[][][][][][][[1]]
Die
deutſchen Kleinſtaͤdter.

Ein
Luſtſpiel in vier Akten.


Leipzig,:
bey Paul Gotthelf Kummer.
1803.

[[2]][[3]]

Die
deutſchen Kleinſtaͤdter.



Ein
Luſtſpiel in vier Akten.



[[4]]

Perſonen:


  • Herr Nicolaus Staar, Buͤrgermeiſter, auch
    Oberaͤlteſter zu Kraͤhwinkel.

  • Frau Unter-Seuer-Einnehmerin Staar, ſeine
    Mutter.

  • Sabine, ſeine Tochter.

  • Herr Vice-Kirchen-Vorſteher Staar, ſein Bru-
    der, ein Gewuͤrzkraͤmer.

    • Frau Ober-Floß- und Fiſch-Mei-
      ſterin Brendel,

    • Frau Stadt-Acciſe-Caſſa-Schrei-
      berin Morgenroth,
    • zwey Muhmen


  • Herr Bau-Verg- und Weg-Inſpectors-Subſti-
    tut Sperling.

  • Olmers.

  • Ein Nachtwaͤchter.

  • Klaus, der Rathsdiener.

  • Eine Magd.

  • Ein Bauer.

  • Ein paar Kinder.
  • (Die Scene iſt in der kleinen Stadt Kraͤhwin-
    kel. In den erſten drey Acten ein Zimmer in des
    Buͤrgermeiſters Hauſe. Im letzten Act, die Straße
    vor dem Hauſe.)


[[5]]

Erſter Akt.


Erſte Scene.


Sabine
allein.

(Sie ſteht am Fenſter, ſchlaͤgt es haſtig zu, laͤuft an
die Thuͤr und ruft hinaus.)

Margarethe! Margarethe!


Die Magd.
(draußen)

Mamſellgen!


Sab.

Die Poſt iſt gekommen. Geſchwind
hinuͤber! ſieh, ob ein Brief an mich da iſt. —


(ſie tritt hervor)

Schon ſeit fuͤnf Wochen bin
ich aus der Reſidenz zuruͤck, und noch keine
Zeile. Wenn ich heute wieder vergebens hof-
fe, ſo — ſo — ja was denn? — ſo werd’ ich
boͤſe und heirathe Sperling. — Gemach!
gemach!
[6] gemach! ich kann ja auch wohl boͤſe werden,
ohne Sperling zu heirathen. Wer waͤre
ſonſt am meiſten geſtraft?


Zweyte Scene.


Die Magd. Sabine.

Magd.

Da iſt ein Brief Mamſellgen.


Sab.
(reißt ihr den Brief haſtig aus der Hand)

Endlich! endlich!

(ſie beſieht die Aufſchrift)

von
meiner Couſine.


Magd.

Da ſind auch die Zeitungen.


(ſie legt ſie auf den Tiſch)

Es iſt heute ein ſtar-
ker Poſttag. Sechzehn Briefe ſind ange-
kommen, Alle nach Kraͤhwinkel! Der Herr
Poſtmeiſter wußte nicht, wo ihm der Kopf
ſtand.


Sab.

Geh nur, geh nur.


Magd.
(ab.)

Dritte
[7]

Dritte Scene.


Sabine
(allein.)

(Sie lieſt fluͤchtig)

„Neues Schauſpiel —“
— was kuͤmmerts mich? — „Die Schlep-
pen werden jetzt ſehr lang getragen“ — wer
will das wiſſen? — „engliſche Strohhuͤte“ —
wer hat darnach gefragt? — Wie? — ſchon
zu Ende? — Keine Sylbe von ihm? —
Freylich hab’ ich ihm verboten, mir ſelbſt zu
ſchreiben, das ſchickt ſich nicht. Aber er ver-
ſprach doch durch die Couſine — und auch
die Couſine verſprach — warum hat denn
keines Wort gehalten? — bin ich ſchon ver-
geſſen? — er wollte ja ſelber kommen, mit
Empfehlungsſchreiben vom Miniſter? und nun
koͤmmt er nicht, und ſchreibt auch nicht. Er
weiß doch, daß ich den Sperling heirathen
ſoll. Der Vater quaͤlt mich, die Großmutter
quaͤlt
[8] quaͤlt mich, und nun werd’ ich auch noch von
ihm gequaͤlt! —

(ſie zerreibt den Brief zwiſchen
den Haͤnden)

Es geſchieht dir ſchon recht. Man
hat dich [genug] vor den jungen Herren aus
der Reſidenz gewarnt. Sie verlieben ſich in
Einem Tage dreymal, und wenn ſie Abends
in die Komoͤdie gehn, wiſſen ſie ſchon nichts
mehr davon. — Aber Karl! Karl! auch du
ein Alltagsmenſch? auch du nur ein Schoͤn-
ſchwaͤtzer?

(ſie zieht ein Portrait aus der Taſche)

Koͤnnen dieſe edlen Zuͤge taͤuſchen? — mit
dieſem Blicke ſchwur er mir, in wenig Wo-
chen ſelbſt zu kommen, und meinen Vater zu
gewinnen. Sind fuͤnf Wochen wenig? muß
ich ihm vorrechnen, daß ſie aus 35 ewig lan-
gen Tagen beſtehn? — O Karl! eile! ſonſt
bin ich fuͤr dich verloren!

(Sie betrachtet weh-
muͤthig das Bild.)

Vierte
[9]

Vierte Scene.


Frau Staar und Sabine.

Fr. Staar.

Sabingen, die Kuchen ſind
ſchon aus dem Ofen, koͤſtliche Kuchen! ſie ma-
chen dir Ehre. Nun wollen wir ſie mit Blu-
men beſtecken, und auch mit Myrthenreis, du
weißt ſchon warum. Das wird Morgen ein
Feſt werden! ein gewaltiges Feſt! — Aber
du ſtehſt ja da wie ein kranker Kanarienvo-
gel? — hoͤrſt du mich nicht? — was haſt
du denn da?


Sab.
(erſchrickt, und will das Portrait weg-
ſtecken)

Nichts, liebe Großmutter.


Fr. Staar.

Ey ja doch. Das war ja
ein Ding wie ein Brillenfutteral? gieb nur
her! gieb her! ich will es haben.


Sab.
(giebt es)

Es iſt ein Portrait.


Fr.
[10]
Fr. Staar.

Ein Portrait? ein Manns-
bild? — Gott ſteh mir bey! — Kind, ich
will nicht hoffen —


Sab.

Was denn?


Fr. Staar.

Ich mache Laͤrm im Hau-
ſe! ich ſchreye Feuer!


Sab.

Ums Himmelswillen nicht, liebe
Großmutter!

(ſchalkhaft)

Geſetzt, es brennt,
was kann Ihr Schreyen helfen?


Fr. Staar.

Was? ein fremdes Manns-
bild in deiner Taſche? wohl gar in deinem
Herzen?


Sab.

Es iſt ja nur ein Mann in Glas
und Rahmen.


Fr. Staar.

Ey, lehre du mich die Maͤn-
ner [kennen], ſie ſpringen aus dem Rahmen
heraus, ehe man ſichs verſieht. — Nun da
haben wirs! ich bin immer dagegen geweſen,
dich in die Reſidenz zu ſchicken. War ich doch
auch zu meiner Zeit eine wohlerzogene Jung-
frau, aber von der Reſidenz hab’ ich nichts
weiter gewußt, als daß Se. Majeſtaͤt der Koͤ-
nig
[11] nig dort wohnen. — Nun haben wir die
Beſcheerung! Bildergen hat ſie mitgebracht!
Mannsbildergen! du gottloſe Dirne! weißt du,
was ſo ein Ding zu bedeuten hat? Zu mei-
ner Zeit ließ ſich keiner mahlen, der nicht in
Amt und Wuͤrden ſtand, oder wenigſtens 10
Jahr verheirathet war. Dann geſchah es
aber auch mit der gehoͤrigen Gravitaͤt in Le-
bensgroͤße, einer Spitzenhalskrauſe, und einem
Blumenſtrauße in der Hand. So haͤngt dein
Großvater draußen hinter dem Kuͤchenſchran-
ke, der wohledle Herr Unterſteuereinnehmer,
Gott hab’ ihn ſelig! aber heut zu Tage, das
Gott erbarm! die Kinder laſſen ſich mahlen
mit ſtruppigten Haaren und offener Bruſt!
und klein, winzig klein, daß man es in eine
Nadeldoſe legen kann. Daher koͤmmt eben
der Unfug. Große Bilder ſtehen frey und
ehrbar vor der ganzen Welt; aber die kleinen
Spitzbuben ſchleichen ſich in alle Taſchen, und
Gott verzeih mir die Suͤnde! haͤngen wohl
gar an Baͤndergen und Kettgen in den Buſen
hinab!
[12] hinab! — Wer iſt den Menſch? heraus mit
der Sprache!


Sab.
(verlegen)

Liebe Großmutter, Sie
ereifern ſich ohne Noth —


Fr. Staar.

Nun? wer iſts?


Sab.

Es iſt —

(fuͤr ſich)

was ſoll ich ihr
ſagen?

(laut)

es iſt das Bild unſers [Koͤnigs].


Fr Staar.

Unſers Koͤnigs?


Sab.

Die Couſine ſchickte es mir, weil
ſie weiß, daß wir ihn Alle lieben.


Fr. Staar.

Ah! ja ſo! das iſt ein
Anders. Sieh, ſieh doch, iſt das unſer Koͤ-
nig? hab’ ich doch laͤngſt gewuͤnſcht ihn ein-
mal zu betrachten. Aber er hat ja keinen
Stern?


Sab.

Den braucht er nicht um zu
glaͤnzen.


Fr. Staar.

Ey! ey! [nun] das war ein
geſcheuter Einfall von deiner Couſine. Hoͤre
Sabingen, das Bild mußt du mir ſchenken.
Ich will es an eine Zitternadel befeſtigen,
und auf meine Haube ſtecken.


Sab.
[13]
Sab.
(bey Seite)

O weh!


Fr. Staar.

An deinem Ehrentage leih’
ich es dir. Oder auch ſchon morgen am Ver-
lobungstage.

(ſie ſteckt es zu ſich.)

Sab.

Nein, nein, lieber will ich es nie
tragen, nur keine Verlobung.


Fr. Staar.

So recht Sabingen, ziere
dich, wein’ ein Thraͤngen, verſtecke dich, das
iſt fein ſittſam, ich hab’ es auch ſo gemacht.
Heutzutage ſehen die Maͤdgen ihren Liebha-
bern ſtarr in die Augen, und ſprechen von ei-
ner Verlobung als wie von einem Recept zu
einer Mandeltorte. Hoͤchſtens bey der Trauung
fallen ſie noch ein bisgen in Ohnmacht.


Sab.

Aber bey mir. liebe Großmutter,
iſt es keine Ziererey. Ich kann den Herrn
Sperling nicht ausſtehn. Er haͤngt ſich an
wie eine Klette, und ſchwatzt wie eine Elſter,
— und kurz, er iſt ein Narr.


Fr. Staar.

Ey ey, Kind, was redeſt
du da? wahre deine Zunge! Ich habe ſchon
manche Dirne ſpotten hoͤren, die hinterdrein
froh
[14] froh war, wenn der Verſpottete ſie heim
fuͤhrte.


Sab.

Lieber bleib’ ich ledig.


Fr. Staar.

Ey du mein Gott! was
kannſt du denn gegen ihn einwenden? hat er
nicht einen feinen Titel? iſt er nicht Bau-
Berg- und Weginſpectors-Subſtitut?


Sab.

Das gilt mir gleich.


Fr. Staar.

Waren ſeine Eltern nicht
honette Leute? ſein Großvater hat ſogar mit
im Rathe geſeſſen.


Sab.

Immerhin.


Fr. Staar.

Du koͤmmſt da gleich in ei-
ne große Verwandtſchaft.


Sab.

Deſto ſchlimmer.


Fr. Staar.

Eine Menge Vettern und
Muhmen; der Eine hilft hier, der Andere
dort.


Sab.

O ja, alle Woche ein Familien-
ſchmauß.


Fr. Staar.

Auch gut. Dabey wirſt du
nicht zuruͤck bleiben. Herrliche Waͤſche be-
koͤmmſt
[15] koͤmmſt du mit, Gedecke zu 18 Perſonen.
Herr Sperling hat huͤbſches Silberzeug; er
iſt auch ſonſt nicht arm; ein Krautland vor
dem Thore und ein Erbbegraͤbniß in der
Kirche —


Sab.

Ich wollte er laͤge ſchon darin.


Fr. Staar.

Gottloſes Kind! da koͤmmt
dein Oheim, der wird dir ſagen, was der
Herr Bau-Berg- und Weginſpectors-Subſti-
tut fuͤr ein feines Maͤnngen iſt.


Fuͤnfte Scene.


Der Vicekirchenvorſteher Staar. Die
Vorigen.

Fr. St.

Gott zum Gruß, mein Sohn
Andreas. Komm doch naͤher. Du biſt Vi-
cekirchenvorſteher, du weißt deine Worte zu
ſetzen; bedeute doch das alberne Maͤdgen.
Sie will nichts von der Verlobung hoͤren, ſie
macht ſich luſtig uͤber den Braͤutigam.


Hr. St.
[16]
Hr. St.

Ey, ey, ich will nicht hoffen —


Sab.

Mein Oheim wird mir beyſtehn.
Er hat eine Leſebibliothek und folglich kennt
er die Welt.


Hr. St.

Ja ja die kenn ich.


Sab.

Die neuen Romane hat er Alle
geleſen, und folglich kennt er das menſchliche
Herz.


Hr. St.

Ja ja das kenn’ ich.


Sab.

Er wird Ihnen gleich ſagen, wie
manches arme Maͤdgen, das zu einer Heirath
gezwungen wurde, an der Schwindſucht ſter-
ben mußte.


Hr. St.

Nein, Bingen, nein, derglei-
chen fuͤhr’ ich nicht. Die weinerlichen Roma-
ne ſind aus der Mode, ich brauche ſie nur
noch in meiner Gewuͤrzbude. Raͤuber muͤſſen
es ſeyn, Banditen!


Fr. St.

Gott ſteh uns bey!


Hr. St.

Schade nur, daß unſere Dich-
ter ſo wenig Patrioten ſind, und immer nur
Italiaͤner verewigen. Wir haben doch auch
einen
[17] einen Kaͤſebier! einen Schinderhannes und
wie die großen deutſchen Maͤnner Alle heißen.


Fr. St.

Da war ja auch vor zehn Jah-
ren der Lorenz Schmeckebein, der an unſern
eigenen Galgen gehangen wurde.


Hr. St.

Recht Frau Mutter. Im Ver-
trauen, ich bin jetzt dabey, ſein Leben zu dra-
matiſiren. Sperling macht die Romanzen da-
zu. Er iſt kein uͤbler Dichter. Beſonders
weiß er mit den Sonnetten umzuſpringen;
da muͤſſen die Reime herbey, und ſollt’ er ih-
nen alle Haare ausraufen.


Fr. St.

Hoͤrſt du, Bingen? hoͤrſt du?


Hr. St.

Es iſt ein ganzes Kerlgen, der
Sperling, hat die neuere Aeſthetik ſtudiert,
koͤnnte Collegia daruͤber leſen.


Fr. St.

Hoͤrſt du Kind? hoͤrſt du?


Hr. St.

Sentenzen ſprudelt er von ſich,
und Fragmente wuͤrgt er heraus; den will
ich ſehen, der ſie toller macht als Er.


Fr. St.

Nun Bingen? nun?


BHr. St.
[18]
Hr. St.

Kurz, Maͤdgen, er wird dein
Mann, mein Neffe, mein Erbe, mein Gehuͤl-
fe bey der Leſebibliothek; und damit Punc-
tum.


Sechſte Scene.


Der Buͤrgermeiſter. Die Vorigen.

Buͤrg.

Sabine, hole mir die Perucke,
ich muß aufs Rathhaus.


Sab.

Gleich lieber Vater.

(ab.)

Buͤrg.

Sein Diener Herr Bruder. Ein
ſaurer Tag! ich muß arbeiten wie ein Acker-
gaul.


Hr. St.

Was giebt es denn?


Buͤrg.

Liegt denn nicht Alles auf mir?
das Wohl der ganzen Stadt? — der Pro-
ceß, den Meiſter Barſch mit dem Nachtwaͤch-
ter fuͤhrt, wegen der zerbrochnen Laterne, wird
heute entſchieden.


Hr. St.

Wer hat gewonnen?


Buͤrg
[19]
Buͤrg.

Der Nachtwaͤchter muß die La-
terne repariren laſſen, und Meiſter Barſch
bezahlt die Gerichtskoſten, 4 Thaler 8 Gro-
ſchen.


Fr. St.

Das iſt billig.


Buͤrg.

Der Schuſter Korb und der
Schneider Luͤmmel werden heute auch vorge-
nommen, wegen der Pruͤgeley im Bierhauſe.


Hr. St.

Was giebts denn da?


Buͤrg.

Beyde behalten ihre Pruͤgel und
zahlen Strafe.


Fr. St.

Von Rechtswegen.


Buͤrg.

Dann iſt noch die wichtige Sa-
che mir der ganzen Buͤrgerſchaft.


Hr. St.

Wegen des Straßenfegens?


Buͤrg.

Ganz recht. Der Hochloͤbliche
Magiſtrat will nun einmal nicht die Straſ-
ſen fegen. Es iſt ein Onus der Buͤrgerſchaft,
ſie hat ſich von jeher mit dem Straßenkothe
befaßt, und der Hochloͤbliche Magiſtrat wird
ſich drein legen ſo lange, bis die Widerſpenſti-
gen ihre Pflicht thun.


B 2Fr. St.
[20]
Fr. St.

Ein jeder fege vor ſeiner Thuͤr,
das iſt ein altes Spruͤchwort.


Buͤrg.

Nein Frau Mutter, ich bin Buͤr-
germeiſter, auch Oberaͤlteſter, und fege nicht
vor meiner Thuͤr. Sie moͤgen nur appelliren,
der Koth bleibt liegen. Und ſollte der Pro-
ceß 20 Jahre dauern, der Koth ruͤhrt ſich
nicht von der Stelle.


Hr. St.

Auf Recht muß man halten.


Buͤrg.

Wohlgeſprochen Herr Bruder.


Fr. St.

Aber am Ende koͤnnen wir nicht
mehr vor die Hausthuͤr.


Buͤrg.

Thut nichts, wir bleiben daheim,
dann moͤgen ſie ſehen, wie ſie auf dem Rath-
hauſe fertig werden. Standhaft bin ich wie
die babyloniſche Mauer. Was waͤre auch ſchon
laͤngſt aus unſern Privilegien geworden, wenn
ich nicht geweſen waͤre? — wer hat es ſo
weit gebracht, daß wir Morgen das hohe Feſt
feyern koͤnnen? ich! ich bin durchgedrungen,
ich habe die Ehre der Stadt gerettet!


Sieben-
[21]

Siebente Scene.


Sabine (mit der Peruͤcke.) Vorige.

Sab.

Da iſt die Peruͤcke.


Fr. St.

Es bleibt doch dabey, mein
Sohn, daß morgen zugleich Sabingens Ver-
lobung gefeyert wird?


Buͤrg.

Allerdings. Es iſt ein merkwuͤr-
diger Tag.


Fr. St.

Das Maͤdgen macht Einwen-
dungen.


Buͤrg.

Was? ich bin Buͤrgermeiſter, auch
Oberaͤlteſter, mir macht man keine Einwen-
dungen.


Sab.

Lieber Vater!


Buͤrg.

Erſt die Pflicht, dann die Liebe.
Ich gehoͤre dem Staate. Mir gebuͤhrt es,
ein Feſt zu verherrlichen, das noch unſern Ur-
enkeln Segen bringen wird.

(indem er die Pe-
ruͤcke
[22] ruͤcke aufſetzt)

Die Jurisdiction zwiſchen unſerer
guten Stadt Kraͤhwinkel, und dem benachbar-
ten Amte Rummelsburg war ſtrittig — eine
Diebin wurde eingefangen — wir wollten ſie
an den Pranger ſtellen, die Rummelsburger
gleichfalls — wir wollten ſie mir Ruthen ſtrei-
chen, die Rummelsburger gleichfalls — Neun
Jahre lang haben wir proceſſirt — die De-
linquentin iſt indeſſen wohl verwahrt worden
— Gott ſey Dank! ſie lebt noch — wir ſie-
gen, und morgen ſteht ſie am Pranger.


Sab.

Lieber Vater, der Delinquentin
kann faſt nicht ſchlimmer zu Muthe ſeyn, als
mir.


Buͤrg.

Wie ſo?


Sab.

Wenn ſie ihre Strafe uͤberſtanden
hat, ſo iſt ſie frey. Ich habe nichts verbro-
chen, und ſoll Morgen auf ewig in Ketten
geſchmiedet werden.


Buͤrg.

Sey ruhig mein Kind. Der
heydniſche Gott Amor oder Hymenaͤus ſchmie-
det nur Blumenfeſſeln.


Sab.
[23]
Sab.

Ach! die nicht ſelten das Herz
wund druͤcken.


Buͤrg.

Der Herr Bau-Berg- und Weg-
inſpektors-Subſtitut Sperling iſt ein Mann
bey der Stadt.


Fr St.

Das hab’ ich auch geſagt.


Buͤrg.

Es fehlt ihm keinesweges am
Judicio.


Hr. St.

Das hab’ ich auch geſagt.


Buͤrg.

Er hat Vermoͤgen.


Fr. St.

Meine Worte.


Buͤrg.

Schreibt allerley poetiſche Exer-
citia.


Hr. St.

Mir aus der Seele geſprochen.


Buͤrg.

Kurz, ich habe denſelben zu mei-
nem Schwiegerſohn erkieſet, wogegen keine
weitere dilatoriſche Einrede ſtatt findet.


