[][][][][][][[I]]
Erſte Abtheilung:

Die Poeten.


Erſter Band.

[[II]][[III]]
Das junge Europa.


Novelle


 
Erſter Band.


Leipzig: ,1833.
BeiOtto Wigand.

[[IV]][[V]]

Inhalt.


  • Seite
  • 1. Conſtantin an Valerius  3
    Conſtantin an Hyppolit  5
  • 2. Conſtantin an Valerius  12
    Conſtantin an Hyppolit  14
  • 3. Conſtantin an Hyppolit  22
  • 4. Valerius an William  28
    William an Valerius  30
    Valerius an William  35
  • 5. Leopold an Valerius  42
  • 6. Conſtantin an Valerius  49
  • 7. Valerius an Conſtantin  52
  • 8. Conſtantin an Valerius  71
  • 9. Camilla an Julia  75
  • 10. Conſtantin an Valerius  89
  • 11. Hyppolit an Conſtantin  95
  • Seite
  • 12. Conſtantin an Hyppolit  106
  • 13. Hyppolit an Conſtantin  113
  • 14. Camilla an Julia  151
  • 15. Conſtantin an Hyppolit und Valerius  159
  • 16. Julia an Camilla  169
  • 17. Conſtantin an Hyppolit  171
[[3]]

1.
Constantin an Valerius.

Die Sehnſucht, wieder einmal mit Menſchen um¬
zugehen, läßt mich ſchreiben — mit Menſchen, denn
hier giebt es nur Oberpräſidenten, Unterofficiere, Lieu¬
tenants, Regierungsräthe ꝛc. — ſo wenig Ihr — ich
hoffe, Du wirſt mein Sendſchreiben unſerm erlauchten
Kreiſe mittheilen — nach dieſem Eingange von meinem
hieſigen Nichtleben erwarten mögt, ſo fange ich doch
damit an, und gehe erſt ſpäter zu Angenehmerem.


Wenn zur Glückſeligkeit weiter nichts erforderlich
iſt als gutes Eſſen und Trinken, Tabak, Whiſt, Piquet,
Patent-Viſiten, Geſellſchaften, reine Wäſchen nd ein gu¬
tes Bett, ſo bin ich jetzt überaus glücklich. Doch iſt
mir's, als fehlten mir noch einige Kleinigkeiten.


Man lebt hier ein thrakiſches (böotiſch iſt durch
uns nobilitirt) und ſelbſt für mich, der ich doch kein
Koſtverächter bin, tragiſches Leben. Ich lebe wie mit
1 *[4] zugeſchnürter Kehle, und denke an die Poeſie wie an
eine verbotne Frucht. Neben der pupillariſchen Sub¬
ſtitution, der Inteſtat-Erbfolge und der querela inoffi¬
ciosi testamenti geht mir der Bernhard von Weimar
ſporenklirrend im Kopf herum, nur ſeh ich zu viel
Schwierigkeiten, den Mann dramatiſch zu beſiegen. Giebt's
im poetiſchen Vereine viel Neues? Ich habe ſehr wenig
gemacht und bin nur einmal aus dieſem Sibirien nach
Spanien gegangen.


Uhland ſcheint wieder zu erwachen; ich habe ſchon
hin und wieder Kleinigkeiten von ihm geleſen — das
wäre für mich von großer Wichtigkeit, deuu er veredelt
und erhebt mich immer ſehr: mein demokratiſches Trei¬
ben grinſet mich zuweilen ein Wenig an, nur in ihm
iſt es ewig ſchön, ja iſt es das Urſchöne.


Dem Fähndrich Piſtol, meinem lüderlichen Hyppo¬
lit gieb die Beilage, grüß den William und die böoti¬
ichen Brüder und lebe wohl — hörſt Du, lebe wohl! —


A propos, ich verweiſe Dich auf das Abenteuer,
was Du am Schluß des beiliegenden Briefes findeſt;
ich ſehe Dein Stirnrunzeln und Deine drohende Unter¬
lippe und höre des finſtern William grollende Worte:
„Es iſt und bleibt ein rohes Volk.“ — ich hoffe, Du
[5] ſprichſt als ächter Tragöde jeßt nur in Jamben. „Auf
Donnerſtag, mein Graf? — Die Friſt iſt kurz!“ Ade,
du dunkelfarbiger Romeo! —

Constantin an Hyppolit.

Ein Lied nüchtern zu ſingen.


  • 1) Und es war ein Mann zu Bahri, der hieß Se¬
    majah, der blies die Poſaune und ſprach:
  • 2) Was trotzeſt Du alſo und freuſt Dich Deiner Schande?
  • 3) Deine Zunge trachtet nach Schaden, und ſchneidet
    mit Lügen wie ein ſcharfes Scheermeſſer.
  • 4) Du redeſt lieber Böſes denn Gutes, und falſch denn
    recht. Sela.
  • 5) Du redeſt gern Alles, was zum Verderben dient
    mit falſcher Zunge. Sela.
  • 6) Darum wird Dich auch Gott ganz und gar zerſtö¬
    ren nnd aus Deiner Hütte reißen und aus dem
    Lande der Lebendigen Dich ausrotten. Sela.
  • 7) Ich aber werde bleiben wie ein grüner Oelbaum
    im Hauſe Gottes ꝛc.

Ich hoffe mein Hyppolit, Du haſt das ſorgfältig
geleſen, und biſt jetzt in einem geſammelteren Zuſtande.
[6] Ach, Dein Brief duftete wieder ſo kräftig nach Sekt,
daß ich auch ohne die Handſchrift zu kennen, und ohne
Unterſchrift den Autor ſogleich würde errathen haben.
Sage mir, lieber Junge, kommt es wohl noch vor,
daß Du Dich in einer ganz nüchternen Stimmung be¬
findeſt? O pfui! und Du hatteſt doch ſo ſchöne Vor¬
bilder: ich ſah Dich früher oft in Geſellſchaft eines wohl¬
beleibten Mannes mit einem heitern Blick und ſittigen
Betragen, hat der all ſeinen Einfluß auf Dich verloren?
Ich will es nicht hoffen, mein Fähndrich! Der heitere
Mann hat ein kleines Fläſchlein zarten Ausbrnchs vor
ſich ſtehen, er trinkt Dir ein mäßiges Gläschen zu, thu'
ihm Beſcheid und befolg' ſeine Lehren. In Deiner
wilden Unbändigkeit rennſt Du alſo jetzt nach einem
Epos? Wunderlich, als ſtiege die epiſche Luſt aus glei¬
chem Stoff — ich ſuche eben auch. Ich ſehe Dich
des Vormittags bei verhangenen Fenſtern wirthſchaften,
die Helden abſchlachten, und dein wildes Haupt ſtolz
in den Nacken werfen. Ich hoffe wenigſtens, daß Du
aus Dankbarkeit teutſch ſchreibſt; denn wahrlich, die ge¬
ringe Civiliſation welche Du beſitzeſt, haſt Du doch le¬
diglich uns zu danken, nicht viel anders als der ſchwarze
Falke vom Lorenzſtrome kamſt Du in unſere erlauchte
[7] Geſellſchaft. Fähndrich, thu' mir die Freundſchaft an,
ſchreib teutſch, es iſt die ſchönſte Sprache. Nur bei
ſchwerem Sekt, du kennſt das edle Gewächs, was eben
vor meinen Blicken goldglühend wächſt — nur bei ſchwe¬
rem Sekt ließ ſich Piſtols und Sir Johns zungenſchwe¬
res, lallendes Engliſch verbrauchen. Schreib teutſch Pi¬
ſtol! Es iſt eine Univerſalſprache, ſelbſt wenn Dir die
duftigen Träume des Guadalquivir wiederkommen, wie
ſie Dich manchmal in ſternenheller oder morgenfrüher
Seligkeit des Julius an den Boden warfen, ſelbſt wenn
Deine ſpaniſche Jugend die weichen weißen Arme um
Dich ſchlägt — hat die teutſche Sprache auch nicht
Deine wollüſtigen ſpaniſchen Liebestöne, ſo hat ſie doch
eine göttliche Zärtlichkeit die mich ſelbſt oft vor ihr er¬
röthen macht. Schreib teutſch, Hyppolit!


Ich habe noch neulich Taſſo's Jeruſalem geleſen! Ja,
aus jener Zeit iſt es ſchön ꝛc. aus den dunkeln Lagunen, wo
die romantiſche Verborgenheit und unergründliche Tiefe der
Sehnſucht, wo das tiefblaue Dunkel des zurückgeſtrahlten
Himmels die Sinne umſtrickt, daher mögen ſie auch noch
jetzt bezaubernd klingen, denn die unergründliche Zukunft,
welche aus den weiten Falten ſchöner Natur zauberiſch
heraufſchaut, nimmt ſich am beſten aus, wenn die däm¬
[8] merige Vergangenheit an ihrem Herzen ruht — aber
ich würde es für keinen Gewinn halten, wenn wir
heutzutage mit dergleichen beſchenkt würden.


Ich bin ſehr beſchäftigt, und zwar mit den ver¬
ſchiedenartigſten Dingen. Es beſucht mich faſt Niemand
und ich gehe nur wöchentlich zweimal zu einem Be¬
kannten, mit dem ich Schach ſpiele, leſe, und deſſen
Flügel ich benutze. Die Muſik kommt mir ſeit langer
Zeit vornehm, fremd vor, es iſt mir, als ob ſie mich
über die Achſeln anſähe — ſo war's doch früher nicht,
und ich begreife durchaus nicht, was der Dame ein¬
fällt — ich glaube, ſie liebt den Sekt nicht. Auch
bringt ſie mich ſtets ein Wenig aus dem Gleiſe, es
wird mir, als ſäß ich einer früheren Geliebten gegenüber,
der ich untreu geworden, Jünglingserinnerungen klopfen
mich unſanft wie Fächerſchläge auf die Wangen — es
iſt wunderlich, aber ich kann das Klavierſpiel nicht laſſen,
es iſt eine ſchmerzliche Luſt, mit allen Geliebten zu plau¬
dern. Außerdem iſt das Theater meine einzige Erho¬
lung. Ich bin wirklich, ſo ſehr ich mir Mühe gebe,
auch wenn ich ausgeſtreckt auf dem Sopha liege, nicht
ganz ruhig. Ich ſchreibe dies und das, reiße mich aber
mit Gewalt wieder los, denn ich will einige Zeit wieder
[9] etwas lernen. Ich weiß nicht was das Volk in mir
für eine Wirthſchaft treibt, es geberdet ſich manchmal
wie eine mit der Regierung unzufriedne Nation. Ich
hoffe, das Studiren wird ſie beſchwichtigen. Ich gäbe
viel darum, wenn ich jetzt unſeres kleinen Cupido Chro¬
nik hier hätte. Wenn einmal Jemand mit einem zu
leichten Wagen hieher fährt, ſo pack' ihm doch das Ding
auf. Was macht Kupido? Sitzt er noch in den Ber¬
gen bei ſeiner idylliſchen Landſchöne? Sein letzter Brief
war wie die Sage eines wandernden Minſtrels; der
Junge lauft im Lande umher, ſchöne Mädchen zu ſuchen.
Ich fürchte er wird nächſtens einmal der Polizei in die
Hände fallen, und uns Schande machen, was man
ſo Schande nennt.


Heute wäre ſo ein rechter Phantaſietag, wenn wir
beiſammen wären; es regnet und ſtürmt und dunkel¬
glühende Grogſchatten ziehen vorüber. Aber ich will
dem Salamander abſchwören, er ſtört mich jetzt, denn
ich bin mitten in einer Liebesintrigue. Höre wie das
kam!


Ich ſaß vorn im Sperrſitz des Theaters und ſah
der Gaukelei zu. Ein junges Soubrettchen machte mir
Spaß, ſie war ſo nett und fix und rund und drall:
[10] Du weißt, das lieb ich. Bald darauf kam ſie im Bal¬
let wieder zum Vorſchein. Hochgeſchürzt entwickelte ſie
einen behenden, makelloſen Wuchs, eine geregelte mun¬
tere Formenſchönheit ſchoß aus Fuß- und Handſpitzen
blitzende Funken in mich. Mein Nachbar meinte, es
ſei ein unternehmendes Kind, und Dein Sir John ver¬
fügte ſich alsbald hinter das Geheimniß der ſchützenden
Couliſſen. Glühend ſprang ſie eben aus der Scene he¬
rein in die dunkle Verborgenheit, als wollte ſie heiß
dem Korydon in die Arme fliegen. Der Korydon war
da und ſtellte ſich ihr ſehr lebhaft vor, eine kurze Topo¬
graphie ſeines inneren neuentdeckten Terrains entwer¬
fend, die üppige Vegetation ſeiner Triften beſchreibend.
Das muntere Ding nahm es harmlos auf und im
raſchen Fluſſe der Worte und Begebenheiten — denn
die phantaſtiſche Welt des Ballets ſpielte im Köpfchen
noch weiter, überließ ſie ſich nach geringem Sträuben
der Woge meines Anerbietens, ſie nach Hauſe zu gelei¬
ten. Ich ſchwor bei Piſtols Sekt und Fallſtaffs Schwert —
ſie hatte Heinrich IV. wahrſcheinlich noch nicht geſehen —
ich würde die Stadt anzünden, wenn ſie nicht in die¬
ſem reizenden Koſtüme bliebe, ſie gewährte, warf den
Mantel um und wir gingen.


[11]

Dabei, lieber Hyppolit, muß ich im Vorbeigehen
dem Valerius Recht geben, und ihm Dank [ſagen]: er
behauptete oft, wenn von dem Reiz der Schauſpielerinnen
die Rede war, daß man mit dieſen Damen nur ver¬
kehren müßte, wenn ſie noch in ſelbigem Anzuge ſeien,
der ſie auf der Bühne geſchmückt, mit dem Gewande
ſchwinde die Illuſion, und man bekäme ein Gedicht in
ſchleppende Proſa überſetzt.


Wahrhaftig, die Welt der Täuſchung iſt ja das
Einzige, was am Leben erfreut, ein Narr, der einen
Fetzen davon aufgiebt. Das Gepränge der Täuſchung
macht die Schauſpielerinnen gefährlich, — wer möchte
in die Gefahr eingehen und den Glanz wegwerfen. Eine
Bajadere in ein Kattunkleid geſteckt, was zwei Ellen
lang, lieben wollen, heißt ſich an einer Statue er¬
götzen, die gegen die Witterung in Leinwand gehüllt iſt.


Kurz, ich führte meine Bajadere nach Hauſe und
ſprach geflügelte Worte mit ihr. Aber das Erzählen iſt
träg — ein andermal von Euern Thaten, Sir John —
Ade, mein Fähndrich! —


[12]

2.
Constantin an Valerius.

Ich lebe hier noch eben ſo einförmig, wie ich
Dir's geſchildert habe: äußerſt ſelten ein poetiſcher Au¬
genblick — ein nüchternes Vegetiren. Es weiß der
Himmel, woran das liegt. Ich gebe mir alle erſinn¬
liche Mühe, das zu ändern — Du wirſt dies aus mei¬
nen philanthropiſchen Beſtrebungen im Briefe an Hyp¬
polit erkennen. Ich ſuche taſtend nach allen Spitzen
meiner Gemüthsnerven: es geht nicht: wenn ich neben
Roſa ſitzend einen an ſeinem Endpunkte erreicht habe,
ſo ſchnellt er mir immer wieder davon. Es iſt ſehr
ärgerlich. — Durch Göthe hab' ich ſehr große Begier
nach Italien bekommen, — ich will es indeſſen ver¬
ſuchen, hier ſeine Elegieen nachzuleben. Aber ich glaube,
es iſt italiſche Sonne und italiſcher Himmel nöthig,
denn ich ſchaffe alle Ingredienzien ſeiner Poeſie herbei,
aber ich kann das Getränk nicht zu Stande bringen.
Du glaubſt nicht, Valerius, was ich mir für Mühe
gebe, poetiſch zu genießen. Es weiß der Kukuk, war¬
um es nicht gehen will.


[13]

Da ich hier nichts vernünftiges Neues und Teut¬
ſches auftreiben kann, ſo hab' ich mich an ältere fran¬
zöſiſche und engliſche Schriftſteller gemacht, wie le Sage,
Lorenz Sterne ꝛc. Es iſt merkwürdig, wie ihre
Satire beinahe ganz noch auf unſere Zeit paßt.


Die Menſchheit muß doch viel ſtehende Gebrechen
haben.


Ihr ſchreibt ſo dürftig wie für einen Bettelmann.
Gebt mir doch nicht ſo karge Tropfen, Ihr wißt ja, wie
ich die vollen Gläſer liebe. Vom Kupido gar nichts,
und doch will und muß ich mit dem Kleinen in Ver¬
bindung bleiben.


Beſſert Euch! — Ade.


Ich habe hier Schröders Hamlet geſehen. Früher
glaubte ich, dies ſei eine Bearbeitung des Shakespear¬
ſchen, nun weiß ich aber, daß es ein Schröderſches
Original-Trauerſpiel oder Schau- oder Luſtſpiel oder
weiß Gott, was für ein Spiel iſt, in welchem nur ei¬
nige Stellen vorkommen, welche auf eine Verwandt¬
ſchaft mit Shakespeare hindeuten. Laertes ſagt ein¬
mal: Als Sohn und Bruder hab' ich genug, aber als
Edelmann noch nicht! — Nun ich habe in jeder Hin¬
ſicht genug — Nochmals Ade.


[14]

Constantin an Hyppolit.

Fähndrich, auf ein Wort! Ihr müßt bis tief in
die Nacht bei der ehrſamen Wittwe von Epheſus im
Promenadengäßchen geſeſſen haben, daß Ihr nicht dazu
gekommen ſeid, meine Epiſtel zu beantworten. Ich
will nicht hoffen, Piſtol, daß meine Intrigue ſo wenig
Intereſſe für Dich gehabt hat, ich ſollte doch mei¬
nen, ſie müßte Deinem abenteuerlichen Sinne zuſagen.
Wem ſoll ich ſie denn erzählen, wenn Du nicht hören
willſt. Vor Valerius hab' ich in dieſer Rückſicht eine
unüberwindliche Scheu — wäre er prüde und fromm
wie William, und ſagte er mir wie dieſer: du biſt ein
unmoraliſcher Menſch, ſo würde ich lachen, und es
würde mich nicht berühren: Du weißt wie ich über ob¬
jektive Moral denke. Aber ich ſehe ſeine großen klaren
Augen dabei centnerſchwer auf mich fallen und mit er¬
drückender Wehmuth auf mir verweilen — das ertrag'
ich nicht. Ich weiß, er geſtattet eine rein ſubjective
Sittlichkeit, aber ſein wenn auch wohlwollender Blick
dringt ſo ſchonungslos in alle Ritze meines Weſens,
daß ich immer zu fühlen glaube, es beginne ein mur¬
melndes Bröckeln und Löſen meiner innern Wände. Er
[15] richtete, als ich ihm einſt ein ähnliches Abenteuer er¬
zählte, nur drei fragende Worte an mich: „Biſt du
froh?“ und meine phantaſtiſche Welt war auseinan¬
dergejagt, wie Koſakenſchwärme durch einen Kanonen¬
ſchuß. Ich mag es mir nicht gern geſtehen und doch
iſt es ſo: er iſt mir unbequem bei derlei Dingen. Ich
halte mich dabei lieber an Dich wilden Burſchen und
den leichtbeſohlten Kupido.


Meine Schöne heißt Roſa und iſt wirklich char¬
mant. Sie iſt von der Größe, die nicht auffällt, wo¬
bei man nicht an die Größe denkt, aber in den ſchön¬
ſten Wellenlinien gewachſen. Die Taille ſchneidet ſich ſo
kühn ein, daß man daran zweifelt, und gedrängt wird,
ſie zu umfaſſen. Zu meinem großen Vergnügen iſt ſie
frei von dem mir ſo verhaßten Wuchs der Weiber, wel¬
cher von der Hüfte an in einem plumpen, krummen
Beine alle Leichtigkeit, Eleganz, Grazie des Ganges und
der Erſcheinung vernichtet. Solche Weiber ſind wie
die Chineſen nur zum Sitzen da, ihr Gang iſt ein ſte¬
tes Beſiegen von Hinderniſſen, jeder Tritt muß erkämpft
werden, — das iſt mir entſetzlich läſtig; während die
wohlige Freiheit in Roſa's Bewegungen mich hebt und
entzückt. Man findet in Abildungen aus alter Zeit
[16] niemals eine Annäherung an jenen Knieholzwuchs des
weiblichen Unterkörpers; es ſcheint eine neuere ſchlechte
Mode zu ſein, die vielleicht von irgend einer übeln An¬
gewohnheit oder Beſchäftigung der Mütter herrührt.
Dergleichen Dingen ſollte die Medizin nachforſchen, und
die Polizei ſollte ihr dann an die Hand gehen — es
iſt eine der größten geſellſchaftlichen Sünden, fehlerhaft
häßlich zu ſein (eine regelmäßige Häßlichkeit iſt auszu¬
nehmen) — ich wäre überhaupt dafür, alles mangel¬
haft Geborene ſogleich dem Chaos wiederzugeben, wie
der Metallkünſtler das Verunglückte wieder in die Maſſe
wirft, und es zu erſäufen.


Ich hoffe, Du weißt, Fähndrich, was ein ſchö¬
nes Bein iſt — es iſt ein Hauptvorzug der Spanierin¬
nen, und ich gebe außerordentlich viel darauf, es iſt
das Motiv der Erſcheinung. Roſa geht wie ein flüßi¬
ger Dactylenvers. Von der Hüfte an nämlich ſtrebt in
ſchönſtem Schwunge die runde volle Form immer ſanft
nach außen, dem Schauenden ſich entgegendrängend,
man ſieht in den ſanften Linien das Weiche und Elaſti¬
ſche ausgedrückt und ergötzt ſich doch an der ſpringenden
Kühnheit des Grundzuges, welcher da, wo das Bein
in die Nähe des Fußes kommt, durch den liebenswür¬
[17] digſten kleinen Bogenſprung die genialſte Verbindung
mit dieſem bewerkſtelligt. Zu oben gerügtem ſchlechten
Wuchſe des Unterkörpers gehört nämlich auch, daß das
Bein perpendiculär auf einen horizontalen Fuß ſich auf¬
ſetzt und beide zuſammen das fatalſte Dreieck bilden.
Bein und Fuß ſondern ſich wie Staatsgewalten — das
iſt widerwärtig platt. Bei Roſa hüpft das Bein im
gerundetem hohem Spann auf den Fuß, und dadurch er¬
hält der ganze Körper jene ſchaukelnde über Alles beſtech¬
ende Grazie, welche der fliegende Poet vor dem ſchwer¬
fälligen Philoſophen voraus hat.


Nun hat Roſa nicht die unangenehme Manier ſo
vieler leicht und raſch gewachſenen Mädchen, daß ſie in
ihrem Gange tänzelte und hüpfte, eine Manier, die ſo
unſchön iſt wie das Zappeln mit den Fingern — nein,
ſie geht, aber ſchön und leicht wie ein anmuthiger Ge¬
danke. Wie wenig unſrer eleganten Damen wiſſen zu
gehen. Es muß eine Selbſtſtändigkeit, eine Unabhäng¬
gikeit im Gange ſein, die ein wohlthätiges Gefühl von
ſichrer Freiheit erweckt, der Gang muß das Zeichen des
Sieges über die träge Erde ſein — bei den meiſten
Weibern iſt er das Zeichen des Kampfes. Die Straff¬
heit der Muskeln ſpielt mit dem ſchwerfälligen Boden,
[18] wenn die Dame ſchön geht, ſie ringt mit ihm, wenn
unſchön. Daher iſt es ſo gräulich, wenn plump Ge¬
wachſene einen ſogenannten Anlauf nehmen — es wird
mir ſo unbehaglich dabei, als wenn ich ſchwere Gänſe
zum Fliegen anſetzen ſehe. Es iſt dann ein Rücken,
Ziehen und Heben der Schultern und Hüften, ein Len¬
ken und Renken mit den Armen — das ſchönſte Mädchen
könnte durch ſolchen Gang meine Illuſion zerſtören.
Roſa's Leichtigkeit hält mein Wünſchen in ſtetem Schwe¬
ben, ſie erzeugt eine äſthetiſche Behaglichkeit, wie ich
ſie über Alles liebe. Auch ihr Kopf, Hals, Nacken,
ihre Schultern — alles athmet in einer raſch geboge¬
nen Wellenlinie ſo viel Leichtigkeit, daß mein Auge auf
dieſen geflügelten Formen mit einer Wonne herumhüpft,
wie die heiterſte Sehnſucht nach Luſt in warmer Som¬
mernacht auf den ſpielenden, lauen Lüftchen. Nichts an
allen dieſen Formen iſt ſtarrer Stillſtand, wie plätſchernde
Wellen nickt und wiegt Alles. Ein reiches, nußbrau¬
nes Haar trägt ſie auf griechiſche Weiſe leicht hinter den
Scheitel zuſammengeneſtelt; wie herausfordernde loſe
Schalke fliegen die kleinen zierlichen Löckchen vom Hin¬
terkopf herunter, als wollten ſie erinnern, man müßte
die vorüberfliegende Schönheit der Nymphe faſſen. Glatt
[19] lie [...]t vorn das Haar an der weißen runden Stirn und
nichts von dem vielfachen Unrath des Kopfputzes unſe¬
rer Modedamen ſtört das lachende Oval des ganzen
Köpfchens. Zierlich ſchwingen ſich die ſchmalen dunk¬
len Augenbraunen über das weite lachende Auge hin,
eine leicht gebogene Naſe deutet auf fröhlichen Unter¬
nehmungsgeiſt, ein kleiner Mund mit ſchmalen Lippen
auf verſchwiegene Luſt, das ganze zurückgeworfene Köpf¬
chen, was ſich auf einem länglichen ſchneeweißen Halſe
wiegt, auf Uebermuth. Die blendenden Schultern ſind,
harmoniſch mit dem Bau der Hüfte, ſo überraſchend
ſchön nach dem Arme geſchweift, daß der Blick in un¬
beſchreiblicher Luſt heruntergleitet zu dem vollen Händ¬
chen der roſenfingrigen Eos.


Dies iſt Roſa. Ich hoffe Clauren malt ſie Dir
nicht deutlicher.


Sie wohnt drei Treppen hoch, einfach aber nied¬
lich. Eine alte Frau, die ſie ihre Pflegemutter nennt,
wohnt in einem kleinen Zimmer neben ihr — ſie war
nicht zu Hauſe, als wir aus dem Theater ankamen, und
iſt mir jetzt ſchon ſehr im Wege; ſolche alte Weiber ſind
bei Liebeshändeln die fatalſte Grammatik, das auswendig
zu lernende Vokabelbuch, ohne was man nicht zur ru¬
[20] higen Lectüre des Poeten kommt, der in einer uns noch
fremden Sprache geſchrieben. Das iſt ein Gucken und
Schnüffeln und Fragen — der Mantel wird geſtrichen,
um aus der Qualität des Tuches Schlüſſe auf die Quali¬
tät des Beſitzers zu ziehen, nach der Uhr wird gelugt,
ob ſie von Gold oder Silber, das Taſchentuch wird beäu¬
gelt, ob es vou doppelter oder einfacher Seide iſt —
dieſe alten Weiber ſind die Zollbeamten in den Liebes¬
ſtaaten, und Zölle habe ich nie leiden mögen. Ich ſtehe
mit dieſer auch ſchon auf einem ärgerlichen Fuße.


Darin iſt doch nur die Jugend liebenswürdig: ſie
kennt den Umfang ihrer Kräfte, alſo auch ihr Ende noch
nicht, und fragt drum nie, wie weit oder kurz der
Weg, es ſteht ihr noch Alles offen, drum nimmt ſie
jeden Nahenden nur als einen kleinen Theil des All's,
und fragt und forſcht nicht ängſtlich nach ihm — ſie
rechnet nicht, weil ſie ungekünſtelt, und das Rechnen
die größte Künſtelei iſt — ſie ſchiebt die Summe der
Theilnahme welche man ihr ſchenkt, ungezählt in die
Taſche, weil ſie noch unzählige Summen erwartet. Ein
alter Drache aber beſieht jeden Pfennig, weil er berech¬
nen kann, wie viel ihm noch abfallen werden. Das
hat mich am meiſten für Roſa gewonnen, daß ſie ſich
[21] um mein Aushängeſchild gar nicht bekümmerte. Das
iſt die Poeſie des Liebens, daß ſie hundert Augen für
den Liebenden und nicht einen Blick für den Bürger
hat. Man redet ſich's weniſtens vor, und weil man
Täuſchung ſucht, findet man ſie, es iſt ja all' dies Lie¬
besweſen nur ein künſtlich Geſtell, ein ungeſchickter Stoß
und es kracht zuſammen — die Leute, welche ſich ſelbſt
und gegenſeitig am geſchickteſten zu täuſchen verſtehen,
lieben am glücklichſten. Roſa konnte an Deinem wohl¬
gebildeten und wie immer ſehr elegant ausſtaffirten Sir
John leicht erkennen, daß er eine reſpectable Stelle
in der bürgerlichen Geſellſchaft einnehme — aber es
freute mich doch, daß ſie nicht fragte.


Die kleine Bajadere bereitete auf das Zierlichſte
Thee und ich improviſirte ihr unterdeß das Sujet eines
phantaſtiſchen Ballets. Sie lachte und klatſchte mitunter
in die Hände dazu, machte raſch eine Pantomine mei¬
nes Ballets, und ſetzte ſich endlich behaglich zu mir aufs
Sopha, ſah mir lächelnd in die Augen, ſchlürfte Thee,
und verſicherte mich, daß ich recht hübſch zu ſchwätzen
wüſſe. Ich nahm ihre Hand und küßte ſie, und behielt
ſie, und betrachtete mit Wonne den ſchönen weißen Arm,
den ſie im leichten Gewande bis dicht an die Schulter
[22] aufgeſchürtzt trug. Sie ließ mich einen Augenblick ge¬
währen, dann zog ſie die Hand zurück, ward ſtill, ſah
mich ſinnend an, lächelte endlich in ſich hinein und
nickte mit dem Köpfchen — ich fragte — —


Genug für heut'; morgen mehr.


