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[[I]]
Briefe eines Verſtorbenen.

Dritter Theil.
[[II]][[III]]
Briefe
eines
Verſtorbenen.

Ein
fragmentariſches Tagebuch
aus
Deutſchland, Holland und England,
geſchrieben in den Jahren
1826, 1827 und 1828.

Dritter Theil.

Stuttgart,:
1831.
Hallberger'ſche, vormals Franckh'ſche Verlagshandlung.

[[IV]][[V]]

Vorwort des Herausgebers.


Schon ſeit mehreren Monaten hatte mich
mein Verleger um die Ueberſendung der zwei
letzt-erſten Theile der Briefe eines Verſtor-
benen gemahnt, und doch war es mir faſt
unmoͤglich, ſein Verlangen zu erfuͤllen, weil
mir in den verworrenen, oft auch nicht voll-
ſtaͤndigen Manuſcripten zu Vieles dunkel
oder ganz unverſtaͤndlich blieb.


In dieſer Noth verfolgte mich unablaͤſſig
der ſonderbare Gedanke: ob es nicht moͤg-
lich ſey, mit dem Verſtorbenen noch einmal
muͤndlich zu verkehren, und — ſo unver-
ſtaͤndig, ja wahnwitzig Manchem das vor-
kommen mag — dieſe Unterredung hat den-
noch wirklich ſtatt gefunden. Gegen Facta
gehalten, muͤſſen aber alle Theorien ver-
ſtummen.


[VI]

Wie ſich ſo Unerhoͤrtes jedoch hoͤchſt wun-
derbarerweiſe geſtaltet und zugetragen, werde
ich hier kuͤrzlich erzaͤhlen.


Die unerwartet guͤnſtige Beurtheilung,
welche vom Gipfel des Parnaſſes, wie be-
lebender Reſurrektionsthau, auf die Tod-
tenblaͤtter gefallen war, hatte meine Sehn-
ſucht nach dem Freunde, um ihm wo moͤg-
lich ſo erfreuliche Kunde mitzutheilen, noch
mehr als je geſteigert, und ich begann ei-
nes Abends ſchon, mich mit heidniſch cab-
baliſtiſchen Beſchwoͤrungen zu beſchaͤftigen,
als ein aͤrztlicher Freund mich noch zur
rechten Zeit unterrichtete, wie ich weit
chriſtlicher und ſchneller zum Zwecke kommen
koͤnne.


Der Leſer ahnet wohl ſchon, auf wel-
chen Weg er mich fuͤhrte. Ja, er ſandte
mir jenes außerordentliche Buch, jene
neueſte Offenbarung: die Seherin von
Prevorſt.


Man denke ſich, wie in ſo guͤnſtiger,
empfaͤnglicher Stimmung jedes letzte Vor-
urtheil des geſunden Menſchenverſtandes
ſchwinden, wie der uͤberirdiſche Funke ge-
waltſam zuͤnden, und gleich einem Blitze
mein Inneres erleuchten mußte! O ihr
[VII] edlen Wohlthaͤter der Menſchheit, rief ich,
eben ſo triumphirend als glaͤubig, aus,
Dank Euch, das Geiſterreich iſt von Neuem
erſchloſſen, und iſt auch die erſte Seherin
in ihrem Berufe geſtorben, warum ſollte
ihr nicht bald eine zweite folgen? was ein-
mal da war, kann auch wieder kommen,
ja truͤgt mich die ſuͤße Hoffnung nicht, ſo
iſt dieſe Zweite ſchon gefunden!


Dieſer Ausruf, geneigter Leſer, hatte
ſeinen guten Grund, denn ſchon ſeit ge-
raumer Zeit lebte in meiner Naͤhe ein
Maͤdchen, deren wunderbare Reizbarkeit
des Nervenſyſtems in der ganzen Gegend
faſt zum Sprichwort geworden war. Sie
hatte fruͤher als fromme Nonne im B …
Kloſter zu B … geſtanden, und dort ſelt-
ſame Fata erlebt, wo ſie, bei allen aͤcht
weiblichen Eigenſchaften, zugleich vielfache
Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft
maͤnnliche Entſchloſſenheit zu bekunden.
Man raunte ſich ſogar ins Ohr, daß ſie
im Verlauf gewiſſer Verfolgungen mehr
als einmal vergiftet worden; durch ſchleu-
nigen Gebrauch der Magenpumpe jedoch
immer gluͤcklich wieder hergeſtellt worden
ſeye. Wegen dieſer geheimnißvollen Avan-
tuͤren hatte man ihr den luͤguͤbren Namen
[VIII] des Nonnerich beigelegt, ihr eigentlicher
Name war aber Thereſel, und ihr Geburts-
ort Boͤhmen. Nach Aufhebung des Kloſters
zog ſie ſich zu einer muͤtterlichen Freundin
zuruͤck, und lebte jetzt, nach dem Hingange
dieſer, ſtill fuͤr ſich, nur den Myſterien ei-
nes gluͤhenden Pietismus, und den Werken
der ausgedehnteſten Menſchenliebe ruͤckſichts-
los hingegeben.


Dieſes hochbegabte Weſen hatte ſich ſo
oft im Zuſtande freiwilliger magnetiſcher
Exſtaſe befunden, daß durch eine, nach den
Regeln der Kunſt fortgeſetzte, wiſſenſchaft-
liche Manipulation, die hoͤchſten Reſultate
unfehlbar erwartet werden durften, und an
ihrer Einwilligung war, bei jener bekann-
ten Richtung ihres Naturells, kaum zu zwei-
feln.


Ich verlor alſo keinen Augenblick, und
ſchrieb ſogleich an meinen Freund, den Dok-
tor Ypſilon, einen ſehr gebildeten und ge-
muͤthlichen Mann, der auch, wo es Expe-
rimente betrifft, keiner unpaſſenden Gewiſ-
ſenhaftigkeit Raum giebt, und bat ihn drin-
gend um ſeine beſte Huͤlfe, das große Re-
ſultat hervorzubringen, welches ich beabſich-
tigte.


[IX]

Doktor Ypſilon war auch, wie ich er-
wartet, fuͤr mein Projekt ſofort Feuer und
Flamme. »Verlaſſen Sie ſich auf mich, er-
wiederte er, und ſollte ich ſelbſt daruͤber den
Kopf, und Thereſel das Leben verlieren,
ſo muß ſie doch bongré malgré den hoͤch-
ſten Grad des Hellſehens erreichen, und
hinter der großen Seherin in keiner ihrer
wunderbaren Fakultaͤten zuruͤckbleiben.


In der That ſegnete der Himmel unſern
guten Vorſatz auf das ſichtlichſte. Der Er-
folg uͤbertraf noch die kuͤhnſten Wuͤnſche,
denn ehe ſechs Wochen vergingen, ſah The-
reſel ſchon oben und unten, rechts und links,
geiſtig und koͤrperlich, durch ſich und Andere
hindurch, und Geiſter aller Taillen und Far-
ben gingen bei ihr aus und ein, wie in einer
Schenke. Man muß zwar geſtehen, es wa-
ren nicht immer die geiſtreichſten. Wir hat-
ten ſogar in dieſem Punkt Ungluͤck, aber ein
ſonderbares Vorurtheil dieſer Erde iſt es
auch, zu glauben: daß alle Geiſter Geiſt
haben muͤßten — gewiß eben ſo wenig, als
alle Menſchen menſchlich ſind. Gibt es doch
ſogar dumme Teufel, warum ſollte es
nicht auch dumme Geiſter geben!


Dem ſey nun wie ihm wolle, kurz, der
von mir ſo lang erſehnte Zeitpunkt war da,
[X] der Zweck aller Muͤhe erreicht, und bei der
erſten beſonders aufgeregten Stimmung der
Prophetin, legte ich ihr meinen Wunſch auf
den — Magen, das inbruͤnſtige Wollen
aller meiner verſchiedenen Seelen und Gei-
ſter: den verſtorbenen Buſenfreund noch ein-
mal zu ſehen.


Sie beſann ſich eine Weile, und ſagte
dann: Was verlangſt du Lieber! wiſſe, L....
kann nicht anders als zu Pferde erſcheinen.
»Comment,« rief ich erſtaunt, »à cheval wie
Napoléon.« Nicht anders, mein Freund, ſo
wollen es die unwandelbaren Geſetze des
Zwiſchenreichs, denn L...., erinnere Dich,
hatte unter vielen andern Fehlern auch den,
ein viel zu leidenſchaftlicher Reiter zu ſeyn,
und wie bei meiner Seelen-Freundin von
Prevorſt alte Ballvortaͤnzer auch jetzt noch
tanzend umherhuͤpfen muͤſſen, ſo darf auch
L.... bei mir nur reitend eingelaſſen wer-
den. Seine Erſcheinung wird fuͤrchterlich
ſeyn, ich ſage es Dir vorher, waffne Dich
mit Muth, doch Du haſt es gewollt, ich
rief ihn, und hoͤre … da koͤmmt er ſchon!
Obgleich bereits paſſabel an den Umgang
mit der andern Welt gewoͤhnt, durchrieſelte
doch ein kleiner Schauer mein Gebein, als
ich jetzt — Tap … Tap … Tap … vor der
[XI] Thuͤre erſchallen hoͤrte, und gleich dem Com-
thur in Don Juan eine daͤmmernde, furcht-
bare Geſtalt, mit dem Haupte ſchrecklich
nickend, langſam ins Zimmer ritt.


Es ſchien wirklich, als habe mein Freund,
zur Strafe fuͤr ſeine einſtige Eitelkeit: im-
mer die ſchoͤnſten Pferde haben zu wollen,
jetzt das magere Thier der Apokalypſe beſtei-
gen muͤſſen, ein fahles Ungeheuer, deſſen
Nuͤſtern ſtahlblaue Daͤmpfe von ſich ſtießen,
und deſſen Augen wie Feuerraͤder im Kopfe
rollten. Daß es uͤbrigens bei ſeinen ungeheu-
ren Dimenſionen, die gewiß dem trojani-
ſchen Pferde nichts nachgaben, dennoch in
unſrer kleinen Stube Platz fand, war ge-
wiß ein ſo offenbares Wunder, daß es auch
dem Unglaͤubigſten jeden Gedanken an moͤg-
liche Taͤuſchung der Sinne benehmen mußte.


O theurer Freund! rief ich zitternd, noch
ganz außer mir vor Schrecken und Freude,
biſt Du es wirklich? ja jetzt erkenne ich ſchon
wieder die alten lieben Zuͤge, und, bei al-
len Geiſtern des Zwiſchenreichs, wirklich beſ-
ſer conſervirt, als ich erwartete. Wieviel,
o Freund, habe ich mit Dir zu reden, wie-
viel zu melden, wieviel zu erfahren, doch
vor Allem hoͤre jetzt das: Was von Dir auf
Erden allein zuruͤckblieb — deine poſthuͤmen,
[XII] harmloſen Briefe — ſie haben mehr Gnade
daſelbſt gefunden, als Du je im Traume ge-
hofft, und duͤrfte ich mich etwas orientaliſch
ausdruͤcken, was beſſer zu deiner exotiſchen
Erſcheinung paßt, ſo wuͤrde ich ſagen: daß
aus dem unanſehnlichen Feuerſtein der edelſte
Stahl einen hellleuchtenden Rubin geſchla-
gen, daß die Sonne das Stuͤckchen Glas
durch ihre Strahlenkraft einen Augenblick zum
Brennſpiegel erhoben hat — mit einem Wort,
um plan zu ſprechen ....... hier ergriff
ich ein ſchon in der Taſche bereit gehaltenes
Papier, und las, wie auf der Tribuͤne der
franzoͤſiſchen Deputirtenkammer, den Reſt
meiner Rede, und die Nr. 59. der Jahr-
buͤcher fuͤr wiſſenſchaftliche Kritik, dem er-
ſtaunten Geiſte vor *).


Dieſer (ein ſanft aſchgrauer, alſo nach
den Regeln der Uniformirung des Zwiſchen-
reichs, ſchon beinahe halbſeliger) war bei
der erſten Nennung des ſalomoniſchen Na-
mens etwas erblaßt, dann ſchnell erroͤthet,
und hoͤrte hierauf, ohne ein Wort zu ſpre-
chen, dem Anſchein nach tief in ſich ver-
ſunken, andaͤchtig zu.


[XIII]

Als ich geendet, entſchwebte ſeinen Lip-
pen ein behaglicher Seufzer, und laͤchelnd
lispelte er (ganz wie im Leben): Auf Er-
den wollte mir das Gluͤck nie wohl, Heil
aber ſollte mir dennoch von daher, hier im
Zwiſchenreich widerfahren! Wandelte ich
noch irdiſch umher, mir wuͤrde ſeyn, wie
einem Tuͤrken, der, in der Menge verbor-
gen, ploͤtzlich einen Geſandten des Sultans
auf ſich zukommen ſieht, um ihn mit dem
Ehrenpelz zu bekleiden, und zum Paſcha
einiger Roßſchweife zu ernennen. Laͤchle
nicht uͤber die ſcheinbare Eitelkeit dieſes
Vergleichs, mein guter Herrmann; denn
es ſteht mir ja wohl an, ſtolz zu ſeyn auf
Jupiters Lob, und es iſt ſogar Pflicht,
meine eigne Beſcheidenheit hier gefangen zu
nehmen — denn waͤre es nicht anmaßend,
mich ſelbſt richtiger ſchaͤtzen zu wollen als Er?


Iſt es mir aber vergoͤnnt, nun auch
dem Gehoͤrten einige demuthsvolle Worte
zu entgegnen, ſo muß ich vor Allem mein
Staunen ausdruͤcken, wie der achtzigjaͤhrige
Greis ſo jugendlich friſch noch in jeden
muthwilligen Scherz des Weltkindes, in
jede Kinderfreude an der Natur ſo theil-
nehmend freundlich einzugehen vermag, und
wie hoch er dabei dennoch in ſeiner Dich-
[XIV] ter-Glorie oben uͤber uns ſchwebt, und
alle Zuſtaͤnde der Menſchen, wie Einer
der Herzen und Nieren pruͤft, erkennt und
ſchildert, ohne noͤthig zu haben, ſie ſelbſt
zu theilen, noch ſie aus eigner Erfahrung
ſich zu abſtrahiren. Nicht richtiger hat Rha-
damanth, als ich in der Unterwelt ankam,
mir im Herzen geleſen, und ſelbſt wenn
mit wohlwollender Feinheit der guͤtige Mei-
ſter andeutet, wie manche heterogene Auf-
ſaͤtze in jenem wunderlichen Buche wohl auch
von fremder Hand ſeyn koͤnnten, ſo hat er
auch darin im Weſentlichen Recht, denn zeigte
es ſich auch am Ende, daß Herausgeber und
Autor nur eine Perſon waͤren, und Ein und
Derſelbe das Ganze geſchrieben (was jedoch
nur myſtiſch moͤglich ſeyn koͤnnte, da ich
todt bin, und Du noch lebſt) ſo wiſſen wir
doch, daß es auch in demſelben Individuo
verſchiedene Naturen geben koͤnne, und daß,
wenn die Linke nicht wiſſen ſoll, was die
Rechte thut, auch manchmal die Linke thut,
wovon die Rechte nichts wiſſen will.


Du, mein treuer Herausgeber, gehſt
ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir
zum Verdienſt angerechnet, daß Du »offen
aber nicht aufrichtig
« bekannteſt, wie
gewiſſe beſondere Umſtaͤnde Dich noͤthigten,
[XV] das Ende zum Anfang zu machen, waͤh-
rend Du dadurch doch nur ein heilſames
clair obscur uͤber das Ganze breiten, und
ihm, wie der Richter ſagt, einen epiſchen
Anſtrich geben wollteſt. So erſcheinſt Du
denn, neben dem gluͤcklichen Autor, auch
als gewandter Editor, vor Reich und Zwi-
ſchenreich, uns Beiden aber wird ſchließ-
lich Abſolution ertheilt, wenn wir auch
wirklich gewagt haben ſollten, hie und da
Dichtung (beſcheidner, Fiktion) mit Wahr-
heit zu vermiſchen.


Der Verſtorbene (wie man ſieht, mit
ziemlicher Redſeligkeit begabt) machte Miene
noch laͤnger fortfahren zu wollen, als eine
droͤhnend ſchallende Glocke ertoͤnte, und ihm
ploͤtzliches Stillſchweigen auflegte. Es war,
wie wir bald merkten, ein warnendes Zei-
chen fuͤr ihn: ſein ſtuͤndliches Strafpenſum
abzureiten, welches dießmal in dreimal drei
Volten, in neun verſchiedenen Gangarten,
rund um die Stube beſtand. Es war ſchreck-
lich anzuſehen, wie der ungeheure, uns mehr
als ſpaniſch vorkommende Tritt des hoͤlli-
ſchen Gaules ihm faſt den Athem zu beneh-
men ſchien. Noch mehr ſchauderten wir aber,
als jetzt der, gleich einem Kometen in ellip-
tiſchen Bahnen kreiſende Schweif des Un-
[XVI] thiers, vor unſern Augen mehrere ſchoͤne
Porzellaͤntaſſen (alles aͤchte altſaͤchſiſche) von
einer Conſole herabkehrte, die in Scherben
auf dem Boden zertruͤmmerten, ohne dennoch
das mindeſte Klirren vernehmen zu laſſen —
denn die Prevorſt’ſchen Geiſter haben nicht
nur die Faͤhigkeit, immaterielle Klaͤnge her-
vorzubringen, die materiell gehoͤrt werden,
ſondern auch ſolche, die ihnen unangenehm
oder nicht anſtaͤndig ſcheinen, unhoͤrbar zu
machen, ein Vorrecht der Zwiſchenregionen,
welches verſchiedene Bequemlichkeiten darbie-
ten muß.


Als mein Freund endlich wieder ſtill hielt,
und ſich keuchend den Schweiß von der Stirne
trocknete, benutzte ich den guͤnſtigen Augen-
blick ſchnell, um von Neuem alſo zu ſpre-
chen: „Die guten Nachrichten, die ich Dir
zu bringen habe, ſind noch nicht zu Ende.
Vernimm, daß auch eine andere gewichtige
Stimme in Deutſchlands kritiſchen Gauen
zu Deinem Preiſe erſchallte, und den eige-
nen Glanz Dir als wohlthuende Folie un-
terlegte — und manche andere werthvolle
Namen ſind demſelben Beiſpiel gefolgt. Ein
Freimuͤthiger darunter, der Dich wahrlich
nicht uͤbel kennt, obgleich er Dich ſichtlich mit
einer andern Perſon verwechſelt, hat ſogar
[XVII] ausgemittelt, daß Du, bei aller Liberalitaͤt,
doch gerade noch genug Adelſtolz beſaͤßeſt
(geſtehe, verehrteſter Zwiſchengeiſt, er hat
nicht ganz Unrecht), und dabei uns zugleich
ſeine Theorie vom Adel mitgetheilt, naͤm-
lich daß dieſer ſeyn und nicht ſcheinen
ſolle. Viel verlangt in der That! denn,
waͤre nur geſagt, der Adel ſolle nicht blos
ſcheinen, ſondern auch ſeyn, ſo waͤre dieß
zwar immer noch, in Sandomir wenigſtens,
unmoͤglich, jedoch denkbar — aber ſeyn ohne
allen Schein, ſo zu ſagen, eine unſichtbare
Exiſtenz, ein Licht ohne Flamme — voilà
qui est difficile!
O Gott! da entfuhr mir
wieder eine franzoͤſiſche Floskel, die, wie ich
ſelbſt fuͤhle, zarten deutſchen Ohren doch ſo
empfindlich ſeyn muß! Pardon, es ſoll nicht
mehr geſchehen. *)


Noch ſchmeichelhafter iſt die, in ſeiner rei-
chen Bildergallerie ausgeſprochene Anerkennt-
niß jenes liebenswuͤrdigen deutſchen Humo-
Briefe eines Verſtorbenen III. *
[XVIII] riſten, der, wenn er dem Auge eine Thraͤne
entlockt, waͤhrend ſie herabfaͤllt, die Lippen
ſchon wieder zwingt, ſie mit Laͤcheln aufzu-
fangen.


Damit Dir aber nichts Wuͤnſchenswerthes
fehle, ward Dir auch von den Phariſaͤern
einiger obſcure Tadel. Ja eine arme Seele
iſt ſogar auferſtanden, um den Ver-
ſtorbenen hienieden mit einem ſchwuͤlſtigen
Miſchmaſch anzugreifen, der jedoch bei
Freund und Feind nichts als den lebhafte-
ſten Wunſch erregt hat, jene Verſchollene
moͤge doch lieber ruhig ſchlafen geblieben ſeyn,
ſtatt das Publikum von neuem gaͤhnen zu
machen. Noch mehr. Selbſt mit dem gro-
ßen Unbekannten brachte man Dich in einige
entfernte Beruͤhrung, indem Manche, die
uͤberhaupt heutzutage gar nicht mehr begrei-
fen koͤnnen, wie ein Miniſter wohl etwas
ohne ſeine Raͤthe, ein General ohne ſeinen
Generalſtab, ein Monarch ohne ſein Mini-
ſterium, allein hervorbringen koͤnne —
auch Dein Buͤchlein, gleich jenes Erhabnen
unſterblichen Romanen, einer ganzen Com-
pagnie groͤßerer und kleinerer Autoren bei-
derlei Geſchlechts zugeſchrieben, und ſich, hie
und da gereizt, (denn Wahrheit thut weh)
ſchmaͤhlig in Unſchuldige, oder gar in die
[XIX] bloße Luft verbiſſen. So haben ſich denn,
lieber Todter, auf die gluͤcklichſte Weiſe fuͤr
Dich, Licht und Schatten aus den verſchie-
denſten Regionen vereinigt, um ....


Mon cher, unterbrach mich hier There-
ſel, und ergriff verdrießlich meinen Arm, ver-
giß nicht que tous les genres sont bons
hors le genre ennuyeux,
der einzige Um-
ſtand, in welchem ich mit meiner Freundin
von Prevorſt nicht harmonire. Es iſt ge-
nug fuͤr dießmal; Ihr muͤßt uns jetzt Alle
verlaſſen, denn die Zeit naht heran, wo der
Geiſt vom Roſſe ſteigen wird, um die Nacht
bis zum Hahnenſchrei mit mir zuzubringen.
Ihr wißt, wie die unmittelbare Atmosphaͤre
der Erwaͤhlten ſeine Seligkeit um Jahrhun-
derte beſchleunigen kann, und es liegt mir
ob, dieß Werk chriſtlicher Liebe keinen Au-
genblick laͤnger zu verſchieben, ſo entſetzlich
ich auch dadurch geſchwaͤcht werde — aber
was iſt mein elender Koͤrper gegen eine ſo
hohe Beſtimmung, gegen eine ſo heilbrin-
gende Einwirkung auf das Geiſterreich!


Ehrfurchtsvoll traten wir Lebende zuruͤck.
Mein Freund laͤchelte, faſt ſo ſarkaſtiſch, als
ſey er noch ein ſchwarzer Geiſt, ſagte, indem
er ſeine Hand kuͤſſend mir zuwinkte: „A re-
voir mon ami“
und verſchwand, eben als
[XX] ich die Thuͤrklinke ergriff, hinter Thereſels
Bettvorhaͤngen. Sein Roß aber wirbelte,
als der angenehmſte Duft von Essence de
bouquet
im Kamine empor.


Auf die Straße gekommen, ſah ich, noch
in halber Betaͤubung, nach meiner Uhr, und
o horror! in der ganzen Stadt hatte es 5
Uhr geſchlagen, als ich in das Haus der Se-
herin eintrat, jetzt war es drei. Die Zeit
alſo war ſeitdem, man ſchaudert, ſtatt vor-
waͤrts — ruͤckwaͤrts gegangen! Brauche ich
noch zu ſagen, daß ich nach dieſer erſten en-
trevûe,
nicht nur meinen Freund oͤfters ſah,
und jede von ihm gewuͤnſchte Auskunft er-
hielt, ſondern daß ich auch uͤberhaupt an dem
Geiſterverkehr eben ſo viel Vergnuͤgen zu
finden anfing, als mein Gehuͤlfe, Doctor
Ypſilon? Tag fuͤr Tag mußte Freund und
Feind uns erſcheinen, fuͤr ein Billiges er-
loͤsten wir manchen armen Schlucker, der ſeit
Jahrhunderten als Geiſt herumlief, weil es ihm
an vier Groſchen fehlte, um eine gute That zu
thun, und wollte ich hier erzaͤhlen, welche Auf-
ſchluͤſſe uns da geworden, welche Raͤthſel uns
geloͤst, welche uͤberraſchende Aufklaͤrungen wir
uͤber die Geſchichte erhalten, was uns Moſes
und die Propheten, die eiſerne Maske, Seba-
ſtian von Portugal, der falſche Waldemar,
[XXI] Caglioſtro und der Graf von St. Germain ver-
traut — wir endeten kaum. Es iſt wahr,
Thereſel, die uns oft vergebens um Mitleid
anflehte, hielt es nicht aus. — Sie ruht nun
auf dem Kirchhof, wie ihre große Vorlaͤufe-
rin, und ſtarb — man muß es geſtehen —
einen elenden Tod. Aber wohl dem, der
fuͤr das allgemeine Beſte ſich opfert, oder
auch geopfert wird. Fuͤr die Ueberbleiben-
den iſt wenigſtens Beides Eins.


Doch auch wir brachten ein Opfer, und
bezahlten unſere Schuld. Denn da wir bei
jedem Experiment von Neuem in der Zeit
ruͤckwaͤrts ſchritten, ſo hatten wir am Ende
nicht blos, wie die Weltumſegler, einen gan-
zen Tag, ſondern wohl mehr als Jahre ver-
loren, ja oft wollte es uns duͤnken, es ſeyen
ſo viel Jahrhunderte. *)


[XXII]

Poſtſcriptum.


Ehe ich von dem geneigten Leſer ganz Ab-
ſchied nehme, muß ich denſelben noch demuͤ-
thigſt, im Namen meines Verlegers, um
Verzeihung bitten, einmal wegen der uner-
hoͤrten Menge Druckfehler, welche gleich Muͤ-
cken nach Sonnenuntergang, in den fruͤhe-
ren Theilen dieſes Werkes wimmeln, und
hoffentlich in den jetzt vorliegenden nicht wie-
der aufleben werden; zweitens wegen der
hoͤchſt ſeltſamen Kupfer, die ihnen (auch als
Specimina von Stein-Druckfehlern) bei-
gefuͤgt wurden. Man kennt jene hundert
Abbildungen, die in ganz unmerklichen Ab-
weichungen, ſo daß zwei Blaͤtter ſich immer
vollkommen zu gleichen ſcheinen, dennoch
gradatim den ungeheuren Sprung, von ei-
nem ausgeſpannten Froſch bis zum Apoll
von Belvedere zuruͤcklegen. Man kann wohl
kaum annehmen, daß die grotesken Fi-
guren im Buche des Verſtorbenen, in der
erwaͤhnten Gallerie weiter hinauf, als hoͤch-
ſtens am Ende des erſten Dutzends der Gra-
dation, einrangirt werden koͤnnten. Da
aber die Kunſt, beſonders fuͤr angenehme
Kleinigkeiten, jetzt auf allen Gaſſen ſich feil-
bietet, und daher Beſſeres nur gewollt zu
[XXIII] werden braucht, um es ſogleich zu finden,
ſo habe ich den Herrn F. G. Franckh im Ver-
dacht, irgend etwas Geheimes, vielleicht et-
was Myſtiſches, oder eine mordante Satyre
dabei in petto gehabt zu haben — vielleicht
gar einen gefaͤhrlichen Umtrieb! in dieſem
Falle aber waſche ich meine Haͤnde in Un-
ſchuld!


Von den zuerſt erwaͤhnten Druckfehlern
ſind ſchon die groͤbſten namhaft gemacht, lei-
der aber bei der erſten ſchnellen Durchſicht
kaum die Haͤlfte derſelben bemerkt worden.
Wir erwaͤhnen hier nur noch, als beſonders
ſinnentſtellend, daß unter einer Menge No-
ten des Verfaſſers: Anmerkung des
Herausgebers, ſteht, und zuweilen umge-
kehrt. Dieß koͤnnte den Unachtſamen faſt
glauben machen, Beide ſeyen nur eine Per-
ſon, wogegen ich jedoch auf’s Ernſtlichſte
proteſtiren muß, da ich keineswegs geſonnen
bin, mich ſo ſchnell zu den Verſtorbenen zu
zaͤhlen, und auch hoffe, daß, wenigſtens die
Pluralitaͤt der Leſer, mir noch das liebe
Leben, „die ſuͤße Gewohnheit des Daſeyns“
einige Zeit lang goͤnnen wird.


Die folgenden Briefe ſelbſt betreffend, will
ich endlich noch bemerken, daß, obgleich ſie
aus den Jahren 26, 27 und 28 ſind, und
[XXIV] daher veraltet duͤnken moͤchten, der geneigte
Leſer dennoch viel Anklaͤnge mit dem Neue-
ſten darin finden wird, und man auch Ruͤck-
ſicht darauf genommen hat, nur dasjenige
von aͤlteren Nachrichten beſtehen zu laſſen,
was noch jetzt eben ſo wahr als guͤltig bleibt,
hingegen Alles zu ſtreichen, was ſein In-
tereſſe fuͤr den Augenblick ſchon verlor.


S.... den 1. Maͤrz 1831.


[XXV]

Inhaltsverzeichniß
des
dritten Theils.


Erſter Brief.


Seite 1


Abſchied. Homoͤopathiſche Diſpoſition. Kunſt, bequem zu
zu reiſen. Jugenderinnerungen. Weimar. Der Hof. Der
Park. Anekdote. Beſuch bei Goͤthe. Ein Tag im Belve-
dere. Geſellſchaftliches.


Zweiter Brief.


Seite 23


Alte Freunde. Die Hochzeit. Durchfluͤge. Die Ufer der Ruhr.
Vaterlaͤndiſche Sandſtriche. Lieblicher Garten Hollands.
Exotiſches Gepraͤge der Umgebung. Cultur. Utrecht. Der
Dom zu Gouda. Schiefgebaute Haͤuſer. Phantaſtiſche
Windmuͤhlen. Rotterdam. Der hoͤfliche Banquier. Papp-
daͤcher. Die goldne Gondel. Der Aetna. Das reizende
Maͤdchen. L’adieu de Voltaire.


[XXVI]

Dritter Brief.


Seite 38


Die Ueberfahrt. Der Pflanzer. Die engliſche Douane. Die
verlorne Boͤrſe. Macadamſches Pflaſter. Verſchoͤnerungen
Londons. Geſchmackloſigkeiten. National taste. Der Re-
gentspark. Die Waterloo-Bruͤcke. Gaſthoͤfe in London.
Die Bazars. Spaziergaͤnge in den Straßen. Johannis-
berger Verdienſt. Chiswick. Sinkender Geſchmack in der
Gartenkunſt. Guͤnſtiges Clima. Die Menagerie. Leben
in der City. Das Univerſalgenie. Die Boͤrſe und Bank.
Der Goldkeller. Gerichtshof des Lord-Maire. Garroways
Kaffeehaus. Das Trauerholz. Rothſchild. Nero. Der
geſattelte Elephant im dritten Stock. Altwuͤrtembergiſche
Diplomatie. Geſchichte des jungen Montague. Theater im
Strand. Der kuͤnſtliche Menſch. Zuviel fuͤr’s Geld.
Hamptoncourt. Gefaͤhrliche Raͤucherung.


Vierter Brief.


Seite 70


Das Muſeum. Seine Waͤchter. Seltſamer Miſchmaſch. Reiſe
nach Newmarket. Leben daſelbſt. Die Wettrennen. Der
betting post. Beſuch auf dem Lande. Hieſige Gaſtfreiheit.
Der Dandy. Englaͤnder auf dem Continent. National-
Sitten. Treibhaͤuſer. Audleypark. Suffolk’s Schloß.
Der Vogelgarten. Verkauf der Grundſtuͤcke in England.


Fuͤnfter Brief.


Seite 107


Rath an Reiſende. Etwas uͤber Clubbs. Tugend und Regen-
ſchirme. Kartencabinets. Engliſcher Wein. Sitzkunſt der
[XXVII] Englaͤnder. Bequeme Gebraͤuche. Verhaltungsregeln.
Behandlung der dienenden Klaſſen. Die Vornehmen.
Spieleinrichtung. Mißbraͤuche. Fromme Wuͤnſche fuͤr
Deutſchland. Briefliches. Der Schauſpieler Liſton. Ma-
dame Veſtris und ihr ſchoͤnes Bein. Der zu Haus Ge-
leuchtete. Mangér et digérer. Sentimentale Ergießung.
Unbequeme Zeitungen. Drurylane. Braham der ewige
Jude. Miß Paton. Poͤbelhaftigkeit im Theater. Hetaͤ-
ren und Hierodulen daſelbſt. Ihre Gemeinheit und Origi-
nalitaͤt.


Sechster Brief.


Seite 136


Drehorgeln. Punch. Eingefallene Haͤuſer. Der Koͤnig im
Parlament. Contraſte. Die Oper. Figaro ohne Saͤnger.
Engliſche Melodieen. Charles Kemble. Toilette des alten
Zieten. Ein diplomatiſches Bonmot. Praktiſche Philoſo-
phie. Falſtaff, wie er iſt und ſeyn ſoll. Ueber den Koͤnig
im Hamlet. Der geiſtreiche Kuͤnſtler aus Newfoundland.
Kleine Cirkel in der großen Welt. Wie der Tag hier hin-
geht. Spracherlernung. Der Verfaſſer des Anaſtaſius.
Seine antiken Meubles. Oberon. Der Felſenchor. Die
Vorſtellung beim Koͤnig. Fernere Begebenheiten beim
Lever. Diné bei Hrn. R .... Aechte Froͤmmigkeit.
Seine vornehmen Freunde. Die Staatskutſche des Koͤnigs
der Birmanen. Matthews at home.


Siebenter Brief.


Seite 184


Der Auktionator. Die Napoleoniſten. Franzoͤſiſches Theater.
Ein Rout. Lady Charlotte B. Sie iſt eine Brownianerin.
Politik und Converſation. Die engliſche Nebel-Sonne.
[XXVIII] Die eingepoͤckelte Hand und der Leichnam am Fenſter.
Moderne Johanniterritter. Kleine Parkſchau. Die Sen-
ſenkette. Engliſche Liberalitaͤt. Richmond. Adelphi. Ein
vortrefflicher Trunkenbold. Gruͤbeleien. Das Diorama.


Achter Brief.


Seite 204


Berufsreiſe. Gothiſche und italieniſche Villa. Die Priory.
Cashburypark. Geſchmackvolle Pracht. Zeichnungen von
Denon. Blumengaͤrten. Ashridge. Modern-Gothiſches.
Woburnabbey.


Neunter Brief.


Seite 223


Warwick Caſtle. Feudalgroͤße. The Baronial hall. Ge-
maͤlde. Der Badeort Leamington. Guy’s Cliff. Seine
Hoͤhle. Gavestons Denkmal. Beauchamps und Leiceſters
Grab. Die Ruinen von Kenilworth. Eliſabeths Soͤller.
Vergangenheit. Birmingham. Fabrik des Hrn. Thomaſ-
ſon. Aſtonhall. Cromwell. Cheſter. Das Stadtgefaͤng-
niß. Spitzbubenfėte.


[XXIX]

Zehnter Brief.


Seite 256


Der Park von Hawkestone. Ungewoͤhnlich ſchoͤne Natur. Die
Kupferfelſen. Die rothe Burg und die Neuſeelaͤnder-Huͤtte.
Noch mehr Fabriken. Gefahrvolle Arbeiten. Shakespea-
res Geburtsſtube. Sein Grab. Verſchiedene Parks. Ju-
dith von Cigoli. Blenheim. Vandalismus. Bilder. Ox-
ford. Sein gothiſches Anſehn. Die Souveraine als Dok-
toren und Bluͤcher als Apotheker. Das Muſeum. Tre-
descant und ſein Vogel Dodo. Der blaue Miſtkaͤfer als
Edelmann. Eliſabeths Reitkamaſchen und die Haarlocken
ihrer Liebhaber. Die Bibliothek. Manuſcripte. Stove.
Ueberladung. Ludewig des Achtzehnten Linden. Vergit-
terte Koſtbarkeiten. Dekoration zum Don Juan. Sha-
kespeares Bild. Ninon de l’Enclos. Das zerſtoͤrte Bul-
ſtrade. Weihnachtspantomime. Bunte Feuersbrunſt.


Eilfter Brief.


Seite 311


Vorzuͤge der Franzoſen. Avantuͤre bei’m Herzog von York.
Engliſche Trauer. Tagebuchsexcerpte. Ein Cosmorama
mit Kuͤchenfeuer. Des Stiefelwichsfabrikanten sporting
match.
Beſuch auf dem Lande. Leben daſelbſt. Gemaͤlde.
Die ſchoͤnſte Frau. Der Park.


Zwoͤlfter Brief.


Seite 347


Brighton. Sonnenuntergang. Orientaliſche Baͤder. Ueber
Gourmands und Helden. Spazierritt am Meer. Almacks
[XXX] Ball. Die Gouverneurin von Mauritius. Der romanti-
ſche Schotte. Predigt und Prieſter. Die Windmuͤhle. Ge-
ſellſchaft beim Grafen F.... Die Bruͤder in den High-
lands und die blutige Hand. Privatbaͤlle. Der Garten-
Odyſſeus. Unſchuldige Politik.


Dreizehnter Brief.


Seite 379


Bettlerberedſamkeit. Theekeſſelpantomime und Jongleurs.
Traumgedanken. Der Fancyball. Miß F.... Geſellſchaft-
liches. Ballfreuden. Wolkenbilder. Der franzoͤſiſche Arzt.
Liebhabe-Conzerts. Die Schwarzen. Chineſiſche Fuͤße.
Oper, und Parkſtunde.


Vierzehnter Brief.


Seite 399


Techniſches der hieſigen Geſellſchaft. Bonne chère. Captain
Parry und ſein Schiff. Die Meß der Horſeguards. Spiel.
Weibliches Mittelalter. Monkeys und Ponys. Der große
Zahnarzt. Lady Stanhope in Syrien. Adam lebt noch.
Tippo Saybs Shawl. Eine Venus Titians. Realitaͤt
und Kunſt. Flug nach der Heimath. Diné des Lord-
Mayor. Meer, Feuer, Leben. Das hohe Kuͤnſtlerpaar.
Lord H.. s und des Banquier .... Haͤuſer. Difficultaͤt
der Englaͤnder. Der perſiſche Chargé d’affaire. Hoͤflich-
keit der engliſchen Prinzen. Ein Spazierritt.


[]

Dieſe Note ſollte in den Briefen eines Verſtorbe-
nen eingeſchaltet werden, vom Verfaſſer iſt aber keine
Pagina angegeben. Der geneigte Leſer wolle ſie da-
her pag. 88 — 89, wohin ſie zu gehören ſcheint,
einſchalten.


*) Es moͤchte zweckmaͤßig ſeyn, hier zu bemerken, daß, ſeit-
dem Obiges geſchrieben wurde, die Natur der hoͤhern eng-
liſchen Geſellſchaft weſentlich modificirt worden iſt. Des
jetzigen Koͤnigs edle und praktiſche Geſinnung und die ein-
fach liebenswuͤrdige und vortreffliche Koͤnigin haben den
Narrenſcepter der Mode jener Zeit gebrochen, und man
faͤngt an, einen wuͤrdigern Maßſtab fuͤr Verdienſt und Gra-
zie anzulegen, als man bisher gewohnt war; die Coriphaͤen
der Vergangenheit aber muͤſſen ſich dieſen fuͤgen, oder ſich
ſonſten nur mit der eigenen Bewunderung begnuͤgen, und
ſtatt Ausſchließliche (Exclusives) Ausgeſchloſſene werden.

[][[1]]

Erſter Brief.



Meine theure Freundin!

Deine Liebe bei unſerm Abſchied in B … hat mir
ſo wohl und weh gethan, daß ich mich noch nicht da-
von erholen kann. Immer ſteht Deine kummervolle
Geſtalt vor mir, ich leſe noch den tiefen Schmerz in
Deinen Blicken und Thränen, und mein eigenes
Herz ſagt mir nur zu ſehr, was Du dabei empfun-
den haben mußt. Gott gebe uns bald ein ſo freudi-
ges Wiederſehen, als der Abſchied traurig war!


Ich kann vor der Hand nichts ſagen, als Dir in’s
Gedachtniß rufen, was ich ſo oft wiederholte, daß
ich ohne Dich, meine Freundin, mit mir in dieſer
Welt zu wiſſen, keine ihrer Freuden mehr ungetrübt
genießen könnte, daß Du alſo, wenn Du mich liebſt,
vor Allem über Deine Geſundheit wachen, Dich
durch Geſchäfte, ſo viel Du kannſt, zerſtreuen, und
auch die ärztlichen Anordnungen nicht verabſäumen
ſollſt.


Briefe eines Verſtorbenen III. 1
[2]

Als mich auf dem Wege die Schwermuth, welche
allen Gegenſtänden einen ſo trüben Anſtrich gibt,
ganz überwältigen wollte, ſuchte ich eine Art Hülfe
bei Deiner Sévigné, deren Verhältniß mit ihrer Toch-
ter in der That viel Aehnliches mit dem unſrigen hat,
mit der Ausnahme jedoch: „que j’ai plus de votre sang“
als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber
gleichſt der liebenswürdigen Sévigné, wie dem Portrait
einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche ſie vor Dir hat,
gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du haſt an-
dere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und
abgeſchloſſener als klaſſiſch erſcheint, wird bei Dir —
reicher und ſich in das Unendliche verſenkend — ro-
mantiſch. Ich ſchlug das Buch au hazard auf. Ar-
tig genug war es, daß ich gerade auf dieſe Stelle
traf:
„N’aimons jamais ou n’aimons guėres
„Il est dangéreux d’aimer tant!

worauf ſie gefühlvoll hinzuſetzt:
„Pour moi j’aime encore mieux le mal que le remėde,
„et je trouve plus doux d’avoir de la peine à quitter
„les gens que j’ȧime, que de les aimer médiocrement.“


Ein wahrer Troſt iſt es mir ſchon jetzt, Dir ein
Paar Zeilen geſchrieben zu haben. Seit ich mich wie-
der mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder
näher zu ſeyn.


Reiſeabentheuer kann ich Dir noch nicht mittheilen,
ich war ſo ſehr mit meinen innern Empfindungen
beſchäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich
gekommen bin.


[3]

Dresden erſchien mir weniger freundlich als ge-
wöhnlich, und ich dankte Gott, als ich mich im Gaſt-
hof auf meiner Stube wieder häuslich eingerichtet
fand.


Der Sturm, der mir den ganzen Tag gerade in’s
Geſicht blies, hat mich übrigens ſehr erhitzt und fa-
tiguirt, und da ich ohnedem, wie Du weißt, nicht
ganz wohl bin, ſo bedarf ich der Ruhe.


Der Himmel gebe auch Dir in N. eine ſanfte Nacht,
und einen lieben Traum von Deinem Freunde!



Vous avez sans doute cuit toutes sortes de bouil-
lons amêrs, ainsi que moi.
Indeſſen bin ich heite-
rer und wohler aufgeſtanden, als geſtern, und gleich
zur Aufräumung meiner Sachen, wie zu allen den
kleinen Geſchäften geſchritten, welche die Vorbereitung
für eine weite Reiſe nöthig machen. Am Abend
fühlte ich mich wieder recht angegriffen, und da ich
einen Rückfall meines nerveuſen, hypochondriſchen
Uebelbefindens befürchtete, was Du meine Maladie
imaginaire
taufſt, ſo ließ ich den Hofrath W....
kommen, den Lieblingsarzt der hier durchreiſenden
Fremden, weil er, ſeine Geſchicklichkeit abgerechnet,
ein amüſanter und luſtiger Geſellſchafter iſt. Du
kennſt meine Art, Aerzte zu gebrauchen. Niemand
kann mehr homöopathiſcher Natur ſeyn — denn in
der Regel kurirt mich ſchon das bloße Geſpräch mit
1*
[4] ihnen über meine Uebel und ihre Heilmittel zur Hälfte,
und nehme ich dann ja noch etwas von dem Ver-
ſchriebenen, ſo geſchieht es gewiß nur in Tauſend-
theilchen. Dieß bewährte ſich auch heute, und nach
einigen Stunden, die W.... an meinem Bette zu-
brachte, und mit mancher pikanten Anekdote würzte,
ſoupirte ich mit beſſerem Appetit, und ſchlief leidlich
bis zum hohen Morgen. Als ich meine Augen auf-
ſchlug, fielen ſie auf ein Briefchen von Dir, das der
ehrliche B.... mir auf die Decke gelegt hatte, wohl
wiſſend, daß ich den Tag nicht freudiger beginnen
könnte. In der That, nach dem Vergnügen von Dir
zu hören, habe ich nur noch eins — Dir zu ſchrei-
ben. — Fahre nur fort, ſo ganz zwanglos Deinen
Gefühlen Worte zu geben, und ſchone auch die mei-
nigen nicht. Ich weiß es ja wohl, daß Deine Briefe
noch lange einer ernſten, trüben Landſchaft gleichen
müſſen! Ich werde beruhigt ſeyn, wenn ich nur manch-
mal ein liebliches Sonnenlicht ſeine Strahlen hinein-
werfen ſehe.



In einem recht ſchönen Zimmer mit wohlgebohn-
tem Parket, eleganten Meubeln und ſeidenen Vor-
hängen, alles noch in der erſten fraicheur, deckt man
ſo eben den Tiſch für mein Diné, während ich die
Zeit benütze, Dir ein Paar Worte zu ſchreiben.


Ich verließ heute früh um 10 Uhr Dresden in
[5] ziemlich guter Stimmung, das heißt, bunte Phanta-
ſiebilder für die Zukunft ausmalend, nur die Sehn-
ſucht nach Dir, gute Julie, und die daraus folgende
Vergleichung meines faden und freudeloſen Allein-
ſeyns gegen die herrliche Luſt, mit Dir in glücklicheren
Verhältniſſen dieſe Reiſe machen zu können, griffen
mir oft peinlich an’s Herz.


Vom Wege hierher iſt nicht viel zu ſagen, er iſt
nicht romantiſch, ſelbſt nicht die, mehr Sand als Grün
zur Schau tragenden, Weinberge bis Meißen. Doch
erregt die zu offene, aber durch Fruchtbarkeit und
Friſche anſprechende Gegend zuweilen angenehme Ein-
drücke, unter andern bei Oſchatz, wo der ſchön be-
buſchte Culmberg, wie ein jugendlich gelocktes Haupt
in das Land hineinſchaut. Die Chauſſee iſt gut, und
es ſcheint, daß auch in Sachſen das Poſtweſen ſich
verbeſſert, ſeitdem in Preußen der vortreffliche Nag-
ler eine neue Poſt-Aera geſchaffen hat. Nichts iſt
mir dabei beluſtigender als B.... ’s friſcher Eifer,
der ſelbſt die Gutwilligſten unter den Phlegmatiſchen
raſtlos antreibt, und ſich gegen ſie benimmt, als
habe er bereits mit mir die ganze Welt durchreist,
und es, wie ſich von ſelbſt verſteht, überall beſſer
gefunden, als im Vaterlande.


Bei dem gereizten Zuſtande meiner Geſundheit iſt
der bequeme engliſche Wagen eine wahre Wohlthat.
Ich thue mir überhaupt etwas darauf zu Gute, das
Reiſen in gewiſſer Hinſicht beſſer als Andere zu ver-
ſtehen, nämlich die größte Bequemlichkeit, wozu auch
das Mitnehmen der möglichſten Menge von Sachen
[6] gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken)
mit dem geringſten Embarras und Zeitverluſt zu ver-
binden zu wiſſen. Dieſe Aufgabe habe ich beſonders
dießmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden ein-
packte, glaubte man ein Waarenlager in meinen
Stuben zu ſehen. Jetzt iſt Alles in den vielfachen
Behältniſſen des Wagens verſchwunden, ohne dieſem
dennoch ein ſchweres überladenes Anſehen zu geben,
das unſre Poſtillone ſo leicht erſchreckt, und den Gaſt-
wirthen einen auf der großen Tour Begriffenen an-
zeigt. Jede Sache iſt bei der Hand, und dennoch
wohl geſondert, ſo daß, im Nachtquartier angekom-
men, in wenigen Minuten das „häusliche Verhält-
niß“ in dem fremden Orte ſchon wieder hergeſtellt iſt.
Unterwegs aber geben mir die hellen Kryſtallfenſter
vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock
verbaut, eben ſo freie Ausſicht als eine offene Kale-
ſche, und laſſen mich zugleich Herr der Temperatur,
die ich wünſche. Die Leute auf ihrem, hinter dem
Wagen befindlichen hohen Sitze, überſehen von dort
alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere
neugierige Blicke werfen, noch eine Converſation da-
ſelbſt überhören zu können, wenn ja, im Lande der
Brobdignacs oder Lilliputs angelangt, einmal Staats-
geheimniſſe darin verhandelt werden ſollten. — Ich
könnte ein Collegium über dieſes Kapitel leſen, das
dem Reiſenden gar nicht unwichtig iſt, bin aber hier
nur deshalb ſo weitläufig geworden, um Dir ein
vollſtändiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt
durchziehend, Dir denken ſollſt, und das nomadiſche
[7] Wohnhaus, mit dem die wechſelnden Poſtgäule mich
täglich weiter Deinem Geſichtskreiſe entrücken.


Der Wirth im Hôtel de Saxe, gewiß einem der
beſten Gaſthöfe in Deutſchland, iſt ein alter Bekann-
ter von mir, der, als ich in Leipzig ſtudierte, ſich
ſogar manches Recht auf meine Dankbarkeit erwarb.
Viele fröhliche, zuweilen ausgelaſſene Mahle wurden
damals in ſeinem Hauſe gehalten, und ich lud ihn
daher ein, auch heute mein einſameres zu thei-
len, um mir von der Vergangenheit und dem wilden
Jünglingsleben wieder etwas vorzuerzählen. Die
jetzigen Zeiten ſind leider überall ernſter gewor-
den, ſonſt ward das Vergnügen faſt zum Geſchäft
erhoben, man dachte und ſtudierte nur darauf, und
den ſtets Tanzluſtigen war gar leicht aufgeſpielt —
heut zu Tage findet man das Vergnügen nur
noch im Geſchäft, und großer Reizmittel bedarf es,
um außerdem froh zu werden, wenn es überhaupt
noch erlangt wird.



Ich will Dich mit keiner einzigen Tirade über die
Schlachtfelder von Leipzig und Lützen, noch einer Be-
ſchreibung des chetiven Monumentes Guſtav Adolphs,
noch der magern Schönheiten der Umgegend von
Schulpforte ermüden. In Weißenfels, wo ich ein
Buch zu kaufen wünſchte, war ich verwundert, zu hö-
[8] ren, daß in des großen Müllners Wohnort kein Buch-
händler zu finden ſey. Wahrſcheinlich haben ſie ge-
fürchtet, daß er ihnen dort aus erſter Hand einen
Prozeß an den Hals hängen würde.


Die Fluren von Jena und Auerſtädt betrat ich mit
eben den Gefühlen, die zwiſchen den Jahren 1806
und 1812 ein Franzoſe der großen Armee gehabt ha-
ben mag, wenn er über Roßbachs Felder ſchritt, denn
der letzte Sieg bleibt (wie das letzte Lachen) immer
der beſte — und als nach ſo vielen Schlachterinne-
rungen mich der Muſenſitz, das freundliche Weimar,
in ſeinen Schoos aufnahm, ſegnete ich den edlen Für-
ſten, der hier ein Monument des Friedens aufge-
richtet, und einen Leuchtthurm im Gebiete der Lite-
ratur aufbauen half, der ſo lange in vielfarbigem
Feuer Deutſchland vorgeflammt hat.


Am nächſten Tage ſtellte ich mich dieſem meinem
alten Chef, und den ſämmtlichen hohen Herrſchaften
vor, die ich wenig verändert, den Hof aber durch
zwei liebenswürdige Prinzeſſinnen vermehrt fand, die,
wären ſie auch im geringſten Privatſtande geboren,
durch äußern Reiz und treffliche Erziehung ausge-
zeichnet erſcheinen müßten. Man iſt übrigens hier
noch von einer, anderwärts ganz aus der Mode ge-
kommenen, Artigkeit gegen Fremde. Kaum war ich
gemeldet, als ſchon ein Hoflakai bei mir erſchien, um
ſich nebſt einer Hofequipage für die Zeit meines Hier-
ſeyns zu meiner Verfügung zu ſtellen, und mich zu-
gleich ein für allemal zur Mittagstafel einzuladen.


Der Großherzog hatte am Morgen die Güte, mir
[9] ſeine Privatbibliothek zu zeigen, die elegant arrangirt,
und beſonders reich an prächtigen engliſchen Kupfer-
werken iſt. Er lachte herzlich, als ich ihm erzählte,
kürzlich in einem Pariſer Blatte geleſen zu haben,
daß auf ſeinen Befehl Schiller ausgegraben worden
ſey, um ſein Skelet in des Großherzogs Bibliothek
in natura aufzuſtellen. Die Wahrheit iſt, daß blos
ſeine Büſte mit denen Anderer die Säle ziert, ſein
Schädel aber dennoch, wenn ich recht hörte, im Po-
ſtamente derſelben verwahrt wird, allerdings eine et-
was ſonderbare Ehrenbezeigung.


Den Park ſah ich mit erneutem Vergnügen wieder.
Die Gegend iſt zwar nicht eben reich an pittoresker
Schönheit, aber die Anlagen ſind ſo verſtändig er-
dacht, die einzelnen Partien ſo ſinnig und ſchön aus-
geführt, daß ſie ein Gefühl der Befriedigung
zurücklaſſen, welches ähnliche Beſtrebungen, auch bei
günſtigerer Natur, ſelten in dem Grade hervorbrin-
gen. Als neuen Zuſatz fand ich in einem weiten Run-
dell, in deſſen Mittelpunkt ein herrlicher alter Baum
ſteht, einen kleinen botaniſchen Garten angelegt, wo
man, nach dem Linnéiſchen Syſtem geordnet, einzelne
Exemplare aller im Freien aushaltenden Bäume,
Sträucher und Pflanzen antrifft, die der hieſige Park
und Garten enthält. Es kann keinen freundlichern
Ort zum lebendigen Studium der Botanik geben, als
den Sitz unter dieſem alten Baume, der wie ein ehr-
würdiger Stammvater auf die ihn umgebende Ju-
gend von allen Formen, Blättern, Blüthen und Far-
ben herabſchaut. Im Verlauf meiner Excurſion be-
[10] ſah ich auch noch ein Muſtervorwerk des Großherzogs,
wo coloſſales Schweizervieh wenig Milch gibt — denn
dieſe Verpflanzungen des Fremden taugen gewöhnlich
nicht viel; ferner die anmuthige Faſanerie, die reich
an Gold- und Silberſaſanen und weißen Rehen iſt.
Einen ſeltſamen Anblick gewährte der große Truten-
baum, auf welchen 70 bis 80 dieſer ſchwerfälligen
Vögel vom Faſanenjäger gewöhnt ſind, gemeinſchaft-
lich hinaufzuklettern, wo dann die alte Linde, über
und über mit ſolchen Früchten behangen, ein wun-
derbar exotiſches Anſehen gewinnt.


Da man ſehr zeitig bei Hofe ſpeiſt, hatte ich kaum
Zeit mich en costume zu werfen, und fand, etwas
ſpät kommend, ſchon eine große Geſellſchaft verſam-
melt, unter der ich mehrere Engländer bemerkte, die
jetzt ſehr vernünftigerweiſe hier deutſch ſtudiren,
ſtatt früher mit vieler Mühe den Dresdner ungra-
zieuſen Dialekt zu erlernen, und äußerſt gaſtfrei auf-
genommen werden. Die Unterhaltung bei Tafel wurde
bald ſehr animirt. Du kennſt die Jovialität des
Großherzogs, der hierin ganz ſeinem Freunde, dem
unvergeßlichen Könige von Bayern, gleicht. Man
rekapitulirte mehrere ſcherzhafte Geſchichten aus der
Zeit, wo ich noch ſein Adjudant zu ſeyn die Ehre
hatte, und nachher mußte ich mein großes cheval de
bataille
reiten — die Luſtballon-Fahrt. Intereſſanter
waren Herzog Bernhards Erzählungen von ſeiner
Reiſe in Nord- und Süd-Amerika, die wir, wie ich
höre, bald mit Anmerkungen von Göthe ver-
ſehen, gedruckt leſen werden. Dieſer Prinz, den
[11] die Geburt hoch geſtellt hat, ſteht als Menſch noch
höher, und Niemand konnte, namentlich den freien
Amerikanern, eine vortheilhaftere Idee von einem
deutſchen Fürſten geben, als gerade er, der freie
Würde im Benehmen mit ächter Liberalität der Ge-
ſinnung, und anſpruchloſer Liebenswürdigkeit des
Umgangs verbindet.


Abends war große Aſſemblée, eine Art Vereinigung,
die ihrer Natur nach nicht zu den genußreichſten
gehört. Jede Annehmlichkeit aber kehrte für mich
zurück, als ich beim Spiel der Frau Großherzogin
gegenüber meinen Platz eingenommen hatte. Wer
hat nicht von dieſer edlen und vortrefflichen deutſchen
Frau gehört, die ſelbſt Napoleon mit ihrer ſtillen
Klarheit zu imponiren wußte, und von Jedem ge-
liebt wird, der ihres milden und liebreichen Umgangs
ſich erfreuen darf. Wir ſaßen zwar, wie geſagt, am
Spieltiſch, gaben aber wenig auf die Whiſt-Regeln
Achtung, und heitere Unterhaltung nahm den größ-
ten Theil der Zeit hinweg.


An einem Hofe wie der hieſige, den ſo viele Fremde
beſuchen, kann es nicht daran fehlen, daß oft ſelt-
ſame Originale ſich einfinden, die, auch den am we-
nigſten zum Mediſiren Geneigten, Stoff zu pikanten
Anekdoten liefern müſſen. Einige ganz luſtige wurden
mir nach beendigtem Spiele, als ich mich wieder
unter die Geſellſchaft gemiſcht, erzählt, unter andern
auch eine merkwürdige, Viſiten-Karte in natura
gezeigt, die einer bekannten, von einem Engländer
curſirenden Anekdote wahrſcheinlich ihr Daſeyn ver-
[12] dankte. Dies Vorbild brachte nämlich den, wegen
ſeiner luſtigen Laune faſt berüchtigten, Baron J …
auf den Gedanken, die Sache mit einem ſeiner Tiſch-
Freunde, einen ehemaligen Hauptmann, dem die Welt
und ihre Sitten ziemlich fremd geblieben waren, von
neuem ins Leben zu rufen. Er inſinuirte zu dieſem
Endzweck dem bisher ganz einſam in D … Lebenden,
daß es die Höflichkeit von ihm jetzt durchaus erfor-
dere, eine Viſiten-Runde in der Stadt zu machen,
worauf der harmloſe Capitain geduldig erwiederte,
er wiſſe zwar damit keinen Beſcheid, wolle ſich aber
gern der Leitung J .....’s überlaſſen. Wohlan, ſagt
dieſer, ich werde die Viſiten-Karten, die franzöſiſch
ſeyn müſſen, und alles übrige ſelbſt beſorgen, und
Dich in drei Tagen in meinem Wagen abholen. Du
wirſt Uniform anziehen, und auf den Karten muß
bemerkt werden, in weſſen Dienſten Du früher ge-
ſtanden. Alles geſchah, wie verabredet, man kann
ſich aber denken, welchen lachenden Geſichtern die
Beſuchenden begegneten, da ihnen überall Viſiten-
Karten folgenden Inhalts vorangeſchickt worden
waren:


Le Baron de J … pour présenter feu Monsieur
le Capitaine de M … jadis au service de plusieurs
membres de la confédération du Rhin.


[13]

Dieſen Abend ſtattete ich Göthe meinen Beſuch ab.
Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stu-
be, deren clair obscur nicht ohne einige künſtleriſche
Coquetterie arrangirt war. Auch nahm ſich der ſchöne
Greis mit ſeinem Jupiters-Antlitz gar ſtattlich darin
aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum ge-
ſchwächt, er iſt vielleicht weniger lebhaft als ſonſt,
aber deſto gleicher und milder, und ſeine Unterhal-
tung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden
Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller
Grandezza, wohl zuweilen überraſchte. Ich freute
mich herzlich über ſeine gute Geſundheit, und äußerte
ſcherzend, wie froh es mich mache, unſern Geiſter-
König immer gleich majeſtätiſch und wohlauf zu fin-
den. „O, Sie ſind zu gnädig,“ ſagte er mit ſeiner
immer noch nicht verwiſchten ſüddeutſchen Weiſe, und
lächelte norddeutſch, ſatyriſch dazu, „mir einen ſolchen
Namen zu geben.“ „Nein,“ erwiederte ich, „wahrlich
aus vollem Herzen, „nicht nur König, ſondern ſogar
Deſpot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltſam
mit ſich fort. Er verbeugte ſich höflich, und befrug
mich nun über einige Dinge, die meinen früheren
Aufenthalt in Weimar betrafen, ſagte mir dann auch
viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben,
mild außernd, wie verdienſtlich er es überall finde,
den Schönheitsſinn zu erwecken, es ſey auf welche
Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer
auch das Gute und alles Edle ſich mannichfach von
[14] ſelbſt entwickele, und gab mir zuletzt ſogar, auf
meine Bitte, uns dort einmal zu beſuchen, einige auf-
munternde Hoffnung. Du kannſt Dir vorſtellen,
Liebſte, mit welchem Empreſſement ich dies aufgriff,
wenn es gleich nur eine façon de parler ſeyn mochte.
Im fernern Verlauf des Geſprächs, kamen wir auf
Sir Walter Scott. Göthe war eben nicht ſehr enthu-
ſiaſtiſch für den großen Unbekannten eingenommen.
„Er zweifle gar nicht,“ ſagte er, „daß er ſeine Romane
ſchreibe, wie die alten Maler mit ihren Schülern
gemeinſchaftlich gemalt hätten, nämlich, er gäbe
Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Scenen
an, laſſe aber die Schüler dann ausführen, und re-
touchire nur zuletzt.“ Es ſchien faſt, als wäre er
der Meinung, daß es gar nicht der Mühe werth ſey,
für einen Mann von Walter Scott’s Eminenz ſeine
Zeit zu ſo viel faſtidieuſen Details herzugeben.*)
„Hätte ich,“ ſetzte er hinzu, „mich zu bloßem Gewinn-
ſuchen verſtehen mögen, ich hätte früher mit Lenz
und Andern, ja ich wollte noch jetzt Dinge anonym
in die Welt ſchicken, über welche die Leute nicht
wenig erſtaunen, und ſich den Kopf über den Autor
zerbrechen ſollten, aber am Ende würden es doch
nur Fabrikarbeiten bleiben.“ Ich äußerte ſpäter, daß
es wohlthuend für die Deutſchen ſey, zu ſehen,
wie jetzt unſere Literatur die fremden Nationen
[15] gleichſam erobere, und hierbei, fuhr ich fort, wird
unſer Napoleon kein Waterloo erleben.


„Gewiß,“ erwiederte er, „mein etwas fades Com-
pliment überhörend, ganz abgeſehen von unſern eignen
Produktionen, ſtehen wir ſchon durch das Aufnehmen
und völlige Aneignen des Fremden auf einer ſehr
hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen
werden bald ſchon deshalb deutſch lernen, weil ſie
inne werden müſſen, daß ſie ſich damit das Lernen
faſt aller andern Sprachen gewiſſermaſſen erſparen
können. Denn von welcher beſitzen wir nicht die ge-
diegenſten Werke in vortrefflichen deutſchen Ueber-
ſetzungen? die alten Claſſiker, die Meiſterwerke des
neueren Europas, indiſche und morgenländiſche Lite-
ratur, hat ſie nicht alle der Reichthum und die Viel-
ſeitigkeit der deutſchen Sprache, wie der treue deutſche
Fleiß und tief in ſie eindringende Genius beſſer wie-
dergegeben, als es in andern Sprachen der Fall iſt?
Frankreich,“ fuhr er fort, „hat gar viel ſeines einſtigen
Uebergewichts in der Literatur dem Umſtande zu
verdanken gehabt, daß es am früheſten aus dem
Griechiſchen und Lateiniſchen leidliche Ueberſetzungen
lieferte, aber wie vollſtändig hat Deutſchland es ſeit-
dem übertroffen!“


Im politiſchen Felde ſchien er nicht viel auf die ſo
beliebten Conſtitutions-Theorien zu geben. Ich ver-
theidigte mich und meine Meinung indeß ziemlich
warm. Er kam hier auf ſeine Lieblings-Idee, die
er mehrmals wiederholte, nämlich daß Jeder nur
darum bekümmert ſeyn ſolle, in ſeiner ſpeciellen
[16] Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe
fortzuwirken, ſo werde der allgemeine Segen auch
unter keiner Regierungsform ausbleiben. Er für
ſeine Perſon habe es nicht anders gemacht, und ich
mache es in M. ja ebenfalls ſo, ſetzte er gutmüthig
hinzu, unbekümmert was andere Intereſſen geböten.
Ich meinte nun freilich, mit aller Beſcheidenheit, daß,
ſo wahr und herrlich dieſer Grundſatz ſey, ich doch
glaube, eine conſtitutionelle Regierungsform müſſe
ihn eben erſt recht ins Leben rufen, weil ſie offenbar
in jedem Individuum die Ueberzeugung größerer
Sicherheit für Perſon und Eigenthum, folglich die
freudigſte Thatkraft und zugleich damit die zuver-
läßigſte Vaterlandsliebe begründe, hierdurch aber
dem ſtillen Wirken in eines Jeden Kreiſe eben eine
weit ſolidere allgemeine Baſis gegeben wurde, und
führte endlich, vielleicht ungeſchickt, England als Beleg
für meine Behauptung an. Er erwiederte gleich, das
Beiſpiel ſey nicht zum beſten gewählt, denn in keinem
Lande herrſche eben Egoismus mehr vor, kein Volk
ſey vielleicht weſentlich inhumaner in politiſchen und
Privat-Verhältniſſen*), nicht von außen herein durch
Regierungsform käme das Heil, ſondern von innen
heraus durch weiſe Beſchränkung und beſcheidene Thä-
tigkeit eines Jeden in ſeinem Kreiſe. Dies bleibe
immer die Hauptſache zum menſchlichen Glücke, und
ſey am leichteſten und einfachſten zu erlangen.


[17]

Von Lord Byron redete er nachher mit vieler Liebe,
faſt wie ein Vater von ſeinem Sohne, was meinem
hohen Enthuſiasmus für dieſen großen Dichter ſehr
wohl that. Er widerſprach unter andern auch der
albernen Behauptung, daß Manfred eine Nachbetung
ſeines Fauſt ſey, doch ſey es ihm allerdings als etwas
Intereſſantes aufgefallen, ſagte er, daß Byron unbe-
wußt ſich derſelben Maske des Mephiſtopheles wie
er bedient habe, obgleich freilich Byron ſie ganz
anders ſpielen laſſe. Er bedauerte es ſehr, den Lord
nie perſönlich kennen gelernt zu haben, und tadelte
ſtreng, und gewiß mit dem höchſten Rechte, die eng-
liſche Nation, daß ſie ihren großen Landsmann ſo
kleinlich beurtheile und im Allgemeinen ſo wenig ver-
ſtanden habe. Doch hierüber hat ſich Göthe ſo ge-
nügend und ſchön öffentlich ausgeſprochen, daß ich
nichts weiter hinzuzufügen brauche. Ich erwähnte
zuletzt der Aufführung des Fauſt auf einem Privat-
theater zu Berlin, mit Muſik vom Fürſten Radziwil
und lobte den ergreifenden Effect einiger Theile dieſer
Darſtellung. „Nun,“ ſagte Göthe gravitätiſch, „es iſt
ein eigenes Unternehmen, aber alle Anſichten und
Verſuche ſind zu ehren.“


Ich grolle meinem ſchlechten Gedächtniß, daß ich
mich nicht mehr aus unſrer ziemlich belebten Unter-
haltung eben erinnern kann. Mit hoher Ehrfurcht
und Liebe verließ ich den großen Mann, den dritten
im Bunde mit Homer und Shakespeare, deſſen Name
unſterblich glänzen wird, ſo lange deutſche Zunge ſich
erhält, und wäre irgend etwas von Mephiſtopheles
Briefe eines Verſtorbenen. III. 2
[18] in mir geweſen, ſo hätte ich auf der Treppe gewiß
auch ausgerufen:
Es iſt doch ſchön von einem großen Herrn,
mit einem armen Teufel ſo human zu ſprechen
*).



Ich war heute beim Erb-Großherzog im Belvedere
zur Tafel eingeladen, und fuhr um zwei Uhr auf
einem angenehmen Wege dahin. Das Wetter iſt,
ſeit ich hier bin, wundervoll, Tage von Criſtall, wie
Deine Sevigné ſagt, wo man weder Hitze noch Kälte
fühlt, und die nur Frühjahr und Herbſt ſo geben können.


Der Erb-Großherzog und ſeine Frau Gemahlin
leben im Belvedere ganz wie Privatleute, und em-
pfangen ihre Gäſte ohne Etikette, nur mit der zu-
vorkommendſten Artigkeit. Die Großfürſtin ſchien
noch ſehr gedrückt vom Tode des Kaiſers, demohn-
geachtet machte ſie ſpäter, als die Unterhaltung ani-
mirter ward, der Geſellſchaft eine ergreifende Be-
ſchreibung von der Ueberſchwemmung in Petersburg,
deren Augenzeugin ſie geweſen war. Ich habe immer
die vortreffliche Erziehung und die mannichfachen
[19] Kenntniſſe bewundert, welche die ruſſiſchen Prinzeſ-
ſinnen auszeichnen. Bei der verſtorbenen Königin
von Würtemberg konnte man es Gelehrſamkeit nen-
nen. Ich hatte dieſer Fürſtin einſt in Frankfurt
einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich
ihn übergeben, auf ihren Befehl im Cirkel ſtehen,
bis die Uebrigen entlaſſen ſeyn würden. Ein Pro-
feſſor der Peſtalozziſchen Schule war der erſte, welcher
an die Reihe kam, und ſelbſt weniger von ſeinem
Syſteme zu wiſſen ſchien als die Königin (damals
noch Großfürſtin Katharine), da ſie ſeine weitſchwei-
figen Antworten mehreremal mit der größten Klar-
heit rektifizirte. Ein Diplomat folgte, und erhielt
eben ſo in ſeiner Sphäre, ſo weit die allgemeine
Unterhaltung es geſtattete, die feinſten und gewandte-
ſten Antworten. Hierauf begann ſie ein gründliches
Geſpräch mit einem berühmten Oekonomen aus A....
und zuletzt ſchloſſen tiefſinnige und glänzende Refle-
xionen in einer lebhaften Controverſe mit einem be-
kannten Philoſophen die merkwürdige Audienz.


Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in
die Pflanzenhäuſer, welche, nach Schönbrunn, wohl
die reichhaltigſten in Deutſchland ſind. Du weiſt,
liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig
Werth lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur
an dem Schönen ergötze. Daher gingen viele
Schätze an mir verloren, und ich konnte das Ent-
zücken nicht theilen, in welches mehrere Kenner aus-
brachen, als ſie eine Staude erblickten, die zwar nur
ſechs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blät-
2*
[20] ter ohne Blüthe aufwies, aber 60 Guineen gekoſtet
hatte, und bis jetzt noch kein andres deutſches Pflan-
zenhaus zierte. Dagegen machte mir ein rother
Cactus grandiflorus, der wundervoll reich blühte, und
eine Menge andere ausgezeichnete Prunkpflanzen viel
Freude; mit aller Ehrfurcht beſah ich das Prachtſtück
eines großen Brod-Fruchtbaumes, und fand es artig,
auf dem Cactus, den die Cochenille bewohnt, mir
mit einigen dieſer Thierchen ſofort die Finger car-
minroth zu färben. Die ganze Maſſe der Pflanzen
überſteigt 60,000 verſchiedene Arten. Auch die Oran-
gerie iſt prächtig, und ein Veteran von anderthalb
Ellen Umfang darunter, der bereits 550 nordiſche
Sommer glücklich ausgehalten.


Den Abend brachte ich bei Herrn v. G … zu, einem
geiſtreichen Manne, und alten Freund der Madame
Schoppenhauer, die auch für mich eine freundliche
Gönnerin iſt. Frau v. G … e kam ſpäter, unſere
Geſellſchaft auf ſehr angenehme Weiſe zu vermehren.
Sie iſt eine muntere, originelle und geiſtreiche Frau,
auf welche der dem Schwiegervater mit ſo viel Recht
geſtreute Weihrauch billig nicht ohne allen Einfluß
geblieben iſt. Sie zeigte ſich ſehr erfreut, vom eng-
liſchen Verfaſſer des Granby, welcher in Weimar
deutſch ſtudirt hat, ſo eben ein erſtes Exemplar ſeines
Romans überſchickt erhalten zu haben. Ich fand die
Opfergabe nicht ſehr bedeutend, und wünſchte ihr, daß
der Verfaſſer intereſſanter geweſen ſeyn möge, als
ſein Werk. Ich ſagte dies vielleicht aus debit, denn
man ſchmeichelt hier, wie überall auf dem Continent,
[21] den Engländern viel zu viel, und Gott weiß, wie
ſehr mal à propos!



Nachdem ich mich bei allen hohen Herrſchaften dieſen
Morgen beurlaubt, widmete ich den Reſt des Tages
meinem Freunde Sp .., der mit ſeiner Familie zeigt,
daß man das Hofleben und die große Welt mit der
einfachſten Häuslichkeit und gewinnendſten Herzens-
güte ſehr wohl verbinden kann. Ein junger Eng-
länder, Sekretär bei Herrn Canning, der deutſch
wie ſeine Mutterſprache redet, unterbielt uns mit
launigen Schilderungen der engliſchen Geſellſchaft,
deren Unbeholfenheit und Mangel an Gutmüthig-
keit er bitter rügte, wobei er natürlich gute Gelegen-
heit fand, den Deutſchen, wie beſonders den An-
weſenden Verbindliches zu ſagen. So urtheilen
die Engländer jedoch nur im Auslande
.
Zurückgekommen, nehmen ſie ſchnell wieder die ge-
wohnte Kälte und ſtolze Indifferenz an, die einen
Fremden wie ein geringeres Weſen betrachtet, und
lachen höhniſch der deutſchen Bonhomie, die ſie frü-
her gelobt, ſo lange ſie der Gegenſtand derſelben
waren, während ſie doch zu jeder Zeit die wahrhaft
lächerliche Ehrfurcht, die wir für den Namen Eng-
länder hegen, nur als ſchuldigen Tribut ihrer hohen
Vorzüge anſehen.


Dies iſt der letzte Brief, liebe Julie, den Du von
hier erhältſt. Morgen früh, nicht mit dem Hahnen-
[22] ſchrei, ſondern nach meinem Kalender, um 12 Uhr,
gedenke ich abzureiſen, und mich bis London nicht
viel unterweas aufzuhalten. Schone, ich bitte Dich,
Deine Geſundheit um meinetwillen, und erheitere
Deinen Geiſt ſo viel Du es vermagſt, mit jener
wunderbaren Kraft, die ihm der Schöpfer verlieh:
ſich ſelbſt zu bezwingen. Doch liebe mich des-
halb nicht weniger — denn meine Kraft iſt Deine
Liebe.


Dein treuer L.


[[23]]

Zweiter Brief.



Geliebte Freundin!

Nachdem ich von Göthe und ſeiner Familie noch
Abſchied genommen, und eine vornehme und reizende
Malerin zum Letztenmal in ihrem Attelier beſucht,
verließ ich voll angenehmer Erinnerungen das deutſche
Athen.


In Gotha hielt ich mich nur ſo lange auf als
nöthig war, um einen alten Freund und Kriegs-
Kameraden, den Miniſter und Aſtronomen (Himmel
und Erde in ſeltner Berührung) Baron von L .....
zu beſuchen, welchen ich noch immer an den Folgen
ſeines unglücklichen Duells in Paris leiden, aber
dieſes Ungemach auch mit eben der Ruhe des Weiſen
tragen ſah, die er in allen Lagen des Lebens zu be-
haupten wußte.


Es war ſchon dunkel, als ich in Eiſenach ankam,
wo ich an einen andern meiner ehemaligen Kamera-
den einen Auftrag des Großherzogs hatte. Ich ſah
[24] ſein Haus hell erleuchtet, hörte Tanzmuſik und trat
mitten in eine große Geſellſchaft, die verwundert
mein Reiſe-Coſtüm und meine Jagdmütze betrachtete.
Es war die Hochzeit der Tochter vom Hauſe, welche
man feierte, und herzlich bewillkommte der Vater
mich dabei, als er mich erkannte. Ich entſchuldigte
bei der Braut mein unhochzeitliches Kleid,
trank ein Glas Eispunſch auf ihr Wohlergehen, ein
anders auf das des Vaters, tanzte eine Polonaiſe
und entſchwand à la française.


Gleich darauf machte ich meine Nachttoilette und
legte mich im Wagen behaglich zur Ruhe.


Als ich erwachte, befand ich mich ſchon eine Sta-
tion vor Caſſel, an demſelben Ort, wo wir vor 10
Jahren die ſeltſame entrée mit einer aufrecht ſtehen-
den, zerbrochenen Wagendeichſel machen mußten, auf
der der Poſtillon zu reiten ſchien. Ich frühſtückte hier,
vielfach jener Reiſe gedenkend, fuhr durch die traurig
ſchöne Hauptſtadt ohne mich aufzuhalten, ſpäter durch
einen herrlichen Buchenwald, der im hellen Sonnen-
ſchein wie grünes Gold erglänzte, machte bei Ve-
ſtuffeln romantiſche Betrachtungen über einen komi-
ſchen Berg, den der Vorzeit moſige Trümmer deckten,
und traf, durch lange einförmige Gegenden forteilend,
zu meiner Eßſtunde im alten Biſchofsſitze zu Osna-
brück ein.


Die zweite Nacht ſchläft man immer noch beſſer als
die erſte im Wagen, deſſen Bewegung, auf mich we-
[25] nigſtens, wie die Wiege auf Kinder wirkt. Ich fühlte
mich ſehr wohl und heiter am nächſten Morgen, und
bemerkte, daß das Land allgemach anfing, einen hol-
ländiſchen Charakter anzunehmen. Altväteriſche Häu-
ſer mit vielfachen Giebeln und Schiebfenſtern, ein
unverſtändliches Plattdeutſch, welches an Wohllaut
dem holländiſchen nichts nachgiebt, phlegmatiſchere
Menſchen, beſſer meublirte Stuben, wiewohl noch
ohne holländiſche Reinlichkeit, Thee ſtatt Kaffee,
überall vortreffliche friſche Butter und Rahm, nebſt
erhöhter Prellerei der Gaſtwirthe — Alles zeigte eine
neue Schattirung dieſer bunten Welt.


Die Gegenden, durch welche mein Weg führte, ge-
hörten einer anmuthigen und ſanften Natur an, be-
ſonders bei Stehlen an der Ruhr, ein Ort, für den
gemacht, der ſich vom Getümmel des Lebens in heitre
Einſamkeit zurückzuziehen wünſcht. Nicht ſatt ſehen
konnte ich mich an der ſaftig friſchen Vegetation, den
prachtvollen Eich- und Buchen-Wäldern, die rechts
und links die Berge krönen, zuweilen ſich über die
Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurück-
wichen, aber überall den fruchtbarſten Boden begränz-
ten, braun und roth ſchattirt, wo er friſch geackert
war, hell oder dunkelgrün ſchimmernd, wo junge
Winterſaat und friſcher Klee ihn bedeckten. Jedes
Dorf umgiebt ein Hain ſchön belaubter Bäume, und
nichts übertrifft die Ueppigkeit der Wieſen, durch welche
ſich die Ruhr in den ſeltſamſten Krümmungen ſchlän-
gelt. Ich dachte lachend, daß, wenn Einem prophe-
zeihet würde, an der Ruhr zu ſterben, er ſich hier
[26] niederlaſſen müſſe, um auf eine angenehme Weiſe die
Prophezeihung zugleich zu erfüllen und zu entkräften.
Als ich gegen Abend noch dieſe freundliche Landſchaft
mit unſern düſtern Föhren-Wäldern verglich, erſchien,
wie durch Zauberſpruch, plötzlich eine Zunge heimi-
ſches Land mit Kiefern, Sand und dürren Birken,
ſo weit das Auge reichte, über den Weg gelagert.
Nach zehn Minuten ſchon begrüßten uns aber wieder
grüne Matten und ſtolze Buchen. Welche Revolu-
tion hat dieſen Sandſtrich hier hineingeſchoben?


Einige Meilen von Weſel wird indeſſen das ganze
Land tout de bon vaterländiſch, und da hier auch
die Chauſſée aufhört, watet man von neuem in Ber-
liner Streuſande. Ich kam unglücklicherweiſe einen
Tag zu ſpät, um ſogleich mit dem Dampfboot von
hier abgehen zu können, ſonſt hätte ich, von Weimar
aus gerechnet, London in 4½ Tagen erreicht. Nun
werde ich zu Lande bis Rotterdam reiſen, und dort
die Abfahrt des nächſten Schiffes erwarten müſſen.



Meine Reiſe von Weſel bis Arnheim war ziemlich
langweilig. Langſam ſchlichen die Pferde durch eine
wenig anſprechende Gegend im endloſen Sande hin.
Nichts Intereſſantes zeigte ſich als große Ziegeleyen
an der Straße, die ich aufmerkſam beſichtigte, da ſie
den unſrigen ſo ſehr vorzuziehen ſind. Deſto beloh-
[27] nender, und wirklich von magiſcher Wirkung iſt da-
gegen der weite Garten, welcher ſich zwiſchen Arn-
heim und Rotterdam ausbreitet. Auf einer Chauſſée,
von Klinkern (ſehr hart gebrannte Ziegel) gebaut, und
mit feinem Sande überfahren, eine Straße, die durch
nichts übertroffen werden kann, und nie auch nur
die ſchwächſte Spur eines Gleiſes annimmt, rollte
der Wagen mit jenem leiſen, ſtets den gleichen Ton
haltenden Gemurmel des Räderwerks hin, das für
die Spiele der Phantaſie ſo einladend iſt. Obgleich
es in dem endloſen Park, den ich durchſtrich, weder
Felſen noch ſelbſt Berge giebt, ſo gewähren doch die
hohen Dämme, auf welche der Weg zuweilen hinan-
ſteigt, die Menge, große Maſſen bildender Landſitze,
Gebäude und Thürme, wie die vielen aus Wieſen,
Ebnen, oder über klare Seen auftauchenden koloſſa-
len Baum-Gruppen, der Landſchaft eben ſo viel Ab-
wechſelung von Höhe und Tiefe, als maleriſche An-
ſichten der verſchiedenſten Art; ja ihre größte Eigen-
thümlichkeit beſteht eben in dieſer unglaublichen Be-
wegung und Mannichfaltigkeit der Gegenſtände, die
ohne Aufhören die Aufmerkſamkeit in Anſpruch neh-
men. Städte, Dörfer, Schlöſſer mit ihren reichen
Umgebungen, Villen von jeder Bauart mit den nied-
lichſten Blumengärten, unabſehbare Grasflächen mit
Tauſenden weidender Kühe, Seen, die im Umfang
von 20 Meilen blos durch Torfſtich nach und nach
entſtanden ſind, unzählige Inſeln, wo das baumlange
Schilf, zum Decken der Dächer ſorgfältig angebaut,
Myriaden von Waſſervögeln zur Wohnung dient —
[28] alles bietet ſich fortwährend die Hand zu einem
freudigen Reigen, in dem man wie im Traume durch
flüchtige Pferde fortgeriſſen wird, während immer
neue Palläſte, immer andere Städte am Horizont
erſcheinen, und ihre hohen gothiſchen Thürme in
dämmernder Ferne mit den Wolken ſich verſchmelzen.
Eben ſo läßt in der Nähe eine oft groteske und ſtets
wechſelnde Staffage keinem Gefühl der Einförmigkeit
Raum. Bald ſind es ſeltſam mit Schnitzwerk und
Vergoldung verzierte Wagen ohne Deichſel, und von
Kutſchern regiert, die in blauen Weſten, kurzen ſchwar-
zen Hoſen, ſchwarzen Strümpfen und Schuhen mit
ungeheuren ſilbernen Schnallen, auf einer ſchmalen
Pritſche ſitzen; oder zu Fuß wandernde Weiber mit
ſechs Zoll langen goldnen und ſilbernen Ohrringen
behangen, und chineſiſchen Sommerhüten, gleich
Dächern auf den Köpfen; bald zu Drachen und fa-
belhaften Ungethümen verſchnittene Taxus-Bäume,
oder mit weiß und bunter Oelfarbe angeſtrichene
Lindenſtämme, aſiatiſch mit vielfachen Thürmchen ver-
zierte Feuereſſen, abſichtlich ſchief liegend gebaute
Häuſer, Gärten mit lebensgroßen Marmor-Statuen
in altfranzöſiſcher Hofkleidung durch das Gebüſch lau-
ſchend, oder eine Menge 2 — 3 Fuß hoher, ſpiegel-
blank polirter Meſſingflaſchen auf den grünen Wieſen
am Wege ſtehend, die wie pures Gold im Graſe blin-
ken, und doch nur die beſcheidne Beſtimmung haben,
die Milch der Kühe aufzunehmen, welche daneben
von jungen Mädchen und Knaben emſig gemolken
werden — kurz eine Menge ganz fremder ungewohn-
[29] ter und phantaſtiſcher Gegenſtände bereiten jeden Au-
genblick dem Auge eine andere Scene, und drücken
dem Ganzen ein vollkommen ausländiſches Gepräge
auf. Denke Dir nun dieſes Bild noch überall in
den Goldrahmen des ſchönſten Sonnenſcheins gefaßt,
geziert mit der reichſten Pflanzenwelt, von rieſenhaf-
ten Eichen, Ahorn, Eſchen, Buchen bis zu den koſt-
barſten ausgeſtellten Treibhaus-Blumen herab, ſo
wirſt Du Dir eine ziemlich genaue, und keineswegs
übertriebene Vorſtellung von dieſem wunderbar herr-
lichen Theile Hollands machen können, und dem ho-
hen Vergnügen meiner geſtrigen Fahrt.


Nur ein Theil derſelben machte, hinſichtlich der
Vegetation und Mannichfaltigkeit eine Ausnahme,
war mir aber in anderer Hinſicht, wenn auch nicht
ſo angenehm, doch nicht weniger intereſſant. Näm-
lich zwiſchen Arnheim und Utrecht findet man 4 Mei-
len lang den Sand der Lüneburger Haide, ſo ſchlecht
als die ſchlechteſten märkiſchen Ebnen. Demohngeach-
tet, und ſo viel wirkt verſtändige Cultur! wachſen
neben den Kiefern-Gebüſchen, die der Boden nebſt
dürrem Haidekraut allein von ſelbſt hervorbringt, die
wohl beſtandendſten Anpflanzungen von Eichen,
Weiß- und Rothbuchen, Birken, Pappeln u. ſ. w.
freudig auf. Wo der Boden zu wenig Kraft hat,
werden ſie nur als Strauchwerk benutzt, und alle
5 — 6 Jahre abgetrieben, wo er etwas beſſer iſt,
als Stämme in die Höhe gelaſſen. Die herrliche
Straße iſt hier durchgängig mit wohlerhaltenen dich-
ten Alleen eingefaßt, und, was mir merkwürdig war,
[30] ich fand, daß trotz des dürren Sandes Eichen und
Buchen noch beſſer als Birken und Pappeln zu ge-
deihen ſchienen. Eine Menge der ſo überaus netten
holländiſchen Häuſer und Villen waren mitten in
der wüſten Haide aufgebaut; mehrere noch im Wer-
den, ſo wie die Anlagen darum her. Ich konnte mir
nicht erklären, daß ſo Viele ſich gerade dies unwirth-
bare Terrain zu koſtſpieligen Etabliſſements ausge-
ſucht, erfuhr aber, daß das Gouvernement weiſe ge-
nug geweſen ſey, dieſen ganzen, bisher als unbrauch-
bar liegen gelaſſenen Landſtrich den angränzenden
Gutsbeſitzern und andern Vermögenden auf 50 Jahr
unentgeldlich und Abgabenfrei zu überlaſſen, mit der
einzigen Bedingung, es ſogleich durch Anpflanzungen
oder Feldbau cultiviren zu müſſen. Später zahlen
ihre Nachkommen eine ſehr billige, entſprechende Rente.
Ich bin überzeugt, nach dem, was ich hier geſehen,
daß der größte Theil unſrer hungrigen Kiefernwäl-
der durch ähnliches Verfahren und fortgeſetzte Cul-
tur in hundert Jahren in blühende Fluren verwan-
delt, und die ganze todte Gegend dadurch wahrhaft
umgeſchaffen werden könnte.


Utrecht iſt zierlich gebaut, und wie alle holländi-
ſchen Städte muſterhaft reinlich gehalten. Das bunt-
farbige Anſehn der Häuſer ſowohl, als ihre verſchie-
denen Formen, die engen gekrümmten Straßen, und
ihr altväteriſches Enſemble erſcheinen mir viel ge-
müthlicher als die ſogenannten ſchönen Städte, die
ſich wie eine mathematiſche Figur überall rechtwink-
licht durchkreuzen, und wo jede Straße in troſtlos
[31] langer Linie mit einem Blick zu überſehen iſt. Die
Umgegend iſt reizend, die Luft ſehr geſund, da Utrecht
am höchſten in Holland liegt, und wie man mir ſagte,
auch die Geſellſchaft im Winter und Frühling ſehr
belebt, weil der reichſte Adel des Landes ſich hier
aufhält. Der Handel dagegen iſt unbedeutend, und
die ganze Allüre der Stadt und Menſchen mehr ari-
ſtokratiſch.


Von hier fuhr ich nach Gouda, deſſen Dom durch
ſeine köſtlichen Glasmalereien berühmt iſt. Für eins
dieſer Fenſter wurden von einem Engländer ohnlängſt
80,000 Gulden vergebens geboten. Es gleicht an
Ausführung einem Miniatur-Gemälde und glänzt in
unbeſchreiblicher Farbenpracht, ja die Edelſteine und
Perlen an dem Schmuck der Prieſter wetteifern mit
ächten. Ein anderes ſchenkte Philipp 11. der Kirche,
deſſen eine Hälfte der Blitz kurz darauf zerſchmet-
terte, was gewiß in jener Zeit als omineus angeſe-
hen wurde. Er ſelbſt iſt darauf abgebildet, und
zwar in einem Mantel von ächter Purpurfarbe, nicht
das gewöhnliche Roth, ſondern ein violett ſchim-
merndes, zwiſchen Veilchenblau und Cramoiſi ſpie-
lend, ſchöner als ich es je noch auf altem Glaſe ſah.
Auf einem dritten befindet ſich das Portrait des
Herzogs von Alba. Alle Fenſter ſind von ungewöhn-
lich großen Dimenſionen, und mit wenigen Ausnah-
men tadellos erhalten, ſämmtlich aus dem 15. und
16. Jahrhundert bis auf eins, welches erſt im 17.
gemalt wurde, und auch den Verfall dieſer Kunſt
ſehr verräth, indem es den übrigen ſowohl an Gluth
[32] der Farben, als an Erfindung und Zeichnung weit
nachſteht.


Wer Gouda geſehen hat, kann ſich die Reiſe nach
dem ſchiefen Thurme zu Piſa erſparen, denn hier
ſcheint die halbe Stadt nach dieſem Prinzip aufge-
führt worden zu ſeyn. Obgleich den Holländern, die
man in mancher Rückſicht nicht unpaſſend die Chine-
ſen Europas nennen könnte, gar wohl zuzutrauen
wäre, abſichtlich für ihre Häuſer eine ſo ſeltſame
Bauart gewählt zu haben, ſo rührt dieſes, faſt
Schrecken erregende Schiefſteben der hieſigen Gebäude
doch wahrſcheinlich größtentheils nur von dem unſi-
chern moraſtigen Grunde her *). Faſt alle Häuſer
ſtehen mit den Giebeln nach der Straße zu, und
jeder derſelben iſt verſchieden ausgeſchmückt. In ſehr
engen Gaſſen ſieht man ſie ſich faſt erreichen und
ein Dreyeck bilden, unter dem man nicht ohne Be-
ſorgniß hingeht.


Da es Sonntag war, fand ich die Stadt höchſt
belebt, wiewohl nur durch ſtillen und decenten Ju-
bel. Die meiſten Menſchen ſtanden müßig, gafften,
zogen aber ſehr höflich den Hut vor meinem Wa-
gen ab.


[33]

Bevor man Rotterdam erreicht, fährt man durch
eine lange Reihe Landhäuſer mit fortlaufenden Blu-
menparterres, die auf beiden Seiten durch ſchmale
Kanäle von der Straße getrennt ſind. Zu jedem der-
ſelben führt eine mächtige Zugbrücke, welche ſeltſam
mit der Unbedeutendheit des Waſſers contraſtirt,
denn ein herzhafter Sprung brächte zur Noth auch
von einem Ufer auf’s andere. Eben ſo barokk ſind
die thurmhohen Windmühlen vor der Stadt. Sie
ſind vielfach vergoldet und mit dem abſonderlichſten
Schnitzwerke verſehen, bei manchen aber auſſerdem
die Mauern noch mit dichtem Rohre ſo fein bedeckt,
daß es in der Entfernung Pelzwerk gleich ſieht, an-
dere bieten einen beſchuppten Crokodillenleib dar, ei-
nige gleichen chineſiſchen Glockenthürmen, alle zuſam-
men machen aber dennoch einen imponirenden Effekt.
Dazwiſchen ragen die Maſte des Hafens und die
großen mit Glas gedeckten Schuppen hervor, in de-
nen die Kriegsſchiffe gebaut werden, und kündigen
die See- und Handelsſtadt an.


Bald nahm mich eine lange von Menſchen wim-
melnde Straße auf, der ein hohes ſchwarzes Thurm-
Zifferblatt mit feurig roſenrothen Zahlen und Wei-
ſern zum point de vûe diente, und ich brauchte wohl
eine gute Viertel-Stunde, bevor ich im Hotel des
bains
auf dem Quai anlangte, wo ich jetzt ſehr gut
und bequem logirt bin. Vor meinen Fenſtern über-
ſehe ich eine breite Waſſerfläche mit den vier Dampf-
ſchiffen, von denen eines mich übermorgen nach Eng-
land bringen ſoll. Böte rudern emſig auf und ab,
Briefe eines Verſtorbenen. III. 3
[34] und die geſchäftige Menge eilt auf dem Quai raſtlos
durcheinander, deſſen Rand mit himmelhohen Rüſtern
geſchmückt iſt, die wahrſcheinlich ſchon zu Erasmus
Zeiten hier gepflanzt wurden. Nach einem kleinen
Spaziergang unter dieſen Bäumen nahm ich eine
gute Mahlzeit ein, und ſchrieb dann an dieſem ellen-
langen Brief, der leider mehr Porto koſten wird, als
er werth iſt. Mit meiner Geſundheit geht es immer
noch nicht ganz nach Wunſch, obgleich von Tag zu
Tage beſſer. Vielleicht kurirt mich völlig das Meer,
und einige Gläſer Seewaſſer, welches ich zu mir neh-
men werde, ſobald ich auf ſeinen Wellen ſchaukele.