Sab.
(bey Seite)

Weh mir! Alles hat
ſich gegen mich verſchworen!


Achte
[24]

Achte Scene.


Die Magd. Die Vorigen.

Magd.

Da bringt eben ein Bauer einen
Brief. Der Herr, der ihn ſchickt, liegt drauſ-
ſen im Steinbruch und flucht. Er hat den
Wagen zerbrochen, und ich glaube auch ein
Bein.


Buͤrg.

Seit ich Buͤrgermeiſter auch
Oberaͤlteſter bin, iſt, Gott ſey Dank, noch in
jeder Woche auf unſerer Straße ein Reiſen-
der umgeworfen worden.


Fr. St.

Warum laͤßt denn aber ein
Hochedler Rath die Wege nicht repariren?


Buͤrg.

Was ſoll denn aus unſern Schmie-
den und Sattlern werden, die vom Umwer-
fen leben muͤſſen?


Sab.

Aber, lieber Vater, die Reiſenden
klagen gewaltig. Sie muͤſſen noch obendrein
Chauſſeegeld bezahlen.


Buͤrg.
[25]
Buͤrg.

Laß ſie klagen und zahlen. Was
wollen die Reiſenden reden, wenn wir uns
ſogar gefallen laſſen, daß das Pflaſter unſerer
guten Stadt Kraͤhwinkel noch weit ſchlechter
iſt als die Landſtraße?


Sab.

Trotz des Pflaſtergeldes.


Buͤrg.

Eben deswegen. Wir brechen
hier auch die Beine, und murren nicht. Alſo,
wo iſt der Brief?


Magd.
(oͤffnet die Thuͤr)

Nur herein gu-
ter Freund.

(ſie geht ab.)

Neunte Scene.


Ein Bauer. Die Vorigen.

Bauer.

Ew. Geſtrengen halten zu Gna-
den. Draußen im Steinbruch liegt ein Herr,
muß wohl ein vornehmer Herr ſeyn, denn er
hat auch Laternen am Wagen, ſie ſind alle
zerbrochen.


Buͤrg.
[26]
Buͤrg.

Und Arm und Beine?


Bauer.

Die ſind fuͤr diesmal noch ganz
geblieben. Nur die Naſe ein wenig ge-
ſchunden.


Buͤrg.

Aber der Wagen.


Bauer.

Der ſ[i]eht jaͤmmerlich aus. Ein
Rad liegt oben, gerade neben der Tafel, wo
das Chauſſeegeld darauf ſteht.


Hr. St.

Da kann er leſen zum Zeit-
vertreib.


Bauer.

O Buͤcher hat er die Menge!
aber alle beſchmutzt, ſo wie ſeine Kleider.
Drum getraut er ſich auch noch nicht, vor
Ew. Geſtrengen Gnaden zu erſcheinen.


Buͤrg.

Was will er bey mir?


Bauer.

Er hat mir einen halben Gul-
den gegeben, daß ich den Brief hertragen und
ihn anmelden ſoll.


Fr. St.

Vielleicht kommt er zu dem
morgenden Feſte.


Sab.
(bey Seite)

Oder vielleicht — o
wie klopft mein Herz!


Buͤrg.
[27]
Buͤrg.
(oͤffnet den Brief)

Wie? was? von
Sr. Excellenz dem dirigirenden Herrn Mini-
ſter? dem hohen Goͤnner und Patron dieſer
Stadt? — man ſchweige — man verwundre
ſich — man hoͤre —

(er lieſt)

„Mein lieber
Herr Buͤrgermeiſter“ — O ja! Se. Excel-
lenz haben mich immer geliebt. — „Ueber-
bringer dieſes, mein alter Schul- und Uni-
verſitaͤtsfreund, Herr Olmers —


Sab.
(bey Seite)

Er iſts!


Fr. St.

Herr Olmers ſchlechtweg? ein
Freund des Miniſters?


Buͤrg.

Stille!

(er lieſt)

„hat viel Gu-
tes von Ihnen und Ihrer Stadt gehoͤrt, und
wuͤnſcht einige Wochen da zuzubringen“ —
Hoͤrt ihr Kinder? in der Reſidenz ſprechen ſie
von nichts, als von mir und unſerer Stadt.
— „Da ich ihn nun ſehr liebe und hoch-
ſchaͤtze, ſo wuͤnſche ich, Sie moͤgten die Ge-
faͤlligkeit fuͤr mich haben“ — unterthaͤnigſter
Diener! — „ihn in Ihrem Hauſe aufzuneh-
men“ — Ew. Excellenz haben zu befehlen! —
„ſein
[28] „ſein etwaniges Anliegen beſtmoͤglichſt zu be-
foͤrdern“ — ſoll geſchehn. —


Sab.
(bey Seite)

Gottlob!


Buͤrg.
(lieſt)

„und ihn als Ihren ei-
genen Sohn zu betrachten“ — fiat! — „Mit
Vergnuͤgen werde ich jede Gelegenheit ergrei-
fen, Ihnen wiederum gefaͤllig zu ſeyn“ —
Zu viel Gnade! — „Ich verbleibe mit Hoch-
achtung meines Herrn Buͤrgermeiſters dienſt-
williger Graf von Hochberg.“ — Alles ma-
nu propria.
Habt ihrs gehoͤrt? Se. Excel-
lenz der Herr Graf von Hochberg —


Fr. St.

Er iſt dein Dienſtwilliger.


Hr. St.

Er verbleibt mit Hochach-
tung.


Buͤrg.

Er ergreift jede Gelegenheit! —
Das iſt ein Mann! Kinder, das iſt ein Mann!
der koͤnnte alle Tage Buͤrgermeiſter in Kraͤh-
winkel werden! Aber er ſoll auch an mir
ſeinen Mann gefunden haben.

(zu dem Bauer)

Marſch! fort! hinaus! Ich laſſe dem frem-
den Herrn meinen unterthaͤnigſten Reſpect
vermel-
[29] vermelden, und den Augenblick ſolle mein eig-
ner Wagen ihm zu Dienſten ſtehn.


Fr. St.

Wo denkſt du hin? unſere Pfer-
de ſind [aufs] Feld, Kartoffeln zu holen.


Buͤrg.

Ja ſo! ein verdammter Streich!
man ſpringe hin zu dem Wirth in der golde-
nen Katze, er ſoll vorſpannen, ſoll ſeine
Schuͤtzenuni[fo]rm anziehn, ſoll ſich ſelber auf
den Bock ſetzen, hinausfahren, aufladen, herein
fuͤhren, fort! fort!


Bauer.
(ab.)

Sab.
(bey Seite)

Er hat doch Wort ge-
halten.


Fr. St.

Aber das gefaͤllt mir nicht,
mein Sohn, daß du dem Fremden deinen un-
terthaͤnigſten Reſpect
haſt vermelden
laſſen. Das iſt zu viel.


Buͤrg.

Zu viel? iſt er nicht der Freund
des Herrn Grafen? und iſt der Herr Graf
nicht mein Dienſtwilliger?


Fr. St.

Alles gut, aber er iſt doch nun
einmal gar nichts, hat weder Titel noch Am[t],
Herr
[30] Herr Olmers ſchlechtweg. Du biſt Buͤrger-
meiſter, auch Oberaͤlteſter.


Buͤrg.

Freylich, freylich. Was iſt zu
thun? Der Bauer iſt mit dem unterthaͤnigſten
Reſpect nun einmal davon gelaufen.


Hr. St.

Ich denke, Frau Mutter, da-
hinter ſtecken noch ganz andere Dinge. Wenn
der Herr Olmers ſchlechtweg Herr Olmers
waͤre, ſo wuͤrde der Miniſter den Henker nach
ihm fragen. Schulfreund? Univerſitaͤtsfreund?
Du lieber Gott! die vornehmen Herrn ver-
geſſen wohl wen ſie geſtern geſehn haben,
das find’ ich in allen Romanen; wie viel mehr
Leute, mit denen ſie vor 20 Jahren einmal
den Cornelius Nepos exponirten. Nein, nein,
ich bleibe dabey, der Herr Olmers reiſt incog-
nito, und iſt ein wichtiger Mann im Staate.


Buͤrg.

Da hat der Herr Bruder aller-
dings einen klugen Einfall. Gebt Acht, der
Fremde iſt nicht viel weniger als Miniſter.


Hr. St.

Ehe ihrs euch verſeht, knoͤpft
er den Oberrock auf — da habt ihr den Stern.


Fr. St.
[31]
Fr. St.

Ein Stern! ich bekomme meinen
Schwindel.


Sab.
(bey Seite)

Er traͤgt allerdings et-
was Koſtbares auf dieſer Stelle.


Fr. St.

Aber ſagt mir nur, was kann
er denn bey uns ſuchen?


Buͤrg.

Fehlt es uns etwa an Merkwuͤr-
digkeiten? Das alte Rathhaus! 1430 iſt es
erbaut worden. Auf dem großen Saale hat
ein Huſſitengeneral dem damaligen Buͤrger-
meiſter eine Ohrfeige gegeben.


Hr. St.

Und die Wallfiſchrippe an der
Decke —


Buͤrg.

Und die Stadtuhr, wo der Hahn
kraͤht, und der Apoſtel Petrus mit dem Kop-
fe nickt.


Fr. St.

Und unſere Leinewandbleiche —


Hr. St.

Und das große Hirſchgeweih —


Buͤrg.

Ein Pommerſcher Herzog hat
den Hirſch hoͤchſt eigenhaͤndig erlegt.


Fr. St.

Vielleicht koͤmmt er auch wegen
der Tuchfabriken?


Buͤrg.
[32]
Buͤrg.

Poſſen! ein ſolcher Herr hat in
ſeinem Leben Tuch genug geſehn.


Fr. St.

Meinen Cichoriencaffee ſoll er
bewundern.


Hr. St.

Ein gutes Buch dabey aus
meiner Leſebibliothek.


Buͤrg.

Oder die merkwuͤrdigſten Akten,
welche vor einem Hochloͤblichen Rathe verhan-
delt worden.


Fr. St.

Was wird das vor Aufſehn in
der Stadt machen, daß ein ſolcher Herr bey
uns logirt.


Buͤrg.

Wir muͤſſen ihn nur auch nach
Wuͤrden empfangen.


Hr. St.

Sabingen, laß die Kinder weiß
anziehn. Ich will den Sperling herſchicken,
der ſoll ſie lehren Blumen ſtreun, das iſt
jetzt Mode.


Buͤrg.

Und ich will ſogleich den Thuͤrmer
beſtellen. Er kann ein wenig die Trompete
blaſen. Wenn der Fremde zum Thore herein
faͤhrt,
[33] faͤhrt, ſo ſoll er blaſen, was die Lunge nur
halten will.


Hr. St.

Find’ ich nur den Sperling, er
iſt capabel noch Verſe zu machen.


Buͤrg.

Suche der Herr Bruder ihn auf;
und die Frau Mutter, nebſt Jungfer Tochter,
verfuͤgen ſich in die Kuͤche, backen, kochen,
ſieden, braten. Heute wird nicht von Zinn
geſpeiſt, ſondern von Fayance. Was von
Silber im Hauſe iſt, muß auf den Tiſch.
Meine ſilberne Tabaksdoſe kann als Salzfaß
gebraucht werden. — Das große Deckelglas
mit meinem verzogenen Namen wird vor den
Fremden geſtellt. Kein ſchwarzes Brod, lau-
ter Semmeln. Zwey Flaſchen von meinem
koͤſtlichen Naumburger. Ein Kalbskopf mit
einem verguldeten Lorbeerblatt im Maule.
Eine Paſtete mit Morcheln, und eine gebra-
tene Gans mit Borſtdorferaͤpfeln. O Se.
Excellenz ſollen wiſſen, daß wir auch verſtehn,
was dazu gehoͤrt.


CFr. St.
[34]
Fr. St.

Und was das Noͤthigen betrifft,
da verlaß dich auf mich. Ich will ihn noͤthi-
gen, ſo lange noch ein Biſſen hinein geht.
Er ſoll einen Knopf nach dem andern von
der Weſte ſpringen laſſen.


Buͤrg.

Das thue die Frau Mutter.
Komm der Herr Bruder. Jeder verrichte
das Seine, zu Ehr’ und Ruhm unſerer guten
Stadt Kraͤhwinkel.

(ab mit Herrn Staar.)

Zehnte Scene.


Frau Staat. Sabine.

Fr. St.

Nun Sabingen, jetzt ruͤhre dich.
Die Garnitur von Damaſt muß auf den
[T]iſch. Sie ſollte zwar erſt Morgen an dei-
[n]em Verlobungstage prangen —


Sab.

Je nun, liebe Großmutter, wer
weiß was heute geſchieht.


Fr. St.

Wie? ziehſt du andre Saiten
auf? der Fremde, nicht wahr?


Sab.
[35]
Sab.

Freylich, der Fremde.


Fr. St.

Wir bitten ihn zur Hochzeit?


Sab.

Das verſteht ſich.


Fr. St.

Er ſitzt oben an.


Sab.

Er ſoll neben mir ſitzen.


Fr. St.

Nein, Kind, das geht nicht, da
ſitzt der Braͤutigam.


Sab.

Recht liebe Großmutter.


Fr. St.

Und an der andern Seite
Brautvater, und gegenuͤber ſitz’ ich, und ne-
ben mir, da mag er ſitzen.


Sab.

Ich will ihm ſchon ein Plaͤtzgen
anweiſen, mit dem er zufrieden ſeyn ſoll.


Fr. St.

Vielleicht kann er auch deinem
kuͤnftigen Manne weiter forthelfen.


Sab.

Das denk’ ich.


Fr. St.

Es iſt ſchon lange im Werk
mit dem Sperling, daß er Runkelruͤbencon.
miſſionsaſſeſſor werden ſoll. Das waͤre denn
doch ein feiner Titel.


Sab.

Ein recht ſuͤßer Titel. — Alſo
die Garnitur von Damaſt?


C 2Fr. St.
[36]
Fr. St.

Ja Bingen. Ich habe ſie noch
als Braut geſponnen. Dein Großvater hat
oft dabey geſeſſen.


Sab.

Da iſt der Faden wohl manchmal
abgeriſſen?


Fr. St.

Schalk! nun freylich —


Sab.

Ich hole ſie, und denke dabey an
die treue Liebe.

(ab.)

Eilfte Scene.


Frau Staar. Bald darauf die Magd.

Fr. St.
(allein)

Sieh, ſieh, das Bin-
chen iſt auf einmal ganz lebendig geworden.
Aber ſie hat Recht, wir muͤſſen uns tum-
meln. — Ach du mein Gott! da faͤllt mir
eben bey, es muͤſſen ja auch noch Gaͤſte ge-
beten werden; der Fremde kann doch nicht
ganz allein mit uns eſſen. — Aber wen ſoll
man einladen? — Da ſind ſie nun Alle
fort! — Mit wem ſoll man dergleichen wich-
tige
[37] tige Dinge berathſchlagen? — Margarethe!
Margarethe!


Die Magd (koͤmmt)

Fr. St.

Lauft [doch] geſchwind hin zu
meiner Muhme, der Frau Oberfloß- und Fiſch-
meiſterin Brendel, und zu meiner Muhme,
der Frau Stadtacciſecaſſeſchreiberin Morgen-
roth, und ſprecht: die Frau Unterſteuerein-
nehmerin laſſe ſich der Frau Oberfloß, und
Fiſchmeiſterin und der Frau Stadtacciſecaſſe-
ſchreiberin ganz gehorſamſt empfehlen, und
wenn die Frau Oberfloß- und Fiſchmeiſterin
und die Frau Stadtacciſecaſſeſchreiberin die
Guͤte haben wollten, die Frau Unterſteuerein-
nehmerin auf einen Augenblick zu beſuchen,
ſo wuͤrde die Frau Unterſteuereinnehmerin
ſolches mit großem Dank erkennen, ſintemal
etwas ſehr Wichtiges vorgefallen ſey.


Die Magd. (ab.)

Fr. St.
(allein)

Nun muß ich auch noch
meine gebluͤmte Contuſche anziehn — und eine
andere Haube aufſetzen — aber der Perucken-
macher!
[38] macher! — daß Gott erbarm! — der koͤmmt
nur an Sonn- und Feyertagen — in der
Woche geht er auf dem Lande umher und
friſirt den Paſtoren ihre Peruͤcken. — Was
iſt anzufangen? — ich koͤnnte mich freylich
von der Sabine — aber die jetzigen Moden
ſind ſo luͤderlich, ſo pudelmaͤſig — da iſt
nichts Geklebtes, nichts Geſchniegeltes — we-
der Pommade noch Kammſtrich! — Mein
Sohn Niclas denkt auch an gar nichts. Haͤt-
te er den vornehmen Herrn noch ein Paar
Stunden im Steinbruch zappeln laſſen, ſo
koͤnnte man ihn mit der gehoͤrigen Gravitaͤt
empfangen.


Zwoͤlfte
[39]

Zwoͤlfte Scene.


Frau Staar und Frau Brendel.

Fr. Brendel.

Da bin ich, liebwertheſte
Frau Muhme. Ich bin gelaufen, ich habe
keinen Athem mehr — ich war eben erſt bey
meiner ſiebenten Taſſe Caffe, aber ich habe Alles
ſtehn und liegen laſſen —


Fr. St.

Sehr verbunden, hochgeſchaͤtzte
Frau Muhme. Wiſſen ſie ſchon —


Fr. Br.

Ach ich weiß Alles! Meine
Magd war im Fleiſchſcharren, da hat der
Fleiſcher er zaͤhlt, ſein Nachbar, der Leinewe-
ber, habe gehoͤrt, wie der Rathsbote zu ſei-
ner Tochter geſagt hat: Mieke, hat er ge-
ſagt, draußen im Steinbruche liegen ein paar
Grafen, die haben Arme und Beine gebro-
chen und werden gleich hier ſeyn. Der Thuͤr-
mer wird blaſen, die Kinder werden Blumen
ſtreuen,
[40] ſtreuen, der Magiſtrat in corpore wird ihnen
entgegen ziehn, und die Glocken werden ge-
laͤutet.


Fr. St.

Es iſt nur Einer, Frau Muh-
me, nur Einer liegt draußen im Steinbruch,
vermuthlich ein vornehmer Herr. Bey uns
wird er logiren. Der Miniſter hat ſelber ge-
ſchrieben, und hat meinen Sohn um Gottes-
willen gebeten. Nun koͤnnen Sie denken,
Frau Muhme, was fuͤr ein Rumor hier im
Hauſe iſt. Und Alles liegt auf mir! Alles
auf mir!


Dreyzehnte Scene.


Frau Morgenroth. Die Vorigen.

Fr. Morgenroth.

Gehorſame Diene-
rin, meine theuerſte Frau Muhme! ſehn Sie
nur wie ich ſchoffirt bin. Ich komme doch
nicht zu ſpaͤt? Mit Erlaubniß zu reden, ich
war faſt noch im Hemde, ſinge mein Mor-
genlied
[41] genlied und kaͤmme den Mops. Beym drit-
ten Verſe ſtuͤrzt Ihre Magd herein, je du mein
Gott! ich denke, das Haus brennt. Da hin
ich aufgeſprungen, der Mops iſt mir vom
Schooſe gefallen, das Geſangbuch in die
Kohlpfanne, wo ich meinen Caffee waͤrmte,
der Caffee iſt in die Kohlen gefloſſen, und von
dem Liede, Wach auf mein Herz und ſinge!
ſind zwey Verſe verbrannt.


Fr. St.

Ich bedaure unendlich, werth-
geſchaͤtzte Frau Muhme —


Fr. M.

Hat nichts zu bedeuten. Ich
weiß ſchon Alles. Draußen im Steinbruche
liegen drey oder vier Prinzen, der Eine iſt
todt, der Andere ſchnappt nur noch ein Bis-
chen. Der Kutſcher hat den Hals gebrochen,
und die Pferde ſtrecken alle Viere von ſich.
Der Herr Amtsadvocat Balg iſt mir auf der
Straße begegnet, der hat es von ſeiner Koͤ-
chin, die weiß es von der Frau Lotteriein-
ſpectorin, der hat ihres Mannes Balbier al-
les umſtaͤndlich erzaͤhlt.


Fr. St.
[42]
Fr. St.

Nun, nun, ſo gar gefaͤhrlich iſt
es doch nicht. Vor einer kleinen Weile kam
ein Bauer von Rabendorf —


Fr. Br.

Ich weiß, der hat einen harten
Thaler zum Trinkgelde bekommen.


Fr. M.

Nicht doch, Frau Gevatterin,
ein Louisdor ſoll es geweſen ſeyn.


Fr. St.

Der war gelaufen was er
konnte —


Fr. St.

Er ſoll das Milzſtechen bekom-
men haben.


Fr. M.

Auch Naſenbluten.


Fr. St.

Ein vornehmer Herr hat den
Wagen gebrochen.


Fr. Br.

Ein Graf —


Fr. M.

Etliche Prinzen.


Fr. St.

Das wiſſen wir noch nicht.
Vornehm muß er ſeyn, denn er logirt nicht
in der goldenen Katze, ſondern bey uns, auf
ausdruͤckliches hohes Begehren. Nun, da mein
Sohn, der Buͤrgermeiſter auch Oberaͤlteſte, die
Erſte Perſon in der Stadt gleichſam repraͤ-
ſentirt,
[43] ſentirt, ſo begreifen Sie wohl, liebwertheſte
Frau Muhme, daß er ſeinem Range Ehre
machen muß.


Fr. Br.

Ein Schmauß auf dem Rath-
hauſe —


Fr. M.

Ein Tanz auf der Schuͤtzen-
gilde.


Fr. St.

Morgen iſt das große Feſt wie
Sie wiſſen.


Fr. Br.

Ach ja das Weib, das vor 9
Jahren die Kuh ſtahl —


Fr. M.

Morgen ſtehn ſie am Pranger.
Ich freue mich ungemein darauf.


Fr. Br.