[23]

3.
Constantin an Hyppolit.

Ich habe ſehr ſchöne Gedanken und Reflexionen
im Kopfe, aber ich weiß ja, was Du dazu ſagſt, wenn
man ſie zwiſchen Handeln und That ſpreut. „Handle,
lebe,“ pflegteſt Du zu ſagen — „von den ſieben Wei¬
ſen Griechenlands herunter haben die Leute philoſophirt,
ſyſtematiſirt, ſchematiſirt und doch nichts gelernt, ſie
haben alles in Formeln gebracht und darüber die ſchöne
Zeit verloren, während welcher ſie glücklich ſein konnten.
Lebe, ſagteſt Du mir beim Abſchiede, und da Du ja
auch ein Federheld biſt, ſchreib mir's, wie und was Du
lebſt, aber ohne Beiſatz, Beigeſchmack und Brimborium;
ſchick' mir das nackte Leben, ich werd' mir's ſchon ſelbſt
ankleiden. Durch Eure Art von Schreiben wird noch
der letzte Schimmer von Objectivität vernichtet, den wir
haben können. Ihr ſeid im Stande, einem die Entdeckung
von Amerika in Geſtalt des Hrn. Conſtantin, Valerius ꝛc.
zuzuſchicken. Am Aergſten treibt es Kupido, aber da er es
ſogleich bis zur völlig unkenntlichen Lüge treibt, und da er
Alles aus einem klingenden, romantiſchen Fond ſchüttelt,
ſo entſchädigt ſeine Erzählung durch eine Art von Poeſie.“

[24]

Sieh, ich weiß das alles noch, aber wir ſind ein¬
mal raiſonnirende Thiere, wir müſſen beim Wiederkäuen
des fremden Stoffes eignes Material dazu bringen —
es iſt wahr, wir können nicht die einfachſte Sache rich¬
tig erzählen, wir erzählen uns mit hinein. Ich möcht'
es nicht Egoismus nennen, aber [Eitelkeit] des Jahrhun¬
derts iſt es gewiß. Der Egoismus iſt ja — ſo ſagt
Valerius — der Feind, gegen welchen die ganze neue
Bewegung ſich richtet; aber die Welt iſt erſt tugendhaft
wie ein Jüngling, daß heißt, eitel tugendhaft, ſie ſpen¬
det die Wohlthat an den Straßenecken. Und dieſer ſo¬
genannte Geiſt der Zeit iſt allerdings [eine] Art Miasma,
er dringt überall hin, durch alle Kontumazen und Bar¬
rieren — ich wehre mich der Bequemlichkeit halber hef¬
tig gegen ihn, einen Fetzen ſeiner Eitelkeitslivree merk'
ich doch bald hie, bald da an mir. Das iſt nun des
konſequenten Valerius Freude, der da meint, der wil¬
deſte Ultra werde allmählig zum Mittelpunkte gedrängt,
er möge ſich ſträuben, ſo ſehr er wolle. Das nennt er
die Bewegung der Erde und der [Civiliſation]. Auf dem
unbemerkt fortgleitenden Schiffe ſtehe der Stabilitätsmann,
zeige auf die Ufer, welche ſich ſcheinbar bewegen und
perorire, dort ſei die einzige Bewegung, welche Noth
[25] thue — und erſt über Nacht, wenn er kein Ufer mehr
ſähe, dämmre ihm die Einſicht, er bewege ſich auch,
da beginne der Schlimme zu toben und zu reagiren —
umſonſt, er verhungere auf ödem Meer, wenn er ge¬
ſchickt und feſt zu ankern verſtehe; die Nothwendigkeit
dränge ihn weiter.


Sieh, wohin ich komme, ſchilt mich — Valerius
iſt der gefährlichſte Menſch für mich; ich weiſe ſeine
Theorieen von mir, und verlier' und verſtricke mich ſo leicht
und gern in ihnen. Was ſoll das, ich will mit Dir
das Reelle.


Roſa gehört zu den wunderlichen Geſchöpfen, welche
die erſten Schritte der Bekanntſchaft, wie Du geſehen,
am Auffallendſten erleichtern — das kommt von der Bühne.
Die dramatiſchen Dichter machen ſich das immer unglaub¬
lich leicht: die Perſonen ſehen ſich und merken alſobald
beide, daß ſie viel mit einander zu thun haben müſſen,
ſie bombardiren ſich ohne Weiteres mit Sentiments, und
wenn man ihnen nach einer viertelſtündigen Bekannt¬
ſchaft im erſten Akte viel zu ſchaffen macht, ſo gehn
ſie ohne Weiteres im zweiten Akte mit einander durch —
Päſſe brauchen ſie nie und Geld findet ſich immer. Ich
2[26] laſſe mir das im höhern Schauſpiele gefallen, [w][o] die
modernen bürgerlichen Verhältniſſe in ihrer Kleinheit ver¬
ſchwinden in der künſtleriſchen Höhe der Gedanken und
Gefühle, aber im Luſtſpiele bleibts doch immer ſehr drol¬
lig. Drum bin ich noch immer der Meinung, nur ein
Mann von Welt wiſſe ein feines modernes Luſtſpiel zu
ſchreiben. Es müßte denn wie in Williams Luſtſpiele
das bunte Zelt phantaſtiſcher Poësis zum Ort der Hand¬
lung aufgeſchlagen werden.


Roſa fand unſere ſchnelle Bekanntſchaft ganz in
der Ordnung, alle die kleinen Nebenwege der gewöhn¬
lichen Liebſchaften ſind ihr durch die Bühne abgeſchloſſen
worden, ſie fängt auf dem Punkte an, wo andere
Mädchen nach mannigfachen telegraphiſchen Depeſchen,
verhüllten Andeutungen, Pfänderſpielen, gegenſeitigen
Träumen, ſchüchternen Worten, geflügelten Sonetten,
Notenaustauſch ꝛc. anlangen. Ich geſtehe, das iſt
Mangel eines romantiſchen Reizes, das iſt ſelbſt mir zu
modern, obwohl ſehr bequem. Auf jenem Punkte bleibt
ſie nun aber ſtehen; das iſt ein Mißverhältniß in den
einzelnen Theilen, reizt mich zwar ein wenig, iſt mir
aber unbehaglich.


Man läuft gern lang nach einer goldnen Frucht,
[27] aber am Baume angekommen ſtreckt man nicht gern die
Hand tagelang aus.


Sie duldet meinen Kuß auf den Arm, auf die
Schulter, aber wenn ich ſie umfaſſe und auf den Mund
küſſen will, ſo hält ſie mir den Mund zu, und wehrt
mich entſchieden ab. Das würde mir bald langweilig
werden, wäre ſie nicht gar ſo hübſch.


Die alte Pflegemutter hatte zu Muhmen und Ba¬
ſen geſchwatzt, ich wolle Roſa heirathen — meinen Na¬
men hatte ſie ſchon am andern Tage erfahren — das
hat ſich bald verbreitet, und heut fragt mich meine Schwe¬
ſter darnach. Das iſt mir ſehr fatal und verleidet mir
die Sache. Das Ganze wird dadurch ſo platt bürgerlich.
Was einem das dumme Volk das Leben erſchwert!
Das Mährchen konnte ſo duftig einſam abgeſungen wer¬
den, wie in einem dunkeln Kiosk im Morgenlande. Ich
werde an Roſa ſchreiben, und verſuchen, der Sache
einen andern Schwung, eine andere Wendung zu geben.


Ade!

2 *[28]

4.
Valerius an William.

Ich hätte früher an Dich geſchrieben, Freund,
wär' ich nicht gar zu ſehr beſchäftigt geweſen; ich würde
Dir mehr ſchreiben, wäre ich's nicht noch. Womit aber?
frägſt Du barſch. Mit mir ſelbſt. Später ein paar
Worte darüber, jetzt zu der Beſorgniß, die mich in
dieſem Augenblicke drängt. Ich habe eben von Con¬
ſtantins Schweſter einen Brief erhalten, worin ſie mich
beſchwört, Alles aufzubieten, um den Aufenthalt ihres
Bruders zu entdecken, der ſeit mehreren Tagen verſchwun¬
den iſt. Man hat ſeine Abweſenheit während der er¬
ſten Nacht und des nächſten Tages unbeachtet gelaſſen,
da dergleichen — Du haſt ja oft genug dagegen ge¬
ſcholten — zuweilen bei ihm vorkam, namentlich wenn
er mit Hyppolit den Shakespeare paraphraſirte. Nach
der zweiten Nacht hat man ſuchen laſſen — umſonſt.
Man hat zu Roſa geſchickt — dies iſt eine junge ſchöne
Dame, mit der er ein Liebesverhältniß entrirt hat —
ſie hat ſchnippiſch geantwortet, man ſolle verloren ge¬
gangene junge Suitiers nicht bei ihr ſuchen. Des Tags
darauf hat das ſchnippiſche Dämchen auch gefehlt und
[29] das Repertoir in Unordnung gebracht. Ihre Pflege¬
mutter, die, Gott weiß, ob unterrichtet oder nicht, zu¬
rückgeblieben, iſt heulend und weinend zu Conſtantins
Schweſter gekommen. Dieſe Frau Martha, denn ſo
ſcheint ſie mir auszuſehen, hat auf Berlin gedeutet —
Du haſt ja lebhafte Verbindungen dahin, thu doch raſch
Alles Mögliche, um mir Klarheit für die arme Schwe¬
ſter zu verſchaffen. Du begreifſt, daß ich in meiner
einſamen Wohnung, fern vom Getümmel des Stadtver¬
kehrs, mürriſch mit den bleichen Worten der Theologen
redend, und in tiefſchattigen Schmerzen vergangener
Herrlichkeit herumwandelnd weniger geeignet bin, einen
Flüchtling zu entdecken. Doch möchte ich ſo gern die
Schweſter beruhigen. Es iſt ſo hart vom ſchlimmen
Conſtantin, ein ſo weiches Herz mit rauhen Händen
anzufaſſen. Er hat ſie ſo oft verletzt durch ſeine ab¬
ſcheuliche Oppoſition gegen die Geſetze des Herkömmli¬
chen, die ſeinem barocken Sinn nicht behagen. Den¬
noch liebt ſie ihn mit einer Fürſorge, warm wie
Maienſonne. O das Herz des Weibes iſt reicher denn
alle Welt, welche hineingeht, denn es liebt mit dieſer
Welt noch eine andere — die beſten von uns lieben
kaum etwas von dieſer.


[30]

Gehab Dich wohl und antworte!


Hyppolit tritt eben ein, hört ſtumm und lächelnd
die Geſchichte an, und läßt Conſtantin erſuchen, wenn
ihn Deine Kundſchafter finden, ihm von Berlin ein
Exemplar der Luſiade zu beſorgen, weil er hier keins
auffinde. Uebrigens meinte er, ſei es unnütz, den
Conſtantin zu beunruhigen — man ſolle die Schweſter
durch irgend eine Nachricht zufrieden ſtellen und jenen
ungeſtört laſſen bis er ſich ſelbſt melde.


Thu' aber nur wie ich Dich gebeten!

William an Valerius.

Freund!

Ich habe der verdrießlichen Geſchichte halber nach
Berlin geſchrieben, und denke Dir bald Beſcheid geben
zu können. Ich miſche mich übrigens, ſehr ungern in
derlei Skandal, und nur die alten Freundſchaftsverhält¬
niſſe aus unſerm poetiſchen Vereine bewogen mich, der
Polizei ins Handwerk zu greifen. Das ſind die Folgen
jener grauenhaften Lebensanſichten, denen Du ſelbſt nicht
ganz fremd biſt. Was iſt Euer Bodenſatz? Die em¬
pörendſte Eigenliebe. Das Ich allein ſoll ſich auf jede
Weiſe wohl befinden: mag nun um Euch herum Alles
[31] darüber zu Grunde gehen. Es iſt die unchriſtlichſte
Subjectivität, die nur erſonnen werden konnte, und
dabei wollen ſich einige von Euch noch in die Mitte
der demokratiſchen Zeitbewegung ſtellen, wollen ſie lo¬
ben und führen. Heißt das nicht den Bock zum Gärt¬
ner ſetzen! Das Weſen dieſer demokratiſchen Richtung
iſt Allgemeinheit, Zurückdrängen des individuellen In¬
tereſſes, um das der Geſammtheit auf den Thron zu
ſetzen. Geberdet Ihr Euch nicht wie kleine Despoten,
wenigſtens Autokraten, die ſich eben nur ſelbſt Geſetz
ſind, die all ihren Launen den Zügel ſchießen laſſen?


Und unſern Vereinigungspunkt, die Poeſie anlan¬
gend, was hat uns da dieſe Richtung gebracht? Eine
ſchaamloſe Enthüllung des eigenen Körpers, mit dem
die Poeten feilen Dirnen gleich kokettiren. Sie haben
keinen andern Mittelpunkt mehr, als das perſönliche, meiſt
materielle Vergnügen, und je nachdem das nun groß
oder klein oder gar nicht da iſt, wird das Gedicht fri¬
vol oder abgeſchmackt oder gottlos. Sie haben ſich
ſelbſt auf den Thron des Höchſten geſetzt, darum haben
ſie eine ſo arme Welt, eine ſo jämmerliche Regierung
derſelben, einen ſo ſündhaften ſchwachen Gott. Mit
wie viel Heineſchen Gedichten könnte ich Dir das bele¬
[32] gen, und wie klar liegt der Urſprung alles deſſen vor
Augen.


Unfähig ſich durch großartige Zuſammendrängung
der neu entdeckten Gefühle und Gedankenkreiſe auszu¬
zeichnen, etwas die allgemeine Aufmerkſamkeit Ueberwäl¬
tigendes zu liefern, aber doch gedrängt und geſtachelt
durch weibiſche Eitelkeit, enthüllten ſie wie jener Nann
in der Bibel die eigne Schaam, brachten ſie die ganze
Rumpelkammer der früheren Poeſie, die Hobelſpäne der
früheren Werke hervor, putzten ſie mit modernen Klei¬
dern auf, und gaben ſie hin für Gedichte. Die faule
Welt, die ſo viel Sociales zu thun hatte, daß ihr keine
Zeit blieb für die Räume des beſten inneren Menſchen,
nahm die Wechſelbälge wohlgefällig hin, weil ſie in ihrer
bunten Tracht nur eines flüchtigen Blicks bedurften und
kein ſorgfältiges Beſchauen, keine Zeit, keine Thätigkeit
in Anſpruch nahmen. Das einmal Gebilligte war Re¬
gel geworden und nächſtens erwarte ich das Unanſtän¬
digſte, weil die heutige Welt doch erſt auf der Spitze
des Berges umkehren wird. Es iſt wie mit dem Ver¬
dauungsprozeß — das iſi ein Bild aus Eurer Schule —
der kranke Magen fördert die halbrohen Speiſen weiter,
der geſunde zertheilt, zerlegt ſie bis in die kleinſten Atome:
[33] Eure Poeten packen die Situation, ſchleudern ſie durch
einige Verſe und das Gedicht iſt fertig, der wahre Poet
läutert ſie bis in die geheimſten Motive, und das Gei¬
ſtige daraus giebt er wieder in Tönen. Der wahre
Poet fühlt die Situation durch bis an die Spitzen der
Wurzeln und ſein Gefühl davon iſt die Poeſie — der
Eure flattert mit ſeinen Blicken durch das Laub, und
was er geſehn, iſt ſein Gedicht. Es iſt eine traurige
Oberfläche und ich weiß nicht, wo das hinaus ſoll, wenn
die Oppoſition nicht lebhafter wird.


Das Gedicht muß aus der Knospe des innerſten
Menſchen brechen. Ihr pflückt es von den blinzenden
Augenwimpern, dem zuckenden Munde. Was ſoll man
zu dieſen kleinen Darſtellungen Heines ſagen, die Du
ſo verehreſt, wo nichts beſchrieben wird als ein Knabe,
der im Kahne angelt und dazu pfeift, wo ein Mädchen
im Lehn ſtuhl ſitzt und ſchläft. Das iſt ein Buhlen mit
fremden Künſten, das gehört der Malerei und ins Ge¬
biet der Fläche, die Poeſie hat aber mehr Dimenſionen
und die Höhe und Tiefe iſt ihr Weſentliches.


Ich entferne mich immer mehr von Euch — ich
weiß nicht, was Euch halten ſoll, wenn Eure phyſiſche
Spannkraft Euch verläßt, Ihr beſteht ja doch nur wie
[34] künſtliche Maſchinen; wenn Eure künſtliche Thätigkeit
aufhört, ſo fallt ihr zuſammen. Ihr ſeid iſolirt von
der Verbindungsſtange der höhern Elektricität, Ihr ſeid
ohne Bezug zur Gottheit — eine Krankheit, die Eure
geringe geiſtige Kommunication mit ihr aufhebt, weil ſie
Eure geiſtige Thätigkeit aufhebt, wirft Euch zu den Thie¬
ren. Meine Religion iſt die unzertrennbare Einigung
mit dem Höchſten, ſie beſteht wie die Atmoſphäre, auch
wenn ich ſelbſt unfähig bin, die geiſtigen Anknüpfungs¬
punkte feſt zu halten. Was ſoll ich zu Deinem theolo¬
giſchen Treiben ſagen, was unſere Urkunden und die
Worte der alten Glaubenshelden nur mit dem zerſetzen¬
den kritiſchen Auge anſieht und fertig zu ſein hofft, wenn
Alles in Waſſer aufgelöſt iſt. Ich bedaure Euch und
gäbe viel drum, wärt Ihr anders. Ade. —


Nachſchrift.

Eben erhalte ich Briefe von Berlin. Conſtantin
iſt dort angekommen, hat ein Logis von mehreren Ge¬
mächern gemiethet, iſt wieder abgereiſt und hat ſeine
Rückehr mit einer Dame angekündigt. Die Adreſſe fin¬
deſt Du beigelegt, erlaſſe mir die Erforſchung des Details
dieſer ſkandalöſen Geſchichte. Leb wohl! —


[35]

Valerius an William.

Daß Du nicht in der Nähe des Walter Scott
gelebt, als er ſeine „Schwärmer“ ſchrieb, bedaure
ich lebhaft; Du hätteſt ihm ja das beſte Bild eines
hartnäckigen und hartmäuligen Presbyterianers gege¬
ben. O über Euch ſchlimme Menſchen! Weil Ihr
nun einen Käfig zuſammengeſetzt, in dem Ihr Euch
wohl befindet, verlangt Ihr denn nun ungezogen tyran¬
niſch, es ſolle alle Welt in dieſen Käfig kriechen. Ihr
habt Euerm innern und äußern Menſchen ein Kleid zu¬
geſchnitten, und alle Welt ſoll nun hineinkriechen, es mag
ihr zu eng oder zu weit ſein. Erinnere Dich, Freund, daß ich
Dich nie Deines Syſtems halber getadelt habe, wenn auch
das Syſtem nicht das meine iſt — ich bin ein Mann
der Freiheit, und ſitze zur Seite ihres holden Töchterleins
mit den lieben, klaren Augen, der Toleranz. Du ſprichſt
aber despotiſche Worte und klagſt doch wunderlich genug
uns Leute der leichteren Moral, des Despotismus an.

Du berufſt Dich zuerſt auf die demokratiſche Ten¬
denz unſrer Zeit, der wir huldigen, und verlangſt Zu¬
rückdrängen des Einzelnen, damit die Allgemeinheit ge¬
deihe. Das hat ſeine vollkommne Richtigkeit und es
[36] iſt Niemand ſo ſehr dafür als ich — ich haſſe wie Du
den Egoismus des Staates in Bevorzugung Einzelner.
Aber Freund, Du ſiehſt die Sache ſchielend an, und das
Endziel aller Beſtrebungen — die Freiheit — entgeht
Dir. Die Einzelnen ſollen nicht bevorzugt, aber jeder
Einzelne ſoll frei werden. Damit dies nun aber auf
eine der Allgemeinheit erſprießliche Weiſe geſchehe, predi¬
gen wir als höchſte Blüthe der Bildung: Abſtreifen je¬
der Art von Egoismus, Humanität. Das ſind nicht
Gegenſätze, wie Du zeichneſt, ſondern Stufen.


Der Freiheit widerſpricht aber jede Art von For¬
mel, ſie betreffe Moral oder ſonſt etwas — erreichten
wir ſelbſt durch ſolche Formeln das allgemeine Wohl, ſo
bezahlten wir dies doch mit dem allgemeinen Wohl, d. h.
mit dem Wohle der Einzelnen, die von außen her nur
gezwungen lebten, und nur in troſtloſer Gleichgewichts¬
theorie den allgemeinen Fall vermieden. So werden die
Menſchen beklagenswerthe Negationen und die Haupttu¬
gend wird wie in manchem melancholiſchen Chriſtenthume
die Unterlaſſung, die Demuth. Es iſt aber ein größe¬
res Ziel unſerer Richtung, die Menſchen ſelbſtſtändig zu
veredeln, und die Veredelten Selbſtherrſcher werden zu
laſſen. — Die Millionen Selbſtherrſcher ſind das äußer¬
[37] ſte Ziel der Civiliſation. Dieſes Ende verſchließt Deine
Auctoritätstheorie für immer, Dein Schluß muß eine
ſtarre Monarchie ſein, der meine iſt die fröhlichſte, un¬
gebundenſte Allherrſchaft, wo jede Individualität gilt,
weil jede in ſich geſetzmäßig iſt und in ihrer Veredlung
das neben ihr wandelnde Geſetz nicht ſtört. Zu dieſem
Ziele iſt das Zurückdrängen des Individuums Weg, —
bei Dir aber leider Endpunkt. Darum tadle auch ich es,
wenn Conſtantin jetzt, wo die große Epoche des Demo¬
kratismus erſt beginnt, ihre Vollendung für ſich antici¬
pirt, und nur ſein perſönliches Wohlſein im Auge habend,
Unheil anrichtet. Er betrügt ſeine Umgebungen, die noch
auf einer tiefern Stufe der Entwickelung ſtehen und in
anderer Münze Zahlung erwarten, als er gewähren will.


Unſere Anſichten verhalten ſich zu einander wie zur
Vereinigung zuſammenlaufende und in endloſe Weite
auseinandergehende Linien. Du willſt die Menſchheit
zu einer willenloſen Maſſe, zu einem Punkte zuſammen¬
drängen, ich will ſie aus dem engen Raume der For¬
mel ausbreiten in das unedliche Gebiet des unermeſſe¬
nen inneren Menſchen. Drum biſt Du Monarchiſt, ich
Republikaner und mehr denn dies.


Ich weiß, daß tauſend ſolche Opfer wie Conſtan¬
[38] tin eins vorbereitet, fallen müſſen, eh der Tag ſiegreich
Alles erhellt; in der unſichern Beleuchtung des dämmern¬
den Morgens ſtolpern die Meiſten, — aber ich weiß
auch, daß dieſer einleitende Nachtheil Eurer großen Skla¬
verei vorzuziehen iſt, welche den Menſchen der Menſch¬
heit opfert. Mir iſt der Staat des Einzelnen wegen
da, Dir der Einzelne des Staats wegen. Darin ruht
der große Unterſchied. Ich opfere Einzelne für den
künftigen allgemeinen Gewinn, Du opferſt Alle für eine
regelmäßige Maſchine. Das Individuum ſoll allerdings
mit ſeiner Perſönlichkeit zurücktreten, um die Allgemein¬
heit zu fördern, aber dies ſoll das Ergebniß der Bil¬
dung, der überzeugten Reſignation ſein, ein Akt der
Freiheit, und ſo rettet das Individuum ſeine Freiheit
durch ſeine Opfer. Das Opfer wird aber von Tage zu
Tage geringer, da die Zahl der ſelbſtſtändigen Indivi¬
duen größer wird, und am Ende keines dem andern
mehr in den Weg tritt — ſo wird endlich der Einzelne
und die Allgemeinheit frei: Dein Einzelner bleibt aber
ewig Sklav.


Darum tadle ich es nicht einmal, wenn ſich das
Individuum glänzend geltend macht, ich tadle es nur,
wenn ein andres darunter leidet.


[39]

Nicht viel anders iſt es nun auch mit Deinen An¬
ſichten über die Poeſie. Sie iſt bei Dir auch nicht viel
mehr als die Kunſt der abſtrakten Formeln. Wenn
das Individuum ſelbſtſtändig werden ſoll, ſo muß es
ſich erſt verſchönern, geltend machen. Daß nun die neu¬
ere Poeſie, an deren Spitze ſich Heine geſtellt, die ein¬
zelne Figur mit Vorliebe heraushebt, und ſpielend an
ihr herumgleitend, erſt tändelnd an ihr hinabgleitend,
mit einem ſchnellen Sprunge in dem oder jenem Ge¬
danken ſich begräbt — das Alles iſt Dir ein Gräuel.
Du willſt keine Figur, willſt nur die aus ihr abgezogene
Formel, willſt Sentenzen, Sätze ꝛc. Aus der Zerfah¬
renheit, aus dem blutloſen Geiſterantlitz, aus dem Ne¬
bel Eurer Verſe führt allein dieſer plaſtiſche Weg zur
markigen poetiſchen Empfindung. Das Einzelne verlangt
Selbſtſtändigkeit, von der materiellen Natur werden wir
erſt auf richtigem Wege zu den geiſtigen Schichten des
Lebens geführt, das Reale iſt allein das Fundament,
worauf wir unſre Häuſer des Fühlens, Hoffens, Glau¬
bens, Ahnens ꝛc. errichten können. Die erkannte Unzu¬
länglichkeit des forſchenden innern Menſchen hat uns
zur Naturphiloſophie und zu dieſer Art von Poeſie ge¬
drängt. Ihr könnt Euer bequemes Schwimmen nicht
[40] vergeſſen. Darum verſtehſt Du auch die poetiſche Na¬
turanſchauung Heine's nicht — es iſt eine ſtreng demo¬
kratiſche: er läßt nichts unbeachtet liegen, was einmal
da iſt; Ihr eſoteriſchen Sublimritter habt aber ein ge¬
wiſſes Regiſter poetiſcher Gegenſtände. Es iſt Alles poe¬
tiſch oder nichts — es kommt nur auf das Glas an,
womit man's betrachtet. Euch iſt es unerhört, daß
ein Knabe im Gedicht „angeln und pfeifen“ kann; Ihr
habt eine prüde Poeſie. Natürlich könnt Ihr auch die
kleinen poetiſchen Gemälde nicht verſtehen, weil Ihr keine
Bilder ohne Unterſchrift wollt. Conſequent ſetzt Ihr
auch die ſchönen Uhlandſchen Balladen und Romanzen
den breit erklärenden Schillerſchen nach. Ich thu na¬
türlich das Gegentheil. Daß das Gedicht mitten im
Klange aufhören und darum den höchſten Werth haben
könne, wenn es auf eine ſchöne Weiſe die Saiten des
Leſers tönend angeſchlagen habe, begreift Ihr nicht.
Wie es bebt und rauſcht und klingt, nachdem Ihr das
Gedicht zu End geleſen und ſeinen Flügelſchlägen nach¬
lauſcht — das iſt Euch zu unbefriedigend, Ihr wollt
die Flügel ſo lange ſehn, bis ſie am Boden liegen.
Ihr ſeid Philiſter. Alles Ende iſt proſaiſch — ein Ge¬
dicht, deſſen Schluß den Raum des Gedichts offen läßt,
[41] entfaltet die meiſte Poeſie. Ihr platten Leute wollt eine
tranchirende Sentenz am Ende, damit Euerm ängſtlichen
Gewiſſen geholfen werde, ſonſt werdet Ihr unruhig,
unbehaglich, weil Ihr die peinliche Abgeſchloſſenheit liebt.
Geht, geht, Ihr ſeid Rechenexempel.


Von Conſtantin hab' ich Nachricht, will Dich aber
nicht damit behelligen. —


[42]

5.
Leopold an Valerius.

Cupido ſchreibt ſeinem lieben Zuverläſſigen. Ich ſehe
Dich lächeln, Du ernſter Geſell, denn Du vermutheſt
ſogleich ein Anliegen, ein Geſchäft, ſonſt — meinſt
Du — kommt der Schmetterling nicht zum Schreiben.
Ich werde Dich nächſtens haſſen, weil Du mir gegenüber
immer Recht haſt. Du biſt wirklich ein fataler Menſch
mit Deiner Ruhe: wärſt Du wenigſtens ein Pedant wie
William, ſo könnte man doch über Dich lachen, aber
ſo wie Du biſt, biſt Du doch eigentlich gar nicht amüſant.


Da ich einmal ſchreibe, ſo könnte es ſich begeben,
daß ich im Schuſſe die eigentliche Veranlaſſung ver¬
gäße — lächle nicht wieder, lieber Valerius, ich bitte
Dich, es iſt mir unbequem — ich will alſo gleich da¬
mit anfangen. Ich wohne hier auf einer reizenden Villa
bei äußerſt lieben Leuten; der Graf Topf iſt zwar, wie
Du's nennſt, ein eingefleiſchter Ariſtokrat, indeſſen weißt
Du, daß mich das wenig kümmert; er iſt ein poetiſches
Gemüth. Wäre es nicht Dir gegenüber, ſo würde ich
ſagen, das ſei mehr werth als alles Andere. Still doch —
ich hab' es ja nicht geſagt, hinweg mit der Stirnrunzel!
[43] Ein klein wenig Eitelkeit — mein Gott, wer iſt nicht
eitel — mag wohl auch Theil dabei haben; er ſpielt
gern den Mäcen und da ich ihm von unſerm poetiſchen
Vereine erzählte, ſo beſteht er darauf, die Mitglieder
alle hier auf ſeinem Schloſſe zu ſehn und zu bewirthen.
Ich habe Dich kühlen Mann als einziges wahrſchein¬
liches Hinderniß genannt, deshalb that er das Un¬
erhörte, ſchrieb eine verbindliche Einladung an Dich,
Du hältſt ſie als roſenfarbene Beilage meines Briefs in
der Hand. Sei freundlich, theile die Aufforderung den
Andern mit, und kommt her in das Reich der Düfte
und Töne, der ſüßeſte Rauſch wird über Euch kommen,
ich lebe wie ein kleiner Liebesgott und habe Euren Bei¬
namen nie beſſer verdient. Ich wiege mich von einer
Seite der klingenden Tiekſchen Gedichte auf die andre,
ich ſchwebe auf Akkorden, ich bin wie entpuppt und
ſäuſ'le wie Pſyche körperlos durch die Lüfte. Mein gan¬
zes Weſen iſt der liebenswürdigſte Argus mit hundert
Augen für eitel Schönheit, der alte kleine Leopold be¬
gegnet mir nur zuweilen, und überraſcht mich wie ein
wiedergefundener Bekannter, ich bin durch und durch ein
neuer Gedanke von Glück und Liebe.


— Wie Du ſanft lächelſt ob meiner Ueberſchweng¬
[44] lichkeit, nicht wie ein Mephiſto, aber wie ein Weiſer
der kühlen Stoa — ſieh, das macht Dich mir ſo lie¬
benswerth, daß ich immer wieder meine heiße Bruſt an
Dein kühles Haupt lege: Du gewährſt ja der Perſön¬
lichkeit ihr Recht. Ich laſſe mich nur von Dir gern
ſchelten. William dagegen erbittert mich.


