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Adjutantenritte
und
andere Gedichte.


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Leipzig,:
Verlag von Wilhelm Friedrich
Königl. Hofbuchhändler.

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Adjutantenritte
und
andere Gedichte.


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Leipzig,:
Verlag von Wilhelm Friedrich
Königl. Hofbuchhändler.

[][[1]]

Der Gouverneur.


Auf einer Forſcherfahrt im Ocean

Fand ich ein Inſelchen, ſo leer und öde,

Als hätte jüngſt das Schwert des Tamerlan

Den letzten Keim gebrochen, hart und ſchnöde,

Die Peſt gezogen ihre Beulenbahn,

Daß wenig Menſchen blieben, blaß und blöde.

Doch funkelten auch hier die ſtolzen Sterne,

Und Well’ und Wolken ſpielten in die Ferne.

Kein Pflug, ernährend, riß die Ackerkrume,

Kein Jäger ſang, am Hut die Feder keck.

Spärlich wuchs Gras und Moos und Hundeblume,

Zwergobſt verkroch in’s Blatt ſich, grün vor Schreck.

Ein Städtchen lag, verlaſſen im Wehtume,

Am ganz verſchlammten Hafen im Verſteck.

Doch leuchteten auch hier die ſtolzen Sterne:

Beamte gab es hoch und Subalterne.

Voran geht immer der Herr Bürgermeiſter,

Er litt am Stein, war grämlich, matt und mager.

Es folgt der Richter, ein weit hergereiſter

Und ſehr gerechter Mann, auch etwas hager.

Der Arzt, des wack’ren Todes Hilfeleiſter,

War lange ſchon des Apothekers Schwager.

Der Herr Empfänger für direkte Steuern

Fuhr vierteljährlich ein in weite Scheuern.

1
[2]
Der Zöllner ſpielte täglich ſeinen Skat

Acht Stunden mit den beiden Herrn Paſtoren.

Wie Dornenröschen ſchlief der Advokat,

Kein Kundenprinz hat je ſich hinverloren.

Im Sitzungsſaale gähnt der hohe Rath,

Die Boten ſchnarchen auf den Korridoren.

Es drückt der Gouverneur, die Leuenkatze,

Auf all’ die Mäuschen ſeine ſchwere Tatze.

Doch nein, das that er nicht. Im Gegentheil,

Er war ein milder und humaner Herr.

Ihm folgten Männer ohne Schwert und Beil.

Umdrängten ihn mit Hin- und Hergezerr

Die guten Leute, riefen alle Heil!

Heil! auch die Kinder mitt’ im Schulgeplärr.

Von Yvetot der König, Bumm und Tuſch!

Parademarſch, es nickt der Federbuſch.

Es hatte auch das Städtchen Garniſon,

An jedem Mittwoch war Parolausgabe.

Dann zog die Wache auf vom Bataillon

Mit Tſchingdada, Dienſtmädchen, Schuſterknabe.

„Die Herrn Offiziere!“ rief mit Donnerton

Der Gouverneur, umringt von ſeinem Stabe.

Ihm waren kommandiert zwei Adjutanten,

Die beid’ auf ihre Stiefel viel verwandten.

Warum er hier, das konnte Keiner ſagen.

Er lebte nun ſeit vierzig Jahren ſchon,

Im Sommer heiß, im Winter hoch den Kragen,

Auf dieſem allerliebſten kleinen Thron.

Die einen ſprachen, daß in frühern Tagen

Ihn ſehr gekannt Herr Levy Nathanſohn.

Die andern meinten, daß vielleicht Madame …

Wie heißt das alte Wort? . . Cherchez la femme!

[3]
In einer Sommernacht im alten Garten

Des Königs ſtand ein junger Offizier.

Es ſchlug die Nachtigall, die Fröſche quarrten,

Der Mond beſchien am Schloß den Grenadier.

Auf Muſchelwegen, harten, leiſe knarrten

Zwei Stiefelchen . . Pſt . . Liebſter . . biſt du hier …

Der Offizier zog ſelig in den Arm

Des Königs Töchterlein … daß Gott erbarm!

Denn gräßlich, gräßlich endet der Roman:

Es ſchlich, huhu! im Garten ein Lakai,

Der Schlingel hatte, bei Sankt Kilian!

Entlaſſen eben ſelbſt erſt ſeine Fei.

Der ſah das Paar. Anzeige. Wutorkan —

Und ach, wie ſchnell entſchwand des Lebens Mai.

Der König ſchrie: „Fort in mein fernſtes Land,

Vom Hofe biſt auf ewig du verbannt!“

Als ihn nun fror im kalten Aechtungsſchatten,

Packt ihn zuerſt ein wütend Heimatweh.

Es kam der Fluchtverſuch ihm ſchlecht zu ſtatten,

Als er dem Eiland ſagen wollt’ Ade.

Seit jener Zeit durchkreuzten zwei Fregatten

Vor ſeinem Felſenſchloſſe ſtets die See.

Bis ihn begnadet ſpät ein Königswort,

Dann wollt’ er nicht mehr von der Inſel fort.

So traf ich ihn. Sein Bart war lang und weiß,

Sein Wuchs der eines wuchtigen Athleten.

Für Alles intereſſirte ſich der Greis,

Beſonders auch für unſere Poeten.

Ich ſah ihn manch modernes Dichterreis,

Oft vielgeleſen, arg zuſammentreten.

Sehr artig ſprach er von Eliſe Polko,

Es reimt darauf der Rittername Bolko.

1*
[4]
Sein Haus führt eine Wittwe, jung und ſchlank,

Mit einem Stumpfnäschen wie der Kirgiſe,

Die braunen Augen ſchmachteten wie krank

Nach Liebe, Lieb’ auf ſtiller Waldeswieſe.

Hier, leider, gab es keine, und ſo ſank

Im Zimmer ich zu Füßen meiner Liſe,

Das Gaſtrecht ſchlecht vergeltend; doch „was kann

Für die Gefühle“ wohl der Biedermann.

Des Alten Leben ging wie nach der Schnur.

Am Poſttag unterſchrieb er Amtsberichte,

Schlag elf Uhr kam der Adjutant du jour,

Punkt ſieben aß er drei bis vier Gerichte,

Durchflog alltags die neuſte Litteratur,

Und ſchrieb Sonntags von neun bis zehn Gedichte.

Ich fand, im Waſchtiſch, ſie, zerſtreute Zettel,

Und las beim Grogk, ich trink ihn gern, den Bettel:

[[5]]

An einen Freund.


Noch ſeh’ ich deine ſchwermutsvollen Augen,

Dein blaß Geſichtchen und den herben Zug,

Den deine Lippen auch als Mann behielten.

Wir hatten, Knaben, in die Waldesſchatten

Uns ſcheu zurückgezogen von den Spielen,

Und ſprachen wichtig über Welt und Menſchen.

Ich fühle noch das Grau’n, als erſte Zweifel

Uns kamen über Gott — Unſterblichkeit,

Uns unerklärlich Schauer überliefen,

Wenn wir der Liebe Sphinx zu deuten ſuchten.

So ſaßen oft wir, fernab von den Freunden.

Es floß der Waldbach plätſchernd uns zu Füßen,

Der Buchfink trillerte, die Droſſel pfiff,

Und ſtieß der Falke ſeinen kurzen Schrei

In all’ die Stille, flogen wir zuſammen.

Wie viele Jahre ſind ſeitdem vorüber.

Du ſtehſt im Leben aufrecht, und des Weges

Gehſt wohlbewußt du, klar, und ohne Schwanken.

Doch denkſt du noch zurück an jene Stunden,

Wenn Buchenkronen dir zu Häupten rauſchen,

Und hoch am Himmel ſchrill der Falke ſchreit?

[6]

Sicilianen.


Du haſt wohl einen Wunſch, noch ſo beſcheiden,

Das Leben will ihn nimmer dir gewähren.

Ein anderer hat’s, doch wird er dich beneiden

Um das, was dein, im Fieber ſich verzehren.

Was willſt du dir dein ſchmales Glück beſchneiden

Und Birnen brechen aus Getreideähren.

Ich wette, trügeſt du das Wams von Seiden,

Du wünſchteſt. Dir den Zottelpelz des Bären.

(Einer ſchönen Freundin in’s Stammbuch.)


Den ganzen Tag nur auf der Ottomane,

Ylang-Ylang und lange Fingernägel.

Die Anzugfrage, Wochenblattromane,

Schlaf, Nichtsthun, Flachgeſpräch iſt Tagesregel.

Ich glaube gar, für eine Seidenfahne

Verkaufſt du deinen Mann und Kind und Kegel.

So ſchaukeltſt du, verfault, im Lebenskahne,

Herzloſigkeit und Hochmut ſind die Segel.

(Schwalbenſiciliane.)


Zwei Mutterarme, die das Kindchen wiegen,

Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

Maitage, trautes Aneinanderſchmiegen,

Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

Des Mannes Kampf: Sieg oder Unterliegen,

Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

Ein Sarg, auf den drei Handvoll Erde fliegen,

Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

[7]

(Im Bivouak.)


Das Feuer kniſtert und die Becher klirren,

Laß in die Arme ſank der Nacht die Welt.

Gedanken, ohne Steg und Steuer, irren,

Bis in der Palmenbucht der Anker fällt.

Manch Wort und Witz, die hin und gegen ſchwirren,

Verweht der Wind, begräbt das ſtille Feld.

Ein letzter Trunk, und ſchon in Traumeswirren

Verliert ſich ferner Poſtenruf in’s Zelt.

(„Die Anbetung der heiligen drei Könige“.)


Im Saale vor mir Veroneſes Bild,

Als Nachbarin die ſchönſte aller Frauen,

In Sicht ein gut zerſtücktes Hummerſchild,

Um mich Gelächter, Glasgeklirr und Kauen.

Die alte Gräfin, ſonſt ſo engelmild,

Wie will ſie jenen Trüffelberg verdauen.

Indeſſen hallt Muſik, verſchallt und ſchwillt,

Und aus dem Garten ſchrillt der Schrei des Pfauen.

(Marſchall Niel.)


Die große gelbe Roſe ruhte ſchwer

Auf ſchwarzem Marmorſarg in Marmorhallen.

Weſſ’ Hand ſie brach und wer ſie trug anher,

Auch wer die Leiche war, iſt mir entfallen.

Es ſchlief der Sarg, von Blatt und Blumen leer,

Im Dämmer, eine Sphinx, auf Löwenkrallen.

Der Abendwölkchen lichtgeflocktes Heer

Entſtieg dem Meere, rot wie Blutkorallen.

[8]
Verrauſcht die heiße Zeit der Jugendtage,

Verklungen Becherklang und wilde Geigen.

Dich lehrte zeitig Hiobs tiefe Klage:

Die Thoren ſchwatzen und die Klugen ſchweigen.

Du legſt das Wort vorſichtig auf die Wage,

Und mußt der Welt die Heuchelmaske zeigen.

Dein Frühling doch — ach, eine Wunderſage,

Dir ſingt kein Vogel mehr in grünen Zweigen.

(Sphinx in Roſen.)


Aus weißem Stein geformt, im Junigarten,

Liegt eine Sphinx, die greulichſte der Katzen.

Es küſſen ihr die zierlichſten Standarten,

Die Roſen, windgeſchaukelt, leicht die Tatzen.

Das Untier ſchweigt, die Lippen offenbarten

Wie ſchon zu Ramſes Zeiten — leere Fratzen.

Und ſchweigt, und ſchweigt, und läßt auf Antwort warten —

Im ſtillen Garten ſchwatzen nur die Spatzen.

(Flüchtiger Gruß.)


I.
Frühling.


Hoch oben fliegt ein Kranichheer nach Norden,

Von ihren Flügeln tropft die Morgenſonne.

Tief unten liegt der Urſulinenorden,

Im Kloſtergarten träumt die alte Nonne.

Von oben brauſt es mächtig in Accorden

Nach unten tief in hoher Frühlingswonne.

Verflogen … Oben iſt es ſtill geworden —

Die greiſe Nonne betet zur Madonne.

[9]

II.
Herbſt.


Hoch oben fliegt ein Kranichheer von Norden,

Von ihren Flügeln tropft die Abendſonne.

Tief unten liegt der Urſulinenorden,

Im Kloſtergarten träumt die alte Nonne.

Aus Kirchthürweiten brauſt es in Accorden

Nach oben hoch in tiefer Friedenswonne.

Verklungen … Unten iſt es ſtill geworden —

Die greiſe Nonne betet zur Madonne.

(Gnadenort.)


Den Eichbaum traf der Blitz aus ſchwarzen Lüften,

Und ſchlug in tauſend Splitter ihn, der wilde.

Fünfhundert Jahr zurück: In Waldesgrüften

Umſchloß Marien er im grünen Schilde.

Die Dirne, lebensrot, mit derben Hüften,

Kniet ſchluchzend vor dem Muttergottesbilde,

Indeſſ’ der Junker lachend in den Klüften

Jagt Seit’ der blaſſen Herrin, Frau Wulffhilde.

Großmutter wird nun täglich immer ſchlimmer,

Doch zögert noch der Allesüberwinder.

Dicht vor dem Spiegel ſtehn im Nebenzimmer

Mamachen und drei hübſche blonde Kinder,

Und proben emſig, wie der ſchwarze Flimmer

So reizend putzt als Kleid, als Hut nicht minder.

Großmutter ſtirbt — es konnte nimmer grimmer

Der Damen Trauer ſein, das ſieht ein Blinder.

[10]

(Jagdſtück.)


Der Edelhirſch hebt ſtolz die ſechszehn Enden,

Und ſichert, thaubedeckt, in Morgenfunken.

Diana ſchürzt ſich, um den Pfeil zu ſenden,

Die Rüdenhunde läuten, todgiertrunken.

Durch Buſch und Bruch, es neigt die Kraft der Lenden,

Am ſtillen Waldteich iſt er hingeſunken.

Halali, Zinkentuſch und Jubelſpenden,

Die Trauermeſſe halten Nix und Unken.

Wohin die Zeit, als meine Bruſt umbrandet

Von Wettern und von ſchweren Schickſalſchlägen.

Im Sicherhafen bin ich längſt gelandet,

Und wandle ſtumpf in ausgetretnen Wegen.

Faſt wär’s mein Wunſch, daß ich im Sturm geſtrandet,

Ein Ufernichterreichender, erlegen.

Als daß ich hier, verroſtet und verſandet,

Ein altes Wrack, um das die Winde fegen.

(Meiner Mutter.)


Wie oft ſah ich die blaſſen Hände nähen,

Ein Stück für mich — wie liebevoll du ſorgteſt.

Ich ſah zum Himmel deine Augen flehen,

Ein Wunſch für mich — wie liebevoll du ſorgteſt.

Und an mein Bett kamſt du mit leiſen Zehen,

Ein Schutz für mich — wie ſorgenvoll du horchteſt.

Schon längſt dein Grab die Winde überwehen,

Ein Gruß für mich — wie liebevoll du ſorgteſt.

[11]

(Little remembrance.)


Im Schneegeſtöber mag die Stadt ertrinken,

Was kümmert’s mich, ich ſitze warm und trocken.

Bemerklich kaum hör’ ich die Thüre klinken,

Und hinter mir ſchleicht irgendwer auf Socken,

Um raſchen Sprungs an meine Bruſt zu ſinken!

Ich thue wild und grenzenlos erſchrocken.

Sie lacht wie toll, die weißen Zähne blinken,

Auf ihren Backen ſchmelzen noch die Flocken.

Die Zähne aufeinander, weit die Augen,

Willſt du das Ungeheuer „Leben“ binden.

Es gilt! Nimm Waffen, die zum Kampfe taugen,

Ein ſchlaffes Volk, das gleich ſich giebt den Winden.

Voran denn! Bade dich in ſcharfen Laugen,

Und nage, muß es ſein, an harten Rinden.

Geduld! Am Ende wirſt du Honig ſaugen,

Und wohnen unter ſelbſtgepflanzten Linden.

(Reinigung.)


Es ſingt ein Lied von Felix Mendelmaier

Der lange Lieutenant mit dem Ordensbändel.

Das alte Fräulein brütet Rätſeleier,

Beſorgt den Thee und duftet nach Lavendel.

„O Iſis“ baßt der Rath, der liebe Schreier.

Weh mir, wie langſam ſchwingt der Abendpendel.

Zu Ende. Gott ſei Dank. Ich atme freier,

Und bade mich daheim in Bach und Händel.

[12]

(Geſtorben.)


Der Sterbende.
— — — — — — — — — — — — — — — —

— — — — Der Blaſſe wird noch bläſſer — —

Doch die Genoſſen ſprechen, ihn beneidend:

Wohl ihm — nun wird er ſtill — nun iſt ihm beſſer.
Conrad von Prittwitz-Gaffron.

Nun iſt ihm wohl. Er ſchaut das neue Land,

Und bleibt, „Das hätt’ ich nicht erwartet“, ſtehn.

Der Eine ſtirbt verlaſſen und verbannt,

Bei Andern Pomp und Trauerfahnenwehn.

Die Nachbarweiber, menſchlich, halten Stand

Der Stunden viel, die „ſchöne Leich’“ zu ſehn.

Und hinterdrein die Freunde, wehentbrannt,

Vermitteln einen Skat im Weitergehn.

(Der alte General a. D.)


Nun muß ich oft in’s Thal hinunterlauſchen

Vom kahlen Berge der Verlaſſenheit.

Es dringt zu mir herauf ein Singen, Rauſchen,

Muſik und Trommeln bringen nun mir Leid.

Die Roſſe wiehern und die Fahnen bauſchen,

Kanonendonner, matt und nebelweit.

O, jene Zeiten, könnte ich ſie tauſchen,

Das alte Herz, die alte Fröhlichkeit.

[13]
Wenn Unglück dich und Schuld, zwei ſchwarze Roſſe,

An ihren Mähnen durch das Leben ſchleifen,

Durch Berg und Thal, im Schmutz der Gaſſengoſſe,

Du löſt dich nimmermehr aus ihren Schweifen.

Sie reißen dich, o ausgelaſſ’ne Poſſe,

Voraus nur deines Blutes Purpurſtreifen,

Und hinterdrein noch ſchwirren die Geſchoſſe

Der lieben Menſchen: Lachen, Spott und Keifen.

(An eine alte Excellenz.)


Dir ſchenkte Hebe einſt in tiefe Schalen,

Du trankſt und haſt die Reſte nicht vergoſſen,

Du ſahſt die Schlacht, den Feind auf Fluchtſandalen,

Des Mannes Hochkraft ſtrotzt auf Siegesroſſen.

Der Tagespflicht die Seele, dem Realen,

Hat friſch des Lebens Welle dich umfloſſen.

Nun, Alter, ſtehſt du weiß auf Bergeskahlen,

Und ſchauſt in’s Thal, verdrießlich und verdroſſen.

Kleine Ballade.


Hoch weht mein Buſch, hell klirrt mein Schild

Im Wolkenbruch der Feindesklingen.

Die malen kein Madonnenbild

Und tönen nicht wie Harfenſingen.

[14]
Und in den Staub der letzte Schelm,

Der mich vom Sattel wollte ſtechen!

Ich ſchlug ihm Feuer in den Helm,

Und ſah ihn todt zuſammenbrechen.

Ihr wolltet ſtören meinen Herd?

Ich zeigte euch die Mannesſehne.

Und lachend trockne ich mein Schwert

An meines Roſſes ſchwarzer Mähne.

Tod in Aehren.


Im Weizenfeld, in Korn und Mohn,

Liegt ein Soldat, unaufgefunden,

Zwei Tage ſchon, zwei Nächte ſchon,

Mit ſchweren Wunden, unverbunden.

Durſtüberquält und fieberwild,

Im Todeskampf den Kopf erhoben.

Ein letzter Traum, ein letztes Bild,

Sein brechend’ Auge ſchlägt nach oben:

Die Senſe rauſcht im Aehrenfeld,

Er ſieht ſein Dorf im Arbeitsfrieden.

Ade, Ade du Heimatwelt —

Und beugt das Haupt, und iſt verſchieden.

[15]

In memoriam.


Wilde Roſen überſchlugen

Tiefer Wunden rotes Blut.

Windverwehte Klänge trugen

Siegesmarſch und Siegesflut.

Nacht. Entſetzen überſpülte

Dorf und Dach in Lärm und Glut.

„Waſſer . . . .“ und die Hand zerwühlte

Gras und Staub in Durſteswut.

Morgen. Gräbergraber. Grüfte.

Manch ein letzter Atemzug.

Weither witternd durch die Lüfte

Brauſt und grauſt ein Geierflug.

Blümekens.


Kleine Blüten, anſpruchsloſe Blumen,

Waldrandſchmuck und Wieſendurcheinander,

Rote, weiße, gelbe, blaue Blumen

Nahm ich im Vorbeigehn mit nach Hauſe.

Kamen alte, liebe Zeiten wieder:

Auf den Feldern wehten grüne Hälmchen,

Süß im Erlenbuſche ſang der Stieglitz,

Eine ganze Welt von Unſchuld ſang er

Mir und dir.

[16]
Nun, ſeit Jahren, ordnen deine Hände

Perlenſchnur und Roſen in den Haaren.

Wie viel ſchöner, junge Frau doch ſchmückten

Kleine Blumen dich, die einſt wir pflückten,

Ich und du.

Auf dem Hünengrabe.


(Nach der Jagd.)


Kalter Ente, kalten Eiern

Rotſpohn hinterhergeſchickt.

Feld und Welt in grauen Schleiern,

Müde bin ich eingenickt.

Auf dem Grabe, tief erſchrocken,

Starrt mich an die Enaksſchar,

Und vorſichtig neigt die Locken

Auf mich König Ringelhaar.

Goldammer.


Kleiner Vogel, gelb und braun

Muſtert Dein Gefieder.

Immer klingt aus jedem Zaun

Mir Dein Liedchen nieder:

Nimmer nimmer nimmer nimmer mehr.

Kleiner Vogel, Glück und Traum

Flog wie Deine Flügel.

Bringt ein wenig Glück und Traum

Noch im Flug Dein Flügel?

„Nimmer nimmer nimmer nimmer mehr.“

[17]

Das Haupt des heiligen Johannes
in der Schüſſel.


Dei gratia Domina,

Wiebke Pogwiſch, Abbatiſſa,

Thront auf ihrem Fürſtenſtuhle

Vor dem adligen Convent.

Heilwig Qualen, Mette Tynen,

Abel Rantzow, Geeſche Ahlfeldt,

Trienke Bockwoldt, Drud’ Rugmooren,

Benedikte Reventlow.

Dieſe Kloſterfräulein lauſchen

Sehr andächtig der Aebtiſſin,

Der Aebtiſſin Wiebke Pogwiſch,

Dei gratia Dominae.

Vor den Schweſtern auf der Schüſſel,

Und die Schüſſel war von Golde,

Liegt das Haupt Johann des Täufers,

Schauderhaft aus Holz geſchnitzt.

Eine Stiftung Iſern Hinnerks,

Sohn von Geert, dem Großen Grafen.

Als er fromm geworden, ewigt

Iſern Hinnerk dieſen Kopf.

Doch er machte die Bedingung,

Jedes Fräulein, das zur Nonne

Werden wollte, werden mußte,

Sollte küſſen dieſen Kopf.

2
[18]
Außerdem noch, wenn die Nonnen

Dieſen Kopf behalten wollten,

Gab er ſieben große Dörfer

An den adligen Convent.

Anfangs ſträubten ſich die Schweſtern,

Gar zu ſcheuslich war das Schnitzwerk,

Doch die Schüſſel iſt von Golde,

Und die Dörfer bringen Zins. —

Vor der Schüſſel, vor den Frauen,

Auf den Marmorflieſen knieend,

Betet unter heißen Schauern,

Betet Anna von der Wiſch.

Ihre jungen blauen Augen

Streifen jenes Haupt mit Grauen,

Und ſie kann ſie nimmer küſſen

Dieſe blutbemalte Stirn.

Immer lebt in ihr der Abend,

Als im Wald die Vögel ſangen,

Als die holden blauen Augen

Küßte Detlev Gadendorp.

Wiebke Pogwiſch, die Aebtiſſin,

Spricht zuerſt mit milden Worten,

Redet dann in ſtrengen, harten,

Hält ihr vor das Krucifix.

Und mit todtenblaſſem Antlitz,

Zögernd, langſam geht das Mädchen,

Neigt den kleinen Mund zum Kuſſe —

Schallend klingt im Hof ein Huf.

[19]
Sporen klirren, Thüren fallen,

Und die Treppen ſtürmt ein Ritter,

Vor den Schweſtern beugt die Kniee

Lächelnd Detlev Gadendorp.

Hat das Mädchen raſch im Arme,

Und zwei Aermchen ſchlagen haſtig

Sich um ſeinen ſtarken Nacken,

Frei, im Sattel ruht ſie ſchon.

Steinerſtarrt in ihren Seſſeln

Sitzen ſtumm die Kloſterfräulein.

Steinerſtarrt auch die Aebtiſſin,

Dei gratia Domina.

Doch wie ſtets es noch geweſen,

Neugier macht ein Weib lebendig,

Um das Bogenfenſter drängen

All’ die lieben Nönnelein.

Schauen in die Frühlingsfelder,

Hören wie die Lerchen ſingen.

Fern am Waldesrand ein Hufblitz

Sendet letzten Gruß zurück.

König Regnar Lodbrog.


(d. h. mit den gepichten Hoſen.)


Das war der König Regnar,

Der lebte fromm und frei.

Er trug gepichte Hoſen

Wie ſeine Leichtmatroſen,

Die rochen nicht wie Roſen,

Das war ihm einerlei.

2*
[20]
Er liebte ſchneidig Schön Thora,

Die wohnte fern im Turm.

Auf ſeinen Staatsgallionen

Mit ſeinen Reichsbaronen

Fuhr er hinaus nach Schonen,

Da lag um den Turm ein Wurm.

Der ſah den König nahen

Durch Flut und Schaumgefurch.

Die Hoſe, die gepichte,

Die macht ſein Gift zu nichte,

Der Wurm ſprach: Ich verzichte.

Es ſtarb vor Schreck der Lurch.

Er freite ſchnell und befreite

Schön Thora von Angſt und Weh.

Dann zog er nach Conſtantinopel,

Von da nach Philippopel,

Ja ſelbſt bis Sewastopel,

Und gar bis Ninive.

Regnar, der edle Räuber,

Er raubte, was ſich fand.

Es qualmten alle Städte

Wo nur ſein Wimpel wehte,

Kein Hahn und Huhn mehr krähte

Trat wo ſein Fuß aus Land.

Bald ſpielten um ihn drei Söhne,

Genannt Ebb’, Ubbe, Obb’.

Die liebt’ er mit der Seelen

Als ſeine Kronjuwelen,

Doch wollten ſie krakeelen,

Dann ward er ſackſiedegrob.

[21]
Einſt ſegelt er nach England,

Die Söhne blieben zurück.

Sein Schiff: Die dicke Schlange,

Die machte nimmer bange

Den König Fortignange.

Regnar, wo blieb dein Glück?

O König Regnar, Vieledler,

Es ging dir diesmal ſchief.

Du wurdeſt bald gefangen,

Und eh’ ſie dich aufgehangen,

Gezwickt mit glühenden Zangen,

Die packten ſpitz und tief.

Der König am Marterpfahle

Schrie laut in Schmerz und Haß:

Der Keiler in der Falle,

Wüßtens die Ferkel alle,

Sie brächen aus dem Stalle —

Herr Fortignang ward blaß.

Die Ferkel kamen geſchwommen,

Sie hörten des Keilers Geſchrei.

Sie kamen mit Windeseile

Und ſchlugen mit Axt und Beile

In tauſend kleine Teile

Herrn Fortignang entzwei.

[22]

Die Kapelle zum finſtern Stern.


(Miſſunde bei Schleswig, 7. Auguſt 1250.)


König Erich, die Fauſt auf den Widerriſt,

Laß tanzen den Hengſt im Graſe.

Vergiß den alten Bruderzwiſt,

Wir trinken aus einem Glaſe.“

Herzog Abel ſchrieb das. König Erich ritt ein,

Und lag im Bruderarme.

Viel Jauchzen der Ritter im Abendſchein,

Lauge Gudmundſon ſchwieg im Schwarme.

Am Morgen früh weckt Hornſtoß und Tuſch,

Zu hetzen Wolf und Elche.

Die Brüder zuſammen im Heidebuſch,

Sie trinken aus einem Kelche.

Der Herzog allein. Zur Seiten nur

Ritter Lauge mit Speer und Pfeilen.

„Sprich, Lauge, wo blieb Wieb Stures Spur,

Wem hilft ſie die Freuden teilen?“

Der König allein. Zur Seiten nur

Ritter Lauge mit Speer und Pfeilen.

„König Erich, wo blieb Wieb Stures Spur,

Wem hilft ſie das Leben teilen?“

Erich Plogpenning ziſcht. Den Stachel ſticht

Dem Rothengſt er in die Weichen.

