Geſchichte
Einleitung
Zu finden in der Schmidiſchen Buchhandlung.
[][]
Vorrede.
Der Vorſatz eine Geſchichte meines
Vaterlandes zu ſchreiben, iſt bey
mir ſehr ſpaͤt entſtanden; und ſeit-
dem ich mich daran gewagt habe,
oft unterbrochen worden. Der
ſeelige Profeſſor Lodman, mein
Freund von der erſten Kindheit an, hatte, wie ich
glaube, von der Natur einen Trieb dazu empfangen.
Denn ſchon im zehnten Jahre ſeines Alters fieng er
an damit zu ſpielen; und ich theilte ihm nachher das-
jenige gern mit, was ich zufaͤlliger Weiſe fand. Al-
lein der Tod hat ihn mir und ſeinem Vorſatze zu fruͤh
entriſſen. Seine Monumenta Oſnabrugenſia er-
ſchienen noch fuͤr ſeinem Ende; und ſeine Geſchichte,
ſo weit ſolche fertig geworden iſt, beruhet bey ſeinen
Erben. Meine Abſicht war anfangs mir ſolche aus-
zubitten und gemein zu machen; hiernaͤchſt aber die
* 2Ge-
[]Vorrede.
Geſchichte der letzten Jahrhunderte wovon ich in der
Folge beſſere Nachrichten erhielt, als ihm das Gluͤck
gegoͤnnet hatte, ſelbſt auszuarbeiten. Und in dieſer
Abſicht wandte ich zuerſt, nachdem ich bereits zwan-
zig Jahre mit Arbeiten von ganz andrer Art beladen
geweſen, einige erſparete Stunden darauf, um die
noͤthigen Auszuͤge zu machen. Bey der Arbeit aber
fuͤhlte ich bald, daß die neuern Zeiten durchaus das
Licht der alten noͤthig haͤtten. Jch ward daher zuerſt
genoͤthiget bis zu der Epoche des mit Herzog Hein-
rich dem Loͤwen geſprengten Großherzogthums Sach-
ſen zuruͤck zu gehen. Wie ich hier war, muſte ich die
Verfaſſung unter Carln dem Groſſen haben, und
endlich um ſolche recht anzulegen in die aͤlteſten Zeiten
hinauf gehen.
Hier waͤre mir die Arbeit meines Freundes beſon-
ders noͤthig geweſen; und ich wuͤnſche noch immer,
daß ſolche von ſeinem geſchickten Vettern, der ſich be-
reits durch gluͤckliche Proben zeigt, der Welt bekannt
werden moͤge. Denn ich habe vieles uͤbergangen,
was nicht zu meiner Abſicht gehoͤrte; und unſer beyder
Geſichtspunkt iſt ſehr von einander unterſchieden ge-
weſen; indem ich vorzuͤglich die Geſchichte unſrer Rech-
te, Sitten und Gewohnheiten zu entwickeln mich be-
muͤhet, und die Begebenheiten ziemlich nach dieſer
Abſicht geordnet habe; er aber mit aller ihm eignen
Genauigkeit die Vorfaͤlle, ohne ſolchen eine gewiſſe
Richtung zu dieſem oder jenem Ziele zu geben erzaͤhlet
und beſchrieben hat. Mein Freund wuͤrde Fehler ver-
mie-
[]Vorrede.
mieden haben; ich aber habe nothwendig ſehr oft ge-
fehlt, indem man ſich gegen das funfzigſte Jahr ſeines
Alters nicht ungeſtraft in ein Feld wagt, worin man
in ſeinen Lehrjahren voͤllig unbekannt geweſen; ich kann
ſelbſt einiges davon anfuͤhren.
Da meine Zeit zu kurz war: ſo gieng ich uͤberall
unmittelbar zu den Quellen; und meine wenige Be-
kanntſchaft mit ihnen machte, daß ich alles neu zu ent-
decken glaubte. Das Vergnuͤgen, welches ich dabey
empfand, verfuͤhrte mich zu unzaͤhligen Ausſchweifun-
gen; wovon ich mit ziemlicher Strenge eine unge-
heure Menge nachwaͤrts verworfen, doch aber nach
dem mir vorgeſteckten kleinen Ziel, noch viel zu viel
beybehalten habe.
Ein ander Fehler iſt, daß ich den Anfang zum
ſchreiben auf Reiſen waͤhrend dem letzten Kriege ge-
macht, und mir erſt jede Sache nach ihrer Moͤglich-
keit vorgeſtellet, und ſolche hernach zu Hauſe vielleicht
nicht mit genugſamer Unpartheylichkeit gegen die Be-
weiſe gepruͤfet habe. Daher kann einiges einen ſchein-
baren Hang nach der Hypotheſe behalten haben.
Denn dieſe pflegt ihren erſten Liebhaber doch noch im-
mer heimlich und unſichtbar zu verfolgen. Manches
aber iſt ſicher, wie ich jetzt ſehe, zu weit ausgeholet;
und ich haͤtte verſchiednes weit naͤher aus der Reichs-
Vogteylichen Verfaſſung haben koͤnnen, was ich aus
den aͤltern Zeiten zu weit geſucht habe. Jndeſſen
glaube ich doch eben dadurch, daß ich auf eine ſonder-
bare Art verfahren, und nicht ſofort den gewoͤhnlich-
* 3ſten
[]Vorrede.
ſten Weg eingeſchlagen bin, manches auf eine neue
Art gewandt und viele hiſtoriſche Wahrheiten moͤgli-
licher und wahrſcheinlicher erzaͤhlet zu haben, als an-
dre, welche entweder mit Sammlen den Anfang ma-
chen, und dann mit ermuͤdetem Geiſte die Feder an-
ſetzen, oder nur blos ein ſchlechtes Gebaͤude verbeſſern.
Vielleicht habe ich auch darin gefehlet, daß ich die
Charakter der vorkommenden Perſonen niemals in ei-
nem beſondern Gemaͤhlde entworfen, und nur ſehr ſel-
ten einige Betrachtungen mit eingeſtreuet habe. Jch
bin aber gewiß, daß die erſtern ſehr viel von meiner
eignen Erfindung behalten haben wuͤrden, und halte
in Anſehung der letztern dafuͤr, daß in der Geſchichte,
ſo wie auf einem Gemaͤhlde blos die Thaten reden,
und Eindruck, Betrachtung und Urthel jedem Zu-
ſchauer eigen bleiben muͤſſen. Jm Alter, und faſt in
jeder Periode des Lebens ſehen wir die Begebenheiten
von einer ganz andern Seite an, machen ganz neue
Betrachtungen daruͤber, und vertragen diejenigen
nicht mehr, welche uns in juͤngern Jahren die praͤch-
tigſten ſchienen. Daher thut in der Geſchichte die
Handlung, wenn ſie moraliſch vorgeſtellet oder mit
ihren Urſachen und Folgen erzaͤhlet wird, und ſchnell
und ſtark fortgehet eben das was ſie auf der Schau-
buͤhne thut. Sie erweckt, naͤhrt und fuͤllet die Auf-
merkſamkeit der Zuſchauer mehr als alle dabey ange-
brachte Sittenlehre; die oft zur Unzeit eine Thraͤne von
demjenigen fordert, der uͤber die Handlung lachen
muß.
Jch habe mir auch wohl nicht wenig geſchadet, daß
ich
[]Vorrede.
ich dieſe meine Einleitung (welche eigentlich zu einer
hiſtoriſchen Logic dienen, und daher vielleicht nicht
Erzaͤhlungsweiſe geſchrieben ſeyn ſollte,) nicht erſt ganz
entworfen, ſondern ſolche immer ſo, wie ein Bogen
fertig wurde, in die Preſſe geſchickt habe. Da ich
unter ſehr vielen Zerſtreuungen ſchrieb, und niemals
glaubte, daß ich ſo viel als ein Alphabet auf einmal
zu Stande bringen wuͤrde: ſo ſuchte ich mir gewiſſer
maßen meine eigne Arbeit zu ſtehlen; und wenigſtens
alle Monat einen Bogen in die Druckerey zu liefern.
Je weiter ich kam je mehr lernte ich. Allein da die
Bogen immer abgedruckt waren: ſo konnte ich nicht
wieder einlenken; und muß mich jetzt begnuͤgen, wenn
die Geſchichte meiner Fehler andre fuͤrſichtiger macht.
Faſt hatte ich mich entſchloſſen den Abdruck ganz wie-
der zu unterdruͤcken; oder ihn doch erſt blos als ein
Manuſcript guten Freunden zur Verbeſſerung auszu-
theilen; es ſind auch wuͤrklich bereits uͤber zwey Jahr,
daß ſolcher geruhet hat. Endlich aber wage ich es
doch ihn mit dieſer Vorrede noch zu begleiten und ihn
als einen bloſſen Verſuch dem guͤtigen Leſer zu em-
pfehlen.
Was ich am mehrſten fuͤhlte, war dieſes, daß un-
fre Sprache eine Verraͤtherin der edlen Freyheit ge-
worden war, und den Ausdruck verlohren hatte,
welcher ſich zu meinen Begriffen paßte. Die aͤlteſten
Geſchichtsſchreiber von Deutſchland haben nicht in
unſer Sprache geſchrieben, und dem ſtarken deutſchen
Koͤrper ein ganz fremdes Colorit gegeben. Wie man
aber anfieng unſre Mutterſprache zu gebrauchen: ſo
hatte die Lehnsverfaſſung die gemeine Freyheit ſchon
* 4gefeſ-
[]Vorrede.
gefeſſelt, und die Sprache der vorherigen Verfaſſung
theils verdunkelt, theils zu einem andern Verſtande
umgebildet, und theils unverſtaͤndlich gemacht. Oft
hat daher meine Empfindung mit den Worten ge-
kaͤmpft, und ich bin nicht ſelten in der Verſuchung
geweſen auf die Geſchichte einzelner Worte, welche
immer von Jahrhundert zu Jahrhundert einen andern
Sinn erhalten haben, auszuſchweifen. Da ich aber
in manchen Anmerkungen ſchon bis ans rothe Meer
gekommen war: ſo konnte ich meiner eignen Critik
nicht weiter entwiſchen. Doch bin ich noch ſo weit
nicht bekehrt, um eine Vorrede ohne Ausſchweifung
ſchlieſſen zu koͤnnen.
Die Geſchichte von Deutſchland hat meines Ermeſ-
ſens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir
die gemeinen Landeigenthuͤmer, als die wahren Be-
ſtandtheile der Nation durch alle ihre Veraͤnderungen
verfolgen; aus ihnen den Koͤrper bilden und die groſ-
ſen und kleinen Bediente dieſer Nation als boͤſe oder
gute Zufaͤlle des Koͤrpers betrachten. Wir koͤnnen ſo
denn dieſer Geſchichte nicht allein die Einheit, den
Gang und die Macht der Epopee geben, worin die
Territorialhoheit, und der Deſpotiſmus, zuletzt die
Stelle einer gluͤcklichen oder ungluͤcklichen Aufloͤſung
vertritt; ſondern auch den Urſprung, den Fortgang
und das unterſchiedliche Verhaͤltnis des Nationalcha-
rakters unter allen Veraͤnderungen mit weit mehrer
Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir
blos das Leben und die Bemuͤhungen der Aerzte be-
ſchreiben, ohne des kranken Koͤrpers zu gedenken.
Der Einfluß, welchen Geſetze und Gewohnheiten,
Tugen-
[]Vorrede.
Tugenden und Fehler der Regenten, falſche oder gute
Maaßregeln, Handel, Geld, Staͤdte, Dienſt,
Adel, Sprachen, Meynungen, Kriege und Verbin-
dungen auf jenen Koͤrper und auf deſſen Ehre und Ei-
genthum gehabt; die Wendungen, welche die Geſetz-
gebende Macht oder die Staatseinrichtung uͤberhaupt
bey dieſen Einfluͤſſen von Zeit zu Zeit genommen; die
Art, wie ſich Menſchen, Rechte und Begriffe allmaͤh-
lich gebildet; die wunderbaren Engen und Kruͤm-
mungen, wodurch der menſchliche Hang die Territo-
rialhoheit empor getrieben und die gluͤckliche Maͤßi-
gung, welche das Chriſtenthum, das deutſche Herz,
und eine der Freyheit guͤnſtige Sittenlehre gewuͤrket
hat, wuͤrde ſich wie ich glaube, ſolchergeſtalt in ein
vollkommenes fortgehendes Gemaͤhlde bringen laſſen
und dieſem eine ſolche Fuͤllung geben, daß der Hiſto-
rienmahler alle uͤberfluͤßige Groupen entbehren koͤnnte.
Dieſe Geſchichte wuͤrde vier Hauptperioden haben.
Jn der erſten und guͤldnen war noch mehrentheils jeder
deutſcher Ackerhof mit einem Eigenthuͤmer oder Weh-
ren beſetzt; kein Knecht oder Leut auf dem Heerbanns-
gute gefeſtet; alle Freyheit, als eine ſchimpfliche
Ausnahme von der gemeinſamen Vertheidigung ver-
haßt; nichts als hohe und gemeine Ehre in der Na-
tion bekannt; niemand, auſſer dem Leut oder Knech-
te einem Herrn zu folgen verbunden; und der gemeine
Vorſteher ein erwaͤhlter Richter, welcher blos die
Urtheile beſtaͤtigte, ſo ihm von ſeinen Rechtsgenoſſen
zugewieſen wurden. Dieſe guͤldne Zeit daurete noch
guten Theils, wiewohl mit einer auf den Hauptzweck
ſchaͤrfer anziehenden Einrichtung unter Carln dem
* 5Groſ-
[]Vorrede.
Groſſen. Carl war aber auch der einzige Kopf zu die-
ſen antiken Rumpfe.
Die zweyte Periode gieng allmaͤlig unter Ludewig
dem frommen und ſchwachen an. Jhm und den un-
ter ihm entſtandenen Partheyen war zu wenig mit
Bannaliſten, die blos ihren Heerd und ihr Vaterland
bey eigner Koſt und ohne Sold vertheidigen wollten,
gedienet. Er opferte aus Einfalt, Andacht,
Noth und falſcher Politik ſeine Gemeinen den Geiſt-
lichen, Bedienten und Reichsvoͤgten auf. Der Bi-
ſchof, welcher vorhin nur zwey Heermaͤnner ad latus
behalten durfte, und der Graf oder Oberſte, der ihrer
viere zum Schutze ſeines Amts und ſeiner Familie be-
urlauben konnte, verfuhren mit den Reichsgute nach
Gefallen, beſetzten die erledigten manſos mit Leuten
und Knechten, und noͤthigten die Wehren ſich auf
gleiche Bedingungen zu ergeben. Henrich der Vogler
ſuchte zwar bey der damaligen allgemeinen Noth das
Reichs-eigenthum wieder auf; und ſtellete den Heer-
bann mit einigen Veraͤnderungen wieder her. Allein
Otto der Groſſe ſchlug einen ganz andern Weg ein
und gab das gemeine Gut denjenigen Preis, die ihm
zu ſeinen answaͤrtigen Kriegen einige glaͤnzende und
wohlgeuͤbte Dienſtleute zufuͤhrten. Jhm war ein
Ritter, der mit ihm uͤber die Alpen zog lieber als tau-
ſend Wehren, die keine Auflagen bezahlten, und keine
andre Dienſtpflicht als die Landes-vertheidigung
kannten. Seine Groͤſſe, das damalige Anſehn des
Reichs und der Ton ſeiner Zeiten machten ihn ſicher
genug zu glauben daß das deutſche Reich ſeines Heer-
banns
[]Vorrede.
banns niemals weiter noͤthig haben wuͤrde. Und ſo
wurde derſelbe voͤllig verachtet, gedruckt und verdun-
kelt. Der Miſſus oder Heerbanns-commiſſarius
welcher unter Carln dem Groſſen allein die Urlaubs-
paͤſſe fuͤr die Heermaͤnner zu ertheilen hatte, verlohr
ſein Amt und Controlle, Commiſſariat und Commando
kam zum groͤſten Nachtheil der Land-eigenthuͤmer und
der erſten Reichs-matrikel in eine Hand.
Jn der dritten Periode, welche hierauf folgte iſt
faſt alle gemeine Ehre verſchwunden. Sehr wenige
ehrnhaften Gemeine haben noch einiges Reichs-gut in
dominio quiritario. Man verlieret ſo gar den Na-
men und den wahren Begrif des Eigenthums, und
der ganze Reichsboden verwandelt ſich uͤberall in Lehn-
Pacht-Zins- und Bauer-gut, ſo wie es dem Reichs-
oberhaupte, und ſeinen Dienſtleuten gefaͤllt. Alle
Ehre iſt im Dienſt; und der ſchwaͤbiſche Friederich
bemuͤhet ſich vergeblich der kayſerlichen Krone, wor-
in ehedem jeder gemeiner Land-eigenthuͤmer ein
Kleinod war, durch bloſſe Dienſtleute ihren alten
Glanz wieder zu geben. Die verbundene Staͤdte und
ihre Pfal-buͤrger geben zwar der Nation Hofnung zu
einem neuen gemeinen Eigenthum. Allein die Haͤnde
der Kayſer ſind zu ſchwach und ſchluͤpfrich, und an
ſtatt dieſe Bundes-genoſſen mit einer magna charta
zu begnadigen, und ſich aus allen Buͤrgen und Staͤd-
ten ein Unterhaus zu erſchaffen welches auf ſichere
Weiſe den Untergang der ehmaligen Land-eigenthuͤ-
mer wieder erſetzt haben wuͤrde, muͤſſen ſie gegen ſol-
che Verbindungen und alle Pfalbuͤrgerſchaft ein
Reichsgeſetze uͤbers andre machen. Rudolph von
Habs-
[]Vorrede.
Habsburg ſieht dieſen groſſen Staatsfehler wohl ein,
und iſt mehr als einmal darauf bedacht, ihn zu ver-
beſſern. Allein Carl der IV. arbeitet nach einem den
vorigen ganz entgegen geſetzten Plan, indem er die
mittlere Gewalt im Staat wieder beguͤnſtigt, und
Wenzels groſſe Abſichten, welche den Reichsfuͤrſten
nicht umſonſt verhaßt waren, werden nie mit gehoͤ-
riger Vorſicht oft durch gehaͤßige Mittel und insge-
mein nur halb ausgefuͤhrt. Alle ſind nur darauf be-
dacht die Dienſtleute durch Dienſtleute zu bezaͤhmen,
und waͤhrender Zeit in Daͤnnemark der Landeigen-
thum ſich wieder unter die Krone fuͤget; in Spanien
der neue Heerbann, oder die Hermandad der mittlern
Gewalt mit Huͤlfe der klugen Jſabelle das Gleichge-
wichte abgewinnt; und in der Schweiz drey Bauern
gemeine Ehre und Eigenthum wiederherſtellen, wurde
die Abſicht des Bundſchuhes und andrer nicht undeutlich
bezeichneter Bewegungen von den Kayſern kaum em-
pfunden. Sigiſmund thut etwas, beſonders fuͤr die
Frieſen; und Maximilian ſucht mit allen ſeinen guten
und groſſen Anſtalten wohl nichts weniger, als die
Gemeinen unter der mittlern Gewalt wieder hervor-
und naͤher an ſich zu ziehen. Allein ſo fein und neu
auch die Mittel ſind, deren er ſich bedient: ſo ſcheinet
doch bey der Ausfuͤhrung nicht allemal der Geiſt zu
wachen, der den Entwurf eingegeben hatte.
Mehr als einmal erforderte es in dieſer Periode die
allgemeine Noth, alles Lehn-Pacht-Zins- und Bau-
er-weſen von Reichswegen wieder aufzuheben, und
von jedem Manſo den Eigenthuͤmer zur Reichsverthei-
digung aufzumahnen. Denn nachdem die Lehne erb-
lich
[]Vorrede.
lich geworden, fielen ſolche immer mehr und mehr zu-
ſammen. Der Kriegsleute wurden alſo weniger.
Sie waren zum Theil erſchoͤpft; und wie die aus-
waͤrtigen Monarchien ſich auf die gemeine Huͤlfe er-
hoben, nicht im Stande ihr Vaterland dagegen al-
lein zu vertheidigen. Allein eine ſo groſſe Revolution
waͤre das Werk eines Bundſchuhes geweſen. Man
muſte alſo auf einem fehlerhaften Plan fortgehen,
und die Zahl der Dienſtleute mit unbelehnten, unbe-
guͤterten und zum Theil ſchlechten Leuten vermehren,
allerhand Schaaren von Knechten errichten, und den
Weg einſchlagen, worauf man nachgehends zu den
ſtehenden Heeren gekommen iſt. Eine Zeitlang reich-
ten die Cammerguͤter der Fuͤrſten, welche ihre Macht
auf dieſe Art vermehrten, zu den Unkoſten hin. Man
wuſte von keinen gemeinen Steuren; und in der That
waren auch keine ſteuerbare Unterthanen vorhanden,
weil der Bauer als Paͤchter ſich lediglich an ſeinen
Contrakt hielt, und ſein Herr frey war, wenn er als
Gutsherr fuͤrs Vaterland, und als Vaſall fuͤr ſeinen
Lehnsherrn den Degen zog. Die Cammerguͤter wur-
den aber bald erſchoͤpft, verpfaͤndet oder verkauft.
Und man muſte nunmehr ſeine Zuflucht zu den Lehn-
leuten und Gutsherrn nehmen, um ſich von ihnen eine
auſſerordentliche Beyhuͤlfe zu erbitten; und weil dieſe
wohl einſahen, daß es ihre Sicherheit erfordere, ſich
unter einander und mit einem Hauptherrn zu verbin-
den: ſo entſtanden endlich Landſtaͤnde und Landſchaf-
ten; wozu man die Staͤdte, welche damals das
Hauptweſen ausmachten, auf alle Weiſe gern zog.
Alle noch uͤbrige Geſetze aus der guͤldnen Zeit,
worin
[]Vorrede.
worin die Reichsmanſi mit Eigenthuͤmern beſetzt ge-
weſen waren verſchwanden in dieſer Periode gaͤnz-
lich; wozu die Staͤdte, dieſe anomaliſchen Koͤrper,
welche die Sachſen ſo lange nicht hatten dulden wol-
len, nicht wenig beytrugen, indem ſie die Be-
griffe von Ehre und Eigenthum, worauf ſich die ſaͤch-
ſiſche Geſetzgebung ehedem gegruͤndet hatte, verwirre-
ten und verdunkelten. Die Ehre verlohr ſo gleich ih-
ren aͤuſſerlichen Werth, ſo bald der Geldreichthum
das Landeigenthum uͤberwog; und wie die Handlung
der Staͤdte unſichtbare heimliche Reichthuͤmer ein-
fuͤhrte, konnte die Wehrung der Menſchen nicht mehr
nach Gelde geſchehen. Es muſten alſo Leib- und Le-
bensſtrafen eingefuͤhrt, und der obrigkeitlichen Will-
kuͤhr verſchiedene Faͤlle zu ahnden uͤberlaſſen werden,
worauf ſich die alten Rechte nicht mehr anwenden,
und bey einer unſichtbaren Verhaͤltnis keine neue fin-
den laſſen wollten. Die Freyheit litt dardurch unge-
mein, und der ganze Staat arbeitete einer neuen Ver-
faſſung entgegen, worin allmaͤhlig jeder Menſch eben
wie unter den ſpaͤtern roͤmiſchen Kayſern, zum Buͤr-
ger oder Rechtsgenoſſen aufgenommen, und ſeine Ver-
bindlichkeit und Pflicht auf der bloſſen Eigenſchaft
von Unterthanen gegruͤndet werden ſollte. Eine Ver-
faſſung wobey Deutſchland haͤtte gluͤcklich werden
koͤnnen, wenn es ſeine Groͤſſe immerfort auf die
Handlung gegruͤndet, dieſe zu ſeinem Hauptintereſſe
gemacht und dem perſoͤnlichen Fleiſſe und baaren Ver-
moͤgen in beſtimmten Verhaͤltniſſen gleiche Ehre mit
dem Landeigenthum gegeben haͤtte, indem als-
dann die damals verbundene und maͤchtige Staͤdte
das
[]Vorrede.
das Nationalintereſſe auf dem Reichstage mehren-
theils allein entſchieden, Schiffe, Volk und Steuren
bewilligt, und die Zerreiſſung in ſo viele kleine Terri-
torien, deren eins immer ſeinen privat Vortheil zum
Nachtheil des andern ſucht, wohl verhindert haben
wuͤrden.
Der vierten Periode haben wir die gluͤckliche Lan-
deshoheit oder vielmehr nur ihre Vollkommenheit zu
danken. Jhr erſter Grund lag in der Reichsvogtey,
welche ſich nach dem Maaſſe erhob und ausdehnte,
als die Carolingiſche Grafſchaft, wovon uns keine ein-
zige uͤbrig geblieben, ihre Einrichtung, Befungnis und
Unterſtuͤtzung verlohr. Aus einzelnen Reichsvogteyen
waren edle Herrlichkeiten erwachſen. Wo ein edler
Herr ihrer mehrere zuſammen gebracht und vereiniget
hatte, war es ihm leicht gelungen, dieſe Sammlung
zu einer neuen Grafſchaft erheben zu laſſen und ſich
damit die Obergerichte in ſeinen Vogteyen zu erwer-
ben. Fuͤrnemlich aber hatten Biſchoͤfe, Herzoge,
Pfalzgrafen und andre kayſerliche Repreſentanten in
den Provinzien die in ihren Sprengeln gelegne Vog-
teyen an ſich gebracht, und ſich daruͤber mit dem
Grafenbann, und auch wohl um alle fremde Gerichts-
barkeit abzuwenden, mit dem Freyherzogthum und
der Freygrafſchaft belehnen laſſen. Der Adel, die
Kloͤſter und die Staͤdte, welche nicht unter der Vog-
tey geſtanden, hatten ſich zum Theil gutwillig den kay-
ſerlichen Repreſentanten unterworfen, und der Kayſer
hatte zu einer Zeit da noch keine Generalpacht erlaubt
und bekannt war, ſich ein Vergnuͤgen daraus ge-
macht, die mit vielen Beſchwerden und mit wenigem
Vor-
[]Vorrede.
Vortheil begleitete Ausuͤbung der Regalien, wozu er
ſonſt eigne Localbeamte haͤtte beſtellen muͤſſen, den
hoͤchſten Obrigkeiten jedes Landes zu uͤberlaſſen, und
ſolchergeſtalt ſein eignes Gewiſſen zu beruhigen. Hie-
zu war die Reformation gekommen und hatte allen
Landesherrn oͤftere Gelegenheit gegeben diejenigen
Rechte, welche ſich aus obigen leicht folgern lieſſen,
in ihrer voͤlligen Staͤrke auszuuͤben, insbeſondre aber
die Schranken welche ihnen ihrer Laͤnder eigne von der
kayſerlichen Gnade unabhaͤngige Verfaſſung entgegen
geſetzt hatte ziemlich zu erweitern, indem ſie die Voll-
macht dazu theils von der Noth entlehnten, theils von
dem Haſſe der ſtreitenden Religionspartheyen gutwil-
lig erhielten. Und ſo war es endlich kein Wunder,
wann beym weſtphaͤliſchen Frieden, nachdem alles
lange genug in Verwirrung geweſen, diejenigen
Reichsſtaͤnde, welche nach und nach die Vogtey, den
Grafenbann, das Freyherzogthum und die ganze
Vollmacht des miſſi in ihren Landen erlangt hatten,
die Beſtaͤtigung einer vollkommenen Landeshoheit;
andre hingegen, welche nur die Vogtey gehabt, je-
doch ſich der hoͤhern Reichsbeamte erwehret hatten,
die Unmittelbarkeit und in Religionsſachen eine noth-
wendige Unabhaͤngigkeit erhielten.
Wenn man auf die Anlage der deutſchen Verfaſ-
ſung zuruͤck gehet: ſo zeigen ſich vier Hauptwendun-
gen, welche ſie haͤtte nehmen koͤnnen. Entweder waͤre
die erſte Controlle der Reichsbeamte per miſſos ge-
blieben. Oder aber jede Provinz haͤtte einen auf Le-
benszeit ſtehenden Statthalter zum Controlleur und
Ober-
[]Vorrede.
Oberaufſeher aller Reichsbeamten erhalten. Oder
ein neues Reichsunterhaus haͤtte den Kronbedienten
die Wage halten muͤſſen; wenn man den vierten Fall
nemlich die Territorialhoheit nicht haͤtte zulaſſen wol-
len. Die erſte Wendung wuͤrde uns reiſende und
pluͤndernde Baſſen zugezogen haben, oder alle Kayſer
haͤtten das Genie von Carln dem Groſſem zu einem
beſtaͤndigen Erbtheil haben muͤſſen. Jn der andern
wuͤrden wir mit der Zeit wie die Franzoſen das Opfer
einer ungeheuren Menge von Reichs-Generalpaͤchtern
geworden ſeyn. Schwerlich wuͤrden auch unſre Schul-
tern die dritte ertragen haben, oder die verbundnen
Handelsſtaͤdte in Ober- und Niederdeutſchland haͤtten
uns zugleich die Handlung durch die ganze Welt, ſo
wie ſie ſolche hatten, behaupten und das ganze Reichs-
Krieges- und Steuer-weſen unter ihrer Bewilligung
haben muͤſſen. Und ſo iſt die letztere, worin jeder Lan-
desfuͤrſt, die ihm anvertraueten Reichsgemeinen als
die ſeinigen betrachtet, ſein Gluͤck in dem ihrigen fin-
det und wenigſtens ſeinem Hauſe zu gefallen nicht al-
les auf einmal verzehrt, allenfals aber an dem aller-
hoͤchſten Reichsoberhaupte noch einigen Wiederſtand
hat, gewiß die beſte geweſen, nachdem einmal groſſe
Reiche entſtehen, und die Landeigenthuͤmer in jedem
kleinen Striche, Staͤdte und Feſtungen unter ſich
dulden, geldreiche Leute an der Geſetzgebung Theil
nehmen laſſen und nicht mehr befugt bleiben ſollten ſich
ſelbſt einen Richter zu ſetzen und Recht zu geben.
Dabey war es ein Gluͤck ſo wohl fuͤr die catholi-
ſchen als evangeliſchen Reichsfuͤrſten, daß der Kayſer
**ſich
[]Vorrede.
ſich der Reformation nicht ſo bedienet hatte, wie es
wohl waͤre moͤglich geweſen. Luthers Lehre war der
gemeinen Freyheit guͤnſtig. Eine unvorſichtige Anwen-
dung derſelben haͤtte hundert Thomas Muͤnzers erwek-
ken, und dem Kayſer die vollkommenſte Monarchie
zuwenden koͤnnen, wenn er die erſte Bewegung recht
genutzt, alles Pacht-Lehn- und Zins-weſen im Reiche
geſprengt, die Bauern zu Landeigenthuͤmern gemacht,
und ſich ihres wohlgemeinten Wahns gegen ihre Lan-
des-Gerichts- und Guts-herrn bedienet haͤtte. Allein er
dachte zu gros dazu; und eine ſolche Unternehmung
wuͤrde nachdem der Ausſchlag geweſen waͤre, die groͤßte
oder treuloſeſte geweſen ſeyn.
Jndeſſen verlohr ſich in dieſer Periode der alte Be-
grif des Eigenthums voͤllig; man fuͤhlte es kaum mehr,
daß einer Rechtsgenos ſeyn muͤſſe, um ein echtes Eigen-
thum zu haben. Eben ſo gieng es ſo wohl der hohen
als gemeinen Ehre. Erſtere verwandelte ſich faſt durch-
gehends in Freyheit; und von der letztern: honore qui-
ritario: haben wir kaum noch Vermuthungen, ohner-
achtet ſie der Geiſt der deutſchen Verfaſſung geweſen,
und ewig bleiben ſollen. Religion und Wiſſenſchaf-
ten hoben immer mehr den Menſchen uͤber den Buͤr-
ger, die Rechte der Menſchheit ſiegten uͤber alle be-
dungene und verglichene Rechte. Eine bequeme Phi-
loſophie unterſtuͤtzte die Folgerungen aus allgemeinen
Grundſaͤtzen beſſer als diejenigen, welche nicht ohne
Gelehrſamkeit und Einſicht gemacht werden konnten.
Und die Menſchenliebe ward mit Huͤlfe der chriſtlichen
Religion eine Tugend, gleich der Buͤrgerliebe, der-
ge-
[]Vorrede.
geſtalt, daß es wenig fehlte oder die Reichsgeſetze
ſelbſt haͤtten die ehrloſeſten Leute aus chriſtlicher Liebe
ehrenhaft und zunftfaͤhig erklaͤrt.
Die Schickſale des Reichsgutes waren noch ſonder-
barer. Erſt hatte jeder Manſus ſeinen Eigenthuͤmer
zu Felde geſchickt; hernach einen Bauer aufgenom-
men, der den Dienſtmann ernaͤhrte; und zuletzt auch
ſeinen Bauer unter die Vogelſtange geſtellet. Jetzt
aber muſte es zu dieſen Laſten auch noch einen Soͤld-
ner ſtellen, und zu deſſen Unterhaltung eine Landſteuer
uͤbernehmen, indem die Territorialhoheit zu ihrer Er-
haltung ſtaͤrkere Nerven, und das Reich zu ſeiner
Vertheidigung groͤſſere Anſtalten erforderte, nachdem
Frankreich ſich nicht wie Deutſchland in einer Menge
von Territorien aufgeloͤſet, ſondern unter unruhigen
Herrn vereiniget hatte. Von nun an ward es zu ei-
ner allgemeinen Politik das Reichseigenthum ſo viel
moͤglich wieder aufzuſuchen, und zur gemeinen Huͤlfe
zu bringen. Der Kayſer unterſtuͤtzte in dieſem Plan
die Fuͤrſten. Dieſe unterſuchten die Rechte der Dienſt-
leute, der Geiſtlichen und der Staͤdte in Anſehung
des Reichseigenthums; und bemuͤheten ſich ſo viel
moͤglich ſolches auf eine oder andre Art wieder zum
Reichs-Land-kataſter zu bringen. Der Rechtsgelehr-
ſamkeit fehlte es an genugſamer Kenntnis der alten
Verfaſſung, und vielleicht auch an Kuͤhnheit, die
Grundſaͤtze wieder einzufuͤhren, nach welcher wie in
England von dem ganzen Reichsboden eine gemeine
Huͤlfe gefordert werden mogte. Das Steuerweſen
gieng alſo durch unendliche Kruͤmmungen und quere
** 2Pro-
[]Vorrede.
Proceſſe in ſeinem Laufe fort. Geiſtliche, Edelleute
und Staͤdte verlohren vieles von demjenigen was ſie
in der mittlern Zeit und bey andern Vertheidigungs-
anſtalten wohl erworben und verdienet hatten. Der
Landesherr ward durch die Nutzung des gemeinen
Reichseigenthums maͤchtiger. Ehrgeiz, Eyferſucht
und Fantaſie verfuͤhrten ihn zu ſtehenden Herren; und
die Noth erforderte ſie anfaͤnglich. Der Kayſer ſahe
ſie aus dem groſſen Geſichtspunkte der allgemeinen
Reichsvertheidigung gern, erſt ohne ſie nach einem
ſichern Verhaͤltnis beſtimmen zu wollen, und bald
ohne es zu koͤnnen.
Jedoch ein aufmerkſamer Kenner der deutſchen Ge-
ſchichte wird dieſes alles fruchtbarer einſehen, und
leicht erkennen, daß wir nur alsdenn erſt eine brauch-
bare und pragmatiſche Geſchichte unſers Vaterlandes
erhalten werden, wenn es einem Manne von gehoͤriger
Einſicht gelingen wird, ſich auf eine ſolche Hoͤhe zu
ſetzen, wovon er alle dieſe Veraͤnderungen, welche
den Reichsboden und ſeine Eigenthuͤmer betroffen,
mit ihren Urſachen und Folgen in den einzelnen Thei-
len des deutſchen Reiches uͤberſehen, ſolche zu einem
einzigen Hauptwerke vereinigen, und dieſes in ſeiner
ganzen Groͤſſe ungemahlt und ungeſchnitzt, aber ſtark
und rein aufſtellen kann. Wie vieles wird aber auch
ein Gatterer noch mit Recht fordern, ehe ein Ge-
ſchichtſchreiber jene Hoͤhe beſteigen und ſein ganzes
Feld im vollkommenſten Lichte uͤberſehen kann.
Jndeſ-
[]Vorrede.
Jndeſſen bleibt ein ſolches Werk dem deutſchen Ge-
nie und Fleiſſe noch immer angemeſſen, und belohnt
ihm die Muͤhe. Der maͤchtige und reiſſende Hang
groſſer Voͤlkervereinigungen zur Monarchie und die
unſaͤgliche Arbeit der Ehre oder nach unſer Art zu re-
den der Freyheit, womit ſie jenem Hange begegnen,
oder ihrer jetzt fallenden Saͤule einen bequemen Fall
hat verſchaffen wollen, iſt das praͤchtigſte Schauſpiel
was dem Menſchen zur Bewunderung und zur Lehre
gegeben werden kann; die Berechnung der auf beyden
Seiten wuͤrkenden Kraͤfte und ihre Reſultate ſind fuͤr
den Philoſophen die erheblichſten Wahrheiten: Und
ſo viele groſſe Bewegungsgruͤnde muͤſſen uns aufmun-
tern unſre Nation dieſe Ehre zu erwerben. Sie muͤſ-
ſen einem jeden reizen ſeine Provinz zu erleuchten, um
ſie dem groſſen Geſchichtſchreiber in dem wahren Lichte
zu zeigen. Das Coſtume der Zeiten, der Stil jeder
Verfaſſung, jedes Geſetzes und ich moͤgte ſagen jedes
antiken Worts muß den Kunſtliebenden vergnuͤgen.
Die Geſchichte der Religion, der Rechtsgelehrſam-
keit, der Philoſophie der Kuͤnſte und ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften iſt auf ſichere Weiſe von der Staatsgeſchichte
unzertrennlich und wuͤrde ſich mit obigen Plan vorzuͤg-
lich gut verbinden laſſen. Von Meiſterhaͤnden ver-
ſteht ſich. Der Stil aller Kuͤnſte ja ſelbſt der De-
peſchen und Liebesbriefe eines Herzogs von Richelieu
ſteht gegeneinander in einigem Verhaͤltnis. Jeder
Krieg hat ſeinen eigenen Ton und die Staatshand-
** 3lun-
[]Vorrede.
lungen haben ihr Colorit, ihr Coſtume und ihre Ma-
nier in Verbindung mit der Religion und den Wiſ-
ſenſchaften. Rußland giebt uns davon taͤglich Bey-
ſpiele; und das franzoͤſiſche eilfertige Genie zeigt ſich
in Staatshandlungen wie im Roman. Man kann
es ſo gar unter der Erde an der Linie kennen, wo-
mit es einen reichen Erzgang verfolgt und ſich zu-
wuͤhlt. Der Geſchichtsſchreiber wird dieſes fuͤhlen,
und allemal ſo viel von der Geſchichte der Kuͤnſte
und Wiſſenſchaften mitnehmen, als er ge-
braucht, von den Veraͤnderungen der Staatsmo-
den Rechenſchaft zu geben.
Zur Geſchichte des weſtphaͤliſchen Friedens ge-
hoͤrt eine groſſe Kenntnis der Grundſaͤtze, welche
ſeine Verfaſſer hegten. Man wird von einer ſpaͤ-
tern Wendung in den oͤffentlichen Handlungen keine
Rechenſchaft geben koͤnnen, ohne einen Thomaſius
zu nennen; und ohne zu wiſſen, wie unvorſichtig
er ſeine Zeiten zum raiſonniren gefuͤhret habe. Der
Stil des letztern Krieges iſt daran kenntbar, daß
alle Partheyen ſich wenig auf den Grotius beru-
fen, ſondern ſich immer an eine bequeme Philoſo-
phie, welche kurz vorher in der gelehrten Welt
herrſchte, gehalten haben. Die neue Wendung
welche ein Strube der deutſchen Denkungsart da-
durch giebt, daß er wie Grotius Geſchichtskunde,
Gelehrſamkeit und Philoſophie maͤchtig verknuͤpft,
iſt
[]Vorrede.
iſt auch an verſchiedenen Staatshandlungen merk-
lich. Das oͤffentliche Vertrauen der Hoͤfe beruhet
auf ſolchen Grundſaͤtzen und ſolchen Maͤnnern.
Und ihr Name mag wohl mit den Namen der
groͤſten Feldherrn genannt werden. Brechen end-
lich Religionsmeinungen in buͤrgerliche Kriege aus:
ſo wird ihre Geſchichte dem Staate vollends erheb-
lich. Die Eigenliebe opfert Ehre und Eigenthum
fuͤr ihre Rechthabung auf. Der Sieger gewinnt
allezeit zu viel; er feſſelt wie in Frankreich zuletzt
Catholiken und Reformirte an ſeinen Wagen ......
Aber wehe dem Geſchichtsſchreiber, dem ſich der-
gleichen Einmiſchungen nicht in die Haͤnde draͤngen;
und bey dem ſie nicht das Reſultat wohlgenaͤhrter
Kraͤfte ſind.
Doch es iſt Zeit, daß ich von meiner Aus-
ſchweifung zuruͤckkehre. Jch habe meinem Leſer
nur noch zu ſagen, wie ich, wenn mir GOtt Le-
ben und Geſundheit verleihet, den erſten Theil
meiner Geſchichte, welcher bis dahin gehet, daß
unſre Biſchoͤfe die Beſtaͤtigung ſaͤmtlicher nach und
nach an ſich gebrachten Reichsvogteyen, und die
Grafenbaͤnne daruͤber vom Kayſer erhalten haben,
bald zu liefern gedenke. Man wird alsdann ſchon
den Block, woraus die Landeshoheit gebildet wird,
aus dem rauhen gearbeitet, und die Zuͤge erſchei-
nen ſehen, welche ihre kuͤnftige Geſtalt verrathen.
Jch hoffe uͤbrigens meine Goͤnner und Freunde, de-
nen
[]Vorrede.
nen ich die Geſchichte unſers Vaterlandes hiemit
zu uͤbergeben anfange, werden ſolche mit einigen
Vergnuͤgen leſen. Eine Familie nimmt insgemein
Antheil an den Zufaͤllen der ihrigen, und die Ge-
ſchichte unſers kleinen Staats iſt die Erzaͤhlung
der Begebenheiten unſerer naͤchſten Angehoͤrigen.
Der Zirkel, fuͤr welchen ſolche einige Wichtigkeit
haben, wird zwar ſehr klein ſeyn. Allein ich ent-
ſage mit Freuden der Begierde in einer groſſen
Geſellſchafft zu glaͤnzen, wenn ich ihnen ein haͤusli-
ches Vergnuͤgen als das edelſte und noͤthigſte unter
allen verſchaffen kann. Die Erkenntlichkeit ſo ich
meinem Vaterlande ſchuldig bin, macht mir dieſe
Selbſtverleugnung nicht ſchwer; und wenn der-
maleinſt ein deutſcher Livius aus dergleichen Fami-
liennachrichten eine vollſtaͤndige Reichsgeſchichte
ziehen wird: ſo werde ich nicht fuͤr den kleinſten
Plan gearbeitet haben.
Erſter
Erſter Abſchnitt
Kurze Einleitung in die aͤlteſte
Verfaſſung.
§. 1.
Die heutigen Namen verſchiedener
Staaten ſind nicht alt.
Das Stift Oſnabruͤck hat gleich andern Spren-
geln den Namen von dem Orte ſeiner Biſchoͤf-
lichen Kirche bekommen. Vorhin und ehe dieſe
Stiftung geſchehen, iſt alſo wol ein Ort, aber kein
Staat oder Land gleiches Namens vorhanden ge-
weſen. Allein auch dieſer Ort kann kein groſſes Al-
terthum haben, indem die Einwohner Deutſchlandes
lange keine Staͤdte und Doͤrfer duldeten. (a) Eine
gleiche Vorſtellung kann man ſich von allen benach-
barten Stiftern und Grafſchaften machen. Sie ſind
nach einem Staͤdtgen, Schloſſe oder Dorfe benannt.
Und wenn man uͤber ihren bekannten Urſprung hin-
ausgeht: ſo verlieren ſich ihre heutigen Namen und
Graͤnzen, und alles vermiſcht ſich in einer dunklen
Ferne, ſo bald man in die Zeiten ſteigt, worinn die
Deutſchen noch keine Kriege mit den Roͤmern fuͤhr-
ten. Es laſſen ſich alſo von der Herkunft unſrer
AVor-
[2]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Vorfahren, und von ihren erſten Einrichtungen und
Kriegen nur allgemeine Vermuthungen wagen. Viel-
leicht haben ſie eben ſo gut als andre Voͤlker ihre
Helden und Dichter gehabt, und ſind beydes Thaten
und Lieder vergeſſen.
§. 2.
Die wahren Landes-Einwohner woh-
nen noch einzeln.
Etwas merkwuͤrdiges aber iſt es wol, daß die wah-
ren Landes-Einwohner insgeſamt noch einzeln auf ab-
geſonderten und insgemein rings umher aufgeworfenen
Hoͤfen wohnen, welche kein allgemeines Maaß (a)
oder Verhaͤltniß zu einander haben: Ein Erb-Kotte
deren bald drey bald vier auf ein Voll-Erbe gerech-
net werden, iſt oft groͤſſer als dieſes; und zwiſchen
Erbe(b) und Erbe, beſonders auf der Heide, iſt
der groͤſte Unterſcheid. Jeder ſcheinet ſich im Anfange
ſo viel genommen zu haben, als er hat noͤthig gehabt
und gewinnen koͤnnen, da wo ihm ein Bach, Gehoͤlz
oder Feld gefallen. (c) Und ſo iſt gemeiniglich die
erſte Anlage der Natur.
(b) Er-
[3]erſter Abſchnitt.
§. 3.
Und haben ſich ſchwerlich als Colonien
angebauet.
Unſre Gegenden ſind daher auch wol ſchwerlich
durch einen allgemeinen Voͤlker-Zug angebauet wor-
den. Denn unter ſolchem giebt es gemeiniglich kleine
Verbindungen und Freundſchaften, welche ſich gern
zuſammen halten, und nicht ſo ungleich theilen. Die
Doͤrfer,(a) welche auf ſolche Art angebauet zu ſeyn
ſcheinen, ſind wol zuerſt mit und bey den Kirchen und
A 2hoͤch-
[4]Oſnabruͤckſche Geſchichte
hoͤchſtens bey den Bruͤcken und Muͤhlen entſtanden.
Denn faſt keines hat eine gerechte Feldmark, und viele
muͤſſen ihre Aecker von den benachbarten Hoͤfen pach-
ten, auch wol einen Grundzins dahin entrichten; zum
Zeichen daß ſie auf einem fremden Grunde, und zwar
zu einer Zeit angeleget worden, wo ſie ſich ſchon nicht
mehr nach Nothdurft ausdehnen konnten. Jn keinem
Lehnbriefe findet ſich ein Zehnte mit dem Ausdruck:
in oder vor dem Dorfe. Die Dorf-Geſeſſene be-
ſitzen auch ordentlich keine Hoͤfe, thun daher keine
Krieges-oder Landes-Fuhren, und ſind nicht Leib-
eigen, ſondern Wirthe, Kraͤmer, Handwerker und
dergleichen neu angezogene Leute.
§. 4.
Die Staͤdte ſind auch keine Colonien.
Eben das laͤßt ſich von den Landſtaͤdten ſagen.
Jhre Lage auf den Stifts-Graͤnzen zeiget ihre Be-
ſtimmung, wie ihren neuern Urſprung. Die Ge-
ſchichte kennet ihren Anfang und Wachsthum noch.
Und uͤberhaupt werden ſich in allen Staͤdten, wenig-
ſtens in Niederdeutſchland, Spuren nnd Nachrichten
von allgemeinen Grund-Zinſen und Word-Geldern
finden, welche deutlich beurkunden, daß uͤberall der
Boden, worauf Buͤrger und verſammlete Leute woh-
nen, ſchon vor ihnen einen Herrn gehabt habe, folg-
lich nicht urſpruͤnglich durch eine erobernde (a) Colo-
nie
[5]erſter Abſchnitt.
nie gewonnen ſey; doch ſcheinen unſre Staͤdte und
Doͤrfer mehr im Schutz als auf Herrlichkeit ent-
ſtanden zu ſeyn. (b)
§. 5.
Die erſten Einwohner haben ſich ver-
muthlich in aller Freyheit nieder-
gelaſſen.
Menſchen welche ſich ſolchergeſtalt einzeln, mit aller
Bequemlichkeit und Sicherheit anbaueten, darf man
auch wol die natuͤrliche Vermuthung der Freyheit zu
ſtatten kommen laſſen. Wenigſtens zeigt ſich hier in kei-
nem einzigen Dorfe ein urſpruͤnglicher Edelhof, mit eini-
ger Gerichtsbarkeit uͤber daſſelbe. Die Edelhoͤfe lie-
gen vielmehr gleich den Erben einzeln und abgeſondert,
zum Theil ohne geſchloſſene Hofmarken, oder, wie
man ſolche hier nennet, Frechten, (a)Wellen, (b)
Boͤrden(c) und Aroden,(d) ohne Muͤhlen-Brau-
und Back-Zwang. (e) Jhre Leibeigne ſind bis auf
einige ſehr wenige, insgeſamt Goͤdings-pflichtig, und
keiner jetzt ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen. Und
ob man wol deutliche Spuren findet, es auch als
A 3noth-
[6]Oſnabruͤckſche Geſchichte
nothwendig annehmen muß, daß dem Adel alle Ge-
richtsbarkeit in wahren Boͤrden und Wellen und uͤber
diejenige von ihren Leibeignen, ſo nicht in der Gogra-
fen (f) Folge ſtehen, ehedem zugeſtanden habe: ſo laͤßt
ſich daher doch keine weitere Folge auf andre ziehen.
(c) Al-
[7]erſter Abſchnitt.
§. 6.
Daher findet ſich wenig von Herr-
lichkeiten u. d. gl.
Von alten Befaͤngen, Begriffen, Baͤnnen,
Cantons, Baronien, Herrſchaften und andern der-
gleichen Herrlichen(a) Bezirken findet ſich auch kei-
ne genugſame Nachricht. Schloͤſſer, und was da-
bey vertheidigt wird, reichen wol nur in die mittlern
Zeiten und Freye Hagen(b) nicht hoͤher. Die Luft
macht (c) nirgends eigen, wie ſie wol in ſtrengen Be-
faͤngen thut; und die Dienſte Goͤdings-pflichtiger
Leibeigenen ſind faſt durchgehends gemeſſen. Die
Worte Cent, (d)Centbarkeit, Frais, Fraisliche
und Malefixiſche Obrigkeit, hoͤrt man in unſer gan-
zen Gegend nicht. Es giebt wenige Gehaͤge, und
die Jagd (e) ſcheinet vor Carln dem Groſſen mit dem
echten (f) Land-Eigenthume verknuͤpft geweſen zu
ſeyn. Meyer-Hoͤfe(g) findet man viele und faſt in
jeder Bauerſchaft einen, bald mit bald ohne Zeichen
beſondrer Vorzuͤge; bisweilen auch noch mit einiger
Jagd berechtiget.
A 4(a) Bey
[8]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 7.
Die jetzigen Abtheilungen ſchlagen
darauf nicht ein.
Die jetzige Abtheilung in Kirchſpiele iſt nicht
aͤlter als die Kirchen; und die Gow-Gerichte wor-
in das Stift vertheilet iſt, ſind hoͤchſtens von der
Zeit Carls des Groſſen. Die Aemter(a) mit ihren
Unter-abtheilungen den Vogteyen(b) werden wir
noch ſpaͤter aus den Reichs-Vogteyen entſtehen,
und durch die Regalien anwachſen ſehen. Die
Bauerſchaften, ſind wol nur Unter-abtheilungen der
Gow-Gerichte, doch wiederum ohne ſcheinbare
Verhaͤltniß zu einander. Die Erbe allein, und ihre
Namen welche ſich mit ihren Beſitzern nicht veraͤn-
A 5dern,
[10]Oſnabruͤckſche Geſchichte
dern, (c) koͤnnen ein wahres Alterthum haben. Und
ſolchergeſtalt fuͤhren alle Spuren dahin zuruͤck, daß
die erſten Bewohner dieſer Gegend keine Herrlichkeit
uͤber ſich erkannt, ſondern bey ihrer Ankunft ſich
einzeln, erbar, (d) und unverbunden niedergelaſſen
haben moͤgen.
(d) Jch
[11]erſter Abſchnitt.
§. 8.
Jenſeits der Weſer ſind die Sputen
anders.
Eine ganz andre Einrichtung findet man in den Ge-
genden jenſeits der Weſer, (a) und vielleicht jenſeits
der Linie welche vorher die Herzogthuͤmer Oſtphalen
und Engern von Weſtphalen geſchieden hat. Dort
beſtehen die Doͤrfer aus Bauerhoͤfen und Anſpaͤn-
nern, welche zuſammen geruͤckt ſind und ihre gemein-
ſchaftliche Feld-Flur haben. Was ein jeder beſitzt
ſcheinet Maaß und Verhaͤltnis zu einander; und die
Hand einer ordnenden Macht oder Kunſt zu ver-
rathen. Die Gerichtsbarkeit, welche hier der Gow-
grafe hat, iſt dort bey den Aemtern; oder es hat ſie der
Edelmann. Der Gowgrafe, wo er ſich noch findet,
iſt ein verdunkelter und ſchlechter Bedienter. Ganze
Doͤr-
[12]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Doͤrfer; Zehnten vor Doͤrfern; Jagden und Ge-
richtsbarkeiten gehen dort zu Lehen, und der Edelhof
liegt vielfaͤltig im Dorfe, oder nahe daran. Statt
der Leibeignen zeigen ſich Erb-Zins-Leute; (b) und
man findet Muͤhlen-Brau- und Back-Zwang. Die
Bauerhoͤfe werden nach ihren Beſitzern genannt; und
ihre Pflichten ſind einfoͤrmiger und von andrer Art.
Man ſpricht von Ober- und Untergerichten; ge-
ſchloſſenen und ungeſchloſſenen Gerichten, Dinaſtien
welche gemeinen Edelhoͤfen entgegen geſetzt werden;
vom Jagd-Regal und ſehr vielen andren Rechten und
Gewohnheiten wovon man in Weſtphalen und in
unſerm Stifte keine Spur findet.
§. 9.
[13]erſter Abſchnitt.
§. 9.
Vielleicht aber auch nur aus einer
zufaͤlligen Urſache.
Ein ſo merklicher Unterſcheid ſetzt groſſe und wichti-
ge Veraͤnderungen voraus. Vielleicht hat die lang-
wierige Gefahr vor den Normaͤnnern, Sklaven,
Wenden, Hunnen und andern Voͤlkern in jenen Ge-
genden eine ſtrengere Krieges-Verfaſſung und einen
beſtaͤndigen Feldherrn erfordert, welcher die einzel-
nen Wohner in Rotte zuſammen ruͤcken laſſen, um
ſie mit mehrer Bequemlichkeit zu uͤben; und allezeit
marſchfertig zu haben. Und vielleicht hat ein ſolcher,
durch die allgemeine Noth berechtiget, Hauptleute
uͤber ſie geſetzet, welche die Kriegesrolle oder den
Heerbann vollzaͤhlig gehalten, und den Leibeigenthum
verhindert haben. Denn jeder Goͤdingspflichtiger Leib-
eigener iſt ein Ausreiſſer. (a) Wenigſtens zeugen die
vielen verliehenen Gerichtsbarkeiten, Jagden und
Doͤrfer von einer alten Beſtallung. Und Niederge-
richte, welche faſt nur auf die nothwendige Zucht der
Krieges-Leute gehen, ſcheinen den alten Hauptmann
im Heerbann zu verrathen. Die Menge dieſer
Hauptleute, welche alles ihrige nur aus einer Be-
ſtallung hatten, mogte dem Adel auf Allode leicht
Gelegenheit geben ſich hoͤher zu halten; indem wol
anfaͤnglich ein Hauptmann nur nach ſeinem perſoͤnli-
chen Verdienſte angeſetzet wurde. Der Muͤhlen-
Brau- und Back-Zwang (b) kann zu dem Gehalt
des Hauptmanns gehoͤret; und eine beſſere Krieges-
Einrichtung die alte Gografſchaft geſprenget |haben.
Jch entſcheide dieſes alles nicht; ſondern bemerke nur,
daß
[14]Oſnabruͤckſche Geſchichte
daß ſich von allen dieſen Merkmalen, welche zu ſol-
chen Vermuthungen zuruͤck fuͤhren, nichts in unſerm
Stifte und nichts dieſſeits der angenommenen Linie
findet. Der Streit uͤber die Regalitaͤt der Jagden in
Weſtphalen iſt daher auch lange unerhoͤrt geweſen,
und eine Folge der Umſtaͤnde, die ſich in jenen Gegen-
den darbieten.
§. 10.
Und noch verſchiedner unter den
Sueven.
Noch weiter entfernt ſich die alte Sueviſche Ver-
faſſung von der unſrigen. Caͤſar ſagt. (a) „Unter
„den Germaniern beſitzt keiner gewiſſe Aecker oder
„Bezirke zum Eigenthum, ſondern ihre Obern und
„Vorſteher weiſen nach ihrem Gutachten den Voͤl-
„kern und Familien, welche ſich zuſammen gethan
„haben, das noͤthige Land an, welches ſie beſaͤen und
„das folgende Jahr wieder verlaſſen muͤſſen. Sie
„meinen, ohne dieſe Vorſorge, wuͤrden die Leute ſich
„zu ſehr an ihr Eigenthum gewoͤhnen und daruͤber die
Luſt
[15]erſter Abſchnitt.
„Luſt und den Geiſt des Krieges verlieren; oder eine
„Begierde nach groͤſſern Beſitzungen bekommen und
„die Schwaͤchern verſchlingen; ſich auch nach und
„nach bequemlicher anbauen und verzaͤrteln, oder
„wol gar Reichthuͤmer erwerben und ſich nach einer
„natuͤrlichen Folge beneiden und zanken. Es diene
„auch endlich nicht wenig dazu, das gemeine Volk
„bey gutem Willen zu erhalten, wenn es ſehe, daß
„der Vornehme es nicht beſſer habe, als der Gemei-
„ne und Beyde ſich mit gleicher Nothdurft befriedi-
„gen.„
§. 11.
Dieſe ſcheint das Werk der Kunſt.
Allein dieſe ganze Beſchreibung ſchließt auf unſre
Gegenden nicht. Hier haben ſich keine Familien zu-
ſammen gethan. Heide, Sand, Mohr und Gebuͤrge,
woraus unſer Stift groͤſtentheils beſteht, erfordern
eine vieljaͤhrige Zubereitung, anhaltenden Bau und
keine ſolche Veraͤnderung. Die Natur liebt Eigen-
thum; und der Plan, welchen Caͤſar angiebet, hat
ein kriegeriſches Genie zum Urheber, das den Staat
in ſeine Abſichten gezwungen hat. Dies war ohn-
ſtreitig bey den Sueven (a) vorher gegangen; und
Caͤſar kannte keine andere Germanier. Jn dem
Sueviſchen Plan verliert der groſſe Beſitzer und der
Adel;
[16]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Adel; und die Kriegeslaſt, ſo anderwaͤrts mit dem
Land-Erbe verknuͤpft war, faͤllt [auf]jeden Kopf, wel-
ches irgend eine Revolution verraͤth, die mit Huͤlfe
des groſſen Haufens, oder in der groͤſten Noth iſt
vorgenommen worden.
§. 12.
Schluß und Uebergang.
Jn einer ſolchen Anlage als die Sueviſche war lie-
gen Keime zu ganz andern Entwickelungen, welchen wir
hier nicht weiter nachgehn duͤrfen. Das Schwaben-
Recht muſte ſich in der Folge ganz anders bilden als
Sachſen-Recht, und Maͤnner auf Weſtphaͤliſcher
Erde gebohren, muſten ſich groͤſſer duͤnken, als die-
jenigen welche jenſeits der Weſer in ein Dorf und
unter der Zucht eines Hauptmanns zuſammen gezogen
waren. (a) Anlaß genug zu einem gegenſeitigen Wi-
derwillen, (b) welcher noch jetzt nicht voͤllig erſtickt
und nach der Carolinger (c) Zeit entſtanden iſt. Doch
auch Weſtphalen hat ſich nicht durchgehends gleich
bleiben koͤnnen. Die Gegenden nach dem Nieder-
rhein haben wie alle Graͤnzen kriegeriſcher Nationen
leicht von ihrer urſpruͤnglichen Verfaſſung etwas
verlohren, nachdem ſie lange Zeit den Roͤmern und
Franken zum Kampf-Platze dienen muͤſſen. Die
BUnſri-
[18]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Unſrigen hingegen haben den Einfluß ſo groſſer Urſa-
chen weniger empfinden, und ſo wie bey ihren einzel-
nen Wohnungen alſo auch bey manchem alten Rechte
bleiben koͤnnen. Man mag alſo bey ihnen den Plan
der Natur wol verfolgen, beſonders da die Geſchichte
ſich auf denſelben beſtaͤndig zuruͤckzieht.
§. 13.
Die erſte Anlage der Natur.
Solche einzelne Wohner waren Prieſter (a) und
Koͤnige (b) in ihren Haͤuſern und Hofmarken. Sie
richteten uͤber das Leben (c) ihrer Familie und Knech-
te, ohne einander Rechenſchaft (d) zu geben. Jeder
Hof war gleichſam ein unabhaͤngiger Staat, der ſich
von ſeinem Nachbaren mit Krieg oder Friede ſchied.
Jeder Hausvater handhabete ſeinen eignen Hausfrie-
den; und wie ſie ſich mehrer Sicherheit halber enger
verbanden, ward dieſe Befugnis nicht aufgehoben.
Keine Obrigkeit, (e) und vielleicht nicht einmal eine
gemeine(f) Gottheit erſtreckte ſich in eines Mannes
Wehre. (g) Das gemeine Recht kam wie billig dem
Hausrechte (h) nur zu Huͤlfe.
B 2(c) GE-
[20]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 14.
Erſte wahrſcheinliche Vereinigung in
Marken.
Die gemeinſchaftliche Nutzung eines Waldes, Wei-
degrundes, Mohrs, oder Gebuͤrges, wovon ein jeder
ſeinen noͤthigen Antheil nicht im Zaune haben konnte,
vereinigte dem Anſchein nach zuerſt ihrer einige in
unſern Gegenden. Wir nennen dergleichen gemein-
ſchaftliche Reviere Marken; und Markgenoſſen
waren vielleicht die erſten Voͤlker da wo man ſich ein-
zeln anbauete. Unſer ganzes Stift iſt in Marken,
worin Doͤrfer und einzelne Wohnungen zerſtreuet lie-
gen, vertheilet, und die Graͤnzen derſelben treffen mit
keiner Landes-Amts-Gerichts-Kirchſpiels- oder
B 3Bauer-
[22]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Bauerſchafts-Graͤnze zuſammen. (a) Natur und Be-
duͤrfnis ſcheinen allein die Eintheilung gemacht zu ha-
ben; und man ſchließt daher daß ſie aͤlter als alle
uͤbrigen ſind. Dem gemeinen Grunde und was dar-
auf war, muſten ſie nothwendig einen Frieden(b)
wuͤrken, ſich wegen einer beſtimmten Nutzung und ge-
wiſſer Rechte und Bruch-Faͤlle (c) vergleichen, Auf-
ſeher und Richter erwaͤhlen, und gewiſſe Tage zur all-
gemeinen Verſammlung haben.
§. 15.
[23]erſter Abſchnitt.
§. 15.
Jhre jetzige Verfaſſung iſt noch wie
die aͤlteſte.
So iſt noch jetzt unſre Mark-Verfaſſung. (a) Die
wahren Genoſſen ſetzen ſich ſelbſt ihr Recht. Der
Mark-Richter, Ober-Erb-Exe oder Holzgraf, wie er
jetzt insgemein heißt, erkennet darnach in oͤffentlicher
Verſammlung, unter freyem Himmel; (b) vollſtreckt
das Urtheil mit gemeiner Huͤlfe; (c) durch Pfandung
auf ofner (d) Mark; und ſchließt den Uebertreter zu-
letzt von der Gemeinſchaft (e) aus, wenn er ſich nicht
bequemen will; ohne ſich an ſeine Perſon (f) und
Guͤter vergreifen zu duͤrfen. Jeder Genoſſe ohne Un-
terſcheid des Standes folgt dem Markgerichte, das er
mit bekleidet; (g) dem Richter welchen er ſich erwaͤh-
let, und der Abrede die er mit bewilliget hat.
B 4(b) Jſt
[24]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 16.
Es ſind mehrere dergleichen Jnnun-
gen und Gerichte.
Alle Arten von Gemeinſchaften erforderten auf
gleiche Weiſe einen Richter oder Schiedsmann; und
die Mannigfaltigkeit der deutſchen Gerichte ruͤhrt eben
daher, daß jede Genoſſenſchaft, eben wie jetzt unſre
Jnnungen, ihre beſondre Richter und Vorſteher hat-
te, welche mit den Genoſſen nothduͤrftiges Recht fan-
den. Daher kam es, daß oft einer drey Fuß uͤber
der Erde, (a) und ein ander darunter richtete, wenn
die Genoſſen verſchieden, und ein Theil derſelben z. E.
Blumwarig.(b) der andre aber bloß Duſtwarig(c)
war. Denn die Geſellſchaft zur Maſt (d) konnte
mit ihrem Richter nicht uͤber die Geſellſchaft zum
Brandholze richten. Wir haben mit unſern Begrif-
fen von Grundherrlichkeiten (e) und Erbgerichtsbar-
keiten alle dieſe ſo begreiflichen Anlagen verdorben.
Ein Grundherr richtet uͤber die Wurzel wie uͤber den
Stamm, und laͤßt ſich nicht drey Fuß uͤber die Erde
weiſen.
§. 17.
[28]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 17.
Einige Beyſpiele davon.
Jch finde es unnoͤthig die verſchiedenen Arten dieſer
Gemeinſchaften und Rechtsfindungen zu beruͤhren.
Jhre Einrichtung war eben ſo, wie die in den Marken;
und der Gegenſtand nur verſchieden. Genoſſen eines
Eſches;(a) einer Koppel;(b) einer Heimſchnat,(c)
eines Kirchen-Friedens, einer Weiſung,(d) eines
Lohes,(e) eines Mohres(f) und andrer gemeinen
Sachen, hatten andre Vortheile und andre Rechte.
Niemand als ein Genoſſe konnte ſolche erkennen und
weiſen; und der Richter mogte ſo wenig als der
Amts-Meiſter ſich einer beſondern Grund-Herrſchaft
anmaſſen. Jetzt hat der Landes-Herr verſchiedene
Bruchfaͤlle dieſer Art zu ſtrafen; und ſeit dem alle
ſolche kleine Gemeinſchaften in einen Staat erwachſen,
koͤmmt es ihm zu, dafuͤr zu ſorgen, daß ſie ihren Vor-
theil nicht zum Nachtheil des Ganzen ſuchen. Allein
dieſes bey Seite geſetzt, iſt er in ſolchen Faͤllen bloß
Richter und nicht Landes-Herr, und der Verluſt ſei-
ner Bruch-Faͤlle (g) darf ihm kein Recht geben, ſich
den loͤblichen Abſichten einer ſolchen Jnnung zu wi-
derſetzen. Wenn die ganze Gemeinde eins iſt hat er
nichts zu ſcheiden. Gemeiniglich fuͤhren dergleichen
Junungs-Abſchiede, den Nahmen von Sprachen
oder Abreden, und ſind die Bauer-ſprachen,
Bauer-gerichte, Hecken-ſprachen und andre be-
kannt.
§. 18.
Andre Vereinigung wegen Leib
und Erbe.
Durch alle dieſe kleinen Frieden in beſchloſſenen
und unbeſchloſſenen Gemeinſchaften war aber noch
keines Mannes Leib und Erbe geſichert. Hieruͤber
konnten alle dieſe verſchiedenen Genoſſen kein Recht
wei-
[31]erſter Abſchnitt.
weiſen; und der Hausvater der auf ſeinem Hofe
als Koͤnig herrſchte, hatte ſeinem Nachbaren nichts
zu befehlen. Sie muſten alſo noch einen beſondern
Frieden (a) errichten, wodurch ſie ſich einander Leib
und Eigenthum gewaͤhreten. (b) Aller Wahrſchein-
lichkeit nach haben ſie ſolchen nach dem Mark-Frieden
gebildet; (c) und ſchwerlich koͤnnen Menſchen einen ed-
lern Plan ihrer Vereinigung erwaͤhlen, als ſich alle
Nordiſche einzelne Wohner im Anfange erwaͤhlet
haben.
§. 19.
Formul dieſer andern Vereinigung.
Es muſte ihnen nothwendig ſeltſam vorkommen,
daß ein Nachbar den andern zum Tode oder zu einer
Lei-
[32]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Leibes-Strafe verdammen ſollte. Ein ſchlimmer Looß
hatte keiner von ſeinem Feinde im Unfrieden zu beſor-
gen; und es verlohnte ſich nicht der Muͤhe einen ge-
meinen Frieden zu errichten, um Leib, Ehre und Gut
durch Urtheil zu verliehren. (a) Jhre Vereinigung
gieng alſo lediglich auf Rettung und Erhaltung. (b)
Auf dieſen groſſen und vielleicht noch uͤberdem ge-
heiligten Grundſatz baueten ſie ihre Verfaſſung, und
man wird faſt im ganzen Norden kein Volk finden,
welches ihn nicht zum Eckſtein genommen habe. Wo
ein Geſetzgeber davon abgegangen iſt, hat er ſeine
Vollmacht dazu von einer Gottheit entlehnt. Jeder
Verbrecher und ſelbſt der Moͤrder (c) konnte daher
ſein Blut und ſeinen Leib loͤſen.
§. 20.
Mit Huͤlfe des Wehrgeldes.
Zu einer ſolchen Einrichtung gehoͤrte nothwendig,
daß ein jeder ſeine gewiſſe feſt-ſtehende Taxe (a) oder
Wehrung empfieng; damit der beleidigte Theil ſeine
CFor-
[34]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Forderung nicht uͤbertreiben konnte: und daß ſolche
im voraus verglichen und beſtimmet wurde, damit
der Schuldige nach ſeiner eignen Bewilligung ver-
urtheilet werden konnte. Denn dieſe, und nicht ein
willkuͤhrliches Geſetze nach der That, worinn die
Partheyen ohnedem ſchwerlich uͤbereingekommen ſeyn
wuͤrden, mogte ihn verbinden. Man hies ſolche ins-
gemein das Wehr-geld(b) Je hoͤher ein Preis war
den einer auf ſeine Perſon erhielt, je mehr war er ge-
ſichert. Und der Unterſchied (c) des Wehrgeldes
konnte die Klaſſen der Menſchen; ihren verſchiedenen
Rang; und die Verhaͤltnis in allen Genugthuungen
uͤberaus wohl beſtimmen. Wer das Wehrgeld, wie
es verglichen war, nicht bezahlen wollte, genos des
gemeinen Friedens nicht weiter, (d) und mogte ſeine
Gefahr ſtehen. Er nahm und gab in der oͤffentlichen
Verſammlung weiter kein Recht; und keiner durfte
ihm helfen, ohne ebenfalls von der Geſellſchaft aus-
geſchloſſen zu werden.
§. 21.
Und einer Geſamt-Buͤrgſchaft.
Es wurde weiter dazu erfordert, daß man ſich ein-
ander dieſe Wehrung verſicherte, und ſich dafuͤr mit
geſamter Hand verbuͤrgte. (a) Dieſe Buͤrgſchaft mogte
gleichſam die Stelle der obrigkeitlichen Obhut vertre-
ten, und der Grund ſeyn, warum an einigen Orten
ein Theil des Wehrgeldes der Gemeinheit, (b) an
andern aber dem Koͤnige entrichtet werden mußte.
Durch jede Erhoͤhung des Wehrgeldes wurde die ge-
meine Buͤrgſchaft ſchwerer. Sie muſte alſo wohl mit
gemeiner Bewilligung geſchehen, und der vornehmſte
Privat-Dienſt mogte daher eines Menſchen oͤffentliche
Wehrung nicht erhoͤhen. Vielleicht zeigt dieſes eini-
ger maſſen den Grund (c) warum der Kayſer die
C 2Quelle
[36]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Quelle alles Adels iſt. Ohne Zweifel heiligte ein
Prieſter dieſe Geſamt-Buͤrgſchaft zum Gottes-Frie-
den. Denn auch dieſer hatte Antheil am Wehr-
gelde. (d) Jn den ſpaͤtern Zeiten ſtand blos der Koͤ-
nig in des Volkes (e) und das Volk in des Koͤnigs
Obhut. Benachbarte Voͤlker (f) vereinigten ſich
gern miteinander uͤber das Wehrgeld, damit ſie ſich
darnach einander Genug thun und einen Krieg ab-
wenden konnten.
§. 22.
[37]erſter Abſchnitt.
§. 22.
Wie weit ſich dieſe Buͤrgſchaft erſtreckt.
Endlich folgte es von ſelbſt daß jeder Hausvater (a)
fuͤr ſeine Kinder, Geſinde und andre, die er auf ſeine
Gruͤnde nahm, nothwendiger Buͤrge werden und bis
auf ihre Wehrung haften mußte. Blos einen Gaſt
konnte er drey Tage (b) beherbergen ohne fuͤr ihn
einzuſtehen; und jeder Fremde war ein nothwendiger
Feind, (c) ſo lange er keinen Buͤrgen hatte. Denn
keiner war befugt auf die Rechnung der gemeinen
Buͤrgſchaft unſichere Leute aufzunehmen und zu hegen.
Und der Fremden Schutz, die Geleits-Gerechtigkeit,
das Recht Fremde ohne Buͤrgſchaft zu herbergen, oder
ein Wirthshaus zu halten, mußte in der Folge zu den
Obrigkeitlichen Befugniſſen gehoͤren. (d) Der Wild-
fang oder wie es bey uns heißt, der Bieſter-Freyen
Sterbfall iſt damit verknuͤpft. Und man findet leicht
den Grund warum alle Fremde anfaͤnglich als Knechte
angeſehen wurden. Mit ihrer Haut konnten ſie da-
mals noch wenig bezahlen, und man borgte ihnen dar-
auf das Geleit nicht wie jetzt.
§. 23.
Einige Folgen hieraus.
Das eigentliche Wehrgeld (a) eines Erſchlagenen
gehoͤrte aber deſſen naͤchſten Verwandten, (b) wenn
er keinem Herrn angehoͤrig geweſen war. Dieſe wa-
ren aber auch dagegen verbunden fuͤr ihn zu haften; (c)
alſo daß der Gemeinheit eigentlich nur die Waͤhr-
Buͤrg-
[39]erſter Abſchnitt.
Buͤrgſchaft gegen Benachbarte oblag. Vermuthlich
liegt hierinn der Grund des Mit-Eigenthums, welches
eine Familie zuſammen an allen Guͤtern hatte; und
warum ein Herr ohne ihre Bewilligung ſolche nicht
veraͤuſſern, vermachen und beſchweren konnte. Denn
ihre Buͤrgſchaft wuͤrde ſehr gefaͤhrlich geweſen ſeyn,
wenn ſie nicht gleichſam ein geſetzmaͤßiges Unterpfand,
oder jenes Mit-Eigenthum daran gehabt; oder wenn
auch nur die Vormundſchaften eine ander Linie als
die Erbfolgen gehalten haͤtten. Die Entlaſſung aus
der Vaͤterlichen oder Herrlichen Gewalt, war gewiſſer
maſſen die Aufkuͤndigung der bisherigen Buͤrgſchaft.
Sie muſte daher oͤffentlich geſchehen; und eine Ver-
aͤnderung (d) in der eingefuͤhrten Erb-Folge ſehr
ſchwer, und ohne eine allgemeine Einwilligung nicht
vorzunehmen ſeyn weil die Ordnung der Buͤrgſchaft
dadurch verruͤcket wurde. Wie die Leibes-Strafen
aufkamen, und Hof-Recht Voͤlker-Recht wurde,
mogte dieſe Noth-Haft der Verwandten mit Recht
das grauſame (e) Geſetz der Sachſen heiſſen.
C 4(c)
[40]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 24.
Nebſt der Nothwendigkeit die Bruͤch-
ten-Taxen feſtzuſetzen.
Die Richterliche ſchwankende Willkuͤhr wurde zu-
gleich durch das Wehrgeld ungemein verhindert; und
um derſelben endlich auch nicht den geringſten moͤgli-
chen Raum zu geben: ſo wurden alle Wunden nach
der Maaſſe berechnet, alle Glieder auf das ſorgfaͤltig-
ſte gezaͤhlet; und jedes zu einem beſondern Anſchlag
gebracht. Der Richter behielt nicht die Macht von
dem linken Zaͤhe auf den rechten zu ſchlieſſen. (a)
Sein Amt war die Gemeine zu fragen; (b) und
dieſer ihre Pflicht, Recht nach der Abrede zu weiſen.
Aus einem hartnaͤckigen Triebe zur Freyheit verbann-
ten ſie alle moraliſche Bewegungs-Gruͤnde, (c) weil
Einbildung und Laune zu viel dabey wuͤrken. Sie
C 5dul-
[42]Oſnabruͤckſche Geſchichte
duldeten keine geſchriebene Geſetze, und uͤberall wo
dergleichen eingefuͤhret wurden, geſchahe es von O-
brigkeiten welche die Geſetzgebende Macht des Volks
untergraben wollten. (d) Denn ſo bald ein Richter
die Geſetze und nachwaͤrts die Rechtweiſungen und
Auslegungen in einem Buche hatte: ſo fragte er nicht
das Volk, ſondern ſein Buch und zuletzt fremde
Ausleger und Rechte. Das Archiv der Geſetze war
in dem Gedaͤchtnis aller Maͤnner. (e) Die Markge-
noſſen haben ſich allein bey dieſem Rechte erhalten;
weil das Maͤrker-Recht nie beſchrieben und durch das
Roͤmiſche nicht iſt erſetzet worden.
§. 25.
[44]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 25.
Von den eigentlichen Genoſſen der
zweyten Vereinigung.
Es iſt nicht ganz unwahrſcheinlich, daß man dieſe
Vereinigung eine Manie,(a) und deren Eingeſeſſe-
ne Maͤnner(b) genannt habe. Jch muß (c) mich
wenigſtens dieſer Ausdruͤcke bedienen; und in der
Mark nennt man noch jetzt die gewahreten Genoſſen
Maͤnner oder Erb-Maͤnner. Es iſt weiter faſt
nothwendig, daß einzelne Wohner, welche ſich wegen
Leib und Gut vereinigen und verbuͤrgen, aus ihrer
Vertheidigung eine Hof-oder Erbe-Laſt (d) machen;
indem es ſehr unbillig ſein wuͤrde, jeden Kopf mit
gleicher Laſt zu beſchweren. Jch kann dieſe Erb-Laſt
mit Recht die Wehre(e) heiſſen; Und alſo war der
wahre Genoſſe dieſer Vereinigung ein Mann der eine
Wehre oder Civil-Wort-Staͤtte beſas. Das Ge-
gentheil von dieſem waren Leute.(f) Und der Leut
iſt derjenige, der keine eigne Wehre beſitzet, ſondern
einem andern angehoͤret. Man wird auch leicht ein-
ſehen, daß ſo wie die gemeine Obhut, welche aus der
Geſamt-Buͤrgſchaft entſtand, eine Vollmacht der
Obrigkeit wurde; und die Obrigkeit in eine Herrlich-
keit und Landes-Hoheit ausartete, alle Maͤnner zu
Leuten (g) werden muſten. Und daß man endlich in
den neuern Zeiten nur eines Schluſſes noͤthig gehabt
habe um Kayſer und Koͤnige zu ſo genannten Grund-
und Territorial-Herrn zu machen. Denn der Leut
beſitzt kein echtes Eigenthum.
§. 26.
Von ihrer Krieges-Verfaſſung.
Jn Ruͤckſicht auf den Krieg war die Mannie eine
Heer-
[47]erſter Abſchnitt.
Heermannie(a) oder ein Heerbann. (b) Und weil
dazu niemand einen Knecht an ſeinen Platz ſchicken
mogte: (c) ſo war der Stand eines Mannes(d)
oder Heer-Mannes nothwendig ein Ehrenſtand.
Wenn ſie auszogen geſchahe es unter der Fahne Got-
tes; (e) und nicht unter der Fahne eines Herrn. Jhr
erwaͤhlter Richter zu Hauſe war ihr Oberſter im Fel-
de. Sie dienten, wenn man es einen Dienſt nennen
kann, ohne Eid und ohne Sold; und fochten fuͤr ihren
eignen Heerd; Bruder bey Bruder, Nachbar bey
Nachbar. (f) Der Richter mahnte ſie auf, ohne Ge-
bot; (g) und der Prieſter war im Nahmen Gottes
der General-Gewaltiger. (h)
§. 27.
Und Aehnlichkeit mit den Mark-
Genoſſen.
Die Mannie mogte im uͤbrigen nach der Mark
gebildet ſeyn. Die Verſammlung geſchahe unter
offenen Himmel; der Richter wurde erwaͤhlt; (a)
das Recht von den Maͤnnern gewieſen; und das Ur-
theil mit gemeiner Huͤlfe vollzogen; die Ausſchlieſſung
aus der Geſellſchaft war ihre letzte Befugnis; und der
Mann blieb in ſeinem Hauſe Anfangs noch immer
ſicher. (b) Weil aber nicht alle Sachen vor den jaͤhr-
lichen feſt-ſtehenden Verſammlungen abgethan wer-
den konnten: ſo ſchoͤpften ſie einige weiſe Maͤnner
aus ihrem Mittel, mit welchen ſich der Richter oͤfter
verſammlen, und die Streitigkeiteu entſcheiden konnte.
Man hieß dieſen engern Ausſchuß Schoͤpfen Da
dieſe nicht anders als aus ihrem Mittel genommen
werden konnten: ſo muſte ein Schoͤpfe nothwendig
ein Mann und kein Leut ſeyn; und ſeine vollkomme-
ne Wehre beſitzen. Da weiter keine Buchſtaben im
Ge-
[49]erſter Abſchnitt.
Gebrauch waren: ſo mußten alle guͤltige Handlungen
vor Gerichte oder doch vor einigen Schoͤpfen (c) ge-
ſchehen; und in Ewigkeit richtig ſeyn, wenn ſie uͤber
aller Maͤnner (d) Gedenken nicht anders geweſen wa-
ren. Es mußte lediglich derjenige Zeugniß geben
koͤnnen, welcher dem Gerichte beywohnen konnte,
folglich ſeine Wehre beſaß. Und wie endlich der Ge-
brauch aufkam, ſich zu gewiſſen Sachen einen Rich-
ter zu waͤhlen: ſo muſten in der That die dabey be-
findliche Zeugen erwaͤhlte (e) Schoͤpfen; und die
deutſchen Zeugen von den chriſtlichen Zeugen gar ſehr
unterſchieden ſeyn.
§. 28.
Noch einige allgemeine Anmerkungen
daruͤber.
Jn Sachen welche nicht durch die ordentliche
Verſammlung, durchs Geſchrey,(a) oder durch
ſchoͤpfenbare Maͤnner erwieſen oder entſchieden werden
konnten, muſten ſie ihre Zuflucht zur Gottes-Probe
und zum Gottes-Urtheil nehmen. Und vielleicht fuh-
ren ſie damit ſicherer als wir mit unſerm Reinigungs-
Eyde. (b) Auch darinn zeigt ſich der Geiſt der Frey-
heit, daß ſie zweifelhafte Sachen lieber durchs Loß, (c)
durchs Wiehern eines Pferdes und durch das Ge-
ſchrey der Voͤgel, als durch Macht und Willkuͤhr
entſcheiden laſſen wollten. Oeffentliche(d) Ver-
brechen kannte man nicht; und oͤffentliche Anklaͤ-
ger (e) noch weniger. Dagegen aber war der belei-
digte Theil zur Klage oder zur Fehde verbunden;(f)
eine kluge Wendung, (g) um den Folgen vorzubeu-
gen welche aus ihrem Grundſatze: Wo kein Klaͤger
iſt da iſt auch kein Richter, entſtehen konnten.
Wer eine Beleidigung einſteckte, wurde wie der
Schuldige verbannt.
D 2(b) Die
[52]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 29.
Von dem Wehr-Gute.
Dies mag genug ſeyn von den Rechten der Weh-
ren, Maͤnner, oder Erben Wehr-Gut(a) oder
Erbe, ſo dunkel es auch jetzt iſt, (b) wird nach
dem was ich angefuͤhrt leicht erkannt, und von un-
wehrigen Gute unterſchieden werden koͤnnen. Man
wird einſehen, warum letzters kein Erb-Echt-Eigen-
thum(c) verleihen koͤnnen; und wie beydes von der
bloſſen Feſte,(d) nach welcher unſre jetzigen mehrſten
Bauren das Erbe unter haben (e) unterſchieden ſey.
Es iſt dieſes noͤthig zu wiſſen, weil mit der eigentlichen
Civil-Wehre, die wir jetzt Gutsherrlichkeit nennen,
noch faſt alle die alten Rechte der Wehren verknuͤpft
ſind, und ohne den Begrif derſelben deutlich feſt zu
ſetzen, die Entſtehung unſer Land-Staͤnde nicht wohl
beſchrieben werden kann. Jch will nur noch hinzu fuͤ-
gen, daß nothwendig eines jeden Perſon von ſeinem
Gute habe mit abhangen; (f) und ein Wehr oder
Mann, der ſich auf ein unwehrig Gut geſetzt, oder ein
Wehrgut von andern gehalten, ſeinen Stand verlie-
ren muͤſſen. Eine gleiche Nothwendigkeit zeigt ſich
D 3dar-
[54]Oſnabruͤckſche Geſchichte
darin; daß niemand zu einem wahren eignen Haupte
gelangen koͤnnen; ohne das Eigenthum einer Wehre
zu haben.
§. 30.
Dritte Vereinigung zu gemeinſamen
Staaten.
Wie ſich mehrere dergleichen kleine Verbindungen
D 4oder
[56]Oſnabruͤckſche Geſchichte
oder Mannien ihrer Sicherheit wegen zuſammen
thaten, und einen Staat bildeten, verfolgten ſie faſt
denſelben Plan. Eine Maunie hatte ſo wenig der
andern als ein Hausvater dem andern zu gebieten. (a)
So viele Mannien, ſo viele unterſchiedene Verſam-
lungen, Rechts-findungen und Rechte; eben wie
noch jetzt in unſern Marken, welche zwar zuſammen in
einer Staats-Verbindung ſtehen, ihre Mark-Ver-
ſamlungen aber nicht gemein haben. Die von ihnen
bisweilen erwaͤhlete Koͤnige, ſo lange ſie nicht geſal-
bet waren, hatten nichts mehr im Groſſen als die
Richter im Kleinen. Ehre, Leib und Erbe eines
Mannes waren ihrer Erkenntnis nicht unterworfen. (b)
Auch ſelbſt im Heerzuge nicht. Die Verbannung (c)
war auch hier alles, und jeder Staat war oder hielt
ſich nicht weiter berechtiget.
§. 31.
Vom Adel.
Jn dieſer dritten Vereinigung zeigen ſich Edle und
Maͤnner. Die Rechte der Letztern haben wir bisher
geſehen. Allein es haͤlt ſchwer den Urſprung der Er-
ſtern anzugeben. Jnsgemein macht man alles zu
Herrn und Knechten, um einen bequemen Plan zu
haben; oder man glaubt der Krieges-Stand habe
D 5ge-
[58]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gewiſſe Menſchen geadelt. Erſters iſt falſch; und
Letzters unbeſtimmt. Es giebt kriegeriſche Nationen
ohne Adel; und in Deutſchland hat der Wehr(a)
zu Fuſſe und zu Pferde gedient. Das Wahrſchein-
lichſte iſt, daß man auſſer dem gemeinen Heerbann,
worin alle Wehren die Waffen ergriffen, gleich
Anfangs annoch einige beſondre und beſtaͤndige
Reuter erwaͤhlt und ſolche gegen dieſe vorzuͤgliche Laſt
fuͤr ihre Perſonen von gemeinen Dienſten; und fuͤr
ihr Wehrgut von der gemeinen Reihe-Laſt befreyet,
dieſes auch wohl merklich vergroͤſſert habe. Auf dieſe
Art glaube ich daß unter den freyen nordiſchen Natio-
nen Adel und Allode zuerſt entſtanden; und der be-
ſtaͤndige Reuter (b) zu dem Nahmen und zu der
Ehre gelanget ſey, womit er noch jetzund pranget.
Wenigſtens wuͤrde er in Weſtphalen noch jetzt auf
dieſe Art entſtehen koͤnnen; wenn er noch nicht vor-
handen waͤre. Denn das ordentliche Mittel jeman-
den zur Uebernahme einer vorzuͤglichen Beſchwerde zu
vermoͤgen, iſt die Anweiſung einiger Gruͤnde aus der
gemeinen Mark. Und die Allode kann zuerſt aus ei-
ner ſolchen Anweiſung und deren Befreyung entſtan-
den ſeyn.
§. 32.
Und ſeinen Rechten.
Vermuthlich war zuerſt nur ein Adel; (a) und
dieſer nothwendig mit dem Eigenthume einer Allode
verknuͤpft. Da er aus der gemeinen Reihe geſetzt
war: ſo erſchien er daheim in keiner Verſamlung der
gemeinen Maͤnner; (b) nahm und gab daſelbſt kein
Recht, ſondern ſchied ſich von andern mit Krieg und
Frieden. So lange man keinen beſondern Gottes-
oder
[60]Oſnabruͤckſche Geſchichte
oder Land-Frieden (c) errichtete und einen Koͤnig;
oder die allgemeine National-Verſamlung zu deſſen
Handhabung erwaͤhlete. Hier unterwarf er ſich dem
National-Abſchiede welchen er mit bewilligt hatte;
fiel in den Unfrieden, wenn er ſich der verabredeten
Genugthuung wegerte; und der Richter der Nation
oder der Koͤnig verfuhr gegen ihn, wie der Richter
einer Mannie gegen den Mann oder Wehren. Die
geringe Anzahl der Edlen und ihre Entfernung (d)
aus einander machte beſondre jaͤhrliche feſt-ſtehende
edle Verſamlungen zum Recht-weiſen unnoͤthig. Sie
konnten alſo nicht anders als bey der allgemeinen
National- (e) Verſamlung; und bey dieſer lediglich
uͤber den Bruch eines Gottes- Koͤnigs- oder Land-
Friedens beſprochen werden. Daher mogten ſie ſich
in den uͤbrigen Faͤllen (f) durch die Waffen und
durch Austraͤge ſcheiden; und endlich mit dem Ein-
lager diejenige Unſicherheit heben, welche aus dem
Mangel eines Obrigkeitlichen Zwangs nothwendig
entſtehen muſte.