Nun horch, was mich hier ſo unſäglich beglückt.
Der Graf hat eine Tochter, Alberta, ſchön wie Diana,
ſpröde wie Diana, göttlich wie Diana — jeder Gedanke
in mir liebt ſie, und jeder Gedanke an ſie iſt Poeſie.
Ihr Kopf iſt der einer Madonna, die ihre Verklärung
ahnt, die noch nicht geliebt hat, aber auf den Lippen,
auf den Augenwimpern die ſchalkhaften Liebesgötter hebt
und wiegt, die ihr zuflüſtern, daß ſie unendlich lieben
werde. Der Ausdruck ihrer Züge iſt ein ſeliges, träume¬
riſches Aufwachen, ihr wie ein Blumenkelch ſich auf¬
ſchließendes Ganze liſpelt zauberiſch: ich fühl's, ich
werde lieben. Wie über der Blume ſchimmert der Thau
der Sehnſucht, der friſche Morgen — ach es iſt ein un¬
beſchreiblich liebes Mädchenbild und ich muß mir die
Augen zuhalten, um ungeſtört mit ihr koſen zu können.
Sie iſt fein, aber rund und voll gewachſen. Trotz ihrer
ſonſtigen Sanftmuth trägt ſie den Kopf keck und ſtolz,
[45] und geht in einer ſehr vornehmen Haltung einher. Ihr
Haar iſt rabenſchwarz, ſie trägt es glatt und ungelockt,
meiſt verhüllt durch eine Art leichten Turbans, den
ſie mit großer Geſchicklichkeit zu drappiren weiß, ſo daß
er wie ein keckes Bürſchchen herunterſchaut. Die Stirn
iſt ſchön wie ein Marmortempel, die Augen — ach
wenn ich Dir ſagen könnte, was es mit dieſen Au¬
gen, mit dieſen lispelnden Mundwinkeln für eine
Beſchaffenheit hätte! In den Augen und auf dem
Munde ruht jene Sehnſucht des bethauten Blumenkelchs.
Das Auge iſt groß und ſchwarz, aber nicht ſtechend
ſchwarz, nein, weich wie Sammet und Seide, weich
wie die Nachtluft im heißen Sommer, glänzend wie
ein dunkler Waſſerſpiegel, der in ungeſtörter Ruhe zwi¬
ſchen den hohen Bergen Tyrols lagert. In ſeinen Tie¬
fen glaubt man bezauberndes Glockengeläut zu hören,
Städte von fabelhafter Pracht und Herrlichkeit liegen
zu ſehn. Albertas Auge iſt das Mährchen von tauſend
und einer Nacht und die langen dunkeln Wimpern be¬
ſchatten es wie die träumeriſche Palme Arabiens zur
Zeit der Dämmerung; fein und ſchlank, faſt unmerk¬
lich gebogen iſt die Naſe, aber die zarten Flügel zittern
mitunter wie Lotosblätter, die Brahma's Odem durchbebt,
[46] und dann hebt ſich ſo herausfordernd der kleine Mund
mit ſeinen vollen Lippen, und um ſeine ſpielenden Win¬
kel hüpfen kleine üppige Tänzerinnen. Sie geht immer
ſchneeweiß gekleidet — Himmel, da kommt ſie mit ihrer
Freundin Camilla, ich ſchreibe im Pavillon, kann nicht
entrinnen und Camillens zügelloſer Neugier könnt' es
leicht einfallen, mir meinen Brief wegzunehmen, ich
will — —

Wie ich befürchtete, geſchah's. Eh' ich meine
Schreiberei verbergen konnte, waren ſie bei mir. „Was
ſchreiben Sie?“ „„Den Einladungsbrief an Valerius„„
ſchütte ich in meiner dummen Beſtürztheit heraus. —
„Sonſt nichts?“ Und nun half kein Sträuben. Die
leichtſinnige Camilla bemächtigte ſich des Briefes und
las ihn in Albertas Gegenwart vor. Ich war einen
Augenblick in großer Verlegenheit, indeß Du kennſt mich
ja, und haſt dieſe Art meiner Dreiſtigkeit oft beſprochen:
ich faßte mich ſchnell, die Schönheit, der Zauber des
Gegenſtandes entflammte mich; ich las den Brief ſelbſt
zu Ende. Mit dem Erfolge hab' ich indeß ſehr wenig
Urſache zufrieden zu ſein: die thörichte Camilla trieb
nichts als Spott mit meinen ſehr ernſthaften Dingen,
[47] und Alberta — ja Alberta ſah ſo wunderlich drein,
daß ich gar nicht aus ihr klug geworden bin. Ach,
Valerius, wo iſt das Thor, das zu dieſem Paradieſe
führt. Ich flattre an dem Gitterwerk herum und naſche,
wie Du's nennſt, von den herüberhangenden Zweigen,
und träume im bloßen Anblick taumelnd umher; —
wär' ich ein Anderer, ſo wär' ich unglücklich, da ich
aber Ich bin, ſo bin ich trotz dem munter, und bis
Ihr auf Grünſchloß, des Grafen Gute, eingetroffen,
hab' ich alle Belagerungskunſt erſchöpft und empfange
Euch als Herr und Meiſter der Feſtung. Die proſaiſche
Camilla iſt mir ſehr im Wege, ſie beſprüht meine Ra¬
keten ſtets mit kaltem ſpöttiſchen Waſſer, und ſcheint doch
neben dieſem fatal platten Weſen eine Innigkeit zu be¬
ſitzen, mit der ſie Alberten unauflöslich feſſelt, und die
ich durchaus nicht verſtehe, für die mir der Zugang zu
fehlen ſcheint. Sie iſt nicht ſchön, aber hübſch und
bewundernswerth gewachſen. Ich glaube, ſie wird Dir
behagen.


Eben erhalte ich zwei Briefe von zwei früheren
Gelliebten, die in dem goldnen Wahne ſind, ich
hätte ſeit der Zeit meiner Abreiſe von ihnen nichts zu
lieben gehabt, als ſie; ich hätte ins Thränentüchlein
[48] geſeufzt. Ich bin nur ein Siegwart des Augenblicks,
ich liebe das Leben und nicht den Tod, Ferne und
Vergangenheit ſind aber Tod. Ich werde zwei Briefe
an Alberten ſchreiben und ſie den beiden guten Kindern
ſchicken, ich hoffe, ſie werden zufrieden ſein.


Meine Poeſie fließt luſtig, ich ſinge Tag und
Nacht wie der Vogel, und in der Muſik bade ich mich
wie ein ſommerheißer Schwan. Komm zu uns, komm
und hilf uns glücklich ſein — der Himmel iſt blau,
die Welt iſt ſchön, man kann ſo unendlich viel lieben!


[49]

6.
Constantin an Valerius.

Was hilft das Klagen?

Was ſoll das Zagen?

Nur keckes Wagen

Macht uns geſund!

Ich bin da, ſie iſt auch da — das weißt Du
aus meinem letzten Billet — aber ich bin noch nicht
da, wo ich ſein möchte. Mit aller Kraft meiner Suada
beweg ich Roſa, ſich hieher entführen zu laſſen. Ich
weiß ſelbſt nicht, warum ſie's eigentlich that, denn
ihre Neigung zu mir ſcheint nicht eben groß zu ſein;
ich glaube, ſie wollte die alte Martha los werden und
die Welt ſehn. Ich hatte uns hier eine angenehme
Wohnung gemiethet, warm und bequem wie römiſche
Thermen, ſie ſchlug es beſtimmt aus, mit mir zu woh¬
nen, ſie affectirt noch viel von Ruf und dergleichen;
ſchwache Weiber klammern ſich an den Ruf wie Greiſe
an den Stock — jedes Kind ſchlägt ihn weg. Ich
mußte vorausreiſen, und als ich ihr dann von hier aus
entgegenfuhr, durft' ich ſie nur einige Stationen beglei¬
3[50] ten, ſie wollte allein hier ankommen, hat ſich in einem
ganz anderen Stadtviertel eingemiethet und bewirbt ſich
um ein Engagement an der Bühne. Sie iſt freundlich,
liebenswürdig, gut, lieb gegen mich, aber ich komme
nicht von der Stelle; es iſt lächerlich, ich habe ihr erſt
einige Küſſe geſtohlen, aber noch nicht einen erhalten.
Es iſt eine großartige Koquetterie, wenn es eine iſt.

Apoll ſenkt ſein Geſpann zum Schatten eines ſü¬
ßen Maiabends; ich habe mehrere Tage mit Roſa ge¬
ſchmollt; jetzt will ich zu ihr gehn, und küßt ſie mich
heut' nicht, ſo küßt ſie mich nie.


Luſtig iſt's im Monat Mai,

Weil ſich die Erde kleidet neu;

Luſtig iſt's dann in Walladmor's Haus,

Weil die böſen Geiſter weichen hinaus.

Der Teufel hole den Mai! Wer gut erzählen will,
muß Hinderniſſe bringen — der Teufel hole die guten
Erzählungen. Roſa war nicht zu Hauſe, oder was noch
ſchlimmer wäre, ließ ſich verläugnen. Ein Gardeoffizier
ging in weiter Entfernung vor mir her und in das
Haus hinein, ein Gardeoffizier machte ſeiner Lorgnette,
[51] meiner Roſa und mir neulich im Theater viel zu ſchaffen,
ein Gardeoffizier folgte uns beim Nachhauſegehn wie
ein Schatten — der Teufel hole die Gardeoffiziere.
Roſa, das koquette Mädchen, geſtattet meine Begleitung
ſtets nur bis an die Hausthür, der Aff' meint, es
ſchicke ſich nicht, ſo ſpät noch Beſuche anzunehmen,
wenn man allein wohne — ach ich bin ſo bös', die
Geſchichte iſt ſo garſtig verfahren, und das dumme Zeug
bringt mich ſo aus dem Gleichgewicht und verdient doch
ſo wenig Aufmerkſamkeit. Ich werde ganz böſ' wer¬
den, und morgen mich hinter die Bücher ſetzen und
die Wirthſchaft ganz liegen laſſen. Wahrhaftig das werd'
ich. — Ob ſie wirklich ſo ſchnell hätte intriguiren kön¬
nen? Valer, was meinſt Du, Du kennſt ja die Wei¬
ber; iſt ihr Theilnahmsgedächtniß wirklich ſolch Enten¬
gedärm? —


3 *[52]

7.
Valerius an Constantin.

Du wirſt Dich wundern, wie ich aus meiner ſtillen
Zelle plötzlich hierher gekommen bin, was mit mir vor¬
gegangen iſt. Ich geſtehe Dir, daß mich die letzten Tage
etwas übereilt und verwirrt haben, ihre Bewegung hat
an meinem ruhigen Gleichgewichte gerüttelt, es iſt mir
Erholung, Bedürfniß, mich ausführlich auszuſprechen,
mich ſelbſt auf's Reine zu bringen. Wie einen ungeübten
Novellenſchreiber beunruhigt mich der Faktenſtoff, der
in der Hand herumſpringt und Ort und Stelle und
Ordnung erheiſcht. Wirſt Du aber auch Zeit dazu ha¬
ben, mein lieber Freund? Du haſt einen leichten Ro¬
man angeſponnen und haſt Dir die Kraft zugetraut,
Held und Dichter und Publikum zugleich zu ſein, Du
haſt verſucht Dir einen kleinen Freudenplaneten zu ſchaf¬
fen, in ihm zu genießen, und von außen her ihn zu
bewegen, zu regieren. Nach Deinem letzten Briefe iſt
Dir der Scepter ſchon klirrend an den Boden gefallen,
der falſche griechiſche Kaiſer hat nur ſeinen Ornat noch
[53] behalten, aber das Anſehen und die Macht verloren;
Dichter und Publikum ſind lachend davon gegangen und
der Held des Romans, der paſſive, ſteht in den Mantel
gehüllt tief in der Nacht vor des Mädchens Haus und
ſchaut grollend und ſehnſüchtig nach den Fenſtern. Ja
Freund, die Neigungen des Menſchen ſehen immer an¬
fänglich wie kleine harmloſe Mädchen aus, bei denen
man einen Augenblick ſcherzend ſtehen bleibt, mit denen
man ſpielt; und unter den Spielen wachſen ſie wun¬
derbar ſchnell in die Höhe und ſie werden wunderbar
ſchön, und das kleine Händchen iſt eine weiche warme
Hand geworden, die uns mit wunderbarem Zauber feſt¬
hält. Dies geiſterartige Wachſen der Neigung hätte et¬
was Unheimliches, wären nicht eben Blut und Wärme
ihre Waffen, die da aufreizen, ſtatt abzuſchrecken.


Schreibe mir, wie es Dir ergeht. Rathſchläge
ſind lächerlich; es ſind friedliche Landesgeſetze für eine
eben vom Feinde eroberte Stadt, die unter dem Mar¬
tialgeſetz ſeufzt, — ich gebe Dir keine, Du kannſt keine
brauchen.


Leopold ſchwärmte ſeit längerer Zeit hier auf Grün¬
ſchloß, er hat den William und mich hieher gebracht.
Ich hielt es für nöthig, die Vorhänge meiner Einſam¬
[54] keit endlich aufzurollen und mich einmal nach der Sonne
umzuſehen. Wie ein bleicher Mann trat ich hervor aus
langer Kerkernacht in die bewegte Erde — was Wun¬
der, daß ich ein wenig beſtürzt war. Beinahe ein hal¬
bes Jahr iſt es her, daß ich einſam auf meinem Gar¬
tenhauſe lebte, nur Euch ſah ich zuweilen bei mir, nur
der Abend ſah mich manchmal bei Euch, ſonſt hat mich
Niemand, ſonſt hab' ich Niemand geſehen. Ihr hattet mich
immer nur zurückgezogen gekannt; ſo lange wir zuſam¬
men lebten, war ich völlig aus dem Getümmel der Welt
getreten. Ein Unterſchied nur mußte Euch auffallen.
Früher ſuchtet Ihr mich oft vergebens in meiner Behau¬
ſung; ich war oft nicht daheim. Ob Ihr es wißt, wo
ich war, was mich beſchäftigte, weiß ich nicht; ich bin
Euern Fragen ausgewichen, ich habe nie geforſcht, ob
Ihr geforſcht. Wahrſcheinlich indeß iſts Dir nicht neu.
Ich liebte, Freund, und war bei ihr, die mich wieder
liebte. Nenn' es eine Schwäche oder wie Du willſt:
das grelle Licht der Oeffentlichkeit blendet meine Augen,
wenn ich ſie hineinſenken kann in das Auge der Liebe.
All mein Thun gehört der offnen Welt, aber meine Liebe
trag' ich ſcheu in den dunkelſten Hain; mein Herz er¬
ſchrickt, wenn es plötzlich vor aller Welt erſcheinen ſoll
[55] mit ſeiner großen Sehnſucht nach einem Weibe. Dazu
kam, daß es eine glückliche Unglücksliebe war; wir lieb¬
ten uns über offnen Gräbern, wir wußten unſern To¬
destag, und da wollten wir keine Minute verlieren,
und die Welt ſollte uns mit ihrer Störung keinen Mo¬
ment rauben. O meine ſüße Clara! wie redlich haben wir
mit der Zeit gegeizt! Wie oft hab' ich Euch bis an's
Thor begleitet, wo Ihr nach Euerm Sammelplatze, je¬
nem claſſiſch gewordenen Kaffeegarten, ſteuertet, und wenn
Ihr mich drängtet mitzukommen, und ich den Kopf ſchüt¬
telte und traurig lächelnd von Euch ging, um in die
Felder hinauszuſtreifen, da harrte ſie meiner ſchon in
jener dichtbewachſenen Laube, wo uns Niemand ſtörte,
da ging ich zu ihr, und ſaß Stunden lang zu ihren
Füßen. Ach, die Welt ging da gemeſſen und harmo¬
niſch, es war Alles ſo ſchön, denn ich liebte kindlich
und kindiſch wie ein funfzehnjähriger Knabe. Mein
demokratiſches Glaubensbekenntniß ſagt mir heut', daß
man beſſer lieben könne, weiter, breiter, univerſeller —
ich konnte in jener Laube einſam mit ihr ſitzen, aber
ich konnte die Welt mitbringen, die Welt der Ideen.
Ich glaub' es auch, ich würde heut' reicher lieben. Aber
damals war die Welt ſo arm, ſie hatte noch keine Ideen,
[56] ich wußte wenigſtens nichts davon, und meine modrige
Wiſſenſchaft paßte nicht dazu. Auf ihrem Schooße ſchrieb
ich jene Lieder, die ich Euch im Vereine las, und weil
wir im täglichen Abſchiednehmen lebten, ſo waren ſie
im höchſten Glück ſo tragiſch, ein ſchlagendes Herz, mit¬
ten durchſchoſſen vom tödtlichen Pfeil. Clara's Schickſal
war unwiderruflich beſtimmt und entſchieden durch ihren
Vater. Wie einen Gott liebte ſie dieſen Vater; ſie wollte
für mich ſterben, aber nie mein Glück mit ihr in feind¬
licher Oppoſition gegen dieſen Vater durchſetzen. Jeder
Verſuch, das Geſchick zu wenden, ſcheiterte an ihrer
eiſernen Feſtigkeit. Es hat mich dieſe Feſtigkeit viel
Schmerz gekoſtet. Ich ſah ſie vernichtet zuſammenbrechen,
als dieſe vorgeſchriebne Beſtimmung erfüllt werden mußte;
ich ſah ſie zerbrochen und leblos vor mir; — aber nicht
das leiſeſte Wort eines Aenderungsverſuchs iſt je über
ihre Lippen gekommen.


Der Zufall hatte mich mit ihr zuſammengeführt;
ſie fürchtete ſich anfänglich vor mir. Ich war beſtürzt
über ihre Anmuth, es war eine rührende Schönheit,
die meinen ganzen Menſchen erweichte. Ich ſah ſie eine
Woche lang täglich und wir wußten beide nicht, was
wir wollten. Ihre Furcht hatte bald dem Extreme, ei¬
[57] nem grenzenloſen Vertrauen, Platz gemacht, und — an
einem melancholiſchen Abende hing ſie mir plötzlich wei¬
nend am Halſe, und auch ich weinte Thränen der Liebe.
Wir haben überhaupt viel mit einander geweint, aber
uns geliebt wie die Engel. Aber Weib war ſie durch
und durch; zu einer Art von männlichem Kosmopolitis¬
mus in der Liebe habe ich ſie nie bewegen können, ſie
wehrte mich haſtig mit den Händen ab, ſie hielt mir
den Mund zu, ſie ſchlug mich, wenn ich ihr ſagte, die
Liebe ſei etwas Größeres als die Neigung zu dieſer oder
jener einzelnen Perſon, man könne der Liebe treu ſein,
während man der Geliebten untreu werde. Darin war
ſie einſeitig und leidenſchaftlich. Und damit hat ſie mich
gelähmt für mein ganzes Leben.


Es war eine warme, weiche, mondhelle Nacht, als
Ihr einſt von mir gingt, Balladen und Lieder küßten
ſich in mir, es war Ball in meinem Herzen, und zau¬
beriſche Muſik trieb mir Alles im Kreiſe herum. Aus
dem Fenſter ſah ich Euch nach, mein ganzer Menſch
war liebedurſtig wie ein wohlthuend ermüdeter Wanderer;
ich ging Euch nach, bald fand ich mich vor dem Gar¬
temzaun, der meiner Liebſten Haus umgab. Der Hof¬
hund kam brüllend herbei; meine, eines alten Bekann¬
[58] ten, leiſe Schmeichelworte beſchwichtigten ihn bald, ich
ſtieg über den Zaun. Clara hatte Beſuch von ihrem
Bruder. Von unſerm Verhältniſſe dürfte er nichts ahnen;
er war ein leidenſchaftlicher Menſch, der in Italien ge¬
boren und erzogen war; entdeckte er mich bei meinem
Vorhaben, er ſchoß mich wie einen Strauchdieb nieder.
Ich aber war liebeluſtig und verachtete alle Rückſichten;
in den hohen Affekten kennen wir keine künſtlichen bür¬
gerlichen Formen, man hütet mit König René Schaafe,
und reitet mit Hüon nach Bagdad. Jener Beſuch hatte
mich ſeit mehreren Tagen von Clara getrennt, ich lechzte
nach ihrem Auge, wie nach Licht — er war noch da,
das wußte ich, aber ich wußte auch, daß Clara wie
ein Vogel ſchlief, der bei dem leiſeſten Geräuſch die
Schwingen hebt; ich wußte, daß ein hoher, breitäſtiger
Kaſtanienbaum dicht unter ihrem Fenſter ſtand. Ich
ſchlüpfte entſchloſſen durch die dunkeln Gänge des Gar¬
tens dem Hauſe zu. Clara's Fenſter waren offen, wahr¬
ſcheinlich war ſie noch wach — aber die Fenſter des
Bruders waren hell, eines ſogar war geöffnet, das
kleinſte Geräuſch konnte mich verrathen. Du weißt,
daß ich im Sommer immer leichte Tanzſtiefeln trage,
dies kam mir zu Statten; ohne Geräuſch kam ich bis
[59] an den Stamm des Baumes, die alte Turngeſchicklichkeit
brachte mich bald hinauf, wie ſtaunend ſah mir unten
der Hund nach. Der Mond ſchien geiſterhaft, ich ſtand
im Dunkel der Aeſte und überſah mein Terrain. Clara
lag halb entkleidet auf dem Sopha, ihr dunkelbraunes
Haar war zur Hälfte aufgelöſt und ſchmiegte ſich ſchmei¬
chelnd wie ein ſehnſüchtiger Trieb, dem man Gewährung
geſtattet, um Hals und Buſen, ihre weiße Hand und
der ſchöne, zur Hälfte entblößte Arm ſpielten damit.
Sie ſah träumend vor ſich hin — ich habe nie etwas
Reizenderes geſehen. Sie trug ſonſt immer ein weites
faltiges ſchwarz ſeidnes oder ſammtnes Kleid, es ſchmiegte
ſich dies zwar liebend an die ſchönen Formen, aber das
warme Leben war immer verhüllt — zum erſten Mal
ſah ich's entfeſſelt und eine göttliche Sinnlichkeit, die
ſich mir ſelbſt in ihrem Arm nie ſo klar angekündigt,
kam über mich. Ich hätte zu ihr gemußt und hätte
es mich tauſend Leben gekoſtet. Wie Käthchen unter
dem Hollunderbaum mit dem Mondſchein buhlend lag
ſie da, der kleine Fuß, des Schuhes ledig, ſpielte tän¬
delnd in der Luft, der auf den Buſen vorgebeugte Kopf
trug den Ausdruck einer glückſeligen, heimlichen Erwar¬
tung. Eben wollte ich auf ihren Fenſterbogen treten,
[60] da öffnete der Bruder, deſſen Zimmer daneben war und
den ich auf und nieder gehen geſehen hatte, den zwei¬
ten Fenſterflügel, und ſah in den Mondſchein heraus.
Ich blieb regungslos ſtehen, der verzweifelte Hund fing
an zu knurren, heraufſehend nach Baum und Fenſter,
ich konnte leichtlich dadurch verrathen werden. — Clara
träumte und tändelte ungeſtört fort. Eine peinliche Mi¬
nute verging, der Bruder ſchien nach mir herzuſehen,
ich hielt den Athem an, plötzlich brach ein kleiner Aſt,
auf den ich im Rückzuge mit dem rechten Fuße getre¬
ten war; die Grabesſtille der Nacht machte ein auffal¬
lendes Geräuſch daraus, der Bruder fuhr blitzſchnell mit
dem Kopf aus dem Fenſter. Clara hob ſich ein wenig
in die Höhe und horchte, der Hund knurrte lauter, ich
hielt mich mit dem Arm feſt an einen Aſt und wagte
nicht eine neue Stütze für meinen rechten Fuß zu ſu¬
chen, aus Beſorgniß; neues Geräuſch zu machen. Der
Vetter aller Liebenden, Freund Mond, bemerkte zu rech¬
ter Zeit meine Noth, er trat hinter eine Wolke; ſchwer¬
lich wäre ſonſt des Bruders unabläßigem Hinſtarren nach
dem Baume meine leuchtende weiße Hoſe entgangen.
Tödtliche fünf Minuten ſchwebte ich ſo auf der Folter,
da gab er endlich die Sache auf, warf das Fenſter zu und
[61] ging in die Tiefe des Zimmers. Ich trat jetzt keck auf
den Fenſterbogen und ſprang behend ins Zimmer. Ein
unterdrücktes „Ach!“ Clara's bedeckte ich vollends mit
Küſſen. Die furchtſamſten Weiber, wenn ſie lieben,
werden nie durch eine Aeußerung der Furcht etwas ver¬
rathen, ſie haben den Liebhaber und die Liebe zu im¬
merwährenden Begleitern bei ſich, und wenn etwas vor¬
fällt, ſo ſehen ſie ſich immer erſt nach dieſen um und
horchen, was dieſe dazu ſagen. Der glühendſte Mann
liebt mit Geſchäftspauſen, er vergißt des Tags über
wenigſtens zehnmal die Geliebte und erinnert ſich hun¬
dertmal ihrer. Das Weib erinnert ſich des geliebten
Mannes gar nicht, denn ſie hat ihn immerwährend bei
ſich, er iſt in ihr und verläßt ſie nie; er iſt nicht nur
ihr Gedanke, denn der kann wechſeln, er iſt ihr Denken,
ihre Phantaſie, ja ihr Verſtand. Clara hatte auch mit
mir gedacht. Sie ſchalt meine Dreiſtigkeit und küßte
mich und war ſo weich und warm und lieb wie ein Son¬
nenſtrahl. Sie wollte ihr Negligé verbergen und ſchmiegte
ſich tiefer in meine Arme, damit ich ſie nicht ſehen ſollte;
ſie war ſanft wie ein ſpielend Kind, ſie war wie eine
ſeltne Blume, die in ſchweigſamer Mondnacht ihren vol¬
len warmen Kelch aufſchließt und Wärme und Sehn¬
[62] ſucht haucht in die Nacht hinein, ſie war unbeſchreib¬
lich liebenswürdig. Und doch war ſie neben jener Weich¬
heit ſo entſchloſſen ſtark, kühn wie eine Göttin. Sie
beherrſchte mich in jener Nacht mit allen Waffen. Clara
zog mich aufs Sopha, drängte mir den Kopf nieder in
ihren Schooß und ſprach mir dann leiſe ins Ohr:
„Valer, ich will Dir angehören, wenn Du mir ſchwörſt“ —
Ich erhob den Kopf und erwiderte leiſe: „„Ich ſchwö¬
re““ — „Narr, Böſewicht“ — lachte ſie — „Du
weißt ja nicht, was.“ Und nun gab's ein neues aus¬
gelaß'nes Treiben überſprudelnder Wonne, wir lachten
einander in die Augen, wir küßten den Stern und die
Seele darin; ich ſuchte ihr Herz und drückte mein bren¬
nend Geſicht daran, wir jubelten wie losgelaſſene Ge¬
fangene. Plötzlich begann ſie wieder die vorige Scene,
ward ernſt, weinte, beugte ſich küſſend zu mir, bat mich
um Verzeihung und betheuerte, ſie könne nicht anders —
„Schwöre mir, Valer, nie einer Andern zu gehören,
ſchwöre mir's — ſtill, Freund, ich bin Dein, Dein
mit Seele und Leib auch ohne den Schwur — aber Du
erfreuſt, Du erquickſt meine Seele durch ihn; willſt Du?“

Ermiß, ob ich wollte, ob ich's that. Ich wußte
es faſt in dem Augenblick, daß ich falſch ſchwor, da
[63] ich ganz gewiß wußte, Clara werde mir entriſſen — ach,
Freund, die Erinnerung ſteigt mir in das Herz, in die
A[u]gen, ich drücke den Kopf in die Hand — ich kann
nicht ſchreiben, ich will meine geſchloſſenen Augen in
die Sophakiſſen preſſen und Seele und Leib dem wir¬
belnden Gewitter der Erinnerung hingeben. —

Es iſt unterdeß Abend geworden; ich weiß nicht,
habe ich geſchlummert, geſchwelgt, geweint oder Schmer¬
zen gelitten — ich fühle mich ſo hoch gehoben, die
Welt ſchwingt ſich ſo tief unter mir; es iſt die Stim¬
mung einen Thron auszuſchlagen — die Phönixflamme
iſt uns genommen, aber die reinigende verjüngende
Thräne iſt uns geblieben. Draußen iſt ein Gewitter
drohend und ſprühend vorübergegangen, ich habe es
donnern gehört, ich ſehe wie friſch die Erde ihre tauſend
Augen aufgeſchloſſen, außen und innen ſteigt eine Welt
friſch aus dem Bade — die Welt iſt ſchön, denn ſie
wechſelt, ſie iſt eine Geliebte, die ſich zu verjüngen weiß.
Ich wohne ſehr angenehm. Das Schloß lehnt ſich an
einen Hügel, der zu einer Teraſſe abgeplattet iſt; da¬
hin führt meine offne Fenſterthür. So hab' ich nicht
[64] das lähmende Parterre, das umſonſt mit den Schwin¬
gen nach Ausſicht flattert und nicht die abgeſonderte
Höhe, die umſonſt Bewegung und Ausdehnung ſucht.
Die Teraſſe ſtuft ſich zu einem ſpiegelglatten Weiher
ab, über welchen Brücken in Park und Garten führen.
Ich ſitze an der offnen Thür und ſehe durch die offnen
Partien in die fernen blauen Berge und in die durch¬
ſichtige, in der Abendſonne mit Thränenſtäubchen ſpie¬
lende Luft. Das Geräuſch der Bewohner kommt ſelten
hieher, ſie ſchwärmen vorn unter den Citronen- und
Mandelbäumen, die in den breiten Vorhallen des Schloſ¬
ſes ſtehen. Ich habe mich unwohl melden laſſen; ſo
denk' ich, wird mich Niemand ſtören, wenn ich Dir
weiter erzähle von meines Lebens größtem Glück und
Leid. — —


Sie zog mich fort vom Sopha, weil ſie befürch¬
tete, ihr Bruder könne Geräuſch hören, ging in ihr
Schlafzimmer und ſetzte ſich aufs Bett; ich kniete vor
ihr. Es war keine platte Sinnlichkeit, die Poeſie beug¬
te ſich lauſchend wie ein roſenrothes Kind zwiſchen uns,
der Mond ſchien in Claras Geſicht, ſie ſah wie eine
Heilige aus, die zurückgekommen iſt auf die Erde, um
ihre thörichte Verhöhnung der Natur lächelnd und küſ¬
[65] ſen abzubüßen. Clara küßte einen heißen Kuß auf
men Auge, ihre runden weichen Arme ſchloſſen ſich wie
elektriſche Bande der Seligkeit um meinen Nacken, eine
glihende Thräne fiel auf mein Angeſicht — „Valer,
unausſprechlich geliebter Mann, willſt Du mein ſein
für Zeit und Ewigkeit, mein und nur mein, daß nie
ein Lichtſtrahl zwiſchen unſere Herzen ſich dränge, daß
ich fern von Dir“ — ſie drückte ihr thränenheißes Ge¬
ſicht in wollüſtigem Schmerz in das meine — „fern
von Dir, gewiß bin, ſterben kann auf die Gewißheit,
Du ſeiſt mein unberührtes Eigenthum?“ Ach ich war
aufgelöſt, die Seele des ſchönen Weibes ſchien wie
Maiſonne in die geheimſten Winkel meines Innern,
alles was gut, was edel in mir iſt, that ſich auf wie
die kleinen Blümlein im Frühling, Schluchzen erſtickte
meine Stimme, der Drang nach Seligkeit, die Fülle
von Seligkeit, das ganze innere beſte Leben ſolch ei¬
nes Weibes zu beſitzen, wollte mir Bruſt und Hals
zerſprengen — der flammendſte Liebesſchwur, unbändig
wie das Kreiſen der neuen Welten in meiner Seele,
unbändig, daß ſelbſt Clara davor zuſammenſchrack, rang
ſich los aus meiner Bruſt — ich halte nichts von
Schwüren, aber ich glaube, wir würden Beide inner¬
[66] lich zuſammenbrechen, wenn wir einander gegenüberſtän¬
den mit treuloſen Armen. Ich meinte, wir tödteten,
wir erwürgten uns damals in glückſeliger Gewißheit
gegenſeitiger rieſengroßer Liebe; es war ein Umarmen,
ein Küſſen und Lachen, als ob die Engel trunken um
die Herrlichkeit der Sonne herumſprängen und es war
die Nacht unſerer Liebe. Jene Nacht iſt der ſchönſte
Gedanke meines Lebens, aber ſie ward auch die ſchönſte
Feſſel meiner äußern Freiheit — ich weiß es, Clara
verginge wie das grüne Blatt des ſpaniſchen Feigen¬
baums, über welches der giftige Solano hinſtreicht,
wenn ans Licht des Tages und vor ihr erſchrocknes Auge
die Nachricht träte „Valer liebt eine andre.“ —


— Nicht der Schwur, Freund, bindet mich, aber
das Schwören.


