[]
Der
Meſſias
.

[figure]

Dritter Band.


Mit Koͤnigl. Preußiſchen und Churf. Saͤchſiſchen allergnaͤdigſten
und gnaͤdigſten Privilegien.

Halle: , im Magdeburgiſchen.
Verlegt von Carl Hermann Hemmerde,
1769.

[]
[]

Vom
Deutſchen Hexameter,
aus einer
Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.



Selmer.

Die Regel unſers Hexameters iſt, den Daktylus
oͤfter, als den Trochaͤus, und dieſen, als den
Spondeus zu ſetzen. Wir duͤrfen den Daktylus
nicht ſo oft, als die Griechen, brauchen, weil der Trochaͤus
nicht ſo langſam als der Spondeus iſt, und weil dieſer, als
der dritte Fuß der Versart, zu ſelten vorkommt, dem oͤfter
wieder hohlten Daktylus das Gleichgewicht zu halten. Sie
werden mir zugeſtehen, daß unſer epiſcher Vers mannichfalti-
ger, als der homeriſche ſey: Jch nenne den Hexameter der
Alten ſo, weil ihn Homerus ſchoͤner gemacht hat, als irgend
* 2ein
[]Vom deutſchen Hexameter,
ein Grieche oder Roͤmer; aber Sie werden mir vermuthlich
Partheylichkeit Schuld geben, wenn ich auch den Rhythmus
unſers Hexameters vorziehe.


Werthing.

Jch laͤugne es Jhnen nicht, daß Sie mir
partheyiſch vorkommen.


Selmer.

Und warum komme ich Jhnen ſo vor?


Werthing.

Weil ich mehr Wohlklang in dem griechi-
ſchen, als in dem deutſchen Hexameter hoͤre.


Selmer.

Jch ſehe wohl, ich werde Sie beſchuldigen
muͤſſen, daß Sie dießmal den Klang der Worte und ihr
Zeitmaaß mit einander verwechſelt haben.


Werthing.

Es iſt wahr, ich hatte jetzt dieſen Unterſchied
nicht gemacht.


Selmer.

Jch ziehe unſern epiſchen Vers dem griechi-
ſchen, in Abſicht auf den Rhythmus, aus zwey Urſachen vor.
Die erſte iſt, weil ſich der Daktylus und der Trochaͤus aͤhnlich
ſind, und der Spondeus kein naͤheres Verhaͤltniß zu dem
Daktylus hat, als zu allen andern Fuͤſſen, den Moloß ausge-
nommen. Dieſe Uebereinſtimmung der beyden vornehmſten
Fuͤſſe unſers Hexameters gefiel den Griechen ſo ſehr, daß ſie
dieſen Doppelfuß: - ⏑, - ⏑ ⏑ den muſikaliſchen nannten.
Ob nun gleich der Vers viel oͤfter aus Wortfuͤſſen, als aus
den Fuͤſſen der Regel beſtehn muß, ſo duͤrfen doch dieſe manch-
mal einen Theil deſſelben bilden. Jn dieſer Betrachtung
kann uns das genauere Verhaͤltniß nicht gleichguͤltig ſeyn.
Die zweyte Urſache, warum ich unſerm Verſe den Vorzug
gebe, iſt, weil die Rhythmen, durch die er mannichfaltiger,
als
[]aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.
als der homeriſche wird, einen ſchoͤnen metriſchen Ausdruck
haben. Jch glaube, Sie machen mir jetzt den Vorwurf der
Partheylichkeit nicht mehr. Gleichwohl will ich Jhnen meine
Unpartheylichkeit noch mehr zeigen. Jch behaupte es naͤm-
lich als einen Vorzug des homeriſchen Verſes, daß er die
Schnelligkeit des Daktylus mehr durch ſeinen Spondeus,
als der unſrige durch ſeinen Trochaͤus aufhaͤlt. Unſere Dich-
ter koͤnnen dieſen Vorzug vermindern, wenn ſie ſich bemuͤhen
wollen, theils Gebrauch von den nicht zu wenigen Spondeen
zu machen, die wir vornehmlich durch Huͤlfe unſrer einſylbi-
gen Worte haben koͤnnen; und theils oft ſolche Trochaͤen
waͤhlen, die nach der griechiſchen Ausſprache Spondeen ſeyn
wuͤrden, und bey uns den Schein derſelben haben.


Minna.

Aber was hilft uns das, da wir Deutſche ſind,
und an dieſe Vergleichung nicht denken? Denn was gehet
uns uͤbrige der zwanzigſte unter den wenigen Leſern des Homer
an, der ſo gar ſein Sylbenmaaß verſteht?


Selmer.

Sie haben ſo ſehr recht, als man nur haben
kann: Allein, auch ohne Vergleichung, bleibt doch auch fuͤr
uns ein Unterſchied. Sie hoͤren naͤmlich andre Trochaͤen,
wenn Sie ſpondeenaͤhnliche hoͤren. Man koͤnnte vielleicht
ſagen, geben Sie mir einmal den Homer her, Werthing,
daß die Griechen auch ſolche Trochaͤen haͤtten.


Doch ich ſehe jetzt die Sache nicht mehr in dem Geſichts-
punkte an, daß wir durch dieſe Trochaͤen den Gang des Ver-
ſes etwas ſpondeiſch machen wollen. Jch vergleiche nur die
Quantitaͤt der Griechen mit unſrer. Um die Sache mehr
* 3zu
[]Vom deutſchen Hexameter,
zu uͤberſehen, wollen wir alle Arten der griechiſchen Trochaͤen
nehmen, und ſie mit unſern vergleichen.


Sphooe, Ophra, Naͤi, Steuto. Wir haben nur ſolche,
wie Sphooe. Spondeenaͤhnliche ſind bey ihnen, da naͤmlich,
wo ſie dieſe und aͤhnliche Worte als Trochaͤen brauchen:


Diphru, Esthloo, Jſaͤ, Phainei, Nuͤmphai, Huͤoi. Alle
dieſe Endigungen haben wir nicht.


Jn beyden Sprachen ſind eine große Anzahl Trochaͤen,
die ſich mit Einem Conſonanten endigen. Jch will nur
einige anfuͤhren:


Ballen, werfen, Phootes, Mannes, haͤnich’, menſchlich,
Soiſin, Freundinn.


Viele unſrer Trochaͤen endigen ſich mit zwey Conſonanten,
auch wohl mit dreyen. Dieſe haben die Griechen nicht.
Unterdeß iſt vielleicht unſer: Wandeln, ein beſſerer Trochaͤus,
als das griechiſche: Bainei, Bildend, als Moiſai, und Va-
ters, als Kaloi. Sie muͤſſen nicht etwa glauben, Heiners,
daß ſolche Worte ſelten als Trochaͤen geſetzet werden.


Heiners.

Wuͤrde es Jhnen bey den Daktylen eben ſo
gut gehen, wenn Sie noch ein wenig blaͤttern wollten?


Selmer.

Laſſen Sie uns ſehen.


Leuſſete, dichtete: Deidechat’, heiliget. Auch der Schluß
des Daktyls mit dem einſylbigen Worte:


Pheuge mal’, fliehe denn; Cherſin huͤph’, wandte ſich;
Doomat’ es, hoͤret es; Entha phil’, Schrecken will; Avtar
hoth, toͤnte vor; Auch drey einſylbige Worte:


Ae
[]aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.

Ae ge meg’, Floͤh er doch; Ei de ſuͤ, Flog in der; Too ke
tach’, Zog ſie ſich; Taͤn de kat’, Todt ſie hat; Ae gar ap’,
Wenn ſie von; Hoi men ar, Sing ich, er; Kadd’ ar’ ep’,
Stand er im; Hos rha t’ ap’, Wirf ſie an. Doch, Minna,
Sie wollen wohl, daß ich hier aufhoͤre.


Minna.

Nein, ganz und gar nicht. Jch mag wohl,
daß Sie bisweilen auch ein wenig umſtaͤndlich mit unſerm
Freunde Heiners reden.


Selmer.

Uranu, eben dieß doriſch: Ooranoo, Wande-
rers, Ae epei, Ewigkeit; Eiſetai, Antioi, Ek domu, Heiligung.


Minna.

Die Sache iſt doch wirklich mit der griechi-
ſchen Quantitaͤt viel anders, als ich ſie mir bisher vorgeſtellt
hatte. Hoͤren Sie, Heiners, ich habe Luſt, Jhnen ganz leiſe
ins Ohr anzuvertrauen, daß viele von denen, die ich bisher
allerley von Homers Verſe habe reden hoͤren, vielleicht nicht
ſehr bekannt mit demſelben geweſen ſind.


Heiners.

Es moͤgen dieß wohl wenige Stellen ſeyn, die
Selmer zu ſeinem Vortheile ausgeſucht hat.


Selmer.

Schlagen Sie auf, wo Sie wollen, ſo werden
Sie finden, daß die angefuͤhrten langen Vocale und Diph-
thongen nicht allzuſelten als kurz vorkommen.


Minna.

Das muͤſſen Sie wirklich thun. Da haben
Sie den Homer. Warum wollen Sie nicht?


Werthing.

Jch will Jhnen die Muͤhe abnehmen.
Doch erſt noch ein Wort mit Selmer. Homer iſt mir zwar
eben nicht unbekannt; aber ich hatte doch die Daktylen, die
aus drey Worten beſtehn, nicht ſo bemerkt. Blaͤttern Sie
* 4noch
[]Vom deutſchen Hexameter,
noch ein wenig. Moloſſen von drey Worten koͤnnen Jhnen,
wegen ihrer Anmerkung, die Sie vorher machten, nicht
gleichguͤltig ſeyn.


Selmer.

Es ſcheint, daß Minna nichts dawider
haben wird. Sie hat mir eben ein wenig Umſtaͤndlichkeit
empfohlen.


Enth’ avt’ all’, Meer, brauſ’ auf; All’ ei daͤ, Berg, ſink
ein; Has ut’ an, Komm, ſtuͤrz hin; Too nuͤn maͤt’, Wut
rief laut; Ei gar nuͤn, Stand bang ſtill; Tu men gar,
Hoͤrt’s, blieb ſtumm; Hoos ho prosth’, Nacht kam ſchon;
U man avt’, Pfeil fleug, trif; Hoi ton ge, Bleich ſank ſie;
All’ u laͤth’, Schwert, blink her; Toon per tis, Luft, weh
ſanft; Ei per gar, Ach blick auf.


Doch genung. Sie hoͤrten wohl, daß es nur Artikel und
Conjunctionen ſind, die Homer in Moloſſen verbindet. Der
Fuß ſcheint mir zu ſtark fuͤr Partikeln zu ſeyn. Homer hatte
uͤbrigens viel Worte, die Moloſſen waren, und die er oft
braucht. Dieſe fehlen uns beynah ganz, und wir koͤnnen
unſre einſylbigen langen Worte, vor allen die von ſtarker
Bedeutung, nicht beſſer brauchen, als wenn wir ſie in
Spondeen, Baccheen, und Moloſſen zuſammendraͤn-
gen, und ſie auf dieſe Art zu einem ſcheinbaren Ganzen
machen.


Werthing.

Welche Seite wollen Sie von dieſen bey-
den, Heiners? Dieſe alſo. Sie hat dreyßig Verſe.


Haͤră, te kăi, ei maͤ̆, otruͤnai͝, meſſatoo͝, einai͝, axioĭ, aͤdaͤ̆.

Sehen
[]aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.

Sehen Sie hier. Dieß ſind nur ſieben Verſe.


Toiaͤde kai͝, cheeĭ, gignetaĭ, phuͤei͝, daaͤmenai͝, muͤchoŏ.

Und was ſagen Sie von dieſem Verſe:


Plazomai͝ hood’ epei͝ u moi͝ ep ommaſi naͤdimos huͤpnos.

Man wuͤrde Jhnen, glaub ich, den Einwurf machen,
Selmer, ob ich ihn gleich nicht mache, daß auf dieſe laͤngere
Kuͤrzen ein Vocal folge. Aber man haͤtte deswegen Unrecht,
es zu thun, weil ſie hier nicht in dem Geſichtspunkte ange-
ſehen werden, daß der Anfang des folgenden Worts ſie noch
laͤnger macht. Jn dieſer Betrachtung iſt fuͤr uns, daß ſo
gar die Roͤmer den anfangenden Conſonanten des folgenden
Worts die Wirkung nicht zugeſtanden, welche ſie in der grie-
chiſchen Quantitaͤt hatten. Gleichwohl laͤugne ich nicht, daß
ich lieber hoͤre: Des Wanderers Eilen, als: Des Wande-
rers Fortgang. Unterdeß kann es wohl ſeyn, daß ein Deut-
ſcher, der mit den Griechen nicht bekannt iſt, dieſen Unter-
ſchied nicht bemerkt.


Noch Eins, Selmer, moͤgen Sie die laͤngere Kuͤrze, oder
die kuͤrzere Laͤnge lieber hoͤren?


Selmer.

Viel lieber die erſte. Jn der letzten iſt eine
gezwungne Dehnung.


Heiners.

Aber dem griechiſchen Ohre war ſie ange-
nehm.


Selmer.

Vielleicht. Wenn in:


Haͤ̅roo̅oo̅n to̅iſin̅ te͝

* 5die
[]Vom deutſchen Hexameter,

die erſten vier Laͤngen ihm vorzuͤglich gefielen, ſo konnte ihm
die fuͤnfte wenigſtens nicht in gleichem Grade gefallen. Sollte
das angefuͤhrte den Griechen viel anders geklungen haben,
als uns klingen wuͤrde:


He̅erſcha̅ar, ſtei̅g Fe̅lſen̅gĕbirg’ hinauf

Weil wir keine Poſition haben, kann eine Sylbe wie hier:
Sen, niemals lang bey uns ſeyn. Homer dehnt ſo gar, und
nicht ſelten, die Kuͤrzen, die es nach ſeiner Regel ſind, und
das in einer Sprache, die uͤber die Haͤlfte weniger Schwie-
rigkeit hat, den Vers zu machen, als unſre. Viel erlaubter
ſcheint es mir zu ſeyn, ein einſylbiges Wort, uͤber deſſen Quan-
titaͤt ein Ohr, das feine Zweifel hat, nicht voͤllig zur Richtig-
keit kommen kann, wenigſtens da, wo keine, oder wenig
Leidenſchaft auszudruͤcken iſt, als gleichguͤltig anzuſehn.


Moͤchten Sie, Minna, dieſen Vers:


Toͤ̅nĕndĕr ſa̅ngĕn vĕrbo̅rgĕn vŏn Buͤ̅ſchĕn mĭt lie̅bĕndĕr Kla̅gĕ Nachtigallen

lieber ſo hoͤren:


Toͤ̅ne̅nde̅r ſ̅ange̅n ve̅rbo̅rge̅n vo̅n Buͤ̅ſche̅n mi̅t liebe̅nde̅r Kla̅gĕ Nachtigallen

Oder wollen Sie die Poſition der Griechen ferner entbehren,
und es geduldig anhoͤren, wenn die Deutſchen ſelbſt fortfah-
ren, es ihrer Sprache vorzuwerfen, daß ſie beynah ohne
alle wahre Quantitaͤt ſey, weil ſie die Regel der Poſition
nicht hat.


Noch
[]aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.

Noch einige wenige Anmerkungen werden zureichen, Jhnen,
ohne daß ich weitlaͤuftig ſeyn darf, einen vollſtaͤndigen Be-
griff von unſerm Hexameter zu machen.


Wir haben in demſelben, oder koͤnnen wenigſtens durch
Huͤlfe unſerer Spondeen alle Wortfuͤſſe der Griechen haben.
Aber wir haben noch fuͤnfe von gutem Ausdrucke, welche den
Griechen fehlen, naͤmlich:


[figure]

Die Wortfuͤſſe, die wir mit den Griechen haben, ſind:


[figure]

[figure]

Der letzte kommt in unſerer Sprache oft vor. Wir muͤſſen
gegen ſeinen zu wiederholten Gebrauch auf der Hut ſeyn, da-
mit der Vers nicht weich werde.


[figure]

Sie ſehen, wie viel unſer Hexameter ausdruͤcken kann.
Sie denken ſich das, was ihn unterſcheidet, am beſtimmte-
ſten, wenn ſie ſich ſeine neuen rhythmiſchen Schoͤnheiten vor-
ſtellen, die durch die Verbindung unſrer Wortfuͤſſe mit den
griechiſchen entſtehn. Dieſe Doppelfuͤſſe, oder dieſe merkli-
cheren Abſaͤtze des metriſchen Ausdrucks geben Jhnen den
meiſten Anlaß auszumachen, ob das Urtheil ihres Ohrs ein
wenig ſtolz ſeyn duͤrfe.


Ueberhaupt koͤmmt es bey dem metriſchen Ausdrucke’ vor-
naͤmlich, auf die Wahl guter Wortfuͤſſe, und ihre Stel-
lung, an.


Jch
[]Vom deutſchen Hexameter,

Jch will nur einige aus den ſehr mannichfaltigen Zu-
ſammenſetzungen derſelben herausnehmen, von welchen ich
glaube, daß ſie dem Verſe einen vorzuͤglich ſchoͤnen
Rhythmus geben. Jch laſſe andere bekanntere weg, die
auch ihre Schoͤnheit haben. Langſamere, oder ſchnellere
Declamation, entſcheidet oft die Theilung in einfache oder
doppelte Wortfuͤſſe.


[figure]
Eile dahin, wo der Tod, und das Grab, und die Nacht dich erwarten.

[figure]
Wende dich weg, wehmuͤthiger Blick, von der Angſt des Erdulders.

[figure]
Nenne ſie, Klageſtimme des Nachhalls, ihrem Geliebten.

[figure]
Streit, und komm zu dem Miterbtheile des ewigen Lebens.

[figure]
Freudig ſtieg ihr Genoß zu dem Lichterbtheile des Heils auf.

[figure]
Schreckliche Todesangſt, graunvolle Verzweiflungsſtimmen.

[figure]
Furchtbarer Wehausruf, der hinab in das Thal aus der Kluft ſcholl.

[figure]
Ewiges Anſchaun deß, der im Lichtreich Dulder belohnet.

[figure]
Bebend erſchollſt, Nachtthal, und zuruͤckgabſt deine Verweſten.

Jch kenne keinen Hexameter, der einen ſtaͤrkeren metri-
ſchen Ausdruck haͤtte, als folgender. Jch wuͤrde Jhnen ſehr
danken, Werthing, wenn Sie ihn mir im Homer faͤnden,
und mich wundern, wenn ihn derjenige Dichter, der den
geizig-
[]aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.
geizigſten Foderungen ihres Ohrs genung that, nicht ge-
macht haͤtte.


[figure]
Drohend erſcholl der gefluͤgelte Donnergeſang in der Heerſchaar.

[figure]
Aber da nun in der Nacht Wehklage vom Grab’ aufrufte.

[figure]
Ruͤhmt und preiſt, gluͤckſelige Mitgenoſſen der Wonne.

[figure]
Ach wie liebt ich ihn ſonſt, ich einſt Schutzgeiſt des Verworſnen.

[figure]
Als der Erdkreis Gott vernahm, Gott nieder vom Paran

[figure]
Strom, ſteh ſtill! der Poſaunhall ruft, und das Volk des Herrn kommt.

[figure]
Jeder, dem jetzt am Tage des Herrn das Gericht Weh zurief.

[figure]
Ach es vernahm von dem Thron den Gerichtsausſpruch die Verſammlung.

[figure]
Aber da nun des Gerichts Ausſpruch vom gefuͤrchteten Thron ſcholl.

Minna.

Sie fuͤhrten uns vorhin gewoͤhnlich den lang-
ſamſten, den ſchnellſten, und den ſchoͤnſten Vers von jeder
Versart an.


Selmer.

Der langſamſte, den wir aber ſehr ſelten wer-
den machen koͤnnen, waͤre dieſer:


Wuth, Wehklag’, Angſtausruf, ſtieg laut auf von dem Schlachtfeld.
Den andern langſamſten, der viel leichter iſt, haben Sie
ſchon gehoͤrt:


Als der Erdkreis Gott vernahm, Gott nieder vom Paran.


Wer-
[]Vom deutſchen Hexameter,
Werthing.

Und den ſchnellſten auch, Minna. Wenn
ich nicht irre, ſo war es dieſer:


Eile dahin, wo der Tod, und das Grab! und die Nacht dich erwarten.

Jch will Jhnen, Selmer, denjenigen, den ich nicht allein
fuͤr den ſtaͤrkſten, ſondern auch fuͤr den ſchoͤnſten halte, im
Homer aufſuchen.


Sie brauchen den ſpondeiſchen Ausgang weit oͤfter, als
Virgil.


Selmer.

Wenn von Anſehn die Rede iſt, ſo gilt mir
Homers Beyſpiel mehr, als Virgils. Aber, auch ohne das
Exempel des Griechen, wuͤrde mir die Regel der Mannich-
faltigkeit, und der Rhythmus des trochaͤiſchen Ausgangs,
laſſen Sie uns ihn kuͤnftig ſo nennen, weil unſer Hexameter
nicht den Spondeus, ſondern den Trochaͤus, zum zweyten
Fuß angenommen hat, ich ſage, die Regel der Mannichfal-
tigkeit, und der bedeutende Rhythmus des trochaͤiſchen Aus-
gangs wuͤrden mir es auflegen, durch ihn den daktyliſchen
nicht ſelten zu unterbrechen.


Heiners.

Nach ihrer Meynung iſt es freylich ein Vor-
zug des deutſchen Hexameters vor dem griechiſchen, daß er,
ſtatt zweyer kuͤnſtlicher Fuͤſſe, drey zur Regel annimmt.


Selmer.

Es iſt einer, wenn anders Mannichfaltigkeit,
deren Graͤnzen nicht allein beſtimmt, ſondern auch weder zu
ſehr eingeſchraͤnkt, noch zu ſehr erweitert ſind, mit zur Schoͤn-
heit gehoͤrt.