(c) Das
[61]erſter Abſchnitt.
§. 33.
[62]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 33.
Von dem Gefolge oder dem aͤlteſten
Dienſt-Adel.
Da ſich der Adel von der Allode nicht trennen laͤßt,
wofern man nicht annehmen will, daß ein Staat
Herrnloſe unangeſeſſene Reuter geduldet; oder jedem
Reuter erlaubt habe, ein gemeines Wehrgut von der
Reihe-Laſt zu befreyen: ſo konnte es nicht fehlen;
oder die juͤngern Soͤhne der Edlen muſten bey ihren
Vaͤtern bleiben; oder ſich bey ihren Verwandten in
Dienſte geben. Es blieb auſſer dem geiſtlichen
Stand (a) gar keine andre moͤgliche Verſorgung fuͤr
ſie uͤbrig; und ſo entſtand etwas, was man Gefol-
ge(b) oder Begleitung nannte; woraus der Dienſt-
Adel ſeinen Urſprung genommen zu haben ſcheinet.
Auf einer Seite war es eine unendliche Beſchwerde
fuͤr den Beſitzer der Allode, der einen ſolchen
Schwarm von Verwandten und nothwendigen
Muͤßiggaͤngern um ſich haben, kleiden und ernaͤhren
muſte. (c) Auf der andern Seite aber gab ihm ein
groſſes Gefolge der edelſten Juͤnglinge Gewicht und
Anſehen; (d) Und der gemeine Heerbann, welcher
allezeit mit Muͤhe in Bewegung (e) geſetzt wird, und
deſſen Heerzuͤge mit den groͤſten Schwierigkeiten ver-
knuͤpft ſind, bediente ſich oft der Gelegenheit, denje-
nigen der das groͤſte Gefolge hatte, (f) fuͤr Korn und
Fruͤchte (g) zu dingen, daß er einen Krieg, welcher
eine allgemeine Aufſitzung erfordert haͤtte, allein uͤber-
nahm. Auf ſolche Weiſe mogte es geſchehen, daß
oft in einem ganzen Jahr-hundert, der gemeine Heer-
bann nicht aufgeboten, folglich ungeuͤbt und von dem
be-
[63]erſter Abſchnitt.
beſtaͤndigen Reuter verachtet wurde. Auf eine
gleiche Weiſe (h) konnte es geſchehen, daß zuletzt der
gemeine Heerbann, da man ihn nicht leicht brauchen
konnte, zur gemeinen Vertheidigung nichts als Korn
lieferte, und die Fuhren verſchafte.
§. 34.
Einrichtung des Dienſt-Adels im
Gefolge.
Die edlen Gefolge hingegen blieben in beſtaͤndiger
Uebung und Ehre. (a) Jhre Einrichtung war von
dem gemeinen Heerbann voͤllig unterſchieden. Es
diente darin niemand von einem Wehrgute; ſondern
fuͤr Koſt, Kleidung und Beute, und auf ſeines Herrn
Pferde. (b) Hier war die Fahne eines Herrn;
Eyd; (c) Verpflichtung; Aufbot; und Hof-Kriegs-
Recht, welches zwar auch von Dienſt-Leuten ge-
wieſen (d) wurde; aber auf dem Hofe ihres Herrn;
unter ſeiner Oberrichterlichen Beſtaͤtigung. Nachdem
das Hof-Recht war, konnte einer Leib, Ehre und Le-
ben verwuͤrken; und die Geſetze muſten an einem ſol-
chen beſtaͤndigen Hof-Lager, und bey ſo vielen taͤglich
verſamleten muͤßigen Leuten unendlich ſtrenger (e)
werden; als fuͤr einzelne Wohner. Der Herr des
Gefolges Hatte auch den Sterbfall; (f) und man
ſchien keine andre Art der Unterwuͤrfigkeit als die
Knechtſchaft (g) zu kennen. Dies blickt aus allen
Anſtalten der Alten hervor.
§. 35.
Von der Krieges-Zunft im Gefolge.
Allem Anſehen nach ward im Gefolge der Krieg
Zunft-maͤßig(a) gelernet. Und muſte ſelbſt der
Sohn eines Koͤnigs oder Fuͤrſten ſeine Dienſt-Jahre
aushalten, (b) und erſt Junge und Knape (c) wer-
den, ehe man ihn zum Meiſter oder Ritter machte.
Dieſes erhob den Dienſt ſehr. Und diejenige irren
welche dem Dienſt-Adel aus ſeinem Jungen- und
Knapen-Stande jetzt einen Vorwurf machen. Rit-
terſchaft und Knapſchaft machen den Edelmann nicht;
wohl aber zu gewiſſen Zeiten eine Vermuthung fuͤr
ſeine edle Geburt. Als Knape erhielt er zuerſt mit
gewiſſen Feyerlichkeiten Schild und Pfriemen; (d)
Wenn er ſeine Lehr-Jahre ausgehalten hatte, reiſete
er vermuthlich auf Ebentheuer, oder aufs Krieges-
Handwerk; und wenn er ſich darinn mit Ruhm ver-
halten, dann erhielt er als Ritter, oder auch oft als
licentiirter Knape (e) den Degen, wenn er die Rit-
terliche Wuͤrde, welche ihn zu einen groͤſſern Auf-
wand verpflichtete, nicht verlangte. Jn beyden Faͤl-
len hatte er Meiſter-Recht; und er konnte ſich nun
aus dem Gefolge begeben; und ſelbſt Zunft-maͤßige
Knapen halten. Jn eignem Dienſte, wenn er eine
Allo-
[67]erſter Abſchnitt.
Allode beſas; in fremden Dienſte; wenn er, um nicht
Herrenloß zu ſeyn, einen Buͤrgen oder Herrn haben
muſte.
§. 36.
Unterſchied der Gefolge.
Unter den Gefolgen ſelbſt muſte ſich aber bald ein
wichtiger Unterſcheid zeigen. Wann einer von Adel
das Gluͤck hatte zum Koͤnig erwaͤhlet zu werden: ſo
mogte ſich der Glanz dieſer Wuͤrde leicht auf ſein Ge-
folge verbreiten. Des Koͤnigs Schalk war nun um
einen Grad hoͤher als der Schalks-Knecht. (a) Und
die
[69]erſter Abſchnitt.
die Geſchichte des Menſchen laͤßt nicht zweifeln, daß
Macht (b) und Wuͤrde nicht gar fruͤhzeitig darauf
bedacht geweſen ſeyn ſollten, ihr Gefolge immer mehr
aus edlern Theilen zu beſetzen. Noth und Umſtaͤnde
erforderten aber auch oftmals mindere Zaͤrtlichkeit;
und nicht alle Zunftmaͤßige Krieger waren von edler
Geburt. (c) Mit dem Wort Adel verknuͤpfte man
lange Zeit den Begrif der Durchleuchtigkeit;(d) und
verſagte daher einem, ſo lange er im Dienſte oder von
einem Haupte beſchattet war, den Tittel eines Edlen.
Dieſes ſetzte ſie in die Verlegenheit ſich Edel-gebohrn
zu ſchreiben; um ſich von andern im Gefolge, die
nicht Edel-gebohrn waren, zu unterſcheiden. Jn-
zwiſchen und da eigentlich nur ein Adel moͤglich iſt;
und dieſer ſo bald er die Decke oder den Dienſt ver-
laͤßt, in ſeinen angebohrnen Stand zuruͤck tritt, wel-
ches aber nicht anders als durch die Erwerbung einer
Allode geſchehen kann; ſcheinet es nicht, daß der
Dienſt eine beſtaͤndige Ungleichheit des Standes (e)
wirken ſollte.
§. 37.
[71]erſter Abſchnitt.
§. 37.
Noch einige Anmerkungen nebſt dem
Schluß.
Dieſes Meiſter-Recht ſcheinet zugleich den Sohn
von der vaͤterlichen Gewalt befreyet; (a) und ihm
die Stimm-Gerechtigkeit in der oͤffentlichen Ver-
ſamlung erworben zu haben; wenn er zugleich zu dem
Eigenthum einer Allode gelangte. Daher es oͤffent-
lich (b) ertheilet werden muſte. Unſre heutigen Rit-
ter-Orden ſind eine Nachahmung davon. Der Novitiat
ſtellet die Lehr-Jahre fuͤr; und die drey Feld-Zuͤge
ſind die alten Ebentheuer. Jch darf aber dieſes nicht
weiter verfolgen. Zu meinem Endzweck iſt es genug
den gemeinen Heerbann von dem Gefolge der Edlen;
und in dieſem Gefolge wiederum die Ritterliche Zunft
von der eigentlichen Dienſtfolge unterſchieden zu ha-
ben. Es konnte einer dienen ohne Ritter zu ſeyn;
und es konnte einer Ritter ſeyn und doch noch im Ver-
bunde oder Dienſte beharren, nachdem es ſeine Um-
ſtaͤnde zulieſſen.
§. 38.
Von der National-Verſamlung.
Edle und Wehren oder Gemeine waren alſo zwey
neben einander ſtehende, und von einander unabhaͤn-
gige Staͤnde. Letztere machten eigentlich den Koͤrper
der Nation aus; (a) und auf ihrer Bewilligung be-
ruhete alles. Sie waren erſtern zu Nichts verpflich-
tet. (b) Und es iſt eine bewunderns-wuͤrdige Sache,
daß ſie ſich in Sachſen bis auf Carln den Groſſen (c)
in dieſer vollkommenen Unabhaͤngigkeit, gegen die
Macht (d) der Gefolge haben erhalten koͤnnen, da ſie
kein Geſetz (e) gehabt zu haben ſcheinen, wodurch die
Gefolge auf gewiſſe Weiſe waͤren eingeſchraͤnket wor-
den; und der Adel auch damals ſchon Schloͤſſer und
Veſtungen (f) beſaß. Jn der National-Verſamlung
erſchienen beyde Staͤnde zuſammen. Der Prieſter
und keine andre Obrigkeit handhabete darin die Ord-
nung. Es redete wer das Anſehen und die Geſchick-
lichkeit dazu (g) hatte. Der Anfuͤhrer ward aus den
Tapferſten (h) erwaͤhlt; und mit dem Kriege hatte
ſein Amt ein Ende. (i)
(a) Sie
[73]erſter Abſchnitt.
§. 39.
Von dem Prieſter als National-
Beamten.
Der Prieſter war es uͤbrigens welcher mehrere
Manien zuſammen; und Edle und Gemeinen im
Gleichgewichte erhielt. Erſtere waren durch die
Menge leicht uͤberſtimmt; Allein der Prieſter durfte
ein Zeichen uͤbel deuten, (a) wenn er merkte daß die
Menge fehlen wuͤrde; und damit war die Verſam-
lung vor dasmal aufgehoben. Vermuthlich geſchahe
dieſes ſo oft als es die Klugheit der Wenigern erfor-
derte. Da das uͤbel gedeutete Zeichen allein die Ehre
davon hatte: ſo ſchien dieſe Macht der Freyheit un-
ſchaͤdlich. Der Prieſter allein hatte das Recht je-
manden in der Verſamlung ein Stillſchweigen (b)
aufzulegen; und man wuͤrde ihm dieſes nicht uͤber-
laſſen
[75]erſter Abſchnitt.
laſſen haben, wenn man haͤtte ein Himmels-Zeichen
dazu gebrauchen koͤnnen. Der Prieſter war noth-
wendig Edel. (c) Denn wenn er zu einer Mannie o-
der zu einer gemeinen Verſamlung gehoͤret haͤtte: ſo
wuͤrde ſich eine andre von ihm nichts haben vorſchrei-
ben laſſen. Man muß ihn deswegen als einen unab-
haͤngigen geheiligten National-Beamten anſehn, der
gleich dem Adel zwiſchen den Jnnungen geſtanden,
ohne zu einer einzigen ins beſondre zu gehoͤren. (d)
Jhr Kirchen-Bann war erſchrecklich. (e)
§. 40.
Und ſeinem oͤffentlichen Unterhalt.
Was wir jetzt Regalien heiſſen, wogte dero Zeit
Gottes-Recht ſeyn; und zu dem Unterhalt des Prie-
ſters dienen. Wenigſtens waren faſt alle oͤffentliche
Sachen, als Stroͤme, Salz-Quellen, Waͤlder und
Thaͤler geheiligt (a) und vermuthlich hatte der Prie-
ſter dem Wilde darinn einen Frieden gewuͤrket. Da
die Eiche ein beſonders Heiligthum hatte: ſo mogte
das Brandholz gemein; das Bauholz aber geheiliget
ſeyn; und der Prieſter in groſſen National-Waͤldern
die Mahl-Axt (b) fuͤhren. Wenigſtens konnte in ſol-
chen wozu mehrere Mannien gehoͤrten, dieſe keinem
andern ohne Gefahr vertrauet werden. Er war zu-
gleich der geheiligte Mittler und Schieds-Richter
zwiſchen ſtreitigen Edlen wie auch ganzen Mannien
und Marken; (c) und hatte das gluͤckliche Recht die
ſtreitigen Graͤnzen zu heiligen. Ein Recht welches
man ſpaͤter aus einem Mißverſtande auf hob; ſich
aber noch jetzt in unſerm Stifte erhaͤlt. (d) Da er
uͤber-
[77]erſter Abſchnitt.
uͤberhaupt den Gottes-Frieden handhabete; ſo mogte
er auch die Bruchfaͤlle davon, oder das Suͤhn-Opfer
und Suͤhnde-Geld (e) haben. Und ſolchergeſtalt
konnte ſein Unterhalt auf mancherley Art beſtimmet
ſeyn, ohne daß er eine Allode oder ein Wehrgut be-
ſitzen mogte.
§. 41.
Von der Religion des Staats und
deſſen Gottheit.
Jch muß hier zugleich der Religion gedenken, in fo
fern ſie ein Band des Staats (a) war. Man ver-
ehrte ein allgemeines unſichtbares Weſen; und
glaubte nicht, daß ſich ſolches durch ein Bild vor-
ſtellen oder in Tempel (b) einſperren lieſſe. Der
Grund dieſes Glaubens lag aller Wahrſcheinlichkeit
nach darinn, daß das Bild und der Tempel eines
National-Gottes auf der Erde keinen Platz haben
konnte. Denn die Mark, worin Gott ſeinen Tem-
pel hat, erhaͤlt bald einen Vorzug und leicht die
Herrſchaft uͤber andre, wie die Erfahrung (c) bey
allen Voͤlkern zeiget. Jm Heer-Lager war ein be-
wegliches(d) Goͤtter-Bild moͤglich und vielleicht
noͤthig; um unter dem Schutz deſſelben, einer ver-
ſamleten unabhaͤngigen Menge kraͤftiger zu gebieten
und den Prieſter ſichtbar zu unterſtuͤtzen.
§. 42.
Von beſondern Gottheiten.
Deswegen aber konnte der beſondere Gott einer
Haushaltung, einer Jnnung, oder einer Mark, gar
wohl ſein Bild und ſeinen Tempel an einem verab-
redeten oͤffentlichen Orte haben. (a) Der Hausgott,
er mogte nun aus einer ſeltenen Wurzel oder aus
einem
[81]erſter Abſchnitt.
einem andern Dinge, (b) wovor die Einbildung ſich
beugen wollte, beſtehen, war dem Hausvater unent-
behrlich um ſeine Perſon gegen ein zahlreiches Ge-
ſinde nothduͤrftig zu heiligen, und ſich gleichſam eine
Freyſtatt in ſeinem eignen Hauſe zu geben. Jn der
Mark waren Graͤnz-Goͤtter, wie jetzt Kreutze und
heilige Schnat-Baͤume gegen den Eingrif der Nach-
baren auch von gutem Nutzen; weil deren Verletzung
ſo fort den Gottes-Frieden ſtoͤren, und den Prieſter
zu deſſen Handhabung erwecken muſte. Man trug
auch einige Mark-Goͤtter (c) bey einer jaͤhrlichen
Verſamlung auf den Graͤnzen der Mark herum;
und im Chriſtenthum kam die Heiligen-Tracht an
ihre Stelle. Die Mannie, da ſie ſich an keinen
Baum oder Stein, ſondern auf die Koͤpfe der Maͤn-
ner ſchloß, (d) und folglich nicht leicht einige Graͤnz-
Streitigkeiten veranlaſſete, haͤtte in ihrer innern
Verfaſſung am allererſten einer beſondern Gottheit
entbehren koͤnnen. Denn die einheimiſchen Streitig-
keiten derſelben konnten nach der Abrede leicht geſchie-
den werden, und hoͤchſtens bey der Gottes-Probe
und dem Gottes-Urtheile beſondre Gottheiten noͤthig
ſeyn. Doch laſſen die ſo genannten Teufel-Gil-
den(e) auch einer andern Vermuthung Raum.
§. 43.
[83]erſter Abſchnitt.
§. 43.
Von der geheiligten Redlichkeit.
Da die Gewalt des Prieſters auf keiner weltlichen
Macht; ſondern lediglich auf der Ehrfurcht der Men-
ſchen beruhete: ſo war die Religion auſſerordentlich
verſtaͤrkt; und bisweilen grauſam; (a) auſſerdem aber
die Redlichkeit mehr als eine gemeine Tugend; und
gleichſam geheiliget. (b) So daß jedes Verſprechen
die Kraft eines Ehren-Wortes und jede Treuloſigkeit
den Haß eines Meineydes mit ſich fuͤhren mogte.
Dieſes trug ſehr viel zur Erhaltung ihrer Verfaſſung
bey. Und der Adel (c) insbeſondre wuͤrde mit einer
gemeinen Redlichkeit ſich nicht erhalten haben; weil
er faſt durch nichts, als ſein Wort verbunden werden
konnte. Doch waren Schimpf (d) und Ehre ihre
einzigen Mittel; und man bauete weniger auf kuͤnftige
Strafen (e) und Belohnungen.
F 2(d) Nec
[84]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 44.
Von Knechten und angehoͤrigen
Leuten.
So viel von den Edlen, Maͤnnern und Prieſtern,
wel-
[85]erſter Abſchnitt.
welche zur National-Verſamlung kamen. Alles was
einem Herrn angehoͤrte, oder unter irgend einer Ge-
walt, Hut, Pflege und Schutz ſtand, konnte darin
unmoͤglich erſcheinen, ſo lange die gemeine Vertheidi-
gung dem Grunde anklebete. Oder Feſte und Eigen-
thum haͤtten gleiche Laſten tragen; und einerley Guͤter
gleichſam mehrmalen verſteuret werden muͤſſen. Ein
Mann haͤtte auch ſeine Knechte, Kinder und Freygelaſſe-
ne, welche ihm zu Dienſt und Dankbarkeit verpflichtet
waren, fuͤr ſeine Richter erkennen; und ſeine Wohl-
fahrt der Mehrheit knechtiſcher Stimmen unterwerfen
muͤſſen; eine Unanſtaͤndigkeit wovor alle freye Voͤlker
jederzeit einen Abſcheu (a) geheget haben.
§. 45.
Wahrſcheinliche Urſachen des aͤlteſten
Leib-Eigenthums.
Die erſten Knechte (a) ſind wol im Hauſe geboh-
F 3ren;
[86]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ren; und um getreues Geſinde zu haben, mogte das-
jenige was ein Sohn oder Knecht erworben hatte,
nach ſeinem Tode nicht aus dem Hauſe gefuͤhret wer-
den duͤrfen. Wie der Hausvater aufing ſeine Kinder
und Knechte neben ſich in eine beſondre Huͤtte zu ſetzen,
verfolgte er leicht einen gleichen Grundſatz. Wenig-
ſtens muſte er ſie gleichſam decken und vertreten, wo-
fern er nicht ſeine Erb-Gruͤnde mit einer doppelten
Pflicht beladen wollte. Da der Knecht unter dieſem
Schutze von aller oͤffentlichen Laſt befreyet blieb, ſo
verzieh er ſich vielleicht auch gern der Ehre; und jeder
geringer Neubauer, gieng vermuthlich leicht unter ein
ſolches oder ein andres Dach, um eine aͤhnliche Frey-
heit, um Schutz und Buͤrgen zu erhalten. Die Edlen
welche groſſe Alloden hatten, und den Ackerbau ver-
achteten, hatten keinen bequemern Weg ihr Land zu
bauen als durch leibeigne Knechte; und man kann ſa-
gen daß es faſt der einzige war; weil ein Wehr die
Allode leicht in die gemeine Reihe gebracht, oder bey
dem Mangel der Buchſtaben, (b) durch Verjaͤh-
rung in ſein Eigenthum verwandelt haben wuͤrde.
Jhre Leute muſten ihnen alſo angehoͤrig bleiben; und
die Luft auf der Allode muſte eigen machen, um aller
Verſplitterung zu begegnen. Die Furcht ein Wild-
fang (c) zu werden, zwang den Knecht zu bleiben;
und machte jede Heymath angenehm, ehe und bevor
Staͤdte eine Zuflucht der Fluͤchtlinge wurden, und
Menſchen ohne Acker und Pflug ernaͤhrten. Auf
dieſe Art konnte ſich ſchon eine groſſe Menge leibeige-
ner Leute in dem alten Deutſchlande befinden.
F 4§. 46.
[88]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 46.
Eine andre Urſache des Weſtphaͤli-
ſchen Leib-Eigenthums.
Allein dieſer Plan, welchen die Natur darbietet, iſt
der Grund des Weftphaͤliſchen Leibeigeuthums nicht.
Denn da unſre Leibeigne insgeſamt in der gemeinen
Reihe ſind; Steuer und Schatz unmittelbar geben;
dem Goͤdinge folgen, oder davon befreyet (a) ſind;
folglich in der alten Krieges-Rolle geſtanden haben:
ſo ſind ſie nicht von Anfang leibeigen geweſen. Caͤ-
ſar (b) giebt die groſſe Urſache einer gleichen Ver-
wandlung in Gallien an: Hier, ſagt er, ſind die
Wehren in die Knechtſchaft verſunken, nachdem
ſie ſich durch lange Kriege und die dazu erfor-
derlichen Ausgaben, erſchoͤpft, verſchuldet, und
Preis gegeben hatten. Dies noͤthigte ſie in die
Hode und Dienſtbarkeit der Maͤchtigern zu fluͤch-
ten. Und dies iſt auch die wahrſcheinlichſte Urſache des
Weſtphaͤhſchen Leibeigenthums. Schulden (c) machen
noch alle Tage aus Wehren Leibeigne, und dieſem hin-
reiſſenden Strome wiederſteht in Jahrhunderten kein
einzelner Wohner, wofern er nicht wie jenſeits der We-
ſer geſchehn, unter einer maͤchtigen Hand in Rollen und
Gerichtszwaͤngen gehalten wird. Die Wuͤrkungen der
Hofrollen werden wir gleich ſehen; und wir koͤnnen
daher vermuthen, daß die Goͤdings-rollen eine gleiche
Kraft gehabt haben wuͤrden, wenn ſie bey dem Verfall
des Heerbanns in einer aufmerkſamen Hand (d) waͤ-
ren gehalten worden. Jndeſſen geht hieraus die
Urſache herfuͤr, warum kein einziger Gutsherr ſeine
Leibeigne in einem Bezirke beſitzt und einige Ge-
richts-
[89]erſter Abſchnitt.
richtsbarkeit hat. Die Wehren konnten bey den
Verfall des Heerbanns ihre Perſonen der Rolle;
aber nicht dem Oberſten oder Gografen (e) ſeine
Gerichtsbarkeit und Sporteln entziehen. Und ſo lan-
ge er die behielt, verhinderte er das Verlaufen oder
den Leibeigenthum nicht.
§. 47.
Von den Eigenhoͤrigen nach Haus-
genoſſen Recht.
Es giebt zweyerley Haupt-Claſſen von Eigenbehoͤ-
rigen; (a) Einige leben nach Hausgenoſſen- andre
nach Ritter-(b) oder Gutsherrn- Recht; und dieſe
uͤbertreffen jene weit an der Zahl. Die Hausgenoſſen
ſind nach der Regel (c) Perſonen-frey; jedoch in ei-
ner Zwang-Hode, und die naͤchſten Schwerd-Ma-
gen in der Hode erben. Jn allen ihren Rollen wird
eines Heergeweddes (d) und darunter eines Pferdes
mit Sattel und Zaum, imgleichen der Sporn und
Stiefeln mit allem uͤbrigen Feld-Geraͤthe gedacht.
Bald vererbt ſolches frey bey der Wehr, bald muß es
geloͤſet werden; der Gutsherr zieht hiernaͤchſt den vier-
ten Fuß; (e) oder auch wol nur das beſte Pfand
von der Verlaſſenſchaft ſeines Hausgenoſſen. Dem
Anſehen nach haben alle Rollen zuerſt der Kirchen,
und Nahmens derſelben dem zeitigen Biſchofe gehoͤ-
ret. Das Domcapittel hat auch einige; und eine
das Capittel zu St. Johan, welche unter den zeitigen
Proͤbſten ſtehen; und zwar vermuthlich aus der alten
Theilung. Einzelne Hausgenoſſen gehoͤren wol ei-
nem Edelmann; durch Tauſch oder Kauf, wenn ſie
in
[91]erſter Abſchnitt.
in eine Rolle gehoͤren; durch eine urſpruͤngliche Be-
dingung, (f) wenn ſie ſich in keiner Hofrolle befinden.
§. 48.
Und ihrer Einrichtung.
Jhre Hoͤfe heiſſen insgemein Rede-Hoͤfe;(a) und
ihre Vorſteher Redemeyer. Sie wohnen aber in
keinem Bezirk; (b) ſondern einzeln, und mit den Ei-
genbehoͤrigen nach Ritter-Recht vermiſchet. Sie be-
ſtehen aus Erben, Halberben und Koͤttern. Jhre
Goͤdings- (c) Send- und Halsgerichts-Freyheit iſt
nur eine Ermaͤßigung der Regel; indem ſie im uͤbri-
gen dem Amt und Gowgericht folgen, Schatzung
entrichten, und ihrem Gutsherrn gleich andern mit
dem Spanne und der Hand dienen. So daß man
faſt gewiß behaupten kann, ihr Grund ſey urſpruͤng-
lich kein andrer als derjenige, worauf Leibeigne ſitzen;
ihre beyderſeitige Feſte aber unterſchieden. Sie
verſamlen ſich jaͤhrlich an gewiſſen Pflicht-Tagen,
auf dem Hofe ihres Meyers (d) oder Schulzen, und
halten die Hof-ſprache. Der Meyer muß ſie auf
gewiſſe Weiſe verbitten (e) und vertreten, und ſie
wollen auch wol zuerſt von ihm gemahnet ſeyn. Er
mahnt aber nur bey 3 ß, als dem gemeinen Jnnungs-
Bruch. Die Hausgenoſſen erkennen ihn mit einer
jaͤhrlichen Urkunde; (f) thun ihm auch wol einige
Beyhuͤlfe, und er giebt ihnen dafuͤr eine freye Zeh-
rung,
[94]Oſnabruͤckſche Geſchichte
rung, wenn ſie ſich verſamlen, und verbittet und ver-
tritt ſie zu Rechte. Aus dem allen aber zeigt ſich kei-
ne Spur einer alten Gerichtsbarkeit; und der Meyer
iſt dem Guts- oder Hofes-Herrn nach einerley
Grundſaͤtzen-verpflichtet.
§. 49.
Noch von einigen vermuthlichen Haus-
genoſſen.
Von einer gleichen Art moͤgen (a) auch die Ra-
vensbergiſchen, Tecklenburgiſchen, Lingiſchen und
andre Freyen in unſerm Stifte ſeyn; indem zur Zeit,
als die Laͤnder noch nicht geſchloſſen waren, und jedes
Amt bloß auf den Koͤpfen ſeiner Angehoͤrigen ruhete,
dergleichen Pflegen, Hegungen und Hoden aus ei-
nem Lande ins andre, nichts ungewoͤhnliches waren
und ſich auch viele Oſnabruͤckiſche Freyen in den be-
nachbarten Laͤndern befanden; welche aber ſo, wie die
Aemter in Territorien verwandelt werden ſollten,
nach und nach ausgekauft und ausgetauſchet wurden.
Die Geßmoldiſchen Freyen wohnen in einem Ha-
gen und moͤgen, weil ſie Goͤdings-frey ſind, aus der
gemeinen Reihe geſetzet ſeyn, um als eine beſtaͤndige
Beſatzung (b) auf dem Hauſe Geßmel zu dienen;
daher dann auch eine alte Burggraͤfliche (c) Gerichts-
barkeit dabey geweſen zu ſeyn ſcheinet. Auch zu
Glandorf iſt noch ein verdunkelter freyer (d)Hage;
und moͤgen dergleichen mehr geweſen ſeyn. Die
Wetter Freyen, welche ehedem an das Kloſter Heer-
ſe (e) im Stifte Paderborn gehoͤret, und unter dem
Grafen von Ravenſperg, als edlem Vogte dieſes
Kloſters, geſtanden, ſcheinen ihre Rechte am be-
ſten (f) erhalten zu haben.
§. 50.
Von den Eigenbehoͤrigen nach Ritter-
recht.
Die Eigenbehoͤrigen nach Gutsherrn- oder Ritter-
recht
[99]erſter Abſchnitt.
recht ſind der Regel nach leib-eigen. Jhre Kinder
muͤſſen daher den Zwang-Dienſt thun; ſich frey kau-
fen; und verwechſeln laſſen. Wer eine Leibeigne
ſchwaͤchet, muß dem Gutsherrn ihre Wehrung oder
den Bettemund (a) bezahlen. Sie haben keinen
Ort zur Verſamlung; keine Rolle; und kein Hof-
recht. Der Gutsherr erbt nach ihrem Tode alles;
und den Kindern bleibt nur Erb-recht am Hofe ſo
lange ſie nicht freygelaſſen ſind. (b) Sie beerbten
auch ehedem (c) ihre freyen Verwandte ſo wenig als
dieſe von ihnen erbten; und daher iſt auch der Guts-
herr ihr Vormund. Nach dieſer Grundlage kann
man annehmen, daß der erſte Leibeigne nach Ritter-
recht, der uralte deutſche Leibeigene geweſen. Allein
diejenige von unſern Eigenbehoͤrigen, welche ſich in
der gemeinen Reihe befinden, dem Amte und Goͤ-
dinge folgen; zu gemeinen Beſchwerden unmittelbar
ſteuren; und folglich aller Vermuthung nach ehedem
als Wehren im Heerbann geſtanden haben, betrach-
tet man nicht als alte Leibeigne; ſondern ſetzt gleich-
ſam voraus, daß ein jeder ſeine beſondern Bedingun-
gen gemacht habe, und ſieht deswegen darauf, wie
es jeder Gutsherr hergebracht hat. Und dieſes iſt
auch der Grund, warum Land-folge vor Herrn-
Dienſt; und gemeine Laſt (d) vor Gutsherrliche
Pacht geht, und der Landesherr als Handhaber der
gemeinen Reihe und weil er die Goͤdings-rolle unter
den Regalien (e) zu Lehn traͤgt, dem Gutsherrn nicht
geſtattet, neue Pflicht auf ſeinen Hof zu legen; oder
denſelben unbeſetzt zu laſſen. Wo aber der Leibeigne
Schatz-frey iſt, und auf Allode ſitzt, kommen ihm alle
dieſe Vermuthungen nicht zu ſtatten.
G 2(a) S.
[100]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 51.
Von den Freyen.
Nun ſind noch die eigentlich ſo genannten Freyen
G 3uͤbrig;
[102]Oſnabruͤckſche Geſchichte
uͤbrig; welche faſt geringer als Knechte (a) geachtet
werden, ſo ſehr auch die Knechtſchaft mit der Freyheit
zu ſtreiten ſcheinet. Sie ſtehen wie die Hausgenoſſen
in einer Hode; nur daß ſie nicht wie dieſe von ihren
Gruͤnden an eine gewiſſe Hode gebunden, (b) ſon-
dern ihrer Wahl uͤberlaſſen, oder, wie es heißt, Chur-
muͤndig (c) ſind. Sie beſitzen aber auch nur geringe
Gruͤnde; und ſind mehrentheils Mark-koͤtter; woran
man leicht abnimmt, daß ſie urſpruͤnglich auf un-
wehrigen Gute geſeſſen, daher zu keiner Rolle ge-
hoͤrt, und als geringe arme Wohner die Freyheit ge-
habt haben, ſich einen Schutz-Heiligen nach eignen
Gefallen zu waͤhlen, und demſelben zur freyen Urkun-
de jaͤhrlich ein Pfund Wachs, einen Pfennig, oder ei-
nen Schilling zu bringen; wie ſie denn auch insge-
mein mit den Wachs-zinſigen (d) Leuten zuſammen
geſetzet werden. Jn ſo weit ſind ſie alſo bloſſe Hode-
und keine Haus-genoſſen. Sie haben keine Ver-
ſamlung und keinen eignen Richter, ſondern laſſen ſich
mit Erlegung einer Erkenntlichkeit ein- und aus-ſchrei-
ben, und ſchicken jaͤhrlich ihren Freyen-Schilling oder
ihr Pfund Wachs dem Hodener. Wenn ſie dieſes
verabſaͤumen, werden ſie Bieſter-frey,(e) und nach
ihrem Tode von dem Landesherrn als Wildfaͤnge (f)
beerbt. Die Hodener haben bisweilen auch von den
Freyen das beſte Kleid fordern, und wenn ſie ſich an
der jaͤhrlichen Urkunde verſaͤumt, ſie als |Leibeigne be-
handeln wollen. (g) Allein weil ein jeder die Wahl
der Hode und derjenige Hodener die mehrſten Kun-
den hat, welcher die beſten Bedingungen giebt: ſo hat
es damit nicht gelingen wollen.
(a) Das
[103]erſter Abſchnitt.
G 4(d) Frye
[104]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 52.
Von den Noth-Freyen.
Ein anders iſt bey den Noth-Freyen,(a) welche
urſpruͤnglich ihre ebenfalls unwehrigen Gruͤnde aus
einer Landesherrlichen Mark uͤberkommen, und ſich
dabey verpflichtet haben moͤgen, beſtaͤndig in der Lan-
desherrlichen Hode zu bleiben. Dieſe koͤnnen nach
einer nothwendigen Folge, als Bellmuͤndige (b) oder
als Wildfaͤnge von dem Hode- und Landes-Herrn
beer-
[105]erſter Abſchnitt.
beerbet werden, ſo bald ſie ſich an der Freyen-Urkun-
de verſaͤumet haben und ſterben. Auſſer dem aber
genieſſen ſie fuͤr ihre Perſonen einer gleichen Freyheit
mit allen uͤbrigen Hode-genoſſen. Wegen ihrer
Gruͤnde aber haben ſie Anfechtung. (c) Hode raubt
einem das edle und Wehr-Haupt; (d) und ohne
Haupt iſt kein wahres Eigenthum. (e) Dieſem
Schluß zu Folge, verwandelt alle Zwang-Hode das
Eigenthum ſo gleich in eine bloſſe Feſte; und wenn
es in den Wahl-Hoden nicht geſchieht: ſo iſt dieſes
die Folge einer geſunden Politik. Jene Verwand-
lung iſt eine Folge des Einfluſſes welchen eine Spra-
che auf die Meinungen der Menſchen hat. Der
Hausgenoſſe iſt vermuthlich durch einen gleichen
Schluß verwandelt worden. Denn dieſer und der
Nothfreye haben das mit einander gemein, daß ſie
von ihren Gruͤnden an eine gewiſſe Hode gebunden
ſind.
§. 53.
Grund und Veraͤnderung dieſer
Freyheit.
Die allgemeine Regel war, (a) daß ein jeder, der
frey ſeyn wollte, entweder in der Goͤdings-rolle oder
in der Hode ſtehen muͤßte, und da Erſtere alles in ſich
faßte, was ſich ehedem gegen die gemeinen Laſten
wehren mußte: ſo iſt das Schatz-regiſter (b) an die
Stelle der Goͤdings-rolle getreten; und ſchließt man
mit Recht, daß alles was zu gemeinen Laſten ſteuret,
nicht verbieſtern koͤnne. Und wie durch die Ankunft
des Geldes, und die hiernach eingefuͤhrte neue Art zu
ſteuren, aller Unterſchied zwiſchen wehrigen und un-
wehrigen Gut aufgehoben: ſo ſollte auch ein Schatz-
pflichtiger Mark-koͤtter ſeine Freyheit ohne Hode er-
halten koͤnnen. Man kommt aber von dergleichen
Grundſaͤtzen ſo leicht nicht zuruͤck. (c)
§. 54.
Von den Hoden, und dem Schutze
ohne Hode.
Die aͤlteſte Hode (a) im Stifte iſt wol diejenige,
wel-
[110]Oſnabruͤckſche Geſchichte
welche ein zeitiger Biſchof mit dem H. Peter (b)
hat. Der Dom-Probſt, Dom-Dechant und Dom-
Kuͤſter ſchuͤtzen mit den heiligen Criſpinus und Criſpi-
nianus; der Probſt zu St. Johan mit dem H. Jo-
hannes; der Abt zu Jburg mit dem H. Clemens;
die Stadt Oſnabruͤck mit dem H. Geiſte, dem H.
Anton, der H. Eliſabeth und der H. Marie, als
Schutz-Heiligen zweyer ihnen gehoͤriger Hof-Haͤuſer;
der Land-Droſt aber vermuthlich von Amts-wegen.
Dann ſchuͤtzt ein jeder Edelmann auf ſeinen Frech-
ten, (c) jedes Kloſter auf ſeinem Orbaren, ein jeder
Herr ſein Geſinde, jeder Gutsherr ſeine Leibeigne,
jedes Buͤrger-und Weichbild- (d) Recht ſeine
darunter ſtehende Einwohner, und jedes Kreutz (e)
auf der Kirchen diejenige ſo am Kirch-hofe wohnen.
Solche ſind alſo mit einander keiner Bieſter- (f)
Freyheit ausgeſetzt. Wenn man dieſes, und daß
eine gleiche Art zu denken ſich durch ganz Europa
ehedem verbreitet habe, in Erwegung zieht: ſo iſt
es ſehr glaublich, daß man in den aͤlteſten Zeiten et-
was aͤhnliches gehabt, und folglich Urſache habe zu
behaupten, daß Hausgenoſſen, Leibeigne, und
Freye,(g) ſie moͤgen nun in der Hode eines Goͤtzen,
oder oͤffentlichen Amts geſtanden haben, lange vor-
handen geweſen, und vielleicht ſo gar Edle und Weh-
ren, an ihren Haus-Goͤttern eigne(h) Hodener ge-
habt haben.
(g) Nicht
[112]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 55.
Anzeige wohin dieſe Einleitung fuͤhre?
Was ich bis dahin angefuͤhrt habe, wird zu mei-
nem Endzwecke hinreichen. Die Beſtaͤtigung einiger
Vermuthungen muß man von der Geſchichte erwar-
ten. Edle und Gemeine haben groſſe Veraͤnderun-
gen erlitten; und um ſolche recht zu empfinden, habe
ich ihren erſten Zuſtand nach der Natur angelegt.
Man kann Erſtere nicht aus dem Dienſte; und Letzte-
re nicht aus dem Leibeigenthum entſpringen laſſen,
ohne alles Eigenthum einem hoͤchſten Haupte zuzu-
ſchreiben, und hiernaͤchſt den Urſprung der Reichs-
und Landes-Staͤnde aus bloſſen Gnaden-Briefen und
Verleihungen wieder herzuleiten. Saͤtze welche mit
der Wahrſcheinlichkeit und einem beſſern Gefuͤhl ſtrei-
ten und den Geſchichtſchreiber bey jedem Schritt zu
Ausnahmen zwingen. So wol die eigentlichen
Reichs- als Landes-Verſamlungen ſind noch Ver-
ſamlungen der Edlen und Gemeinen; uͤberall wo ſie
zu willigen; aber nicht wo ſie gleichſam als Raͤthe
ihr Gutachten abzugeben haben. Unſre Reichs-
Fuͤrſten erſcheinen darinn als Edle Herrn; (a) und in
ſo fern ſie ein Reichs-Amt beſitzen, als Repraͤſentanten
der Gemeinen. (b) Auf rechten Landtagen ſind es
verliehene, angekaufte, geſchenkte, oder eigne Civil-
Wehren, wofuͤr der Geiſtliche, der Adel und die
Staͤdte ihre Stimmen fuͤhren.
H(a) So
[114]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 56.
Wird fortgeſetzt.
Jn unſerm Stifte ſteht der Biſchof mit ſeinem
Domcapittel in einem beſondern Verhaͤltniß; in einem
andern mit ſeinen Dienſtleuten; (a) in einem andern
mit ſeinen Reichs-Dienſtleuten; (b) in einem andern
mit den Edlen welche ſich mit ihm zur Handhabung
des Landfriedens verbunden, und ſich in der Folge
zum Theil an Dienſt-Manns-ſtatt (c) verpflichtet ha-
ben, wie ſolches aus der Geſchichte herfuͤr gehen wird.
Allein
[115]erſter Abſchnitt.
Allein alle dieſe beſondern Beziehungen machen die
gemeine (d) Landes-Verſamlung nicht aus, welche
der Biſchof als beliehener Richter oder Herzog der
Gemeinen beruft, und deren wahrer Gegenſtand nicht
das Kirchen-Orbar, (e) nicht die Allode, nicht das
Lehn, ſondern das gemeine Wehr-gut, und deſſen
Vertheidigung in den oͤffentlichen Laſten iſt. Daß
die Wehre jetzt vielfaͤltig von dem Hofe getrennet iſt,
und einem geiſtlichen, adlichen oder buͤrgerlichen
Gutsherrn gehoͤret; und daß jene Neben-Verbindun-
gen in der allgemeinen Verſamlung drey Staͤnde
veranlaſſet haben; ſind wol eben ſo zufaͤllige Umſtaͤn-
de, als daß die Edelleute Ritter; und bloß gewiſſe
Haͤuſer (f) Landtags-faͤhig geworden ſind. Jene
drey Staͤnde ſind zwar lange geweſen und lange hat
jeder ſeinen beſondern Zirkel gehabt. Jn der gemeinen
Verſamlung aber ſind ſie wie in der Mark bloß als
Gutsherrn fuͤr ihre Wehren erſchienen; und dieſen
Leitfaden werde ich in der Geſchichte folgen.
§. 57.
Und beſchloſſen.
Die erſte Periode der Geſchichte werde ich bis zu
dem
[117]erſter Abſchnitt.
dem groſſen Zeit-Punkt fortfuͤhren, worinn die Sach-
ſen das Wahl-Recht ihrer Mannie-Richter verloh-
ren; (a) und die Mannien ſich in Grafſchaften und
Thron-Lehne verwandelt haben. Dieſe wichtige
Veraͤnderung, welche ſich ſo weit uͤber Europa er-
ſtreckt, als die Franken (b) ſich ausgedehnet haben,
legt den Grund zu jeder Saͤchſiſchen (c) Landes-
Verfaſſung; und alſo auch zur unſrigen. Es wuͤrde
eine ganz andre (d) aber vielleicht auch nicht ſo ruhige
Verfaſſung in Deutſchland ſeyn, wenn die Gemeinen
das Recht behalten haͤtten ihren Richter zu erwaͤhlen
und ſie als Landboten zu den Reichs-Verſamlungen
abzuordnen; als es jetzt iſt, nachdem der Kayſer den
Repraͤſentanten ehedem angeſetzt, und dieſer ſich
erblich gemacht hat. Den Fraͤnkiſchen Kayſern wa-
ren die Gemeinen Sachſen dieſes Recht geſtaͤndig.
Nach dem Ausgange der Fraͤnkiſchen Linie haͤtten
ſie zur Landboten-Wahl ſchreiten koͤnnen. Sie goͤn-
neten aber ihre Vollmacht denjenigen Repraͤſentanten
welche dazu von den Fraͤnkiſchen Kayſern einmal an-
geſetzt, und auch wol nicht mehr zu verdringen waren.
Wie dieſe ſich nachher andre Kayſer erwaͤhlten; war
ihre freye Wahl nothwendig ein feyerlicher Auftrag
ihrer vorhin empfangenen Lehne. (e) Die Ver-
faſſung aͤnderte ſich dadurch etwas. Der Grund
aber blieb und bleibt allemal daß die Quelle der aller-
hoͤchſten Reichs-Obermacht, keine Grund-Herrſchaft,
ſondern eine Vollmacht der gemeinen Wehren ſey,
welche ihr vom Kayſer angeordneter Repraͤſentant in
den Provinzen unter den Nahmen von Staͤnden noch
jetzt zuſammen rufen laͤßt.
H 3(a) Tum
[118]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Zwey-
[119]o
Zweyter Abſchnitt/
Kurze Nachricht von der natuͤrlichen
Beſchaffenheit des Landes.
§. 58.
Die Kenntniß derſelben iſt in der
Geſchichte unentbehrlich.
Die Einrichtung eines Landes haͤngt gar ſehr von
der Natur ſeines Bodens und ſeiner Lage ab.
Viele Beduͤrfniſſe der Menſchen werden allein da-
durch erweckt und befriediget. Sitten, Geſetze und
Religion muͤſſen ſich nach dieſen Beduͤrfniſſen richten.
Die Mark-Rechte eines Landes (a) veraͤndern ſich
mit ſeinem Boden; die Policey-Verordnungen mit ſei-
ner Fruchtbarkeit; (b) und die Sitten vielfaͤltig mit
ſeiner Lage; (c) Die Religion eines Bergmanns (d)
unterſcheidet ſich von dem Glauben des Hirten; und
der Feldbauer iſt nicht ſo kriegeriſch (e) als ein Volk
das von der Jagd lebt. Der aufmerkſame Geſetzge-
ber nimmt ſeine Wendungen nach allen dieſen Um-
ſtaͤnden. Und alſo gehoͤrt die Kenntniß der natuͤrlichen
Vortheile und Maͤngel eines Landes auch mit zu ſei-
ner politiſchen Geſchichte. Jch werde etwas davon
beruͤhren ohne jedoch ein Naturforſcher zu werden.
§. 59.
Aelteſte Beſchaffenheit des Landes.
Die Gegend unſers Stifts uͤberhaupt hat ihren
erſten Gaͤſten wol nichts als die Feurung und einige
Nahrung fuͤr ihr Vieh geboten. Denn das mehrſte
beſteht aus Heide, Sand, Mohr und Gebuͤrgen,
wor-
[121]zweyter Abſchnitt.
woraus der Acker nach und nach gewonnen und ſpaͤ-
ter angebauet worden. Von den edlen Holz-Arten
haben ſie dem Anſehen nach allein die einheimiſche
Eiche und Buͤche gekannt, und von frucht-tragenden
Baͤumen als Fremdlingen (a) wol wenige Arten vor-
gefunden. Jn den Mohren (b) und beſonders in
den ſchwarzen entdeckt man zwar noch viele Fuhren
und Fichten, welche jetzt fremd und durch einen noch
vorzuͤglich herrſchenden Nord-weſtlichen Wind (c)
ehedem umgeſtuͤrzt zu ſeyn ſcheinen. Man kann aber
den Zeit-punkt (d) worinn ſolches geſchehn, und wann
die Seemuſcheln (e) welche man noch hie und da fin-
det, verſteinert worden, nicht angeben. Die Mei-
nung (f) daß Weſtphalen und alles was darinn
Seewaͤrts gelegen, vordem mit Waſſer bedeckt ge-
weſen ſey, ehe die Weſer durch die Oefnung bey
Haußberge ihren Lauf gewonnen, beruhet auf der-
gleichen Muthmaſſungen.
§. 60.
Von den Mohren.
Wir haben ſehr viel und mancherley Mohr; beſon-
ders nach der See zu, wo die Mohre immer haͤufiger
werden. Sie wachſen, ſo viel man merkt, nirgends
wieder, und ruhen vier bis acht Fuß tief auf Sand-
beten ohne Abfluß. Man theilt ſie gemeiniglich in
ſchwar-
[123]zweyter Abſchnitt.
ſchwarze und graue, und iſt in der Verſuchung zu
glauben, daß erſtere ihre ſchwarzen und fetten Thei-
le (a) aus den umgeſtuͤrzten Fichten-Waͤldern einge-
ſogen haben, wovon ſich der harzigte Geruch im
Waſſer hat verlieren koͤnnen. Glaublicher aber iſt es
daß alle Mohre in den aͤlteſten Zeiten eine Zeitlang
geſchwommen, (b) und ſich durch die untergetretene
See erhoben haben; da denn andre Urſachen ihrer
Brennbarkeit angegeben werden koͤnnen. Man hat
dergleichen Gegenden ſicher Kuak-(c) oder Bebe-
Land genannt. Und da die ehmaligen Kuaken(d)
oder Kauchen ohnſtreitig auf einer ſolchen zitternden
Land-Kruſte wohnten; ſich aber in den Zeiten, wo-
von wir Nachricht haben, nicht mehr in unſer Stift
erſtreckten: ſo moͤgen die Sandbaͤnke, wodurch alle
Mohre eingefaßt ſind, die unſrigen gar fruͤhzeitig ab-
geſondert und zu feſtem Lande gemachet haben.
Dieſer Sand traͤgt in unſerm Stifte uͤberall die
Merkmale der Anſpuͤhlung. Auf Bergen findet man
hier keine Mohre; und wo ſich dergleichen ander-
waͤrts darauf finden, moͤgen ſie eben wie die See-
Muſcheln dahin gekommen ſeyn. Einige halten
Schwefel; andre gar keinen. Der Torf welcher
daraus auf verſchiedene Weiſe gemacht wird, koͤmmt
den Einwohnern ſehr zu ſtatten.
§. 61.
Von der Heide.
Die Heide macht ihre Bewohner fleißig; (a) und
diente vordem mehr zur Schaaf- und Bienen-zucht
als jetzt. (b) Sie wird an einigen Orten, beſonders
wo Mohr darunter liegt, angezuͤndet; (c) und man
ſaͤet mit groſſen Vortheil Buchweitzen in die ſalzigte
Aſche. Jnsgemein aber dient ihre Narbe oder Plag-
ge zum Duͤnger; welcher im Sande und bey duͤrren
Zeiten beſſer, als eine andre Art von Duͤnger dauret.
Man faͤhrt dieſe Narbe in Haufen zuſammen; laͤßt
ſie mit andern Miſt durchbrennen; und bringt ſie
hiernaͤchſt aufs Land. (d) Sie wird auf eine beſondre
Art gemaͤhet; und dazu wird viel Uebung erfordert.
Die Graßnarbe, wo ſie zu haben iſt, wird ihr vor-
gezogen. Da durch den fortgehenden Anbau der
Acker taͤglich zunimmt, folglich des Duͤngers mehr
erfordert und der Heide weniger wird; ſo iſt man
beſorgt, daß dieſe Quelle endlich gar verſiegen moͤge.
Einige glauben, daß man ſie entbehren; und durch
eine groͤſſere Viehzucht erſetzen koͤnne. Andre aber
behaupten daß kein groſſer Vortheil dabey ſeyn wuͤrde,
wenn
[126]Oſnabruͤckſche Geſchichte
wenn man dagegen viel Brach-felder haben; und
ſolche fuͤr das Vieh beſtellen muͤſte. Der Land-wirth
folgt einer langen Erfahrung oder einem ehrwuͤrdigen
Vorurtheile; und es iſt gefaͤhrlich ihn zu ſtoͤren. An
einigen Orten, wo Torf und Holz mangelt, brennt
man auch eine Torf-artige Heidraſe, welche Sudde
genannt wird.
§. 62.
Von den Bergen.
Die Berge enthalten Kohlen, (a) Marmor, (b)
rothe, gelbe und ſchwarze Kreite, vielerley gute Stei-
ne, auch Silber (c) und Eiſen, (d) welches man eine
Zeitlang gluͤcklich entbehrte, und jetzt bey dem Mangel
des Holzes nicht mit Vortheil gewinnen kann. Auf
der Oberflaͤche findet man ſchoͤne und harte Criſtalle, (e)
welche ſich an Steine und Marmor haͤngen, abfallen
und uͤberall auf dem Sande blinken. Auf gleiche Art
bilden ſich einige Kieſe; und beſonders ein artiger
Wuͤrfel-Kies. (f) Der Braunſtein (g) ſchießt auch
hier und da ſo an. Sonſt giebt es vielerley Thon;
braunen und weiſſen Mergel; Leimen, Gips, (h) Gieß-
Erde, (i) Schiefer und Kalkſtein. Die Schichte in
den Steinbruͤchen ſcheinen horizontal gelegen; und
ſich aus dieſer Lage durch einen untern Druck in der
Mitte erhoben zu haben. Einige derſelben zeigen
durchgaͤngig Dendriten. (k) Beſonders aber diejeni-
gen, woran ſich der Braunſtein haͤngt. Vordem
waren die Berge reich an Holze; und da wo ſie nun-
mehr getheilet ſind, zeichnen ſie ſich bereits wiederum
auf eine angenehme Art vor den uͤbrigen aus, welche
die ſchaͤdliche Gemeinſchaft bisher verwuͤſtet und ver-
nachlaͤßiget hat. Nach der Suͤd- und Nord-See zu
ſind faſt gar keine Berge. Jenſeits denen welche unſer
Stift von der Seite des Niederrheins decken, finden
ſich minder einzelne Wohner, und mehr Staͤdte, wor-
inn
[129]zweyter Abſchnitt.
in auch ſchon Ackerhoͤfe liegen und Anſpaͤnner woh-
nen; zum Zeichen, daß jene Gegenden mehrern An-
faͤllen als die unſrigen ausgeſetzt geweſen.
J(k) Von
[130]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 63.
Von Quellen und Fluͤſſen.
Es giebt auch einige Salzquellen worunter die zum
Rothenfelde (a) das Werk noch ziemlich belohnet.
Von mineraliſchen Waſſern weiß man nichts. Un-
ter den Fluͤſſen nehmen ſich die Haſe und Hunte vor
den uͤbrigen aus. Erſtere entſpringt an dem nordli-
chen Ende des Diſſener Berges, und faͤllt bey Haſe-
luͤnne in die Ems. Letztere lauft durch den Duͤmmer-
ſee in die Weſer, und entſteht an der Nordſeite des
Kellenberges im Kirchſpiel Buer. Beyde koͤnnten be-
fahren werden; erſtere von Haſeluͤnne (b) bis Qua-
kenbruͤck, und letztere aus der Weſer bis Eſſen, (c)
wenn nur einige Bruͤcken erhoͤhet, und einige wenige
Untiefen verbeſſert wuͤrden. Kleinere Fluͤſſe als die
Elſe, Duͤte, Nette, Dalke, Heſſel, Werau, Bever
und andre dienen nur zum fiſchen; und man hat faſt
alle Arten von guten Fiſchen, (d) doch mehr in
Weihern als in Fluͤſſen. Der Duͤmmer-ſee beruͤhrt
unſer Stift und iſt auch ſehr fiſchreich.
§. 64.
Von der Viehzucht und dem Wilde.
Der Boden traͤgt insgemein Rocken, Haber und
Buchweitzen zur Nothdurft des Landes; an wenigern
Stellen aber Gaͤrſten und Weitzen. Man zieht, dar-
auf auch viel, aber mittelmaͤßiges Flachs und einigen
J 2Hanf.
[132]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Hanf. Die Weiden ſind nicht die fetteſten, und
das Vieh von der mittlern Art. Das beſſere wird
aus Oſtfriesland (a) eingefuͤhrt; ſo wie Gaͤrſte und
Weitzen aus dem Schaumburgiſchen und Mindiſchen.
Die Garten-Fruͤchte des Bauren ſind Kohl, Ruͤben,
Erbſen, Bohnen, Fitzbohnen (b) und Kartuffeln.
Aus ſeiner eignen Zucht hat er in einiger Menge nichts
zu verkaufen als Schweine und Gaͤnſe; die Pferde
ſind auf der Heide und dem Sande wie billig (c)
klein; auf ſchwerern Boden aber beſſer und bisweilen
ſchoͤn. Hohes Wildpret hat man vordem nothduͤrftig
gehabt; und die Wolfs-Jagden ſind eine groſſe
Beſchwerde der Einwohner geweſen. Nun aber
gluͤcklicher (d) Weiſe nicht mehr, nachdem das Holz
abgenommen und das Wild zu wenig Schutz gehabt
hat. An kleinem Wilde (e) iſt kein Mangel und
auch kein Ueberfluß. Sonſt bringt das Land zur
Ausfuhr faſt wenig oder nichts hervor; deſtomehr
aber gewinnet der Fleiß der Einwohner an Garn und
Linnen.
(d) Die
[133]zweyter Abſchnitt.
§. 65.
Vom Linnen.
Dieſes Linnen oder Lawend welches uͤber England,
Spanien, Portugall und Holland nach beyden Jn-
dien und in die Laͤnder gefuͤhret wird, wo die Hitze (a)
alles wollene Zeug beſchwerlich macht, wird von den
Einwohnern nach verrichteter Feld- und Haus-Ar-
beit, im Hauſe bereitet, entweder von Flachs oder
von Hanf. (b) Mann, Frau, Kinder und Geſinde
wenden die Zwiſchenraͤume ihrer Arbeit zum Spinnen
an. Der Stuhl beym Rade iſt gleichſam die Ruhe-
ſtaͤtte von andrer Arbeit; und Flachs kann mit kal-
ten (c) Fingern geſponnen werden. Jeder hat ſeinen
Webeſtuhl im Hauſe; und die Magd webt. Der
Vorzug dieſer Art Manufactur iſt, daß ſie lange mit
Verluſt (d) fortgehen und doch beſtehen kann; weil
die Zeit, ſo darauf gewandt wird, ohnedem verlohren,
und vielleicht uͤbel angewandt geweſen ſeyn wuͤrde.
Hiernechſt gehoͤrt ein National-Ton dazu, um Maͤn-
ner ohne Schimpf ans Rad zu bringen; und dieſen
zwingt der Geſetzgeber in andern Gegenden nicht.
Hierinn beſteht das ganze Geheimnis, (e) welches die
Englaͤnder ſuchen; und leichter finden als nutzen wer-
den. Das Garn iſt oft theurer (f) als das Linnen,
J 3und
[134]Oſnabruͤckſche Geſchichte
und man webt doch fort, um ſich zwey Wege zur
Ausfuhr zu verſichern. Mit dieſem Linnen muͤſſen
alle Ausgaben des Landes beſtritten werden; und das
gluͤcklichſte iſt, daß das Geld dafuͤr in die kleinſten
Adern des Staats zuruͤck fließt, und nicht bloß einige
Glieder belebt. Auf gleiche Art werden auch halb
wollen und halb linnene Zeuge unter dem Nahmen
von Wollacken im Hauſe verfertiget; aber alles
grob und fuͤr die Noth. Fuͤr Wolluſt und Be-
quemlichkeit zu arbeiten wuͤrde nicht ſo ſicher; fuͤr den
Bauren im Hauſe unmoͤglich; und auf andre Art fuͤr
das allgemeine Beſte minder nuͤtzlich ſeyn.
§. 66.
Wird fortgeſetzt.
Dieſes Linnen iſt der wichtigſte (a) Gegenſtand der
oͤffentlichen Vorſorge; und es verdient die Aufmerk-
ſamkeit derjenigen welche Geſetze zu geben, und Steu-
ren anzulegen haben; nicht um die Leute durch Preiſe
zu ermuntern, und ihnen Vorſchriften zu geben: ſon-
dern nur um es nicht mit Auflagen (b) zu beſchweren
und die Freyheit zu hemmen, (c) womit es von Aus-
waͤrtigen und Einheimiſchen angekauft wird. Die
Sorge daß guter aufrichtiger Lein verkauft, das
J 4Garn
[136]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Garn richtig gehaſpelt, das Linnen nach jedes Orts
Regel vollzaͤhlig gewoben; und in allen redlich verfah-
ren werde, ſind die Grundſaͤtze, welche die Policey
zu beachten hat. Durch einen einzigen Fehler kann
ſich der Linnen-Handel unwiederbringlich verliehren;
da er auch ohne dieſem in Gefahr (d) ſteht.
§. 67.
Von den Gewinn durch Beywohner.
Auſſerdem gehet jaͤhrlich eine Menge Beywohner
nach Holland, welche daſelbſt im Sommer ein Hand-
Lohn (a) verdienet; und den Winter uͤber zu Hauſe
ſitzt und ſpinnet. Dieſe Leute ſind frey; und ihr
groͤßter Ehrgeitz iſt ſo viel zu erwerben, daß ihre Kin-
der einmal leibeigen werden koͤnnen. Denn da der
Leib-eigenthum erblich Haus und Hof giebt: ſo iſt er
beliebter und angeſehener als die Freyheit ſolcher
Fluͤchtlinge. Dieſe erhaͤlt man noch wol umſonſt;
jenen aber nicht ohne ſchwere (b) Koſten. Man ſcho-
net aber dieſe Leute billig ſo viel moͤglich in allen
Auflagen; damit ſie aus Holland und Jndien, in eine
gemiethete Huͤtte zuruͤck-kehren; dem Lande worin ſie
nichts eignes haben, getreu bleiben; durch ihre Men-
ge Aecker und Fruͤchte (c) im Preiſe halten; und ihr
Erworbenes endlich in den Leib-eigenthum bringen.
Der wahre Bauer findet bey ihnen allezeit und faſt
nur zu leicht Geld und Huͤlfe. Sie ſelbſt aber ſind
mit fuͤnfzig Jahren alt, und von vieler Arbeit (d)
kuͤmmerlich; wodurch aber dem Staat nichts abgeht,
weil ſie fruͤher heyrathen als Landbeſitzer, und ſich
um ſo viel geſchwinder vermehren, als ſie abſterben.
§. 68.
Von den Vortheilen durch den Leib-
eigenthum.
Der Leib-eigenthum bringt andre Vortheile. Die
Landſtaͤnde ſind Gutsherrn, und durch ihre eigne
Wohlfahrt verpflichtet fuͤr den leibeignen Unterthan
zu ſorgen, und ihn nicht erſchoͤpfen zu laſſen. Sie
haben gleiche Bewegungs-Gruͤnde zur Gelindigkeit,
weil ein guͤtiger Gutsherr von den reichſten Freyen
geſucht wird. Der von aller Amts-Gerichtsbarkeit
befreyete Gutsherr iſt zugleich ein natuͤrlicher Feind
des Amts, welchem anderwaͤrts die Unterthanen gar
zu ſehr bloß geſtellet ſind; und er deckt und vertritt ſie
mit ſeinem Anſehn, wie mit ſeinem Einfluß in die
Landes-Geſchaͤfte. Jm Gegentheil haͤlt die Gerichts-
barkeit des Amts, und die Aufmerkſamkeit der Re-
gierung dem Gutsherrn das Gewichte. Und dieſer
widerſeitige Gegenſtand macht, daß der Bauer die
Frucht ſeiner Arbeit ſo ruhig als irgendwo genießt.
Jhre groͤſte Wohlthat aber iſt, daß der Juͤngſte den
Hof erbt, und der Gutsherr die Abſteuer der Ge-
ſchwiſter beſtimmt; anſtatt daß auf freyen Hoͤfen ins-
gemein der aͤlteſte Erbe, und nach dem zu feinem
groͤſten Schaden eingeſchlichenen Roͤmiſchen Rechte,
angehalten wird, mit ſeinen Geſchwiſtern gleich zu
theilen. (a) Die Fortpflanzung des Geſchlechts geht
alſo bey ihnen um ein drittel geſchwinder, die Erb-
theilungen kommen ſo viel oͤfterer, und der Beſitzer
hat mehrentheils ſeine juͤngern Geſchwiſter und ſeine
eigne
[141]zweyter Abſchnitt.
eigne Kinder zu ernaͤhren. Daher koͤmmt ſelten ein
freyer Hof auf den vierten Erben.
§. 69.
Von den Vortheilen durch einzelne
Wohnungen uͤberhaupt.
Die einzelnen Wohner haben Vortheile und Rech-
te welche man anderwaͤrts erkennet und jetzt wieder
einzufuͤhren wuͤnſchet. Sie haben ihre Aecker, Wie-
ſen und Gehoͤlze insgemein rings um ihre Haͤuſer,
beſtellen ihr Land nach eignem Gefallen, und finden
zur Zeit der Noth noch immer etwas in ihren Bezir-
ken, woraus ſie eine Beyhuͤlfe ziehen koͤnnen. Brand
(a) und Seuchen verbreiten ſich bey ihnen ſo leicht
nicht; im Kriege liegen ſie verſteckt, und wenden
auch im Frieden nicht zu viel auf glaͤnzende Sachen
um keine Raͤuber zu locken. Jhre Entfernung von
einander und von der Dorf-ſchenke, verhindert uͤber-
dem manche Verſuchung, Begierde und Gelegenheit.
Und da ein jeder von ihnen ſeine Nebenhaͤuſer (b) und
Beywohner hat, ſo fehlt es ihnen auch nicht an Huͤlfe.
§. 70.
Von den Vortheilen aus den Doͤrfern.
Nichts iſt zweydeutiger als der Nutzen unſer Doͤr-
fer, welche mit einer uͤbermaͤßigen Menge von Kraͤ-
mern, Weinſchenken, Apothekern (a) und dergleichen
Leuten beladen ſind, die dem einzelnen Wohner Netze
ſtellen, ihn verſuchen und verderben, und den Ge-
ſchmack an fremden Sachen in die kleinſten Huͤtten
verbreiten. Ein Feind welcher allezeit der Heerſtraſſe
oder dem Kirchthurme folgt, findet ſie leicht, haͤlt ſich
bey ihnen auf, (b) und beurtheilt das Vermoͤgen ei-
nes Landes nach der Menge ſeiner Kraͤmer. An ſtatt
daß der einzelne Wohner die Heer-ſtraſſe flieht, (c)
ſich in Gehoͤlzen verbirgt, damit ein leeres Land zeigt,
einen einzelnen Feind nicht fuͤrchtet, von einer Menge
mit Muͤhe und Gefahr aufgeſucht, und hoͤchſtens an
dem entbehrlichſten Theile ſeines Vermoͤgens beſchaͤ-
diget werden kann; wenn ſein Vieh in den Holzun-
gen ſteckt, und ſeine Wohnung ungeſchmuͤckt iſt. Jn-
zwiſchen tragen doch auch dieſe Doͤrfer zu dem hohen
Land-preiſe vieles bey, und eine kluge mit der Frey-
heit beſtehende Policey mag das uͤbrige verbeſſern.
(b) Auf
[144]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 71.
Von ſeiner Bevoͤlkerung.
Das Stift iſt volkreicher als die daran ſtoſſende
Laͤnder, und erhaͤlt jaͤhrlich mehr Einwohner; wozu
die vollkommenſte (a) Freyheit in allen Arten von
Handel und Nahrung, der gluͤckliche (b) Mangel
einer eignen Krieges-Macht, die leidliche Regierungs-
Form, die gute Gelegenheit nach Holland zu gehen,
die groͤſſern Beſchwerden in den angraͤnzenden Laͤn-
dern, und beſonders die Gemeinheiten zu deren unent-
geltlichen Mitgenuß die Beywohner leicht gelangen,
ſehr vieles beytragen. Denn ſonſt waͤre es unbe-
greiflich, warum ſich die Einwohner in einem eben
nicht
[145]zweyter Abſchnitt.
nicht ergiebigen Lande, wo die Feuerung, und faſt
alles theurer iſt als in andern, und wo einer dem an-
dern den Acker zum hoͤchſten (c) Preiſe entreißt, ſtark
vermehren ſollten. Es iſt faſt kein groſſer Land-Ei-
genthuͤmer im Stifte, der nicht ſeine Guͤter in einzel-
nen Stuͤcken (d) an eine Menge kleiner Beywohner
vortheilhafter verheuret haͤtte, als er ſolche im Ganzen
mit einem ſo genannten groſſen Haushalt nutzen kann.
Von dieſem findet man kein Beyſpiel weder auf ei-
nem Amte noch auf einem Edelhofe. Der Bauer
naͤhert ſich allmaͤhlich einer gleichen Regel; und faͤhrt
nicht uͤbel dabey. Ein verſchuldeter Bauerhof wird
oft durch die Ausheurung an den Meiſtbietenden,
woraus man ſich ſonſt, weil der Acker den geringen
Beywohnern unentbehrlich iſt, ein Gewiſſen macht,
gerettet. Der Beywohner erwirbet mit ſaurer Muͤhe
das Geld in Holland, was er im Acker wieder ver-
liert.
§. 72.
Von ihren politiſchen Sitten.
Die Einwohner ſind nicht unbillig ſchlechte Sol-
daten fuͤr gemeinen Sold; ſo lange ihnen die Aus-
flucht nach Holland mehrere Freyheit, manches Eben-
theuer, ein beſſers Auskommen, und den gluͤckli-
chen (a) Muth giebt, ohne aͤngſtliche Ueberlegung zu
heyrathen. (b) Sie ſind auch daher nicht das beſte
und allezeit theures Geſinde; wogegen die Policey
vergeblich vielleicht auch ohne Noth (c) eifert. Jn
ihrem Betragen und in der Sprache ahmen ſie gern
den Hollaͤndern nach und ſind hierinn gluͤcklicher, als
diejenigen welche den Staͤdter (d) dieſe mißlungene
Copey einer Nation die beynahe das Gegentheil von
der unſrigen iſt, ſich zum Muſter erwaͤhlen. Der
Ehrgeitz des Bauren ſollte ſeyn, oder wenigſtens da-
hin gelenket werden, das Nothwendige in ſeiner
Vollkommenheit zu haben. Allein dieſen Ton hat
der deutſche (e) Bauer uͤberall verfehlet; und er wird
es nie zu einer eignen National-Groͤſſe bringen. Von
ihren uͤbrigen Sitten laͤßt ſich nichts beſonders
ſagen.
(a) Es
[147]zweyter Abſchnitt.
§. 73.
Von ihrer vermeintlichen Neigung
zu proceſſen.
Jhre Neigung zu Proceſſen (a) iſt zum Theil ein
nothwendiges Uebel, zum Theil aber auch ein Fehler
unſrer Art ihre ſtreitigen Sachen zu entſcheiden. Jhre
einzelnen Hoͤfe haben viele Graͤnze und auſſer denſel-
ben faſt uͤberall Gemeinſchaft, wovon ein jeder gern
etwas erhalten, oder doch nicht verlieren mogte. (b)
Die Gemeinheiten oder Marken liegen gegen einan-
der offen, und faſt uͤberall iſt Local-Recht, (c) ja oft
gar keines. Die Gerichts-Hoͤfe kennen ſolches nicht
immer, und beruhigen die Partheyen nicht, die naͤher
und beſſer urtheilen. Der groͤſte Fehler aber iſt,
daß man faſt alle Frieden,(d) und ihre Rechts-
Weiſungen geſprengt, die Klops-Leute (e) in Sun-
der-
[149]zweyter Abſchnitt.
der-Leute verwandelt, jedem Frieden oder jeder Jn-
nung ihren eignen Schultheiſſen (f) genommen; die
Gerichts-Zwaͤnge zu ſehr erweitert, und was vielleicht
unglaublich ſcheinen moͤgte, (g) Weisheit fuͤr Recht
erkannt habe. Die neuern Einrichtungen der Ge-
richtsbarkeiten, arbeiten immerfort gegen den groſſen
Plan der alten, welcher darin beſtand, daß Abrede,
Schrae oder Vergleich, nicht aber Gelehrſamkeit
oder Weisheit eine ſtreitige Sache unter Klops-Leu-
ten entſcheiden muͤſſe. Die Gerichtsbarkeit eines
Reichs-Gerichtes ſollte bloß durch einen Reichs-Frie-
debruch, und die Gerichtsbarkeit einer Landes-Obrig-
keit durch einen Land-Friedenbruch gegruͤndet; nie-
mals aber von der Rechts-Weiſung eines Klops, ei-
ner Mark, oder einer Jnnung abgegangen werden.
K 3(c) S.
[150]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 74.
Von ihren Wohnungen.
Die Wohnung eines gemeinen Bauren iſt in ihren
Plan ſo vollkommen, daß ſolche gar keiner Verbeſſe-
rung faͤhig iſt, und zum Muſter dienen kann. Der
Heerd iſt faſt in der Mitte des Hauſes, und ſo an-
gelegt, daß die Frau welche bey demſelben ſitzt, zu
gleicher Zeit alles uͤberſehen kann. Ein ſo groſſer und
bequemer Geſichts-punkt iſt in keiner andern Art von
Gebaͤuden. Ohne von ihrem Stuhle aufzuſtehen,
uͤberſieht ſie zu gleicher Zeit drey Thuͤren, dankt de-
nen die hereinkommen, heißt ſolche bey ſich nieder-
ſitzen, behaͤlt ihre Kinder und Geſinde, ihre Pferde
und Kuͤhe im Augc, huͤtet Keller und Kammer, ſpin-
net immerfort, und kocht dabey. Jhre Schlaf-ſtelle
iſt hinter dieſem Feuer, und ſie behaͤlt aus derſelben
eben dieſe groſſe Ausſicht, ſieht ihr Geſinde zur Ar-
beit aufſtehn, und ſich niederlegen, das Feuer ver-
loͤſchen und anbrennen, und alle Thuͤren auf- und zu-
gehen, hoͤret ihr Vieh freſſen, und beachtet Keller
K 4und
[152]Oſnabruͤckſche Geſchichte
und Kammer. Jede zufaͤllige Arbeit bleibt in der
Kette der uͤbrigen. So wie das Vieh gefuͤttert, und
die Dreſche gewandt iſt, ruht ſie wieder hinter ihrem
Spinnrade. Dieſe vereinigten Vortheile machen,
daß die Bauern lieber beym Heerde als in der Stube
ſitzen. (a) Ein rings herum niedrig abhangendes
Stroh-Dach ſchuͤtzt die allzeit ſchwachen Waͤnde,
waͤrmt Haus und Vieh, und wird mit leichter Muͤhe
von ihnen ſelbſt ausgebeſſert. Ein groſſes Vordach
ſchuͤtzt das Haus nach Weſten, und deckt zugleich den
Schwein-koben. Und um endlich nichts zu verlieren
liegt der Miſtfahl vor der Ausfarth, wo angeſpannet
wird. Jch erwehne dieſer Vortheile mit Fleiß, um
die Ueppigkeit abzuhalten, ſich bequemer anzubauen,
und jene wichtige Vortheile zu verfehlen. Die bloſſe
Abſonderung des Heerdes (b) worauf man leicht ver-
faͤllt, wirft alle dieſe groſſen Abſichten und Geſetze zu
Boden. Bey einem Bauern muß die Nothdurft der
Zierde vorgehen.
Drit-
[153]
Dritter Abſchnitt/
Von der erſten Entdeckung der hieſigen
Laͤnder durch die Roͤmer bis auf
Carln den Groſſen.
§. 75.
Dieſe Entdeckung iſt ſpaͤt geſchehen.
Die Einwohner Deutſchlandes zeigen ſich gleich in
ihrer voͤlligen Staͤrke und machen ſich durch
Ueberſchwemmung ihrer Nachbaren bekannt. Man
merkt ihren Anfang und Anwachs nicht. Jhre ein-
heimiſchen Verbindungen und Nahmen bleiben dun-
kel. Den Griechen war alles Celten (a) was in Jlly-
rien, Deutſchland, Frankreich, Spanien und Eng-
land wohnte. Jhre weiteſte Ausſicht gieng an einen
Orciniſchen (b) Wald, und wie ſich nach und nach
eine Menge Deutſcher Voͤlker in Aſien ergoß, nann-
ten ſie ſolche Gallier. (c) Die Roͤmer dehnten ſich
erſt unter Caͤſarn in Europa aus. Auch ſie mogten
Anfangs alles Gallier heiſſen was uͤber ein ander ori-
ciniſches Gebuͤrge, die Alpen, zu ihnen kam. Sie
lernten erſt ſpaͤt Cimbern, (d) Teutonen und Tiguri-
nen unterſcheiden, welche vielleicht nicht aus dem heu-
tigen Deutſchlande, ſondern aus den Gegenden ka-
men, woraus ſpaͤter die Gothen, Wandalen und
Hunnen hervorbrachen.
§. 76.
[156]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 76.
Von den Germaniern.
Der Nahme Germanien(a) war zu dieſer Zeit
noch nicht uͤblich, und bezeichnet leicht eine groſſe
Heermannie,(b) oder eine Verbindung mehrer
Staaten zu ihrer gemeinſamen Vertheidigung, wel-
che alſo nach dem Cimbriſchen Einbruche erfolgte.
Die Abſicht dieſer Vereinigung erraͤth man leicht
aus der groſſen Markomannie,(c) welche ſie an
der Elbe hatten, und wofuͤr ſie in der Folge mehr als
einmal erzittern (d) muſten. Dieſes iſt die aͤlteſte
Urkunde ihres Plans, (e) dem zu Folge auch die
Longobarden an der Elbe hinunter mit dazu gehoͤren
muſten, weil man wohl ſiehet, daß die ganze Anſtalt
in der Abſicht gemacht worden, um den Voͤlkern,
welche aus dem heutigen Ungarn, Schleſien, Pohlen
und uͤberelbiſchen Laͤndern einbrechen konnten, eine
genugſame Macht entgegen zu ſetzen. Die Sueven
deren Sicherheit hauptſaͤchlich davon abhieng, brach-
ten dies wichtige Werk zu Stande. Daher kann
man Germanien als den aͤlteſten Schwaͤbiſchen Bund
betrachten, und zugleich den Grund finden, warum
die Germanier oft Sueven, und warum die Sueven
in der Folge allein Allemannier heiſſen. Denn Ger-
manien(f) und Allemanien iſt nur der Ausſprache
nach unterſchieden.
§. 77.
Und ihrer beſondern Verfaſſung.
Dieſe groſſe und wichtige Vereinigung ſcheint zu-
gleich den Zeitpunkt zu beſtimmen, worin zuerſt ein
Theil der Einwohner Deutſchlandes ſich zu einem
Reiche (a) bildet, und vielleicht enthaͤlt ſie die erſte
Anlage unſers heutigen Deutſchen Reichs. Die
auſſerordentlich ſtarke Verfaſſung (b) dieſer Bundes-
genoſſen, welche nun ihre ganze Einrichtung kriegeriſch
mach-
[160]Oſnabruͤckſche Geſchichte
machten, weiſet dahin zuruͤck. Vorher wurden ſie
von den Galliern (c) jenſeits des Rheins oft heimge-
ſucht. Nun aber ſetzten ſie alle ihre Nachbaren in
Furcht und Schrecken; (d) und man ſieht eine Men-
ge damals vorgegangener Veraͤnderungen durchſchei-
nen. Die Nahmen der Voͤlker, welche ſich unter
dieſem Bund gaben, verwandeln ſich in Bundes-
Nahmen; (e) und ein ſtarker Heer-mund(f) ent-
ſteht auf allen ihren Graͤnzen. Sie verdraͤngen die
Voͤlker, (g) welche ſich mit ihnen nicht vereinigen
wollen. Und da die Feinde, womit ſie im Anfang zu
kriegen hatten, ziehende Voͤlker waren, wogegen ſie
ſich mit einem Heere, welches aus Land-Eigenthuͤ-
mern beſtand, nicht hinlaͤnglich wehren konnten: ſo
mogte dieſes zu jenem groſſen Geſetze, (h) wodurch
aller Land-Eigenthum aufgehoben wurde, den wahr-
ſcheinlichen Anlaß geben. Der Verfall dieſes Bun-
des oͤfnete lange nachher den Gothen, Hunnen und
Wandalen ihre alten (i) Wege; und Henrich der
Vogler handelte nach den Grundſaͤtzen, (k) welche
mehr als tauſend Jahr vor ihm dieſer erſte Schwaͤ-
biſche Bund gefaßt hatte. So wahrſcheinlich iſt es,
daß Germanien ein Waffen-Verein ſey, welcher ge-
gen die Scythen oder ein ander maͤchtiges Volk von
jener Seite errichtet worden.
(g) Hie-
[163]dritter Abſchnitt.
§. 78.
Unſre Vorfahren ſind keine Germa-
nier geweſen.
Es iſt nicht wol glaublich (a) daß ſich die Voͤlker
zwiſchen der Weſer und dem Rhein, nebſt denjeni-
gen welche hinter ihnen wohnten, in jenen groſſen
Bund oder das damalige Sueviſche Reich eingelaſſen
haben ſollten; und die Geſchichte zeigt, daß ſie ſehr
ſelten einen gemeinſchaftlichen Krieg gefuͤhret haben.
Jener Bund kehrte vor Heſſen oder die damaligen
Catten wieder; und dieſe ſcheinen oft freye aber keine
untergeordnete Bundsgenoſſen der Sueven geweſen
L 2zu
[164]Oſnabruͤckſche Geſchichte
zu ſeyn; jedoch nur ſo wie es die Umſtaͤnde haben
verſtatten wollen. Unſre Vorfahren ſind alſo wol
keine Germanier geweſen, ob ſie gleich von den Roͤ-
mern im Anfang ſo genannt wurden, und jetzt Alle-
mands heiſſen. Wenigſtens muß man dieſes voraus
ſetzen, um das Staats-Jntereſſe der Voͤlker zwiſchen
der Weſer und dem Rhein bis auf Carln den Groſſen
zu kennen. Bis auf ihn ſieht man eine ſchwebende Li-
nie (b) Deutſchland theilen. Der Herciniſche Wald
dient erſt jenen Germaniern gegen die Cherusker, und
bald den Allemanniern und Franken gegen die Sach-
ſen zur natuͤrlichen Vormauer.
L 3§. 79.
[166]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 79.
Sondern Saſſen.
Die Land-Eigenthuͤmer, welche in Niederdeutſch-
land auf ihren Hoͤfen ſitzen blieben; vor wie nach
von ihrer Wort-ſtaͤtte dienten, und ſich unter kein
Reich, Amt oder Herrſchaft begaben, waren unſtrei-
tige Saſſen;(a) ob ſie gleich dieſen Nahmen noch
nicht fuͤhrten. Die Germanier mogten es nicht
rathſam achten, ſich mit ihnen zu vereinigen, weil ſie
ſich ſonſt des Vortheils, welchen ihnen die Schei-
dungs-Gebuͤrge gaben, verzeihen, ihre Graͤnzen aus-
dehnen, und nach einer nothwendigen Folge ſchwaͤ-
chen muſten. Jene Saſſen blieben alſo vor ſich;
eiferſuͤchtig auf die Macht der Germanier, und na-
tuͤrliche Feinde derſelben. Sie hatten ihr eignes
Staats-Jntereſſe; und vornehmlich dieſes, die Ger-
manier auf alle moͤgliche Weiſe zu ſchwaͤchen. Da-
her erhob ſich ſchon in den erſten Zeiten eine Feind-
ſchaft zwiſchen ihnen; welche ſich endlich dahin endig-
te, daß ſie zuletzt beyde von den Franken uͤberwunden
wurden.
§. 80.
Und zwar Cheruskiſche/ Bruckteriſche
und Angrivariſche Saſſen.
Dieſe Saſſen zeigten ſich zuerſt unter dem Nahmen
von Cheruskern, Brucktern und Angrivariern;
ſpaͤter unter dem von Oſt- und Weſtphaͤlern und
Engern; und beydes (a) wie es ſcheinet nach ihrer
verſchiedenen Lage; wenn man engere durch mittlere
uͤberſetzt. Sie hatten wol ihre Scheidung (b) in
unſerm Stifte, ſo daß die jetzigen Aemter Fuͤrſtenau
und Voͤrden zu den Brucktern; Jburg, Groͤnenberg
und Reckenberg zu dem Engern, und Wittlage nebſt
Hunteburg zu den Cheruskern gerechnet werden mog-
ten. Doch kann man die Graͤnzen nicht genau ange-
ben; wie denn uͤberhaupt die Linie welche ſie geſchie-
den hat, veraͤnderlich geweſen zu ſeyn ſcheinet, nach-
dem die unter jenen Nahmen begriffene Voͤlkerſchaf-
ten, ſich in dieſe oder jene Verbindungen eingelaſſen
haben. Denn ſie ſtanden in keinem beſtaͤndigen (c)
Reichs-Verein wie die Germanier; ſondern verban-
den ſich nach ihrem Gutduͤnken; doch ſehr ſelten mit
L 4den
[168]Oſnabruͤckſche Geſchichte
den Kauchiſchen und Frieſiſchen Saſſen, als welche
mehrentheils vor ſich blieben, und ſehr oft eine
Freundſchaft mit den Germaniern unterhielten, um
die in der Mitte geſeſſene Cherusker von beyden Sei-
ten in einer Spannung zu halten.
§. 81.
Erſte Entdeckung der Roͤmer unter
Caͤſarn.
Caͤſar war der erſte welcher unſre Gegenden den
Roͤmern gleichſam entdeckte. (a) Vor ihm war kein
roͤmiſches Heer uͤber den Niederrhein gekommen; er
aber hielt es noͤthig auch daſelbſt die roͤmiſche Macht
zu zeigen. (b) Er fand die dortigen Nationen in kei-
ner Verbindung (c) mit den Sueven. Und obgleich
ſein unvermutheter Sieg; ſeine ſchnelle Eroberung
Galliens; ſein uͤbermuͤthiger Verſuch auf Britannien;
und dieſe ſeine feindliche Erſcheinung uͤber den Rhein;
einen allgemeinen Waffen-Verein der Deutſchen Voͤl-
ker haͤtte hervorbringen koͤnnen: ſo waren ſie doch zum
Theil vielmehr froh daruͤber, daß er den ſueviſchen
L 5Stolz
[170]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Stolz einmal gezuͤchtiget hatte. Die Gallier waren
indes ſehr unzufrieden mit dem Roͤmiſchen Joche;
und ihre Verſuche ſich wieder in Freyheit zu ſetzen,
vermehrten die Gelegenheiten, (d) wodurch die Nie-
derrheiniſchen Voͤlker (e) von nun an oͤfterer uͤber den
Rhein gelocket wurden, und ſich als Freunde der einen,
und als Feinde der andern Parthey zeigten.
§. 82.
Feldzuͤge und Abſichten Auguſtus.
Die einheimiſchen Kriege der Roͤmer beguͤnſtigten
eine Zeitlang dieſe Unternehmungen. Wie aber Au-
guſt die ganze Roͤmiſche Macht zu ſeinem Dienſte,
und einen maͤchtigen Feind noͤthig hatte, um ſeiner
Regierung Anſehn, ſeiner Familie Lorbern, und eini-
gen unruhigen Koͤpfen einen ruͤhmlichen Untergang zu
verſchaffen, gewann es bald ein ganz ander Anſehn.
Gleichwol gieng ſeine Abſicht von dem erſten Augen-
blick
[171]dritter Abſchnitt.
blick (a) an einzig und allein auf Oberdeutſchland
oder Germanien, deſſen Eroberung dem Roͤmiſchen
Reiche die ſchoͤnſte Feſtigkeit, Rundung und Ge-
maͤchlichkeit geben konnte. Die Voͤlker am Nieder-
rhein, welche eben wieder einen Einfall in Gallien ge-
wagt hatten, kamen alſo noch gut genug davon. (b)
Wie ſie ſich ihm aber aufs neue zunoͤthigten, gieng
er ihnen mit Macht zu Leibe, unterwarf ſich die Si-
camber, (c) wies die Chatten in gewiſſe Schranken,
noͤthigte die Cherusker Bedingungen anzunehmen,
uͤberwaͤltigte an der See-kuͤſte die Frieſen, drang bis
zu den Kauchen und eroͤfnete damit auf einmal und
bis an dieſelbe einen ganz neuen Schauplatz. Doch
mehr um ſich freye Haͤnde als neue Laͤnder zu erwer-
ben. Die hieſigen konnten verheert oder beruhigt,
leichter entbehrt als erhalten werden. Zu dieſem Ende
wurden nun auch einige Veſtungen (d) an der Lippe
angelegt; und man kann ſagen daß damals unſer Land
von dem Kayſer Auguſt abgehangen habe; ob es
wol ſeiner Lage wegen von keinen Roͤmiſchen Voͤlkern
beruͤhrt ſeyn mogte. Denn ihre vornehmſten Bewe-
gungen geſchahen lange nachher noch immer die Lippe
hinauf, oder die Seekuͤſte hinunter, weil Nachfuhr
und Vorſicht keine andre Wege ſo leicht geſtatteten.
§. 83.
Deren Folgen.
Die hieſigeu Voͤlker trauten allmaͤlig dieſem Plan
und lieſſen ſich die roͤmiſche Freundſchaft, eine be-
ſcheidne Art von Herrſchaft, (a) gefallen; ſtelleten
die in Gefolge derſelben ihnen obliegende Huͤlfs-Voͤl-
ker; und erkannten, daß die Freundſchaft mit den
Roͤmern [ihnen] die ganze Welt oͤfnen, ihre Feindſchaft
aber nichts als Nachtheil bringen koͤnnte. Die
Statthalter am Niederrhein unterhielten ſie mit aller
Klugheit bey dieſen vernuͤnftigen Gedanken; und ihr
gutes Vernehmen wuͤrde die angenehmſten Folgen (b)
gehabt haben; wenn nicht Quintilius Varus (c) die
Beſorgung der Roͤmiſchen Angelegenheiten erhalten,
und ein ander Syſtem gefaßt haͤtte. Dieſer Mann
welcher bisher Syrien regiert und erſchoͤpft hatte,
kam an die Stelle des Sentius Saturninus, dem
ſein aufrichtiges und angenehmes Weſen ein allge-
meines Vertrauen erworben hatte. Er vergaß ſo-
gleich den Unterſchied zwiſchen Freunden und Unter-
thanen, und behandelte das Land bis uͤber die Weſer
ſchlechterdings auf den Fuß einer uͤberwundenen Pro-
vinz. (d) Hierdurch erbitterte er alles gegen ſich.
Man
[173]dritter Abſchnitt.
Man durfte ſich aber nicht gegen ihn ruͤhren, weil er
mit einem ſtarken Heere in einer vortheilhaften Stel-
lung am Niederrheine ſtund, und die ganze Gegend
in Furcht hielt. Endlich lockten (e) ſie ihn doch uͤber
die Lippe gegen die Weſer, wo er ſich in Sicherheit
ausbreitete. Allein auch in dieſer Stellung, wo er
einige Veſtungen im Ruͤcken und eine maͤchtige Re-
ſerve unter dem Aſprenas am Rhein hatte, ſchien er
ihnen noch zu furchtbar. Sie muſten ihn noch tiefer
ins Land und aus ſeinem Vortheil bringen.
§. 84.
Die Niederlage des Varus.