Die Lebensart nähert ſich hier den engliſchen Sit-
ten. Man ſteht ſpät auf, ißt an table d’hôte um
4 Uhr, und trinkt Abends Thee. Uebrigens iſt für
Fremde in der großen Stadt wenig Abwechſelung vor-
handen, da ſich nicht einmal ein ſtehendes Theater
hier befindet. Nur zuweilen geben die Schauſpieler
vom Haag einige Vorſtellungen in einem ſchlechten
Lokal. Alles ſcheint mit dem Handel beſchäftigt, und
findet ſeine Erholung nachher, ſehr angemeſſen, nur
in häuslichen Freuden, an denen aber ein blos Durch-
reiſender freilich keinen Theil nehmen kann. Um ei-
niges engliſche Geld einzuwechſeln, ging ich in das
Comtoir eines jüdiſchen Banquiers, der ſich, ohnge-
[35] achtet der Geringfügigkeit der Summe, mit der größ-
ten Unterwürfigkeit benahm, und nachdem er mir
ſorgſam das Geld ſelbſt aufgezählt hatte, mich bis
an die Hausthüre begleitete. Ich war daher nicht
wenig verwundert, nachher von meinem Lohnbedien-
ten zu erfahren, daß man das Vermögen dieſes Man-
nes auf zwei Millionen Gulden ſchätze. Es ſcheint
alſo, daß viel Geld hier die Banquiers noch nicht ſo
hochmüthig gemacht habe, als in andern Ländern.
Ich beſah hierauf das Arſenal, welches ich, im Ver-
gleich mit engliſchen Etabliſſements dieſer Art, nur
unbedeutend fand. Mehrere der Schuppen ſind mit
Pappe gedeckt, was ſehr dauerhaft ſeyn ſoll, und
gut ausſieht. Es wird dazu ganz gewöhnliche ſtarke,
in viereckige Platten geſchnittene Pappe genommen,
die man in einem Keſſel, worin Holztheer, ſiedet,
mehrmals eintunkt, bis ſie auf beiden Seiten überall
ganz damit bedeckt und durchzogen iſt, worauf man
ſie zum Trocknen an die Sonne hängt. Dann wer-
den die einzelnen Stücke auf dem ſehr flachen Dache
gleich Kupferplatten übereinander gelegt, und mit
Nägeln auf die darunter befindlichen Bretter feſtge-
macht, welche ſie viele Jahre lang gänzlich gegen
Näſſe ſchützen. Nach Ausſage der Marine-Beamten
ſoll ein ſolches Dach ſogar weit länger als Schindeln
oder das beſte getheerte Segeltuch halten. Intereſ-
ſant war mir in einem der Säle das ſehr detaillirte,
ganz auseinander zu nehmende Modell eines Kriegs-
ſchiffes, welches für die Seeſchule zu Delfft verfertigt
ward, und den Unterricht überaus anſchaulich macht.
3*
[36] Die goldene Gondel des Königs, obgleich ſie der
der Cleopatra wahrſcheinlich an Pracht nicht gleich
kommen mag, wird dennoch von den guten Hollän-
dern mit großer Selbſtzufriedenheit gezeigt, verfault
aber hier im Trocknen, da ſie nur ſelten gebraucht
wird.


Die Umgegend von Rotterdam iſt wegen ihrer hüb-
ſchen Landmädchen und ſaftigen Früchte berühmt,
welche (die letztern nämlich) einen nicht unbedeutenden
Ausfuhrartikel nach England abgeben. Nirgends fin-
det man wohl Weintrauben von ſo ungeheurer Größe.
Ich ſah mehrere auf dem Markt zum Verkauf aus-
geſtellt, deren Beeren das Anſehn und den Umfang
von Pflaumen hatten. Indem ich noch weiter müßig
umherſchlenderte, erblickte ich den Ankündigungszettel
eines Panorama des Aetna, trat im Gefolge einer
Damengeſellſchaft hinein, und ach! verlor hier mein
Herz. — Das reizendſte Mädchen, das ich je geſehen,
lächelte mich am Fuße des feuerſpeyenden Berges
mit Augen an, die aus ſeinen ewigen Flammen ihre
Glut geſchöpft haben mußten, während ihre ſchalk-
haften Lippen üppig blühten, wie die rothen Blumen
des neben ihr prangenden Oleanders. Der lieblichſte
Fuß, der wollüſtigſte Körper im reinſten Ebenmaß,
Alles vereinigte ſich, ſie, wenn auch nicht zum himm-
liſchen, doch gewiß zum verführeriſchſten irdiſchen
Ideal zu erheben. War dies eine Holländerin? O
nein, eine ächte Sicilianerin, aber leider, leider! —
nur gemalt! Drum warf ſie mir auch, als ich das
Paradies wieder verließ, aus ihrer Weinlaube nur
[37] triumphirend ſpöttiſche Blicke zu, denn ſeit Pygma-
lions Zeiten vorbei ſind, konnte dieſe nichts mehr
beleben, nichts verführen. — Wer mag aber wiſſen,
ob nicht dennoch ein ſüßes Schickſal mich irgendwo
das Original antreffen läßt? Wenigſtens iſt eine ſolche
Hoffnung und ein ſolches Bild kein unangenehmer
Reiſebegleiter; ſchlimm nur, daß ich mit ihm jetzt
gerade dem Nebel-Lande, und nicht den ſchönen
Feuer-Gegenden zuwandle, die eine wärmere Sonne
von oben, und geheimnißvolle Gluthen von unten,
zwiſchen zwei Feuer genommen haben. Morgen aber
ſchon wird ſtatt dieſer Wärme das kalte naſſe Meer
um mich wogen, ich aber gewiß nicht, indem ich das
liebe Holland verlaſſe, mit dem unartigen Voltaire
ausrufen: Adieu Canards, Canaux, Canailles!


Von London ſchreibe ich Dir erſt wieder, wenn ich
dort einen längern Aufenthalt mache, worüber ich
mich erſt an Ort und Stelle beſtimmen will. En at-
tendant
ſchicke ich Dir beiliegend den Steindruck des
Dampfſchiffes, mir dem ich abſegle. Ein † bezeichnet,
in der Art, wie die alten Ritter ihre Namen unter-
ſchrieben, die Stelle, wo ich ſtehe, und mit einiger
Hülfe Deiner Einbildungskraft wirſt Du ſehen, wie
ich mit meinem Tuch zum Abſchiede wehe, und Dir
tauſend Liebes und Herzliches aus der Ferne zurufe.


Dein treuer L …


[[38]]

Dritter Brief.



Ich habe eine ſehr unglückliche Ueberfahrt gehabt.
Eine Bouraske, die leidige Seekrankheit, 40 Stun-
den Dauer ſtatt 20, und zu guter letzt noch das Feſt-
ſitzen auf einer Sandbank in der Themſe, wo wir
6 Stunden verweilen mußten, ehe uns die Fluth
wieder flott machte, waren die unangenehmen Evé-
nements dieſer Reiſe.


Ich weiß nicht, ob ich früher (es ſind 10 Jahre,
ſeit ich England zum letztenmal verließ), Alles mit
verſchönernden Augen anſah, oder meine Einbildungs-
kraft ſeitdem, mir unbewußt, das entfernte Bild ſich
mit reizenderen Farben ausmalte — ich fand dies-
mal alle Anſichten, die wir von beiden Ufern erhiel-
ten, weder ſo friſch noch pittoresk als ſonſt, obgleich
zuweilen doch herrliche Baumgruppen und freundliche
Landſitze ſichtbar wurden. Auch hier verſtellt, wie
im nördlichen Deutſchland, das Lauben der Bäume
gar oft die Landſchaft, nur daß ihre Menge in den
vielfachen Hecken, die alle Felder umgeben, und die
[39] Rückſicht, daß man ihnen wenigſtens die äuſſerſten
Kronen und Wipfel läßt, den Anblick weniger troſt-
los machen, wie z. B. in dem ſonſt ſo ſchönen
Schleſien.


Unter den Paſſagieren befand ſich ein Engländer,
der erſt kürzlich aus Herrnhut zurückkehrte, und auch
das Bad von M .... beſucht hatte. Es divertirte
mich ſehr, ungekannt von ihm, ſeine Urtheile über
die dortigen Anlagen zu hören. Wie der Geſchmack
verſchieden iſt, und man daher bei nichts verzweifeln
darf, kannſt Du daraus abnehmen, daß dieſer Mann
jene düſtern Gegenden ungemein bewunderte, blos
wegen der Immenſität ihrer „evergreen woods“ wo-
mit er die endloſen monotonen Kieferwälder meinte,
die uns ſo unerträglich vorkommen, in England aber,
wo die Kiefern mühſam in den Parks angepflanzt
werden, obgleich ſie in der Regel ſchlecht gedeihen,
eine ſehr geſchätzte Seltenheit ſind. Ein Amerikaner
war ſehr entrüſtet, bei dieſer elenden Ueberfahrt ſee-
krank geworden zu ſeyn, während er es von Ame-
rika nach Rotterdam nie geweſen, und ein Planta-
genbeſitzer aus Demerary, der beſtändig fror, jam-
merte daneben noch mehr über die unpolitiſche Auf-
hebung des Sclavenhandels, der, wie er meinte,
bald den gänzlichen Ruin der Colonien herbeiführen
müßte, denn, ſagte er: Ein Sclave oder Inländer
arbeitet nie, wenn er nicht muß, und um zu leben,
braucht er nicht zu arbeiten, da das herrliche Land
und Klima ihm von ſelbſt Nahrung und Obdach lie-
fert. Europäer aber können bei der Hitze nicht ar-
[40] beiten, es bleibt alſo nichts übrig, als die Alterna-
tive: Kolonieen mit Sclaven, oder keine Colonieen.
Dies wiſſe man auch recht gut, habe aber ganz an-
dere Zwecke bei der Sache, die ſich blos hinter der
Etalage von Menſchenliebe (dies waren ſeine Worte)
zu verſtecken ſuchten. Die Sclaven, behauptete er
übrigens, würden ſchon des eignen Vortheils der
Herrn wegen weit beſſer behandelt, als z. B. die ir-
ländiſchen Bauern, und er habe früher in Europa
gar oft auch Dienſtboten weit ſchlimmer traktiren ge-
ſehen. Eine Ausnahme hie und da möge vorkommen,
ſie käme aber beim Ganzen nicht in Betracht u. ſ. w.
Ich ſuchte das Geſpräch von dem, für Menſchen-
freunde ſo ſchmerzlichen Gegenſtand abzuleiten, und
ließ mir dagegen von ihm das Leben Guyanas und
die Pracht ſeiner Urwälder beſchreiben, eine weit in-
tereſſantere Unterhaltung, die mich faſt mit einer Art
Heimweh nach jenen Naturwundern erfüllte, wo Al-
les herrlicher, nur der Menſch niedriger iſt.


Das lächerliche Element unſerer Fahrt war eine
engliſche Dame, die mit ſeltner Volubilität und bei jeder
Gelegenheit franzöſiſche Converſationen anzuknüpfen
ſuchte. Nicht mehr im blühendſten Alter, wußte ſie
dieſem Fehler, ſelbſt auf dem Schiff, durch die ſorg-
fältigſte Toilette abzuhelfen, und einer der Paſſagiere
behauptete ſogar, ſie habe „a crack“ im Nacken,
eine neuerfundene Art Schraube, durch welche die
Runzeln aufgewunden werden. Als wir ſpät am
Morgen Alle mehr oder weniger elend auf dem Ver-
deck erſchienen, war ſie ſchon im eleganten Negligée dort
[41] etablirt, und erwiederte auf meine Klagen luſtig in
ihrem breiten Dialekt: „Comment, comment, vous
n’avez pas pû dormir? moi parfaitement, très
comfortable, j’étais tres chaudement couché entre
deux matelots, et je m’en porte à merveille.“ —
„Madame,“
ſagte ich, „on comprend que vous ne
craignez pas la mer.“


Mitten in der zweiten Nacht ankerten wir an der
Londoner Brücke, der fatalſte Umſtand, der Einem
hier begegnen kann, weil man dann, wegen der
Strenge der Douanen, vor der Viſitation ſeiner Sa-
chen nichts mit ſich vom Schiffe nehmen darf, die
Büreaus aber nicht vor 10 Uhr früh geöffnet werden.
Da ich meine deutſchen Diener nicht mit Wagen und
Effekten allein laſſen mochte, und eben ſo vernach-
läſſigt hatte, mir Quartier zu beſtellen, als mich
durch den Geſandten von der Viſitation zu befreien,
ſo war ich genöthigt, faſt wie ich ging und ſtand,
die Nacht in einer elenden Matroſen-Taverne am
Ufer zuzubringen, fand aber am Morgen, wo ich bei
der Unterſuchung meiner Sachen gegenwärtig war,
auch hier den ſelten trügenden goldnen Schlüſſel ſehr
wirkſam, um mir langes Warten und Weitläuftig-
keiten zu erſparen. Selbſt ein paar Dutzend franzö-
ſiſche Handſchuhe, die in aller Unſchuld bei meiner
Wäſche oben auflagen, ſchienen durch meine Guinee
unſichtbar geworden zu ſeyn, denn Niemand be-
merkte ſie.


So ſchnell als möglich eilte ich aus der ſchmutzigen
City mit ihrem Ameiſengetümmel herauszukommen,
[42] mußte aber noch eine halbe Station weit mit Poſt-
pferden fahren, ehe ich in das westend of the town
gelangte, wo ich in meiner frühern Wohnung im
Clarendon Hotel abtrat. Mein alter Wirth, ein
Schweizer, hatte zwar unterdeß England mit einem
andern, bis jetzt noch unbekannten Lande vertauſcht,
der Sohn aber ſeine Stelle eingenommen, und die-
ſer empfing mich mit aller der ehrerbietigen Sorg-
falt, welche die engliſchen Gaſtwirthe, und überhaupt
hier alle diejenigen, welche vom Gelde Anderer le-
ben, auszeichnet. Auch erwies er mir ſogleich einen
wahren Dienſt, denn, kaum eine Stunde ausgeruht,
ward ich gewahr, daß ich im Trouble der Nacht ei-
nen Beutel mit 80 Sovereigns im Commodenfach
meiner Schlafſtube vergeſſen hatte. Monſieur Ja-
quier, der das engliſche Terrain zu gut kannte, zuckte
die Achſeln, ſandte jedoch ohne Verzug einen Ver-
trauten zu Waſſer ab, um wo möglich das Verlorne
wiederzubringen. Die Unordnung, welche in jenem
elenden Gaſthofe der Vorſtädte herrſchte, kam mir
zu ſtatten. Unſer Bote fand die Stube noch unauf-
geräumt, und zur, vielleicht unangenehmen, Ueber-
raſchung der Hausleute den Beutel unberührt an der
bezeichneten Stelle.


London iſt jetzt ſo todt an Eleganz und faſhiona-
blen Leuten, daß man kaum eine Equipage vorüber-
fahren ſieht, und von aller beau monde nur einige
Geſandten gegenwärtig ſind. Dabei iſt die ungeheure
Stadt voller Schmutz und Nebel, und die macadami-
ſirten Straßen einer ausgefahrenen Landſtraße ähn-
[43] lich, denn das alte Pflaſter iſt in dieſen herausgeriſ-
ſen worden, und durch Granitſtückchen, mit Kies
ausgefüllt, erſetzt, die zwar ein ſanfteres Fahren ge-
währen und den Lärm dämpfen, im Winter aber
auch die Stadt in einen halben Sumpf verwandeln.
Ohne die vortrefflichen Trottoirs müßte man, wie
in den Landes bei Bordeaux, auf Stelzen gehen.
Auch tragen die gemeinen Engländerinnen etwas
Aehnliches von Eiſen an ihren großen Füßen.


Durch die neue Regents-Straße, Portland-Place
und den Regents-Park hat die Stadt indeß ſehr
gewonnen. Sie ſieht nun erſt in dieſem Theile ei-
ner Reſidenz ähnlich, nicht mehr wie ſonſt einer
bloßen unermeßlichen Hauptſtadt für shopkeepers,
nach weiland Napoleons Ausdruck. Obgleich der
arme Herr Naſh (ein einflußreicher Architekt des Kö-
nigs, von dem dieſe Meliorationen hauptſächlich her-
rühren) ſo übel von manchen Kunſtkennern mitge-
nommen wird, und auch nicht zu läugnen iſt, daß
in ſeinen Gebäuden alle Style unter einander gewor-
fen worden, und das Gemengſel oft mehr barokk als
genial erſcheint, ſo iſt ihm doch meines Erachtens die
Nation vielen Dank dafür ſchuldig, ſo rieſenmäßige
Pläne zur Verſchönerung ihrer Hauptſtadt gefaßt
und durchgeführt zu haben. Das Meiſte iſt übrigens
noch in petto, wird aber bei der allgemeinen Bau-
wuth und dem vielen Gelde der Engländer gewiß
ſchnell ins Leben treten. In die Details muß man
freilich nicht zu ſtreng eingehen. So iſt der, Regent-
ſtreet zum point de vûe dienende Thurm, der in
[44] einer Nadelſpitze endet, und bei welchem Körper und
Dach um Anfang und Ende zu ſtreiten ſcheinen, eine
ſeltſame architektoniſche Mißgeburt, und nichts er-
götzlicher, als die darauf gemachte Carricatur, wo
man Herrn Naſh (ein ſehr kleiner, verſchrumpelt
ausſehender Mann) geſtiefelt und geſpornt, äuſſerſt
ähnlich abconterfeyt, und auf obenerwähnter Spitze
reitend, angeſpießt ſieht, mit der Unterſchrift: Na-
tional taste
(wird ausgeſprochen: Nashional.)


Man könnte viele ähnliche Abnormitäten anführen.
So ſind unter andern an einem Balkon, der den
größten Pallaſt am Regents-Park ziert, vier platt-
gedrückte Geſtalten an die Wand gequetſcht, deren
Bedeutung ein Räthſel bleibt. Ihr Coſtüme gleicht
einer Art Schlafrock, woraus man wenigſtens ſchließen
kann, daß Menſchen damit gemeint ſind. Vielleicht
ſind es Embleme für ein Lazareth, denn dieſen ſchein-
baren Paläſten iſt, wie denen in Potsdam, auch
nur Einheit und Anſehn durch die Façaden gegeben,
eigentlich bilden ſie eine Menge ſchmaler Häuſer, die
zu allerlei Gewerbs- und andern Zwecken, wie hun-
dert verſchiedenen Eigenthümern zur Wohnung dienen.


Tadellos iſt dagegen die, auch von Herrn Naſh
ausgehende, ländliche Anlage in dieſem Park, vor-
züglich die Waſſerparthie. Hier hat die Kunſt das
ſchwere Problem völlig gelöst, in ſcheinbar frei wir-
kender Natur nicht mehr bemerkt zu werden. Man
glaubt einen breiten Fluß weit hin, durch üppig be-
buſchte Ufer, in die Ferne ſtrömen, und dort ſich in
[45] mehrere Arme vertheilen zu ſehen, während man
doch nur ein mühſam ausgegrabnes, ſtehendes und
beſchränktes, aber klares Waſſer vor ſich hat. Eine
ſo reizende Landſchaft wie dieſe, mit hervorragenden
Hügeln in der Ferne, und umgeben von einem Mei-
len langen Cirkus prachtvoller Gebäude, iſt gewiß
eine der Hauptſtadt der Welt würdige Anlage, und
wird, wenn die jungen Bäume erſt alte Rieſen ge-
worden ſind, wohl kaum irgendwo ihres Gleichen
finden. Viele alte Straßen wurden, um alles dies
zu ſchaffen, weggeriffen, und ſeit 10 Jahren mehr
als 60,000 neue Häuſer in dieſer Gegend der Stadt
aufgebaut. Es iſt, wie mich dünkt, eine beſondere
Schönheit der neuen Straßen, daß ſie zwar breit
ſind, aber nicht durchaus in ſchnurgerader Linie ge-
hen, ſondern, wie die Wege in einem Park, zuwei-
len Biegungen machen, die ihre ſonſt nicht zu ver-
hindernde, Einförmigkeit unterbrechen. Erhält Lon-
don noch Quais und wird die Paulskirche frei ge-
gemacht, wie der talentvolle Obriſt Trench projektirt
hat, ſo wird ſich keine Stadt an Pracht mit ihr
meſſen können, wie ſie ſchon jetzt jede andere an
Größe übertrifft.


Unter den neuen Brücken ſteht die Waterloobrücke
oben an, bei der die Unternehmer jedoch 300,000
£. St. verloren haben ſollen. 1,200 Fuß lang und
mit einem gediegnen Geländer aus Granit verſehen,
dabei faſt immer verhältnißmäßig einſam, bietet ſie
einen anmuthigen Spaziergang dar, mit den ſchön-
[46] ſten Flußausſichten auf ein ſtolzes Gemiſch von
Palläſten, Brücken, Schiffen und Thürmen, inſofern
nämlich der Nebel ſolche zu ſehen geſtattet. Die Vor-
richtung, welche hier ſtatt findet, die Einnehmer des
Brückengeldes zu controlliren, war mir neu. Der
eiſerne Dreher, durch den man gehen muß, und der
die gewöhnliche Kreuzesform hat, iſt ſo eingerichtet,
daß er nur ein Viertel des Cirkels jedesmal weicht,
gerade ſo viel als nöthig iſt, um eine Perſon hin-
durch zu laſſen, und in demſelben Augenblick, wo er
in dieſe Viertel-Wendung einſchlägt, fällt durch einen
Mechanismus unter der Brücke eine Marke in einen
verſchloſſenen Behälter. Eine ähnliche Vorrichtung
findet ſich daneben für die Wagen, und die Eigen-
thümer brauchen daher nur Abends die Marken nach-
zuzählen, um genau zu wiſſen, wie viel Fußgänger
und Pferde täglich über die Brücke paſſirt ſind. Man
zahlt ein Penny für den Fußgänger und drei Pence
für ein Pferd, wobei man auf 300 £. St. tägliche
Einnahme gerechnet hatte; dieſe überſteigt jedoch ſel-
ten 50.


[47]

Was Dich hier ſehr anſprechen würde, iſt die aus-
nehmende Reinlichkeit in allen Häuſern, die große
Bequemlichkeit der Meubeln, die Art und Artigkeit
der dienenden Klaſſen. Es iſt wahr, man bezahlt
alles was zum Luxus gehört, (denn das blos Noth-
wendige iſt im Grunde nicht viel theurer als bei
uns) ſechsfach höher, man findet aber auch ſechsfach
mehr comfort dabei. So iſt auch in den Gaſthöfen
alles weit reichlicher und im Ueberfluße, als auf dem
Continent. Das Bett z. B., welches aus drei
übereinandergelegten Matratzen beſteht, iſt groß
genug, um zwei bis drei Perſonen darauf Platz zu
geben, und ſind die Vorhänge des viereckigen Bett-
himmels, der auf ſtarken Mahagony-Säulen ruht,
zugezogen, ſo befindeſt Du Dich wie in einem kleinen
Cabinet, ein Raum, wo in Frankreich Jemand ganz
bequem wohnen würde. Auf Deinem Waſchtiſch fin-
deſt Du nicht blos eine ärmliche Waſſer-Bouteille mit
einem einzigen Fajence oder ſilbernen Krug und
Becken, nebſt einem langgedehnten Handtuche, wie
Dir in deutſchen und fränkiſchen Hotels, und ſelbſt
vielen Privathäuſern, geboten wird, ſondern ſtatt
deſſen wahre kleine Wannen von chineſiſchem Porcel-
lain, in die man den halben Leib ohne Mühe tauchen
könnte, darüber Robinets, die im Moment jede be-
liebige Waſſerfluth liefern; ein halbes Dutzend breite
Servietten, eine Menge große und kleine Kriſtall-
flaſchen, einem hohen Stell-Spiegel, Fußbecken ꝛc.
[48] ohne die andern anonymen Bequemlichkeiten der
Toilette in eleganter Geſtalt zu erwähnen. — Alles
präſentirt ſich ſo behaglich vor Dir, daß Dich ſofort
beim Erwachen eine wahre Badeluſt anwandelt.
Braucht man ſonſt etwas, ſo erſcheint auf den Ruf
der Klingel entweder ein ſehr nett gekleidetes Mädchen
mit einem tiefen Knix, oder ein Kellner, der in der
Tracht und mit dem Anſtand eines gewandten Kam-
merdieners reſpectvoll Deine Befehle entgegen nimmt,
ſtatt eines ungekämmten Burſchen in abgeſchnittener
Jacke und grüner Schürze, der mit dummdreiſter
Zuthätigkeit Dich fragt: Was ſchaffen’s, Ihr Gnoden,
oder: haben Sie hier jeklingelt? und dann ſchon
wieder herausläuft, ehe er noch recht vernommen
hat, was man eigentlich von ihm wollte. Gute Tep-
piche decken den Boden aller Zimmer, und im hell-
polirten Stahl-Kamin brennt ein freudiges Feuer,
ſtatt der ſchmutzigen Bretter, und des rauchenden
oder übelriechenden Ofens in ſo vielen vaterländiſchen
Gaſthäuſern. Gehſt Du aus, ſo findeſt Du nie eine
unſaubere Treppe, noch eine ſo ſpärlich erleuchtete,
wo nur gerade die Dunkelheit ſichtbar wird. Im
ganzen Hauſe herrſcht überdieß Tag und Nacht die
größte Ruhe und Decenz, und in vielen Hotels hat
ſogar jedes geräumige Logis ſeine eigene Treppe, ſo
daß man mit niemand Andern in Berührung kömmt.
Bei Tiſch gewährt man dem Gaſt eine gleiche Pro-
fuſion weißer Tiſchwäſche und glänzend geputzter Be-
ſtecke, nebſt einer wohl furnirten plat de menage
und einer Eleganz der Anrichtung, die billigerweiſe
[49] nichts zu wünſchen übrig läßt; die Dienerſchaft iſt
ſtets da, wenn man ſie braucht, und drängt ſich doch
nicht auf, der Wirth ſelbſt aber erſcheint gewöhnlich
beim Anfang des Dinés, um ſich zu erkundigen, ob
man mit allem zufrieden ſey, kurz man vermißt in
einem guten Gaſthofe hier nichts, was der wohl-
habende gereiste Privatmann in ſeinem eignen Hauſe
beſitzt, und wird vielleicht noch mit mehr Aufmerk-
ſamkeit bedient. Freilich iſt die Rechnung dem an-
gemeſſen, und auch die Waiters müſſen ziemlich eben
ſo hoch wie eigne Diener bezahlt werden. In den
erſten Hotels iſt ein Kellner, für ſeine Perſon allein,
mit weniger als zwei Pfund Trinkgeld die Woche
durchaus nicht zufrieden. Die Trinkgelder ſind über-
haupt in England mehr als irgendwo an der Tages-
ordnung, und werden mit ſeltner Unverſchämtheit,
ſelbſt in der Kirche eingefordert.


Ich beſuchte heute einige Bazars, die ſeit den letzten
Jahren immer mehr überhand nehmen, und den
Käufern viel Bequemlichkeit darbieten. Der ſoge-
nannte Pferde-Bazar iſt im größten Maßſtabe er-
baut, und verſammelt täglich eine ſehr bunte Menge.
Er nimmt mehrere weitläuftige Gebäude ein, wo in
endloſen langen Gallerien und Sälen zuerſt viele
Hunderte von Wagen und Geſchirren aller Art, neue
und alte, aber auch die letztern wie neue aufgefriſcht)
faſt zu allen Preiſen ausgeſtellt ſind. In andern
Zimmern werden Porcellain-Waaren, Putz, Criſtall,
Spiegel, Quincaillerie, Spielſachen, ſogar tropiſche
Vögel und Schmetterlings-Sammlungen ꝛc. feil ge-
Briefe eines Verſtorbenen III. 4
[50] boten, bis man endlich in der Mitte des Etabliſſements
in die Zimmer eines Kaffeehauſes gelangt, mit einer
rund um einen freien Platz laufenden Glas-Gallerie.
Hier ſieht man, während man gemächlich (freilich in
ſehr gemiſchter Geſellſchaft) frühſtücken kann, eine
Menge Pferde vorführen und verauctioniren, die in
zahlreichen Ställen daneben ſtehen, wo ſie ſehr gut
gewartet werden, und wo auch für eine voraus be-
ſtimmte Vergütung, Jeder der verkaufen will, die
ſeinigen hinſenden kann. Wenn ein ſolches Pferd
vom Auctionator garantirt wird (warranted sound)
ſo kann man es ziemlich ſicher kaufen, da die Eigen-
thümer der Anſtalt dafür einſtehen müſſen; das Beſte
findet man allerdings hier in der Regel nicht, aber
gewiß das Wohlfeilſte, und für Manchen hat dies
auch ſein Gutes, noch mehr vielleicht die große Be-
quemlichkeit, ſich alles Nöthige im Augenblick an dem-
ſelben Ort verſchaffen zu können. Dergleichen Bazars
gibt es, wie geſagt, ſchon eine Menge, und ſie ſind
wohl eine kleine Promenade werth. Ueberdieß macht
das bequeme Gehen auf den vortrefflichen Londoner
Trottoirs, die bunten fortwährend wechſelnden Bil-
der in den Straßen und die vielen reichen Läden,
welche die meiſten zieren, die Spaziergänge in der
Stadt, beſonders bei Abend, für den Fremden ſehr
angenehm.


Außer der glänzenden Gasbeleuchtung find dann
vor den vielen Apothekerläden große Glaskugeln von
tief rother, blauer und grüner Farbe aufgehangen,
deren prachtvolles Licht Meilenweit geſehen wird, und
[51] oft zum Leitſtern, aber auch zuweilen zum Irrſtern
dient, wenn man unglücklicherweiſe eines mit dem
andern verwechſelt.


Auch unter den Buden ziehen vor allen diejenigen
die Augen auf ſich, worin das ſchöne engliſche Cryſtall
verkauft wird. Aechte Diamanten können faſt nicht
blendender glänzen, als die weithin ſtrahlenden Samm-
lungen einiger dieſer Fabrikanten. Ich ſah dort auch
einige Gegenſtände in roſenrothen und anderm far-
bigen Glaſe gearbeitet, doch wundert es mich, daß
man die Formen noch immer ſo wenig verändert.
So ſind die Kronleuchter immer gleich monoton, und
doch ſollte ich denken, daß dergleichen, z. B. in Sonnen-
geſtalt mit ausgehenden Strahlen, oder als Blumen-
bouquets, ſtatt der gewöhnlichen Kronenform, und
eben ſo Wandleuchter in bunten Farben, wie Bijour
von farbigen Edelſteinen behandelt, bei übereinſtim-
mender (vielleicht orientaliſcher) Zimmer-Verzierung,
noch bisher ganz ungeſehene und überraſchende Ef-
fekte hervorbringen müßten.


In andern Buden ſieht man mit großem Intereſſe
alle Inſtrumente neuer Agrikultur und Mechanik,
von gigantiſchen Säemaſchinen, und Rodeapparaten
zum Ausreißen alter Bäume, bis zur kleinen Garten-
ſcheere herab, in weiten Lokalen fertig aufgeſtellt,
alles mit einer gewiſſen Zierlichkeit arrangirt, die
ſelbſt bei den Fleiſchern, Fiſch- und Kartoffelhändlern
noch anzutreffen iſt. Auch die Läden der Eiſen-Meubel
und Lampen-Verkäufer verdienen gar wohl eine Be-
ſichtigung, da ſie Neues und Nützliches in Menge
4*
[52] darbieten, was man nicht leicht auf dem übrigen
Continent, weder in gleicher Fülle noch Zweckmäßig-
keit zu ſehen bekömmt. Der Reiſende aber, der ſich
immer blos auf die Salons und ſeines Gleichen be-
ſchränken, und auch nur, ſo zu ſagen, vornehme
Merkwürdigkeiten beſehen will, bleibe beſſer zu Hauſe.


Ich beſchloß den heutigen Tag mit einer Spazier-
fahrt nach Chelſea, dem Invalidenhaus der Land-
truppen, wo man ſich innig freut, die alten Krieger
wohl gepflegt einen Pallaſt und ſorgfältig gehaltenen
Gärten, mit den ſchönſten kurz gemähten bowling
greens
und hohen Kaſtanien-Alleen, bewohnen zu
ſehen, deſſen ein kleiner Souverain ſich nicht zu
ſchämen hätte. Ich ſpeiste dann um 8 Uhr beim O.
Geſandten zu Mittag, ein Diné, das ſich, außer der
Liebenswürdigkeit des Hausherrn, noch durch ächten
Metternich-Johannisberger auszeichnete, für welchen
Nektar wenigſtens, auch der eingefleiſchteſte Liberale
dem großen Miniſter Gerechtigkeit wiederfahren laſſen
muß. Ich fand dort Deinen Freund B., den vierzig-
jährigen Jüngling, der mir viele Empfehlungen an
Dich auftrug. Er iſt immer noch der Alte und unter-
hielt mich lange von ſeiner Toilette, wobei er ver-
ſicherte, daß er hier vor Langerweile entſetzlich mager
geworden ſey, nur an einer Stelle finde ihn ſein
Schneider bedeutend ſtärker, nämlich da, wo er ſeit
einem Monat falſche Waden trage.


Ich will bei dieſer Gelegenheit bemerken, daß ich
Dir über die hieſige Geſellſchaft nicht viel ſagen kann,
[53] bis ein längerer Aufenthalt und „die season“ mich
befähigt hat, etwas ausführlicher davon zu ſprechen.
So lange London, hinſichtlich der großen Welt, einem
Palmyra an Einſamkeit gleicht, werde ich mich mit
der Beſchreibung der Lokalitäten begnügen, die mir
zufällig, oder denen ich abſichtlich in den Weg
komme.



Vor einigen Tagen benützte ich ein etwas helleres
Wetter, um Chiswick, eine Villa des Herzogs von
Devonſhire zu beſuchen, die für die eleganteſte
Anlage dieſer Art in England gilt, und die ich vor
mehreren Jahren nur oberflächlich, bei einem Feſte
das der Herzog gab, geſehen hatte. Die Gemälde
konnte ich auch diesmal nicht betrachten, weil ein
Gaſt das Haus bewohnte. Im Garten fand ich viel
verändert, aber kaum zum Vortheil, denn es herrſcht
jetzt eine Miſchung von Regelmäßigem und Unregel-
mäßigem darin, die einen widrigen Effekt hervor-
bringt. Ueberhaupt iſt an mehreren Orten die häß-
liche Mode in England eingeriſſen, den pleasure-
ground
faſt überall nur mit einzelnen, faſt reihen-
weis geſtellten, ſeltnen Bäumen zu bepflanzen, was
den Raſenſtücken das Anſehen von Baumſchulen gibt.
In den Strubs beſchneidet man die Sträucher rund
[54] umher, damit ſie ja den Nebenſtrauch nicht berühren
können, reinigt täglich die Erde darum ſorgfältig und
führt die Raſenkanten in ſteifen Linien, ſo daß man
mehr ſchwarzen Boden als grünes Laub ſieht, und
die freie Schönheit der Naturformen ganz verdrängt
wird.


Nur Herr Naſh geht bei ſeinen Anlagen von einem
ganz andern Princip aus, und die neuen Gärten
des Königs bei Ruckinghamhouſe ſind wahre Mu-
ſter für den Pflanzer in dieſer Hinſicht.


Was den Gärtner in England am meiſten begün-
ſtigt, iſt das milde Klima. Der Kirſch- und portu-
gieſiſche Lorbeer, Azalien, Rhododendron erfrieren
nie, und geben Winter und Sommer den herrlichſten,
üppig wachſenden Unterbuſch, reiche Blüthen und
Beeren.


Magnolien werden ſelten bedeckt, und ſelbſt Ca-
melien überwintern an geſchützten Stellen unter ei-
ner bloßen Baſtdecke. Auch der Raſen behält den
ganzen Winter hindurch ſeine ſchöne Friſche, ja er
iſt in dieſer Jahreszeit in der Regel weit ſchöner und
dichter als im Sommer, wo ich mich erinnere, ihn
bei dürrem Wetter oft noch ſchlechter als in der Mark
geſehen zu haben, jetzt im Herbſt iſt aber die ganze
Vegetation grade in ihrer üppigſten Pracht.


Eine ſchöne Wirkung macht in Chiswick ein ein-
zelner hoher Baum vor dem Hauſe, deſſen Stamm
man bis an die Krone glatt aufgeputzt hat, und un-
[55] ter welchem man nun den ganzen Garten und einen
Theil des Parks überſieht, ein guter Wink für Land-
ſchaftsgärtner, den ich Dir in M. zu benutzen rathe.
Die hieſigen Cedern-Alleen (welcher Baum bei uns lei-
der auch nicht im Freien gedeiht) iſt berühmt, und er-
reicht die Größe alter Tannen. Auch coloſſale Tarus-
hecken bekunden, wie lange dies Beſitzthum ſchon
gepflegt wurde, und die neuen Gewächs- und Treib-
häuſer empfehlen den guten Geſchmack ihres jetzigen
Beſitzers beſſer als der pleasure ground. Sonderbar
iſt es, daß nirgends in England die Orangenbäume
zu irgend einer bedeutenden Größe zu bringen ſind.
Auch hier iſt dieſer Theil der Gärtnerei nur ſehr
mesquin, dagegen die Blumengärten noch immer
reich blühen. Die Blumenbeete waren ebenfalls ſo
ſparſam bepflanzt, daß jede einzelne Staude frei ſich
ausbreiten konnte, ausgenommen diejenigen Beete,
wo nur eine Blumenſorte cultivirt wird. In dieſem
Fall ſucht man das Ganze ſo voll als möglich zu er-
halten, und dieſe letzteren ſind daher auch bei wei-
tem die ſchönſten. Ich ſah in den Treibhäuſern hier
zum erſtenmal die große Providence-Ananas, welche
Exemplare bis zu 12 Pfund Gewicht liefert. Eine
kleine Menagerie iſt mit Chiswick verbunden, wo ein
zahmer Elephant allerlei Kunſtſtücke macht, und ſich
auf einem weiten Raſenplatz ſehr ruhig von jedem
Neugierigen reiten läßt. Sein Nachbar iſt ein Lama
und weit unſanfterer Natur. Die Waffe deſſelben
beſteht in einem äuſſerſt übelriechenden Speichel, mit
dem es mehrere Ellen weit diejenigen, welche es
[56] necken, anſpuckt, und dabei ſo richtig trifft, und ſo
ſchnell und plötzlich auf ſeinen Gegner losſpringt,
daß man nur mit vieler Mühe der zugedachten La-
dung entgeht.


Leider hat Chiswick nur ſtehendes und ſchlammi-
ges Waſſer, was zuweilen ſo austrocknet, daß der
Elephant, bei ſtarkem Durſt, den Reſt ausſaufen
könnte.


Durch eine Reihe lieblicher Villen und Landhäuſer
aller Art, unter dem Gewimmel von Reitern, Land-
kutſchen, Reiſewagen und Kohlenkarren mit Rieſen-
pferden beſpannt, dazwiſchen mit gelegentlichen ſchö-
nen Ausſichten auf die Themſe, langte ich nach einer
Stunde raſchen Fahrens wieder bei Hydeparkcorner
an, und begrub mich von Neuem in das Labyrinth
der unermeßlichen Stadt.


Den andern Tag beſuchte ich die City mit meinem
Lohnbedienten, einem Schweizer, der Aegypten, Sy-
rien, Sibirien und Amerika bereist, ein ruſſiſches
Poſtbuch herausgegeben, die erſte Nachricht von der
Einnahme Hamburgs durch Tettenborn, nebſt einem
Koſacken in natura, nach London gebracht, und zu-
letzt Napoleons Krönungs-Anzug in Paris erſtanden,
und hier für 5 Schilling Eintrittsgeld gezeigt hat,
dabei geläufig die meiſten europäiſchen Sprachen
ſpricht, und alſo mit einer halben Guinnea täglich
nicht zu theuer bezahlt wird. Auch als Arzt iſt er
zu gebrauchen, denn er hat auf ſeinen Reiſen ſo viel
Arcana und Recepte geſammelt, daß er wundervolle
[57] Hausmittel für jedes Uebel, und überdem, wie er
behauptet, noch tauſend verſchiedene Punſch-Recepte
beſitzt. Geführt von dieſem Univerſal-Genie betrat
ich zuerſt die Börſe, the Royal Exchange.


An andern Orten hat die Börſe gewöhnlich nur
ein kaufmänniſches Anſehen, hier durchaus ein hiſto-
riſches. Die impoſanten Statuen engliſcher Herrſcher
rund umher, unter denen ſich Heinrich VIII. und
Eliſabeth beſonders auszeichnen, wie die alterthüm-
liche und würdige Bauart erwecken poetiſche Gefühle,
denen der Gedanke eines ſo unermeßlichen Welthan-
dels, deſſen Hauptplatz London iſt, eine noch tiefere
Bedeutung giebt. Die Menſchen jedoch, die das Ge-
mälde beleben, ziehen Einen bald wieder in das
Reich des Alltäglichen hinab, denn hier leuchtet Ei-
gennutz und Intereſſe zu lebhaft aus jedem Auge,
ſo daß in dieſer Hinſicht der Ort, wie die ganze
City, einen faſt unheimlichen Anblick darbietet, der
dem raſt- und troſtloſen Gewühle verdämmter Gei-
ſter nicht ganz unähnlich erſcheint.


Der große Hof der Börſe wird von bedeckten Ar-
kaden umgeben, wo Inſchriften den Kaufleuten aller
Nationen ihren Verſammlungsort anweiſen. In der
Mitte des Hofs ſteht eine Statüe Carl II., der den
Pallaſt erbaute. Sie drückt in Haltung und Gebehrde
ganz den Mann aus, wie ihn die Geſchichte beſchreibt,
nicht ſchön, aber doch nicht ohne Grazie, und mit
einem feſtgewurzelten Leichtſinn in den, wie zum
Spott, halb gravitätiſchen Zügen, den nichts beſſern
[58] kann, weil er aus Mittelmäßigkeit entſpringt, und
daher auch aus dieſem König einen eben ſo liebens-
würdigen und ſorgloſen Roué, als ſchlechten Regen-
ten machte. In Niſchen, die rund um den zweiten
Stock angebracht ſind, ſtehen die Büſten anderer
Herrſcher Englands. Ich habe ſchon die Heinrich VIII.
und der Königin Eliſabeth genannt. Sie würden
auch ohne die ſich ihnen beimiſchende Erinnerung
auffallen. Heinrich fett und behaglich, und ſo zu ſa-
gen gemüthlich grauſam ausſehend, Eliſabeth
männlich großartig, und doch auch weiblich boshaft.
Die Büſten ſind gewiß nach den beſten Holbeiniſchen
Originalien gemacht. In dieſem Stocke befindet ſich
das berühmte Lloyd’s Coffeehouſe, das ſchmutzigſte
Lokal dieſer Art in London, dem man es nicht an-
ſieht, daß hier täglich über Millionen verwandelt wer-
den. Doch ſind offenbar mehr Papier und Federn als
Erfriſchungen ſichtbar.


Nahe dabei iſt das ſchöne und ungeheure Gebäude
der Bank von England, mit einer Menge großer
und kleiner Säle, die größtentheils von oben beleuch-
tet und zur Aufnahme der verſchiedenen Comptoirs
beſtimmt ſind. Hunderte von Verks arbeiten hier
nebeneinander, und führen mechaniſch die koloſſalen
Geſchäfte, bei denen das nil admirari dem, ohne-
dies gern bewundernden armen Deutſchen oft ſchwer
werden mag, beſonders wenn er im Bullion office,
wo die Lingots aufbewahrt werden, die Goldhaufen
und Silberfäſſer anſtaunt, die ihm die Schätze der
tauſend und einen Nacht zu realiſiren ſcheinen.


[59]

Von hier begab ich mich nach dem Rathhaus, wo
eben der Lord-Mayor, dermalen ein Buchhändler,
der aber in ſeinem blauen Mantel mit goldner Kette
gar nicht übel repräſentirte, und einen ganz monar-
chiſchen Anſtand anzunehmen wußte, eben Recht ſprach.
Ich glaube nicht, daß er ſich dabei ſchlechter wie ein
Juſtizbeamter aus der Affaire zog; denn ſeit Sancho
Panſa’s Zeiten iſt es bekannt, daß der geſunde Men-
ſchenverſtand das Rechte nicht ſelten richtiger er-
kennt, als die durch zu viele ſcharfgeſchliffene Bril-
lengläſer überſichtig gewordene Wiſſenſchaft, ſo wie
ich auch, in Parentheſe geſagt, das Kunſturtheil
eines gebildeten, natürlichen Sinnes in der Regel
dem eines Antiquaren vorziehe, der durch den Na-
men, oder eines Selbſtkünſtlers, der durch die be-
ſiegten Schwierigkeiten am meiſten beſtochen wird.


Der Schauplatz hier war nur ein mittelmäßiges
Zimmer, zur Hälfte mit dem niedrigſten Pöbel ge-
füllt. Es handelte ſich um das häufigſte Thema in
England, einen Diebſtahl, und da der Sünder, wel-
cher eben ſo gelaſſen als ennuyirt ſchien, nach gerin-
gem Zögern geſtand, ſo hatte das Drama ſchnell
ein Ende.


Und weiter wanderten wir fort in der tumultua-
riſchen City, wo man wie ein Atom verloren gehen
kann, wenn man nicht gehörig rechts und links auf-
paßt, um weder von einer dem Trottoir zu nahe
kommenden Cabriolet-Gabel aufgeſpießt, oder von
einem einbrechenden und umſtürzenden Diligencen-
[60] Gebäude erdrückt zu werden, und gelangten aber-
mals zu einem höchſt dunkeln und unanſehnlichen
Kaffeehaus, Garroways Coffeehouſe genannt, wo in
einem elenden Lokal Landgüter und Palläſte, oft
Hunderttauſende an Werth, täglich verſteigert wer-
den. Wir ſetzten uns ganz ernſthaft dazu hin, als
wären wir ſehr begierig, ähnliche Acquiſitionen zu
machen, und bewunderten die ungemeine Liebens-
würdigkeit und faſt unglaubliche Geſchicklichkeit des
Auktionators, die Kaufluſt bei ſeinem Auditorium
zu erregen. Er zeigte ſich in zierlicher ſchwarzer Klei-
dung und Perrücke, und ſtand wie ein Profeſſor auf
dem erhabenen Catheder. Ueber jedes Gut hielt er
eine allerliebſte Rede, die er nicht ermangelte mit
vielfachen Späſſen zu würzen, und jeden Gegenſtand
dabei ſo unwiderſtehlich anzupreiſen, daß der Unbe-
fangene darauf hätte ſchwören mögen, Alles ginge
hier für das unverantwortlichſte Spottgeld weg.


Mein Lohnlakay erzählte mir, daß dieſer berühmte
Auktionator vor einiger Zeit in einen unangenehmen
Prozeß verwickelt worden ſey. Er hatte nämlich ein
Landgut ungemein wegen des romantiſchen hanging
wood
in ſeiner Nahe geprieſen, eine Holzart, die ſehr
beliebt in England iſt, und worunter gewöhnlich
Trauerweiden, Trauerbirken, Hängeäſchen, Fich-
ten u. ſ. w. verſtanden werden. Ein Käufer ließ ſich
hierdurch zur Erſtehung verlocken, denn es iſt eigen-
thümlich engliſch, daß faſt alle Käufe, die hier ge-
macht werden, ohne eigne Beſichtigung des ausgebo-
tenen Orts ſtatt finden. Als er indeß auf ſeinem
[61] neu acquirirten Grundſtück ankam, fand er daſſelbe
faſt ganz von Bäumen entblößt, und kein andres
hanging wood daſelbſt, als einen nahen — Galgen.
Soviel für engliſche Humoriſtik und Rechtlichkeit.


Wie hätte ich aber die City verlaſſen können, ohne
ihren wahren Lion (engliſcher Ausdruck für jedes
Auſſerordentliche in ſeiner Art) ihren Beherrſcher —
mit einem Wort: Rothſchild, beſucht zu haben.


Auch er bewohnt hier nur ein unſcheinbares Lo-
kal (denn im westend of the town befindet ſich ſein
Hotel), und in dem kleinen Hof des Comptoirs wurde
mir durch einen Frachtwagen, mit Silberbarren bela-
den, der Eingang zu dieſem Haupt-Alliirten der hei-
ligen Allianz ziemlich ſchwierig gemacht. Ich fand
den ruſſiſchen Conſul daſelbſt, der eben ſeine Cour
machte. Es war ein ſeiner und geſcheuter Mann,
der ſeine Rolle perfekt zu ſpielen, und den ſchuldigen
Reſpekt cum dignitate zu verbinden wußte. Dies
wurde um deſto ſchwerer, da der geniale Selbſtherr-
ſcher der City eben nicht viel Umſtände machte, denn,
nachdem er gegen mich, der ihm ſeinen Creditbrief
überreicht hatte, ironiſch geäuſſert: wir wären glück-
liche reiche Leute, daß wir ſo umherreiſen und uns
amüſiren könnten, während auf ihm armen Manne
Weltlaſten lägen, fuhr er damit fort, ſich bitter zu
beklagen, daß kein armer Teufel nach England käme,
der nicht von ihm etwas haben wolle. So habe noch
geſtern wieder ein Ruſſe bei ihm gebettelt, eine Epi-
ſode, die dem Geſicht des Conſuls einen bitterſüßen
Stempel aufdrückte, und, ſetzte er hinzu, die Deut-
[62] ſchen laſſen mir vollends gar keine Ruhe! Hier kam
die Reihe an mich, gute Contenance zu halten. Als
ſich nachher das Geſpräch auf politiſche Gegenſtände
richtete, gaben wir Beide gern zu, daß ohne ihn Eu-
ropa nicht mehr beſtehen könne; er lehnte es aber
beſcheiden ab, und meinte lächelnd: „Ach nein, da
machen Sie nur Spaß, ich bin nichts mehr als ein
Bedienter, mit dem man zufrieden iſt, weil er die
Geſchäfte gut macht, und dem man dann aus Er-
kenntlichkeit auch was zufließen läßt.“


Dies wurde in einer ganz eigenthümlichen Sprache,
halb engliſch, halb deutſch, das Engliſche aber ganz
mit deutſchem Accent, vorgetragen, jedoch alles mit
einer imponirenden Aſſurance, die dergleichen Klei-
nigkeiten unter ihrer Aufmerkſamkeit zu finden ſcheint.
Mir erſchien grade dieſe originelle Sprache ſehr cha-
rakteriſtiſch an einem Manne, dem man Genialität,
und ſogar einen in ſeiner Art großen Charakter gar
nicht abſprechen kann.


Bei Royal Exchange, wo die Kaufleute zu ſehen
ſind, hatte ich, für England ſehr conſequent, begon-
nen, mit Exeter Change, wo man die fremden Thiere,
gleichſam als Repräſentanten der Colonien, zeigt,
ſchloß ich meine Tournee. Auch hier begegnete mir
wieder ein Lion, diesmal aber ein wirklicher, mit
Namen Nero, welcher auſſer ſeiner Zahmheit das in
unſerm Clima ſeltenere Verdienſt hat, bereits ſechs
Generationen junger engliſcher National-Löwen ge-
liefert zu haben. Er iſt von ungeheurer Größe und
[63] ehrwürdigem Anſehn, ruht aber jetzt auf ſeinen Lor-
beeren aus, und ſchläft königlich faſt den ganzen Tag.
Erwacht er jedoch übler Laune, ſo macht noch ſein
Brüllen das alte Bretterhaus und die ihn umgeben-
den gemeinern Thiere erzittern. Dieſe beſtehen aus
Geſchöpfen faſt aller Arten, Elephanten, Tiger, Leo-
parden, Hyänen, Zebras, Affen, Strauße, Condors
Papageyen und Vögeln aller Zonen. Eigenthümlich
iſt es, daß ſie nicht ebener Erde, ſondern alle im
zweiten und dritten Stocke wohnen, ſo daß man auf
einem der gezähmten Elephanten, der immer geſattelt
ſteht, oben umherreiten und eine recht hübſche Aus-
ſicht ins Weite dabei genießen kann. Den Kaufluſti-
gen lockt die große Auswahl und verhältnißmäßig
ſehr wohlfeile Preiſe. Der würtembergiſche Geſandte
des letzten hochſelig verſtorbenen Königs hatte, wie
ich mich noch wohl erinnere, hier mehr zu thun als
in St. James und Downingſtreet, ja ich weiß, daß
er einmal wegen einer krepirten, ſeltenen, großen
Schildkröte, lange in großen Sorgen ſtand, ſeinen
Poſten zu verlieren.


Auf dem Rückwege zu meinem Hotel kamen wir
bei einem Palais vorbei, von welchem mein weit ge-
reister Cicerone, Herr Tournier, Gelegenheit nahm,
mir folgende intereſſante Erzählung zu machen. Hat
er brodirt, ſo bitte ich Dich, es ihm, und nicht mir,
entgelten zu laſſen.


Es war dieſer Pallaſt nämlich das Haus der Mon-
tague (die Shakespeare nach Verona verſetzt, aus wel-
[64] chem vor geraumer Zeit der junge Erbe dieſes Hauſes
als einjähriges Kind geſtohlen, und lange nichts weiter
von ihm gehört ward. Nach acht Jahren vergeblicher
Nachforſchungen der troſtloſen Mutter, ſchickte einſt
der Schornſteinfeger des Stadtviertels einen kleinen
Knaben zum Fegen des Kamins in das Schlafzimmer
der Lady Montague, in welchem man durch einen
glücklichen Zufall, vermöge eines Maals am Auge
und den darauf gegründeten Nachforſchungen den
verlornen Sohn erkannte; eine Anekdote die ſpäter
zu einem bekannten franzöſiſchen Vaudeville Anlaß
gegeben hat. Aus Dankbarkeit für ein ſo unverhoff-
tes Glück gab Lady Montague viele Jahre lang, und
ich glaube noch jetzt geſchieht etwas Aehnliches, in
dem großen Garten, der an ihr Palais ſtößt, der
ganzen Schornſteinfeger-Innung von London am
Tage des Wiederfindens ein Feſt, wo ſie ſelbſt, mit
aller ihrer Dienerſchaft in Staatskleidung, für die
Bewirthung dieſer Leute Sorge trug.


Der Knabe ward ſpäter ein ſehr ausgezeichneter,
aber auch eben ſo excentriſcher und wilder Jüngling,
der ſein Hauptvergnügen in ungewöhnlichen Wagſtücken
ſuchte, wozu er bei fortwährenden Reiſen in fremde
und unbekannte Länder die beſte Gelegenheit fand.
Auf dieſen begleitete ihn ſtets ein ſehr geliebter
Freund, ein gewiſſer M. Barnett.


So hatte er in mehreren Welttheilen die entfern-
teſten Gegenden geſehen, als im Jahr 90 Tournier,
ſeiner Ausſage nach, ihn als Kammerdiener nach der
[65] Schweiz begleitete. In Schaffhauſen angelangt, faßte
der Lord die unglückliche Idee, mit einem Boote den
Rheinfall hinunterzufahren. Der erſte Geiſtliche des
Orts, ſo wie viele andere Bekannte baten den jungen
Brauſekopf um des Himmelswillen, ein ſo raſendes
Unternehmen zu unterlaſſen, jedoch vergebens. Man
wollte ihn ſogar durch Aufbieten der Schaffhäuſer
Stadtſoldaten daran verhindern, es ſcheint aber, daß
ſie ihm nicht mehr Furcht als die weiland Leipziger
den dortigen Studioſen einflößten, oder täuſchte er
ihre Wachſamkeit, kurz, nachdem er vorher einen
leeren Kahn gleichſam zur Probe als avantcoureur
voraus geſchickt hatte, der auch glücklich mit ſeinem
hölzernen Leben davon kam, folgte er ſelbſt in Ge-
ſellſchaft ſeines Freundes. Mr. Barnett hatte zwar
ebenfalls alles angewandt, dem entetirten Lord ſein
Vorhaben auszureden, als ihm dieſer aber zurief:
„Wie Barnett, Du biſt mit mir über den ganzen Erd-
ball gezogen, haſt jede Gefahr treulich mit beſtanden,
und willſt mich nun bei dieſer Kinderei verlaſſen? ſo
gab er gezwungen nach und ſetzte ſich, die Achſeln
zuckend, in den verhängnißvollen Kahn.


Sie ſchwammen erſt ſanft und langſam, dann mit
immer reißenderer Schnelle dem Sturze zu, während
Hunderte von Zuſchauern zagend den Wagehälſen
nachſchauten.


Was indeſſen Jeder vorhergeſagt, geſchah. Die
Kante der Felſen berührend, ſchlug der Kahn um,
die beiden Männer erſchienen nur noch einmal zwi-
Briefe eines Verſtorbenen III. 5
[66] ſchen dem Geſtein, und der Donner der Wogen über-
tä ubte ihr Hülfegeſchrei, das nur undeutlich in Zwi-
ſchenräumen vernommen ward. Bald waren ſie gänz-
lich verſchwunden, und obgleich man viele Monate
lang, ohne Koſten zu ſcheuen, die Körper bis an
den Ausfluß des Rheins in Holland ſuchen ließ, und
große Summen auf ihr Wiederfinden ſetzte, ſo hat
man doch nie wieder etwas von ihnen vernommen.
Sie ſchlummern unbekannt in der kryſtallnen Tiefe.


Sonderbar iſt es, daß an demſelben Tage, der
ihnen den Tod brachte, das Stammſchloß der Mon-
tague in Suſſer bis auf den Grund abbrannte. Die
unglückliche Mutter überlebte nur ein Jahr den Tod
ihres zum zweitenmal und diesmal unwiederbringlich
verlorenen Sohnes.


Wenn Grillparzer zu trauen iſt, ſo muß hier wenig-
ſtens eine unverſöhnliche Ahnfrau im Spiele ge-
weſen ſeyn, vielleicht noch von Romeo’s Zeiten her.



Müde von der vorgeſtrigen Tour brachte ich den
andern Morgen in meinen vier Pfählen zu, beſuchte
aber Abends die engliſche Oper im Strand, nicht
weit von dem Thierlokal, deſſen Bewohner ſie gleich
zu ihrer Dispoſition hat. Das Haus iſt weder ele-
[67] gant noch groß, aber die Akteurs gar nicht übel.
Man gab indeß keine Oper, ſondern hideuſe Melo-
dramen, zuerſt Frankenſtein, wo ein Menſch durch
Zauberkünſte, ohne Frauenhülfe, gemacht wird, und
daher auch ſehr ſchlecht geräth und dann den Vam-
pyr, nach der bekannten, Lord Byron fälſchlich zu-
geſchriebenen Erzählung. In beiden ſpielte Herr
Cook die Hauptrolle, der ſich durch ein ſchönes
Aeußere, ſehr gewandtes Spiel und einen höchſt vor-
nehmen und noblen Anſtand auszeichnet. Auch war
das Zuſammenſpiel durchgängig muſterhaft, die Stücke
jedoch ſo albern und unſinnig, daß man es unmöglich
bis ans Ende aushalten konnte. Hitze, Ausdünſtung
und Publikum waren dabei ebenfalls nicht die er-
freulichſten. Ueberdem dauert dieſes Schauſpiel von
7 bis [½] 1 Uhr, was ſelbſt bei dem vortrefflichſten
zu lang wäre.


Den nächſten Tag fuhr ich nach Hamptoncourt, um
das dortige Schloß, das Geſtüt, und meine alte
Freundin Lady Lansdown zu beſuchen.


Von allen drei Dingen fand ich das erſte am un-
verändertſten vor, und den berühmten Weinſtock im
Garten wohl noch mit einem Hundert Trauben mehr
beſchwert. Er hatte jetzt im Ganzen weit über Tau-
ſend Stück, und bedeckte das ihm eingeräumte Treib-
haus von 75 Fuß Länge und 25 Fuß Breite völlig.
In einer Ecke ſtand, gleich dem dunkeln Ahnherrn
eines ſtolzen Geſchlechts, ſein brauner Stamm, ſo
verloren und unſcheinbar, als wenn er gar nicht mehr
zu dem prachtvollen Gewölbe von Blättern und
5*
[68] Früchten gehöre, die ihm doch allein ihr Daſeyn ver-
danken.


Die meiſten Zimmer im Schloſſe ſind noch ganz
ſo meublirt, wie ſie Wilhelm III. vor 120 Jahren
verließ. Man konſervirt abſichtlich die zerriſſenen
Stühle und Tapeten. Viele intereſſante und vor-
treffliche Gemälde zieren dieſe Gebäude, vor allen
die berühmten Cartons von Raphael, welche aber
bald von hier nach dem neuen Pallaſt des Königs
wandern ſollen. Du haſt das Alles aber ſo oft be-
ſchrieben geleſen, daß ich mich der Wiederholung ent-
halte. Nur zwei ſchöne Portraits, Wolſey’s des
ſtolzen Erbauers dieſes Pallaſtes, und Heinrich des
VIII. ſeines verrätheriſchen Herrn, laß mich erwähnen.
Beide ſind vortrefflich und höchſt charakteriſtiſch. Du
erinnerſt Dich jenes dicken Advokaten, den wir nur
mit ſo vieler Mühe los wurden, thieriſchen Aus-
drucks, ſinnlich, blutgierig ſoweit die heutige Zeit
es erlaubt, gewandt, ſpitzfindig, voller Geiſt und
Argliſt, und bei unbegränztem Hochmuth doch mit
überwiegender Tendenz zum Gemeinen, zuletzt aber
noch auf eine wahrhaft naive Weiſe frei von allem
Gewiſſen — gib dem Bilde Heinrichs einen grünen
Frack mit Perlmutterknöpfen und Du haſt ſein treue-
ſtes Portrait.


Immer wiederholt ſich in andrer Nüance die Natur,
aber die Stufen ſind verſchieden, und mit ihnen die
Ausbildung, wie das Schickſal der Menſchen und
der Welt.


[69]

In der Nacht wäre ich bald im Erſtickungstode
hinübergeſchieden, da mein heimathlicher Jocriſſe, wahr-
ſcheinlich von einem engliſchen Camaraden früher zu
gut bewirthet, während ich ſchon ſchlief, Kohlen aus
dem Kamin wegtragen wollte, und ſie auf einem
lakirten Präſentirbrett daneben ſtehen ließ. Ein
furchtbarer Dampf und infernaler Geruch weckte mich
noch glücklicherweiſe, als ich eben träumte, ein Hof-
mann Heinrichs des Achten zu ſeyn, und Camp d’or
eine franzöſiſche Schöne erobert zu haben — ſonſt
hätte ich gewiß die Traumbraut nur im Himmel ge-
küßt.


Ohngefähr wie dieſer Himmel, eben ſo entfernt
und eben ſo lieblich, erſcheint mir der Ort wo Du
weilſt, meine Traute, und ſo ſende ich Dir den Frie-
denskuß übers Meer und ſchließe, Heil und Segen
wünſchend, hiemit die erſte engliſche Epiſtel.


Dein herzlich ergebener
L.


[[70]]

Vierter Brief.



Das hieſige Klima ſcheint mir gar nicht zu be-
kommen, denn ich befinde mich ſeit meiner Landung
fortwährend unwohl. Indeſſen, ſo lange ich nur
nicht die Stube hüten muß, laſſe ich mich davon nicht
unterdrücken, reite viel, um mich zu kuriren, in der
reizend cultivirten Umgegend von London umher, und
ſetze auch meine Courſen in der Stadt nicht aus.


Das brittiſche Muſeum kam neulich an die Reihe,
wo ein eigner Miſchmaſch von Kunſtgegenſtänden und
Naturalien, Curioſitäten, Büchern und Modellen in
einem erbärmlichen Lokal aufbewahrt wird.


Am Eingang oberhalb der Treppe ſtehen zwei
enorme Giraffen, gleichſam als ausgeſtopfte Wächter
und Embleme engliſchen Kunſtſinns. Man findet
dann in den verſchiedenen Zimmern ohne Zweifel ſehr
viel Intereſſantes, ich muß aber zu meiner Schande
[71] geſtehen, daß ich von dem zu vielen Sehen dergleichen
Merkwürdigkeiten, mich jetzt durchaus in ſehr favo-
rabler Stimmung befinden muß, um nicht etwas
Indigeſtionsartiges dabei zu empfinden. Unter den
antediluvianiſchen Ueberreſten befand ſich ein ganz
monſtroſes, äußerſt wohl erhaltenes Hirſchgeweih,
was wenigſtens ſechsfach die größten übertrifft, die
unſer Freund C.... in der Hirſchgallerie ſeines
Schloſſes aufbewahrt. Im Antikenſaal, der übrigens
einer Scheune gleicht, erfreut man ſich an den herr-
lichen Elginmarbles, wie man ſie hier nennt. Könnte
man doch nur einmal dieſe alte untergegangene Kunſt-
welt in aller Pracht und Erhaltung ihrer Monumente
anſchauen! Das wäre noch der Mühe werth. — Die
einzelnen Torſen, mit denen wir uns begnügen müſſen,
gewähren doch nur (déclamation à part) ohngefähr
das Vergnügen, welches Einem z. B. eine wunder-
ſchöne Frau mit nur einem Beine, abgeſchnittenen
Armen, und geblendeten Augen verſchaffen könnte.


Eine Büſte des Hippokrates ſprach mich an, weil
ihr der Arzt vom Metier, ſo zu ſagen, aus den
Augen geſchnitten war, ſo daß man hier in England,
bei dem Anblick derſelben ſchon unwillkührlich in die
Taſche griff. — *) Auch die berühmte Portland-Vaſe
betrachtete ich mit ſchuldigem Enthuſiasmus.


[72]

Ich ſende Dir beifolgend zwei ſpezielle Werke über
die Vaſe und die Elgin’ſchen Antiken, mit ſehr leid-
lichen Umriſſen, nehme aber jetzt Abſchied, um ein-
packen zu laſſen, denn morgen gedenke ich nach
Newmarket zu fahren, um mich während des Pferde-
rennens einige Tage daſelbſt aufzuhalten.



Die Schönheit des Landes, und die ungemeine
Zierlichkeit aller Orte, durch die mein heutiger Weg
mich führte, frappirte mich von neuem auf das an-
genehmſte. Dieſe eben ſo fruchtbaren als geordneten
Landſchaften, dieſe Tauſende von behaglichen und lieb-
lichen Landhäuſern, auf allen Punkten der Gegend
vertheilt, dies fortwährende Gewühl von eleganten
Wagen, Reitern und wohlgekleideten Fußgängern ſind
nur England eigen. Es hat aber dieſes ſchöne Ganze
doch einen Fehler, es iſt alles zu kultivirt, zu vollen-
det, deshalb immer und überall daſſelbe, und folglich
auf die Länge ermüdend, ja ich kann mir ſogar den-
ken, daß es endlich widerlich werden muß, wie den
Ueberſatten eine duftende Schüſſel voller Delikateſſen
aneckelt. Dies mag auch die große Reiſeluſt der Eng-
länder zum Theil erklären. Es iſt gerade ſo wie im
Leben, wo der Menſch ganz ungeſtörtes Glück am
wenigſten vertragen kann, weßhalb der liebe Gott
[73] vielleicht auch unſern Stammvater Adam, hauptſäch-
lich nur, um ihn nicht vor langer Weile daſelbſt um-
kommen zu laſſen, aus dem Paradieſe jagte.


Heute war indeß für einige Schattenbeimiſchung
geſorgt. Wegen der großen Concurrenz zum Wett-
rennen traf ich auf allen Stationen nur höchſt abge-
triebene Pferde, manchmal gar keine, ſo daß ich, we-
nigſtens nach engliſchem Maßſtabe, erbärmlich ge-
fahren wurde, und erſt ſpät in der Nacht Newmar-
ket erreichte.


Nirgends war in den Gaſthöfen Platz zu finden,
und ich mußte mich zuletzt noch ſehr glücklich ſchätzen,
in einem Privathauſe eine kleine Stube für 5 Gui-
neen die Woche zu erhalten. Glücklicherweiſe traf
ich einen guten Bekannten in demſelben Hauſe an,
einen kleinen ungariſchen Magnaten-Sohn, der durch
Anſpruchsloſigkeit und frohe Lebensluſt dazu gemacht
ſcheint, ſich und Andern in der Welt zu gefallen.
Ich verehre ſolche Naturen, weil ſie ſo grade Alles
beſitzen, was mir fehlt.


Den nächſten Morgen ſchon ritt ich mit ihm umher, um
uns ein wenig zu orientiren. Ein Tag gleicht hier dem
andern, wie ein Ey dem andern. Früh ½ 9 Uhr ſieht
man zuerſt auf einem Hügel einige hundert Rennpferde,
in Decken eingehüllt, ihre Morgenpromenade machen.
Der weit ausgedehnte kahle Grashügel iſt überall mit ih-
nen, wie mit einer Heerde bedeckt, einige gehen im Schritt
umher, andere gallopiren, bald langſamer, bald ſchnel-
ler, doch nie im vollen Lauf. Ein Aufſeher, auf ei-
[74] nem kleinen Pony reitend, begleitet in der Regel die
Pferde, welche demſelben Herrn gehören, oder bei
demſelben Traininggroom in Koſt und Wartung
ſind. Die Rennpferde ſelbſt werden hier alle von
kleinen, nur halb angezogenen Jungen auf der Decke
geritten, von denen auch gelegentlich einer zum Ver-
gnügen der Zuſchauer abgeworfen wird. Iſt dieſe
für den Pferdeliebhaber allerdings ſehr intereſſante
Beſichtigung vorbei, ſo frühſtückt man, geht wohl
noch eine halbe Stunde auf die Pferdeauction, welche,
von dem allbekannten Herrn Tatterſall geleitet, bei-
nahe alle Tage auf offener Straße ſtatt findet, und
reitet oder fährt dann zum Wettrennen.


Dieſes beginnt ziemlich pünktlich um 12 Uhr. Eine
unabſehbare Grasplaine mit feinem dichten Hutungs-
raſen bewachſen, iſt der Kampfplatz, wo verſchiedene
Diſtanzen, von einer ganzen deutſchen Meile, als
Maximum, bis zu ⅛ und 1/10 als Minimum, ſtets
in grader Linie durchlaufen werden. Dieſe Bahn
iſt gegen das Ende hin auf beiden Seiten mit
Stricken eingefaßt, längs welchen außerhalb drei
und vierfache Reihen größtentheils ausgeſpannter
Wagen ſtehen, die von oben bis unten, inwen-
dig und auswendig mit Zuſchauern beſetzt ſind.
Am Ziele ſelbſt befindet ſich ein Bretterhäuschen,
ohngefähr wie die Schäfer in manchen Gegenden
Deutſchlands zu haben pflegen, auf Räder geſtellt,
ſo daß man es beliebig weiter rücken kann, wenn
das Ziel verlängert oder verkürzt werden ſoll. In
dieſem ſitzt der Kampfrichter, um vermöge einer ge-
[75] genüber eingegrabenen Stange, genau viſiren zu
können, welches Pferdes Naſe die erſte in dieſer
Linie erſcheint, denn oft entſcheidet nur ein Zoll, und
es iſt eine ſehr geſcheute Politik und Hauptkunſt der
hieſigen Jokeys, die wahre Schnelligkeit ihrer Pferde
ſo wenig als möglich zu verrathen, ſondern nur grade
ſo viel davon zu zeigen, als zum Gewinnen eben
nöthig iſt. Sehen ſie, daß ſie keine Chance mehr
haben, ſo bleiben ſie lieber gleich ganz zurück, da
hingegen diejenigen, welche um den Sieg noch ſtrei-
ten, am Ziele immer nur ſehr wenig auseinander
ſind. Das groteske Schauſpiel eines Reiters, der,
1000 Schritt zurück, noch immer wie eine Dampfma-
ſchine mit Sporen und Gerte ſich auf ſeinem Pferde
abarbeitet, ſieht man nur in Deutſchland und Frank-
reich. Sind zwei Pferde völlig in gleicher Linie am
Ziele angekommen, ſo müſſen ſie noch einmal laufen,
was öfters vorfällt. Der Kampfrichter iſt daher ver-
eidet, und von ſeinem Ausſpruch kein Appell. Die
engliſchen Jokeys (nicht kleine Jungens, wie man
zuweilen im Auslande denkt, ſondern oft alte Dimi-
nutiv-Greiſe von 60 Jahren) bilden eine eigne Zunft,
und ſind die beſten praktiſchen Reiter, die ich kenne.
Es ſind immer möglichſt kleine und ſchmächtige Leute,
die ſich durch künſtliches Schwitzen, Purgiren u.ſ.w.
fortwährend ſo viel als möglich reduziren. Du erinnerſt
Dich, daß ich ſelbſt früher Rennpferde hielt, wo ich
einen Newmarket Jokey eine Zeit lang im Dienſt be-
hielt, der unter andern in Wien eine bedeutende
Wette für mich gewann. Es beluſtigte mich ſehr,
[76] dieſen Menſchen zu ſehen, wenn er ſich ſelbſt in
training
ſetzte, und, nachdem er ſich durch mehrere
Laxanzen geſtärkt hatte, in der größten Hitze, mit
drei oder vier Pelzen bekleidet, im Trabe gewiſſe
Diſtanzen ablief, bis der Schweiß ſtromweiſe von
ihm herabrann, und er ſelbſt vor Mattigkeit faſt hin-
ſank, mais tel était son plaisir, und je miſerabler
er ſich fühlte, je zufriedner war er.


Auch dies kömmt jedoch auf die Beſtimmung an,
denn leichter, als wie zu einer Hauptgelegenheit, wo
viel zu verdienen iſt, erfordert wird, iſt es nicht rath-
ſam ſich zu machen, indem Bley in den Gurt neh-
men zu müſſen für Pferd und Reiter unbequem iſt,
und Du weißt ſchon, daß auf dieſe Weiſe das be-
ſtimmte Gewicht, welches ein Pferd tragen muß,
regulirt wird *).


[77]

In einer gewiſſen Diſtanz vom Ziele, nach dem
Punkte des Auslaufs zu, ſteht, etwa hundert Schritt
ſeitwärts, eine andere weiße Stange, the betting
post
genannt. Hier verſammeln ſich die Wettenden,
nachdem ſie vorher die Pferde in den Ställen, am
Beginn der Bahn, ſatteln geſehen, und ſich noch
genau von allen etwa obwaltenden Umſtänden über-
zeugt, vielleicht auch den ergebenen Jokeys Winke
ertheilt haben. Für Manchen möchte das, was hier
vorgeht, von allem das [befremdendſte] Schauſpiel ſeyn.
Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens
wegen, viel Aehnlichkeit mit einer Judenſchule, nur
daß mehr Leidenſchaft dabei ſichtbar wird, und das
active Perſonal eben ſowohl aus den erſten Pairs
von England, als Livreebedienten, den gemeinſten
sharpers und black legs (Betrüger und Gauner)
beſteht, kurz aus Allem, was Geld zu verwetten
hat, und hier gleiche Rechte in Anſpruch nimmt,
auch im Aeuſſern keinen weſentlichen Unterſchied dar-
bietet, noch verſchieden mit einander umgeht. Die
meiſten haben Taſchenbücher in der Hand, jeder ſchreit
ſeine Anerbietungen aus, und wer ſie annimmt, no-
tirt es mit Jenem zugleich in ſein Buch. Herzöge,
Lords, Stallknechte, Spitzbuben, Alles brüllt durch-
einander, und wettet mit einander, mit einer Volu-
bilität und in Kunſtausdrücken, aus denen ein Frem-
der ohne langes Studium nicht klug werden kann,
bis plötzlich der Ruf ertönt: die Pferde ſind abge-
laufen.


[78]

Schnell ſtiebt nun der Haufe auseinander, die
Wettluſtigen ſuchen ſich aber wieder an den Stricken,
die die Bahn einfaſſen, zuſammen zu finden. Eine
Menge lange Perſpektive, Operngucker, Lorgnetten
ſieht man, von den Wagen und Reitern aus, nach
den von fern herankommenden Jokeys gerichtet. Mit
Windesſchnelle eilen dieſe immer näher, und einige
Momente ſchwebt banges Schweigen über der bun-
ten Menge, während ein Aufſeher zu Pferde die
Bahn frei hält, und jeden Eindringling ohne Um-
ſtände mit der Peitſche zurück zwingt. Doch nur
Momente dauert die Ruhe, bald erhebt ſich von
Neuem das wildeſte Getümmel, lautes Jauchzen und
Klagen, Fluchen und Beifallsgeſchrei ſchallt von al-
len Seiten, von Herrn und Damen, herüber und
hinüber. „Zehn gegen vier auf den Admiral, Hun-
dert gegen eins auf Putana, Smallbeer against the
field
(Schmalbier gegen alle andren) Karo-Bube ge-
winnt u. ſ. w.“ hört man wüthend von den Wet-
tern ſchreien, und kaum hat man hie und da ein
„Done“ (es gilt) vernommen, ſo ſind die edlen Thiere
auch ſchon heran, im Nu vorbei, im zweiten am
Ziele, und das Schickſal, oder Geſchicklichkeit, oder
Betrug haben entſchieden. — Starr ſehen die großen
Verlierer einen Augenblick vor ſich hin, laut trium-
phiren die Gewinner, Manche machen bonne mine
à mauvais jeu,
Alle aber jagen jetzt ſchnell den Jo-
keys nach, um dieſe wiegen und die Pferde abſat-
teln zu ſehen, ob ihnen dort vielleicht eine vorgefal-
lene Unregelmäßigkeit noch eine Chance gewähren
[79] möchte. In einer Viertelſtunde beginnt mit andern
Pferden daſſelbe Spiel von Neuem, und wiederholt
ſich ſo ſechs bis ſiebenmal. Voilà les ceurses de
Newmarket.


Ich hatte den erſten Tag ein ſo divinatoriſches
Urtheil, daß ich dreimal den Gewinner, blos nach
Gutdünken und Beurtheilung, beim Satteln errieth,
und dadurch ziemlich anſehnlich gewann. Doch ging
es mir wie gewöhnlich beim Spiel, ich verlor die
andern Tage noch einmal ſo viel dazu. Wer hier
mit Dauer gewinnt, iſt vorher ſeiner Sache ſicher,
und es iſt bekannt, daß ein großer Theil des engli-
ſchen Adels in dieſem Punkt ſehr weite Grund-
ſätze hat.


Ich fand unter den Anweſenden mehrere Bekannte
aus älterer Zeit, die mir die Erlaubniß ertheilten,
ihre Rennpferde im Stall zu ſehen, was ſie für eine
große Vergünſtigung halten, und mir dann auch
anboten, Entrée in den hieſigen Club zu verſchaffen,
wovon ich jedoch nicht profitirte, da es ein bloßer
Spiel-Club iſt, wovor man ſich in England mehr als
irgendwo hüten muß.


Es iſt als ein Nationalzug anzuſehen, und einer,
der das allgemein Kaufmänniſche hier charakteriſirt,
daß vorher zwar alle Vortheile gelten, aber bei den,
oft im Augenblick und in der größten Confuſion ge-
machten Wetten, faſt wie ein Streit über die Rich-
tigkeit derſelben ſtatt findet, dagegen oft Einer, der
mehr verloren hat, als er bezahlen kann, vor dem
[80] Abrechnungstage ganz und gar unſichtbar wird, d. h.
Bankerott macht, und ſich auf dem Continent, ent-
weder für immer, oder ſo lange, bis er wieder zah-
lungsfähig iſt, verbirgt. Wenn dergleichen geſchieht,
wird es von den Habitués ein ſchlechtesmeeting
genannt.


Gleich am erſten Tage meines Aufenthalts in New-
market machte mich mein ungariſcher Freund mit der
Familie eines reichen Kaufmanns aus der hieſigen
Gegend bekannt, die mit ihrem Landbeſuch, worun-
ter einige ſehr hübſche Mädchen, täglich zum Rennen
herkamen, und nach demſelben wieder auf ihr nahes
Gut zurückkehrten. Sie luden uns ein, den nächſten
Tag dort zu eſſen, und den folgenden bei ihnen zu-
zubringen, welches wir mit Vergnügen annahmen.


Gegen 5 Uhr machten wir uns zu Pferde auf den
Weg. Eine neu gepflanzte, ſehr breite, doppelte
Allee von jungen Buchen bezeichnete den Anfang des
Gebiets unſeres Wirths, und führte uns, ohngefähr
eine halbe Stunde weit, an ſeine Parkentrance,
welche aus einer Art Triumphbogen und zwei Sei-
tenpavillons beſtand, an die ſich der hölzerne Park-
zaum anſchloß, aber eine Strecke weit vom Thore
auf beiden Seiten verpflanzt war, ſo daß die er-
wähnten Eingangsgebäude frei im Wald zu ſtehen
ſchienen, was ſich ſehr gut ausnahm. Eine Zeit lang
führte uns jetzt der Weg durch dichten Buſch, worauf
wir die mit Baumgruppen beſetzte Wieſe erreichten,
die überall den Hauptbeſtandtheil eines engliſchen
[81] Parks ausmacht, und dann bald von fern das er-
leuchtete Haus erblickten, hinter dem ſich die hohen
Bäume und Shrubberies des pleasure grounds aus-
dehnten. Einige Kühe lagen vor der Hausthüre,
über die wir faſt hinwegſetzen mußten, eine ſonder-
bare Anomalie, die ſchon Repton rügt, und die daraus
entſteht, daß man, der Gewohnheit gemäß, den
Park, d. h. die geſchmückte Viehweide, ſtets auf ei-
ner Seite, meiſtens auf zweien, bis an das Wohn-
haus ſich erſtrecken läßt, anſtatt es gewiß weit zweck-
mäßiger wäre, den pleasure ground und die Gärten
rund um das Haus zu ziehen, da, wie mir ſcheint,
wohl der entfernte Anblick, aber nicht die un-
mittelbare Nähe des Rindviehs, nebſt allen ihm an-
hängenden Unannehmlichkeiten, ſo großes Vergnügen
gewähren kann.


Wir fanden eine ziemlich zahlreiche Geſellſchaft, be-
ſtehend aus dem Herrn und der Frau vom Hauſe,
beide im mittleren Alter, ihrer älteſten verheiratheten
Tochter mit ihrem Manne, zwei jüngern nicht ſehr
anlockenden Töchtern, einem Baronet aus der Nach-
barſchaft mit einer hübſchen Frau und ihrer auch
ganz artigen, aber ſehr melancholiſchen Schweſter,
weil ſie eben aus Indien unverrichteter Sache zurück-
kam *), einer ſehr gefeierten Miß B . . . ., welche
Briefe eines Verſtorbenen III. 6
[82] ſich oft auch in höhern Cirkeln bewegt, drei andern
unbedeutenden Herren, dem Sohn vom Hauſe, und
endlich einem Londner Stutzer der zweiten Klaſſe,
an dem man den ſtrebenden Dandy der City ſtudi-
ren konnte.


Der Baronet hatte in Deutſchland gedient, und
dort das Thereſienkreuz ſich erworben, wie er er-
zählte, denn er trug es nicht, weil er meinte, dies
ſey eine Jugend-Spielerei, die er nun abgelegt, da
ſie zu ſeinen ökonomiſchen Beſchäftigungen nicht mehr
paſſe. Es war ein ſchlichter und freundlicher Mann,
dem man, als mit dem Continent am beſten bekannt,
beſonders aufgetragen zu haben ſchien, uns die Hon-
neurs des Hauſes zu machen. Wir zogen jedoch vor,
uns lieber bei ſeiner Frau und Schwägerin in den
engliſchen Sitten zu unterrichten.


Nach dieſen Sitten war der Beſuch zweier Noble-
men (ſelbſt Fremder, obgleich dieſe 50 Prozent ge-
ringer als die einheimiſchen ſtehen) für ein Haus von
niederer volée wie das S..ſche eine Ehre, und man
fetirte uns daher ungemein, ſelbſt der Dandy war,
ſo weit es die Regeln ſeines Metiers geſtatteten,
artig und zuvorkommend gegen uns. Es iſt eine
faſt allgemeine Schwäche der nichtadelichen Engländer,
mit vornehmen Bekanntſchaften zu prahlen, die Ade-
lichen *) thun daſſelbe mit den Faſhionablen, oder
*)
[83] Exeluſiven, eine eigne Kaſte, ein Staat im Staate,
der in gefellſchaftlicher Hinſicht eine noch deſpotiſchere
Gewalt ausübt, und ſich nicht einmal an Rang, noch
weniger an Reichthum kehrt, aber nur in jener er-
wähnten Schwäche der Nation die Möglichkeit ſeines
Beſtehens findet.


Es iſt daher eine große Wonne für dieſe Englän-
der des Mittelſtandes, auf dem Continent zu reiſen,
und dort mit Leichtigkeit vornehme Bekanntſchaften
zu machen, von welchen ſie, zu Hauſe angekommen,
wie von intimen Freunden ſprechen können. Unſere
Hauswirthin gab uns davon bald eine kleine Probe.
„Kennen Sie die Königin von . . . . .?“ frug ſie.
Auf meine Antwort, daß ich die Ehre gehabt habe,
ihr einſt vorgeſtellt worden zu ſeyn, fuhr ſie fort:
„she is a gread friend of mine,“ gerade wie ſie von
einem Handels-Compagnon hätte ſprechen können.
Zugleich producirte ſie, unter den vielen Brimborions,
mit denen ſie ſich behangen hatte, ein Portrait der
Königin, welches ihr dieſe, wie ſie behauptete, ge-
ſchenkt habe. Es mochte wohl wahr ſeyn, denn auch
die Tochter zeigte einen Brief von einer der ver-
mählten Prinzeſſinnen Töchter Ihrer Majeſtät vor,
der ſehr vertrauliche Mittheilungen über ihre Ehe
und Häuslichkeit enthielt, und nun wahrſcheinlich
ſchon ſeit geraumer Zeit als Paradepferd dienen
*)
6*
[84] mußte, um der Eitelkeit der Beſitzerin zu fröhnen.
Iſt es nicht in hohem Grade auffallend, daß unſere
deutſchen Großen, denen es doch zum Theil an Stolz
und Morgue gegen ihre Landsleute nicht eben fehlt,
jedes engliſche Landeskind, ſey es auch noch ſo ſehr
ohne geiſtige Auszeichnung, blos als engliſch, faſt
wie ihres Gleichen behandeln, ohne im Geringſten
zu fragen, ob dieſes Individuum zu Haus eine
Stellung einnehme, die ſolche Begünſtigung recht-
fertige!


Nichts läßt uns in den Augen der Engländer ſelbſt
geringer erſcheinen, als dieſe demüthige Fremden-
ſucht, die noch dadurch etwas beſonders Schmäh-
liches erhält, daß ihr wahrer Grund im Allgemeinen
doch nur in dem tiefen Reſpekt liegt, den Hohe und
Niedere bei uns für engliſches Geld haben.


Es gehört hier ein bedeutendes Vermögen dazu,
um ein Haus auf dem Lande zu machen, da der
Gebrauch ſehr viel Luxus dabei erfordert, und dieſer
Sitte gemäß, in der Hauptſache, beim Krämer daſ-
ſelbe gefunden werden muß, wie beim Herzog, d. h.
ein zierlich dekorirtes Haus mit eleganten Meubles,
eine reiche Vaiſſelle, ſtets neu und fein gekleidete
Diener, bei Tafel eine Profuſion von Schüſſeln und
ausländiſchen Weinen, ausgewähltes und ſehr koſt-
bares Deſſert, und in Allem der Anſchein von Ueber-
fluß und plenty, wie die Engländer es nennen. So
lange Gäſte da ſind, geht dieſer Train fort, nach-
her in der Einſamkeit mag ſich manche Familie da-
für mit der ſchmalſten Koſt entſchädigen, daher man
[85] auch hier Niemanden auf dem Lande beſuchen darf,
ohne eingeladen zu ſeyn, und dieſe Einladungen ſind
dabei gewöhnlich auf Tag und Stunde beſtimmt, da
die Bekanntſchaften groß, und der Raum, wie die
dazu beſtimmte Zeit, verhältnißmäßig gering iſt, alſo
einer dem andern Platz machen muß. Wahre Gaſt-
freiheit kann man dies kaum nennen, es iſt mehr
eine Etalage ſeines Beſitzes für möglichſt Viele. Hat
eine Familie nun einen Monat, oder länger ſo Haus
gehalten, ſo geht ſie die übrige Zeit ſelbſt auf Be-
ſuche aus, der einzige gaſtfreie Monat hat aber dann
ſchon ſo viel gekoſtet, als bei uns die ganze Jahres-
revenüe eines reichen Gutsbeſitzers beträgt.


Da Du nie in England warſt, will ich Dir mit
ein paar Worten den Gang eines engliſchen Di-
nés beſchreiben, welches ſich, wie geſagt, à peu de
chose près
überall gleich iſt.


Du liebſt die Details des täglichen Lebens, und
haſt mir oft geſagt, Du vermißteſt dies bei den mei-
ſten Reiſebeſchreibungen, und doch gäbe nichts ein
lebhafteres Bild eines fremden Landes; verzeihe alſo,
wenn Du mich jetzt in zu kleinliche Dinge eingehen
findeſt.


Man führt die Damen am Arm, nicht an der
Hand, wie in Frankreich, zu Tiſch, und iſt auch wie
dort von den veralteten Reverenzen befreit, die ſelbſt
in vielen der vornehmſten deutſchen Geſellſchaften, noch
nach jedem Führen einer Dame gegenſeitig gewechſelt
[86] werden. Dagegen iſt man ſehr ängſtlich um die
Beobachtung des Ranges beſorgt, wobei man den
der Fremden freilich ſehr wenig verſteht. Ich ver-
wünſchte heute den meinigen, der mich neben die
Wirthin brachte, während mein Freund ſich wohl-
weislich zwiſchen die ſchönen Schweſtern eingeſchoben
hatte. Auf franzöſiſche Art findet man ſchon beim
Eintritt den ganzen erſten Gang der Mahlzeit, die
Relevés ausgenommen, zugleich auf den Tiſch ge-
ſetzt, und ſobald die Glocken abgehoben ſind, legt
auch, wie dort, nach der Suppe jeder von der Schüſ-
ſel vor, die ſich vor ihm befindet, und bietet ſeinem
Nachbar davon an *), während er ſelbſt, wenn er et-
was anderes zu haben wünſcht, über den Tiſch darum
bitten, oder einen Bedienten darnach ſchicken muß,
im Grunde eine läſtige Mode, weßhalb auch einige
der eleganteſten Gereisten jetzt die bequemere deutſche
Sitte des Herumgebens der Schüſſeln durch die Die-
nerſchaft angenommen haben.


Es iſt nicht üblich, bei Tiſch Wein zu trinken,
ohne ſein Glas mit einer andern Perſon zugleich zu
leeren, wozu man das Glas aufhebt, ſich ſtarr an-
ſieht, mit dem Kopfe zunickt, und es dann erſt gra-
vitätiſch austrinkt. Gewiß mancher uns ſehr auf-
fallende Gebrauch der Südſeeinſulaner mag weniger
[87] lächerlich ſeyn. Es iſt übrigens zugleich eine Artig-
keit, Jemand auf dieſe Weiſe zum Trinken aufzuru-
fen, und ein Bote wird oft vom andern Ende der
Tafel erpedirt, um B. anzukündigen, daß A. ein
Glas Wein mit ihm zu trinken wünſche, worauf denn
beide ſich, zuweilen mühſam genug, ins Auge zu be-
kommen ſuchen, und dann, gleich chineſiſchen Pago-
den, die Ceremonie des obligaten Nickers mit großer
Förmlichkeit agiren. Iſt aber die Geſellſchaft klein,
und man hat mit allen Bekannten getrunken, aber
noch Luſt, mehr Wein zu genießen, ſo muß man da-
mit bis zum Deſſert warten, wenn man den Muth
nicht in ſich verſpürt, ſich über die Gewohnheit hin-
wegzuſetzen.


Nach vollendetem zweiten Gange und einem inte-
rimiſtiſchen Deſſert von Käſe, Sallat, rohen Sellery
und dergleichen (wozu man manchmal Ale herum
giebt, das 20 und 30 Jahr alt, und ſo ſtark iſt, daß
es, ins Feuer geſchüttet, wie Spiritus aufflammt),
wird das Tiſchtuch abgenommen, und in den beſten
Häuſern auf ein zweites darunter liegendes noch fei-
neres Tiſchtuch, in andern auf den bloßen polirten
Tiſch das Deſſert aufgeſetzt, welches aus allen mög-
lichen Treibhausfrüchten, die hier von ausgezeichne-
ter Qualität ſind, indiſchen und vaterländiſchen ein-
gemachten Compottes, magenſtärkendem Ingwer, Ge-
frornen u. ſ. w. beſteht. Vor jeden Gaſt werden
friſche Gläſer geſtellt, und zu den Deſſerttellern und
Beſtecken noch kleine mit Frangen umgebene Ser-
[88] vietten hingelegt, vor den Hausherrn aber drei Fla-
ſchen Wein, gewöhnlich Claret (Bordeaux-Wein) Port
und Madeira aufgeſetzt. Der Wirth ſchiebt nun dieſe,
entweder in ihren Unterſetzern oder auf einem kleinen
ſilbernen Räderwagen, links zu ſeinem Nachbar.
Jeder ſchenkt ſich ſelbſt, und, ſitzt eine Dame bei
ihm, auch dieſer nach Verlangen ein, und ſo fort,
bis die Runde gemacht iſt, wo ſie denn wieder von
vorn angeht. Einige Kryſtallkrüge mit Eiswaſſer er-
lauben den Fremden glücklicherweiſe, dem Brannte-
wein, der in den engliſchen Weinen ſtark vorherrſcht,
einiges Gegengift beizumiſchen. Alle Dienerſchaft ver-
läßt nach aufgeſetztem Deſſert das Zimmer, und
braucht man friſchen Wein, ſo wird dem Haushof-
meiſter geklingelt, der ihn allein hereinbringt. Eine
Viertelſtunde bleiben die Damen dann noch ſitzen,
denen zuweilen ſüßer Wein beſonders ſervirt wird,
und verlaſſen hierauf den Tiſch. Die Herren erheben
ſich mit ihnen, einer derſelben öffnet den Damen die
Thüre, und ſobald ſie hinausgelaſſen ſind, rückt man
traulicher zuſammen, der Wirth nimmt den Platz
der Wirthin ein, und die Geſpräche des täglichen
Intereſſes beginnen, wobei der Fremde in der Regel
ziemlich vergeſſen wird, und ſich meiſtens mit Zuhö-
ren begnügen muß. Es ſteht übrigens Jedem frei,
den Damen zu folgen, wann er will, eine Freiheit,
von der Graf B. und ich heute möglichſt bald Ge-
brauch machten, um ſo mehr, da dies jetzt ſogar
Mode, und das viele Trinken unfaſhionable wird.
Deßhalb hatte auch der Dandy uns bereits devan-
[89] cirt, als wir bei den Damen ankamen, die uns im
Salon, um einen großen Tiſch gruppirt, mit Kaffee
und Thee erwarteten *).


Als die ganze Geſellſchaft wieder vereinigt war,
theilte ſich Alles, völlig ungenirt, in beliebige Grup-
pen. Einige machten Muſik, wobei die melancholiſche
Schöne auf einer Orgel ſpielte, die wahrſcheinlich zu
religiöſem Gebrauch hier aufgeſtellt war, andere ſpiel-
ten Whiſt, hie und da flüſterte ein Pärchen in der
Fenſter-Embraſure, Mehrere politiſirten, nur der
Dandy war allein geblieben; in einen großen Lehn-
ſtuhl verſunken, hatte er ſeinen rechten zierlich beſchuh-
ten Fuß auf ſein linkes Knie gelegt, und ſich in die-
ſer Stellung in Mde. de Staël’s Buch sur l’Alle-
[90] magne
anſcheinend ſo vertieft, daß er von der ihn
umgebenden Geſellſchaft nicht die mindeſte Notiz
mehr nahm.


A tout prendre mußte ich dem hübſchen jungen
Mann die Gerechtigkeit widerfahren laſſen, daß er
höhere Originale gar nicht übel copirte. Vielleicht
wurde ich zu dieſem vortheilhaften Urtheil auch da-
durch beſtochen, daß er bei Tiſch viel vom großen
Göthe ſprach, und ſeinen Fost anpries, welche Beide
(Göthe und Fost) Lord Byron in England Mode
gemacht hat. Fost ſchien ihm beſonders wegen der,
ſeiner Meinung nach, atheiſtiſchen Tendenz deſſelben
zu gefallen, denn Mr. M. brachte, wie er uns er-
zählte, die halbe Zeit ſeines Lebens in Paris zu
und erklärte ſich für einen esprit fort.


Den andern Tag ritten wir, nach dem gemein-
ſchaftlichen Frühſtück, mit den Damen im Park ſpa-
zieren, der nichts Sehenswerthes darbot, ausgenom-
men etwa einen flußartigen Kanal ſtehenden und
ſchlammigen Waſſers, welcher 5,000 £. St. zu gra-
ben gekoſtet hatte, und beſſer unterblieben wäre,
wurden aber nachher deſto mehr durch die Treibhäu-
ſer und Obſtgärten befriedigt. Die erſteren, eine
Liebhaberei des Beſitzers, wurden auf eine höchſt in-
genieuſe Weiſe nach einer von ihm ſelbſt erfundenen
Vorrichtung, mit Dampf geheizt, und die Wärme
durch das bloße Drehen eines Hahns augenblicklich
zu dem beliebigen Grade vermehrt oder vermindert.


Drei und zwanzig verſchiedene Sorten Ananas,
über die ſich, vom Glasdach herab, Hunderte von
[91] dunkelblauen Rieſen-Trauben ſenkten, füllten dieſe
geräumigen, eleganten Häuſer, und im Obſtgarten
bewunderten wir an der Mauer Birnen, die bei ſehr
gutem Geſchmack eine Größe von 7 Zoll Länge und
16 Zoll Umfang erreichten.