Heiners.
[]aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaſſe.
Heiners.

Aber Sie muͤſſen mir beweiſen, daß Sie den
rechten Mittelweg zwiſchen der zu genauen Einſchraͤnkung,
und der zu freyen Erweiterung getroffen haben.


Selmer.

Geben Sie mir einige hundert Hexameter, die
ich Jhnen als gut gearbeitet zugeſtehn muß; ſo will ich ſie
Jhnen vorleſen. Wenn ich Sie dadurch nicht uͤberzeugen
kann; ſo habe ich wenig Neigung, es durch einen Erweis
zu thun, und wenig Hofnung, es zu koͤnnen. Jch verſtehe
aber durch gute Hexameter ſolche, die mit ſchoͤnen Rhythmen
oft abwechſeln, die dieſe Rhythmen dem Jnhalt anmeſſen,
und deren Jnhalt dieſer ganzen metriſchen Ausbildung
werth iſt.


Heiners.

Gut denn, dieſe neue, ungriechiſche, hexa-
metriſche Versart mag ihre Schoͤnheiten, und recht viele ha-
ben; allein Sie muͤſſen mir erlauben, daß ich zu dieſer Fra-
ge noch einmal zuruͤck komme, ſchickt ſich unſre Sprache
dazu?


Selmer.

Sie ſchickt ſich, in ihrem ganzen Umfange
genommen, und wenn ſie der Dichter verſteht, beſſer zum
Hexameter, als zu Opizens Verſe. Jch nehme dieſen ſo,
wie wir ihn gewoͤhnlich machen, da wir oft auf den Kuͤrzen
halten, und mit den Laͤngen forteilen; denn unſre Abſicht iſt
ja nicht, Spondeen einzumiſchen. Wollten Sie hier genauere
Beobachtung der Quantitaͤt von dem Dichter fodern, ſo
wuͤrden Sie ihm zu denken verbieten, und er koͤnnte dann
mit Recht behaupten, daß ſich unſre Sprache zu dieſer Vers-
art gar nicht ſchicke. Sie erinnern ſich, was wir im An-
fange
[]Vom deutſchen Hexameter.
fange unſrer Unterredung uͤber die Declamation des jambi-
ſchen Verſes anmerkten. Auch der kuͤrzeſte Beweis meiner
Antwort waͤre fuͤr Werthing und Minna zu lang. Sie koͤn-
nen alſo nichts dawider haben, daß ich ihn weglaſſe.


Der Hexameter, wie ihn Kleiſt machte, iſt ein ſchoͤner ana-
paͤſtiſcher Vers, der im Fruͤhling noch ſchoͤner ſeyn wuͤrde,
wenn der Jambus den Anapaͤſt oͤfter unterbraͤche. Es wuͤr-
de einer der gluͤcklichſten Gedanken einiger unſer Dichter ge-
weſen ſeyn, dieſen Vers zum lyriſchen aufgenommen zu ha-
ben, wenn er nicht, ſeltne Ausnahmen zugeſtanden, fuͤr die
Ode zu lang waͤre.


Der mehr homeriſche Hexameter hat, außer dem, was ich
ſchon angefuͤhrt habe, noch dieſes, daß ſein erſter Fuß beſtaͤndig
mit einer langen Sylbe anfaͤngt, ein Gang, der demjenigen
Verſe angemeſſen iſt, welcher dem epiſchen Gedicht vornaͤm-
lich zugehoͤrt. Dem Hexameter, ſagt Ariſtides, ein neuerer
Grieche, aber der dieſe Sachen verſtand, geben Schoͤnheit
und Wuͤrde ſein weiter Umfang, ſein Anfang mit der Laͤnge,
und ſein volltoͤniger Schluß.


Der
[[1]]

Der
Meſſias.
Elfter Geſang
.


IIIBand. A
[[2]]

Jnhalt
des elften Geſanges
.


Die Herrlichkeit des Meſſias ſchwebt von Golgatha ins Allerheilig-
ſte des Tempels. Die Erde bebet unter ihr, und der Vorhang
des Allerheiligſten zerreiſt. Gabriel ſagt den Heiligen, daß ſich jeder
zu ſeinem Grabe begeben ſolle. Der Meſſias verlaͤßt den Tempel und
weckt die Heiligen vom Tode auf. Die Auferſtehenden ſind Adam,
Eva, Abel, Seth, Enos, Mahlaleel, Jared, Kenan, Lamech,
Methuſala; Noa, Japhet, Sem, Abraham, Jſak, Sara, Re-
becca, Jacob, Rahel, Lea, einige ihrer Soͤhne, Benjamin, Jo-
ſeph, Melchiſedek, Aſarja, Miſael, Hananja, Habacuc, Jeſaias,
Daniel, Jeremias, Amos, Hiob. Der bekehrte Schaͤcher ſtirbt,
Noch ſtehen vom Tode auf: Moſes, David, Aſſa, Joſaphat, Uſia,
Jotham, Joſia, Hiskia, Jonathan, Gideon, Eliſa, Debora,
Mirjam, Heſekiel, Asnath, Joſua, Jephta’s Tochter, die Mutter und
ihre ſieben Soͤhne, Heman, Chalkol, Darda, Ethan, Hanna,
Benoni, Simeon, und Johannes der Taͤufer.


[[3]]

Der Meſſias.
Elfter Geſang
.



Wenn ich nicht zu ſinkend den Flug der Religion flog,

Wenn ich Empfindung ins Herz der Erloͤſten ſtroͤmte; ſo

hat mich

Gottes Leitung getragen auf Adlersfluͤgeln! es hat mich,

Offenbarung, von deinen Hoͤhn die Empfindung beſeligt!

Wer an dem reinen kryſtallenen Strom, der unter des Lebens

Baͤumen vom Throne fleußt, nicht weilte mit heiliger Ehrfurcht,

Deß Beyfall erreiche, verweht vom Winde, mein Ohr nicht!

Unverweht, befleck’ er mein Herz nicht! Ach, unten am Staube

Muͤßte bleiben mein Lied, wenn jener lebende Strom nicht

Durch die neue Jeruſalem, Gottes Stadt, ſich ergoͤſſe,

Und zu ihm mich hinauf der Vorſicht Rechte nicht fuͤhrte.

Leite mich ferner, du Unſichtbare, du Fuͤhrerinn, leite

Meinen bebenden Gang! Des Sohnes Erniedrigung ſang ich;

A 2Bring
[4]Der Meſſias.
Bring mich hoͤher hinauf, auch ſeine Wonne zu ſingen!

Aber darf ich mich auch des Vollenders Freuden zu ſingen

Unterwinden? von Auferſtehungen rauſchend die Hoͤhen

Und die Thale? des Siegers Triumph, da vom Tod’ er aufſtand?

Und die Erhebung des Sohns von dem Staub’ hinauf zu dem Himmel

Aller Himmel, empor zu dem Throne des ewigen Vaters?

Die mich hoͤren, und mir, hilf, Himmelerhobner, uns tragen

Ach, uns armen Gluͤcklichen deiner Herrlichkeit Schrecken!

Ewig nun Erbarmer der Menſchen, ſchaut’ auf des Todten

Leichnam der Ausgeſoͤhnte. Der Sohn, der Herrliche Gottes,

Er von Ewigkeit, Gott, der Hochgelobte der Himmel,

Chriſtus ſah zu dem Vater empor. Wer iſt der Erſchaffne,

Der zu empfinden vermag, mit welcher Wonne der Gottheit,

Welcher Liebe, ſie ſchauten? Da, wo herunter vom Throne,

Wo von der heiligen Erde, ſich ihres goͤttlichen Anſchauns

Seligkeit ſenkt’, und erhub, auf dieſem ſtrahlenden Wege

Fing jetzt wieder die ſtehende Schoͤpfung den kreiſenden Lauf an,

Hier zuerſt; dann floß von des Ewigen Throne die Nacht weg,

Dann von der Sonne der deckende Stern. Nun bebten die Pole

Aller Welten, den Flug, den Gott ſie lehrte, zu fliegen.

Schon begannen ſie ihn, und donnerten weit durch die Himmel

Jenes Flehen, mit dem ſie zu ſeiner Schoͤpfung Erhalter

Rufen, es wolle von ihnen der Allmacht Arme nicht abziehn

Gott, und ſie laſſen auf ewig von ſeiner Herrlichkeit zeugen!

Und mit Eile drehten die Sonnen ſich, folgten die Erden,

Bis ſie von neuem den Weg der erſten Kreiſe betraten.

Jeſus Chriſtus, der Miterhalter der Welten, ſchwebte

Ueber
[5]Elfter Geſang.
Ueber dem Kreuz, und ſah auf ſeinen Leichnam herunter,

Wie der blutig, und bleich, und ſtumm zu der Erd’ hinabhing!

Jetzo wandte der Ueberwinder des Todes ſich. Schauernd

Bebte die Erde vor ihm, als er ſich wandte. Nun ſchwebt’ er

Nach dem Tempel, und unter des Eilenden Schwunge zerſpalten,

Sinken, ſtuͤrzen, mit himmelſteigendem Staub’ und Getoͤſe,

Rings die Felſen. Schnell erfuͤllet die heiligen Hallen

Chriſtus Herrlichkeit, ſchnell das Allerheiligſte Gottes.

Und es zerriß, indem ſie ins Allerheiligſte ſchwebte,

Von des Gewoͤlbes fernen Hoͤh, aus der er hinabhing,

Bis zu dem liegenden Saum, der geheimnißverhuͤllende Vorhang.

Und es verſchwand dein Schatten vor dir, vollbrachte Verſoͤhnung!

Hier ſprach Jeſus Chriſtus mit ſeinem Vater, mit Gott, Gott,

Von der ganzen Erloͤſung Vollendung, bis er zu des Vaters

Rechte ſich huͤbe! Denn nicht allein der getoͤdtete Gottmenſch,

Auch der auferſtandne, und himmelerhobne Gottmenſch

Jſt das Heil der Suͤnder, und ihres Glaubens Entzuͤckung.

Nur wovon der Vater und Sohn, nicht wie ſie es ſprachen,

Kannſt du, Sionitinn, erzaͤhlen. Denn, dieſes zu denken,

Hat die Seele kein Bild, es zu ſagen, nicht Worte die Sprache.

Siehe, wie Nacht ſich in ewiges Licht aufklaͤrt! … wie des Sohns Heil

Keinem nicht Labyrinth mehr iſt! … war ihres Geſpraͤches

Jnhalt. Dann das Volk, deß Soͤhnungsaltaͤr’ aufhoͤrten

Bilder des ewigen Opfers zu ſeyn! deß Tempel nun Truͤmmer

Bald nun Staub iſt! … Jhr thraͤnenvoll Schickſal, wie ſie geſaͤt ſind

Unter die Nationen! und dieſes Schickſals Entwicklung! …

Ging vor dem ſchauenden Auge des Vaters und Sohnes voruͤber.

A 3Auch
[6]Der Meſſias.
Auch die Religion verbreitet unter den Schaaren

Zahlloſer Voͤlker, wie ſie mit viel Jahrhunderten fortſtroͤmt,

Oft verdunkelt, entſtellt! von der Menſchen Laſtern und Unſinn

Wie mit Naͤchten bedeckt, nie ganz vertilgt von der Erde!

Jedes Geretteten Auferſtehung vom Tode der Seele!

Jeder Kampf des Streitenden! jeder Sieg des Geſtaͤrkten!

Seine Leiden! ſein fernes Gefuͤhl des Himmels! ſein Ende!

Ging vor dem Ausgeſoͤhnten, und vor dem Verſoͤhner veruͤber!

Da ſo gegen einander der Vater und Sohn ſich verklaͤrten,

Waͤlzte, ſo brauſen Meere! ſich durch die hoͤrenden Himmel

Eine Stimme; die ſprach: Bey dem, der von Ewigkeit Gott iſt,

Menſch, und erwuͤrgt ward! auferſtehn, und zur Rechte des Vaters

Sich wird ſetzen! ihr Ungefallen, auch euch wirds Wonne

Wirds in jauchzenden Ewigkeiten Entzuͤckung und Heil ſeyn,

Daß der ewige Hoheprieſter die Suͤnde verſoͤhnt hat,

Und mit euch die wiedergeheiligten Sterblichen Gott ſchaun!

Eure Bruͤder, wie ihr geſchaffen zur Ewigkeit, Gott ſchaun!

Fallet nieder, und dankt! Auf ſeines Todes Altare

Ruht noch ſein heiliger Leichnam, allein vollendet, vollendet

Hat das Opfer der Ewigkeit Er! Bald iſt die Erloͤſung

Ganz vollbracht! Jhr werdet den Ueberwinder, die Klarheit

Seiner Gottheit um ihn nun bald auf des Ewigen Thron ſehn!

Gott, von Ewigkeit Gott, und bedeckt mit ſtrahlenden Wunden!

Alſo erſcholl die Stimm’ in den Himmeln Eloa’s Stimme.

Auch erhub ſich uͤber der Erde mit freudigem Beben

Eine Stimme; die ſprach: Der Gottverheißne, der Treue,

Jeſus Chriſtus, der Dulder, der Gnadenvolle, die Liebe

Nun,
[7]Elfter Geſang.
Nun, nun iſt er den Tod fuͤr die Abgefallnen geſtorben

Seinen verſoͤhnenden Tod! Du Zweig an Adams Stamme

Klag’, und verdorre nicht mehr! bluͤh auf zu dem ewigen Leben!

Die gebohren werden, nun jauchzen ſie, daß ſie es werden!

Denn es iſt, in der Sterblichkeit ſchon, ihr Licht der Verſoͤhner,

Jhre Leuchte das Lamm, das auf dem Huͤgel erwuͤrgt ward!

Die vor Gott ſie verklagte, die todverlangende Suͤnde

Jſt vertilget! Gericht, du gehſt vor den Reinen voruͤber,

Die mit des Gottgeopferten Blute ſich glaubend bezeichnen.

Hebet euer Haupt gen Himmel, und glaubt! Der Erbarmer

Gab euch ſeinen Eingebohrnen! Ein beſſeres Leben

Nimmt euch auf; habt ihr des Todes Schlummer geſchlummert.

Prieſter ſeyd ihr, und Koͤnige, ſeyd in Blute gewaſchen,

Hell im Blute des Lammes, das auf dem Huͤgel erwuͤrgt ward.

Alſo erſcholl auf der Erde die Stimme des erſten Gefallnen.

Jeſus war noch im Allerheiligſten. Keinem der Engel

Offenbaret’ er ſich jetzt ſichtbar, keinem der Vaͤter.

Seine Gegenwart kuͤndeten zwar, da hinuͤber zum Tempel

Er vom truͤben Golgatha ſchwebte, wehendes Rauſchen

Jhnen an, und, Erde, du, die dem Goͤttlichen bebte.

Aber ſie ſahn die Herrlichkeit nicht, vor welcher die Wolken

Rauſchten, die Erd’ erſchrak. Sie beteten nur von fern an;

Jetzo gegen die Hoͤhe Moria, denn immer erbebte

Noch das Allerheiligſte! Bilder vom Tode des Mittlers

Fuͤllten zwar noch die Seelen der Vaͤter; allein wie kein Engel

Jhnen ſie nachzuempfinden vermag, ergreifet, durchſtroͤmt ſie

Wonne mit jenem jetzt ſuͤſſerm Gedanken von deinem Tode,

A 4Gott-
[8]Der Meſſias.
Gottverſoͤhner, vermiſcht, die ſanſteſte Ruhe des Himmels!

Ruh, und Friede Gottes, und Liebe Chriſtus, die jeden

Jhrer Gedanken erleuchtete, jedes Gefuͤhl entflammte!

Denn ſie empfanden, es ſey der Erſchaffung zur Ewigkeit letzter

Seligſter Zweck, die Liebe zu Jeſus Chriſtus dem Mittler

Zwiſchen Gott und … Menſchen! Jn dieſer ſanften Entzuͤckung

Sahn die Seelen der Heiligen jede die andre verloren.

Nach und nach war ihnen ihr Glanz, ihr ſtrahlendes Leben

Wieder gekommen. So ſahen ſie ſich. Die himmliſche Liebe,

Welche ſie gegen einander empfanden, erhub ſie noch hoͤher

Zu der Seligkeit, dich, o ihr Verſoͤhner, zu lieben,

Eine Seele ſie alle, ſie all Ein Tempel des Mittlers!

Gabriel eilte zu ihnen vom Todeshuͤgel heruͤber,

Und trat unter ſie hin. Noch konnt’ er vor Wonne nicht reden.

Alſo hatte der Lichtanblick der Ewigerloͤſten

Jhm ſein Jnnres bewegt. Wie Harfen toͤnt’ ihm die Stimme:

Meine Bruͤder! Unſterbliche! kaum darf ich Bruͤder euch nennen!

Chriſtus Vaͤter! ich fuͤhrt’ euch herab von der Sonne zur Erde;

Vaͤter! noch Ein Befehl iſt mir am Throne geworden;

Alſo gebeut er: Geht zu euren Graͤbern, Erloͤſte!

Schnell verbreiteten ſich der Heiligen Schaaren, und eilten

Jeder zu ſeinem Grabe. Noch war von jenem Altare,

Bey dem Abel entſchlief, ein bemooſter Felſen uͤbrig.

Adam ward, und viele der Seinen an dieſem Altare,

Den faſt ganz der Waſſer Gericht wegwaͤlzte, begraben.

Adam eilte mit wenigen Frommen, ſie dort zu verſammeln.

Und ſie ſahen, da ſie den Graͤbern ſich nahten, die Engel

Jhre
[9]Elfter Geſang.
Jhre Beſchuͤtzer im ſterblichem Leben nah an der Graͤber

Truͤmmern ſchweben. Es ſchien, als ob die Engel der Schoͤpfung

Kleinere Wunder, die Welten des Staubes, und ihre Bewohner,

Unter den Truͤmmern betrachteten. Als die heiligen Seelen

Mehr ſich nahten, verließen die Engel der Graͤber Gefilde.

Triumphirend erhuben ſie ſich. Die Seelen der Todten:

Wußten es nicht, warum in Triumph ſich die Engel erhuͤben.

Henoch blieb und Elias am Todeshuͤgel. Sie blickten

Wundernd den Heiligen nach, die zu ihrer Gebeine Ruhſtat

Jn der Zeit der Vollendung, der Zeit der Herrlichkeit, jetzo,

Auf des Ausgeſoͤhnten Befehl herunter ſtiegen!

Noa ließ ſich mit Japhet und Sem hinab zu dem Grabe,

Das ihn an jenem Berge begrub, auf welchem die Arche,

Gottes Retterinn, uͤber der waldumſtuͤrzenden Meere

Dumpfem Geraͤuſch, ſtillſtand! und wo den dankenden Altar

Noa baut’, und opfert’, und dich, du Bogen des Bundes,

Den Gott ſelber mit Gnade betrachtete, betend erblickte.

Abraham eilte mit ſeinen Geliebten zur Todeshoͤle

Gegen uͤber dem Hain, in dem er den goͤttlichen Dulder

Schon wie einen Menſchen geſtaltet ſah, und nicht wußte,

Wer der Wanderer ſey, der mit ihm in dem Schatten ſich labte.

Moſes ereilte ſein einſames Grab am Nebo, wo Gott ihn

Unter Felſen begrub. Er ſtarb vor des Ewigen Anſchaun,

Der ihm, eh er entſchlief, vom Nebo Canaan zeigte.

Vor dem Schrecken der Gegenwart Gottes zerriſſen die Felſen

Unter dem Todten. Er ſank hinunter; noch bebende Felſen

Stuͤrzten ihm nach. So lag er von Gottes Rechte begraben.

A 5Nicht
[10]Der Meſſias.
Nicht ſo ferne von Golgatha kamen zu ihren Graͤbern

Jene Juͤnger Moſes, die, mit der Beredtſamkeit Donner,

Und prophetiſchen Pſalmen vom kuͤnftigen Heile geruͤſtet,

Abrahams Enkel dem eiſernen Arme der Goͤtzen entriſſen.

Graun umgab die Gefilde der heiligen Graͤber, und ſchreckte

Jedes noch Sterblichen Fuß zuruͤck, der ihnen ſich nahte.

Aber, als ob bey den Heiligen ſie nur weilen wollten,

Kamen wieder zu ihnen herab von der Wolke die Engel.

Adam hatte ſein Grab mit ſeinen Geliebten betreten.

Alſo entriß er ſich ſeinem Erſtaunen: Jhr fuͤhltet, ich ſah es,

Wie ich heiligen Schrecken empfand, als Gottes Befehl kam,

Aber freut euch mit mir! Wir ſind gewuͤrdiget worden,

Dieſe Zeit, da im Tode des Goͤttlichen Leichnam ſchlummert,

Mit dem Schlummernden bis zu dem Grab’ erniedret zu werden.

Selig, daß wir es wurden: wie freudig iſt dieſer Gedanke,

Mit dem ewigen Sohne des Vaters erniedert zu werden.

Und noch Einer entzuͤckt mich: Jch werde jenen Gerichtstag,

Wenn er, zum Eden die Erde nun umzuſchaffen, herabkoͤmmt,

Und ihr, meine Kinder, mit mir wir werden vom Tode

Hier erwachen! erwachen bis hin ans Ende der Erde

Alle die liegen, und ſchlafen, zu Ewigkeiten erwachen!

Alle meine zahlloſe Kinder der erſten Erſchaffung

Leiber, verherrlichte, ſeelenaͤhnliche Leiber empfangen.

Ach! zu welcher Seligkeit ſchuf uns Jehova! Wie haſt du,

Tod des Verſoͤhnenden, uns, und zu welchen Freuden, erhoben[!]

Henoch, und du, Elias, ihr zeigts, wie werth des Verlangens

Eines Unſterblichen ſey die Auferſtehung vom Tode.