„Bei Sanct Jürgen, ich weiß es nicht,“

Und ſucht die Jagd zu erreichen.

[23]
Am Abend Humpenaus, Zinken und Tanz,

Beim Brettſpiel König und Knappen.

Der Mond flicht draußen den alten Kranz

Um Lauben und ſteinerne Wappen.

Der Herzog allein. Zur Seiten nur

Ritter Laug’ im Wams von Seiden.

„Sprich, Lauge, wo blieb Wieb Stures Spur,

Wen küßt ſie von euch beiden?“

„Vom Trinken iſt dir die Stirne heiß,

König Erich, die Luft iſt trocken.

Mein Segel wiegt unten, ſcharlach und weiß,

Steig’ ein, und kühle die Locken.“

Schloßknechte ſpannen den Baldachin,

Vom Söller winkt der Bruder.

Der König ſchläft auf dem Hermelin,

Und leiſe tauchen die Ruder.

Verworren Getön vom Prunkgelag,

Der Wachen und Stundenrufer.

Da ſchießt mit gleichem Einfallſchlag

Ein ander Boot vom Ufer.

„Halt, halt, König Erich!“ … Fackeln im Wind

Flackern um ſchwarze Figuren.

„Wo blieb Wieb Sture, gieb Antwort, geſchwind,

Gieb Antwort, wo blieb Wieb Sturen?“

„Bei Sanct Jürgen, ich riß ſie dir Hund vom Leib,“

Schreit der König, die Lippen beben.

„Bei Sanct Jürgen, ſie war mir Zeitvertreib

Zwei Wochen von meinem Leben.“

[24]
Der Ritter ringt ihm den Dolch vom Gehenk,

Und treibt ihn dem König ins Herze.

Das rote Blut tropft ins wüſte Gemeng,

Stumm leuchtet oben die Kerze.

Wo Lauge durchſtach den erlauchten Herrn,

Am Ufer ſteht die Kapelle,

Da ſteht die Kapelle zum finſtern Stern,

Unheimlich klatſcht dort die Welle.

Herzog Abel ſchwor beim Himmel weit

Und der reinen Magd im Dome,

Und ließ dem Mörder wenig Zeit,

Den zupf der Fiſch im Strome.

Herzog Abel ſchob nichts auf die lange Bank,

In Roeskilde ließ er ſich krönen.

In die Königsburg ritt er frech und frank,

Drommeten und Trummen dröhnen.

König Abels Tod.


(In den Marſchen am 29. Juni 1252.)


Der König ſchläft im purpurnen Zelt,

Der Poſten klirrt auf und nieder.

Blauampellicht gefangen hält

Des Königs ſchwere Lider.

Vor den Deichen ebben die Waſſer dumpf,

Die Wachtfeuer qualmen und kniſtern,

Durch die Nacht wiehert ein Pferd. Die Fröſch’ im Sumpf,

Sie ſtimmen in tauſend Regiſtern.

[25]
Auf heimlichen Wegen, mit Axt und Beil,

Mit Keulen und Morgenſternen,

Es kommen die freien Frieſen in Eil,

Sie kommen aus Näh’ und Fernen.

Das Bild des heiligen Chriſtian,

Es rumpelt auf dem Wagen.

Bitt’ für uns, betet der Kapellan,

Wir wollen mit Gold dich beſchlagen.

Mit Gold ſchon beſchlägt ihn der gelbe Mond

Und leuchtet auf Freund’ und Feinde.

Wenn morgen er wieder am Himmel thront,

Er ſieht eine ſtille Gemeinde.

Der König träumt im Pupurzelt,

Der Poſten klirrt auf und nieder.

Der blauen Ampel Dämmer fällt

Auf des Königs zuckende Lider.

König Erich ſteht vor ihm, naß aus der Flut,

Und ſtreckt den Arm nach oben.

„Hinweg, hinweg, bei Chriſti Blut,

Zehn Klöſter will ich geloben.“

Steilauf der König: „Gratias.

Wulff Bokwoldt! Helm und Schienen,

Mein Schuppenhemd, und rufe raſch

Uk Rugmoor und Caj Thienen.“

Wulff Bokwoldt, der Page, wie der Hund

Schlief treu zu des Königs Füßen.

Im Traume lächelt ſein junger Mund,

Schön Heilwig ſieht er grüßen.

[26]
Im Walde, voll des ſüßen Schalls,

Er und Schön Heilwig gingen.

Sie knotet luſtig um ſeinen Hals

Ihr Langhaar in Maſchen und Schlingen.

Zwei Ritter, mit ſchwarzem Panzer bewehrt,

Stehn vor des Königs Bette.

Der Page gürtet dem König das Schwert

Und reicht ihm Schild und Kette.

Im Lager lärmt es. Des Himmels Zier

Sind gierige Geierflüge.

„Die Hengſte vor. Der Frieſenſtier

Muß heut noch in die Pflüge.“

Der König ruft es, die Sonne glitzt,

Gekrach und Lanzenſplitter.

Des Königs goldene Rüſtung blitzt,

Seit’ jagen die ſchwarzen Ritter.

Dicht drängt Wulff Bokwoldt den Schecken heran,

Wild flattern Schweif und Mähnen.

Heut wird er ein Ritter, heut wird er ein Mann,

Er beißt mit Eiſenzähnen.

Die Frieſen kämpfen für Herd und Weib,

König Abel iſt verloren.

Die ſchwarzen Ritter ſtrecken den Leib,

Laj Thienen und Uk Rugmooren.

Der König allein, er irrt auf dem Deich,

Hoch ſpritzt die Flut an den Wällen.

Ringsum der Feind. Keinen Sünder bleich,

Einen König ſollen ſie fällen.

[27]
In die Frieſen trug er ſein Schwert Hilfnot,

Das hat ihn heute betrogen.

Weſſel Hummer aus Pellworm ſchlug ihn tot

Und ſchleudert ihn in die Wogen.

Der Page, wo blieb der Page klein,

Sie warfen ihn nackt in den Graben.

Um ſeine weißen Glieder fein

Zanken und raufen die Raben.

Wer weiß wo.


(Schlacht bei Kolin, 18 Juni 1757.)


Auf Blut und Leichen, Schutt und Qualm,

Auf roßzerſtampften Sommerhalm

Die Sonne ſchien.

Es ſank die Nacht. Die Schlacht iſt aus,

Und mancher kehrte nicht nach Haus

Einſt von Kolin.

Ein Junker auch, ein Knabe noch,

Der heut das erſte Pulver roch,

Er mußt’ dahin.

Wie hoch er auch die Fahne ſchwang,

Der Tod in ſeinen Arm ihn zwang,

Er mußt’ dahin.

Ihm nahe lag ein frommes Buch,

Das ſtets der Junker bei ſich trug,

Am Degenknauf.

Ein Grenadier von Bevern fand

Den kleinen erdbeſchmutzten Band

Und hob ihn auf.

[28]
Und brachte heim mit ſchnellem Fuß

Dem Vater dieſen letzten Gruß,

Der klang nicht froh.

Es ſchrieb hinein die Zitterhand:

„Kolin. Mein Sohn verſcharrt im Sand,

Wer weiß wo.“

Und der geſungen dieſes Lied,

Und der es lieſt, im Leben zieht

Noch friſch und froh.

Doch einſt bin ich, und biſt auch du,

Verſcharrt im Sand, in ewiger Ruh,

Wer weiß wo.

Inſchrift.


Nach raſchem Ritt im Regen waren wir

Auf einem Gottesacker angekommen

Und abgeſeſſen. Ungeſehen, konnten

Nach allen Seiten frei wir uns bewegen

Und vorpreſchen, die Feldwachen zu tröſten.

Nur wenig Kreuze. Raſch band das Piquet

Die Halfter an die winzigen Todeszeichen.

Ich ſelber lehnte bald den müden Kopf

Auf eines Grabes Hügel und ſchlief ein....

Hell wieherte im Nebeldunſt mein Wallach

Und ſprengte jäh die weichen Sclavenketten,

Die unbewußt und traumlos mich umwanden.

Noch ſchlafend lagen um mich die Dragoner,

Bedeckt mit Reif die Mäntel und die Bärte,

Die Pferde ſtanden mit geſenkten Mähnen.

[29]
Nur ab und an ein Schnaufen und ein Scharren,

Ein Kniſtern an den Sätteln, und ein Klirren

Der Kettchen, wenn ſie aneinander klangen.

Den Carabiner in den Fäuſten haltend,

Schritt ſchweren Tritts der Poſten auf und nieder. —

Tief eine Stille war es; leiſes Rauſchen

Zog morgenſchauernd durch die Trauerkränze…

Ich hob den Kopf und drehte mich, um Namen

Und Inſchrift an dem kleinen Kreuz zu leſen,

Das mir zu Häupten ſtand, und las im Zwielicht,

Das Auge hart an die vergoldeten,

Vom Wetter ſchwarz gefärbten Lettern drängend:

„Geſtritten viel — gelitten mehr — geſtorben“.

Frührote Lichter ſchwammen um die Worte,

Die bleiſchwer ſich in meine Seele ſenkten.

Zum Denken doch ward mir nicht Zeit gelaſſen,

Denn: „An die Pferde“ hieß es … „Auf — — geſeſſen!“

Wir trabten, ſonnbegrüßt, ins Thal hinunter,

Um, Freund und Feind, aus dunkelroten Roſen

Auf grünem Raſen einen Strauß zu flechten.

Erinnerung.


Die großen Feuer warfen ihren Schein

Helllodernd in ein luſtig Biwaktreiben.

Wir Offiziere ſaßen um den Holzſtoß

Und tranken Glühwein, ſternenüberſcheitelt.

So manches Wort, das in der Sommernacht

Im Flüſtern oder laut geſprochen wird,

Verweht der Wind, begräbt das ſtille Feld.

Die Musketiere ſangen: „Stra — a — sburg,

[30]
O Stra — a — sburg“ … Da fühlt’ ich eine Hand,

Die leiſe ſich auf meine Schultern legte.

Ich wandte raſch den Kopf, und ſah den Lehrer,

Bei dem ich, freundlich aufgenommen, geſtern

Quartier gehabt; der nun, verabredet,

Mit ſeinem Töchterchen gekommen war.

Ein Mädel, jung gleich einer Apfelblüte,

Die niemals noch der Morgenwind geſchaukelt.

Der Alte mußte neben uns ſich ſetzen,

Und während ihm das Glas die Freunde füllten,

Führt’ ich, von Allem ihr Erklärung gebend,

Das Mädchen langſam durch die Lagerreihen.

Sie ſprach kein Wort, doch lautlos ſprach ihr Mund,

Ihr Lächeln und ihr ſtaunend großes Auge.

Wie ſchön ſie war, wenn ſie beim Feuer ſtand,

Und rote Funken kniſternd uns umtanzten.

Es hob ſich die Geſtalt vom dunklen Himmel

Scharf ausgeſchnitten aus dem ſchwarzen Rahmen.

Und einmal, als Soldaten, die verkleidet

Als Storch und Bär, uns ihre Künſte zeigten,

Da lehnte flüchtig ſie, beinah erſchrocken,

An meine Bruſt ihr frommes Kinderantlitz.

Wir traten zögernd dann den Rückweg an,

— Es ſtahl der Mond ſich eben in die Bäume,

Und in der Ferne, bei den Doppelpoſten,

Fiel, dumpf verhallend durch den Wald, ein Schuß. —

Wir gingen Hand in Hand,

Und ſo, halb ſtehend, halb im Weiterſchreiten,

Bog ich mein Haupt hinunter zu dem ihren.

Ich fühlte wie die jungen Lippen mir

Entgegenkamen, und noch heute ſeh’ ich

Ihr dunkles Auge in die Sterne leuchten…

Als längſt der Alte mit ihr fortgegangen,

Saß ich im Kreiſe meiner Kameraden

Und dachte ſehnſuchtſchmerzlich an das Mädchen,

[31]
Bis mir zuletzt die ſchweren Lider ſanken.

Mein treuer Burſche trug mich in mein Zelt

Und deckte ſorgſam mir den Mantel über.

Seitdem bin ich durch manches Land gezogen,

Doch unvergeſſen bleibt mir jene Nacht.

Auf dem Kirchhofe.


Der Tag ging regenſchwer und ſturmbewegt,

Ich war an manch vergeſſenem Grab geweſen.

Verwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt,

Die Namen überwachſen, kaum zu leſen.

Der Tag ging ſturmbewegt und regenſchwer,

Auf allen Gräbern fror das Wort: Geweſen.

Wie ſturmestot die Särge ſchlummerten —

Auf allen Gräbern taute ſtill: Geneſen.

Herzog Knut der Erlauchte.


(Ermordet 1131.)


König Niels, der Alte, weißbärtig und kahl,

Hat die Brauen zuſammengezogen.

Aus ſchwarzem Himmel ſchießen fahl

Blitzlichter um Säulen und Bogen.

Niels Sohn, König Magnus von Weſtgothland,

Grübelt neben ihm in der Halle.

Der Löwe Sturm kam hergerannt

Und brüllt vor Turm und Walle.

[32]
Ein Blümchen fällt aus dem Blitzeſtrauß

In den Kronaſt der alten Eſche,

Der Regen gießt in Tonnen aus

Und hält gewaltige Wäſche.

König Niels ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch,

Im Marmor blieb die Spur:

„Wann endlich zappelt Knut, der Fiſch,

An deiner Angelſchnur.

König Magnus, ich ſehe Walhalla geſchmückt,

Es rauſchen die Rabenflügel.

Wenn ich geſtorben, dann ſtehſt du gebückt

An Knuts, deines Lehnsherrn, Bügel.

Nicht länger hälſt du ſein Recht in Bann,

Er iſt dann König der Dänen,

Und ſchaut dich kaum vom Sattel an,

Du kämmſt ſeines Hengſtes Mähnen.“

König Magnus ſchoß einen Blick ſo wild,

Einen Blick voll Haß und Tücke.

Von den Wänden ſtürzen Helm und Schild

Und ſtürzen in tauſend Stücke.

In Schleswig hält ſeinen Hof Herzog Knut,

Ein Schrecken der Heiden und Slaven.

Sein Gelbhaar quillt aus dem Eiſenhut,

Sich ſelbſt befreiende Sclaven.

Den Frieden gab er, daß Jeder ſchlief

Den Engeln gleich über den Wolken.

Der Ärmſte ſelbſt hatte Siegel und Brief,

Und hat ſeine Kuh gemolken.

[33]
Zart lag in ſeinem Arm ſtahlhart

Sein treues Weib Judithe.

Und jubelnd patſcht nach dem langen Bart

Sein Töchterchen Syrithe.

Im Winter elf Hundert dreißig und ein,

Am Tage von Sanct Brigitten,

Ein Ritter ſprengt ins Thor herein,

Den Herzog nach Roeskild’ zu bitten.

König Magnus ſchrieb: Es treibt mich fort,

Zu beten am heiligen Grabe.

Herzog Knut gieb mir dein Fürſtenwort,

Zu ſchützen mein Gut und Habe. —

Der Herzog nahm Abſchied. Sein Auge blau

Sah träumend in die Weite.

Jens Wohnsfleth und Iven Reventlow

Gaben ihm das Geleite.

Und als er kam in Roeskilde Ort,

Viel Küſſen war es und Herzen.

Die Bäume raunen von Frevel und Mord,

Und flüſtern von großen Schmerzen.

Acht Tage war Jagd und Trinken und Tanz,

Turnier und Lanzenſtechen.

Und als genug der Firlefanz,

Den Herzog wünſcht Magnus zu ſprechen:

„Die Weiber horchen an Vorhang und Spalt,

Und läſtig iſt hier die Helle.

Laß gehen uns in den dunklen Wald,

Ein Bote führt dich zur Stelle.“

3
[34]
Wie war der Wald ſo weiß und ſtill,

Der Schnee lag ſtumm auf den Zweigen.

Fern von der Welteſche Yggdraſil

Zog her ein traurig Schweigen.

Tuk Ebbſon, der Bote, ſang vor ſich hin,

Als in den Wald ſie traten.

Und leiſe ſang er vor ſich hin,

Wie Kriemhild die Brüder verraten.

Der Herzog hört nicht. Mit fröhlichem Sinn

Verfolgt er den Flug einer Meiſe.

Tuk Ebbſon, der Bote, ſingt vor ſich hin,

Von Günthers Heunenreiſe.

König Magnus ſitzt auf dem Eichenſtumpf,

Allein, ohn’ Paladine.

Unterm Bärenpelz und Wolffellſtrumpf

Klirrt heimlich Panzer und Schiene.

Auf ſpringt er, als er den Herzog erſchaut,

Und eilt ihm freudig entgegen.

Er küßt ihn auf die Lippen traut,

Und grüßt den treuen Degen.

Dann tritt er zurück und klatſcht in die Hand,

Die Mörder ſind gerufen.

Und an der Waldblöße lichten Rand

Traben plötzlich zweihundert Hufen.

„Nun ſoll es ſich zeigen, beim heiligen Chriſt,

Wer König wird von uns beiden.“

Dem Herzog ließ er keine Friſt,

Dem blieb das Schwert in der Scheiden.

[35]
Und ſchlug ihn tot. Der Herzog fiel

Und konnte ſich nimmer beſinnen.

Der König trocknet Axt und Stiel,

Und reitet dann pfeifend von hinnen.

Wie war der Wald ſo weiß und ſtill,

Der Schnee lag ſtumm auf den Zweigen.

Fern von der Welteſche Yggdraſil

Zog her ein traurig Schweigen.

Knuts Brüder ließen die Hunde los,

Und griffen nach Speer und Köcher.

Der Bürgerkrieg fiel übergroß

Auf Schloß und armſeligſte Löcher.

Bei Fodwig traf König Magnus der Pfeil

Und blieb zitternd im Halſe ſtecken.

König Niels hieb ſich Bahn mit Schwert und Beil

Und floh über weite Strecken.

Als in Schleswig am Ende die wilde Fahrt,

Im Sumpf lagen Kron’ und Kleinode,

Sie ſpieen ihm auf den weißen Bart,

Und ſtampften ihn zu Tode.


[36]

Die Schlacht bei Bornhöved.


(Am Marien Magdalenentage 1227.)


Der König, der in Banden war

Des Grafen von Schwerin,

Das war der König Waldemar,

Verſtäubter Hermelin.

Er ſah vom Gitterfenſter aus

Nur Schwalbenflug und Fledermaus,

Und ſah die Wolken ziehn.

Bis er verſprach, das ganze Land,

Wo deutſcher Stamm und Kern,

Zurückzugeben in die Hand

Der anerkannten Herrn.

Doch als er los in Lenz und Flur,

Vergißt er bald den Friedenſchwur,

Und glaubt an ſeinen Stern.

Auf Märſchen lang und Märſchen heiß

Des Königs Helmbuſch vorn,

Der nickt und winkt ſcharlach und weiß

Und grüßt den Güldenſporn.

Bis mitt’ im Holſtenland er hält,

Den Pflock einſchlägt für Zaum und Zelt

Im ſichelreifen Korn.

Genüber ſchnitzt ſein Widerpart

Den Pfeil ſich und den Bolz,

Von Bremen Biſchof Gerihardt,

Graf Adolf, Holſtenſtolz.

Und Lübecks Bürgermeiſter fuhr

Dem Dänen an die Gurgelſchnur,

Daß dem die Seele ſchmolz.

[37]
Maria Magdalenentag,

Mittſommerſonnenſchein,

Gelärm auf Schild und Eiſendach,

Die Lanzen raſſeln drein.

Doch allzuſcharf die Sonne ſticht

Dem Holſtenvolk ins Treugeſicht,

Die Reihen werden klein.

Wie Blatt und Zweig im Bachgeſpül,

So treibt manch blond Geſell.

Graf Adolf nur im Kampfgewühl,

Er treibt nicht von der Stell’.

Und bald aus Bach wird Strom und Schaum,

Nimmt Blumen mit und Aſt und Baum,

Wie treibt die Woge ſchnell!

„Maria Magdalena, hilf,

Dämm’ ab die Dänenflut,

Du hebſt zerknicktes Rohr und Schilf,

Gieb uns den alten Mut,

Am Himmel zeig’ dein Siegpanier,

Auf immer will ich dienen dir

In Hulden treu und gut.“

Der Graf packt feſt in Zeug und Riem,

Sieg oder untergehn.

Da ſieh! am Himmel zeigt ſich ihm

Maria Magdalen,

Und breitet ihren Mantel aus,

Die Sonne zieht ins Wolkenhaus,

Und kühle Winde wehn.

[38]
Hei! flog der Graf ins Schlachtgedräng,

Die Axt durchbricht den Wald,

Um ſeinen Harniſch im Gemeng

Die Holſtentatze krallt.

Und kratzt dem Dänen Bart und Bein,

Und hackt ſich ihm ins Fleiſch hinein,

Bis blaß er wird und kalt.

Herr Waldemar, der Dänen Schild,

Wie heißes Eiſen glüht.

In ſeinen Augen roth und wild

Die Zornesblume blüht.

„Du Hundegraf, du Hurenſohn,

Ich mähe dich wie Wieſenmohn,“

Des Königs Lippe ſprüht.

Hin, hin auf weiſem Frieſenhengſt,

Schwert klirrt und Panzerkleid,

„Du Froſch, daß in den Schlamm du ſänkſt,“

Der König ſchreit es weit.

Der Graf ſich wie der Löwe hebt,

Sein Helmbuſch wie die Möwe ſchwebt

Auf Waſſern, ſtoßbereit.

Ein Pantherthier vom Pfeil geritzt,

Der König wütend ſchlägt.

Herr Adolf ihm im Nacken ſitzt,

Den Widerſchlag verlegt,

Und ſtößt den König auf die Knie’,

Der betet: „Jeſus und Marie!“ —

Vom Roß der Graf, bewegt.

[39]
Und hebt ihn auf den Sattel ſacht,

Gewonnen iſt das Spiel,

Und trägt ihn durch die Sternennacht

Bis auf ſein Schloß zu Kiel.

Er löſt ihm Kettenhemd und Schien’,

Und ſtellt ihm Roſen und Jasmin

Um ſeine Wunden viel.

Dann denkt er an Maria rein

Und an ſein heißes Flehn.

Er miniſtrirt am Altarſchrein,

Und barfuß muß er gehn.

Als Bettelmönch mit Spottgewinn,

So dankt er ſeiner Helferin

Marien Magdalen.

Heidebilder.


Tiefeinſamkeit ſpannt weit die ſchönen Flügel,

Weit über ſtille Felder aus.

Wie ferne Küſten grenzen graue Hügel,

Sie ſchützen vor dem Menſchengraus.

Im Frühling rauſcht in mitternächtiger Stunde

Die Wildgans hoch in raſchem Flug.

Das alte Gaukelſpiel: in weiter Runde

Hör’ ich Geſang im Wolkenzug.

Verſchlafen ſinkt der Mond in ſchwarze Gründe,

Beglänzt noch einmal Schilf und Rohr.

Gelangweilt ob ſo mancher holden Sünde,

Verläßt er Garten, Wald und Moor.

[40]
Die Mittagſonne brütet auf der Heide,

Im Süden droht ein ſchwarzer Ring.

Verdurſtet hängt das magere Getreide,

Behaglich treibt der Schmetterling.

Ermattet ruhn der Hirt und ſeine Schafe,

Die Ente träumt im Binſenkraut,

Die Ringelnatter ſonnt in trägem Schlafe

Unregbar ihre Tigerhaut.

Im Zickzack zuckt ein Blitz, und Waſſerfluten

Entſtürzen gierig feuchtem Zelt.

Es jauchzt der Sturm und peitſcht mit ſeinen Ruten

Erlöſend meine Heidewelt.

In Herbſtestagen bricht mit ſtarkem Flügel

Der Reiher durch den Nebelduft.

Wie ſtill es iſt, kaum hör’ ich um den Hügel

Noch einen Laut in weiter Luft.

Auf eines Birkenſtämmchens ſchwanker Krone

Ruht ſich ein Wanderfalke aus.

Doch ſchläft er nicht, von ſeinem leichten Throne

Aeugt er durchdringend ſcharf hinaus.

Der alte Bauer mit verhaltnem Schritte

Schleicht neben ſeinem Wagen Torf.

Und holpernd, ſtolpernd ſchleppt mit lahmem Tritte

Der alte Schimmel ihn in’s Dorf.

Die Sonne leiht dem Schnee das Prachtgeſchmeide,

Doch ach! wie kurz iſt Schein und Licht.

Ein Nebel tropft, und traurig zieht im Leide

Die Landſchaft ihren Schleier dicht.

[41]
Ein Häslein nur fühlt noch des Lebens Wärme,

Am Weidenſtumpfe hockt es bang.

Doch kreiſchen hungrig ſchon die Rabenſchwärme

Und hacken auf den ſichern Fang.

Bis auf den ſchwarzen Schlammgrund ſind gefroren

Die Waſſerlöcher und der See.

Zuweilen geht ein Wimmern, wie verloren,

Dann ſtirbt im toten Wald ein Reh.

[Tiefeinſamkeit], es ſchlingt um deine Pforte

Die Erika das rote Band.

Von Menſchen leer, was braucht es noch der Worte,

Sei mir gegrüßt du ſtilles Land.

Du haſt mich aber lange
warten laſſen.


Es lauſcht der Wald.

Komm bald, komm bald,

Eh’ noch verſchallt im Lärm des neuen Tages

Der Quelle Murmeln, und verhallt.

Geſchwind, geſchwind,

Mein ſüßes Kind,

Eh’ noch im Wind die Schauer tiefer Stille

Verzogen und verflogen ſind.

Durch Wipfel bricht

Das Morgenlicht.

O, länger nicht, mein holdes kleines Mädchen,

Laß nun mich warten, länger nicht.

[42]
Die Sonne ſiegt,

Allendlich ſchmiegt

Und lachend wiegt ſie ſich in meinen Armen.

Zum Himmel auf die Lerche fliegt.

Liebeslied.


Dem Fremden gilt dein Evoe,

Du möchteſt ihn tauſendmal ſegnen.

Deine Augen ſind ein gefrorner See,

Wenn ſie den meinen begegnen.

Der fremde Mann iſt kein Don Juan,

Er liebt dich zu ſentimentaliſch,

Und weil er dich nicht heirathen kann,

So denkt er viel zu moraliſch.

Mein ſchönes Kind, du thuſt mir leid,

Doch das ſoll anders werden.

Ich liebe dich, und es kommt eine Zeit,

Dann vergeſſen wir Himmel und Erden.

Glaubſt du, daß ich wie ein junger Fant

Stumm will und kläglich verzichten?

Ich bin deiner Hoheit kein Trabant,

Mit nichten, Madonna, mit nichten.

Ob kühn, ob bedachtſam, ich weiß es noch nicht,

Wie den Angriff ich ſoll planen.

Doch ehe der Herbſtſturm die Zweige bricht,

Verneigen ſich tief deine Fahnen.

[43]
Dann ſchwenk’ ich die Mütze hoch um die Stirn,

Seh’ ich den Rauch deines Herdes.

Du horchſt, dir entfallen Nadel und Zwirn,

Hörſt du den Huf meines Pferdes.

Und klappert vor deiner Thüre mein Gaul,

Du warteſt ſchon an der Treppe.

In der Eile haben ſich Faden und Knaul

Verwickelt in deine Schleppe.

Vor Wonne jauchzt deine junge Bruſt,

Vor Wonne dein Herz, das ich raubte.

Unſre Küſſe geben ſüßere Luſt

Als trauſcheinlich erlaubte.

Du weiß nicht, Mädchen, was Leidenſchaft iſt,

Sie klingt nicht aus Engelchören.

Nicht allzulange laß ich dir Friſt,

Du ſollſt, du wirſt mich erhören.

Heut hat noch der Fremde dein Herz in Pacht,

Mich behandelſt du recht eintönig.

Doch ehe die Sichel rauſcht, nimm dich in Acht,

Bin ich dein Herr und König.

Glückes genug.


Wenn ſanft du mir im Arme ſchliefſt,

Ich deinen Athem hören konnte,

Im Traum du meinen Namen riefſt,

Um deinen Mund ein Lächeln ſonnte —

Glückes genug.

[44]
Und wenn nach heißem, ernſtem Tag

Du mir verſcheuchteſt ſchwere Sorgen,

Wenn ich an deinem Herzen lag,

Und nicht mehr dachte an ein Morgen —

Glückes genug.

Ich liebe dich.


Vier adlige Roſſe

Voran unſerm Wagen.

Wir wohnen im Schloſſe

In ſtolzem Behagen.

Die Frühlichterwellen,

Und nächtens der Blitz,

Was All’ ſie erhellen,

Iſt unſer Beſitz.

Und irrſt du verlaſſen,

Verbannt durch die Lande,

Mit dir durch die [...]

In Armuth und Schande.

Es bluten die Hände,

Die Füße ſind wund.

