaltes Pflaster und
die 48 steinernen Stufen hinauf zum Tempel, rief dann dem Gott
mit der Glocke, opferte seine Kupfermünze und warf sich nun nieder,
um sein Gebet zu verrichten. Mit einer nochmaligen Abwaschung
und dem nun folgenden Ankleiden endete dieser auffallende Vorgang,
der vielleicht Genesung von einer Krankheit bezweckte.
Sowohl nach der inneren Einrichtung, als auch nach dem Zwecke,
dem sie dienen, sind private und öffentliche Bäder zu unterscheiden.
Im ersten Falle ist die Badewanne (furo) eine ziemlich tiefe Holz-
bütte mit stumpfeiförmigem Querschnitte, doch weit unter Körperlänge.
An ihrem spitzeren Ende führt ein kleiner Schornstein aus Eisenblech
empor, der unten mit einer kleinen Kohlenfeuerung in Verbindung
steht und das umgebende Wasser zu wärmen hat. Der furo befindet
sich je nach Umständen in der Nähe der Küche oder in einem be-
sonderen Badezimmer (yu-dono) an der Hof- und Gartenseite. Gegen
5 oder 6 Uhr Nachmittags oder auch einige Stunden später, je nach
der Grösse des Bedarfes, wird das Wasser geheizt und dann der
Reihe nach vom Hausherrn bis zum niedrigsten Dienstboten benutzt.
In den Herbergen hat der vornehmste Gast den Vorrang. Nach den
Gästen folgen Herrschaft und Kinder, zuletzt kommt das Gesinde,
so dass zuweilen 30 und mehr Personen nach einander sich desselben
Wassers bedienen und der Schluss spät in die Nacht fällt. Das Ab-
stossende, welches eine solche Badeeinrichtung für uns hat, wird
etwas verringert, wenn man bedenkt, dass sich die Sache täglich
wiederholt, Seife und andere das Wasser verunreinigende Stoffe nicht
gebräuchlich sind und das Ganze mehr in einem raschen Abwaschen
des Körpers besteht, während eine Vorrichtung zur Seite der Bade-
wanne jedem ihr Entsteigenden Gelegenheit bietet, sich Kopf und
Hände mit frischem Brunnenwasser zu waschen, das kein Anderer
mitbenutzt. Für den Reisenden ist ein solches Bad eine grosse Er-
quickung. Er entkleidet sich in seinem Zimmer, wirft einen bis zu
den Knöcheln reichenden leichten baumwollenen Rock (yu-kata) um,
der durch einen Lendengürtel zusammengehalten wird, und begi
sich so zum yu-dono. In den feineren Häusern steht die Badevor-
richtung mit den Besuchzimmern in Verbindung. Ein kleines Vor-
zimmer mit Spiegel etc. dient zum Anlegen der yu-kata. Der furo
[478]II. Ethnographie.
in der anstossenden Badestube ruht auf einem mit einem Lattengitter
versehenen Boden. Alles ist tadellos rein, die Wanne selbst, aus
schönem weissen hi-no-ki verfertigt, sehr einladend. Neben ihr
steht auf einem niedrigen Tischchen die blank polierte kupferne oder
messingerne Waschschüssel in Form eines weiten Cylinders von 5—8
Centimeter Tiefe mit frischem Wasser, daneben ein Porzellannapf oder
Glas mit Trinkwasser und eine Porzellanschale mit Kochsalz zum
Zähneputzen. Die neue Zahnbürste (yoji), welche zur Seite liegt,
ein weisses Weidenstäbchen von Handlänge, an einem Ende etwas
zugespitzt, am anderen durch zahlreiche, etwa zolltiefe Einschnitte
in einem ziemlich steifen Faserpinsel umgewandelt, kann leicht er-
setzt werden. Diese Zahnreinigungsmittel sind sehr billig — ein yoji
kostet etwa 1½ Pfennige —, daher Jedermann zugängig und allge-
mein in Gebrauch, wie Aehnliches bei keinem anderen Volke der
Erde zu finden ist.
Von dieser schönen Einrichtung weicht freilich die Aufstellung
der Badewanne neben dem Hause und nicht selten zur Seite der
Strasse wesentlich ab. Die Ungeniertheit, mit der hier der weib-
liche Theil des Hauses Angesichts der Männer und Vorübergehenden
die Badewanne benutzte, hat manchen Europäer nicht wenig über-
rascht.
Oeffentliche Badehäuser für das Volk gibt es viele in jeder Stadt.
Der Vorübergehende erkennt sie leicht an dem aus ihnen dringenden
Dampf und Lärm, denn diese Anstalten dienen nicht blos der Reinigung,
sondern auch der Unterhaltung und Erholung. Hier finden sich Be-
kannte täglich wieder, um vor oder nach der Abwaschung ihre Pfeif-
chen zu rauchen und mit einander zu plaudern. Früher badeten
beide Geschlechter ungeniert unter einander, jetzt trennt sie eine
kaum 1½ Meter hohe Bretterwand. Der Japaner, obgleich im ganzen
auf keiner hohen Stufe der Sittlichkeit stehend, erlaubte sich bei
solchen Gelegenheiten keine Unziemlichkeiten nach unserem Begriff.
Erst die Berührung mit den Europäern öffnete ihnen die Augen und
machte dieser paradiesischen Einfachheit ein Ende. War sie ein
Zeichen sittlicher Verderbtheit oder auch nur eines Mangels an Scham-
haftigkeit? Keineswegs! In Japan steht der Erwachsene, welcher
gewohnt ist, seine Mutter und Geschwister im Hause mit entblösstem
Oberkörper bei der Arbeit zu sehen, der Nacktheit des weiblichen
Geschlechtes gegenüber anders da, wie derjenige des Abendlandes.
Selbst dem moralisch sehr zartfühlenden und musterhaft hochstehenden
Eingeborenen erschien es nicht unpassend, wenn seine nächsten weib-
lichen Verwandten in seiner Gegenwart ihre täglichen Abwaschungen
[479]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
vornahmen, und diese wussten ebenfalls, dass sie damit keine gute
Sitte des Landes verletzten. Die Schamhaftigkeit ist ohne Zweifel
ein Erzeugniss des gesellschaftlichen Lebens und der Civilisation, wie
schon Rousseau hervorgehoben hat. Sie ist kein Criterion der Sitt-
lichkeit, tritt in verschiedenen Gestalten auf und ändert sich mit der
Bildung der Menschen und mit dem Klima, unter welchem sie zu
leben haben.
Ohne Zweifel trägt die regelmässige Benutzung warmer Bäder
bei den Japanern viel zur Erhaltung und Förderung ihrer Gesundheit
bei. Rheumatische Leiden, zu welchen die Arbeiten in den Reisfeldern,
der Fischfang und andere Beschäftigungen, sowie unzweckmässige
Hauseinrichtungen für die kalte Jahreszeit reichlich beitragen könnten,
werden meist im Keime erstickt und sind desshalb viel seltener als
bei uns. Ein anderes Mittel, denselben und verschiedenen anderen
Leiden entgegenzuwirken, ist das Schampuieren (Kneten der Muskeln
und Recken der Glieder) oder amma, welches sich oft dem Bade
anschliesst. Es wird allgemein von Blinden ausgeführt, deren Zahl
sehr gross ist und die sich davon nähren *). Sobald der Abend herein-
bricht und oft noch spät in die Nacht hinein sieht und hört man sie
mit ihren langen Bambusstäben die Strassen der Stadt durchschreiten
und auf einer Art Flöte monotone Töne pfeifen. Oft rufen sie amma-
san! (Knet-Herr!) oder momi-riôji (Schampuierungs-Heilverfahren!),
auch wohl amma kami shimo ni-ju-shi mon! (d. h. Kneten von
oben bis unten für 24 mon oder 1⅕ Pfennig! **). Das ist selbst für
japanische Verhältnisse sehr billig und geschieht nur von angehenden
amma-san, die noch keine Kundschaft haben. Blinde Frauen kommen
nur auf Bestellung und rufen nicht in den Strassen.
Ein Gesundheitsmittel ganz anderer Art ist die Moxa oder Mokusa
(japanisch jaito oder kiu). Oft erblicken wir auf den nackten Armen,
Schultern, Rücken oder posteriora der japanischen ninsoku (Kuli’s)
und Landleute Narben von der Grösse eines Markstückes oder darüber
von Brandwunden, die als Zugpflaster, um Krankheiten vorzubeugen
oder solche von anderen Körpertheilen abzuleiten, gebraucht wurden.
Das Verfahren besteht darin, dass auf die betreffenden Stellen eine
[480]II. Ethnographie.
filzige Masse von den Blüthentheilen der Artemisia vulgaris L. gelegt
und durch die glühende Kohle einer glimmenden Räucherstange,
welche man aus der gepulverten Rinde des Illicium religiosum be-
reitete, angezündet und abgebrannt wird.
Ninsoku pflegten früher ihre Körper vielfach statt mit Kleidern
durch Tätowierungen zu zieren, doch hat die Regierung diesen
eigenthümlichen, erst unter den Tokugawa eingeführten Brauch ver-
boten und ihm zugleich durch das Gebot des Kleidertragens wirksam
entgegen gearbeitet. Weibliche Schönheiten, volksthümliche Helden,
Blumen und Vögel, Drachen und andere Fabelthiere sah und sieht
man zum Theil noch jetzt auf die nackten Arme und Rücken fixiert.
Die Ausführung solcher Gemälde erforderte viele Monate sorgfältiger
Arbeit und die Anwendung von viel künstlerischem Geschick auf der
einen, eine enorme Geduld und Standhaftigkeit im Ertragen der her-
vorgerufenen Schmerzen auf der anderen Seite.
In der Bauart und inneren Einrichtung seiner Wohnungen hat
der Japaner nicht so viel Talent und Geschmack entwickelt, wie in
vielen anderen Dingen, doch ist auch hier ein löblicher Reinlichkeits-
sinn unverkennbar. Das japanische Haus *) entbehrt vor allem der
Solidität und des Comforts, also zweier Grundbedingungen, welche
wir an jedes Heim zu stellen gewohnt sind; der Solidität, insofern
es aus Holz und anderem brennbaren Material leicht construiert und
der Zerstörung durch Feuer und Wasser in hohem Grade ausgesetzt
ist; des Comforts, indem es ohne Möbel bleibt und keinen genügen-
den Schutz gegen Kälte, Feuchtigkeit und Rauch gewährt. Diese
drei Dinge, zu denen wir noch den Abtrittsgeruch, die fast nie fehlen-
den Ratten und zuweilen auch Flöhe und Moskitos zählen müssen,
sind die häufigen Plagen des Reisenden in einer japanischen Her-
berge.
Die grosse Verschiedenheit im Aussehen und in der Bauart der
Häuser zwischen Dorf und Stadt, arm und reich, und insbesondere
auch die Abwechselung in den Baustylen innerhalb ein und derselben
Stadt, welche wir gewohnt sind, findet man in Japan nicht **). Ein
gemeinsamer Plan liegt hier den Häusern im ganzen Lande zu Grunde.
Nur die Grösse und die Feinheit des angewandten Materials wechselt;
nur an der Zahl der Häuser und an den kaufmännischen Geschäften
[481]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
erkennt man die Stadt. Das japanische Wohnhaus ist durchweg auf
eine kleine Familie von 4—5 Personen berechnet und, den in der
Regel sehr bescheidenen Mitteln und Anforderungen seines Besitzers
entsprechend, klein und einfach, so dass es für eine in unseren Augen
sehr unbedeutende Summe von 150—1000 Mark hergestellt werden
kann und dabei natürlich ein gewöhnliches, armseliges Aussehen hat,
ohne jede Verzierung und gefällige Ausstattung. Das Hauptbau-
material liefern verschiedene Kiefern und Tannen, sowie für bessere
Häuser die Cryptomerien. Das japanische Haus ist ein niedriges
Gebäude von 1—2 Stockwerken aus leichtem Rahmwerk ohne Funda-
ment und mit schwerem Dach. Hölzerne Pfosten, auf unbehauenen
Steinen ruhend, stützen das letztere. Die Hauptträger desselben sind
starke Balken, welche sorgfältig an einander gefügt werden. Das
Dach liegt stumpfwinkelig auf, greift in der Regel weit über, ist bei
Wohnhäusern einfach und flach, bei Tempeln und alten Burgen gegen
den Rand meist wie bei chinesischen Pagoden nach oben geschweift,
in den Dörfern noch meist mit Stroh, in den Städten mit Schindeln
oder Ziegeln bedeckt. Es unterliegt keiner Frage, dass die Japaner
gerade in der Construction und Bedeckung ihrer Dächer viel Geschick
entwickeln und das dicke Ziegel- oder Strohdach eine Sorgfalt zuge-
wiesen bekommt, welche man sonst vielfach vermisst.
Parallel zu und hinter der in Abständen von einem Ken *) (etwa
2 Meter) errichteten Reihe von Pfosten, auf denen das Dach ruht,
läuft noch eine zweite Reihe. Der Abstand zwischen beiden von
3 shaku (1 Meter) ist für die Veranda bestimmt. Sobald auf diesen
Pfosten und den sie verbindenden Balken das schwere Dach ruht,
ist der daiku (Zimmermann) fertig und die feinere Arbeit des sashi-
mono-ya (Schreiners) beginnt. Das japanische Haus, ohne Funda-
ment, zwei bis drei Fuss über dem Boden auf den Ecksteinen ruhend,
schwebt also gewissermassen in der Luft, doch pflegt man ihm häufig
später eine Mauer unterzufügen oder die Zwischenräume zwischen den
Ecksteinen mit Bretterwerk zu bekleiden.
Die Grösse der Zimmer, ja der ganze Grundriss der Häuser
richtet sich in Japan nach den tatami **) oder Binsenmatten, mit denen
die gedielten Böden bedeckt werden. Dieselben stellen ohne Aus-
nahme Rechtecke von 6 shaku (gegen 2 Meter) Länge und 3 shaku
Breite dar, welche man auf der Rückseite 3—4 Centimeter dick mit
Rein, Japan I. 31
[482]II. Ethnographie.
Strohgeflecht oder grobem Zeug polstert und an den Rändern mit
Zeugstreifen einfasst. Nach ihnen unterscheidet man Zimmer von 4,
6, 8, 10, 12 etc. Matten. Die durchschnittliche Höhe der Zimmer
ist 8—10 shaku (2½—3 Meter). Sie werden von einander durch
verschieb- und entfernbare Wände, die fusuma, getrennt. Es sind
dies Rahmen oder Schieber von der Grösse der tatami, beiderseits mit
starkem Tapetenpapier oder karakami (in reichen Häusern wohl auch
mit Goldpapier) überzogen, welche zwischen canellierten Balken laufen.
Der 2—4 Fuss breite Abstand zwischen dem oberen Querbalken,
welcher eine solchen Schiebewand begrenzt, und der Decke ist ent-
weder geschlossen und blau, rosafarben oder weiss übertüncht oder
mit einem künstlerisch durchbrochenen feinen Holzwerk versehen.
Ausser der hier erwähnten, schon in der Anlage gegebenen Begren-
zung der Zimmerräume ist eine weitere noch beweglichere durch
schöne zusammenlegbare spanische Wände (biyobu) gegeben.
Sein Licht erhält das japanische Zimmer durch die shôji. Es
sind dies Schieber nach Art der fusuma, welche jedoch durch fein-
gehobelte Holzstäbe der Länge und Breite nach in ein Netz von
Rechtecken verwandelt wurden, über welche von aussen starkes
durchscheinendes Papier geklebt wird. Die shôji vertreten demnach
unsere Fenster, welche giaman-shôji (Glasfenster) heissen.
Die Veranda ist den Tag über bei gutem Wetter offen, wie die
der Strasse zugekehrten Räume, wird aber Abends und bei Regen
durch die sogenannten amado (Regenthore) geschlossen, um das Haus
vor Eindringlingen, die Papierscheiben aber vor dem Nasswerden zu
schützen. Dieser Schutz besteht in Brettern, welche in Falzen laufen,
verschiebbar und durch einen Riegel beim Schlussbrette von innen
befestigt sind. Wünscht man Eintritt in ein gewöhnliches Haus, so
tritt man vor die Schiebethüre und ruft »gomen-nasai!« (entschuldigen
Sie) oder weniger höflich »moshi, moshi!« (höre, höre) und klatscht
auch wohl in die Hände, worauf von innen geöffnet wird.
Die besten Zimmer befinden sich immer auf der Rückseite des
Hauses, wo man von der Veranda herunter in den kleinen Garten
tritt. Zur Seite und durch einen gedielten Gang von der Veranda
aus erreichbar befindet sich der Abtritt. Unter der kleinen recht-
eckigen Oeffnung steht zur Aufnahme des wichtigen Düngstoffes eine
Tonne, welche auch den Urin von dem Pissoir sammelt. Nach der
Strasse hin liegt gewöhnlich das Wohnzimmer der Familie und nicht
selten auch die Küche, welcher es, wie dem ganzen Hause, an einem
Schornstein fehlt, so dass das gewöhnliche Brennmaterial — Kohle
aus Eichen- und Kastanienholz — zuweilen alle Wohnräume mit
[483]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
Rauch erfüllt und die grosse Reinlichkeit, welche hier herrscht, nicht
selten beeinträchtigt.
Dem japanischen Zimmer fehlt genügende Abgeschiedenheit und
jeder Comfort. Wir vermissen darin Stühle und Tische, Betten und
sonstige Dinge, welche bei uns zu einer behaglichen Zimmereinrich-
tung gehören. Der Japaner bedarf ihrer nicht. Er lässt seine geta
oder zori am Eingang, um die schönen Matten nicht zu beschmutzen,
und ist in behaglichster Stellung, wenn er auf den Knieen und Fersen
ruht. Nur zwei Möbel dürfen bei ihm nicht fehlen, das hibachi und
das tabako-mon, d. h. das Feuerbecken und das Tabaksbrett. Das
hibachi ist ein tragbarer Apparat, bestehend aus rundem Messing-
oder Bronze-Napfe oder einem Holzkasten, gefüllt mit feuerfestem
Thon am Rande und Holzasche gegen die Mitte, in welcher glühende
Holzkohlen liegen. Der tabako-mon ist ein Präsentierteller mit einer
kleinen ähnlichen Vorrichtung für glühende Kohlen und einem Spuck-
napfe, statt dessen oft ein Stück Bambusrohr fungiert. Das hibachi
dient sowohl zum Anzünden der Pfeifchen als auch zum Wärmen.
In letzterer Hinsicht erscheint noch besser die ältere Vorrichtung, das
kotatsu, eine grosse quadratische Oeffnung im Boden, welche mit
feuerfestem Thon und Asche, wie ein hibachi, halb ausgefüllt ist und
in der Mitte ein Häufchen glühender Kohlen trägt. An ihm suchen
die Bewohner des Hauses, den Körper mit gesteppten Matratzen be-
deckt, Schutz gegen die Kälte der langen Winternächte. In vielen
Zimmern, zumal den feinsten, bildet die eine feste Wand eine Art
Recess. Tokonoma heisst die eine Hälfte desselben. Der Boden des
Zimmers ist hier um 6—10 Centimeter und auf 60—80 Centimeter
Breite erhöht und trägt oft zwei Vasen mit blühenden Zweigen einer
Lieblingspflanze; zwischen beiden aber stand früher das katanakake
oder Schwertrepositorium. Die dahinter befindliche Wand ist mit
einem kake-mono (Hängebild) geziert. Dasselbe besteht in einer
einfachen Tuschzeichnung oder dem Sinnspruch eines chinesischen
Weisen auf einem langen Rechteck aus weisser Tapete oder einem
Seidenstück. Die zweite Wandhälfte bildet einen Erker, den kleine
Schränke mit Schiebethüren und schwarzlackierte Kasten füllen zur
Aufnahme des Bettzeuges, welches erst unmittelbar vor dem Schlafen-
gehen hervorgeholt wird. Dasselbe besteht: 1. in dem futon, einer
steif mit Baumwolle oder Seidenwatte ausgestopften Matratze; 2. in
dem nemaki oder Nachtkleide, einer Art Kaftan mit weiten Aermeln,
welcher für den Winter ebenfalls steif wattiert ist, und 3. in dem
makura oder Kopfkissen. Dieses ist ein kleines fussloses Schemel-
chen mit halbmondförmigem Ausschnitt, den eine Polsterrolle aus
31*
[484]II. Ethnographie.
Papier oder Baumwolle deckt. In den nemaki *) gehüllt, ausgestreckt
auf dem futon, welcher unmittelbar über den tatami ausgebreitet wird,
mit dem Nacken im Sattel des makura ruhend, hält der Japaner
seinen Schlaf, während dessen ihn die ausgespannte Kaya (das Mos-
kito-Netz) vor Stechfliegen schützt. Diese Kaya besteht aus lockerem
Hanf- oder Baumwollgewebe und wird an vier Decknägeln des Zimmers
befestigt.
Die Zimmer werden Nachts durch andon (Lampen) oder rosoku
(Kerzen aus dem Pflanzentalg, welchen die Samen von Rhus succe-
danea und Rh. vernicifera liefern) erhellt **). Mit dem Bett aber
bringt man eine grosse stehende Papierlaterne in das Zimmer, worin
die Oellampe (oder andon) ruhig brennt.
In einem Zimmer jedes japanischen Hauses befindet sich der
Hausaltar, kami-dana oder Götterschrank, ein hölzerner Shintôtempel
en miniature, worin unter anderem Täfelchen, welche die Namen
von Göttern tragen, aufbewahrt werden und vor dem der Hausherr
täglich seine Andacht verrichtet.
Der zweite Stock eines japanischen Hauses ist immer noch
niedriger als der erste und steht in der Regel weit hinter diesem
zurück, so dass ein niedriges Vordach und ein höher gelegenes Mittel-
dach angewandt wird. Einstöckige Gebäude sind jedoch sehr zahlreich.
Den Raum zwischen der gedielten und mit Tapete überzogenen Decke
und dem Dach bewohnen gewöhnlich die Ratten, welche Nachts auch
die Schlafräume heimsuchen und hier sehr lästig werden können ***).
Auf dem Lande sind die Häuser meist isoliert, während in den
Städten ein Holzbau sich unmittelbar dem anderen anreiht. Hier-
durch, sowie durch den Mangel an Kaminen, die unzweckmässigen
Heizvorrichtungen während des Winters und ungenügende Controlle
sind Feuersbrünste an der Tagesordnung †). Selten beginnt und endet
[485]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
ein Leben unter demselben Dach, ja ich habe Japaner gekannt, welche
achtmal in ihrem Leben abgebrannt waren. Unter solchen Umständen
ist es gut, dass nicht viel Hauseinrichtung mitverbrennen kann und
die Errichtung einer neuen Wohnstätte nicht so schwierig ist als bei
uns. Aber es wird durch diese häufigen Brände ein grosses Quantum
Holz und ein ansehnlicher Theil des Nationalwohlstandes vernichtet.
Brandkassen, die Wohnungen zu versichern, gibt es nicht; auch sind
diese nicht geeignet, als Versicherungsobjecte bei Geldanlagen zu
dienen.
In dem grossen Häusermeere von Tôkio sind Feuersbrünste
überaus häufig und erhellen bald von hier, bald von dort aus
weithin die dunkele Nacht. »Kuwaji (kaji) -wa Yedo no hana da«
— die Feuersbrunst ist Yedos Blume —, sagt eine alte bekannte
Redensart; ja eine Blume, die bald Diesem, bald Jenem blüht und
ihn hinaustreibt, um Hilfe zu suchen bei Freunden und Verwandten,
die nicht unterlassen, ihm zur Errichtung eines neuen Hauses nach
Kräften beizustehen. Mit unendlichem Gleichmuthe und beneidens-
werther Ruhe ergibt sich der Japaner in ein solches Unglück und
trägt im grossen Tuche auf dem Rücken hinweg, was er von seinem
bescheidenen Hausrathe zu retten vermag.
Oft sieht man in den Strassen eine hohe Leiter angebracht, neben
der oben eine Glocke hängt. Sie dienen zur Umschau und um Signale
zu geben bei ausgebrochener Feuersbrunst. Auch gewahrt man da
und dort zur Seite der Häuser über einander stehende Kübel mit
Wasser, um zum Löschen bereit zu sein. Dieses wird von Feuer-
wehren geleitet, welche schon seit sehr lange im Lande bestehen und
gut organisiert sein sollen. Kaufleute und sonstige wohlhabendere
Personen besitzen in kurzer Entfernung von ihrem Wohnhause eine
kura oder dozô, d. i. ein feuerfestes, weiss übertünchtes Gebäude
aus dicken Lehm- und Schlammwänden, worin Waaren und Werth-
gegenstände jeder Art aufbewahrt werden. Die Engländer nennen
solche Gebäude in China und Japan »godowns«.
Abgesehen von der grossen Feuersgefahr ist die Bauart der japa-
nischen Häuser ohne Zweifel auch dem Klima schlecht angepasst.
Gewährt dieselbe auch den heissen Sommer über kühle, luftige Räume,
so bietet sie dagegen während des viel längeren rauhen Winters
keinen genügenden Schutz gegen die überall durch Fugen und Ritze
eindringende kalte Luft. Für die kälteren Landestheile ist desshalb
ein behagliches Wohnen in einem japanischen Hause selbst dem ab-
gehärteteren Eingeborenen kaum möglich und schon aus diesem Grunde
der allmähliche Uebergang in einen solideren Baustyl, der in ratio-
[486]II. Ethnographie.
neller Weise den verschiedenen Anforderungen an ein Wohnhaus
Rechnung trägt, geboten.
Nicht jeder japanische Hausbesitzer, zumal in Städten, erfreut
sich zugleich auch eines niwa oder Blumengartens; aber was
dem bescheidensten deutschen Gärtchen nur ausnahmsweise fehlt, die
Laube, erblicken wir im japanischen nie. Es ist nur zum Beschauen,
nicht zu längerem Aufenthalte bestimmt, mit viel Geschmack und
Raffinement angelegt, mit Sorgfalt gepflegt. Fehlt der kleine Weiher,
in welchem Goldfische und Schildkröten sich tummeln und im Hoch-
sommer Lotosblumen ihre reizenden Blätter und Blüthen erheben und
entfalten, so ist doch Raum für ein bescheideneres Wasserbecken mit
Salamandern, für einen niedlichen kleinen Steg, für Felsgruppen mit
schönen Zwergformen von Bäumen und Sträuchern und derlei mehr.
Oft muss man sich jedoch mit einem Busche des Nanten (Nandina
domestica) oder in selteneren Fällen einer kleinen südchinesischen
Fächerpalme, dem tô-shiro (Rhapis flabelliformis Ait.) im engen Hof-
raume begnügen. Obst- und Gemüsegärten fehlen bei den Häusern.
Der nebenstehende Holzschnitt zeigt uns den Garten des Tempels
Kameido in Honjo-ku (im Plan mit 4 bezeichnet) zu Tôkio, Stein-
laternen und Felsgruppen, Wasser und kühne Stege, Bäume und
Sträucher unter der Scheere, krüppelhafte Kiefern, die besonders be-
liebt, und eine Art Laube mit Glycinen (Wistaria chinensis), um die
hängenden Blüthentrauben besser beschauen und bewundern zu können.
Der Japaner lebt im allgemeinen sehr mässig und frugal. In
den ältesten Zeiten vor Einführung des Buddhismus bildeten Fische,
das Fleisch wilder Thiere, Wurzeln und Früchte die Nahrung,
dann traten vegetabilische Producte des Feldes mancher Art mehr
in den Vordergrund, insbesondere das wichtigste derselben, der Reis.
Geschält und in Wasser gekocht, bildet er den wesentlichsten Be-
standtheil von jeder der drei Mahlzeiten am Tage, daher diese gozen
(d. i. im Wasser gekochter Reis) genannt und als asa-gozen, hiru-
gozen und yu-gozen, wörtlich: Morgen-, Mittag- und Abend-Reis,
unterschieden werden, wie wir von einem Morgen-, Mittag- und Abend-
Brod reden. Dennoch gibt es in Japan viele Tausende armer Ge-
birgsbewohner, welche sich freuen, wenn ihre beschränkten Felder
Gerste, Hirsearten und Buchweizen statt Reis producieren, bei wel-
chen letzterer ein Luxusartikel ist, der wohl Kranken, kleinen Kin-
dern und schwachen Greisen, selten aber gesunden Erwachsenen zu
Theil wird.
Diverse Hirsearten, Buchweizen, Gerste und Weizen sind, wie
schon angedeutet, Surrogate des Reises, welche in Form von Grütze
[487]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
benutzt werden, während Brod unbekannt war und auch jetzt noch
wenig verbreitet ist. Unter den Stärke liefernden Knollen spielen die
imo oder Wurzelknollen der Colocasia esculenta, wie bei den Südsee-
Insulanern, die erste Rolle, dann folgen eine Reihe anderer, wie
Bataten, Yamswurzeln, gewöhnliche Kartoffeln und verschiedene an-
dere, darunter auch die Rhizome der Lotosblume und junge Bambus-
triebe. Zwerg- und Dolichosbohnen, Erbsen und Saubohnen werden
viel gebaut, treten jedoch wie verschiedene Gemüse noch zurück
hinter zwei andere Gewächse, welche der Japaner kaum missen kann.
Es sind dies lange weisse Rettige oder daikon, die in Stücke ge-
schnitten und in Salz eingemacht fast bei jeder Mahlzeit serviert
werden, und die schönen dunkelvioletten Früchte der nasu oder Eier-
pflanze (Solanum melongena), die theils frisch in Suppe gekocht,
theils ebenfalls eingesalzen und an Stelle der daikon in Gebrauch
kommen. Für Suppen werden besonders vortreffliche Pilze (Aga-
ricus sp.) geschätzt.
Obstsorten liefert das Land mancherlei, doch nur wenige, die
unserem Geschmack zusagen. Am verbreitetsten ist die Dattelfeige
(Diospyros kaki Thbg.), eine stattliche, glänzend orangegelbe Frucht
von der Grösse eines Apfels, womit die ansehnlichen Bäume im Herbst
oft noch nach ihrem Blattabwurfe beladen sind. Sonst sind noch
prächtig aussehende Birnen von fadem, wässerigem Geschmack, selten
vorkommende, unscheinbare Aepfel und Pflaumen, ziemlich saure
Trauben, Pfirsiche und Aprikosen mit wenig Aroma, Wallnüsse und
Kastanien neben den guten Mandarinorangen warmer südlicher Land-
striche und einigen anderen Obstsorten, wie die Biwa oder Früchte
der Eriobotrya japonica Thbg. zu nennen *).
Milch, Käse und Butter fehlen, dagegen spielen Eier in der Diät
des Japaners — doch nicht des gemeinen Mannes — eine Rolle.
Weitaus die wichtigste thierische Nahrung liefert das Meer mit seinem
Reichthume an Fischen, Krusten- und Weichthieren. Enten und
wildes Geflügel, besonders Fasanen, dann alle grösseren Säugethiere,
mit Ausnahme des Hundegeschlechtes, also auch Affe, Dachs und
Bär werden gegessen. Der Verbrauch an Rindfleisch wächst mit
jedem Jahre.
Die Orientalen der Mittelmeerländer nehmen ihre Speisen mit
der rechten Hand gemeinsam aus einer grossen Schüssel auf rundem
Tischchen, das sie im Kreise umsitzen, in Japan wird jedem Theil-
[488]II. Ethnographie.
nehmer an der Mahlzeit, wie in einer Restauration, seine abgemessene
Portion auf einem kleinen Tischchen oder Präsentierteller besonders
vorgesetzt. Auf den Matten knieend, ergreift er den kleinen lackierten
Holznapf mit der Suppe und bringt sie zum Trinken an den Mund,
dem die festen Speisen durch zwei Essstäbchen zugeführt werden,
welche er zwischen den Fingern der rechten Hand hält und so ge-
schickt bewegt, dass er damit eine Zange bildet. Ausser der Suppe
trägt das Tischchen gewöhnlich einen kleinen Porzellannapf, der mit
gekochtem Reis gehäuft voll ist, und mehrere Porzellantellerchen mit
den Zuspeisen, nämlich Fisch, Rettig, imo oder deren Ersatz. Selten
fehlt ein kleiner Theetopf mit einem Porzellanschälchen als Tasse.
Ein Dienstbote kniet in kurzer Entfernung vor dem sauberen Kübel
mit gekochtem Reis, um bald hier, bald dort den dargereichten Napf
von neuem zu füllen. Als Getränke zum Schluss dient in der Regel
ein schwacher Aufguss von grünem Thee oder einfach warmes Wasser.
Auf Reisen und an Festtagen erlaubt man sich eine Schale Reisschnaps
oder sake, der Lieblingsgetränke ist. In den höheren Ständen speist
die Frau mit dem weiblichen Personal des Hauses auf einem beson-
deren Zimmer, und nur der Abend vereinigt alle Glieder der Familie
um das matte Lampenlicht.
Die drei Stimulanten, die bei allen Ständen Japans gleich
beliebt sind, heissen cha (Thee), sake (Reisbranntwein) und tabako
(Tabak); alle drei erzeugt das Land in Ueberfluss und consumiert
sie in grosser Menge. Der grüne Thee — schwarzer wurde bisher
gar nicht dargestellt — wird als leichter Aufguss getrunken, ohne
irgend welche Zuthat. Man gewöhnt sich leicht an seinen Genuss
und findet ihn, namentlich auf Reisen, in hohem Grade erfrischend
und anregend. Es ist ein Getränk, das dem Ankömmling alsbald
serviert wird, mag er nun einen Besuch machen, in ein kaufmänni-
sches Geschäft eintreten oder auf der Bank oder Veranda einer
Wirthschaft sich niederlassen. Weniger zusagend erscheint uns der
sake. Derselbe wird in der Regel warm aus lackierten oder porzella-
nenen Schalen getrunken und betäubt leicht, besonders den Einge-
borenen, nicht sowohl des Alkoholgehaltes wegen, der gering ist, als
vielmehr durch das schädliche Fuselöl in ihm. So sieht man denn
auch durch sake Angeheiterte oder Betrunkene sehr häufig. Die natür-
liche Zurückhaltung und Gutmüthigkeit verlässt dann nicht selten den
Japaner, namentlich den Fremden gegenüber, die er seinen Hass er-
kennen lässt. So war es gefährlich und nicht rathsam, dass man in
Tôkio an Mittwoch- oder Sonntag-Nachmittagen, wo die Soldaten frei
hatten und oft mehr oder minder betrunken sich in den Anlagen der
[489]3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc. 4. Die Familie etc.
Tempelgründe von Shiba, Asakasa und Uyeno herumtrieben, in ihre
Nähe kam *). Das sake-Trinken ist so beliebt, dass Pumpelly
sagt, das herrschende Laster sei ohne Zweifel die Trunksucht.
Der Tabak, welcher, wie bereits pag. 360 hervorgehoben wurde,
zu Anfang des 17. Jahrhunderts durch Portugiesen nach Nagasaki
gelangte, wurde bald bei Jung und Alt, Hoch und Niedrig sehr be-
liebt. Selbst unter den Frauen bilden Nichtraucher die seltene Aus-
nahme. Man raucht ihn aus kleinen 15—25 Centimeter langen Pfeif-
chen, bei denen Kopf und Mundstück aus Messing oder Silber, das
Zwischenglied aber aus Bambusrohr besteht. Das Ganze erinnert
lebhaft in seiner Gestalt an eine Clausilia, die desshalb auch mit
Recht Kiseru-gai, Pfeifenschnecke, genannt wird. Das rechtwinkelig
umgebogene Köpfchen ist kleiner als ein Fingerhut. Das süssliche
Kraut wird fein wie türkischer Tabak zerschnitten und in lockeren
Pillen in das Pfeifchen gesteckt; es reicht nur für ein auch zwei
Züge, deren Rauch verschlungen und durch die Nasenlöcher wieder
ausgetrieben wird **). Hierauf wird das Pfeifchen am hibachi oder
tabako-mon ausgeklopft, von neuem gestopft, angezündet und sein
Rauch eingeschlürft. Pfeifchen und Tabakstasche sind des Japaners
stete Begleiter. Dem Rauchen widmet er einen ansehnlichen Theil
der Tageszeit, mit ihm beginnt, unterbricht und endet er seine Ar-
beit. Darum erfordert es allenthalben die Höflichkeit, dem ankommen-
den Gaste nicht blos alsbald eine Schale Thee, sondern vorher noch
das hibachi vorzusetzen, damit er sich ein Pfeifchen anzünden kann.
4. Die Familie ***). Adoption. Erziehung und Unterricht. Indivi-
duelle Vergnügen. Theater, Geshas und Yoshiwaras. Beerdigungen.
Beständigkeit ist der bemerkenswertheste Charakter der japani-
schen Familie. Das jeweilige Haupt derselben genoss eben so weite
[490]II. Ethnographie.
Rechte, wie der pater familias im alten Rom, die unbeschränkte
Macht über Person und Eigenthum seiner Kinder. Den Missbrauch
derselben verhinderten in der Regel die natürliche Liebe und die
sehr einflussreiche Sitte. Mit diesem ausgedehnten Rechte des Fami-
lien-Oberhauptes war freilich auf der anderen Seite auch eine grosse
Verantwortlichkeit für alle Handlungen seiner Untergebenen verbun-
den. Sie wurde gemildert durch das weitere Recht, Glieder der
Familie auszustossen und fremde Personen in dieselbe hereinzuziehen.
Hierdurch verlor die japanische Familie viel von ihrem natürlichen
Charakter und erscheint mehr als Corporation.
Die Adoption (moraikko oder yoshi-ni naru) oder Annahme an
Kindes Statt ist eine alte, in Ostasien weit verbreitete und viel ge-
übte Sitte. Während der Römer Adoptivsöhne nahm, um seine Fa-
milie zu vergrössern, adoptierte der Japaner, um dieselbe zu erhalten.
Doch wurde hier die Sitte erst mit der Entwickelung des Feudal-
wesens und Shôgunats allgemeiner und tief eingreifend in das ganze
Volksleben. Die Adoption hatte zwei Zwecke, einen materiellen und
einen religiösen. Der materielle, den wir auch den feudalen nennen
können und der zweifelsohne in den meisten Fällen den Ausschlag
gab, bestand darin, der Familie die erblichen Rechte zu sichern,
welche an Militärdienste oder wenigstens die Möglichkeit, solche leisten
zu können, gebunden waren. Desshalb führte schon Yoritomo das
Gesetz der männlichen Erbfolge für die Samuraiklasse ein. In den
älteren Zeiten gab es keine Beschränkungen der Erbfolgeschaft auf
männliche Nachkommen, wie denn auch die Geschichte Japans uns
neun regierende Kaiserinnen aufweist.
Der Adoptivsohn nahm in vielen Fällen den Namen seines
Adoptivvaters an und wurde meist zugleich auch dessen Schwieger-
sohn, wenn eine Tochter vorhanden war. So lange er minderjährig
(unter 15 Jahren) war, sorgten beiderlei Eltern für seine Erziehung.
In der Regel wurde er aus dem Kreise der Verwandten genommen
und diente das Verfahren als Versorgung jüngerer Söhne, doch gab
es darüber keine Vorschrift.
Der religiöse Zweck der Erhaltung der Familie durch Adoption
bestand darin, die Fortdauer der den Vorfahren bestimmten Opfer zu
sichern. Auf diese heilige Pflicht nahm man bei vornehmeren Fami-
lien noch Rücksicht, wenn sie zur Strafe ihres Besitzthums beraubt
wurden, wie wir in der Geschichte der Familie Hoshina (pag. 417)
gesehen haben. In China, wie in Japan gab und gibt es desshalb
wegen des Ahnencultus kaum ein grösseres Unglück für den Familien-
vater, als keinen Sohn zu haben, da es dann an Jemand fehlte, den
[491]4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
Vorfahren Opfer zu bringen, damit dieselben in der Unterwelt nicht
ewiglich hungern und dürsten müssen.
Abgesehen von dieser religiösen Seite bestand der Hauptvortheil
der Adoption darin, dass, wenn ältere Leute sich zurückziehen wollten,
ihnen und etwa vorhandenen Töchtern im Adoptivsohne eine natür-
liche Stütze erwuchs, denn die Pflichten des letzteren waren dieselben,
wie die des natürlichen Kindes. Zu den Nachtheilen gehörte die
Begünstigung des offenen Concubinats, da Kinder des Familienhauptes
mit Nebenfrauen gleiche Rechte genossen, wie solche aus der legi-
timen Ehe *). Als ein weiterer Nachtheil der Adoption wird ange-
führt, dass sie manchen Jüngling mit so gesichertem Erbe nachlässig
machte und derselbe nicht mit der Energie und Hingabe an seiner
Ausbildung arbeitete, wie Solche, welche sich bewusst waren, dass
ihr Fortkommen lediglich von ihrer Erziehung abhing. Dass das
Adoptieren vielfach auch mit dem Abdicieren in jungen Jahren zu-
sammen fiel, wurde im geschichtlichen Theile dieses Werkes oft genug
hervorgehoben. Mancher Mann, auch in der bescheideneren Lebens-
stellung des gewöhnlichen Samurai, glaubte seinen Pflichten als Fa-
milienhaupt genügt zu haben, wenn er auf die eine oder die andere
Weise für einen Nachfolger gesorgt und das Erbe gesichert hatte,
und vergeudete dann den besten Theil seines Lebens. Endlich ist
noch hervorzuheben, dass Leute von niedriger Denkungsart oft Mäd-
chen in zartem Alter adoptierten, um sie in den Künsten der Courti-
sanen abzurichten und später zu gebrauchen.
Die Adoption hatte auch ihre lächerlichen Seiten, zu denen unter
anderem die Bestimmung des Iyeyasu gehört, dass der Adoptivvater
wenigstens 15 Jahre alt sein musste, sowie die Vorschrift der Etiquette,
welche verlangte, dass ein Kind als Erbe und Repräsentant der Fa-
milie bei feierlichen Anlässen in dem Anzuge eines Erwachsenen er-
scheinen musste.
Durch die Beseitigung des Feudalwesens und die grosse Reduc-
tion des Familienerbes wurde auch die Bedeutung der Adoption be-
trächtlich verringert. Mehr und mehr hat sich die Ansicht geltend
gemacht, dass die Sitte für die gegenwärtige Zeit und die neuen Ver-
hältnisse sich nicht mehr eignet, dass es aber besser ist, sie allmäh-
lich aussterben zu lassen, statt sie, wie so manches andere, durch
eine rauhe Verordnung plötzlich zu beseitigen.
[492]II. Ethnographie.
Die Heirath war früher in Japan nur ein Civilcontract, um
welchen sich, wenigstens in den unteren Classen, Kirche und Staat
nicht kümmerten, während sie bei Kuge und Daimio nur mit Zu-
stimmung der Centralregierung in Yedo stattfinden durfte *). Gewöhn-
lich ging ihr eine feierliche Verlobung voraus, welche noch in höherem
Grade bindend war, wie eine solche heutzutage vor dem amerikani-
schen Gesetz erscheint. Ein von den Eltern des Bräutigams oder der
Braut betrauter Heirathsvermittler (nakôdo) bewirkte eine Zusammen-
kunft oder mi-ai (von miru, sehen und a-u, passen) beider Familien
im Theater oder einem Theehause. Hatten so die jungen Leute sich
kennen gelernt und Neigung zu einander, so wurden Geschenke aus-
getauscht und damit die Verlobung besiegelt. Später folgte die
Ueberführung der Braut in das Haus des Bräutigams und damit der
Anfang der Ehe **).
An die Rolle, welche die japanische Frau in derselben spielt,
dürfen wir nicht den gewohnten Maassstab legen; denn es ist eine
der segensreichsten Wirkungen des Christenthums gewesen, der Frau
eine dem Manne ebenbürtige Erziehung und Stellung zu geben; nur
in der christlichen Ehe erhielt dieselbe das Recht, mit dem Manne
an einem Tische zu essen, alle Sorgen und Freuden des Lebens zu
theilen; nur in ihm erscheint dieselbe als gleichberechtigte Lebens-
gefährtin.
Weder Confucius noch Buddha weisen der Frau eine geachtete
Stellung an. Nach diesem hat sie keine Seele und kann nur wün-
schen, beim Wiedereintritt ins Leben als Mann zu erscheinen; nach
jenem hat sie nur Pflichten, keine Rechte. Diese sanjô (drei grossen
Pflichten), welche man auch in Japan nach der Staatsweisheit des
chinesischen Philosophen jeder Frau von Jugend auf einprägte, waren
und sind, wie bereits früher erwähnt wurde, Gehorsam dem Vater
(und der Mutter), dem Manne, dem ältesten Sohne, je nachdem sie
unverheirathet, Ehefrau oder Wittwe war. Der Mann hatte das Recht
über die Person und das Eigenthum seiner Frau, ihm war das Con-
cubinat gestattet, während er den Ehebruch seiner Frau mit dem
Tode bestrafen durfte. In sieben Fällen stand ihm das Recht der
Scheidung zu, das er einfach durch Zurücksendung seiner Ehehälfte
[493]4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
zu ihren Eltern ausübte. Die Scheidungsgründe, welche schon
Confucius aufgestellt hatte, waren: Ungehorsam der Frau gegen ihre
Schwiegereltern, Unfruchtbarkeit, lose Reden und Trunksucht, Eifer-
sucht, unflätige Krankheiten, Diebstahl und — Schwatzhaftigkeit.
Doch kam dieses grosse Vorrecht selten in Anwendung, zumal wenn
die Ehe mit Kindern gesegnet war. Erziehung und Sitte verlangten,
dass die Frau besonders dann mit Güte und Achtung behandelt wurde.
So stand und steht sie unter allen Frauen asiatischer Völker doch
am freiesten und angesehensten da und spielt auch in der Landes-
geschichte eine ehrenvolle Rolle. Ihre Aufgabe ist, dem Manne das
Leben zu erheitern. Sie erstrebt dies durch ein heiteres Temperament,
grosse Reinlichkeit in Kleidung und Haus, wird eine sorgsame Haus-
frau und eine liebevolle, zärtliche Mutter und findet in dieser Stellung
ihre wahre Würde. Die Sitte gebot ihr bis vor kurzem, durch das
Abrasieren der Augenbrauen und Schwärzen der Zähne dem Streben,
nach aussen zu gefallen, ganz zu entsagen, denn nach Iyeyasu sind
ihre Pflichten nach innen, die Aufgaben des Mannes aber nach aussen
gerichtet.
Die japanische Frau ist die erste Dienerin des Hauses. Schon
beim Hochzeitsmahle muss sie in demüthiger Haltung ihrem Manne
die Speisen vorsetzen. Mann und Frau nehmen keine gemeinschaft-
lichen Mahlzeiten, noch bewegen sie sich zusammen im öffentlichen
Leben, wenigstens nicht solche aus den höheren Ständen. Im Hause
aber ist sie Nio-bo, die Frau des Hauses, Oku-sama, Herrin
des Innern, vor allem aber O kami-san, die ehrbare Herrin, wie
sie gewöhnlich angeredet wird. Als solche steht sie auch über den
Mekake oder Concubinen und deren Kindern.
Polygamie war im alten Japan eine weit verbreitete Sitte. Iye-
yasu spricht in seinen Gesetzen dem Mikado das Recht zu, sich ein
Dutzend Nebenfrauen zu nehmen, den Daimio und Hatamoto auf acht
Concubinen und den gewöhnlichen Samurai auf zwei. Aber nur in
seltenen Fällen machten diese davon Gebrauch, und dann geschah es
wohl, dass die Frau, welche ihre Kinder selbst und lange säugt und
verhältnissmässig früh alt wird, dem Manne selbst eine mekake zuführte.
Das Bekanntwerden mit den europäischen Sitten und Gesetzen,
mit den hohen Begriffen, welche die europäische Civilisation vom
Ehe- und Familienleben hegt, hat auch in den gebildeteren Ständen
Japans den lebhaften Wunsch wachgerufen, ihr Eheleben auf gleiche
Höhe zu bringen. Dem entsprechend wurde schon im Jahre 1870
ein Erlass publiciert, wonach zu jedem Ehebündniss die obrigkeitliche
Kenntniss und Genehmigung erforderlich ist. Im folgenden Jahre
[494]II. Ethnographie.
schaffte man die Standesschranken gegen die Verehelichung ab und
räumte zwei Jahre später der Frau das Recht ein, Klagen auf Ehe-
scheidung vor Gericht bringen zu können. Mehr jedoch als solche
Gesetze hat das Beispiel zur Hebung der Stellung des Weibes schon
beigetragen. Minister und andere hohe Beamte erscheinen seit Jahren
mit ihren Frauen in Gesellschaften, auch bei Europäern, und diese
sehen mit Staunen und Verwunderung das »ladylike behaviour«, den
feinen Anstand und die freie, ungezwungene Art, womit die japani-
schen Damen dabei auftreten.
Japanische Mütter haben in der Regel reichlich Nahrung für
ihre Kinder und säugen sie, bis dieselben 2—5 Jahre alt sind und
sich von selbst entwöhnen. Wie das Lamm in der Heerde verlässt
ein solcher kleiner Springer plötzlich seine Gespielen, um zur nahen
Mutter zu eilen und stehend oder knieend einige kräftige Züge aus
deren Brust zu thun, die ihm nie verweigert werden. Es mag dieses
lange Stillen zum Theil darin begründet sein, dass eine andere ge-
eignete Kindesnahrung in Form thierischer Milch fehlt.
Viele Kinder sterben in früher Jugend, nicht sowohl aus Mangel
an Hingebung als vielmehr an Verständniss der Eltern für eine richtige
Pflege. Die Kleidung derselben gleicht nach Mode und Schnitt der-
jenigen von Erwachsenen, doch bewegen sich im übrigen die Kleinen
viel freier als diese.
Kuss und Händedruck sind in der japanischen Familie, wie in
der polynesischen, unbekannte Zärtlichkeitsäusserungen. Dennoch hat
Alcock mit Recht Japan das Paradies der Kinder genannt. Ihre
Erziehung wird mit grosser Ruhe und Milde geleitet. Heftige Affects-
äusserungen und körperliche Züchtigung sind gesellschaftlich verpönt.
Wenn eine Nation in diesem Punkte es weit gebracht hat, so ist es
die japanische. Hier werden die Eltern zu Kindern und freuen sich
eben so am Kreiselschnurren, Drachensteigen etc. wie diese. Es ist
ein schöner Anblick an sonnigen Nachmittagen, zur Zeit, wenn diese
oder jene Lieblingspflanze des Volkes bei schön gelegenen Thee-
häusern oder Tempeln in voller Blüthe steht, Schaaren des Volkes
festlich geschmückt, familienweise heranrücken zu sehen, um sich
des schönen Anblickes zu erfreuen. Welche friedliche, glückliche
Stimmung spiegeln nicht die Gesichter ab bei Jung und Alt! wie
unablässig bemüht sind nicht die Eltern, den Kindern Freude zu
machen, an ihren Spielen theilzunehmen, sie mit Süssigkeiten zu ver-
sehen, während sich die meisten von ihnen mit einem leichten Auf-
guss von Thee oder einer Schale warmen Wassers und ihrem Pfeif-
chen begnügen!
[495]4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
Obwohl Kindersegen wie bei den meisten Völkern so auch in
Japan als besondere Gunst des Himmels angesehen wurde und dieser
Auffassung auch das Sprüchwort: »Richigi mono ko taxan« (biedere
Leute haben viele Kinder) Ausdruck gibt, sind doch die meisten
Familien wenig zahlreich und bilden drei Kinder wohl den Durch-
schnitt *).
Das neugeborene Kind erhält am siebenten Tage seinen Namen.
Ist es 30 Tage alt, so wird ihm der Kopf rasiert. Gereinigt und
festlich geschmückt trägt es die Mutter hierauf in den Tempel, opfert
hier einige Münzen und bringt dem Familiengotte ihren Dank dar.
Von hier wird es den nächsten Verwandten präsentiert, die der Mutter
verschiedene symbolische Geschenke für dasselbe mitgeben. Wenn
es vier Monate alt ist, wird ein neuer Abschnitt in seinem Leben
festlich begonnen. Es wird nun nach Art der Erwachsenen gekleidet
und erhält, wenn es der Sohn eines Samurai ist, von seinem Pathen
einen Ceremonien-Anzug, der mit den Bildern von Kranichen und
Schildkröten als Symbolen eines langen Lebens geziert ist. Eine
weitere Feier ist mit dem 11. Tage des 11. Monats verknüpft, von
welchem an nur noch einige Stellen des Kopfes vom Kinde rasiert
werden, während man an den übrigen das Haar wachsen lässt. Ist
der Knabe endlich 15 Jahre alt geworden, so wird er zum Manne,
wechselt den Namen und die Haartracht und ist nun heirathsfähig.
Ehrerbietung gegen die Eltern ist die erste Kindespflicht. Man-
cher Ausspruch berühmter Männer und bekannte Sprichwörter geben
derselben Ausdruck. »Ko-hitsuji-wa hisamadzuite chichi-o nomu«,
»das Lamm trinkt die Milch knieend«, also selbst das Thier achtet
seine Eltern, sagt man, oder auch »Karasu-wa oya-no on-o mukuyu«,
(sogar) »der Rabe vergilt die Wohlthaten seiner Eltern«. Darum
spricht auch das alte japanische Gesetz eine Strafe von 100 Tagen
Gefängniss aus gegen ein Kind, das sich während der gesetzlichen
Trauer um Eltern oder Grosseltern verheirathen, und von einem Jahr
gegen ein solches, das an der Trauer überhaupt nicht theilnehmen
sollte. Es gibt Beispiele genug, dass ein Mann seine Tochter auf
einige Jahre an ein Yoshiwara (Freudenfeld, Freudenhaus) ver-
kaufte, um die Mittel zu einem ehrbaren Begräbniss seines Vaters
zu gewinnen, und die Geschichte der 47 Rônin weist einen Fall auf,
[496]II. Ethnographie.
wo ein Mädchen mit Zustimmung seiner Eltern und seines Bräutigams
sich auf drei Jahre einem öffentlichen Hause verkaufte, um dem
Bräutigam die Reisemittel zu verschaffen, damit er rechtzeitig zu
seinen Mitverschworenen in Sakai stossen und seine Lehnstreue be-
thätigen könne, zu einer Reise, welche die Rächung seines Herrn,
des Daimio von Ako, zum Ziel und den eigenen Tod zur sicheren
Folge hatte, wie alle wussten. Mit Zustimmung oder auf Veran-
lassung ihrer Eltern gibt sich das japanische Mädchen Männern hin,
nicht ohne solche. Es geschieht jedoch nur von Eltern niedriger
Denkungsart, dass sie ihre Kinder verkaufen, und ist ein von der
guten Gesellschaft Japans eben so verpöntes Verfahren, wie bei uns.
Das japanische Mädchen (musme) erhielt eine gute Erziehung,
wenn es das Hirakana lesen und schreiben, etwas rechnen und die
ihrem Geschlecht zukommenden Aufgaben und Pflichten gründlich
kennen lernte. Es wurde daneben im Spielen des Samisen und
wohl auch des Koto*) unterrichtet, in der Kunst, Blumen geschmack-
voll in Vasen zu stecken, worüber es besondere illustrierte Bücher
gibt, sowie in der Haushaltung. Auf allen Altersstufen und in jedem
Stande hatte es sich grosser Reinlichkeit und eines heiteren freund-
lichen Wesens zu befleissigen, namentlich auch dann, wenn es in
fremde Dienste trat. Lachend, tändelnd und scherzend empfängt die
dienende nesan (das japanische Kellnermädchen) in der Yadoya oder
Chaya die ankommenden Gäste; mit einem freundlichen »tadaima«
(sogleich) eilt sie alsbald, um die ihr ausgesprochenen Wünsche zu
befriedigen, und scheint dabei nie mürrisch, noch müde zu werden.
Ihre Moral, obgleich von keinen Idealen und hohen religiösen Prin-
cipien geleitet, steht viel höher, als man nach dem bösen Rufe, in
welchen sie früher durch ihr auffallend zutrauliches, kindlich naives
Wesen gegen oberflächlich urteilende Fremde bei uns gelangt war,
glauben konnte. Sie wird geleitet durch die empfangenen Lehren
über gute Lebensart, vor allem aber durch blinden Gehorsam gegen
ihre Eltern und eine heilsame Furcht vor deren Missfallen.
Das Verhältniss der Herrschaft (shujin, danna) zu den Dienst-
boten (kodzukai) erinnert an die in dieser Beziehung gute frühere
Zeit bei uns in Deutschland. Der kodzukai wahrt, wenn er vor
[497]4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
seinen danna-san tritt oder ihn verlässt, mit aller Strenge den schul-
digen Respect, fühlt sich aber sonst heimisch und als Glied der
Familie und wird auch so behandelt. So bewegt er sich frei im
Hause, nimmt nicht selten an der Unterhaltung theil und findet Bei-
fall, wenn er im Stande ist, eine passende Bemerkung zu machen
oder einen erheiternden Witz einzustreuen. Herr und Diener sollen
zu einander passen, wie Wasser und Fisch, sagt Iyeyasu im 70. Gesetz.
Die Schulerziehung des japanischen Knaben begann am 6. Tage
vom 6. Monat seines 6. Lebensjahres, an welchem er mit allen Bei-
gaben von Etikette und Feierlichkeit, welche die Nation in solchen
Dingen von jeher ausgezeichnet hat, seine erste Lection im Schön-
schreiben erhielt. Mit dem nöthigen Schreibmaterial (bunbogo) ver-
sehen, bestehend in einem Tuschkasten (sumi-ire oder suzuri-bako)
mit einem Stück Tusche (sumi), einem Pinsel (fude) von der Dicke
eines kleinen Fingers, einer Tuschschale (suzuri) und wohl auch
einem kleinen Gefässe für Wasser, sowie in Bastpapier (kami), tritt
der angehende Schüler vor seinen Lehrer, der ihm in grossen Zügen
die einfachen und complicierteren Zeichen nach einander vormacht
und mit unermüdlicher Geduld und unablässiger Freundlichkeit im
Nachahmen beisteht. Aufmerksamkeit und ernster Wille gehen dem
Lehrling dabei selten ab. Nachdem er dasselbe Zeichen vielmals
wiederholt, das Papier der ganzen Länge und Breite nach mit den
Hieroglyphen bedeckt und sich eine Form gründlich eingeprägt hat,
geht es zur zweiten und so fort. So lernt er neben der leichten ein-
heimischen Silbenschrift allmählich einen Vorrath chinesischer Wort-
zeichen. Nach der niedrigsten Schätzung musste er sich in 6 — 8
Jahren etwa 1000 derselben aneignen. Talentvollere Schüler brach-
ten es unter tüchtigen Lehrern auf 3000—4000 und Gelehrte auf 10000
und weit darüber.
In der Kinderstube wurden Geist und Imagination durch Mähr-
chen und Heldensagen genährt und geweckt. Dort spielten besonders
die wunderbaren Geschichten aus dem Leben des kukai (Kôbô Daishi)
eine hervorragende Rolle. Wie dieser grosse Gelehrte und Heilige die
bösen Geister verscheuchte, indem er einen Vers aus der Buddhisten-
Bibel mit solcher Geschicklichkeit in die Luft schrieb, dass eine
goldene Krone um jeden Buchstaben wuchs, oder wie er mit seinem
Munde, Füssen und Händen fünf verwischte Zeilen des berühmten
Kalligraphen Ogishi auf einmal wieder herstellte, und viele sonstige
Thaten wurden den Kindern pathetisch erzählt. Auch die unendliche
Geduld von Ono-no-Tofu, der sich den Frosch zum Muster nahm, wel-
cher immer wieder versuchte, auf einen Weidenzweig zu klettern, und
Rein, Japan I. 32
[498]II. Ethnographie.
viele andere Legenden wurden dem jugendlichen Gemüth als Bei-
spiele zur Bildung seiner Ideale vorgeführt. Hatte der Schüler dann
die grössten Schwierigkeiten in der Erkennung und Handhabung der
chinesischen Ideogramme genügend überwunden, so wurden in singen-
der Weise theils einzeln, theils laut im Chore eine ganze Reihe Werke
gelesen, wie sie in dem kleinen Bande, betitelt: An outline history
of Japanese Education, welcher 1876 in New-York bei Appleton er-
schien, näher verzeichnet sind. Hierher gehörten Kokio, das Buch
von der kindlichen Pietät, Chiuyo, das goldene Mittel, welches den
Umgang behandelt, die Bücher des Kôshi und Môshi, historische
Werke etc.