Saͤume
[11]Elfter Geſang.
Saͤume nicht, letzter der Tage, daß wir nicht laͤnger verlangen!

Saͤume, ſaͤume vielmehr, daß noch zahlloſer die Schaar ſey

Derer, die einſt zu dem ewigen Leben aus Graͤbern hervorgehn!

So ſprach Adam mit ſeliger Ruh, und ſeine Gefaͤhrten

Dachten mit ihm dem frohen Gedanken von der Erniedrung

Mit dem Verſoͤhner, und von dem letzten Tage der Erde

Wonnevoll nach. So ſtanden ſie jeder an ſeinem Grabe.

Von dem Fuße des Bergs bis hinauf zu der Zinne des Tempels,

Bebt’ itzt fuͤrchterlicher Moria. Schreckende Wolken

Waͤlzten ſich aus dem Allerheiligſten, ſtroͤmten heruͤber

Durch die Hallen des Heiligen, dann in des Tempels Vorhof,

Dann gen Himmel. Wohin die ſchreckenden Wolken ſich wandten;

Bebte die Erd’, und ſpalteten Felſen, und huben ſich Stroͤme.

Jetzo ſtanden die Wolken gebreitet uͤber die Graͤber

Leuchtender ſtill, und ein Sturmwind brauſt’ auf die Graͤber herunter;

Aber des ewigen Sohns Allmacht war nicht in dem Sturmwind!

Und die Erde bebt’ um die Graͤber; allein des Verſoͤhners

Allmacht war in der bebenden Erde nicht! Es entſtroͤmten

Flammen den Wolken; allein der Herr war nicht in den Flammen!

Jetzo kam von dem Himmel ſanftes Saͤuſeln hernieder,

Und des ewigen Sohnes Allmacht war in dem Saͤuſeln.

Ach! die Vaͤter befiel, gleich einem Schlummer in Schatten,

Suͤße Betaͤubung! Sie wußten es nicht, wie ihnen geſchahe,

Aber ihr dunkles Gefuͤhl war: Naͤhe Gottes, und daß es

Um ſie ſaͤuſelte. Freudig, mit bruͤderlicher Entzuͤckung,

Schauten die Engel umher im Gefilde der Auferſtehung!

Jetzt
[12]Der Meſſias.
Jetzt daucht’s Adam, als rief er: Jch werde geſchaffen! geſchaffen!

Und er ſtrebte ſich aufzurichten. Noch kniet’ er im Staube.

Harfen toͤnten ihm zu! ihm ſang der Seraph, und Cherub:

Werde von neuem, und nun auf ewig, geſchaffen! auf ewig!

Siehe, du ſtarbſt, an dem dunkelſten deiner Tage, des Todes,

Adam! O Heil dir Erſtem! erwach! und lebe nun Leben!

Seliges, Adam! wie du, nach deiner Schoͤpfung, nicht lebteſt!

Ach, nun ſtirbſt du des Todes nicht mehr! … Noch kniet’ er im Staube,

Sah noch dunkel. Es ward mit dem auferſtehenden Leibe

Sein aͤtheriſcher Leib, der ſeit dem Tod’ ihn umhuͤllte,

Jetzo vereint. Der wurde des Umgeſchaffnen Verklaͤrung.

Schnell erhub er ſich, ſtand, und ſtreckte die Arme gen Himmel:

Wonne mir! du haſt mich von neuem aus Staube gerufen!

Ja, nun weis ichs wahrhaftig! du haſt mich wieder, Verſoͤhner!

Herrlicher mich, wie in Eden erſchaffen! O daß ich dich faͤnde,

Gottverſoͤhner, daß ich den Allmaͤchtigen faͤnde! wie wollt ich

Niederfallen vor ihm! wie ihn anbeten! Du biſt uns

Nahe, zwar nicht geſehn, doch biſt du uns nahe, Verſoͤhner!

Ja, dieß himmliſche Saͤuſeln iſt deiner Gegenwart Stimme!

Und auch ſie erwachen um mich! Schaut nieder, ihr Engel!

Um den Vater der Menſchen erwachen die heiligen Kinder!

Eva begann ſich empor zu heben. Wer bin ich geworden?

Bin ich in Eden? Wo bin ich? Jch lebe wieder im Leibe

Meiner erſten Erſchaffung? O dort iſt Adam! Wie glaͤnzt er!

Und wie glaͤnz ich! O du, deß Wunden einſt ſtralen, wo biſt du,

Daß ich eil’, und dir danke, du Wiederbringer der Unſchuld!

Adam
[13]Elfter Geſang.
Adam eilte zu ihr, ſie eilte zu Adam; doch konnten

Sie nicht reden, da ſie ſich in ihrer Entzuͤckung umarmten,

Nur den Namen des Todtenerweckers konnten ſie ſtammeln.

Abel, Abel! mein Sohn! rief Adam Abel entgegen,

Denn der ſchwebte daher, wie ein Fruͤhlingsmorgen, in Purpur

Und in Schimmer gekleidet! mein Sohn, wie hat uns der Mittler

Mit Barmherzigkeiten, mit Huld, mit Gnade beſeligt!

Erde wurden wir, als wir entſchliefen; was ſind wir geworden!

Ueber alles, was wir verſtanden, und was wir baten,

Hat er uͤberſchwenglich gethan, der, o Vater, verſoͤhnt hat

Unſere Suͤnd’, und die Suͤnde der Welt! O Ruhe der Himmel!

Alle ſie werden wie wir der Tage letzten erwachen.

Enos fand ſich bey Seth, bey dem Mahlaleel, Jared,

Kenan, und Noa’s Vater, bey dem Methuſala wieder.

Unter Stralen, fanden ſie, auf zitternden Graͤbern,

Sich mit des neuen Lebens Gefuͤhl, in himmliſchem Leibe,

Der, ein beßrer Gefaͤhrt der erloͤſten unſterblichen Seele,

Faſt mit ihr denkt, und empfindet, in dem die ewige Gott ſchaut!

Wie, nach ihrer Geburt, ſich die Morgenſterne des Daſeyns

Freuten, und dich, o Schaffender, feyrend ſangen, ſo ſchwebten

Adams Soͤhne daher, und riefen Jubel und Wonne,

Neue Wonne ſich zu! Der Auferſtehung Gefilde

Hallten von der Entzuͤckung der wiederkommenden Todten!

Noa, der zweyte Vater der Menſchen, fuͤhlt’s, daß er wurde,

Und in ſanfterem Wehn der Abenddaͤmrung erwachte.

Roͤthlicher Duft entfloß des Unſterblichen Schulter, indem er

Schnell ſich erhub. Er rief: Jhr Engel, ſagt mir, ihr Engel,

Jſt
[14]Der Meſſias.
Jſt mir ein Leib wie Adam im Paradieſe geſchaffen?

Ach, wo ſind wir? am Throne des Ewigen? oder am Grabe?

Und wo betet ihr an? wo iſt er, o der mich umſchuff?

Daß ich niederfalle mit euch! mit euch anbete!

Japhet! Sem! er ſahe vor ſich die beyden erwachen,

Ach! wo iſt, ihr Soͤhne! der uns vom Tode geweckt hat?

Daß wir eilen, und niederfallen, und ihn anbeten?

Nein! nicht Noa’s, der auch es iſt, der Auferſtehung

Soͤhne, wo iſt, der ſie mit Feuer vom Himmel entflammt hat,

Daß wir knieen, und niederfallen, und Jubel ihm ſtammeln!

Wie der Fromme, der Gott, Gott! ſeinen Schoͤpfer! in Allem

Sucht, und findet, in fruͤhem erfriſchendem Walde die Sonne

Hinter duftenden Baͤumen in ihrer Schoͤne die Sonne

Aufgehn ſleht, Entzuͤckung und ſanfter Schauer befaͤllt ihn!

Denn ſie iſt ſchoͤn! ein maͤchtiger Zeuge der Herrlichkeit Gottes!

So ſah Abrahams Engel den Vater der glaubenden Nachwelt

Selig, verklaͤrt, unſterblich aus ſeinem Grabmal hervorgehn.

Abraham legte die Hand auf den Mund, und blickte gen Himmel;

Endlich redt’ er, noch in ſich gekehrt, noch vertieft in Erſtaunen:

Umgeſchaffen bin ich? Wie wunderbar, du Verſoͤhner,

Sind die Folgen deiner Verſoͤhnung! wie gnadevoll ſind ſie!

Ach, dieß neue Leben, das du aus Staube mir ſchufeſt,

Gott! Verſoͤhner! es iſt auch deinen Wunden entquollen!

Dieſen unverweslichen Leib, den edlern Genoſſen

Meiner Seele, den haſt du mir, vor dem Tage der Tage,

Vor der Wandlung der Erde, gegeben! Wer bin ich! wer bin ich,

Daß du mit dieſem Heile mich, Liebender, uͤberſchuͤtteſt!

Alſo
[15]Elfter Geſang.
Alſo rief er, und weint’, entflammt von Dank und von Wonne.

Jſak kam; und Abraham daucht’s, als waͤre der Juͤngling

Einer der Seraphim! Alſo war mit dem feſtlichen Schimmer

Und mit der laͤchelnden Morgenroͤthe der Himmelsbewohner

Jſak geſchmuͤckt. Und Abraham rief: O ſahſt du mich werden,

Leuchtender Engel? Er iſt fuͤr Adams Soͤhne geſtorben!

Er hat meinem verweſten Gebein dieß Leben geboten!

Abraham! … Vater! du glaubteſt zu Gott, ich wuͤrd aus der Aſche,

Haͤtte mich nun des pruͤfenden Altars Flamme geopfert,

Wieder erwachen. Jetzt bin ich erwacht! O beſter der Vaͤter,

Wunderbar iſt des Verſoͤhnenden Gnade! Sein heiliger Leichnam

Ruht noch am Kreuz, und wir erſtehn zu dieſer Entzuͤckung!

Wie im Schlummer ſank ich dahin, und himmliſche Luͤfte

Wehten um mich, und ich fand in hellen Wolken mich wieder.

Voller Entzuͤckungen kamen Sara, und Bethuels Tochter

Zu den Geliebten. Auf ſie, und gen Himmel, die Augen gerichtet

Standen der Vater, der Sohn, und fuͤhlten die Auferſtehung.

Lange ſtanden ſie ſprachlos; allein in der innerſten Seele

Gluͤhten ewiger Dank, und werdende Jubelgeſaͤnge.

Jſrael trat in Triumphe daher! und Thraͤnen voll Seele,

Dankende Thraͤnen entſtuͤrzten dem Auge des Auferſtandnen:

Halleluja dem Ueberwinder des Todes! dem Mittler

Zwiſchen dem Richter, und mir! du haſt geblutet! du haſt es

Alles vollendet! du haſt aus des Todes Thal mich gerufen!

Und die Seraphim hielten ſich nicht, und ſtroͤmten ihr Loblied

Hin in den Wonnausruf des auferſtandnen Gerechten:

Preis
[16]Der Meſſias.
Preis und Ehre dem Todtenerwecker! dem goͤttlichen Geber

Dieſes jauchzenden ewigen Lebens, das jetzt aus den Graͤbern

Aufbluͤht! Freue deiner Bewohner, die kommen ſollen,

Himmel, dich! Es wehen, es wehen mit leiſem Liſpel

Dieſe fruͤhen Halme, dem Rauſchen der großen Erndte,

Sieh, es ſinget ihr Lied dem Rufen der Erndter: Jhr Todten,

Kommt! dem Poſaunenhall: Gieb, Meer, ſie wieder, und Erde!

Ach dem Jubelgeſchrey des letzten Tages entgegen!

Jſrael wandte von ihnen ſein Auge nach Golgatha’s Grabe:

Laut in allen Himmeln mit allen ewigen Choͤren

Will ich danken, wenn du aus deinem Grabe dich aufſchwingſt,

Wenn der Geliebte den Liebenden ſchaut auf der Herrlichkeit Throne,

Jn dem Glanze, der dein vom Anbeginne der Welt war!

Seyd ihr, Engel, was ich bin? Jhr ſeyds nicht! Jhr ſtarbt nicht, wie ich ſtarb

Glaubend an ihn! der Auferſtehung maͤchtige Freuden

Fuͤhltet ihr nicht! Er iſt, wie Menſchen ſterben, geſtorben;

Und wie Menſchen, wird er in das neue Leben heraufgehn!

Selig, betet ihr an! Wir beten, ſelig mit euch, an;

Aber wir lieben des Ewigen und der Sterblichen Sohn mehr!

Ach, wo ſind, die mit mir in dem erſten Leben ihn liebten?

Zwar nur fern und dunkel ihn ſahn den Retter der Menſchen,

Aber in ſeiner Goͤttlichkeit doch! … Er wendet vom Himmel

Nach der Erde ſein Aug’, und erblickt, und umarmt die Geliebten,

Joſeph, und Rahel noch nicht. Bey dem Grabe der Mutter Benoni

War ihr Engel. Sie ſtand an dem Hange des offenen Felſen,

Auf der Hoͤhe der Engel. Mit Blicken der innigſten Freundſchaft,

Sah
[17]Elfter Geſang.
Sah ſie zu ihm hinauf; mit Blicken der innigſten Freundſchaft

Sah er auf ſie herunter. Mein Grab iſt einſam, o Seraph! …

Rahel, das Grab, in welchem nun bald der Goͤttliche ruhn wird,

Jſt auch einſam! … Unſterblicher, ach wie hat er gelitten,

Deſſen Leichnam bald das Grab an Golgatha einſchließt.

Ach, was hat ſein verſohnender Tod uns erworben! Jch werde

Einſt erwachen! wo mein Gebein in Staube verweſte,

Hier! Auch Auferſtehung hat mir der Verſoͤhner erworben!

Als ſie noch redet’, erhub ſich um ihren Fuß von dem Grabe

Sanftaufwallender Duft, ein Woͤlkchen, wie etwa die Roſe

Oder ein Fruͤhlingslaub einhuͤllt, das Silber herabtraͤuft.

Rahels Schimmer umzog den ſchwimmenden Duft mit Golde,

Wie die Sonne den Saum der Abendwolke vergoldet.

Und ihr Auge begleitet des Duftes Wallen. Sie ſieht ihn,

Anders um ſich, und wieder anders gebildet, herumziehn,

Steigen, ſinken, zuletzt ſtets mehr ſich nahen, und ſchimmern.

Und ſie bewundert den Tiefſinn der immeraͤndernden Schoͤpfung,

Unergruͤndlich in Großem, und unergruͤndlich in Kleinem,

Ohne zu wiſſen, wie nah der ſchwebende Duft ihr verwandt ſey,

Und wozu ihn bald des Allmaͤchtigen Stimme, Verſoͤhner,

Deine Stimme nun bald erſchaffen werde! Sie neigt ſich

Ueber ihn, und betrachtet ihn, ſtets mit froherem Blicke.

Mit gefalteten Haͤnden, voll ſuͤßer namloſer Freuden,

Stand ihr Engel, und ſah’s. Jetzt ſcholl des Allmaͤchtigen Stimme!

Rahel ſank. Jhr daucht es, als ob ſie in Thraͤnen zerfloͤſſe,

Sanft in Freudenthraͤnen; hinab in ſchattende Thale

Quoͤlle; ſich uͤber ein wehendes, blumenvolles Geſtade

IIIBand. BLeicht
[18]Der Meſſias.
Leicht erhuͤbe; dann neugeſchaffen unter den Blumen

Dieſes Geſtades, und ſeiner Duͤfte Geruͤchen ſich faͤnde.

Jetzt erwachte ſie ganz! Sie fuͤhlte ſich, ſahe ſich, wußt’ es,

Daß ein neuer, unſterblicher Leib ſie umgab. Mit Entzuͤckung

Sieht ſie gen Himmel, und dankt dem, der vom Tode ſie aufrief.

Nun verſtummt ſie nicht laͤnger: Du, mein Verſoͤhner, mein Bruder!

Jeſus Chriſtus, mein Herr, und mein Gott! dein Namen erſchalle

Jmmer von meinen Lippen zuerſt! Dann eurer, Geliebte,

Jſrael, Joſeph, und Benjamin, Benjamin! Jſrael! Joſeph!

Jeſus Chriſtus! mein Herr, und mein Gott! Wo find ich ſie? Fuͤhre,

Fuͤhre mich, Seraph, daß ich den Angebeteten ſehe,

Jſrael, meine Kinder! Jn ihrem Jnnerſten durſtet

Meine Seele nach ihnen! Vor ihrem Antlitz, mit ihnen

Will ich mich meines Heils der Auferſtehung mich freuen.

Jſrael fand ſie und Lea, und dieſer Soͤhne. Die waren

Aus den Gefilden Aegyptus herauf vom Strome gekommen,

Benjamin auch, nur Joſeph noch nicht. Der himmliſche Joſeph

Schwebte noch um ſein Grab zu Sichem. Einer der Knaben,

Die der Mittler einſt kuͤßt’, und ſegnet’, und unter das Volk ſie

Stellte: Werdet wie ſie; ſonſt koͤnnt ihr das Leben nicht erben!

Einer von dieſen war jetzt geſtorben. Sein leitender Engel

Fuͤhrt’ ihn in Haͤmons Auen daher, und da ſie die Seele

An dem Todtengewoͤlb’ erblickten, blieben ſie ſchweben.

Samed fragte den Engel, indem er des Unbekannten

Herrlichkeit ſah: Wer iſt, o du mein himmliſcher Fuͤhrer,

Dieſe Stralengeſtalt ſo voll von Hoheit und Einfalt?

Und
[19]Elfter Geſang.
Und mit Laͤcheln und milderem Glanz antwortete Joſeph:

Blume, die nun in dem Schatten der Lebensbaͤume wird wachſen,

Und am Schall des kryſtallenen Stroms, der herunter vom Thron fleußt,

Wer ich bin? Jch war im Leben, dem du entflohn biſt,

Erſt ein gluͤcklicher Knabe, dann durch Verfolgungen elend,

Sehr gluͤckſelig darauf! Denn vieler Voͤlker Vater

Ward ich, und meines Vaters! Erkennſt du nun, Fruͤhentflohner,

Rahels und Jſraels Sohn? Und Samed ſprach zu dem Engel:

O du Unſterblicher! Jſraels Sohn und Rahels, von dem mir,

Ach von Joſeph! mein Vater die wunderbare Geſchichte

Oft vor Freude weinend erzaͤhlte. Noch milder, o Joſeph,

Glaͤnze noch milder, ſo wag’ ich mit dir, o Joſeph, zu reden.

Dich zu ſehn, das allein verdiente die Leiden des Todes;

Jhn erduldet’ ich gern um deinetwillen noch einmal,

Ja noch einmal den Kampf des vollen Lebens im Aufbluͤhn,

Und der innigen Liebe zu dieſem bluͤhenden Leben,

Mit dem Tode, mit dieſer Empfindung, als ob wir vergiengen,

Dieſem Traume von ewiger Nacht, dem Schrecken der Schrecken!

Kaum erſt bin ich entronnen! Mein Engel ſagte mirs, mußte

Oft mirs ſagen: ich lebte! So hatte der Schein der Vernichtung

Meine Seele geſchreckt! … Fruͤhgluͤckliche Seele, du mußteſt

Auch von den Leiden des Lebens ein wenig dulden. Wie lohnt dichs

Jetzo, daß du ſo bald ein Genoß der Erben des Heils wardſt,

Derer auch, die hoͤher, als ich, auf der Seligkeit Stufe

Stehn. … O Jſraels Sohn, kaum halt ich, Joſeph, dein Glaͤnzen,

Das du milderteſt, aus! … Du wirſt ſchnell lernen, o Samed,

Wirſt bald Abraham ſehn. Entlaſtet vom Leibe der Erde

B 2Lernen
[20]Der Meſſias.
Lernen die Seligen ſchnell. … Gern will ich lernen. O lehre

Du mich, Jſraels Sohn. Auch in dem irdiſchen Leben

Sind bisweilen Stunden des Himmels. Wie war dir in jener

Stunde des Himmels, als du dich nun nicht halten mehr konnteſt,

Riefſt, laut weinteſt, daß die entfernten Aegypter es hoͤrten,

Jch bin Joſeph! Lebet mein Vater noch? als der Bruͤder

Aug’, und des juͤngſten der Bruͤder, als deines Benjamins, Auge

Jetzo reden dich ſah! Verkuͤndiget meinem Vater

Meine Herrlichkeit in Aegyptus! du dann um den Hals fielſt

Benjamin deinem Bruder, und weinteſt! in deiner Umarmung

Benjamin auch die Thraͤnen der fruͤhen Seligkeit wurden!

Denn in jener Stunde, da du erfuhreſt: Vernommen

Hab’ es dein Vater! da habe das Herz des ſtaunenden Greiſes

Gar viel anders gedacht, es nicht geglaubt! bis er endlich

Deine Rede gehoͤrt, und Pharaons Wagen geſehen,

Da, da waͤre ſein Geiſt lebendig geworden: Jch habe

Nun genung, daß Joſeph mein Sohn noch lebt! Hin will ich

Und ihn ſehn, eh ich ſterbe! da er dich wirklich nun ſahe!

Du um den Hals ihm fielſt, und lang in ſeiner Umarmung

Weinteſt! da zu dir ſelbſt dein Vater ſagte: Nun will ich

Gerne ſterben, ich habe geſehen dein Angeſicht, Joſeph,

Daß du noch lebſt! … wie war dir in dieſen Stunden des Himmels?