Vier troſtloſe Wände,

Es kennt uns kein Hund.

Steht ſilberbeſchlagen

Dein Sarg am Altare,

Sie ſollen mich tragen

Zu dir auf die Bahre.

Und fern auf der Heide,

Und ſtirbſt du in Not,

Den Dolch aus der Scheide,

Dir nach in den Tod!

[45]

Dorfkirche im Sommer.


Schläfrig ſingt der Küſter vor,

Schläfrig ſingt auch die Gemeinde,

Auf der Kanzel der Paſtor

Betet ſtill für ſeine Feinde.

Dann die Predigt, wunderbar,

Eine Predigt ohne Gleichen.

Die Baronin weint ſogar

Im Geſtühl, dem wappenreichen.

Amen, Segen, Thüren weit,

Orgelton und letzter Pſalter.

Durch die Sommerherrlichkeit

Schwirren Schwalben, flattern Falter.

Tiefe Sehnſucht.


Maienkätzchen, erſter Gruß,

Ich breche euch und ſtecke euch

An meinen alten Hut.

Maienkätzchen, erſter Gruß,

Einſt brach ich euch und ſteckte euch

Der Liebſten an den Hut.

Vergänglichkeit.


Ich ſtehe auf der einen,

Auf der andern Seite ſtehſt du.

Das alte Heck liegt dazwiſchen,

Ein ſeliges Rendez-vous.

[46]
Viel Jahre ſind vergangen,

Das Heck geht noch auf und zu.

Ich ſtehe auf der einen,

Auf der andern die alte Kuh.

Correſpondenz.


Im Garten, heute Morgen,

Als ich deinen Brief erbrach,

Fand ich darin verborgen

Ein Roſenblatt.

Ein Roſenblatt, deinen Locken entſunken.

Als ich es trunken mit den Lippen berührte,

Kam ein Windhauch und entführte

Den holden Gaſt.

Nun ſegelt es luſtig zu dir zurück.

Gleich einer Krone trägt es mein Glück

Auf tiefrothem Sammt — und verblaßt.

Four in hand.


Vorne vier nickende Pferdeköpfe,

Neben mir zwei blonde Mädchenzöpfe,

Hinten der Groom mit wichtigen Mienen,

An den Rädern Gebell.

In den Dörfern windſtillen Lebens Genüge,

Auf den Feldern fleißige Eggen und Pflüge,

Alles das von der Sonne beſchienen

So hell, ſo hell.

[47]

Mit der Pinaſſe.


(Schön Wetter.)


Mädchen, reich’ mir deine Hände,

Spring ins Boot, nicht zu behende,

Lös das Tau vom Bohlenring.

Über kleine Wellenhügel

Tanzen unſre Segelflügel

Wie der weiße Schmetterling.

Bläſt Nordoſt uns friſch hinaus,

Weht Südweſt uns ſanft nach Haus.

Luſtig Liebesabenteuer,

Ich und du allein am Steuer,

Weite Waſſereinſamkeit.

Letztes Ufer im Verblaſſen,

Hoch am Maſte der Pinaſſen

Wimpelt die Verſchwiegenheit.

Bläſt Nordoſt uns friſch hinaus,

Weht Südweſt uns ſanft nach Haus.

Wenn die Bretter plötzlich krachen,

In die Tiefe taucht der Nachen,

Sah es nur der wilde Schwan.

Klopft dein Herzchen? Laß uns wenden

Und die ſtille Fahrt beenden,

Bald am Herde ſprüht dein Span.

Blies Nordoſt uns friſch hinaus,

Weht Südweſt uns ſanft nach Haus.

[48]

Verbotene Liebe.


Die Nacht iſt rauh und einſam,

Die Bäume ſtehen entlaubt.

Es ruht an meiner Schulter

Dein kummerſchweres Haupt.

Der Fuchs trollt durch die Felder,

Wie ferne iſt der Feind.

Gleichgültig glänzen die Sterne,

Dein ſchönes Auge weint.

Du brichſt ein dürres Äſtlein,

Das iſt ſo knospenleer,

Und reichſt mir dann die Hände —

Wir ſahen uns nimmermehr.

Müde.


Aauf dem Wege vom Tanzſaal nach Haus

Ruht ſich auf dem Steine aus

Die hübſche Margreth.

Sie öffnet ein wenig das ſtramme Mieder,

Daß kühl über die weißen Glieder

Der Nachtwind weht.

Deſſelben Weges kommt auch der Junker,

Mit Troddeln am Hut und vielem Geflunker,

Und ſieht den Stein,

Und auf dem Steine das ſchmucke Kind,

Und wie der Blitz geſchwind,

Fällt ihm was ein.

[49]
Das liebe Mädchen hatte geſchlafen,

Doch wie ſie des Junkers Augen trafen,

Iſt ſie erwacht.

Erſt ſchreit ſie auf und will feldein,

Ich denke wir laſſen die beiden allein

In der Sommernacht.

Frühling.


Komm, Mädchen mir nicht auf die Stube.

Du glaubſt nicht, wie das gefährlich iſt

Und wie mein Herze begehrlich iſt —

Komm, Mädchen, mir nicht auf die Stube.

Du klipperſt und klapperſt mit Teller und Taſſen,

Raſch muß ich von Arbeit und Handwerkzeug laſſen

Du kleine Kokette,

Und muß dich küſſen und ſtürmiſch umfaſſen.

Komm, Mädchen, mir nicht auf die Stube.

Komm, Mädchen, mir nicht in die Wege.

Wenn im Garten ich einſam ſpazieren geh

Und im Garten dich einſam hantieren ſeh —

Komm, Mädchen, mir nicht in die Wege.

Aus Himbeergebüſchen ſchimmert dein Rücken,

Ich höre dein Kichern beim Unkraut pflücken,

Du haſt mich geſehen:

Was zögert er noch, in den Arm mich zu drücken.

Komm, Mädchen, mir nicht in die Wege.

4
[50]
Komm, Mädchen, mir nicht in die Laube.

Denn wüßteſt du, wie das erbaulich iſt,

Und wie ſolche Sache vertraulich iſt,

Komm, Mädchen, mir nicht in die Laube.

Wenn wir ſo neben einander ſitzen,

Und unſere Augen zuſammenblitzen,

Es netzt uns der Nachttau,

Wir könnten uns leicht erkälten, erhitzen.

Komm, Mädchen, mir nicht in die Laube.

Zu ſpät.


Ich kann das Wort nicht vergeſſen,

Es klang ſo traurig und ſchwer.

Dein Stimmlein hör’ ich ſchluchzen:

Ich weiß, du liebſt mich nicht mehr.

Der Abend ſank auf die Felder,

Vom Tage nur noch ein Reſt.

Die letzten Krähen flogen

Nach fernen Wäldern zu Neſt.

Nun ſind wir weit geſchieden,

Auf Nimmerwiederkehr.

Ich kann das Wort nicht vergeſſen:

Ich weiß, du liebſt mich nicht mehr.

[51]

Hans der Schwärmer.


Hans Töffel liebt Schön Doris ſehr,

Schön Doris Hans Töffel vielleicht noch mehr.

Doch ſeine Liebe, ich weiß nicht wie,

Iſt zu ſcheu, zu ſchüchtern, zu viel Elegie.

Im Kreiſe lieſt er Gedichte vor,

Schön Doris ſteht unten am Gartenthor:

Ach, käm’ er doch friſch zu mir hergeſprungen,

Wie wollt’ ich ihn herzen, den lieben Jungen.

Hans Töffel lieſt oben Gedichte.

Am andern Abend, der blöde Thor,

Hans Töffel trägt wieder Gedichte vor.

Schön Doris das wirklich ſehr verdrießt,

Daß er immer weiter und weiter lieſt.

Sie ſchleicht ſich hinaus, er gewahrt es nicht,

Juſt ſagt er von Heine ein herrlich Gedicht.

Schön Doris ſteht unten in Roſendüften

Und hätte ſo gern ſeinen Arm um die Hüften.

Hans Töffel ließt oben Gedichte.

Am andern Abend iſt großes Feſt,

Viel Menſchen ſind eng aneinander gepreßt.

Heut muß er’s doch endlich ſehn der Poet,

Wenn Schön Doris ſacht aus der Thüre geht.

Potz Tauſend, er merkt es und merkt es auch nicht,

Er ſpricht und verzapft gar ein eigen Gedicht.

Und unten im ſtillen, dunklen Garten

Muß Schön Doris vergeblich, vergeblich warten.

Hans Töffel ließt oben Gedichte.

4*
[52]
Am andern Abend, beim heiligen Gral,

Schön Doris fehlt im Geſellſchaftsſaal.

Und iſt auch Hans Töffel mein Freund und mir wert —

Die Katze ſchläft unten am Feuerherd,

Beim Kätzchen ſteht ſinnend Schön Doris und ſehnt,

Ihr Köpfchen an meiner Schulter lehnt.

Und hätt’ ich auch eine Legion Verdammer,

Zu ſüß war die Stunde bei ihr in der Kammer.

Hans Töffel lieſt oben Gedichte.

Nach dem Ball.


Setz’ in des Wagens Finſterniß

Getroſt den Atlasſchuh.

Die Füchſe ſchäumen ins Gebiß,

Und nun, Johann, fahr’ zu.

Es ruht an meiner Schulter aus

Und ſchläft, ein müder Veilchenſtrauß,

Die kleine blonde Comteſſe.

Die Nacht verſinkt in Sumpf und Moor,

Ein erſter roter Streif.

Der Kiebitz ſchüttelt ſich im Rohr

Aus Schopf und Pelz den Reif.

Noch hört im Traum der Roſſe Lauf,

Dann ſchlägt die blauen Augen auf

Die kleine blonde Comteſſe.

Die Sichel klingt vom Wieſengrund,

Der Tauber gurrt und lacht,

Am Rade kläfft der Bauernhund,

All’ Leben iſt erwacht.

Ach, wie die Sonne köſtlich ſchien,

Wir fuhren ſchnell nach Gretna Green,

Ich und die kleine Comteſſe.

[53]

Die gelbe Blume Eiferſucht.


Was war das, drückt er ihr leiſe die Hand,

Als geſtern Abend er neben ihr ſtand,

Der Hund, der Hund!

Heut ſah ſie den ganzen Tag hinaus:

Wann wird er kommen.

Und als er um die Ecke bog,

Das Rot ihr in die Schläfen flog.

Das ſoll dir nicht frommen,

Du Hund, du Hund!

Heut Abend, ich lauſchte, in heimlicher Stund’

Er küßte ſie zärtlich auf Augen und Mund,

Der Hund, der Hund!

Nun lauer’ und ſchleich ich im Säulengang

Auf Katzenpfoten.

Meinen Dolch betaſt’ ich wohl hundertmal,

In die Bruſt ihn dir brech’ ich für alle die Qual,

Als Liebesboten,

Du Hund, du Hund!

Unheimlicher Teich.


Zwei krauſe verkrüppelte Zwergeichen,

Weidengeſtrüpp, Feldſteine, und

Ein alter, weggeworfener, zerriſſener,

Halbverfaulter, verlaſſener Stiefel.

Im Schilf lärmt der Rohrſpatz

In weiter Stille.

[54]
Langſam auf Brachfeld und Moor welkt der Tag,

Und blaß zwinkern drei, vier Sterne,

Wie Kätzchenäugelchen, die zum erſten Mal in die

Welt blinzeln.

Es ſchweigt der Wind.

Eine Kuh brüllt auf fernen Feldern

In weiter Stille.

Still und einſam.

Aus der ſchwarzen Waſſerlache

Steigt in lang weißem Gewand ein Prieſter.

Und in ſeiner Hand, hoch dem Haupte,

Glänzt die Monſtranz.

Die Monſtranz?

Vor zweihundert und etlichen Jahren

Sind die Schweden durchs Land gefahren,

Und ein wüſter Blondgeſell

Stahl aus der Kirche das Heiligſte ſchnell

Und ſteckt in den Sack das Stück.

Doch hinter ihm her kam der Prieſter gerannt,

Ein junger, tapferer Prädikant,

Und kämpft es zurück.

Aber wehe, o weh,

Hinterm Buſch im Klee,

Lag des Schweden Kamerad,

Von Axel Cederſtolpe’s Dragonern, Sven Grath

Die beiden ſchlugen den Prieſter tot,

Der hat in ſeiner letzten Not

Das Hoſtiengefäß gehalten,

Daß ſich die Finger krallten in Wachs …

… und ſie warfen ihn ins Loch.

[55]
Allabendlich doch,

Wenn das letzte Rot verſchwommen,

Und die erſten Sterne kommen,

Steht er tieftraurig auf dem Teiche.

Geſtern kam der alte Kuhhirte Hans

Vom Jahrmarkt etwas ſchwer des Weges daher,

Der ſah den Prieſter und die Monſtranz.

Den alten Hans fanden wir heute Morgen

Als Leiche.

Die Nixe.


Der Tag iſt aus, und letzt’ Geläut

Verkündet uns: Genug für heut.

Fort legt der Schuſter ſeinen Pfriemen,

Und der den Hobel, der den Riemen.

Der Bauer trennt ſich von der Senſe,

Der Knecht hängt an den Pflock die Trenſe.

Der Schreiber ſelbſt, der arme Mann,

Er ſieht die Welt ſich draußen an.

Bekanntlich iſt bei uns der Mai

Von Eis und Schnee nie gänzlich frei,

Doch iſt es heut ein Sommerabend,

Der alte Reim darauf iſt labend.

Viel Liebespärchen ſind bereit,

Um, kommt die liebe Dunkelheit,

Zu ſcherzen viel und viel zu flüſtern,

Natürlich unter düſtern Rüſtern.

[56]
Ein Jeder ſucht von Diſſonanzen,

Die ſelbſt den hellſten Tag verſchnein,

Bei Tagesſchluß ſich zu befrein.

In Spanien durch Fandangotanzen,

Wir ſitzen hinter Flaſchenſchanzen.

Auch iſt’s behaglich, wenn Lakaien

Recht warme Schüſſeln vor uns ſetzen,

Und wir den Braten dann zerfetzen,

In Honolulu mit den Nägeln,

Wir nach bekannten Anſtandsregeln.

Ich lobe mir die Tafelfreuden,

Wenn nicht zuviel wir d’ran vergeuden,

Als angenehmſte Zeit am Tage,

Vergeſſen Schema F und Plage.

Doch mehr Genüſſe giebt es noch

Nach Lebenslaſt und Tagesjoch.

Zum Beiſpiel der Natur ſich freuen,

Und ſich im Wandern zu zerſtreuen.

So fand ich heut, ich weiß nicht wie,

Vielleicht auf meiner Baronie,

Auf einer Wieſe weit und breit

Die ſtille Blume Einſamkeit.

Zwei braune Kühe rupften dort,

Ein Flüßchen ſchwatzte fort und fort,

Und aus den Buchen an der Heide,

Zwar Walter von der Vogelweide

Sagt Linden, ſang die Nachtigall

Tandaradei!

Und ſtiller ward es rings umher.

Ich ſtreckte mich ins junge Gras,

Und dachte dieſes, dachte das.

Die Kühe lagen, wiederkäuend,

Sich ſchon auf neue Kräuter freuend.

[57]
Wie kam ich plötzlich auf Homer?

Es fiel mir aus der Ilias

Achilleus ein. Ich mag ihn nicht,

Und leiſte gern auf ihn Verzicht.

Sprach jemals einer ſolche Worte

Zu ſeinem Feinde, wenn die Pforte

Des Todes ſich ihm öffnen will.

Es höhnt der Fleiſcherknecht Achill,

Als Hektor ſterbend vor ihm lag:

„Nun haſt du deinen letzten Tag.

Die Hunde ſollen dich zerbeißen,

Und wilde Geier dich zerreißen.“

Und keine Kunſt! Pallas Athene

Stand Seit’ ihm in der Schlachtenſcene,

Und reicht’, verhüllt, ihm wieder her

Das ſchon verſchleuderte Gewehr.

Und Hektor ſtarb.

Beim Himmel weit!

Bin ich von dieſer Welt geſchieden?

Dort auf dem Fluſſe den Peliden

Seh’, drohend mir, zur Schlacht bereit,

Ich ſtehn in hoher Herrlichkeit.

Bin ich denn bei den Spiritiſten,

Die überall ſich einzuniſten

Geſonnen ſind. Ich denke: nein —

Ein neues Bild: Held Don Quixote.

Hadrianus, Ebers, Nero, Heine,

Bald wechſeln Lebende, bald Tote,

Bald große Männer, bald auch kleine.

Lord Byron kam und ſchwand alsdann.

(Ich liebe ſeinen „Don Juan“.)

Und weiter zogen Helden, Dichter,

Geſetzesgeber, große Richter.

Bis endlich noch Fritz Käpernick

Und Caeſar „mit dem Greifenblick.“

[58]
Dann zum Beſchluß der große Dante,

Der leider noch ſehr unbekannte.

(Soll ich mich ganz dem Dichter geben,

Will ich kein Kommentar daneben.)

Es führten ihn in ihrer Mitt’

Herr Meierleben und Herr Schmitt. —

Und eine Leere trat nun ein,

Vom Fluſſe ſchwand der Phosphorſchein.

Es rauſchte Welle nur auf Welle

Gemütlich durch die Mondeshelle.

Da ſieh! Beim heiligen Krucifixe!

Es taucht hervor die Waſſernixe.

War das ein wundervolles Weib,

War das ein wundervoller Leib.

Als ſie dem Schilf entſtieg und Rohr,

Da brach erſchreckt ein Kranich vor,

Und ſpannte ſchwer die breiten Flügel,

Und hob ſich über Holz und Hügel.

Doch als ich näher ging und ſah,

Und endlich ganz der Nixe nah,

Wen mußt’ ich ſehen! Gott der Gnade!

Wen fand ich hier am Schilfgeſtade —

Die einſt ich liebte warm und wahr.

Doch damals hing das blonde Haar

So lang noch nicht, wie nun es war.

Es fließt ihr über Hals und Nacken,

Bis leicht es loſe Wellen packen.

Die Kleidung ſchloß ſich mehr decent

Als hier im feuchten Element,

Wenn ihre Arme auch und Hände

Sich kreuzen vor der Bruſt als Wände.

„O ſprich, o ſprich ein einzig Wort,

Wie kamſt du her an dieſen Ort?“

Doch blieb ſie ſtumm und ſah mich an,

[59]
Daß mir die Thräne niederrann.

Und wurde blaſſer, immer blaſſer,

Und ſank allmählig in die Waſſer. —

Ich wandte mich und ging feldein,

Doch eh ich hundert Schritte kaum

Gegangen war in ſchwerem Traum,

Kehrt’ ich mich um im Mondenſchein.

Da ſtand ſie wieder, doch bewegt,

In ihren Mienen aufgeregt.

Ein Schrei drang gellend her von ihr,

Wie Ruf und Schrei von einem Tier.

In Böhmen einſt, in Junitagen,

In heißer Schlacht, in heißer Schlacht,

Hört’ ich ein Pferd im Tode klagen,

Das klang durch all’ die heiße Schlacht.

Wir kämpften um ein Dorf mit Wut

In dickem Staub und Sonnenglut.

Mann gegen Mann, in Haus und Garten,

Um Knick und Mauer, Dach und Scharten.

Da, mitten drin im Pulverdampf,

Kommandoruf und Roßgeſtampf,

Durch Trommelwirbel, Hörnerſchall,

Durch Mordgeheul und Donnerknall,

Hört’ ich aus einem Stall, der brannte,

Ein Schreien, das mich übermannte.

„Hierher, rief ich mit heiſerer Stimme,

Hierher zu mir im letzten Lauf,

Hierher! und ſchlagt die Thüren auf!“

Sie kamen ſchnell in Sturm und Grimme,

Und als wir in die Scheune drangen,

Sah bald an einer Kett’ ich hangen

Ein halbverkohltes Pferd, das ſchrie,

Und ich vergeſſ’ es im Leben nie. —

Habt einen Menſchen ihr gehört,

[60]
Hat euer Blut ſich nicht empört,

Wenn ihm, vor allzugroßem Schmerz

Nicht brechen Auge kann und Herz?

In Frankreich war es. Blutbeſpritzt,

Schweißübergoſſen, überhitzt,

Juſt um des Schlachtentages Mitte.

Von meinen Pferden ſchon das dritte,

Das ich beſtiegen im Gefechte.

Den hungrigen Degen hielt die Rechte,

Und meine herrliche Kompagnie,

Zu ſattem Siege führ’ ich ſie.

Da, als wir über Leichen ſtolpern,

Durch Stein und Buſchwerk weiter holpern,

Und nur die freie Bahn erſehnen,

Den Feind zu packen mit den Zähnen,

Erſchrak ein Schrei mich in der Nähe,

Der klang ſo gräßlich, klang ſo jähe,

Daß ich entſetzt vom Pferde ſprang,

Und keuchend an die Stelle drang,

Woher er kam.

Du großer Gott!

Da lag mein Freund, zerriſſen, bloß,

Im Sonnenfeuer, das ihn ſott,

Noch mit Beſinnung, rettungslos.

Das Eingeweide hing heraus,

Er ſtarrt mich an im Sterbegraus,

Und ich verſtand den ſtummen Blick:

„Thu’ deine letzte Freundespflicht.“

Und lange war mein Zögern nicht,

Schon ſpannt’ ich den Revolverhahn,

Da lehnt er ſich im letzten Wahn

An meine Bruſt. Und Gott ſei Dank!

Von ſeinem Schiff ins Todesmeer

Des Maſtes Wimpel unterſank.

Noch ſtammelt er: „Siegt unſer Heer? —

[61]
Schnellfeuer — dort — der König — Sein

Im Tod …“ … und ruhig ſchlief er ein.

Ich küßte ſeinen bleichen Mund,

Und ſtürzte wieder in die Schlacht,

In den quirlenden, qualmenden Höllenſchlund,

Bis uns der Tag den Sieg gebracht. —

Doch grauenvoller war der Schrei,

Den eben ſchrie die Waſſerfei:

„O wehe, weh, die Stund’ iſt da.“

Und gleich nachdem der Ruf geſchah,

Hört’ ich es hinterm Hügel nah,

Und trab, trab kommt es näher ſchon,

Und näher, näher ſchwillt der Ton,

Da, auf des Hügels breiter Kuppe,

Links blieb die kleine Tannengruppe,

Ein Menſch, am Himmel ausgeſchnitten,

Ein Pulsſchlag war es, dann herab,

So läuft er auf ſein naſſes Grab.

Halt! Halt! und bald ſteh’ ich in Mitten

Von Waſſerweib und Menſchenkind,

Und fing den Stürmer auf geſchwind.

Der wehrte ſich und wollte fort,

Er müſſe zu der Nixe dort.

Ich hielt ihn wie mit Eiſenklammern,

Es half ihm Klagen nicht und Jammern.

Da, gräßlich, ſchreit es noch einmal,

Im Echo ruft das ganze Thal,

Und wunderbar, wie vordem ſchon,

Tönt trab, trab, trab der alte Ton,

Erſt hinterm Hügel, dann hoch oben,

Die Augen ſtier, die Händ’ erhoben.

So ſtürzt der Läufer niederwärts,

Dem ſchönen Nixenweib ans Herz.

Ich ſah, eh’ ich den Sinn verlor,

[62]
Die Nixe drängt ans Ufer vor

Und ſpannte weit den ſchönen Arm —

Da ſchoß auf mich ein Sternenſchwarm.

Am andern Tag in früher Stund’

Erwacht’ ich auf dem Wieſengrund.

Die beiden Kühe rupften wieder —

Doch dort, ſie ſuchen was im Fluß,

Und tauchen ihre Stangen nieder —

War das des Traumes herber Schluß?

Und ſieh! Wen tragen dort die Hände,

Sie trugen einen, der verſank

Und dieſe Nacht im Fluß ertrank.

Das war des ſchweren Traumes Ende.

Früh am Tage.


In der Fenſterluken ſchmalen Ritzen

Klemmt der Morgen ſich die Fingerſpitzen.

Kann von meinem Mädchen mich nicht trennen,

Muß mit tauſend Schmeichelnamen ſie benennen.

Drängt die liebe Kleine nach der Thüre,

Halt’ ich ſie durch tauſend Liebesſchwüre.

Muß ich leider endlich ſelber treiben,

Fällt ſie, wortlos, um den Hals mir, möchte bleiben.

Liebſter, ſo, nun laß mich, laß mich gehen,

Doch im Gehen bleibt ſie zögernd ſtehen,

Noch ein letztes Horchen, letzte Winke,

Und dann faßt und drückt ſie leiſe, leis die Klinke.

[63]
Schuh’ aus, ſchleicht ſie, daß ſie Keiner ſpüre,

Und ich ſchließe ſachte, ſacht die Thüre,

Öffne leiſe, leiſe dann die Luken,

In die friſche, ſchöne Morgenwelt zu gucken.

Kurz iſt der Frühling.


Kam in ein Wirtshaus, ich weiß nicht wie,

Tanzt der Soldate, tanzt der Commis.

War ein ſo ſchöner Frühlingstag,

Schlug mein Herz ſo beſonderen Schlag.

Trug ein wunderbar Verlangen,

Mit einem Mädel heut anzufangen.

Und, alle Wetter, da ſeh’ ich ſie tanzen,

Dichtete gleich zehntauſend Stanzen.

Kurz iſt der Frühling.

Als wieder am Platze die Tänzerin,

Ging ich ſtracks zu der Kleinen hin.

Bat ſie, ein Glas zu trinken mit mir,

Ja, ſagte ſie gleich und ohne Gezier.

Beſtellt’ ich uns eine kalte Flaſchen,

Und dem Holdchen etwas zum Naſchen.

Blitzt mir ihr Auge dankbar entgegen,

Zuckt um die Lippen es noch verlegen.

Kurz iſt der Frühling.

[64]
Kindel, mein Kutſcher ſchlief draußen aus,

Wir fahren, ich bitt’ dich, nun nach Haus.

Lacht ſie, die ſchelmiſche Tänzerin,

Das wäre gar nicht nach ihrem Sinn.

Ließ ich mich weiter von ihr beſtricken,

Mußte den Kutſcher zum Kuckuck ſchicken.

Doch als der Morgen in Saal und Ecken,

Führt’ ich am Arm ſie durch Schlehdornhecken.

Kurz iſt der Frühling.

War ſo ein ſüßes, verliebtes Ding,

Noch ohne Schmuck und noch ohne Ring.

Freute ſich kindiſch über ein Band,

Über ein Kettchen und allerlei Tand.

Tranken zuſammen die Chokolade,

Beſahen uns dann die Wachtparade,

Kaufte zum Hut ihr eine Feder,

Schenkt’ ihr Handſchuh von feinſtem Leder.

Kurz iſt der Frühling.

Wohnten im hübſchen Vorſtadthaus,

Fern vom Markt und vom Straßengebraus.

Schaut in die Welt ihr Auge braun,

Ging ihre Welt bis zum Gartenzaun.

War ſo gefällig, war ſo beſcheiden,

Dacht’ ich nimmer an Scheiden und Meiden.

Doch als der Sommer kam in die Lande,

Trennten ſich unſere Liebesbande.

Kurz iſt der Frühling.

[65]

Kalter Augulttag.


I.


Wir ſtanden unter alten Rieſenulmen,

An unſers Gartens Rand. Mein Arm umſchlang

Die ſchlanke Hüfte dir. Es lag dein Haupt,

Das ſchöne, blaſſe, ſtill an meiner Schulter.

Ein kalter Hauch drang uns entgegen; fröſtelnd

Zogſt feſter du das Tuch um deinen Hals.

In grauer Luft, unüberſehbar, lag

Der Wieſen grünes Flachland ausgebreitet.

Wie deutlich hörten wir den Jungen ſchelten

Auf ſeine Kühe, deutlich hör’ ich noch

Dein fröhlich Lachen, als uns die geſunden,

Vom Winde hergetragnen Worte trafen.

Und eine Oede, nordiſch unbehaglich,

Durchfror die Landſchaft. Krähen ſtolperten,

Laut krächzend, über’n Garten. Schläfrig zog

Am Horizont die Mühle ihre Kreiſe.

Und doch! Es lag auf Wegen fern und nah

Der Sonnenſchein, der Sonnenſchein des Glücks.

Und langſam kehrten wir zurück ins Haus.

II.


Und wieder ſtand ich unter unſern Ulmen,

Doch nicht mit dir. Allein ſah ich hinaus

In lichten Frühlingstag: Der Junge pfiff

Ein luſtig Liedchen ſeinen Kühen; glänzend

Im Licht umkreiſten Krähen hohe Bäume,

In blauer Luft ſchaut’ ich am Horizont

Die Mühle ſchnell im Wind die Flügel drehn.

Und doch, ich ſah nur graue Todesnebel,

Und teilnahmlos kehrt’ ich zurück ins Haus.


[66]

„Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“


Ich war bei hellem Sommerlicht

In eine Dämmergruft geſtiegen,

Wo Sarkophage, dicht an dicht,

Wie Denker in Gedanken, ſchwiegen.