Es gab nur eine Standarte der Gelehrsamkeit, und wer sie er-
reicht und in feierlicher Prüfung dies bewiesen hatte, stand gleich
dem Lehrer, der ihn so weit geführt, in hoher Achtung. Wie es
bei uns noch Leute genug gibt, in deren Augen keine gründliche
Bildung des Menschen ohne Griechenland und Rom denkbar ist, so,
aber aus weit triftigeren Gründen, war die Kenntniss der chinesi-
schen Sprache und Philosophie in den Augen der Japaner das Alpha
und Omega jeder gründlichen Erziehung. Diese Philosophie aber,
selbst in ihrer liberaleren Form, welche Mencius vortrug, war doch
nach ihrem ganzen Umfang und Inhalt einem engherzigen Feudalis-
mus entsprungen und ein nützliches Werkzeug zur Erhaltung und
Förderung desselben. Die japanische Erziehung bildete respectvolle
Söhne, folgsame Schüler, disciplinierte Unterthanen, geschickte Kalli-
graphen, enthusiastische Bewunderer des Alterthums, engherzige Ver-
ehrer der Philosophie des Confucius; sie erregte die Intelligenz nicht,
liess das individuelle Gewissen ganz unter der Herrschaft der Sitte,
erweckte keine religiösen Gedanken und Gefühle, ermuthigte den
engherzigsten Kasten- und Clangeist. Es war eine Erziehung, welche
den jungen Samurai zum gefügigen, loyalen Unterthan seines Lehns-
herrn machte, aber wenig zur Entwickelung eines allgemeinen Rechts-
gefühles und zur Veredelung des Herzens beitrug, eine Erziehung,
die nicht verhütete, dass er mit völliger Missachtung allgemeiner
Menschenrechte und Pflichten am ersten besten Wanderer ausserhalb
der Grenzen seines Clanes sein Schwert probierte oder in übermüthi-
ger Raufsucht einem Rivalen den Weg verlegte. Man hat darum mit
Recht unter allen Neuerungen während der Periode Meiji denjenigen,
welche vom Mombusho ausgingen und eine bessere, liberalere Schul-
bildung der japanischen Jugend bezweckten, die grösste Bedeutung
beigelegt. In mehr als 50000 Schulen werden jetzt gegen 2 Millionen
Kinder in einem anderen Geiste, als früher, nach den Principien und
[499]4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
Büchern des Occidents unterrichtet, nach Principien, die dem christ-
lichen Geiste entsprungen und von christlicher Moral durchweht sind.
Und diese grosse Wohlthat geniesst das Kind des Heimin neben dem
des Samurai; denn die Schule ist unbekümmert um die gesellschaft-
liche Stellung des Vaters jedem Kinde zugängig, für welches das
bescheidene Schulgeld von 80 Pfennigen bis zu 3 Mark per Monat,
je nach dem Grade der Anstalt, bezahlt wird.
Den modernen japanischen Schulen, die fast nur practische Zwecke
verfolgen, fehlen jedoch noch zwei sehr wichtige Factoren einer nach
unseren Begriffen soliden und zugleich liberalen Erziehung, von denen
der eine vornehmlich zur Bildung des Gemüthes, der andere zur
körperlichen Ausbildung gehört, nämlich der Unterricht in Religion
und Gesang, sowie im Turnen. In früherer Zeit, wo gymnastische
Uebungen ausser der Schule, wie Drachensteigen, Kriegsspiele,
Fechten, bei der männlichen japanischen Jugend viel verbreitet und
weit beliebter waren als jetzt, war es in Folge dessen um die kör-
perliche Ausbildung besser bestellt. Gegenwärtig aber erscheint die
Einführung des Turnens nicht blos als Aequivalent und Gegengewicht
gegen die üblen Folgen der sitzenden Lebensart zur Entwickelung
und Stärkung des Körpers geboten, sondern auch als Gegenstand von
grosser sittlicher Bedeutung. Es ist nöthig, dass die japanischen
Eltern und Pädagogen sich bemühen, der Jugend Geschmack an ge-
sunden, tüchtigen Körperbewegungen, wie sie das Turnen und die
sogenannten Athletic Sports der Engländer in reichem Maasse ge-
währen, beizubringen, um so vereint mit einer besseren religiösen
Grundlage, die wir dem uns sehr sympathischen Volke von ganzem
Herzen wünschen, allmählich eine Jugend zu erziehen, die vielleicht
weniger docil als die gegenwärtige, dafür aber körperlich und geistig
frischer und kräftiger, auch höheren Idealen zustrebt.
Es gibt keine gesellschaftlichen Vergnügungen, die sich mit
unseren Abendunterhaltungen, Concerten oder Bällen vergleichen
liessen. Wenn sich die herangewachsene männliche Jugend der Städte
gemeinsam vergnügen will, so feiert sie Orgien in schlechter Ge-
sellschaft.
Gesang und Instrumentalmusik sind Künste, die, wie im ganzen
Orient, so auch in Japan in der Regel nur von Mädchen ausgeübt
werden. Diejenigen, welche sie hier gewerbsmässig betreiben, heissen
Geishas. Dem Ansehen nach stehen sie in der Mitte unter den drei
niedrigen Berufsclassen, welche dem Vergnügen dienen, nämlich den
Yakusha, Geisha und Jôro (Schauspielern, Tänzerinnen und Freuden-
mädchen). Theater (Shibai) und Freudenhäuser (Jôrôya), in denen
32*
[500]II. Ethnographie.
sie auftreten, sind privilegierte Anstalten, aus welchen die grossen
Städte einen ansehnlichen Theil ihrer Geldbedürfnisse decken, da jede
hier concessionierte Person eine hohe Gewerbsteuer zahlen muss.
Die höheren Stände Japans erlauben ihren Töchtern den Besuch
der Theater nicht, weil sie die Stücke, welche hier gegeben werden,
mit Recht für sittenverderblich halten. Aber unter dem Volke sind
tüchtige Schauspieler und theatralische Aufführungen sehr beliebt.
Die ganze Familie begibt sich, mit Reisnapf, Theetopf und Zucker-
werk versehen — denn das Spiel dauert den ganzen Tag — in den
Musentempel und zollt der derben, unverblümten Wiedergabe der
intimsten Familien- und Yoshiwara-Scenen, sowie namentlich den
Mordgeschichten lebhaften Beifall. Wandernde Schauspieler schlagen
gleich Akrobaten ihre provisorischen Bühnen oft auf freien Plätzen
auf und laden durch phantastische, lärmende Umzüge, Feuerwerk
und dergleichen die benachbarten Ortschaften zum Besuche ihrer Vor-
stellungen ein.
Die Geishas sind die japanischen Vertreterinnen nicht blos
der neun Musen, sondern auch einiger anderen Göttinnen, insbeson-
dere der Hebe. Bald werden sie aufgefordert, im anständigen Thee-
hause ein oder mehreren behäbigen Bürgern und ihren Familien, die
sich hier einen vergnügten Tag machen wollen, mit ihrem Tanz,
näselnden Gesang, Samisen- und Pantomimenspiel zur Unterhaltung
zu dienen, bald verlangt man die gleiche Leistung in einer Jôrôya
oder auch in einem Privathause. An den grossen Tempelfesten müssen
sie in vollem Schmucke als Festjungfern im Zuge aufmarschieren und
bei manchem Gastmahl eines höheren Beamten die Speisen servieren*).
Von meist niedriger Abkunft, wie die Freudenmädchen, und oft
verlassene Waisen, gleich diesen, gelangen sie in der Regel jung durch
Kauf in den Besitz gewinnsüchtiger Unternehmer, welche ihnen nach
japanischen Begriffen eine gute Erziehung geben lassen. Viele gelten
für schön und witzig. Im Pantomimenspiel entwickeln sie nicht selten
ein grosses schauspielerisches Talent, das auch den Fremden fesselt,
während zur Würdigung ihrer musikalischen Leistungen eben ein
orientalischer Geschmack gehört. Von ihrer Moral lässt sich nur
sagen, dass sie in der Regel jederzeit bereit sind, mit Zustimmung
ihres Herrn aus dem Verbande, in welchem sie stehen, auszutreten,
um sich durch Vertrag für einen Monat oder länger an einen Ein-
heimischen oder Fremden zu vermiethen.
[501]4. Die Familie. Adoption. Erziehung und Unterricht etc.
Yoshiwaras (Freudenfelder) nennt man in Japan die Stadt-
theile und oft auch die einzelnen, meist verhältnissmässig grossen
und stattlichen Häuser, welche der Aphrodite gewidmet sind. Nach
dem Urteile Aller, welche die einschlagenden Verhältnisse genauer
kennen, erscheint in Japan das gefallene Frauenzimmer nie auf einer
so niedrigen, rohen Stufe, wie in unseren grossen Städten. Ander-
seits werden die Bewohnerinnen der Yoshiwaras vom besseren Theile
der Gesellschaft nicht verachtet, sondern bemitleidet, weiss man doch,
dass sie nicht aus eigener Schuld und Neigung ihrem niedrigen Ge-
werbe obliegen, sondern nach dem Willen ihrer Eltern oder nächsten
Verwandten, die sie meist schon in zarter Jugend an die Besitzer
der öffentlichen Häuser verkauften, wo sie in verschiedenen Dingen
unterrichtet werden, namentlich aber in den Künsten der Aspasia,
bis zu der Zeit, wo sie geeignet sind, als Sclavinnen ihrer Brod-
herren dieselben zu verwerthen.
Wie der Phallusdienst, welcher nebst seinen früher vielver-
breiteten Symbolen seit der Regierung Meiji’s in Folge des fremden
Einflusses ganz beseitigt ist, dem Shintôismus angehörte, so scheint
dieser Ahnencultus auch die Yoshiwaras, wenn nicht direct begünstigt,
so doch sehr milde beurteilt zu haben. Wie wäre es anders möglich,
dass noch heutiges Tages der Weg zum grössten Heiligthum des
Landes, dem Tempel der Sonnengöttin Tenshô Daijin zu Yamada in
Ise, durch ein im ganzen Lande berühmtes Yoshiwara führt? — Doch
auch der entartete Buddhismus liess Aehnliches zu, so in Niigata,
wo die Tera-machi (Tempelstrasse) auf der einen Seite eine Reihe
Buddhatempel, auf der anderen die Häuser des Freudenfeldes auf-
weist. In Sendai aber stehen die letzteren ebenfalls in der Haupt-
strasse der Stadt neben Post- und Telegraphenamt und den ersten
Kaufmannsläden als ebenbürtige Geschäfte. Dort musste der Ver-
fasser im Herbst 1874 mit einer Yadoya dritten Ranges vorlieb nehmen,
um in einem anständigen Gasthause wohnen zu können.
Dies Alles und vieles Andere beweist uns, dass die Japaner in
diesen Dingen noch auf einer sehr niedrigen Stufe sittlicher Ent-
wickelung stehen und geschlechtliche Excesse nach ihrem sinnlichen
Standpunkte milde beurteilen. Wenn Eltern ihre erwachsenen Söhne
zur Enthaltsamkeit in diesen Dingen ermahnen und ein Sprichwort
sagt: »Hüte dich vor schönen Weibern wie vor Cayenne-Pfeffer«, so
liegt diesen Mahnungen meist kein hohes sittliches Motiv zu Grunde,
sondern nur der Gedanke an die weit verbreiteten ansteckenden Krank-
heiten, dem auch ein anderes Sprüchwort, welches übersetzt lautet:
»Vergnügen ist der Sorge Kern«, Worte leiht.
[502]II. Ethnographie.
Die japanische Todtenbestattung ist in der Regel ein Be-
gräbniss (Dôsô) auf einem Friedhofe neben einem Buddhatempel,
selten eine Cremation (Buwa-sô). Im ersten Falle ist der Sarg (kuwan
oder hitsugi), in welchen 24 Stunden nach dem Tode der Verstorbene
kommt, ein schwerer Kasten aus weissem Holze, welcher den Leich-
nam in sitzender Stellung aufnimmt, mit dem Kopfe auf einem mit
Theeblättern gefüllten Kissen ruhend. Der Todte wird so gelegt und
beigesetzt, dass der Kopf gen Norden, die Füsse nach Süden ge-
richtet sind. Bei Shintôisten und einigen buddhistischen Secten pflegt
man ihn in ein weisses Tuch zu hüllen, andere Buddhisten wählen
dafür das aus Papier bereitete, mit Schriftzeichen der Palisprache
bedeckte Todtenhemd. Der Sarg wird mit einem weissen Tuche be-
deckt und von Männern abwechselnd auf den Schultern getragen, die
Trauernden folgen im Staats- und Traueranzug. Die Beerdigungs-
ceremonien selbst im Trauerhause und am Grabe sind verschieden,
feierlich Seitens der Priester und nächsten Leidtragenden, während
das Verhalten des übrigen Publicums nur Neugierde, kein Mitgefühl
verräth. Auf das eingemauerte Grab kommt ein einfacher Denkstein
mit Namen und Todestag des Verstorbenen und am butsu-dan oder
Altar des Hausgötzen wird ein ihai oder hölzernes Täfelchen, auf
welchem ebenfalls Name und Todestag des Geschiedenen verzeichnet
sind, angebracht. Ist es eine Person von Rang, so wird daneben
wohl auch ein sakaki (Cleyera japonica) und ein sakura (Prunus
pseudocerasus) gepflanzt, im anderen Falle begnügt man sich mit dem
Aufstellen eines Abschnittes von Bambusrohr als Vase, in die man
blühende oder immergrüne Zweige steckt. Der dritte und neunte
Monat jedes Jahres sind den Besuchen der Gräber gewidmet; man
füllt dann die Vasen mit frischen Zweigen und erinnert sich im Hause
der Vorfahren, denen gewisse Opfer gebracht werden.
Die Feuerbestattung wurde früher nur von der Monto-Secte
allgemein geübt, hat sich aber in der Neuzeit, begünstigt von den
Priestern, die darin eine neue erwünschte Einnahmequelle fanden,
nachdem sie durch die jetzige Regierung meist auf Sporteln reduciert
worden waren, auch auf andere Bekenntnisse ausgedehnt. Die erste
bekannte Cremation ist die des berühmten Priesters Dôsho um das
Jahr 700, welche seine Schüler den gegebenen Weisungen gemäss
ausführten. Bald fand die Sache auch anderwärts, sogar in den
höchsten Kreisen Anklang. Vom Jahre 1654 ab ist jedoch kein Kaiser
auf diese Art mehr bestattet worden.
Die Vorrichtungen für die Feuerbestattung sind in Japan ein-
facher als in Gotha und ihre Kosten gering. In drei Classen wird
[503]5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc.
das Verbrennen für ¾, 1½ und 1¾ Dollar bewirkt, worauf die
Anverwandten des Verstorbenen seine Asche und Knochenreste sammeln
und in einer Urne beisetzen*).
5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus und Nen-gô.
Go-sekku, namentlich Neujahr, Blumenfeste und Matsuri.
Als Einleitung zu dem Kapitel über die japanischen Feste schicken
wir eine kurze Besprechung des Kalenders (koyomi oder seki),
wie er früher allgemein in Gebrauch war, voraus. Bis zum Jahre
1873 bediente man sich in Japan der chinesischen Zeitrechnung,
welche 602 n. Chr. durch einen buddhistischen Priester von Kudara
eingeführt worden war. Auf demselben Wege kam etwa 100 Jahre
später als genauerer Zeitmesser die erste Klepsydra oder Wasseruhr
(chinesisch rokoku, japanisch midzu-doke) in das Land; automatische
Schlaguhren folgten von China aus erst zwischen den Jahren 1592
und 1595. Die Chinesen hatten dieselben unter der Ming-Dynastie
durch den italienischen Pater Matteo Ricci**) kennen und anwenden
gelernt.
Das bürgerliche Jahr (toshi, nen) der Japaner war wie in China
ein Mondjahr mit 12 Monaten (tsuki) von abwechselnd 29 und 30
Tagen, also mit 354, beziehungsweise 355 Tagen (nichi, hi)***). Schon
lange vor Meton (432 v. Chr.) kannten die Chinesen (wahrscheinlich
durch frühzeitige Berührung mit den Chaldäern) den Mondcyclus und
wussten, dass das Mondjahr hinter dem Sonnenjahr beträchtlich zu-
rückblieb. Um beide mit einander in Einklang zu bringen, wurde
[504]II. Ethnographie.
von ihnen dem 2., 5., 8., 11., 13., 16. und 19. Jahr eines jeden
Mondcirkels ein Schaltmonat von verschiedener Grösse beigegeben.
Derselbe führte in Japan den Namen uru-tsuki und folgte dem zweiten
Monat des Jahres, der dann doppelt gezählt wurde, als uru-nigatsu,
d. h. überzähliger zweiter Monat. Der japanische Landmann unter-
scheidet ausser den grossen Jahreszeiten noch 24 kleinere von je
15 Tagen, welche er durch Halbierung der Monate erhält, setsu und
chiu nennt und zur Richtschnur für seine Arbeiten wählt.
Wie die Chinesen noch immer, so bedienten sich auch die Ja-
paner bis in die Neuzeit für die Chronologie der Cyclen von 60 Jahren,
deren 44. im Jahre 3 nach Christi Geburt, der 75. im Jahre 1863
endete. Diese Sexagesimal-Cyclen werden in 5 Serien von je 12
und in 6 von je 10 Jahren getheilt. In jenen benennt man die ein-
zelnen Jahre nach den 12 Thieren des chinesischen Zodiacus: Ratte,
Ochse, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn,
Hund, Wildschwein, japanisch ne, ushi, tora, u (usagi), tatsu, mi,
mma, hitsuji, saru, tori, inu, i*). Die Jahre der Zehnerreihen wer-
den benannt nach den fünf Elementen der Chinesen: Holz, Feuer,
Erde, Metall und Wasser, japanisch ki, hi, tsuchi, kane und midzu,
von welchen jedes doppelt gezählt wird und zwar von den Chinesen
als männliches und weibliches Princip (ya und me), von den Japanern
als ye (ani) und ko (otôto), d. h. älterer und jüngerer Bruder. Man
unterscheidet hiernach (mit besonderen chinesischen Zeichen) ki-no-ye,
Holz im allgemeinen, und ki-no-to, bearbeitetes Holz, hi-no-ye, natür-
liches Feuer (der Sonne, Vulkane), und hi-no-to, das Feuer im Haus-
halte, tsuchi-no-ye, die rohe Erde, und tsuchi-no-to, die façonnierte,
kan-no-ye, das natürliche Metall, und kan-no-to, das verarbeitete,
midzu-no-ye, fliessendes Wasser, und midzu-no-to, stagnierendes.
Jedes Jahr trägt den Namen eines Thieres der einen Serie und eines
Elementes der anderen. Lässt man die Serien beider Eintheilungs-
weisen neben einander laufen, so wiederholen sich dieselben Combi-
nationen erst nach 60 Jahren wieder. Chinesen und Japaner benutzen
zur Auffindung der speciellen Namen eines Jahres ein Diagramm**)
in Form des Ziffernblattes einer Uhr mit 2 concentrischen Kreisthei-
lungen, jede in 60 gleiche Theile, von denen die äussere sechsmal
[505]5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc.
die Namen der Elemente in ihrer Zweigabelung, die innere fünfmal
die Namen der Zodiacalserie wiederholt, dergestalt, dass z. B. am
Anfang Ratte und natürliches Holz (ki-no-ye), im zweiten Gliede
Ochse und bearbeitetes Holz (ki-no-to), im letzten oder 60. Gliede
Wildschwein und stagnierendes Wasser (midzu-no-to) unter einander
stehen.
Der jetzige, fünfundsiebzigste sexagesimale Cyclus hat mit dem
Jahre 1864 begonnen*), welches daher den Namen ki-no-ye-ne-no-
toshi, »Jahr des Holzes und der Ratte«, führt. Im gewöhnlichen
Leben ist es jedoch gebräuchlicher, das Jahr nur nach der Zodiacal-
serie zu benennen, also ne-no-toshi oder ne-doshi, Jahr der Ratte.
So sagte man 1874 z. B.: ko toshi-wa inu-no-toshi degozarimasu,
dieses Jahr ist das Jahr des Hundes. Heuer (1880) lebt Japan so-
nach im Jahre des Drachen.
Zur leichten Orientierung möge hier noch ein Diagramm folgen,
welches Hoffmann in seiner japanischen Grammatik, pag. 156, an-
wendet unter der Bezeichnung
»Synopsis of the sexagenary cycle«.
Die kleinen Veränderungen, welche ich durch Transliteration der
chinesischen Zeichen Hoffmann’s und einiges Andere vornahm, dürften
[506]II. Ethnographie.
das Verständniss und die Anwendung jedenfalls erleichtern. Will
man z. B. die Namen irgend einer Jahreszahl im Cyclus, z. B. der
39., wissen, so sucht man die betreffende Zahl in der Tabelle auf
und geht dann aufwärts zum Namen der Zehnerserie und links zu
dem der Zwölferserie, so dass man im gegebenen Beispiel alsbald
Wasser (midzu-no-ye) in jener und Tiger (tora) in dieser hat. Weiss
man umgekehrt den Namen des Jahres in der Elementenreihe und
der Thierkreisreihe, so findet man das wie vielste im Cyclus es ist,
wenn man von jenem aus abwärts geht bis zur horizontalen Rubrik
für das betreffende Sternbild. Es wird ferner mit Hülfe der Tabelle
das irgend einem Jahrnamen entsprechende Jahr der christlichen
Zeitrechnung leicht zu finden sein, vorausgesetzt, dass daneben noch
angegeben ist, in welchem sexagesimalen Cyclus sich jener befindet.
Neben dem sechzigjährigen Cyclus läuft in China, wie in Japan,
noch eine andere und mehr willkürliche Eintheilung der Jahre in
Perioden her, welche man von wichtigen geschichtlichen Ereignissen
an zählt, wie Thronbesteigung, grosses Erdbeben, Hungersnoth etc.
Zur Benennung dieser historischen Jahresperioden oder nen-gô (nen,
Jahr, gô, Name) braucht man einen oder mehrere von 68 besonders
dafür bestimmten chinesischen Namen, wie Friede, Weisheit, glück-
liche Regierung etc. Diese Sitte wurde in Japan im Jahre 645 n. Chr.
eingeführt; sie war und ist noch ein Prärogativ des Kaisers, doch
ist der jetzige nach seiner Thronbesteigung auf das ältere, rationelle
Verfahren zurückgekommen und hat bestimmt, dass fortan für die
ganze Regierungszeit eines Mikado nur ein nen-gô gewählt werde.
Für die seinige heisst es Meiji, d. h. »erleuchtete Regierung«, so
dass alle Documente der japanischen Regierung von diesem Jahre
(1880) neben anderen Daten auch die Angabe »im 13. Jahre Meiji«
tragen müssen (siehe auch pag. 418).
Für die einzelnen Monate gibt es keine besonderen Namen; sie
werden als shô-guwatsu, ni-guwatsu, san-guwatsu (sprich shôgats,
nigats, sangats) etc., d. h. erster, zweiter, dritter Monat bezeichnet*).
Die Japaner haben zwei Arten von öffentlichen Festen,
nämlich die Go-sekku oder fünf grossen Laienfeste des Jahres,
welche vom ganzen Volke gefeiert werden, und die Matsuri oder
Tempelfeste zu Ehren besonderer Heiligen, welche meist auf eine
oder die andere Secte und bestimmte Tempel beschränkt sind. Die
[507]5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc.
Go-sekku finden am ersten, dritten, fünften, siebenten und neunten
Tage des ersten, dritten, fünften, siebenten und neunten Monats be-
ziehungsweise statt und werden desshalb auch als shô-guwatsu-no-
sekku, san-guwatsu-no-sekku, go-guwatsu-no-sekku, shichi-guwatsu-
no-sekku und ku-guwatsu-no-sekku bezeichnet. Am elften Tage des
elften Monats ist kein Volksfest und im ganzen Monat auch kein
Tempelfest, weil um diese Zeit einem alten Glauben nach die Kami-
oder Shintô-Götter des Landes sich alle zur Berathung in Idzumo
versammeln.
Unter allen Festen des Jahres steht, was Ausdehnung und all-
gemeine Theilnahme betrifft, das Fest am ersten Tage des ersten
Monats, das gan-jitsu (eigentlich guwan-jitsu) oder der Funda-
mental-Tag, oben an. Zu Neujahr ruht alle Arbeit, selbst bei den
Chinesen. Mancher feiert gleich den Boers in Transvaal 14 Tage lang
Neujahr; an den drei ersten Tagen, den san-ga-nichi, aber lässt
Jedermann die Arbeit ruhen.
Das herannahende Fest kündet sich allenthalben schon äusserlich
an. Wie der Norddeutsche seine Thür zu Pfingsten mit frischen
Maien schmückt und damit seiner Freude über das Wiedererwachen
der Natur Ausdruck gibt, so ziert jeder Japaner, wenn auch aus
anderen Beweggründen, seinen Hauseingang mit verschiedenen immer-
grünen Lieblingen seines Landes. Bei dieser Decoration, shime-
kazari genannt, ragen besonders matsu (Kiefern), take (Bambusrohr),
urashiro (Polypodium dichotomum und Pteris-Arten) und nanten (Nan-
dina domestica) hervor. Diese Gewächse haben alle eine symbolische
Bedeutung. Das schlanke Bambusrohr mit seinen vielen Knoten und
die den Stürmen trotzende matsu sollen langes, gesundes Leben an-
zeigen. Man postiert rechts am Eingange eine rothstämmige me-matsu
(Pinus densiflora), links eine schwarze o-matsu (Pinus Massoniana).
Jene bezeichnet das weibliche (me) Princip, diese das männliche (o),
und so symbolisieren sie zugleich eine glückliche Ehe. Dicht am
Hause erheben sich die schlanken Bambusrohre mit ihren zierlichen
Aesten und Blättern. Das shime-nawa (Decorations-Strohseil),
welches als eine Art Guirlande über dem Eingange hinführt, verbindet
dieselben beiderseits. Es wird aus 7, 5 oder 3 Enden geflochten,
soll, wie beim Torii der Shintôtempel, das Reine vom Unreinen schei-
den und diesem dem Eingang wehren, welches auch die Bedeutung
eines Stückes Kohle ist, das unter anderen Emblemen dem shime-
nawa beigefügt ist. Zu diesen weiteren Sinnbildern gehört nament-
lich ein gekochter yebisu (Heuschreckenkrebs) in der Mitte, umgeben
mit Zweigen des yusuri (Melia japonica). Der Krebs bezeichnet das
[508]II. Ethnographie.
hohe, gebeugte Alter, die yusuri-Zweige, bei welchen neue Blätter
hervorschiessen, bevor noch die alten abgefallen sind, werden als
Sinnbilder der durch Kinder und Kindeskinder fortdauernden Familie
gedeutet. Selten fehlt dem shime-nawa der Schmuck eines oder
mehrerer Zweige der immergrünen Nandina mit ihren herrlichen
Fruchttrauben voll rother Beeren, noch weniger der schönen kleinen
Orangen, Daidai (Citrus bigaradia Duham.), welche man auch oft an
den Zweigen des Bambusrohres anbringt. Hiermit sind die Decora-
tionsobjecte in der Regel noch nicht erschöpft, doch haben alle übrigen
jedenfalls weit geringere Bedeutung.
Am Neujahrstage oder Guwan-jitsu selbst soll der Japaner
wachend, gewaschen und festlich geschmückt die aufgehende Sonne
begrüssen, dann den Göttern des Himmels und der Erde seinen Dank
abstatten, hierauf sich vor den ihai (Täfelchen) seiner Ahnen am
Hausaltar verneigen und nun erst seine Aufmerksamkeit den Leben-
den zuwenden. Man begrüsst sich und wünscht sich »man-zai-raku,
zehntausendjähriges Glück«. Dabei verlangt die Sitte fröhliche Ge-
sichter und bietet zu deren Förderung Speise und Trank. Zoni,
ein gekochtes Gemisch aus Fisch, glutinösem Reis und Gemüsen, das
nur am Neujahrstage vorkommt, wird gereicht und toso, ein mit
Gewürzen versetzter sake, dazu getrunken.
Mancherlei sonstige Sitten und viel Aberglauben zeichnen das Neu-
jahrsfest aus. Man macht sich an demselben gegenseitige Geschenke
und sucht sich auf verschiedene Weise das in den Begrüssungen aus-
gesprochene Glück zu sichern. Das Haus darf nicht gekehrt werden,
damit dieses Glück nicht fortgejagt wird. Das bekannte takara-
bune (Glücksschiff), ein Bild, welches die sieben Glücksgötter (siehe
Religionen) in einem Boote auf dem Meere darstellt, wird unter das
makura (den Kopfschemel) beim Schlafengehen gelegt, weil dies eben-
falls Glück und angenehme Träume für das ganze Jahr bedeutet etc.
Die Adoptierung unseres Kalenders und Verlegung des Guwan-
jitsu von Mitte oder Ende Februar auf den ersten Januar war ein
gewaltiger Schlag gegen den alten Aberglauben und mancherlei, viele
Jahrhunderte hindurch befolgte Sitten, welche mit dem Neujahr ver-
bunden waren. Nicht mehr passt die Benennung Rissin (Frühlings-
erwachen) für die ersten Wochen des jetzigen japanischen neuen
Jahres, an dem das Wetter sich selten zu den altgewohnten Ver-
gnügungen in freier Luft eignet, dem Drachensteigen und Pfeil- und
Bogen-Spiel der Knaben, dem Schlagbrett und Federballspiel (hagoita
und oyobane) der Mädchen. Auch die ambulierenden Künstler in
den Strassen, welche früher Alt und Jung erheiterten, haben der
[509]5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc.
rauheren Jahreszeit wegen in den jetzigen Neujahrstagen ein weniger
erfreuliches Geschäft; ebenso die Mimen, welche in luftigen Buden
religiöse Tänze und Pantomimen aufführen, oder die ebenfalls manzai
genannten wandernden Balletsängerinnen aus Mikawa, die paarweise
in ihrem auffallenden Costüm auftreten und ihr Recitativ und näseln-
des Singen mit den Tönen der samisen begleiten.
Der poetische Hauch, welcher früher über dem ersten und be-
deutendsten Feste des Jahres ruhte, schwindet wohl mehr und mehr.
Nur die in den Vertragshäfen wohnenden Chinesen feiern nach wie
vor Neujahr ganz nach alter Weise, indem sie, von ihrer sonstigen
Sparsamkeit abweichend, an diesem Tage sich namentlich durch das
Abbrennen von Feuerwerk und andere lärmende Vergnügungen etwas
zu Gute thun.
Das Hino-sekku oder Puppenfest ist das sangatsu-no-sekku,
Fest am dritten Tag des dritten Monats, und speciell den Mädchen
gewidmet. An ihm erscheint das ganze weibliche Geschlecht in
Feiertagskleidern. Man hat den Mädchen den ganzen Hausschatz
an Puppen, von denen manche alte Familienerbstücke sind, herbei-
geholt und in einem besonderen Zimmer aufgepflanzt. Die lebenden
Puppen bewirthen die todten mit Speise und Trank, welch letzterer
in Ermangelung der Milch aus shiro-sake (weissem, süssem sake)
besteht. In Kiyo-bashi-dori, zu Tôkio, wo sich die grossen statt-
lichen Läden mit zum Theil sehr kostbaren Puppen befinden, ist an
diesem Tage ein reges Leben.
Früher fiel das Puppenfest in der Regel in die Mitte oder gegen
Ende April, zur Zeit, wo die beliebten sakura-Bäume sich mit Blü-
then bedecken, und da diese vielfach an den Pfirsichbaum erinnern,
so haben es Europäer wohl auch das Pfirsichblüthenfest genannt.
Am fünften Tag des fünften Monats feiert man das Nobori-no-
sekku oder Flaggenfest, das auch Shobu-no-sekku, Cala-
musfest heisst. Es ist den Knaben gewidmet. Wie zwei Monate
zuvor Puppen, so spielen jetzt Waffen, Rüstungen und Kriegsspiele
eine Rolle. Flaggenfest wird der Tag genannt, weil an ihm bei
jedem Hause, in welchem während des verflossenen Jahres ein Knabe
geboren wurde, eine Flagge an langer Bambusstange weht, bestehend
in einem grossen bemalten Koi (Karpfen) aus Papier, den der Wind
aufbläst und hin und her weht. Er hat ebenfalls, gleich den Bündeln
von Calamus und Beifuss, welche man an diesem Tage an den Vor-
dächern der Häuser befestigt, symbolische Bedeutung.
Das Tanabata-no-sekku oder Sternenfest am siebenten
Tage des siebenten Monats ist der Vega (tanabata) geweiht, dem
[510]II. Ethnographie.
Glücksstern. Man stellt ein abgehauenes Bambusrohr mit seinen
Zweigen und Blättern im Hofe oder Zimmer auf und schmückt die
Krone mit Papierstreifen von fünferlei Farben, welche man mit Ge-
dichten und Sprüchen beschrieben und an Tanabata gerichtet hat.
Alle Familienglieder betheiligen sich dabei im Sonntagsstaate, selbst
die kleinsten, denen man die Händchen führt, damit sie wenigstens
ein Silben- oder Wortzeichen dem Sterne widmen und seine Huld
sich sichern können*).
Kiku-no-sekku, Chrysanthemumfest, heisst das letzte
der go-sekku im Jahre. Es wird am neunten Tage des neunten
Monats gefeiert und fiel früher gegen Ende October, nach unserer
Zeitrechnung, also in die Zeit, wo die Vegetation schon ihres meisten
Schmuckes beraubt, aber die Kiku (Chrysanthemum indicum) in voller
Blüthe standen. Zahlreich und höchst mannigfaltig, wie bei uns
die Astern, sind nach Farbe, Grösse und Form der Blüthen die
Spielarten dieser Lieblingsblume des japanischen Volkes, zu deren
Betrachtung und Bewunderung an den Stellen, die ihrer Cultur und
ihrem Verkauf seit lange gewidmet sind, die fröhliche, buntgekleidete
Menge herbeiströmt.
Eine solche Freude am Anblick schöner Blumen überhaupt, wie
sie das japanische Volk bekundet, kennt keine andere Nation. Auf
den Abends abgehaltenen hana-ichi oder Blumenmärkten besteht
die Mehrzahl der Käufer aus gewöhnlichen Leuten, denen es zu
Hause wohl an kostbaren Vasen, nicht aber an einem Stück Bambus-
rohr gebricht, um das blühende Reis oder die langgestielte Blume
hineinzustecken und mit Wohlgefallen zu betrachten. Zur Zeit, wo
an diesem oder jenem bekannten Orte die eine oder die andere Lieb-
lingspflanze ihre Blüthen entfaltet, stattet der Stelle Jedermann, der
abkommen kann, seinen Besuch ab. Voll fröhlicher, festlich geklei-
deter Menschen jedes Standes und Alters sind dann die Wege, welche
nach solchen Blumenorten hinführen. Eine solche Menge glücklich
aussehender Menschen, wie sie sich dann in den vielen Theebuden
und Wirthshäusern solcher Blumenstätten sammeln, kann man schwer-
lich anderswo beisammen sehen; Menschen, die ohne Rückblick auf
gestern und ohne Sorgen für morgen, wie es vor zwei Jahren in
einer Zeitung von Yokohama hiess, sich in kindlich ungezwungener,
harmloser Heiterkeit dem Naturgenusse hingeben, die, wie verschie-
den auch ihre gesellschaftliche Stellung, Mittel und Bildung sein
mögen, doch Alle diese Freude theilen.
[511]5. Kalender und Volksfeste. Sexagesimal-Cyclus etc.
Man hat die Lieblingsblumen des japanischen Volkes nach ihrer
Blüthezeit geordnet, also sogenannte Blüthenkalender zusammengestellt.
Obenan nach dem alten Kalender steht die japanische Mume (Prunus
Mume), eine Pflaumenart, welche im Februar ihre noch blattlosen
Zweige mit weissen oder rothen Blüthen bedeckt, gewissermassen
den Frühling einleitet und auch als Decorationsmotiv im Kunstgewerbe
eine hervorragende Rolle spielt. Einen Monat später folgen die Pfir-
sichblüthen. Die wilden Kirschbäume Japans oder Sakura (Prunus
pseudocerasus) zeigen im April ihre Blüthenfülle und ziehen damit
an vielen Orten, wo sie in Menge zur Zierde angebaut sind, die
Bewohner der Umgegend zahlreich an. Im Mai blüht der Fuji
(Wistaria chinensis) und schmückt die einzigen Lauben, welche man
in Japan kennt, z. B. im Garten des Tempels zu Kamedo in Tôkio
(siehe Abbildung pag. 486). Einen Monat später bewundert man die
Blüthen der Iris oder Ayame und des Calamus oder Shobu. Im Juni
erscheinen die schönen grossen Blüthen des von Dichtern so viel be-
sungenen Botan (Paeonia Mutan) und der Hasu oder Lotosblume
(Nelumbium speciosum), dann folgen im August und September
blühende Hibiscus-Arten, insbesondere der Fuyô (H. mutabilis), denen
sich Susuki (Eulalia japonica) und andere Herbstblumen anschliessen.
Im October aber sehen wir, wie bereits hervorgehoben wurde, Kiku-
no-hana, die Blüthen des Chrysanthemum; auch färbt sich in diesem
Monat das Laub vom Momiji (Acer polymorphum) und anderer Ge-
wächse prächtig roth. Im November und December blühen Sasanqua
und Cha (Camellia sasanqua und Thea chinensis), und endlich im
Januar — in Gärten wenigstens — die gewöhnlichen Camellien.
Für die Bewohner der Hauptstadt Tôkio kommen noch zwei an-
dere Feste in Betracht, welche eine ungewöhnlich grosse Volksan-
sammlung bewirken, nämlich die sogenannte Eröffnung des Sumidagawa
und das Fest von Kudan. Jenes findet am 28. Juni unterhalb der
Hauptbrücke Riôgoku-bashi statt. An den Ufern des Flusses, auf
den Brücken und zahlreichen Booten sammelt sich, sobald der Abend
herannaht, eine festlich gekleidete Menge dicht gedrängt, um das
Schauspiel eines grossen Feuerwerks auf dem Flusse zu geniessen.
Tausende von bunten Lampen erhellen ringsum die Nacht, welcher
eine leichte Brise vom Meere her angenehme Kühle bringt. Wenn
dann die Mitternacht bald herannaht, verzieht sich die ungeheuere
Menge friedlich und vergnügt. Kein wildes Geheul, keine Rauferei
der Heimkehrenden stört in den übrigen Stadttheilen die nächtliche
Ruhe, wie solches in Europa bei ähnlichen Anlässen so oft der Fall
ist. Das Fest beim Tempel Shokonsha dauert drei Tage, nämlich
[512]II. Ethnographie.
den 14., 15. und 16. Mai. Es kann, wenigstens nach seinem Anfang,
zu den Tempelfesten gerechnet werden, insofern hier am ersten Tage
der Mikado selbst mit grossem Gefolge erscheint, um den 1868 im
Bürgerkriege Gefallenen die gewohnten Opfer zu bringen. Die übrige
Zeit ist ein wirkliches Volksfest auf dem grossen freien Platze nahe-
bei, welches durch Wettrennen, Feuerwerk und Wettkämpfe die
schaulustige Menge anzieht.
Bei den Matsuri oder Tempelfesten, die sich in mancher
Beziehung mit unseren Kirchweihen vergleichen lassen, nur dass
das grosse, daran theilnehmende Publikum nicht dabei tanzt, sondern
sich vortanzen lässt, ist Alles auf den Beinen und erscheint im Sonn-
tagsstaate. Vor jedem Hause des Districtes, in welchem der Tempel
sich befindet, dessen Gott oder Patron die Feier gilt, hängen an in
die Erde geschlagenen Pfählen die bekannten schönen Papierlaternen,
innerhalb einer Strasse alle von gleicher Grösse, Form und Ver-
zierung. Die Feier culminiert in einer lärmenden Procession, einer
Art Fastnachtsaufzug nach dem Tempel und den hier gegebenen Pan-
tomimen und andern Spielen.
Langsam und schwerfällig bewegt sich von Ochsen gezogen
und von Dutzenden schreiender Kulis geschoben der breite dashi
(Fest- oder Götterwagen) auf niedrigen, knarrenden Rädern durch
die Strassen. Er ist reich geschmückt mit Fähnchen, bunten Zeug-
streifen und grünen Zweigen. Den Götzen im Mittelpunkt um-
geben Priester, welche durch Pauken- und Glockenschlagen einen
Höllenlärm verbreiten. Oft befindet sich über diesem unteren
Raum noch eine zweite Etage, auf welcher sich scheussliche Masken
mit Affen-, Hunde- und Tigerköpfen und andern Thiergestalten im
wilden, munteren Treiben hin und her bewegen. Kleine ambulante
Theater, ein zweiter dashi und andere Dinge mehr folgen oft und
beziehen im Tempelhof die vorbereiteten Räume, Schaubühnen und
dergleichen. Eine fröhliche, dicht gedrängte Menge schliesst sich an.
Beim Tempel werden dem Gotte Opfer gebracht und viel Decorum und
Ceremonie seitens der Priester, wenig religiöse Stimmung seitens des
zuschauenden Volkes entfaltet. Alles, was die japanische Küche nur
Gutes bietet, Reis, Fisch, Eier, Gemüse, Früchte, Zuckerwerk, Sake,
Thee werden dem Gotte, vorausgesetzt, dass er ein Kami oder Shintô-
Gott ist, an seinem Feste vorgetragen, dann folgen theatralische Auf-
führungen in Pantomimen vor dem Tempel, wo sich auch sonstige
Schaubuden, Guckkasten, Märchenerzähler, Zauberer, Verkäufer von
Süssigkeiten etc. eingefunden haben und ein Treiben sich entwickelt,
lärmender und bunter, als auf einem deutschen Jahrmarkte.
[513]6. Religiöse Zustände.
6. Religiöse Zustände.
Der Shintôismus oder Kamidienst. Die Lehre des
Confucius. Buddhismus. Christenthum.
Es gibt keine Seite in den mannigfaltigen Erscheinungen des
japanischen Volkslebens, die unserem Verständniss so fern liegt, als
diejenige, welche sich auf religiöse Dinge bezieht. Wir sehen, wie
verschiedenartig das religiöse Bedürfniss sich äussert in den Tempeln
und Götzenbildern, in den Opfern, Ceremonieen und Aufzügen, in
Gebet und Ermahnung, und es verlangt uns alsbald nach einer Er-
klärung alles dessen, was wir sehen und hören. Aber ob wir uns
dann mit unseren Fragen an einen japanischen Gelehrten, Dolmetsch
oder Priester wenden, ob wir uns in unserer europäischen Literatur,
oder — falls wir der Sprache mächtig sind — nach einem einhei-
mischen Werke umsehen: wir finden unsere Hoffnung getäuscht und
unsere Wissbegierde durch das, was wir hören und lesen, nur theil-
weise befriedigt. Eine kaum begreifliche Indolenz und Ignoranz auf
der einen Seite, eine schwer verständliche mystische Darstellung auf
der anderen Seite gestatten uns kaum, den Schleier zu lüften, der
über so Vielem hier liegt. Nur wer Zeit und Mittel besitzt, tief zu
graben, wer kritischen Verstandes zurückgreifen und sich vertiefen
kann in die alten geschriebenen Ueberlieferungen, vermag die Schätze
zu heben, die für uns Europäer hier noch verborgen liegen unter der
Schlacke und anderen fremden Zuthaten, welche sich im Laufe vieler
Jahrhunderte darüber angesammelt haben. Den Anfang hierzu haben
bezüglich des Shintô Mehrere, insbesondere Satow und Kemper-
mann, mit Erfolg gemacht.
Zwei heidnische Culte sind es, die in Japan zur Herrschaft ge-
langt sind und neben einander, obgleich sich gegenseitig beeinflussend,
in eigenthümlicher Weise sich ausgebildet haben, zwei Religionen,
denen viele Hunderte von Tempeln und Tausende von Priestern dienen,
nämlich der Shintôismus und der Buddhismus.
Die Vorfahren des japanischen Volkes besassen bereits, als sie
im heutigen Idzumi, Iwami, Satsuma, Hiuga und anderen Provinzen
des Südens landeten, eine gewisse Civilisation; denn sie kannten und
pflegten den Ackerbau und hatten sich in religiöser Hinsicht vom
Naturdienste zu einem Ahnencultus erhoben, der sich bis auf unsere
Zeit unter dem Namen Shintôismus erhalten hat. Die Deïfication der
Vorfahren findet sich mehr oder minder ausgebildet auch bei den
Chinesen und anderen Völkern Ostasiens und entstammt wahrschein-
Rein, Japan I. 33
[514]II. Ethnographie.
lich einer gemeinsamen Quelle. Die hervorragendsten Objecte des
Naturdienstes, wie Himmel und Erde, Sonne und Mond, Feuer etc.
werden dabei mit der Schöpfungsgeschichte der Urahnen innig ver-
woben und mit denselben zum Theil identificiert. Der bemerkens-
wertheste Zug des Shintôismus*) oder der Kamilehre Japans ist
die göttliche Verehrung der Kami oder Geister berühmter Fürsten,
Helden, Gelehrter. Aber neben diesen füllen Legionen untergeordneter
Götter das Pantheon des Volkes.
Man kann diesen Kamidienst nur nach der Art, wie er sich in
Tempeln, Gebeten und Opfern äussert, eine Religion nennen, denn
eigentlich gehen ihm die wesentlichen Merkmale einer solchen, eine
bestimmte Glaubens- und Sittenlehre, ganz ab. Das einzig Greifbare
des Shintôismus ist ein ausgebildetes Ritual. Die Verehrung des Kami
zeigt sich in Opfern und einer Art Liturgie, bestehend in der Recita-
tion von einer Adresse und einem Gebete, welche an den Geist ge-
richtet sind und Norito heissen. Seine Sittenlehre stammt aus der
Moralphilosophie eines Confucius und anderer chinesischer Weisen,
während der Buddhismus auf Bau und Einrichtung der Tempel, auf
Gewänder und Ceremonieen seinen Einfluss geltend machte und diese
Dinge sich dadurch prunkvoller gestalteten. Auch die Wallfahrten
führte man nach dem Beispiele der Buddhaverehrer ein.
Als äussere Kennzeichen der Miya’s**) oder Shintôtempel gelten
vor allem die Torii***), Galgenthore oder Portale, durch welche
man in ihren Tempelraum (Yashiro) tritt. Sie bestehen aus zwei runden
hohen Pfosten, welche in die Erde gesenkt und oben durch einen
beiderseits überragenden runden Querbalken verbunden sind, unter
dem in kurzem Abstande noch ein zweites rundes oder zugehauenes
Verbindungsstück folgt. Die Miya ist in ihrer ursprünglichen, reinen
Gestalt sehr einfach, ein Tempelchen ohne Idole, in dessen Haupt-
halle (Honden) das Heilige, Anbetungswürdige symbolisiert ist durch
mehrere Gegenstände, welche sich auf einem einfachen unlackierten
Tische, der den Altar vorstellt, befinden oder zur Seite desselben.
Es sind dies ein runder Metallspiegel als Sinnbild des göttlichen
Glanzes und (vielleicht) der Sonne; ferner das Gôhei†), das sind
[515]6. Religiöse Zustände.
weisse, an den Rändern oft vergoldete, zusammenhängende und aus
einem Stück geschnittene Papierstreifen, deren Bedeutung zweifelhaft
ist, von denen aber angenommen wird, dass der Kami oder Geist
des Gottes sich darauf niederlasse. Spiegel und Gôhei an einem Stabe
oder an der Wand fehlen keinem Shintôtempel. Ein drittes, häufiges
Symbol, welches Reinheit, Tiefe und Macht der Kami vorstellen soll,
ist ein Edelstein, oder gewöhnlich eine Kugel aus Bergkrystall*).
Gewöhnlich sieht man seitwärts von diesen Dingen und etwas tiefer
auch zwei Vasen mit beblätterten Zweigen des immergrünen Sakaki
(Cleyera japonica Thunbg.), welches hier das Illicium religiosum der
Buddhatempel vertritt und aus dessen Holz auch der Stab für das
Gôhei, sowie die Essstäbchen für die Speisopfer ursprünglich und
ausschliesslich verfertigt wurden.
Der einfache, reine Shintôtempel ist einschliesslich des Torii aus
dem weissen Holze des Hinoki (Chamaecyparis obtusa S. und Z.)
gebaut und mit der Rinde dieses Baumes überdacht, so auch das
Schloss des Mikado in Kiôto, als eines auf Erden wandelnden Kami
und Vermittlers zwischen dem japanischen Volke und den Göttern.
Hinoki und Sakaki sind die dem Kamidienste besonders geheiligten
Gewächse. Kein Lack, kein Metallzierrath ist in der reinen Miya
33*
[516]II. Ethnographie.
zulässig. Aber nur wenige Kamihallen, darunter die berühmtesten,
haben diese ursprüngliche Einfachheit bewahrt, so vor allem das der
Sonnengöttin Amaterasu (Tenshô Daijin) geweihte Heiligthum bei
Yamada in Ise; ferner der Oyashiro zu Kidzuki in Idzumo, worin
Okunishi, der oberste Erdengott und erste Beherrscher jenes Gebietes,
verehrt wird. In Tôkio bietet der im Stadttheile Kudan dem An-
denken der im Bürgerkriege 1868 Gefallenen errichtete Tempel Sho-
konsha*) (siehe Abbildung) ein deutliches Bild einer einfachen Kami-
halle. Die unschönen Glaslaternen, welche hier die Stelle alter
Steinlaternen (Ishi-dôrô) vertreten, sind freilich eine Neuerung, welche
eben so wenig passt, wie die beiden Oeldruckbilder in Goldrahmen,
die uns im Honden selbst überraschen und die Schlachten von Wörth
und Gravelotte vorstellen. Links von der hohen Eingangstreppe zur
Halle befindet sich ein langer steinerner Trog mit geweihtem Wasser,
dann an der Treppe selbst die mit einem hölzernen Gitter geschlossene
Opferlade zur Aufnahme der Kupfermünzen, welche hier gespendet
werden, und neben dieser das Seil mit der Glocke, welche jeder
Kommende rührt, um sich des Kami Audienz zu erbitten. Der Shin-
tôismus bezweckt die Glückseligkeit des irdischen Lebens und nimmt
an, dass dabei die Seelen der Entschlafenen wesentlich mitwirken
können. Dieselben werden also gegenwärtig gedacht und durch
Händeklatschen, eine Schelle, Trommel etc. gerufen, wenn man sich
zu ihnen wendet. In jedem Hause ist den Kami der Vorfahren ein
kleiner Altar errichtet, vor dem das Familienhaupt in eigenthümlicher
Weise seine Andacht verrichtet.
Die Shintôgötter sind keineswegs die erhabenen, sittenreinen
Gestalten, wie sie der Buddhismus vorführt, keine Heiligen durch
Ueberwindung der Sinnenlust, sondern mit allen menschlichen Ge-
fühlen und Schwächen behaftet und durch Alles erfreut, was auch
dem Lebenden Genuss und Zerstreuung bringt. Daher sucht man
sie an ihren Jahresfesten nicht blos mit Speise und Trank, sondern
auch durch theatralische Aufzüge, Pantomimen u. dergl. zu ergötzen
und findet es nicht anstössig, dass der Weg aus der Stadt Yamada
in Ise zum grössten Shintô-Heiligthum des Landes durch eine Strasse
führt, in der gar manches Haus dem Dienste der Aphrodite ge-
widmet ist.
Vom Diener der Kami verlangt man mehr Reinheit des Körpers
als des Herzens, wie denn auch nicht hervorragende Tugendhaftig-
[517]6. Religiöse Zustände.
keit, sondern andere Eigenschaften ein gewisses Anrecht auf die
Apotheose gaben. Wer sich durch grosse Tapferkeit, Gelehrsamkeit
und Wohlthätigkeit auszeichnete, wurde nach seinem Tode unter die
Götter versetzt, ja der Mikado und seine Räthe bestimmten und be-
stimmen noch jetzt sogar den Rang, welchen ein solcher in dieser
neuen Gesellschaft einzunehmen hat.
Die Shintô-Priester (Kannushi) rasieren sich den Kopf nicht, wie
die Bonzen, und haben nur im Amte eine besondere Tracht. Es gibt
für sie kein Cölibat und keine Klöster. Anderseits gelten sie —
und es ist dies wohl zum Theil eine Folge der Erblichkeit ihrer
Würde — für viel weniger unterrichtet als die Diener Buddha’s.
Der Shintôdienst hat ein ausgebildetes Ritual und viele Reinigungs-
vorschriften. Wie bei manchen anderen Völkern, verunreinigen na-
mentlich Geburt und Tod, und es gab desshalb in früheren Zeiten
besondere Sterbehäuser (Moya) und Gebärhäuser (Ubuya), sowie auch
Reinigungsfeste. Während des Baues einer Kamihalle müssen die
Bauleute nach besonderen Vorschriften leben, gewaschen, barfuss und
in weisser Kleidung zur Arbeit gehen, auch bezüglich der Werkzeuge
und des Baumaterials strengen Regeln folgen.
Die Miya’s sind dem Ansehen der Kami’s, denen sie geweiht
sind, entsprechend in verschiedene Classen getheilt. Die vornehmsten
unter ihnen, zu denen die beiden Tempel bei Yamada in Ise, die
Tempel zu Kidzuki und Sada in Idzuma, woselbst im 11. Monat des
Jahres grosse Feste stattfanden, weil dann alle Kami des Landes
dem alten Glauben nach sich dort versammelten, der Kotohira nicht
weit von Tadotsu in Sanuki und verschiedene andere gehören, wer-
den nach je 21 Jahren neu aufgebaut. Nach dem 12. Gesetz des
Gongen-sama waren die Daimio von Bishiu (Owari) und Kishiu (Kii)
abgabenfrei, hatten aber dafür zu sorgen, dass ihre Wälder zur Er-
neuerung jener Tempel das nöthige Holz lieferten. »Das soll ge-
schehen, damit das Vaterland glücklich sei und die fünf Feldfrüchte*)
wohl gedeihen«.
Zu der alten Kamilehre gesellte sich im dritten Jahrhundert un-
serer Zeitrechnung die politische Philosophie des Kôshi (Confucius).
Sie wurde mit demselben Enthusiasmus aufgenommen, wie zur Zeit
der Restauration (1868) die abendländische Civilisation, ist aber wie
diese in das Volk nie tief eingedrungen. Dagegen übte sie auf die
Denk- und Lebensweise der Samurai einen mächtigen Einfluss aus.
[518]II. Ethnographie.
Ueber das Leben und Wirken des hochgefeierten chinesischen
Weisen herrscht kein Zweifel. Es ist eine historische Persönlichkeit,
welche im 6. Jahrhundert v. Chr. auftrat, etwa 100 Jahre später als
Siddârtha (Buddha) und ebensoviel früher als Socrates. Er war Poet,
Historiker, Kritiker und Philosoph, doch ist es seine Bedeutung in
letzter Eigenschaft, welche hier in Betracht kommt. Dabei hat er
die höheren religiösen Fragen über unsere Beziehungen zu Gott und
die Unsterblichkeit der Seele unberührt gelassen. Seine Ethik gipfelt
in der Frage: »Wie muss der Mensch als Staatsbürger und gegen
seine Mitmenschen sich verhalten, um tugendhaft und glücklich zu
sein?« — Nach Kôshi steht Pietät gegen die Eltern als oberste
Pflicht und Tugend da, welche auch nach dem Tode derselben fort-
dauern soll. Allgemeine Menschenliebe kennt er nicht; er hält, wie
wir bereits früher sahen, die Blutrache nicht blos für zulässig, son-
dern für eine Pflicht. Der wahre Anhänger des Confucius ist ein
guter Sohn, loyaler Unterthan und treuer Gatte. »Unter hundert
Tugenden steht Pietät gegen die Eltern obenan; unter zehntausend
Verbrechen ist Ehebruch das grösste«. »Treue, Elternliebe, Reinheit
des Herzens und Aufrichtigkeit verbreiten Wohlgeruch durch hundert
Generationen«. Die fünf grossen Tugenden, welche nach Confucius
beständig geübt werden sollen, sind: Wohlwollen, Aufrichtigkeit,
Höflichkeit, Kenntnisse und Treue; aber er hat bei letzterer, wie es
scheint, mehr die Frau als den Mann im Auge. Ihr weist er als die
drei höchsten Pflichten (San-jô Gehorsam gegen die Eltern, gegen
den Mann und — nach dessen Tod — gegen den ältesten Sohn zu;
nur für den Mann kennt er Scheidungsgründe.
Nach Confucius und seinem fast eben so berühmten Schüler
Mencius (Môshi oder Mofushi) ist die Natur des Menschen, wie sie
der Himmel ihm verliehen, gut, und nur die Verbindung der reinen
Seele mit dem Körper und seinen Bedürfnissen erzeugt Leidenschaften
und Sünden. Der Hauptzug in den Schriften des Mencius entspricht
der Sentenz des Thales: »Erkenne Dich selbst«.
Kein Philosoph, kein Gesetzgeber des classischen Alterthums hat
schon bei Lebzeiten, geschweige nach seinem Tode, einen solchen
Einfluss geübt, als Confucius, der Socrates Chinas, auf seine Heimath
und ganz Ostasien. Drei Tausend Schüler lauschten seinen Worten
und wurden von ihnen und seinem edlen Beispiele begeistert. Das
ganze Leben und die Weltanschauungen der gebildeten Classen in
den Ländern des östlichen Monsungebietes wurden von den Lehren
Kôshi’s und Môshi’s beeinflusst und durchdrungen. Diese Lehren
bildeten und bilden noch jetzt das Evangelium und die Quintessenz
[519]6. Religiöse Zustände.
aller Lebensweisheit für den japanischen Samurai; sie wurden die
Grundlage seiner Erziehung, das Ideal, nach welchem er seine Be-
griffe von Pflicht und Ehre modelte. Besonders einflussreich erwiesen
sich dieselben, als die Macht der buddhistischen Mönche gebrochen
und das Christenthum ausgerottet war. Iyeyasu kannte kein höheres
Muster bei Abfassung seiner Gesetze als Kôshi, dessen Grundsätze
allenthalben durchleuchten*).
Diese politische Ethik des chinesischen Weisen entsprach den
Anschauungen der Samurai und passte eben so zum japanischen
Feudalsystem wie zur Kamilehre, welche dadurch eine wesentliche
Stütze erhielt. Das Wirksame derselben bestand nicht sowohl in
einer besonderen Tiefe und Originalität, als vielmehr darin, dass sich
Confucius einerseits den bestehenden Ansichten anpasste, anderseits
sich weit über den alten Mysticismus erhob und ernster, verständ-
licher und überzeugender zum denkenden Theile der Gesellschaft
sprach, als alle seine Vorgänger, vor allem aber darin, dass er nach
übereinstimmenden Berichten seiner Lehre gemäss lebte und ein
leuchtendes Vorbild grosser Sittenreinheit und edler Denkungsart war.