Ich habe mir eine ganz neue
Roberonde dazu machen laſſen.


Fr. St.

Da iſt nun ohnehin ſchon Al-
lerley zu dieſer Feyerlichkeit veranſtaltet.
Aber heute ruht die Ehre der Stadt auf uns
allein; heute muͤſſen wir tractiren, und das
wollen wir denn auch mit Gottes Huͤlfe. Die
Tiſche ſollen ſich biegen unter Gottes Segen.
Meine
[44] Meine werthgeſchaͤtzten Frau Muhmen ſind
auch dazu eingeladen.


Fr. Br.

Iſt mir eine große Ehre —


Fr. M.

Werde nicht ermangeln.


Fr. St.

Nun wuͤnſcht’ ich aber doch den
fremden Herrn mit den Honoratioren unſerer
Stadt bekannt zu machen. Da hab’ ich mir
denn nun Ihren guten Rath erbitten wollen,
wer etwa noch einzuladen waͤre?


Fr. Br.
(nachdenkend)

Je nun, ich daͤchte —


Fr. M.

Sie koͤnnten etwa —


Fr. Br.

Den Herrn Geleits- und Land-
acciscommiſſatius Kropf —


Fr. St.

Nein, Frau Muhme, der hat
neulich an ſeiner Mutter Geburtstage einen
Schmauß gegeben, und hat uns nicht dazu
gebeten.


Fr. Br.

Ah ſo!


Fr. M.

Etwa den Herrn Supernumme-
rarius-Rentkammerſchreiber Wittmann?


Fr. Br.

Nein, Frau Muhme, mein
ſeliger Mann hatte einen Proceß mit
ſeinem
[45] ſeinem Schwiegervater wegen einer Dach-
rinne.


Fr. M.

Ah das iſt ein Andres.


Fr. St.

Ich denke den Herrn General-
Poſtguͤterbeſchauer Holbein?


Fr. M.

Um Gotteswillen nicht Frau
Muhme! der hat eine unausſtehliche Frau!
faſt alle Sonntage ein neues Kleid. Das
rauſcht an den Kirchenſtuͤhlen voruͤber —


Fr. Br.

Das traͤgt die Naſe ſo hoch —


Fr. M.

Und man kennt ſie doch noch
recht gut —


Fr. Br.

Ja wohl, wie ſie das graue
Leibgen mit der gruͤnen Schuͤrze trug.


Fr. M.

Man munkelt auch Allerley, wo-
her ſie es nimmt.


Fr. Br.

Nein, da moͤgt’ ich lieber den
Herrn Kreis-Trank-Schock- und Quatem-
berſteuer- auch Impoſteinnehmer Runkel vor-
ſchlagen.


Fr. St.

Mit dem bleiben Sie mir vom
Leibe, Frau Muhme; der iſt ein Grobian!
Glauben
[46] Glauben Sie wohl, daß er uns ordentlich be-
ſucht hat? Der Naſeweiß! eine Karte hat
er abgegeben, eine Viſitenkarte. — Eher
koͤnnte man den Herrn Floßſtrafbefehlshaber
Weidenbaum bitten.


Fr. Br.

Ja nicht, Frau Muhme, ums
Himmelswillen nicht! Sie wiſſen doch, daß
der boͤſe Menſch dreymal mit meines Schwa-
gers Stieftochter geſprochen hat, und daß er
ſie folglich heirathen wollte? Nun iſt er
weggeblieben, und hat das arme Maͤdgen ins
Gerede gebracht.


Fr. St.

Ja du lieber Gott! wen ſollen
wir denn aber bitten?


Fr. M.

Da koͤmmt der Herr Vetter
Sperling.


Vier-
[47]

Vierzehnte Scene.


Sperling. (mit einem großen Blumenſtrauß) Die
Vorigen.

Sperl.

Frau Unterſteuereinnehmerin —
Frau Oberfloß- und Fiſchmeiſterin — Frau
Stadtacciſecaſſeſchreiberin — allerſeits gehor-
ſamſter Diener! Ich war in meinem Gar-
ten — der Herr Vicekirchenvorſteher hat den
Rathsboten nach mir geſchickt — ich bin ge-
laufen wie ein Sonnenſtrahl! Kaum hab’
ich mir ſo viel Zeit genommen, dieſe Kinder
des Fruͤhlings zu pfluͤcken.


Die drey Frauen.

Wiſſen Sie ſchon?


Sperl.

Alles weiß ich. Ein beruͤhmter
Gelehrter — umgeworfen — das Naſenbein
gequetſcht — Empfehlungsſchreiben vom Mi-
niſter —


Fr. St.

Ein Gelehrter, ſagen Sie?


Fr. Br.

Nur ein Gelehrter?


Fr. M.
[48]
Fr. M.

Ey du mein ſchoͤner Caffe! der
in die Kohlen lief.


Fr. St.

Glauben Sies nicht, Frau
Muhme. Ich habe alle mein Lebstage
gehoͤrt, daß die Miniſter ſich wenig um Ge-
lehrte bekuͤmmern. Nein, nein, es hat eine
andere Bewandniß.


Sperl.

Und ich bleibe dabey, der Mann
mit der gequetſchten Naſe iſt ein Gelehrter,
koͤmmt aus Egypten oder aus Weimar; hat
die Saͤule des Pompejus gemeſſen, oder doch
Wieland aus dem Fenſter gucken ſehn. Kurz,
wir haben keine Zeit zu verlieren. Hier ſind
die Blumen, ſchaffen Sie mir nur geſchwind
die Kinder herbey. Kinder muß ich haben!
dann mag er kommen und ſehn was in Kraͤh-
winkel geſchieht!


Fr St.

Nun, nun, ſie ſollen gleich hier
ſeyn.

(ab.)

Sperl.
(ſteht ſeitwaͤrts und probirt pantomi-
miſch den Empfang)

Fr. M.
[49]
Fr. M.

Haben die Frau Gevatterin wohl
bemerkt, wie laͤcherlich die alte Frau Muhme
ſich geberdet?


Fr. Br.

Ja wohl, Frau Gevatterin, ſie
blaͤht ſich wie ein Teig am Ofen.


Fr. M.

Lieber Gott! ihr Mann war
doch nur Unterſteuereinnehmer.


Fr. Br.

Wie er ſtarb blieb er einen Reſt
in die Kaſſe ſchuldig.


Fr. M.

Und was wird das fuͤr ein Trac-
tament werden? wiſſen Sie noch vor 8 Wo-
chen den Braten? er war ja ganz verbrannt.


Fr. Br.

Und wie ſie ausſieht! was wird
ſie anziehn?


Fr. M.

Sie hat ja nur drey Kleider.


Fr. Br.

Ganz recht, das braune —


Fr. M.

Und das weiſſe —


Fr. Br.

Und das ſtoffene —


Fr. M.

Das hat ſie machen laſſen, wie
der Buͤrgermeiſter zum Erſtenmale taufen
ließ.


DFr. Br.
[50]
Fr. Br.

Um Vergebung, Frau Gevatte-
rin, das wurde gemacht, als der Vicekirchen-
vorſteher ſeine zweyte Frau heirathete.


Fr. M.

Die auch eine Naͤrrin war.


Fr. Br.

Ja wohl, ja wohl.


Funfzehnte Scene.


Frau Staar mit zwey Kindern, die große
Butterbroͤdte eſſen. Die Vorigen.

Fr. St.

Da ſind die Kinder.


Sperl.

Her damit!


Fr. St.

Verneigt euch erſt vor den lie-
ben Frau Muhmen. So! — Nun gebt eine
Patſchhand. So!


Fr. Br.
(indem ſie ſich die Butter von den
Fingern wiſcht)

Allerliebſte Puͤppgen! Gott
behuͤte ſie!


Fr. M.
(eben ſo)

Der lieben Frau Muh-
me wie aus den Augen geſchnitten.


Fr. Br.
[51]
Fr. Br.

Haben doch die Pocken ſchon
gehabt?


Fr. St.

Noch nicht. Mein Sohn woll-
te ſie immer inoculiren laſſen, aber das leid
ich nicht. Man muß dem lieben Gott nicht
vorgreifen.


Fr. M.

Jetzt will man die Kinder gar
unter das Vieh ſtecken.


Fr. Br.

Man nimmt die Materie von
den Beſtien.


Fr. St.

Es iſt ein gottloſes beſtialiſches
Weſen.


Sperl.
(der ſich indeſſen mit den Kindern be-
ſchaͤftigte)

Kinder, legt die Butterbrodte bey
Seite.


Die Kinder.

Ne, ne.


Sperl.

So nehmt wenigſtens die Blu-
men in die Eine Hand.


D 2Sech-
[52]

Sechzehnte Scene.


Herr Staar. Der Buͤrgermeiſter.
Sabine
. Einer nach dem Andern. Die Vo-
rigen
.

Hr. St.
(eilig)

Eben faͤhrt er zum
Thore herein. Die ganze Straße iſt voll
Jungen. Sie laufen neben dem Wagen her,
und gaffen ihm ins Geſicht.


Buͤrg.
(eilig)

Er koͤmmt! er koͤmmt!
Der Thuͤrmer ſteht auch ſchon unten mit ſei-
ner Trompete.


Sperl.

Du lieber Gott! die Kinder
ſind noch ſo dumm —


Hr. St.

Streut nur Blumen, und werft
ſie ihm ins Geſicht.


Sabine.
(eilig)

Olmers! Olmers! er
iſt da!


(Ein verſtimmter Trompetenſtoß.)

Buͤrg.
[53]
Buͤrg.

Allons! ihm entgegen!


Hr. St.

Die Kinder voraus!


Sperl.
(reißt ihnen die Butterbroͤdte aus den
Haͤnden und wirft ſie auf den Tiſch)

Laßt die But-
terbroͤdte ſo lange hier.


Hr. St.
(ſchiebt die Kinder zur Thuͤr hinaus)

Fort! fort.


Die Kinder.
(ſchreien)

Mein Butter-
brodt! mein Butterbrodt!


Buͤrg.
(ihnen folgend)

Wollt ihr die Maͤu-
ler halten!


Sperling und Herr Staar folgen.

Sabine. (ſteht am Fenſter und wirft Kuͤſſe
hinab)

Fr. St.

Frau Oberfloß- und Fiſchmei-
ſterin, Sie werden die Guͤte haben voran zu
ſpazieren.


Fr. Br.

Das wird nimmermehr geſchehn.
Frau Stadtacciſecaſſeſchreiberin, ich bitte ge-
horſamſt —


Fr. M.

Frau Unterſteuereinnehmerin,
Ihnen gebuͤhrt die Ehre.


Fr. St.
[54]
Fr. St.

Bewahre der Himmel! ich bin
in meinem eigenen Hauſe.


Fr. Br.

Ich kenne meine Schuldigkeit —


Fr. M.

Ich gehe nicht von der Stelle.


Alle Drey. (fangen ploͤtzlich an zu reden und
zu complimentiren.)
(Der Vorhang faͤllt.)

Ende des erſten Akts.

Zweyter
[55]

Zweyter Akt.


Erſte Scene.


(Die drey Frauen ſtehen noch immer an der
Thuͤr und complimentiren. Sabine ſeitwaͤrts.)

Frau Brendel.

Sie werden excuſiren.


Fr. M.

Ich muß depriciren —


Fr. St.

Bitte mich nicht in Verſuchung
zu fuͤhren.


Fr. Br.

Ah! da hoͤr’ ich ſie ſchon auf
der Treppe.


(Alle drey prallen zuruͤck.)

Zweyte
[56]

Zweyte Scene.


Olmers. Der Buͤrgermeiſter. Herr
Staar. Sperling
. Die Vorigen.

Buͤrg.

Heil iſt meinem Hauſe wieder-
fahren! Heil der guten Stadt Kraͤhwinkel!


Olm.

Nicht doch, Herr Buͤrgermeiſter,
ich bin ſchon zufrieden, wenn auch nur eine
einzige Perſon

(mit einem Buck auf Sabinen)

ſich uͤber meine Ankunft freut.


Buͤrg.

Bewahre der Himmel! ich wollt’
es keinem gehorſamen Buͤrger rathen, ſich
nicht unterthaͤnigſt zu freuen. Dafuͤr haben
wir Mittel.


Olm.

Dieſe Damen gehoͤren vermuthlich
zu Ihrer Familie?


Buͤrg.

Meine wertheſte Frau Muhme,
die Frau Oberfloß- und Fiſchmeiſterin Bren-
del, desgleichen meine wertheſte Frau Muh-
me,
[57] me, die Frau Stadtacciſecaſſeſchreiberin Mor-
genroth.


Fr. Br. und Fr. M.
(mit gewaltigen Knixen)

Wir freuen uns unendlich die Ehre zu ha-
ben —


Buͤrg.

Hier iſt meine Mutter, die Frau
Unterſteuereinnehmerin Staar.


Fr. St.

Bitte nur tauſendmal um Ver-
gebung, daß die Vorhaͤnge noch nicht gewa-
ſchen ſind. Es geſchieht ſonſt immer vor
Pfingſten und Weihnachten.


Olm.

Madam, ich wuͤrde untroͤſtlich ſeyn,
wenn Sie durch mich in Ihrer alten Ord-
nung ſich ſtoͤren ließen.


Fr. St.
(bey Seite mit geruͤmpfter Naſe)

Madam?


Olm.
(zum Buͤrgermeiſter)

Dies junge
Frauenzimmer iſt vermuthlich Ihre Mademoi-
ſell Tochter?


Buͤrg.

Jedermann erkennt ſie doch gleich
an der Aehnlichkeit mit mir.


Olm.
[58]
Olm.

Mademoiſell, ich ſchmeichle mir
mit der Hofnung, daß meine Gegenwart kei-
nen unangenehmen Eindruck auf Sie machen
werde.


Sab.

Im Gegentheil, der Eindruck iſt
ſo angenehm, daß ich ihn nur fruͤher ge-
wuͤnſcht haͤtte.


Hr. St.

Man hoͤrt doch gleich, daß das
Maͤdgen ein Jahr in der Reſidenz gewe-
ſen iſt.


Olm.

Vermuthlich haben Sie dort in-
tereſſante Bekanntſchaften gemacht?


Sab.

Wenn auch nicht viele, doch
Eine.


Olm.

Die ſich um ſo gluͤcklicher ſchaͤtzen
wird.


Sab.

Wer weiß. Man findet in der
Reſidenz ſo ziemlich Alles, ausgenommen Ge-
daͤchtniß.


Olm.

Huͤten Sie ſich, daß Sie kein Un-
recht abzubitten bekommen.


Sab.

Dabey wuͤrde ich gewinnen.


Olm.
[59]
Olm.

Wer einmal ſo gluͤcklich war Sie
zu ſehn —


Sab.

Sie ſchmeicheln einem armen Land-
maͤdgen.


Buͤrg.

Nun, nun, Sabingen, ein Land-
maͤdgen biſt du doch gerade auch nicht. Wir
bewohnen, Gott ſey Dank! eine ganz feine
Stadt.


Hr. St.

Die beyden Hauptſtraßen ſind
gepflaſtert.


Sperl.

5000 Einwohner, worunter auch
einige Dichter.


Fr. St.

Drey ſchoͤne Kirchen.


Fr. Br.

Eine anmuthige Promenade bis
zum Galgen.


Olm.

Ich habe eine liebliche Anhoͤhe be-
merkt.


Fr. M.

O die iſt ganz vortreflich zum
Waͤſchetrocknen.


Olm.

Und das Thal ſo mahleriſch mit
Gebuͤſchen beſtreut.


Fr. Br.
[60]
Fr. Br.

Die ſchoͤnſten Erdbeere wach-
ſen dort.


Sperl.
(mit einem Blick auf Sabinen)

Ge-
wuͤrzig und Purpur roth wie gewiſſe Lippen.


Olm.

In der Tiefe ſchlaͤngelt ſich ein
Fluß.


Fr. St.

Mit Forellen und Karauſchen.


Olm.

Ein ſchattenreicher Wald beher-
bergt ein Heer von Nachtigallen.


Hr. St.

Der Wald iſt dick genug, aber
das Holz wird doch alle Jahr theurer.


Olm.

Treibt das Staͤdtgen einen ſtarken
Handel?


Fr. St.

O ja, mit Meerrettig.


Hr. St.

Auch giebt es Niederlagen von
oft- und weſtindiſchen Gewuͤrzen, ſammt ei-
ner Leſebibliothek.


Sperl.

Von unſerm Scheibenſchießen
haben Sie wohl ſchon gehoͤrt?


Olm.

Leider nein.


Sperl.

Es iſt auch ein Hanswurſt
dabey.


Fr. St.
[61]
Fr. St.

Und einen Nachmittagspredi-
ger haben wir an der Aegidienkirche, das iſt
ein Mann wie ein Apoſtel! O der iſt Ihnen
ſicher ſchon bekannt?


Olm.

In der That, ich muß mich ſchaͤ-
men —


Sperl.

Was ſagen ſie denn in der Re-
ſidenz von unſerm Liebhabertheater? ich ſpie-
le den Peter in Menſchenhaß und Reue.


Fr. M.

Und recht natuͤrlich.


Sperl.

Nicht wahr, Frau Muhme?


Buͤrg.

Vor allen Dingen werd’ ich dem
Herrn unſer Rathhaus zeigen. Ein Bau-
meiſter aus Gotha hat es vor 300 Jahren
erbaut. Es iſt im aͤcht Gothiſchen Ge-
ſchmack.


Olm.

So bald ich mich ein wenig von
der Reiſe erholt habe.


Fr. St.

Sabingen, fuͤhre doch den
Herrn auf ſein Zimmer.


Sab.

Herzlich gern.


Buͤrg.
[62]
Buͤrg.

Ich werde die Ehre haben zu
begleiten.


Hr. St.

Auch ich.


Sperl.

Auch ich.


Olm.

Bemuͤhen Sie ſich nicht meine
Herren, ich bin vollkommen mit meinem Fuͤh-
rer zufrieden.


Buͤrg.

Mit nichten. Se. Excellenz, der
Herr Miniſter, haben mir Hochdieſelben em-
pfohlen, und ich werde nicht ermangeln, Sie
wie Dero Schatten zu umgeben.


Olm.

Dann werden Sie mir oft in die
Sonne treten.


Buͤrg.

Sonne genug. Dero Fenſter
liegen gegen Mittag. Uebrigens ſehr bequem.
Nur drey Stufen hinab in die Kammer, und
wiederum zwey Stufen hinauf in den Al-
coven.


Olm.
(reicht Sabinen die Hand)

Mademoi-
ſell, an Ihrer Hand hoffe ich die Stufen
leicht zu erklimmen.


Sab.
[63]
Sab.

Es waͤre doch beſſer, wenn wir
uns ſchon am Ziele befaͤnden.

(ab mit Olmers.)

Der Buͤrgermeiſter folgt.

Sperl.
(zu Staar)

Was meinen Sie,
wenn ich ihm gleich die Ode vorlaͤſe? die an
die braunſchweiger Mumme?


Hr. St.

Jetzt nicht. Ich zeig’ ihm erſt
meine Nuͤrnberger Kupferſtiche.

(Beyde ab.)

Dritte Scene.


Frau Staar. Frau Brendel. Frau
Morgenroth
.

Fr. St.

Nun! was ſagen Sie, lieb-
wertheſte Frau Muhmen?


Fr. Br.

Mich hat er kaum angeſehn.


Fr. M.

Mit mir hat er kein Wort ge-
ſprochen.


Fr. St.

Und mich hat er gar eine Ma-
dam genannt! Seht doch! Madam! ich bin
mit
[64] mit Gott und Ehren Frau Unterſteuereinnehme-
rin und keine Madam.


Fr. Br.

Er haͤtte doch fragen koͤnnen,
ob mein Mann ſchon lange todt waͤre? oder
ſo etwas dergleichen.


Fr. M.

Wenn er ſich doch nur nach mei-
nen Kindern erkundigt haͤtte.


Fr. St.

Mein Sohn hat ihm deutlich
genug geſagt: Frau Unterſteuereinneh-
merin
; und dennoch hat er mich recht un-
verſchaͤmterweiſe zur Madam gemacht.


Fr. M.

Was Lebensart heißt, muß er
erſt in Kraͤhwinkel lernen.


Fr. Br.

Ein huͤbſcher Mann iſt er.


Fr. St.

Ja, aber gar nicht ein bischen
ſteif. That er nicht als ob er hier zu Hauſe
waͤre?


Fr. M.

Recht, Frau Muhme, es man-
gelte ihm ganz die volle Verlegenheit.


Fr. Br.

Feine Waͤſche traͤgt er.


Fr. St.

Aber keine Manſchetten.


Fr. M.
[65]
Fr. M.

Das Haar mag auch wohl vor
8 Tagen zum Leztenmal gepudert worden ſeyn.


Fr. St.

Der Menſch koͤmmt mir ſo
bekannt vor. Es iſt mir immer als haͤtte ich
ihn ſchon irgendwo geſehn. —

(ſich ploͤtzlich be-
ſinnend, und ſehr heftig erſchrocken)

Ah! Ah! mein
Schwindel! ich falle in Ohnmacht!


Fr. Br. und Fr. M.
(eilen ihr zu Huͤlfo)

Was iſts Frau Muhme?


Fr. St.

Da, in meiner Taſche —


Fr. Br.

Das Riechflaͤſchgen?


Fr. St.

Nein — nein — ein Bild —
ein Bild —


Fr. Br.
(bat unterdeſſen in ihrer Taſche ge-
ſucht)

Nun ja, da iſt Eins. Ey ſeht doch,
das iſt wahrhaftig der Fremde.


Fr. St.

Zeigen Sie her. — So wahr
ich eine arme Suͤnderin bin! er iſts! ich bin
des Todes!


Fr. Br.

Wer denn?


Fr. M.

Ich will nicht hoffen —


EFr. St.
[66]
Fr. St.

Ich kann nicht zu Athem kom-
men —


Fr. Br.

Doch kein entſprungener De-
linquent?