Viele Herren gingen auf die Jagd, wir zogen die
häusliche Geſellſchaft vor. Der luſtige B. war der
Liebling der Damen geworden, und erregte ſichtlichen
Kummer bei ihnen, als wir nach dem Diné um 1 Uhr
in der Nacht, und diesmal in einer Poſt-Chaiſe un-
ſern Rückweg antraten. Es konnte nicht fehlen, daß
wir auf der langen Fahrt über manches Ridicule,
das wir geſehen, noch eine lachende Nachleſe
hielten, obgleich ich mich dabei recht ſehr ſchämte,
als ächter Bewohner B .... s, ſtatt des herzlichen
Dankes für die gaſtfreie Aufnahme, mich über die
Wirthe und ihre Geſellſchaft luſtig zu machen, aber
die Welt iſt heutzutage verdorben, und überdieß hat
Gaſtfreundſchaft aus Oſtentation keine beſſern Fol-
gen. Wahrſcheinlich ging es uns Gäſten im Hauſe,
das wir eben verlaſſen, auch nicht beſſer.


Beim Wettrennen ſahen wir am andern Morgen
die jungen Damen wieder, wetteten Handſchuhe mit
ihnen, ſo lange, bis wir ſie verloren, und erfreuten
ſie dann gar ſehr mit eingeſchwärzten Pariſern. Eine
zweite Einladung auf’s Land ſchlugen wir jedoch aus,
da wir zu einem Herren-Diné engagirt waren, und
Graf B. noch Abends zur Fuchsjagd nach Melton
[92] abreiſen wollte. Auch ich werde Newmarket verlaſſen,
und meinen Brief in London weiter fortſetzen.



Ich bin nicht ſo weit gekommen, als ich wollte,
und muß hier übernachten, da die Beſichtigung zweier
Parks mich den halben Tag aufgehalten hat. Die
darauf verwandte Mühe hat ſich jedoch reichlich be-
lohnt. Der erſte, Audley-Park, dem Lord Braybrook
gehörig, kann unter den anſehnlichſten im Lande eine
Stelle behaupten.


Die Straße führt mitten durch denſelben, mit tie-
fen Ahas auf beiden Seiten, die den Park ſichern, und
doch die volle Ausſicht hinein geſtatten. Man über-
blickt zuerſt eine weite grüne Landſchaft, in deren
Mitte ein breites, flußartiges und vortrefflich geform-
tes Waſſer angebracht iſt, das aber leider wegen zu
geringen Zufluſſes ſehr mit Waſſermoos bedeckt iſt.
Nahe an ſeinen jenſeitigen Ufern ſteht das prächtige
gothiſche Schloß, welches urſprünglich vom Herzog
von Suffolk erbaut wurde, und damals noch drei-
mal größer geweſen ſeyn ſoll. Demohngeachtet geben
ihm auch noch jetzt die Menge ſeiner Thürme, Vor-
ſprünge und verſchiedenartigen hohen Fenſter ein im-
poſantes und maleriſches Anſehn. Obgleich Mylady
zu Haus war, erhielt ich doch die ſeltne Erlaubniß,
es zu beſichtigen.


[93]

Ich trat in eine weite, ſehr einfache Vorhalle, nur
mit einigen Geweihen von Rieſenhirſchen der Urwelt,
die hier ausgegraben wurden, geſchmückt, und mit
wenigen maſſiven Bänken und Stühlen verſehen, auf
welche das Wappen der Familie in bunten Farben
gemalt war. Einige ſehr alte Gemälde, eine gothi-
ſche Lampe, ein großer aus zwei Stücken Muſchel-
marmor beſtehender Tiſch, von dem nur die obere
Seite des Tiſchblattes geſchliffen, das Uebrige ganz
roh war, und ein Dutzend lederne Feuereymer, eben-
falls mit bunten Wappen bemalt, machten alle übri-
gen Meubles dieſer Piece aus. Die Decke war von
Holz mit tiefen Caiſſons und verſchoſſener alter Ma-
lerei. Man ſah auf den erſten Blick, daß man in
kein Haus von geſtern getreten war.


Eine hohe Thüre, aus ſchwerem geſchnitzten Eichen-
holz, führte von hier in die Herren-Halle, einem
großen Saal, deſſen ungeheure Fenſter von der Decke
bis zum Boden gingen, und auf dieſer Seite den
freien Anblick der Landſchaft gewährten. Viele Ah-
nenbilder in Lebensgröße, zum Theil von Van Dyk
gemalt, hingen an der entgegengeſetzten Wand, und
zwiſchen ihnen erhob ſich der coloſſale Marmor-Ca-
min mit dem in Stuck ausgeführten und reichgefärb-
ten Wappen der Suffolks darüber. Die dritte Wand,
dieſelbe, durch welche wir hereingekommen, war von
innen durchgängig mit kunſtreichem, vortretendem
Schnitzwerk bedeckt, Figuren in halber Lebensgröße,
wie man an den Chören gothiſcher Kirchen ſieht.
Gegenüber befand ſich wieder eine hohe Flügelthüre,
[94] die ſich in den Speiſeſaal öffnete, und an ihren bei-
den Seiten zwei freie Treppen, die zum zweiten Stock
hinaufführten.


Der Speiſeſaal enthält ein Portrait Suffolks, und
ein Bild der Königin Eliſabeth. Ihr rothes Haar,
fades Teint und falſcher Blick, wie der übertriebene
Putz, geben keine ſehr vortheilhafte Idee von der
galanten und eitlen Maidenqueen.


Im obern Stocke diente eine ſchmale und lange
Gallerie, voll niedlicher Kleinigkeiten und Alterthü-
mer, unter andern auch einer großen Windcharte
in der Mitte, die mit der Thurmfahne in Verbin-
dung ſteht, und ſo den Jägern alle Morgen zeigt,
wo der Wind herkömmt *), zum Salon, denn man
hat die gute Einrichtung in den meiſten engliſchen
Landhäuſern und Schlöſſern, nicht viele, ſondern
nur ein Appartement oder Hauptpiece für die Ge-
ſellſchaft zu beſtimmen, was dieſe weit beſſer zuſam-
menhält.


Die Kapelle iſt modern, aber reich und geſchmack-
voll verziert, und hier liest, wenn der Kaplan ab-
weſend iſt, der Herr ſelbſt alle Morgen um halb 10 Uhr,
wobei ſich die ganze Familie und Dienerſchaft ver-
ſammeln muß, nach altem Gebrauch eine Predigt
und hält den Gottesdienſt ab.


[95]

Der Park iſt bedeutend groß, aber von einer ſtö-
renden Menge Zäune durchſchnitten, um Schafen,
Kühen, Pferden und Hirſchen, jeder Thierart ihr ei-
genes Terrain anzuweiſen. Von den letztern ſind
4 — 500 Stück hier vorhanden, die, wie eine zahme
Heerde, faſt immer in wenigen Abtheilungen vereint
zuſammen weiden, und der Idee des Wildes gar
nicht mehr entſprechen. Auch ſchmeckt ihr Fleiſch ganz
anders, als da, wo ſie frei in den Wäldern unſerer
Heimath leben, ohngefähr wie wildgewordene Ochſen
ſchmecken mögen.


Die Remiſen für Rebhühner und Haſen ſind eben-
falls umzäunt, da das niedrige Gebüſch ſonſt vom
Vieh abgefreſſen werden würde, weßhalb auch, wie
ſchon bemerkt, der größte Theil der engliſchen Parks
nur aus einzelnen hohen Baumgruppen auf Wieſen-
grund beſteht, deren Aeſte die Thiere nicht erreichen
können. Dieſe weiten Anſichten imponiren im An-
fang, werden aber, ihrer Einförmigkeit wegen, bald
ermüdend. Auch kann ich nicht finden, daß die vie-
len Vermachungen der Landſchaft vortheilhaft ſind,
denn ſelbſt jeder einzeln gepflanzte junge Baum auf
der Plaine muß mit einem hohen Zaun umſchloſſen
werden, um ihn vor den Thieren zu ſchützen.


Zwei einzelne Tempel und ein Obelisk, zu denen
nicht einmal ein andrer Weg, als über den Raſen
führte, nahmen ſich ſehr heterogen in der Mitte die-
ſer Viehweiden aus, beſſer der entfernte gothiſche
Thurm der Kirche von Walden, der pittoresk über
die Eichenkronen hervorragte.


[96]

Sehr ſchön fand ich dagegen den Blumengarten
und die Faſanerie. Der erſte bildet ein großes Oval,
dicht von immergrünen natürlichen Wänden von
Tarus, Kirſch-Lorber, Rhododendron, Cedern, Cy-
preſſen, hohem Buchsbaum, Holly ꝛc., und den höch-
ſten Waldbäumen dahinter, umgeben. Ein Bach mit
Grotte und Waſſerfall durchſtrömt den feinen Sammt-
raſen, auf dem ſich ſeltne Prachtpflanzen und Blu-
menbeete aller Formen und Farben lieblich gruppiren.


Die Faſanerie, welche eine gute halbe Stunde da-
von entfernt iſt, beſteht aus einem ſchattigen und
dichten, mit einer Mauer umgebenen Wäldchen ver-
ſchiedner Baumſorten von bedeutendem Umfang.
Man konnte nur über die naſſen Wieſen dazu gelan-
gen, und erſt vom Eingangspförtchen an begann ein
Kiesweg Dies geſchieht aus Oekonomie, da Wege
in England äuſſerſt koſtſpielig zu machen und zu un-
terhalten ſind, gewöhnlich daher in einem Park nur
ein Fahrweg nach dem Wohnhauſe ſtatt findet, und
auch die Fußwege mit dem eiſernen Zaun des plea-
sure ground
aufhören. Die engliſchen Damen fürch-
ten weniger ihre Füßchen der Näſſe auszuſetzen, als
die unſrigen.


Der obenerwähnte Weg brachte mich alſo durch
ein höchſt anmuthiges Laubgewölbe, nach verſchiede-
nen Krümmungen, unerwartet vor die mit Epheu
berankte Pforte eines kleinen Gebäudes, an welches
ſich, noch mehr unter den Bäumen verſteckt, die
Wohnung des Faſanenjägers anſchloß.


[97]

Dieſer öffnete von Innen, und höchſt überraſchend
war der Anblick, der ſich jetzt vor uns entfaltete.
Wir waren in einen kleinen offnen Salon getreten,
deſſen freiſtehende Säulen dichte Monatsroſen ganz
bedeckten, zwiſchen denen wir rechts eine große Vo-
liere mit Papageyen, links eine eben ſo ausgedehnte
Hecke von Kanarienvögeln, Stieglitzen und andern
kleinen Vögeln ſahen, vor uns aber einen freien
Raſenplatz mit einzelnen immergrünen Sträuchern,
und einen Hintergrund von hohem Walde, durch
den man einige ganz ſchmale Durchſichten auf ein
fernes Dorf und einen einzelnen Kirchthurm, mit
vieler Kunſt menagirt hatte.


Auf dieſem freien Platz rief nun der Jäger Wol-
ken-von Gold-, Silber- und farbigen Faſanen, nebſt
einigen fremden Hühnerarten, zahmen Raben, ſelt-
nen Tauben und anderem Geflügel zuſammen, die
hier ihr Futter bekamen, und ſich dabei im bunteſten
Gewimmel umhertaumelten. Ihre verſchiedenen Ma-
nieren und Gebehrden, von der Leidenſchaft der Be-
gierde geſteigert, gaben ein ganz eigenthümliches
Schauſpiel; beſonders poſſirlich betrug ſich ein Gold-
faſanenhahn, der gleich einem Stutzer aus alter Zeit
allen Hühnern die Cour zu machen ſchien, und mit
den allerlächerlichſten Verdrehungen und Airs, die
er ſich dabei gab, meinen alten B. zu ſolchem Lachen
zwang, daß die engliſchen Diener, welche im Aeuſ-
ſern an ſclaviſche Ehrfurcht vor ihren Herren gewöhnt
ſind, dieſe Freiheit mit Verwunderung betrachteten,
während ſie mich wenigſtens eben ſo ſehr amüſirte,
Briefe eines Verſtorbenen III. 7
[98] als die Pantalonnaden des Dandy’s unter den
Vögeln.


Ueber 500 Gold- und Silberfaſane, denen gleich
nach der Geburt nur ein Flügel verſchnitten wird,
welches hinlänglich iſt, ſie am Fliegen zu hindern,
bewohnen dieſen Wald Sommer und Winter, ohne
nur eines Schuppens gegen die Kälte zu bedürfen,
ſo mild iſt das hieſige Clima.


Um Dich nicht zu ermüden, übergehe ich die Be-
ſchreibung des zweiten Parks, Short Grove, der
nichts Beſondres darbot, und ſehr vernachläſſigt ſchien.
Schloß und Park mit Treibhäuſern u. ſ. w., das
erſte völlig meublirt, waren eben für den nicht hohen
Preis von 400 £. St. jährlich vermiethet worden,
eine hier ſehr übliche Sitte, wenn die Beſitzer auf
Reiſen ſind.


Wir würden dies nicht gern nachahmen, da hin-
gegen bei uns faſt immer ein Theil unſrer Wohn-
häuſer in der Stadt vermiethet wird, während die
Herrſchaft ſelbſt nur die bel étage bewohnt, was
den Engländern wiederum ſehr ſonderbar vorkömmt,
und auch wirklich höchſt unbequem iſt, indem die An-
weſenheit mehrerer Familien in einem Hauſe ſelten
weder eine gute Hausordnung, noch vollendete Rein-
lichkeit und Nettigkeit in demſelben geſtattet.


Die Hauptthüre des Schloſſes in Short Grove
war von Auſſen mit Spiegeln belegt; eine hübſche
Idee, indem man dadurch, dem Hauſe zugehend,
[99] ſchon auf der Thüre ein ſchönes Gemälde der Ge-
gend erblickt.


Der große Reichthum der Gutsbeſitzer in England
muß immer die Continentalen frappiren, wo jetzt
größtentheils gerade die Gutsbeſitzer die ärmſte und
die am wenigſten von den Geſetzen und Inſtitutio-
nen protegirte Klaſſe ſind. Hier concurrirt Alles zu
ihrem Vortheil. Es iſt äuſſerſt ſchwer, für den Ren-
tier freies Grundeigenthum in England zu acqui-
riren, da faſt aller Grund und Boden der Krone,
oder dem hohen Adel gehört, die es in der Regel
nur auf eine Art Erbpacht ausgeben, ſo daß zum
Beiſpiel, wenn ein Großer ein Städtchen ſein nennt,
dies nicht, wie bei uns, blos die Oberherrſchaft
darüber bedeutet, ſondern jedes Haus das wirkliche
Eigenthum des Beſitzers iſt, dem Inhaber nur, wie
ich gleich auseinanderſetzen werde, auf beſtimmte Zeit
überlaſſen. Man kann ſich denken, welche ungeheure,
immer ſteigende Revenüen dies in einem auſſerdem
ſo induſtriellen Lande hervorbringen muß, und kann
nicht umhin, zu bewundern, wie die dortige Ariſto-
kratie ſich, in großer Uebereinſtimmung, ſeit Jahr-
hunderten alle Inſtitutionen zu ihrem beſten Vor-
theil einzurichten gewußt hat.


Der freie Kauf eines Grundſtücks erfordert mehrere
ſchwierige Bedingungen, und jedenfalls kann er nur
zu ſo hohen Preiſen ſtatt finden, daß kleinere Capi-
taliſten ſie nicht daran wenden können, und wie es
einmal iſt, bei der Erbpacht für ihre Perſon immer
7*
[100] noch mit beſſerem Nutzen dazu kommen, und dieſe
daher auch fortwährend vorziehen. Die hieſige Erb-
pacht iſt aber ſehr verſchieden von der bei uns übli-
chen. Es wird nämlich dem Anbauer der nöthige
Platz auf 99 Jahre dergeſtalt überlaſſen, daß er, bei
Häuſern pro Fuß der Front, eine gewiſſe Rente jähr-
lich, von einigen Schillingen bis zu 5 und 10 Gui-
neen, bei größern Grundſtücken ſo und ſo viel per
acre
(engliſcher Morgen) an den Grundbeſitzer zahlt.


Er ſchaltet nun damit wie er will, baut auf wie
er Luſt hat, macht Gärten, Parkanlagen u. ſ. w.;
nach dem Verlauf der 99 Jahre aber fällt Alles, wie
es ſteht und liegt, und was niet- und nagelfeſt iſt,
der Familie des Verkäufers wieder zu, ja noch mehr,
der Pächter muß ſein Haus u. ſ. w. im beſten Stand
erhalten, und ſogar den Oehlanſtrich alle 7 Jahr er-
neuern, wozu er durch Viſitationen polizeylich ange-
halten wird. Uebrigens kann er während der ihm
zugemeſſenen Friſt auch wieder an Andere verkaufen,
aber immer nur bis zu jener feſtgeſetzten Epoche, wo
der eigentliche Herr wieder in Beſitz tritt. Alle Land-
ſtädte, Villen u. ſ. w., die man ſieht, gehören alſo,
wie geſagt, auf dieſe Weiſe Haus für Haus einzel-
nen großen Gutsbeſitzern, und obgleich die Erbpäch-
ter nach umgelaufener Friſt gewöhnlich das prekaire
Eigenthum von Neuem erſtehen, ſo müſſen ſie doch,
im Verhältniß als der Werth der Grundſtücke ſeit-
dem geſtiegen, oder ſie ſelbſt ſie verbeſſert haben, die
Rente verdoppeln und verdreifachen. Selbſt der größte
Theil der Stadt London gehört unter ſolchen Ver-
[101] hältniſſen einzelnen Adelichen, von denen z. B. Lord
Grosvenor allein über 100,000 £. St. Kanon ziehen
ſoll. Daher iſt, auſſer der Ariſtokratie, faſt kein
Hausbewohner in London wahrer Grundeigenthümer
des ſeinigen. Selbſt der Banquier Rothſchild beſitzt
kein eignes, und wenn einer, dem Sprachgebrauch
nach, eins kauft, ſo fragt man ihn: auf wie lange?
Der Preis variirt dann, nachdem es aus erſter Hand,
gewöhnlich auf Rente, oder aus zweiter und dritter
für ein Capital erſtanden wird. Der größte Theil
des Erwerbs der Induſtrie fällt durch dieſen Ge-
brauch ohnfehlbar der Ariſtokratie zu, und vermehrt
nothwendig den unermeßlichen Einfluß, den ſie ſchon
ohnedem auf die Regierung des Landes ausübt.



Heut Nachmittag bin ich bei unaufhörlichem Platz-
regen hier glücklich wieder angekommen, habe mich
im Club bei einem guten Diné reſtaurirt, und Abends
im Whiſt, zur guten Stunde ſey’s geſagt, meine
Reiſekoſten ſechsfach bezahlt erhalten, bin wohl und
lebensluſtig, und finde, daß mir nichts fehlt, als
Du. —


Laß mich unter ſo guten Conjunkturen meinen Brief
beendigen, der ſchon wieder zum Paket angeſchwol-
len iſt.


Ewig Dein treuergebener L.


[[102]]

Fuͤnfter Brief.*)



Geliebte Freundin!

Reiſenden möchte ich den Rath geben, in fremde
Länder nie Diener aus dem Vaterlande mitzunehmen,
am wenigſten, wenn man ſich einbildet, dadurch zu
[103] erſparen, heut zu Tage immer ein wichtiges Objekt.
Dieſe Oekonomie gehört aber zu denjenigen, von
denen eine mehr koſtet, als vier Verſchwendun-
gen, und man hängt ſich überdieß ein Gewicht an,
das vielfach hinderlich iſt.


Solche weiſe Betrachtungen wurden bei mir durch
meinen alten Kammerdiener erweckt, der im Begriff
iſt, in engliſchen Spleen zu verfallen, weil er zuviel
Schwierigkeiten findet, täglich hier — Suppe zu ſei-
nem Mittagseſſen zu erhalten, und mit Thränen in
den Augen dieſer geliebten Speiſe zu Hauſe gedenkt.
Er mahnt mich an die preußiſchen Soldaten, die bei
Strömen von Champagner die franzöſiſchen Bauern
prügelten, weil ſie ihnen kein Stettiner Bier vor-
ſetzen wollten.


Wahr iſt es, die Engländer mittlerer Klaſſe, an
eine nahrhafte Fleiſchkoſt gewöhnt, kennen nordiſche
Waſſer- und Brühſuppen nicht, und was bei ihnen
ſo heißt, iſt ein verhältnißmäßig eben ſo theures als
*)
[104] herenmäßiges Gebräu von allen Sorten Pfeffern und
Gewürzen beider Indien. Die Schilderung meines
Getreuen, als er zum erſtenmal einen Löffel davon
in den Mund bekam, wäre werth geweſen, bei Pe-
regrine Pickle’s antikem Mahle zu figuriren, und
verkehrte meinen Aerger in lautes Lachen. Doch ſehe
ich voraus, daß an dieſer Klippe ſeine Anhänglichkeit
an mich ſcheitern wird, denn unſre Deutſchen ſind
und bleiben eigenthümliche Naturen, länger als An-
dere am Gewohnten haltend, es ſey nun Glaube,
Liebe oder Suppe.


In Ermangelung der Geſellſchaft ſind die verſchie-
denen Clubs, zu welchen jetzt auch Fremde Zutritt
erhalten können, was ſonſt nicht der Fall war, eine
große Annehmlichkeit. Der Geſandte hat mir zu
zweien derſelben Einlaß verſchafft, den United Ser-
vice-Club,
wo auſſer den fremden Geſandten nur
Militair, und zwar nur Staabsoffiziere aufgenom-
men werden können, und den Travellers-Club, in
dem zwar jeder gebildete Fremde, der gut empfohlen
iſt, zugelaſſen wird, wo man aber, auf eine etwas
demüthigende Art, alle drei Monat um erneuete
Erlaubniß nachſuchen muß, worauf faſt unartig ſtreng
und mit dem Tage gehalten wird.


In Deutſchland macht man ſich wohl eben ſo we-
nig von der Eleganz und dem Comfort, als auch
von der ſtrengen Handhabung der Clubs-Geſetze, die
hier herrſchen, einen deutlichen Begriff.


Alles, was Luxus und Bequemlichkeit ohne Pracht
erfordern, findet man hier ſo gut, als in dem wohl-
[105] gehaltendſten Privathauſe vereinigt. Treppen und
Stuben ſind mit ſtets friſchen Teppichen geziert, und
rugs (bunt gefärbte und präparirte Schaaffelle mit
der Wolle), vor die Thüren gelegt, um den Zug zu
verhindern; marmorne Kamine, ſchöne Spiegel, (im-
mer aus einem Stück, welches zu dem ſoliden engli-
ſchen Luxus gehört) Profuſion von Meubles ꝛc. ma-
chen jedes Zimmer höchſt comfortable. Selbſt die
Wage, um mit Leichtigkeit jeden Tag ſeine eigne
Schwere beſtimmen zu können, eine beſondere Lieb-
haberei der Engländer, fehlt nicht. Die zahlreiche
Dienerſchaft erblickt man nie anders als in Schuhen
und auf das Reinlichſte in Civiltracht und Livree ge-
kleidet, und ein Portier iſt immer auf ſeinem Po-
ſten, um Ueberröcke und Parapluies abzunehmen.
Dieſer letztere Gegenſtand verdient in England Auf-
merkſamkeit, da Regenſchirme, die dort leider ſo nö-
thig ſind, auf eine ganz unverſchämte Weiſe geſtoh-
len werden, wenn man, es ſey wo es wolle, nicht
ſehr genau auf ihre Verwahrung ſieht. Dies iſt ſo
notoriſch, daß neulich in einer Zeitung von einem
gewiſſen Tugendbunde, der Preiſe für die edelſte
Handlung austheilt, erzählt wurde: „die Wahl ſey
„das letztemal ſehr ſchwer geworden, und man wäre
„ſchon im Begriff geweſen, ein Individuum zu krö-
„nen, das ſeit mehreren Jahren ſeinen Schneider rich-
„tig bezahlt habe, als ein Anderer noch nachgewieſen,
„daß er zweimal bei ihm vergeſſene Parapluies zu-
„rückgegeben. Bei dieſer unerhörten That, ſetzt der
„Journaliſt hinzu, gerieth die Geſellſchaft zuerſt in
[106] „ſtummes Staunen, daß ſo viel Edelmuth noch in
„Israel gefunden werde, dann aber ließ rauſchender
„und enthuſiaſtiſcher Beifall den zu krönenden Sie-
„ger nicht länger mehr zweifelhaft.“


Bei der eleganten und wohl furnirten Library iſt
ebenfalls immer Jemand bei der Hand, die verlang-
ten Bücher zu ſuchen. Alle Journale trifft man
wohlgeordnet im Leſezimmer an, und daneben im
Carten-Kabinet *) eine Auswahl des neueſten und
beſten in dieſem Fach. Dieſes iſt ſo eingerichtet, daß
ſämmtliche Carten, zuſammengerollt, in abnehmen-
der Länge an den Wänden übereinander hängen, und
jede an einer in der Mitte befindlichen Schnur
über die unteren leicht zur Beſichtigung herabgezogen
werden kann. Der Zug an einer Seitenſchnur
rollt hingegen, durch einen einfachen Mechanismus,
die Carte mit großer Schnelligkeit wieder auf. Das
betreffende Land iſt auf dem runden Mahagoniſtabe,
auf dem ſich die Carte rollt, mit ſo großen Buchſta-
ben verzeichnet, daß auch die vom Auge entfernteſte
Inſchrift bequem geleſen wird. Auf dieſe Weiſe kann
man in einem ganz kleinen Kabinet eine große Menge
Carten über einander anbringen und alle ohne die
mindeſten Umſtände, wie man ſie eben braucht, au-
[107] genblicklich finden und beſichtigen, ohne die andern
zu derangiren.


Die Tafel, ich meine das Eſſen, (bei den meiſten
doch die Hauptſache, und bei mir auch nicht die letzte)
wird größtentheils durch franzöſiſche Köche gut, und
zugleich ſo wohlfeil verſorgt, als es in London mög-
lich iſt. Da der Club auch die Weine anſchafft, und
zu den Selbſtkoſten wieder verkaufen läßt, ſo ſind
dieſe ſehr trinkbar und billig. Daß aber überhaupt
in London der Gutſchmecker, ſelbſt in den beſten
Häuſern, faſt immer die feinſten Weine vermiſſen
muß, kömmt aus der ſonderbaren Gewohnheit der
Engländer (und dieſes Volk hängt auch an Gewohn-
heiten, feſter als die Auſter an ihrer Schale) ſich
ihre Weine nur von Londoner Weinhändlern liefern
zu laſſen, und ſie nie ſelbſt, wie wir zu thun pfle-
gen, aus den Ländern zu beziehen, wo ſie wachſen.
Da nun dieſe Händler den Wein in ſolchem Grade
verfälſchen, daß vor Kurzem noch einer von ihnen,
der verklagt wurde: ſo und ſo viel tauſend Flaſchen
Claret und Portwein in ſeinen Kellern zu haben, die
nicht von ihm verſteuert worden wären, bewies, daß
aller dieſer Wein von ihm ſelbſt in London fabricirt
ſey, und dadurch der Strafe entging — ſo kann man
denken, welche Gebräue man oft unter den wohlklin-
genden Namen von Champagner, Lafitte u. ſ. w.
zu trinken bekömmt. Jedenfalls aber kaufen faſt nie
die Händler das allerbeſte, was im Vaterlande des
Weins zu haben iſt, aus dem natürlichen Grunde,
weil ſie wenig oder gar keinen Profit daran machen
[108] könnten, oder ſie benutzen wenigſtens ſolches Gewächs
nur, um andern ſchlechten Wein damit paſſiren zu
machen.


Entſchuldige dieſe Weindigreſſion, welche Dich, die
nur Waſſer trinkt, eben nicht ſehr intereſſiren kann,
aber Du weißt einmal, ich ſchreibe für uns Beide,
und mir, ich geſtehe es, iſt der Gegenſtand nicht un-
wichtig. Gern „führe ich Wein im Munde.“


Doch zurück zu unſern Clubs. Die Verſchiedenheit
der engliſchen Sitten kann man hier gleich beim er-
ſten Abord weit beſſer beobachten als in der großen
Welt, die ſich immer mehr oder weniger gleicht, wäh-
rend hier dieſelben Individuen, die zum Theil jene
bilden, ſich weit ungenirter zeigen.


Für’s Erſte muß der Fremde die raffinirte Bequem-
lichkeit bewundern, mit der der Engländer zu ſitzen
verſteht, ſo wie man auch geſtehen muß, daß, wer die
genialen engliſchen Stühle aller Formen, und für
alle Grade der Ermüdung, Kränklichkeit und Kon-
ſtitutions-Eigenthümlichkeit berechnet, nicht kennt,
wirklich einen guten Theil irdiſchen Lebensgenuſſes
entbehrt. Es iſt ſchon eine wahre Freude, einen
Engländer nur in ſolchem bettartigen Stuhl am Ka-
minfeuer ſitzen, oder vielmehr liegen zu ſehen. Eine
Vorrichtung an der Armlehne, einem Notenpulte
ähnlich, und mit einem Leuchter verſehen, iſt vor
ihm ſo aufgeſchlagen, daß er ſie mit dem leiſeſten
Druck ſich beliebig näher bringen oder weiter entfer-
nen, rechts oder links ſchieben kann. Auſſerdem
[109] nimmt eine eigne Maſchine, deren ſtets mehrere an
dem großen Kamine ſtehen, einen oder beide ſeiner
Füße auf, und der Hut auf dem Kopfe vollendet das
reizend behagliche Bild.


Dies letztere wird dem nach alter Art Erzogenen
am ſchwerſten nachzuahmen, der ſich immer eines
kleinſtädtiſchen Schauers nicht erwehren kann, wenn
er Abends in den hellerleuchteten Salon des Clubs
tritt, wo Herzöge, Ambaſſadeurs und Lords zierlich
angezogen an den Spieltiſchen ſitzen, und er nun,
um es den Faſhionables nachzumachen, den Hut auf-
behaltend, an eine Whiſt-Parthie treten, dieſem oder
jenem zunicken, und dann gelegentlich eine Zeitung
ergreifen, ſich in einen Sopha damit niederfallen laſ-
ſen, und nur nach einiger Zeit den, ihn obendrein
vielleicht noch abſcheulich inkommodirenden Hut, non-
chalamment
neben ſich werfen, oder, wenn er nur
wenige Minuten bleibt, gar nicht ablegen ſoll.


Die Sitte des halben Niederlegens ſtatt Sitzens,
gelegentlich auch der Länge nach auf den Teppich zu
den Füßen der Damen, ein Bein über das andre ſo
zu legen, daß man den einen Fuß in der Hand hält,
die Hände im Ausſchnitte der Weſtenärmel tra-
gen u. ſ. w., dies alles ſind Dinge, die bereits in
die größten Geſellſchaften und ausgeſuchteſten Cirkel
übergegangen ſind; es iſt daher wohl möglich, daß
das Hutaufbehalten gleichfalls zu dieſer Ehre gelangt,
um ſo mehr, da auch die Pariſer Geſellſchaft jetzt
(das umgekehrte Verhältniß gegen ſonſt aufſtellt, näm-
[110] lich, wie ihr ehemals ganz Europa nachäffte, jetzt,
(oft auf ziemlich groteske Weiſe), nicht verſchmäht,
ſelbſt den Affen der Engländer zu machen, und ſo-
gar — wie gewöhnlich bei ſolchen Gelegenheiten —
oft noch über das Original zu rencheriren.


In dem Travellers-Club beluſtigte mich in dieſer
Hinſicht beſonders ein vornehmer Fremder aus dem
Süden, der, wahrſcheinlich als Satyre auf dieſe Sit-
tenlicenz und edle Grobheit im Aeuſſern, gleich den
Chineſen, ſich durchaus nicht genirte, ſehr häufig beim
Spiel gewiſſe Laute mit geöffnetem Munde auf’s
vernehmlichſte von ſich zu geben, die chemals wohl
kaum in Schenken geſtattet worden wären.


Der Zug iſt nicht appetitlich, aber für den Lond-
ner Traveller-Club doch charakteriſtiſch.


Dagegen nimmt man es Fremden ſehr übel, wenn
ſie im Eßſaal, der doch im Grunde nichts als eine
elegante Reſtauration iſt, und wo jeder auch, wie
dort, ſeine Zeche nach vollendeter Mahlzeit bezahlt,
mit einem der Diener, der ſchlecht bedient, lange
warten läßt, oder eins ſtatt des andern bringt,
ſchmälen, oder überhaupt etwas laut oder herriſch ihre
Befehle geben, obgleich die Engländer ſelbſt ſich dies
ſehr oft dort, und noch vielmehr bei uns erlauben.
Ja es wird ſogar, nicht gerade als unſchicklich doch
aber als fatal und unangenehm angeſehen, wenn
Jemand während des Mittageſſens liest, weil dies
in England nicht Mode iſt, und da unter andern
ich ſelbſt dieſe Unart in hohem Grade an mir habe,
[111] bemerkte ich ſchon einigemal ſatyriſche Zeichen des
Mißfallens darüber, von dieſem und jenem Inſula-
ner von altem Schroot und Korn, der den Kopf ſchüt-
telnd an mir vorüber ging. Man muß ſich überhaupt
in Acht nehmen, ſo wenig wie möglich irgend etwas
anders zu machen, als die Engländer, und ihnen
doch auch nicht alles nachahmen, weil keine Men-
ſchen-Race intoleranter ſeyn kann, die meiſten aber
ohnedies die Aufnahme Fremder in ihre geſchloſſenen
Geſellſchaften nur ungern ſehen, alle aber es für eine
ausgezeichnete Faveur und Gnade halten, die uns
dadurch erzeigt wird. Eine große Bequemlichkeit we-
nigſtens, und beſonders Oekonomie iſt der geſtattete
Beſuch der Clubs bei der Theuerkeit der engliſchen
Wirthshäuſer und dem Mangel an Reſtaurationen
und Kaffeehäuſern nach Art des Continents, gewiß.


Unter allen Verſtößen gegen engliſche Sitte je-
doch, die man begehen kann, und wofür Einem wahr-
ſcheinlich der fernere Eintritt ganz verſagt werden
würde, ſind folgende drei die größten: das Meſſer
wie eine Gabel zum Munde führen, Zucker oder
Spargel mit den Händen nehmen, oder vollends gar
irgendwo in einer Stube ausſpucken. Dies iſt al-
lerdings zu loben, und gebildete Leute aller Länder
vermeiden dergleichen ebenfalls, (wiewohl auch hierin
ſich die Sitten ſehr ändern, denn der Marſchall von
Richelieu erkannte einen Avanturier, welcher ſich für
einen vornehmen Mann ausgab, blos daran, daß
er Oliven mit der Gabel, und nicht mit den Fin-
gern
nahm), nur die außerordentliche Wichtigkeit
[112] iſt lächerlich, welche hier darauf gelegt wird, nament-
lich iſt das letzt erwähnte Crimen in England ſo pe-
dantiſch verpönt, daß man ganz London vergebens
durchſuchen würde, um ſo ein Meubel, wie ein
Spucknapf iſt, in irgend einem Laden aufzufinden.
Ein Holländer, der ſich deßhalb ſehr unbehaglich hier
fühlte, behauptete ganz entrüſtet, der Engländer ein-
ziger Spucknapf ſey ihr Magen.


Dies ſind, ich wiederhole es, mehr als triviale
Dinge, aber die beſten Lebensregeln in der Fremde
betreffen faſt immer Trivialitäten. Hätte ich zum
Beiſpiel einem jungen Reiſenden einige allgemeine
Regeln zu geben, ſo würde ich ihm ganz ernſthaft
rathen: In Neapel behandle die Leute brutal, in
Rom ſey natürlich, in Oeſtreich politiſire nicht, in
Frankreich gieb dir keine Airs, in Deutſchland recht
viele, und in England ſpucke niemals aus. Damit
käme der junge Mann ſchon ziemlich weit durch die
Welt.


Was man mit Recht bewundern muß, iſt die zweck-
mäßige Einrichtung alles zur Oekonomie des Lebens
Gehörigen, und aller öffentlichen Etabliſſements in
England, ſo wie die ſyſtematiſche Strenge, mit der
das einmal Feſtgeſetzte ohne Nachlaſſung befolgt wird.
In Deutſchland ſchlafen alle guten Einrichtungen
bald ein, und nur neue Beſen kehren gut. Hier
iſt das ganz anders, dagegen verlangt man auch
nicht von Jedem Alles, ſondern ſtricte nichts mehr
als was ſeines Amtes iſt. Die Behandlung der
[113] Dienerſchaft iſt eben ſo vorzüglich, als die Dienſt-
verrichtung dieſer. Jeder hat ſeinen vorgeſchriebenen
Wirkungskreis, in dem man aber auch die genaueſte
Pflichterfüllung fordert, und bei Nachläſſigkeiten im-
mer weiß, an wem man ſich zu halten hat. Dabei
iſt den Dienſtboten auch vernünftige Freiheit, und
einige Zeit für ſich ſelbſt geſtattet, die der Herr ſorg-
ſam reſpectirt. Die ganze Behandlung der dienenden
Klaſſe iſt weit anſtändiger, und mit weit mehr Egard
gegen dieſelbe verbunden als bei uns, obwohl ſie von
aller Vertraulichkeit ſo gänzlich ausgeſchloſſen bleibt,
und eine ſolche Ehrfurcht von ihr gefordert wird, daß
Diener in dieſer Hinſicht mehr wie Maſchinen als
Menſchen betrachtet werden. Dies und ihre gute Be-
zahlung bringt es ohne Zweifel hervor, daß ver-
hältnißmäßig
wirklich die dienende Klaſſe in ih-
rer Art den meiſten äuſſern Anſtand in England
beſitzt.


Es wäre ſogar in ſehr vielen Fällen ein ſehr ver-
zeihlicher Verſtoß des Fremden, wenn er zuweilen
den Kammerdiener für deſſen Lord begrüßte, beſon-
ders wenn er Höflichkeit und gewandte Tour-
nure für das Auszeichnende eines vornehmen Man-
nes hielte; denn dieſer Maßſtab würde in England
keineswegs paſſend ſeyn, wo, ohne alle Uebertrei-
bung, die erwähnten Vorzüge, obgleich ſonſt bei vor-
trefflichen und weſentlichen Eigenſchaften, und auch
mit ſehr glänzenden einzelnen Ausnahmen, doch bei
der Mehrheit der Vornehmen nicht angetroffen wer-
den. Den Männern ſteht übrigens ihr, wenn auch
Briefe eines Verſtorbenen. III. 8
[114] oft an Grobheit ſtreifender Uebermuth und die hohe
Meinung von ſich ſelbſt noch nicht ſo übel an, bei den
Weibern aber wird es eben ſo widrig, als bei andern
Engländerinnen das vergebliche Bemühen, continen-
tale Grazie und Leichtigkeit zu affektiren.


Ich lobte vorher die Zweckmäßigkeit der hieſigen
Einrichtungen, und will Dir zum Beleg die Organi-
ſation des Spielſaals im Traveller-Club beſchreiben. Es
iſt dieſer Verein kein eigentlicher Spiel-Club, ſondern
wie ſein Name ſchon anzeigt, ein ſpeziell für Reiſende
beſtimmter, daher auch nur Solche wirkliche Mit-
glieder deſſelben ſeyn können, die eine gewiſſe bedeu-
tende Anzahl von Meilen auf dem Continent gereist,
oder vielmehr umhergefahren ſind, doch findet man
eben nicht, daß ſie deßhalb weniger engliſch gewor-
den wären, was ich auch nicht tadeln will. Alſo,
obgleich kein Spiel-Club, wird doch bei den Travel-
lers ſehr hoch Short Whist und Ecarté, aber kein
Hazard geſpielt.


In unſern Caſinos, Reſourcen u. ſ. w. muß ſich
der Spielluſtige immer erſt mühſam eine Parthie aus-
ſuchen, und ſind die Spieltiſche beſetzt, vielleicht
Stunden lang warten, ehe einer leer wird. Hier iſt
es Geſetz, daß Jeder, der kömmt, ſobald an irgend
einem Tiſche ein Rubber beendigt iſt, ſogleich in dieſe
Parthie eintreten darf, und dann der, welcher bereits
zwei Rubber nach einander geſpielt, austreten muß.
Dies hat auch das Angenehme, daß, wenn man an
dem einen Tiſch verloren hat, und glaubt, das Glück
[115] liege am Platze, aufſtehen, und bald darauf beſſeres
an einem andern aufſuchen kann.


In der Mitte des Saals ſteht ein Büreau, an
welchem ein Commis poſtirt iſt, der klingelt, ſobald
man etwas von den Waiters verlangt, die Rechnung
führt, auch bei ſtreitigen Fällen die claſſiſchen Werke
über das Whist herbeibringt. Denn nie wird auch
das geringſte Verſehen gegen die Regel, ohne die
darauf geſetzte Strafe zur Folge zu haben, durchge-
laſſen, was allerdings für den, der nur zur Unter-
haltung ſpielen will, etwas peinlich wird, aber doch
eigentlich zweckmäßig iſt, und gute Spieler bildet.
Derſelbe Commis verabreicht auch jedem Spieler die
Marken. Um nämlich der großen Unannehmlichkeit
auszuweichen, mit einem böſen Zahler zuſammen zu
kommen, der zwar viel verliert, aber nichts berich-
tigt, und ſolche giebt es in England nicht weniger,
als anderwärts, ſo iſt der Club ſelbſt der allgemeine
Zahler. Baares Geld erſcheint (ſchon der Reinlich-
keit wegen ſehr angenehm) gar nicht, ſondern jeder
erhält, ſo wie er ſich zum Spiel hinſetzt, ein Körb-
chen Marken von verſchiedener Form, deren Werth
mit Zahlen darauf bemerkt iſt, und welche der Com-
mis in ſein Buch einträgt. Verliert er ſie, ſo ver-
langt er neue u. ſ. w. Ehe man weggeht, berechnet
man ſich mit dem Rechnungsführer, conſtatirt entwe-
der den Verluſt, oder liefert, wenn man gewonnen,
die aquirirten Marken aus. In beiden Fällen erhält
man über das Reſultat eine Karte eingehändigt, die
das Duplikat der Berechnung im Contobuche enthält.


8*
[116]

Sobald einer auf dieſe Weiſe über 100 £. St.
ſchuldig iſt, muß er den andern Morgen an den Com-
mis Zahlung leiſten, dagegen Jeder, der etwas zu
fordern hat, es zu allen Zeiten realiſiren kann.


Ich muß indeß, der Wahrheit zu Ehren, beken-
nen, daß im Traveller-Club dieſe letzte Regel ge-
gen Fremde ſehr ſchlecht beobachtet, und Engländer
von Seiten des Commis höchſt wahrſcheinlich mit
ſtillſchweigender Duldung der Direktion, dabei ſehr
protegirt wurden. Ich ſelbſt und mehrere meiner
Freunde haben ſchon zu verſchiedenen Malen, ich Wo-
chen und jene Monate lang keine Zahlung erhalten
können, wogegen der Verluſt von uns immer ſehr
pünktlich eingefordert ward, und der Commis ſelbſt
ſich auf unſre Beſchwerde damit entſchuldigte, daß
dieſer Engländer 600, jener 1000 und noch mehr
ſchuldig geblieben, oder gar abgereist ſey, ohne zu
bezahlen, man dieſe Summen daher jetzt nicht ein-
treiben könne, welches die Kaſſe momentan auſſer
Stand ſetze, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dies
iſt aber nur eine üble Ausnahme, und fällt in den
andern Clubs, wie ich von allen hörte, nie vor, ver-
diente aber eben deßhalb auch eine öffentliche Rüge.


Es wäre ſehr zu wünſchen, daß wir in unſern
deutſchen Städten die Organiſation der engliſchen
Clubs nachahmten, welches, wenn auch mit weniger
Luxus, weil wir ärmer ſind, doch im Weſentlichen
ſehr thunlich wäre — dabei aber auch den Engländern
in ſofern Gleiches mit Gleichem vergölten, daß wir
[117] nicht ewig vor ihrem Gelde und Namen in einer
kindiſch-ſclaviſchen Admiration auf den Knieen lä-
gen, ſondern ihnen mit aller Humanität, und immer
noch mit mehr Artigkeit, als ſie uns in England be-
zeigen, doch fühlen ließen, daß wir Deutſche in
Deutſchland Herren vom Hauſe ſind, und folg-
lich mehr Anſehn zu behaupten und zu fordern ha-
ben als ſie, die ohnedieß nur zu uns kommen, ent-
weder um zu ſparen, oder ſich ein wenig abzuhobeln
und vornehme Liaiſons zu formiren, die ihnen bei
mittlerm Stande zu Hauſe verſchloſſen bleiben, oder
mit Behaglichkeit ſich zu überzeugen, daß, den phy-
ſiſchen Lebensgenuß betreffend, wir gegen ſie noch
halbe Barbaren ſind.


Es iſt in der That unbegreiflich, und ein wah-
res Zeichen, daß es hinreichend iſt, uns nur ſchlecht
und geringſchätzend zu behandeln, um von uns ver-
ehrt zu werden, daß bei uns, wie ſchon erwähnt,
der bloße Name Engländer ſtatt des höchſten Titels
dient, weshalb auch jeden Augenblick ein Menſch, der
in England, wo die ganze Geſellſchaft bis zur niedrig-
ſten Stufe hinab ſo ſchroff ariſtokratiſch iſt, kaum in
den vulgärſten Zirkeln Einlaß erhält, in deutſchen
Ländern bei Hofe und vom vornehmſten Adel fetirt
und auf den Händen getragen, jede ſeiner Verſtöße
und Unbehülflichkeiten aber als eine liebenswürdige
engliſche Originalität angeſehen wird, bis zufällig
ein wirklich angeſehener Engländer in den Ort kömmt,
und man nun mit Erſtaunen erfährt, daß man nur
[118] einem Fähndrich auf half pay, oder gar einem rei-
chen Schneider oder Schuſter ſo viel Ehre erwieſen
hat. Ein ſolches niedres Individuum iſt indeſſen doch
wenigſtens höflich, die Impertinenz mancher Vorneh-
men dagegen geht wirklich über jeden Begriff.


Ich weiß, daß in einer der größten Städte Deutſch-
lands ein liebenswürdiger Prinz des K . . . . . .
Hauſes, der noch zu ſehr Angloman iſt, weil er die
Engländer nicht in ihrem Lande geſehen, und ſie
nur nach ſeiner eigenen jovialen Ritterlichkeit beur-
theilt, übrigens auch ihre Pferde und Wagen mit
Recht liebt, einen engliſchen Viscount, der kaum
angekommen, und ihm noch nicht präſentirt worden
war, zur Jagd einladen ließ, worauf dieſer erwie-
derte: er könne davon nicht profitiren, denn der
Prinz ſey ihm ganz unbekannt. Es iſt wahr, daß
einem Fremden in England nie eine ſolche Artigkeit
geboten werden würde, wo die Einladung eines Gro-
ßen zu einem einzigen Mittagseſſen (denn mit
Einladungen zu Soirees und Routs ꝛc. iſt man, um
das Haus zu füllen, ſehr freigebig) ſchon als die
ausgezeichnetſte Ehrenbezeigung von ihm betrachtet
wird, die er, ſelbſt vornehmen Fremden erzeigen zu
können glaubt, und welche immer entweder eine
ſchon lange dauernde Bekanntſchaft, oder gewichtige
ſchriftliche Empfehlung vorausſetzt — eine ſolche Zu-
vorkommenheit aber, wenn ſie einmal durch ein Wun-
der in England ſtatt fände, ſo aufzunehmen, wie
[119] dieſer tölpiſche Lord, würde gewiß keinem gebildeten
Mann auf dem ganzen Kontinent möglich ſeyn. *)



Ich beſuchte geſtern früh L . . . . ., um Deine
Kommiſſion zu beſorgen, fand ihn jedoch nicht zu
Haus, ſtatt ſeiner aber zu meiner großen Freude ei-
nen Brief von Dir, den ich ſo ungeduldig zu leſen
war, daß ich gleich in ſeiner Stube blieb, um ihn
zwei bis dreimal emſig durchzuforſchen. Deine Liebe,
die mir ſo viel wie möglich alles Unangenehme zu er-
ſparen ſucht, und mich nur von dem unterhält, was
ich gern höre, erkenne ich gar dankbar, dennoch mußt
Du mich nicht mehr ſchonen, als Du ohne Gefahr
für die Geſchäfte thunlich glaubſt. Du machſt übri-
gens eine weit beſſere Schilderung vom Inhalt mei-
ner Briefe, als dieſe ſelbſt darzubieten im Stande
ſind, und es iſt ein ſehr liebenswürdiger Fehler von
Dir, mich ſo artig zu überſchätzen. Liebe malt mit
Zauberfarben das Geringſte herrlich, aber wohl mag
[120] ich mir auch die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen,
daß Du durch ſo genaue Verhältniſſe Gelegenheit hatteſt,
Eigenſchaften an mir kennen zu lernen, die vielleicht
einigen wahren Werth haben, und die ſich dem ge-
wöhnlichen Blicke nicht erſchließen, ſondern, wie die
Senſitive, bei der unſanften Berührung der Welt
ſchnell zurückziehen. Dies tröſtet mich — aber ſchmerz-
lich iſt mir Deine Aeußerung: Du fändeſt alles, was
Du ſelbſt ſchreibeſt, ſo gehaltlos, daß Du glaubteſt,
der Schmerz der Trennung von mir habe Dich gei-
ſtesſchwach gemacht. Verlange ich denn Phraſen?
wie viel lieblicher iſt das natürliche trauliche Geſchwätz,
das ſich unbekümmert gehen läßt, und innig herzlich,
folglich vortrefflich ausdrückt. Beſonders freuen mich
Deine Empfindungen bei dem, was ich Dir mittheile,
denn ſie ſind immer ganz ſo, wie ich ſie erwarte und theile.


Folge Deiner Freundin in die Reſidenz. Das
wird Dich zerſtreuen, und Du zugleich dort Gelegen-
heit finden, manches für unſre Angelegenheiten zu
thun. Les absens ont tort, vergiß das nicht. B.....s
Leichtſinn muß ich tadeln. Wer ſeinen Ruf vor der
Welt, ſey er auch im Innern ein Engel an Güte
und Tugend, nicht achtet, wem es einerlei iſt, was
man von ihm ſagt, ja wer ſich vielleicht ſogar damit
beluſtigt, der wird durch die Bosheit der Menſchen
den guten Ruf gewiß bald und ſchnell verloren ha-
ben, und ſich dann ohngefähr in der Lage Peter
Schlehmiels befinden, der ſeinen Schatten weggege-
ben hatte. Er hielt es erſt für nichts, ſo etwas Un-
weſentliches zu entbehren, und konnte es nachher doch
[121] kaum ertragen — nur in der tiefſten Einſamkeit, fern
von aller Welt, mit ſeinen Siebenmeilenſtiefeln vom
Nord- zum Südpol raſtlos ſchreitend, und allein der
Wiſſenſchaft lebend, fand er einige Ruhe.


Am Ende Deines Briefes nimmt, wie ich wohl
merke, die Schwermuth wieder die Oberhand, und
ich weiß hiervon auch zu reden, mais il faut du cou-
rage.
In jedem Leben müſſen Prüfungszeiten durch-
gelitten, und der bittere Kelch oft bis auf den letzten
Tropfen geleert werden. Verklärt nur die Sonne
den Abend, ſo wollen wir über die Mittagshitze nicht
murren.


Doch genug von dieſen ernſten Gegenſtänden,
laß mich Dich jetzt, um auf etwas anderes überzu-
gehen, in das Haymarket-Theater führen, das ich
neulich beſuchte, während der berühmte Liſton zum
hundertzweitenmale im Charakter des Paul Prye,
einer Art Plumpers, das Publikum entzückte. Dieſer
Schauſpieler, der ein Vermögen von 6000 Louisd’or
Revenüen erworben haben ſoll, iſt einer von denen,
die ich natürliche Komiker nennen möchte, von der
Art, wie der Berliner Unzelmann und Wurm waren,
und einſt Böſenberg und Döring in Dresden; Leute,
die auch ohne tiefes Kunſtſtudium, blos durch die
ihnen eigene drollige Weiſe, ſich zu präſentiren, und
eine unerſchöpfliche Laune, qui coule de source, La-
chen erregen, ſo wie ſie nur auftreten, obgleich ſie
ſelbſt oft im gemeinen Leben hypochondriſch ſind, wie
es auch bei Liſton der Fall ſeyn ſoll.


[122]

Die berüchtigte Madame Veſtris war ebenfalls
hier engagirt, die ehemals ſo viel furore machte, und noch
jetzt, obgleich etwas paſſirt, auf dem Theater ſehr rei-
zend erſcheint. Sie iſt eine vortreffliche Sängerin
und noch beſſere Schauſpielerin, und noch mehr als
Liſton ein Liebling des engliſchen Publikums in jeder
Hinſicht, beſonders berühmt aber wegen ihres ſchö-
nen Beins, das faſt ein ſtehender Artikel in den
Theater-Critiken der Zeitungen geworden iſt, und in
Mannskleidern von ihr ſehr oft etalirt wird. In der
That iſt es von einem Ebenmaas, einem Moelleux
und Muskelſpiel, deſſen Anblick für den Kunſtfreund
hinreiſſend werden kann. — Ihre Grazie und, ich
möchte ſagen, der unerſchöpfliche Witz ihres Spiels
ſind dabei wahrhaft bezaubernd, obgleich nicht ſelten
lasciv und zu coquettirend mit dem Publikum. Man
kann in manchem Sinne ſagen, daß Madame Ve-
ſtris ganz Europa angehöre. Ihr Vater war ein
Italiener, Bartolozzi, der nicht unberühmte Kupfer-
ſtecher in der ſogenannten punctirten Manier, ihre
Mutter eine Deutſche und große Virtuoſin auf dem
Clavier, ihr Mann der famöſe franzöſiſche Tänzer
Veſtris, ſie ſelbſt iſt eine Engländerin, und was ihr
hiermit noch an Verwandtſchaft mit europäiſchen Na-
tionen fehlen könnte, haben Hunderte der markante-
ſten Liebhaber hinlänglich ausgefüllt. Auch ſpricht
Mad. Veſtris mehrere fremde Sprachen mit vollkom-
menſter Geläufigkeit. In der deutſchen Broomgirl
ſingt ſie unter andern:
„Ach du lieber Auguſtin u. ſ. w.,“
[123] mit eben ſo richtiger und deutlicher Ausſprache, als
der liebenswürdigſten Frechheit.


Wie vornehm ſie in ihrem Metier war, und wie
ſehr die engliſchen Cröſuſſe ſie verdorben hatten, be-
weiſet folgende Anekdote, die mir aus etwas früherer
Zeit als authentiſch verbürgt wurde. Ein Fremder, der
gehört hatte, daß Madame Veſtris nicht immer grau-
ſam geweſen, ſandte ihr bei Gelegenheit ihres Bene-
fizes eine Banknote von 50 Lſt., mit der ſchriftlichen
Bitte: ſich das Entreebillet Abends ſelbſt abholen zu
dürfen. Dies Geſuch ward gewährt, und der junge
Mann erſchien mit der Zuverſicht und der Miene ei-
nes Eroberers zur beſtimmten Stunde, doch war der
Ausgang ganz wider ſeine Erwartung. Madame Ve-
ſtris empfieng ihn mit gemeſſener und ſehr ernſter
Miene, und wies ihm ſtillſchweigend einen Stuhl an,
den der Ueberraſchte ſchon um ſo verlegener einnahm,
da er ſeine Banknote offen in ihrer ſchönen Hand er-
blickte.


Mein Herr, ſagte ſie, Sie haben mir heut früh
dieſe Note für ein Entreebillet zu meiner Benefiz-
Vorſtellung geſchickt, und für ein ſolches Billet iſt es
zuviel. Sollten Sie jedoch andere Hoffnungen da-
mit verbunden haben, ſo muß ich die Ehre haben,
Ihnen zu verſichern, daß es mehr als zu wenig
iſt. Erlauben Sie daher, daß ich Ihnen damit zu
Hauſe leuchte. Mit dieſen Worten ſteckte ſie die Note
am nahen Lichte an, öffnete die Thüre, und leuchtete
dem mühſam eine Entſchuldigung ſtotternden, un-
glücklichen Verſucher die Treppe hinab.


[124]

Heute hinderte mich ein Diné bei unſerm Geſand-
ten, das, beiläufig geſagt, beſonders recherchirt war,
das Theater zu beſuchen, welches ich bisher zu ſehr
vernachläſſigt, und mir daher vorgenommen habe, es
nun mit einiger Suite zu cultiviren, um Dir, wenn
gleich in detachirten Schilderungen, doch nach und
nach einen etwas ausführlichern Rapport darüber ab-
zuſtatten.


Wir waren ganz en petit comité, und die Ge-
ſellſchaft ungewöhnlich heiter. Unter andern befand
ſich ein gewiſſer großer Gourmand unter uns, der
viel geneckt wurde, sans en perdre un coup de dent.
Endlich verſicherte ihm der Fürſt E ....., daß, käme
er (der Gourmand) je in’s Fegfeuer, ſeine Strafe
ohne Zweifel darin beſtehen würde, die Seligen fort-
während in ſeiner Gegenwart eſſen zu ſehen, wäh-
rend er ſelbſt ſtatt ihrer verdauen müſſe.


Kurz darauf ſprach man von dem alten Lord
P ....., der ſich ſo unglücklich fühle, keine Kinder zu
haben, ohngeachtet er blos deshalb eine junge Frau
geheirathet hatte. Oh n’importe, ſagte der Fürſt,
son frère a des enfans tous les ans, et cela revient
au même pour la famille. „Pour la famille oui,“

erwiederte ich, „mais pas pour lui. Son frère mange
et lui digère.“


Dieſer Scherz machte Glück, und mit dem petil-
lirenden Champagner folgten ihm hundert beſſere,
die aber meinen Brief zu einem Vademekum machen
würden, wenn ich ſie alle aufzählen wollte.


[125]

Auch Lord — war da, der ſich zwar mir gegen-
über ſehr freundlich benimmt, mir aber, wie ich
von guter Hand weiß, in der Geſellſchaft ſo viel als
möglich zu ſchaden ſucht. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Ein Mann von wärmerem Herzen würde Stirn
gegen Stirn mich über dieſes vermeinte Unrecht zur
Rede geſtellt haben. Die Diplomaten nehmen aber
gar zu gern Fiſchblut-Elemente in ihre Organiſation
mit auf, und ſo zog der edle Lord heimliche Intri-
gue vor. Glücklicherweiſe kann ich zu allen ſolchen
Menées lachen, denn wer nichts ſucht, und wenig
fürchtet, wen die große Welt ſelbſt nur in ſofern in-
tereſſirt, als er von Zeit zu Zeit darin Beobachtungs-
experimente an ſich und andern macht, wer, was das
Neceſſaire wenigſtens betrifft, unabhängig iſt, und
dabei einige wenige, aber ſichere Freunde hat, dem
iſt es ſchwer, großen Schaden zu thun.


Auch hat die Erfahrung mich abgekühlt, das Blut
wallt nicht mehr ſo unerträglich heiß, und der leichte
Sinn hat mich dennoch nicht verlaſſen, eben ſo we-
nig, wie die Fähigkeit, innig zu lieben. Damit ge-
nieße ich das Leben jetzt beſſer, als in der Jugend-
blütbe, und möchte nicht mit dem früheren Rauſche
tauſchen, ja ich ſcheue ſelbſt das Alter durchaus bei
ſolchen Dispoſitionen nicht, und bin überzeugt, daß
auch dieſer Epoche, wenn ſie kömmt, manche herr-
liche Seite abzugewinnen ſeyn wird, die man früher
[126] nicht ahnet, und welche nur diejenigen nie erkennen,
welche ewig Jünglinge bleiben wollen. Ich las neu-
lich ein paar hübſche engliſche Verſe, die etwas Aehn-
liches berühren, und die ich, nach meiner Art, in
Beziehung auf Dich, wie folgt, umwandelte, auf
Dich, meine mehr als mütterliche Freundin, welche
ſcheidende Jugend oft zu ſehr bedauert. Dies ſind
die innig gemeinten Worte:


Iſt gleich die truͤbe Wange bleich,

Das Auge nicht mehr hell,

Und nahet ſchon das ernſte Reich,

Wo Jugend fliehet ſchnell!

Doch laͤchelt Dir die Wange noch,

Das Auge kennt die Thraͤne noch,

Das Herz ſchlaͤgt noch ſo warm und frei

Als in des Lebens gruͤnſtem Mai.

So denk’ denn nicht, daß nur die Jugend

Und Schoͤnheit Segen leiht —

Zeit lehrt die Seele ſchoͤnre Tugend,

In Jahren treuer Zaͤrtlichkeit.

Und ſelbſt wenn einſt die Nacht von oben

Verdunkelnd Deine Bruſt umfaͤngt,

Wird noch durch Liebeshand gehoben

Dein Haupt zur ew’gen Ruh’ geſenkt.

O, ſo auch blinkt der Abendſtern,

Iſt gleich dahin der Sonne Licht,

Noch ſanft und warm aus hoher Fern’,

Und Tages-Glanz entbehrſt Du nicht. —

Ja, meine geliebte Julie, ſo hat auch uns ſchon
die Zeit in Jahren treuer Zärtlichkeit gelehrt, daß
nichts mehr ächten Werth als dieſe haben kann, und
gegenſeitig ſind wir uns ein Abendſtern geworden,
[127] deſſen mildes Licht reichlich den Glanz jener Tages-
ſonne erſetzt, welche gar oft mehr ſengt als wärmt.


Ich fuhr mit L . . . . zu Hauſe, wo wir noch am
traulichen Kamin ein langes Geſpräch über unſre in
mancher Hinſicht ſo ſchwer drückenden Landesangele-
genheiten hielten. L. iſt ſehr gütig für mich, und ich
ihm doppelt attachirt, einmal wegen ſeiner eignen
Liebenswürdigkeit und Ehrlichkeit, zweitens aus Dank-
barkeit für ſeinen vortrefflichen Vater, dem wir mehr
reellen Dank ſchuldig ſind als dem Deinen, ohne daß
er ein andres Motiv dazu hatte, als ſeine unpar-
theiiſche Gerechtigkeitsliebe.



Eine ſonderbare Sitte in England iſt das ſtete
Eingreifen der Zeitungen in das Privatleben. Wer
von irgend einiger Bedeutung iſt, ſieht ſich nicht nur
bei den abgeſchmackteſten Kleinigkeiten, z. B. wo er
einem Diné oder Abendgeſellſchaft beigewohnt, ob er
verreist iſt u. ſ. w., namentlich aufgeführt (was
manche Fremde mit großer Selbſtgefälligkeit leſen),
ſondern er wird auch, arrivirt ihm irgend etwas der
Rede werthes, ohne Scheu damit ausgeſtellt, und
ad libitum beurtheilt. Perſönliche Feindſchaft hat
dabei eben ſo leichtes Spiel, als die Verſuche, Freunde
geltend zu machen, ja gar viele benutzen die Zeitun-
gen zu Artikeln für ihren Vortheil, die ſie ſelbſt
[128] liefern, und die fremden Geſandtſchaften cultiviren
dieſe Branche angelegentlichſt.


Man ſieht, welche gefährliche Waffe ſie abgiebt,
aber glücklicherweiſe fuhrt das Gift auch gleich ſein
Gegengift bei ſich, und dieſes beſteht in der Gleich-
gültigkeit, in der allgemeinen Blaſirung, mit der der-
gleichen vom Publikum aufgenommen wird. Ein
Zeitungsartikel, nach dem ſich ein Continentaler drei
Monate lang nicht würde ſehen laſſen mögen, er-
weckt hier höchſtens ein momentanes Lächeln der
Schadenfreude, und iſt ſchon am nächſten Tage ver-
geſſen.


So moquirt man ſich ſeit vier Wochen faſt täglich
über das Duell eines hieſigen Lords, bei dem dieſer
eben keine Heldenthaten ausgeführt haben ſoll, mit
den empfindlichſten Bemerkungen und Folgerungen
über das Caliber ſeiner Tapferkeit, ohne daß er da-
durch gehindert wird, ſo unbefangen und geſellſchaft-
lich als möglich zu bleiben. Auch mir, von dem die
Engländer wie von jedem Heirathsfähigen, der hier
herkömmt, ſteif und feſt glauben, es geſchähe nur,
um eine reiche Engländerin zur Frau zu ſuchen, hat
man einen coup fourré machen wollen, und einen ſa-
tyriſchen Artikel, jene Materie berührend, aus einer
heimathlichen Fabrik erborgt, und in verſchiedene hie-
fige Zeitungen geſetzt. Ich bin aber ſchon längſt in
der Schule eines alten Praktikers in dieſem Punkt
aguerrirt worden, und lachte daher ſelbſt zuerſt am
lauteſten darüber, indem ich öffentlich harmloſe Scherze
[129] über mich und Andere dabei nicht ſparte. Dies iſt
das einzige ſichre Mittel, dem Ridicule in der Welt
zu begegnen, denn zeigt man ſich empfindlich oder
embaraſſirt, dann erſt wirkt das Gift, ſonſt ver-
dampft es, wie kaltes Waſſer auf einem glühenden
Stein. Das verſtehen auch die Engländer vortrefflich.


Den heutigen Abend brachte ich, meinem Vorſatze
getreu, in Drurylane zu, wo ich mit Erſtaunen den
alten Braham immer noch als erſten Sänger und
Liebhaber mit gleichem Beifall in derſelben Rolle auf-
treten ſah, die er, ſchon vor 12 Jahren ein alter
Mann, den Tag vor meiner Abreiſe aus England
als Benefiz erwählt hatte. Ich fand auch wenig Un-
terſchied in ſeinem Geſang, auſſer daß er noch etwas
ärger ſchrie, und noch etwas mehr Rouladen als
damals machte, um den Mangel der Stimme zu ver-
decken. Er iſt ein Jude, und, wie ich faſt glaube,
der ewige, da er nicht zu altern ſcheint. Uebrigens
iſt er der wahre Repräſentant der engliſchen Geſang-
manier, und beſonders in Volksgeſängen der enthu-
ſiaſtiſch verehrte Günſtling des Publikums.


Große Kraft und Geläufigkeit der Stimme und
gründliche Muſikkenntniß iſt ihm nicht abzuſprechen,
aber geſchmackloſer kann keine Methode ſeyn.


Als Prima Donna ſang Miß Paton, eine recht an-
genehme, aber nicht ausgezeichnete Sängerin. Sie
iſt ſchön gewachſen und nicht häßlich, dabei ſehr be-
liebt, und was uns ſonderbar vorkommen möchte,
an Lord W. L. verheirathet, deſſen Namen ſie in der
Briefe eines Verſtorbenen III. 9
[130] Familie und im gewöhnlichen Leben führt. Auf dem
Theater aber wird ſie wieder Miß Paton und als
ſolche bezahlt, welches bei der Armuth des Lords nicht
zu umgehen ſeyn mag *).


Was den Fremden in den hieſigen Theatern ge-
wiß am meiſten auffallen muß, iſt die unerhörte
Rohheit und Ungezogenheit des Publikums, weßhalb
auch, auſſer der italiäniſchen Oper, wo ſich nur die
höchſte und beſſere Geſellſchaft vereinigt, dieſe Klaſſe
nur höchſt ſelten und einzeln die Nationaltheater be-
ſucht, ein Umſtand, von dem es noch zweifelhaft ſeyn
möchte, ob er gut oder nachtheilig auf die Bühne
ſelbſt wirkt.


Engliſche Freiheit alſo artet hier in die gemeinſte
Licenz aus, und es iſt nichts Seltenes, mitten in
der ergreifendſten Stelle einer Tragödie, oder wäh-
rend der reizendſten Cadence der Sängerin, mit
Stentorſtimme eine Zote ausrufen zu hören, der,
nach Stimmung der Umſtehenden, in der Gallerie
und obern Logen, entweder Gelächter und Beifalls-
geſchrei, oder eine Prügelei und Herauswerfen des
Beleidigers folgt.


In jedem der beiden Fälle hört man aber lange
nichts mehr vom Theater, wo Schauſpieler und Sän-
[131] ger ſich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen
keineswegs unterbrechen laſſen, ſondern comme si
de rien n’était
ruhig fort deklamiren, oder mit der
Stimme wirbeln. Und ſolches fällt nicht ein-
mal, nein zwanzigmal während einer Vorſtellung
vor, und beluſtigt Manche mehr als dieſe. Es iſt
auch nichts Seitnes, daß Jemand die Reſte ſeines
Goutés, welches nicht immer aus Orangenſchaalen
beſteht, ohne weiteres auf die Köpfe der Zuſchauer
ins Parterre wirft, oder künſtlich in eine Loge ab-
ſchießt, während Andere ihre Röcke und Weſten über
den dritten Rang-Logen aushängen, und in Hemd-
ärmeln ſitzen bleiben, kurz Alles, was bei dem be-
rühmten Wiſotzky in Berlin unter den Handwerks-
burſchen, zur beſſern Aufregung einer phlegmatiſchen
Harmonie-Geſellſchaft vorfallen ſoll, trifft man auch
in Großbritanniens Nationaltheater an.


Ein zweiter Grund, der anſtändige Familien ab-
halten muß, ſich hier ſehen zu laſſen, iſt die Con-
currenz mehrerer hundert Freudenmädchen, welche,
von der unterhaltenden Dame an, die 6000 £. St.
jährlich verzehrt und ihre eigne Loge hat, bis zu de-
nen, die auf der Straße unter freiem Himmel bivoua-
kiren, in allen Gradationen erſcheinen, und in den
Zwiſchenakten die großen und ziemlich reich verzierten
Foyers anfüllen, wo ſie alle ihre Effronterie ſchran-
kenlos zur Schau tragen.


Es iſt ſonderbar, daß dieſe Verhältniſſe in keinem
Lande der Erde ſchamloſer öffentlich affichirt werden,
9*
[132] als in dem religiöſen und decenten England. Dies
geht ſo weit, daß man ſich oft im Theater dieſer
widrigen Venus-Prieſterinnen, beſonders wenn ſie
betrunken ſind, was nicht ſelten der Fall iſt, kaum
erwehren kann, wobei ſie auch auf die unverſchäm-
teſte Weiſe betteln, ſo daß man oft das hübſcheſte
und beſtgekleidetſte junge Mädchen ſieht, die nicht
verſchmäht, einen Schilling oder Sixpence, gleich der
niedrigſten Bettlerin, anzunehmen, um am Büffet
ein halbes Glas Rum oder Gingerbeer dafür zu
trinken — und ſo etwas geht, ich wiederhole es, in
dem Nationaltheater der Engländer vor, wo ihre
höchſten dramatiſchen Talente ſich entwickeln ſollen,
wo unſterbliche Künſtler, wie Garrik, Mrs. Sid-
dons, Miß Oneil, durch ihre Vortrefflichkeit entzück-
ten, und wo noch jetzt Heroen wie Kean, Kemble
und Young auftreten! Iſt das nicht im höchſten
Grade unwürdig, und alles zuſammen ein neuer
ſchlagender Beweis, daß Napoleon nicht Unrecht hatte,
wenn er die Engländer eine Nation proſaiſcher Shop-
keepers
nannte? Wenigſtens kann man ihr im All-
gemeinen wahre Kunſtliebe keck abſprechen, weßhalb
auch die Rohheiten, von denen ich früher ſprach,
faſt nie aus irgend einer Theilnahme an der Dar-
ſtellung ſelbſt entſtehen (denn höchſtens betreffen ſie
eine perſönliche Intrigue gegen oder für einen Schau-
ſpieler) ſondern faſt immer nur ein ganz fremdes
Motiv haben, das mit der Bühne nicht im Min-
deſten concurrirt.


[133]

Der .... ſche Geſandte hatte mich nach dem Thea-
ter begleitet, und erzählte mir, als wir im Foyer
umherſpazierten, und die Anweſenden die Muſterung
paſſiren ließen, manche nicht unintereſſante Particu-
laritäten über dieſe und jene der defilirenden Schön-
heiten. Der unglaubliche Leichtſinn und die wun-
dervollen Glückswechſel dieſer Geſchöpfe waren mir
dabei am merkwürdigſten.


„Dieſe mit den ſchmachtenden Augen,“ ſagte er,
„kömmt eben aus der Kingsbench, wo ſie wegen
8000 £. St. Schulden ein Jahr geſeſſen, dort aber
ihr Metier immer fortgetrieben, und Gott weiß wie,
endlich doch Mittel gefunden hat, ſich zu befreien.
Sie hat einen ſonderbaren Fehler für ihren Stand,
nämlich ſentimental zu ſeyn (ich glaube faſt, der Baron
wollte mir zu verſtehen geben, dies aus Erfahrung
zu wiſſen) und in ſolchen Anwandlungen giebt ſie
einem Geliebten zehnmal mehr, als ſie von ihrem
Entreteneur erhält. Ich weiß ſehr vornehme Leute,“
ſetzte er hinzu, „die dies unverantwortlich gemiß-
braucht haben, und ich zweifle nicht, daß bei der er-
ſten Gelegenheit dieſer Art ſie bald wieder ihr altes
Logis im Freiſtaat der Kingsbench beziehen wird.“


„Hier dieſe etwas verblühte Schönheit,“ fuhr er
fort, „habe ich noch vor zehn Jahren mit einem
Luxus leben ſehen, den wenige meiner Collegen nach-
ahmen können. Weit entfernt, das Geringſte von
ihren damaligen Reichthümern zurückzulegen, hat ſie
[134] Alles mit wahrer Leidenſchaft fortwährend zum Fenſter
hinausgeworfen, und wird Ihnen doch heute ſehr
verbunden ſeyn, wenn Sie ihr mit einem Schilling
unter die Arme greifen wollen.“


Den Gegenſatz zu dieſer Armen zeigte er mir nach-
her in einer der erſten Logen, ein reizendes Weib
vom beſten Anſtand, die einen Mann mit 20,000 £. St.
Revenüen geheirathet hat, und noch vor geringer
Zeit für eine dieſer Guineen Jedem Alles war,
was ſie ſeyn konnte. Dieſe Heirathen ſind über-
haupt hier häufiger, als irgendwo, und ſchlagen
ſonderbarerweiſe meiſtens recht gut aus. So machte
mich mein Begleiter noch auf eine vierte Dame auf-
merkſam, eine bekannte Ballettänzerin, die ſich eben-
falls ſehr reich verheirathet hatte, und mit ihrem
Manne noch immer ſehr glücklich lebt, obgleich dieſer
vor Kurzem Bankerott gemacht, und ſie dadurch wie-
der arm werden laſſen, ja vielleicht in eine noch
drückendere Lage als früher gebracht hat.


Das war ein guter Probierſtein für Herz und
Kopf, welche, bei dieſer Tänzerin wenigſtens, in
der Ausbildung mit den Beinen gewetteifert haben
müſſen.


Die geſchilderte Sittenlicenz erſtreckt ſich auch bis
auf die Bühne ſelbſt, wo man oft ſo grobe Zwei-
deutigkeiten in Worten und ſelbſt in Geſten zu hö-
[135] ren und zu ſehen bekömmt, daß man nicht mehr zu
ſehr darüber erſtaunen kann, in den alten Memoi-
ren zu leſen, was weiland die Jungfrau-Königin
ſich von dieſer Art gefallen ließ.


Lebe wohl.
Ewig der Deine.
L.


[[136]]

Sechster Brief.



Geliebteſte!

Es iſt mir zuweilen ein wahres Bedürfniß, einen
Tag ganz allein zu Haus zuzubringen, und dann
großentheils in einer Art von träumeriſchem Hinbrü-
ten zu durchleben, wo ich ſo lange Vergangnes und
Neues und alle Affekte durchlaufe, bis durch die Mi-
ſchung ſo vieles Bunten eine Nebelfarbe ſich über
Alles breitet, und die Diſſonanzen des Lebens ſich
am Ende in eine ſanfte, objektloſe Rührung auflöſen.
Recht unterſtützt wird man hier in ſolcher Stimmung
durch die, mir ſonſt ſehr unausſtehlichen Drehorgeln,
die Tag und Nacht in allen Straßen ertönen. Auch
ſie leyern im wilden Wirbel hundert Melodieen un-
tereinander, bis alle Muſik ſich in ein träumeriſches
Ohrenklingen verliert.


Amüſanter iſt dagegen ein anderes hieſiges Straßen-
ſpiel, eine ächte National-Comödie, die eine etwas
[137] genauere Beleuchtung verdient, und mir auch heute
von unten meinen Fenſtern heitere Zerſtreuung herauf-
geſchickt hat.


Es iſt dies Punch, der engliſche, ganz vom italiä-
niſchen verſchiedene Pulcinella, deſſen getreue Abbil-
dung ich hier beifüge, wie er eben ſeine Frau todt-
ſchlägt, denn er iſt der gottloſeſte Komiker, der mir
noch vorgekommen iſt, und ſo complett ohne Gewiſ-
ſen, wie das Holz, aus dem er gemacht iſt, und ein
wenig auch die Klaſſe der Nation, welche er reprä-
ſentirt.


Punch hat, wie ſein Namensvetter, auch etwas
von Arrak, Zitronen und Zucker in ſich, ſtark, ſauer
und ſüß, und dabei von einem Charakter, der dem
Rauſche, welchen jener herbeiführt, ziemlich gleich iſt.
Er iſt überdieß der vollendetſte Egoiſt, den die Erde
trägt, et ne doute jamais de rien. Mit dieſer un-
bezwingbaren Luſtigkeit und Laune beſiegt er auch
Alles, lacht der Geſetze, der Menſchen, und ſelbſt
des Teufels, und zeigt in dieſem Bilde zum Theil,
was der Engländer iſt, zum Theil, was er ſeyn
möchte
, nämlich Eigennutz, Ausdauer, Muth, und
wo es ſeyn muß, rückſichtsloſe Entſchloſſenheit auf
der vaterländiſchen Seite, unerſchütterlichen leichten
Sinn und ſtets fertigen Witz auf der ausländiſchen —
aber erlaube, daß ich, ſo zu ſagen mit Punch eignen
Worten, ihn weiter ſchildere, und aus ſeiner Bio-
graphie noch einige fernere Nachrichten über ihn mit-
theile.


[138]

Als ein Nachkomme Pulcinellas aus Acerra iſt er
für’s erſte unbezweifelt ein alter Edelmann, und
Harlequin, Clown, der deutſche Caſperle ſelbſt u. ſ. w.
gehören zu ſeiner nahen Vetterſchaft, er jedoch paßt,
wegen ſeiner großen Kühnheit, am beſten zum Fa-
milien-Chef. Fromm iſt er leider nicht, aber als gu-
ter Engländer geht er doch ohne Zweifel Sonntag
in die Kirche, wenn er auch gleich darauf einen Prie-
ſter todtſchlägt, der ihn zu ſehr mit Bekehrungsver-
ſuchen ennüyirt. Es iſt nicht zu läugnen, Punch
iſt ein wilder Kerl, keine ſehr moraliſche Perſonnage,
und nicht umſonſt von Holz. Niemand z. B. kann
beſſer boren, denn fremde Schläge fühlt er nicht,
und ſeine eignen ſind unwiderſtehlich. Dabei iſt er
ein wahrer Türke in der geringen Achtung menſch-
lichen Lebens, leidet keinen Widerſpruch, und fürch-
tet ſelbſt den Teufel nicht. Dagegen muß man aber
auch in vieler andern Hinſicht ſeine großen Eigen-
ſchaften bewundern. Seine admirable Herzens-Un-
empfindlichkeit und ſchon geprieſene, ſtete gute Laune,
ſein heroiſcher Egoismus, ſeine nicht zu erſchütternde
Selbſtzufriedenheit, ſein nie verſiegender Witz und
die conſommirte Schlauheit, mit der er aus jedem
mauvais pas ſich zu ziehen, und zuletzt als Sieger
über alle Antagoniſten zu triumphiren weiß, werfen
einen glänzenden Lüſtre über alle die kleinen Freihei-
ten, die er ſich im Uebrigen mit dem menſchlichen
Leben herauszunehmen pflegt. Man hat in ihm eine
Verſchmelzung von Richard III. und Falſtaff nicht
ganz mit Unrecht gefunden. In ſeiner Erſcheinung
[139] vereinigt er auch die krummen Beine und den dop-
pelten Höcker Richards mit der angehenden Beleibt-
heit Falſtaffs, zu welcher noch die italiäniſche lange
Naſe und die feuerſprühenden ſchwarzen Augen ſich
geſellen.


Seine Behauſung iſt ein auf vier Stangen geſtell-
ter Kaſten mit gehörigen innern Dekorationen, ein
Theater, das in wenigen Sekunden am beliebigen
Orte aufgeſchlagen wird, und deſſen über die Stan-
gen herabgelaſſene Drapperie Punchs Seele verbirgt,
die ſeine Puppe handhabt, und ihr die nöthigen
Worte leiht. Dieſes Schauſpiel, in dem er täglich,
wie geſagt, in der Straße auftritt, variirt daher
auch nach dem jedesmaligen Talente deſſen, der
Punch dem Publikum verdollmetſcht, doch iſt der
Verlauf deſſelben im Weſentlichen ſich gleich, und
ohngefähr folgender.


So wie der Vorhang aufrollt, hört man hinter
der Scene Punch das franzöſiſche Liedchen Marlbroug
s’en va — t — en guerre
trällern, worauf er ſelbſt
tanzend und guter Dinge erſcheint, und in drolligen
Verſen die Zuſchauer benachrichtigt, weß Geiſtes
Kind er ſey. Er nennt ſich einen muntern, luſtigen
Kerl, der gern Spaß mache, aber nicht viel von
Andern verſtehe, und wenn er ja ſanft werde, ihm
dies nur vis a vis des ſchönen Geſchlechts arrivire.
Sein Geld verthue er frank und frei, und ſeine Ab-
ſicht ſey überhaupt, das ganze Leben hindurch zu
lachen, und dabei ſo fett als möglich zu werden. Mit
[140] den Mädchen ſey er allerdings ein Verſucher und
Verführer, auch, ſo lange er es habe, ein Freund
der bonne chère, wenn er nichts habe, aber auch
bereit, von Baumrinde zu leben, und ſtürbe er ein-
mal — nun ſo ſey’s eben weiter nichts, als daß es
aus ſey, und damit habe denn die Komödie von
Punch ein Ende. (Dies letzte riecht ohne Zweifel ein
wenig nach Atheismus.)


Nach dieſem Monolog ruft er in die Scene hinein
nach Judy, ſeiner jungen Frau, welche aber nicht
hören will, und ſtatt ihrer endlich nur ihren Hund
ſchickt. Punch ſtreichelt und ſchmeichelt ihm, wird
aber von dem böſen Köter in die Naſe gebiſſen, und
ſo lange daran feſtgehalten, bis nach einer lächerli-
chen Balgerei und verſchiedenen ſtarken Späſſen des
nicht allzu discreten Punch, dieſer endlich den Hund
abwehrt, und derb abſtraft.


Der Hausfreund Scaramutz tritt noch während die-
ſem Lärmen mit einem großen Prügel ein, und ſetzt
ſogleich Punch zur Rede, warum er Judy’s Lieb-
lingshund geſchlagen, der nie Jemanden beiße. „Auch
ich ſchlage nie einen Hund,“ erwiederte Punch,
„aber,“ fährt er fort, „was habt ihr ſelbſt denn da
in der Hand, lieber Scaramutz?“ „O nichts, als
eine Geige, wollt ihr vielleicht ihren Ton probiren?
Kommt nur einmal her, und vernehmt das herrliche
Inſtrument.“ „Danke, danke, lieber Scaramutz,“
erwiedert Punch beſcheiden, „ich unterſcheide die Töne
ſchon vortrefflich von weitem.“ Scaramutz läßt ſich
[141] jedoch nicht abweiſen, und indem er, ſich mit Ge-
ſang accompagnirend, herumtanzt und ſeinen Prügel
ſchwingt, giebt er, bei Punch vorbeikommend, dieſem
wie von ohngefähr einen derben Schlag auf den
Kopf. Punch thut als merke er gar nichts davon,
fängt aber auch zu tanzen an, und, ſeinen Vortheil
wahrnehmend, reißt er plötzlich Scaramutz den Stock
aus der Hand, und giebt ihm, gleich zum Anfang,
einen ſolchen Schlag damit, daß dem armen Scara-
mutz der Kopf vor die Füße rollt — denn wo Punch
hinſchlägt, da wächst kein Gras. „Ha ha,“ ruft er
lachend, „haſt Du die Geige vernommen, mein gu-
ter Scaramutz, und was für einen ſchönen Ton ſie
hat! So lange du lebſt, mein Junge, wirſt du kei-
nen ſchönern mehr vernehmen. — Aber wo bleibt
denn meine Judy. Meine ſüße Judy, warum kömmſt
denn du nicht?“


Unterdeß hat Punch Scaramutz Leiche hinter einem
Vorhang verborgen, und Judy, der weibliche Pen-
dant ihres Mannes, mit eben ſo viel Buckeln und
noch monſtröſerer Naſe tritt auf. Eine zärtlich ko-
miſche Scene erfolgt, nach der Punch nun auch nach
ſeinem Kinde verlangt. Judy geht es zu holen, und
Punch exſtaſiirt ſich während dem in einem zweiten
Monolog über ſein Glück als Ehemann und Vater.
Sobald das kleine Ungeheuer ankömmt, können Beide
vor Freude ſich kaum faſſen, und verſchwenden die
zärtlichſten Namen und Liebkoſungen an daſſelbe.
Judy geht jedoch, häuslicher Geſchäfte wegen, bald
wieder ab, und läßt den Säugling in des Vaters
[142] Armen, der, etwas ungeſchickt, die Amme nachah-
men und mit dem Kinde ſpielen will; dies fängt aber
an jämmerlich zu ſchreien und ſich ſehr unartig zu
gebehrden. Punch ſucht es erſt zu beſänftigen, wird
aber bald ungeduldig, ſchlägt es, und da es nun
nur immer ärger ſchreit, und ihm zuletzt gar etwas
in den Händen zurückläßt, wird er wüthend, und
wirft es unter Verwünſchungen zum Fenſter hinaus,
direkt auf die Straße, wo es mitten unter den Zu-
ſchauern den Hals bricht. Punch biegt ſich weit über
die Bühne hinaus, ihm nachzuſehen, macht einige
Grimaſſen, ſchüttelt mit dem Kopf, fängt an zu la-
chen, und ſingt dann tanzend:


Eya popeya, mit dem Kindlein war’s aus,

Du ſchmutz’ges Ding, pack dich fort aus dem Haus,

Bald mach ich ein andres, das wird mir nicht ſchwer,

Von wo du herkamſt, kommen andere noch her.

Indem kehrt Judy zurück und fragt beſtürzt nach
ihrem Darling: „Das Kind iſt ſchlafen gegangen,“
erwiedert Punch gelaſſen, doch nach fortgeſetzter In-
quiſition muß er endlich geſtehen, daß es ihm wäh-
rend dem Spielen mit ihm von ohngefähr aus
dem Fenſter gefallen ſey. Judy geräth auſſer ſich,
reißt ſich die Haare aus, und überhäuft ihren grau-
ſamen Tyrannen mit den ſchrecklichſten Vorwürfen.
Vergebens verſpricht er ihr la pace di Marcolfa*)
[143] ſie will von nichts hören, ſondern läuft unter hefti-
gen Drohungen davon.


Punch hält ſich den Bauch vor Lachen, tanzt um-
her, und ſchlägt vor Uebermuth mit dem eignen
Kopfe den Takt an den Wänden dazu, indem er ſingt:


Welcher tolle Laͤrmen um nichts,

Wegen des kleinen elenden Wichts!

Warte nur, Judy, dich will ich bekehren,

Will dir bald andere Mores lehren. —

Unterdeſſen iſt aber hinter ihm Judy ſchon mit ei-
nem Beſenſtiel angelangt, und arbeitet ſogleich aus
allen Kräften auf ihn los.


Er giebt erſt ſehr gute Worte, verſpricht nie wie-
der ein Kind aus dem Fenſter zu werfen, bittet, doch
den „Spaß“ nicht ſo hoch aufzunehmen — als aber
nichts fruchten will, verliert er abermals die Geduld,
und endet wie mit Scaramutz, indem er die arme
Judy todt ſchlägt. „Nun,“ ſagt er ganz freundlich,
„unſer Streit iſt aus, liebe Judy, biſt du zufrieden,
ich bins auch. Na, ſo ſteh nur wieder auf, gute
Judy. Ach verſtell dich nicht, das iſt nur ſo eine
von deinen Finten! Wie, Du willſt nicht auf? nun
*)
[144] ſo pack Dich hinunter!“ — und damit fliegt ſie ihrem
Kinde nach auf die Straße.


Er ſieht ihr nicht einmal nach, ſondern, in ſein
gewöhnliches ſchallendes Gelächter ausbrechend, ruft er:


Ein Weib zu verlieren iſt eine bonne fortune!
und ſingt dann:


Wer moͤchte ſich mit einem Weibe plagen,

Wenn er ſich Freiheit ſchaffen kann,

Und ſie mit Meſſer oder Stock erſchlagen,

Und uͤber Bord ſie werfen kann.

Im zweiten Akt ſehen wir Punch in einem Ren-
dezvous mit ſeiner Maitreſſe Polly begriffen, der er
nicht auf die anſtändigſte Weiſe die Cour macht, und
dabei verſichert, daß ſie nur alle ſeine Sorgen ver-
ſcheuchen könne, und wenn er auch ſämmtliche Wei-
ber des weiſen Salomo hätte, er ſie ihr zu Liebe
doch alle todt ſchlagen würde. Ein Hofmann und
Freund ſeiner Polly macht ihm darauf noch eine Vi-
ſite, den er diesmal nicht umbringt, ſondern nur
zum Beſten hat, ſich dann langweilt, und erklärt,
das ſchöne Wetter zu einem Spazierritt benutzen zu
wollen. Ein wilder Hengſt wird vorgeführt, mit dem
er eine Zeit lang lächerlich umher caracollirt, zuletzt
aber durch entſetzliches Bocken des unbezähmbaren
Thieres abgeworfen wird. Er ſchreit um Hülfe, und
ſein glücklicherweiſe eben vorbeigehender Freund, der
Doctor, läuft ſchnell herbei. Punch liegt da wie halb
todt, und jammert entſetzlich. Der Doctor ſucht ihn
[145] zu beruhigen, fühlt an ſeinen Puls und fragt: „Wo
ſeyd ihr denn eigentlich beſchädigt, hier?“ „Nein,
tiefer.“ „An der Bruſt?“ „Nein, tiefer.“ „Iſt
Euer Bein gebrochen?“ „Nein, höher.“ „Wo denn?“
In dem Augenblick giebt aber Punch dem armen
Doctor einen ſchallenden Schlag auf eine gewiſſe Par-
thie, ſpringt lachend auf und ſingt tanzend:


Hier iſt der Fleck, wo ich verwundet,

Und jetzt durch Sympathie geſundet;

Ich fiel ja nur ins gruͤne Gras,

Glaubt Eſel ihr, ich ſey von Glas?

Der wüthende Doctor iſt, ohne ein Wort weiter
zu erwiedern, weggelaufen, kömmt gleich darauf mit
ſeinem großen Stocke mit goldnem Knopfe wieder, und
indem er ausruft: „Hier, lieber Punch, bringe ich
Euch heilſame Medizin, wie ſie für Euch allein paßt,“
läßt er beſagten Stock noch nachdrücklicher als Judy,
wie einen Dreſchflegel auf Punch’ns Schultern ar-
beiten.


„O weh!“ ſchreit dieſer, „tauſend Dank, ich bin
ja ſchon geſund, ich vertrage überhaupt gar keine
Medizin, ſie giebt mir immer gleich Kopf- und Hüf-
tenweh ....“ „Ach, das iſt nur, weil ihr noch
eine zu geringe Doſis davon zu Euch genommen
habt,“ unterbricht ihn der Doctor, „nehmt immer noch
eine kleine Gabe, und es wird Euch gewiß beſſer
werden.“


Briefe eines Verſtorbenen. III. 10
[146]

P. Ja, ſo ſprecht ihr Doctoren immer, aber ver-
ſucht es doch einmal ſelbſt.


D. Wir Doetoren nehmen nie unſere eigene Me-
dizin. Doch Ihr braucht jedenfalls noch einige
Doſen.


Punch ſcheint beſiegt, fällt entkräftet hin, und bit-
tet um Gnade; als ſich aber der leichtgläubige Doc-
tor zu ihm herabbeugt, ſtürzt ihm Punch mit Blitzes-
ſchnelle in die Arme, ringt mit ihm und entreißt
ihm endlich den Stock, mit dem er dann wie ge-
wöhnlich verfährt.


„Jetzt,“ ruft er, „werdet Ihr doch auch ein wenig
von eurer ſchönen Medicin verſuchen müſſen, werthe-
ſter Doctor, nur ein ganz klein wenig, geehrteſter
Freund. So ..... und ſo ....“


„O Gott, ſie bringt mich um ....“ ſchreit der
Doktor.


„Nicht der Rede werth, es iſt einmal ſo gebräuch-
lich. Doctoren ſterben immer, wenn ſie von ihrer
eignen Medizin genießen. Nur luſtig, hier, noch
eine, und die letzte Pille. Er ſtößt ihm den Stock
mit der Spitze in den Magen. „Fühlt ihr die Wir-
kung dieſer wohlthätigen Pille in eurem Junern?“


Der Doctor fällt todt hin.


Punch lachend: „Nun, guter Freund, curirt Euch
ſelbſt, wenn Ihr könnt!“


(Geht ſingend und tanzend ab.)


[]
[figure]
[][147]

Nach mehreren Avanturen, die faſt alle einen ſol-
chen tragiſchen Ausgang nehmen, wird endlich die
Gerechtigkeit wach, und dem Punch ein Conſtabler
zugeſendet, um ihn zu arretiren. Dieſer findet ihn,
wie immer, in der beſten Laune, und eben beſchäf-
tigt, ſich mit Hülfe einer großen Rindviehglocke, wie
er ſagt, Muſik zu machen (eigentlich ein ſehr naives
Geſtändniß der Muſikcapacität der Nation.) Der
Dialog iſt kurz und bündig.


Conſtabler. M. Punch, laßt einmal Muſik und
Singen ein wenig bei Seite, denn ich komme Euch
aus dem letzten Loche ſingen zu laſſen.


Punch. Wer Teufel, Kerl, ſeyd Ihr?


C. Kennt Ihr mich nicht?


P. Nicht im Geringſten, und fühle auch gar kein
Bedürfniß, Euch kennen zu lernen.


C. Oho, Ihr müßt aber. Ich bin der Conſtabler.


P. Und wer, mit Verlaub, hat zu Euch geſchickt,
um Euch holen zu laſſen?


C. Ich bin geſchickt, um Euch holen zu laſſen?


P. Allons, ich brauche Euch ganz und gar nicht;
ich kann meine Geſchäfte allein verrichten, ich danke
Euch vielmals, aber ich brauche keinen Conſtabler.


C. Ja, aber zufällig braucht der Conſtabler Euch.


P. Den Teufel auch, und für was denn, wenn
ich bitten darf?


10*
[148]

C. O, bloß um Euch hängen zu laſſen. — Ihr
habt Scaramutz todtgeſchlagen, Euer Weib und
Kind, den Doctor ....


P. Was Henker geht Euch das an? bleibt ihr noch
viel länger hier, ſo werde ich’s mit Euch eben ſo
machen.


C. Macht keine dummen Späſſe. Ihr habt Mord
begangen, und hier iſt der Verhaftsbefehl.


P. Und ich habe auch einen Befehl für Euch, den
ich Euch gleich notificiren will. (Punch ergreift die
bisher hinter ſich gehaltene Glocke, und ſchlägt dem
Conſtabler damit dermaßen auf das Occiput, daß er
wie ſeine Vorgänger leblos umſinkt, worauf Punch
mit einer Capriole davon ſpringt, indem man ihn
noch hinter der Scene jodeln hört:


Der Krug geht zu Waſſer

So lang bis er bricht,

Ein luſtiger Praſſer

Bekuͤmmert ſich nicht.

Der Gerichtsbeamte, welcher nach dem Tode des
Conſtabler geſendet wird, Punch zu verhaften, hat
daſſelbe Schickſal, wie jener, bis endlich der Henker
in eigner Perſon Punch aufpaßt, welcher in ſeiner
luſtigen Unbefangenheit, ohne ihn zu ſehen, ſelbſt an
ihn anrennt. Zum erſtenmal ſcheint er bei dieſer
Rencontre betroffen, giebt ſehr klein zu, und ſchmei-
chelt Herrn Ketſch nach Kräften, nennt ihn ſeinen
alten Freund, und erkundigt ſich auch ſehr angele-
[]

[figure]

[][149] gentlich nach dem Befinden ſeiner lieben Gemahlin,
Miſtriß Ketſch.


Der Henker aber macht ihm ſchnell begreiflich, daß
jetzt alle Freundſchaft ein Ende haben müſſe, und
hält ihm vor, welch’ ein ſchlechter Mann er ſey, ſo
viel Menſchen und ſelbſt ſein Weib und Kind ge-
tödtet zu haben.