Den zweiten mächtigen Einfluss auf den Kamidienst der Ja-
paner hat der Buddhismus ausgeübt. Derselbe hatte sich im ersten
Jahrhundert unserer Zeitrechnung vom Ganges und den Thälern des
Himalaya aus über China, dann 372 über Korea verbreitet und ge-
langte in der Mitte des 6. Jahrhunderts von hier nach Japan. Mit
einem pompösen Ritual wurden dem Volke nun die in Holz geschnitzten
oder in Stein gehauenen sanften, wohlwollenden und gedankenvollen
Buddhas (Heilige) vorgeführt. Aber nicht blos auf die Sinne wirkte
der neue Cultus fasslich und ergreifend ein; auch die Imagination
erhielt reiche Nahrung, vor allem durch die Transmigrationslehre
und die Schilderungen ferner Welten, die in paradiesischem Glanze,
von glücklichen Engeln und Buddhas bewohnt, dem Bekenner der
neuen Lehre, unbekümmert um seine gesellschaftliche Stellung, als
erreichbare Ziele in Aussicht gestellt wurden. Da der Buddhismus
überdies, wie allenthalben, tolerant und friedlich auftrat, sich den
alten Religionsanschauungen accommodierte und auch die Shintôgötter,
wie früher die vielen Gottheiten des Brahmanismus, in sein System
aufnahm**), verbreitete er sich, von oben begünstigt, sehr rasch und
[520]II. Ethnographie.
wurde die eigentliche Volksreligion, der die Japaner noch heute an-
hängen.
Die Bekenner des Buddhismus haben die Lebensgeschichte Buddhas
mit vielen Mythen umgeben, doch steht fest, dass er ein Königssohn
aus der Familie Câkya im heutigen Behâr war und Siddhârtha hiess.
Nicht blos an Geist und Wissen, sondern auch durch seine edle Ge-
stalt, durch Gewandtheit und Kraft bei allen ritterlichen Leibesübungen
übertraf er seine Alters- und Zeitgenossen, zeigte schon frühzeitig
tiefes Mitleid mit dem Elend und Leiden nicht blos der Menschen,
sondern auch der Thiere, und eine starke Neigung zu klösterlicher
Abgeschiedenheit und stiller Betrachtung. Die Schwermuth, welche
sich mehr und mehr daraus entwickelte, vermochte auch das glück-
lichste Eheleben im paradiesisch schönen Lustschlosse und seinen
Anlagen nicht ganz zu verscheuchen, ja sie trieb ihn endlich dazu,
alles irdische Glück, das er genoss, Weib, Kind, Vater, Palast und
ein schönes Königreich als Erbe aufzugeben, sich heimlich zu ent-
fernen und 7 Jahre lang unter Entbehrungen und Casteiungen man-
cher Art ein Wanderleben in der Fremde zu führen, um den Weg
zum wahren Glück zu suchen. Im einsamen Walde unter einem
Bôdhi-Baume (Ficus religiosa) tritt nach der Erzählung endlich Mâra,
der Teufel und Herr der Lüfte, an Siddhârtha heran und versucht ihn
auf zehnfache Art zur Sünde. Dieser aber widersteht und ist da-
durch wie umgewandelt. Ein heller Schein umgibt ihn; er ist von
nun ab Buddha*), ein Heiliger und Ueberwinder. Er hat den Stein
der Weisen, den Weg zur wahren Glückseligkeit gefunden, es ist die
Ueberwindung der Versuchung, der Begierden. »Weit ist der schon
auf dem Wege zum ewigen Glück (nach Nirwâna), dessen Fuss eine
Lieblingssünde niedertritt«.
Nicht länger bleibt nun Buddha in seiner Einsamkeit, es treibt
ihn, die gefundene Wahrheit zu verkünden und auch Andere seines
Glückes theilhaftig zu machen. Von nun an erscheint Siddhârtha, der
Königssohn, als Buddha in gelbem Gewande, nackten, geschorenen
Hauptes unter den Menschen, und — seine geringen Subsistenzmittel
**)
[521]6. Religiöse Zustände.
erbettelnd — zieht er von Ort zu Ort, seine neue Lehre zu verkünden.
Niemand vermag seinem besiegenden Blick, seiner hinreissenden Be-
redtsamkeit zu widerstehen. Er kehrt endlich auch in seine Heimath
zurück, wo Vater, Gattin, Sohn (Çuddhôdana, Yaçôdharâ, Râhula) und
das ganze Land alsbald ihm und seiner Lehre anhangen und durch
sie glücklich werden.
Buddha war eigentlich nur ein Reformator des in strengen Kasten-
geist und groben Bilderdienst versunkenen Brahmanismus. Seine
Nachfolger machten ihn zum Gott und bewirkten, dass seine Tugend-
lehre mehr und mehr in groben Götzendienst ausartete.
Streifen wir die mystisch-poetische Hülle, womit Person und
Lebensgeschichte des Prinzen Siddhârtha umgeben wurden, ab, so
bleibt immer noch eine erhabene, sittenreine Gestalt vor uns, welche
alle Erfordernisse eines wirksamen Reformators in hohem Maasse be-
sass: heiligen Ernst und sittliche Tiefe, überzeugende Gewalt und
dramatische Kraft der Rede und des ganzen Auftretens.
Als Hauptzüge der durch Siddhârtha begründeten neuen Religion
hebt Eitel, einer der besten Kenner derselben, folgende hervor:
1. Gesellschaftlich lehrt der Buddhismus die Geringschätzung
des Kastenwesens und des Eigenthums.
2. Dogmatisch ist er ein Atheïsmus, der Menschen und sitt-
liche Ideen vergöttert.
3. Moralisch ist der Buddhismus die Lehre von der Eitelkeit
und Unbeständigkeit aller irdischen Güter, von der Seelenwanderung
und endlichen Absorption in Nirwâna.
Die drei Hauptzüge des Buddhismus sind sonach: 1. Atheïs-
mus, oder sagen wir besser Deïfication von Menschen und Ideen in
polytheïstischer Form der Verehrung; 2. die Lehre von der Seelen-
wanderung, womit die Beseitigung des Kastenwesens zusammen-
hängt und worauf sich die Wirksamkeit der buddhistischen Ethik
stützt; 3. die Lehre von der Erlösung von den Sünden und Ge-
brechen und dem Uebergang nach Nirwâna aus eigener Kraft.
Shaka (Buddha) ist gleich Confucius nur Philosoph und Tugend-
spiegel, kein Erlöser. Nach Buddha kann der Mensch das Er-
lösungswerk selbst vollbringen, und hierin, wie in manchem anderen
Punkte, steht er den chinesischen Philosophen nicht fern. Er erkennt
auch ein gutes sittliches Princip an, und fast sollte man meinen, er
vereinige es mit dem Begriffe von einem lebendigen Gott (der aber
bei seinen Nachfolgern keine rechte Gestalt gewinnt), wenn er spricht:
»Höher als der Himmel und weit unter der Hölle, ausserhalb der
fernsten Sterne und weiter als Brahma wohnt, vor Anfang und Ende,
[522]II. Ethnographie.
ewig wie der Raum, steht eine göttliche Macht, die nur zum Guten
treibt, deren Gesetze nicht vergehen«. Der wichtigste Theil seiner
Lehre ist die Transmigration oder Seelenwanderung. Vor dem Ge-
richtshof des (brahminischen) Gottes Yama, in Japan Emma-sama
(Yemma-sama) genannt*), dem Herrscher im Hades, erscheint die
Seele des Verstorbenen, um abgeurteilt und in die Welt zurück ge-
sandt zu werden, wo sie, je nach Verdienst oder Schuld, in Gestalt
eines vollkommeneren Menschen oder höhern Wesens oder in einem
Thiere wieder erscheint. Hat der Mensch schlecht gehandelt, so wird
er auf dem Wege nach Nirwâna noch weiter zurückversetzt und muss
erst die zwei elendesten Zustände der Hölle und der hungerigen
Geister durchlaufen, bevor er in Thiergestalt auf Erden wieder er-
scheint. König Yama entscheidet nicht blos über die Art des Ueber-
ganges, sondern auch über die Dauer. »Wer als Sklave sich ab-
mühte«, so lehrt Buddha, »kann als Prinz wieder erscheinen; wer
als König regierte, bei der Wiederkehr vielleicht in Lumpen einher-
wandern. Höher als Indra (der Gott des Himmels) vermögt Ihr Euer
Loos zu heben und tiefer zu sinken als Wurm und Schnake«. —
»Sucht Nichts bei hülflosen Götzen (des Brahmanismus), die Rettung
liegt in Euch selbst. Ein Jeder macht sich selbst das Gefängniss;
seine Handlungen bereiten ihm Freude oder Schmerz«.
Nach der Lehre Buddha’s sind Noth und Elend dieses Lebens
Folgen früherer Sünden, eine Ansicht, die im Alterthume eine weite
Verbreitung hatte; denn auch in der Bibel finden wir sie in der Frage
an den Heiland vertreten: »Meister, wer hat gesündigt, dieser oder
seine Eltern?«
Das Ziel der Seelenwanderung ist Nirwâna. Wer es erreicht,
wird (nach Buddha) selbst von den Göttern**) beneidet. Es ist das
wünschenswerthe Ende der Seele, nachdem sie über die Materie
triumphiert hat und frei von allen Leidenschaften eintritt in diesen
geheiligten Raum, wo sie das Bewusstsein ihrer Existenz verliert,
doch keineswegs in Nichts aufgeht. »Wie der Thautropfen verschwin-
det in der leuchtenden See, wenn die Sonne sich erhebt, so lösen
[523]6. Religiöse Zustände.
sich (nach der Lehre Buddha’s) die Heiligen in Nirwâna auf«. Doch
war wohl die ursprüngliche Meinung Buddha’s im Sinne der Wort-
bedeutung von Nirwâna ein Erlöschen und Aufhören.
Die grosse Menge der Buddhisten denkt desshalb auch lieber
nach einer späteren Lehre, die von Kashmir ausging, an das Para-
dies des äussersten Westens, wohin ein anderer Buddha, Namens
Amitâbha, seine Getreuen zur Seligkeit führt, wo ihnen der be-
seligende Anblick Amitâbha’s, der schönsten Gärten mit Blumen,
Wasser, Vögeln etc. zu Theil wird.
Jeder Buddhist ist in der Metempsychose (Seelenwanderung) und
auf dem Wege nach Nirwâna. Ob derselbe abgekürzt oder mühe-
und dornenvoller werde, liegt ganz in seiner Hand. Selbstbeherr-
schung, Vermeidung des Bösen, gute Werke, reine Gedanken, ge-
fördert durch klösterliche Abgeschiedenheit und Meditation beschleu-
nigen die Wanderung, auf welcher die Seele über verschiedene Stufen
der Vollkommenheit endlich in Nirwâna eintritt. Nur Buddha selbst
gelangte nach seinem Tode direct hinein. Aber er hatte schon 550
Tansmigrationen durchgemacht, bevor er seine Eltern Mâyâ und
Çuddhôdana, Königin und König von Magadha (Behâr), wählte und
als Prinz Siddhârtha erschien.
Der Glaube an diese Lehre von der Seelenwanderung war sicher
ein gewaltiger Stimulus zu tugendhaftem Leben. Nicht blos die
Cardinalsünden Mord, Diebstahl, Ehebruch, Lüge, Völlerei und un-
züchtige Reden verbietet Buddha*), auch jede Art sonstiger Laster,
wie Heuchelei, Zorn, Stolz, Argwohn, Gier, Schwatzhaftigkeit, Grau-
samkeit gegen Thiere und andere mehr werden als verwerflich be-
zeichnet, während es nicht fehlt an Ermahnungen zu Elternliebe, Ge-
horsam, Dankbarkeit, Mässigung im Glück, Geduld im Unglück und
Seelenruhe in allen Lagen des Lebens.
Der Buddhist soll nicht tödten, aus Mitleid nicht, und damit er
nicht das Geringste störe auf seinem aufschreitenden Pfade; kann
doch in dem Hausthiere, das er schlägt, und in dem geringsten
Wurme, den er tödtet, die Seele eines seiner Vorfahren fortleben.
In Japan wird diese Regel nur noch von buddhistischen Mönchen
streng gehalten; sie allein sind Vegetarianer. Eine eigenthümliche
Nutzanwendung aber machen gewisse geringe Leute von derselben,
indem sie Vögel, zumal junge, fangen, in enge Käfige sperren und
[524]II. Ethnographie.
an den Zugängen volksthümlicher Tempel den mitleidigen Besuchern
feilbieten, die sie kaufen und der Freiheit zurückgeben. So kann
man in einigen Strassen von Tôkio auch häufig Frauen und Kinder
mit lebenden Schlammfischen sehen, die sie in einem benachbarten
Graben fingen und demselben wieder zurückgeben, wenn der Vor-
übergehende das kleine Lösegeld für sie zahlt.
Der Buddhismus theilt sich mit dem Muhamedanismus in die
Herrschaft Asiens; er ist eine der ältesten und einflussreichsten Reli-
gionen. Gegen 500 Millionen Menschen, d. h. etwa ein Drittel von
der Bevölkerung der Erde gehören zu seinen Bekennern. »Die Ge-
schichte Ostasiens ist die Geschichte des Buddhismus«, sagt Eitel.
»Doch sind die Siege dieses grossen Systemes von philosophischem
Atheïsmus, welcher vom Weltall das Dasein einer erschaffenden und
regierenden Gottheit entfernt und dafür den Menschen deïficiert, nicht
blos auf Asien beschränkt, denn auch im Occident hat diese An-
schauung heutzutage ihre zahlreichen Bekenner«. Mag man von dem
grassen Götzendienst des Buddhismus in seiner späteren Entartung
noch so gering denken, so wird man doch zugeben müssen, dass die
Raschheit und der Enthusiasmus, womit die Lehre Shaka’s (Çâkya-
muni’s) über ganz Ostasien sich verbreitete und die dritthalb Tausend
Jahre, durch welche sie sich erhalten hat, genügend für ihre grosse
Bedeutung sprechen. Sie hat in Ostasien unstreitig eine civilisatorische
Macht geübt, der keine andere gleichkommt, die blutigen Opfer älterer
Culte verdrängt, dem strengen Kastengeist engegengewirkt und eine
friedliche, milde Gesinnung verbreitet, namentlich unter der grossen
Masse des Volkes. Die Japaner insbesondere verdanken dem Buddhis-
mus ihre heutige Civilisation und Cultur, ihre grosse Empfänglichkeit
für die Schönheiten der Natur und die hohe Vollendung verschiedener
Zweige ihres Kunstgewerbes. In China wie in Japan fand das ge-
meine Volk im Buddhismus viel mehr Befriedigung seiner religiösen
Bedürfnisse, als sie ihm der Ahnencultus und die Tugendlehren der
chinesischen Weisen gewähren konnten; anders stand es freilich bei
den meist kriegerischen und auf ihre Vorrechte stolzen Samurai.
Der Einfluss des Buddhismus auf den Kamidienst wurde bereits
oben kurz skizziert. Er zeigte sich namentlich, als gegen das Jahr
800 der gelehrte und fromme Mönch Kôbô Daishi, dem man die Er-
findung des Kata-kana zuschreibt, der Ueberzeugung Ausdruck gab,
dass die neue Lehre nur dann tiefere Wurzeln schlagen könne, wenn
sie die alten Götter und Heldensagen der Japaner in sich verschmelze.
So wurden nach seinem Vorgang die Kami je nach ihrem Range als
Erscheinungsformen von Buddhas oder untergeordneten Gottheiten
[525]6. Religiöse Zustände.
dargestellt. So ward beispielsweise Amaterasu, die Sonnengöttin,
ein Buddha unter dem Namen Dainichi Niyorai und der Kriegsgott
Hachiman (Ôjin Tennô) zu Amida*). Beide nahmen also unter den
vier Stufen der Glücklichen nach dem Tode (den Hotoke oder Buddhas,
den Niyorai oder göttlichen Protectoren der Menschen, den Bosatsu
[Bôdhisattva] oder Aposteln des Shaka und den Rakan oder fünf-
hundert nächsten Jüngern desselben) sehr hohe Stellen ein. Kaiser
Saga war über diese eigenthümliche Verquickung des Shintô mit dem
Buddhismus sehr erfreut und nannte sie Riyobu-Shintô, d. h.
»beiderlei Götterlehre«. Aber auch beim Volke fand dieselbe grossen
Beifall und in den Tempeln schon bald ihren Ausdruck. Die alte
Einfachheit der Kamihalle schwand. Idole als Repräsentanten der
Kami nach buddhistischer Auffassung füllten die Räume, und selbst
bei den Torii hielt man sich nicht mehr an das früher ausschliesslich
in Anwendung kommende Hinoki gebunden, errichtete sie auch aus
behauenen Steinen, ja selbst aus Bronze, oder wandte statt ihrer die
überdachten Thore der teras an. Auch sind, wie Satow, der gründ-
lichste Kenner dieser Verhältnisse, gezeigt hat, mit jener Verbindung
des alten Kamidienstes mit buddhistischem Mysticismus, welche den
Namen Riyobu-shintô trägt, die Nüancierungen des Shintô unter
buddhistischem Einflusse keineswegs alle erschöpft. Sehr häufig
diente auch bis in die neueste Zeit derselbe Tempel beiden Religions-
bekenntnissen, wobei sich wiederum die Toleranz der Buddhisten
deutlich zeigt. In solchen Fällen war nämlich gewöhnlich der
buddhistische Altar im Hintergrunde durch den misu, einen Vorhang
aus Bambusstreifen, von dem Shintô-Altar mit Spiegel und Gôhei
getrennt. Bonzen (japanisch bôzu oder ôshu) celebrierten vor jenem
und Kannushi hier nach einander.
Aber auch die alten Buddhisten bewahrten keineswegs die alte
Einheit des Bekenntnisses und Cultus, sondern entwickelten nament-
lich in der Lehre von der Moral und der Bestimmung des Menschen
verschiedene Anschauungen, aus denen eine Reihe von Secten hervor-
ging, die sich zum Theil eben so feindlich gegenüber traten, wie die
verschiedenen Bekenntnisse in der christlichen Kirche**). Mehrere
derselben kamen von China herüber, die meisten entwickelten sich
[526]II. Ethnographie.
im 13. Jahrhundert, denn dieses war das goldene Zeitalter für den
Buddhismus in Japan. In dasselbe fällt die Entfaltung seiner höchsten
geistigen und materiellen Macht, das Leben und Wirken seiner grössten
Geister.
Gegenwärtig gibt es sieben Hauptsecten (shiu, shiu-mon, auch
shû und shû-mon geschrieben) unter den Buddhisten Japans, welche
nach der Zeit ihrer Gründung in folgende Ordnung kommen:
- 1. Zen oder Zen-shiu (Meditation) gegründet von Dharma in In-
dien 513 n. Chr., hat 21547 Tempel*). - 2. Tendai (himmlischer Befehl) gegründet von Chisha (?) in
China, hat 6391 Tempel. - 3. Shingon (wahre Worte) gegründet von Kôbô Daishi in Japan
813 n. Chr., hat 15503 Tempel. - 4. Yôdô (himmlische Strasse) gegründet von Hônen in Japan
1173 n. Chr., hat 9819 Tempel. - 5. Shin (Geist), Monto (Thorfolger) oder Ikkô gegründet von
Shinran in Japan 1213 n. Chr., hat 13718 Tempel. - 6. Nichiren (Sonnenlotus) oder Hokke gegründet von Nichiren
in Japan 1262 n. Chr. - 7. Ji (Jahreszeiten) gegründet von Ippen in Japan 1288 n. Chr.,
hat 586 Tempel.
Die drei erstgenannten und ältesten Secten werden wohl auch
gelehrte Secten genannt, in so fern ihre Priesterschaft immer hohes
Gewicht auf die Kenntniss des Sanskrit und seiner Töchtersprachen
legte und in einer der letzteren, dem Pali, ihre religiösen Schriften
abgefasst sind. Diese heilige Schriftsprache der Buddhisten führt in
Japan den Namen Bonji.
Die Tendai-shiu leitete ihren Namen von dem heiligen Berge
in China ab, auf dem ihr berühmtes Kloster stand, in welchem gegen
Ende des 8. Jahrhunderts ein Prinz von Ômi, Namens Saito, seine
Studien machte. Nach seiner Rückkehr übte er auf den Mikado
Kuwammu-Tennô grossen Einfluss. Derselbe trat der Tendai-Secte
bei und gewährte ihr grosse Privilegien auf dem Hiyezan, wo Saito
das berühmte Kloster gründete (siehe den historischen Theil). Es
galt diesem vor allem, das entartete Priesterthum zu reformieren, es
zu classischen Studien anzuregen und seine Moral zu heben. Ausser
der Tempelcolonie auf dem Hiyezan und dem noch florierenden Kloster
Miidera bei Ôtsu am Biwasee besass die Secte auch den berühmten
[527]6. Religiöse Zustände.
Tempel Tô-yeizan zu Uyeno, wo der Oberpriester Rinnoji, ein kaiser-
licher Prinz, wohnte mit 13000 Koku Revenüen.
Kôbô Daishi oder Kukai, der Erfinder des Katakana, gründete
die Shingon-shiu, indem er ihr einen berühmten Tempel zu
Makiyama in Idzumi baute. Auch brachte derselbe den Koya-san in
Kii zuerst in Ruf. Kangohoji, der prachtvolle, wohlerhaltene Haupt-
tempel dieser berühmten Klosterstadt, gehört dieser Secte. Ihre Mönche
sind strenge Vegetarianer. Sie verkaufen Ablass (Ofuda) gegen Husten,
den Bösen, die Blattern und andere Dinge, vor allem aber verstehen
sie viel Geld zu verdienen mit dem dosha oder wundervollen Sande
vom Muroo-san in Yamato. Die kleine Prise kostet 3 sen oder
14 Pfennige. Er soll die Glieder der Verstorbenen wieder weich
und gelenkig machen, so dass man sie im Kasten oder Sarg leicht
zurecht legen kann. Auch die mit bonji-Zeichen ganz bedruckten
Todtenhemden aus Papier, Kiyo-katabira genannt, werden von den
Priestern zu Koya verkauft.
Die drei populärsten und einflussreichsten Secten der Jetztzeit
sind die Shin oder Monto, die Nichiren oder Hokke und die Yôdô.
Die Shinshiu oder Monto hat man wohl die Protestanten des
japanischen Buddhismus genannt. Diese Secte verwirft Cölibat,
Bussübung, Enthaltsamkeit von gewissen Speisen, Pilgerfahrten, asce-
tisches Leben, Klöster und Amulette. Der Glaube an Buddha, ernstes
Gebet, edles Denken und Handeln gelten ihren Anhängern für die
Hauptsache. Die Secte geniesst hohe Achtung wegen der Reinheit
ihrer Sitten. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert. Gleich Luther
verheirathete sich ihr Gründer, ein Kuge, und führte die Volkssprache
und Schrift, das Hirakana, statt des unverständlichen Bonji ein. Der
Priesterstand ist erblich, wie bei den Shintôisten. Der Cultus ist sehr
decorativ und prunkvoll vor glänzend ausgestatteten Altären. Die
Monto verehren namentlich Kuwan-on (Kannon), die Göttin der Gnade,
von der es heisst, sie sei die einzige Frau gewesen, welche Shaka
gefolgt sei.
Die Shin-Secte hat gegenwärtig unter den Buddhisten am meisten
Ansehen und Einfluss. Die Haupttempel ihrer sechs Zweige sind in
Tôkio der Nishi-Honguwanji, Higashi-Honguwanji*), Sensôji, Kôshoji,
Bukkôji und Kenshokuji. Am 28. November 1876 gewährte der Mi-
kado der Secte die hohe Auszeichnung, dass er die Oberpriester der
beiden erstgenannten Tempel und durch sie die ganze Genossenschaft
[528]II. Ethnographie.
benachrichtigen liess, er habe ihrem vor mehr als 600 Jahren verstor-
benen Stifter Shinran Shônin den Ehrentitel Kenshin Daishi (Offen-
barer der Wahrheit) beigelegt.
Den Gegensatz zu den Shin bildeten immer die Nichiren oder
Hokke, indem sie sich stets für die wahren Orthodoxen ausgaben,
am meisten Eifer und Bigotterie entfalteten und eine Unduldsamkeit,
wie sie den meisten anderen Secten fremd ist und auffällt. Sie
hat sich oft genug nicht blos gegen diese geäussert, sondern nament-
lich auch gegen das Christenthum, dessen bitterste Feinde, wie Kato
Kiyomasa, zu ihr zählten. Die Hokko-shiu entfalteten ihre Macht in
Kamakura und wurden besonders im Nordosten von Japan sehr ein-
flussreich. Die Nichiren sind heftig, lärmend, geben viel auf äussere
Dinge. Heutzutage geniessen ihre Priester wenig Achtung, weil sie
im Rufe stehen, den Aberglauben zu nähren und die Ignoranz des
Volkes auszubeuten.
Der grosse Einfluss, welchen die Nichiren in dem ersten Jahr-
hundert nach ihrer Gründung entfalteten, ist theils dem Wissen und
unermüdlichen Eifer ihres Gründers und den Verfolgungen, denen er
ausgesetzt war, zuzuschreiben, theils der Klarheit und Bestimmtheit
seiner Lehre. Er verwarf das gewöhnliche Gebet der Buddhisten:
»Namu Amida Buddha« (Ehre dem heiligen Buddha) und lehrte, dass
die richtige Ansprache: »Namu miô hôren ge kiô« (Ehre sei dem Er-
lösung bringenden Buch des Gesetzes) heissen müsse, nach der chine-
sischen Uebersetzung eines der wichtigsten canonischen Bücher der
Buddhisten. Hierauf legten er und seine Anhänger stets hohes Ge-
wicht und meinten immer, die Ketzerei der andern Secten bringe sie
ganz sicher zur Hölle.
Die Blüthezeit der Yôdô-shiu fällt unter die Herrschaft der
Tokugawa, welche sich zu ihr bekannten. Iyeyasu und seine näch-
sten Nachfolger erbauten ihr den grossen, schätzereichen Tempel
Zôzôji zu Shiba in Tôkio, welchen der Verfasser in der Neujahrsnacht
1874 in Flammen aufgehen sah, sowie die Tempel von Nikko. Ihre
Priester hielten gleich denen der Nichiren auf strenge Befolgung des
Cölibats und verschmähten Fleischspeisen. Sie lehrten, dass das Heil
der Seele weniger von Tugend und sittlicher Vervollkommnung ab-
hänge, als von der strengen Befolgung frommer Gebräuche. Bestän-
diges Wiederholen des Gebetes, das sie mit dem Schlagen an eine
runde Glocke begleiteten, gehörte zu ihren Hauptübungen. Sie be-
sassen immer viele Anhänger unter den Frauen und bedienten sich,
wie es heisst, nicht selten scandalöser Mittel, um denselben reiche
Gaben zu entlocken.
[][]
[529]6. Religiöse Zustände.
Auf die Verwandtschaft des katholischen Ritus und Ceremoniells
mit dem buddhistischen wurde bereits pag. 312 und 313 hingewiesen.
Die grosse Aehnlichkeit in der Lehre von der wunderbaren Mensch-
werdung des Erlösers, einem künftigen Gericht und Leben im Himmel
oder der Hölle, dem Durchgang durchs Fegfeuer, in der Verehrung
von Heiligen etc., ist nicht minder auffallend und verschieden ge-
deutet worden. Wenige werden geneigt sein, dieselbe mit dem be-
kannten Pater Huc, dem berühmten Reisenden in Tibet, China und
der Tatarei, für ein Werk des Satans anzusehen. Da das Christen-
thum weit jüngeren Ursprungs als der Buddhismus ist, lag die nA-
sicht nahe, dass es das beiden Gemeinsame diesem entlehnt habe.
Neuere Forscher auf diesem Gebiete weisen jedoch nach, dass das
Verhältniss umgekehrt richtig ist und der Buddhismus erst während
seiner Berührung mit den Nestorianern in Tibet und China jene
christlichen Lehren und Ceremonieen von diesen kennen lernte und in
sich aufnahm*).
In der Nährung des Aberglaubens und der Ausbeutung der leicht-
gläubigen Menge standen und stehen japanische Bonzen und Kannushi
manchen katholischen Priestern nicht nach, Wallfahrten und Ablass-
handel sind auch bei ihnen noch nicht ausgestorben. Bei den be-
rühmten Tempeln und Klöstern Japans kann der gläubige Pilger
nicht blos geweihtes Wasser, Schutz vor oni (dem Teufel), den Blat-
tern, dem bösen Husten und andern Krankheiten sich erkaufen, son-
dern auch Ofuda, welche ihm Glück im Hause und Geschäft und
vieles Andere verheissen**).
Es ist bereits der allmählichen Entartung des Buddhismus und
der Entwickelung eines groben Götzendienstes gedacht worden. Man
muss die Legion höherer und niederer Gottheiten, welche theils sinn-
Rein, Japan I. 34
[530]II. Ethnographie.
lich fassbar dargestellt werden, theils nur in der Vorstellung existieren,
in erster Linie dem Bestreben der buddhistischen Missionäre zu-
schreiben, sich dem Volke verständlich zu machen, indem sie sich den
alten Anschauungen anzupassen suchten und die Götzenbilder als
Repräsentanten abstracter Ideen vorführten oder der alten Landes-
gottheiten.
Von den vielen Hundert Idolen, denen man in Japan begegnet,
können hier nur die häufigsten und volksthümlichsten erwähnt werden.
Es gehören hierher vor allem die sieben Glücksgötter, deren Gunst
Ruhm, Liebe, Talente, Reichthum, Nahrung, Zufriedenheit und hohes
Alter, diese viel begehrten Güter des Lebens, verleihen kann. Zwei
derselben, den Gott des Reichthums, Daikoku, und Ebisu, den Gott
der Nahrung und der Fischmärkte, findet man fast in jedem Hause.
Jener wird oft mit einem Reissacke, dieser mit einem Fisch unter
dem einen Arm und einer Angel unter dem andern repräsentiert, doch
fehlen auch diese Embleme, ja die Gestalten reducieren sich nicht
selten auf zwei fratzenhafte, steife Gesichtsmasken mit lächelndem
Ausdruck und herunterlaufenden, stark angeschwollenen Ohrläppchen.
Emma-sama und seine Gehülfen wurden bereits erwähnt. Eine
andere beliebte und häufige Gruppe von Götzenbildern sind die
Jizô-sama, auch Rokudo-no-Jizô-sama genannt, oder die 6
Nothhelfer. Oft findet man sie in einer Reihe überdacht zur Seite
der Landstrasse, häufiger noch in der Nähe der Tempel. Sie sind
ursprünglich berufen, den 6 Classen der Vernunftwesen, welche die
buddhistische Seelenwanderung unterscheidet, nämlich den Göttern,
Menschen, Asuren, Thieren, hungernden Dämonen und zur Hölle
Verdammten im allgemeinen beizustehen, verrichten daneben aber
auch noch besondere Dienste. So findet man bei einem der Tempel
in Kiôto einen sitzenden Jizô, der eine Kinderserviette vorgebunden
und den Schooss voll Kieselsteine hat: er hilft den Kindern über das
Zahnen hinweg. Ein viel in Anspruch genommener Doctor eigener
Art ist Binzuru-sama, wie man zu Asakusa in Tôkio, Zenkoji
und anderwärts sich überzeugen kann. Aus Holz geschnitzt, sitzt er
nach orientalischer Weise oder wie ein Schneider und hat die obligate
Opferlade mit dem Gitterdeckel vor sich. Wenn der Hilfesuchende
hier seine Kupfermünze geopfert hat, legt er zur Andacht seine Hand-
flächen gegen einander, macht dem Götzen seine Verbeugung und
nähert sich ihm darauf. Nun überfährt er ihm mit der rechten Hand
Gesicht, Ohren, Kniee und andere Körpertheile und reibt darauf die
betreffenden Stellen seines eigenen Körpers. An Binzuru’s Gestalt
und den vielen Besuchern kann man erkennen, wie vielbegehrt seine
[531]6. Religiöse Zustände.
Hilfe ist. Er ist durch jenes Reiben nicht blos poliert, sondern auch
der langen Nase und anderer hervorragender Theile seines hässlichen
Gesichtes beraubt worden.
Eine sehr bekannte und beliebte Gottheit ist Kuwanon*) (sprich
Kannón), die Göttin der Gnade. Sie wird mit mehreren Gesichtern,
40 Armen und 1000 Händen dargestellt und desshalb auch Senju-
Kuwanon-sama (Tausend-Hände-Gnaden-Gott) genannt. Oft dient
statt des Idols auch ein bloser verzierter und mit einem Gitter um-
gebener Altar. Kuwanon erhört die Gebete, ob sie ihm mündlich
oder schriftlich vorgetragen werden, und kann aus allen Gefahren
des Lebens erretten. Ist das ihm gewidmete Heiligthum zu fern vom
Supplicanten, so schreibt dieser seine Bitte auch wohl auf einen Papier-
streifen, ballt denselben im Munde zusammen und spuckt ihn dann
gegen dasselbe aus. Bleibt der Ballen hängen, so ist dies für den
Bittsteller ein gutes Zeichen und er geht beruhigt von dannen. Zahl-
reiche Dankschreiben für die Errettung aus den verschiedensten
Nöthen laufen an den Gott ein und werden an dem Altargitter be-
festigt.
In der Regel liegen die Tera (Buddhatempel) gleich den Miya
(Kamihallen) etwas seitwärts von der Strasse in einem geräumigen
Hofe oder kleinen Hain. Der Zugang führt durch ein oder mehrere
überdachte Portale (mon) und ist ein mit Steinplatten belegter Pfad
von verschiedener Breite, je nach Bedürfniss. Bei sehr besuchten
Tempeln, wie z. B. dem von Asakusa in Tôkio, geht es her, wie auf
einem Jahrmarkte. Da sind längs dem Pfade oder an den Seiten
des Tempelhofes selbst ganze Reihen von Thee- und Verkaufsbuden,
in denen vornehmlich Spielsachen aller Art feilgeboten werden. Aber
auch Yashi (Marktschreier, wie Zauberer, Schwertverschlinger, Thier-
budenbesitzer und eine Menge anderer Künstler) finden hier einen
Platz und Publicum zur Vorführung ihrer Stücke.
Zu beiden Seiten des hohen Portales (mon) zu einem Buddha-
tempel und -Kloster erblicken wir als Thorhüter zwei höchst auf-
fällige, aus Holz geschnitzte Götzenbilder. Es sind nackte, stramme
athletische Gestalten von 3—4 Meter Höhe, welche vom Scheitel bis
zum Fusse zinnoberroth angestrichen sind, oder von denen der eine
roth, der andere grün erscheint. Der devote Buddhist nennt sie wohl
Ni(w)ô-sama, die zwei ehrwürdigen Könige, der Freidenker bezeich-
nender Aka-oni und Awo-oni, den rothen und den grünen Teufel,
denn »hässlich wie die Sünde« ist kein bezeichnender Ausdruck für
34*
[532]II. Ethnographie.
ihr Aussehen. Ihr voller Name ist Ni-ô-kon-gô, d. h. die zwei kühnen,
goldenen Könige. Ist es richtig, was v. Siebold in seinem Pantheon
behauptet, dass es ursprünglich Repräsentationen von Brahmâ und
Narâyana waren, so beweist dies nur weiter, welch untergeordnete
Stellungen der Buddhismus diesen höchsten Gottheiten des alten indi-
schen Cultus den Buddhas gegenüber anwies*). Augen und Gesichts-
züge dieser Ni-ô sind verdreht und die ganze Haltung ist eher vom
Tempel abschreckend. Der eine reisst den Mund dabei weit auf, der
andere schliesst ihn. Jener hält in der linken Hand eine Keule,
während der rechte Arm frei herunter hängt, der andere streckt beide
freie Arme abwärts und zwar die flache rechte Hand vor sich aus,
wie abwehrend, während er die linke zur Faust stramm zusammen
ballt. Nicht selten findet man auf der Innenseite des Ni-ô-mon
(Zweikönigsthor) zwei Füchse, die Diener dieser hässlichen Ni-ô, in
Stein ausgehauen auf der Erde sitzen, so dass dann die Sinnbilder
der Stärke und Klugheit vereint zu Wächtern bestellt erscheinen.
Folgen mehrere Thore auf einander, wie z. B. beim Tempel des
dritten Shôgun in Nikkô, so sind in der Regel noch andere Wachen
ausgestellt. Hier in Nikkô hat auch die Innenseite des Ni-ô-mon
jene beiden dämonischen Hüter, doch in umgekehrter Ordnung auf-
zuweisen. Hierauf folgt ein Hof, dann ein zweites Thor, Niten-
mon genannt. Kleiner als die Ni-ô, aber mit ähnlichen Mund- und
Augenstellungen, zeigen sich die beiden Niten, welche es bewachen,
auch noch darin verschieden, dass sie nicht wie jene ganz nackt auf-
treten. Der Körper desjenigen am rechten Thorpfosten ist grün, der
des andern roth angestrichen; ausserdem aber haben beide eine ver-
goldete Rüstung aufzuweisen. Auf der andern Seite der Thorpforte,
befindet sich rechts der roth angestrichene Raijin oder Kaminari-
sama (Gott des Donners) und links in tiefem Blau der Fujin oder
Kaze-no-kami (Gott des Windes). Auch diese Götter fand ich
wesentlich verschieden von der Siebold’schen Darstellung. Der
Donnerer hält in jeder Hand vergoldete Trommelschläger von der
Form und Grösse unserer eisernen Handeln bei der Zimmergymnastik.
Auf dem Rücken trägt er einen grossen Reif, in welchem in [gleichen]
Abständen 9 flache Trommeln (taiko) sich befinden. Ueber beiden
Schultern liegen vergoldete Blitzstrahlen, mehr schlangenförmig, als
im Zickzack gebogen, welche wider die Trommeln schlagen. Der
[533]6. Religiöse Zustände.
Windgott aber hat einen über beiden Schultern liegenden Sack voll
Wind, den der rechte Arm am längeren unteren Ende umfasst, während
die linke Hand den Bund des kürzeren andern Endes zuhält. Wieder
folgt ein Hofraum, dann ein drittes, von bewaffneten Göttern bewachtes
Thor, von denen wiederum der zur Rechten einen grünen, der zur
Linken einen rothen Anstrich hat. Sie heissen (nach dem Sanskrit-
worte Yaksha) Yasha, und das Thor wird Yasha-gô-mon, das Thor
der muthigen Teufel genannt. Auf der Innenseite ist rechts ein blauer
Schütze mit Bogen und Pfeil, links ein weisser Beilträger. Dem nun
folgenden Hofraum schliesst sich ein viertes Portal ohne Hüter an, dann
kommt erst der engere Tempelraum, in dessen Mitte eine weite, hohe
Holztreppe hinanführt zum Haiden. Dies ist die Vorhalle des Tempels
zur Verrichtung der Andacht. Das Anziehen einer Schelle, Trom-
melschlag oder dreimaliges Klatschen mit den Händen sind die Mittel,
mit denen der Bittende vorher den Gott zur Audienz einladet. Das
mysteriös verschlossene Gô-nai-jin im Hintergrunde wird dabei als
dessen Wohnung angesehen. Die Verbindung des Haiden mit dem
Naijin eines Tempels heisst Ai-noma und ist bei berühmteren Tempeln
eine reich verzierte Passage.
Für die Buddhas (Heiligen), als die vollendetsten Geschöpfe
und höchsten Wesen der Buddhisten, gibt es einen allen gemeinsamen
weibischen Gesichtstypus. Es ist der unverkennbare Ausdruck von
Milde und Seelenruhe. Sie erscheinen stets sitzend auf den Blättern
einer ausgebreiteten Lotusblume. Durch die Abweichungen in der
Haltung der Hände und Finger wird zum Theil in überraschender
Weise ihre verschiedenartige Thätigkeit ausgedrückt. Zu Nikko sehen
wir in der Mitte des unteren Raumes des Go-ju-no-tô (Fünfstock-
werkthurmes), einer Pagode von 198 Fuss Höhe, die ringsum in
prächtigen Reliefbildern die 12 Thiere des chinesischen Zodiacus ent-
hält, vier sitzende Statuen der berühmtesten Buddhas in Lebensgrösse.
Nach Norden blickt Shaka (Çâkyamuni) und hebt beide Hände wie
segnend empor; nach Westen gerichtet ist das Bildniss von Mida
(Amitâbha) in der bekannten meditierenden Stellung, gesenkten
Blickes, mit beiden Händen auf dem Schoosse und den Fingern
gegen einander gestemmt; auf der Südseite erblicken wir Dainichi
(Vairôtschana) mit den Händen frei vor der Brust und über einander
dargestellt, so dass die rechte den Zeigefinger der linken umfasst hält.
Dies ist die allegorische Darstellung des Abschlusses, der Durch-
führung des Gesetzes. Endlich sehen wir auf der Ostseite den Ya-
kushi, der die rechte Hand segnend emporhebt.
Doch als Führer der Legion buddhistischer Götter thront hoch
[534]II. Ethnographie.
erhaben Amida (Amitâbha), »der ungemessen Glänzende«, die auf-
richtende, helfende und errettende Gottheit, der in Japan Tausende
von Idolen in allen Grössen gewidmet sind*). Hohen Ruf haben vor
allem die drei Colossalstatuen, die Daibutsu (grossen Buddha) von
Kamakura, Nara und Kiôto. Am bekanntesten und besuchtesten ist
der Daibuts(u) von Kamakura im Südwesten von Yokohama. Dieses
hochinteressante Götzenbild, von dem hier eine Abbildung folgt, hat
eine Gesammthöhe von 54 Shaku (Fuss) oder 16,3 Meter und die zu
ihm verwendete kupferreiche Bronze ein Gewicht von 450 Tonnen.
Die Lotosblume (Nelumbium speciosum), japanisch Hasu oder
Renge, wie wir sie hier ebenfalls aus Bronze in zwei Vasen sehen,
war schon dem Çiva geweiht, wie denn auch die heiligen Teiche
bei Buddhatempeln und Klöstern mit ihren Lotosblumen, Fischen und
Schildkröten nicht dem Buddhismus ureigen sind, vielmehr vor ihm
in Indien gebräuchlich waren. So wird berichtet, dass Râhula, der
siebenjährige Sohn Sidhdârtha’s, neben seiner Mutter Yaçôdharâ am
Lotosteiche sass und mit Reis die Fische fütterte, als fremde Kauf-
leute kamen und Nachrichten über seinen Vater brachten**). Auch
Ficus religiosa, ein Baum, der im nordöstlichen Monsungebiete nicht
mehr gedeiht, war in Indien, schon bevor Siddhârtha unter ihm er-
leuchtet und zum Buddha wurde, heilig und dem Çiva geweiht.
Neben der Lotosblume ist in Japan der Skimmi oder Sternanis (Illi-
cium anisatum L. oder Illicium religiosum S. und Z.) Buddha geweiht.
Wie in den Shintôtempeln die Kami mit grünen Zweigen des Sakaki
(Cleyera japonica) erfreut werden, so füllt man in den Buddhatempeln
die Vasen mit den Zweigen des immergrünen Sternanis, eines kleinen
Baumes aus der Familie der Magnoliaceen, welcher desshalb ausser-
ordentlich häufig bei den Tera’s gefunden wird, wie Sakaki bei den
Miya’s.
Die Verfolgungen der Buddhapriester durch Nobunaga und die
Einführung des Christenthums in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
[]
[][535]6. Religiöse Zustände.
hunderts hatten ihrer Sache zwar einen schweren Schlag versetzt,
aber unter den Tokugawa gewann sie wieder neuen Halt, wenn auch
Macht und Einfluss wie früher nie wiederkehrten. Iyeyasu gehörte
der Yôdôsecte an und sprach den Wunsch aus, dass auch seine Nach-
kommen ihr treu bleiben möchten. Zum Andenken an seine acht-
zehnmalige Errettung aus Lebensgefahr baute er ihr 18 verschiedene,
glänzend ausgestattete Tempel. Nach seiner Anordnung hatten Bonzen
die Civilstandsregister zu führen und bei Beerdigungen, auch der
Shintôisten, zu celebrieren. Aber auch dem Ahnendienste war er ge-
neigt. So bestanden denn Jahrhunderte hindurch Kami- und Buddha-
dienst neben einander, ja wie in China das Volk Ahnendienst und
Buddhismus vereinigte, so auch in Japan bis in die Neuzeit. Sie hat
wie so manches Andere auch das religiöse Leben tief erschüttert,
aber nicht wie in politischen und socialen Dingen neue Normen ge-
schaffen.
»Bis zur Zeit der Restauration waren die Leichtgläubigkeit und
das Vertrauen des Volkes in die Kraft der Götter gross«, schrieb
vor einigen Jahren ein früherer Kamipriester in einer japanischen
Zeitung, und fuhr dann fort: »Es gab kaum einen Augenblick, wo
man nicht Händeklatschen, Trommeln und Beten hörte. Ob es diese
oder jene Secte, ein Kami (Shintôgott) oder Hotoke (Buddhagott),
ein Götze aus Holz, Thon oder Stein war, die Leute pflegten ihn zu
verehren, zu ihm zu beten und ihm Reis, Blumen, Kerzen etc. zu
opfern. Die sehr Frommen warfen sich nieder und berührten mit
dem Gesicht den Boden, indem sie hofften, dass hierdurch ihre Ge-
bete um so eher erhört würden, und wiederholten: Namu Amida
Butsu oder Namu miô-hô-ren ge-kiô oder Taka magahara (ni kami
todomari«*).
Das Jahr 1868 war, wie schon angedeutet, auch für den Buddhis-
mus verhängnissvoll. Nachdem man die Reduction der früheren Ein-
künfte der alten Feudalherren und ihrer Vasallen, der Samurai,
glücklich durchgeführt hatte, wandte man sich in gleicher Weise
gegen viele buddhistische Tempel und Klöster und reducierte die
Einkünfte derselben auf Sporteln und milde Gaben. Es geschah dies
[536]II. Ethnographie.
zum Theil auch in dem Bestreben, das Ansehen des Mikado zu för-
dern und dem Kamidienst neuen Aufschwung zu geben, denn das
Ziel des letzteren und seiner eifrigsten Vertreter ist doch immer nur
die Erreichung politischer Zwecke gewesen. Besondere Beamte hatten
zu untersuchen, wo ein alter Shintôtempel allmählich der Verehrung
Buddhas eingeräumt worden war, und wo nur ein Schein von Recht
vorlag, wurde der Kami wieder in seine Halle eingeführt. Selbst
von den höheren Bergen, wie Tate-yama, Haku-san und anderen
holte man 1873 und 1874 die Statuen Buddhas aus den Tempelchen
und ersetzte sie durch Spiegel und Gôhei. Bei dem berühmten Tempel
Kompira, jetzt Kotohira genannt, in Sanuki war 1875 auf einem Brett
angezeigt, dass wieder das gewöhnliche Shintôgebet statt der Adresse
an Buddha gesprochen werden müsse. Im übrigen sind die Er-
scheinungen dort wohl wesentlich dieselben geblieben. Nach wie vor
strömen Pilger und Bettler in Menge herbei; nur sitzen dort statt der
Bonzen jetzt Kannushi und verkaufen für Geld und gute Worte die
ofuda oder Ablasskarten. Das gemeine Volk, dem Buddhismus zu-
gethan, sah die Entfernung seiner Götter mit Bedauern, fügte sich
aber, Jahrhunderte lang an sclavische Unterwürfigkeit gewöhnt, über-
all dem höheren Befehl. Den Bonzen ging die Sache natürlich weit
mehr zu Herzen und es heisst, dass sie in einigen Fällen ihren Tempel
lieber Nirwâna als den Händen der Shintôpriester übergaben. So sah
ich in der Neujahrsnacht 1874 den schönsten Tempel von Tôkio, den
von Iyeyasu erbauten Zôzôji in Shiba mit manchen alten Kunstwerken
in Flammen aufgehen nachdem er kurz zuvor zu einer Miya bestimmt
worden war.
Dieses Bestreben der Regierung, den Buddhismus durch den
Kamidienst zu verdrängen, hat glücklicherweise bedeutend nachge-
lassen. Es war auch ein sehr kurzsichtiges, eitles Bemühen, da es
kaum eine Religion gibt, die hohler wäre und weniger befriedigen
könnte, als der Shintôismus. Ihr gegenüber steht der Buddhismus,
wenn wir seinen groben Bilderdienst abstreifen, erhaben da. Er
appelliert an die religiöse Empfänglichkeit, an das Herz des Menschen
und vermochte desshalb so tiefe Wurzeln zu schlagen im besten Theile
des japanischen Volkes. Aber noch aus einem anderen Grunde ist
die Wiederbelebung des Shintôismus unmöglich. So lange nämlich
das japanische Volk, den fremden Einflüssen entzogen, in sclavischer
Unterwürfigkeit gehalten wurde und der Mikado in solcher Abge-
schiedenheit lebte, dass nur wenige seiner Unterthanen ihn zu sehen
bekamen, liess sich der alte Mythus seiner göttlichen Abstammung
mit allen seinen Consequenzen aufrecht erhalten, doch musste dieser
[537]6. Religiöse Zustände.
Glaube mehr und mehr schwinden, als derselbe den Schleier zerriss
und sich gab wie andere Menschen. Seitdem wandelt sich die ehr-
furchtsvolle Scheu, welche früher nicht einmal den Namen des Herr-
schers auszusprechen wagte, allmählich in einfache Loyalität um, die
dem Landesherrn gegenüber alle Pflichten eines guten Bürgers kennt
und übt, aber weit entfernt ist, ihn zu vergöttern.
Von den gebildeteren Ständen der Japaner lässt sich der bessere
Theil von der Ethik, der andere vom Skepticismus des Kôshi (Con-
fucius) und seiner Schüler leiten. Weit verbreitete religiöse Indiffe-
renz und förmlicher Atheïsmus sind die Folgen. Dem Christenthume
stehen die meisten jetzt gleichgültig gegenüber. Die philosophischen
Köpfe erkennen die Schönheiten der christlichen Sittenlehre an, be-
trachten aber die Ueberlegenheit der christlichen Völker als die Folge
von Ursachen, die ausserhalb der Religion liegen. Sie vergleichen
die Moralität der Fremden in den Vertragshäfen und sonst mit der
des japanischen Volkes und sagen mit Recht: »Ihr Fremden könnt
gewiss nicht behaupten, dass die Bibel viel Einfluss auf Euch hat.
Ihr werdet darin ermahnt, friedfertig, nüchtern und keusch zu sein,
Jedem das Seine zu geben, keinen Hass zu hegen, kein falsches Zeug-
niss abzulegen, nicht zu verleumden, bescheiden einherzugehen etc.,
und thut von dem Allen das gerade Gegentheil«.
Wenige unter den Bonzen der verschiedenen Secten verstehen
die Geschichte und Dogmen ihrer Religion. Aeusserlichkeiten sind
es, an denen sie hängen, wegen deren sie sich gegenseitig hassen
und verachten, ohne darüber öffentlich oder in Schriften zu streiten.
Die ascetische Richtung im Buddhismus fand bei den lebenslustigen,
vergnügungssüchtigen Japanern nie grossen Anklang; auch wirkte
die Praxis und Lehre vom Ahnencultus stets mächtig dagegen. Statt
die klaren und ernsten Mahnungen Câkyamuni’s zur Selbsterkennt-
niss und zu einem sittenreinen Leben zu befolgen, begnügen sich die
meisten buddhistischen Priester heutiges Tages mit zum Theil lächer-
lichen äusserlichen Observanzen und bekunden eine erstaunliche Igno-
ranz, wenn man sie um Auskunft über ihren Cultus fragt. Die eben-
falls in religiösen Dingen höchst unwissende, abergläubige Menge des
Volkes aber fesselt der äussere Pomp und die vielen Ceremonieen, mit
welchen die gedankenarme Feier der Heiligen von den Priestern
geleitet wird.
Eine Reform und Neubelebung des Buddhismus scheint denen,
welche die Verhältnisse näher kennen und darüber nachgedacht haben,
ebenso unmöglich, wie die versuchte des Ahnencultus. Das Christen-
thum allein ist geeignet, den tiefen religiösen Zug, der im besseren
[538]II. Ethnographie. 6. Religiöse Zustände.
Theile, im Kern des Volkes, bei verschiedenen Gelegenheiten sich
noch kund gibt, völlig zu befriedigen und ihm bei seinem geistigen
Erwachen ein treuer und sicherer Leitstern zu sein. Die gegenwär-
tigen Verhältnisse liegen wesentlich anders als vor 300 Jahren und
die Zunahme der Convertiten ist eine ungleich schwächere. Nur
wenige Samurai haben sich bis jetzt offen zum Christenthume bekannt,
darunter aber solche, die wegen ihrer Gelehrsamkeit und ihres reinen
Lebens bei ihren Standesgenossen in hoher Achtung stehen. Unter
dem Volke aber haben die Missionäre, welche redegewandt und der
Sprache mächtig sind, stets eine grosse Zahl aufmerksamer Zuhörer
und bilden Gemeinden, die zu den besten Hoffnungen berechtigen.
Die grössten Hindernisse, welche der Verkündigung des Evan-
geliums entgegenstanden, sind gefallen; mehr und mehr nähert sich
das Land völliger Religionsfreiheit. Dennoch fehlt es den Missionären
nicht an Schwierigkeiten, mit welchen sie zu kämpfen haben; darunter
dürfte als grösste und beklagenswertheste nicht sowohl die Indifferenz
der heidnischen Japaner, sowie die Verschiedenheit der christlichen
Bekenntnisse, als vielmehr die Gleichgültigkeit, ja Feindschaft gegen
das Christenthum seitens mancher Fremden dastehen, welche dieser
Gesinnung in Wort und Wandel Ausdruck geben. Der Japaner wird
jedoch allmählich unterscheiden lernen zwischen denen, welche blos
den christlichen Namen tragen, und Solchen, deren Denken und
Handeln durch die christliche Lehre geleitet und veredelt wird, und
den Werth des Christenthums nach ersteren nicht weiter abschätzen.
[[539]]
III.
Topographie.
Wie die Ueberschrift andeutet, ist dieser Abschnitt der Ueber-
sicht und näheren Beschreibung japanischer Orte gewidmet. Der
leichten Bauart ihrer Häuser und der häufigen Feuersbrünste, denen
sie ausgesetzt sind, wurde bereits früher gedacht. Ueberblickt man
eine grössere japanische Stadt von einem höheren Standpunkte aus,
so erscheint sie als ein verschwommenes Häusermeer, von dem man,
da die Höhe der Gebäude nur wenig differiert, fast nur die breiten
grauschwarzen Dächer ohne Schornsteine erkennt, untermischt mit
den weissen Giebelspitzen der feuerfesten godowns (kura oder dozô).
Nur die auffallend gestalteten, aber verhältnissmässig seltenen Pa-
goden (tô, Thürme) mit ihren 3—7 Etagen paralleler, übergreifender
Dächer, und der schraubenförmigen Spitze — ein bescheidenes Aequi-
valent der Kirchthürme und Minarete, — sowie die schweren Tem-
peldächer, welche man nicht unpassend mit aufgestülpten Filzhüten
verglichen hat, ragen darüber etwas hinaus, vermögen aber die grosse
Monotonie des Bildes nur wenig zu mildern. Weit mehr geschieht
dies durch malerische Baumgruppen und selbst kleine Haine, welche
manche Tempelgebäude umgeben und durch ihr liebliches Grün das
Auge erfreuen *).
Da die Japaner im ganzen Lande so ziemlich in derselben Weise
bauen, wiederholt sich das Interesse, welches der Reiz der Neuheit
beim Betreten der ersten Stadt uns gewährt, nicht in gleichem Maasse
wie bei andern Ländern; wer eine japanische Stadt kennen gelernt
hat, kennt alle; nur erscheint die eine etwas reinlicher und minder
[540]III. Topographie.
armselig und durchräuchert als die andere; mit dem Wohlstande und
der äusseren Sauberkeit, welche uns in mancher europäischen neben
vielem Andern angenehm überraschen, hält keine machi nur entfernt
den Vergleich aus. Nur ausnahmsweise sind hier die Strassen ge-
pflastert, nur selten wird, mit Ausnahme der Samuraiwohnungen, ein
schön gepflegtes Gärtchen von ihnen aus sichtbar.
In der Regel bewohnt jede Familie, auch die ärmste, ein Haus
allein. Die Grösse einer japanischen Stadt wurde früher nie nach
der Einwohnerzahl, sondern stets nach ihrer Länge und Breite und
der Zahl ihrer Häuser geschätzt. Multipliciert man letztere mit 4,
so erhält man annähernd genau die Zahl ihrer Bewohner, da häufig
eine Familie mehrere Häuser zugleich inne hat, die mitgezählt wer-
den. Einige Beispiele mögen das Verhältniss der Einwohnerzahl zur
Zahl der Häuser zeigen. Nach japanischen Angaben hat:
- Matsuye 8700 Häuser mit 38400 Bew., also 4,4 Bew. auf ein Haus.
- Hiroshima 19000 » » 75800 » » 4,0 » » » »
- Niigata 9820 » » 34000 » » 3,45 » » » »
- Kiôto 63217 » » 230000 » » 3,6 » » » »
Die meisten grösseren Städte Japans waren früher Residenzen
(Jôkas) von Daimios; ihre Grösse stand im allgemeinen im Verhält-
niss zu den Revenüen dieser Fürsten. Mit Rücksicht hierauf und auf
die historische Bedeutung derselben gibt die topographische Karte
alle ehemaligen Jôkas an und zeichnet sie mit einem Fähnchen ( [...])
aus, während bei Erwähnung derselben im nachfolgenden Texte Fa-
milienname und Einkommen der Daimio, welche in ihnen wohnten,
erwähnt werden.
Die Ordnung, welche wir unserer kurzen topographischen Be-
schreibung und statistischen Uebersicht zu Grunde gelegt haben, ist
die der Landschaften und Provinzen, wie sie bereits pag. 9—12 an-
geführt wurden. Zur Grundlage dienen eigene Beobachtungen und
an Ort und Stelle gesammelte Notizen, sonstige Beschreibungen, so-
weit solche überhaupt vorliegen, und das officielle Werk Nippon
Chishi Tei-yo *), welches 1874—1879 in 8 Bändchen erschienen ist.
Die Einwohnerzahlen gelten meist für 1875.
I. Das Go-kinai oder die fünf Stammprovinzen,
innerhalb welcher alle kaiserlichen Residenzen lagen, die lange den
Kern des Reiches und die Revenüen des Herrscherhauses bildeten.
[541]I. Go-kinai.
Es ist der klassische Boden der japanischen Geschichte und mit seinen
vielen alten Tempeln der ursprüngliche Sitz der japanischen Gelehr-
samkeit und Ausgang der Civilisation.
Von den fünf Staaten des Kinai sind Yamashiro und Yamato,
die östlichsten, langgestreckt von Norden nach Süden und grösstentheils
gebirgig, besonders das waldreiche Yamato, welches im Süden halb-
inselartig nach Kishiu hineinragt und hier den Omine und andere
hohe Berge einschliesst. Setsu und Idzumi umsäumen die Idzumi-
nada; Kawachi (d. h. zwischen den Flüssen) bildet ostwärts von
dieser Bucht und westlich von Yamato einen schmalen Streifen, der
vom Yodogawa im Norden bis zu einer Meile Entfernung vom Yoshino-
gawa im Süden reicht und bis zur Zeit des 41. Mikado mit Idzumi
eine Provinz ausmachte (siehe pag. 8 Anmerkung). Setsu hiess damals
noch Naniwa-tsu (Hafen der schnellen Wellen) *).
Die geringste Ausdehnung des Go-kinai liegt zwischen Ôtsu am
Biwasee und Ôsaka in der Richtung des Yodoflusses, der mit seinen
Nebenflüssen die fruchtbarsten Theile des Gebietes bewässert und die
Hauptverkehrsrichtungen anzeigt. Ausser den gewöhnlichen land-
wirthschaftlichen Producten erzeugt das Go-kinai den besten Thee,
viel Holz, gute Bausteine, insbesondere schönen Granit in Setsu, und
Yamashiro, Papier, Seidenwaaren, Bronze, Porzellan, Flechtwerk.