Fr. M.

Wohl moͤglich. Man wird das
Bild zu dem Steckbriefe gelegt haben.


Fr. St.

Es iſt der Koͤnig! es iſt der
Koͤnig!


Beyde.
(ſchreyen laut auf)

Der Koͤnig!


Fr. St.

Se. allerglorreichſte Majeſtaͤt!


Fr. Br.

Frau Gevatterin, mir wird
ſchlimm —

(ſie ſinkt auf einen andern Stuhl)

Fr. M.
(eben ſo)

Auch mir, theuerſte
Frau Gevatterin.

(Alle drey ſtoͤhnen.)

Fr. St.

Nein, das uͤberleb’ ich nicht —
die hohe Ehre — die hohe Gnade — und die
Vorhaͤnge nicht gewaſchen —


Fr. Br.

Weiß es denn noch Niemand
in der Stadt?


Fr. St.

Keine Chriſtenſeele.


Fr. Br.

Ah! da muß ich ja eilen! Kom-
men Sie, Frau Gevatterin!


Fr. M.
[67]
Fr. M.

Ja doch, ja! es iſt mir zwar
wie Bley in die Fuͤße geſunken — aber der
Koͤnig — die Vaterlandsliebe — kommen
Sie! kommen Sie!

(beyde ab.)

Vierte Scene.


Frau Staar
(allein.)

Ich bin ganz weg — thut nichts — Nun
mag mein Stuͤndlein ſchlagen wann es dem
Himmel gefaͤllt! Ja, nun will ich auch in
Gottes Namen eine Madam ſeyn! der Koͤnig
mag mich Madam nennen ſo viel er will! —
Horch! da oben geht er auf und nieder —
man hoͤrt es doch gleich, es iſt ein koͤniglicher
Schritt! — Wenn ich nur von der Stelle
koͤnnte — wenn nur mein Sohn erſt wuͤßte —
daß er nicht gegen den Reſpect manquirt —


E 2Fuͤnfte
[68]

Fuͤnfte Scene.


Buͤrgermeiſter. Herr Staar. Sper-
ling. Frau Staar
.

Fr. St.

Kommt ihr endlich? ſeht, da
ſitz’ ich, und wer weiß, ob ich in meinem Le-
ben wieder aufſtehe.


Buͤrg.

Was iſt der Frau Mutter wie-
derfahren?


Fr. St.

Ich will es kurz machen — ich
will reden — ich will das große Geheimniß
von mir geben — und dann in mein Kaͤm-
merlein gehn, und mit lauter Stimme einen
Lobpſalm ſingen!


Hr. St.

Was ſchwazt die Frau Mut-
ter?


Fr. St.

Wo iſt Euer Gaſt?


Sperl.

Er wird gleich herunter kommen.


Fr. St.

Niemand bey ihm?


Buͤrg.
[69]
Buͤrg.

Keine Seele. Die Sabine woll-
te bey ihm bleiben, aber ich jagte ſie in die
Kuͤche.


Fr. St.

Nun ſo lauft! rutſcht auf Eu-
ren Knien die Treppe hinauf! — Niclas!
Niclas! der Koͤnig iſt in deinem Hauſe!


Buͤrg und Hr. St.

Wie? was?


Sperl.

Der Koͤnig?


Buͤrg.

Mache mich die Frau Mutter
nicht confus.


Fr. St.

Ja, nun wird die Confuſion
erſt recht angehn. Ganz Kraͤhwinkel muß
confus werden! Er iſt da! ſag’ ich, er iſt
da! Gleich dem großen Weltkoͤnig, der auf
einem Eſelein ritt, hat er dich erwaͤhlt, mein
Sohn Niclas! in dein Haus iſt er eingezo-
gen, du gluͤcklicher Buͤrgermeiſter auch Ober-
Aelteſter!


Buͤrg.

Frau Mutter, ich bitte ſich zu
expliciren, denn ich weiß ſchon nicht mehr, ob
ich einen Kopf oder eine Windmuͤhle auf dem
Rumpfe trage.


Fr. St.
[70]
Fr. St.

Da! da iſt unſers gnaͤdigſten
Koͤnigs Portrait! nun, da ſeht ſelbſt! iſt
ers? oder iſt ers nicht?


Buͤrg.

Der Fremde, wie er leibt und
lebt.


Hr. St.

Richtig.


Buͤrg.

Aber woher weiß die Frau
Mutter —?


Fr. St.

Hab’ ich vor 40 Jahren nicht
des Koͤnigs Großvater geſehn? und iſt ihm
der Enkel nicht wie aus den Augen geſchnit-
ten? Ich ſage dir, das iſt ſein Portrait,
und die geheiligte Perſon wandelt uͤber un-
ſern Koͤpfen.


Hr. St.

Da haben wirs! er reiſt in-
cognito.


Sperl.

Der Landesvater im Stein-
bruche!


Buͤrg.

Ach mein Gott! was iſt nun
anzufangen? Da muß ja die Buͤrgerwache
mit der alten Trommel aufziehn.


Sperl.
[71]
Sperl.

Und die Schuͤtzencompagnie mit
der Fahne.


Hr. St.

Und der Magiſtrat mit den
Waiſenkindern.


Fr. St.

Ach! wenn das mein ſeliger
Herr noch erlebt haͤtte!


Buͤrg.

Aber iſt es denn auch ſo recht
gewiß?


Hr. St.

Wie kann der Herr Bruder
noch zweifeln? die Frau Mutter hat ja den
Großvater ſelbſt geſehn.


Sperl.

Und das Portrait laͤßt ſich doch
auch nicht ganz weg demonſtriren.


Fr. St.

Es iſt der Koͤnig, ſag ich dir!


Buͤrg.

So muß mit allen Glocken gelaͤu-
tet werden, daß die Buͤrger zuſammen laufen.


Fr. St.

Die Frau Muhmen ſind ſchon
hinaus.


Buͤrg.

So brauchen wir keine Glocken.
Aber eine Ehrenwache muß gleich vor das
Haus.


Fr. St.
[72]
Fr. St.

Vor unſer Haus! Wenn ich
die Ehrenwache ſehe, ſo ruͤhrt mich der Schlag.


Sperl.

Da iſt er.


Fr. St.
(zwingt ſich aufzuſtehn)

Ach Gott!
Ach Gott!


Buͤrg.

Ein Herz gefaßt.


Sechſte Scene.


Olmers. Vorige.

Olm.

Ein recht bequemes Haus, lieber
Herr Buͤrgermeiſter, und eine vortrefliche
Ausſicht. Ich hoffe, ſehr frohe Stunden hier
zu verleben.


Buͤrg.

Allergnaͤdigſter Koͤnig —


Olm.

Wie?


Hr. St.

Ew. Koͤnigl. Majeſtaͤt —


Olm.

Was?


Sperl.

Glorreichſter Monarch —


Olm.

Scherzen Sie mit mir?


Fr. St.

Geſalbter des Herrn —


Olm.
[73]
Olm.

Wir haben doch heute nicht den
ſechſten Januar?


Buͤrg.

Verbergen Sie ſich nicht laͤnger
Ihren getreuen Unterthanen!


Hr. St.

Unſere Herzen brennen —


Sperl.

Und lodern —


Fr. St.

Und zerfließen —


Olm.

Was haben Sie mit mir vor?


Buͤrg.

Dero Premierminiſter hat bereits
halb und halb verrathen —


Olm.

Mein Premierminiſter?

(fuͤr ſich)

ich werde doch nicht ins Tollhaus gerathen
ſeyn?


Siebente
[74]

Siebente Scene.


Die Magd. Vorige.

Magd.

Draußen ſtehn zwey Maͤnner.
Sie ſprechen, ſie waͤren Deputirte von der
Schuͤtzengilde, und wollten den Koͤnig bewill-
kommen.


Buͤrg.

Wollen Ew. Majeſtaͤt allergnaͤ-
digſt erlauben?


Olm.

Ey zum Henker! was faͤllt Ih-
nen ein? ich bin ja eben ſo wenig eine Ma-
jeſtaͤt als Ihr Nachtwaͤchter.


Buͤrg.

Ach großer Gott! was wollen
Allerhoͤchſtdieſelben laͤnger leugnen? wir be-
ſitzen ja Dero unſchaͤtzbares Portrait.


Olm.

Mein Portrait?


Fr. St.

Hier iſt es, großer Koͤnig


(ſie uͤberreicht es.)

Olm.

Ja, es iſt allerdings mein Portrait —


Buͤrg.
[75]
Buͤrg.

Endlich!

(zu der Magd)

Die De-
putation ſoll herein kommen, ſoll die Gnade ha-
ben vorgelaſſen zu werden.


Olm.

Ums Himmels willen nicht! Sie
machen mich zum Geſpoͤtt; ich heiße Karl
Olmers, und damit holla.


Hr. St.

Laſſe der Herr Bruder es gut
ſeyn; Se. Majeſtaͤt wollen nun einmal durch-
aus incognito bleiben.


Fr. St.

Aber die Ehrenwache werden
Allerhoͤchſtdieſelben doch nicht verſchmaͤhen?


Olm.

Wenn Sie nicht bald aufhoͤren, ſo
brauch’ ich allerdings eine Wache, denn ich
werde verruͤckt.

(zu Sabinen, welche eben hereintritt)

Ah Mademoiſell! gut daß Sie kommen. Man
will mich hier mit Gewalt zum Koͤnig ma-
chen. Wie das zugeht, mag Gott wiſſen.
Koͤnig bin ich wahrlich nicht! zu herrſchen be-
gehr’ ich nirgends, als nur in Einem Her-
zen. Erlang ich aber dieſen Wunſch, ſo
beneid’ ich keinen Koͤnig.

(ab)

Achte
[76]

Achte Scene.


Frau Staar. Der Buͤrgermeiſter. Hr.
Staar. Sperling. Sabine
.

Buͤrg.

Man muß Se. Majeſtaͤt beglei-
ten.

(er will nach.)

Sab.
(haͤlt ihn auf)

Lieber Vater, was
ſoll das heißen? wie kommen Sie auf den
Einfall?


Buͤrg.

Naſeweiß! es iſt unſer Koͤnig.


Sab.

Gott bewahre! wer hat Ihnen das
weiß gemacht?


Hr. St.

Weiß gemacht?


Buͤrg.

Hat die Frau Mutter nicht den
Großvater geſehn?


Hr. St.

Hat ſie nicht das Portrait?


Fr. St.

Von ihr ſelbſt hab’ ich es em-
pfangen.


Sab.

Ah! nun verſteh’ ich — ja lieber
Gott, das war nur ein Scherz.


Alle
[77]
Alle.

Ein Scherz?


Sab.

Verzeihen Sie liebe Großmutter —


Fr. St.

Ich drehe dir den Hals um!


Sab.

Konnt’ ich das vermuthen —


Fr. St.

Gottloſes Kind! du wußteſt al-
ſo, wen das Portrait eigentlich vorſtellt?


Sab.
(ſich etwas verlegen heraushelfend)

Nein
— das wußte ich nicht —


Fr. St.

Wie kamſt du dazu?


Sab.

Ich — ich hab’ es gefunden.


Fr. St.

Gefunden? wo? wie?


Sab.

Als ich noch in der Reſidenz war
— auf einem Spaziergange — im hohen
Graſe — ich ſteckt’ es in die Taſche, und hab’
es vergeſſen bis auf den heutigen Tag.


Fr. St.

Ey! woher denn aber die Zaͤrt-
lichkeit, mit der du das Bild angaffteſt, als ich
dieſen Morgen herein trat?


Sab.

Zaͤrtlichkeit?


Fr. St.

Ja ja, Mamſell, dir war Hoͤ-
ren und Sehen vergangen.


Sperl.

Ey, ey, Mademoiſell.


Sab.
[78]
Sab.

Ah das kann ich Ihnen leicht er-
klaͤren. Aufmerkſamkeit war es. In den
Zeitungen wurde ein verlornes Bild angezeigt.
Da fiel mir das Meinige wieder bey. Schnell
zog ich es aus der Taſche, um es mit der
Angabe zu vergleichen.


Fr. St.

Ich habe ja keine Zeitungen ge-
ſehn?


Sab.

Dort liegen ſie noch auf dem
Tiſche.


Fr. St.
(zieht die Brille heraus)

Gieb doch
her, ich will den Artikel ſelber leſen.


Sab.
(erſchrocken)

O ja — warum nicht
— hier ſind ſie — ach verwuͤnſcht! da haben
die Kinder das Butterbrod darauf gelegt.
Es iſt Alles durchgeweicht, Alles unleſerlich.


Fr. St.

Verſchmitzte Kreatur! wenn ich
nun das Bild an einer Zitternadel auf meine
Haube geſteckt haͤtte? Die ganze Stadt haͤtte
mit Fingern auf mich gewieſen. — Fort da-
mit! Laß es mir nie wieder vor die Augen
kommen.


Buͤrg.
[79]
Buͤrg.

Gieb es dem Fremden zuruͤck.


Sab.

Ey freylich, er koͤnnte ja ſonſt
wunder glauben —


Sperl.

Der Erſatz ſey meine Sorge.
Ich ſelber laſſe mich mahlen.


Sab.
(bey Seite)

Lieber ausſtopfen.


Hr. St.

Die Jungfer Nichte iſt eine
Naͤrrin! Daß doch ſo eine leichtfertige Dirne
eine ganze reputirliche Stadt wie ihren Strick-
beutel umkehrt. Ich muß nur gehen, und
die Buͤrgerſchaft beruhigen.

(ab)

Buͤrg.

Und ich will die Schuͤtzendepu-
tation abfertigen. Das ſag’ ich dir! bringſt
du mir noch Einmal einen ſolchen Koͤnig ins
Haus, ſo ſchick’ ich dich auf die Spinnſtube.

(ab.)

Fr. St.

Alle Freude umſonſt! ich ſah
ſchon die Ehrenwache vor unſerer Thuͤr; ich
erzaͤhlte es ſchon meinem ſeligen Herrn im
Grabe — und indeſſen ſind meine Braten zu
Kohlen verbrannt, du Rabenkind!

(ab.)

Neunte
[80]

Neunte Scene.


Sperling und Sabine.

Sab.

Herr Bau-Berg- und Wegin-
ſpectorsſubſtitut, Sie werden vermuthlich vor
dem Eſſen auch noch Geſchaͤfte haben?


Sperl.

Wertheſte Mademoiſell, vor dem
Eſſen und nach dem Eſſen hab’ ich kein an-
dres Geſchaͤft, als mein treues Herz vor Ih-
nen auszubreiten.


Sab.

Ausbreiten? es iſt ja kein Mantel.


Sperl.

Poetiſcherweiſe allerdings ein
Mantel, aber ohne Falten, ohne alle Falten.
Schoͤnſte Sabina! verſuchen Sie es! wickeln
Sie ſich darein bey Sturm und Froſt.


Sab.

Ich bin noch jung, mein Herr,
und bedarf keiner geborgten Waͤrme.


Sperl.

Will ich denn dies treue Herz
nur borgen? nein, ſchenken will ich es!


(er kniet nieder)

Hier zu ihren Fuͤßen empfan-
gen
[81] gen Sie Ihr Eigenthum! ſchalten Sie damit
nach Gefallen. Der Koͤnig iſt verſchwunden,
aber die Koͤnigin ſteht vor mir! Meine Koͤ-
nigin! mein Goͤtterkind!


Zehnte Scene.


Olmers. Vorige.

Olm.
(ſtutzt als er herein tritt)

Ich bitt’
um Vergebung, eine ſo ſchoͤne Unterhaltung
muß man nicht ſtoͤren.


Sperl.
(ſteht auf)

Sab.

Es hat nichts zu bedeuten. Kom-
men Sie nur naͤher.


Olm.
(bitter)

Nichts zu bedeuten? Es
moͤgte doch wohl Leute geben, denen ein ſol-
cher Anblick ſehr bedeutend vorkaͤme.


Sperl.

Ey freylich! Sie ſollen wiſſen,
mein Herr, daß nach einer Ewigkeit von zwey
Jahren die treue Liebe endlich ſiegt.


FOlm.
[82]
Olm.

Wirklich? ich wuͤnſche Ihnen
Gluͤck.


Sperl.

Wenn Sie einige Wochen bey
uns verweilen, ſo werden Sie einem Feſte
beywohnen, an welchem Amor und Hymen
ſich bruͤderlich umarmen.


Olm.

In der That?


Sab.

Ja mein Herr, das hoff’ ich von
ganzem Herzen.


Olm.

Ey, welche liebenswuͤrdige Offen-
heit! Natuͤrlich werde ich ſo lange hier blei-
ben, denn ich muß fuͤr meinen zerbrochenen
Wagen doch durch etwas entſchaͤdigt werden.


Sab.

Noch bin ich zwar nicht Braut,
aber ich hoffe es bald zu werden.


Olm.

Sie waͤren es noch nicht? Sie
belieben zu ſcherzen.


Sperl.

Purer klarer Scherz im Gefol-
ge der Grazien.


Sab.

Mein Herr, verſtehen Sie mich
recht. Schon ſeit fuͤnf Wochen hab’ ich ge-
hofft,
[83] hofft, daß mein Geliebter ſich erklaͤren wuͤrde,
aber er ſchwieg.


Sperl.

Er ſchwieg? Schalkhafte! ha-
ben meine Augen denn nicht geſprochen?


Olm.
(der zu begreifen anfaͤngt)

Er ſchwieg
vielleicht nur, um Alles vorzubereiten.


Sperl.

Ganz recht, mein Herr. In
meiner kuͤnftigen Wohnung wird noch gebaut.
Jetzt logir’ ich im Dachſtuͤbgen bey dem Herrn
Vicekirchenvorſteher.


Sab.

Er haͤtte mir doch durch die
dritte Hand eine ſchriftliche Nachricht koͤnnen
zukommen laſſen.


Sperl.

Lag ich denn nicht taͤglich ſelber
zu Ihren Fuͤßen?


Olm.

Vielleicht hat er ein ſtrenges Ver-
bot, welches die Sittſamkeit ihm auflegte,
zu gewiſſenhaft erfuͤllt.


Sperl.

Errathen, mein Herr. Als die
Mamſell nach der Reſidenz gieng, verbot ſie
mir ausdruͤcklich, meine Seufzer durch die
Poſt zu ſpediren.


F 2Sab.
[84]
Sab.

Einer dienſtfertigen Muhme haͤtte
man ſich immer vertrauen moͤgen.


Sperl.

Schoͤnſte Mademoiſell, alle un-
ſere Muhmen ſind Klatſchmaͤuler.


Olm.

Vielleicht glaubte man auch, von
Liebe und Treue bereits ſo viele Proben ab-
gelegt zu haben, daß man auf edles Vertrauen
rechnen duͤrfe.


Sperl.

Getroffen, mein Herr. Ich bin
ja ſo treu als der Hund des Melai in Meiß-
ners Skizzen.


Sab.

Sie glauben alſo wirklich. Herr
Olmers, daß mein Geliebter noch eben ſo
warm fuͤr mich empfinde, als vormals?


Sperl.

Nur warm? — ſiedend heiß!
— Ja, Mademoiſell! haͤtte Archimedes ſolche
Liebe empfunden, er haͤtte ſeine Spiegel nicht
gebraucht, um die feindliche Flotte in Brand
zu ſtecken.


Olm.

Ich wage zu behaupten, daß ſeine
Empfindungen durch die Abweſenheit nur
noch heftiger geworden.


Sperl.
[85]
Sperl.

Freylich, freylich. Als ſie in der
Stadt war, wollt’ ich raſend werden.


Sab.

Nun ſo bin ich beruhigt.


Sperl.

Endlich!


Olm.

Auch ich.


Sperl.

Sie ſind ein ſcharmanter Mann,
daß Sie um meinetwillen ſich ſo beunruhigt
haben. Ich bitte mir Ihre Freundſchaft aus.


Olm.

Gehorſamer Diener.


Sab.

Wer mich aufrichtig liebt, wird es
aber nicht blos mir ſagen.


Sperl.

Wem ſonſt?


Olm.

Vermuthlich wird er ſich Ihrem
Herrn Vater entdecken.


Sperl.

Iſt ja ſchon geſchehn.


Sab.

Was noch zu thun waͤre, muß
bald geſchehn, da meine Verlobung bereits
auf Morgen feſtgeſetzt worden.


Sperl.

Eben deswegen iſt nichts mehr
vonnoͤthen.


Olm.

Und waͤre noch etwas vonnoͤthen,
ſo wird es ſicher dieſen Abend geſchehn.


Sperl.
[86]
Sperl.

Natuͤrlich.


Sab.

Ich ſchwebe zwiſchen Furcht und
Hoffnung.


Sperl.

Werfen Sie ſich der Hoffnung
getroſt in die Arme.


Olm.

Maͤchtige Fuͤrſprache kann Gutes
bewirken.


Sperl.

Wozu? die Familie iſt einig.


Der Schmetterling vermaͤhlt ſich mit der
Roſe.
Und trinkt entzuͤckt den Thau aus ihrem
Schooſe.


Sab.

Wohlan! in Gegenwart dieſes
Herrn ſchwoͤr’ ich nochmals ewige Liebe!


Olm.

Ich empfange den Schwur im Na-
men des Geliebten.


Sperl.

Ach wie ruͤhrend!


Sab.

Keine Gewalt ſoll mich von ihm
trennen!


Olm.

Er iſt auf ewig mit Ihnen ver-
bunden.


Sperl.

Meine Thraͤnen fließen.


Sab.
[87]
Sab.

Zum Pfand des Schwurs reich’
ich die Hand.


Olm.

Dankbar druͤcke ich ſie an die
Lippen.


Sperl.

Na, ich bin recht ſeelenver-
gnuͤgt.


Eilfte Scene.


Frau Staar. Vorige.

Fr. St.

Das Eſſen iſt aufgetragen. Die
Gaͤſte ſind bereits in der großen Stube.
Wenn ich gehorſamſt bitten darf —


Olm.