„Was die Letzteren betrifft, ſo waren ſie mein Ei-
genthum,“ vertheidigt ſich Punch, „und Jedem muß
es überlaſſen bleiben, wie er dies am beſten zu nutzen
glaubt.“ „Und warum tödtetet Ihr den armen Doc-
tor, der Euch zu Hülfe kam?“ „Nur in Selbſtver-
theidigung, wertheſter Herr Ketſch, denn er wollte
mich auch umbringen.“ „Wie ſo?“ „Er offerirte
mir von ſeiner Medicin.“


Doch alle Ausflüchte helfen nichts. Drei bis vier
Knechte ſpringen hervor, und binden Punch, den
Ketſch ins Gefängniß abführt.


Wir ſehen ihn im nächſten Auftritt im Hinter-
grunde der Bühne aus einem eiſernen Gitter den
Kopf vorſtrecken, und ſich die lange Naſe an den
Eiſenſtangen reiben. Er iſt ſehr entrüſtet und ver-
drießlich, ſingt ſich aber doch nach ſeiner Manier ein
Liedchen, um die Zeit zu vertreiben. Mr. Ketſch
tritt auf, und ſchlägt mit ſeinen Gehülfen vor dem
Gefängniſſe einen Galgen auf. Punch wird kläg-
lich, fühlt aber, ſtatt der Reue, doch nur eine An-
wandelung großer Liebe und Sehnſucht nach ſeiner
[150] Polly; er ermannt ſich indeß bald wieder, und macht
ſogar verſchiedene Bonmots über den hübſchen Gal-
gen, den er mit einem Baume vergleicht, den man
wahrſcheinlich zum beſſern Proſpekt für ihn hierher
gepflanzt habe. „Wie ſchön wird er erſt werden,“
ruft er aus, „wenn er Blätter und Früchte be-
kömmt!“ Einige Männer bringen jetzt einen Sarg,
den ſie an den Fuß des Galgens hinſtellen.


„Nun, was ſoll das vorſtellen?“ frägt Punch …
„aha, das iſt ohne Zweifel der Korb, um die Früchte
hineinzuthun.“


Ketſch kehrt während dem zurück, und indem er
Punch grüßt und die Thür aufſchließt, ſagt er höflich
es ſey nun Alles bereit, Punch könne kommen, wenn
es ihm beliebe. Man kann denken, daß dieſer nicht
ſehr empreſſirt iſt, der Einladung zu folgen. Nach
mehreren Hin- und Herreden ruft Ketſch endlich un-
geduldig: „Es hilft nun weiter nichts, Ihr müßt
heraus und gehangen werden.“


P. O, Ihr werdet doch nicht ſo grauſam ſeyn?


K. Warum wart Ihr ſo grauſam, Weib und Kind
umzubringen?


P. Aber iſt das ein Grund, daß Ihr auch grau-
ſam ſeyn, und mich auch umbringen müßt? *)


[151]

Ketſch bedient ſich keiner weitern Gründe, als der
des Stärkeren, und zieht Punch bei den Haaren
heraus, der um Gnade fleht, und Beſſerung ver-
ſpricht.


„Nun, lieber Punch,“ ſagt Ketſch kaltblütig, „habt
blos die Güte, Euern Kopf in dieſe Schlinge zu
ſtecken, und Alles wird ſchnell zu Ende ſeyn.“ Punch
ſtellt ſich ungeſchickt an, und kömmt immer auf die
unrechte Weiſe in die Schlinge. „Mein Gott, wie
ungeſchickt Ihr ſeyd,“ ruft Ketſch, „ſo müßt Ihr
den Kopf hineinſtecken,“ (es ihm vormachend). „So,
und zuziehen,“ ſchreit Punch, der den unvorſichtigen
Henker ſchnell feſthält, mit aller Gewalt zuſchnürt,
und mit großer Eile ſelbſt am Galgen aufhängt,
worauf er ſich hinter die Mauer verſteckt.


Zwei Leute kommen, den Todten abzunehmen, le-
gen ihn, in der Meynung, es ſey der Delinquent,
in den Sarg, und tragen ihn fort, während Punch
ins Fäuſtchen lacht und luſtig forttanzt.


Doch der ſchwerſte Kampf ſteht ihm noch bevor,
denn der Teufel ſelbſt in propria persona kömmt nun,
um ihn zu holen. Vergebens macht ihm Punch die
ſcharfſinnige Bemerkung: er ſey doch ein ſehr dum-
mer Teufel, ſeinen beſten Freund auf Erden von
dort wegholen zu wollen; der Teufel nimmt keine
Raiſon an, und ſtreckt ſeine langen Krallen gräulich
nach ihm aus. Er ſcheint ſchon im Begriff, augen-
blicklich mit ihm abzufahren, wie mit weiland Fauſt,
aber Punch läßt ſich nicht ſo leicht verblüffen! Herz-
[152] haft ergreift er ſeinen mörderiſchen Prügel und wehrt
ſich, ſelbſt gegen den Teufel, ſeiner Haut. Ein fürch-
terlicher Kampf beginnt, und — wer hätte es für
möglich gehalten! Punch, mehrmal ſeinem Ende nahe,
bleibt endlich glücklich Sieger, ſpießt den ſchwarzen
Teufel auf ſeinen Stock, hält ihn hoch in die Höhe,
und mit ihm jauchzend herumwirbelnd, ſingt er herz-
licher lachend als je:


Vivat, Punch, aus iſt die Noth,

Juchhe! der Teufel iſt todt.

Ich überlaſſe Dir alle philoſophiſchen Betrachtun-
gen, deren ſich nicht wenige an Punchs Lebenslauf
anknüpfen laſſen; intereſſant möchte beſonders die
Unterſuchung ſeyn, wie dieſes ſich täglich wiederho-
lende, beliebte Volksſchauſpiel ſeit ſo vielen Jahren
auf die Moralität des gemeinen Mannes hier einge-
wirkt haben mag? *)


Zum Schluß ſkizzire ich am Rand für die tragiſche
Gerechtigkeit noch ein zweites Portrait Punch’ns, wie
[153] er im Gefängniß ſitzt, und der Galgen eben für ihn
herbeigebracht wird.


In meinem nächſten Briefe aber erhältſt Du alle
verlangte Details über B., welchen frommen Mann
ich heute über den intereſſanteren Sünder Punch ver-
geſſen habe. Adieu für heute.



Es wird Dir’ noch gegenwärtig ſeyn, was ich Dir
vor einiger Zeit über die Art des Grundverkaufs
oder vielmehr Verpachtung deſſelben ſchrieb. Da der
Eigenthümer alſo nur auf 99 Jahre Beſitz im beſten
Falle rechnen kann, baut er auch ſo leicht als mög-
lich, und dies hat zur Folge, daß man öfters in den
Londner Häuſern ſeines Lebens nicht ſicher iſt. So
fiel denn auch dieſe Nacht, ganz nahe von mir in
St. James Street ein gar nicht altes Gebäude plötz-
lich wie ein Kartenhaus ein, und nahm auch die
Hälfte des andern noch mit ſich, wobei mehrere
Menſchen gefährlich beſchädigt worden ſeyn ſollen,
aber doch größtentheils noch Zeit zur Rettung fan-
den, da drohende Vorzeichen ſie avertirten. Bei der
Schnelligkeit, mit der man hier aufbaut, wird ohne
Zweifel das Gebäude in vier Wochen wieder ſtehen,
wenn gleich eben ſo unſicher wie vorher.


[154]

Vor einigen Tagen wohnte ich der intereſſanten
Eröffnung des Parlaments durch den König in Per-
ſon bei, eine Ceremonie, welche ſeit mehreren Jah-
ren nicht mehr ſtatt gefunden hat.


In dem Saale des Oberhauſes waren in der Mitte
die Pairs verſammelt, ihre rothen Mäntel nur nach-
läſſig über die gewöhnliche Morgenkleidung geworfen.
An der vorderſten Wand ſtand der Thron des Kö-
nigs, auf Gradins links ſaßen viele Damen im
Schmuck, rechts das diplomatiſche Corps und die
Fremden, dem Throne gegenüber ſah man eine Bar-
riere und hinter dieſer die Mitglieder des Unterhau-
ſes in der bürgerlichen Kleidung unſrer Tage. Das
Haus auſſerhalb und die Treppen waren mit Die-
nern und Herolden im Coſtüme des vierzehnten Jahr-
hunderts bedeckt.


Um 2 Uhr verkündeten Kanonenſalven den Anzug
des Königs im großen Staate. Viele prachtvolle
Wagen und Pferde bildeten den Zug, von dem ich
ſchon eine Abbildung in mein Erinnerungsbuch auf-
genommen *) und zum Contraſt einen Triumphzug
[155] Cäſars daneben placirt habe. Man frägt ſich un-
willkührlich bei dem Anblick dieſer Bilder, ob die
Menſchen wohl ſeitdem wirklich weiter gekommen
ſind? Im Kunſtſinn ſcheint es kaum, beſonders wenn
man nach den beiden hervorſtechendſten und
den höchſten Sitz einnehmenden Perſonen der re-
ſpektiven Ceremonien urtheilt. Ich meine den könig-
lichen Leibkutſcher und Cäſar.


Gegen halb 3 Uhr erſchien der König, allein von
Allen in völliger Toilette, und zwar von Kopf bis
zu Fuß in den alten Königsornat gekleidet, mit der
Krone auf dem Haupt und den Scepter in der Hand.
Er ſah blaß und geſchwollen aus, und mußte lange
auf ſeinem Throne ſitzen, ehe er genug zu Athem
kommen konnte, um ſeine Rede abzuleſen. Während
dem warf er einigen der begünſtigteſten Damen freund-
liche Blicke und herablaſſende Grüße zu. Lord Liver-
pool ſtand mit dem Reichsſchwerdte und der Rede in
der Hand ihm zur Seite, auf der andern der Herzog
von Wellington. Alle drei ſahen aber ſo elend, aſch-
grau und abgelebt aus, daß mir nie menſchliche Größe
geringer an Werth erſchien, ja die tragiſche Seite
aller Komödien, die wir hier unten ſpielen, fiel mir
faſt ſchwer aufs Herz! Doch erregte es auch ein leb-
haftes Gefühl des Komiſchen in mir, zu ſehen, wie
*)
[156] hier der mächtigſte Monarch der Erde als Hauptac-
teur vor einem in ſeiner Meinung ſo tief unter ihm
ſtehenden Publikum auftreten mußte! In der That
erinnerte die ganze Scene des Ein- und Ausgangs,
wie das Coſtume des Königs, frappant an die Art,
wie hier die hiſtoriſchen Theaterſtücke aufgeführt zu
werden pflegen, und es fehlte blos der obligate Flou-
rish (Duſch der Trompeten) der das Kommen und
Gehen eines Shakespear’ſchen Königs ſtets begleitet,
um die Täuſchung vollkommen zu machen.


Uebrigens las Georg IV. ohngeachtet ſeiner Schwäche
mit vielem Anſtande und ſchönem Organ, aber auch
mit königlicher nonchalance, die nicht viel darnach
frägt, ob die Majeſtät ſich verſpricht, oder ein Wort
nicht gleich dechiffriren kann, die banale Rede ab.
Man ſah indeß deutlich, daß der Monarch erfreut
war, als die Corvée ihr Ende erreicht hatte, ſo daß
der Abgang auch etwas rüſtiger von ſtatten ging als
der Einzug.


Seit meinem letzten Briefe war ich zweimal im
Theater, was man wegen der ſpäten Eßſtunden nie
beſuchen kann, wenn man irgendwo eingeladen iſt.


Ich fand Mozarts Figaro in Drurylane angekün-
digt, und freute mich, die ſüßen, vaterländiſchen
Töne wieder zu hören, ward aber nicht wenig von
der unerhörten Behandlung überraſcht, die des unſterb-
lichen Componiſten meiſterhaftes Werk hier erfahren
mußte. Du wirſt es mir gewiß kaum glauben wol-
[157] len, daß weder der Graf, noch die Gräfin, noch Fi-
garo ſangen, ſondern dieſe Rollen von bloßen Schau-
ſpielern gegeben, uno die Hauptarien derſelben, mit
einiger Veränderung der Worte, von den übrigen
Sängern vorgetragen wurden, wozu der Gärtner
noch eingelegte engliſche Volkslieder zum Beſten gab,
die ſich zu Mozarts Muſik ohngefähr wie ein Pech-
pflaſter auf dem Geſichte der Venus ausnahmen. Die
ganze Oper war überdieß von einem Herrn Biſchoff
(was ich auch auf der Affiche bemerkt ſah, und zuerſt
gar nicht verſtand) „arrangirt“, d. h. engliſchen
Ohren durch die abgeſchmackteſten Abänderungen ge-
rechter gemacht. Die engliſche National-Muſik, deren
plumpe Melodien man keinen Augenblick verkennen
kann, hat, für mich wenigſtens, etwas ganz aus-
nehmend Widriges — einen Ausdruck brutaler Ge-
fühle in Schmerz und Luſt, der ſich von Roſtbeef,
Plumb-Pudding und Porter reſſentirt. Du kannſt
Dir alſo denken, welchen angenehmen Effekt dieſe
Verſchmelzung mit den lieblichen Compoſitionen Mo-
zarts hervorbringen mußte.


Je n’y pouvais tenir, der arme Mozart kam mir
vor wie ein Märtyrer auf dem Kreuze, und ich ſelbſt
litt nicht weniger dabei.


Dieſes Unweſen iſt um ſo bedauernswürdiger, da
es im Ganzen hier keineswegs an vielen verdienſt-
lichen Sängern und Sängerinnen fehlt, und mit ei-
ner vernünftigeren Behandlung ſehr gute Vorſtellun-
gen gegeben werden könnten. Nur bedürfte es frei-
[158] lich, wenn das Theater in Ordnung wäre, noch ei-
nes zweiten Orpheus, um auch das engliſche Publi-
kum zu zähmen.


Weit beſſer war die Vorſtellung in Coventgarden,
wo Charles Kemble, einer der erſten engliſchen Schau-
ſpieler, die Rolle Karls II. vortrefflich gab. Kemble
iſt ein Mann von der beſten Erziehung, der immer
in ſehr guter Geſellſchaft gelebt hat, und war daher
auch im Stande, den Monarchen königlich darzu-
ſtellen, d. h. hier nur, ganz mit aller der Aiſance, welche
gewöhnlich den von jeher Hochſtehenden eigen iſt. Er
weiß dem Leichtſinne Karls II. eine liebenswürdige
Seite zu geben, ohne doch je, ſelbſt im größten Aban-
don, den ſchwer nachzuahmenden Typus angeborner
höchſter Würde zu verlieren. Dabei war das Coſtume,
wie aus dem Rahmen alter Gemälde geſchnitten,
bis auf die größten Kleinigkeiten, was von allen an-
dern Mitſpielern eben ſo genau beobachtet wurde,
weßhalb Kemble, auch als Regiſſeur, ſehr zu loben iſt.


Ich muß jedoch ſagen, daß in dem nächſten Stücke,
wo Friedrich der Große die Hauptrolle ſpielte, nicht
dieſelbe Genauigkeit und Kenntniß fremden Co-
ſtümes herrſchte, und ſowohl der König als ſeine
Suite ihre Garderobe von der Harlekinspantomime
geborgt zu haben ſchienen. Zieten unter andern mel-
dete ſich in einer hohen Grenadiermütze, und Seyd-
litz erſchien mit langen Locken à la Murat, und eben
ſo viel Orden, als jener königliche Comödiant trug,
[159] die damals doch keineswegs in ſolcher Profuſion
Mode, und ſchon ein bloßer Gegenſtand der Toilette
geworden waren, wie es jetzt der Fall iſt.



Ich eſſe oft beim Fürſten E., der den Diplomaten
ein wahres Muſter aufſtellt, wie vornehme Reprä-
ſentation und angenehmer, leichter Umgang zu verei-
nigen ſind, und wie man Jedem gefallen kann, in-
dem man ſich à sa portée zu ſtellen verſteht, ohne
doch den eignen Werth verkennen zu laſſen, un vrai
Seigneur,
wie ſie immer ſeltner werden. Auch hat
wohl nie ein Fremder ſo vollſtändig in England reüſ-
ſirt, und ſich doch gewiß nie etwas gegen den engli-
ſchen Dünkel dabei vergeben. Es gehörte dazu un-
endlich viel Takt, der ſüddeutſche leichtere Sinn, und
der ſchlaueſte Verſtand hinter anſpruchsloſer Bonho-
mie verborgen, alles unterſtützt durch einen hohen
Namen und großes Vermögen.


Das übrige diplomatiſche Corps tritt mit wenigen
Ausnahmen gegen ihn gar ſehr in den Hintergrund,
und die meiſten Pleinpotentiaires verſchwinden ohne-
dem hier ſo zu ſagen gänzlich in der Foule. Unter
den Ambaſſadeurs ſpielt dagegen ein weiblicher noch
eine große Rolle . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Doch hierüber ausführlicher ein anderesmal. Ich
[160] kam eigentlich nur auf die Diplomaten zu ſprechen,
weil ich Dir ein hübſches bon mot von einem derſel-
ben, den Du kennſt, mittheilen wollte, welches ich
eben in der heutigen Geſellſchaft erzählen hörte. Graf
H .... war früher Geſandte an einem, ſeiner Spar-
ſamkeit wegen (pour ne pas dire mesquinerie) bekann-
ten deutſchen Hofe, und bekam bei einer ſolennen Ge-
legenheit eine Doſe mit dem Portrait des Souverains
zum Geſchenk, die jedoch nur mit ſehr kleinen und
unanſehnlichen Diamanten umgeben war. Kurz darauf
bat ihn einer ſeiner Collegen, ihm doch das erhal-
tene Präſent zu zeigen. „Vous ne trouverez pas le
portrait ressemblant,“
ſagte der Graf, indem er die
Doſe überreichte, — „mais les diamans.“


Mit vielem Vergnügen ſehe ich auch zuweilen den
alten Elliot, der, nächſt dem eben ſo trocknen als in-
tereſſanten Lord St. Herbert, deſſen Ségur ſo oft in
ſeinen Memoiren erwähnt, zu den Doyens der eng-
liſchen Diplomatie gehört, und ſich noch immer ſei-
nes Aufenthalts in Dresden mit auſſerordentlicher
Vorliebe erinnert. Er hat mehrere ſehr liebenswür-
dige Töchter, und dabei Mühe, ſeine Familie ſtan-
desmäßig zu erhalten, denn für ſo lange Dienſte fin-
det er ſich nicht mit engliſcher Liberalität belohnt *).
[161] Ein anderer intereſſanter Mann iſt der Chevalier
L. M., der früher beim Könige, noch als Prinz von
Wales, ſehr gut angeſchrieben ſtand, und der Er-
wähnung verdient, einmal weil er ſeine Freunde vor-
trefflich und als höchſt angenehmer Amphitryon be-
wirthet, zweitens weil er einer der originellſten Men-
ſchen, und einer von den wenigen ächt praktiſchen
Philoſophen iſt, die mir vorgekommen ſind.


Alle Vorurtheile der Menge ſcheinen für ihn nicht
zu exiſtiren, und Niemanden möchte ſchwerer, weder
mit den großen Herren des Himmels, noch der Erde,
zu imponiren ſeyn. Obgleich ſchon 60 Jahr alt, und
den größten Theil der letzten Zeit über den uner-
hörteſten Schmerzen ausgeſetzt, mit welchen Gicht
und Stein einen armen Sterblichen plagen können,
hört doch Niemand je eine Klage von ihm, noch kann
ſeine ſtets heitere, ja luſtige Laune einen Augenblick
davon getrübt werden. Man muß geſtehen, es giebt
natürliche Gemüths-Dispoſitionen und Temperamente,
die 100,000 Thaler Revenüen werth ſind.


Als ich ihn vor einiger Zeit kennen lernte, hatte
man ihm erſt kürzlich die große Operation des Stein-
*)
Briefe eines Verſtorbenen III. 11
[162] ſchnitts gemacht, die der Arzt nicht unternehmen
wollte, weil er ſie bei der Schwäche des Patienten
für tödtlich heilt, von dieſem aber faſt dazu gezwun-
gen wurde.


Er konnte damals ſein Bett noch nicht verlaſſen,
ſah wie ein Todter aus, und ich machte beim Herein-
treten unwillkührlich eine mine de doléance, mit der
ich ihm eben mein Bedauern bezeigen wollte, als er
mir lachend ins Wort fiel und mir zurief, ich ſollte
nur die Grimaſſen laſſen. Was nicht zu ändern
ſey, meinte er nachher, das müſſe man ertragen,
beſſer luſtig als traurig, und was ihn beträfe, ſo
babe er gewiß alle Urſache, wenigſtens über ſeine
Aerzte zu lachen, denn mehr als zehnmal hätten ſie
ihm mit Beſtimmtheit den Laufpaß gegeben, und
waren doch jetzt faſt alle ſelbſt vor ihm zum T .....
gefahren. „Uebrigens,“ ſetzte er ganz reſignirt hinzu,
„habe ich mein Leben wie Wenige genoſſen, und
muß auch die Schattenſeite davon kennen lernen.“


Bei allen dieſen Freuden und Leiden iſt der le-
bensluſtige Mann indeß doch ſo gut conſervirt ge-
blieben, daß er, ſeit er wieder herumgeht, in ſeiner
artiſtiſchen Perrücke kaum mehr als ein Vierziger zu
ſeyn ſcheint, und dabei eine kühne und rayonnante
Phyſiognomie zur Schau trägt, deren Züge einſt ſchön
geweſen ſeyn müſſen.


[163]

Kemble gab mir heute wieder, im Falſtaff, einen
großen Genuß. Gewiß iſt es, daß auch der größte
dramatiſche Dichter des Schauſpielers bedarf, um
ſein Werk zu vervollſtändigen. Ich habe die Natur
des berüchtigten Ritters nie ſo vollkommen verſtan-
den, und nie iſt mir auch ſo anſchaulich geworden,
wie ſein äuſſeres Benehmen ſeyn müſſe, als ſeit ich
ihn durch Kemble gleichſam wieder neugeboren ſah.
Sein Anzug und Maske ſind zwar auffallend, aber
keineswegs eine ſolche Carrikatur, wie auf unſern
deutſchen Theatern, noch weniger darin der Ausdruck
eines Menſchen ohne Stand und Erziehung, eines
bloßen Farceur ſichtbar, wie ihn z. B. Devrient in
Berlin darſtellt. Falſtaff, obgleich von gemeiner
Seele, iſt doch durch Gewohnheit wie Neigung
ein ſehr geübter Hofmann, und das Rohr, was er
oft in Geſellſchaft des Prinzen zur Schau trägt, iſt
wenigſtens eben ſo ſehr ein abſichtliches Spiel, das
er benutzt, um den Prinzen zu amüſiren (denn Prin-
zen lieben, eben wegen der düſtern Höhe ihrer Stel-
lung, ſehr oft das Gemeine, ſchon des Contraſtes
wegen) als ſeiner eignen Laune genug zu thun. Hier
nüancirt nun Kemble den Charakter beſonders fein,
denn obwohl er in allen dieſen verſchiedenen Lagen
die natürliche, unbeſiegbare Luſtigkeit, die witzige
Geiſtesgegenwart und die ergötzliche Drolligkeit beibe-
hält, die Falſtaff als Geſellſchafter ſo angenehm, ja
11*
[164] einmal gekannt, faſt unentbehrlich machen, ſo iſt er
doch ein ganz andrer, wenn er bei Hofe in Gegen-
wart des Königs und ernſter würdiger Männer er-
ſcheint, oder mit dem Prinzen und ſeinen Genoſſen
Poſſen treibt, oder endlich mit dieſen Letzteren allein
bleibt. Im erſten Fall ſieht man einen komiſchen
Mann, ohngefähr wie den Maréchal de Baſſompiere,
lächerlich dick, aber vornehm und mit Anſtand, im-
mer ein Spaßmacher, aber mit gutem Ton, nie ohne
den gebührenden Reſpekt, den er dem Ort und der
Umgebung ſchuldig iſt, wo er ſich befindet; in der
zweiten Station läßt er ſich ſchon weit mehr gehen,
nimmt ſich jede derbe Freiheit heraus, aber doch im-
mer mit einer merklichen Rückſicht, die ſchmeichelnd
den Prinzen hervorhebt, und ſich nur das Privile-
gium des Hofnarren nimmt, der ſcheinbar alles ſa-
gen darf, was ihm in den Kopf kömmt; nur auf der
letzten Stufe endlich ſehen wir Falſtaff im völligen
Negligé, von dem aller Schein herabgefallen iſt. Wie
das Schwein in der Pfütze wälzt er ſich hier behag-
lich im Kothe, und doch bleibt er auch dabei noch
originell, erregt noch mehr Lachen als Abſcheu, die
große Kunſt des Dichters, welcher auch bei den hor-
rendeſten Mißgeburten der Sünde und Schande, doch,
gleich einem göttlichen Siegel, etwas in ſie zu legen
weiß, was unſer Intereſſe erregt, und uns, faſt zu
unſerm eignen Erſtaunen, anzieht. Es iſt dies die
dramatiſche Wahrheit, die Schöpfungskraft der Schil-
derung, von der Walter Scott ſo artig ſagt: „Sie
läßt mich Shakspeare nur mit jenem Manne in den
[165] arabiſchen Mährchen vergleichen, der ſich in jeden
beliebigen Körper verſetzen, und deſſen Gefühle und
Handlungen nachahmen konnte.“


Hierbei fällt mir ein daß ich nur einen Charak-
ter in dieſes unſterblichen Dichters Werken immer
etwas verzeichnet fand, und keiner erregt auch allge-
mein weniger Intereſſe. Dies iſt der König im Ham-
let. Um nur eines Zuges zu erwähnen, ſo ſcheint
es mir pſychologiſch ganz falſch, wenn der Autor
den König niederknieen und dann ausrufen läßt:
„Ich kann nicht beten.“ Der König wird uns ja
nirgends als ein Irreligiöſer, ein grübelnder Skep-
tiker dargeſtellt, ſondern blos als ein grober ſinnli-
cher Verbrecher, und ein ſolcher kann, ſey er auch
der ärgſte, wie wir täglich erleben, nicht nur ſehr
gut und eifrig beten, ſondern ſelbſt beten, daß ihm
ſein Verbrechen doch gelingen möge, wie jene Frau,
die man nach dem Fang einer ausgezogenen Diebes-
bande allein in ihrer Höhle auf den Knieen fand, wo
ſie zu Gott inbrünſtig flehte, daß die Expedition,
bei der ſie die Räuber eben begriffen glaubte, doch
glücklich ablaufen, und ſie recht viel erbeuten möchten.


Ja, öffentlich angeordnete Gebete haben oft keinen
viel beſſern Zweck, und was bietet im Felde der Re-
ligion die Geſchichte für Beiſpiele dieſer Art nicht dar!
Nein, der verbrecheriſche König kann beten, aber
wer es in dieſer Tragödie nicht kann — das iſt
Hamlet. Denn nur der Ungläubige, der Alles er-
[166] gründen Wollende, der geiſtige Chemiker, dem ein
ſcheinbar feſtes Gebäude nach dem andern einſtürzt,
der kann — bis es ihm nicht durch die allgöttliche
Kraft gelungen, ein inneres Unzerſtörbares aufzu-
richten *), und ſoweit iſt Hamlet offenbar noch nicht
gekommen, — der allein, ſage ich, kann nicht
mehr beten
, denn der Gegenſtand fehlt ihm. Er
kann ſich’s nicht mehr ableugnen, er ſpielt, indem er
betet, nur Comödie mit ſich ſelbſt.


Dies iſt ein ſchlimmer Durchgang, den diejenigen
am armen Menſchen verſchulden, welche ſchon das
[167] Kind mit falſcher Lehre in das Bett des Procruſtes
zwängen, und dadurch den verkürzten Gliedern das
Ausſtrecken zu ihrer natürlichen Größe oft für im-
mer unmöglich machen.


Doch zurück zum Schauſpiel. Es ward mit einem
Melodrama geſchloſſen, wo ein großer Newfoundland-
Hund wahrhaft admirabel ſpielte, lange eine Fahne
vertheidigte, den Feind verfolgte, nachher verwundet,
blutend und lahm wieder auf die Bühne kam, und
dort meiſterhaft ſtarb, mit der letzten genialen Zuckung
im Schwanze. Man hätte darauf ſchwören ſollen,
das Thier wiſſe wenigſtens ſo gut als einer ſei-
ner menſchlichen Kameraden, was es zu agiren habe.


Ich verließ das Theater mit ſo guter Laune, daß
ich nachher im Clubb 8 Rubber im Whiſt gewann,
denn auch das Spielglück bannt man mit Frohſinn
und Zuverſicht. Aber gute Nacht für heute.



Mit Eröffnung des Parlaments fängt nun die hö-
here Geſellſchaft an lebendiger zu werden, wenn
gleich London en gros noch leer iſt.


Gerade die eleganteſten Damen der erſten Cirkel ge-
ben jetzt beſondere kleine Geſellſchaften, zu denen der
Zutritt vielen Engländern weit ſchwerer wird, wie
vornehmen Ausländern, denn die Deſpotie der Mode
[168] herrſcht, wie bereits erwähnt, in dieſem freien Lande
mit eiſernem Scepter, und verzweigt ſich durch alle
Stände, weit mehr, als man auf dem Continent
einen Begriff davon hat.


Doch, ohne mich jetzt noch in allgemeine Bemer-
kungen zu früh einzulaſſen, will ich Dir kürzlich [...]
Lebensart hier in London beſchreiben.


Ich ſtehe ſpät auf, leſe, als halb nationalen [...]
Engländer, beim Frühſtück drei bis vier Zeitungen,
ſehe nachher in meinem Viſitingbook nach, welche
Beſuche ich zu machen habe, und fahre dieſe dann
entweder in meinem Cabriolet, oder reite ſie ab,
wobei, ſelbſt in der Stadt, zuweilen Pittoreskes mit
unterläuft, und namentlich die mit den Winternebeln
kämpfende blutrothe Sonne oft eine eigenthümlich
kühne und ſeltſame Beleuchtung hervorbringt. Sind
die Beſuche abgethan, ſo reite ich mehrere Stunden
in der herrlichen Umgegend Londons ſpazieren, treffe
mit der Dämmerung wieder ein, arbeite ein wenig,
mache dann meine Toilette für das Diné, welches
um 7 oder 8 Uhr ſtatt findet, und bringe den Reſt
des Abends entweder im Theater oder in einer gebe-
tenen kleinen Geſellſchaft zu. Die lächerlichen Routs,
wo man kaum einen Platz auf der Treppe findet,
den ganzen Abend ſtößt oder geſtoßen wird, und ſich
ſtets in Treibhaustemperaturen befindet — haben noch
nicht begonnen. Man kann aber in England, auſſer
in wenigen der diplomatiſchen Häuſer, Abends ſich
nur da einfinden, wo man beſonders eingeladen iſt.
[169] In dieſen kleinen Geſellſchaften geht es ziemlich un-
genirt her, aber allgemeinere Converſation findet
nicht ſtatt, und gewöhnlich wählt ſich jeder Herr eine
Dame, die ihn vorzüglich intereſſirt, und verläßt ſie
faſt den ganzen Abend nicht. Manche Schönen blei-
ben bei dieſer Gelegenheit wohl auch ganz allein
[...] ohne ein Wort ſprechen zu können, verrathen
[...] mit keiner Miene ihr Unbehagen darüber, denn
[...]d ſehr paſſiver Natur. Alle Welt ſpricht na-
türlich auch hier, tant bien que mal, franzöſiſch,
aber auf die Länge ennuyirt die Damen doch die fort-
geſetzte Gêne, und man hat daher keinen geringen
Vortheil, wenn man auch nur einigermaßen fertig
engliſch ſpricht. Ich habe nicht geſunden, daß die
Damen einen fremden Accent oder falſch angewen-
dete Wörter und Phraſen, ſo wie man es den Män-
nern in England vorwirft, belachen. Im Gegen-
theil iſt die Unterhaltung mit ihnen die ſicherſte und
angenehmſte Art, engliſch zu lernen. Ich bin über-
haupt der Meinung, daß man Lehrer und Gramma-
tik nur dann mit Nutzen braucht, wenn Einem die
neue Sprache durch die Praxis ſchon geläufig gewor-
den iſt. Nützlich aber mag es ſeyn (wer die nöthige
Geduld dazu beſitzt) wie der Fürſt Czartoryski em-
pfiehlt, damit anzufangen, den Dictionnaire auswen-
dig zu lernen.


Du ſiehſt, dieſes Leben iſt ein ziemliches far
niente,
wenn auch kein ſüßes für mich — denn ich
liebe Geſellſchaft nur im intimen Kreiſe, und atta-
chire mich ſehr ſchwer, jetzt beinahe gar nicht mehr,
[170] an neue Bekanntſchaften. Der Ennui aber, der mich
in ſolcher Stimmung überfällt, ſteht zu ſehr auf
meinem undiplomatiſchen Geſichte verzeichnet, um ſich
nicht auch, anſteckend wie das Gähnen, den Andern
mitzutheilen. Hie und da tritt dennoch eine Aus-
nahme ein. So machte ich heute die Bekanntſchaft
des Herrn Morier, des geiſtreichen und höchſ[t] lie-
benswürdigen Verfaſſers Hadji Baba’s, ſo wie [au]ch
die des Herrn Hope, angeblichen Autors des [no]ch
weit genialeren Anaſtaſius. Dieſes letztere Buch wäre
Byrons würdig. Viele behaupten, Herr Hope, der
im Aeuſſern mehr Zurückhaltung als Genialität zeigt,
könne es ohnmöglich geſchrieben haben. Dieſer Zwei-
fel gründet ſich vorzüglich darauf, daß Herr Hope
unter ſeinem Namen früher ein Werk über Ameu-
blement herausgab, deſſen Styl und Inhalt aller-
dings ungemein mit dem glühenden, von Reichthum
der Gefühle und Gedanken überſtrömenden Anaſta-
ſius contraſtirt. Einer meiner Bekannten ſagte da-
her: „Eins oder das Andere. Entweder Anaſta-
ſius
iſt nicht von ihm, oder das Meubelwerk.“
Aber ſo verſchiedner Stoff bringt wohl auch eben ſo
verſchiedne Behandlung mit ſich, und wie ich Herrn
Hope, vielleicht mit unwillkührlicher Vorliebe, beobach-
tet habe, ſchien er mir durchaus kein gewöhnlicher
Menſch. Er iſt ſehr reich, und ſein Haus voller
Kunſtſchätze und Luxus, worauf ich wohl noch ein-
mal zurückkomme. Seine Meubles-Theorie, die dem
Antiken nachgebildet iſt, kann ich aber in der Aus-
führung nicht loben, da die Stühle nicht zu regieren
[171] ſind, andere trophäenartige Aufſtellungen lächerlich
erſcheinen, und die Sophas kleinen Gebäuden glei-
chen, mit überall hervorſpringenden, ſo ſcharfen Ecken,
daß bei nachläſſigem Niederlaſſen darauf eine gefähr-
liche Verwundung nicht unmöglich wäre.


Als ich ſpät zu Haus kam, fand ich Deinen Brief,
der mich, wie immer Nachrichten von Dir, mehr als
Alles erfreute.


Sage aber nicht, daß der Schmerz der Trennung
Dich ſo tief beuge, wenigſtens laß es nicht tiefer
ſeyn, als ein frohes Wiederſehen wieder aufrichten
kann — und das iſt ja wahrſcheinlich nicht mehr
fern. Daß Du uns aber ſchon auf die Unſterblich-
keit verweiſen willſt, wenn es hier nicht gleich nach
Wunſche geht, zeigt wenig chriſtliches Vertrauen,
meine Liebe. Nein, ich geſtehe es, bei aller women-
tan eintretenden Melancholie bin ich doch im Gan-
zen noch leidlich irdiſch geſinnt, und „dieſe Spanne
Leben,“ wie Du ſie nennſt, liegt mir noch recht ſehr
am Herzen. Freilich, wäreſt Du, meine liebende
Schutzgöttin, zugleich auch Fortuna, ſo ginge mir’s
wahrſcheinlich beſſer als irgend Jemand auf Erden,
„et toutes les étoiles pâliraient devant la mienne“
— aber ſchon dadurch, daß Du mich liebſt, biſt
Du meine Fortuna, und ich verlange keine beſſere.


Laß Dich alſo weder durch Deine eignen Schwer-
muthsſtunden, noch durch meine, irre machen. Was
mich betrifft, ſo weißt Du: ein Nichts hebt den Ba-
[172] rometer meiner Seele, und ein Nichts oft läßt ihn
wieder fallen. Es iſt allerdings eine gar zu delikate
moraliſche Conſtitution, die mir zu Theil wurde,
und nicht zum hausbacknen Glück beſtimmt — wel-
ches gröbere Nerven verlangt.



Oberon, Webers Schwanengeſang, füllte mir den
heutigen Abend. Muſik und Geſang ließen bei der
Ausführung viel zu wünſchen übrig, doch ward die
Oper für London vorzüglich gegeben. Das beſte in
ſeiner Art waren die Dekorationen, beſonders die,
wo die Geiſter beſchworen werden. Sie erſcheinen
nicht wie gewöhnlich in dem ſtehenden Coſtume feuer-
rother Hoſen und Jacken, mit Furienhaaren und
Flammen auf dem Kopf, ſondern die weite Felſen-
grotte, welche das ganze Theater einnimmt, ver-
wandelte ſich plötzlich, jedes Felsſtück in andere phan-
taſtiſche und furchtbare Formen und Fratzen, leuch-
tend in buntem Feuer und fahlem Schein, woraus
auch hie und da eine ganze Figur ſich grinſend heraus-
bog, während der ſchauerliche Geſang rund umher
erſchallte aus dem wimmelnden Felſenchor. Das Werk
ſelbſt halte ich für eine ſchwächere Arbeit Webers.
Schön iſt jedoch Einzelnes, namentlich die Intro-
duktion, die etwas wahrhaft Elfenartiges hat. We-
[173] niger gefällt mir die Ouvertüre, obgleich ſie ſo ſehr
von Kennern gerühmt wird.


Ich hätte damit anfangen ſollen, Dir zu ſagen,
daß ich bei einem großen Lever heut früh dem Kö-
nige vorgeſtellt wurde, wobei ich es als eine Selt-
ſamkeit anführen muß, die in der ſo merkwürdigen
freiwilligen Sequeſtrirung des jetzigen Monarchen ih-
ren Grund hat, daß mit mir auch unſer Legations-
Secretär zum erſtenmal präſentirt wurde, obgleich
er ſchon ſeit zwei Jahren als ſolcher hier angeſtellt
iſt. Seine Majeſtät beſitzen ein ſehr gutes Gedächt-
niß und erinnerten ſich ſogleich meines früheren Auf-
enthalts in England, irrten ſich aber dennoch um
mehrere Jahre in der Epoche. Ich nahm die Gele-
genheit wahr, mein Compliment über die ungemei-
nen Verſchönerungen Londons ſeit dieſer Zeit anzu-
bringen, die in der That dem Könige faſt allein zu
danken ſind, und ging, nach gnädiger Erwiederung,
fürbaß, wo ich mich dann an einen bequemen Platz
ſtellte, um das Schauſpiel recht gemächlich im Gan-
zen zu beſchauen. Es war originell genug.


Alles ging der Reihe nach bei dem Könige verbei,
welcher, Kränklichkeitshalber, ſaß, machte dort ſeine
Verbeugung, wurde angeredet oder nicht, und ſtellte
ſich hierauf entweder auf der andern Seite in die
Reihe, oder verließ auch gleich den Saal. Alle, die
zu irgend etwas ernannt worden waren, knieten vor
dem Könige nieder und küßten ihm die Hand, wozu
der amerikaniſche Geſandte, neben dem ich zufällig
[174] ſtand, eine Satyrphyſiognomie machte. Die Geiſtli-
chen und Rechtsgelehrten ſahen in ihren ſchwarzen
Talaren und weißgepuderten, kurzen und langen Per-
rücken ſehr abentheuerlich aus, und einer wurde
unwillkührlich der Gegenſtand eines faſt allgemeinen,
ſchwer verbiſſenen Gelächters. Dieſes Subjekt kniete
nämlich ebenfalls nieder, weil es, wie die Engländer
ſich ausdrücken, „gerittert“ (Knighted) werden ſollte,
und ſah in dieſer Stellung mit dem langen Vließ
auf dem Kopfe einem zur Schlachtbank geführten
Hammel täuſchend ähnlich. Seine Majeſtät winkte
dem Reichs-Kron-Feldherrn, ihm ſein Schwerdt zu
geben. Zum erſtenmal vielleicht wollte aber dem rü-
ſtigen Krieger der Degen durchaus nicht aus der
Scheide — er zog, rückte — alles vergebens. Der
König mit ausgeſtrecktem Arme wartend, der Herzog
vergebens alle Kräfte anſtrengend, der unglückliche
Märtyrer in ſtiller Ergebung daliegend, als wenn
ſein Ende jetzt herannahe, und rund umher der glän-
zende Hof in banger Erwartung — es war eine
Gruppe, Gilray’s Pinſel würdig. Endlich — fuhr,
einem Blitze gleich, die Hofwaffe aus der Scheide.
Seine Majeſtät bemächtigten ſich derſelben mit Un-
geduld, da Höchſt Ihnen aber wahrſcheinlich über
dem langen Warten der Arm eingeſchlafen war, ſo
trafen ſie mit dem erſten Schlage ſtatt des neuen
Ritters die alte Perrücke, welche einen Augenblick lang
König und Unterthan hinter einer Puderſäule verbarg.


[175]

Schon lange hatte Herr R … mich eingeladen, ihn
auf ſeinem Landgute zu beſuchen, und ich wählte
den heutigen freien Tag, um mit meinem Freunde
L .... zum Eſſen hinauszufahren. Der königliche
Banquier hat noch keinen herzoglichen Sitz ge-
kauft, und wohnt in einer anmuthigen Villa. Wir
fanden auſſer einigen Direktoren der oſtindiſchen Com-
pagnie auch mehrere Mitglieder ſeiner Familie und
ſeines Glaubens daſelbſt, die mir ſehr wohl gefielen,
wie ich es denn überhaupt an dieſer Familie ſehr
ſchätze, daß ſie Juden geblieben ſind. Nur ein Narr
kann Juden wegen ihrer Religion geringer als an-
ders Gläubige achten, aber die Renegaten haben im-
mer kein ganz zu verwerfendes Vorurtheil wider ſich.


In drei Fällen möchte ich jedoch den Juden unbe-
dingt erlauben, die Religion zu verändern. Einmal
wenn ſie ſich wirklich einbilden, nur unter dem Na-
men Chriſten ſelig werden zu können; zweitens ihren
Mädchen, wenn dieſe einen Chriſten heirathen wol-
len und ihn nicht anders bekommen können; drit-
tens wenn einmal ein Jude zu einem chriſtlichen
Könige erwählt werden ſollte, was auch nicht un-
möglich iſt, da ja noch weit Geringere als jüdiſche
Barone, und ſolche, die notoriſch gar keine Religion
[176] hatten *), in neuerer Zeit ſchon öfters den Thron
beſtiegen haben.


Herr R. ſelbſt war ſehr guter Laune, amüſant und
geſprächig. Es war drollig anzuhören, wie er uns
die Gemälde ſeines Eßſaals, alles geſchenkte Por-
traits der europäiſchen Souveräne und ihrer erſten
Miniſter, explizirte, und dabei von den Originalen
wie von ſeinen beſten Freunden, und gewiſſermaßen
wie von ſeines Gleichen ſprach. „Ja,“ rief er, „hier
der ......... drängte mich einmal um eine Anleihe,
und in derſelben Woche, wo ich ſeinen eigenhändigen
Brief erhielt, ſchrieb mir ſein Vater aus Rom auch
eigenhändig, ich ſolle ums Himmelswillen mich in
nichts einlaſſen, da ich es mit keinem treuloſeren
Menſchen als mit ſeinem Sohne zu thun haben
könnte. C’ctait sans doute très catholique, wahr-
ſcheinlich hatte aber doch die alte K ...... den Brief
[177] geſchrieben, die ihren eignen Sohn ſo ſehr haßte, daß
ſie von ihm, Jedermann weiß, mit welchem Unrecht,
zu ſagen pflegte: „Il a le coeur d’un t . . . ., avec
la figure d’un â …“


Nun kamen die andern an die Reihe . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Zuletzt nannte er ſich jedoch demüthig nur den ge-
horſamen und genereus bezahlten Geſchäftsmann und
Diener ſämmtlicher hohen Potentaten, die er Alle
gleich hoch verehre, die Politik möge ſtehen wie ſie
wolle, denn, fügte er lachend hinzu: I never like
to quarrel with my bread and butter.“


Es iſt nicht wenig geſcheut von R . ., daß er für
ſeine Perſon weder Titel noch Orden angenommen
hat, und ſich ſo eine weit ehrenvollere Unabhängig-
keit erhält. Gewiß verdankt er aber auch Vieles dem
guten Rathe ſeiner höchſt liebenswürdigen und ein-
ſichtsvollen Frau deſſelben Glaubens, die ihn auch,
wenn nicht an Schlauheit und Geſchäftsſinn, doch
wohl an Takt und Welt noch übertreffen möchte.


Ehe wir dieſen Abend noch den Weg auf’s Land
einſchlugen, hatte uns die erbeutete Staatskutſche ei-
nes andern Monarchen aſiatiſchen Urſprungs, näm-
lich des Königs der Birmanen, zum Ausſteigen ver-
lockt. Da ſie von Gold und Edelſteinen ſtrotzt, die
Briefe eines Verſtorbenen. III. 12
[178] man auf 6000 £. St. ſchätzt, ſo machte ſie bei Licht
allerdings einen glänzenden Effekt, und ſchien mir,
hinſichtlich ihrer baldachinartigen, pyramidaliſchen
Form, ſogar geſchmackvoller als die unſrigen. Selt-
ſam war die darauf ſitzende Dienerſchaft, beſtehend
aus zwei kleinen Jungen und zwei Pfauen, aus
Holz geſchnitzt, ſchön bemalt und lackirt. Zwei weiße
Elephanten zogen den Wagen, als er erobert ward,
und 15,000 kleine und große, aber rohe Edelſteine,
ſchmücken noch das vergoldete Holz und Goldblech,
aus dem er beſteht. Viele birmaniſche koſtbare Waf-
fen waren in dem geräumigen Saal als Trophäen
umher placirt, was der ganzen Aufſtellung ein dop-
pelt reiches und intereſſantes Anſehen verlieh. Da
man hier immer bei ſolchen Gelegenheiten viel für’s
Geld giebt, ſo war im Nebenzimmer noch ein Poeci-
liorama angebracht, mit ebenfalls birmaniſchen und
andern indiſchen Anſichten, die durch künſtliche Be-
leuchtung mehrere Verwandlungen untergehen, und
dadurch ſehr lebendige Landſchaftseffekte hervorbringen.


Ich weiß nicht, warum man dergleichen nicht mehr
zu Zimmerdekorationen benutzt. Bei einem Feſte z. B.
müßte ein ſo präparirter Saal gewiß eine bedeu-
tungsvollere Mannigfaltigkeit darbieten, als die ge-
wöhnlichen abgedroſchenen Verzierungen von bunten
Behängen, Orangerie und Blumen.


[179]

Ziemlich ſpät vom Diné bei Herrn von Polignac
zurückkehrend, einem recht liebenswürdigen, aber
auch höchſt orthodoxen Repräſentanten de l’ancien
regime,
kam ich doch noch zeitig genug ins Theater,
um, nach dem Hauptſtücke, den berühmten Matthews
„at home“ zu finden. Der Vorhang war herunter
gelaſſen, und Herr Matthews ſaß vor demſelben über
dem Orcheſter, an einem mit Teppichen behangenen
großen Tiſche.


Er fing damit an, dem Publikum discurſive zu er-
zählen, daß er ſo eben von einer Reiſe nach Paris
zurück komme, wo er viele Originale kennen gelernt,
und manches ſcherzhafte Abentheuer beſtanden habe.
Unmerklich ging er nun aus der Erzählung in eine
völlige dramatiſche Vorſtellung über, wo er mit ei-
nem faſt unbegreiflichen Talente und Gedächtniß vor
den Augen des Zuſchauers ſich zutragen läßt, was
er erlebt, indem er ſein Geſicht, Sprache und gan-
zes Aeuſſere mit Blitzesſchnelle ſo total verändert,
daß man es geſehen haben muß, um es für möglich
zu halten. Alle ſeine äuſſern Hülfsmittel beſtehen nur,
bald in einer Haube, einem Mantel, einer falſchen
Naſe, einer Perrücke ꝛc., die er unter dem Teppich
hervorzieht, und mit dieſen einfachen Dingen augen-
blicklich die vollſtändigſte Umwandlung hervorbringt.
12*
[180] Der Beifall war tobend, und das Gelächter hörte
nicht auf. Die Hauptperſonen, welche in mehreren
Verwickelungen auftraten, waren ein alter Englän-
der, der Alles im Auslande tadelt und zu Hauſe beſ-
ſer findet; eine Dame aus der Provinz, die, um
franzöſiſch zu lernen, nie anders als mit dem Dic-
tionnaire in der Hand auf die Straße geht, die Vor-
beigehenden mit ihren fortwährenden Fragen beläſtigt,
und jede Gelegenheit benutzt, andern Engländern
mit ihrer Kenntniß auszuhelfen, dabei aber immer,
wie man ſich vorſtellen kann, das Verkehrteſte und
Burleskeſte, oft Aequivokſte, zur Welt bringt; ferner
einem Dandy aus der City, der le grand air affek-
tiren will, und ſeinem Gegenſatze, einem dicken Far-
mer aus Yorkshire, der ohngefähr die Rolle des
Pachter Feldkümmel ſpielt. Das Beluſtigendſte für
mich war eine engliſche Vorleſung Spurzheims über
Cranologie. Die ſprechende Aehnlichkeit der in Eng-
land wohlbekannten Perſon, aller ihrer Manieren
und des deutſchen Accents, war ſo vollkommen, daß
das Theater unaufhörlich vor Lachen erbebte. Weni-
ger befriedigten mich andere Nachahmungen, unter
andern Talma’s, der für einen bloßen Poſſenreißer,
ohngeachtet alles Talents dieſes Letzteren, doch zu
hoch ſteht. Ueberdem iſt der Tod des großen Tragi-
kers noch zu neu, und der Schmerz über ſeinen un-
erſetzlichen Verluſt bei jedem Freunde der Kunſt zu
groß, um ſich von einer ſolchen Parodie jetzt ange-
ſprochen fühlen zu können.


[181]

Den Beſchluß machte eine kleine Farce, wozu nun
auch der Vorhang aufgezogen wurde, und in welcher
Matthews ebenfalls nur allein ſpielte, und 7 — 8
verſchiedene Rollen beſorgte, ungerechnet der eines
Hundes und eines Kindes, die zwar durch Puppen
repräſentirt wurden, welche er aber beide eben ſo
meiſterhaft bellte und plapperte, als er die übrigen
ſprach. Als franzöſiſcher Hofmeiſter, der mit einem
zehnjährigen jungen Lord auf Reiſen gehen ſoll, ſperrt
er dieſen gleich zu Anfang in einen Guitarrenkaſten,
um das Geld für die Diligence zu erſparen, und den-
noch dem Herrn Papa anrechnen zu können. Auf der
Station angekommen, nimmt er ihn jedesmal heraus,
einmal um ihn Luft ſchöpfen zu laſſen, und zweitens
um ſeine Lektion zu gleicher Zeit mit ihm zu repeti-
ren, wobei er denn als vollkommner Bauchredner das
Geſpräch höchſt drollig durchführt. Beſonders iſt es
komiſch, wenn ſich der Junge ſträubt, wieder in den
Kaſten zu kriechen, und nun ſein Murren wie ſeine
Klagen, gleich dem Walzer im Freiſchützen, immer
undeutlicher verklingen, bis das Behältniß endlich
ganz zuklappt, und die letzten Töne aus dem ver-
ſchloſſenen Kaſten nur wie ein ſchwaches Echo her-
vortönen.


Nach vielen Avantüren, die der forteilenden Dili-
gence und ihren Paſſagieren zuſtoßen, tritt eine alte
Jungfer auf (immer wieder Matthews) die einen
Lieblingshund, der im Wagen nicht geduldet werden
ſoll, dennoch einzuſchwärzen ſucht, und ſich nun eben-
[182] falls den Guitarrenkaſten auserſieht, um ihren Lieb-
ling darin zu verſtecken. Bei der Eile, mit der ſie
die Sache ins Werk ſetzt, bemerkt ſie aber nicht, daß
der Platz ſchon beſetzt iſt. Doch kaum hat ſie den
Kaſten aus der Hand gelegt, als der Hund zu knur-
ren und zu bellen anfängt, der Junge zu heulen,
und ſie um Hülfe zu ſchreien, welches Trio die Gal-
lerie vor ausgelaſſener Freude faſt wahnſinnig machte.


Das Ganze iſt, wie Du ſiehſt, nicht eben äſthe-
tiſch, und mehr für engliſche Magen eingerichtet, ja
es thut Einem faſt weh, ſo große Fertigkeit einzig
auf ſo alberne Poſſen verwendet zu ſehen, doch im-
mer bleibt das dargelegte Talent ausgezeichnet, und
ſelbſt die phyſiſchen Kräfte bewunderungswürdig, die
ein ſo angeſtrengtes Spiel und fortwährendes Spre-
chen, mit den fatiguanten Umkleidungen, ohne An-
ſtoß mehrere Stunden hintereinander aushalten
können.


Um Dir aber nicht eine gleich angeſtrengte Geduld
zuzumuthen, will ich jetzt ſchließen, und wünſche
herzlich, daß der magere Guckkaſten dieſer Stadt,
wie ich ihn Dir entrolle, Dich nicht allzuſehr lang-
weilen möge. Tägliche Lebensbilder haſt Du verlangt,
kein ſtatiſtiſches Handbuch, keine Topographie, keine
regelmäßige Aufzählung aller ſogenannten Sehens-
würdigkeiten Londons, und keine ſyſtematiſche Ab-
handlung über England erwarteſt Du von mir,
[183] noch bin ich im Stande, ſie zu liefern; alſo nimm für-
der mit der anſpruchsloſen Hausmannskoſt freund-
lich fürlieb, die doch wohl zuweilen wenigſtens ein
Körnchen Pfeffer würzt.


Dein treuer L.


[[184]]

Siebenter Brief.



Liebſte Freundin!

Es iſt nicht unintereſſant, den hieſigen Auctionen
beizuwohnen, zuförderſt wegen der Menge höchſt ſelt-
ner und koſtbarer Dinge, die bei einem ſo regen Le-
ben und ewigem Sinken und Fallen der Fortünen
hier täglich vorkommen, und oft ſehr billig erſtanden
werden, dann aber auch wegen der, ſchon in einem
andern Briefe erwähnten Genialität der Auktionato-
ren, die ihre Reden mit mehr Witz gratis verbrämen,
als ſie bei uns für ſchweres Geld zu geben Luſt ha-
ben würden.


Dieſen Morgen ſah ich auf dieſe Art das indiſche
Kabinet eines banquerott gewordenen Nabobs ver-
kaufen, welches bewunderungswürdige Kunſtwerke
enthielt. „Der Beſitzer dieſer Schätze,“ ſagte der
Redner, „hat ſich viel Mühe um nichts gegeben,
[185] nichts mehr für ihn, heißt das, aber noch viel für
Sie, meine Herren. Er hatte ohne Zweifel einſt mehr
Geld als Verſtand, jetzt eben ſo gewiß mehr Ver-
ſtand als Geld.“ „Modesty and merit,“ bemerkte
er ſpäter, gehen nur in ſo fern mit einander, als
ſie beide mit einem m anfangen, und in ſolchem Tone
und Wortſpielen fuhr er lange fort. „Was macht
die Armen leben,“ ſchloß er zuletzt, „giebt ihnen Ge-
ſundheit, Nahrung und Comfort? Großmuth thut
es wenig, Eitelkeit faſt allein — nämlich nicht die
der Armen, arme Teufel! ſondern die der Reichen.
Deployiren Sie alſo dieſe lobenswerthe Eitelkeit,
meine Herren, und kaufen Sie, was ihr fröhnen
mag, Sie verdienen ſo, auch gegen Ihren Willen,
Gottes Lohn daran.“


Ja wohl, dachte ich, daran haſt Du ganz Recht,
alter Spaßmacher; denn ſo ſchön hat unſer guter
Gott die Welt wirklich eingerichtet, daß immer wie-
der Gutes aus dem Uebeln entſtehen muß, und das
Böſe am Ende nur da iſt, damit das Gute es be-
ſiegen, und ſich ſelbſt daran erkennen könne.


Man muß überall ſeine moraliſchen Anwendungen
machen.


Ich aß bei einer vornehmen Lady, die mich den
ganzen Tiſch über nur von Napoleon unterhielt, und
mit engliſchem Extrem ſo von ihm eingenommen war,
daß ſie ſogar die Hinrichtung des Duc d’Enghien
[186] und die Treuloſigkeiten in Spanien ſehr lobenswerth
fand.


Obgleich ich nun nicht ſo weit gehe, ſo bin ich doch
auch, wie Du weißt, ein Verehrer der coloſſalen
Größe dieſes Mannes, und erfreute meine Nachbarin
ſehr, als ich ihr die einſtige Herrlichkeit Napoleons
in Frankreich als Augenzeuge beſchrieb, jene Tage
des Glanzes, wo Cäſar ſelbſt vor ſeiner Größe
ſtaunte,


Quand les ambassadeurs de tant de rois divers

Vinzent le réconnaitre au nom de l’univers.

Ich möchte übrigens keinen ſeiner ſpätern Unfälle,
für ſeinen eignen Ruhm, ſo wie keine ſeiner
Sünden, für das tragiſche Intereſſe, welches
er dadurch einflößt, entbehren. Er hat die coups
d’epée
und auch die coups d’épingles mit gleicher
Würde zu ertragen gewußt, und ſich, wie ſein Leben
erhaben war, auch eine erhabne Grabſchrift durch
die Worte geſetzt:


Je lêgue l’opprobre de ma mort à l’Angleterre.

So viel iſt gewiß, er ſteht immer noch zu nah für
unpartheiiſche Beurtheilung, und im Ganzen lehrt
die Erfahrung, daß man weniger ſeinen deſpotiſchen
Grundſätzen, als ſeiner perſönlichen Macht Krieg
auf Tod und Leben erklärt hatte. Dagegen fehlt
dieſen ähnlichen Grundſätzen jetzt Gottlob die Ener-
[187] gie gänzlich, mit der er ſie auszuführen wußte,
und das iſt ein Gewinn für die Menſchheit *).


Es iſt jetzt ein franzöſiſches Theater hier, das nur
von der beſten Geſellſchaft beſucht wird, und das
demohngeachtet nur einer dunkeln kleinen Privat-
bühne gleicht. Perlet und Laporte ſind ſeine Stützen
und ſpielen vortrefflich. Der letztere giebt aber auch,
mit franzöſiſcher Aſſürance, Rollen auf dem engliſchen
Theater, und glaubt, wenn das Publikum über ſei-
nen Accent und franzöſiſche Manieren lacht, es ſey
bloße Anerkennung ſeiner vis comica.


Ich war in Geſellſchaft der Miſtriß W ...., Frau
des bekannten Miniſters und Parlamentredners, ins
Theater gegangen, und folgte ihr nachher auf den
erſten ächten Rout, den ich diesmal beſuchte, und
zwar in ein Haus, das mir ganz unbekannt war,
[188] denn es iſt Sitte hier, Freunde in ſolche Art Ge-
ſellſchaften
mitzunehmen, und ſie erſt dort der
Dame vom Hauſe zu präſentiren, der man nie ge-
nug bringen kann, um ihr kleines Lokal bis zum
Erſticken zu füllen. Je mehr, je beſſer, und ſoll
ihre Eitelkeit ganz befriedigt werden, ſo muß auch
vor dem Hauſe eine Bagarre unter den Wagen ent-
ſtehen, einige zertrümmert werden, und einige Men-
ſchen und Pferde dabei verunglücken, damit den an-
dern Tag ein recht langer Artikel in der morning
post
über die höchſt faſhionable soirée by Lady Vain
oder Foolish paradiren könne.


Ich machte indeß dieſen Abend eine intereſſantere
Bekanntſchaft auf der Treppe (weiter kam ich nicht)
als ich erwartete, an Lady Charlotte B …, die als
Schriftſtellerin einigen Ruf erlangt hat. Sie iſt die
Schweſter eines Herzogs, war einſt eine berühmte
Schönheit, und hat jetzt den Hofmeiſter ihrer Kin-
der geheirathet. Den andern Tag beſuchte ich ſie,
und fand in ihrem Hauſe alles braun, durch alle
Nüancen ſchattirt, Meubel, Vorhänge, Teppiche,
ihre und der Kinder Kleidung, nichts bot eine andere
Farbe. Die Stube war ohne Spiegel und Bilder,
nur mit Gypsabgüſſen von antiken Büſten und Bas-
reliefs geſchmückt. Dies iſt eine neue Art von
Brownomanie, an der alten hängt Lady B. dage-
gen, als Schriftſtellerin betrachtet, deſto weniger,
und wenn ich ſie mit Lady Morgan z. B. zuſammen-
ſtellen ſollte (die eine ächte geiſtige Brownianerin iſt)
[189] ſo würde ich dieſe mit einem Glaſe alten Madeira,
der mehr als einmal die Linie paſſirt hat, Lady B.
dagegen mit einem Quell cryſtallreinen Waſſers, der
in einer lieblichen Landſchaft entſpringt, oder jene
mit einer gefüllten Glühnelke, dieſe mit dem zarten
Veilchen vergleichen.


In das braune Zimmer trat bald nachher der be-
rühmte Buchhändler C ....... ein, der durch Walter
Scotts Werke reich geworden iſt, obgleich er ihn mit
ſeinem erſten und beſten Roman, Waverley, abwies,
und endlich nicht mehr als 40 £. St. dafür gab. Ich
zweifle nicht, daß Lady B .... Urſache hatte, mit ihm
zufriedner zu ſeyn, und ließ ſie daher discret mit
dem Geſchäftsmanne allein.



Die portugieſiſchen Affairen bewegen jetzt alle Cir-
kel vielfach, und Marquis P. las uns heute ſogar
in einer Loge des franzöſiſchen Theaters die eben ge-
druckte engliſche Erklärung vor. Die Politik iſt hier
ein Hauptingredienz der Geſellſchaft, wie ſie es in
Paris zu ſeyn anfängt, und in unſerm ſchläfrigen
Deutſchland auch einmal werden wird, weil die ganze
Welt einer ſolchen Tendenz entgegen geht. Die fri-
voleren Vergnügungen leiden aber dabei, und die
[190] Kunſt der Converſation, wie ſie einſt in Frankreich
herrſchte, möchte vielleicht bald ganz verloren gehen.
Hier, glaube ich, hat ſie ohnehin in dieſer Beziehung
wohl nie exiſtirt, es müßte denn zu Carls II. Zeiten
geweſen ſeyn; auch iſt man allen ſtatt findenden Ge-
bräuchen hier zu ſclaviſch unterworfen, zu ſyſtema-
tiſch in allen Genüſſen, zu unglaublich mit Vorur-
theilen durchknetet, zu wenig lebhaft, endlich, um
jene ungezwungne Freiheit des Geiſtes zu erlangen,
die allein die Baſis liebenswürdiger Geſellſchaftlich-
keit bilden kann. Ich muß geſtehen, daß ich keine
einförmigere und eingebildetere kenne, als die hieſige
beſte, mit nur wenigen Ausnahmen, und dieſe größ-
tentheils unter den Fremden, oder denen, die ſehr
lange auf dem Continent lebten. Ein verſteinerter,
marmorkalter Kaſten und Modengeiſt regiert Alles,
und macht die erſten Klaſſen langweilig, die tiefern
Abſtufungen lächerlich. Wahre Herzenshöflichkeit und
heitere Bonhomie vermißt man ganz, und ſieht von
den fremden Nationen weder die franzöſiſche Leichtig-
keit, noch italieniſche Natürlichkeit angenommen, ſon-
dern höchſtens deutſche Steifheit und Verlegenheit,
die ſich hinter Arroganz und Hochmuth verſteckt.


Bei alle dem hat der Nimbus, den eine feſtgean-
kerte Ariſtokratie und vieles Geld (nebſt allerdings
auch vielem Geſchmack in ſeiner Anwendung, den
man nicht beſtreiten kann) die hieſige große Welt zu
der par excellence in Europa geſtempelt, der alle
Nationen mehr oder weniger den Vorrang einräu-
[191] men. Daß Ausländern aber perſönlich nicht wohl
dabei wird, beweiſet die Seltenheit der Fremden in
England, und ihr noch weit ſeltnerer langer Aufent-
halt daſelbſt. Jeder dankt im Grunde des Herzens
Gott, wenn er aus der engliſchen Geſellſchaft wieder
weg iſt, lobt aber nachher dennoch aus eigner Eitel-
keit dieſe unerquickliche Nebelſonne, deren Strahlen
ihm doch von allen dortigen Dingen gewiß am we-
nigſten Comfort gegeben haben.


Weit liebenswürdiger, wie liebender, ſcheinen die
Engländer in ihren häuslichen und intimſten Ver-
hältniſſen zu ſeyn, obgleich auch hier viel Barokkes
vorwaltet, wie z. B. die allgemeine Sitte in den hö-
heren Ständen, daß die Söhne, ſobald ſie, ſo zu ſa-
gen, flügge ſind, das väterliche Haus verlaſſen, und
für ſich allein leben müſſen, ja ohne förmliche Einla-
dung nicht einmal bei Vater und Mutter zum Eſſen
erſcheinen dürfen. Als rührendes Beiſpiel ehlicher
Liebe las ich neulich in den Zeitungen, daß der Mar-
quis Haſtings in Malta geſtorben, und kurz vorher
verordnet habe, ſogleich nach ſeinem Tode ihm die
rechte Hand abzuhauen, um ſie ſeiner Frau als An-
denken eingepökelt zu überſenden. Ein Herr meiner
Bekanntſchaft ſchnitt ſeiner geſtorbnen Mutter aus
wahrer Zärtlichkeit und mit ihrer vorher eingeholten
Erlaubniß den Kopf ab, um den Schädel ſein gan-
zes Leben lang küſſen zu können, wogegen andere
Engländer, glaube ich, lieber in die Hölle gingen,
als zuließen, daß man ihrem Leichnam mit einem
[192] Secirmeſſer zu nahe käme (denn die Resurrection
men
müſſen auch leben!) Die Geſetze ſchreiben bei
allen dergleichen Beſtimmungen Verſtorbener die ſcru-
pulöſeſte Genauigkeit vor, und wäre es noch ſo toll,
verſtößt es nur nicht gegen dieſe Geſetze ſelbſt, ſo
muß es ausgeführt werden. Es giebt ein Schloß in
England, wo ſeit einem halben Jahrhundert ein
Leichnam, wohl angezogen, am Fenſter ſteht, und
ſich ohne Störung noch immer ſein einſtiges Eigen-
thum beſieht. Wie ſehr muß dieſer Mann die Häus-
lichkeit geliebt haben!


Eben als ich noch mehr engliſche Originalitäten an-
führen will, tritt mein lang erſehnter Garteninſpek-
tor in die Stube, und bringt mir Deine Briefe. Wie
Schade, daß Du Dich nicht ſelbſt (verſteht ſich mit
aller Deiner Fraicheur, und nicht wie Lord Haſtings
Hand) in das große Paket mit einlegen konnteſt,
oder in einem zierlichen Käſtchen wohnen, wie Gö-
the’s lieblicher Erdgeiſt, damit ich Dich rufen möchte,
wenn ich Dich brauchte, und jeden Genuß auf fri-
ſcher That mit Dir theilen könnte, ohne eines ſo
langen Zwiſchenweges zu gebrauchen, wo Du erſt
durch meine Briefe trübe geſtimmt wirſt, wenn ich
es vor 14 Tagen war, oder auf Freudiges Deine
luſtige Antwort ankömmt, wenn ich ſchon wieder am
ſtärkſten Spleen-Anfall laborire. Wie Du ſehr rich-
tig ſagſt, iſt wirklich ein ſolcher alter Brief oft einem
todten Leichnam zu vergleichen, der, längſt vergeſ-
ſen, wieder aus dem Meere gefiſcht wird.


[193]

Worüber ich lachen, und mich zugleich ärgern
mußte, iſt, daß Du mir, wie es Deine Art iſt,
wieder faſt nichts von meinem lieben M ..... ſchen
Details ſchreibſt, dagegen aber lange Excerpte aus
einer afrikaniſchen Reiſebeſchreibung ſchickſt, die
ich längſt hier im Original geleſen. Ich vergelte Dir
gewiß nächſtens Gleiches mit Gleichem. Ohnedem
ſtudiere ich eben jetzt ein ſehr intereſſantes Werk:
das preußiſche Exercier-Reglement von 1805, woraus
ich Dir, ſobald es mir an anderem Stoff fehlen ſollte,
die geiſtreichſten Auszüge mittheilen kann. O, Du
gutes Lamm, mit dieſen afrikaniſchen Neuigkeiten
ſollſt Du noch oft „geſchoren“ werden, um ſo mehr,
da die letzte Schur ſchon gar lange vorbei iſt, und
Du faſt ſo tief in der Wolle ſitzen mußt, als die Jo-
hanniterritter in B ...., wenn ſie, ihr doppeltes Kreuz
zur Schau tragend, auf ihren Wollſäcken den Meiſt-
bietenden erwarten. Der Sitz des hieſigen Lord-
Kanzlers iſt zwar auch ein Wollſack, aber etwas vor-
nehmerer Natur, mehr dem goldnen Vließe ver-
wandt, wie jener dem Kartoffelſack, auf dem man
ein Gericht Armeritter verzehrt.


Ich mache jetzt faſt täglich Parkercurſionen mit
R ...., um ſeine Anweſenheit in England ſo nütz-
lich als möglich zu machen, denn einen guten Gärt-
ner bringt ein kurzer Aufenthalt hier weiter in ſei-
nem Fach, als zehnjähriges Studium zu Hauſe. Es
giebt aber ſchon in der Nähe von London eine große
Anzahl höchſt intereſſanter Beſitzungen, zu denen
Briefe eines Verſtorbenen III. 13
[194] allen die anmuthigſten und belebteſten Wege führen.
Dahin gehört ganz beſonders eine Villa des Lord
Mansfield, deren Ausſchmückung dem Geſchmack ſei-
ner Gemahlin alle Ehre macht. Sionhouſe, dem
Herzog von Northumberland zugehörig, und noch
von Brown angelegt, iſt ebenfalls höchſt ſehenswerth
wegen ſeiner ausgezeichneten Glashäuſer, und der
Menge von rieſengroßen ausländiſchen Bäumen im
Freien, die alle unſer Clima nicht vertragen würden.
Man ſieht hier auch ganze Waldparthieen von Rho-
dodendron, Camelien, Daturen, die nur theilweiſe
im Winter bedeckt werden, und alle Arten von ſchö-
nem Immergrün wuchern üppig in jeder Jahreszeit.
Die Gewächs- und Treibhäuſer, welche eine Fronte
von 300 Fuß bilden, beſtehen blos aus Stein, Eiſen
und Glas, eine Bauart, die noch obendrein hier
wohlfeiler als die mit Holz iſt.


Intereſſant war mir eine Art Kette, deren Glie-
der aus Senſen beſtanden, um das breite ſtehende
Waſſer (ein Mangel der meiſten engliſchen Parks)
Anfang Juli damit völlig von Waſſerpflanzen zu rei-
nigen, indem man ſie nur, wie eine Fiſchwate, am
Grunde hindurchzieht. An dem ſehr großen pleasure
ground
mähen täglich zwölf Mann von 5 bis 9 Uhr.
Dadurch wird es möglich gemacht, daß man zu kei-
ner Epoche langes Gras ſieht, und doch auch die un-
angenehme Generalmäherey vermeidet, die ein paar
Tage lang den Garten unreinlich macht. Man kann
freilich auf dieſe Weiſe nur täglich einen Theil vor-
[195] nehmen, man richtet es aber ſo ein, immer gewiſſe
begränzte Stücke auf einmal zu vollenden, und kömmt
dann zeitig genug herum, daß der Unterſchied nicht
auffallend werden kann. Für die Oekonomie geht
dieſes Staubgras zwar ganz verloren, aber immer
läßt ſich Schönheit und Nutzen nicht vereinigen, und
in einem Vergnügungsgarten muß natürlich der
letzte nachſtehen, oder man muß gar keinen haben
wollen.


Das gegenüberliegende Kew enthält wohl die voll-
ſtändigſte Sammlung exotiſcher Gewächſe in Europa.
Auch der Park iſt durch ſeine ſchöne Lage an der
Themſe ſehr begünſtigt, aber im Uebrigen etwas ver-
nachläſſigt. Man findet hier Taxusbäume von der
Größe unſrer Tannen, und ſehr ſchöne Exemplare
von Holly und immergrünen Eichen, ſonſt ſind die
Anlagen der alten Königin nicht ſehr geſchmackvoll.


Wimbletonpark bietet, über mehrere Hügel ausge-
breitet, und voll ſchöner Baumgruppen, großartige
Anſichten dar, leidet aber an einiger Monotonie.


Ganz nahe, und faſt in den Vorſtädten Londons,
liegt ..... Houſe, deſſen Architektur nicht ohne In-
tereſſe iſt. Hier hatte ich vor mehreren Jahren eine
unangenehme Avantüre, die England zu ſehr cha-
rakteriſirt, um ſie Dir nicht zu erzählen, obgleich ſie
an ſich nichts Pikantes enthält.


Die Aengſtlichkeit, ja ich möchte faſt ſagen, der
Neid, mit dem oft die engliſchen Reichen ihr Ei-
13*
[196] genthum, ſelbſt vor den entweihenden Blicken des
Fremden verſchließen, iſt zuweilen wahrhaft beluſti-
gend, kann aber auch betrübend werden. Beides er-
lebte ich damals vor 14 Jahren, und wurde heute
von Neuem lebhaft daran erinnert, als ich das alte
Gebäude wiederſah. Ich ritt nämlich eines Tags in
der Umgegend von London ſpazieren, und angezogen
durch den Anblick dieſer Beſitzung, frug ich den an
der Park-Loge ſtehenden Portier, ob er mir erlauben
könne, die Gärten zu beſehen? Er machte viel Um-
ſtände, ſich aber endlich beſinnend, daß ſein Lord
unwohl ſey und die Stube hüte, mir folglich nicht
begegnen könne, mochte er dem ihm angebotenen
Trinkgelde nicht länger widerſtehen, und öffnete mir
die verbotne Pforte, mein Pferd einſtweilen zurück-
behaltend. Ich mochte eine Viertelſtunde umherge-
ſchlendert ſeyn, und beſah eben den nett gehaltenen
pleasure ground, als eine etwas dicke Figur im
Hemde an einem Fenſter des gegenüber liegenden
Wohnhauſes ſichtbar ward, die ängſtlich umherzulau-
fen ſchien, endlich aber mit Vehemenz das Fenſter
aufriß, und, während ich eine große Klingel heftig
lärmen hörte, mir mit halb unterdrückter Wuth zu-
rief: „Qui êtes vous, Monsieur? que cherchez vous
ici?
Ich hielt es für zu lächerlich, die Antwort auf
dieſelbe Weiſe in ſo großer Diſtanz zurückzuſchreien,
fand es aber auch bald unnöthig, da durch das Stür-
men der Klingel allarmirt, bereits von allen Seiten
Diener herbeiſprangen, von denen einer nun ex of-
ficio
die Frage an mich wiederholte. Ich ließ durch
[197] ihn dem Beſitzer kürzlich wiſſen, daß ich ein Fremder
ſey, den Liebhaberei für Gartenanlagen hereingelockt,
daß ich übrigens nicht, wie er zu glauben ſcheine,
über die Mauer, ſondern nur durch das gewöhnliche
Thor gekommen ſey, wo mein Pferd noch ſtehe, daß
ich übrigens von Herzen bedaure, ihm in ſeinem kran-
ken Zuſtande eine ſolche Alteration zu verurſachen,
und nur wünſche, daß dieſelbe keine bedeutenderen
Folgen für ihn haben möge, womit ich mich beſtens
empföhle, und den verpönten Garten ſogleich verlaſ-
ſen würde. Bald darauf erreichte ich mein Pferd, und
ritt lachend davon, denn dies war die luſtige Seite
der Sache. — Nach ohngefähr 14 Tagen führte mich
zufällig mein Weg bei derſelben Beſitzung vorbei. Ich
näherte mich wieder der Loge und zog die Klingel.
Ein fremder Mann erſchien, und aus Muthwillen
erkundigte ich mich nach der Geſundheit des Lords,
und ob es vergönnt ſey, den Garten zu ſehen? „Gott
bewahre mich in Gnaden,“ war die Antwort, „um
keinen Preis!“ und nun erfuhr ich von dem neuen
Diener mit wahrem Schmerz, daß der arme Teufel,
ſein Vorgänger, eben verabſchiedet worden ſey mit
Weib und Kind, obgleich er lange Jahre im Dienſte
geweſen, blos weil er einen Fremden ohne Erlaub-
niß hier eingelaſſen. Dennoch iſt dieſer ſtrenge Herr
einer der wahren Patent-Liberalen Englands. Was
würde erſt ein Illiberaler gethan haben!


Von dem bezaubernden Thale Richmonds ſage ich
Dir nichts. Jeder Reiſebeſchreiber geräth ja darüber
[198] in Extaſe, und mit Recht, erweckt ſie aber nicht im-
mer wieder im Leſer durch ſeine Schilderung. Ich
enthalte mich alſo derſelben, und bemerke bloß, daß
der vortreffliche ariſtokratiſche Gaſthof (zum Stern
und Hoſenband) aus dem man dieſes Paradies über-
ſieht, während man den Leib auf’s beſte pflegt, das
Seinige zu dem Genuſſe beiträgt. Einſamkeit und
Stille, verbunden mit jeder Bequemlichkeit, in einer
unbeſchreiblich ſchönen Gegend, laden hier mächtig
zum Lebensgenuſſe ein, und gar mancher Londner
junge Mann ſoll hier im Geheim ſeine Privathonig-
monate ohne Prieſterſegen feiern — wir Unſchuldige
feierten nur die herrliche Natur, und einſtimmig rie-
fen Deine treuen Gärtner aus: „Wäre doch nur ....“
Das Uebrige commentirſt Du ſchon.


Abends führte ich R. in das Adelphi-Theater, klein
und niedlich, das ſich durch vorzüglich gute Maſchi-
nerie auszeichnet und auch gerade jetzt mehrere vor-
treffliche Schauſpieler beſitzt. Der eine ſpielte in ei-
nem nicht unebnen Stücke den Betrunkenen natürli-
cher, als ich es noch je geſehen. Es iſt wahr, daß
er hier auch mehr Gelegenheit zum Studium dieſes
Seelenzuſtandes hat, aus demſelben Grunde, warum
die Alten das Nackte beſſer darſtellten als unſre
Künſtler, nämlich weil ſie es öfter ſahen. Ein gut
aus dem Leben gegriffener Zug war es, daß der
Trunkenbold, welcher eine zärtliche Leidenſchaft für
ein junges und armes Mädchen in der Penſion hegte,
im nüchternen Zuſtande immer anderen Projekten
[199] Raum gab, im Rauſche aber jedesmal mit Zärtlich-
keitsthränen âses anciennes amours zurückkehrte,
und in gleicher Stimmung auch glücklich zur Heirath
bewogen ward.



Dank für die Nachrichten aus B ...., beſonders
freut mit Alexander von Humboldts Anſtellung. Es
muß für jeden Patrioten eine Freude ſeyn, einen
Mann wie ihn endlich im Vaterlande fixirt zu ſe-
hen, das mit ſo viel Recht auf ſeinen Ruhm in al-
len Welttheilen ſtolz iſt. Nebenbei muß es auch zu
einem glücklichen Ereigniß für manche dortige Cirkel
gereichen, denen nun endlich das Salz beigemiſcht
werden wird, deſſen Mangel ſie ſo lange ganz unge-
nießbar machte.


Wie ſehr ich über des guten und edlen Königs Un-
glück getrauert, das ich ſchon früher durch L … er-
fuhr, kannſt Du Dir denken, da Du meine Geſin-
nungen in dieſer Hinſicht kennſt, doch hoffe ich zu
Gott, daß ſeine kräftige Conſtitution und die Hülfe
ſo geſchickter Männer jedes bleibende Uebel abwenden
werden. Es iſt wohl ſchön, daß bei dieſer Gelegen-
heit ein ganzes Volk von Herzen ausruft: „Der Him-
mel erhalte uns unſern theuern Monarchen!“


Meine eigne Laune iſt übrigens — wahrſcheinlich
wegen der ewigen Nebel, die oft ſo arg ſind, daß
[200] man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen
anzünden muß, und dennoch nichts ſieht — etwas
von demſelben trüben Charakter. Le pire est, que
je suis tantôt trop, et tantôt trop peu sensible â
l’opinion et aux procédés des autres.
In der erſten
Stimmung (und Stimmungen beherrſchen mich lei-
der mit deſpotiſcher Gewalt, machen mich nicht nur
traurig und fröhlich, ſondern leider auch klug und
dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je-
mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo
ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er
lange im vergeblichen Beſtreben weiter zu dringen in
der Höhe geſchwebt, im Begriff iſt, endlich loslaſſen
zu müſſen, wo er leicht bis auf die unterſte Stufe
wieder herabſinken mag. Dennoch würde ihm viel-
leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und
Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als
in den ſtürmiſchen Lüften zu Muthe ſeyn, und bei
weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli-
chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan-
gen! Doch hinweg mit ſolchen Grübeleyen. Sie
taugen zu nichts, und ſelbſt Befürchtungen eines dro-
henden wahren Unglücks, ſollte man immer mit
Gewalt verbannen, denn warum ſich mit Sorgen
quälen über das, was kommen kann, und doch viel-
leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan-
tom uns ſo viel frohe Gegenwart verkümmert hat.


In allen ſolchen Gemüthszuſtänden iſt am Ende
Dein Bild mein beſter Troſt, und an Dich, meine
[201] einzige und ewige Freundin, wende ich mich dann
immer zuletzt mit naſſem Auge und innigem Dank
für all’ Deine vielfache Liebe, Güte und Nachſicht,
und lege in Deinen treuen Buſen meinen Kummer,
wie meine Freude, und alle meine Hoffnungen nie-
der, deren glänzendſte Erfüllung ja doch ohne Dich
jeden Werth für mich verlieren würde.


Ich muß Dich aber jetzt verlaſſen, um meiner Pflicht
gemäß (denn es widerſtünde mir ſonſt) in eine große
Geſellſchaft zu gehen, wo ich mich, wie im Leben,
mit Andern in der Menge zu verlieren beſtimmt bin.
Es iſt vor der Hand mein letzter Ausgang in die
Welt, da ich mich präparire, mit R .... eine Park-
und Gartenreiſe anzutreten, die uns wohl einen Mo-
nat hinnehmen wird. Die jetzige Zeit iſt aber gerade
die beſte für den, welcher dieſen Gegenſtand ſtudiren
will, da die laubloſen Bäume überall die Durchſicht
geſtatten, und man ſo bei einer Umgehung der
künſtlichen Landſchaft Alles ſchon überſehen, die ge-
wonnenen Effekte verſtehen, und das Ganze, wie
einen Plan auf dem Papiere, beurtheilen, ſo wie
die Beſtandtheile jeder Pflanzung in ihrer abſichtlichen
Ordnung erkennen kann.


Geſtern beſuchten wir en attendant die Parks in
der Stadt, Kenſington u. ſ. w., namentlich den Re-
gentspark im Detail, bei welcher Gelegenheit wir
auch dem dort aufgeſtellten Diorama nicht vorbeigin-
[202] gen. Dies übertraf meine Erwartung, und ähnliches
früher Geſehene ſehr weit, denn gewiß iſt es nicht
möglich, die Sinne noch effektvoller zu betrügen; ja
ſelbſt mit der Gewißheit der Täuſchung, hat man
Mühe, ſie ſich einzureden. Das Gemälde ſtellte das
Innere einer großen Abteikirche, vollſtändig in ihren
wahren Dimenſionen erſcheinend dar. Eine Seiten-
thür ſteht offen. Epheu rankt durch die Fenſter, und
zuweilen ſcheint die Sonne durch die Thür, und er-
hellt mit einem freundlichen Blick die Ueberreſte bun-
ter Scheiben, die unter Spinnengeweben hervorblinken.
Durch das letzte gegenüber liegende Fenſter ſieht man
den verwilderten Kloſtergarten, und darüber einzelne
Wolken am Himmel, die, ſtürmiſch vorüberziehend,
abwechſelnd das Sonnenlicht verdunkeln, und tiefe
Schatten in die todtenſtille Kirche werfen, wo das
zerbröckelte, aber prachtvolle Monument eines alten
Ritters, an dem die Steine des Bodens aufgebrochen
ſind, als habe man dort nach Schätzen gegraben, in
düſtrer Majeſtät ſich noch erhalten hat.


Da auf morgen unſre Abreiſe beſtimmt iſt, ſo
ſende ich dieſen Brief ab, obgleich er noch nicht zu
der gewöhnlichen Corpulenz angewachſen iſt. Wie
ſchmächtig ſind dagegen die Deinen! — Gewiß,
wenn einſt unſre Nachkommen die verwitterte Cor-
reſpondenz ihrer Ahnen in einem Winkel der alten
Bibliothek auffinden ſollten, ſo werden ſie über meine
Verſchwendung und Deinen Geiz gleich ſehr in Er-
[203] ſtaunen gerathen. A propos, zerſtreue Dich nicht
zu ſehr in B .., und vergiß nicht etwa darüber gar,
wenn auch nur auf die kürzeſte Zeit


den treueſten Deiner Freunde.


[[204]]

Achter Brief.



Liebe Getreue!

Heute früh ging es endlich fort, leider bei ſchlechtem,
regnigtem Wetter. Zehn Meilen von London began-
nen wir ſchon, in dem freundlichen Flecken Stran-
more, unſer Geſchäft mit Beſichtigung zweier Villen
und eines größern Parks. Die erſte Villa war durch-
gängig im gothiſch-ländlichen Styl, mit ſpitzen
verzierten Ziegeldächern, aufgebaut, ein genre, worin
die engliſchen Architekten ſehr glücklich, und ich möchte
ſagen, gemüthlich ſind. Auch das Innere war aller-
liebſt in demſelben Styl durchgeführt, und doch höchſt
wohnlich und einladend. Selbſt die Thüren in den
Mauern, welche den Küchengarten umſchließen, hat-
ten oben bunte alte Fenſter, die im blühenden Ge-
büſch ſich überraſchend abzeichneten. Der kleine Blu-
[205] mengarten war gleichfalls mit gothiſchen Beetfor-
men, von Kieswegen umgeben, ausſtaffirt, und die
Spielerey erſchien gar nicht übel.


Sehr verſchieden präſentirte ſich die zweite Villa,
im italieniſchen Geſchmack, mit großen Vaſen davor,
in welche man, ſtatt Blumen, kleine Kürbiſſe und
gelbe und grüne ausgehöhlte Pomeranzen aufgethürmt
hatte. Etwas zuviel hölzerne, und weiß angeſtrichne
Statüen zierten, oder verunzierten vielmehr, die Gär-
ten, unter denen ein jähling hervorſtürzender Löwe
vergeblich Schrecken einzuflößen ſuchte, eben ſo wenig
wie ein Amor, der in den Zweigen hängend, ſeine
Pfeile auf die Vorübergehenden abzuſchießen drohte.


Die Priory, ein ehemaliges Kloſter, jetzt Schloß
und Park des Grafen Aberdeen, bietet manches Se-
henswerthe dar. Die Menge herrlicher Fichten und
Nadelholz im Park erinnert dabei, mehr als hier ge-
wöhnlich, an das Ausland. Das einfach ſchöne Schloß
iſt auf allen Seiten durch hohe und niedrige Bäume
faſt gedeckt, ſo daß man es nur theilweiſe durchſchim-
mernd erblickt, oder nur über die Bäume hervorragen
ſieht. Dies iſt den Gebäuden, beſonders alterthüm-
lichen, immer ſehr vortheilhaft, und überhaupt findet
man hier ſelten jene langen und ſchmalen, durch nichts
unterbrochnen Ausſichten über ebnen Raſen, der Tri-
umph unſrer Gartenanleger, der aber nur dazu dient,
das Weite näher erſcheinen zu machen, als es wirk-
lich iſt. Wir gingen ziemlich lange in den Anlagen
umher, während einige junge Damen und Söhne des
[206] Hauſes, hübſche Knaben, uns auf kleinen ſchottiſchen
Ponys umſchwärmten, bis ſich einer der letzten als
Führer zu uns geſellte, und auch das Innere des
Schloſſes zeigte, deſſen dunkle Mauern von auſſen
höchſt üppig bis ans Dach mit Epheu, ſpalierartig
gezogenen Granatbäumen, und Monatsroſen bedeckt
waren.


Erſt mit einbrechender Dunkelheit verließen wir den
Park, und erreichten in einer halben Stunde das
Städtchen Watford, in deſſen gutem Gaſthof ich jetzt
ruhe. R. benutzt die Gelegenheit, ſich Dir unterthä-
nig zu empfehlen, und ſchreibt mit einer Emſigkeit
an ſeinem Tagebuche, die mich lachen macht.


Nachträglich muß ich doch noch bemerken, daß wir
in der Priory (ich ſtehle es aus dem erwähnten Ta-
gebuche) einen einzelnen Rhododendron-Strauch im
Freien ſtehen ſahen, der 15 Fuß hoch war, und mit
ſeinen dichten Zweigen über 25 Fuß im Umfang maß.
Solche Vegetation iſt einladender für Parkomanie, als
es uns geboten wird!



Wir haben die Berechnung gemacht, liebe Julie, daß
wenn Du mit uns wäreſt, ein Wunſch, der Deinen
treuen Dienern ſtets gegenwärtig iſt, Du täglich, ver-
möge Deiner Abneigung gegen Fußbewegungen, höch-
ſtens ¼ Park ſehen könnteſt, und wenigſtens 170
[207] Jahre brauchen müßteſt, um alle Parks in England
zu beſichtigen, deren es ohne Zweifel Hunderttauſende
giebt, denn es wimmelt davon, wo man nur hin-
kömmt. Natürlich ziehen wir nur die größten, oder
was uns grade von den kleinen Villen en passant
aufſtößt und auffällt, in Betracht. Dennoch ſehen wir
heute ſchon ſo viel Herrliches und ſtolze Schlöſſer, daß
wir noch ganz entzückt davon ſind, denn auch ich habe
es nie mit der Vorſchrift des nil admirari halten mö-
gen, die jeden herzlichen Genuß benimmt.


Ehe ich mit der Beſchreibung anfange, muß ich aber
den guten Gaſthöfen gleichfalls ihr Recht wiederfah-
ren laſſen, die man hier, auch auf dem Lande und
in den kleinſten Oertchen, überall gleich ſorgfältig ge-
halten, antrifft. Reinlichkeit, große Bequemlichkeit
und ſogar Eleganz ſind immer darin vereinigt, und
man muthet nie dem Fremden zu, in demſelben Zim-
mer zu wohnen, zu eſſen und zu ſchlafen, wie in den
deutſchen Gaſthäuſern, wo es eigentlich nur Tanzſäle
und Schlafſtuben giebt.


In der Regel iſt das Tiſchgeräth Silber und Por-
cellain, die Meubles zweckmäßig, die Betten ſtets
vortrefflich, und niemals fehlt das freundlich flackernde
Kamin.


Die detaillirte Beſchreibung des Frühſtücks am heu-
tigen Morgen gebe Dir die beſte Idee von dem com-
fortablen Leben und den Bedürfniſſen hieſiger Rei-
ſenden.


[208]

NB. ich hatte nichts beſtellt als Thee, und Fol-
gendes fand ich, als ich aus dem Schlafzimmer hin-
unter kam, in dieſem kleinen Städtchen bereitet, das
kaum den Umfang eines Dorfes hat. Auf der Mitte
des Tiſches dampfte eine große Theemaſchine, zierlich
umſtellt mit ſilberner Theekanne, Spülnapf und Milch-
topf. Drei kleine Wedgewood-Teller mit eben ſo viel
Meſſern und Gabeln nebſt zwei großen Taſſen von
ſchönem Porcellain erwarteten ihre Füllung. Daneben
ſtand einladend ein Teller mit gekochten Eyern, einer
dito mit geröſteten oreilles de cochon à la sainte-
Menéhould,
eine durch heißes Waſſer erwärmte Schüſ-
ſel mit Muffins, eine andere mit kaltem Schinken,
flockiges Weißbrod, dry- und butterdtoast, die beſte
friſche Butter in elegantem Cryſtallgefäß, bequeme
Streubüchſen zu Salz und Pfeffer, engliſcher Senf
und moutarde de maille, endlich eine ſilberne Thee-
ſchachtel mit ſehr gutem, grünen und ſchwarzen Thee.


Dieſes ganz luxurieuſe Mahl, von dem Du hoffent-
lich finden wirſt, daß ich es ſo pittoresk wie eine Land-
ſchaft beſchrieben habe, iſt noch obendrein verhältniß-
mäßig ſehr billig, denn es ſtand auf meiner Rechnung
nur mit 2 Schilling (16 Gr.) angeſetzt. Im Ganzen
iſt aber das Reiſen dennoch ſehr koſtſpielig, beſonders
die Poſtpferde grade viermal theurer als bei uns, und
Trinkgelder den ganzen Tag über nach allen Seiten
auszutheilen.


Um 10 Uhr erreichten wir Cashbury Park, den
Sitz des Grafen Eſſer. Ich ließ mich bei ihm melden,
[209] und er ſchickte mir ſeinen Schwiegerſohn M. F....,
den ich ſchon in Dresden geſehen hatte, und hier des-
ſen Bekanntſchaft mit Vergnügen erneuerte, um mich
herumzuführen. Das Schloß iſt modern gothiſch,
und prachtvoll meublirt. Man tritt zuerſt in eine Halle
mit bunten Fenſtern, die auf einen innern Hof die
Ausſicht öffnen, der als Blumengarten benutzt iſt;
aus der Halle gelangt man ſeitwärts durch eine lange
mit Waffen behangene Gallerie an die reich aus Holz
geſchnitzte Treppe, welche in den obern Stock führt,
und von da in die Bibliothek, die hier faſt immer
auch als Hauptſalon für die Geſellſchaft dient. Alles
dies iſt ebner Erde. Die Bibliothek hat zwei kleine
Cabinets nach dem Garten zu, beide mit ſeltenen
Sachen angefüllt. Unter dieſen gefielen mir beſonders
zwei humoriſtiſche Handzeichnungen von Denon, dar-
ſtellend das Lever des Cardinal Bernis in Rom, und
ein Diné bei Voltaire, mit dem Abbé Maury, Dide-
rot, Helvétius d’Alembert und einigen andern Philo-
ſophen. Sämmtliche Perſonen ſind Portraits.


Intereſſant war auch ein vollſtändiges kleines Ameu-
blement der Königin Antoinette, auf dem die Bild-
niſſe ihres Gemahls und Heinrich des Vierten an
mehreren Orten angebracht waren. Aus der Biblio-
thek ging man in ein eben ſo reiches zweites Geſell-
ſchaftszimmer, und aus dieſem in den Speiſeſaal.
Neben beiden zog ſich ein Gewächshaus in Form ei-
ner Capelle hin, und überall boten die bis auf den
Boden gehenden Fenſter die Ausſicht auf den herr-
lichſten, von einem Fluß durchſtrömten Park. Auf
Briefe eines Verſtorbenen. III. 14
[210] einer fernen Anhöhe ſah man in eine ſehr breite Lin-
denallee hinein, an deren Ende im Sommer eine Zeit
lang die Sonne täglich untergeht, welches auf dieſe
Art in der graden Verlängerung des Gewächshauſes
die prachtvollſte natürliche Decoration abgeben muß,
um ſo mehr, da die Sonne zugleich in einer großen
Spiegelthüre gegenüber wieder zurückſtrahlt. Die
Wände dieſer Zimmer ſind alle mit eichner Boiſerie be-
kleidet, mit koſtbaren Simſen und Schnitzwerk, die Meu-
bles von Roſenholz (Rosewood), Seide und Sammt,
und werthvolle Gemälde in alterthümlichen goldnen
Rahmen ſchmücken die Wände. Die Verhältniſſe der
Zimmer kann man faſt Saalartig nennen, alle regel-
mäßig zu 14 Grad Reaumur mit Dampf geheizt.


Die etwas entfernten Ställe und alle Haushalts-
Gebäude ſind links durch eine crenelirte Mauer mit
dem Schloſſe verbunden, ſo daß das Ganze wohl
1000 Fuß weit ſich ohne Unterbrechung hinzieht.