Komm, auch Jſraels Sohn, und auch mein Bruder, und juͤnger,

Als mein Benjamin war, komm und umarme mich … Samed

Zittert’ herzu, und umarmt’ ihn. Sie weinten lange des Himmels

Thraͤnen … Wie, Samed, mir war, das haſt du ſelber empfunden,

Als du von jenen Thraͤnen auf Erden die frohe Geſchichte

Mir
[21]Elfter Geſang.
Mir zuruͤckriefſt, als du dadurch die Freuden des Himmels

Mir vermehrteſt, ſo ſehr vermehrteſt, daß ich dem Geber

Jener Seligkeit wieder mit neuem Danke, mit ſtaͤrkerm,

Als ich auf Erden zu bringen vermocht, anbetete. … Danken

Will ich, Joſeph, von dir auch lernen, aber o ſage:

Warum iſt es ein Grab, wo du weilſt? … Unſterblicher, weis er

Schon des Goͤttlichen Tod? … Der Seraph wollte jetzt reden,

Aber ſchnell rief Samed: Jch weis, ich weis des Verſoͤhners

Tod! … So weiſt du denn auch, daß uns von ihm ein Befehl ward,

Uns, die das Kreuz umgaben, hinab zu den Graͤbern zu wallen.

Zeugen ſeiner Erduldungen waren wir, bis ihm ſein Haupt ſank,

Und er ſtarb. … Dieß wußt ich noch nicht. Von dem Todten zu ſprechen

Bin ich noch nicht ſelig genung. So bald ich ſo hoch mich

Heb’, und nicht mehr verſtummen muß; iſts Joſeph, mit dem ich

Von dem Goͤttlichen rede. Jetzt, Benjamins Bruder, und meiner,

Sage mir, weſſen Gebein deckt dieſes Grab? … Das meine,

Samed. … Sollte denn jeder zu ſeinem Grabe ſich wenden?

Oder haſt du deins nur gewaͤhlt? … Des Engels Botſchaft

War: Wir ſollten uns jeder zu ſeinem Grabe ſich wenden.

Was iſt dieſes, mein Huͤter, und Joſeph, ihr Engel Gottes?

Und der niemals Sterbliche laͤchelt, und Joſeph erwiedert:

Dieſes vielleicht: Wir ſollen uns mit dem todten Meſſias

Bis zu dem Grab’ erniedrigen; und, wovon er uns frey macht,

Unter Gebeinen mit ſtillen Betrachtungen uͤberdenken.

Denn, daß er ſtarb, und auferſteht, das freyt uns vom Tode,

Das erweckt uns dereinſt am letzten Tage der Erde.

B 3Hier
[22]Der Meſſias.
Hier wird alſo Joſeph erwachen. O truͤgen die Meinen

Meine Truͤmmer hierher, ſo wuͤrd ich bey Joſeph erwachen.

Laß hinein in das Grab uns ſchweben, und ſehen, was uͤbrig

Jſt von der Huͤlle, die ſonſt dich umgab, im Staube geblieben,

Sehen, was auferſteht! Dieß kleideten Jſraels Soͤhne

Ju balſamiſches Todtengewand bey Pharaos Strome.

Drum iſt vielleicht dein Staub von dem Staube der Erde geſondert,

Und wir koͤnnen noch ſehen, was kuͤnftig der Ewigkeit aufbluͤht.

Komm denn, Samed. Er ſprachs, und fuͤhrt’ ihn hinab in das Grabmaal.

Und ſie fanden, wo in dem Gewoͤlbe die dunkelſte Nacht war,

Joſephs Engel, dem der Erwartung Freuden und Unruh

Aus dem Angeſicht ſtrahlten. … Jch ſeh, o Seraph, du freuſt dich

Deß, der bald nun erwacht. … Jch freue mich ſeiner Erhoͤhung,

Joſeph, die immer herrlicher wird, und die die Erwartung

Stets mit neuer Entzuͤckung belohnt. Wenn du ein Gefilde

Voll von Fruͤhling liebteſt, und, wo du wandelteſt, immer

Neue Blumen vor dir entſproͤſſen; doch die du am meiſten

Unter den Blumen liebteſt, die Eine ſchlief noch im Schooſſe

Dieſes frohen Gefildes: du wuͤrdeſt, Joſeph, die Eine

Mit unruhiger Freud’ erwarten. … Welche der Gnaden

Meynſt du, Seraph? … O du Unſterblicher, und noch Todter,

Welche der Gnaden ich meyne? Sieh hin! … Da wallte von ſelber

Erde wie Wolken empor, und ſank an des Felſengewoͤlbes

Seiten nieder, allein wo der Engel des Heiligen ſchwebte,

Blieb ein wenig wallender Staub. Mit Schnelligkeit woͤlkt’ er

Auf ſich und nieder; und ſchimmernd wars im gebaͤhrendem Staube.

Schwebe
[23]Elfter Geſang.
Schwebe naͤher, und ſieh, rief Joſephs Engel, wie herrlich

Hier in der Erde die erſten Funken des Lebens beginnen.

Und ein ſanftes Saͤufeln entſtand in dem Todtengewoͤlbe;

Samed wehten die goldenen Locken, und Jſraels Sohne

Saͤuſelt’ es nach, da er ſeiner Gebeine Truͤmmer ſich nahte.

Aber nun kam mit Eile die neue Schoͤpfung der Engol

Blicke zuvor, und Sameds zuvor. Sie ſahn das Geſchehne,

Und das Geſchehende nicht, den Staub verwandelt, und Rahels

Sohn erſtanden! Er rief: Des Bundes Engel, o der ſie

Flammend die Nacht und am Tag in der hohen Wolke ſie fuͤhrte,

Weg aus Aegyptus Grabe durchs Meer der Schilfe, nach Canan,

Daß der Peiniger ſank! jetzt ſinkt der groͤßre, der Tod ſinkt!

Aber Jſrael iſt in Ephrons Auen, und Rahel,

Abraham, Abraham auch! Er riefs, und ſtrahlt’ aus dem Grabmaal,

Und vor Freude verſtummt begleiten die Engel und Samed

Seinen wehenden Flug. Schon entſchwebt er dem heiligen Haine

Mamres in ſeiner Vaͤter und ſeiner Bruͤder Verſammlung.

O wer hoͤrte genung von himmliſcher Harfen Nachhall,

Toͤnen zu laſſen, wie ſich zu dem zweytenmale der Vater

Und der Sohn empfingen, die Bruͤder den Bruder erkannten,

Was die Mutter empfand, da ſie ihren Erſtling erblickte!

Herrlich hatt’ ihn die zweyte Schoͤpfung erſchaffen. Sein Traum ging

Bis in das ewige Leben. Vor ſeiner helleren Klarheit

Neigten ſich ſeine Bruͤder, jetzt nicht nur neidlos, mit Freuden

Neigten ſie ſich, und dankten dem Geber der hoͤheren Gnaden.

Salems Prieſter und Koͤnig begrub bey der Quelle Phiala,

Wo er den Heiligen fand, ein Wanderer. Nicht aus Mitleid,

B 4Nicht
[24]Der Meſſias.
Nicht aus Menſchlichkeit nur, begrub ihn der ſtaunende Fremdling,

Auch aus Ehrfurcht. Er fand ihn auf ſeinem Angeſicht liegen

Mit gefalteten Haͤnden. So lag, ein himmliſcher Anblick

Fuͤr der Engel Auge, der Prieſter Gottes im Tode!

Lange ſah ihn der Wanderer an, und werth, zu begraben

Dieſen Todten, erhub er mit freudigſchauerndem Danke

Seine Haͤnde gen Himmel, dann ſchlung er ſie um den Entſchlafnen,

Faßt’ ihn, und nahm aus dem Staub ihn auf, und begrub ihn betend.

Dieſes Grab umſchwebte Melchiſedek. Rauſchend ergoß ſich

Von Phiala der werdende Jordan hinab an des Grabes

Kuͤhlem Mooſe. Des Quells melodiſches, ſanftes Getoͤne

Ueberſtroͤmte des Heiligen Seele mit freudigem Tiefſinn.

Und ihr deucht es, ſie hoͤr’, Allmaͤchtiger, deine Stimme

Durch der Himmel Jeruſalem ſanft mit des Thrones Kryſtallſtrom

Rauſchen, und durch die Wipfel der Lebensbaͤume ſie wehen.

Und Melchiſedek ſank ſtets tiefer in dieſer Entzuͤckung

Suͤße Ruh. Nun vergingen um ihn die Erd’ und der Himmel,

Gott nur, und er vergingen nicht. Umgeſchaffen erhub er

Aus dem Staube ſich, ſtand, ſank wieder aufs Angeſicht nieder,

Und verſtummte; doch nannten ſein Auge voll bebender Thraͤnen

Jeſus! ſeine gefalteten Haͤnde Jeſus, den Mittler!

Auf der Ebne, wo ſie durch deinen Boten, o Allmacht!

Aus der gluͤhenden Tiefe gefuͤhrt herauf in das Leben

Kamen, allen ein Anblick des Schreckens und Grauns und Entſetzens,

Die, wenn nun die Aſoor, der Geſang, die Floͤten, der Pſalter,

Wenn die Cymbale, dein Jauchzen, Drommete! Poſaune! dein Donner

Raſten, die dann vor dem glaͤnzenden Bilde zur Erde ſich ſtuͤrzten,

Auf
[25]Elfter Geſang.
Auf der Ebne hatten ihr Grab die Frommen, Aſarja,

Miſael, und Hananja in Einen Felſen gehauen.

Von dem Grabe der goͤttlichglaubenden Helden nicht fern lag

Eine große Truͤmmer, das Bild! Einſt hatt’ es der Koͤnig,

Welchen hinab zu den Thieren der Herr von Babylons Hoͤhn ſtieß,

Unter die Wolken geſtellt, wie er in dem Traum es erblickte.

Koͤnigreiche, des Bildes Bedeutung, verworfne, zerſtoͤrte

Koͤnigreiche, noch liegen ſie, Eine große Truͤmmer!

Miſael, und Hananja begruben Aſarja, und freuten

Sich der Auferſtehung, als ſie den Geliebten begruben.

Dich, Hananja, begrub der einſame Miſael troſtvoll,

Und erquicket von dem Gedanken des naͤheren Todes.

Jetzo ſuchte ſein Aug’ in ihrem Grabe der Todten

Staub; doch ſelbſt des Unſterblichen Auge ſuchte vergebens.

Und er ſchwung ſich voll vom Gefuͤhle der freudigſten Hoffnung

Ueber die hohen Graͤber empor, und ſang, in der Wonne

Seiner Seele, nach ſeinen Geliebten hinab, und gen Himmel,

Sang mit dem wehenden Rauſchen Euphrates. Nicht wie der Menſchen

Unbeſeelteres Ohr es vernimmt, wie es Himmliſche hoͤren,

Wenn ein fliegender Strom an ſeinen Ufern hinabhallt,

Hoͤrten die Beyden die Stimme des Stroms und Miſaels Stimme.

Dennoch werden wir einſt aus dieſen Graͤbern hervorgehn!

Ja wie weit, o Verweſung, du auch in die Tiefen der Schoͤpfung

Unſern Staub zerſtreuteſt; in deinen donnernden Strudeln,

Ocean, dort fließ er! in deinen Stralen, o Sonne,

Schweb’ er! ihn ſchuf einſt Gott! unſterbliche Seelen bewohnten

Dieſen Staub! ihn wird, ihn wird der Allmaͤchtige ſammeln!

B 5Ueber
[26]Der Meſſias.
Ueber ihm ſtehn, und ihm das neue Leben gebieten!

Erde nahm der Allmaͤchtige, ſprach zu der bebenden Erde:

Werd ein Leib des Menſchen! er wards! Den Staub der Verweſung

Wird der Allmaͤchtige nehmen, ihm Leib zu werden gebieten!

Halleluja! dann wird der Staub der Verweſung erwachen!

Rauſchen werden die Stroͤme! die Stuͤrme brauſen! die Meere

Bruͤllen! erbeben die Erde! der Himmel donnern, und Nacht ſeyn!

Maͤchtiger, als das fliegende grauenvolle Getoͤſe

Wird die Poſaune rufen, die Todtenweckerinn rufen!

Auferſtehen werden alsdann, die liegen, und ſchlafen!

Leiſer toͤneten ihm die letzten Laute. Vom Tode

Stand er auf! vom Tode bey ihm die himmliſchen Freunde!

Der, wie ſchnelle Parden, wie Adler im Fluge zum Aaſe,

Deine Roſſe, Chaldaͤa, erblickte; die eilenden Reuter

Rafften Gefangne zuſammen, als Sand! ſie lachten der Fuͤrſten

Und der Koͤnige ſpotteten ſie! Jhr Fuͤhrer war trunken

Erſt von ſeinem Grimme, gleich unerſaͤttlich dem Grabe,

Dann von dem Taumelkelche des Raͤchers! der auch den Raͤcher

Jn der ſchreckenden Herrlichkeit ſah, mit der er von Paran

Kam! die Peſt gieng vor dem Gefuͤrchteten her, wo er hintrat,

Elend! Er maß das Land, wie weit die Zerſtoͤrerinn wuͤten,

Wo ſie ſtillſtehn ſollte! Die Huͤgel mußten ſich neigen,

Da der Herrliche ging! bang ward den Bergen! der Strom fuhr

Eilend dahin! Da buͤckte die Tiefe ſich, und die Hoͤhe

Hub die Haͤnd’ auf! Sonn’, und Mond, ihr ſtandet! da fuhren

Seine Pfeile mit Glaͤnzen dahin, mit Blicken des Blitzes

Seine Speere! der ſo den großen Helfer in Juda

Siehe
[27]Elfter Geſang.
Siehe den Wiedervergelter in ſeiner Herrlichkeit ſahe,

Deſſen Kraft war auch jetzo der Herr! Der Rettende fuͤhrt’ ihn

Aus dem Grab’ in die Hoͤh! Und Habaeuc pries den Erwecker!

Sanft ertoͤnte ſein Saitenſpiel an dem offenen Grabe:

Nicht der Feigenbaum nur gruͤnt, der freudige Weinſtock

Nicht allein, und die Arbeit am Oelbaum weit in den Thalen!

Auch die unſterbliche Saat ſteht hoch, der Ewigkeit Erndte!

Schimmernd reifte ſie auf im frohen Garbengefilde!

Voll iſt deiner Preiſe der Himmel, Sela! die Erde

Deiner Ehren! Du dachteſt an uns, Barmherziger, als wir

Bis zu dem Hefen getrunken hatten den Kelch des Todes!

Ganz die Verweſung geſehn! Drum freu ich dein mich, Erretter!

Und bin froͤhlich in Gott, der mir in Ewigkeit Heil iſt.

Wie, wenn rings umher in Wolken der Himmel gehuͤllt iſt,

Und ſtets ernſter der forſchende Blick der Erwartung emporſchaut,

Wie auf Einmal ſich dann die Flamme des Herrn aus den Wolken

Stuͤrzt, und im Donnerſturme den Preis des Allmaͤchtigen ausruft:

Alſo entriß Jeſaias der Nacht des Todes ſich, ſtrahlte

Ueber dem Grabe! ſo rief er Dank dem Erſchaffer aus Staube!

Unter den Truͤmmern und Graun der großen Babylon, die ſich

Nebucadnezar, zu ſeiner Herrlichkeit Ehren, erbaute;

Aber in der die Stimme des heiligen Waͤchters auch toͤnte:

Weggenommen iſt dir dein Reich, und hinab zu den Thieren

Biſt du verſtoßen! unter dieſen veroͤdeten Truͤmmern

Lag deß Aſche, dem Gott mit ſehr viel Zukunft ſtrahlte,

Daniels. Und er ſuchte ſein Grab. Wo find ich, o Seraph,

Jn der großen Zerſtoͤrung mein Grab? Sie ſchwebten voruͤber

Neben
[28]Der Meſſias.
Neben naͤchtlicher Voͤgel Geſchrey, und Ziſchen der Drachen,

Und geſunknen Palaͤſten. So gar der Araber hatte

Keine Huͤtten hier, ſein Sclav hier keine Gehege.

Jetzo fand der Engel das Grab. Mit Waſſer und Schilfe

War es bedeckt. Ein mooſiger Grabſtein ragte daruͤber

Unter wehenden Schilfen hervor. Und Daniels Seele

Dacht an das Schickſal Vieler zuruͤck, die lange ſchon ſchliefen,

Jenes zuruͤck, der hoch gen Himmel mit ſtolzem Wipfel

Stand, ein großer Schatten der Muͤden, und ſchnell hinſtuͤrzte,

Als es: Hauet ihn um! vom Himmel erſcholl. Der lernte!

Aber der andere nicht, ſein Sohn. Der Stolzere wollt’ es

Niemals lernen, daß Gott der Koͤnigreiche Gewalt hat,

Und, wie er will, die Koͤnige ſtuͤrzt. Drum ging die Hand auch

Gegen den goldenen Leuchter hervor, drum ſchrieb ſie den Tod auch:

Koͤnig! die Jahre deiner Gewalt ſind gezaͤhlt, und vollendet!

Siehe, gewogen hat dich auf ſeiner Wage der Richter!

Und zu leicht dich gefunden! dein Reich iſt getheilt, und dem Meder

Und dem Perſer gegeben! … Den Stolzen, und ſeine Genoſſen

Huͤgel, die mit dem Berge zur Zeit der Zerſtoͤrung verſanken!

Ließ, wie erſcheinende Schatten, vor ſich des Heiligen Seele

Schnell vorbeygehn. Aber itzt war das Ende der Tage

Auch fuͤr Daniel da. Der Liebling Gottes erwachte,

Schwebt’, und ſtrahlt’ auf Babylons liegende Truͤmmern herunter,

Wie von dem einſamen Himmel der Stern der Daͤmmrung herabſtrahlt.

Thraͤnen ſaͤet’ er einſt, und erndtete Freuden Hilkias

Zaͤrtlicher Sohn, als er mit des neuen Lebens Empfindung

Ueber dem Grabe ſtand, und ganz unſterblich ſich fuͤhlte.

Und
[29]Elfter Geſang.
Und der Hirt zu Thekoa, der unter den Huͤtten der Einfalt

Den doch kannte, der hoch am Himmel gemacht den Arktur hat

Und den Orion! er ſah die Auen jammervoll liegen;

Und den Karmel oben verdorrt! und Kirioths Feſten

Von dem dampfenden Fluge der Flamme verzehrt! im Getuͤmmel

Moab, Kirioth ſank! im Geſchrey und Poſaunhall ſterben!

Sah der Truͤmmern und Tode noch mehr in Judas Gefilden,

Bethels Altar, und der Herrſcher Palaͤſte ſinken! der Theurung

Wuͤtende Qual, und eiſern, und ohne Regen den Himmel,

Ach nur Wolken des Staubs! drey Staͤdte zu Einer um Waſſer

Ziehen, und duͤrftig ſich letzen! das Schwert die Juͤnglinge freſſen

Und die Tode der Peſt! Von dieſen Geſichten des Elends

Hingeſtuͤrzt, ging Amos, hinauf zu den Freuden der Todten,

Gern von Lebenden weg, die ſchon die Erfuͤllung ereilte.

Jetzo erwacht’ er, zu ſehen das Heil des Suͤndeverſoͤhners

Jn der Unſterblichkeit Leibe, den Himmel eiſern dem Durſte

Derer nicht mehr, die nach der Erkenntniß des Heiligen lechzten.

Hiob hatte ſein Grab mit kuͤhlen Schatten umpflanzet,

Und er ſchwebt’ in dem wehenden Hain. Jtzt ſchienen die Felſen

Seines thuͤrmenden Grabes vor ihm ſich nieder zu ſenken,

Jetzo ſanken ſie! Schnell entſtiegen den ruhenden Felſen

Wolken wallenden Staubs, doch blitzte Glanz aus dem Staube,

Anderer Staub, und anderer Glanz, wie er je noch geſehen!

Da er ſich freute der neuen Erſcheinung mit frohem Tiefſinn,

Sank er entzuͤckt in den ſtrahlenden Staub! Jhn ſahe ſein Engel,

Wie er unter der Hand des Allmaͤchtigen wurde! der Seraph

Hielt ſich nicht, rief gen Himmel, in ſeiner Wonne gen Himmel,

Daß
[30]Der Meſſias.
Daß vor des Rufenden Stimme der Hain und die Felſen erbebten!

Hiob empfand es! Er war, nun war er von neuem erſchaffen!

Hielt ſich nicht, rief gen Himmel mit ſtuͤrzenden Thraͤnen gen Himmel,

Daß vor des Rufenden Stimme der Hain, und die Felſen erbebten:

Heilig! Heilig! Heilig iſt der, der ſeyn wird, und ſeyn wird!

Truͤbe war noch der Himmel um Golgatha. Naͤchtliche Wolken

Ueberwoͤlkten die Thaͤler und Hoͤhn, des geſchlachteten Opfers

Ganzen Schauplatz, ſo weit das Auge der Menſchen den Huͤgel,

Wo das Kreuz des Getoͤdteten ſtand, zu ſehen vermochte.

Starr, mit tiefgeſunkenem Haupte, die heilige Schlaͤfe

Mit der Krone der Schmach bedeckt, im Blute, das auch ſtarr

Stillſtand, aufgehoͤrt hatte, dem Richter zu rufen um Gnade!

Jn die Himmel der Himmel hinauf, um Gnade des Vaters!

Hing dein Leichnam, o haͤtt ich Namen, dich wuͤrdig zu nennen,

Hing dein Leichnam, nicht Thraͤnen, und nicht des Bebenden Stimme

Nennt dich! hing am hohen Kreuze dein Leichnam herunter.

Auch der leiſeſte Laut der Luͤfte verſtummt’ um den Todten,

Himmel und Erde verſtummten. Von Menſchen verlaſſen, einſam

Lag der Huͤgel. So liegt ein Schlachtfeld von der Erſchlagnen

Nun begnadigten oder gerichteten Seelen verlaſſen.

Unverwendet blickte der mitgekreuzigte Juͤngling

Auf den Todten, obgleich in ſchwerem Schlummer ſein Auge

Dunkel zu werden begann … Du biſt geſtorben! geſtorben!

Du, den meine Seele ſo ſehr ſie zu lieben vermag, liebt!

Und nun bin ich allein in dieſem Tode der Marter!