Zu Befehl.

(Er reicht Sabinen hin-
ter Sperlings Ruͤcken die Hand und entſchluͤpft mit ihr.)

Sperl.
(indem er weiſſe Handſchuh anzieht)

So will ich denn im Triumph an der Hand
der Liebe —

(er wendet ſich galant, um Sabinen
die Hand zu reichen, ſteht aber vor der Großmutter.)

Fr. St.
(verneigt ſich)

Herr Bau-Berg-
und Weginſpectorsſubſtitut —


Sperl.
[88]
Sperl.
(ſtotternd)

Frau Unterſteuerein-
nehmerin —

(Sie reicht ihm ihre Fingerſpitzen,
welche er mit ſeinen Fingerſpitzen faßt, und mit einem
ſuͤßſauren Geſichte ſie fortfuͤhrt.)

Ende des zweyten Akts.

Dritter
[89]

Dritter Akt.


Erſte Scene.


Frau Staar
allein.

Nein, ſo etwas dergleichen von Ungezogen-
heit iſt mir noch nicht vorgekommen. Sind
das die feinen Sitten in der Reſidenz? Gott
behuͤte und bewahre! — Von der Madam
will ich gar nichts mehr reden, denn die liegt
mir ſchon tief im Magen. Aber — ich wei-
ſe ihm den Ehrenplatz an zwiſchen zwey re-
ſpectablen alten Frauen, was thut er? er
laͤßt ſie ſitzen, wie ein paar Wachsbilder in ei-
ner Jahrmarktsbude, und pflanzt ſich mitten
unter das junge Volk! — Ey! ey! ey! —
Nein,
[90] Nein, da lob ich mir den Herrn Bau- Berg-
und Weginſpectors-Subſtituten! das iſt noch
ein Maͤnngen! galant und ſcharmant, gebiegelt
und geſchniegelt.


Zweyte Scene.


Frau Staar. Frau Brendel. Frau
Morgenroth
. (Beyde nach ihrer Art geputzt.)

Fr. St.

Nun Frau Muhme? der liebe
beſcheidene Gaſt!


Fr. Br.

Der ſcheint mir ein lockerer
Zeiſig.


Fr. M.

Haben Sie bemerkt, wie er das
Brod zu Kugeln drehte, und die Jungfer
Muhme damit warf?


Fr. St.

Der boͤſe Menſch! die edle
Gottesgabe!


Fr. Br.

Den rothen Wein hat er aufs
Tiſchtuch verſpritzt.


Fr. M.
[91]
Fr. M.

Was wollen Sie ſagen! beym
Lichtputzen hat er ſogar einen Funken darauf
fallen laſſen.


Fr. St.

J du Boͤſewicht! mein damaſt-
nes Tiſchtuch.


Fr. Br.

Das Eſſen ſchien ihm auch nicht
recht zu ſchmecken.


Fr. M.

Er ließ manche Schuͤſſel ganz
voruͤbergehn. Schickt ſich das?


Fr. St.

Ich habe ihm doch genug ge-
ſagt, wie gut jede Schuͤſſel zubereitet ſey,
und aus welchen Ingredienzien ſie beſtehe.


Fr. Br.

Ich denke, am Noͤthigen haben
wir es Alle nicht fehlen laſſen.


Fr. M.

Er war ja ſo unverſchaͤmt, ſich
das Noͤthigen ganz zu verbitten.


Fr. M.

Man ſieht, daß er noch wenig
gute Geſellſchaft frequentirt hat.


Fr. Br.

Nicht einmal den Kuchen hat
er gelobt, und der war doch vortreflich.


Fr. M.

Außerordentlich muͤrbe.


Fr. Br.

Er zergieng auf der Zunge.


Fr. M.
[92]
Fr. M.

Vermuthlich ſelbſt gebacken?


Fr. St.

Zu dienen.


Fr. Br.

O das merkt man gleich.


Fr. St.

Allzuguͤtig.


Fr. M.

Der Teig iſt wie Schaum.


Fr. St.

Sie beſchaͤmen mich.


Fr. Br.

Darf ich fragen, wie viel Eyer
die Frau Muhme dazu nehmen?


Fr. St.

Ich werde die Ehre haben, das
ganze Recept mitzutheilen. Man nimmt Er-
ſtens —


Dritte Scene.


Herr Staar. Die Vorigen.

Hr. St.

Bleibt mir vom Halſe mit Eu-
rem vornehmen Gaſte! Der kann ſich erſt
aus meiner Leſebibliothek das Sittenbuͤchlein
holen, und ſolches fleißig ſtudieren.


Fr. Br.

Ja wohl, Herr Vicekirchenvor-
ſteher, der iſt gar ſehr in der Erziehung ver-
wahrloſt.


Hr. St.
[93]
Hr. St.

Erſt hat er nicht einmal or-
dentlich ſein Tiſchgebet verrichtet.


Fr. St.

Und noch obendrein uͤber die ar-
men Kinder gelacht, die doch ihr „Komm
Herr Jeſu ſey unſer Gaſt“ recht ordentlich
herunter beteten.


Hr. St.

Als ich, nach alter ſcherzhafter
Weiſe, die Geſundheit: Was wir lieben,
ausbrachte, gleich rief er: was uns wieder
liebt und ſeinem Nachbar einen Kuß giebt.


Fr. Br.
(ſich verſchaͤmt mit dem Faͤcher wedelnd)

Ich hatte das Ungluͤck ihm an der lin[k]en
Hand zu ſitzen.


Fr. St.

Die huͤbſche Mamſell Morgen-
roth, die ihm zur Rechten ſaß, wurde feuer-
roth.


Hr. St.

Die Sabine warf ihm einen
grimmigen Blick zu.


Fr. St.

Am Ende wollte er ja gar ein
heydniſches Lied ſingen: Freude ſchoͤner Goͤt-
terfunken! nein, ſo verrucht geht es bey uns
nicht zu.


Hr. St.
[94]
Hr. St.

Weil er ſelbſt [e]inen Titel hat,
ſo giebt er auch keinem M[en]ſchen ſeine ge-
buͤhrende Ehre.


Fr. St.

Wenn mein Sohn, der Buͤr-
germeiſter, auch Oberaͤlteſte, die wichtigſten
Proceſſe abhandelte, ſo ſaß er und kritzelte
mit der Gabel auf dem Teller.


Fr. Br.

Und Zucker hat er in den Kaf-
fe geworfen, eine ganze Hand voll!


Fr. M.

Und ſtatt nach Tiſche zur ge-
ſegneten Mahlzeit die Hand zu kuͤſſen, hat
er ſich ein Einzigesmal rings herum verbeugt.


Hr. St.

Ich moͤchte nur wiſſen, wie der
Herr Miniſter ſolche Leute empfehlen kann.


Vierte
[95]

Vierte Scene.


Sperling. Vorige.

Sperl.

Hochgeehrteſte Frau Muhmen,
ich wollte, der Fremde laͤge noch im Stein-
bruche, denn unter uns geſagt, er hat keine
Conduite.


Hr. St.

Daruͤber ſind wir einig.


Sperl.

Haben Sie wohl das ſpoͤttiſche
Laͤcheln bemerkt, als ich den loͤblichen alten
Leberreim vorſchlug?


Hr. St.

Von Ihrer ſchoͤnen Ode auf
die braunſchweiger Mumme, hat er nicht drey
Worte gehoͤrt.


Fr. Br.

Da zwinkert’ er immer mit der
Jungfer Muhme, die ihm gegenuͤber ſaß.


Sperl.

Fuͤr die ſchoͤne Literatur ſcheint
er wenig Sinn zu haben.


Hr. St.
[96]
Hr. St.

Er hat ja nicht einmal den
Rinaldo Rinaldini geleſen.


Sperl.

Er iſt zu bedauern. Es mag
ihm nicht an Anlage fehlen, aber keine Aus-
bildung.


Hr. St.

Keine Sitten.


Fr. Br.

Keine Moral.


Fr. M.

Keine Lebensart.


Fr. St.

Keinen Titel.


Sperl.

Wenn der bey dem morgenden
großen Feſte erſcheint, geben Sie Acht, der
wird zum Kinderſpott.


Hr. St.

Danken wir dem Himmel, daß
in unſerer guten Stadt Kraͤhwinkel die liebe
Jugend feiner erzogen wird.


Fuͤnfte
[97]

Fuͤnfte Scene.


Sabine. Vorige.

Fr. St.

Gut Bingen, daß du koͤmmſt.
Sag’ uns doch ein wenig, gleichen die jungen
Herrn in der Reſidenz Alle dieſem Musje
Olmers?


Sab.

Alle, die Anſpruch auf ſeine Bil-
dung machen.


Fr. St.

So? ſcharmant.


Hr. St.

Er iſt ja ein Grobian.


Fr. Br.

Dreht Brodkugeln.


Fr. M.

Befleckt die Tiſchtuͤcher.


Fr. St.

Titulirt keinen Menſchen.


Sperl.

Verhoͤhnt die Poeſie.


Fr. Br.

Lobt keinen Kuchen.


Fr. M.

Laͤßt die Haͤlfte auf dem Teller
liegen.


Hr. St.

Weiß von keinem Tiſchgebet.


GFr. St.
[98]
Fr. St.

Will heydniſche Lieder ſingen.


Sperl.

Kuͤßt die Nachbarin.


Fr. St.

Hat weder deinem Vater noch
dem Herrn Paſtor loci geduldig zuge-
hoͤrt.


Sab.

O weh! o weh! der arme Olmers!
— Liebe Großmutter, in der Reſidenz ver-
bannt man ſo viel moͤglich allen Zwang.
Komplimente ſind dem, der ſie macht, im
Grunde eben ſo laͤſtig, als dem, der ſie em-
pfaͤngt. Man laͤßt die Leute eſſen wovon ſie
Luſt haben, und ſo viel ſie moͤgen, man noͤ-
thigt nie. Das Tiſchgebet iſt nicht mehr ge-
braͤuchlich, weil die Kinder nur plappern, und
die Erwachſenen nichts dabey denken. Ein
anſtaͤndiger Scherz, ein frohes Lied, wuͤrzen
das Mahl. Der Titel bedient man ſich blos
im Amte, im geſelligen Leben wuͤrden ſie nur
die Freude verſcheuchen. Kurz, ein guter
Wirth ſucht Alles zu entfernen, was die Be-
haglichkeit ſeiner Gaͤſte ſtoͤren koͤnnte. Man
koͤmmt, man ſetzt ſich, man ſteht, Alles nach
Belieben.
[99] Belieben. Man geht wieder ohne Abſchied
zu nehmen.


Fr. St.

Hoͤr’ auf! ich bekomme meine
Schwindel.


Fr. Br.

Ohne Abſchied! iſt das moͤglich?


Fr. M.

Sich nicht einmal zu bedanken
fuͤr genoſſene Ehre!


Sab.

Wenn die Gaͤſte vergnuͤgt ſind, ſo
haͤlt der Wirth das fuͤr den beſten Dank.


Fr. St.

Ach du mein Gott! iſt denn die
Reſidenz zu einer Dorfſchenke geworden?


Sechſte Scene.


Der Buͤrgermeiſter. Olmers. Vorige.

Buͤrg.

Wie ich Ihnen ſage, Herr Ol-
mers, die Stadtheerde hat ſeit 100 Jahren
das Privilegium auf den Rummelsburger
Stoppeln zu weiden —


Olm.

So?


G 2Buͤrg.
[100]
Buͤrg.

Nun aber hat der Amtmann da-
ſelbſt noch neuerlich einen Hammel gepfaͤn-
det —


Olm.
(zu Sabinen)

Meine ſchoͤne junge
Wirthin iſt mir entſchluͤpft.


Buͤrg.

Einen Hammel, ſag’ ich, hat er
gepfaͤndet —


Olm.

Zwar kleidet die haͤusliche Sorge
Sie uͤberaus wohl —


Buͤrg.

Einen fetten Hammel ſage ich —


Sab.
(halb leiſe)

So hoͤren Sie doch
auf den Hammel!


Olm.

Laſſen Sie es gut ſeyn, Herr
Buͤrgermeiſter. Ich bin von den Privilegien
Ihrer Stadtheerde ſattſam uͤberzeugt. Der
Amtmann muß den Hammel herausgeben,
das verſteht ſich.


Buͤrg.

Ey damit iſts noch nicht gethan.


Olm.

Und Strafe dazu, ſo viel Sie
wollen.

(zu Frau Staar)

Nicht wahr Ma-
dam? — Sie haben uns ſo ſchoͤn bewirthet,
daß wir in dieſem Augenblicke ſelbſt fuͤr den
fetteſten
[101] fetteſten Hammel uns nicht zu intereſſiren
vermoͤgen.


Fr. St.

Es ſcheint uͤberhaupt, mein
Herr, daß vernuͤnftige Geſpraͤche nicht Je-
dermann intereſſiren. Zu meiner Zeit wurde
das Alter in hohen Ehren gehalten. Beti-
telte Perſonen von geſetzten Jahren fuͤhrten
das Wort, die unbetitelte Jugend hoͤrte und
lernte. Sintemalen nun aber dieſe ehrbare
Sitte nicht mehr gebraͤuchlich, ſo thun aͤltere
Perſonen wohl, ſich der Geſellſchaft zu entzie-
hen, und uͤber den Sittenverfall in chriſtli-
cher Einſamkeit zu ſeufzen.

(Sie verneigt ſich
und geht ab.)

Olm.

Ich will nicht hoffen, daß Madam
auf mich zuͤrnt?


Hr. St.

Meine Frau Mutter, die Frau
Unterſteuereinnehmerin, wird in ganz Kraͤh-
winkel ſo hoch reſpectirt, daß ſie auch dann
nicht einmal zornig wird, wenn Dieſer oder
Jener ihr die gebuͤhrende Titulatur verſagt.


(ab.)

Olm.
[102]
Olm.

Mein Gott! die Titel ſind hier in
der Provinz ſo lang, und das Studium der-
ſelben ſo beſchwerlich —


Sperl.

Beſonders wenn man ſelbſt kei-
nen Titel hat.

(ab)

Olm.

Aus einer frohen Geſellſchaft ſoll-
te jeder Zwang verbannt ſeyn.


Fr. Br.

Da man aber bey einer Gaſte-
rey nicht zuſammenkoͤmmt, um froh zu ſeyn,
[ſondern] um die Gaben Gottes reichlich und
mit Anſtand zu genießen, ſo ſollte man doch
billig auf die reſpective Wuͤrde der Geſell-
ſchaft einige Ruͤckſicht nehmen.

(verbeugt ſich
und geht)

Fr. M.

Zumal, da die guten Sitten nur
durch ein ehrbares Ceremoniel in ihrer Rei-
nigkeit erhalten werden.

(verbeugt ſich und geht.)

Olm.

Bewahre der Himmel!


Buͤrg.
(bey Seite, indem er ſich die Peruͤcke
zurechte zupft)

Wenn nur der Miniſter nicht
waͤre, ich wollte es ihm auch ſchon ſagen.


Sab.
[103]
Sab.
(leiſe)

Sie ſind auf dem beſten
Wege, es mit der ganzen Familie zu verder-
ben. Reden Sie mit meinem Vater, ehe es
zu ſpaͤt wird.

(ab)

Siebente Scene.


Olmers und der Buͤrgermeiſter.

Buͤrg.

Wiederum auf beſagten Hammel
zu kommen —


Olm.

O Herr Buͤrgermeiſter! und wenn
Sie mir alle Hammel von ganz Tibet ver-
ſpraͤchen, jetzt hab’ ich einen Wunſch, der mir
naͤher am Herzen liegt.


Buͤrg.

So? ſo?


Olm.

Ich liebe Ihre Mademoiſell Toch-
ter.


Buͤrg.

Ey, ey.


Olm.

Ich wuͤnſchte ſie zu heirathen.


Buͤrg.

Viel Ehre.


Olm.
[104]
Olm.

Ich habe Vermoͤgen, und durch
das Wohlwollen des Miniſters hoffe ich auch
bald ein anſtaͤndiges Amt zu erhalten.


Buͤrg.

Gratulire.


Olm.

Nur Ihre Einwilligung fehlt noch
zu meinem Gluͤcke. Darf ich mir ſchmeicheln?


Buͤrg.

Gehorſamer Diener!


Olm.

Als ein ehrlicher Mann hab’ ich
meine Anwerbung in wenig Worten ohne
Schminke vorgetragen. Antworten Sie mir
eben ſo.


Buͤrg.

O ja — Sie erlauben nur — ich
bin pater familias — meine Pflicht erheiſcht,
die ſaͤmmtlichen Vettern und Muhmen zu-
ſammen zu berufen, und ſelbigen Dero Anlie-
gen in geziemenden terminis vorzutragen.


Olm.

Thun Sie das. Ich gehe indeſſen
in den Garten, und erwarte mit Ungeduld
die Entſcheidung.

(ab)

Achte
[105]

Achte Scene.


Der Buͤrgrrmeiſter
allein.

Ey ſeht doch! der Menſch faͤllt mit der
Thuͤr ins Haus. Iſt das eine Manier zu
heirathen? weiß er denn nicht einmal, daß
man vorher ein halbes Jahr in einem Hauſe
ab und zu, aus und eingehen muß, bis die
ganze Stadt davon ſpricht, ehe man zu ſol-
chen Extremitaͤten ſchreitet. — Gott verzeih
mir die Suͤnde! das ſaͤhe ja aus, als muͤßte
die Hochzeit uͤber Hals und Kopf aus gewiſ-
ſen Urſachen beſchleunigt werden.

(er geht an
die Thuͤr und ruft hinaus)

Margarethe! Bittet
geſchwind die Frau Mutter, und den Herrn
Bruder, und auch die Frau Muhmen heruͤ-
ber; ich haͤtte etwas importantes mit ihnen
zu uͤberlegen.

(koͤmmt zuruͤck)

Ja, wenn nur
der Miniſter nicht waͤre, auf der Stelle haͤtte
ich ihn abgefertigt. Aber ich wollte denn
doch,
[106] doch, daß er das morgende Feſt Sr. Excellenz
getreulich referirte; drum muß ich ihn ſcho-
nen.


Neunte Scene.


Buͤrgermeiſter. Frau Staar. Herr
Staar. Frau Brendel. Frau Mor-
genroth
.

Fr. Br.

Da ſind wir auf des Herrn
Buͤrgermeiſters Verlangen.


Fr. St.

Was begehrſt du, mein Sohn?


Hr. St.

Was will der Herr Bruder?


Buͤrg.

Es iſt eine Familienangelegen-
heit zu berathſchlagen; da hab’ ich denn die
lieben Angehoͤrigen verſammeln wollen.


Fr. Br. und Fr. M.

Ey was denn?
Herr Vetter, was denn?


Buͤrg.

Etwas Nagelneues.


Fr. Br.

Doch nicht wegen der neuen
Frau Steuereinnehmerin, die der alten wuͤr-
digen
[107] digen Frau Muhme beym heiligen Liebesmahl
durchaus vortreten will?


Fr. St.

Sie ſoll ſich nur unterſtehen —


Buͤrg.

Nein, das iſt es nicht.


Fr. M.

Oder wegen Feldſcheers Chriſtian,
der ihren Gottlieb einen Strohkopf geſchimpft
hat?


Buͤrg.

Auch nicht. Die Sache iſt jetzt
vor einem Hochedeln Rath und kann unter
zwey Jahren nicht beendigt werden.


Fr. St.

Nun ſo explicire dich, mein
Sohn.


Buͤrg.

Nehmen wir zuvor Platz, um in
gehoͤriger Ordnung zu procediren. Die Frau
Mutter, als Familienpraͤſes, in der Mitte;
die Stammhalter zu beyden Seiten. Die
Frau Muhmen auf dem rechten und linken
Fluͤgel. So.


Fr. Br.
(indem ſie ſich ſetzt)

Ich ſterbe
vor Verlangen.


Fr. M.
(eben ſo)

Ich platze vor Neu-
begier.


Buͤrg.
[108]
Buͤrg.
(raͤuſpert ſich)

Es iſt ihnen aller-
ſeits wohl bewußt, welchergeſtalt meine aͤlteſte
Eheleibliche Tochter Sabina nunmehro die
mannbaren Jahre erreicht hat.


Fr. St.

Freylich, ſie ſoll ja heirathen.


Fr. Br.

Etwas zu jung moͤgte ſie aller-
dings noch ſeyn.


Fr. M.

Wenn ſie nicht meine liebe Muh-
me waͤre, ſo wuͤrde ich ſagen, ſie ſey noch ein
wenig naſeweiß.


Hr. St.

Getroffen Die Buͤcher aus
meiner Leſebibliothek ſind ihr Alle nicht gut
genug.


Fr. Br.

Ein ziemliches Weltkind, das
die neuſten Moden aus der Reſidenz bekoͤmmt.


Fr. M.

Neulich ſpottete ſie gar uͤber
unſere Manier uns zu verneigen.


Fr. Br.

Unſer alter Tanzmeiſter war zu
ſeiner Zeit doch ein beruͤhmter Mann.


Fr. M.

Freylich wußte er nichts von
dem neumodiſchen Hopſaſa!


Fr. Br.
[109]
Fr. Br.

Und litt auch nicht, daß man
auf der Straße die Schleppe um ſich wickelte
wie einen naſſen Lappen.


Fr. St.

Nun, nun, liebwertheſte Frau
Muhmen, der Jugend muß man etwas zu
gute halten. Mein Sabingen hat doch ein
ehrliches Gemuͤth. Fahre fort, mein Sohn
Niclas.


Buͤrg.

Obbeſagte, meine Tochter Sabi-
na gedenket nunmehro der Herr Bau-Berg-
und Weginſpectors-Subſtitut Sperling als ſein
eheliches Gemahl heim zu fuͤhren.


Hr. St.

Iſt zur Gnuͤge bekannt. Nur
weiter.


Buͤrg.