O hätteſt Du ſie geſehen, als ſie mich von ſich
trieb! Einen dunkelgrünen Ueberrock von leichter Seide
hatte ſie übergeworfen, das Geſicht war verklärt wie
Seligkeitstraum, das Haar ſchlang ſich lüſtern in den
offnen Buſen, das weiße Unterkleid lachte ſchelmiſch
triumphirend ob ſeines Mitwiſſens; ſo beugte ſie ſich
über mich, der ich ſelig träumend auf dem Lager ruhte,
und mit offnen weiten Augen in den dämmernden Mor¬
[67] genhimmel ſah. „Valer, mein, mein, mein, o und nur
mein Valer, geh' — geh' mein Tag, eh' der Menſchen
Tag kommt und uns verräth.“ —


Noch heute fühle ich die keuſche Thräne, die da
auf meine Wange fiel, weil ſie ein Tropfen aus hei¬
ßem Herzen kam, ein Thautropfen ihrer Seele, den die
Liebe entzündet hatte! O wenn mein Mund jenen
Scheidekuß vergeßen könnte! So küßt die Sonne die
Erde, wenn ſie ſich im Abendroth ſcheiden und der
rothe Liebesſchein den Abſchied einhüllt in Purpurwol¬
ken; es wird ſtill auf der Erde und der letzte Son¬
nenhauch bringt in leiſen Abendlüften die ſtille Verſiche¬
rung, daß neuer Tag und neue Liebe anbrechen werde.
Köunt' ich jenen Abſchied vergeſſen, es läge endloſe
Nacht vor mir, ich hätte keinen Morgen zu erwarten.
Sie ſtrich mir mit weichen Händen das Haar von Stirn
und Schläfen und drückte ſich wie eine aufgeſchloßne
Blume in mein Geſicht. Ich weinte Freudenthränen
und hob ſie hoch in die Höhe.


„Und der Franzos hat Recht“ — ſagte ſie und
legte das Haupt auf meine Schultern und ſah herauf
in meine Augen — „nicht wenn er zärtlich kommt,
nein, wenn er zärtlich geht, iſt der Geliebte edel.“ —
[68] „Aber der Morgen kommt — Ade, — Ade.“ — Ich
kehrte auf dem alten Wege zurück, und ging hinein
ins erwachende Land und ſang mit den Lerchen die
Schönheit der Welt — das Gedächtniß und die Erin¬
nerung, ſo oft die Gefängnißwärter unſerer Leiden, ſind
roſenrothe Bänder, die um Schläfe und Augen flattern,
wenn wir Freuden geſehn. — —

— Ich ward auf eine wunderliche Weiſe geſtört:
die Wogen der Vergangenheit bedeckten mein Geſicht und
Auge, ich ſah über die Teraſſe hinaus in die Wolken
hinein und war weitſichtig; denn ich bemerkte es nicht,
daß die beiden jungen Damen von hier, Alberta und
Camilla, ſchon lang an meiner Glasthür ſtanden und
mich lächend anſahen. Einen Augenblick war ich in
Verlegenheit, als ſie mich ſcherzend aufſchreckten, weil
ich nicht wußte, ob ich meine Wolkenſchrift laut geleſen
hätte oder nicht.


Und doch that es mir unendlich wohl, Weiber
um mich zu haben — das Weib empfindet Liebesleid
um ſo viel beſſer als der Mann, wie der Mann die
Kriegsgeſchichten beſſer lieſ't als das Weib. Die Liebe
iſt der Frauen Brotwiſſenſchaft und ſie haben den Vor¬
[69] theil vor den Studenten voraus, daß ſie ſelbige immer
mit Leidenſchaft treiben. Liebe und Liebestroſt iſt das
Amt der Frauen, in ihrer Nähe fühlt ſich der unglück¬
lichſte Liebhaber in weicherer Luft. Der Begriff von
Untreue exiſtirt zudem bei mir nicht. Das iſt der tra¬
giſche Widerſpruch mit meinem Verſprechen an Clara,
welcher den letzten Akt meiner Tragödie im Schooße
trägt. Ich bin der Liebe treu, nicht aber der Geliebten.
Weil ich eben die Liebe liebte, ſo liebte ich die ſchöne
Alberta, die muntre, geiſtreiche Camilla. Meine Weh¬
muth ſchüttelte den düſtern Morgennebel von den Schwin¬
gen, flatterte wie ein erwachtes Vöglein mit den Mäd¬
chen hinaus in den Garten und Abend. Sie waren
freundlicher, inniger denn je gegen mich, weil ſie mein¬
ten, ich ſei es; der warme Gewitterregen müßte mein
Herz befruchtet haben, das ſonſt ohne Grün und Blät¬
ter nur kühle Worte zu ſprechen pflege. Leopold hüpfte
herum wie ein kleiner Flamingo, der ſeine Farbenpracht
in wehenden Flügeln ſchillern läßt. Wenn mein Gefühl
Feiertag hält, reich' ich ihm gern dieſes kleine duftende
Riechfläſchchen, und wenn der Herbſt einen ſonnigen war¬
men Tag bringt, da werden die Menſchen alle wärmer
und poetiſcher als im ſtets heißen Juni, denn die Ueber¬
[70] raſchung befängt ſie in goldnen Netzen, und die Ueber¬
raſchung ertappt das Beſte im Menſchen. Wir ließen
uns alle auf Empfindungswogen ſchaukeln, und die
Uebrigen meinten, ich ſei Schuld daran, weil ich endlich
einmal meinen Rock aufgeknöpft habe. —


Camilla, mit der ich ſonſt nur in blitzenden Ge¬
fechten ſpiele, war weniger widerſprechend, mehr ergeben,
liebenswürdig, Alberta, ein ſüdlicher Liebesgedanke, zit¬
terte wie ein arabiſch Lied in weicher Nachtluft, Wil¬
liam war ſtill und ſanft.


Wir ſetzten uns in eine Laube, und ſprachen von
Sternen und Gott und Liebe. Der Graf ritt unweit
von uns am Gartenzaune vorüber, er kam aus der
Stadt; William ging, ihn zu begrüßen, Leopold ward
bald darauf vom Reitknecht abberufen, der ihm Briefe
mitgebracht. Ich war allein mit den in Empfindung
ſchauernden Mädchen, das Herz drängte ſich in mei¬
nen Kopf, ich ſprach — das nächſte Mal, Freund, ich
ſprach zu viel für unbefangene Mädchen.


[71]

8.
Constantin an Valerius.

Symb.


Der nur iſt ein großer Mann,

Der vom Himmel nichts erbittet

Außer was man eſſen kann. —

Der inliegende Wiſch — man hört aus allem
nur das bittre Nein — iſt von einem Vater an ſeinen
Sohn, worin er ihm verkündet, daß er die väterliche
Hand abziehe von dem Heidenſohne. Ich lege Dir ihn
bei, weil Du ihn vielleicht für eine bürgerliche Tragödie
oder einen civiliſirten Roman brauchen kannſt. Mein
Vater ſchreibt einen lehrreichen, deutlichen Styl; das
Aktenſtück kann klaſſiſch werden

„Bardolph eine andere Farbe, aber halte ſie nicht
zu hoch an Deine glühende Naſe.“


„Ryms. Das iſt eben der Humor davon.“
Ich habe hier einige ſehr geſcheide Leute kennen
gelernt und manche Andre.


Die Mäßigkeit iſt eine ſchöne, aber ſeltne Tugend —
In meines Vaters Briefe ohne Datum befinden ſich ei¬
nige Grobheiten, die mit dieſer Erwähnung abgefertigt
[72] ſein ſollen. Meine Schweſter, das gute Ding, ſchickt
mir unter der Hand einiges Papiergeld — wenn ich
nur gutes Waſſer habe, ſo laſſe ich alles Bier ſtehen
und trinke Wein. Ich werde ein Dutzend fade Luſt¬
ſpiele ſchreiben — wofür bin ich fade und luſtig? und
darüber ſetzen „aus dem Franzöſiſchen des X. Y. Z.“ —
Nur eine ausländiſche Firma hat Credit und wird auch
den Vater vergeſſen lehren. Töpfer macht es freilich
umgekehrt, er überſetzt ein Luſtſpiel von Planché aus
dem Engliſchen und ſchreibt ausdrücklich „Originalluſt¬
ſpiel von Töpfer.“ —


Es freut mich immer, wenn ich irgend einem Men¬
ſchen begegne: Du ſchriebſt mir neulich „man weiß noch
zu wenig“ und dieſes Bewußtſein des Nichtwiſſens er¬
füllt mich jetzt ganz und gar. Haſt Du Börne's Schrif¬
ten noch nicht geleſen, ſo rathe ich Dir, ſie ſchleunigſt
vorzunehmen: das iſt ein capitaler Kerl.


Geſtern hab' ich drei Feſtſpiele geſchrieben, weil
ich heute eſſen wollte. Morgen werde ich eine Novelle
ſchreiben in bibliſchem Style „Wie der ungerathne Sohn
nach Berlin reiſ't und ſich betrügen läßt.“ Weil ich
jetzt ediren will, lobe ich des alten Claudius Alphabet:


V. Vor Kritikaſtern hüte Dich,

[73]

W. Wer Pech angreift, beſudelt ſich.


W. Wer Pech angreift, beſudelt ſich,


V. Vor Kritikaſtern hüte Dich.


Vor allen Dingen aber empfehle ich Dir dringend:
halte Deine Pflegbefohlnen fern von aller producirenden
Poeſie! Du weißt ſelbſt, daß ſie zwar ſchöne Stunden
ſchafft, weißt aber auch, daß Poeten (nach wiederholten
Beſcheiden des Kammergerichts) immer noch mit Seil¬
tänzern, lüderlichen Dirnen und ſonſtigem Geſindel von
der „feinen Welt“ auf eine Stufe geſtellt werden. Fer¬
ner erzeugt die Poeſie Mangel an Selbſtdenken, raubt
die höheren Geſichtspunkte ꝛc. — welches Alles zur in¬
ſtruktionsmäßigen Verwaltung vieler Aemter ſo unum¬
gänglich nothwendig iſt, kurz, ſie macht uns zu rohen,
unbrauchbaren Menſchen. Wir ſind nun einmal von
dieſem Gifte angeſteckt und werden es wohl nie wieder
ganz los werden. Das müſſen wir ertragen; aber ver¬
hindern wollen wir doch, daß unſere heranwachſende Ju¬
gend mehr davon erſchnappe, als zur Führung eines geiſtrei¬
chen Geſprächs in einer Theegeſellſchaft nöthig iſt. Dixi.


— Wir wollen doch die Recenſionen abwarten,
die ſich im Jahre 18 — 19 — in irgend einem
Literaturblatte verbreiten werden über „pp. ſämmtliche
4[74] Werke, zum erſtenmale geſammelt und zum Beſten der
Familie des zu früh Verblichenen von ppp.“ —


Ich verbleiche ſchon ſehr. Was Roſa macht?
O ſie iſt ſehr munter, ich ſah ſie geſtern in der Oper.
Die Heinefetter ſang vortrefflich und Roſa ſchien ſehr
erfreut davon, wenigſtens geberdete ſie ſich ſehr heiter
und luſtig mit ihren Nachbarn — ich kann's nicht
verbürgen, denn ich war weit davon im Parterre, und
Röſchen blühte in einer Loge, und mein Glas war
nicht recht durchſichtig.


Uebrigens lebe wohl, mein lieber Junge! Ueber
der ganzen Welt ſcheint ein unendlicher Katzenjammer
zu hangen, und ſelbſt der Muthigſte erfreut ſich höchſtens
deſſen, was Tieck in Bezug auf Kleiſt „eine herbe Friſche“
nennt. Die Welt iſt krank und die Zeit der Schäfer¬
ſpiele, Idyllen und des kindlichen Frohſinnes iſt aus
der Poeſie und dem Leben entſchwunden. Könige und
Dey's werden ab- und aufgeſetzt wie ein Hut, und ich
ſtudire Kriminalrecht, gegenwärtig fleiſchliche Verbrechen.

Schade, daß es keine Klöſter mehr giebt in unſrer
nüchternen Proteſtanterei; ich möchte auf einige Zeit Mönch
oder Nonne werden. Ade! —


[75]

9.
Camilla an Julia.

Ich bin ſo glücklich, meine Liebe, Süße, Beſte, daß
ich Ihnen mittheilen muß von unſrem Ueberfluße. Wor¬
in unſer Glück beſteht? — Ja, das kann ich Ihnen
nicht auseinanderſetzen, das Auseinanderſetzen iſt über¬
haupt meine Sache nicht. Die Welt iſt ſchön, der
Frühling grün, die Menſchen ſind gut. An den Menſchen,
ja, daran mag's wohl größtentheils liegen, wir haben
meiſt neue um uns, lauter neue Welttheile mit neuen
Pflanzen und Bäumen, und das unterhält. Wunder¬
liche Leute ſind's, aber lieb, gut meiſt, charmant alle.
Alberta hat Ihnen ſchon davon geſchrieben, ich darf wohl
nur ergänzen. Es behagt auch meiner Haſtigkeit nicht,
breit und tief zu ſchreiben. Kurz und ſpitz, das iſt
mir lieber. Eins iſt dabei wunderlich — der Graf.
Wie der zu dem Gedanken kommt, uns mit ſo junger,
größtentheils bürgerlicher Geſellſchaft zu umgeben, das
weiß ich nicht. Ich glaube, er experimentirt. Die Leute
ſind artig und was dem Einen oder dem Andern an
gutem Ton, feinen Manieren abgeht, das erſetzt viel¬
4 *[76] leicht für die Privatgeſellſchaft ein gewiſſer Adel des
Geiſtes und Gemüths. Viel gelernt haben Alle, zu reden
wiſſen ſie Alle, wie die Bücher, Poeten ſind ſie auch Al¬
le, und meine ſchnurrige Gouvernante pflegte zu ſagen, die
Poeten wären alle vom Adel. Unſere Geſpräche ſind jetzt
auch ganz andrer Art als früher, manchmal ſind ſie
mir ſogar zu hochtrabend: über Völker, Länder, Sitten,
Religion, Staat, Stände, Poeſie, Geſchichte und was
dergleichen hochbeinige Dinge mehr ſind. Gar nichts
mehr über unſere Nachbarſchaft, kein Raiſonniren, Mo¬
quiren mehr, und wenn mich manchmal der Schalk treibt,
ein wenig über dieſe oder jene zu läſtern, ſo ſieht mich
Herr Valerius mit ſeinem wunderlich vornehmen Lächeln
an, ſpricht „immer friſch — 's iſt noch zu wenig“ u. dergl.,
daß ich ſtill werde und mich ſchäme. Das iſt überhaupt
der ſonderbarſte von Allen, Herr Valerius: er kommt
mir wie der gelehrte Napoleon vor, er herrſcht über uns
Alle. Wenn ich Ihnen aber ſagen ſoll, wie er das an¬
fängt, ſo bin ich wieder in Verlegenheit. Ich weiß es
nicht. Er iſt einfach in Manier und Rede; er befiehlt
nicht etwa, Gott bewahre, er ſpricht oft nur ein paar
Worte, aber darin ruhen Napoleons Kanonen; er ſieht
dabei mit ſeinen klaren bis ins Mark dringenden Blicken
[77] hinein: darin, ja, ja, ich glaube, darin ruht die Herr¬
ſchermacht und man ſtreckt die Waffen. Er ſcheint
unglücklich zu ſein, es dämmert ſolch eine melancholiſche
Racht um das große graue Auge, und wenn er etwas
Wehmüthiges ſpricht, ſo iſt es unbeſchreiblich rührend.
Er iſt gar nicht hübſch, und als er das erſte Mal in
unſern Geſellſchaftsſaal trat mit ſeinen kurzen leichten
Schritten, ſeinen kurzen Begrüßungsworten, ſeinen ſpar¬
ſamen Verbeugungen, die man kaum angedeutete nen¬
nen möchte, hatte er etwas Schreckhaftes für mich und
Alberta. Erſt allmählig wurden wir frei in ſeiner Ge¬
genwart; aber dann war es auch, als ſei es etwas beſon¬
ders Edles, womit wir uns beſchäftigten, als wir das
von ihm eingeleitete Geſpräch fortführen halfen. Und
wenn er ſpricht, ſo fühlt man ſich in einer ſo wohligen,
ſichern Befriedigung, er hat ein ſehr angenehmes, feſt
männliches Baritonorgan. Uebrigens ſchweigt er ſehr
viel, aber es iſt als ob er im Zuhören redete. Er iſt
von mittler Größe, feſt und ſicher gewachſen und eben
ſo feſt und ſicher in ſeinen Bewegungen, ich möchte ſa¬
gen ernſt, aber doch keinesweges ſchwerfällig oder gar
plump. An ſeinem Geſichte iſt gar nichts Beſonderes,
es iſt blaß, faſt krank, doch hat der Mund etwas äu¬
[78] ßerſt Wohlwollendes, wenn er in ſeiner ſanften Stim¬
mung iſt, etwas tief Verächtliches, wenn er zürnt.
Sein Anzug iſt immer ganz ſchwarz und modern; er
trägt meiſt einen ſchwarzen leichten Rock, der ihn ſehr
gut kleidet; im Frack gefällt er mir nicht, man ſieht ihn
auch ſelten darin. Seine Wäſche iſt immer blendend
weiß, und das find' ich allerliebſt am Manne. Ich glaube,
er hat Theologie ſtudirt, aber die Wiſſenſchaft gefällt
ihm nicht mehr. Er ſoll arm ſein, das würde mir ſehr
leid thun. An ihm ſelbſt bemerkt man aber nicht das
Mindeſte der Art. Ich glaub's auch nicht, denn er iſt
in allen den freien Künſten, welche die höhern Stände
auszeichnen, ſehr wohl erfahren: er reitet, ficht, tanzt
gut, iſt muſikaliſch, ſpricht die fremden neuen Sprachen
und das Geld erſcheint in ſeinen Reden nie. Er iſt
mir überhaupt zu vornehm für einen Armen. Mit dem
Grafen ſpricht er am ſicherſten, wenn auch nicht ſoviel
wie Herr William. Aeußerſt ſelten iſt er gleicher Mei¬
nung mit jenem, aber er ſtreitet, obwohl ſtreng, doch
nie zänkiſch, leidenſchaftlich ungezogen wie ſo viele. Aber
mein Gott, ich ſchreibe Ihnen ja nur über den Mann,
und doch wollt' ich Ihnen über uns alle referiren.

Doch jetzt habe ich das Federfechten ſatt, wir wol¬
[79] len Federball ſpielen — morgen weiter; ich habe ein¬
mal den Befehl vom Grafen und Alberten, Sie von
unſerm Leben im Detail zu unterrichten und Sie dann
ſchönſtens zu bitten, es recht bald ſelbſt bei uns anzu¬
ſehen. Adieu, meine Liebe, für heut.

Ich bin ſo viel herumgeſprungen, daß ich ganz
müde bin. Nie hätte ich geglaubt, daß unſere ernſten
jungen Herren ſo beweglich ſein könnten, den kleinen
Leopoldus ausgenommen, an deſſen Queckſilbernatur ich
nie gezweifelt. Aber auch der ernſte William, der ru¬
hige Valer — ich habe zu meinem Staunen erfahren,
daß ſie alle Turner geweſen ſind; ſie haben in der Stadt
einen poetiſchen Verein gehabt, da iſt immer zuerſt eine
Stunde gedichtet, geleſen und kritiſirt, die nächſte Stunde
gefochten oder geturnt worden. Ich erinnere mich, als
kleines Mädchen noch einige Nachzügler jener Turnzeit
geſehen zu haben, und geſtehe, daß mir dieſe leinwand¬
nen Burſchen wenig behagten. Unſre jungen Herren faſ¬
ſen dies wie Alles romantiſcher auf: Hr. William ſprach
dabei von Teutſchland, Einheit und Vaterland und ge¬
rieth ſehr in Extaſe, Valer lächelte ernſthaft und ſagte
mir, Teutſchland ſei einſt von edlem Weine trunken ge¬
[80] weſen, und habe das edle Herz auf der Zunge, den
Verſtand in der Taſche getragen und dumme Streiche
gemacht. Es habe eine lang verlorne ſchöne Geliebte
geſucht, und mit ſchwimmenden Augen ihren Schatten
dafür angeſehen und ihn brünſtig umarmt. Verſtehen
Sie das? — „Herr, dunkel war der Rede Sinn.“ —
Ich muß ihn beim Thee bitten, mir's deutlicher zu ma¬
chen; des Abends iſt er immer am zugänglichſten: da
tritt er mit mir in den Fenſterbogen, und ſpricht aller¬
liebſt über lauter kleine unbedeutende Dinge, aber er
ſieht alles ſo eigen, ich mochte ſagen ſo groß an, daß
man lauter Neuigkeiten hört. Fatal iſt's mir, daß man
uns nie lange allein läßt; denn allein ſchwatzt er viel
zutraulicher. Namentlich iſt Hr. William immer gleich
bei der Hand. Irre ich mich nicht ganz, ſo macht mir
dieſer lebhaft den Hof. — Was ſagen Sie dazu, und
was wird er ſagen, den Sie kennen? Ich glaube kaum,
daß William auch unter andern Verhältniſſen Glück bei
mir machen könnte. Sein Aeußeres iſt im Grunde
gar nicht übel: er iſt hoch und ſchlank gewachſen, in¬
deſſen fehlt dem Wuchſe die eigentliche Konſiſtenz, er
iſt gertenartig. Dunkelblonde, ſchief geſcheitelte Haare
legen ſich ſchlicht an einen ziemlich kleinen Kopf, der
[81] durch ein ſchönes blaues Auge intereſſant wird. Sein
Anzug iſt von Weitem angeſehen modern; guckt man aber
in der Nähe darnach hin, ſo ſieht man, daß er nach
der vorletzten Mode, gewiſſermaaßen ſchon altfränkiſch
iſt. Das kann ich an einem jungen Manne durchaus
nicht leiden: Halstuch, Halskragen, Jabot, Weſte, —
das Alles, obwohl vom feinſten Stoffe, ſitzt ſo verwirrt
und unordentlich durcheinander, daß man kaum eines
aus dem andern herausfindet. Er iſt ſehr rigoriſtiſch
und von äußerſt ſtrenger Moral; das macht mir Todes¬
angſt; ich liebe den Leichtſinn und die leichteſte Beur¬
theilung über Alles. Uebrigens beſitzt er unleugbare
und große Vorzüge: er ſpricht ſchön und geordnet, iſt
äußerſt unterrichtet, ſelbſt nach Valers Zeugniſſe ſehr
verſtändig, dichtet reizend, ſpielt die meiſten muſikali¬
ſchen Inſtrumente vortrefflich, er iſt mitunter ſogar äu¬
ßerſt liebenswürdig, beſonders wenn er lacht. Seine
Manieren ſind hart wie ſeine Moral, aber beſtimmt, feſt,
ohne Verlegenheit. Denken Sie ſich ihn ſtets im blauen
Frack. Der kleine Leopold iſt ſein Pol. Sie wiſſen,
daß dieſer ſchon früher hier war und uns wörtlich die
Zeit vertrieb. Der Graf hatte ihn im Theater in einer
Ecke der Loge gefunden, wo er zuſammengekauert wie
[82] ein kleiner Gnom ſitzend auf die Ouvertüre der dame
blanche
gehorcht hatte. Plötzlich war er lebendig ge¬
worden, hatte wie ein Regenwurm gezappelt, wenn eine
ſchöne Stelle darangekommen, und war bald darauf ohne
weitere Einleitung mit dem Grafen in ein Geſpräch über
Oper und Muſik gerathen. Mit Alberta, die auch da
war, machte er ſich alsbald bekannt, iſt beweglich, ge¬
fällig, redſelig, liebenswürdig, daß ihn der Graf zum
Souper bittet und binnen achtundvierzig Stunden iſt er mit
hieher nach Grünſchloß gefahren, hat tauſend Geſchichten
erzählt, zehn Souette gemacht, iſt häuslich eingerichtet
und wie ein Glied der Familie, wie ein gern geſehener
bunter Papagai, dem man Zucker ſchenkt. Es iſt ein
pudelnärriſch Kerlchen, romantiſch vom Scheitel bis zur
Sohle, gewandt und beweglich wie ein Püppchen, ver¬
liebt und hübſch wie eine Amorette. Er iſt klein und
zierlich gewachſen, ein ſchwarzer Krauskopf, hat ſchwarze,
muntere Augen, ein charmantes ovales italieniſches Ge¬
ſichtchen, ein weiches angenehmes Organ und den ſchön¬
ſten deutſchen Accent, den nur Valers an Richtigkeit,
nicht aber an Schönheit übertrifft. Es iſt nicht das
ſchneidend ſcharfe Norddeutſche, ſondern die ſüdliche
Weiche hat ſich ſanft um die nordiſche Schärfe gelegt,
[83] ſo daß man ſie nur zuweilen ahnt, aber nie unange¬
nehm empfindet. In Valer's Accent tritt ſie ſchon mehr
hervor. Dazu kommt, daß Leopoldus, der Provençale,
wie er meiſt genannt wird, fortwährend in poetiſcher
Schwebelei zappelt und von Blumen und Düften redet;
Valer aber nur ſelten eine lodernde Fackel aus ſeinem
Gemüthe holt. Sie ſehen, es ſtekt an, ich ſchreibe auch
ſogleich emphatiſch. Uebrigens iſt der Kleine nicht ſo
unangenehm in dieſer ſteten Verzückung als man glau¬
ben ſollte: er beſitzt viel Geiſt und iſt keineswegs ein
gewöhnlicher Wortklimprer. Was mir an William ſo
ſehr mißfällt, iſt, daß er ihn unglaublich wegwerfend
behandelt, ungefähr wie ein Rechtgläubiger einen Ketzer.
Leopold mag freilich im Gegenſatze zu ihm eine ſehr ge¬
duldige, nachgiebige Moral haben — aber es bleibt doch
immer garſtig und iſt ſo ſehr hübſch und gut von Valer,
daß er ihn wie einen flatternden lieben Knaben hält,
dem er lächelnd zuſieht, den er oft ſtreichelt, zuweilen
aber auch mit ein paar ernſten Worten zurechtweiſt.
Dieſe Art von Liebe fühlt auch Leopold ſehr, er unter¬
wirft ſich ihm leicht und ſogleich und liebkoſ't ihn oft,
wie ein Mädchen ihrem Liebſten thun mag. Da ich
zufällig wie ein Pfäfflein ſchon zweimal von moraliſcher
[84] Beſchaffenheit geſprochen habe, ſo muß ich auch der Mo¬
ral Valers gedenken. Aber wie fang' ich das an? Ich
habe das Wort nie von ihm gehört. Nach manchen
leichten Aeußerungen, die er immer wieder in andern
für mich ſchwer verſtändlichen Worten verbarg, ſcheint
er ein ſchlechter Chriſt zu ſein. Als ich ihn neulich des
Abends, wie die Geſellſchaft auseinanderging, fragte,
ob er denn auch betete, da ſchüttelte der freche Menſch
lächelnd den Kopf, und ſagte: „Nein — ich ſehe viel
in die Nacht, in Mond und Sterne hinein, und frage
ſie, wer ſie ſo ſchön gemacht — aber was Sie beten
nennen, meine Holde“ — und dabei küßte er mir
zum erſten Male ſchelmiſch die Hand — „das hab' ich
nur als kleiner Bub' gethan, weil es die Mutter ſo
wollte.“ — Ich war ſo verlegen und verwirrt von dem
Handküſſen; ich kam mir dem klugen Manne gegen¬
über, der Alles in Entfernung von ſich hält, deſſen ſo
unwürdig vor, daß ich nichts zu ſagen wußte.

— Ich ſtand vom Schreiben auf und eilte an's
Fenſter, weil ich Reiter und viel Geräuſch hörte. Von
der einen Seite kam Graf Fips, von der andern ein
Fremder geritten, um den ſich unſere jungen Gäſte bald
[85] ſtürmiſch drängten, den ſie umarmten und jubelnd be¬
grüßten. Alſo wahrſcheinlich ein neuer Zuwachs zu
unſern Poeten. Sollten Sie ſich des Grafen Fips nicht
erinnern? Es iſt die ſogenannte „elegante Figur,“
die immer auf den Bällen zu ſehen iſt. Ziemlich groß,
ſchmal und ſchmächtig gewachſen, mit einem jener trau¬
rig regelmäßigen Geſichter, die man ſich nicht behalten
kann. Dieſen erkenn' ich nur immer an der unanſtändig
geſunden Röthe wieder, die ſich bis an die Ohren zieht,
unweit der Naſe erſchreckt aufhört und ſich in mädchen¬
hafter Weiße verliert. Außerdem hat er die unange¬
nehme Manier, blonde Augenwimpern zu tragen, und
dadurch wie ein malitiöſes Gewiſſen auszuſehen, was
fortwährend zu Läſterungen ſtachelt. Auch hoffe ich ſehr,
die zierlichen dunkelblonden Haare ſind ganz das Werk
ſeines Friſeurs, darum denke ich mir ihn immer kahl¬
köpfig und er erſcheint mir nie anders als wie ein
Miſchling von Türke und engliſchem Lord, ein europäiſcher
Kreole, der innerlich halb beſtialiſch und nur äußerlich
moderniſirt iſt. Mein Gott, was iſt das für Zeug!
Er gilt allgemein für einen ſchönen Mann und im vo¬
rigen Winter haben mich mehrere Damen ſogar ver¬
ſichert, er ſei witzig, wenigſtens ſcharf. Ein Kunſtſtück
[86] verſteht er gewiß: er näſelt ſchnarrend; ich verziehe mein
ganzes Geſicht, wenn ich's ihm nachmachen will. Seit
einem Jahre ſchon iſt er käuflich, das heißt, er ſucht
eine Frau; ich fürchte, er hat ſein ſchillerndes blinzelndes
Auge auf meine liebe Alberta geworfen. Das wäre
ſehr ſchlimm, denn es will mich bedünken, der Graf,
ihr Vater, ſuche eiligſt einen Schwiegerſohn. Gott weiß,
was er für Pläne hat, Gott weiß, was für ungewöhn¬
liche, denn gewöhnlich iſt nichts an ihm. Arme Alberta!
Graf Fips iſt übrigens ein gewandter Cavalier, der
viel Glück bei den Damen hat. Ich erinnere mich kei¬
ner einzigen, die in mein Läſtergeſchwätz über ihn ein¬
geſtimmt hätte. Koloſſal — koloſſal, würde er ſagen,
läſ' er das.


Aber meine Liebe, Sie begreifen leicht, daß mich
meine Neugierde nicht länger am Schreibtiſch duldet —
ich muß recognosciren. — Adieu und nochmals Adieu
und herzliche Küſſe auf ihren lieben Mund von Ihrer


Camilla.

P. S. Ich war ſchon aufgeſprungen, und komme
noch einmal zurück, weil ich mich eines Auftrags von
Hrn. Valer zu entledigen habe. Ich erzählte ihm von
Ihnen, daß Sie unſere Freundin ſeien und daß ich
[87] an Sie ſchriebe, daß Sie ſehr ſchön und liebenswür¬
dig ꝛc. — er ſchien nur mit halbem Ohr hinzuhören.
Vor einigen Tagen ſuchte er mich auf — ich glaube,
der Poſtbote war eben bei ihm geweſen, und erkundigte
ſich nach Ihnen und ob man ſie wohl um Folgendes
bitten dürfte: Ein Freund von ihm, Conſtantin Müller,
lebt in Berlin in einem äußerlich und innerlich ſehr
aufgelöſten Zuſtande — die Adreſſe iſt am Schluß
meines Briefes angegeben; ich muß Valer noch einmal
darnach fragen. Dieſer fürchtet, Conſtantin verſchweige
mehr als er ſage von ſeinem Unglück; er weiß nicht,
wie er ihm zu Hülfe kommen kann. Ob es nicht an¬
geht, dem Herrn Müller in Ihrem Hauſe Zutritt zu
verſchaffen. Valer erlaube ſich, dies einleitend, einige
Zeilen an Conſtantin meinem Briefe beizulegen, die Sie
ihm zuſchickten u. ſ. w. — die Ihrigen machen ja ein
großes Haus, das iſt ja eine Kleinigkeit. Zur Cour¬
fähigkeit bei Ihrem Vater dient Valers malitiöſe No¬
tiz, daß der junge Mann von Adel ſei, ſich aber aus
Oppoſitionsgeiſt nie ſo nenne. Die Sache intereſſirt uns
nach dem Wenigen, was wir über jenen Conſtantin
wiſſen, außerordentlich, und Sie verbinden uns Alle,
wenn Sie ſich der Angelegenheit annehmen.