Der Särge Silberſchilderei,

Wo Nam’ und Wappen eingeſchnitten,

Umzog barocke Schnörkelei,

Nach längſt verjährten alten Sitten.

Es traf mein Blick auf einen Sarg,

Aus all den andern Schmerzerrettern.

Ich wußte, wen die Truhe barg,

Aus einer Chronik gelben Blättern:

Ein Jahr nach ihrer Hochzeit ſchied

Die junge Frau mit ihrem Knaben.

Und der, der nun die Sonne mied,

Sein einzig Glück war hier begraben.

Schnee fiel in ſeine Sommerflur,

Er war zu tief, zu tief „betrübet.“

Ich las auf ihrem Sarge nur:

„Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“

[67]

Hochſommer im Walde.


Kein Mittageſſen fünf Tage ſchon.

Die Heimat ſo weit, kein Geld und kein Lohn,

Statt Arbeit zu finden, nur Hunger und Not,

Nur wandern und betteln und kaum ein Stück Brot.“

Was biegt der Handwerksburſch in den Wald?

Was läuft ihm übers Geſicht ſo kalt?

Was ſieht er troſtlos in den Raum?

Was irrt ſein Auge von Baum zu Baum?

Die Sonne ſinkt und Stille ringsum,

Die Droſſel nur lärmt noch, ſonſt Alles ſtumm.

Was ſchaukelt der Erlbaum am Waldesrand?

In ſeinen Äſten ein Menſch verſchwand.

Von ſeinem ärmlichen Bündel den Strick,

Er legt um den Hals ihn, um Wirbel, Genick,

Dann läßt er ſich fallen — nur kurz iſt die Qual,

Er ſah die Sonne zum letzten Mal.

Der Tau fällt auf ihn, der Tag erwacht,

Der Pirol flötet, der Tauber lacht.

Es lebt und webt, als wär’ nichts geſchehn,

Gleichgültig wispern die Winde und wehn.

Ein Jäger kommt den Hügel herab,

Und ſieht den Erhängten und ſchneidet ihn ab.

Und macht der Behörde die Anzeige ſchnell,

Gendarmen und Träger ſind bald zur Stell’.

In hellen Glacés ein Herr vom Gericht,

Der prüft, ob kein Raubmord, wie das ſeine Pflicht.

Sie tragen den Leichnam ins Siechenhaus,

Und dann, wo kein Kreuz ſteht, ins Feld hinaus.

5*
[68]
Da Niemand zuvor den Toten geſehn,

Erhält er die Nummer dreihundert und zehn.

Drei Hundert und neun ſchon liegen im Sand,

Wer hat ſie geliebt, wer hat ſie gekannt?

An der table d’hôte.


Stück in Eſther.
Kapitel 4. Vers 3—14.


Cap. 4. v. 3. Und am dritten Tage legte ſie
ihre tägliche Kleider ab, und zog ihren königlichen
Schmuck an,


4. Und war ſehr ſchön, und rief Gott, den Hei-
land, an, der alles ſiehet; und nahm zwo Mägde mit
ſich, und lehnete ſich zierlich auf die eine, die andere
aber folgte ihr, und trug ihr den Schwanz am Rock.


5. Und ihr Angeſicht war ſehr ſchön, lieblich
und fröhlich geſtallet; aber ihr Herz war voll Angſt
und Sorge.


6. Und da ſie durch alle Thüren hinein kam,
trat ſie gegen dem Könige Artaxerxes, da er ſaß auf
ſeinem königlichen Stuhl in ſeinen königlichen Kleidern,
die von Gold und Edelſteinen waren, und war ſchreck-
lich anzuſehen.


7. Da er nun die Augen aufhob, und ſahe ſie
zorniglich an, erblaßte die Königin, und ſank in eine
Ohnmacht, und legte das Haupt auf die Magd.


8. Da wandelte Gott dem Könige ſein Herz zur
Güte, und ihm ward bange für ſie, und ſprang von
[69] ſeinem Stuhl, und empfing ſie mit ſeinen Armen, bis
ſie wieder zu ſich kam, und ſprach ſie freundlich an:
Was iſt dir, Eſther? Ich bin dein Bruder, fürchte
dich nicht, du ſollſt nicht ſterben. Denn dies Verbot
betrifft alle andere, aber dich nicht.


9. Trit herzu.


10. Und er hob den goldenen Scepter auf, und
legte ihn auf ihre Achſeln, und küſſete ſie und ſprach:
Sage her.


11. Und ſie antwortete: Da ich dich anſahe,
deuchte mich, ich ſähe einen Engel Gottes; darum
erſchrak ich vor deiner großen Majeſtät.


12. Denn du biſt ſehr ſchrecklich und deine Geſtalt
iſt ganz herrlich.


13. Und als ſie ſo redete, ſank ſie abermals in
eine Ohnmacht, und fiel darnieder.


14. Der König aber erſchrak ſammt ſeinen Dienern
und tröſtete ſie.


Einer wunderſchönen Jüdin

Saß ich heute gegenüber,

Aus den großen braunen Augen

Klagte ſcheu Jeruſalem.

Eingeſchlagen wie zwei Nägel,

Blitzten in den kleinen Ohren

Diamanten reinſten Waſſers,

Blitzten lüſtern mir ins Herz.

Unausſtehlich war ihr Gatte,

Grau, gelangweilt, Zähne ſtochernd,

Dachte an Prioritäten,

Eiferſüchtig ſchien er auch.

[70]
Und ich hob den vollen Römer,

Und ihn an die Lippen ſetzend,

Fand ich ihre braunen Augen,

Trank ihn aus auf einen Zug:

Haman, Eſther, hieß der Unhold,

Der dich einſt vernichten wollte,

Haman nenn’ ich deinen Gatten,

Ich will Artaxerxes ſein.

Haman ſchaukelte bei Suſan

Bald an einem hohen Galgen,

Als den König Artaxerxes

Du verliebt in dich gemacht.

Dein Genoſſe Haman aber

Soll im Saal am Leuchter hängen,

Und in Artaxerxes Armen

Ruht die ſchöne Königin.

Zerbrochener Keilerkopf.


Im Rabenhorſt, im Dunkelforſt,

Wo jüngſt der Blitz den Eichbaum borſt,

Kein Lamm wird dort geſchoren:

Der König griff den Keiler an,

Der Keiler nahm den König an,

Der König ſcheint verloren.

[71]
Da ſtürzt hervor, ein Jaguar,

Mit Funkelblick und Stachelhaar,

Jung Henning durch die Blätter:

Ein Diener aus des Fürſten Troß,

Sein Schwertgeſell und Jagdgenoß,

Nun des Gebieters Retter.

Des Königs Dank iſt Turm und Land,

Er zäumt mit rot und gülden Band

Ihm ſeinen beſten Rappen.

Es ſchaut der Ritter durchs Viſier,

Ein Eber droht, des Helmes Zier,

Ein Eberkopf im Wappen.

Jahrhundert auf Jahrhundert rann,

Ein Augenblick. Die Parze ſpann

Gleichmäßig ihren Faden.

Die Sippe floß, zuerſt ein Quell,

Dann Fluß und Strom, bald ſtill und hell,

Bald rauſchend wie Kaskaden.

Verſandet. Noch ein letzter Blink,

Es rinnt im Sonnenſcheidewink

Der Murmelbach von hinnen:

Die kleine feine Eminenz

Im Garten dort in Laub und Lenz,

Was ſteht ſie tief in Sinnen?

Der Lanzenreiter, Tod genannt,

Führt ſicher ſeine Knochenhand,

Er hat den Greis erſtochen.

Zerpflückt, verwelkt das Kranzgeflecht,

Erloſchen iſt ein alt Geſchlecht,

Das Wappenſchild zerbrochen.

[72]

Kleine Geſchichte.


Frühſommer wars, am Nachmittag.

Der Weißdorn ſtand in Blüte.

Ich ging allein durch Feld und Hag

Mit ſehnendem Gemüte.

Es trieb mich in den Tag hinein

Ein zärtliches Verlangen

Nach dunkler Laube Dämmerſchein

Und weichen Mädchenwangen.

Ich fand ein Wirtshaus, alt, beſtroht,

Umringt von Baumgardinen.

Die alte Frau am Eingang bot

Gebäck und Apfelſinen.

Im Garten: Schaukeln, Karouſſel,

Und Zelte, überſonnte.

Ein Scheibenſtand, wo man als Tell

Den Apfel ſchießen konnte.

Den Affen zeigt Neapels Sohn,

Die Kegelkugeln rollen.

Dort ſteigt ein roter Luftballon,

Um den die Kinder tollen.

Muſik, Gelächter, Hopſaſa,

Wo bleibt das hübſche Mädchen.

Da plötzlich in dem Tralala

Ein allerliebſtes Käthchen.

[73]
Das war ein gar zu liebes Ding,

Goldregenüberbogen.

Juſt kam ein kleiner Schmetterling

Dicht ihr vorbeigeflogen.

Ich ſtutzte überraſchungsfroh,

Schaut’ ihr in Auges Tiefe.

Wenn auch ihr Blick mich immer floh,

Die Augen waren Briefe:

„Geh’ langſam durch den Garten hier,

Auf buntbelebten Wegen.

Wir treffen uns, ich komme dir

Von ungefähr entgegen.“

So wandr’ ich denn, und wie der Dieb

Schiel’ ich in Näh’ und Weite,

Ob bei der Mutter ſie verblieb,

Ob ſie mir an der Seite.

Indeſſen ſteht ſie neben mir —

Ich kann nicht Worte finden.

Ein zwei, drei Zoll lang Fädchen ſchier

Könnt’ uns zuſammenbinden.

Im Saale trommelts, quikt und quackt

Der Geiger und der Pfeifer.

Wir tanzen bald in regem Takt

Den alten deutſchen Schleifer.

Ich drücke ſanft die kleine Hand,

Sie drückt die Hand mir wieder.

Wo dann den Weg mit ihr ich fand,

Da leuchtete der Flieder.

[74]
Bleib hier, bleib hier, bis Tageslicht

Und letztes Rot verblaſſen.

„Ach, Liebſter, länger darf ich nicht

Die Mutter warten laſſen.“

Bleib hier, ich zeige dir den Stern,

Wo einſt wir uns geſehen.

Sieht er uns hier vom Himmel fern,

Dann bleibt er grüßend ſtehen.

„Laß mich, Herzallerliebſter mein,

Die Mutter ſucht im Garten“.

So ſchleiche dir ich hinterdrein,

Und will im Dunkel warten.

Wenn alles ſchwarz und ſtill im Haus,

Dann wart’ ich in der Laube.

Wenn alles ſtill, dann komm heraus,

Du meine weiße Taube.

Es klinkt die Thür, und gleich darauf

Huſcht ſie zu mir hernieder,

„Pſt, nicht ſo ſtürmiſch, hör’ doch auf,

Du weckſt die Mutter wieder.“

Von tauſend Welten überdacht,

Die ruhig weiter gehen.

Es zog ein Stern um Mitternacht,

Und grüßend blieb er ſtehen.

[75]

Herblt.


Aſtern blühen ſchon im Garten,

Schwächer trifft der Sonnenpfeil.

Blumen, die den Tod erwarten

Durch des Froſtes Henkerbeil.

Brauner dunkelt längſt die Heide,

Blätter zittern durch die Luft.

Und es liegen Wald und Weide

Unbewegt in blauem Duft.

Pfir ſich an der Gartenmauer,

Kranich auf der Winterflucht.

Herbſtes Freuden, Herbſtes Trauer,

Welke Roſen, reife Frucht.

Alt geworden.


Unvergeſſen bleibt der Garten,

Der des Kindes Welt enthielt.

Ob in ſeinen engen Wegen

Noch ein Kindeshändchen ſpielt?

Und wie tief die Waldesſchatten,

Junger Liebe erſtes Jahr.

Ob die Bäume wohl noch leben,

Ob ſie ſcheitelt noch ihr Haar?

[76]
Regen rauſchte viel hernieder,

Viele Jahre rauſchten hin.

Waldesſchatten, kleiner Garten —

Grauer Bart umwächſt das Kinn.

Auf eine Hand.


Die Hand, die zitternd in der meinen lag

Am Maientag, als weit die Amſeln ſangen,

Die heimlich mir, ein unbewußt Verlangen,

Im Garten einſt die friſche Roſe brach.

Die mir, wenn ſtaubbedeckt der heiße Tag

In Mannespflicht und Arbeit war gegangen,

Am weißen Arme blitzen Güldenſpangen,

Den kühlen Trunk kredenzte im Gemach.

Die liebeſtill manch Hinderniß entrückte

Und breite Sorgenſtröme überbrückte,

Die treue Hand, die ſchöne, anmutreiche.

O laß ſie ruhen einſt auf meinem Herzen,

Wenn ich verlaſſe dieſes Land der Schmerzen,

Daß ich geſegnet bin, wenn ich erbleiche.

[77]

Abſchied und Rückkehr.


I.


Vorbei, vorbei, auf feuchter Spur

Irrt troſtlos nun mein Blick ins Weite.

Vorbei, vorbei, die Möwe nur

Giebt mir ein trauriges Geleite.

Nun kehrt auch ſie, fernab, fernab

Iſt längſt mein Vaterland geblieben.

Aus meiner Heimat, wo mein Grab

Ich ſchon gewählt, bin ich vertrieben.

Als geſtern ich im Abſchiedszorn

Voll Schmerz den Lindenzweig gerüttelt,

Als ich den Rebhahn hört’ im Korn,

Es hat ein Fieber mich geſchüttelt.

Es wogt mein Schiff, es ſinkt und hebt,

Ein Sturmlied ſingen die Matroſen.

Es wogt mein Herz, es ringt und bebt,

Es ſchlägt der Sturm den Heimatloſen.

II.


Aus Wogen taucht ein blaſſer Strand,

Es ſchimmert fern durch meine Thränen

Des Vaterlandes Küſtenrand,

Erſchöpft muß ich am Maſte lehnen.

Der Flieder blüht, die Schwalbe zieht,

Und auf den Dächern ſchwatzen Staare,

Der Orgeldreher dreht ſein Lied,

Ein linder Wind küßt mir die Haare.

[78]
Die Mädchen lachen Arm in Arm,

Soldaten ſtehen vor der Wache,

Und aus der Schule bricht ein Schwarm,

Der luſtig lärmt in meiner Sprache.

Es ſchreit mein Herz, es jauchzt und bebt

Der alten Heimat heiß entgegen.

Und was als Kind ich je durchlebt,

Klingt wieder mir auf allen Wegen.

Waldſchnepfenjagd.


Vor Tagesanbruch ging ich einſt zum Buſch,

Den ſcheuen Vogel zu erlegen, der,

Im Frühlingswanderzug nach ferner Küſte,

Geheimnißvoll durch unſre Wälder zieht.

Bald ſtand ich ſchußbereit am Holzesrande,

Zu Füßen, jagdgierzitternd, ſaß der Hund.

In ſchwerem Dunſte lag die feuchte Wieſe,

Und drüber weg, trotz Dämmerung und Nebel

Sah deutlich ich’s, bog ſich ein Kranz von Tannen.

Schon zwitſcherten, doch klang es noch aus Träumen,

Vereinzelt Vogelſtimmen, und es brach,

Wie flüſternd durch die kahlen, ſchwarzen Äſte,

Ein kurzer, kühler Windſtoß, der, ein Läufer,

Den Sonnenaufgang eilig pflegt zu künden.

Da ſah zwei Menſchen ich am Tannenſaum.

Im Jagdrock er, die Büchſe umgehangen,

Den Hut ein wenig auf das Ohr geſchoben.

Das Mädchen eingeſchmiegt in dichte Pelze,

[79]
Ein weißes Tüchelchen um Kopf und Schulter.

Es lagen ihre Händchen in den ſeinen.

Aus Nebelthoren zog die Siegerſonne: —

Und von des Mädchens Schönheit wie berauſcht,

Nahm ſchnell er ihr das weiße Tuch vom Haupte,

Daß ſchwer, in goldenroten, breiten Strömen,

Das ungebund’ne Haar ſie ganz umfloß.

Wie halb ertappt auf unerlaubten Wegen,

Fand ich mich bald in anderen Gehegen.

Nachklänge.


I.


Bisweilen iſt es mir, als ob ich höre

Die Trommeln wirbeln und den Ruf der Hörner.

Und ſiegestrunken bricht aus tauſend Kehlen,

Es klingt zu mir aus ungemeſſ’nen Fernen,

Ein brauſend Hurrah jauchzend zu den Sternen.

II.


Was blüht ihr wieder, heitere Syringen,

Wollt ihr den Gruß mir eines Toten bringen?

Er war mein Freund, er war’s in Luſt und Leiden,

Um deſſen Stirn die Frühlingslocken hingen.

Uns ſchwanden manche Stunden, jugendtolle,

Das Morgenrot noch grüßte Becherklingen.

Das nahm ein Ende, als die Schlachtenadler

Die Flügel breiteten auf Sturmesſchwingen,

Und der Granaten unheilvolle Wolken

In Lüften ſpielten gleich den Schmetterlingen,

[80]
Als unſre Fahnen, rot in Abendgluten,

Siegkündend flatterten nach heißem Ringen.

Auf allen Höhen, in den Thalen ſchliefen,

Die gar zu brüderlich den Tod umfingen,

Und unter ihnen fand in einem Garten,

Von fern herüber tönte Siegesſingen,

Den Freund ich, abendkühl, wie traumbezwungen,

Beſchattet ſtill von blühenden Syringen.

Verbannt.


Es ſchillert um mich glänzend bunt Gefieder,

Im Palmwald lärmt der Affen luſtig Heer.

Der Indianer ſtützt die ſchlanken Glieder

Auf’s Rohr, und ſtarrt mit mir hinaus ins Meer.

Und kraftvoll hebt ein Adler ſeine Schwingen,

Und dreht in blaue Fernen ſich empor,

Als wollt’ er trotzig in den Himmel dringen,

Und ſiegend einziehn durch das Sternenthor.

In höchſten Höhen, Adler, mußt du ſtehen,

Es ſchlägt dein Flügel an das Weltendach,

Mußt auf mein Vaterland hinunterſehen,

Ach, ſend’ ihm Grüße, heiße Grüße nach.

Im Abend liegt es: Strohbedeckte Hütten,

Die Schwalbe ruhelos das Dorf durchzieht.

Die Kinder lärmen und in Apfelblüten

Singt eine Droſſel noch ihr einfach Lied.

[81]
Die Bauern ſchläfrig auf den Pferden hängen,

Still heimwärts kehrend vom gewohnten Pflug.

Aus Waldestiefen tönt es von Geſängen,

Und über ihnen ſchwimmt ein Kranichzug.

Mein Vaterland, könnt’ ich in deinen Feldern

Nur einmal hören noch der Senſe Schnitt,

Und durch das welke Laub in deinen Wäldern

Noch einmal rauſchen hören meinen Schritt.

Abſeits.


In einer Rieſenſtadt durchſchritt ich jüngſt

Die volkbelebteſte der großen Straßen.

Und eine Stille kam, und, wunderbar,

In all’ dem Schreien, Fluchen, Stoßen, Treiben,

Zog klar vorüber mir ein liebes Bild:

Ganz wie verſteckt in Wald und Feld und Heide,

Von großen und von kleinen Städten fern,

Liegt unſer Haus, vereinſamt und verloren

In eines alten Gartens ſtiller Welt.

Die Sonne ſchien auf kiesbedeckte Wege,

Und in den Bäumen war ein Maienleben.

Du gingſt zur Seite mir, und Hand in Hand,

So ſtanden endlich wir am lichten Rande

Der kleinen Hölzung. Vor uns ſchwieg die Landſchaft.

Ein Läuten kam aus unſichtbarer Ferne.

Wie ſchön es war. Es zogen tiefe Schatten

Um uns, und fröhlich küßte deine Augen

Ein friſcher Buchenzweig.

6
[82]
Als Abends dann noch einmal wir durchſchritten

Des Parkes Grund, die Nachtigall zu finden,

— Du wollteſt ja durchaus ſie ſingen ſehen

Wie lehnteſt halb erſchrocken du den Kopf

An meine Schulter, als im Dickicht, plötzlich,

Der Marmorfaun geſpenſtig auf uns ſah.

Und grade hier mit voller Inbrunſt ſchlug,

In einem kaum erblühten Apfelbaum,

Die Liederkönigin. Die ſchönſten Weiſen

Sang klagend ſie dem frechen Gotte vor.

Das Glück, der Schnelläufer, hielt Ruhetag

In unſern Herzen, und es zog der Friede

Weit über’s Land. Hell leuchteten die Sterne,

Hell über uns in ſtiller Frühlingsnacht.

Unwetter.


Der Sturm preßt trotzig an die Fenſterſcheiben

Die rauhe Stirn; tiefſchwarze Wolken treiben

Wie Fetzen einer Rieſentrauerfahne,

Und ſchnell wie Bilder ziehn im Fieberwahne.

Wie Rettung ſuchend, zog, von Angſt befangen,

In meine Arme dich ein heiß Verlangen.

Wie hold das war: Ein Blättchen, ſturmgetrieben,

Flog mir ans Herz, dort iſt es auch geblieben.

[83]

Siegesfelt.


Flatternde Fahnen

Und frohes Gedränge.

Fliegende Kränze

Und Siegesgeſänge.

Schweigende Gräber,

Verödung und Grauen.

Welkende Kränze,

Verlaſſene Frauen.

Heißes Umarmen

Nach ſchmerzlichem Sehnen.

Brechende Herzen,

Geſtorbene Thränen.

In einer großen Stadt.


Es treibt vorüber mir im Meer der Stadt

Bald Der, bald Jener, Einer nach dem Andern.

Ein Blick ins Auge, und vorüber ſchon.

Der Orgeldreher dreht ſein Lied.

Es tropft vorüber mir ins Meer des Nichts

Bald Der, bald Jener, Einer nach dem Andern.

Ein Blick auf ſeinen Sarg, vorüber ſchon.

Der Orgeldreher dreht ſein Lied.

Es ſchwimmt ein Leichenzug im Meer der Stadt,

Querweg die Menſchen, Einer nach dem Andern.

Ein Blick auf meinen Sarg, vorüber ſchon.

Der Orgeldreher dreht ſein Lied.


[84]

Italieniſche Dacht.


I.


Weit fort, im ſüdlichen Italien war es. —

Du ſchauteſt vom Altane in den Garten

Auf weiterhellte, feſtbelebte Wege.

Dann hob dein Auge ſich, und deine Seele

Verlor ſich in das Schweigen ferner Landſchaft:

Im Meer des Mondenlichtes liegen ſtill

Die weißen Schlöſſer, Schiffen gleich, vor Anker.

Es dunkeln, Inſeln, die Cypreſſenhaine,

Wo Liebesworte und Guitarrenklang

Im gleichen Fall der Brunnen ſich vermiſchen.

Wie lange willſt du träumen, deutſche Frau,

Von glutdurchtränkter Nacht des Romeo?

Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder

Aus unbarmherzig ſtrenger Winternacht,

Die mit geſenktem Augenlid umdämmert

Die Hünengräber deines rauhen Strandes?

II.


Im Nebelnorden, an der Oſtſeeküſte,

Abſeits der Städte und der großen Straßen,

Schläft einſam und vergeſſen, halb verweht

Im Schnee von harten Stürmen oft gezauſt,

Ein kleines Gut. Zwei ungeſchlachte Rieſen,

Uralte Tannen, ſtrecken ihre Arme

Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhauſes.

Unhörbar, drinnen auf dem Smyrnateppich,

Geht eine junge Dame auf und nieder.

Bisweilen bleibt ſie ſtehn, ſchraubt an der Lampe,

Schiebt auf dem Bechſtein an das Notenpult

Die ſchweren Bronzecandelaber näher,

[85]
Zupft im Vorübergehen an der Decke

Des Sophatiſches, horcht, und wandert, horcht,

Die grauen Augen auf die Thür gerichtet.

Bis endlich ihre ſchwere Stirn ein Schwarm

Von Sommervögeln luſtig überflattert.

Nun ſchreitet langſam auf dem warmen Teppich

Ein Pärchen, angeſchmiedet, auf und nieder.

Behaglichkeit, das Kätzchen, ſchnurrt im Zimmer,

Indeſſen draußen in der Winternacht,

Ein Abglanz von den Schilden Schlachterſchlagner,

Die fleißig in Walhall den Humpen ſchwingen,

Die blaſſen Strahlenbündel eines Nordlichts

Am ſtrengen Himmel Odins ſich ergießen.

Und auf der toten Heide bellt der Fuchs.

Erwartung.


Auf Turm und Thor und Mauerkranz,

Auf rauſchende, dunkle Tannen,

Fällt Flammenſchein und Lichtertanz

Von Fackeln und aus Pfannen.

Ein Weib ſteht an des Söllers Rand,

Es nimmt der Wind ihre Rede:

Mein Trauter zog in’s Niederland,

Er zog in die blutige Fehde.

Und hört ſie nicht Zinken und Siegesgeſchrei,

Und ſieht ſeinen Helm ſie nicht blinken?

Im Walde nur ſingt auf der Wieſe die Fei,

Ein Stern thät niederſinken.

[86]
Der Morgen graut, die Welt iſt ſo leer,

Die Welt iſt voll Herzeleide.

Wen tragen auf langen Spießen ſie her,

Sie fanden ihn tot auf der Heide.

Papſt Clemens II.


Svidigerus Meinsdorpe, nobilis Cimber,
Henrici II. Imperatoris Cancellarius,
Episcopus et tandem Pontifex, ſub no-
mine: Clementis II. Obiit A. Chr. 1048.


((Heinrich Rantzau 1594.))

In Meinstorf*) reiten aus dem Turm

Zwei Jäger friſch wie Frühlingsſturm.

Kein Juchen der Piqueure ſchallt,

Und keine Doppelbüchſe knallt.

Es jagt kein Feld von roten Röcken,

Kein Treiber lärmt mit Ruf und Stöcken,

Hell nur im Wald giebt Hals die Meute,

Und bricht durch Dickicht und Gereute.

Und hinterher in ſcharfer Pace,

Den Zügel feſt, feſt im Geſäß,

Die beiden blonden Sachſenknaben.

Hep Huſſah über Zaun und Graben,

Durch Brombeerſtrauch und Dorngeflecht,

Der Edelinge und ſein Knecht.

Wo blieb der Keiler?

Klageton?

Hat ihn gedeckt die Meute ſchon?

Neun Packer hat er abgeſchlagen,

Und immer weiter geht das Jagen.

[87]
Zuletzt verliert ſich das Geläut

In Bruch und Moor und Schilfgeſtäud.

Der Keiler nahm das Waſſer an,

Svidger und Burvin ſind heran.

Und nun ein köſtlich Bild zum Malen:

Voran der Keiler, hinterher

Die Rüdenhunde, dann mit Speer

Und Pfeilen Burvin, Svidiger,

Das Alles kreuzt die ſtille Flut

Zur Mittagſtund in Sonnenglut.

Und voll Entſetzen ſchwimmt der Keiler,

Ein prächtig ſchöner Wellenteiler,

Voll Gier und Mordſucht dann die Rüden,

Die Hengſte dann, die ſchon ermüden.

So ſchaufelt emſig fort die Hetze,

Es jauchzen Svidger und Burvin,

Bis endlich unſichtbare Netze

Die Pferde in die Tiefe ziehn.

Nun ſchwimmen ſelbſt die Jagdgenoſſen,

Die gelben Locken ſeeumfloſſen.

Doch auch die ſtärkſte Reckenkraft

Erlahmt am Ende und erſchlafft,

Und gerade war es Zeit zum Landen,

Eh’ Sinn und Armkraft ihnen ſchwanden.

Nun ruhn ſie matt auf weißem Sand

In König Buthus Heidenland,

Wo unbarmherzig jeder Chriſt

Dem Götzengott verfallen iſt.

Der Prieſter ſteht am Steinaltar,

Das Tamtam dröhnt, die Menge ſchreit,

Den beiden Chriſten fällt das Haar,

Das Opfermeſſer iſt bereit.

Auf ſcharlachrotem Thron ſchaut zu

Die ſchöne Tochter von Buthu.

[88]
Die braunen Augen ſehen ſchmerzlich

Auf Svidiger, den blonden Sachſen,

Und Siva liebt ihn, liebt ihn herzlich,

Und ihre Liebe iſt im Wachſen.

Auf Knieen fleht ſie ſchluchzend an

Den König, bis er ſich beſann,

Und beiden Freiheit hat und Leben

Und ſicheres Geleit gegeben.

Bekannt iſt ja die Urgeſchichte,

Auf die füglich ich hier verzichte,

Die wir in Märchen, Chronik, Sagen

Oft ſchon geleſen mit Behagen.

Genug — auf einem Einbaum fahren

Svidger und Burvin jede Nacht

In Sternenglanz und Mondespracht

Entgegen tötlichen Gefahren.