Es findet ſich aber, daß, ehe noch
die ſponſalia vollzogen worden, ein Mitbe-
werber auftritt, welcher gleichfalls chriſtliche
Abſichten heget.


Alle.

Wer? wer?


Buͤrg.

Es iſt ſolches der mir von Sr.
Excellenz dem hoͤchſt zu verehrenden Herrn
Miniſter
[110] Miniſter auf das dringlichſte empfohlene Herr
Olmers.


Fr. St.

Der?


Hr. St.

Hm!


Fr. Br.

Ey!


Fr. M.

Seht doch!


Fr. St.

Wirklich?


Hr. St.

Curios.


Fr. Br.

In der That.


Fr. M.

Unvermuthet.


Buͤrg.

Was meinen nun die lieben An-
gehoͤrigen nach reiflicher der Sache Erwaͤ-
gung?


Fr. St.

Je nun —


Hr. St.

Ich meine —


Fr. Br.

Was mich betrifft —


Fr. M.

Ich habe ſo meine eigenen Ge-
danken.


Fr. Br.

Die Heirathen nach der Reſi-
denz gedeihen nicht allzuwohl. Man hat
Beyſpiele.


Fr. St.
[111]
Fr. St.

Ganz recht Frau Muhme, die
Stadtſecretairs Tochter.


Fr. Br.

Das war ein Juchhe und eine
Herrlichkeit, wie ſie den Journalenſchreiber
heirathete.


Fr. M.

Drey neue Kleider auf Einmal
wurden angeſchafft.


Fr. St.

Aber es dauerte kein Jahr, ſo
kam ſie mit einem Wuͤrmgen zuruͤck.


Fr. Br.

Sitzt nun da und nagt am
Hungertuche.


Fr. M.

Die ſeidenen Faͤhngen ſind ver-
kauft.


Fr. St.

Natuͤrlich, wo ſoll es herkom-
men!


Fr. Br.

Das Leben wird alle Tage
theurer.


Fr. M.

Ja wohl, Frau Muhme, die
Butter hat auf dem lezten Markttage wieder
einen Groſchen mehr gekoſtet.


Fr. St.

Wo will das hinaus!


Fr. Br.
[112]
Fr. Br.

Die Frau Rentkammerſchreibe-
rin Wittmann tractirt doch alle Tage.


Fr. M.

Ich hoͤre ja, ſie hat geſtern wie-
der Kuchen gebacken?


Fr St.

Was Sie ſagen!


Fr. Br.

Ihr Mann iſt doch nur Su-
pernumerarius.


Fr. St.

Wo nehmen nur die Leute das
Geld her?


Fr. M.

Ja, wenn ich reden wollte —


Fr. St. und Fr. Br.

O reden Sie,
liebe Frau Muhme, reden Sie.


Buͤrg.

Ein Andresmal, wenn ich un-
masgeblich bitten darf. Wiederum auf meine
Sabina zu kommen —


Hr. St.

Wo denkt der Herr Bruder
hin? Der Menſch hat ja gar keine Familie.


Fr. Br.

Man weiß ja nicht einmal, wie
er geboren iſt?


Fr. M.

Ob man Hoch- oder Wohledel
an ihn ſchreibt?


Fr. Br.
[113]
Fr. Br.

Sie wiſſen, daß die Honora-
tioren unſerer Stadt ſeit undenklichen Zeiten
Alle untereinander verwandt ſind.


Fr. M.

Der Familie wegen werden ja
eben die Heirathen geſtiftet.


Hr. St.

Das hilft ſich einander in den
Hochweiſen Rath.


Fr. Br.

Der Herr Vetter wiſſen das
ſelber am beſten.


Fr. M.

Ein Fremder iſt eine Raubbiene
in unſerm netten Bienenkorbe.


Hr. St.

Weiß nichts von unſern alten
ehrwuͤrdigen Gebraͤuchen —


Fr. Br.

Macht ſich luſtig uͤber unſere
ehrbaren Sitten —


Fr. M.

Vergiftet die liebe Jugend, die
ohnehin taͤglich ſchlimmer wird —


Fr. St.

Ja wohl Frau Muhme! zu un-
ſerer Zeit —


Fr. M.

Ey ja wohl! ja wohl!


Fr. St.

Ich wundre mich nur, wie ſie
die Hauptſache vergeſſen koͤnnen! Der Menſch
Hiſt
[114] iſt ja gar nichts, nicht einmal ein Supernu-
merarius, oder ſo etwas dergleichen. — Seht
doch! das gefaͤllt mir nicht uͤbel. Die Toch-
ter eines Buͤrgermeiſters auch Oberaͤlteſten!
Die Enkelin eines Unterſteuereinnehmers!
Die Naſe ſteht ihm hoch.


Buͤrg.

Das Concluſum dieſer Berath-
ſchlagung fiele alſo dahin aus —


Fr. St.

Nein, er bekoͤmmt ſie nicht.


Alle.

Er bekoͤmmt ſie nicht.


Buͤrg.

Bene! optime! Das iſt auch
meine Meinung. Nur ſtehet annoch zu eroͤr-
tern, wie man auf eine glimpfliche Weiſe ihm
ſolches inſinuiren moͤge? Denn aus ſchuldi-
gem Reſpect vor Sr. Excellenz dem Herrn
Miniſter muß Solches mit beſonderer Scho-
nung tractiret werden.


Fr. St.

Wenn er alle Tage zu Gaſte
geladen wird, ſo kann er ſchon zufrieden ſeyn.


Buͤrg.

Das waͤre etwas.


Fr. Br.

Der Herr Vetter koͤnnen ihm
ja von Rathswegen den Ehrenwein ſchenken.


Buͤrg.
[115]
Buͤrg.

Nein, Frau Muhme, das waͤre
zu viel.


Fr. M.

Oder bey der naͤchſten Kindtau-
fe, welche in der Familie vorfaͤllt, koͤnnte man
ihn zu Gevatter bitten.


Buͤrg.

Das laͤßt ſich hoͤren.


Hr. St.

Wie waͤr’ es — da es ihm doch
hauptſaͤchlich darauf ankoͤmmt, ſich hier in
Kraͤhwinkel zu etabliren — wenn man ihm
eine andre Frau proponirte?


Buͤrg.

Da hat der Herr Bruder einen
geſunden Einfall.


Fr. St.

Ja, aber wen?


Hr. St.

Deine Urſula. Sie geht ins
neunte Jahr. Er kann warten; kann unter-
deſſen mit Huͤlfe des Miniſters ein ordentli-
cher, honnetter Menſch werden; kann in un-
ſern Geſellſchaften Lebensart lernen; durch
meine Leſebibliothek ſich ausbilden, und dann
wieder zufragen.


Fr. St.

Recht. Man bliebe dann noch
immer Herr zu thun oder zu laſſen.


H 2Buͤrg.
[116]
Buͤrg.

Wenn er aber nicht ſo lange
warten will? Denn ich kenne die jungen
Herrn, wenn ſie einmal das Heirathen an-
wandelt, ſo geht es uͤber Hals und Kopf.


Hr. St.

J nu, ich wollt’ ihm auch wohl
eine reife Schoͤnheit vorſchlagen.


Alle.

Wen denn?


Hr. St.

Da, unſere Frau Muhme, die
Frau Oberfloß- und Fiſchmeiſterin.


Fr. Br.
(verſchaͤmt)

Ah! Sie ſpaßen.


Hr. St.

Sie iſt ſchon acht Monat
Wittwe.


Fr. Br.

Bald neun Monat, Herr Vi-
cekirchenvorſteher, bald neun Monat.


Hr St.

Sie hat Vermoͤgen, kann ihm
irgend einen Titel kaufen, ſie ſind wohlfeil
zu haben. Ein huͤbſcher Menſch iſt er doch
nun Einmal.


Fr. Br.

Ja, huͤbſch iſt er, das muß man
geſtehn.


Hr. St.

So kaͤm’ er denn doch in die
Familie.


Fr. St.
[117]
Fr. St.

Und darum ſcheint es ihm be-
ſonders zu thun.


Buͤrg.

Ja wie waͤr’ es, Frau Muhme?


Fr. Br.
(ſich hinter dem Faͤcher verſteckend)

Ach laſſen Sie doch den lieben Gott walten.


Zehnte Scene.


Olmers. Vorige.

Olm.

Verzeihen Sie der Ungeduld der
Liebe, die mich raſtlos umher treibt. Ich ſe-
he Sie verſammelt. Vielleicht iſt mein Schick-
ſal ſchon entſchieden. Darf ich mir ſchmei-
cheln bald mit in dieſen Kreis zu gehoͤren?


Buͤrg.
(verwirrt und umſtaͤndlich)

Ja —
ja — Se. Excellenz der Herr Miniſter haben
dieſelben Allerdings ſo dringend empfohlen
— wenn auch gewiſſe Wuͤnſche nicht gerade
angebrachtermaßen —


Fr. St.

So gaͤb’ es denn doch noch
Mittel —


Hr. St.
[118]
Hr. St.

Mit einigen Modificationen —


Fr. Br.

Ach ich bitte! ſchweigen Sie.


Fr. M.

Die Familie iſt, dem Himmel ſey
Dank, groß —


Fr. Br.

Sie machen, daß ich gluͤhe.


Olm.

Was ſoll ich aus dieſen abgebro-
chenen Saͤtzen ſchließen? Ich bitte, Herr
Buͤrgermeiſter, erklaͤren Sie ſich deutlich.


Buͤrg.

Meine Frau Mutter iſt das
Haupt der Familie, ihr koͤmmt es zu das
Wort zu fuͤhren.

(ab)

Olm.

Von Ihren Lippen, Madam, er-
wart’ ich alſo den Ausſpruch.


Fr. St.
(nießt)

Alle.
(außer Olmers)

Zur Geſundheit!
Gott ſtaͤrke Sie!


Fr. St.
(bey Seite)

Nicht einmal Pro-
ſit ſagt der Unmenſch.

(laut)

Nein, mein
Herr, die Madam hat hier nichts auszuſpre-
chen. Rede du mein Sohn, du kennſt meine
Gedanken.

(ab)

Olm.
[119]
Olm.

O geſchwind, mein Herr, laſſen
Sie mich nicht laͤnger in dieſer marternden
Ungewißheit.


Hr. St.

Eine delicate Sache. Heira-
then und Naͤhnadeln muͤſſen die Frauenzim-
mer einfaͤdeln. Bitte daher, ſich an die Frau
Muhme zu halten.

(ab)

Olm.

Sie alſo [meine] Damen?


Fr. M.

Das Herz eines Juͤnglings,
mein Herr, weiß nicht immer was es wuͤnſcht.
Oft waͤhnt es ſich fern vom Ziele, indeſſen
Amor durch einen gluͤcklichen Tauſch, es zu
beſeligen im Begriff ſteht.


Olm.

Was ſoll das heißen?


Fr. M.

Fragen Sie nur die Frau Ge-
vatterin.

(ab)

Olm.

Werden Sie mir endlich dieſe
Raͤthſel loͤſen?


Fr. Br.
(minaudirend)

Die Familie hat
Abſichten — Sie glaubt Ihnen Erſatz ſchul-
dig zu ſeyn — man thut Vorſchlaͤge — man
entwirft Plaͤne — aber Sie fuͤhlen wohl,
mein
[120] mein Herr, daß es unſchicklich waͤre, wenn
eine junge Frau ſich auf etwas einlaſſen woll-
te, die erſt ſeit zehn Monaten Wittwe iſt.


ab)

Eilfte Scene.


Olmers
allein.

Was Teufel ſoll das bedeuten? — Man
iſt doch wahrhaftig uͤbel daran, wenn man
ſein ganzes Leben in einer großen Reſidenz
zugebracht hat. Fuͤhrt Einen der Zufall dann
in eine kleine Stadt, ſo ſteht er da wie eine
Eule auf der Stange; die Kraͤhen flattern
rings umher und aͤrgern ſich uͤber den
Fremdling.


Zwoͤlfte
[121]

Zwoͤlfte Scene.


Sabine und Olmers.

Sab.

Sind Sie endlich allein?


Olm.

Ja wohl, aber nicht in der beſten
Laune.


Sab.

Ich habe Ihnen tauſenderley zu
ſagen.


Olm.

Ich Ihnen nur Einerley.


Sab.

Daß Sie mich lieben? nicht wahr?


Olm.

Getroffen.


Sab.

Dazu iſt jetzt nicht Zeit. Der
verdammte Sperling ſitzt mir uͤberall auf der
Ferſe. — Ach mein Gott! da iſt er ſchon
wieder!


Drey-
[122]

Dreyzehnte Scene.


Sperling. Vorige.

Olm.
(leiſe)

Soll ich ihn zur Thuͤr
hinauswerfen?


Sab.
(leiſe)

Ums Himmelswillen[!] ver-
derben Sie nicht Alles.


Sperl.

Da bin ich, da bin ich, mein
reizendes Sabingen, treu und folgſam wie
die Schleppe an ihrem Kleide.


Olm.

Da ſtehen Sie in Gefahr getre-
ten zu werden.


Sperl.

Ach! aber ach! das Maͤdgen kam,

Und nicht in Acht das Veilgen nahm,

Zertrat das arme Veilgen —

Olm.

Die Grauſame!


Sperl.

Hat nichts zu bedeuten. Nicht
wahr mein Bienchen? Wir wiſſen ſchon, wie
wir mit einander ſtehen.


Olm.
[123]
Olm.

Nur nicht vor dem Altare.


Sperl.

Bald! bald!


Die Myrtenkron’ im blonden Haar

Fuͤhr’ ich die Holde zum Altar.

Olm.
(der nur mit Muͤhe noch an ſich haͤlt)

Wie aber, mein Herr Bau- Berg- und
Weginſpectors-Subſtitut, wenn Sie ſich
vorher noch mit einem Nebenbuhler den Hals
brechen muͤßten?


Sperl.

Ey, ey, wie das?


Olm.
(ruͤckt ihm naͤher)

Wenn man Ih-
nen kurz und rund heraus ſagte —


Sperl.
(retirirt)

Ey was denn? was
denn?


Sab.
(tritt zwiſchen ſie)

Ja, Herr Ol-
mers, Sie haben Recht, es wird am beſten
ſeyn, dieſen Herrn um Rath zu fragen.


Sperl.

Worin denn?


Sab.
(Olmers winkend)

Er verſteht ſich
darauf, daß duͤrfen ſie mir ſicher glauben.


Sperl.

Worauf denn, mein Engel?


Sab.
[124]
Sab.
(zu Sperling)

Sehn Sie nur, die-
ſer Herr hier ſteht im Begriff einen Roman
zu vollenden.


Olm.

Ich einen Roman?


Sab.
(leiſe)

Ey ſo ſchweigen Sie doch.


Sperl.

Einen Ritterroman?


Sab.

Ja ja, es iſt ſo eine Art von Rit-
terroman. Um nun die Kataſtrophe vorzube-
reiten, iſt es durchaus nothwendig, daß der
Ritter mit ſeinem Maͤdgen eine geheime Un-
terredung habe.


Olm.

Ja, mein Herr, das iſt durchaus
nothwendig.


Sperl.

Wohl, wohl, ich begreife das.


Sab.

Nun iſt aber das arme Maͤdgen
den ganzen Tag von laͤſtigen Augen bewacht.
Bald der Vater, bald die Mutter, bald der
Nebenbuhler —


Sperl.

Aha! iſt auch ein Nebenbuhler
dabey? vermuthlich eine widerliche Kreatur?


Olm.

Ja wohl, mein Herr, ein uner-
traͤglicher Narr!


Sperl.
[125]
Sperl.

Ich verſtehe, haͤ! haͤ! haͤ!
haͤ! haͤ!


Sab.

Es muß alſo eine Liſt erſonnen
werden, um der Dirne Gelegenheit zu ver-
ſchaffen, unbemerkt mit ihrem Ritter zu
ſchwatzen, denn

(mit Beziehung)

ſie hat ihm
hoͤchſt wichtige Dinge zu ſagen.


Sperl.

Die der Nebenbuhler nicht hoͤ-
ren darf?


Sab.

Nun freylich.


Sperl.

Ich verſtehe. Und nun iſt der
Herr da in Verlegenheit, wie er das Ding
einfaͤdeln ſoll?


Olm.

Allerdings. Wenn Sie die Guͤte
haben wollten, mir mit gutem Rath beyzu-
ſtehn —


Sperl.

Herzlich gern. Nichts leichter
auf der Welt.

(er ſinnt nach)

Sehen Sie —
zum Exempel — am Tage darf die Zuſam-
menkunft ſchon nicht geſchehn, denn da geht
der abgeſchmackte Nebenbuhler dem Maͤdgen
nicht von der Seite.


Olm.
[126]
Olm.

So iſts mein Herr.


Sperl.

Alſo bey Nacht! und zwar in
der Geiſterſtunde! um Mitternacht!


Sab.

Das moͤgte bedenklich ſeyn, weil
das Maͤdgen zwar munter und muthwillig,
aber doch ſehr ſittſam geſchildert worden.


Olm.

Das haͤtte doch ſo viel nicht zu
bedeuten, da der Ritter ohnehin ſchon halb
und halb ihr Braͤutigam iſt.


Sab.

Nein, Herr Olmers, die Ehre
Ihrer Heldin iſt mir zu lieb. Um Mitter-
nacht wird nichts daraus. Allenfalls den
Abend.


Sperl.

Wohl, wohl, den Abend. Ver-
muthlich iſt der Nebenbuhler eine Schlaf-
muͤtze, die fruͤh zu Bett geht?


Sab.

Getroffen.


Sperl.

Nun, ſo bleiben wir bey dem
Abend. Da iſt denn ein langer, einſamer
Gang in der Burg, von einem Laͤmpgen
ſchwach erleuchtet —


Sab.
[127]
Sab.

Nein, nein, das Local iſt bereits
ſehr umſtaͤndlich geſchildert. Da iſt kein ſol-
cher Gang.


Sperl.

Oder ein Garten, wo zwiſchen
duͤſtern Taxushecken —


Sab.

Sie vergeſſen, Herr Sperling,
das ſittſame Maͤdgen geht nicht zwiſchen die
duͤſtern Taxushecken.


Olm.

Mich duͤnkt doch, dahin koͤnnte
man ſie immer gehen laſſen.


Sab.

Ey bewahre! das thut ſie nicht.


Sperl.

So koͤnnte der Ritter ſich kurz
und gut in ihr Schlafzimmer ſchleichen?


Sab.

Behuͤte der Himmel! das thut ſie
noch weniger.


Olm.

Es ſcheint faſt, ſie hat kein Ver-
trauen zu ihrem Geliebten.


Sab.

Das wohl. Aber was wuͤrden die
Recenſenten von der Moralitaͤt ſagen? nein,
auf ſolche Dinge laͤßt ſie ſich durchaus nicht
ein.


Sperl.
[128]
Sperl.

Ja, dann ſind wir doch wirklich
in einiger Verlegenheit. Ich wollte, weiß
Gott! herzlich gern die Sache befoͤrdern. —
Schade, mein Herr, daß Sie den Character
des Maͤdgens faſt ein wenig zu ſtreng und
ſittſam angelegt haben.


Olm.

Sie haben Recht. Ich ſehe wohl,
ſie wird am Ende doch noch dem albernen
Nebenbuhler zu Theil werden.


Sperl.

Nein, nein, nein! das muß nicht
geſchehn. Nein durchaus nicht! das wollen
wir zu verhuͤten ſuchen.

(nachſinnend)

Wie —
wenn — das Einzige, wozu das Maͤdgen ſich
allenfalls verſtehen koͤnnte, waͤre etwa, vor
Schlafengehn, eine kurze Unterredung vor der
Hausthuͤr. Da waͤre denn noch Alles rings
umher wach — es giengen Leute voruͤber, der
Nachtwaͤchter und dergleichen. — Was mei-
nen Sie dazu?


Olm.

Ein herrlicher Einfall.


Sab.

Recht ſchicklich koͤmmt es mir frey-
lich auch nicht vor —


Sperl.
[129]
Sperl.

Seyn Sie ganz ruhig, das
nehm’ ich auf mich.

(zu Olmers)

Veranſtal-
ten ſie in Gottes Namen die Zuſammenkunft
auf dieſe Weiſe; dagegen kann niemand et-
was einwenden.


Sab.

Nun ja, Herr Olmers, wenn es
Ihnen ſo gefaͤllt —


Olm.
(zu Sperling)

Ich befolge Ihren
Rath mit Freuden.


Sperl.
(reibt ſich ſehr zufrieden die Haͤnde)

Na, ſo haͤtten wir denn doch dem armen ſitt-
ſamen Maͤdgen aus der Klemme geholfen.


Sab.
(macht einen Knix)

Dafuͤr muß ſie
ſich bey Ihnen bedanken.


Sperl.

Iſt gern geſchehn. Vielleicht
koͤnnte man es auch ſo einrichten, daß der
Nebenbuhler dabey auf eine laͤcherliche Weiſe
hinter das Licht gefuͤhrt wuͤrde?


Sab.

Allerdings.


Sperl.

Wenn er nemlich dumm genug
dazu iſt?


Olm.

O ja, dafuͤr ſteh’ ich Ihnen.


JSab.
[130]
Sab.

Wie wenn das Maͤdgen in Ge-
genwart des Nebenbuhlers ihr Rendezvous
mit dem Geliebten veranſtaltete?


Sperl.

Bravo! bravo! Da giebt es
etwas zu lachen.


Sab.

Man koͤnnte ihn ſogar ſelbſt mit
lachen laſſen.


Sperl.

Immer beſſer! immer beſſer!


(er lacht von ganzem Herzen.)

Sab.

Horch! die Gaͤſte brechen auf.
Gute Nacht, meine Herren! morgen wollen
wir mehr daruͤber lachen, denn vermuthlich
wird Herr Olmers noch dieſen Abend alles
in Richtigkeit bringen.


Olm.

Ganz gewiß.


Sab.

Nun dann, auf Wiederſehn!

(ab.)

Sperl.