Zu dieſem Ende war ein Zug der Roͤmer nach der
Emſe aus dem Lippiſchen unſtreitig der Weg, um ſie
am beſten zu verwickeln, und von aller Huͤlfe abzu-
ſchneiden. Man bewog alſo ein entferntes Volk(a)
zum Aufſtande; und es iſt glaublich, daß ſich die
Emslaͤnder (b) dazu haben gebrauchen laſſen. Der
Weg dahin war ungebahnt. Varus aber ließ ihn
muͤhſam oͤfnen; (c) und Bruͤcken ſchlagen. Um das
Maaß ſeiner Unvorſichtigkeit voll zu machen, befahl er
den deutſchen Huͤlfs-Voͤlkern welche Armin an-
fuͤhrte, ihm zu folgen, und das war eigentlich wor-
auf man gerechnet hatte. Denn kaum war er auf-
gebrochen: ſo zog Armin alles unter dieſem Vor-
wande zuſammen, raͤumte was von Roͤmern zuruͤck-
geblieben war, in der Geſchwindigkeit aus den We-
ge, und folgte ihnen als Freund, mittlerweile andre
den in vollkommenſter Sicherheit und ohne alle Ord-
nung fortruͤckenden Roͤmern, durch Berg und Thal
beyde Seiten abgewonnen hatten. Jetzt legten ſie
auf einmal die Maske ab; und fielen von allen Sei-
ten auf ihre Feinde, welche drey Tage unter be-
ſtaͤndigem Gefechte, und unter den groͤſten Beſchwer-
lichkeiten, vermuthlich mit einer vernuͤnftigen Wen-
dung nach dem Niederrhein fortzogen, endlich aber
insgeſamt aufgerieben oder gefangen wurden. Dies
mogte
[175]dritter Abſchnitt.
mogte das erſtemal ſeyn, daß ein Roͤmiſches Heer
aus Noth unſer Land beruͤhrte. Denn alle dieſe Um-
ſtaͤnde laſſen vermuthen, daß Varus bey Hervord
uͤber die Werre (d) und ſo weiter in unſer Land ge-
gangen ſey.
§. 85.
Die Folgen derſelben.
Das Land wurde dadurch eine Zeitlang von der
Roͤmiſchen Freundſchaft befreyet, aber auch ſehr auf
Mdie
[178]Oſnabruͤckſche Geſchichte
die Spitze geſtellt. Die Roͤmer durften ein ſo kuͤhnes
Unrecht nicht ungerochen laſſen, und die Cherusker,
Bruckter und Angrivarier muſten in beſtaͤndiger
Furcht leben; oder groſſe Vereinigungen errichten,
und ſich in einer voͤlligen Kriegs-Verfaſſung erhalten.
Armin bediente ſich dieſer Umſtaͤnde. Noth und
Dankbarkeit machten ihn zum Feldherrn. Die Ge-
meinen liebten ihn, ſo ſehr als er von den Edlen,
welche die Folgen ſeiner Unternehmungen gar zu gut
einſahen, gehaſſet wurde. Hiedurch entſtand zuerſt
ein einheimiſcher Krieg, welcher den Roͤmern Zeit ließ
ſich von ihrem Schrecken zu erhohlen, und bald dar-
auf mit einem Heer von hundert-tauſend Mann einzu-
brechen, und ganz Weſtphalen (a) mit Feuer und
Schwerd zu verheeren. Der roͤmiſche Feldherr Ger-
manicus zerſtoͤrte bey dieſer Gelegenheit auch den be-
ruͤhmten Tempel Tanfans, (b) und gieng damit
um, die Voͤlker zwiſchen dem Rheine und der Weſer
dergeſtalt zu entkraͤften, (c) daß ſie fernerhin die roͤ-
miſchen Graͤnzen am Niederrhein unangefochten laſſen
ſollten. Jn dieſer Abſicht that er verſchiedne Feldzuͤ-
ge, lief zu zween malen in die Emſe ein, und drang von
dorther durch unſre Gegenden gegen die Weſer, und
uͤber dieſelbe; ohne jedoch ſeine voͤllige Abſicht zu er-
reichen, indem er einigemal gar uͤbel heimgefuͤhrt, (d)
und anch durch ſeine Vortheile nicht verbeſſert wurde,
weil ein Sieg insgemein nichts mehr entſchied, als
daß der eine fluͤchten, und der andre zuruͤckgehen
muſte.
§. 86.
Beſchluß der erſten Periode roͤmiſcher
Kriege.
Tiber machte zuerſt dieſen unnuͤtzen und koſtbaren
Kriegen aus einem Mißtrauen gegen den Germanicus
ein Ende. (a) Was dieſſeits der Weſer (b) war,
blieb mehrentheils in der Roͤmer Freundſchaft; und
die jenſeitigen Cherusker (c) wurden ihrem unruhigen
Willen uͤberlaſſen. Armin gieng mit denſelben den
Sueven gegen ihre Markomannen zu Huͤlfe, (d)
vielleicht um ſeine Feldherrſchaft durch den Krieg zu
verlaͤngern, oder auch in der groſſen Abſicht eine
gefaͤhrliche Souverainite in Germanien zu verhindern.
Er fochte nicht ungluͤcklich, ward aber endlich da er
wie Caͤſar, mit welchem er viel aͤhnliches hatte, ein
M 2eignes
[180]Oſnabruͤckſche Geſchichte
eignes Reich zu errichten gedachte, auch wie dieſer
von ſeinen Freunden und Verwandten ermordet. (e)
Die Roͤmer ſahen dieſe einheimiſchen Unruhen der
Deutſchen gern, und Tiber hielt es fuͤr das ſicherſte
und bequemſte ſie |auf dieſe Art gegen einander zu
reitzen; wiewol er dadurch den roͤmiſchen Nahmen
zuletzt faſt in Verachtung brachte; (f) bis endlich
Claudius ſolchen wiederherſtellete, und die Sachen
am Niederrhein zu ihrem vorigen Glanze erhob, aber
auch zugleich ploͤtzlich mitten unter dem Fortgange
derſelben (g) alle Eroberungen auf dieſer Seite
weißlich verachtete. (h) Dieſer Entſchluß, welcher
von einem Kayſer kam, der die Herrſchaft der Roͤmer
uͤber Britannien feſtſetzte, endigte die groͤſte Periode
der roͤmiſchen Kriege in unſern Gegenden.
§. 87.
Denkwuͤrdigkeiten derſelben.
Bis dahin erforderten die Kriege die Aufmahnung
aller Gemeinen. (a) Die Edlen (b) hielten es darin
mehrentheils mit den Roͤmern, und die Gemeinen
waren ſicher (c) gegen alle Herrſchaft; obwohl nicht
gegen ein Reich, welches aus den verlaͤngerten Feld-
herrſchaften haͤtte entſtehen koͤnnen. Es iſt dabey
merkwuͤrdig, daß die Roͤmer von jenem ſchwaͤbiſchen
Bunde eine foͤrmliche Huͤlfe gegen die Cheruskiſchen
und andre Saſſen erwarteten, und wiederum der
Markomanniſche Koͤnig auf den Beyſtand der Roͤmer
rechnete; (d) imgleichen daß die Voͤlker an der See-
kuͤſte und beſonders die Kauchen leicht der Roͤmer
Parthey nahmen, und eine roͤmiſche Beſatzung an
der Emſe duldeten. (e) Da die Gegenden zwiſchen
dem Rhein, der Emſe und der Weſer ſich ſolcherge-
ſtalt zur Noth-freundſchaft (f) bequemen muſten;
ſo konnten ſie nicht wohl ohne Haͤupter oder gemei-
ne (g) Koͤnige bleiben; weil die einzelnen Wohner
einen Haupt-Buͤrgen noͤthig hatten, womit die Roͤ-
mer etwas gewiſſes ſchlieſſen konnten. Ein ſolcher
Koͤnig hatte eine nothwendige Stuͤtze (h) an den Roͤ-
mern, ſo lange er ſein Volk nicht unterdruͤckte; und
einen natuͤrlichen Feind an den Adel, ehe man Lehne
kannte und ſolche ohne Schimpf annahm. Bis da-
hin erhielten ſich die Gemeinen durch ihn; und er
durch die Gemeinen. (i)
M 3(a) Da
[182]Oſnabruͤckſche Geſchichte
M 4§. 88.
[184]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 88.
Vermuthungen uͤber die damaligen
Heerwege der Roͤmer in hieſigen
Gegenden.
Die Zuͤge der Roͤmer von der Emſe nach dieſer
Seite muſten entweder dieſen Fluß hinauf uͤber das
heutige Meppen bis Rheine laufen, und von dort
mit einer Wendung zur Linken den Teutoburger
Wald erreichen; oder aber mit einer fruͤhern Einlen-
kung uͤber Kloppenburg und die Kuackenbruͤck durch
unſer Stift gehn. Andre Heerwege ſind noch jetzt
nicht vorhanden, und wegen der vielen Mohre und
tiefen Gegenden nicht fuͤglich anzunehmen. Erſtern
ſcheint Germanicus erwaͤhlet zu haben, wie er in
einer Richtung gegen die Lippe, durch die Gegend
der Bruckter vordrang, und ſeine Rechte durch die
leichten Truppen verwuͤſten ließ, (b) zum Zeichen
daß er mit der Haupt-Armee auf die Linke, wo er den
Teutoburger Wald traf, gehn wollte. Die Gebuͤrge
und Waldungen mit untermiſchten Ebnen, deren oft
erwehnt wird, nehmen bey Jppenbuͤren ihren Anfang,
und gehen in einer maͤchtigen Kette durch unſer Stift
und die Grafſchaft Tecklenburg ins Lippiſche und an die
Weſer. Germanicus verfolgte damals den Armin,
der ſich immer tiefer ins Land zog, auf ſeinen Ab-
wegen, (c) und nahm allem Anſehen nach, von dem
Varianiſchen Schlachtfelde, worauf er die zerſtreue-
ten Gebeine ſamlen und begraben ließ, eben den
Weg, welchen der ungluͤckliche roͤmiſche Feldherr zu-
erſt gebahnet hatte; nicht ohne Gefahr ein gleiches
Schickſal zu erfahren. Denn er that einen ſehr un-
gluͤck-
[185]dritter Abſchnitt.
gluͤcklichen Angrif, (d) und gieng wiederum den vori-
gen Weg nach der Emſe. (e)
M 5§. 89.
[186]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 89.
Werden fortgeſetzt.
Jn dem zweyten Zuge von der Emſe, worin Ger-
manicus das Jdeſtaviſiſche Feld jenſeits der Weſer
behauptete, mogte er den andern Weg uͤber die
Kuakenbruͤcke und ſo weiter uͤber Voͤrden nehmen. (a)
Dieſer iſt der einzige; und Voͤrden(b) ſind uralte
Anlagen aͤlter als Straſſen. Man hat nicht weit
davon ein Grabmal roͤmiſcher Kaufleute (c) entdeckt,
welche ſich leicht aus dem alten Emden durch dieſen
Weg ausbreiten konnten. Der Sieg den Germa-
nicus damals auf dem Ruͤckwege an dem Damme
erfochte, welcher die Angrivarier und Cherusker ſchied,
ſoll zu Damme (d) nahe bey dieſem Voͤrden vorge-
fallen ſeyn; und man hat in den dortigen Gegenden
verſchiedene roͤmiſche Muͤnzen gefunden. (e) Wenn
die Roͤmer vom Niederrheine kamen, mogte der Zug
ihrer Armeen nicht leicht in unſer Stift fallen. We-
nigſtens haben alle Kriegesheere, welche in den ſpaͤ-
tern Zeiten vom Rheine gegen die Weſer gezogen ſind,
ſich eher auf die Rechte gewandt, und hoͤchſtens zu
ihrer Sicherheit Jburg mit ihren leichten Truppen be-
ruͤhrt. Eine Heerſtraſſe von dieſer Seite iſt auch
uͤberhaupt nicht wohl zu beſtimmen, weil dorther
mehrere Wege zuſammentreffen.
§. 90.
Allgemeiner Zuſtand am Ende dieſer
Periode.
Die Ruhe von auſſen war ſolchergeſtalt wieder-
hergeſtellet, die Beſatzung von der Lippe abgefuͤhrt,
und ein groſſer Strich Landes am Rhein zur Schei-
dung wuͤſte (a) gelegt; die innerliche Ruhe aber nach
einem ſo ſchweren Kriege, wodurch zuletzt alles krie-
geriſch
[188]Oſnabruͤckſche Geſchichte
geriſch und jeder ander Stand veraͤchtlich werden
muſte, ſchwer zu erhalten. Der Cheruskiſche
Adel, deſſen Gefolge nothwendig ſtark vermehrt
war, (b) hatte ſich bereits unter einander aufgerie-
ben, (c) und die Nation (d) dahin gebracht, des Ar-
minius Brudern Sohn Jtalus, der in Jtalien geboh-
ren und erzogen war, (e) von Rom als ihren Koͤnig
zu berufen. So angenehm er aber den Gemeinen
Anfangs geweſen war: ſo ſehr ward er zuletzt den
Edlen, und der ganzen Nation verhaßt, da er nach
roͤmiſchen Grundſaͤtzen regieren wollte. Die Bruckter
und Angrivarier mogten unter dem Einfluß der naͤ-
hern roͤmiſchen Macht, der Ruhe genieſſen welche ih-
nen Claudius geſtattete. Man ſieht ein, daß dieſe
drey Nationen damals nicht vereinigt waren, ob ſie
ſchon, ehe und bevor Claudius ſeinen groſſen Ent-
ſchluß vollfuͤhrte, Galba die Chatten und Gabinius
die Marſer und Kauchen ſchlug, Corbulo aber mit
ſeinen Entwuͤrfen uͤber die Emſe war, (f) ein ge-
meinſchaftliches Syſtem (g) behaupteten und ſich
dieſer ihrer Nachbaren nicht annahmen.
(e) Ita-
[189]dritter Abſchnitt.
§. 91.
Wird fortgeſetzt.
Dieſe Ruhe erhielt ſich eine Zeitlang auſſer daß die
Chatten ſich ruͤhrten, und den Cheruskiſchen Saſſen
nicht traueten. (a)Nero hatte inzwiſchen das Ver-
gnuͤgen eine frieſiſche Geſandſchaft (b) in Rom zu
empfangen; und ein ſehr anſtaͤndiges Verfahren bey
den niederrheiniſchen Voͤlkern zu bemerken. Die
Amſibarier oder Emslaͤnder wurden von den Kauchen
welche ſich alſo damals bis an Kuakenbruͤck ausdeh-
nen konnten, vertrieben, (c) und dieſe vielleicht durch
eine groſſe Waſſerfluth (d) dazu gezwungen. Denn
die uͤbrigen Saſſen, welche ſich ſonſt der Amſibarier
annahmen, und ihnen die von den Roͤmern am Rhei-
ne wuͤſtgelegte Gegenden zuwenden wollten, wieder-
ſetzten ſich dieſer gewaltſamen Ausdehnung nicht.
Die Roͤmer aber waren noch ſtark genug, die
Saſſen an der Ausfuͤhrung ihrer mitleidigen Ab-
ſichten zu verhindern. (e) Es ſchien als wenn die
Bruck-
[190]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Bruckter damals unter den weſtfaliſchen Saſſen den
Reihen fuͤhrten. Velleda (f) eine edle Bruckterin
ſo ihren Sitz auf einem Schloſſe oder erhabenen
Thurme an der Lippe hatte, regierte wenigſtens ihrer
viele, und fuͤhrte das Wort fuͤr alle. (g) Sie wur-
de als eine Perſon verehrt, welche aus goͤttlicher Ein-
gebung handelte; und dieſes iſt insgemein die hoͤchſte
und feinſte Wendung der menſchlichen Politik, wenn
ſie den Wehrt und die Nothwendigkeit einer Mo-
narchie erkennet, die Vortheile derſelben aber nur
von einer geheiligten und ſchwachen Hand empfangen
will. Unſre Vorfahren gehorchten alſo dero Zeit
einer geheiligten Jungfrauen, in ſo weit ſie zu ge-
horchen gewohnet waren; (h) und ſie hatten ſchon in
den alten Zeiten ein gleiches Haupt an der Aurinie (i)
gehabt.
§. 92.
Zweyte Periode der roͤmiſchen Kriege.
Die deutſche Zwietracht hatte bisher den Roͤmern
gedient; nun aber ſollte auch einmal die roͤmiſche den
Deutſchen zu ſtatten kommen. Nero war geſtorben
mit ihm die regierende Familie erloſchen und kein
Senat mehr vorhanden, welcher den Armeen Befehle
ertheilen konnte. Galba und Otto waren nur eben
erſchienen und Vitellius fand bald an dem Veſpa-
ſian einen Gegner, welcher ihm keine lange Ruhe
verſprach; als Claudius Civilis ein edler Bataver
den kuͤhnen Entſchluß faßte fuͤr Letztern zu fechten,
und fuͤr ſich zu gewinnen. (a) Er brachte alſo zuerſt
ſeine Bataver, welche damals Gallien ruͤhrten, in
die Wafen. Die Voͤlker hinter ihnen folgten ihrem
Exempel. Was am Oberrhein war ruͤſtete ſich, und
die Niederrheinſchen Voͤlker richteten ſich nach einer
goͤttlichen Eingebung ihrer Velleda, (b) welche Ci-
vilis
[193]dritter Abſchnitt.
vilis gewonnen hatte. Von andern Seiten ſtand das
roͤmiſche Reich gleichfals in Gefahr, und Gallien er-
wartete nur den Ausgang um ſich oͤffentlich zu erklaͤ-
ren. So viele guͤnſtige Umſtaͤnde muſten nothwen-
dig die beſte Hofnung geben. Der Krieg ward auch
anfaͤnglich mit ziemlichen, bald darauf aber mit ab-
wechſelnden Gluͤcke einige Jahr nach einander fort-
gefuͤhrt, jedoch zuletzt durch Liſt und Unterhandlung
ſolchergeſtalt, wie es ſcheinet, geendiget, daß Civilis
ſeine Bedingungen (c) fuͤr ſich machte, und Velleden,
welche nicht lange nachher als eine roͤmiſche Gefangne
erſcheinet (d) ihrer eignen Gefahr uͤberließ.
§. 93.
Vermuthlich entſtehn darin die
Franken.
Die Unternehmung des Claudius Civilis ſetzte ganz
Deutſchland in Erſtaunen, (a) und die Verbundene
Nmog-
[194]Oſnabruͤckſche Geſchichte
mogten nach ihrer Befreyung von dem roͤmiſchen
Joche, zuerſt Franken genannt werden, in der Folge
aber dieſen Nahmen denjenigen von ihren Bundsge-
noſſen laſſen, welche ihre Freyheit zuletzt behaupteten.
Der Urſprung der Franken kann wenigſtens fuͤglich in
dieſe Zeit geſetzt werden, obgleich die Roͤmer ihnen die
Freyheit und den Nahmen davon nicht eher zugeſtehn
konnten, bis die Zeit deſſen Urſprung verdunkelt hatte.
Bey dem groͤſten Fortgange ihrer Waffen ſchickten
die niederrheiniſchen Voͤlker eine Botſchaft nach
Coͤlln, deſſen ſich die Roͤmer ſeit langer Zeit zu ihrem
Waffenplatze hier unten bedienten, um dieſer Stadt
Gluͤck zu wuͤnſchen, daß ſie nunmehr frank unter
franken Voͤlkern ſeyn koͤnnte; zugleich aber auch, um
die Niederreiſſung ihrer Stadt-Mauren zu fordern,
damit ein ehrlicher Deutſcher, ohne ſeine Waffen
abzulegen, wie auch ohne Zoll und ohne Wache uͤber
den Rhein gehen koͤnnte. Man erkeunet daraus un-
gefehr ihre weiteſten Abſichten, und wird durch die
Folge uͤberzeugt, daß die Gefangenſchaft der Vellede
keine ſchlimme Veraͤnderung in unſern Gegenden und
dem bisherigen Syſtem hervorgebracht habe.
§. 94.
Und behaupten ſich die Chatten als
Franken.
Die Chatten ſchienen zuerſt den Nahmen der Fran-
ken zu behaupten. (a) Sie fielen auf die Cherusker,
und verjagten deren Koͤnig Chariomer (b) weil er zu
maͤchtig und mit der Zeit ein gefaͤhrlicher Nachbar
werden konnte. Chariomer kam zwar einigemal
wieder empor, (c) und Domitian unterſtuͤtzte ihn
als einen roͤmiſchen Freund mit Gelde; machte auch
ſelbſt einige Bewegungen gegen die Chatten; allein
ohne Nutzen, und es ſcheinet, daß die Cherusker ſich
von ſolcher Zeit an der Ehre, ſich unter einem eignen
Feldkoͤnige verbunden und gefuͤrchtet zu ſehen, bege-
ben muſten. (d) Die Brukter hingegen erhielten ſich
noch mit Macht, und ihre damalige heilige Beherr-
ſcherin Ganna, (e) welche nach Velledens Zeit ver-
N 2ehret
[196]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ehret wurde, beſuchte den Kayſer Domitian in Rom.
Die Roͤmer gewannen an Vertrauen nach dem Maſſe,
wie ſie ihren Nachbarn weniger gefaͤhrlich wurden, und
ihre Freundſchaft wurde den Brukteriſchen Saſſen im-
mer noͤthiger, da die Germanier unter den ſchwachen
Kayſern ſich ihrer alten Groͤſſe naͤherten, den Koͤnig
welchen ihnen die Roͤmer gegeben hatten, verjagten,
und im Begrif ſtanden Gallien zu verheeren; die
Chatten aber den Domitian nicht fuͤrchteten, und
die Markomannen nebſt den Quaden dem roͤmiſchen
Reiche den Untergang droheten.
§. 95.
Groſſe Niederlage der Brukter.
Trajan zuͤchtigte (a) endlich der Roͤmer und Saſ-
ſen gemeinſchaftliche Feinde die Chatten und andre
Franken, und brachte dadurch die Sachen am Nie-
derrhein wieder auf einen ſolchen Fuß, daß er in der
Folge ſich mit der ganzen roͤmiſchen Macht gegen die
Donau und die Morgenlaͤnder wenden konnte. Die
Freundſchaft der Roͤmer und die Schwaͤche der
Chatten diente aber den Saſſen, und beſonders den
Bruktern nur ſich ihrer Macht zu uͤberheben. Dieſe
waren eine Zeitlang dasjenige unter den Saſſen in
Weſtphalen geweſen, was die Sueven unter den
Germaniern waren, und die Sicamber unter den
Franken wurden. (b) Sie waren gleichſam die
ausſchreibende, und mit der Zeit gewiß die herrſchende
Nation. Denn Vellede und Ganne waren Brukter-
ſcher Herkunft, und hatten ihr Amt ſchon weit genug
N 3aus-
[198]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ausgedehnt. Auf einmal thaten ſich dahero ihre
Nachbarn und beſonders die Angrivarier und Cha-
maver zuſammen (c) griffen die Brukter an, und
erſchlugen ihrer am Rhein in einem Treffen uͤber ſech-
zig tauſend Mann. Es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe
Niederlage den Brukteriſchen Heerbann betroffen,
und der Adel es mit den Angrivariern und Chama-
vern gehalten habe. Denn der Brukteriſche Koͤnig
fluͤchtete gleich vielen andern Koͤnigen, die dem Adel
beſchwerlich wurden, nicht lange hernach zu den Roͤ-
mern, welche ſich der Koͤnige, als ihrer Lehnleute an-
nahmen.
§. 96.
Jhre Folgen.
Die Folgen dieſer groſſen Niederlage koͤnnen zwar
nicht ſo betraͤchtlich geweſen ſeyn, als man vermuthen
ſollte. Denn Spurinna kam den Bruktern noch zei-
tig zu ſtatten, (a) befeſtigte ihren Koͤnig, und erhielt
desfals zu Rom die Ehre des Triumphs. Es iſt aber
doch glaublich, daß viele kleine Voͤlker, und beſonders
diejenigen welche damals in unſern Gegenden ſaſſen,
ſich von den Bruktern getrennt und zu den Angrwa-
riern
[199]dritter Abſchnitt.
riern geſchlagen haben. Vielleicht blieb wohl gar der
Brukteriſche Nahme blos denjenigen Bundes-genoſ-
ſen, welche vorhin jenſeits der Lippe (b) zu ihnen gehoͤ-
ret und daher ihren Nahmen gefuͤhret hatten. Dann
die Brukter zeigten ſich bald darauf am Rhein, und
zuletzt im fraͤnkiſchen Bunde, mit deſſen Huͤlfe ſie ſich
der Angrivarier erwehren konnten. Eine ſolche Ver-
aͤnderung ſchadete dero Zeit der gemeinen Freyheit ſo
leicht nicht. Ein uͤberwundenes Volk trat gleichſam
nur in den Bund der Sieger, ohne im uͤbrigen ſeine
Verfaſſung zu verlieren, es mogte denn ſeyn, daß man
es voͤllig vertilgte oder verjagte. Denn man kannte
das Mittel noch nicht, Laͤnder durch Beſatzungen zu
erhalten; und ließ einem Feldherrn ſchwerlich das
Recht aus einem gemeinen Gewinn ſein Eigenthum zu
machen, ſolchen ſeinem Gefolge zu verleihen, und der
Nation gefaͤhrlich zu werden. Auſſer dieſem aber hat-
ten die Sieger keinen andern Weg ſich der Ueberwun-
denen zu verſichern, als ſie mit ſich ſelbſt in eine
gemeine Reihe zu bringen, und ihnen ihre eigne Ehre
mitzutheilen; oder ſie ganz zu vertreiben, und ihre
Hoͤfe mit Siegern zu beſetzen, welche denn ihr Recht
noch weniger verlohren.
§. 97.
Die Saſſen genieſſen endlich roͤmiſche
Subſidien.
Das Anſehn wozu Trajan die roͤmiſche Macht
wieder erhoben hatte, erhielt ſich unter ſeinem Nach-
folger, (a) und wie der Kayſer Marc Aurel mit dem
groſſen ſchwaͤbiſchen Bunde, worinn dero Zeit die
Markomannen die Oberhand hatten, und mit dem
andern groſſen Waffenverein jenſeits der Elbe (b) zu
gleicher Zeit Krieg fuͤhren muſte: ſo zogen die Saſſen
Subſidien (c) von den Roͤmern, und halfen ihnen
gegen ihre alten Feinde die Sueven. Dieſes Sy-
ſtem ſchien ſich eine gute Weile zu erhalten, obgleich
die frieſiſchen und kauchiſchen Saſſen, welche man
mit den Bruktern und Angrivariern gar ſelten in Ge-
meinſchaft findet, ſich als Feinde zeigten. Wenig-
ſtens fuhr der Kayſer Commodus fort die Subſi-
dien (d) zu bezahlen; und Caracalla ſchlug ver-
muthlich auch mit ihrer Huͤlfe die Germanier, welche
damals zum erſtenmal von den Roͤmern Alleman-
nier (e) genannt und damit von den Niederrheiniſchen
Voͤlkern deutlich unterſchieden wurden. Dieſe mog-
ten ihm aber gegen die Kauchen, Frieſen und Anglen
nicht dienen wollen, weil er denſelben fuͤr baares Geld
das Recht abkaufte, uͤber ſie triumphiren zu duͤrfen;
ein Recht welches ihm zuletzt alle Voͤlker verkaufen
wollten.
§. 98.
Dritte Periode der Kriege mit den
Roͤmern.
Schon damals als Sever und Albin ſich einander
das Reich ſtreitig machten, und Albin Gallien vor
ſich hatte, ſchienen die Niederrheinſchen Voͤlker es
mit den Galliern zu halten und damit den Grund zu
neuen Kriegen mit den Roͤmern zu legen. Sie er-
fuhren wenigſtens die Rache der Roͤmer, und der
grauſame Maximin ruͤhmte ſich nachher viermal hun-
dert tauſend Doͤrfer (a) in Niederdeutſchland (b) ver-
heeret zu haben. Wie aber der groſſe ſchwaͤbiſche
Bund, oder die nunmehrigen Allemannier auf Jtalien
N 5und
[202]Oſnabruͤckſche Geſchichte
und Spanien fielen; der andre Bund an der Do-
nau in Pannonien einbrach, folglich Gallien oder
vielmehr das alte Belgien ſich ſelbſt erhalten muſte,
aͤnderte ſich die Verfaſſung. Die niederrheinſchen
Voͤlker unterſtuͤtzten die von den Galliern erwaͤhlte
beſondern Kayſer, (c) und beguͤnſtigten eine Tren-
nung, wovon ſie unter dem Aurelian und Probus (d)
das Opfer wurden. Die roͤmiſchen Kayſer ſuchten
ihre Freundſchaft ſo bald nicht wieder; ſondern be-
handelten ſie als maͤchtige feindliche Nachbaren, (e)
ſo gut ſie konnten, ohne jedoch einige Eroberungen
dieſſeits des Rheins zu machen.
§. 99.
Die Saſſen zeigen ſich nun auch dem
Nahmen nach.
Jnzwiſchen waren unter dem Diocletian (a) die
Saſſen nun auch dem Nahmen nach beruͤhmt ge-
worden; es ſey nun daß ihnen derſelbe in einer ge-
wiſſen Beziehung, oder zum beſondern Unterſchiede ge-
geben wurde, nachdem andre welche ihren beſondern
Bund hatten ſich unter dem Nahmen von Franken
nicht lange vorher bekannt gemacht hatten. Der
Ruhm dieſes Nahmens faͤllt in die Zeit, da ihnen die
Franken gegen die Roͤmer vorarbeiteten, die Germa-
nier aber den einbrechenden Gothen, und die thuͤrin-
giſchen Chatten den Wandalen und Gepiden zu
ſteuren, folglich alle ihre alten Feinde vor ſich zu
thun hatten. Sie hatten alſo dero Zeit gleichſam die
Wahl der Ebentheuer, und pluͤnderten die galliſchen
und ſpaniſchen Kuͤſten, mit eben dem Geiſte womit
ſie nachwaͤrts in Britannien (b) uͤbergiengen. Dieſe
ihre Unternehmungen in Geſellſchaft, und mehrentheils
unter dem Nahmen der Franken, waͤhreten bis auf
die
[204]Oſnabruͤckſche Geſchichte
die Zeiten Julians, da die Saſſen und beſonders die
kauchiſchen, (c) weil ſie vor den Roͤmern zu Hauſe
ſicherer als die Franken waren, ohne Unterlaß die
galliſchen Kuͤſten beſuchten, und ſich zur See fuͤrch-
terlich machten. Die fraͤnkiſche und ſaßiſche Freund-
ſchaft trennete ſich oͤfterer (d) weil jene insgemein die
Schlaͤge empfingen welche letztere verdienten. Und
ſelbſt die Franken muſten ſich bisweilen gegen ihre
Freunde von den Roͤmern gebrauchen laſſen.
§. 100.
Jn den ehmaligen Graͤnzen der Che-
rusker ꝛc.
Solchergeſtalt zeigten ſich nunmehr drey Haupt-
Voͤlker in Deutſchland, die Allemannier, Franken
und Saſſen, welche zwar wohl bisweilen zufaͤlliger
Weiſe, aber allezeit als drey unterſchiedene Nationeu
mit den Roͤmern und Galliern kriegten; ſehr oft ge-
gen einander fochten, und kein gemeinſchaftliches
Reich erkannten. Man ſah noch ſehr oft die Fran-
ken und bisweilen auch die Saſſen mit den Roͤmern
gegen die Allemannier (a) und ihre Bundesgenoſſen
fechten, beſonders unter dem Gratian und Theodo-
ſius. Wie aber endlich der uͤberelbiſche groſſe
Waffenverein, (b) oder die Wandalen, Gothen,
Quaden und andre Voͤlker, nachdem ſie von den
Roͤmern an der Donau nicht weiter beunruhiget
wurden, in Deutſchland einbrachen, die durch unauf-
hoͤrliche Kriege erſchoͤpften Sueven mit ſich fortriſſen,
und Gallien ſolchergeſtalt uͤberſchwemmeten, daß ſie
zwiſchen die Roͤmer und Franken zu ſtehen kamen,
behaupteten letztere mit Huͤlfe der Saſſen ihre Be-
ſitzungen. (c) Jene dehnten ſich daher nach Jtalien
und Spanien aus, gaben aber auch bald, da ſie ſich
im
[206]Oſnabruͤckſche Geſchichte
im Ruͤcken ſchwaͤchten, den Franken und Saſſen
Gelegenheit, ihnen einen Theil ihrer Eroberungen
wieder zu entreiſſen, woruͤber ſich die Roͤmer ver-
geblich beklagten. Nunmehr fieng die fraͤnkiſche
Macht an in Gallien eine Geſtalt zu gewinnen, und
den Roͤmern noͤthiger (d) als jemals zu werden.
Das fraͤnkiſche Reich dehnte ſich darauf unter dem
groſſen Chlodowig durch Oberdeutſchland aus, und
ſchloß ſich nach der Niederlage der thuͤringiſchen
Chatten, gegen die Saſſen an eben den Gebuͤr-
gen, (e) welche ehedem den Sueven gegen die Che-
rusker zur Vormauer gedienet hatten.
(d)
[207]dritter Abſchnitt.
§. 101.
Die Macht der Franken veraͤndert
ihr Syſtem.
Die Saſſen waren bisher ohne Reich wie ohne
Syſtem geblieben, und uͤberall nur dem Kriege nach-
gezogen, wohin es ihnen am beſten gefallen hatte,
ohne an ihre gemeinſchaftliche Sicherheit zu geden-
ken. Nun aber merkten ſie ihren Fehler, und es war
als wenn ihnen bey dem Fall der Thuͤringer, welchen
ſie noch gemeinſchaftlich mit den Franken befoͤr-
derten, (a) ihr eigner ahndete. Sie zogen alſo
die-
[208]Oſnabruͤckſche Geſchichte
dieſen nunmehr wider die Franken zu Huͤlfe; aber zu
ihren Schaden. Denn dieſe hatten jetzt den Mittel-
punkt ihrer Staͤrke da, wohin ſich die Roͤmer kaum
ausgedehnt hatten; und eine ſo vollkommen ge-
ſchloſſene Einrichtung, daß die Saſſen dagegen nicht
leicht aufkommen (b) mogten. Die Roͤmer hatten
es bey ihrem Verzicht auf alle Eroberungen dieſſeits
des Rheins, nicht rathſam geachtet, die niederrhein-
ſchen Voͤlker mit einem Tribut zu beſchweren und zu
reitzen. Die Franken brauchten ſo viele Maͤßigung
nicht; und der aͤltere Hlotar (c) trug gar kein Be-
denken, den geſchlagenen Saſſen einen Tribut von
500 Rindern aufzulegen. Doch iſt es wahrſchein-
lich, daß ſich zu ſolchem Tribut nur einige vorlie-
gende Gemeinden verpflichtet haben. (d) Jmmittelſt
wurde dadurch der alte Haß wieder rege, und an
der groſſen Scheidung, wo vordem die Sueven und
Cherusker eine ewige Feindſchaft hatten, bekriegten
ſich jetzt nach veraͤnderten Nahmen die Franken und
Saſſen.
O§ 102.
[210]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 102.
Sie unterſcheiden ſich in Oſt- und
Weſt-faͤlinger ꝛc.
Jn dieſen Umſtaͤnden mogten ſich zuerſt die Saſſen,
zu ihrer beſſern Vertheidigung, in drey Hauptkreiſe
unterſcheiden; oder doch von den Franken in oͤſtliche,
weſtliche und mittlere (a) unterſchieden werden; wenn
man vermuthen will, daß eine gleiche Abtheilung
unter andern Nahmen ſchon vorher (b) ſey beliebet
worden. Der groͤſte Theil unſers Stifts gehoͤrte
unſtreitig zu dem weſtlichen, oder zu Weſtfalen,
und vermuthlich das jetzige Amt Groͤnenberg nebſt
Wittlage zu Engern. Der gemeinſchaftliche Sam-
melplatz der Saſſen ſoll zu Markloh(c) an der
Weſer geweſen ſeyn; und er muß wol allemal an der
Weſer angenommen werden, weil bey einem Anfalle
vom Niederrhein oder durch Heſſen, ihre Vereini-
gung in der Mitte am ſicherſten und bequemſten war.
Die Kriege mit den Franken wurden lange an der
Ober-weſer gefuͤhrt; es ſey nun daß die Oſtfaͤler
noch immer ein cheruskiſches Herz gegen die Chatten,
oder eine vorzuͤglich kriegeriſche Verfaſſung, oder
auch wegen des einigen unter ihnen auferlegten Tri-
buts, mehrere Urſache hatten, die Franken zu haſſen.
Dieſe hatten uͤberdem, auf mehrere Faͤlle, (d) ihre
groͤſte Macht in Oberdeutſchland; und folglich auch
die Wahl des Kampf-platzes. Jn Weſtfalen ſchien
es wenigſtens die erſte Zeit ruhig.
§. 103.
Jhre erſten Kriege mit den Franken.
Die Franken ſchlugen oft mit ihnen, und erfochten
nach dem Bericht ihrer Geſchichtsſchreiber groſſe
Siege, ohne einige Eroberungen auſſerhalb den
Graͤnzen Germaniens zu machen. (a) Eine Ver-
wuͤſtung uͤber die Oberweſer war oft die ganze Folge
eines gluͤcklichen Treffens. Chlotar ſchlug ſie in
Geſellſchaft der Thuͤringer, (b) und wurde von ihnen
wieder geſchlagen, doch ward ein Theil der Oſtfaͤler
ihm zinsbar. Die Heldenthaten Dagoberts (d) gegen
den oſtfaͤliſchen Heerfuͤhrer Berthold ſind wohl nur ein
fraͤnkiſcher Roman; wie denn uͤberhaupt damals auf
die Rechnung der Saſſen gut dichten war. Jhr Erbie-
ten (e) die Vertheidigung der Reichs-Graͤnzen gegen
die Wenden, welche zu den uͤberelbiſchen Waffen-
verein gehoͤrten, zu uͤbernehmen, wenn ihnen der
Tribut erlaſſen wuͤrde, koͤnnte ihnen als die erſte
Verbindlichkeit gegen die Hermanie oder das Reich
angerechnet werden, wenn es durch den Erfolg ge-
nugſam bewieſen waͤre. Man merket aber leicht daß
ſie immer noch die Einbruͤche des uͤberelbiſchen Ver-
eins beguͤnſtiget haben, um den Franken in ihren
neuen Eroberungen keine Ruhe zu laſſen. Jene Ein-
O 2bruͤche
[212]Oſnabruͤckſche Geſchichte
bruͤche trafen damals (f) nicht leicht die Sachſen.
Vielmehr ſahe man dieſe ſich verſchiedentlich mit den
Hunnen, Daͤnen, Wenden und Sklaven gegen die
Franken verbinden.
§. 104.
[213]dritter Abſchnitt.
§. 104.
Sie behaupten ihre Freyheit.
Bey allen dieſen Kriegen hatten die Saſſen ihre
eigne Verfaſſung noch immer mit Macht behauptet.
Wie Dagobert ſtarb, waren ſie noch ſtark genug
Heſſen (a) zu verheeren und den Franken die Spitze
zu bieten. Die Frieſen ſtreiften unter ihrem Koͤnig
Radbot nach Koͤlln, (b) und unſre Gegenden waren
nothwendig ruhig. Der fraͤnkiſche Majordome ſchlug
zwar die Frieſen, (c) befreyete Heſſen und verwuͤſtete
das Land der Saſſen ſo weit er konnte, doch ohne
Folgen. Und die Frieſen ſo wohl als die Saſſen
drungen nachher noch mehrmals an den Rhein, (d)
ſo oft und ſo gluͤcklich er auch nach dem Berichte der
fraͤnkiſchen Schriftſteller mit ihnen ſchlug. Wie er
aber ſaͤmtliche Feldherrſchaften der fraͤnkiſchen Mo-
narchie an ſich gebracht, (e) und ſein Sohn Pipin
die Krone auf den Degen geſetzt hatte, (f) zeigte
ſich ſchon von ferne das Netz, welches unter Carln
dem Groſſen die Saſſen befangen wuͤrde. Vorher
waren ſie oft geſchlagen, uͤberzogen und zum Tribut
gezwungen, ihr Land aber war nie zu einer ordentlichen
Provinz gemacht und durch fraͤnkiſche Stadthalter,
oder verpflichtete Koͤnige regieret worden. Und dieſes
laͤßt zugleich vermuthen, daß ſie auch unter ſich in
keiner Reichs-verfaſſung lebten. Denn wenn die Fran-
ken einen Herzog oder Koͤnig von Bayern, Thuͤringen
und Allemannien uͤberwanden: ſo folgte die Provinz
dem Schickſal ihres Koͤnigs. Nie aber folgte das
Land der Saſſen dem Ueberwinder ihres Heerfuͤhrers.
Ward dieſer geſchlagen: ſo wurde ihr Land ver-
O 3heert,
[214]Oſnabruͤckſche Geſchichte
heert, (g) aber nicht zum Reiche gezogen. Sie ent-
richteten ihren Tribut als Nachbaren, welche die
fraͤnkiſche Macht fuͤrchteten und erkannten, (h) in ih-
rer innern Landes-verfaſſung aber nicht geſtoͤret wur-
den.
§. 105.
Pipin dringt in unſre Gegend.
Die Zuͤge der Franken kamen mehrentheils aus
Heſſen und Thuͤringen (a) und nur ſelten vom Nie-
derrheine, (b) und wenn ſie auch von letzterm Orte
kamen: ſo wandten ſie ſich auf Paderborn, (c) um
dasjenige, was ſie von oben gebrauchten an ſich zu
ziehen. Dies konnten ſie thun, wenn ſie nur die Lippe
beſetzt hatten. Pipin gieng tiefer in Weſtphalen und
auf Rheme. Hier muſte er Meiſter von der Ems
und einigen Veſtungen auf ſeiner Linken ſeyn, ehe er
ſich nach Rheme vertiefen konnte. Er hatte alſo
nothwendig Jburg (d) in unſerm Stifte beſetzt, und
der Erzbiſchof Hildeger von Coͤlln ward dort erſchla-
O 4gen.
[216]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gen. (e) Pipin verwuͤſtete alles, was er nnr er-
reichen konnte, ſiegte nach dem Berichte ſeiner Leute
in manchen blutigen Schlachten, eroberte Hochſe-
burg, und zwang einen Theil der Sachſen zu einem
jaͤhrlichen Tribut von dreyhundert Pferden. Doch
kam er auch oftmals in groſſe Gefahr, und die
ſpaͤtern Unternehmungen der Sachſen zeugen von einer
Macht, welche die Erzaͤhlung fruchtloſer Siege eini-
ger maſſen verdaͤchtig macht. Ein ſaͤchſiſcher Fuͤrſt
Nahmens Dieterich, (f) welcher in Hochſeburg (g)
gefangen wurde, machte ſich in dieſen Kriegen vor
zuͤglich beruͤhmt. Es ſcheint aber, daß er blos ein
eignes Gefolge, nicht aber den National Heerbann
gegen die Franken gefuͤhret habe. Diejenigen welche
aus obigen Hochſeburg unſer Oſnabruͤck machen,
ſetzen ihn auch zu unſern Fuͤrſten. Er war aber aller
Vermuthung nach ein edler Oſtfaͤler, und Hochſe-
burg iſt jenſeits der Weſer zu ſuchen.
§. 106.
Zuſtand bey der Ankunft Carls
des Groſſen.
Endlich erſchien Carl der Groſſe und mit ihm der
groſſe Zeitpunkt, worin das Land der Saſſen zum
erſtenmal eine Provinz des fraͤnkiſchen Reichs wer-
den ſollte. Die Stiftung unſers Biſchofthums
macht ihn zugleich merkwuͤrdig, und da unſre ganze
Verfaſſung ſich dahin zuruͤck zieht: ſo verdient er
die genaueſte Betrachtung. Die bisher erzaͤhlten
allgemeinen Begebenheiten haben es nur einiger
maſſen wahrſcheinlich machen ſollen, daß unſre Vor-
fahren ſo wenig von den Roͤmern als Allemanniern
und Franken in ihren unbeſchloſſenen Verfaſſungen
geſtoͤret worden. Sie waren alſo nach dieſer Vor-
ausſetzung noch immer die alten einzelnen Wohner
oder Saſſen, welche ihre Oberſten und Richter ſelbſt
waͤhlten, unter der Fahne Gottes auszogen, und ſo
wenig eine Herrſchaft als ein Reich erkannten, (a)
wann ſie ſich gleich bisweilen ungeſalbte Koͤnige oder
Haͤupter erwaͤhlten, und im Kriege dem Tapfer-
ſten folgten. Die Gefolge konnten bey den langen
und oͤftern Kriegen zugenommen (b) haben; Es
konnte mancher Wehr ſich einem maͤchtigern in
Schutz und Hode uͤbergeben; (c) und ſich ihm zu
Dienſte verpflichtet haben; Die Edlen (d) konnten
durch ihre oͤftere Vertheidigung zu dem Beſitz eines
jaͤhr-
[220]Oſnabruͤckſche Geſchichte
jaͤhrlichen Beytrages von den Gemeinen gelanget
ſeyn; (e) Jhre anſehnlichen Gefolge konnten ihnen
gedient haben, das Amt eines gemeinen Vorſtehers
in ihren Familien ſo gut als erblich zu machen.
Allein ihr richterliches Amt war noch das alte; ſie
hatten keine Gerichtsbarkeit uͤber die Gemeinen;
und das Recht uͤber Leben und Tod war auſſer dem
Hofrecht unbekannt. Der Adel war noch erleuch-
tet; (f) und die prieſterliche Gewalt das Band des
Staats.
(c) §.
[221]dritter Abſchnitt.
§. 107.
[222]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 107.
Solcher iſt dem Chriſtenthum nicht
guͤnſtig.
Dieſe ihre ganze Anlage und Einrichtung ſtund der
fraͤnkiſchen Verfaſſung und der chriſtlichen Religion,
welche beyde zugleich eingefuͤhret werden ſollten,
ſchnurgerade entgegen. Laͤngſt hatte ſich letztere durch
die Laͤnder ausgebreitet, worin die Wehren ſich
mehr in Leute, (a) und Voͤlker-rechte in Hof-rechte
verwandelt hatten. Sie war gerade der Linie (b)
gefolgt, welche ehedem die Cherusker von den Chat-
ten, oder die Reichsgenoſſen, von den unbeſchloſſenen
Saſſen geſchieden hatte. Ganz Germanien war ge-
wonnen; die Niederlaͤndiſche Seekuͤſte, ſo weit ſie
beherrſcht wurde, hatte ſie mit Freuden aufgenom-
men. Allein den Saſſen konnte (c) keine Religion
gefallen, nach welcher ein geſalbter Koͤnig das Recht
uͤber Leben und Tod, Gehorſam, Gedult und Zehn-
ten fordern konnte. Es kam ihnen unertraͤglich vor,
daß ein Mann einen Schimpf nicht ſelbſt raͤchen, und
ein Held nicht ſeinen beſondern Himmel haben ſollte.
Sie muſten erſt durch die Macht der Waffen um
ihre politiſche Verfaſſung gebracht werden, ehe das
Chriſtenthum auch nur einige Verhaͤltnis zu ihrem
Staat gewinnen konnte. Dies war die Urſache
ihrer hartnaͤckigen Widerſetzung, welche Carl der
Groſſe ganzer drey und dreyßig Jahr mit unermuͤde-
tem Eyfer bekaͤmpfte, oft unterdruͤckte aber nie er-
ſtickte. Jhr Aberglauben war der ſtaͤrkſte, (d) wel-
chen je ein Volk gehabt, und die politiſche Ver-
faſſung
[223]dritter Abſchnitt.
faſſung hatte ſich dermaſſen (e) darauf gelehnet, daß
Freyheit und Religion zugleich angegriffen werden
muſten.
§. 108.
Carls Groͤſſe und Abſichten.
Carl durfte wohl wuͤnſchen ſein Reich bis an die
Elbe zu erweitern. Dieſe Ausdehnung ergaͤnzte den
Zirkel, in deſſen Mittelpunkt er ohnedem ſeine Haupt-
macht (a) halten muſte. Er war alſo großmuͤthig an
der Weſer und grauſam an der Elbe, (b) weil er
dort erobern, und hier zerſtoͤren wollte. Ob ſeine
Unternehmungen gerecht oder ungerecht geweſen, iſt
nach
[225]dritter Abſchnitt.
nach dem Siege eine vergebliche Unterſuchung.
Gluͤck und Groͤſſe uͤberheben ihn einer gemeinen
Rechenſchaft. Er diente der Religion, und dieſe ihm,
da er den Schos der Kirche und ſeines Reichs zu-
gleich erweiterte, und den Grund zu Deutſchlands
Groͤſſe legte. Wedekind ein edler Herr, fuͤhrte die
Weſtphaͤlinger gegen ihn an; Albin die Oſtphaͤler,
und Bruno die Engern. Sie handelten im Anfang
nicht gemeinſchaftlich, weil jede Nation ſich beſon-
ders verglich. (c) Es kann aber auch ſeyn, daß
Carl ihnen nicht die Zeit ließ, ſich zu vereinigen, und
ploͤtzlich mit einer unerwarteten Macht in ihr Land
gieng. Der Koͤnig hatte das Gluͤck an dem Pabſt
Adrian (d) einen Freund und Fuͤhrer zu finden; und
beyde arbeiteten mit gleichem Eyfer an der Ausbrei-
tung ihrer Macht in den Abendlaͤndern, worinn nur
ein Reich und eine Kirche ſeyn ſollte.
§. 109.
Krieg mit den Sachſen.
Der Koͤnig riß zuerſt ſeines verſtorbenen Bruders
Reich an ſich; verjagte deſſen Wittwe und Kin-
der, und zog darauf ploͤtzlich wieder die Sachſen,772
welche ihn nicht erwarteten und leicht uͤberwaͤl-
Ptiget
[226]Oſnabruͤckſche Geſchichte
tiget wurden. Er eroberte (a) Eresburg und zerſtoͤrte
den Ort worin die Jrmenſaͤule (b) von ihnen ver-
ehret wurde. Kaum aber hatte er ſich nach Jtalien
gewendet, um ſeinen Schwiegervater zu ſtuͤr-
773zen: ſo ruͤhrten ſich die Saſſen, eroberten Eres-
burg und Sigisburg und verwuͤſteten Heſſen;
jedoch nur zu ihrem Ungluͤck. Denn Carl
774kam zuruͤck, verheerte ihr Land, und noͤthigte
775erſt die Oſtphaͤler, hernach die Engern und zu-
letzt die Weſtphaͤler, welche indeſſen ſein Lager
an der Weſer uͤberfallen und erobert hatten, ihm
Geiſſel zu geben, und Frieden zu geloben. Er war
aber noch nicht wieder uͤber die Alpen, als die
776Saſſen ſich ſchon von neuen ruͤhrten, Eresburg
wieder zerſtoͤrten, Siegesburg belagerten, und
ſich auch aufs neue wieder unterwarfen, nachdem
Carl auf das ſchleunigſte und mit der groͤſten Macht
wieder ſie anzog, Eresburg herſtellete, noch eine Ve-
ſtung an der Lippe ihnen ins Geſicht ſetzte und mit
Ernſt darauf dachte das ganze Weſen auf einen
beſſern und ſicherern Fuß als bisher zu ſetzen. Zu
dieſem Ende berief er ſeine Franken wie auch die
777Saſſen nach Paderborn, und richtete alles ſo
wohl ein, daß er im folgenden Jahre ruhig und
unbeſorgt uͤber die pyrenaͤiſchen Gebuͤrge nach Spa-
nien ziehen konnte. Die Saſſen gelobten einen be-
ſtaͤndigen Frieden, und lieſſen ſich in Menge taufen.
Wedekind aber fluͤchtete uͤber die Elbe. Vermuth-
lich ließ Carl damals bey der neugetauften Heerde
einige Hirten zuruͤck, welche ſie in einer Religion er-
halten ſollten, wovon faſt die ganze Sicherheit der
Ver-
[227]dritter Abſchnitt.
Vereinigung abhangen muſte; und es iſt wohl rich-
tig, (c) daß er auch nach Oſnabruͤck eine Kirche ver-
ordnen konnte, nachdem dieſſeits der Elbe alles be-
ruhigt war. Vielleicht wurde alſo ſchon damals der
Grund zu unſerer Kirche gelegt.
§. 110.
Fortſetzung.
Auf ſeinem Ruͤckzuge aus Spanien ward
Carl aufs Haupt geſchlagen, und alſo auch der
Friede von den Saſſen wieder gebrochen. Sie
fielen mit Macht an den Rhein, verheerten alles
was ſie konnten, und ſchonten gewiß der Altaͤre nicht.
Ohnfehlbar ward alſo auch der unſrige, wenn er
bereits erbauet war, zerſtoͤrt. Carl ließ ſo gleich eine
ſtarke Bewegung aus Oberdeutſchland gegen ſie
779vornehmen, er ſelbſt aber gieng nachdem er ſich
wieder erhohlt hatte, uͤber den Niederrhein au
die Lippe, ſchlug bey Bucholz und drang in unſre
Gegenden, wo ſich ihm alles unterwerfen muſte.
Damals konnte unſtreitig die Stiftung unſer Kirche
mit aller Sicherheit geſchehen. Denn Carl
780bauete nun ſchon Veſtungen an der Elbe, und
781rechnete auf die Saſſen als Reichs-voͤlker.
Deſto empfindlicher fiel es ihm alſo daß ſie bey
einem Einfalle der Slaven in Thuͤringen, wel-
782chen Widekind unfehlbar veranlaſſet hatte,
anſtatt ihm zu helfen, ſich mit jenen Reichs-fein-
den verſtanden, und ihm ein anſehnliches Heer auf
dem
[229]dritter Abſchnitt.
dem Suͤntel abſchlugen. (a) Dies erbitterte ihn ſo
ſehr, daß er ſelbſt mit ſeiner ganzen Macht den
Saſſen ins Land gieng, und an die viertauſend fuͤnf-
hundert Gemeine (b) bey Verden an der Aller ent-
haupten ließ.
§. 111.
Allgemeiner Aufſtand der Saſſen.
Die Saſſen geriethen uͤber dieſes grauſame Ver-
P 3fah-
[230]Oſnabruͤckſche Geſchichte
fahren voͤllig in Wuth. Der ganze Heerbann zog
ſich unter Wedekinden bey Detmold zuſammen, und
beyde Nationen lieferten ſich einander eines der
783blutigſten Treffen, ohne etwas zu entſcheiden, (a)
indem Carl um neue Huͤlfs-voͤlker an ſich zu
ziehen, nach Paderborn; Wedekind aber an die
Haſe in unſer Stift zuruͤckgieng, wo es gleich darauf
zu einem neuen Treffen (b) kam, in welchem die
Saſſen endlich das Feld raͤumen muſten. (c) Carl
behielt aber noch keinen feſten Fuß im Lande, erhielt
auch diesmal keine Geiſſeln, ſondern ſahe ſich wieder
Willen genoͤthiget mit Verwuͤſtungen fortzu-
784fahren. Er zog alſo im folgenden Jahre von
neuen mit Feuer und Schwerd durch Weſt-
phalen uͤber die Weſer an die Elbe; jedoch ohne den
Frieden zu erzwingen. Denn die Saſſen unter-
warfen ſich nicht, ſondern giengen vielmehr ſeinem
Sohn, welchen er mit einem beſondern Heer in der
Gegend von Drente an der Lippe gelaſſen hatte, zu
Leibe (d) und noͤthigten den Koͤnig noch einen Win-
terzug zu thun. Dieſer gieng alſo mit ſeinem Heer
an die Emmer, ſtreifte bis Reme, und hielt den gan-
zen Winter uͤber von Eresburg aus die Saſſen
785in beſtaͤndiger Unruhe. Gegen das Fruͤhjahr
verſamlete er die fraͤnkiſche Reichs-folge zu Pa-
derborn, machte ſich von dem groͤſten Theil des Lan-
des Meiſter und gieng wieder an die Elbe, wo er ſich
endlich mit Wedekinden in foͤrmliche Unterhandlun-
gen einließ, (e) ihm durch ſeine Geſandten frey Ge-
leit und Geiſſeln uͤberſchickte, und dieſen Herrn dahin
brachte, daß er dem Koͤnige nach Ettnach folgte und
ſich durch die Taufe mit GOtt und ihm verſoͤhnte.
(a) Denn
[231]dritter Abſchnitt.
§. 112.
Von ihrem Heerfuͤhrer Widekind.
Vermuthlich konnte dieſer Held nicht eher wieder
zum ruhigen Beſitz ſeiner Weſtphaͤliſchen Guͤter ge-
langen, ohne ſich mit den Franken auszuſoͤhnen; und
der Koͤnig mogte nicht wohl auf einige Sicherheit an
der Elbe rechnen, ſo lange Widekind mit ſeinem
Gefolge, und einiger nordiſchen Huͤlfe, ſolche be-
unruhigen, und die allezeit ſchwankende Saſſen zu
neuen Unternehmungen bereden oder noͤthigen konnte.
Beyden war alſo mit einer Unterhandlung gedient,
und der Koͤnig hatte Urſache den erſten Schritt zu
thun, weil er nicht immer eine genugſame fraͤnkiſche
Macht
[233]dritter Abſchnitt.
Macht an der Elbe halten konnte, ſondern die Saſ-
ſen ſelbſt zur Vertheidigung ihrer Graͤnzen gegen die
uͤberelbiſchen Voͤlker auf die eine oder andere Weiſe
bewegen muſte. Der Erfolg zeigte zwar erſt ſpaͤt die
Richtigkeit ſeiner Maaßregeln. Jnzwiſchen mag doch
durch den Schritt welchen Widekind that, das Land
dieſſeits der Weſer in ziemliche Ruhe gebracht ſeyn.
Ohnfehlbar gelangte auch Wedekind wieder zu ſeinen
Guͤtern, wovon vielleicht ein Theil in unſern Gegen-
den belegen (a) war: allein ſeine Feldherrſchaft hoͤrte
von ſelbſt auf, und er war nunmehr ein Edler ohne
ein oͤffentliches Amt zu fuͤhren. Wenigſtens handeln
diejenigen, welche ihm ein Koͤnigreich, ein Herzog-
thum (b) oder eine Grafſchaft geben, ohne Grund wie
ohne Schein, und gegen die Sitte der damaligen Zeiten.
§. 113.
Der Krieg geht von neuen an.
Die Auſſoͤhnung Wedekinds und ſeine Bekehrung
laſſen glauben, daß er ſeine Feldherrſchaft niederge-
legt habe. Die Geſchichte vermißt ihn ganz (a) und
Carl liebte keine ſtehende Feldherrn in Saſſen.
Eine tiefe Stille folgte auf die bisherigen Verwuͤ-
ſtungen. Doch ſcheint es nicht, daß der Kayſer be-
reits damals die innere Einrichtung des Landes zu
Stande gebracht habe. Denn er nahm noch ſpaͤter
Geiſſeln, und dieſe nimmt man in jenem Falle ſo
leicht nicht. Beyde Nationen zogen jedoch als
gemeinſchaftliche Reichsgenoſſen gegen die Hun-791
nen; aber auch vielleicht ungern. Denn die
Saſſen konnten ſich unmoͤglich mit gutem Willen an
der Donau (b) gebrauchen laſſen. Vermuthlich
war dieſes auch die Urſache ihres neuen Ver-
falls. Die Saſſen fiengen wenigſtens ihre793
Feindſeeligkeiten von neuen damit an, daß ſie
den Auf bot von Frieſen und Saſſen, welcher an die
Donau gehen ſollte, auseinander jagten, (c) und
jene Zeit dazu waͤhlten worinn der Koͤnig ſeinen
Schmerz verbergen, und ſich der Hunnen erwehren
muſte. Jhr Gluͤck waͤhrete nicht lange. Carl uͤber-
zog ſie mit zween Heeren von oben und unten,
und diejenigen welche ihm auf dem Sintfelde (d),794
zur Schlacht entgegen geruͤckt waren, muſten
ſich von neuen unterwerfen. Die Triebfedern dieſer
Unternehmung ſchienen jenſeits der Weſer zu lie-
gen.
[236]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gen. (e) Daher ſ[u]chte Carl vornehmlich die
795dortigen Voͤlker heim, (f) verwuͤſtete jene Ge-
797genden, blieb einen Winter zu Herſtall an der
Weſer, und verlegte ſeine ganze Armee dort in
die Quartiere, um ihnen das Krieges-Ungemach ſo
viel mehr empfinden zu laſſen.
§. 114.
Vorſchlaͤge zum Frieden.
Allein Carl mogte ihr Land verwuͤſten, und ſo un-
gluͤcklich machen als er nur wollte; er mogte ſo viele
Eydſchwuͤre und Geiſſeln von ihnen erzwingen als ihm
die Obermacht ſeiner Waffen erlaubte; ihr Herz ge-
wann er nie; und dem fraͤnkiſchen Heerbann muſte
es auſſerordentlich beſchwerlich fallen Winter und
Sommer zu Felde zu liegen, ſich als Beſatzungen in
fremden Laͤndern gebrauchen zu laſſen, und bey dem
geringſten Umſchlag der Sachen in Ungarn, Spa-
nien oder Jtalien, einen ſichern Feind an den Saſ-
ſen zu fuͤrchten. Dies bewog ihn endlich ſeine Ab-
ſicht auf eine edle freye Vereinigung beyder Natio-
nen zu richten. Er ſetzte alſo den Saſſen einen Tag
nach Seltz, und ſchlug ihnen vor, ob ſie ſich als
Chriſten in ein gemeinſchaftliches Reich mit den
Franken einlaſſen; ihn ſo wie dieſe fuͤr ihr gemeinſa-
mes
[238]Oſnabruͤckſche Geſchichte
mes Oberhaupt erkennen, diejenigen welche er an ſei-
ne Statt ſchicken wuͤrde, gebuͤhrend aufnehmen, be-
ſonders aber den Biſchoͤfen und Grafen, als ihren
geiſt- und weltlichen Vorgeſetzten gehoͤrige Folge lei-
ſten, und ihnen dasjenige entrichten wollten, was ih-
nen bey den Franken gegeben wuͤrde. (a) Auf dieſen
Fall ſollten ſie mit dieſen einerley Wehrung, (b)
Vorzuͤge und Gnade genieſſen; von allem Tribut
befreyet, und ſo wie dieſe, auch nicht anders als in
ihrer Heymath, von ihres gleichen, und nach ihrem
eignen Rechte gerichtet werden.
§. 115.
Groſſe Bedenklichkeiten der Sachſen.
Die Vorſchlaͤge waren von der aͤuſſerſten Wich-
tigkeit, und nach drey und dreyßig-jaͤhrigen Unruhen
wohl zu uͤberlegen. Die Vereinigung beyder Natio-
nen
[240]Oſnabruͤckſche Geſchichte
nen zu einer Zeit, wo die Reichs-vertheidigung nicht
etwan einigen Dienſtleuten oder Soͤldnern, ſondern
dem gemeinen Heerbann oblag, war vor die Saſſen
um ſo viel bedenklicher, je weitlaͤufiger die fraͤnkiſchen
Graͤnzen auseinander lagen. „Ein ſo groſſes Reich,
„konnten ſie mit Recht ſagen, mache die Sklaverey
„nothwendig oder die Freyheit doch ſo theuer, daß
„die Koſten den Vortheil uͤberwoͤgen. Das Wohl
„einzelner Wehren komme darinn niemals, und das
„von ganzen Provinzien nur bey ihrer Aufopferung
„in Betracht. Die Saſſen wuͤrden mit den Fran-
„ken bald uͤber die Alpen (a) und bald uͤber die
„Pyrenaͤen ziehen muͤſſen, wenn es die Noth oder
„der Koͤnig erforderte; und ſo wie das fraͤnkiſche
„Reich oder die Herrſchſucht ſeines Oberhaupts ſich
„ausdehnte, wuͤrden ſich auch ihre Heerzuͤge aus-
„dehnen und vermehren. Bisher haͤtten ſie alle
„Eroberungen verachtet, weil ſolche einzelnen Woh-
„nern, die keine Soͤldner darauf halten wollten, nur
„zur Laſt kaͤmen; ſie haͤtten niemals im Herrn-dienſt
„ſondern fuͤr ihren eigenen Heerd geſieget; und kei-
„nen Tropfen Bluts fuͤr Sold oder Lehn aufge-
„opfert. Kuͤnftig aber wuͤrden ſie fuͤr einen Mo-
„narchen erobern, und ihren Acker verlaſſen muͤſſen.
„Der Koͤnig ſey großmuͤthig genug zu erkennen, daß
„ein ehrlicher Mann ſo wenig von ſeiner Perſon als
„von ſeinen Gruͤnden einem Oberhaupte Zins geben
„koͤnne. Allein ein ewiger Heerzug, werde ſie bald
„in die aͤuſſerſte Armuth, und zuletzt in die Noth-
„wendigkeit ſtuͤrzen, ſich als Knechte zu retten. (b)
§. 116.
Beſonders wegen des Reichstages.
„Eine allgemeine Verſamlung falle in einem ſo
„groſſen Reiche von ſelbſt weg, diene auch zu nichts,
„da ſo viele unnatuͤrlich verbundene Staaten ein gar
„zu verſchiedenes Jntereſſe haͤtten. Man werde alſo
„gleich nur Dietinen halten koͤnnen; und dieſe gehen
„bald in eine bloſſe Ceremonie uͤber, wofern man
„nicht einer jeden (a) das gefaͤhrliche Recht einraͤu-
„men wolle, den Schluß der mehrſten zu vereitlen.
„Dadurch aber werde der Grund zu neuen Unruhen
„gelegt, und der Staͤrkere folge ſeinem Willen mit
„Recht, wenn es der Schwaͤchere thun duͤrfe. Jn
„beyden Faͤllen ſey den Saſſen nicht ſonderlich ge-
„rathen, und uͤberdem der Schluß einer Dietine in
„ſehr bedenklichen Haͤnden, wenn der Koͤnig ſich da-
„von bloß durch ſeinen Geſandten unterrichten, und
Q„ihnen
[242]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„ihnen nicht ihren eignen Land-boten und erwaͤhlten
„Stimmvertreter in der allgemeinen Reichs-verſam-
„lung verſtatten wolle. Dieſe werde ſolchergeſtalt
„nicht lange unter einem freyen Himmel beſtehen, (b)
„ſondern bald zu Hofe unter Dach gehen. Der
„Geſandte werde ihnen allezeit mit ſeinem Unter-
„halte, und leicht mit Neben-forderungen zur Laſt
„fallen, (c) denen man um ſo weniger ausweichen
„duͤrfe je noͤthiger man ſeine Gunſt haben werde.
§. 117.
Und der Anſetzung koͤniglicher Richter.
„Das ſchrecklichſte unter allen aber ſey, daß der
„Koͤnig ihnen ihre Richter ſetzen,(a) und ſolche in
„Grafen (b) verwandeln wolle. Bisher haͤtten ſie
„es als ein heiliges Geſetz von der Natur empfangen,
„ſich ihren Richter ſelbſt waͤhlen, und kein ander
„Recht erkennen zu duͤrfen, als was ſie uͤber ſich be-
„williget haͤtten. Der Richter waͤre als ein Ge-
„meins-mann in der gemeinen Verſammlung zur
„Rede und Antwort verbunden geweſen, und haͤtte
„ſein Amt beym Schluß eines Jahres allezeit, oder
„doch als eine Laſt gern niedergelegt, wenn die Ge-
„meine mit ihm nicht zufrieden geweſen waͤre.
„Kuͤnftig aber wenn der Koͤnig ihn auf ſeine Lebens-
„zeit ſetze, ſchuͤtze und beſolde, werde er ein ſtolzer
„Bedienter und ſeine Entlaſſung ſchimpflich (c) ſeyn.
„Die Befugniß wie die Macht ihn zur Rechenſchaft
„zu ziehen falle von ſelbſt weg. Jhnen bleibe nichts
„als das traurige Recht uͤbrig ihn bey Hofe zu ver-
„klagen, und ehe ſie damit zu dem entfernten Throne
„durchdraͤngen, moͤgte der Unſchuldige leicht unter-
„druͤcket ſeyn. Die Kinder des koͤniglichen Richters
„wuͤrden leicht zu groſſen Hofnungen erzogen, zu
Q 2„Vor-
[244]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„Vorzuͤgen gewoͤhnt, und verfuͤhrt werden das Rich-
„ter-amt erblich (d) zu machen, anſtatt daß ſolches,
„ſo lange es wie bisher eine jaͤhrliche Reihe-laſt
„bliebe, keinem einfallen koͤnnte. Der Koͤnig ſaͤhe
„an ſeinen Franken, zu welcher Macht es bereits die
„Richter gebracht haͤtten; und die Saſſen wuͤrden
„bald ſo viele Erb-richter (e) und Oberherrn haben,
„als ihnen jetzt Grafen vorgeſetzt wuͤrden, wenn er
„bey dem Vorſchlage beharrete, den Mannien die
„freye Wahl ihres Richters zu nehmen.
§. 118.
Jmgleichen der Beſtaͤtigung der
Schoͤpfen.
„Zwar moͤge es ſcheinen, daß man dem Kayſer
„die Ernennung des Richters als eine Kron-ehre gar
„wohl goͤnnen koͤnne, weil er keine Urtheile zu weiſen,
Q 3„ſon-
[246]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„ſondern nur die Weißthuͤmer eingebohrner redlicher
„und weiſer Maͤnner zu beſtaͤtigen habe; daher und
„ſo lange ihnen dieſes Recht bliebe; ſo lange der
„Kayſer jeder Gemeinheit die Wahl ihrer Urthels-
„finder oder Schoͤpfen lieſſe, (a) ein Saſſe den
„Richter nicht ſonderlich fuͤrchten duͤrfe. Allein er
„verlange auch die Beſtaͤtigung der Schoͤpfen, und
„behaupte das Recht, Leute die es nicht waͤren ſchoͤp-
„penbar zu machen; dies erwecke groſſes Nachden-
„ken; (b) und wenn der Kayſer gleich keinen ſchoͤp-
„penbar mache, der nicht wenigſtens hinlaͤngliche
„Guͤter beſitze, und alſo in ſeiner Reihe eben das
„Recht wieder ſich gelten laſſen muͤſſe, was er andern
„weiſe; auch keinen zum Schoͤpfen in ſeinem Volke
„beſtaͤtige, der nicht Gerichts-genoß ſey: ſo ſey die-
„ſes doch eine Billigkeit, welche ſeine Nachfolger am
„Throne leicht vergeſſen koͤnnten. Dann aber ſey
„eine Menge von Geſetzen der nothwendige Fehler
„groſſer Verfaſſungen. Dazu wuͤrden in Jtalien
„ſchon eigne Leute erfordert, welche die Erlernung
„derſelben ihr ganzes Geſchaͤfte ſeyn lieſſen; und der
„Wehr ſey gewiß der letzte, welcher ſeinen Hof ver-
„laſſen und ſich dieſe Geſchicklichkeit erwerben wuͤrde.
„Daher ſey es ſehr zu befuͤrchten, (c) daß das Amt
„der Schoͤpfen bald ſolchen unangeſeſſenen und wohl
„gar mit der Zeit fremden Gelehrten zu Theil wer-
„den, und Ehre, Leib und Leben eines Mannes von
„der rechtlichen Meinung eines Miethlings abhangen
„wuͤrde.
§. 119.
Jmgleichen des Heergeweddes.
„Auſſerdem ſey es ein anſtoͤßiger Gebrauch (a)
„unter den Franken, daß der Oberſte wo nicht den
„ganzen Sterbfall, doch allemal einen Theil der
„Verlaſſenſchaft ſeines Gemeinen zoͤge. (b) Die
„Saſſen kennten dieſen Gebrauch nur im Hof-recht;
„und als eine Urkunde des Dienſtes; nicht aber im
Q 4Heer-
[248]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„Heerbann. (c) So bald nun der Oberſte oder
„Graf ſeine Bedienung erblich machte, wuͤrde er die
„ihm anvertrauete Gemeinen leicht als ſeine Knechte
„betrachten, und dermaleinſt die Nachkommen zu
„ſchimpflichen Vermuthungen fuͤhren. Jetzt ſey zwar
„dieſer Gebrauch noch ſo nachdenklich nicht, indem
„alle Herzoge, Grafen und andre Reichs-bediente
„ſich dieſem Hof-recht unterwerfen muͤſten. Die
„Zeit werde aber bald kommen, wo die Groſſen ſich
„einen Schimpf (d) daraus machen, und den Ge-
„ringern darunter verlaſſen wuͤrden. Die Folge da-
„von zeige ſich unter den Franken zur Gnuͤge; der
„Dienſt werde bey denſelben ſchon zur Ehre, und
„die gemeine Wehrſchaft ſchimpflich. Alles floͤge
„bey denſelben zu Schutze und zu Hofe, und der
„Thuͤrhuͤter im glaͤnzenden Kleide hebe ſich uͤber den
„ehrbaren Mann. (e) Eine ſolche Verfaſſung, wor-
„in der Dienſt adle, ſey die ſchrecklichſte von allen,
„und eine unvermeidliche Sklaverey.
§. 120.
Und der Zehnten.
„Die Wahrheit der chriſtlichen Religion verbinde
„niemanden ſie anzunehmen; ſie ſey darum nicht
„gleich allgemein, vor alle Volker und Verfaſſungen.
„Eine jede derſelben habe ihren eignen Zweck; und
„folglich auch ihre eigne Wahrheit. Die ihrige ſey
„Freyheit; und damit ſtimme die chriſtliche Religion
„nicht allerdings uͤberein. Ein Saſſe laſſe ſich durch
„Ehre; und ein Chriſt durch Liebe verbinden. Dieſe
„fuͤhre aber den Menſchen nicht ſo ſicher als jene.
„Doch das Hauptwerk ſeyn die Zehnten (a) welche
„der Koͤnig zum Unterhalt der Prieſter fordere.
„Wenn jemals ein Volk in der Welt geweſen,
„welches ſeinen Hals mit dieſem Joche beladen haͤtte:
„ſo muͤſte es aus der Sklaverey entſprungen, (b) o-
„der
[251]dritter Abſchnitt.
„der aus ganz beſondern Urſachen dazu gebracht ſeyn.
„Jhnen ſey es ſchlechterdings unertraͤglich; da ihr
„Acker die darauf gewandte Muͤhe und Einſaat ſehr
„ſparſam vergoͤlte. Der Koͤnig ſelbſt (c) muͤſſe
„von eignen Mitteln leben; und erhielte von keinem
„Heermanne unter den Franken einen Zuſchuß.
„Dieſer ihre einzige Auflage ſey die gemeine Ber-
„theidigung; und ſolche habe eine Zeit hero mehr er-
„fordert, als ihre Hoͤfe aufgebracht haͤtten. Durch
„die Vereinigung mit den Franken wuͤrden ſich die
„oͤffentlichen Laſten eher vermehren als vermindern.
„Ein Theil (d) ihrer Erndte ſtehe ſo ſchon unter
„gemeinem Kriegs-rechte. Der Unterhalt aller rei-
„ſenden und ſtehenden oͤffentlichen Beamten liege
„ihnen ob. Alles was von Hofe kaͤme, (e) erſchliche
„Spann- und Atzungs-befehle; anſtatt mit kayſer-
„lichen Kammer-ſpannen zu reiſen, und auf den
„Kammer-hoͤfen zu zehren. Die Geiſtlichen, wenn
„man ihre Anzahl nicht unnoͤthig vermehrte, wuͤrden
„auch die Zehnten von allen nicht verzehren koͤnnen,
„und es ſey hart dem Wehren die Nothdurft zu
„nehmen, um Unwehrige in Ueberflus zu ſetzen. Die
„Saſſen haͤtten auf andre Art vor den Unterhalt ih-
„rer Prieſter geſorgt, und ſich unter dem Nahmen
„der Gottheit keinen Menſchen pflichtig oder zinsbar
„machen wollen. Knechten legte man Pflicht auf,
„aber keinen Edlen und Wehren, und ihr Abſcheu
„dagegen ſey um ſo viel gerechter, da bey den Fran-
„ken die Veraͤuſſerung und Verleihung einer Menge
„von Zehnten, aus Gottes Knechten Menſchen Knech-
„te gemacht haͤtte.
(a) Es
[252]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 121.
Des Kayſers Betragen dagegen.
Carl fand ihre Beſorgniß nicht ohne Grund, und
ſeine Verordnungen werden ſo gleich zeigen, wie er
ſich mit allem Fleiſſe um ihre Beruhigung bemuͤhet
habe. Jndeſſen blieb der Hauptpunkt nemlich die
Vereinigung mit den Franken feſtgeſtellt; und beyde
Nationen traten unter das neue abendlaͤndiſche Kay-
ſerthum. Nunmehr waren die Saſſen Reichs-ſaſ-
ſen. (a) Der bisherige Gottes- oder Prieſter-friede
machte dem Koͤnigs-banne Raum; und die Reichs-
fahne wehete da, wo vorhin die Gottes-fahne (b)
geſtanden hatte. Carl war geſalbt (c) und Auguſt,
mithin kein gemeines Oberhaupt. Sie traten alſo
unter eine vollkommene Decke, welche die Wehren leicht
in Leute(d) verwandelte. Die Mahnung(e) hoͤre-
te auf; und ſie bewilligten dafuͤr dem Kayſer ſechzig
Schillinge (f) zur hoͤchſten Strafe, welche er jedoch
nie, ohne ihrem Willen verdoppeln ſollte. Dieſes
war
[254]Oſnabruͤckſche Geſchichte
war das Ende der ſaͤchſiſchen gemeinen Freyheit, wel-
che nach einem drey und dreyßig jaͤhrigen Kriege nur
wenige noch kennen, und mehrere aus Ermuͤdung (g)
und Armuth mit Frenden gegen eine gluͤckliche Herr-
ſchaft vertauſchen mogten.
Vierte Abtheilunge/
Von den Anſtalten Carls des Groſſen
in hieſigen Gegenden.
§. 122.
Von deren Wichtigkeit uͤberhaupt.
Die Einrichtungen Carls des Groſſen verdienen aus
mehr als einer Urſache die groͤßte Aufmerkſam-
keit; nicht bloß weil ſie von einem Herrn kommen,
der alle glaͤnzende Eigenſchaften eines Monarchen,
eine groſſe Arbeitſamkeit des Geiſtes und ſehr viele
politiſche Guͤte beſaß; ſondern weil ſich vieles von
unſern Rechten und Gewohnheiten ohne eine genaue
Kenntnis derſelben nicht wohl verſtehen laͤßt. Wo-
hin die Franken ſich ausgebreitet, haben alle Staats-
verfaſſungen eine ganz neue Wendung genommen;
die allgemeine Reichs-verfaſſung neigt ſich noch gegen
den Punkt, (a) woraus Carl der Groſſe einen guten
Theil von Europa beherrſchte. Und er ſelbſt machte
aus dem Lande der Saſſen einen ganz neuen Staat.
Er iſt der erſte der den Geiſtlichen- und Krieges-
ſtand, oder den Biſchof und Grafen daſelbſt neben
einander beſtellete; beyde mit einem General-depar-
tement umfaßte und damit die drey Maͤchte ſchuf,
welche ſich zuletzt unter dem Nahmen der Territorial-
Ho-
[256]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Hoheit vereiniget haben. Die Kriege welche dieſe
drey Maͤchte bis auf den weſtphaͤliſchen Frieden mit
einander gefuͤhrt, ſind in allen Laͤndern wahre Staats-
begebenheiten, indem ſich durch dieſelben der ganze
National-zuſtand veraͤndert, edles und gemeines Ei-
genthum verlohren, das Wort Adel in ſeinem Begrif
verſchlimmert, und hoͤchſtens eine Freyheit, welche
noch das Gepraͤge der Gnade mit ſich fuͤhret, wieder
eingeſtellet hat. Hier uͤberwand der Biſchof den
Grafen; dort der Graf den Biſchofen; und Beyde
zertruͤmmerten (b) mit der Zeit das General-departe-
ment. Letzters ward eine Beute der Wachſamen.
Das mehrſte ſammleten Biſchoͤfe und Grafen, vieles
die Staͤdte, und einiges auch der Adel davon auf.
§. 123.
[257]dierte Abtheilunge.
§. 123.
Allgemeine Abtheilung.
Carl theilte das Land in Biſchofthuͤmer(a) und
Grafſchaften ein. Letztere lagen wie unſere heutigen
Aemter im erſtern, nur mit dem Unterſchiede, daß ſie
unmittelbar vom Kayſer abhiengen, und bloß der
geiſtlichen Aufſicht des Biſchofen empfohlen wurden.
Eine Geſandſchaft(b) oder ein General-departe-
ments-diſtrickt faßte mehrere Biſchofthuͤmer und Graf-
ſchaften in ſich; und Weſtphalen oder der nachherige
Erzſtifts-coͤllniſche (c) Sprengel gehoͤrte vermuthlich
zu einer einzigen Geſandſchaft; ſo wie noch jetzt zu
einer Nuntiatur. Die kayſerliche Cammer machte
unter der beſondern Aufſicht des Geſandten ein eignes
Departement aus. Sprengel Grafſchaft und Cam-
mer (d) deckten in ſolcher Maaſſe, daß der Biſchof
ſeine Geiſtlichkeit, der Graf ſeine Landfolge, und die
kayſerliche Cammer ihre Mund- und Mahl-leute,
auch Cammerknechte zu mittelbaren Reichs-unter-
thanen machte. Der Geſandte hingegen repraͤſen-
tirte (e) den Kayſer; und Biſchoͤfe, Grafen und Edle
verlohren ihre Unmittelbarkeit nicht, (f) wenn ſie
gleich in manchen Stuͤcken ſeiner Direktion folgen
mußten.
§. 124.
Von den Biſchoͤfen und ihren
Sprengeln.
Der Biſchof (a) war durch ſein Amt nothwendi-
ger Edler oder Reichs-fuͤrſt (b) und das Kir-
chen-orbar (c) gleichſam eine Reichs-allode. Der
kayſerliche Geſandte ſtand gegen ihn; (d) Uebrige
Reichs-beamte aber, als Herzoge, Grafen (e) und
andre, hatten auſſer dem Fall, (f) wenn ſie darum
begehret wurden, uͤber keinen Geiſtlichen, auch uͤber
kein Orbar und Weihgut etwas zu ſagen. Die Voll-
macht des kayſerlichen Geſandten gegen den Biſchof
gieng aber bloß auf die Erhaltung des Reichs-frie-
dens; und in ſolcher Maaſſe konnte er dem Biſchofe
wiederſtehen, und ſich im Nothfall ſeiner Perſon (g)
verſichern; aber nicht uͤber ihn erkennen. (h) Dies
gehoͤrte vor den Kayſer und die Reichs-verſam-
lung. (i) Jeder Biſchof ward mit Vorbehalt ſeiner
Ehre, (k) des Heerzuges erlaſſen; jedoch wurde ihm
vergoͤnnt ſeine Leute zu ſchicken. Wo die Natur nicht
durch Fluͤſſe oder auf andre Art ſelbſt Graͤnzen ſetzte,
ſchienen die biſchoͤflichen Sprengel dergleichen nicht zu
empfangen, (l) ſondern ſich auf eine Mannzahl zu
ſchlieſſen. Der Oßnabruͤckiſche mogte Anfangs ſich
dieſſeits der Emſe bis ans Meer ausdehnen ſollen.
Wenigſtens war bey der erſten Anlage kein Grund
vorhanden, um ihm von dieſer Seite Graͤnzen zu geben.
R 2(a) Jch
[260]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 125.
Vom Archidiacon und Kirchenvogt.
Jn ſeinen auswaͤrtigen geiſtlichen Amtsverrichtun-
gen hatte der Biſchof vielleicht ſeinen Archidiacon (a)
zum Gehuͤlfen. Seiner wird aber in den einheimi-
ſchen ſaͤchſichen Urkunden der erſten Zeit nicht gedacht.
Zu den weltlichen Sachen erhielt er ſeinen Vogt, (b)
welcher, eben wie der Graf in ſeinem Amte, den
kayſerlichen Bann, wodurch das Orbar der Kirchen
ge-
[263]vierte Abtheilunge.
gegen alle Gewalt befeſtiget wurde handhaben, die
Bannbruͤche davon aufheben und der kayſerlichen
Cammer einſchicken; (c) insbeſondre aber alle Leute,
welche der Kirchen angehoͤreten, und Klopps- oder
Hof-recht (d) hatten, zu Hofe verſamlen, ihre Weis-
thuͤmer annehmen, ſolche als kayſerlicher Richter be-
ſtaͤtigen, das Schwerdt uͤber ſie zucken, ſie als un-
mittelbarer Reichs-obriſter ausfuͤhren, gegen alle
Herzoge, Grafen und ſelbſt vor dem kayſerlichen Ge-
ſandten zu Rechte und zu Kampfe vertreten, und
uͤberhaupt der beſtaͤndige Gewalthaber der Kirchen zu
allen weltlichen Haͤndeln ſeyn ſollte. Die Reichs-
verfaſſung erforderte aber, daß dieſer Vogt edel,
oder ohne Mittel dem Kayſer unterworfen ſein muſte,
weil er als ein bloſſer biſchoͤflicher Amtmann in ſehr
vielen Faͤllen nicht die noͤthige Ehre gehabt haben
wuͤrde den Biſchof und die Kirche zu vertreten. Die-
ſer Umſtand machte ſie aus Voͤgten zu Herrn und
oft zu Tyrannen der Biſchoͤfe und ihrer Kirchen, zu
deren Behuef und in deren Nahmen, ſie doch den
Bann vom Kayſer empfangen und zu handhaben hat-
ten. (e)
§. 126.
[265]vierte Abtheilunge.
§. 126.
Von den Zehnten und Zehntpfunden.
Mit dieſer Einrichtung wurde der Kayſer leicht
fertig; ſie folgte beynahe von ſelbſt. Jetzt aber kam
es auf die Verſorgung der Biſchoͤfe und ihrer Geiſt-
lichkeit an; und dazu wollte ein Hof(a) und einige
Dienſte (b) nicht viel helfen, welche jeder Kirche zu-
gelegt wurden. Der Zehnte muſte alſo eingefuͤhret
werden, und der Kayſer, welcher nicht ohne Be-
willigung der Sachſen einige Hauptſtuͤcke der chriſt-
lichen Lehre eingefuͤhrt hatte, verordnete ploͤtzlich (c)
daß nach Gottes Befehl Edle, Wehren und Leute
den Zehnten von allen was ſie haͤtten, geben ſollten.
Die Verordnung iſt klar; ihre Befolgung aber nicht;
es ſey nun daß der Kayſer nach dem vernuͤnftigen
Rath ſeines Lehrmeiſters (d) mit den Sachſen uͤber-
haupt Gedult hatte; oder aber die erſten Biſchoͤfe (e)
ſich von ſelbſt maͤßigten, und vielleicht auch bey den
Weſtphaͤlingern als einzelnen Mohr- und Heide-
wohnern nicht die Bequemlichkeit ordentlicher Zehnt-
fluren fanden. Wenigſtens zeigt ſich in Weſtphalen
mancher Sack- oder bedungener Zehnte; uͤberaus
viel Zehntfrey Land; und nicht leicht ein Zug-zehnte,
welcher vor zweyhundert Jahren wuͤrklich waͤre gezo-
gen worden. Vermuthlich hat auch das Zehnt-
pfund(f) und der Zehntſchilling ſeinen Urſprung
aus einem uralten Vergleiche.
R 5(c) Der
[266]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 127.
Von den Grafen und Grafſchaften.
Herzoge, (a) Grafen (b) und Hauptleute waren
im Heerbann, was Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und Pfar-
rer (c) in der geiſtlichen Reihe waren. Allein Carl
verordnete keine Herzoge uͤber die Sachſen; (d) und
machte noch weniger Herzogthuͤmer. Der Heerbann
ward bloß in Cantons oder Grafſchaften abgetheilt;
und wann er ausziehen muſte, durch einen General,
welchen der Kayſer ſchickte, gefuͤhrt. Der Graf oder
Oberſte ward auch ihr Richter; indem Landbeſitzer
wel-
[268]Oſnabruͤckſche Geſchichte
welche zugleich im Felde dienen, nicht wohl unter-
ſchiedenen Gerichtsbarkeiten unterworfen werden konn-
ten. Er richtete aber unter des Kayſers Bann, (e)
wie der Edelvogt der Kirchen. Jedoch nicht anders
als nach dem Weißthume der Schoͤpfen. Die
Grafſchaft war wie der Sprengel ein Amt und kein
Territorial-diſtrikt. Daher man nicht ſagen konnte,
was in der Grafſchaft wohnet ſteht auch unter dem
Grafen. Der kayſerliche Geſandte, welcher zugleich
Provincial-General (f) und an der Spitze des
Kriegs-Commiſſariats war, hielt die Mann-liſte der
Grafſchaft, (g) und beobachtete den Grafen ſehr
genau, ohne jedoch ſein Richter (h) zu ſeyn. Jhm
wurden nicht mehr als vier Beurlaubte gut gethan; (i)
und kaum die Aufhebung und Berechnung der Bann-
bruͤche zur kayſerlichen Cammer geſtattet; (k) um
alle Unterſchleife (l) zu vermeiden.
(b) Jch
[269]vierte Abtheilunge.
§. 128.
Von den Hauptmannſchaften oder
Edelvogteyen.
Da man in Weſtphalen nichts von Centen,
Hundteden und Toufen;(a) in der Folge aber deſto
mehr von Edelvoͤgteyen oder Advocatien findet: ſo
ſcheinet (b) es, daß der Kayſer anſtatt der Centena-
tien, und Tiuphaden;(c) lauter Edelvoͤgte verord-
net habe, welche alſo die Stelle der Hauptleute ver-
traten, auf Hoͤfen(d) ſaſſen, und nicht vom Grafen
ſon-
[271]vierte Abtheilunge.
ſondern vom Kayſer oder ſeinem Geſandten angeſetzt
wurden; (e) daher ſie auch vor jenem nicht zu Rechte
ſtanden. Sie ſelbſt aber richteten nicht unter Kay-
ſers-bann; (f) doch hatten ſie Gebot und Verbot,
vermuthlich aber nicht hoͤher als auf 3 ß. (g) weil
der Grafe ſelbſt nur bey 12 ß. gebieten konnte. Die
Folge macht es ziemlich wahrſcheinlich, daß verſchie-
dene ſolche Voigts-hoͤfe ſpaͤter mit Schloͤſſern (h)
beſetzt, viele aber auch von den Edelvoͤgten verkauft,
und als gemeines Gut in die biſchoͤfliche Kirchen-fol-
ge (i) gerathen ſind.
§. 129.
Von den Edelvogts-Hoͤfen.
Jn den erſten dreyen Jahr-hunderten zeigen ſich
biele Hoͤfe welche von Edlen Herrn(a) dem Heil.