Die Blumengärten nehmen einen bedeutenden Raum
ein. Ein Theil davon war nach der gewöhnlichen Art
eingerichtet, d. h. ein langes Gewächshaus im Fond,
und davor mehrere berceaus und ſchattige Gänge um
einen großen Raſenplatz, der mit Beeten aller For-
men, ſeltenen Bäumen und Sträuchern vollgeſetzt iſt;
dann aber kam etwas Neues: nämlich ein tiefes ab-
geſondertes Thal von ovaler Form, rund umher dicht
mit Immergrün, Lorbeer, Rhododendron und Stein-
pflanzen, auf künſtliche Felſen undurchdringlich dick
gerflanzt, hohe Fichten und Eichen dahinter, mit ih-
[211] ren im Winde wehenden Wipfeln, und an dem einen
Ende des Platzes eine freiſtehende, prachtvolle Linde,
von einer Bank umgeben. Von dieſer aus bedeckte
das ganze kleine Thal, auf Kiesgrund, ein geſticktes
Blumenparterre von ſehr lieblichen Formen, wiewohl
völlig regelmäßig. Der Ausgang aus dieſem Bezirk
führte durch eine von Epheu überwachſene Grotte,
mit Feuerſteinen und Muſcheln ausgelegt, in einen
viereckigen von einer Lorbeerhecke umgebenen Roſen-
garten, in deſſen Mitte ein Tempel, und gegenüber
ein Gewächshaus für Waſſerpflanzen ſtand. Die
Roſenbeete bildeten verſchiedene ſich in einander ver-
ſchlingende Figuren. Ein mit der Scheere geſchnitte-
ner dichter Laubgang von Buchen wand ſich von hier,
ſchlängelnd in den chineſiſchen Garten, der ebenfalls
von hohen Bäumen und Mauern umgeben war, und
eine Menge Vaſen, Bänke, Fontainen und ein drit-
tes Gewächshaus enthielt, Alles im, auf’s treueſte
nachgebildeten, chineſiſchen Style. Hier waren Beete
mit Ringen von weißem, blauem und rothem Sand
umzogen, barokke Zwergpflanzen, und viele Dutzend
große chineſiſche Vaſen auf Poſtamente geſtellt, die
rankendes Immergrün und ausländiſche Gewächſe
dicht bezogen. Die Fenſter des Hauſes waren wie
chineſiſche Tapeten bemalt, und Verkleinerungsſpiegel
im Innern angebracht, die uns wie in der Camera
obscura
präſentirten. Ich ſage nichts von der reichen
Treiberei und Gemüſegärten mit ihren endloſen Mauern
und Reihen von Glashäuſern zur Aufbewahrung der
Blumen ꝛc. ꝛc., Du kannſt Dir den Maaßſtab ſelbſt
14*
[212] anlegen, wenn ich Dir Herrn F....s Verſicherung
wiederhole, daß die Unterhaltung des ganzen Parks
und Schloſſes 10,000 Pfd. Strl. jährlich koſtet. Der
Graf hat für Alles, was er dazu braucht, eigne Leute
und Handwerker, Maurer, Zimmerleute, Tiſchler ꝛc.,
deren Jedem ſein beſtimmtes Fach angewieſen iſt.
Einer z. B. hat blos alle Zäune zu erhalten, ein an-
derer die Zimmer, ein dritter die Meubles ꝛc., eine
auf dem Lande ſehr nachahmungswerthe Einrichtung.


Ich machte dem alten Grafen, den die Gicht im
Zimmer hielt, meinen Beſuch, und erhielt von dem
freundlichen alten Mann die beſten Informationen
und (ſehr nöthige) Einlaßkarten für meine weitere
Reiſe.


Unſere Tour ging zuerſt, lange noch im Park her-
umführend, zu einer Hauptparthie deſſelben, das
Schweizerhaus genannt, das mitten in einem Wäld-
chen ſehr reizend und heimlich am Fluſſe gelegen iſt.
Wir fuhren über den Raſen dahin, weil viele Parks
hier, ganz wie freie Natur behandelt, und wie ich
ſchon erwähnt, der Erſparung wegen, oft nur einen
Weg haben, der zum Schloſſe hin, und auf der an-
dern Seite wieder herausführt. Auf die Landſtraße
zurückgekommen, legten wir durch ein immer gleich
ſchönes, an Fruchtbarkeit und Vegetation üppiges
Land, 20 Meilen bald zurück, ſo daß wir ſchon um
3 Uhr Ashridge Park erreichten, den Sitz der Grafen
von Bridgewater. Hier kannſt Du mir, liebe Julie,
etwas näher kommen, wenn Du Reptons Gartenbuch
[213] aufſchlägſt, wo Du mehrere Anſichten und den Grund-
plan der reizenden hieſigen Gärten findeſt, die der
alte Repton ſelbſt angelegt. Erinnere Dich nur des
Roſary, ſo wirſt Du es gleich aufzuſuchen wiſſen.
Dieſer Park iſt ſchon einer der größten in England,
denn er mißt über drei deutſche Meilen im Umfang,
und das ebenfalls moderne gothiſche Schloß iſt mit
allen ſeinen Mauern, Thürmchen und Höfen faſt un-
abſehbar. Ich muß jedoch aufrichtig geſtehen, daß
dieſer neugothiſche genre, (castellated style) der
ſich in der Zeichnung ſo ſeenhaft ausnimmt, in der
Wirklichkeit oft durch ſeine Ueberladung und Unzweck-
mäßigkeit nicht nur geſchmacklos, ſondern ſogar etwas
läppiſch ausfällt.


Wenn man in der cultivirteſten, friedlichſten Wie-
ſenfläche, unter dem Flor unzähliger Blumen, eine
Art Feſtung mit hundert Thürmen, Schießſcharten
und Brüſtungen gewahr wird, die alle nicht den min-
deſten Zweck haben, und obendrein in ihrer Baſis
faſt nichts als Glaswände (die Gewächs- und Treib-
häuſer, welche mit den Zimmern in Verbindung ſte-
hen) darbieten, ſo iſt dies wahrlich eben ſo lächerlich,
als wenn der Beſitzer dieſer lieblichen Blumengär-
ten, darin in Helm und Harniſch, wie weiland Don
Quirote, ſpazieren gehen wollte. Der antike, alt
italieniſche oder blos romantiſche, unſrer Zeit ange-
paßte Styl harmonirt unendlich beſſer mit ſolcher
Umgebung, erſcheint freundlicher und ſelbſt bei weit
geringern Maſſen, dennoch grandioſer. Das Innere
des Schloſſes war dagegen von der größten Wirkung,
[214] und durchaus fürſtlich zu nennen. Sehr vernünftig
hatten ſich die Beſitzer für die Geſellſchaftszimmer nur
auf wenige, aber dafür ſehr geräumige Pieçen be-
ſchränkt. Auch hier tritt man zuerſt in die Halle, mit
Rüſtungen und alterthümlichen Meubeln geſchmückt.
Dann kömmt man in das Treppenhaus, das präch-
tigſte, was man in dieſer Art ſehen kann. Durch drei
hohe Etagen aufſteigend, mit eben ſo viel rund um-
her laufenden Gallerieen erreicht es die Höhe und
Größe einer Kirchenkuppel; die Wände ſind von po-
lirtem Stein, die Treppengeländer von glänzendem
Meſſing, die Decke aus ſchön in Holz geſchnitzten
Caiſſons, mit Malerei verziert, und rund umher,
durch alle drei Etagen hinauf, ſind Niſchen mit den
Standbildern der Könige Englands aus Stein ange-
bracht. Aus dieſem Treppenhaus gelangten wir in
einen Saal mit rothem Sammt und vergoldeten Meu-
beln geſchmückt, vorn durch ungeheure Fenſter er-
leuchtet, die faſt die ganze Wand einnehmen, und
die Ausſicht auf den pleasure ground und Park eröff-
nen. Seitwärts zur Linken iſt ein eben ſo großes
Zimmer, wo das Billard ſteht, und daneben die Bib-
liothek. Auf der andern Seite in derſelben Enfilade
ſchließt ſich der Speiſeſaal an, und hinter dieſem ein
herrliches Gewächs- und Orangerie-Haus, durch wel-
ches man in die Kapelle eingeht, die mit zehn alten
ächten Glasfenſtern von großer Schönheit, und mit
koſtbaren Holzreliefs prangt. Alle Bänke darin ſind
von Nußbaum, mit Kramoiſi-Sammt ausgeſchlagen.


[215]

In den Zimmern hängen einige ſchöne und intereſ-
ſante Gemälde, jedoch meiſtens von modernen Mei-
ſtern. Pleasure ground und Gärten ſind noch größer
als in Cashburypark. In Reptons Werk wirſt Du
ſie zum Theil finden, nämlich den amerikaniſchen Gar-
ten, den Mönchs-Garten und das Roſary — wozu
noch hinzugekommen ſind: 1) der ſehr zierliche fran-
zöſiſche Garten, mit einer bedeckten Gallerie an einer
Seite, einem porcellanartigen Aufſatz mit Blumen-
töpfen in der Mitte, und einem großen Parterre,
von dem jedes Beet eine beſondere Blumenart ent-
hält; — 2) der Felſengarten, wo alle Steinpflanzen
vereinigt ſind, ſo wie alle rankenden Gewächſe. Es
gehört wahrlich die lange Gewohnheit eines großen
Luxus dazu, um ein ſo mannichfaltiges, überall gleich
exemplariſch gut erhaltenes Ganze ſich nur auszuden-
ken, denn man muß geſtehen, daß ſelbſt unſre Sou-
veraine in der Regel nur Theile von dem beſitzen,
was hier vereinigt iſt. Einige 1000 Stück Wild und
unzählige Gruppen von Rieſenbäumen zieren den Park,
der, nur den hindurchführenden Weg abgerechnet,
ebenfalls ganz der Natur und vielen waidenden Heer-
den überlaſſen iſt.


Nimm es immer als ein kleines Opfer an, liebe
Julie, daß ich ſo treu dieſe Details Dir beſchreibe,
die bei unſern eigenen Plänen und Bauten doch nicht
ohne Nutzen ſeyn möchten, und wenigſtens gewiß noch
mühſamer zu ſchreiben als zu leſen ſind *).


[216]

Zu beſſerer Verſinnlichung nehme ich von allem In-
tereſſanten Zeichnungen in meine Schreibtafel, die uns
einſt, als Anregung zu neuen Ideen, gut zu ſtatten
kommen ſollen. Morgen werden wir des Herzogs von
Bedford, eines der reichſten Edelleute in England,
nahes Schloß ſehen, Woburn Abbey, welches Ashridge
noch eben ſo ſehr an Größe übertreffen ſoll als dieſes
Cashburypark, eine ſehr angenehme Steigerung.


Der Gaſthof, wo ich ſchreibe, iſt wieder ſehr gut,
und ich gedenke, nach allen Fatiguen, meiner Haupt-
mahlzeit ſo viel Ehre zu machen als dem Frühſtück,
obgleich dieſe hier viel einfacher iſt, und Tag vor Tag
in zwar ganz guten, aber auch immer denſelben Ge-
richten beſteht. Die ewigen muttonchops und ein ge-
bratenes Huhn mit breadsauce, ſpielen mit den blos
in Waſſer gekochten Gemüſen, und der engliſchen Na-
tional-Sauçe: zerlaſſener Butter mit Mehl, immer
die Hauptrolle dabei.



Ich befinde mich jetzt in einem großen Badeorte,
von dem ich jedoch noch nicht viel geſehen habe, da
ich um 11 Uhr in der Nacht ſo eben erſt angelangt
bin. Ein großer Theil des Tages ging mit der in-
tereſſanten Beſichtigung von Woburn Abbey hin.


Dieſer ſchöne Pallaſt iſt im italieniſchen Geſchmack,
einfach und edel aufgeführt, unendlich befriedigender
[217] als der koloſſale gothiſch ſeyn ſollende nonsense. Mit
ſeinen Ställen, Reitbahn, Ballhaus, Statuen und
Bildergallerie, Gewächshäuſern und Gärten bildet er
eine kleine Stadt. Seit 300 Jahren, ein auch in
England
ſeltner Fall, vererbte ſich dieſe Beſitzung
regelmäßig in derſelben Familie fort, ſo daß es auch
nicht zu verwundern iſt, wie bei einer Million Reve-
nüen nach unſerm Gelde, ein Zuſammenfluß von
Pracht hier entſtehen konnte, der bei uns die Kräfte
jedes Partikuliers überſteigt, um ſo mehr, da, wäre
auch das Geld hie und da in derſelben Profuſion vor-
handen, doch keine ſeit Jahrhunderten darauf gerich-
tete Cultur uns die Mittel zu einem ſo vollendeten
Ganzen des raffinirten Luxus zur Hand läßt.


Das eigentliche Schloß iſt ein regelmäßiges Viereck
und die bel etage, welches auf dem Lande immer die
de plein pied iſt, bildet eine ununterbrochene Reihe,
das ganze Viereck umſchließender Zimmer. Dieſe Zim-
mer ſind mit koſtbaren Gemälden geſchmückt, und
außerdem reich in ſchweren Stoffen meublirt, Decke
und Thürembraſuren von weißer Stuckatur mit Gold,
oder aus ſeltnen geſchnitzten Hölzern, Alles eben ſo
einfach als gediegen. In dem einen Zimmer war eine
merkwürdige Sammlung von Miniatur-Portraits der
Familie, vom erſten Ruſſel (der Familienname der
Herzöge von Bedford) bis auf den jetzigen Herzog,
in ununterbrochener Linie geſammelt. Unter ſolchen
Umſtänden kann man wohl ein wenig auf ſeine Fa-
milie und ſeinen Adel ſtolz ſeyn.


[218]

Dieſe Miniaturen waren auf eine ſehr geſchmackvolle
Art in einem langen ſchmalen Goldrahmen auf Cra-
moiſi-Sammt gereiht, und Medaillonviſe eingelaſſen.


Die Camine ſind größtentheils von vergoldetem Me-
tall, mit hohen Marmoreinfaſſungen, die Kronleuch-
ter ebenfalls von Bronce, reich vergoldet, überall die
angemeſſenſte Pracht, wiewohl ohne alle Ueberladung.
Den Beſchluß machte die Bibliothek, in zwei Säle
vertheilt, und höchſt freundlich mit ihren breiten
Fenſterthüren unmittelbar an die Blumengärten an-
ſtoßend.


Dieſe erſchienen mir nun beſonders reizend, dabei
ſo zweckmäßig mit den Gebäuden verwoben, und ſo
mannigfaltiger Art, daß eine genügende Beſchreibung
ſchwer iſt.


Um Dir jedoch wenigſtens eine allgemeine Idee da-
von zu geben, laß mich nur erwähnen, daß längs der
verſchiedenen Gebäude, die bald vorſpringen, bald zu-
rücktreten, bald grade, bald runde Linien bilden, nach
der Gartenſeite zu eine ununterbrochene Arcade, mit
Roſen und Rankengewächſen bezogen, hinläuft, an
welcher die verſchiedenen prachtvollen Gärten auf ein-
ander folgen. Ueber dieſem Gang ſind theils Zim-
mer, theils die anmuthigſten kleinen Gewächshäuſer,
wovon eins unter andern nichts wie Haidekräuter
(Erica) enthält, von denen Hunderte in Blüthe, den
lieblichſten Anblick gewährten, und durch Spiegel-
wände bis ins Unendliche vervielfältigt wurden. Un-
mittelbar unter dem Erikenhauſe war auch der Eri-
kengarten angebracht, ein Raſenplatz mit Beeten, die
[219] verſchiedene Figuren bildeten, und alle nur mit den-
jenigen größeren Exemplaren der Haiden beſetzt waren,
welche im Freien aushalten. Einmal wurde der er-
wähnte Bogengang ſelbſt durch ein hohes Palmen-
haus mit Spiegeln unterbrochen, vor dem die ſchön-
ſten geſtickten Parterres auf Kiesgrund ſich ausbrei-
ten. An dieſes Haus ſtieß die Statuen-Gallerie, de-
ren Wände mit verſchiedenen Marmorarten bekleidet
ſind, nebſt ſehr ſchönen Säulen aus Italien. Der
Saal enthält eine Menge antiker Sculpturen, und
wird an jedem Ende durch einen Tempel geſchloſſen,
wovon der eine der Freiheit, mit Büſten von Fox,
Canning und Andern, der zweite den Grazien ge-
weiht iſt, mit einer herrlichen Gruppe dieſer Göttin-
nen von Canova. Von hier aus führt der Bogen-
gang an einer unermeßlichen Pflanzung entlang, welche
an Hügel gelehnt, nur aus Azalien und Rhododen-
dron beſteht, bis man den chineſiſchen Garten erreicht,
in dem die dairy (der Milchkeller) ſich beſonders aus-
zeichnet. Es iſt dies eine Art chineſiſcher Tempel,
mit einem Ueberfluß von weißem Marmor und bun-
tem Glaſe, in der Mitte ein Springbrunnen, und
an den Wänden umher Hunderte von chineſiſchen und
japaniſchen großen Schüſſeln aller Art aufgeſtellt,
ſämmtlich mit friſcher Milch und Rahm gefüllt. Die
Conſoles, auf denen dieſe Schalen ſtanden, waren
ein ausgezeichnet hübſches Modell für chineſiſche Meu-
blirung. Die Fenſter beſtanden aus mattem Glaſe
mit chineſiſcher Malerei, welche phantaſtiſch genug aus
dem trüben Lichte hervortrat.


[220]

Von hier führte noch ein weiter pleasure ground
mit den ſchönſten Bäumen, und mancherlei überra-
ſchenden Abwechſelungen, unter andern niedlichen Kin-
dergärten, und einem Grasgarten, in dem alle Arten
von Schilf und Gräſern in kleinen Beeten, das Ganze
ein Schachbret bildend, kultivirt wurden — nach dem
Aviary. Dieſes beſteht aus einem ſehr großen einge-
zäunten Platz mit hohen Pflanzungen und einer Cot-
tage, nebſt einem kleinen Teich in der Mitte, Alles
nur dem Reiche der Vögel gewidmet. Der vierte oder
fünfte Diener erwartete uns hier (die alle Trinkgelder
verlangen, ſo daß man ein ſolches Etabliſſement nicht
unter einigen £. St. zu ſehen bekömmt) und zeigte
uns zuerſt mehrere reich gefiederte Papageyen und an-
dere ſeltene Vögel, deren jeder ſeine beſondere kleine
Abtheilung, und ſo zu ſagen ſein Gärtchen hatte.
Dieſe Vögelwohnungen waren von Eichenzweigen mit
Draht durchflochten, die Decke gleichfalls von Draht,
die Sträucher Immergrün, ſo wie faſt alle übrigen
Pflanzungen in dieſem Bezirk. Als wir auf den Platz
hinaus traten, der die Mitte einnimmt, pfiff unſer
Papageno, und ſogleich verfinſterte ſich wörtlich die
Luft über uns, durch eine Unzahl von Tauben, Hüh-
nern, und der Himmel weiß was alles für Vögel.
Aus allen Büſchen ſtürzten zugleich Gold-, Silber-,
bunte und ordinäre Faſanen hinzu, und aus dem See
gallopirte ein ſchwarzer Schwan ſchwerfällig herbei,
mit kläglich kindlichen Tönen ſeine große Begierde nach
Futter ausdrückend. Dieſer ſchöne Vogel, raben-
ſchwarz mit roſenrothen Schnabel und Füßen, war
[221] außerordentlich zahm, fraß ſein Futter chemin fai-
sant
aus der Taſche des Wärters, und ließ uns kei-
nen Augenblick allein, ſo lange wir in dem Vögel-
paradies umherwandelten, nur manchmal en passant
einer zudringlichen Ente und andres gemeiners Volk
mit einem Fußtritt abwehrend, oder einem nobleren
Goldfaſan mit dem Schnabel in die Seite ſtoßend.
Ein zweiter intereſſanter aber eingeſchloſſener Bewoh-
ner dieſes Orts war Héros, ein afrikaniſcher Kranich,
ein Thier das ausſieht, wie von Porcellain gemacht,
und mich in ſeinen Bewegungen vielmals an unſern
ſeligen, tanzenden Ballerino erinnerte. Der Umſtand
ſeiner Geſchichte, welcher ihm den Heldennamen gege-
ben, war dem Wärter unbekannt.


Der, vier deutſche Meilen im Umfang haltende Park
beſteht hier nicht allein aus Waideland und Bäumen,
ſondern hat auch ein ſchönes Waldterrain, und noch
eine beſonders eingezäunte Parthie, die thornery
(wörtlich Dörnerei) benannt, ein wilder mit Dornen
und Geſtrüppe bewachſener Waldplatz, in deſſen Mitte
eine kleine Cottage mit dem freundlichſten Blumen-
gärtchen ſteht, und den mehrere Spaziergänge durch-
ſchneiden. Hiermit ſchließen die Herrlichkeiten von Wo-
burn Abbey. Doch nein — zwei Dinge muß ich noch
nachholen. In dem Schloſſe, deſſen Schmuck ich Dir
en gros beſchrieben, fand ich zugleich eine ſehr zweckmä-
ßige Einrichtung. Nämlich rund um alle Zimmer des
großen Vierecks läuft eine innere breite Gallerie, auf
welche mehrere Thüren ſich öffnen, und wo mannich-
fache Sammlungen, theils frei, theils in Glasſchrän-
[222] ken, und hie und da durch Blumenſtellagen unterbro-
chen, aufgeſtellt ſind. Dies gewährt im Winter und
bei ſchlechtem Wetter einen eben ſo unterrichtenden
als angenehmen Spaziergang, der um ſo behaglicher
wird, da das ganze Schloß mit conduits de chaleur
geheizt iſt. Das zweite Erinnernswerthe iſt ein ſchö-
nes Portrait des Grafen Eſſex in Lebensgröße. Er
erſcheint hier ſehr ſchön und ſchlank gewachſen, das
Geſicht aber weniger ausgezeichnet, kleine Züge ohne
vielen Ausdruck, kleine Augen, und einen großen ro-
then Bart bei dunklem Haupthaar, der ihn vielleicht
der Königin, bei ihrem eignen rothen Kopf beſonders
angenehm machte.


Jetzt iſt aber ein Viertelzoll von meinen Fingern
herunter geſchrieben, und ich muß ſchließen. Morgen
wieder ein Mehreres, wo ich Warwick Castle ſehen
werde, welches für Englands Stolz ausgegeben wird.
Ich bin wirklich begierig, ob wir noch eine Stufe
höher zu erſteigen haben, wie wir bisher regelmäßig
von Schönem zu Schönerem fortgeſchritten ſind.


Da eben die Mail von hier abgeht, lege ich dieſen
Brief in einen für L .... mit ein, durch deſſen
Güte Du ihn ſchneller erhalten wirſt als den letzten.


Gedenke des Umherirrenden in Deiner ruhigen Ein-
ſamkeit, und glaube, daß, verſchlüge ihn das Schick-
ſal auch zu den Antipoden, ſein Herz doch immer bei
Dir ſeyn würde.


Dein L ....


[[223]]

Neunter Brief.



Theure Julie!

Beim Himmel! diesmal erſt bin ich von wahrem
und ungemeßnem Enthuſiasmus erfüllt. Was ich
früher beſchrieben, war eine lachende Natur, verbun-
den mit allem, was Kunſt und Geld hervorbringen
können. Ich verließ es mit Wohlgefallen, und ob-
gleich ich ſchon Aehnliches geſehen, ja ſelbſt beſitze,
nicht ohne Verwunderung. Was ich aber heute ſah,
war mehr als dieſes, es war ein Zauberort, in
das reizendſte Gewand der Poeſie gehüllt, und von
aller Majeſtät der Geſchichte umgeben, deſſen Anblick
mich noch immer mit freudigem Staunen erfüllt.


Du erfahrne Hiſtorienkennerin und Memoirenle-
ſerin weißt beſſer als ich, daß die Grafen von War-
[224] wick einſt die mächtigſten Vaſallen Englands waren,
und der große Beauchamp, Graf von Warwick, ſich
rühmte, drei Könige entthront, und eben ſo viele auf
den leeren Thron geſetzt zu haben.


Sein Schloß ſteht ſchon ſeit dem 9ten Jahrhundert
und iſt ſeit Eliſabeths Regierung im Beſitz derſelben Fa-
milie geblieben. Ein Thurm der Burg, angeblich von
Beauchamp ſelbſt erbaut, hat ſich ohne alle Verän-
derung erhalten, und das Ganze ſteht noch ſo coloſ-
ſal und mächtig, wie eine verwirklichte Ahnung der
Vorzeit da.


Schon von weitem erblickſt Du die dunkle Stein-
maſſe, über uralte Cedern vom Libanon, Kaſtanien,
Eichen und Linden, ſenkrecht aus den Felſen am Ufer
des Avon, mehr als 200 Fuß hoch über die Waſſer-
fläche emporſteigen. Faſt eben ſo hoch noch überra-
gen wieder zwei Thürme von verſchiedener Form das
Gebäude ſelbſt. Der abgeriſſene Pfeiler einer Brücke,
mit Bäumen überhangen, ſteht mitten im Fluß, der,
tiefer unten, grade wo die Schloßgebäude beginnen,
einen ſchäumenden Waſſerfall bildet, und die Räder
der Schloßmühle treibt, welche letztere, mit dem Gan-
zen zuſammenhängend, nur wie ein niedriger Pfei-
lervorſprung deſſelben erſcheint.


Jetzt verlierſt Du im Weiterfahren eine Weile
den Anblick des Schloſſes, und befindeſt Dich bald vor
einer hohen crenelirten Mauer aus breiten Quadern,
durch die Zeit mit Moos und Schlingpflanzen bedeckt.
Die Flügel eines hohen eiſernen Thores öffnen ſich
langſam, um Dich in einen tiefen, durch den Felſen
[225] geſprengten Hohlweg einzulaſſen, an deſſen Stein-
wänden ebenfalls von beiden Seiten die üppigſte Ve-
getation herabrankt. Dumpf rollt der Wagen auf dem
glatten Felſengrunde hin, den in der Höhe alte Ei-
chen dunkel überwölben. Plötzlich bricht bei einer
Wendung des Weges das Schloß im freien Himmels-
lichte aus dem Walde hervor, auf einem ſanften Ra-
ſenabhang ruhend, und zwiſchen den ungeheuren
Thürmen, an deren Fuß Du Dich befindeſt, ver-
ſchwindet der weite Bogen des Eingangs zu dem
Schein einer unbedeutenden Pforte. Eine noch grö-
ßere Ueberraſchung ſteht Dir bevor, wenn Du durch
das zweite eiſerne Gitterthor den Schloßhof erreichſt.
Etwas Mahleriſcheres und zugleich Impoſanteres läßt
ſich beinah nicht denken! Laß Dir durch Deine Phan-
taſie einen Raum hinzaubern, ungefähr noch einmal
ſo groß als das Innere des römiſchen Coloſſeums,
und verſetze Dich damit in einen Wald voll romanti-
ſcher Ueppigkeit. Du überſiehſt nun den weiten Hof-
platz, rund umher von bemoosten Bäumen und maje-
ſtätiſchen Gebäuden umgeben, die, obgleich überall
verſchieden an Form, dennoch ein erhabenes und zu-
ſammenhängendes Ganze bilden, deſſen bald ſtei-
gende, bald ſich ſenkende Linien in der blauen Luft,
wie die ſtete Abwechſelung der grünen Grundfläche
am Boden, nirgends Symmetrie, wohl aber eine
ſonſt nur den Werken der Natur eigne, höhere
Harmonie
verrathen. Der erſte Blick zu Deinen
Füßen fällt auf einen weiten einfachen Raſenteppich,
um den ein ſanft geſchlungner Kiesweg nach allen
Briefe eines Verſtorbenen. III. 15
[226] Ein- und Ausgängen dieſes Rieſenbaues führt. Rück-
wärts ſchauend, ſiehſt Du an den beiden ſchwarzen
Thürmen empor, von denen der älteſte, Guy’s Thurm
genannt, ganz frei von Gebüſch in drohender Maje-
ſtät, feſt wie aus Erz gegoſſen daſteht, der andre
von Beauchamp erbaut, halb durch eine, wohl Jahrhun-
derte zählende, Kiefer und eine herrliche Kaſtanie ver-
deckt wird. Breitblättriger Epheu, und wilder Wein
rankt, bald den Thurm umſchlingend, bald ſeine
höchſten Spitzen erſteigend, an den Mauern hinan.
Links neben Dir zieht ſich weit der bewohnte Theil
des Schloſſes und die Capelle hin, mit vielen hohen
Fenſtern geziert, von verſchiedener Größe und Ge-
ſtalt, während die ihm gegenüber liegende Seite des
großen Vierecks, faſt ganz ohne Fenſter, nur mäch-
tige crenelirte Steinmaſſen darbietet, die einige Ler-
chenbäume von coloſſaler Höhe und baumartige Ar-
butus-Sträucher, welche hier im langen Schutze
wunderbar hoch gewachſen ſind, maleriſch unterbre-
chen. Vor Dir jedoch erwartet Dich, wenn Du jetzt
den Blick nach der Höhe erhebſt, von allem das er-
habenſte Schauſpiel. Denn auf dieſer vierten Seite
ſteigt aus einem niedrigen bebuſchten Keſſel, den der
Hof hier bildet, und mit dem ſich auch die Gebäude
eine geraume Strecke ſenken, das Terrain von neuem,
in Form eines joniſchen Berges ſteil empor, an dem
die gezackten Mauern des Schloſſes mit hinan klim-
men. Dieſer Berg, der Keep, iſt bis oben dicht be-
wachſen mit Geſträuch, das jedoch nur den Fuß der
Thürme und Mauern bedeckt. Dahinter aber ragen,
[227] hoch über alle Steinmaſſen, noch ungeheure uralte
Bäume hervor, deren glatte Stämme man wie in
der Luft ſchwebend erblickt, während auf dem höch-
ſten Gipfel eine kühne Brücke, auf beiden Seiten von
den Bäumen eingefaßt, gleich einem hehren Himmels-
portal plötzlich die breiteſte, glänzendſte Lichtmaſſe,
hinter der man die Wolken fern vorüberziehen ſieht,
unter dem Schwibbogen und den dunklen Baumkro-
nen durchbrechen läßt.


Stelle Dir nun vor: dieſe magiſche Dekoration
auf einmal zu überſehen, verbinde die Erinnerung
damit, daß hier neun Jahrhunderte ſtolzer Gewalt,
kühner Siege und vernichtender Niederlagen, bluti-
ger Thaten und wilder Größe, vielleicht auch ſanfter
Liebe und edler Großmuth, zum Theil ihre ſichtli-
chen
Spuren, oder wo das nicht iſt, doch ihr ro-
mantiſch ungewiſſes Andenken, zurückgelaſſen haben
— und urtheile dann, mit welchem Gefühl ich mich
in die Lage des Mannes verſetzen konnte, dem ſolche
Erinnerungen des Lebens ſeiner Vorfahren durch die-
ſen Anblick täglich zurück gerufen werden, und der
noch immer daſſelbe Schloß des erſten Beſitzers der
Veſte Warwick bewohnt, deſſelben halb-fabelhaften
Guy, der vor einem Jahrtauſend lebte, und deſſen
verwitterte Rüſtung mit hundert Waffen berühmter
Ahnen in der alterthümlichen Halle aufbewahrt wird.
Giebt es einen ſo unpoetiſchen Menſchen, in deſſen
Augen nicht die Glorie dieſes Andenkens, auch den
ſchwächſten Repräſentanten eines ſolchen Adels, noch
heute umglänzte?


15*
[228]

Um Dir meine Beſchreibung wenigſtens einiger-
maſſen anſchaulich zu machen, füge ich einen Grund-
plan bei, der Deiner Einbildungskraft zu Hülfe kom-
men muß.


Den Fluß auf der andern Seite mußt Du Dir nun
noch tief unter dem Schloßplatz denken, und daß er
von den bisher beſchriebenen Stellen nicht geſehen
wird, ſondern erſt aus den Fenſtern des bewohnten
Schloßtheils, nach auſſen hin, (wie es das Kupfer
zeigt) zugleich mit dem herrlichen Park ſichtbar wird,
der überall durch Wald am Horizont geſchloſſen iſt,
was der Phantaſie ſo viel Spielraum läßt, und wie-
der für ſich eine neue höchſt romantiſche Ausſicht
bildet.


Nur über wenige Stufen tritt man vom Hofe
aus in die Wohnzimmer, zuerſt in einen Durchgang
und von da in die Halle, auf deren beiden Seiten
ſich die Geſellſchaftszimmer, 340 Fuß lang in unun-
terbrochener Reihe, ausdehnen. Obgleich faſt de plein
pied
mit dem Hofe, ſind dieſe Zimmer doch auf der
andern Seite mehr als 50 Fuß hoch über dem Avon
erhaben. Acht bis vierzehn Fuß dicke Mauern bilden
in jedem Fenſter, welche auch 10 — 12 Fuß breit
ſind, ein förmliches Cabinet, mit den ſchönſten man-
nigfaltigſten Ausſichten auf den unter ihnen wild-
ſchäumenden, weiterhin aber in ſanften Wendungen
den Park bis in düſtre Ferne durchſtrömenden Fluß.
War ich nun vorher, ſchon ſeit dem erſten Anblick
des Schloſſes, von Ueberraſchung zu Ueberraſchung
[]

[figure]

[][229] fortgeſchritten, ſo wurde dieſe, wenn gleich auf andre
Weiſe, faſt noch in den Zimmern überboten. Ich
glaubte mich völlig in verſunkene Jahrhunderte ver-
ſetzt, als ich in die gigantiſche baronial hall trat,
ganz wie ſie Walter Scott beſchreibt, die Wände mit
geſchnitzten Cederholz getäfelt, mit allen Arten rit-
terlicher Waffen angefüllt, geräumig genug um alle
Vaſallen auf einmal zu ſpeiſen, und ich dann vor
mir einen Camin aus Marmor erblickte, in dem ich
ganz bequem mit dem Hute auf dem Kopf, noch ne-
ben dem Feuer ſtehen konnte, das auf einem 300
Jahre alten eiſernen, ſeltſam geſtalteten Roſte, von
der Form eines Korbes, wie ein Scheiterhaufen auf-
loderte. Seitwärts war, der alten Sitte getreu, auf
einer Unterlage, gleichfalls von Cedernholz, mitten
auf dem ſteinernen Fußboden, den nur zum Theil
verſchloſſene hautelisse Teppiche deckten, eine Klafter
ungeſpaltenes Eichenholz aufgeſchichtet. Durch einen
in braun gekleideten Diener, deſſen Tracht, mit gold-
nen Kniegürteln, Achſelſchnüren und Beſatz hinläng-
lich alterthümlich ausſah, wurde von Zeit zu Zeit
dem mächtigen Feuer, vermöge eines drei Fuß lan-
gen Klotzes, neue Nahrung gegeben. Hier war über-
all der Unterſchied zwiſchen der ächten alten Feudal-
größe, und der nur in moderner Spielerei nachge-
ahmten eben ſo ſchlagend, als zwiſchen den bemoos-
ten Trümmern der verwitterten Burg auf ihrer Fel-
ſenſpitze, und der geſtern aufgebauten Ruine im Luſt-
garten eines reich gewordnen Lieferanten. Faſt alles
in den Zimmer war alt, prächtig und originell, nir-
[230] gends geſchmacklos, und mit der größten Liebe und
Sorgfalt unterhalten. Es befanden ſich die ſeltſam-
ſten und reichſten Zeuge darunter, die man jetzt gar
nicht mehr auszuführen im Stande ſeyn möchte, in
einer Miſchung von Seide, Sammt, Gold und Sil-
ber, alles durch einander gewirkt. Die Meubels be-
ſtanden faſt ganz, entweder aus alter außerordentlich
reicher Vergoldung, geſchnitztem braunen Ruß- und
Eichenholz, oder jenen alten franzöſiſchen mit Meſ-
ſing ausgelegten Schränken und Commoden, deren
eigner Name mir eben nicht beifällt. Auch waren
viele herrliche Exemplare von Moſaik, wie von aus-
gelegten koſtbaren Hölzern vorhanden. Ein Camin-
ſchirm mit ſchwerem goldnen Rahmen, beſtand aus
einem einzigen ſo klaren Glaſe, daß es völlig mit der
Luft zuſammenfloß. Ein ſolcher Schirm hat das An-
genehme, daß man, am Kamin ſitzend, das Feuer
ſieht, ohne es ſengend am Geſicht zu fühlen. In
dem einen Zimmer ſteht ein Staatsbett, von der Kö-
nigin Anna einer Gräfin von Warwick geſchenkt, noch
immer wohl erhalten, von rothem Sammt mit grün
und blauer Seide geſtickt. Die Kunſtſchätze ſind un-
zählbar, und die Gemälde, unter denen ſich auch nicht
ein mittelmäßiges befand, ſondern die faſt alle von
den größten Meiſtern ſind, haben überdem zum Theil
ein ganz beſonderes Familien-Intereſſe, da ſehr viele
Portraits der Ahnen ſich darunter befinden, von der
Hand Titian’s, Vandyk’s und Ruben’s gemalt. Der
größte Schatz, und zwar ein unſchätzbarer, iſt eins
der bezauberndſten Bilder Raphaels, die ſchöne Jo-
[231] hanna von Arragonien (eine nicht genau hiſtoriſch
auszumittelnde Perſon) von der es, ſeltſam genug,
vier Bilder giebt, alle höchſt vortrefflich, und die
alle für das ächte Original ausgegeben werden, drei
davon jedoch ohne Zweifel Copien ſeyn müſſen, dem
Vorbilde aber ſo gut wie gleich geworden ſind. Das
eine iſt in Paris, das andere in Rom, das dritte in
Wien, das vierte hier. Ich kenne ſie alle vier, und
muß unbedingt dem hieſigen den Vorzug geben. Es
liegt ein Zauber in dieſem herrlichen Weibe, der nicht
auszuſprechen iſt! Ein Auge, das in die Tiefen der
Seele führt, königliche Hoheit, verbunden mit der
weiblichſten Liebesempfänglichkeit, wollüſtiges Feuer
im Blick, zugleich mit ſüßer Schwermuth gepaart,
dabei eine ſchwellende Fülle des ſchönſten Buſens,
eine durchſichtige Zartheit der Haut, und eine Wahr-
heit, Glanz und Grazie der Gewänder, wie des
ganzen Schmucks der Bekleidung — ſo, wie es nur
ein ſo göttliches Genie in himmliſcher Schöpferkraft
vollſtändig hervorrufen konnte.


Zu den intereſſanteſten Portraits, die das hiſtori-
ſche Intereſſe, welches man an den Perſonen
nimmt, noch erhöht, gehören Folgende:


Zuerſt Machiavell, von Titian. Ganz, wie ich mir
ihn gedacht. Ein feines und kluges, und doch dabei
leidendes Geſicht, wie trauernd über die ſo tief er-
kannte, nichtswürdige Seite des menſchlichen Ge-
ſchlechts, jene hündiſche Natur, die nur liebt, wenn
[232] ſie getreten wird, nur folgt, wo ſie fürchtet, nur
treu iſt, wo ſie Vortheil davon hat. Ein Zug mit-
leidigen Spottes umſchwebt die ſchmalen Lippen,
während das dunkle Auge nachdenkend in ſich ſelbſt
hineinzuſchauen ſcheint.


Es däucht Einem im erſten Augenblick ſonderbar
und auffallend, daß dieſer große und klaſſiſche Schrift-
ſteller ſo lange auf die abgeſchmackteſte Weiſe miß-
verſtanden worden iſt, entweder als ein moraliſches
Scheuſal geſchildert (und wie albern iſt in dieſer Hin-
ſicht die Refutation Voltaire’s) oder gar die aben-
teuerliche Hypotheſe aufgeſtellt, daß ſein Buch eine
Satyre ſey! Bei näherer Betrachtung erlangt man
indeß bald die Ueberzeugung: daß nur die neuere Zeit,
welche endlich anfängt, die Politik aus einem höhern,
wahrhaft menſchlichen Geſichtspunkte zu verſtehen
und zu behandeln, Machiavells Fürſten richtig beur-
theilen konnte.


Dieſer tiefe und ſcharfſinnige Geiſt giebt wirklich
den Fürſten der Willkühr — ſo nenne ich aber alle
die, welche ſich nurpar la grâce de Dieu, um ihrer
ſelbſt willen, Fürſten glauben, alle Eroberer, auch
alle Glückspilze der Geſchichte, denen durch ein blin-
des Ohngefähr Völker geſchenkt wurden, die ſie für
ihr Eigenthum anſahen — dieſer Art Fürſten alſo,
ſage ich, giebt er die einzige und wahre Weiſe an,
wie ſie prosperiren, die einzigen erſchöpfenden Re-
geln, die ſie befolgen müſſen, um ihre, von Haus
aus auf dem Boden der Sünde und des Irrthums
[233] erwachſene Macht erhalten zu können. Sein Buch
iſt und bleibt für ewige Zeiten das unübertreffliche,
das wahre Evangelium für Solche, und wir Preußen
insbeſondere mögen uns Glück wünſchen, daß in
neueſter Zeit Napoleon ſeinen Machiavell ſo ſchlecht
inne hatte, weil wir ſonſt wohl noch unter ſeinem
Joche ſeufzen möchten!


Wie herrlich geht aber über dieſen Abgrund, dem
ſeine relative Wahrheit nicht abzuſtreiten iſt, die
Sonne des repräſentativen Volksfürſten neuerer Zeit
auf! Wie nichtig wird dann, von dieſer Baſis aus-
gehend, das ganze Gebäude der Finſterniß, welches
Machiavell ſo meiſterhaft entwickelt, und ſinkt vor
ihren Strahlen in nichts zuſammen, denn es braucht
ja nun weder mehr der Liſt und Unwahrheit, noch
der deſpotiſchen Gewalt und Furcht, um zu regieren.
Humanität und Recht tritt, hundertmal mächtiger
und wohlthätiger für Fürſt und Völker, an die Stelle
jenes trüben Glanzes, und dem fortwährenden Kriege
folgt einſt ein ewiger Frieden! Dies aber fühlte und
ahnete, und wünſchte Machiavell, und gar viele
Stellen ſeines Buchs deuten deutlich darauf hin, un-
ter andern, wenn er ſagt: „Wer eine freie Stadt
erobert hat, dem bleibt kein ſicheres Mittel, ſie
zu behalten, als ſie zu zerſtören, oder ihre Einwoh-
ner zu erneuen; denn keine Wohlthat des Souverains
wird ſie ihre verlorne Freiheit vergeſſen
laſſen
.“


[234]

Indem er endlich unumſtößlich beweiſet, daß man
ſich nur durch Nichtachtung aller Moral (und was
war bis jetzt, beinahe anerkannt, die Politik anders)
auf einer ſolchen Stufe willkührlicher Macht erhalten
könne, und den Fürſten ernſtlich dieſe Lehre gab,
zeigt er auch zugleich nur zu deutlich: daß die ganze
Geſellſchaft damals ein Prinzip des Verderbens in
ſich trug, bis zu deſſen Erkenntniß und Beſeitigung
kein wahres Glück der Völker, keine wahre Civiliſa-
tion möglich war. Die Revolutionen neuerer Zeiten
und ihre Folgen haben endlich der Menſchheit die
Augen geöffnet, und ſie wird ſie nicht wieder ſchließen!


Der Herzog Alba, von Titian. Höchſt ausdrucks-
voll, und, wie ich glaube, treu, denn dieſer Mann
war keineswegs eine blos grauſame und finſtere Car-
rikatur. Ernſt, fanatiſch, ſtolz, aber feſt wie Eiſen,
praktiſch, die Idee eines unerſchütterlichen, treuen
Dieners aufſtellend, der, einmal den Auftrag ange-
nommen, nun weder rechts noch links mehr abweicht,
ſeines Herrn und ſeines Gottes Willen blind zu er-
füllen ſtets bereit iſt, und nicht darnach fragt, ob
Tauſende dabei in Martern untergehen; mit einem
Wort, ein kräftiger, nicht unedler, aber beſchränkter
Geiſt, der Andere für ſich denken läßt, und für
fremde Autorität handelt.


Heinrich VIII. mit Anna Bullen, von Holbein *).
[235] Der König in prachtvoller Kleidung, ein fetter, et-
was Fleiſcherartig ausſehender Herr, bei dem Wol-
luſt, Schlauheit, Grauſamkeit und Kraft in einer
furchtbar behaglichen, und faſt jovialen Phyſiognomie
hervorherrſchen! Man ſieht bei alle dem, daß ein
ſolcher Mann zittern machen, und dennoch an ſich
feſſeln kann. — Anna Bullen iſt eine freundlich un-
bedeutende, beinahe etwas dumm erſcheinende, ächt
engliſche Schönheit, von einer Geſtalt, wie man ſie
auch heute, nur in anderm Koſtüme, noch häufig
hier antrifft!


Cromwell, von van Dyk. Ein herrlicher Kopf.
Etwas von dem bronznen Gladiatoranſehen Napo-
leons, aber mit viel gemeinern Zügen, hinter denen
jedoch, wie hinter einer Maske, eine große Seele
dämmert. Schwärmerei iſt faſt zu wenig darin aus-
gedrückt, dagegen eine beinahe ehrlich ſcheinende, und
deſto betrügendere Liſt im Auge, aber doch nirgends
eine Spur von Grauſamkeit, die man auch dem Pro-
tektor wohl nicht vorwerfen kann, da ſelbſt die Hin-
richtung des Königs zwar eine grauſame Handlung
war, in Cromwells Gemüth aber nur wie eine ihm
unumgänglich nothwendige politiſche Operation er-
ſchien, keineswegs aber in Freude am Blutvergießen
ihren Grund fand. Unter Cromwells Bilde hängt
ſein eigner Helm.


*)


[236]

Prinz Rupert, von van Dyk. Ganz der kühne Sol-
dat, jeder Zoll ein Cavalier! Du weißt, daß die
Anhänger des Königs ſich damals ausſchließend „Ca-
valiere“ nannten. Ich meine jetzt aber damit den
Vornehmen und Ritterlichen. Ein ſchönes, den Wei-
bern wie dem Feinde gefährliches Geſicht, und eine
maleriſche Kriegertracht und Haltung.


Eliſabeth, von Holbein. Das beſte, und vielleicht
ähnlichſte Bild, was ich bis jetzt von ihr geſehen.
Sie iſt in ihrer Blüthe dargeſtellt, ziemlich widerlich
weiß, mit ſehr blaßröthlichen Haaren. Die Augen
etwas Albinosartig, faſt ohne Augenbraunen. Das
viele Weiße darin giebt ihnen, trotz ihrer künſtlichen
Freundlichkeit, einen falſchen Ausdruck. Man glaubt
zu entdecken, daß heftige Begierden und beharrliche
Leidenſchaften unter dieſer blaſſen Hülle verborgen
ſind, wie ein Vulkan unter dem Schnee, und erblickt
hinlänglich jene eitle Sucht, zu gefallen, in der über-
reichen, mit Zierrathen überladenen Kleidung. Ganz
anders, ſtreng, hart und gefährlich zu nahen, erſcheint
ſie in den Bildern ihres ſpätern Alters, aber auch
da immer noch gleich übertrieben geputzt.


Maria von Schottland. Wahrſcheinlich im Gefäng-
niß und kurz vor ihrem Tode gemalt; denn ſie hat
hier das Anſehn einer vierzigjährigen Matrone. Noch
immer eine gediegene Schönheit, aber nicht mehr die
leichtſinnige, Leben und Reize üppig genießende Ma-
ria, ſondern ſichtlich geläutert durch Unglück, ernſten
[237] Ausdrucks, Schillers Maria, eine edle Natur, die
ſich endlich ſelbſt wiedergefunden hat! Es iſt eins
der ſeltneren Bilder dieſer vielbeweinten Königin, die
man ſonſt immer jung und glänzend geſchildert zu
ſehen gewohnt iſt.


Ignaz Loyola, von Rubens. Ein ſehr ſchön ge-
maltes, großes Bild, dem man es indeſſen anmerkt,
daß es nur eine Fiktion, und kein Portrait iſt.
Der heilige, ganz gewöhnliche geiſtliche Ausdruck iſt
nichtsſagend, und das Colorit daran bei weitem
das Schönſte.


Doch ich würde nicht aufhören, wenn ich die ganze
Gallerie durchgehen wollte. Alſo laß Dich in das
letzte Kabinet führen, wo ſich noch eine ſchöne Samm-
lung von Majolica und Email, größtentheils nach
Zeichnungen von Raphael, befindet, ſo wie eine Mar-
morbüſte des ſchwarzen Prinzen, eines derben Sol-
daten mit Kopf und Fauſt, aus einer Zeit, wo die
letzte allein oft ſchon zu großem Ruhme hinlänglich
war. Viele koſtbare etruskiſche Vaſen, nebſt andern
Kunſtwerken, dienen den verſchiedenen Zimmern,
auſſer den Gemälden und Antiken, zum Schmuck,
und es iſt ſehr zu loben, daß ſie hierzu verwandt,
und nicht in einer Galerie als todte Maſſe zuſam-
mengehäuft ſind! Es wurde mir als eine Merkwür-
digkeit der genauen und feſten Bauart des Schloſſes
gezeigt, daß ohngeachtet ſeines Alters, wenn alle
Thüren der Enfilade geſchloſſen ſind, man aus dem
letzten Kabinet, die ganze Weite von 350 Fuß ent-
[238] lang, durch die Schlüſſellöcher eine am andern
Ende gerade in der Mitte ſtehende Büſte erblicken
kann! In der That eine merkwürdige Genauigkeit,
die unſere Handwerker ſobald noch nicht begreiflich
oder gar ausführbar finden werden! Obgleich, wie
ich Dir erzählte, ſchon die Wände der Halle mit ei-
ner Unzahl von Waffen bedeckt ſind, ſo befindet ſich
doch auch noch eine eigene Rüſtkammer im Schloſſe,
die auſſerordentlich reich iſt. Hier wird unter andern
Lord Brooks lederner, noch mit ſchwarz gewordnem
Blut befleckter Koller aufgehoben, in dem dieſer
nicht unberühmte Vorfahr der jetzigen Grafen, in
der Schlacht von Lichfield getödtet wurde. In der
einen Ecke des Zimmers liegt ein ganz eigenthümli-
ches Kunſtwerk, von ſehr heterogener Natur mit den
Uebrigen, eine in Eiſen gegoſſene Meerkatze, aber von
einer Vollkommenheit und Abandon in ihrer Stel-
lung und ihren Gliedern, die die Natur ſelbſt erreicht.
Es that mir ſehr leid, nicht von der Caſtellanin er-
fahren zu können, wer das Modell zu dieſem Guſſe
gemacht. Es muß ein bedeutender Künſtler geweſen
ſeyn, der alle Affengrazie und Gelenkigkeit, in dieſer
Stellung, welche in der behaglichſten Faulheit ſchwelgt,
mit ſo viel Wahrheit auszudrücken vermochte.


Ehe ich von dem prachtvollen Warwick ſchied, be-
ſtieg ich noch den höchſten der beiden Thürme, und
genoß dort eine ſchöne und reiche Ausſicht nach allen
Seiten hin bei ziemlich hellem Wetter. Weit ent-
zückender als dieſes Panorama war aber der lange
[239] Spaziergang in den Gärten, die das Schloß von
zwei Seiten umgeben, und in ruhiger Größe dem
Charakter deſſelben ganz angemeſſen ſind. Die Höhe
und Schönheit der Bäume, wie die Ueppigkeit der
Vegetation und des Raſens kann nirgends übertrof-
fen werden, während eine Menge rieſenmäßiger Ce-
dern (vom Libanon genannt), und die ſich jeden Au-
genblick neu geſtaltenden Anſichten der majeſtätiſchen
Burg — in deren hohen Zinnen transparente Kreu-
zesformen, den Lichtſtrahlen ein immer wechſelndes
Spiel gewähren — einen ſolchen Zauber über das
Ganze webten, daß ich mich nur mit Gewalt davon
losreißen konnte. Wir gingen bis zum anbrechenden
Mondſchein, der alles noch gigantiſcher erſcheinen
ließ, in den dunkelnden Gängen umher, und konn-
ten deßhalb nur bei Laternenlicht die berühmte coloſ-
ſale Warwick-Vaſe, welche mehrere hundert Gallonen
Waſſer enthalten kann, und mit der ſchönſten Arbeit
geziert iſt, ſo wie die Alterthümer beſehen, welche
in der Loge des Pförtners aufbewahrt werden, und
hauptſächlich in den antediluvianiſchen Stierhörnern
und Eberzähnen beſtehen, die man Thieren zuſchreibt,
welche der fabelhafte Ahnherr der erſten Grafen von
Warwick, Guy, aus der Sachſenzeit, erlegt haben
ſoll. Die Dimenſionen ſeiner, ebenfalls hier aufbe-
wahrten Waffen, verrathen einen Rieſen von größe-
ren Kräften, als ſie jetzt die Natur hervorbringt.


Hier nahm ich endlich zögernden Abſchied von War-
wick-Caſtle, und legte die Erinnerung wie einen
[240] Traum erhabener Vergangenheit an mein Herz, und
mir war in dem dämmernden Mondenlicht wie einem
Kinde, dem ein phantaſtiſches Rieſenhaupt aus ferner
Zeit über den Wipfeln des Waldes freundlich zu-
genickt.


Mit ſolchen Phantaſieen, gute Julie, will ich ein-
ſchlummern, und dem Morgen wieder entgegentreten,
der mir auch Romantiſches beut — die Ruinen von
Kenilworth!



Ich fahre in meiner Erzählung fort. Der Badeort
Leamington (car il faut pourtant que j’en dise
aussi quelque chose)
beſtand vor dreißig Jahren noch
aus einem kleinen Dorfe, und bildet jetzt ſchon eine
reiche und elegante Stadt, die 10 — 12 Pallaſtartige
Gaſthöfe, vier große Badehäuſer mit Colonnaden und
Gärten, mehreren Leſebibliotheken, die mit Spielzim-
mern, Billard-, Concert und Tanzſälen (wovon ei-
ner für 600 Perſonen) verbunden ſind, und einer
Unzahl von Privathäuſern, die blos zum Gebrauch
der Badegäſte dienen, und fortwährend wie Pilze
aus der Erde wachſen. Dergleichen iſt hier Alles im
coloſſalen Maaßſtabe, obgleich die Wäſſer eigentlich
ſehr unbedeutend ſind, etwas ſchwefel- und ſalzhaltig.
Man benutzt daſſelbe Waſſer zum Baden und Trin-
[241] ken, und noch jetzt wimmelte es von Badegäſten.
Die Bäder ſind ſo geräumig wie die engliſchen Bet-
ten, in den Boden eingelaſſen, oben mit Eiſenplatten
umlegt, und durchaus mit Porzellaintafeln ausge-
füttert. An den Seiten haben ſie noch beſondere
Sitze.


Eine elegante und ſehr bequem zu applizirende
Douche, nebſt einer nützlichen Maſchine, um unbe-
hülfliche Kranke auf ihren Stuhl mit leichter Mühe
in ihren Bereich zu bringen, verdiente auch bei uns
Nachahmung. R .. nahm eine Zeichnung davon.
Die Trinkanſtalt befand ſich in einem Saale von der
Größe eines Exercierhauſes, um ſich hinlängliche Mo-
tion darin machen zu können, und die Röhren aus
dem das Waſſer floß, wie die Hähne zum Drehen,
waren, ſo weit ſie ſichtbar wurden, aus maſſivem
Silber. Das Waſſer ſelbſt ſchmeckte, wie alle Schwe-
felwäſſer, faulig und fatal.


Nicht weit von Leamington, und eine Stunde von
Warwick, befindet ſich ein höchſt lieblicher und reizen-
der Ort, Guy’s Cliff genannt, deſſen kleines Schloß
theilweiſe eben ſo alt als Warwick Caſtle iſt. Darun-
ter ſieht man in den pittoresken Felſenufern des Avon
eine tiefe Höhle, in welche ſich, der Sage nach, der
geſtern ſo oft erwähnte Guy von Warwick, nach vie-
len großen Thaten im In- und Auslande, heimlich
begab, um ſein Leben in frommer Contemplation zu
beſchließen.


Briefe eines Verſtorbenen. III. 16
[242]

Nach zwei Jahren ununterbrochener Nachforſchun-
gen ſeiner troſtloſen Gemahlin fand dieſe einſt ſelbſt
auf der Jagd ihn hier todt in ſeiner Höhle liegen,
und ſtürzte ſich aus Verzweiflung über die Felſen
hinab in den Avon, wo ſie ſchnellen Troſt im Tode
fand. Auf derſelben Stelle wurde ſpäter zum An-
denken dieſer tragiſchen Begebenheit eine geräumige
Kapelle in den Felſen gehauen, die noch beſteht, und
mit der Statue Guy’s von Heinrich III. geziert ward.
Dieſe letztere aber iſt leider von Cromwells Truppen
ſpäter ſo mütilirt worden, daß ſie nur noch einem
unförmlichen Blocke ähnlich ſieht. Gegenüber der
Kapelle ſind 12 Mönchszellen in den Felſen gehauen,
die jetzt zu Ställen dienen; mit der innerlich ganz
renovirten Kapelle aber iſt das Schloß des Beſitzers
verbunden worden, von dem ein Theil gothiſch, und
viele hundert Jahre alt, ein zweiter in ſpäterer Zeit
im alt italiäniſchen Geſchmack, und ein dritter ganz
neu, mit dem gothiſchen älteſten Theile gleichartig
aufgebaut iſt. Das Ganze zeigt ſich äuſſerſt maleriſch,
und eben ſo geſchmackvoll und anſprechend iſt das Innere
eingerichtet. Beſonders fand ich das größere Geſell-
ſchaftszimmer mit zwei großen herausſpringenden Fen-
ſtererkern höchſt freundlich. Das eine dieſer Fenſter ſteht
auf dem, 30 Fuß ſenkrecht hinabſinkenden Felſen,
gerade über dem Fluſſe, der nahe dem Schloſſe eine
lieblich geformte Inſel bildet, hinter welcher ſich eine
weite Ausſicht auf üppige Wieſen, ſchöne Bäume,
und im Hintergrunde ein im Walde halb verſtecktes
Dorf ausbreitet. Seitwärts ſah man, ohngefähr in
[243] einer Entfernung von 1000 Schritten, eine uralte
Mühle, welche ſchon zur Zeit des Einfalls der Nor-
mannen exiſtirt haben ſoll. Ein wenig weiter ſchloß
ſich das Bild mit einem bebuſchten Hügel, noch im
Bereich des Parks, auf dem ein hohes Kreuz die
Stelle anzeigt, wo Gaveſton, der berüchtigte Lieb-
ling Eduard III., nachdem er von den rebelliſchen
Großen, namentlich Warwick und Arundel gefangen
worden war, ohne Erbarmen hingerichtet wurde.
Alle dieſe Erinnerungen, mit ſo viel Naturſchönhei-
ten vereinigt, machen einen großen Eindruck. Das
andere Fenſter bot dagegen den vollſtändigſten Con-
traſt mit dem erſten dar. Es ging zu ebner Erde
auf, und zeigte nichts als einen ſehr niedlichen, von
hohen Bäumen umſchloſſenen, franzöſiſchen Blumen-
garten, in dem bunte Porzellainſtückchen und farbi-
ger Sand mit den Blumen abwechſelten, gegenüber
eine herrliche mit Epheu übervoll umrankte Allee, in
ſpitzen Bogen ausgeſchnitten. Im Zimmer ſelbſt
brannte ein behagliches Kaminfeuer, ausgezeichnete
Gemälde ſchmückten die Wände, und viele Sophas
von verſchiedenen Formen, ſo wie Tiſche mit Curio-
ſitäten bedeckt, und in angenehmer Unordnung zer-
ſtreute Meubles ließen Alles auf’s wohnlichſte und
anmuthigſte erſcheinen.


Ich kehrte von hier noch einmal nach der Stadt
Warwick zurück, um die dortige Kathedrale zu beſu-
chen, und die Kapelle, mit des großen Königsentthro-
ners Beauchamp’s Grab-Monument, das er ſich ſelbſt
16*
[244] noch bei Lebzeiten ſetzen ließ, und auch darunter ruht.
Seine Statue von Metall liegt oben auf dem Sar-
kophage, mit einem Adler und einem Bären zu ſei-
nen Füßen. Der Kopf iſt ſehr ausdrucksvoll und na-
türlich. Er faltet nicht die Hände, wie es ſonſt bei
den alten Ritterſtatuen faſt immer der Fall iſt, ſon-
dern erhebt ſich blos etwas gegen den Himmel, wie
einer, der nicht eben beten will, ſondern nur den
lieben Gott mit ſchuldiger Höflichkeit willkommen
heißen, wozu er zwar den Kopf geneigt hat, aber
keineswegs demüthig ausſieht! Rund an den Sei-
ten des Steinſarges ſind die bunt bemalten Wappen
aller ſeiner Herrſchaften angebracht, und ein unge-
heures Schwerdt liegt ihm noch drohend zur Seite.
Die herrlichen bunten Fenſter, und die vielfachen,
wohl erhaltenen und reich vergoldeten Zierrathen ge-
ben dem Ganzen ein ungemein feierliches Anſehn.


Unglücklicher Weiſe hat man vor 150 Jahren einer
Familie aus der Stadt erlaubt, gerade unter dem
größten, dem Eingang gegenüber ſtehenden Fenſter,
ein Monument für, ich weiß nicht welchen Landjun-
ker aus ihrem Hauſe, aufzuführen, welches die ganze
Wand einnimmt, und der ſchönen Einheit des Gan-
zen durch ſeine abſcheulichen modernen Schnörkel ei-
nen wahren Schandfleck aufdrückt.


An der Seitenwand ſteht, oder liegt vielmehr auf
ſeinem Sarge, in Stein gehauen ein anderer Ein-
dringling, aber von beſſerem Schroot und Korn; denn
es iſt kein Geringerer als der mächtige Graf von Lei-
[245] ceſter, noch in mittleren Jahren abgebildet; wie es
ſcheint, ein ſchöner, vornehm und ſtolz ausſehender
Mann, doch ohne die Genialität in ſeinen Zügen, die
des großen Warwicks metallnes Bild ſo ſprechend
ausdrückt.


Wenige Poſten von Leamington in einer immer
einſamer und dürftiger werdenden Gegend liegt Ke-
nilworth.


Mit W. Scotts anziehendem Buche in der Hand,
betrat ich die, ſo mannigfaltige Gefühle hervorrufende
Ruine. Sie nimmt einen Raum von mehr als einer
Viertelſtunde Umfang ein, und zeigt, obgleich in
ſchnellem Verfall, noch viele Spuren großer einſtiger
Pracht. Der älteſte Theil des Schloſſes, der 1120
erbaut wurde, ſteht noch am feſteſten, während Graf
Leiceſters neu hinzugefügte Gebäude ſchon faſt der
Erde gleich ſind. Der weite See, der damals das
Schloß umgab, und um welchen ſich ein Park von
30 engliſchen Meilen Umfang ausbreitete, iſt unter
Cromwell ausgetrocknet worden, in der Hoffnung,
verſenkte Schätze darin aufzufinden, und auch der
Park längſt verſchwunden, und jetzt in Felder umge-
wandelt, auf welchen man einzelne Hütten zerſtreut
erblickt. Ein frei ſtehender und abgelegener Theil
der Schloßgebäude, den Schlingpflanzen aller Art
faſt verbergen, iſt zu einer Art Vorwerk umgewan-
delt, und die ganze Gegend hat ein ärmeres, ver-
laſſeneres und melancholiſcheres Anſehn, als irgend
ein Theil des Landes, den wir bisher durchfuhren.
[246] Doch iſt dieſer öde Charakter dem Ganzen nicht un-
angemeſſen, und erhöht vielleicht noch den wehmüthi-
gen Eindruck ſo tief gefallner Größe.


Noch ſteht der Söller, Eliſabeths Bower genannt,
und die Sage geht bei den Landleuten, daß oft bei
mondhellen Nächten eine weiße Geſtalt dort geſehen
worden ſey, ſtumm und ſtill in die Tiefe hinabſchauend.
Die Rudera der Bankethalle mit dem Rieſen-Kamin,
der weitläuftigen Küche und den Weinkellern darun-
ter, ſind noch deutlich zu erkennen, ja manches ein-
ſame Zimmerchen mag noch in den Thürmen wohl
erhalten ſeyn, wohin ſchon längſt kein Zugang mehr
führt. Die Phantaſie ergötzt ſich, aus dem noch Be-
ſtehenden die Vergangenheit zu errathen, und oft
träumte ich, bei dem Umherklettern zwiſchen den
Trümmern, jetzt die Stelle aufgefunden zu haben,
wo der ſchändliche Vernon die treueſte und unglück-
ſeligſte der Gattinnen in ewige Nacht verrätheriſch
hinabſtieß! Doch gleich vergeſſen ſind jetzt Verbrechen
wie Großthaten, die innerhalb dieſer Mauern geſcha-
hen; über ſie hat längſt die Zeit ihren Alles bedecken-
den Schleier gelegt, und dahin ſind die ewig ſich
wiederholenden Leiden und Freuden, die vermoderte
Pracht und das vergängliche Streben.


Der Tag war trübe, ſchwarze Wolken rollten am
Himmel, hinter denen ſelten ein gelber, fahler Schein
hervorbrach, der Wind flüſterte im Epheu, und pfiff
hohl durch die leeren Fenſter, hie und da zuweilen
einen loſen Stein von den zerbröckelten Mauern ablö-
[247] ſend, und mit Gepraſſel in den Burgwall herunter
ſchleudernd. Kein menſchliches Weſen ließ ſich ſehen;
alles war einſam, ſchauerlich, ein düſtres, aber er-
habnes Denkmal der Vernichtung.


Solche Augenblicke ſind eigentlich tröſtend! Man
fühlt lebhafter als ſonſt, daß es nicht der Mühe werth
iſt: ſich über irdiſche Dinge zu grämen, da die Sorge
wie das Glück nur eine Spanne Zeit dauert. — Auch
mich ergriff noch heute der ewige Wechſel des Men-
ſchenlebens, und verſetzte mich am Abend, im ſchreien-
den Contraſt mit der lebloſen Ruine, in das proſai-
ſche Gewühl einer nur mit Gewinn beſchäftigten
Menge, in die dampfende, rauchende, wimmelnde
Fabrikſtadt Birmingham. Der letzte romantiſche An-
blick für mich waren die Feuer, welche bei der anbre-
chenden Dunkelheit die Stadt auf allen Seiten aus
den langen Eſſen der Eiſenhämmer umleuchteten, dann
entſagte ich den Spielen der Phantaſie bis auf geleg-
nere Zeit.



Birmingham iſt eine der anſehnlichſten und zugleich
häßlichſten Städte Englands. Sie zählt 120,000 Ein-
wohner, wovon gewiß zwei Drittel Fabrikarbeiter ſind,
auch gewährt ſie nur den Anblick eines unermeßlichen
Atteliers.


[248]

Ich begab mich ſchon nach dem Frühſtück in die
Fabrik des Herrn Thomaſſon, unſers hieſigen Con-
ſuls, der zweiten an Größe und Umfang; denn die
anſehnlichſte von allen, wo 1000 Arbeiter täglich be-
ſchäftigt ſind, und wo von der Dampfmaſchine zu 80
Pferden Kraft bis zum Livreeknopfe und der Steck-
nadel unzählige Gegenſtände verfertigt werden, iſt
ſeit dem Beſuch der öſtreichiſchen Prinzen (deren Ge-
folge einige wichtige Geheimniſſe erlauſcht haben ſoll)
für jeden Fremden ohne Ausnahme hermetiſch ver-
ſchloſſen worden.


Ich hielt mich hier, obgleich in abſcheulichen, ſchmu-
zigen und ſtinkenden Löchern, die zu den verſchiedenen
Atteliers dienten, doch mit vielem Intereſſe mehrere
Stunden auf, und machte ſelbſt einen Knopf, den
Dir R … als ein Zeichen meines Fleißes mitbrin-
gen ſoll.


Im untern Stock ſind in beſſerem Lokale alle die
Erzeugniſſe ausgeſtellt, welche die Fabrik liefert, von
Gold, Silber, Bronze, plattirten und Lackwaaren
(die in ihrer Nachahmung die chineſiſchen Originale
ſelbſt übertreffen) Stahlſachen in jeder Geſtalt u. ſ. w.
in einer Menge und Eleganz geordnet, die wirklich
Staunen erregt. Unter andern ſah man hier eine
Copie der geſtern beſchriebenen ungeheuren Warwick-
Vaſe, von derſelben Größe wie das Original, in
Bronze gegoſſen, welche 4000 £. St. koſtete, ſo wie
prachtvolle Tafelſervice in Silber und plate, welches
letztere jetzt auf eine Art gearbeitet wird, daß man
[249] es von keiner Seite mehr vom Silber unterſcheiden
kann, daher auch ſelbſt die Großen gar häufig plate
mit Silber vermiſchen, wie die Pariſer Damen fal-
ſche Steine und Perlen mit ächten.


Eine Menge neue und angenehme Erfindungen des
Luxus lernte ich im Kleinen und Großen hier kennen,
und widerſtand auch nicht ganz der Kaufluſt, die hier
ſo viel Nahrung findet, doch beſchränkte ich mich blos
auf Kleinigkeiten, die in einer wohlverpackten Kiſte
nächſtens bei Dir ankommen werden.


Die Eiſenwerke mit ihren rieſenhaften Dampfma-
ſchinen, die Nadelfabriken, die Stahlfabrikation, wo
man von der kleinſten Scheere bis zum größten Ka-
min, und ganzen hell wie Spiegel polirten Treppen,
alle dazwiſchen liegende Nüancen aufgehäuft findet —
alles das zu ſehen füllt einen Tag recht angenehm
aus, doch erlaß mir die nähere Beſchreibung, ce n’est
pas mon metier.



Da heute am Sonntage die Fabriken Ruhe haben,
machte ich eine Excurſion nach Astonhall, dem Land-
ſitze des Herrn Watt, wo zwar für die Gärtnerei ſich
wenig Ausbeute zeigte, in dem alten Schloſſe ſich aber
viele curieuſe Portraits befinden. Leider konnte mir
ein unwiſſender Portier nur über wenige Auskunft
geben.


[250]

Aeußerſt ſchön war ein Bild in Lebensgröße von
Guſtav Adolph. Die Freundlichkeit, Würde und Klug-
heit, die klaren, biedern, und doch mehr als das noch
ſagenden Augen, und die ſanfte, aber nicht weniger
feſte Sicherheit in ſeiner ganzen Erſcheinung waren
höchſt anziehend. Daneben ſtand eine treffliche Büſte
Cromwells, die ich noch für ähnlicher halten möchte,
als das Gemälde in Warwick, weil ſie dem hiſtori-
ſchen Charakter angemeſſener iſt. Grobe, und wenn
man will, gemeine Züge, aber eine Felſennatur im
ganzen Antlitz, hier deutlich verſchwiſtert mit jener
finſtern Schwärmerei und dömoniſchen Liſt, die den
Mann ſo treu charakteriſiren.


Zwei Kanonenkugeln, die Cromwell in das Schloß,
welches damals feſt war, werfen ließ, und die das
Treppengeländer an zwei Stellen zerſchmetterten, wer-
den ſorgfältig auf dem Fleck gelaſſen, wo ſie hinfielen,
und das Geländer wird nicht reparirt, obgleich es
ſeitdem, alberner Weiſe, ſammt dem zerſtörten Theile
mit weißer Oelfarbe neu angeſtrichen worden iſt.


Um den morgenden Tag nicht auch zu verlieren, da
außer den Fabriken hier nichts zu ſehen iſt, denke ich
heute Abend noch, und die Nacht durch, nach Cheſter
zu fahren. Dort wollen wir morgen Eaton, den be-
rühmten Park des Lord Grosvenor ſehen, von dem
ich Dir ſchrieb, daß Bathiany mir eine ſo prächtige
Beſchreibung gemacht hätte, und der nach Allem, was
ich höre, gewiß erreicht, was Geld erlangen kann.
Uebermorgen komme ich dann wieder hierher, beſehe
[251] die übrigen Fabriken und gehe dann über Oxford zu-
rück, in deſſen Nähe zwei der größten Parks in Eng-
land, Blenheim und Stowe, nebſt mehreren Andern
noch mit beſucht werden ſollen.



Wieder ein Jahr dahin! keines der ſchlechteſten für
mich, außer der Trennung von Dir. Ich hatte die
Leſelampe im Wagen angezündet, und durchlief be-
haglich den neueſten Roman der Lady Morgan, wäh-
rend wir im Gallop in der Ebene dahinrollten. So
wie der Zeiger ſeiner Uhr auf 12 ſtand, gratulirte
mir R .... für mich und Dich zum neuen Jahr.
Zwölf Stunden ſpäter erreichten wir Cheſter, eine
alterthümliche barokke Stadt.


Obgleich wir die 19 deutſche Meilen von Birming-
ham hierher in 13 Stunden zurücklegten, ſo finde ich
doch, daß in England wie in Frankreich, je mehr man
ſich von der Hauptſtadt entfernt, eine allmählige Ab-
nahme in vielem Guten ſtattfindet, die Gaſthöfe we-
niger vorzüglich, die Poſtpferde ſchlechter, die Poſtil-
lons ſchmutziger, die Kleidung der Leute überhaupt
unanſehnlicher, und das vielfach ſich drängende Leben
einſamer wird. Dabei nimmt die Theurung im um-
gekehrten Verhältniſſe zu, und man iſt einzelnen
Prellereien unterworfen, die in größerer Nähe Lon-
dons wegen der ſtarken Concurrenz faſt nie vorfallen.


[252]

Das Wetter war uns im neuen Jahre noch un-
günſtiger als im vorigen. Es regnete den ganzen
Tag. Wir eilten, ſobald ich ein wenig Toilette ge-
macht hatte, die Wunderdinge von Eaton hall zu ſe-
hen, von denen ich jedoch keine zu große Erwartung
begte. Ich fand auch, ſelbſt meine mäßigen Hoffnun-
gen kaum erfüllt, denn der Park und die Gärten wa-
ren, meinem Geſchmack nach, von allen bisher be-
ſchriebenen dieſer Categorie am unbedeutendſten, ob-
gleich von ſehr großem Umfang, und das Haus er-
weckte ganz dieſelben Empfindungen wie Ashridge in
mir, nur mit dem Unterſchiede, daß es noch überlad-
ner, und auch innerlich weit weniger ſchön, obwohl
ungleich theurer meublirt war. Man fand alle mög-
liche Pracht und Oſtentation, die ein Mann nur an-
wenden kann, der jährlich eine Million unſres Geldes
Revenüen, aber Geſchmack vielleicht nicht in demſelben
Verhältniß beſitzt. Ich bemerkte in dieſem Chaos von
neugothiſchem Geſchnörkel, ſchlecht gemalten, moder-
nen Glasfenſtern, und unförmlichen Tiſchen und Stüh-
len, welche höchſt unpaſſend architektoniſche Verzierun-
gen nachahmten, auch nicht eine Sache, die mir des
Aufzeichnens werth geſchienen hatte, und es iſt mir
völlig unbegreiflich, wie Herr Lainé, deſſen Verdienſte
um die Verſchönerung ſeines Vaterlandes man alle
Gerechtigkeit wiederfahren laſſen muß, in den Anna-
len des Berliner Gartenvereins, dieſem Park vor al-
len, die er geſehen, den Vorzug geben kann, worüber
ſich die engliſchen Kritiker auch etwas luſtig gemacht
haben. Herr Lainé ahmte vor dem neuen Palais in
[253] Potsdam den bieſigen Blumengarten nach. Ich hätte
mir, ich geſtehe es, an ſeiner Stelle ein andres Mu-
ſter gewählt, doch paßt dieſer Styl ſich allerdings vor
dem dortigen Palais weit beſſer, als vor einer gothi-
ſchen Burg. Kunſtſchätze ſind mir hier gar nicht vor-
gekommen, bis auf einige mittelmäßige Gemälde von
Weſt; alle Pracht liegt in den Stoffen und dem auf-
gewandten Gelde, wie der coloſſalen Größe der Staats-
zimmer und der Bibliothek, die als Reitbahn dienen
könnte. Das große Portrait des Beſitzers und ſeiner
Gemahlin im Speiſeſaal gewährt auch wenig Intereſſe,
außer für Bekannte. Eine Menge affreuſe gothiſche
Tempelchen verunſtalten den pleasure ground, der
überdieß, ſo wie der Park, keine ſchönen Bäume hat,
indem der Boden ungünſtig iſt, und die Anlage überall
nicht alt zu ſeyn ſcheint. Die Gegend iſt indeß recht
leidlich, obwohl nicht ſehr pittoresk, und zu flach.


Da uns noch Zeit übrig blieb, beſahen wir das
königliche Schloß in Cheſter, welches jetzt in ein vor-
treffliches Grafſchafts-Gefängniß umgewandelt iſt,
deſſen Einrichtung mir eben ſo menſchlich als muſter-
haft in jeder Hinſicht erſchien. Der Anblick von der
Terraſſe des Corps de Logis, in dem die Gerichts-
ſäle ſind, auf die Gefangenen in ihren Höfen tief
darunter, iſt höchſt überraſchend.


Denke Dir eine hohe Felſenterraſſe, auf der ein
Schloß mit zwei Flügeln ſteht. Das Corps de Logis
iſt, wie geſagt, für die Gerichts-Lokale beſtimmt, die
ſehr geräumig ſind, und die Flügel für die Gefan-
[254] genen, welche wegen Schulden ſitzen. Der Hof bildet
ein Gärtchen, wo dieſe Schuldner ſpazieren gehen
können. In der Tiefe unter dem Hofe iſt eine Art
Zwinger in Sternform, durch hohe Mauern in viele
Abtheilungen ſeparirt, hinter denen ein halbmondſör-
miges Gebäude hinläuft, welches die Friedensſtörer,
Diebe und Mörder beherbergt. Im letzten Theile deſ-
ſelben rechts ſind die Weiber eingeſperrt. Jeder der
einzelnen Strahlen des Zwingers iſt als ein Blumen-
garten benutzt, mit Gängen durchſchnitten, und zum
Gebrauch der Gefangenen beſtimmt, die, ſo lange ſie
noch nicht verurtheilt ſind, in grauer Kleidung, nach
der Verurtheilung aber in halb grüner, halb rother
erſcheinen. In jeder Abtheilung des hintern Gebäu-
des iſt unten ein Geſellſchaftszimmer, wo an Wochen-
tagen gearbeitet und dazu Feuer gemacht wird. Die
Zellen ſind reinlich und luftig, die Nahrung verſchie-
den, nach dem Grade des Verbrechens, bei der letzten
Claſſe nur Brod, Kartoffeln und Salz. Heute als
am Neujahrstag hatten dagegen alle Roaſtbeef, Plum-
pudding und Ale bekommen, waren größtentheils, be-
ſonders die Weiber, ſehr animirt, und machten einen
furchtbaren Lärm mit Hurraſchreien auf das Wohl
des Stadtmagiſtrats, der ihnen dieſe Fete gegeben.


Die Ausſicht von der obern Terraſſe, über die Gar-
tenzwinger, die Gefängniſſe und eine herrliche Ge-
gend, wo man den Fluß in der Tiefe gleich hinter
den Gefangenzellen ſtrömen, ſeitwärts die Dächer und
Spitzen der Stadt in maleriſchem Wirrwarr, und in
der Entfernung die Berge von Wales erblickt, iſt
[255] herrlich, und à tout prendre wohnen bei uns ſelten
die Oberlandesgerichtsräthe ſo gut als hier die Spitz-
buben.


Ich danke dem Himmel, daß wir morgen die Rück-
reiſe antreten, da ich Merkwürdigkeiten und Parks
gänzlich überdrüßig bin. Ich fürchte ſehr, daß es
Dir mit meinen monotonen Briefen eben ſo gehen
wird, indeſſen wer A geſagt hat, muß auch B. ſagen,
und ſo mache Dich noch auf ein Dutzend Parks mehr
gefaßt, ehe wir das neblige London wieder erreichen.


Indeſſen ſende ich noch heute die vorliegende Epiſtel
nach der Hauptſtadt, um Dir wenigſtens eine wohl-
thätige Intervalle zu gönnen, und bitte dann Gott,
Dich in ſeinen guten und treuen Schutz zu nehmen.


Dein ewig ergebner L ....


[[256]]

Zehnter Brief.



Geliebte Freundin!

Obgleich ich geſtern mich ſehr Parkblaſirt fühlte,
und nicht glaubte, noch irgend ein lebhaftes Intereſſe
für dergleichen faſſen zu können, ſo bin ich doch heute
wieder umgewandelt worden, und muß Hawkestone
ſogar vor dem bisher Geſehenen den Vorzug geben,
welchen ihm, nicht Kunſt, noch Pracht und ariſtokra-
tiſcher Glanz, ſondern die Natur allein verleiht, die
hier Außerordentliches gethan hat, ja in einem Grade,
daß ich, ſelbſt mit der Macht begabt, der Schönheit
dieſer Gegend noch etwas hinzuſetzen (Gebäude aus-
genommen) nicht aufzufinden wüßte, was?


Es ſcheinen hier durchaus alle Elemente für die
günſtigſte Lage vereinigt, wie Du aus einer einfachen
Beſchreibung ſelbſt entnehmen wirſt.


[257]

Wirf alſo Deine Geiſtesaugen auf einen Erdfleck
von ſolchem Umfang, daß Du von dem höchſten Punkt
darin, rund umher den Blick über 15 verſchiedene
Grafſchaften ſchweifen laſſen kannſt. Drei Seiten die-
ſes weiten Panorama’s heben und ſenken ſich in ſte-
ter Abwechſelung mannichfacher Hügel und niedriger
Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und
werden am Horizont von den höchſt ſeltſam geform-
ten, zackigen Felſen und hohen Gebirgen von Wallis
umgeben, die ſich auf ihren beiden Enden ſanft nach
der vierten Seite der Ausſicht, einer fruchtbaren, von
Tauſenden hoher Bäume beſchatteten Ebene abdachen,
welche in dämmernder Ferne, da, wo ſie mit dem
Himmelsgewölke zuſammen fließt, von einem weißen
Nebelſtreife, dem Meere, begränzt wird.


Das Walliſer Gebürge iſt zum Theil mit Schnee
bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwiſchen ſo eng
mit Hecken und Bäumen durchwürkt, daß es in der
Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt,
den nur [hie] und da Gewäſſer, mit unzähligen größe-
ren und kleineren Wieſen und Feldern durchſchneiden.
Grade in der Mitte dieſer Scene ſtehſt Du nun auf
einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Bu-
chen- und Eichwälder hinſchauend, die oft mit den
üppigſten Wieſenabhängen abwechſeln, und deren In-
neres 5—600 Fuß hohe Felſenwände mit hellgrün-
glänzenden, zu Tage gehenden Kupferadern, nach meh-
reren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe
Gründe und freundliche Thäler bilden. An einer der
finſterſten Stellen dieſer Wildniß erheben ſich die ur-
III. Briefe eines Verſtorbenen. 17
[258] alten Ruinen der „rothen Burg“, ein prachtvolles An-
denken aus den Zeiten Wilhelm des Eroberers. Nun
denke Dir noch, daß dieſe ganze romantiſche Berg-
gruppe, die ſich, ganz für ſich allein beſtehend, aus
der Ebne erhebt, faſt in regelmäßigem Kreiſe von den
ſilberhellen Wellen des Hawk-Fluſſes umſtrömt wird,
und dieſer ſo natürlich eingeſchloſſene Raum eben der
Park von Hawkstone iſt, ein auch in der Umgegend
ſo anerkannt reizender Ort, daß die jungen Ehepaare
aus den nahen Städten Liverpool und Shrewsbury
ſeit lange die Gewohnheit haben, wenn ihre Trauung
in die ſchöne Jahreszeit fällt, die erſten Wochen des
neuen ſüßen Glücks in Hawkstone zuzubringen. Viel-
leicht iſt dies die Urſache, daß dieſer Park, ganz wi-
der die engliſche Sitte, mehr dem Publikum als ſei-
nem Beſitzer gewidmet iſt, der gar nicht hier wohnt,
ja deſſen Haus verfallen und unanſehnlich in einem
Winkel des Parks, gleich einem hors d’oeuvre, ver-
borgen liegt. Dagegen iſt ein ſchöner Gaſthof darin
erbaut, der beſagte Ehepaare, ſo wie Liebende aller
Art, nebſt andern Naturfreunden, mit den ausge-
ſuchteſten Betten und ſolider Stärkung durch Speiſe
und Trank verſorgt. Hier ſchlugen auch wir unſer
Lager auf, und begannen, nach einem guten Frühſtück
à la fourchette, den langen Weg zu Fuß — denn
wegen des ſchwierigen Terrains kann der Park nicht
befahren werden. Die kletternde Promenade, die im
Winter ſogar nicht ganz ohne Gefahr iſt, dauerte
vier Stunden.


[259]

Ueber einen weiten Wieſenplan, von Eichen beſchat-
tet und von waidenden Heerden bedeckt, wanderten
wir auf ſehr naſſem Boden (denn es hatte leider die
ganze Nacht geregnet und geſchneit) den Kupferfelſen
zu. Dieſe erheben ſich über einen hohen Abhang alter
Buchen, wie eine darüber hängende Mauer, und ſind
oben wieder mit ſchwarzem Nadelholz gekrönt, was
einen herrlichen Anblick gewährt. In dieſer natürli-
chen Mauer befindet ſich die erſte Hauptparthie des
Parks, die Grotte genannt, zu welcher man durch
einen dunkeln in den Felſen gehauenen, bedeckten Weg
von mehr als hundert Fuß Länge gelangt, nachdem
man vorher eine geraume Zeit im Walde mühſam im
Zickzack bergan geſtiegen. Die Grotte beſteht aus meh-
reren Höhlen, mit allerlei Steinen und Metallerzen
inkruſtirt, in welchen einige angebrachte Oeffnungen,
die mit bunten, brillantartig geſchliffenen, kleinen
Glasſcheiben ausgeſetzt ſind, in der Dunkelheit täu-
ſchend Aladinſchen Edelſteinen gleichen. Eine alte Frau,
welche wenigſtens 50 Jahre zählte, war unſre Füh-
rerin, und erregte vielfach unſre Verwunderung durch
ihre Ausdauer im Marſchiren, und der Gewandtheit,
mit der ſie die Felſen in Pantoffeln auf und ab klet-
terte, denn die unregelmäßigen, abſchüſſigen und ſpie-
gelglatten Felſenſtufen waren zuweilen recht ſchwierig
zu paſſiren, ſo daß der gute R., der obenein eiſerne
Abſätze an ſeinen Stiefeln hatte, oft nur mit der
größten Anſtrengung und bittern Klagen über die un-
gemeine Beſchwerlichkeit: Felſen auf glatten Eiſen
hinabzuklettern, den ſichern Boden wieder erreichte.


17*
[260]

Bei einem aus Stämmen und Aeſten erbauten Pa-
villon, der mit Haidekraut gedeckt, und mit Moos
austapeziert war, und eine pittoreske Ausſicht auf
einen barock geſtalteten Berg darbot, (der Tempel der
Geduld genannt) wandte ſich nun der Weg noch mehr
in das Innere des Waldes, und führte uns zu der
ſogenannten Schweizerbrücke, welche zwei Felſen
kühn mit einander verbindet. Da das Geländer zum
Theil herunter gefallen, und die Paſſage etwas ſchwind-
licher Art war, ſo würde hier für meine gute Julie (im
Fall ſie wirklich bis hierher hätte gelangen können) alles
weitere Vordringen ein Ende gehabt haben. Wie gut
iſt es alſo in ſolchen Fällen, einen ſo unermüdlichen
Führer im Reiche der Einbildungskraft zu beſitzen,
wie Du an mir haſt, der Dich ſofort mit leichter
Mühe über die Teufelsbrücke hinüberſchwingt, und
Dir nun einen thurmartigen Felſen zeigt, der aus
den glatten Buchen ſchwarz hervortritt, dicht mit
Dornen und Epheu bewachſen iſt, das in hundert
Guirlanden herabhängt, und lange Zeit einen Fuchs
beherbergte, der hier, ſicher vor den verfolgenden
Hunden, Jahre lang ſeine Burg Malapartus aufge-
ſchlagen hatte Dies iſt ein beglaubigtes Faktum, und
hat dem Felſen den Namen Reinardshaus ver-
liehen, den er noch trägt. Die Führerin behauptete
ſogar, es habe ſich jetzt wieder ein neuer Bewohner
dort angeſiedelt, doch konnten wir nichts von ihm
erblicken. Bergauf, bergab ging es fort, und ſchon
ziemlich müde erreichten wir endlich die Terraſſe, ein
[261] etwas offner Platz mit ſchönen, einzeln durch den
Wald gehauenen Proſpekten.


Nicht weit davon, hinter ſehr hohen Bäumen, ſteht
eine Säule von 120 Fuß Höhe, dem Stifter der Fa-
milie des Beſitzers gewidmet, einem Londner Kauf-
mann und Lord Mayor von London zur Zeit Hein-
rich des III., deſſen Statur die Säule krönt. Eine
bequeme Wendeltreppe führt im Innern des thurm-
artigen Gebäudes bis auf die Spitze, von wo man
eben das früher beſchriebene Panorama der 15 Graf-
ſchaften ſtaunend überblickt. Durch immer wildere
Felſenſchluchten gelangt man von hier, in tiefſter Ein-
ſamkeit, zu einer lieblichen Cottage, am Ende eines
freundlichen Wieſenthals gelegen, wo früher mehrere
ſeltne Thiere und Vögel gehalten wurden, die jedoch
jetzt nur noch ausgeſtopft ein Zimmer der Hütte be-
wohnen. Als die dort als Aufſeherin angeſtellte junge
Perſon ſie uns zeigte, bediente ſie ſich der lächerlichen
Phraſe: Alle dieſe Thiere, die Sie hier ſehen, pfleg-
ten ſonſt zu leben (used to live before). Das Ge-
wächshaus
, von Felſenſtücken und Baumäſten
aufgebaut, ſo wie den gothiſchen Thurm, eine
Art Luſthaus, übergehe ich, und geleite Dich wieder
einen langen, langen Weg erſt durch Wald, dann
über Wieſenhügel und durch eine ſchmale Schlucht,
hierauf wieder mühſam einen Berg hinan, zu der
prachtvollen Ruine, dem ſchauerlich gelegnen rothen
Schloß
. Weithin erſtrecken ſich die verwitterten
Mauern und in den Felſen gehauenen Wälle dieſer
Burg, zu deren Innern man nur durch einen zwei
[262] Fuß breiten, in Stein geſprengten, gewundenen Gang
gelangt, deſſen Dunkelheit ſo groß iſt, daß ich mich
genöthigt ſah, den Unterrock meiner Führerin als
Faden der Ariadne zu ergreifen, weil ich wörtlich die
Hand nicht vor den Augen ſehen konnte. Aus dieſem
Schacht kömmt man in eine maleriſche Felſengaſſe mit
glatten hohen Wänden, über die ſich Ebreſchen und
andere Beerentragende Bäume hinwölben. Seitwärts
erblickt man eine Höhle, deren weite Oeffnung noch
mit einem verroſteten eiſernen Gitter verſchloſſen iſt.
Auf einer beſchwerlichen Felſentreppe erreicht man
endlich den oberſten Theil der Ruine, einen hohen
dachloſen Thurm, in deſſen 15 Fuß dicken Mauern
mancher hundertjährige Baum Wurzel geſchlagen hat,
und in deſſen Innern ſich ein unabſehbarer Brunnen
befindet, der bis in die Eingeweide der Erde zu gehen
ſcheint. Wenn man über die feſte und wohlverwahrte
Barriere, die ihn umgibt, hinunter blickt, erregt der
Contraſt der Thurmhöhe über Dir, in welche der
Himmel hineinſchaut, und der bodenloſen Tiefe unter
Dir, wo ewige Nacht herrſcht, einen ganz eignen
Eindruck. Man wähnt hier Verzweiflung und Hoff-
nung in einem Bilde allegoriſch vereinigt zu ſehen.
Der Thurm und die Felſen, auf denen er ruht, ſin-
ken in gleicher ſenkrechter Linie bis in eine ſchwin-
delnde Tiefe hinab nach dem Thale, deſſen Rieſen-
bäume von hier nur wie junges Dickicht erſcheinen.
Mit einem etwas ſtarken Sprunge der Einbildungs-
kraft gelangten wir nach einer Viertelſtunde von hier
zu der Hütte eines Neu-Seeländers, an einem klei-
[263] nen See gelegen, nach einer Zeichnung Cooks vor
vielen Jahren aufgebaut (denn dieſe Anlagen ſind
ſehr alt,) und mit Pfeilen, Tamahacks, Schädeln ge-
freſſener Feinde, und andern dieſer niedlichen Kleinig-
keiten verſehen, die den unſchuldigen Luxus jener Na-
turkinder ausmachen.


Hiermit beſchloßen wir unſre Promenade, und ließen
noch ungeſehen (als dieſes herrlichen Ganzen unwür-
dige Flecken) eine Höhle, wo ein Automat den Ein-
ſiedler ſpielt und ein Gedicht herſagt, eine alberne
Darſtellung des Neptun von Sandſtein, verbunden
mit einem chineſiſchen Tempel von Holz, und eine
moderne Citadelle, ebenfalls von Holz, wo bei Feier-
lichkeiten und auf Beſtellung mehrere Kanonen gelöst
werden können. Dieſe Anlagen der Afterkunſt, ſo wie
leider auch die Wege, ſind alle etwas verfallen, ſeit
der Beſitzer nicht mehr hier lebt. Dies ſind aber, ſo
wie die obenerwähnte Ueberladung mit Spielereien,
nur kleine Mängel eines erhabenen, und in aller Ab-
wechſelung natürlicher Schönheit, wunderbar glänzen-
den Ganzen.



Es iſt völlig und ernſthaft Winter geworden, die
Erde mit Eis und 6 Zoll Schnee bedeckt, und die
Kälte in den, jetzt ſelten durch ein unzureichendes
Kaminfeuer erwärmten Zimmern, faſt unerträglich!
Da ich den heutigen Tag meiſtens im Wagen zuge-
bracht habe, iſt nichts weiter davon zu berichten.


[264]

Wir ſahen auch heute nichts Merkwürdiges auf
unſerm Wege, als einen Park, durch den wir nur
hindurch fuhren, und der größtentheils neu angelegt
ſchien. Ein kleiner, aber hübſcher Garten, bot ſehr
niedliche Modelle für Blumengerüſte dar, wie auch
zierliche Körbe, alles ſehr ſein in Eiſendraht ausge-
führt, und mit rankenden Gewächſen bezogen. R.
mußte ſie mit ſteifen Fingern copiren.


Der Gaſthof, wo wir unſer Luncheon einnahmen,
war, wie die darauf eingehauene Jahrszahl lehrte,
1603 gebaut, alſo über 200 Jahre alt, und das hüb-
ſcheſte Specimen von Cottage im alten Geſchmack, mit
Fachwerk in verſchiedenen Deſſeins, das mir auf die-
ſer Tour vorgekommen iſt. Gegen Abend erreichten
wir bei immer empfindlicher werdender Kälte Bir-
mingham, wo ich mich jetzt gemächlich ausruhen will.



Der ganze Tag wurde abermals, wie bei meinem
frühern Aufenthalt hieſelbſt, den Fabriken gewidmet,
und Ausſtellungen von Waaren beſehen. Die armen
Arbeiter ſind doch mitunter übel daran! Sie verdie-
nen zwar hinlänglich, aber mehrere ihrer Beſchäfti-
gungen ſind auch, bei der geringſten Nachläßigkeit,
[265] bei dem kleinſten Verſehen, oft furchtbar gefährlich.
So ſah ich heute Einen, deſſen Geſchäft es iſt, bei
dem Stampfen der Livreeknöpfe den Würfel zu hal-
ten, und dem bei dieſer Gelegenheit ſchon zweimal
der Daumen zerſchmettert wurde, welcher jetzt nur
noch einen kleinen unförmlichen Fleiſchklumpen bildete.
Wehe denen, die den Dampf- und andern Maſchinen
mit ihren Röcken zu nahe kommen. Schon mehrere
faßte dieſe unerbittliche Macht, und zerquetſchte ſie,
wie die grauſame Boa ihre hülfloſe Beute. Dabei
ſind viele Arbeiten ſo ungeſund wie in den Blei-
werken Sibiriens, und bei manchen iſt ein Geruch
auszuſtehen, den der ungewohnte Beſucher kaum
Minutenlang ertragen kann.


Es hat alles ſeine Schattenſeite, auch dieſe hoch-
geſteigerte Induſtrie, doch iſt ſie deshalb nicht zu ver-
werfen. Hat doch ſelbſt die Tugend ihre Nachtheile,
wo ſie im Geringſten das Maas überſchreitet, und
dagegen das Schlimmſte, ja das Laſter nicht ausge-
nommen, ſeine lichteren Stellen.