Ach, gern will ich es leiden, will alles, alles erdulden,

Denn du haſt vielmehr gelitten, vielmehr, wie ich leide,

Aber
[31]Elfter Geſang.
Aber verlaß du mich nicht, wie dein Gott dich verließ! Jch vertiefe

Mich vergebens in dieſen Gedanken, durchforſche vergebens:

Gott, dein Gott verließ dich! … Erſtaunungsvoller, als alles,

Was mich jemals erſchreckt, iſt dieſer zu ernſter Gedanke!

Koͤnnt’ ich nur noch ſtammeln; ihr treuen Wenigen, wuͤrdet

Mirs antworten, ob ihr ihn ſahet, als er es zu Gott rief?

Ob ihr ſahet ſein Haupt empor ihn richten? ſein Auge

Nach dem Himmel ſtarren? des Rufenden Angeſicht ſahet?

Seine donnernde Stimme, mit der er rufte, vernahmt ihr!

Koͤnnt’ ichs euch ſtammeln! Um mich vergingen Himmel und Erde!

Und es entſtroͤmte mir heiſſeres Blut! ich glaubt’, ich ſtuͤrbe!

Ach! ſie ſehn mitleidig mich an! Jhr Sanften! ihr Frommen!

Weinen kann mein Auge nicht mehr; es wuͤrd euch beweinen!

Dich vor allen, o Mutter! Verlaß ſie nicht, wie dein Vater

Dich verließ! Ach mich, verlaß mich ſo nicht, Erbarmer!

Alſo dacht er, und rang mit dem Tode. Gottes Erleuchtung

Ueberſtrahlt’ ihn jetzt heller. Den Zweck des goͤttlichen Opfers,

Daß des Geopferten Blut, in das ewige Leben gequollen!

Gott verſoͤhnt ſey! lehrt’ ihn der Geiſt des Vaters und Sohnes!

Und er erſtaunte, wie nur zu erſtaunen vermag, wen Gott lehrt.

Von Pilatus, ihn hatten die Hohenprieſter gebeten,

Nicht, bis die Uebelthaͤter den Tod der Kreuzigung ſtuͤrben,

Nicht zu warten, ſie jetzt zu toͤdten! ſie jetzt zu begraben!

Daß der Verfluchten Gebein des Paſſa Feſt nicht entweihte,

Drum koͤmmt jetzt von Pilatus ein Sclav, und eilet, und redet

Mit dem Hauptmann. Dieſer gebeut. Schnell faſſet der naͤchſte

Eine Keule voll Bluts von vieler Gekreuzigten Tode,

Naht
[32]Der Meſſias.
Naht ſich eilend, und ſchon begleiten ihn ſeine Genoſſen,

Haͤlt ſie mit dem nervichten Arm hoch uͤber dem Haupte:

Stirb! und ſchmettert nieder, da brach das Gebein des Verbrechers

Da erſcholl von der Wurzel das Kreuz bis hinauf zu dem Wipfel.

Und der begnadigte Juͤngling vernahm des erſchuͤtterten Kreuzes

Dumpfen Schall, den Verkuͤndiger ſeines nahenden Todes.

Sanft klang ihm die prophetiſche Stimme des nahenden Todes!

Und ſchon wandte der Roͤmer ſich, ging mit zitterndem Schrecken

Vor dem Kreuz in der Mitte voruͤber. Denn Goͤtter der Rache

Schwebten, ſo daucht es ihm, ſchwebten um dieſes Kreuz in der Mitte!

Und er kam zu dem Juͤngling, der blickte voll Ruh auf ihn nieder.

Und der Kreuziger, ſchnell des Juͤnglings Qualen zu enden,

Stuͤrzte mit allen Kraͤften, die ihm der haͤrtende Krieg gab,

Auf ſein muͤdes Gebein die blutige, triefende Keule

Aechzend nieder, da brachs, und ſchuͤttert’, und blutet’, es hallte

Laut das Kreuz! herauf von der Wurzel ſtaͤubte die Erde,

Und ringsum erbebten der Hingerichteten Schaͤdel.

Jetzo ging er noch Einmal, allein mit ſaͤumendem Fuße,

Nach dem Kreuz in der Mitten, und ſtand, und ſah auf den Leichnam,

Rufte dem Hauptmann zu, der unten am Huͤgel voll Tiefſinus

Langſam ging, er rief: Bey den Goͤttern! er iſt geſtorben!

Jhm antwortet der Hauptmann: Jch weis, daß er todt iſt, doch nim du

Einen Speer, und durchſtoß ihm das Herz! So ſagt’ er, und wandte

Wieder ſich weg, und blickte mit truͤberem Ernſt auf die Erde.

Schon erhub ſich der blinkende Speer, ſchon zuckt’ er zuruͤcke,

Schneller vorwaͤrts, und drang in die Seite des goͤttlichen Leichnams!

Waſſer entquoll und Blut der Seite des goͤttlichen Leichnams.

Jetzo
[33]Elfter Geſang.
Jetzo ſahn die verloͤſchenden Augen des ſterbenden Juͤnglings,

Aber nur ferne, ſo daucht es ihm, nur in truͤbender Daͤmmrung,

Noch dieß Blut aus dem Leichnam des heiligen Dulders rinnen.

Und es brach ihm ſein Herz. Jndem der Leib und die Seele,

Nicht zu ſcheiden, dir nicht, o Tod! zu weichen, noch ringen,

Eh des ſtarken Bands der Natur unerforſchte Gewebe

Alle zerriſſen, empfindet des Sterbenden Geiſt ſo, denkt ſo,

Oder iſt ſich bewußt; doch Worte menſchlicher Sprachen

Streben umſonſt, zu beſchreiben, wie Seelen der Sterbenden handeln.

Nun, nun … ach, auch meiner erbarme dich! deines Blutes

Um des Todes willen, den du fuͤr Alle! … verließ dich

Gott! Gott! Gott verließ dich! Erbarme dich Aller! meiner!

Ja, um deiner Geburt, um deiner Leiden willen

Jn dem Gericht! um deines verſoͤhnenden Todes am Kreuze!

Deiner Auferſtehung! und deiner Erhebung zum Vater!

Deines Todes und Lebens willen! … du biſt es! du biſt es!

Amen! Amen! du biſt der Vollender! und eingegangen,

Hoherprieſter, ins Allerheiligſte! deine Verſoͤhnung,

Gottverſoͤhner, iſt ewig! Wie duͤrſtete Jeſus Chriſtus!

Suͤnde gemacht und Fluch, wie duͤrſtete Jeſus Chriſtus!

Hoͤr’ ich: Es iſt vollendet! allmaͤchtige Stimme dich wieder?

Todeshuͤgel, mein Grab, du warſt ſein Altar! O freu dich

Deiner Verweſung, zermalmtes Gebein! Hier wirſt du verweſen!

Als er ſo in der Tiefe der Seele flehte, da nahte

Abdiel ſich, und ſchwebt’ um ihn mit leiſerem Fluge,

Blickt’ ihn an. Schnell ward des Unſterblichen Angeſicht heller,

Alſo ſegnet’ er ihn zu dem Tod’ ein: Quelle des Lebens!

IIIBand. CUnaus-
[34]Der Meſſias.
Unausſprechlicherer Barmherzigkeit, hoͤherer Gnaden

Geber, als je der Menſch und der Engel verſtanden und baten,

O des Richters der Welten Verſoͤhner mit denen, die fielen!

Sey die Stunde mit ihm, vor der ſelbſt Engel erbebten,

Wenn durch dieſe gefuͤrchtete Nacht ſie zum Ewigen giengen,

Wandl’ in dem finſtern Thale mit ihm, und laß ihn die Wonne

Deines Lebens von fern, und ſeiner Vollendung erblicken!

Abdiel ſegnet’ ihn ſo. Noch flehte des Sterbenden Seele:

Gott! du Liebe! du ewige Liebe! … Gerettete Seele,

Stamml’ es nicht! du ringeſt vergebens, noch hier zu danken.

Herr! Herr! Gott! barmherzig, und gnaͤdig, und treu, und geduldig!

Gott! Verzeiher der Miſſethat, Uebertretung und Suͤnde!

Herr! in deine Haͤnde … Ach, Schaaren des Paradieſe!

Und im hellem Gewande! Wie wehn die Palmen der Sieger!

Herr! Herr! Gott! barmherzig, und gnaͤdig, und treu, und geduldig!

Gott, Verzeiher der Miſſethat, Uebertretung und Suͤnde!

Herr! in deine Haͤnde … befehl’ ich … ach jetzo nicht laͤnger!

Laͤnger nicht weilen, verſoͤhnte, gerechte, begnadigte Seele!

Mittler! in deine Haͤnde befehl ich … Er ſtarb. Da verlieſſen

Mit der Seele die feinſten noch uͤbrigen Leben die Leiche,

Jetzt die Huͤlle der Seele zu werden, dereinſt die Verklaͤrung

Jhres verflogenen Staubs, wenn ihm das nahe Gericht ruft.

Alſo dachte die Seele: War dieß der Tod? … O ſanfte,

Schnelle Trennung, wie ſoll ich die nennen? Tod nicht! Es heiſſe

Tod dein Name nicht mehr! und du, du ſelbſt, der Verweſung

Fuͤrchterlicher Gedanke! wie ſchnell biſt du Freude geworden!

Schlummre
[35]Elfter Geſang.
Schlummre denn mein Gefaͤhrt im erſten Leben! verweſe,

Saat von Gott geſaͤt, dem Tage der Garben zu reifen!

Ja, verweſe! Wie viel, und welche Leben empfind ich!

Dieſe koͤnnen nicht ſterben! die neuen Leben nicht ſterben!

Abdiel hielt ſich nicht mehr. Er hatte die Seele des Juͤnglings,

Wie ſie mit himmliſchem Glanze bekleidet wurde, geſehen.

Und er kam ihr, ſtrahlend vor Wonne der innigſten Liebe,

Strahlend vor hoͤherer Wonne, daß ſie erloͤſt ſey! entgegen.

Thraͤnen rannen vom Auge des Himmliſchen, als ihm der Suͤnder

Welcher Buße gethan, und Gott ſich geheiliget hatte,

Auch entgegen eilte. So ſprach zu dem Engel die Seele:

Knecht des Hoͤchſten! denn du biſt einer der Seligen Gottes,

Deine Hoheit und Ruh, die aus deinem Angeſicht leuchten,

Sagen es mir! als dich mein werdendes Auge von fern ſah,

Deines ſchwebenden, toͤnenden Ganges melodiſches Rauſchen

Dort mir ſcholl, erſchrak ich freudig! du ſieheſt, ich bebe

Noch vor dir, allein Entzuͤckung iſt, Seraph, mein Beben!

Und in die Zukunft tief verloren ſagte der Engel:

Komm, du erſter Todter, den Chriſtus Opfer verſoͤhnet,

Du, der ſpaͤt zu Gott, erſt in dem Gefaͤngniß, ſich wandte!

Gnad’ am Altare ſelber empfing! du, kuͤnftiger Suͤnder

Weisheitverlaſſene Hoffnung! und nach dem Tod’ ihr Entſetzen!

Komm, was dir der Mittler verhieß, wird jetzo erfuͤllet!

Denn ich fuͤhre dich hin zu den Freuden des Paradieſes.

Alſo ſprach er, und eilte. Die Seele folgte dem Seraph.

Er, deß Antlitz ſtrahlte, da er von des Ewigen Anſchaun

Nieder am Sinai kam, ſo ſtrahlte, daß er dem Volke

C 2Sich
[36]Der Meſſias.
Sich verhuͤllen mußte; der weil er nur Einmal nicht glaubte,

Als nicht ſchnell in dem naͤchtlichen Augenblicke der Fels quoll,

Canaan auch von fern vom Nebo nur Canaan ſahe,

Moſes ſchwebt’ itzt allein an ſeinem einſamen Grabe,

Und kein Engel um ihn. Er hatt’ in dem Leben der Pruͤfung

Keinen gehabt. So groß war der, der ohne zu ſterben,

Gottes Herrlichkeit nachſah. Er ſchwebte vertieft. Vor ihm flohſt du,

Wie ein erſcheinender Schatten, ſein Leben am Staube, voruͤber.

Pharao, Pharao, lange ſind von deinem Gebein ſchon

Und von deiner Heere die Schilfgeſtade nicht weiß mehr.

O wie ſtuͤrzten die Mauern des Meers! Wie rauſchte der Sturmwind

Aus der himmelſtuͤtzenden Flammenſaͤule geſendet!

Und wie ſank Aegyptus zum Tod’ hinab! wie begrub ſie

Gott! … Auch dort, und da, und dieſſeits und uͤber den Huͤgeln

Fuͤhrten uns ſeine Wolken und ſeine Feuer. Da ſchlug Gott

Amalek dich, ſo lange ſie mir die Arme gen Himmel

Hielten, und Jſrael, ſanken ſie mir. Dort brannte der Buſch mir!

Heilig, Staͤte, biſt du! Ach langſam wurdeſt du Quelle,

Fels! … Wie war dir, Abiram, und Dathan, und Korah, wie war euch

Als die Erd’ euch verſchlang? … da bruͤllte die Hoͤlle Triumph auf!

Ja, er iſt es! du biſt des Donnerhalls, der Poſaunen

Berg! biſt Sinai! … Groß biſt du, o Wuͤſte, biſt Aller,

Welche vom blutigen Strome durchs Meer der Maͤchtige fuͤhrte,

Großes Grab! … Und Nebo iſt meins! Ach ſtrahlt nicht Garizims

Hoͤh’ aus Canaan her? und Golgatha’s ewiger Altar?

Golgatha’s blutiger heilerfuͤllter ewiger Altar!

Sangen am Nebo die Engel herauf, durch die des Geſetzes

Bund
[37]Elfter Geſang.
Bund der Ewige ſandte, ſie glaͤnzten wie Orionen,

Kamen, umſchwebten das Grab, und hielten die goldnen Harfen

Hoch gen Himmel, und toͤnten, und ſangen: Die Seegen Garizims

Haben wir nicht, nicht Leben der Zeit, des Golgatha Seegen

Haben wir! Moſes, Aarons Gott, was ſaͤumet dein Leichnam?

Staub, du ruhſt, ſteh auf ins Leben, dir ruft der Verſoͤhner!

Und in leiſem und ſanftem, in himmliſchem Harfengeliſpel

Schlummert’ er hin; und erwacht’ in Poſaunenhall! Es erbebte

Nebo von jeder Todtenweckerinn, wenn ſie ins Grab ſcholl.

Feyerlich beugte ſein Knie, und ſank der Herrliche nieder,

Anzubeten, und lang’ erhub ſein Wonnegebet ſich,

Lange ſein Preiſen, ihm hielt kein Engel die Arme gen Himmel.

Auch der Koͤnige Grab bewegte ſich. David erwachte,

Ach gluͤckſeligkeitſatt, und nach dem herrlichen Bilde

Siehe des Unverweſenden, deſſen der Auferſtehung

Hoher Triumph auch harrte, des Erſtlings unter den Todten!

Als in dem dunkeln Gewoͤlbe der Sohn Jſai daherging,

Und bey ihrem Gebeine die Seele Salomo’s ſahe,

Blieb er bey ihr, wie er ſchimmerte, ſtehn. Der Sohn erſtaunte,

Ueber den Auferſtandnen, der Unerwachte. Da eilten

Engel zu ihnen ins Grab, und Auferſtandne. Sie riefen:

O ſie erwachten vom Tode! … Ja wir erwachten vom Tode!

Unſer duͤrres Gebein, rief Abraham in der Entzuͤckung,

Hoͤrte die Stimme des Herrn, wir erwachten, ihn zu empfangen,

Ganz unſterblich, wie er, wenn er nun ſelber heraufſtrahlt.

Vater des goͤttlichen Todten, auch du biſt, David, erkohren,

Um die Ceder Gottes ein Fruͤhlingsbaͤumchen zu gruͤnen,

C 5Und
[38]Der Meſſias.
Und zu liſpeln im Hauche des ſanften Sauͤſelns vom Himmel,

Wenn ſie nun ihren Wipfel bis in die Wolken emporhebt.

Aber, Gabriel ſprachs, o Seele Salomo’s, weine,

Du Begnadigte, nicht, dich wird dein Staub nicht bekleiden,

Wenn die Ceder Gottes des Fruͤhlings Erſtlingen ſchattet.

Weinen? den er mit ſo viel Gnade der Himmel bekroͤnt, ich,

Der aus ſolchen Jrren herauf zu der Rettung gefuͤhrt ward!

Ruhe bis zu dem Tage der groͤßern Erndte des Lebens,

Mein verweſend Gebein, und wenn dieß Todtengewoͤlbe

Dich nicht mehr zu halten vermag, ſo wehe zerſtreuet

Jn den Luͤften ein Duft, in der ſanften Kuͤhlung am Abend

Unter dem ſchimmernden Monde, ſo lang’ er Sterblichen leuchtet.

Auch den kuͤnftigen Chriſten wirſt du, antwortet der Engel,

Nicht erſcheinen. Denn nur die Auferweckten erſcheinen.

Aber ich ſeh die Erſcheinungen doch, und freue mit denen,

Die erſcheinen, und welchen die hohen Erſcheinungen ſtralen,

Mich der Freuden des Himmels! … Die warten, Seliger, deiner!

Endigte Gabriel, und ſie verließen der Koͤnige Graͤber,

Mamre zu ſehn, und die Auferweckten im Schatten des Haines.

Aber noch ſtand Hiskia nicht auf. Der Bezwinger des Serah

Durch die Schrecken des Herrn, ob ſein Heer gleich zahllos heraufzog,

Aſſa erwacht’; auch der dem Volke zu predigen, zweymal

Durch Judaͤa von Berſeba zog bis Ephraim, alle

Seine Fuͤrſten mit ihm, und Prieſter Gottes, und dem dann

Heil, wie keiner empfing, Gott gab! Denn Joſaphat fuͤhrte

Gegen die Feinde ſein Heer mit Loben in heiligem Schmucke,

Und mit Pſalmen, und Preiſen, und großem Geſchrey gen Himmel,

Nicht
[39]Elfter Geſang.
Nicht zu ſchlagen! ſchon jetzt zu danken dem Retter, der bald nun

Kommen wuͤrde, zu ſiegen, und gegen die Wuͤſte mit Haufen

Todter Feinde, da war kein Entrinnen! die Erde zu decken!

Auch Uſia erwacht’ in ſeinem einſamen Grabe;

Und in der Koͤnige Graͤbern ſein Sohn, mit dieſem der ernſte,

Fromme Juͤngling, der eifernde Goͤtzenzerſtoͤrer Joſia!

Auch barmherzig war er! Die Saͤngerinnen und Saͤnger

Weineten ihn, der Benjaminit, deß Thraͤn’ auch auf Salems

Truͤmmer fiel, am herzlichſten! ach, ſie weinten, den Necho’s

Bogen trafen! in ſanftem in daurendem Liede voll Klage!

Denn es ſangen noch Enkelinnen! Die fuͤnf’ erſtanden

All’ auf Einmal, und ſchnell, fuͤnf himmelfallende Blitze!

Aber noch ſtand Hiskia nicht auf. Ein Engel des Abgrunds

Nisroch, ein Goͤtze vordem, und Sanheribs Schatten entſchwebten

Langſam jetzo Libanons Hoͤhn. Den Eroberer mußte

Nisroch herauf von der Hoͤlle zum Grabe der Koͤnige Juda

Fuͤhren … Wer zwingt uns hinauf? ſprach ſchnell zu dem Goͤtzen der Wuͤrger.

Sanherib, haͤtt’ ich gehorcht, waͤrs nicht ein Engel des Todes,

Der den Befehl uns brachte, geweſen? Du hoͤrteſt ihn ſprechen.

War ſie nicht eiſern die Stimme der Donner, mit der er redte?

Schnell wie Blitze? Mehr Tod iſt der Tod, daß dieſe ſo furchtbar

Sind, ſo unwiderſtehlicher Macht. … Du Schwacher, dem Opfer

Bluteten! haben denn je dem furchtbaren Engel des Todes

Opfer geblutet? .. Du Schwaͤcherer, der dem Gehorcher gehorchen,

Fliehn muß, wenn er gebeut! fleuch, hochgeſchwollner Erobrer!

C 4Fleuch,
[40]Der Meſſias.
Fleuch, und bete den Staub der todten Koͤnige Juda’s,

Sanherib, an! Hohnſprecher des Maͤchtigen, der um die Naſe

Ringe dir, in dein Maul Gebiſſe dir legt’, und des Weges,

Den du verwuͤſtet hatteſt, zuruͤck dich fuͤhrte, du kenneſt

Alſo ſeinen Engel nicht mehr, dem ich heute gehorche?

Kenneſt den Furchtbaren nicht, der deine Heer’ in den Schlummer

Stuͤrzt’, und weit umher das Gefild mit Leichnamen deckte,

Daß mit dem Wehn der kommenden Sonne gefluͤgelt Geſchrey ſchrie,

Und der trunkene Blick der Adler Libanons flammte!

Den nicht? Goͤtterbezwinger zu Hamath, und Arpad! wo ſind ſie

Nun die Goͤtter zu Haran? und Rezeph? und zu Thalaſſar?

Wo die Goͤtter zu Sepharvaim? Sie ſind in der Hoͤlle,

Dein zu ſpotten! Jch neide dein Gluͤck dir, daß du dem Hohne

Dieſer Bezwungnen entronnen, und nur des todten Hiskia

Staub zu kuͤſſen, herauf geſandt biſt? … Sanherib eilte

Und die beyden Schatten des Abgrunds traten ins Grabmaal,

Wo Hiskias allein mit ſeinem Engel noch ſchwebte,

Langſam herein? … Warum entheiligen dieſe Verworfne,

Engel Gottes, mein Grab? wer ſind ſie? .. Sanheribs Schatten,

Und ſein Goͤtze. Gleich wirſt du, warum ſie kamen, erfahren.