Es ist reich an landschaftlichen Reizen und hat verschiedene besuchte
Heilquellen, besonders Arima in Setsu.
Die Gesammtbevölkerung betrug im Jahr 1875 2075916 Seelen,
welche sich wie folgt vertheilte: Yamashiro 433706 Einwohner, Yamato
430734 Einwohner, Kawachi 246909 Einwohner, Idzumi 219139 Ein-
wohner und Setsu 746428 Einwohner. Von den Städten haben Ôsaka
und Kiôto über 200000 Einwohner, Sakai, Hiogo, Nara, Fushimi über
20000 und Koriyama, Amagasaki, Nishinomiya, Tennoji über 10000.
Die Verwaltung des Kinai steht unter Kiôto- und Ôsaka-fu, Hiogo-,
Sakai- und Nara-ken.
1. Yamashiro, die nördlichste Provinz des Kinai, zwischen
Yamato, Kawachi, Setsu und Tamba gelegen, enthält folgende Städte:
Kiôto**) d. h. Hauptstadt, oder Saikio (Westhauptstadt), wie
[542]III. Topographie.
es in der Neuzeit im Gegensatz zu Tôkio auch viel genannt wird,
ist die drittgrösste Stadt Japans. Im nördlichen Theil der fruchtbaren
Ebene von Yamashiro breitet sich dieselbe in Form einer von Norden
nach Süden gerichteten Ellipse von 1 ri 24 chô Länge und 1 ri Breite
aus und wird auf der Ostseite vom Kamo-gawa durchflossen. Ihre
geographische Lage ist 35° 0' N. und 135° 30' ö. Gr. (4° 2' w. Tôkio).
Der kleinere östliche Stadttheil steigt vom linken Ufer des Flusses
allmählich empor zu den steileren bewaldeten Partieen eines Höhen-
zuges von meridionaler Richtung, dem Higashi-yama oder Ostberge,
welcher prächtige Aussichten über die Stadt und ihre Umgebung ge-
währt. Wie hier, so ist auch gen Westen und Norden, doch in
grösserem Abstande, die Stadt und Ebene von bewaldeten Bergen
umgeben, welche wie der Atago-yama auf der Westseite und der
Hiye-zan im Nordosten über 800 Meter Höhe erreichen. Kiôto zählt
gegenwärtig 1700 Strassen, 63217 Häuser und 240000 Bewohner.
Es hat 93 Kamihallen und 945 Buddhatempel, darunter manche von
hohem Rufe.
Im Jahre 794 wurde Kiôto (damals ein kleiner Ort Namens Uda-
mura) von Kuwammu-Tennô zur Residenz gemacht und blieb es
ununterbrochen bis zur Restauration im Jahre 1868, wo der jetzige
Mikado nach Yedo übersiedelte. Während dieser langen Periode von
über tausend Jahren war es der geistige und — bevor Ôsaka und
Yedo ihm den Rang abliefen — auch in materieller Beziehung der
Mittelpunkt des Landes. Im Kunstgewerbe, zumal der Seiden-,
Metall- und keramischen Industrie, nimmt Kiôto unter den Städten
Japans noch immer den ersten Rang ein, übertrifft alle in Regel-
mässigkeit und Reinlichkeit der Strassen und vor allem in seinen
historischen Erinnerungen; denn hier und in der weiten Umgegend
ist der klassische Boden, auf dem der interessanteste Theil der
japanischen Geschichte spielt.
Kiôto hat eine viel regelmässigere Bauart, als die meisten andern
Städte des Landes. Seine Strassen sind zwar nicht sehr breit, aber
schnurgrade und schneiden sich meist rechtwinkelig, indem sie parallel
zu den Achsen des elliptischen Planes von Norden nach Süden und
von Westen nach Osten laufen. Die Namen der bedeutendsten mit
westöstlicher Richtung beziehen sich auf die Ordnung, in welcher sie
von Norden her auf einander folgen, nämlich: Ichi-jô, Ni-jô, San-jô,
Shi-jô, Go-jô, Roku-jô, Shichi-jô (die 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., Strasse).
Ihnen entsprechend führen auf der Ostseite eine Anzahl Brücken
über den Kamo-gawa, unter denen besonders die Brücke der dritten
Strasse, die Sanjô-bashi (oder Sanjô-no-ohashi) hervorzuheben ist.
[543]I. Go-kinai (Kiôto).
Diese ist die berühmteste, älteste und schönste, von der man die Ent-
fernungen misst, ein stattlicher Holzbau von 200 Ellen Länge, den
Hideyoshi (Taikô-Sama) vor etwa 300 Jahren errichten liess. Der
Kamo-gawa, berühmt durch sein klares Wasser, das nur zur Regen-
zeit das Bett ganz ausfüllt, sonst aber viele Inselchen bildet, ist im
heissen Sommer ein grosser Anziehungspunkt für Tausende von Men-
schen, welche an seinen Ufern und in den provisorisch errichteten
Wirthschaften über seinem Bett selbst die Abendkühle geniessen.
Unter den Strassen, welche von Norden nach Süden gerichtet
sind, heben wir hervor: Muro-machi (b, b, b), welche mitten durch
die Stadt zieht, Tera-machi (a, a, a) ostwärts und Sembon-dôri (c, c, c)
westwärts von ihr, sowie die kürzere, nur im nördlichen Stadttheil
und unmittelbar östlich von Muro-machi gelegene Karasumara-
dôri (d, d).
Im nordöstlichen Theile der Stadt, dem geschäftlichen Verkehr und
Lärm entrückt, breitet sich die frühere Residenz der Mikado aus. Sie
führte ehedem den Namen Heian-jô (Friedensschloss), später wurde
der Name Gosho (erhabener Palast) oder Kinri-Gosho und bei den
Fremden Dairi (das grosse Innere) gebräuchlich, womit auch der Mikado
selbst bezeichnet wurde. Zur Residenz gehören ausser Gosho selbst
das Sentô-gosho oder Schloss, wo der frühere Mikado nach seiner Ab-
dicierung in Zurückgezogenheit zu leben pflegte, die Wohnungen der
übrigen Glieder der kaiserlichen Familie, sowie die zu ihnen und
Gosho gehörenden Gärten, endlich auch im weiteren Umkreise die
Wohnungen der Kuge. Das Mikadoschloss ist ein grosser geräumiger
Bau aus dem Holze des Hinoki (Chamaecyparis obtusa) und mit der
Rinde dieses Baumes überdacht, und nur die Feinheit der Matten
und Schiebewände im Innern zeigt den bescheidenen Glanz fürstlicher
Wohnungen in Japan. Es ist ein Labyrinth von Höfen, Gängen und
geräumigen Gemächern mit Matten und Schiebewänden. Der park-
artige Garten, mit dem bekannten feinen Geschmack der japanischen
Gartenkunst angelegt, ist sehr vernachlässigt, wie dies schon Baron
Hübner hervorhebt, auf den wir hier wegen einer eingehenderen
Schilderung verweisen müssen.
Der Zutritt zur Residenz, einschliesslich der meisten Kugewoh-
nungen fand durch 9 Thore statt, welche an den Strassenöffnungen
angebracht waren, ohne durch Mauern und Wälle verbunden zu sein.
Südwestlich und in einiger Entfernung von Heian-jô befindet sich
Nijô, das Schloss der Shôgune, wo früher der Gouverneur der Stadt
wohnte, welcher nach den Bestimmungen des Iyeyasu stets ein mäch-
tiger Fudai-Daimio und General sein musste. Jetzt hat man hier
[544]III. Topographie.
die Regierung von Kiôto-fu eingerichtet Die ganze Anlage dieses
geräumigen Schlosses, das Taikô-sama errichten liess, seine starke
Ringmauer, schweren Thore und Portale, die vielen Sculpturen und
sonstigen Verzierungen an den altersgrauen Balken, Decken und
Wänden zeigen, dass hier und nicht im Gosho Japans Macht und
Reichthum vertreten waren. Nijô liegt 35° 0' nördlich, 4° 2' west-
lich von Tôkio und 45 Meter über der See.
Der Stadttheil nördlich von Nijô und westlich von Heianjô ist
das Viertel der Seidenweber und heisst Nishi-jin (Westlager); die
bemerkenswerthesten Viertel auf der Ostseite des Kamogawa heissen
Awada, Gion-machi und Kiyomitzu. Durch ersteres führt der Weg nach
Ôtsu, durch diese zu den beliebtesten Tempeln und Theehäusern,
welche in einem Gürtel die steileren Waldpartieen von Higashi-yama
umsäumen und von ihren beschatteten Terrassen aus prächtige Blicke
über das Häusermeer der Stadt und den Sonnenuntergang hinter den
westlichen Bergen gewähren. In Awada ist die Steingut- und Email-
Industrie, in Kiyomitzu die Porzellan- und Puppen-Industrie zu Hause.
Zu den sehenswerthesten Tempeln auf der Ostseite von Kiôto
gehören folgende, von Süden (der Stadt Fujimi) anfangend nach Nor-
den: Inari (a), Daibutsu (b) und Sanju-sangendo, Kiyomitsu (c) und
nicht weit davon die grosse Pagode, Kenninji (d), Gion-yashiro (e),
Chion-in (f) mit der grossen Glocke, Ginkakuji (g). Auf der rechten
Seite vom Kamo-gawa, anfangend am unteren Ende der Muro-machi,
sind zu erwähnen: Higashi-hongwanji (A) und westlich (Nishi)-
Hongwanji, Honkokuji (B), Bukkoji (C), Honnoji (D), Shôkokuji im
Norden des Gosho, Daitokuji (E) und Kinkakuji noch mehr west-
wärts. In grösserer Entfernung sind besonders der Hiyei-zan im Nord-
Ost, Kuruma-yama im Norden und Atago-yama im Nordwesten der
der Stadt bemerkenswerth. Weiter nordwärts von der Stadt erheben
sich Kurama-yama, Hrane-yama und Mikuni-yama, ferner näher und
westlich Arashi-yama; letzterer Ort am linken Ufer des Katsura-gawa
gelegen, wird namentlich im Frühling der Sakurabäume wegen viel
besucht, die dann ihre Blüthenpracht entfalten und hohen Ruf haben.
Kiôto ist jetzt mit Ôsaka durch eine Eisenbahn verbunden, die
bald weiter bis Ôtsu führen wird. Von Kiôto bis Tôkio den Tôkaidô
entlang sind es 132 ri, längs des Nakasendô 138½ ri, bis Ôsaka über
Fushimi 13⅓ ri, bis Nara 10¾ ri, Tsuruga am Japanischen Meer 30 ri.
Fushimi, eben gelegene Stadt mit 23000 Einwohnern, am rechten
Ufer des Uji-gawa, 2½ ri östlich von Kiôto, mit dem es zusammen-
hängt und als dessen Vorstadt und Hafen am Yodo-gawa man es be-
trachten kann. Seine günstige Lage als Vorort von Kiôto, Ôtsu und
[]
Nach einem Japanischen Originalplan red v.K. Leicher.
[][545]I. Go-kinai.
Nara schafften ihm eine grosse Bedeutung und machten seinen Besitz
mehrmals zum Gegenstande blutiger Kämpfe. Die Tokugawa-Shôgune
besassen in Fushimi ein Schloss. Yodo unterhalb Fushimi in der
Gabel zwischen Kidzu-gawa und Uji-gawa, der hier seinen Namen in
Yodo-Fluss ändert, gegenüber der Mündung des Katsura-gawa gelegen;
ein ehemaliger Daimiositz (Inaba) mit 6000 Einwohnern. Uji am
linken Ufer des Uji-gawa (Yodo-gawa) oberhalb Fushimi und an der
Strasse von Kiôto nach Nara gelegen, liefert den besten Thee,
2550 Einwohner. Yawata, Stadt von 5000 Einwohnern und einem
berühmten Tempel des Hachiman, auf einer Anhöhe zur Linken des
Yodo-gawa, unterhalb der Mündung des Kidzu-gawa; Kidzu am
gleichnamigen Flusse und dem Weg von Uji nach Nara östlich von
Uji gelegen, hat 4350 Einwohner.
2. Provinz Yamato. Sie ist fast so gross, wie die übrigen des
Kinai zusammen, doch ihres gebirgigen Charakters wegen nur schwach
bevölkert. Ihre Grenzen sind Yamashiro, Kawachi, Kii, Ise und Iga.
Die alte Hauptstadt Nara, ehemals Residenz der Mikado, eine der
ältesten Städte des Landes mit berühmten Tempeln und Hainen, ver-
schiedenen Mikadogräbern und anderen historischen Sehenswürdigkeiten,
liegt 32½ Kilometer östlich von Ôsaka und etwa eben soweit süd-
südöstlich von Kiôto unter 34° 4' N. und 3° 56' W. (Tôkio). Die
Stadt breitet sich in einer kleinen Ebene aus und hat auf etwa
6000 Häuser 21500 Bewohner. Zu ihren bemerkenswerthesten Tempeln
gehört der Todaijin, in welchem sich der berühmte Amida Buddha
(Nara-no-Daibutsu) befindet. Derselbe besteht aus nahezu 2 Centi-
meter dicker, kupferreicher Bronze, sitzt wie immer nach orientalischer
Art auf einer geöffneten Lotusblume und ist 53½ shaku (16,2 Meter)
hoch. Es ist unstreitig die grösste Buddhastatue des Landes. Sie
stammt aus dem 8. Jahrhundert und wurde durch Shomu-Tennô, den
45. Mikado, errichtet. In Kasuga-no-Yashiro, einem prachtvollen
heiligen Hain, ist ein Hirschpark, der schon über 1000 Jahre bestehen
soll und worin Cervus shika in Menge gehalten wird.
Die meisten übrigen Städte der Provinz Yamato sind unbedeutend.
Wir bemerken die früheren Daimiositze Kôriyama (Daimio Matsu-
daira, 151288 koku) mit 15000 Einwohnern, Koidzumi (Katagiri,
11100 koku) mit 2100 Einwohnern, Takatori oder Tosa (Uyemura,
25000 koku) mit 3000 Einwohnern, Shibamura oder Hase (Ota,
10000 koku) mit 2000 Einwohnern, Yagimoto oder Yanagimoto (Ota,
10000 koku) mit 2300 Einwohnern, Shinjô (Nagui, 11000 koku) und
Yagiu (Yagiu, 10000 koku) mit 1800 Einwohnern. Ausser diesen sind
noch im Gebiete des Yoshino-gawa auf dem Wege von Wakayama
Rein, Japan I. 35
[546]III. Topographie.
in Kishiu nach Ise folgende Orte zu merken: Gojô mit 3500 Ein-
wohnern, erstes Städtchen in Yamato am rechten Ufer des Yoshino.
Im Norden sieht man den Kongô-zan, von welchem der Pyropensand
zum Schleifen der Bergkrystalle kommt. Shimoiji mit 3000 Ein-
wohnern. Yoshino mit 1400 Einwohnern, einst Residenz der Gegen-
kaiser, ein alter berühmter Ort mit vielen Sakura (Prunus pseudo-cera-
sus) und einem alten Shintôtempel. Nicht weit vom Orte ist das Grab
des Go-Daigô-Tennô (pag. 296), der hier die Dynastie des Südens
vertrat. Von Yoshino aus treten die Pilger gewöhnlich die kleine
Reise zur Besteigung des in südöstlicher Richtung sich erhebenden,
schön bewaldeten Omine an. Einige Stunden von Yoshino bereitet
man das für die Lackindustrie wichtige, im ganzen Lande bekannte
Yoshino-gami (Yoshino-Papier).
3. Provinz Kawachi. Der grösste Ort Yao südöstlich von
Ôsaka hat nur 3500 Einwohner. Die früheren Jôka’s Tannami
(Takagi, 10000 koku) und Sayama (Hôjô, 10000 koku) sind noch
kleiner.
4. Provinz Idzumi. Die drei bedeutendsten Städte liegen dem
flachen Gestade entlang und folgen von Ôsaka aus auch der Grösse
nach in folgender Ordnung: Sakai 3½ ri von Ôsaka mit 39000 Ein-
wohnern, Kishinowada (Okabe, 53000 koku) 8900 Einwohner, Kaid-
zuka 4300 Einwohner. Ein zweiter Daimio (Watanabe, 13500 koku)
wohnte in dem kleinen Hakata östlich von Kishinowada.
Sakai, war ehemals, bevor Ôsaka ihm den Rang ablief, die
erste Handelsstadt Japans. Hier betrieb der Vater des Konishi Yu-
kinaga (pag. 370) ein Droguengeschäft; hier versammelte später
Yuranosuke, der Karo (Minister) des früheren Daimio von Ako
seine 46 Mitverschworenen und brach dann zu Schiff nach Yedo auf
(siehe das Nähere bei Tôkio). Auch fand hier 1868 die Ermordung
der 11 Franzosen statt (pag. 414). Gleich Ôsaka, Fushimi, Nara
und verschiedenen andern ansehnlichen Städten des Reiches gehörte
Sakai zur Domäne der Tokugawa und stand unter einem Gouverneur.
5. Provinz Setsu, die volkreichste und jetzt wichtigste im Kinai,
steigt vom flachen Strande zwischen Hiogo und Ôsaka zu 6—700 Meter
hohen bewaldeten Bergen gen Westen empor und ist in diesem Theile
gleich Yamato und Yamashiro reich an Naturschönheiten. Ôsaka.
die Hauptstadt, liegt unter 34° 41' N. und 135° 45' O. Gr. (4° 16' W.
Tôkio) an der Mündung des Yodo-gawa in die Idzumi-nada. Sie
hat 78800 Häuser und 272000 Einwohner, ohne Tennôji, mit dem
die Einwohnerzahl 290000 beträgt. Dieser südöstlichste Theil von
Ôsaka, eine Art Vorstadt, wird im Nippon Chi-shi Tei-yô und auf
[547]I. Go-kinai (Ôsaka).
japanischen Karten als besondere Stadt mit 16500 Einwohnern ange-
geben. Sie ist benannt nach einem berühmten und viel besuchten
Tempel, dessen voller Name Shi-tennô-ji, d. h. Tempel der
vier himmlischen Könige, ist *).
Die Geschichte dieser tera ist mit der Einführung des Buddhis-
mus verknüpft. In seiner Kondô oder goldenen Halle soll noch eine
vergoldete kupferne Statue eines Buddha zu sehen sein, welche einst
der König von Kudara Japan zum Geschenke machte.
Die Stadt Ôsaka breitet sich am flachen Mündungsdelta des
Yodo-gawa aus und zwar zu ⅘ auf der linken oder südlichen Seite
des Flusses, von dem aus viele Canäle sie durchschneiden. Ihre
grösste Ausdehnung ist von Osten nach Westen und die Endpunkte
sind dort in der Oberstadt (Uyemachi) das Schloss, hier Kawaguchi
(Flussmündung), das Fremdenviertel, in welchem auch das Regie-
rungsgebäude des Ôsaka-fu errichtet wurde. Der Hauptgeschäftstheil
der Stadt befindet sich zwischen den beiden hier erwähnten Extremen;
die Münze, welche unter englischer Leitung 1868—1872 gebaut wurde,
liegt im nördlichen Theile von Ôsaka rechts vom Flusse, eben so
in grösserer Entfernung der Bahnhof. Der zahlreichen Canäle und
Brücken wegen hat man Ôsaka in der Neuzeit wohl zuweilen das
japanische Venedig genannt. Als Mittelpunkt der Stadt gilt Korai-
bashi, die Koreanerbrücke, von der man hier, wie in Kiôto von der
Sanjô-bashi, in Tôkio von Nihon-bashi, alle Entfernungen misst.
Der besuchteste Buddhatempel in Ôsaka heisst Temmangû.
Derselbe liegt auf der Nordseite des Yodo-gawa. Auf dem Wege
von Ôsaka nach Sakai, 2 ri von ersterem entfernt, erblickt man zur
Linken das ausgedehnte Revier des Summiyoshi, eines alten be-
rühmten Shintôtempels, der besonders viel von Fischern besucht wird,
denen der Gott vornehmlich seine Huld zuwenden soll. Der Tempel-
grund ringsum ist von hohem Interesse. In heiligen Weihern leben
unter Lotosblumen und anderen Wasserpflanzen zahlreiche Schild-
kröten und Goldfische von den Gaben der Besucher, welche hier ein
besonderes Gebäck aus Reis für sie kaufen und sie sodann durch
Händeklatschen herbeilocken. Stattliche Bäume von Laurus Camphora,
Sophora japonica und Melia Azedarach zieren einen Theil der weiten
Tempelhöfe.
35*
[548]III. Topographie.
Wie in Kiôto, so hat auch die Bevölkerung von Ôsaka, wenn
man den früheren Angaben über ihre Grösse Glauben schenken darf,
seit der Regierung Meiji beträchtlich abgenommen. Der Hafen der
Stadt ist gleich dem von Tôkio zu seicht, um grösseren Seeschiffen
den Zugang zu gestatten; darum hat, wie dort Yokôhama, so hier
das nahe und mittelst Eisenbahn in einer Stunde erreichbare Kobe den
ganzen auswärtigen Handel in Händen. Das schön gebaute Fremden-
viertel in Kawaguchi vermochte damit nicht zu concurrieren.
Kommt man von Fushimi her mit einem flachen Boote den Yodo-
gawa herunter nach Ôsaka, so fallen gleich Eingangs zur Linken die
gewaltigen Umfassungsmauern des alten Schlosses auf. Die wechsel-
volle Geschichte desselben zur Zeit des Nobunaga, Hideyoshi und
am Anfang und Ende der Tokugawa-Shôgune ist bekannt. Iyeyasu
betrachtete diese Veste gleich dem Schlosse von Fushimi als die
Schlüssel zu Kiôto und befahl, dass sie stets nur ganz zuverlässigen
Händen anvertraut werden sollten. Noch in Ruinen imponiert das
ehemals so mächtige Bauwerk mit den gewaltigen Umfassungsmauern
aus grossen Granitquadern.
Den alten Rang als erste Handelsstadt des Reiches hat sich
Ôsaka, wenigstens was den Binnenverkehr anlangt, erhalten. Hier
wohnten und wohnen die grossen Kaufleute, welche ehemals als
Banquiers und Creditoren der Landesfürsten die wichtigsten Producte
und Bedürfnisse des Landes, wie namentlich Reis, Baumwolle und
Seidenwaaren, in ihren Magazinen sammelten. Die günstige Lage der
Stadt in der Mitte des Landes und als natürlicher Hafen und Aus-
gang für die Residenz- und Industriestadt Kiôto hatten ihr diese hohe
commercielle Bedeutung, welche schon Kaempfer betont, gesichert.
Die Mittel und Geschäftskenntniss ihrer Kaufleute werden das ihrige
thun, sie zu erhalten.
Die Schwierigkeiten, zu landen, welche Jimmu-Tennô in der
Nähe des heutigen Ôsaka in Folge der schnellen Wellen (Nami-haya)
560 v. Chr. fand, waren die Veranlassung für die ältere Benennung
der Stadt. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde der Name
Naniwa, welchen man als Corruption von Nami-haya deutet, mit
dem jetzigen Ôsaka vertauscht. Diesen leitet man von oye, grosser
Fluss, und saka, Felsen, ab.
Hiogo-Kobe, 41000 Einwohner, liegt 36 Kilometer westlich
von Ôsaka. Der östliche Theil Kobe, eine Stadt für sich mit etwa
9000 Einwohnern, ist vom alten Hiogo nur durch das meist trockene
Geröllbett eines Baches geschieden. Kobe ist eine neue Stadt, prächtig
gelegen, mit tiefem, sicherem Hafen, dessen Handelsverkehr nur dem
[549]I. Go-kinai. II. Tôkaidô.
von Yokohama nachsteht und dem entlang das hübsche Fremden-
viertel mit seinen etwa 400 eingewanderten Bewohnern sich aus-
breitet. Hiogo, die ältere, grössere japanische Stadt, hatte ihre höchste
Blüthe unter den Taira, welche hier ein Schloss besassen und oft
residierten. Die Eisenbahn, welche in Hiogo beginnt, führt über
Kobe nach Ôsaka. Sie berührt nach Kobe die Städte Nishinomiya,
8700 Einwohner, und Amagasaki (Matsudaira, 40000 koku). An-
dere bemerkenswerthe Orte sind die früheren Daimioresidenzen Taka-
tsuki (Nagai, 36000 koku) mit 4300 Einwohnern, Sanda (Kuki,
36000 koku) mit 2350 Einwohnern und Asada (Aoki, 10000 koku),
letztere nördlich, Sanda nordwestlich von Amagasaki gelegen, wäh-
rend wir Takatsuki mehr nach Kiôto hin zur Linken des Yodo-gawa
finden. Ausser diesen sind noch zu merken: Namba oder Naniwa
bei Ôsaka mit 8100 Einwohnern, Hirano am Wege von Amagasaki
nach Sasayama in Tamba, zur Linken des Muko-gawa, eines oft
reissenden Baches, welcher nicht selten zwischen Nishinomiya und
Amagasaki, wo er das Meer erreicht, grosse Verheerungen anrichtet.
Fünf ri nordöstlich von Kobe jenseits der ersten Bergkette liegt das
berühmte Bad Arima und fünf ri westlich von Ôsaka der Ort Mino
in reizender Gebirgslandschaft, mit Recht ebenso gepriesen seines
prächtigen Wasserfalles wegen, der etwa 45 Meter tief über eine
senkrechte Granitwand stürzt, als durch seine alten Tempel und die
sie umgebenden prächtigen alten Bäume.
II. Der Tôkaidô oder Ostseestrassen-Bezirk*).
Es sind 15 Provinzen, welche mit Ausnahme von Iga und Kai
alle an den Stillen Ocean grenzen, dem entlang sie ein verhältniss-
mässig schmales Band von etwa 140 ri Länge bilden. Der Tôkaidô,
die alte, berühmte Landstrasse zwischen Kiôto und Tôkio, durch-
schneidet die meisten derselben. Er führt durch das schöne Hakone-
Gebirge, gewährt häufig den Anblick des imposanten Fuji-no-yama
und des Meeres, an welches er wiederholt nahe herantritt.
In den ebeneren, fruchtbaren Theilen der Landschaft ist der Bau
des Reis und anderer Feldfrüchte die Haupterwerbsquelle, in den
Hügellandschaften von Kai und Musashi die Seidenzucht, von Suruga
und Ise der Theebau. Auch der Fischfang beschäftigt viele Hände.
Kai und Suruga haben bedeutende Papierindustrie, in Owara und Ise
[550]III. Topographie.
spielt die Töpferei eine hervorragende Rolle und im Hakonegebirge
(Provinz Sagami) die Holzwaaren-Industrie. Die Hauptsitze des Ge-
werbelebens sind jedoch die beiden Grossstädte des Gebietes, Tôkio
mit über 600000 Einwohnern und Nagoya mit gegen 140000 Ein-
wohnern. Die grössten Städte, welche dann folgen, sind Yokohama
mit mehr als 60000 Einwohnern, Shidzuoka und Senju, jede mit über
30000 Einwohnern, Choshi mit 25000 Einwohnern, Tsu, Mito und
Yamada mit gegen 20000 Einwohnern.
Die Gesammtbevölkerung der hierher gehörenden 15 Provinzen,
unter welchen Musashi die grösste und weitaus bevölkertste, Shima
aber die kleinste ist, beträgt 7650000 Einwohner. Sie zerfallen
gegenwärtig in den Tôkio-fu und 8 Ken, nämlich den von Ibaragi,
Saitama, Chiba, Kanagawa, Yamaguchi, Shidzuoka, Aichi und Miye.
Das Hakonegebirge scheidet sie in eine nordöstliche und eine süd-
westliche Gruppe, von denen jene die 6 Provinzen Sagami, Musashi,
Awa, Kadsusa, Shimosa und Hitachi umfasst und als Gruppe des
Kuwantô bezeichnet werden kann, während die 9 westlichsten Pro-
vinzen bis auf die zwei vom Meere geschiedenen von der Tôtômi-nada
und ihren Armen bespült werden und daher Gruppe der Tôtômi-nada
genannt werden kann.
a. Die Gruppe des Kuwantô.
Dieselbe ist begrenzt vom Meere, Idzu, Suruga, Kai und den
Provinzen des Tôsandô, Shinano, Kôdzuke, Shimodzuke und Iwaki.
Ihr Hauptzug ist die grosse, fruchtbare Ebene des Kuwantô, welche
der Tone-gawa und andere Flüsse bewässern.
1. Provinz Musashi. In ihr befindet sich die Landeshaupt-
stadt Tôkio oder Tôkei, früher Yedo genannt.
Am nordwestlichen Ende der seichten Yedobucht und an den
Ufern des Sumida-gawa breitet sich unter 35° 40' N. und 139° 47'
O. Gr. Tôkio, die umfangreiche Hauptstadt des japanischen Reiches
aus. Vom flachen Gestade der Bucht, wo sich das trübe Wasser des
Sumida mit dem des Oceans mischt, steigt ihr Häusermeer zu einer
Reihe 20—30 Meter hoher, flacher Hügel empor und umzieht mit
ihnen auf der West- und Nordseite im weiten Bogen die nur wenige
Meter über dem Meere gelegenen unteren Stadttheile. Die Ausdeh-
nung von Tôkio von Westen nach Osten beträgt 2 ri 7 chô und 2 ri
30 chô in südnördlicher Richtung; das von ihr eingenommene Terrain
kommt dem von Paris fast gleich. Freilich umfasst es manchen
wüsten Platz und manche Thee- und Maulbeerpflanzung, so dass die
Bevölkerungsziffer nicht entsprechend hoch ist. 1875 hatte Tôkio
[][]
Nach einem Japanischen Originalplan red v. H. Seipp.
[551]II. Tôkaidô. a. Kuwanto (Tôkio).
nach glaubwürdigen Angaben des Nippon Chi-shi Tei-yô, der neuesten
Statistik Japans, 595905 Bewohner, welche sich auf 1177 Strassen
mit 149383 Häusern, 1026 Buddha- und 104 Shintôtempel vertheilten.
Gegenwärtig kommen einschliesslich der Vorstädte etwa 800000 Ein-
wohner auf 200000 Häuser. Zur Zeit ihrer grössten Blüthe, d. h.
kurz vor dem Zusammenbruch des Feudalsystemes und Shôgunates
(etwa um das Jahr 1860) mag die Stadt eine Million Einwohner ge-
zählt haben *).
Die Orientierung nach beifolgendem Plane ist leicht. Die Stadt
wird in 15 Districte oder ku getheilt, deren Namen und Häuserzahl
hier folgen mögen:
- 1. Kojimachi 9162 Häuser
- 2. Kanda 20785 »
- 3. Nihonbashi 20458 »
- 4. Kiyôbashi 20258 »
- 5. Shiba 18910 »
- 6. Azabu 5873 »
- 7. Akasaka 5775 »
- 8. Yotsuya 5313 »
- 9. Ushigomi 8544 Häuser.
- 10. Koishikawa 8097 »
- 11. Hongô 11899 »
- 12. Shitaya 13515 »
- 13. Asakusa 22878 »
- 14. Honjo 15102 »
- 15. Fukagawa 12698 »
Kojimachi umfasst das Centrum und den ältesten Theil der Stadt.
Hier lag das Ô-Shiro oder Schloss der Shôgune. Auf niedrigem,
flachen Hügel, allseits mit Festungswerken, Ringmauern, Wallgräben
und wohlverwahrten Thoren umgeben, bildete es mit seinen Gärten
ein abgeschlossenes Ganze. Bald nach der Restauration ging es,
wie so manches Bauwerk der Feudalherrschaft, in Flammen auf und
ist noch nicht wieder erneuert worden. Der Mikado residiert vorerst
in dem Yashiki eines früheren Daimio im Yotsuya-ku, westlich vom
alten Schlosse. Unser Plan zeigt uns noch eine zweite, ja dritte
Enceinte in grösserer Entfernung um das Ô-Shiro, deren Gräben ost-
wärts in den Sumida-gawa und die Yedobucht enden. Kojimachi
bildete das officielle Quartier, die eigentliche Schlossstadt. Die vielen
Yashikis oder Daimio-Wohnungen, welche mit ihren Nebengebäuden
rings um das Schloss die Strassen einrahmten, sind theils in Ministe-
rien und andere Regierungsgebäude umgewandelt worden, theils haben
sie modernen Gebäuden weichen müssen. Die bemerkenswertheste
Strasse dieses Stadttheiles, die älteste von Yedo, das ursprüngliche
Kojimachi, führt auf der Südwestseite des Schlosses von hier zum
[552]III. Topographie.
Yotsuya-mon. Von nennenswerthen Gebäuden dieses Distriktes gibt
unser Plan an: die deutsche Legation (2) und das viel grössere
Terrain der englischen Gesandtschaft (3), beide schraffiert; ferner die
beiden Shintôtempel Shôkonsha (4) im Kudan (5) (vergl. pag. 515),
dem höchsten Stadttheile, und Sanno (1), das Gaimusho oder aus-
wärtige Amt (7) und das Kogakurio oder Polytechnicum (8), sowie
das Hakurankai oder Museum (13).
Die drei Stadttheile Kiyo-bashi, Nihon-bashi und Kanda zeigen
schon durch ihre Häuserzahl auf verhältnissmässig beschränktem Areal
eine dichte Bevölkerung an. Im Osten der Schlossstadt, nach Süden
und Norden durch die beiden schon erwähnten, östlich auslaufenden
Canalarme, gen Osten vom Sumida-gawa begrenzt, bilden sie die
eigentliche Machi oder commerzielle Stadt, das Centrum des Verkehrs.
Von Schimbashi (Neubrücke), in der Nähe des Bahnhofs, führt die
Hauptstrasse von Tôkio, Tori (Dori) genannt, 90 Fuss breit ostwärts,
tritt nach Ueberschreitung der Kiyo-bashi, d. h. Kiyôtobrücke (1) ins
Gebiet von Nihon-bashi (1) und dann jenseits der gleichnamigen Brücke
in das von Kanda. Die Sonnenaufgangsbrücke (Nihon-bashi) ist das
Centrum der Residenz, deren Entfernungen von hier berechnet werden:
auf ihr enden Angesichts des Fuji-san die bedeutendsten Landstrassen.
Shimbashi-dori, der erste Theil jener grossen Verkehrsader vom Bahn-
hof aus, ist ein Boulevard von 90 Fuss Breite mit gefälligen Back-
steinhäusern zu beiden Seiten. Es ist dies die Neustadt, bis jetzt
einzig in ihrer Art in Japan, da man sonst allenthalben Holzbauten
findet. Shimbashi-dori und ein weites Revier ringsum brannte 1872
ab und wurde dann nach einem neuen Plane wieder aufgebaut. In
diesem Viertel liegt auch das Fremdenquartier Tsukiji (2) mit dem
berühmten Tempel der Shinsecte Nishi-Honguwanji, und anstossend
daran die Militärschule. Im folgenden Ku ist ausser der Nihon-
bashi (1) noch die weiter östlich gelegene Yedo-bashi (2) zu nennen,
eine Brücke, in deren Nähe der Fischmarkt abgehalten wird. Im
Stadttheile Kanda, den nach Norden der Kanda-gawa begrenzt, ein
Canal, der rechtwinkelig in den Sumida mündet, sind Kanda-bashi (1)
und das Universitätsgebäude oder Kai-sei-gakkô (2) zu erwähnen.
Shiba-ku stösst südwärts an Kiyo-bashi und das Meer, dem entlang
die Eisenbahn und der Tôkaido zur Vorstadt Shinagawa führen.
Neben dem Bahnhof liegt auf einer Insel das Lustschloss O-hama-
goten (4), wo der Mikado schon so oft Fremde von Distinction be-
wirthen liess. Bemerkenswerther ist der Park und Tempelgrund von
Shiba mit den Shôgun-Gräbern, einer von den fünf grossen öffent-
lichen Plätzen. Hier stand der berühmteste Buddhatempel der Stadt,
[553]II. Tôkaidô. a. Kuwantô (Tôkio).
Zôzôji genannt, welcher in der Neujahrsnacht 1874 in Flammen auf-
ging. Noch weiter südlich zur Seite der Landstrasse ist Sengakuji
(3), der Begräbnissplatz des Daimio von Ako und der 47 lehns-
treuen Rônin und nahe dabei der Tempel des Kriegsgottes Hachiman.
Auf der Stadtseite vom Shibaparke (bei 5) befindet sich ein Hügel,
Atago-yama genannt, der seiner Aussicht wegen viel besucht wird.
An seine Rückseite lehnt sich der Begräbnissplatz von Tentokuji
an. Ganz im Süden ist der Weg nach Meguro angedeutet, einem
viel besuchten Orte in der Nähe von der Stadt mit berühmten Tempeln
und Theehäusern. Westlich an Shiba reiht sich Azabu-ku, dann
folgt Akasaka. In jenem liegt der Teich Tame-ike (1) und das
Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Kôbusho (2), in diesem die lange
Akasakastrasse und Awo-yama mit den Versuchsgärten der Colonial-
regierung. Zur Rechten der genannten Strasse erblicken wir, in
Yotsuya-ku Kishiu-yashiki, die temporäre Residenz des Mikado.
Höher hinauf und ebenfalls westlich von Kojimachi schliesst sich der
Distrikt Ushigome mit Owari-yashiki an. Aus der Kojimachi gelangt
man in dieses Revier durch das bei Kudan gelegene Ushigome-Thor (1).
Erwähnenswerth ist noch der Tempel Gokokuji (6) und der Yodo-gawa,
welcher dem grossen Canal sein Wasser liefert. Die nordwestliche
Ecke des Planes nehmen die Stadttheile Koishi-kawa und Hongô ein.
Man sieht hier am äussersten Ende den Nakasendô und das durch
herrliche Lage, Tempelhöfe, Theehäuser und Gärten ausgezeichnete
und viel besuchte Oji. An der äusseren Enceinte liegt vor dem
Koishi-kawa-Thor (4) der Mito-yashiki, früher mit prächtiger Parkan-
lage, zur Seite ein Shintôtempel und im Hintergrunde der viel be-
merkenswerthere Buddhatempel Dendzuin (2). Noch weiter entfernt
und etwas mehr rechts breitet sich Oyaku-yen (1), der botanische
Garten aus. In dem Stadttheile Hongô liegen im Anschluss an Kanda-
ku und den Wallgraben die Kamihalle Kanda Miojin (1), die Tôkio-
Bibliothek (2) und der Kaga-yashiki. Seine herrlichen Parkanlagen
sind verwüstet und an ihre Stelle Wohnungen für fremde Lehrer ge-
kommen. Nach Osten schliesst sich an Hongô der Distrikt Shitaya
an, dann folgt weiter zum Sumida hin Asakusa. Jener hat für uns
ein besonderes Interesse dadurch, dass die von Deutschen geleitete
medicinische Schule (1 schraffiert) sich hier befindet. Noch mehr vom
Centrum der Stadt nach Norden bemerken wir den Teich von Uyeno,
auf dem sich, wie in den breiteren Theilen der Schlossgräben, wilde
Enten, Gänse und Cormorane ungestört tummeln; daneben aber breitet
sich der schöne Park von Uyeno aus, mit seinen Tempeln, Shôgun-
gräbern, herrlichen Baumgruppen, Wohnungen deutscher Lehrer,
[554]III. Topographie.
Theehäusern etc. Von den fünf öffentlichen Gärten und Parkanlagen
Asakusa, Uyneo, Shiba, Fukagawa, Hachiman und Asukayama, steht
Uyeno oben an. Der stolzeste Tempel dieses reizenden Flecks, der
Tôyeizan, wurde während der Kämpfe 1868 ein Raub der Flammen,
doch gibt es noch manches andere sehenswerthe Heiligthum, so den
Tempel des Gongen-sama mit dem grossen Kampferbaum im Hinter-
grunde, die Shôgungräber mit ihren Reihen Steinlaternen, die grossen
Cryptomerien. Asakusa zieht sich weit am rechten Ufer des Sumida
hin und ist besonders seiner Tempel wegen bekannt, von denen
namentlich zwei, der Kwannon (3) und Higashi Honguwanji (2) hohen
Ruf haben. Um den ersteren sammelt sich Alles, was die schau-
lustige Menge anziehen und zu Geldopfern veranlassen kann, Spiel-
waarenhändler, Theebuden, Gaukler aller Art; es ist hier ein continuier-
licher Jahrmarkt. Das lange, schraffierte Gebäude (1) am Flussufer
soll die Lage der grossen Reismagazine andeuten.
Auf der linken Seite des Sumida-gawa liegen zwei Stadttheile:
Honjio und Fukagawa. Jener, Asakusa gegenüber, bietet längs des
Flusses in dem Theile, welcher Mukojima heisst, im Frühling einen
aussergewöhnlichen Anziehungspunkt, wenn Alt und Jung, Hoch und
Niedrig hinauswandern, um die Blüthen der Sakurabäume (Prunus
pseudo-cerasus) zu bewundern. In Fukagawa haben namentlich
mehrere Tempel hohen Ruf, so der des Hachiman (2), Reiganji (1),
Eko-in (3). Links vor der Mündung war die alte Batterie.
Fünf grosse Holzbrücken überspannen den Sumida-gawa und
verbinden die linken Stadttheile mit der Altstadt, nämlich Yeita-
bashi (1), Shino-bashi (2), Riogoku-bashi (3), Mumaya-bashi (4) und
Azuma-bashi (5). Von ihnen ist Riogoku-bashi die wichtigste, welche
den Hauptverkehr vermittelt. Ihr Name bedeutet »Zwei-Länder-
Brücke«, weil sie Shimosa, dem das linke Ufer des Flusses früher
zugehörte, mit Musashi verbindet.
Tôkio ist eine neue Stadt. Die Geschichte der Tokugawa ist
auch die ihrige. Iyeyasu, gegen Ende des 16. Jahrhunderts durch
Besiegung der Hôjô zum Herrn des Kuwantô geworden, machte den
damals noch unbedeutenden Ort Yedo (Bai-Pforte) auf Anrathen
seines Freundes Hideyoshi zur Residenz (1598) und begann alsbald
mit der ihm eigenen Energie, seinen Aufenthalt angenehm zu gestalten.
Doch erst der dann folgende Sieg bei Sekigahara und seine weit-
reichenden Resultate sicherten dem neuen Unternehmen seine glänzende
Zukunft. Insbesondere wurde der Umstand, dass alle Fürsten des
Landes sich hier ihre Yashiki bauen und einen grossen Theil ihres
Lebens mit zahlreichem Gefolge zubringen mussten, ein Hauptgrund
[555]II. Tôkaido. a. Kuwanto (Tôkio).
zum raschen Emporblühen von Yedo. Als dann zu Anfang der
sechziger Jahre der Einfluss des Shôgun rasch sank, Yokohama durch
fremdes Kapital und fremde Energie eben so rasch emporblühte, und
als vollends der alte Zwang für die Daimios, in Yedo zu wohnen,
aufgehoben wurde, da leerte sich die Stadt zusehends und schien ihr
Glanz für immer geschwunden. Doch der Mikado machte sie 1869
zu seiner Residenz, änderte ihren Namen in Tôkio (Ost-Hauptstadt) *)
und führte ihr neues Leben zu. Hiermit beginnt eine neue Zeit, auch
für diese »Stadt der Taikune«, auf veränderter Basis ein neues
Emporblühen. Bereits hat man einen Theil ihrer Strassen aus Back-
steinen erbaut und damit den Grund gelegt gegen Feuersgefahr und
zur wesentlichen Förderung des Nationalwohlstandes. Die Zeit kommt,
wo es nicht mehr heissen wird, wie bisher: »Kaji-wa Yedo no hana
da«, »das Feuer ist Yedo’s Blume«, sondern wo Yedo auch in solider
Bauart die Blume unter den japanischen Städten genannt werden
kann.
In früherer Zeit spielten verschiedene Vorstädte von Yedo, welche
im Umkreise von 2 ri vom Centrum Nihon-bashi aus an den grossen,
hier endenden Landstrassen sich hinziehen, eine bedeutende Rolle.
Aus den grossen, geräumigen Yadoyas und andern auf die Unter-
haltung berechneten Anstalten kann man auf den lebhaften Verkehr
schliessen, der früher in ihnen herrschte. Hier machten die Daimio-
züge auf ihren Reisen nach und von der Hauptstadt das letzte oder
erste Nachtquartier. Für gute Bewirthung und Vergnügen verschie-
dener Art war reichlich gesorgt.
Nachdem seit der Perry-Expedition die in die Samuraiclasse ge-
drungene Gährung sich mehr und mehr in die Gegensätze zwischen
Kiôto und Yedo zugespitzt hatte, wurden diese Vorstädte die Sam-
melplätze von allerlei schlechtem Volke, insbesondere von Rônin,
welche hier bei Sake und Dirnen nachdachten, wie sie dem Bakufu
am besten Verlegenheiten bereiten und ihrem Fremdenhass Ausdruck
geben könnten. Manche blutige That dieser verwegenen Gesellen
wurde im Yoshiwara von Shinagawa geplant, denn diese an der
Bucht von Yedo dem Tôkaidô entlang ziehende südliche Vorstadt
war die bedeutendste und belebteste von allen. Noch gegenwärtig
zählt sie über 10000 Einwohner. Am Ôshiu-Kaidô, also auf der
Westseite von Tôkio, finden wir die Vorstadt Shinji-ku mit 4000 Ein-
wohnern, am Nakasendô, auf der Nordwestseite liegt Itabashi mit
[556]III. Topographie.
3000 Einwohnern und im Nordosten am Ôshiu-Kaidô die Vorstadt Senji
mit 11400 Einwohnern. Rechnet man diese und einige unbedeutendere
Vorstädte von Tôkio mit, wie dies vielfach geschieht, so betrug die Be-
völkerung von Japans Hauptstadt im Jahre 1875 gegen 640000 Seelen.
Dieselbe ist fortwährend im Steigen begriffen und wird die hohe
Ziffer von mehr als 1 Million Bewohnern, welche sie vor 1860 um-
fasst haben soll, wohl bald wieder erreichen, wenn nicht Krankheiten
und andere Ursachen die Entwickelung hemmen.
Yokohama*) und Kanagawa. Yokohama, vor 20 Jahren
noch ein kleines Fischerdorf, ist jetzt eine ansehnliche Stadt mit
65000 Einwohnern **) und von hoher Bedeutung im grossen Weltver-
kehr, ein Vorposten auf der Route von San Francisco nach Hongkong
oder Shanghai, das nordöstliche Ende auf derjenigen, welcher die
Dampfer der Peninsular and Oriental Line von Southampton und die
der Messageries Maritimes von Marseille aus durch den Suez-Canal
folgen. In ihrem schönen, geräumigen Hafen ***) herrscht daher ein
reges Leben. Postdampfer kommen und gehen, Kriegsschiffe der
verschiedensten seefahrenden Nationen geben sich hier Stelldichein †),
und die Handelsflottille, welche neben den grossen Packetbooten den
Waarenverkehr vermittelt, ist durch meist viele kleinere Fahrzeuge
reich vertreten. Die verschiedensten Consumartikel für den Haushalt
der Europäer, Fabrikate mancherlei Art für Einheimische und Fremde
werden von denselben herbeigeführt und gegen Ladungen der Lan-
desproducte, wie Thee, Seide, Reis, Kampfer, Erzeugnisse des Kunst-
gewerbes und anderes mehr vertauscht. Der gesammte Waarenumsatz
beträgt jährlich etwa 34 Millionen Dollars.
Ein niedriger Hügelzug, stellenweise mit einem lichten Kiefern-
bestande bedeckt, umgürtet halbkreisförmig das flache Gestade der klei-
nen Bucht, auf welche der riesige und meist schneebedeckte Kegel des
Fuji-san im fernen Westen herabschaut, und an welcher die Schwester-
städte Kanagawa und Yokohama, jene auf der Nord-, diese auf der
Südseite sich ausbreiten. Seine Enden fallen steil zum Meer ab.
Der südliche Vorsprung heisst Homaku-no-saki, bei den Fremden
»Treaty point«. Oben auf der Höhe des hier endenden Hügelrückens,
[557]II. Tôkaidô. a. Kuwantô (Yokohama).
genannt »the Bluff«, findet man Dutzende schöner ein-, auch zwei-
stöckiger Villen der fremden Kaufleute, deren Geschäftsstadt ostwärts
unten am Strande sich hinzieht, während im Hintergrunde das Viertel
der Eingebornen sich anschliesst.
Yokohama besitzt eine protestantische und eine katholische Kirche,
worin in englischer, beziehungsweise französischer Sprache gepredigt
wird; es hat Clubs, Wettrennen zu Pferd und zu Boot und zeitweise
auch Concert und Theater. In seinen Gasthöfen wohnt und lebt der
Fremde für 2—3 Dollars täglich vielfach besser, als in manchem
europäischen Hôtel I. Ranges. Das Leben der Fremden in den Ver-
tragshäfen ist überhaupt, was körperliche Verpflegung anlangt, viel
luxuriöser, als die meisten es in der Heimath zu führen gewohnt
waren, wozu das billig zu beschaffende Wildpret und Geflügel, ins-
besondere Fasanen, Hühner und Enten, sowie eine Fülle der wohl-
schmeckendsten Fische, Austern und andere Seethiere nicht wenig
beitragen.
Seit 1872 führt eine Eisenbahn, welche jetzt ganz unter japanischer
Bedienung und Verwaltung steht, von Yokohama an der Westseite
der Tôkio-ura (Yedo-Bucht) entlang nordwärts nach der vier deutsche
Meilen entfernten Hauptstadt. Der Bahnhof liegt im Nordosten der
Stadt auf Boden, welcher dem Meer abgewonnen wurde. Die Bahn
und ein breiter Weg zur Linken führen zunächst nach dem nur
15 Minuten Wegs entfernten Kanagawa über einen sehr breiten Damm,
durch welchen man den westlichsten, seichten Theil der Bai abge-
schnitten hat. Kanagawa, eine langgestreckte Stadt, durch welche
der Tôkaidô führt, hat 11000 Bewohner. Sie wurde zuerst den Frem-
den geöffnet, die aber schon nach kurzer Zeit sich nach dem viel
besser gelegenen Yokohama zogen, wo man auch das neue Regierungs-
gebäude (Ken-chô) und die Zollräume errichtete. Dennoch führt das
Gouvernement den Namen Kanagawa-ken, auch heisst der englische
Consul von Yokohama bei seiner Behörde immer noch Consul von
Kanagawa.
Den Consulatsbehörden und fremden Aerzten macht das neue
Viertel von Kanagawa in der Nähe der Bahn viel zu thun, denn hier
ist das ausgedehnte Yoshiwara, wo sich namentlich die Matrosen oft
blutige Köpfe und Schlimmeres holen.
Das Städtchen Kawasaki mit 3200 Bewohnern liegt am rechten
Ufer des Tamagawa und ungefähr in der Mitte der Bahnlinie zwischen
Yokohama und Shinagawa. Wie die Bahn dann weiter zwischen
Bucht und Tôkaido von dieser südwestlichen Vorstadt den Häusern
von Tôkio entlang läuft, zeigt der Plan von letzterem. Nordwestlich
[558]III. Topographie.
von Kawasaki ist der berühmte Tempelhain von Ikegami mit dem
Grabe des Nichiren (siehe pag. 526 und 528).
Als frühere Daimiositze von Musashi merken wir Kawanoye
(Matsudaira, 170000 koku), Oshi (Matsudaira, 100000 koku),
Iwatsuki (Ôka, 23000 koku), Okabe (Ambe, 20200 koku) und
Kanazawa oder Mutsura (Yonegura, 12000 koku). Von diesen
liegt Kawagoye mit 9400 Einwohnern nordwestlich von Tôkio und
in etwa gleicher Entfernung, doch mehr nördlich, Iwatsuki mit
5000 Einwohnern. Nach den Bestimmungen des Iyeyasu sollten
die Schlösser dieser Städte, sowie von Sakura, Sekiyado und Koga
in Shimosa, von Takasaki und Usui (?) in Kôdzuke, Utsunomiya
in Shimotsuke und Odawara in Sagami zum besonderen Schutze
seiner Hauptstadt dienen. Oshi (Gioda) nördlich von Iwatsuki hat
7300 Einwohner und Okabe nordwestlich davon am Nakasendô und
nahe der Grenze 2500 Einwohner. Kanazawa mit 4700 Einwohnern,
die sich theilweise von der Seesalzbereitung nähren, liegt 4 ri süd-
lich von Yokohama an der Yedobucht. Die Nakasendô-Orte von Be-
deutung, welche man von Tôkio aus berührt, sind der Reihe nach
Urawa mit 1800 Einwohnern, Regierungssitz von Saitama-ken,
Omiya mit 3400 Einwohnern, Konosu mit 3200 Einwohnern, Ku-
mugaye mit 4200 Einwohnern, dann Fukaya und Okabe. Am
Kôschiu-kaidô liegt im Westen von Tôkio, da wo das Hügelland
beginnt, die Stadt Hachioji mit 8000 Einwohnern, deren Haupt-
ressource die vielen Fuji-Pilger sind, welche hier Station machen;
noch näher nach Tôkio hin die Stadt Fuchiu mit 4600 Einwohnern.
Am Oshiu-kaidô folgen auf die Vorstadt Senji die grösseren Orte
Soka, 4000 Einwohner, Kasukabe, 3500 Einwohner, Sate, 4300 Ein-
wohner, und Kurihashi am Uebergang über den Tone.
2. Shimosa. Der Tone-gawa bildet die Westgrenze gegen
Musashi, sein Nebenfluss, der Kinu-gawa, und sein östlicher Arm die
Ost-, beziehungsweise Nordgrenze gegen Hitachi. Ausserdem grenzt
Shimosa im Osten ans Meer, im Süden an Kadsusa und die Yedo-
bucht und mit seinem nordwestlichsten Zipfel an Shimotsuke und
Kôdzuke. Die Provinz liegt ganz in der Ebene des Kuwantô und
lebt desshalb mit Ausnahme der aufs Meer hingewiesenen Küstenorte
fast ausschliesslich vom Ackerbau. Unter ihren Städten ist Choshi,
eine grosse Fischercolonie bei Choshiguchi an der östlichen Mündung
des Tone mit 18000 Einwohnern die grösste, Chiba an der Yedo-
bucht mit 3100 Einwohnern ist Hauptstadt des gleichnamigen ken.
Frühere Jôkas sind folgende Orte: Sakura (Hotta, 11000 koku)
nordöstlich von Chiba mit 6700 Einwohneru, Koga (Doi, 80000 koku)
[559]II. Tôkaidô. a. Kuwantô.
mit 9400 Einwohnern am Watarase-gawa und Ôshiu-Kaidô, 18 ri
nördlich von Tôkio, Sekiyado (Kuze, 6800 koku) nördlich von
Tôkio in der Gabel des Tone gelegen, mit 4900 Einwohnern; Yuki
(Midzuno, 18000 koku) am Nordende von Shimosa mit 5700 Ein-
wohnern, Tako (Matsudaira, 12000 koku) ostwärts von Sakura, mit
3000 Einwohnern, Takaoka (Inuye, 10000 koku) ostwärts von
Nabekawa an der Strasse, welche auf der Südseite des östlichen
Tone hinführt nach Choshiguchi; Omigawa (Uchida, 10000 koku)
auf demselben Wege noch weiter ostwärts, mit 2600 Einwohnern,
Oimi (Morikawa, 10000 koku). Bedeutender als letztere sind noch
Funabashi mit 9500 Einwohnern am nördlichsten Ende der Yedo-
bucht, Mitsukaido südöstlich von Sekiyado mit 3500 Einwohnern
und Sawara am Kasumiga-ura zwischen Takaoka und Omigawa mit
6400 Einwohnern.
3. Hitachi, die nördlichste unter den Provinzen des Tôkaidô,
grenzt im Süden an Shimosa, im Westen an Shimotsuke, im Norden
an Iwaki, im Osten an den Stillen Ocean. Sie ist ebenfalls noch
grösstentheils flach. In ihr erhebt sich der berühmte Tsukubasan
mit einer weiten Aussicht über das Kuwantô nach allen Richtungen.
Mito, die Hauptstadt der Provinz, ehemals Sitz eines Gosanke
(pag. 370) und nahen Verwandten des Shôgun mit 350000 koku,
liegt in nordöstlicher Richtung von Tôkio nicht weit vom Meer und
hat gegenwärtig nur 20000 Einwohner. Andere ehemalige Schloss-
städte der Provinz sind: Fuchiu (Matsudaira, 20000 koku) am Mito-
Kaidô (Weg von Tôkio nach Mito), nördlich des Kasumiya-ura, mit
3000 Einwohnern, Shishido (Matsudaira, 10000 koku) und Kasama
(Makino, 80000 koku), beide gen WSW. von Mito *), Tsuchiura
(Tsuchiya, 95000 koku) mit 7800 Einwohnern am Mito-Kaidô, süd-
lich des Tsukubasan, Shimotate (Ishikawa), ostwärts von Yuki mit
5000 Einwohnern, Yatabe (Hosokawa, 16300 koku), ein grosser
Ort auf dem Wege von Tôkio zum Tsukubasan, nordwestlich von
Tsuchiura, ferner Ushiku (Yamaguchi, 10017 koku), Asabu
(Shinjiô, 10000 koku) und Shimotsuma (Inouye, 10000 koku),
südlich von Shimotate am Kinugawa gelegen. Bedeutender als diese
letztgenannten Orte ist Nakaminato, der Hafen von Mito, mit
8300 Einwohnern.
4. Kadsusa, den nördlichen Theil der Halbinsel im Osten der
Yedobucht einnehmend, von dieser, dem Stillen Ocean, Shimosa und
[560]III. Topographie.
Awa begrenzt, hat Kururi mit 4000 Einwohnern zur Hauptstadt.
Hier residierte früher der Daimio Kuroda (30000 koku). Andere
Daimiositze waren die Städtchen Ôdaki (Matsudaira, 20000 koku),
Iino (Hoshina, 20000 koku), Sanuki (Abe, 16000 koku), Tsu-
rumai (Midzuno, 15000 koku), Ichinomiya (Kanô, 13000 koku)
und Shôsai (Hagashi, 1000 koku), alle mit 2—4000 Einwohnern.
Von ihnen liegen die meisten im Innern, Ichinomiya an der Ostküste,
wo auch mehr südlich der kleine Hafen Kadzusa. Folgt man dem
östlichen Gestade der Yedobucht, so führt der Weg über Yamata,
Anegasaki, Kisarazu, Tomidzu, Minatomura und Taka-
gaoka, unter denen Kisarazu mit 4400 Einwohnern am bedeutendsten
ist. Vom Hafen Tomidzu gelangt man über Sanuki zum vielbesuchten
Kano-san, auf dem Tempel und Wirthshäuser eine weit gerühmte
Aussicht und angenehme Sommerfrische bieten.
5. Awa oder Boshiu, im Süden von Kadzusa, bildet die Süd-
spitze der Halbinsel östlich der Yedobucht, mit den bekannten Vor-
gebirgen Su-saki (Cape King) und Noshima-saki. Die Städtchen
Katsuyama (Sakai, 12000 koku) mit 2000 Einwohnern und Ta-
teyama (Inaba, 10000 koku) mit 2600 Einwohnern sind die Haupt-
orte. Beide liegen an der Westküste.