[88]

Gott, Gott, ſo viel Worte! Adieu, Adieu —
ich küſſe Sie von Herzen — der Graf legt einen Brief
bei, worin er Sie gewiß ſehr bittet, zu uns zu kommen.
O, wir bitten Alle recht, recht ſchön, kommen Sie
bald zu Ihrer


Camilla.

[89]

10.
Constantin an Valerius.

Es iſt eine Schwäche, daß ich meine Rhapſodien
wieder an Dich beginne, aber ich will ſchwach ſein.
Laß mir die Freude oder das Leid. Ich bin ſehr allein.


Geehrtes Volk der Myrmidonen, ich danke Euch
für Eure gute Meinung, die mir William in ein paar
albernen Zeilen kund giebt, daß ich ruinirt ſei. Und
wenn ich eben an den Galgen hinaufgezogen werden
ſollte, ich würde dem hyperboräiſchen, frommen Manne
ſagen, er ſei ein Schwachkopf — der Menſch hat mich
in Harniſch geſetzt mit ſeinen bibliſchen Auszügen —
man ſoll ſich aber nicht in Harniſch bringen laſſen,
vielmehr ſich einer gewiſſen innern Ruhe befleißigen,
nicht zu ſchwere Weine trinken, in's Kloſter gehn. Wir
ſind alle mehr oder weniger Ophelien. O Hamlet,
Welt, warum warſt du ſo kühl gegen mich! Pfui
doch! —


O lieber Valer, thu mir die Freundſchaft und
tritt recht derb in den Dreck der Dir verhaßten Welt —
ja ſo, Dir iſt ſie ja nicht verhaßt — wenn Du dann
[90] die Füße nicht mehr regen kannſt, ſo bildeſt Du Dir
ein, feſt zu ſtehen.


Bruſt heraus, Kopf in die Höhe! Und nun laß
ſauſen und brauſen — Muth, klare Augen! Indem
ich dies ſchreibe, thun mir meine Augen ſehr weh. Ich
habe die Dinger in den romantiſchen Jahren der heim¬
lichen Gymnaſiaſtenlektüre gar zu ſehr angeſtrengt, und
büße jetzt für die Klein-Druck-Sünden des Zwickauer
Walter Scott.


Noch immer wate ich getroſt in der troſtloſen Pfütze
unſrer Jurisprudenz; warum ich das thu', iſt leicht be¬
greiflich: hungern iſt immer beſſer als verhungern.
Wenn ich mehr Muth hätte, that' ich's vielleicht nicht.
Muth, Muth! der fehlt uns und ganz Europa, ſonſt
läg' es nicht ſo im Argen. Nicht der Muth, Gens¬
d'armes zum Einhauen zu kommandiren, wohl aber der,
Lächerlichkeiten ruhig anzuſehen oder Ernſtes genau und
unbefangen zu prüfen. Die Welt will jetzt nicht nach
Geſetzen leben, die da ſind, weil ſie da ſind, ſondern
nach Geſetzen, die aus der Zeit und dem Bedürfniſſe
hervorgehen, von denen ſie weiß, warum ſie da ſind.
Gebt gutwillig, was man Euch ſpäter nimmt, und Ihr
könnt für willenloſe Puppen Menſchen einhandeln,
[91] meines Erachtens ein ſchöner Tauſch. Ich bin kein
Narr, der den Staat für ein Rechenexempel anſieht,
was in einer Stunde zu Stande gebracht iſt, aber ich
bin auch kein Eſel, der ſich beruhigt, wenn er Diſteln
hat. O, ich ſage mit Kaiſer Max: „Wenn ſich Gott
nicht der Sache erbarmt, ich armer Kaiſer und der
verſoffne Julius werden's nicht beſſer machen.“


Steht auf aus Euren Gräbern, die ihr ſie zuge¬
ſchnitten habt jene rothe Mütze, welche jetzt am Horne
des Mondes hängt, vor Allen Du, Rouſſeau! Wirf
noch einmal Dein heiß- und vollblütiges Herz über den
Erdkreis, daß ihnen der Blutregen die Augen füllt ſtatt
der vergoßnen Thränen. Wenn ich oft knirſchend am
Boden meines Zimmers liege, da richtet mich der Ge¬
danke an jene metallnen, mit Blut beſpritzten Helden
der Franzoſenjugend auf, der Gedanke an den brüllen¬
den Danton mit der Athletenfigur, dem von Pocken
zerrißnen Geſichte, wie er einen Vulkan des zertretnen
Menſchenrechts nach dem andern aus der wogenden
Bruſt herausſchleudert; an den blitzenden Desmoulins
mit dem garſtigen ſchwarzen Antlitz, der ſchönen Frau
im Arm und die tödtliche Gerechtigkeit auf der ſpru¬
delnden Lippe; an den rigoriſtiſchen frommen heuchleri¬
[92] ſchen Narren Robespierre und die Helden des Ultrais¬
mus Sanct Juſt's, welche die neue ſchöne Lehre von der
Freiheit mit dem ſtockigen Gifte enthaltſamer Tugend
verſetzten — wahrhaftig, Du hatteſt Recht, als Du
mir ſagteſt, alles andre Studium ſei heut' todter Kram,
die franzöſiſche Revolutionsgeſchichte enthalte alle Fu߬
tapfen unſerer kommenden Jahre, man ſolle ſie ſtudiren,
und den Teutſchen endlich eine ſchreiben, denn ſie ha¬
ben noch keine und nur die Henkerliſten davon, und
dann ſollten ſie die Schulbuben auswendig lernen.
Baler, das war Dein größter Gedanke — o rothe Frei¬
heitsmütze, wann ſieht dich Europas bleiche Sonne wie¬
der! Mein krankes Auge dürſtet nach deinem Anblick. —

Es iſt gut, wenn man an Jemand hängt, es iſt
eine Art Stütze. Wenn man auch im Waſſer iſt, und
ſieht nur von fern Land, ſo hofft man auch wieder. —
Warum biſt Du nicht bei mir; wie ein verliebtes, ſchwind¬
ſüchtiges Mädchen ſchmacht' ich nach Dir — ſelbſt Hyp¬
polit wäre jetzt nicht für mich, in einiger Zeit ja,
denn ich weiß es, in einiger Zeit werd' ich ſehr munter
leben, wenn ich wiſſen werde, wo ich die Million ſtehle,
die ich in die Lüfte und Spelunken ſtreuen will. Kro¬
nen und Millionen ſtiehlt man ungeſtraft, nur die
[93] kleinen Diebe hängt man, nur die kleinen Sünder beich¬
ten und büßen. Alles kommt auf die Quantität, die
Maſſe an — mit Millionen von Goldſtücken, oder von
Liebe, oder von Ehre, oder Luſt iſt Jedermann zu be¬
ſtechen. Ich ſchwör' es, Jedermann. O, will mich
Niemand beſtechen!


Um mich verrückt zu machen, fehlt weiter nichts
als die Liebe — wenn ich nicht ſo ſehr liebte, wär'
ich längſt verrückt. Es giebt keinen liebevolleren Men¬
ſchen als mich. Die winſelnden Lyrika ſcheinen uns
verlaſſen zu haben und das iſt gut, ich halte ſie nur
für eine Uebergangsſtufe. Der Dichter ſoll und muß
über der Empfindung ſtehen. Der Gedanke bringt die
Empfindung, aber die Ausführung gehört ins Geiſtig-
Materielle und nun wird der Dichter Künſtler, der
Handwerkszeug und Handgriffe nothwendig hat, und
darauf achten muß, daß Aller Augen den rechten Ge¬
ſichtspunkt bekommen. Wäre das nicht, ſo brauchte
man ſich nicht zu geniren, wo aber Jeder anders ſieht,
muß man etwas aufſtellen, was eine gewiſſe Allge¬
meinheit an ſich trägt. Ich weiß nicht, ob ich klar ge¬
ſprochen habe, weiß ich doch kaum, ob ich klar denke.
Lies doch den Börne und ſchreibe mir über ihn.


[94]

Ach, und doch wären mir einige lyriſche Gedichte
nothwendig und erleichternd, wie Thränen. Ich habe
Beides nicht. Frag' nicht nach dem Mädchen, denn ich
haſſe es. Deine nächſten Briefe ſchicke frankirt. — Ade!


[95]

11.
Hyppolit an Constantin.

Mein gehaltreicher Sir John, was hör' ich für
Dinge von Euch, Ihr gebt Euch einer wüſten innern
Unordnung hin — was ſoll das? Befolge eiligſt Valers
Rath, und komm hieher, die Luft der Kuhſtälle wird
Dich heilen. Ein Mann wie Du wird ſich doch nicht
den Grillen ergeben! Du ſiehſt, ich habe mich auch
hier eingefunden, um meinen Geiſt zu ſammeln vom
wirren Stadtleben, und ihn vorzubereiten auf größere
Wirren, denen ich in Europas Hauptſtädten entgegengehen
will. Das iſt nämlich der Plan zu meinem neuen Epos:
zur Phyſignomie jeder Hauptſtadt will ich einen ent¬
ſprechenden Körper ſchaffen, dann will ich ſie durchein¬
ander werfen und Situationen erzeugen, und wer die
Civiliſation und die Schönheit heirathet, der iſt der Held.
Komm und beſchreib' mir Berlin mit der langweiligen
Regelmäßigkeit und der kurzweiligen Soldatenſpielerei —
romantiſch darf ich jene dürre Stadt ſchwerlich anziehn,
dazu iſt ſie zu geſetzt, zu altklug, zu hegeliſch; komm, hilf
[96] mir den grauen Magiſterrock zuſchneiden. Und das
Herkommen lohnt wirklich der Mühe: der Ort liegt
ſchön, der Graf iſt gaſtfrei, der Ton feſſellos, die Da¬
men ſind ſchön, Stoff zur Gallenabſonderung, beſonders
für Valer iſt auch da: ein junger adliger Laffe, Graf
Fips, kam nämlich mit mir an und krächzt den Lieb¬
haber und Ariſtokraten — was willſt Du mehr? Du
haſt Dich wahrſcheinlich gewundert, warum ich die Stadt
ſo ſchnell verlaſſen habe, der Du mich dort in ſchönen
Feſſeln wußteſt. Haſt Du Dich wirklich gewundert?
Ei, Mylord, wie kennt Ihr mich mangelhaft! Ich dulde
keine Feſſel, auch nicht die ſchönſte. Wie denken wir
doch alle ſo verſchieden über die Liebe. Willſt Du wiſ¬
ſen wie? Höre! Du liebſt den Genuß der Liebe, Leopold
liebt die Weiber; Valer, der immer was Beſonderes
haben muß, liebt die Liebe, William, der Narr, liebt
die Gottheit in ihr und weil er ein chriſtlicher Pedant
iſt, ſchwört er zum Monotheismus und verdammt alles
Andere — ich — ich liebe das Leben. Was mir nicht
mehr am Leben iſt, werfe ich weg, gleichgültig darüber,
ob ich nach der Definition Anderer morde. Ich kenne
drum auch nicht Valers Pietät gegen das, was er ge¬
liebt, alles Todte iſt für mich nicht da; ich kenne Leo¬
[97] polds Zärtlichkeit, Ueberſchwenglichkeit nicht, weil ich
nur Leben geben will für Leben. Ich ſchwöre keinem
Mädchen Liebe, ich liebe nur. Inſofern nähere ich mich
Dir zumeiſt, nur mit dem Unterſchiede, daß ich nie mit
ſterbe, wenn meine zeitige Liebe ſtirbt, mit platten Wor¬
ten, wenn eine Liebſchaft aus iſt, wie es Dir Stüm¬
per begegnet. Dem William mit ſeinem armen Glau¬
ben gleiche ich in nichts, als daß ich meinen Mono¬
theismus ſo ſehr erweitert habe, daß die ganze Welt
hineingeht, während er bei jenem nur zwei Schuh hoch
iſt, gerade ſo hoch nämlich, daß ein Mädchen hinein¬
geht. Valer kann allerdings Recht haben, wenn er
mich den Kriegsgott der Liebe, wenn er mich den gefähr¬
lichſten nennt, der wie der Samum entzünde und tödte.
Wenn Du dies Glaubensbekenntniß betrachteſt, ſo kön¬
nen Dich meine letzten Ereigniſſe nicht überraſchen. Mein
Akt mit der jungen Fürſtin, von der ich Dir neulich
ſchrieb, entſpann ſich folgendermaaßen. Ich trat im
Theater in die Loge, wo ſie ſaß, ohne ſie zu bemerken.
Man gab Shakespeares Othello, die Desdemona war
ein ſchönes, liebes Weib, die Tragödie ſaß mit verſchränk¬
ten Armen in ihren Augenwinkeln, der Reiz des Un¬
glücks lächelte weinend um ihren Mund. Sie ſah mir
5[98] wie ein ſchönes Opfer des Lebens aus, wie eine indi¬
ſche Witwe, die mit Wolluſt im Scheiterhaufen verkoh¬
len will. Faſt unverwandt ſah ſie nach unſrer Loge
und wie es ſchien, auf mich. Plötzlich fiel mir ein,
daß ich ſie ſchon geſehn. Auf einem einſamen Wege
kam ich neulich zur Stadt geritten, mein Pferd war
ſcheu und unſtät, es ging ſehr unruhig, ich laſſe ihm
die Zügel ſchießen, um ſeinen Drang nach Freiheit zu
ſtillen. Wie ein raſſelndes Gewitter brauſ't es die Straße
einher, eine kleine Strecke vor mir ſeh' ich plötzlich ein
Kind in den Weg hereinſpringen, eine Dame mit durch¬
dringendem Geſchrei ihm nach, ſie will es von der Straße
reißen, das Kind ſträubt ſich, mein Pferd iſt ſchon dicht
vor ihnen. War das Kind allein, ſo ſetzte ich darüber
hinweg, mein Rappe verſteht das, und beſchädigt Nie¬
mand. Aber die Dame richtet ſich auf, ich parire mit
aller Kraft, die mir zu Gebote ſteht, das Pferd und
ſetze es ſo feſt in den Boden, daß mich der Stoß über
den Kopf des Thieres ſchleudert. Ich ſtand neben der
Dame, die mich mit unbeſchreiblich ſchmerzhaftem Aus¬
drucke in ihrem ſchönen Geſichte anſah, ſie war wieder
halb zuſammengekauert und drückte wie ſchützend das
kleine Mädchen in ihren Schooß. Ich hob das liebe
[99] Kind, welches ſorglos lächelte, in die Höhe, küßte es
und gab es der ſchönen Mutter in die Arme. Sie war
außer ſich vor Bewegung, ſah mich mit weiten Augen
wie ein durſtiger Himmel an, griff haſtig nach meiner
Hand und bedeckte ſie mit Küſſen. Ich erwehrte mich
deſſen kaum — das heiße Waſſer ſtand in ihren Augen;
erregt ſtieg ich wieder auf mein Roß, winkte ihr Lebe¬
wohl und flog davon. Dieſelbe Dame — ich erkannte
ſie jetzt genau — war die Desdemona.


Ich ſah unverwandt hin und bemerkte es nicht,
daß mich die Fürſtin fortwährend fixirte, daß ihr Bru¬
der, den ich einige Male an der Pharobank und in lü¬
derlichen Häuſern gefunden, mich zu begrüßen verſuchte.
Als ich deſſen inne ward, fertigte ich ihn kurz ab, und
verwies ihn auf das ſchöne Spiel der ſchönen Schau¬
ſpielerin. Seine Schweſter winkte ihm und nach dem
erſten Akte ſtellte er mich ihr vor. Ich war zerſtreut
und ſprach wie eine Seite der Abendzeitung in lang¬
weiligen Aphorismen, die Blicke immer auf den Vor¬
hang heftend. Sie fragte boshaft, ob ich ſo ſehnſüch¬
tig auf die Desdemona wartete. Ich ſah ſie lange
freundlich an und ſagte lächelnd: „Ja.“ Es zuckte et¬
was über ihr Geſicht und ſie wendete den Kopf hinweg.
5 *[100] Jetzt erſt fiel mir ein, daß ich doch wohl etwas unar¬
tig ſei. — Das Profil der Fürſtin betrachtend verſank
ich aber doch wieder in ein behagliches Träumen. Sie
iſt blond und hat die ſchönſte weißeſte Haut, die ich
je geſehen. Das Geſicht iſt vornehm und edel, braune
Augenbrauen und lange gleichfarbige Wimpern beſchat¬
ten ein dunkles verlangendes blaues Auge, was in ſei¬
ner heißzonigen Art wunderlich heißzonig abſticht ge¬
gen das Nördliche, Unſchuldsvolle des übrigen Geſichts,
deſſen feine, faſt unmerklich aufgeſtutzte Naſe keck und
leichtſinnig ausſieht. Der kleine Mund iſt zum Küſſen
herausfordernd mit ſeinen quellenden Lippen, der Kör¬
per iſt voll und üppig. Sie trug einen blauſammt¬
nen Reitrock, der am Buſen geöffnet war und unter
weißer Chemiſette, deſſen erſter Knopf ſich gelöſt hatte,
zeigte ſich eine ſchneeweiße, kühn und geſund gewölbte
Bruſt zum Theil ohne Hülle dem fragenden Blicke. Ihre
Gedanken ſchienen ſich zu erhitzen, ſie ward roth und die
Bruſt ward raſcher. Plötzlich wendete ſie ſich zu mir
und fragte mich, warum ich ſie unverwandten Blickes
anſehe. Ich lachte und verſicherte ihr, ich ſei ein Phy¬
ſiognomiker, der Charaktere ſtudire und bei den intereſ¬
ſanteſten natürlich [am] längſten verweile.


[101]

Ich war zwiſchen ein doppeltes Leben eingedrängt.
Desdemona kam wieder und ſendete mir befruchtende
Lichtſtrahlen, die Fürſtin erwärmte wie Maienſonne.
Ich habe lange nicht ſo viel gelebt als an jenem Abende.
Der Fürſt kam dazu, und wollte meine Familie und ih¬
ren Stammbaum in Spanien kennen, er ſchwatzte viel
unnützes, genealogiſches Zeug; ich verſicherte ihm, daß
ich ein Baſtard von einer armen Baskin geboren, und
nur aus Mitleid angenommen und mit meinem jetzigen
Namen beſchenkt ſei. Er lächelte, meinte, ich ſei ein
ſchnurriger Kauz, und ich ſolle ihm meine Aufwartung
machen. Die Fürſtin warf dazwiſchen, ich würde wohl
keine Zeit haben; der Fürſt fragte, womit ich mich be¬
ſchäftige. Ich dichte, antwortete ich. Sonſt— fuhr er
fort — ſonſt, nahm ich ſeine Rede auf, ſtudir' ich die
chineſiſche Geſchichte, wegen der ſchwierigen Stammta¬
feln. Sie ſind Hiſtoriker? — Nur mit dem intereſſan¬
teſten Theile der Geſchichte, mit der Genealogie und He¬
raldik, beſchäftige ich mich. Jetzt ſchien er's zu glau¬
ben, nur die Fürſtin ſchüttelte leicht das Köpfchen
und lächelte. Ich weiß alle guten Familien von Re¬
bucadnezar herunter — fuhr ich fort. „Hatten denn
die Alten auch Wappen?„ — O ja, ſie trugen ſie an
[102] den Schwertknöpfen und die Urvölker an den Häup¬
tern, über welche ſie Thierhäupter zogen. „Was halten
Sie von Shakespeare und dem Othello?“ warf die
Fürſtin dazwiſchen. Wenn ich eine Frau wäre, ent¬
gegnete ich, würde mir die Desdemona nicht gefallen,
weil ſie der ausgeprägteſte Typus von weiblicher Erge¬
benheit iſt, und ich haſſe als Mann die Ergebenheit;
ſie iſt wie ein rührendes Lied; man muß das Lied
lieben, ich liebe aber auch gern den Dichter des Liedes.
Vom Dichten iſt aber nichts an ihr, ſie iſt nur gedich¬
tet, ſie iſt durch und durch Paſſivum — ſie iſt nur
Thräne, darum ein reizendes Weib; der Mann liebt
aber den Schmerz mehr als die Thräne. Sie iſt zum
Sterben, zum Vergehen liebenswürdig, der Mann braucht
aber weniger Todesmuth als Lebensmuth; Sterben iſt
leichter als Leben. Aber ſie iſt ſo verführeriſch weiblich
liebenswürdig, daß man mit ihr ſterben möchte, und
dies iſt ihr einziges Unrecht. Ihr Vater, Shakespeare,
aber iſt ein braver Mann. — „Ein wenig roh,“ ſetzte
der Fürſt hinzu. — Beefſteak, Durchlaucht, Beefſteak —
und die Natur iſt nicht für Alle anſtändig, der Herr¬
gott hat die Etikette nicht erfunden. Der Mann mit
den Sternen auf der Bruſt ſchwatzte noch viel albernes
[103] Zeug, ich ſagte ihm noch dreimal, daß er Recht habe, dann
ſchwieg ich, legte mich an den Pfeiler und litt mit des
Mohren Weibe. Zwei Striche für Jago und er iſt der
ſtärkſte Engel. Shakespeare hätte den Raphael über¬
treffen können, der mit zwei Strichen Weinen in Lachen
verwandelte. Es iſt die fürchterlichſte Potenz von menſch¬
licher Kraft in dieſem Jago — Shakespeare muß ein
ſtarker Menſch geweſen ſein, ſonſt hätte er nie einen Jago
zeichnen können. Es iſt die verzeihlichſte Schwäche, ei¬
nen großen Menſchen anzubeten, ich verzeihe drum gern
der Welt die Tändeleien mit dem dogmatiſchen Chriſten¬
thume — wenn mich Shakespeare nicht umarmen wollte,
ſo würde ich ſeine Füße küſſen. O Geſundheit! du
Seele der Welt, warum haſt du die Poeten verlaſſen?
Ich danke der Geſchichte nur für zwei Bücher, die ſie
gerettet, für den geſunden Homer und den geſunden,
ſtrotzend geſunden Shakespeare.


Alles war todt; ich vergaß das Fortgehen. „Ich
hoffe Sie mehr zu ſprechen“ — hörte ich neben mir
und gewann kaum Zeit, der fortrauſchenden Fürſtin
mich zu empfehlen. Die Nacht und den andern Tag
hatte ich für Niemand Zeit. Shakespeare war bei mir,
ich hielt Thür und Fenſter verſchloſſen. An Desdemona
[104] hatte ich viel geſchrieben. Am zweiten Morgen hatte ich
die ſchönſten Antworten. So hatte ich mir das reizende
Weib gedacht, jede Zeile war Poeſie, war Herzblut.
Aber ein reſignirendes Opfergeſchöpf war ſie und blieb
ſie wie Othello's Weib. Ihre Liebe verſprach, eine
grauſame Wolluſt zu ſein. Die Keime des Todes ſtreck¬
ten ihre Spitzen aus jedem Gedanken. Ich fühlte ein
inniges Erbarmen mit ihr, und konnte ſie nicht ſehen,
ſie verlangte es auch nicht, aber wir ſchrieben uns flei¬
ßig. Ihr Mädchen, das mir die Briefe brachte, hatte
einmal auch das kleine liebe Kind mit ſich, ich ſpielte
einen ganzen Vormittag im Sonnenſcheine meines Zim¬
mers mit dem kleinen Dinge. „Du biſt wohl ein gro¬
ßer Herr, meine Mutter erzählt mir, daß Du mit der
Prinzeſſin ſprichſt,“ lallte das kleine harmloſe Geſchöpf
und erinnerte mich zu ihrer Mutter Nachtheil, daß ich
noch nicht bei der Fürſtin geweſen.


Ich fuhr hin, das ſchöne Weib that anfänglich
ſtolz, ſie war verletzt durch meine Nichtachtung, Unge¬
zogenheit. Sie iſt klug und ſehr unterrichtet. Wir
ſprachen über unſere Literatur. Das Geſpräch wurde
warm, ja, es ward üppig, als wir auf Göthes Ele¬
[105] gien kamen. Es überraſchte mich äußerſt angenehm,
ein Weib ſo ganz ohne Prüderie zu finden; ſie ſprach
keck wie eine Griechin von ihrem Entzücken über die
Darſtellung jener italiſchen Scenen. — —


Eben empfange ich Deinen Brief, erlaube, daß
ich ihn erſt leſe, ehe ich weiter ſchreibe.


[106]

12.
Constantin an Hyppolit.

Frag' doch einmal den Valerius, welche Bewand¬
niß es mit ſeinem letzten Billet habe, das mir aus ei¬
nem bedeutenden Geſandtſchaftshotel zugeſchickt worden
iſt und in deſſen Begleitung ich eine zierliche Einladungs¬
karte in jenes Hotel erhielt. Ich war eben mit einer
Auktion meiner letzten reputirlichen Kleider beſchäftigt,
der gallonirte Bediente nahm ſich ſchnurrig unter mei¬
nen Juden aus. Es war der letzte Tag meiner äußer¬
lichen Anſtändigkeit, im himmelhohen Dachſtübchen mei¬
ner jetzigen Höhe ſoll der geputzte Lakai mich ſchwer¬
lich wiederfinden. Ich ſehe hoch herab auf den ſteifen
berliner Jammer.


Thut mir nur den Gefallen, in Euren etwaigen
Novellen keine miſerablen Kerls mit prächtigen Anſich¬
ten auszuſtaffiren, ſondern die Geſtalten möglichſt be¬
deutend zu machen — etwa von meiner Figur. Dieſe
genialen Kerls, die blos deshalb unglücklich ſind, weil
ihnen eine beträchtliche Doſis Menſchenverſtand fehlt und
weil ſie auf der Welt nicht wie auf dem Dudelſacke ſpie¬
len können, ſind mir im höchſten Grade zuwider. —
[107] Ich gebe mir alle erſinnliche Mühe, um glücklich zu ſein,
wenn ich früh mit der Morgenſonne die todte Stadt
betrachte und den luſtigen Rauch aus den Schorn¬
ſteinen ſteigen ſehe, da will mich oft eine Thräne be¬
ſchleichen und eine wimmernde Elegie zerbröckelt ſich auf
der Zunge, aber ich jage das dumme Zeug fort und
nehme meinen alten Moniteur von 1793 zur Hand,
und leſe ihn mit ſtarker Stimme in die Morgenluft
hinaus. Da kommt mir bald der Zorn gegen die jäm¬
merliche Welt, die ihren Geburtstag vergeſſen hat, und
wenn der Zorn erſt kommt, da iſt Alles gut. Nach
der Liebe iſt er die edelſte Leidenſchaft. Ich gehe oft
einen ganzen Tag lang zürnend auf meiner kleinen
Stube hin und her; denn der einzige Reſt meiner Ci¬
viliſation, der mir geblieben, mein Mantel von Marengo,
der mich Tag und Nacht ſchützt, erlaubt mir nicht, am
Tage auszugehen. — Die Zukunft kümmert mich nicht;
wären wir nicht Alle zukunftskrank, ſo würden wir ei¬
ne ſtärkere Gegenwart haben. Mache Dir alles Ange¬
nehme recht anſchaulich und betrachte das Unangenehme
als ein nothwendiges Uebel — hätte ich nicht für mich
ſelbſt dieſe Regiſtratur der nothwendigen Uebel errichtet,
beſchäftigte ich mich nicht mit allem Unangenehmen, bis
[108] es mir wenigſtens intereſſant und für eine Novelle brauch¬
bar erſcheint, ich würde wahrlich nicht ſo gutes Muthes
ſein. Ich lache doch alle Wochen wenigſtens einmal.
Auch leſ' ich jetzt fleißig in der Bibel; ich will doch
mit Vernunft über den Unſinn raiſonniren, nach 1800
Jahren noch immer ungeſtört von einem Buch ſich gän¬
geln zu laſſen, was unwiſſende Schüler einem großen
Meiſter nachlallten. Die „Menſchenrechte“ daneben ge¬
ben die Gloſſen dazu.


Die weibliche Nachbarſchaft mit ihren Gewiſſens¬
fragen in Grünſchloß amüſiret mich ſehr. Die Weiber
ſind noch heute wie die Helden in den alten Novellen,
die ſich beim erſten Begegnen ihre Lebensgeſchichten ab¬
fragen. Macht Ihr noch keine Sonette? Dieſe Dich¬
tungsart iſt ja wie für Eure Lage erfunden. Man
muß beim Sonett nur immer die Form in größter
Vollkommenheit vorausſetzen und ſo wie die Fär¬
bung beim Gemälde, der Stein bei der Bildſäule
Beſtandtheile der Schönheit ſein können, wenn auch
der Gedanke die Hauptſache bleibt, ſo iſt's auch
beim Sonett. Das äußerlich Glänzende vertheidigt
Niemand weniger als ich, aber beim Sonett darfs
nicht blos dieſes ſein: den äußern Glanz muß eben die
[109] innere Harmonie geben. William ſagt gut: „Es iſt
eine Säulenordnung, wo jede Säule zur andern und alle
zum Ganzen in ſchöner Beziehung, klarem Verhältniß
ſtehen müſſen.“ Man mache hie und da, wenn es eben recht
aufgeräumt im Kopfe iſt, ein Sonett, und ſende es der
Liebſten. — Das Sonett iſt ein Weib, dies wird ſich
deſſen freuen, es iſt ihr ein Spiegel eigner ſchöner Zu¬
ſammenſtimmung, wenn das Weib anders eben Muſik
in ſich hat. Ein Dichter, der nur Sonette macht, iſt
ein weibiſcher Mann aus unſerer Theetaſſenzeit. So¬
nette können ſchon wegen der Schwierigkeiten nichts als
der Schaum unſrer innern Wogen ſein, das Eigent¬
liche liegt auf dem Grunde, und wenn es heraufkommt,
ſo iſt es das Einfache, der Urvers, der ſich in der
poetiſchen Proſa oder dem klaren Jambus ꝛc. ausſpricht.