Peter oder andern Heiligen uͤbergeben werden; und
Sunter
[274]Oſnabruͤckſche Geſchichte
unter dem Zubehoͤr dieſer Hoͤfe iſt insgemein Fiſche-
rey und Jagd (b) begriffen. Jhrer iſt keine geringe
Menge in den Urkunden aufbehalten; und alle dieſe (c)
Hoͤfe ſind jetzt keine Edel-guͤter ſondern Meyer-
Schulzen- oder Rede-hoͤfe. Die Wehr dieſer Hoͤfe
oder die vorhin daraus gegangene Vogtey hat alſo
der Biſchof da der Heerbann bereits verfallen war,
zuruͤck behalten und den Hof einem Leut(d) unter-
geben. Daraus wird glaublich, daß der Edel-vogt
zuerſt aus der Reihe der Wehren (e) erwaͤhlet, und
vom Kayſer zum Hauptmann beſtellet worden. Es
wird weiter daraus wahrſcheinlich, daß die Jagd mit
der Wehr (f) verknuͤpft geweſen, und fuͤr diejenigen
verlohren gegangen ſey, welche unter die Voͤgtey ge-
rathen. Man ſiehet den Grund durchſcheinen, war-
um die jetzigen Rede-hoͤfe dem Biſchofe, als der-
maligen Beſitzern ihrer Edelvoͤgtey, zu verſchiedenen
beſondern Jagd-dienſten (g) verpflichtet; andre aber
noch mit einiger Jagd berechtiget (h) ſind. Man
begreift daß die Markgenoſſen in der Wahl ihres
Holzgrafen ſchwerlich den Edelvogt vorbey gehen
koͤnnen; und alſo zur Zeit Carls des Groſſen der
Edelvogt auch Holzgrafe (i) geweſen; wovon hier-
nechſt die vielen Unterholzgrafſchaften bey den Meyer-
und Rede-hoͤfen erblich verblieben. Man ſchließt
endlich, daß der Edelvogt vorzuͤglich Patron der
Kirche (k) werden muſte, welche die Vogts-leute
erbauen halfen.
§. 130.
Vermuthungen uͤber den Urſprung der
heutigen Edelhoͤfe.
Solche Hoͤfe wovon der Eigenthuͤmer in der Folge
die Wehr nicht uͤbergab, blieben vermuthlich Edel-
S 3hoͤfe;
[278]Oſnabruͤckſche Geſchichte
hoͤfe; (a) und mit der Jagd berechtiget. Auch die
Holzgrafſchaft konnte ihnen ſchwerlich entgehen; (b)
Wo noch einige die Wroge und die Beſtrafung der
Blut-ronnen (c) dabey haben, da mag auch eine
alte Hof-rolle dabey geblieben, ſonſt aber der Vogt-
ſitz einzeln(d) ohne Rolle verkauft oder verliehen
ſeyn. Die Vogts-jagd war nur eine niedre Jagd.
Es finden ſich wenigſtens Beyſpiele, (e) daß einem
der bereits mit der Vogts-jagd berechtiget geweſen,
gewiſſe Stuͤcke grob Wild zu faͤllen erlaubet worden.
Spaͤter wie die gemeine Noth die Anlegung einiger
Schloͤſſer auf ſolchen Hoͤfen erforderte, (f) mogte
die grobe Jagd Anfangs vom Schloſſe(g) gehen.
Doch iſt dieſes eine bloſſe Vermuthung. Allein in
den Urkunden der erſten Zeit erſcheinet kein Schloß;
und die Sachſen konnten dergleichen ſchwerlich an-
ders als auf der Graͤnze geduldet haben. Schloͤſſer
wurden der ſpaͤtern und ſchwaͤchern Lehn-militz wich-
tig. Der Heerbann und die gemeine Freyheit dul-
deten ſie nicht. Die Klagen uͤber die vielen Raub-
ſchloͤſſer erhoben ſich gegen das Ende der Lehn-militz
und den Anfang der Landes-knechte.
S 4(f) S.
[280]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 131.
Vom Adel.
Durch die neue Einrichtung ward der Adel ſehr
vermehrt, indem die Grafſchaften ihm alle Gelegen-
heit gaben, ſich in mehrere Zweige auszubreiten; auch
die Edelvoͤgte ſich mit ihm vermiſchten. Anfangs
mogte nicht ein jeder Edler ſich dazu bequemen; (a)
und manche Grafſchaft einem verdienten Wehren (b)
zu Theil werden. Es gab ſich aber bald und die juͤn-
gern Soͤhne der Edlen nahmen vermuthlich gern
Reichs-dienſte, da ihnen die Gelegenheit ſich kuͤnftig
in privat Gefolgen(c) zu erhalten, benommen, und
dem alten Adel das bisherige Recht der Gefolge (d)
mit groſſen Bedacht abgeſchnitten wurde. Dieſer
behielt nur die Wahl ob er in des Kayſers Dienſte
glaͤnzen, oder mit ſeiner Familie ruhig auf ſeiner
Allode bleiben wollte. Er ſtand daſelbſt unter keinem
Herzoge (e) oder Grafen; zog wenn er ſeine Allode
vertheidigen muſte, unmittelbar zum Kayſer, oder
demjenigen, (f) der des Kayſers beſondre Vollmacht
hatte;
[281]vierte Abtheilunge.
hatte; erhielt die Befehle dazu durch den Geſand-
ten; (g) und kam zur Reichs-Dietine, und zur Bi-
ſchoͤflichen Synode, aber zn keinem Grafen-dinge.
Ohne Erlaubnis des Geſandten durfte er auch keine
Verſamlungen halten; (h) und noch weniger wie
vordem (i) ſo gleich zum Degen greifen.
§. 132.
[283]vierte Abtheilunge.
§. 132.
Von den Gemeinen.
Die Gemeinen verlohren bey der neuen Einrich-
runge das meiſte. (a) Man kann nach dem Plan des
Kayſers annehmen, daß ſie in Vogteyen vertheilet,
den Edelvoͤgten als Hauptleuten, und den Grafen als
Oberſten untergeben wurden. Der Vogt ward alſo
ihr kriegeriſcher Vormund oder ihr Advocat, (b) zu
Gerichte und zu Felde. Sie wurden Leute und er
zog ihr Heergewedde. Unſre Hausgenoſſen,(c) ſo
viel deren noch uͤbrig, ſind die Ueberbleibſel dieſer Ein-
richtung. Jndeſſen erhielten ſie durch jene Vogtey ſo
viel, daß ſie nicht voͤllig aus ihren alten Jnnungen (d)
zerſtreuet; und alſo auch nicht einzeln vor Gericht
gezogen werden konnten. Denn alle diejenigen ſo zu
einer Voͤgtey gehoͤrten ſtunden, wie vordem die
Mannie, fuͤr einen Mann; hafteten fuͤr einander,
und wurden daher Biergelden(e) genannt. Sie
vertheidigten wo es noͤthig war ihr Recht nicht anders
als durch ihren gemeinſchaftlichen Advocaten oder den
Edelvogt. Welches denn ebenfals zur Erhaltung
ihrer Geſamt-rechte vieles beytragen muſte.
(b) Jn
[284]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 133.
[286]Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 133.
Und den Schoͤpfen.
Das Beſte aber war, daß ſie ihre Schoͤpfen und
die Wahl (a) derſelben behielten. Der Kayſer
wollte daß niemals unter ſieben (b) ein Gerichte be-
ſtehen ſollte. Sie muſten auf die Rechte des Volks
und deren Erhaltung geſchworen haben. (c) Der
Schoͤpfe am Gowgericht wurde vermuthlich, wie
jetzt, Churgenoſſe (d) genannt; und der Tittel
Schoͤpfe nur denjenigen gegeben die im Obergericht
vor dem Geſandten ſaſſen, und ſpaͤter Freyſchoͤpfen
genannt wurden. Daher ein ſchoͤppenbarer Mann
ſicher unter keinem Vogt und auch wohl unter kei-
nem Grafen ſtehen mogte. (e) Wie ſo viele Land-
eigenthuͤmer zu Leuten herabſunken, ward die Wehr
und die damit verknuͤpfte Schoͤppenbarkeit eine vor-
zuͤgliche Ehre; welche ſich ſo lange erhielt, bis der
Kayſer die Schoͤppenbarkeit allerhand Leuten und da-
mit den alten Geſchlechtern Urſache gab, ſich dagegen
zu wahren. Die Schoͤpfen hatten aber nicht bloß
auf einen vorgetragenen Fall Recht zu weiſen, ſon-
dern auch die Unterſuchung (f) der Sache.
§. 134.
Ob alle Gemeinen in Vogts-leute ver-
wandelt worden?
Ob die Grafſchaft und Edelvogtey alle(a) Weh-
ren unter ſich begriffen habe, iſt nicht mit Gewisheit
zu entſcheiden. Einigen und zwar angeſeſſenen(b)
Freyen erlaubte der Kayſer ſich in ſeine Dienſte zu
empfehlen, dieſe waren alſo nicht in der graͤflichen (c)
Rolle, auch keine arme Freye. Der Vogts-leut
mogte Churgenoſſe vor dem Grafen, aber ſchwerlich
Schoͤpfe vor dem Geſandten ſeyn. Es muſten folg-
lich noch Wehren bleiben, woraus Schoͤpfen und
ſelbſt Voͤgte erwaͤhlt werden konnten; oder man muß
annehmen daß entweder unangeſeſſene Freye oder
bloß Edelvoͤgte Schoͤpfen ſeyn koͤnnen. Beydes iſt
ſehr unwahrſcheinlich. Es iſt weiter glaublich daß
der Graf noch viele Gemeine ausgefuͤhret habe, wel-
che eben nicht in einer Vogts-rolle geſtanden, und
daß dieſe noch mehrere Freyheit behalten haben. Der
Senior(d) aber, deſſen in den Caroliniſchen Geſetzen
bisweilen gedacht wird, war im Grunde ein Edelvogt
und vielleicht nur unter den Franken. Jn Doͤrfern
und Staͤdten, wenn ſie vorhanden waren, konnten ſo
lan-
[289]vierte Abtheilunge.
lange nur unwehrige Gruͤnde dabey waren, (e) und
ſo lange ihnen nicht durch Vorrechte und Begnadi-
gungen ſolche Vortheile (f) verſchaffet wurden, wo-
von ſie mit Recht zur Ehre gezogen werden konnten,
kein eigentlicher Wehr wohnen. (g) Ohne Sold
konnten auch unangeſeſſene Freye nicht zur gemeinen
Vertheidigung gezwungen werden; Jm Heerbann
war aber kein Sold. Solche Freye ſtanden ohne-
dem in Schutz oder in Gefolgen; und in beyden
diente man nicht vom Wehrgute, ſondern auf fremde
Koſten. Carl mogte alſo wohl nicht die Gelegenheit
haben alle Gemeinen in eine Claſſe und unter einen
Edelvogt ihres Mittels zu ſetzen.
§. 135.
Von den neuen Vogts-Leuten ins-
beſondre.
Unter den Germaniern oder den alten Sueven und
ihren Bundes-genoſſen iſt der Leut unbekannt ge-
weſen; (a) welches eine Folge des unter ihnen auf-
T 2geho-
[292]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gehobenen Land-eigenthums ſeyn mogte, (b) weil
man ihn gerade auſſer ihren Graͤnzen, (c) bey den
Franken, beſonders aber bey den Sachſen und Frie-
ſen findet; und vermuthlich iſt er mit den Sachſen
nach Engelland uͤbergegangen. Bey den Weſtphaͤ-
lingern hat er ſich am laͤngſten (d) in ſeiner eignen
Verfaſſung (e) erhalten. Als Geiſſel, (f) als Zehnt-
pflichtiger (g) und als ein Menſch, der unter keiner
Leibes-ſtrafe ſtund, (h) wiederſpricht er einem knech-
tiſchen (i) Urſprunge, ob er gleich gar fruͤhzeitig mit
Leib und Gut in eine Gilde, Echte oder Vogts-rolle
gerathen, und ſolchergeſtalt von einem Vogt geſchuͤtzt,
vertreten und aufgeboten worden. Er leiſtete auch
den Leut-eid der Treue, (k) zog im Heerbann zu
Felde, ſtand unter dem Heergewedde, (l) heyrathete
wo er wollte, (m) gab aber keine Kinder aus ohne
Freybrief des Edelvogts. Der Lehnhof ward ſpaͤter
nach dem Vogts-hofe gebildet; (n) und der Unter-
ſchied der Hoͤfe machte billig einen Unterſchied der
Leute.(o)
(k) Fide-
[295]vierte Abtheilunge.
§. 136.
Von den damaligen Leibeignen.
Da die Biſchoͤfe nicht mehr als zwey Leute aus der
gemeinen Reihe zu Hauſe behalten durften: (a) und
der Kayſer beſtaͤndig die genaueſte Liſte von der
Mannzahl hatte: (b) ſo iſt leicht zu ermeſſen, daß
ſehr wenige Gutsherrn (c) in unſerm heutigen Styl
T 3vor-
[296]Oſnabruͤckſche Geſchichte
vorhanden ſeyn konnten. Oder man muͤſte glauben,
daß ein Gutsherr fuͤr jedes eigenbehoͤrige Erbe einen
Soͤldner (d) geſtellet haͤtte; weil er ſeinen Leibeignen
nicht in die gemeine Reihe ſchicken durfte, und
ſchwerlich haͤtten die andern mit einem Soͤldner ge-
dienet. Damals waren alſo unſre mehrſten Bauer-
hoͤfe, in ſo fern die Wehr davon getrennet wurde,
Vogts-guͤter (e) und ihre Beſitzer Vogts-leute.
Um deswillen fehlte es aber nicht an Leibeignen.
Es war deren vielmehr eine groͤſſere Anzahl als
jetzt. (f) Unſre heutige Gutsherrlichkeit aber iſt
Vogtey am Gute (g) und Eigenthum an dem der
es bauet. Erſters befindet ſich alſo von ſeinem erſten
Urſprung an in der gemeinen Reihe; und letzter iſt
als Vicar (h) hinein gekommen, wie der Heerbann
zu Anfang der Lehn-militz ſeine Ehre verlohr; und
der Krieges-dienſt auf eine Krieger-fuhr hinaus lief.
Der Kayſer aber liebte den Krieges-ſtaat zu ſehr, um
nicht dem Leibeigenthum unter den Landbeſitzern, als
einem unſtreitigen Ausfall aus der Reichs-matrikel
auf alle moͤgliche Art zu ſteuren.
§. 137.
Von den Geſandten und der Reichs-
Dietine.
Man ſieht leicht ein, daß die Geſandſchaft oder
das General-departement, das Gleichgewicht zwi-
ſchen
[299]vierte Abtheilunge.
ſchen dem Biſchofe und Grafen, und jeden in den
Schranken ſeines Amts erhalten; den Unterdruͤckun-
gen der Gemeinen und Armen ſteuren, und die Seele
des ganzen Staats ſeyn ſollen. Der Kayſer wandte
daher eine ungemeine Sorgfalt darauf; (a) machte
aber auch die Einrichtung ſo vollkommen, daß ſie
bloß durch ihn als den Meiſter erhalten werden konn-
te. Der Geſandte muſte jaͤhrlich die Reichs-dieti-
ne (b) halten, welche nunmehr, da eine allgemeine
Verſamlung der ganzen Nation wo nicht unmoͤglich,
doch ſehr beſchwerlich wurde, ſich ſelbſt anpries. Auf
derſelben vernahm er zuerſt den Biſchof uͤber den
Zuſtand der Religion; (c) und uͤberhaupt alle kay-
ſerliche Bediente oͤffentlich uͤber ihre Amtsfuͤhrung. (d)
Jeder konnte daſelbſt ſeine Klagen und Beſchwerden
gegen dieſelbe vorbringen; und der Geſandte machte
darauf ſo gleich die noͤthigen Verfuͤgungen, (e) oder
nahm ſie zum Bericht an. Die erforderlichen Lan-
des-verordnungen wurden dort erwogen und in
Vorſchlag gebracht; (f) oder wenn ſie bereits vom
Hofe verfaßt und angenommen waren, oͤffentlich be-
kannt gemacht und eingeſchrieben. Doch mogten
diejenigen, welche die Reichs- und Landes-vertheidi-
gung betrafen, und auf dem allgemeinen Reichs-tage
bereits gutgefunden waren, ihrer beſondern Eigen-
ſchaft wegen, nicht leicht weiter gepruͤft, ſondern bloß
bekannt gemacht werden. Die uͤbrigen Gegenſtaͤnde
einer ſolchen Verſamlung laſſen ſich leicht begreifen.
Sie gerieth mit dem Verfall der Geſandſchaft in Un-
ordnung; und aus ihren Truͤmmern ſind unſre Land-
tage nach vielen Veraͤnderungen entſtanden. Die
Voll-
[300]Oſnahruͤckſche Geſchichte
Vollmacht des Geſandten iſt mit der Zeit in jedem
Stifte an die Biſchoͤfe uͤbergegangen; (g) und die
Repraͤſentation der Gemeinen durch mancherley Zu-
faͤlle an die Landſtaͤnde (h) gerathen.
(h) Es
[301]vierte Abtheilunge.
§. 138.
Von der Geſetzgebenden Macht.
Die Gemeinen behielten ſolchergeſtalt an der Ge-
ſetz-gebenden Macht den ihnen gebuͤhrenden Antheil.
Jhre Schoͤpfen (a) kamen zur Dietine, und ſtanden
gleichſam als Tribunen des Volks den Grafen und
Edelvoͤgten, in deren Haͤnden ihre ganze Vollmacht
nicht ſeyn konnte, zur Seite. Jhre Einwilligung
ward zu allen neuen Verordnungen erfordert; (b)
und der Geſandte gieng mit ihren Schluͤſſen an den
allgemeinen Reichs-hof zuruͤck, um dem Kayſer ſei-
nen Bericht zu erſtatten. Vor die ſaͤchſiſchen Schoͤ-
pfen wuͤrde es zu weitlaͤufig geweſen ſeyn ihn da-
hin zu begleiten, und ſeinen Bericht zu beglaubigen.
Man gab ihm alſo die wichtigſten Schluͤſſe der Die-
tine unterſchrieben (c) mit. Die nachherigen Kayſer
verlohren den Geiſt dieſer Verfaſſung, und bedienten
ſich oft der Biſchoͤfe und Grafen ſelbſt, (d) um die
Dietinen zu berufen, zu eroͤfnen und zu ſchlieſſen.
Da-
[303]vierte Abtheilunge.
Damit gieng die von Carln ſo weislich und nuͤtzlich
eingefuͤhrte Controlle (e) verlohren. Diejenige wel-
che die kayſerlichen Befehle ſonſt aus den Haͤnden des
Geſandten (f) empfangen hatten, wegerten ſich ſolche
von Biſchoͤfen und Grafen anzunehmen, aus Furcht
Land- oder Amt-ſaͤßig zu werden. Sie kamen da-
her auch nicht mehr zur Dietine; und jene verſamle-
ten mit der Zeit nur diejenigen, welche ohnehin in
ihren Dienſt- und Amts-folgen ſtanden; wodurch
denn der erſte Grund zum Verfall der Dietine gelegt,
und der Schoͤpfe in den Gerichts-hof verwieſen
wurde, wo er zwar noch Recht aber keine Geſetze (g)
zu weiſen hatte.
§. 139.
Von den Veraͤnderungen in der
Geſetzgebung.
Jn der Mark werden die Genoſſen von Mark-koͤt-
tern, Brinkliegern, Heuerleuten und dergleichen zu
gemeinen Laſten und Ehren nicht kommenden Leuten
wohl unterſchieden (a). Und man weiſet einem jeden
ſein Holz, ſeine Trift und ſeine Nutzung zu, mit dem
Maaßſtabe in der Hand, nicht nachdem er baares
Vermoͤgen hat, ſondern nachdem er in der Mark ge-
wahret iſt (b). Die Sachſen hatten gleiche Grund-
ſaͤtze in der Civil-mark gehabt (c), und die Kunſt Ge-
ſetze zu machen auf die einfachſten Regeln zuruͤckge-
bracht; indem ſie ebenfalls die Eigenthuͤmer wehriger
oder ſtimmbarer Laͤndereyen von den Unwehrigen un-
terſchieden, Geld und Staͤdte verbannet, und keine
Geſetze fuͤr Menſchen, ſondern fuͤr Echten(d) gemacht
hatten. Arme (e), Fremde, und Knechte hatten Liebe,
Achtung und Schutz, aber kein eigentliches Recht; und
man war arm bey ihnen, wenn man keine ſtimmbare
Gruͤnde zu eigen oder kein Echtwort beſas. Durch
die neue Einrichtung verlohren ſie aber die Gelegen-
heit jener Armuth oder dem Geld-reichthum zu ſteu-
ren; dieſe erhielt ihr Recht durch Begnadigung, und
Geſetze von der Willkuͤhr des Schutzherrn. Der Ar-
me der eine Million baares Vermoͤgen beſas, konnte
gehangen werden, wenn ihn nicht bloſſe Gnade oder ſeine
Ueigne
[306]Oſnabruͤckſche Geſchichte
eigne Bedingung ſchuͤtzte; der geringſte Wehr aber
nicht, weil der Kayſer ihn nach dem Rechte behandeln
muſte, was er ſich gewieſen hatte, und niemals hatte er
eine Leibes-ſtrafe uͤber ſich zu Recht gewieſen. Allein
nach der Carolingiſchen Anlage muſten die Armen bald
Rechte der Wehren erhalten; und die Leibes-ſtrafen,
worunter dieſe neuen Wehren blieben, ſich leicht mit der
Neigung aller Herrſcher zu allgemeinen Verordnungen
uͤber die alten ausbreiten. Handelnde und werbende
Leute muſten geſchwind die Landbeſitzer verdunkeln,
und die Geſetze fuͤr Echten ſich in Verordnungen fuͤr
Koͤpfe verwandeln.
(f) Der
[307]vierte Abtheilunge.
§. 140.
Wird fortgeſetzt und beſchloſſen.
Die ſaͤchſiſche Nation erkannte uͤberhaupt drey Staͤn-
de, Edle, Wehren und Leute; und wenn letztere gleich
nicht in Perſon zu der Verſamlung kamen, worin die
Geſetze bewilliget wurden: ſo war doch der Vogt, der
ihre Wehre hatte, ihr Repreſentan, und dieſer hatte ver-
muthlich noch einige Bevollmaͤchtigte bey ſich. Man fin-
det kein Exempel, daß der Adel ein Geſetz fuͤr Wehren,
und
[309]vierte Abtheilunge.
und der Wehr ein Geſetz fuͤr Leute gemacht; oder daß
eine Sache dem einen und nicht auch zugleich dem an-
dern Stande (a) verboten worden. Alles ward mit
Gelde beſtraft; und der einzige Unterſchied war in der
Summe; wo der Edle ſechzig Schillinge (b) gab, be-
zahlte der Wehr dreyßig und der Leut funfzehn. Blos
Armen, Fremden und Knechten, wurden ohne ihre
Einwilligung Geſetze fuͤrgeſchrieben. Carl veraͤnderte
hierunter zwar nichts; da er aber dem Handel und ſei-
ner Cammer zum Vortheil die Armen zu ſehr beguͤn-
ſtigte, und aus ihnen Staͤdte (c) und Doͤrfer bevoͤlker-
te; da der Fraͤnkiſche- oder Reichs-Muͤnz-fuß allmaͤh-
lig das ſaͤchſiſche Geld-ideal (d) verdrang, und der Fall
dieſes Muͤnz-fuſſes jene Strafen unkraͤftig machte;
und uͤberhaupt das Vermoͤgen eines Menſchen nicht
mehr nach ſeinen Beſitzungen geſchaͤtzt werden konnte:
ſo muſte auch dieſes feine Syſtem der Sachſen, wel-
ches billig noch unſre Bewundrung verdient, der Zeit
und den Umſtaͤnden weichen. Man ermaͤchtigte ſich
bald, dasjenige einem geringen Land-eigenthuͤmer zu
verbieten, was man den geldreichſten Manne nach
Gefallen verbieten konnte.
§. 141.
Von den Gerichts-tagen.
Der Geſandte hielt jaͤhrlich ſeine Dietine, wofuͤr
eben wie auf unſern jetzigen Land-tagen die oͤffentlichen
Angelegenheiten, und beſonders alle Beſchwerden ge-
gen die kayſerlichen Beamten unterſucht, und dem Be-
finden nach abgethan oder zum Bericht angenommen
wurden (a). Auſſer derſelben aber hielt er auch noch
ſeine gebotene Gerichts-tage, an welchen in Appella-
tionsſachen und gegen ſolche Perſonen zu Rechte ver-
fahren wurde, deren man fuͤr ihrem ordentlichen Rich-
ter nicht hatte zu Rechte maͤchtig werden koͤnnen.
Dieſes hoͤchſte Land-gericht hieß vermuthlich die Ober-
ſale(b), und ſpaͤter das Fehm-gericht(c). Hier
gieng es an Leib und Leben, weil die Beklagten, ſo
ſich zur rechtlichen Gnugthuung und zur Bezahlung
des Wehr-geldes fuͤr ihrem ordentlichen Richter nicht
geſtellet hatten, und folglich von demſelben im Con-
tumaz-proceß, Recht-Echt-und Friede-los erklaͤret
waren, nun nicht mehr ſich auf die buͤrgerliche Wohl-
that der Genugthuung mit Gelde, berufen konnten,
ſondern ſich, wie jetzt, rechtfertigen oder ihre Leibes-
ſtrafe leiden muſten. Der Biſchof hielt ſeine Syno-
de und reiſete jaͤhrlich zur Kirchen-viſitation auf allen
Kirchſpielen herum, eine Verrichtung die er ſpaͤter
U 4ſeinem
[312]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ſeinem Archidiacon (d), auch wohl dem Pfarrer des
Orts (e) vertrauet hat. Der Graf hatte ſeine drey
Goͤdinge im Jahr; und auſſerdem ſeine gebotene Ge-
richts-tage. An erſtern wurde von der ganzen Ge-
meinde Rechte gewieſen, auch wohl ſofort darnach
erkannt, wenn die Sache ſo weit reif oder klar (f)
war. Sonſt gehoͤrte die Unterſuchung und Entſchei-
dung nach dem an jenem gewieſenen Rechte fuͤr die
Schoͤpfen, welche ſich mit dem Richter an den gebo-
tenen Tagen verſamleten. Aus letztern iſt unſer heu-
tiges Gow-oder Part-gerichte entſtanden. Der
Graf erkannte weiter am offnen Goͤdinge uͤber Todt-
ſchlag und Wunden, wenn die Klage aufs Wehr-
geld (g) gieng. Er konnte auch den im Contumaz-
proceß recht-und echt-los erklaͤrten Miſſethaͤter wie-
der in ſeinen vorigen Stand ſetzen, und ihm ſeine Ver-
theidigung auf die Civil-klage wieder eroͤffnen (h).
Seitdem aber die Leibes-ſtrafen an ſtatt der Geld-
bußen (i) eingetreten, gehoͤren zum Goͤdinge jetzt
nur noch die Blut-ronnen, worauf keine Leibes-ſtrafe
ſteht. Der Edel-vogt hatte ſeine Gerichts-tage fuͤr
geringe Sachen, die weder Eigenthum noch Freyheit
betrafen (k), und fuͤr alle Bruchfaͤlle, die geringer
als Blut-ronnen waren. Unſre heutigen Aemter ſind
ihre Nachfolger; und was ſie mehr haben, iſt ihnen
bey Gelegenheit neuerer Einrichtungen beygeleget wor-
den. Mehrers will ich von der Carolingiſchen Ein-
richtung nicht anfuͤhren, weil es zu meinem Zweck
nicht gehoͤrt.
(b) Jn
[313]vierte Abtheilunge.
U 5(d) Dies
[314]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ENDE.
ne pati quidem inter ſe junctas ſedes. TACIT. G. 16.
man eine Hube oder einen Acker oder ein Vorling
Landes. Morgen trift man nur vor Staͤdten oder
in Eſchen an. Der Bauer beſitzet Stuͤcken Landes,
Kaͤmpe, und andre Plaͤtze, welche das Gepraͤge ei-
ner alten Maaße nicht an ſich haben, und jetzt nach
Scheffel-ſaat uͤberſchlagen werden.
ſcheinen die erſten Pflanzungen zu ſeyn; und ruͤhrt es
wol daher, daß ſolche allein in der Bauerſchaft zur Krie-
ges-Runde und in der Mark, zur Mannzahl gehoͤren.
Mark-Kotten hingegen deren jetzt 6 und 8, auch
wol 16 auf ein Erbe gehen, ſind dem Anſehen nach ein
ſpaͤter Anflug, und haben weder Echt-Wort oder
Wahre, noch Stimme in der Gemeinheit, mithin die
Regel wider ſich, und nicht mehr Recht, als ihnen er-
weißlich zugeſtanden worden. Sie ſind als geringe arme
Leute ſchwerlich zu gemeinen Laſten und Vortheilen ge-
zogen; bis man ihnen endlich etwas gegoͤnnet und auf-
gelegt, mithin einige Gemeinſchaft zugeſtanden hat.
Kott oder Kotte bedeutet noch jetzt ein bedecktes Loch,
eine Huͤtte tugurium von Kottentegere. S. WACH-
TER v.Kott. Man ſagt auch Koͤtterey, wie im
Franzoͤſiſchen Cotterie, Cotteraux, Cotarellus; alles aus
einer Quelle. S. MENAGE v. Cotterie; Cotte d’armes,
Cottillon. Doch ſind die Franzoͤfiſchen Cotterets eher eine
Art von Hausgenoſſen oder Hof-hoͤrigen Leuten.
Suam quisque domum ſpatio circumdat. TACIT. l. c.
zuſammen wohnen, und ein Diſtrikt einzelner Wohner
heißt die Bur, oder auch die Bauerſchaft.
Wenigſtens hat dort jede Stadt ihren Urſprung gern
einer erobernden Colonie, und ihren Namen einem an-
fuͤhrenden Helden zugeſchrieben. Dies war das dortige
Coſtume, nach welchem unſre griechiſchen und lateini-
ſchen Gelehrten des XV und XVI Jahr-hunderts die
deutſche Geſchichte mit Fabeln beluden.
ich von den Freyen handle.
Denn man nennt noch alle Abſonderungen des Eigen-
thums von der Gemeinheit, als dem natuͤrlichen Zu-
ſtande des Krieges, Befriedigungen.
bedeutet einen Bezirk einen Kreis. Daher iſt Welle
eine Axe, wellen, Kugeln werfen, wie das Waſſer
thut wenns kocht; welzen, walzen, Weltorbis,
und das Engliſche hweel ein Rad. Auf aͤhnliche Art
nennt man oft einen Garten ums Haus, den Um-
gang, den Umlauf. Wellner ſind die Eingeſeſſe-
ne ſolcher Wellen.
eſt dominicum, quod quis habet ad menſam ſuam; ſive
terra dominicalis, adliche Laͤnderey. BRACTON. IV.
tract. 3. c. 9. n. 5. Bordarii ſind Leute ſo in der Boͤrde
wohnen. SPELLMAN. v. Bordarius. Bördevogt prae-
fectus bordatiorum. Alles von Bord, ein Rand; und
Boͤrde iſt alſo eine abgeſetzete eine bezirkte Sache und
ϰατ̕ εξοχην, ein adlicher oder herrlicher Befang.
Viele von Adel haben hier im Stifte einen an ſich
Schatz-pflichtigen Leibeignen unter dem Tittel eines
Boͤrde-Vogts im Jahr 1667, als der Land-Schatz
eingefuͤhret wurde, frey erhalten. Doch iſt mir das
Wort Boͤrde in aͤltern einheimiſchen Urkunden nie
vorgekommen, auch ſonſt hier ſo ſehr nicht im Gebrauche.
und iſt von Ar- und ode, Edel-gut: Aroͤder find
diejenigen ſo auf der Arode wohnen.
Weſer, iſt, wo er ſich findet, faſt noch bey Menſchen-
Gedenken eingefuͤhrt; jedoch war in der Carolingiſchen
Verfaſſung die Anlage dazu gemacht.
Folge, als dem alten Heer-Bann, zur Zeit wie ſie noch
ihre Ehre hatte, kein Leibeigener ſeyn koͤnnen; und alle
unſere Goͤdings-pflichtige Leibeigene ſich ſpaͤter ſalvo nexu
jurisdictionis Gogravialis in Herren-Dienſt begeben haben.
keit verliehen. Jedoch von aller Herrlichkeit, welche
ehedem mit dergleichen Reichs-vogtey darauf haftete,
entbloͤſſet.
fen-Folge, oder dem Heer-Bann befreyet worden.
Francorum \& Saxonum geſchrieben, aber zum Ungluͤck
keine Cent in Weſtphalen gefunden. Die Gowge-
richte haben mit den Sueviſchen Centen wenig ge-
mein. GRVPE in obſ. rer. Germ. 27. ſcheinet nicht un-
deutlich zu erkennen, daß dergleichen in ganz Sachſen
nicht geweſen ſeyn koͤnnen; wovon der Grund in dem
Unterſchiede der Sueviſchen und Saͤchſiſchen Verfaſ-
ſung zu ſuchen. Jch beruͤhre hier noch nicht die Unter-
abtheilungen der Gowen, welche Carl der Groſſe noth-
wendig hat machen muͤſſen.
terlande, welches man weder zu Wagen noch zu
Pferde durchreiſen kann, und wohin vielleicht der Ban-
nus regius ſuper foreſto nicht mit Nachdruck hat reichen
koͤnnen, jagt noch jetzt der Bauer, und laͤßt keinen Edel-
mann zu. Jn der Provinz Groͤningen jagen die Land-
Eigenthuͤmer nach dem Maaſſe ihrer Laͤnderey, 12 Mo-
nat, 6 Monat und 3 Monat. Doch iſt letztere Ein-
richtung erſt kuͤrzlich gemacht worden; indem ſie vorhin
ohne Unterſchied jagten. Und man ſieht leicht zum vor-
aus, daß diejenigen, ſo nur 3 Monat jagen duͤrfen, in
kurzer Zeit keine Hunde und bald darauf auch keine
Jagd
[9]erſter Abſchnitt.
Jagd weiter haben werden. Die Feuer Roͤhre, welche
ſich der eine geſchwinder als der andre anſchafte, ma-
chen hier ſchon einen groſſen Unterſchied in der Jagd,
indem ſehr viele Bauren mit Schneppen-Fluchten und
Strick-Jagden berechtiget ſind, welche ſich aber nicht
mit Feuer-Roͤhren wagen duͤrfen. Fiſchereyen in ofnen
Fluͤſſen haben noch viele Bauren, ſo weit ihre Gruͤnde
reichen; auch ſelbſt im Duͤmmer-See.
vermuthlich aus der Urſache, weil ſie nicht von eignem
Lande, ſondern aus ihrer Beſtallung jagen.
waren die Grafen Oberſten. Nachher iſt Land-Droſt
aufgekommen; und unſre jetzigen Droſten ſind Ober-
ſten uͤber die Land-Folge. Und hierinn gruͤndet ſich
auch der Tittel: Ober-Hauptmann. Droſt heißt
zwar im lateinſchen Dapifer. Das beweiſt aber nur,
daß der zeitige Dapifer zugleich das Commando uͤber
die Biſchoͤfliche eigne Folge gehabt habe. Droſte
koͤmmt von truſtis fidelis. Die truſtes und antruſtio-
nes ſind in dem Fraͤnkiſchen Stil zu bekannt um ihrer
hier zu erwehnen. Truſtees ſind noch Vorſteher in
England. Truſtis heißt auch ein Diſtrikt worinn fide-
les wohnen. v. du FRESNE v. truſtis und SOMNER.
in dict. A. S. v. Truth;Reichs-Droſt iſt protectio Cae-
ſarea in docum. beym SENKENB. de judicio Cam. hod.
adj. XX. p. 128.
oder Edel-Voͤgten advocatis wohl unterſcheiden. Dieſe
waren Hauptleute im Reichs-Heer-bann; jene ſind
Hauptleute in der Land-Folge.
Wohnern billig feſter ſteht, als bey andern, die zu-
ſammen, und ihrem Hauptmann unter Augen woh-
nen.
ſtande, weil frey allezeit verdaͤchtig; niemand aber er-
bar iſt, als der ein eignes Haupt in republica hat, und
keinem andern angehoͤrig iſt. Adel iſt honor eminens;
Ehre aber honor communis. Erſter macht optimum;
letztere aber virum bonum. Und obgleich nichts veraͤnder-
licher iſt, als die Curialien; und viri boni \& optimi gar
bald auch in der Zahl angehoͤriger Leute erblickt
werden; ſo glaube ich doch nicht zu viel zu wagen, wenn
ich vorausſetze, daß erbar in den aͤlteſten Zeiten einem
unabhaͤngigen Manne zugekommen ſey. Spaͤter, wie
ſchon alles diente, wurde erbar ein Tittel des Adels,
und jetzt wird nicht leicht eine Fuͤrſtliche Regierung ih-
ren guͤnſtigen guten Freunden oder lieben Getreuen,
Ehre geben, das iſt erbar oder erſam ſchreiben,
falls ſie nicht eine Wuͤrde haben, oder von Adel ſind.
te aber doch, daß jemand die wahre Graͤnze wo der
Leibeigenthum verſchwindet, und die Anſpaͤnner in Doͤr-
fern zu wohnen anfangen u. f. w. genauer beſtimmen
moͤgte. Die Graͤnz-Zeichen habe ich angegeben. Die
Urſachen welche THOMAS. in d. de hom. prop. \&c. §. 8.
NOLTEN in d. de Sing. præd. ruſt. Br. p. 48. GOEBEL
de jure \& jud. ruſt. l. 22. von dem jenſeits der Weſer er-
loſchenen Leib-eigenthum angeben, reichen nicht zu.
conductore perpetuo gehalten. Jch bin auch voͤllig ver-
ſichert, daß die jetzigen dergleichen ſind, nachdem die
erſten Beſitzer laͤngſt abgeſtorben ſind. Es iſt doch aber
immer eine gewaltige Hypotheſe, daß einige wenige
Perſonen, Grund-Herrn ſo vieler Bauerhoͤfe geweſen,
und ſolche gegen Erb-Zins verliehen haben. Jch wuͤrde
die Zins-Fruͤchte, die Dienſte und andre Leiſtungen der
Erb-Zins-Meyer, allemal eher als eine gemeine alte
Auflage anſehen, welche der gemeine Heerbann, zur
Zeit wie man ihn nicht mehr gebrauchen konnte, dem-
oder den jenigen entrichtet, welche fuͤr ihm zu Felde zie-
hen muſten. Der Heerbann iſt dem Lehn-Dienſt; und
der Lehn-Dienſt den Soldaten gewichen.
muͤhſeligen Anſtalten Carls des Groſſen zur Erhaltung
der Kriegesrolle gegen den Leibeigenthum, beybringen
werde. Carl der Groſſe iſt nur gar zu lange als der
Stifter des Leibeigenthums in Weſtphalen angeklaget
worden, er, der alles gethan, was moͤglich geweſen, um
ihn zu verhindern.
nen die nicht ſub dominio ſondern ſub imperio ſtehen,
kann nur eine gemeine Auflage und keines weges ein
Herrn-Recht ſeyn. Und Goͤdings pflichtige Unterthanen
ſtehen ſub imperio und nicht ſub dominio principis.
CITVS groupirt ihm nach, wenn er ſagt, arva quotannis
mutant, \& ſupereſt ager. Denn ſonſt lehrte ihm eine
andre Erfahrung, ſuam quemque domum ſpatio circum.
dare, welches ſich von Leuten nicht ſagen laͤßt, die keine
Bezirke zum Eigenthum beſitzen ſollen.
Niederrheins gewagt. Allein er war doch nur haupt-
ſaͤchlich von der Sueviſchen Einrichtung belehrt. Der
Sueven ihre Abtheilung in hundert Land-Regimenter;
(centum pagos) ihre 10000 Mann leichte Grenadier;
(quos ex omni juventute delectos ante aciem ponebant)
ihre 10000 leichte Dragoner; die Abrichtung ihrer
Pferde, welche in ihrer Ordnung blieben, wenn gleich
der Dragoner abſtieg und zu Fuſſe focht; ihre koͤnig-
liche Regierung; ihre groſſe Politik, ſich lieber mit klei-
nen einheimiſchen Pferden zu behelfen, als von einem
fremden Markte abzuhangen; das Anſehen, welches ſie
ſich uͤberall erwurben; nam Suevis ne quidem Deos im-
mortales pares eſſe, ſatebantur Tencteri \& Vbii beym CAES.
de B. G. VI. 7. und mehrere andre Umſtaͤnde beweiſen
augenſcheinlich, daß bey ihnen eine groſſe Veraͤnderung
in der natuͤrlichen Anlage vorgegangen ſey. Jch uͤber-
laſſe es den Gelehrten, die groſſe Urſache einer ſo wich-
tigen und ausnehmend ſtarken Kriegs-Verfaſſung anzu-
geben. Arioviſt war zwar ein Genie, wie man ſchon
daraus erkennt, daß er gleich ſein Lager nur eine Meile
vom Roͤmiſchen nahm; den Caͤſar des andern Tages
tournirte; ihm damit die Zufuhr abſchnitt; darauf ein
Haupttreffen vermied; die Roͤmer mit Scharmuͤtzeln,
weil er ihnen in der Anzahl leichter Truppen uͤberlegen
war, aufzureiben ſuchte; in der Schlacht ſelbſt aber,
durch eine der ſchnelleſten Wendungen, den Roͤmern ihre
Artillerie unbrauchbar machte, gleich ihren linken Fluͤ-
gel uͤber den Haufen warf - - - - Allein Arioviſt war
nicht der Schoͤpfer ſeines Volks. Denn eben die Reu-
terey, welche Caͤſar (de B. G. VI) bewunderte und als
die einzige beſchreibt, fand ſich ſchon einige hundert Jahr
vor-
[17]erſter Abſchnitt.
vorher auf einem Zuge in Jllyrien. Veniebant decem mil-
lia equitum, pat numerus peditum \& ipſorum jungentium
curſum equis \& in vicem prolapſorum equitum vacuos ca-
pientium ad pugna equos. LIV. XXXXIV. 26. Sie wird
zwar hier aus dem Munde und nach der Gewohnheit der
Griechen, die Galliſche Reuterey genannt, eben wie
PLUTARCH in Aem. Paulo und LIVIVS. IV. 57. \&
Epit. Lib. LVI. Die Baſtarnen an der Donau Gal-
lier nennen. Sie iſt aber kenntbar genug, und die Grie-
chen nannten alle Voͤlker von dieſer Seite Gallier, wie
CLVVER. in Germ. ant. l. 2. 3 ſattſam erwieſen, ob er
gleich auf dieſe Reuterey nicht verfallen. ARISTOTEL.
ſcheint die Sueviſche Verfaſſung gekannt zu haben, und
beurtheilt ſie gruͤndlich. Πολιτ. II. 5.
fangs erniedriget hat, gerade das Mittel ihrer groͤſſern
perſoͤnlichen Freyheit geworden. Die Hauptmannſchaf-
ten jenſeits der Weſer, welche faſt alles Erbe in Heuer-
gut; und die Mannors, welche in England vieles in Cop-
pyhold verwandelt haben, waren in ihrem Urſprunge
ſchimpfliche Ketten; und find in der Folge oͤffentliche
Wehren gegen den Leib-eigenthum geworden. Doch ha-
ben Erſtere auch ſehr oft zu Herrſchaften, Herr-
lichkeiten und andern den Staat verſchlingenden Uebeln
die erſte Gelegenheit gegeben.
linger bey ihren Nachbaren verhaßt gemacht haben; und
die Urſache davon ſcheinet in einem Stolze der Erſten,
welcher ſich auf eine beſondre Freyheit gruͤndete, ge-
legen zu haben. Wenn zu einem Frey-Schoͤpfen die
Geburt auf Weſtphaliſcher Erde erfordert wur-
de: ſo ſcheinet der Nachdruck dieſer Forderung darinn
zu ruhen, daß er ein Freeholder ſeyn, oder Erb-Gut
beſitzen muſte; und daß jenſeits der Weſer ſich damals
alles bereits ad colonatum geneiget hatte.
dem Vogler; und die Spruͤchwoͤrter: daß der Teu-
fel die Weſtphaͤlinger aus dem Sacke ge-
ſchuͤttet habe; imgleichen, daß ſie ohne Treu
und Glauben waͤren, charakteriſiren Leute, die zer-
ſtreuet wohnten, und deren man vor einem ordentlichen
Richter nicht recht maͤchtig werden konnte. Ein Vor-
wurf der diejenigen nicht traf, welche in geſchloſſenen
Haupt-
[19]erſter Abſchnitt.
Hauptmannſchaften lebten, folglich geſchwind belangt und
zu Erfuͤllung ihrer Verbindungen angehalten werden
konnten.
paterfamilias precatus Deos. TAC. in G. c. 10.
XII. Tabb. c. 24. und uͤberhaupt iſt die Koͤnigliche Gewalt
des Vaters in ſeinem Hauſe der Natur ſo gemaͤs, ARIST.
Πολ. l. 2. daß das Gegentheil erwieſen werden muß;
zu verſtehn bey einzelnen Wohnern. Denn die Buͤrger-
liche Geſellſchaft hat ſchon mehrere Ketten, wie mehrere
Abſichten. Die Roͤmer merkten dieſen groſſen Unter-
ſchied ſo bald nicht; und brachten zuerſt viele laͤndliche
Jdeen in die Stadt. Das verſchiedene Alter dieſer Re-
publick lieſſe ſich faſt nach der allmaͤhligen Ausartung ih-
res Bauer-Rechts in Buͤrger-Recht berechnen. Jhre
erſte Anlage kann ſchwerlich von ſolchen Leuten gemacht
ſeyn, die bereits nach einem Griechiſchen Stadt Rechte
gelebet hatten.
Rom nicht ohne eine Art von Hausgerichte geſchehen
koͤnnen; und die von ihm angefuͤhrten Exempel beweiſen
auch, daß es ſo geſchehen ſey. Bey den Deutſchen aber
findet ſich blos, daß der Mann, wenn er uͤber ſeine Frau
Gericht gehalten, ihre naͤchſte Anverwandten dazu gezo-
gen habe. Acciſis crinibus nudatam coram propinquis ex-
pellit domo maritus ac per omnem vicum verbere agit.
TAC. in G. c. 19.
rem publicam gezogen.
ligthum geweſen. Und ſo lange aus demſelben der ge-
meine Friede nicht gebrochen wird, hat eine bloſſe
Obrigkeit, welche nemlich ohne Herrlichkeit iſt, kein
Recht ſich ſolches eroͤfnen zu laſſen. Gegen einen Frie-
debrecher aber wird jure belli nicht jure imperii verfahren.
Die Regel iſt allemal dieſe: Quid eſt ſanctius quid omni
religione munitius quam domus unius cujusque civium? hic
aræ ſunt, hic foci; hic dii penates, hic ſacra, religiones ce-
rimoniæ continentur; hoc perfugium ita ſanctum omnibus,
ut inde abripi neminem fas ſit. CIC. pro domo 41. l. 21.
28. ff. de in jus voc.
Macht einer gemeinen oder oͤffentlichen Gottheit, aus
deren Vollmacht die Obrigkeit in theokratiſchen Ver-
faſſungen handelte, ſich ins Haus erſtrecket habe. Es
waͤre ein crimen læſæ paternæ majeſtatis geweſen, wenn
die Familie im Hauſe den oͤffentlichen Gott anbeten wol-
len. Denn auſſer dem, daß dadurch Kinder und Knechte
mit ihrem Herrn in communionem ſacrorum publicorum
gekommen waͤren: ſo haͤtten nach dem alten Coſtume,
wo diejenigen, welche Jſraels Gott anbeteten auch Jſraels
Unterthanen waren, Knechte und Kinder aus der vaͤter-
lichen Gewalt ohne Mittel unter die Obrigkeitliche tre-
ten muͤſſen.
Hofraum. Wehrfeſter iſt der Hauswirth. Jch finde
nicht
[21]erſter Abſchnitt.
nicht daß ein Haus in der Stadt oder im Dorfe jemals
die Wehre genennt worden. Auch ein Mark-Kotter hat
keine Wehre; es liegt alſo noch ein ſenſus eminens
darinn; alſo daß keiner Wehre gehabt, als wer im
Heerbann geſtanden. Quisque a duodecimo ætatis anno
ſit in hundredo \& decima \& plegio liberali qui VVera vel
Witte vel jure liberi dignus curat æſtimari L L. Henrici I.
c. 8. beym WILK. p. 241. Jnsgemein bedeutet Wehre
ſo viel als Obhut, S. GRVPE in obſ. rer. \& ant Germ.
24. Und ein Wehr iſt der Mann der in ſeiner
eignen und keiner fremden Obhut geſtanden hat.
Denn Wehr bedeutet auch Virum.
digen Erklaͤrung des juris aperturæ; des juris aſylorum;
und der Frage: ob eine Landes Obrigkeit das Recht
habe, ſich das Haus eines Edelmanns eroͤfnen zu laſſen,
wenn kein caſus fractæ pacis publicæ vorhanden? Der-
gleichen Sachen werden jetzt alle philoſophiſch entſchie-
den, und das iſt ſehr bequem.
Nachweiſung in der alten Geographie ſeyn.
noſſe darf ſich ſeines Antheils nach Willkuͤhr gebrauchen,
ohne den Frieden zu brechen, und Bruch-faͤllig zu wer-
den. Beym Schluß eines jeden Holz Gerichts wird der
Mark-Friede gemeiniglich ausdruͤcklich erneuert, oder
auch nur auf das Holz und den Graß Anger erſtreckt;
indem man in groſſen Marken, wo viel Heide iſt, die
willkuͤhrliche Abnutzung der Letztern frey laͤßt, und in
den Frieden nicht mit einſchließt. Die Markgenoſſen
bewilligen den Frieden; und nur alsdenn, wenn ſie dar-
uͤber nicht eins werden koͤnnen, tritt das Holzrichterliche
Amt ein. Solches muß allemal zum Frieden und nicht
zum Unfrieden gehn.
kann geſtrafet; ein freyer Mann aber nur gebruͤch-
tet werden. Auch dieſes iſt eine aus der alten deutſchen
Verfaſſung bey uns uͤbrig gebliebene Redens-Art; und
man heißt die Straf- oder Land-Gerichte Bruͤchten-
Gerichte. Der Bruch aber iſt unterſchieden, ſo
wie einer am Land-Dorf-Kirchen-Schloß-Mark-
Religions- oder Profan-Frieden gebrochen.
ſchn. hat zuerſt gelehret, daß jeder Markgenoſſe vordem
ein Leibeigner des Holzgrafen; und die ganze Mark
ihm als Grund-Herrn zuſtaͤndig geweſen ſey. Jch laſſe
dieſes als moͤglich zu, wo ſaͤmtliche Markgenoſſen
dem Holzgrafen zur Urkunde ein Grund-Word- oder
Weide-Geld entrichten. Sonſt aber, und hier im
Stifte iſt die Vermuthung fuͤr die Genoſſen. Die
Heringhaͤuſer waͤhlen noch jetzt ihren Holzgrafen.
Und Graf iſt Beamter aber kein Herr. Einige
Marken haben erſt in dieſem Jahr hundert von der
Landes-Obrigkeit der Ordnung wegen einen Holzgra-
fen bekommen. Vorhin ſtraften ſich die Genoſſen jaͤhr-
lich unter einander bey der Bank; und an einigen
Orten geſchieht dieſes noch, eben wie in Gilden und
Zuͤnften.
wurden vor dem im Hofe oder im Hauſe gehalten.
durch einen Frohnen geſchehn. Sie geſchieht aber durch
die Mahl-Leute, welches gemeine Maͤnner ſind; Jn
etlichen Marken, geht jedoch auch ein Holzgrafen Die-
ner mit. Die Pfande werden unter gemeine Ver-
wahrung geſtellt.
verfolgen, wenn der Holzgrafe ein Herr aller Genoſſen
geweſen waͤre. Zwar pfandet der Holzgrafe jetzt auch
oft im Hauſe. Allein blos mit gutem Willen des Be-
ſitzers, und zu ſeinem beſten; um ihm kein lebendig Pfand
von der Mark zu nehmen; oder ihm viele Koſten zu
machen. Jeder Schuldner kann ſeinen Glaͤubiger, und
ſo auch der ſchuldge Genoſſe, dem Holzgrafen ein Pfand
folgen laſſen. So wenig der Glaͤubiger als der Holz-
grafe ſind aber befugt, ihn mit Gewalt im Hauſe zu
pfanden.
einſchlagen (beydes zu verſtehen auf gemeiner Mark)
und ihn von aller Gemeinſchaft ausſchlieſſen. S. die
Juͤlichſche Policey-Ordn. und die Auszuͤge beym PIPER
l. c. n. 2. 3. in app.
gerichte nicht folgen. Zwar haben beyde, obſchon der
Holzgraf uͤber Leib und Eigenthum nicht zu gebieten hat,
bisweilen nicht folgen wollen. Allein mit Unrecht. Man
findet die Exempel des Gegentheils beym PIPER l. c. in
app. n. 3. p 180. 184. Und in Sachen des Paſtors Cruſen
zu Engter, gegen die Mahileute wurde den 29. Jan. 1718.
bey der Canzley zu Recht erkannt, „daß der Paſtor als
„ein Markgenoſſe ſich in marcalibus nach Holzgraͤflicher
„jurisdiction zu richten und folglich den ihm angeſetzten
„Holz-Bruͤchten zu erlegen und dadurch das ihm abge-
„pfandete Fuder Heu zu redimiren ſchuldig ſey.‟ S.
LODTMAN in pof. Jur. Marc. Oſn. th. 2. Auf eine An-
frage
[25]erſter Abſchnitt.
frage des Abten zu Jburg haben die Stifts-Staͤnde ein-
mal Gutachtlich dafuͤr gehalten, daß der Holzgrafe ei-
nen Verbrecher zum ehrlichen Pfahl verdammen koͤnne.
Allein noch zur Zeit iſt ſolches niemals in einer Mark
fuͤr Recht gewieſen; in keiner Mark iſt ein Pfahl oder
Gefaͤngniß, welches ſich nothwendig finden muͤſte, wenn
die Genoſſen Leibeigne des Holzgrafen geweſen waͤren.
Und ſo bald der Holzgrafe jene Befugnis gegen einen
Genoſſen haͤtte: ſo koͤnnte der Adel dem Gerichte nicht
folgen. Es finden ſich zwar die grauſamſten und laͤcherlich-
ſten Leibesſtrafen in den Holtings-Urtheilen; PIPER
l. c. und KRESS vom Archid. Weſen in app. p. 140.
Allein nie gegen einen Genoſſen; ſondern allezeit ge-
gen einen Unberechtigten oder Ausmaͤrker. Und
hoͤchſtens gegen einen der den heiligen Schnat-Baum
faͤllet, und ſolchergeſtalt nicht den Mark-Frieden ſon-
dern den Gottes Frieden bricht. Und man hat
dieſe Strafen gar nicht feſt ſetzen, ſondern nur damit
anzeigen wollen, daß ein Ausmaͤrker nicht des Mark-
Friedens und der pœnæ conventionalis genoͤſſe, ſondern
als ein Feind der Gnade und Willkuͤhr ſeines Ueber-
winders leben muͤſſe. Dies iſt der eſprit de loi. Und
das beruͤhmte Roͤmiſche Geſetze de Sectione debitoris in
partes hat wol ebeu den Sinn; und ſoll ſo viel bedeu-
ten, daß der unvermoͤgende Schuldner ſeiner Glaͤubiger
Gnade leben muͤſſe; weil der Richter beyden nicht wei-
ter helfen koͤnnen.
holzgraf die Bank ſpannet, das iſt, mit der Hand eine
Spanne auf dem gemeinen Tiſch, wobey man ſich ſetzt,
gemeſſen, und dabey Hand und Mund verboten hat.
S. MASCOV. in notit. jur. Oſn. VII. §. 6. Dieſe
Feyerlichkeit, welche nur noch an einigen Orten, als
zu Alfhauſen ꝛc. beachtet wird, hat die Wirkung,
daß von dieſem Augenblick an, der Gerichts-Friede zu
dem Mark-Frieden tritt. Denn ſo bald wie die Span-
nung geſchehn, gehoͤren Schlaͤgerey und Scheitwort,
welche bey der Bank vorfallen, zur Ahndung des Holz-
B 5gra-
[26]Oſnabruͤckſche Geſchichte
grafen; vorher und nach aufgehobnem Gericht, wenn
ſich die Markgenoſſen auch an den Holzgrafen vergriffen,
wuͤrde nicht er, ſondern das Amt die Beſtrafung haben.
heißt es: „Canzler Lohhauſen verſetzte es waͤre ein groſ-
„ſer Unterſcheid zwiſchen dem Holzgrafen zu Liene und im
„Hagiſchen; maſſen Tecklenburgenſes in dieſem nichts
„weiter als den Holzhieb drey Fuß uͤber der Erden zu
„beſtrafen, und zu Maſtzeiten das Recht haͤtten, eine
„ſichere Anzahl Schweine zu treiben; uͤbrige exceſſus ge-
„hoͤrten zur cognition der Jburgiſchen Beamte; die auch
„des-
[27]erſter Abſchnitt.
„desfalls in continua poſſeſſione beſtanden ꝛc. wie durch
Exempel erwieſen wirb. Jch koͤnnte mehrere dergleichen
Faͤlle anfuͤhren.
die in einem Walde zu Zimmer Holz und zur Maſt be-
rechtiget ſind, heiſſen Blumwarige oder vollwa-
rige Genoſſen. S. die Rechtsweiſung vom Speller-
walde in der Anl. n. I. beym PIPER l. c. in app.
Wahre iſt der Theil, den ein Voller Genoſſe in der
Gemeinheit zu wahren hat. Manches Erbe hat zwey
Wahren; und manches adliches Haus ſechs und meh-
rere Wahren Eine echte Wahre oder ein Echt-
Wort wird oft derjenigen Befugnis entgegen geſetzt,
die ein ander, etwan jure ſervitutis in einer Mark erlangt
hat; oft aber auch fuͤr die Advocatie oder Gutsherrlich-
keit ſelbſt genommen. Und zwar alſo, daß alle Guts-
herrn Echt-Wort; ihre Coloni aber gleichſam Unecht-
Wort; oder aber bloß die Adlichen Echt-Wort ha-
ben, indem ſie ihre Guͤter vollkommen und nicht bloß zum
Bau beſitzen. Vermuthlich iſt es mit der Erb-exen-
ſchaft eben ſo; indem in einigen Marken alle Guts-
herrn in andern aber gewiſſe Adliche| nur Erb-exen
heiſſen. Erb-exe ſcheinet mir nicht von Erb-
axt; ſondern von Erb-echt herzukommen, und dem
unechten Erben, nemlich dem Colono entgegen zu
ſtehen.
Gilde urtheilen kann, ohnerachtet ſie beyde mit Leder zu
ſchaffen haben.
alte Herrlichkeit uͤber die Knechte zur Quelle der Grund-
Gerichte gemacht. Jch wende gegen ſeine Theſin nichts
ein. Sie muß aber ſehr vorſichtig angewandt werden.
Und die Anwendung, die er davon gemacht hat, iſt ſo
mager daß ſie ſeinen Nahmen nicht verdienet.
bauen. Hier erkennen die Genoſſen uͤber die Land- oder
Wannen-Wege, uͤber die Betreibung der Stoppeln,
uͤber
[29]erſter Abſchnitt.
uͤber Pflug art, uͤber die Befriedigung und alles was
zum Beſten des Eſches iſt. Dies heißt vielfaͤltig die
Bauerſprache, welche jaͤhrlich gleich dem Holzge-
richte abgehalten wird. Bisweilen iſt auch der Holz-
grafe zugleich im Eſche Richter entweder weil der Eſch
aus der Mark genommen, und ihm das Richt amt ge-
laſſen, oder aber weil er als ein zufaͤlliger Genoſſe dazu
erwaͤhlet iſt.
ſchaft anzeigt; wird aber eher fuͤr eine gemeinſchaftliche
Weide genommen. Vor die Koppelſprache wuͤrde
alſo Trifft und Uebertrifft gehoͤren.
Strich, welcher zwar zur Viehweide allen Genoſſen
offen iſt, zum Plaggenmatt aber einem Dorfe oder einer
Bauerſchaft allein gehoͤret. Erſter wird auch wol der
Kirchen-Friede, weil die Kirche im Dorfe liegt,
genannt; hat aber ſonſt kein Heiligthum von der Kirche.
Die Genoſſen einer Heimſchnaet, finden alſo ihr eigen
Recht uͤber Plaggenmatt, und was dazu gehoͤret; aber
nicht uͤber Zuſchlaͤge, Viehtrifft ꝛc. dieſes gehoͤret fuͤr
alle Markgenoſſen.
Holztheil.
oder mehrere Genoſſen zur Holznutzung vor ſich, im
uͤbrigen aber gemein haben. Loh begreift mehr als
Dußtheil. Letzters iſt nur ein privativer Unterholz-
theil in der ofnen Mark. Wer bloß Recht zum Dußtheil
hat, darf keine Eichen und Buͤchen darinn ſetzen, weil
er ſonſt mit der Zeit den Eichel-Fall behaupten, und die
Markgenoſſen zwingen wuͤrde, zur Maſt-Zeit dafuͤr zu
huͤten.
muͤſſen ſie nothwendig ſich einer gewiſſen Linie verglei-
chen; damit einer den andern nicht abſticht. Vor die
Mohr-
[30]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Mohr-ſprache gehoͤren alſo die Bruch Faͤlle, wenn
jemand auſſer dem Winkel ſticht; oder die Mohr-Wege
nicht breit genug laͤßt ꝛc. Alle dieſe Sprachen ſind
nun zwar mit dem Holzgerichte vereiniget, um der Rich-
ter nicht zu viel zu machen. Jnzwiſchen koͤnnen ſie doch
davon unterſchieden ſeyn; und es hat ſeinen Nutzen die-
ſes zu wiſſen. Wo ſich ein groſſes Mohr findet, iſt der
Verkauf des Torfes auſſerhalb der Mark, nicht ſo leicht
verboten; und es ſtechen die Koͤtter und Heuerleute
gleich den Voll-Erben, weil Ueberfluß da iſt. So wie
aber dieſe Rechte bloß den Reichthum zum Grunde ha-
ben: ſo muß auch der Mangel andre hervorbringen
koͤnnen.
daß keiner vor einen gewiſſen Tag, um der Stoppel-
weide willen, ſeinen Morgen pfluͤgen duͤrfen, und der
Richter davon den Bruͤchten genoſſen: jetzt aber ſaͤmt-
liche Genoſſen jenes Geſetz auf heben: ſo kann der Rich-
ter ſich dieſer Verordnung nicht widerſetzen. Wo der
Landes-Herr Stoppel-Richter iſt, muß er ſich lediglich
nach der Vereinbarung der Genoſſen richten. Von die-
ſen haͤngt es ab, ob ſie die Stoppeln vor oder nach Bar-
tholomaͤi, gehuͤtet oder ungehuͤtet, betreiben wollen.
Der Bruchfall gehoͤret hernach dem Landes-Herrn als
Richtern. Eben ſo auch in der Mark. Wenn ſaͤmtliche
Genoſſen uͤber die Theilung eins ſind: ſo kann der Holz-
graf, weil er ſeine Bruchfaͤlle dabey verlieret, ſich der
Theilung nicht widerſetzen.
ſen man ſich in dieſem Falle bedienen konnte; und ehe
ein Fuͤrſt den bannum einführte, war alles fredum; und
aller Bann-Bruch Friede-Bruch.
dominio oder ex directorio yel imperio fließt. Letztere iſt
jetzt die regalis; und um zu wiſſen, von welcher Art eine
Gerichtsbarkeit ſey; muß man unterſuchen ob die dar-
unter ſtehende Leute, ehedem zum gemeinen Heerbann,
oder zu eines Herrn Hofe gehoͤret haben. Und da iſt
meine Meinung, daß wo die Gerichts-geſeſſene zur ge-
meinen Landfolge kommen; es ſey nun, daß ſie durch
den Gerichts-Herrn oder durch das Amt beſtellet wer-
den, die Vermuthung pro regali jurisdictione; und wo ſie
im Gegentheil nicht folgen, die Vermuthung pro patri-
moniali ſey. Die Gruͤnde wird man in der Folge ſehen.
Gerichten folgen kann, weil dort keine Frage von Leib
und Gut war.
entgehn. Alle Leib-und Lebens-Strafen ſind zuerſt in
curia Domini zu Rechte gewieſen. Den Deutſchen kam
dieſes ſeltſam vor. Vt primum togas \& ſeveriora armis
jura viderunt, arma duce Arminio corripiunt. FLOR. IV.
12. Bey ihnen hieß es: Cæterum neque animadvertere,
neque vincire neque verberare quidem niſi Sacerdotibus
permiſſum; non quaſi in pœnam nec dutis juſſu, ſed velut
Deo imperante, quem adeſſe bellantibus credunt. TAC. in
G. 7. Und dieſes galt bloß, wie man ſieht, im Heere,
wo eine ſtrengere Krieges-Zucht nothwendig war. Silen-
tium per Sacerdotes quibus tum \& coercendi jus eſt impe-
rntur. ib. c. 11. Auſſer dem Heere hatte alſo der Prieſter
keinen goͤttlichen Beruf zum ſchlagen. Eben ſo uͤbergiebt
das Parlement in England, cui tum (und nicht anders)
coercendi jus eſt, die Gewalt uͤber Leben und Tod dem
Feldherrn zur Krieges-Zeit. Die Roͤmiſchen Buͤrger
hatten gleiche Rechte. Das ganze Volk konnte keinem
Buͤrger ein Haar kraͤnken. Aqua \& ignis war alles was
es ihm nehmen konnte; und dies iſt die Ausſchlieſſung
eines
[33]erſter Abſchnitt.
eines Mitgliedes aus der Geſellſchaft, welche jeder Bund
von Rechtswegen hat. Denn aqua \& ignis iſt von gemei-
nem Waſſer und Brandholze zu nehmen. Der ſervus pœ-
næ gab zwar hernach eine Wendung gegen jenen Grundſatz
ab. Oder es hies: vitæ necisque poteſtatem ſibi vindicarun:
primum in plebejos obſcuros. AMM. MARC. XXIII. Allein
die Regel blieb; und in Gallien opferte man die Uebelthaͤ-
ter den Goͤttern, was vor eine feine Wendung der Geſetzge-
benden Macht! weil man ſie nicht an Leib und Leben ſtrafen
konnte. CAES. de B. G. VI. Auch noch wird ein Edel-
mann ſeines Adels, und ein jeder ſeiner Wuͤrde beraubt,
ehe er an ſeinem Leibe leiden kann. Dieſe Wuͤrde ſchei-
net jeder Haus-Herr in den alten Verfaſſungen gehabt zu
haben, und die Jſraeliten welche Moſes aus Egypten
fuͤhrte, und die, weil ſie lange zu Haufen und zum Heere
verſammlet blieben, eine ſtrenge Krieges-Zucht noͤthig
hatten, ſchienen ſich um des willen bey den uͤbrigen Voͤl-
kern eine ſo allgemeine Verachtung zugezogen zu haben;
weil ſie auf Befehl Gottes viele Leib-und Lebens-Stra-
fen, anbey lauter Geſetze und wenige Willkuͤhren,
Sprachen, Abſchiede, oder populiſcita und plebi-
ſcita hatten.
tiones legales; S. du FRESNE h. v.
mero TAC. G. 21. It. LL. BAI. T. I. 7. 3. II. 1. 4. Es
hieß daher aber vielleicht auch oftmal bey der vitioſiori
progenie: magnas mihi debes referre gratias eo quod paren-
tes tuos interfecerim, de quibus accepta compoſitione au-
rum \& argentum ſuperabundant in domo tua. GREG. TVR.
IX. 19.
che dem Gutsherrn unter dem Nahmen von Bette-
mund bezahlet wird, wenn ſie geſchwaͤcht iſt; und der
Gutsherr wuͤrde auf gleiche Art fuͤr einen erſchlagenen
Knecht noch jetzt das Wehrgeld haben, wenn es nicht
abgeſchaffet waͤre.
wehr. Wehrgeld iſt alſo valoris valor. WACHTER v.
Wehrgeld giebt eine andre Ableitung. Jene vom
SPELLMAN. v. VVergeld iſt wohl die beſte. Der Koͤnig
Eduard uͤberſetzt: VVere quod ſit redemtionis ſuæ pretium
in LL. tit. 12. beym WILK. p. 199.
30000 Thrymſe; des Erzbiſchofen 15000; des Biſchofen
und
[35]erſter Abſchnitt.
und Aldermanns 8000; des Generals 4000; des Prie-
ſters und Thans 2000 ꝛc. Die Englaͤnder wiſſen aber
nicht recht mehr was ſie aus den Thrymſen machen ſollen.
S. SPELLMAN h. v. WILKINS in gloſſ. ad LL. Angl. v.
Manca und SELDEN. tit. hon ed. l. p. 204. Die Rech-
nung ſcheinet aber ſo ſchwer nicht. Thrymſe hat den
Nahmen de tribus tremiſſibus, welche bey den Sachſen
den ſchwerenSolidum ausmachten. v. L L Sax. §. 17.
beym LINDENB. p. 478. Und nun angenommen daß
dieſer ſchwere Solidus, gegen einen andern noch ſchwerern,
welchen die Mercier hatten, ſich wie unſer courant zur
ſpecie verhalten habe: ſo iſt die Stelle in jud civit. Lond.
beym WILK. p. 71., wo 266⅔ Thrymſe gegen 200 Soli-
dos Mercios gerechnet werden, nicht irrig wie SPELL-
MAN und andre davor gehalten haben.
LL. Edw. conf. §. 12. Eine richtige Folge ihres Grund-
ſatzes.
Gebrauch. S. L L. Edowardi §. 20. beym WILK. p. 202.
und dies war zu einer Zeit, wo man noch kein Geld
hatte noch nothwendiger. Die Eingeſeſſene eines Ge-
richts waren die einzigen welche ihres Mitgenoſſen Hof
und Land an ſich nehmen, und ihre Buͤrgſchaft tod ſaͤen
konnten.
propinquis ejus exſolvitur. TAC. G. 12.
pflichtet, jedem Reichsgenoſſen zu ſeinem Rechte zu ver-
helfen. Das Recht eines Mannes mißt ſich nach ſeinem
Stande. Und kein einzelner Reichs-Stand, ſondern nur
derjenige, der die allgemeine Vollmacht hat, kann die
Geſamt-Buͤrgſchaft mit einer Standes-Erhoͤhung be-
ſchweren. Dies iſt der Kayſer; und er ſorgt fuͤr die
Ruͤck-Buͤrgſchaft dadurch, daß er nur hinlaͤnglich An-
geſeſſene erhoͤhet.
cæde Druidis commiſſa ſunt, quorum multus eſt proventus.
15000 das Volk; und das uͤbrige der Verwandte. S.
jud. civ. Lond. beym WILK. p. 71.
Sachſen ſehen.
genannt in LL. Cnuti II. 8. Dieſe Buͤrgſchaft liegt auch
ſchon in dem Syſtem einzelner Wohner. Wie denn
uͤberhaupt die Lehre von dem Wehrgelde ganz ſyſtema-
tiſch, und von dem groͤßten Einfluß in die deutſche
Rechtsgelehrſamkeit iſt. So wenig einer ſchaͤdlich Vieh
auf die Gemeinheit laufen laſſen darf, ohne den Scha-
den zu bezahlen; eben ſo wenig kann er unſichere Leute
hegen, ohne fuͤr ſie einzuſtehen, und ſie wenigſtens dem
Beſchaͤdigten darzuſtellen, noxæ dare. Quilibet homo
habeat ſuam fidejuſſionem \& fidejuſſor illum ad quodlibet
C 3jus
[38]Oſnabruͤckſche Geſchichte
jus ducat \& cuſtodiat. LL. Edgari II. 6. Qui voluerit ſe
teneri pro libero, ſit in plegio. Guil. Conq. L. 64.
duabus tanquam lioſpitem --- quem ſi tertia nocte hoſpi-
tatus ſuerit, habeat eum ad rectum tanquam de propria fa.
milia. LL. Edovardi c. 27. beym WILK. p. 202. Und da-
hin zielet auch das deutſche Sprichwort: Ein dreytaͤgi-
ger Gaſt iſt jedem eine Laſt. Dieſes Geſetz that eine
ſeltſame Wirkung auf die Hoͤflichkeit der Deutſchen.
Wenn ein Gaſt von ihnen gieng: ſo wurden ſie mon-
ſtratores proximi hoſpitii \& comites. TAC. G. 21. Denn
wenn der Fremde unter dem Wege zum naͤchſten Nacht-
Lager etwas verbrochen haͤtte: ſo wuͤrde der erſte Wirth
fuͤr ihn haben bezahlen muͤſſen.
hoſtis hies. Wie der Fremde endlich in den Koͤnigs-
Schutz kam: genoß der Koͤnig ⅔ des Wehrgeldes; und
da folglich der Koͤnig faſt ſein ganzes Haupt hatte: ſo
beerbte er ihn auch als Knecht.
hatte, die gemeine Buͤrgſchaft beſchweren konnte. Und
in dieſer Hinſicht gehoͤret der Juden-Schutz ad regalia;
Die Regalitaͤt des Geleits, des Schutzes ꝛc. beruhet
darin, daß ein Fremder auf gemeine Rechnung ohne
Buͤrgſchaft geduldet wird. Und wer haͤtte ein
Wirthshaus halten wollen; wenn er dem Staat vor
alle aufgenommene Gaͤſte haften muͤſſen?
oder Suͤhnde; das was der Koͤnig oder der Staat
bekam, ein Bruͤchte; und was die Verwandte be-
kamen Wehrgeld heiſſen. Allein die Schriftſteller
nennen eins durchs ander Werigeldum, und man ſieht
leicht, wie ſich dieſe verſchiedene Begriffe verwechſeln
koͤnnen; da im Grunde alles von der Wehrung kam.
micitias neceſſe eſt. Nec implacabiles durant. Luitur enim
etiam homicidium certo armentorum vel pecorum numero.
Recipitque ſatisfactionem (i. e. Werigeldum) univerſa do-
mus. TAC. G. 21.
Geſetz hart, weil ſolchergeſtalt die Unſchuldigen fuͤr den
Schuldigen beſtraft wurden. Allein einmal hatte die
Buͤrgſchaft durch das Wehrgeld ſeine beſtimmte Graͤn-
zen, und war in den mehrſten Faͤllen geſichert. Es ver-
pflichtete den Vater zur guten Kinderzucht; und den
Herrn zur Wahl eines guten Geſindes; verknuͤpfte die
Verwandſchaften; verhinderte die Hegung unſicherer
Leute, womit jetzt oft ein Land beladen wird; und der
Staat haftete mit Recht in ſubſidium, wenn er Land-
ſtreicher ohne Buͤrgen duldete. Uebergab er einer Gott-
heit; oder einer Obrigkeit die Vollmacht, auf die ge-
meine Buͤrgſchaft Geleit zu geben: ſo war dieſes ſeine
Schuld. Kurz die Ungerechtigkeit dieſer Verfaſſung ent-
ſtand nicht eher, als bis gewaltige Herren Laͤnder er-
oberten; die urſpruͤnglichen Contrahenten in Untertha-
nen verwandelten; und Leute fuͤr einander haften laſſen
wollten, die dazu ihren Willen nicht gegeben hatten.
Mit der Monarchie muſte alſo dieſes Geſetz nicht lange
beſtehen koͤnnen.
mentum. Si liberi non ſunt proximus gradus in ſucceſſione
fratres; patrui; avunculi. TAC. G. 20. Nullus heredem
ſuum exheredem faciat. LL. Saxon. 54. beym LIN-
DENBR. p. 478. Jn Daͤnnemark wird noch jetzt des
Koͤnigs Erlaubnis zu einem guͤltigen Teſtament erfor-
dert. Beylaͤuffig muß ich hier erinnern, daß ich die
vorangezogene LL Sax. fuͤr eine ſpaͤtere und unſichere
Rapſodie halte. Das oͤftere: morte moriatur; iſt im
Moſaiſchen Styl; der zwar oft von Koͤnigen aber nie
von Voͤlkern affectiret worden; und die æſtimationes vul-
nerum ſind ausſchweifend. z. E. ambo teſticuli 1440.
Schilling: d. i. nach damaliger Wehrung in l. fin. ib.
86400 Scheffel Haber.
Fromme aufhob, iſt bekannt; man ſtreitet aber uͤber
deſſen Jnhalt. Jch vermuthe daß die Aufhebung in
beſſern Latein, ſonſt aber in terminis Childeberti II. reg.
Franc.
[41]erſter Abſchnitt.
Franc. gefaßt geweſen: De homicidio ita juſſimus obſerva-
ri ut quieunque auſu temerario alium ſine cauſa occiderit,
vitæ periculum feriatur; \& nullo pretio redemtionis ſe re-
dimat aut componat. Et ſi forſitan convenerit, ut ad ſo-
lutionem quisque deſcendat, nullus de parentibus \& amicis
ei adjuvat. Niſi qui præſumſerit ei aliquid adjuvare ſuum
Werigeldum omnino componat. Quia juſtum eſt ut qui
injuſte novit occidere diſcat juſte morire. Cap I. 18. beym
BALVZ. In LL. Edmundi §. f. wird den Verwandten
das beneficium derelinquendi homicidam unter dem Be-
dinge geſtattet, daß ſie ihm kein Eſſen und Trinken rei-
chen und auch an ſeinem Wehrgelde keinen Antheil ha-
ben ſollten. Jm Stift Oſnabruͤck verlohr ſich das Wehr-
geld im XV Sæc. wovon zu ſeiner Zeit. Jm Daͤniſchen
wurden im Jahr 1540 die Verwandte von der Mithaft
befreyt. S. HEIMERICH in der Nordfreſ. Chronick III.
5. p. 246.
gern Gegenſtaud zu haben. Si pollex abſcindatur XX Sol.
Si pollicis unguis abſcindatur III Solidis emendetur. Si quis
indicem digitum VIII Sol. \&c. LL. Aethelſt. beym WILK.
p. 5. Und man findet dergleichen faſt in jeder alten
Dorf-Ordnung. S. LL. Burg. tit. XI. §. 48. LL. Baj.
tit. 3. c. I. LL. Rip. tit. 1. 2. LL. Friſ. tit. 22. L. Sal.
tit. 19. \&c. Man lacht jetzt uͤber dergleichen alte Geſetze;
und laͤßt ſich dafuͤr von jeder Obrigkeit als ein Knecht
nach Willkuͤhr ſtrafen. Es wird aber kein Land ſeyn,
worinn ſich nicht noch eine gewiſſe Bruͤchten-Taxe fin-
det; ſo daß z. E. eine Ohrfeige, ein Schlag ꝛc. ſeine
gewiſſe feſtſtehende Geldſtrafe hat; welche ein Beamter
nicht verhoͤhen ſoll. S. von ungewoͤhnlichen
Bruͤchten in den Biſchofl. Oſn. Capit. beym KRESS. in
app. p. 3. Ss. Das Geſchichtgen von der Ohrfeigen-
Taxe zu Rom, da einer fuͤr 25 Aſſes allen Leuten ins
Geſichte ſchlug, beweiſet das Alterthum dieſer Taxe;
und auch wiederum dieſes, daß dasjenige was bey ein-
zelnen Wohnern gut iſt, ſich in der buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft nicht ſchickt.
ſich
[43]erſter Abſchnitt.
ſich noch in dem Pfandſpiel. Der Richter fraͤgt: was
ſoll der thun dem das Pfand gehoͤrt?
und man wuͤrde die Alten fuͤr ſehr dumm anſehen, wenn
man glaubte, daß ſie quantitatem actionum moralium
nicht gekannt haͤtten. Allein in ihren Rechtsweiſungen
haben ſie nicht leicht darauf zuruͤckgeſehen; und die Ge-
fahr hat ihnen geahndet, welche die Freyheit dadurch
erlitten hat, daß man dem Richterlichen Arbitrio hierin
ſo viel nachgegeben hat.
Sachſen, Gothen, Burgundier ꝛc. ſind von Obrigkei-
ten, die ihre Herrſchaft feſt-ſetzen wollen, befoͤrdert wor-
den; wie der Augenſchein zeiget. Es iſt ſonſt merkwuͤr-
dig daß die Angelſachſen auch nicht einmal die Straf-
Faſten der Biſchoͤflichen Willkuͤhr uͤberlaſſen wollten.
S. den modum imponendi pœnitentiam inter LL. Eadgari
beym WILK. p. 89. oder WHELOC. p. 71. Die Faſten
ſind darinn auf jedes Verbrechen bey Jahren, Wochen
und Tagen zu Recht gewieſen. Und MONTESQ. im Eſpr.
de Loix XI. 6. bemerkt mit Recht, daß die Angelſachſen
dieſen Geiſt der Freyheit aus den deutſchen Waͤldern
mit gebracht haͤtten.
Heymath zu Recht zu ſtellen. Man muß aber auch vor-
ausſetzen, daß er auf ein frey Geleit reiſete und nicht
als Knecht verurtheilet werden konnte. Nicht blos Ge-
ſandten, ſondern alle geleitete Perſonen genieſſen billig
dieſes Rechts; und im H. R. R. alle oͤffentliche Bediente.
Blos als Knecht kann einer auſſerhalb ſeinem Vaterlan-
de verdammet werden; und in deſſen Ruͤckſicht heißt es:
Peregrina judicia generali ſanctione prohibemus. Quia in-
dignum eſt ut ab externis judicetur, qui provinciales \& a
ſe electos debet habere judices. S. ANSEGISI. Coll. Ca-
pit. Caroli M. \& Lud. P. VII. 230.
ver-
[45]erſter Abſchnitt.
vertritt Mania unſer heutiges Reich. Und der Unter-
ſcheid zwiſchen beyden iſt wol; daß jenes einen freyen;
dieſes einen bedeckten Waffen-Verein anzeiget. Jn je-
nem ladet der erwaͤhlte Koͤnig oder Heerfuͤhrer die Maͤn-
ner zur Heer-Verſamlung ein, und dieſe Einladung
heißt Mannitio. Libertatis autem vitium eſt, ut juſſi non
conveniunt. TAC. G. 11. Jn dieſem iſt Aufbot,ban-
nus. Das Wort Mannia erhielt ſich eine Zeitlang; und
man ſagte noch unter den Fraͤnkiſchen Koͤnigen: Comes
cum Arimannia; an ſtatt comes cum comitatu vel banno
ſuo. Man ſieht dieſes am deutlichſten in Capit. ap. BA-
LVZ. T. I. p. 207. wo es noch in rubro nach dem alten
Stil heißt: de mannitione in hoſtem; in nigro aber ſteht:
ſimiliter \& qui juſſionem regiam in hoſte bannitus irruperit.
HINCMAR ad Ep. Franc. cit. PYTH. v. Mannire in gloſſ.
ad Cap. beym BALVZ T. II. giebt uns den Schluͤſſel da-
von in folgenden: Prius per manninas veniebant, excogita-
verunt quidam ut per bannos venirent ad placita; quaſi
propterea melius eſſet, ne ipſas manninas alterutrum ſolve-
rent. Hoc ideo facientes ut ipſi bannum acciperent. Das
heißt auf gut deutſch: die Amts-Bruͤder vertagten ſich
bis dahin bey Strafe einer Viertel-Tonne Biers, welche
ſie unter ſich vertrunken. Der Gildemeiſter aber ließ ſie
nun bey Strafe des Bann-Bruchs aufbieten, damit er
das Geld allein behielte. Dergleichen Veraͤnderungen
erlebet man noch dieſe Stunde bey den Holzgerichten.
An einigen Orten werden noch jetzt die Edelleute blos
aviſirt und nicht citirt. S. Deſignation etlicher Perſo-
nen ſo durch die Biſchoͤfe von Wuͤrzburg mit aviſamen-
ten ꝛc. in STRUVERS Reichs-Archiv. T. III. p. 330.
FRESNE v. Arimanni.
net mir unbequem, weil es eben wie Reich einen be-
deckten Verein anzeigt.
liegen: ſo wird jeder Hof; aber nicht jeder Kopf, zur
Unter-
[46]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Unterhaltung des Deiches verpflichtet ſeye. Natur und
Billigkeit bringen dieſes mit ſich. Ein anders iſt bey
ziehenden Voͤlkern; wo keine Hoͤfe; ſondern Leiber zu
verthaidigen ſind. Die Sueven ſtanden auf ziehenden
Fuß, weil ſie mit ziehenden Voͤlkern zu kriegen hatten;
und daher ihre Wehre verſtaͤrken muſten, wovon unten.
put civile; und ſie macht valorem. Kinder und Knechte
ſind non valeurs in oͤffentlichen Laſten. Ein Mann hieß
daher auch Vir.Wehr.Angloſ. VVaer. Goth. VVair \&c.
alles zu verſtehen von dem Manne capite civili præditus.
Wir haben dieſe Begriffe mit der Freyheit verlohren;
und man fuͤhlet es auch bey dem erſten Buche der Inſti-
tutionum Iuſtin. daß die lateiniſche Sprache einen glei-
chen Verluſt erlitten, und keine Worte hatte, jene unter-
ſchiedene Verhaͤltniſſe in ſtatu politico auszudruͤcken. Vir
ward ſchon wie unſer Mann von jedem Menſchen
maͤnnlichs Geſchlechts gebraucht; die Begriffe des Tri-
bonians kaͤmpfen vielfaͤltig mit ſeinen Worten. Er kann
ſeinen Plan de his qui ſui vel alieni juris ſunt, aus Man-
gel des Ausdrucks ſo wenig erſchoͤpfen als gehoͤrig ver-
binden.
gebrauchet wird. S. PELLETIER v. Bar. So ſind Let
und Lit membra und der Ausdruck iſt ganz paſſend. Wo
der Koͤnig caput omnium iſt, verwandelt ſich alles in
Leute; und dieſes ſcheinet mir der Grund zu ſeyn,
warum bey zunehmender Koͤniglichen Gewalt das VVere-
geld ſich in Leutegeld verwandelte.
ben. Wie aber alle Maͤnner Leute wurden; ſo be-
hielten ſie ein eignes Leutegeld.
Arimania; und der Bannaliſi dem Mann.
Platz zu ſchicken: ſo wuͤrde des Richters Knecht bald
die Stelle des Oberſten vertreten haben. Der Wehr
oder Mann muſte alſo ſelbſt kommen; und der Krieges-
Stand ein nothwendiger Ehren-Stand werden.
in der zweyten Periode, wie der Lehn-Dienſt den Heer-
bann verdrungen hatte, dem Lehnmanne gegeben
wurde. Gleiches Schickſal hatte Bar oder Baro,
unter den Franken, indem es in eben dieſer Periode,
dem Koͤnigs-Leut beygelegt wurde.
TAC. G. 7. Hinc veteranarum cohortium ſigna; inde de-
promtæ ſylvis lucisque ferarum imagines, ut cuique gent[i]
inire prœlium mos eſt --- obſtupefecerant obſeſſos. Hiſt.
IV. 22.
cit, ſed familiæ \& propinquitates. TAC. G. 7. Bey dieſer
Vor-
[48]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Vorausſetzung muſten z. E. alle Piqueniers, alle Lanz-
Knechte, alle Dragoner in einem Bezirk zuſammen woh-
nen. Jch vermuthe aber doch, daß dieſes nur in der
Sueviſchen Verfaſſung (S. §. 10.) Statt haben koͤnnen.
Und in dieſer mogten auf ſolche Art die Longobarden
insgeſamt einige Cantons Lanzen-Traͤger ausmachen.
Denn Longobardus iſt Λογχοφόϱος und Λαγϰια eine Lan-
ze iſt ein uraltes Gewehr der Celten. DIOD. SIC. V.
GELL. XV. 20. Weil die Macht der Infanterie damals
auf der Lanze beruhete: ſo mogten ſich die Longobarden
leicht in Anſehen ſetzen. TAC. G. 40.
jura per pagos vicosque reddunt. Centeni ſingulis ex plebe
comites conſilium \& authoritas adſunt. TAC. G. 12. Die
Urſache warum dieſe Wahl in conciliis majoribus geſchahe,
mogte dieſe ſeyn, weil die ganze Nation wiſſen muſte,
wie die gemeine Botſchaft, welche von einem Vorſteher
zum andern gieng, das Jahr durch laufen ſollte. Auf
gleiche Art muß jetzt der Beamte wiſſen, wer das Jahr
Bauer Richter ſey. Denn an dieſen werden die Befehle
geſandt. Der numerus centenarius ſcheint ſich, auf die
enregimentirten Sueven eher als auf andre zu beziehn.
Dieſe centeni comites ſind keine Schoͤpfen, ſondern der
ganze Gerichts-Umſtand. So bald alles verſammlet iſt;
hoͤret die Vollmacht des Ausſchuſſes auf. Am Goͤdinge,
am Holt-dinge ꝛc. giebt es keine Schoͤpfen, weil es jaͤhr-
liche ungebotene Dinge ſind, wobey jeder erſcheinen muß.
Ein anders iſt beym Bottinge; beym Gow-gerichte ꝛc.
vor welchen bloß verbotete oder verabladete Perſonen er-
ſcheinen. BRVMMER de Scabinis hat die Sache nur
verworren. Und eben ſo geht es andern mit der Lehre
de Sagi-Baronibus, Racimburgis, Heimburgis, Senatori-
bus, Sapientibus \&c. Man unterſcheidet den Scabinum
in libero populo nicht genug von den Sages barons in cu-
Dria
[50]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ria regis; und von den Rath-buͤrgern in curia municipali.
Jus curiæ \& jus populi iſt unterſchieden. Seit dem aber
die Wehren ſich in Leute verwandelt; iſt der Schoͤpfe
auch zu Hofe gegangen; und der Rath-buͤrger oder
weiſe Mann in curia,Schoͤpfe titulirt worden.
bey den Sachſen einem Contumaci das Haus anzuͤnden,
und ihn auf ſolche Art heraus bringen konnte. Allein
man durfte ihn nicht heraus hohlen.
jure Sueon. c. 5.