Sie wollen noch heute daran
arbeiten?


Olm.

Ja, das erſte Feuer muß man
nutzen.


Sperl.

Sie haben — Recht. — Hoͤ-
ren Sie — wenn Ihr Roman fertig iſt —
darf
[131] darf ich mir wohl ein Exemplar davon aus-
bitten?


Olm.

Er ſoll Ihnen dedicirt werden.


(ab.)

Vierzehnte Scene.


Sperling
allein.

Zu viel Ehre, mein Herr! allzuviel Ehre!
— Kam es mir doch beynahe vor, als ob er
ſich luſtig uͤber mich machte? — der Herr
Romanenſchreiber! —


Er blaͤht ſich auf gleich Superintenden-

ten!

Hofft Ehr’ und Geld — nun nun, der

Himmel gebs!

Daß ſein Roman von zwanzig Recen-

ſenten

Gelaͤſtert wird, gebt Achtung. ich er-

lebs.

J 2Zwar
[132]
Zwar half ich ihm mit eigenen Talenten;

Er ohne mich — gieng ruͤckwaͤrts wie

ein Krebs:

Das Maͤgdelein hinunter auf die Straſ-

ſen —

Dies große Wort hab’ ich ihm zuge-

blaſen!
(ab)

Ende des dritten Akts.

Vierter
[133]

Vierter Akt.


(Die Straße vor dem Hauſe des Buͤrgermeiſters. Dem
gegenuͤber das Haus ſeines Bruders, von mehrern
Stockwerken; in der Dachſtube Sperlings Wohnung.
Vor dieſem letztern Hauſe ſteht ein Laternenpfahl mit
einer Laterne, die aber nicht brennt. Es iſt Nacht,
doch ſieht man noch Licht in beyden Haͤuſern.)

Erſte Scene.


Olmers
allein.

(Er koͤmmt aus dem Hauſe.)

Dem Himmel ſey Dank, daß die Menſchen
in kleinen Staͤdten wenigſtens fruͤh ſchlafen
gehn.

Anmerkung. Die Haͤuſer muͤſſen herauswaͤrts,
gleich an die erſte oder zweyte Couliſſe gebaut ſeyn, ſo,
daß die Buͤhne dadurch etwas verengt wird, und die
aus den Fenſtern Schauenden von dem Zuſchauer en
face
geſehen werden. Der Laternenpfahl kann ſodann
etwas mehr zuruͤck ſtehn.


[134] gehn. Bin ich doch den ganzen Tag nicht
Herr einer Minute geweſen. Das fragt, das
complimentirt, das ſchnattert unaufhoͤrlich;
will Alles wiſſen und weiß doch alles ſchon
beſſer. Keinen Augenblick laſſen ſie den lie-
ben Gaſt allein; auf jedem Schritt und Tritt
ſchleichen ſie ihm nach. Er muß eſſen ohne
Hunger, trinken ohne Durſt, ſich ſetzen ohne
Muͤdigkeit; ihre Wunderwerke ſehen, ihre
Stadtklatſchereyen hoͤren, und Alles loben
und preiſen. Gern wollt’ ichs ertragen um
den Beſitz der Geliebten! aber noch laͤchelt
mir keine Hoffnung, und nicht einmal ein
Geſpraͤch unter vier Augen hat mir bis jetzt
den langweiligen Zwang verſuͤßt. Hieher
wollte ſie kommen, wenn Alles ſtill im Hauſe
waͤre. Sie wird doch Wort halten?


Zweyte
[135]

Zweyte Scene.


Sabine und Olmers.

Sab.
(die aus dem Hauſe ſchlich, klopft ihm
auf die Schulter.

Ja lieber Zweifler, ſie haͤlt
Wort.


Olm.

Endlich, beſtes Maͤdgen! endlich
ſind wir allein! und ich darf Ihnen einmal
wieder recht herzlich ſagen —


Sab.

Was denn? Alles was Sie mir
zu ſagen haben, weiß ich ſchon laͤngſt.


Olm.

Aber ich muß ja die Augenblicke
ſtehlen —


Sab.

So ſeyd ihr Alle. Der Liebhaber
findet’ nie Zeit genug, das tauſendmal Geſag-
te tauſendmal zu wiederholen. Der Ehemann
hingegen duͤrfte plaudern den ganzen Tag,
aber der geht im Zimmer auf und nieder,
und brummt.


Olm.

Ich will nicht hoffen —


Sab.
[136]
Sab.

Daß Sie es auch ſo machen wer-
den? nein das hoff’ ich auch nicht. Aber
wahr bleibt es doch immer: Liebhaber und
Lerchen ſingen nur im Fruͤhling, und man
muß noch froh ſeyn, wenn ſie im Herbſt nicht
gar davon ziehn.


Olm.

Ich ſchwoͤre Ihnen —


Sab.

Schwoͤren Sie nur nicht zu laut.
Wir ſind hier von ein paar Duzend Ohren
umringt. Dort iſt meines Vaters Schlaf-
zimmer, er hat noch Licht. Hier wohnt die
Großmutter, die ſingt gewiß noch ihr Abend-
lied. Da gegenuͤber der Oheim, der blaͤttert
noch in ſeinen Romanen; und oben im Dach-
ſtuͤbchen Herr Sperling, macht wohl gar noch
ein Sonnet auf mich. Ferner wird es nicht
lange waͤhren, ſo koͤmmt der Nachtwaͤchter
mit dem Horn und der Feuerwaͤchter mit der
Schnarre.


Olm.

Allerliebſt. Vermuthlich wird auch
die Laterne da bald angeſteckt?


Sab.
[137]
Sab.

Nein, das nicht. Wir haben
Mondſchein.


Olm.

Erſt gegen Morgen.


Sab.

Thut nichts. Er ſteht doch im
Kalender, und da befleißigen wir uns einer
weiſen Sparſamkeit.


Olm.

Freylich, bey dem herrlichen Stein-
pflaſter —


Sab.

Spotten Sie nicht, und ſeyn Sie
froh, daß Sie mit einer geſchundnen Naſe
davon gekommen ſind.


Olm.

Aber, liebes Maͤdgen, auf meinem
Zimmer waͤren wir ja weit ruhiger, weit un-
geſtoͤrter geweſen?


Sab.

Meinen Sie? o ja. Schade nur,
daß es in Kraͤhwinkel nicht Sitte iſt, daß die
jungen Maͤdgen zu ihren Liebhabern auf die
Stube gehn. Hier auf der Straße befinde
ich mich gleichſam in der Obhut aller meiner
Verwandten.


Olm.

Und koͤnnen im Nothfall den
Nachtwaͤchter zu Huͤlfe rufen.


Sab.
[138]
Sab.

Allerdings mein Herr.


Olm.

Ich haͤtte geglaubt als meine
Braut —


Sab.

Das bin ich noch nicht, und wenn
Sie fortfahren ſich ſo albern aufzufuͤhren, ſo
duͤrfte ichs auch wohl ſchwerlich jemals wer-
den.


Olm.

Albern? wie ſo?


Sab.

Welcher Satan hat Ihnen einge-
geben, meine Großmutter Madam zu nen-
nen? Sie iſt Frau Unterſteuereinnehmerin,
merken Sie ſich das.


Olm.

Nun ja, morgen ſoll ſie es wenig-
ſtens dreyhundertmal hoͤren.


Sab.

Je mehr je beſſer. Und warum
aßen ſie denn dieſen Abend keinen Biſſen?


Olm.

Weil ich ſatt war.


Sab.

Gleichviel. Das iſt ein ſchlechter
Liebhaber, der ſeinem Maͤdgen zu Liebe nicht
einmal einer Indigeſtion Trotz bietet.


Olm.

Gut, ich will eſſen, wie der be-
ruͤhmte Paul Butterbrod.


Sab.
[139]
Sab.

Und warum gaͤhnten Sie immer
als mein Vater den langen Proceß erzaͤhlte?


Olm.

Eben weil er ſo lang war.


Sab.

Hilft nichts. Muß ruhig und
aufmerkſam angehoͤrt werden.


Olm.

Aufmerkſam? wenn Sie mir [ge-
genuͤber]
ſitzen?


Sab.

Konnten Sie doch, mir gegenuͤber,
recht ſtattlich gaͤhnen. Und waren Sie denn
ganz raſend, als mein Oheim ſeine Leſebiblio-
thek auskramte, zu ſagen, es ſey lauter
Schofel?


Olm.

Ja, es iſt ja lauter Schofel, nichts
als Raͤuber, Banditen, romantiſche Dichtun-
gen und fromme Almanache.


Sab.

Was geht das Sie an! Wir
glauben nun einmal Geſchmack zu beſitzen.
Wir ſind erhaben uͤber die gemeine Menſchen-
natur. Wir leſen Wieland und Engel nicht
mehr.


Olm.

Nun wohl, morgen will ich die
Kraftgenies loben, noch aͤrger als ſie ſich ſelbſt.


Sab.
[140]
Sab.

Das moͤgte Ihnen ſchwer werden,
aber verſuchen Sie es.


Olm.

Um Ihren Beſitz wag’ ich das
Schwerſte.


Sab.

Mit alle dem werden Sie doch
noch nicht zum Ziele gelangen. Es fehlt Ih-
nen noch ein Haupterforderniß.


Olm.

Das waͤre?


Sab.

Ein Titel, lieber Freund, ein Ti-
tel! Ohne Titel kommen Sie in Kraͤhwinkel
nicht fort. Ein Stuͤck gepraͤgtes Leder gilt
hier mehr als ungepraͤgtes Gold. Ein Titel
iſt hier die Handhabe des Menſchen, ohne
Titel weiß man gar nicht, wie man ihn an-
faſſen ſoll. Hier wird nicht gefragt: hat er
Kenntniſſe? Verdienſte? ſondern, wie titulirt
man ihn? Wer nicht 12 bis 15 Sylben
vor ſeinen Namen ſetzen kann, der darf nicht
mit reden, wenn er es auch zehnmal beſſer
verſtuͤnde. Die Titel nehmen wir mit zu
Bette und zu Grabe, ja, wir naͤhren eine
leiſe Hoffnung, daß einſt an jenem Tage noch
manches
[141] manches Titelgen aus der lezten Poſaune er-
ſchallen werde. Kurz, mein ſchoͤner Herr,
ohne Titel bekommen Sie mich nicht. Meine
Großmutter wird es nimmermehr zugeben,
daß der Prediger beym feyerlichen Aufgebot
nichts weiter zu ſagen haben ſolle, als: der
Braͤutigam iſt Herr Karl Olmers.


Olm.

Wie aber, wenn ich mir ſchon ein
ganz feines Titelgen verſchafft haͤtte?


Sab.

Haben Sie? nun dann ſind wir
ja uͤber alle Berge. Warum ſagten Sie das
nicht gleich?


Olm.

Ich wußte ja nicht —


Sab.

Ey das haͤtten Sie wiſſen ſollen
und muͤſſen. Glauben Sie denn, die Titel-
peſt graſſire nur hier zu Lande? C’est par
tout comme chez nous
. — Stille! ich hoͤ-
re ein Geraͤuſch. Es iſt Sperlings Dachfen-
ſterlein. Er wird uns doch nicht belauſcht
haben?


Dritte
[142]

Dritte Scene.


Sperling am Fenſter. Vorige.

Sperl.

Holla! Holla! thu auf mein Kind!

Schlaͤfſt Liebgen, oder wachſt du?

Wie biſt noch gegen mich geſinnt?

Und weineſt oder lachſt du?

Sab.
(leiſe)

Das iſt wohl gar eine
Apoſtrophe an mich?


Sperl.

Dort ſind die lieben Fenſterlein,
hinter welchen die Holde weilt. Alles dunkel
und finſter. Vielleicht haben die ſieghaften
Aeuglein ſich bereits geſchloſſen.


Sab.

Hoͤren Sie mein Herr? ſieghaft.


Olm.

Er ſagt mir nichts neues.


Sperl.

Zarte Melodien ſollen der Keu-
ſchen Schlummer umgaukeln.

(er ſtimmt eine
Violine.)

Sab.
[143]
Sab.

O weh! das iſt wohl gar auf eine
Serenade angeſehn. Der Menſch iſt im
Stande, die ganze Nachbarſchaft aus dem
Schlafe zu kratzen.


Olm.

Hohl’ ihn der Teufel!


Sperl.
(ſpielt und ſingt)

Trallyrum larum hoͤre mich,

Trallyrum larum Leyer —

Sab.
(Die ſich umgeſehen hat, ſpricht waͤhrend
des Geſanges)

Nun ja, das fehlte noch. Da
koͤmmt der Nachtwaͤchter. Geſchwind hinter
den Laternenpfahl.

(ſie verbergen ſich beyde ſo
gut ſie koͤnnen.)

Vierte
[144]

Vierte Scene.


Der Nachtwaͤchter. Die Vorigen.

Nachtw.
(ſtoͤßt ins Horn)

Hoͤrt ihr
Herren —


Sperl.
(herunter ſchreyend)

Unverſchaͤmter
Menſch! hoͤrt er nicht daß ich muſicire?


Nachtw.

Ey was kuͤmmert das mich!
wenn der Herr die Stunden ſelber abſingen
will, ſo komm’ er herunter.

(Er ſingt)

Hoͤrt
ihr Herren und laßt euch ſagen —


Sperl.
(zugleich ſpielt und ſingt)

Trallyrum
larum das bin ich —


Fuͤnfte
[145]

Fuͤnfte Scene.


Frau Staar am Fenſter. Vorige.

Fr. St.
(ſingt zugleich)

Nun ruhen —


(ruft)

Mein Gott! welch ein Laͤrm!

(ſingt)

alle Waͤlder!


Nachtw.
(zugleich)

Die Glocke hat Neu-
ne geſchlagen!


Sperl.
(zugleich)

Herzliebchen dein Ge-
treuer!


Fr. St.

Man kann ja ſein eignes Wort
nicht hoͤren!


Sperl.

Der verfluchte Nachtwaͤchter!


Nachtw.

Na, na, ich bin ſchon fertig.


(ab.)

KSechſte
[146]

Sechſte Scene.


Herr Staar am Fenſter. Vorige.

Hr. St.
(uͤber ſich ſchauend)

Herr Nach-
bar da oben, krakeelen Sie nicht ſo. Das
liebe Vieh wird ſogar unruhig im Stalle.


Fr. St.

Und die Menſchen werden in
der Andacht geſtoͤrt.


Sperl.

Ich wollte nur meiner Braut
ein Staͤndgen bringen.


Fr. St.

Ey die ſchlaͤft ſchon lange.


(Sie macht das Fenſter zu, indem man noch in der
Ferne die lezten Toͤne ihres Abendlieds verhallen hoͤrt.)

Hr. St.

Wir haben heute einmal recht
geſchwaͤrmt. Die Uhr iſt gleich Zehne.


Sperl.

Wer iſt Schuld daran, als der
Arantuͤrier aus der Reſidenz?


Sab.
(zu Olmers)

Das ſind Sie.


Hr. St.
[147]
Hr. St.

Und die Jungfer Naſeweiß, der
ſonſt immer ſchon um 8 Uhr die Augen zu-
fallen.


Olm.
(zu Sab.)

Das ſind Sie.


Sperl.

Faſt kam es mir vor, als haͤtte
ſie kein Auge von dem Landſtreicher ver-
wandt.


Sab.
(zu Olm.)

Das ſind Sie.


Hr. St.

Leider! prahlen koͤnnen wir
wohl mit Sittſamkeit —


Olm.

Das geht auf Sie.


Sperl.

Und doch ertragen wir fremde
Unverſchaͤmtheit.


Sab.

Das geht auf Sie.


Hr. St.

Die Jungfer Nichte bildet ſich
viel auf ihr Laͤrvgen ein.


Olm.

Merken Sie ſich das.


Sperl.

Und der Herr Olmers auf ſeine
philoſophiſchen Floſkeln.


Sab.

Schreiben Sie das in Ihr Ge-
daͤchtniß.


K 2Hr. St.
[148]
Hr. St.

Morgen muß das Ding ein
Ende nehmen.


Sab.

Mit Gottes Huͤlfe.


Sperl.

Morgen iſt Verlobung.


Olm.

Zwiſchen uns.


Hr. St.

Schlafen Sie wohl Herr Bau-
Berg- und Weginſpectors-Subſtitut.


Sperl.

Angenehme Ruh Herr Vicekir-
chenvorſteher.

(Beyde hinein.)

Siebente Scene.


Olmers und Sabine.

Olm.

Endlich ſind ſie fort!


Sab.

Aber nun muͤſſen auch wir hinein.


Olm.

Nicht doch, der Abend iſt ſo ſchoͤn,
ſo lau. Noch ein Spaziergang vor das Thor.


Sab.

Sind Sie toll? warum nicht lie-
ber gar in Ihren Steinbruch?


Olm.

Oder doch durch die Straßen.


Sab.
[149]
Sab.

Eben ſo wenig. Da ſieht man
was ein Maͤdgen wagt, wenn es nur einen
Finger breit vom Wohlſtande weicht. Weil
ich vor die Hausthuͤr mich locken ließ. ſo
meint der Herr nun gleich, er duͤrfe mit mir
luſtwandeln in die weite Welt.


Olm.

Ein harmloſer Spaziergang —


Sab.

Ein froͤhlicher Gang durchs Leben
an Ihrer Hand, aber kein ſolcher Spazier-
gang vor der Hochzeit. Drum gute Nacht.
Morgen ruͤcken Sie nur fein fruͤh mit dem
Titel heraus, und befolgen meine uͤbrigen
Vorſchriften puͤnctlich.


Olm.

Gute Nacht, treffliches Maͤdgen!
Ein Kuß wird mir doch nicht verweigert?


Sab.

Ein Haͤndedruck iſt ſchon mehr als
zu viel. Gute Nacht. — O weh! da ſehe
ich eine Laterne eilig auf uns zukommen. Es
iſt der blinde Rathsdiener, wo ich nicht irre.
Geſchwind noch Einmal Verſteckens geſpielt.


(Sie treten wieder hinter den Laternenpfahl.)

Achte
[[150]]

Achte Scene.


Klaus der Rathsdiener, mit einer Blendlaterne.
Vorige.

Klaus.
(außer Athem)

Uf! ich armer, ich
geſchlagener Mann! das bringt mich um das
Leben! o weh! o weh! wenn es mich nur
nicht gar um den Dienſt bringt. Aber was
hilfts? der Buͤrgermeiſter muß es wiſſen —
noch in dieſer Nacht — vielleicht laͤßt er
Sturm laͤuten.

(er klopft an das Haus)

He!
holla! he!


Buͤrg.
(inwendig)

Wer klopft denn noch
ſo ſpaͤt?


Kl.

Aufgemacht! der Staat iſt in Ge-
fahr!


Buͤrg.
(am Fenſter)

Klaus? ſeyd ihr es?
was wollt ihr?


Kl.

Ach geſtrenger Herr Buͤrgermeiſter!
ich bin des Todes!


Buͤrg.
[151]
Buͤrg.

Was geht denn vor?


Kl.

Die Delinquentin —


Buͤrg.

Nun?


Kl.

Sie iſt zum Teufel!


Buͤrg.

Was?


Kl.

Fort iſt ſie uͤber alle Berge!


Buͤrg.

Das wolle Gott verhuͤten!


Kl.

Meine Ehre! meine Reputation!
meine Sporteln! ich ſtuͤrze mich in den Teich!


Buͤrg.

Stille nur Klaus! ſtille! die
Sache muß verſchwiegen tractrirt werden.
Wart’ er ein wenig, ich komme hinunter.


(er macht das Fenſter zu)

Kl.

Ich armſelige miſerable Kreatur!
Wer ſoll nun morgen am Pranger ſtehn?
Kein Chriſtenkind in der ganzen Stadt wird
mir aus der Noth helfen.


Neunte
[152]

Neunte Scene.


Buͤrgermeiſter im brocatnen Schlafrock. Vo-
rige
.

Buͤrg.

Nun Klaus? man referire den
Zuſammenhang der ſch[r]ecklichen Begebenheit.


Kl.

Ew. Geſtrengen wiſſen doch, daß ich
der Delinquentin alle Abend ein halbes Pfund
Brod, und einen Krug Waſſer aus dem
Stadtgraben bringen mußte? nun, das ge-
ſchah auch heute. Sie war luſtig und guter
Dinge Die Handſchellen ſaßen feſt. Ihr
gutes Bett von altem weichen Stroh war
aufgeſchuͤttelt. Ich wuͤnſche ihr Gluͤck zu ih-
rem morgenden Ehrentage, ſchließe zu, ver-
riegle, gehe zu Bett. Vor einer Stunde ſtoͤßt
mich meine Frau mit dem ſpitzen Ellenbogen
in die Seite, und ſpricht: hoͤr’ einmal wie
oben die Katzen laͤrmen. Was Katzen! ruf’
ich
[153] ich bedenklich: denen iſt laͤngſt verboten auf
dem Rathhaufe zu erſcheinen, ſeitdem, zur
hoͤchſten Ungebuͤhr, einſt eine Katze den Stuhl
des Herrn Buͤrgermeiſters zum Wochenbette
erkohren.


Buͤrg.

Nur weiter.


Kl.

Ich horche — ich lauſche — ich
muthmaße — ich verwundre mich — das
mag wohl ſo eine halbe Stunde gedauert
haben —


Buͤrg.

Viel zu lange!


Kl.

Endlich ſammle ich meine Lebensgei-
ſter. Ich ſtehe auf, zuͤnde mein Laterngen
an, ſchleiche hinauf, riegle los, ſtecke den Kopf
hinein — ruͤhrt mich der Schlag auf der
Stelle! das Neſt leer — der Vogel ausge-
flogen!


Buͤrg.

Mit Satans Huͤlſe?


Kl.

Wie ſonſt? Die Handſchellen hat
ſie abgeſtreift, die Wand durchbrochen, iſt in
meine Schinkenkammer geſtiegen, hat einen
Schin-
[154] Schinken und drey Wuͤrſte aufgepackt, und
fort iſt ſie!