Daß ich nicht ins Theater gehen kann, thut mir
leid. Bei dieſer ſchalen magern Welt ſeh' ich gern die
phantaſtiſche Thätigkeit des Traums. Was mir Vale¬
rius einſt über Nationalität als Hebel der — na¬
mentlich dramatiſchen Poeſie ſagte, ſtimmte mit meinen
Anſichten überein. Ich glaube aber, daß alle Nationa¬
lität nach und nach verſchwinden wird und daß dies
ganz nothwendig im Gange der Weltgeſchichte liegt.
[110] Ich glaube nämlich an eine dereinſtige Univerſalrepublik
ſo feſt wie an meine Fähigkeit, ein Glas an den Mund
zu führen. Es wird und muß ſich eine neue Zeit bil¬
den, wir leben freilich in keiner, ſondern in dem Zwi¬
ſchenraume auf der Brücke zweier Zeiten. Individuali¬
täten, plaſtiſche Figuren, mit einem Worte, Helden
verſchwinden und an die Stelle der Helden tritt die
Meinung. Wir bereiten den Stoff zu einer neuen
Aera der Poeſie, welcher der voreilende Jean Paul
theilweiſe ſchon angehört. In dieſer neuen Weiſe kön¬
nen wir noch nicht ſchreiten, weil ſie erſt die Hälfte
ihres Körpers aus dem Mutterleibe der kreiſenden Welt¬
geſchichte hervorſtreckt; die alte Weiſe kann uns aber
nicht mehr genügen, eben weil die Ahnung der neuen
ſchon in uns vorhanden iſt. Daher finden wir von
allen Arten der Poeſie die meiſte Befriedigung in der
Muſik, weil ſie der Ausdruck halbbewußter Gefühle iſt.
— Nenne dies „Fieberphantaſie eines tauben Muſikers.“


Dieſer Schuft von Diener aus der Geſandtſchaft
hat eine Spürnaſe wie ein Jagdhund, und mich wirk¬
lich ausgeſchnüffelt — keuchend kam er eben auf mei¬
[111] ner Höhe an, und brachte mir die verbindlichſte und
dringendſte Einladung. Man habe mir Vielerlei mitzu¬
theilen. Mantel, ſchütze mich vor Blößen! „Men¬
ſchenrecht.“ wahre meine Freiheit — in dies dum¬
me Zeug hat mich Valers beſorgliche Gutmüthigkeit
wahrſcheinlich geſtürzt. Bitte ihn doch, daß er die Leu¬
te unterrichten läßt, ich ſei ein Taugenichts. Dann
laſſen ſie mich hoffentlich in Ruhe. Ich räuſperte mich,
und hielt dem Diener eine jakobiniſche Standrede. Er¬
ſtens bedeutete ich ihn, daß mein Name Müller, ein¬
fach Müller, Stadtmuſikus Müller ſei, mein Vater
heiße von Müller, ich aber nicht — das von ſei
überhaupt nicht mehr Mode und die Mode ſei die
Hauptſache. Zweitens paßte mein Aeußeres und In¬
neres nicht in ein Geſandtſchaftshotel, drittens gehörte
ich zu den Sanscülotten, viertens würde ich ihm den
Hals brechen, wenn er ſich noch einmal bei mir ſehen
laſſe. —


Ich hoffe, er hat genug.


Geſtern habe ich in der Zeitung geleſen, daß meine
gute Schweſter geſtorben iſt, es war, als ob eine alte
Saite in mir ſpränge, es ſchwirrte eine ganze Weile.
Ach, Sterben iſt keine Kunſt; — nur weil die Leute
[112] das nicht wiſſen, erſchrecken ſie ſo unmäßig vor der
franzöſiſchen Schreckenszeit. —


Ade — freue Dich, denn dies iſt der Punkt, um
den ſich alle Sonnen und Monde drehen — Epikuräer
iſt auch der Stoiker, denn was anders als Freude in
ſich will er durch Stoicismus gewinnen? Um zum
Vergnügen zu kommen, ſei mäßig, nur nicht in der
Liebe zu mir; ich denke Dir mit Wucher zu zahlen.


[113]

13.
Hyppolit an Constantin.

Lieber Freund, Valerius, der eben zu mir kommt
und mir den ähnlichen Brief von Dir mittheilt, iſt
mit mir gleicher Meinung: das muß anders mit Dir
werden. Beiliegende Summe wirſt Du zu Deiner Ak¬
klimatiſirung anwenden, oder es trifft Dich das Ana¬
them der Böotier. Sobald Du Dir einen Frack ge¬
kauft, folge jener Einladung; nach Allem was ich ge¬
hört, findeſt Du ein reizendes Mädchen.


Jetzt höre zu, ich erzähle weiter. Die Fürſtin
bedauerte, daß Göthe nicht auch dergleichen Scenen
aus reicheren, vornehmeren Umgebungen [geſchrieben], die
Weiber ſeien zu ſehr Landſchaft, ich ſolle ihr Elegien
ſchreiben, wo die Frauen mitſprächen. Jenes Behag¬
liche, Reiche — entgegnete ich ihr, — was ſie ver¬
miſſe, erſetze der Schauplatz Italien, aber es ſei aller¬
dings ärgerlich, daß unſre übrigen Poeten noch immer
ſo wenig Courage hätten, dergleichen zu ſchreiben. Ein¬
mal, ſagte ich, liegt es an unſrer bürgerlichen Ein¬
richtung, die in ſo vielfache kleine bürgerliche Fächer
abgetheilt und durch Mauern und Hecken abgetrennt iſt,
[114] die ſo ſehr der Freiheit ermangelt, daß die meiſten
Menſchen nach dem Rechenbuche leben müſſen, in die
naſſen Felder hinausrennen, um ſich Luft zu machen,
da empfängt ſie unſer ſchlechtes Klima und ſie holen
ſich den Schnupfen. Zweitens werden den Meiſten
jene Fächer ins Herz hinein erzogen, ſie prallen vor
jeder papiernen Wand zurück, weil ihnen das leidige
Herkommen zum unerſchütterlichen Naturgeſetz geworden
iſt. Sie zweifeln eher an der Richtigkeit und Geſund¬
heit ihrer Gefühle, als an der der Verhältniſſe. Der iſt
ſchon ein bürgerlicher Held, der als Kanzliſt der Tochter
oder Schweſter des Regierungsraths ſeine Liebe anzubie¬
ten wagt. Drittens ſind unſre allgemeinen politiſchen
Verhältniſſe noch immer die der Herren und Sclaven
und der großen Maſſe von Sklaven fehle es an Muth
zu lieben, wenigſtens an Muth, Gegenliebe zu verlangen.

„Das ſind wunderliche Dinge“ — entgegnete die
Fürſtin — „ich glaube aber nicht, daß Sie zu den
Sklaven gehören.“ — Dabei reichte ſie mir die ſchön¬
ſte Hand, welche ich je geſehen, zum Kuße. Ich küßte
ſie ihr lachend mit warmen Lippen und da ſie mit dem
Zurückziehen nicht eilte, ſo eilte ich nicht mit dem Zu¬
rücklaſſen. Ich ſprach noch viel mit erhöhter Wärme
[115] über Poeſie und Weiber. Meine Dame ward auch be¬
wegter, zog einmal ihre Hand weg, nannte meine Theo¬
rieen männerfrech, ließ mich ſpäter die Fingerſpitzen wie¬
der ergreifen, ſchwieg lange, ſah mich forſchend, durch¬
dringend an, ſtand dann plötzlich auf, ſtrich mir wie
Adelheid in Göthen's Götz dem Franz über das Geſicht
und erlaubte mir den andern Tag wieder zu kommen,
und ihr Gedichte mitzubringen.


Ich war in einer Art Sinnlichkeitsrauſch. Wenn
Du Dich darüber wunderſt, ſo hab' ich Dir nicht ge¬
nug von der Schönheit des Weibes, nicht genug von
dem ſtolz einhergehenden und doch von Bewegung im¬
mer in die Knie ſinkenden Trotze ihres Weſens geſagt,
was unwiderſtehlich reizte. Eine ſtolze Blume, die
ſich des feuchten Thau's nicht erwehren kann, der ihre
Blätter, die Augenlieder, erweicht und das Haupt beugt.
Rechne dazu die reizendſte, reichſte Umgebung, welche
der trägſten Phantaſie ſchwellende Polſter unterſchob.
Glaube ja nicht, daß die äußeren Umſtände ohne gro¬
ßen Einfluß ſeien. Wer unter den gewöhnlichen engen
bürgerlichen Verhältniſſen, wo das Philiſterhafte der
Frau Mutter oder Frau Muhme mit beobachtet ſein
will, frei, mild, ſtark lieben will, muß einen viel grö¬
[116] ßeren Grad von Freiheit und Stärke entwickeln, als
wer eine Fürſtin in goldnen Zimmern findet, wo auch
die leiſeſte Störung ſcheu nicht in die Nähe zu treten
wagt. Nur die ſentimentale, eine Jugendliebe, die
Raſerei der Liebe wächſt unter erſchwerenden Umgebun¬
gen — die Romanſchreiber, die den Satz überall gel¬
ten laſſen, verſtehen nichts davon. Wie käme jeder
arme Novelliſt in ſeiner kleinen Bürgerſtadt mit ſeinen
paar Papierthalern Honorar in Kreiſe, wo die Spi¬
rallinien des Wunſches in weiten freien Bogen ſpringen!
Daß ſo Wenige von den äußerlich Begünſtigten Ro¬
mane ſchrieben, daß dieſe freiſte ſchönſte Dichtungsart
ſo faſt lediglich den armen Teufeln überlaſſen iſt, bringt
ſo viel Jämmerlichkeit, zuſammengeſchnürte Herzen in
unſre Poeſie. — Es iſt ein ander Ding, daß die Liebe
durch Hinderniſſe wachſe — wer möchte das leugnen,
aber der Feind muß des Kampfes werth, der Feind
muß gewaltig die höheren Thätigkeiten aufregend ſein, —
wer und was iſt denn aber der gewöhnliche Feind Eurer
Liebſchaften? Ein kleines Kaſtenherz, was die leben¬
digſten Pulsſchläge als zu kühn und illegitim fürchtet,
jämmerliche Furcht vor einigen herkömmlichen Rückſichten,
die nicht erlaubt glücklich zu ſein, weil's tauſend andre
[117] Haſen nicht geweſen ſind, altes Weibergeſchwätz, der
ſogenannte Ruf, d. h. das Klatſchthema aller mittel¬
mäßigen Menſchen. Solch ein Feind ſtärkt nicht, aber
er lähmt. Man kämpft gegen einen ausgeſtopften Wanſt,
in welchem das Schwert ſtecken bleibt, was den Arm
ermüdet, das muthige Herz aber mit Ekel erfüllt.


Ich erinnere mich eines Univerſitätsbekannten, der
den Umgang mit einem liebenswürdigen Mädchen aus
lauter bürgerlicher Verzweiflung aufgab; ſo wie er bei
ihr ſaß, kam die Frau Muhme und die Frau Baſe
und die Frau Nachbarin, und wenn er die losgewor¬
den war, der Herr Gevatter und der Herr Bruder
Handſchuhmacher und der Papa und die ältere unver¬
ſorgte Schweſter und ſprachen von den Stunden der
Andacht, von den ſchlechten Zeiten, von der Sittenver¬
derbtheit und noch einmal von ſchlechten Zeiten, daß
der Menſch immer zum Tode abgemattet von ſeinem
Liebchen kam und ein Ende machte, um nicht vor Aer¬
ger, Langerweile, unbefriedigtem Sehnen, verplatteter
Empfindung aufgerieben zu werden.


Der [Gegenſatz] von all den Dingen zeitigte aller¬
dings wie klarer Sonnenſchein meine Neigung zur Für¬
ſtin. Ihr ſogenannter Gemahl zählte gar nicht: ein¬
[118] mal gehorchte er ſeiner Frau unbedingt und war ein
kläglicher Pantoffelritter, zweitens war er ein abgeſtumpfter
Menſch, der ein ordinär lüderliches Leben geführt hatte;
ferner beſchäftigte ihn eine kindiſche Eitelkeit mit ſo viel
andern Gegenſtänden, daß er keine Zeit und keinen
Zugang für den Gedanken hatte, ſeiner Frau könne
ein andrer Mann gefallen, endlich, war er meiſt ver¬
reiſ't. Während ich bei ſeiner Frau ſaß, ließ er ſein
nobles Pharoſpiel bewundern, ſeine ſchönen Pferde prei¬
ſen, ſein vielwiſſeriſches fades Geſpräch geiſtreich ſchel¬
ten. Der Bruder der Fürſtin war ſein Genoß und
ſtörte uns eben ſo wenig. Aber des Fürſten Bruder
war ein kräftiger Feind, denn er liebte ſeine Schwä¬
gerin mit Leidenſchaft. Doch davon ſpäter. Ich wollte
Dir nur darthun, wie das Behagliche aller Umgebun¬
gen mich hineinlockte in das Zauberſchloß zur ſchönen
Fee, wie ich ſo lange einen Engel wie Desdemona ihr
nachſetzen konnte.


Sie hatte mich das erſte Mal in einem großen
Geſellſchaftszimmer empfangen; als ich den andern Tag
wiederkam, fand ich ſie in einem kleinen lauſchigen
Gemache. Schwere grünſeidne Gardinen mit glän¬
zenden Goldtroddeln verhüllten zwei hohe Fenſter, der
[119] Fußboden war ein bunter Blumenteppich, an der einen
Wand hingen zwei große Oelgemälde, Joſeph, eh' er
zu dem einfältigen Entſchluſſe kommt, ſich der Potiphara
zu entreißen, und Leda, als ſie brünſtig ihren Schwan
küßt; an der Wand gegenüber ſtand ein rothſeidner
Divan, über welchem ein vortrefflicher Kupferſtich hing,
Jupiter darſtellend, wie er in goldnen Regenſtrahlen
zur Danaë kommt. Das Zimmer war ſonſt faſt leer,
ein breiter Spiegel ſtrahlte den Divan zurück und um¬
armte ſtrahlend den keuſchen Iſraeliten und die begehr¬
liche Leda, ein reicher kleiner Tiſch mit Erfriſchungen
bedeckt ſtand neben dem Sopha. Es war die leichte
heitre griechiſche Freiheit, die über das ganze Zimmer
gegoſſen war; ich haſſe nichts ſo, als die mit Herrlich¬
keiten überladenen Gemächer, wo man bei jedem Schritt
befürchten muß, etwas zu zertreten.


Die Fürſtin ſtand vor dem Spiegel und rollte eine
Locke an den Fingern auf. Ich habe nie etwas Schö¬
neres geſehn, als dies Weib in jenem Augenblicke an
jenem Abende. Sie trug einen leicht ſeidnen weißen
Rock, hoch geſchürzt mit einem Florüberwurf, nach Art
der ſarmatiſchen Ueberkleider geſchnitten. Beide waren
natürlich vorn offen und ſchlugen ſich, wenn ſie ging,
[120] zurück, ſo daß man das weiße Unterkleid und die ſich
rund hervordrängenden Umriſſe des Schenkels und Bei¬
nes ſah. Schultern, Hals und Arme waren frei, die
kurzen herunterhängenden polniſchen Florärmel fielen zu¬
rück, wenn ſie den Arm hob. Titian hat nie ein ſchö¬
neres Fleiſch gemalt. Sie war ungeſchnürt und der
volle Buſen drängte die ſchwache Seide wie ein volles
Herz die kleinen geſellſchaftlichen Rückſichten. Ihr rei¬
ches blondes Haar fiel in reichen Locken um das Haupt.
Der gewöhnliche ſcharfe Ernſt ihrer Züge war gemildert,
und ſie ging anfänglich in launigen Geſprächen wohl
eine Viertelſtunde lang im Zimmer auf und ab. Es
mochte wohl Eitelkeit ſein, ihre in Schönheitslinen
ſich ſchaukelnde Figur zu zeigen. Aber ich liebe dieſe
Eitelkeit und die ſtets ſitzenden Frauen kommen mir wie
fette Türkinnen vor, die mich nie reizen könnten. Das
freieſte Wort, die freieſte Sprache des Körpers iſt der
Gang. Dieſe vornehme Keckheit, mit der ſie ihre Rei¬
ze offnen Auges, offner Stirn auftreten läßt, erfreut
und ſtärkt meine Sinne. Es iſt eine kühne Geſund¬
heit darin. Jenes verdeckte, verſteckte Kokettiren mit nackten
Eckchen und Zipfelchen iſt der baare Gegenſatz davon und
mir in der Seele zuwider. Parallel damit geht auch
[121] die krankhafte Beſchreibung ſolcher hyſteriſchen Schön¬
heiten, wie ſie in den ſogenannten ſchlüpfrigen Ro¬
manen zu finden. Beides ſchwächt die Sinne. Die
Natur in ihrer ungeſchminkten Schönheit, in ihrer Nackt¬
heit iſt immer edel und ſchön, ihre Verkünſtelung iſt
krankhaft. Weil der Novelliſt nicht den Muth hat,
die unverhüllte Form zu zeigen, ſo hat er auch nicht
den Muth, ſie zu bewundern, und er giebt Dekokte für
die baare Schönheit. Darin beſteht ja die Fülle von
Vollkommenheit in der Poeſie, daß ihr alle Künſte zu
Gebote ſtehen, und wer die plaſtiſche verdirbt und einen
löchrigen Mantel über die nackte Statue wirft, be¬
ſtiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, ſchrieben
unſre Bildhauer Novellen: das könnte eine ſtärkende
Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei
Heinſe, die einfachen Homöopathen der Beſchreibung.
Das iſt es, worin ich ganz mit Valer übereinſtimme,
nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen
des Praxiteles nachgeht, ich die dreiſten Linien des
Phidias vorziehe. William hat gar kein Verſtändniß
dafür und ich fürchte, der kleine Provençale nimmt
mehr das Lüſterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil
es entnervt.


6[122]

Die Fürſtin ſprach von den Männern; ich mußte
ihr von Weibern erzählen. Sie hatte viele von unſern
einbalſamirten Herrn kennen gelernt, deren Geſtalt nur
hier herumläuft und deren Geiſt in Erziehung, Lüderlich¬
keit oder Furcht verflüchtigt iſt. Wenn das Gegentheilige
ihr begegnet war, ſo hatte es aus jener materiellen,
rohen, ich möchte ſagen, beſtialiſchen Soldatenkraft be¬
ſtanden, die ſchon ſeit vielen Jahrhunderten unſre hö¬
her geſtellten Stände für ein Axiom der Bildung an¬
ſehen. Es iſt dieſe Barbarei ein Kindlein des Mittel¬
alters und eigentlich ein diplomatiſcher Streich des Adels.
Als das Ritterthum verſchwand, pachteten ſie die vor¬
nehme Soldaterei und Jagd; ſie ahnten etwas vom
Kriegerſtande der Aegyptier und Inder und wollten die
herrſchende Parthei, welche mit des Schwerdtes Kraft
das Land erobert hat, fortſpielen. Unterdeß iſt die
Welt mit ihrer Civiliſation weit über jene behelmten
Häupter hinausgewachſen, darum ſehen wir jetzt unter
den ſogenannten höheren Ständen eine ſolche Menge
barbariſcher Fratzen mit lächerlichen Schnurrbärten von
einem Ohr bis zum andern, die noch immer der ernſt¬
lichen Meinung ſind, ſie hätten das Privilegium der
Courage. Gemüthern, die alle civiliſirten Anlagen
[123] zum Herrſchen beſitzen, alſo ein Wort aus Erfah¬
rung darüber reden können, muß dieſer Vandalis¬
mus gräulich ſein. Das klagte die Fürſtin, und es
beſchlich ſie, nachdem die Schärfe des Worts lange ge¬
nug gemäht hatte, eine leiſe Wehmuth, die ihr ſonſt
gar nicht eigen, darum aber doppelt verführeriſch an
ihr war. Männerſehnſucht, Männertrauer, Thränen
nach Männern ſind die ſchärfſten Waffen eines ſtolzen
Weibes. Sie erobert, indem ſie um Gnade bittet.
Ich fühlte die reiche Armuth des einſamen, hochgeſtell¬
ten Weibes, ich fühlte meine Kraft ſie zu halten und
zu beglücken. „Arme reiche Frau“ — ſprach ich, blieb
vor ihr ſtehen, faßte ihre beiden Hände, führte ſie an
meine Lippen, und ſah ihr drängend tief in die Au¬
gen hinein. Sie legte ihre Arme auf meine Schultern
und gab mir die Blicke feucht und redlich zurück. Aber
es war, als kämen ſie aus einer weiten, fernen Däm¬
merung, als wären ſie Träume von reizenden Stern¬
bildern; ſie ſchauten wie aus den Wogen tiefer Ge¬
danken, ſie ſahen träumeriſch, aber unendlich glücklich
aus, dieſe Blicke. Es war, als bückte ſich die Seele
des hohen Weibes tief vor ihnen. Die ſtarren Kräfte
des kalten ſchönen Geſichts waren gebrochen, die Züge
6 *[124] ſanken in die Knie zu zauberhafter Milde, wehmüthi¬
ger Freundlichkeit. Venus ſtieg aus dem Meeresſchaum,
und die ſchäumenden Wellen fielen plätſchernd von ihr,
und ſie ward ganz das warme Weib. Lange ſahen wir
uns ſo in die Augen, näher und näher ſie aneinan¬
der drängend. Keines ſprach. Wenn ſich die Seele
unter Schmerz und Luſt und Thränen nackt an den
Tag drängt, da ſtaucht und hemmt ſie erſt das ver¬
laute Wort, die dreiſte Kehle, wie man ein Wehr
hemmt, wenn man die Tiefe des Waſſers trocken und
nackt ſehen will. Endlich lispelte die Fürſtin leiſe, ſo
leiſe, daß es nur mit Mühe mein innerſter Menſch er¬
lauſchte: „Du biſt ein Mann“ und ich fühlte einen
brennend heißen Kuß auf meinem Munde. Sie ſchlug
die ſchönen Arme um mich, ich hob ſie dicht zu mir
und hielt ſie, die halb ſchwebende, die ihre brennende
Wange an mein Auge drückte und ſo eine Minute in
meiner Umarmung verweilte. Dann hob ſie den Kopf,
drückte mein Geſicht in ihre Hände und küßte mich ei¬
nige Male heftig, machte ſich bald los von mir, warf
Haupt und Locken in den Nacken zurück und mich mit
halbgeſchloſſenen Augen betrachtend lächelte ſie und nickte
leiſe mit dem Kopfe. „Komm, Mann,“ ſprach ſie, legte
[125] den Arm auf meine Schultern und ging mit mir einige
Male im Zimmer auf und ab, hie und da blieben wir
ſtehen und küßten uns inbrünſtig, und meine paſſive,
mir ſo ungewohnte Rolle von mir werfend, drückte ich
die vollen ſtraffen Glieder des ſchönen Weibes an mich,
und ſchleuderte die lodernden Funken der Sinnlichkeit
verſchwenderiſch um uns herum, umſchlang ſie wie ein
Löwe ſein Weib, überließ mich ganz der heiteren Kraft
meines Weſens, und küßte ſie bis ſie weich und er¬
ſchöpft in meinen Armen zuſammenbrach da hob ich
ſie, einen Arm um ihren Leib ſchlagend, die Hand
an ihren Buſen drängend, an meine Seite und ging,
ſie halb tragend, mit ihr durchs Zimmer. Vor dem
Spiegel blieb ich ſtehen und zeigte ihr unſer Bild.
Sie wollte den Stolz ihres Weſens aufrichten, aber es
gelang ihr nicht, ſie ließ das Haupt nach vornhin ge¬
beugt ſinken und ſah mit einem lächelnd naiven Ausdrucke,
deſſen ich ſie gar nicht fähig gehalten hätte, auf unſere
Gruppe im Spiegel. — —


Die Stunden waren geflogen, wir ſaßen auf dem
Divan und ich mußte ihr Liebesgeſchichten erzählen.
Sie meinte, eiferſüchtig ſei ſie nicht auf die Vergangen¬
heit. Dennoch konnte ich keine Geſchichte zu Ende brin¬
[126] gen, ohne daß ſie mich da, wo ſie anfing intereſſant
zu werden, auf den Mund ſchlug, ſtill ſchweigen hieß,
aufſtand, einen Gang durchs Zimmer machte, dann
vor mir ſtehen blieb, zauſend in meine Haare griff und
halb zornig, halb lachend ſagte: Du hätteſt wohl auf
mich warten können mit Deinem Lieben, dreiſter Menſch.
Ich lachte und zog ſie an meine Bruſt, und drückte
die Hand in ihren Buſen, um den Pulsſchlag ihres
Herzens zu fühlen, und als ich ihr ſagte, ſie hätte ja
kein Herz, da ſchlug ſie mich ins Geſicht und ging hin¬
weg. Ich ſprang ihr nach — „ſtill,“ ſagte ſie —
„Du mußt jetzt fort, es wird zu ſpät, meine Diener¬
ſchaft kümmert mich zwar nicht; aber es reizt mich,
nichts vor dem beſorgten Bürgerweibe voraus zu haben —
man ſoll Dich fortgehen ſehn. Dieſer Schlüſſel — ſie
nahm ihn von jenem kleinen Tiſche am Divan — ſchließt
die weſtliche Gartenpforte, ich habe ihn ſelbſt heut Mit¬
tag für Dich abgezogen, Du Schuft; in einer Stunde
kannſt Du zurückkehren. Schwing' Dich auf den nie¬
drigen Balkon an der Oſtſeite des Hauſes, die mitt¬
lere Flügelthüre findeſt Du offen, geh dann durch die
nächſten drei Gemächer bis in das Bibliothekzimmer,
dort erwarte mich. Adieu, Mann meiner Liebe! — — —


[127]

Das Palais liegt, wie Du weißt, halb im Freien;
ich wollte in friſcher Luft und Nacht die Stunde ver¬
bringen und ſchlenderte auf die Promenade und auf
die Wege, die zu den umliegenden Gärten führen. Aus
einem etwas ſeitab liegenden Gartenhauſe hör' ich Mu¬
ſik, eine Singſtimme zum Clavier und zwar Juliens
Arie aus der Veſtalin, die ich liebe. Ich gehe hinan
und aus einem hohen Parterrezimmer klingt die ſchöne
volle Frauenſtimme. Ein Gartenſchemel, der in der
Nähe ſteht, ſoll mir die Ausſicht ins Zimmer gewähren,
er wird unters Fenſter getragen, ich ſteige hinauf und
ſehe eine Dame im ſchwarzſeidnen Ueberrocke, mir den
Rücken zukehrend, am Klavier ſitzen. Die Arie iſt zu
Ende, ſie läßt die Hände in den Schooß, den Kopf
nach vorn nieder ſinken. Ich rege mich nicht. Sie
hebt eine Hand und fährt leiſe mit ihr auf den Taſten
herum. Dabei bewegt ſie den Kopf ein wenig nach
der Seite, ich ſehe das Profil, es iſt — Desdemona.
„Guten Abend Desdemona!“ — Sie fährt auf, ſieht,
erkennt mich, ſpringt ans Fenſter, greift nach meiner
Hand, bedeckt ſie mit Küſſen und ſpricht: „Mein lieb¬
ſter Hyppolit.“ Sie fragt nach nichts, ſie ſchilt nicht,
ſie gießt nur ihre Seele aus dem Auge in das meine;
[128] wir ſchwatzen koſend wie zwei Vögel, die auf zwei
Aeſten ſitzen, da ſchlägt es elf. „Einen Kuß, Desde¬
mona, ich gehe.“ Und das liebe Weib biegt ſich weit
heraus und bietet mir ihr Auge hin. „Gut' Nacht
Hyppolit,“ ſagt ſie — Gut' Nacht Desdemona, und
die Vöglein flattern von einander.


In wenig Minuten war ich an der Gartenthür,
auf dem Balkon, im Bibliothekzimmer, ich ſuchte mir
Heinſes Ardinghello, ſtreckte mich aufs Sopha, und
las beim Schein der Aſtrallampen, die den weiten
Raum erhellten.


Wie amüſiren mich Eure langen Geſichter, wenn
Ihr von dieſer Impietät hört, wie man in voller Gluth
von einem Weibe zum andern laufen, jetzt dieſe, eine
Viertelſtunde ſpäter jene umarmen könne. O ihr ar¬
men Leute! Wie können die Bettler den reichen Mann
begreifen, der links und rechts ohne Noth Gold ſpen¬
det? Ich habe Leben für eine Million, komme Mil¬
lion und liebe mich! Wie ſollt' ich geizen? Euer ge¬
wöhnlicher Don Juan iſt ein lüderlicher ſinnlicher Wicht.
Aber weil Ihr einmal wißt, daß den der Teufel holt,
ſo haltet Ihr Jeden für des Teufels Beute, der nur
zufällig ein ähnliches Wamms trägt wie Euer Opern¬
[129] held getragen. Ich wollt' es dem armen Teufel nicht
rathen, ſich an mich zu wagen; der Teufel iſt der Tod,
ich erdrücke ihn in der Fülle meiner Lebenskraft. —
Genug, ich will zu Ende.


Die ſchöne Fürſtin war ſo leiſe eingetreten, daß
ich ſie nicht bemerkt hatte, ich phantaſirte über die For¬
menſchönheit mit Ardinghello — wie eine heiße Sonne
trat ſie plötzlich vor mein Lampenlicht. Eine Million
lebte eben in mir, ich riß ſie in ihrem weichen Nacht¬
kleide zu mir nieder, ich erwürgte ſie faſt. „Laß mich
einen Augenblick los“ — flehte ſie. Als ſie frei war,
ſprang ſie durch die Thür, ich ihr nach. Sie war
verſchwunden. Mitten im nächſten Zimmer ſah ich
mich um, ſie ſchloß eben ſorglich die Thür, hinter deren
Flügel ſie ſich einen Augenblick verſteckt hatte. „Der
Fürſt könnte zurückkehren,“ — ſagte ſie — „und es
fällt ihm zuweilen, meinem Schwager aber oft ein, ſich
ſelbſt ein Buch ſuchen zu wollen.“ Wir gingen in
ihr Schlafzimmer, es iſt verführeriſch wie ein anakreon¬
tiſches Gedicht. Eine nur angelehnte Thür führte zu
einem Badezimmer; ich küßte einen Augenblick Abſchied
auf Mund und Buſen meiner Conſtantie, warf die
leichten Kleider von mir und tränkte meine durſtigen
[130] Glieder mit der weichen Welle. Es iſt dies etwas,
was ihr Teutſchen durchaus nicht lernen wollt, daß
das viele Baden etwas Reizendes ſei. Ihr rauhen
Bären Germaniens, die Ihr vom Urzuſtande doch übri¬
gens nichts als das rauhe Fell behalten habt, wo drei
Schläge auf einen Fleck fallen müſſen, ehe Ihr einen
fühlt, begreift's nicht. Das teutſche Weib, ja ſelbſt
der teutſche Jüngling weint ſich windelweich, weint ſich
aus, wenn er einen neuen Menſchen anziehen will, der
ſüdliche badet, und erfriſcht, geſchmeidig, geläutert tritt er
an die Luft, für deren Balſam er tauſend neue Organe
geöffnet hat. Das Bad iſt ein Hauptakt der körperli¬
chen Civiliſation; ſchon in Frankreich findeſt Du in
jedem einfach eingerichteten Hausweſen ein Badezimmer,
in Teutſchland keines in dem beſt eingerichteten. Ich
verlange nicht den Reichthum des Südens darin, denn
natürlich drängt dort das Klima mehr dazu; ich ver¬
lange nur das Aneignen des reinigenden Elements.
Die üppigen Thermen der Griechen und Römer bekun¬
den heut noch in ihren Trümmern, welchen Werth man
auf dieſe Sitte gelegt. Geiſt und Gemüth entfalten
ſich behaglicher in einem Leibe, der aus dem Bade ſteigt,
eine reinere friſchere Sinnlichkeit hüpft durch die erreg¬
[131] ten Adern — aus dem Meere hoben die Griechen ihre
Liebesgöttin, die ſtrahlende Aphrodite. Das Waſſer iſt
ein geiſtigeres Element als die Erde, man fühlt ſich
höher, edler, wenn man die Glieder aus den Fluthen
hebt. Drum lob' ich die mehr und mehr überhandneh¬
menden Schwimmanſtalten in Teutſchland. Die Poli¬
zei ſollte an den Thoren darauf ſehen, daß die Ein¬
paſſirenden erſt in den Fluß gingen, ehe ſie in die Stadt
kämen; ſtatt die im Zimmer verkümmernden teutſchen
Bürger allſonntäglich wie die Heerde zum nutzloſen Ge¬
ſchwätz eines Pfaffen zu ſchicken, würd' ich ſie ins Waſ¬
ſer jagen, damit ſie die trägen Flügel ſchütteln lernten
wie die Vögel, die ſich auch baden, obwohl ſie in rei¬
nerem [Elemente] verkehren als wir. Teutſchland hat die
gründlichſte Aeſthetik edirt und die Aeſthetiker holen die
Regeln aus dem Bücherſtaube und ſchreiben ungewaſchen
über Schönheit. Es hat mir den Anblick manches zärt¬
lichen Liebespaares verleidet, wenn ich daran dachte,
daß Beide vom Baden nichts wüßten. Man ſoll den
Körper pflegen wie die Frucht, deren Saft unſere
phyſiſchen und geiſtigen Theile ſtärkt und nährt. Man
ſchmeidige und ſtähle die Nerven, dann weiß man
muthiger zu lieben, zu denken, zu leben. Natürliche
[132] Geſundheit thut Euch am meiſten Noth, denn Eure
künſtliche iſt Krankheit. Der Natur mit ihren ewigen
Quellen nährt Euch mehr; werft Euer ſchmutziges
künſtliches Koſtüm, was nicht Luft noch Welle zu Euch
läßt, hinweg. Werdet Menſchen, die ſublimſten von
Euch wollen kothige Kopieen kleiner Götterchen ſein
und das gelingt ihnen ſo jämmerlich, daß ſie am Mi¬
serere
ſterben. Teutſchland geh' ins Bad.