Sanherib! kenneſt du dieſen verklaͤrten Schatten? .. Wie kenn ich,

Jch Ungluͤcklicher alle Soͤhne des gluͤcklichen Schickſals? …

Ungluͤckſeliger, weil du ein Boͤſer wareſt, er iſt es,

Der in den Staub vor ihm ſich buͤckte, welchem du Hohn ſprachſt!

Der auf Gott ſich verließ, da deine Schaaren, wie Stroͤme,

Kamen! Du kennſt die Gerichte, die ſchon auf der Erde dich trafen!

Denn die folgten! und nun folgt dieß: Den, der dir ſo klein ſchien,

Daß
[41]Elfter Geſang.
Daß du ihn kaum verachteteſt, mehr dem Maͤchtigen Hohn ſprachſt,

Auf deß Rettung allein der erhabnere Koͤnig ſich ſtuͤtzte,

Sanherib! den ſollſt du in neuer Herrlichkeit ſehen.

Hab er ſeine Herrlichkeit doch, die alt’, und die neue!

Laß mich in meine Tiefe nur fliehn! Was geht mich Hiskias,

Oder das ewige Licht, was mich, den Genoſſen der Nacht, an?

Laß mich, Tyrann des Himmels, entfliehn! … Nah gehn die Gerichte

Gottes dich an, du Stolzer! Hier ruhet ſein Staub, der deine

Liegt von Ninive’s Truͤmmer belaſtet. Auch er wird erwachen,

Aber dunkel, und jammervoll, anders, als den du nun ſehn wirſt!

Schrecken und Wuth ergriffen den blutigen Voͤlkerbezwinger,

Als ſich auf einmal das Grab des erhabenen Hiskia bewegte,

Und er eben ſo ſchnell in neuer Herrlichkeit daſtand.

Fleuch nun, Laͤſterer! fleuch, Hohnſprecher des Todtenerweckers!

Rufte mit blitzenden Strahlen bewaſfnet Hiskia, was ſaͤumſt du?

Fleuch in deine Tiefen hinab! du haſt mich geſehen!

Aber Sanherib war in des Grabmaals Felſen gewurzelt,

Konnte vor Wuth nicht entfliehn. Da rief Hiskias heruͤber:

Siehe, noch anderer Spott, als der vor der Flucht in den Tempel

Nisroch, wo deiner Soͤhne gezuͤckte Schwerter dein harrten,

Anderer Spott lohnt jetzo dich! Sions Tochter im Himmel

Sie mit der goldenen Krone des Heils verachtet dich, Todter!

Und die hohe Jeruſalem droben ſchuͤttelt ihr Haupt dir,

Niedergeſtuͤrzter Verderber, nach! Denn wen, o du Stolzer!

Haſt du geſchmaͤht? dein Aug’ erhoben und deine Stimme

Wider wen?. … Und Sanherib floh, und ſein Goͤtze zur Hoͤlle.

C 5David
[42]Der Meſſias.
David eilte zu Kis Grabmaal in Zela Benoni,

Denn ſo nannt’ ihn Rahel, als ihr den Tod der Geliebte,

Sie das Leben ihm gab; zu ſeinem Jonathan eilt’ er.

Ach du biſt es doch ſelber? du biſt es, mein David, doch ſelber?

Siehe, ſo ſind nur Henoch und nur Elia! wer biſt du,

Vater des großen Todten, geworden! … Der Staub in dem Grabmaal

Meiner Kinder und meinem bewegte ſich, ſiehe, da bin ich

Auferſtanden! … Du Vater des Gottgeopferten, Heil dir

Auch zu dieſer Herrlichkeit! … Du mein Jonathan, wirſt auch

Aufſtehn … Jch? bin ich der Vaͤter des Goͤttlichen Einer?

Adam erſtand, und Noah und Abraham! … Sind ſie nicht alle

Vaͤter des Mittlers? .. Auch Moſes entſtand! .. Wer kañ ſich mit Moſes

Jhm vergleichen, der Aarons Gott war? .. Auch ich bin erſtanden.

Haft du geſuͤndigt wie ich? .. Das nicht, doch war ich ſo edel,

Und ſo fromm als, David, du warſt? und uͤber das alles

Stammet denn nicht der Meſſias von dir? Wie wenig verdient’ ich,

Und wie dank ich dafuͤr, daß ich gewuͤrdiget wurde,

Mit vom Himmel herunter zu kommen, und Jeſus zu ſehen.

David! ich habe genung! ich hab ihn ſterben geſehen!

Und mein Auge wird auch zum Triumphe des Herrlichen aufſchaun!

Auch dadurch bin ich ſelig, daß du, mein David, zu mir koͤmmſt.

Wehmuth haͤtte mich faſt bey dieſem Grab ergriffen;

Denn hier bin ich allein, und keiner von meinen Vaͤtern

Jſt mit mir, und keiner von meinen Bruͤdern; die meiſten

Sind zwar ſelig, allein ach ruht nicht hier ſein Gebein auch,

Sauls? .. Du klageſt doch nicht, o du mein Jonathan? .. David,

Lieber wollt’ ich vergehn! Jch klagen? machte mich Gott nicht

Auch
[43]Elfter Geſang.
Auch zum Erben des Lichts? Auf meines Vaters Gebein ließ,

Ohne Klag’, ich nur die Eine Thraͤne noch rinnen.

Rein ſind ſelber die hohen Engel vor Gott nicht, und ſelber

Unſre Seligkeit kann ein Woͤlkchen Wehmuth umſchatten.

Jetzo, mein Jonathan, darf nicht Wehmuth truͤben, denn Chriſtus

Jſt nun todt! Als er noch litt, traf mehr wie nur Wehmuth

Unſre Herzen! und ſieh, es erwachen die Erſten der Zeugen

Seines Todes und Lebens! .. Jndem rief Jonathans Engel:

Trockne die Eine Thraͤne, die dir ſo ſpaͤt noch geronnen,

Trockn’ auch ſie! .. Er hatt’s, mit der Stimme der Halleluja,

Kaum gerufen, als Jonathan ſchnell in Schlummer dahinſank,

Eben ſo ſchnell vor David, nun ganz ein Unſterblicher, daſtand!

Wer am Throne dereinſt die hohen Jubelgeſaͤnge

Davids und Jonathans hoͤrt, der wird auch hoͤren, was damals

Sie ſich ſagten, und was ſie ſich nicht zu ſagen vermochten.

Gideon, der die Krone nicht nahm, die Juda ihm brachte,

Schwebt’ in dem Glanz der Unſterblichkeit auf. So werden nicht glaͤnzen,

Wenn das Rufen des ernſten Gerichts am Throne des Sohns ruft,

Die aus dem Blut der Bezwungnen empor die ſchreckliche Krone

Huben, und ſie auf ihr Haupt mit dem Recht der Tyrannen ſetzten,

Oder, beßre Beſitzer, in jener Schlacht ſie entweihten,

Die nicht Schuldloſe rettet, und gern ſich dem Richter verbuͤrge!

Aber Er hat ihres Blutes Geſchrey vernommen,

Und wird ihm, wenn er kommt, laut anzuklagen gebieten!

Jetzo erwachte ſein ſtaͤubend Gebein, des Todtenerweckers,

Eh er ſelber verweſt war, Eliſa verließ, ſo verlaſſen

Frommer Seelen den Leib, ſein deckendes Grabmaal, und eilte

Purpur-
[44]Der Meſſias.
Purpurſtrahlend hervor, er allein ein Morgen des Fruͤhlings.

Einſt, da weiß zu werden des Sehers Gebeine begannen,

Trugen ſie einen Todten hinaus, und legten ihn nieder

Jn ſein Grab, ein jugendlich Weib, die Wonne des Mannes,

Welchem ſie einen Sohn der Schmerzen entſchlummernd geboren.

Lange hatten ſie ſich geliebt, und beſaßen ſich endlich;

Doch ſie ſtarb! Er weint’ ihr nicht nach. Jn ſtummer Betaͤubung

Ging er voran in dem Todtengefolge. Der Klagenden Eine

Trug der Gebaͤhrerinn Tod, den Knaben, der, ſchoͤn wie der Roſen

Fruͤhe Knoſpe, zu bluͤhen begann. Jetzt legten die Traͤger

Auf Eliſa Gebein die Mutter des laͤchelnden Knabens.

Schleunig entſtand ein Rufen des Freudenſchreckens, und bleicher

Ward auf Einmal der Weinenden Antlitz, und ſchneller ihr Athem!

Denn die Mutter erhub ſich, ſprang hin, und riß aus den Armen

Jener Fremden ihr Kind, und bracht’ es bebend dem Vater.

Und ſie, deren Wange, da ſie ins Leben zuruͤckkam,

Gluͤhete, ward jetzt auch vor Entzuͤckungen bleich. Jhr Geliebter,

Der Erſcheinungen ſah, und in den Armen des Schattens

Seines Kindes Geſtalt, betrachtete laͤchelnd die beyden,

Mehr gluͤckſelig als je! Jch folg’, ihr winket, ich folge!

Aber da ſie nun wirklich es war, die Zeugen es riefen,

Und ſie ſelber es rief, wards um ſein Angeſicht dunkel!

Und ſie reichte das Kind den Weibern, und fuͤhrt’ ihn zur Huͤtte

Wie, ſo freuet’ er ſich, ihn Daͤmmrung des Todes umſchwebte.

Und an dem Grabe Debora bewegten auf Einmal die Palmen

Jhre Wipfel, und ſchnell ſtand unter den rauſchenden Palmen

Auferweckt die Prophetinn, und pries des Lebens Erſchaffer!

Mirjam
[45]Elfter Geſang.
Mirjam trat im Triumphe daher aus dem Staube der Erde.

Freudeglaͤnzend erhub ſie ihr hohes Auge gen Himmel,

Suchte mit feurigen Blicken umher in den weiten Gefilden,

Aber ſie fand den Unſterblichen nicht, der vom Tod’ in das Leben

Schnell ſie gebracht, dazu an der Allmacht Throne geruͤſtet.

Engel der Auferſtehung, wo weilſt du, o Erndter? Wo decken

Heilige Schatten dein ſtrahlendes Haupt? Jn welchen Gebirgen

Jſt der Ruf der Poſaune verhallt, mit dem du mich weckteſt?

Ach, wo ruheſt du aus von deinem Werk, in Erſtaunen

Selbſt verloren, daß Gott zu dieſem Wunder dich ſandte?

Volk, das Heſekiel ſah aus ſeiner Gefaͤngniſſe Graͤbern

Kommen, wenn wirſt du, Volk des Gerichts, das zweytemal aufſtehn?

Deine Rettung nicht nur, der Sterbenden froͤhliche Hoffnung

Auch zu lernen, erblickte er die Auferſtehung der Todten,

Sieh, ein ernſtes Geſicht! Er ſtand weiſſagend, da rauſcht’ es,

Und da regt’ es ſich, und die Gebeine kamen zuſammen,

Jedes zu ſeinem Gebein. Er ſah, es wuchſen daruͤber

Adern und Fleiſch, und mit Haut bekleidete Gott ſie; allein noch

War kein Odem in ihnen. Und er weiſſagete von neuem,

Da kam Odem in ſie, ſie wurden lebend, und ſtanden

Aufgerichtet, ein zahllos Heer! .. Dieß himmliſche Bild war

Jhm von dem Chebar uͤbrig geblieben, und lichter durch Strahlen

Seiner Seligkeit, hatt’ es ihn nicht im Himmel verlaſſen.

Jetzt, da die Auferſtehung des goͤttlichen Todten ſich nahte,

Er bey ſeinem Staube der großen Entwicklung ſich freute,

Ging es von neuem ihm auf, ein Strahlenmorgen des Fruͤhlings,

Und ſein Engel begann: Jch hoͤr in den Fernen ein Saͤuſeln

Als
[46]Der Meſſias.
Als der Gegenwart Gottes! Von allen Seiten der Erde

Wehet es her! Wenn einer von ſeinen Hauchen den Staub hier

Unter uns ruͤhrte? Nun ſchlummern ſie wieder die athmenden Luͤfte,

Ach, nun erwachen ſie wieder. Er ſprachs, und es weht’ in des Engels

Goldner Locke. Heſekiel! rief der hellere Seraph,

Doch ſchon hoͤrt’ er nicht mehr, ſchon rauſcht’, und regte ſein Staub ſich,

Schon kam Odem in ihn, ein Hauch zu dem ewigen Leben!

Und der Unſterbliche trat auf ſeine Fuͤße, zu freudig,

Auszuſprechen, was er empfand, doch hub er gefaltet

Seine Haͤnde gen Himmel, und nun umarmt’ er den Engel.

Und ſie ſchwebten, gefuͤhrt von dem Saͤuſeln der Gegenwart Gottes,

Nach den andern Todten, ſie auch erwachen zu ſehen.

Asnath ſchien in Schlummer zu ſinken. So ſchwebt in der Aue

Leicht ein werdender Duft, den der Mond in Silber wandelt.

Wie ſie mit zweifelndem Schweben den Staub des Grabes beruͤhrte.

Ach, mein Huͤter, was iſts, das ſo mich umdaͤmmert? was gleiten

Mir vor Bilder vorbey, die ich ſonſt nicht kannte? Was fuͤhl’ ich

Neues in mir? Jch habe fuͤr dieſe neue Gefuͤhle

Keine Namen, allein ſie gleichen, doch ferne nur, denen,

Die ich im erſten Leben empfand, da der Tod mich wegrief.

Sterb ich, Engel Gottes, noch Einmal? Mich deucht, die Stimme

Bebt mir! und ach zum leiſen, ſchwachen, unhoͤrbaren Laute

Wird ihr Silberton. Jch ſterbe wieder, du Engel

Gottes! Jn ſanftem Geraͤuſch, als rauſchten Quellen Edens,

Seraph, in lieblichem Wehen des ſchattenden Paradieſes,

Schlummer’ ich hin … So entſanken Asnath die letzten Laute.

Aber, umgeben von lichten Gedanken, als waͤrens des Aufgangs

Roͤthen,
[47]Elfter Geſang.
Roͤthen, durchdrungen von inniger Freuden ſchnellem Gefuͤhle,

Schwebte ſie auf, war ganz der Unſterblichkeit Erbinn geworden!

Jn der Entzuͤckung, als weit um ihn her das Todesgefilde

Rauſchte von Auferſtehung, da blies die hohe Poſaune

Einer der Engel. Mit ihrem erſchuͤtternden Donnerhalle,

Trat der Held, den Gott zur Bezwingung Canaans ſandte,

Aus den Schatten des Todes herauf. So leuchten aus Naͤchten

Blitze, ſo ſah auf Dothans beſtrahlten Bergen Eliſa

Flammende Wagen der Engel, die ihn mit Rettung umgaben.

Wie ein Erſtling der Fruͤhlingsblumen in duftigen Thaͤlern

Aufbluͤht, alſo erwachte zum Leben der Leben, nicht wieder

Wegzuwelken, die Tochter Jephtha. Zum Silbergetoͤne

Ward es, wovon die Lippe der Preiſenden bebet’! Jhr Engel

Toͤnt’s mit der goldenen Harf’ ihr nach, und erhub es auf Fluͤgeln

Frohbegeiſterter Harmonieen noch hoͤher gen Himmel.

Nah an Jeruſalem hatte die Mutter der ſieben Soͤhne

Mit den Soͤhnen ein Frommer in einer Hoͤle begraben.

Herzhaft grub er die Heiligen ein, entſchloſſen, dem Wuͤtrich,

Der ſie erwuͤrgte, die That zu bekennen, und ſelber zu ſterben!

Oft war dieſe Hoͤle die Ruhſtat muͤder Wandrer;

Oft beſchatteten ihre Gewoͤlbe des einſamen Beters

Heiſſe Thraͤnen. Sie fuͤllte mit ernſtem Tiefſinn die Seele

Aller, welche vor ihr voruͤber gingen. Denn alle

Hatten gehoͤrt, welch heilig Gebein die Hoͤle begruͤbe!

Jetzo knieten in ihr um ihre Mutter die Soͤhne

Maͤrtyrer neben der Maͤrtyrerinn, voll dankender Wonne,

Daß ſie, als ſeine Zeugen, der Mittler ſterben zu laſſen

Sie
[48]Der Meſſias.
Sie gewuͤrdigt, da ihn ſein erſtes Geſetz noch verhuͤllte;

Da er in bildenden Schatten ſich nur dem Forſchenden zeigte,

Und ihn Tabor noch nicht, noch Golgatha nicht verklaͤrten!

Als von ihrem Grabe zu Gott ihr dankend Gebet ſtieg,

Kamen uͤber den Bach, der neben der Hoͤle vorbey floß,

Semida, und ein Bethlehemit, der dich in der Huͤtte,

Wo du das erſtemal weinteſt, Erloͤſer, von Engeln gefuͤhrt ſah.

Und ſie ſetzen, lange von ihren Schmerzen ermuͤdet,

Am Eingange des Grabes ſich gegen einander, und weinen.

Semida! doch ich ſchweige von ihm. Wenn ſpraͤch’ ich es ganz aus,

Was ich uͤber den Tod des Menſchenfreundes empfinde!

Aber ſag, o ſage mir, was dieß fuͤr ein Gefuͤhl iſt,

Das, ſeit dem mich die Schatten des heiligen Grabmaals umgeben,

Mich mit ſanften noch niemals empfundnen Schrecken erſchuͤttert?

Doch jetzt denk ich zuruͤck. So war mir es, als ſich die Engel,

Die uns ſeine Geburt verkuͤndeten, ferne nur nahten,

Gleich der Daͤmmrung, und noch im Glanze der Himmel nicht ſtrahlten.

Heilig iſt, Jethro, ihr Grab. Jch empfinde, was du empfindeſt!

Laß uns eilen. Denn Engel, Geliebter, oder Entſchlafne

Weihen jetzo dieß Grab zum Heiligthume. Drum laß uns,

Laß uns eilen. Der Schauer, der aus den Tiefen der Hoͤle

Uns erſchreckt’, iſt ein Wink, uns ſchnell zu entfernen. Sie wollen

Einſam, und mit dem, den ſie anbeten, allein ſeyn!

Semida ſprachs. Allein eh er ſich wendete, ging er

Einige Schritte tiefer, und ruft’ in die naͤchtliche Halle:

Jhr, o Unſterbliche, betet mit uns den Todten des Herrn an!

Goͤttlich hat er gelebt! und goͤttlich iſt er geſtorben

Jeſus
[49]Elfter Geſang.
Jeſus Chriſtus! Vor ſeiner Geburt ſchon nannten die Engel

Seinen Namen. Jhr kennt den heiligſten aller Namen

Jeſus Chriſtus des Todten! Vom Tode wird er erwachen!

Jhr, ob eure Gegenwart gleich mit Schauer uns ſchreckte,

Seyd Erſchaffne, wie wir! Jhr ſeyd unſterblich! Unſterblich

Sind auch wir! O laſſet mit ſuͤßen menſchlichen Namen

Laſſet Bruͤder euch nennen! Ach ihr ſeyd unſere Bruͤder!

Dieſes Grab der Maͤrtyrer ſey, wenn wir einſt zu euch kommen,

Unſer Zeuge, daß wir, ſchon auf der entheiligten Erde,

Noch in der Huͤlle der Sterblichkeit, unſre Bruͤder euch nannten.

Euch erinnre dieß Grab der Maͤrtyrer, daß, wenn wir kommen,

Jhr die erſten im Himmel als eure Bruͤder uns aufnehmt!

Thirza und ihre Soͤhne vernahmen den Juͤngling. Sie ſahen

Jhn und ſeinen Gefaͤhrten, indem mit melodiſcher Stimme

Semida redete, beyde mit freudig ſtaunenden Blicken

Unverwendet auf ſie, ſo daucht es ihnen, hinabſchaun.

Als er endete, wandte zu ihren Soͤhnen ſich Thirza:

Moͤchten ſie weilen, ich liebe ſie. Einfalt und Unſchuld der Seele

Schmuͤckt ſie; allein vielleicht, daß der Schauer, welcher ſie ſchreckte,

Von dem Ewigen kam! Geht hin in Frieden! Der Herr ſey

Euer Gott! und leit’ euch zu unſerm ewigen Leben!

Ja bey unſerm Staube, der einſt der Unſterblichkeit aufwacht,

Ja, wir kommen, entſchlummert ihr, euch von dem Himmel entgegen.

Jethro und Semida wendeten ſich, und verließen die Hoͤle.

Als der beyden Sterblichen Bild noch um Thirza’s Seele

Schwebte, verdrang es auf Einmal ein Anblick voller Erſtaunen!

Jhre Soͤhne, ſo wie ſie vom Leben der Himmliſchen ſtrahlen,

IIIBand. DSinken
[50]Der Meſſias.
Sinken um ſie in Schlummer! doch daucht ſie, zweene von ihnen

Sind vielmehr in Entzuͤckungen, als in Schlummer geſunken.

Denn es leuchtet ihr Angeſicht heller, als vormals. Sie redten;

Wonne waren ihre Gedanken, und Harfen die Stimme.

Voll von Seligkeit rief der dritte der Bruͤder, Beninu:

Steigſt du ſchon, o ſchoͤnſter der Morgen, du ſeliger Morgen

Seiner Auferſtehung herauf? Ja Morgen der Wonne,

Siehe, du biſt gekommen! es bebt das Grabmaal! es beben

Golgatha, und das Kreuz! du biſt, o Morgen, gekommen!

Alſo rief er, und ſank, wie ſeine Bruͤder in Schlummer.

Voll von Seligkeit rief der juͤngſte der Bruͤder, Jedidoth:

O ihr Engel, wo bin ich? Hat Er zu dem Throne des Vaters

Schon ſich erhoben? Ach himmliſch, Jeruſalem, ſchimmerſt du! himmliſch

Glaͤnzeſt du, Thron des Siegers! allein wie ſtrahlen, wie ſtrahlen

Seine Wunden! Er riefs, und ſank, wie ſeine Bruͤder.