Burvin hält Wache, und Svidger

Säumt an des holden Mädchens Bruſt,

Und es vollzieht ſich unbewußt

Des Rätſels ſtete Wiederkehr. —

Ganz leiſe dröhnt das Tamtam her,

Im Schloßhof flammen Opferfeuer

Grell um das Götzenungeheuer,

Und werfen Lichter weit umher.

Doch ſüß und ſanft umrauſcht der Wald

Sivas und Svidgers ſtille Laube,

Wo ſich die weiße Slaventaube

Schmiegt an die deutſche Kraftgeſtalt. —

Doch bald entdeckte das Czilieſter,

Des grauſen Götzen Oberprieſter.

Und weiter folgt die Urgeſchichte,

Auf die füglich ich hier verzichte,

Die wir in Märchen, Chronik, Sagen

Oft ſchon geleſen mit Behagen.

Genug — als Svidger und Burvin

[89]
Jüngſt wieder durch die Fluten ziehn,

Beim Chriſtengott, wen finden ſie,

Beſchützt von Schilf und Waſſerlilien?

Sein Mädchen, das die Wellen wiegen,

Und Svidgers junges Herze ſchrie.

Ein Prieſter kniet im alten Bremen

Im Dome vor der Jungfrau rein,

Es flicht ein Kranz von Diademen

Um ihre Stirn den Heiligenſchein.

Wie kühl der Prieſter, ein Ascet,

Der vor ihr liegt im Bußgebet.

Ernſt blieb er auch, und finſter, tief,

Als Kaiſer Heinrich ihn berief

Zu ſeinem Kanzler, ſeinem Rat,

Zum Herzog gut, zu mancher That.

Zum Biſchof macht der Kaiſer ihn

Von Bamberg, mit ihm zog Burvin,

Der immer brav an ſeiner Seite

Im Leben gab ihm das Geleite.

Und endlich iſt er Papſt geworden,

Der Sachſe aus dem Nebelnorden.

Doch liebten ihn die Welſchen nicht,

Zu deutſch und ernſt war ſein Geſicht.

Sie haßten ihn, ſein blondes Haar,

Sein treues, blaues Augenpaar.

Und gaben endlich dann ihm Gift,

Wie Pergament erzählt und Schrift.

Und als der Todesengel kam,

Und Svidigerus Abſchied nahm,

Da ſieht er noch den großen See,

Und fühlt ein letztes tiefes Weh:

[90]
Ganz leiſe dröhnt das Tamtam her,

Im Schloßhof flackern Opferfeuer

Grell um das Götzenungeheuer —

Doch heimlich rauſcht das Gipfelmeer.

Wie Jedem, ſchließt die letzte Stunde

Liebreich auch ihm die letzte Wunde.

Und im Verklingen des Geläuts

Schlägt Burvin über ihm das Kreuz.

Und ich war fern.


Es hat mich ein Traum aus dem Schlafe geweckt,

Und ſchwarze Blumen ums Bett mir geſteckt.

Ich ſah dich krank und im Fieber liegen,

Und ſah deine Lieben ſich über dich biegen.

Du riefſt meinen Namen, und ob ich nicht käme,

Und dich wie ſonſt in die Arme nähme.

Im Zimmer ſuchte dein Auge nach mir,

Und ſuchte voll Liebe: ach, wäreſt du hier.

Und ich war fern.

Und wieder hat mich ein Traum geweckt,

Und ſchwarze Blumen ums Bett mir geſteckt.

Du lagſt ohne Sprache, umringt von den Deinen,

Ich hörte ſie ſchluchzen, ich hörte ſie weinen.

Es taſtet nach mir deine Hand auf der Decke,

Daß ich ſie zum Letzten mit Küſſen bedecke.

O Liebſter, O Liebſter, zum Abſchied die Hand —

Auf Halbmaſt fielen die Fahnen im Land.

Und ich war fern.

[91]
Und wieder hat mich ein Traum erſchreckt,

Und ſchwarze Blumen ums Bett mir geſteckt.

Im Saale ſtanden erloſchene Kerzen:

Ach, wär ich geſtorben an deinem Herzen.

Ich ſah deinen Sarg und hörte die Glocken,

Ich fühlte wie mir die Pulſe ſtocken.

Es folgte im Zuge die ganze Welt,

Aus Liebe, aus Liebe zu dir geſellt.

Und ich war fern.

Der rote Mantel.


Nis Hinrichſen von Heiſtrupgaard,

Der Hardesvogt von Bülderupgaard,

War klug und wahr im Rate.

Sein Hengſt ſprang zwanzig Ellen weit,

Geſpickt mit Pfeilen war ſein Kleid,

Am Sonntag Jubilate.

Der alte König Gorm iſt tot,

Da war im Reiche große Not,

Wer ſoll nun König werden.

Den Jüngſten, Gilm, liebt Volk und Land,

Der Andre, Skjalm, iſt unbekannt,

Der ſchweift umher auf Erden.

[92]
Doch als er hört des Königs End’,

Flugs hat er auch die Stirn gewend’t,

Und iſt zu Haus ſchon heute.

Der Jüngſte aber ſchreit ihn an,

Was willſt du hier, du fremder Mann,

Dich kennen nicht die Leute.

Was, rief der Älteſte mit Grimm,

Du Kobold, du, und das wär’ ſchlimm,

Doch höre, was ich ſage.

Nis Hinrichſen, wie dir bekannt,

Iſt Vicekönig hier im Land,

Der ſchlichte unſre Klage.

Nis zog die Hakennaſe kraus

Und wettert zornig: Ei, der Daus.

Vor Ärger wurd’ er gelbe.

Denn mach’ ich Skjalm die Sache recht,

So mach’ ich Gilm die Sache ſchlecht,

Und umgekehrt dasſelbe.

Der Teufel hol’ den Kronenzwiſt,

Ich bitt’ mir aus ein Halbjahr Friſt,

Es wird vielleicht gelingen.

Stark füttern ließ er ſeinen Rock,

Und übte über Stein und Stock

Sein milchweiß Pferd im Springen.

In Urnehöved war die Wahl,

Es warten dort in Helm und Stahl,

Skjalm, Gilm, und ihre Ritter.

Nis kam und ſchrie von Weitem ſchon:

Gilm blieb im Land, dafür den Thron. —

Kehrt, fort wie Ungewitter.

[93]
Heraus die Plempen, ſchlagt ihn tot,

Brüllt heiſer Skjalm, Schockſchwerenot,

Und laßt die Pfeile ſchwirren.

Es brauſt die Jagd wie Wettergraus,

Doch Nis iſt immer weit voraus,

Und läßt ſich nicht beirren.

Heiſſa, in raſendem Galopp,

Ein Wagen wegquer, drüber, hopp,

Es zaudern ſchon die Letzten.

Sein dicker roter Mantel bläht,

Von tauſend Pfeilen überſät,

Weit ab die Hund’, die hetzten.

Den roten Mantel hing er auf

An einer Marmorſäule Knauf

In hohen Tempelhallen.

Mein Urgroßvater fand ihn noch,

Ich ſah von ihm kein Öſenloch,

Er iſt in Staub zerfallen.

Bruder Liederlich.


Die Feder am Sturmhut in Spiel und Gefahren

Halli.

Nie lernt’ ich im Leben zu faſten, zu ſparen,

Hallo.

Der Dirne laſſ’ ich die Wege nicht frei,

Wo Männer ſich raufen, da bin ich dabei,

Und wo ſie ſaufen, da ſauf’ ich für drei.

Halli und Hallo.

[94]
Verdammt, es blieb mir ein Mädchen hängen,

Halli.

Ich kann ſie mir nicht aus dem Herzen zwängen,

Hallo.

Ich glaube, ſie war erſt ſechszehn Jahr,

Trug rote Bänder im ſchwarzem Haar,

Und plauderte wie der luſtigſte Staar.

Halli und Hallo.

Was hatte das Mädel zwei friſche Backen,

Halli.

Krach, konnten die Zähne die Haſelnuß knacken,

Hallo.

Sie hat mir das Zimmer mit Blumen geſchmückt,

Die wir auf heimlichen Wegen gepflückt,

Wie hab’ ich dafür an’s Herz ſie gedrückt.

Halli und Hallo.

Ich ſchenkt’ ihr ein Kleidchen von gelber Seiden,

Halli.

Sie ſagte, ſie möcht’ mich unſäglich gern leiden,

Hallo.

Und als ich die Taſchen ihr vollgeſteckt

Mit Pralines, Feigen und feinem Confeckt,

Da hat ſie von Morgens bis Abends geſchleckt.

Halli und Hallo.

Wir haben ſüperb uns die Zeit vertrieben,

Halli.

Ich wollte wir wären zuſammen geblieben,

Hallo.

Doch wurde die Sache mir ſtark ennuyant,

Ich ſagt’ ihr, daß mich die Regierung ernannt,

Kamele zu kaufen in Samarkand.

Halli und Hallo.

[95]
Und als ich zum Abſchied die Hand gab der Kleinen,

Halli,

Da fing ſie bitterlich an zu weinen,

Hallo.

Was denk’ ich juſt heut ohn’ Unterlaß,

Daß ich ihr ſo rauh gab den Reiſepaß …

Wein her, zum Henker, und da liegt Trumpf Aß.

Halli und Hallo.

Liebesnacht.


Nun löſ’ ich ſanft die lieben Hände,

Die du mir um den Hals gelegt.

Daß ich in deinen Augen finde,

Was dir das kleine Herz bewegt.

O ſieh die Nacht, die wundervolle,

In ferne Länder zog der Tag.

Der Birke Ziſchellaub verſtummte,

Hörſt du den Nachtigallenſchlag?

Der weiße Schlehdorn uns zu Häupten,

Es iſt die liebſte Blüte mir.

Trenn’ ab ein Zweiglein eh’ wir ſcheiden,

Zu dein’ und meines Hutes Zier.

Laß, Mädchen, uns die Nacht genießen,

Allein gehört ſie mir und dir.

Die Blüte will ich aufbewahren

An dieſe Frühlingsſtunde hier.

[96]

Einer Toten.


Ach, daß du lebteſt.

Tauſend ſchwarze Krähen,

Die mich umflatterten auf allen Wegen,

Entflohen, wenn ſich deine Tauben zeigten,

Die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.

Daß du noch lebteſt.

Schwer und kalt umſaugt

Die Erde deinen Sarg und hält dich feſt.

Ich geh’ nicht hin, ich finde dich nicht mehr.

Und Wiederſehn?

Was ſoll ein Wiederſehn,

Wenn wir zuſammen Hoſianna ſingen,

Und ich dein Lachen nicht mehr hören kann?

Dein Lachen, deine Sprache, deinen Troſt:

Der Tag iſt heut ſo ſchön, wo iſt Chaſſeur,

Hol’ aus dem Schranke deinen Lefaucheux,

Und geh’ ins Feld, die Hühner halten noch.

Doch bieg’ nicht in das Buchenwäldchen ein,

Und leg’ dich nicht ins Moos und träume nicht.

Paß auf die Hühner und ſei nicht zerſtreut,

Blamir’ dich nicht vor deinem Hund, ich bitte.

Und alle Orgeldreher heut verwünſch’ ich,

Die luftgetragnen Ton von fernen Dörfern

Dir zuſenden, ich ſeh’ dann keine Hühner.

Und doch, die braune Heide liegt ſo ſtill,

Dich hält ihr Zauber, laß dich nur beſtricken.

Wir eſſen heute Abend Erbſenſuppe,

Und der Margaux hat ſchon die Zimmerwärme.

Bring’ alſo Hunger mit und gute Laune. —

[97]
Dann lieft du mir aus deinen Lieblingsdichtern.

Und willſt du mehr, wir gehen an den Flügel,

Und ſingen Schumann, Robert Franz und Brahms.

Die Geldgeſchichten laſſen wir heut ruhn.

Du lieber Himmel, deine Gläubiger

Sind keine Teufel, die dich braten können,

Und Alles wird ſich machen.

Hier noch eins,

Ich that dir guten Cognac in die Flaſche.

Grüß Heide mir und Wald und all die Felder,

Die abſeits liegen und vergiß die Schulden.

Ich ſeh’ indeſſen in der Küche nach,

Daß uns die Erbſenſuppe nicht verbrennt. —

Daß du noch lebteſt.

Tauſend ſchwarze Krähen,

Die mich umflatterten auf allen Wegen,

Entflohen, wenn ſich deine Tauben zeigten,

Die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.

Ach, daß du lebteſt.

Surſum rorda?


Was hemmſt du, o Held, den Lauf deines Hengſtes.

An den Sattelgurten rinnt ihm der Schweiß,

Sein Hals iſt naß, die Flanken fliegen.

Aufs Kreuz ihm ſtützt du die Hand,

Und ſchauſt zurück.

Die Feinde folgten dir wie die Wölfe dem Schlitten,

Schon ſind ſie nahe.

Was ſchauſt du nach vorn,

Die Feinde kommen wie die Welle der Springflut,

Schon ſind ſie nah’.

7
[98]
Was ſchauſt du nach allen Seiten hin,

Die Feinde blies der Wind aus allen Richtungen auf dich,

Schon ſind ſie nahe mit funkelnden Augen,

Siehſt auf der Aegis du Gorgos ſchreckliches Haupt —

Und kein Ausweg.

Hörſt du ſie heulen, hörſt du das Donnern der Hufe?

Und eh’ einmal der gierige Geier über dir

Den trägen Flügel ſchlägt,

Haben dich tauſend Pfeile durchbohrt,

Haben tauſend Speere dein Herz zerſtoßen.

Surſum corda!

Was hältſt du, o Freund, die Hand deines Weibes.

Sie ruht weiß und kalt und tot, und ſo ſchwer,

Dein Kind liegt neben ihr im Sterben.

Du ſtützt das Haupt in die Hand,

Verzweiflungsvoll.

Wer wagt in deinen Kiſten und Kaſten zu wühlen.

Wehe dir Armen,

Die Gläubiger ſind’s,

Die ohn’ Erbarmen Alles pfänden und nehmen,

Nichts bleibt zurück,

Ach, kleinſte Erinnerungen ſelbſt.

Hat Hochmut, Eitelkeit, hat Schuld und Unglück geſtürzt

dich.

Weltklug, das Eiſeswort, kannteſt du nimmer,

Doch, ohne weltklug zu ſein, Freund, kommſt du

nicht durch —

Und kein Ausweg.

Hörſt du ſie ziſcheln, hörſt du das Lachen der Menſchen,

Und eh’ einmal der erzene Künder über dir

Vom Turm die Stunde ruft,

Haben dich tauſend Siebe zerſpellt,

Haben tauſend Zungen dein Herz zerſtoßen.

Surſum corda?

[99]

Zwei Sterbende.


Der eine hatte Geld und juſt genug,

Des Lebens Schwere ruhig zu ertragen,

Nach keinem Menſchen braucht Mylord zu fragen,

Und keines Hospodaren Rock er trug.

Der andre trieb im Schweiße ſeinen Pflug,

Hoch wie die Wolken ſah das Glück er jagen,

Auf jeder Rennbahn blieb zurück ſein Wagen,

Statt Weines fand er nur den Waſſerkrug.

Der erſte ſprach, als ihn der Tod umfing,

Und ihm den ſchwarzen Mantel überhing:

Ich ſterbe gern, es rufen mich die Sterne.

Der zweite rief, als er die Augen ſchloß,

Und ihn die träge Welle überfloß:

Kein Eden will ich, ach, wie ſterb’ ich gerne.

Der Heidebrand.


Herr Hardesvogt, vom Whiſttiſch weg,

Viel Menſchen ſind in Gefahr.

Es breunt die Heide von Djernisbeg

Und das Moor von Munkbrarupkar.“

Schon ſteh’ ich im Bügel, ſchon bin ich im Sitz,

In den Sattel ſpringt der Gendarm wie der Blitz.

Juſt ſchlägt es im Städtchen Glock zwölfe,

Wir reiten als hetzten uns Wölfe.

7*
[100]
Hier ſchläft ein Garten in Mitternachtruh’,

Dort dämmert im Mondſchein der Buſch.

Und Felder und Wälder verſchwinden im Nu,

Wir fliegen vorüber im Huſch.

Und ſieh’, in der Ebne ſtäubt Funkengeſchwärm,

Schon murmelt herüber verworrener Lärm.

Es gilt! Die Sporen dem Pferde,

Der Bauchgurt berührt faſt die Erde.

Herunter vom Gaule, wir ſind am Ort,

Und ſtehen in Rauch und Qualm.

Das Feuer frißt gierig: das Kraut iſt verdorrt,

Vom Sommer vertrocknet der Halm.

Doch mitt’ in der dampfenden Pußta, o Graus,

Steht hell in Flammen ein einzelnes Haus.

Und aus dem ſengelnden Schilfe

Ruft’s markerſchütternd um Hilfe.

Sechshundert Mann gruben den Graben breit

Und geboten dem Feuer Haltein,

Sechshundert Mann ſind zum Retten bereit

Und ſchauen verzweiflungsvoll drein:

Unmöglich iſt es, zum brennenden Haus

Sich durchzukämpfen, vergeblicher Strauß,

Denn kaum ſind im Torfe die Sohlen,

So röſten ſie ſchon wie Kohlen.

Das Schreien wird ſchwächer, dann hat es ein End’,

Die Kathe iſt abgebrannt.

In der Heide züngelt es, ziſchelt und brennt,

Doch nur bis zum Grabenrand.

Im Oſten zeigt ſich ein purpurner Streif,

Auf Aehren und Blumen und Gras fällt der Reif.

Und ruhig im alten Bogen

Kommt die Sonne heraufgezogen.

[101]
Und nun heran! Wer hat es gethan,

Wer weiß wie das Feuer enſtand.

Wer hat es entzündet mit flackerndem Span? —

Doch Niemand die Spuren fand.

Kein Junge hütete Kuh und Schaf,

Die Heide lag geſtern im Sonntagsſchlaf.

Und wie noch die Frage beſprochen,

Da kommt was den Sandweg gekrochen.

Es humpelt heran ein kümmerlich Weib,

Sie ſtützt ſich ſchwer auf den Stock.

Viel Jahre drücken den alten Leib,

Von Erde beſchmutzt iſt der Rock.

Das iſt Wiebke Peters, und Wieb iſt gefeit,

Der gehörte die Kathe, ſo ruft es und ſchreit.

Mit Jubel umringt ſie die Menge,

Doch Wieb ſteuert aus dem Gedränge.

Und ſtellt ſich gerade vor mir auf,

Und blinzelt hin übers Moor.

Und alle die Leute ſtehn zu Hauf,

Ein geſtikulirender Chor.

So ſteht ſie lange, ich laſſ’ ſie in Ruh,

Zuweilen ſchließt ſie die Augen zu.

Ich kanns vom Geſicht ihr ſchon leſen:

„Herr Hardesvogt, ich bins geweſen.“

„Wiebke Peters, erzähle, was weißt Du vom Brand,

Wie kam das Feuer ſo ſchnell?

Die Thränen fallen ihr auf die Hand,

Ihr Schluchzen klingt wie Gebell.

Dann wieder lacht ſie vor ſich hin,

Und ganz verwirrt ſcheint plötzlich ihr Sinn.

Und, wie nach genoſſener Rache,

Läßt ſie höhniſch aus ſich zur Sache.

[102]
„Die Kathe, in der ich geboren war,

Die abgebrannt dieſe Nacht,

In der hatt’ ich an achtzig Jahr’

Mich mühſam durchs Leben gebracht.

Mein Mann ſtarb früh, ein Sohn blieb nach,

Der ließ mich im Stich, als ich krank und ſchwach.

Oft hab’ ich ihm bittend geſchrieben,

Doch ſtets iſt er weggeblieben.

Vergangen Jahr endlich kehrt’ er zurück,

Und fordert, ich ſolle hinaus,

Und dann, ein altes, verbrauchtes Stück,

Verwelken im Armenhaus.

Ich bat die Gerichte, die halfen mir auch,

Zum Schornſtein zog wieder der einſame Rauch.

Da kam nochmals vor einigen Tagen

Mein Sohn mit Weib und mit Wagen.

Und geſtern, Herr, geſtern um Mittagszeit

— Ich konnte doch nichts dafür,

Daß meinetwegen Zank und Streit —

Sie warfen mich aus der Thür.

Ich ſchlug mir die alten Knochen wund,

Und liegen blieb ich wie der Hund.

Dann trieb mich ein heißes Verlangen,

Und ich bin zu Nis Niſſen gegangen.

Dort kauft’ ich Zündhölzer, Petroleum,

Und ging aufs Feld hinaus.

Und als am Abend alles ſtumm,

Schlich ich mich an das Haus.

Ich horchte am Laden, an Ritz’ und Spalt,

Daß Alles im Schlafe, ich merkt’ es bald.

Und eh’ ſie erwachten beide,

Entzündete rings ich die Heide.

[103]
Vom Walde ſchaut’ ich den Feuerſchein,

Es lachte mir das Herz.

Den Angſtruf hört’ ich, das Hilfeſchrein,

Es lachte mir das Herz.

Und als die Kathe zuſammenſchlug,

Meine Seele zum Himmel ein Amen trug.

Das, Herr, iſt meine Geſchichte,

Hier ſtell’ ich mich dem Gerichte.“

Vier Augen ſind im Wege.


Der Panzer, den Graf Albrecht trug,

War ſchwer von Gold und Eiſen.

Der Feind, den er zu Boden ſchlug,

Zum Teufel mußt’ er reiſen.

Sah ſie vorbei den Ritter ziehn,

War jede Frau vernarrt in ihn.

Und jedes Auge taute,

Griff ſeine Hand die Laute.

Einſt liebt’ ihn eine Edeldam’,

Im Schloß war Tanz und Praſſen,

Und wollte, als er Abſchied nahm,

Ihn nimmer ziehen laſſen.

Doch er empfiehlt ſich ehrfurchtsvoll,

Trotzt auch und grollt ſie liebestoll.

Und jagt auf ihrer Stute

Ihm nach mit heißem Blute.

[104]
„Halt an, halt an! Graf Albrecht mein,

Du haſt mein Herz genommen,

Ich kann, ich will bei dir nur ſein,

Laß Schmach und Schande kommen.

O, nimm mich auf dein Grauroß vorn,

Mit dir, mit dir durch Sturm und Dorn

Dein Helmbuſch, ſie mich flehen,

Soll um mein Blondhaar wehen.“

Graf Albrecht zog den Hengſt ſteil an,

Und ſchaut das Weib von oben.

Doch hat er ſie vom Sattel dann,

Vom Sattel nicht gehoben

Im Winde weht ſein langer Bart,

Und finſter ſpricht er, ſtreng und hart:

Reit heim in dein Gehege,

Vier Augen ſind im Wege.

Die ſchöne Burgherrin erblaßt,

Ihr Finger ſpielt am Zügel.

Den Goldfuchs wendet ſie mit Haſt,

Schon iſt ſie hinterm Hügel.

Es ſieht der Graf ihr ſpöttiſch nach

Und murmelt unterm Augendach:

Das traf das Herz ihr mitten,

Die kommt nicht mehr geritten.

Die Sommernacht liegt ſchwer und ſchwül,

Ein regungslos Erwarten.

Der Wittib iſt zu heiß der Pfühl,

Ruhlos irrt ſie zum Garten.

Und immer wilder wird ihr Sinn,

Zu ihm, zu ihm nur will ſie hin.

Vier Augen ſind im Wege,

So flüſterts aller Stege.

[105]
Im Erker oben liegen weich

Zwei blondgelockte Knaben,

Die ſich im Kinderhimmelreich

Zärtlich umſchlungen haben.

O, Mutter, ſieh dein Knabenpaar,

O, ſieh das gelbe Ringelhaar,

Im Schlafe, wie ſie glühen,

Geſund und friſch erblühen.

Zurück, was ſoll der Dolch, zurück —

Vier Augen ſind im Wege.

Zurück, dort liegt dein einzig Glück —

Vier Augen ſind im Wege.

Bei Jeſus und Maria, halt!

Sie ſticht — die Knaben werden kalt.

Zu gräßlich war die Sünde

Der Gräfin Orlamünde.

Sie wirft ſich auf ihr rothes Roß

Im blutbefleckten Kleide.

Da ſieht ſie ſchon des Grafen Troß

Hinziehen durch die Heide.

„Halt an, halt an! Graf Albrecht mein,

Dein Herz, dein Herz wie Marmelſtein,

Nun laß es menſchlich pochen,

Vier Augen ſind gebrochen.“

Graf Albrecht reißt den Hengſt empor,

Entſetzt ſtand ſtill ſein Herze.

Dann beugt er ſich zu ihrem Ohr

Und ſpricht mit grauſem Scherze:

Unmenſchlich Weib! Der Augen vier

Gehörten, meint’ ich, mir und dir.

Und ſeine Eiſen ſanken

Dem Prunkroß in die Flanken.

[106]
Papſt Gregor wohnt im großen Rom,

Sein Antlitz iſt ſo milde.

Er betet heut im Petersdom

Allein zum Jeſusbilde.

Wer ſieht ſcheu ſich im Tempel um,

Wahnſinnig und verzweiflungsſtumm,

Wer ringt die weißen Hände,

Ach, daß ſie Ruhe fände.

Sie ſieht den Greis am Hochaltar

Unklar durch goldene Trallen,

Und iſt mit aufgelöſtem Haar

Zu Füßen ihm gefallen.

Er neigt ihr zu den alten Leib

So liebevoll: Was quält dich, Weib?

Es beichtet ihre Sünde

Die Gräfin Orlamünde.

Und lange ſchweigt der Papſt Gregor,

Fern allem Erdenſtrome.

Dann hebt die Frau ſanft er empor,

Ein Engel ſingt im Dome:

Es ließ der Herr den Frevel zu,

Er gebe Frieden dir und Ruh.

Von Gregors Arm umfangen,

Iſt ſie zu Gott gegangen.

[107]

Hartwich Reventlow.


(1315.)


Graf. Alf hat deine Tochter verführt.

Das bringt dem Bruder Herr Caj.

Herrn Hartwich das die Kehle ſchnürt,

Bis ihn erlöſt ein Schrei.

„Geh’ hin, lieb Bruder, dem Grafen meld’ an,

Und ſag’s in die Augen ihm frei:

Ich mord’ ihn, wo ich ihn treffen kann,

Und wann auch immer es ſei.“

Caj ritt den Burgberg ſchnell hinauf,

Und ſchlägt an’s eiſerne Thor:

He, Pförtner, ſchließ’ die Riegel auf,

Und laß mich beim Grafen vor.

„Was ſchwatzt Herr Hartwich? So ſag’ ihm zurück:

Das nenn’ ich Meuterei.“

Graf Alf hielt in den Fingern ein Stück,

Das Stück war der Kopf von Caj.

Auf güldener Schüſſel, mit Blut benetzt,

So trug ihn ein Knecht hinaus.

Herr Hartwich taumelt und ruft entſetzt:

Verflucht ſei Graf Alf und ſein Haus.

Herr Hartwig ging im Sommerwald,

Frühmorgen war’s, um drei.

Da traf er einen Jäger bald,

Der trug des Grafen Livrei.

[108]
„Die Kleider zieh’ aus, und gieb ſie mir her,

Sonſt ſpann’ ich dich in den Block.“

Der gab ihm zitternd Horn und Speer,

Und gab ihm ſeinen Rock.

Im Walde zog ein Hirſch vertraut,

Ein Hirſch mit ſtarkem Geweih.

Vor des Grafen Kammer wird es laut,

Der hat in den Lidern noch Blei.

„Graf Alf, es zieht im Morgenrot

Ein Hirſch. Wach auf, wach auf.“

Herr Hartwich ſtieß den Grafen tot:

„Nimm du zur Hölle den Lauf.“

Der Page ſah’s, Herrn Hartwichs Sohn,

Er ſtund wohl nah dabei:

„Maria ſah’s vom Himmelsthron,

O Vater, daß Gott dir verzeih.“

Er küßt ſeinen Knaben mit wildem Schmerz,

Dann ſtarb am Himmel ein Stern.

„Nun ſchilt dich nimmer ein Menſchenherz

Verräther deines Herrn.“

Stolz ſchreitet der Ritter den Burgberg hinab,

Ein Schäfer blies auf der Schalmei.

Vier Mönche murmeln am Marmorgrab,

Und draußen lachte der Mai.

[109]

Auf dem Deiche.


I.


Es ebbt. Gemach dem Schlamm und Schlick umher

Entragen alte Wracks und Beſenbaken,

Und traurig hüllt ein graues Nebellaken

Die Hallig ein, die Watten und das Meer.

Der Himmel ſchweigt, die Welt iſt freudenleer.

Nachrichten, Teufel, die mich oft erſchraken,

Sind Engel gegen ſolchen Widerhaken,

Den heut im Herzen wühlt ein rauher Speer.