Dingpflichtiger Maͤnner memoriam. Man ſieht daher
auch leicht den Grund, warum keiner Zeuge ſeyn konn-
te, als wer zu demſelben Dinge, wofuͤr die Sache ge-
hoͤrte, pflichtig war; und warum folglich jeder Zeuge
eine Wehre oder Erb-Echt (Orf-acht.) eigen Gut be-
ſitzen muſte, weil er ſonſt kein Dinapflichtiger ſeyn konn-
te; und warum dieſe Art der Verjaͤhrung bey den Roͤ-
mern, welche Buchſtaben hatten, und in den Zeiten,
worinn man Gerichts-Scheine nahm, minder erfordert
wurde. DREYER in tr. de ceſpitalit. requiſ. in teſtibus
hat noch einen andern Geſichts-punkt erwaͤhlet. Die
chriſtliche Religion, welche das Zeugniß des Menſchen
dem Zeugniß des Wehren gleich gemacht; und die Lan-
des-Hoheit welche alles in Leute umgeſchmolzen, con-
traſtirt beſonders mit dieſem Theile der deutſchen Rechts-
gelehrſamkeit.
waͤhlter Richter mit dreyen ſolchen Zeugen, gab eiu
gerichtliches Document, nachdem judex cum tribus
ſcabinis ad figuram judicii genug war. Daher iſt das
Teſtamentum coram parocho \& tribus teſtibus; und das In-
ſtrumentum coram Notario \& tribus teſtibus, einem gericht-
lichen gleich geachtet worden. Parochus \& Notarius ſind
hier electi judices; und die Zeugen ſcabini electi. Es hat
dieſes noch ſeinen taͤglichen Nutzen und beſonders in
adli-
[51]erſter Abſchnitt.
adlichen Familien Vertraͤgen, welche nach dieſen Grund-
ſaͤtzen nicht gleich als inſtrumenta privata zu betrachten
ſind.
pore. Das Geſchrey aber iſt die auſſerordentlich zu-
ſammen gerufene oder zuſammen geſchriene Verſam-
lung. Eben ſo iſt ein Goͤding von dem Schrey-
Goͤding unterſchieden. Wir ſprechen jetzt noch:
der Glockenſchlag fuͤr die Eingepfarrete.
als wir beym Eyde thun. Wir fuͤhlen dies in der War-
nung fuͤr den Mein-Eyd, worin man die zeitlichen
Strafen geſchwinder kommen laͤßt. Der Menſch will
den Meineydigen bey lebendigem Leibe ſchwinden ſehen.
quoque gentis equorum præſagia \& hinnitus obſervare.
TAC. G. 9. 10. Dieſen Glauben naͤhret die Freyheit.
Ein Caͤſar laͤßt die heiligen Voͤgel vertrinken wenn ſie
nicht freſſen wollen. Mit Chriſti Geburt ſollen alle
Orakel aufgehoͤret haben. Allein Chriſti Geburt faͤllt
in die erſte Zeit der Roͤmiſchen Monarchie.
Dieſes haͤngt dem neuen Buͤrger aus dem Zuſtande,
worin er einzeln wohnte, noch lange nach. Bald wenn
das Band des Staats zu ſeiner Vollkommenheit gediehen,
wird alles als eine Beleidigung der oͤffentlichen Ruhe
betrachtet, und delictum publicum; zuletzt aber crimen
læſæ majeſtatis. Sylla machte ſchon viele quæſtiones pub-
licas und Caͤſar muſte ſolche nothwendig vermehren. l. 2.
§. 32. ff. de O. I. Jene Gradation zeiget ſich in der
Geſchichte aller Staats-Verfaſſungen.
hen gemeiniglich am Ende der erſten Periode einer buͤr-
gerlichen Verfaſſung; der proceſſus inquiſitorius aber zu
Anfang der letztern, wenn der Deſpotiſmus Wurzeln
faſſen will; und Hofrecht gemeines Recht werden ſoll.
wenn ſein Unterthan ermordet und keiner von den Ver-
wandten Klaͤger iſt. Dieſe Action gruͤndet ſich in der
koͤniglichen Obhut, wodurch die Maͤnner zu Leuten ge-
worden. Einen Leut kann ſein Herr raͤchen. Der
Mann aber kennt eigentlich keinen Herrn; ſondern nur
einen Rectorem ſocietatis, regem oder Koͤnig. Denn
Koͤnig iſt von koͤnnen, wie la podeſta von poſſe.
Ein officium fiſci, welches ſich ihm zum Champion auf-
drin-
[53]erſter Abſchnitt.
dringen wollte, wuͤrde ihm ſchimpflich ſcheinen; und
ein Geſetz de non tranſigendo ſuper futto ſeltſam. Bey
den Holzgerichten heißt es jetzt ſogar: Fiſcusklagt.
Allein ein ſolcher gefaͤhrlicher Mißbrauch verdiente Ahn-
dung.
ben; wenn nur ein einziger Sohn und Thaͤter vorhan-
den geweſen waͤre. Daher mußte der naͤchſte Ver-
wandte zur Rache verbunden werden. Dies iſt der
alte geſetzmaͤſſige Grund des Duells, welches jetzt den
Leuten im Hofrecht verboten iſt.
Gute; hat ſich wie der inter res mancipi \& nec mancipi
verlohren. Und zwar aus gleichen Urſachen, wie ſie denn
auch wohl von einerley Beſchaffenheit ſind. Auf dem
Jtaliaͤniſchen Grunde und dem Hofgewehr haftete eine
Zeitlang das onus defenſionis publicæ allein; und keiner
als ein wehriger Mann, civis Romanus, konnte ſolchen
beſitzen, weil alle andre Haͤnde manus mortuæ waren.
So bald man aber anfieng den modum defenſionis publi-
cæ \& contributionis zu veraͤndern; verlohr ſich der Unter-
ſcheid inter res mancipi \& nec mancipi. Und dies iſt auch
der Fall in Deutſchland, nachdem der Koͤtter wie der
Erbe ad defenſionem publicam ſteuret; und der miles per-
pctuus fuͤr den Wehren ficht.
noble und gemeinealleu roturier. Von der erſtern im
folgenden. Die letztere iſt ſehr verdunkelt. Doch findet
man noch verſchiedene Landmaͤnner, welche das ihrige
in franco tenemento haben. Jn Engelland iſt dieſes
Freehold; BRACTON glaubt es waͤren villani privilegia-
ti; Allein der Chief juſtice Holt bemerkt mit Recht, daß
ſie ihre Freyheit nicht ex privilegio haben. They are coæ-
val with the Government or at leaſt as ancient as any eſta-
tes or Tenures what ſo ever. 1. Salk. 57. beym NELSON
of Copyho’d oder de lege maneriorum tit. ancient. De-
meſne §. 10. p. 28. Von vielen Bauerhoͤfen, deren Be-
fitzer keine Gutsherrn ſondern eigne Wehre haben, laͤßt
ſich ein gleiches ſagen. S. GRVPE in Obſ. for. von
Dienſten c. II. §. 10. 11. 14.
geringe Laͤnderey, ob ſie ſolche gleich eigenthuͤmlich be-
ſitzen, keine Civil-Wehre hat. Es iſt dies kein ſo ge-
nanntes Erb echt-Gut, welches wie ein Wehrgut, ſeinen
Eigen-
[55]erſter Abſchnitt.
Eigenthuͤmer zum Free-Holder und zum Gutsherrn
macht. Der freye Koͤtter muß daher in die Hode
gehn; und Hode hebt noch jetzt allen Free-Hold alles
echte Eigenthum auf. Wovon unten.
heiſſen; ſo wie der colonus noch der Wehr-feſter
genannt wird. Die lateiniſche Ueberſetzung dieſes
Worts: veſtitura und inveſtitura \&c. haͤtte unſrer
Sprache dieſen guten Ausdruck bewahren ſollen. Es
hies ſonſt: cum terra cœpiſſet veſtiri \& a cultoribus
coli. S. notit. de 993. beym MARTENE in Coll. ampl.
T. I. col 349.
mit den Worten: dat he dat bowen en telen möge. Te-
len iſt pflanzen; wovon noch Telge eine junge Eiche.
Einer Vertheidigung, Vermannung oder Verdienung
wird dabey gar nicht erwehnt.
ſtatum ingenuitatis lediglich nach der Geburt abmeſſen.
Jn Staͤdten und z. E. zu Rom konnten cmancipati ma-
numiſſi latini und deditii zeitiger das Buͤrger Recht er-
langen. Die Art in Staͤdten zu wohnen, zu leben, ſich
zu bereichern, und onera civica zu tragen, iſt aber ſehr
von der Art einzelner Wohner unterſchieden. Und ich
ſehe noch nicht, wie bey letztern der Sohn eines ingenui,
wenn er nicht auf der Wehre geblieben, ſein Geſchlecht
in Ehren fortpflanzen koͤnnen; oder warum er die ge-
meine Landes-Vertheidigung tragen ſollen; falls er keine
Wort-Staͤtte beſaß. Ehre und Wehre, honos \& onus
koͤnnen nicht wohl getrennet ſeyn.
hatte, nicht ducis juſſu fed velut Deo imperante geſchahe.
TAC. G. c. 7. Die Salbung ſcheinet mir der actus ſym-
bolicus zu ſeyn, wodurch die prieſterliche Gewalt den
Koͤnigen mit Bewilligung des Volkes uͤbertragen wor-
den. Vollkommene Koͤnige waren Prieſter und Koͤ-
nige zugleich.
Rex Ancus rex idem hominum phœbique ſacerdos.
VIRG. Aen. III.
Wobey SERVIVS anmerkt: majorum erat hæc conſuetudo
ut rex etiam eſſet ſacerdos vel pontifex. Von dieſer Art
war auch Melchiſedeck. Wie die Roͤmer ihre Kuͤnige
vertrieben: ſo machten ſie gleich regem ſacrificulum, um
jene gedoppelte Macht zu trennen. Und wie ſie ihre
Freyheit wieder aufgaben: ſo uͤbertrugen ſie dem Octa-
vio pontificatum maximum, welches vermuthlich zu dem
Tittel
[57]erſter Abſchnitt.
Tittel Auguſtus Heilig Anlaß gab, da die Roͤmiſchen
Schriftſteller keine rechte Urſache davon anzugeben wiſſen.
GESLER in ſeiner Rethorik Strasb. 1493. unterſchei-
det noch ſpaͤt geſalbte und gemeine Koͤnige. Der
impetus quaſi divinus, welcher den Prieſter zur Strafe
berechtigen muſte, ſcheinet einen gleichen Grund mit un-
ſerm Dei gratia zu haben. Denn ob zwar LVDEWIG in
Comm. ad aur. bullam. T. 1. p. 8. ſolches fuͤr eine Erfin-
dung der Pfaffen haͤlt: ſo iſt es doch weit wahrſchein-
licher, daß es die nota characteriſtica imperii vel cujusli-
bet alterius ſupremi directorii ſey; und daß der Herr, der
ſolches aus ſeinem Tittel laͤßt, titulum poſſeſſionis ſuæ
veraͤndere. Denn die Herrſchaft uͤber Knechte oder das
dominium hat keine gratiam Dei zum Grunde. Die
Maͤnner oder Wehren ſtehn lediglich unter einem
Herrn von Gottes Gnaden, der ſie impetu quaſi divino
verurtheilet und beſtraft; anſtatt daß Knechte a Dominis
proprio impetu \& ira impune TAC. G. 25. getoͤdtet wer-
den koͤnnen. Dieſer Unterſcheid giebt hiernaͤchſt den
wahren Charakter der Territorial-Hoheit. Ein Herr
von ganz Europa wuͤrde kein Koͤnig ſeyn; nicht geſalbt,
nicht gekroͤnt, und nicht gehuldigt werden. Die Unter-
laſſung der Kroͤnung verwandelt regnum in Dominium.
bloß aus der Gemeinſchaft des Reichs-Friedens geſetzet
werden. Wenn man ihn hiernaͤchſt weiter verfolget: ſo
geſchiehet es jure belli vel curiæ.
Zweifel; und ein vernuͤnftiger Mann wird die 10000
Reuter in der Sueviſchen Avantgarde (S. §. 11.) wohl
nicht zu einer Art von heutigen Edel-Leuten machen.
Und zur Zeit wie die Roͤmer mit 100000 Mann uͤber
den Nieder-Rhein ruͤckten, und nicht etwan allen Deut-
ſchen, ſondern lediglich den Voͤlkern in einem Theil von
Weſtphalen und Nieder-Sachſen, die blutigſten Schlach-
ten lieferten; wurde etwas mehr, als eine kleine beſtaͤn-
dige
[59]erſter Abſchnitt.
dige Reuterey erfordert; um die Roͤmiſche Cavallerie
ad certamen ambiguum zu bringen. TAC. Ann. II. 21.
Zu Rom waren equites ϰατ̕ ἐξοχην; und ein gemeiner
equitatus, oder ein Buͤrger-Bann zu Pferde. Dieſen
Unterſcheid nehme ich auch in Deutſchland an, und ver-
pflichte mich ihn zu erweiſen. Hier aber iſt der Ort
dazu nicht.
jetzt in einem verzweifelten Falle der Arrier-Bann auf-
geboten wuͤrde: ſo muͤßten ohnſtreitig alle Bauren, wel-
che nach einen gemeinen Vogel ſchieſſen oder ehedem
geſchoſſen haben, d. i. die ganze Amts- oder Gografen-
Folge gegen den Feind ziehen. Man wuͤrde aber dieſe
ſehr uneigentlich Soldaten oder Beſoldete nennen. Der
Adel mogte in der erſten Periode der eigentliche be-
ſtaͤndige Soldat zu Pferde ſeyn; in der zweyten waren
es die Lehn-Leute; und in der dritten die Geworbenen.
Jn allen dreyen Perioden aber iſt der Heer-Bann bald
mehr bald weniger gebraucht, geuͤbt, verachtet, und auf-
geboten worden; ſo wie es Noth und Umſtaͤnde erfordert
haben. Das onus defenſionis liegt von Natur den Land-
Eigenthuͤmern auf, ob ſie gleich bald mit Ausweiſungen
einiger Alloden; bald mit einigen Koru-Fruͤchten; und
zuletzt mit Gelde andre fuͤr ſich gedungen und in den Be-
ſitz eines beſtaͤndigen Ehren-Standes geſetzet haben.
nobilitas vor. Allein jeder Nobilis haͤtte allezeit nur einen
Sohn und Nachfolger haben muͤſſen; wenn nicht ſo gleich
im dritten und vierten Glied der Beſitzer der Allode ei-
nen groſſen Vorzug vor ſeinen irrenden Vettern erhalten
ſollen. In Gallia eorum hominum qui aliquo ſunt numero
atque honore genera ſunt duo alterum eſt Druidum alterum
cſt equitum. CAES. de B. G. VI. Aus dieſen beyden Quellen
muß ſo wohl der hohe als niedre Adel entſprungen ſeyn.
theſe; die nachfolgende Carolingiſche Regiments-Rolle
iſt gerade die Mannliſte in der aͤltern Mannie geweſen.
Und ich werde zeigen, daß der Adel von Carl dem Groſſen
nicht entollirt wurde.
iſt, daß er keinem Kayſer, Koͤnige, Fuͤrſten oder Herrn
anders als aus dem gemeinen Reichs- oder Land-Frie-
den verhaftet ſey. Eadwardum regem in pacis defenſorem
to mundboren petebant. CHRON. SAX. ad ann. 921. Die
Befugniß der Reichs-Gerichte und der Canzleyen gruͤn-
det ſich in Anſehung ihrer auf dem Reichs- und Land-
Friedebruch; Und es iſt kein Fuͤrſtenthum in Nieder-
Sachſen und Weſtphalen, worin der Adel nicht den Bi-
ſchof, Herzog oder Grafen zum Land-Friedens-Handhaber
erwaͤhlet habe. Jch werde ſolches bey der Geſchichte
des XIV. und XV. Sæc. naͤher zeigen. Dies iſt der Grund
des diſparis nexus ſubdititii, welchen die Vertheidiger der
Reichs-Ritterſchaften verfehlet haben. Der Abgang der
Fraͤnkiſchen und Schwaͤbiſchen Herzoge hat die Reichs-
Ritterſchaft nicht unmittelbar gemacht. Sie war es
vorher. Er iſt nur die Urſache; daß es dem dortigen
Adel an Gelegenheit gefehlet, den Reichs General in de-
fenſorem pacis ferner zu erwaͤhlen. Daher iſt der Reichs-
Adel urſpruͤnglich nicht beſſer als der Adel in den jetzt
geſchloſſenen Landen.
iſt faſt die heutige Proportion: ſo wird es ſich nicht der
Muͤhe verlohnen einen ſeparatum conventum nobilium
zum Urthel und Recht-finden anzunehmen; zumahl da
ihre Graͤnzen und Guͤter ſich nicht beruͤhrten.
que \& diſcrimen capitis intendere. TAC. G. 13. zu verſte-
hen von dem Heer-Lager; wo man im Gottes-Frieden
verſamlet war, nam Deum adeſſe bellantibus credebant,
ib. c. 7. und der Prieſter den Gottes-Frieden hand-
habete.
warum das jus belli privati das jus auſtregarum und ob-
ſtagii bloß dem Adel zugeſtanden habe? Und wuͤrden jetzt
Souverains aus Mangel eines gemeinſchaftlichen Rich-
ters, andre Rechtsmittel gegen einander haben?
CAES. de B. G. VI. und vermuthlich Cadets de famille;
die mit allgemeiner Bewilligung Gott zu ihrem Haupte
und Buͤrgen hatten, um nicht entweder bey ihren Ver-
wandten zu dienen; oder als Herrn-loſe Geſchoͤpfe be-
handelt zu werden.
nicht von dem comitatu nobilium unterſcheidet; iſt es
nicht moͤglich den Begrif von der deutſchen Krieges-
Verfaſſung in Ordnung zu bringen. TACIT. G. 13. 14.
15. redet bloß von dieſem comitatu; nachdem er vorher
c. 5 -- 13. die ordentliche National-Militz beſchrieben.
enim principis ſu[r] liberalitate illum bellatorem equum, il-
lam cruentam victricemque frameam. Nam epulæ quan-
quam incompti, largi tamen apparatus pro ſtipendio cedunt;
materia munificentiæ per bella \& raptus. Nec arare terram
aut exſpectare annum tam facile perſuaſeris quam vocare
hoſtes ac vulnera mereti. TAC. G. 14. Hieraus machen
viele einen Schluß auf die ganze Nation.
globo circumdari; in pace decus in bello præſidium. ib.
c. 13.
ſo giengen Weiber und Kinder mit zu Felde. ib. c. 7.
und es muſte ein gewaltiger Troß ſeyn.
hatte ein Gefolge von 10-000 Mann. CAES. de B. G. I.
armentorum vel frugum, quod pro honore acceptum etiam
ne-
[64]Oſnabruͤckſche Geſchichte
neceſſitatibus ſubvenit. ib. c. 15. Dies ſind die Wehren,
welche den Edlen nicht als ihren Guts-Herrn, ſondern
ultro ſubſidia verwilligten; und ſie pfluͤgten und ſaͤeten,
ſo wol wie unſre Bauren.
ſo gegangen?
que nobilium adoleſcentium petunt ultro eas nationes, quæ
tum bellum aliquod gerunt. TAC. G. 14. Es iſt die Ge-
ſchichte unſer ehmaligen Partiſans; die ein Corps errich-
teten,
[65]erſter Abſchnitt.
teten, und damit von einem Herrn zum andern zogen.
comitatui virtutem principis non adæquare. Iam vero in-
fame in omnem vitam ac probroſum ſuperſtitem principi
ſuo ex acie receſſiſſe. Illum defendere, tueri ſua quoque
ſortia facta gloriæ ejus aſſignare, præcipuum ſacramentum
eſt. Principes pro victoria pugnant; comites pro principe.
TAC. G. 15. Man vergleiche dieſe Einrichtung mit der
Beſchreibung des Heerbanns: da heißt es, tertius dies
cunctatione coeuntium abſumitur. c. 11.
Gemeine mit zugezogen.
Der Herr auf der Allode wuͤrde Muͤhe gehabt haben
ſeine Toͤchter gegen eine ſolche Menge haͤußlicher und
edler Aufwaͤrter zu verſichern, wann er nicht ſtrenge
Strafen gegen ihre Verheyrathung mit ihnen im Hof-
Rechte weiſen laſſen. Ein Nachbar gegen den andern
verſchließt nur ſeine Thuͤr.
unſern Reichs-Beamten hat der Kayſer ehedem den
Sterbfall gezogen. Jn Engelland und Frankreich hat-
ten die Koͤnige ein gleiches; und der einzige Tuͤrkiſche
Kayſer iſt dabey geblieben. Auch noch wuͤrde ein Reichs-
Fuͤrſt, der als Officier dient, und im Felde bleibt, ſei-
nem General das beſte Pferd laſſen; und den Abſchied
oder ſeinen Frey-Brief loͤſen muͤſſen. Die Gegner des
Dienſt-Adels ziehen aus dergleichen Zeit-Gebraͤuchen
ſeltſame Folgen; und wenn ſie denſelben in Livrée fin-
den: ſo vergeſſen ſie, daß viele Reichs-Fuͤrſten ſich in
ihrer Mit-Fuͤrſten Uniforme kleiden; und die Worte:
Sterbfall, Freybrief,Livrée \&c. nur ihren alten
aͤuſſerlichen Wehrt verlohren haben.
capitis in maximam mediam und minimam unterſchieden;
auch ein jus poſtliminii angenommen werden. Es iſt
Eſonſt
[66]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ſonſt nicht moͤglich die Lehre davon in ihr rechtes Liecht
zu ſetzen. Es muß eine Knechtſchaft, wie z. E. unſer
heutiger Leibeigenthum, geweſen ſeyn, welche den Adel
peremtorie aufhob, ſo daß er durch den Freybrief gar
nicht wieder hergeſtellet wurde. Es muß eine andre
Knechtſchaft geweſen ſeyn, welche ihn nur ſo lange als
die Dienſt-Zeit waͤhrete, aufhob; ſo daß durch den Frey-
brief der Adel quaſi jure poſtliminii wieder auflebte.
ein jeder, der die Verwirrung in der Geſchichte des
deutſchen Krieges-Weſens kennet, ſo fort empfinden wird.
Jch habe ſehr viele Gruͤnde dafuͤr; welche mir aber der
Raum nicht geſtattet hier auszufuͤhren.
mites aſpici. TAC. G. 13. Exempel von Koͤnigen und
Herrn die ſich zu Rittern ſchlagen laſſen ſind bekannt;
quem ſectantur; ib. Wie der groſſe Czar Peter, Junge
und Geſelle wurde; bewunderte man ihn; und man er-
fordert aus einem aͤhnlichen Grund-Satze noch, daß je-
der von der Pike an dienen muͤſſe.
tiati und Doctores. Fuͤrſten, Edle und Gemeine ſind
Doctores geweſen. Die Wuͤrde veraͤndert aber ihren
Stand nicht.
zu Strasburg unterſcheidet in ſeiner Rhetorik von 1493
dreyerley Ritter; als Edle, Bur und Buͤrger.
Strenge ſind ſie alle drey. Allein der erſte iſt edel
ſtrenge; der andre ſtreng und veſt; der dritte aber
bloß ſtrenge. Jn den Reichs-Geſetzen heißt es auch
oft: Fuͤrſten, Grafen, Landherrn, Ritter, Knechte
edle und unedle. Jetzt ſind dergleichen Ritter faſt
nur noch im Oeſterreichſchen, und unter den Reichs-
Hofraths Agenten. Jn England iſt aber dieſer Eſquire
deſto haͤufiger. Jch merke dieſes um des willen an,
weil LVDEWIG und andre groſſe Gelehrte aus dem
Tittel RJTTERSCHAFT, welchen jetzt eine adliche
Landſchaft fuͤhret, ein Vaſallagium miniſteriale, und andre
gefaͤhrliche Folgen erzwingen wollen. Das corpus no-
bilium iſt mit dem Ritterſchafts-Tittel auf eben die Art
E 2be-
[68]Oſnabruͤckſche Geſchichte
beehret worden, als man von den Gelehrten ſagt: Die
Herrn Doctoren, wenn auch keiner den Gradum hat.
Der Kunſtgrif, wie mittelſt des quaſi ‒ vaſallagii, die
Landes-Verſamlungen in Collegia miniſterialium verwan-
delt worden, gehoͤrt unter die ſpaͤtern arcana politica;
und iſt jetzt ſo dunkel, daß man den quaſi vaſallum jure
homagii; und den verum jure miniſteriali gar nicht mehr
unterſcheidet. Der Landes-Herr, welcher einen Krieg
anfangen will, muß die Einwilligung des vaſalli jure ho-
magii haben; er braucht aber nur conſilium miniſterialis.
Erſtere dienen auf eigene Koſt; letztere nicht. Und auf
dieſe Art glaube ich, laſſen ſich die unterſchiedenen Mei-
nungen vereinigen. S. STRUBENS Nebenſt. T. I.
Obſ. 4. §. 2. Das homagium oder Leudeſamium iſt die
Verpflichtung, wodurch ſich Edle und Wehren dem Lan-
des-Herrn als Land-Friederichtern zur Handhabung deſ-
ſelben verpflichten. Die Folge wird zeigen, wie Letz-
tere dazu gezwungen; erſtere aber dazu nach und
nach gekoͤrnet worden. Die krumſtaͤbiſchen Lehne ſind
dem Adel ziemlich aufgedrungen worden; und man
hat gar nicht noͤthig ad feuda oblata ſeine einzige Zuflucht
zu nehmen, um dieſes oder jenes phænomenon zu erklaͤ-
ren. Eben das laͤßt ſich von den Reichs-Lehnen behaup-
ten. Man gab manchem Herrn noch gute Worte zu,
daß er eine Grafſchaft annahm, und ſein Allodium zur
Caution verpflichtete.
oder la maiſon du Roy einen Vorzug vor andern Regi-
mentern hat. S. ESTOR de min. §. 289.
raro aliquod momentum in domo, nunquam in civitate ex-
ceptis dumtaxat iis gentibus quæ regnantur. Ibi enim \&
ſuper ingenuos \& ſuper nobiles aſcendunt. TAC. G. c. 25.
Und die Wahrheit wird durch unſre Zeiten beſtaͤtiget.
Jnzwiſchen hat Monteſquiou wohl gefuͤhlt, daß der Adel
die Stuͤtze der Monarchie ſey, ob er gleich den Grund
davon nicht entdeckt; welcher darinn liegt, daß der Adel
ſich ins Gefolge locken laſſen, und die Wehren
unterdruͤcken helfen. Ein Koͤnig der ſein Gefolge alſo
E 3nicht
[70]Oſnabruͤckſche Geſchichte
nicht edel, praͤchtig und wehrt gehalten haͤtte; wuͤrde
gegen ſein eignes Jntereſſe gehandelt; und den Adel
nicht auf ſeine Seite gezogen haben. Was damals das
Gefolge that, erſetzt jetzt der miles perpetuus, und dieſer
iſt die Urſache, daß man jetzt in Frankreich Vorſchlaͤge
zu voͤlliger Abſchaffung des Adels wagen darf. Die
Monarchie hat dieſer Stuͤtze jetzt ſo ſehr noͤthig nicht.
Sie darf nur den Militair-Stand wie vordem den Adel
heben.
diejenigen, welche ſo gar den militem agrarium wovon
Henrich der Vogler den neunten Mann zur Beſatzung
in die Staͤdte legte, nicht pro ingenuis \& equeſtris ordi-
nis hominibus halten, riſu \& ſibilo dignos. Jch behaupte
aber dem ungeachtet, daß dieſe milites agrarii, ruſtici ob-
gleich keine coloni geweſen; Es waren Maͤnner die
eigne Wehre; und unſre jetzigen Bauerhoͤfe in franco
tenemento hatten. Man muͤſte ſonſt eine grauſame Menge
von Edelhoͤfen annehmen, um eine einzige Beſatzung her-
aus zubringen.
ten zu. Serenare aliquem heißt einen unmittelbar machen.
S. KVCHENB. in Ann. Haſſ. Col. I. p. 138. Wer ſich von
ſeiner Geburt Hochgebohrn ſchreiben muß, beurkun-
det damit, daß er actu ſub umbra ſey. Ohne dieſe Er-
klaͤrung zu kennen, haben alle Reichs-Fuͤrſten ihr altes
gebohren jetzt weg geworfen und die Grafen heben ſich
mit gleichem Rechte nach. Die Geſchichte des Worts:
gebohrn iſt die controlle der Dienſt-Zeit; und ſie
verdiente eine eigne Ausfuͤhrung. Jn den Laͤndern wo man
gar keine Gebohrne hat; iſt der Dienſt ſchon uralt.
ſprungs iſt; und er daher durch eine widrige Vermu-
thung gedruͤckt wird: ſo wuͤrde ſolches nur von ſolchen
Geſchlechtern gelten, die nobilitatis originariæ ſind; und
woher dieſer Beweiß? Daher daß man ihm die Ver-
muthung zu ſtatten kommen lieſſe bis das Gegentheil er-
wieſen wuͤrde.
erlaubt wurde ſeinen Sohn dreymal zu verkaufen. S.
DION. HAL. XI. 28. mag hieraus erlaͤutert werden.
BYNKERSH. de jure occ. lib. c. 1 T. II. opp. fuͤhlt die
Nothwendigkeit einer Hypotheſe, daß dieſer Verkauf nur
auf gewiſſe Zeit gegolten haben muͤſſe. Allein dies
iſt nicht genug zu jener allgemeinen Verordnung. Man
nehme aber an, daß insgemein ein jeder Vater ſein
Kind erſt als Jungen; und dann als Geſellen;
einem Herrn uͤbergeben habe; ſo iſt dies ein zweymali-
ger Verkauf; und mit Ablauf der beſtimmten Jahre fiel
der Sohn in die vaͤterliche Gewalt nothwendig zuruͤck.
E 4Nun
[72]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Nun aber konnte ein Vater ſich nicht mehr als noch ein-
mal ſeines Rechts bedienen. Das war der dritte Ver-
kauf. Si pater filium ter venumduit, liber eſto.
quus ſeuto ſrameaque juvenem ornat. TAC. G. 13. Bey den
Longobarden konnte der Vater ſeinen Sohn nicht ſelbſt
in die Lehre nehmen und zum Meiſter machen; wie aus
der Stelle beym PAVLO DIAC. de geſt. Long. I. 23. wo
des Koͤnigs Sohn, von einem auswaͤrtigen Koͤnige zum
Ritter gemacht werden muſte, zu ſchlieſſen iſt. Bey den
Franken aber konnte es der Vater thun.
Schriftſtellern. De minoribus rebus principes conſultant;
de majoribus omnes. Ita tamen ut ea quoque quorum pe-
nes plebem arbitrium eſt, apud principes pertractentur. ----
Vt turbæ placuit conſidunt armati. TAC. G. 11.
accipiebatur. Ib. 15. Die Fuͤrnehmſten oder Edlen hatten
ſuadendi poteſtatem. Validiore apud eos Arminio quando
bellum ſuadebat. ---- Arminio ſinerent --- ſuadente; atro-
ciora Inguimero \& læta barbaris Id. Ann. I. Mox rex vel
princeps ---- authoritate ſuadendi magis quam jubendi po-
teſtate. Id. G. 11. Ex plebe conſilium \& authoritas. ib. c. 12.
Wie bey den Buͤrger-Kriegen die Haͤupter der Partheyen
eigne Truppen zu unterhalten ſich heraus nahmen; und
Auguſt z. E. allmaͤlig 30000 Mann eigner Haus-Trup-
pen auf den Beinen hatte, muſte nothwendig die Frey-
heit erliegen. Wie Caͤſar in Gallien ankam, ſteckte dieſe
ganze Nation ſchon in den Privat-Gefolgen einiger we-
nigen Fuͤrſten; und STRABO IV. 197. bemerkt nur noch,
antiquitus multitudinem unum belli ducem in Gallia dele-
giſſe. Daher ſagte CAES. de B. G. VI. In Gallia plebs
fere ſervorum loco habetur. Das war die Schuld der Ge-
folge; und die Geſchichte wird zeigen wie der plebs Saxo-
nica auf eben die Art in ſervorum locum gekommen.
Buͤrger aus dem Staat gewieſen wurde, konnte einzel-
nen Wohnern nicht ſo leicht einfallen; und die Mannie,
oder Arimannie, erhielt ſich, bis ſie unter dem Tittel
eines comitatus, eines honoris regni, oder einer Arman-
diæ den Fuͤrſten zu Lehn gegeben wurde.
und es muſte ſchon eine ziemlich geraume Veſtung ſeyn.
TAC. Ann. I. 57.
E 5ætas
[74]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ætas cuique prout nobilitas, prout decus, prout facundia eft,
audiuntur. TAC. G. 11.
exemplo potius quam imperio, ſi promti ſi conſpicui; ſi
ante aciem agant admiratione præſunt. TAC. G. 7.
plurimos ſuæ genti præpoſitos, qui ingruente belli articulo,
mittunt æqualiter ſortes \& quemcunque ſors oſtenderit,
hunc tempore belli ducem (Heretogan) omnes ſequuntur
\& huic obtemperant. Peracto autem bello rurſum æqualis
potentiæ omnes fiunt ſatrapæ. Thonne that Gefecht and
that Gewin geended war; thonne wæron hi eft efenrice
and wæron alle ealdormen. BEDA hiſt. eccl. V. 11. Der
Grund, worauf Carl der Groſſe bauete, wird hiernechſt
zeigen, daß dieſe Satrapæ oder Ealdermans noch die alten
Judices electi, deren TAC. in G. 12. gedenket, und keine
Erb-Gerichtsherrn geweſen.
conſultatio. TAC. G. 10. Man weiß, daß durch eben
dieſes Kunſt-Stuͤck der Rath zu Rom ſich gegen die
Macht der Menge erhielt. Ein Zeichen konnte aber nur
vorher uͤbel gedeutet werden. Wenn das Volk ein-
mal ſeinen Schluß gefaßt; wuͤrde es zu ſpaͤt und auch
zu viel geweſen ſeyn einen foͤrmlichen Schluß vernich-
tigen zu duͤrfen. Die Stimme des Volks war alsdenn
die Stimme Gottes, und dagegen muſte der Prieſter
ſchweigen. Dergleichen Zeichen-Deutungen fehlen uns
jetzt oft. Wenn bey den Roͤmern ein General ſich zu-
ruͤck ziehen, oder nicht zur Schlacht ausruͤcken wollte:
ſo war ein geſehener Bienen-Schwarm; oder ein Neu-
Mond, Urſache genug. Und die Armee glaubte des-
wegen nicht, daß der Feind zu ſtark; oder ein ander
Mangel vorhanden waͤre. Jn Ermanglung ſolcher Zei-
chen muß jetzt oft ein General die wahre Urſache bloß
geben, wenn ihn ein Vorwand der mangelnden Subſi-
ſtenz nicht rettet.
druͤcklich; und es folgt von ſelbſt. Als Wehr haͤtte er
einer gemeinen Verſamlung; und im Gefolge ei-
nem Herrn angehoͤrt; niedriger kann man ihn nicht
ſetzen; und alſo bleibt nichts als der Hoͤchſte- oder Adels-
Stand
[76]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Stand uͤbrig; welcher ihm auch allein das noͤthige An-
ſehen zum wahren National-Beamten geben konnte.
Quibus ita interdictum eſt ii numero impiorum ac ſcelera-
torum habentur; ab iis omnes decedunt; auditum eorum
ſermonemque deſugiunt, ne quid ex contagione incommo-
di accipiant; neque his petentibus jus redditur neque honos
ullus communicatur. CAES. de B. G. VI. Die Macht der
Prieſter gieng alſo ebenfalls nur auf die Ausſchlieſſung
aus der Gemeinheit; und keine National-Verſamlung
vergoß Blut.
cultus \& amnium colliumque \& vallium. AGATH. hiſt. L. I.
S. KEYSLER in ant. Sept. p. 62. Es iſt nicht ganz un-
wahrſcheinlich, daß man ſpaͤter dieſe Gottes-Rechte folgen-
der geſtalt in Regalien verwandelt habe: Reges ante Clo-
doveum ſibi ſylvarum atque aquarum, avium beſtiarumque
\& aliorum quoque elementorum finxiſſe formas, ipſasque ut
Deum coluiſſe, eisque ſacrifieia delibare conſuetos. GREG.
TVR. II. 10. Die Heiligung erſetzte ſolcher geſtalt den
bannum regium ſuper foreſto. Von den Salz-Quellen ſagt
TAC. Ann. XIII. 57. Religione inſita eos maxime locos pro-
pinquare cœlo, precesque mortalium a deis nuſquam propius
auditi. Inde indulgentia numinum illo in amne, illisque
ſylvis ſalem provenire --
welcher zu mehrer Heiligkeit mit vielen Ceremonien ver-
huͤllet wurde. Man koͤnnte die Stelle des CLAVD. in
laud. Stil. I. v. 228, wenn er das uͤberwundene Deutſch-
land ſo vorſtellet,
gar artig dahin deuten, als wenn der Wild-Friede nun
aufgehoben; und die Mahl-Axt nicht mehr abzuwarten
waͤre. Doch iſt der wahre Sinn wohl anders.
conſtituunt --- Si de hereditate ſi de finibus controverſia eſt
decernunt. --- CAES. de B. G. VI. Dies gilt nun zwar
bloß von den Galliern, und Caͤſar konnte mit Recht ſa-
gen,
[78]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gen, daß die Druiden daſelbſt de hereditate \& finibus rich-
teten, nach dem der plebs daſelbſt in ſervorum locum ge-
diehen war; und bereits in curia domini Recht nahm;
mithin bloß von adlichen Erbſchaften, wobey ſie die
Stelle der Austraͤge vertreten mogten, die Rede ſeyn
konnte. Von Sachſen aber gilt dieſes nur mit gehoͤri-
riger Ermaͤſſigung.
heißt es: de incertis locis quæ colunt pro ſanctis. Man
deutet dieſes gemeiniglich auf Unſtede. S. ECKHARD.
in Comm. de R. Fr. or. T. I. p. 426. Allein wenn jetzt
zwey Marken wegen ihrer Graͤnzen in Streit ſind; ſo
macht man den Raum, woruͤber beyde Theile nicht eins
werden koͤnnen, zur Streit-Mark. Beyde Theile
muͤſſen ſich deſſen mit Holzhauen und Plaggen-ſchaufeln
enthalten. Das beyderſeitige Vieh aber kann das was
darauf waͤchſt mit dem Munde theilen. Und dies ſcheint
mir obiges weit beſſer zu erlaͤutern; denn hier werden
incerta loca geheiligt. Vermuthlich geſchahe dieſes aber
ehedem mit mehrer Ceremonie und von dem Prieſter;
weil ein Theil dem andern die Heiligung nicht geſtattet
haben wuͤrde. Von den Wild-Frieden in groſſen Waͤl-
dern muß ich noch anmerkeu, daß ſolcher ſchwerlich ad
jus regium gekommen ſeyn wuͤrde, falls er nicht vorher
ad jura ſacerdotis gehoͤret. Den ordentlichen Lauf der
Sache nach, haͤtte das Wild in den Mark-Frieden ge-
hoͤren, und der Holzgraf ſolches unter ſein Verbot neh-
men muͤſſen. Weil aber ſolches nur eine Mark um-
ſchlieſſen kann; und bey der Wildbahn in weitlaͤufigen
Gegenden und groſſen Waͤldern mehrere Marken und
Jnnungen intereſſirt waren: ſo muſte ein hoͤherer Friede,
welchen alle zu verehren ſchuldig waren eintreten. Carl
der Groſſe und die Chriſtliche Religion ſprengten den
Gottes-Frieden; und ſo war es begreiflich, daß der ban-
nus regius in locum vacuum trat, und absque violatione
juris privatorum, eintreten konnte.
Frie-
[79]erſter Abſchnitt.
Frieden aufgenommen wurde: ſo muſte er der Parthey,
dem Richter, und dem Prieſter genug thun. Die letz-
tere Genugthuung iſt von der chriſtlichen Kirche in die
Kirchen-Buſſe verwandelt worden; wie aus der Folge
zu erſehen ſeyn wird.
liche Religion, daß ſie dieſe Abſicht zu ſehr verlaſſe. Al-
lein Chriſtus iſt auch der einzige von allen Religions-
Stiftern der kein Reich von dieſer Welt hat errichten
wollen.
humani oris ſpeciem aſſimilare ex magnitudine cœleſtium
atbitrantur. Lucos \& nemora conſecrant; deorumque no-
mini-
[80]Oſnabruͤckſche Geſchichte
minibus appellant ſecretum illud quod ſola reverentia vident,
TAC. G. 9.
Die Cathedrale beherrſcht immer die uͤbrigen Pfarr-
kirchen; und nothwendig muſten verſchiedene Nationen
ſich zu einem Sprengel vereinigen; ſo bald ſie ſich zu
einer irgendwo feſt-ſtehenden Gottheit halten wollten.
Vbi regnator omnium Deus; ibi cætera ſubjecta \& paren-
tia. TAC. G. 39. Der Tempel im Stamm Juda ver-
ſicherte dieſem die Herrſchaft; und ihn bauete der erſte
ruhige Monarch aus dieſem Stamm. Bey einigen Na-
tionen waren ein Haupt-Gott; und viele kleine Goͤtter
um ihn. Letztere ſtelleten vermuthlich die kleinern Jn-
nungen vor, welche ſich dem Haupt-Gott unterworfen
hatten. Die Cathedralen wurden ſo gar eine Zeitlang
bloß Heiligen vom erſten Range geweiht; und den dar-
unter ſtehenden Kirchen nur Heilige vom zweyten Rang
erlaubt.
Schiff; und TACIT. G. 9. ſchließt daraus advectam eſſe
religionem. Es koͤnnte dieſes aber auch eben ſo ſruͤh,
und zumal bey einem ziehenden Volke, eine reiſige
Gottheit anzeigen. Die Bundes-Lade bey den Juden
war beweglich; und wurde zuerſt von einem Koͤnige auf
eine beſtaͤndige Stelle gebracht. Genug, daß eine
allgemeine National-Gottheit nicht Erd- und Nagel-feſt
ſeyn konnte, ohne einer Provinz vor der andern einen
Vorzug zu geben.
log. myſtica ehedem angenommen, daß man eine oͤffent-
liche und heimliche Goͤtter-Lehre gehabt haͤtte; um die
Widerſpruͤche der Geſchichtſchreiber in Anſehung der
ſichtbaren und unſichtbaren deutſchen Gottheiten zu ver-
einigen; glaube aber nunmehr daß ſich alles auf obige
Art beſſer erklaͤren laſſe.
FDeut-
[82]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Deutſchen Goͤtter-Lehre gruͤndlichs geſagt werden kann,
hat GRVPE in Obſ. rer. \& ant. Germ. X. und es waͤre
zu wuͤnſchen, daß KEYSLERI Germania Gentilis, ſo wie
es in deſſen ant. Septent. p. 207. angezeigt iſt, vollſtaͤn-
dig heraus gegeben wuͤrde.
mulacre quod per campos portant. Und aus dem Leben
der H. Mareſvidis fuͤhret ECKHARD in Comm. de R.
Franc. Or. T. I. L. XXIII. §. 51 eine Stelle an, worin
ausdruͤcklich geboten wird, ut patronum eccleſiæ, pro
gentilico ambarvali, in parochia longo ambitu circumfe-
rant. Die Ambarvalia, oder Umdrachten hatten nun
zwar noch einen andern Endzweck. Jnzwiſchen wird
man doch nicht leicht eine Urkunde in unſerm Stifte aus
dem XVten Jahrhundert finden, worin eine Mark-
Schnaet beſchrieben iſt, ohne daß man der Hetligen-
Tracht dabey erwehnet hat. Und wohin die Heili-
gen-Tracht gieng; dahin gieng auch die Mark-Graͤnze.
Jn einigen Marken haben noch die jaͤhrlichen May-
Gaͤnge etwas aͤhnliches damit. Von der Zeit eines
May Ganges faͤngt der oͤffentliche Beſitz an. Was
ein Mark-Genoſſe das ganze Jahr vorher eingezaͤunet hat,
kann bey dem May-Gange ob vitium clandeſtinitatis ſo-
fort wiederum eingeriſſen werden.
rollirte. Jch werde mich dieſes Satzes ſehr oft bey un-
ſern heutigen Territorial Graͤnz-Streitigkeiten bedienen.
Eine Mark oder ein Dominium graͤnzt an Stein und
Baum. Ein Amt aber ſchließt auf ſeine Eingeſeſſene,
fals nicht zufaͤllige Graͤnzen von Fluͤſſen und Bergen vor-
handen ſind.
der Taufe allen Teufel-Gilden entſagen. Und jedes
Kirchſpiel trat dagegen unter ſeinem Schutz Heiligen in
eine Chriſten-Gilde. Daher heiſſen jetzt die Kirchen-
Vorſteher auf dem Lande Gildemeiſter.
terror, ſanctaque ignorantia, quid ſit idud quod tantum
perituri vident. TAC. G. 40.
erheben. Man ſieht dieſes aus verſchiedenen Stellen;
wovon ich nur eine wegen der Spiel-ſchulden anfuͤhren
will: Victus voluntariam ſervitutem adit --- ea eſt in re
prava pervicacia; ipſi ſidem vocant. TAC. G. 24.
Religion machten; wo wuͤrden ſie Credit finden? Auf
die Hofnung, ſie durch die Reichs-Gerichte zur Zahlung
zu zwingen, borgte man ihnen gewiß nichts. Eben ſo
war es mit dem Adel. Sein Credit beruhete auf ſeinem
Worte. Der fides mercatorum hat etwas aͤhnliches da-
mit. Der ganze Handel faͤllt: ſo bald die Sicherheit
bloß durch Furcht fuͤr richterlichen Zwang und nicht
durch einen ſoy oder ton de corps gewirket wird.
TAC. G. 6. So kann ein Mann, der ſich zum Einlager
verſchrieben hat; und nicht einreitet; bey keiner adli-
chen Verſamlung erſcheinen. An Orten wo Wechſel-
Recht iſt; und man dem Edelmann, wenn er nicht be-
zahlt, ſo gleich den Land-Reuter zuſchickt, iſt aber jene
Redlichkeit unnoͤthig. Eben ſo unnoͤthig war ſie in der
Stadt, wo der Buͤrgemeiſter den Buͤrger geſchwind zur
Zahlung anhalten konnte. Und dies iſt auch die Urſache,
warum man nur eine adliche und keine buͤrgerliche Pa-
role hat; und warum zu unſern Zeiten, nachdem die ter-
ritoria ſich geſchloſſen, die adliche Parole minder in Be-
trachtung koͤmmt weil ein jeder Glaͤubiger ſich mehr auf
das Hypotheken-Buch als des Schuldners Wort verlaͤßt.
Zur Zeit aber, wie der Adel bloß einen Land-Friede-
Richter und keinen Schuld-Richter erkannte; muſte er
alles in der Welt thun, um ſein Wort zu heiligen, wo-
fern er nicht ſeinen Credit verlieren wollte. Jn Spiel-
Schulden gilt noch die Parole, bloß aus der Urſache,
weil kein Richter da iſt. Die Parole iſt alſo auch eine
Urkunde der alten Unabhaͤngigkeit des Adels. Jetzt kennt
man faſt nur noch ein Fuͤrſtliches Wort.
etwas zu ſehr geſchwaͤcht zu haben. Doch ſieht man an
den Quaͤkern und Herrnhuͤtern wie es ihr nicht an an-
dern ſtaͤrkern Banden mangle, wenn ſie nur gehoͤrig an-
geſtrenget werden. So viel aber iſt gewiß, daß kuͤnfti-
ge Strafen und Belohnungen, beſonders nachdem die
Vergebung der Suͤnden oft zu ſehr erleichtert wird, das
nicht wuͤrken, was ein gegenwaͤrtiger Schimpf wuͤrken
kann. Die Hoͤlle macht keinen ſo lebhaften Eindruck
als eine oͤffentliche Kirchen-Buſſe.
ſeiner Wort-Staͤtte dienen muſte; war es etwas groſſes
Buͤrger zu ſeyn. So bald man Sold ausgeben
konnte und Leute noͤthig hatte; wurde es leichter Buͤrger
zu werden; und man gab den Freyen Wachszinſi-
gen und Hode-Leuten,libertinis latinis \& dedititiis,
bald Stadt-Recht; Wie zuletzt die ganze Armee aus
Soͤldnern beſtand; wurde die Wort-Staͤtte ganz ver-
dunkelt; und alles was man noͤthig hatte mit dem Buͤr-
ger Recht beſchenkt. Eben ſo geht es uns mit unſern
Soldaten. Fuͤr Sold gehn zehn Soͤhne von einem Ho-
fe in den Krieg. Wenn ſie aber vom Hofe dienen
muͤſten: ſo wuͤrde ein Vater vieler Kinder der ungluͤck-
lichſte ſeyn. Der Gebrauch des Geldes; und die Ver-
wandlung des Natural-Heer-Dienſtes in Geld-Steuren,
hat unſer ganzes Syſtem veraͤndert.
wel-
[87]erſter Abſchnitt.
welche den Leib-Eigenthum von den Krieges Gefangenen
herleiten. Allein das iſt ſehr unwahrſcheinlich; und es
iſt nicht leicht einem fluͤchtigen Kriegesgefangenen ſo gut
gegangen, daß man ihm einen Hof anvertrauet hat.
Mehrere und wichtigere Gegen-Gruͤnde hat de SEL-
CHOW. in Comm. de Stat. ing. I. 10. Andre glauben
die Leute haͤtten ſich zu Leib-eignen geſpielt, weil
TACIT. G. 24. ſagt: Aleam ſobrii inter ſeria exercent,
tanta lucrandi perdendive temeritate, ut cum omnia defe-
cerunt, extremo ac noviſſimo jactu de libertate \& corpore
contendant. Sie muͤſſen aber die Sache gar nicht uͤber-
dacht haben. Das Spiel iſt kein Laſter einzelner Woh-
ner; aber wol der muͤſſigen Cadets im Gefolge. S. §.
33. Und wenn dieſe ihre Perſon verſpielten: ſo muſte
ſie der Herr nach unſer Art zu reden von ſeiner Tafel
hinterm Stuhl weiſen. Dieſerwegen fuͤgt Tacitus hin-
zu: Servos conditionis hujus per commercia tradunt, ut ſe
pudore victoriæ exſolvant. Haͤtte ein einzelner Wehr
ſich mit ſeinem Wehrgute aus der gemeinen Reihe, in
den Leib-eigenthum ſpielen koͤnnen: ſo wuͤrde ihn der
Gewinner ſicher nicht verkauft haben: ut pudore ſe vi-
ctoriæ exſolveret.
weiſe, nichts als das Gedaͤchtniß der Verſamlung uͤbrig.
So bald nun ein Stuͤck Allode einem Wehren zur Heuer
oder zum Bau waͤre untergeben worden: ſo haͤtte er
nothwendig auf der Allode zu Hofe gehn; und dort der
jaͤhrlichen Urkunde und Verſamlung beywohnen; oder
aber das Zeugniß Hof hoͤriger Leute gegen ſich gelten
laſſen muͤſſen. Beydes litte der damalige Gebrauch
nicht.
ruͤhmt geworden, wo man in der Fremde ohne Geleit
nichts als Wildfang oder Knecht ſeyn konnte.
iſt nur ein beſtaͤndiger Urlaubs-Paß von dem jaͤhrlichen
Muſter Platze oder den ordentlichen Auszuͤgen, wor-
unter auch die Halsgerichts-folge gehoͤret. Ein Goͤdings-
freyer iſt im uͤbrigen dem Schrey-Goͤding (S. §. 28.)
und daher auch jetzt dem Gow-gericht noch unterworfen
und von der Werbung zur Landes-Vertheidigung, den
Krieges-Fuhren und dergleichen auſſerordentlichen Vor-
faͤllen nicht befreyet, wie man wol bisweilen behaupten
wollen. Der Goͤdings-pflichtige muß noch jetzt
am Goͤdinge jaͤhrlich erſcheinen, oder ſich mit 3 pf. oder
einer andern Erkenntlichkeit entſchuldigen. Sonſt faͤllt
er in den Grafen Bann-Bruch von 20 ß.
magnitudine tributorum aut injuria potentiorum premuntur
ſeſe in ſervitutem dicant nobilibus. In has eadem omnia
ſunt jura quæ dominis in ſervos. Es iſt zu bewundern,
daß man dieſe handgreifliche Urſache der Knechtſchaft
habe verfehlen koͤnnen; beſonders da Caͤſar den Zuſtand
in Gallien, und wie dort alles in drey oder vier Par-
theyen, quæ plebem per læta per adverſa afflictabant, ge-
theilet war, ſo deutlich abmahlet. Die Freyheit in
Gallien lebte aber wieder auf, wie maͤchtige Koͤnige eine
Zeitlang die Gemeinen gegen den Adel brauchten.
wuͤrden ihn ſeine Glaͤubiger vom Erbe jagen. Um nun
wenigſtens die Feſte daran zu behalten, ſucht er einen
Gutsherrn, der ſeine Glaͤubiger bezahlt, und ihn mit
ſeinem Hofe zuſammen uͤbernimmt. Er verliert ſeine
F 5Frey-
[90]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Freyheit; nutzt ſie aber indirecte als ein Capital wenn das
Zins-korn was er uͤbernimmt nur die Haͤlfte der Zinſen
ausmacht, welche er ſeinen ordentlichen Glaͤubigern haͤt-
te bezahlen muͤſſen.
der Vice-Comes im Heerbann geweſen.
Herr iſt nicht gleich Hals-Herr.
weil in dem 16 Sæc. beſonders die Ritterliche Wuͤrde
ſehr ſtark Mode war. Jn dem Edicto Abbatis Corbej.
v. 1348; ſo BOEHMER. in præf. ad Strodtmanni jus cur.
lit. beygebracht, wird es uͤberſetzt: mos militarium ſive
miniſterialium.
Hof erledigt wird mag es leicht geſchehen, daß der
Gutsherr ihn mit einer Blut-eignen Perſon wieder be-
ſetzt; daher denn einzelne Ausnahmen. Jn dem Hof-
Rechte der Kirchſpiele Venne und Hunteburg aber heißt
es: „So dar ein Mann is welker dem gnaͤdigſten Land-
„Foͤrſten des Stiffts Oßnabruͤck, einem ehrwoͤrdigen
„Domcapittel oder ſonſt jemand anders egengehoͤrig
„tho kuͤmpt und ſtervet: ſo iß unſem gnaͤdigſten Land-
„Foͤrſten oder we der Gutsherr iß, verſcheden dat Her-
„wedde. Jß et aber ein frey Mann: ſo koͤmmt et dem
„negeſten Blode to, de ſick mit Rechte de negeſte darto
„bekuͤnden kann.‟ Waͤre dieſe Regel richtig, wie ich
glaube, da ſich eben dieſes wegen des Hammiſchen Heer-
gewedes bey v. STEJNEN l. c. p. 1808 befindet, auch
in dem Reckenbergiſchen Hof-Recht §. 13. auf die Ver-
ſaͤumung des Hof-Rechts (wodurch einer ſonſt nach ſei-
nem Tode bellmuͤndig d. i. als ein Leibeigner beerbthei-
let wird) der Verluſt des Heergeweddes geſetzt iſt: ſo
koͤnnte man umgekehrt ſchlieſſen, daß uͤberall wo der
Gutsherr das Heergewedde nicht zieht, die Bluts-
Freyheit zu vermuthen ſey. Nach den Rollen des Amt-
hauſes zum Reckenberge beym KRESS vom Archid.
Weſen in app. p. 150; des Meyerhofes zu Wetter
beym LVDOLF in Obſ. T. I. 155; der Meyerhoͤfe zu
Schledehauſen, zu Belm, zu Diſſen, zu Stockum, zu
Gerden, (Amts Groͤnenberg) zu Backum, zu Rimsloh,
zu
[92]Oſnabruͤckſche Geſchichte
zu Wellingholzhauſen, zu Bramſche, zu Nortrup, zu
Starten, zu Brickwedde, zu Weſterholt, zu Berafeld
und zu Wedel, imgleichen der Schulzenhoͤfe zu Ankum,
zu Ruͤſſel und zu Neuenkirchen, bleibt das Hergewedde
frey bey der Wehr. Jn den Rollen der Meyerhoͤfe zu
Eſſen, zu Weſtram, zu Narbergen und zu Uphauſen hin-
gegen wird dem Gutsherrn das Heergewedde zuerkannt;
und iſt es merkwuͤrdig daß die drey erſtern davon dem
Domcapittel, und die vierte dem Capittel zu St. Johan
gehoͤrt; folglich jene als Biſchoͤfliche Rollen in dieſem
Stuͤck etwas beſonders haben. Die Verſamlung der
an das Amt Voͤrden gehoͤrigen Hausgenoſſen iſt im
Jahr 1535 mit ihrer Bewilligung, doch ohne Nachtheil
ihres Rechts aufgehoben; und habe ich davon, wie von
mehrern keine Rollen geſehen. Es ſind oft uͤber der-
gleichen Rechte, und beſonders daruͤber ob ein Hausge-
noſſe den Zwangdienſt verrichten und den Frey-Brief
loͤſen muͤſſe, viele Jrrungen entſtanden. Und man hat
dabey erſtlich nicht eingeſehn daß die Hof-Rolle zugleich
eine Zwang-Hode, mithin nicht allein die Guͤter in
der Hof hoͤrigkeit; ſondern auch die darauf ſitzende Freye
im Schutze wahre; zweytens daß eine Hode ehedem kei-
ne Erbſchaft ausfolgen laſſen; und drittens daß die Er-
gebung in eine Zwang-Hode oft eine Eigengebung ge-
nannt werde. Der Mangel dieſer Kenntnis iſt Schuld,
daß in den daruͤber an die Reichs-Gerichte gediehenen
Proceſſen, von beyden Theilen gefehlet worden.
Theil leibeigen ſind und mit der Miſtgabel dienen, wenn
ſie keine verdunkelte Wehren ſind?
the manner in ſeinen Bezirk oft von Leuten zieht, die als
Deputirte im Unterhauſe ſitzen. Er iſt dort auch, wie
bey uns, auf den vierten Fuß oder auf das beſte Pfand;
the beſt Beaſt wich the Tenant hath at his Death and in
ſome Mannors the beſt piece of Plate. S. NELSON de
Lege Maner. p. 113. v. Heriot. Coſtum, gefallen; nachdem
der des Krieges-Dienſtes entlaſſene Hausgenoſſe, ver-
muth-
[93]erſter Abſchnitt.
muthlich ſein Feld Geraͤthe nicht wieder anſchaffete, wie
es einmal weggezogen war.
ſich bey ihrer Ergebung, oder in den Auflas-Briefen,
Hausgenoſſen-Recht bedungen haben. Weil ſie aber
keine Hof ſprachen haben; und alſo ihr Recht nicht in
beſtaͤndigen Gedaͤchtniß erhalten koͤnnen: ſo wird es bald
verdunkelt.
phaͤliſch, rede ſeyn muſten. Allein von einer ſolchen
ungemeſſenen Dienſt-Folge findet ſich in ihren Hof-Rol-
len keine Spur, und eher das Gegentheil. Man koͤnn-
te eher ſagen, es waͤren Reit- oder Sattel-Hoͤfe,
weil ſich Sattel und Zeug in ihrer Erbſchaft befindet;
gleich wie ſie denn auch bey dem Abteylich-Werdenſchen
Hofe zu Berkhofen Sadelhoͤfer genannt werden. S.
das Hofrecht bey v. STEJNEN in der Weſtph. Geſch.
im VI St n. 14, und ſie vielleicht um deswillen von
dem Goͤding befreyet geweſen, weil ſich dahin blos das
Fußvolk verſamlet. Alsdenn aber muͤſte man annehmen,
daß ſie gemeine Reuter im Heerbann und nicht in der
Biſchoͤflichen eignen Folge geweſen, weil der Biſchof
wenn er den Sterbfall zieht, das Heergewedde frey vor-
ab bey der Wehr laſſen muß. Und weiter; daß die
Reuterey ihre beſondre Rolle, jedoch unter dem Befehl
des Gografen gehabt, und ſich bey dem Verfall des Heer-
banns, dem heiligen Peter oder dem Biſchofe unzer-
trennt uͤbergeben habe. Daraus wuͤrde denn auch fol-
gen, daß diejenigen Hausgenoſſen, wovon der Biſchof,
oder das Domcapittel das Heergewedde zieht, ehedem
Reuter in der eignen Kirchen-Folge ſub advocatis ec-
cleſiæ geweſen. Jn der Vredenſchen Hofrolle beym
STRODTMAN de jure curiali litonico p. 86. imgleichen
in der Aſpelſchen bey v. STEJNEN l. c. p. 1779.
kommt gerede und ungerede Gut vor; Unter letz-
ten wird erworbener (allodial) Grund verſtanden. Jm-
gleichen heißt in der St. Pauls Hof-Rolle ib. p. 6. Die
mobiliar Erbſchaft auf einem Rede-Hofe; Rietſchap.
Und da Letzters vielleicht ehedem von der Heer-Geraͤth-
ſchaft
[95]erſter Abſchnitt.
ſchaft genommen worden: ſo kann ein Rede-Hof auch
davon ſeinen Namen bekommen haben.
Leute in einer beſchloſſenen Graͤnze, und ſie ziehen daher
ihre Freyheit auf den Grund, indem ſie ſich Kluh-
ten-frey nennen. S. v. STEJNEN in ſeiner
Weſtph. Geſch. im VI St. p. 1550 und 1719. Dieſer
ihr freyer Kluhte iſt vermuthlich eine alte Deutſche
Land-Wehr, deren Eingeſeſſene gegen eine uͤbernomme-
ne Graͤnz Vertheidigung, von gemeinem Reichs-Dienſte
befreyet worden. Allein in unſerm Stifte waren der-
gleichen Reichs-Land-Wehren, unnoͤthig; Doch weil die
Schloͤſſer vordem Haͤuſer genannt wurden; koͤnnen
Hausgenoſſen zur Beſatzung verpflichtet geweſen ſeyn,
und um deswillen die Freyheit von dem gemeinen Aus-
zuge erlangt haben.
als Anfuͤhrern betrachten. S. §. 6. Denn wenigſtens
heißt allezeit der Hausgenoſſen Vorſteher Meyer oder
Schulze. Allein unter einem Meyer gehoͤren oft ande-
re Meyer; und die Umſtaͤnde erlauben doch nicht zu
glauben, daß letztere bloß Titular-Meyer ſind; derglei-
chen es ſonſt auch giebt.
ſich weyland Jhro Koͤnigl. Hoheit Ernſt Auguſt II. im
Jahr 1721 von den Hausgenoſſen einſchicken laſſen.
der Freyen Schilling ein Bekenntniß der Anhoͤ-
rung. So beurkundet z. E. der Duſt-Schilling,
daß ein Bauer in der einen Mark wohne, und ſein Duſt-
holz in einer andern habe, worinn er ſonſt kein Mark-
Genoſſe iſt. Plaggen- und Weide-Schillinge
beurkunden, daß jemand das jus ceſpitandi \& paſcendi
nicht jure condominii ſondern jure ſervitutis habe. Der-
gleichen Urkunden verdienten geſamlet und von Regie-
rungs
[96]Oſnabruͤckſche Geſchichte
rungs wegen berichtiget zu werden, weil uͤber ihren
wahren Verſtand viele Proceſſe ſind.
weil zu der Zeit, als die ſaͤmtliche Beamte, die Haus-
genoſ-
[97]erſter Abſchnitt.
genoſſen-Rechte an den Biſchof eingeſchickt (S. §. 48.
n. e.) ihrer gar nicht erwehnt wird. Jm Gegentheil
aber wurden die Tecklenburgiſchen Freyen, als der Car-
dinal und Biſchof Frauz Wilhelm im Jahr 1659 eine
Nachricht von ſaͤmtlichen Hoden einzog, blos unter
die Hodegenoſſen gerechnet; ohnerachtet in dem Fuͤrſte-
nauiſchen Amts-Berichte ſteht, „daß ein freyes Hode-
„Gericht vom Grafen zu Tecklenburg gekauft waͤre;
„und der Frey-richter oder Ding-graͤfe von den Freyen
„jaͤhrlich am Freyen-ſtuhl zu Ankum erwaͤhlet wuͤrde;
„woſelbſt auch die Freyen 1. pf. zur Urkunde bezahlten,‟
Sie fuͤgen hinzu: „der Landesherr zoͤge von ihnen das
„Heergewedde und die Gerade, wenn keine Erben vor-
„handen waͤren; und der erwaͤhlte Ding-graͤfe hielte die
„Erbtaͤge.‟ Dieſes aber ſchließt auf keine bloſſe Hode-
genoſſen. Vielmehr iſt es hoͤchſt wahrſcheinlich, daß die
Tecklenburgiſchen Freyen gleichſam unmittelbare Haus-
genoſſen des Grafen geweſen, weil ſie ihren Unter-rich-
ter waͤhlten, folglich an keinen gewiſſen Hof im Stifte
hoͤrig waren.
Wie letzter auf kam: entſtanden Burgmaͤnner.
und Halsgerichte und Gerechtigkeiten meri \& mixti im-
perii in der Freyheit Geßmelde uͤber alle derſelben Frey-
heit Jnwohner und Unterthanen freyen und eignen Leu-
ten ſo weit der freye Hage ſich erſtreckte. S. das Lehn-
Protocoll v. 1561. Dies Lehn iſt aber nachher aufge-
hoben, wie Geßmold an den zeitigen Biſchof gekommen,
und von ihm wieder vertauſchet worden.
keinen in fremden Leibeigenthum fallen laſſen; auch oft
die Schrey-Goͤdings-Folge, wozu die andern Goͤdings-
Freyen verpflichtet ſind, verhindert.
1613 an den Biſchof Philip Sigiſmund; und bey dem
allgemeinen Vergleich mit dem Churfuͤrſien von Bran-
denburg als Grafen zu Ravenſperg vom 13 May 1664
Ggieng
[98]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gieng auch die edle Vogtey in ſo weit an unſer Stift uͤ-
ber. Wie das Kloſier an das Amt Wetter (ſo wird
es in den Briefen deſſelben aber nicht anderwaͤrts ge-
nannt) gekommen, iſt nicht bekannt; Es muß aber ſicher
aus einer Biſchoͤflichen oder Graͤflichen Schenkung her-
ruͤhren.
Cam. T. 1. obl. 155. ſiehen, von den zeitigen Biſchoͤfen
beſtaͤtiget. Jch fuͤge denſelben noch aus einer von ihnen
in actis copeylich beygebrachten alten Hof-ſprache v. 7 Jan.
1393 hinzu. Nos, ſagen ſie nulli domino de jure ſumus
aſtricti niſi glorioſæ Virgini Mariæ Reginæ cœli \& venera-
bilibus Dominabus noſtris Abbatiſſæ \& Capitulo ſecularis
eccleſiæ Heriſienſis ---- aliqui noſtrum tenentur eccleſiæ
Hereſienſi prædictæ annuatim dare de bonis cjuſdem eccle-
ſiæ quæ poſſidemus integra debita vulgariter Vull-ſchuld,
aliqui noſtrorum tenentur eidem eccleſiæ annuatim dare di-
midia debita vulgariter Half-ſchuld. Nach ihren Rollen
haben ſie teſtamenti factionem privilegiatam; doch kann
dieſes nur eine Auswahl unter gleich nahen huldi-
gen und hoͤrigen Erbfolgern ſeyn; S. Stift Eſſen-
ſches Hofrecht bey v. STEJNEN l. c. p. 1764. Der-
gleichen teſtamenti factio findet ſich in den andern Hof-
rollen nicht. Es iſt aber doch nichts ungewoͤhnliches;
wie die Vrediſchen und Lohnſchen Hofrollen beym STROD.
MAN l. c. zeigen. Bey dem Hofe zu Diſſen, welchen
Kayſer Ludewig der Fromme curtem ſuam in Tiſſene nennt.
S. LODTM. in mon. Oſn. p. 80. muß ein gleiches herge-
bracht ſeyn. weil der Hof-meyer oder Richter das Recht
hat Teſtamenta aufzunehmen; dergleichen er wol zuerſt
bloß von Hof hoͤrigen aufnehmen koͤnnen. S. MASCOV.
in not. jur. Oſn. p. 213.
Leib-Eigenthums; wovon man in der bloſſen Hode nichts
weiß. Es iſt uͤbrigens beſonders, da in vielen Laͤndern
das jus primæ noctis ſo beruͤhmt iſt, und zu allerhand bon
mots Gelegenheit gegeben hat, ſo gar daß in England
eine Comoͤdie, the coſtum in the mannor genannt, dar-
auf gebauet und noch im Jahr 1764 vor geſtellt iſt, daß
dennoch in Weſtphalen auch nicht einmal eine Anſpie-
lung auf dieſes Recht zu finden ſey; weswegen ich ver-
muthe, daß man nur diejenigen Gutsherrn, welche zu-
gleich Gerichtsherrn geweſen, dazu berechtiget gehalten;
und da ſich dergleichen in Weſtphalen nicht finden, eben
deswegen auch keine Spur davon habe. Es iſt ſonſt ein
vollkommen richtiger Schluß, daß derjenige der die Magd
hat, auch dasjenige habe was ſie in der erſten Braut-
Nacht verlieren kann. Gleichwie man aber einen Knecht
impune toͤdten konnte, und es nicht that; mithin die freye
Macht ſeinen Knecht zu martern und zu toͤdten, nur als
eine Urkunde des vollkommenſten Eigenthums-Rechts
anfuͤhrte: alſo glaube ich auch, daß der Anſpruch eines
Gutsherrn auf die erſte Nacht, weiter nichts als eine
wohl ausgedruͤckte Urkunde ſeiner vollkommenen Hals-
Herrlichkeit geweſen, und zum Sprichwort geworden ſey.
Ob ein Gutsherr den Bettemund zum andernmal
fordern koͤnne, iſt einigemal gefraget worden. Da es
keine Strafe, ſondern eine bloſſe Wehrung iſt: ſo ſchei-
net mit dem erſtenmal dem Gutsherrn alles bezahlt zu
ſeyn. Jndem aber die Wehrung zugleich fuͤr den Bette-
mund, das iſt, pro violata lecti tutela, entrichtet wird;
und jeder neuer Vorfall eine turbatio tutelæ iſt: ſo iſt,
wiewol aus ganz ſeltſamen Gruͤnden pro affirmativa ge-
ſprochen worden.
weiter; weil die vaͤterliche Wort-ſtaͤtte, ſo wenig als ein
weſtphaͤliſcher Bauer-Hof unter mehrern Kindern ge-
theilet werden konnte, und das Haus-gewehr, worin zu-
erſt die Mobiliar-Erbſchaft beſtand, bey der Wehr blei-
ben muſte. So wie aber Geld, und mit dieſem das
Mit-
[101]erſter Abſchnitt.
Mittel ankam, ein Wehr-gut in ſeinem pretio repræſen-
tativo zu theilen: kam auch der emancipatus zur Erb-
ſchaft zuruͤck. Und in Weſtphalen fehlt ſchon nicht viel
mehr, daß die Kinder das Gutsherrliche Erbe nicht in
pretio repræſentirt und gleich getheilet haben wollen.
de Staͤnde, welche viele Eigenbehoͤrige haben, derſelben
Erbrecht an freyen Guͤtern den 7 Mart. 1711. und den
4 May 1712 atteſtirt; und den dritten Stand, welcher
fuͤr freye Buͤrger ſprach, uͤberſtimmet haben. Erſters
iſt den veraͤnderten Sitten und Zeiten gemaͤß; wie denn
auch zu Rom allmaͤhlig ein Knecht ex fideicommiſſo er-
ben konnte. Allein letztere Meinung iſt mehr nach dem
Syſtem. Eben dieſes kann man de ſervo teſte ſagen;
welchen DE CRAMER in ſeinen Wetzlariſchen Neben-
ſtunden T. II. n. 2. obgleich gegen die Reichs-geſetze,
pro teſte habili in teſtamento erklaͤret. Es machen aber
dergleichen obgleich vernuͤnftige Abweichungen a ſyſte-
mate, die Rechte unſicher.
und Bauerſchafts-Beſchwerden, zu deren Behuf vor-
dem allein Auflagen gemacht wurden. Unſre jetzigen
Schatzungen enthalten aber ein mehrers und ſind eigent-
lich Bewilligungen; daher ſolche, den Gutsherrlichen
Paͤchten nicht ſchlechterdings vor-; ſondern weil ſie mix-
ti generis ſind mit denſelben pari paſſu gehn.
um ein Gutsherr mit Bewilligung ſeines Leibeignen,
ein Erbe nicht theilen, beſchweren, und einziehen koͤnn-
te, wenn er die oͤffentlichen Abgaben davon entrichtete.
Jch vermeine aber, daß das wahre principium in obigen
zu ſuchen ſey.
Begrif fuͤr den ſeinigen zu erkennen. Und TACIT.
G. 25 wenn er ſagt: liberti non multum ſupra ſervos ſunt,
ſcheinet ſchon aus einer gleichen Verlegenheit, weil er
das Wort liber nicht brauchen wollte, dieſe Freyen
libertos genannt zu haben. Denn liberti in ſolo reſpectu
ad manumiſſionem haben ſchwerlich ein genus hominum
bey einzelnen Wohnern ausgemacht. Allein man muß
nur zur Regel annehmen, daß frey ſich bey den Deut-
ſchen ſelten auf libertatem perſonalem beziehe. Frey hieß
insgemein was auf unwehrigen Gruͤnden ſaß, und da-
her nicht zur gemeinen Vertheidigung auszog. Daher
ſind Freye bey uns ſchlechter als Leibeigne, die auf Er-
ben, Halb Erben und Erb-Kotten ſitzen; und ein ſolcher
Leib eigner wuͤrde ſeine Tochter nicht leicht an einen ſol-
chen Freyen geben. Schon in dem diplomate Carolino
Oſnabr. kommen die liberi poſt ſervos. Es iſt beſonders,
daß die Roͤmer ſagen muͤſſen: ingenuus eſt qui ſtatim ut
natus eſt, liber eſt; und daß wir jetzt die Definition eben
ſo machen wuͤrden, nachdem die Territorial-Hoheit eben
den Einfluß auf unſre Sprache gehabt hat, welchen die
Roͤmiſche Monarchie auf die Lateiniſche gehabt hatte.
ſonſt ſind ſie nicht gezwungen. Sie koͤnnen aber doch
ihre Hode, wenn ſie abziehen, mit jaͤhrlicher Einſendung
der Urkunde, fortſetzen; und ſich dann, wie es in der
Wetter-freyen Hofſprache heißt, in alle vier Theile der
Welt wenden, ohne Bieſter-frey zu werden. Ein gleiches
behauptet die Hofſprache des freyen Reichshofes zu Weſt-
hofen. Zu dergleichen Behauptung aber muͤſte man ein
Kayſerlich Privilegium, wie letztere thut, vorausſetzen.
Auf eine gleiche Weiſe bewahrt die Reichs-Hode des
Pfalzgrafen, die Keſſel-fuͤhrer fuͤr alle Bieſter-freyheit;
Gleiche Wuͤrkung hat ein Kayſerliches Buͤrgerrecht ꝛc. ꝛc.
in der Weſtph. Geſch. n. 6. p. 1778. wird es ſo ausge-
druckt: Kormuͤndig oder Waß-tinſig.
unſer unde unſer Amtluͤde Schattinge, Denſte und Bede.
v. Capit. Conradi Ep. de anno 1482. beym KRESS vom
Archid. Weſen in app. p. 9. Wie haͤtte ein ſolcher Mark-
Koͤtter auf eigne Koſten mit ausziehen koͤnnen? S. §.
26.
§. 2.
nur Bellmuͤndig. Erſtern hat der Landesherr; Letz-
tern behaͤlt der Gutsherr; der des todten Bellmuͤndigen
Sterbfall nach Ritter-recht zieht, wenn er in drey Jah-
ren der Hof-ſprache nicht beygewohnt, und ſich bey le-
bendigen Leibe nicht gebuͤhrend entſchuldiget hat. S.
Oetmarſches Hof-recht beym STRODTMAN de jur. cur.
litt. n. 4. Bellmund iſt reclamatio mundii i. e. mor-
tuus absque tutela. Von bellen clamare. Eine gleiche
Strafe findet ſich in allen unſern Hofrechten fuͤr dieje-
nige ſo es verſaͤumen, doch haben wir das Wort bell-
muͤndig darinn nicht.
ſen Grundſatz; fand aber keinen Beyfall; und wuͤrde
auch bald ſeine Hode-genoſſen verlohren haben, wenn es
darauf beharret waͤre. Haͤtte es eine Zwang-Hode ge-
habt: ſo koͤnute es auch Bell-mund fordern.
her, weil ſie in die St. Peters Hode, die ſonſt gar kei-
nen Zwang hat, gehen muͤſſen; und ſind eigentlich nur
in dem einzigen Amte Jburg.
Nothfreyen gleich den Leibeignen ihrer unterhabenden
Koͤttereyen entſetzen zu moͤgen behauptet, wenn ſie ſolche
mit Schulden beſchweren. Die nemliche Frage iſt bey
den Wetter-Freyen und bey dem Reichs-Cammergericht
anhaͤngig. S. LVDOLF in Obſ. Cam. T. 1. Obſ. 158.
und Beyde naͤhern ſich einander in dieſen Punkt gar ſehr.
Nach dem feinem Syſtem der Alten muͤſte ein Nothfreyer
ſeinen Kotten in der Hode frey veraͤuſſern; ſolchen
mit Erkenntniß der Hode-genoſſen in ſeinen
G 5Noth-
[106]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Nothfaͤllen verſchulden; und ſeine Geſchwiſter nach Hof-
recht daraus beſtatten koͤnnen; und dieſes unter Autho-
ritaͤt des Hodevogts oder der Landesherrlichen Beamten.
Allein die neuern Einrichtungen haben das Feine und
Gemaͤſſigte nicht. Und dieſe Unvollkommenheit erweckt
jenen Streit. Dies iſt auch der Fehler der Erb Winn-
Kotten. Haͤtten ſie ſich Hof ſprache und Erb- oder Dinge-
Tage bedungen, ſo wuͤrde ihnen gewiß der Winn nicht
geſteigert werden. Jetzt ſtehn ſie einzeln als Sonder-
leute unter einem verſchloſſenen Winn-Regiſter.
Roͤmer um es auszudrucken muſten ſchon ſagen, quod
noſtrum eſt jure quiritium. Und der Kayſer Friederich
der Andre ſahe ſich genoͤthiget: proprium quod vocatur
eigen zu ſchreiben. S. Dipl. Erect. Duc. Brunſv. in
MOSERS Hiſt. Bel. V. 6. n. 4. p. 109. Zum Zeichen,
daß nicht alles quod noſtrum proprium eſt, auch unſer
eigen ſey. Offenbar wird, ſo wie ad juſtas nuptias civis
Romanus, alſo auch zum Eigenthum Rex, nobilis dominus
Quiris, civis Romanus oder ein Wehr erfordert. Wenn
die Sprache zur Zeit Friederich des andern alles Eigen-
thum ſchon ſo weit in Lehn und Feſte umgeſchmolzen
hatte, daß bloß noch nobile dominiumeigen hieß: ſo
iſt dieſes eine Probe, wie ſehr Obrigkeitlicher Schutz,
Hode, Pflege, Amt, und andre Bedeckungen das jus
quiritium und mit dieſem das Eigenthum ſchmaͤlern, und
zuletzt alles in Feſte verwandeln. Die deutſche Sprache
hat dazu geholfen, indem ſie kein gluͤckliches Mittel-wort
zwiſchen Eigen und Feſte, und eines, welches ſie
noch hatte, nemlich das Orbar mit der Freyheit ver-
lohren hat. Denn Orbar iſt ein proprium quod non
vocatur Eigen. Anders kann ich es nicht ausdruͤcken;
Die Arten des Orbaren findet man beym HALTHAVS
v. Orbar. Und die Gewalt welche das Wort Eigenthum
ausgeuͤbet hat, da es ſich zu jedem proprio nicht beque-
met, und zuletzt nach einem ganz richtigen Schluß ledig-
lich
[107]erſter Abſchnitt.
lich den Monarchen in den einzigen Beſitz alles wahren
Eigenthums geſetzt hat, wuͤrde unglaublich ſeyn wenn
ſie nicht wahr waͤre. Zu unſern Zeiten hat die gluͤckliche
Territorial-Hoheit ein Eigenthum wieder hergeſtellet;
und man nennet jedes proprium eigen.
dum iſt bey uns ganz unſtreitig die Goͤdings-Rolle; und
plegium die Hode. Erſtere giebt Wehre; und letztere
Witte, oder macht hominem legalem. Die Hode iſt
nun entweder cum vel ſine fidejuſſione. Erſtern Falls iſt
es plegium juris privati, welches jeder Hausvater hat;
letztern Falls aber iſt es ein Recht der Landes-Obrig-
keit; ſie mag ſolches einer Gottheit uͤbertragen, oder
ſelbſt bey ihren Amte behalten. S. §. 22. n. d.
„Auf
[108]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„Auf von euch eingeſandten caſum und daruͤber geſtel-
„lete Anfrage antworten wir erſtlich, daß eben kein auf
„Erben und Kotten geſeſſener Unterthan nothwendig
„in einer Hode oder Schutz ſeyn muͤſſe; ſondern ſind
„dieſelben genug immatriculirt welche Schatz und
„Steuer geben, dergeſtalt auf Schatzregiſter befindlich
„und billig Landesfuͤrſtl. Schutz und Schirm genieſſen;
„ſo wird auch die von euch angezogene K. M. ander-
„geſtalt nicht, denn von ihren Kindern als rechten na-
„tuͤrlichen Erben geerbtheilet werden koͤnnen. Ein an-
„ders iſt wenn ledige Leute, ſo irgendwo zur Heuer
„wohnen oder ſitzen, verſterben und keine Kinder ver-
„laſſen und anders beym Leben nicht diſponiren, da als-
„denn der Fiſcus ſuccedirt, wornach ihr euch in dieſem
„und ſonſt zu achten. Oßnabr. den 13. Mart. 1680.
Fuͤrſtl. Oßn. z. Canzley heimgel. Raͤthe
Philip von dem Buſſche.
Ein anders Reſcriptum Cancell. ſagt: „Auf der Wittwen
„St. K. beſchehenes Suchen und eure Anfrage bey uns,
„wegen jetztbeſagten K. Verlaſſenſchafft ohnverhalten
„wir euch antwortlich, daß derjenige, welcher in dieſem
„Stiffte verſtirbt und lebendige eheliche Leibes-Erben
„hinterlaͤßt ob er gleich keiner Hode einverleibt, den-
„noch dergeſtalt nicht fuͤr alſo genannt Bieſter-frey zu
„achten ſey, daß deſſen Verlaſſenſchafft dem Fiſco ver-
„falle ſondern den Kindern, ein oder mehrern billig ge-
„buͤhre und von denſelben geerbet werde ꝛc. ad Supp.
„der Wittwen Kuhlmans vom 26 Febr. 1684. Dies
iſt die Stimme der Territorial-Hoheit. Alle kleine
Stricke dehnen ſich endlich in dieſes groſſe gluͤcklicher
Weiſe aus; und das jus Wildfangiatus wird hier in theſi
Cancellariæ nur noch als ein jus occupandi bona vacantia
betrachtet; jedoch in vorkommenden Faͤllen nicht allemal
ſo ausgeuͤbt. Alles Abzugs-Recht gruͤndet ſich darin,
daß eine der Hode gleichſam verhaftete Erbſchaft dar-
aus und in eine andre gefuͤhret wird.
fuͤgen:
[109]erſter Abſchnitt.
fuͤgen: „Jch Benedickt Korf Thum-Dechant der Kir-
„chen zu Oßnabruͤck bezeuge Kraft dieſes vor mich und
„meine Nachfolger an der Thum-Dechaney, daß ich
„G. G. und ihre zween Soͤhne M. und H. im K. Mer-
„ſen, als freyen Standes Perſonen, dieſelbige in ihren
„rechtmaͤſſigen Sachen zu verbitten und zu vertreten
„unter meinen Schutz und Defenſion genommen habe.
„Dagegen ſollen und wollen ſie mir und meinen Nach-
„folgern alle Jahr auf St. Michael zur Urkunde geben
„18 pf. Oßnabr. bey Verluſt dieſer Hode und ſo lange
„ihnen wie auch mir dieſes geluͤſtet und wohlgefaͤllig.
„Und da ſie in dieſe Hode verſterben wuͤrden, ſollten ſie
„wegen ihres beſten Kleides, wie gebraͤuchlich ſich bey
„mir oder meine Nachfolger der Gebuͤhr nach abfinden.
„Deſſen zu Urkund ꝛc. den 18. Febr. 1615.‟ Es konnte
nicht fehlen oder ein roͤmiſcher Geſchichtſchreiber muſte
in einer ſolchen Anlage Patronum \& Libertum erkennen.
Allein dieſe deutſchen Liberti ſind eigentlich keine Frey-
gelaſſene. Die Koͤniginn von Pohlen Richezza eine ge-
bohrne Pfalzgraͤfinn beym Rhein, muſte ſich wie ſie zu
Coͤlln wohnen wollte, in die Hode der heiligen
Jungfrauen begeben, ihren jaͤhrlichen Wachs-Zins uͤber-
nehmen, und ihr beſtes Kleid der Hode verſchreiben
S. LVNIG in ſpec. eccl. cont. 1. p. 324, und ſo gieng
es mehrern. GEBAVER in comm. de libertin. §. 3. muth-
maſſet, daß die Freygelaſſene bey den Deutſchen auch
das Buͤrger-recht erhalten haͤtten. Dies muß aber blos
auf diejenigen, welche das Gluͤck gehabt auf ein Wehr-
gut zu kommen, eingeſchraͤnkt werden.
houden tenere abſtammen. Von letztern iſt bey uns Ho-
dener poſſeſſor beneficii ſ. uſufructuarius, un tenant. Und
nach dieſem Begrif waͤre Hode capitis tenentia vel manu-
tenen-
[111]erſter Abſchnitt.
tenentia. Nach dem erſten aber waͤren ſie gehuͤtete und
gehegte Leute und mit den Hyen-Maͤnnern zu vergleichen,
wovon PVFFENDORF Obſ. jur. Vol. III. p. 89. und
HALTHAVS v. Hyeman.
Carls des Groſſen. Dieſes ſind nothwendig die St. Pe-
ters-Freyen und in allen Oſnabr. Capitulationen heißt
es deswegen, daß des Domprobſtes Freyen ꝛc. ꝛc. den
St. Peters-Freyen ſollen gleich geachtet werden.
Retberg de 1482. \& ß. „De Brygen de up malkes Gu-
„den ſitten dat ſe de moͤgen hebben beſchermen unde vorde-
„gedingen gelick eren egenen Luͤden. Beym KRESS vom
Archid. Weſen in app. p. 7. 14. 22. Malk iſt ſo viel als
eines jeden;Kreſſ ſcheint im Regiſter etwas beſondres
daraus zu machen.
iſt ganz offenbar von Wich ein Dorf, und Bild
contour. Denn bilden iſt von bolen vertere tourner. Und
bilden iſt durch Umris oder Abzirkeln eine Figur
heraus bringen. Weichbild iſt folglich ein bezitktes
Dorf, welches Beſchluß- Bezirk- oder Bann-Kreuze hat.
Jn Spanien heißt daher ein Bezirk bloß crux. S. DV
FRESNE v. Cruceſ. Der Stadt Oſnabruͤck ihre ehmalt-
gen Bann-Kreuze ſtehn noch aus allen Thoren. Man
ſieht ſie aber nicht mehr dafuͤr an.
de errichten: ſo hatte er eigne Hode und verbieſterte
nicht. Auf dieſen Gebrauch wird auch in Stat. 2. Weſt.
Monaſt. c. 37. gezielt, wenn es heißt: Quia mulci tenen-
tes erigunt cruces in tenementis ſuis, aut erigi permittunt
in præjudicium dominorum ſuorum ut tenentes per privi-
legia templariorum tueri ſe poſſent contra capitales domi-
nos \&c.
Beiſt iſt eigentlich ein wildes Thier, ob es gleich auch
jetzt von zahmen gebraucht wird.
theilung aller angehoͤrigen Menſchen an, als in der
Urkunde des Stifts zu Buͤcken, welche BOEHMER in
præf. ad Strodtmanni jus curiale lit. liefert. „Dat Stichte
„van Buͤcken, heißt es daſelbſt, hefft drigerley Echte:
„de erſte hetet Godes-Hus Luͤde; dat ſind de Hoͤff-
„nere de in de ſeven Meigerhoͤfe gehoͤret. De andre
„Echte dat ſind Sunderluͤde, de werdet geboren
„unde beſadet uppe Sunder-gute, dar en is nen Voge-
„die an, noch in Luͤden noch in Guͤden; de richtet ſick
„na den Heren, de de Hove under ſick hebbet. Wann
„de verſtervet ſo mag de Here des Hofes ſick richten na
„alle oͤrem nalaten Gude. De derde Echte dat ſind
„vrige Godes Luͤde, und dat ſind inkommende
„unde vrigge Luͤde, de gevet ſick in Suͤnte Maternians
„Echte. Unde wann die ſtervet: ſo gevet ſe in ſuͤnte
„Maternians Ehre oͤre beſte oͤverſte Kleed, und oͤre
„beſte Hovet Quekes. Unde de gevet ſick daruͤm in de
„Echte, dat de unde oͤre Kinder der Heren des
„Landes nicht willet egen weſen.‟ Dies iſt das voll-
kommenſte Syſtem in dieſer Materie, welchem ich
auch gefolget bin. Und wenn wir dieſes auf unſer
Stift anwenden: ſo ſind dieſe drey Echten ſchon in
dem erſten Stiftungs-Briefe unſer Kirchen. Die erſte
Echte enthaͤlt Litos \& Litones; Rhedemeyer und Haus-
genoſſen; die zweyte Servos oder Eigenhoͤrige nach Rit-
ter-Recht; und die dritte Liberos oder vorerwehnte
Freyen. Sunderleute haben ihren Nahmen davon
weil ſie keine Klops-Leute ſind. Ein Klops-mann
gehoͤret zu einer Hof-Verſamlung S. Aſpelſches Hof-
recht bey von STEJNEN n. 6. p. 1774. womit das
Engliſche Club Clwppa eine Verſamlung, einſtimmt.
Ein Sundermann hingegen iſt einzeln und abgeſondert
ohne Hof ſprache ſeinem Herrn unterworfen. Was die
Engellaͤnder club nennen, heiſſen die Franzoſen cotterie;
und darum werden ihre Hausgenoſſen cotterets genannt.
S. §. 2. n. b.
Haupt
[113]erſter Abſchnitt.
Haupt hatte; und alſo ſcheinet es, als wenn ein jeder
ſein Haupt von ſeiner eignen, und nicht von einer ge-
meinen Gottheit halten wollen.
di poteſtate.
plebem erat, antiqua concludendi \& decidendi poteſtate.
Die Reichs-Staͤnde kommen darinn mit den Land-Staͤn-
den uͤberein. Sie bewilligen in einigen; und geben
ihr Gutachten in andern Stuͤcken. Erſtres iſt die
Befugniß der Repraͤſentanten oder der Gemeinen; und
letzters die Handlung der miniſterialium qua talium. S.