6. Sagami. Im Osten und Norden von Musashi, gen Westen
von Kai und Suruga, im Süden von Idzu und dem Meere begrenzt,
ist Sagami eine der den Fremden am besten bekannten Provinzen
des Landes. Kamakura, Enoshima, das Hakonegebirge, Yokosuka
und andere sehenswerthe und vielbesuchte Punkte gehören ihr an und
können von Yokohama aus in kurzer Zeit erreicht werden. Dem
Tôkaidô folgend, gelangt man von hier aus zu den Städtchen Fuji-
sawa mit 5600 Einwohnern und Oiso mit 4900 Einwohnern, darauf
zur schön an der Sagami-ura und dem Fusse des Hakonegebirges
gelegenen Hauptstadt Odawara (Ôkubo, 153000 koku), wo früher
die mächtige Hôjô-Familie ihren Sitz hatte (pag. 323), mit 13000 Ein-
wohnern. Der Haya-gawa, welcher das Hakonegebirge umgürtet,
mündet hier. Aufwärts finden wir an ihm die schön gelegenen Bade-
orte Yumoto (siehe Holzschnitt), Tonosawa, Dogashima, Miyanoshita,
Tokokura und Kiga. Der Tôkaidô überschreitet den Bach auf einer
Brücke und führt über Yumoto und Hata steil empor nach Hakone
am See und zur Passhöhe, dann bald durch das nördliche Idzu nach
Numadzu in Suruga. Ein zweiter Daimiositz war Haginoyama-
naka (Ôkubo, 13000 koku), wo eine Seitenlinie der Familie in
Odawara wohnte. Die Stadt liegt landeinwärts im Gebiete des Ba-
niu-gawa. Der Weg zu ihr führt über Atsugi, 2000 Einwohner.
[]
[][561]II. Tôkaidô. a. Kuwantô
Auf der Halbinsel Sagami (Miura-gori) finden wir, und zwar an der
Südwestspitze, Misaki mit 3400 Einwohnern, auf der Ostseite aber
Uraga, wo Perry’s Flotte stationierte, mit 2400 Einwohnern, und
näher nach Yokohama in einer andern tiefen und geschützten kleinen
Bucht Yokosuka (sprich Yokoska) das von Franzosen *) angelegte
und vortrefflich geleitete Arsenal mit einer Werfte.
Kamakura liegt wenige Meilen südwestlich von Yokohama, so
dass man von hier an einem Tage eine Excursion nach seinen Sehens-
würdigkeiten machen und Abends wieder zurück sein kann. Der nähere
Weg führt über Kanazawa in der Nähe der Küste hin, ein anderer
den Tôkaidô entlang bis Fujisawa, dann südöstlich. Zur Zeit ihrer
Blüthe umfasste die Residenz des Yoritomo über 200000 Einwohner.
Belebte Strassen mit einer glücklichen, thätigen Bevölkerung bedeckten
einst den Boden, auf welchem seit drei Jahrhunderten der Land-
mann wieder säet und erntet. Die Minamoto, Hôjô und Ashikaga,
Nichiren und andere buddhistische Eiferer, welche hier lebten und
wirkten, sind längst dahin; dem raschen Emporblühen der Stadt
folgte mancher Meuchelmord und blutige Kampf um ihren Besitz,
der schliesslich den Flammen zufiel. Mächtige alte Tempel in kleinen
Hainen und Salisburien hier und dort, sowie vor allem der berühmte
Kamakura-no-Daibutsu (grosse Buddha von Kamakura) erinnern den
Besucher an die ehemalige Bedeutung und Grösse von Kamakura.
Das heutige ist ein kleines Städtchen mit 6400 Einwohnern. Seine
zwei grössten Sehenswürdigkeiten sind der Daibutsu und der Tempel
Tsurugaoka, auf dessen Stufen einst Sanetomo’s Blut floss (pag. 281)
und dessen Priester eine ganze Sammlung berühmter Waffen, Rüstungen
und anderer Andenken aufweisen an die Zeit, wo die grossen Macht-
haber hier Hachiman’s Gunst erflehten. Der Daibutsu (siehe Holz-
schnitt pag. 534) besteht, wie der von Nara, aus kupferreicher
Bronze, hat jedoch keinen Heiligenschein. Auf einem mit Steinplatten
bedeckten Platze erhebt sich derselbe etwa 12 Meter hoch, bei 30 Meter
Umfang an der Basis. In seinem hohlen Innern befindet sich ein
kleiner Tempel mit vielen Idolen aus dem buddhistischen Pantheon.
Die kleinen kugelförmigen Erhabenheiten des Kopfes sollen Schnecken
vorstellen, welche der Sage nach einst an Buddha hinaufkrochen,
um seinen kahlen Scheitel vor der brennenden Sonne zu schützen.
Rein, Japan I. 36
[562]III. Topographie.
Eno-shima, die andere Sehenswürdigkeit dieser Gegend, ist
ein kleines Küsteninselchen südwestlich von Kamakura, zu dem eine
schmale Sanddüne führt, welche nur bei Hochflut mit Wasser bedeckt
ist. Eno-shima besteht aus vulkanischem Tuff, erhebt sich etwa
60 Meter hoch steil aus dem Meere, trägt nahe der Küste zwei kleine
Orte, verschiedene Tempel, vornehmlich den des Gottes Benten, und
ist im Innern mit immergrünem Gehölze bedeckt. Seine Bewohner
ernähren sich von Fischfang und den zahlreichen Pilgern, welche die
Insel besuchen, um neben ihrem religiösen Bedürfniss auch das zu
befriedigen, den schönen Anblick des Meeres und des fernen Fuji
zu geniessen. Der Naturforscher findet auf Eno-shima den bekannten
Glasschwamm (Hyalonema Sieboldi), werthvolle Conchylien, Fische
und andere Meeresproducte zum Kauf angeboten.
b. Die Gruppe der Tôtômi-nada.
7. Die Provinz Idzu, die Halbinsel gleiches Namens zwischen
Sagami-ura und Suruga-ura umfassend, ist etwa 8 Meilen lang und
kaum halb so breit. Der nach Norden gerichtete und bei Nimadzu mün-
dende Kane-gawa ist der bedeutendste Fluss und der Amagi-san die
höchste Erbebung mit 1425 Meter. Nirayama, die alte berühmte
Hauptstadt, wird in unserer japanischen Quelle zu nur 500 Einwohnern
angegeben. Grösser sind Mishima am Tôkaidô mit 3800 Einwohnern
und der durch die Perry-Expedition bekannte Hafen Shimoda mit
3900 Einwohnern. Die vulkanische Halbinsel ist reich an warmen
Quellen und Bädern, worunter Atami an der Nordostküste das be-
kannteste und besuchteste ist. Es hat ein sehr mildes Klima und
verfertigt schöne Holzwaaren, wie Hata und andere Orte im Hakone-
gebirge.
Zu Idzu gehören die vulkanischen Shichitô (Sieben-Inseln) und
die Hachijô-shima-Gruppe. Jene bestehen aus Ô-shima (Vries-
Insel), Tô-shima, Nii-jima, Shikine-shima, Kandzu-shima, Miyake-
shima und Mikura-jima, diese aus Hachijo-shima, Ko-shima und
Awoga-shima. Ô-shima (Vries-Insel), die grösste und nördlichste
von allen, ist 18 ri (9½ Meile) von Mi-saki auf der Sagami-Halb-
insel entfernt und hat 4000 Bewohner in 6 Dörfern. Hierher ver-
bannte einst Taira Kiyomori den berühmten japanischen Bogenschützen
Minamoto Tametomo (pag. 267). Auch das viel südlicher gelegene
Hachijô-shima diente oft als Verbannungsort. 30 Seemeilen südlicher
und näher noch den Munin-tô liegt Awoga-shima unter 32° 28' 8″ N.
und 139° 48' 7″ O. Gr., also etwa in der Breite von Madeira. Die
[563]II. Tôkaidô. b. Tôtômi-nada.
einsame, 300 Meter hohe Insel wird von etwa 200 Menschen bewohnt,
die neben Landwirthschaft etwas Viehzucht treiben.
8. Die Provinz Suruga oder Sunshiu. Sie zieht sich am
gleichnamigen fischreichen Meerbusen hin und ist ausserdem von Idzu,
Sagami, Kai und Tôtômi begrenzt, von dem sie der Oigawa scheidet.
In ihrer Nordgrenze gegen Kai erhebt sich der Fuji-no-yama und
überschaut majestätisch die ganze Provinz. An den Südabhängen
wird viel Theebau getrieben. Die Hauptstadt heisst Shidzuôka
und liegt am Tôkaidô. Hier residierte Iyeyasu, bevor er Yedo
gründete, hierher zog er sich auch zurück. Damals hiess die Stadt
Sumpu, auch wird der Name Fuchiu zuweilen noch für dieselbe
gefunden *). Shidzuôka bedeutet Friedenshügel. Wie der Begründer
der Tokugawa-Herrschaft hier Ruhe suchte und fand, so auch der
letzte Shôgun und Nachkomme von ihm, Keiki oder Histotsubashi
Yoshihisa (pag. 416), der seit 1870 in Zurückgezogenheit hier lebt.
In früherer Zeit war Shidzuôka eine blühende Stadt, in welcher viele
Hatamoto wohnten. Jetzt macht sie den Eindruck einer gefallenen
Grösse. Sie hat 32000 Einwohner, welche sich theilweise von der
Anfertigung von Lackwaaren und Rotanggeflecht nähren. Numadzu
(Midzuno, 50000 koku), 16000 Einwohner, am Suruga-wan, und
Shimidzu ostwärts von Shidzuôka, mit 4100 Einwohnern, sind Hafen-
orte, letzterer namentlich für den Verkehr von Kai. Tanaka (Honda,
40000 koku) in der Nähe des Tôkaidô und südwestlich von Shidzuôka,
mit 4050 Einwohnern, und Ojima (Matsudaira, 10000 koku) nord-
östlich und landeinwärts von der Hauptstadt sind als ehemalige Daimio-
sitze erwähnenswerth.
9. Kai oder Kôshiu. Ein von ansehnlichen Gebirgen und den
Provinzen Suruga, Sagami, Musashi und Shinano begrenztes, vom
Fuji-kawa und seinen Nebenflüssen bewässertes Ländchen mit Acker-
bau und ansehnlicher Seidenzucht. Es liefert die schönen Berg-
krystalle, die besten Tuschschalen und Trauben (Kôshiu-no-budo) auf
den Markt von Tôkio. Seine Hauptstadt Kôfu hat 16000 Einwohner,
eine grosse Filanda nach französischem Styl, ein Lehrerseminar. Das
Städtchen Ichikawa, 4000 Einwohner, 4 ri südwestlich davon,
zeichnet sich durch seine Papierindustrie aus. Weiter abwärts und
gleichfalls am Fuji-kawa liegt Kajikasawa mit 3500 Einwohnern.
36*
[564]III. Topographie.
10. Tôtômi oder Enshiu ist im Osten von Suruga, im Norden
von Shinano, im Westen von Mikawa, im Süden vom Meere begrenzt.
Seine Hauptstadt liegt am Tôkaidô und heisst Hamamatsu (d. h.
Föhrenküste). Sie hat 11000 Einwohner und war früher die Residenz
von Inouye, einem Daimio von 60000 koku. Sonstige Schlossstädte
waren Kakegawa (Ôta, 50000 koku) mit 4000 Einwohnern, am
Tôkaidô, Yokosuka (Nishio, 35000 koku) mit 5500 Einwohnern und
Sagara (Tanuma, 10000 koku) mit 1400 Einwohnern, südlich von
dieser Strasse. Am Tôkaidô liegen ferner noch die Städtchen Arai
mit 6500 Einwohnern, dem Ueberfahrtsort von Mikawa aus über die
seichte Hama-no-minato, und Mitsuke mit 4500 Einwohnern.
11. Sanshiu oder Mikawa, westlich von Tôtômi, südlich von
Shinano und Mino, östlich von Ôwari, nördlich vom Meer. Am Tô-
kaidô liegen die früheren Schlossstädte Okazaki (Honda, 50000 koku)
mit 13000 Einwohnern und Yoshida (Oguchi, 70000 koku) mit
5600 Einwohnern; südlich der Landstrasse: Nishio (Matsudaira,
60000 koku) mit 7100 Einwohnern, Kariya (Doi, 23000 koku) mit
1500 Einwohnern, Tawara (Miyake, 12000 koku) 2600 Einwohner;
nördlich des Tôkaidô: Okudono (Matsudaira, 16000 koku), Ôhira
(Ôka, 10000 koku), Koromo (Naito, 20000 koku) mit 3400 Ein-
wohnern. Grösser sind Nishio, 7100 Einwohner, Toyohashi, 7500
Einwohner.
12. Bishiu oder Owari folgt westlich auf Mikawa, grenzt im
Norden an Mino, gen Westen an Ise, gen Süden ans Meer, besteht
theils aus fruchtbarem Alluvialboden, theils aus sehr unfruchtbaren
kiesigen Hügelrücken und ist dicht bevölkert. Ihre Hauptstadt Na-
goya rangiert mit 130000 Bewohnern als viertgrösste Stadt des Lan-
des und als Sitz mehrerer bemerkenswerther Industriezweige. Hier-
her gehört namentlich die Stickerei auf Woll- und Seidenstoffe, die
Emaillierung von Kupfer und Porzellan und mehrere andere. Die
Stadt, in welcher früher ein Sanke mit 610500 koku residierte, der
auch grosse Wälder in Shinano besass, liegt am rechten Ufer des
Shônai-gawa, eines unbedeutenden Flusses, und ist Hauptstadt von
Aichi-ken. Sie hat keine besonders anziehende Umgebung, aber eine
intelligente, strebsame Bevölkerung; Miya oder Atsuta am Meer-
busen und Tôkaidô, mit 15200 Einwohnern, kann als Vorstadt gelten.
Im Norden liegt Inuyama am Kiso-gawa, wo Naruse, ein bedeu-
tender Baishin, wohnte. Sonstige Orte von Bedeutung sind: Ichino-
miya mit 7400 Einwohnern, nordwestlich von Nagoya, Inagi mit
6200 Einwohnern, Tsushima 7400 Einwohner. Narumi am Tôkaidô.
Seto, nordöstlich von Nagoya, Centrum eines ausgedehnten Töpferei-
[565]II. Tôkaido. III. Tôsandô.
bezirkes, der unter anderm blau verziertes Porzellan (Seto mono) in
Menge in den Handel bringt.
13. Die Provinz Ise oder Seishiu bildet einen langen, von Nord
nach Süd gerichteten Streifen, im Westen des Ise-no-umi und Kiso-
gawa. Ihre Nordgrenze ist Mino, die westliche Omi, Iga und Ya-
mato, die südliche das Meer und ein Theil von Kii. Die fruchtbarsten
ebenen Theile der Provinz befinden sich in der Nähe der Küste, im
Hügellande wird viel Thee gebaut, am Tôkaidô, namentlich zu Yok-
kaichi brennt man Töpferwaaren. Von Städten sind vor allem die
früheren Daimio-Residenzen hervorzuheben, nämlich: Tsu (Tôdô,
323900 koku) mit 23000 Einwohnern, Hisai (Tôdô, 53000 koku) mit
3800 Einwohnern, Kameyama (Ishikawa, 60000 koku), 5300 Ein-
wohner, Kuwana (Matsudaira, 110000 koku) mit 18000 Einwohnern,
Nagashima (Masuyama, 20000 koku), Kambe (Honda, 15000
koku) mit 2700 Einwohnern, und Komono (Hijikata, 11000 koku).
Yokkaichi am Tôkaidô hat 9700 Einwohner, Matsusaka, 8800
Einwohner, und Yamada, 23000 Einwohner. Bei letzterer sind die
berühmten Shintôtempel, der Sonnengöttin geweiht.
14. Shima bildet den östlichsten Vorsprung von Ise, mit felsiger,
zerrissener Küste und tiefen Häfen. Es ist die kleinste aller Pro-
vinzen mit dem guten Hafen Toba (Inagaki, 30000 koku), welcher
4800 Einwohner zählt.
15. Die Provinz Iga, ein kleines Ländchen zwischen Ise, Owari,
Yamashiro und Yamato, das Quellgebiet des Kidzugawa und die Hei-
math des Riesensalamanders. Ihre Hauptstadt Uyeno hat 12500
Einwohner; hier wohnte ehemals die Daimiofamilie Tôdô. Das Städtchen
Nabari hat 3000 Einwohner.
III. Der Tôsandô, die Ostberglandstrasse oder der
östliche Bergweg.
Diese ausgedehnte Gruppe von Provinzen beginnt im Süden an
der Grenze von Yamashiro unter dem 35. Grad und endet im Norden
an der Strasse von Tsugarn. Bis etwa zum 37. Parallel, im Osten
durch die Provinzen des Tôkaidô, im Westen durch diejenigen des
Hokurokudô begrenzt und vom Meer geschieden, dehnt sich dieselbe
weiter nordwärts, erst bis zur Ostküste, dann auch bis zur Westküste
aus und umfasst unter den Namen Ôshiu und Dewa den ganzen Nor-
den von Hondo. Klima und Producte sind bei der grossen Verschie-
denheit der Lage und des Bodenreliefs sehr ungleich, doch ist neben
der gewöhnlichen Landwirthschaft ohne Zweifel die Seidenzucht,
[566]III. Topographie.
namentlich in den mittleren Provinzen, der Haupterwerbsquell. Für
die beiden südlichsten Provinzen, Ômi und Mino, allein kommt auch
die Theecultur in Betracht, für mehrere der nördlichen Lackge-
winnung und Bergbau. Auch der Fischfang längs der Küsten von
Ôshiu und Dewa beschäftigt und ernährt viele Menschen. Mehrere
Industriezweige stehen da und dort in Blüthe und werden an den
geeigneten Stellen näher erwähnt werden. Das ganze Gebiet zerfällt
naturgemäss in drei Gruppen, nämlich 1. in die Provinzen des Naka-
sendô: Ômi, Mino, Shinano und Kôtsuke, denen wir Hida und Shimo-
tsuke anreihen, 2. Ôshiu, 3. Dewa.
a. Die Provinzen des Nakasendô,
mit 3420000 Bewohnern, erstrecken sich vom 35. Parallel im Süden
bis nordwärts zum 37. Breitengrade, sie sind gen Osten von denen
des Tôkaidô, gen Westen von den Provinzen des Hokurokudô be-
grenzt und gehören vornehmlich den Flussgebieten des Yôdô, Kiso,
Shinano und Tone an. Doch ist ihre Hauptverkehrsader immer noch
der Nakasendô, d. h. »die Strasse zwischen den Bergen«, welche
als zweiter wichtiger Verbindungsweg durch das Landesinnere von Kiôto
nach Tôkio führt und eine Gesammtlänge von 138 ri (oder 70 deutschen
Meilen) hat. Wer ihm folgt, kommt hier über ansehnliche Flüsse,
durch fruchtbare Ebenen und blühende Felder, dort an rauschenden
Gebirgsbächen vorbei und durch kühlen Waldesschatten, über hohe
Gebirgsrücken und Sättel hinweg, und kann sich, bald im engbe-
grenzten Rahmen, bald in weiten Fernsichten der schönsten Land-
schaftsbilder erfreuen, welche das Innere Japans zu bieten vermag *).
1. Die Provinz Ômi oder Gôshiu umgibt den Biwasee und
grenzt an Yamashiro, Wakasa, Echiu, Mino, Ise nnd Iga. Ôtsu
oder Shiga, wie sie jetzt nach dem Shiga-gori (Kreis Shiga) ge-
nannt wird, die Hauptstadt des Shiga-ken, nahe dem Ausfluss des
Biwasees schön gelegen, ist nach ihrer Einwohnerzahl zwar nur die
zweite, sonst aber weitaus die bedeutendste Stadt der Provinz. Sie
liegt etwa gleich weit von Ôsaka am Binnenmeer, Tsuruga am Stillen
Ocean und dem Owari-wan (der Stadt Nagoya), mit denen sie in
nicht langer Zeit durch Eisenbahnen, von welchen die eine nach Kiôto
und Ôsaka bald eröffnet wird, verbunden werden soll. Allem An-
schein nach wird ihre Bedeutung dann sich noch steigern. Jetzt
[567]III. Tôsandô. a. Nakasendô.
unterhält sie noch den alten lebhaften Verkehr mit dem 3 ri entfernten
Kiôto durch knarrende Ochsenwagen. Die Umgebung von Ôtsu bietet
ausser dem See noch manche renommierte Sehenswürdigkeiten, so
namentlich die Tempel der Tendaisecte Miidera und Hiye-zan, eine
alte berühmte Kiefer mit horizontalen Aesten, welche unter dem Namen
Kiefer von Karasaki bekannt ist. Gleich nach Ôtsu folgt Zeze
(Honda, 60000 koku) mit 6400 Einwohnern, dann der Uebergang über
den Uji-gawa oder Abfluss des Biwasees auf alter, berühmter Holz-
brücke, der Seta-no-Karahashi, zum Orte Seta und hierauf nach
Kusatsu, wo Tôkaidô und Nakasendô sich trennen, um auf Nihon-
bashi in Tôkiô wieder zusammen zu treffen und zu enden. Um den
Biwasee liegen folgende bemerkenswerthe Orte: Hikone (Ii, 350000
koku), am östlichen Ufer. Die Stadt hiess früher Saöyama und
war die Residenz des Mitsunari (pag. 342); sie hat gegenwärtig
noch 24400 Einwohner. Nordwärts von ihr liegt Nagahama mit
5400 Einwohnern, bemerkenswerth durch seine Seidenindustrie, und
etwas mehr vom See entfernt das Städtchen Miyagawa (Hotta,
13000 koku). Am Nordende des Sees die kleinen Hafenorte Shiotsu,
Ura oder Hanoura und Umitsu. Der Weg von Hanoura bis Tsu-
ruga am Japanischen Meer beträgt nur 6 ri (3 Meilen). Auf der West-
seite des Biwasees liegt Ômizo (Wakebe, 20000 koku) mit 2000
Einwohnern. Folgt man von Kusatsu aus dem Nakasendô, so gelangt
man nach Takamiya, das durch seine Baumwollgewebe bekannt
ist, auf dem Tôkaidô aber trifft man das Städtchen Mina-kuchi
(Katô, 25000 koku), das in einem Theedistrikte liegt und 5000 Ein-
wohner zählt. Nördlich davon liegen Ninnôjin (Ichihashi, 18000
koku) und weiter noch Yamanouchi (Inagaki, 13000 koku), nord-
westlich aber Mikami (Endo 12000 koku).
2. Die Provinz Mino grenzt an Ômi, Ise, Owari, Mikawa, Shi-
nano, Hida und Echizen, ist reich bewässert und in der Ebene des
Kiso-gawa sehr fruchtbar. Die Gebirgsthäler im Norden nähren
sich von der Seidenzucht, einige auch von Papierindustrie, wie das
Maki-dani, wo das berühmte Mino-gama (Minopapier) gemacht wird,
das beliebteste für die Fenster. Im südöstlichen Theile an der Grenze
von Owari und Mikawa betreibt man die Töpferei in verschiedenen
Dörfern. Die Hauptstadt Gifu ist 9 ri von Nagoya, 25 von Kiôto ent-
fernt und hat 11000 Einwohner. Sie heisst auch Imaizumi und liegt
am linken Ufer des Gujo-gawa. Eine Stunde Wegs davon trifft man
südwärts am Nakasendô die durch ihr Kreppgewerbe bemerkens-
werthe Stadt Kano (Nagai, 32000 koku) mit 5100 Einwohnern. Wei-
ter aufwärts im Gebiete des Gujo-gawa liegen Kodzuchi-mura,
[568]III. Topographie.
Ort von 3000 Einwohnern, mit bedeutendem Theebau, und noch weiter
nordwärts Hachiman (Aoyama, 48000 koku) mit 5400 Einwohnern
und umfangreicher Seidenzucht. Der Daimio hauste auf einem be-
waldeten Berge. Die Schlossstadt Ogaki (Toda. 100000 koku)
südlich des Nakasendô und ostwärts von Sekigahara (pag. 344), hat
10200 Einwohner. Andere Daimiositze waren: Takasu (Matsudaira,
30000 koku), 3500 Einwohner, südlich von Ogaki, Iwamura (Ma-
tsudaira, 30000 koku), 2000 Einwohner, Nayeki (Tôyama, 10000
koku) am Kiso-gawa mit 2300 Einwohnern, Takatomi (Honjô,
10000 koku), Imao und Iwate.
3. Hida ist die abgeschiedenste und am wenigsten bekannte
Provinz von ganz Japan, getrennt vom Meer und allen grösseren Ver-
kehrsstrassen, umgeben von hohen Bergen, zumal im Osten, sodass
beim Eintritt, von welcher Seite derselbe auch erfolgen möge, an-
sehnliche Pässe zu überschreiten sind, da die Wege ins Innere nur
theilweise den die Randgebirge in engen Schluchten durchbrechenden
Flüssen zu folgen vermögen. Von diesen führt der Masuda-gawa
(Hida-gawa) zum Kiso in Mino, Miya-gawa und Takara-gawa, zwei
weitere Flüsse des Landes, vereinigen sich nahe der Grenze von
Echiu zum Jintsu-gawa, der ins Japanische Meer fliesst, wohin auch
der vom Hakusan kommende Shira-kawa sein Wasser führt. Mino,
Shinano, Echiu und Kaga umgeben die Provinz, welche sonach ein
in vieler Beziehung abgeschlossenes Gebiet darstellt, mit einer Be-
völkerung von nur etwas über 100000 Seelen auf etwa 70 Quadrat-
meilen. Kaum 3 % des Landes sind unter Cultur. Den Haupter-
werbsquell bildet die Seidenzucht und die Gewinnung von Bauholz.
Die Provinz war vor 1868 eine Domäne des Shôgun und ist die ein-
zige des Landes ohne Samurai. Ihre Hauptstadt Takayama am
Miya-gawa hat 13000 Einwohner, Furukawa weiter abwärts 3000
Einwohner und Funatsu am Takara-gawa 1500 Einwohner, mit einer
Filanda.
4. Shinano oder Sinshiu, eine der grössten Provinzen Japans,
dehnt sich der Länge nach beiderseits des 138. Meridians aus und
grenzt westlich an Echiu, Hida und Mino, östlich an Kôdzuke,
Musashi und Kai, im Norden an Echigo, im Süden an Mikawa und
Tôtômi. Es ist ein Hochland von 600—800 Meter mittlerer Erhebung,
das ringsum hohe Gebirge umgeben und der Nakasendô auf einer
Strecke von 25 Meilen von SW. nach NO. durchschneidet. Vier der
bedeutendsten Flüsse des Landes, der Chikuma-gawa und sein Neben-
fluss Sai-gawa, der Kiso-gawa und der Tenriu-gawa, haben in ihm
seine Quellen und durchschneiden es in schönen Thälern, denen ent-
[569]III. Tôsandô. a. Nakasendô.
lang die bedeutenderen Verkehrswege führen. Prächtige Wälder,
namentlich längs des Kiso und Saiga, sowie die weitverbreitete Sei-
denzucht liefern vorwiegend die -Existenzmittel für die 960000 Be-
wohner. Bemerkenswerthe Orte sind:
a. im Gebiete des Chikuma-gawa und Sai-gawa: Nagano, eine
wohlhabende, schön und hoch gelegene Stadt unter 36° 40' N. und
1° 36' W. (Tôkiô), mit weiter Aussicht gen Osten. Der Hokkoku-
kaidô (Nordlandstrasse), welcher sich in Oiwake vom Nakasendô ab-
zweigt und dem Chikuma-gawa folgt, überschreitet den Sai-gawa
vor dessen Mündung und steigt dann über Nagano nach dem See
Nojiri empor, um sich bald darauf nach Takata in Echigo zu senken.
Nagano hat 7000 Einwohner, ist Sitz des gleichnamigen Ken und
heisst wohl auch Zenkôji, nach einem berühmten und viel besuchten
Tempel und Kloster am Nordende der Stadt. Iiyama (Honda,
20000 koku) mit 5700 Einwohnern, ist die nördlichste Stadt von Be-
deutung in der Provinz, dann folgt Susaka (Hori, 10050 koku)
mit 2500 Einwohnern, nahe der Grenze von Kôtsuke und weiter auf-
wärts am Tenriu: Matsushiro (Sanada, 100000 koku) mit 8000
Einwohnern, Uyeda (Matsudaira, 53000 koku) mit 6300 Einwohnern.
Es ist ein freundliches und durch den Seidenhandel wohlhabendes
Städtchen, das gleich den drei vorigen und dem nächsten zur Rechten
und in einiger Entfernung des Flusses liegt. Komoro (Makino,
15000 koku) mit 6200 Einwohnern und Oiwake (d. h. Gabel, weil
hier der Hokkurokudô sich vom Nakasendô abzweigt) mit 2000 Ein-
wohnern, liegen am Südabhang des Asama-yama. Iwamurata
(Naitô, 15000 koku) mit 2700 Einwohnern am Nakasendô. Matsu-
moto (Matsudaira, 60000 koku), rechts vom Sai-gawa mit 14300
Einwohnern, und Ikeda, in den Vorbergen des Hida-Shinano-Schnee-
gebirges am Takaze-gawa, einem linken Nebenfluss des Sai-gawa,
mit 3000 Einwohnern, ist Hauptort für Yamamaiseide. — b. im Ge-
biete des Kiso-gawa: Fukushima am Nakasendô und Kiso, mittewegs
zwischen Tôkio und Kiôto, mit 2800 Einwohnern. c. im Gebiete des
Tenriu-gama: Iida (Hori, 17000 koku) mit 9000 Einwohnern,
Takato (Naito, 33000 koku) mit 2400 Einwohnern, Takashima
(Suwa, 30000 koku) am Suwako und der Strasse nach Kôfu, mit
5200 Einwohnern und Shimo-no-suwa am Suwako und Nakasendô
mit berühmtem Shintôheiligthum und warmen Quellen, 3500 Einwohner.
5. Kôdzuke*)oder Jôshiu. Nordwestlich von Musashi und
[570]III. Topographie.
etwa von gleicher Grösse wie dieses, liegt Jôshiu ungefähr zwischen
dem 36. und 37. Parallel, begrenzt von Musashi im Süden, Shinano
im Westen, Echigo im Norden und Shimotsuke im Osten. Zwischen
letzterem und Mushasi schiebt sich Oura-gori als schmaler Streifen
ostwärts bis zur Provinz Shimosa vor. Gegen Mushasi bildet erst der
Kana-gawa und nach dessen Mündung der Tone-gawa die Grenze,
gegen Shimosa und das südliche Shimotsuke der Watarase, während
hohe Gebirge es von den übrigen Nachbarprovinzen scheiden.
Kôdzuke gehört gleich Shimotsuke zum Kuwantô, ist eben und
sehr fruchtbar im östlichen Theile und steigt gen Westen und Norden
durch Hügelland zu den Grenzgebirgen empor. Seine Haupterwerbs-
quelle ist die Seidenzucht, welche verhältnissmässig grossen Wohl-
stand verbreitet hat, insbesondere in dem niedrigen Hügellande und
seinen Städten. Takasaki (Matsudaira, 82000 koku), die Haupt-
stadt der Provinz liegt noch vollkommen in der Ebene, in der Gabel
zwischen Karasu und Usui am Nakasendô. Hier zweigt sich der
Niigata-kaidô (Weg nach Niigata), welcher über Mikuni-tôge führt,
ab. Die Einwohnerzahl wurde mir wiederholt zu 20—25000 ange-
geben, während sie in Nippon Chi-shi Tei-yô blos mit 11285 verzeichnet
ist. Nördlich von Takasaki liegt auf einer Insel des Tone die Stadt
Mayebashi mit 15000 Einwohnern, deren Seide den höchsten Ruf
hat. Noch höher hinauf am Tone finden wir Numata (Toki, 35000 Koku)
mit 4000 Einwohnern. Im Flachlande von O-ura-gori liegt Tate-
bayashi (Akimoto, 60000 koku) mit 9000 Einwohnern. Im Gebiet
des Usuigawa sind bemerkenswerth: Annaka am Nakasendô (Ita-
kura, 30000 koku) mit 3200 Einwohnern und Sakamoto am Fusse
von Usui-tôge und am Nakasendô. Südwärts von dieser Strasse liegen:
Obata (Matsudaira, 20000 koku) mit 3000 Einwohnern, Nano-
kaichi (Mayeda, 10000 koku), 2000 Einwohnern, Yada (Matsudaira,
10000 koku) und das durch seine grosse, in französischem Style an-
gelegte Filanda bekannte Tomiôka mit 1500 Einwohnern. Das
Schlossstädtchen Isezaki (Sakai, 20000 Koku) im Osten von Ta-
kasaki hat 3400 Einwohner und Nitta südöstlich von Takasaki 1800
Einwohner (siehe Nitta Yoshisada pag. 290). Der berühmte Badeort
Kusatsu liegt im Gebiete vom Wagatsugawa und Adzuma-gôri,
welchen der nordwestliche Theil der Provinz angehört.
Shimotsuke oder Jashiu. Diese Provinz liegt ostwärts von
*)
[][]
[571]III. Tôsandô. a. Nakasendô.
voriger, westlich von Hitachi, südlich von Ôshiu, und wird im Süden
durch ein schmales Gebiet von Kôtsuke und Shimôsa von Musashi
geschieden. Nebenflüsse des Tone, insbesondere der Kinu-gawa, sowie
der in Hitachi mündende Naka-gawa, bewässern sie. Mit ihnen fällt
das Land südöstlich zur Ebene des Kuwantô. Der Nakasendô bleibt
in einiger Entfernung im Süden, der Ôshiu-kaidô führt hindurch. An
dieser Landstrasse finden wir die Städte: Utsunomiya (Toda, 77000
koku) mit 1500 Einwohnern 13 Meilen nördlich von Tôkio, Kitsure-
gawa und Ôtawara, (Ôtawara 11400 koku) 2300 Einwohner. Ost-
wärts vom Ôshiu-kaidô liegen: Karasuyama am Naka (Ôkubo,
30000 koku) mit 2500 Einwohnern, Kurohane (Ôzeki, 18000 koku)
2300 Einwohner, westlich davon: Mibu (Torii, 30000 koku) 4000 Ein-
wohner, Ashikaga (Toda, 11000 Koku) 2100 Einwohner, Stamm-
sitz der gleichnamigen Shôgun-Dynastie. Tochigi, die Hauptstadt
des Ken westlich von Mibu, 4000 Einwohner. Diese Stadt liegt am
Reiheishi-kaidô d. h. dem Weg, welchen unter den Tokugawa der
Reiheishi (oder Abgesandte des Mikado nach Nikkô) von Hônjô, wo
er den Nakasendô verliess, nach Nikko einschlug. Sano oder Tem-
mei (Hotta, 16000 koku), 5000 Einwohner, ebenfalls am Reiheishi-
kaidô nach Ueberschreitung des Watarashi-gawa und mehr gegen
Nikkô, Kanuma 15061 Einwohner(! ?). Nikko oder Hachiishi,
3100 Einwohner.
Nikkô, d. h. der Sonne Glanz (siehe auch pag. 76 und 77, so-
wie pag. 532), liegt 36 ri oder 19 geogr. Meilen NNW. von Tôkio.
Der gewöhnliche Weg dorthin folgt dem Ôshiukaidô bis Utsunomiya
und zweigt dann links gen NW. ab. Die prächtigen Nadelhölzer,
insbesondere Cryptomerien, welche ihn vom Tone-gawa an, namentlich
aber auf der letzten Strecke begleiten, bilden eine unvergleichlich
grossartige Allee, von welcher der Lichtdruck pag. 172, die letzte
Strecke vor Imaichi vorstellend, ein getreues Bild giebt. Imaichi
ist ein kleines freundliches Städtchen 2 ri von Hachiishi, von dem
rechts ein Weg abzweigt, über den Daiya-gawa zum Kinu-gawa, der
dann zur Linken desselben aufwärts gen Norden nach Sano-tôge und
weiter in die Aidzu-taira führt. Hachiishi oder Nikkô (obwohl der
letzte Name mehr dem benachbarten Hain und seinen Sehenswürdig-
keiten gilt) bildet eine einzige weite Strasse, welche gerade ansteigt
bis zu den Ufern des Daiya-gawa. Der Holzschnitt zur Seite zeigt
uns den Uebergang über das hier eingeengte Bett des Gebirgsbaches
und den Eintritt in den berühmten Hain am Fusse des Nikkô-san.
Cryptomerien, von denen uns die Illustrationen pag. 172 und pag. 350
Exemplare von 5—6 Meter Umfang zeigen, und Retinisporen bilden
[572]III. Topographie.
hier den Schatten, in welchem Iyeyasu und Iyemitsu ruhen und kost-
bare Tempel, Pagoden, Bronze- und Steinlaternen zu ihrer Ehre auf-
gerichtet sind *).
b. Mutsu oder Ôshiu.
Wo von den Höhen an der Nordgrenze von Hitachi und Shimo-
tsuke der das Kuwantô verlassende Reisende bei klarem Wetter den
Fuji-san zum letzten Mal begrüssen kann, beginnt Ôshiu oder Mutsu,
das Nordostland von Hondo, und erstreckt sich der Küste des Stillen
Oceans entlang bis zur Tsugaru-Strasse. Nach Westen bildet das
Rückgratgebirge die Grenze gegen Dewa und weiter südlich ein eben-
falls hoher Gebirgszug die hier westlich vorgeschobene gegen Echigo.
Der Hauptverkehrsweg ist der schon genannte Ôshiu-kaidô, welcher
auf Nihon-bashi in Tôkio beginnt und nordwärts durch die Vorstadt
Seki und die Städte des Kuwantô Koga, Utsunomiya und Ôtawara
nach Shirakawa am Abukuma und weiter diesem entlang über Fu-
kushina nach Sendai führt. Später folgt er dem Thal des Kitakami
und endet schliesslich zu Awomori an der Tsugaru-no-Seto. Der
ganze Norden von Honshiu hiess ehemals Michi-no-ku, wenigstens
bis zum 38. Parallel. In der Periode Wado (708—715) wurde er
in Mutsu und Dewa getheilt. Die einzelnen Landschaften von Mutsu
pflegte man nach ihren hervorragenden Städten oder Besitzern zu
bezeichnen, wie Aidzu, Sendai, Nambu, Tsugaru.
Im ersten Jahre Meiji fand eine Theilung der Landschaft Ôshiu
in die fünf Provinzen Iwashiro, Iwaki, Rikuzen, Rikuchi und Mutsu
statt, von denen nur die erstgenannte ein Binnenland ist. Diese fünf
Provinzen bilden jetzt die Ken: Fukushima (Iwashiro und Iwaki),
Miyagi (Sendai), Iwade (Nambu) und Awomori (Mutsu). Ihre Pro-
ducte sollen bei den einzelnen Provinzen erwähnt werden. Die Ein-
wohnerzahl von Ôshiu beträgt 2311000. Sendai, die grösste Stadt,
hat über 50000 Einwohner, dann folgen Hirosaki und Morioka, jede
mit über 30000 Einwohnern, und Wakamatsu mit mehr als 20000 Ein-
wohnern.
1. Iwashiro. Diese Provinz wird begrenzt durch Iwaki, Uzen,
Echigo, Kôdzuke (auf kurzer Strecke) und Shimotsuke, der centrale
Gebirgszug theilt sie zwischen Adzuma-yama und Yamizo-yama in
die Flussgebiete des Aga-gawa und Abukuma-gawa, deren Producte
[573]III. Tôsandô. b. Mutsu.
wesentlich von einander abweichen. Jenes umfasst die ehemalige
Herrschaft Aidzu, bestehend aus der schönen fruchtbaren Kesselebene
von etwa 12 ri im Quadrat, der Aidzu-taira, und einem Kranz hoher
Gebirge und schöner Thäler ringsum. Die Hauptstadt Wakamatsu,
nahe dem Ostrande der Aidzu-taira gelegen, 2½ ri westlich des Ina-
washiro-Sees, hat 21500 Einwohner. Der Fürst Matsudaira oder
Hoshina residierte auf einem Hügel nahe der Stadt. Das Schloss
wurde im Herbst 1868 geschleift, die Stadt selbst litt in hohem Grade
während der Belagerung und brannte grösstentheils ab. Ihre be-
merkenswertheste Erwerbsquelle ist die Lackindustrie, welche nicht
blos dem einheimischen Bedürfniss dient, sondern auch dem Export
von Yokohama. Die Producte des Lackbaumes in verschiedenen Ge-
birgsthälern, der Talg und Lack sind als Aidzu-rô und Aidzu-urushi im
Lande berühmt. Im Osten von Wakamatsu ist das Bad Higashiyama,
wo aus vulcanischer Felsspalte indifferente Quellen von 50—55°C.
hervorbrechen. Die Kühle des nur eine Stunde Wegs von der Haupt-
stadt entfernten reizenden Thälchens und seine Thermen ziehen im
Sommer viele Personen hierher. Anderthalb ri gen Südwesten von
Wakamatsu liegt der Ort Hongo mit grosser Porzellan-Industrie. Von
sonstigen Orten sind noch anzuführen: Naganuma mit 2000 Ein-
wohnern am Wege von Wakamatsu nach Shirakawa am Ôshiu-kaidô,
ferner Koarai 2000 Einwohner, Hage 3000 Einwohner und Ta-
shima 1200 Einwohner und Nozawa 4000 Einwohner in der Taira.
Der östliche Theil von Iwashiro oder das Gebiet des Abukuma
ist seiner ausgedehnten Seidenzucht wegen besonders bemerkenswerth.
Die Ôshiu-Seide aus der Gegend von Sukagawa, Koriyama, Nihon-
matsu und Fukushima ist berühmt und hat diesen und andern Orten
grossen Wohlstand gebracht. Am Ôshiu-kaidô selbst liegen der Reihe
nach Yabuki, welches während des Bürgerkrieges fast ganz nieder-
brannte, 3000 Einwohner; Sukagawa, 5000 Einwohner, eine reiche,
wohl aussehende Stadt in schöner Hügellandschaft; Koriyama
5000 Einwohner, Motomiya 3500 Einwohner, Nihonmatsu (Niwa,
100700 koku) 11000 Einwohner, Fukushima (Itakura, 30000 koku)
71 ri von Tôkio entfernt, 6000 Einwohner. Ostwärts vom Abukuma
liegen: Yanagawa, 3100 Einwohner mit bedeutendem Seiden-
handel, Kawamata 3200 Einwohner und Shimotedo (Tachibana,
10000 koku).
2. Iwaki. Diese Provinz erstreckt sich zwischen Hitachi, Ri-
kuzen und Iwashiro am Meere hin und reicht nur im Süden und Norden
westwärts bis zum Ôshiu-kaidô und darüber hinweg. Seidenzucht und
Feldbau im Innern, Fischfang längs der Küsten, sind ihre Haupt-
[574]III. Topographie.
erwerbsquellen. Im südlichen Theile liegt an der grossen Landstrasse
und dem Abukuma die Schlossstadt Shirakawa (Abe, 100000 koku)
mit 7400 Einwohnern. Im Bürgerkriege spielte sie eine hervorragende
Rolle. Von hier führt die Hauptstrasse nach Aidzu. Im nördlichen
Theil der Provinz liegt am Ôshiu-kaidô die Jôka Shiroishi (zu
deutsch Weissenstein) mit 3000 Einwohnern und Seidenindustrie. Die
Hauptverkehrsader der Provinz, welche zugleich ihrem fruchtbarsten
Theile folgt, ist indess der Küstenweg (Hama-kaidô). An ihm liegen
die Hauptstadt Taira oder Iwaki-taira (Andô, 50000 koku) mit
4300 Einwohnern in schöner, fruchtbarer Ebene; Nakamura (Sôma,
60000 koku) mit 2000 Einwohnern, und Watari. Im Innern finden
wir: Tanagura (Matsudaira, 60000 koku) 2300 Einwohner, Mihasu
(Akita, 50000 koku) 5100 Einwohner, Kakuda 1600 Einwohner.
3. Rikuzen (oder Sendai) folgt nordwärts auf Iwaki, grenzt
im Osten ans Meer, im Westen an Uzen, gen Norden an Rikuchiu
(Nambu). Die Provinz bildet in ihren ebenen mittleren und östlichen
Theilen eins der hervorragendsten Reisländer und stand unter Date,
einem Daimio von 325600 koku. Die Residenz desselben lag im
westlichen Theile der Hauptstadt Sendai zur Rechten des Shoshigawa,
eines ansehnlichen Baches. Sendai ist die bedeutendste Stadt von
ganz Ôshiu, hat 52000 Einwohner und ein wohlhabendes, reinliches
Aussehen. Die beiden Hauptstrassen kreuzen sich rechtwinklig in
der Richtung der Windrose und tragen hier vier gleichgebaute Eck-
häuser, deren Giebel mit Drachen geziert sind. Vier ri ostwärts, an
der Sendaibucht, liegt Shiogama mit 3200 Einwohnern. Es ist ein
langer Ort mit vielen grossen Wirthschaften, welcher früher sehr wohl-
habend war, als die Samurai von Sendai sich hier vergnügten. Das
Städtchen liegt an der Bucht, in welcher Matsushima, die ihrer Schön-
heit wegen berühmten Föhreninseln, sieh befinden. Zu den Sehens-
würdigkeiten gehört ferner ein berühmter Tempel im oberen Theile
des Ortes, sowie die vier uralten eisernen Salzpfannen, von denen
der Ort seinen Namen ableitet (Shio, Salz, und kama, eine eiserne
Pfanne). Ein berühmter Götze machte einst hier in sieben solcher
Pfannen Salz, die er vom Schlosse Riugu (pag. 472) bezogen hatte.
Da kamen Nachts Diebe, stahlen drei derselben und suchten sie im
Boote davon zu führen. Hundegebell zeigte dem Gotte die That an.
Er sagte, da die Pfannen aus Riugu stammen, sollen sie wieder
dorthin gelangen, erhob einen Sturm und liess Räuber und Boot mit
den drei Pfannen in der See versinken. Die noch existierenden sind
auf alle Fälle sehr alt. Sie haben ungefähr einen Meter Durchmesser,
geringe Tiefe und zolldicke, stark verrostete Wände. Dieselben ruhen
[575]III. Tôsandô. b. Mutsu.
auf Steinpostamenten und werden nicht mehr gebraucht. Zwischen
Sendai und Shiogama bei Ichikawa-mura ist das Denkmal Tan-
gajônohi (pag. 254). Etwa 1 ri von Shiogama liegt auf einer Insel
der Hafenort Sabusawa. Iwanoma, 2400 Einwohner, am Abu-
kuma und der Vereinigung des Hama-kaidô (Küstenwegs) von Iwaki
mit dem Naka-kaidô (Binnenweg) oder Ôshiu-kaidô. Ishinomaki,
10400 Einwohner, Hafen an der Mündung des Kitakami, Furu-
kawamachi, 3400 Einwohner, Sennuma, 4400 Einwohner, und
Wakuya, 2100 Einwohner, im Innern.
4. Rikuchiu (Nambu). Diese Provinz grenzt im Süden an
Rikuzen, im Norden an Mutsu, im Westen an Ugo, im Osten an den
Stillen Ocean, der viele kleine Buchten und zum Theil gute Häfen
bildet. Der Kitakami schneidet das Ländchen der Länge nach; der
Ôshiu-kaidô führt ihm entlang. Pferde, Eisen und Kupfer sind die
bemerkenswerthesten Producte desselben, das den Namen Nambu trägt
nach seinem ehemaligen Fürsten, welcher in Morioka über ein Ge-
biet von 220000 koku herrschte. Morioka, die Hauptstadt, liegt
grösstentheils am linken Ufer des Kitakami unter 39° 44' N. und
1° 23' O. Tôkio. Sie hat 22000 Einwohner und macht nicht den
Eindruck der Wohlhabenheit. Die Verfertigung baumwollener Ge-
webe, wozu man das Rohmaterial aus dem Süden bezieht, ist ihr
Hauptindustriezweig. Im Schlosshof fällt eine alte Pflanzung einer
seltenen Kiefer (Pinus koraiensis) auf, welche an Pinus Strobus er-
innert, aber in ihren Zapfen grosse essbare Nüsse liefert. Das Kupfer
von Osarisawa, einer der bedeutendsten Minen Japans, 24 ri NW.
Morioka, wird auf Lastthieren nach dieser Stadt gebracht und dann
auf flachen Booten den Kitakami hinunter nach Ishinomaki geführt,
von wo man es nach Tôkio verschifft. 4 ri nördlich von Morioka
erhebt sich der gewaltige Ganju-san. Ichinoseki (Tamura, 30000
koku), an der Grenze von Sendai und Nambu im schönen Thale des
Kitakami gelegen, hat etwa 3000 Einwohner. Weiter nordwärts folgen
am Ôshiu-kaidô Midzusawa, eine Zeit lang Sitz eines Gouverne-
ments, mit 5200 Einwohnern, Hanamaki, 4500 Einwohner. Oest-
lich von Midzusawa liegt Iwagadô, 4400 Einwohner, und NW. von
Morioka Hanawa, 4100 Einwohner. Am Stillen Ocean liegen: Ki-
senuma, 2500 Einwohner, Kamaishi, 3500 Einwohner, ein guter
Hafen. Zwei Meilen östlich die grössten Magneteisensteinlager und
Eisenwerke des Landes. Yamada und Hafen von Nambu, 3100 Ein-
wohner, Miyako, 3400 Einwohner. Tôno im Innern am Wege von
Kamaishi nach Morioka.
5. Mutsu, die nördlichste Provinz von Hondo, nordwärts von
[576]III. Topographie.
Ugo und Rikuchiu, erstreckt sich längs der Tsugarustrasse vom
Japanischen Meer zum Stillen Ocean. Mit ihr endet die Reiscultur,
das Vorkommen des Affen, schwarzen Bären, der Fasanen und an-
deres mehr. Der grösste Theil bildete früher die Herrschaft Tsu-
garu. Ihr Fürst herrschte in Hirosaki, der zweitgrössten Stadt
von Ôshiu, über ein Gebiet von 100000 koku. Marmorierte Lack-
waaren mit grünem Grundton, Tsugaru-nuri genannt, werden hier
verfertigt. Im Westen erhebt sich der Tsugaru-fuji (Iwaki-san).
Aomori (Awomori), unter 40° 54' N. an tiefer, geschützter Bucht
gelegen, hat 11000 Einwohner und ist der gewöhnliche Ueberfahrtsort
nach Hokodate, das 60 Seemeilen entfernt ist, während der Landweg
nach Tôkio 200 ri (105 g. Meilen) gerechnet wird. Kuroishi (Tsugaru,
10000 koku), südöstlich von Hirosaki, wo ein Zweig des Hauses
Tsugaru residierte, hat 6500 Einwohner. Shichinohe, an der
grossen Landstrasse von Morioka nach Aomori, hat 4000 Einwohner,
und Hachinohe (Nambu, 20000 koku), östlich und unweit des
Stillen Oceans, 3000 Einwohner. Tananbu, Hafen an der Bucht
von Awomori, mit 3300 Einwohnern.
c. Dewa,
seit 1868 in die Provinzen Uzen und Ugo getheilt, erstreckt sich am
Japanischen Meere hin von Echigo bis Mutsu, grenzt im Norden an
dieses, im Süden an Echigo [und] Iwashiro, im Osten an Ôshiu (Iwaki,
Sendai und Nambu). Die Einwohnerzahl beträgt 1200000. Das Land
hat mehrere fruchtbare Ebenen, gewinnt neben Reis und anderen
Feldfrüchten Seide und Lack, betreibt im Nordosten Bergbau auf
Kohlen, Kupfer und Silber und an den Küsten einen ansehnlichen
Fischfang, besitzt jedoch keine Häfen noch sonstige gute Verkehrs-
strassen. Es zerfällt gegenwärtig in zwei Regierungsbezirke, Akita-
ken und Yamagata-ken.
1. Die nördlichere Provinz Ugo ist fast doppelt so gross als
Uzen, hat am Omo-gawa und Yoshino-gawa fruchtbare Gebiete —
billigen Reis und stolze Samurai — und erfreut sich im ganzen eines
viel grösseren Wohlstandes, als das benachbarte Ôshiu. Die Haupt-
stadt Akita (sie hiess früher Kubota) liegt zur Rechten des Toshima-
gawa (Omo-gawa), unweit der Mündung und hat 38000 Bewohner.
Hier herrschte früher Satake, ein Kokushin aus sehr altem Geschlecht,
das sich von Hachiman-Taro ableitet, über 205000 koku, und eine
Seitenlinie über 20000 koku. Die Stadt liegt 39° 42' N., 60 ri von
Aomori, 78 von Niigata, 155 von Tôkio. Sie betreibt etwas Seiden-
industrie und macht den Eindruck grösseren Wohlstandes als Morioka.
[577]III. Tôsandô. c. Dewa.
Kakunotate, ein wohlhabendes, freundliches und schöngelegenes
Städtchen mit 4000 Einwohnern, findet man am Wege von Akita nach
Morioka. Südlich von Akita liegen im Gebiet des Ômo-gawa: Ôma-
gari mit 2700 Einwohnern, Yokote mit 8200 Einwohnern und Yu-
zawa mit 5800 Einwohnern. Der südlichen Küste entlang finden
wir: Honjô (Rokugô, 20000 koku), mit 6400 Einwohnern beider-
seits eines starken Baches — gen Süden erblickt man den mächtigen
Chôkai-san —, Shiokoshi, 2300 Einwohner, und Sakata, 18600
Einwohner. Diese Stadt liegt am rechten Ufer des breiten, aber
seichten Mogami und war bis 1876 der Hauptort eines gleichnamigen
Ken. Von ihr aus führt ein Weg nordöstlich über Matsumine,
3000 Einwohner, und Yajima, 2300 Einwohner, zum Oberlauf des
Ômo-gawa. Nordöstlich von Honjô liegt Kameda mit 4100 Ein-
wohnern, früher Residenz des kleinen Daimio Iwaki (20000 koku).
Nordwärts von Akita trifft man längs der Küste folgende bemer-
kenswerthe Orte: Tsuchisaki, 8600 Einwohner, Funagawa,
Hafenort am Eingang in die Hachiro-gata, Noshiro, 9200 Ein-
wohner, am flachen Gestade zur Linken des Noshiro-gawa. Die Stadt
treibt Fischfang, Handel, Holz- und Lackindustrie. Flussaufwärts
liegt Tsurugata und 15 ri von Noshiro Ôdate, 7700 Einwohner,
dann Matsuyama (Sakai, 25000 koku) mit 3000 Einwohnern. Im
oberen Gebiete des Noshiro-gawa (hier Yonetsuru-gawa genannt)
liegen in nordöstlicher Richtung die ihres Bergbaues wegen bekannten
Orte Ani, Osarisawa und Kosaka.
2. Uzen. Das südliche Dewa berührt die Küste nur 17 ri weit
von der Mündung des Monami bis nach Nedzumigaseki, indem hier
der westlichste Theil der Provinz sich halbinselartig zwischen Ugo
und Echigo vorschiebt. Die Ostgrenze verläuft fast viermal so lang
über den Kamm des Rückgratgebirges vom Adzuma-yama bis zum
Komagatake, wo vier Provinzen (Uzen, Ugo, Rikuzen und Rikuchin)
sich berühren. Der Mogami bewässert die Provinz und bildet vier
fruchtbare Ebenen, benannt nach den Hauptstädten und Herrschaften,
denen sie angehörten, nämlich Yonezawa, Yamagata, Mogami und
Shônai. Reisbau, Seidenzucht, Lackgewinnung, sowie Seiden- und
Lackindustrie sind die bevorzugten Erwerbsquellen.
Yonézawa (Uyesugi, 150000 koku), nordwärts vom Inawashiro-
See und fast gleich weit von beiden Meeren entfernt, zur Linken des
Matsu-kawa (Monami) gelegen, ist eine Stadt von 25000 Einwohnern.
Die Häuser sind fast alle mit Stroh bedeckt und machen nicht den
Eindruck grosser Wohlhabenheit ihrer Besitzer. Yonezawa ist 36 ri
von Niigata entfernt, 32 von Sendai, 16 von Wakamatsu, je 12—15
Rein, Japan I. 37
[578]III. Topographie.
von Yamagata und Fukushima und 84 von Tôkio. Die fruchtbare
Ebene, in der es sich ausbreitet, umfasst 10—12 ri im Quadrat und
erzeugt neben Reis und sonstigen Feldfrüchten viel Tabak. Beträcht-
lich ist die Seidenzucht. Von den Bewohnern der ehemaligen Herr-
schaft des Daimio Uyesugi ist jeder fünfte Mann ein Samurai. Das
alte Schloss und die Wohnungen der Samurai ringsum umfassen ein
ansehnliches Areal.
Yamagata, nordnordöstlich von Yonezawa im Osten des Mogami,
unter 38° 19' N. und 0° 31' O. Tôkio gelegen, ist Regierungssitz.
Früher residierte hier Midzuno, ein Daimio von 51000 koku. Die
Stadt hat 18000 Einwohner und soll in Blüthe sein.
Shinjô oder Mogami, eine Stadt im nördlichen Uzen mit 8400 Ein-
wohnern, war Residenz des Daimio Tozawa (68000 koku).
Shônai oder Tsurugaoka, wie es jetzt gewöhnlich heisst,
vor 1876 Sitz eines Gouverneurs, früher Residenz des Sakai, eines
Fudai-Daimio von 140000 koku, welcher zur Zeit des Restaurations-
krieges Militärgouverneur von Yedo war. Die Stadt hat 25000 Ein-
wohner, soll aber einen armseligen Eindruck machen. Sie liegt süd-
östlich von Sakata in der Ebene von Shônai. Von sonstigen Städten
der Provinz sind noch zu nennen: Tendô (Ôta, 2000 koku), 5100
Einwohner, nördlich von Yamagata, und Kaminoyama (Madsudaira,
30000 koku) mit 3600 Einwohnern südlich davon; Nagatoro (Yo-
netsu, 11000 koku, am linken Ufer des Magumi), mit 2600 Einwoh-
nern; ebenso Yaji mit 6600 Einwohnern und Sagaye, 5500 Ein-
wohner; Tateoka, nordwärts von Tendô mit 4100 Einwohnern und
Oyama, ein freundliches Städtchen im Süden von Tsurugaoka, mit
3500 Einwohnern.
IV. Hokurokudô oder Nordlandstrasse.
Von den sieben Provinzen dieser Landschaft bilden fünf einen
langen, schmalen Streifen am Japanischen Meer hin, die sechste (Noto)
schiebt sich als Halbinsel gen Norden vor, die siebente (Sado) ist
eine nur 4 Meilen von der Küste entfernte Insel. Das ganze Gebiet,
mit Ausnahme der südlichsten Provinz Wakasa, doch einschliesslich
der Landschaft Dewa, hiess in alter Zeit Koshi (Koshi-no-kuni, das
Land Koshi), oder nach chinesischer Lesart Echi. Später theilte man
es in das vordere, mittlere und hintere Echi (Echizen, Echiu und
Echigo) und trennte von jenem wieder Kaga und Noto, von Echigo
aber Dewa ab. Jetzt bilden die beiden südlichsten Provinzen mit
Ômi den Shiga-ken, Kaga, Noto und Echiu den Kanazawa-ken,
[579]IV. Hokurokudô.
Echigo und Sado den Niigata-ken. Die ganze Landschaft des Ho-
kurokudô umfasst 3410000 Bewohner. Unter den Städten haben
Kanazawa über 100000 Einwohner, Toyama und Fukui jede über
40000, Niigata über 30000, Takata und Nagaoka über 20000 Ein-
wohner.
Die Landschaft hat fruchtbare Ebenen, baut in verschiedenen
Hügelstrichen den Theestrauch, in andern den Lackbaum und in den
Gebirgsthälern die weisse Maulbeere für die Seidenzucht. In einigen
Gegenden ist der Bergbau von Belang und längs der Küste der Fisch-
fang. Verschiedene Orte zeichnen sich durch blühende Industriezweige
aus. Den Winter über ruht der Verkehr zur See fast vollständig. Die
Landstrasse führt meist der Küste entlang und sendet Verbindungswege
ostwärts zum Nakasendô, wie den Kokkoku-kaidô und andere.