Thirza erſtaunte noch immer. Vor ihrem Angeſicht lagen

Sieben Unſterbliche, welche, wie Menſchen, Schlummer umwoͤlkte,

Suͤß zwar war der Liegenden Anblick; das Antlitz der Mutter

Hing mit ſtillen Betrachtungen uͤber dem Antlitz der Soͤhne!

Aber die Schlummernden waren Unſterbliche! Sollen, ſo dachte

Jhre Mutter, ſo lange das Grab der Leichnam des Mittlers

Heiligt, auch ſie die feſtlichen, menſchentroͤſtenden Stunden,

Zwar im Tode nicht, aber doch ſchlummern? Sie dacht es. Jndem ſchloß

Sich ihr Auge. Sie ſahe ſich nicht, ſie fuͤhlte ſich ſinken.

Umgeſchaffen erhub ſie ſich jetzt! Jhr Engel, wie ward ihr,

Als ſie in ihrer neuen verklaͤrten Geſtalt ſich erblickte!

Danken,
[51]Elfter Geſang.
Danken, danken will ich! ſie riefs mit zitternder Stimme,

Ewig danken! Ach mehr, als die frohſte Hoffnung entzuͤcket,

Haſt du mir Freuden gegeben! auch ſie erwachen, du Geber

Unausſprechlicher Wonne! du Geber des ewigen Lebens!

Und ſie kniete nieder, und ſah, mit gefalteten Haͤnden,

Und mit lautem Weinen, um ſich die Kinder erwachen!

Sah ſie werden! ſo ſchnell, als der Glut ſich Flammen entſchwingen,

Sah ſie aus ihrem wehenden Staube ſich Engel erheben!

Und den aͤtheriſchen Leib den neugeſchaffnen verklaͤren!

Sah ihr erſtes Laͤcheln, es laͤchelte nicht der Mutter!

Sah ihr werdendes Auge gen Himmel ſich oͤffnen, und ſchimmern,

Hoͤrt’ ihr erſtes Stammeln zu Gott! die ſeligſte Mutter!

Neben einander begrub Ein Grab vier Freunde. Dem Huͤgel

War das Felſengewoͤlbe, worunter die Leichname ruhten,

Jm Erdbeben entſtuͤrzt. Sie ſahen ihre Gebeine

Ueber ihrer Verweſungen eingeſunkenen Aſche

Liegen, und ſegneten dieſe zerſtreuten Truͤmmern des Lebens,

Mit dem Wunſche nach Auferſtehung; aber ſie hofften

Jetzo des freudigen Wunſches Erfuͤllung noch nicht. Der Entſchlafnen

Letzter, der Ethan, und Chalkol, und Heman zur Ruhe begleitet,

Dann noch ein wenig auf Erden, ihr Uebriger, hatte gewandelt,

Darda ſprach zu ſeinen Geliebten: Wie waren wir immer

So gluͤckſelig, ihr Freunde. Das Leben am Grabe vereint’ uns,

Dann das Grab, die Ewigkeit auch! zwar ſahen wir Ethan

Sterben, und weinten ihm nach; dein Gebein iſt weiſſer, o Ethan!

Heman ſah ich, und Chalkol des Todes Weg zwar ziehen,

Aber zu Ethan hinauf, und weinten ſanfter. Darauf ſchlief

D 2Chalkol
[52]Der Meſſias.
Chalkol in meinen Armen auch ein, und ich blieb uͤbrig!

Noch zu dem Leben ſo reif nicht, als ihr. Wie war mir Verlaßnen,

Als ich, o Chalkol, das Grab dir ſchloß! Doch maͤchtiger ſtaͤrkte

Gott, den Weinenden, gab mir Ermannung, gen Himmel zu ſchauen!

Bald hernach ſtarb Salomo auch, und wurde verſammelt

Neben Davids Gebein. Kurz war mein uͤbriges Leben;

Wenige Naͤchte, da kam mit dem Todesſchlafe die letzte.

Siehe, da liegt nun unſer Gebein, und harret des Rufes,

Welcher ihn aufzuſtehen gebeut. Wie entzuͤckt das Verlangen,

Auferſtehung, nach dir! wie wirſt du ſelber entzuͤcken,

Auferſtehung! … Wie wirſt du, mit himmliſchen Harmonieen

Sang es Heman, o du Erwachen zum Leben, entzuͤcken!

Du Erwachen nicht mehr zu entfliehenden Tagen! Vergoͤnne,

Geber der Seligkeit, mir, der Wuͤnſche froͤmmſten zu wagen,

Der zu Hoffnung beynah in meine Seele gereift iſt,

Dieſen, mit dir zu erwachen! Denn du wirſt nicht verweſen!

Jeſus Chriſtus, wie koͤnnte dein Gott verweſen dich laſſen!

Hier von meinem Leibe, deß Erde lange ſchon hinſank,

Fleh ich zu dir hinauf, weit uͤber den Huͤgel des Kreuzes,

Jn die Himmel der Himmel hinauf: Laß, großer Beginner

Deiner Erndte, den Keim in dem Staube, den ſchlummernden Leichnam,

Unter deinen Schatten, du Aehre der Aehren, erwachſen!

Ach, ſie ſchattet noch nicht, rief Chalkol heftig, und Heman

Bluͤht ſchon auf! Seht ihr den Todten, ihr Bruͤder, erwachen?

Seht ihr ihn glaͤnzender werden? .. Er riefs, und verſtummt’, und erwachte

Mit dem Erwachenden. Darda, auch dir, und, Ethan, euch wurde

Keine Zeit zum Erſtaunen gelaſſen. Der Todten Gebeine

Rauſchten,
[53]Elfter Geſang.
Rauſchten, und regten ſich mit, und wurden mit Lichte bekleidet!

So, wie ſie ſtrahlten, erhuben ſie ſich, vereinbarte Schimmer,

Hand in Hand in die Wolken empor, und ſangen dem Mittler!

Nah an Jeruſalem ſchlief die Prophetinn Hanna, vor vielen

Jhrer Tage gluͤcklich. Sie ſah in dem Tempel den Knaben

Bethlems, und wußte, wer dieſer Sproͤßling aus Juda’s Stamm ſey!

Er entrann in Aegyptus, und ſie ins Grab. Sie erwachte

Jetzt zu der Herrlichkeit. Als ſie herauf aus dem kuͤhlen Gewoͤlbe

Jhres Grabes trat, und jetzt die Augen, die niemals

Wieder ſich ſchlieſſen ſollten, eroͤffnete, ſah ſie des Todten

Leichnam gegen ſich uͤber am Kreuz. Ja dennoch, du Todter,

Biſt du mein Auferwecker! Du biſt es, du haſt mir den neuen

Mir den unſterblichen Leib vor dem Tage der Tage gegeben!

Ach wie trieft er von heiligem Blut! Ach laut in des Himmels

Fernen Hallen vernahm, und erhoͤrte der ewige Richter

Dieſes Blutes Rufen um Gnade! Sie ſprachs, und verſtummte

Voller Wonne, vertieft in die Folgen dieſer Erhoͤrung!

Joel, Samma’s erſter, nun einziger, hatte den Vater

Und den Todeshuͤgel verlaſſen, und war zu des Oelbergs

Thale niedergeirrt, Gethſemane durch, zu dem Grabe

Seines Bruders. Er ſucht’ es mit ſchwerem Schritte. Der Stein war

Schon mit ſtillem Mooſe bedeckt. Er ſank bey dem Steine

Kraftlos nieder mit ſtarrem und blutendem Auge von Thraͤnen

Ueber Jeſus! und uͤber Benoni! … Du haſt in der Kinder

Und der Saͤuglinge Munde dir Lob bereitet; in meinem

D 3Jammer!
[54]Der Meſſias.
Jammer! Jch hatt’ um Benoni den Schmerz zu ſtillen begonnen,

Aber darauf … ich mag den goͤttlichen Namen nicht nennen,

Mit dem Namen des Todes! Und ach nun ſtill’ ich mein Jammern

Um Benoni nicht mehr. Er iſt mir noch Einmal geſtorben!

Jener große Todte, kaum wag’ ich es, ihn zu weinen,

Jſt ein Bruder der Engel; ihn duͤrfen Engel nur weinen.

Aber Benoni, Benoni, dich darf, dich will ich ewig

Weinen! … Er ſtuͤtzte ſein ſinkendes Haupt am Steine mit truͤbem

Bangem Auge, mit bleichen und ſanftgeoͤffneten Lippen,

Seines Bruders, und ſeines Engels Wehmuth und Wonne.

Denn ſein Engel, und du, vollendete Seele Benoni,

Wart heruntergekommen zur heiligen Stille der Graͤber.

Joel wußte das nicht. So kennt ein duldender Frommer

Hier im Leiden die helfende Hand nicht, die ihm ſo nah iſt,

Nicht entfernter, als jenes Luͤftchen, welches ſchon ſaͤuſelt,

Jhn mit ſtiller Kuͤhlung ins Grab hinunter zu wehen.

Denn ſchon hat ihn der Herr des Lebens und Todes zum Sterben

Eingeſegnet. Jch lebe mehr, als er lebet, o Seraph,

Aber wie weint er den Todten, und denkt nicht hinauf an mein Leben!

Hingegangen biſt du, und haſt allein mich gelaſſen,

Mein Benoni! Du Blume von ſchnellem Sturme gebrochen,

Duftende Morgenblume, des Thales Saron die ſchoͤnſte!

Hingegangen, mein Joel, mein Bruder Joel, zu wachſen

Hoch im Himmel ein Schatten empor am Strome des Lebens.

Unſer Vater iſt alt! Dein Tod, dein Tod, o Benoni,

Wird auch ihn mir nehmen, und ach hinab in die Grube

Bringen mit Herzeleid ſein graues Haar! Jch der Waiſe,

Und
[55]Elfter Geſang.
Und der Bruderloſe wie werd’ ich ſchmachten, und duͤrſten

Nach des Todes Kelche, der andern bitter, mir ſuͤß iſt!

Seraph, des Knabens Schmerz geht mir durch die Seele! Trockn’ ihm

Seine Thraͤnen, ach trockne die unaushaltbaren Thraͤnen!

Gott, Gott nimmt ſie von ihm, iſt ſeine Stunde gekommen.

Weißt du nicht, daß wir im Himmel zu fruͤh die Thraͤne nicht trocknen?

Schlummere ſanft, du Jnniggeliebter! Doch Lazarus kam ja

Aus der Verweſung. Allein da lebte der Goͤttliche ſelbſt noch!

Aber nun hat Er Vollendung am Kreuze gerufen.

Wird er lange noch leben, o du ſein Engel? … Das weis nur

Der, wenn er ſterben ſoll, mir gebeut, ihn gen Himmel zu fuͤhren.

Lehre mich den Betruͤbten, den Bruderloſen, o Vater

Aller Vaͤter, die Weisheit, die uns durch die Wuͤſte des Lebens

Jn das Land der Verheißungen leitet. Du ſiehſt ja, du Vater

Aller Vaͤter und Kinder, die innige bittre Betruͤbniß

Meines ſchmachtenden Herzen. Jch fuͤhle die wachſenden Kraͤfte

Meiner Jugend, und ſehe vor mir ein Leben ohn’ Ende,

Ohne Benoni, bald ohne Vater, und ach! ohn’ Ende!

Seraph, der innige Schmerz wird der ſein Leben nicht kuͤrzen?

Tage deuchten ihm Jahre; nur Tage wird er noch leben.

Seele meines vollendeten Bruders, ach wenn du hier waͤrſt

Um dein Grab, und deinen verlaſſenen Joel noch kennteſt;

O ſo wuͤrdeſt du auch ein kurzes Leben mir wuͤnſchen.

Weniger nicht gehoͤret dazu, o Seraph, des Knabens

Kuͤmmerniſſe zu ſehen, und ruhig ſie auszuhalten,

Als der Beſitz des ewigen Lebens! Du warſt, o ſein Engel,

Stets ein Unſterblicher, ließeſt in jenen Huͤtten des Elends

D 4Keinen
[56]Der Meſſias.
Keinen Bruder zuruͤck! … Doch empfind ich dir nach, o Benoni,

Was du empfindeſt! So oft wir von unſern Geliebten uns trennen,

Und um neue Befehle zum Thron des Ewigen ſteigen,

Laſſen wir Bruͤder zuruͤck. … Was iſt es, mein himmliſcher Bruder,

Daß mein Grab ſich bewegt? ach daß vom erſchuͤtterten Steine

Joel aufſpringt? daß es um mich wie Daͤmmrungen herſchwimmt?

Daß ich, o Gott, wo bin ich? o Geber des ewigen Lebens,

Du erhaͤltſt doch, o du vernichteſt mich nicht, du Geber?

Alſo ſtammelt’ er ſanft, wie ſich Wiederhalle verlieren.

Und mit dem neuen Leibe der Auferſtehung verherrlicht,

Rief er: O du erhaͤltſt mich nicht nur, du unendlicher Geber,

Du bekleideſt mich auch mit dieſem unſterblichen Leibe!

Preis dir, Herrlicher, Herrlicher, welcher der Gaben ſo viel hat!

Nun, mein Bruder, wenn einſt dein Leichnam auch verweſt iſt,

Weckt dein Schoͤpfer ihn auch, er, der der Gaben ſo viel hat!

Wacht’ ich? oder hatte der Schmerz ſein fuͤrchterlich Schlummern

Ueber mich ausgebreitet? Empfind’ ich in meiner Kindheit.

Schon, was Samma empfand, wenn er in ſtarrer Betaͤubung

Niederſenkte ſein Haupt, dann auf Einmal aufſprang, und rufte:

Kind, Benoni, mein Kind, am blutigen Felſen zerſchmettert!

War ich alſo betaͤubt? ach oder bewegte der Stein ſich

Wirklich? Jhr ruht doch ſanft, ihr meines Bruders Gebeine?

Bebte die Erde noch nach? Da kommt mein Vater, und ſucht mich.

Siehe mein Vater, o Seraph! Ach weine, du redlicher Alter,

Nicht bey meinem Grabmaal! Jch bin ja ſo ſelig, und leer iſt

Meines Staubes der Staub, den dieſer ruhende Stein deckt.

Lange
[57]Elfter Geſang.
Lange ſucht ich dich, Joel, nun find ich dich endlich. O laß uns

Dieſem Grauen der Graͤber entfliehn! Jſt das nicht Benoni’s?

Komm, mein Joel! Jſt das nicht Benoni’s? Auf laß uns entfliehen!

Komm, mein Uebriger. Gott, Gott ſegne dich, Joel. Sie gingen.

Gott, Gott ſegne dich bald, ſprach, da ſie ſich wandten, Benoni,

Mit dem ewigen Leben, du duldender redlicher Vater!

Simeon, als er geſehen hatte den Heiland Gottes,

Jhn, das Licht, zu erleuchten die Voͤlker, den Herrlichen Juda’s,

Und den innigſten Dank nun uͤber ihn ausgeweinet,

Saͤumte nicht lange, ſein ſilbernes Haupt zur Ruhe zu legen.

Simeon machte ſich auf, ward ſterbend Licht, denn ſein Licht war

Druͤben am Grabe noch heller, und du, o Herrlichkeit Gottes,

Gingſt dort leuchtender uͤber ihm auf. Sein Verwesliches war jetzt

Schon zu Staube zuſammengeſunken. Der Geiſt des Propheten

Schwebt’ an der deckenden Gruft, wo ſeines Leichnames Saat lag,

Schnell, er wußte das nicht, zum hohen Halme zu wachſen,

Vor dem Tage der großen Erndte, mit wenigen Halmen

Ueber die Saat der Todten empor, die von Anfang entſchliefen,

Ueber das Menſchengeſchlecht, das hinab bis an das Gericht ſtirbt.

Und im roͤthlichen Wege, der durch das Rauſchen des Kidren

Von Jeruſalem ſich an des Oelbergs Fuß herumzog,

Und mit ſeinen Kruͤmmungen dicht an Simeons Grab kam,

Wandelten langſam ein Greis, mit ihm ein fuͤhrender Knabe,

Simeons Bruder, und Enkel. Das Auge des Alten umhuͤllte

Blindheit, die fruͤhere Nacht des Todes, eh noch der Tod ſelbſt.

D 5Jn
[58]Der Meſſias.
Jn das dunkle Thal uns fuͤhret. Jhn troͤſtete kindlich

Boa, der Knabe, des Gleitenden Stab. O trockne dein Auge

Endlich wieder, du redlicher Vater, und weine nicht immer.

Lang ſchon ſah mein Auge nicht mehr; ſo laß es denn das thun,

Was es allein noch vermag. Jch werde den ſaͤumenden Tod doch

Endlich erweinen, und nieder aus dieſer Nacht des Lebens,

Jn die beſſere Nacht, mich neigen. Doch ſage mir, Boa:

Sind wir von dem Gebein des heiligen Alten noch ferne?

Nein, nicht ferne, mein Vater .. Jſt ſchon mit Mooſe der Grabſtein

Wie mit ihrem Epheu die oͤde Truͤmmer, bewachſen?

Zeuget ſchon der geſunkene Stein von des frommen Entſchlafnen

Langen Ruh? Ha bluͤhender Knabe, mein ſtarrendes Herz fliegt

Freudig empor, wenn ich, ihr alternden Graͤber, wie ruͤhrend,

Wie ehrwuͤrdig ihr ſeyd, mir denke. Mein Simeon legte

Sich in ſein Grab ſo lange nun ſchon! Zwar lang’ iſt mein Grab auch

Jn den Felſen gehaun; doch ſtets noch fehlt ihm der Todte!

Alſo ſagt’ er, und ſtand, und lehnt’ in der bitteren Wehmuth

Sich auf Boa. Mein Sohn, fuͤr den die Sonne nicht ausloſch,

Deſſen Auge der Sommernacht ſanftſchimmerndes Licht ſieht,

Jſt der Himmel heiter? Mir wehte liebliche Kuͤhle,

Und erfriſchte den Muͤden … Die Luft iſt heiter, mein Vater,

Und verſchoͤnt den ſproſſenden Fruͤhling im weiten Gefilde.

Waͤr er auch in Wolken gehuͤllt, und dunkel von Wettern,

Boa, mein Sohn; ſoll doch der Tag, an welchem ich ſterbe,

Mir wie ein Tag des Fruͤhlinges ſeyn! .. Er duͤrſtet zu ſterben

Sagte Simeons Seele zu ihrem Begleiter, dem Engel,

Weil er den truͤben Gedanken von Jeſus Tode nicht aushaͤlt.

Simeon,
[59]Elfter Geſang.
Simeon, ach den weis er noch nicht. Sie haben dem Greiſe,

Daß er lebe, die ſchreckenvolle Geſchichte verborgen.

Siehe ſo ſtirbt er, o Seraph, ſo bald er ſie hoͤrt. Doch ich ſagte

Ja auch ihm, es wuͤrde dieß Schwert durch die Seele der Mutter

Gehen! .. Jndem ſie ſo redeten, ſetzte ſich Simeons Bruder

Mit dem Knaben ans Grab. Die aſchebedeckten Gebeine

Simeons ſonderte jetzt der Engel vom Staube der Erde

Zu der Unſterblichkeit ab. Sie rauſchten, und regten ſich, ſichtbar

Nur fuͤr Engel, nur hoͤrbar fuͤr euch, die fern in den Himmeln

Preiſe der Sterne vernehmen. Jndem ſein Schimmer, des neuen

Werdenden Leibes Verklaͤrung, auf dieſen wallend herabſank,

Daucht es der hohen Seele, daß ihre Gedanken ſich ferne,

Wie auf Fluͤgeln entzuͤckender Harmonieen getragen,

Jmmer ferner verloͤren. Doch kamen ſie eilend zuruͤcke,

Da der unſterbliche Leib der neuen Schoͤpfung vollendet,

Und die Seele des Todten mit jeder innigen Freude

Seiner Auferſtehung erfuͤllt war. Ein Pilger des Feſtes

Lief im Wege daher, und eilte nach Bethlehems Huͤtten.

Warum eileſt du ſo, du Pilger? … Sollt’ ich nicht eilen,

Und die bange Geſchichte des Todes den Meinen erzaͤhlen?

Welches Todes? ſo rief der Bruder des Auferſtandnen.

Biſt du der einige, der nicht wiſſe, daß unſre Beherrſcher

Jeſus, den goͤttlichen Mann, am Kreuze toͤdteten? … Sprachlos

Sank der Alte zuruͤck. Nach langem Muͤhen brachten

Endlich der Pilger und Boa den Leidenden uͤber den Kidron

Weg von den Graͤbern. Er flehte zuruͤckgeleitet zu werden;

Aber umſonſt, ſie leiteten ihn zu Jeruſalems Thoren.

Wollen
[60]Der Meſſias.
Wollen wir neben ihm wallen, und ſeinem Geiſte begegnen,

Wenn er, o Seraph, die Huͤtte verlaͤßt, die jetzt ihn belaſtet?

Denn der Morgen wird ſie in Truͤmmern finden … Er ſtirbt nicht,

Simeon, denn ſein Engel iſt ja um ihn nicht zugegen,

Und er wird noch ſo gar in jenem Leben der Freuden

Viel empfahen. Denn du, mein Simeon, wirſt ihm erſcheinen,

Und von der Auferſtehung des Herrn mit dem Leidenden reden!

Lieg, und ruh, ſo dachte bey ſeinem Leichnam Johannes,

Bis an jenen gefuͤrchteten Tag, den großen Entſcheider:

Weſſen Suͤnde du trugſt, Lamm Gottes! Wir ſollen hier weilen;

Laͤnger wohl nicht, als Nacht den Leib des Getoͤdteten einhuͤllt,

Als du ſchlummerſt, o Lamm, deß Altar von Blute noch rauchet.

Du verſammelſt uns dann, wenn du ein Sieger hervorgehſt,

Wieder um dich, daß wir auch deine Herrlichkeit ſehen!