Merkwürdig iſt es, daß bei dieſem raffinirten
Fortſchreiten in jeder Erfindung, die Engländer, nach
dem eignen Geſtändniß des Herrn Thomaſſon, noch
immer nicht im Stande ſind, es den Berliner feinen
Eiſengußwaaren gleich zu thun. Was ich von dieſer
Art hier ſah, ſtand jenen ungemein nach. Oft ſcheint
es mir überhaupt, als wäre, ohngeachtet die Eng-
länder uns noch ſo weit voraus ſind, dennoch der
Zeitpunkt ſchon eingetreten, wo ſie zu ſinken und
[266]wir zu ſteigen anfangen. Da ſie von ſo hoch ſin-
ken, und wir von ſo tief ſteigen müſſen, ſo kann es
demohngeachtet noch lange dauern, ehe wir uns auf
demſelben Punkte begegnen, aber, wie geſagt, uns
entgegen zu gehen, haben wir, glaube ich, angefan-
gen. Deutſchland Glück auf!! erlangen deine Bewoh-
ner nur Freiheit, ſo wird ihnen jedes Streben
gelingen.



Die heutige Tagereiſe war nicht groß, aber in-
haltsſchwer, denn der Ort, deſſen Namen neben dem
Datum meines Briefes ſteht — iſt ja der Geburts-
ort Shakespeares! Es iſt ein tief ergreifendes Ge-
fühl, die unbedeutenden Gegenſtände zu ſehen, die
vor Jahrhunderten mit einem ſo großen und gelieb-
ten Manne in unmittelbarer und häuslicher Be-
rührung ſtanden, und gleich darauf den Ort, wo
längſt ſeine Gebeine vermodern — und ſo in wenig
Augenblicken von ſeiner Wiege den langen Weg bis
zu dem ſeines Grabes zurückzulegen. — Das Haus
in dem er geboren iſt, ſo wie die Stube ſelbſt, in der
dies große Ereigniß vor ſich ging, ſtehen noch faſt
unverändert da. Die Stube gleicht vollkommen einer
geringen Bürgerſtube, wie ſie in unſern kleinen
Städten zu ſeyn pflegen, ganz der Zeit angemeſſen,
[267] wo England auf derſelben Stufe der Cultur ſtand,
die bei uns der gemeine Mann noch jetzt einnimmt.
Millionen Namen, von Königen und Bettlern hinge-
ſchrieben, bedecken die Wände des kleinen Zimmers,
und obgleich ich dieſes Anhängen an fremde Größe,
wie Ungeziefer an Marmorpalläſten klebt, nicht be-
ſonders liebe, ſo konnte ich doch hier dem Drange
nicht widerſtehen, auch meinen Namen mit einer tie-
fen Empfindung von Dankbarkeit und Ehrfurcht den
übrigen beizugeſellen.


Die Kirche am Avon (derſelbe Fluß, der War-
wicks ehrwürdige Schloßmauern beſpült) wo Sha-
kespeare begraben liegt, iſt ein ſchöner Ueberreſt des
Alterthums, mit vielen merkwürdigen Monumenten
geziert, unter denen natürlich das des unſterblichen
Dichters oben an ſteht. Es war früher, ſo wie ſeine
Büſte, in bunten Farben gemalt und vergoldet, iſt
aber durch die Stupidität eines gewiſſen Malone vor
nahe 100 Jahren überweißt worden, wodurch es viel
von ſeiner Eigenthümlichkeit verloren haben muß.
Die Büſte iſt übrigens nichts weniger als von künſt-
leriſchem Werth, und auch ohne Ausdruck, wahr-
ſcheinlich alſo auch ohne Aehnlichkeit. Es gelang mir
nur mit vieler Mühe und Geld, ein kleines Bild des
Denkmals in den alten Farben, welches das letzte
noch vorräthige Exemplar war, von der Küſterin zu
erlangen, was ich dieſem Briefe beilege.


Außerdem kaufte ich im Buchladen mehrere An-
ſichten des Orts, und der erwähnten Gegenſtände
[268] Auf dem Rathhauſe iſt ein großes Bild Shakespea-
res, in neuerer Zeit gemalt, und ein noch beſſeres
von Garrik, das einige Aehnlichkeit, auch in der Art
der tournure, mit Iffland hat.



Nachdem wir zwei Tage lang die Parkomanie
ruhen gelaſſen hatten, brachten wir heute das Ver-
lorne wieder ein, indem wir nicht weniger als vier
große Parks beſuchten, wovon der letzte, das be-
rühmte Blenheim war. Doch in der Ordnung —
Exécutez vous.


Zuerſt kamen wir durch Eatrop Park, deshalb
merkwürdig, weil er noch aus der Zeit iſt, wo man
eben anfing, die franzöſiſche Manier zu verlaſſen, dies
aber, in ſolcher Uebergangs-Periode, noch ſo wenig
im Stande war, daß man nur ſtatt Alleen von ein-
zelnen Bäumen
, nun Alleen von Clumps aus
verſchiedenen, immer aber regelmäßig abwechſelnden
Figuren pflanzte, oder in Schlangen-Linien Haine
anlegte, und lothrechte Bergabhänge aus unregelmä-
ßigen Terraſſen bildete. Das Ganze ſchien in gro-
ßem Verfall.


Ein ſchönerer Beſitz iſt Ditshleypark. Leider
ſpielte uns aber das engliſche Clima heute einen bos-
[269] haften Streich. Nachdem am Morgen (ich glaube erſt
zum zweitenmal ſeit wir London verlaſſen) die Sonne
geſchienen hatte, und wir ſchon über unſer Glück
triumphirten, fiel plötzlich ein ſolcher Nebel, daß wir
den ganzen übrigen Tag nie weiter als kaum 100
Schritte vor uns, manchmal aber kaum zehne weit
ſehen konnten. Im Schloß fanden wir eine bedeutende
Menge Gemälde, beſonders ſchöne Portraits, von
denen uns aber kein Menſch ſagen konnte, wen ſie
vorſtellten. Etwas Neues in Hinſicht auf unſere
Kunſt lernten wir nicht, doch ſahen wir etwas an-
deres Neues. Am Jägerhauſe nämlich waren, in
Ermanglung wirklichen Raubzenges, einſtweilen ſechs
Dutzend Ratzen ſehr zierlich, mit ausgebreiteten
Schwänzen und Beinen, angenagelt.


Der dritte Park in der Reyhe war Blandford-
park, dem Lord Churchill gehörig, und ſehr unbe-
deutend, im Hauſe aber fanden wir einige herrliche
Kunſtwerke. Zwei Gemälde beſonders beneidete ich
dem Beſitzer. Das erſte ſtellt ein nacktes, liegendes,
reizendes Weib vor, die durch die Finger ihrer Hand
ſchalkhaft lächelt; gewiß fälſchlich auf Michel Angelo’s
Namen getauft. Es iſt allerdings von kühner Zeich-
nung, aber auſſerdem auch von einer Wahrheit und
Elaſticität des Fleiſches, einer Titianiſchen Färbung
und einer Lieblichkeit des Ausdrucks, die keinen Mi-
chel Angelo verrathen, wenn es auch vielleicht unge-
gründet iſt, daß, wie Manche wollen, gar keine Oehl-
Gemälde von dieſem Meiſter exiſtiren.


[270]

Noch mehr zog mich das zweite: Judith, angeb-
lich von Cigoli, an, einem Maler, von dem ich mich
früher nicht erinnere, ein Bild geſehen zu haben. Ge-
wöhnlich iſt dieſer Gegenſtand: die triumphirende
Jungfrau mit dem abgehauenen verzerrten Kopf in
der Hand, mir eher widerlich als angenehm geweſen
— hier aber — welcher poetiſch aufgefaßte Ausdruck
in Judiths gleich erhabnem und reizenden Antlitz.
Eine Welt von Empfindungen liegt in dieſen inhalts-
ſchweren Zügen. Es iſt nicht das Geſicht einer
Jungfrau mehr, ſondern ſchon das einer jungendli-
chen Frau. In den feuchten, ſchwimmenden Au-
gen ſind zu deutliche Spuren der Vergangenheit zu
leſen, und um den üppig ſchwellenden, noch wie ent-
zückten Mund, verräth ein leiſes Beben, daß ſie,
wenn gleich wider ihren Willen, doch die Luſt kennen
gelernt! — Stärker aber war im Geiſte ihre Liebe
zu Gott und Vaterland, und darum blieb feſt ihr
früherer Entſchluß. Das Opfer mußte dennoch fallen,
aber kein Triumph hebt ihre Bruſt — ſinnend,
über Gedanken brütend, die ihr ſelbſt nicht ganz
klar ſeyn mögen, ſchreitet ſie dahin, die zarte Hand
krampfhaft in die Locken des furchtbaren, aber männ-
lich ſchönen Hauptes gedrückt, das ſie jetzt, wie be-
wußtlos, mit ſich fortträgt.


Ich merke mir alle dieſe ſchönen Gemälde wohl,
um ſie einmal copiren laſſen zu können, wenn ich
Muße dazu habe, denn gute Copien ſo herrlicher
Bilder
ziehe ich weit den mittelmäßigen, oder mich
nicht anſprechenden Originalen vor, ſelbſt wenn die
[271] letzteren von den berühmteſten Meiſtern herſtammen,
denn nur das Dichteriſche, nicht das Techniſche
eines Kunſtwerks kann mich reizen. Eine koſtbare
Sammlung Handzeichnungen von Raphael, Claude-
Lorrain und Rubens, und mehrere intereſſante Por-
traits übergehe ich, um nicht zu weitſchweifig zu
werden.


Der abſcheuliche Nebel wurde immer dicker, und
ſo ſahen wir Blenheim nur wie in der Dämmerung.
In Hinſicht auf Glanz und Größe iſt es ohne Zweifel
auſſerordentlich zu nennen, und ſehr gefiel mir was
ich davon ſehen, oder vielmehr ahnen konnte, denn
es war alles wie in einen Zauberſchleier gehüllt, hin-
ter welchem die Sonne ohne Strahlen, wie der
Mond, erſchien. Das Schloß iſt ſehr groß, und re-
gelmäßig, leider im alt franzöſiſchen Geſchmackerbaut,
an Pracht einem königlichen gleich. Der Park hat
5 deutſche Meilen im Umfang, und das künſtlich
ausgegrabne Waſſer, das herrlichſte Werk ſeines
Gleichen, nimmt allein einen Flächenraum von 800
Morgen ein. Eben ſo groß iſt der pleasure ground,
zu deſſen fortwährendem Mähen täglich 40 Leute er-
forderlich ſind. Das Waſſer bildet dem Schloſſe ge-
genüber eine künſtliche Cascade, die von großen, ge-
ſprengten und weit hergeſchafften Felſenſtücken ſo täu-
ſchend der Natur nachgeahmt iſt, daß man, ohne es
zu wiſſen, ſchwerlich Kunſt dabei vorausſetzen würde.


Man muß Browns großartiges Genie bewundern,
wenn man dieſe Anlagen durchwandert. Es iſt der
[272] Garten-Shakespeare Englands. Dabei ſind ſeine
Pflanzungen ſo wunderbar groß geworden, daß wir,
unter andern, einen einzigen Strauch portugieſiſchen
Lorbeers auf dem Raſen fanden, der mit ſeiner dich-
ten Maſſe 200 Fuß im Umfang erreichte!


Der jetzige Beſitzer iſt mit einer Revenue von
70,000 £. St., ſo verſchuldet, daß ſein Vermögen für die
Gläubiger adminiſtrirt wird, und ihm nur 5,000 £. St.
jährlich übrig bleiben, ſo lange er noch leben kann.
Es iſt Jammerſchade, daß er dieſes Wenige noch da-
zu
anwendet, die impoſanten Gärten Browns ein-
zureißen und nach einem elenden neueren Geſchmack
zu moderniſiren, der m t unzähligen kleinen Klümp-
chens, Beeten und Pflanzen, die reichen Gewänder,
die Brown der Natur umgethan, in Harlekins-Ja-
cken umwandelt. Ein großer Theil des alten plea-
sure grounds
iſt bereits auf dieſe Art zerſtört, wie
uns der alte Gärtner, faſt mit Thränen in den Au-
gen zeigte. Mehrere der Rieſenbäume lagen noch
gefällt umher, und ein ſchwarzer Fleck auf dem Ra-
ſen zeigte einen Lorbeerſtrauch an, faſt von derſelben
Größe als der beſchriebene, der noch vor Kurzem hier
in aller Fülle ſeiner Pracht geſtanden hatte. Ich
dachte mit Kummer, wie vergeblich es iſt, etwas
Dauerndes gründen zu wollen, und ſah in Gedan-
ken ſchon denjenigen meiner Nachkommen, der einſt
meine Anlagen ebenfalls zerſtören wird, die wir doch
Beide mit ſo viel Liebe erdachten und pflegten!


Blenheim wurde bekanntlich, größtentheils auf
demſelben Fleck angelegt, wo der uralte königliche
[273] Park von Wodſtock (den Du Dich aus Walter Scotts
neueſten Roman erinnerſt) ſtand, und ein großer
Theil des Eichwaldes iſt noch wohl aus der unglück-
lichen Roſamunde Zeit her, immer grünend, und
ſtirbt nur langſam ab, in einer Agonie von hundert-
jähriger Dauer. Wahre Ungeheuer von Eichen und
Cedern an Form und Größe findet man hier. Manche
hat der Epheu ſo umſponnen, daß er ſie zwar ge-
tödtet, ihnen aber auch wieder, durch ſich ſelbſt, ein
neues und ſchöneres immergrünes Laub gegeben hat,
das jetzt den verwitterten Stamm, wie ein pracht-
volles Leichentuch der Natur, ſo lange umhüllt, bis
er in Staub zerfällt.


Fünfzehnhundert Hirſche, eine Unzahl von Faſanen,
und die zahlreichſten Heerden von Schaafen und Kühen
bewohnen den Park, deſſen Wieſenflächen ſich in dem
ungewiſſen Nebel, ohne Gränze, gleich dem Meere
auszudehnen ſchien, an einigen Stellen faſt nackt wie
eine Steppe, auf andern dicht mit Wald und Grup-
pen beſetzt.


Das Schloß ſieht innerlich, wegen der üblen
ökonomiſchen Lage des Beſitzers, etwas verfallen aus,
enthält aber eine Menge der koſtbarſten Kunſtſchätze.
Man muß geſtehen, daß nie eine Nation einem ihrer
großen Männer eine würdigere Belohnung an Geld
und Gut gab, als Blenheim für den Herzog von
Marlborough war, welches bis in alle Kleinigkeiten
hinab königlich zu nennen iſt. Wenn man das Schloß
betritt, kommt man zuerſt durch ein triumphbogen-
Briefe eines Verſtorbenen. III. 18
[274] artiges Thor, das oben einen Waſſerbehälter enthält,
der alle Gebäude mit Waſſer verſorgt, dann in einen
geräumigen Hof, wo die Küchen und Offices ſich be-
finden, und von hier erſt in den großen Schloßhof,
der nach dem Park zu die offene Ausſicht gewährt,
und nur mit einer eiſernen Grille geſchloſſen iſt. Ein
dritter Hof bildet auf der andern Seite den pendant
zum erſtern, und enthält die Ställe.


Viele Kuppeln machen das Schloß noch impoſan-
ter. Die Halle bildet eine ſolche von 150 Fuß Höhe,
höher als gewöhnliche Thürme zu ſeyn pflegen. Den
Plafond darin nimmt ein ſchönes Fresko-Gemälde
ein. Als wir hineintraten, rauchte es aus einem de-
fekten Ofen ſo ſtark, daß wir einen zweiten Nebel im
Hauſe anzutreffen glaubten. Einige höchſt ſchmutzige,
faſt abgeriſſene Bediente, was in ſolchen Häuſern
hier unerhört iſt, liefen bei uns vorbei, und holten
die Caſtellanin, welche, in einen ſchottiſchen Plaid
gehüllt, mit einem Stäbchen in der Hand, und dem
Anſtand einer Zauberin, ſo majeſtätiſch auf uns zu-
ſchritt, daß man ſie für die Herzogin ſelbſt hätte hal-
ten mögen. Das Zauberſtäbchen diente dazu, um be-
quemer auf die verſchiedenen Merkwürdigkeiten hin-
weiſen zu können. Fürs erſte verlangte ſie, daß wir
unſre Namen in ein großes Buch einſchreiben ſollten,
denn Blenheim ſteht an gewiſſen Tagen dem Publi-
kum, bis auf die refervirten Plätze, offen. Unglück-
licherweiſe fehlte aber im Tintenfaß die Tinte, es
mußte alſo unterbleiben. Darauf ging es durch viele
nie geheizte und ſehr verblichene Gemächer, die aber
[275] mit zahlreichen und ſchönen Gemälden geſchmückt ſind,
unter dieſen jedoch auch manche mittelmäßige, die man
ſehr freigebig mit den Namen Raphael, Guido ꝛc.
beſchenkt hatte. Sehr reich erſchien die Gallerie an
ſchönen und ächten Rubens, worunter für mich das
anſprechendſte ſein eigenes, von ihm oft, hier aber
vorzüglich gut gemaltes Bild war. Auſſerdem intereſ-
ſirte mich ſehr ein Portrait in Lebensgröße des be-
rüchtigten Herzogs von Buckingham, von van Dyk,
welches doch eine ganz andere Art Roué darſtellt, ſo-
wohl im Gehalt der feinen Züge, wie des ritterli-
chen Anſtandes und der geſchmackvollen Kleidung, als
unſre Modernen aufweiſen. Ferner eine ſchöne Ma-
donna, von Carlo Dolce, weniger glatt und banal
als andere dieſes Malers, und ein ganz vortreffli-
ches und höchſt charakteriſtiſches Bild der Catharina
von Medicis. Sie iſt ſehr weiß, hat wunderſchöne
Hände, und einen merkwürdigen Ausdruck von kal-
ter Leidenſchaft, wenn ich es ſo nennen darf, in ih-
ren Zügen, ohne jedoch dadurch, wie man vermuthen
ſollte, ein widriges Gefühl zu erregen. Rubens Frau
hängt als ein entgegengeſetzter Pol neben ihr, ein
reizendes flamländiſches, häusliches Weib, etwas ge-
mein ausſehend, aber herrlich gemalt und geiſtreich
aufgefaßt. Philipp II., von Titian, ſchien mir un-
bedeutend, zwei Bettelbuben, von Morillo, dagegen
vortrefflich. Loth und ſeine Töchter, von Rubens.
Die Mädchen ſind etwas weniger gemein und plump
als der größte Theil der Schönheiten dieſes Malers,
die alle zu viel Verwandtſchaft mit den Produkten
18*
[276] ſeines Vaterlandes haben, aber der alte Loth iſt das
unübertrefflichſte Muſter eines greiſen, trunkenen
Wollüſtlings. Das Gemälde war übrigens indecen-
ter behandelt, als es ſich die Kunſt bei heiligen Ge-
genſtänden geſtatten ſollte. Im Schlafzimmer hatte
man, ſonderbar genug, ein widerlich ſchauerliches
Bild, Seneka’s Hinrichtung im Bade, aufgehangen,
Seneka ſelbſt bereits ein grünlicher Leichnam. Hier
würde, dächte ich, noch eher der Loth hingepaßt ha-
ben. Sehr gefällig erſchien das Bild der Mutter des
Herzogs, mit ihrem Kinde ſpielend, von Joſuah Rey-
nolds, gewiß dem beſten aller engliſchen Maler. Die
Schönheit, liebliches Weſen und Kindlichkeit der Her-
zogin war faſt einer Madonna werth, und der Kleine
ein wahrer Liebesgott, voll Schalkheit und Grazie.
Ein großes Gemälde Carls I. zu Pferde, von van
Dyk, iſt berühmt, und hat 10,000 £. St. gekoſtet, bie-
tet aber einen gar zu abgenuzten Gegenſtand. Aus
Raphaels früheſter Zeit, in der Manier des Peru-
gino, vielleicht auch von dieſem ſelbſt, befindet ſich
eine große Tafel hier, die Jungfrau mit dem Kinde,
St. Nikolas und Johannes darſtellend. Der Aus-
druck der Figuren gefiel mir nicht, und erwähne des
Gemäldes nur aus Reſpekt für den Namen.


Die Bibliothek iſt ein prachtvoller Saal, mit 17,000
Bänden angefüllt, auf der einen Seite die marmorne
Statue der Königin Anna, auf der andern, als ſon-
derbarer Pendant, eine koloſſale, antike Büſte Ale-
xanders, ein Ideal jugendlicher Schönheit, das nach
[277] meinem Gefühl noch das Antlitz des Apollo vom Bel-
vedere übertrifft. Es iſt menſchlicher, und doch zeigt
es einen Göttlichen unter den Menſchen, freilich im
heidniſchen, nicht im moraliſch-chriſtlichen Sinne.


Es iſt billig hier noch des, die Bibliothek zierenden
Bildes des großen Herzogs von Marlborough zu er-
wähnen, der durch ſeine Thaten dieſer ganzen Schö-
pfung den Urſprung gab. Seine Geſchichte iſt in
mehr als einer Hinſicht merkwürdig; beſonders rathe
ich Jedem, der ſein Glück machen will, ſie zu
ſtudiren. Er kann viel von dieſem, ſo ganz zum
Fortkommen in der Welt geeigneten, Charakter ler-
nen. Folgende, nicht ſehr bekannte, Anekdote iſt mir
in dieſer Hinſicht, ſo unbedeutend die Begebenheit an
ſich iſt, immer merkwürdig erſchienen.


Der Herzog ward eines Tags beim Spazierenrei-
ten mit ſeiner Suite von einem jählingen Regen-
ſchauer überraſcht. Er verlangte ſchnell vom Reit-
knecht ſeinen Ueberrock, und wiederholte, als er ihn
nicht gleich erhielt, den Befehl mit einiger Haſt. Dies
ärgerte den Diener, der mit impertinenter Miene er-
wiederte: „Nun ich hoffe, Sie werden doch ſo lange
warten, bis ich ihn losgeſchnallt habe.“ Der Herzog,
ohne die geringſte Empfindlichkeit zu zeigen, wandte
ſich darauf lächelnd zu ſeinem Nachbar und ſagte:
„Nun, für Alles in der Welt möchte ich nicht das
Temperament dieſes Menſchen haben.“


Die bekanntere Geſchichte der „petulance“ der Her-
zogin von Caſtlemaine, welche Churchill (der dama-
[278] lige Name des Herzogs) ſo gut zu benutzen wußte,
und die, gewiß auf die ſeltſamſte Weiſe, die große
Carrière eines Helden begründete, verräth eine ganz
gleiche Dispoſition und Gewalt über ſich ſelbſt.


Bei Nacht und Nebel, wörtlich, erreichten wir Ox-
ford, wo ich im Stern abtrat, und mich mit einem
vortrefflichen Diné ſtärkte, da ein franzöſiſcher Koch
aus London hierher verſchlagen worden iſt, und wenn
ich auch nicht den Köchen, wie die Alten, eine reli-
giöſe
Huldigung darbringe, ſo kann ich doch nicht
leugnen, daß ich für ihre Kunſt keine geringe Vereh-
rung hege. „Il est beau au feu“ kann man auch
von einem ſolchen Virtuoſen ſagen, ſo gut wie vom
glänzenden Krieger, und was vollends Diplomatie
und Politik betrifft, ſo iſt wohl kein Miniſter ſo un-
dankbar, nicht anzuerkennen, wie viel er ſeinem Koch
verdankt.


Meine Excurſion naht ſich nun ihrem Ende, und
in drei Tagen hoffe ich Dir R .... mit allen ge-
ſammelten Materialien, wie die Biene voll Honig,
wieder zuſenden zu können.



Oxford iſt eine originelle Stadt. Eine ſo große
Menge alter und prächtiger gothiſcher Gebäude von
300- bis 1000jährigem Alter wird wohl nirgends an
[279] demſelben Orte ſo zuſammen gehäuft, angetroffen
werden. Es gibt Stellen in dieſer Stadt, wo man
ſich ganz in’s fünfzehnte Jahrhundert verſetzt glaubt,
weil man durchaus nichts als Denkmale dieſer Zeit,
ohne irgend eine moderne Unterbrechung, um ſich her
verſammelt ſieht. Viele, ja die meiſten dieſer alten
Colleges und Kirchen ſind auch im Detail ſehr ſchön,
alle aber wenigſtens von höchſt maleriſcher Wirkung,
und oft hat es mich gewundert, warum man nicht
manches Einzelne dieſer Bauart, unter andern die
eben ſo ſchönen als zweckmäßigen, lichten Fenſter, in
zwei und drei Abtheilungen, bisweilen mit großen
Erkern abwechſelnd, und unſymmetriſch vertheilt, nicht
auch bei unſern modernen Wohngebäuden anwendet,
— denn nur die Gewohnheit kann uns wohl die re-
gelmäßigen Reihen viereckiger Löcher, die wir Fenſter
nennen, erträglich machen.


Ich begab mich zuerſt nach dem dreihundert Jahre
alten, ſogenannten Theater (aber nur für geiſtliche
Schauſpieler beſtimmt), das von einem Biſchof er-
baut iſt. Die eiſerne Grille, die es umgibt, hat ſtatt
der Pfeiler eine Art Termen mit den Köpfen der rö-
miſchen Kaiſer, ein ſeltſamer Einfall, der aber keinen
üblen Effekt macht. In dieſem Theater, das, ſeinem
Urſprung gemäß, mehr einer Kirche ähnlich ſieht,
wurden in neueſter Zeit der ruſſiſche Kaiſer, der Kö-
nig von Preußen und der Prinz-Regent zu Docto-
ren creirt, wobei ſie genöthigt waren, im rothen
Doctorgewande zu erſcheinen. Die Portraits aller
[280] dieſer Souveraine wurden ſeitdem hier aufgeſtellt.
Der König von England im Krönungsornate, ein
vortreffliches Gemälde von Thomas Lawrence (der
alten Zeiten würdig), hängt in der Mitte, in einem
prächtigen Rahmen. Zu beiden Seiten, in weit ein-
facherer Umfaſſung und einfacherer Kleidung, der Kai-
ſer von Rußland und der König von Preußen, auch
von Lawrence gemalt. Der König iſt nicht ähnlich,
vom Kaiſer Alexander habe ich aber nie ein beſſeres
Bild geſehen. Blücher wurde hier ebenfalls Doctor,
und äußerte dabei: da die Herren die Souveraine zu
Doctoren creirt, ſo könne er nur höchſtens darauf
Anſpruch machen, Apotheker zu werden.


In der Univerſitäts-Stereotype-Druckerei, wo die
Bedruckung eines Bogens auf beiden Seiten nur fünf
Sekunden dauert, zeigte ich mich wieder ſelbſtthätig,
und hatte die Ehre, einen Bogen aus der Vibel zu
drucken, den ich Dir als Seitenſtück zum Birming-
hamer Knopfe mitſchicke. Er enthält einige intereſ-
ſante Begebenheiten der Makkabäer.


Es wird hier viel für die Bibelgeſellſchaften ge-
druckt, und wenn dieß in derſelben Progreſſion fort-
geht, ſo wird wohl bald die Epoche eintreten, von
welcher die Jahresſchrift: der Katholik, vom Jahr
1824, folgendermaßen prophezeiht: „Wenn es dahin
kömmt, daß Alle die Bibel leſen, wird die Welt nur
ein Aufenthalt für wilde Thiere ſeyn.“ Meint der
Katholik, daß Alle ſie dann auch verſtehen und
befolgen, ſo mag er recht haben, weil dann die ganze
[281] Menſchheit zu einer höhern Exiſtenz auf einem an-
dern Planeten reif ſeyn möchte. Demungeachtet bin
ich mit dem Katholiken in ſo weit einverſtanden, daß
die unüberlegte Vertheilung der Bibeln an Alle (auch
die ungebildetſten Wilden) das Kind mit dem Bade
verſchütten heißt.


Ich wanderte von hier nach dem Muſeum, das
eine Miſchung ſehr verſchiedener Gegenſtände enthält.
Gleich beim Eingange ſieht man auf der Treppe ein
Bild der Schlacht von Pavia, worin die wichtigſten
Perſonen Pertraits ſind, in ihrer Zeit nach dem Le-
ben gemalt, wie daneben bemerkt iſt. Das Bild iſt
ganz in dem Styl der alten Miniaturen, und auch
ſehr merkwürdig wegen der vielen genauen Trachten
und Rüſtungen jener Zeit. Darunter ſteht: Comen
les gens de Lempereur deffirent les francoys en lan

1525. Des Kardinal Wolſey und Kardinal Richelieu
Bildniſſe, ſo wie mehrerer anderer hiſtoriſcher Perſo-
nen zierten dieſe Treppe. Unter ihnen befand ſich
auch das eines berühmten Gärtners Carls I., Tre-
descant mit Namen, von welchem Collegen R ....
nicht wegzubringen war, das Bild mit einer Art Pro-
tektion betrachtend, und beſonders ſehr zufrieden mit
einer Guirlande von Mohrrüben und Gurken, die
den Gartenahn maleriſch umſchlang. Für mich war
das Intereſſanteſte auf dieſem Gemälde das Konterfey
eines ſeltſamen, ganz Tauſend und eine Nacht ähn-
lichen großen Vogels, mit Namen Dodo, der dieſem
Gärtner lebendig zugehört haben, ſeitdem aber nie
[282] wieder ſeines Gleichen geſehen worden ſeyn ſoll. Als
Beweis, daß die Geſchichte keine Fabel ſey, zeigte
man uns im Muſeo noch den ganz fremdartigen Kopf
und Schnabel des Dodo.


In der Naturalienſammlung waren eine große
Menge, zum Theil ſehr ſeltne, Papageyen aufgeſtellt,
nebſt einem andern merkwürdigen Vogel, der Sta-
cheln an ſeinen Flügeln hat, mit denen er kleine Fi-
ſche wie mit einer Lanze anſpießt; dabei ſieht der
diminutive Kämpe, der nur ſechs Zoll hoch iſt, unge-
mein patzig, und wie ein Straus en miniature aus,
nur viel klüger und kampfluſtiger. Sehenswerth war
auch das Schnabelthier, eine Art koloſſaler Waſſer-
ratze mit Schwimmhäuten und einem Entenſchnabel,
aus jenem ſeltſamen Welttheil Neuholland, das durch
ſeine, dem übrigen Naturreich fremden Produktionen,
faſt auf die Vermuthung bringt, es gehöre einer an-
dern Schöpfungsepoche an, oder ſey einſt von einem
vorbeiſegelnden Stern verloren worden, und auf un-
ſere Erde niedergefallen.


Ein Gemälde von Kolibrifedern bietet Farben dar,
die überirdiſch erſcheinen, und eben ſo überraſchend
war das Basrelief eines herrlich goldgrün geharniſch-
ten Ritters, deſſen Harniſch — aus den Flügelſchalen
des Goldkäfers beſtand. Eine gute Satyre auf den
heutigen Landadel wäre es, wenn man einen ſolchen
Ritter mit der blauen Rüſtung des Miſtkäfers dar-
ſtellte.


[283]

Im Curioſitäten-Kabinet iſt zu vielerlei, um es
Dir, gleich einem Antiquar, Alles herzuerzählen. Ich
beſchränke mich daher, wie immer, nur auf das, was
mich am meiſten anſpricht, und das iſt nicht immer
das berühmteſte. Alſo zuerſt ein mit Edelſteinen be-
ſetzter Handſchuh Heinrichs VIII., und ein ſehr wohl
erhaltener, faſt chineſiſch geformter Sorgenſtuhl deſ-
ſelben. Ferner ein eigenhändiger Brief der Königin
Eliſabeth an Lord Burleigh, ſehr zierlich geſchrieben,
und eine niedliche Reitkamaſche und Schuhe der Mai-
denqueen, welche wenigſtens einen allerliebſten Fuß
verrathen. Endlich ihre Uhr mit einer geſchmackvollen
Kette, aus fünf Medaillons beſtehend, eines unter
dem andern, die alle anders gefärbte Haare enthal-
ten, wahrſcheinlich von ihren verſchiedenen Günſtlin-
gen. Merkwürdiger noch iſt ein anderes Medaillon,
mit einem groben Portrait in Moſaik, und einer In-
ſchrift, die beweist, daß das erſte dem König Alfred
zugehört habe. Dieß ſeltene Ueberbleibſel des Alter-
thums wurde erſt vor zehn Jahren auf der Inſel
Athelney, wo Alfred ſich vor den Dänen verbarg,
beim Aufreißen eines Feldes gefunden.


Die Copie eines chineſiſchen Schiffes (einer Junke)
in der Größe eines Kahns, ſo daß man recht gut
damit ſogleich eine Spazierfahrt auf dem Waſſer ma-
chen könnte, ſo wie das Modell des ſogenannten
Druidentempels zu Stonehenge, ein ſehr vollſtändi-
ges Kabinet foſſiler Knochen u. ſ. w. erwähne ich
noch, und führe Dich nun in die Gemäldegallerie,
[284] von Eliſabeth erbaut, und ganz in statu quo erhal-
ten. Die Decke derſelben iſt mit Holzcaiſſons verziert,
und in jedem Caiſſon ein Wappen, was ſich gar alter-
thümlich und prächtig ausnimmt. Sehr gut ausge-
führte Gypsmodelle von den berühmteſten Tempeln
des Alterthums ſtehen im Vorſaal. Unter den Ge-
mälden befinden ſich einige Vortreffliche. Das liebſte
war mir ein Portrait der Königin Maria von Schott-
land, authentiſch von dem Italiener Zuccaro, gleich
nach ihrer Ankunft aus Frankreich gemalt, wo ſie
noch in allem unbeſchreiblichen Reiz ihrer Jugend und
Friſche glänzte. Man begreift, wie dieſe Frau nur
leidenſchaftliche Verehrer oder wüthende Feinde haben
konnte. Ein im wahren Sinne des Worts reizen-
deres
, verführenderes Geſicht wird man ſelten ſe-
hen, aber bei aller franzöſiſchen Grazie verräth es
doch, daß dieſe Schönheit eigenſinnig genug, und in
ihren Leidenſchaften nichts achtend ſeyn konnte, doch
von Böſem oder Gemeinem, wie das erſte bei Eliſa-
beth, Katherine von Medicis, das letzte bei der Kö-
nigin Anna ſichtlich iſt, keine Spur. Eigentlich ein
ächt weiblicher, und daher ganz verführeriſcher Cha-
rakter, mit allen Tugenden und Schwächen ih-
res Geſchlechts in erhöhtem Maßſtabe ausgeſtattet.
Den Beſitz eines ſolchen Bildes möchte ich ein wah-
res Glück nennen! Das Original möchte einem ſchon
mehr zu ſchaffen machen. Derſelbe Künſtler hat auch
Eliſabeth gemalt, ein Portrait, das dem in Warwick
beſchriebenen vollkommen gleich iſt. Graf Leiceſter,
kurz vor ſeinem Tode dargeſtellt, erweckt auch viel
[285] Intereſſe. Sein Geſicht iſt eben ſo vornehm als
ſchön, und obgleich es nicht ein großes Genie ver-
räth, hat es doch den Ausdruck eines klugen, im
äußern Anſtand würdevollen und kräftigen Mannes.
Von dem Glanz der Jugend iſt nichts mehr übrig,
wohl aber eine gewiſſe ſtolze Gemächlichkeit der ſichern
unerſchütterlichen Gunſt. In einer Copie der Schule
von Athen, von Guilio Romano, bewunderte ich von
neuem das herrliche Antlitz des jungen Herzogs von
Urbino, dieſes Ideals ſanfter jugendlicher Schönheit.
Das ſchönſte Mädchen könnte damit überzufrieden
ſeyn. Auch Raphaels eignes Bild iſt dort am be-
deutendſten. Garriks Portrait von Raphael Mengs
entſprach meiner Vorſtellung von dieſem Künſtler
nicht ſo wohl, als das in Stratford. Deſto mehr
gefiel mir ein Bild Carl XII. in Lebensgröße von
Schröter, auch jeder Zoll — ein großer Don Qui-
xote, und ein ſehr charakteriſtiſches Carls II. von Pe-
ter Leley. Ich finde daß Carls II. wie ſeine Welt-
bildung, auch in den Zügen ganz franzöſiſch ausſiebt,
und namentlich eine auffallende Aehnlichkeit mit Buſſy
Nabutin hat. Sein Vater hängt in einer mehr als
gewöhnlich anziehenden Abbildung daneben. Gewiß
hat er ein ſchönes Geſicht mit vielſagenden Augen,
aber der weiche, leidende, ideologiſche Ausdruck deſ-
ſelben zeigt genugſam an, daß der Träger ſolcher
Züge keinem Mann wie Cromwell und keiner Zeit
wie der ſeinigen gewachſen war. Es iſt aber das
größte Unglück für einen Hochſtehenden, in eine un-
rechte Zeit zu gerathen, wenn er nicht groß genug
[286] iſt, ihr ſeinen eigenen Stempel aufzudrücken. Der
große Philoſoph Locke, von Gibſon, erſcheint als
ein magrer Stubengelehrter; daneben hängen ein ſchö-
ner, fetter Luther, von Holbein, der ſtattliche Hen-
del, von Hodſon, und ein Portrait von Hugo Gro-
tius, mit einem feinen, ſchlauen und doch ritterlich
ehrlichen Geſicht, mehr den rüſtigen Weltmann als
den Gelehrten zeigend. Das ſind ungefähr die Ge-
genſtände, die mich am meiſten anzogen.



Heute bin ich erſt recht in Oxford umbergeirrt, und
kann nicht ausdrücken, mit welchem innigen Vergnü-
gen ich in dieſer gothiſchen Stadt, von Kloſter zu
Kloſter wandernd, mir die alten Zeiten aufgefriſcht
habe. Unter andern gibt es eine prachtvolle Allee
von Rüſtern hier, die, gleich den von dieſer Prome-
nade ſichtbaren Gebäuden, dem Jahre 1520 ihren
Urſprung verdankt. Von dieſer Königin aller Alleen,
in der auch nicht ein Baum fehlt, und die mitten
durch eine Wieſe am Waſſer hinführt, ſieht man von
der einen Seite eine reizende Landſchaft, von der an-
dern einen Theil der Stadt mit fünf bis ſechs der
ſchönſten gothiſchen Thürme, an ſich ſchon ein herr-
licher Anblick, der aber heute noch durch einen bezo-
genen Himmel, an dem der Wind ſchwarze, phanta-
ſtiſche Wolken, gleich dem wilden Heere hinjagte, und
[287] an dem ſich zuletzt der ſchönſte Regenbogen, wie aus
einem der Thürme ſteigend, und in den andern herab-
ſinkend, über die ganze Stadt ſpannte — faſt mähr-
chenhaft und bezaubernd wurde.


Von dieſem alten Muſenſitz Englands, von allen
jenen Colleges, jedes verſchieden von dem andern,
und in verſchiedenen Zeiten gebaut, jedes große Höfe
einſchließend und mit prachtvollen Thürmen geſchmückt,
jedes mit einer mehr oder minder verzierten Kirche,
einer Bibliothek und Gemäldegallerie verſehen, und
alle in ihrer Art immer von neuem Intereſſe — nehme
ich das angenehmſte Andenken mit. Wenn Du es
aushalten kannſt, immer und immer mehr aus der
alten Schüſſel zu genießen, ſo führe ich Dich noch
weiter mit mir umher.


Mein erſter Gang am Morgen war alſo nach der
Ratcliff-Bibliothek, ein rundes in neuerer Zeit auf-
geführtes Gebäude, d. h. im vorigen Säculum auf
Dr. Ratcliff’s Koſten erbaut, und ziemlich in der
Mitte der Stadt gelegen. Es enthält im Innern
nichts als eine Rotunde, durch drei Etagen ſteigend,
mit einer Kuppel und zwei Reihen offener Gallerien
über einander, aus denen Seitengemächer wie Strah-
len aus dem mittlern Rund nach außen laufen, wo
die Bücher (welche nur Medizin und Naturphiloſo-
phie betreffen) aufgeſtellt ſind. An den Pfeilern un-
ten ſtehen rund umher Abgüſſe der beſten Antiken.
Eine kleine höchſt accurat gebaute Wendeltreppe führt
in einem Seitenthürmchen zur letzten Gallerie — auf
[288] dem Dache, von welcher man eine ſchöne Ueberſicht
der mit tauſend Spitzen gen Himmel ſtrebenden go-
thiſchen Paläſte hat. Auch die umliegende Gegend
iſt freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt
in allem vier und zwanzig Colleges (Art Klöſter für
Erziehung beſtimmt), und dreizehn Kirchen in dem
kleinen Raum einer Stadt, die nur 16,000 Einwoh-
ner hat.


Von hier beſuchten wir die von Heinrich VIII. er-
baute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtentheils
in ihrem primitiven Zuſtand erhalten, und mit nicht
weniger als 300,000 Büchern ausgeſtattet. Das Lo-
kal ſieht keinem andern dieſer Art ähnlich, und verſetzt
auch im Innern vollſtändig in dahin gegangene Jahr-
hunderte. Die Kreuzesform, die ſeltſamen Schränke
und Eiſengitter halb blau, halb vergoldet, von einer
jetzt nicht mehr geſehenen Form, die ungeheuren Fen-
ſter, von der Breite dreier Kirchenfenſter zuſammen-
genommen, und mit dem ſchönſten farbigen Glaſe
geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen
Caiſſons, jedes das Bild einer aufgeſchlagenen Bibel
mit vier Kronen enthaltend — ſelbſt das noch beibe-
haltene alte Coſtüme der an den Tiſchen ſitzenden
Doctoren in Luthers Tracht — wie ungewöhnlich
wird die Phantaſie durch ſolchen Anblick angeregt!
In der Mitte der hohen Schränke geht eine Gallerie
rund umher, um zu den höher ſtehenden Büchern zu
gelangen. An dem Geländer dieſer Gallerie, die un-
ten wieder eine Decke bemalter Caiſſons bildet, ſind
die Portraits der verſchiedenen Bibliothekare, vom er-
[289] ſten bis zum letzten, aufgehangen, einige leider in
moderner Kleidung, welche daher wie Affen unter ihren
ehrwürdigen Altvordern erſcheinen. In dem mittleren
Theile des Saals ſind auf beiden Seiten die Schränke
ſo aufgeſtellt, daß ſie zugleich eine lange Gaſſe ver-
ſchloſſener Kabinets bilden, in denen Jeder, der die
Bibliothek benutzen will, ganz ungeſtört arbeiten
kann; eine alte, höchſt nachahmungswürdige Einrich-
tung. Auſſer dieſem Hauptſaale ſind die übrigen Bü-
cher in Zimmern enthalten, die den ganzen erſten
Stock des viereckigen Gebäudes einnehmen. Hier ſind
höchſt merkwürdige Manuſcripte und alte Drucke aufbe-
wahrt, man bedauert aber, ſo viel hier zu ſehen,
was Deutſchlands Armuth dem engliſchen Reich-
thum
hat zollen müſſen, unter andern ein herrli-
ches Exemplar der älteſten Fauſtiſchen Bibel von 1440
glaube ich, die unſerm Doctor Barth gehörte, und
mit vielen Noten von ſeiner Hand verſehen iſt. Eine
wahre Freude hatte ich, ein Manuſcript zu finden,
das ſo ſehr dem einen Theil des Froiſſart’s in unſe-
rer Bibliothek glich (dem mit den Miniaturen auf
jedem Blatt), ganz mit denſelben Arabesken von Früch-
ten und Blumen auf Goldgrund geziert, Styl und
Farben der Bilder ſo völlig ähnlich, daß es faſt keinem
Zweifel unterworfen ſeyn kann, es müſſe von dem-
ſelben Maler herrühren. Leider iſt darauf weder
Name noch Jahreszahl vorhanden. Der Inhalt iſt
Curtius Geſchichte Alexanders, alle Perſonen aber
im Coſtüme der Zeit des Schreibers, und wie im
Froiſſart, die franzöſiſchen und engliſchen Ritter, ſo
Briefe eines Verſtorbenen. III. 19
[290] bricht auch hier Alexander, von Kopf bis zum Fuß in Ei-
ſen gehüllt, eine Lanze mit Darius, und wirft ihn unſanft
aus dem Sattel. Ein ſehr merkwürdiges franzöſiſches
Manuſcript, deſſen Gegenſtand ein Heldengedicht in Ver-
ſen iſt, enthält (ein äuſſerſt ſeltner Fall) den Namen des
Schreibers mit dem Jahr 1340, und darunter auch
Namen und Datum des Malers 1346, was vermu-
then ließe, daß der Letzte ſechs Jahre zu den Minia-
turen gebraucht hat, die faſt alle auf einem ganz un-
gewöhnlichen Grunde, aus Gold, blau und roth,
nach verſchiedenen Richtungen quadrirt, und einer
Tapete ähnlich, gemalt ſind. Beſonders intereſſant
wird dieſe Schrift dadurch, daß auf jedem Blatte, wo
ſich ein Bild befindet, der Maler um den Text, ſtatt
einer Einfaſſung oder Arabeske, die Darſtellung da-
maliger Gewerbe, Spiele und Ergötzlichkeiten ange-
bracht hat. Nur eine flüchtige Durchſicht zeigte mir,
neben einer Menge Spielen und Aufzügen, die wir
nicht mehr kennen, auch mancherlei, ſo ganz noch,
wie wir es in unſern Tagen ſehen, daß ich oft dar-
über erſtaunte. Z. B. ein Maskenball, Kämmerchen
vermiethen, das Händeſpiel, gioco di vilano genannt,
daſſelbe mit den Füßen, was wir Knaben oft in der
Schule exercirten, um uns im Winter zu erwärmen,
Hahnenſchlag und Hahnengefechte, Seiltänzer und
Taſchenſpielerkünſte, Kunſtreiter und abgerichtete
Pferde, die mitunter noch ſchwerere Kunſtſtücke ma-
chen als die unſrigen, Scheibenſchießen nach einem
Mann, der (mille pardons) ſeinen bloßen H .... der
Geſellſchaft zukehrt, wie in Pförten in der Lauſitz
[291] noch ein ähnlicher exiſtirt, eine ſchmiede, wo ein
Pferd im Nothſtall beſchlagen wird, ein Frachtwagen
mit drei großen Karrenpferden vor einander geſpannt,
mit Leitern an den Seiten, Geſchirr ꝛc. ganz in der
heutigen Form, ſelbſt das Coſtume des Fuhrmanns
in ſeiner blauen Blouze das nämliche, und manches
andere, was ich nicht alles hererzählen will, zeigte
an, daß, wenn Vieles ſich änderte, doch auch unend-
lich viel ſich gleichblieb, und vielleicht, à tout prendre,
das Getreibe der Menſchen in den verſchiedenen Zei-
ten ſich weit ähnlicher ſieht, als man ſich vorzuſtel-
len pflegt.


Ein Bocaccio mit äuſſerſt ſchönen Miniaturen und
prachtvoller Schrift gehört zu den eleganteſten Parade-
ſtücken der Bibliothek, und als eine der größten Sel-
tenheiten
wird eine lateiniſch und griechiſch abge-
faßte Apoſtelgeſchichte aus dem 7. Jahrhundert ge-
zeigt, in der jede Zeile nur ein Wort in beiden
Sprachen enthält. Für ſein hohes Alter iſt das
Ganze ſehr wohl erhalten.


In dem Aller-Seelen-College iſt eine Stelle in dem
ſchönen Hofe, (den übrigens der feinſte Raſen be-
deckt) wo man einen beſonders herrlichen Anblick
fortwährend übereinander hinragender Spitzen und
Façaden alterthümlicher Gebäude hat, ohne die ge-
ringſte Miſchung mit Modernem. Hier iſt ebenfalls
eine Bibliothek von 70,000 Bänden in einem 120 Fuß
langen und 60 Fuß hohen Saal aufgeſtellt. In der
19*
[292] Mitte ſteht eine Himmelsuhr, die unſer ganzes Son-
nenſyſtem ungemein einfach verſinnlicht, und regel-
mäßig das Jahr hindurch mit Sonne und Planeten
den gleichen Lauf hält.


Chriſtus-College iſt ein ſchönes Gebäude neuerer
Zeit, nur eine Abtheilung davon iſt uralt, und die
Kirche von altſächſiſcher Bauart, wo antike Säulen
mit runden und Spitzbogen, ſonderbar, aber nichts
weniger als das Auge beleidigend, durch einander
abwechſeln. Hier iſt der berühmte Schrein der heili-
gen Frisdewide, ein überaus prächtiges und geſchmack-
volles gothiſches Grabmal aus dem Anfang des ach-
ten Jahrhunderts, alſo jetzt ſchon 1200 Jahr wohl
erhalten. Es war mit ſilbernen Apoſteln und andern
Zierrathen verſehen, die unter Cromwell geraubt
wurden, wie überhaupt dieſer unglückliche Religions-
krieg den Monumenten des Alterthums in England
einen unerſetzlichen Schaden zugefügt hat, da bis
dahin alle dieſe Sachen auf das Vollſtändigſte con-
ſervirt waren. Bei dieſem College iſt auch der rei-
zende Spaziergang, von dem ich Dir ſchon ge-
ſchrieben. Er führte uns zu dem Magdalenen-Klo-
ſter, das zum Theil neu reſtaurirt iſt, und von al-
len Colleges den höchſten Thurm hat. Die Reſtau-
rationen, welche dem alten Style vollkommen gleich
ausgeführt ſind, und dieſe Theile des Gebäudes nun
wieder 500 Jahre länger ſichern werden, koſten, ob-
gleich nur ein ſehr geringer Theil fertig iſt, bereits
40,000 £. St. Man kann ſich alſo denken, welche
[293] ungeheuren, gar nicht mehr zu erſchwingenden Sum-
men die Aufführung ſolcher Werke von Grund aus
heut zu Tage koſten würden. Die arbeitenden Klaſ-
ſen, und zum Theil die Künſtler, haben offenbar in
unſerer Zeit über die Verzehrenden den Vorſprung ge-
wonnen, und ihre Arbeit iſt daher ſo theuer gewor-
den, daß etwas wirklich Großes in der Kunſt nach
dieſem Maaßſtabe kaum mehr bezahlt werden könnte,
denn für die Summe, welche ehemals ein Götter-
werk Raphaels erkaufte, kann man heute (ſelbſt ver-
hältnißmäßig in Hinſicht auf den geringern Geld-
werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr
erſtehen. Der botaniſche Garten ſchloß unſre Prome-
nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens
werth wäre. Ich erlöſe Dich daher für jetzt, meine
gute Julie. Mais c’est à y revenir demain.



Es iſt ſündlich, wie mein Privat-Tagebuch ſeit
lange ſchon von mir vernachläſſigt wird! Je mehr die
Reiſebriefe an Dich anſchwellen, je mehr ſchrumpft jenes
unglückliche Journal zuſammen. Wenn Du dieſe Briefe
verbrannt haſt, werde ich gar nicht mehr wiſſen,
was in jener Zeit aus mir geworden iſt. Denke Dir
wie unangenehm, vor ſeinem eignen Gedächtniß zu
verſchwinden! Ja, meine Einbildungskraft iſt durch
[294] die vielen Ruinen und Anklänge vergangener Zeiten
ſo montirt, daß ich ſchon in eine Zukunft hinüber
träume, wo ſelbſt alle Ruinen aufhören, und wo
man nicht nur ſeinen Schatten, ſondern den ganzen
Menſchen verloren haben wird, um auf neuen Ster-
nen ein neues Leben zu beginnen — denn mit der
Erinnerung, man ſage was man wolle, verliert man
doch das ganz, was man jetzt iſt, wie ſchon auf
dieſer Erde der Greis beinahe ſich als Kind verloren
hat. Wieder finden können wir uns aber dennoch,
meine Herzensfreundin, und dann wird das Band,
das uns hier verbindet, ſich auch nothwendig wieder
dort neu anknüpfen müſſen. Dies kann uns auch
genügen


Mais revenons à nos moutons — c’est à dire:
parlons de nouveau de parcs.


Ein abſcheuliches Wetter, Regen und Dunkelheit
hielten mich in [Oxford] bis 3 Uhr Nachmittags zurück,
wo es ſich ſoweit aufklärte, daß ich abfahren konnte.
Der Poſtillon wußte den Weg, welcher keine Haupt-
ſtraße iſt, nicht recht genau, und fuhr uns eine große
Strecke um, ſo daß wir erſt ſehr ſpät hier ankamen.
Während man in meiner Stube Kaminfeuer machte,
trat ich in die des Wirths, wo ich ein ſehr hübſches
Mädchen, ſeine Nichte, fand, nebſt zwei Doctoren
aus dem Orte, mit denen ich mich den Abend ganz
gut unterhielt.


[295]

Stove iſt gleich Blenheim ein zweites Specimen
engliſcher Größe und Pracht. Der Park umſchließt
ein großes Terrain in ſchöner, hüglicher Gegend, mit
herrlichem Baumwuchs, und das Schloß iſt ein ſehr
magnifikes Gebäude im italiäniſchen Geſchmack, nach
Zeichnungen von Chambers. Der pleasure ground,
welcher es umgiebt, erſtreckt ſich über 1200 Morgen,
und war in beſter Ordnung erhalten. Dieſe Gärten
ſind eine alte Anlage, und obgleich ſehr ſchön in vie-
ler Hinſicht, und durch ihren Reichthum an hohen
Bäumen ausgezeichnet, doch mit Tempeln und Ge-
bäuden aller Art dermaßen überladen, daß 10 bis 12
abzureißen die größte Verbeſſerung ſeyn würde. Zu
rühmen iſt ein reizender Blumengarten, dicht um-
ſchloſſen von hohen Bäumen, Fichten, Cedern, im-
mergrünen und blühendem Strauchholz, und im
Deſſin einen regelmäßigen Teppich bildend, der ſich
vor einem halbzirkelförmigen Hauſe mit Säulen, das
ſeltne Vögel enthält, ausbreitet. In der Mitte des
Teppichs ſpringt eine ſchöne Fontaine, und auf bei-
den Seiten ſieht man zwei zierliche Volieren von
Drahtnetz.


Ein anderer Blumengarten, mit Statuen geſchmückt,
und einem Gewächshauſe in der Mitte, bildete irre-
gulaire Blumengruppen auf dem Raſen. Die Umge-
bung war ein durchſichtiger Hain der höchſten Bäume,
ohne weitere Ausſicht.


[296]

Im Park ſteht ein Thurm, den man den Bourbon
Tower genannt hat, weil er mit einem Kranze von
Linden umgeben iſt, die Ludwig XVIII. pflanzte, als
er ſich ſo lange hier in der Nähe, in Hartwell, auf-
hielt. Obgleich neu, iſt dieſer Thurm doch ſchon wie-
der halb eingefallen. Ich wünſche, daß dies keine
üble Vorbedeutung für die Bourbons in Frankreich
abgeben möge, wo man ſelbſt den weiſen Charten-
geber nur: Louis l’inévitable und „deux fois neuf“
taufte.


Der Erwähnung werth iſt auch ein Monument,
den großen Männern und Frauen Englands gewid-
met, mit recht paſſenden Inſchriften, und den beſten
Gemälden gut nachgeahmten Büſten.


Die Länge der Schloß-Façade beträgt 450 Fuß,
und eben ſo lang iſt die ununterbrochene Enfilade
der Zimmer in der bel étage, zu der man, von der
Gartenſeite, auf einer ſchönen Treppe hinanſteigt.
Durch eine breite Bronzethüre tritt man hierauf in
einen ovalen Marmorſaal mit einer ſchönen Kuppel,
von welcher aus er allein beleuchtet iſt. Ein Kreis
von 20 Säulen aus röthlichem Marmorſtück umgiebt
ihn, und in den Niſchen, welche dieſe bilden, ſtehen
zehn antike Statuen. Der Boden iſt mit ächtem
Marmor ausgelegt, und ein goldnes Gitter in der
Mitte des Fußbodens befindlich, aus dem regelmäßige
Wärme ausſtrömt. Es würde zu lang werden, jedes
einzelne Zimmer zu beſchreiben. Ich erwähne nur
[297] im Allgemeinen, daß ſie ſehr reich, und in dem Ge-
ſchmack, der vor 80 — 100 Jahren herrſchte, meu-
blirt ſind. Die Tapeten, entweder ſchwarzes Seiden-
zeug oder Hauteliſſe, alle Zimmer mehr oder weniger
mit Gemälden, Curioſitäten und Kunſtſchätzen aller
Art geſchmückt. Eine Unzahl chineſiſchen Porzellains
und anderer Sachen aus dieſem Lande iſt darin zu-
ſammengehäuft, beſonders in dem Staats-Schlafzim-
mer, das nicht benutzt wird, ſondern nur als Zierde
ein prachtvolles altes geſticktes Sammtbett mit gold-
nen Frangen etablirt.


In dem Boudoir daneben befanden ſich viele an-
dere Koſtbarkeiten, die wir jedoch, durch ein Gitter
abgehalten, nur von weitem ſehen konnten. Die Ent-
wendung eines Halsbandes von Rubinen, welches
Marie Antoinette von Frankreich gehört hatte, iſt
die ſehr triftige Urſache, daß, ohne des Herzogs Ge-
genwart, Niemand mehr hineingelaſſen wird.


Die Bibliothek, welche eine lange Gallerie bildet,
dient als Hauptgeſellſchaftszimmer und iſt modern
eingerichtet, voller Sophas, Tiſche, Fortepianos ꝛc.,
die Wände bis an den Plafond mit Schränken bedeckt,
welche in der Mitte eine leichte und elegante Gallerie
haben, zu der man durch eine kleine Wendeltreppe
gelangt. Ein großes, eben ſo diſponirtes Zimmer
daneben, enthält nichts als Mappen mit Kupferſti-
chen, vielleicht eine der reichſten Sammlungen in der
Welt. Es ſcheint dies die Liebhaberei des jetzigen
Herzogs. Der Concertſaal hat neben allem nöthigen
[298] Muſikapparat auch eine große Orgel. Ein anderer
Saal, eigentlich die Halle, auf der entgegengeſetzten
Seite des Schloſſes nach dem Parke zu gelegen, wo
die Anfahrt für die Wagen iſt, bietet eine Ausſicht
dar, deren Wirkung ich höchſt eigenthümlich fand.
Man ſieht nämlich eine große freie Raſenfläche vor
ſich, auf beiden Seiten mit Eichenwald eingefaßt, im
Mittel- und Hintergrund einige Wieſen und Wald
durcheinander abwechſelnd. Auf der Mitte der Ra-
ſenfläche, ohngefähr 60 — 70 Schritte vom Schloß,
ſteht ganz frei eine ſchneeweiße coloſſale Reiterſtatue,
vortrefflich ausgeführt, auf einem hohen Piedeſtal,
ſo daß der Reiter gerade auf den Waldesſpitzen hin-
ter ihm zu ruhen ſcheint. Kein Gebäude oder ande-
rer Gegenſtand (nichts wie Bäume, Gras und Him-
mel) iſt ſichtbar, und die Gegend ſo völlig unbelebt,
daß das weiße Geiſterbild die ganze Aufmerkſamkeit
allein auf ſich ziehen muß. Keine ſchönere Dekoration
zum Don Juan läßt ſich denken. Dazu kam noch,
daß der Himmel gerade heute durch ein glückliches
Ohngefähr, auf dieſer Seite des Schloſſes mit einem
Schneeſturme drohend, ganz ſchwarz überzogen war,
wogegen die blendend weiße Statue faſt grauſend
abſtach. Sie ſchien in dem Augenblick lebend, und
jede Muskel trat im grellen Lichte hervor.


Unter den Gemälden befindet ſich ein Schatz, der
unſeren deutſchen Reiſenden gar nicht bekannt gewor-
den zu ſeyn ſcheint, wenigſtens habe ich nirgends
davon etwas geleſen — ein ächtes, noch während
[299] Shakespeares Leben gemaltes Portrait dieſes Dich-
ters, von Barnage. Die Hypercritiker in England
wollen zwar durchaus kein ächtes Portrait Shakes-
peares ſtatuir[e]n, aber mir ſcheint es faſt unmöglich,
eine Phyſiognomie zu erfinden, die ſo ſiegend den
Charakter der Wahrheit an ſich trüge, ſo ganz die
Größe und Originalität des Mannes ausſpräche, den
ſie darſtellt, ausgeſtattet mit aller geiſtigen Erhaben-
heit, allem Scharfſinn, Witz, Feinheit, und jenem
ächten Humor, deſſen unerſchöpflicher Reichthum kei-
nem andern Sterblichen je wieder ſo zu Theil gewor-
den iſt. Das Geſicht iſt keineswegs, was man ge-
meinhin ſchön nennt, aber die erhabene Schönheit
des dahinterwohnenden Geiſtes wird im erſten Au-
genblicke klar. Um die hohe Stirne ſpielt dieſer kühne
Geiſt in blitzenden Lichtern, durchdringend ſind die
großen dunkelbraunen Augen, feurig und mild; nur
um die Lippen ſchwebt leiſer Spott und gutmüthige
Schlauheit, aber mit einem ſo lieblichen Lächeln ver-
ſchwiſtert, daß dieſes erſt der ſonſt ernſten Würde
des Ganzen, den größten, menſchlich gewinnenden,
Reiz verleiht. Wunderbar vollkommen erſcheint da-
bei der Bau des Schädels und der Stirne, die keine
einzelne beſonders hervorſtehende Erhöhung, aber alle
Organe ſo gewölbt und ausgebildet zeigt, daß man
über die Harmonie eines ſo muſterhaft organiſirten
Kopfes erſtaunt, und eine wahre Freude fühlt, das
Bild des Mannes mit ſeinen Werken in ſo ſchö-
nem Einklang zu finden.


[300]

Zwei vortreffliche Albert Dürer, ein Schweſterpaar
weiblicher Heiligen in phantaſtiſcher Landſchaft dar-
ſtellend, zogen mich beſonders durch ihren originell
deutſchen Charakter an. Es ſind zwei ächte Nürn-
berger Hausfrauen, mit ihren vaterländiſchen Hauben
angethan, und nach der Natur aufgefaßt, gutmüthig
und geſchäftig ihr Heiligenamt verrichtend. Ein Bild
Luthers von Holbein verräth mehr Geiſt, und iſt we-
niger fett als gewöhnlich.


Bemerkenswerth iſt noch ein Bild von van Dyk, den
Herzog von Vieurville vorſtellend, dem Geſandten
Frankreichs bei Carl I., der mit chevalereskem Geiſte
den König auch in die Schlacht begleitete, und bei
Newbury getödtet wurde. Die Tracht iſt ſonderbar,
aber doch maleriſch. Ein weißer juste-au-corps à la
Henri quatre,
mit einem ſchwarzen Mantel darüber,
weite kurze ſchwarze Beinkleider über die Knie fal-
lend, mit ſilbernen Metallſpitzen daran, hellviolette
Strümpfe mit goldenen Zwickeln, und weiße Schuhe
mit goldenen Roſen. Auf dem Mantel iſt der Stern
des heiligen Geiſtes, viermal größer als jetzt üblich,
geſtickt und das blaue Band wird noch en sautoir,
aber länger herunterhängend und bereits ähnlich der
heutigen Mode, mit dem Kreuze ſeitwärts getragen.
Dieſes hängt faſt unter dem Arm, ſchmaler und klei-
ner als jetzt, an dem großen Bande.


Den Duc de Guiſe hätte ich mir anders vorgeſtellt,
ein blaſſes Geſicht mit röthlichem Bart und Haar,
mehr intriguant als großartig ausſehend. Dem Cha-
[301] rakter der dargeſtellten Perſon beſſer entſprechend iſt
das Bild des Grafen Gondemar, ſpaniſchen Geſand-
ten bei Jakob I., (von Velasquez) der durch ſein Kü-
chenlatein dem gelehrten Könige ſchmeichelte, in wel-
cher burlesken Form er ſich Alles zu ſagen erlaubte,
und nachher durch ſeinen jeſuitiſchen Einfluß Sir Wal-
ter Raleigh, den Günſtling Eliſabeths, auf’s Schaf-
fot brachte.


Ein Bild Cromwells von ſeinem Hofmaler Richard-
ſon, hat ein doppeltes Intereſſe für die Familie, da
es für einen der Vorfahren des Herzogs gemalt wurde,
der ſelbſt mit darauf abgebildet iſt, — als Page, im
Begriff, dem Protektor dienſtfertig die Feldbinde in
eine Schleife zu binden. Es gleicht dieſes Portrait
den andern, die ich von Cromwell geſehen, nicht ganz,
ſondern ſtellt ihn jünger und in einer verfeinerten
Natur dar, iſt alſo wahrſcheinlich geſchmeichelt. Der
Hofmaler läßt dies doppelt vermuthen.


Nur andeuten will ich zwei ſchöne und große Te-
niers, wovon der eine drei höchſt charakteriſtiſche hol-
ländiſche Bauern darſtellt, die ſich im Dorfe begeg-
nen, und mit der Pfeife im Maule zu ſchwatzen an-
fangen, einen vorzüglichen Ruysdael, ſechs berühmte
Rembrandts, und die Geliebte Titians, von ihm
ſelbſt gemalt, mit Armen und Buſen, die der Um-
armung entgegenſchwellen. Auch ein neueres Kunſt-
werk bewunderte ich ſehr: zwei Taſſen von Sevres
mit Miniaturgemälden nach Petitot, von der vor-
trefflichen Porzellain-Malerin Mad. Jaquotot. Das
[302] eine ſtellt Ninon de Lenclos vor, deren mir bisher
bekannt gewordnen Abbildungen nie meiner Vorſtel-
lung von ihr recht entſprachen, dagegen dieſe ihren
bekannten Charakter vollſtändig ausſpricht, und dabei
von der anziehendſten Schönheit iſt, ächt franzöſiſch,
lebhaft wie Queckſilber, eine Kühnheit, die allerdings
an Frechheit ſtreift, aber doch zu edel und zu weſent-
lich natürlich, um einen andern als gewinnenden Ein-
druck zurück zu laſſen. Die andere, eine ſanfte, hei-
tere und wollüſtige Schönheit, war unterſchrieben
Francoiſe d’Orleans de Valois — als Eingeweihte in
die franzöſiſche Genealogie und Memoiren, wirſt Du
wiſſen, wer dies iſt. Je l’ignore. Jede dieſer Taſſen
koſtete 1000 Franken.


Bei ſchönem Mondſchein fuhren wir den Abend noch
bis Aylesbury, von wo ich Dir jetzt ſchreibe.



Noch heute Abend hoffe ich wieder in London zu
ſeyn. Während dem Umſpannen ſchreibe ich Dir flüch-
tig nur ein paar Worte. Wir ſahen früh Lord Ca-
ringtons Park, zu Deinem Troſt geſagt, vor der Hand
wenigſtens, den letzten. Der Garten bietet eben nichts
Beſonderes dar, das Schloß iſt abermals im belieb-
ten Neu-Gothiſch, aber, da es einfacher gebaut iſt,
und weniger Prätenſion macht, erſcheint es auch we-
niger affektirt. Es iſt nur aus rohen Bruchſteinen
[303] ohne Putz aufgeführt. Innerlich waren vortreffliche
alte Glasmalereien, durchgehends aber nur der obere
Theil der Fenſter bunt, das übrige weiß, um die
Zimmer heller zu laſſen.


Ein gutes Bild Pitts hängt in der Bibliothek. Der
große Mann trägt nichts weniger als geniale Züge,
und wer weiß, ob die Nachwelt nicht einſt ein ähn-
liches Urtheil über ſein Wirken fällen wird. — Im
Garten bemerkte ich etwas Artiges, einen dicht ge-
pflanzten Epheukranz auf dem Raſen, der wie nur
nachläßig darauf hingeworfen, und wie von einem
Vorübergehenden verloren, erſchien.


Die Reiſe ſollte mit der Beſichtigung von Buls-
trode geſchloſſen werden, das Repton ſo weitläuftig,
als ein Muſter für Park und Gartenanlagen, be-
ſchreibt. Dieſer Kelch geht aber an Dir vorüber, liebe
Julie, denn der Herzog von Portland hat es ver-
kauft, und der jetzige Beſitzer die ſtolzen Baumrieſen,
für die ſich Repton ſo enthuſiasmirt, gefällt, die Wie-
ſen zu Feld beurbart, und ſelbſt das Schloß abgeriſ-
ſen, um die Steine zu Gelde zu machen. Es war
eine traurige Scene der Verwüſtung, noch bedenkli-
cher gemacht durch die ſeltſame Tracht der darin ar-
beitenden Weiber, welche, vom Kopf bis zu Fuß in
blutrothe Mäntel gehüllt, einer unheimlichen Ver-
ſammlung von Scharfrichtern glichen.


[304]

Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer feſtlichen
Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein,
und da ich mir, nach dem langen Park- und Garten-
leben, auf der Stelle einen Contraſt bereiten wollte,
ſtieg ich am Coventgarden-Theater ab, um die erſte
Weihnachtspantomime zu ſehen. Dies iſt eine ſehr
beliebte Schauſpielart in England, wo man vorzüg-
lich die Kinder hinführt, und auch ich alſo gut an
meinem Platze war. Dichter und Dekorateurs wenden
viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit
größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute
Nacht ſage, will ich, in einer rhapſodiſchen Skizze,
das Spiel noch einmal vor Dir ſich begeben laſſen.


Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Ne-
bel die Scene, der ſich nur nach und nach verzieht,
welches durch feine Gaze ſehr täuſchend bewerkſtelligt
wird. Man unterſcheidet im Dämmerlicht eine länd-
liche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hin-
tergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und
einigen Schneegipfeln überragt. Noch iſt alles däm-
mernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, beſiegt
die ſchweren Morgendünſte, und die Hütte mit dem
entfernter liegenden Dorfe erſcheinen nun erſt in voll-
ſter Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen
großen Hahn, der mit den Flügeln ſchlägt, ſich brü-
ſtet und die Sonne mit mehreren ſehr natürlichen
[305] Kikerikys begrüßt. Eine Elſter neben ihm fängt an
zu ſprechen, herumzuſpazieren, und einen in der Mauer-
niſche darunterliegenden, gigantiſchen Kater zu necken,
der ſeine Glieder ſchläfrig reckt, ſeine Schnautze putzt,
und behaglich ſchnurrt. Dieſer Kater wird von einem
der Akteurs, welcher ſich nachher in Harlequin ver-
wandelt, mit großer Virtuoſität agirt. Sein Spielen
mit einer Melone, die Leichtigkeit ſeines Kletterns
auf den Schornſtein hinauf und herunter, ſeine Sprün-
ge und Manieren ſind ſo natürlich, daß ſie nur den
Thieren ſelbſt durch langes Studium abgelauſcht ſeyn
können, denn glücklicherweiſe iſt nun die Schauſpiel-
kunſt dahin gekommen, daß ſie nicht mehr nöthig hat,
Menſchen durch Pudel und Affen überbieten zu laſſen,
ſondern dieſe gefeierten Thiere durch die Menſchen
ſelbſt täuſchend darſtellen zu laſſen im Stande iſt.


Unterdeß öffnet ſich die Thüre, und Mutter Syip-
ton, eine fürchterliche Hexe, tritt mit ihrem ähnlichen
Sohne heraus. Die Hausthiere, zu denen ſich noch
eine große Eule geſellt, machen ſogleich ihre Morgen-
Cour nach Kräften. Die Hexe aber iſt unwirſch, ſpricht
eine Verwünſchung über ſie aus, und verwandelt ſie
auf der Stelle (was äußerſt geſchickt gemacht wird)
in die Perſonen der italieniſchen Comödie, die, gleich-
ſam ein Bild der Welt, ſich raſtlos verfolgen, bis der
Klügſte endlich ſiegt. So ſpinnt ſich denn das Mähr-
chen durch tauſend Verwandlungen und Tollheiten
weiter fort, ohne beſondern Zuſammenhang, aber zu-
weilen mit guten Anſpielungen auf die Tagesbegeben-
Briefe eines Verſtorbenen. III. 20
[306] heiten, und vorzüglich mit herrlichen Dekorationen,
den Witzen des Maſchiniſten. Eine der beſten Dar-
ſtellungen dieſer Art war die Zauberküche. Ein Fel-
ſen ſpaltet ſich und zeigt eine große Höhle, in deren
Mitte über einer brennenden Klafter Holz ein ganzer
Hirſch mit Geweih, ein ganzer Ochſe, und ein Schwein
ſich mit Blitzesſchnelle über einander am Spieße her-
umdrehen. Auf einem Herde an der rechten Seite
bäckt eine Paſtete von der Größe eines Frachtwagens,
und links wird ein Plumpudding von gleichem Calibre
gekocht. Der Chef de cuisine erſcheint hierauf mit
ein paar Dutzend Gehülfen in weißer grotesker Uni-
form, alle mit langen Schwänzen verſehen, und jeder
mit einem Rieſenmeſſer und Gabel bewaffnet. Der
Kommandirende läßt ſie erſt ein lächerliches Exercitium
machen, das Gewehr präſentiren u. ſ. w., wobei ſie ſich
eben ſo erfahren benehmen, als die ſieben Mädchen
in Uniform. Dann ſtellt er ſie Pelotonweiſe an, um
die Braten mit Butter zu begießen, und dies zwar
mit Kochlöffeln von demſelben gigantiſchen Maßſtabe
als die übrigen Utenſilien, während ſie mit ihren
langen Schwänzen ſorgſam das Feuer anfachen.


Später ſtellt die Scene eine hohe Burg dar, nach
welcher die beſchriebenen Rieſengerichte gleich Artillerie
gefahren werden. Die Windungen des Felſenweges
laſſen ſie in ſteigender Entfernung immer kleiner wie-
der zum Vorſchein kommen, bis endlich die Paſtete,
wie der untergehende Mond, am Horizonte ver-
ſchwindet.


[307]

Nun werden wir in eine große Stadt verſetzt, mit
allerlei komiſchen Inſchriften an den Häuſern, mei-
ſtens Satyren auf die Menge der neuen Erfindungen
und Compagnieen für alle mögliche Unternehmungen,
als z. B. Waſch-Compagnie der vereinigten drei Reiche.
Steamboat in 6 Tagen nach Amerika zu fahren. Si-
cheres Mittel, in der Lotterie zu gewinnen. Berg-
werksaktien zu 10 £. St., um in 10 Jahren ein Mil-
lionär zu werden ꝛc. ꝛc. Eine Schneider-Werkſtatt
zeichnet ſich im Vorgrund aus, wo im Rez-de-chaus-
sée
mehrere Geſellen emſig nähen, und über der
Thüre eine Scheere von ſechs Ellen Länge, aufwärts
ſtehend, als Wahrzeichen befeſtigt iſt. Harlequin kömmt
an, verfolgt von Pantalon und Comp., und ſpringt,
mit einem Burzelbaum in der Luft, durch ein Fen-
ſter des zweiten Stocks, das klirrend zerſchmettert,
in das Schneiderhaus. Die Verfolger, vor dem salto
mortale
zurückfahrend, ſtürzen über einander her, und
prügeln ſich mit artiſtiſchem Geſchick und einer Ge-
lenkigkeit, die man nur Marionetten zutrauen ſollte.
Man holt nun Leitern, und die Geſellſchaft ſteigt
Harlequin nach in das Haus. Dieſer iſt aber bereits
aus dem Schornſtein echappirt, und läuft auf den
Dächern weiter. Pantalon mit ſeinem langen Kinn
und Bart, lugt indeß zum Mittelfenſter, wo die
Scheere hängt, und mit ihren beiden Schneiden das
Fenſter umfaßt, hinaus, um zu erſpähen, welchen
Weg Harlequin wohl genommen habe. Plötzlich
ſchlägt aber die Scheere zu, und ſein Kopf fällt auf
die Straße. Pantalon, ohne Kopf, rennt nichts deſto
20*
[308] weniger die Treppe hinab, und ſtürzt aus der Thüre
ſeinem kollernden Haupte nach, das unglücklicherweiſe
in demſelben Augenblick ein Pudel aufnimmt, und
damit fortrennt. Pantalon hinter drein. Hier be-
gegnet er aber Harlequin ſchon wieder, der ſich als
Doctor verkleidet hat, und ſchnell eine Conſultation
mit drei andern Aerzten hält, wie dem jammernden
Pantalon zu helfen ſey. Man vereinigt ſich endlich,
die kahle Stelle, wo der Kopf fehlt, mit Macaſſar-
Oehl-Eſſenz zu ſchmieren, und glücklich wächst auch,
vermöge dieſer Operation, vor den Augen der Zu-
ſchauer der Kopf langſam wieder heraus.


Im letzten Akt wird uns das Tivoli in Paris zum
Beſten gegeben. Ein Luftballon mit einem ſchönen
Kinde ſteigt auf. Während er vom Theater über die
Zuſchauer hinſchwebt, verſinken nach und nach die ir-
diſchen Dekorationen, und ſobald der Ballon an der
Decke angekommen iſt, wo er um den Kronleuchter
in beträchtlicher Höhe eine Volte macht, füllt ſich die
Bühne mit wogenden Wolken, durch welche tauſend
Sterne blinken, was eine artige Illuſion hervorbringt.


Beim Herabſinken des Ballons ſteigt Stadt und
Garten wieder gradatim empor. Nach dieſer Scene
wird ein Seil aufgeſchlagen, auf dem eine reizend
gewachſene Frau mit dem Schubkarren bis zur Spitze
eines gothiſchen Thurmes in Brillantfeuer fährt, wäh-
rend andere Aequilibriſten auf ebenem Boden dane-
ben ihre halsbrechendſten Kunſtſtücke machen.


[309]

Zum Schluß verwandelt ſich, mit Donner und
Blitz, das Theater in einen prachtvollen chineſiſchen
Saal, mit tauſend bunten Papierlampen, wo alle
Zaubereien ſich löſen, die Hexe durch einen wohlthä-
tigen Geiſterkönig in die Eingeweide der Erde ver-
bannt wird, und Harlequin, als anerkannter legiti-
mer Prinz, ſich endlich mit ſeiner Colombine ver-
mählt.


Beim Zuhauſefahren hatten wir noch ein anderes
ſonderbares Schauſpiel gratis. Aus einer Feuereſſe
drang eine hohe Säule glühenden Rauches, die ſich
bald darauf abwechſelnd grün, roth und blau färbte,
und je näher wir kamen, immer dichter und bunter
gleich dem eben geſehenen chineſiſchen Feuerwerk, in
Farben emporwirbelte. Wahrſcheinlich, ſagte ich zu
R ...., ein chemiſches Laboratorium, wenn nur kein
ernſtliches Feuer daraus entſteht. Doch kaum hatte
ich es geſagt, ſo war meine Befürchtung auch ſchon
in Erfüllung gegangen. Geſchrei erſchallte von allen
Seiten, wilde Flammen zuckten gen Himmel, die Men-
ſchen liefen zuſammen, und bald raſſelten ſchon Spri-
tzen durch die Straßen. Aber die große Stadt ver-
ſchlingt das Einzelne. — Noch 500 Schritte weiter,
und das Feuer in der Nachbarſchaft erregte weder
Lärm mehr noch Intereſſe. In einem erleuchteten
Palaſt tanzte man luſtig, langſam zogen die aus den
Theatern Heimkehrenden ihren Wohnungen zu, und
freche Nymphen, wie factices Elend ſuchten, an den
dunkeln Stellen, wie gewöhnlich der Vorübergeben-
den Aufmerkſamkeit zu erregen.


[310]

Doch meine gute, liebe Julie, il faut que tont
finisse,
alſo auch dieſe lange Reiſerelation, die Dir
gewiß einen Bogen für jedes Jahr meines Lebens
liefert. Daß ſie aber mit einem Feuer ſchließt, das
deute auf feurige Liebe, und hierzu iſt es nicht
nöthig, wie Dein Aberglaube empfiehlt, zu rufen:
Zur guten Stunde ſey’s geſagt! Jede Stunde, ſelbſt
die unglücklichſte, iſt gut — wo Liebe iſt.


[[311]]

Eilfter Brief.



Theure Julie!

R … iſt heute nach Harwich abgereist, und wird
in 14 Tagen bei Dir ſeyn, Du aber Dich gewiß
dann freuen, einen lebendigen Zeugen des Schaltens
und Waltens Deines L .... mündlich über ſo Man-
ches ausfragen zu können, was doch mit dem beſten
Willen in Briefen nicht mit jeder Nüance ſo auszu-
drücken iſt. Ich habe mich unterdeſſen im Stadtle-
ben wieder eingewohnt. Geſtern ſpeiste ich bei Fürſt
E …, wo uns der ..... ſche Legations-Sekretair,
eine Art aimabler Bouffon, und obgleich ſelbſt von
ſehr ordinairer Abkunft, doch ein Superlativ von Ul-
tra (tel le maitre tel le valet) in einem Lachen er-
hielt. Ich habe oft das Talent der Franzoſen be-
wundert, und auch wohl beneidet, die amüſanteſten
Erzählungen aus den gewöhnlichſten Begebenheiten
zu componiren, die in anderm Munde ſogleich alles
Salz verlieren würden. Niemand excellirt darin mehr,
[312] als Herr R., und liefert zugleich einen Beweis, daß
dieſes Talent allein Folge der dazu ſo vortrefflich
paſſenden Sprache, und einer aus dieſer wiederum
entſpringenden Erziehung iſt. Denn Herr R. iſt ein
Deutſcher, ich glaube ein Schwabe, aber als zwei-
jähriges Kind nach Frankreich gekommen, und daher
als Franzoſe erzogen worden. Die Sprache macht
den Menſchen mehr, als das Blut, aber das Blut
hat freilich früher die Sprache gemacht.


Uebrigens muß man auch wieder bekennen, daß,
ſo brillant ein ſolches liebenswürdiges Geſchwätz auch
im erſten Augenblick erſcheint, es zuletzt doch nur
wie eine Fuſée zerplatzt, und der Erinnerung nichts
mehr zurückläßt, ſo daß der pedantiſche Deutſche ſo-
gar eine Art Unbehaglichkeit darnach fühlt, und be-
dauert, ſeine Zeit unnütz verloren zu haben. Wäre
dem deutſchen Element, das ſich ſeine Sprache gebil-
det, es auch noch möglich geweſen, ihr jene Leichtig-
keit, Rundung, angenehme Zweideutigkeit und zu-
gleich Präciſion und Abgeſchloſſenheit zu geben, welche
Eigenſchaften auch die franzöſiſche Dreiſtigkeit in den
geſellſchaftlichen Verhältniſſen hervorrufen, ſo müßte
des Deutſchen Converſation gewiß die befriedigendſte
von beiden ſeyn, da er nie verſäumen würde, dem
Angenehmen auch das Nützliche beizufügen. So aber
bleibt uns Deutſchen gewöhnlich in der Geſellſchaft
nur die Art Verſtand übrig, welche die Franzoſen
ſo treffend l’esprit des escaliers nennen, nämlich der,
welcher Einem erſt auf der Treppe eingiebt, was
man hätte im Salon ſagen ſollen.


[313]

Von dem Feuerwort des Franzoſen iſt mir nichts
im Gedächtniß zurückgeblieben, als folgende gute
Anekdote.


Ein zur Zeit Ludwig XIV. als Autorität gelten-
der diplomatiſcher Schriftſteller, ſchließt eine Abhand-
lung über die großen Vorrechte, die einem fremden
Bothſchafter zuſtehen, mit folgenden Worten: „mais
dès qu’un Ambassadeur est mort, il rentre aussitôt
dans la vie privée.



Der arme Herzog von York iſt nach langem Kran-
kenlager endlich geſtorben, und jetzt ſehr prächtig in
Parade aufgeſtellt. Ich ſah ihn noch im Oktober,
und fand in ihm ſchon damals nur noch den Schat-
ten des rüſtig ſtattlichen Mannes, den ich in frühe-
rer Zeit ſo häufig in Lady L .... s und in ſeinem
eignen Hauſe ſah, wo ſechs Bouteillen Claret, nach
Tiſche getrunken, ſeine Phyſiognomie nur unmerklich
veränderten. Ich erinnere mich, daß er an einem
ſolchen Abend einſt — es war ſchon nach Mitter-
nacht — einige ſeiner Gäſte, unter denen ſich auch
der öſterreichiſche Geſandte, Graf Meerveldt, der
Graf Beroldingen und ich befanden, in ſein ſchönes
Waffenkabinet führte. Wir verſuchten mehrere tür-
kiſche Säbel zu ſchwingen, mochten aber insgeſammt
[314] keine recht feſte Hand mehr haben, und daher ge-
ſchah es, daß ſowohl der Herzog, als Graf Meer-
veldt, ſich an einer indiſchen Waffe, einer Art gera-
dem Schwerdt, Beide blutig ritzten. Hierauf wünſchte
der Letztere zu wiſſen, ob ſie ſo gut ſchneide als ein
Damascener, und unternahm ſogleich, eins der auf
dem Tiſch ſtehenden Wachslichter mitten durchzuhauen.
Das [Experiment] gerieth aber ſo ſchlecht, daß beide
Lichter ſammt den Leuchtern auf den Boden fielen
und verlöſchten. Während wir in der Dunkelheit um-
hertappten, und die Thüre ſuchten, fing der Adju-
tant des Herzogs, Obriſt C …, kläglich zu ſtammeln
an: „By God Sir, I remember, the sword is poi-
soned!“
.... Man kann ſich das angenehme Gefühl
der Verwundeten bei dieſer Nachricht denken — glück-
licherweiſe zeigte es ſich aber bald bei genauerer Un-
terſuchung, daß der Behauptung des Obriſten nur
Claret, und kein Gift zum Grunde lag.


Der Herzog wird ſeiner vielen vortrefflichen Eigen-
ſchaften wegen ſehr bedauert, und das ganze Land
trägt tiefe Trauer für ihn, mit Flor am Hute und
ſchwarzen Handſchuhen, was die Fabrikanten zur
Verzweiflung bringt. Alle Livreen ſind ſchwarz, auch
ſchreibt man nur auf Papier mit breitem ſchwarzen
Rande. Während dem werden aber nichts deſto we-
niger die Weihnachtspantomimen auf den Theatern
fortgeſetzt, und es macht eine ſonderbare Wirkung,
wenn man Harlequin und Brigbella ſich in allen Fri-
volitäten und Poſſen auf der Bühne herumjagen,
[315] und das, wie zu einem Leichenzuge beflorte, raben-
ſchwarze Publikum dabei wüthend klatſchen und vor
Lachen laut jubeln hört.


Eben erhalte ich Deinen Brief von B … Nun
wahrlich, ſo luſtig, ich möchte faſt ſagen, ſo beißend,
haſt Du lange nicht geſchrieben. Die B … ſchen Ori-
ginale ſcheinen Dich ganz elektriſirt zu haben, und
obgleich ich mich darüber freuen ſollte, fühle ich doch
ein wenig Eiferſucht. Du wirſt aber ſchon zu Dei-
nem
Original wieder zurückkehren. — Wie Cäſar,
ſage ich mit Zuverſicht: Ich fürchte nicht die Fetten,
ſondern nur die Magern, und ſo lange Du alſo,
wie Du mich verſicherſt, Dein hübſches enbonpoint
conſervirſt, bleibe ich ganz ruhig. Bei alle dem hätte
ich doch Luſt, Dich ein wenig wieder zu necken, wenn
ich nicht wüßte, daß Du den Scherz par distance
nicht wohl verträgſt. Um meiner Laune jedoch in
Etwas genug zu thun, ſende ich Dir einen Auszug
aus meinem Journal, als Seitenſtück zu Deiner frü-
hern afrikaniſchen Reiſe; denn das magere Tagebuch
lebt noch, obwohl es manchmal Monate lang keine
Nahrung bekömmt, und die wenige nicht den min-
deſten haut gout enthält. Erwarte alſo auch weder
etwas Luſtiges noch Satyriſches, ſondern nur Ernſt-
haftes, denn es wird Dir als Strafe auferlegt.


[316]

Aus meinem Tagebuch.


In der Literary Gazette las ich heute einen ſehr
gründlichen Aufſatz, der meines Erachtens ſchlagend
beweiſet, wie vortheilhaft der große Landbeſitz Ein-
zelner in England auch auf die Cultur des Bodens
ſelbſt wirkt *), im Vergleich mit der, unter einer ge-
wiſſen Klaſſe von Staatstheoretikern ſo beliebten,
möglichſten Verparzellirung des Landbeſitzes, wie ſie
in Frankreich ſtatt findet. Ich gebe einen freien
Auszug.


„Nach der auf offizielle Aktenſtücke baſirten Berech-
nung iſt in Frankreich dem Ackerbau gewidmet an
Land 27,440 □ Lieues. In England nur 13,396,
alſo noch nicht die Hälfte. Demohngeachtet iſt der
Ertrag des Bodens an Produkten in England 1/7
mehr. Da nun die Güte des Bodens nicht in der
Totalität erheblich verſchieden iſt, ſo beweiſet dies
offenbar, daß man den Ackerbau in England weit beſ-
ſer verſteht, und der Grund in dem Reichthum der
großen Landbeſitzer lieget, die ſtets bereit ſind, Ame-
liorationen, neuen Verſuchen, und dem Fortſchritt
der Wiſſenſchaft momentane Opfer zu bringen, die
ihnen oder andern in der Folge hundertfältig zu Gute
kommen —, ein Vortheil, der kleinen Beſitzern, die
[317] nie zu einem hinlänglichen Betriebs-Capital kommen
können, ſtets abgeht. Noch merkwürdiger aber wird
der fernere Vergleich.


In England und Schottland giebt es 589,384 Land-
eigenthümer und Pächter. Ein Drittheil für Irland
hinzugerechnet, und jede dieſer Familien zu fünf Per-
ſonen angenommen, erreichen ſie in der Geſammt-
heit noch nicht die Zahl von 4,000,000, alſo ohnge-
fähr ⅕ der ganzen Bevölkerung Großbrittaniens.


In Frankreich dagegen giebt es nicht weniger als
483,300 Landeigenthümer und Pächter. Dieſe gleich-
falls zu fünf Perſonen pro Familie angenommen,
machen die ungeheure Totalſumme von 24,000,000 aus,
alſo beinahe ⅘ der Nation, die allein mit Ackerbau
beſchäftigt ſind. Was folgt daraus? daß in England
⅕ der Bevölkerung daſſelbe Reſultat des Ackerbaues
und darüber ergiebt, als in Frankreich ⅘; — daß
alſo der Induſtrie, den Fabriken, Handel ꝛc. in Eng-
land ⅘, in Frankreich nur ⅕ übrig bleibt.“


Kann es eine beſſere Lection für unſre Nivellirer
geben, die mit ſo viel Pathos behaupten: nur die
möglichſte Verkleinerung des Landbeſitzes bringe die
höchſte Bevölkerung, und folglich die größte Wohl-
fahrt eines Staates hervor, und dabei albern genug
ſind, wie Elſtern den in England von allen Unter-
richteten verlachten Oppoſitionsblättern nachzuſchreien,
daß die großen Gutsbeſitzer allein die Urſache der
Noth der geringeren Klaſſen wären.


[318]

Dieſe vorübergehende Noth trifft aber eigentlich
nur die Fabrikarbeiter und liegt in der Natur der
Sache, da dieſe Leute, lebenslang nur an ein und
dieſelbe Arbeit gewöhnt, plötzlich keine andere über-
nehmen können noch wollen, wenn eine Stockung
im Handel eintritt. Dies iſt die nothwendige Folge
einer ſo ins Unermeßliche getriebenen Induſtrie als
in England, und das zufällige und vorübergehende
Leiden einiger Tauſend kann nicht in Betracht kom-
men gegen das Uebergewicht von Macht und Reich-
thum, welches England zum großen Theil dieſer In-
duſtrie, NB. auf einer blühenden und beſchützten Land-
wirthſchaft feſtgeſtellt, — mit verdankt. Uebrigens
ſind die Arbeiter, von denen die Rede iſt, durch
großen Verdienſt und gutes Leben ſo verwöhnt, daß
ein Solcher ſchon vom Verhungern ſpricht, wenn er
nicht täglich Fleiſch, Weißbrod, Bier und Thee in
den größten Portionen zu ſich nehmen kann, und ich
frage jeden Fremden, der in England als Beobach-
ter ohne Vorurtheil reist, ob er nicht weit mehr noch
durch die allgemeine Wohlhabenheit und die vielen
befriedigten Bedürfniſſe der gemeinern Klaſſen, als
durch den oft fürſtlichen Reichthum und [Luxus] Ein-
zelner in Verwunderung geſetzt wird? Der Taglöh-
ner in England lebt faſt durchgängig beſſer, als in
Deutſchland der wohlhabende Bürger, und es iſt ein
merkwürdiger Fall, der des Citirens werth iſt, daß
während in Mancheſter und Birmingham Ende vori-
gen Jahres, nach den öffentlichen Blättern, Tauſende
verhungerten, Fabriken verbrannt und Militair re-
[319] quirirt wurde, man im Parlament bewies, daß ſechs
Stunden davon keine Menſchen zur Erndte für drei-
fachen Lohn zu bekommen waren.“ *)


Dies mag etwas übertrieben ſeyn, hat jedoch im
Weſentlichen gewiß ſehr viel Wahres.


Ein Hauptgrund des hohen Wohlſtandes Englands
iſt aber, alles Uebrige abgerechnet, wohl vor allem:
die auſſerordentliche Ehrfurcht, welche ſowohl die Ge-
ſetze ſelbſt, als die Verwaltung für alles Eigenthum
an den Tag legen, worunter Grundeigenthum im-
mer das am gefährlichſten für den Staat zu verletzende
bleibt. Dies wird auch von der Nation als ein ſo
heiliges Recht angeſehen, daß Operationen, wie Con-
tinentalmächte ſie oft zum Beſten ihrer Unterthanen
willkührlich vornehmen, Theorieen, die das Eigen-
thum einer Klaſſe in Anſpruch nehmen, um eine an-
dere beſſer zu ſtellen, dort ganz unausführbar ſind.
Daraus aber entſteht Sicherheit für Vornehme wie
Geringe, und dieſer folgt Wohlſtand.


[320]

Später wird man vielleicht auch bei uns einſehen,
welchen zweifelhaften Nutzen man dem Staate da-
durch gebracht hat, daß man von dieſem Prinzipe ab-
ging, und das Eigenthum der Gutsbeſitzer und die
Anſprüche der Bauern durch niedergeſetzte koſtſpielige
Commiſſionen auf eine Art reguliren läßt, die den
Erſteren durch Machtſpruch einen Theil des Ihrigen
nimmt, um es den andern zuzuwenden, ohne daß
es dieſen dennoch zu Gute kömmt, indem beide Theile
oft faſt ſo viel, als der ganze Gegenſtand werth iſt,
an die Schiedsrichter bezahlen müſſen!


So hat ſich aber die gezwungene *), ſogenannte
Regulirung der bäuerlichen Verhältniſſe nur an zu
[321] vielen Orten geſtaltet, obgleich ſie früher in gut ge-
meinter Abſicht angeordnet war, und wenn ſie, als
eine deſpotiſche Maaßregel, auch ſchnell und deſpotiſch
*)
Briefe eines Verſtorbenen. III. 21
[322] ausgeführt worden wäre, vielleicht heilſam gewirkt
hätte, ſtatt daß ſie jetzt, in Formen und nicht abzu-
ſehende Schwierigkeiten und Inſtanzenzüge verſun-
ken, gleich einem ſchädlichen Upas-Baum dem Lande
ringsumher methodiſch das Mark ausſaugt, und alle
Verhältniſſe um ſich her vergiftet.


War die Idee des Geſetzgebers alſo auch wohlmei-
nend, ſo blieb die Maßregel doch immer eine eigen-
mächtige Handlung der Gewalt, die das Privateigen-
thum angriff, und ſo konnte auch die fehlerhafte
Wurzel, beſonders bei ſo ſchlechter Wartung der
Pflanze, nur meiſt trügende Früchte bringen.


Ich ging jetzt über zu einer Recenſion des Salva-
tor Roſa, von Lady Morgan, in demſelben Blatte.
Eine Stelle darin ergriff mich tief, et pour cause.
Es iſt die originelle Schilderung ihres Helden, ohn-
gefähr wie folgt.


„Mit einem Durſt nach Lob,“ ſagt ſie, „welchen
kein Beifall befriedigen konnte, vereinigte Salvator
eine Schnelle und Beweglichkeit der Wahrnehmung,
die ihn ſtets ungewiß machte, ob er gefiele, ſelbſt
wenn er den meiſten Succeß hatte. Ein verzogener
Mund, ein niedergeſchlagenes Auge, ein ennüyirter
*)
[323] Blick, eine ungeduldige Miene, das leiſeſte Lächeln,
der Schein einer gehäſſigen Anſpielung konnte augen-
blicklich die peinlichſten Gefühle in ihm hervorrufen,
alle ſeine Eigenſchaften paralyſiren, und ihm alle
Macht rauben, dieſe Schwäche zu verbergen.