1. Wakasa oder Jakushiu, die kleinste der 7 Provinzen
an gleichnamiger, reichgegliederter Bucht sich hinziehend, nordwärts
von Kiôto, treibt neben Landwirthschaft Theebau und Fischfang und
in seinen Städten Seiden- und Lackindustrie. Die bedeutendsten Orte
liegen am Meer, nämlich die Hauptstadt Obama oder Ohama mit
19300 Einwohnern, wo früher Sakai, der Herr der Provinz mit über
112600 koku, residierte, Takahama mit 3300 Einwohnern und
noch weiter westlich Minatsu.
2. Echizen, zwischen dem Meer, Wakasa, Ômi, Mino und
Kaga gelegen, mit Theebau, Seidenzucht, Papierindustrie. Die Haupt-
stadt Fukui (früher Sakata) ist eine Meile vom Meer zu beiden
Seiten des Asuma-gawa prächtig gelegen, reinlich und freundlich.
Ihre Blütezeit war, als Matsudaira hier noch als Kokushiu und Herr
über 320000 koku residierte. Der Hafen Sakai hat 9050 Einwohner.
Im südlichen Theile von Echizen liegt Tsuruga (Sakai, 10000 koku)
mit 15000 Einwohnern. Der nicht sehr geräumige, aber tiefe und
durch Hügel ringsum wohlgeschützte Hafen ist der beste am Japa-
nischen Meer. Dies und die Aussicht, in wenigen Jahren durch eine
Eisenbahn mit Kiôto und Ôsaka in Verbindung zu stehen, sowie ver-
schiedene werthvolle Erzeugnisse der Provinz, namentlich Thee, stellen
Tsuruga eine bedeutende Zukunft in Aussicht, ganz abgesehen von
der günstigen Lage zu Korea und der russischen Küste. Südöstlich
von Fukui liegt Maruoka (Arima, 50000 koku) und Ôno (Doi,
40000 koku), jenes mit 4800 Einwohnern, dieses mit 10000 Einwoh-
nern. Von hier führt der Weg über Aburasaka-tôge nach Hachiman
in Mino und Gifu. Sabaye (Manabe, 50000 koku), südlich von
Fukui, hat 3800 Einwohner, und Takefu, westlich von letzterem
(ehemals eine bedeutende Stadt mit Namen Fuchiu), 9400 Ein-
37*
[580]III. Topographie.
wohner. Katsuyama (Ogasawara, 22270 koku) mit 6400 Einwoh-
nern nördlich von Ôno.
3. Kaga oder Kashiu. Diese Provinz grenzt südlich an Echizen,
nördlich an Noto, östlich an Hida und Echiu, westlich ans Meer und
bildete ehemals mit Noto und einem Theil von Echiu das reiche Be-
sitzthum von Mayeda, dem ersten Daimio Japans mit 1027000 koku.
Derselbe residierte zu Kanazawa, einer Stadt mit 110000 Be-
wohnern und weiten reinlichen Strassen, eine Meile weit von der
See. Mehrere Industriezweige stehen hier in hoher Blüte. Hierher
gehört vor allem die Bronze-Industrie mit prächtiger Ciselier- und
Tauschierarbeit, die Bemalung des Kutani-yaki (Kaga-Porzellans)
mit Gold und Eisenfarben und in der Neuzeit eine mit Dampfkraft
betriebene Seidenhaspelanstalt. Takamatsu am Meer, 3000 Ein-
wohner, kann als Hafen von Kanazawa gelten. Die Landstrasse nach
Fukui führt nahe der Küste hin über Mikawa, 5100 Einwohner,
und Terai, das Porzellanfabriken hat, nach der Schlossstadt Ko-
matsu, welche 10000 Einwohner zählt und eine ansehnliche Matten-
industrie betreibt, dann nach Daishôji, wo ein Zweig des Hauses
Mayeda, Namens Matsudaira, mit 100000 koku wohnte. Die Stadt
liegt im Theedistricte und zählt 9400 Bewohner. Eine halbe Meile
ostwärts befindet sich der Badeort Yamashiro-mura, in dessen
Nähe mehrere Porzellanfabriken liegen.
4. Noto, die Halbinsel. Hauptorte sind Nanao mit 8200 Ein-
wohnern und Wajima an der Nordküste mit 7100 Einwohnern.
5. Echiu. Noto, Kaga, Hida, Shinano, Echigo und das Meer,
das als Toyama-ura tief einschneidet, begrenzen diese Provinz. To-
yama (Matsudaira, 100000 koku) mit 45000 Einwohnern ist die an-
sehnliche, wohlaussehende Hauptstadt an der Landstrasse und dem
Jiuzu-gawa, über den eine sehr lange Schiffbrücke (funa-bashi) führt.
Landeinwärts am Wege von Toyama nach Kanazawa liegt die Stadt
Takaoka mit 24000 Einwohnern und ansehnlicher Bronzeindustrie.
Am Meere liegen: Himi, 8100 Einwohner, Shinminato (Neuhafen)
östlich von Himi und nördlich von Takaoka, hervorgegangen aus
Fuseki und anderen Orten, der bedeutendste Hafen von Echiu, mit
19000 Einwohnern; ferner Midzuhashi, 5500 Einwohner, Name-
rigawa, 5500 Einwohner, und Uwotsu, 10000 Einwohner.
6. Echigo, die nördlichste und grösste der Provinzen des Ho-
kurokudô, zieht sich über 70 ri lang am Meer hin und besteht im
wesentlichen aus zwei Theilen: einer Gebirgslandschaft längs der
Grenze von Uzen im Norden, Iwashiro, Kôdzuke und Shinano im
Osten und Echiu im Süden; und einer mehr oder minder fruchtbaren
[581]IV. Hokurokudô.
Ebene am Shinano-gawa, Aga-gawa und verschiedenen andern Küsten-
flüssen, welche meist durch eine Sanddüne vom Meer geschieden
wird. Der höchste Berg ist der im Nordosten von Niigata sich er-
hebende Iitoyesan.
Die bemerkenswerthesten Producte sind: aus dem Mineralreich
Erdöl, Kohlen und Kupfer, aus dem Pflanzenreich Reis, Thee, Lack
und Pflanzentalg. Niigata (d. h. Neuhafen), die Hauptstadt, liegt
37° 58' N. und 0° 44' W. Tôkio. Es wurde zur Zeit der Toku-
gawa am linken Ufer des breiten, aber seichten Shinanogawa, kurz
vor dessen Mündung angelegt. Sanddünen, die theilweise mit Schwarz-
kiefern bepflanzt sind und sich 18—20 M. hoch erheben, trennen die
Stadt vom Meer und gewähren hübsche Fernsichten auf die Insel
Sado, sowie auf das hohe Grenzgebirge gen Osten und Nordosten.
Niigata hat 34000 Einwohner. Es erinnert durch seine Canäle und
die denselben entlang führenden Alleebäume, sowie seine mit Recht
gepriesene Reinlichkeit an eine holländische Stadt. Sonst ist es gleich
allen Orten des Landes aus leichten, an einander gereihten Holzbauten
aufgeführt. Wie zu Hirosaki und in mancher andern Stadt des Nor-
dens sind die Häuser den Strassen entlang mit aneinander stossenden
Vorderdächern versehen, so dass man längs den gepflasterten Pfaden
im Winter Schutz gegen den oft und reichlich fallenden Schnee, im
Sommer ebenso gegen die heissen Strahlen der Mittagssonne findet.
Unter den Industriezweigen ist die Verfertigung von Lackwaaren her-
vorzuheben, welche in 200 Häusern betrieben wird.
Niigata ist als Vertragshafen von geringer Bedeutung, da wegen
der Barre an der Flussmündung und heftiger nördlicher Winde die
Schifffahrt während des Winterhalbjahres ganz ruht. Daher findet
die Ein- und Ausfuhr der Provinz, mit Ausnahme von Reis und
Fischen für den chinesischen Markt, nicht direct, sondern über Yo-
kohama statt. In Folge dessen wohnen hier nur wenige fremde Kauf-
leute mit sehr beschränktem Geschäftsbetrieb.
Die zwei bedeutendsten Städte der Provinz nach Niigata sind
Nagaoka und Takata. Nagaoka liegt am rechten Ufer des Shinano
südlich vom Niigata. Es spielte im Bürgerkriege 1868 als treue An-
hängerin der Tokugawa eine hervorragende Rolle und brannte fast
vollständig ab. Jetzt zählt es 24000 Bewohner. Früher war es
Residenz des Makino, eines Daimio von 71000 koku. Die Strasse
von Niigata nach Mikuni-tôge und Tôkio führt hindurch; auch bringt
der Fluss viel Verkehr. Takata (Sakakibara, 150000 koku) hat
27500 Einwohner. Es liegt am Seki-gawa im südlichen Theile der
Provinz, da wo der Hokkoku-kaidô nach Shinano abzweigt. Seine
[582]III. Topographie.
Entfernung von Niigata beträgt 35 ri. An der Mündung des Seki-
gawa liegt links das Städtchen Imamachi, 2800 Einwohner, rechts
Kuroi. Verfolgt man den Küstenweg südlich, so gelangt man zu
dem prächtig gelegenen Itoigawa (Matsudaira, 10000 koku), das
5800 Einwohner zählt. In nördlicher Richtung führt der Hama-kaidô,
die Hauptstrasse, über das wohlaussehende Kashiwazaki mit
14000 Einwohnern, Idzumosaki mit 8900 Einwohnern, Terado-
mari, den langgestreckten Ueberfahrtsort nach Sado, mit 5800 Ein-
wohnern; dann folgt Niigata. Nordwärts von diesem führt die Land-
strasse über Iwafune, 3200 Einwohner, und Murakami (Naitô,
50000 koku) am Miomote-gawa. Die Stadt liegt im nördlichsten Thee-
districte und einem der bedeutendsten Lackdistricte und ist wohlhabend;
ihre Einwohnerzahl beträgt 18000. Auch bei den ehemaligen Schloss-
städten Kurokawa und Muramatsu wird der Theestrauch cultiviert.
Kurokawa (Yanagisawa, 10000 koku) hat 4000 Einwohner und
liegt landeinwärts südlich von Murakami. Muramatsu (Hori,
30000 koku), mit 7200 Einwohnern, liegt südöstlich von Niigata.
Andere nennenswerthe Städte sind: Shibata (Mizoguchi, 100000 koku)
mit 18300 Einwohnern nordöstlich von Niigata, nicht weit davon
Mikkaïchi (Yanagisawa, 10000 koku), Sanjô mit 7800 Einwohnern
und Yoita (Ii, 20000 koku) mit 5400 Einwohnern, beide zwischen
Niigata und Nagaoka. Etwas mehr östlich: Shinoya (Hori, 10000
koku), 4000 Einwohner, Gosen, 4000 Einwohner, Kamo, 4000 Ein-
wohner, Tokamachi am Shinano-gawa im südlichen Hügellande
mit 5600 Einwohnern.
7. Die Insel Sado. Die Bedeutung dieser Insel für Japan
liegt in ihrem Bergbau, der nordöstlich von Aikawa seit Jahrhunderten
betrieben wird und die Hauptquelle der Edelmetalle für das Land war.
Gegenwärtig sind die Erträge gering. Sado war eine Domäne der
Tokugawa-Shôgune. Der Gouverneur wohnte in der Hauptstadt Ai-
kawa, welche 13000 Einwohner zählt. Kawarada an der süd-
westlichen Bucht hat 2000 Einwohner, Ogi an der Südküste 2600 Ein-
wohner und Ebisumachi (Ebisu-minato, Krebshafen) an der nord-
östlichen Bucht 3400 Einwohner.
V. Provinzen von Sanyôdô oder an der Strasse der
Bergsonnen-Seite.
Ihre Bevölkerung beträgt 3650000 Seelen. Sie grenzen mit Aus-
nahme von Mimasaka alle ans Seto-uchi, dem entlang die Haupt-
strasse führt von Ôsaka über Hiogo, Himeji, Okayama, Hiroshima
nach Shimonoseki, dann über die Meerenge nach Kokura in Kiushiu.
[583]V. Sanyôdô.
Es war, bevor es Dampfschiffe gab, fast der einzige Verkehrsweg
dieser Insel mit Hondo, auf welchem die Daimiozüge nach Kiôto und
Yedo stattfanden und auch die holländischen Gesandtschaften all-
jährlich zum Hofe des Shôgun reisten.
1. Harima (Banshiu), jetzt einen Theil von Kobe-ken aus-
machend, grenzt an Setsu, Tamba, Tajima, Inaba, Mimasaki, Bizen
und das Meer. Es ist eine grosse, fruchtbare, volkreiche und wohl-
habende Provinz mit manchem blühenden Ort und vielen geschicht-
lichen Erinnerungen. Reis und Baumwolle sind ihre Hauptprodukte.
Die ehemaligen Daimio-Residenzen heissen:
Himeji, (Sakai, 150000 koku), Akashi, (Matsudaira, 100000
koku), Tatsuno (Wakisaka, 51000 koku), Akô (Môri, 20000 koku),
Mikadzuki (Môri, 15000 koku), Yamazaki (Honda 10000 koku),
Hayashida (Tatebe, 10000 koku), Ono (Hitotsuyanagi, 10000 koku),
Anshi (Ogasawara, 10000 koku), Mikusa (Niwa 10000 koku).
Himeji, die Hauptstadt von Harima, am rechten Ufer der
unteren Ichikawa in fruchtbarer Ebene gelegen, hat 25000 Einwohner
und einen lebhaften Verkehr, denn es ist Knotenpunkt dreier Haupt-
strassen: des Sanyôdô, welcher von hier nach Shimonoséki führt,
einer Strasse nach Mimasaki, Hoki und Idzumo und einer dritten das
Thal des Ichikawa hinauf nach Ikuno, Toyoöka und zum Japanischen
Meer. Akashi, die zweitgrösste Stadt der Provinz, hat 14500 Ein-
wohner. Sie liegt der Insel Awaji gegenüber an einer nach ihr ge-
nannten Meerenge und hat hohen Ruf der prächtigen Aussicht wegen,
welche man von ihr aus auf die Bucht von Ôsaka und Umgebung
bei klarem Wetter geniesst *). Tatsimo mit 5200 Einwohnern am
rechten Ufer des Shisô-gawa landeinwärts von der Heerstrasse; Akô
mit 7150 Einwohnern, zur Rechten der Mündung des Osaki-gawa in’s
Binnenmeer gelegen, liefert gutes Seesalz. Hier residierte einst
Asano Takumi no kami, dessen unglückliches Ende die That der
berühmten „siebenundvierzig Getreuen“ hervorrief. Mikadzuki
ist ein kleines Städtchen zur Linken des oberen Osaki, der hier Ku-
mami-gawa heisst. Yamazaki, wie Tatsuno zur Rechten des Shisô-
gawa, doch höher hinauf gelegen. Am linken Ufer, etwas oberhalb
Tatsuno liegt Hayachida und weiter aufwärts Anshi, Ôno und
Mikusa liegen landeinwärts nach der Grenze von Setsu hin; Fu-
kumoto befindet sich nördlich von Himeji an der Strasse nach
Ikuno. Von sonstigen Städten sind noch hervorzuheben: Shika-
[584]III. Topographie.
matsu, Hafen von Himeji mit 7300 Einwohnern; Hafen Murotsu,
2700 Einwohner, Takasago zwischen Himeji und Akashi, 6350 Ein-
wohner, Oshio, 4100 Einwohner.
2. Mimasaka (Sakushiu), ein Theil von Okayama-ken, ist be-
grenzt von Harima, Inaba, Hoki, Bichiu und Bizen und von zwei
schiffbaren Flüssen, dem Nakasu und Nishi durchströmt, die wenig-
stens thalwärts eine leichte Verbindung mit dem Seto-uchi herstellen.
Bergbau auf Kupfer, Eisen und Silber, Ackerbau und Weberei be-
schäftigt die Bewohner. Dieselben standen früher unter zwei Daimio,
welche zu Tsuyama (Matsudaira, 100000 koku) und Katsuyama
(Miura, 23000 koku) residierten. Tsuyama, die Hauptstadt der
Provinz, liegt am Nakasu-gawa, hat 15500 Einwohner, welche sich
vornehmlich mit Baumwollweberei und Färberei, sowie der Fabri-
kation von Eisenwaaren beschäftigen. Katsuyama am linken Ufer
des Nishi-gawa (Westflusses) 7½ ri westlich von Tsuyama reizend
gelegen, hat viel Verkehr und 7000 Einwohner. Von sonstigen
Städtchen sind zu merken: Mashima, 2750 Einwohner, Kuze,
1750 Einwohner, Kurashiki, 1280 Einwohner, Doi, 2000 Ein-
wohner. Schwefelbad Yuhara.
3. Bizen, ein Theil von Okayama-ken, begrenzt von Harima,
Mimasaka, Bichiu und dem Meer. Diese Provinz wird vom Yoshii
(Nakasu) und Okayama (Nishi) durchströmt, an denen sich frucht-
bare Ebenen ausbreiten mit ausgedehntem Reis- und Baumwollbau.
Sie gehörte früher Ikeda Matsudaira, einem Kokushio von 315200 koku,
welcher in Okayama, wo sein Schloss in prächtigem Parke lag,
residierte. Okayama, jetzt Hauptstadt des gleichnamigen Ken, zur
Rechten des nach ihr benannten Flusses, ist eine ansehnliche Stadt
mit 33000 Einwohnern. Ushimado am Binnenmeer hat 3200 Ein-
wohner, der Hafen Shimotsui 2300 Einwohner. Mitsuishi etwa
3000 Einwohner.
4. Bichiu, umgeben von Bizen, Mimasaka, Hoki, Bigo und dem
Meer, bewässert vom Kawabe-gawa, ist bergiger und weniger frucht-
bar als die vorige Provinz. Jetzt gehört es zu Okayama-ken, während
es früher in fünf kleine Daimioherrschaften zerfiel, deren Inhaber
hiessen: Itakura (50000 koku), Kinoshita (25000 koku), Itakura
(20000 koku), Seki (18000 koku), Itô (10300 koku). Ihre respec-
tiven Sitze waren zu Matsuyama, Ashimori, Niwase, Niimi und Ogata.
Matsuyama, am linken Ufer des Kawabe-gawa hat 6000 Ein-
wohner; Ashimori, südöstlich von ihr, 2850 Einwohner; Niwase,
im Süden und nahe der Grenze von Bizen, 1600 Einwohner; Niimi
(Shimmi), am Kawabe, nordwärts von Matsuyama, 2800 Einwohner,
[585]V. Sanyôdô.
Ogata (Okata), an der Landstrasse 2000 Einwohner, Kasaoka am
Meer, die jetzige Hauptstadt 6400 Einwohner. Jakake und Ita-
kura an der Landstrasse.
5. Bingo, westlich der vorigen, und ausserdem begrenzt von
Hoki, Idzumo, Iwami, Aki und dem Meer, gehörte dem Daimio Abe
(110000 koku), welcher in Fukuyama residierte, und bildet nun mit
Aki den Hiroshima-ken. Fukuyama, an der Mündung des Tôjô-
gawa gelegen, hat 17700 Einwohner. Wichtiger ist jetzt der Hafen
Onomichi, durch welchen der Sanyôdô führt, eine belebte Stadt
mit 9800 Einwohnern. Nordwestlich davon hat Mihara, das eben-
falls an der Landstrasse liegt, 8600 Einwohner. Auf dem Wege dahin
ist bei Onomichi der wegen seiner herrlichen Aussicht in Japan oft
genannte Tempel Senkoshi. Der Hafen Tomo-no-tsu an der
Südspitze von Bingo hat 6000 Einwohner. Fuchiuichi, 4050 Ein-
wohner.
6. Aki (Geishiu), eine bedeutende Provinz zwischen Bingo, Iwami,
Suwo und dem Seto-uchi, durchströmt vom Koya-gawa; Hauptstadt
und Sitz eines Kenchô ist Hiroshima, im fruchtbaren Delta des
Koya gelegen, mit 75000 Einwohnern in 19000 Häusern. Es ist die
ansehnlichste Stadt in Chiugoku und nächst Ôsaka, mit dem es in
Bezug auf seine vielen Kanäle und Brücken einige Aehnlichkeit hat,
die grösste Handelsstadt des ganzen Binnenmeeres. Früher residierte
hier einer der mächtigsten Fürsten des Landes, ein Kokusho mit
426000 koku, Namens Asano, gewöhnlich nach seiner Provinz Geishiu
genannt. Ganz am unteren Ende der Stadt stand in einem grossen
Parke sein Schloss. Hiroshima gegenüber ist die schön bewaldete
Miya-shima (Tempel-Insel) oder Aki-no Miya-shima, berühmt durch
eines der ältesten Shintô-Heiligthümer des Landes, 587 n. Chr. durch
Kaiser Suinin zu Ehren der Göttin Benten erbaut. Die Insel ist voll
Hirsche, ohne Hunde. Ihre Bewohner bestehen aus Priestern, Gast-
wirthen, Fischern und Bilderschnitzern. Auch die westlich gelegene
Insel der Hiroshima-Bucht, nämlich Itsuku-shima mit gleichnamiger
Stadt (3600 Einwohner), hat einen berühmten Shintôtempel. Im Innern
von Aki hat die Stadt Yoshida 3200 Einwohner. An der Heerstrasse
liegen ausser Hiroshima Kuba, Hatsukaishi, Saishio, Yokaishi.
7. Suwô (Bôshiu) ist begrenzt von Aki, Iwami, Nagato und
dem Seto-uchi. Die Provinz pflanzt viel Baumwolle und die Papier-
maulbeere. Papier-, Matten- und Seesalzbereitung sind bedeutend.
Mit der Provinz Nagato zusammen bildete sie vormals das Besitz-
thum der mächtigen Familie Môri, die Residenz war Yamaguchi,
früher Hagi. Gegenwärtig machen beide Provinzen den Yamaguchi-
[586]III. Topographie.
ken aus. In Tokuyama und Iwakuni waren die Schlösser jüngerer
Glieder der altangesehenen Familie Môri. Die Stadt Yamaguchi
(d. h. Bergöffnung) liegt zwischen den Bergen Ost- und West-Hoben,
12 ri von Hagi. Sie besitzt heisse Quellen und eine Bevölkerung von
11600 Seelen. Bedeutender, wenngleich nur 10000 Einwohner zäh-
lend, ist Iwakuni, Hauptsitz der Papier-, Matten- und Baumwoll-
Industrie. Es liegt zur Rechten des gleichnamigen Flusses, unweit
der See und hat eine alte, sehr berühmte Brücke, die Kintaikio oder
Kintai-bashi. Gen S.SW. erblickt man den Iwakuni-yama. Die Stadt
Tokuyama mit 7000 Einwohnern liegt ebenfalls unweit der Küste.
Der Hafenort Mitajiri im Süden von der Mündung des Kawasaki-
flusses hat 4500 Einwohner. Miyaishi, Takamori liegen an der
Landstrasse. Zu Suwo gehört die grosse Insel Yashiro.
8. Nagato (Chôshiu) bildet die Südwestspitze von Chiugoku
und liegt der Insel Kiushiu gegenüber so nahe, dass bei klarem Wetter
die Bewohner der Küsten sich gegenseitig sehen können. Die Provinz
ist gebirgiger und minder fruchtbar als Suwô. Hagi, die Hauptstadt
von Nagato und frühere Residenz von Môri (369000 koku), der ge-
wöhnlich Chôshiu genannt wurde, liegt am Japanischen Meer. Es
hat 11500 Häuser und 45400 Bewohner. Seine Samurai spielten in
den Kämpfen gegen die Tokugawa und zur Zeit der Restauration der
Mikado-Herrschaft eine hervorragende Rolle. Der Daimio von Chôshiu
gehörte zu den 18 Kokusho. Jüngere Glieder der Familie residierten
zu Chôfu (50000 koku) und zu Kiyosuye (10000 koku). Die Stadt
Chôfu (Fuchiu), jetzt Toyoura hat 5860 Einwohner. Sie liegt am
Eingang zur Strasse von Shimonoseki. Der Hafen Shimonoseki
zieht sich weiter westlich in einer einzigen langen Strasse an der
Küste hin. Die Stadt heisst eigentlich Akamagaseki und besitzt
18500 Einwohner. In ihrem Hintergrunde erhebt sich steil, doch
nicht hoch, eine theilweise dichtbewaldete Hügelreihe. Gegenüber
liegt auf Kiushiu der kleine Ort Mosasaki. Kiyosuye im Norden
von Toyoura, hat nur 1800 Bewohner.
VI. Provinzen von Sanindô oder der Bergschatten-
Strasse.
Mit Ausnahme von Tamba grenzen alle an das Japanische Meer,
besitzen aber nur unbedeutende Häfen. An Fruchtbarkeit und Areal
stehen sie dem Sanyôdô nach. Der Verkehr auf der sie verbinden-
den Landstrasse ist beschränkt, mit dem übrigen Japan findet er über
Kiôto, Himeji und andere grosse Städte des Sanyôdô statt. Die Be-
völkerung dieser Landschaft beträgt 1660000.
[587]VI. Sanindô.
1. Iwami (Sekishiu) ist von Yamato, Suwo, Aki, Bingo, Id-
zumo und dem Japanischen Meer begrenzt, an welchem es sich lang
hinzieht. Der Yeno-gawa, welcher aus Aki kommt, ist der Hauptfluss.
Der Boden dieser Provinz ist gebirgig und unfruchtbar, das Reisland
darum sehr beschränkt. Im südlichen Theile liefert er viel Eisen und
Eisensand im Gono-kawa. Iwami bildet jetzt einen Theil von Shimane-
ken; früher stand es grösstentheils unter zwei kleinen Fürsten, nämlich
Matsudaira (61000 koku) zu Hamada und Kamai (43000 koku) zu
Tsuwano. Die Stadt Hamada am Meer im Südwesten des Yeno-
gawa hat 4000 Einwohner. Bedeutender ist Tsuwano, 8000 Ein-
wohner, im Süden, nahe der Grenze von Nagato. Masuda, 1800 Ein-
wohner, Ômori, 1500 Einwohner.
2. Idzumo (Unshiu) ist begrenzt von Iwami, Bingo, Hoki und
dem Japanischen Meer, dem entlang die Kreise Shimane, Aika und
Tatenui eine Landzunge bilden, indem südlich derselbe das Naka-
no-umi mit der Rettig-Insel (Daikon-jima) eindringt, dem sich gen
Westen die Süsswasser-Lagune Shindji-no-midzu anschliesst. Die
Provinz liegt der Insel Ôki gegenüber und ist eine der ältesten Nieder-
lassungen der japanischen Einwanderer, berühmt durch mehrere seiner
alten Shintô-Heiligthümer, in denen sich im 11. Monat die Kami
des ganzen Landes versammeln sollen. Bemerkenswerthe Beschäfti-
gungen der Bewohner sind Ginseng-Bau, Bergbau auf Eisen und
Kupfer und Fischfang. Matsuye, die Hauptstadt von Idzumo und
Shimane-ken, am Abfluss der Lagune zur Naka-no-umi prächtig ge-
legen, reinlich, mit grossen breiten Strassen, hat 8700 Häuser und
37800 Bewohner. Im alten Schlosse dieser Jôka residierte früher ein
Kamon, Namens Matsudaira (186000 koku). Zwei kleinere Daimio
von 30000 koku und 10000 koku wohnten in Hirose und Môri.
Hirose, die ehemalige Residenz von Matsudaira, ist ein kleines Städtchen
von 3900 Einwohnern, südlich von Matsuye, und Môri, noch unbedeu-
tender, im Südosten davon. Im Westen von Matsuye liegt Kidzuki
am Meer, ein wohlhabendes Städtchen von 1840 Einwohnern, berühmt
durch seinen Oyashiro, dem Gotte Okuninushi geweiht; nordwestlich
der Hauptstadt hat Sada den zweiten weitberühmten Shintô-Tempel
der Provinz. Mionoseki an der Spitze der Landzunge von Shimane
hat 1500 Einwohner; Yasugi an der Naka-no-umi, 3200 Einwohner,
und Hirata, auf dem Wege von Matsuye nach Kidzuki, 3130 Ein-
wohner.
3. Hôki (Hakushiu), ostwärts von Idzumo, zwischen diesem,
Mimasaka, Inaba und dem Meer, ein Theil von Shimane-ken, gehörte
früher dem Daimio von Inaba, dessen Haupteinkünfte es brachte.
[588]III. Topographie.
Berühmt ist der über 1600 Fuss hohe Vulkan Daisen, früher ein hei-
liger, vielbesuchter Berg, im unteren Theile prächtig bewaldet. Yo-
nago mit 10240 Einwohnern, ist die Hauptstadt der Provinz an der
Ostseite von Naka-no-umi, südöstlich der Landzunge von Yonago.
Andere Städtchen sind: Sakai, 3300 Einwohner, Tonoye, 2900 Ein-
wohner, Watari, 2900 Einwohner, Yodoye, 2300 Einwohner, Aka-
saki, 2100 Einwohner, Kurayoshi, 4800 Einwohner, Mikura,
Tomari.
4. Inaba (Inshiu) grenzt an Hoki, Mimasaka, Harima und das
Meer, hat längs der Küste viel Dünensand und im Innern vorherr-
schend steilen Felsboden, daher nur 5 % ihres Areals unter Cultur.
Thee, Seide und Pflanzenwachs sind die Hauptproducte der Provinz.
Ihre Hauptstadt Tottori hat 20800 Einwohner, sie war früher viel
ansehnlicher, ist aber seit der Restauration verarmt. Sie liegt am
Karu-gawa und war die Residenz eines Kokushiu von 325000 koku,
Namens Ikeda Matsudaira Sa-gami-no-kami. Shikano, 2250 Ein-
wohner, Karu, an der Mündung des Karu-gawa, 2600 Einwohner,
Ushiodzu, 2240 Einwohner, Aoya und Katzumi mit Thermen an
der Küste, Iwai, berühmtes Bad, 2 ri vom Kamo-tôge am Wege
nach Tajima.
5. Tajima (Tanshiu, ist umgeben von Inaba, Harima, Tamba,
Tango und dem Meer. Die Provinz ist vom Toyooka-gawa durch-
flossen, reich an herrlichen Gebirgslandschaften, werthvollen Minera-
lien und fruchtbar in der Thalebene des Hauptflusses; viel Seiden-
zucht. Toyooka, 5000 Einwohner, jetzt Hauptstadt von Toyooka-
ken, liegt am linken Ufer des gleichnamigen Flusses. Früher wohnte
hier ein kleiner Daimio von 15000 koku, nämlich Kiogoku. Zu
Idzushi, einer Stadt mit 6800 Bewohnern, im Südosten von Toyooka
residierte Sengoku (30000 koku). Die dritte Stadt von Bedeutung
ist Ikuno im Süden der Provinz und an der Strasse von Toyooka
nach Himeji. Ikuno ist gegenwärtig die bedeutendste Berg-
und Hüttenstadt Japans mit 5000 Einwohnern, rasch emporblühend.
Unter Leitung französischer Ingenieure wird Gold und Silber ge-
wonnen. »Die Einrichtung ist eine ausgezeichnete«, sagt Woeikof,
»alle umliegenden Höhen wurden ihrer Wälder beraubt, um Holz
nach Ikuno zu liefern und es wächst jetzt dort fast nur noch Gebüsch,
unter welchem Camellien und Azalien vorwalten«. Die höchsten Berge
ringsum haben 7—800 Meter Höhe. Um eine leichte Verbindung mit
der Küste zu gewinnen, legten die Franzosen eine macadamisierte
Strasse von Ikuno nach Himeji an, die beste in Japan. — Nordöst-
lich von Toyooka sind die heissen Quellen von Kinosaki.
[589]VI. Sanindô.
6. Tango (Tanshiu) bildet den Vorsprung von Hondo zwischen
Tajima, Tamba, Wakasa und dem Meer. Es wird bewässert vor-
nehmlich durch den Miyadzu-gawa, welcher aus Tamba kommt. Die
Provinz ist eine wohlcultivierte Hügellandschaft, auf den Höhen prächtig
bewaldet, mit einem bunten Gemisch blattwechselnder und immer-
grüner Bäume und Sträucher, in den Buchten, wenigstens während
des langen Sommers, von jener idyllischen Ruhe, welche sich zu den
schönen Formen und Farben der Umgebung gesellend den Freund
der Natur zu fesseln vermag. Politisch gehört diese Provinz jetzt zu
Toyooka-ken, vor der Restauration stand sie unter drei Daimio, welche
zu Miyatzu, Tanabe und Mineyama wohnten. Miyatzu, die bedeu-
tendste Stadt mit 9400 Einwohnern, war die Residenz von Matsudaira
(70000 koku). In ihrer Nähe beim Orte Amano-hashi-tate (Him-
melsbrücke) führt eine schmale Landzunge ins Meer, deren Lage von
den Japanern viel bewundert wird. Sie rechnen dieselbe zu den
drei Wundern der japanischen Küste *). Zu Tanabe wohnte Makino
Sanuki-no-kami (35000 koku). Die Stadt heisst jetzt Maidzuru,
liegt ebenfalls an einer Bai und hat 9100 Einwohner. Mineyama,
die dritte Jôka, gehörte Kiogoku (15000 koku), sie liegt nordwestlich
von Miyadzu am Sanindô und hat 2800 Einwobner. Takeno, an
der Mündung des Takeno-kawa.
7. Tamba stösst an Tajima, Tago, Wakasa, Ômi, Iwashiro,
Setsu und Harima. Es ist eine fast ringsum von Bergen umgebene,
ziemlich hochgelegene Provinz, in deren ausgedehnten Wäldern Hirsche
noch sehr zahlreich sind. Sie gehört jetzt zu Kiôto-fu, früher zer-
fiel sie in nicht weniger als sieben Daimioherrschaften, deren Haupt-
städte Sasayama, Kameyama, Fukuchiyama, Sonobe, Kaibara, Ayabe
und Yamaka heissen. Sasayama, wo Aoyama (66000 koku) resi-
dierte, hat 6000 Einwohner und liegt im Süden der Provinz zur Linken
des Miyadzu-gawa, der gleich dem Katzura-gawa und Ichi-kawa
in Tamba entspringt. Kameyama oder Kameoka liegt westlich
von Kiôto am Katzura-gawa. Es ist die ansehnlichste Stadt von
Tamba mit 7080 Einwohnern und war früher Residenz von Matsudaira
(50000 koku). Zu Fukuchiyama, einer Stadt von 4900 Einwohnern,
am Miyadzu-gawa wohnte Kuchiki (32000 koku), zu Sonobe Koide
(26700 koku). Sonobe mit 2700 Einwohnern liegt nordwestlich von
Kameyama. Der Daimio Ota Yamashiro n. K. (20000 koku), wohnte
zu Kaibara (Kashiwabara, 3000 Einwohner), im SW. der Provinz
[590]III. Topographie.
am Ichikawa und zu Ayabe mit 1550 Einwohnern, ostwärts von
Fukuchiyama hatte Kuki (19500 koku) seine Burg. Yamaka war
Sitz von Tani (10080 koku).
8. Die Insel Ôki (Inshiu), nebst drei kleineren Inseln im Süd-
westen, liegt westlich von Idzumo, ist aber im Winter oft schwer zu
erreichen. Ihre Bevölkerung beträgt 29000, und man nimmt an, dass
sich dieselbe hier aus der Zeit der ersten Einwanderung rein erhalten
habe. Die Inseln sind gebirgig, wohlbewaldet und exportieren Bau-
und Brennholz. Die Hauptstadt Yabi (Yamashima) hat 2240 Ein-
wohner. Auf Nishi-no-shima (Westinsel) im Südwesten ist der
Vulkan Yakebi. Oestlich von ihr liegt Naka-no-shima, südlich
Chifuri-shima. Ôki gehört zu Shimane-ken. Die Entfernung von
Matsuye wird auf japanesischen Karten zu 37 ri angegeben.
VII. Der Nankaidô oder Südliche Seeweg
umfasst Kishiu auf der Halbinsel Yamato, sowie die Inseln Awaji
und Shikoku, also 6 Provinzen mit zusammen 3350000 Bewohnern,
wovon auf Shikoku allein 2545000 kommen *). Nur hinsichtlich des
milden Klimas und der davon abhängigen Producte herrscht eine ge-
wisse Einheit zwischen den drei, durch meeresarme geschiedenen
Theilen des Nankaidô.
1. Kii oder Kishiu bildet den südlichsten Theil der Halbinsel
Yamato und umgürtet die gebirgige, südliche Hälfte der gleichnamigen
Provinz in einem breiten Bogen. Der Reisende, welcher mit dem
Schiff die Linshotenstrasse durchfährt, sieht nur die bewaldeten Berge
dieser Provinz oder die steilen Klippen der Küste, auf welche zur
Nachtzeit die Leuchtfeuer ihrer südlichsten Vorsprünge Shiwomi-
saki und Ôshima (unter 34° 27' N. und 135° 52' O. Gr.) besonders
aufmerksam machen. Wer dagegen das schöne Land als Tourist be-
tritt und von den Küstenorten aus die kleinen Flussläufe bis zu ihrem
Anfang im Gebirge verfolgt, lernt in Kishiu ein Ländchen kennen,
das die meisten Reize der japanischen Natur (siehe pag. 90) und
viele ihrer bemerkenswerthesten Producte in sich vereinigt. Sorg-
fältig gepflegte Felder mit Reis, Baumwolle und vielen andern Ge-
wächsen bepflanzt in den Thalsohlen, Talgbäume (Rhus succedanea)
[591]VII. Nankaidô.
hier und da längs der Wege, Orangenpflanzungen in geschützten
Mulden, Theesträucher und Papiermaulbeeren an den Abhängen,
mächtige, alte Kampferbäume bei einzelnen Tempeln, die herrlichsten
Waldungen im Gebirge, worin die edelsten der japanischen Nadel-
hölzer, die Cryptomerien und Retinisporen in Menge und in statt-
lichen Exemplaren vertreten sind, erfreuen dann neben schönen Berg-
formen und klaren Bächen sein Auge. Zum Versandt kommen von
den Producten der Provinz vor allem prächtige Mikan (Mandarin-
Orangen), vornehmlich aus dem Kreise Arita, nordöstlich von Waka-
yama, dann Holz, Thee, Pflanzentalg, Steinkohlen und Lackwaaren.
Kishiu bildet gegenwärtig den Wakayama-ken. Früher gehörte
es einem Verwandten des Shôgun, dem Fürsten von Kishiu, der in
Wakayama residierte und 555000 koku Einkünfte hatte. Zweige seines
Hauses wohnten in Tanabe und Shingû *). Wakayama, die Haupt-
stadt von Kishiu, liegt am linken Ufer des Yoshino-gawa, etwa eine
Meile vor dessen Mündung in die Linshotenstrasse. Sie ist eine an-
sehnliche Stadt von 62000 Einwohnern mit sauberen, geraden, doch
nicht sehr breiten Strassen und macht den Eindruck der Wohlhaben-
heit. Man hat das Schloss abgerissen, sein solides Mauerwerk zum
Abbruch für eine geringfügige Summe verkauft und auch unter den
Bäumen des schönen Parkes vandalisch aufgeräumt. In Wakayama
entwickelte während der Uebergangszeit zwischen dem Bürgerkriege
von 1868 und der Mediatisierung der Daimios der Feldwebel Köppen
von Bückeburg als Instructor des kleinen Heeres von 5000 Mann
unter dem freundlichen Fürsten seine Thätigkeit und Talente. Er
imponierte den Japanern durch seine Gestalt und stramme Zucht,
war nicht blos Lehrer auf dem Exercierplatze, sondern auch bei den
Uebungen der Musikcapelle, welche er schuf, und wusste sich bei
aller Strammheit im Dienste doch so populär zu machen, dass der
Verfasser bei seiner Reise durch das Fürstenthum im Sommer 1875
von der Jugend noch deutsche Flüche hörte und verschiedene Per-
sonen kennen lernte, die mit Stolz von ihrer Lehrzeit unter Köppen
sprachen.
[592]III. Topographie.
Vierzehn ri ostwärts von Wakayama liegt im Gebiete des Yoshino-
gawa die berühmte Klosterstadt Koya mit 3500 Bewohnern in einem
Sattel des bewaldeten Koya-san 500 Meter über dem Meer. Der
Weg zu ihr führte mich aus der Thalsohle des Yoshino nordöstlich
an kleinen Pflanzungen von Lackbäumen und Fächerpalmen, wild
wachsenden, wohlriechenden Lilien und Azalien vorbei bergan zu
einem Orte Kamia-mura, der aus einer einzigen Strasse sehr sau-
berer Theehäuser besteht. Darauf geht es durch einen Wald, worin
stattliche Retinisporen, deren Stämme zum Theil 3 Meter Umfang
haben, Cryptomerien und Tannen (Abies firma) in grosser Zahl er-
scheinen, hinauf bis in die Nähe des Ortes, wo ein Hain der präch-
tigen Schirmtanne (Sciadopitys verticillata Thunbg.) mit grauen Stäm-
men und Zapfen gleich einer Kiefer überrascht, der Koya-maki
der Japaner. Das ganze Städtchen besteht aus Tempeln, Klöstern,
Herbergen und Verkaufsläden von, dem Dienst des Buddha geweihten
Objecten, wie Rosenkränzen, Heiligenbildern und dergleichen mehr,
ähnlich, wie sie uns jeder katholische Wallfahrtsort bietet. Man zählt
allein gegen 370 Tempel und Klöster, darunter manche sehr geräumig
sind. Alles um sie her ist höchst sauber und zeugt von einem behag-
lichen, glücklichen Leben, trotz der Beschränkung auf vegetabile Kost.
Kagohoji, der grosse Tempel, ist reizend verziert. Die Holzschnitzereien,
Malereien, Vergoldung und Lackierung der Säulen und Thüren zählen
zu den schönsten Leistungen des japanischen Kunstgewerbes. Koya
war lange Freistätte, diente auch oft als Verbannungsort und zehrt
von altem Ruhm und Glanze.
Von Wakayama aus führt der Küstenweg über folgende Orte:
Yuasa mit 7000 Einwohnern, Tsui mit 6000 Einwohnern, Tanabe
mit 7500 Einwohnern, Katsura, Shingu mit 9100 Einwohnern,
Kinomotoura mit 2600 Einwohnern, Kada und Owashi. Der
berühmte Wasserfall Nachi-no-taki ist nur eine Meile von dem kleinen
Hafenorte Katsura entfernt, auch sind in der Nähe der Bucht heisse
Quellen mit gerühmten Heilwirkungen. Shingu, der bedeutendste
Ort und Hafen, exportiert Holz und Steinkohlen von einer Mine, die
nur wenige ri oberhalb am Flusse liegt.
2. Die Insel Awaji*), die grösste im Seto-uchi, ist 14 ri
lang, im Süden 7, gegen Norden 4 ri breit, gebirgig, aus Diorit,
Gneiss, Granit und alten Schiefern aufgebaut, auf den Bergen be-
waldet, in den Thälchen wohlcultiviert. Auf 10,24 Quadratmeilen hat
[593]VII. Nankaidô.
sie 240 Ortschaften mit 35000 Häusern und 170000 Bewohnern.
Früher war sie im Besitz des Daimio von Awa, jetzt bildet sie zwei
Kreise (Kori) des Hiogo-ken. Die Hauptstadt Sumoto mit 7300 Ein-
wohnern liegt an der Ostküste. Sie ist gewerbthätig und besitzt seit
einigen Jahren eine grosse Zündholzfabrik. Etwa 2½ Meilen ent-
fernt bei Igano ist eine berühmte Steingutfabrik, deren Producte
an Satsuma erinnern und 1873 auf der Wiener Weltausstellung nicht
wenig überraschten. Der zweitwichtigste Ort auf Awaji heisst Yura.
Er ist südöstlich von Sumoto gelegen und hat 5940 Bewohner. An
der Südwestküste, dem Naruto (Strudel) gegenüber befindet sich das
Städtchen Fukura mit 4990 Einwohnern. Shitsukihama, nord-
wärts von Sumoto an der Ostküste, hat 3950 Einwohner.
Die Insel Shikoku, das »Vierland«, liegt zur Seite der
grossen Verkehrswege und hat bisher Seitens fremder Gelehrten wenig
Beachtung gefunden *). Ihr Hauptverkehr findet noch immer wie
früher mit Ôsaka statt, das jetzt eine Dampferlinie mit den bedeu-
tendsten Städten unterhält. Zwischen Shikoku und Kiushiu herrscht
dagegen wenig directe Verbindung. Die Wege im Innern der Insel
sind meist schlecht, zumal über die Pässe. Abgesehen vom Gebirge
ist das Klima sehr milde und auf der Südseite beeinflusst durch den
Kuroshiwo. Laurus camphora L. erscheint hier immer noch als Wald-
baum. In den fruchtbaren Ebenen und Thalsohlen baut man die ge-
wöhnlichen Feldfrüchte des Landes, an den Abhängen den Talgbaum
und die Papiermaulbeere.
3. Awa oder Ashiu, wie es zum Unterschiede von der gleich-
namigen Provinz an der Yedo-Bucht meist genannt wird, die östlichste
der Provinzen von Shikoku, zwischen Sanuku, Iyo, Tosa und dem
Meere, vom Yoshino-gawa und Naka-gawa der Länge nach durchströmt
und befruchtet, hat im Unterlaufe dieser Flüsse fruchtbare Ebenen.
Der Talgbaum wird wenig getroffen, dagegen viel Tabak und Ai
(Indigo) gebaut, welcher für den besten im ganzen Lande angesehen
wird. Die Küste versieht nebst der von Awaji die Stadt Ôsaka mit
Fischen. Tokushima, die Hauptstadt der Provinz, früher Residenz
des Kokushiu Hachisuka (258000 koku) liegt am linken Ufer der
Yoshino, unweit der Mündung. Die Stadt hat 49000 Einwohner und
gilt für wohlhabend. Höher hinauf am Flusse liegt Ikeda mit 3400
Einwohnern. Alle übrigen Städte, wie Okazaki, Komatsushima,
Rein, Japan I. 38
[594]III. Topographie.
Tomioka und Hiwasa längs der Küste sind ebenfalls unbedeutende
Orte. Awa gehört jetzt zu Kochi-ken.
4. Die Provinz Sanuki liegt im Nordwesten von Ashiu am Seto-
uchi, woselbst auch alle grösseren Städte derselben zu finden sind. Ihre
Producte stimmen mit denen von Awa überein. Früher theilten sich
drei Daimio in die Provinz, welche jetzt mit Iyo den Ehime- (Yehime)
ken bildet mit der Hauptstadt Matsuyama. Takamatsu, Hafen-
stadt am Binnenmeere, früher Sitz des Daimio Matsudaira Sanuki-no-
kami (120000 koku), hat 33000 Bewohner. Marugame mit 14000
Einwohnern ist die reizend am Binnenmeer gelegene frühere Residenz
des Daimio Kiogoku (51500 koku), dessen Schloss man schon aus
weiter Ferne auf einem Hügel erblickt. Hinter der Stadt erhebt sich
der vulkanische Kegel Shiranemine oder Sanuki-Fuji mitten aus der
fruchtbaren Ebene. Tadotsu, kaum eine Meile südwestlich von
Marugame, ebenfalls schön gelegene Hafen- und alte Schlossstadt,
wo eine Seitenlinie des Hauses Kiogoku wohnte, mit 10000 koku.
Das Städtchen hat 4000 Bewohner und dient gleich Marugame als
Ausgangspunkt für die Wallfahrten zu dem berühmten Tempel Kom-
pila bei Kinrio. Dieser Ort ist etwa zwei geographische Meilen
südöstlich, beziehungsweise südlich von den genannten Häfen entfernt
und noch in derselben fruchtbaren Ebene. Die Wege zu ihm sind
gut, von Pilgern und Bettlern frequentiert *). Kinrio mag 5600 Be-
wohner zählen. Es ist voll geräumiger Herbergen. In einer der-
selben speisen täglich gegen 500 Pilger. Ihr Ziel ist der berühmte
Tempel des Gottes Kompila oder, wie ihn der officielle Shintôdienst
jetzt zu nennen pflegt, Kotohira. Hat man den Weg längs der langen
Reihe grosser Verkaufsbuden von Rosenkränzen, Götzen, Essstäbchen
aus Sakakiholz (Cleyera japonica, der geweihten Shintôpflanze) und
hundertelei anderen Dingen glücklich zurückgelegt, so führt eine
breite hohe Granittreppe hinan zum Haupttempel, wo dem lebens-
grossen Reitpferde des Götzen aus Bronze Reis geopfert wird und
fromme Pilger herbeirutschen, um die zerstreuten Reiskörner aufzu-
lesen und zu verspeisen, dann geht es weiter an prächtigen Bäumen
vorbei, mehr den Berg hinan von einer Sehenswürdigkeit und einem
Tempel zum andern. Besonders wirksame Kräuter vom Berge werden
da und dort feil geboten und von den Priestern Ofuda (Ablasskarten)
in grosser Auswahl für gutes Geld gegen mancherlei Uebel und Ge-
brechen. An einer anderen Stelle findet man den Plan zu einem neuen
[595]VII. Nankaidô.
Tempel und die Aufforderung zu Geldbeiträgen. Brettchen an Pfählen
in langer Reihe bringen die Summen und Namen der frommen Geber
zur Kenntniss und Nachahmung. Sie prangen um so höher und
grösser, je beträchtlicher die Munificenz war.
Von Küstenorten sind noch zu nennen: Hikeda, 4300 Ein-
wohner, Tsuda, 5000 Einwohner, Shido, 5600 Einwohner, Sa-
kaide, 6500 Einwohner, Utatsu, 4600 Einwohner.
5. Iyo. Diese Provinz erstreckt sich von Sanuki aus weit an
der Seto-uchi hin bis zur Bungo-nada. Ihre Ostgrenze läuft dem
Gebirge entlang gegen Tosa. Auch ihre Hauptlebens- und Verkehrs-
adern liegen längs des Binnenmeeres oder in den Ebenen landein-
wärts. Der Anbau des Papiermaulbeerstrauches und des Talgbaumes
sind beträchtlich; im Gebirge findet man Kupfer und Antimongruben.
Matsuyama, die Hauptstadt von Iyo und Yehime-ken, hat 26000
Bewohner. Von hier führt der 27 ri oder 14 Meilen lange Weg über
Kumachi nach Kochi in Tosa. Matsuyama war die Schlossstadt
des Matsudaira Oki-no-kami mit 150000 koku. Die Provinz hat
ausser ihr noch acht alte Jôkas, nämlich: Saijô (Matsudaira Sakio,
30000 koku) mit 2000 Einwohnern, Imaharu (Matsudaira, Suruga-
no-kami, 30000 koku) mit 12000 Einwohnern, Uwajima (Date,
100000 koku) mit 12200 Einwohnern, Yoshida (Date, 30000 koku)
mit 5000 Einwohnern, Ôdzu (Kattowo, 60000 koku) mit 4000 Ein-
wohnern, Niiya (Kattowo, 10000 koku) mit 3000 Einwohnern, Ko-
matsu (Histotsyanagi, 10000 koku) mit 3100 Einwohnern, und Tago.
— Nicht weit von der Grenze von Sanuki liegt Kawanoye mit
6000 Einwohnern und Mitsu, nicht weit von Matsuyama, mit 4900
Einwohnern. Als Ueberfahrtsort über die Bungo-nada (18 ri bis
Saganoseki) ist Yawatahama zu merken mit 4000 Einwohnern.
Uchinoko, Städtchen 4 ri von Ôtsu (Osu) mit ansehnlichen Wachs-
bleichereien.
6. Tosa oder Toshiu, die grösste und einflussreichste Provinz
von Shikoku, südlich von Iyo eine weite Bucht des Stillen Oceans
umgürtend, ist vor allem ausgezeichnet durch ihren Kampher und ihr
Papier. Nirgends wohl in ganz Japan hat der Anbau der Papier-
maulbeere an den Abhängen der Gebirgsthäler eine solche Ausdehnung
gewonnen, als im südwestlichen Shikoku. Der Bast des Strauches
dient nicht blos der ansehnlichen Papierindustrie in Tosa, welche zu
Kami-yama (Papierberg) im Hata-gori, dem südlichen Theile der
Provinz, zu Ino am linken Ufer des Miyodo-gawa 2½ ri von Kôchi,
im Gefängniss dieser Stadt und an vielen anderen Orten betrieben
wird, sondern es wird davon auch noch viel nach anderen Provinzen
38*
[596]III. Topographie.
versandt. Kôchi, die Hauptstadt von Toshiu, nahe der Südküste
gelegen, hat 40000 Einwohner und ist ohne Zweifel die bedeutendste
und einflussreichste Stadt der ganzen Insel. Als frühere Residenz
des reichen Yamanouchi Tosa-no-Kami (242000 koku) hat sie viele
Samurai, die seit der Perry-Expedition an den Geschicken des Landes
immer einen lebhaften Antheil nahmen und gleich vielen Kaufleuten
der Stadt für wohlhabend gelten. Die Stadt erstreckt sich 1 ri weit
von Ost nach West, hat gute breite Strassen und viel Verkehr.
Dampfschiffe erleichtern ihn mit Tokushima und Ôsaka, wohin die
Fahrt einen Tag dauert. Die Bewohner erschienen dem Verfasser in
Kôchi wie in ganz Tosa und Iyo selbstbewusst, wie in Satsuma, aber
entschieden aufgeweckter. Fragen, welche er an sie richtete, wurden
in der Regel mit überraschender Klarheit und Präcision beantwortet.
Zwei Dinge fielen ihm in der Hauptstadt von Tosa noch besonders
auf, nämlich Hundekämpfe, wozu die Thiere besonders abgerichtet
werden, sowie Haltestellen für nach alter japanischer Art gesattelte
Miethpferde vor den Stadtthoren. Die Besitzer dieser Pferde bieten
die Thiere den Vorübergehenden an, wie die Kulis ihre Jinrikishas.
Gegenüber Kôchi erscheinen die übrigen Städte von Tosa klein
und unbedeutend. Hierher gehören Nakamura, Sakawa und
Kubokawa, wo Zweige des Hauses Yamanouchi wohnten, ferner
Takaoka mit 5800 Einwohnern, Aki mit 4500 Einwohnern, Susaki
mit 4000 Einwohnern und ebenso Akaoka.
VIII. Kiushiu oder die neun Provinzen des Saikaidô,
d. h. der Westseestrasse.
Kiushiu, die südlichste der vier grossen Inseln des Reiches
Nippon, spielt in der Geschichte desselben eine hervorragende Rolle.
Von hier zog Jimmû Tennô mit seinen Vasallen auf Abenteuer und
Eroberung aus; von hier aus wurden die grossen Expeditionen der
Kaiserin Jingu Kôgô und des Taikô-sama gegen Korea unternommen
und siegreich zu Ende geführt. Auf Kiushiu landeten Mendez Pinto
und die portugiesischen Missionare; hier also lernte man zuerst die
Europäer, das Christenthum, die Feuerwaffen und manches Andere
kennen, was dem chinesischen Culturgebiete fremd war. Als dann
in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die katholischen Mis-
sionäre vertrieben und das Christenthum ausgerottet wurden, wussten
sich holländische Kaufleute die Gunst und das Vertrauen der mäch-
tigen Tokugawa zu erwerben und über zwei Jahrhunderte mit einem
Handelsmonopol unter demüthigenden Bedingungen in Nagasaki auf
Kiushiu zu erhalten. Der grosse Gewinn, den sie aus dieser Ver-
[597]VIII. Kiushiu.
bindung zogen, gestattete auch den hervorragenden Aerzten ihrer
Colonie zu Deshima eingehendere Studien über die Geschichte, Reli-
gion, Sitten, Flora und Fauna Japans zu machen, als sie je seitens
der portugiesischen und spanischen Missionare versucht worden waren,
ungeachtet diesen eine grosse Freiheit der Bewegung und mächtige
christliche Daimios zu Gebote gestanden hatten.
So befanden sich Kiushiu und sein wichtigster Hafen Nagasaki
während mehr als 300 Jahren in der bevorzugten Stellung eines Ver-
mittlers zwischen Japan und dem Auslande, ohne dass man für die-
selben einen noch heute erkennbaren Gewinn aus diesem Verkehr
gegenüber dem Rest des japanischen Reiches nennen könnte. Nur
in der keramischen Iudustrie haben Hizen und Satsuma aus ihren
näheren Beziehungen zu Korea und China einen dauernden Vortheil
gezogen und lange Zeit hindurch einen bedeutenden Vorsprung vor
dem übrigen Lande genossen, wobei freilich günstige Verhältnisse
Betreffs vortrefflicher Rohmaterialien wesentlich mitwirkten.
Allerdings muss man bei diesem Verkehr mit dem Auslande den
etwa 80jährigen, freieren der christlichen Periode wohl unterscheiden
von dem beschränkten und streng überwachten mit den Holländern
auf Deshima. Jener brachte ohne Zweifel einem ansehnlichen Theile
der Bewohner mit dem Christenthum auch eine höhere Bildung und
Gesittung, sowie einen gewissen materiellen Wohlstand, Vortheile,
die dann freilich durch die Schrecken und Drangsale der Reaction
gänzlich verloren gingen.
Die Insel Kiushiu hiess in alter Zeit Tsukushi. Später verblieb
dieser Name, mit dem Chikushiu gleichbedeutend ist, nur dem nord-
westlichen Theil, während das übrige in Toyo-kuni, Hi-no-kuni und
Kumaso-no-kuni unterschieden wurde. Endlich erfolgte eine weitere
Theilung von Chikushiu in Chikuzen und Chikugo, von Toyo-kuni
(Hôshiu oder Bushiu) in Buzen und Bungo, von Hi-no-kuni (Hishiu)
in Hizen und Higo und von Kumaso-no-kuni in Satsuma, Ôsumi und
Hiuga. In Folge dieser Eintheilung wurde der Name Kiushiu (Neun-
land) gebräuchlich, doch wird die Insel nicht selten auch Saikoku
(Westland) und in Büchern zuweilen Chinsei genannt.
Die Provinzen des Saikaidô umfassen 5050000 Bewohner und
bilden gegenwärtig die Gouvernements (ken) Nagasaki, Fukuoka, Oida,
Kumamoto und Kagoshima.
1. Chikuzen. Diese Provinz grenzt im Osten an Bushiu, im
Süden an Chikugo und Hizen, im Westen und Norden an die Genkai-
nada, wie hier der Korea-Sund genannt wird. Sie besteht aus Hügel-
land und kleinen fruchtbaren Ebenen, in welchen die gewöhnlichen
[598]III. Topographie.
Feldfrüchte, zumal Reis, Weizen und Reps in Ueberfluss wachsen.
Ehemals gehörte dieses Gebiet der mächtigen Familie Kuroda, deren
Haupt, Kuroda Matsudaira Mino no Kami, ein Daimio von 520000
koku, in Fukuoka residierte. Jetzt bildet es mit Chikugo und dem
grössten Theil (6 kori) von Buzen den Fukuoka-ken. Ein Zweig des
Hauses Kuroda, der Daimio Kuroda Toku-no-suke (50000 koku),
hatte in der Stadt Akidzuki ostwärts von Fukuoka seinen Sitz. Die
Hauptstadt Fukuoka liegt an einer Bucht der Genkai-nada. Ein
Fluss trennt dieselbe von der gleichgrossen Stadt Hakata. Beide
zusammen haben 42000 Einwohner. Fukuoka besass als Jôka ausser
dem Schloss die Wohnungen vieler Tausend Samurai, während Hakata
gewissermassen die Rolle der Suburbs spielte und die Kaufleute und
Handwerker beherbergte. Man verfertigt hier viel von einem baum-
wollenen Gewebe, welches den Namen Hakata-ori führt. Die Um-
gebung beider Städte ist voll alter Tempel und historischer Erinne-
rungen. Zu den bemerkenswerthesten derselben gehören grosse
unförmige Steinhäuser mit flachen Dächern aus sehr alter Zeit, die
einzigen steinernen Gebäude, welche man in Japan vor Wiedereröff-
nung des Landes kannte. Eine alte prächtige Matsu (Kiefern)-Allee
führt von Hakata nach dem Städtchen Hakozaki (3170 Einwohner),
und weiter nach Kokura an der Meerenge von Shimonoseki. Es ist ein
Theil der alten Landstrasse, welche man von Nagasaki aus auf dem
Wege nach den Landeshauptstädten verfolgte. An ihr liegen ausser-
dem Amagi (Awomagi) mit 4430 Einwohnern, Ashiya mit 4450
Einwohnern. Der kleine Hafen Kurosaki hat nur 2830 Einwohner.