Buͤrg.

Eine Hexe! ſie muß verbrannt
werden! ich mache einen Bericht an die
Kammer — der Oberfoͤrſter muß herrſchaftli-
ches Holz zum Scheiterhaufen liefern.


Kl.

Ja wenn wir ſie nur erſt wieder
haͤtten!


Buͤrg.

Verdammter Streich[!] Neun
Jahre lang hab’ ich es mir ſauer werden laſ-
ſen, zu der Hoͤhe eines Stockwerks ſind die
Acten angewachſen,

(mit Pathos)

morgen er-
ſchien endlich der große Tag, an dem ich die
Fruͤchte meines Fleißes erndten ſollte — ſchon
harrt ganz Kraͤhwinkel der feyerlichen Stunde
entgegen — ſchon winkt der Pranger zu Ehr’
und Ruhm des Hochweiſen Stadtrathes —
und ſiehe, zerplatzt ſind meine ſtolzen Hoff-
nungen wie die Seifenblaſen der Gaſſen-
buben!


Kl.

Meine Reputation! meine Sporteln!
mein Schinken!


Buͤrg.
[155]
Buͤrg.

Iſt denn keine Spur zu entdek-
ken, ob vielleicht eine verruchte Hand zu der
Flucht befoͤrderlich geweſen?


Kl.

Der Satan, ſonſt keine Chri-
ſtenſeele. Das Weib iſt im letzten Kriege als
Marketenderin mit in Lothringen geweſen,
da hat ſie den Teufel kennen lernen. Eine
abgefeimte Kreatur! Die Worte wußte ſie zu
ſetzen wie eine Edelfrau, und leſen that ſie
den ganzen Tag. Ein paar Buͤcher lagen
auch noch auf dem Tiſche, und ein ſchmutzi-
ger Zettel. Ich kann nicht leſen.


Buͤrg.

Her mit dem Zettel!

(er lieſt
beym Licht der Laterne)

„Ein Hochweiſer Rath
wird verzeihen, daß ich ihm den morgenden
Spaß verderbe —“ Spaß? es war nichts
weniger als Spaß.


Kl.

Haͤtten wir dich nur wieder! wir
wollten dich beſpaßen.


Buͤrg.
(lieſt)

„Die Zeit wurde mir end-
lich gar zu lang. Ich hatte Luſt friſche Luft
zu
[156] zu ſchoͤpfen —“ Haͤtte ſie denn nicht war-
ten koͤnnen, bis ſie am Pranger ſtand?


Kl.

Undankbares Menſch! Neun Jahr
iſt ſie gefuͤttert worden.


Buͤrg.
(lieſt)

„Dem Herrn Vicekirchen-
vorſteher verdank’ ich meine Befreyung“ —
Wie! was! mein Bruder? iſt er [raſend]?


Kl.

Gott ſey Dank, ſo halten wir uns
an den.


Buͤrg.
(lieſi)

„Er hat die Guͤte gehabt,
mir manch ſchoͤnes Buch aus ſeiner Leſebiblio-
thek zu leihen“ — Das hat ihm der Teufel
geheißen! —

(lieſi)

„unter andern Trenks
Leben und Flucht aus dem Gefaͤngniſſe.“ —
ich wollte er ſaͤße ſelbſt darin! —

(lieſt)

„Aus dieſem Buche hab’ ich gelernt, durch
Muth, Geduld und Geſchicklichkeit meine
Flucht vorzubereiten. Der Augenblick iſt ge-
kommen — ich fliehe! —“


Kl.

Das iſt nicht wahr, ſie iſt ſchon
fort.


Buͤrg.
[157]
Buͤrg.
(lieſt)

„Dem geſtrengen Herrn
Buͤrgermeiſter danke ich fuͤr ſein verſchimmel-
tes Brod —“ — Dummer Schnack! ich ſoll
ihr wohl Kuchen ſchicken? —

(lieſt)

„dem
Herrn Rathsdiener Klaus fuͤr ſeln ſchlammig-
tes Waſſer —“


Kl.

Es iſt erlogen! der Stadtgraben hat
unterirdiſche Quellen.


Buͤrg.
(lieſt)

„Saͤmtlichen Einwohnern
von Kraͤhwinkel empfehle ich mein Andenken.
Ich bereue von Herzen, vor 9 Jahren die
Kuh geſtohlen zu haben, denn ſie war ſehr
mager.“


Kl.

Der Umſtand iſt richtig.


Buͤrg.
(lieſt)

„Der Himmel ſegne da-
fuͤr den Herrn Buͤrgermeiſter mit Fett, und
laſſe ihm auch den morgenden Feſtbraten ge-
deihen. Eva Schnurrwinkel.“ — O du ver-
maledeyte Eva!


Kl.

Du Schlange!


Buͤrg.

Du Baſilisk! Wie werden nun
die Rummelsburger frohlocken! meine Ehre!
der
[158] der Ruhm der Stadt Kraͤhwinkel! Alles ver-
lohren! — Hoͤrt Klaus! wißt ihr keinen un-
ter unſerer getreuen Buͤrgerſchaft, der aus
Patriotismus, und um der Ehre willen —
man koͤnnt’ ihm ja eine Larve vorbinden.


Kl.

Es thuts keiner, geſtrenger Herr
Buͤrgermeiſter. Zuſehen wollen ſie Alle; aber
wenn Einer ſelber hintreten ſoll, zum Wohl
des Staats, ja, da iſt Niemand zu Hauſe.


Buͤrg.

Wehe! wehe! — und — mein
Bruder! mein verdammter Bruder! der ſchlaͤft
quaſi re bene geſta.

(Er trommelt an des Bru-
ders Haus)

He da da! holla! he da!


Hr. St.
(am Fenſter)

Tauſend Sapper-
ment! wer klopft ſo ſpaͤt? Packt euch fort!
ich verkaufe nach 10 Uhr keinen Kaffee mehr.


(ſchlaͤgt das Fenſter zu.)

Buͤrg.

Nun hoͤre mir Einer den Maul-
affen! ich, Buͤrgermeiſter auch Oberaͤlteſter,
komme zum Gewuͤrzkraͤmer um ein Loth Kaf-
fee,

(klopft wieder)

he da! holla!


Hr. St.
[159]
Hr. St.
(am Fenſter)

Wenn ihr nicht
bald geht, ſo laſſ’ ich die Polizey aus dem
Erſten Schlafe wecken.


Buͤrg.

Sey der Herr Bruder nur ſel-
ber froh, wenn ſie fortſchlaͤft.


Hr. St.

Sieh da! iſts der Herr Bru-
der? was bringt denn der ſo ſpaͤt?


Buͤrg.

Eine Hiobspoſt. Komme der
Herr Bruder nur herunter.


Hr. St.

Ey, ey, es brennt doch nicht?


Buͤrg.

Wollte Gott die halbe Stadt
waͤre lieber abgebrannt, und des Herrn Bru-
ders Haus vor allen.


Hr. St.

Behuͤte der Himmel! Ich
komme ſchon.

(Er macht das Fenſter zu.)

Buͤrg.

Komm nur, komm nur. Eine
ehrſame Buͤrgerſchaft hat ſich auf den mor-
genden Tag ſo gefreut; haben ſich neue Roͤcke
machen laſſen und fette Schweine geſchlach-
tet. Wenn ſie hoͤren, daß durch ſeine Schuld
nichts paſſirt, ſo ſind ſie capabel ihm das
Haus
[160] Haus zu ſtuͤrmen, und ſeine ganze Leſebiblio-
thek an den P[r]anger zu nageln.


Kl.

Deſto beſſer. Sie beſteht ſo aus
lauter Raubgeſindel.


Zehnte Scene.


Herr Staar im Nachthabit. Vorige.

Hr. St.

Nun? was giebt es denn?


Buͤrg.

Schoͤne Dinge hat der Herr
Bruder angerichtet, koſtbare Dinge.


Hr. St.

Wer? ich?


Buͤrg.

Mit ſeinen verdammten Buͤ-
chern!


Hr. St.

Verdammt? ſie haben Alle die
Cenſur paſſirt.


Buͤrg.

Wer hat dem Herrn Bruder
von Obrigkeitswegen erlaubt, einer Delin-
quentin die Zeit zu vertreiben?


Hr. St.

Du lieber Gott! es will ja
doch heutzutage Alles leſen. Delinquenten
haben
[161] haben ſo gut Langeweile als vornehme Leute.
Aus Barmherzigkeit hab’ ich ihr dann und
wann einen Banditen oder ſo ein Ungethuͤm
zugeſteckt.


Buͤrg.

Vortrefflich!


Hr. St.

Auch wohl ein neues geiſtliches
Lied nach Jacob Boͤhm, da hat ſie ſich er-
baut.


Buͤrg.

Eine herrliche Erbauung! Zum
Teufel iſt ſie gegangen.


Hr. St.

Was?


Buͤrg.

Durch die Mauer hat ſie ge-
brochen.


Kl.

Meine Schinken hat ſie geſtohlen.


Buͤrg.

Und bedankt ſich bey dem Herrn
Bruder.


Hr. St.

Bey mir?


Buͤrg.

Da! da! nehme der Herr Bru-
der die Laterne und leſe.


Hr. St.
(thut es)

Sperl.
(am Fenſter)

Was murmelt?
was fluͤſtert? was brummt? was ziſchelt?


LBuͤrg.
[162]
Buͤrg.
(der Sperling gewahr wird)

Da ha-
ben wirs! Alle Narren in ganz Kraͤhwinkel
werden noch aufwachen.


Sperl.

Was ſeh’ ich? was hoͤr’ ich?
was vermuth’ ich?


Buͤrg.

Iſt der Herr flink auf den Bei-
nen, ſo komm’ Er herunter, und ſetze ihr
nach.


Sperl.

Iſt meine Braut davon gelau-
fen? ich komme auf den Fluͤgeln des Sturm-
winds.

(er ſchlaͤgt das Fenſter zu)

Buͤrg.
(zu Staar)

Nun? wie ſchmeckt
es?


Hr. St.

Der Herr Bruder ſieht mich
voller Erſtaunen —


Buͤrg.

Was hilft mich das? ich kann
ſein Erſtaunen nicht an den Pranger ſtellen.


Eilfte
[163]

Eilfte Scene.


Sperling im Nachthabit. Vorige.

Sperl.

Da bin ich! da bin ich! wer
hat ſie entfuͤhrt?


Buͤrg.

Der Satan!


Sperl.

Ich merke ſchon, weiß ſchon,
verſtehe ſchon; der Satan heißt Olmers.


Buͤrg.

Iſt der Herr verruͤckt? wer redt
denn von meiner Tochter? Die Delinquen-
tin iſt fort.


Sperl.

Die Delinquentin?!


Kl.

Sammt Schinken und Wuͤrſten.


Buͤrg.

Der Herr Bruder hat ihr durch-
geholfen.


Hr. St.

Sie hat den Trenk geleſen.


Sperl.

All’ ihr himmliſchen Maͤchte!
was hoͤr’ ich! was vernehm’ ich! Morgen
kein Feſt! kein Pranger! keine Verlobung! —
L 2Was
[164] Was ſoll nun werden aus meinen Kunſtwer-
ken?! ein Sonnett hab’ ich gedichtet auf die
Delinquentin! ein Triolett auf den Galgen,
den dreybeinigten! —


Buͤrg.

Ich wollte, daß ihr Alle daran
hienget.


Hr. St.

Was iſt anzufangen?


Buͤrg.

Ja da ſtehn wir nun wie eine
Heerde Ochſen am Berge.


Sperl.

So ein unterbrochenes Opferfeſt!


Hr. St.

Die Rummelsburger lachen
ſich tod.


Buͤrg.

Das iſt das wenigſte. Aber was
wird man in der Reſidenz dazu ſagen?


Hr. St.

Keine Ordnung wird es heißen.


Buͤrg.

Keine Vorſicht, keine Wachſam-
keit.


Hr. St.

Der Miniſter wird außer ſich
ſeyn.


Buͤrg.

Der Koͤnig in Zorn gerathen.


Hr. St.

Der Herr Bruder wird ab-
geſetzt.


Buͤrg.
[165]
Buͤrg.

Und der Herr Bruder koͤmmt
ins Zuchthaus.


Hr. St.

O weh! o weh!


Buͤrg.

Dreymal weh!


Hr. St.

Man muß Sturm laͤuten! ihr
nachſetzen!


Buͤrg.

Es iſt ja ſtockfinſtre Nacht.


Hr. St.

Befehle der Herr Bruder, daß
die Laternen angezuͤndet werden, gleich auf
der Stelle.


Buͤrg.

Es ſteht ja Mondſchein im Ka-
lender.


Hr. St.

Wenn gleich! es gilt des Staa-
tes Wohlfahrt! ich liefre das Oel. Herr
Klaus hieher! hier vor meinem Hauſe mach’
er den Anfang.


Kl.

Herzlich gern, wenn ich nur meine
Schinken dadurch zu ſehen bekaͤme.

(indem er
die Laterne anzuͤnden will, erblickt er die Verſteckten,
und ſchreyt)

Ah! die Delinquentin! da ſteht
ſie leibhaftig!


Alle.

Wie! was!


Kl.
[166]
Kl.

Und der Satan neben ihr!


Buͤrg.

Hervor! hervor! du gottloſe
Kreatur!


Kl.
(Sabinen beym Arm faſſend)

Wo ſind
meine Wuͤrſte?


Sab.
(knieend)

Ach mein Vater!


Buͤrg und Hr. St.

Was? Sabine?


Sperl.

Die [Jungfer] Braut?


Kl.

Ein ſataniſches Blendwerk.


Olm.
(hervortretend)

Herr Buͤrgermei-
ſter —


Buͤrg und Hr. St.

Und unſer Gaſt?


Sperl.

Hab’ ichs nicht geſagt?


Buͤrg.

Wie koͤmmſt du hieher? Was
machen Sie hier?


Sab.

Morgen, mein Vater, ſollen Sie
Alles wiſſen. Der Zufall hat uns uͤberraſcht.
Ich liebe Olmers. Ich verabſcheue Sperling.


Sperl.

Barbarin!


Sab.

Olmers hat Vermoͤgen, hat einen
Titel, iſt ein Schulfreund des Miniſters —

[...]
[167]
Olm.

Und wuͤrde ſich gluͤcklich ſchaͤtzen,
die unangenehme Begebenheit, von der er ſo
eben Zeuge geweſen, bey Hofe zu vermitteln.
Denn es iſt nicht zu leugnen, die Sache iſt
ſehr ſchlimm und bedenklich.


Buͤrg.
(aͤngſtlich)

Meinen Sie in der
That?


Hr. St.
(eben ſo)

Was ſtuͤnde zu er-
warten?


Olm.

Sie, Herr Buͤrgermeiſter, wuͤrden
caſſirt.


Buͤrg.
(ſehr erſchrocken)

Wirklich?


Olm.

Und Sie, Herr Vicekirchenvorſte-
her, wuͤrden eingeſperrt.


Hr. St.

Ohne Gnade?


Olm.

Aber ich nehme Alles auf mich,
und ſtehe fuͤr den guten Erfolg.


Buͤrg.

Wenn Sie das koͤnnten —


Hr. St.

Der Herr Bruder muß auch
bedenken, daß das Maͤdgen in unſrer Stadt
ohnehin zum Geſpoͤtte werden wird. Mitten
in
[168] in der Nacht, auf offner Straße, mit einem
jungen Burſchen — es nimmt ſie keiner
mehr.


Sperl.

Ich wenigſtens nehme ſie
nicht.


Buͤrg.

Ja wenn ich auch wollte, von
wegen der bedenklichen Aſpecten — aber die
Großmutter —


Sab.

Er hat einen Titel.


Buͤrg.

Hat er wirklich?


Fr. St.
(am Fenſter)

Sind denn die boͤ-
ſen Geiſter dieſe Nacht Alle los? was wird
da unten vor Spuck getrieben?


Buͤrg.

Eben recht. Komme doch die
Frau Mutter ein wenig herunter. Wir wol-
len Verlobung feyern.


Fr. St.

Auf der Straße? unter freyem
Himmel? bey Nacht und Nebel? Das waͤre
mir eben recht.

(ſchlaͤgt das [Fenſter] zu)

Buͤrg.
(zu Olmers)

Das ſage ich dem
Herrn, die Sache mit der Delinquentin muß
beygelegt
[169] beygelegt werden, ehe iſt an keine Hochzeit zu
denken.


Olm.

Ich ſtehe fuͤr Alles.


Zwoͤlfte Scene.


Frau Staar im Nachthabit. Vorige.

Fr. St.

Nun? Herr Bau- Berg- und
Weginſpectors-Subſtitut, was ſind das ein-
mal wieder fuͤr Romanſtreiche?


Sperl.

Ey von mir iſt gar nicht die
Rede.


Buͤrg.

Herr Olmers will Sabingen
heirathen, und Sabingen will ihn.


Fr. St.

Und deshalb verirt man mich
aus dem Bette? Hab ich denn nicht meine
Meinung ſchon rund und deutlich an den
Tag gelegt? nein, daraus wird nichts.


Hr. St.

Aber es hat ſich allerley zuge-
tragen —


Fr. St.
[170]
Fr. St.

Was kuͤmmerts mich?


Buͤrg.

Der Herr kann uns aus einer
großen Verlegenheit helfen.


Fr. St.

Gleichviel.


Hr. St.

Das Maͤdgen hat mit ihm
hinter dem Laternenpfahl geſteckt.


Fr. St.

Deſto ſchlimmer.


Buͤrg.

Sie bekoͤmmt nun doch keinen
Mann.


Fr. St.

So mag Sie als eine ehrſame
Jungfrau ſterben.


Buͤrg.

Der Herr hat Geld —


Fr. St.

Iſt Nummero 2.


Hr. St.

Und Verdienſte —


Fr St.

Iſt Nummero 3.


Buͤrg.

Er hat auch einen ſeinen
Titel.


Fr. St.

Einen Titel? wie? was hat er
denn fuͤr einen Titel?


Olm.
(zieht ſein Taſchenbuch hervor)

Wenn
die Frau Unterſteuereinnehmerin die Guͤte
haben
[171] haben wollen, einen Blick auf dieſes Papier
zu werfen, ſo ſchmeichle ich mir, die Frau
Unterſteuereinnehmerin werden, nach den be-
kannten edlen Geſinnungen, welche die ganze
Welt an der Frau Unterſteuereinnehmerin
ruͤhmt —


Fr. St.
(beſaͤnftigt)

Nun, nun, der
Herr iſt ein hoͤflicher Herr, das muß man
ihm laſſen. Was iſt es denn fuͤr ein Ti-
telgen?


Olm.

Geheimde-Commiſſionsrath.


Fr. St.
(erſtaunt)

Rath!


Hr. St.
(eben ſo)

Commiſſionsrath!


Buͤrg.
(eben ſo)

Geheimde-Commiſ-
ßonsrath!


Fr. St.

Ey ey, das veraͤndert allerdings
die Sache. Etwas Geheimes haben wir
in unſerer Familie noch nicht gehabt. Ja
wenn dem ſo iſt, und der Herr Geheimde-
Commiſſionsrath unſerm Hauſe die Ehre er-
zeigen wollen —


Olm.
[172]
Olm.

Mein Gluͤck ruht ganz in den
Haͤnden der Frau Unterſteuereinnehmerin.


Fr. St.

Der Herr Geheimde-Commiſ-
ſionsrath duͤrfen auf mich zaͤhlen.


Olm.

Die Frau Unterſteuereinnehmerin
ſind die Guͤte ſelbſt.


Fr. St.

Und der Herr Geheimde-Com-
miſſionsrath ein Muſter von guter Lebens-
art.


Buͤrg.

Nun wohlan, Kinder, kommt
herein, daß wir ſogleich einen Contract und
einen Steckbrief aufſetzen.


Hr. St.

Topp! wir wollen Punſch ma-
chen. Ich hol’ euch Citronen.

(ab in ſein
Haus.)

Olm.

Darf ich die Ehre haben, der
Frau Unterſteuereinnehmerin die Hand zu
bieten?


Fr. St.

Der Herr Geheimde-Commiſ-
ſionsrath finden jederzeit an mir eine bereit-
willige Dienerin.

(Olmers fuͤhrt ſie in das Haus.)

Buͤrg.
[173]
Buͤrg.
(zu Sperling)

Nehme mirs der
Herr nicht uͤbel. Wenn das Vaterland in der
Klemme iſt, da muß ein guter Patriot allen-
falls ſeine Tochter dem Moloch opfern.


(ab.)

Sperl.

Gehorſamer Diener!


Sab.
(zu Sperling)

Herr Bau-Berg-
und Weginſpectors-Subſtitut, ich bitte um
ein Hochzeitgedicht.

(ſie verneigt ſich tief, und geht
in das Haus.)

Sperl.

Warte nur! eine Ehrenpforte
will ich dir ſchreiben! ein Kunſtwerk!


Klaus.

Wer weiß hinter welchem Zau-
ne das Weib jetzt ſitzt und an meinen Wuͤr-
ſten ſchmaußt.


Sperl.

Herr Klaus, komm’ er hinauf
zu mir. Ich will ihm mein Triolett auf den
Galgen vorleſen.


Klaus.

Ey, ich habe den Teufel von
Ihrem Trio! ſchaffen Sie mir meine Schin-
ken!

(er geht fort.)

Sperl.
[174]
Sperl.
(allein)

Ganz umſonſt kann ich
es doch nicht geſchrieben haben. — Wenn
nur der Nachtwaͤchter kaͤme. —

(Zu dem Pu-
blikum mit ſuͤßer Hoͤflichkeit)

Iſt denn keiner, der
ſich herauf bemuͤhen moͤgte, mein Triolett zu
hoͤren?


(Der Vorhang faͤllt.)

Ende.
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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Kotzebue, August von. Die deutschen Kleinstädter. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn88.0