Verlaſſen in dieſer Epoche von den Großen und
Müßigen, die ihn mehr fürchteten als liebten, und
ſeine Dienſte jetzt nicht bedurften, verbarg er ſich
freiwillig in tiefe Einſamkeit, auch vor denen, die
ihm treu geblieben, gleichmäßig fliehend, wer ihn
liebte, und wen er verachtete. Seine Schilderung
dieſer Reiſe iſt erſchöpfend für die wilde Einbildungs-
kraft und die eigenthümlichen Gefühle, welche das
wahre Geheimniß ſeines Weſens ausmachen, wäh-
rend ſeine Sehnſucht nach Einſamkeit, ſeine ſtets ver-
gebne Reue, den Kampf eines Gemüths malen, das
zwiſchen einer angebornen Liebe zu Natur und Ruhe,
und einem künſtlichen Ehrgeiz für die Aufmerkſam-
keit der Welt und dem Glanze des Rufes fortwäh-
rend ſchwankte — kein ungewöhnlicher Contraſt in
jenen vielleicht höher begabten Gemüthern, die ihre
Intelligenz zwar oft über die Andern erhebt, welche
dieſelbe Natur aber durch geſellſchaftliche und ſympa-
thetiſche Neigungen wieder zum Niveau dieſer An-
dern herabzieht. Dieſe feine, aber unglückliche Or-
ganiſation, die ihn ſo empfänglich für jeden Eindruck
machte, guten oder übeln, und die ihm zu Zeiten
keinen Schutz mehr weder gegen die Schrecken der
Einbildungskraft ließ, noch auch gegen die Betrüb-
niß über wahre Verläumdung und Verfolgung —
21*
[324] verſenkte ihn zu häufig in Anfälle unbeſiegbarer Me-
lancholie, wenn jede Illuſion verſchwand, und er die
Menſchen, zu denen er mit gehörte, in aller Nackt-
heit ihrer angebornen Gebrechlichkeit ſah.“


Ja, dieſe Schilderung iſt aus der Seele gegriffen,
und eben ſo wahr iſt es, daß mit einer ſolchen Diſpo-
ſition geboren, man in der umgebenden Welt ſich
nur wohl fühlen kann, wenn man durch die Ver-
hältniſſe ſehr — ſehr hoch über ſie geſtellt iſt, oder
ganz unbemerkt in ihr lebt.


So weit wurde ich durch die Gedanken Anderer
geführt, jetzt will ich für heute das Tagebuch mit
einer eignen Betrachtung ſchließen, deren Gegenſtand
noch tiefer das Innerſte berührt, und eine Frage
verhandeln, deren nähere Beleuchtung Jeden intereſ-
ſiren muß, wenn er auch eben ſo wenig wie ich ein
Philoſoph von Profeſſion iſt.


Was iſt Gewiſſen?


Das Gewiſſen hat ohne Zweifel eine doppelte Na-
tur, wie eine doppelte Quelle. Die eine fließt aus
unſerer höchſten Stärke, die andere aus unſerer größ-
ten Schwäche, die eine aus dem in uns wohnenden
Geiſt Gottes, die andere aus ſinnlicher Furcht.
Beide wohl zu unterſcheiden, iſt für die Ruhe des
Menſchen nöthig, die nur aus möglichſter Klarheit
entſpringt, denn der Menſch erlangt, wenn er aus
dem urſprünglichen, gebieteriſchen Gefühlsinſtinkt
[325] herausgetreten iſt, alles Bleibende nur durch Anſtren-
gung „im Schweiße ſeines Angeſichts“, auch die Er-
kenntniß. Er iſt aber ein Ganzes, aus unzähligen
Theilen zuſammengeſetzt, und nur im vollſtändigen
Gleichgewicht dieſer Theile kann er als Menſch, d. h.
als hier zugleich geiſtig und ſinnlich erſcheinendes We-
ſen, vollſtändig glücklich und befriedigt ſeyn. Es iſt
der gewöhnliche, immer wiederkehrende Fehler, nur
eine Seite vorherrſchend ausbilden zu wollen, einer
das Gebiet der Religion, ein andrer die ſtrenge Ver-
nunft, das Weltkind nur den Verſtand und das
Sinnliche. Alles zuſammen aber in gehöriger Har-
monie angewendet, genoſſen, und ſo zu ſagen künſt-
leriſch vereinigt, giebt allein für dieſe Erde und die
Exiſtenz auf ihr, das vollſtändigſte Leben, die ächte
Wahrheit.


Unter dieſem Geſichtspunkt muß auch das, was
wir Gewiſſen nennen, betrachtet, und das Wahre
vom Unwahren geſchieden werden.


Unter dem Wahren verſtehe ich, die untrügliche
Mahnung des göttlichen Geiſtes in uns, die uns von
dem Böſen überhaupt, als dem ganz Einſeitigen, In-
conſequenten und Negativen abhält, und dies bedarf
keiner weitern Erklärung — das Falſche aber iſt das-
jenige, welches nur vom Conventionellen, der Ge-
wohnheit, Autorität, auf dieſem Grunde erwachſenen
Spitzfindigkeiten, und übertriebner Aengſtlichkeit, mit
einem Wort, aus Furcht, entſpringt. Feine, leicht
erregbare Naturen — in denen das Cerebralſyſtem
[326] dominirt, alſo Kopf und Phantaſie — wenn ich mich
ſo ausdrücken darf, kräftiger als das Herz ſind, und
der theilende Verſtand zu leicht die Innigkeit des vol-
len Gefühls aufhebt — ſind dieſem Irrwege am mei-
ſten unterworfen. Es iſt aber ſo ſchwer, dieſen ſub-
tilen Verzweigungen und geheimnißvollen Wechſel-
wirkungen zu folgen, daß man oft nachher für pri-
maires Gefühl hält, was doch nur Rückwirkung ei-
nes ſophiſtiſchen Verſtandes iſt.


Da nun Recht und Unrecht, auf die einzelnen Hand-
lungen im menſchlichen Leben angewandt, bei ihren
vielfachen Bedingniſſen und Verwickelungen offenbar
relativ werden muß, ſo bleibt nichts übrig, als daß
ein Jeder ſich mit Hülfe aller ſeiner Seelenkräfte recht
deutlich mache, redlich ergründe, was er für Recht
und Unrecht hält, und was er vernünftigerweiſe da-
für zu halten habe, dann aber ruhig dieſen Maßſtab
anlege, und ſich auch um ſein ſogenanntes Gewiſſen,
d. h. jene innere Unbehaglichkeit und Ungewißheit bei
Colliſionsfällen nicht kümmere, welche nicht ganz aus-
bleiben kann, da die in der Kindheit und früheſten
Jugend erhaltenen Lehren, recht oder unrecht, ver-
nünftig oder abgeſchmackt, immer einen unwiderſtehli-
chen Eindruck auf unſer Gemüth ausüben werden. *)


[327]

Ich will nur einige erläuternde Beiſpiele anführen:
Wer mit einem ſanften Gemüth, in Gottesfurcht und
Menſchenliebe erzogen, Soldat geworden iſt, wird
ſchwerlich, wenn er zum Erſtenmal kaltblütig ſich ein
Menſchenleben zum Ziel nehmen muß, dieß ohne eine
merkliche Regung ſeines Gewiſſens thun können. We-
nigſtens gieng es mir ſo. Dennoch iſt es ſeine Pflicht,
eine Pflicht, die ſich aus höheren, wenn gleich weltli-
chen, Geſichtspunkten auch ſehr gut rechtfertigen läßt,
wenigſtens ſo lange die Menſchheit noch nicht weiter
iſt, als jetzt.


Eben ſo wird der, welcher die Religion ſeiner Vä-
ter, die ihm täglich gepredigte Lehre ſeiner Jugend,
nach langem Kampf und aus reiner Ueberzeugung, daß
eine andere beſſer ſey, abſchwört und dieſe annimmt,
doch gar oft eine leiſe, nur mühſam zu bezwingende
Unruhe darüber empfinden, und es geht damit gerade
wie mit der abgeſchmackteſten Geſpenſterfurcht bei
Solchen, denen man früher den Geſpenſter glauben
eingeprägt! Sie haben ein Geſpenſtergewiſſen, das
ſie nicht los werden können. Ja noch mehr: bei reiz-
baren Charakteren wird die bloße Ueberzeugung, daß
Andere uns einer Uebelthat ſchuldig halten, hinläng-
*)
[328] lich ſeyn, uns ganz die Empfindung des böſen Ge-
wiſſens zu geben, daß ſich ſogar oft äußerlich in den
gewöhnlichen Anzeichen deſſelben, in Verlegenheit, Er-
röthen und Erblaſſen anzeigt. Dies mag ſo weit ge-
hen, daß es endlich zum Wahnſinn führt, und z. B.
ein allgemein geglaubter, oder ein wirklicher, aber
ganz unſchuldig begangener, Todtſchlag dem Thäter
alles Lebensglück und Ruhe rauben kann. Ja wir
leſen von einem Braminen, deſſen Kaſte den Mord
der Thiere dem eines Menſchen gleichſtellt, daß er
ſich aus Verzweiflung das Leben nahm, weil ein
engliſcher Naturforſcher ihm bewies, er habe, als
er ein Glas Waſſer trank, mehr als Tauſende von
unſichtbaren Thieren um ihr Daſeyn gebracht. Il n’y
a qu’un pas du sublime au ridicule.


Ugoni erzählt im Leben des äußerſt gewiſſenhaften
Paſſaroni, daß, als dieſer einſt über die Brücke der
porta orientale gieng, er einen Laſtträger auf dem
breiten Steingeländer im tiefen Schlafe liegend fand,
wo er unverſehends geweckt, leicht hätte in den Strom
fallen können. Er ergriff ihn daher beim Arm, und
machte den ſehr Ermüdeten nur mit Mühe munter,
und ihm noch ſchwerer begreiflich, warum er ihn ge-
weckt habe. Höchſt verdrießlich erwiederte der Laſt-
träger ſeine Bemühung nur mit einem derben Fluche,
und erſuchte ihn, ſich zum T ..... zu ſcheren.


Paſſaroni, höchſt betrübt, die allerdings ſchuldige
Urſache dieſes Zorns zu ſeyn, ergriff eine Hand voll
Münze, und gab ſie dem Erzürnten, um auf des
[329] Gebers Geſundheit zu trinken. Darauf gieng er ganz
vergnügt weiter, war aber noch nicht am Ende der
langen Brücke angekommen, als ihm aufs Herz fiel,
daß dieſe Gabe vielleicht noch ſchlimmere Folgen ha-
ben könnte, als das frühere Aufwecken, indem ſie
leicht den armen Mann zu der Sünde verleiten könn-
te, ſich zu betrinken. Aengſtlich eilte er daher ſogleich
wieder zurück, fand den Mann glücklich noch an der-
ſelben Stelle, wo er ſich wieder in die vorige Lage
zurecht gelegt hatte, und bat ihn verlegen: von dem
ihm geſchenkten Gelde doch ſo viel wieder herauszu-
geben, als er nicht nothwendig zu ſeinen dringendſten
Bedürfniſſen gebrauche. Da nun der Zorn des ſich
gefoppt glaubenden Mannes ärger als je aufloderte,
ſo ergriff er einen andern Ausweg. Hier mein Freund,
ſagte er, da Ihr nichts herausgeben wollt, ſo nehmt
noch dieſen Scudo, und verſprecht mir heilig, daß
wenn Ihr das andere Geld vertrinken ſolltet, Ihr
für dieſen Scudo dazu eſſen wollt.


Nach dieſem ihm von Seiten des Fachino gern er-
theilten Verſprechens, war Paſſaroni endlich in ſei-
nem Gewiſſen beruhigt, und gieng nun wohlgemuth
zu Hauſe.


Wir müſſen alſo, ich wiederhole es, um weder un-
glücklich, noch lächerlich zu werden, noch einem ſchwan-
kenden Rohre zu gleichen, auch das Gewiſſen wie alle
anderen Eigenſchaften der Seele, ausbilden, d. h.
in ihrer Reinheit bewahren und zugleich in feſte
Schranken zurückweiſen, denn Alles, ſelbſt das Edelſte
[330] artet ſonſt aus. Für das Allgemeine bleibt aber im-
mer die beſte Richtſchnur das einfache, und eben ſo
Jedem verſtändliche Chriſtuswort:


„Thue Andern (und auch Dir ſelbſt) nichts, was

Du nicht willſt, daß andere Dir thun.“

So lange wir Alle jedoch noch keine Chriſten ſind,
und ich möchte faſt ſagen, ſeyn können, muß es den-
noch Ausnahmen erdulden, wie zum Beiſpiel den Fall
des angeführten Soldaten, oder die eben ſo wenig
praktiſch zu verwerfenden Ehrengeſetze für gewiſſe
Stände, und dann bleibt freilich kein anderer Aus-
weg, als, wo man ſelbſt die Ausnahme machen muß,
auch dem Andern, ſich ihm gleichfalls zum Opfer
bringend, daſſelbe zu geſtatten. Damit rettet man
nothdürftig die Liebe, wenigſtens diejenige Gerechtig-
keit, welche das jus talionis genannt wird.


Der aber hat ein glückliches, ein genußreiches Le-
ben, dem es Natur und Umgebung leicht machten, im
gewohnten Gleiſe ſtets bleiben zu können, von An-
fang an gut zu ſeyn, und liebend und ſittlich! Der
erſte Fehler ſchon macht es ſchlimm, denn wie unſer
philoſophiſcher Dichter ſo wahr ſagt:


„Das eben iſt der Fluch des Böſen,

„Daß es fortwuchernd immer Böſes muß gebähren!“

Und immer iſt die Wiedergeburt auf dieſer Welt
auch nicht zu erlangen — ja es mag wohl die höchſte
Wohlthat der ewigen Liebe ſeyn, daß ſie den Tod ge-
ſchaffen, damit er die verworren gewordene Schrift
[331] wieder auslöſche, und der verirrten Seele von neuem
das weiße Blatt zum glücklicheren Verſuche darbiete.
Wer aber hier ſchon das Heilige darauf geſchrie-
ben, dem wird wohl eine weitere ſeeligere Aufgabe
werden! Die liebende Gerechtigkeit ſtraft nicht wie
der ſchwache Menſch, aber ſie kann nur da belohnen,
wo Lohn verdient, wo er als nöthige Folge des Ver-
gangenen errungen wird. Darum vergrabt Euer
Pfund nicht. Amen!



Es iſt wieder recht kalt geworden, und das Kamin
„wo Tag und Nacht die Kohle brennt“ leider unzu-
länglich eine warme Stube hervorzubringen, wie ſie
unſre zwar häßlichen, aber mir doch heute ſehr zweck-
mäßig vorkommenden Oefen gewähren.


Um das Blut in Umlauf zu bringen, reite ich deſto
fleißiger aus, und beſah heute bei der Rückkunft, ei-
nes der vielen hier aufgeſtellten Cosmoramas, die
allerdings eine ganz angenehme Reiſe auf dem Zim-
mer, wie man es in V. nennt, gewähren. So gab
mir das Innere der Cathedrale von Rheims nebſt
der Krönungs-Darſtellung der Krönung Carl des X.
gewiß hier einen bequemern Anblick derſelben, als er
in dem Gedränge der Kirche ſelbſt ſtatt gefunden ha-
ben mag. Aber welches geſchmackloſe Coſtume vom
Könige bis zum letzten Hofmanne! Neues und Altes
[332] auf widrige Art gemiſcht. Wenn man einmal ſolche
Comödien giebt, ſollte man ſie doch wenigſtens eben
ſo hübſch wie bei Franconi einzurichten ſuchen.


Die Ruinen von Palmyra breiteten ſich daneben
ganz ſchauerlich in der gränzenloſen Sandwüſte aus,
welche in der Glühhitze, am fernen Horizont, lang-
ſam eine Caravane durchzieht.


Am täuſchendſten war der Brand von Edinburg. Es
brannte wirklich. Man ſah bald die Flammen ſtärker
hervorlodern, bald Wolken ſchwarzen Rauchs empor-
ſteigen, und immer änderte ſich der Anblick der gan-
zen Landſchaft im Verhältniß dieſer verſchiednen Be-
leuchtung, wie es die reelle Feuersbrunſt nicht anders
mit ſich bringen würde. Wahrſcheinlich befand ſich
die Küche des Beſitzers hinter dem Bilde, und daſſelbe
Feuer, welches die Phantaſie des gläubigen Zuſchau-
ers erhitzte, machte zugleich die Schöpſenkeule gar, die
er mit dem Entreegelde bezahlt hatte.



Ich habe ſeit einigen Tagen zu ſehr blos vegetirt,
um Dir viel ſchreiben zu können. Dieſen Morgen
war ich indeß nicht wenig verwundert, R ...., den
ich faſt ſchon bei Dir angelangt glaubte, wieder in
meine Stube treten zu ſehen. Er hat auf dem hal-
ben Wege bis Hamburg halben Schiffbruch gelitten,
und vom Sturm zurückgetrieben im Eiſe bei Harwich
[333] eine ganze Nacht in Lebensgefahr geſchwebt, iſt aber
auch hierdurch ſo in Schrecken geſetzt, daß er vom
Meere ſein Lebtage nichts mehr wiſſen will. Ich ſende
ihn alſo in dieſer gefährlichen Schifffahrtszeit über
Calais, und ſchreibe es Dir nur, damit Du Dich ſei-
netwegen nicht beunruhigſt. Von den mitgenomme-
nen Sachen für Dich hat er leider Einiges eingebüßt.


Hydepark bot dieſen Morgen ein mir neues Schau-
ſpiel dar. Der große See war zugefroren und wim-
melte von einer urermeßlichen bunten Menge Schlitt-
ſchuhfahrer und Anderer, die das hier ſo ſeltene Eis-
vergnügen mit wahrer Kinderfreude genoſſen. Vor
einigen Jahren fand bei gleicher Kälte hier eine ſon-
derbare Wette ſtatt. Der berüchtigte Hunt handelt
hauptſächlich mit Stiefelwichſe, und ein großer Four-
gon mit dergleichen angefüllt, und mit vier eleganten
Pferden beſpannt, die ſein Herr Sohn gewöhnlich
four in hand leitet, durchfährt den ganzen Tag die
Straßen der Stadt, um dieſen Handel zu beſorgen.
Beſagter junge Hunt wettete nun um 100 £. St., daß
er mit der beſchriebenen Equipage im Gallop quer
über den See in Hydepark fahren wolle, und gewann
die Wette glänzend. Eine Karrikatur hat ſie ver-
ewigt, und der Wichſe wie billig, dreifachen Abſatz
verſchafft.


In meinem Hauſe iſt es jetzt ſehr muſikaliſch ge-
worden, indem Miß A …, eine neu engagirte Sän-
gerin der großen Oper, darin eingezogen iſt. Bei den
dünnen Wänden höre ich ſie alle Morgen gratis. Da
[334] ſie hübſch ſeyn ſoll, werde ich auch ſuchen, ſie zu ſe-
hen, was vielleicht nicht ganz ſo gratis abgehen wird,
um ſo mehr, da auch Madame Veſtris ſie häufig be-
ſucht. Damit meine ich jedoch nichts Arges, gute
Julie, ſondern nur, daß man in England nichts ohne
ein gutes Trinkgeld zu ſehen bekommt.


Uebrigens bin ich ſchon ſeit einigen Tagen nicht
recht wohl, die Stadtluft bekömmt mir nicht, und
zwingt mich zu einem regime wie es deine Chanſon
beſchreibt, denn ich nehme wirklich nicht viel mehr
täglich zu mir


„qu’un bouillon

d’un rognon

de Papillon.“


Lord D …, deſſen Gemahlin ich in London kennen
gelernt, hatte mich eingeladen, ihn einige Tage auf
ſeinem Landgute zu beſuchen, was ich um ſo lieber
annahm, da C … hall der Ort iſt, von dem Repton
in ſeinem Werke ſagt, daß er an der Verſchönerung
deſſelben gemeinſchaftlich mit dem Beſitzer, gegen 40
Jahr gearbeitet habe. In der That macht es auch
beiden die größte Ehre, wiewohl nach Allem, was
ich ſelbſt erfuhr und ſah, es mir ſcheint, daß der vor-
treffliche Geſchmack der Eigenthümer höchſt wahrſchein-
lich den größten Theil des Verdienſtes dabei hat, und
[335] manchmal ſogar in Contradiction mit Repton, der
namentlich alte Bäume nicht immer genug ſchonte.
Dennoch hat eine ehrenwerthe Dankbarkeit dem, um
die Kunſt der Landſchaftsgärtnerei ſo verdienten Man-
ne, in dem hieſigen Park einen Ruheſitz erbaut, der
nach ihm benannt iſt, und eine wundervolle Ausſicht
darbietet. Da ſein Sohn, der bei uns war, Lady
D …, welche mir in der Parkomanie faſt gleich
kömmt, viel von M … erzählt hatte, ſo fanden wir
dadurch einen ſehr anziehenden Berührungspunkt und
ſpazierten ſchon in den erſten Stunden fleißig in den
noch mehr geſchmackvollen als prächtigen, Blumen-
gärten umher, die auch einige grazieuſe Marmorſta-
tuen von Canova ſchmücken.


Den Herrn des Hauſes, der am Podagra leidet,
bekam ich erſt zu ſehen, als ich zu Tiſch herunter
kam, wo ich eine große Geſellſchaft, und auch Lord
M .... antraf, der eben die Kriegsſchiffe auf der
Themſe hier in der Nähe beſichtigt hatte.


Lord D. lag in der Mitte des Salons auf einem
Sopha, mit einem ſchottiſchen Mantel zugedeckt, und
ſetzte mich durch ſeine Anrede etwas in Verlegenheit.


„Sie erkennen mich nicht“, ſagte er, „und doch haben
wir uns ſchon vor 30 Jahren gar oft geſehen.“


Da ich nun in jener Zeit noch im Flügelkleide um-
herſchwebte, ſo mußte ich um nähere Erläuterung
bitten, war aber gar nicht erfreut, mein Alter (denn
Du weißt, daß ich noch prätendire, nicht älter als
[336] dreißig Jahr auszuſehen) ſo genau vor der ganzen
Geſellſchaft dekliniren zu hören. Uebrigens mußte ich
Lord D … s Gedächtniß bewundern, denn er erin-
nerte ſich aus jener Zeit, wo er mit dem Herzoge von
Portland bei meinen Eltern auf dem Lande geweſen
war, ſo ſehr jeder Kleinigkeit, daß er ſelbſt mir das
Andenken ſchon längſt vergeßner Dinge von neuem
auffriſchte. Welche Originale es damals gab, und
wie luſtig man in jener Zeit alle Arten von Amuſe-
ments aufgriff, beſtätigte mir ſeine Erzählung auf
ganz unterhaltende Weiſe.


So erwähnte er unter andern eines Barons, der
ſo feſt an Geiſtererſcheinungen als an das Evange-
lium glaubte, und dabei Caglioſtro für eine Art zwei-
ten Meſſias hielt. Als er eines Tages auf einem
unſerm Schloſſe nahem See allein Schlittſchuh lief,
verkleidete ſich die ganze Geſellſchaft mit Betttüchern
und andern, aus der Theatergarderobe entnommenen
Utenſilien, und producirte dem erſchrockenen Illumi-
naten am hellen lichten Tage eine Geiſtererſcheinung
in Maſſe auf dem Eiſe. In Todesangſt fiel er, ſo
unbequem dies in Schlittſchuhen ſeyn mochte, auf
die Knie, und betete mit einer Volubilität der Zunge,
die den alten Lord noch heute lachen machte, Abra
cadabra
und Vorſchriften aus Fauſts Höllenzwang,
abwechſelnd mit dem tremulirenden Geſang einiger
geiſtlichen Lieder vermiſcht. Während dem glitſchte
indeß einer der Geiſter, der, vermöge einer Stange
unter dem Betttuche, ſich bald groß bald klein machte,
unglücklicherweiſe aus, und rutſchte, entblöst von al-
[337] ler Verkleidung, dem betenden Baron vor die Kniee.
Dieſer aber war zu ſtarkgläubig, um daß ſelbſt ein
ſolches Ereigniß ihm aus dem Traume hätte helfen
können. Sein Entſetzen wurde im Gegentheil da-
durch dermaſſen vergrößert, daß er aufſprang, zwar
wegen der im Schreck vergeßnen Fußbekleidung wieder
hinfiel, ſich aber ſchnell vom Neuem aufraffte, und dann
mit noch nie bei ihm geſehener Geſchicklichkeit, unter
dem lauten Jubel der Geſellſchaft, wie der Wind auf
ſeinen Schlittſchuhen entſchwand.


Selbſt das ſpätere Eingeſtändniß der Poſſe konnte
ihn nie überzeugen, daß man ihn blos zum Beſten
gehabt — und keine Macht der Erde hätte ihn ver-
mocht, während ſeines fernern Aufenthalts in M …
dem Schauerſee wieder zu nahen.


Du weißt, ich kann das Reflektiren nicht laſſen, das
mich manchmal bei der luſtigſten Veranlaſſung mit
Schwermuth überfällt. So gieng es mir auch jetzt,
als mir Lord D. ſo das Bild vergangener Zeit her-
aufbeſchwor, die Liebenswürdigkeit meines Großvaters
lobte, den Muthwillen meiner Mutter ſchilderte, und
welch ein wildes Kind ich geweſen ſey. Hélas ils sont
passés ces jours de fête.
Der Liebenswürdige
modert längſt im Grabe, die Muthwillige iſt alt
und nicht mehr muthwillig, und auch der wilde Knabe
mehr als zahm geworden, ja ſelbſt von den Tagen
nun nicht allzuentfernt mehr, von denen es heißt:
Sie gefallen mir nicht — der junge tolle Engländer
aber, der den Geiſt auf dem Eiſe ſpielte, lag ein
Briefe eines Verſtorbenen. III. 22
[338] Greis vor mir, von der Gicht geplagt, unbehülflich
auf ſeinen Sopha ausgeſtreckt, und erzählte, oft von
Seufzern, die der Schmerz erpreßte, unterbrochen, von
den luſtigen Streichen ſeiner Jugend, während der
arme Thor, den er damals als Geiſt ſo ſehr erſchreckte,
längſt ſchon ſelbſt ein Geiſt geworden iſt, und ihm
gewiß keinen geringen Schreck einflößen würde, wenn
es ihm einfiele, die Viſite nachträglich noch zu er-
wiedern.


O Welt, o Welt! wie Napoleon ſagte *).



Lord D. beſitzt eine ſehr reiche Gemäldegallerie,
worunter eine berühmte Venus von Titian, der Tod
des Regulus von Salvator Roſa, ein großes, mehr-
mals in Kupfer geſtochenes Gemälde von Rubens,
und ein herrlicher Guido die vorzüglichſten ſind. Auf
den beiden letzten Bildern ſpielt zwar eben kein an-
[339] genehmer Gegenſtand, nämlich ein todter Kopf die
Hauptrolle, auf dem einen der des Cyrus, auf dem
andern des Johannes, aber die Herodias Guidos iſt
wieder eine jener vom Genie eingehauchten poetiſchen
himmliſche Schönheit mit der lieblichſten Weiblichkeit
und dem tiefſten tragiſchen Ausdruck vereinenden Fi-
guren, die einen ſo unauslöſchlichen Eindruck zurück-
laſſen und in der Wirklichkeit nur höchſt ſelten ange-
troffen werden. Es giebt eine Dame Deiner Bekannt-
ſchaft, welche dieſem Ideal entſpricht, die Gräfin A.
in B. Sie war, als ich ſie kannte *), die ſchönſte
und reichbegabteſte Frau, die ich je geſehen habe. Das
größte Ebenmaaß, das vollkommenſte Gleichgewicht
herrſchte in ihrem Aeußern und Innern, ſo daß die
heterogenſten Dinge ihr gleich wohl anſtanden. Ma-
jeſtätiſch wie eine Königin, wenn ſie repräſentirte,
von der leichteſten und anmuthigſten Weltbildung,
wenn ſie ihren Salon hielt, von der naivſten, rüh-
rendſten Güte und Heiterkeit im vertrauten Familien-
kreiſe — in jeder Erſcheinung aber noch bedeutender
gemacht durch einen nie ganz verwiſchten Zug gedan-
kenvoller Schwermuth, verſchwiſtert mit jener ächt
weiblichen Zartheit, die einem Weibe in der Männer
Augen den höchſten unwiderſtehlichſten Reiz verleiht.
Ihre Aehnlichkeit mit dem Guidoſchen Bilde war auf-
fallend. Als herrlicher Contraſt mit der Hauptfigur
dienen in dieſem Gemälde zwei, ebenfalls ſehr hüb-
ſche, Hofdamen im Gefolge der Herodias. Sie ſind
22*
[340] vollendete Hofdamen, die für nichts weiter mehr Sinn
zu haben ſcheinen, als ihren Hof und ihren Dienſt,
und ihre Schönheit erhält eben durch den unbedeu-
tenden Charakter derſelben, einen gewiſſen mehr ſinn-
lichen Reiz, der uns bequemer anſpricht, und von dem
tiefern erſchütternden Seeleneindruck nach und nach
erholen läßt. Die eine lauſcht mit Aufmerkſamkeit
und nichtsſagendem Lächeln auf die Blicke ihrer Her-
rin, ob ſie vielleicht etwas befehle, die andere betrach-
tet ſo gleichmüthig den blaſſen Kopf des Märtyrers
auf der Schüſſel, als ſey es ein Pudding.


Ich muß Dir doch ein für allemal la vie de châ-
teau
in England, — d. h. nur den täglichen Canne-
vas, auf welchem nachher das Speciellere von Jedem
nach Belieben brodirt wird, — beſchreiben, da dieſe
Organiſation ſich überall gleich bleibt, und ich ſie auch
von dem, was ich ehemals hier ſah, in nichts verän-
dert finde. Dieſes Leben bietet ohne allen Zweifel
die angenehmſte Seite der engliſchen Sitten dar, denn
es herrſcht dabei große Freiheit, und eine Verbannung
der meiſten läſtigen Ceremonien, die bei uns noch
Wirth und Gäſte ermüden. Demohngeachtet findet
man nicht weniger Luxus als in der Stadt, was (wie
ich Dir ſchon meldete) durch den Gebrauch erleichtert
wird, nur eine kurze Zeit lang, und immer nur ein-
geladene Gäſte bei ſich zu ſehen.


Die Oſtentation, welche allerdings ſolcher Gewohn-
heit zum Grunde liegt, kann man aber, ſchon um der
beſſern Bewirthung willen, gern verzeihen.


[341]

Man weiſet, um Raum zu menagiren, Fremden ge-
wöhnlich nichts weiter als eine geräumige Schlafſtube
im zweiten Stocke, ſelten mehrere Zimmer an, und
Engländer betreten dieſe Wohnung auch kaum anders
als zum Schlafen und zur zweimaligen Toilette, wel-
che, ſelbſt ohne Geſellſchaft und im ſtrengſten Häus-
lichen, immer de rigueur iſt, denn alle Mahlzeiten
werden gemeinſchaftlich eingenommen, und wer etwas
zu ſchreiben hat, macht es gewöhnlich in der Biblio-
thek ab. Dort giebt man ſich auch Rendezvous, um
die allgemeinen, wie die einzelnen Partieen (worin
jeder ganz ungenirt iſt) abzureden. Oft hat man ſo-
gar hier Gelegenheit, mit den jungen Damen, die
immer ſehr litterariſch geſinnt ſind, Stundenlang
ganz ungeſtört zu plaudern. Manche Heirath, oder
Entführung der ſchon Verheiratheten, ſpinnt ſich dort
zwiſchen dem Corpus juris auf der einen, und Bouff-
lers Werken auf der andern Seite an, während der
Moderoman als Bindungsmittel, aufgeſchlagen in der
Mitte liegt.


Um 10 oder 11 Uhr iſt die Stunde des Frühſtücks,
bei dem man im größten Negligee erſcheinen darf. Es
iſt immer von derſelben Art des Dir ſchon einmal im
Gaſthof geſchilderten, nur natürlich in Privathäuſern
noch reicher und vollſtändiger verſehen, und die Da-
men machen ſehr anmuthig die Honneurs deſſelben.
Kömmt man ſpäter, wo dieſe ſchon weg ſind, ſo be-
ſorgt ein Kammerdiener das Nöthige, der in guten
Häuſern wohl bis um 1 Uhr und noch länger Acht
hat, daß auch der letzte Nachzügler nicht leer ausgehe.
[342] Daß dabei ein halb Duzend Zeitungen auf dem Tiſch
liegen müſſen, in denen jeder liest, wie es ihm ge-
fällt, verſteht ſich von ſelbſt.


Die Herren gehen nun entweder auf die Jagd oder
andern Geſchäften nach, der Wirth desgleichen, ohne
ſich im Geringſten weiter um die Gäſte zu beküm-
mern, (eine wahre Wohlthat!) und erſt eine halbe
Stunde vor Tiſch, findet man ſich Abends in elegan-
ter Toilette im Salon wieder zuſammen.


Wie es bei Tafel hergeht, habe ich Dir auch ſchon
einmal beſchrieben, und nur einer ſeltſamen Sitte
nicht erwähnt, die ich, obgleich ſcabrös, der Vollſtän-
digkeit wegen nicht übergeben darf, und welcher man
nach der Entfernung der Damen, auf eine höchſt un-
genirte Weiſe und immediat neben dem Tiſche ihren
Lauf läßt; ein Ueberbleibſel der Barbarei, welches
unſern Begriffen von Schicklichkeit höchſt widerſtre-
bend iſt.


Mir fiel dies beſonders heute auf, wo ein alter
Admiral, der wahrſcheinlich wegen der Anweſenheit
des Lord Melvilles in ſeine Staatsuniform gekleidet
war, wohl eine halbe Viertelſtunde zu dieſem Experi-
ment gebrauchte, während wir ſo lange, wie aus ei-
ner Dachtraufe, die letzten Spuren eines ſchon längſt
vorübergegangenen Gewitterregens zu hören glaubten.


England iſt das wahre Land der Contraſte. Du
haut et du bas
auf jedem Schritt. So ſerviren, bei
allem übrigen Luxus, doch in den beſten Häuſern
[343] (wenigſtens auf dem Lande) auch Kutſcher und Reit-
knechte oft mit bei Tafel, wobei ſie nicht immer vom
Pferdegeruch ganz frei ſind, und beim zweiten Früh-
ſtück, dem Cuncheon, das ein paar Stunden nach
dem erſten ſtatt findet, und in der Regel nur von
den Damen benutzt wird (die bei Tiſch gern la petite
bouche
machen und ſich daher beim Cuncheon vorher
ganz ordentlich ſatt eſſen) erhält man keine Serviet-
ten, ein gebrauchtes Tiſchtuch, und oft gar nicht ſehr
appetitliche Ueberreſte des vorigen Tages.


Dies als Parentheſe. Ich kehre jetzt zur „Tagesord-
nung“ zurück. Haben alſo die Herren endlich hinläng-
lich getrunken, und den übrigen Bedürfniſſen in pa-
triarchaliſcher Sitteneinfalt genügt, ſo ſuchen ſie Thee,
Caffee, und das weibliche Geſchlecht wieder auf, und
bleiben nun noch einige Stunden zuſammen, ohne
ſich deshalb doch ſehr zu vereinigen. Heute z. B.,
als ich zur Beobachtung aufblickte, fand ich die Ge-
ſellſchaft folgendermaſſen vertheilt. Der kranke Herr
des Hauſes lag auf dem Sopha und war ein wenig
eingeſchlummert; fünf andere Herren und Damen la-
ſen eifrig in ſehr verſchiedenen Werken und Akten-
ſtücken; (zu dieſer Zahl gehörte auch ich, mit einem
Cahier Parkanſichten vor mir) ein Andrer ſpielte ſchon
ſeit einer Viertelſtunde mit einem geduldigen Hunde;
zwei alte Parlamentsglieder ſtritten ſich heftig über
die Cornbill, und der Reſt der Geſellſchaft befand ſich
im dunkeln Nebenzimmer, wo ein hübſches Mädchen
Clavier ſpielte, und eine Andere ohrenzerreißende,
ſchmachtende Balladen dazu ſang, worüber die lie-
[344] benswürdige Hausfrau ſelbſt mit mir herzlich lachen
mußte.


Ich kann hier nicht umhin zu bemerken, daß Lord
und Lady D. zu den aufgeklärteſten, anſpruchloſeſten
und deshalb angenehmſten hieſigen Vornehmen ge-
hören. Er iſt von der mäßigen Oppoſition, die das
wahre Gute des Landes und nur dieſes will, ein
wahrer, von allem Egoismus freier Patriot, der
ſchönſte Titel, den ein gebildeter Menſch tragen kann.
Sie iſt die Güte, Herzlichkeit und Anſpruchloſigkeit
ſelbſt.


Nach Mitternacht und nachdem vorher noch ge-
wöhnlich ein leichtes Soupé, aus Früchten und kal-
ten Speiſen beſtehend, ſervirt worden iſt, wobei ſich
Jeder ſelbſt bedient, retirirt man ſich. Zu dieſem
Behufe ſtehen auf einem Seitentiſche eine Quantität
kleiner Handleuchter parat, von denen ſich jeder den
Seinigen anzündet, und damit ſelbſt hinaufleuchtet,
denn der größte Theil der Dienerſchaft, welcher frü-
her aufſtehen muß, iſt darum billigerweiſe ſchon längſt
zur Ruhe. Das ewige Sitzen der Bedienten im Vor-
zimmer iſt hier nicht Mode, und auſſer den beſtimm-
ten Zeiten, wo man ihrer Hilfe gewärtig iſt, ſieht
man ſie wenig, und bedient ſich ſelbſt.


Für die Nacht erwartete mich heute auf meiner
Stube ein vortreffliches altes chineſiſches Himmelbett,
groß genug, um als Sultan mit ſechs Weibern in
ſeinem weiten Raume ſchlafen zu können, aber allein
[345] fror ich bei der großen Kälte darin wie ein Eiszapfen,
ehe die eigene Wärme durchdrang, denn das entfernte
Kamin gab keine.



Unter uns geſagt, ſo angenehm, ſo ungenirt es
auch in einem fremden Hauſe ſeyn mag, für mich iſt
es immer noch zu ſehr genirt, zu unwohnlich, vor
allem zu abhängig, um mich Ueberſtolzen und Beque-
men recht à mon aise darin zu befinden. Dies letz-
tere fühle ich mich daher nur in den eigenen vier
Pfählen vollkommen, nächſtdem im Reiſewagen oder
im Gaſthofe. Dieſer Geſchmack mag nicht der beſte
ſeyn, indeſſen es iſt einmal der Meine! Da nun ſo
viele Menſchen eigentlich gar keinen haben, ſo bin ich
immer noch auch mit einem minder guten, ganz zu-
frieden.


Ich werde alſo die Tage der Einladung nicht ganz
erſchöpfen, ſondern morgen mein großes Bett einem
andern und vielleicht corpulentern Sterblichen offen
laſſen, um dem Badeort Brighton zuzueilen, welcher
dermalen ſehr fashionable iſt.


Vorher habe ich indeß noch mit Lord D .... s ge-
fälligem Sohne die ganzen hieſigen Anlagen beritten,
die weniger auffallend durch Züge auſſerordentlicher
Schönheit ſind, als ſiegreich die ſchwere Probe beſte-
hen, nirgends etwas Tadelnswerthes zu zeigen. Ei-
[346] nige Ausſichten aus Waldſchluchten auf die entfernte
Themſe, den Hafen von Graveſend und ſeine empor-
ſtrebenden Maſten, ſind dem ohngeachtet ſehr gran-
dios, nichts aber geht über die unvergleichliche Kunſt,
mit der, innerhalb des Parks die Linien der Wald-
ränder, in meiſterhafter Nachahmung der Natur, ge-
zogen ſind. Zum Studium würde ich in vieler Hin-
ſicht Cobhamball mehr als irgend einen andern der
beſchriebenen Parks empfehlen, obgleich er an Umfang
und koſtſpieligen Anlagen und Bauten vielen nicht
gleich kömmt, und ſo zu ſagen einen mehr modeſten,
dem Naturfreund aber, beſonders auf die Länge, nur
deſto wertheren Charakter hat, auch durch Berg und
Thal und geſchloſſenen Wald mehr Mannichfaltigkeit
darbietet.


Von Lady D. nahm ich ſo eben in ihrer eigenen
Stube Abſchied, ein kleines Heiligthum, das ich mit
allerliebſter Unordnung und Ueberfülle meublirt fand,
die Wände voll kleiner Spiegelconſolen mit gewähl-
ten Curioſitäten beſetzt, und prächtige Camelien, ein-
zeln in Körben auf dem Boden vertheilt, ſo daß ſie
wie daraus hervorgewachſen erſcheinen.


Erlaube, liebe Julie, daß ich unter dieſen Blumen
von Dir hier ebenfalls Abſchied nehme, und Dich
bitte, dieſem Brief eine eben ſo lange Antwort zu
gönnen, damit es nicht Deinem Gewiſſen zuletzt vor-
kommen möge, als liebte ich Dich (wenigſtens ſchrift-
lich) weit mehr als Du mich.


Dein Herzensfreund L.


[[347]]

Zwoͤlfter Brief.



Geliebteſte!

Ich habe geſtern die 60 Meilen hierher ſehr ſchnell,
und in der angenehmſten Trägheit, ohne nur aufzu-
blicken, zurückgelegt, denn man muß auch manchmal
wie ein vornehmer Engländer reiſen.


Es ſcheint hier eine beſſere Temperatur als in dem
übrigen Nebellande zu herrſchen, der glänzendſte Son-
nenſchein weckte mich wenigſtens heute früh ſchon um
9 Uhr.


Bald darauf gieng ich aus, zuvörderſt auf die Ma-
rineparade, die ſich weit dem Meere entlang erſtreckt,
machte dann eine Tour durch die große reinliche und
ſehr heitere Stadt, die mit ihren breiten Straßen den
neueſten Quartieren Londons ähnlich iſt, und ſchloß
mit Viſiten bei verſchiedenen Londner Bekannten.
Nachher ritt ich ſpazieren, denn meine Pferde wurden
bei Zeiten vorausgeſchickt. Vergebens ſah ich mich
dabei nach einem Baum um. Die Gegend iſt voll-
[348] kommen kahl, nichts als mit kurzem Gras bedeckte
hügliche Dünen ſind zu erſpähen, und Meer und
Himmel gewähren die einzigen pittoresken Gegenſtände.
Auch bereiteten ſie mir heute gleich zum Empfang
den ſchönſten Sonnenuntergang. Dieſes majeſtätiſche
Geſtirn war in roſenrothe transparente Nebel ge-
hüllt, ſo daß es keine Strahlen mehr warf, dagegen
in der intenſivſten Gluth einem dichten Goldklumpen
glich, der, als er das Waſſer berührte, nun langſam
zu ſchmelzen und einen großen Theil des blauen
Meeres zu überfließen ſchien. Endlich verſchlang der
Ocean den feurigen Ball, die brennenden Farben ver-
blichen, aus roth zu violett, dann nach und nach zu
weißlichem Grau, und in der Dämmerung rauſchten
die Wogen, vom Abendwind getrieben pfeifend gegen
den flachen Strand, wie im Triumph über die nun
begrabne Sonne.


Ein berühmter alter Miniſter ſah das ſchöne Schau-
ſpiel mit mir zugleich an, und war keineswegs dafür
abgeſtorben, Lord Harrowby, ein liebenswürdiger
Mann, von eben ſo feinen und ſanften Sitten, als
großer Welt- und Geſchäftserfahrung.



Oeffentliche Reunionsſäle, Badeliſten ꝛc. giebt es
hier gar nicht. Brighton heißt nur ein Badeort in
unſerm Sinne, und dient hauptſächlich den Einwoh-
nern Londons, die Zerſtreuung und geſundere Luft
[349] ſuchen, und keinen eignen Landſitz haben, oder das
Haushalten dort zu koſtſpielig finden, zum Win-
teraufenthalt, denn die hieſige Seaſon fällt in die
Wintermonate. Mode hat es beſonders der König
gemacht, der es einſt ſehr liebte, und einen abentheu-
erlichen, orientaliſchen Pallaſt hier gebaut hat, der
mit allen ſeinen Kuppeln und deren Aufſätzen von
den nahen Höhen geſehen, vollkommen einem aufge-
ſtellten Schachſpiel gleicht, inwendig aber ſehr präch-
tig, wenn gleich auch phantaſtiſch meublirt iſt. Ob-
wohl er ungeheure Summen gekoſtet hat, ſoll der
längſt ſeiner überdrüßige hohe Beſitzer, ſchon manch-
mal Luſt gezeigt haben, ihn wieder einreißen zu
laſſen, was auch eben nicht ſehr zu bedauern ſeyn
würde.


In den Gärten dieſes Pallaſtes befinden ſich die
einzigen erwachſenen Bäume in hieſiger Gegend, die
ich bis jetzt geſehen.


Aber auch ohne dieſe ſind doch die Promenaden
am Meer ſehr anmuthig, beſonders die große Ketten-
brücke oder jetée, welche 1000 Fuß weit in die See
hineingeht, und an deren Ende man ſich in den Dampf-
ſchiffen für Boulogne und Havre embarkirt.


Nicht weit davon hat ein Indier orientaliſche Bäder
angelegt, wo man, wie in der Türkey, maſſirt wird, was
ſehr ſtärkend und geſund ſeyn ſoll, auch bei der vorneh-
men Welt, beſonders den Damen, ſehr beliebt iſt.
Man nennt ſie Mahomets Bäder. Ich fand das In-
[350] nere indeß ſehr europäiſch eingerichtet. Die Behand-
lung gleicht der in den ruſſiſchen Dampfbädern, nur
finde ich ſie weniger zweckmäßig, denn man ſitzt in
einer kühlen Stube auf einem erhöhten Seſſel, den
eine Art Palankin von Flanell umgiebt, und nur in
dieſen kleinen Raum dringt, aus dem Boden auſſtei-
gend, ein heißer Kräuterdampf hinein. Die Flanell-
wand hat mehrere Aermel, die nach auſſen herabhän-
gen, und in welche der Maſſeur ſeine Arme ſteckt,
und mit den Händen den Körper des Badenden ſanft
knetet. Er fährt dann mit feſten und ſtetem Drucke
des Daumens an den Gliedern, am Rückrat, den
Ribben und über dem Magen vielmal herab, was
der Organiſation wohl zu thun ſcheint. Während
dem transpirirt man ſo lange und ſo ſtark als man
wünſcht, und wird zuletzt, bei abgenommenem Deckel
des Flanellzeltes, mit lauem Waſſer übergoſſen. Die
plötzliche Kühle des Zimmers aber, der man nun aus-
geſetzt bleibt, halte ich für ſehr ungeſund.


Nachahmungswerther ſcheint mir die hier übliche
Weiſe, die Wäſche zum Abtrocknen zu wärmen. Dieſe
liegt nämlich in einer Kommode, deren Fächer mit
Meſſing gefüttert ſind, und durch Dampfheizung den
ganzen Tag eine ſtets gleiche Wärme behalten.



Die Sonne iſt ſchon wieder verſchwunden, und von
neuem eine ſolche Kälte eingetreten, daß ich Dir in
[351] Handſchuhen ſchreibe, um meine weißen Hände zu
conſerviren, auf die ich, wie Lord Byron, ſehr viel
halte. Ich geſtehe dies auch, da ich gar nicht der
Meinung bin, daß man gerade ein fat ſeyn muß, wenn
man das wenige Hübſche, was einem der liebe Gott
gegeben hat, möglichſt zu bewahren ſucht; vor Froſt
aufgeſprungene Hände waren mir aber von jeher ein
Gräuel. Dabei fällt mir ein, daß ich vor vielen Jah-
ren in Straßburg mich einmal im Boudoir einer ſehr
ſchönen Frau, mit dem Feldmarſchall W. (damals noch
General) früh zuſammenfand, und dieſer, Napoleon
rühmend, auch ſeiner Mäßigkeit erwähnte, und mit
faſt verächtlichem Tone hinzuſetzte: ein Held könne
kein Gourmand ſeyn.


Nun kannte mich die ſchöne Frau, die mir übrigens
gar ſehr wohl wollte, als nicht ganz unempfindlich
für bonne chère und fand um mich zu necken, ein
boshaftes Vergnügen daran, den General dieſen
Spruch wiederholen zu laſſen. Obgleich ich nie ver-
ſucht worden bin, mich für einen Helden zu halten
(ausgenommen etwa eines kleinen Romans hie und
da), ſo fühlte ich doch, daß ich roth wurde, eine der-
jenigen Dummheiten, die ich mir nie, und leider Got-
tes noch nicht abgewöhnen kann, oft ſogar, wenn gar
kein wirklicher Grund dazu vorhanden iſt.


Aergerlich über mich ſelbſt, ſagte ich ganz pikirt:
Es iſt ein Glück für die Liebhaber eines guten Ti-
ſches, Herr General, daß es einige brillante Ausnah-
men von Ihrer aufgeſtellten Regel giebt. Erinnern
[352] Sie ſich nur der Tafelrunde, und dann [Alexanders].
Freilich iſt es wahr, daß dieſen ein zu ſchwelgeriſches
Mahl zur Verbrennung von Perſepolis verleitete,
aber ein Held blieb er dennoch, und auch Friedrich
den Großen hat die Gourmandiſe weder am höchſten
Kriegs- noch Regentenruhm gehindert. Uebrigens
ſollten Sie, der mit den Franken ſo ruhmvoll ſtrei-
tet, die gute Küche nicht angreifen, da jene Nation,
ſo große Generale ſie hat, doch durch ihre Küche ſchon
länger, und vielleicht auch bleibender berühmt iſt.
Dies letzte ſprach ohne Zweifel ein prophetiſcher Geiſt
aus mir, und wie würde ſich der ſo enthuſiaſtiſch
Napoleon pronirende General gewundert haben, wenn
ich ihm zugleich hätte ſagen können, daß über ein
Kleines er ſelbſt dieſem großen Nicht-Gourmand ge-
genüber ſtehen, und einen der letzten erfolgreichen
coups de griffes des kranken Löwen erleiden würde.


Du meinſt vielleicht, meine gute Julie, dieſe Anek-
dote paſſe hierher, wie ein „apropos“ unſers Freun-
des H … — aber nein — ich führe im Gegentheil
auch noch Alcibiades und Poniatowsky für Putz und
Toilette an, um gänzlich durch die Erfahrung zu be-
weiſen, daß weder Empfänglichkeit für die bonne
chère,
noch etwas Fatuität an Heldenthaten hindern,
wenn man ſonſt die gehörige Anlage dazu hat.


Ein Beſuch des Grafen F …, einem der liebens-
wertheſten und achtbarſten Repräſentanten der Zeiten
Napoleons, welcher in dieſe les souvenirs de l’ancien
régime,
und in die heutigen das Zeugniß makelloſer
[353] Rechtlichkeit und Treue mit hinübergenommen — (ein
ſeltner Fall!) unterbrach mich hier, um mich zu über-
morgen zu Tiſch einzuladen. Das hat mich aufgehal-
ten, zum Reiten iſt es zu ſpät, Club-Geſellſchaft zu
beſuchen habe ich keine Luſt, ich werde alſo lieber noch
einen zweiten Schlafrock überziehen, von Dir und M.
träumen, deine Briefe wieder einmal überleſen, und
geduldig dabei in meiner Stube frieren, bis ich zu Bett
gehe, denn mehr wie 8 Grad Wärme kann ich in mei-
nem luftigen und fenſterreichen Lokal, durch bloßes Ka-
minfeuer nicht hervorbringen. Alſo au revoir.



Es war billig, daß ich mich heute für den geſtrigen
Stubenarreſt entſchädigte, und viele Stunden in der
Gegend umherirrte, um ſo mehr, da ich Abends mich
executiren mußte, um einem großen Subſcriptionsball
beizuwohnen.


Die hieſige Umgegend iſt gewiß ſehr eigenthümlich,
denn während vier Stunden Umherreitens fand ich
immer noch keinen ausgewachſenen Baum. Die vie-
len Hügel jedoch, die große Stadt in der Ferne, meh-
rere kleinere in der Nähe, das Meer und ſeine Schiffe
nebſt einer häufig wechſelnden Beleuchtung, belebten
die Landſchaft hinlänglich, und ſelbſt der Contraſt mit
dem überall ſonſt ſo baumreichen England war nicht
ohne Reize. Die Sonne gieng endlich incognito zur
Briefe eines Verſtorbenen. III. 23
[354] Ruh, das Wetter hellte ſich ganz auf, und der Mond
ſtieg klar und glänzend über den Waſſern empor.
Jetzt wandte ich mein Roß von den Hügeln herab
dem Meere zu, und ritt die 5 bis 6 Meilen, die ich
noch von Brighton entfernt ſeyn mochte, hart am
Rande der Wellen auf dem ſandigen Strande nach
Brighton zurück. Die Fluth war eben im Beginnen,
und mein Pferd machte zuweilen einen Seitenſprung,
wenn, mit weißem Schaum gekrönt, eine Woge un-
ter ihm durchrollte, und ſchnell wieder, wie mit uns
ſpielend, zurückfuhr.


Ich liebe nichts mehr, als bei Mondſchein einſam
am öden Meeresufer zu reiten, einſam mit dem Plät-
ſchern und Rauſchen und Sauſen der Wellen, ſo nahe
der geheimnißvollen Tiefe, ſo ſchauerlich, daß ſelbſt die
Pferde nur mit Gewalt ſich an der Fluth halten laſ-
ſen, und vom Inſtinkt geleitet, ſobald man ſie ablenkt,
mit verdoppelter Schnelligkeit dem ſichern feſten Lande
zueilen.


Wie verſchieden von dieſer poetiſchen Scene der
proſaiſche Ball! der überdieß meiner Erwartung ſo
wenig entſprach, daß ich darüber erſtaunte. Eine
enge Treppe führte zum Lokale hinauf, und ohne
Vorzimmer, kam man unmittelbar in einen ſchlecht
erleuchteten, und höchſt ärmlich meublirten Saal,
um welchen rund umher eine Gallerie von wollenen
Stricken gezogen war, die Tanzenden von den Zu-
ſchauern zu trennen. Eine Tribune für die Muſik
war ſo ungeſchickt mit ſchlecht gewaſchenem Weißzeuge
[355] drappirt, daß es ausſah, als wenn man Betttücher
zum Trocknen aufgehangen hätte. Dazu denke Dir
noch einen zweiten Saal daneben mit fortlaufenden
Bänken an den Wänden und einem großen Theetiſch
in der Mitte, in beiden aber die zahlreiche Geſell-
ſchaft ganz rabenſchwarz von Kopf zu Fuß, incluſive
Handſchuh, wegen der Trauer und dabei ein ſo me-
lancholiſches Tanzen mit keiner Spur von Lebhaftig-
keit oder Freude, daß man die Leute wegen der un-
nützen Fatigue bedauert, ſo wirſt Du eine ſehr treue
Idee von Brightons Almacks (ſo werden dieſe ſehr
faſhionablen Bälle genannt) haben. Die ganze Ein-
richtung iſt komiſch genug. Dieſe Almacks ſind in
London das Höchſte der Mode in der Seaſon, die vom
April bis Juni dauert, und 5—6 der vornehmſten
Damen (Prinzeß L … iſt auch eine davon), welche
man Patroneſſes nennt, vertheilen die Billets dazu.
Die Ertheilung derſelben iſt eine große Gunſt, und
für Leute, die nicht zu der allervornehmſten oder mo-
dernſten Welt gehören, ſehr ſchwierig zu erlangen,
ſo daß Monat lange Intriguen angeſponnen, und den
Lady Patroneſſes auf die gemeinſte Weiſe geſchmei-
chelt wird, um dergleichen zu erhalten, weil der oder
die, welche nie auf Almacks geſehen werden, als ganz
unfaſhionable (ich möchte faſt ſagen unehrlich) zu
betrachten ſind, und die faſhionable ſeyn wollende eng-
liſche Welt dies natürlich für das größte mögliche
Unglück hält. Dies iſt ſo wahr, daß neulich ſogar ein
Roman eigends über dieſen Gegenſtand geſchrieben
worden iſt, der das Treiben der Londner Welt recht
23*
[356] treu ſchildert und ſeit zwei Monaten ſchon die dritte
Edition erlebt hat, dabei aber doch, bei genauerer Be-
trachtung, mehr die Antichambre als den Salon ver-
räth, Einen, wie der Abbé de Voiſenou ſagte: qui
a ecouté aux portes.


Wie die Engländer über Fremde gut unterrichtet
ſind, beweiſt unter andern eine Stelle dieſes Romans,
wo ſich die Frau eines fremden Geſandten, die aber
in England geboren iſt, ſehr darüber luſtig macht,
daß die mit dem Auslande ſo unbekannten Londner
einem deutſchen Fürſten einen höheren Rang gewähr-
ten, als ihrem Manne dem Baron, deſſen Titel doch
dort weit vornehmer ſey, aber das Wort Prince, ſetzt
ſie hinzu, deſſen Nichtigkeit auf dem Continent jeder
kennt, eblouirt meine albernen Landsleute. C’est
bien vrai,
fällt ein Franzoſe ein, un Duc cirait mes
bottes à Naples, et à Petersbourg un Prince russe
me rasait tous les matins.
Da die Engländer Phra-
ſen aus fremden Sprachen gewöhnlich falſch citiren,
ſo vermuthe ich, daß auch hier ein kleiner Irrthum
obwaltet, und es ohne Zweifel hat heißen ſollen: un
Prince russe me rossait tous les matins
*).


[357]

Was für eine burleske Wirkung aber ein ſolcher
Moderoman ſogleich auf die, über das bel air ſtets
im Blinden tappende, Mittelgeſellſchaft Londons
hat, welche daher auch immer in Angſt iſt, Unbekannt-
ſchaft mit der großen Welt zu verrathen, und hier-
durch ſich gewöhnlich erſt recht lächerlich macht, davon
hatte ich wenige Wochen nach Erſcheinung dieſes
Buchs ein ſehr beluſtigendes Beiſpiel.


Ich war bei einem reichen Direktor der oſtindiſchen
Compagnie, der früher Gouverneur von St. Mauri-
tius (Isle de France) geweſen, mit mehreren andern
Fremden, zu Tiſch eingeladen. Unter dieſen befand
ſich auch ein deutſcher Fürſt, der ſchon länger im
Hauſe bekannt war, und glücklicherweiſe für die
Farce, auch ein deutſcher Baron. Als man zu
Tiſch gehen wollte, näherte ſich der Fürſt, wie früher,
der Dame vom Hauſe, um ſie zu führen, war aber
*)
[358] nicht wenig verwundert, als dieſe ihm mit einer leich-
ten Verbeugung den Rücken kehrte, und ſich an den
Arm des höchſt angenehm überraſchten Barons hieng.
Ein nicht zu unterdrückendes Lachen von meiner Seite
beleidigte faſt den guten Fürſten, der ſich ein ſo auf-
fallendes Benehmen der Hausfrau nicht erklären konn-
te, dem ich aber, es ſehr gut errathend, ſchnell aus
dem Traume half. Er nahm nun unbekümmert um
Rang, die hübſcheſte Dame aus der Geſellſchaft, und ich
drängte mich an die andere Seite der Lady F., um
mir eine amuſante Tiſchunterhaltung zu verſchaf-
fen. Die Suppe war auch kaum vorüber, als ich mit
verbindlicher Miene gegen ſie äußerte, wie ſehr mich
ihr Takt und ihre feine Kenntniß geſellſchaftlicher und
ſelbſt fremder Verhältniſſe überraſcht hätten. „Ah“,
erwiederte ſie, „wenn man ſo lange Gouverneurin ge-
weſen iſt, lernt man wohl die große Welt kennen.“
Gewiß, fiel ich ein, beſonders in Mauritius, wo man’s
ſchwarz auf weiß hat. „Sie ſehen“, fuhr ſie fort, in-
dem ſie ſich zu meinem Ohre beugte, „wir wiſſen recht
gut, daß a foreign Prince nicht viel ſagen will, aber
dem Baron alle Ehre, die ihm gebührt.“ Vortreff-
lich diſtinguirt, rief ich aus, aber mit einem italiäni-
ſchen müßten Sie ſich doch wieder in Acht nehmen,
denn dort heißt Barone: a rascal. „Iſt es möglich“,
ſagte ſie erſchreckend, „welcher ſonderbare Titel!“ Ja
Madame, Titel ſind auf dem Continent ein ominöſes
Ding, und wären Sie ein ägyptiſcher Sphinx (ſie
war wenigſtens eben ſo unbeholfen) ſo würden Sie
dieſe Räthſel doch nie ergründen! „May I help You
[359] to some fish,“
ſagte ſie verlegen, und ungewiß, was
ſie antworten ſollte. „With great pleasure,“ erwie-
derte ich, und fand den turbot, ſelbſt ohne Titel,
vortrefflich. Doch um auf den Almacks-Ball zurück
zu kommen, ſo iſt das ſeltſamſte, daß man ein ſolches
Billet zu Almacks, um das mancher Engländer wie
für Leben und Tod geworben, dennoch mit zehn
Schilling bezahlen muß, da dieſer Almack weiter nichts
als ein Ball für Geld iſt. Quelle folie que la mode!
Man muß in der That zuweilen glauben, daß die
Erde das Tollhaus unſers Sonnenſyſtems iſt.


Hier in Brighton findet man nur die Nachahmung
Londons im Kleinen. Die Lady Patroneſſes der hie-
ſigen Almacks ſind jetzt . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Als ich eintrat, ſah ich Niemand von meiner Be-
kanntſchaft, und erſuchte daher den erſten beſten Herrn,
mir die Marquiſe von . . . . zu zeigen, von der ich,
ohne ſie zu kennen, durch entremise der Gräfin F …
mein Billet bekommen hatte. Ich mußte mich ihr
alſo ſelbſt präſentiren, und fand eine ſehr liebe, häus-
liche Frau an ihr, die nie England verlaſſen hat. Sie
ſtellte mich ihren Töchtern, drei ächten engliſchen Aal-
beiten vor *), und einer Lady M …, die recht gut
deutſch ſprach, denn das iſt jetzt ebenfalls Mode, und
die jungen Damen quälen ſich gewaltig damit. Spä-
[360] ter fand ich endlich einen Bekannten, der mich mit
mehreren ſehr hübſchen jungen Mädchen bekannt mach-
te, unter denen ſich ganz beſonders Miß W …, eine
Niece des Lord E … auszeichnete, die in Deutſch-
land erzogen, und mehr Deutſche als Engländerin iſt,
was ihr in meinen Augen nur vortheilhaft ſeyn konnte.
Sie war bei weitem die hübſcheſte und grazieuſeſte
auf dem Balle, ſo daß ich mich beinahe wieder zum
Tanzen verſtanden hätte, obgleich ich aus Eitelkeit
(denn ich tanzte immer ſchlecht) ſeit vielen Jahren die-
ſem ſogenannten Vergnügen entfremdet war. Hier
hätte ich es nun wohl wagen können, da man, Gott
weiß es, nirgends ungeſchickter herumſpringt, und na-
mentlich ein Walzender im Takt zu den wahren Sel-
tenheiten gehört, aber es kam mir doch zu komiſch
vor, mich an der Grenze des Schwabenalters von
neuem den Anbetern der Tarantel zuzugeſellen. II
est vrai que la fortune m’a souvent envoyé prome-
ner, mais danser — c’est trop fort!


Die Marquiſe erzählte mir hierauf von einem ihrer
anweſenden Verwandten, dem Chef eines Highlander
Clans, mit einem Namen, ſo lang als ein ſpaniſcher,
Nachkommen der Könige der Inſeln, und ſtolz wie
Holofernes auf tauſendjährigen Adel, der meine Be-
kanntſchaft zu machen wünſche. Ich konnte mir nur
zu der ſeinigen gratuliren, da ich den Mann ganz ſo
fand, wie Walter Scott ſeine hochländiſchen Roma-
nen-Figuren ſchildert. Ein ächter Schotte, mit Leib
und Seele an Vorfahren und alten Gebräuchen hän-
gend, mit großer Geringſchätzung für die Engländer,
[361] dabei voll Feuer, gutmüthig, bieder und brav, aber
kindiſch eitel, und von dieſer Seite eben ſo verwund-
bar, als leicht zu gewinnen. Es ward mir daher
nicht ſchwer, ſeine Gewogenheit zu erlangen, und da
ich mich ohnehin ziemlich langweilte, ſetzte ich mich
mit ihm allein in dem Theeſaal auf eine der hölzer-
nen, mit ſchlechtem Tuch beſchlagenen Bänke nieder,
und ließ mir von ſeiner Güter Herrlichkeiten, allen
Schlachten ſeiner Vorfahren, und ſeinen eignen Rei-
ſen und Thaten eine Stunde lang vorerzählen. Die
Hauptſache, auf die der liebe Mann, der gut ſeine 50
Jahre und darüber zählte, immerwährend zurückkam,
war ſeine ſchottiſche Tracht, die er mir ſehr ausführ-
lich beſchrieb, und dabei mit Wohlgefallen ſeines Auf-
enthalts in Berlin erwähnte, wo er Anno 1800 ge-
weſen und, wie er berichtete, ſeine Tracht bei der Re-
vue Allen ſo aufgefallen ſey, daß der König ihn, ohne
daß er Seiner Majeſtät noch präſentirt geweſen ſey,
ſchon in Potsdam zur Tafel eingeladen, eine Ehre,
die, ſeiner Verſicherung nach, nur den Pairs des Lan-
des und den ausgezeichnetſten Fremden zu Theil wür-
de. Ich wollte hier etwas erwiedern, er unterbrach
mich aber ſchnell und verſicherte, das ſey noch nicht
Alles. Er habe an jenem Tage nur die halbe ſchot-
tiſche Tracht getragen, und engliſche Pantalons dazu
angehabt, den andern ſey er aber mit bloßen Schen-
keln und einem soot mit Silber beſchlagen, beim Ma-
noeuvre erſchienen. Der König und der ganze Hof habe
ihn angeſtaunt, und eine Viertelſtunde ſpäter ſey aber-
mals eine Einladung zur Tafel gekommen, worüber
[362] alle anweſenden Engländer ſich ſehr verwundert hät-
ten. Die Königin ſelbſt habe ſich viel mit ihm un-
terhalten, und gleich darauf ſey ein Adjudant gekom-
men, um ihn auf den nächſten Tag nach Berlin zu
einer Soirée und zur italiäniſchen Oper einzuladen.
Ich frug, ſetzte er hinzu, ob ich mit nackten Schenkeln
kommen könne? Ohne Bedenken, erwiederte lachend
der Offizier — und dieſer Abend, ſagte mein ehrlicher
Schotte mit ſittlichen Stolz, war mein Triumph, denn
nun kam ich in der rothen Galla-Kleidung mit Gold
beſchlagen. — So war ich dreimal nach einander ein-
geladen worden, was keinem Pair des Landes ge-
ſchieht, wiederholte er, und dreimal nach einander auch
immer more splendid (glänzender) erſchienen. Jetzt
war ich aber, fuhr er fort, in großen Sorgen einer
vierten Einladung, weil ich nun keinen noch prächti-
gern Anzug mehr hatte; glücklicherweiſe blieb ſie aber
aus. Das Feuer und die Kindlichkeit, mit der dieſe
lächerliche Geſchichte erzählt wurde, machte ſie bei alle
dem gewiſſermaſſen rührend. Ich war natürlich ganz
Bewunderung und Aufmerkſamkeit geweſen, und ſagte
nun: es wäre ſonderbar, gerade 1800 hätte ich mich
als Kind mit meinem Vater in der Berliner Oper
neben der königlichen Loge befunden, und erinnere
mich noch wie heute, daß ich darin zum erſtenmal in
meinem Leben einen Schotten ohne Hoſen geſehen,
und wie ein Wunder von Pracht und Schönheit an-
geſtaunt habe.


Than I was the Man, I was the Man! (denn ich
bin der Mann geweſen, ich bin’s geweſen) ſchrie mein
[363] alter Schotte ganz auſſer ſich, und von dieſem Au-
genblick hatte ich ſein Herz gänzlich erobert, er lud
mich dringend nach Schottland ein, bat um meine
Karte, und zugleich ihm die Ehre zu gönnen, mich
den Herzögen von Athol und von Hamilton in Lon-
don vorzuſtellen. Er werde mir die Honneurs von
Schottland machen und — warten Sie einen Augen-
blick, den … hm … ja richtig, den 26ſten werde
ich hier einen Ball geben, und Ihnen zu Ehren werde
ich die ſchottiſche Tracht anziehen, die ich mit Gold
beſchlagen, nein … ich glaube doch die mit Silber,
ſie iſt nicht ſo reich, aber eleganter *). Ich erman-
gelte nicht, die lebhafteſte Theilnahme zu zeigen, be-
dauerte, daß ich zwar nicht ſo lange hier bleiben könn-
te, wegen dringender Geſchäfte in London, aber mein
Möglichſtes thun würde, dieſen Tag wieder herzu-
kommen, um ein ſo intereſſantes Schauſpiel nicht zu
verſäumen; in dem Augenblick kam Lady .... mit
ihren Töchtern an, und da ich vor der Hand genug
[364] gehört hatte, rief ich ihr zu, daß Mr. M. D. of C.
and G.
keine ganz neue Bekanntſchaft für mich ſey,
ſondern ich ihn ſchon vor mehreren zwanzig Jahren
als Knabe geſehen habe. Auf ihr: Wie ſo? begann
mein unermüdlicher Freund die Geſchichte der drei-
fachen Steigerung von Neuem, und ich ſchlich mich
unterdeſſen leiſe davon und zu Hauſe.



Dieſen Morgen ging ich in die Kirche, um fromm
zu ſeyn, es gelang mir aber nicht. Es war alles
darin gar zu nüchtern, und unäſthetiſch. Ich lobe
mir denn doch einen künſtleriſchen, wenn auch etwas
ſinnlichen Gottesdienſt. Folgten wir nur der Natur,
die für Religion wie Regierungsverfaſſung (denn ſie
regiert ganz conſtitutionell) die beſte Lehrmeiſterin
bleibt! Flößt ſie uns nicht die frömmſten Gefühle
gerade durch ihre prächtigſten wie erhabenſten Schau-
ſpiele ein: durch die Malerei des Sonnen- Auf- und
Unterganges, die Muſik des tobenden Gewitters und
des brauſenden Meers, die Plaſtik der Felſen und
der Gebirge? Seyd alſo nicht klüger, lieben Leute,
als der liebe Gott, und macht’s ihm nach, ſo gut
ihr könnt.


Ich würde aber damit wohl tauben Ohren predi-
gen, auſſer den Deinen, liebe Julie, und die hören
längſt ſchon mit mir den himmliſchen Sphärengeſang,
der in des Ewigen herrlicher Schöpfung immerdar
[365] tönt, wenn man ſich nur nicht poſitive Baumwolle
hereinſteckt, um ihn nicht zu vernehmen *).


Auch die Predigt, welche ich vernahm, war, ob-
gleich vorher ausgearbeitet, und abgeleſen, doch ganz
verſteinert und gehaltlos. Prediger könnten wohl im
Allgemeinen viel wohlthuender wirken, wenn ſie den
Schlendrian verließen, immer nur Themata aus der
Bibel zu wählen, und dieſe lieber aus dem lokalen
Leben und der menſchlichen Geſellſchaft entnähmen,
überhaupt ſtatt Dogmatik, die jedem Menſchen in-
[366] wohnende poetiſche Religion mehr anſprächen, und die
Moral nicht blos als Gebotnes, ſondern als Schönes
und Nützliches, ja zum Glück des Einzelnen und
Aller Nothwendiges lehrten und erklärten. Würde
man von der Kanzel aus den gemeinen Mann nur
beſſer zu unterrichten, ihn zum Denken ſtatt Glau-
ben
heranzubilden ſuchen, ſo würden die Laſter bei
ihm bald ſeltner werden. Er würde anfangen, ein
wahres Intereſſe, ein Bedürfniß nach der Kirche und
Predigt zu ſeiner Bildung zu fühlen, während er jetzt
ſie gewöhnlich aus nichts weniger als erbaulichen
Gründen, oder ohne alles Nachdenken beſucht. Auch
die Geſetze des Landes, nicht blos die zehn Gebote,
ſollten der Gemeinde von der Kanzel erläutert, und
ihnen mit den Gründen derſelben zugleich geläufig
gemacht werden, denn wie Viele ſündigen in dieſer
Hinſicht, ohne, wie Chriſtus ſagt, zu wiſſen, was
ſie thun *). Die beſte praktiſche Vorſchrift der all-
gemeinen Moral iſt ohne Zweifel, ſich zu fragen, ob
eine Handlung, wenn ſie jeder beginge, der menſch-
lichen Geſellſchaft ſchädlich oder nützlich ſey? Im er-
ſten Fall iſt ſie natürlich ſchlecht, im zweiten gut.
[367] Hat man die Leute nun an die Anlegung dieſes
Maaßſtabes gewöhnt, und ihnen dann recht ad ocu-
los
die ohnfehlbar aus ihren Handlungen entſprin-
gende, endliche Rückwirkung auf ſie ſelbſt demon-
ſtrirt, ſo wird man in wenigen Jahrzehnenden nicht
nur Moralität, ſondern auch Cultur und Induſtrie
verbeſſert haben, während die gewöhnliche Prieſter-
weisheit, die den Glauben, die Autorität und das
Dogma über Alles ſetzt, Jahrhunderte lang es beim
Alten läßt, und nicht ſelten verſchlimmert.


Dabei würde es vielleicht nichts ſchaden, wenn
man, wie man in Frankreich berühmte Spitzbuben
begnadigt, um ſie bei der Polizei anzuſtellen, auch
hier manchmal ſolche Lehrer auswählte, die ſich aus
eigner Erfahrung der üblen Folgen der Sünde be-
kehrt haben, (wie z. B. der ſelige Werner), und da-
her am beſten über ſie unterrichtet ſind. Es iſt mehr
Freude im Himmel über einen Sünder, der zurück-
kehrt, als über zehn Gerechte, und ein ſolcher iſt
auch in der Ueberzeugung und Einſicht feſter, hat
auch in der Regel mehr Bekehrungseifer, wie das
Beiſpiel vieler Heiligen beweiſet.


Vor allen aber müßten, meines Erachtens, in ei-
ner wohl organiſirten Geſellſchaft alle Prediger, ſie
kämen nun her, von wo ſie wollten, auf fixirten Ge-
halt geſetzt ſeyn, (dieſer werde nun vom Staate oder
von den Gläubigen beſtritten), und nicht für die
Segnungen ächter Religion, ſo wie für die Ceremo-
nien der conventionellen, einzeln baar bezahlt wer-
[368] den, eine Gemeinheit, die jede Illuſion und jede
wahre Achtung für den Geiſtlichen nothwendig un-
tergraben, ſo wie ihn, hat er noch Delikateſſe, in
ſeinen eignen Augen herabwürdigen muß. Es iſt
wirklich ſchrecklich anzuſehen, wenn der Arme auf
dem Lande für den eben genoſſenen Leib Chriſti zwei
Groſchen hinter den Altar ſteckt, und bei der Taufe
es gar dem Herrn Geiſtlichen, wie ein Biergeld, in
die Hand gedrückt wird. Hört man aber gar den
Prediger von der Kanzel wüthen und ſchelten,
daß das Opfer immer geringer werde, drohend
darum mahnen, und ſolches Entziehen ſeiner Ein-
künfte als ein Zeichen verringerter Religioſität ver-
dammen — dann fühlt man lebhaft, wozu ſo viele
Prieſter da ſind, und was ſie für ihren eigentlichen
Beruf halten. Soldaten lieben ganz natürlich den
Krieg, Prieſter eben ſo die Religion, beide wegen
ihres Vortheils. Patrioten lieben den Krieg nur,
um Freiheit dadurch zu erringen, Philoſophen die
Religion nur um ihrer Schönheit und Wahrheit
willen.


Das iſt der Unterſchied.


Wie aber der Autor der Zillah ſo richtig ſagt:
„Etabliſſements dauern länger als Meinungen. Die
Kirche dauert länger als der Glaube, der ſie grün-
dete, und wenn es einer Prieſterſchaft einmal gelun-
gen iſt, mit den Inſtitutionen ihres Landes ſich zu
verweben, ſo mag ſie noch blühen und beſtehen,
wenn auch ihr Cultus ſchon längſt zum Geſpött ge-
worden iſt.“


[369]

Der Nachmittag war befriedigender. Ich ſtieg auf
den Hügeln über der Stadt umher, und kroch zu-
letzt auf den Boden einer Windmühle, um von dort
aus das ganze Panorama Brightons zu überſehen.
Der Sturm ſchleuderte die Flügel der Mühle mit ſol-
cher Gewalt um ihre Axe, daß das ganze Gebäude
ſchwankte, wie ein Schiff. Der Müllerburſche, wel-
cher mir den Weg hinauf gezeigt, brachte nun aus
einem Mehlkaſten ein Perſpektiv hervor, das aber
leider, ohngeachtet ſeines weichen Lagers, zerbrochen
war. Ich begnügte mich indeß ſchon gern mit der
ſchönen Totalausſicht, die durch viele Hunderte von
Fiſcherbarken, welche mit dem Winde kämpften, ſehr
belebt wurde, und eilte dann mit der ſinkenden Sonne
den geſellſchaftlichen Pflichten wieder zu.


Die Anzahl der Gäſte beim Grafen F.... war nur
klein, aber intereſſant, einmal durch die Wirthe ſelbſt,
dann durch eine ihrer Schönheit wegen berühmte
Dame, und endlich durch einen ſehr bekannten ehe-
maligen Pariſer Tonangeber, M …, der in ſeiner
Jugend dort lange eine Rolle geſpielt, immer zu-
gleich auch in politiſche Verhältniſſe verwickelt war,
und jetzt einen großen Theil des Jahres in England
lebt, wahrſcheinlich auch nicht ohne politiſche Abſich-
ten, einer von den heut zu Tage ziemlich ſelten wer-
denden Menſchen, die ſtets auf großem Fuß leben,
ohne daß man recht weiß, wovon, die ſich überall
eine gewiſſe Autorität zu verſchaffen wiſſen, ohne daß
man weiß, woher, und hinter denen man immer et-
was Beſonderes, ja Geheimnißvolles ſucht, ohne daß
Briefe eines Verſtorbenen III. 24
[370] man weiß, warum. Dieſer iſt wenigſtens ſehr lie-
benswürdig, wenn er will. Er erzählt vortrefflich,
und hat aus einem vielfach bewegten Leben nichts
vergeſſen, was ſeiner Unterhaltung Würze geben kann.
Zu ſolchen großartigen Avantüriers, deren conſom-
mirte Menſchenkenntniß ſtets ſehr zu bewundern iſt,
obgleich ſie ſie in der Regel nur zum Düpiren Ande-
rer anwenden, paſſen die Franzoſen am beſten. Ihre
geſellſchaftliche Liebenswürdigkeit bricht die Bahn, und
ihr nicht zu warmes Herz, ihr, wenn ich mich ſo
ausdrücken darf, ökonomiſcher Verſtand, weiß mit
dem Gewonnenen vortrefflich Haus zu halten, und
für immer darin feſten Fuß zu faſſen.


Der gewandte Mann, von dem ich hier ſpreche,
weiß auch das Spiel auf eine anmuthige Art zu hand-
haben, und behauptet im Scherz, wie For, daß er,
nach dem Vergnügen, im Spiel zu gewinnen, kein
größeres kenne, als darin zu verlieren.


Man ſprach viel von Napoleon, deſſen unſer Wirth,
wie Alle, die lange in ſeiner Nähe lebten, nur mit
Ehrfurcht gedachte. Er erwähnte eines Umſtandes,
der mich frappirte. Der Kaiſer, ſagte er, ſey von der
ungeheuren Anſtrengung während der hundert Tage
und den folgenden Ereigniſſen ſo unglaublich abge-
ſpannt geweſen, daß er bei ſeiner Retraite von Wa-
terloo, welche (ganz gegen die bei uns übliche Ver-
ſion) in der erſten Stunde, von einem Bataillon ſei-
ner Garde geſchützt, nur langſam und ohne alle
Uebereilung von ſtatten ging — zwei bis dreimal auf
[371] dem Pferde eingeſchlafen ſey, ſo daß er ohne Zweifel
heruntergefallen wäre, wenn ihn Graf F.... ſelbſt
nicht mehrmals gehalten hätte. Auſſer dieſer körper-
lichen Abſpannung habe er aber, wie der Graf ver-
ſicherte, auch nicht das mindeſte Anzeichen von inne-
rer Agitation gegeben.



Mein origineller Schotte, von dem ich ſeitdem ge-
hört, daß er ein wahrer Tollkopf ſey, und bereits
zwei oder drei Menſchen im Duell getödtet, beſuchte
mich dieſen Morgen, und brachte mir ſeine gedruckte
Genealogie, mit der ganzen Geſchichte ſeines Stam-
mes oder Clans. Er klagte ſehr, daß ein anderer
ſeines Namens ihm den Rang des Chieftains ſtrei-
tig machen wolle, und bemühte ſich, mir aus dem
mitgebrachten Werke zu beweiſen, daß er der ächte
ſey, meinte auch, „ein Gottesurtheil zwiſchen beiden
würde es bald am beſten entſcheiden.“ Dann machte
er mich auf ſein Wappen, eine blutige Hand im
blauen Felde, aufmerkſam, und gab Folgendes als
den Urſprung deſſelben an.


Zwei Brüder, die in einem Kriegszuge gegen eine
der ſchottländiſchen Inſeln begriffen waren, hatten
unter ſich ausgemacht, daß der, deſſen Fleiſch und
Blut (ein ſchottiſcher Ausdruck) zuerſt das feſte Land
berühre, Herr deſſelben bleiben ſolle. Mit aller Kraft
der Ruder ſich nähernd, konnten die Schiffe wegen
[372] einzelner Felſen im Meere nicht weiter, und beide
Brüder mit ihren Kriegern ſtürzten ſich in das Waſ-
ſer, um ſchwimmend die Inſel zu erreichen. Da nun
der Aelteſte ſah, daß ihm ſein jüngerer Bruder zu-
vorkam, zog er ſein kurzes Schwerdt, legte die linke
Hand auf eine hervorragende Klippe, hieb ſie mit
einem Hieb ab, ergriff ſie bei den Fingern, und warf
ſie, bei ſeinem Bruder vorbei, blutend ans Ufer, in-
dem er ausrief: „Gott iſt mein Zeuge, daß mein
Fleiſch und Blut zuerſt das Land berührt hat.“ Und
ſo ward er König der Inſel, die ſeine Nachkommen
durch zehn Generationen unumſchränkt beherrſchten.


Die Geſchichte der blutigen Hand ſchien mir nicht
unpoetiſch, und ein treffendes Bild jener rohen, aber
kräftigen Zeiten. Ich ermangelte nicht, ihm einen
Pendant aus dem Nibelungenliede von meinem
(wahrſcheinlich eben ſo fabelhaften) Ahnherrn zu er-
zählen, und wir trennten uns über den Geiſtern
unſerer Manen als die beſten Freunde.


Es giebt jetzt täglich hier mehrere Privatbälle, und
das in ſo kleinen Quartieren, daß ein ehrlicher deut-
ſcher Bürger nicht wagen würde, zwölf Perſonen da-
hin einzuladen, wo man hier einige hundert, wie
Negerſclaven, zuſammendrängt. Es iſt noch ärger
wie in London, und der Raum für die Contredanse
gewährt nur eben die mathematiſche Möglichkeit,
ranzähnliche Demonſtrationen anzudeuten. Ein Ball
ohne dieſes Gedränge würde indeß ganz gering ge-
ſchätzt werden, und ein Gaſt, der die Treppe leer
[373] fände, wahrſcheinlich wieder wegfahren. Mir fiel bei
dieſem ſeltſamen Geſchmack lebhaft Potiers un ci-de-
vant jeune homme
ein, wenn er bei ſeinem Schnei-
der einen Pantalon beſtellt, der extraordinairement
collant
ſeyn ſoll, und als der Kleiderkünſtler ſchon
geht, ihn noch einmal mit den Worten zurückruft:
„Entendez vous, extraordinairement collant, si j’y
entre je ne le prends pas.“
Daſſelbe könnte ein
Dandy von einem hieſigen rout ſagen: „Si j’y entre
je n’y vais pas.“


Iſt man aber nun einmal herein, ſo muß man
geſtehen, daß man nirgends eine größere Menge
hübſcher Mädchen ſieht, und malgré bongré an ſie
gedrückt wird, als hier. Sie werden jetzt meiſtens
einige Jahre in Frankreich erzogen, und zeichnen ſich
dann durch beſſere Toilette und Tournüre aus. Sehr
viele davon ſprechen deutſch. Man bekommt ſo viel
Einladungen zu dergleichen Soiréen, als man will;
aber man könnte auch als ganz Fremder und Unein-
geladener eben ſo gut hingehen, denn wer nicht lange
bleibt, bekömmt ohnedieß die Wirthe nicht zu ſehen,
und gewiß kennen dieſe nicht die Hälfte der Anwe-
ſenden. Um 1 Uhr wird immer ein ſehr recherchir-
tes kaltes Soupé mit force Champagne ſervirt. Das
Lokal dazu iſt in der Regel die Bedientenſtube un-
ten, und der Tiſch faßt natürlich kaum zwanzig Per-
ſonen auf einmal, die ſich dann Truppweiſe nach
einander die ſchmale Treppe hinunter winden und
ſtoßen. Sitzt man endlich, ſo kann man ſich aus-
ruhen, und Manche benutzen dies mit ſehr wenig
[374] Discretion für die Nachkommenden, auch wird den
Damen wenig Platz gemacht, deſto ſorgſamer iſt aber
die Dienerſchaft befliſſen, von einer den Gäſten un-
zugänglichen Seite den Tiſch immer wieder friſch zu
beſetzen, wenn Schüſſeln und Flaſchen leer werden.


Um Alles gehörig zu betrachten, blieb ich in einem
der beſſern Häuſer das erſtemal bis 4 Uhr Morgens,
und fand das Ende der Fete, wo ¾ der Gäſte weg
waren, am angenehmſten, um ſo mehr, da die Töch-
ter vom Hauſe wirklich ausnehmend hübſch und lie-
benswürdig waren. Dagegen gab es aber auch ganz
famöſe Originale auf dieſem Balle, unter andern eine
dicke Dame von wenigſtens 55 Jahren, welche in ei-
nem ſchwarz ſammtnen Pelz mit weiß verbrämt, und
einen Turban mit ſchwankenden Straußfedern auf
dem Haupte, gleich einer Bachantin, wie raſend um-
herwalzte, ſo oft ſie nur Platz dazu finden konnte.
Ihre drei recht hübſchen Töchter verſuchten vergebens,
es der Mama gleich zu thun; ich erklärte mir aber
dieſe herkuliſche Ausdauer, als ich erfuhr, die jetzt
ſehr reich gewordene Dame habe ihr Vermögen frü-
her durch glücklichen Viehhandel erworben.


Die Muſik bei allen dieſen Bällen beſteht blos aus
einem Piano und einem Blasinſtrument. Die Mu-
ſiker wiſſen beiden aber einen ſolchen Lärm abzu-
locken, daß man in der Nähe aller Converſation ent-
ſagen muß.


[375]

Ich las geſtern, „daß ſtarke Leidenſchaften durch
die Entfernung wachſen.“ Die meinige für Dich muß
alſo eine ſtarke ſeyn, was zärtliche Freundſchaft
ohnedem immer am ſicherſten iſt — denn ich habe
Dich lieber als je. Uebrigens iſt die Sache ſehr er-
klärlich. Liebt man Jemanden wahrhaft, ſo hat man
in der Abweſenheit nur immer ſeine guten und lie-
benswürdigen Eigenſchaften vor Augen, das Unan-
genehme kleiner Fehler, die jeder Menſch hat, und
die doch zuweilen in der Gegenwart verletzen, fällt
ganz aus dem Gedächtniß, und die Liebe vermehrt
ſich alſo ganz natürlich in der Entfernung. Und
Du — wie denkſt Du darüber? Um wie viel mehr
Fehler haſt Du bei mir mit dem Mantel der chriſt-
lichen Liebe zu bedecken! Ich reiſe indeß morgen er-
preß nach London, um unſerm Geſandten dieſen Brief
für Dich ſelbſt zu übergeben, da die letzten ſo lange
unterwegs geblieben ſind. Wahrſcheinlich ſind Neu-
gierige darüber gekommen, denn die Infamie des
Brieföffnens werden wir wohl ſobald nicht los wer-
den. In zwei Tagen bin ich wieder hier, und ſo
glücklich, 3 — 4 Bälle in dieſer Zeit zu verſäumen.
Vor der Abreiſe machte ich heut früh noch eine lange
einſame Promenade, und diesmal doch nicht ganz
allein, ſondern mit einer jener vielen artigen jungen
Damen, die ich hier kennen gelernt. In dieſer Hin-
ſicht gewährt man den Unverheiratheten in England,
wenn ſie einmal in die Welt lancirt ſind, ungemein
[376] viel Freiheit. Das junge Mädchen quaestionis war
erſt 17 Jahr alt, aber ſchon in Paris polirt.


Als ich zu Haus kam, fand ich zu meiner nicht
geringen Ueberraſchung einen Brief von dem unglück-
ſeligen R.., der abermals nach Harwich zurückver-
ſchlagen worden, und in Verzweiflung um Geld und
Hülfe fleht, denn wider meinen Willen hat er, was
ich erſt jetzt erfahre, den ihm vorgeſchriebenen Weg
über Calais doch nicht eingeſchlagen. Dieſe Irrfahr-
ten des Garten-Odyſſeus ſind eben ſo lächerlich als
unangenehm, und Du wirſt gewiß längſt glauben,
daß der Abentheurer malgré lui von den Fiſchen ver-
ſpeist worden iſt. Ich erinnere mich immer noch leb-
haft, daß ich vor 12 Jahren, auch um dieſe Zeit,
mich nach Hamburg einſchiffen wollte, mein alter
franzöſiſcher Kammerdiener rieth mir aber glücklich
davon ab, denn, wie er ſich ſeltſam ausdrückte:
„dans ces tems ci il y a toujours quelques equinoxes
dangereuses, qui peuvent devenir funestes!“
und
richtig, das Fahrzeug litt Schiffbruch, und Mehrere
verloren ihr Leben dabei.



Honneur à Sir Temple! Dein von ihm beſorgter
Brief iſt in 10 Tagen hergekommen, während die
durch unſre Diplomatie gegangenen drei Wochen un-
terwegs blieben. Sage ihm meinen beſten Dank.
Herzlich habe ich über alle Nachrichten gelacht, die
mir H. ſo launig meldet. Der kleine Criminalrath,
den die Spötter le rat criminel nennen, der Ren-
[377] voyé extraordinaire
und der Diplomate à la four-
chette
ſind vortrefflich geſchildert, eben ſo wie der
glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei
Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des
Letzteren Succeß. Es iſt gewiß, daß es eine Art
Beſchränktheit giebt, die faſt immer in der Welt
reüſſirt, und eine Art Verſtand, die nie reüſſirt. Die-
ſer letzte iſt unter andern auch der meinige, ein phan-
taſtiſcher, Bilder machender, der ſich ſeine Traumwelt
alle Tage ſelbſt neu geſtaltet, und daher in der wirk-
lichen ſtets ein Fremder bleibt. Du meinſt, wenn
das Glück ſich mir dargeboten, hätte ich es ſtets ge-
ring geachtet, und höchſtens ſpielend bei den Fingern
genommen, ſtatt es ernſtlich feſt zu halten. Nie
hätte ich die Gegenwart eher geſchätzt, bis ſie in
ferner Weite als Bild wieder daſtehe — dann würde
es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der
Sehnſucht und die Gegenwart nie etwas anders als
ein Nebelflecken! A merveille. Du führſt das al-
lerliebſt aus, und Niemand, ich muß es geſtehen,
verſteht beſſer, eindringlich zu moraliſiren, als Du.
Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber ſage,
wenn Du nun auch den Lahmen felſenfeſt überzeug-
teſt, daß es weit beſſer für ihn ſey, nicht lahm zu
gehen, — ſo wie er ein Bein vor das andere ſetzt,
hinkt der Aermſte doch nach wie vor! Naturam ex-
pellas furca etc.
Umſonſt gebieteſt Du Deinem
Magen, beſſer zu verdauen, Deinem Witze, ſchärfer
zu ſeyn, Deiner Vernunft, ſich geltender zu machen.
Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen
bis zum Tode.


[378]

Die Beſcheide der Miniſterien, die Du mir über
die ..... Sache mittheilſt, bleiben auch beim Alten,
obgleich ſie äuſſerſt verbindlich ſind. Iſt es aber nicht
ſonderbar, daß bei uns die niedern Behörden ſich
eben ſo ſehr durch Tracaſſerieen und unhöflichen, ich
möchte ſagen, oft höhniſchen Styl auszeichnen, als
die höheren (mit einer einzigen Ausnahme) ſich nur
in raffinirt artigen Formen bewegen. Erhalten dieſe
letztern dadurch nicht ganz das Anſehn der bitterſten
Ironie? Du kannſt das unſrer G ..... ſchen Dilet-
tanten-Academie als Preisfrage für’s nächſte Jahr
aufſtellen.


Apropos, wer iſt der ſehr kluge Miniſter, von dem
H. ſpricht? Aha, ich errathe — aber die Miniſter ſind
ja ſchon ex officio ſo klug, daß man ſchwer wiſſen
kann, welchen ſie meint, den überſtändigen dagegen
errieth ich auf der Stelle, ſo wie den armen, dermalen
horizontalen, deſſen Krankheit mich herzlich betrübt,
denn geſund ſteht er, meiner Meinung nach, gar
ſehr perpendiculair, hoch über Mißgunſt und Neid,
durch Würde des Charakters, wie Geſchäftserfahrung
und Fähigkeit. Es giebt dagegen in der That einige
Staatsbeamten bei uns, denen man jeder Zeit ver-
ſucht wäre, mit Bürgers Leonore zuzurufen: Biſt
lebend, Liebſter, oder todt?


Der Himmel erhalte uns Beiden geiſtig und kör-
perlich beſſere Geſundheit, und mir vor allem Deine
zärtliche Freundſchaft, das nöthigſte Element zu mei-
nem Wohlſeyn.


Dein treuer L.


[[379]]

Dreizehnter Brief.



Theure Julie!

To make the best of my time, wie die Engländer
praktiſch ſagen, beſuchte ich geſtern, ehe ich die Stadt
verließ, drei Theater nach einander. Ein irländiſcher
Bediente war im erſten Stück die Hauptperſon. Als
ihn ſein Herr engagirt (der eben eine Entführung
ſeiner Schönen beabſichtigt, frägt er ihn vorher, ob
er auch entſchloſſen ſev, Alles zu thun, was er von
ihm verlange. „O Alles!“ ruft der entzückte Ohiggy,
„Alles, was Ihr wollt, ich ſtehle Euch früh eine
Kuh, und mache Euch Mittags ſchon Beefſteakes
davon.“ Später meint er: „Zwei Köpfe ſind immer
beſſer, wie einer, wäre der zweite auch nur ein Kalbs-
kopf, denn ſeyd Ihr hungrig, könnt Ihr ihn ver-
ſpeiſen.“


Dieſe Irländer müſſen, ſo weit ich bisher ſie aus
Comödien und Romanen kennen gelernt, ein ſeltſa-
mes Völkchen ſeyn, von einer ganz anders friſchen
[380] Originalität als die Engländer. Als Bettler begeg-
net man ihnen manchmal auf den Londner Straßen,
und erkennt ſie gleich an ihrem, ich möchte ſagen
gascogniſchen Weſen und Dialekt. Sehr drollig und
wahr ſagt darüber ein moderner Autor: „Der eng-
liſche Bettler ſchreit mit ſchleppendem Tone nur im-
mer [dieſelben] Worte: Gebt einem armen Mann ei-
nen halben Penny, einem armen Mann einen hal-
ben Penny!“ Was für ein Redner iſt dagegen ſein
irländiſcher College! „O Euer Gnaden, gebt uns ei-
nen Penny, nur einen kleinen, lieben Penny, Euer
Ehrens Herrlichkeit und Gottes Segen für Euer
Kind und Kindeskind! Gebt uns den kleinen Penny,
und möge Euch der Himmel dafür langes Leben
ſchenken, einen ſanften Tod und ein gnädiges Ge-
richt!“ Wer kann ſolchen rührend komiſchen Bitten
widerſtehen!


Im andern Theater erfreute uns die Pantomime
mit einer Vogel-, und ſogar einer Theezeug-Qua-
drille, nach welcher letztern der Theekeſſel, Milchtopf
und Taſſe ein pas de trois executirte, während Löf-
fel, Meſſer und Gabeln als Figuranten um ſie her
tanzten. Die Vögel der erſten waren à s’y mépren-
dre,
und ich rathe etwas Aehnliches, etwa von Pa-
pageien, die auch noch dazu ſprechen könnten, beim
S .... ſchen Hoftheater von Mephiſtopheles arrangi-
ren zu laſſen. Es würde der geiſtreichen Relation
davon noch etwas mehr Abwechſelung geben, und
ein Theekeſſel nebſt Zubehör fände ſich wohl auch in
der Geſellſchaft.