Westlich von Fukuoka liegt Meihama, 3800 Einwohner, ostwärts
Futsukaichi, 3000 Einwohner und Akidzuki, 5200 Einwohner.
Im Südosten von Chikuzen werden Steinkohlen gewonnen.
2. Chikugo, auf der Nordwestseite der Shimabara-nada,
zwischen dieser, Hizen, Chikuzen, Bungo und Higo gelegen. Der
Chiku-gawa, welcher theilweise die Grenze bildet gegen Bungo und
Hizen im Norden, der Yabe-gawa und einige andere Flüsse bewäs-
sern das hintere Chikushiu. An ihrer Mündung in die Shimabara-
nada breitet sich eine fruchtbare Ebene aus. Im Süden derselben,
wo eine bewaldete Hügellandschaft zwischen sie und Higo tritt, be-
findet sich das Kohlenwerk von Miike. Kurume, am linken Ufer
des Chiku, ist Hauptstadt der Provinz. Sie hat 21000 Einwohner
und war früher Residenz des Daimio Arima (210000 koku). Zu
Yanagawa residierte ein anderer Feudalherr aus einer sehr alten
Familie, Namens Tashibana, über ein Gebiet von 119600 koku. Die
Stadt hat 8500 Einwoher, und liegt in der Ebene an der Shima-
[599]VIII. Kiushiu.
bara nada. Unbedeutendere Orte der Provinz sind: Yenokidzu,
2600 Einwohner, Wakatsu, 1730 Einwohner, Yoshi, 2700 Ein-
wohner, Fukushima, 3250 Einwohner, Setaka, 3900 Einwohner,
Miike.
3. Buzen. Diese Provinz liegt im Süden der Enge von Shi-
monoseki zwischen Chikuzen und Suwo-nada, nordwärts von Bungo,
von welchem sie ein ansehnlicher Höhenzug mit dem Hiko-san und
andern bedeutenden Bergen scheidet. Die meisten Flüsse münden
nach kurzem Laufe in die Suwo-nada, an der sich eine fruchtbare
Ebene hinzieht.
Der alten Regel »divide et impera« entsprechend, hatte Iyeyasu
diesen Landestheil unter zwei ihm ergebene Fudai Daimio getheilt,
nämlich unter Ogasawara (150000 koku), der zu Kokura residierte
und Okudaira (100000 koku), welcher seinen Sitz in Nakatsu auf-
schlug. Auf diese Weise wurden die mächtigen Kokushiu der Nachbar-
schaft, die Môri, Kuroda, Nabeshima und Arima theilweise getrennt
und überwacht. Kokura mit 8500 Einwohnern an der Genkai-nada
gelegen, ist der Ueberfahrtsort nach Shimonoseki, von dem es 15 chô
oder 1600 Meter entfernt ist. Zur Zeit vor der Tokugawa-Herrschaft
war es nach Kaempfer eine viel bedeutendere Stadt, sank aber dann
in Folge der Theilung des Landes, behielt übrigens als Hauptüber-
fahrtsort von Kiushiu nach Hondo, in welchem die Wege von Naga-
saki, Kumamoto und andern bedeutenden Städten des »Westlandes«
zusammenliefen, immer noch einen lebhaften Verkehr, obgleich sein
Hafen für grössere Seeschiffe zu seicht war. Die Neuzeit hat seine
Interessen noch mehr geschädigt, denn jetzt tragen die Dampfer,
welche von Nagasaki und Kagoshima kommend vorbeifahren, nicht
blos die Waaren aus dem Süden, sondern auch manchen Reisenden,
der früher den Landweg über Kokura einschlagen musste. Der Stadt
Kokura gegenüber liegt am Eingang zur Meerenge von Shimonoseki
das kleine Hiki-shima. Weiter nordöstlich endet der nördlichste Vor-
sprung von Kiushiu im Cap Hisaki, das einen Leuchtthurm trägt für
den Eingang zur Strasse von der Ostseite. Die Stadt Nakatsu
mit 11600 Einwohnern liegt an der Suwo-nada. Unbedeutendere
Orte der Provinz sind: Ohashi, 2500 Einwohner, Unoshima,
2130 Einwohner, Usa, 2280 Einwohner, Nagasu, 4500 Ein-
wohner.
4. Bungo nimmt den Nordosten von Kiushiu zwischen Bungo-
nada (früher auch Hayasu, schnelles Wasser genannt), Suwo-nada,
Buzen, Chikuzen, Chikugo, Higo und Hiuga ein. Mit einer vulca-
nischen Halbinsel ragt es in’s Binnenmeer nach Norden, mit einigen
[600]III. Topographie.
Landzungen, welche dem südlichen Schiefergebirge angehören, in die
Bungo-nada nach Osten vor. Hohe Berge begrenzen es gegen Hiuga
und Higo. Den westlichen Theil durchfliesst der Chikugo-gawa;
unter den nach Nordwest gerichteten Flussläufen ist der des Shirataki-
gawa der bedeutendste. Wohlcultivirte Ebenen begleiten diese Flüsse.
Bungo gilt neben Chikuzen und Higo für die fruchtbarste Provinz
der Insel. Sie liefert ausser den gewöhnlichen Feldfrüchten Thee,
Tabak, Pflanzenwachs, grosse Pompelmusen und andere Orangen,
ferner Alaun, Kupfer, Eisen, Antimonglanz, Blei. Die Provinz bildet
jetzt mit 2 kori von Buzen den Oita-ken. Die Hauptstadt Oita,
bekannter unter dem früheren Namen Funai, liegt an einer Bucht
von Bungo- und Suwo-nada und hat jetzt nur 7000 Einwohner. In der
letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts war es eine viel bedeutendere,
blühende Stadt, die Residenz von Owotomo Bungo no Kami, dem
mächtigsten Feudalherrn auf Kiushiu, dessen Herrschaft bis zur Strasse
von Shimonoseki und südwärts bis an das Gebiet der Fürsten von
Satsuma reichte. In Funai war es, wo die Portugiesen 1543 landeten,
wo sie freundliche Aufnahme und in der Folge ihre Hauptstütze
fanden. Owotomo, von den Jesuiten König Franciscus genannt, war
der erste Daimio von Japan, welcher zum Christenthum übertrat. Bei
der denkwürdigen Gesandtschaft nach Rom, Portugal und Spanien
im Jahre 1585, liess er sich durch seinen Schwestersohn, Sohn
des Königs von Hiuga, den die Jesuiten Hieronymus nennen, ver-
treten *).
Als am Anfang des 17. Jahrhunderts unter den Tokugawa die
Reaction hereinbrach, wurde die Familie Owotomo ihres ganzen Be-
sitzthums beraubt und dasselbe unter Anhänger des Iyeyasu vertheilt.
Bungo allein zerfiel von da an in sieben kleinere Herrschaften. Die
Hauptstädte derselben waren folgende:
Funai (Matsudaira, 21200 koku), Oka (Nakagawa, 70000 koku),
Usuki (Inaba, 56000 koku), Kitsuki (Matsudaira, 32000 koku),
Hiji (Kinoshita, 25000 koku), Sayeki (Môri, 20000 koku), Môri
(Kurushima, 12900 koku).
[601]VIII. Kiushiu.
Von den hier erwähnten Städten liegt Oka mit 6000 Ein-
wohnern am linken Ufer des oberen Shirataki-gawa. Usuki mit
10860 Einwohnern, die grösste Stadt von Bungo, finden wir süd-
östlich von Funai an einer Bucht der Bungo-nada, Kitsuki mit
4400 Einwohnern und Hiji mit 3100 Einwohnern, ebenfalls an Buchten
der Bungo-nada und zwar nordwärts von Funai. Die Stadt Sayeki
(5700 Einwohner), liegt gleichfalls an einer Bucht der Bungo-nada,
und zwar südöstlich von Usuki. Endlich liegt Môri, mit 2700 Ein-
wohnern, im oberen Thal des Chikugo-gawa. Ausser diesen Städten
und der Hauptstadt Funai sind noch zu bemerken: Saganoseki,
als Ueberfahrtsort nach Shikoku, mit 4400 Einwohnern, Tsurusaki
mit 5540 Einwohnern am linken Ufer des Surataki-gawa und Het-
suge am rechten, Takata, 2560 Einwohner, am Wege von Kitsuki
nach Usa in Buzen, Beppu, 3900 Einwohner, westlich von Funai. —
Von Inselchen sind noch zu erwähnen: Hime-shima in der Suwo-
nada, Taka-shima und Oiri-shima, jene an der engsten Stelle
der Bungo-nada als Verbindungsglied zwischen Saganoseki und dem
Mi-saki, diese in der Bucht von Sayeki gelegen.
5. Hizen nimmt den nordwestlichsten Theil von Saikoku ein
und erscheint als Halbinsel, abgeschnürt vom Reste durch Shimabara-
nada und Genkai-nada. Verschiedene andere Meeresarme, insbe-
sondere die Chijiwa-nada, Nagasaki-wan, Ômura-no-iri-umi, Imari-
wan und Karatsu-wan dringen ausserdem tief in dieselbe ein und
machen sie zur am meisten zerrissenen und gegliederten Provinz der
ganzen Monarchie. Ihr Boden ist vorherrschend gebirgig und dehnt
sich nur auf der Nordseite von Shimabara-nada zu einer grösseren
fruchtbaren Ebene aus. Im Norden dieser Ebene erhebt sich der
Ten-san (Himmelsberg). Andere hohe Gipfel der Provinz sind der
Kunimi-yama, dessen Name soviel als »Schauinsland-Berg« bedeutet,
also eine weite Aussicht andeutet, im Osten der Ômura-Bucht, und
vor Allem der junge Vulkan Onzen-ga-take auf der Halbinsel
Shimabara.
Hizen, obgleich stellenweise sehr fruchtbar, erzeugt nicht seinen
vollen Bedarf an den Go-koku oder fünf wichtigsten Feldfrüchten
(Reis, Weizen, Hirse, Hanf und Bohnen), dagegen Thee, Tabak und
Pflanzenwachs in Ueberfluss. Besonders wichtig sind daneben zwei
mineralische Producte, nämlich Kohlen und Kaolin. Jene kommen
in zwei getrennten Becken bei Takashima und Karatsu vor;
dieses findet sich in ausgezeichneter Güte und Menge bei Arita,
Imari und Karatsu. Das vielgepriesene Hizen- oder Imari-Por-
zellan wird daraus verfertigt: kleine Becher fast so dünn wie Eier-
[602]III. Topographie.
schalen, Vasen bis zu zwei Meter Höhe und vielerlei sonstige Gegen-
stände.
Hizen, jetzt Nagasaki-ken, wozu auch Iki und Tsushima gehören,
zerfiel früher gleich Bungo in viele kleinere Herrschaften. Nagasaki,
die Hauptstadt, gehörte dem Shôgun und stand unter einem Bunio
oder Gouverneur; in das Uebrige theilten sich folgende Daimios:
Nabeshima, Matsudaira Hizen no Kami, 325000 koku, residierte
zu Saga; Nabeshima, Kaga no Kami, 13200 koku zu Ogi (Koshiro);
Nabeshima, Kahi no Kami, 52625 koku zu Hasuike; Nabeshima,
Bizen no Kami, 20000 koku zu Kashima; Matsudaira, Tonomo no
Kami, 70000 koku zu Shimabara; Matsu-ura, Hizen no Kami,
61700 koku zu Hirado; Matsu-ura, Bungo no Kami, 10000 koku zu
Hirado; Ogasawara, Sado no Kami, 60000 koku zu Karatsu;
Ômura, Tango no Kami, 27200 koku zu Ômura; Gotô, Ômi no Kami,
12600 koku zu Fuguye (Gotô).
Die Stadt Nagasaki (siehe Lichtdruck) ist mit ihrem Hafen
schon so oft beschrieben und abgebildet worden, dass wir uns hier
auf das Bemerkenswertheste darüber beschränken können. Dieselbe
ist am Ende einer langen schmalen Bucht prächtig gelegen, vor einem
der tiefsten und sichersten Häfen von ganz Japan. Er ist etwa eine
geographische Meile lang und den vierten Theil so breit. Auf drei
Seiten schützen ihn ansehnliche Bergrücken mit 300—400 Meter hohen
Gipfeln, auf der vierten, westlichen ist die Insel Taka-boko vorge-
lagert, von deren steiler Höhe einst viele Hunderte gemarterter,
glaubenstreuer Christen in’s Meer gestürzt wurden. Die Holländer
nannten sie desshalb Papenberg. Die Insel bleibt zur Linken des
Eingangs ein unvergängliches Denkmal christlicher Standhaftigkeit
aus einer beklagenswerthen Zeit. Die Höhen, welche Nagasaki
rings umgeben, sind oben bewaldet, tiefer meist in Terrassen ange-
legt, sorgfältig bebaut und an den Rändern häufig mit Talgbäumen
(Rhus succedanea) bepflanzt. Hier und da gewahrt man ein Dorf
oder einen isolirten Tempel mit einem riesigen Kampherbaum oder
kleinen Hain, und inmitten dieses anmuthigen, wechselvollen Pano-
rama’s den spiegelglatten Hafen mit seinen malerisch darauf zer-
streuten grossen und kleinen Fahrzeugen und Fischerbooten.
Die Stadt Nagasaki hat gegenwärtig 30000 Einwohner. Sie
füllt einen kleinen Thalkessel beiderseits eines Baches aus ünd steigt
theilweise an den nahen Bergabhängen empor. Ihre Strassen sind
meist eng und bieten gegenüber denen anderer japanischer Städte
nichts besonders Auffallendes. »Sie ist ganz offen«, sagt schon
Kaempfer, »wie die meisten Städte in Japan, ohne Castell, Wall,
[]
NAGASAKI.
Verlag von Wilh. Engelmann, Leipzig.
[][603]VIII. Kiushiu.
Mauer oder Graben«. Das Fremdenviertel breitet sich mit seinen
sauberen Häusern und geräumigen Strassen der Küste (Ura) entlang
aus, das chinesische Quartier liegt wie in Yokohama etwas mehr
zurück. Da Nagasaki kein so productives Hinterland hat als Yoko-
hama und selbst Kobe, so ist sein Handel zurück gegangen. Die
Bedeutung des Hafens für den Verkehr mit China und Korea, wozu
er sich seiner günstigen Lage nach besonders eignet, wird dagegen
wahrscheinlich immer mehr steigen. Unter den Industriezweigen von
Nagasaki sind in erster Linie die Schildpattarbeiten, sodann ordinäre
Lackarbeiten mit Perlmuttereinlage, und lackierte Thonwaaren zu
nennen. Ausser diesen Gegenständen und Arita-Porzellan gelangen
über Nagasaki zur Ausfuhr: Tabak, Thee, Pflanzentalg, Kampher
und mehrere andere unbedeutendere Artikel.
Wie schon Kaempfer hervorhob, gehörte Nagasaki zu den fünf
reichsten und wichtigsten Handelsstädten Japans *), welche als Do-
mänen der Shôgune durch Gouverneure verwaltet wurden. Ehedem
im Besitze des Daimio von Ômura, war es durch den Verkehr mit
den Portugiesen aus einem bescheidenen Fischerdorfe zu einer reichen
und ansehnlichen Handelsstadt emporblüht. Aber bereits 1586 wurde
die Stadt durch Taikô-sama dem Daimio von Ômura entrissen und
als Eigenthum der Centralregierung erklärt, und aller auswärtige
Verkehr auf ihren Hafen beschränkt. Es war eine der ersten Proben
der Ungnade, in welche die Christen und ihre Beschützer, die Daimio
von Bungo, Arima, Ômura, Amakusa, Hirato, theilweise durch die
Insolenz verschiedener portugiesischer Priester gefallen waren, der
bald weitere folgen sollten.
Der fremde Ankömmling in Nagasaki wird nicht versäumen De-
shima, die alte Factorei der Holländer, aufzusuchen, wo diese wie
Diebe abgesondert und bewacht und unter manchen sonstigen de-
müthigenden Bedingungen, die grossen Vortheile des Handelsmonopols
genossen und zwar von 1639—1859. De-shima, d. h. die Vor-Insel,
war ein zu diesem Zweck künstlich geschaffenes kleines Inselchen
von nur 200 Meter Länge und 60 Meter Breite, in Gestalt eines aus-
gebreiteten Fächers ohne Griff, auf der Südspitze der Stadt gelegen
und von ihr nur durch einen Graben getrennt. Die kleine, steinerne
Brücke, ihr einziger Zugang vom Lande aus, war streng bewacht
und jede Person, die aus- und einging, unter beständiger Controlle.
Diese Schranken sind endlich gefallen. Das neue De-shima hat seinen
alten Charakter verloren, selbst bezüglich der Gebäude, da vor einer
[604]III. Topographie.
Reihe von Jahren bereits eine Feuersbrunst hier gründlich aufräumte
und die neuen Häuser ohne alles Interesse sind. Auch die alten,
riesigen Kampherbäume bei einigen Tempeln, der grosse Friedhof
auf der Anhöhe über dem Hafen, sind sehenswerthe Objecte.
Tôjin-yashiki, die chinesische Factorei, lag von einer Mauer um-
geben im Innern der Stadt und umfasste 25 leicht gebaute Wohn-
häuser und etwa eben so viele Waarenräume. Die hundert chine-
sischen Insassen standen zwar auch unter genügender Controlle, ge-
nossen jedoch weit grössere Freiheiten als die Holländer. Zu jeder
Tagesstunde durften sie frei aus- und eingehen, ungehindert in der
Stadt verkehren und ihren kleinen Handel treiben. Derselbe bestand
in dem Einführen von Arzeneien und Farben, Woll- und Baumwoll-
stoffen und andern Gegenständen, und in dem Export von Fischen,
Trepang, Algen, Kupfer und Lackwaaren.
Nördlich von Nagasaki liegt am Wege nach Tokitsu an der
Ômura-Bucht der Ort Urakami, in welchem sich seit der Portugiesen
Zeit unbeachtet jene christliche Gemeinde erhalten hatte, die vor
etwa 10 Jahren noch einmal vorrübergehend ihres Glaubens wegen
leiden musste und damals viel von sich reden machte. Nagasaki ist
eben so weit, nämlich 3 ri, von Tokitsu an der Ômura-Bucht ent-
fernt, wie von dem südöstlich gelegenen kleinen Hafen Môgi, der
als Ueberfahrtsort nach Amakusa dient.
Saga, die zweite Stadt der Provinz Hizen auf der Nordseite
der Shimabara-nada in fruchtbarer Ebene gelegen, hat 21700 Ein-
wohner. Es war die Residenz von Nabeshima, des Fürsten von
Hizen, dessen Vorfahren mit dieser Herrschaft von Taikô-sama be-
lehnt wurden, etwa zur selben Zeit als Nagasaki zur Domäne wurde.
Ein grosser Theil des Gebietes gehörte zuvor dem christlichen Fürsten
von Bungo. Saga ist eine etwas herunter gekommene Stadt. Ihre
Samurai machten sich 1874 durch einen Aufstand bemerkbar. Ha-
suike (2030 Einwohner), Ogi oder Oshiro (3650 Einwohner) und
Kashima (2970 Einwohner), waren die Sitze jüngerer Glieder der
Familie Nabeshima. Sie liegen nicht sehr weit von Saga in derselben
Ebene. Shimabara auf der Ostseite der gleichnamigen Halbinsel,
der Ueberfahrtsort auf dem Wege von Nagasaki nach Kumamoto,
hat 18700 Einwohner. Die blutigste Christenverfolgung, welche die
Geschichte Japans aufweist, fand 1637 zu Arima im Süden der Halb-
insel statt. Ômura an der Südostseite der gleichnamigen Bucht
mit 9300 Einwohnern, hatte seine alte Herrscherfamilie behalten,
doch war ihr Besitz und Einfluss, seit dem ihr Nagasaki nicht mehr
gehörte, sehr zusammengeschmolzen. Bartholomäus, Prinz der Omu-
[605]VIII. Kiushiu.
rener, wie es in der alten Geschichte der Jesuiten heisst, betheiligte
sich an der Gesandtschaft nach Rom durch seinen Bruderssohn Michael.
Karatsu, 8000 Einwohner, liegt nordwärts von Nagasaki an der
Genkai-nada. Ausfuhr von Kohlen und Porzellan. In derselben
Richtung, doch näher, befindet sich Arita mit grossen Porzellan-
fabriken, 5400 Einwohner, und westlich davon sein Hafen Imari
mit 4000 Einwohnern. Der Hafenplatz Isahaya mit 6600 Einwoh-
nern, liegt im Südwesten von Ômura an der Shimabara-nada. To-
kitsu an der Ômura-Bucht hat 5000 Einwohner; ebensoviel Jagami
an der Chijiwa-nada, Fukabori, südwestlich von Nagasaki auf der
nämlichen Seite des Busens von Nagasaki der Insel Koyaki gegen-
über, soll 17800 Einwohner haben. Tomiye, 8670 Einwohner.
Unter den Inseln, welche im Westen von Kiushiu der Provinz
Hizen zugehören, sind Hirado und die Gotô am grössten und be-
merkenswerthesten. Sie liegen in einer von Nordost gen Südwest ge-
richteten Linie, in deren nördlichen Fortsetzung Ôki und etwas mehr
westlich Iki und Mishima erscheinen. Sie sind allesammt gebirgig,
auf den Bergen bewaldet, in den Thälchen und flachen Küsten-
streifen wohl cultiviert. Hirado, im Nordwesten des Einganges zur
Ômura-Bucht gelegen und durch einen tiefen Canal, den Hirado-no-
Seto, von Kiushiu geschieden, ist am besten bekannt. Ihre gleich-
namige Hauptstadt liegt auf der Nordostseite nur wenige ri von Hizen.
Die Postdampfer zwischen Nagasaki und Shimonoseki nehmen ihren
Cours längs der Ostseite der Insel und Stadt Hirado hin und zeigen
ihre bebauten Felder. Die Stadt hat 10600 Einwohner und ist be-
merkenswerth, weil ihr früherer Besitzer, der Daimio von Hirado,
erst den Portugiesen und dann nach 1600 auch den Holländern hier
freundliche Aufnahme und Handelsverkehr gewährte. Im Jahr 1609
gründeten die Holländer eine Factorei, welche sie jedoch 1640 auf-
geben und nach Nagasaki verlegen mussten.
Die Gotô oder Fünfinseln (Fukaye-, Kuga-, Naru-, Wa-
kamatsu- und Nakatsu-shima) liegen ganz unter dem Einfluss
des westlichen Armes der Kuroshiwo-Strömung und haben daher ein
mildes Seeklima.
6. Higo. Diese ansehnliche Provinz liegt südöstlich von Hizen,
davon getrennt durch Shimabara- und Hayasaki-nada; sie ist ausser
durchs Meer auf der Westseite, im Norden von Chikugo, im Nord-
osten von Bungo, im Osten von Hiuga, im Süden von Hiuga und
Satsuma begrenzt. Sie hat viel fruchtbares Land und liefert nament-
lich Reis, Weizen und Gerste in Ueberfluss, daneben auch Tabak
und Pflanzentalg zum Export. Wie Konishi das Gebiet in kurzem
[606]III. Topographie.
Besitz hatte und dasselbe dann überging in die Hände seines Feindes
Kato Kiyomasa, um endlich dauernd den Hosokawa zuzufallen, wurde
im historischen Abschnitt erwähnt. Hosokawa, ein Kokushiu von
540000 koku, residierte in der grossen, starken Burg zu Kumamoto.
Die Abbildung pag. 371 zeigt uns nur einen kleinen Theil derselben,
mit ihren mächtigen Cyclopenmauern und hohen Kampherbäumen.
Das Schloss selbst und der Schlosspark sind zerstört und auf der
weiten Fläche Baracken für die Garnison errichtet worden. Auch
die ehemals tiefen Schloss- und Wallgräben hat man verschüttet.
Dennoch vermochte die Besatzung unter General Tani im Frühjahr 1877
diesen Platz gegen die Belagerer unter Saigo zu halten (pag. 431).
Die Stadt Kumamoto liegt unter 32° 48' N. und 9° 5½' W. Tôkio
an beiden Seiten des vom Vulkan Aso kommenden Shira-gawa
eine Meile vor dessen Mündung und ist jetzt Sitz des gleichnamigen
ken, der auch nach dem Kreise Shirakawa-ken genannt wird und
Higo nebst Chikugo umfasst. Sie hat 45000 Bewohner in 10000
Häusern und ist sonach die volkreichste Stadt auf Kiushiu. Ihre
Entfernung vom Aso-san beträgt 11 ri, von Shimabara 7 ri, von Na-
gasaki 48 ri, von Kokura 42 ri, von Funai 29 ri und von Kagoshima
53 ri. Als Hafen dient das Städtchen Ôshima.
Die übrigen Schlossstädte der Provinz sind Udo und Yatsu-
shiro, wo Zweige der Familie Hosokawa mit 30000 und 35000
koku wohnten, und Hitoyoshi, welches dem Daimio Sagara (22000
koku) gehörte. Die beiden ersten liegen unweit der Küste, südlich
von Kumamoto und haben 4400, beziehungsweise 9000 Bewohner;
Yatsushiro befindet sich am rechten Mündungsarm des Kuma-gawa.
Südöstlich davon, doch viel mehr landeinwärts erheben sich am näm-
lichen Flussufer Stadt und festes Schloss Hitoyoshi mit 4000 Einwohnern.
Ausserdem sind noch zu nennen Takase mit 2800 Einwohnern, nord-
wärts von Kumamoto am Wege nach Saga, und weiter Nagasu mit
5700 Einwohnern, südwärts aber Kawajiri mit 4700 Einwohnern.
Zur Provinz Higo gehörten die Inseln Amakusa, Oye oder
Kami-shima, Nago-shima und verschiedene kleinere im Süden
der Halbinsel Shimabara. Davon ist Amakusa, die westlichste, am
grössten und bedeutendsten. Das Schiefergebirge liefert zwar nicht
viel und nur geringwerthigen Ackerboden, birgt aber an mehreren
Stellen auf der Westseite der Insel Steinkohlen, Spiessglanz und
einen eigenartigen Porzellanstein, genannt Amakusa-ishi. Von Naga-
saki ist die Insel leicht erreichbar. Der Ueberfahrtsort zu ihr, Mogi,
liegt 3 ri von Nagasaki und etwa fünf von Tomioka, einem Städt-
chen und Hafen an schöner Bucht auf der Nordseite der Insel mit
[607]VIII. Kiushiu.
3200 Einwohnern. Ein ri davon werden Steinkohlen gewonnen. Ya-
maguchi-mura liegt auf der Nordostseite und hat 3100 Bewohner,
Ushibuka im Süden mit 7600 Einwohnern.
7. Hiuga bildet eine an der Ostküste von Kiushiu lang hinge-
streckte Provinz mit meist flachem Gestade. Ausser dem Meer sind
Bungo, Higo und Ôsumi ihre Nachbarn, der grösste südliche Theil
gehörte zur Herrschaft Satsuma und bildet mit Ôsumi und Satsuma
die ältesten Theile Japans, auf welche die sagenhafte Geschichte
verweist. Reis baut die Provinz in Ueberfluss und vermag den Mangel
daran in Satsuma zu decken. Unter den nützlichen, wenn auch nicht
mehr häufigen Waldbäumen südlicher Distrikte sind der Kampherbaum
und Distylium racemosum (jap. Isu) zu nennen, dessen hartes Holz
der Kammschneiderei dient und dessen Asche in der Keramik ver-
wendet wird. Die Gebirgsgegend an der Grenze von Bungo, betreibt
Bergbau auf Kupfer und Antimon. Die Hauptstrasse führt in der
Nähe der Küste hin und es liegen daran von Norden nach Süden
folgende bemerkenswerthe Städte:
Nobeoka (Naitô, 70000 koku) mit 6900 Einwohnern, Hoso-
jima mit 2300 Einwohnern, Mimitsu mit 1900 Einwohnern, Taka-
nabe (Akidzuki, 27000 koku) mit 3300 Einwohnern, Sadowara
(Shimadzu, 27070 koku) mit 873 (?) Einwohnern, Hirose, 3000 Ein-
wohner, Miyasaki mit 12000 Einwohnern, Shibushi mit 4700
Einwohnern und Obi (Itô, 51000 koku) mit 2700 Einwohnern. No-
beoka, eine ansehnliche Stadt zu beiden Seiten des Gokase-gawa,
über den eine lange Brücke führt, spielte in der Geschichte der Sat-
suma-Rebellion eine Rolle (siehe pag. 431). Das Hafenstädtchen
Mimitsu, von dem einst Jimmu Tennô absegelte (pag. 244) beschäftigt
sich viel mit Papierbereitung. Das saubere Städtchen Takanabe hat
eine schöne Lage. Kommt man, wie der Autor 1875 von Süden her
und hat eine kleine, bewaldete Anhöhe bestiegen, so überrascht der
Anblick desselben unten im Thal und der des Schlosses, welches im
Westen einen grünen Bergkegel krönt, den weiter zurück bedeuten-
dere, bewaldete Höhen umrahmen. Akidzuki der frühere Besitzer
dieser kleinen Herrschaft galt damals für einen sehr intelligenten
Mann. Er war lange in Europa gewesen und Präses des Adels-Clubs
in Tôkio. Die Stadt Sadowara liegt eine Stunde landeinwärts vom
Hama-Kaidô (der Küstenstrasse). Sie galt immer für die bedeutendste
in Hiuga, darum dürfte in der angegebenen Einwohnerzahl der japa-
nischen Statistik hinten eine Null fehlen und dieselbe nicht 873, son-
dern 8730 betragen. Hirose liegt 3½ ri von Miyasaki, welch letzteres
sich am linken Ufer des unteren Oyodo-gawa ausbreitet und bis 1876
[608]III. Topographie.
Sitz eines ken war, der dann mit Ôshima und Satsuma im Kagoshima-
ken vereinigt wurde. Höher hinauf am Flusse, der hier Akaë-gawa
heisst, liegt das Städtchen Takaoka, welches Papier-Industrie treibt.
Noch weiter westwärts, nach den Kirishima-Bergen hin, finden wir
das Städtchen Nojiri mit Samurai-Wohnungen, welche durch die
der Strasse zugekehrten Gärtchen, bepflanzt mit Bambusrohr, immer-
grünen Eichen und stattlichen Camellienbäumen, fast ganz verdeckt
werden. Die Stadt Miyakonojio mit 7400 Einwohnern, welche
ebenfalls in der Geschichte des Bürgerkrieges von 1877 genannt
wurde, liegt südlich von Kirishima-yama.
8. Ôsumi bildet die Ostgrenze der Kagoshima-Bucht und endet
im Satano-saki, der Südspitze von Kiushiu unter dem 31. Parallel.
Es war ein Theil der Herrschaft Satsuma und ist besonders bemer-
kenswerth wegen seines Tabaks, der auf der Nordostseite der Kago-
shima-Bucht im District Kokubu cultiviert und unter den Eingebo-
renen für den besten des ganzen Landes angesehen wird. Die
Bevölkerungsangabe der Stadt Kokubu zu 17144 scheint sehr über-
trieben. Bedeutender ist jedenfalls Kajiki mit 9400 (?) Einwohnern,
eine freundliche Stadt nahe der Küste, am Wege von Kagoshima
nach Kirishima-yama. Fukuyama hat 4900 Einwohner, Sata 4400
und Uchinoura an der Ôsumi-Bucht 2900 Einwohner. Auch die grossen
Inseln im Süden, nämlich Tanegashima, wo Mendez Pinto lan-
dete, mit dem Hafen Akaoki und Yakuno-shima mit Miya-
noura werden zu Ôsumi gerechnet.
9. Satsuma oder Sashiu. Satsuma, dessen Name im histo-
rischen Theile dieses Werkes so oft genannt wurde, der in Europa
vor allem den Sammlern berühmter keramischer Erzeugnisse geläufig
ist, besteht aus dem südwestlichsten Theil von Kiushiu von Higo bis
zum Kaimon-saki am Eingang zur Kagoshima-ura, sowie aus ver-
schiedenen Inseln südlich und westlich davon. An der Nordwestseite
des tiefeinschneidenden Golfes liegt die Hauptstadt Kagoshima und
derselben gegenüber und kaum eine Wegstunde entfernt das präch-
tige Sakura-jima mit seinem mächtig emporsteigenden Vulkan. Ka-
goshima ist eine der ältesten Städte Japans, war lange Zeit Sitz der
Familie Shimadzu, deren Herrschaft sich über Ôsumi, Theile von
Hiuga und verschiedene der Riukiu-Inseln, im Ganzen über ein Ge-
biet von 770800 koku erstreckte. Das Samuraiviertel der Hauptstadt
mit seinen sauberen, breiten Strassen und den schöngepflegten Vor-
gärtchen vor den Häusern ist sehenswerth, ebenso der Schlosspark,
soweit er noch erhalten ist. Die Burg selbst wurde während des
Bombardements durch die Engländer 1864 zerstört. Die Stadt hat
[609]VIII. Kiushiu.
27300 Einwohner, ist Regierungssitz des gleichnamigen Ken, der
ganz Satsuma, Ôsuni und Hiuga umfasst und besitzt ein grosses Ar-
senal. Ostwärts desselben ist das prächtig am Meere gelegene Ta-
noura, gewissermaassen eine Vorstadt von Kagoshima, woselbst die
saubere, berühmte Porzellan- (richtiger Fayence-) Fabrik Sakura-jima
gegenüber besonders sehenswerth ist, nicht minder der etwas weiter
gelegene schöne Hain, dessen Hauptbäume Laurus camphora und
Quercus cuspidata an Stärke mit einander wetteifern. Die Producte
von Satsuma sind ausser ihren weltberühmten keramischen Erzeug-
nissen, Tabak, Kampher, Pflanzentalg und Pferde, dagegen reichen
die Feldfrüchte für den Bedarf nicht aus.
Von sonstigen Städten *) sind längs der Küste zu nennen: Akune,
der Ueberfahrtsort nach Ushibuka auf Amakusa, ein Fischerstädtchen
an offener, seichter Rhede mit 10918 (?) Einwohnern. Sendai zu
beiden Seiten des nach ihm benannten Flusses. Das Städtchen zur
Linken heisst Mukoda, zur Rechten Midzukiki. Etwa eine Viertel-
stunde davon zeigt man in schönem Haine das Grab des Ninigi-no-
Mikoto (pag. 244). Kago mit 24902 (?) Einwohnern, Miyanojio
mit 8607 (?) Einwohnern, Yamagawa 6289 (?) Einwohnern, Ka-
seda, 31595 (?) Einwohnern, Tsuboga oder Nahashirogaha
(Naëshirogawa auf der Karte), das Koreanerdorf mit etwa 1000 Be-
wohnern zwischen Ichiku und Kagoshima, etwa 2½ Meile von letzterem
entfernt, woselbst noch 17 Familien der durch den Daimio Shimadzu
Yoshihiro 1598 von Korea eingeführten Töpfer, das Handwerk
ihrer Vorfahren betreiben. Taniyama mit 21087 (?) Einwohnern und
Ibusuki mit 11588 (?) Einwohnern.
Zu Satsuma gehören:
- a) Die Koshiki-Inseln, nämlich Kamo- und Shimo-Koshiki
auf der Westseite der Provinz, mit schön bewaldeten Bergen;
Rein, Japan I. 39
[610]III. Topographie.
- b) Iwo-shima, die Schwefel-Insel, mit activem Vulkan im
Süden, sowie eine Anzahl anderer kleiner Eilande.
Die Inseln Iki und Tsushima bilden zwei selbständige Pro-
vinzen, welche zu keinem der dô oder Landschaftsbezirke gerechnet
werden. Iki-no-kuni umfasst 2,6 Quadratmeilen und 33000 Bewohner.
Es gehörte früher dem Daimio Matsuura, welcher zu Katsumoto
auf der Nordseite der Insel wohnte. Diese Stadt zählt gegen 4900 Ein-
wohner, Gônoiira an der Südwestküste 2800 Einwohner, 33° 52'
N. und 10° 6½' westlich von Tôkio. Nach den Angaben japanischer
Karten ist der Hafenort Ishida an der Südostküste gleich weit, näm-
lich 15 ri (8 Meilen) von den Städten Hirado und Kuratsu entfernt.
Tsushima war Jahrhunderte hindurch im Besitz der Familie
Sô mit 100000 koku. Die Hauptstadt (Fuchiu) heisst jetzt Idzu-
nohara, hat 8800 Bewohner und liegt unter 34° 12½' N. und 10°
29' westlich von Tôkio. Die Insel hat ein Areal von 12,31 Quadrat-
meilen und eine Bevölkerung von 30000 Bewohnern. Sie liegt gleich
weit, nämlich 48 ri, von Iki und von Korea, mit dem sie in Handels-
beziehungen steht.
IX. Der Hokkaidô oder die Nordseestrasse.
Mit diesem Namen bezeichnet man seit der Regierung Meiji die
Insel Yezo nebst den Kurilen, welche als achter dô oder Strassen-
bezirk dem Reiche zugefügt und in 11 Provinzen getheilt wurden.
Das Gebiet steht als Colonie unter besonderer Verwaltung, genannt
Kaitakushi *), welche bisher enorme Summen verschlungen und damit
wenig Erspriessliches bewirkt hat. Dies ist in Kürze das unter den
Fremden Japans herrschende Urteil. Wen dabei die meiste Schuld
trifft, ob die Regierung, ob ihre amerikanischen Beamten und Be-
rather, ob ungünstige sonstige Verhältnisse, ist bezüglich des Resul-
tates zunächst einerlei. Nur eins will ich hier hervorheben, nämlich,
dass die amerikanische Art des Betriebes der Landwirthschaft für
japanische Verhältnisse wohl die ungeeignetste ist, welche man sich
denken kann und darum war Japan bezüglich der Colonisation von
Yezo schlecht berathen, wenn es zu Bruder Jonathan in die Lehre ging.
Nach dem, was in früheren Abschnitten über Orographie und
Klima der Insel Yezo bemerkt wurde, müssen sich alle Hoffnungen
auf einen lucrativen Ackerbau auf den Südwesten der Insel und ins-
besondere auf die Ebenen des Ishikari und seiner Nebenflüsse be-
[611]IX. Der Hokkaidô.
schränken. Allen Berichten amerikanischer Bergingenieure an das
Kaitakushi, so umfangreich und scheinbar günstig sie auch aussehen
mögen, konnte der Verfasser nur entnehmen, dass, wie die Verhält-
nisse bis jetzt liegen, ein gewinnreicher Bergbau auf werthvolle Me-
talle nicht zu erwarten ist und ein solcher auf Kohlen noch manche
Zweifel zulässt. So bleibt denn als Hauptresource der Insel nach
wie vor das fisch- und algenreiche Meer und die Jagd, wozu bei
rationeller Behandlung die Verwerthung der Wälder und Weiden
kommen können. Der enorme Reichthum der Aino-Insel an Lachsen,
Häringen, Schellfischen und anderen werthvollen Meeresbewohnern
hat zu der autochthonen Bevölkerung längs der Küste allmählich eine
Menge japanischer Einwanderer geführt, welche sich theils in Städten
und Dörfern dauernd niedergelassen haben, theils nur für die Sommer-
monate aus dem nördlichen Ôshiu und Dewa herüber kommen, um als
Tagelöhner im Dienste von Kaufleuten dem Fischfang, sowie der
Einsammlung und Zubereitung essbarer Algen obzuliegen.
Die Gesammtbevölkerung des Hokkaidô beträgt 150000, wovon
95000 auf die Provinz Ôshima, aber nur 453 Bewohner auf die Ku-
rilen kommen. Die Zahl der Ainos wird zu 16163 angegeben.
1. Ôshima, d. h. die grosse Insel, ein Name, der offenbar
von den Japanern ursprünglich auf ganz Yezo angewandt und später
auf die südwestlichste Provinz an der Tsugaru-Strasse beschränkt
wurde. Sie umfasst die ältesten Niederlassungen der Japaner auf
Yezo, die Stadt Matsumaye, welche unter einem Daimio (Matsudaira,
Idzu-no-kami 30000 koku) stand, die Stadt Hakodate, welche als
Domaine der Shôgune ein Gouverneur verwaltete, und die Stadt
Yesashi.
Hakodate, einer der Vertragshäfen unter 41° 46' N. und 140°
40' O. Gr. an der Tsugaru-Strasse und einer geräumigen schönen
Bucht gelegen, ist einer der sichersten und geschütztesten Häfen des
Landes, genügend tief und mit vortrefflichem Ankergrunde. Die
Stadt hat etwa 30000 Bewohner, darunter nur gegen 600 Ainos und
70 Fremde *). Im Jahre 1854 schätzte Lieutenant L. Maury U. S. N.,
ein Mitdlied der Perry-Expedition, ihre Bevölkerung auf nur 6000
Seelen. Dieselbe ist also rasch gestiegen. Damals war Matsumaye
39*
[612]III. Topographie.
(oder Matsmai) die bedeutendere der beiden Hauptstädte von Yezo.
Dieselbe liegt am Südwestende der Insel und zählt jetzt 16000 Be-
wohner. Yesashi, der dritte Hafen von Ôshima, soll 9000 Ein-
wohner haben. Die Stadt liegt an der Westküste.
2. Shiribeshi, erstreckt sich am japanischen Meer hin nord-
wärts bis zur Ishikari-Bucht. Ihre Hauptstadt Ôtaru mit 4000 Ein-
wohnern treibt ansehnlichen Fischhandel, auch mit China. Iwanai,
ein kleiner Ort ebenfalls an der Küste, ist bemerkenswerth seiner
Steinkohlen wegen.
3. Iburi, südöstlich von voriger Provinz an der Volkano-Bai
und ostwärts. Hauptort Mororan an der Endermo-Bai mit 600 Ein-
wohnern, vortrefflicher Ankerplatz, von Broughton zuerst entdeckt.
Yubutsu, Osarubetsu und andere dem Fischfang dienende Küsten-
dörfer.
4. Ishikari. Diese Provinz, benannt nach dem grössten Flusse
der Insel, hat jedenfalls eine bedeutende Zukunft. Sapporo, die
vom Kaitakushi gegründete, neue Hauptstadt von Yezo liegt hier
unter 43° 3' 56″ N. und 141″ 42' 49″ O. Gr. 18 Meter über dem Meer
an einem Nebenflusse des Ishikari. Die Stadt hat eine unter ameri-
kanischer Leitung stehende landwirthschaftliche Schule und ander
öffentliche Anstalten und soll in amerikanischem Style angelegt sein.
Eine der ersten Sorgen des Kaitakushi war die Errichtung eines Yo-
shiwara, heisst es. Bedeutender und blühender ist bis jetzt das
Städtchen Ishikari an der Mündung des gleichnamigen Flusses,
seiner ausgedehnten Lachsfischerei wegen.
5. Teshio, nordwärts von voriger längs des Japanisch-tatarischen
Meeres. Ihr Hauptort heisst Rurumoppe, hat nur 500 Bewohner,
ist aber bemerkenswerth als nördlichste, meteorologische Beobach-
tungsstation.
6. Kitami. Diese Provinz zieht am Ochotskischen Meer hin
von der Nordspitze der Insel Yezo, bis zum nordöstlichen Ende, dem
Cap Shiretoko. Mombetsu ist Hauptort mit 400 Einwohnern, Sôya
an der Strasse La Perouse, Ueberfahrtsort nach Sachalin.
7. Nemuro, die östlichste und kleinste Provinz der Insel mit
der gleichnamigen Stadt (an der Walvis-bay von Vries). Die Stadt
Nemuro hat 1400 Einwohner.
8. Kushiru, gleich den beiden folgenden Provinzen an der Süd-
küste gelegen, hat den Hafen Akeshi mit 1000 Bewohnern zur
Hauptstadt.
9. Tokachi, trägt den Namen des zweitgrössten Flusses der
Insel. Hiroo oder Birô, ein Hafenplatz, ist Hauptort.
[613]IX. Der Hokkaidô. Die Riukiu-Inseln.
10. Hidaka bildet den südöstlichsten Vorsprung der Insel, das
Yerimo-saki. Die Hauptstadt heisst Saru und liegt nicht weit von
der Grenze von Iburi. Andere nennenswerthe Orte der Küste sind
Shidzunai, Urakawa und Horoidzumi.
11. Chishima (Tausend Inseln) oder die Kurilen.
Durch Vertrag vom Jahre 1875 endeten Japan und Russland einen
langen diplomatischen Streit um den Besitz der Insel Sachalin oder
Karafto, indem ersteres seinen Ansprüchen auf den südlichen Theil
derselben zu Gunsten Russlands entsagte, wogegen ihm dieses seine
bisherigen Kurilen, 18 unbewohnbare Inseln, beginnend mit Urup an
der de Vries-Strasse bis zur Kurilenstrasse am Cap Lopatka, abtrat.
Der Tausch fiel zu Gunsten Russlands aus, denn ausser dem Fang
von Seeottern und etwas Robbenschlag bieten die nordöstlichen Kurilen
bis jetzt nichts Verlockendes. Anderseits waren die Ansprüche Japans
auf Sachalin von keinem älteren Datum und nicht besser begründet
als diejenigen Russlands. Die beiden grössten und wichtigsten der
Chishima, nämlich Kunashiri und Etorófu gehörten schon früher
zu Japan, ebenso die kleinere Shikótan (sprich Schkotang), woselbst
noch eine Art Bambusrohr wächst, genannt Shikotan chiku (chiku,
take, Bambusrohr), die sich durch dunkelbraune Flecken am Rohre,
eine schön aussehende und geschätzte Marmorierung, auszeichnet.
Der Hauptort an der Südküste von Kunashiri heisst Tomari. Auf
Etorófu sind die Fischerstationen Furubetsu, Atoya, Naipo und
andere.
Die Riukiu oder Liukiu-Inseln*). 38 Quadratmeilen mit
170000 Bewohnern.
Das frühere Königreich Riukiu, jetzt das 36. Departement Ja-
pans, unter dem Namen Okinawa-ken, umfast 36 bewohnte Inseln,
welche von der Colnetstrasse bis gegen Formosa hinziehen und ausser
den Linschoten-Inseln drei grössere Gruppen bilden. Einzelne,
namentlich die kleineren, wie im Norden die Sieben Geschwister sind
vulkanisch und erheben sich steil aus dem Meer, andere scheinen
Korallenbildungen zu sein, die Mehrzahl aber ist geologisch und bo-
tanisch noch ganz unbekannt. Das Klima geht vom subtropischen
Charakter im Norden in den tropischen nach Süden über und gilt
[614]III. Topographie.
durchweg für angenehm und gesund. Taifune und Erdbeben gehören,
wie weiter nordwärts, zu den Plagen der Insulaner. Dieselben be-
schäftigen und nähren sich mit Ackerbau und Fischfang. Man baut
die Feldfrüchte China’s und Japans, doch besonders viele Bataten,
auch Zuckerrohr. Unter den Hausthieren zeigen zahlreiche Schweine
chinesischen Einfluss. Die Bewohner bilden nach Körperbeschaffen-
heit, Sprache und Sitten mit den Japanern ein Volk. Ihre Manieren
gefallen. Der geschenkte Gegenstand wird zum Dank gegen die
Stirn gehalten, eine Sitte, der man auch in Japan noch viel begegnet.
Die Beamten trugen Strohsandalen, gingen aber bisher gleich dem ge-
wöhnlichen Volke barköpfig. Das Kopfhaar wird von allen Seiten nach
dem Scheitel gekämmt und dort in einem Knoten befestigt durch zwei
Metallnadeln aus Gold, Silber oder Kupfer, je nach Stand und
Mitteln. Die kürzere hat einen Kopf, den Beechey einer Blüthe mit
sechs Petalen vergleicht und der nach vorn gerichtet ist. Die längere
gleicht einem Marklöffel mit nach vorn gerichtetem Stiel.
Die nördliche Riukiu-Gruppe gehörte zuletzt zu Satsuma. Sie
umfasst Ôshima, Tokushima, Kikaiga-shima und ver-
schiedene kleinere Inseln. Ôshima gilt als sehr fruchtbar und liefert
namentlich Reis und Zucker. Der Haupthafen Tomari hat 5800
Bewohner.
Zur mittleren Gruppe gehört vor allem Okinawa-shima oder
»Gross-Riukiu«, eine wohlcultivirte Insel von wellenförmiger
Beschaffenheit mit 400 Meter hohen Hügeln, soll Corallenbildung sein.
Die Hauptstadt heisst Shiuri, ihr Hafen Nafa. Die Angabe der
Einwohnerzahl zu 44984 und 14610 ist ohne Zweifel gewaltig über-
trieben. Allen Schilderungen nach sind es Städtchen, deren Bevölke-
rung 10000 Seelen nicht übersteigt. Der zweite Hafen der Insel mehr
im Norden heisst Kume.
Der 26. Parallel bildet die Südgrenze der centralen Inseln. Zwischen
dem 25. und 24. Breitegrad liegt die dritte oder Miyako-shima-Gruppe,
welche im Mai 1880 an China abgetreten sein soll. Die grössten
der hierher gehörenden Inseln heissen Miyako-shima, Ishigake-
shima und Irima-shima.
Wie Satow angiebt, fanden 1451 die ersten intimeren Beziehungen
Japans zu den Riukiu-Inseln statt, zur Zeit als der König der
letzteren dem Shôgun Ashikaga Yoshimasa ein Geschenk sandte.
Der Handel mit Hiogo und mehr noch mit Satsuma und seiner Haupt-
stadt Kagoshima entwickelte sich und aus den Geschenken die Zah-
lung eines regelmässigen Tributs, welche zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts aufhörte, indem sich damals der König von Shiuri mehr
[615]Ogasawara-shima, Munintô oder Bonin-Inseln.
an China anlehnte. Eine Folge davon war die pag. 361 erwähnte
Expedition von Satsuma. Von da ab stellte sich das alte freundliche
Verhältniss wieder her. Der König erkannte die Oberhoheit Japans
an, zahlte einen kleinen jährlichen Tribut an Satsuma, that dasselbe
China gegenüber und stand so unter dem Schutze beider mächtigen
Nachbarn, die sich im übrigen um seine Angelegenheiten und das
Schicksal seines Ländchens nicht kümmerten. Die Bewohner der
Riukiu aber, ein biederes, höfliches, freundliches und friedfertiges
Völkchen, lebten frugal und glücklich unter diesen Verhältnissen.
Da kamen 1874 die Auseinandersetzungen Japans mit China betreffs
Formosa. Von da ab glaubte ersteres ein ausschliessliches Recht
auf die Inseln zu haben, brachte ihnen Dampfschiffverkehr und anderes
mehr und verbot die fernere Uebersendung von Geschenken an China.
Die Riukiu-Insulaner erklärten ihre Zufriedenheit mit den bisherigen
Verhältnissen, baten um Belassung derselben, konnten aber schliess-
lich nicht hindern, dass 1876 ihr Fürst mediatisiert und sein Besitz-
thum als 36. Regierungsbezirk Nippon zugefügt und ganz unter japa-
nische Verwaltung gestellt wurde.
Ogasawara-shima, Munintô oder Bonin-Inseln.
Die Bonin-Inseln — der Name erscheint als Corruption des japa-
nischen Munin-tô oder Munin-jima, d. h. menschenleere Inseln —
liegen zwischen 26° 30' und 27° 45' N. ungefähr 100 Meilen SSO.
von Yokohama. Die Japaner nennen sie jetzt nach ihrem ersten Ent-
decker (oder Besitzer?) Ogasawara und kennen sie seit dem Jahre
1593. Wahrscheinlich sind die Arzobispo spanischer Seefahrer
nach Manila die südlichste Gruppe. Unsere näheren Kenntnisse von
den Inseln verdanken wir aber Capt. Beechey, der mit der Blossom
am 9. Juni 1827 an einer derselben landete und ihr den Namen Peel
Island gab, den Hafen aber Port Lloyd nannte und seine Lage unter
27° 5' 35″ N. und 142° 11' 30″ O. Gr. bestimmte. Es sind drei
Gruppen kleiner Inseln, welche seit Beechey auf Seekarten in Meri-
dianrichtung von Nord nach Süd als Parry-, Beechey- und Coffin-
Inseln unterschieden werden. Bevor Beechey die Inseln verliess, be-
festigte er ein Kupferblech auf ein Brett, das er wider einen Baum
zu Port Lloyd nagelte. Das Kupfer trägt folgende Proclamation:
»H. M. S. Blossom, Captain Beechey, R. N., took possession of this
group of Islands in the name and on behalf of His Majesty King
George, the 14th. June 1827«.
[616]III. Topographie. Agasawara-shima etc.
Im Jahre 1830 kamen auf Betrieb des englischen Consuls der
Sandwich-Inseln die ersten Colonisten nach den Bonin-Inseln, eine
gemischte Gesellschaft aus einem Engländer, einem Italiener, zwei
Amerikanern, einem Dänen, fünf Männern und 10 Frauen von den
Sandwich-Inseln. Wallfischfänger landeten zuweilen und hinterliessen
einzelne ihrer Leute, aber die englische Regierung kümmerte sich
nicht weiter um die entlegene Colonie. Als 1875 Consul Robertson
zu Yokohama die Inseln besuchte, fand er eine Gesellschaft von 64
Personen, bestehend aus Engländern, Franzosen, Amerikanern, Spa-
niern, Südseeinsulanern, Negern, zwei japanischen Frauen und Bastarde.
Unter den Bewohnern gab es nur einen, Namens Webb, der noch
des Lesens und Schreibens kundig war. Die englische Regierung hat
seit 1861 alle Ansprüche auf die Inseln fahren lassen, als die japa-
nische ihr Eigenthumsrecht daraufgeltend machte. In der Neuzeit hat
diese einen regelmässigen Verkehr mit ihnen hergestellt und scheint
die genauere Untersuchung und Besiedelung derselben ernstlich be-
treiben zu wollen.
Durch Vertrag mit Korea, abgeschlossen zu Seul (Hanshon), der
Hauptstadt desselben, am 26. Februar 1876, erhielt Japan das Recht
zur Niederlassung und zum Handelsbetrieb an zwei Hafenplätzen der
koreanischen Küste. Fusan, der erste dieser Vertragshäfen, liegt
Tsu-shima gegenüber unter etwa 35° 5' N. und 129° O. Gr. Die
Niederlassung scheint zu gedeihen, besitzt bereits 2000 Bewohner und
steht in lebhaftem Verkehre mit Nagasaki. Am 1. Mai 1880 wurde
Gensan, der zweite Hafen, geöffnet. Derselbe liegt unter 39° 10½'
N. und 127° 25' O. Gr. an der Brougthon-Bay. Wie früher Perry
in Japan, so scheint jetzt den Japanern in Korea die Aufgabe zuzu-
fallen, als Pioniere für das christliche Abendland zu wirken und eine
Verbindung einzuleiten, nach welcher die Seemächte schon lange ver-
geblich strebten.
[[617]]
Nachträge und Berichtigungen.
Pag. 10, No. 32 und 33. Durch ein Versehen wurden hier die Hauptstädte
der beiden Provinzen von Dewa verwechselt. An Stelle von Akita sind also die
drei folgenden Namen Tsurugaôka, Yamagata, Yonezawa zu setzen und umge-
kehrt, wie dies übrigens auch aus pag. 13, sowie pag. 576 ff. hervorgeht.
Pag. 125 ff. Nach dem der Druck des Kapitels über das Klima schon beendet
war, erhielt der Verfasser vom »Imperial Meteorological Observatory Tôkei, Japan«
die meteorologischen Beobachtungen der neuen Stationen Nagasaki, Hiroshima,
Wakayama, Tôkei, Hakodate, Sapporo und Rurumoppe und eine Zusammen-
stellung ihrer Ergebnisse für das Jahr 1879 zugesandt, von Wakayama jedoch
unvollständig. Hieraus ergibt sich (mit Weglassung des letzteren), dass die ab-
soluten Maxima der Temperaturen im genannten Jahr alle in den August fielen,
nämlich Nag. 33,5°C. am 26. August, Hir. 35,8°C. am 14. August, Tôk. 33,9°C.
am 15. August, Hak. 28,9°C. am 7. August, Sapp. 32,5°C. am 5. August, Rurm.
30°C. am 14. August, die absoluten Minima fielen alle in den Januar, nämlich
Nag. —2,7°C. am 10. Januar, Hir. —2,7°C. am 13. Januar, Tôk. —5,6°C. am
2. Januar, Hak. —12,2°C. am 11. Januar, Sapp. —21°C. am 24. Januar, Rurm.
—16°C. am 11. Januar. Die Niederschläge betrugen: zu Nag. 71,5 engl. Zoll
oder 1816 mm, Hir. 55,4 in. oder 1407 mm, Tôk. 58,7 in. oder 1502 mm, Hak.
57,2 in. oder 1453 mm, Sapp. 55,2 in. oder 1402 mm und Rurm. 56 in. oder
1422 mm.
Pag. 207. Zu meinem Bedauern erhielt ich »Transactions of the Asiatic
Society of Japan, Vol. VIII, part. II« mit dem werthvollen »Catalogue of the
Birds of Japan, by T. Blakiston and H. Pryer« erst nach der Drucklegung dieses
Abschnittes. Nach demselben beträgt die Zahl aller in Japan bis jetzt beobachteten
Vögel 330 Arten. Statt Sturnus cinereus pag. 208 ist St. cineraceus zu setzen,
statt Columba intermedia Bp. aber Turtur gelastes Tem., jap. Kiji-bato, statt
Milvus gorinda pag. 207 M. govinda.
Zu pag. 246. Die hier gegebene Kartenskizze von Korea, welche lediglich
die geschichtlichen Beziehungen Japans zu dieser Halbinsel veranschaulichen
soll, gibt die koreanischen Namen nach japanischer Aussprache. Die beiden
neuen Vertragshäfen, Fusan und Gensan, findet man ebenfalls angegeben.
Zu pag. 499. Gewöhnliche Kinderspiele, zum Theil sehr durchdacht und
anregend, gibt es in Japan eine ganze Anzahl. Unter denen, welchen sich auch
Erwachsene aller Stände, den gewöhnlichen Arbeiter nicht ausgenommen, gern
hingeben, stehen gegenwärtig das Shôgi oder Schachspiel und das Go, eine
[618]Nachträge und Berichtigungen.
Art Dambrett und Belagerungsspiel, oben an. Beide stammen aus China. Das
japanische Schachspiel ist viel complicierter und raffinierter als das unsrige, hat
40 Figuren und 81 Felder. Die ersteren sind liegende Klötzchen, welche durch
Grösse und Aufschriften unterschieden werden. Unter gewissen Bedingungen
werden sie umgewandt, erhalten dadurch mit andern Aufschriften neue und
grössere Rechte. Das Go wird auf einem Dambrett mit 18 Feldern im Quadrat
gespielt. Von den runden Steinen sind 80 weiss und eben so viele schwarz. Ein
Stein oder eine Gruppe von Steinen ist für den Spieler verloren, wenn der Gegner
sie rings so umsetzt hat, dass kein Ausweg bleibt.