Wie ſonderbar! Ich wollte ſchon verzagen

Und mich ergeben, ohne Manneswürde,

Da blitzt ein Bild hervor aus fernen Tagen:

Auf meiner Stute über Heck und Hürde

Weit der Schwadron voran ſeh’ ich mich jagen

In Schlacht und Sieg, entlaſtet aller Bürde.

[110]

II.


Biſt du es wirklich, ſitz’ ich neben dir,

Und ſtoßen aneinander unſre Gläſer,

Spielt irgendwo verſteckt ein Flötenbläſer

Sein ſanftes Schäferſtückchen, dir und mir?

Und ſitzen in der alten Halle wir,

Am Pfeiler dort der Kranz der Aehrenleſer,

Noch unverwelkt die Blumen und die Gräſer,

War geſtern unſer letztes Erntebier?

Wie Gruß aus Grüften ruft der Regenpfeifer,

Häßlich herüber ſchreit das Möwenheer,

Der ſeeenttauchten Bank Beſitzergreifer.

Langweilig, öde, gleißt das Wattenmeer,

Gezwungen ſchläft das Schiff, der Wellenſchweifer,

Und einſam iſt die Erde, wüſt und leer.

[111]

III.


Wie klar erſchienſt du heute mir im Traum,

Wir ſaßen in der Kneipe feſt und tranken,

Bis wir gerührt uns in die Arme ſanken,

Auf unſern Lippen lag der erſte Flaum.

Dein falber Wallach ſchleifte Zeug und Zaum,

Und biß und ſchlug und warf den Hals, den ſchlanken.

Im Sattel, ſah ich dich, erſchoſſen, ſchwanken,

Und hinſtürzen am wilden Apfelbaum.

Die Watten ſtinken wie das Leichenfeld,

Wo viel Erſchlagne faulen nach der Schlacht,

Tagüber ſonnbeſchienen ohne Zelt.

Geheimnißvoll, wie tot in Bann und Acht,

Sinkt, grau und goldumhaucht, die Halligwelt,

Und aus der Abendröte ſteigt die Nacht.

[112]

IV.
(Begegnung.)


Halt, Mädchen, balt! und ſieh dich um geſchwind,

Viel Schiffe ſchaukeln weſtwärts durch die Wellen,

Viel hundert bugumſpritzte Sturmgeſellen,

Hengiſt und Horſt befahlen Weg und Wind.

Du lachſt mich aus und zeigſt dich völlig blind,

So mögen aneinander ſie zerſchellen.

Hier aber blitzen Fliegen und Libellen,

Verzieh ein Stündchen, friſches Frieſenkind.

Auch uns hat heut der Juni eingewiegt,

Und Schmetterlinge ſelbſt, die Gauklerbande,

Sind durch die Frühlingsſtürme nicht beſiegt.

Auch hier ein Sommertag, an dieſem Strande,

Wo alles ſchwirrt und flirrt und flitzt und fliegt,

Aus Freude flimmert ſelbſt der Stein im Sande.

[113]

V.
(Dezember.)


Von Norwegs Felſen klingt es zu mir her,

Ein Lied ſo rührend und im Klang ſo leiſe,

Wie Sommerwellgeſpül dieſelbe Weiſe;

Ein armer Geiſtgetrübter ſingt ſo ſchwer.

Ein junger blonder König ſteht am Speer,

Auf rotem Vorſprungriff, um ihn im Kreiſe

Kauern, das Haupt zur Erde, hundert Greiſe;

Er ſingt das Lied und ſchaut hinaus ins Meer.

Lautloſe Stille rings. Von Zeit zu Zeit

Tutet das heiſere Horn der Küſtenwachen,

Der Rabe macht entſetzt die Flügel breit.

Weit, weit antwortet wo der Fiſchernachen,

Der ſich im Nebel ſchwer vom Eis befreit,

Schollen, die knirſchen und ihn wüſt umkrachen.

8
[114]

VI.
(Einſamer Baum.)


Funkelt dort die Säulenfronte,

Ueberdacht von einer Pinie?

Einſam, fern am Horizonte,

Fern am Deich, der blaſſen Linie,

Steht ein Bäumchen, krank und ruppig,

Ohne Blätter, ohne Neſt,

Schwarz vom Seeſalz, kraus und ſtruppig,

Arg zerzauſt vom ewigen Weſt.

Einmal iſt er grün geworden,

Als ein heißes Land im Süden

Sandte ſeinen Gruß nach Norden,

Kuß und Troſt dem Lebensmüden.

Einmal blühten ſeine Zweige,

Einmal zog ein Cymbelzug,

Als in roter Sonnenneige

Dort ein Herz am andern ſchlug.

Leiſe kam die Flut gezogen,

Trümmer hob ſie von den Watten,

Dunkle Halligwerften trogen,

Todesfeuchte Kaſematten.

Durch die Luft, wie müde Greiſe,

Schleppt ein weiß Gewölke ſich,

Abgemattet von der Reiſe,

Marſch aus fremdem Himmelſtrich.

[115]
Bleicher Stern im Wolkenſpalte,

Wild phantaſtiſche Gebilde,

Menſchen, nordiſch nüchtern kalte,

Odins Schwert und Aſenſchilde.

Hohe Flut, geliſpelloſe,

Spielt herauf zu Deich und Baum.

Meine blaſſe Küſtenroſe

Lehnt an mir, ein ſüßer Traum.

Nun von meinem Fenſter ſeh’ ich

Oft den Baum mit toten Zweigen.

Unter ſeinen Äſten ſteh’ ich

Oft im tiefen Winterſchweigen.

Oft, ich halt’ des Hutes Krempe,

Freut mich dort der Wetterſtreit,

Singt der Sturm, der raſche Kämpe,

Grenzenloſer Einſamkeit.


[116]

Rondel.


Rötliche, ſchimmernde, krausliche Haare

Spielen im Wind mir um Schläfen und Ohr.

Frühling iſt’s, bald kommen grämliche Jahre.

Rötliche, ſchimmernde, krausliche Haare,

Sind eine preisliche, köſtliche Ware,

Kaufe ſie raſch dir, du närriſcher Thor.

Rötliche, ſchimmernde, krausliche Haare

Spielen im Wind mir um Schläfen und Ohr.

Sieh meine blaugrauen luſtigen Augen,

Wie ſie ſich ſehnen nach ſeliger Stund.

Wollen zur Liebe, zur Liebe nur taugen,

Sieh meine blaugrauen luſtigen Augen,

Süßeſte Liebe nur wollen ſie ſaugen.

Küſſe mich, küſſe mir Augen und Mund.

Sieh meine blaugrauen luſtigen Augen,

Wie ſie ſich ſehnen nach ſeliger Stund.

Breite um Nacken und Hals mir die Arme,

Lege dein Haupt an die klopfende Bruſt.

Daß ich an deinem Herzen erwarme,

Breite um Nacken und Hals mir die Arme,

Siehſt du nicht, daß ich vergeh’ im Harme

Mächtiger Sehnſucht nach Liebe und Luſt.

Breite um Nacken und Hals mir die Arme,

Lege dein Haupt an die klopfende Bruſt.

[117]

Verbannt.


Gleichviel weßhalb, ich bin’s, ich bin verbannt

Auf eine kleine, deichumrahmte Inſel.

Weit liegt mein walddurchrauſchtes Vaterland.

Hier ſchleicht und kriecht das Wattenmeergerinſel

Durch Schlick und Schlamm, ein ſchmutzig gelbes Band.

Poltert der Sturm nicht, nörgelt Windgewinſel.

Ich ſeh’ die Sonne Morgens Waſſer trinken,

Und Abends wieder in die Wogen ſinken.

Der Reiher, dem das Neſt zerſchoſſen wird,

Er baut ſich an im erſten beſten Walde.

Der Flüchtling, der von Land zu Ländern irrt,

Erreicht vielleicht noch eine grüne Halde,

Wo ſüß und ſanft die Friedenstaube girrt,

Und er die reichſte Ruhe findet balde.

Verdammt bin ich auf dieſes öde Eiland,

Ich gab mein Wort: es iſt für mich kein Freiland.

Zwar hab’ ich ſonſt, was nur das Herz begehrt,

Cigarren, Bücher, Schreibpapier und Tinte.

Auch iſt die Seehundjagd mir nicht verwehrt

Und was an Vögeln fliegt in meine Flinte.

Jedwede Woche kommt ein Schiff, beſchwert

Mit Briefen, Packen, Zucker, Öl, Korinthe.

Erſt geſtern aß ich ein Diner von Pfordte,

Und, hinterher, von Kranzler ein Stück Torte.

[118]
Wie muß, heimdenkend, oft am Deich ich lehnen,

Mir jedes ferne dunkle Pünktchen buchend.

Gleich Iphigenie, mit endloſem Sehnen,

Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend.

Kein Schiff in Sicht, nur rege weiße Mähnen,

Und ich entferne mich, den Tag verfluchend.

Es rötet die Erinnerung neuer Roſt.

Ein letzter Blick aufs Meer und — ah, die Poſt:

Im Oſten, weit, noch hinterm Horizonte,

Wenn dies Paradoxon vielleicht erlaubt iſt,

Zeigt ſich ein Rauch gleich einer Nebelfronte,

(Verzeihung für das Wort, das ſehr geſchraubt iſt.)

Doch näher, wie beſtimmt ich ſehen konnte,

Erſcheint ein ſchwarzer Schornſtein, der behaubt iſt.

Und dauert auch noch Stunden ſeine Fahrt,

Bald liegt mein Schiff im Hafen wohlverwahrt.

Was bringt die Poſt, was kann ſie Alles bringen,

Trübſal und Troſt, Freud’, Bettelbrief und Trauer.

Heut eine Nachricht, daß wir überſpringen

Im Jubelrauſch die allerhöchſte Mauer.

Kann ſein, daß morgen wir die Hände ringen,

Mißlaunig ſitzen wie der Kauz im Bauer.

Das Erſte iſt die Prüfung der Adreſſen,

Den leſen gleich wir, jenen nach dem Eſſen.

Es brachte mir die Poſt heut Allerlei:

Die Rundſchau, Magazin und Nord und Süd,

Kaluga’s Fahrt vom Ob zum Jeniſei;

Daß mir zwei Füllen fielen im Geſtüt.

Ein Freundesbrief klang friſch und kummerfrei,

Ein andrer troſtlos, trüb und wegesmüd.

Auch ſandte mir ein Los Herr Lilienfeld

Mit ſichrer Ausſicht auf ein Heidengeld.

[119]
Ganz unten lag ein roſenrot Couvert,

Mit Monogramm X. Z. und ſieben Zinken.

Ich wußte, daß genannt er Adalbert,

Sie konnte mit dem Namen Laura blinken.

Eſſence d’Ixora war dem Brief Gefährt’,

Ihr Händchen wollte mir entgegenwinken.

Ein Blatt zwar hab’ ich nur mit ihren Zügen:

„Die Eltern hätten heut gern das Vergnügen…“

Der Abend wurde mir verhängnißvoll,

Zu reizend war die kleine Baroneſſe.

Ich liebte bald wie raſend ſie und toll,

Auch zeigte ſie mir mehr als Politeſſe.

Doch wurde aus dem Duraccord ein Moll,

Aus dunkeln Roſen bog ſich die Cypreſſe.

Das Ganze zwängt ſich in das Wort hinein

Aus Scheffels Lied: Es hat nicht ſollen ſein.

Ich glaubte glücklich ſie mit ihrem Mann,

An den ſie nun zehn Jahr gekettet war.

Aus ihren Zeilen, ach, erfuhr ich dann,

Wie ſchlecht das arme Weib gebettet war.

Daß ein Verſchwender er und Haustyrann,

Aus dem Concurſe nichts gerettet war.

Wie herbe ſchrieb ſie dieſe harte Proſa,

Und doch wie zart und vornehm und ſub roſa.

Im Leben mag’s zum Schwerſten wohl gehören,

Aus Glanz und Reichtum plötzlich arm zu werden.

Wie muß es unſer Innerſtes empören,

Wenn Hinz und Kunz wir ſehn auf unſern Pferden,

Wenn Hinz und Kunz uns unſer Heim zerſtören,

Den Reſt uns nehmen, was uns lieb auf Erden.

Und dann, wenn Alles auseinander ſtiebt,

Den anzuflehen, den wir einſt geliebt.

[120]
Genug, genug. Wir alle danken Gott,

Wenn wir zur ſchnellen Hülfe Mittel haben.

Nahm wer, wir helfen auf und machen flott,

Im Lebensſteeplechaſe zu kurz den Graben,

Und laſſen dann ihn ohne Hohn und Spott,

Und ohne viel zu fragen, weiter traben.

Punkt. Lack, ſo rot wie’n Krebs, ein gut gekochter.

Und in die Thüre trit Thay Thayſen’s Tochter.

Thay Thaſen’s hübſches achtzehnjährig Kind

Muß mir den Thee bereiten, Kaffee kochen,

Flickt meine Wäſche, ſtärkt mich mit Abſinth,

Will mich ein Hungermangel unterjochen.

Sie ſtäubt den Schreibtiſch ab, mein Kleiderſpind,

Und dient mir ſo ſeit vier und zwanzig Wochen.

Entlaſſen mußt’ ich meinen Kammerdiener,

Ihm ſchmeckte gar zu ſchön mein Benediktiner.

Thay Thayſen iſt mein Hausvogt, Moiken’s Vater.

Er lehrte früh ſie jede Fiſcherregel.

Beim Krabbenfangen iſt er Schlickdurchwater,

Wie er hantiert auch ſie mit Seil und Segel.

Was immer für ſie thun er konnte, „that er,“

Doch las er nicht mit ihr Horaz und Hegel.

Für meine Einſamkeit ganz wie geſchaffen,

Mußt’ ich in Moiken mählig mich vergaffen.

Ich liebe ſehr die kühne Reigerbeize,

Zur Seiten einer wunderholden Frau.

Dornhecken über ohne viel Geſpreize,

Hep! über Gräben, Hürd’, Verhack, Verhau.

Das Alles hat ja ganz beſondre Reize:

Die ſchöne Frau, die Falken, Himmesblau.

Zum Wechſel doch einmal in vollen Zügen

Ein Fiſchermädel lieben, macht Vergnügen.

[121]
Komm’ ich vom Entenſchießen müd’ zurück,

Eilt Moiken auf der Werfte mir entgegen,

Nimmt mir das Jagdgerät ab, Stück für Stück,

Um dann die Jägerſuppe vorzulegen.

Aus allen Ecken lacht mich an das Glück,

Ich muß das Mädchen ſtill am Herzen hegen.

Mit Halligblümchen ſchmück’ ich ihr die Bruſt,

Die Blumen küſſ’ ich dann nach Herzensluſt.

Wir plaudern Abends häufig am Kamin,

Moiken erzählt mir Inſelmärchen, Sagen,

Ich ihr von Wien, Turin, Dublin, Berlin,

Sie wieder mir von Flut und Sturmestagen.

Erſchreckt ſtützt ſie die Händchen auf die Knie’,

Meld’ ich von Schlacht und wildem Roſſesjagen.

Zuweilen leſ’ ich ihr Gedichte vor,

Doch hört ſie lieber von der Garde du Corps.

Wie reizend iſt’s, beſtaunt ſie meine Sachen,

Denn Alles iſt ihr neu noch und ein Wunder.

Sie ſah bisher nur Netz und Fiſchernachen,

Den Seehund, Flut und Ebbe, Dorſch und Flunder.

Wie freut ſie ſich, wie lieblich iſt ihr Lachen,

Schenk’ ich ein Stückchen ihr von all dem Plunder.

Von Büchern liebt ſie nur die ſchönen Bände,

Und läßt von alten Tröſtern gern die Hände.

Mein Platen iſt zum Beiſpiel gut gebunden,

Den hat ſie ſich zum Leſen auserkoren.

Neulich hab’ ich im Grafen ſie gefunden,

Mit ihren Fingern ſchloß ſie ſich die Ohren.

Doch ſchien ihr die Lektüre nicht zu munden,

Wahrſcheinlich ging der Faden ihr verloren.

Hier, Moiken, hier, nimm: Hannchen und die Küchlein.

Das iſt für dich ein allerliebſtes Büchlein.

[122]
Wie ſchätz’ ich Platen, ſeine Prachtſonette,

Wie dank’ ich Geibel, daß ſein ſchönſtes Lied

Ihn feiert: wundervoll ſind die Terzette,

Durch die ſein roter Zornesfaden zieht.

Platens Balladen ſind zwar ſehr honette,

Doch ohne Funkelfeuer, Kolorit.

Bei Bürger, Strachwitz, Uhland, Dahn, Fontane,

Wie ſcheint und ſchimmert die Balladenfahne.

Die Worte: Buſen, duften, koſen, wallen,

Sind alte deutſche Worte, ſchön, verſtehlich.

Der Dichter bringt ſie gern in ganzen Ballen,

Aus unſrer Sprache ſind ſie unverwehlich.

Wie kommt es, daß ſie nimmer mir gefallen,

Ich finde ſcheuslich ſie, ganz unausſtehlich.

Um meinen Buſen koſen Moiken’s Locken,

Und wallen, duftend, dann ihr [auf] die Socken.

Wall„e“t das Haar auch, duftend, auf die Socken,

Nicht koſ„e“t mehr ihr Buſen an dem meinen.

Im Gegenteil, ihr Buſen wallt erſchrocken,

Und ach, die ſüßeſten der Augen weinen.

Ihr Herzchen wallt, doch nicht wie Abendglocken,

Es wallt wie Sturm das Herzchen meiner Kleinen.

In ihres Buſens tief geheimſter Bucht

Verankerte ſich grimme Eiferſucht.

Mein gutes Mädchen, ſei mir nicht mehr böſe,

Daß ich dich, wie du meinſt, geärgert habe.

Näh’ freundlich wieder Knöpfe mir und Öſe,

Durchkrame wieder meine ganze Habe.

Du weißt, ich bin zuweilen ſehr nervöſe,

Sei wieder gut, ſonſt ſchelt’ ich noch im Grabe

Acht Tage ſind es her, das fort die Truppe,

Und ausgelöſcht die letzte Lampenſchnuppe.

[123]
Ich hatte Komödianten kommen laſſen,

Um mir die Zeit ein wenig zu verkürzen

Und meinen treuen biedern Waſſerſaſſen

Einmal den rauhen Seemannstag zu würzen.

War das ein Jux und Jubel, kaum zu faſſen,

Ich ſah ſie lachend ſich entgegenſtürzen

Den angekommnen Künſtlern eine Strecke,

Nur Moiken ſchielte ſchüchtern um die Ecke.

Der Herr Direktor war ein alter Mann

Mit weißem Haar und dicker roter Naſe.

Die größten Mimen that er in den Bann,

Was waren Devrient und Friedrich Haaſe.

Als Gaſt war er ſogar in Ispahan,

Sprach er von dort, geriet er in Extaſe.

Sehr abgeſchabt war des Direktors Rock,

Des Abends trank er dreizehn Gläſer Grogk.

Die Frau Direktor, eine kleine Dame

Von ſechzig Lenzen und vielleicht darüber,

War einſt gefeiert, ein berühmter Name,

Bis mählig trüber ward ihr Stern und trüber,

Bis ihr das Leben gab, das müheſame,

Das Leben, ach, zu viele Naſenſtüber.

Am Tage ſtand am Herd ſie, wuſch und nähte,

Am Abend ſpielte ſie die Margarete.

Liebhaber Nummer Eins, er hieß Mareſche,

War Heldenvater auch und Intriguant.

Liebhaber Nummer Zwei, er hieß Maneſche,

War noch ein junger ſiebzehnjähriger Fant.

Nicht immer trugen ſie die reinſte Wäſche,

Doch waren ſonſt ſie fein und elegant,

Ergötzten beide, ging der Vorhang nieder,

Das Publikum durch Anekdoten, Lieder.

[124]
Natürlich fehlte auch nicht die Soubrette,

Sie war ein junges allerliebſtes Ding.

Tagüber lag ſie freilich gern im Bette,

Wenn ihr das Leben nicht nach Laune ging.

Zuweilen ſangen wir bei mir Duette,

Es war für Schumann ihr Talent gering.

Doch ſang ſie aus dem Troubadour und Carmen,

War ſie zum Küſſen niedlich und Umarmen.

Nun ſitzen beide wieder wir alleine,

Sei, Moiken, artig, ſo, gieb mir die Hand.

Auf dieſer Inſel bin ich ganz der deine,

Wo uns ſo manche ſchöne Stunde ſchwand.

Und bin auch einſt ich ferne, liebe Kleine,

Ich denke oft zurück an unſern Strand.

Hör’, wie der Sturm die alte Werft umbrauſt,

Und wie die rieſigen Eſchen er zerzauſt.

Hier fand ich Ruhe, die nicht ich gefunden

Im Treiben der Geſellſchaft, in den Schenken.

Hier fand ich Ruhe, um in vielen Stunden

In unſre Dichter ganz mich zu verſenken,

Von alten Wunden endlich zu geſunden,

Vergangnes Leben ernſt zu überdenken.

Viel Glaube ſtirbt, manch Vorurteil zerſchellt

In tiefer Einſamkeit, weitab der Welt.

Bin ich entfeſſelt der Verbannungsbande,

Leuchtet zurück vom Heimatufer mir

Die Fackel, hoch auf rotem Felſenrande,

Ich will ins Meer mich ſtürzen voller Gier

Und ſchwimmen, bis ich bin im Vaterlande,

Wo mich umrauſcht das alte Reichspanier.

Heiß küſſen will ich, heiß, den heiligen Boden,

Zum Orkus trümmern meine Traueroden.

[125]
Schelt’ ich den Diener, daß ich nicht am Bette

Den Siphon fand, trank ich zu viel Likör;

Zerſtreu’ ich mich heut Abend am Roulette

Und Morgen auf dem Ball beim Gouverneur;

Hält wieder mich im Zaum die Etiquette,

Die große Stadt und all ihr Zubehör;

Dann denk’ ich oft zurück im Tageslaut

An meine ſüße kleine Fiſcherbraut.

An jene Tage, als mit meiner Bracke

Jagend ich einſam durch die Watten ſchlich,

Von eines alten Räuberturmes Zacke

Ringsum erſah den letzten grauen Strich

Endloſen Waſſers, aus dem ſchwarze Wracke

Bei tiefer Ebb’ aufragen trotziglich.

An jene Zeit, als mir am Herzen traut

Ein Mädel lag, die kleine Fiſcherbraut.

Ein Geheimnis.


Vier edle Füchſe nicken mit den Köpfen,

Daß Bruſt und Hals und Mähnen, Zaum und Zügel,

Mit weißem Schaumgeflock getigert ſind.

Die feinen Hufe ſcharren ungeduldig,

Den leichten Wagen, dem ſie vorgeſpannt,

Durch weite Strecken mühlos fortzureißen.

Am offnen Schlage ſteht der Groom und wartet.

[126]
Die Thür des Schloſſes öffnet ihre Flügel.

Und tiefgebeugter Dienerſchaft vorüber

Betritt, des linken Handſchuh Knöpfe ſchließend,

Ein großer Mann mit kurzem, braunem Vollbart,

Die Marmortreppe, ſteht, und ſteigt hinunter.

Die Haare deckt ein alter grauer Filz,

Geſchmückt mit unſcheinbarer Sperberfeder.

Gewehr und Taſche liegen ſchon im Sitz.

Der Hühnerhund ſpringt bellend auf die Polſter.

Und fort, als gält’ es eine Siegesbotſchaft,

Entſtürmt dem Halt in Haſt der Viererzug.

Dem Jäger ſchaut vom hohen Fenſter nach

Ein ſtolzes, blaſſes, üppig großes Weib:

„Wenn ich nur wüßte, was ihn immer drängt,

Auf jener magern Heidewelt zu jagen.

Wenn einmal nur er fragte: Willſt du mit?“

Und traurig läßt ſie ſich im Seſſel nieder,

Die ſtillen Augen mit den Händen deckend.

Doch keine Thräne tropft ihr von der Wimper.

Indeſſen rollt der Wagen ſeinen Weg,

Und rollt und rollt drei Stunden durch die Felder

Im immer gleichen, ſchlanken, ſchnellen Trab.

Und Nord und Süd, ſo weit das Auge reicht,

Und Weſt und Oſt in unbegrenzter Ferne,

Gehört dem Jäger, der im Wagen ſitzt,

Und freundlich rechts und links den Bauern dankt,

Wenn ehrerbietig ſie die Mützen rücken.

Vor einem Heidkrug hält das Viergeſpann.

Die Büchſe umgehangen, ſchlendert nun

Allein der Jäger durch das braune Kraut.

Feldmann hat Hühner in der Naſe, ſteht.

Doch hinter ihm blitzt kein Gewehr heran.

[127]
Am Waldrand weilt der Mann vor einem Häuschen,

Bei deſſen Thür ein kleiner Knabe ſpielt.

Und in die Arme nimmt er raſch den Jungen,

Und küßt die Lippen ihm, die großen Augen,

Die wunderbaren, dunkelblauen Augen,

Von langen, ſchwarzen Wimpern ſcharf beſchützt.

Und trägt ihn dann in’s Haus.

Ein Mütterchen

Tritt ihm entgegen mit Bewillkommsgruß.

Bald ſitzen ſie vereint am Sofatiſch.

Der Jäger ſchaukelt auf den Knie’n den Knaben,

Und lacht und ſcherzt, und läßt in ſeinen Taſchen

Den Kleinen nach Bonbons und Spielwerk ſuchen —

Und ſieht ihm immer in die großen Augen,

Die wunderbaren, dunkelblauen Augen,

Von langen ſchwarzen Wimpern ſcharf beſchützt.

Und wieder rollt im Trab, diesmal zurück,

Der Viererzug. Und hält am Schloßportal.

Die ſtolze, blaſſe, üppig große Frau

Empfängt den Schloßherrn, kalt, in Balltoilette.

Raſch iſt er umgekleidet. Beide fahren

Durch gaserhellte Straßen zur Soiree.

Der Jäger wird von Hunderten beneidet,

Die heute ſich begrüßen in den Sälen,

Um ſeine ſtolze, wunderſchöne Frau.

Er liebt ſie nicht; ja, ihre ſammtne Haut,

Erregt ihm Schauder ſchon, berührt er ſie.

Einmal, faſt laut, im Lärmen eines Toaſtes,

Eh’ noch das Glas die Lippen ihm berührt,

Flüſtert er wie zerſtreut und abweſend:

Ach, ſüßes Herz, was gingſt du fort von mir.

[128]
Es ſchleicht die Sommernacht auf Katzenpfoten.

Des Schloſſes Lichter alle ſind gelöſcht.

Der Herr des Hauſes ſchläft in ſeinem Zimmer,

Und atmet regelmäßig, ruhig weiter.

Ganz leiſe, leiſe, leiſe geht die Thür,

Und ſeine Frau, im weißen Nachtgewand,

Setzt vorſichtig ein Lämpchen auf den Tiſch,

Und dämpft den Schein durch vorgeſtellten Schirm.

Dann ſitzt ſie bald am Rande ſeines Bettes,

Und lauſcht, und ſchaut auf die geſchloſſenen Lider.

Im gleichen Tonfall, langſam jedes Wort,

Spricht ſie zu ihm, deſſ’ Bruſt ſich hebt und ſenkt,

Und hebt und ſenkt, hebt — ſenkt, und hebt und ſenkt:

„Rudolf.“ Kamilla? „Wie war heut die Jagd?“

Und er, als ſpräch’ er wachend, klar und deutlich:

Die Jagd, Kamilla? Nun, was ſoll die Jagd?

Ich war am Waldesrand bei meinem Sohn.

Schwamm ihr ein breiter Blutſtrom vor den Augen?

Fiel dann der Schnee ſo dicht, ſo dicht herab?

Sie preßt die Hand auf’s Herz ſo feſt, ſo feſt —

Und wieder fragt im ſelben Tone ſie:

„Rudolf.“ Kamilla? „Und wie heißt dein Sohn?“

Ich gab ihm meinen eignen Namen: Rudolf.

„Rudolf.“ Kamilla? „Und wie heißt die Mutter?“

Die Mutter ſtarb, als ſie den kleinen Kerl

In meine Arme ſelig mir gelegt.

Unruhig wird der ruhig Schlafende.

Doch ſie mit ihren ſtillen grauen Augen

Bannt ihn, daß ſeine Atemzüge bald

In gleichen Zwiſchenräumen wieder ehren.

[129]
„Rudolf“ Kamilla? „Liebſt du noch das Mädchen?“

Bis jeder Stern vom weiten Himmel fällt.

Die Frau ſteht auf. Doch bleibt ſie noch am Bett.

Ein letzter, langer, ſchwerer Abſchiedsblick

In Haß und Eiferſucht und Schmerz und Weh.

In grenzenloſer Liebe küßt ſie dann

Die Stirne deſſen, der ihr Leben war.

Ein Schwan, der ſeinen Schnabel tief verbarg,

Fährt plötzlich aus dem Traum.

Die ſtolze Frau

Glitt neben ihm in’s Waſſer und verſchwand.