Das Papier iſt gelb geworden; ich habe das Schrei¬
ben lang liegen laſſen. Du weißt, daß ich immer das
künſtliche Leben dem natürlichen nachſetze. Es giebt aber
hier viel zu leben. Davon will ich Dir ſpäter erzählen;
erſt raſch meine Geſchichte bis zur Ankunft auf Grün¬
ſchloß beendigen. Wenn ich auch an den Bildern mehre¬
rer Jahre vorübergehe, Conſtantie bleibt das ſchönſte
Weib was ich geſehen. Linie, Muskel, Form, Auge,
Wort, Geiſt, Gefühl — Alles iſt ſtraff an ihr; ſie iſt
der Gedanke eines Mannes, der weibliche Form gefun¬
den. Es hat mich nie ein Weib mit ſolcher Energie
[133] umarmt und geliebt als Conſtantie in jener Nacht. Ich
liebe dieſe Kraft am Weibe über Alles; das Weiche,
Vergehende, Ergebene gewährt mir zu wenig Widerſtand.
Ich gehe noch einen Schritt weiter als Valerius, der
ebenfalls Kraft und Stärke des Weibes bevorzugt, ich
liebe ſogar die Strenge der Form, des Geiſtes und
des Gemüths. Vielleicht ſind ſolche Weiber der Ueber¬
gang zur griechiſchen Knabenliebe. Als Conſtantie des
Morgens erwachte, war nichts von jener Schaam, wel¬
che der Tag ſo oft über die Freuden ſolcher Nächte gießt,
an ihr zu entdecken; ſie umarmte mich beim Tageslichte
ſo glühend wie ſie beim Lampenſchein gethan. Ich mußte
den Tag über in jenen Gemächern bis zum Balkon blei¬
ben, weil ich nicht leicht unbemerkt fortkommen konnte.
Conſtantie war für die Welt krank und ſpeiſte auf ih¬
rem Zimmer. Wir lebten wie goldne Vöglein im Käfig.
Als die zweite Nacht zu ſchwinden begann, verließ ich
ſie erſt — ein großer Thränentropfen der Wolluſt und
des Schmerzes, der einzige, den ich je in den ſtolzen
ſüdlichen Augen geſehen, erweichte ihren Blick, als ſie
an der letzten Thür von mir ſchied. Wir hatten ver¬
abredet, daß ich ihre Salons fleißig beſuchen ſollte.
Wenn ſie mich italieniſch fragte, „wie leben die Poeten?“
[154] ſo war dies ein Zeichen, daß mein Schlüſſel gefahrlos
zu ihr führte.


Daheim fand ich einen Brief Desdemona's, ein
duftender Zweig aus einem indiſchen Walde. Ich ſchrieb
ihr innig zurück und ritt dann in das duftende Land
hinaus. Es hüpfte ein karger Frühling über die teut¬
ſchen Felder, aber es war doch ein grüner Junge mit
friſchem Athem; ich vergaß die ſpringende Jugend Spa¬
niens und ritt immer weiter und weiter. Erſt nach
mehreren Tagen kam ich zurück. Wieder lag ein Stück
Himmel Desdemona's auf meinem Tiſche, daneben eine
trockne Einladung zur Soirée beim Fürſten. Ich ging
hin, aller ſogenannte Adel der Stadt und Umgegend
hatte ſich geputzt eingefunden ſie machten Alle ernſt¬
haft ihre Kapriolen und ſpielten ihre Puppenkomödie
aufs Beſte, d. h. ohne allen Geiſt Wie ſie ſich ge¬
freut haben mögen, als ſie nach Haus gekommen ſind,
jeder auf ſeine Weiſe, der Eine, daß er ſich keines
Schnitzers im Franzöſiſchplappern erinnerte, der Andre,
daß der Fürſt ihn auf die Schulter geklopft und ver¬
ſichert habe, er ſei noch ganz derſelbe wie 1806, der
Dritte, daß er Niemand auf die Füße getreten, auch
nicht gefallen ſei, die Erſte, daß ſie das zweite Paar
[135] im Cotillon ꝛc. und was dies Geſchmeiß der Civiliſation
dergleichen ſchwatzt. Der Adel als Begriff und Maſſe
iſt wirklich in heutiger Zeit, wie Valerius ſagt, ein In¬
dianerſtamm, deſſen Farbe europäiſch geworden, deſſen Cha¬
rakter aber wild geblieben iſt. Die ſpätern Hiſtoriker werden
unſern Adel als naturhiſtoriſche Merkwürdigkeit aufführen.


Die Fürſtin war ſo umlagert, daß ich nicht zu
ihr konnte. Aber wo wäre ein Mann ſo klug wie ein
Weib. Beim Contretanz ſtand ſie plötzlich mit ihrem
Tänzer neben mir und ich hatte es kaum geſehen, als
ich auch ſchon die Frage nach den Poeten beantworten
mußte. Sie tanzte mit ihrem Schwager. Er ſah ſehr
ernſthaft aus und maaß mich mit ſtolzen Blicken. Meine
lange Geſtalt machte ihm viel zu ſchaffen, er ſchien
nicht einig zu werden über das Maaß und fing immer
wieder von Neuem an. Da ich dort nichts übelnehmen
konnte, ſo lachte ich, das machte ihn noch ernſthafter.
Conſtantie ignorirte mich — Alles flüſterte, ſie ſei nie
ſo ſchön geweſen. Ein Weib kann noch ſo ſchön ſein,
die Liebe macht ſie doch erſt reizend.


Die Nacht kam und ging, ich mit ihr. Dieſel¬
ben Scenen wiederholten ſich; Conſtantie, die früher
nur auflodernd heiß gegen mich war, wurde von Tag
[136] zu Tage wärmer, der männliche Thau ſchien mehr und
mehr von ihr abgeſtreift zu ſein, das Weib war durch
und durch erweicht, ſie ward mit Blicken und ſanften,
lind ſchmeichelnden Worten freigebiger und unvorſichtiger
gegen mich. Die Eiferſucht aber iſt das Bild des al¬
ten Argus, ſie ſieht das Meiſte. Ihr Schwager ging
wie ein Tiger umher; das hätte dem hypochondriſchen
teutſchen Jünglinge die Freude verdorben, die meine er¬
höhte es. Die Poeten waren des Abends dran gewe¬
ſen, ich ſtand gegen Mitternacht auf dem Balkon. Als
ich eintrat, fand ich Conſtantien nachdenklich, den Kopf
auf den weißen Arm geſtützt im Lehnſtuhl ſitzend. Sie
trug noch das himmelblaue Sammetkleid, womit ſie
im Salon geweſen, hatte nur allen andern Kram von
ſich geworfen und die Feſſeln des Kleides gelöſt. Ich
blieb in einiger Entfernung von ihr ſtehen und betrach¬
tete im Spiegel unſer eingerahmts Bild, Du weißt,
wie ich das Schaffen von Bildern liebe. Wir ſchwie¬
gen Beide. Endlich hub ſie an: — „Haſt Du wohl
verſchloſſen, Hyppolit? „„Ich habe““ — „Mein
Schwager ſinnt ohne Zweifel Arges und ich will lieber
ſterben als dem Menſchen die kleinſte Rache gegen
mich gelingen laſſen.“ Dabei ſtand ſie auf, kam zu
[137] mir, legte die Arme und das Haupt an meine Bruſt
und ſprach nichts mehr. Plötzlich ging ſie und ſchloß
auch die Thür ihres Schlafgemachs, was ſonſt nicht
geſchah, da die Bibliothek von uns aus verſchloſſen war,
und von dieſer Seite keine andere Thür zu uns führte.
Ich lachte und küßte ſie. Nach Verlauf einer halben
Stunde ſchrak ſie in meinem Arm auf, hielt mir den
Mund zu und lauſchte. „Es iſt Geräuſch in der Bi¬
bliothek — man ſchlägt drüben an die Thür.“ — Wir
horchten Beide— es war ſo. „Auf, Hyppolit!“ Ich
ſchickte mich eiligſt zur Abreiſe an und fragte lachend:
„Wohinaus?“ Sie führte mich haſtig ins Badezimmer
und deutete auf ein an der obern Wand in tiefer Ni¬
ſche angebrachtes rundes Fenſter mit bunten Gläſern.
„Kannſt Du?“ — fragte ſie. „„Ich muß““ — Ein
Stuhl ward herbei gebracht, ich ſprang an ihm in die
Höhe und klammerte mich in der Niſche feſt, wo ich
zuſammengekrümmt mit entſetzlicher Mühe das Fenſter
aus ſeinen Angeln brach, denn es war nicht zum Oeff¬
nen eingerichtet. Ich reichte es Conſtantien hinunter,
ſonſt hätte ich's beim Hinunterſpringen in den Hof mit
hinabgeriſſen, da der Raum zu eng war. Was ſie da¬
mit gemacht hat, weiß ich nicht, ſie wollte nur mich
[138] entfernt haben, alles Uebrige aber ohne Mühe dann
vertreten. „Es ſtürmt heftig,“ gab ich ihr noch als
Notiz in die Hand ſie warf mir den letzten Kuß zu,
ich ſprang hinunter. Der Sprung war ein mäßiges
Stockwerk hoch und führte in einen Seitenhof, wo glück¬
licherweiſe ſtatt der Steinplatten Raſen war. Es krach¬
ten alle Knochen in den Gelenken, jedoch die Elaſticität
meiner geſunden Glieder ſpottete der Erſchütterung. Das
Geräuſch hatte aber den großen Hund des Pallaſtwächters
herbeigelockt, ich ſtand kaum auf den Beinen, ſo kam
er brüllend auf mich eingeſprungen, ſetzte an mir in
die Höhe und ſchlug Schnauze und Rachen an meine
Bruſt. Ich hatte Eile, ſpannte all' meine Muskeln,
würgte ihm den Hals zuſammen, daß ihm der Athem
benommen ward und ſtieß ſeine Schnauze ſo heftig als
ich konnte, an die Mauer. Das Ringen ſeiner Glie¬
der hörte auf, ſchlaff ſtreckten ſich die Pfoten, er war
halb erdroſſelt, das Blut ſchoß aus dem Rachen. Da
hört' ich das kommende Nahen des Wächters — ich
mußte fort, den Hund drückte ich auf die Erde, ließ
ihn einen Augenblick los und trat ihn, der faſt regungs¬
los war, den Fuß mit dem ganzen Gewicht des Kör¬
pers auf den Kopf. Das Terrain kannte ich, über eine
[139] kleine Mauer ſpringend, gelangte ich in den Garten, und
jagte unter den Bäumen hin nach meinem Pförtchen.
Doch konnte ich meine Neugier nicht bezwingen: ich
mußte mich nach dem Balkon und dem Eingange, der
zur Bibliothek führte, umſehn. Die Thür war offen,
man irrte mit Lichtern in den Zimmern umher — es
hatte das Anſehn, als ſuche man einen Spitzbuben. So
war ich, mit dem Geſicht nach dem Palais zu gekehrt, in
die Nähe des Pförtchens gekommen, jetzt kehrte ich mich
nach dieſem um und ward nicht wenig überraſcht als
ich eine Geſtalt vor der Thür auf und abgehen ſah und
hörte. Es war ſehr dunkel, man konnte nichts genau
erkennen — „Wer da?“ riefs— ich meinte Livréeſtrei¬
fen am Kragen des Wächters zu ſehen und wagte es
auf gut Glück, die Stimme des Schwagers vom Für¬
ſten, rauhe tiefe Baßtöne, nachzuahmen, dem wach¬
ſtehenden Manne zuzurufen: „Du kannſt gehn — es
es iſt vorbei,“ und mich wieder einige Schritte nach
rückwärts zu wenden, als kehrt' ich zum Palais zurück.
Es glückte wirklich, der Menſch murmelte etwas Unter¬
würfiges in den Bart, und fragte, ob er das Pförtchen
ſchließen ſolle. In dieſem Augenblicke kamen Menſchen vom
Balkon her — „Nein,“ herrſchte ich ihm zu. Der Narr
[140] zögerte noch immer, ich mußte fort und konnte nicht
an ihm vorüber ohne erkannt zu werden, die Leute ka¬
men direct auf uns zu. „Pack Dich,“ gurgelte ich endlich
nach dem Läſtigen hin; er ging, ich kam hinaus. Kaum
drei Schritte entfernt, hörte ich den Ruf der richtigen
Baßſtimme: „Andreas“ — aus der Ferne giebt der
Diener Antwort und kommt zurückgeeilt. Ich aber ſpringe
nun auf den Zehen eiligſt von dannen, bis ich die Pro¬
menade erreiche. Da ſchüttle ich die Ereigniſſe von mir
und ſchlendre auf einem weiten Umwege nach meiner
Wohnung. Es ſchlug Eins. Eben wollte ich aus der
Vorſtadt in die Hauptſtraße, wo ich wohnte, einbiegen,
als ein Mann aus dem Schatten einer Hausthür vor¬
ſpringend mit blankem Degen mich anfällt. Ich ſpringe
raſch auf die Seite, der mit aller Wucht des Körpers
geführte Stoß fährt vorbei, und eh' der Bewaffnete Zeit
gewinnt, von Neuem auszufallen, bin ich ihm am Leibe
und dränge meinen Arm in die neu ausgeholte Degen¬
bewegung. Der Degen ſchneidet zwar in meinen Arm,
aber die Waffe iſt doch zur Hälfte gelähmt, und mit
aller Kraft ſeinen Arm in die Höhe drängend gelingt
es mir, ihm den Degen durch einen heftigen Stoß bis
ins eigne Geſicht zurückzuſchlagen, und da er mit dem
[141] Kopfe zurückfährt, ihm ſelbigen in dieſem Augenblicke
ſeiner Beſtürzung und rückwärts gebeugten Haltung zu
entringen. Bei dieſem Ringen entfällt ihm der Mantel,
ich erkenne Conſtantiens Schwager. Eine Berſerkerwuth
kam über mich, einen Augenblick wollte ich ihm mit
der eignen Klinge den Wanſt durchrennen. Er drängte
ſich aber ſchnell genug an mich, als ob er ſich ſolch
eines Aktes verſehe, und verhinderte mich dadurch. Ich
ſprang einen Schritt zurück und hieb ihm die ſchmale
Klinge durch's Geſicht. Vielleicht war der Hieb über
ein Auge gegangen: er taumelte rückwärts. Ich ſtieß
ihn mit der Fauſt vor die Bruſt, daß er klirrend und
dröhnend rücklings auf das Pflaſter ſchlug. Den Degen
bog ich heftig gegen die Steine, daß die Klinge ſprang,
das Gefäß mit dem Stumpf warf ich weit in die Straße,
und ging zurück hinaus in die Vorſtadt, da ich die
Nachtwächter kommen hörte. Es war kein Wort ge¬
ſprochen worden, im Dunkeln, lautlos vergoſſen wir un¬
ſer Blut. Ich war wieder jenſeits der Promenade in
die Gartenſtraßen gerathen, mein Arm erſtarrte und
ſchmerzte, ich hatte mir auswendig über den durchſchnitt¬
nen Aermel das Taſchentuch feſtgebunden, um das Blut
zu hemmen. Desdemona's Haus war in der Nähe;
[142] ich ſprang über den niedrigen Gartenzaun und klopfte
an das Fenſter ihres Schlafzimmers. Ich hatte damals
durch die offne Thür geſehen, daß ſie neben jenem Zim¬
mer ſchlief, wo ſie Clavier ſpielte. Durch den Fenſter¬
laden hörte ich Geräuſch. Um ihre Angſt vor Dieben
und dergleichen zu verſcheuchen, ſprach ich meinen Na¬
men durch die Ritzen hinein. Ein leiſer Schrei und es
ward geöffnet. Desdemona war im bunten türkiſchen
Schlafrocke mit aufgelöſtem Haar. Sie hatte dieſen
Abend die Lady Makbeth geſpielt, noch erhitzt davon
hatte ſie keinen Schlaf gefunden, und im Shakespeare
und meinen Briefen geleſen. Sie legte ihre Hände auf
meine Arme und fragte mild: „Willſt Du herein?“
Entſetzt fuhr ſie zurück, ſie hatte in das kalte Blut ge¬
griffen, was auf meinem Aermel lag, und ich parodirte
pathetiſch die Lady: „All the parfums of Arabia shall
not sweeten this little hand
.“ — Desdemona ver¬
ging faſt vor Schmerz über mein Blut; ich mußte ei¬
len hineinzuſteigen, um ſie zu beruhigen. Sie war auf¬
gelöſ't und weinte unaufhörlich. Es war, als ob ein
nächtlicher Sommerhimmel warm regne. „Unglücklicher,
was iſt Dir geſchehn?“ Mein Lachen tröſtete ſie noch
immer nicht. Ich riß mit einigem Schmerz den Rock
[143] herunter, wir wuſchen das Blut ab und es zeigte ſich
zu meiner Freude und ihrem Entſetzen eine tiefe lange
Fleiſchwunde. Ich beruhigte ſie mit Mühe, daß das
gar nichts zu ſagen habe und nichts als eine kleine
Narbe bringe. Ihre Thränen fielen heiß darauf und
kaum hielt ich ſie vom fortwährenden Küſſen der Wunde
ab. Sie riß alle Schübe auf, und brachte Linnen und
allerlei Verbandzeug. Unter immerwährenden Fragen,
„ach, es ſchmerzt Dich wohl ſehr?“ „Ach mein armer
Hyppolit!“ verband ſie den Arm, und wollte gar nicht
daran glauben, daß ich wohl und munter ſei. Ein
wenig erſchöpft war ich doch und ſtreckte mich aufs Sopha,
Desdemona kniete vor mir, und ſtrich mir die verwirrten
Locken von der Stirn und den wirren Bart vom Munde,
und küßte mich ſanft wie ein warmer ſchmeichelnder Luft¬
zug. Sie ſah rührend aus. Der bunte Rock ſtach ſo
wunderlich ab von der ſtillen Trauer, die über ihr gan¬
zes Weſen gegoſſen war, von dem ſchneeweißen Halſe
und der Bruſt, die wie ſtets gleichmäßige Ruhe unter
den Freuden der bunten Blumen des Rockes lag. Das
glänzend ſchwarze, geringelte Haar ſchaukelte ſich wie
eine Nacht der Poeſie auf den ſchimmernden Bäumen
des Südens. Das blaſſe Geſicht mit den weichen Zü¬
[144] gen, die ſchmerzlichſte, rührendſte, tragiſche Maske, die
je ein Maler gebildet, worauf die bezauberndſte Trauer
ruhte, ſah ſo durchweichend theilgebend in mein Antlitz,
daß alles ſinnliche Leben zum erſten Male dieſem Weibe
gegenüber aus meinen Adern wich. Die kleine weiße
Hand tändelte wie arabiſcher Wohlgeruch auf meinen
Zügen herum. Desdemona war das Weib des reizend¬
ſten Sterbens, und da ich ein Mann des Lebens bin,
ſo ward unſere Vereinigung darum vielleicht ſo wunder¬
lich, ſo tödtlich — ich weiß es, Desdemona wird nie
einen Mann nach mir lieben. Sie legte ſich wie ein
ſüß ſchmerzlicher Traum in meine Arme, der flehend
bat, ihn nicht zu verſcheuchen. Ich ſollte ihr erzählen,
was mir begegnet ſei. Die kleinlichen Winkelzüge der
platten Glücksritter haſſe ich; dieſer Seele gegenüber, die
mit offenem blutenden Herzen immer wahr vor mir lag,
hätte ich das Schrecklichſte nicht verſchwiegen: ich erzählte
ihr lächelnd mit Weglaſſung der Namen — Alles. Das
Zuhören dieſes Weibes bekundete eine Liebe, wie ich ſie
auf dieſer Welt noch nicht geſehen. Nicht die flüchtigſte
Entrüſtung flog über das ſchöne Geſicht, ja ſie lächelte
mit, wenn ich in meiner Erzählung mich freute, und
als ich zu End' war, hielt ſie mir die Augen zu und
[145] ſagte: „Es kann mir doch Niemand wehren Dich zu
lieben.“ — Das überwältigte meinen harten Menſchen.
Das Waſſer trat mir in die Augen, zum erſten Male,
ſeit ich vor zehn Jahren in Valencia von meiner Mut¬
ter ſchied; ich ſchlug meinen geſunden Arm in ihr offnes
Kleid und preßte ihre Schulter zu mir und hob mit dem
andern Arme ihr Geſicht an das meine, und küßte ſie,
daß wir Beide zitterten. „Hyppolit“ — ſtöhnte ſie —
„mein Engel, Dein Arm, Dein Arm!“ Und als ich
ihre Schulter leiſer faßte, da ſank ſie mit dem Haupt an
meine Bruſt und ſah zu mir auf und lächelte wie ein
ſterbender Engel und ſagte: „Das iſt der Himmel, Du
meine Seele.“ — —


Laß mich aufhören, Freund, dies iſt die einzige Lie¬
besgeſchichte, die ich mit Schmerz, wenn auch mit ſüßem
Schmerz, erzähle. Sie hat mein innerſtes Herz erweicht.


Viele Tage und Nächte gingen vorüber, ich war
auf jenem Gartenhauſe und ſaß vor ihr am Boden, und
legte das Haupt in ihren Schooß, und ſah in den her¬
abſchauenden Himmel ihrer Augen. Was der Kokette¬
rie, der Kraft, Größe, Schönheit nie gelungen war,
das gelang der Seele dieſes Weibes: ich liebte wie
ein Knabe, wie ein hüpfender Jüngling. Erſt ei¬
7[146] nes Abends, wo ſie ſpielen mußte, und einen Akt lang
nichts zu thun hatte, kam ich in meine Behauſung.
Mehrere Einladungen zum Fürſten lagen da. Ich ging
zurück ins Theater, ich ſah nichts als jenes ſchwarzblaue
Auge, von ſchweren Wimpern beſchattet, was ſeine Mil¬
lionen von den Brettern her auf meinen Mund, in
meine Arme legte. Und wenn ich ſie heimbrachte nach
der Vorſtellung, und jede Fiber an ihr doppelt lebte und
ich heut für den und morgen für den geliebten Helden ihre
verſchwenderiſche Liebe erhielt, o Freund, da war ich
glücklicher denn König Réné: mein Idyll kam mir
vom Himmel, ich durfte mir nicht erſt bunte Kleider
dazu anziehn.


Eines Tages — in unſerm Bürgerleben war es
Mittag und unſre kleine Mahlzeit wurde ſchon aufge¬
tragen — ſtand ich mit Desdemona am offnen Fenſter,
das auf die Straße ſah, nur wenige Weinranken ver¬
hinderten von außen das Hereinſehen. Ich hatte mei¬
nen Arm um ihren Nacken geſchlungen und meine Hand
ruhte auf ihren Schultern — wir ſahen hinaus in die
grünen Gärten. Da nahten ſich Reiter, eine Dame zu
Pferd ſah nach uns herüber — es war die Fürſtin.
Sie ſchien ihren Augen nicht zu trauen und hielt einen
[147] Augenblick ihr Pferd an. Nur einen Augenblick, dann
hieb ſie's mit der Gerte über den Kopf, daß es wild
davon brauſ'te. — Um dieſe Zeit traf mich die Einla¬
dung hier her nach Grünſchloß; Du kannſt denken, daß ich
wenig Luſt dazu hatte. Ich ging noch einmal in die
Geſellſchaft zum Fürſten; durch unbefangnes Fragen
bracht' ich heraus, daß der Schwager des Fürſten mit
dem Pferde geſtürzt ſei, und krank darnieder liege, daß
in einer ſtürmiſchen Nacht Diebe verſucht hätten in den
Pallaſt einzudringen ꝛc. — Die Fürſtin war nicht da,
man meinte, ſie ſei ſchon ſeit einigen Tagen unwohl
und werde wohl ſchwerlich in der Geſellſchaft erſcheinen.
Doch kam ſie noch ſpäter. Sie ſah wirklich krank und
angegriffen aus. Mich behandelte ſie natürlich ſehr vor¬
nehm, doch entging es mir nicht, daß ihr Auge oft
ſchwermüthig auf mir ruhte, oft haſtig blitzend mich ſuchte.
Ich trat in ihre Nähe, ſie war ſehr zerſtreut. Ich war
ſehr munter und aufgeräumt, und tändelte mit einem
kleinen flinken Dämchen, was ſich gar nicht zu gut ge¬
ben konnte über das pretentiöſe Weſen unſerer jungen
Gelehrten und Schriftſteller, die in die Geſellſchaften kä¬
men um auszuruhen, nicht um die Damen zu unter¬
halten. Als ich ſie fragte, womit ſie ſich den Tag über
7[148] beſchäftigt habe, ſah ſie mich fragend an, wo ich hin¬
aus wollte und erwiderte naiv: mit Vielerlei, früh bin
ich ſpaziren gegangen, Nachmittags gefahren, und eh'
ich hierher kam, hab' ich einen Akt in der Oper geſehn.
Nun bedenken Sie, mein Fräulein, ob der Mann dort
im Winkel mit dem jungen leidenden Geſicht Recht hat:
ich habe eben mit ihm geſprochen und weiß, daß er heute
den ganzen Tag alle alten Rechtsgelehrten in allen Spra¬
chen ſtudirt hat, wie und unter welchen Verhältniſſen
Revolutionen erlaubt ſeien — daß er einen Artikel über
Abſchaffung der Todesſtrafe geſchrieben hat, aber freilich
nicht ſpazieren gefahren und nicht in der Oper geweſen
iſt. Wollen Sie ihm nun nicht erlauben — —


Sie meinte, er hätte was Beſſeres thun können,
und — ward von der Fürſtin abgerufen, und mit ei¬
nem Geſchäft entfernt. So ging mir's mit einer zwei¬
den, einer dritten, bis ich mich ſelbſt entfernte. —


Desdemona, deren tiefes Spiel, deren blutende
Seele nur von den beſſeren Zuſchauern im Theater er¬
kannt wurde, und deren giebts in den deutſchen Theatern
ſehr wenige, ward meiſthin wenig applaudirt, das hohle
dreſchende Volk neben ihr mit dem beſtialiſchen Spekta¬
kel galt immer mehr; — das war ſie gewohnt und es
[149] kümmerte ſie nicht. Plötzlich zeigte ſich eine heftige Op¬
poſition gegen ihre Verehrer, man ziſchte und lärmte,
wenn ſie applaudirt wurde. Die Anzettelung war nicht
zu verkennen, aber Desdemona litt unſäglich dabei: end¬
lich erklärte ſie, es ſei ihr unmöglich vor einem Publi¬
kum zu ſpielen, was ſie nicht wolle, ihr Gefühl erſtarre
zu Eis, ſie ſterbe darüber. Der Director des Theaters,
ein Einfaltspinſel, der ſeine Kaſſe gefährdet glaubte,
willigte in ihre Kündigung. Desdemona ward frei; aber
mit Entſetzen ſah ich, wie ſie verging in der neuen Un¬
thätigkeit — ſie geſtand mir weinend, daß ſie ſtürbe,
wenn ſie nicht ſpielen könne. Aber ſie könne nicht von
mir gehen, um ein andres Engagement, was man ihr
geboten, anzunehmen. Was blieb mir übrig? Sollt'
ich das ſchöne innige Weib ſich verzehren ſehn, deſſen
Lebensodem die Kunſt war? Ich küßte eines Abends
den Abſchied auf ihr weiches Antlitz, der Mond ſchien
zitternd durch die Blätter der Bäume, unter denen wir
ſtanden, ihr Kopf lag wie ein verbleichender Stern an
meiner Bruſt, ſie ſchluchzte leiſe, obwohl ich ihr nichts
geſagt, daß es ein langer Abſchied ſei. Ihre zartgeſpon¬
nene Seele fühlte fein wie die Mimoſa, ſie ging mit
mir bis an die Gartenthür, ihr ganzer Körper ſchauerte,
[150] ſie war heiß wie eine Fieberkranke. Ich wollte gehn
und war ſchon einen Schritt fort, ihre kleinen Hände
hielten mich noch, ſie preßte ſie krampfhaft in die meine
und flehte innig — „Noch einmal, Hyppolit, noch ein¬
mal küſſe mich!“ Ich umſchlang das liebe Weſen, ſie
brach in die Knie zuſammen wie eine gebrochene Blume.
Ich mußte ſie in's Haus tragen und auf's Sopha le¬
gen. Dort lächelte ſie ſanft und winkte mir mit der
Hand zum Gehen.


Am andern Morgen ritt ich hieher nach Grünſchloß
— erlaß mir heute das Weitere. Ich bin nicht der
Mann der Sentimentalität, aber ich bin ein Menſch —
ſchickt mir, was ein Menſch tragen kann, ich will's
tragen, ich hab's getragen. Leb wohl!


[151]

14.
Camilla an Julia.

Und Sie kommen nicht und kommen nicht, Sie
Schlimme, und laſſen uns immer vergebens warten.
Wenn Sie noch lange zögern, ſo werden Sie das
Leben hier ſehr verwirrt finden. Die Fäden gehen ſo
zickzack in einander hinein, daß ich wirklich nicht weiß,
was für ein Muſter aus dem Geſpinnſt werden wird.
Mit jenem Fremden, der mit Graf Fips ankam, iſt ein
gewaltiger Unruhſtifter in unſer Schloß gezogen. Er
heißt Hyppolit, und hat uns allen die Köpfe verrückt,
und Alles aus dem Gleiſe geworfen; unſre ruhig ſe¬
gelnde Flotte iſt wie durch einen Sturm auseinander¬
geblaſen, und hier irrt ein ſchwankendes Schiffchen, dort
irrt eins. Sie ſollten aber auch dieſen Hyppolit ſehen!
Jeder Zoll ein Mann, ein moderner Herkules — ein
ſtrahlender Halbgott, ſagt Alberta. Denken Sie ſich ei¬
nen hoch, kräftig und doch geſchmeidig gewachſenen jun¬
gen Mann, der wie ein geborner König einhergeht.
Ich äußerte unverholen gegen Valerius mein Erſtaunen
über die glänzende Erſcheinung. Dieſer ſtand mit ver¬
[152] ſchränkten Armen im Fenſterbogen, und ſah lächelnd dem
Aufruhr zu, den Hyppolit erregte. „Ich will Ihnen
einen Brief mittheilen,“ ſagte er, „worin ich den Hyp¬
polit einem Freunde ſchilderte, als ich ihn vor einiger
Zeit in Straßburg zum erſten Male traf.“ Er that's,
hier haben Sie einen Auszug davon.