Zu pag. 553. Das grossartigste Beispiel der Vasallentreue bis zum Tode,
welches pag. 777 und pag. 544, eben so wie hier, nur angedeutet wurde, ist das
der 47 Getreuen oder Rônin. Die Begebenheit, welche sich dem japanischen Volke
so unauslöschlich eingeprägt hat, spielte am Anfang des 18. Jahrhunderts in Yedô.
Asano Takuni-no-kami, Schlossherr zu Ako in Harima, wird vom geldgierigen
Minister Kotsuke-no-Suke (sprich Kótskenóske) tödtlich beleidigt, zieht gegen
denselben sein Schwert und verwundet ihn. Er hat in Folge dessen das Harakiri
auszuführen und erhält von seinem ältesten und treuesten Diener, dem Karo
Yuranosuke den letzten Freundschaftsdienst. Letzterer wird darauf von den
Spionen des Ministers, der Rache fürchtet, auf allen Schritten beobachtet, weiss
sie aber zu täuschen und erscheint endlich plötzlich eines Nachts vor der Wohnung
Kotsuke-no-Suke’s mit seinem 16jährigen Sohne und 45 Mitverschworenen. Die
Wachen werden nieder gemacht, man zieht den feigen Gegner aus einem Schlupf-
winkel, schlägt ihm den Kopf ab, präsentiert denselben gewaschen vor dem
Grabe des Herrn, meldet die That und wartet auf die Strafe, das Harakiri, welche
dann die lehnstreue Schaar zu Sengakuji vornimmt, wo jeder Theilnehmer später
sein Grab und seinen Denkstein erhielt neben dem seines Herrn.
Appendix A
[[619]][620][621][622][623][624][625][626][627][628][629][630]Appendix B
[]»Munin«, ohne Menschen, so benannt, weil Ogasawara, ihr Entdecker, sie men-
schenleer fand.
Wagner: »Die Bevölkerung der Erde, V« entnommen. Ihre Grundlage sind An-
gaben des Japanischen Vermessungsbüreaus, beziehungsweise Resultate der Volks-
zählung 1874.
zu deren Verwaltungsbezirken sie immer gezählt wurden, ist hier entschieden viel
zu hoch angegeben, da es sich wesentlich um Amakusa, die Koshiki, Tanegashima,
Yakunoshima, Gotô, Hirado, die Inseln im Binnenmeer und die Shichi-tô handelt,
die in ihrer Gesammtgrösse eher den 5 mittleren Inseln (Sado, Tsushima, Awaji,
Oki, Iki) nachstehen. Ihre Einwohnerzahl ist bei der von Hondo, Kiushiu und Shi-
koku mit eingeschlossen.
schon in früher Zeit von den Japanern erobert und colonisiert wurde, während Neu-
Japan aus Erwerbungen der letzten Jahrhunderte oder der allerneuesten Zeit be-
steht, die bisher eine andere politische Stellung einnahmen und als Colonien des
Mutterlandes zu betrachten sind, mit Ausnahme der Riukiu.
von Sendai; siehe meine Notizen darüber im 7. Heft der deutschen ostasiatischen
Gesellschaft.
zumi in Kawachi und Idzumi getheilt wurde.
rechnung); der 121. od. nach einer anderen Zählung der 123, ist Mutsu Hito-Tennô,
welcher seit 1867 regiert.
Kreisen oder besser noch den französischen Departements, die Kori mehr Bezirken
(Arrondissements) entsprechen, habe ich doch aus verschiedenen Gründen unsere
geläufigeren Ausdrücke Provinzen, resp. Kreise für dieselben vorgezogen.
2. Theiles, welches von der Sprache handelt.
Naniwa-no-tsu, d. h. Bucht von Naniwa oder der schnellen Wellen. Auch heisst
das anliegende Setsu wohl Naniwa-no-kuni, Land der schnellen Wellen. Dieser
Name Naniwa bezieht sich auf die rauhe, widerwärtige Fahrt des Jimmû Tennô
durch das Seto-uchi, als er von Hiuga kam und in der Nähe von Ôsaka landete;
darum wird auch diese Stadt wohl Naniwa genannt.
Admiralitäts-Inseln nach Yokohama zwischen 34° 37' N bis 35° 18' N. und fand hier
seine Breite = 40 Seemeilen.
van Japan. Uitgegeven door P. A. Leupe. Amsterdam 1858.
lonialregierung von Yezo in der Neuzeit über den Reichthum an Kohlen und
andern werthvollen Mineralien gemacht haben, lassen manche Einwürfe zu und
sind theilweise eher geeignet, den Japanern Sand in die Augen zu streuen, als
ein richtiges Bild zu geben; doch soll dies keineswegs von Allen gelten, und
insbesondere hat Lyman auf geologischem Gebiete schon sehr dankenswerthe
Arbeiten geliefert.
inneren Bau der japanischen Gebirge mit denen Chinas nachzuweisen, muss ich
meinem verehrten Freund und Collegen v. Richthofen überlassen, als dem allein
competenten Beurtheiler dieser Verhältnisse.
Mineralprodukte und darauf sich gründende Industriezweige näher eingehen..
meines Freundes Dr. H. Geyler in der Palaeontographica N. F. IV. 5., betitelt:
»Ueber fossile Pflanzen aus der Juraformation Japans« mit 5 Tafeln Abbildungen.
speaking 60 to 80 feet is their mean high«. St. John. Diese Angaben stimmen ganz
gut mit meinen Beobachtungen. Durchaus irrig aber ist die Schätzung Lyman’s,
wenn er schreibt: »The islands are various in size from a few yards in diameter to
several miles« und dann fortfährt: »The highest is perhaps Matsushima (? !), within
sight of which a couple of ri distant on the west, we passed in crossing the bay,
but even that seemed not more than a thousand feet high, if so much«.
des Japanischen Meeres, wie Sado und Tsu-shima.
kann ich nach meinen Beobachtungen nicht mit Gewissheit angeben. Sicher liegen
die Rhyolithe immer tiefer als der Dolerit, wo beide vorkommen. Die Zerstörung
des Kraters beim Haku-san und die Zusammensetzung der reichen Flora daselbst
lassen auf eine sehr alte Bildung des hier herrschenden Andesites schliessen.
»Wir hatten am 22. Februar dieses Jahres (1880) Nachts 1 Uhr das heftigste Erd-
beben, welches ich während meines 15jährigen Aufenthaltes in diesem Lande kennen
gelernt habe. Ich schlief im oberen Stock meines japanischen Hauses. Plötzlich
erwacht, glaubte ich auf einem Schiffe zur Zeit eines Sturmes zu sein, so schaukelte
das Haus mit mir hin und her. Auch das Gefühl der Seekrankheit blieb nicht aus.
Kaum konnte ich mich auf den Füssen halten, und mein Bestreben, die Treppe zu
den unteren Räumen zu gewinnen, gelang erst, als die Haupterschütterung vorüber
nommen wurden, hat der längste 1½ Minuten gedauert. Leute, welche zur Zeit der
Erschütterung wach waren, wollen ein dumpfes unterirdisches Rollen gehört haben.
In Yokohama scheint die Erschütterung ungleich heftiger aufgetreten zu sein,
denn sie hat hier die Dächer theilweise ihrer Ziegel-Bedeckung beraubt, Mauern
und viele Schornsteine eingestürzt, so dass der Schaden an den Häusern der fremden
Colonie allein auf über $ 20000 veranschlagt wird«. E. S.
der Kaufleute dienen und abseits der hölzernen Wohnungen und der Strassen stehen.
Die Japaner nennen sie dozô oder kura.
Bergen, die sie vorstellen sollen, nicht die geringste Aehnlichkeit haben.
genannt.
Bergkrystalls.
beide tragen viele Shintôtempel und sind sehr berühmt.
no-komaga-take und Shinano-no-komaga-take unterschieden.
Japan Mail gehört zu dem Werthvollsten, was in geographischer und botanischer
Hinsicht über Reisen in Japan veröffentlicht worden ist.
das Binnenmeer fahrend, und von Shikoku aus gesehen, im Uebrigen das ganze Ge-
biet nicht näher kennen gelernt. Die meisten Fremden, welche in ihm reisten, folgten
bis jetzt der alten Landstrasse von Hiogo nach Shimonoseki oder dem bequemsten
Verbindungsweg zwischen beiden Meeren von Himeji über Ikuno nach Toyooka
und zum Japanischen Meere. Es ist mir deshalb, mit Ausnahme des werthvollen
Aufsatzes von Kempermann über eine Reise durch die Centralprovinzen, auch
wenig Literatur bei Betrachtung dieses Gebietes zur Verfügung, so dass ich mich
vorwiegend an Japanische Karten halten musste und an die wenigen zerstreuten
Notizen, welche ich sammeln konnte.
Nahrungsmittel beliebt sind, besser gedeihe! —
Oka, Sayegi und Utsuki, welche hier an einander stiessen.
tôge sieht.
auf Klima und Vegetation der benachbarten Küsten, ein Vortrag, gehalten am
Jahresfeste der Senckenberg. naturf. Gesellschaft 1876.
fung, Wind, abgeleitet worden. Andere haben es sogar mit dem arabischen Worte
»tuffan« in Zusammenhang gebracht, während der griechische Ursprung nach der
Art, wie z. B. Strabon τυφώνο-εἰδής gebraucht, kaum zu bezweifeln ist.
die Flora der vier grossen Inseln im Auge, da bezüglich der weit gen Süden oder
gen Norden vorgeschobenen Inselgruppen wesentlich andere Verhältnisse vorliegen.
Punkt waren, citiere ich Grisebach, die Vegetation der Erde, I, pag. 497: »Aus
dem klimatischen Einfluss der stärkeren Niederschläge ist (in Japan) nur das Vor-
kommen tropischer Formen, nicht aber die Mannigfaltigkeit der Arten und Gat-
tungen zu erklären, um so weniger, als hier der Baumschlag in einem einzelnen
Bestande nicht nach Art der Tropenwälder gemischt, sondern oft eben so einfach
ist, wie in anderen Ländern unter gleicher Breite«.
tôge im October 1874 sah, sind am Anfange der Reife grünlichweiss, dann weingelb
und zuletzt röthlichorange, so dass es möglicherweise trotz aller äusseren Aehn-
lichkeit mit Viscum album doch eine andere Art ist.
jener herrschen buntgemischte Laubhölzer, in dieser Nadelhölzer weit vor.
schoug.
aus dem Umstande, dass selbst im äussersten Süden Japans die zahlreichsten For-
men von Säugethieren, Vögeln und Insekten Modificationen von gewöhnlichen
paläarctischen Typen sind, dass die früheren Landverbindungen Japans mit dem
Continente mehr in einer nördlichen als in einer südlichen Richtung vorhanden
gewesen sein müssen. Auch die Beschaffenheit der Flora und die fossilen Reste
aus der Juraformation weisen, wie wir gesehen haben, auf eine solche Verbindung
mit Sibirien und Amurland hin.
»Der Zoologische Garten« XVI (1875), pag. 55.
zur Kenntniss des Riesensalamanders«. Zoolog. Garten XVII, 2. 1876.
zu dem Schlusse, dass jene tropischen Fische mit einer warmen Strömung an Japans
Gestade gelangen müssten.
gebildet.
Gesellschaft etc., 11. Heft, 1876.
Dr. A. Görtz. Mittheilungen d. deutschen Gesellschaft, 8. Heft, Yokohama 1875.
melte und meinem Freunde Dr. L. von Heyden in Frankfurt zur näheren Be-
stimmung übergab, fand derselbe die Gattung Anomala allein durch 10 Species
vertreten.
Insecten befasst haben, werden meinen kurzen Bemerkungen über diese Thierklasse
Yokohama, dem besten Kenner dieser Thierklasse in Japan, zu besonderem Danke
verpflichtet.
leider auf diesem Gebiete, wie eine beliebte japanische Redensart sagt, »I no naka
no kawatsu no gotoku —, wie der Frosch im Brunnen«.
Hefte der Mittheilungen der deutschen Gesellschaft.
Fischer in Cassel erscheinen.
Naturf. Gesellschaft XI, pag. 1—168.
gebräuchlichen Bezeichnung für eine Person geworden, welche gern den Mund voll
nimmt und sich prahlt: »Ano hito wa hora wo fuku«, er bläst das Tritonshorn, d. h.
er prahlt.
stellte, und ein weiteres Exemplar, das mir bei der Gelegenheit übersandt wurde,
stellen das Vorkommen ausser allen Zweifel.
ohne Zweifel wohl instruiert auf diesem Gebiete, während seines Aufenthaltes in
Japan Zeit, sie vorzunehmen.
Schriftsprache. Sie erhielten dieselbe gleichzeitig mit dem Buddhismus aus China.
Ihr ältestes Werk — man hat es wohl ihre Bibel genannt — ist das Kojiki,
d. h. das Buch der alten Traditionen. Es erschien 711—712 n. Chr. in 3 Bänden,
von denen der erste die Kosmogonie und Mythologie der alten Japaner enthält,
die beiden anderen aber die Geschichte des Herrscherhauses von 660 v. Chr. bis
628 n. Chr. behandeln. Das Kojiki soll eine Compilation aus zwei älteren, im
7. Jahrhundert geschriebenen Werken sein, die aber verloren gegangen sind.
Das zweitälteste Buch Japans heisst Nihongi oder Nippons Geschichte. Das-
selbe wurde 720 n. Chr. beendet, hat einen ähnlichen Inhalt wie das Kojiki,
führt aber die Geschichte um 71 Jahre weiter, nämlich bis 699 n. Chr. Das
dritte Hauptwerk für die Geschichte Japans, und zwar des Mittelalters, ist das
Nihon Guaishi oder äussere Geschichte Japans, welches erst 1827 beendet
wurde. Als Hauptvermittler dieser und späterer japanischer Geschichtsquellen
sind zu nennen: Klaproth, Kaempfer, v. Siebold, Satow, Hervey de
Saint-Denys und Andere.
cher die Spitze des 1672 Meter hohen vulkanischen Gipfels krönt, sah der Ver-
fasser im Frühjahre 1875 das berühmte Schwert, welches die Sage mit diesem
Ereigniss in Verbindung bringt. Die ausserordentlich plumpe Form lässt schon
auf ein hohes Alter schliessen. Die Waffe ist aus kupferreicher Bronze ge-
schmiedet, hat keine flache Klinge, sondern einen cylindrischen, mit verschie-
denen Wulsten versehenen Stab, der gegen die Spitze einseitig zugeschärft ist.
Die Gesammtlänge ist 1,3 Meter und von der Spitze bis zum Knauf 1,02 Meter.
Der mittlere Umfang beträgt 0,23 Meter, der stärkste 0,25 Meter und die Dicke
des Griffes dieser merkwürdigen Waffe 0,54 Meter.
fortlebt, wie dies auch bei seinen Nachfolgern bis zum Mittelalter der Fall ist.
dieses Verhältniss hin mit den Worten: »Ich bin betrübt, stehend, wie ich es
thue, zwischen Tenshô-Daijin und meinem Volke …« und in einer neueren
heisst es: »Mein Haus, das von Jimmu-Tennô ab bis zum heutigen Tage nach
dem Willen der Götter über Dai-Nippon geherrscht hat …«. Es ist nach solcher
Legitimation unstreitig die älteste Dynastie auf Erden, ja sie wird sogar über
Jimmu-Tennô hinaus 10000 Jahre zurückdatiert bis zur Zeit, »wo die himm-
lischen Vorfahren den Grund des Landes legten«.
die »Hohe Pforte«. Die Idee der Benennung war die, dass der Mikado zu erhaben
sei, um direct, d. h. anders als figürlich genannt zu werden. Die Jesuiten und
die Aerzte im Dienste der holländischen Compagnie, wie Kaempfer, Thun-
berg und Andere, reden von ihm fast immer unter dem Namen Dairi (Kaiserlicher
Palast). Es gibt noch viele andere Epitheta, welche ebenfalls angewandt werden.
— Die japanische Flagge, eine rothe Sonne auf weissem Felde, soll der Ab-
stammung von Amaterasu Ausdruck geben und selbst die Lieblingsblume der
Japaner, das Chrysanthemum (kiku), im Wappen und auf Münzen ist als Symbol
der Sonne zu deuten.
der Halbinsel, bespült von den Wellen der Broughton-Bucht, der Staat Koma
oder Korai. Ihm folgte im Süden Shiraki oder Shinra, dann an der Broughton-
Strasse das kleine Mimana oder Kara und endlich längs der Westküste der
Halbinsel Kudara oder Hiyakusai. Mimana wurde später eine japanische Colonie,
Kudara war lange Zeit hindurch Schutzstaat, während die Abhängigkeit der
beiden anderen von Japan jedenfalls eine viel geringere, ja sogar zweifelhafte war.
In späterer Zeit, als die Person des Mikado in den Hintergrund trat und lange
Bürgerkriege die Kräfte und Mittel in Japan selbst in Anspruch nahmen, ging
jener überseeische Besitz verloren. Auf Kosten von Mimana und einem Theile
von Kudara erweiterten sich Shinra und Korai, und bildeten sich drei selbstän-
dige Königreiche heraus, die Sankan, wie sie in der japanischen Geschichte ge-
nannt werden, nämlich Korai, woraus der Name Korea entstanden ist, Shinra
und Hiyakusai. Diesen folgt noch später (1391 n. Chr.) die Verschmelzung
dieser drei Länder in ein Königreich Chôzen oder Korea, das seine Geschichte
von diesem Zeitabschnitte zählt und jetzt (1880) im 489. Jahre seit seiner Grün-
dung steht.
Volksstamm gewesen zu sein, welcher sich ebenfalls schon frühzeitig in Kiushiu
festgesetzt hatte. Es wird nirgends erwähnt, dass sich die Herrschaft des
Jimmu-Tennô oder seiner nächsten Nachfolger auch auf Kiushiu erstreckt habe,
und es unterliegt kaum einem Zweifel, dass alle Kämpfe, welche das neue Reich
bis zum 2. Jahrhundert zu bestehen hatte, sich auf verwandte Stämme im süd-
lichen Japan bezogen.
zeit von Ôjin-Tennô ist mehr als zweifelhaft. Nach ihnen wäre derselbe erst
mit 69 Jahren auf den Thron gekommen und im Alter von 110 Jahren darauf
gestorben. Die chinesischen Annalen geben darüber keinen Aufschluss. Noch
unglaublicher erscheint es, dass Takenouchi, der schon dem 12. Mikado die
erste Kunde von den Emishi brachte, dann dem 13. und 14. und namentlich der
Kaiserin Jingu-Kôgô als Rath zur Seite stand, auch noch während der Regie-
rung Ôjin-Tennô’s gelebt und die gleiche Stellung eingenommen haben sollte.
Er müsste unter dieser Voraussetzung 300 Jahre alt geworden sein.
Die linke Seite geht in Japan vor der rechten und so steht der Sadaijin höher
als der Udaijin.
der Koreaner anderseits mit den Bewohnern des Reiches Yamato entstand das
japanische Volk, das zwar seinen mongolischen Typus in Körperbau und Sprache
im allgemeinen noch bewahrt hat, aber darin doch, und mehr noch durch seinen
Nationalcharakter wesentlich von allen Völkern Ostasiens abweicht. Und diese
abweichenden Züge sind es gerade, durch welche es sich uns in der Neuzeit so
sehr genähert hat und so viel mehr sympathisch geworden ist, als alle übrigen
Glieder des chinesischen Culturkreises.
Nambu« in den Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft etc., 7. Heft, pag. 26.
oder Genji, Quelle (japanisch Minamoto), Hei (Pei) oder Heika, Friede (japanisch
Taira) und Kassen, Kampf oder Fehde. Die Hauptkämpfe fallen in die zweite
Hälfte des 12. Jahrhunderts. Mehrere Minamoto zeichneten sich dabei durch
grosse Tapferkeit aus und gewannen den Sieg. Für sie schwärmte die japanische
Jugend. Wenn, wie es häufig vorkam, in den Kriegsspielen der jungen Samurai
das Gen-Pei-Kassen aufgeführt wurde, wollte jeder Minamoto, keiner Taira sein,
so dass die Parteien durch das Loos bestimmt werden mussten.
übersetzt.
war der stärkste Mann und berühmteste Bogenschütze seiner Zeit. Ein Bild
desselben wurde vor einigen Jahren gewählt, um das neue japanische Papiergeld
schmücken zu helfen. Nachdem er in Gefangenschaft gerathen war, durchschnitt
man die Muskeln seines rechten Armes und sandte ihn in einem Käfig nach Idzu.
Er entkam geheilt und floh nach Ô-shima (Vries-Insel) und von da nach der
Insel Hachijô im Süden der Yedobucht. Von hier soll er sich später nach den
Riukiu-Inseln begeben, verheirathet und grossen Einfluss gewonnen haben. Der
erste historische König dieser Inselgruppe, Sunten, wird als sein Sohn ange-
sehen. Um das Jahr 1171 erschien Minamoto-Tametomo, den man längst für
verschollen und todt gehalten hatte, plötzlich wieder in Idzu, um an den wieder
begonnenen Kämpfen gegen die Taira theilzunehmen, wurde aber von Shigemori
geschlagen und nahm sich, um der Gefangenschaft zu entgehen, das Leben.
kado (1166—1168), abgeben, welchen Kiyomori als zweijähriges Kind seinem
Vater Nijô-Tennô folgen liess und als fünfjähriges depossedierte.
mit den übrigen gleiche Rechte genossen.
general (taishô, grosser General). Aus Tai-Shôgun haben die Europäer vielfach
Taikún gemacht. Gun bedeutet Armee, Krieg, Shô, General, Shôgun also
Obergeneral.
benen Taira-Frauen aus Noth der Prostitution und erhielten in dieser Stellung
gewisse Vorrechte eingeräumt, die auch auf ihre Nachfolgerinnen bis in die Neu-
zeit übertragen wurden.
nach Tsushima geflohen und diese Insel bis zur Restauration im Besitze seiner
Nachkommen geblieben sei, beruht jedenfalls auf Irrthum. Tsushima war von
Shirakawa-Tennô seinem Günstling Taira-no-Tadamori geschenkt worden als
Zeichen der Anerkennung für die guten Dienste, welche die Taira-Shôgune als
Militärgouverneure der südlichen und südwestlichen Provinzen dem Herrscher-
hause geleistet hatten. Wenn die Tsô, die Daimiofamilie von Tsushima, wirk-
lich von Taira-Abkunft war, so dürfte dieselbe auf einen jüngeren Sohn des
Tadamori, nicht auf Munemori zurückdatieren.
Affix für Herr gewöhnlich genannt wird.
stehenden Oberpriesters zu ehren, scheint bei den Orientalen weit verbreitet zu
sein, vom Stillen- bis zum Atlantischen Ocean. Auf unserer marokkanischen
Reise im Jahre 1872 hatten wir, mein Freund Professor von Fritsch in Halle
und ich, mehrmals Gelegenheit, Aehnliches wahrzunehmen. So drückte der Kaid
von Mogador einen vom Sultan zu unseren Gunsten verfassten und versiegelten
Brief nach dem Oeffnen an die Stirn und küsste das Siegel, bevor er las.
gestanden und war auch wieder bei Yoritomo’s Landung in Awa unter den ersten
erschienen, die sich um die weisse Fahne gesammelt hatten.
fasser hatte 20 Jahre daran gearbeitet. Es ist das Hauptwerk über die Geschichte
der Militärfamilien Taira, Minamoto. Hôjô, Ashikaga etc. Der leitende Gedanke,
in welchem es verfasst wurde, ist der, dass der Mikado der eigentliche recht-
mässige Herrscher des Landes ist und die Stellungen der Feudalherren mit dem
Shôgun an der Spitze usurpierte sind.
Shôgun oder Taishô.
anderen Angaben wurde Takatoki in ein Gefängniss geworfen, wo er verhungerte.
in seinem Artikel: »Ueber zwei chinesische Kartenwerke« in der Zeitschrift der
der Yang-tz’-Kiang-Mündung bis nach Kuang-Tung fällt (auf einer jener Karten)
der fünfmal wiederholte Name Hai-Woe (Meer-Japaner) auf, der sich auf die
zur Zeit der Ming geschehenen Landungen der Japaner bezieht. Noch heutzu-
tage sollen die Kinder in Tshô-Kiang mit dem Schreckensworte »Wo-schön-lai
(in dortiger Mundart Wo-ning-lâ), die Japaner kommen«, zur Ruhe ermahnt
werden«.
Heimath tritt allenthalben hervor und liesse sich auch auf das religiöse Gebiet
verfolgen.
Christianity. Mittheilungen der Deutschen Ostasiat. Gesellschaft etc., Heft 5,
pag. 28 etc.
schrieben hatte, erschien erst 1614 in Lissabon, also lange nach seinem Tode,
unter dem Titel: »Peregrinaô de Fernão Mendez Pinto, em que da conto de
muytas et muyto estranhas couses, que vio et curio no regno da China, no da
Tartaria, no da Sornau, que vulgarmente se chama Siaô, no da Calaminham, no
de Pegu, no de Martavaô e em outros muitos regnos e senhorias das partes
Orientaes, de que nestas nossos do occidente ha muyto pouca ou nenhua noticia«.
Lisboa 1614. Fol. Diese Erzählung fand jedoch so viel Anklang, dass eine
ganze Reihe neuer Auflagen bis in dieses Jahrhundert hinein nöthig wurde. Sie
wurde vielfach als eine portugiesische Robinsonade aufgefasst.
Portugiesen) in Tanega-shima an, welche Miura Suiska und Krista Moto genannt
werden und vielleicht Zaimoto und Boralho entsprechen. Der berühmte Maler
Hokusai stellt dieselben in seinem Mangwa (Skizzenbuch) dar mit Pelzmützen
auf den Köpfen und Arkebusen (langen Hakenflinten) in den Händen.
und hebt hervor, dass sie unter dem 29. Breitengrade liege.
Porree, Scharlotte, Schnittlauch, Knoblauch und Zwiebeln.
einem Vasallen Yoritomo’s ab, der damit belehnt wurde. Unter den Ashikaga
hatte sie dieselbe erweitert, so dass sie zur Zeit des Nobunaga fast die Hälfte
von Kiushiu umfasste. Ôtomo war Kiushiu Tandai (Vicegouverneur von Kiushiu).
Seine grossen Feinde waren Kikuji Takemasa von Chikuzen, Riozogi von Chi-
kugo und Shimadzu von Satsuma, die ihm den grössten Theil seiner Besitzungen
wieder raubten; den Rest verlor die Familie durch die Christenverfolgungen.
theilt, noch erkennet die Wahrheit und verdammet die Tochter Israel.
sondern stammten von einem Kaufmanne aus Ise, der es verstanden hatte, sich
die Wirren zur Zeit der Ashikaga zur Begründung einer ausgedehnten Lehns-
herrschaft nutzbar zu machen.
Sesshô regierte während der Minderjährigkeit des Mikado, war also eine Art
Vormund.
Hauptstadt zu erscheinen, vorgegeben, dass er entkommen sei, und dem ent-
sprechend den Brief unterschlagen.
väter so freundlich aufgenommen, sich selbst zum Christenthume bekannt, seine
Herrschaft weit ausgedehnt, aber an seinem Lebensabend zum grossen Theile in
Folge der Unfähigkeit seines Sohnes verloren hatte. Dieser Sohn, von den Je-
suiten Constantin genannt, war ein Schwächling und Apostat, der vom Christen-
thume abfiel, als er befürchtete, seine Herrschaft zu verlieren, und sich dann
wieder aufnehmen liess, als sein Vetter aus Europa kam.
Vater hatte, doch sah ihn Taikô-sama selbst für seinen legitimen Sohn an.
sada eine Adoptivtochter desselben, die Schwester von Hideyoshi’s Frau Azai.
Durch die neue Heirath zwischen Hideyori und der Tochter des Iyesada wurde
die Verwandtschaft beider Häuser noch enger geknüpft. Die Geschichte Japans
weist übrigens hunderte von Beispielen auf, dass solche Verwandtschaftsbe-
ziehungen gegenüber anderen Interessen von sehr geringer Bedeutung waren.
nach der Geschichte der Kirche hingestellt wird.
bestand darin, dass unter das Document ein Tropfen Blut vom Mittelfinger der
rechten Hand gesetzt und mit dem Daumennagel aufgedrückt wurde. Wir finden
dieselbe noch im Jahre 1877 bei Gelegenheit des Verhöres von Gouverneur Ôyama
(siehe Aufstand von Satsuma).
Mann zurückgeblieben. Nach der Schlacht von Sekigahara und dem Ende von
Konishi hatte er geglaubt, des Siegers grössere Gunst damit zu gewinnen, dass
sich aber damit sehr getäuscht, denn Iyeyasu war kein Freund solcher niedrigen
Handlungsweise.
werden genannt: der Kuwambaku Nijô Akizane, ferner die Gelehrten Fujiwara
Susumu und Hayashi Nobukatsu, die durch ihre Bekanntschaft mit den Schriften
des Confucius und anderer chinesischer Philosophen von grossem Einfluss waren.
erste, i = Rang, tô = ost, shô = Licht, dai = gross, gongen = ein buddhisti-
scher Titel für einen Heiligen oder Buddha.
Geburtsortes Matsudaira ein Ehrentitel, den er vielen Daimios verlieh, die ihn
ihren sonstigen Titeln vorsetzten, z. B. Kuroda Matsudaira Mino no Kami, wie
sich Kuroda, der Daimio von Chikuzen, nannte, oder Nabeshima Matsudaira
Hizen no Kami, wie der Titel des Fürsten von Saga lautete.
viel den Fremden gegenüber gebraucht und von diesen lange für Shôgun ange-
wandt. Es bedeutet »grosse Armee« und ist ein Titel, welchen kein Mikado je
einem seiner Unterthanen verliehen hat.
dem Hause Môri, dann Uyesugi gehört. Nach der Schlacht bei Sekigahara wurde
sie letzterem entrissen und Ôkubo’s Verwaltung übergeben, unter der ihre Er-
träge sich ansehnlich steigerten.
Lowder unter dem Titel: »The Legacy of Iyéyas (deified as Gongen-sama):
a Posthumous Manuscript, in One Hundred Chapters, translated from three colla-
ted Copies of the Original«. Ein Jahr zuvor hatte bereits P. Kempermann
eine werthvolle deutsche Uebersetzung im 1. Heft der Deutschen Gesellschaft
Ostasiens etc. gegeben unter dem Titel: »Die Gesetze des Iyeyasu«. Endlich
finden wir in den Transactions of the Asiatic Society of Japan, Vol. III. part II.
1875 eine interessante Besprechung derselben von einem englischen Juristen,
Namens W. E. Grigsby.
japanischen Kaisers sind Tennô = Himmelskönig, Tenshi = Himmelssohn, Kôtei
= der Weg, Dairi oder Ô-uchi = Grosses Innere, Go-sho = erhabener Platz, Kinri
= der verbotene Grund, Palast, Kinri-sama = Herr des Palastes. Indem ich es
hier versuche, das Wichtigste über die Stellung des Mikado hervorzuheben, will
ich nicht unterlassen, zu erwähnen, dass eine uns abgehende, volle Vertiefung
in die Denkweise des japanischen Volkes dazu gehört, sie völlig zu begreifen.
Mikado Gesicht. Wenn er, was selten genug und nur Bevorzugten gegenüber
vorkam, Audienz gab, sass er auf einem Thron von Matten hinter einem Vor-
hange. Nie durften seine Füsse die Erde berühren. Wenn er sich durch die
Strassen der Stadt begab, geschah es auf einem plumpen, reich verzierten Wagen,
den Ochsen zogen, und in einem darauf befindlichen allseits geschlossenen Sitze.
Papstes noch manche Analogieen finden. Das Dogma der Unfehlbarkeit z. B.
wurde auch auf den Mikado angewandt und hiess hier Nigi-mitama.
dern nur einfache Familienabzeichen, die aber nach Alter und Zweck vollständig
die Wappen ersetzen. Nur in diesem Sinne reden wir daher vom Wappen des
Mikado oder eines japanischen Geschlechtes.
Beamter und Herr, angewandt und umfasst Kuge, Daimio und deren Vasallen.
führer.
eines Koku Reis wechselt zwischen 2½ und 5 Dollars. In der früheren Schätzung
der Einkünfte des Mikado von 10 000 Koku = 60 000 Thalern ist das Koku zu
6 Thalern oder 4⅕ Dollar angenommen worden. Die Schätzung der Einkünfte
nach Koku ging von dem Bakufu oder der Regierung des Shôgun in Yedo aus.
Ein Daimio von 60 000 Koku war ein solcher, dessen Gebiet so viel Reis oder
dessen Aequivalent eintrug, also im allgemeinen sechsmal so bedeutend war, als
das des Feudalherrn von 10 000 Koku.
Hier als Titel eines Feudalherrn ist es nicht zu verwechseln mit der Bezeichnung
für Gott (Shin).
pag.·374) war eines der festesten und grössten in Japan.
von baku und fu. Die Bezeichnung bezieht sich auf den Vorhang, mit wel-
chem ehemals das Hauptquartier des Shôgun, wenn derselbe im Felde war, um-
geben war.
Tosa. Man darf annehmen, dass ein Theil der grösseren physischen Kraft,
diesem Umstande zuzuschreiben ist.
treue« erschien von meinem Freunde Dr. J. A. Junker von Langegg 1880
bei Breitkopf und Härtel in Leipzig.
der japanischen Revolution (1868): »Die Gabe, welche ich dem Herrn von Aidzu
(damals bei den Gegnern des Shôgunats die verhassteste Persönlichkeit) reichen
möchte, sind 9½ Zoll auf einem Taburet«, also einen Dolch zum Bauchauf-
schneiden.
Japan«.
kehr geöffnet worden waren, befremdete und verletzte die Samurai kaum etwas
mehr, als das ihnen unbekannte selbstbewusste Auftreten der fremden Kaufleute,
deren gesellschaftliche Stellung sie zunächst nach derjenigen der Akindo bemassen.
letzteren wohl dem japanischen Inu, Hund, Inushiu, Hundeland, nach, weil die
Japaner die Ainos verächtlich Hunde nannten.
und wies nach, dass die Fluth im Mittel 7 Fuss beträgt, zuweilen 9—11 Fuss
und am stärksten ist 41 Stunden 36 Minuten nach den Syzygien.
in der Zeit von 1609—1858 aus Japan 206253 Tonnen Kupfer, für £ 28 Millionen
Silber und für £ 15½ Millionen Gold.
beneidenswerthen Stellung ganz wohl gefühlt haben, denn er behauptete sie von
1804—1817. In seinen »Herinneringen uit Japan« hat er jenen hier erwähnten
Vorfall und wohl noch manchen ähnlichen vergessen. Er war auch der Autor
eines grossen holländisch-japanischen Wörterbuches. Bei den Engländern steht
derselbe in schlechtem Andenken, weil er 1808 die Japaner gegen den Phaëton
unter Capitän Pellew aufhetzte, ja gern die Vernichtung des englischen Schiffes
und seiner Besatzung gesehen hätte.
bequeath to posterity a result of his twentysix month’s residence in this empire,
the value of which as a whole, as a historical and scientific record, it would
be difficult to exaggerate«. R. G. Watson. Transactions of the Asiatic Society
of Japan 1874, pag. 2.
Susquehanna und Mississippi und den Schaluppen Saratoga und Plymouth. Der
Commodore hatte vorher den Riukiu- und Bonin-Inseln einen längeren Besuch
abgestattet, worüber das Narrative einen interessanten Bericht gibt.
drücke, in welchen sich alle Feinde der Fremden und des Shôgunats, wie es
der Bakufu vertrat, fanden.
meinen Bedeutung zu nehmen, sondern in dem Sinne, dass es Samurai sind,
welche sich ihrem angestammten Lehnsherren und der Controle von dessen Re-
gierung entzogen haben und, getrieben von Hass gegen die Fremden und deren
Gönner, auf eigene Faust handeln, einzeln oder in grösseren Banden, so dass
Leute aus ganz verschiedenen Clanen oft gemeinsame Sache machen.
herausgegeben unter dem Titel: »Die Preussische Expedition nach Ostasien«,
und 1873 beendet. Ausserdem sind auf Kosten der Regierung erschienen: An-
sichten aus Japan, China und Siam, sowie der zoologische Theil und die Algen
von E. von Martens, beziehungsweise G. von Martens. Verschiedene Mit-
glieder der Expedition haben ihre Beobachtungen besonders veröffentlicht, wie
Werner, Maron, Spiess, Heine.
später hohe Aemter inne und gehörten zu den eifrigsten Förderern der »west-
lichen Civilisation«.
eine Bande von über 1000 Rônin organisiert hatte und zu offenem Kampfe gegen
die Truppen der Lehnsherren schritt.
besteigung erst 16½ Jahre alt. Im darauf folgenden Jahre heirathete er Haruko,
die edle und erleuchtete Tochter des Ichichô Tadaka, eines Kuge von hohem
Range.
Ex-Shôgun bei Hofe in Ungnade gefallen war, pflegte ihn die feindliche Partei
weder Uye-sama, noch Naifu, sondern blos Keiki zu nennen, d. h. mit seinem
alten Personennamen. Shitotsubashi hiess er nach dem Prinzen, welcher ihn
adoptiert hatte.
hervorragendsten Samurai aus Chôshiu, hochgeachtet als makelloser Patriot und
tüchtiger Staatsmann.
und Tsugaru von Anfang des Streites an zu den Kaiserlichen, andere gingen
allmählich über, am standhaftesten blieben Aidzu, Shônai und Nambu.
noch jung und unerfahren, war er einem alten Gesetz entsprechend Oberpriester
des Tô-yei-zan, dann mehrere Monate lang macht- und willenloser Gegenkaiser
in den Händen der Rebellen. Nach Besiegung derselben wurde er begnadigt
und vom Hofe nach Berlin gesandt, wo er drei Jahre lang militärischen Studien
oblag. Eine Verlobung, welche der Hof nicht billigte, war die Veranlassung
seiner Zurückberufung. Im Jahre 1879 half er die geographische Gesellschaft in
Tôkio gründen und wurde ihr Präsident. Als solcher präsidierte er auch am
23. September bei dem Banket, welches die wissenschaftlichen Vereine der
wurde. Den Kopf legte man in Sake und sandte ihn nach Kiôto, wo er im
trockenen Bett des Kamogawa bei der vierten Brücke ausgestellt wurde. Diese
schimpflichste aller Strafen verhängte man über Kondô Isami, weil er als Haupt-
rathgeber seines Herrn, des Fürsten von Aidzu, sich bei den südlichen Clanen
besonders verhasst gemacht hatte.
Gefährten gaben, und begrüsste die Gäste mit einer schönen Rede in deutscher
Sprache.
chem Japan jetzt lebt, ist zugleich das 13. seiner politischen Reconstruction unter
der Alleinherrschaft des Mikado Mutsuhito und des freundlichen Verkehrs mit
den christlichen Mächten.
Bewegung. Viele »mietheten« fremde Instructoren, Bergleute, Aerzte, Lehrer etc.,
um ihre Truppen und Besitzungen auf eine höhere Stufe der Leistungsfähigkeit
zu bringen. In diese Zeit fällt auch die Rolle unseres Landsmannes, des Feld-
webel Koeppen, beim Fürsten von Kiushiu zu Wakayama (siehe dieses im
topographischen Theile).
und Nabeshima, dem Ex-Daimio von Hizen, welche Ministerstellen bekleideten,
ferner aus den früheren Samurai, jetzt Sangi (Staatsräthen), Ôkubo von Satsuma,
Soyeshima und Ôkuma von Hizen, Hirozawa und Kido von Chôshiu, Sasaki von
Tosa, zu denen bald noch Saigô, Itagaki und verschiedene Andere kamen.
uns vor, wie wenn das Ungeziefer der Gefängnisse Anerkennung verlangte dafür,
dass es die Justiz unterstütze, indem es die armen Verurteilten plagt«.
Memorial einreichten, worin sie die Nothwendigkeit einer Volksvertretung dar-
legten.
Gestalt, denn er überragte den gewöhnlichen Japaner um Kopfeslänge. Baron
Hübner, der ihn in Tôkio kennen lernte, sagt von ihm: »Saigô ist ein Herkules.
Seine Augen verrathen Geist, seine Züge Thatkraft. Er hat eine kriegerische
Haltung und die Manieren eines Landedelmannes. Sein Anzug schien mir mehr
als vernachlässigt. Dieser jetzt so einflussreiche Herr langweilt sich bei Hofe
und leidet an Heimweh«.
waren nicht geneigt, für das stolze Satsuma, das immer eine Sonderstellung be-
ansprucht hatte, ihre Haut zu Markte zu tragen, und bei den früheren Vasallen
der Tokugawa fand Satsuma vollends keine Sympathie. Selbst das in vieler
Beziehung gesinnungsverwandte Tosa gewährte die erbetene und theilweise zu-
gesagte Mitwirkung nicht, weil Itagaki seinen ganzen Einfluss aufbot, zu be-
sänftigen und die Unzufriedenheit durch Beschwerdeschriften zum Ausdruck zu
bringen.
werkern gewährt, wenn sie sich den Japanern »vermietheten«, um als »Professoren«
europäische Civilisation verbreiten zu helfen.
von einem Amerikaner eingeführt und rasch sehr beliebt wurde. Dasselbe be-
steht in einem leichten, zweiräderigen Karren, mit einem für 1—2 Personen be-
rechneten Lehnsitze über der Achse. Dies Vehikel dient nur dem Personenver-
kehr, zumal in den Städten. Es wird von einem Manne gezogen, der an Stelle
eines Pferdes in die Scheere tritt, daher der Name Jinrikisha, d. h. »eines
Mannes-Kraft-Wagen«.
Nagasaki eingeführt, doch fand dieselbe erst unter der jetzigen Regierung ihre
rechte Würdigung und Verbreitung. Wer noch bei uns ihren Werth bezweifelt,
möge über die Enge von Gibraltar nach Marokko oder zu den Japanern gehen
narbigen Gesichter unter den Erwachsenen und die glatten des heranwachsenden
Geschlechtes ansehen und auch die zahlreichen Blinden, welche durch die Pocken-
krankheit auf immer ihr Gesicht verloren.
ist er dagegen eine Corruption von inu, Hund, demnach eine verächtliche Be-
zeichnung, welche die Japaner gleich der anderen Yebisu (Ebisu-ban) Barbaren
auf dieses gutmüthige uncivilisierte Volk anwandten und noch beziehen.
Petermann’s Mittheilungen.
Uebertragung ins Yamato wird Yomi genannt. So liest der Japaner die chine-
sischen Zeichen für Himmel, Erde, Mensch »ten, chi, jin«, im Yomi aber »ame,
tsuchi, hito«.
welcher 20 Jahre in Shanghai im Dienste der Mission gewirkt und sich die chine-
sische Sprache gründlich angeeignet hatte. Mit dieser Kenntniss kam er nach
Japan und verständigte sich mit dem Wirthe vortrefflich durch die Schrift, ob-
gleich beide kein Wort der gesprochenen Rede von einander verstehen konnten.
lehnen und na, Namen, abgeleitet. Es sind Silben, welche Hälften chinesischer
Namen (Ideogrammen) entlehnt wurden; hira bedeutet flach, eben.
Pluralform europäischer Sprachen, wenn wir hin und wieder Daimios statt Daimio
gebrauchten.
zu Aston’s Japanese Grammar oder zu L. de Rosny’s »Introduction à l’étude
de la langue japonaise«. An Gründlichkeit und Ausführlichkeit steht das Werk
von J. J. Hoffmann: »A Japanese Grammar« immer noch unerreicht da. Das
Buch hat den Nachtheil, dass der Verfasser seine Studien in Leiden und nicht
in Japan selbst machte.
Dr. Lange in verschiedenen Heften der Deutschen Gesellschaft für die Natur-
und Völkerkunde Ostasiens.
Lenden, der bis zu den Knieen reicht und früher je nach dem Stande aus Seide
oder Baumwolle bestand; doch hat carminrother, wollener Musselin, welchen die
Fremden in Menge einführen, in der Neuzeit die einheimischen Gewebe für diesen
Zweck fast ganz verdrängt. Ausserdem tragen beide Geschlechter um die Brust
eine Art Weste aus schwarzer Seide, doch finden die leichten und billigen baum-
wollenen Unterkleider aus Europa mehr und mehr Eingang.
bequemer gewesen zu sein. Sie glich, wie man aus alten Sammlungen und Ab-
bildungen sehen kann, dem Pantoffel der Chinesen.
pränge und unter Vertheilung von Geschenken gefeiert, fällt hier jedoch in das
10. oder 11. Jahr.
Orientalen beliebt. So erzählt z. B. Kanitz von den Türken, dass sie sich in
Wasser von 31° R. (39°C.) und darüber zu baden pflegen.
einem ansehnlichen Theile bei der Blatternkrankheit um ihr Augenlicht gekommen
und viel zahlreicher als die oshi oder Taubstummen.
100 sen, der sen 100 mon. Früher gab es einzelne Monstücke in Eisen, 20-, 15-
und 10-Monstücke in Bronze, jetzt prägt man dieselben nur noch in Kupfer von
10, 15 und 20 mon.
das Wort uchi, welches eigentlich »innerhalb« bedeutet.
das häufige Auftreten heftiger Erdbeben, lässt sich schwer angeben.
effusus Thbg.), wird ähnlich wie Reis auf sumpfigem Boden angebaut.
erhalten, doch thut er wohl, wenn er gleich dem Verfasser zwei Paar leinene
Betttücher und ein Rosshaarkissen mit sich führt, nicht blos der Reinlichkeit und
Bequemlichkeit wegen, sondern auch um sich besser gegen die Flöhe zu schützen,
die in den japanischen Nachtanzügen viel zu Hause sein sollen.
richtungen an vielen Stellen schon verdrängt.
meinem Kopfe vom Leuchter abfrassen und über mich wegliefen.
Die Angaben, dass durchschnittlich in sieben oder wohl gar nach fünf Jahren
die japanischen Wohnungen durch Feuer zerstört werden, welchen man vielfach
begegnet, sind jedoch weit übertrieben.
schaft überhaupt wird der 2. Band dieses Werkes bringen.
tiert wurde, geschah es durch einen betrunkenen Soldaten bei einer solchen
Gelegenheit.
Tabak, »tabako-o nomimasu«, ganz so, wie es auch anfangs in Deutschland hiess.
Sie gehen den Personennamen voraus und wurden bis in die neuere Zeit bei
bekannteren Persönlichkeiten weniger als ihr Rufname gebraucht, wie die Ge-
schichte dies zeigt.
das hohe Alter mancher Familie, namentlich derjenigen des Mikado, auf welches
die Japaner zum Theil über Gebühr stolz sind.
über den Gegenstand im 13. Heft der Zeitschrift der deutschen ostasiatischen
Gesellschaft.
Niemand durfte ausser seinem Stande heirathen, der Samurai keine Heimin, der
Heimin keine Eta.
Näheres darüber, sowie über Geburt, Krankheiten und andere Dinge, welche
besonders in das Bereich der ärztlichen Beobachtung fallen, findet man in dem
interessanten Buche von Dr. A. Wernich: »Geographisch-medicinische Studien,
Berlin 1878«.
Musikinstrumente, welches fast jedes Mädchen spielen lernt; nur in den besseren
Häusern hat auch die alte dreizehnsaitige Koto, eine Art Zither, welche liegend
gespielt wird, einen Platz. Ihre Töne sind viel harmonischer, wohlklingender,
doch ist ihr Spiel ungleich schwieriger. Die Biwa, eine Mandoline mit vier
Saiten, wird meist von Greisen gespielt.
Ghâzie) in Aegypten (siehe unter Anderen Kluntzinger).
Doenitz im 10. Hefte der Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft unter dem
Titel: »Ueber Leichenverbrennung in Japan«.
hofen’s China, pag. 654—656.
also in den Februar oder März. Als die japanische Regierung im Jahre 1872
die Vertauschung des bisherigen Mondjahres mit dem gregorianischen Kalender
proclamierte, nahm das gefügige japanische Volk, durch Zeitungen und Behörden
auf die Vortheile des Wechsels aufmerksam gemacht, denselben ruhig hin. Nur
die Chinesen in Yokohama waren damit nicht zufrieden und machten ihrem Un-
muthe durch ein Document Luft, das man eines Tages an einem Regierungsge-
bäude angeklebt fand und worin den Japanern vorgeworfen wurde, dass sie sich
ganz zu Sclaven der fremden Teufel gemacht hätten.
goden oder der buddhistischen Tempel in Hochrelief, je drei Thiere auf einer
Seite, abgebildet.
Jahr-Tabelle, von nen = Jahr, dai = Periode, rokuju = sechzig und dzu =
Bild, Plan.
Zeitrechnung. Wer eingehender, auch bezüglich der Eintheilung des Tages, sich
belehren will, findet das Nöthige in Siebold’s Archiv und in der japanischen
Grammatik von Hoffmann.
lernte, im ganzen Lande besteht, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
wird zur Bezeichnung der alten japanischen Götter angewandt; tô (dô) bedeutet
Weg, Lehre.
flügels bestimmt.
kam, gelten auch als Insignien der kaiserlichen Macht.
Tempel, gebildet.
Hirse, italienische Hirse und Bohnen.
und Sohn, Herrn und Diener, Mann und Frau, Freunden und Geschwistern bilden
die Ausgangspunkte sowohl der Morallehre des Confucius als auch der Gesetze
des Iyeyasu.
der volle Titel. Die Japaner nennen ihn Shaka oder Butsu.
Buddha (Heiligen) weit zurück. Der ganze grobe Götzendienst, welchen der
Buddhismus später entfaltete, lag keineswegs in der Lehre Siddhârtha’s begründet.
Selbst die Erhebung der ersten sieben Buddhas auf den höchsten Thron ging
erst von seinen Nachfolgern aus, welche den ganzen Apparat immer complicierter
machten und dadurch die Doctrine mehr und mehr in den Hintergrund schoben.
Japan häufig plastisch dargestellt, entweder allein oder als König gekrönt, mitten
in der Reihe der Juôdo oder 10 Schurken der Hölle, und zwar zinnoberroth an-
gestrichen, mit aufgerissenem Munde, verdrehten Augen, einem grossen Schnurr-
barte und einem Säbel an der Seite. Die Wand im Hintergrunde dieser Gruppe
zeigt uns das Feuer der Hölle, worin Drachen und andere Ungethüme wühlen
und wüthen.
ein lebendig Wesen, nicht stehlen, nicht der Unzucht fröhnen, nicht lügen, kein
geistiges Getränke zu sich nehmen.
schen Priestern ebenso in Tennô und Tenshi umgewandelt (siehe pag. 256).
sechs Secten in Japan, nach anderen Angaben unterschied man Hasshû (8 Secten)
nämlich die Ritsu, Gusha, Jojitsu, Hossô, Sanron, Kegon, Tendai und Shingon,
wovon nur die zwei letzten noch bestehen.
Empire« entnommen.
die Monto-Secte zwei Tempel mit diesem Namen. Nishi, West, higashi, Ost,
hon, Haupt, guwan, Gebet, Bitte, ji (tera), der Buddhatempel.
London 1873. Trübner \& Co.
rühmten Buddha- (jetzt Shintô-) Tempel Kotohira in Sanuki zu einem bu (¼ Dollar)
verkauft werden, sind bedruckte Papierstreifen, die, je nachdem man zahlt, in
verschieden grossen, flachen, weissen Kästchen verwahrt und mit dem grossen
rothen Stempel des Tempels versehen werden. Folgendes ist der Wortlaut einer
dieser Ablasskarten, die ich im Jahre 1875 erwarb: »Kotohira-no-miya. Niya
sanjitsu kito kainu yenchô shugo, d. h. Shintôtempel Kotohira. Wer zwei Nächte
und drei Tage betet, erhält auf lange Zeit ein blühendes Geschäft«. Auf anderen
steht Glück in der Familie oder Genesung von einer Krankheit etc. Jedes
Zettelchen enthält nur ein solches Schutzmittel, und wer mit seinem ichi-bu (ein
bu) an die Kasse kommt, wird gefragt, welches er wolle. Er kann sich mit
allen wappnen, wenn er entsprechend zahlt.
anderen grundfalsch und machen keineswegs den Eindruck der grimmigen mar-
tialen Gestalten, wie wir ihnen bei Hunderten von Tempelthoren begegnen.
Jesuiten die Japoniorum Dii par excellence.
gewächse eine höhere symbolische Bedeutung. Wie sich die Knospen des Lotos
aus dem Schlamme des Wasserbeckens erheben und in verschiedener Höhe ihre
reizenden Blätter und Blüthen entfalten, an deren lieblichen, reinen Farben
keine Spur von dem Schmutze wahrzunehmen ist, dem sie entsprossen, so wird
die Seele der Menschen nach Buddha durch eigenes Vermögen und Thun er-
hoben, bis sie als Buddha rein in Nirwâna eingeht. Desshalb lässt man auch
alle Idole der Buddhas auf geöffneten Lotosblumen ruhen.
ewigen Lichtglanz Buddha« bilden das gewöhnliche Gebet der Buddhisten. Statt
ihrer gebraucht die Nichiren-Secte die chinesische Transliteration Namu miô-hô-
ren-ge-kiô (Heil den Rettung bringenden Offenbarungen des Gesetzes) aus einer
der ältesten canonischen Schriften. Das Gebet der Shintôisten beginnt mit den
altjapanischen Worten: »Taka magahara in kami-todomari«, d. h. »O Kami, der
du thronest im hohen Himmelsfelde«.
aus Holz sei bedingt durch die häufigen Erdbeben, gegen welche sie am meisten
Schutz gewähre, doch theilen Andere, z. B. der englische Ingenieur Brunton,
diese Ansicht keineswegs.
sächliche Erdkunde von Japan«.
Uebersetzung im 6. Heft der deutschen ostasiatischen Gesellschaft.
valent für die ursprünglich japanische Benennung Miako (Miyako), wie wir sie
in fast allen älteren Schriften über Japan finden, heutzutage aber kaum noch
von den Eingeborenen hören. Da jetzt Yedo das eigentliche Miyako ist, oder
da es drei Miako oder Fu gibt, ist diese Bezeichnung für Kiôto ganz unzulässig.
Kiôto wurde früher auch Keishi genannt.
berges Sumeru im Himalaya einnehmen und unter Indra das Weltall beschützen,
heissen Bishamon (Vaiçravaṇa), der König der Nordseite, Chikoku-tennô
(Dhṛitarâschṭra), der König der Ostseite, Zôzô-tennô (Virûdhaka), Regent der
Südseite, und Kuwomoku-tennô (Virûpâkscha), der Beschützer der Westseite.
Das Yamato-Aequivalent des kurzen Namens wäre Higashi-no umi michi.
mann’s Mittheilungen 1879, pag. 231) betrug allerdings 1879 die Bevölkerung mehr,
nämlich 1042800 in 237937 Häusern, doch dürfte sich dies auf ein grösseres Ge-
biet, Tôkio-fu, beziehen.
dem Worte zu Grunde liegen, heisst die Stadt auch Tôkei (sprich Tôké).
Schiffe mehr als aus.
(Bumm-bumm-Schiffe) bezeichnet, wegen der vielen Salutschüsse, die so oft von
ihnen gehört werden.
1780 an, was kaum glaublich erscheint.
hiess Verni. Mein Freund Dr. Louis Savatier, der an meinen pflanzen-
geographischen Studien den innigsten Antheil nahm und mit dem ich manche
wissenschaftliche Frage besprechen konnte, fungierte als Arzt der kleinen
Colonie.
und pu = fu, Hauptstadt. Es kehrt letzteres im Namen Fuchiu, d. h. mittlere,
innere (chiu) Hauptstadt, wieder, welcher auf eine ganze Anzahl anderer Provinz-
hauptstädte angewandt wurde.
legten Landstrasse bietet meine Abhandlung im 59. Ergänzungshefte zu Peter-
mann’s Mittheilungen, betitelt: »Der Nakasendô in Japan«.
(Kenu-no-kuni) oder Ke; später wurden sie in das obere (kami oder kôdzu) und
(fusa-no-kuni), welche später in kami-fusa und shimo-fusa getheilt wurde, woraus
die Namen Kadzusa und Shimôsa entstanden sind.
hama 1875«; und mein Aufsatz im 6. und 7. Hefte der Mittheilungen der deut-
schen Gesellschaft Ostasiens.
Ukondo der Jesuiten).
shima in der Bai von Hiroshima an der Küste von Aki.
Bewohner auf die Quadratmeile, auf dem Hauptlande (Hondo) nur 6280. Dieser
Berechnung liegt die Tabelle pag. 5 zu Grunde, während in dem topographischen
Theile des Werkes die Angaben des Nippon Chichi Teiyô benutzt wurden, welche
eine Bevölkerungszunahme constatieren.
nische Geschichte kurzer Hand als Owari, Kishiu, Mito, Echizen und Aidzu be-
zeichnet und die immer als die nächsten und natürlichsten Stützen der Yedo-
Shôgune angesehen wurden, mit Iyeyasu ist folgende: Owari, Kishiu und Mito,
die Sanke, stammten von den drei jüngsten Söhnen des Iyeyasu, Yoshinawo,
Yoriyoshi und Yorifusa ab, das Haus Echizen vom ältesten, Namens Hideyasu,
das Haus Aidzu von Hoshina Masayuki, einem Sohne des Shôgun Hidetada, also
Enkel des Iyeyasu.
soll nämlich Isanami im Hinblick auf die Kleinheit der Insel ausgerufen haben.
Dr. med. von Roretz die Insel Shikoku bereiste und zwar im Vorsommer
1875.
Japan Schubkarren, und zwar in sehr plumper, primitiver Form.
fürnembsten derselben Landen gezehlt würdet, ist wol newlich nach angenom-
menem Glaube mit dem h. Tauff gereinigt worden. Er hat aber lange Jahr
zuvor die Christlich Religion und Glauben, als sie der zeit erst in seinen
Landen zu wachsen angefangen, und noch zart und schwach war, dermassen
underhalten, dass alles, was in Religionssachen in Japonia ausgerichtet worden,
billig seinem Fleiss und gutwilligkeit, nach Gott, zugeschrieben wurdt.«
Newe wahrhafte aussführliche Beschreibung von J. Mayer, pag. · 115 und 116.
irgend welche statistische Angaben, selbst von der Hauptstadt, zu erhalten, und
der Autor des Nippon Chichi Teyô scheint ebenfalls über die ganze ehemalige
Herrschaft Satsuma schlecht informiert gewesen zu sein. Seine Angaben über die
Bevölkerung der meisten Städte sind offenbar, mit Ausnahme von Kagoshima, viel
zu hoch und überschreiten in einzelnen Fällen die Wirklichkeit wohl um das
Doppelte, ja Vierfache. Akune ist ein armseliges Nest, Sendai kaum halb so
gross wie angegeben, wie ich aus eigener Anschauung weiss. Es spricht auch
noch ein anderer Grund dagegen. Die hier nach der japanischen Statistik ange-
führten Städte liegen nicht in getreidereichen Ebenen, haben keine bemerkens-
werthe Industrie, waren nicht Sitze von Fürsten und müssen nach allem hinter
Kagoshima’s Bevölkerungsziffer weit zurückstehen.
bewirken.
pag. 112 ist ein anderes Beispiel der grossen Unzuverlässigkeit der japanischen
Statistik Nippon Chichi Teiyô, welcher Knipping sie entnommen hat Hier-
nach hatte Hakodate 1874 112494 Bewohner, aber pag. 132 fungierte nach dem-
selben Werke die Zahl 95404 für die Bevölkerung von ganz Ôshima und pag. 113
wohl die richtige Zahl 28025 für Hakodate.
Gebote standen, sind: Satow, »Notes on Loochoo« in den Transactions of the
Asiatic Society of Japan 1873, die Berichte der Schiffscapitäne Basil Hall, Beechey
und Perry, sowie die Mittheilungen in der Japan Weekly Mail.
- Lizenz
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CC-BY-4.0
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Rein, Johannes Justus. Japan nach Reisen und Studien. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn9p.0