Trutz, blanke Hans.


Heut bin ich über Rungholt gefahren,

Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.

Noch ſchlagen die Wellen da wild und empört,

Wie damals, als ſie die Marſchen zerſtört.

Die Maſchine des Dampfers ſchüttert’ und ſtöhnte,

Aus den Waſſern rief es unheimlich und höhnte:

Trutz, blanke Hans.

Von der Nordſee, der Mordſee, vom Feſtland geſchieden,

Liegen die frieſiſchen Inſeln im Frieden.

Und Zeugen weltenvernichtender Wut,

Taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.

Die Möwe zankt ſchon auf wachſenden Watten,

Der Seehund ſchon ſonnt ſich auf ſandigen Platten.

Trutz, blanke Hans.

9
[130]
Im Ocean, mitten, ſchläft bis zur Stunde,

Ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.

Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,

Die Schwanzfloſſe ſpielt nah’ Braſiliens Sand.

Es zieht, ſechs Stunden, den Atem nach innen,

Und treibt ihn, ſechs Stunden, wieder von hinnen.

Trutz, blanke Hans.

Doch einmal in jedem Jahrhundert entlaſſen

Die Kiemen gewaltige Waſſermaſſen.

Dann holt das Untier tief Atem ein,

Und peitſcht die Welle und ſchläft wieder ein.

Viel tauſend Menſchen im Nordland ertrinken,

Viel reiche Länder und Städte verſinken.

Trutz, blanke Hans.

Rungholt iſt reich und wird immer reicher,

Kein Korn mehr faßt ſelbſt der größeſte Speicher.

Wie zur Blütezeit im alten Rom,

Staut hier täglich der Menſchenſtrom.

Die Sänften tragen Syrer und Mohren,

Mit Goldblech und Flitter in Naſen und Ohren.

Trutz, blanke Hans.

Zum Feſte heut klingen Cymbeln und Zinken,

Aus den Fenſtern mit Tüchern die Frauen winken

Und blättern Blumen in alle die Pracht —

Die Kirchen ſchloß wer aber über Nacht?

Die Rungholter wollen ſich ſelbſt regieren,

Und keine Zeit mehr mit Gott verlieren.

Trutz, blanke Hans.

Auf allen Märkten, auf allen Gaſſen

Lärmende Leute, betrunkene Maſſen.

Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:

Wir trotzen dir, blanker Hans, Nordſeeteich!

[131]
Und wie ſie drohend die Fäuſte ballen,

Zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.

Trutz, blanke Hans.

Die Waſſer ebben, die Vögel ruhen,

Der liebe Gott geht auf leiſeſten Schuhen.

Der Mond zieht am Himmel gelaſſen die Bahn,

Belächelt der protzigen Rungholter Wahn.

Von Braſilien glänzt bis zu Norwegs Riffen

Das Meer wie ſchlafender Stahl, der geſchliffen.

Trutz, blanke Hans.

Und überall Frieden, auf See, in den Landen —

Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:

Das Scheuſal wälzte ſich, atmete tief,

Und ſchloß die Augen wieder und ſchlief.

Und rauſchende, ſchwarze, langmähnige Wogen

Kommen wie raſende Roſſe geflogen.

Trutz, blanke Hans.

Ein einziger Schrei — die Stadt iſt verſunken,

Und Hunderttauſende ſind ertrunken.

Wo geſtern noch Lärm und luſtiger Tiſch,

Schwamm andern Tages der dumme Fiſch.

Heut bin ich über Rungholt gefahren,

Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.

Trutz, blanke Hans?


[132]

Una ex hisre morieris.


Es flammt der Horizont des heißen Tages.

Der Schmetterlinge Flügelſchlag iſt hörbar,

So ſtill ruht Baum und Blatt im Sonnenſchein.

Auf fernem Steig klingt ſchwach des Gärtners Harke.

„In einer dieſer Stunden wirſt du ſterben!“

Steht auf der Sonnenuhr im großen Garten,

Auf deſſen Weiſer ſich ein alter Spatz

Den unſcheinbaren Kragen emſig putzt

Und ſchnell das ſchiefgebogne Köpfchen kraut.

Dann fliegt er fort, im Kirſchenbaum zu landen.

Doch unterwegs ſchlägt ihn der böſe Falk.

In einer dieſer Stunden wirſt du ſterben.

Bewegung. Menſchen. Nackte braune Arme

Tragen zum Teich ein breites Fiſchernetz,

Und warten dann gehorſam auf Befehl

Zum Anfang.

Goldene Gitterthore ſpringen,

Und trotz der Schwüle naht in ſchwerem Sammet

Die junge, wunderſchöne Königin.

Auf blonder Pagen Armen ſchläft die Schleppe.

Rechts trägt das Dach, den rieſigen Sonnenſchirm,

Ein Mohrenknab’ in gelb und rother Seide.

Links hält ein ſchlanker Fant im Puffenwams,

Mit dem ſie huldvoll ſpricht, den gleichen Schritt;

Im ſchaukelnden Gehenke blitzt ſein Dolch.

Der Kammerherr vom Tag und ihre Damen

Folgen in ehrerbietiger Entfernung.

[133]
Indeſſen iſt die Fürſtin angekommen

Und hat im Marmorſeſſel Platz genommen,

Den Fuß auf raſch gelegten Teppich ſetzend.

Der Zug beginnt, ganz wie zu Petri Tagen:

Im Netze zappeln Karpfen und Karauſchen

Mit dummen Augen, ſchnappend, ſchwer geängſtigt.

Die Hoheit lacht, die Kavaliere lächeln,

Es grinſt der Mohr, die blonden Pagen kichern.

Und in der allgemeinen Luſtigkeit,

Das braune Auge plötzlich aufſchlagend

Zum ſchlanken Fant im blauen Puffenwams,

Flüſtert harmlos die junge Königin:

Bei Mondesaufgang an der Sonnenuhr.

Da ſtürzt ein Pfeil aus dunklem Tannenbuſch,

Geſchnitzt aus eines plumpen Störes Gräte,

Mit Luſt in’s liebeſehnſuchtsvolle Herz

Der jungen, wunderſchönen Königin.

In einer dieſer Stunden wirſt du ſterben.

Sicilianen.


Drei grüne Fleckchen hab’ ich doch gefunden

Im dürren Lebensſand, mich gern zu recken:

Auf naſſem Hengſt in Qualm und Tod und Wunden

Des Feindes Skalp am Sattel feſtzuſtecken;

Behaglich nach der Jagd mich mit den Hunden

Zum Frühſtück unterm Heidbuſch auszuſtrecken;

Geheim mit meinem Mädchen kurze Stunden

Der ſüßen Sünde Abgrund zu entdecken.

[134]
Du haſt ein flüchtig Glück.

Um Gotteswillen!

Verrat’ es nicht und zeig’ es keiner Seele.

Der Neid, ein arger Dieb, hat ſcharfe Brillen,

Er weiß, es iſt die koſtbarſte Juwele,

Und wird nicht eher ſeinen Hunger ſtillen,

Bis er’s geraubt dir hat mit heißer Kehle.

Sag’, wenn du willſt, es brennten die Antillen,

Du ritteſt hin auf einſamem Kamele.

(Mittſommer.)


Das weiße Häuschen, das ich flimmern ſehe,

Wie liegt’s abſeits in Sonn’ und Sonntagsruh.

Der Roſenſtrauch am Dach ſchwillt im Gewehe,

Als wär’s der Kamm von einem Kakadu.

Heut Nachmittag, wenn ich ſpazieren gehe,

Kehr’ dort ich ein zu einem Rendezvous.

Wir ſind allein. Doch ja daß nichts geſchehe,

Spielt Mütterchen dann mit uns Blindekuh.

(Im Marſchgarten.)


Nach Oſten beugt ſich Baum und Beerenflur,

Denn ewig zerrt der Weſt in Sturm und Regen.

Ein dürftig Birnenbäumchen ſtemmt ſich nur

Mit aller Macht dem böſen Wind entgegen.

Des umgeklappten Regenſchirms Figur,

Streckt es die Ärmchen aus wie ſtrittige Degen.

Neulich, bei dir, that ich den Fahnenſchwur:

Trotzig wie du laſſ’ ich die Stirn mir fegen.

[135]

(Hinterm Deich.)


Noch einmal rechts und links den Blick geſchwind,

Dann in das kleine Käthnerhaus hinein.

Und vor mir ſteht ein ſchlankes, blondes Kind

Madonnenhaft im Winterabendſchein.

Zwei Jahrmarktspudel ſchaun vom Kleiderſpind,

Und weinen Glas, und ſind ſo hübſch und fein.

Die Purpurſonne ſchickt den Weſterwind

Mit letzten Grüßen unſerm Stelldichein.

Auf der Marſchinſel.


Düke Nommſen, der Strandvogt, ſtand vor mir. Uber
50 Jahre hatte der Regen Rinnen in ſein bartloſes Antlitz
gefurcht, hatten die Winde verſucht, das ſtets kurzgeſchorene
Haar zu packen. Über 50 Jahre war Düke Nommſen
Strandvogt. Er hatte mir nur zu melden, wenn etwas
ganz Beſonderes vorgefallen oder gefunden war. Das ge-
ſchah ſelten. Das gewöhnliche Strandgut ſind Balken, Tonnen,
Leichen, Wrackſtücke: Sachen die nur den Strandhauptmann
angehen.


Düke Nommſen, der Strandvogt, ſtand vor mir. Er-
regt und — ſtumm. Die Lippen ſprachen, aber ich hörte
keine Worte.


„Nun, Nommſen, was haſt du, was giebt’s?“ Schon
wollte ich anfangen, ungeduldig zu werden, als er heraus-
preßte: „Dat is to gräſig (grauenvoll), Herr.“ Ich nahm
Hut und Stock: „Haſt du einen Gendarmen benachrichtigt?“
Er ſchüttelte mit dem Kopfe, dann, während wir ſchon im
Gehen waren, ſagte er: „Dat deit ni nödig, Herr.“ Düke
Nommſen ſchien Alles um ſich her vergeſſen zu haben. Er,
[136] der ſonſt ſo ängſtlich die Dehors bewahrte, der ſo reſpektvoll
antwortete, ging heute, ſtatt an meiner linken, an meiner
rechten Seite. Antworten bekam ich überhaupt nicht mehr
von ihm. Der alte Burſche wurde mir nachgerade unheimlich.


Wir gingen auf dem Norder Außen Deich. Es war
holl Ebb’ (die tiefſte Ebbe). Auf den Watten rief der Avo-
ſettſäbler ſein Puith, Puith; ungeheure Schwärme von
Möwen nahmen ſich zuweilen, wie auf Komando, auf, um
ſogleich, unter großem Geſchrei, wieder einzufallen. Alles
iſt in Bleifarbe getaucht: Die Halligen, die wie Forts aus-
ſehen, um einem hinter ihnen liegenden Kriegshafen als erſte
Stachel zu dienen, die Ufer im Oſten, die Wolken, die Vögel,
der Himmel.


Wir wandern auf dem ſtellenweiſe unergründlichen Deich
nach Weſten. Zu unſern Füßen im Süden liegt die große,
reiche Nordſeeinſel Schmeerhörn. Auf dem nächſten Binnen-
deich, ſcharf am Himmel ausgeſchnitten, reiten ein Bauer
und ſein Sohn, hintereinander; vor ihnen liegen Mehlſäcke;
man hört ordentlich die ſchweren Gäule ſchwappſen und
ſtappſen in der Kleie, die, kniehoch, die Pferde müde macht.
Nun ſind ſie an der Mühle angekommen. Langſam —
oha — mit krummſten Knieen rutſchen Vater und Sohn
von den beiden Braunen. Vadder drinkt ’n ſuren Punſch
(Thee, Schnaps, ohne Zucker), de Säen ſüht to. Nun klettern
ſie wieder auf die Pferde, ohne Mehlſäcke. Vadder vörut, de
Saen achterna. Man hört wieder — man ſieht es zwar nur
— das Schwappſen und Stappſen der Gäule. Nu ſünd ſe ant
Hus. Beide fallen wieder ſchwer von den Gäulen. Vadder
ſlöppt und de Saen ſmökt achtern Diek ’n Sigarrſtummel.


Mit uns, über die Fennen, wo fette Schafe graſen, geht
ein kräftiger Landmann, der nach ſeinem abſeits liegenden
Hof will. Er hat den langen Springſtock in der Hand, und
ſieh!, mit der Eleganz einer Ballettänzerin ſchwebt er, nach-
dem er einen Augenblick den Grund ſondirt hat, über die
oft recht breiten Gräben.


[137]

An unſerm Außendeich ſteht nur vereinzelt ein Haus,
von kleinen Leuten bewohnt. Als wir bei dem erſten vor-
beikommen, ruft ein Hahn ſeinen Hennen: Gluckukukukukukuk:
Paßt auf. Die Hennen, dieſe ewig freſſenden Tiere, picken
und ſcharren ruhig weiter. Henning ſieht mit ſchiefem Kamm
zu uns hinauf, verwickelt dabei den rechten Sporn in einen
Strohhalm, ſucht ſich, erboſt, zu befreien, kreiſt und fällt um.
Wer hat einen umfallenden Hahn geſehen?


Auf dem Strohdache der Kathe ſitzen die Stare in ihrem
ſüßen Geplauder.


Wie ſtill iſt es. Aus den Marſchen dringt kaum ein
Ton, von einigen Höfen klingt das Gluckſen der Kalkuttiſchen
Hühner herüber; zuweilen Kinderlachen von einer Werft.
Der Wind, natürlich Weſtwind, hat ſich gelegt; Regenwolken
ziehen langſam am Himmel.


„Dor, dor … dor iſ’t“ ruft plötzlich Düke Nommſen,
der Strandvogt. Ich hatte in die Marſch hinuntergeſchaut,
und nun wieder meinen Kopf nach Weſten und Nordweſten
wendend, habe ich einen ſonderbaren Anblick: Auf dem Deiche,
hundert Schritt vor uns, ſtehen etwa zwanzig Menſchen mit
allen Zeichen der Neugier, der Furcht, des Abwehrens, der
Beratung. Sie kommen mir wie eine Gruppe Wilder vor,
deren einſame Inſel eben ein Fremdling, mit erſtem Sprung
aus dem Boote, betritt.


„Dor, dor … dor iſ’t“ ruft wieder Nommſen und
zeigt mit dem Finger auf den Strand. Etwas Schwarzes,
etwas Weißes liegt dort; mehr erkenne ich noch nicht. Ich
bin bei den Bauern angekommen, und ſehe, daß unten, mit
ausgebreiteten Armen, Ertrunkene liegen.


Keiner von den Zuſchauern iſt zu bereden, mit mir hin-
unter zu ſteigen. Ich gehe allein auf die Leichen zu. Ah …
ich prallte zurück: das hatte ich nicht erwartet. Dann feſt
drauf los:


Auf einer breiten weißen Planke lagen, neben einander
zwei Menſchen, gekreuzigt: Ein junges, weißes, zierlich ge-
[138] bautes Weib und ein herkuliſcher Neger. Sie waren nackt;
um die Hüften beider waren purpurne Tücher geſchlungen.
Wie ſeltſam das doch war, daß ich an ein Paar Totenköpfe
(Schmetterlinge) denken mußte, die ich in meinen Knaben-
jahren einſt an einem Tage gefangen und ſie neben einander,
ausgebreitet, geſpießt hatte …


Weiß und Purpur, Schwarz und Purpur. Ich werde
ruhiger und verliere alles Grauen. Die Bauern merken es;
ſie wollen zu mir; ich befehle mit der Hand, daß ſie oben
bleiben ſollen. Jetzt beuge ich mich zu den beiden. Das
Brett, auf das ſie geſchlagen ſind, ähnlich der Thür oder
der Wand einer luxuriös ausgeſtatteten Kajüte, ſcheint an
allen Seiten gewaltſam abgebrochen zu ſein. Es iſt weiß;
und nun ſeh’ ich es genau: es hat vergoldete Leiſtenum-
faſſungen. Es iſt entſchieden ein Stück der Wanddekoration
aus einer vornehm eingerichteten Kajüte.


Zuerſt betrachte ich die Frau. Welch’ ein junges Ge-
ſichtchen; welch’ liebliche Züge; nichts iſt verzerrt, wie denn
auch beide Leichen ausſehen, als wären ſie nur ganz kurze
Zeit im Waſſer geweſen. Die Augen ſtehen bei der jungen
Frau halb offen; ich ſeh’ ein tiefes Blau. Langes rötliches
Haar fließt um ihr Haupt. Aber … o … o … wie
ſchändlich! dieſe kleinen ſchneeigen Hände, an denen die Nägel
lang und abgerundet ſind (ſie haben die Form einer Haſel-
nuß), dieſe kleinen lieben Hände ſind mit großen, plumpen,
verroſteten Schiffsnägeln durchſtoßen. Das Blut hat die See
abgewaſchen.


Der Neger, deſſen linke Fingerſpitzen faſt die rechten der
Frau berührten, ſo nahe lagen ſie an einander, hat eine
gebogene Naſe wie der ſchönſte Römerjunge. Die Ober-
lippe iſt emporgezogen und zeigt das Gebiß eines fletſchen-
den Hundes. Auch ſeine Hände ſind mit großen verroſteten
Schiffsnägeln durchbohrt. Seine Geſtalt iſt rieſengroß, eine
Moriturus te ſalutat Figur, ein Gladiator Neros.


[139]

Die Füße beider ſind feſt mit dicken Tauen umſchnürt,
und dieſe durch mehrere Löcher im Brett gezogen und auf
der Rückſeite ſtark verknotet.


Um aller Heiligen willen, wo kommen die beiden her?
Das iſt klar, daß ſie nicht lange im Waſſer gelegen haben.
Die Flut hat ſie dann an unſern Strand geſpült.


Hundert Vermutungen wurden in mir wach; hundert
phantaſtiſche Bilder drängten ſich in mir …


Die Sonne ging unter, ſo wundervoll, wie wir es nimmer
auf dem Feſtlande, auf der Oſtſee ſehen. Zwiſchen ſchwam-
migen, dunklen Wolkenmaſſen ſchoſſen tauſend Lichter.


Und die Flut kam und dann tritt wieder die Ebbe ein,
und dann kommt wieder die Flut, und dann wieder die Ebbe,
u. ſ. w u. ſ. w.


Verloren.


I.


Die erſte Schlacht war geſchlagen. Der Sieger lagerte
auf dem Gefechtsfelde. Der Rauch zahlreicher Bivouacsfeuer
ſtieg zum wolkenloſen Frühlingsnachthimmel empor. In
der Ferne, bei den Feldwachen und Patrouillen, fielen ein-
zelne Schüſſe.


Abſeits der eigentlichen Wahlſtatt, dunkelte, in helles
Mondlicht getaucht, ein Wäldchen. Inmitten deſſelben ſtand
ein einſtöckiges, jagdſchloßartiges Haus. Vor dieſem breitete
ſich ein großer Raſenplatz, von zwei Kieswegen umarmt.
Am andern Ende des freien Raumes, gerade der Front des
Gebäudes gegenüber, trat, wie eben aus dem Walde kommend,
die Diana von Verſailles, auf breitem Sandſteinſockel, hervor.


[140]

Hier hatte ein heißer Kampf ſtattgefunden. Thür und
Fenſter waren zertrümmert; Kugelſpuren an den Wänden.
Gefallene Grenadiere, Schmerz und Wuth noch auf den
Geſichtern, hatten mit ihrem Blut den Raſen gefärbt. Einer
lehnte am Sockel der Diana. Sein Nacken war zurückge-
bogen; die halb offenen Augen blickten zu ihr auf. Die
altitaliſche Göttin hatte dem deutſchen Krieger den Weg zur
Walhalla gezeigt.


Einige Schritte vor ſeinen Soldaten, kurz vor der ein-
geſchlagenen Thür, lag ausgeſtreckt ein junger Offizier. Das
blaſſe Antlitz war zur Seite geneigt. Unter dem Helm her-
vor drängte ſich zwiſchen die gebrochenen Augen eine dichte
ſchwarze Locke. Seine Rechte hielt noch, wie im Leben, den
Degen umfaßt. Die Linke lag auf dem Herzen. Nur ein
einziger Blutstropfen war ihm aus der Wunde auf die Hand
geträufelt, im Sternenlicht glänzend, als wäre er ein Rubin,
der zu dem kleinen, den vierten Finger umſchließenden Gold-
reifen gehöre ....


Frühlingsfriede. Es war ſo ſtill wie Stein auf Gräbern
ruht. Ab und zu nur rauſchte ein Windhauch durch die
Zweige, klagend und gleichgültig zugleich: er rauſchte das
ewige Lied des Todes — der Entſagung.


II.


Dieſelbe Frühlingsnacht lag auch auf Wald und Feld,
auf Stadt und Dorf im Norden unſeres Vaterlandes. In
dem kleinen Orte war alles ſchon zur Ruhe gegangen. Auch
in dem großen, ſchloßartigen Hauſe des Amtmannes ſchien
Alles ſtill. Hinter den Fenſtern waren die weißen Rouleaux
hinuntergelaſſen. Nur nach der Gartenſeite im Erdgeſchoß,
waren zwei Fenſter weit geöffnet. Ein perſiſcher Teppich
bedeckte den Fußboden des Zimmers. Auf dem runden Tiſch
[141] vor dem Sofa ſtand eine Aſtrallampe, die den Raum hell
erleuchtete. Den Fenſtern gegenüber war ein „Bechſtein“
hingeſchoben. — In die Nacht hinaus klang das Impromptü
As dur, Opus 142, Nummer 2, von Franz Schubert. Der
Zwiſchenſatz wurde zu ſchnell, zu leidenſchaftlich geſpielt; es
lag etwas wie Angſt und Unruhe darin. Bald waren auch
die letzten Akkorde des vornehmen kleinen Stückes verhallt.


In eines der offenen Fenſter trat ein junges Mädchen.
Sie faltete die Hände und blickte in den Garten hinein. Das
Kleid war bis an den Hals geſchloſſen; aus der Spitzenkrauſe
hob ſich der ſchöne Kopf, ſchmal und blaß. — Und eine Kette
klagender, ſchwerer, ſehnſuchtsvoller Gedanken zog ihr Herz
in die Vergangenheit.


In weiter Ferne hörte man Geſang. Bald deutlicher,
bald ſchwächer. Es waren Soldaten, die auf dem Wege zur
Grenze waren, wo der Krieg in dieſen Tagen ausgebrochen.


Jetzt klang es klar zu ihr herüber:


„Kein ſchön’rer Tod iſt in der Welt,

Als wer vor’m Feind erſchlagen,

Auf grüner Heid’, im freien Feld,

Darf nicht hör’n groß Wehklagen;

Im engen Bett nur Ein’r allein

Muß an den Todesreihen:

Hier findet er Geſellſchaft fein,

Fall’n mit wie Kräuter im Maien.“

Sie horchte atemlos. Der Mund öffnete ſich ein wenig.
Die Augen wurden größer. Auf dem holden Geſicht prägte
ſich Angſt und Sorge aus.


„Mit Trommelklang und Pfeif’ngetön

Manch frommer Held war begraben,

Auf grüner Heid’ gefallen ſchön,

Unſterblichen Ruhm thut er haben!“

klang es, ſchwächer und ſchwächer werdend. —


[142]
„Auf grüner Heid’ gefallen ſchön,

Unſterblichen Ruhm thut er haben!“

hörte ſie noch einmal deutlich.


Die Stirn tief gebeugt, die Augen geſchloſſen, ſo hatte
ſie die letzten Töne vernommen. Nun war es ſtill und ein-
ſam um ſie her. Langſam ging ſie zum Flügel:


„Kein ſchön’rer Tod iſt in der Welt,

Als wer vor’m Feind erſchlagen ....“

Sie ſpielte und ſang das alte ſchöne Soldatenlied. Als
ſie geendet, lag noch lange die rechte Hand auf den Taſten.
Wie oft hatte er es ihr geſungen, mit ſeiner klaren, ruhigen
Stimme. Sie hatte ihn begleitet. Begeiſtert hatte er dann
von den Volks- und Soldatenliedern erzählt. Wie ſich die
Soldaten ſelbſt ihre Melodien zurechtlegen, zuerſt durch kleine
Abänderungen von alten Kirchen- und Volksweiſen. Wie
die Grundſtimmung in faſt allen ihren Geſängen eine weiche,
ernſte ſei; wie durch alle das Heimweh ziehe, oft unbe-
wußt. —


Ein Nachtfalter flatterte um die Lichter. Sie erhob ſich
und ging an’s Fenſter. Die obere Fläche der linken Hand
legte ſie an die Seitenwand und ſtützte die Stirn hinein.
Aus den großen grauen Augen brachen Thränen, unauf-
haltſam.


Ab und zu rauſchte ein Windhauch durch die Zweige,
klagend und gleichgültig zugleich: er rauſchte das ewige Lied
der Entſagung — des Todes.


[143]

Adjutantenritte.


Herrn Oberſt A. v. Schell zugeeignet.


(Erinnerungen aus einer Januarſchlacht).


Zu ſpät.


Der Oberbefehlshaber hatte um Mitternacht den um ihn
verſammelten Generalſtabsoffizieren und von allen Seiten
zum Befehlsempfang herbeigeeilten Adjutanten die Dispo-
ſitionen zur Schlacht für den folgenden Tag ſelbſt diktiert.
Klar und ruhig ſprach er jedes Wort, den Rücken gegen
den Kamin kehrend und ſich die Hände wärmend. Ohne
ein einziges Mal zu ſtocken, vollendete er den Armeebefehl.


Es war drei Uhr morgens, als wir Adjutanten, uns die
Hände zum Abſchiede reichend, zu unſern Truppenteilen
zurückritten. Ich konnte erſt in drei bis vier Stunden bei
meinem General ſein. Es war eine naßkalte, windige
Winternacht mit ſpärlichem Monde. Meine beiden mich be-
gleitenden Huſaren und ich kamen ohne Abenteuer im Quartiere
an. Ich traf den General „fix und fertig.“ Er hatte ſich
unausgekleidet auf’s Bett gelegt und nur von ſeinen Män-
teln zudecken laſſen.


Als ich den Befehl zum Vormarſch verleſen, erhielt ich
von ihm die Weiſung, ungeſäumt nach dem rechten Flügel
zu reiten, um dorthin eine wichtige Meldung zu bringen.
Ich hätte gerne einen heißen Schluck gehabt, aber der Kaffee
war noch nicht fertig; ſo nahm ich, was ich gerade fand.
Es wurde raſch eine Flaſche Sekt geleert, die der General ſo
liebenswürdig war mit mir zu teilen. Wir tranken ihn
aus Taſſen. Roher Schinken ſchmeckte nicht übel dazu.


Dann ritt ich ab. Der Frühmorgen zeigte ein mürriſches
Geſicht; nur der Wind hatte ſich gelegt; dumpf und ſtill
[144] und grämlich lag’s auf der Gegend. Die ſtark verregnete
Karte in der Linken, hier und dort einen Kameraden grüßend,
mir von Patrouillen Auskunft geben laſſend, trabte ich
meinem Ziele zu.


Noch war’s nicht voller Tag. Vom Feinde war nichts
zu erblicken. Bei den Doppelpoſten fielen einzelne Schüſſe.
Als ich in ein Thälchen einlenkte, entſchwanden auch unſere
Truppen. Das Thal engte ſich, und bald bemerkte ich ein
Brückchen, das ſich über ein träges, ſchmutzig gelbes Waſſer
bog. Halt — was iſt das? Da lag ein Menſch und ſperrte
mir den ſchmalen Übergang. Ich gab meinem Pferde die
Sporen und war im Nu an ſeiner Seite. Es war ein
toter Garde mobile, platt auf dem Antlitz liegend. Die
Beine und Arme lagen ausgeſpreitzt gleich Mühlenflügeln.
Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob ſich mit letzter
Kraftanſtrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor
meines Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf dem Geländer
ſaß und den Schwerverwundeten mit ſchiefem Kopfe ſehn-
ſüchtiglich betrachtete, flog mürriſch in’s Weite.


Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte fort.
Hier lag einer nur, und Hunderte büßten vielleicht mein
Zögern mit dem Tode. Da fiel mir in den Zügel links ein
ſüdfranzöſiſch Weib mit roten, jungen Lippen. Ihre dunklen
Augen gruben ſich flehentlich in die meinen. Gerechter Gott!
Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausſtreckend
gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd,
ein altes Mütterchen und rief: Halt! Halt! Gieb meinem
Sohn zu trinken, nur einen Schluck. Noch lebt er! Hilf, hilf!


Schon lockerte ich im ſtrohumwickelten Bügel den Fuß,
um abzuſpringen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen.
Rechts vom Geländer ſtand ein langes, ſchmales Weib, im
weißen, togaähnlichen Faltengewande! Nicht trüb und traurig,
doch auch nicht fröhlich ſah ſie mich an. Ihre Züge blieben
gleichmäßig ernſt und ſtreng. Die Dame Pflicht rief mich,
und ich gehorchte.