[381]

Von den indiſchen Jongleurs, die ich auf der drit-
ten Bühne ihre Künſte machen ſah, wurde diesmal
etwas ganz Neues aufgeführt, nämlich das ſonſtige
Kugelſpiel mit kurzen brennenden Fackeln ſtatt der
Kugeln. Dies giebt ein höchſt ſeltſames Feuerwerk,
ein fortwährendes Entwickeln mathematiſcher, bren-
nender Figuren, bald Räder, Schlangen, Dreiecke,
Sterne, Blumen ꝛc., wie im Kaleidoskop, ohne daß
der unerſchütterlichen Sicherheit dieſer Leute je et-
was mißlänge.


Der viele phantaſtiſche Unſinn dieſer Pantomimen
wirkte wahrſcheinlich noch in der Nacht auf mich
fort, die ich zwiſchen London und Brighton ver-
ſchlief, denn ich hatte auch in meinem Wagen die
wunderlichſten Erſcheinungen. Zuerſt ſetzte mich der
Traum auf meinen ſchönen Schimmel, deſſen ich aber
diesmal kaum Herr werden konnte. Er widerſtrebte
fortwährend meinem Willen, und als ich ihn endlich
bezwang, ſchüttelte er vor Wuth ſo gewaltig mit dem
Kopfe, daß dieſer mit ſammt dem Halſe abbrach, und
zwanzig Schritt davon hinflog, während ich mit dem
Rumpf in einen tiefen Abgrund hinabſtürzte. — Dann
ſaß ich auf einer Bank in meinem Park, und ſah
einem furchtbaren Orkane zu, der bald alle alten
Bäume fern und nah entwurzelte, und ſie wie Reiſig-
bündel übereinander thürmte. — Zuletzt entzweite
ich mich ſogar mit Dir, geliebte Julie, und ging
aus Verzweiflung unter die Soldaten. Ich vergaß
Dich (was nur im Schlafe möglich iſt) und fand mich
bald in der neuen Sphäre jung und glänzend wieder,
[382] voll friſchen Muths, und nicht weniger Uebermuths.
Es war ein Schlachttag — der Kanonendonner rollte
prachtvoll, eine herrliche Feldmuſik accompagnirte ihn,
und begeiſterte uns, während wir, mit der Präro-
gative des Traums, im Kartätſchenfeuer ganz ruhig
eine Trüffelpaſtete mit Champagner frühſtückten. Da
ricoſchettirte langſam eine matte Kanonenkugel uns
entgegen, und ehe ich noch auf die Seite ſprin-
gen konnte, riß ſie meinem auf der Erde ſitzenden
Nachbar den Kopf, und mir die beiden Beine ab,
daß ich ſtöhnend in Blut und Graus daniederſank …
Als ich aber wieder zur Beſinnung kam, da tobte
wirklich der Sturm um mich her, und das Meer
heulte mir in die Ohren; ſchon glaubte ich mich auf
einer Seefahrt begriffen, der Wagen hielt aber nur
vor dem Gaſthofe an der Marineparade in Brighton.
Morgen träume ich vielleicht die Fortſetzung. Geht’s
aber in den Phantaſieen des Lebens ſelbſt nicht bei-
nahe eben ſo confus her? Luftſchlöſſer im Guten
und Böſen, nichts als Luftſchlöſſer — einige ſtehen
nur Minuten, andre Jahre, andre Jahrzehende, aber
am Ende fallen ſie doch alle ein, und ſchienen
nur Wirklichkeit! Niemand hat mehr Anlage zum
Architekten ſolcher Schlöſſer als ich. Bei der leiſeſten
Anregung fabrizire ich eben ſo ſchnell einen glänzen-
den Feenpallaſt, als eine elende Hütte, Grab oder
Kerker. Doch immer biſt Du dabei, liebe Julie,
entweder das Glück mit mir theilend, die Hütte
ſchmückend, über dem Grabe weinend, oder in Ban-
den tröſtend. In dieſem Augenblick ſchwebe ich eben
[383] in der Mitte, ohne beſtimmte Wohnung, bin dabei
auch eben ſo ätheriſcher und munterer Geiſtesſtim-
mung, aber, ich muß es geſtehen, mit ſchläfrigem
Körper, denn es iſt 3 Uhr nach Mitternacht. Alſo
küſſe ich Dir die Hände zur guten Nacht. Uebrigens
bitte ich doch im Traumbuch nachzuſehen, was jene
Geſichte bedeuten mögen. — Du kennſt einmal mei-
nen lieben Aberglauben, der mir viel zu werth iſt,
um mich durch ſchale Raiſonnements davon abwen-
dig machen zu laſſen — z. B. wenn ein ſtarker Geiſt
über Alles die Achſeln zuckt, woran er nicht unmit-
telbar ſelbſt mit der Naſe ſtößt, oder ein ſalbungs-
reicher Prieſter ſagt: „Es iſt doch merkwürdig in-
conſequent, wie mancher Menſch an die Religion (d. h.
dann immer Kirche und ihre Satzung) nicht glauben
will, und doch in andern Dingen der unvernünftigſten
Leichtgläubigkeit Raum giebt!“ „O lieber Herr Pa-
ſtor,“ frage ich dann, „worin beſtehen denn dieſe
unvernünftigen Dinge?“ „Nun, der Glaube an
Sympathie, z. B. an Träume, an den Einfluß der
Sterne.“ Aber verehrteſter Herr Paſtor, darin finde
ich ganz und gar keine Inconſequenz! Jeder den-
kende Menſch muß eingeſtehen, daß es eine Menge
geheimnißvoller Kräfte in der Natur, terreſtriſche und
cosmiſche Einflüſſe und Beziehungen giebt, von de-
nen wir ſelbſt bereits ſchon manche entdeckt, die frü-
her für Fabel paſſirten, andere aber bis jetzt viel-
leicht nur ahnen, noch nicht erkennen können. Es
iſt alſo keineswegs gegen die Vernunft, ſich darüber
ſeine Hypotheſen zu machen, und mehr oder weniger
[384] an dieſe zu glauben. So beſtreite ich auch ihnen
weder ihre Wunder, noch ihre Symbole, aber der
Vernunft, dem Verſtande und Herzen, allen zuſam-
men gleich unfaßbar, bleiben gewiſſe andere Dinge,
die viele von ihnen lehren, z. B. ein Gott, der lei-
denſchaftlicher und partheilicher iſt als der gebrech-
lichſte Menſch; von der ewigen Liebe verhangene,
unendliche Martern für zeitliche Sünden, willkühr-
liche Vergebung und Verdammung nach Prädeſtina-
tion u. ſ. w. Dieſe Dinge werden nur dann möglich
ſeyn, wenn zwei mal zwei fünf geworden iſt, und
kein Aberglaube reicht an den Wahnſinn dieſes
Glaubens.


A propos, noch eins. Es fällt mir eben auf’s Herz,
daß ich ganz vergeſſen, Dir für den ſchönen Neujahrs-
wunſch zu danken, jenen Schwan, der zwiſchen Ro-
ſenhecken dahin ſchwimmt, und Dir ſo ähnlich er-
ſcheint, eben ſo vortreffliche, friſche, weiße Toilette
gemacht hat, eben ſo behaglich und zierlich ausſieht.
Weißt Du, wie ich den Neujahrswunſch überſetze?
Er ſpricht ſo zu mir: Julie iſt Deine Fortuna, und
wird Dich einſt noch unter Roſen betten, nachdem
wir Beide uns jedoch vorher noch oft an den Dornen
blutig geritzt haben werden. Singt ſie endlich ihren
Schwanengeſang, ſo ſoll dieſer auch ihren Freund
mit zur Ruhe ſingen.


[385]

Ich komme eben don einem großen Almacks Tan-
cyball
zu Hauſe, wo Alles in fremder, phantaſtiſcher
Tracht, oder in Uniform erſcheinen muß, eine Me-
lange, die nicht die ſchicklichſte iſt. Du kannſt den-
ken, daß mein Freund aus G .... in ſeinem ſchot-
tiſchen Prachtanzug nicht fehlte. In der That iſt die-
ſes Coſtüme ſehr ſchön, in hohem Grade reich, pit-
toresk und männlich. Nur die Schuhe mit den großen
Schnallen gefallen mir nicht. Das Schwerdt hat ganz
die Form unſrer Studentenrappiere, und auſſerdem
gehört noch dazu ein Dolch, Piſtolen und Carton-
ſchen, die Waffen mit Edelſteinen beſetzt, und eine
Adlerfeder, das Zeichen der Chieftains, an der bun-
ten Mütze.


Ich führte zwei Damen auf den Ball, die erſte,
Mſts. C …, eine heitre und kluge, noch recht hübſche
Frau von ohngefähr 35 Jahren, die die Welt liebt,
ſelbſt in ihr beliebt iſt, und einen invaliden Mann
auf die ſorgſamſte Weiſe pflegt — die beſte Art Treue.
Ibre Tournure iſt angenehm, ihr Charakter gut,
alſo ſehr paſſend pour en faire une Amie dans le
monde.
Die andere Dame, ihre Buſenfreundin, iſt
eine junge, ſehr reizende Wittwe, unbedeutender
zwar, aber ein liebliches, freundliches Weibchen, die
vollkommen zufriedengeſtellt iſt, wenn man ihre Zähne
mit Perlen, und ihre blauen Augen mit Veilchen ver-
glichen hat.


Briefe eines Verſtorbenen III. 25
[386]

Ich hatte mich im Ganzen der Toiletten wie des
Ausſehens meiner Damen gar nicht zu ſchämen, aber
ſie und alle wurden verdunkelt durch die junge Miß
F., die beauty von Brighton, und wirklich eins der
ſchönſten Mädchen, die es giebt, eine kleine Sylphide,
die ihren wundervollen Fuß und ihre Grazie aus
einem andern Lande eingeſchwärzt haben muß. Sie
iſt dabei erſt 16 Jahr alt, und ſo wild und beweg-
lich als Queckſilber, unermüdlich im Tanzen, wie
in Poſſen. Ich war ſo glücklich, mich heute ſehr bei
ihr durch ein unerwartetes Geſchenk zu inſinuiren.
Dieſes beſtand in einem Cornet beſonders gut fabri-
zirter Knallbombons, mit deren Austheilung ſie ſich
ſchon auf frühern Bällen unendlich amüſirt hatte,
wegen welcher von ihr verübten Exceſſe aber, ſelbige
auch ſtreng von den Mamas verpönt worden, und
nicht mehr, wie ſonſt gewöhnlich, beim Soupé zu
haben waren. Ich hatte mich daher weislich ſchon
vorher damit beim Conditor verſehen, überreichte ſie
nun ſehr unerwartet, und bezweifle, daß mir Aerm-
ſten eine geſchenkte Million noch ſo viel Vergnügen
machen könnte, als ich hier durch das Unbedeutendſte
erregte. Die Kleine jubelte, und errichtete ſogleich
ihre Batterien, welche deſto beſſern Erfolg hatten,
da ſich der Feind ganz ſicher glaubte. Bei jeder Ex-
ploſion wollte ſie ſich faſt todt lachen, und ſo oft
ich ihr beute nahe kam, lächelte ſie mich aus ihren
Feueraugen immer ſo bold und freundlich, wie ein
kleiner Engel, an. Das arme Kind! dieſe vollkom-
mene Unſchuld, dieſer Ausdruck des höchſten Glücks
[287[387]] rührten mich tief — denn ach! ſie wird ja auch bald,
gleich allen andern, enttäuſcht werden. —


Viele der übrigen Mädchen waren gleichfalls ſehr
ſchön, aber zu viel Dreſſur dabei; einige ſtrotzten von
Juwelen und Koſtbarkeiten, aber keine kam der klei-
nen F … gleich, deren Anmuth in den Augen der
häßlichen, egoiſtiſchen Männer vollſtändig ſeyn würde,
wenn ſie nicht leider auch mit Armuth gepaart
wäre.



Bei Miſtriß F ......., einer ſehr würdigen und lie-
benswürdigen Frau, früher, wie man verſichert, dem
Könige angetraut, jetzt ohne Einfluß in jener Re-
gion, aber immer gleich allgemein geliebt und geach-
tet, d’un excellent ton et sans prétention — hörte
ich geſtern Abend einige intereſſante Details über
Lord Liverpools Cataſtrophe. Ein Mann, der eine
Stunde vorher noch mit Kraft und Weisheit die
halbe Welt regierte, wird ein Imbecille, weil man
einen Aderlaß verſäumt! Sein Vorgänger aber (Lord
Caſtlereagh) aus demſelben Grunde ein Selbſtmör-
der! — Es iſt doch gar etwas zu Gebrechliches um
den menſchlichen Geiſt!


Ich fand hier auch die zwei Töchter des berühmten
Sher.; Beide geiſtreich und ausgezeichnet hübſch, die
älteſte bold wie ihr Vater, welches allerdings für
25*
[388] eine Dame weniger paßt, die zweite von einer Sanft-
muth, die zuflüſtert: Stille Waſſer ſind tief!


In dieſem Hauſe ſieht man nur beau monde. Sonſt
giebt es eigentlich von der allererſten, ercluſiven Ge-
ſellſchaft nicht zu viel hier, oder ſie leben ganz zu-
rückgezogen, um nicht mit der alltäglichen, die ſie
Nobodys nennen, und mehr als die Braminen die
Parias ſcheuen, in Colliſion zu kommen. Ich, dem
meine Verhältniſſe erlauben, in dieſes Heiligthum zu
dringen, verſchmähe auch die Andern nicht. Als
Fremder, und noch mehr als Selbſtſtändiger, erlaube
ich mir ganz harmlos überall mein Vergnügen zu
ſuchen, und es iſt nicht immer der erhabenſte Ort,
wo ich das meiſte finde. Ja ſelbſt die Gemeinheit
und lächerliche Singerie der ſchnell Reichgewordenen
iſt zuweilen recht ſehr ergötzlich, und hat in England
noch einen viel burleskern Charakter als irgend wo
anders, weil Reichthum, Haus und Luxus, mit ei-
nem Wort, alles ſie Umgebende wirklich ganz daſſelbe
iſt, wie bei den Großen und Hohen, und nur die
Perſonen darin gleichſam wie nackt umhergehen.


Hier trat in meiner Correſpondenz eine lange Pauſe
ein. — Verzeih, ich nahm mein einſames Mittags-
mahl ein — eine Schnepfe ſtand vor mir, und ein
Mouton qui rêve neben mir. Du erräthſt wer dies
letzte iſt. Aergere Dich nicht über den Platz zur Lin-
ken, denn rechts flackert das Feuer, und ich weiß zu
gut, wie ſehr Du es fürchteſt.


[389]

Den Abend werde ich wieder bei Graf F. zubrin-
gen, der zu den Braminen gehört. Habe ich Dir ihn
ſchon beſchrieben? Er iſt keine unbedeutende Perſon.
Die franzöſiſche Liebenswürdigkeit mit engliſcher So-
lidität vereinigend, ſpricht er auch beide Sprachen
faſt gleich geläufig. Obgleich nicht mehr jung, iſt
er doch immer noch ein ſchöner Mann, und ſein
Aeuſſeres wird durch einen ſehr edlen Anſtand geho-
ben. Einfach und zuvorkommend, heiter ohne Bos-
heit, gefällt und befriedigt ſeine Unterhaltung, auch
wenn ſie in dem Augenblick nicht brillant iſt. Seine
Frau, Lady K ...., iſt weder ſchön noch häßlich. Sie
hat Geiſt, l’usage du grand monde, et quelquefois
de la politesse.
Dazu kein geringes Talent zur Mu-
ſik, und 10,000 £. St. Revenüen. Mit alle dem
brauche ich nicht erſt hinzuzufügen, daß dies Haus
angenehm iſt.



Auf den hieſigen Bällen herrſcht eine vortheilhafte
Sitte für die Herren, nämlich nach vollendetem Tanze
ihre Tänzerin an den Arm zu nehmen, und mit ihr
bis zum nächſten herumzuwandeln. Dabei hat Man-
cher Zeit, ſeine Timidität zu beſiegen, und es fehlte
nichts als unſre großen Lokale und einſam bleiben-
den Stuben dazu, um es noch anmuthiger zu ma-
chen! Hier geht es denn nicht weiter auszudehnen,
als die Treppe hinab nach dem Eßſaal, und wieder
herauf, aber auch das Gedränge gewährt große
[390] Heimlichkeit, denn Keiner giebt auf den Andern acht.
— Da man mich von allen Seiten quält zu tanzen
(ein Deutſcher, der nicht walzt, ſcheint ihnen unbe-
greiflich), ich aber nicht mag, ſo habe ich vorgegeben,
ein Gelübde binde mich, und zugleich errathen laſ-
ſen, daß es ein zärtliches ſey. Dieſes Vorgeben kön-
nen nun die Damen ſchwer mit der Ueberzeugung
zuſammenreimen, daß ich doch nur hier ſey, um eine
Frau zu ſuchen, wie ſie ſich ſteif und feſt einbilden.
Es geht bei alle dem nicht ohne einige Huldigung
ab, um das tägliche Einerlei zu würzen, aber Gott-
lob iſt nichts hier vorhanden, was mich im Gering-
ſten aus meiner Ruhe bringen könnte, ein ſehr be-
haglicher Zuſtand! Viel ſchlimmer iſt es einem ar-
men Engländer gegangen, der ſich heute, aus un-
glücklicher Liebe, von der jettée ins Meer geworfen
hat, und geſtern noch, wie von der Tarantel geſto-
chen, tanzte. Dem Aermſten mag es dabei zu Mu-
the geweſen ſeyn, wie den Dindons, die man in
Paris Ballet tanzen läßt, indem man ſie auf einen
metallnen Boden ſtellt, unter dem Feuer angemacht
wird. Die Zuſchauer, die ihre verzweifelten Sprünge
ſehen, glauben ſie wären ſehr luſtig, während die
armen Geſchöpfe langſam verbrennen.


Mehrmals habe ich mich beklagt, daß Brighton
keine Vegetation hat, aber die Sonnenuntergänge
im Meer, und die ſie begleitenden Wolkenbilder habe
ich faſt nirgends ſo mannichfaltig geſehen.


So hatte es heute den ganzen Tag geregnet, und
als es ſich Abends aufklärte, baute ſich am Horizont
[391] ein dunkles Gebirge über dem Waſſerſpiegel auf,
das nach und nach immer feſtere Conſiſtenz gewann.
Als nun die Sonne den höchſten Pick deſſelben er-
reichte und die ſchwarzen Maſſen, wie mit Riſſen
flammenden Goldes durchbrach, glaubte ich den Ve-
ſuv wieder zu ſehen, von Lava überſtrömt.


Nachdem ich dieſem feſtlichen Nachtlager der Him-
melskönigin bis auf ſeinen letzten Moment beige-
wohnt, irrte ich noch bis zu völliger Dunkelheit in
den kahlen Dünen umher, wie ein Schatten über
Berg und Thal auf meinem ſchnellen Roſſe dahin-
gleitend, das auch ſeine Phantaſieen haben mochte,
die es zu immer größerer Eile antrieben, ohne Zwei-
fel die lockende Vorſtellung — von Hafer und Heu.



Dieſe ewigen Bälle, Concerts, Dinés und Prome-
naden kann ich für mich, eben nicht langweilig, aber
wohl Zeit tödtend nennen. Ueberdem hat ſich ein ar-
mer Sterbender unter mir einquartirt, und macht
mich durch ſein Stöhnen und Jammern, das durch
den dünnen Boden allnächtlich zu mir heraufdringt,
und deſſen Contraſt ſo grell mit dieſem Orte der Fri-
volität und Zerſtreuung abſticht, zu melancholiſch.
[392] Helfen kann ich ihm nicht, alſo werde ich morgen nach
London zurückkehren.


Deine beiden Briefe habe ich erhalten, und bedaure
herzlich, zu vernehmen, daß Dir für Dein Bad bis
jetzt noch Koch und Doctor fehlen. Du mußt aller-
dings Alles thun, um dieſe beiden wichtigen Chemi-
ker, die von der Natur beſtimmt ſind, ſich gegenſei-
tig in die Hände zu arbeiten, ſobald als möglich von
beſter Qualität zu erlangen.


Du weißt, daß ein berühmter franzöſiſcher Arzt,
wenn er in ein Haus zum erſtenmal gerufen wurde,
ſtets damit anfing, in die Küche zu gehen und den
Koch zu umarmen, um ihm für die neue Kundſchaft
zu danken.


Als Ludwig der Vierzehnte immer kränklicher wurde,
und, ſeinen eignen Aerzten mißtrauend, unſern Aescu-
lap conſultirte, machte dieſer dem erſten homme de
bouche
Vorſtellungen, dem Könige doch wenigere und
einfachere Speiſen bereiten zu laſſen. „Allons donc,
Monsieur,“
erwiederte der heroiſche Küchling, den
Arzt à son tour umarmend, „mon métier est de
faire manger le Roi — le votre de le purger. Fai-
sons chacun le nôtre!“


Ehe ich Brighton verließ, mußte ich noch einer mu-
ſikaliſchen Soirée beiwohnen, eine der härteſten Prü-
fungen, denen Fremde in England ausgeſetzt ſind.
Jede Mutter, die eine erwachſene Tochter beſitzt, für
welche ſie ſchweres Geld an den Muſikmeiſter hat
[393] zahlen müſſen, will auch die Satisfaktion genießen,
dies junge Talent bewundern zu laſſen. Das quäkt
und trommelt nun rechts und links, daß Einem weh
und weichlich zu Muthe wird, und, ſelbſt wenn eine
Engländerin ſingen kann, ſo hat ſie doch faſt nie
weder Methode noch Stimme. Die Herren ſind weit
angenehmere Dilettanten, denn bei ihrem Geſang
hat man wenigſtens das Vergnügen einer poſſirlichen
Farce. Der Matador unter allen ſolchen hieſigen
Geſellſchafts-Sängern iſt ein gewiſſer Kapitän H ....
Dieſer Mann hat keine andere Stimme als die eines
heiſern Bullenbeißers, keine andere Idee vom Sin-
gen als ein Bauer in der Kirche, und nicht mehr
Gehör als ein Maulwurf.


So ausgeſtattet, ſchien er dennoch keinen größern
Genuß zu kennen, als ſich hören zu laſſen, und der
berühmte David tritt timider auf als er. Das Ori-
ginellſte war jedoch die Art ſeines Vortrags. So-
bald er ſich ans Clavier geſetzt hatte, ſchlug er mit
dem Zeigefinger nur einen Ton auf dem Inſtru-
mente an, mit welchem, ſeiner Meinung nach, die
Arie anfangen ſollte, und intonirte dann wie ein Ge-
witter, jedesmal aber ein oder zwei Töne tiefer als
der angeſchlagene Ton, worauf er ohne Raſt noch
Pauſe, und ohne alles weitere Accompagnement, die
ganze Arie mit den ſeltſamſten Geſichtsverdrehungen
durcharbeitete. Man muß ſo etwas ſelbſt geſehen
haben, um es für möglich zu halten, und das in ei-
ner Geſellſchaft von wenigſtens 50 Perſonen. Dabei
wählte er gewöhnlich italiäniſche Terte, obwohl ihm
[394] die Kenntniß dieſer Sprache gänzlich abging, und
brüllte daher oft mit ſeiner Stentorſtimme Worte
heraus, welche alle Damen zum Weglaufen gezwun-
gen haben müßten, wenn ſie ihre Bedeutung verſtan-
den hätten.


Man genirte ſich übrigens gar nicht, ihn auszula-
chen, (was nicht zu thun auch beinahe unmöglich
war); ich habe aber nie bemerkt, daß dies ſeiner
Exſtaſe und glücklichen Selbſtzufriedenheit im Ge-
ringſten Eintrag gethan hätte. Ja, einmal losge-
laſſen, war es ſogar ſchwer, ihn wieder zu zähmen,
und vom Piano wegzubringen, um andern, weniger
beluſtigenden Talenten Platz zu machen.


In dieſem letzten Concert ſah ich auſſerdem noch
zwei merkwürdige Perſonen anderer Art, ein ſchon
bejahrtes Paar, das un beau matin — ſchwarz ge-
worden war, aber ſchwarz, ſage ich, wie Tinte. Es
iſt ſonderbar, daß ein ſchwarz gewordener Weißer
faſt Grauen erregt, während dies bei einem Neger
gar nicht ſtatt findet. Noch ſonderbarer iſt der Grund
dieſes Schwarzwerdens. Man hat nämlich eine neue,
wie man behauptet, ſpezifiſche Medizin gegen die Epi-
lepſie und Krämpfe erfunden, deren Hauptbeſtand-
theile ein Präparat von Zink und Silber ſind. Setzt
man ſich jedoch während dem Gebrauch derſelben im
Geringſten dem Sonnenlichte aus, ſo wird man
ſchwarz, und zwar für immer.


Dieſes Unglück war denn auch den armen Leuten
begegnet, die ich erwähnt, und hier heißt es freilich
mehr als je: Le remêde est pire que le mal!


[395]

Ich bin wieder in Albemarlestrut angelangt, und
machte geſtern früh, nach der langen Abweſenheit nicht
weniger als 22 Viſiten, wohnte dann einem Clubdiné
bei *), ſpäter einem Ball bei der früher ſchon er-
wähnten Napoleoniſtin, und ſchloß den Tag auf ei-
ner Soirée bei Miſtriß Hope, einer ſehr faſhionablen
und hübſchen Frau, die ſich unter ihren antiken Meub-
les bei weitem weniger eckig als dieſe und ihr Ana-
ſtaſius ausnimmt.


Heute aber beſuchte ich, in another quarter, zwei
Chineſinnen, die auch ein Haus machen, und ein ſehr
originelles noch dazu, wo man die Entrée jedoch be-
zahlen muß.


Schon von der Treppe an iſt alles wie in China
ſelbſt eingerichtet, und man kann ſich, wenn man end-
lich eintritt und unter der Papierlampenillumination
die Damen mit ihren nur 5 Zoll langen, weit vorge-
ſtreckten Füßen ruhen ſieht, wirklich die Illuſion ma-
[396] chen, ſchon in Canton zu ſeyn. Die Damen präten-
diren eine vornehme Abkunft, welches ihre kleinen
Füße beweiſen ſollen, da die geringern Klaſſen der-
gleichen nicht führen — denn wie ſollten ſie ſonſt ar-
beiten können, da die Kleinfüßigen, ſo wenig Centri-
pedalkraft haben, daß ſie ohne Stock kaum von einer
Ottomanne zur andern humpeln können.


Ich bin ſonſt ein leidenſchaftlicher Liebhaber von
einem kleinen Weiberfuße, aber dieſe waren mir doch
zu klein, und nackt abſcheulich anzuſehen, da ihre
Kleinheit durch gewaltſames Unterbiegen der Zehen
in der Kindheit erlangt wird, die nun in die Sohle
mit einwachſen, eine Mode, die beinahe eben ſo un-
vernünftig iſt, als unſre Schnürbrüſte, obgleich ſie
der Geſundheit doch noch weniger ſchaden mag.


Ich kaufte den chineſiſchen Prinzeſſinnen ein Paar
neue Schuhe ab, die ſie vorher vor meinen Augen
anprobiren mußten, und ſende ſie Dir mit die-
ſem Briefe, ſo wie mehrere andere Chineſiana, ſchöne
ſeidne Tapeten, Gemälde, worunter ein Portrait des
Kaiſers und Kaiſerin ꝛc. Die guten Geſchöpfe ver-
kaufen alles was man verlangt, und ſcheinen, ihrer
Vornehmheit unbeſchadet, ein förmliches Waarenlager
mitgebracht zu haben, denn kaum iſt etwas abgegan-
gen, ſo wird es ſchon wieder erſetzt. Obgleich bereits
lange in London, haben ſie doch noch kein Wort eng-
liſch erlernen können; ihre eigne Sprache erſchien mir
als ſehr ſchleppend und ſchwerfällig, und ihre Geſichts-
züge waren für europäiſchen Geſchmack, mehr als
häßlich.


[397]

Die italieniſche Oper hat nun auch begonnen, mit
der franzöſiſchen Comödie das einzige Schauſpiel du
bel air.
Da alles nur in Toilette dort erſcheinen
darf, ſelbſt im Parterre, ſo iſt der Anblick glänzend,
die Oper ſelbſt war aber ſchlecht, Orcheſter wie Sän-
ger, das Ballet ebenfalls. Die Beleuchtung in dieſem
Theater iſt auch ſchon darauf eingerichtet, um mehr
geſehen zu werden, als ſelbſt zu ſehen, denn vor je-
der Loge hängt ein Kronleuchter herab, der ſehr un-
angenehm blendet, und die Schauſpieler verdunkelt.
Die Oper dauert bis nach 1 Uhr, ſo daß man hinläng-
lich Zeit hat, ſie zu beſuchen, ohne ſich andre Geſell-
ſchaften dadurch zu verſchlagen, denn nun hat der
Trouble ſchon begonnen, man kömmt ſelten vor 3 oder
4 Uhr zu Hauſe, und wer ſich recht repandiren will,
was jedoch die Excluſives nicht thun, einen Fremden
aber amüſirt, der kann bequem ein Dutzend Einladun-
gen für jeden Abend erlangen.


Vor zwei Uhr Nachmittags wird dafür auch die
große Welt nicht lebendig. Zwiſchen 4 und 6 ſind die
Stunden des Parks, wo ſich die Damen in ihren elegan-
ten Equipagen und Morgenanzügen zu Tauſenden lang-
ſam umher fahren laſſen, die Herren aber auf ihren
ſchönen Pferden dazwiſchen umhervoltigiren, von Blu-
me zu Blume flatternd, und ſo viel Grazie etablirend
als ihnen der liebe Gott verliehen hat. Zu Pferde
nehmen ſich aber faſt alle Engländer gut aus, und
reiten dabei viel beſſer und naturgemäßer als alle un-
[398] ſere Stallmeiſter, die ſich ſehr viel darauf wiſſen, wenn
ſie auf einem Pferde, das künſtlich dahin gebracht
wurde, in jeder Gangart an Schnelligkeit zu verlieren,
wie die Klammer auf einer Wäſchleine ſitzen.


Auf der weiten Raſenfläche des Parks wimmelt es
ebenfalls von Reitern, die ſich dort in ſchnelleren Be-
wegungen, als auf dem Corſo, durchkreuzen, und mit
vielen Damen gemiſcht ſind, die ihre Pferde eben ſo
gewandt und ſicher führen als die Männer.


Aber eben wird mir ſelbſt Miß Sally vorgeführt,
und ſcharrt ſchon ungeduldig das Macadamſche Pfla-
ſter. Der Brief iſt ohnehin lang genug, alſo tauſend
Grüße an Alles, was ſich meiner erinnern will, und
das freundlichſte Lebewohl für Dich.


Dein Freund L.


[[399]]

Vierzehnter Brief.



Geliebteſte Beſte!

Es würde zu langweilig für Dich ſeyn, liebe Julie,
wenn ich Dir täglich eine Liſte der Geſellſchaften
ſchickte, die ich beſuche, nur wenn mir eben Bemerkens-
werthes auffällt, werde ich es erwähnen, und viel-
leicht ſpäter, wenn ich Luſt und Geſchick dazu in mir
fühle, noch mit einem etwas allgemeinern apperçu
ſchließen.


Im Ganzen iſt das Techniſche der Geſellſchaft hier
ſehr zweckmäßig. Ich verſtehe darunter die Einrich-
tungen zu ihrem Comfort und ihrer Bewirthung. Be-
ſonders zeichnet ſich hierin das Haus des Herzogs v.
D. aus, eines Königs der Mode und Eleganz.


Nur wenig Vornehme haben in London was wir
auf dem Continent einen Pallaſt nennen, ihre Schlöſ-
[400] ſer, ihr Luxus und ihre Größe entfalten ſich nur auf
dem Lande. Der Herzog von D. macht eine dieſer
Ausnahmen, und ſein Palais in der Stadt bietet mit
vielem Geſchmack und Reichthum, zugleich eine große
Anzahl bedeutender Kunſtſchätze dar. Die Geſellſchaft
iſt immer die gewählteſte, aber wie überall auch hier
zu zahlreich, obgleich ſie bei der Menge der Zimmer
nicht ganz ſo läſtig, und der Foule eines Markttages
gleich wird. Namentlich ſind die Concerte in D … houſe
ſehr hübſche Feſte, wo immer nur die erſten Talente,
welche eben in der Hauptſtadt anweſend ſind, employ-
irt werden, und auſſerdem muſterhafte Ordnung und
Profuſion in Allem herrſcht. Unter andern iſt die,
auch in andern Häuſern faſt durchgängig ſtatt finden-
de Einrichtung der Büffets und Soupés, (vorzüglich
bei ſo zahlreichem Zufluß von Menſchen) ſehr zu em-
pfehlen. In einer beſondern Stube befindet ſich näm-
lich eine lange Tafel mit den ausgeſuchteſten Erfri-
ſchungen aller Art reichlich beſetzt, die ſo geſtellt iſt,
daß ſie den Gäſten nur von einer Seite acceſſibel
bleibt. Hinter derſelben ſtehen uniformirre Mädchen,
(aber doch in weiblichen Uniformen, weißem Kleide
und ſchwarzer Schürze) die Jedem reichen, was er
verlangt, und dabei doch hinlänglichen Raum haben,
um ihr Geſchäft bequem zu beſorgen, während hinter
ihnen, durch eine Thür, die mit den Offices in Ver-
bindung ſteht, alles Nöthige, ungeſtört durch das Ge-
wirre der Geſellſchaft herein gebracht werden kann.
Dadurch vermeidet man die ſo unangenehmen Pro-
ceſſionen zahlreicher Bedienten, die, große Präſentir-
[401] bretter in der Luft balancirend, ſich mit dieſen in den
Salons umherdrängen, und immer in Gefahr ſchwe-
ben, den kalten und warmen Inhalt ihrer Laſt, auf
drei oder vier Gäſte auszuſchütten.


Das Soupé wird ſpäter in einem andern Zimmer,
welches mit der Küche communizirt, auf dieſelbe Art
durch das männliche Perſonal ſervirt, und ſolcherge-
ſtalt die beſte und prompteſte Bedienung, mit verhält-
nißmäßig weit weniger Leuten, und ohne alle Confu-
ſion bewerkſtelligt.


Beiläufig muß ich hierbei rühmen, daß, hinſichtlich
der bonne chère, in den großen Privathäuſern Lon-
dons wirklich das Vorzüglichſte in der Welt gefun-
den wird, da die beſten franzöſiſchen Köche und die
beſten italiäniſchen Officiers ſich hier zuſammen finden,
aus dem ſehr einfachen Grunde, weil ſie hier am be-
ſten bezahlt werden. Es giebt Köche die ein Gehalt
von 1200 £. St. jährlich beziehen. Dem Verdienſte
ſeine Kronen!


Zuweilen geht nach Concert und Soupé, um 2 Uhr
erſt der Ball noch an, und man fährt bei Sonnen-
ſchein zu Hauſe, eine Lebensart die mir ſehr wohl
bebagt, denn Du weißt, ich hatte von jeher mit Mi-
nervas Vogel gleichen Geſchmack. Ich benutze ſogar
manchmal einen ſolchen Nachtmorgen, gleich vom Ball
zu einer Spazierfahrt im Park überzugehen, denn
Gottlob! es wird ſchon ſichtlich Frühling, und über
die hohen Gartenmauern blinken bereits grüne Flie-
Briefe eines Verſtorbenen. III. 26
[402] derblätter, und einzelne Mandelblüthen durch das
dunkle Gewebe der ſchwellenden Zweige.



Dieſen Vormittag beſtimmte ich zu einer Excurſion
nach Deptford, um Captain Parry’s Schiff Hekla zu
beſehen, das in wenigen Tagen nach dem Nordpol
abſegeln ſoll. Ob es ihn aber erreichen wird, iſt eine
andere Frage. Wenn es Parry nur nicht wie dem
armen Grafen Zambeccari geht, der von ſeiner letzten
Luftfahrt noch bis zu dieſer Stunde nicht zurückge-
kehrt iſt.


Captain Parry machte die Honneurs ſeines eigen-
thümlichen Fahrzeugs mit ſehr viel Artigkeit, und ſein
Benehmen entſpricht ganz dem eines freimüthigen,
beſonnenen und kühnen Seemanns, als welcher er
bekannt iſt. Ein paar ſeltſam geformte Bote lagen
auf dem Verdeck des Schiffes, die zugleich als Eis-
ſchlitten dienen ſollen. Das Schiff ſelbſt hat doppelte
Wände, die mit Kork ausgefüllt ſind, um die Wärme
beſſer zuſammen zu halten, und außerdem wird es
mit conduits de chaleur geheizt. Alle Proviſionen
beſtehen aus den ſtärkſten Extracten, ſo daß ein gan-
zer Ochſe in ſeiner Quinteſſenz in die Rocktaſche ge-
ſteckt werden kann, gleich den Stereotypes der chefs
d’oeuvres
der ganzen engliſchen Literatur in einem
Bande. Alle Offiziere ſchienen Männer von großer
Auswahl, beſonders fand ich an dem Lieutenant Roß,
der Parry auf allen ſeinen Fahrten begleitet hat, ei-
[403] nen ſehr feinen und liebenswürdigen Mann. Das
Schiff wimmelte von Beſuchern, die fortwährend die
Strickleitern hinanklimmten, und man konnte nicht
ohne das lebhafteſte Intereſſe dieſe Schiffsmannſchaft
betrachten, die ſo heiter den größten Gefahren und
Mühſeligkeiten entgegen gieng, nur der Wiſſenſchaft
zu Liebe, und um eine erhabene Neugierde zu be-
friedigen.


Zum Mittagseſſen war ich bei einem Major der Hor-
ſeguards eingeladen, welches in ihren Baraken ſtatt
fand. Es herrſcht eine, viele Vortheile gewährende
Sitte bei dem engliſchen Militair, ich meine die ſoge-
nannte mess. Sie beſteht darin, daß jedes Regiment
ſeinen gemeinſchaftlichen Tiſch hat, zu dem jeder Offi-
zier verpflichtet iſt, ein Gewiſſes beizutragen, er mag
nun davon profitiren oder nicht. Er hat aber das
Recht dafür, täglich daſelbſt zu eſſen, und nach dem
beſtimmten Satz auch einen Gaſt mitzubringen. Ein
Comité beſorgt die Oekonomie, und ſchafft das Nöthige
an. Am Tiſche ſelbſt präſidirt ein Offizier nach dem
andern, vom Obriſten bis zum jüngſten Lieutenant
herab, und bleibt, ſo lange er in Funktion iſt, mit
der nöthigen Autorität dazu bekleidet. Der Ton der
Offiziere iſt vortrefflich, und weit mehr gentlemanlike
als in der Regel auf dem Continent, wenigſtens was
ich davon hier bei den Garden geſehen habe. Ob-
gleich im Dienſt die ſtrengſte Subordination herrſcht,
ſo ſind ſich doch auſſer dem Dienſt die Herren ſo voll-
kommen gleich, daß es dem Fremden durchaus un-
möglich wäre, aus ihrem Benehmen die obern und
26*
[404] untern Offiziere heraus zu finden. Der Tiſch ſelbſt
iſt vortrefflich ſervirt. Es fehlte weder an einer ele-
ganten ſilbernen Vaiſſelle, noch Champagner, Claret
und allen Erforderniſſen des Luxus. Auch wurde
kein Gelag daraus, und die Unterhaltung blieb, bei
aller Heiterkeit, in den Schranken des Anſtandes.
Das Ganze dauerte auch nicht zu lange, ſo daß ich
noch Zeit übrig behielt, um einige Viſiten in der Oper
zu machen, wozu dieſe ſo bequem iſt.



In den meiſten Abendgeſellſchaften findet man ziem-
lich hohes Spiel ſehr an der Tagesordnung, und die
Damen ſind dabei die leidenſchaftlichſten. Das Ge-
drange um den Ecartétiſch, der in Paris ſchon halb
aus der Mode gekommen iſt, nimmt hier nie ab, und
auf den mit ſchwarzem Sammt und goldner Stickerei
bezognen Tiſchen präſentiren ſich die weißen Arme der
engliſchen Schönen ſehr gut. Vor ihren Händen muß
man ſich aber manchmal in Acht nehmen, car les
vieilles surtout trichent impitoyablement.
Es giebt
einige alte Jungfern hier, die man in den allererſten
Cirkeln antrifft, und die förmlich Metier vom Spiel
machen, ſo daß ſie ihre 50 Pfund auf einem Coup hal-
ten, ohne eine Miene dabei zu verziehen. Sie geben auch
bei ſich ganz eigentliche Spielgeſellſchaften, die einem
tripot ſo ahnlich wie möglich ſehen.


Nirgends begegnet der Liebhaber des „Mittelalters“
mehr conſervirren Frauen „fat, fair and forty“ als
[405] in der engliſchen Geſellſchaft. Auch noch reifere Jahre
machen ſich geltend. Die Marquiſe S., welche bei-
nahe 80 Jahre alt iſt, kann man beinahe immer noch
als die repandirteſte Dame in London anſehen. Man
iſt ſicher, ihr jeden Abend zu begegnen, und früh rei-
tet ſie deſſen ungeachtet noch Tag für Tag in der
manège. Ja auf dem Lande nimmt ſie ſogar noch
zuweilen an den Fuchsjagden Theil, wo ſie ſich auf
dem Pferde anbinden läßt, und da ſie faſt blind iſt,
einen Operngucker an der Reitpeitſche befeſtigt hat.
Ein Piqueur reitet ihr vor und ſie ihm getroſt nach,
über Zäune und Gräben. Neulich fiel ſie eine hohe
Treppe hinunter, erſchien aber nichts deſto weniger
am dritten Tage darauf ſchon wieder auf dem Balle,
wo man auſſer einigen großen Schönpfläſterchen
auf der hochrothen Schminke nichts Auſſergewöhnli-
ches an ihr bemerkte. Früh nimmt ſie gern Viſite
an, wo man ſie von einigen Papageyen und vier
Hunden umgeben, mit einem kleinen Kantſchu in der
Hand, um die Thiere in Ordnung zu halten, auf ih-
rem Sopha ſitzen, und ſo munter wie die Jüngſte,
an der Unterhaltung Theil nehmen ſieht. Ihre eig-
nen Aſſembleen ſind immer ſehr beſucht, obgleich die
Geſellſchaft daſelbſt etwas bunt melirt iſt.


Die Marquiſe H…, nicht viel jünger, muß ſo-
gar noch eine ſchöne Frau genannt werden, mit dem
Port einer Monarchin, bei jeder paſſenden Gelegen-
heit mit Diamanten bedeckt, und die Honneurs ihres
Hauſes beſſer machend, als die meiſten der ercluſiven
jüngern Schönheiten.


[406]

In dieſelbe Categorie gehört auch die alte Lady
L…, die noch immer den ſentimentalen Namen La-
dy Emilie L… führt, und auf dem Continent, be-
ſonders vom Congreß zu Aachen her, ſehr bekannt iſt,
wo ſie mit dem diamantnen Hoſenbande ihres Man-
nes auf der Stirne erſchien, während er einen mit
Rubinen beſetzten Haarbeutel trug.


Auch noch Burleskere dieſer Klaſſe giebt es. Den
erſten Rang darunter behauptet eine gewiſſe Gräfin,
früher der Kaufmannswelt entſproſſen, und eine große
pazza per la musica, die ſich jedesmal regelmäßig in
die zuletzt angekommene große Sängerin verliebt, und
ihr dann, gleich einer Buſenfreundin, alle Vergnügun-
gen der Hauptſtadt verſchafft. In einem ſehr guten
engliſchen Roman ward ſie neulich unter dem deut-
ſchen Namen Geigenklang aufgeführt, und äußerſt
treu geſchildert. Sie iſt ſehr reich, giebt gute Con-
certe und hat durch unerſchütterliche Beharrlichkeit
und Gefälligkeiten mancher Art, ſich leidlich faſhio-
nable gemacht, es iſt aber nicht möglich, in die große
Welt eine weniger dahin paſſende Tournüre zu brin-
gen, qui sent la bourgoisie à trente pas, wie ein
Ultra ſagen würde.


Warum ihr übrigens der engliſche Satyriker den
Namen Geigenklang gegeben, begreife ich nicht recht,
da ſie von allen Inſtrumenten, die ſie ſo ſehr anbe-
tet, vermöge der Beſchaffenheit ihres Teints, ihrer
Taille und ihres Organs unbezweifelt nur mit der
Trommel einige Aehnlichkeit hat.


Ich ſchloß meinen Tag mit Lectüre und Whiſt im
Club, wo ſich meine Partie ſonderbar genug geſtal-
[407] tete: der portugieſiſche Geſandte, der Napoleon auf-
fallend gleicht, ein neapolitaniſcher Exminiſter, den
das verfehlte Revolutioniren hierher gebracht, der
franzöſiſche Herr, den ich Dir in Brighton ſchilderte,
und meine deutſche Wenigkeit, welche jedoch diesmal
den Sieg davon trug, denn ich gewann 8 Rubber und
zwei Affen (Monkeys).


Was iſt ein Monkey? rufſt Du.


Den verſchiedenen Spielmarken hat die Mode ſolche
eigenthümliche Namen gegeben; eine 25 £. St. Marke
heißt ein Pony (kleines Pferd) und eine von 50 Pfund
ein Monkey (Affe).



Du biſt ſchon gewohnt, daß ich Dich oft vom Pal-
laſte in die Hütte, und aus dem geſchmückten Saal
in die ſchönere Natur führe. Heute folge mir einmal
zu meinem Zahnarzt, dem berühmten Herrn Cartright.


Dieſer Mann gewinnt durch ſeine Kunſt jährlich
10,000 £. St., und behandelt ſie im grandioſeſten
Styl. Fürs Erſte geht er ſelbſt zu Niemand in ſei-
nem Geſchäft, außer zum König. Jeder Andre, Herr
oder Dame, muß zu ihm kommen. Aber auch das iſt
noch nicht hinlänglich. Man muß ſich auch 8 — 14
Tage vorher anmelden, und um Audienz bitten. Dann
erhält man eine Karte folgenden Inhalts:


„Es wird H. Cartright zum Vergnügen gereichen,
N. N. den und den Tag um … Uhr bei ſich
zu ſehen.“


[408]

Erſcheint man nun zur beſtimmten Stunde, ſo
wird man in ein elegantes Zimmer geführt, wo ein
Fortepiano, Kupferſtiche, verſchiedene Bücher und ande-
re Unterhaltungsmittel aufgeſtellt ſind, um ſich da-
mit die Zeit zu vertreiben, eine ganz nothwendige
Attention, da man gewöhnlich noch ein bis zwei Stun-
den hier warten muß.


Als ich kam, fand ich das Zimmer ſchon mit der
Herzogin von Montroſe und der Lady Melville mit
ihren Töchtern beſetzt, die gradatim abberufen wur-
den, ſo daß ſchon nach einer Stunde die Reihe an
mich kam.


Iſt man einmal ſo weit, ſo kann man aber gewiß
auch höchſt zufrieden ſeyn, denn Herr Cartright iſt
der geſchickteſte und wiſſenſchaftlichſte Mann ſeines
Metiers, den ich kenne, von aller Charlatanerie gänz-
lich entfernt, was die difficilen Approchen kaum ver-
muthen laſſen. Auch hat er ſeine feſten Preiſe und
übertheuert gar nicht, mais c’est un grand seigneur
dentiste.


Nachdem ich Abends an vier bis fünf Orten ver-
gebens etwas Intereſſantes aufgeſucht hatte, fixirte
ich mich endlich bei Lady C ...., durch die Bekannt-
ſchaft eines Capitain P .... gefeſſelt, ein halber Deut-
ſcher, der eben aus dem Morgenlande zurückkam, und
eine ſehr anziehende Beſchreibung ſeiner dortigen Rei-
ſen machte. Er erzählte mir unter andern Folgen-
des von Lady Stanhope, einer Nichte Pitt’s, die vor
zehn Jahren England verlaſſen, eine Türkin gewor-
den, und ſich in Syrien etablirt hat.


[409]

Sie wird jetzt von den Arabern wie eine Prophe-
tin verehrt, und lebt mit allem Anſehen und der
Pracht einer eingebornen Fürſtin, erlaubt aber Euro-
päern nur ſehr ſelten den Zutritt.


Mit vieler Mühe und durch beſondere Intriguen,
gelang es endlich Capt. P .... vor ſie zu kommen.
Das Erſte was ſie mit ihm ſprach, war die Auffor-
derung: ſein Ehrenwort zu geben, daß er nie etwas
über ſie ſchreiben wolle. Sobald dieſer Eid geleiſtet
war (zu dem ich Gottlob nicht verpflichtet wurde),
ward ſie ſehr heiter und geſprächig, und zeigte ſich
eben ſo unbefangen als geiſtreich. Sie machte kein
Geheimniß daraus, daß ſie dem chriſtlichen Glauben
entſagt habe, vertraute ihm aber zugleich, daß ſie den
wahren Sohn Gottes erſt erwarte, dem ſie ſelbſt
den Weg zu bahnen beſtimmt ſey. Hierauf zeigte ſie
dem Capitain eine prachtvolle arabiſche Stute vom
edelſten Blut, die einen ſo ſeltſamen Knochenauswuchs
auf dem Rücken hatte, daß dadurch die ganz ähnliche
Figur eines Sattels gebildet wurde. „Dieſes Pferd,“
ſagte ſie, mit einer Miene, von der Capt. P .... be-
hauptete, noch jetzt nicht zu wiſſen, ob ſie Tollheit
oder die Luſt ihn zum Beſten zu haben verrathen,
„dieſes Pferd hat Gott ſelbſt für ſeinen Sohn ge-
ſattelt, und wehe dem Menſchen, deſſen Fuß es zu be-
ſteigen wagte! Unter meiner Obhut aber erwartet es
ſeinen ächten Herrn.“


Im Verlauf des Geſprächs verſicherte ſie ihm noch
en passant, daß Adam noch immer lebe, ſie wiſſe auch
[410] recht gut wo er ſich aufhalte, könne ſich aber darüber
nicht deutlicher erklären.


P. erwiederte, er zweifle daran nicht, der alte
Adam
ſey auch ihm ſehr wohl bekannt. (Ich be-
merke, daß Capt. P. auf einer deutſchen Univerſität
ſtudirt hat, woher er wahrſcheinlich den alten Adam
kennt.)


Die Frau vom Hauſe, Lady Ch …, dieſelbe, deren
grenzenloſe Verehrung Napoleons ich ſchon erwähnte,
hörte uns zu, und verſicherte dem Capitain, er könne
ſich darauf verlaſſen, daß Lady Eſther ihn wirklich
blos gefoppt habe, denn ſie kenne ſie genau, da ſie
mit ihr lange ſehr intim gelebt, und nie habe es ei-
nen klareren, determinirteren und zugleich ſchlaueren
weiblichen Geiſt gegeben.


Auf jeden Fall hat ſie für eine ſolche Perſönlich-
keit zwiſchen Abend- und Morgenland einen guten
Tauſch gemacht. Sie herrſcht, iſt ſelbſt unabhän-
gig wie der Vogel in der Luft, und hätte inmitten
der Civiliſation ſich der Sclaverey nie entreißen
können, die vielleicht immer und ewig eben die Schat-
tenſeite aller Civiliſation bleiben muß.



Sir Alex. Johnſton, auch ein großer Orientaliſt,
doch in anderem Sinne, hatte mich zu Tiſch geladen,
und würzte das Mahl durch ſeine geiſtreiche und ge-
lehrte Unterhaltung. Er hat in ſeinem Fach ſchon
[411] viel höchſt Wichtiges zu Tage gefördert, doch ſind wir
Beide, gute Julie, zu unwiſſend in demſelben, um
daß ich Dich mit weitern Details darüber langweilen
ſollte. Doch Eins intereſſirt Dich vielleicht. Er er-
zählte von einem Caſchemir-Shawl Typo Saybs, in
Gold und allen Farben gewirkt, der 1000 £. St. werth,
und zehn Ellen lang geweſen ſey, ein Gegenſtand, der
allerdings eine weibliche Phantaſie in Feuer ſetzen
kann.


Abends ſah ich noch ein wunderſchönes Gemälde.
Eine Venus von Titian, nur mit ihren Reizen beklei-
det, wollüſtig auf weiche Küſſen hingegoſſen. Ein
ſüßer Traum ſchien ſie krampfhaft zu durchzucken,
und mit den kleinen Händen bewahrte ſie ſich gleich
der im Bade überraſchten Venus.


Ich habe in meinem Leben nichts Schöneres geſe-
hen, als dieſes himmliſche Weſen, höchſt vortheilhaft
von einem auflodernden Kaminfeuer beleuchtet, und
das grelle Licht ſanft durch den halb herabgezogenen
Vorhang gedämpft. So weiß wie Schnee erſchienen
dahinter die ſchönen Glieder, auch nicht der leiſeſte
Fehler war an dem üppigen, elaſtiſchen Körper zu ent-
decken, den eine Fülle brauner Locken umfloß, welche
die Roſenknoſpen des jungfräulichen Buſens nur wie
verſtohlen durchſchimmern ließen. Die zarteſte Hand,
ein allerliebſter Fuß, den kein zu enger Schuh ver-
unſtaltet hatte, Lippen zum Kuſſe geſchaffen, und ein
ſchmachtendes blaſſes Geſicht mit griechiſchen Zügen,
das, waren auch die Augen geſchloſſen, doch durch ein
ſchmerzlich ſüßes Lächeln hinreißend belebt wurde —
[412] ſo erſchien ſie als das erregendſte Ideal weiblicher
Schönheit.


Ich war im Anſchauen verloren — da, o Himmel!
glaubte ich die dunkeln Augen ſich öffnen, und mich
freundlich anblicken zu ſehen — die Sinne vergien-
gen mir, und um vier Uhr Nachmittags erwachte ich
erſt.


Guten Morgen oder guten Abend alſo, comme il
vous plaira.



Du biſt wohl aus meinem letzten Gemälde nicht
recht klug geworden. Es iſt ein Räthſel, und bis
du es erräthſt, laß uns von etwas anderm ſprechen.


Sage mir, warum erweckt alles durch die Kunſt
Abgeſpiegelte allein reines Wohlgefallen, während
alles Wirkliche immer wenigſtens eine mangelhafte
Seite hat? Wir ſehen die Qual des Laocoon in Mar-
mor mit ungeſtörtem Genuß, während die Scene in
der Natur uns nur Grauſen erregen würde. Ein
Fiſchmarkt in Holland vom launigen Künſtler mit
täuſchender Treue wiedergegeben, ergötzt uns, und un-
ſer Vergnügen vermehrt ſich, je mehr wir das Detail
verfolgen — am wirklichen aber gehen wir ſchleu-
nig mit abgewandten Augen und Naſe vorüber. Lei-
den und Freuden des Helden, den der Dichter ſchil-
dert, berühren uns mit gleichem innern Wohlgefallen,
während an uns und andern die wahren Leiden
ſchmerzen, die wahren Freuden immer noch viel zu
[413] wünſchen übrig laſſen, und ſelbſt das erreichte Glück,
wäre es überhaupt möglich, doch immer noch den
herben Gedanken mit ſich führen müßte: Wie lange
wird es dauern? Drum ſagt wohl Schiller: „Ernſt
iſt das Leben, heiter iſt die Kunſt.“ Alſo die Kunſt
allein, die Gebilde der Phantaſie gewähren eigentlich
das wahre Glück — und darum laß uns, gute Julie,
immer ein wenig frohlocken, daß auch in uns eine rege,
bildende Phantaſie lebt, die uns zuweilen Genüſſe
ſchenkt, welche die Wirklichkeit nicht hat.


Soll ich mir gleich ein ſolches harmloſes Feſt bereiten,
und über das Meer zu Dir hinüberfliegen? — Denn
gar zu lange ſchon waren wir getrennt!


Ach wie ſchön finde ich Alles! Es iſt Frühling, die
Veilchen duften nach dem Gewitter bezaubernd ſüß,
Schwalben ſchwirren durch die Lüfte und gute kleine
Bachſtelzen ſchwänzeln luſtig am See. Hinter der
letzten ſchwarzen Wolke tritt eben in aller ihrer Pracht
die Sonne hervor, und zeichnet mit leuchtender Schrift
ſeltſame Charaktere auf die entfernten Berge. Die
alten Linden um uns glänzen wie Smaragd, bunte
Schmetterlinge verſuchen zum erſtenmal ihre leichten
Schwingen, und gaukeln wie trunken über den Na-
ſenteppich hin, Bienen ſummen emſig um tauſendfache
Blüthen, und grüne Käfer glittern im Sonnenlicht.
Aus dem Abend aber erhebt ſich ein prachtvoller Bo-
gen, ſpannt ſich am blauen Himmel über das Schloß
hin, und verſinkt jenſeits im ſchwarzen Föhrenwald.
Da wird das freundliche, weiß gedeckte Tiſchchen mit
hellpolirtem Silber beſetzt, herbeigebracht, und mitten
[414] unter die Blumen hingeſtellt. Die ſaftigen Früchte
des Treibhauſes, Hyacinthfarbner Xeres in cryſtallner
Flaſche und vom Eiſe mit mattem Dunſt umzogner
Champagner erwarten die Gäſte. — Und ſiehe! wer
kömmt da gravitätiſch und langſam durch die blauro-
then Fliederbüſche mit vieler Dignität herangewandelt?


Ah Du biſt es, gute Julie, rufe ich entzückt, ſtürze
auf Dich zu, und . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Hélas, mon chancelier vous dira le reste!


So malt die Phantaſie — was mich aber in der
Realität leider verſtimmt, iſt, daß ich wieder recht
lange ohne einen Brief von Dir bin, den ich doch
nothwendig brauche, um meine Nerven wieder zu ſtär-
ken. Da ſitze ich nun ganz traurig, nur mir ſelbſt
gegenüber! Doch glaube deßhalb nicht, daß ich ein
Doppelgänger ſey — es iſt diesmal blos der Spiegel,
der mein Bild zurückwirft, denn ich mache eben Toi-
lette für ein paar „ruſſiſche Dampfbälle“ wie
man die hieſigen nennen ſollte.



Da ich zu dem großen Diné des Major eingeladen
worden bin, ritt ich heute nach der City, um ihm vor-
her einen Beſuch zu machen Dies iſt mit einem un-
ruhigen Pferde eine faſt bedenkliche Sache. Auch kam
ich einmal ſo ins Gedränge, daß ich nothgedrungen
auf die Trottoires ausweichen mußte. Hier fand nun
ſogleich der engliſche Pöbel ſein Recht verletzt, ohne
[415] darauf Rückſicht zu nehmen, daß die Noth nur mich
dazu zwang, fieng an zu ſchimpfen, und Einige mein
Pferd zu ſchlagen, ja ein ungeheurer Coloß von Kar-
renſchieber proponirte mir ſogar, die geballte Fauſt
emporhebend, mit mir zu boxen, worauf mich einzu-
laſſen ich jedoch gar keine Luſt verſpürte, obgleich ich
ſchon einige Boxſtunden genommen habe, ſondern ei-
ligſt eine, ſich zu meinem Heil öffnende Lücke benutz-
te, um mich davon zu machen. Das tägliche Gewühl
in dieſer City, und die Theilnahmloſigkeit der finſtern,
raſtlos an Einem vorüberſtreifenden Geſichter hat et-
was höchſt Lügubres, und jede Diſtraktion kann dem
Reitenden oder Fahrenden Gefahr bringen, ſich oder
ſein Vehikel beſchädigt zu ſehen.


Als ich bei dem Aſſekuranzhauſe vorbei kam, impo-
nirten mir auf den drei verſchiedenen Bureaux die
rieſengroßen Inſchriften:
„Meer, Feuer, Leben.“


Einem Wilden würde man ſchwerlich begreiflich ma-
chen, wie man auch das Leben verſichern könne. Ich
wollte mich ſchon erkundigen, ob ich hier vielleicht auch
Deine Briefe veraſſecuriren könnte, die wahrſcheinlich
im Meere liegen, weil ſie ſo lange ausbleiben. Da
ihr Werth jedoch unſchätzbar iſt — ſo gieng es nicht.


Ich aß beim Grafen Münſter zu Mittag, einem
herrlichen Repräſentanten Deutſchlands auf dieſer In-
ſel, der auch in ſeinem Hauſe die deutſche Sittenein-
falt möglichſt beibehalten hat. Jeder kennt ihn als
ausgezeichneten Staatsmann, aber auch ſeine häusli-
chen Talente ſind ſehr liebenswürdig. So malt und
[416] componirt er ſelbſt geiſtvoll hier in England die Ver-
zierungen ſeiner Stammburg am Harze, und ſeine
Gemahlin führt ſeine Zeichnungen auf Glas mit un-
gemeiner Kunſtfertigkeit aus; ſo daß in wenig Jah-
ren die Schloßkapelle ganz mit ihren eigenen Arbeiten
auf den bunten Fenſtern prangen wird. Die deutſche
Hausfrau iſt dabei keine moderne, bloße ſchöngeiſtige
Künſtlerin, ſondern verſteht eben ſo gut, wie eine der
alten Ritterdamen, die ihr Pinſel darſtellt, vortreffli-
ches Bier im eignen Hauſe zu brauen, von dem ſie
mir neulich eine Probe verehrte, die ich mit der Dank-
barkeit eines Gaſtes aus Walhalla austrank.


Ein großes Feſt bei Lord Hertford mit Concert,
Ball, franzöſiſcher Comödie ꝛc. verſammelte Abends die
ſaſhionable und auch halb faſhionable Welt *), in
einem prächtigen und ſehr geſchmackvoll meublirten
Hauſe. Das Eigenthümliche deſſelben iſt, daß alte
Zimmer in fleiſchfarbnen Stuck und Gold, mit ſchwar-
zen Bronzen, ſehr großen Spiegeln, und ſeidnen Vor-
hängen in Cramoiſi und weiß, eins wie das andere
ausgeziert ſind, und eben durch dieſe Einfachheit gran-
dioſen Effekt hervorbringen. Nur der Saal (für Lon-
don von ungewöhnlichem Umfang) iſt weiß und gold,
der Boden mit Scharlachtuch belegt, und Meubles
und Vorhänge von derſelben Farbe. Die Geſellſchaft,
c’est a dire die Foule war übrigens nicht belebter
als gewöhnlich, das Ganze magnifiquement ennuyeux.


[417]

Ein andres ſehenswerthes Haus iſt das des großen
Banquier ......, vorzüglich wegen ſeiner ſchönen
Gemäldeſammlung. Auch bewundert man hier den
Triumph neuerer Sculptur, Thorwaldſons Jaſon,
und mehrere werthvolle Antiken. Auf einem Abſatz
des Hauſes ſind hängende Gärten angebracht, und
obgleich die Pflanzen nur 3 Fuß Erde haben, wachſen
ſie doch ſehr üppig. Ihre Beſitzerin iſt aber keine
Semiramis, il s’en faut, obgleich ſie nicht mindere
Schätze, und vielleicht noch etwas mehr Stolz beſitzt,
sc. Geldſtolz, denn für eine andere Art Stolz fehlt
wohl die Gelegenheit.


Ich konnte manchmal nicht umhin, ſie deshalb in
Gedanken mit ihrer noch weit reicheren Nebenbuhlerin
Madame R … zu vergleichen, und mich zu verwun-
dern, daß die jüdiſche Geldkönigin weit über der
chriſtlichen an herzlicher Liebenswürdigkeit und
äußerm Anſtande ſtehe.



Was zu der Dullneß der engliſchen Geſellſchaften
viel beiträgt, iſt die hochmüthige Weiſe, nach welcher
Engländer (wohl zu merken in ihrem eignen Lande,
denn abroad ſind ſie zuvorkommend genug) nie einen
Unbekannten anreden, und wenn man ſie auf dieſe
Weiſe anſpricht, es faſt wie eine Beleidigung marki-
ren. Sie machen ſich zuweilen ſelbſt darüber luſtig.
ohne doch jemals anders zu handeln, wenn ſich die
Gelegenheit dazu darbietet. Man erzählt: eine Dame
Briefe eines Verſtorbenen. III. 27
[418] habe einen Menſchen ins Waſſer fallen ſehen, und
den ſie begleitenden Dandy, einen bekannten guten
Schwimmer, inſtändig gebeten, dem Unglücklichen doch
zu Hülfe zu kommen. Ihr Freund ergriff, mit dem
Phlegma, welches ein Haupterforderniß der heutigen
Mode iſt, ſeine Lorgnette, ſchaute ernſthaft auf den
Ertrinkenden, deſſen Haupt gerade zum letztenmale
auftauchte, und erwiederte dann, ſich ruhig zu ſeiner
Gefährtin wendend: It’s impossible Mad’m, I was ne-
ver introduced to this gentleman.


Einen Mann von ganz verſchiedenen Sitten lernte
ich heut Abend kennen, den perſiſchen Chargé d’affai-
res,
ein Aſiate von ſehr gefälligen Manieren, und
deſſen prächtige Kleidung und ſchwarzer Bart nur
durch die perſiſche ſpitze Mütze aus Schaaffellen in
meinen Augen entſtellt wurde.


Er ſpricht ſchon ganz gut engliſch, und machte recht
ſeine Bemerkungen über Europa. Unter andern ſagte
er, daß wir zwar in ſehr vielen Dingen weiter wären
als ſie, dagegen ſtünden bei ihnen alle Anſichten fe-
ſter, und jeder begnüge ſich daher mit ſeinem Schick-
ſal, während er hier eine beſtändige Gährung, eine
ewige Unzufriedenheit der Maſſen wie der Einzelnen
bemerke, ja er müſſe geſtehen, er ſelbſt fühle ſich ſchon
davon angeſteckt, und werde rechte Mühe haben, in
Perſien wieder ins alte glückliche Gleis hinein zu
kommen, wo einer, dem es nicht gut gehe, ſich ſchon
damit tröſte, daß er ausrufe: Weſſen Hund bin ich
denn, um glücklich ſeyn zu wollen!


[419]

Das giebt in der That den Verfolgern des Ideals,
zu welcher geheimen Geſellſchaft ich leider auch ge-
höre, viel zu bedenken!


Ein Ball bei Mrs. Hope war außerordentlich präch-
tig, mais c’est toujours la même chose. In der
Geſellſchaft, welche ich vorher beſuchte, ward ich dem
Herzog von Glouceſter vorgeſtellt, was ich blos der-
wegen erwähne, um zu bemerken, daß die hieſigen
königlichen Prinzen eine artigere Etikette beobachten,
als an vielen Höfen auf dem Continent; denn der
Prinz, welcher Whiſt ſpielte, ſtand von der Partie
auf, und ſetzte ſich erſt nach der kurzen Unterhaltung
mit mir wieder nieder.


Doch erlaube mir noch einen Augenblick, zum An-
fang des Täges zurückzukehren.


Die Gärten der Umgegend ſtehen nun ſchon in vol-
ler Blüthe, das Wetter iſt ſchön, und mein heutiger
Morgenritt führte mich daher wohl bis 20 Meilen
weit von der Stadt. Die Mannigfaltigkeit und der
Reichthum dieſer Promenaden ſind, ſelbſt in den
Vorſtädten ſchon, den Umgebungen andrer Haupt-
ſtädte ſehr überlegen, welche wohl hie und da ſchöne
Natur, aber nie dieſe reizende Miſchung von Natur
und höchſter Kultur, wenigſtens nicht in dem Maaße
darbieten.


Ich wäre gern immer weiter und weiter geritten,
und drehte nur endlich nothgedrungen mit ſchwerem
Herzen wieder um. Die Wieſen um mich her waren
ſo üppig, daß ſie nur in der Ferne grün erſchienen,
in der Nähe aber blau, gelb, roth und lilla ſchiller-
[420] ten wie ein Teppich aus Turnay. Bis an den Bauch
wadeten die Kühe in den bunten Blumen, und ruh-
ten im Schatten coloſſaler Laubgewölbe, die keinem
Sonnenſtrahl den Durchgang verſtatteten. Es war
herrlich, und unſers lieben Gottes Hausmannskoſt
hier reicher ausgeſchmückt als es aller Luxus der Kunſt
nicht zu erreichen vermag. Nach einer Stunde ge-
langte ich auf einen Hügel, wo eine anſehnliche Kir-
chenruine in der Mitte eines kleinen Gärtchens ſtand.
Die Sonne warf hinter einer deckenden Wolke Strah-
len über den ganzen Himmel, gleich einem ungeheu-
ren Fächer, deſſen Knopf gerade auf der Weltſtadt
ruhte, dem unermeßlichen Babel, das ſich mit ſeinen
tauſend Thürmen und hunderttauſend Sünden, ſei-
nen Nebeln und Rauch, ſeinen Schätzen und Elend,
unabſehbar vor mir ausbreitete. Es half nichts! ich
mußte hinein, aus dem Frühling der keimenden Knos-
pen, aus den grünen Auen, wieder hinein in den
Macadamiſirten Sumpf, in das ewige todte Einerlei
zu Diné und Rout!


Nimm Abſchied von mir — der nächſte Brief erſt
ſchildert weiter, was aus Daniel in der Löwengrube
geworden.


Dein treuer Freund L.


Ende des dritten Theiles.

[][][]
Notes
*)
O Eitelkeit!
*)
Uebrigens hätte jener, gewiß von mir herzlich
verehrte, deutſche Puriſt doch gewiß am Ende
ſeiner Critik ſich weit richtiger ausgedrückt,
wenn er ſich herabgelaſſen hätte, ſtatt dem hier
unpaſſenden, harten, auch nicht ganz deutſchen
Wort: Skandal, das engliſche „scandal“ zu ge-
brauchen.
*)
Sollte man vielleicht dieſe Details eben ſo un-
glaublich als läppiſch finden, ſo würde uns ſol-
ches Urtheil ſehr ſchmeicheln, denn bekanntlich
ſind dieſe Eigenſchaften eben die ſicherſten Zei-
chen der Wahrheit und Authenticität. S. hier-
über das Nähere in der überzeugenden Einlei-
tung zur Seherin von Prevorſt.
*)
Sir Walter’s offizielle Erklaͤrung, daß alle jene Schriften
von ihm allein ſeyen, war damals noch nicht gegeben.
A. d. H.
*)
Hier habe ich meinen Freund faſt in Verdacht, daß er
Goͤthen nur ſeine eigene Meinung in den Mund gelegt
hat. A. d. H.
*)
Ich glaube nicht, daß der erhabene Greis die Bekannt-
machung dieſer Mittheilung tadelnd aufnehmen wird.
Jedes Wort, auch das unbedeutendere, ſeinem Munde
entfallen, iſt ein theures Geſchenk fuͤr ſo Viele, und ſollte
mein ſeliger Freund ihn irgendwo falſch verſtanden, und
nicht vollkommen richtig wiedergegeben haben, ſo iſt
wenigſtens nichts in dieſen Aeußerungen enthalten, was,
meines Beduͤnkens, eine Indiscretion genannt werden
konnte. A. d. H.
*)
Ich erinnere mich von einem griechiſchen Kloſter in der
Wallachey geleſen zu haben, deſſen vier Thuͤrme jeden Au-
genblick einfallen zu wollen ſcheinen Dennoch iſt dieſe op-
tiſche Taͤuſchung nur dadurch hervorgebracht, daß ſowohl
die Richtung der Fenſter, als mehrere rund umherlaufende
Banden ſchief geſtellt ſind.
*)
Die engliſchen Aerzte ſind naͤmlich ſo gewohnt, fuͤr jeden
Beſuch eine Guinea zu erhalten, daß Einer von ihnen
verſicherte, wenn er krank ſey und ſich ein Recept ſchreibe,
ſo verfehle er nie ſich ſelbſt eine Guinea aus der linken
Taſche in die rechte zu ſtecken. A. d. H.
*)
Es ſey mir erlaubt, bei dieſer Gelegenheit diejenigen mei-
ner Berliner Freunde, welche mit ihren Pferden bei den
dortigen Wettrennen concurriren wollen, den Rath zu ge-
ben, die dazu beſtimmten Pferde nur durch gutrekom-
mandirte engliſche Groorns trainiren zu laſſen, da alle
hieſigen ohne Ausnahme es durchaus nicht verſtehen, wie
ich mich vielfach uͤberzeugt habe. Sie glauben ein Pferd
trainirt zu haben, wenn ſie es durch Aderlaſſen, Laxiren
und taͤgliches Umherjagen zum Skelett verwandelt, und
ihm alle die Kraͤfte genommen, welche das aͤchte Trai-
niren verzehnfacht. Das gut und ſchlecht trainirte er-
ſcheinen zwar gleich mager, bei dem letztern iſt es aber
die Magerkeit des Elends und der Entkraͤftung, bei dem
andern nur die Entfernung alles unnuͤtzen Fleiſches und
Fettes mit der hoͤchſten Ausbildung und Kraft der Mus-
keln und der Lunge. A. d. H.
*)
Man pflegt jaͤhrlich aus England einen Transport junger
mittelloſer Damen nach Indien zu ſpediren, um ſie dort,
wo die Waare nicht ſo haͤufig iſt, wo moͤglich an den
Mann zu bringen, und die Spekulation gelingt auch
*)
Du weißt, daß in England nur die Pairsfamilien zum
*)
gewoͤhnlich. Ein ruͤckkehrender Krebs iſt aber uͤbel
daran.
*)
Adel gerechnet werden. Vom Baronet (incl.) an, gehoͤrt
alles uͤbrige nur zur gentry, ein Wort, das hier am
beſten durch Honoratioren uͤberſetzt wird.
*)
Zur engliſchen guten Erziehung gehoͤrt daher auch die Tran-
chirkunſt, welche in Deutſchland zu ſehr vernachlaͤſſigt
wird.
*)
Beim Koͤnige muͤſſen die Damen, wie mir eine derſelben
erzaͤhlt hat, ruͤckwaͤrts hinausgehen, um Seiner Majeſtaͤt
nicht die verkehrte Seite zuzuwenden, welches gegen die,
in England zum Theil ſehr ſtreng beobachtete Etikette
iſt. Dies hat ſich jetzt zu einer voͤllig militaͤriſchen Evo-
lution ausgebildet, welche eine junge Neulingin oft in
Verlegenheit ſetzt. Die Damen ſchließen ruͤckwaͤrts, die
Richtung nach der Thuͤre, nach welcher ſie ſich in der
Diagonale ziehen. Sobald die Fluͤgelfrau an dieſer ange-
langt, macht ſie rechtsum, traverſirt hindurch, und ſo
jede folgende ihr nach. Lady C. commandirt. Im Gy-
naͤceum angekommen, praͤſentirt ſich ihnen, ebenfalls in
Reih und Glied, eine Anzahl eleganter Porcellainvaſen.
Après cela nippt man von einem Glaſe Liqueur, ſetzt
ſich zu Thee und Kaffee nieder, und nun beginnt die Da-
menunterhaltung. Man weiß, woraus ſie gewoͤhnlich
beſteht: Putz, Scandal und Liebe. „Such is the cus-
tom of Branksomchall.“
*)
Waͤre an Hofen nicht uͤbel einzufuͤhren.
A. d. H.
*)
Einige Briefe, die nur perſoͤnliche Beziehungen hatten,
ſind hier ganz unterdruͤckt worden, und ich bemerke dies
blos, um den ſchoͤnen Leſerinnen, die ſich gewiß mit mir
uͤber die Puͤnktlichkeit gefreut haben, mit der der Verſtor-
bene das Ende beinahe jeden Tages ſeiner abweſenden
Freundin widmete, ein zwanzigtaͤgiges Schweigen zu er-
klaͤren.
Derſelbe Fall koͤmmt ſpaͤter noch mehrmals vor, ſo
wie ich mir uͤberhaupt die Freiheit habe nehmen muͤſſen,
in den Briefen, welche dieſe beiden Theile enthalten,
Vieles bei der Herausgabe wegzulaſſen, was, um nicht
zu ermuͤden, nur ſelten durch Punkte angedeutet iſt,
als z. B. zu unintereſſante Alltaͤglichkeit des Le-
bens, oder zu intereſſantechronique scandaleuse.
Eine kleine ſatyriſche Annaͤherung meines verſtorbenen
Freundes an die letzte, in den vorigen Baͤnden, iſt ihm zu
*)
uͤbel bekommen, um eine neue zu wagen. Die lieblichſten
Damen in Sandomir ſprachen ja den Bann aus uͤber den
Aermſten, und, ſchreibt mir mein daſiger Correſpondent:
„se demandant partout: avez vous luͤ les lettres d’un
mort? — elles prirent toutes le mort aux dents.“
Man
verſteht keinen Spaß mehr in jener traurig gewordenen
Welt! Jeder Scherz wird in einer wunden Stimmung auf-
genommen, die ihn zur abſichtlichen Beleidigung ſtempelt,
und ein Ariſtophanes wuͤrde heut zu Tage daſelbſt mit
zwanzig Criminalprozeſſen verfolgt und des Landes ver-
wieſen werden. A. d. H.
*)
Ich bemerke hier ein fuͤr allemal, daß, ſeit Preußen eine
Charte (Conſtitution) verſprochen worden iſt, mein Freund
zu beſſerer Diſtinktion die Orthographie angenommen hatte:
geographiſche Carte und Spiel karte zu ſchreiben. Er
hofft noch immer, daß dieſe Vorſicht nicht unnuͤtz geweſen ſey.
*)
Laß mich hier ein fuͤr allemal bemerken, daß wer England
nur nach ſeinem Aufenthalte daſelbſt im Jahre 1813 beur-
theilt, ſich ganz daruͤber irren muß, denn damals war
eine Epoche des Enthuſiasmus, eine graͤnzenloſe Freude
der ganzen Nation von ihrem gefaͤhrlichſten Feinde durch
uns befreit worden zu ſeyn, die ſie zum erſten, und viel-
leicht letztenmale allgemein liebenswuͤrdig machte.
*)
Es iſt wahr, daß in neuerer Zeit unſre liebliche Sontag,
die Souverainin des Geſanges, etwas Aehnliches gethan,
indem ſie ſich, wie es ſcheint, den Grafen R. an ihre
linke Hand hat antrauen laſſen. A. d. H.
*)
Jeder weiß in Italien, was la pace di Marcolfa bedeutet.
Das gute Weib des ehrlichen Bertoldo (in dem alten Ro-
*)
man dieſes Namens) ſagte naͤmlich zur Koͤnigin: wenn ſie
und ihr Mann ſich den Tag uͤber gezankt haͤtten, mach-
ten ſie den Abend wieder Friede, und dieſer Friede
waͤre ihr ſo angenehm, daß ſie oͤfters nur deßhalb Zaͤnke-
reyen anfingen.
*)
Welches vortreffliche Argument gegen die Todesſtrafe!
*)
Dies erinnert mich an die alte Anekdote, wo Jemand auf
dem St. Markusplatz zu Venedig Pulcinella auf aͤhnliche
Art agiren ſah, als ein Pfaͤfflein daherkam, um eine ex-
temporirte Abendpredigt zu halten. Es wollte ſich aber
nur ein ſehr geringer Cirkel um ihn verſammeln, weil
Alles dem Poſſenreißer ſeine Aufmerkſamkeit ſchenkte. „Ah
birbanti!“
ſchrie endlich der entruͤſtete Prediger mit Sten-
torſtimme, indem er ſein kleines Crucifix hoch emporhielt,
„lasciate quel c ...., venite qua, ecco il vero Pulci-
nella!“
*)
Mein Freund fuͤhrte eine eigenthuͤmliche Idee aus, die ſei-
nen Hinterlaſſenen noch jetzt ein wehmuͤthiges Vergnuͤgen
gewaͤhrt. Er hatte naͤmlich viele große Foliobaͤnde mit
Zeichnungen, Kupfern, Autographieen, mitunter auch klei-
nen Broſchuͤren angefuͤllt, aber nicht wie gewoͤhnlich Alles
durcheinander, ſondern nur dasjenige, was er ſelbſt erlebt
und geſehen, in derſelben Ordnung, wie er es geſehen,
darin aufgenommen, und jede Abbildung mit einer Note
*)
begleitet, deren Totalitaͤt zugleich einen kurzen, folgerech-
ten Abriß ſeines Treibens auf dieſer Welt giebt, alſo ei-
nen wahren Lebensatlas, wie er ihn auch manchmal ſelbſt
nannte. A. d. H.
*)
Es iſt eine ſehr charakteriſtiſche Anekdote fuͤr den ſorglos
heitern Charakter dieſes liebenswuͤrdigen Greiſes, daß er
ſeit ſeinem Abgange von Dresden, vor 20 Jahren, noch
immer eine große Menge Kiſten mit ſeinen Effekten dort
ſtehen ließ. Endlich bewog man ihn vor Kurzem, Jeman-
*)
den die Unterſuchung dieſer Kiſten anzuvertrauen, der bei
den ihm bekannten, ſehr beſchraͤnkten Vermoͤgensumſtaͤnden
des Beſitzers, nicht wenig verwundert war, in denſelben
noch wohlverpackt die damals dem engliſchen Geſandten ge-
machten Geſchenke, mit Juwelen von Werth beſetzt, vorzu-
finden.
*)
Wie geſchieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er-
kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens
und Gefuͤhls iſt, wozu der Kopf nur taugt, um gleichſam
als Waͤchter vor dem Heiligthume zu ſtehen, und es mit
dem Schwerdte der Vernunſt vor ſeinen Erbfeinden zu be-
wahren, dem Aberglauben und der Unduldſamkeit. Be-
gnuͤgt er ſich damit nicht, und will er begreifen lernen,
was ſeiner Natur nach fuͤr uns unbegreiflich iſt, ſo muß er
jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun ſeine Zu-
flucht zu einer ſogenannten poſitiven Religion, oder einem
Syſteme ſpeculativer Philoſophie. Beide befriedigen nicht,
ſobald man mehr als ein intereſſantes Spiel der Phan-
taſie
, oder des Verſtandes, daraus machen will —
waͤhrend das innere angeborne Gefuͤhl Gottes, der Liebe
und des Guten in jeder geſunden Geiſtesſtunde, dem
Niedrigſten an Geiſtesfaͤhigkeit, wie dem Hoͤchſten mit glei-
cher, unumſtoͤßlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, ſon-
dern als die wahre Eſſenz ſeines Weſens, ſein eigentliches
Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver-
ſtand unmittelbar thaͤtig zu werden brauchen, wenn gleich
beide daſſelbe, bei eintretender Reflexion, beſtaͤtigen muͤſſen.
A. d. H.
*)
Es iſt freilich ſehr problematiſch, was in den Augen
der Frommen ſchlimmer ſey, gar keine Religion zu ha-
ben, oder von einer andern Sekte zu ſeyn. Wenigſtens
entſchied ſich Ludwig XIV, doch auch ein Religionsheld, fuͤr
die zweite Geſinnung. Der Herzog von Orleans ſchlug
ihm einen Geſandten nach Spanien vor, den der Koͤnig
annahm, aber den Tag darauf widerrief, weil er gehoͤrt
habe, das betreffende Individuum ſey ein Janſeniſt. „Nichts
weniger, Ihro Majeſtaͤt,“ verſicherte der Herzog, „ſo viel
ich weiß, glaubt er ſelbſt nicht an Gott.“ „Kann ich mich
darauf verlaſſen?“ frug gravitaͤtiſch der Koͤnig. „Gewiß,“
erwiederte laͤchelnd der Herzog. „Nun dann mag er in
Gottes Namen den Poften behalten.“
*)
Von den neueren Memoiren des Herrn von Bourienne hat
man leider auch weniger wahren Aufſchluß uͤber Napoleons
eigenſtes Weſen erhalten, als man erwartete. Bourienne
ſchildert Napoleon als Bourienne — und wenn der Zwerg
auch hundert Jahre um des Rieſen Fuͤße herumlaͤuft, ſo
iſt doch ſeine Taille zu kurz, um ihm je in die Augen ſehen
zu koͤnnen. In einer Sache hat er jedoch recht, die auch
ganz à sa portée war, naͤmlich, daß der Hauptfeind, von
dem Napoleon zu Boden geworfen ward, der ſo unpolitiſch
auf’s Aeuſſerſte gebrachte Handelsſtand war, heut zu
Tage eine groͤßere Macht als Kirche und Herr, welche
nur nach der Macht der oͤffentlichen Meinung weicht,
wenn ſich dieſe je gegen ſein Intereſſe erklaͤren ſollte.
A. d. H.
*)
Ich weiß nicht, ob der Leſer dieſelbe Entſchuldigung gelten
laſſen wird. A. d. H.
*)
Heinrichs VIII. und Eliſabeths Bilder findet man ſo haͤufig
in England, daß Du auch, bei ausgezeichneten Exem-
*)
plaren, die oͤfter wiederkehrende Schilderung derſelben
verzeihen mußt. Immer findet ſich doch eine oder die
andere Nuͤance verſchieden.
*)
Mißbraͤuche abgerechnet. A. d. H.
*)
Man wird ſich in den bereits publicirten Theilen dieſer
Schrift einer aͤhnlichen Stelle erinnern, und vielleicht noch
andere finden, die einer Wiederholung gleichen, in einer
wirklichen und nicht blos fingirten, après coup gemachten
Correſpondenz, koͤmmt dergleichen wohl vor, und kann
nicht immer, ohne dem Zuſammenhange zu ſchaden, ausge-
merzt werden.
Wir bitten daher den freundlichen Leſer auch hier um
guͤtige Nachſicht. A. d. H.
*)
Gezwungen iſt die Regulirung allerdings, weil, wenn nur
eine der beiden Partheien darauf antraͤgt, die andere fol-
gen muß. Da aber der Bauer allein etwas dabei zu erhal-
ten hoffen kann, der Gutsbeſitzer in der Regel nur zu ge-
ben hat, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß jener immer der
antragende Theil iſt. In der ſpaͤtern Zeit jedoch, wo ſo
viele Gemeinden eingeſehen, daß die durch die Regulirung
erlangten Vortheile mit den Koſten, welche die Herren Re-
gulirer verzehren, nicht in gehoͤriger Proportion ſtuͤnd n,
haben viele derſelben vorgezogen, lieber in den alten Ver-
haͤltniſſen zu bleiben, und waͤren, wo die Procedur ſchon
angefangen, auch gern zuruͤckgetreten, aber die Spinne
laͤßt keine Fliege los, die ſie einmal in ihrem Netze ge-
fangen.
Haͤtte das Gouvernement blos die freiwillige Separa-
tion erleichtert, dazu aufgefordert, und ſie ohne Gewalt
zu befoͤrdern geſucht, wozu ihr viele wohlthaͤtige Mittel
zu Gebote ſtanden, ſo waͤre kein Syſtem ſegenreicher ge-
weſen, und die immer allgemeiner werdende Humanitaͤt
*)
unſeres Jahrhunderts wuͤrde der Regierung mit Freuden
ſelbſt in die Haͤnde gearbeitet haben. Dann waͤren Guts-
herrn und Bauern Freunde geblieben, und noch weit inni-
ger durch gegenſeitigen Vortheil verbunden worden, ſtatt
daß jetzt beide Staͤnde, in unendliche Streitigkeiten ver-
wickelt, kuͤnſtlich zu Antagoniſten und Feinden umgeſchaf-
fen werden, von nun an nur die ſchroffeſte, dem Staate
hoͤchſt ſchaͤdliche gaͤnzliche Trennung alles Intereſſes wuͤn-
ſchend, und jeder Theil ſich, von allem patriarchaliſchen
Elemente losgeriſſen, im graſſeſten Egoismus zu verſchan-
zen ſucht. Wie uͤbel aber, wenn ein gleiches Mißbehagen,
und ein endlich daraus entſtehendes gleiches politiſches
Intereſſe einmal ſo demoraliſirte und gemeinſchaftlich ver-
armte Partheien wieder vereinigen ſollte!
Es iſt ſehr zu wuͤnſchen, daß man in Sachſen, wo ein
aͤhnliches Beduͤrfniß laut wird, den gutsherrlichen und
baͤuerlichen Verhaͤltniſſen eine neugeregelte Geſtalt zu ge-
ben, die Erfahrungen des Nachbarlandes benutzen, keinen
gewaltſamen, d. h. keinen ungerechten Weg dazu einſchla-
gen, und vor allem die Ausfuͤhrung ſchnell betreiben, nicht
einem Heer hungriger Advokaten und verdorbner Oekono-
men, in einen monſtroͤſen Koͤrper mit weitreichenden Fin-
gern vereinigt, anvertrauen, ſondern durch Spezial-Com-
miſſionen reguliren laſſen moͤge, die aus Abgeordneten der
Partheien ſelbſt, mit Zuziehung eines ausgewaͤhlten Re-
gierungsbeamten und eines erprobten Juriſten zuſammen-
geſetzt ſind, und von deren Entſcheidung kein Apell ſtatt
findet.
Uebrigens laſſen die dermaligen politiſchen Conjunkturen
uns allerdings fuͤrchten, daß die ganze jetzige Generation
zum Opfer fuͤr einen beſſern Zuſtand der kuͤnftigen gebracht
werden ſoll, — ganz daſſelbe Prinzip, welches bei uns der
*)
Regulirung der baͤuerlichen Verhaͤltniſſe zum Grunde ge-
legt wurde, und welches das Schickſal allerdings oft an-
wendet — fuͤr einen Staat aber immer mißlich nachzuahmen
bleibt. A. d. H.
*)
Es kann uͤberdem Faͤlle geben, wo das Gewiſſen, ſo zu
ſagen, recht und unrecht zugleich hat, d. h. eine nothwen-
dige Handlung vorkommen, die durchaus von einer Seite
fehlerhaft ſeyn muß, wo man dann nur das kleinere Uebel
zu waͤhlen hat, und es wird keinen vernuͤnftigen Moraliſten
*)
geben, der behaupten darf, daß ſie nicht dennoch unter moͤg-
lichen Umſtaͤnden unerlaͤßlich ſey, denn wenn wir z. B. auf
der einen Seite durch eine Nothluͤge immer unſrer morali-
ſchen Wuͤrde etwas Bedeutendes vergeben muͤſſen, ſo koͤnn-
ten wir doch bei ihrer Unterlaſſung den niedertraͤchtigſten
Verrath an Aeltern und Freunden begehen. A. d. H.
*)
Dieſen Ausruf muß ich erklaͤren. Als Napoleon nach der
Defaite bei Aspern, in dieſer ſehr bedenklichen Lage auf ge-
brechlichem Kahne nach der Inſel Lobau mit wenigen Be-
gleitern zuruͤckſchiffte, befand ſich der damals noch ſehr junge
General Tſchernitſcheff bei ihm. Nach deſſen Erzaͤhlung ſaß
der Kaiſer tief in ſich verſunken, redete mit Niemand, und
brach nur zuweilen in die halb laut geſprochenen Worte
aus: „O monde, o monde!“ Er mochte wohl hinzuden-
ken: tu m’echappes — wie es einige Jahre ſpaͤter wirklich
eintraf. A. d. H.
*)
und iſt es noch. A. d. H.
*)
Natuͤrlich iſt es, daß es den Englaͤndern ſchwer wird, da
ſie ſich um Fremdes ſo wenig bekuͤmmern, den gehoͤrigen
Unterſchied zwiſchen deutſchen, ruſſiſchen und franzoͤſiſchen
Fuͤrſten zu machen, und ſie daher reſpective bald zu hoch,
bald zu niedrig anſchlagen. In England und Frankreich
giebt es eigentlich keine andern Fuͤrſten (Princes) als die
des koͤniglichen Hauſes. Fuͤhren Englaͤnder oder Franzoſen
ſolchen Titel, ſo ſind es fremde, und werden in den fran-
*)
zoͤſiſchen alten Adelsfamilien den juͤngern Soͤhnen beigelegt.
Z. B. der Prince de Polignac hier fuͤhrt als zweiter Sohn
den roͤmiſchen Fuͤrſtentitel, der aͤlteſte iſt Duc de Polignac.
Es giebt, nur einen ſehr hoch verdienten Mann ausge-
nommen, keinen Fuͤrſten in Deutſchland, der nicht von al-
ter Familie und hohem Stande mit angemeſſenen Rechten
waͤre, daher die Fuͤrſten daſelbſt auch den erſten Rang nach
den regierenden Haͤuſern einnehmen. In Rußland dagegen
iſt allerdings der Titel Prince in der Regel, ſo viel wie nichts,
indem dort nur der Dienſt Rang, Rechte und Anſehen giebt,
und in Italien hat dieſer Titel nicht viel mehr Werth. Dies
vermiſchen nun die Englaͤnder alles unter einander, und
wiſſen ſelten, was ſie einem Fremden in dieſer Hinſicht wirk-
lich ſchuldig ſind.
*)
ſ. Reineke Fuchs, kann auch durch Ladyships uͤberſetzt
werden. A. d. H.
*)
Auch in neuerer Zeit hatten wir in Berlin das Gluͤck, ei-
nen jungen Schotten, und ſogar den Sohn Walter Scotts,
in ſeiner Nationaltracht zu bewundern. Er erſchien auf ei-
nem Feſte mit noch einem andern Landsmanne, der in ge-
woͤhnlich ſchwarzer Kleidung, hoͤchſt mager und blaß, dem
Vampyr, Lord Ruthwen, nicht unaͤhnlich ſah. Eine mor-
dante Chanſon, die am andern Morgen die Fete beſchrieb,
endigte mit folgenden Worten:
. . . . . . enfin parût

Lord Ruthwen et jeune Scott,

L’un sans cû, et l’autre sans culottes.

A. d. H.
*)
Mein ſeliger Freund war immer von einer Art fixen Idee
eingenommen, daß eine neue Kirche im Anzuge ſey. Wie
Schade, daß er nicht erlebt hat, was ſich jetzt geſtaltet,
denn eben leſe ich in der allgemeinen Zeitung folgende troͤſt-
liche Annonce:
An die Unbekannten.
„In dieſen Blaͤttern, hoͤre ich, haben harte Reden wi-
der mich und die Neue Kirche geſtanden. Schlaget mich,
meine Lieben, aber hoͤrt; hier nur ein Wort, um vor der
Suͤnde zu warnen! Noch einmal, es naht uns, mehr und
mehr die Huͤlle luͤftend, eine Herrlichkeit, welche Menſchen-
zunge nicht ausſpricht, und Menſchengeiſt nur allmaͤhlig
ahnt. Faſſen wir doch kaum, daß Alles neu werden mag:
wie faßten wir ſo jaͤhlings ein neues All? Hitzig aber auf
die Vorhut fallen, und gar das Banner beſchimpfen, iſt
nicht rathſam, bevor wir die Schaaren kennen, welche na-
hen, und die Maͤchtigen, welchen ſie vorausziehen: lieber
Bruder, wie waͤre Dir, wenn Du, Schmaͤhung noch im
Munde, ihn erkennteſt? Er kommt zu einer Stunde, da
ihr nicht meinet.“
Das iſt viel — nicht nur alles Alte neu, ſondern ſelbſt
ein neues Alt! Wahrlich, mehr kann kein Billiger verlan-
gen. Nur ein Schelm giebt mehr, als er hat.
A. d. H.
*)
Freilich waͤre es dann auch wuͤnſchenswerth, daß unſere Ge-
ſetze der Faßlichkeit des Volkes naͤher geruͤckt wuͤrden, daß
wir, ſtatt hunderten verſchiedener Provinzial- und Lokal-
rechte, ein Geſetzbuch fuͤr die ganze Monarchie haͤtten, ſo
daß nicht in einem Dorfe Recht ſey, was zehn Meilen
davon Unrecht werde, und die P … Juriſten endlich Arbei-
ter in Bronze, ſtatt Keſſelflicker werden koͤnnten.
A. d. H.
*)
Die Relation der vorhergehenden Tage iſt unterdruͤckt
worden. A. d. H.
*)
Im Eßſaal der Clubs, wo nur nach der Karte gegeſſen
wird, hängt immer eine Tafel, wo ſich jeder aufſchreiben
kann, der wuͤnſcht an einem Extra-Diné, fuͤr welches ein
fixirter Preis bezahlt wird, und was man house dinner
nennt, in Geſellſchaft Theil zu nehmen, wozu er dann zu-
gleich den Tag beſtimmt. Sobald 12 Perſonen aufgeſchrie-
ben ſind, wird die Subſcription geſchloſſen.
Dieſe Dinés finden in einem beſondern Lokal ſtatt, ſind
ſehr recherchirt und geben eine angenehme Gelegenheit, naͤ-
here Bekanntſchaften zu machen.
*)
Wie es in England viertel, halbe, breiviertel und ganze
Blutpferde giebt, ſo werden auch Faſhionables ebenſo und
noch ſubtiler geviertheilt.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Briefe eines Verstorbenen. Briefe eines Verstorbenen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn8m.0