§. 50. Der Kayſer auf dem Reichstage, und der Lan-
des-Herr auf dem Landtage uͤben dabey das alte Prieſter-
liche Recht: Si Dii prohibuerunt, nulla de eadem re in
eundem diem conſultatio. S. §. 39. n. a. Doch war die
alte Einrichtung feiner. Man muß dieſe Gemeinen nicht
mit den Engliſchen verwechſeln. Dieſe ſind urſpruͤngliche
Freye und Hodeleute nach dem von mir §. 51. an-
gegebenen Charakter. Sie ſind neu, obgleich HVME
Hiſt. of Engl. T. II. app. 2. ihren Urſprung nicht ange-
ben kann, und haben ſich gleich unſern Deutſchen Staͤd-
ten durch die Decke gebohret, wovon in der Folge. Der
wahre Engliſche Gemeine ſitzt im Mannor und wird durch
den Lord repraͤſentirt, nachdem Wilhelm der Eroberer
ihn mit eben dem Fraͤnkiſchen Netze bezogen hat, womit
Carl der Groſſe die ſaͤchſiſchen Gemeinen befieng.
bar ihr Lehn bekommen haben. Dieſe ſind auch natuͤr-
licher Weiſe die aͤlteſten; und nach ihrem Nahmen wer-
den ſie jetzt alle Ritterliche Dienſtleute der Kir-
chen genannt.
nabruͤckiſchen ſind, wird es nur wie mich duͤnkt, dies-
ſeits der Weſer geben. Denn jenſeits ſpricht mehren-
theils der Edelmann auf dem Landtage fuͤr ganze verlie-
hene Rollen oder Gerichts-Doͤrfer; an ſtatt daß er hier
fuͤr einzelne eigne Wehren ſpricht, worunter oft von
funfzigen nur ein einziger Lehn, und gleichſam die Pen-
ſion iſt, womit man ihn, ehe die Landes-Hoheit bekannt
H 2war,
[116]Oſnabruͤckſche Geſchichte
war, zum Miniſterial Cirkel gezogen hat. Die Gemei-
nen jenſeits ſprechen auf dem Landtage per-impoſitos ju-
dices, an ſtatt daß dieſſeits die Eigner reden, welche
ad modum impoſitorum judicum oder an Dienſtmanns-
ſtatt angeholet worden. Jenes mag die Folge der ſtren-
gern Krieges-Ordnung ſeyn. S. §. 9.
ſie insgemein nur durch eine auf dem Reichstag bewil-
ligte Steuer veranlaſſet wurden. Da denn, falls der
modus collectandi nicht zugleich feſtgeſetzet war, zu Hauſe
mit Zuziehung der Gutsherrn das weitere regulirt wur-
de. Allein ſie werden ſich doch in der Geſchichte zeigen;
obwol bey weiten nicht ſo oft, als die Dom Capitular-
Miniſterial und andre Verſamlungen, welche wir jetzt,
da der groͤßte Theil der Gutsherrn in einem von dieſen
Collegiis ſitzet, mit jenen fuͤr eins nehmen.
wenn andre mit dazu gezogen werden: ſo liegt der Grund
davon in formula ſpeciali miniſterialitatis vel fœderum.
Das Kirchen-Lehn gehoͤrt vor den Lehn-Hof; und das
Domcapittel koͤmmt dazu nicht tanquam par curiæ, ſon-
dern als pars integrans Epiſcopi. Die echte Allode fuͤhret
fuͤr ſich in die Land-Friedens-Verſamlung, nicht aber
ins Capittel, oder in das Collegium miniſterialium. Der
Adel als Adel folget nicht einmal in die Reichs-Ver-
ſamlung, ſo lange dieſe curia Cæſaris iſt. Und was iſt
der jetzige Reichstag? Jſt er curia cæſaris? oder ſind es
comitia? Hat er ſich nicht eben wie der Landtag veraͤn-
dert? und haben nicht auch dort collegia officialium \&
curialium, populum verdrungen? Und wie viel fehlſame
Schluͤſſe werden nicht aus der Verwechſelung dieſer Be-
griffe gezogen?
ad ann. 804. Dies imponere war der Grund eines ganz
neuen Syſtems.
ſelben, womit Wilhelm der Eroberer, England feſſelte.
Sie verdienten verglichen, und in ihren beyderſeitigen
Wuͤrkungen berechnet zu werden. Die letzten hat MA-
DOX in Baronia Anglica, und in ſeiner Hiſtory of the Ex-
chequer, ſehr gut angefangen.
Reichs Laͤnder vorher unendliche Veraͤnderungen erlitten
hatten.
de auch der von Daͤnnemark ſeyn, wenn die Gemeinen,
wie ſie die mittlere Gewalt ſprengten und ihrem Koͤnige
die Souverainite uͤbertrugen, Zeit genug gehabt haͤtten
ſich zu bilden.
beypflichte, ſondern eine dritte Hypotheſe waͤhle, welche
meines Ermeſſens mehrere Schwierigkeiten hebt, als
eine von den andren. Die Rechte des allerhoͤchſten Reichs-
Oberhaupts haben ein groſſes Gewicht gegen diejenigen
welche ſich als Reichs-Vaſallen erkennen. Es ſind zwar
manche feuda oblata im H. R. Reich. Aber ſchwerlich
ſind dieſe oblationes etwas anders als dominia geweſen;
worunter man niemals ein jetzt alſo genanntes territo-
rium verſtehen, oder ſich ein regale, cum res mea mihi
non ſerviat, gedenken kann. Durch die Lehre de feudis
oblatis laͤßt ſich alſo wenig heben. Allein wenn die Reichs-
Fuͤrſten als Repraͤſentanten ihrer Gemeinen betrachtet
werden muͤſſen; und wenn die Gemeinen eine urſpruͤng-
liche Stimme haben, welche ihr allerhoͤchſtes Oberhaupt
hoͤren muß, immaſſen er ihnen denn auch noch in allen
Reichs-Abſchieden ſeinen gnaͤdigſten Gruß vermeldet: ſo
thut es ſo viel nicht zu der Sache, welche die Cæſarini
und Furſtnerii unter einander haben, ob dieſe Stimme
durch gewaͤhlte Landboten, oder durch belehnte
Reichs Fuͤrſten gefuͤhret werde.
die Plaggen zu ſchaufeln. Jn andern aber muͤſſen ſie
mit der Segede (einer hauenden Senſe) gemaͤhet wer-
den; weil dadurch mindre Narbe verſchwendet wird.
Wo der Graß-Anger ſparſam; und die Heide haͤufiger
iſt, liegt der erſte in Frieden; oder es ſind daſelbſt feſtge-
ſetzte Tage zur Nutzung verordnet, damit die gehoͤrige
H 4Maſſe
[120]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Maſſe gehalten werde. Die Zahl der Segede iſt nach
den Wahren beſtimmt; Eine Wahre darf daſelbſt nicht
verliehen oder zur Haͤlfte verſetzet werden. Man bedingt
ſich, daß neue Gruͤnde nur zum Holzwachs genutzet
werden ſollen, damit ihr Duͤnger nicht der Mark zur Laſt
falle. Wo mit Plaggen geduͤnget wird, kennt man faſt
gar keine Brache; ſaͤet Rocken nach Rocken; achtet we-
nig auf Winter- oder Sommer-feld, und hat folglich andre
Wirthſchaft, Contrakte und Rechte.
ferendum remolleſcere homines atque effœminari arbitran-
tur. CAES. de B. G. IV. 2. Vielleicht haͤtte die Einfuhr
des Weins eine Ausfuhr des Korns erfordert. Es ſey
aber dieſe oder jene Urſache: ſo ſieht man daraus, daß
ſie nach groſſen Grundſaͤtzen verfahren.
ter und Laſter, worinn kein Mittellaͤnder verfaͤllt. Von
dieſen heißt es: in eadem inopia egeſtate \& patientia per-
manent qua Germani, eodem victu \& cultu utuntur. Gal-
lis autem propinquitas \& tranſmarinarum rerum notitia multa
ad copiam atque uſus largitur. CAES. de B. G. VI. S.
auch MONTESQ. Eſprit. de Loix. XVIII. 4.
Suͤnde fuͤr einen Pfennig Erz, als fuͤr einen Thaler
Wolle zu entwenden; Den Unterſcheid der Religion nach
ſolchen Umſtaͤnden zeigt am beſten MAX. TYR. diſſ. 38.
als ein Sophiſt den Satz und Gegenſatz behauptet; aber
doch viel ſchoͤnes und wahres vorbringt.
frugiferarum arborum impatiens ſit.
protog. §. 47.
weſt. S. LAPPENB. Grundris ꝛc. in den vermiſchten
Abhandl. von Bremen ꝛc. T. I. p. 298.
lunæ natales? BVRNET. in theoria ſacra telluris I. 10.
in der Kritbecke Amts Wittlage ſind ſchwarz und hart.
Die aus der Mergel-Grube bey Aſtrup ſind gleichſam
nur in Mergel abgeformt. An der Graͤnze des Amts
Hunteburg, in dem Steinwerder- jetzt Stemmer-Berge,
welcher aus einem weichen Sandſteine beſteht, findet
H 5man
[122]Oſnabruͤckſche Geſchichte
man zwanzig und mehr Klafter tief verſteinerte Muſcheln,
Schnecken, Auſtern und andre Schalen von gleicher Art
mit den Steinen. Mehrer hier nicht zu gedenken. Die
Kohlengruben liefern ſchoͤne Rizolithes, Lithocalamos, Li-
thophylla, Phytotypolites; Die Kalkbruͤche ſchoͤne Belem-
nites, Trochites, Entrochites; und uͤberhaupt findet man
Cornua ammonis, Strombites, Eterites, Myſites, Oſtracites,
Myites, Rhomboites \& lapides Megaricos, oder ganze Klum-
pen von zuſammen gebackenen Schalen. S. GOETZII
diſſ. de nummis XX. §. 60. p. 408. und LODTMANNI
monum. Oſnabr. p. 135. Die Muthmaſſungen daruͤber
ſind bekannt. Nur vielleicht die Erfahrung von Royer
de la Sauvagere nicht, welcher zu Chinon en Tourraine die
embrions der Muſchel-ſchalen zuerſt durch ein Vergroͤſſe-
rungs-Glaß in einem auf dem Boden des dortigen Spring-
waſſers ſich formenden Schleime entdecket haben will.
Sie ſollen hiernechſt in der ſteinernen Kruſte, welche ſich
uͤber dieſen Schleim anſetzt, zu allerhand Groͤſſen wach-
ſen; und ihren Saamen aus dem Waſſer haben; indem
ſonſt in der ganzen Gegend keine Muſcheln anzutreffen
waͤren. S. The Gentlem. Mag. May 1764. p 221.
infudiſſe paludibus a mari illuc uſque porrectis \& ab oceano
aditum admittentibus, anchoramque etiam magnæ navis ibi
repertam incolæ tradunt; ſed rupto monte fluvium dextror-
ſum poſtea iter feciſſe; quod \& chronica quædam Minden-
ſia confirmant, quorum tamen authoritate in remotiſſimis
parum tribuerim, niſi præſenti aſpectu firmentur. LEIBN.
l. c. §. 40.
ren oder Fichten. An einigen Orten ſoll eine Art Theer
aus der Erde quillen. Faͤnde dieſe Quelle ein graues
Mohr, welches dieſelbe einſoͤge: ſo wuͤrde daraus ein
ſchwarzes werden. Und vielleicht entſtehen ſolche Quel-
len aus umgeſtuͤrzten Waͤldern. Jn dem grauen Mohr
zeigen ſich Heide-Gewaͤchſe in ihrer vollſtaͤndigen Figur,
oft
[124]Oſnabruͤckſche Geſchichte
oft anderthalb Fuß hoch aufrecht und als verſchlemmt.
Bey dem ſchwarzen Torf, der an den Raͤnden ſitzt, und
mehr gelaͤutert iſt, laͤßt ſich beſſer als bey Stein-Kohlen
ſchmieden.
hebt ſich nach, und das Regenwaſſer, welches auf dem
feſten Sand-boden ſtehen bleibt, tritt unter die leichtere
Kruſte; gleich denn auch ein guter Sand-freyer Torf
leichter iſt als das Waſſer.
ſcere. S. SKINNER h. v. und jetzt to Quake eben das.
S. JOHNSON. Earth quake iſt daher Erdbeben; Qua-
ker trembleur; und das Weſtphaͤliſche Quakler ein fre-
quentativum davon; andrer Worte nicht zu gedenken.
Die Griechen, welche eine Niederſaͤchſiſche Mundart
hatten, ſprachen durchgehends Καυχο͂ι; die Lateiner aber
bald Chauci, bald Cauchi, bald Caici, eben wie wir Kaͤuch-
ler ſprechen; wo die Oberſachſen Gauckler ſagen. Ein
Weſtphaͤlinger fuͤhlet leicht, daß es beyden Nationen un-
moͤglich geweſen den wahren Ton des Worts anzugeben;
weil ſie nicht einmal den rechten Vocal, der nach Schwe-
diſcher Art ein a mit einem daruͤber ſtehenden u ſeyn
muß, dazu hatten. Jn der Ausſprache des Worts
Kake braucht der Weſtphaͤlinger ein u, ohne daß man
unterſcheiden kann, ob es vor oder nach dem a ſtehet.
Spaͤter hat man ſich mit dem Qu, welches die Grie-
chen und Deutſchen nicht hatten, geholfen.
hoͤhere See unter die Kruſte; und hob ſie. Noch jetzt
giebt es dergleichen ſchwimmende Aecker an der Weſer,
wo man mit Menſchen pfluͤgen muß, weil die Pferde
durch die Kruſte fallen. Das Land bebt auch in Oſt-
friesland noch dergeſtalt, daß wenn man im Sommer bey
trocknen Wetter daruͤber faͤhret, die Baͤume an den We-
ge, von dem Getoͤſe des Wagens zittern. Die Hollaͤn-
der kennen ebenfalls noch Beveland. Aus dieſem Ge-
ſichts-punkt wird folgende Beſchreibung deutlich: Littora
Chau-
[125]zweyter Abſchnitt.
Chaueorum obtinent quercus ſuffoſſæque fluctibus aut pro-
pulſæ flatibus vaſtas complexu radicum inſulas ſecum aufe-
runt \&c. PLIN. in hiſt. nat. XVI. 1. Vielleicht nennt
TAC. Ann. II. 23. in gleicher Abſicht die dortige Kuͤſte:
tumidas germaniæ terras. Hiedurch muß ſich obige Ab-
leitung auf das vollkommenſte rechtfertigen. Ueber die
Kuaken-Bruͤcke, wobey ſpaͤter eine Stadt gleiches Nah-
mens in unſerm Stifte entſtanden iſt, geht kenntlich die
groſſe Deutſche Heer-ſtraſſe in das jetzige Fries- und eh-
malige Kuak-Land. Und Bruͤcken und Thore werden
insgemein nach den Gegenden benannt wohin ſie fuͤhren.
Anmerkung, welche die Erfahrung uͤberall beſtaͤtiget;
und im Schatzweſen findet man, daß alle Heide-Doͤrfer
geſchwinder bezahlen; als andre. Die Urſache iſt auch
begreiflich. Der auf der Heide ſucht aus vierzig Quel-
len, was der andre aus einer nimmt. Jenen raubt ein
Ungluͤck zur Zeit nur 2 von 40; dieſen ein Mißwachs
alles. Jenen kann der Steuer-Einnehmer nicht aus-
meſſen; der Gutsherr nicht ergruͤnden; und der Kraͤmer
nicht verfuͤhren, weil er bey Pfennigen einnimmt, und
alſo auch den Wehrt eines jeden Pfennigs kennet. Die-
ſer hingegen aͤrndtet, ißt und trinkt im Groſſen; ver-
achtet die Allmoſen der Natur; und wird leicht ſtolz und
faul. Jn unſerm Stifte iſt es ſichtbar: Auf keinem gu-
ten Boden faͤllt ein Stuͤck Linnen.
zeigen, daß die jetzige Schaafzucht gegen die alte, in den
ſo genannten Barbariſchen Zeiten, wo der Handel bluͤ-
hete, und noch keine Buͤcher fuͤr die Schaͤfer geſchrieben
wurden, wie 1. zu 8. ſtehe; woran 1) der Verfall der
Hanſeatiſchen Handlung S. HASTFER von der Zucht
und Wartung der Schaafe in der Vorrede p 6. 2) Der
Verfall der Schaͤfer-Kunſt (Ahlſtroͤm nennt es mit
Recht hemliga Konſter) 3) Das daher erfolgte oͤftere
Sterben ꝛc. ꝛc. mehr Schuld haben, als 4) die Ab-
nahme der Heiden und 5) die Bepflanzung der Berge.
Denn es giebt die groͤßten Schaͤfereyen in Laͤndern ohne
Gemeinheiten, ohne Heide und ohne Berge.
vom
[127]zweyter Abſchnitt.
vom 29. April 1720 verboten: „Nachdem, heißt es
„darin, ſeit einigen Jahren wahrgenommen worden,
„daß in dieſem unſern Fuͤrſtenthume ſo wohl als den
„benachbarten Landen die Heiden und Torf-Vennen um
„etwa Buchweitzen darin zu ſaͤen oder ſonſt, im Fruͤh-
„jahr von den Unterthanen angezuͤndet werden; und
„dann -- Geſtank ‒ Rauch ‒ Menſchen und Vieh ‒
„auch Frucht und Obſt-Baͤumen, insbeſondre dem Eich-
„baume ſehr ſchaͤdlich ſeyn ſoll. Als ꝛc. ꝛc. Der au-
genſcheinliche Nutze ſtraͤubte ſich aber gegen das Geſetz.
Der Bauer bezahlte die Strafe und brannte. Und die
Strafe hat ſich in eine jaͤhrliche Abgift unvermerkt ver-
wandelt. Der Marquis de Turbilly in ſeinem Memoire ſur
les defrichemens ſagt davon: Quant a la facon de deſri-
cher les marais, la plus convenable eſt ſans doute pour
quelque production qu’ on les deſtine, de les ſaire ecobuer
\& bruler; l’ operation du feu parlaquelle ils ont encore
plus beſoin de paſſer que les autres terres, les rend d’ une
fertilité ſurprenante. Je l’ ai experimenté dans ceux que j’
ai mis en valeur de cette maniere; il y aurait bien de
choſes a dire ſur cet article des marais. S. Recueil de
memoires concernant l’ economie rurale. T. I. 4. p. 925.
Obige Verordnung zeigt, daß das Anzuͤnden damals
erſt neuerlich angefangen und ſich geſchwind ausgebrei-
tet habe. Jch bemerke dabey daß der Bauer nuͤtzliche
Neuerungen geſchwind genug faſſe; und daß man mit
Unrecht uͤber ihn klage, wenn er langjaͤhrige Erfahrun-
gen unſichern Vorſchlaͤgen vorziehet. Die nuͤtzlichen Kar-
tuffeln haben ſich geſchwinder ausgebreitet, als die
Maulbeerbaͤume; und ſo lange ihm das Flachs bauen
gutes Brod giebt; wird er nicht wuͤnſchen Seide zu
bauen um Caſtanien zu eſſen.
Mergel geduͤngt zu haben. Vbios gentium ſolos novi-
mus, qui fertiliſſimum agrum quacunque terra infra tres pe-
des effoſſa \& pedali craſſitudine injecta lætificent. PLIN.
in hiſt. nat. XVII. 8. Doch da Plinius ſchwerlich recht
zu geſehen, wenn er pedalem craſſitudinem, und quam-
cun-
[128]Oſnabruͤckſche Geſchichte
cunque terram angiebt, ſo koͤnnen es auch Plaggen gewe-
ſen ſeyn. Und alſo waͤre dieſe Mode ſehr alt.
Piesberge; aber bloß zu ihrem Kalk-Ofen. Der Lan-
des Herr hat eine zu Borgloh, welche hauptſaͤchlich dem
Salzwerke dienet. Das Kloſter Oeſede und einige Bauren
haben noch dergleichen, und ſind mehrere im Stifte,
wenn ſie nur geſucht und gebauet wuͤrden. Die Stein-
kohlen fuͤr Oefen und Camine werden aus der Graf-
ſchaft Tecklenburg gezogen. Wir koͤnnten ſie aber wol
ſo gut und naͤher finden.
feſten ſchwarzen Marmor mit weiſſen Adern verarbei-
ten. Weiſſen oder grauen trift man am Duͤſtrupper-
Berge; ſchwarzen im Kirchſpiel Buer; und wilden uͤ-
berall an. Wie auch Sand-Kieſel-Horn-Duch-
und vielerley Kalk-ſtein.
iſt das Stift im Jahr 1035 von dem Roͤmiſchen Koͤnig
Henrich beliehen; wovon zu ſeiner Zeit. Es ſind keine
Gang-ſondern nur Floͤtz-Gebuͤrge.
ſen-Huͤtte auf der Graͤnze zum Heſſeldieck.
bloß, giebt es auf dem Schinkel-berge, auf der Kluß,
dem Penter-Knap, zu Gaſte und an andern Orten.
ſeyn; man findet ihn auf dem Schinkelberge, Glimmer
und allerley Stuͤcken von Felß ſteinen uͤberall.
in der Scheplers Steingrube bey der Stadt Oſnabruͤck,
und bey dem Kalkofen daſelbſt.
beſte Sammlung bey dem Herrn Stadt Secretair Meu-
ſchen.
nem Werke belegt worden. Nach ſeinem Tode wollte
man es gern als ein regale beym Stifte behalten; weil
aber der Ort von J. K. H. angekauft; und das Werk
auf eigne Koſten angelegt war: ſo wurde endlich ver-
glichen, daß der Funfzehnte jedesmal an die Biſchoͤf-
liche Cammer davon geliefert werden ſollte. S. JVNG.
de jure Salin. III. §. 16. n c p. 149. Jetzt alſo gehoͤrt
es dem Hauſe Braunſchweig-Luͤneburg. Zu Laer hatte
eben
[131]zweyter Abſchnitt.
eben gedachter Biſchof eine ſchwaͤchere Quelle gefunden
und verlaſſen. Die Herrn von Buſſche zu Huͤnnefeld
haben auch ſeit 1447. eine Salzſuͤtte auf dem Eſſener-
Berge, in ihrem Kaufbriefe.
fahren die Emſe hinauf bis Leer; auch wol bis Eider.
Von dannen wird jetzt ihre Ladung in Boͤten bis nach
Haſeluͤnne oder dem Ellerbruche, wohin ein Buſem
aus der Emſe geht, gefuͤhrt, und weiter auf der Achſe
ins Stift gebracht; da ſie doch wenn man nur zwey
Bruͤcken bey Loͤningen im Muͤnſteriſchen erhoͤhete, bis
nach Quakenbruͤck zu Waſſer gebracht werden koͤnnte.
Beſonders aber koͤnnte die Haſe genutzet werden, wenn
ſie durch das ſo genannte weiſſe oder weite Feld,
einer wuͤſten Gegend von etlichen Stunden im Amte
Voͤrden geleitet wuͤrde. Zwiſchen dem Orte wo ſie her-
ein- und heraus-gefuͤhret werden koͤnnte, lieget und lei-
det keine Muͤhle.
Luͤneburger Salz von Delmenhorſt auf Diepholz, und
ſo weiter bis in die Hunteburg gefuͤhret worden, wo ein
zeitiger Biſchof noch ſeinen eignen Salz-ſchiffer wohnen
hat, der die Freyheit dafuͤr genießt. Allein man will
dieſe Farth nicht beguͤnſtigen; und ſo hat ſich der Korn-
Handel, welcher ſonſt den Zoll zu Diepholz betraͤchtlich
machte, voͤllig nach andern Seiten gewandt.
weiter. Jm Jahr 1764 ſtieg er bis an die Stadt Os-
nabruͤck, welches ſeit Menſchen Gedenken nicht geſchehn.
Lande. Aller gemeiner Kaͤſe und viele Butter koͤmmt
daher, oder aus Jrrland.
in Welſch- und Teutſchland unterſchiedlich geſprochen wird.
ihrer Unterthanen von einer groſſen Art belegt werden;
und bisweilen erſtreckt ſich auch dergleichen Vorſorge auf
Sand- und Heide-Laͤnder, gegen die Local-Vernunft.
Auf der Heide braucht ein Pferd nicht ſchaͤrfer als ein
Zug-Ochſe gefuͤttert zu werden; oder die Haushaltung
wuͤrde ſchlecht beſtehn. Sand-Land iſt leicht zu pfluͤgen;
aber muͤhſam zu bereiten und zu verarbeiten.
Unterthanen; und Rouſſeau haͤtte es den Wiſſenſchaften
anrechnen koͤnnen, daß ſie die edle Jagd-Luſt verdrungen
haben. So wie das Holz wieder zunimmt; finden ſich
auch die wilden Schweine haͤufiger an.
Schnepfen, Hortolans, Krammets-Voͤgeln ꝛc. ꝛc.
leſen, daß es die Mohren in dem innerſten Africa mit
Nahmen gefordert haͤtten.
Faden von Hanf breiten ſich ſo gut als 24 von Flachs. Wel-
ches um deswillen zu wiſſen noͤthig, damit der Geſetzge-
ber, die Anzahl der Faden nicht uͤbereins beſtimme;
und damit koſtbare Veraͤnderungen der Weber-Kaͤmme
veranlaſſe. So befiehlt er bisweilen eine Verlaͤngerung
der Wagen-Achſen, ohne an die engen Thuͤren, Berg-
Holz- und Heide-Wege zu gedenken.
iſt dem Landmanne ſo wenig vortheilhaft als geſund.
Der Gebrauch des Oels bey der Wolle macht auch die
Haͤnde der Wollen-Spinner zu verſchiedenen Haus-Ar-
beiten unbequem.
alle Zeit dabey verlohren gienge: ſo wuͤrde der Land-
mann doch nicht leicht von einer Gewohnheit ab- und
ſein Geſinde, das er ohnedem halten muß, in den Zwi-
ſchen-Zeiten muͤſſig gehn laſſen. Und gegen dieſen Vor-
zug dauret keine Fabrick in der Welt. Drey Jahre
Mißwachs ſchrecken den Landmann nicht ab. Aber drey
Jah-
[135]zweyter Abſchnitt.
Jahre haͤlt ſich keine Fabrick, ohne Abſatz, und mit
Schaden.
the encouragement of Arts Manufactures and Commerce 8.
London 1763. ſind p. 54. n. 254 demjenigen 100 ℔ St.
verſprochen der eine ſichere Menge Oſnabruͤckiſch Linnen
eben ſo gut und eben ſo wohlfeil in England, als hier
im Lande liefern wuͤrde: To the perſon who ſhall reveal
to this Society, the cheapeſt and moſt effectual method of
cleanſing or Whitening the Flax, for making that Kind of
British or Irish Linnen called Brovvn Oſnabrucks, ſo as to
be of the ſame colour as the foreign Brown Oſnabrugs one
hundred pownds.
Pfaͤlziſche, Coͤllniſche, Cleviſche ꝛc. und kann, wie leicht
begreiflich, in einer Fabrik zur Wolluſt theurer genutzet
werden, als in einer zur bloſſen Nothdurft. Daher
mißlung der Verſuch einiger Englaͤnder, welche 1763
das Garn aus Weſtphalen kommen lieſſen, um das We-
ber-Lohn zu gewinnen. Das Garn ſteigt bisweilen hoͤ-
her als das Linnen, wenn es ſtark geſucht wird. So
wie aber mehr Hemder als Baͤnder erfordert werden:
ſo wuͤrde es ſehr unſicher ſeyn, den Weber-ſtuhl zu ver-
laſſen.
Rechnung wahr, daß ſeit 1730 ſiebzig Millionen Thaler
aus Weſtphalen allein in die entfernten Hofcaſſen jen-
ſeits des Rheins und der Weſer gefloſſen, wovon nichts
zuruͤck gekommen iſt. Was wir uͤberdem an Nothwen-
digkeiten und Ueberfluß aus der Fremde gezogen haben,
muß ſich kenntlich auf eine weit groͤſſere Summe belau-
fen; da wir nun beynahe nichts ausfuͤhren: ſo muͤſſen
dieſe Gelder mehrentheils vor Linnen eingegangen ſeyn.
Pflicht; und man hat auch wol in auſſerordentlichen
Faͤllen davon etwas beytragen laſſen. Zu wuͤnſchen aber
iſt es, daß ſie jederzeit frey bleiben moͤgen.
geſtatten. Allein ſo bald ſich ein Handel auf wenige
Perſonen concentrirt, entſteht leicht Zwang und nur
eine Art des Abſatzes; da denn ein Stoß, ein Fehler,
ein Erdbeben von Liſſabon, die ganze unerfahrne Men-
ge, um ihre Augen bringt.
35 wurden ehedem auf dasjenige wieder gut gethan,
was nach den Engliſchen Colonien ausgefuͤhret wurde;
ſo lange die Franzoſen noch in Canada waren. Seit
dem ſich aber dieſe Concurrenten dort verlohren, werden
faſt nur noch 30 gut gethan; und man war waͤhrend
der Parlaments-Sitzung vom Jahr 1764 ſtark darauf be-
dacht die 40 p. C. ganz einzubehalten, und ſolchergeſtalt
die Wilden, welche das Linnen gebrauchen, und dem
Staat ſonſt keine Abgaben entrichten, indirecte zu dem
Unterhalt der Amerikaniſchen Etabliſſements beytragen
zu
[137]zweyter Abſchnitt.
zu laſſen; oder ihnen das Schottiſch- und Jrriſche Lin-
nen, welches eben ſo theuer und ⅓ ſchlechter iſt, ange-
nehmer zu machen. Folgende Gruͤnde waren dagegen:
1) Das Verbot des Cammertuchs ꝛc. habe den ehmali-
gen ſtarken Abſatz der Engliſchen Waaren in Flandern
hintertrieben; weil man auf die Dauer keinen Handel
nach einem Lande fuͤhren koͤnnte, woher man nichts zu-
ruͤck naͤhme. S. MVNN in Engl. treaſure. c. 15. Und
dieſes Schickſal haͤtte England in Deutſchland auch zu
fuͤrchten, ſo bald es keine Schleſiſche und Weſtphaͤliſche
Linnen mehr naͤhme. 2) Wuͤrden zwar auf dasjenige,
was aus England uͤber Lißbonn und Cadir nach Jndien
gienge die 40 p. C. faſt ganz wieder gut gethan; Allein
da die Regiſter-Schiffe ihre groſſe Beſchwerde haͤtten,
und die Verſuchung zum unmittelbaren Handel nach den
Spaniſchen Colonien aus Nordamerika gar zu ſtark
machten: ſo waͤre es bedenklich eine gar zu groſſe Be-
ſchwerde auf das Linnen zu legen, was nach den Engli-
ſchen Colonien gienge. Der Schleich-Handel nach den
Spaniſchen Jndien ſey zwar verboten. Allein dies Ver-
bot koͤnne nicht beſtehen, ſo lange die Hollaͤnder Cni-
raſſeau haͤtten. Denn dieſe, welche keine 40 p. C. zu
entrichten haͤtten, wuͤrden es bald von dorther heimlich
den Spaniern zufuͤhren, ohne ſich der Regiſter-Schiffe
zu bedienen. 3) Sey Englands Jntereſſe in dieſem
Stuͤck von dem Vortheil der Stadt London, welche den
groͤßten Einfluß in ſolche Entſchlieſſungen hat, zu ſehr
unterſchieden. Letztere wuͤrde dabey verliehren, wenn
Schottiſch und Jrriſch Linnen unmittelbar nach den
Colonien gienge. Sie gewoͤnne aber, ſo lange das Lin-
nen uͤber Bremen und Hamburg zu ihr kaͤme, und keine
andre Haͤfen ſuchte; letzteres geſchaͤhe ſo leicht nicht,
weil man dahin keine Stuͤck-Frachten haben koͤnnte ſon-
dern eigne Schiffe ſenden muͤßte. 4) Moͤgte den Hol-
laͤndern der Umſatz mit Spanien erleichtert werden, und
was jetzt an Spaniſchen Producten zum auswaͤrtigen
Handel zuruͤck kaͤme, auf Holland gehen. 5) Moͤgten
auch endlich die Deutſchen Fuͤrſten alle Engliſche Manu-
J 5factu-
[138]Oſnabruͤckſche Geſchichte
facturen zum Vortheil der einheimiſchen beſchweren;
und ſolche uͤberdem von ſelbſt 6) theurer in Deutſchland
werden, wenn man kein Linnen daher zuruͤck nehmen,
und folglich die ganze Fracht auf eignes Gut rechnen
muͤßte.
andrer Feld- und Garten-Arbeit; ſie gehen auch in die
Brau-
[139]zweyter Abſchnitt.
Brauereyen, Thran- und Zucker-Siedereyen, imgleichen
auf den Herings- und Wallfiſch-Fang. Es iſt wunder-
bar, daß die Tyroler in Weſtphalen; die Weſtphaͤlinger
in Holland; die Flaͤminger in Frankreich; die Franzo-
ſen in Spanien ꝛc. auf dieſe Art ihr Brod erwerben.
Le calcul le plus moderé fait monter à 20 000 le nombre
des François, qui paſſent en Eſpagne au tems de la moiſſon,
\& à 8 Piſtolles du Roiaume, la ſomme que chacun d’ eux
emporte après la moiſſon faite. MAVBERT dans le teſt.
polit. du Card. Alberoni ch. 2. p. 27. Man rechnet aber
in Weſtphalen nicht hoͤher als 30 ‒ 60 Guͤlden welche
ein Mann zuruͤck bringt.
Faͤlle gebe, wo man ſich mit zehntauſend Thaler in den
Leib-eigenthum kaufe. Jndeſſen ſind ſie doch vorhanden,
und keiner wird leibeigen umſonſt. Hierin nimmt ſich
der Weſtphaͤliſche Leib-eigenthum merklich vor dem Meck-
lenburgiſchen aus; und die Rechtsgelehrten irren unge-
mein, welche zwiſchen beyden auch nur die geringſte Ver-
gleichung anſtellen. Der Mecklenburger iſt ein leib-
eigner Heuermann, der hieſige aber ein leibeigner Erb-
Zinsmeyer. Jener wird von ſeinem Herrn in die Lan-
des- und Kriegs-Fuhr geſchickt, als ein gemietheter
Knecht; dieſer wird aufgeboten als ein Unterthan des
Staats; jenen ſtraft, pfandet, verſteuret, beſtellt, und
richtet ſein Herr, und er wird als ein Geſinde ange-
nommen und entlaſſen; dieſen ſtraft, beſtellt und richtet
das Amt, und er verſteuret ſein Gut ſelbſt. Jener iſt
ein uͤberwundener Mann, dieſer ein Contrahent. Jm
Mecklenburgiſchen haftet der Bezirk, worin der Leibeigne
ſitzt, dem Staat, und adliche Guͤter werden daher zu 4
bis 5 p. C. verkauft. Jn Weſtphalen haftet das Edel-
gut nicht, und man kauft es daher zu 2 bis 3 p. C. auch
wol darunter.
ohne zu Markte zu gehn, an ſeine Beywohner abſetzen.
und daruͤber greifen ſie ſich bey einer elenden Koſt, und
einem
[140]Oſnabruͤckſche Geſchichte
einem ſchlechten Lager, ſo geitzig an, daß ſie es nicht
lange aushalten.
mer, wie den Edelmann zu Grunde richtet. Noch vor
zweyhundert Jahren wuſte man bey den einem ſo wenig
als bey dem andern, etwas von Gleich-theilungen,
Pflicht-theilen und dergleichen. Jn Sachen Gerdrut
v. d. Buſſche Wittwen von Cracht, contra weyland Cla-
mor v. d. Buſſche nachgel. Wittwe und Kinder ſind 1593,
170 Muͤnſteriſche, Oſnabruͤckiſche und benachbarte Dom-
capitularen, Edelleute, Edelfrauen und Richter uͤber die
Gewohnheit der adlichen Abſteuern von der Fuͤrſtl. Ge-
neral Commiſſion eidlich vernommen worden, welche al-
le ſagen: 600 bis 1000 Goldguͤlden waͤren ſo zu ihrer
Zeit die groͤſte Abſteuer einer adlichen Tochter geweſen;
deren Verbeſſerung die Eltern niemals durch Teſtamen-
te verordnet haͤtten, weil ſie dergleichen nicht gemacht,
und dem Land-Rechte ſeinen Lauf gelaſſen haͤtten, wenn
Kinder vorhanden geweſen waͤren. Daß man jetzt andre
Meinungen, Moden, Pflicht-theile und Teſtamente hat,
iſt zum Theil die Folge einer entdeckten neuen Welt.
Denn von der Zeit an, da man viel Geld beſitzen und
auch vieles ſchuldig ſeyn konnte, datirt ſich die Unbillig-
keit worinn abgehende juͤngere Soͤhne und Toͤchter ihre
Forderung, oder Eltern ihre Befugniß ihnen ein meh-
rers zuzulegen gruͤnden. Manches Roͤmiſche Recht in
Anſehung der Erbſchaften entſtand erſt bey der Zunahme
des baaren Reichthums; und ſollte nicht gelten, wo
liegendes Vermoͤgen die ganze Erbſchaft ausmacht.
Das gemeine Beſte erfordert, daß der Land-eigenthuͤmer
im Stande bleibe; und die Gerichts-Hoͤfe ſollten die
Auslobungen abgehender Kinder, ſo wie jetzt geſchieht,
nicht beguͤnſtigen; am allerwenigſten aber freye Guͤter
gegen den hoͤchſten Bot anſchlagen, und unter Kindern
darnach theilen laſſen. Der Krieg von 1758 bis 1762
hat gewieſen wie wenig das durch die Auslobungen ent-
kraͤftete liegende Gut, den oͤffentlichen Laſten gewachſen
war;
[142]Oſnabruͤckſche Geſchichte
war; und waͤhrender Zeit dieſes alle Beſchwerden trug;
fluͤchtete der Abgefundene in Holland, oder ſaß ſtill zur
Heuer.
Errichtung der hieſigen Brand-Caſſe die Frage ob man
die einzelnen Wohner nicht in eine beſondre Klaſſe brin-
gen, oder den Beytrag der Stadt- und Dorfgeſeſſenen,
jedesmal um ein drittel verhoͤhen wollte. Man glaubte
aber, daß die gute Anſtalt und geſchwindere Huͤlfe, wel-
che letztere bey einer Feuersbrunſt haͤtten, gegen die
groͤſſere Gefahr, der ſie unterworfen waͤren, aufgerechnet
werden koͤnnten.
Nebenhaͤuſer, worinn insgemein zwey, auch wol vier
Fami-
[143]zweyter Abſchnitt.
Familien wohnen, wenn das Haus in der Quer durch-
geſetzt, an beyden Enden offen, und jeder Familie eine
Seite angewieſen iſt.
zu verbieten oder ihn einzuſchraͤnken. Erſters geht aber
hier nicht wol an, weil man dadurch den Handel der
Hauptſtadt zuwenden wuͤrde, die zu gemeinen Landes-
Ausgaben gewoͤhnlich nichts beytraͤgt. Letzters aber iſt
der Weg zu Privilegien, Monopolien und Verpachtun-
gen.
12 bis 16 Weinſchenken. Dies verfuͤhrt im Kriege die
Soldaten ihre Wirthe in Unkoſten zu ſtuͤrzen; und das
Herzogl. Braunſchw. ſo genannte Tuͤrken-Corps genoß
1763 an einem Tage fuͤr mehr als tauſend Thaler Cham-
pagne Wein, weil er im Dorfe feil war.
Erb-Wohn Haus an der Heer-ſtraſſe ſehen; und man
ſollte keinem der daran bauete einen Krieges-Schaden
verguͤten. Der Gewinn von der Heer-ſtraſſe im Frie-
den ſollte ihn wegen ſeines Verluſtes im Kriege ſchad-
loß halten. Es waͤre in einem Kriege den einzelnen
Wohnern, welchen als Land-Eigenthuͤmern die Laſt auf-
liegt, nicht zu verdenken, wenn ſie alle Doͤrfer in Brand
ſteckten. Das ne pati quidem inter ſe junctas ſedes war
die Maxime eines Volks, das keine Veſtungen und kei-
ne Neſter fuͤr ſeine Feinde bauen; ſondern bey ſeiner
Ankunft ſich in die Gebuͤrge begeben, und ſeinen Vor-
theil ablauren wollte. Das war auch das einzige und
gluͤckliche Mittel, wodurch ſie es den Roͤmern ſo ſauer
machten.
Zoll, kein Licent, keine Acciſe, ſondern bloß 1 Thaler
Trafiken-Geld und einen geringen Wagen-Zoll.
pen halten moͤge. Ein zeitiger Biſchof hat an derglei-
chen dem gemeinen Weſen in die Futterung gegebenen
Leuten keine ſonderliche Freude; und haͤlt lieber eine
eigne Garde oder ein eignes Regiment. Da denn oft
der unnoͤthige Unterhalt des erſtern die Urſache iſt, daß
man ihm das Vergnuͤgen von letztern nicht hinlaͤnglich
verſchaffen kann.
den 56 Ruthen, oder ein Scheffel-Saat, ſo wie es noch
wild da lag, fuͤr 100 Thaler angeſchlagen und uͤberlaſ-
ſen, weil man nicht haben wollte, daß die Leute ſich bey
Kdem
[146]Oſnabruͤckſche Geſchichte
dem hoͤchſten Bot das Land einander uͤbertheuren ſollten.
Vor hundert Thaler kauft man anderwaͤrts faſt doppelt
ſo viel Acker-Land.
ſigem Mittel-Lande nicht hoͤher als zu ein oder hoͤchſtens
anderthalb Thaler genutzet werden koͤnne; und das Gar-
ten-Land wird allemal doppelt ſo hoch gerechnet. Gleich-
wol wurden die Feld-Laͤndereyen eines Bauerhofes an
der Bomter Heide zu 3 Rthlr. 22 Mgr. fuͤr 56 Ruthen,
im Jahr 1763 meiſtbietend verheuret; und noch uͤber-
dem Winn-Gelder bezahlt.
Ordnungen, welche wol ehe zum Vortheil der Werbung
die Hollaͤndiſchen Zuͤge ganz verboten, oder diejenigen
ſo dahin gehen mit beſondern Steuern beleget haben,
betrachtet werden muͤſſen. Jhro Koͤnigl. Majeſtaͤt von
Preuſſen haben Dero, den Hollaͤndiſchen Staaten zu
nahe gelegne Provinzien, gegen ein gewiſſes Geld, von
aller Werbung befreyet.
Vorſehung darin an, daß die geringen Leute ſich ſo un-
bedachtſam verheyrathen.
der Text des Marquis von Mirabeau in ſeinem Ami des
hommes. Allein ohne Fabriken wuͤrde auch der Land-
mann weniger zu pfluͤgen, zu verkaufen und zu verſor-
gen haben. Jn den Zeiten, wo er keine Geldſteuren
bezahlte, und alles mit Naturalien verrichtete, konnte
es ihm gleichguͤltig ſeyn, ob auſſer ihm noch mehrere
Leute vorhanden waren. Er machte ſich in allen ſelbſt
fertig. Allein ſeitdem der Staat Geld fuͤr Dienſte und
Naturalien fordert, und eine gewiſſe Figur im politi-
ſchen Syſtem macht, hat er mehr Jntereſſe an einem
guten Markt, und an der Bevoͤlkerung, als er ſich ein-
bildet. Wo das Geſinde ſich mit geringem Lohn befrie-
diget, muß die Gelegenheit zum Heyrathen, und zum
Erwerb auſſer Dienſt ſehr rar, und die Fortpflanzung
ungleich langſamer ſeyn. Dies kann nun zwar dem Haus-
vater der alles auf ſich ziehet, ſehr angenehm ſeyn. Al-
lein der heutige Staat wuͤrde ſehr dabey leiden. Wenn
Holland uns die Zug-Leute dergeſtalt entzoͤge, daß ſie ge-
gen den Winter nicht wieder zuruͤckkaͤmen: ſo waͤre es
ein beſtaͤndiger Verluſt fuͤr uns. Jetzt aber da wir
hoͤchſtens nur 10 von 100 verlieren, gereicht es dem
Lande zum Vortheil, und da wir kein Exempel haben,
daß ein einziger Menſch aus dem Stifte, ſich als Colo-
niſt nach Amerika begeben hat; obgleich ſehr viele eine
Reiſe nach Oſtindien thun: ſo iſt der Zug nach Holland
zugleich ein Mittel jenes gaͤnzliche verlaufen der Leute
K 2wel-
[148]Oſnabruͤckſche Geſchichte
welches ſonſt nach unſerer Lage auf einem nicht ergiebi-
gen Boden ſehr zu beſorgen waͤre, zu verhindern. Ueber-
haupt aber ſieht man, daß alle Laͤnder, worin der Hand-
Lohn theurer iſt, die mehrſten Leute an ſich locken.
geprieſenen Nationen nicht, ihn mit Saͤngern, Tanz-
meiſtern und Comoͤdianten ꝛc. ꝛc. zu verſorgen. Die
Natur ſcheint ihm gleichwol eine anſtaͤndigere Rolle an-
gewieſen zu haben; und man ſieht taͤglich, daß von hun-
dert gehorſamen Dienern, keiner die Wuͤrde und die
Zuverſicht eines Bauren habe, der wie ein Quaker guten
Tag ſagt, und mit den vornehmſten Herrn ohne Verle-
genheit ſpricht. Man kann die Verbeugungen von einer
gleichen Anzahl Leuten in Holland und Deutſchland wie
1 zu 50 rechnen.
man ſagen, daß er der Bauer in ſeiner Groͤſſe ſey.
uͤberhaupt gemacht; ich glaube aber nicht daß in Weſt-
phalen mehr als anderwaͤrts uͤber Schuld- und Erb-
Sachen geſtritten werde.
der Gemeinheit mehr ausdehnen moͤge, verfuͤhret auch
den ehrlichſten Mann zu einigen Gegenanſtalten; wor-
unter eine Verhaͤltnißmaͤſſige gleiche Ausdehnung un-
ſtreitig die ſicherſte iſt. Man kann jeden Bauer nicht
zwingen eine Mauer oder eine lebendige Hecke um ſeine
Gruͤnde zu halten, und eine todte Hecke, oder ein Gra-
be ruͤckt leicht unvermerkt fort. Einige verſuchten es ſo
gar, die Thuͤrpfoſten nicht in die Erde ſondern gleich-
ſam auf Schlitten zu ſtellen, welche in einer Nacht fort-
geruͤcket werden koͤnnen. Dies iſt nun zwar verboten.
Allein die todte Hecke iſt ſo lange beweglich als noch
Raum zu Eroberungen vorhanden; und nie hat ein
Bauer gegen die Gemeinheit ſeine Graͤnzen in gerader
Linie.
und es iſt ganz natuͤrlich, daß diejenigen ſo zu einer Gilde
oder Geſellſchaft gehoͤren, ihre Verbindung und Wohl-
farth am beſten kennen, und allezeit bedenken werden,
daß dasjenige was dem einen Recht iſt, ihnen ſelbſt der-
maleinſt kein Unrecht ſeyn werde. Die Landes Obrig-
keiten ſollten daher die Frieden oder Gilden nur gegen
einander erhalten, ſie in modo procedendi dirigiren, und
dahin ſehen, daß ſie nicht incompetenter urtheilten: ſo
wuͤrden viele Proceſſe bald wegfallen.
Sunder-leuten mehr. S. §. 58. n. d. Beyde ſind auf
gleiche Weiſe der Weisheit oder der Willkuͤhr eines
Herrn unterworfen; da doch erſtere nur nach ihrer eignen
Abrede gerichtet werden koͤnnen.
den Schultheiſſen von dem Richter getrennet haben.
Und warum hat nicht noch jede Jnnung, jeder Friede
ſeinen beſondern Boten, Pfaͤnder oder Schultheiſſen?
Ein Mitglied der Geſellſchaft, wenn es Schulden macht,
unterwirft ſich ſeiner Verbindung. Die Erfuͤllung der-
ſelben erfordert keinen Richter, ſondern nur den Nach-
druck des Schultheiſſen.
Sundermann. Der Grund aber, warum der Ausſpruch
eines Richters, einen Klopsmann verbinden ſolle, iſt
nicht zu finden. Die Geſellſchaft, oder ihre erwaͤhlte
Schoͤpfen, haben ihre Befugniß ex pacto; und ihr Ur-
theil gilt nicht als Vernunft, ſondern als ein Zeugniß
der Abrede. Jn den mehrſten alten Abreden ſteht:
Wenn die Schoͤpfen die Streit-Sache nicht verſtehen,
ſo moͤgen ſie ſich des Rechts bey N. N. belehren. Hier
iſt wiederum eine Verbindlichkeit ex pacto, worin ſich
auch die Appellationes von einer Stadt an die andre gruͤn-
deten. Unbegreiflich iſt es daher auch warum nicht Par-
theyen, ganze Gemeinheiten und Laͤnder der Appellation
an
[151]zweyter Abſchnitt.
an die Reichs-Gerichte ſollten entſagen koͤnnen? Dies
Recht hat jede Geſellſchaft; und bloß in caſu fractæ pacis
vel denegatæ aut protractæ juſtitiæ tritt das Amt der
Reichs- und Landes-Obrigkeiten ein. Einige Reichs-
Staͤnde haben ein Privilegium de non appellando vom
Kayſer genommen; dies waͤre aber nicht noͤthig geweſen,
wenn alle ihre Unterthanen einmuͤthig darin gewilli-
get haͤtten. Wie weit der Kayſer die Einwilligung der-
ſelben ex plenitudine erſetzen koͤnnen, iſt hier nicht zu un-
terſuchen. Vor 300 Jahren iſt von keinem Holtings-
oder Goͤdings-Spruch in dem heutigen Verſtande appel-
lirt worden. Alle Obrigkeit ſteht wie der Prieſter S.
§. 39 bloß zwiſchen den Jnnungen.
vier Winde weitlaͤufige Waͤnde, viele Daͤcher, Staͤlle
und Scheuren, und der Wirth nebſt einem Scheuren-
Vogt reichen oft nicht hin die Aufſicht an allen Orten zu
thun. Die Wirthin ſitzt in einer Stube, und muß bey
jeder Eroͤfnung der Thuͤr ihren Stuhl verlaſſen. Des
Abends koͤmmt das Geſinde aus der Luft in die Stube,
und ſchlaͤft nach einer nothwendigen Folge beym Ofen ein.
ordnung einfuͤhren, um die Gefahr vor Feuer zu ver-
meiden. Schwerlich aber iſt ein Exempel anzugeben,
daß die Diele vom Heerde Feuer gefangen habe, und
wenn auch jaͤhrlich eine Feuersbrunſt daher entſtuͤnde:
ſo wuͤrde dieſes Ungluͤck in Vergleichung jener Vortheile
keine Ruͤckſicht verdienen.
ni \& quibusdam Græcis fama notam eſſe video, quam illi
Orciniam appellant, Volcæ Tectoſages occuparunt atque
ibi conſiderunt. CAES. de B. G. VI. Beylaͤufig bemerke
K 5ich
[154]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ich hier, daß dieſe Volcæ Tectoſages, welche in der Folge
Hochlaͤnder oder Chatten genannt wurden, bloß nach
griechiſchen Begriffen, welchen Caͤſar hier folgt, aus
Gallien geholet werden. Denn allem Anſehn nach mu-
ſten die alten Bewohner der Oriciniſchen Gebuͤrge, die
nachherigen Uſipeter, Tenkterer und Batavier, den Vol-
cis Tectoſagis, welche ſich in den Schwaͤbiſchen Bund ein-
lieſſen, weichen; und dieſe Bundsgenoſſen waren den
Griechen lange Zeit Gallier. Was aber die Orciniſchen
Gebuͤrge anlangt: ſo bedeutet ar er ir or ur in allen
Sprachen die ich kenne, quodlibet extremum; ſo wol im
eigentlichen als figuͤrlichen Verſtande, und folglich das
Hoͤchſte und Niedrigſte, Anfang und Ende, Ehre und
Schimpf, roth und ſchwarz ꝛc. Alſo iſt z. E. Ar-arat
die Hoͤhe aller Hoͤhen; Ara das Hoͤchſte; jeder Nahme
in ar, wie Arſaces, Arſinoe ein Fuͤrſtlicher Nahme; A-
riſta die Spitze, Aur-ora prima primæ diei, Aurum pri-
mum metallum \&c. Era der Anfang, Ehrehonor,
Erdemateria prima,Herrſummus, Orbis, Urbs
Erbſequidquid undique terminatur;Erbe, Orbar
quod originarie \& non derivative poſſidetur, Orcus, erebus
ultimum, oriri entſtehn, Orcinia entweder das hohe oder
das aͤuſſerſte Gebuͤrge, Ora die Kuͤſte, Ohrextremitas
capitis,Ohrband das aͤuſſerſte Band, Oriflamma die
hoͤchſte oder Reichs-Fahne, Urſachecauſa prima \&c.
ich koͤnnte noch tauſende von Woͤrtern anfuͤhren, worin
dieſes handgreiflich iſt, beſonders auch aus den Hebraͤi-
ſchen und Griechiſchen. Da das r. ſich leicht in t, l. und
s verwandelt: ſo geht dieſes noch weiter; allein nicht
mit gleichen Vortheil, weil ſich zuletzt zeigt, daß, ſo wie
alle unſre Jdeen von der Figur der Dinge entlehnt ſind,
alſo auch faſt alle radices vocum in allen moͤglichen Spra-
chen, auf Laͤnge, Breite, Hoͤhe und Tiefe hinausgehen
muͤſſen. Die ſeltſamſten Fehler entſtehn aus der Ver-
wechſelung der eigentlichen und figuͤrlichen Bedeutung.
So bedeutet z. E. roth, hort, ort oder ἐϱιϑ: zu-
gleich das aͤuſſerſte, und auch die hoͤchſte Farbe. Daher
wird
[155]dritter Abſchnitt.
wird quodlibet mare extremum, mit Recht rothes Meer
genannt, dabey aber nicht auf die Farbe gezielet. Gentes
extremæ ſind Ruſſi; und rothe Reuſſen ſind Ruſſorum
ultimi; wenn gleich hinter dieſen ſpaͤter noch roͤthere
Voͤlker entdecket worden. Die Jnſul Ε̕ϱύϑϵια, woraus
Herkules des Gerions Ochſen wegfuͤhrte, war zu der
Zeit ein ultima Thule wie Archangel portus ultimus. Und
ſelbſt Herkules heißt auf gut deutſch ein Jndien-
Fahrer, extremos qui currit ad Indos. Die Schrift-
ſteller brauchen es auch ſo, wenn ſie ſagen, ſi quis alius
Hercules \&c. ſi quis antiquior Hercules \&c. und Herculis
Columnæ ſind die aͤuſſerſten Gegenden. BOCHART. in
Geogr. Sac. I. 37. tadelt den Tzetzes mit Unrecht, daß er
die Heſperiſchen Jnſeln zu den Orcaden rechnet. Denn
ſie waren allerdings ſo lange Orcaden, als ſie die aͤuſſer-
ſten waren, und wie hinter ihnen neue entdeckt wurden,
waren dieſe Orcaden. Wenn er ib. III. 13. die Ruſſen
von dem Hebr: שאר Rhos oder Orhs caput ableitet; ſo
haͤtte er leicht ſehen koͤnnen; daß Rhos nicht bloß ſum-
mitatem ſondern quamlibet extremitatem; und ſo wol ini-
tium wie 1 Par. 14. 15; als finem anzeigen koͤnne. Ro-
mulus und Remus oder Ormulus und Ermus ſind Anfaͤnger
oder Stifter, und Roma iſt ſumma aut prima ſive metro-
polis. Der Beweiß iſt faſt a priori zu fuͤhren. Denn bey
den Hebraͤern iſt der Koͤnig Erithra, Edom, und Rom
wird Edom genannt. Die Rabbinen nennen ſo gar den
Pabſt Idumæum d. i. ſummum Metropolitanum. Roma iſt
per metath. Orma, und Ormus iſt eine Hauptſtadt, wie
Orosmade und Arosmade bey den Perſern das Hoͤchſte und
Niedrigſte.
1609. f. PAVSAN. in Phoc. p. 643. Ed. Han. 1613.
ſed gloria ingens veterisque famæ late veſtigia manent: ſo
ſchreibe ich dieſe der Cimbern damalige Geringheit den
Barrieren zu, wodurch ſie der Schwaͤbiſche Bund, oder
die Germanier in engere Schranken gezwungen hatten.
S. §. 77.
quoniam qui primi Rheni tranſgreſſi Gallos expulerint, ac
nunc Tungri tunc Germani vocati ſunt. TAC. de M. G. 2.
Jch begreife nicht wie das Letztere den Gelehrten habe
undeutlich ſcheinen koͤnnen. Tacitus ſagt: die jetzigen
Tun-
[157]dritter Abſchnitt.
Tungern hieſſen ehe ſie uͤber den Rhein ſetzten, Reichs-
genoſſen oder Germanier. Dies iſt ganz begreiflich.
Nur kam dem Tacitus dieſe Veraͤnderung fremd vor;
weil er die Bedeutung des Worts Germanier nicht ein-
ſehen, und ſich in der Urſache irren mogte.
aͤlteſten Zeiten. Anno IX Juſtini Imp. habens ſecum gen-
tes fortiſſimas quæ barbaro ſermone Herman nuncupantur.
S. IOH. ABB. Bicl. Chron. beym CANIS. T. I. p. 338.
Ed. Baſn. Man ſprach aber Cherman, wie Chatten,
Chennen, Chlodowig, michi, nichil. Es iſt alſo nicht
Germania oder Chermania ſondern Herimannia das rechte
Wort. Die Bedeutung des Worts Mania iſt oben §. 25
feſtgeſetzt, und Herimania iſt ohnſtreitig Heribannus wie
ebend. erwieſen iſt, und allenfalls durch die Stelle in l.
5. feudorum. Regalia autem ſunt Armanniæ, viæ publicæ
flumina, auſſer Streit geſetzt wird, indem hier Ariman-
nia pro Heribanno gebraucht iſt. Germania iſt folglich
Heribannus ϰατ ἐξοχην und Germani ſind Bannaliſten.
daß man zu der Zeit, wie die Grafſchaft noch unbekannt
war, Marko-mannie ſagen muſte, iſt deutlich. S. §. 25
n. a.
dem erſten Anlauf wiederſtehen konnte. Und die zahl-
reichen obgleich ſpaͤtern Durchbruͤche der Gothen, Hun-
nen ꝛc. ꝛc. zu deren Vorfahren oder Bundesgenoſſen ich
die Cimbern und Teutonen mitrechne, zeigen die Noth-
wendigkeit einer Markomannie, worin zum wenigſten
funfzigtauſend Mann allezeit fertig ſeyn muſten. Ohn-
ſtreitig muſte dieſe Macht einem einzigen und beſtaͤndi-
gen Feld-Koͤnige, Markgrafen oder Markboten (legato
ad Marcam, ſive Maraboduo) anvertrauet werden. Dieſe
Macht muſte eine der geſchwindeſten und ſtrengſten ſeyn,
weil ſie den Bund, oder die Germanie gegen ſtarke,
ploͤtzliche und nicht vorgeſehene Anfaͤlle jener ziehenden
Voͤlker decken ſollte. Und dies gab ohnſtreitig den Koͤ-
nigen
[158]Oſnabruͤckſche Geſchichte
nigen der Markomanner die oͤftere Gelegenheit ihren
Bundesgenoſſen Geſetze zu geben. Wenigſtens laſſen ſich
alle Kriege der Sueven und Markomannen hieraus er-
klaͤren, welche in die Zeit fallen, worin die Roͤmer durch
Dacien und Pannonien jenen ziehenden Voͤlkern zu ſchaf-
fen machten, und folglich den Markomannen Zeit und
Weile gaben, ſich gegen ihre alten Freunde zu wenden.
Es iſt uͤbrigens nicht das letzte mal, daß das Reich vor
ſeinem Markgrafen erzittern muͤſſen. Man ſieht auch
zugleich den Grund warum die Germanier ihren Fein-
den in Pohlen und Ungarn gegen die Roͤmer lange Zeit
nicht beytraten. Und wie es endlich unter dem Antoni-
no Phil. geſchahe, ward es als etwas auſſerordentliches
bemerkt. S. JVL. CAPIT. in Ant. Phil. int. Script. hiſt.
Aug. Ed. Pariſ. fol. 1620. p. 31.
tu aut montibus ſeparabatur. TAC. G. l. Waͤre ſie gegen
den Rhein angelegt worden: ſo muͤſte man einen Anfall
aus Gallien zur Haupt-Abſicht der Vereinigung machen.
So aber war auf dieſer Seite bloß Hermund, und
nach dem Plan von Louvois, eine Wuͤſieney angelegt.
S. CAES. de B. G. IV. 3. DIO. LXXI. 15. 16. LIPS.
ad Tac. G. c. 29. n. 82.
Heerweg; Albergo fuͤr Herberge; Alfarda (welches DEL
MOLINO in repert. v. Alfarda fuͤr ein Arabiſches Wort
haͤlt, und daher den Tittel de Alfardis in for. Arragon.
von Juden- und Mohren-Zoll erklaͤrt) fuͤr Heerfarth oder
Krieges-fuhr; Allode fuͤr Arode, Hallimota fuͤr Heermoͤte
in Monaſt. Angl. T. II. p. 140 \&c. zu ſagen pflegt; hat
man auch Allemannia fuͤr Armannia oder Heermannie
ſprechen koͤnnen. Die Roͤmer ſahen ſpaͤt, daß die Alle-
manni von andern Deutſchen unterſchieden waren, und
machten nun ein beſonders Volk daraus, nachdem ſie aus
einem bey der erſten Entdeckung ganz gewoͤhnlichen Jr-
thum, allen und jeden den Nahmen Germanier beygelegt
hatten. Daher ſchrieb ſich Caracalla Allemannicus \& Ger-
manicus. Die ſpaͤtern Schriftſteller, welchen die innern
Ver-
[159]dritter Abſchnitt.
Verbindungen und Abtheilungen naͤher bekannt wurden,
druͤcken ſich aber weit genauer aus. Trans Rhenum poſt
Celtas populos, orientem verſus ſita loca Germani incolunt.
STRABO. VIII. und XIPH. in excerpt. ſive DIO LXXI.
3. ed. Reim. ſagt: [...]
[...]. CLVV. in Germ. ant. III. 4. und
andre laſſen ſich durch die Stelle des AGATH. L. I.
[...]
verfuͤhren zu glauben, Alamannos ex leviſſimis Gallorum
qui inopia audaces dubiæ poſſeſſionis ſolum occupaverant,
fuiſſe; da doch Agathias gar fuͤglich auf die Worte des
TAC. G. 38. Suevorum non unam eſſe gentem ut Catto-
rum, zuruͤckgeſehen haben kann. Ueberhaupt aber iſt es
die allergroͤſte Unwahrſcheinlichkeit, daß ein zuſammen-
gefloſſenes Geſindel ſo fort den ganzen Ton der Suevi-
ſchen Nation erreichet habe. Wenn es heißt: Caracalla
Alamannos gentem populoſam ex equo mirifice pugnantem
prope Mœnum amnem devicit AVREL. XXI. 2. ſo erblickt
man gleich die Reuterey, welche Caͤſar bewunderte. S.
§. 11. n a. Und AVSON. in epigr. de vict. Augg. nennt
mit Recht die Allemannier Sueven. Man darf alſo die
Allemannier nicht vom ſchwarzen Meere, dieſer qualitate
occulta der Geſchichtſchreiber, herfuͤhren. Jetzt da die
Sachſen mit den Schwaben in einem gemeinſchaftlichen
Heerbann ſtehen, ſind wir zuſammen Allemands.
ſchichte, wovon ich hier keine Rechenſchaft geben kann,
ſo vollkommen uͤberzeugt, daß die Germanie ein alter
Schwaͤbiſcher Bund, und dieſer der Anfang unſers heu-
tigen Reichs ſey; daß ich ſchon wuͤnſche, man moͤge ei-
nen neuen Plan zur Geſchichte Germaniens, welches
jetzt ſchlechthin das Reich, wie damals der Heer-
bann
[161]dritter Abſchnitt.
bann genennet wird, erwaͤhlen, und von jenem Ver-
ein, deſſen Zeit-punkt ſich ungefehr herausbringen laͤßt,
den Anfang machen. Der Vortheil welchen dieſer Plan
in Erzaͤhlung der aͤlteſten Geſchichte giebt, iſt ſehr groß.
Man ſieht ein ganz neues Staats Jntereſſe; man ent-
deckt viele verworrene Begebenheiten; und die dunkle
Geſchichte des dritten, vierten und fuͤnften Jahrhun-
derts erhaͤlt dadurch Deutlichkeit, Einheit, und Leben.
Nur iſt dabey vorauszuſetzen, daß noch ein ander Ver-
ein, wozu unter dem Antonino Philoſopho, die Victova-
len, Soſiben, Sicoboten, Roxolanen, Baſtarnen, Ala-
nen, Peucinen und Koſtoboken ꝛc. S. JVL. CAPIT. in
Ant. Phil. l. c. gerechnet wurden, weiter nach Norden
beſtanden habe; daß dieſer Verein der Rival des deut-
ſchen geweſen; daß ſolcher einigemal, und beſonders
nachdem die Roͤmiſche Macht in Dacien und Pannonien
ſchwach geworden, die Oberhand erhalten, und unter
den Nahmen von Hunnen, Alanen, Wandalen, Go-
then ꝛc. ꝛc. zum Durchbruch gekommen ſey, und ganz
Europa uͤberſchwemmet habe. Mehrers kann ich hier
nicht davon anfuͤhren. Allein wer die deutſche Ge-
ſchichte aus dieſem Geſichts-punkt anſieht, wird noch
einige neue Entdeckungen machen koͤnnen.
fuit antea tempus quum Germanos Galli virtute ſuperarent
\& ultro bella inferrent
Die Tenkterer und Uſipeter ſagten aus einer traurigen
Erfahrung: Id. IV. 4. Suevis ne quidem Deos immorta-
les pares eſſe. Id. de B. G. VI. 7. und man merkt uͤberall
den Reſpekt, worin der groſſe Verein ſeine Nachbaren
hielt.
que gentis appellationes Marſos, Gambrivios, Suevos, Van-
dalios affirmant. Eaque vera \& antiqua nomina. TAC.
de M. G. 2. Weil die Boier durch eine Folge des Ver-
Leins,
[162]Oſnabruͤckſche Geſchichte
eins, Maͤrker, oder Markmaͤnner, d. i. defenſores limi-
tum novæ Germaniæ ſive confœderationis wurden: ſo
ſchließt TAC. de G. 42. Præcipua Marcomanorum gloria
viresque atque ipſa etiam ſedes, pulſis olim Boiis, virtute
parta. So kann man ſagen: die Magdeburger ſind von
den Brandenburgern, und die Brandenburger von den
Preuſſen vertrieben; da doch nur ein Nahme vor den
andern die Oberhand gewonnen hat.
bezeichnet den tutorem exercitus ſo deutlich, daß CLV.
VER in G. lll. 28. nicht noͤthig gehabt ſich ſo viele Muͤhe
zu geben, um einer beſondern Nation dieſes Nahmens
ihren Platz anzuweiſen. Wenn die Einwohner der
Barriere-Staͤdte in den Niederlanden Barrieriſten ge-
nennet wuͤrden: ſo koͤnnte man vielleicht uͤber hundert
Jahr verlegen ſeyn, das Land zu finden worin ein be-
ſonders Volk dieſes Nahmens gewohnt haͤtte; Und eben
die Beſchaffenheit hat es mit den Hermunduren, die ſich
auf allen Seiten dieſes Vereins in Rhetia, ad Rhenum,
ad fontem Albis \&c. finden. Sie verſchwinden ſo wie
das ſyſtema militare ſich aͤndert; und zum Theil verwan-
deln ſie ſich in Burgundiones nachdem der Heermund in
Veſtungen oder Burgen geſucht wird. Die Heſſen
ſtritten zuerſt mit den Hermunduren, wegen einer Salz-
quelle S. TAC. Ann. VIII. 37. Spaͤter kriegten ſie des-
fals mit den Burgundiern. S. AMM. XXVIII. Die
Roͤmer hatten auf gleiche Art milites præſentes, riparen-
ſes, limitaneos, auch zwey Regimenter defenſores; S.
Notit. Imp. Und der Unterſcheid iſt nur, daß die Roͤ-
miſchen Regimenter garniſonirten; die Hermunduren
aber defenſores und Land-bauer zugleich waren, folglich
einen Landſtrich bewohnten. Und auf dieſe Art konnte
einer Boier, Markmann, und Hermundur zugleich ſeyn;
erſters von ſeiner Nation; das andre weil er im Graͤnz-
Bann ſtand; und das dritte weil er im Graͤnz-Bann
den beſtaͤndigen Vorpoſten hatte. Dieſe ganz natuͤrliche
Anlage hebet alle Schwierigkeit, womit ſich Cluver und
andre quaͤlen.
rer. CAES. de B. G. IV. 3. Jmgleichen die Flucht der
Batavier aus Heſſen. Batavi-Cattorum quondam popu-
lus \& ſeditione domeſtica in eas ſedes transgreſſus, in qui-
bus pars Romani Imperii fierent. TAC. de M. G. 29.
tonen und Tiguriner, die Belgier nicht beruͤhrte. Bel-
gæ ſoli fuerunt, qui patrum noſtrorum memoria omni Gal-
lia vexata Teutonos Cimbrosque intra fines ſuos ingredi
prohibuerunt. CAES. de B. G. II 4; und daß wie einige
hundert Jahr nachher die Nachkommen jener Cimbern
und Teutonen, nemlich die Gothen mit den Hunnen in
Gallien drangen, ſie ebenfals vor den Franken, welche
damals in dem alten Belgien ſaſſen, wiederkehren, und
ſich aufwaͤrts wenden muſten.
mungen des andern groſſen Vereins an, deſſen ich in der
Note a. erwehnet habe. Die groſſen Vorkehrungen wel-
che Henrich der Vogler machte, ſind zwar nicht mit je-
nen von einerley Art; aber ſicher von einerley Groͤſſe.
wodurch alle Reichs-Staͤnde zu einer verhaͤltnis-maͤſſigen
gleichen Vertheidigung verbunden waͤren, wenn ſie
nicht auf dem Reichs-Tage darin willigen; und wuͤrde
es eine Frage ſeyn, ob durch die Mehrheit der Stim-
men, welche die Staͤnde in Oberdeutſchland leicht ma-
chen, ein entfernter Stand in Niederdeutſchland zu ei-
ner Huͤlfe gegen den Tuͤrken verbunden werden konnte,
wenn derſelbe zum Reichs-Feinde erklaͤret wuͤrde. Daß
bey der Kayſerwahl die Mehrheit der Stimmen ent-
ſcheide, beſaget der Churfuͤrſtliche Verein vom Jahr 1338.
beym SCHILTER in jur. publ. T. II. tit. 17. p. 122. In
materia defenſionis aber duͤrfte aus den Land-frieden ſo
viel nicht zu erzwingen ſeyn.
\& Suevos a Cheruſcis, injuriis incurſionibusque prohibet.
CAES. de B. G. VI. Dieſe Anmerkung wuͤrde einmal
dem Caͤſar nicht entfallen ſeyn, wenn nicht ſchon damals
die Sachſen und Schwaben bekannte Feinde geweſen
waͤren; und hiernechſt bleibt dieſe groſſe Scheidung zwi-
ſchen den Sueven (worunter man in dieſem Augenblick
ihre Bundesgenoſſen die Chatten mit begreifen muß) in
der Folge zwiſchen den Sachſen und Allemanniern un-
ver-
[165]dritter Abſchnitt.
verruͤckt; und wie die Chatten, welche dieſe Schwaͤbiſche
Reichs-Landwehr bewohnten nachwaͤrts Franken wurden,
hieß es mit Recht: Inter Saxones \& Alamannos gens eſt
non tam lata quam valida; apud hiſtoricos Germania, nunc
Francia vocatur. Vita S. Hilar. Erem. beym BOVQVET T.
I. p. 743. Man muß aber ſylvam Bacenim infinitæ ma-
gnitudinis. CAES. de B. G. VI. fuͤr alles nehmen, wofuͤr
er genommen werden kann; und ſich vorſtellen, daß man
oft von einer Seite alles Schwarz-wald, und von der
andern Seite alles Harz-wald nenne. Die Chatten,
quos ſaltus Hercynius proſequebatur \& deponebat. TAC.
G. 30. muſten es ihrer Lage wegen mit den Sueven oder
mit den Sachſen halten. Sie waͤhlten das erſtere als
das ſicherſte, und waren daher geſchworne Feinde der
Cheruskiſchen Sachſen, als welche niemals zu den Sue-
ven kommen konnten, ohne die Chatten im Laufe mit zu-
nehmen. Es iſt ferner klar, daß vor eine fremde Armee
keine beſſere Stellung in Deutſchland ſeyn konnte, als
auf dieſer groſſen Scheidung; hier hatte ſie immer von
der Rechten oder Linken gewiſſe Huͤlfe, und konnte nach
beyden Seiten mit gleicher Fertigkeit ſchlagen. Dies
war die vornehmſte Operations-Linie der Roͤmer und
Franken; hieraus begreift man auch wie die Chatten
und Thuͤringer unter den Nahmen der Franken ſich auf
dieſer Linie formiren, erhalten, und erſt die rechte mit
Huͤlfe der linken, und zuletzt die linke mit Huͤlfe der
rechten unter ſich bringen konnten. Die Roͤmer fuͤhrten
bisweilen mit Ober- und Nieder-Deutſchland zugleich
Kriege; und beyde Laͤnder wurden incidenter Socii; da
es denn wol hieß: fuerat animus Cheruſcis juvare Cattos.
TAC. Ann. I. 56. Allein es werden allezeit Suevi \& Si-
cambri als potiores zweyer Nationen unterſchieden. Sic
Sicambros in deditionem acceptos; ſic Suevos \& regem
Maroboduum pace obſtrictum. TAC. Ann. II. 36. Ille
genus Suevos acre indomitosque Sicambros contudit. PEDO
ALBIN. de Druſo.
ſames Maͤhrgen, und man muͤſte einige Wunderwerke
annehmen um ſie moͤglich zu machen. Sie ſind in allen
den Brucktern, Cheruskern und Angrivariern ſo aͤhnlich;
es findet ſich in ihrer Regierungs-Form ſo wenig von
dem eſprit de conquette; die Linie wo ſie ſich von den
Schwaben ſcheiden bleibt ſo einfoͤrmig; der Abſatz zwi-
ſchen deu Cheruskern und Kuaken bleibt wie der zwi-
ſchen den Sachſen und Frieſen ſo ſichtbar; und der Na-
tional-Ton der die Cherusker und Sachſen in ihrem
Haſſe gegen eine beſchloſſene Reichs-Verfaſſung; in ih-
rer Liebe zur Freyheit, und in ihren Verbindungen mit
ihren
[167]dritter Abſchnitt.
ihren Nachbaren characteriſirt, iſt ſo wenig von einan-
der unterſchieden, daß man ſie nothwendig fuͤr ein Volk
nehmen muß. Wenn die Sachſen als Eroberer in dieſe
Gegenden gekommen waͤren, haͤtten ſie ganz andre Ge-
ſetze und Rechte haben muͤſſen. Die Cherusker, Bruk-
terer und Angrivarier waren keine Reichs- Land- Schrift-
Amt- Frey- Unter- Hinter- Kott- Berg- oder Hol-Saſ-
ſen; ſondern Saſſen uͤberhaupt in Gegenſatz von jenen
ſub Suevorum imperio befangenen Voͤlkern. Man konnte
ſie ganz bequem ſo nennen, wie man andre Voͤlker Ro-
maden ꝛc. genannt hat.
S. §. 75. n. b. ſo wie Bruckter einen Abend-
oder Nieder-Laͤnder bedeuten. Die Enge iſt aber im-
mer eine Mitte. Dann waͤre Oſt- und Weſt-falen eben
das; und etwan ein Fraͤnkiſcher Ausdruck. Falen
aber iſt wie plaga, (auf Weſtphaͤliſch eine Flage) juxta
NON. MARC. ex Varrone, cœli vel terræ immenſum ſpa-
tium. An ſtatt daß regiones, tractus, regna, provinciæ
beſonders bey den autoribus limitum und nach der Con-
ſtantiniſchen Eintheilung, menſa ſpatia waren. Daher iſt
Fehlenabsque menſura \& limite vagari. S. auch PEL-
LETIER dict. Breton. v. Fall. Man ſagte nie regio vel
regnum aut provincia; ſondern terra Saxonum Sachſen-
land, um das ſpatium absque menſura auszudruͤcken.
Eben ſo hat man Weſtfalen ſagen muͤſſen. So wie
aber die Oſt- und Weſtfaͤlinger, Saſſen, und jetzt unter
den Nahmen Weſtfaͤlinger: Oſnabruͤcker, Emßlaͤnder,
Ravenſperger ꝛc. verſtanden ſind; eben ſo iſt es auch
wol mit den Cheruskern und Brucktern geweſen.
gend von Brochter-becke, im Tecklenburgiſchen, und
die von Angelbecke in dem Amte Wittlage, wovon
die Freygrafſchaft wie auch die Mark Angelbecke ihren
Nahmen hat, einige Beziehung auf dieſe Graͤnzen habe,
iſt ungewiß. Doch treffen beyde ungemein nahe mit der
vermuthlichen Lage uͤberein.
in Verbindung, wie dieſe vom Germanikus bekrieget
wurden. Sie machten auch ihren beſondern Frieden
mit den Roͤmern. TAC. Ann. II. 8. 24. Conciti per hoc
non
[169]dritter Abſchnitt.
non modo Cheruſci ſed conterminæ gentes tractusque in
partes Inquiomerus Arminii patruus -- unde major Cæſari
metus, ne bellum una mole ingrueret. TAC. I. 60. Hier-
aus fieht man auch, daß ſie nicht allezeit una mole krieg-
ten; und ſchließt leicht, daß ſie ihre Verbindungen nach
dem Maſſe ihrer Gefahr genommen haben. Und uͤber-
haupt kann man annehmen, daß wenn z. E. die Sicam-
ber am Niederrhein, als ein vorliegendes und der groͤ-
ſten Gefahr ausgeſetztes Volk, die Waffen gegen die
Roͤmer ergreifen duͤrfen, alle hinter ihnen geſeſſene Voͤl-
ker gemeinſchaftliche Sache gemacht haben, und den
Roͤmern Sicambern geſchienen. Auf gleiche Art ſchie-
nen die Bruckter ſo lange Franken, als dieſe ſich gegen
Gallien bewegten. So wie letztere ſich aber umkehrten,
und ihren allmaͤlig beſchwerlichen Freunden die Spitze
boten, ſchien das mehrſte hierunter ſich wieder in Saſſen
zu verwandeln, und das Reich zu fliehen, welches die
eigentlichen Franken zu ihrer nothwendigen Vertheidi-
gung unter ſich aufrichten muſten.
nige hundert Jahr vor Chriſti Geburt zugetragen haben
ſollen, uͤberlaſſe ich dem PONTOPPID. in geſt. \& veſt.
Dan. extra Daniam T. III. p. 21.
berichteten ihn auch nachwaͤrts: Ne omnium Germanorum,
qui eſſent citra Rhenum, cauſſam eſſe unam judicaret. CAES.
de B. G. VI.
hieſigen Gegenden und von der Weſer mit dabey gewe-
ſen. DIO. LIV. 32. OROS. VI. 21. Caͤſar ſoll damals
400-000 Menſchen ſo wol bewafnete als unbewafnete ſei-
nen Abſichten aufgeopfert haben. APPIAN. de B. Gall.
in fin.
LV. 28. Vernunft und Umſtaͤnde S. FLOR. IV. 12. 3.
brachten dieſes Syſtem hervor. Auguſt gieng mit 12
Legionen gegen die Germanier, TAC. Ann. XII. 46. und
machte ſich dieſelben verbindlich; weswegen Armin
den Marbod proditorem patriæ \& ſatellitem Cæſaris nennt.
ib. 45.
wuͤrk-
[172]Oſnabruͤckſche Geſchichte
wuͤrklich ſehr groſſe Urſachen annehmen, warum Auguſt
die Niederlage des Lollius und die dabey vorgefallene
Grauſamkeiten nicht gerochen.
vereinigt. Der Biſchof FERDJNAND in monum.
Pad. I. 10. macht die Alme daraus, welches aber nicht
wahrſcheinlich iſt; wie GRVPE in Orig. Germ. obſ. III.
bewieſen.
libertati. TAC. Ann. V. 25. Hierin beſtand die Pflicht
der Freunde; und Armin fuͤhrte das Cheruskiſche Freun-
des-Contingent in dem Roͤmiſchen Heer. TAC. Ann. II.
10. war auch Roͤmiſcher Buͤrger und Ritter. VELL. II.
118. ſein Bruder Flavius aber gieng conſenſu gentis ſuæ
in Roͤmiſche Dienſte. TAC. XI. 17.
bemerkt DIO LIV.
wiſſen den Varus nicht genug zu beſchuldigen. Allein
die Liebe und das Vertrauen, welches er gegen den jun-
gen Armin aͤuſſerte, und die Wohlthaten die er ihm
(vermuthlich in ſeinen Haͤndeln mit dem Segeſt) erwie-
ſen hatte, zeugen von ſeinem beſſern Charakter. Negat
ſe credere, ſpemque in ſe benevolentiæ ex merito æſtimare
profitetur. VELL. II. 118. Man liebt insgemein diejeni-
gen, ſo man gluͤcklich gemacht; und Varus konnte die
gehaͤſſigen Nachrichten des Segeſtes leicht als Verlaͤum-
dungen verachten.
viderant. TAC. 1. 59.
ausgefuͤhret worden als dieſer. Jeder Schritt war ab-
ge-
[174]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gemeſſen; wie DIO l. c. ſolches umſtaͤndlich angiebt, da-
her ich nicht begreife wie LA BARRE dans l’ hiſt. d’
Allem. T. I. dieſe ganze Begebenheit ſo ſchlecht habe er-
zaͤhlen koͤnnen.
[...], mit Nah-
men genannt, ſo haͤtte man die Marſchroute der Roͤmer.
fidus, Boiocalus vinctum ſe rebellione illa Cheruſca juſſu
Arminii referens. TAC. Ann. XIII. 15.
LVI. 19. 20. 21. wobey ich nur noch anmerke daß diejeni-
gen, welche das Schlachtfeld ins Lippiſche ſetzen, vor-
dem, und ehe zu unſern Zeiten Reimarus den Text des
Dio aus dem Zonaras ergaͤnzt hat, durch die aͤltern
Ausgaben leicht auf einen andern Weg verfuͤhret werden
koͤnnen, weil in dieſen geſagt wird, daß Aſprenas durch
eine Bewegung vom Niederrhein den Reſt des geſchlagenen
Varianiſchen Heers gerettet haͤtte; da doch aus dem Zona-
ras klar iſt, daß dieſes der Reſt der Beſatzung von Aliſo
geweſen, die Arminius lange nach der Schlacht und nach-
dem er ſich bereits aller uͤbrigen Veſtungen bemeiſtert,
belagert hatte.
aller Vermuthung nach auch nahm, wie er mit dem
Saͤchſiſchen Heerfuͤhrer Widekind ebenfals zuerſt im
Lippiſchen und hernach an der Haſe ſchlug. Jch nehme
an, daß Varus eben dieſen Weg genommen, ſich auf
dem Haarſchen Berg zwiſchen Wulften und Haaren,
worauf ſich ein altes verſchanztes Lager, nebſt einem heid-
niſch-deutſchen Denkmale an ſeinem Walle, befindet,
geſetzt und zuletzt unterm Duͤſtrupper Berge an der Ha-
ſe, wo ſich die Menge Deutſcher Grabmaͤhler zeigt, den
letzten Stoß empfangen habe. Dieſes Schlachtfeld, wird
durch den Fluß Haſe von dem Teufelsbruche am Gret-
eſche
[176]Oſnabruͤckſche Geſchichte
eſche geſchieden, worin ſich noch jetzt zwey groſſe unver-
ſehrte heidniſche Altaͤre, und die Spuren von vielen zer-
ſtoͤrten finden; welche LODTMAN in Monum. Oſnabr.
XII. beſchreibt. Bey dem Schlachtfelde aber waren der-
gleichen. Lucis propinquis barbaræ erant aræ, apud quas
tribunos ac primorum ordinum centuriones mactaverant-
TAC. Ann. l. 61. Jene Altaͤre heiſſen insgemein die
Gred-eſcher Steine, und GOETZE in Progr. de duobus
nobiliſſ. agri Oſn. monum. Honenſi \& Krödeſcenſi (Oſn.
1726. 4.) macht daraus Crodonis aram; da doch Great-
eſch offenbar der groſſe Eſch iſt, hinter welchem dieſe
Altaͤre oder Denkmaͤler liegen. So viel bleibt allezeit
glaublich, daß jenes verſchanzte Lager, wegen des an dem
Wall deſſelben liegenden deutſchen Denkmals, ein er-
obertes; und aͤlter als Carl der Groſſe ſey. Das
Schlachtfeld an der Haſe, iſt auch das bequemſte was
eine Armee nehmen kann. Es hat Waſſer, eine ſchoͤne
Ebne, Berge und Defilés vor ſich, und lag in conſpectu
Deorum gentilium. FEJN in ſeiner Preiß-Schrift
uͤber die Frage: wie weit die Roͤmer in Deutſchland ge-
drungen ꝛc. ſagt 1) das entfernte Volk muͤſte am Rhein
gewohnt haben. Jſt es aber glaublich daß ſich zwiſchen
der Haupt-armee und der Reſerve ein Volk am Rhein,
das ſo gleich gezuͤchtiget werden konnte, bey einem ſo
unſichern Ausgange, durch Empoͤrung bloß geſtellet ha-
be? Er ſagt 2) die Niederlage ſey auf dem Ruͤkmarſche
des Varus aus dem Lippiſchen vorgefallen; wer kann
ſich aber vorſtellen, daß man die Roͤmer gegen ihre eigne
Reſerve und auf ihre eigne Veſtungen gelockt, und ih-
nen auf dieſem Wege drey Maͤrſche voraus gelaſſen ha-
be? konnten hier, wo die Communication nothwendig
offen war, Wege zn bahnen, Waͤlder durchzuhauen und
Bruͤcken zu ſchlagen ſeyn, wie Dio ausfuͤhrlich be-
ſchreibt? Er nimmt 3) das Schlachtfeld im Lippiſchen
an, wo er doch ſein Stand-Quartier gehabt hatte. Er
hatte aber gewiß ſchon drey Maͤrſche, welche ich wegen
der ſchlimmen Wege nur auf drey Meile rechnen will,
ohnerachtet ſonſt ein roͤmiſches Heer taͤglich 7 Stunden
mar-
[177]dritter Abſchnitt.
marſchirte, VEGET. de re mil: I. 9., gethan, ehe es
zum erſten Angrif kam; und er zog ſich noch drey Tage
fechtend fort. Waͤre er nun aus dem Lippiſchen nach
der Lippe marſchiret: ſo muͤſte die letzte Niederlage faſt
jenſeits der Lippe erfolget ſeyn. Und wenn dieſes: ſo
iſt es ſehr unwahrſcheinlich, daß Germanicus, welcher
6 Jahr nachher in die Emſe lief, und das Schlachtfeld
beſah, von dort aber noch weiter vordrang, ſeinen Ruͤck-
marſch von der Lippe wieder nach der Emſe genommen
haben ſollte. Feins etymologiſche Beweiſe ſind noch
ſchlechter; wie GRVPE in Orig. Germ. p. I. obſ. IV. zur
vollkommenſten Gnuͤge erwieſen; Varenhoͤlzer giebt
es in allen Laͤndern und wir haben ſo gar ein Varen-
winkel in dipiomate Carolino, wenn auf dergleichen Din-
ge etwas zu bauen, oder auch nur der geringſte Schein
vorhanden waͤre, daß man das Schlacht-feld nach dem
Nahmen eines roͤmiſchen Feldherrn benannt haͤtte. Der
Teutoburgiſche Wald gilt fuͤr ganz Weſtphalen und der
Nahme eines Teuto-meyers im Lippiſchen iſt vollends
aͤngſtlich und kein Exempel, daß die Lateiner einen
Doppellauter mit den Weſtphaͤlingern gemein haben.
Der Saltus Teutoburgenſis hat alſo unſtreitig Duͤteburger
Wald geheiſſen und es iſt eher moͤglich daß der Duͤte-
fluß, welcher zwiſchen der Grafſchaft Tecklenburg und
unſerm Stifte fließt, als jener Teutomeyer fuͤr einige
Gebuͤrge gleiches Nahmens rede. Die montes crebris
convallibus interupti, worauf Varus traf, finden ſich uͤ-
berall in den Oſnabruͤckiſchen Aemtern die nach der We-
ſer liegen, und verlieren ſich nach der Emſe zu; ſo daß
im Amte Fuͤrſtenau nichts mehr davon angetroffen wird.
GRVPE am angefuͤhrten Orte hat uͤbrigens alles erſchoͤpft
und wird den kuͤnftigen Nachforſchern zum getreuen
Wegweiſer dienen.
non ſexus non ætas miſerationem attulit; profana ſimul \&
ſacra,
[179]dritter Abſchnitt.
ſacra, \& eeleberrimum illis templum, quod Tanfanæ vo-
cabant, ſolo æquantur; ſine vulnere milites, qui ſemiſomnos
inermes aut palantes ceciderant. TAC. Ann. I. 51. Ger-
manicus gieng per Sylvam Cæſiam, wovon Coesfeld ſei-
nen Nahmen haben ſoll.
Stift Muͤnſter worin die Marſer wohnten.
cionem gentis finem bello fore. TAC. Ann. II. 21.
zu bieten, wenn dieſer darauf eingieng ſich damit zu-
ruͤck zu ziehen, und ihm hiernechſt mit zween verſteckten
Fluͤgeln in die Flanken zu fallen. Dies gerieth ihm das
erſtemal, wovon die Roͤmer ſagten manibus æquis ab-
ſceſſum. TAC. Ann. I. 63. Die beyden folgendenmale
aber, da er mit dem Germanicus ſchlug, gieng dieſer
das centrum vorbey und fiel ihm in die Flanken ſeines
Fluͤgels.
dem accepti redemtos ab interioribus captivos reddebant-
ib. 25. Doch kann man es auch nicht uͤberhaupt ſagen,
weil er bey ſeinem Abzuge den Marſern noch eins ver-
ſetzte.
Feldherrſchaft erreichet hatte. TAC. Ann. ll. 88.
Weſer. Gabinius ſchlug die Marſer und Kauchen.