[145]

Als ich auf dem Rückweg an dieſelbe Brücke kam, lag
noch immer der Garde mobile da. Ich ſprang vom Pferde,
und mir den Trenſenzügel über die Schulter hängend, kniete
ich nieder, um ihm aufzuhelfen. Doch zu ſpät; aus ſeinen
Augen lachte mich der Tod an, und die Urmutter Erde ſog
gierig ſein Blut. Der Tag ward heller, wenn er auch trübe
blieb. Der Himmel zeigte dem Schlachttage ein widerwärtiges,
heimatforderndes Graueinerlei. Schwach klang vom linken
Flügel Gewehrfeuer her. Ich nahm den Krimſtecher. Doch
kaum hielt ich ihn vor den Augen, als mich ein heftiges
Knattern ſchnell zum Umſehn zwang. Vor einem durch-
ſichtigen, nahen Wäldchen lagen graue Wölkchen im Ringel-
tanze. Da knallte es wieder. Wetter! Das galt mir. Klipp,
klapp, ſchlug’s um mich ein in die nackten Zweige einer Eiche.
Ich ſchoß wie die Schwalbe davon, nach rückwärts, zum
Wäldchen, Abſchiedshandkußgrüße ſendend.


Dann, im ruhigen, engliſchen Trabe weiter reitend, ſtieß
ich plötzlich auf einen Zug Huſaren, der um die Ecke eines
Häuschens bog. Voran mein Freund, ein junger Offizier
mit ſchiefem Kolpak. Ihm gehörte ſchon ſeit Jahren mein
Herz; wir hatten uns manchen Tag und manche Nacht zu-
ſammengefunden. Wie immer war er a quatre epingles.
Im rechten Auge glitzerte die Scherbe, von der ich behauptete,
daß er ſie auch Nachts nicht ablege. „Wo willſt du hin?“
„Und du?“ Er deutete auf das Wäldchen, das ſich mir eben
ſo freundſchaftlich gezeigt, und berichtete, daß er auf Kund-
ſchaft ausgeſandt ſei: man habe das Schießen gehört. Zu-
gleich ſolle er erforſchen, ob ſich Kolonnen hinter dem Walde
geſammelt hätten.


Ich bot mich an, ihm den Weg zu zeigen. Wir ſchlichen,
Indianern gleich, hinter Knick und Wall, jede Terrainfalte
ſorgſam benutzend. Voran wir zwei, nach allen Seiten
ſpähend. Neben uns blieb der bärtige Trompeter, die unzer-
trennliche Begleitung des Lieutenants. Dann folgten zwanzig
friſche, blonde, blauäugige Bauerburſchen.


10
[146]

Wir hatten uns allmählig dem Ziele genähert. Halt!
Drei Hundert Schritte kaum lag das Wäldchen vor uns,
beſtanden mit wenigen Bäumen, durch deren dünne Stämme
der Lichtſtreifen des Horizontes freigelegt ward. Die vor-
liegende ebene Wieſe war wie zur Attacke gemacht.


Nun zogen wir die Huſaren dicht heran. Ein Klingen-
blitz und Vorwärts, vorwärts!


Die Attacke.


Platz da, und Zieten aus dem Buſch,

Mit Hurrah drauf in Fluſch und Huſch,

Und vorgebeugten Leibes raſen,

In einem Strich die Pferdenaſen,

Wir zwei weit voran den Huſaren,

So ſind wir in den Feind gefahren.

Die roten Jungen hinterher

In todesbringender Carriere,

Daß wild die Spitzen der Chabracken

Den Grashalm fegen wie der Wind.

Und huſſah, hep, die bunten Jacken,

Sind wir am Waldesrand geſchwind.

Geknatter, dann ein tolles Laufen,

Wir konnten kaum mit ihnen raufen,

So riſſen die Gascogner aus

Vor unſerm Säbelſchnittgeſaus.

Doch hinter einer ſchmalen Erle

Stand einer dieſer kleinen Kerle

Und macht auf mich recht ſchlechte Witze,

Und ſchoß mir ab die Helmturmſpitze.

Ei, du verfluchter gelber Lümmel,

Ich treffe gleich dich im Getümmel.

Und „Hieb zur Erde tief“, ſaß ihm

Im Schädel eine forſche Prim.

[147]
Kolonnen rückten nun heran,

Der Auftrag war erfüllt, gethan.

Der Lieutenant ſammelte den Zug,

Und als er durch die Säbel frug,

Ob Keiner fortblieb, Keiner fehle,

Da ſchnürt es ihm die junge Kehle.

Denn der Trompeterſchimmel bäumte,

Den Sattel frei, und ſchnob und ſchäumte.

Wir fanden ſeinen Reiter bald

An Brombeerſträuchen, tot, im Wald.

Ein blaurot Fleckchen zeigte nur

Den Schuß ins Herz, der Kugel Spur.

Bei meinem Freund zum erſten Mal

Sah ich die Scherbe niederſchnippen,

Und Thränen fielen ohne Zahl

Dem Toten auf die bleichen Lippen.

O ſchäm’ dich nicht, wenn dies du lieſt,

Daß dir ſo leicht die Thräne fließt.

Im Sterben trägſt du noch die Scherbe,

Ich ſei, ſtirbſt früher du, der Erbe,

Dann denk’ ich an den treuſten Freund,

Den je die Sonne hat gebräunt.

In der Mittagſtunde.


Zwiſchen zwölf und ein Uhr ſtand die Schlacht. Auf
einem Hügel, neben einem einſamen, brennenden Hauſe, aus
dem die Bewohner geflohen, hielt der Oberbefehlshaber, die
Hände kreuzweiſe übereinander auf dem Sattelknopf haltend,
regungslos ſeit einer halben Stunde.


Der Stab ſtand gedeckt hinter dem Hauſe. Von allen
Seiten, in raſcher Aufeinanderfolge, kamen und ritten ab
10*
[148] auf triefenden Pferden Adjutanten, Ordonnanzoffiziere und
Ordonnanzen, um zu melden. Den Letzteren war die Meldung
ſchriftlich mit Blei gegeben. Der General ſchob die kleinen
vierkantigen Zettel in die Satteltaſche, ohne einen der hinter
ihm haltenden Offiziere heranzuwinken. Noch immer hielt
er regungslos; nur zuweilen den Krimſtecher gebrauchend
oder in die Karte blickend. Sein großer Dunkelbrauner kaute
unaufhörlich den linken Trenſenzügel, ab und zu mit dem
Kopfe nickend. Eine Granate krepierte zwiſchen uns und
riß einen Hauptmann vom Stabe in Stücke. Sein Pferd
bäumte hoch auf, ſchlug mit den Vorderhufen in die Luft,
und brach dann, gräßlich zerſchmettert, zuſammen. Wir
waren alle unwillkürlich auf einen Augenblick auseinander-
geſprengt. Ein Offizier eilte zum General, um ihm den Tod
des von ihm ſehr hoch gehaltenen Hauptmanns zu melden.
Der General blieb regungslos; nur klopfte er ſeinem, durch
den furchtbaren Knall unruhig gewordenem Pferde den Hals,
und ritt einmal eine liegende Acht.


Die Suite ſtand wieder auf demſelben Fleck. Auf die
entſetzlich verſtümmelte Leiche breitete eine Stabsordonnanz ein
vor dem brennenden Gebäude liegendes buntes Bettlaken.
Um das Bettlaken herum waren hingeworfen eine Kaffe-
mühle, ein Bauer mit einem Kanarienvogel, der piepte und
luſtig, ſelbſt in der ſchiefen Lage, ſein halb verſtreutes Futter
nahm. Vor dem Hauſe lagen ferner Bücher, Taſſen, eine
Frauenmütze, zerbrochene Vaſen, Bilder, Kiſſen, eine Cigarren-
taſche mit einer Stickerei, ein Kamm, eine Zuckerdoſe und
tauſenderlei ſonſtige Hausgeräte und nützliche und nicht-
nützliche Gegenſtände.


Verwundet war ſonſt keiner von uns. Die Granate
mußte auf dem Sattelknopf des Pferdes des Hauptmanns
zerplatzt ſein. Ab und zu ſchwirrte eine verlorene Gewehr-
kugel mit pfeifendem Tone über unſere Köpfe. Eine ſchlug
in den Gartenzaun ein. Klapp! klang es leicht. Wie ein
Spechtſchnabelhieb.


[149]

Der General hielt regungslos. Sein ernſtes, durch-
geiſtigtes, feines Geſicht war blaß. Je mehr es in ihm
arbeitete, je mehr beherrſchte er ſich äußerlich. Wir Offiziere
blickten fortwährend durch unſere Gläſer und tauſchten Be-
merkungen.


Verwundete hinkten bei uns vorüber oder wurden vor-
beigetragen.


Der Tag war trüb und grau, doch die Überſicht nur
zuweilen durch den ſich ſchwer verziehenden Pulverdampf
behindert. Wir konnten deutlich vor uns und rechts und
links die gegenſeitigen Schützenlinien und die Kolonnen, die,
wenn ſie ins Granatfeuer kamen, ſich teilten, ſehen.


Auf drei Infanterie-Bataillone weſtlich von uns richtete
ſich plötzlich unſere ganze Aufmerkſamkeit. Sie zogen neben
einander in einer engen Mulde, wie ratlos, hin und her,
ohne ſich entwickeln zu können. Wie uns ſchien, marſchierten
ſie in aufgeſchloſſener Kolonne nach der Mitte; Kompagnie-
Kolonnen zu formieren, hinderten die ſteilen Wände des Ein-
ſchnitts. Ein Füllhorn von Granaten ſchüttete ſich über
ſie aus. Auch der General bemerkte es. Er wandte den
Kopf zu uns und rief meinen Namen. Ich war mit bei-
nahe einem einzigen Sprunge von der Stelle an ſeiner Seite:
„Excellenz?“ „Sehen Sie die kleine Kuppe halbrechts vor
uns?“ Er deutete, den Krimſtecher in der Hand behaltend,
auf dieſe. „Es ſteht dort ein einzelner Baum; ſehen Sie ihn?“
„Zu Befehl, Excellenz.“ Ich hatte zu thun, mein lebhaft
drängendes Pferd zu beruhigen. „Reiten Sie zur 97. leichten
Batterie; ſie ſoll unverzüglich dort Stellung nehmen und
feuern. Haben wir uns verſtanden?“ „Zu Befehl, Excellenz.“
„Reiten Sie ſelbſt mit der Batterie auf den Hügel und
klären Sie dem Batterie-Chef die Situation auf.“ „Zu Be-
fehl, Excellenz.“ … und ich war ſchon unterwegs zu der
nur wenige Minuten hinter uns haltenden, vom Oberbefehls-
haber zu ſeiner ſpeciellen Verfügung geſtellten Batterie. Es
war ein ſchauderhafter Weg. Gräben und Wälle mußten
[150] überſprungen werden. Bald ſchwamm, bald kletterte mein
kleiner Huſarengaul, den ich für meinen alten Trakehner
Hengſt, dem denn doch endlich der Puſt ausgegangen war,
vertauſcht hatte. Vorwärts, vorwärts! Was ſind Gräben,
noch ſo breite, was überhaupt Hinderniſſe im Gefecht. End-
lich ſah ich die Batterie. Ich winkte ſchon aus der Ferne
mit dem Taſchentuch. Der Batterie-Chef verſtand es. Er
gab Befehle; ich merkte es an der wimmelnden Bewegung,
die an den Geſchützen entſtand. Dann raſte er auf mich zu,
den Trompeter an der Seite. Wir trafen uns; ſein Geſicht
glühte, als ich ihm den Befehl zum Vorrücken überbrachte. Der
Trompeter war ſchon in Carriere zur Batterie unterwegs,
um vom Hauptmann dem älteſten Offizier die Ordre zu über-
mitteln, die Batterie „Zu Einem“ ſo raſch wie möglich vor-
zuführen. Der Hauptmann und ich ſetzten uns dann in
Trab, doch ſo, daß wir mit der Batterie, die zahlreiche
Terrainſchwierigkeiten zu überwinden hatte, Fühlung behielten.
Ich kannte den Weg aus den Frühſtunden. Wir mußten
durch eine enge, kurze, ſchluchtartige Vertiefung, die juſt ſo
breit war, daß nur ein Geſchütz dem andern folgen konnte.
In Zügen hier zu fahren, verbot die Enge. Links dieſer ſchmalen
Einſenkung war, auch nachdem das felſige Terrain hinter
uns lag, durch Sumpf und naſſe Wieſen ein Vorgehen von
Kavallerie und Artillerie unmöglich; rechts hätten wir große
Umwege machen müſſen und dadurch viel Zeit verloren.
Die Bataillone, die Bataillone! lagen mir im Sinn; dutzend-
weiſe wurden dort die Leute gemäht. Hatte unſere Batterie
erſt Stellung genommen, dann mußte ſich die franzöſiſche
Artillerie gegen dieſe wenden.


Der Hügel war lang genug, um weite Räume zwiſchen
den einzelnen Geſchützen zu erlauben. Die Verluſte wurden
geringer. Wo iſt die Schlucht, die Schlucht! Um uns ſah
es wild und wüſt aus. Aber vorwärts, vorwärts! Der
Hauptmann und ich, nachdem der Batterie ein Zeichen ge-
geben war, zu folgen, jagten vor, um raſch durchzupreſchen
[151] und die günſtigſte Stellung für die Batterie auf dem Hügel
vor deren Eintreffen auszuſuchen.


Um Gott! rief der keineswegs zartbeſaitete Hauptmann,
als wir einbogen: Bei Gott! da durch zu kommen, iſt ja
unmöglich. Das liegt ja Alles voll von Verwundeten.


Ein grauſenhafter Aublick bot ſich uns: Auf einander
geſchichtet lagen in der Schlucht Tote und Verwundete, wenn
auch in geringer Zahl. Die Letzteren hatten unſere Batterie
heranraſſeln hören und waren mit größeſter Anſtrengung an
die Seiten gekrochen, um dem Rädertode zu entgehen. Es
mußte hier vor wenigen Stunden ein verzweifelter Kampf
ſtattgefunden haben.


Unmöglich! Hier war nicht durchzukommen. Aber die
Bataillone, die Bataillone! Der Hauptmann und ich hielten
einige Sekunden ratlos; die Batterie arbeitete mit keuchenden,
dampfenden Pferden näher und näher heran.


Unmöglich! — Da raſte auf naſſem Pferde ein junger
Generalſtabsoffizier des Oberbefehlshabers auf uns zu. Um
ſeine Stirn war ein weißes Tuch geknotet; auf den Haaren
ſaß die Feldmütze irgend eines Musketiers. Er lenkte ſein
Pferd mit der Rechten; mit der linken Hand wiſchte er fort
und fort das unter dem Tuche hervorquellende Blut aus den
Augen. Er konnte kaum mehr ſehen. Von Weitem ſchon
ſchrie er mit ganz heiſerer Stimme: „Die Batterie, die
Batterie ſoll vor! Wo bleibt die Batterie? Excellenz iſt ..“
Ich ſchoß auf ihn zu, um ihn aufzufangen; er lag, faſt ohn-
mächtig, auf der Mähne des nun nicht mehr von ihm ge-
führten Pferdes; die Arme hingen ſchlaff um den Hals des
Tiers. Ich hatte keine Zeit, Verwundeten zu helfen, und
wär’s mein Bruder geweſen. So rief ich einen im Graben
ſitzenden Leichtverwundeten, der da mit beſchäftigt war, ſeine
Hand zu verbinden, indem er das eine Ende des Tuches mit
den Zähnen feſthielt. Er legte mit mir den Hauptmann
vom Generalſtabe ſanft nieder. Noch einmal ſah ich in das
blaſſe, blutüberſtrömte Geſicht; in halber Ohnmacht ſchon,
[152] bebten noch die Lippen: Batbatbatbatbat … Er wollte
ſagen: Batterie vor! .. O du treuer, o du lieber Menſch!


Keine Sekunde Zeit war zu verlieren. Ich flog zurück
zum Hauptmann. Auch er war entſchloſſen nun. Alſo
vorwärts!


Nicht umſehn! Nicht umſehn! ſchrie der Hauptmann.
Wir zwei kletterten, ſo raſch es ging, voran. Nur einmal
wandte ich den Kopf: — Bald hoch, in der Luft, bald niedrig
kreiſende, kreiſchende Räder, ſchräg und ſchief liegende Rohre
und Achſen, ſich unter dem Rade drehende Tote und Ver-
wundete, der Kantſchu in fortwährender Bewegung auf den
Pferderücken, Wut, Verzweiflung, Fluchen, Singen, Schreien. ..


Nun fuhr die Batterie auf dem Hügel auf, Haare, Ge-
hirn, Blut, Eingeweide, Uniformſtücke in den Speichen. In
wundervoller Präciſion fuhr ſie auf. Abgeprotzt. Geladen.
Richten. Und: „Erſtes Geſchütz — Feuer!“ Der Qualm
legte ſich dicht vor die Laffeten, wir konnten die Wirkung
nicht beobachten. Doch ſchon beim zweiten Schuß pfiff eine
feindliche Granate über uns weg. Sie galt der Batterie.
Die Bataillone waren degagiert. Ich ritt, mich vom Haupt-
mann verabſchiedend, zurück zum General, das Schreckensthal
vermeidend. Als ich mich zurückgemeldet, ſagte mir der
Oberbefehlshaber ein gütiges Wort. Dann ſchloß ich mich
wieder der Suite an.


Und regungslos hielt der General.


Hinter uns klang häufig das Kavallerie-Signal Trab.
Wir konnten die Schwadronen nicht ſehen. Aber es war
mir, als hörte ich das Stapſen, Schnaufen, Klirren. Kom-
mandorufe klangen an mein Ohr: Ha—hlt … Ha—hlt …
und immer ſchwächer und ſchwächer werdend: Ha—hlt …
Ha—hlt. Alles das klang her, was die Bewegungen eines
Reiterregiments ſo hoch poetiſch macht; erſt recht, wenn man
„drin ſteckt.“ Ich hörte das Alles deutlich, und doch war
um uns ein einziger Donnerton. Dazwiſchen klangen ſchrill
die Schüſſe der Batterie, die ich eben herangeholt hatte.
[153] Sie ſtand nicht weit von uns. Auf vier Meilen im Umkreiſe
plapperte das Gewehrfeuer; es brodelte täuſchend wie die
Blaſen in einem rieſigen kochenden Keſſel.


Ledige Pferde mit ſchleifenden Zügeln, zuweilen mit den
Sätteln unter dem Bauche, jagten um uns herum. Langſam
trottete ein Mauleſel heran und begann, vor dem General
ſtill ſtehend, auf der Erde nach Gras zu ſuchen. Auf ſeinem
Rücken waren zwei Tragſtühle befeſtigt. In jedem von
ihnen ſaß ein geſtorbener Franzoſe. Feſtgeſchnallt, ſaßen
ſie Rücken an Rücken, doch ſo, daß die Geſichter (die Köpfe
hingen hintenüber) ſich anſahen. Die Oberlippen waren
zurückgezogen. Sie ſchienen ſich anzulachen.


Und regungslos hielt der General.


Da kam vom rechten Flügel her, wohin er ſich zur ge-
naueren Berichterſtattung begeben hatte, der Chef des Stabes
an. Reiter und Pferd waren von unten bis oben mit
Schmutz beſpritzt. Der Oberſt mußte in flotteſter Gangart
geritten ſein. Das Pferd dampfte; am Halſe, unter den
Deckenrändern, zwiſchen den Hinterbacken ſtand weißer Schaum;
Die Flanken flogen; es ſchien auf der Hinterhand zuſammen-
brechen zu wollen.


Wir beobachteten den Oberſt geſpannt, als er neben dem
General hielt. Es mußte gut ſtehen, das konnten wir merken.
Während er noch mit dem Oberbefehlshaber ſprach, bald
auf der Karte ſuchend und findend, bald mit dem Finger in
die Schlacht zeigend, ſauſte vom linken Flügel ein Meldender
heran. Sein Pferd war durchaus fertig. Es konnte nicht
mehr den Hügel hinan und brach am Fuße deſſelben mit
ſeinem Reiter zuſammen. Beide überkugelten ſich. Aber
ſofort erhob ſich aus dem Knäuel ein junger Jägeroffizier
mit einem hübſchen ſchwarzen Schnurrbärtchen, braunen ge-
wellten Haaren, dunkelbraunen Augen und einem durch den
Purzelbaum eingetriebenen Tſchako. Er ſtürmte bei uns
vorbei, uns lachend zurufend: Es geht gut, es geht gut!
Auf ſeinem kurzen Wege zum General hatte er ein Paar
[154] ſchneeweiße Handſchuhe [hervorgezogen], und war bemüht,
dieſe noch an den Fingern zu haben, ehe er oben war. Aber
nur der linke hatte ſeinen Platz erobert. Ebenſo lächelnd
wie er bei uns vorbeigekommen, meldete er dem Oberbefehls-
haber, der ihm freundlich die Hand reichte. Dann beſtieg er
ein ihm von einer Ordounanz eingefangenes kleines Berber-
roß und ritt, das letzte Stück von einem kalten Huhn, das
in unſerm Beſitz war, annehmend, luſtig wieder von dannen,
unterwegs kauend und mit der rechten Fauſt die Beulen
ſeines abgenommenen, entſtellten Tſchakos in Ordnung zu
bringen ſuchend. Es ſchien ihm Alles ungeheures Vergnügen
zu machen. Grüß Dich Gott, alter Kerl, wenn Dir dies vor
Augen kommen ſollte. Zwar lieſt Du ſelten Gedichte (ich
auch), aber es iſt immerhin doch möglich.


Der General ritt zu uns hinter das rauchende Gebäude,
deſſen Dach und Sparren eben praſſelnd zuſammengebrochen
waren, und fragte: Hat einer der Herren noch eine nicht
letzte Cigarre? Sie wurde ihm präſentiert.


Dann bildeten wir einen Kreis um ihn. Der Oberbe-
fehlshaber gab einigen von uns perſönlich Befehle. Als wir
abritten, um die „mit aller Macht auf die Stadt vorzugehn“
Befehle zu überbringen, ſetzte er ſich in kurzen Galopp, um,
weiter vorwärts, einen neuen Beobachtungspoſten einzu-
nehmen. Eine Ordonnanz blieb bei der Brandſtätte zurück:
ſie hatte den Auftrag, den Meldenden von dem neugewählten
Aufſtellungspunkt des Generals Mitteilung zu machen.


Der Zauber der Mittagſtunde war gebrochen.


Es lebe der Kaiſer!


Es war die Zeit um Sonnenuntergang,

Ich kam vom linken Flügel hergejagt.

Granaten heulten, heiß im Mörderdrang,

Hol’ euch die Peſt, wohin ihr immer ſchlagt.

[155]
Ich flog indeſſen, das war nichts gewagt,

Unter ſich kreuzendem Geſchoß in Mitten.

Rechts reden unſre Rohre, ungefragt,

Links wollen feindliche ſich das verbitten.

Gezänk und Anſpuken, ich bin hindurchgeritten.

Plötzlich erkenn’ ich einen Johanniter

Am roten Kreuz auf ſeiner weißen Binde.

Wo kommſt du her, du ſchneidiger Samariter,

Was trieb dich, daß ich hier im Kampf dich finde?

Er aber riß vom Haupt den Hut geſchwinde,

Und ſchwang ihn viel, den ſeltnen Lüftekreiſer,

Und ſchwang ihn hoch im ſchwachen Abendwinde,

Und rief, vom Reiten angeſtrengt und heiſer,

Geſtern ward unſer greiſer, großer König Kaiſer.

Und zum Salute donnern die Batterieen

Den Kaiſergruß, wie niemals er gebracht.

Zweihundertfünfzig heiße Munde ſchrieen

Den Gruß hinaus mit aller Atemmacht.

Scheu ſchielt aus gelbgeſäumter Wolkennacht

Zum erſten Mal die weiße Winterſonne,

Und ſchwefelfarben leuchtete die Schlacht

Bis auf die fernſt marſchierende Kolonne —

Daß hoch mein jung Soldatenherze ſchlug in Wonne.

Tot lag vor mir ein Garde mobile du Nord,

Es ſcharrt mein Fuchs und blies ihm in die Haare.

Da klang ein Ton herüber an mein Ohr,

Den Höllenlärm durchſtieß der Ton, der klare.

Nüchtern, nicht wie die ſchmetternde Fanfare,

Klang her das Horn von jenen Musketieren.

Daß dir, mein Vaterland, es Gott bewahre,

Das Infanterie Signal zum Avancieren.

Dann biſt du ſicher vor Franzoſen und Baſchkiren.

[156]
Zum Sturm, zum Sturm! Die Hörner ſchreien! Drauf!

Es ſprang mein Degen ziſchend aus dem Gatter.

Und rechts und links, wo nur ein Flintenlauf,

Ich riß ihn mit ins feindliche Geknatter.

Lerman, Lerman! Durch Blut, Gewehrgeſchnatter,

Durch Schutt und Qualm! Schon fliehn die Kugelſpritzen.

Der Wolf brach ein, und matter wird und matter

Der Widerſtand, wo ſeine Zähne blitzen.

Und Siegesband umflattert unſre Fahnenſpitzen.
[figure]
[[157]]

Appendix A Inhalt.


  • Seite
  • Der Gouverneur 1
  • An einen Freund 5
  • Sicilianen 6
  • Einer ſchönen Freundin in’s Stammbuch. — Schwalben-
    ſiciliane. — Im Bivouak. — „Die Anbetung der heiligen
    drei Könige.“ — Marſchall Niel. — Sphinx in Roſen. —
    Flüchtiger Gruß. I. Frühling. II. Herbſt. — Gnadenort. —
    Jagdſtück. — Meiner Mutter. — Little remembrance. —
    Reinigung. — Geſtorben. — Der alte General a. D. —
    An eine alte Excellenz.
  • Kleine Ballade 13
  • Tod in Aehren 14
  • In memoriam 15
  • Blümekens 15
  • Auf dem Hünengrabe 16
  • Goldammer 16
  • Das Haupt des heiligen Johannes in der Schüſſel 17
  • König Regnar Lodbrog 19
  • Die Kapelle zum finſtern Stern 22
  • König Abels Tod 24
  • Wer weiß wo 27
  • Inſchrift 28
  • Erinnerung 29
  • Auf dem Kirchhofe 31
  • Herzog Knut der Erlauchte 31
  • Die Schlacht bei Bornhöved 36
  • Heidebilder 39
  • Du haſt mich aber lange warten laſſen 41
  • Seite
  • Liebeslied 42
  • Glückes genug. — Ich liebe dich. — Dorfkirche im Sommer.
    — Tiefe Sehnſucht. — Vergänglichkeit.
  • Correſpondenz 46
  • Four in hand 46
  • Mit der Pinaſſe 47
  • Verbotene Liebe 48
  • Müde 48
  • Frühling 49
  • Zu ſpät 50
  • Hans der Schwärmer 51
  • Nach dem Ball 52
  • Die gelbe Blume Eiferſucht 53
  • Unheimlicher Teich 53
  • Die Nixe 55
  • Früh am Tage 62
  • Kurz ist der Frühling 63
  • Kalter Auguſttag 65
  • Ich habe dich ſo ſehr geliebet 66
  • Hochſommer im Walde 67
  • An der table d’hôte 68
  • Zerbrochener Keilerkopf 70
  • Kleine Geſchichte 72
  • Herbſt 75
  • Alt geworden 75
  • Auf eine Hand 76
  • Abſchied und Rückkehr 77
  • Waldſchnepfenjagd 78
  • Nachklänge 79
  • Verbannt 80
  • Abſeits 81
  • Unwetter 82
  • Siegesfeſt 83
  • In einer großen Stadt 83
  • Italieniſche Nacht 84
  • Seite
  • Erwartung 85
  • Papſt Clemens II.86
  • Und ich war fern 90
  • Der rote Mantel 91
  • Bruder Liederlich 93
  • Liebesnacht 95
  • Einer Toten 96
  • Surſum corda 97
  • Zwei Sterbende 99
  • Der Heidebrand 99
  • Vier Augen ſind im Wege 103
  • Hartwich Reventlow 107
  • Auf dem Deiche 109
  • Rondel 116
  • Verbannt 117
  • Ein Geheimnis 125
  • Trutz, blanke Hans 129
  • Una ex hisce morieris 132
  • Sicilianen 133
  • Mittſommer. — Im Marſchgarten. — Hinterm Deich.
  • Auf der Marſchinſel 135
  • Verloren 139
  • Adjutantenritte 143

Appendix B

Druck von Oskar Leiner in Leipzig.


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[][]

Appendix E

Druck von Oskar Leiner in Leipzig.


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Notes
*)
Meinstorf bei Plön in Holſtein.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Adjutantenritte und andere Gedichte. Adjutantenritte und andere Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn8s.0