„Ein Mädchen, wahrſcheinlich eine leichte, über die
Oberfläche hinflatternde Libelle beſchäftigt aber meinen
neuen Freund, der bisher ſaugend am tiefſten Borne
der Menſchheit lag, den des Wiſſens Trieb bis an die
Mauern von Lahore drängt, der gebräunt von Luft und
Sonne, erwärmt vom Feuer des Forſchens wie ein Ath¬
let erſt vor Kurzem nach Europa zurückkehrte. In Stra߬
burg lernte ich ihn kennen, wo er in hiſtoriſche Studien
verſunken täglich auf der Plattform des Münſters zu fin¬
den war, eine Viertelſtunde las, dann ſinnend in die
vor ihm wie eine Karte ausgebreitete Welt ſah — die
teutſche Dichtkunſt, Göthe, Tieck, ging an ihm vorüber,
er ahnte, bemerkte es kaum; die Kosmogonie, der Ur¬
ſitz der Menſchen, der Urſitz der Bildung beſchäftigte ihn.
Du weißt, wie auch ich ſeit längerer Zeit nach den
Fußtapfen der menſchheitlichen Entwicklung jage, Heeren,
Herder, Schlegel, Champollion ſtudire — wir ſprachen
[153] über Indien, Aegypten, die Wiegen des Menſchenge¬
ſchlechts, wir wurden ſchnell mit einander bekannt. Er
war dabei ein fröhliches, luſtiges Gemüth; wir zogen zu¬
ſammen nach Paris, er ſtudirte und lebte, mit den
ſchwerfälligen Sätzen der Profeſſoren ſpielte er wie mit
bekannten Bällen, mit der Gelehrſamkeit des alten Abbé
Remuſat ſprang er wie mit einem leichtfüßigen Mädchen
herum, mit den Mädchen tändelte er wie mit Buchſta¬
ben, wie mit längſt gelöſ'ten Hieroglyphen; er fand den
Schlüſſel zur ſtolzeſten Pyramidenſchrift. Des Abends
fanden wir uns im Theater, und von da durchſtrichen
wir die Salons, und raſteten in manchem ſtillen ver¬
führeriſchen Gemache. Wo er auftrat, der Sohn des
Prometheus mit dem leuchtenden Siegel der Gottheit
auf der ſtolzen Stirn, zog er die Blicke auf ſich. Sein
Körper iſt ein Meiſterſtück der Natur und Tauſende, die
ihn ſehen, werden zu gerechten Anklagen der launiſchen
Göttin bewogen. Als ich den Cornel las, dachte ich
mir den Alcibiades ſo. Ein hoher Wuchs, leicht wie
ein Gedanke, kräftig wie ein feſter Gedanke, getragen
durch die Wellen der Hüften und Schultern, dunkles,
kühn um die Schläfe fallendes, an den Spitzen gelocktes
reiches Haar, ein dunkelblaues Auge, am Tage tiefblau
[154] wie ſüdlicher Himmel, in den man ohne Unterlaß ſehen
muß, als werde aus der zaubriſch düſtern Ferne eine neue
Welt heraustreten, des Abends ſchwarz wie eine glän¬
zende Sternennacht. Die Form der Augen iſt ſchön, eine
voll ausgeſchnittene längliche; der Glanz zur Zeit der
Ruhe mild, angenehm, beruhigend, tröſtlich, beſtechend;
im Affekt aber und zwar im kleinſten drängt ſich alles
geiſtige Leben in ihnen zuſammen, und nur der Mu¬
thige, der das gegenüberſtehende Leben nicht fürchtet,
ſieht ſie dann gern. Weiber blicken ſie dann nur ſeit¬
wärts an, wie ſie tapfere Thaten, wo anders Lebendi¬
ges mit im Spiel iſt, nur ſeitwärts, nie geradhin an¬
ſehen. Aber das Weib ehrt und liebt am meiſten, was
es vorher geſcheut, ſowie der Menſch den Löwen, wenn
er gezähmt iſt, am höchſten hält, daher Hyppolits fabel¬
haftes Glück, bei den Weibern. Die Naſe iſt ſtreng
griechiſch und um ihre feinen Flügel haucht ein thaten¬
dürſtiger Sinn, ſchreckender Muth, aber auch eine faſt
frivole Sinnlichkeit, die im Affekt einer mit Mühe be¬
zähmten Beſtialität nicht unähnlich ſieht. Kräftige Män¬
ner haben alle in der Leidenſchaft ein Etwas, was zwi¬
ſchen dem griechiſchen Gotte und der Beſtie ſteht; etwas
Aehnliches bezeichnet das Wort „Halbgott!“ Daher
[155] geht jedes Weib den eigentlich kräftigen Männern lang¬
ſam nahe, wenn ſie je einen Ausbruch irgend eines Af¬
fekts, vielleicht nur den des Zornes an ihnen geſehen,
und nur die Phryne, die das wild Materielle ſucht,
ſtürzt ſich in ihre Umarmung.


Aber der Mund verſöhnt durch unwiderſtehliche
Anmuth.“ — —


So weit der Brief; ich verſtehe manches darin nicht,
vielleicht wird's Ihnen klarer; aber ich fühle, daß das
Bild richtig iſt. Als er bei uns eintrat mit dieſer ho¬
hen, imponirenden Freiheit, dieſer leichten ungezwungnen
Tournüre, war ſelbſt der Graf überraſcht, und Graf Fips
wurde unruhig und unſtät. Alberta wurde roth, ich
ſelbſt verlegen, nur das ſarkaſtiſche Lächeln Valers, mit
dem er ihn vorſtellte, gab mir ſchnell meine Faſſung wie¬
der; es ärgerte mich. Aber es war wirklich, als ob der
Herrſcher ins Zimmer trete. Er war modern gekleidet
und doch lag etwas Ausländiſches in der Erſcheinung.
Der leichte blaue Sammetrock, der kurz und mit Schnü¬
ren und Stickereien beſäet war, mochte wohl ſchuld da¬
ran ſein. Alles Uebrige an ihm war ſchwarz bis auf
den ans Kinn quellenden vollen Backenbart und den über¬
müthigen Schnurrbart und Henri quatre. Er war in
[156] den erſten Tagen ſehr ſanft und mild, von Tag zu Tage
iſt er aber ausgelaſſener und wilder geworden. Am mei¬
ſten verkehrt er mit Valerius; ſie reiten auch täglich zu¬
ſammen aus, und gehen ſo ſicher männlich mit einan¬
der um, daß einem ſtark und wohlig zu Muth wird, wenn
man ſie zuſammen ſieht. Alberta iſt ſeit Hyppolit's An¬
kunft ganz verändert, unruhig, heftig, bewegt, ausgelaſ¬
ſen, ſtill, lauter Dinge, die zu ihrem früheren Gleich¬
maaß gar nicht ſtimmen. Ich ſelbſt erwehre mich einer
gewiſſen Unruhe und Bangigkeit nicht, wenn ich bei
ihm ſtehe und nur, wenn Valer hinzutritt, wird es be¬
ruhigter in mir. Weiß Gott, es iſt als ob ein Raub¬
vogel ins Taubenhaus gekommen wäre, Alles iſt be¬
ſtürzt — und doch iſt der Raubvogel ſo zauberhaft
ſchön. William hat ſich auch ganz zurückgezogen, er
lacht gar nicht mehr, und ſpricht faſt nie mit Hyp¬
polit; Leopold ſpringt wohl an ihm herum, aber er
ſcheint auch nicht die rechte Courage gegen ihn zu ha¬
ben, und wird oft verlegen, wenn ihn Jener zum Beſten
hat. Graf Fips ſpricht von ſeiner Abreiſe, der Graf
iſt ſehr aufmerkſam gegen Hyppolit und Valerius, aber
er ſcheint auch nicht ganz ſicher zu ſein.


Alberta grüßt Sie aus der Fülle des Herzens,
[157] und bittet Sie, doch ja recht bald hieher zu kommen.
Adieu! Adieu!


Man ruft mich zu Tiſch und unſre Mahlzeiten
ſind jetzt immer diplomatiſche Mittagseſſen; der Graf
bringt lauter ſchwerfällige Gegenſtände aufs Tapet, und
es entſteht immer ein ſo klirrendes Gefecht, daß man
das Eſſen ganz vergißt. Ich glaube, es würde oft
Blut fließen, wenn nicht Valer immer die zürnenden
Parteien vom Schlachtfelde wegführte. Meine Herren,
pflegt er dann zu ſagen, ich bitte, mir auf ein höher
gelegenes Terrain zu folgen, und dann rückt er die
Streitfrage der Parteien auf ein ſogenanntes hiſto¬
riſches Entwickelungs-Feld; ſtellt zuerſt den blutig um
ſich hauenden Hyppolit zur Ruhe; ihm folgt der Graf
mit einigen leichten Einwendungen, die bald beſeitigt
ſind, und Graf Fips iſt dann immer ſogleich ſtill; ich
glaube, er verſteht nicht viel mehr davon als ich. Doch
hab' ich mich ſchon ſehr in des Valerius Gelehrſamkeit
eingerichtet; anfänglich kam ſie mir ſtets wie ein Berg¬
ſturz vor, der mich verſchüttete, jetzt hat er mich mit
ein paar klaren einfachen Worten von dem Hauptgange
ſeiner Ideen unterrichtet, und nun folg' ich ihm mit
Leichtigkeit, und es thut mir unbeſchreiblich wohl, wenn
[158] er die Rede an mich richtet über die wichtigſten Dinge.
Wenn man ihn erſt ein wenig kennt, ſieht man, wie
äußerſt einfach er redet, wie alles ſo ſchwer golden iſt,
was er bringt, wie er es dem Zuhörer ſo gutmüthig zu¬
ſchneidet und anpaßt. Ich antworte gewiß oft ſehr ein¬
fältig darauf, aber wenn er meine Antwort in ſeiner
Sprache wiedergiebt, wenn er mit leiſen Fingern die
Wurzeln der Gedanken aufdeckt, ſo erſcheint alles ſo
eng verzweigt mit großen allgemeinen Anſichten, daß
ich mich oft kindiſch freue über meine Gelehrſamkeit, in
die Hände klatſche und —ja, denken Sie, neulich hab'
ich den klugen lieben Mann wegen einer ſo ſchönen
Auslegung meiner Worte beim Kopf genommen und
ihm raſch einen Kuß gegeben. Ich ſchämte mich hin¬
terdrein und Alle lachten, aber Valer ſah mich ſo freund¬
lich lächelnd an, daß es mir nicht leid that. Ach,
nicht wahr, ich ſchwatz' recht dummes Zeug — Adieu
— Adieu!


[159]

15.
Constantin an Hyppolit und Valerius.

Ich danke Euch, meine Freunde, meine Freunde,
ich danke Euch! Wir wollen unſern Zug nach Weſt¬
minſter antreten, beſorgt ein paar hübſche Jungen für
meine Schleppe. Ihr edlen Pairs meines Königreichs
habt mir Geld geſchickt, das war brav von Euch —
mit dem Gelde hab' ich geſpielt, um rothe Dukaten ge¬
ſpielt, und ich mußte mir einen neuen Rock machen laſ¬
ſen, weil ich nicht genug Taſchen für den Gewinnſt hatte.


Spiel und Soff ſind zwei Laſter; aber beim heil'¬
gen Georg von England! ſchöne Laſter.


Ich habe alle Tage einige Zeilen an Euch ge¬
ſchrieben; hier folgen ſie; wundert Euch nicht, daß ſie
aphoriſtiſch ſind, ich bin ſelbſt ein abgerißner Fetzen der
Welt, wer hält mich feſt? Der nächſte Sturmwind
führt mich fort — die ganze Welt iſt aphoriſtiſch, es
iſt kein Zuſammenhang darin als die Luft, will ſagen,
der Wind. „Die Welt iſt lauter Wind, Juchhe!“ —


Vaterland! Wie viel abgerundeter und einiger
würde ich ſein, wenn ich mit dem Worte das verbände,
was viele Leute dabei zu fühlen ſcheinen. Ganz Teutſch.
[160] land danke ich die teutſche Sprache; für dies Geſchenk
bin ich um ſo dankbarer als ich keiner andern mächtig
bin. So bin ich ſehr erklärlich — ein Teutſcher, denn
wenn man zu keiner andern Nation gehört, ſo muß
man ein Teutſcher ſein. Uebrigens bin ich es aus
Gewohnheit, Temperament ꝛc. — der Patriotismus iſt
einſeitig, klein, aber er iſt praktiſch nützlich, beglückend,
beruhigend ꝛc.; der Kosmopolitismus iſt herrlich, groß,
aber für einen Menſchen faſt zu groß, der Gedanke
iſt ſchön, aber das Reſultat für dies Leben iſt innre
Zerriſſenheit, Humor. Eine gute Tragödie muß jetzt
mindeſtens zum fünften Theil humoriſtiſch ſein.


Donnerwetter, was iſt das für patriotiſch albernes
Zeug, ich reiſe doch morgen nach Paris und werde
Franzos. Ja ſo, das wißt Ihr noch nicht, daß dies
mein letzter Brief aus Berlin iſt. Holla, ins moderne
Babel reiſ' ich morgen! Was ſoll ich mit dem vielen
Gelde machen? Es giebt hier gar keine Gelegenheit,
dafür munter zu ſein unter dem ſteifem Volk, unter
freien fröhlichen Pariſern will ich leben und gegen den
dummen Polignac will ich ſchreiben — dort knirſcht
der Miniſter mit den Zähnen gegen die frechen Wahr¬
heiten, aber dort brauchen die Päſſe der Wahrheit keine
[161] Unterſchrift, er kann knirſchen, ſonſt kann er nichte —
und morgen geh' ich nach Paris.


Raupachs hohenſtaufiſchen Philipp, eine Silhouetts
des Herrn von Raumer, hab' ich geſehn. Die drei
erſten Akte ſind erträglich. Poeſie verlange ich von
Raupach nicht mehr, aber wenigſtens dramatiſchen Ver¬
ſtand. Doch auch von dieſem iſt in den letzten zwei
Akten keine Spur. Eine Liebesgeſchichte kommt darin
vor, die blos dazu da iſt, damit 1) der Kaiſer ſeinen
Conſens giebt, 2) ſchlechte Vergleiche zwiſchen dieſer
und ſeiner Heirath macht, 3) eine feierliche Hochzeit ver¬
anſtaltet, zu der 4) das ganze Hofgeſinde in die Kir¬
che geht, ſo daß 5) der kranke Kaiſer mutterſeelenallein
in ſeinem Pallaſt bleibt, und 6) in aller Ruhe und
Bequemlichkeit ungeſtört vom Wittelsbach todtgeſchlagen
wird. Kinderſcenen, alle Sorten von Kindereien, Trom¬
petenmärſche, Jammer aller Art, unwürdiger, nichts¬
würdiger Schluß — wär' ich Recenſent, wie wollt' ich
Dich, o Philippus Raupach — —


Und unſre Kritik „ach glücklich ſind Widerſacher,
die einander prügeln können.“ Diesmal war ich in
der Loge, und Roſa ſaß demüthig im Parterre, und
ſah ſehr blaß, ich aber ſehr roth aus. Ja, mein Kind,
[162] das Leben iſt aphoriſtiſch. Ich ließ mein weiches Herz
gewähren und ging zu ihr, und fragte ſie was ihr fehle.
Sie wollte nicht mit der Sprache heraus, und war ver¬
legen. Ich ging mit ihr nach Hauſe; heut' ließ ſie's
ruhig zu — es ſah etwas windig und leer in ihrer
Stube aus, und das Mädchen war auch etwas saloppe
gekleidet. Ich machte ſie darauf aufmerkſam — da
weinte ſie. Ich fragte, wie es um ihr Engagement
ſtünde, ſie meinte, erſt mit dem erſten Auguſt könnte
ſie eintreten. Es ward mir unheimlich; ich fragte nicht
nach ihrem Gardeofficier, ſondern nur, wie viel ſie des
Monats brauche. Sie wollte mir ſchluchzend vor Rüh¬
rung um den Hals fallen, und mich einen edlen Men¬
ſchen nennen — ich ließ ſie aber nicht dazu kommen.
Das Mädchen konnte nicht dafür, daß ihr ein Andrer
beſſer gefallen hatte; ich konnte aber auch nicht dafür,
daß ich nicht mehr eine Fingerſpitze von ihr hätte be¬
rühren mögen. Hübſch war ſie noch, aber ich ging in
innerer Unbehaglichkeit fort und trank eine Flaſche Cham¬
pagner, um mich auf andre Gedanken zu bringen. Wie
kam denn das Alles?


„Warum wollt Ihr denn Alles gleich ergründen?

Wenn der Schnee ſchmilzt, wird ſichs finden.“
[163]

Was iſt das für eine Figur? Mit Gott und
der Welt iſt ſie zerfallen, vom Vater verſtoßen, mit dem
Theater unzufrieden, von der Geliebten betrogen, voll
Durſt nach Wein und Liebe, immer noch wohlgenährt
ausſehend, ohne einen einzigen Vers im Kopfe, geklei¬
det nach der letzten Mode, unſchlüßig, ob er Theologe
oder Theaterlampenputzer werden ſoll, voll Gährung
und doch ruhig, oft im Begriff, ſich nach claſſiſchen
Muſtern den Hals abzuſchneiden und doch wieder zu
vernünftig dazu — kein Held, kein Held und doch
manch Handwerkszeug dazu — keine Geduld, kein ge¬
nügender Leichtſinn, keine Feſtigkeit, ein genialiſcher
Charakter, auf der Bühne kalt laſſend, im Roman
ſündhaft, — meine Freunde, das iſt eine Novellenfigur.
Die Novelle iſt die moderne Brücke von der früheren
Zeit zu den jetzigen Begriffen, ſie iſt der Uebergang, die
Form des Entſtehens, Werdens, nicht des ſtarren Seins.
Jene Figur iſt eine Novellenfigur, auf mein Wort.
Niemand, ich ſage Niemand ſoll mir widerſprechen.
Auch dies gehört dazu, daß mich jetzt ſogar die Ortho¬
graphie peinigt, ich weiß nicht, ob ich Niemand, et¬
was ꝛc. groß oder klein ſchreiben ſoll — am liebſten
ſchreib' ich Alles klein. Nun denkt Euch einen geiſt¬
[164] reichen Schriftſteller, der mit der Orthographie noch
nicht im Reinen iſt! Und hab' ich nicht Recht, daß
die Novellenfigur der eklektiſche Skeptizismus iſt —
hab' ich's nicht? O bleibt bei mir, geht nicht von
mir, Freunde, auch wenn ich nach Paris gehe! Es
kümmert ſich ja keine Seele um mich, ich lebe und
ſterbe unbeweint. Wollt Ihr nicht, o ich bitt' Euch
ſchön. — —


So eben habe ich Werners Martin Luther gele¬
ſen. Es iſt wirklich ſchade, daß die unglückſelige Kar¬
funkelſchwärmerei Zachariam ſo ſehr beherrſchte. Was
hätte dieſer Prachtmann der teutſchen Tragödie werden
können. Aber da er einmal ein Teutſcher war, ſo
mußte er gleich auf die kräftigen Arme irgend ein Wik¬
kelkindchen nehmen. Neben den konfuſen, verzeichneten
Figuren: welche Geſtalten! ſo feſt und beſtimmt, ſo
lebenskräftig und wahr und mitunter eine ſo einfach
herzliche Lyrik.


„Dann ſchau, Gevatter, wenn ich auch nicht ſinge,

So iſt mir's doch, als ſäng' mir was im Herzen,

Als ob mir, Gott verzeih's, der liebe Herrgott

Die Liedlein ſelber ſpiel' in meiner Bruſt.“

Der Mann hat doch Poeſie und ſelbſt ſeine Fehler
haben einen unläugbar poetiſchen Urſprung; aber er iſt
[165] ſo gut wie begraben, während flache Proſa als bühnen¬
gerechte Erbärmlichkeit florirt. Ach ich wollte manchmal,
ich wäre Werners Herz mit dem Sehnen und [den] Thrä¬
nen nach dem Jenſeits, mit der Zerknirſchung vor
Gott ꝛc. — ich, der ich mich nach Niemand, auch nicht
nach dem Himmel ſehne, der ich mich vor Niemand
fürchte, auch nicht vor Gott, komme mir manchmal
ärmer vor als Zacharias mit ſeinem Wahn.


Ich kann es jetzt Keinem verdenken, wenn er
wie Grabbe das Theater verläßt und nun wild drauf
los ſchreibt — wer wird Mumien heirathen wollen?
Was bringt dieſer junge poetiſche Artilleriſt bei unend¬
licher Trivialität, glänzender Verrücktheit und beinah
gänzlich fehlendem poetiſchen Takt doch mitunteer für
ſchlagende Urblitze. Wer nicht trivial ſein kann, kann
nie erhaben ſein; wenigſtens in der Auffaſſung, wenn
auch nicht in der Ausführung der Idee, legt er eine
rieſige Kraft an den Tag. Aber in meinem jetzigen
Zuſtande hilft mir ein toller Poet nicht, ich bin ſelbſt
toll genug, ich werde den frommen Novalis leſen.

Gegen Abend geht ein Bekannter von mir als
Courier nach Paris, ich mit ihm. Meine Habſeligkeiten
[166] liegen gepackt neben mir, ich ſchreibe wie Scipio auf
den Trümmern Carthagos, den Weg nach Rom an den
Fußſpitzen. Den Reſt von Papier und Tinte werf' ich
dann zum Fenſter hinaus, und Salz ſtreu' ich auf die
Stelle, wo ich gewohnt. Wir haben einen ſehr be¬
quemen Wagen und werden den ganzen Weg über
ſchlafen. Das iſt mir recht, ſo wird's ein Sprung
von Berlin nach Paris, und ich habe mich nicht ſo
lange durch Teutſchland hindurch zu ärgern. Ich liebe
überhaupt die Sprünge, und mein Unglück beſteht eben
darin, daß die Weltgeſchichte keine macht. Uebrigens
bin ich beim Geſandten geweſen und habe die ſchöne
Julia mehrmals geſehen und geſprochen. Im Vertrauen
geſagt, Ihr Herren, wenn ich nichts Beſſeres thun
könnte als lieben, ich bliebe hier. Dieſe Augen, dunkel
wie die Nacht mit auf- und abwehenden weichen Lüf¬
ten, dieſe feine Naſe, empfindſam wie aus Blättern
des Lotos; dieſer kleine gewölbte Mund und das
Ganze wie aus dem Thau gezogen, nicht üppig ſöm¬
merlich, aber duftend frühlingsartig, zart durchſichtig,
nördlich und doch voll Reiz — ich ſchwör' es Euch,
das Weib kann einen Poeten, dem noch etwas Herz
geblieben, grenzenlos glücklich und ſehr unglücklich machen.


[167]

Aber ich bin ſelbſt ſo nördlich geworden, daß mein
Wohlwollen, was ich an ſolcher Schönheit empfand,
nichts als ein paar Minuten ſehen, ein paar Worte
ſprechen wollte, um den Gang des Ausdrucks zu be¬
obachten, aber nicht einmal im Leiſeſten afficirt wurde,
als ich ſcheiden mußte.


Ich bin reif zum Künſtler.


Aber wenn ich einmal wieder poetiſch werde, ſo
wird der ſchmeichelnde Effect dieſer reizenden Figur viel
Einfluß gehabt haben. Ich werde ſie noch lange ſehen
im kurzen weißſeidenen Gewande, das Haar verführeriſch
natürlich und doch ſo kunſtreich modern aufgelöſt, ihre
ſchwarzen Locken dem Anſchein nach mühſam von einer
einzigen blendenden Kamelie zuſammengehalten, hinab¬
fallend auf den ſtolzen weißen Nacken. Ich vergeſſe
ſie nimmer dieſe Figur, leicht ſich wiegend und geſchmei¬
dig wie eine verführeriſche Melodie und doch ſtolz und
hoch wie eine hohe Kunſtidee — hinter den breiten
Augenliedern, den langen ſchattigen Wimpern lag eine
ſüdliche Nacht mit allem Verlangen und allem Reiz,
mit Schalkheit und Tönen — ſie will nächſtens nach
Paris kommen. Auf Wiederſehn, mein ſchönes Kind!


[168]

Aber ächt teutſch ſchreib' ich die letzte Stunde her¬
an — wir ſind Federvieh. Jetzt Ade, du Land der
Hofräthe und der langen Weile — ade ihr Freunde,
ſchickt Eure nächſten Briefe poste restante nach Paris.


[169]

16.
Julia an Camilla.

Nur drei Zeilen, meine Liebſte. Hoffentlich bin
ich in nächſter Woche bei Ihnen — mein Papa muß
ſchleunigſt nach Paris, dort ſoll es ſehr unruhig her¬
gehen; ich ſoll beim Grafen aufgehoben werden. Ich
freue mich kindiſch auf Grünſchloß, auf meine liebens¬
würdige Camilla, meine duftende Blume Alberta und
Eure bunte Geſellſchaft. Ich ſehne mich ordentlich nach
Poeten, Berlin iſt ſehr trocken und der Herr Conſtan¬
tin war eine auffallende, intereſſante Erſcheinung in
unſerm Salon. Die Leute wußten nichts Rechtes über
ihu, das machte ihn myſtiſch, er ſprach ſo abgebrochen,
aber ſo bunt originell, das machte ihn piquant. Und
dabei hat er ein vornehmes, ſehr einnehmendes Aeußere.
Ich weiß nicht, ob das geſtört oder erhöht wird durch
einen wegwerfenden Zug von Frivoliät, Leichtſinn, der
oft wie Verachtung ausſieht und über das ganze Ge¬
ſicht ſtreift. Er verzieht einen fein geſchnittnen Mund
zu einem nicht recht heimlichen Lächeln, und drückt die
Mundwinkel nach unten. Die großen hellblauen Au¬
gen ſind etwas unſtät, das lichtbraune Haar iſt aus
8[170] Stirn und Schläfen geſtrichen und fliegt ein wenig wild,
das Geſicht iſt voll, aber es ſcheint mehr das zu ſein,
was man mit den fatalen Ausdrücken aufgedunſen,
ſchwammig, bezeichnet. Es iſt von feiner Haut und
ſchwach geröthet, meine Gouvernante nannte ihn einen
unbärtigen Apollokopf. Ausdruck und Haltung des
Kopfes und der vollen hohen Figur iſt ſehr vornehm,
ich hab's wohl ſchon einmal geſagt; verlangen Sie
nichts Geordnetes von mir. Sie wollten eine Beſchrei¬
bung, ich gebe ſie, wie ich in meiner Eile und Zer¬
fahrenheit eben kann. Er war beide Male, wo ich
ihn ſah, braun gekleidet, trug um den vollen Hals ein
leicht fliegendes Tuch, keine Kravatte und keinen ſteifen
Vatermörder, ſondern einen weichen nachgiebigen Hemd¬
kragen. Sie ſehen, wie ich Ihren Regeln nachzukommen
trachte und ins Detail beſchreibe, um Ihnen die Figur
deutlich zu machen. Ich muß mich im Beſchreiben von Per¬
ſonen üben, dies Zeichnen mit Worten macht mir Vergnü¬
gen. Bitte, laſſen Sie mir wieder mein altes Zimmer ein¬
richten was auf die Teraſſe ſieht, es iſt gar zu hübſch.
Ich kann Ihnen nicht beſchreiben, wie ich mich auf Grün¬
ſchloß freue; ich bin hier ſo ſommertrocken, und ſuche Kühle
und Grün. Adieu, meine Liebe, tauſendmal Adieu.


[171]

17.
Constantin an Hyppolit.

Ich hoffe nicht, daß mir die Zeitungen voraus¬
fliegen; wenigſtens werden ſie Euch nicht ſagen können,
wie gut mir's in der hieſigen Schlacht geht. Sattle
Dein Roß und fliege her, wir machen Freiheit hier.
Vorgeſtern iſt er losgegangen in den Straßen von
Paris, der hochrothe blutige Kampf eines Volkes um ſein
Recht, die dunkeln Schatten der Jacobiner ſchreiten vor
der neuen Jugend einher, die alten Freiheitslieder flattern
wie Sturmvögel über den Plätzen, mein Herz iſt faſt zer¬
ſprungen vor Freude, ſo zur rechten Zeit gekommen zu ſein,
und meinen grimmigen Haß gegen alles weltgeſchichtliche
Unrecht ausbaden zu können in ſchlechtem Söldnerblute.
Ich habe gefochten wie ein Raſender. Geſtern ſtand
ich am Fenſter des Zimmers, wo die Deputirten zu¬
ſammenkamen — der alte Student der Revolutionen,
das bemooste Haupt auf dem Fechtboden der Völker, La¬
fayette, ſagte uns, was wir thaten. Die Deputirten ſpra¬
chen verwirrt von Ementen, Revolten ꝛc. — Da ſtand der
unſterbliche alte Knabe, deſſen Herz noch im Sarge ſchla¬
8 *[172] gen wird, auf, und ſagte mit ſeinem gewöhnlichen welthi¬
ſtoriſchen Lächeln: Meine Herren, das iſt keine Revolte,
das iſt eine Revolution. — Wie ein Kanonenſchuß don¬
nerte das Wort durch Paris; er, der alle Vorleſungen der
revolutionären Profeſſoren beſucht hatte, er mußte es
wiſſen, wie das Collegium hieß. Nun iſt der Name
da und nun läßt ſich Paris todtſchlagen, bis dieſer Na¬
me von allen Thürmen flaggt. Heiß brennt die Juli¬
ſonne und ſaugt gierig das Blut auf, heiß ſchlagen die
die Herzen, wir haben eben das Stadthaus wieder ge¬
wonnen, das Haus, wo die ehernen Männer der neun¬
ziger Jahre ſaßen; in einem Winkel deſſelben ſchreib'
ich Dir; an dem Fenſter, wo ich ſitze, ſtürzten ſich einſt
die Männer des Thermidor hinunter. Hurrah, Freund,
von hier geh' ich, um die letzten Schergen des dummen
Herrſchers aus dem Louvre vertreiben zu helfen, neben
mir regiert Lafayette, und ſeine Arme, die Hundert¬
tauſende des Volks, geben dem alten morſchen Thron
der Bourbonen, dem Thron der herkömmlichen Bevor¬
zugung, den letzten Stoß; morgen machen wir eine Re¬
gierung, eine luſtige Republik. — O großer Gott, ſeit
Jahren dank' ich dir heut' zum erſten Male für deine
Welt, ja ſie iſt ſchön; der alte Unflath wird unter die
[173] Füße getreten, die Menſchenrechte ſchreien durch die
Gaſſen, und alle Welt hört ſie; das Herrſchen und Be¬
herrſchtwerden hört auf — frage den Valer, ob er
Präſident werden will, ich werd' ihm meine Stimme
geben. Du taugſt nichts dazu, Du biſt zu monarchiſch
gewachſen und geartet. Schreibt mir, ſchreibt mir
was das erſchrockne Schleſien ſagt — könnt' ich die
zertretnen dummen Fratzen Eurer Ariſtokratie in dieſem
Augenblicke ſehen, mein Glück reichte bis an den Him¬
mel. Eine Schmarre in der Wange ausgenommen bin
ich noch heiler Haut — hätt' ich tauſend Leben, ich
ſtürbe tauſendmal für die Freiheit. Holla die Trom¬
meln — die Trommeln, es geht zum Louvre gegen die
Schweizer. Gott behüte Euch; fall' ich, ſo beneidet
mich, ich bin im Rauſche gefallen. —

[][][][]

License
CC-BY-4.0
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Laube, Heinrich. Das junge Europa. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn83.0