Corbulo war in ſeinen Gedanken ſchon uͤber der Emſe,
und jeder von dieſen Generalen ſuchte mit Fleiß Urſache
zu neuen Kriegen. DIO. LX. 30. TAC. XI. 18. 19.
præſidia cis Rhenum juberet. TAC. Ann. XI. 19. Auguſt
und
[181]dritter Abſchnitt.
und Tiber hatten dieſen Gedanken lange gehabt. DIO.
LVI. 33. TAC. Ann. I. 11.
ſo reichten keine edle Gefolge zu, um ihnen Widerſtand
zu leiſten. Germanicus ſagt ausdruͤcklich: non loricam
Germano, non galeam, ne ſcuta quidem ferro nervove
firmata -- primam utcunque aciem haſtatam; cæteris præ-
uſta aut brevia tela -- ſine pudore flagitii ſine cura du-
cum abire fugere. TAC. Ann. II. 14. Die letztern Worte
ſind ein Gemaͤhlde des Arriere Ban nach dem Leben; ob-
gleich der Cheruskiſche eine Ausnahme von der Regel
war. Man vergleiche damit die Beſchreibung des Ge-
folges. TAC. G. 13. 14. 15.
ten: Germanis Romanisque idem conducere. TAC. Ann.
I. 58; nicht aber von den Jungen, wovon es hieß: no-
ſtra furit juventus. VELL II. 107. Jn dem Triumph wel-
chen Germanicus hielt, waren faſt lauter Soͤhne leben-
der Vaͤter. STRABO VII; und jene ſchienen damals
im Gefolge Armins gedient zu haben. Merkwuͤrdig
war es, daß Malevendus Dux Marſorum (vermuthlich
fuͤhrte er nur noch dieſen Tittel) die roͤmiſche Parthey
mitten in dem Kriege ſeiner Nation halten durfte. TAC.
Ann. I. 71. Sonſt hieß es: Segeſtes ex quo a Divo Au-
guſto civitate donatus erat, amicos inimicosque ex eorum
utilitate delegerat. TAC. Ann. I. 58. Inguiomerus Armi-
nii patruus veteri apud Romanos authoritate. Ib. 60. Boio-
calus 50 annorum obſequio. XIII. 35. Segimer in deditio-
nem acceptus. II. 25. \&c. uͤberhaupt ſchien Auguſt jener
Cheruskiſchen Familie uͤberaus groſſe Merkmale ſeiner
Freundſchaft gegeben zu haben. Die Vaͤter konnten es
nie vergeſſen. I. 58.
lange ſie gemeine Sache unter einem Haupte machten.
Jetzt unterſcheidet man Reich und Herrſchaft,im-
perium \& dominium ſo genau nicht mehr. Bey den Roͤ-
mern verwandelte ſich ebenfals imperium in dominatio-
nem, bis man endlich mit dem imperio einen andern
Begrif verband. Jetzt iſt alles Territorial-Hoheit; ein
Mittelwort zwiſchen Reich und Herrſchaft. Die Unter-
druͤ-
[183]dritter Abſchnitt.
druͤckung der Gemeinen in Europa datirt ſich von der
Zeit, da ein Koͤnig die Beute mit den Edlen theilte
und erſtere den letztern verlieh.
arma Romana invocare, qui pugnantes in eundem hoſtem
Romanos nulla ope juviſſet. TAC. Ann. II. 46.
num. TAC. Ann. l. 38.
benachbarte Voͤlker. Sic Rex Artaxias Armeniis a Germa-
nico datus. Sie regnum Thracum Rheſcuporidi \& Cotyi ab
Auguſto, autore utriusque regni, permiſſum. TAC. Ann.
II. 64. Sic regem (Bructerorum) vi \& armis induxit in
regnum. PLIN. II. ep. 7. Sic Chariomer (rex Cheruſco-
rum) ob amicitiam Romanorum expulſus. DIO. LXVII. 3.
Sic vis \& potentia regibus authoritate Romana. TAC. G.
42. Jtalus ward den Cheruskern auf die verbindlichfte
Art von Rom geſchickt. TAC. XI. 16. Segeſt und Jn-
guiomer waren nicht umſonſt Amici Romani; und ſolche
deutſche Haͤupter hatten dero Zeit ſchon eben die Politik,
welche ehedem verſchiedene Reichs-Fuͤrſten hatten, die
es mit dem kayſerlichen Hofe hielten, um ihre einhei-
miſchen Staͤnde zu unterdruͤcken. Man ließ ſie aber
auch ſinken, wenn ſie zu maͤchtig werden wollten; Vt
fracto regi Maroboduo (amico Romano) uſque in exitium
inſiſteretur. TAC. Ann. II. 62; und alsdenn hiengen ſich
die Edlen, wie jetzt die Land-Staͤnde, an die damaligen
Kayſer. Dies war der Fall unter dem Armin; das
ſchoͤnſte Exempel jener roͤmiſchen Politik, war Vannius
Suevis a Druſo Cæſare impoſitus. TAC. XII. 29.
\& equites e Sarmatis Jazygibus. Id. ib Sonſt hatte ein
Koͤnig zwar wohl ſein groſſes edles Gefolge, aber nicht
leicht die Macht ſich damit gegen den Adel und den Heer-
bann zu erhalten.
Braunſchweig und Leipzig koͤmmt hiebey nicht in Be-
tracht und iſt in ſo weit er uͤber die Fuͤrſtenau geht
neu.
Amiſiam \& Luppiam amnes inter vaſtatum. TAC. Ann. I.
60. Waͤre Germanicus damit zuruͤckgegangen: ſo wuͤr-
de man ihm keine andre Abſicht beylegen koͤnnen. Nun
aber da er weiter gieng, ſo kann man ſicher glauben,
daß die Verwuͤſtung auf der Rechte zwiſchen der Lippe
und der Emſe blos durch die leichten Truppen, und in
der Abſicht geſchehen, die rechte Flanke zu reinigen, um
mit aller Sicherheit und Macht nach der Linken zu mar-
ſchiren, und ſich in die Gebuͤrge zu vertiefen.
æquis obſceſſum. Ib. Man verſteht aber dieſe Sprache,
und die Folgen ſind immer die beſten Zeugen.
Niederrhein zuruͤck. Der Punkt ihrer Trennung aber
kann vor eine aus dem Lippiſchen (mit der Jdee ſich
z. E. nach Emden und Weſel zu theilen) retirirende Ar-
mee nicht anders geſuchet werden, als daß man ſie bis
Rheine und hoͤchſtens bis Bentheim zuruͤck gehen und
dort ſich theilen laͤßt. Waͤre Germanicus uͤber die Qua-
kenbruͤgge als den andern Weg nach der Emſe gegan-
gen: ſo haͤtte er den Cecinna gleich von ſich laſſen und
ihn muthwillig aufopfern muͤſſen, der ohnedem noch auf
der beſten Route alle Gefahr lief, da er von einem
Corps, das ihm gerade aus dem Lippiſchen den Rhein
abgelaufen hatte, coupirt und auf die aͤuſſerſte Spitze
geſtellet wurde. Ib. 64. Germanicus ſchickte die ſchwere
Reuterey von der Emſe an der Hollaͤndiſchen Kuͤſte fort;
und man erraͤth daraus leicht, warum Cecinna auf ihrer
gefaͤhrlichen Flanke marſchiren muͤſſen.
linken und ſicherſten Ufer der Ems, wo das alte Emden
oder Amiſia lag, S. ALTING in Germ. inf. I. p. 3. II.
48. ſſ. gelaſſen habe; daß er hierauf ohne die Bruckter
zu beruͤhren, und von den Kauchen geſichert, den Weg
etwa nach der Gegend von Minden genommen, und
wie er vor der Weſer geſtanden, die Angrivarier im
Ruͤcken
[187]dritter Abſchnitt.
Ruͤcken gehabt habe. Schwerlich hat er dero Zeit jen-
ſeits des Duͤmmer-ſees marſchiren koͤnnen, wo der Weg
jetzt viel uͤber Daͤmme lauft, die das Werk langwieriger
Bemuͤhungen ſind; und ſo bald er dieſſeits des Duͤm-
mers blieb, hatte er keinen andern Weg.
ſen; und unſer jetziges Flecken Voͤrden iſt ein alter
Graͤnz-Paß.
ſelben verſchiedene Aſchentoͤpfe. Er wurde unter der
Regierung Ernſt Auguſt des Andern, bey Gelegenheit
der Dammiſchen Graͤnz Streitigkeiten entdeckt, und von
dem Muͤnſteriſchen Commiſſarius, dem General Corfey
mitgenommen, wie ich berichtet bin.
nung mit mehrern behauptet wird; wobey aber GRVPE
in Orig. Germ. Obſ. VI. p. 254. noch einige naͤhere Er-
laͤuterungen fordert.
fen von Bar zur Barenau; die Bauren finden derglei-
chen noch beym Plaggen-maͤhen; keine von dieſen Muͤn-
zen uͤberſteigt das Zeitalter dieſer Periode; ich habe ſie
desfals durchgeſehn und LODTMAN l. c. beruft ſich
auf mein Zeugniß.
zu ſeiner Zeit bemerken.
nem malebant quam amicos populos. TAC. XIII. 54. 56.
Es ſcheint, daß Claudius dieſe Politik gefaßt habe; in-
dem ſich ſolche, ſo lange man noch auf Eroberungen
dachte, nicht wohl ſchickte.
uno reliquo ſtirpis regiæ, qui apud urbem habebatur nomi-
ne Italus. Id. XI. 16.
in Ιταλια.
Jn dem erſten Feldzuge unterwarfen ſich ihm die Bruck-
ter und Cherusker; den Kauchen aber gieng er in dem
folgenden zu Leibe, und drang durch ihr Land, da er die
Cherusker und Bruckter nicht fuͤrchten durfte, zu den
Longobarden. VELL. II. 105. 106. zur ſichern Folge, daß
erſtere ihr eigen Syſtem, und mit den Kauchen auch da-
mals keine Verbindung hatten; gleichwie denn auch Ga-
binius den Nahmen Chaucicus erhielt, zur Vermuthung,
daß Letztere ihren eignen Verein hatten.
æternum diſcordant, circumgrederentur, legatos in urbem
\& obſides miſere. TAC. XII. 28. Der Haß auf dieſer
Scheidung (§. 78. n. b.) dauerte alſo noch fort.
Germaniſche Geſandſchaft, und ſetzt ſie unter den Clau-
dius.
pulus inter Germanos nobiliſſimus magnitudinem ſuam ju-
ſtitia tuentur, ſine cupiditate, ſine impotentia, quieti ſecre-
tique nulla provocant bella, nullis raptibus aut latrociniis
populantur. TAC. G. 35. Es waren Chaucorum diverſæ
nationes; und ich vermuthe, nach dem was ich oben §.
60. n. b. bereits angefuͤhrt, daß alle Voͤlker, welche
Hol-Lander oder Hol-Saten waren, von den
Galliern Frieſen oder Freſen (frigere, frieren, auf
Weſtphaͤliſch freſen iſt ſo viel als zittern) und von den
Deut-
[191]dritter Abſchnitt.
Deutſchen Voͤlkern Kuaken genennet wurden. Die
Sache ſelbſt, daß nemlich Menſchen auf einer ſchwim-
menden Erd-Kruſte wohnten, kam allen die es ſahen
gar zu ſeltſam vor. Regio (ut cum verbi periculo loquar)
pœne terra non eſt. Ita penitus aqua permaduit, ut non-
ſolum qua maniſeſte paluſtris eſt, cedat ad nixum \& hau-
riat preſſa veſtigium, ſed etiam ubi paulo videtur firmior
pedum pulſu tentata, quattatur \& ſentire ſe procul mota
pondus teſtatur. Ita ut res eſt ſubjacentibus innatat, \&
ſuſpenſa late vacillat ut merito quis dixerit, exercendum
fuiſſe tali ſolo militem ad navale certamen. EVMEN. pa-
neg Conſt. 8. Und bey dieſer Vorausſetzung war Taci-
tus gar nicht unrecht berichtet, wenn er ſagte: Chauco-
rum gens incipit a Friſiis \& omnium quas expoſui gentium
lateribus obtenditur, donec in Cattos usque ſinuetur. Denn
dieſes hohle Land mogte ſich, ehe man es mit Daͤm-
men befeſtigte, ſehr weit erſtrecken.
apud Germanos more, quo plerasque fœminarum fatidicas
\& augeſcente ſuperſtitione arbitrantur Deas. TAC. hiſt.
IV. 61. Die Regierung der Vellede muſte von der Art
ſeyn, daß ſie uͤber die koͤnigliche gieng, und gleichſam
als Kayſerin die regulos der verſchiedenen Nationen|,
zum Throne der Einigkeit verſamlete. Jhr wurden die
Sieges-Zeichen, als der gefangene General Lupercus
und das eroberte Admiral-Schif zugeſchickt; und die
Deutſchen verglichen ihre Regierung mit der Roͤmiſchen,
worunter ebenfals noch Koͤnige ſtanden, wenn ſie ſag-
ten: Si dominorum electio ſit honeſtius principes Romano-
rum, quam Germanorum fœminas tolerari. Id. V. 25.
Kriege einen Haupt Theil aus; und wie der Roͤmiſche
General ſie davon abmahnen ließ, ſo wandte er ſich bloß
an die Vellede und ihre Verwandte. Id. V. 24. Sie
entſchied auch die Sache wegen Coͤlln. Ib. IV. 65.
rung; ohne ganz bedaͤchtig hinzuzuſetzen, in quantum
Ger-
[192]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Germani regnantur. Denn das Wort regnare und rex
im lateiniſchen Verſtande, druckte die obrigkeitliche
Vollmacht bey den Deutſchen gar nicht aus; von den
Brucktern dero Zeit aber ſagte man doch noch insbe-
ſondre: eos non juberi non regi ſed cuncta ex libidine
agere. Id. IV. 76; wiewol ich glaube daß dieſes nur von
den edlen Partiſans galt, welche damals auf Ebentheuer
zu dem Claudius Civilis zogen. Ueberhaupt aber hatte
das regnum uͤber Leute, die in lauter Gilden ſtehen,
und ſo lange ſie unter ſich zu thun haben, competentiam
ſuperioris nicht erkennen, ſo vieles nicht auf ſich als jetzt,
wo die Obrigkeit ohne Mittel den Kopf eines jeden
Unterthanen befaßt. S. §. 73. n. d.
TAC. G. c. 8. und KEYSLER in Ant. Sept. p. 369.
dum alii Veſpaſianum alii Vitellium foveant patere locum
adverſus utrumque. TAC. hiſt. IV. 13. 17.
\& excidium legionum prædixerat. lb. 61.
Erzaͤhlung des Tacitus mitten in der Unterredung des
Civilis und Cerealis abbricht. Es iſt aber klar, daß
Civilis den Vorſatz hatte ſeinen Frieden mit Aufopfe-
rung ſeiner Freunde, die ihn vielleicht auch auf gleiche
Art zu hintergehen gedachten, zu erkaufen. Non fefellit
Civilem ea inclinatio, \& prævenire ſtatuit. V. 26.
dimus ſub Veſpaſiano Velledam. TAC. G. 8. Captivæque
preces Velledæ. STAT. Sylv. l. 4. v. 90.
celebrabantur. TAC. hiſt. IV. 17. Man kann dieſes uͤ-
berſetzen: ſie wurden als Franken geprieſen. Jch weiß
zwar wol daß der Nahme der Franken zuerſt beym VO-
PISCO in Aurel. c. 7. und ums Jahr 253 oder 255 vor-
koͤmmt. Allein da unter demſelben ganz unſtreitig die
Chatten, Sicamber, Tenkter und andre benachbarte
Voͤlker verſtanden ſind, wie GRVPE in obſ. de primis
Francor. ſedibus. 1. §. 2. auſſer allen Zweifel geſtellt, mit-
hin ein Zeitpunkt angenommen werden muß, worin
dieſe Voͤlker als liberati ſive exemti (denn frank und
frey
[195]dritter Abſchnitt.
frey bezeichnet keinen liberum originarium S. §. 6. n. b.
und §. 51. n a) haben erſcheinen koͤnnen: ſo finde ich
in der Geſchichte keinen bequemern als dieſen, deſſen
Entfernung hinreicht jene Voͤlker in den ruhigen Beſitz
dieſes Nahmens zu ſetzen. Denn ſo wenig die Spanier
Freye Niederlaͤnder kennen wollten, eben ſo wenig
mogten die Roͤmer in den naͤchſten Provinzien am Nie-
derrhein Franken wiſſen wollen. Es gehoͤrte einige
Zeit dazu, um ihnen dieſe Benennung gelaͤufig zu ma-
chen, und wenn ſie beym Vopiſcus zuerſt vorkommen,
erſcheinen ſie ſchon mit allem Ruhme der freyen Nieder-
laͤnder, und man kann von jenen alten wie von dieſen
neuen Franken ſagen: gens eſt non tam lata quam vali-
da. §. 78. n. b. Man erkennet auch ſchon ihren Ton in
ihrer Anrede an die Stadt Coͤlln: liberi inter liberos eri-
tis. TAC. hiſt. IV. 64.
Franken waren. Es heißt zwar. De Cattis Dacisque
poſt varia prælia duplicem triumphum egit. SVET in Do-
mit. 6 und DIO LXVII. erklaͤret dieſes dahin, daß er
in Deutſchland keinen Feind geſehn haͤtte; wobey TAC.
in Agr. 39. die Anmerkung macht: deriſui fuiſſe falſum e
Germania triumphum emtis per commercia, quorum habi-
tus \& crines in captivorum ſpeciem formarentur. Allein
die Wahrheit lautet alſo: Ergo (Catti \&c.) ſuſtulerant
animos \& jugum excuſſerant (ils s’ etoient affranchis) nec
jam nobiſcum de ſua libertate ſed de noſtra ſervitute certa-
bant: ac ne inducias quidem niſi æquis conditionibus ini.
bant: legesque ut acciperent, dabant. PLIN. in Traj II.
und die Roͤmer hatten das dieſſeitige Ufer des Rheins
gewiß verlohren, wie MART Ep. X. 7. nicht undeutlich
anzeigt: S. SCHATEN in hiſt Weſtph. ll. ad ann. 84.
und aus der groſſen Verlegenheit, worin ſich Domitian
nach der Markomanniſchen Niederlage befand, leicht zu
ſchlieſſen iſt. Unter jenen affranchis oder Franken ſind
nach allen Umſtaͤnden die Chatten, Uſipeter, Tenkter
und Sicamber zu verſtehn. S. SIDON. APOLL. in
paneg. Aviti. Wie ſie denn auch 170 Jahr ſpaͤter den
Nahmen der Franken von den Roͤmern erhielten.
ami-
[197]dritter Abſchnitt.
amicitiam, quam cum Romanis colebat, ejectus. DIO.
LXVII.
cantur: Cattis victoribus fortuna in ſapientiam ceſſit TAC.
G. 36. Aus den letzten Worten ſollte man muthmaſſen,
daß es den Chatten zur Verwegenheit angerechnet wor-
den, wie ſie ſich an die Cherusker gewagt. Tacitus zog
aber vielleicht die Bilanz nach ihrem beyderſeitigen al-
ten Ruhm, und nicht nach dem Uebergewicht, welches
die Chatten durch ihre neuen Verbindungen, excuſſo
jugo Romanorum, erhalten hatten.
in Celtica vates oracula reddebat) Domitianum adierunts
\& honorifice ab eo tractati domum rediernnt. DIO. l. c.
vos \& Angrivarios immigraſſe narratur, pulſis Bructeris ac
penitus exciſis, vicinorum conſenſu nationum, ſeu ſuper-
biæ odio, ſeu prædæ dulcedine, ſeu favore erga nos Deo-
rum. Namneſpectaculo quidem prælii invidere. Super LX
millia non armis telisque Romanis, ſed quod magnificentius
eſt, oblectationi oculisque ceciderunt. TAC. G. 33.
oſtentatoque bello ferociſſimam gentem terrore perdomuit.
PLIN. II. ep. 7. Es ſind einige welche die Niederlage
der Brukter auf die Unternehmung des Spurinna folgen
laſſen.
Scheib, zeigt ſie daſelbſt Segm. II Allein da es bloß
eine Reiſecharte iſt, worauf der Rhein in gerader
Linie laͤuft, und das Wort: Boructuarii nur in der
N 4Per-
[200]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Perſpective zu ſtehn ſcheint: ſo wuͤrde darauf ſo viel
nicht zu bauen ſeyn, wann nicht andre Umſtaͤnde hinzu-
kaͤmen.
SPART.
[201]dritter Abſchnitt.
SPART. in Adr. p. 6. ed. Pariſ. fol. 1620.; und vom An-
tonin: Germanos \& Dacas -- contudit per præſides. CA-
PIT. in Ant. p. 19 ib. Unter dieſem Germanien aber
iſt Oberdeutſchland zu verſtehn. Die Chatten fielen un-
ter dem Marc Aurel zwar in Gallien und Rhetien; es
ſcheinet aber daß ſie nachwaͤrts mit den Germaniern kei-
ne gemeinſchaftliche Sache gemacht, weil beym CAPIT.
in Ant. Phil p. 31. ſo ſorgfaͤltig die Nahmen der ſchwaͤ-
biſchen Bundesgenoſſen erzaͤhlet, und die Chatten dar-
unter nicht genannt werdea.
Darunter ſind unſtreitig die Voͤlker in Niederdeutſch-
land zu verſtehen, weil ganz Oberdeutſchland mit den
Roͤmern im Kriege war. HERODIAN. in fine Marci.
Doch will ich zugeben, daß nicht bloß die Saſſen, ſon-
dern auch die Voͤlker, welche nachwaͤrts Franken hieſſen,
ſich davon bereichert haben.
CCCC millia Germanorum vicos incendimus, greges ab-
duximus, captivos abſtraximus armatos occidimus, in pa-
lude pugnavimus. Perveniſſemus ad ſylvas niſi altitudo palu-
dum nos tranſire non permiſiſſet. So ſchreibt Maximin
ſelbſt an den Senat. Beym CAPIT. p 142. In MSto
Palatino ſteht per 40 ‒ 50 millia und Salmaſius in not. ad
Capit. begnuͤgt ſich auch mit 40 bis 50-000 Doͤrfern ꝛc.
koͤnnten die Winterquartiere in Pannonien einer andern
Vermuthung Raum geben. Multisque enim captivis atque
ingenti præda abacta, inſtante hyeme in annoniam rever-
ſus eſt --- ibique vernam expeditionem præparabat HE-
RODIAN. in Maxim. p. 149. Edit. Steph. de 1581.
\& Lolliano.
den Senat zu Rom: Subacta eſt omnis qua late tenditur
Germania, novem reges gentium diverſarum ad meos pe-
des immo ad veſtros ſupplices ſtratique jacuerunt. VO-
PISC. in Probo. p 239. Allein er lenkt doch ziemlich ein,
wenn er hernach ſchreibt: Omnes penitus Galliæ liberatæ
---- voluerimus Germaniæ novem præſidem facere, ſed hæc
ad
[203]dritter Abſchnitt.
ad pleniora vota diſtulimus. Ib. Die Wahrheit iſt wohl,
daß ganz Gallien von den niederrheiniſchen Voͤlkern uͤber-
ſchwemmet war, und Probus 60 Staͤdte wieder er-
oberte.
Conſtantius, Conſtantin der Groſſe und Julian ꝛc. mit
ihnen fuͤhrten, ſind uns faſt nichts als uͤbertriebene Er-
zaͤhlungen von einer Menge zu ihrem Nachtheil vorge-
fallener Schlachten uͤbrig geblieben, welche beym SCHA-
TEN in hiſt. Weſtph. IV. V. nachgeleſen werden koͤnnen.
Und die ſchuͤlerhaften Panegiriſten der damaligen Zeit
verdienen nicht, daß man ihnen nachſchreibe.
PTOLOM. in Geogr. II. 11. und man ſpuͤret in dem
Fortgange der Geſchichte, daß ſich alles, was nicht zum
fraͤnkiſchen Bunde gehoͤrte, in Saſſen verwandelt habe;
und dieſer allgemeine Nahme, vielen Voͤlkern, die man
einzeln nicht allemal erzaͤhlen, weder Deutſche noch
Germanier nennen, und doch gern ſub uno nomine col-
lectivo haben wollte, gegeben worden. Es hieß alſo in
der Folge: Chauci Saxonum pars. ZOSIM III. Obſchon
die erſtern ſich als ein eignes beſonders Volk erhielten,
und noch zu Carls des Groſſen Zeiten unter dem Nah,
men der Frieſen von den Saſſen unterſchieden wurden.
ne dieſer Unternehmung nur beylaͤufig, weil ſie mir
nicht das Werk der Nation, ſondern einiger Privatge-
folge geweſen zu ſeyn ſcheinet. Ob jemals Angeln nach
Engelland gekommen; und ob nicht Angel-ſex nur ſo
viel als Mittel-ſex (S. §. 80. n. a.) mithin die Ge-
ſchichte von den Angeln eine ſpaͤtere Fabel ſey, lieſſe
ſich noch unterſuchen, und, falls es zu verneinen, be-
haupten, daß weil die Koͤnige der mittlern- oder Angel-
Saſſen zur allgemeinen Herrſchaft gekommen, der Nah-
me Angelland eben daher auch der allgemeine geworden.
genannt; nachdem das Wort kauke mit vollerm Mun-
de
[205]dritter Abſchnitt.
de von den Franken Quake ausgeſprochen werden
mogte. S. §. 60. n c. Der Kayſer Julian ſtellete die
Sachen am Niederrhein mit auſſerordentlicher Muͤhe
wieder her. S. AMM. MARCELL. XVII. 8. ad ann.
358. JVLIANVM in ep. ad Ath. p. 279. ſs.
tranſire. ZOSIM. III. 6.
beym VALES. L. IV. rer. Franc. p. 161. hat aber Aetius
die Allemannen auch, eben wie vorhin Tiber die Mar-
komannen, gegen die Franken und ihre Freunde die
Saſſen gebraucht.
tom I. opp. edit F ancof. p. 60 wirft alles durcheinander.
Quicquid inter Alpes \& Pyrenæum eſt, quod Occano \&
Rheno ineluditur, Quadus, Vandalus, Sarmata, Alani,
Gepides, Heruli, Saxones, Burgundiones, Alemanni \& ho-
ſtes Pannonii vaſtarunt. Man ſollte daraus ſchlieſſen, als
wenn alle dieſe Voͤlker gemeinſchaftlich gegen die Roͤmer
gekrieget haͤtten. Allein die Umſtaͤnde ergeben daß die
Franken und Saſſen, eben wie ehedem die Belgier, S.
§. 77. n. i. ſich dem Strome entgegen geſetzet haben.
Man bemerkt ein gleiches bey dem Einbruch der Hun-
nen, wovon SIDON. carm. 7. v. 319 ſs. eine gleiche Nach-
richt giebt; die Franken und Saſſen ſequeſtrirten nur
die roͤmiſchen Provinzien. Daß ſie aber ſolche nachwaͤrts
nicht wieder zuruͤckgegeben haben, daran war der Roͤmer
Ungluͤck Schuld.
nun aus Noth gegen die Allemannier und andre Voͤlker,
ſo ihnen aus Deutſchland und Pannonien uͤber den Hals
kamen; und es konnte nicht eher ruhig werden, als bis
die Franken und Allemannier in ein Reich zuſammen
traten und das alte Germanien gegen die Donau wieder
in Anſehn brachten.
Linie nachgiengen, welche das alte Germanien eingefaßt
hatte; und man ſollte in dem Conſulat des erſten fraͤn-
kiſchen Monarchen Chlodoveus, welches er noch von dem
Kayſer Anaſtaſius annahm, nachdem Juſtinian den
Franken Gallien ſchon abgetreten hatte, S. DV BOS
hiſt. crit. de la Mon. Fr. III. 6. c. 12., faſt einen Tittel
ſuchen, wodurch er ſich gerade zu dieſer und keiner an-
dern Eroberung berechtigen konnte. Denn unter dem
Vorwand dieſes Conſulats konnte er die von Conſtantin
dem Groſſen gemachte groſſe galliſche Praͤfectur wieder-
herſtellen, und damit Oberdeutſchland a titre de reunion
an ſich reiſſen. Eben ſo hatte der Comes Syagrius der
ſich vom Kayſer Mauritius zum roͤmiſchen Patritius
machen ließ S. FREDEG. Chron. ad ann. 587. c. 6.
ſicher die Abſicht den Koͤnig Guntram unter ſeinen Be-
fehl zu ſetzen.
vey. Jn dem vorigen Kriege, wovon es heißt: Poſt
innumeras cædes, poſt populi totius diminutionem, poſt
patriæ devaſtationem reſiduos tandem qui vitam fuga pro-
texerant, redire præcepit, \& eos Francis tributarios fecit.
S. RORICO. ad ann. 491. wird der Saſſen ſonſt
nicht gedacht; und im Jahr 553 hielten ſie es ſchon mit
den Thuͤringern. Hlotharius ipſe Saxones rebellantes juxta
Wiſeram fluvium magna cæde domuit \& Thuringiam per-
vaſam devaſtavit. RORICO ad ann. 553. Und noch deut-
licher: Eo anno rebellantibus Saxombus Chlotacharius rex
commoto contra eos exercitu, maximam corum partem
delevit, pervagans totam Turingiam, pro co quod Saxoni-
bus
[209]dritter Abſchnitt.
bus ſolatium præbuiſſent. GREG. TVR. IV. 10. MARII
Epiſc. Chron. ad ann. 555. beym BOVQVET T. II. p. 16.
Die Thuͤringer und Saſſen waren alſo damals Freun-
de und fielen bald wieder in Franken. S. App. ad
MARCELLINI Com. Chron. ad ann. 556. ib. p. 21.
feinen Zug. Quietem otiumque omnino judicant morbum.
Quapropter ab omni ævo ſuperiore, qui proquinquum illis
regnum fortiti ſunt, neque rationes invenerunt quibus per-
ſuaderent, neque tantam in armis vim habuerunt ut quie-
ſcere cogerent.
c. 74. ad ann. 681. und iſt der Styl bey den fraͤnkiſchen
Schriftſtellern allemal dieſer: Saxones pacem petentes
juri Franc. ſeſe, ut antiquitus mos fuerat, ſubdiderunt \&
ea tributa quæ Chlotario quondam præſtiterant, pleniſſima
ſolutione ab co tempore deinceps eſſe ſe reddituros pro-
miſerunt. ANN. PYTH ad ann. 747. Der Tribut be-
ſtand einmal aus 500 Pacht-rindern, vaccis inferendali-
bus, und einmal aus 300 Pferden, vermuthlich war
das letztere minder ſchimpflich als das erſte, wodurch ſie
fraͤnkiſchen Domanial-Eigenbehoͤrigen gleich geſetzt wa-
ren.
Nordſuavi vocabantur, geweſen, weil es in ANN. MET.
ad ann. 748 heißt: centum mille Saxones, qui Nordſuavi
vocantur, ſub ſuam ditionem ſubactos, contritosque ſube-
git; woraus man zuruͤckſchlieſſen muͤſte, daß ein Theil
von Sachſen ehedem ſchon zur Sueviſchen Provinz ge-
macht worden; welches vielleicht damals geſchehn, als
der Zug mit den Longobarden nach Jtalien geſchahe;
wovon WARNEFRID. III. 5. ſs. Hiernaͤchſt heißt es
auch oft Saxones qui ſuo regno adfines eſſe videbantur fe-
liciter acquiſivit. THOROM. VI. ad ann. 744. beym
CANIS. T. II. p. 215. Ed. Baln.
de ſcript. eccl. c. 3. welche HERT. de vett. Germ. pop.
III. 3. p. 135. opp. ſo geſchwind annimmt; daß nemlich
Weſt-
[211]dritter Abſchnitt.
Weſtvalus ſo viel als Weſtgallus, und jener Nahme als-
denn erſt entſtanden ſey, wie gegen die nach Frankreich
gefuͤhrte Sachſen, Gallier wieder nach Weſtphalen ge-
ſchickt worden, ſcheint wohl ein Spielwerk.
weil man keine Soͤldner zu Beſatzungen hatte, und alſo
ſein eigen Erbe verlaſſen muſte, um ein fremdes zu bauen
und zu ſchuͤtzen. Daher war eine Eroberung zugleich
eine Wanderung.
II. 27. ſs.
accurrens, interfecto Bertoldo Saxonum duce victoriam ob-
tinuit, \& nullum omnino Saxonem menſuram gladii ſui
excedentem dimiſit viventem. AIMON. de geſt. Fr. IV.
14. HAINVLF I. 3. SIG. GEMBL. ad ann. 630. ADO ad
ann 528. Dieſe Leute ſchreiben das einander ſo nach;
und VALES. I. 18. rer. Franc. p. 59. haͤlt es mit Recht
fuͤr eine Ritter-geſchichte ob Fredegarii aliorumque gra-
viſſimorum autorum ſilentium. Chlotar ritt durch die
Weſer, und erſtach Bertholden wie ein Ritter den
Drachen. Geſta Dagob. c. 14. Berthold ſoll damals ge-
ſagt haben: Conſilio meorum tractandum eſt, bella cum
quibus agendo erunt. Vita S. FARONIS e. 71. in act. SS.
Ord. Bened. Sæc. ll. p. 610.
ſpondent -- Exinde jam Saxones tributa, quæ reddere con-
ſueverant --- habent indultum. Quingentas vaccas inferen-
dales annis ſingulis a Chlotario Seniore cenſiti ſolvebant.
CHRON. MOISS. ad ann. 631.
Sklaven auf die Seite der Franken. S. ANN. MET.
ad ann. 748.
rum ſive Hazzuariorum devaſtarunt. Chron. Font. \& ann,
Petav. ad ann. 715. beym BOVQVET T. ll.
p. 125. Chron. Fonten. 715. Ado. 719. Ann. Met. 718.
wieder an. Man ſieht daß Carl 718. 720. 722. 728.
wieder ſie gezogen; 729 einen gleichen Zug vorgehabt
und 738 heißt es. Karolus introivit in Saxoniam \& eos
tributarios fecit. Ann. Laurich. beym BOVQVET. T. II.
Herm Contr. ad ann 737. SIGEB. GEMBL. ad ann. 740.
Lamb. Schafn. ad ann. 739.
dom zu ſtehen, und behaupteten mit Recht, daß der
Koͤnig ſie in Perſon anfuͤhren muͤſte. Illis temporibus ac
deinceps Gotefredus Dux Alemannorum ceterique circum-
quaque duces noluerunt obtemporare ducibus Francorum,
eo quod non potuerint regibus ſervire ſicut antea ſoliti
fuerant. ERCHAMBERT. in breviario regum \& majorum
Domus. v. HERT. in not. regni vet. Franc. V. 21. p. 403.
opp. Alleiu der Majordom nahm daher einen Vorwand
ſie in Nahmen des Koͤnigs zu unterdruͤcken, und alle
Kron-feldherrſchaften mit ſeinem Hof-dienſt zu vereini-
gen.
allgemeine Feldherrſchaft behauptete, und unter dieſem
Vorwande allen Reichsfuͤrſten das Herzogthum in ihren
Laͤndern entriſſe: ſo wuͤrde dem Kayſer bald nichts als
der Titel uͤbrig bleiben. Dies war der damalige Fall.
Die Pohlen haben ſich beſtaͤndig gewegert, die Kron-
feld-
[215]dritter Abſchnitt.
feldherrſchaften und die koͤnigliche Wuͤrde auf ein Haupt
kommen zu laſſen; und die Deutſchen hatten einerley
Grundſaͤtze, quando duces ex virtute reges ex nobilitate
ſumebant.
die Unternehmungen einiger Gefolge, als Land-folgen ge-
weſen zu ſeyn; indem erſtere zu ſtark angewachſen ſeyn
mogten. S. §. 38. n. d Denn es iſt nicht zu begreifen,
warum der Heerbann, welcher den Ackerbau treibt, ſich
in ſolche verderbliche Kriege einlaſſen ſollen. Derglei-
chen Gefolge ex ſervulis \& vernaculis waren oft ſehr ſtark;
wie das Beyſpiel von Dydimus und Virianus beweißt.
S. PAUL. DIAC. XIII. 30.
regis præſtandum. S. THOROM. VI. 1. ap. CANIS. T.
II. p. II. p. 220. Und dies iſt Beweiß genug, daß ſie
die fraͤnkiſche Herrſchaft foͤrmlich erkannten. Allein es
geſchah wohl nur von uͤberwundenen Edlen, welche kei-
nesweges als Repraͤſentanten der Gemeinen, oder als
ordentliche Obrigkeiten angeſehen werden moͤgen.
Pipin muſte wegen der Vorfaͤlle in Bayern und Ober-
deutſchland ſeine Hauptarmee in einer Stellung halten,
woraus er mit gleicher Fertigkeit die Sachſen, Skla-
ven, Bayern und andre unruhige Voͤlker erreichen konn-
te. Daher heißt es insgemein: Per Thuringiam pervenit
in Saxoniam ANN. TIL. ad ann. 747. ANN. MET. ad
ann. 748
die Frieſen gebrauchen muſten, zogen ſie vom Nieder-
rheine mehr gegen die Emſe.
franzoͤſiſchen Armeen im Jahr 1760 und 1761 arbeite-
ten nach einem gleichen Plan. Es giebt gewiſſe allge-
meine Vortheile beſonders zur Subfiſtenz der Armeen,
welche
[217]dritter Abſchnitt.
welche in allen Zeitaltern erkannt werden. Der Herzog
Ferdinand von Braunſchweig machte damals Warburg
zu dem Punkte um welchen er ſich wandte; und vermuth-
lich war eben dieſer Ort der fraͤnkiſche Wende-punkt ge-
gen die Sachſen. Der roͤmiſche Operations-plan ſcheint
mehrmals eben dahin abgezielt zu haben. Carl der
Groſſe wollte Eresburg oder Stadtberge auf gleiche Art
gebrauchen; und die Sachſen erkannten daß dieſer Ort
ihnen gerade der ſchaͤdlichſte waͤre. Daher ſie ihn auch
durchaus nicht in der Franken Haͤnde laſſen wollten.
MS. Loiſel. ap. CANIS. T. II. p. II. p. 49. Fd. Baſn. \&
ap. REUBERUM ad ann. 753. Die groſſe Heerſtraſſe geht
uͤber Bilefeld, Herford und Reme. Es gieng auch die
franzoͤſiſche Armee unter dem Marſchall d’ Etrees im
Jahr 1757 eben daher, und beſetzte Jburg auf ihrer
linken Flanke.
Weſtph. L. VI. Vorangezogene Annales Franc. ſetzen
es ad ann. 753. mit der Anmerkung daß gleichwohl Pi-
pin ſieghaft zuruͤck gekommen ſey. Man kann aber das
letztere in Zweifel ziehen. Denn der Erzbiſchof war
vermuthlich am ſicherſten Orte, wo er und die Franken
nichts befuͤrchten zu duͤrfen glaubten. Dieſer iſt allezeit
im Ruͤcken einer Armee, und alſo war Jburg den
Franken, die uͤber Reme nach der Weſer giengen, im
Ruͤcken, oder doch wenigſtens auf ihrer linken Flanke.
Verlohren ſie alſo dieſen: ſo waren ſie in der groͤſten
Gefahr. Womit auch der Erfolg als der beſte Zeuge
uͤbereinſtimmt. Der Ort heißt in Ann. cit. Viberg, und
Viburg, beym ADO in æt. 6ta Vitburg. Es iſt aber un-
ſer Jburg, wo in den aͤlteſten Zeiten eine Burg geweſen.
Und Joh. de Eſſendia beym SCHEID in bibl. Gotting. p.
28 erzaͤhlt die Geſchichte ganz recht, wenn er ſchreibt:
Pipinus rex ducit in Saxoniam \& ibi acerrime pugnatum
eſt \& Pipinus rex deo autore victor extitit. Et tamen Hil-
degarius Epiſc. Col. occiſus eſt a Saxonibus in caſtro dicto
O 5Iber.
[218]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Iber. Hervordia (ſoll ſeyn Henrich von Herford ein be-
kannter obgleich ungedruckter Geſchichtſchreiber) dicit
quod ſit in monte dicto Yborch. Nunc in diœceſi Oſnabr.
caſtrum ibidem eſt. Bellum autem commiſſum eſt ſecun-
dum Gregorium (Turonenſem in libro deperdito) in loco
qui dicitur Rimie. Dieſer Johannes de Eſlendia ſchreibt
ſich in einem auf dem Hauſe Schelenburg noch befindli-
chen und Johanni de Scheelen ſamulo \& Netzen ejusque
uxori ſub dato Oſnabr. 1453. d. 19 Sept. ertheilten beſtaͤn-
digen Ablaſſe: Frater Sacræ Theologiæ humilis Profeſſor
arque per Provinciam Saxoniæ ordinis Prædicatorum im-
meritus Prior provincialis.
Schriftſteller ſeiner Zeit erhalten, und wurde dreymal
hinter einander, als primarius loci Hochſiburg, genoͤthiget
ſich zu unterwerfen, wie ex Ann. Franc ad ann. 743 \&
745 zu erſehen. Doch iſt das was einige beym Jahr
743 erzaͤhlen, auf das Jahr 744 zu ziehen.
CONTR. ad ann. 745. Hoſeaburg SIG. GEMBL. ad ann.
743. Orſeburg ANN. LAVRISH 745. Ocſioburg ANN.
MET. 743. Ohſeburg. ANN. FVLD. 745. Hochſeburg
ADO 743. Ochſenbrug beym REGINO. II. Dieſe
Veſtung verſetzt LODTMAN in mon. Oſn. III. auf den
Gertrudenberg bey der Stadt Oßnabruͤck, anſtatt daß
ECCARD in Comm. de R. F. O. I. p. 457. ſie
an der Eder ſetzt. Meines Ermeſſens koͤmmt es
auf den Gleichlaut der Worte nicht an, und da man
ziemlich deutlich zeigen kann, daß Hochſeoburg den Fran-
ken auf dem Wege aus Thuͤringen in Sachſen aufge-
ſtoſſen ſey: ſo wollen alle andre Gruͤnde nichts erheben.
Die Stelle beym THOROM. VI. ad ann. 744. ſagt
deutlich: Evoluto triennio Carolomannus confinium Saxo-
num ipſis rebellantibus cum exercitu irrupit, ibique captis
habitatoribus, qui ſuo regno adfines eſſe credebantur, abs-
que belli diſerimine acquiſivit. Hier wird zwar ſo wenig
eines Dieterichs als Ochſiburgs gedacht Allein ohn-
ſtreitig iſt hier die Rede von dem erſten Feldzuge 744,
wel-
[219]dritter Abſchnitt.
welchen die Ann. Til. Naz. \&c. irrig ins Jahr 743 ſetzen,
worin Carlmann ſich aus Bayern gegen Sachſen wand-
te, Ochſeburg einnahm und Dietrichen zur Ueberaabe
noͤthigte. Folglich lag es in confinio Franciæ orientalis.
weil ihm ein anders Wort fehlte. Der Poeta Saxo nennt
ſie Duces:
Quæ nec rege fuit ſaltem ſociata ſub uno
Sed variis diviſa modis plebs omnis habebat
Quot pagos tot pene duces.
Und es iſt nach dem Ausſpruch Taciti: Duces ex virtu-
te ſumunt, nicht zu zweifeln, daß dieſes erwaͤhlte Vor-
ſteher geweſen. Wo nicht: ſo haͤtte Carl bey Einfuͤh-
rung der Grafen, die ganze ſaſſiſche Verfaſſung ſpren-
gen, wenigſtens tauſend Satrapas um ihre Erb-gerichts-
barkeit bringen, das ganze Volk nicht bey ihrer Frey-
heit laſſen, ſondern ſelbiges darin neuerlich ſetzen, mit-
hin auch nicht ſagen muͤſſen, daß er es bey ſeinem alten
Rechte gelaſſen haͤtte. Es iſt eine gewaltige Veraͤnde-
rung, wenn eine ganze Nation unter Erbgerichtsbar-
keiten ſteht, dieſe mit einander aufgehoben, und alle re-
gierende Fuͤrſten abgeſchaffet werden ſollen. Wie das
Parlament von Großbritannien die Claus der Schotti-
ſchen Herrn ſprengte, und ihre Unterthanen zu unmit-
telbaren Reichs-unterthanen machte, geſchahe ſolches
nicht ohne maͤchtige Bewegungen; und nirgends zeigt
ſich auch nur eine Spur, daß Carl dergleichen unter-
nommen haͤtte.
NITHARDO hiſt. l. 4. folgende: Sunt inter illos qui
Ethilingi, ſunt qui Frilingi, ſunt qui Lazzi eorum lingua
dicuntur; latina vero lingua hoc ſunt: Nobiles, ingenuiles
atque ſerviles, oder Edle, Wehren und Leute. Diejeni-
gen welche nach dem ADAMO BREM. I. 5. ap. LEIBN.
T. I. p. 46: die Eintheilung machen, und quatuor diffe.
rentias nobilium \& liberorum, libertorum atque ſervorum
annehmen, ſehen die Sache aus einem philoſophiſchen
Geſichts-punkt an, und reden nicht von den Claſſen der
Nation ſondern der Menſchen bey den Saſſen. Zur er-
ſtern gehoͤren die Servi nicht; und wenn Nithard die
Leute dazu rechnet: ſo that er ſolches vermuthlich we-
gen der vielen Leute im Gefolge. Daß ſonſt Adam von
Bremen diejenigen liberos nennt, welche Nithard inge-
nuiles heißt, koͤmmt von dem unterſchiednen Coſtume ih-
rer Zeiten, indem erſter im 12ten und dieſer im 9ten
Sæc. lebte. Das Wort liber wurde ſpaͤter ein Ehren-
wort, und ſo gar den edlen Herrn gegeben. Nithard
aber fuͤhlte noch, daß er ingenuiles ſagen muſte, und er
war ein Schriftſteller von weit feinerm Geſchmack als
Adam. Lazzi aber iſt ſo viel als Letti oder Leute. Bar-
bari S. in T. commutant DIO hiſt. LXVIII. 26. und die
Franken ſagten zuerſt Hazzi fuͤr Chatti. ANN. PETAV. ad
ann. 715 beym BOUQ. T. II. mithin Lazzi fuͤr Latti oder
Letti. Die Oberſachſen verwandeln jedes tt der Weſt-
phaͤlinger in ſl. Es iſt leicht zu beweiſen, daß in ganz
Deutſchland plattdeutſch geredet worden, ehe die Skla-
ven und Franken eine andre Mundart eingefuͤhret ha-
ben.
uͤberaus wohl gewaͤhlt, weil niemand eigentlich leuchtet,
als den die Sonne beſcheinet; und dieſe erleuchtet kei-
nen Mann, der von einem andern beſchattet wird. So
lange der Kayſer beſchattete, war kein Reichsbedienter
erleuchtet.
nem Herrn und Hofrechte unterworfen iſt, S. §. 25.
n. f. nimmt eine Religion mit Freuden an, welcher die
Rechte des Herrn auf alle Weiſe maͤſſiget. Ein Wehr
hingegen, der nur einen directorem ſocietatis kennet, und
dieſem genugſam gewachſen iſt, wird nicht ſo leicht eine
Religion annehmen, wodurch die Vollmacht des Dire-
ctoris ohne ſeine Einwilligung erweitert wird.
naueſte, daß die Bemuͤhungen des H. Bonifacius dies-
ſeits des Saltus hercynii qui Chattos proſequebatur \& de-
ponebat. TAC. G. 30 nicht fruchtbar geweſen. Was
ROLEVING de laud. Weſt. II. von dem Aufenthalt der
Gebruͤder Ewald zu Laer; MARCELL. in vita Suiberti c.
15. 17. von der Ankunft dieſes Heiligen zu Muͤnſter und
Bilefeld ꝛc. ꝛc. melden, iſt zu neu um als ein gutes
Zeugnis zu gelten; und wenn es auch ſeine Richtigkeit
haͤtte: ſo wuͤrde es doch von keinem Gewicht ſeyn, weil
die Bekehrung einzelner Dorfgeſeſſenen Freyen, die bey
Veraͤnderung der National-verfaſſung eher gewonnen
als litten, dagegen nichts erhebt, indem ich blos von
National-bekehrungen, dergleichen jenſeits des hercini-
ſchen Waldes vorgefallen waren, rede.
Herrſchaft ſtraͤubeten, zeigt ſich auch an denjenigen wel-
che mit den Longobarden nach Jtalien gezogen waren,
und unter tauſend Gefaͤhrlichkeiten mit Weib und Kin-
dern durch Frankreich zuruͤckkehrten. Certum autem eſt
ideo hos Saxones ad Italiam perveniſſe ut in ea habitare
deberent. Sed quantum datur intelligi noluerunt Longo-
bardorum Imperio ſubjacere. Sed neque eis a Longobar-
dis permiſſum eſt in proprio jure ſubſiſtere, ideoque æſti-
mantur ad patriam ſuam repedaſſe WARNEFR. de geſtis
Long. III. 6. Jhre bittre Neigung gegen die Schwa-
ben
[224]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ben aͤuſſerte ſich beſonders bey dieſem Ruͤckzuge. ib. c. 7.
Jnzwiſchen mogten die Longobarden vetuli Saxonum a-
mici, die Grundſaͤtze der Saſſen nicht mißbilligen, in-
dem ſie ſich damals nach dem Tode Alboins 12 Feld-
herrn, wovon jeder nur ein Jahr regierte, erwaͤhlteu.
FREDEG. Chron. c. 45. MON. FLOR. III. 17. H.
CONTRACT. ad ann. 576.
nannt.
glaubens zu zeigen. Es dient auch dermalen zu nichts,
da unſre Geſetzgeber die groſſe Kunſt verſtehen, die Ehr-
lichkeit bey Strafe des Zucht hauſes und Veſtungs-
baues zu befehlen; und die Landesverordnungen in eben
dem Ton zu faſſen welchen ein Herr gegen ſeine Knechte
gebrauchen kann. Sonſt lieſſe ſich eine vortrefliche Pa-
rallele zwiſchen den Mitteln, wodurch die Alten freye
Menſchen zum gemeinen Wohl leiteten, und den neuern,
wodurch alle Empfindung der Ehre niedergeſchlagen
wird, entwerfen, und zeigen daß das Kind welches die
Schaͤrfe ſeines Meſſers den Engeln zu gefallen auf die
Seite legt, edler gefuͤhret werde, als dasjenige, welches
mit Schlaͤgen dazu angehalten wird. Der Aberglaube
der Saſſen war auf dieſe Art in die politiſche Verfaſ-
ſung geflochten, wie ich ein andermal zeigen werde.
Elbe fuͤhrte er eine Menge von Einwohnern mit Weib
und Kindern nach Frankreich ꝛc.
Roͤmern. S. §. 90. n. g.
ohne daß er es merkte, verdiente eine eigne Ausfuͤhrung.
beym REUBER in collect. Rer. Germ. als den beſten und
ſicherſten; die mehrſten fraͤnkiſchen Annaliſten haben es
entweder hieraus, oder aus einerley Hof-zeitung ge-
ſchrieben und vieles boͤßlich veraͤndert. Z. E. Jn den
Annalibus Eginhardi heißt es: ad ann. 775. Interea pars
exercitus quam ad Wiſeram dimiſit, in loco qui Hludbecki
vocatur, caſtris poſitis, incaute agens, Saxonum fraude
circumventa \& decepta eſt --- und es wird hinzugeſetzt:
\& ex pacto, quod inter cos ex tali neceſſitate fieri pote-
rat, Saxones diſceſſerunt. Quod cum regi fuiſſet allatum,
quanta potuit celeritate accurrens ---- Dieſen empfindli-
chen Streich verſchweigen die Annales Nazariani, Tilia-
ni, Petaviani, Fuldenſes \&c. und die Ann. I oiſelliani,
Metenſes, Bertiniani, imgleichen der autor vitæ Caroli M.
ex bibl. Thuani, der Monachus Egoliſm. und andre fraͤn-
kiſche Schriftſteller, ohnerachtet ſie offenbar nur einerley
Zeitung copiirt, kehren es gerade um, und ſagen: \&
Deo volente Franci victoriam habuerunt. Aldenn aber
fahren ſie fort: Hac victoria audita Domnus Carlus rex
iterum ſuper Saxones irruens non minorem ſtragem ex eis
fecit. Da man doch offenbar fuͤhlt und ſieht; daß der
Kayſer audita clade und nicht audita victoria den Saſſen,
welche das ganze Lager erobert und gepluͤndert hatten,
nachzueilen bewogen worden. Eine ſolche Falſchheit
macht alle fraͤnkiſche Erzaͤhlungen verdaͤchtig, und zeigt
zugleich den Wehrt der annalium Eginhardi.
geſamlet und gepruͤft GRUPE in obſ. rer. \& ant. Germ.
X. Wenn man nur allein bedenkt, daß die Nahmen
Jrmen-fried, Jrmen-olf, Jrmenhold, Jrmenhart, Jr-
P 2men-
[228]Oſnabruͤckſche Geſchichte
mengard, Jrmentrut ꝛc. wie Gott-fried, Gotthelf, Gott-
hold, Gotthard, Mariengard und Engeltrud gebildet
ſind: ſo ſieht man leicht, daß Jrmen eine vorzuͤgliche
Provincial-Gottheit geweſen. Jr-men kann den er-
ſten oder Neu-mond bedeuten. Deorum enim numero
ducebant lunam. CAES. de B. G. VI.
weil vor dem Jahr 800 keine Ruhe und Sicherheit in
Weſtphalen geweſen.
Francorumque truci Proceres ſunt cæde necati
Regis legati \& præclari quattuor illic
Exſtincti comites, cum viginti venerandis
Nobilibusque viris hac clade peremtis.
At reliquis belli populus conſumtus in illo
Cenſeri numero nequit.
Carl dieſe Rache gegen Lente im Gefolge ansgeuͤbet
habe, welche ihrem edlen Herrn dienten, und ihre
Schuldigkeit thaten. Denn dieſe waren ſo wenig ſtraf-
dar, als es unſre Soldaten ſind, wenn fie ihrer Fahne
folgen. Es iſt daher kein Zweifel, daß dieſe 4500 Ge-
fangene, welche Carl enthaupten ließ, gemeine Wehren
geweſen, welche ſich ohne Dienſt-pflicht auf Wedekinds
Seite gewandt hatten; und ein General wuͤrde noch jetzt
eben ſo handeln, wenn Buͤrger oder Bauren die Waſſen
ergriffen. Die Folge beſtaͤtigt dieſe Vermuthung. Denn
nach dieſer Rache, und nicht vorher, zeigten ſich ganze
ſaͤchſiſche Armeen im Felde, mit welchen Carl ſich in
ordentlche Schlachten einlaſſen muſte, anſtatt daß vor-
her der Krieg mehr mit Wedekinds Gefolge, wobey die
Gemeinen ſich ruhig halten mogten, gefuͤhret wurde.
Die fraͤnkiſchen Schriftſteller bemerken es auch, daß der
Kayſer nach dieſen Dato beſtaͤndig verheert habe, wel-
ches insgemein geſchieht, wenn man gegen Bauren
kriegt.
recepit, atque ibi caſtris poſitis partem exercitus, quæ ad-
huc de Francia venire debebat, openebatur. ANN. EGIN-
HARD. ad ann. 783.
Kriege nur zwey Haupt Treffen, und zwar beyde in ei-
nem Jahre vorgefallen waͤren. Denn EGINHARD. in
vita Caroli M. c. 8 ſagt ausdruͤcklich: Hoc bellum licet
per multum temporis ſpatium traheretur, ipſe non amplius
cum hoſte quam bis in acie conflixit, ſemel juxta montem,
qui Oſneggi dicitur, in loco Thietmelle nominato \& ite-
rum apud Aſam fluvium \& hoc uno menſe, paucis quo-
que interpoſitis diebus. Allein bey der Vorausſetzung,
daß Wedekind und ſeine Freunde bis ins Jahr 781. mit
ihren Privat gefolgen den Krieg gegon die Franken ge-
fuͤhrt haben; und daß im Jahr 782. zuerſt der Heer-
bann aufgewiegelt worden (S. §. 110. n. b.) laͤßt ſich
dieſes fuͤglich begreifen, und auch zugleich einſehen, wie
allerdings gar fruͤhzeitig einige Kirchen in dem Lande
der Saſſen angeleget werden koͤnnen. Denn wenn der
Heerbann ſtille ſaß; ſo waren alle Zaͤune, Haͤuſer und
Kirchen ſicher. Die ritterlichen Gefolge vergriffen ſich
daran nicht. Dieſe zogen der Landſtraſſe und dem Eben-
theuer nach, ohne den Pflug zu hemmen oder den ge-
meinen Mann zu ſtoͤren. So bald ſie ſich daran gewagt
haͤtten; wuͤrden ſie Gefahr gelaufen ſeyn von den Weh-
ren erſchlagen zu werden.
nehmen das jetzt ſo genannte Kerls-feld dazu an; dieſes
iſt aber zu weit von der Haſe. Einer andern alten Sa-
ge zu folge, ſoll die Schlacht auf der Wiſſinger Heide
vorgefallen ſeyn, welches mit der Lage und den Umſtaͤn-
den wohl beſtehen kann. Wegen dieſes Sieaes verord-
nete der Pabſt Adrian eine dreytaͤgige Litaney auf den
23. 26. und 28. Jun. S. Epiſt. Hadriani Pontif. in coll.
Conc. LABBEI T. VI. p. 1775. Und vielleicht war an
dieſen dreyen Tagen der Sieg erfochten, weil Eginhard
P 4ſagt,
[232]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ſagt, daß alles uno menſe paucis quoque interjectis diebus
geſchehen.
Nachricht verbreitet, indem alle Annaliſten darinn uͤber-
einkommen, daß der junge Held an der Lippe gefiegt
habe. Da aber der Koͤnig den Feldzug in Saſſen be-
reits geſchloſſen und ſeine Winterquartiere hinterm Rhein
genommen hatte: ſo muͤſte ſolches entweder aus einer
auſſerordentlichen Krieges-liſt, welche aber ganz unnoͤ-
thig war, geſchehen ſeyn, oder der Prinz hatte eine ge-
waltige Schlappe empfangen, die den Vater noͤthigte
mitten im Winter aus Frankreich in Weſtphalen vorzu-
ruͤcken, und ſeine ganze Armee cantonniren zu laſſen.
Denn wenn Carl bloß mit der Nation zu thun hatte,
brauchte er Widekinden keine gute Worte zu geben;
hatte er aber mit ihm, als einen Partiſan zu thun, der
immer uͤber die Elbe auswich, und dann wieder ein-
brach: ſo war nichts uͤbrig, als ihn durch Guͤte zu ge-
winnen.
gleichzeitigen Zeugniſſen nicht zu erweiſen. Was CRV-
SIVS in vita Widek. c. 4. FALKE in trad. Corb. p. II.
§. 104. nota u. und andre davon geſagt, will ich nicht
ausſchreiben. Nach einem ſichern Zeugniſſe MEGIN-
HARDI in translat. S. Alex. beym SCHEID. in bibl. Göt-
ting. n. I. 5. 6. lag Wildeshauſen in ſeinem Vaterlande;
und eine alte Sage ſchenkt ihm einige Guͤter in der Ge-
gend von Rulle und Wallenhorſt. S. SCHATEN in hiſt.
Weſtph. VII. p. 486. Die heutiges Tages ſo genannte
Wieks-burg bey dem Kloſter Rulle, wovon GOETZE in
progr. de Widekindi quatuor caſtris eine Abbildung und
Beſchreibung giebt, gehoͤrt zu dieſer Sage, imglei-
chen eine Wieks-burg im Gehne zu Bramſche. Es ſind
aber unſtreitig mehrere Widekinde geweſen, und nicht
jede Widekinds-burg hat dieſen Helden zum Urheber.
Die Sage hat ihn bereits vor einigen hundert Jahren,
beym Rolevink, Cranz, Hamelman, Winkelman ꝛc. zu
Belm getauft, und zu Engern begraben; und an beyden
P 5Orten
[234]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Orten ſind wuͤrklich noch jetzt dieſe Handlungen durch
praͤchtige Monumente verewigt. Erſters aber iſt wider
das einſtimmige Zeugniß aller Schriftſteller; und letz-
ters noch eben ſo zweifelhaft, obſchon Kayſer Carl der
IV, als er im Jahr 1377. zu Bilefeld war, ſo berichtet
wurde. Wenigſtens verraͤth die Jnſchrift auf dem En-
geriſchen Monument: Monumentum Witechindi, Warne-
chini filu, Angrivatiorum regis, XII. Saxoniæ procerum du-
cis fortiflimi, beym CRVSIO in Witich. poſt præf. und
FAI K. l. c einen ehr unverſtaͤndigen Verfaſſer. Man
muß dergleichen Dinge auf die Rechnung eines Zeital-
ters ſetzen, worin es Mode war ſeine Stiftungen durch
Fabeln zu ſchmuͤcken. Nach CRANZIO in Sax. II. 24.
ſoll er in einem Treffen gegen den ſchwaͤbiſchen Herzog
Gerold geblieben ſeyn. Und FALKE l. c. not. †††. hat
ihm die letzte Ehre mit einer Stammtafel erwieſen.
Jch uͤbergehe aber dergleichen Familien-umſtaͤnde in
einer oͤffentlichen Geſchichte. Mann kann desfals GO-
BELIN. in Coſm. æt. 6. c. 38. HAMELMAN. l. c.
WINKELM in notit. Saxo Weſtf. IV. 3. CRVS. l. c.
LODTMAN. in monum. Oſn. p. 56. 71. und andre nach-
leſen.
in diſſ. de Widekindo M. die Feder ergriffen nennen den
Wedekind einen Koͤnig; oder machen ihn zum Herzog;
auch wohl gar, wie HAMELMAN in opp. p. 679,
zum Guvernoͤr von Oßnabruͤck. Allein die Annales Fran-
corum heiſſen ihn bloß: unum e primoribus Weſtfalo-
rum, und ſelbſt Rolving nennt ihn: virum nobilem.
Jn ſo fern er ſeine Landesleute angefuͤhret hat, iſt er
Dux, und ſo nennt ihn auch WITECH. Ann. I. p. 10.
imgleichen Carl in einem Briefe an den Koͤnig der Mer-
cier Offa, welchen Balutz irrig aus dem Jahr 774 da-
tirt, wenn er ſchreibt: Duces Saxoniæ, quos noſtris nuti-
bus inclinavimus Withimundus \& Albion cum fere omnibus
incolis Saxoniæ, baptiſmi ſuſceperunt Sacramentum. ap.
BALUZ T. I. p. 194. Allein dux iſt hier weiter nichts
als ductor, nicht aber dux cum ducatu im heutigen Ver-
ſtande.
[235]dritter Abſchnitt.
ſtande. Auch ducatus zeigt eben wie comitatus oft nur ein
Gefolge, und kein Herzogthum oder Grafſchaft an.
ſollte man glauben, Widekindus ex Germania profugus
haͤtte in Frankreich geheyrathet, und ſich dort in der
Folge aufgehalten. Und es iſt nicht unwahrſcheinlich,
daß Carl ihn durch Huͤlfe der Liebe in einer ehrbaren
Geiſſelſchaft bewahret. Die Gelehrten ſind daruͤber un-
eins, ob Wedekind ſeines Herzogthums beraubet worden
oder nicht? Man muß aber erſt beweiſen, daß er der-
gleichen im heutigen Verſtande gehabt habe. Carl
raubte ihm wahrſcheinlicher Weiſe nichts. Allein ſein
Commando hoͤrte mit dem Kriege von ſelbſt auf, und
er blieb nun als Edler auf ſeinen Guͤtern, der weiter
nicht in Betracht kam. S. §. 38. n. i. In Actis SS.
ad d. 7. Jan. divorum faſtis memoratur Witichindus. Doch
ſetzen die Verfaſſer §. 7. hinzu: Se haud comperiſſe, ſit-
ne publicum Romanæ eccleſiæ vel privata aliorum autha-
ritate cælitibus adſcriptus.
791. und 793.
ſchehn. Ann. Eginh. l. c.
auf dem Sintfelde entgegen gekommen waren, und zer-
ſtreuete ihn in Frankreich; und nach ſeiner Politik
mogte dieſes hauptſaͤchlich die Frieſen betreffen; wie-
wohl ich noch zweifle, ob es mit dieſer translatione tertii
hominis ſeine Richtigkeit habe, da die Annales Eginhardi
nichts davon erwehnen, und bloß Annales Fuld. \& ap.
Pythæ-
[237]dritter Abſchnitt.
Pythæum derſelben gedenken. Daß aber die Urſachen
dieſer ſpaͤtern Kriege an der See zwiſchen der Elbe und
Weſer lagen, zeigt ſich aus den Worten in Ann. Eginh.
ad ann. 797. Rex Saxoniam vaſtaturus intravit. Nec prius
deſtitit quam omnes terminos ejus peragraſſet. Nam uſque
ad ultimos fines ejus, qua inter Albim \& Wiſiram Oceano
abluitur acceſſit; und weiter ad ann. 798. Quibus acceptis
rex graviter commotus, congregato exercitu in loco cui
Munda nomen, ſuper Wiſiram caſtra poſuit ac quicquid
Saxoniæ inter Albiam \& VViſeram interjacet, totum
ferro \& igne vaſtavit. Vielleicht iſt nach der Ausſoͤh-
nung Widekinds weiter gar kein Streit mit den Weſt-
phaͤlingern, und die ſaͤchſiſche Armee auf dem Sintfelde
ein vorgeruͤcktes Corps von Engern, Oſtphaͤlern und
Frieſen geweſen.
per tot annos bellum conſtat eſſe finitum ut abjecto dæmo-
num cultu \& relictis patriis cærimoniis chriſtianæ fidei at-
que religionis Sacramenta ſuſciperent, \& Francis adunati
unus cum iis populus efficerentur. EGINH. in vita G. M.
c. 7. Ausfuͤhrlicher hat der Poeta Anon. beym LEIB-
NITZ T. I. p. 153. die Bedingungen aufgeſchrieben.
- - - has pacis leges inierunt,
Ut 1) toto penitus ritu cultuque relicto
Gentili, quem dæmoniaca prius atte colebant
Decepti, poſt hæc fidei ſe ſubdere vellent
Catholicæ, Chriſtoque ſervire per ævum.
At vero 2) cenſum Francorum regibus ullum
Solvere nec penitus deberent neque tributum,
Cunctorum pariter ſtatuit ſententia concors:
Sed tantum 3) decimas divina lege ſtatutas
Offerrent ac 4) præſulibus parere ſtuderent. - - -
Tum 5) ſub judicibus quos rex imponeret ipſis
6) Legatisque ſuis permiſſi 7) legibus uti
Saxones patriis \& 8) libertatis honore
Hoc ſunt 9) poſtremo ſociati fœdere Francis
Ut gens \& populus fieret concorditer unus,
Et ſemper regi parens æqualiter uni.
Hac igitur pacis ſub conditione fideles
Se
[239]dritter Abſchnitt.
Se Carolo natisque ſuis ſtirpique nepotum
Ipſius, juraverunt per ſæcula ſuturos.
ſammlung zu Aachen im Jahr 797; wo die Sachſen
tain de Weſtfalis \& Angrariis quam Oſtſalis gegenwaͤrtig
waren, ausgeglichen. S. Capit. Sax. an. 97. V. Kal. Nov.
beym BALUZ T. I. p. 275. Nur wurde dabey Art. 3.
ausgemacht, daß wo die Franken XII. zahlten, ſollten
die edlern Sachſen eben ſo viel, die Wehren nur V.
und die Leute IV. bezahlen. Auf ſolche Art waͤre ein
jeder gemeiner Franke dem edlen Saſſen gleich geſetzt
worden. Man kann aber auch denken, daß das Ver-
moͤgen der Saſſen und Franken ſehr unterſchteden, folg-
lich in der That die Verhaͤltniß gleich geweſen, wie man
dann an den Angelſachſiſchen Wehrungen ſchon ſieht,
daß man in England laͤngſt mehr Geld als in Deutſch-
land gehabt habe. Beylaͤufig beruͤhre ich hier die Fol-
ge, welche DU BOS dans l’ hiſt. crit. T. III. L. VI. p. 316
daraus zieht, daß nemlich unter den Franken nur ein
Stand geweſen, wowieder MONTE Q. Eſprit. d’ Loix
XXX. 25. ſo ſehr eifert, und halte dafuͤr daß ſie beyde
unrecht geſchloſſen; indem allerdings damals in populo
Francorum nur ein gemeiner Stand, folglich auch in po-
puliſcito nur eine gemeine Wehrung geweſen; indem
der Adel ſeine Ehre dem Koͤnige aufgeopfer hatte, oder
nach dem damaligen Styl zu reden, honores corum rex
donatos habebat; S. Epiſt. ad Francos \& Aquitanos,
beym BALUZ T. II. p. 87. da denn ſeine Wehrung ſchon
nicht mehr in populiſcito ſondern in cuna regis \& jure
curiali zu Recht geweſen werden mogte.
ſaͤch-
[241]dritter Abſchnitt.
ſaͤchſiſchen Heerbann zur Vertheidigung der Elbe; den
dritten Mann zur Vertheidigung in Boͤhmen; und nur
den ſechſten nach Spanien forderte, wenn ein Aufbot
noͤthig war. Capit. anni 801. §. 5. beym BALUZ T. I.
p. 460. Unſre jetzige Reichs-Matrikel macht keinen Un-
terſcheid ob es gegen Jtalien, oder gegen Ungarn geht.
Sie gilt aber auch nicht weiter, als ſie jedesmal bewil-
liget worden. Hier moͤgte man auch wohl fragen, wie
LAMBERT. SCHAFN. ad ann. 1075. ſagen koͤnnen: an-
tiquis jam diebus lege latum eſſe ut in omni expeditione re-
gis Teutonici Suevi exercitum præcedere, \& primi com-
mittere debeant? denn nothwendig hatten die Sachſen
in einem Kriege gegen die Nieder elbe den Rang, wenn
vice verſa die Schwaben dahin nur den dritten Mann
ſchickten.
nicht wie in Pohlen den Schluß der Verſammlung auf-
gehalten, ſondern dem Wiederſprechenden zu ſeiner
Entſchuldigung gedienet. Er muſte aber auch ſo dann
ſeine Gefahr ſtehen, indem der ſtaͤrkere Theil ſich ſelbſt
helfen konnte. S. LUDEWIG ad A. B. XXX. §. 3.
verwandelt, iſt unnoͤthig anzufuͤhren. Es konnte auch
faſt nicht anders ſeyn, ſo bald die Repraͤſentation in der
National-verſammlung nicht durch erwaͤhlte Landboten,
ſondern durch Kayferliche Bediente, welche nach Hof
folgen muſten, geſchahe. Die Verſammlungen unter
freyen Himmel hoͤrten alſo auch bald auf, und es war
leicht regnigt Wetter. S. CAPIT. Caroli Calvi XXXIX.
12. Jn unſerm Stifte mag es aber noch ſo viel regnen:
ſo laſſen verſchiedene Marken das Holzgericht in freyer
Luft und nicht unterm Dache eroͤfnen. Nach der Er-
oͤfnung aber folgen ſie gern zu Hofe.
mens des Koͤnigs die Etats eroͤfnen, ein ſichers von den
Staͤnden bewilliget werde. On a demande trois mil-
lions. Nous avons oftert ſans chicaner deux millions cinq
cens mille livres; \& voila qui eſt fait. Du reſto Mr. le
Gouverneur aura 50.000 ecus, M. de Lavardin 80.000
francs, le reſte des Officiers à proportion le tout pour
deux ans. Die Frau von Sevigne ſchreibt dies T. I. 74.
und
[243]dritter Abſchnitt.
und aͤuſſert dabey in ihrem vorigen, daß ſie glaube der
Gonverneur habe dergleichen Praͤſente zuerſt erſchlichen.
Jch werde aber im Folgenden zeigen, daß ſie ihm als
miſſo dominico loco tractatoriæ mit Recht zukomme; und
unfehlbar wuͤrden alle deutſche Fuͤrſten dergleichen aus
ihren Aemtern gezogen haben, wann der Kayſer das
Salutaticum behalten haͤtte.
Tum ſub judicibus quos rex imponeret ipſis
beweiſet dieſes klar; ob aber nicht die Gemeinen ein
jus præſentandi Comitem behalten? iſt eine andre Frage;
und moͤgte es ſcheinen, da nach der L L. Baj II. 1. n. 1.
electio ducis angenommen wird, daß auch eine electio
comitis, ſub titulo præſentationis vel commendationis,
moͤglich geblieben ſey. Allein es wuͤrde dieſes gegen die
Politik, und das Jntereſſe des Adels, welchen Carl ge-
winnen wollte, geweſen ſeyn; und die Geſchichte zeigt
ein anders.
roͤmiſchen Kayſer nannten aus einer angenehmen Be-
ſcheidenheit anfangs ihre Kron- und nachher auch ihre
Haus-Officier Comites Gefaͤhrten, wie ein General
ſeine Leute bisweilen Compagnons nennt. Das Wort
Bediente, miniſter iſt als ein gothiſcher ungeſchickter
Ausdruck erſt ſpaͤt geadelt worden.
bus ac dum videretur dimittebantur. Deinde inveteravit
conſuetudo ut non niſi ſceleris convicti abire imperio co.
gerentur. AEMIL. hiſt. Franc. V. p. 21. I. F. 1 §. 1. Denn
vorher hatten die Saſſen quotannis judicem erwaͤhlt,
und es damit, wie die Buͤrger in einigen Staͤdten mit
ihren Rathsgliedern gehalten, welche ſie am Ende des
Jahrs
[245]dritter Abſchnitt.
Jahrs nicht abſetzen, ſondern nur aufs neue nicht wie-
der waͤhlen. Zum erſten Verfahren werden Urſachen
erfordert; zum letztern aber nicht, weil ihr Amt mit
dem Jahre von ſelbſt ausacht, und es auf den freyen
Willen der Buͤrgerſchaft ankommt, ob ſie ihn von neuem
waͤhlen wolle.
The claim of long hereditary Right
Succccded. WOODHULL The equality of mankind
p. 3.
Es iſt aber doch faſt natuͤrlich, daß alle Bediente welche
nicht in Gelde, ſondern mit Natural-Einkuͤnften beſol-
det werden, und eine bloſſe Amts-Wohnung haben, ſich
endlich erblich machen. Denn wie hart iſt es nicht vor
Wittwe und Kinder dieſe Wohnung zu verlaſſen? Wie
groß die Verſuchung darinn zu bleiben? Wie leicht
kommt das Verdienſt der Vaͤter den Kindern zu ſtatten?
Wie ſchwer, wenn man einmal der Sohn eines Beherr-
ſchers geweſen, nun wieder andern zu gehorchen? Wie
maͤchtig wird eine Familie durch ein langjaͤhriges Amt?
Wie viele Gelegenheit ſich andre zu verpflichten? Wie
viel erworbene Mittel den noͤthigen Staat zu fuͤhren?
Wie viel Amts-Nachrichten haben die Erben nicht in
Haͤnden? Wie viel Zank wird nicht vermieden? - - -
Kurz alles macht eine gewiſſe Oberherrſchaft uͤber die
Menſchen leicht und billig erblich. Dieſe Gruͤnde er-
zeugten gewiß das CAPIT. 43. Caroli C. c. 3.
wandelt haben: ſo iſt ihre Furcht nicht ungegruͤndet ge-
weſen.
Wahl der Schoͤpfen genommen habe, wie BRUMMER
VII.
[247]dritter Abſchnitt.
VII. 2. behauptet. Der Stilus Capitularium: ut miſſi no-
ſtri Scabinos per ſingula loca eligant iſt ein Canzley-ton;
und Ludovicus pius druͤckt ſich deutlicher aus; ut miſſi
noſtri cum totius populi conſenſu in locum malorum Sca-
binorum bonos eligant. Der Miſſus derief und dirigirte
bloß die Wahl-verſammlung.
dung, da er die Schoͤpfen nicht durch die Richter oder
Grafen, ſondern durch ſeinen beſondern Geſandten be-
ſtaͤttgen ließ, um die Schoͤpfen nicht in die Abhaͤngig-
keit des Richters zu ſetzen. S. Capit. cit.
ſeine eigne gewillkuͤhrte Mitgenoſſen in vorkommenden
Faͤllen verurtheilen und taxiren zu laſſen. Daß eine
Nation dieſes Recht verliere iſt wohl mehr geſchehn;
daß ſie es aber verliere ohne es zu fuͤhlen und ohne dar-
uͤber einen Seufzer auszuſtoſſen, dieſes iſt zu bewundern
und gleichwohl in Frankreich wie in Deutſchland ge-
ſchehen; bloß weil eine Bologneſer Cravate den alten
Halstuch beſiegt, und fremdes Necht ſtolze Gelehrte
und einheimiſche Stuͤmper veranlaſſet hat? Was vor
eine Aufmerkſamkeit iſt nicht in den Capitularien der
Wahl rechtſchaffener Schoͤpfen geordnet? Das Wohl
der ganzen Nation wurde gleichſam darauf geſetzt. Und
nun ſpricht der Richter, der doch Bediemer iſt, das
Urtheil; und Hofraͤthe lehren gemeines Recht.
Fuͤrſten und Gelehrte haben einander allezeit wohl ge-
dient.
aus contra antiquam libertatem ruſticorum ziehen, liegen
vor Augen, und man beobachtet ſo gar in der Sprache
keinen Unterſchied mehr inter ruſticum \& colonum. S.
§. 25. n. c.
Lehn-mann ſeinem Herrn; und eins welches jeder Heer-
bannaliſt ſeinem Oberſten folgen laͤßt. Ein Unterſcheid
welchen CRAGIUS ſeud. I. p. 30. nicht bemerkt, und
SPELLMAN Reliq. p. 33. gegen ihn nicht ausgefuͤhrt.
Erſters wird bey allen Lehn-hoͤfen bekannt ſeyn; und
letzters iſt verdunkelt. Jn den Rollen der Hausgenoſſen
S. §. 47. n. c. wird es noch ſo genannt; heißt auch oft
das beſte Theil, das beſte Kleid, oder beſte Haupt-
Der Graf von Lippe Schaumburg hat von allen ſeinen
ſchatz-
[249]dritter Abſchnitt.
ſchatzbaren Hofgeſeſſenen Unterthanen den Sterbfall, und
man nennt ſie desfalls Leibeigen, da es doch wohl nur die
Folge einer Zwang-hode oder Zwang-rolle S. §. 52.
iſt. Oft wird das Heergewedde auch Lehn-wahre
genannt, und ſo dann mit dem relevio verwechſelt. E g.
In L L. Canuti regis: niſi quantum ad juſtam relevatio-
nem pertinet, quæ Anglice vocatur Hereget. S. DU
FRESNE v. Hereotum. Auf gleiche Art iſt es auch im
Domesdaybuch: S. COKE Inſt. P. 1. fol. 76. a.
imgleichen in L. L. Henrici I. beym WILKINS p. 244.
verwechſelt. Jch fuͤhre dieſes an, weil aus einer gleichen
Verwechſelung den Oſnabruͤckiſchen Vaſallen das Heer-
gewedde bey jeder Belehnung, unter dem Nahmen von
Lehn-wahre abgefordert wird, da ſie es doch nur einmal,
nemlich beym Ableben des vorigen Lehn-manns, nicht
aber bey Veraͤnderung des Lehns-herrn zahlen ſollten.
Deswegen heißt es in Capit. Conradi Epiſc. de 1482.
beym KRESS in app. p. 9. Wer eins ſyn Gud vorherwe-
det hadde dat darna nicht en darf voherwedden, oſt wal
eyn ander Her queme, dewile de Perſon dat vorherweddet
hadde levet. Sunder he ſal dat ane Herweddinge entfaen.
Hier iſt alſo Heergewedde der Sterbfall des letztern
Vaſallen. Aber ſo wie man jetzt unter Auffahrt oft den
Sterbfall mit begreift: ſo iſt es mit dem Heergewed-
de umgekehrt gegangen. Die Geiſtlichen empfangen ihr
Lehn mit lediger Hand. Warum? weil ihr Sterbfall
einen andern Weg geht. Waͤre die Lehnwahre bey uns
relevium: ſo muͤſten ſie ſolche auch zahlen.
weiſen.
worden. Kayſer und Koͤnige hatten den Sterbfall von
allen ihren Bedienten, und ſelbſt von den Biſchoͤfen,
wenigſtens von denjenigen, welche ſie zu ernennen hat-
ten. S. PRINN. Hiſt. Coll. T. II. p. 834. Die Biſchoͤ-
fe, Herzoge, Grafen ꝛc. hatten ihn wieder von ihren
Dienſtleuten u. ſ. w. Die Vornehmſten aber haben ſich
mit der Zeit davon frey gemacht, und iſt der Arme und
Q 5Ge-
[250]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Geringere darinn ſtecken geblieben. An Hoͤfen, und
beſonders am Franzoͤſiſchen verheyrathen ſich die vom
erſten Range nicht ohne des Koͤnigs Erlaubnis. Dies
iſt noch die einzige Urkunde des alten Freybriefs.
und anderer monarchiſirenden Fuͤrſtenthuͤmer. Der Edel-
mann auf dem Lande gilt nichts, und der Faͤhndrich im
Dienſte wird erhoben. Aller Rang wird faſt nach dem
Dienſte ausgemeſſen. Wie weit ein Fuͤrſt berechtiget
ſey, Rang-ordnungen zu machen, iſt noch nicht deutlich
beſtimmt. Jm Hofe gilt unſtreitig ſein Reglement;
Allein auſſer Hofes kam es vordem auf die gemeine
vom Volke beſtimmte Waͤhrung, und ſpaͤter auf die vom
Kayſer ertheilte gemeine Wuͤrde, nicht aber auf die
Dienſtwuͤrde an. Jn den angelſaͤchſiſchen Geſetzen
iſt der Landbeſitz bey der Wehrung und dem Range
mit in Betracht gezogen worden.
PEZ. in Theſ. nov. anecd. p. II. p. 4. Tu vero patet
ſanctiſſime --- eſto prædicator pietatis, non vero decima-
rum exactor ---- Decimæ ut dicitur Saxonum ſubverterunt
fidem. Quid imponendum eſt jugum cervicibus idiotarum
quod neque nos neque fratres noſtri ſufferre potuerunt.
Dieſer Aleuin war Carls des Groſſen Lehrmeiſter.
wohl entrichteten ſie den Zehnten in der Maſſe nicht,
als ihn die Franken forderten, ſondern verzehrten ihn
mit den Prieſtern in ihren Thoren oder in der Haupt-
ſtadt; und das Zehnt-feſt war eine Erndte-feyer. Man
weiß nicht wann zuerſt unſre heutige Art von Zehnten
entſtanden. S. BARON. Ann. 57. n. 74. Die mehr-
ſten gehn auf die Conſtit. Gen. Lhotarii c. 11. und das
Concilium Matiſcon. ann. 585. zuruͤck.
einige Auflage von ſeiner Perſon oder ſeinen Gruͤnden
zu bezahlen. Der Koͤnig lebte von ſeinen Domainen
und Regalien; empfieng auch wohl ein jaͤhrliches Ge-
ſchenk; aber nie einige Schatzung, wie denn auch jetzt
die letztere noch in den gemeinen Seckel faͤllt, woruͤber
der Koͤnig nur die Aufſicht hat. Der Abt DU BOS T.
I. dans l’ hiſt. crit. de la mon. françoiſe iſt zwar andrer
Meinung; aber vom BOUQUET dans le Droit public de
la France T. I. p. II. art. 3. p. 36. genugſam wiederlegt
worden; obwohl letzterer auch verſchiedene unſichere Hy-
potheſen ohne Noth zu Huͤlfe nimmt.
worinn ein Theil der Fruͤchte zu Magazin-korn erklaͤ-
ret wird, ſchlieſſen. Unusquiſque comes duas partes de
herba in ſuo comitatu defendat ad opus iſtius hoſtis,
Cap. II. Ann. 813. §. 10. Und hatte es damit eben
die Bewandniß, wie mit den Artillerie-Pferden, wel-
che den Bauren aus ſeinem Spanne genommen wer-
den. Jnzwiſchen mogte doch die Aufbewahrung eines
Theils zum Magazin-korn nicht laͤnger als von einer
Erndte
[253]dritter Abſchnitt.
Erndte zur andern waͤhren; und nicht leicht in eine
beſtaͤndige Contribution ausarten. Dahero es wohl
beſſer geweſen waͤre den ſchuldigen Theil ſeiner Fruͤch-
te unter koͤniglichen Reſervat in ſeinem Hauſe, als in
einer Landes-Caſſe niederzulegen. Die beſtaͤndigen
Landes-Caſſen ſind von der neueſten Erfindung.
den damaligen Schriftſtellern, und ſind dagegen unzaͤh-
lige Verordnungen vorhanden, wodurch der Gebrauch
der gemeinen Runde und Quartiere auf den oͤffentlichen
Dienſt von Carln den Groſſen eingeſchraͤnkt wird. S.
Cap. V. ann. 813. §. 26. beym BALUZ. T. I.
Krone der fraͤnkiſchen Koͤnige, ſondern der fraͤnkiſchen
Kayſer geflochten worden.
nichts gemeldet; ſondern bloß vom Tittel Auguſt.
EGINH. de vita Caroli M. c. 28. Sie iſt aber wohl un-
ſtreitig und ich ziehe daher die Folge, wovon ich bereits
§. 30. n. b. geredet habe. Ueber die Kraft der Sal-
bung iſt vielfaͤltig geſtritten. S. CONRINGII iteratam
diſſ. de jure coronandi T. I. opp. p. 689. und der Pabſt
hat ſich daher ein jus conferendi imperium zugeſchrieben,
weil es ihm als dem erſten Biſchofe der abendlaͤndiſchen
Chriſtenheit unſtreitig allein zuſteht die Salbung eines
Kayſers, als des weltlichen Oberhaupts eben dieſer
Chriſtenheit zu verrichten; da jeder erſter Reichs-biſchof
nur den Koͤnig ſeines Reichs ſalben kann. Allein da
die collatio juris divini bloß adminiſtratorio nomine ge-
ſchehen kann: ſo folgt daraus nicht mehr als noͤthig iſt;
und wenn die Deutſchen, mit Ausſchluß der uͤbrigen
abendlaͤndiſchen Chriſtenheit einen wuͤrklichen Kayſer
waͤhlen koͤnnen: ſo haͤtten ſie immerhin dem Pabſte ſein
Recht laſſen, und ihn bitten ſollen, die uͤbrigen Koͤnige
zu ihrer Schuldigkeit anzuhalten.
iſt dieſes, daß der Kayſer, absque conſenſu populi nicht
uͤber 60. ß. ſtraffen konnte, um ſo viel merkwuͤrdiger,
weil jeder Gerichts-verwalter jetzt oft nach Gefallen
bruͤch-
[255](o)
bruͤchtet, und die Bruͤchten in Brandſchatzungen ver-
wandelt. Dieſe 60. ß. machten hoͤchſtens 1200. Scheffel
Rocken aus. S. CAPIT. cit. art. 10.
ſub imperium accepit ----- juniores poſt activam victoriam
etiam ſenes plerique inter bella civium nati. Quotusquisque
reliquus qui rempublicam vidiſſet? TAC. Ann. I. 1. 3.
thuͤmern am Rhein nehmen, und daraus das uͤbrige
Deutſchland uͤberſehen. Wie viel Stimmen liegen dort
im Klumpen? und unter einem fremden Einfluſſe? Die
drey erſten Churfuͤrſten in einem einzigen Kreiſe?
und ein jeder darauf fleiſſig geweſen ſey ſich vor ſeinen
Theil frey zu machen. Ducatus, Comitatus, libera judicia
ſind den Fuͤrſten univerſaliter verliehen; keinem einzigen
aber ſo viel ich weiß perpetua plenipotentia miſſi Cæſarei.
Vielmehr zeigen die in den diplomatibus Sæc. IX. X. XI.
XII. XIII. von den Kayſern ſo haͤufig noch ertheilte Frey-
heiten ab onere reficiendorum pontium publicorum, quo-
rum cura ad miſſum ſpectabat, daß die Fuͤrſten das mis-
ſaticum nicht erlangt, weil ſie ſonſt ihren Hof- und Klo-
ſter-dienſten leicht ſelbſt dieſe kleine Freyheit ertheilen
koͤnnen. Jnzwiſchen und da das miſſaticum der Grund-
ſatz iſt, worin alle Landesherrn ſich gegen ihre Staͤdte
gruͤnden: ſo will ich es zur weitern Beurtheilung aus-
ſtellen.
ANZEJGEN v. J. 1748. N. 67. 68. 70. und halten
das Zeugniß AEGIL. in vita Sturmionis, nach welchem
der Kayſer die ganze Provinz in parochias Epiſcopales
vertheilet, nicht hinlaͤnglich. Allein da der Oſnabr.
Biſchof Egilmar in querimonia ſua. vom Jahr 888. S.
die BeylageN. 2. ſchon ſagt: quod Karolus --- Synoda-
les atque canonici juris conſultis ſingulos ejusdem provin-
Rciæ
[258]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ciæ epiſcopatus ex decimarum ſtipendio conſtituiſſet; die
Sache an ſich ſelbſt auch ſo lange bis man in neuern
Zeiten andre Hypotheſen noͤthig gehabt, auſſer Streit
geweſen: ſo ſcheinet mir die Meinung daß Carl zuerſt
jedem benachbarten Biſchofe einen Theil von Sachſen
angewieſen haben ſolle, weit zweifelhafter.
von deſſen Diſtrikt ich hier rede, General-lieutenant in
der Provinz, welcher von andern miſſis und beſonders
von dem General-lieutenant der Armee, oder dem mis-
ſo ſuper exercitum conſtituto S. CAP. I. ann. 812. §. 8.
wohl zu unterſcheiden. FR. DE ROYE de miſſis domi-
nicis c. XV. hat den miſſum ſuper exercitum ganz ver-
geſſen.
legatione fungebantur. S. CAP. ann. 823. beym BA-
LUZ. T. I. p. 639. heißt es nur: In Colonia Hadobol-
dus Archiep. \& Eemundus comes.
kayſerliche Cammer niemanden beſchlos: ſo waͤren die
Juden und andre Cammer-knechte unmittelbar geweſen.
809. art. 36. ib. p. 468.
inter ſe habuerint ac ſe pacificare noluerint, ad noſtram
jubeantur venire præſentiam, neque illorum contentio ali-
bi finiatur. CAPIT. III. ann. 812. §. 2. Eben ſo wenig
durfte ſich auch der Pfalz-graf einer Erkenntniß uͤber ſie
anmaſſen. Es war ſonſt, wie es mir ſcheinet, fuͤr jedes
miſſaticum ein Pfalzgraf, Referendarius; und der co-
mes Palatinus Saxoniæ, nach unſerm Styl: Miniſtre au
departement de la Saxe. Alle Sachen aus dem Departe-
ment, geiſtliche ausgenommen, kamen ihm alſo zuerſt in
die Hand; HINCMAR. Ep. III. c. 21. und er hatte
Vollmacht verſchiedene fuͤr ſich abzuthun. Doch hieß
es: Neque ullus comes Palatii noſtri potentiorum cauſas
fine noſtra juſſione finire præſumat, ſed tantum ad pau-
perum
[259]vierte Abtheilunge.
perum \& minus potentium juſtitias faciendas ſibi ſciat eſſe
vacandum. CAPIT. L. III. c. 77. Vielleicht ruͤhrt es
noch daher, daß der Reichs-hofrath in obigen Faͤllen,
votum ad imperatorem erſtatten muß.
eines Biſchofen zu geben, ſondern gleichſam nur einige
Begriffe feſtzuſetzen, deren ich mich in der Folge bedie-
nen muß. Dieſe Anmerkung gilt von allem, was ich
von der Caroliniſchen Verfaſſung zu ſagen habe.
ex HELMOLDO l. 4. behaupten: Ludovicum pium co-
optaſſe epiſcopos in principes imperii; Allein ich habe
keinen Begrif von Reichs-fuͤrſten, wenn es die Biſchoͤfe
nicht eben ſo gut als Herzoge und Grafen geweſen. Ei-
ne beſondre Verordnung iſt daruͤber nicht vorhanden;
Allein alle Kennzeichen treffen uͤberein. Beyde Theile
ſcheinen ſich nur nicht verſtehen zu wollen. Die Gegner
ſagen: Ducatus, comitatus Vrigraviatus \& diverſa regalia
waͤren den Biſchoͤfen weit ſpaͤter verliehen. Ganz
recht; Carl der Groſſe hat dergleichen keinem verlieben.
Allein nun bringe man ein einziges Exempel vor, wo
einem Biſchofe regalis jurisdictio ſuper ſuos Littos \&
Littones ſpaͤter verliehen ſey. Man zeige die Moͤglich-
keit, daß dieſe unter der graͤflichen Krieges-Canzley ſte-
hen koͤnnen; und verwechſele nur regalem jurisdictionem
Epiſcopi nicht mit der regali jurisdictione comitis, als
welche beyde erſt ſpaͤter vereiniget worden: ſo iſt aller
Wiederſpruch gehoben. Jn der Appellations-inſtanz
waren die Biſchoflichen Litones zuerſt dem Miſſo unter-
worfen; in der erſten Jnſtanz aber dem Biſchoͤflichen
Kirchen-Vogte.
an den Kayſer. FR. DE ROYE. p. I. c. 10.
Verhaͤltniß gegen einander zeigen die bekannten Ver-
ordnungen: Ut Epiſcopi cum Comitibus ſtent, \& comites
cum epiſcopis, ut uterque pleniter miniſterium facere
poſſit. CAPIT. IV. ann. 806. §. 4. Sie boten einander
die Hand. Und es heißt auch wohl: Ut honor \& adju-
torium Epiſcopis a comitibus \& aliis judicibus præſtetur.
S. Edi-
[261]vierte Abtheilunge.
S. Edictum Dominicum de ann. 800. beym HEINECC.
in Corp. juris Germ. p. 606. Sie werden ſehr oft zur
Einigkeit vermahnet: quia partem regalis miniſterii ha-
berent. CAP. ann. 823. §. 11.
byteros epiſcopis præſentari; und die Grafen werden oft
daran erinnert, ut Presbyteros ac cæteros Canonicos,
quos comites ſuis in miniſteriis habent, Epiſcopo ſub-
jectos exhibeant. CAPIT. I. ann. 792. art. 21. beym BA-
LUZ. T. I. p. 369. dies iſt die Huͤlfe des weltlichen
Arms, ad requiſitionem epiſcopi, gegen ungehorſame,
oder eingeſchlichene fremde Prieſter; und iſt dabey nur
zu merken, daß der Biſchof den Angrif nicht durch ſeinen
eignen Schirm-vogt verrichten laſſen konnte.
Dietine einladen; wenn er aber ausblieb, nicht gegen
ihn verfahren. Epiſcopi abbates ad placitum miſſi venire
debent; ſi non, tunc eorum nomina annotentur \& nobis
ad generale placitum (zum Reichstage) mittantur. CAP.
VI. ann. 793. art. 5.
dum tanquam forum competens. S. FR. DE ROYE. l. c.
803. S. BALUZ. T. I. p. 407. doch mit dem Anhange,
ut ſuos homines bene armatos nobiſcum aut cum quibus
juſſerimus (das iſt entweder unmittelbar zum Kayſer
oder demjenigen der ſpeciale mandatum dazu hatte, folg-
lich nicht cum duce vel comite) dirigant. CAPIT. in-
certi ann. ib. p. 401. Dieſe Erklaͤrung war zum Vor-
theil der Biſchoͤfe. Denn durch die Freyheit vom Heer-
zuge liefen ſie Gefahr ihre Fuͤrſten-Ehre und ihr Fuͤr-
ſten-gut zu verliehren; daher ſie auch ausdruͤcklich ſalvo
honore \& ſalvis bonis ertheilet wurde. S. CAP. cit. \&
CAP. incerti anni ib. p. 523. Und wenn der Kirchen-
vogt mit ſeinen Leuten auch zuruͤckgeblieben waͤre: ſo
wuͤrde die Kirche manus mortua, und damit unfaͤhig
R 3gewor-
[262]Oſnabruͤckſche Geſchichte
geworden ſeyn Reichsguͤter zu beſitzen; anſtatt daß wenn
der Kirchen-vogt mit auszog, die erworbene Guͤter
nicht aus der Reichs-Heerbanns-Matrikul, ſondern nur
aus der Grafen-folge in die Folge der Schirm-voͤgte
traten, und alſo nur ihr Regiment veraͤnderten, wel-
ches mit kayſerlicher Erlaubniß geſchehen konnte. CA-
PIT. III. ann. 805. in f. Von ihren Zehnten, und dem
dote eccleſiæ erfolgte aber die Krieges-pflicht nicht, wie
man leicht einſehen wird. Unieuique eccleſiæ manſus
integer attribuatur absque ullo ſervitio. Et ſi aliquid am-
plius habuerint inde ſenioribus ſuis debitum ſervitium
præſtent. CAPIT. Caroli M. L. I. c. 85. Man muß ſich
auch nicht vorſtellen daß die Kirche damals Lehn verdie-
net habe; indem der Auszug unter dem Vogte kein
Dienſt ſondern die natuͤrliche Vertheidigung des Eigen-
thums war. S. §. 26.
man dem Kayſer ſagen laͤßt: quia caſus præteritorum
nos cautos faciunt in futurum --- certo eam limite feci-
mus terminari. S. BALUZ T. II. p. 247; ſondern wen
es am natuͤrlichſten war, die Haͤuſer und ihre Einwoh-
ner, nicht aber weitlaͤufige und bis jetzt noch ofne und
aus einem Lande ins andre fortlaufende Marken, Moh-
re und Berge zum Sprengel zu ſchlagen. Es hat die-
ſes ſeinen Einfluß in die ſpaͤtern Graͤnzſtreitigkeiten.
ins Jahr 744 geſetzt wird, laͤßt ſich ihr Einfluß in die
biſchoͤflichen Angelegenheiten am erſten abnehmen.
ſtanden. Daher ſteht in der Urkunde welche Carl der
Oßnabr. Kirche im Jahr 803 ertheilte, ſchlechtweg:
per advocatum ſuum; in dem Paderb. Diplom v. J. 822
aber ſchon dabey: quem ipſi elegerint.
Kirchen quicquid fiſcus exinde ſperare poterat; wie man
R 4aus
[264]Oſnabruͤckſche Geſchichte
aus einer Menge von Urkunden beym BALUZ. T. II.
p. 1408 ſs. erſehen kann. Auch die Paderbornſche Kir-
che erhielt dieſe Gnade von ihm. S. Dipl. Ludovici P.
de 822. in app. monum. Paderb. Dies waren die Bann-
bruͤche aus der Kirchen-voͤgtey, welche nicht viel mehr
betragen mogten, da der Heerbann ſeltner auszog, und
die Bruͤche ſchon in Muͤnze, die bereits gefallen war,
entrichtet wurden.
centenarium comitis in advocatum non eligant. CAP. V.
ann. 819. §. 19. weil aus dem Gegentheil viele Ver-
wirrungen entſtehen konnten: ſo kann man fragen: ob
ſie auch wohl den Grafen oder Oberſten des Amts,
worin die Kirche gelegen war, zum Schirm-vogte er-
waͤhlen konnten? ich beantworte dieſelbe mit Nein; in-
dem ſonſt die Kirchen folge leicht unter die Grafen-folge
gerathen koͤnnen; und halte uͤberhaupt dafuͤr, daß nach
der erſten Jdee kein Oberſter aus dem Heerbann Kir-
chen-vogt werden ſollen. Es wuͤrde hieraus folgen, daß
die Grafen von Tecklenburg als advocati eccleſiæ Oſn.
anfaͤnglich noch edle Herrn geweſen waͤren; und ſpaͤter
den Grafen-tittel erhalten haͤtten; falls der erſte Advo-
cat aus dieſem Hauſe genommen worden. Das Diplo-
ma Trutmanno comiti datum, iſt eine plenipotentia miſſi,
und advocatia generalis; und wenn gleich in Synodo vom
J. 742. art. 5. beym BALUZ. T. I. p. 147 geſetzt wird:
ut Epiſcopus adjuvante Graphione ſive comite, qui defen-
ſor eccleſiæ iſtius eſt \&c. ſo muß dieſes ſpaͤter geaͤndert,
oder an vielen Orten der Kirchen-vogt als Chef der
Kirchen-folge, ebenfalls Graf genannt worden ſeyn; in-
dem verſchiedene Kirchen-folgen ſo ſtark waren, daß un-
ter dem Vogte, noch ein vice-dominus \& centenarii ſtun-
den. S. CAPIT. I. v. J. 802. §. 13. Dergleichen gab
es aber ſchwerlich in Sachſen; ſondern nur in ſolchen
Reichen, wo die Kirchen bereits mehr Gelegenheit ge-
habt hatten, ihre Folgen zu vergroͤſſern.
Oſſenbrugge ſich zeigt.
491.
dig. Zuerſt heißt es in demſelben: de majoribus capitu-
lis hoc placuit omnibus \&c. Hernach kommt: §. 15. de
minoribus capitulis conſenſerunt omnes. Dann ſteht §.
16. \& hoc placuit. Hierauf aber §. 17: ſimiliter ſeaun-
dum Dei mandatum præcipimus ut omnes decimam par-
tem ſubſtantiæ \& laboris ſui eccleſiæ \& ſacerdotibus do-
nent, tam nobiles quam ingenui ſimiliter \& liti. Der
Zehnte ward alſo durch Befehl; und ein Theil der zehn
Gebote, welcher ſub Capitulis majoribus enthalten war,
durch Bewilligung eingefuͤhrt.
niſi quolibet modo ab eo redimantur. v. CAPIT. ann. 829.
§. 7. beym BALUZ T. I. p. 665. beweiſen zur Gnuͤge,
daß man im Anfange die Zehnten mit groſſen Glimpf
eingefuͤhrt habe. Der Oßnab. Biſch. Philipp zielt
eben dahin, wenn er in decreto Synod. v. J. 1160 ſagt:
Cum quædam fratrum curia ſecundum antiquam inſtitutio-
nem pro decima ſua quatuor ſolidos denariorum ſexaginta
annis \& amplius perſolviſſet \& prolixitas temporis attu-
liſſet firmum titulum poſſeſſionis, quidam Menwordus in
ſynodum noſtram veniens jure beneficiali prædictæ curiæ
decimam in manipulis exegit. Sed ille tandem juſtitiæ re-
gulis arctatus in plena Synodo profeſſus eſt quod pro de-
cima ejusdem curiæ -- non niſi IV. Sol. denariorum ---
de jure eſſet accepturus. Das Reichs-Cammer-gericht
urtheilt anders als dieſer Biſchof. S. v. CRAMERS
Nebenſt. T. XV. p. 155.
iſt alles was die Kirche zu Lehn reicht, libra vel ſolidus
decimationis; Nur eine davon anzufuͤhren: ſo heißt es
in traditione bonorum a liberto Werinbertho facta de
1049. inſuper decimæ libras duas \& de ſervitio quod ſibi
debet annuatim in circuitione ſua de bonis Abbatis Cor-
bienſis farris item ſegalis hordei avenæ \& braſii libras
duas nec non per ſingulos annos vini Karradas duas; ſi
autem
[267]vierte Abtheilunge.
autem vinum deficeret, quod ſæpe continglt, pro vino
marcas duas ſive argenti ſive farris. Jch ſchlieſſe hieraus
daß man Zehnt-pfunde und Zehnt-ſchillinge gehabt habe;
ſo daß z. E. 20 Malter Rocken, oder 30 Malter Gaͤr-
ſten, oder 40 Malter Haber, oder -Centner Mehl,
oder -Bund Flachs, ein Zehnt-pfund ausgemacht; und
die Zehnt-ſchuldner die Wahl gehabt haben ob ſie ihr
Pfund in einem oder andern, oder in allen Sorten zu,
ſammen, nachdem es ihre Erndte mit ſich gebracht, be-
zahlen wollen. Ohne dieſe Hypotheſe wuͤrden marca ar-
genti \& farris keinen Begrif geben. So wohl Du Freſne
als die Benedictiner haben ſolches bey Erklaͤrung der
haͤufig vorkommenden libraru [...] terræ verfehlt. Wir
ſagen jetzt: ein Gut von tauſend Thaler Einkuͤnften;
und das Gut bringt doch kein Geld ſondern Korn,
Dienſte, Huͤner und Eyer hervor. Nun ſetze man vor-
aus, daß alle dieſe Sachen einen geſetzten oder herge-
brachten Anſchlag gehabt haben: ſo wird man leicht
ſehen, was libra terræ geweſen, und wie dieſelbe, wenn
der Anſchlag einige hundert Jahre unveraͤndert geblie-
ben, bald ſchwerer als libra denariorum werden muͤſſen.
Die obangezogene Urkunden werden im zweyten Theile
dieſer Geſchichte erſcheinen.
erleiden kann. Es iſt damit eben, wie mit dem Gene-
ral, und General-Lieutenant, dem Feldmarſchall und
Feldmarſchall-Lieutenant ergangen; welche anfaͤnglich
die hoͤchſte Vollmacht, bald aber auch nur den Tittel
davon hatten. Oft wurde der Graf der in der Armee
etwa Brigadiers Dienſte vertreten, oder ſonſt ein groͤſ-
ſers Commando gefuͤhrt, Herzog genannt, ohne den
Tittel ſo fort aus der Canzley zu erhalten. Oft hieß ei-
ner Graf und Herzog zugleich, eben wie man ſagt Co-
lonel d’ un regiment \& General \&c. und da man dieſe
Begriffe nicht genug unterſchieden, ſind daraus viele
falſche Folgen gezogen worden. Wenn ich in dieſer Ge-
ſchichte die Kirchen-voͤgte und Edlen dem herzoge ent-
ziehe: ſo verſtehe ich einen Herzog absque ſpeciali man-
dato oder ohne Feldmarſchalls Vollmacht. S. §. 125.
n. k.
eines Regiments, und nicht fuͤr jeden Commendanten,
dergleichen die comites minores mediocres et civitatum
waren.
Vicarii parochis ſive plebanis comparantur WALAFR
STRABO. de reb. eccl. c. 31.
nicht vermuthen, daß der Kayſer, welcher die Graf-
ſchaften nicht recht groß machte, die ganze ſaͤchſiſche
Macht zweyen oder dreyen Herzogen untergeben habe.
Ein wahres Herzogthum aber waͤre vollends ein Schni-
tzer in der Politik geweſen. Zwanzig Grafſchaften koͤnn-
ten einen Herzog haben; es blieben aber immer zwanzig
Grafſchaften und zwanzig Grafen. Um aber ein Her-
zogthum zu machen, haͤtten ſie in einander geſtoſſen, und
alle Grafen oder Comites in Vice-comites \& Vicarios
verwandelt werden muͤſſen. Wenn ein heutiger Ge-
neral, Chef aller Regimenter und Compagnien waͤre,
und lauter Colonels \& Capitaines commendans unter ſich
haͤtte: ſo wuͤrde ſeine Armee in ihrer Art dasjenige
ſeyn, was ein Herzogthum geweſen ſeyn wuͤrde. Die
Markgrafſchaften waren aus beſondern Urſachen nach
dieſen Plan angelegt; und verſchiedene Provinzien in
Oberdeutſchland, als Bayern ꝛc. aus gleichen Urſachen
und durch die Laͤnge der Zeit in Herzogthuͤmer erwach-
ſen; ſo daß Carl ſie absque injuria ducis nicht wieder in
unmittelbare Grafſchaften zerreiſſen konnte.
neral-Reviſer aller Truppen in der Provinz zu bezeich-
nen.
ann. 812. §. 4. CAPIT. VI. ej. ann. §. 3. ſs. Den Bi-
ſchoͤfen und Aebten, wurden nur zwey Beurlaudte in
ihrer
[270]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ihrer Vogts-folge paſſirt. §. 5. ib. Jch fuͤhre dieſen gerin-
gen Umſtand um deswillen an, weil er meiner Mey-
nung nach, der Vorgang unſer Land Erb-aͤmter geweſen.
Das Recht vier Beurlaubte bey jedem Regimente zu
haben, fuͤhrete ſpaͤter, wie man ſtatt der Land-folge eine
Lehn-folge brauchte, leicht dahin, auf gleiche Art vier
Lehmaͤnner unter dem Tittel von Schenken-Marſchal-
len ꝛc. zuruͤck zu behalten, und es iſt kein Zweifel, daß
nicht bey einem Zuge uͤber die Alpen oder nach Jeruſa-
lem, manche Edelfrau ihrem Manne dieſes beneficium
a latere werde gern ausgewuͤrket haben; der ſonſt viel-
leicht kein Schenke geworden waͤre, und vielleicht wohl
niemals eingeſchenkt hat.
haͤtte: ſo wuͤrde es ihm um ſo viel leichter geworden
ſeyn, Unterſchleife zu machen. Daher hieß es: Ut co-
mes non pro aliqua occaſione, nec Wacta nec de Scara,
nec pro heribergare, nec pro alio banno heribannum ex-
actare præſumat niſi miſſus noſter prius heribannum ad
partem noſtram recipiat \& ei ſuam tertiam exinde per juſ-
ſionem noſtram donet. Capit. II. ann. 812. §. 2.
gegen ſie gemachte Verordnungen. Beſonders das CA-
PIT. ann. 812. §. 5. 6.
Carl der Groſſe bereits curias cum muniburde, oder
Gilden mit einem erwaͤhlten Vorſteher, welche Beda
Satrapas und ſein Ueberſetzer Altermanns nennt; S. §.
38. n. i. und §. 106. n. a. vorgefunden und beybehal-
ten haben kann, wie ich ſolches ſehr wahrſcheinlich fin-
de; theils auch weil ſie ſich etwas ſpaͤter formirt haben
koͤnnen. Jndeſſen iſt ſo viel gewiß, daß die Vogtey o-
der Hauptmannſchaft nicht erblich geweſen, weil Carl
faſt in allen Capitularien darauf dringt ut miſſi noſtri
bonos advocatos eligant \& malos ejiciant. Sie konnte
alſo auch vor ſeiner Zeit nicht erblich geweſen ſeyn, oder
Carl haͤtte alle Erbvogteyen ſprengen muͤſſen. S. §.
106. n. a. Sie hieſſen advocati vel judices comitum.
CAPIT. III. ann. 805. §. 14.
rer Leute zu einer Compagnie nicht uͤbel vorſtellete, ſtatt
der Fahne. S. DU FRESNE v. Tufa \& τȣ͂φα. Die
Tuͤrken haben noch ſo ihren Roß-ſchweif. Und ſo wie
man ehedem ein faͤhnlein fuͤr Compagnie, und bey
den Roͤmern, manipulus fuͤr einen Haufen Soldaten
gebrauchte, quando
Pertica ſuſpenſos portabat longa maniplos.
eben
[272]Oſnabruͤckſche Geſchichte
eben ſo ſagte man auch Touf dafuͤr, wie ſich ſolches
bey den deutſchen Dichtern des XII und XIII. Sæc. fin-
det. Und davon iſt meiner Meinung nach auch Touf-
haupt oder der Tiuph-had, deſſen in LL. Wiſigotho-
rum oft gedacht iſt, entſtanden.
Wort Hof einen weitern Begrif erhalten hat. Wobey
man doch noch anfaͤnglich ſagte: domos vel manſiones
quas abuſive curtes vocamus. HERIMAN. de reſtaur. S.
Mart. Torn. c. 71; und uͤberhaupt fuͤhlt man die Ver-
legenheit der Lateiner des neunten und zehnten Jahr-
hunderts einen Bauerhof in ihrer Sprache auszudru-
cken. Curia, curtis, prædium, heredium \&c. hatten an-
dre Bedeutungen. Daher wurde eine Zeitlang manſus
und manſio dafuͤr gebraucht. Bald darauf ſagte man
domus; wie denn in den hieſigen Urkunden des XII und
XIII Jahrhunderts decima trium vel quatuor domorum
oft vorkommt; welches jetzt oft den Zehntpflichtigen Ge-
legenheit giebt, decimam prædialem in Abrede zu ſtellen.
Landvogtey in Schwaben S. II. §. 3. glaubt die Gow-
grafen haͤtten dergleichen Voͤgte ſelbſt verordnen koͤnnen.
Allein es gehoͤrte dieſes dem miſſo oder kayſerlichen Re-
praͤſentanten. CAPIT. III. ann. 805. §. 14; und man
kann jenen Satz nicht behaupten ohne den Reichs-haupt-
mann in einen graͤflichen Diener zu verwandeln. Es
hat dieſes ſeinen groſſen Einfluß auf die ſpaͤtern kayſer-
lichen Erklaͤrungen, daß die miniſteriales principum den
miniſterialibus imperii gleich ſeyn ſollten. Dieſe Erklaͤ-
rung geſchahe zur Zeit, als die Reichs-Hauptleute durch
die Vererbung der Herzogthuͤmer und Grafſchaften in
fuͤrſtliche Dienſte geriethen; und war eine Salvatio juris
miniſterialium, nicht aber ein neues privilegium.
muthlich auch viele andre Voͤgte, welche ein groſſes
Amt en chef erhalten hatten, welches ſich nicht fuͤglich
zerreiſſen laſſen wollte. S. §. 127. n. d. wie denn HEI-
DER in ſeinem Bericht von Reichs-vogteyen p. 828.
der-
[273]vierte Abtheilunge.
dergleichen anfuͤhrt. Allein in Sachſen hat es ſchwer-
lich dergleichen geben koͤnnen, weil daſelbſt vor Carln
keine groſſe Bezirke waren, die ohne Nachtheil ihrer
alten Beſitzer nicht getrennet werden konnten.
verlohren, ohnerachtet ſie mit vieler Feinheit ausgedacht
iſt. Die groſſe Verwirrung in der hohen, mittlern und
niedern Gerichtsbarkeit ruͤhrt guten Theils daher, daß
man jetzt nach einer andern Methode rechnet, als vor
Zeiten. Die Gelegenheit dazu gab der Muͤnz-verfall,
wodurch die Straf-taxen ihr Verhaͤltniß zu den Ver-
brechen verlohren; und nachdem jeder Landesherr ſol-
che vor ſich S. §. 121. n. f. nach Willkuͤhr verhoͤhen
will, haben die Nieder-gerichtsbarkeiten auch ihren
Maaß-ſtab verlohren.
bemerken.
eine Menge von Exempeln wird es zu ſeiner Zeit be-
ſtaͤtigen; daß viele Meyer- und Rede-hoͤfe von den
Edelvoͤgten verlaſſen und bald ledig, bald aber mit ei-
nem Leut, bald auch mit einen bloſſen Leibeignem be-
ſetzt, der Kirche uͤbergeben worden. Daher die Formel:
Curiam in Berge cum omnibus appendiciis ſuis exceptis
manſis \& litonibus curie, præter colonum curie \& uxo-
rem \& liberos ejus ſi curie attinet, ſi vero colonus curie
lito non eſt, de colonis curie lito cum uxore dabitur, ſi
cultor datus uxorem \& liberos habet, curiam ſequantur.
v. litt. Compoſit. inter Arnoldum Ep. Oſn. \& Symonem
C. de Tekenb. de 1186.
vern, Gyſla nobilis fœmina 1085 curiam in Drebber, De-
minus Giſelbertus \& Demina Cuniza 1086 curiam Venne
\&
[275]vierte Abtheilunge.
\& Bomwedde, Everhardus nobilis homo \& ſummus eccleſiæ
advucatus 1091 curiam in Holthuſen, Luidgardis nobilis
fœmina 1096 curiam in Waldenbrug; Hildeſwith nobilis
fœmina 1097 curtem in Berlere; Wal nobilis homo cur-
tem in Riſenbeck; Henricus Comes 1150 curtem in Wer-
ſen; Folker nobilis 1186 curtem in Venne \&c. \&c. wie
ſolches aus den Urkunden, ſo dem zweyten Theil dieſer
Geſchichte beygeleget werden ſollen, erhellen wird. Die-
ſe nobiles waren Edelvoͤgte; und wenn man einwenden
wollte, daß ſie jene Hoͤfe als heutige Gutsherrn beſeſſen
und verkauft: ſo wiederſpricht ſolchem nicht allein die
Urkunde, ſondern die ganze Zubehoͤr des Hofes worun-
ter die Jagd mit genannt iſt. Ein einziger quidam We-
rinbraht libertus \& miles qui 1049 curtim unam in loco
Riesforti epiſcopo Alberico tradidit, iſt mir jedoch auch
vorgekommen. Wahrſcheinlich hieß dieſer libertus, weil
er entweder die Edelvogtey aus ſeinem Hofe ausgekauft,
oder doch ſonſt davon war befreyet worden; er war alſo
libertus ex ſtatu litonico und nicht ex ſtatu mancipii. Die-
ſer Werinbraht uͤbergab ſeinen Hof erſt in precariam;
und in einer andern Urkunde heiſt es: deinceps vero
poſt breve tempus, propter amorem ac dilectionem ejus-
dem Epiſcopi ſe ipſum cum omni bono ſuo quod tunc ha-
buit \& poſt hæc adepturus erat, ad eandem tradidit eccle-
ſiam \& cum ſacramento, ſicut proprius lito merito debuit,
eidem eccleſiæ \& epiſcopo fidelitatem fecit.
bus ad ipſam pertinentibus, ædificiis mancipiis, arvis tam
cultis quam incultis, pratis nemoribus ſylvis ſaltibus pa-
ſcuis, venationibus, piſcationibus exitibus redditibus \&c.
und jetzt noch mit ihrem alten Nahmen auch ſehr merk-
lichen Kennzeichen vorhandene Meyer-hoͤfe. Es muß
hieraus dasjenige was ich §. 6 geſagt, erlaͤutert werden,
weil ich als jenes abgedruckt wurde, dieſe Urkunden noch
nicht erhalten hatte.
nen Leib-eignen beſetzen, weil dieſer den uͤbrigen Hof-
S 2hoͤri-
[276]Oſnabruͤckſche Geſchichte
hoͤrigen Leuten nicht ebenbuͤrtig geweſen ſeyn wuͤrde.
Es heißt daher auch noch in den Hof-rollen, daß ſie kei-
nen Leib-eignen unter ſich dulden wollen; doch iſt ſpaͤter,
da die Hof-verſamlungen ins Stecken gerathen; mithin
das Klopps-recht verdunkelt worden, vielfaͤltig ein an-
ders facto geſchehn. S. §. 47. n. c.
annehmen wollte, daß Carl der Groſſe in jeder Edel-
voͤgtey einen Beſitzer von ſeinem Hofe vertrieben, und
ſtatt ſeiner einen aus dem alten Stamme der Edlen dar-
auf geſetzt haͤtte: oder daß die Edel-voͤgte zuerſt unan-
geſeſſene Hauptleute geweſen, und jene Hoͤfe an ſich ge-
bracht haͤtten. Erſters koͤnnte ſo ſcheinen, weil der Kay-
ſer Ludovicus pius curtem in Tiſſene ſuam nennt; S. §.
49. n. f. und letzters weil die advocati, wenn ſie nicht
gut waren, vom Kayſer ab- und andre an ihre Stelle
geſetzt werden konnten. Allein jenes kann fuͤglich einen
andern Sinn haben, indem eine curia imperii auch curia
imperatoris genannt werden kann; und dieſes beweißt
eigentlich nur, daß es mehrere Hoͤfe gegeben, wovon der
Eigenthuͤmer Edelvogt werden koͤnnen.
welche ſich allgemeiner Gruͤnde bedienen, die Jagd zu
den Rechten des Adels und der Gutsherrlichkeit, indem
ſie ſo weit jagen zu duͤrfen behaupten, als ſie Eigenbe-
hoͤrige liegen haben. Dieſer Grundſatz wird faſt durch-
gehends gebraucht; und gleicht einer allgemeinen Sage.
Weil nun die jetzt ſo genannte adliche Gutsherrlichkeit
eigentlich dasjenige iſt, was ich die Wehr nenne, indem
ſie ſich von andern Gutsherrlichkeiten, als z. E. wenn
der Leut einen After-leut hatte S. LEX FRIS. tit. XI.
unterſcheidet; ſo halte ich es ſehr wahrſcheinlich, daß
die Jagd uͤberall mit der Wehr verknuͤpft geweſen. S.
§. 6.
verpflichtet dem Biſchoͤflichen Jaͤger die Atzung zu ge-
ben; junge Hunde von der Hof-jagd zu fuͤttern ꝛc. wel-
ches meiner Meinung nach daher ruͤhrt, daß der Biſchof
die
[277]vierte Abtheilunge.
die Edelvogtey dieſer Hoͤfe an ſich gebracht; und der
Edelvogt ehmals ſolches Recht als er einen Leut an ſei-
ne Stelle auf den Hof ſetzte, ſich von demſelben bedun-
gen hat; im Fall es, wie in andern Laͤndern, wo viel-
leicht gemeine Jagd von der Hof-jagd nicht genug unter-
ſchieden worden, behauptet wird, keine gemeine Jagd-
frohne geweſen.
Riemsloh, Bramſche, Wetter, Schletbruͤggen, Schle-
dehauſen, Ocdingberg, Backum, Stockum und Eſſen,
gehafteten und von dem Biſchofe an ſich gebrachten al-
ten Vogteyen an, daß ſich dieſe und kein ſonſtiger gemei-
ner Unterthan im Jagd-Protocoll v. J. 1652 als Jagd-
berechtigte angegeben haben. Denn es war ſehr natuͤr-
lich, daß wie die Edelvogtey dieſer Hoͤfe an die Oſna-
bruͤckiſche Kirche kam, man dem darauf bleibenden Leut
einige Jagd vergoͤnnete; welche ſonſt eigentlich nur der-
jenige, ſo die Wehr davon hatte, ausuͤben konnte.
PER in ſeinem Marken-recht S. §. 15. n. a. dieſen
Grund genommen haͤtte, wuͤrde er beſſer gefahren ſeyn.
nuis hominibus conſtruuntur, licet eas vendere, tantum-
modo ut eccleſia non deſtruatur ſed ſerventur cottidie ho-
nores CAPIT. de 794. §. 52. und die Verfuͤgung des
Oßn. Biſchofen Philips v. J. 1149: addimus etiam \&
autoritate noſtra firmamus ut quemcunque ſacerdotem do-
minus curiæ (zu Latbergen in der Grafſchaft Tecklenburg)
idoneum parochianis aſſentientibus elegerit ad accipien-
dam curam Altaris Epo libere producat.
Wulften ꝛc.
und ſchwerlich konnte ein Leut zum Richter uͤber ſeinen
Edelvogt beſtellet werden. Jn einer Mark aber worin
mehrere Edelvoͤgte, oder gar keine waren, konnte ſich
das Wahl-recht erhalten.
ches vermuthlich ebenfals eine curia geweſen, ſind noch
dergleichen Rechte. Zu Mimmelage, wo die curia ver-
dunkelt ſeyn muß, beſtraft der Holzgraf die Blut-runnen.
Von
[279]vierte Abtheilunge.
Von den andern Hoͤfen, ſo viel deren jetzt noch Hof-rol-
len und Hausgenoſſen haben, hat der Biſchof oder das
Dom-capittel S. §. 47. n. c. die Edelvogtey; und iſt
daher vermuthlich compendii gratia die Beſtrafung der
Blut-runnen und die Wroge mit dem Amte verknuͤpft
worden.
Vertrag zwiſchen dem Biſchof Arnold und Grafen Si-
mon von Tecklenburg v. J. 1186 heißt es: Oppignora-
vit curiam in Berge cum omnibus appendiciis ſuis, exceptis
manſis \& litonibus curiæ, Hier trennt der Graf den Mey-
erhof zu Berge von allen ſeinen Hausgenoſſen, uͤbergiebt
erſtern der Oſn. Kirche und behaͤlt die letztere, welches
oft geſchehn. Daher denn in der Folge faſt alle Kauf-
briefe de advocatiis ſingularum domorum ſprechen; als
welche auf ſolche Art vereinzelt, zerſtreut, und oft zu
Sunderleuten S. §. 54. n. g. gemacht wurden.
dachten Werinbrahts, wovon es ſonſt in der Urkunde
von 1049 heißt: \& annuatim duas feras id eſt cervam \&
cervam unam aut ipſe capiat aut ad capiendos det cuicun-
que ſibi placeat; ſondern das von dem Domino Giſelber-
to und der Domina Cuniza ibid. anfuͤhren, welche ihren
Hof zu Venne und Bomte, wobey ſicher die kleine Jagd
war, dem Biſchofe uͤbergaben, ſolchen in precariam zu-
ruͤck- und von dem Biſchofe zur Dankbarkeit das Recht
erhielten, jaͤhrlich 2 Schweine und 2 Hirſche erlegen zu
duͤrfen. Wie auch die eben daſelbſt bemerkte Gyſela
1085 ihren Hof zu Drebber mit aller Jagd und Fiſche-
rey uͤbergab; trat ſie auſſerdem ab: foreſtum in tribus
ſylvis Dyvbroick, Thybur-brock \& Stroden, in porcis vi-
delicet ſylvaticis, cervis, capreolis, caſtoribus, leporibus,
piſcibus omnique venatione quæ ſub banno uſuali ad fo-
reſtum deputatur; Waͤre nun bey der Curia Drebber die
grobe Jagd geweſen: ſo wuͤrde ſie ſolche vermuthlich
auf gleiche Art ausgedruckt haben.
daß insgemein die Schloͤſſer auf ſolchen Hoͤfen errichtet
worden, zu welchen bereits andre kaͤyſerliche Freyheiten
gehoͤret haben.
als Berechtigte angegeben die Haͤuſer Barenau, Har-
kotten, Huͤnnefeld, Huntemuͤhlen, Jppenburg, Ovel-
guͤnne, Scheventorf, Suthauſen, Wulften, der Land-
droſt, und der Erbjaͤgermeiſter. Doch ſind vermuthlich
mehrere, die ſich nicht angegeben, vorhanden.
Mon. Weringart. beym LEIBNITZ T. I. p. 798; und
manche heutige Grafen ſchrieben ſich vor Alters liebet
Edle Herrn.
His ubi primores donis illexerat omnes
Subjectos ſibimet reliquos contriverat armis.
POET. SAX. ad ann. 803. Dieſer zufolge iſt es ſehr ver-
nuͤnftig und wahrſcheinlich: Carolum conſtituiſſe ſuper
cos ex nobiliſſimis Saxones genere comites. Chron. Nibel.
ad ann. 782 beym DU CHESNE T. II. p. 22. S. MET-
TINGH de milit. Germ. S. III. p. 132. Allein folgendes
Geſetz: Si quis comes in ſuo comitatu occiſus fuerit in
tres Werigeldos, ſicut ſua nativitas eſt, componere fa-
ciat. CAPIT. II. ad ann. 813. §. 10. zeigt, daß es comi-
tes diverſæ nativitatis gegeben. Daher auch der Muͤnch
von St. Gallen de geſtis Carol. M. I. 5. ap. CANIS. T.
II. p. 3. p. 58 nicht unrecht hat, wenn er ſagt: Carolum
ſæpe juvenculos \& pauperes in Epiſcopos ſublimaſſe \&
ſcientiam nobilitati prætuliſſe; und die Exempel ſo er
c. 6. und 8. davon anfuͤhrt ſcheinen nicht erdichtet zu
ſeyn. Juvenculus ſteht hier pro juniore junioris. Junior
aber iſt ein Leut; oder auch Vaſall, wie man leicht er-
rathen wird.
Truppen zu halten; eben ſo wenig mogte es dero Zeit
den Edlen, ſo keine Dienſte oder Commiſſion vom Kay-
ſer nahmen, geſtattet werden, eigne Gefolge zu behal-
ten. Die Verordnung: Ut unusquisque liber homo in
S 5noſtro
[282]Oſnabruͤckſche Geſchichte
noſtro regno Seniorem quem voluerit in nobis \& in noſtris
fidelibus accipiat. ſcheint dieſes vorauszuſetzen; und es
iſt vermuthlich eine Folge davon, daß in den Landfrieden
oder Reichs abſchieden v. 1235. 1287 ꝛc. denjenigen die
nicht beſonders vom Kayſer dazu privilegirt ſind, verbo-
ten iſt: Mundleute zu halten. Wie die Landmilitz in
Verfall kam; ſahe man ſo genau nicht darauf, und die
oſnabruͤckiſchen Edelleute bedungen ſich den Schutz ihrer
Heuerleute. S. §. 54. n. c.
gefuͤrſteter Herzog oder nicht. Die ſpaͤtern Groß-herzo-
ge aber hatten ohne Zweifel Feld[-]marſchalls Vollmacht.
und ſo dann war kein Feldmarſchall in der Armee. S.
Conſtant. Porphyr. [...]. c. 1. beym BANDUR in
imp. or. T. I. p. 11. Wie ſie zu Hauſe blieben weger-
ten ſich andre auch zu dienen. S. §. 104. n. e.
ſam ad notitiam per noſmet ipſos condictam habeamus. Ep.
Caroli ad Pipinum beym BALUZ T. I. p. 462. Dicunt
quod contra miſſos D. Imperatoris non vero contra comi-
tem pro heribanno debeant rationem reddere CAP. III.
ann. 811. ib. p. 486.
publicos nec faciant, niſi forte miſſus noſter de verbo no-
ſtro eos congregare fecerit. CAPIT. de part. Sax. c. 33.
Es fraͤgt ſich hier: ob eine Ritterſchaft ſich absque ver-
bo principis verſamlen koͤnne? wovon zu ſeiner Zeit.
den Reichs-Land-frieden nicht mit gleicher Macht be-
haupteten, trat der Adel wieder in ſein altes Recht; bis
er durch die beſondern Landfrieden wieder eingeſchraͤnkt
wurde.
mehrmalen verordnete: ut liberi homines nullum obſe-
quium faciant comitibus (den Beamten keine Hand- oder
Spann-dienſte zu thun) neque in prato neque in meſſe
(weder Heuel- noch Binder dienſte) nec in aratura aut
vinea (weder Pfluͤgel- noch Winzer-dienſte) \& conjectum
(Collecten) vel reſiduum iis ſolvant, excepto ſervitio
quod ad regem pertinet \& ad heribannatores vel his qui
legationem |ducunt. CAPIT. V. ann. 803. c. 17. S. DU
FRESNE v. Erimanni.
in ganz Deutſchland muſte er ehedem Wehr ſeyn: das
iſt propriam capitis ſui defenſionem haben; und der
Wehr war ein ſchoͤppenbarer Mann. Es waren aber
zweyerley advocati, neceſſarii \& voluntarii oder zugelaſſe-
ne Fuͤrſprachen. Erſtere waren vom Kayſer geſetzt:
und ſie hatten die Wehr oder die Vertheidigung ihrer
Klopps leute. Andre aber, die in keinem Klopp ſtan-
den, wenn ſie ſich nicht ſelbſt vor Gerichte wehren konn-
ten, muſten einen guten Mann ſchicken, und vor dem-
ſelben erſt die Erlaubniß von Richter und Schoͤpfen ſu-
chen, welche zuvor unterſuchten, ob er der Gegenparthen
ebenbuͤrtiig war, und ihr zu Kampfe wie zu Gerichte
entgegen geſetzt werden mogte.
muthet, daß es vor den Edelvogteyen ſchon Gilden un-
ter einer local-Gottheit, oder wie die Chriſten ſich aus-
drucken, unter dem Teufel gegeben habe. Jch ſuͤge jetzt
nur noch hinzu, daß die Hausgenoſſen in England Hus-
kerles S. SPELLMAN h. v. SOMNER. h. v. genannt
werden; jedoch mit der Ermaͤſſigung welche der Um-
ſtand §. 136. n. d. von ſelbſt an Hand giebt. Bey den
Englaͤndern heiſſen aber ſo wohl die Hof-hoͤrigen des
Koͤnigs als des Grafen und Thans Haus-kerls; wie
aus den Exempeln beym Spellman zu erſehen.
Nutzen. Ein Kloppsmann kann keinen Eyd de- oder
re-feriren absque ſpeciali mandato des Klopps; ja er iſt
nicht befugt ſeine Defenſion anders als per advocatum
communem ſocietatis zu fuͤhren, damit keine præjudicia
contra ſingulos entſtehen, welche hernach dem ganzen
Klopp ſchaden. Alle Vaſallen ſind in ihrer Maaſſe
Klopps-leute; ſie ſind membra unius curiæ. Wie vieles
iſt aber nicht ſingulis membris aufgedrungen worden,
was die Alten per advocatum communem in curia plena
zu verhindern wuſten? Jetzt weiß man von dieſer Art
der Vertheidigung nichts. Jeder proceſſet fuͤr ſich; ver-
liert er heute ein Recht durch Verſaͤumniß oder Unwiſ-
ſen-
[285]vierte Abtheilunge.
ſenheit: ſo wird ſolches morgen als ein Praͤjuditz gegen
andre angefuͤhrt. Singuli vincuntur.
Inſuper fuerunt ibi omnes illi Biergeldon de illo placito
ubi hæc facta ſunt; \& Siverc fuit ibi cum omnibus Bier-
geldon de Sliduſon \& Alfger \& Hemmic cum omnibus
Biergeldon qui in comitatu eorum manent. Ex ſervienti-
bus autem eccleſiæ affuerunt Huno \&c. Jmgleichen in
donatioue curiæ in Nortfelden de 1096. Præſentibus teſti-
bus ex nobilibus Everhardo Calvo --- ex liberis autem
Formund Waldmar \& omnes Bergildi ad prædictum placi-
tum (Folcmari comitis in Holthus) pertinentes. Dieſe
Biergelden haben ihren Nahmen von Wehr- oder Wahr-
gilden, und ſind ſo viel als fidejuſſores legales, welche
Carl der Groſſe mit einiger Einſchraͤnkung beſtaͤtiget
hatte; ibi ſolito more ipſi pagenſes Solidos XII. pro War-
gilda quæ juxta conſuetudinem corum ſolebant facere, hoc
conceſſum habeant. CAPIT. Sax. c. 4. Ohne dieſe Vor-
ausſetzung verſteht man nicht was das ſo haͤufig in den
Urkunden, und beſonders auch in den Oſnabruͤckiſchen
vorkommende: fidejuſſores tollere bedeute. So bald ei-
ner von den Wahrbuͤrgen etwas verbrochen hatte, und
gefluͤchtet war, hielt man ſich an ſeine Cammeraden. Es
hatte dieſes auch den Vortheil, daß man einem Verbre-
cher nicht gefaͤnglich einzuziehen gebrauchte; und ihn
durch ſeine Wahrbuͤrgen zwingen konnte, uͤberall zu er-
ſcheinen. S. §. 21. ſs. - - Die alten Teufel-gilden
waren vermuthlich auch Wehrgilden. Carl ſchaffte ſie
aber ab, weil der Teufel als Edelvogt den Eyd der Treue
nicht ablegen mogte. Seine Vorſicht gieng hierin ſo
weit, daß er auch ſo gar die Aſſecuranz-Societaͤten we-
gen Feuer und Schifbruch einſchraͤnkte: De Sacramentis
pro Gildonia invicem conjurantibus ut nemo facere præ-
ſumat. Alio vero modo de eorum elecmoſynis aut de in-
cendio aut de naufragio, quamvis convenientiam faciant,
nemo in hoc jurare præſumat. CAPIT. ann. 779. §. 16.
muthen, daß der Richter als Praͤſident keine Stimme
gehabt habe. S. §. 24.
und ſie mogten den Unterſchied deſſen ich §. 27. n. a.
erwehnt, nicht fuͤglich in ihrer Sprache ausdrucken. Jn
den aͤlteſten hieſigen deutſchen Urkunden erſcheinet aber
der Gowgraf mit Kornuten, oder Chur-genoſſen, und
ohne
[287]vierte Abtheilunge.
ohne dieſelben beſteht kein Gericht. Jetzt werden die
Churgenoſſen nur zu gewiſſen Handlungen gezogen; und
die Urtheile entweder vom Richter allein, oder von aus-
waͤrtigen Schoͤpfen geſprochen; welches anfaͤnglich wohl
nicht anders als mit Bewilligung der Partheyen und
alſo ex compromiſſo geſchehen iſt. Die Frage: Ob ein
Landesherr ſeinen Unterthanen das beneficium trans-
miſſionis actorum nehmen koͤnne? muß darnach beant-
wortet werden; und da halte ich dafuͤr, daß derſelbe ſie
nicht zwingen koͤnne von ſeinen Bedienten Recht zu
nehmen; ſondern ihnen entweder einheimiſche Schoͤpfen
erlauben, oder aber das beneficium tranſmiſſionis geſtat-
ten muͤſſe. Die Raͤthe in den hoͤchſten Gerichten, ſo
von den Reichs-fuͤrſten oder den Land-ſtaͤnden praͤſentirt
ſind, muͤſſen aber nicht als Bediente ſondern als erwaͤhl-
te und beſtaͤtigte Schoͤpfen angeſehen werden. Chur-
genoſſe oder Kornote bedeutet eigentlich nur einen er-
waͤhlten ebenbuͤrtigen Mann. Daher das Wort auch
andre Anwendungen erlitten hat; und bey den Weſt-
phaͤlingern einen auserwaͤhlten gleichen Freund bezeichnet.
maͤchtigter der Schoͤpfen-wahl beywohnte. S. §. 118.
n. a. Da er ihre Nahmen dem Kayſer einſchickte; und
ſie auf den Fall ubi propter munera male judicaverant ad
præſentiam miſſi non vero comitis kommen muſten. S.
BRUMMER. l. c.: ſo ſiehet man leicht ein, daß ſie we-
nigſtens ratione officii nicht unter dem Grafen geſtanden,
und wie die Caroliniſche Einrichtung untergieng, alle
Gelegenheit gehabt haben, ſich eine vorzuͤgliche Ehre zu
geben. Haͤtten die Schoͤpfen von dem Richter abgehan-
gen: ſo waͤre gar ſchlecht fuͤr die Freyheit geſorgt wor-
den.
ri poſſunt, eligantur a miſſis noſtris ad inquiſitiones fa-
ciendas \& rei veritatem dicendam. Capit. Lud. P. addit.
4. c. 74. beym LINDENBR. p. 1189. Ob bey der Inqui-
ſition auch der Richter gegenwaͤrtig ſeyn muͤſſe, daruͤber
wird zwiſchen dem Oſnabruͤckiſchen Magiſtrat als Schoͤ-
pfen
[288]Oſnabruͤckſche Geſchichte
pfen und dem Obergografen als ehmaligen kayſerlichen
Richter geſtritten. Die Schoͤpfen wurden ehedem von
dem kayſerlichen Miſſo beſtaͤtiget. Ob die Beſtaͤtigung
der Raths glieder als Schoͤpfen dermalen von dem Lan-
des herrn geſchehen muͤſſe? Haͤngt von der Vorfrage ab:
ob der Landesherr die Stelle des miſſi cæſareiuͤberall
vertrete? S. §. 122. n. b. Und ob die Staͤdte allen-
falls eher die Freyheit vom Kayſer erhalten, als das
miſſaticum an die Landesherrn gekommen?
ſer ſonſt der in CAPIT. III. §. 7. ann. 811. vorkommen-
den Ausflucht Thuͤr und Thor geoͤfnet haben wuͤrde:
Sunt enim qui dicunt ſe eſſe homines Pipini \& Chludevici
\& tunc profitentur ſe ire ad ſervitium dominorum ſuo-
rum quando alii pagenſes in hoſtem pergere debent. Al-
lein es ſtreitet mehrers dagegen, als ich hier anfuͤhren
kann.
Gnuͤge, daß es angeſeſſene Freye gegeben, welche non
obſtante ducatu vel comitatu, ſich in des Kayſers Dienſte
empfehlen duͤrfen, und an die Grafen-rolle nicht ver-
bunden geweſen. Es kann aber auch ſeyn, daß ſich viele
Grafen-leute, weil der Heerbann ſo oft nicht aufgebo-
ten wurde, interimiſtice in des Kayſers und andrer Fuͤr-
ſten Gefolge begeben und hernach eben durch dieſe ihre
Dienſte Gelegenheit gefunden haben, den graͤflichen
avocatoriis exceptionem ſervitii regalis entgegen zu ſetzen.
bannum Imperatoris ſub comite adimplere nolle, quia
non niſi contra miſſos de heribanno reſpondere deberent;
Twa-
[290]Oſnabruͤckſche Geſchichte
waren zu viel, um ſie alle vom Adel zu verſtehen; und
der Graf klagte oft heftig, daß wenn er ſie hundertmal
aufbieten lieſſe, ſie ſich nichts daran ſtoͤrten; CAP. III.
ann. 811. §. 6.
comite aut cum ſeniore ſuo in hoſtem pergat. Man
kann annehmen daß dieſe Seniors Kirchen- und Edel-
voͤgte, oder auch alte erwaͤhlte Dynaſten geweſen, welche
vom Kayſer in ihrem Amte en chef beſtaͤtiget worden.
Sie fuͤhrten aber Gemeine, und keine Leibeigne an,
weil ihre Leute dem Kayſer ſo gut als andre Gemeine
ſchworen. CAPIT. IV. ann. 805. §. 9. Mit dem Worte
Senior, Sennor oder Seigneur verbindet man insgemein
den Begrif des Alters. Allein Al und El bedeutet wie
Ar und Or S. §. 75. n. b. jede Hoͤhe, ſo wohl an Jah-
ren als an Stande; und altus bey den Lateinern iſt hoch;
wie El das hoͤchſte und niedrigſte; daher heiſſen die
Edlen bey den alten Deutſchen Dichtern Elende, und
Elend-thier iſt Edel-thier. Senior iſt folglich optimas,
und Aldermanne ſind optimates; in den Staͤdten aber
primores populi. Aus einem gleichen Mißverſtaͤndniſſe
ſind die Grafen zu grauen alten Maͤnnern gemacht;
welchenfals ſie doch im Niederſaͤchſiſchen nicht Grefen
ſondern grue oder griſe genannt werden muͤßten. Jn-
deſſen wurden doch die Unter-officier eines Senioris ju-
niores genannt. S. CAPIT. I. d. 802. §. 25. Oft wer-
den auch nur Gemeine darunter verſtanden. So wird
in den Oſnabr. Urkunden bisweilen diſcipulus gebraucht.
Als z. E. in einer Urkunde von 1118, worin die Dro-
per Markgenoſſen dem Kloſter zu Jburg gewiſſe Rechte
einraͤumen: Teſtes \& principes horum Marchionum qui
ſua collaudatione hæc confirmarunt ſunt hi. Ex parte
Epiſcopi Heico villicus de Oſnabrugge cum ſuo diſcipulo
Wernhardo; ex parte comitis Eicelin \& ſuus diſcipulus
Lewizo; ex parte clericorum Rothart \& ejus diſcipulus
Theithart. Jenes junior iſt erſt durch Juͤnger und der
Juͤnger durch diſcipulus uͤberſetzt.
der
[291]vierte Abtheilunge.
der erſten Zeit nur eine ſehr kleine Flur; und den Buͤr-
gern mogte der Ackerbau nicht leicht geſtattet werden,
weil der Natural-dienſt zur gemeinen Vertheidigung auf
dem Grunde haftete.
quem fand, und ihnen dieſe Laſt anmuthete; muſte ihren
Buͤrgern, welche zuſammen nicht ſo viel wehriges Land
unter haben mogten, daß davon ein Mann zum Heer-
bann ausziehen konnte, durch anſehnliche Privilegien ge-
holfen werden. Die Krieges-laſt ward auf ihren Fleiß,
ſo wie bey dem Landmanne auf den Acker gelegt; und
dies iſt vermuthlich der erſte Grund, de opifice in pagis
exule. Wie die Buͤrger ſolchergeſtalt zur gemeinen Lan-
des-wehr kamen, erhielten ſie auch gemeine Ehre; ihre
Rathen-buͤrger S. §. 27. n. a. wurden Schoͤpfen; ihre
Schoͤpfen kamen zur Dietine, und ſpaͤter zum Landtage.
Und wenn man die improportion der Wehr betrachtet,
da ſolchergeſtalt auf zehn Morgen buͤrgerlichen Grundes
mehr Beſchwerde lag, als auf tauſend zur gemeinen
Vertheidigung ſonſt verpflichteten Morgen: ſo wird man
ſich nicht daruͤber wundern, daß die Staͤdte es in jener
Zeit, wo eine neue Sicherheit hinter Wall und Mauren
geſucht wurde, gar ſchnell und titulo maxime oneroſo ſo
hoch gebracht haben.
ſpricht: S. CAPIT. de villis §. 52. oder auch befiehlt
ſeine Meyer und Schulzen nicht ex potentioribus ſed ex
mediocribus qui fideles ſunt, zu nehmen ib. §. 60: ſo
muß man dieſe Ausdruͤcke nach ihrer Beziehung ermaͤſſigen.
Burgundier, Wiſigothen, Anglier und Weriner auf-
merkſam durchleſen, und ſolche mit den Saliſchen,
Saͤchſiſchen und Frieſiſchen vergleichen, um ſich davon
zu uͤberzeugen. Jn den erſtern wird keines Leuts haupt-
ſaͤchlich gedacht, in letztern aber heißt es immer: Nobi-
les, ingenui \& liti. Man fieht aber aus allen Spuren,
daß die ſaͤchſiſche Erfindung des nexus litonici Beyfall ge-
funden, und die Kayſer mit ihren fiſcalinis aldionibus \&c.
ſich jenen zum Muſter vorgeſtellet haben. Daher kamen
Liti in Jtalien, wie Hollaͤndereyen in Deutſchland.
Die Ausfuͤhrung hievon iſt zu weitlaͤufig. Sonſt koͤnnte
man es auch ex LL. feud. Long. wahrſcheinlich machen,
daß
[293]vierte Abtheilunge.
daß die Longobarden nach den Grundſaͤtzen des ſaͤchſi-
ſchen Leut-rechts ihre italiaͤniſchen Eroberungen einge-
richtet haͤtten.
und Weriner nichts von Leuten enthalten wuͤrde ich
ſchlieſſen, daß dieſe Voͤlker nie dieſſeits der Linie, welche
Germanien einfaßte S. §. 78. n. b. geſeſſen geweſen.
didit curtim unam --- \& inſuper ſeptem familias id eſt
ſeptem hobas juxta illius provinciæ morem poſſeſſas ac
cenſum ſolventes in locis ſubnotatis --- \& mancipia utrius-
que ſexus per totum XL. hæc nomina habentia ----. Was
hier analogice, familia \& hoba genannt wird, hies §.
130. n. d. manſus \& lito. Dieſe Stelle hat uͤbrigens ei-
nige Schwierigkeit. Man weiß, daß die Sachſen nul-
lo cenſu beſchweret wurden; und daß der Zins nach da-
maliger Sitte, die Perſon welche ihn gab, ſehr ernic-
drigte, weswegen es mir bedenklich geſchienen, alle Ge-
meinen ſo gleich unter die Edelvogtey zu verſetzen, S.
§. 134. und bin ich geneigter geweſen anzunehmen, daß
die Edelvogtey nicht eine gemeine, ſondern eine beſon-
dere Hauptmannſchaft geweſen. Wenn ich aber bedach-
te, daß die Vogts-leute ihrem Edelvogte nothwendig
eine Urkunde entrichten muſten, um ihre Anhaͤngigkeit
zu beweiſen; daß der Zins jener ſeptem hobarum in duo-
bus denariis ad altare eccleſiæ ab eis annuatim ſolvendis
beſtand; welcher den groͤßten Schein einer bloſſen Ange-
hoͤrungs-Urkunde mit ſich fuͤhrt, und daß endlich dem
Vogten loco honorarii etwas entrichtet werden mußte,
indem der Kayſer einen Advocaten im Heerbann zu be-
ſolden nicht ſchuldig, dieſer aber eine ſolche Ehre und
Wehre fuͤr andre zu uͤbernehmen von ſeinem Hofe nicht
verpflichtet war: ſo bin ich wiederum auf die andre
Seite getreten, und uͤberlaſſe dem Leſer das Urtheil.
habe, enthalten vorerwehnten morem provinciæ Weſt.
T 3pha-
[294]Oſnabruͤckſche Geſchichte
phalicæ, und iſt es darin zwar nur eine Sage, daß ſie
von Carln dem Groſſen den Hofhoͤrigen ertheilet wor-
den. Dieſe Sage aber, da ſie ſich in ſo vielen verſchie-
denen Hofrechten findet, und durch die groſſe Aehnlich-
keit der Hofrechte untereinander unterſtuͤtzet wird, ver-
dienet alle Aufmerkſamkeit, beſonders da auch die Ca-
pitularien aͤhnliche Stellen mit den Hofrechten haben.
des tam ingenuos quam litos. ANN. PETAV. \& MOISS.
ad ann. 780. Dies beweißt daß die Leute in ihrem Va-
terlande Erbtheile gehabt haben, ob ſie gleich ihre Wehr
und mit dieſer ihr Gut einer local-Gottheit uͤbergeben
haben konnten, wie ſie in die Teufel-gilde getreten wa-
ren. Denn Carl nahm vermuthlich keine Leute zu Geiſ-
ſeln, die auf fremden Gute ſaſſen und nichts eignes
hatten.
te den Leibeignen und ihren Gutsherrn nicht zu gleicher
Zeit der Zehnte abgefordert werden. Und der Kayſer
ſchraͤnkte ſich in der Zehnt-ordnung auf nobiles, inge-
nuos \& litos ein, ohne der bloſſen colonorum vel manci-
piorum zu gedenken. S. §. 126. n. c. Die Liti muſten
alſo quandam proprietatem haben. Der Styl aͤnderte
ſich aber in dieſem Stuͤck pro diverſitate locorum \& ne-
xus ſervitialis bald. Jetzt wuͤrde man ſchon ſagen: den
Zehnten ſollen geben ſo wohl Freye als Leibeigne.
muthen. Es hindert aber nicht, daß es nicht uſu lo-
quendi, und ex pacto ſehr viele andre Leute gegeben.
S. DU FRESNE v. litus. Nur ſehe ich keinen Grund
mit TESCHENM. in ann. Cliv. p. I. p. 74. ſo fort anzu-
nehmen, apud Saxones Lazzen, apud Sicambros Lathen,
apud Friſeos Liten dictos, juxta vocabuli etymon, primo
captos \& poſtea ex commiſeratione in agris relictus fuiſſe.
Dergleichen etymologiſchen Schluͤſſen wiederſprechen die
ſaͤchfiſchen und frieſiſchen Geſetze.
dam Werenbraht libertus \& miles. S. §. 129. n. a. Die-
ſer Eyd hieß Leudeſamium Litemonium S. DU FRESNE.
h. v. und iſt von dem Mann-eyd homagio unterſchieden.
ſed non liceat ullam fœminam vendere. LL. SAX. tit. 18.
Jn Anſehung ſeiner Guͤter heißt es ib. tit. 17. Liber
homo qui ſub tutela nobilis cujuslibet erat, qui jure in
exilium miſſus eſt, ſi hereditatem ſuam, neceſſitate coactus
vendere voluerit, offerat eam primo proximo ſuo; ſi ille
emere noluerit, offerat tutori ſuo, vel ei cui tunc a Rege
ſuper ipſas res conſtitutus eſt. Si nec ille voluerit, vendat
eam cuicunque voluerit. Eben dieſes befindet ſich im
Hofrechte. S. §. 49. n. f. und §. 52. n. c. Nur muſten
die Guͤter Hofhoͤrig bleiben, und ſpaͤter geſchahe der
Verkauf cum clauſula de relinquendo bona to Burgerich-
te \& to Holtgerichte. S. NUNNING in mon. Monaſt.
p. 84.
ſonders da ſich noch niemand die Muͤhe gegeben das
Lehn-recht aus dem Hof-rechte zu erlaͤutern.
z. E. in curia Epiſcopali ſpeciali Oſſenbrugge, curia Epi-
ſcopalis generalis. Und die Haußgenoſſen des biſchofli-
chen Meyerhofes waren von den Haußgenoſſen der Hof-
ſtatt unterſchieden, ob ſie gleich beyde miniſteriales hieſ-
ſen.
unusquisque in miſſatico quod homines caſatos unusquis-
que in beneficio habeat. CAP. III. ann. 812. §. 5.
ge er noch ſeinen Hof in Perſon vertheidigte; der Be-
grif von Gutsherrlichkeit entſtand alsdann erſt, wie der
Wehr aus ſeinem Leibeignen einen ordentlichen Hinter-
ſaſſen machte; und ſolchergeſtalt in reſpectu hujus ein
Herr wurde. Wie die Lehn-militz in Uniforme mit
Gold und Silber vermuthlich auch mit anderm Gewehr
und andern Uebungen erſchien, muſte es den Stroh-
weh-
[297]vierte Abtheilunge.
wehren, die gegen ſolche beſſer bewafnete und geuͤbte
Leute nicht gebraucht werden konnten, uͤberaus empfind-
lich vorkommen, auf ihren Hoͤfen in dem nunmehr ver-
achteten Heerbann zu bleiben. Sie verlieſſen alſo ihre
Hoͤfe; hoben ſich im Lehn-dienſte; und ſetzten ihre Leib-
eigne in den unbrauchbaren Heerbann. Andre wurden
aus Noth und Andacht ſelbſt Leibeigne. Der Graf
nahm auch Lehn-leute an und uͤberließ oder verlieh die
gemeine Reihe einem Obriſt-lieutenant, welches der
jetztge Gowgraf iſt, dem es nunmehr gleichguͤltig wurde,
ob der Wehr in Perſon oder durch einen Vicar am Goͤ-
ding oder auf dem alten Muſter- und Gerichts-platze er-
ſchien. Doch iſt beym Obergogericht das Goͤding der
Freyen vom Goͤding der Leibeignen noch unterſchieden.
Domsday-buch einem Lord unter dem Bedinge uͤberge-
ben iſt, eine ſichere Mannzahl dafuͤr zu ſtellen. Der
Staat bekuͤmmerte ſich darauf um die hinter dem Lord
geſeſſene Gemeinen nicht weiter, und war zufrieden,
wenn der Lord mit ſeinem ihm einmal zugeſchriebenen,
in der Folge aber ſehr moderirten Matricular-anſchlag
erſchien. Daher iſt der Lord nicht ſchuldig die Hoͤfe in
ſeinem Manner wenn ſie erledigt werden wieder zu be-
ſetzen. Er kann den ganzen Manner in einen Park; o-
der in Pachtgut verwandeln, und ſolchen durch Pacht-
leute beſtellen laſſen; an ſtatt daß in Weſtphalen der
Staat jeden einzelnen Hof, nicht aber die alte Edel-
vogtey in concreto wahret. Die Engliſche Nation klagt
ſehr uͤber jenes Verfahren der Lords, wodurch das Land
entvoͤlkert wird, und wuͤnſchen, daß die Einrichtung wie
in Deutſchland, und der Lord keinen Hof einzuziehen be-
fugt ſeyn moͤgte.
ſprechen daher nur de advocatiis curtium vel domorum.
d. gedachte Wehrenbrecht verkaufte ſieben Familien
Hausgenoſſen und vierzig Stuͤck Leibeigne. Letztere wur-
den wie Acker und Pflug zum Hofgewehr gerechnet,
T 5Heri-
[298]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Heribannus non exactatur neque in terris neque in man-
cipiis. CAPIT. in ann. 812. §. 2.
unterſcheidet die Vogtey an Leuten und Guͤtern ganz
genau; und der Unterſcheid ergiebt ſich aus dem Syſtem,
weil herrlich Gut, als Allode, nicht in der gemeinen
Reihe iſt; Edelvoͤgtey aber die Natur des gemeinen
Grundes nicht veraͤndert.
die Fragen: Ob ein Hof der wegen der Schulden ſei-
nes Leib-eignen Bauers, oder wegen Minderjaͤhrigkeit
ſeiner Kinder verheuret waͤre, wenn es die Noth erfor-
derte, ein mehrers, als er des Jahrs an Heuer-geldern
aufbraͤchte, zu gemeinen Laſten beyzutragen verbunden
ſey? Die Land-Staͤnde ſagten: Nein; und ſie konnten
dieſes thun, weil die Billigkeit die man dem einen
Gutsherrn hierunter erwieß, dem andern auch zu ſtatten
kommen konnte. Eigentlich aber waͤre nicht der Leib-
eigne, ſondern der Gutsherr den Hof zu vermannen
ſchuldig; und die uͤbrigen Reihe-pflichtigen brauchten
nicht darunter zu leiden, daß der Gutsherr einen ſchlech-
ten Vicar haͤlt. Wenn der Gutsherr ſelbſt minderjaͤh-
rig waͤre, muͤſte ein tutor uſufructuarius dienen; und
der Hof muß uͤbergeben oder vertheidiget werden. Die
damalige Schatzung gieng auch bloß zur Landes rettung,
und ſie muſte bezahlet werden, wenn auch der Gutsherr
nichts von ſeinen Paͤchten erhalten, und noch uͤber dem
ſeinen ganzen Hof zugeſetzt haͤtte. Denn die Krieges-
laſt liegt nicht dem Leibeignen ſondern dem Hofe und
deſſen Eigenthuͤmern ob. S. §. 50. n. d.
ſich hievon zu uͤberzeugen. Gleich wie aber die Authori-
taͤt der Geſandten bloß auf der Macht des Kayſers de-
ruhete; alſo konnten ſie unter ſchwachen Ruͤckenhaltern
gegen die uͤbrige Reichs-bediente, welche eine Local-
macht zu ihrem Winke hatten, nicht lange beſtehen.
unusquisque in ſua legatione cum omnibus Epiſcopis,
Abbatibus, Comitibus vaſſis noſtris, Advocatis noſtris ac
Vicedominis Abbatiſſarum. CAPIT. L. II. c. 28.
ſtici collatio fiat. ibid.
illorum, qui ad hoc a nobis conſtituti ſunt, officium fibi
commiſſum ſecundum Dei voluntatem ac juſſionem no-
ſtram adminiſtret in populo. ibid.
illorum auxilio indigeat, tunc volumus, ut ex noſtra au-
toritate illud corrigere ſtudeant. ibid eod. DE ROYE do
miſſis Dom. L. II.
addita ſunt. Et poſtquam omnes conſenſerint ſubſcriptio-
nes \& manufirmationes in ipſis capitulis faciant. CAPIT.
ann. 803. §. 19.
zogthume erhielten die Biſchoͤfe auch das Recht die Ge-
meinen zu verſamlen. Diejenigen Edelvoͤgte und Gra-
fen aber, welche ſich in den biſchoͤflichen Sprengeln,
ohne Landſaͤſſigkeit befinden; und daher in alten Zeiten
bloß ad conventum miſſi Cæſarei gekommen ſeyn muͤſſen,
legen noch jetzt ein Zeugniß ab, daß die Biſchoͤfe nicht
die ganze Vollmacht der Geſandten erhalten haben.
ſchichte. Der Kirchenvogt und ſaͤmtliche Edelvoͤgte nebſt
den Schoͤpfen hatten von Amtswegen die Repraͤſenta-
tion ihrer Leute als ehmaliger Gemeinen. Sehr viele
curiæ \& curtes woraus die Edelvoͤgtey ehedem gegangen
ſind bey der Oſnabruͤckiſchen Kirche und folglich auch
ihre Repraͤſentation. Das Kloſter Jburg hat verſchie-
dene curtes; aber ſeinen Edelvogt abgeſchaft, und iſt aus
Mangel eines Stimm-vertreters aus der Landes-ver-
ſamlung heraus gekommen. Saͤmtliche Kloͤſter haben
ihre Edelvoͤgte oder Advocaten wodurch ſie die Verſam-
lung beſchtckten, ausgehen laſſen. Die Capittel zu St.
Johan, zu Quakenbruͤck und zu Wiedenbruͤck werden
durch ihre Proͤbſte, welche im Dom-capittel ſind, jedoch
nur zufaͤlliger Weiſe, indem der Probſt Anfangs nur in
capitulo qua tali erſchien, repraͤſentirt; und die Voll-
macht der ſaͤmtlichen Pfarrer, in deren Gegenwart je-
doch der Biſchof Franz Wilhelm ſeine Capitulation noch
beſchworen S. KRESS. vom Archid. Weſen in app. p. 60.
ſcheint ebenfals beym Dom-capittel zu beruhen. Wel-
ches alles daher gekommen, daß die Dietinen ſich in Ca-
pitular- und Miniſterial verſamlungen nach und nach
veraͤndert haben. S §. 56. n. c. Von Rechtswegen
aber gehoͤren alle Kloͤſter, alle Stifter, alle wuͤrkliche
Pfarrer die nicht bloß curati ſind, und alle Beſitzer einer
Wehr, zur Dietine oder Comitial-verſamlung; und
wird kein Exempel vor dem 16 Jahrhundert beygebracht
werden koͤnnen, worin eine Reichs- oder Tuͤrken-ſteuer
ohne ihre Zuziehung repartirt und beygetrieben worden.
Daß das Dom-capittel und die Ritterſchaft ihre colle-
gia capitularia \& miniſterialia in neuern Zeiten geſchloſſen
haben; haͤtte dem gemeinen Weſen gleichguͤltig ſeyn koͤn-
nen; wenn ſie ſich nur nicht auch zugleich indirecte der
objectorum comitialium allein unterzogen haͤtten. Da-
durch iſt die Repraͤſentation auf Landtaͤgen unvollkom-
men; und kein Grund vorhanden warum z. E. ein Klo-
ſter oder Gutsherr, der weder ins Domcapittel noch zur
Ritterſchaft kommen kann, ſich und ſeine Leute einem
heuti-
[302]Oſnabruͤckſche Geſchichte
heutigen Landtags-ſchluſſe unterwerfen muͤſſe. Niemand
hat ihre Vollmacht; und noch weniger ihre Vogtey oder
Vormundſchaft. Sie ſind nicht verabladet, und koͤnnen
alſo nicht pro abſentibus conſentientibus gehalten werden.
Und keiner der ſein Haupt oder ſeine eigne Wehr noch
hat, mag durch eine Verordnung oder Steuer-bewilli-
gung, die er nicht ſelbſt mit genehmiget hat, verbunden
werden. Man kann dieſe natuͤrlichen Grundſaͤtze und
hiſtoriſche Wahrheiten nicht genug wiederhohlen, indem
ſich ſo wohl das Domcapittel als die Ritterſchaft ſelbſt
darauf zuruͤck ziehn muͤſte, wenn der Maaß-ſtab der Ca-
noniſchen und Miniſterial-rechte ihren gutsherrlichen
Rechten angelegt werden wollte.
ſecum nec non \& de primis Scabineis ſuis tres aut quatuor.
CAROL. M. L. II. Cap. 28. Waͤren bloß comites \& cen-
tenarii als kayſerliche Bediente zur Dietine gekommen:
ſo haͤtten ſie entweder alles nur ad referendum anneh-
men, oder aber mandatum cum libera haben muͤſſen.
Erſters haͤtte Weitlaͤufigkeiten veranlaßt, und letzters
waͤre der gemeinen Freyheit nachtheilig geweſen. Die
primi Scabinei muſten alſo als Aldermans oder tribuni
plebis der Reichs obrigkeit zur Seite ſeyn.
terrogabat, quid dignum relatu ex provinciis adferrcnt.
HINCMAR in admon. 14. ad proc. regni c. 25 \& 26. Und
da die Capitularia auf der Dietine von den Schoͤpfen mit
unterſchrieben ſeyn muſten S. §. 37. n. f. ſo iſt wohl
kein Zweifel daß nicht die gefaßten Schluͤſſe der Dietine
in wichtigen Sachen ebeufals beſſer als durch den muͤnd-
lichen Bericht eines kayſerlichen Bedienten beglaudiget
werden muſten.
Bi-
[304]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Biſchof und Graf, auf erhaltener beſondern Vollmacht,
eine Dietine eroͤfnen, und bey derſelben Principal-com-
miſſarius ſeyn; aber nicht in ſeinem Sprengel. So
muſtert ein General oft des andern Regiment, aber
nicht ſein eignes. Jm Stifte Oſnabruͤck ſind jetzt Canz-
ley-director und Raͤthe bey Landtagen miſſi Epiſcopales.
des Groſſen daß die Biſchoͤfe, Grafen und Edelvoͤgte den
Gemeinen ſo lange zuſetzten, uſque dum pauperes facti
nolentes volentes ſuum proprium traderent aut venderent;
alii vero qui traditum habent absque ullius in quietu-
dine domi reſident. CAPIT. III. ann. 811. §. 3. Was
mogte nicht nachher geſchehn? Und geſetzt, daß jetzt die
Regierung den Vogt nicht controllirte; mithin dieſer
diejenige, welche ſich ihm nicht auf gelinde Bedingungen
zu eigen geben wollten, zu Recruten naͤhme; oder einige
Jahre lang taͤglich auf die Krieges-fuhr ſchickte; wuͤrde
ſich nicht der Vogt eben ſo bald Meiſter von der Vogtey
machen als der alte Edelvogt?
Schoͤpfe hat nur ſeine Weisheit dazu zu geben. Dieſe
iſt jedoch, eben wie ein raͤthliches Gutachten der Staͤn-
dt, von einer ſolchen Verbindlichkeit, daß die hoͤchſte
Obrigkeit nicht dagegen handeln mag, ob ſie gleich auch
nicht allemal ſchuldig iſt ſolches zu befolgen. Jn Faͤllen
wo beyde nicht uͤbereinſtimmen, bleibt alles in ſtatu quo.
Das Franzoͤſiſche Parlement druckt ſich hieruͤber in ſei-
ner Vorſtellung an den Koͤnig v. 18 Maͤrz 1766 anders
aus. Es ſagt: Le pouvoir legislatif reſide dans la per-
ſonne du Souverain ſans dependance \& ſans partage; mais
tel eſt cependant l’uſage econome du Gouvernement fran-
çois, qu’avant que la loi ait reçu ſa derniere forme, \& qu’
elle puiſſe etre executée, elle doit etre verifiée au parlement.
Hiernechſt wird der Wehrt dieſer Verification wohl aus-
einander geſetzt, und gewieſen daß der Koͤnig nichts
veraͤndern koͤnne, ohne daß nicht das Parlement es vor-
her unterſucht und geſetz-maͤſſig oder zutraͤglich befunden
habe.
[305]vierte Abtheilunge.
habe. Eben ſo iſt es mit den Statutis welche ohne obrig-
keitliche Beſtaͤtigung keine Verbindlichkeit haben, und
als bloſſe concluſa inter concludentes gelten.
wahrigen den Halbwahrigen, ja ſogar unwahrigen Mark-
koͤttern, gleiche Rechte mit ſich ſelbſt unter dem Bedinge
eingeraͤumet, daß ſie auch gleiche Bauer-laſt thun ſollten.
Dies hat ſo lange gut gethan, als der lange Friede die
Bauer-laſten ertraͤglich machte. Wie aber im Jahr 175[8]
die Vollwahrigen faſt taͤglich mit zwey oder vier Pferden
in der Krieger-fuhr ſeyn muſten; hatten die andern kein[e]
Kraͤfte. Dergleichen Vertraͤge ſind gegen die gemeine
Wohlfart in allen Staaten, deren Abſicht nicht iſt, nur
viele Koͤpfe zum Krieges-dienſte zu ziehen.
Arme geaͤuſſert. Der Kayſer nahm ſich ihrer als ſeiner
Schutz-leute, die ihm Zins gaben, aus eben dem Grunde
an, woraus ſich ein General der Livranten und Marke-
tenter annimmt. Von den Wehren hatte der Kayſer
nichts, als daß ſie das Schwerdt zogen; aber die Armen
hatten ihren Schutz nicht umſonſt.
2. macht ſich ſonderbare Vorſtellungen von den Geſetzen
der Barbaren, und nennt ſie Perſonal-geſetze, weil in
dem fraͤnkiſchen Reiche, die Franken andre Geſetze als
die Roͤmer, die Roͤmer andre als die Burgundier, und
die Burgundier andre als die Deutſchen hatten; und die-
ſes in dem nemlichen Bezirke. Er haͤtte aber gerade um-
gekehrt ſchlieſſen ſollen. Denn geſetzt wie es augenſchein-
lich iſt, es waͤren tauſend Hoͤfe in einem Bezirke; und
die Eigenthuͤmer dieſer tauſend Hoͤfe, welche gemeine
Ehre und Wehre haben, machten den Coͤrper der Nation
aus; ſollten dieſe einigen Ueberwundenen (dedititiis) oder
Schutzgenoſſen (receptitiis) ihre Ehre und ihre Rechte
mittheilen? Konnten ſie Heuerleuten, Hinterſaſſen,
Handwerkern, Kraͤmern, Doͤrflingen (villains) und Buͤr-
gern dieſe ſtarke Ehre anmuthen ſeyn? Konnte ein Roͤ-
mer, Burgundier oder Deutſcher unter den Franken et-
was anders als einen receptitium oder dedititium vor-
ſtellen? und wenn ein Roͤmer durch Heyrath oder Erb-
ſchaft zum Hofe gelangte, ward er alsdenn nicht ein
Franke, ein Mitglied der Nation? Muſte nicht das
onus defenſionis erſt aus einer Natural-pflicht in eine
Geld-pflicht, und aus einer Buͤrger-pflicht in eine Men-
ſchen-pflicht verwandelt werden, ehe der Geld beſitzer mit
dem Land-beſitzer in eine Reihe gebracht werden konnte?
Gruͤndete ſich nicht auf dieſer Ausgleichung die ſpaͤtere
Ausdehnung des roͤmiſchen Buͤrger-rechts? Wie kann
der Herr von Monteſquiou alſo behaupten, daß die Ge-
ſetze der Barbaren perſonal geweſen, da ſie ſich doch ge-
rade nach eines jeden Wehr-gute, und Eigenthume rich-
teten? Ein Franke hatte mehr Ehre aber ein Roͤmer
unter ihnen mehrern Vortheil; kein Wunder, daß alle
Buͤrger nach roͤmiſchen Rechten lebten. Von einer Haus-
ſtaͤtte zieht einer nicht ſo zu Felde, wie von einem Acker-
hofe. Monteſquiou wundert ſich, daß die Franken ſich
nicht die Muͤhe gegeben die uͤberwundenen ihren eig-
nen Geſetzen zu unterwerfen. Dies heißt ſo viel geſagt,
als: Die Vollmeyer ſollten allen ihren Heuerleuten und
Hinterſaſſen Meyer-recht geben. Wie wollten aber letz-
U 2tere
[308]Oſnabruͤckſche Geſchichte
tere ohne zugleich auch Meyer-hoͤfe zu erhalten, bey dieſer
ſchweren Ehre beſtehen? Der Herr v. M. geht mit dem
modernen Begrif von Unterthanen, den die alten gar
nicht kannten, und wodurch alle Koͤpfe in ein Chaos zu-
ſammen geſtoppelt werden, in die Sache hinein. Auch
LeibnitzT. I. Script. Brunsv. p. 79. n. f. thut einen
Angrif auf die ſonderbare Geſetzgebung der Sachſen, in-
dem er ihnen vorwirft, daß ſie den Pferde-diebſtahl mit
dem Leben und den Mord mit Gelde beſtraft haͤtten. Al-
lein hier iſt ſchon eine Vermiſchung verſchiedener Rechte.
So wenig ſich jetzt Meyer und Land-eigenthuͤmer mit
Pferde-diebereyen abgeben; ſo wenig haben es auch wohl
die ehmaligen ſaͤchſiſchen Rechts-genoſſen gethan. Die
Todes-ſtrafe auf den Pferde-diebſtahl iſt alſo eine Strafe
ſolcher Menſchen, die entweder blos als Knechte und Ge-
ſchuͤtzte aufgenommen, oder gar irrend und ſchweifend,
folglich der durch die National-geſetze verglichenen Geld-
ſtrafen unfaͤhig waren. Die Leibes-ſtrafen in den ſaͤchſi-
ſchen Geſetzen ſind zuerſt auf Kirchen-raub, Todtſchlag
in der Kirchen und an gefriedigten Feſten, Verſchwoͤ-
rung gegen den Koͤnig ꝛc. geſetzt. Wer ſieht hier nicht
die Einflickungen neuer Verordnungen?
dieſes wenigſtens uͤberfluͤſſig geweſen. Aber nein. Es
heißt in LL. FRIS. Si nobilis furtum dicitur perpetraſſe --
Si liber furti arguatur -- Si litus - Si ſervus -- Und die
Strafe wird mit jedem Stande in Verhaͤltnis geſetzt.
Wem wuͤrde heut zu Tage eine ſolche feine Unterſchei-
dung einfallen? Wem wuͤrde ſie noͤthig ſcheinen? Wie
U 3oft
[310]Oſnabruͤckſche Geſchichte
oft macht nicht ein Landesherr ganz allein Geſetze? Wie
oft entſcheiden Edle nicht was Leute eſſen, tragen oder
bezahlen ſollen? Und wie empfindlich iſt es nicht fuͤr alle,
wenn man uͤberall den Menſchen koͤpft, haͤngt und raͤ-
dert, ohne in ihm ſeinen Stand zu unterſcheiden?
unverdorben und die richtigſten ſind, iſt compoſitio no-
bilis II; Liberi 5½; Liti 2¾. Tit. XV. §. 1. 2. 3. Und ſo
war auch insgemein das Verhaͤltnis in den Strafen.
Si quis de nobilioribus ad placitum mannitus venire con-
temſerit Sol. IV. componat; Ingenuus II; Lit I. CAPIT.
Sax. de 797. §. 5.
der Einfuhr des Geldes und aller ſtaͤdtiſchen Verfaſſung
wiederſetzt haben, unglaublich vor, weil darin die aller-
feinſte Jdee zum Grunde liegt, worauf ein Volk nicht
eher als durch die Philoſophie vieler traurigen Erfah-
rungen gelangen kann. Allein es iſt nicht unmoͤglich,
daß die erſten Sachſen aus einer bereits in die Sklave-
rey verſunkenen Nation ausgegangen und durch den Fa-
den geleitet ſind, wodurch Lycurg geleitet wurde.
idealiſche. Solidus eſt duplex, unus habet duos tremiſſes
qui eſt bos anniculus XII. menſium vel ovis cum agno.
Alter Solidus habet tres tremiſſes, id eſt bos XVI. menſium.
Maiori Solido aliæ compoſitiones minori homicidia com-
ponuntur. Vid. LL. SAX. §. f. add. CAPIT. de Saxon.
de anno 797. Der fraͤnkiſche klingende und ſchwerſte
Schilling, deren XXII auf ein Pfund Silber giengen,
war leichter als der ſaͤchſiſche ſchwere. Fuͤr erſtern kaufte
man zur Zeit Carls des Großen 12 Scheffel Haber; und
letzter galt 60 Scheffel. Rocken, Gaͤrſten und Haber
verhiel-
[311]vierte Abtheilunge.
verhielten ſich damals faſt eben ſo gegen einander wie
jetzt; indem der Rocke gegen die Gaͤrſte wie 3 gegen 4,
und gegen den Haber wie 1 gegen 2 ſtand.
ſche dem Oſnabruͤckiſchen Biſchof Egibert ertheilte, wird
derſelbe a judicio quod vocatur OBERZALA befreyet.
Vid. HENSELER in diſſ. de dipl. Carol. in app. p. 108.
Nun bedeutet zwar Oberzala, oder Sala major jedes
Obergericht, v. DU FRESNE v. Sala. Es iſt aber dar-
unter in der Oſnabruͤckiſchen Urkunde kein anders als
das Obergericht des kayſerlichen Geſandten, und zwar
nicht deſſen placitum generale ſondern ſein Partheyen-
Ober-gericht zu verſtehen. Fehmen iſt ſo viel als rah-
mencitare bannire oder einen Tag beſtimmen. Fahm
und Rahm bedeutet noch jetzt beydes la creme.Ver-
fehmen aber iſt forbannire verbannen; und dem judicio
miſſi kam der Name Fehm-Gericht zu, weil es ein ge-
boten Ding war, um es von dem ungebotenen, dem
placito generali zu unterſcheiden.
von den Miſſis abgeleitet. S. deſſen Diſſertation de
orig. jud. Vemicorum. Allein er hat den Unterſchied
inter placitum miſſi generale und deſſen gebotenes Ge-
richt zu welchem nur geladene kamen, nicht bemerkt.
Letzters iſt vom placito miſſi wie das Gow-oder Part-
gericht (juſtitia comitis) vom Goͤdinge (placito comitis)
ſehr unterſchieden, und nach unſer Art zu denken com-
miſſariis ſpecialibus, Stuhl-herrn, Frey-herzogen,
Frey-grafen und Frey-ſchoͤpfen vertrauet worden.
Das placitum generale kam wie das Goͤding aus der
Mode. Die Commiſſio ſpecialis blieb aber im Fehm-
gericht wie die juſtitia comitis im Gow-gericht beſtehen.
So hat z. E. Oſnabruͤck das Gow-gericht und die Frey-
grafſchaft zu Damme, und Muͤnſter das Goͤding. Und
wir muͤſſen taͤglich zu jenen Grundſaͤtzen zuruͤckkehren,
um unſre Graͤnz-ſtreitigkeiten zu beurtheilen.
wovon zu ſeiner Zeit.
in einer Urkunde vom Jahr 1220: illos nullam niſi Sacer-
dotis ſui Synodum obſervare debere. Und man kann
den Satz zur Regel nehmen: Wo der Biſchof die Ad-
vocatie nicht hat, da folgen die Eingeſeſſene blos dem
Synodo ihres Pfarrers.
dis wohl zu unterſcheiden. So ſtraft Muͤnſter die liqui-
den Blut-runnen am Goͤdinge zu Damme. Diejenige
aber ſo illiquid ſind, muß es an das Oſnabr. Parth-
gericht zur Unterſuchung und Entſcheidung verweiſen,
von da die Appellation an die Oſnabruͤckiſche Canzley
geht. Statt deſſen ermaͤchtigen ſie ſich die Unterſuchung
ans Amt Vechte zu ziehen, welches ein offenbarer Ein-
griff in die hieſige Gerichtsbarkeit iſt.
verdiente die vollkommenſte Ausfuͤhrung, weil es bey
allen Jurisdictions-ſtreitigkeiten hauptſaͤchlich darauf an-
kommt; ich muß ihn aber weil er zu weitlaͤuftig iſt, auf
eine andre Gelegenheit verſchieben. Man leſe indes
KOCHS Anmerkungen von den weſtphaͤl. Gerichten
1751. 4. §. 1. p. 4. und KRESS:vom Archid. Weſen
S. 226.
wenn es nicht ohnehin begreiflich waͤre. Der Kayſer war
ſonſt nicht befugt, den Exlegem in ſeinem Vaterlande zu
vergleiten. Placuit omnibus qui vitæ periculum ſecun-
dum Ewa Saxonum incurrere debent \& qualiscumque ex
ipſis ad poteſtatem regium confugium facit, aut in illius
ſit
[315]vierte Abtheilunge.
ſit poteſtate utrum interficiendum illis reddat aut una
cum conſenſu eorum habeat licentiam ipſum malefactorem
cum uxore \& familia foris patriam infra ſua regna collo-
care \& habeat ipſum quaſi mortuum. (i. e. civiliter in pa-
tria mortuum) Capit. de Sax. §. 10. Dies iſt noch jetzt der
engliſchen Geſetzen Genius.
tigkeiten. Dem comiti gehoͤrte inſpectio cadaveris, damals
als ad civilem compoſitionem fuͤr ihm geklagt wurde.
Seitdem aber die civilis compoſitio aus der Mode, hat
der Beſitzer eines Goͤdings unrecht inſpectionem cadave-
ris zu fordern. Dieſe gehoͤrt nun billig da man die Todt-
ſchlaͤger jetzt ſogleich mit dem Frey-gericht oder der hoͤch-
ſten Landes-obrigkeit verfolgt, der letztern und nachdem
die Umſtaͤnde ſind, ex commiſſione dem Partheyen-go-
grafen. Von dem Fehm-richter will ich nur noch bemer-
ken, daß er auch die Vollmacht eines General-gewaltigers
bey der Armee, der die Thaͤter auf der That haͤngen
laͤßt, gehabt. Dieſe ſeine Befugnis, welche vielleicht eben-
falls im Kriege ihren Urſprung genommen, verhinderte,
daß ein ergriffener Uebelthaͤter ſich nicht mit der exceptio-
ne ſe coram judice ſuo ordinario ad civilem compoſitio-
nem paratum eſſe, ſchuͤtzen konnte; und mag eben daher
der Fehm-richter ſo fuͤrchterlich geworden ſeyn. Viel-
leicht iſt Frais und fraisliche Obrigkeit aus Frey-Her-
zogthum, Frey-grafſchaft und Frey-gericht verkuͤrzt.
Fray heißt bey den Hollaͤndern noch extraordinarium
quid, und nach dem Redegebrauch etwas auſſerordentlich
ſchoͤnes. Jn der deutſchen Sprache iſt freyexceptio a
regula ordinaria. Geſetzt nun alle actiones ordinariæ
waͤren bey den Deutſchen ad ſatisfactionem civilem ge-
gangen: ſo waͤre nothwendig die perſecutio criminalis
extra-
[316]Oſnabr. Geſchichte vierte Abhandl.
extraordinaria geweſen, und die Frais bezeichnete auf dieſe
Art die Criminal-jurisdiction.
ſuam amittendam aut ad res reddendas vel mancipia con-
demnetur. Sed iſta in præſentia comitis (ſcilicet ſi actio
civilis ad compoſitionem peccuniariam) vel miſſorum no-
ſtrorum (ſcilicet ſi ad pœnam criminalem agitur) remit-
tantur. CAPIT. III. ann. 812. §. 2.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Osnabrückische Geschichte. Osnabrückische Geschichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn8j.0