Dann verlaß ich dich, Staub, dem einſt Poſaunen ertoͤnen!

Jetzo ſaͤum’ ich gerne bey dir. Was werdet ihr ſelbſt ſeyn,

Freuden der Auferſtehung, da eure Hoffnung ſo froh macht!

Was vor ein Traum umſchwebt, vor ein hocherhebender Wunſch mich,

Bald zu erwachen? auf deinen Tag nicht, Richter, zu warten?

Sieh ein Wunſch, den Hoffnung die Himmel noch hoͤher hinauftraͤgt!

Wunderbar ſind die Gnaden des Herrn, unzaͤhlbar, und neue

Duͤrfen wir ſtets erwarten. So dacht er, und ſahe Benoni,

Einen Schimmer, daher in der Abenddaͤmmerung kommen.

Welcher Engel entſchwebt dem hangenden Felſen, o Seraph?

Sagte zu ſeinem Huͤter Johannes. Jeder Entzuͤckung

Fruͤhlings-
[61]Elfter Geſang.
Fruͤhlingsſchoͤnheit umgiebt den himmliſchen Juͤngling. Jch kenn ihn!

Hoͤre ſein Schweben! Er gleicht Benoni. Er iſt Benoni’s

Schuͤtzender Engel. Wer iſt er? o Seraph, wer iſt er? ich kenn’ ihn

Nun nicht mehr. Er iſt kein Engel, iſt keine der Seelen

Jn dem Gewande des Lichts. Doch gleicht er Benoni. Erſtanden?

Ach vom Tode waͤrſt du, du himmliſcher Juͤngling, erſtanden?

Komm, befluͤgle den Schwung, den Harfenklang, den du ſchwebeſt,

Wer du auch biſt. Vielleicht ein Benoni vor kurzem geſtorben

Druͤben am Ocean, auferſtanden, heruͤbergeſendet,

Jrgend ein neues Wunder des großen Erbarmers zu lehren,

Oder ſelber zu ſeyn. … Jetzt hatte dem Harfenklange

Fluͤgel Benoni gegeben, und war leichtſchwebend gekommen.

Groͤßter von denen, die Weiber gebahren, von Ewigkeit ſegne

Dich der Vater der Weſen zu Ewigkeit! Himmliſche Bothſchaft

Bring’ ich: Siehe der heilige Staub, die Todten, erwachen!

Taͤufer des Herrn, das ganze Gefilde bewegt ſich, und rauſchet,

Rauſchet von Auferſtehung! die Todten Gottes erwachen!

Juͤngling, wen ſahſt du, wen ſahſt du? .. Jch ſah den Vater der Menſchen!

Henoch, und Elias erſtaunten! und Abraham glaͤnzte,

Wie die Heere des Himmels! Auch kam in Purpurgewoͤlke

Jſak. Jch ſah, es dankt’ ihr Auge gen Himmel erhoben,

Moſes und Hiob! ich ſah die Sieben, die Maͤrtyrer, kommen,

Und verlor mich in meiner Entzuͤckung. Von Ewigkeit ſegne

Dich zu Ewigkeit Gott! Auch dich, Johannes, ſah ich,

Aber noch nicht erſtanden. Bereite dich, Groͤßter von Adam,

Deiner
[62]Der Meſſias. Elfter Geſang.
Deiner Auferſtehung! … Johannes ſahe verwundernd

Seinen Leichnam ſich regen, ſich ihn aufrichten, und leben;

Aber noch nicht verklaͤrt, noch nur aus Erde geſchaffen.

Schnell verlor die erhabene Seele die letzten Gedanken

Ueber das Wunder, das letzte Gefuͤhl der frohen Erwartung;

Denn ſie vereinigte ſich! Nun war das Wunder vollendet,

Und der Heilige pries in verklaͤrtem Leibe den Mittler.

Dieſer Erſtandenen Namen erſchollen mir laut, bey der Palmen

Wipfel verwehten die andern; allein in Stunden der Weihe

Kommt die Sionitinn, und nennt mir die himmliſchen Namen.


Der
[[63]]

Der
Meſſias.
Zwoͤlfter Geſang
.


[[64]]

Jnhalt
des zwoͤlften Geſangs
.


Joſeph erhaͤlt von Pilatus die Erlaubniß, den Leichnam Jeſu zu
begraben. Er, und Nikodemus ſalben, und begraben ihn. Choͤre
der Auferſtandnen und Engel ſingen dabey. Die Juͤnger, viele von
den Siebzigen, Maria, und einige der frommen Weiber verſammlen
ſich in Johannes Hauſe. Joſeph und Nikodemus kommen auch zu
ihnen. Dieſer bringt die Krone, die er bey dem Begraͤbniſſe von Jeſu
genommen hatte. Maria, Lazarus Schweſter, ſtirbt. Er, Lebbaͤus,
Nathanael und Martha ſind bey ihrem Tode zugegen. Lazarus
koͤmmt in die Verſammlung der Frommen zuruͤck, und bemuͤht
ſich, ſie zu troͤſten. Salem, Johannes Engel,
ſtaͤrket ihn durch einen Traum.


[[65]]

Der Meſſias.
Zwoͤlfter Geſang
.



Truͤb’ iſt, und bang in ihren verborgenſten Tiefen die Seele,

Wenn ſie fuͤrchtet, daß Gott ſie aus ihrem himmliſchen Erbe

Stoßen werde. Verirrt in dem Labyrinthe der Vorſicht

Wenden ſich weg von weiterem Forſchen alle Gedanken;

Jede von ihren Empfindungen treffen die Fluͤche vom Sina,

Und vom Ebal, noch mehr des hohen Golgatha Schrecken.

Ach! nun wird ſie das weiße Gewand der Sieger nicht kleiden!

Jhr die Palme der Ueberwinder im Himmel nicht werden!

Und die Krone nicht ſtrahlen! Sie liegt zerſchmettert im Staube,

Und ſie wuͤrde vergehn, wenn ſie Ein Gedanke nicht hielte,

Er ihr Retter nicht waͤr, ihr Engel vom Himmel geſendet,

Dieſer große: Sich Gott in Allem zu unterwerfen!

So voll Jammers, und ſo von jeder Hoffnung verlaſſen

IIIBand. EWar
[66]Der Meſſias.
War der kleine Haufe der Wenigen unter den Menſchen,

Die den Verſoͤhner des Ewigen kannten, da ihn ihr Auge

Starr, und todt auf Golgatha ſah, und um ihn nun alles

Oed’ und verſtummt; und ſo war’s der von Arimathaͤa,

Er der Eine, daß ſie nicht ganz dem Jammer erlagen.

Dich zu begraben, o Todter Gottes, entſchloß ſich Joſeph,

Muthiger jetzt, und Raͤcher an ſeiner vorigen Kleinmuth.

Laut ruft’ er auf Golgatha, daß es der Hauptmann der Roͤmer,

Und, wie ſehr auch Angſt ſie betaͤubte, die Zeugen es hoͤrten:

Jch begrabe den Todten des Herrn! Dort, gegen uns uͤber

Jſt ſein Grabmaal, und meins. Nein! ich will nur bey des Felſen

Eingang liegen. Auf, Nikodemus, und alle Myrrhen,

Alles, was du von der Aloe brachſt, das nimm, und erwarte

Mich bey dem Kreuz. Jch geh, und ich komme vom Fuͤrſten der Roͤmer

Schnell zuruͤck; auch bring ich die Leinwand zu dem Begraͤbniß.

Und er eilte. So eilt der Entſchluß, das Leben zu aͤndern,

Wenn er wahr iſt, und jeder Entſchluß der Suͤnde vergebens

Gegen ihn den blinkenden Dolchſtoß wuͤtend emporhebt,

Oder umſonſt Einſchlaͤfrungen ihm, und Seligkeit zuſingt,

Alſo eilt er zur That! Der Arimathaͤer erreichte

Bald den Palaſt des Heiden, und fand ihn umgeben von Unruh,

Sahe Portia bleich, und truͤbe von Jammer ihr Auge.

Was begehrſt du von mir? … Des Todten Leichnam, Pilatus,

Den du nicht kannteſt, und den du, von meinem Volke verleitet,

Heut auf Golgatha kreuzigen ließeſt. Jch will ihn begraben.

Aber was geht der Todte dich an? … Sehr viel, o Pilatus,

Und nur weniger, als den Richter droben, der Goͤtter

Gott!
[67]Zwoͤlfter Geſang.
Gott! … Am Cocytus, und nicht im Himmel, richten die Goͤtter!

Er nicht, den du voll Stolz den Gott der Goͤtter itzt nannteſt,

Jſraelit! Rhadamantus, und Minos, und Aeakus richten!

Ob die Goͤtter der Roͤmer, und ob am Cocytus ſie richten,

Laß uns dann, o Pilatus, entſcheiden, wenn unſere Leichen

Urne fuͤllen und Grab. Jetzt fleh ich, o unſer Beherrſcher,

Auch der Moͤrder Beherrſcher, die Gottes Propheten erwuͤrgten,

Jnnig dich an: Gieb mir, gieb wenigen Frommen den Leichnam

Dieſes goͤttlichen Manns! … So waͤr er ſo ſchnell denn geſtorben?

Sag, iſt er wirklich todt? … Jetzt hielt es Portia’s Wehmuth

Laͤnger nicht aus. Gieb dieſem redlichen Manne den Todten,

Oder begrabe mich ſelbſt! Sie ſprachs, und die Thraͤne ſtuͤrzte.

Sende zum Hauptmann am Kreuz! Pilatus ſagt’ es zu Joſeph,

Und wenn er kommt, ſo fuͤhr’ ihn zu mir. Er ſandte. Der Hauptmann

Kam. Sie traten herein. … Jſt, den ſie vor Barrabas waͤhlten,

Jetzt ſchon todt? … Todt war er. Jhm wollte keiner die Beine

Brechen, bis einer zuletzt die Lanze tief ihm ins Herz ſtieß.

Und Pilatus erwiederte: Gieb dem Manne den Leichnam,

Daß er ihn, wo er will, begrabe. Wo haſt du beſchloſſen

Jhn zu begraben? … An Golgatha’s Huͤgel in meinem Grabe.

Alſo ſagt’ er, und ging, und kam zu dem Huͤgel des Todes.

Chriſtus Mutter erblickte zuerſt den Treuen, und ſah es,

Daß er das Sterbegewand zu ihres Sohnes Begraͤbniß

Trug, und weinte vor inniger Wehmuth; Doch ohne Sprache

Blieb ſie noch ſtets, ſtumm immer noch, mit dem Schwert in der Seele.

Und ſo bebte zum erſtenmale die Lippe Johannes:

E 2O Maria,
[68]Der Meſſias.
O Maria, uns armen Leidenden iſt es doch Lindrung,

Daß ihn Joſeph begraͤbt. Allein, indem er es ſagte,

Wandt’ er gleichwohl ſein Auge vom Grabe. Die Mutter des Todten

Und des Juͤngers antwortete nichts. Der fromme Joſeph

Eilte zum Kreuz, und ihm kam Nikodemus entgegen.

Wer von den Zeugen ſich ihnen nahte, dem riefen ſie Beyde

Freudig zu: Wir duͤrfen den Todten Gottes begraben!

Aber die Leidenden traten zuruͤck, und blieben von fern ſtehn:

Doch die Zeugen im Himmel nicht auch, die Erſtandnen und Engel.

Dieſe ſchwebten naͤher hinzu. Und ſchon, doch unhoͤrbar

Menſchlichem Ohre, begann der Harfe Klage; der Stimme

Klage noch nicht. Haͤtt Einer der Sterblichen dieß vernommen,

Einer von denen, die bang in bitterem Schmerze verſanken,

Nicht auf Erden, er waͤr im Himmel vor Freude geweſen!

Oder der Engelharfe Wehmuth haͤtt ihn getoͤdtet!

Jetzt trat Joſeph herzu, und Nikodemus, und legten

Der das Sterbegewand, und der die Geruͤche der Myrrhe

Jn den Staub. Dann nahmen ſie von dem Kreuze den Leichnam. …

Und ſie ließen ihn ſanft auf Golgatha’s Huͤgel herunter

Sinken! Nun ruht’ er am Kreuz. Sie eilten, und gaben der Staude

Leben dem Leichengewand, und wollten, der einſt mit Poſaunen

Auferſtehung gebeut, ſo vor der Verweſung ſchuͤtzen.

Aber Eva ſchwebt’ auf ihn zu, und neigt’ ihr Antlitz

Ueber das Antlitz des todten Meſſias. Jhr goldenes Haar floß

Sanft auf ſeine Wunden, und Eine Thraͤne des Himmels

Auf die ruhende Bruſt. Wie ſchoͤn ſind deine Wunden!

Liſpelt ſie leiſ’ ihm zu, noch ungebohrner Erloͤſter!

Ganzer
[69]Zwoͤlfter Geſang.
Ganzer Aeonen Seligkeit ſtroͤmt aus jeder herunter!

Sohn! … mein Mittler, wie deckt dein Antlitz die Blaͤſſe des Todes!

Dein geſchloßner ſchweigender Mund, dein ſtummes Auge

Reden dennoch ewiges Leben! Ein bluͤhender Seraph,

Stuͤrb er, alſo laͤg’ er im Tode. Noch laͤchelſt du Liebe!

Und in deinem Geſicht redt jede Gebehrde noch Gnade!

Alſo ſagte die gluͤckliche Mutter zum liegenden Todten.

Aber die andere ſtand verhuͤllt, und konnte zum Leichnam

Nicht hinblicken. Und Joſeph und Nikodemus umwanden

Jetzt den Todten. Allein, als unter der Bebenden Haͤnden

Nun das Sterbegewand zu Blute ward, da hieltens

Laͤnger nicht aus die vollendeten Frommen, die Vaͤter des Mittlers,

Und es begann ihr Todtengeſang, die Klage des Himmels.

Eins der Choͤre begann, und Thraͤnen der Seligen floſſen.

Wer iſt der, der vom Golgatha koͤmmt im roͤthlichen Kleide?

Wer mit Blutgewande geſchmuͤckt herunter vom Altar?

Wer, deß goͤttliche Macht verborgen, und ewiges Heil iſt?

Jhm antwortet ein anderes Chor, und Thraͤnen floſſen,

Und der Poſaunen des Weltgerichts toͤnt’ Ein’ in dem Chore.

Jch bins, der Gerechtigkeit lehrt, ein Meiſter zu helfen!

Dem erwiedert das Chor, das zuerſt in Thraͤnen hinfloß.

Warum iſt dein Gewand ſo roͤthlich gefaͤrbt? und wie eines,

Der die Kelter getreten, dein Kleid? … Trat Jch die Kelter

Nicht allein? und war mit mir der Endlichen Einer?

Die ſich empoͤrten, die hab ich in meinem Zorne gekeltert,

Sie zertreten in meinem Grimm! und all ihr Vermoͤgen

Jſt auf meine Kleider geſpruͤtzt. Jn dieſer Arbeit

E 3Hab
[70]Der Meſſias.
Hab ich meine Gewande mit Blute gefaͤrbt! Der Rache

Tag iſt, es iſt das Jahr der großen Erloͤſung gekommen!

Als ich begann zu erloͤſen, da ſah ich mich um, und kein Helfer

War um mich! Da ſchreckte mich Gott! und keiner erhielt mich,

Keiner im Himmel, und keiner auf Erden! Da mußte mein Arm mir

Helfen! und gegen die ſtolzen Empoͤrer mein Zorn mich erhalten!

Siehe, der Schlange zertrat ich den Kopf! Sie ſtach in die Ferſe!

All’ Empoͤrer hab ich in meinem Zorne zertreten,

Habe ſie trunken zum Tode gemacht in meinem Grimme!

Alſo hab ich all ihr Vermoͤgen zu Boden geſtoßen!

Dieſes ſangen die Choͤr’, und miſchten Triumph in die Wehmuth.

Joſeph nahm die blutige Krone vom Haupte des Todten,

Gab ſie ſeinem Gefaͤhrten, und huͤllte das goͤttliche Haupt ein.

Aber nicht wie Maria, und nicht wie die Juͤnger, verſtummten

Jene ſeligen Zeugen, die uͤber Golgatha ſchwebten:

Denn von neuem begannen der Sterbegeſang, und die Thraͤnen.

Haͤtten dir jetzt die Harfen getoͤnet, die du, auch ſterblich

Noch, auf Patmos vernahmſt, wie ſelig waͤrſt du geweſen,

Juͤnger des Todten, und Sohn der jammervollſten der Muͤtter!

Alſo ſang ein Chor der Erſtandnen, und blickt’ auf den Leichnam.

Sieh, es rauſchte der Bach Kidrona, der Bach von dem Tempel,

Engel, der Bach Kidrona! Trit auf den Stolzen, o Seele,

Auf die liegende Schlange! Die wenigen einſamen Palmen

Rauſchten durch Gethſemane, da begann er zu ſterben!

Einem anderen Chor entſtroͤmten Halle des Donners:

Hoͤret’ er nicht tief unten rauſchen die Fluthen des Abgrunds,

Wuthausruf der Gerichteten drohn, und begann zu ſterben?

Bebt’
[71]Zwoͤlfter Geſang.
Bebt’ in die Wolke nicht Tabor hinauf? Da kam Eleoa

Aus dem Dunkel einher, der Nacht des richtenden Vaters,

Schwebt’, und ſang ihm Triumphe! Da begann er zu ſterben!

Als ſie ſchwiegen, erſcholl die ſanfte Stimme der Klage:

Und geſtorben iſt er! er iſt geſtorben, ihr Engel!

Alſo ſangen ſie. Joſeph, und Nikodemus erhuben

Von der Erde den heiligen Leichnam, und trugen langſam

Jhn von Golgatha’s Hoͤh, der Laſt von Gott gewuͤrdigt.

Und aus einem der Choͤre geleitet’ ein Hall ſie hinunter:

Ach er hielt es nicht Raub, Gott gleichen! und dennoch, du Schoͤnſter

Unter den Menſchen und Engeln, erniederteſt du bis zum Tode

Dich, bis zum Tod’ am Kreuz! und Knechte ſuͤndiger Goͤtzen

Warfen um ſeine Gewande das Loos! Ach Eſſig und Galle

Gaben ſie ihm in ſeinem entflammten Durſte zu trinken,

Und vom bitteren Kelche des Spottes der Seele des Dulders!

Jetzo erhub ein flammendes Chor die Stimme gen Himmel:

Ach Jeruſalem, ach! … Weh dir, Jeruſalem! Wehe

Deinen Soͤhnen, Jeruſalem! Jene zu ſchreckliche Stimme,

Ach dein Rufen ums Blut des Mittlers, wie hat es der Feldherrn

Rufen, du Stadt des Todes, erhoͤrt! Wie haben die Adler

Sich verſammlet ums Aas! … Die Harfen entſanken den Vaͤtern,

Aber es rief die Poſaune fort das Rufen der Feldherrn.

Auch den Haͤnden des Manns, der Aarons Gott war, entſanken

Seine Saiten; allein, da Eloa’s Donnerpoſaune

Weh ausrief, entſchwebt’ er der Heiligen weinenden Choͤren,

Trat dann dicht bey dem Engel heran zu dem blutigen Leichnam.

Alſo ſang er, und alſo erſcholl die Poſaune des Seraphs:

E 4Lange
[72]Der Meſſias.
Lange wird Er mit euch, die dieſen Abel erwuͤrgten,

Siehe der Eine, der ewig iſt, rechten; Jhr Kain, ich kenn’ euch!

Weis, wo ihr ſeyd! Schrie gegen euch nicht zu mir in den Himmel

Eures Bruders Blut? Nicht um Rache rief mirs, es rief mir,

Bis in des Allerheiligſten innerſte Nacht, um Gnade!

Aber ihr wolltet nicht Gnade! … So wird die Stimme des Raͤchers,

Von dem hohen Golgatha bis in die unterſte Hoͤlle,

Viel Aeonen ertoͤnen! Nun waͤhlt, ihr Moͤrder des Mittlers,

Eure Wahl denn, und ſterbt! … Doch jetzo entſank die Poſaune

Selber Eloa, auch ſchwieg der Geſang des ernſten Propheten.

Und ſie ſahen dem Leichname nach. Jhn trugen die Frommen

Nieder zum Grabe, das gegen dem hohen Golgatha uͤber

Einſam unter alternden Baͤumen in Felſen gehaun lag.

Und ſie entwaͤlzten den deckenden Stein der Oeffnung des Grabes.

Joſephs Aug’ erkohr in ſeiner Tiefe die Staͤte

Fuͤr den Entſchlafnen, und alſo zerfloß des Traurenden Seele.

Endlich hat des Lebens, ach endlich des Todes Dulder,

Wo er ſein Haupt hinlege! Sie nahmen den heiligen Leichnam

Und ſie ſenkten ihn ſanft in die Tiefe des Grabes und wandten

Oft von dem liegenden Todten weg ihr weinendes Auge,

Bis ſie zuletzt den Felſen mit muͤdem Arm’ aufhuben,

Seine dumpfe Laſt in des Grabes Oeffnung ſinken

Ließen, und Nacht ausbreiteten uͤber den Leichnam des Mittlers.

Als die Nacht den Todten umgab, ertoͤnten die Choͤre

Seiner himmliſchen Leichengefaͤhrten. Sie ſahn in des Grabes

Nacht ſchon daͤmmern die Morgenroͤthe der Auferſtehung.

Selbſt
[73]Zwoͤlfter Geſang.
Selbſt du wurdeſt geſaͤ’t, doch entſproſſeſt du der Verweſung

Nicht! Kaum ſchatten dir, Sohn, die Todesſchatten, ſo regt ſich

Schon das neue Leben um dich! ſo rauſch’ts im Gefilde

Golgatha ſchon von Auferſtehung! am blutigen Altar

Laut von der Auferſtehung des Groͤßten unter den Todten!

Toͤnet, Poſaunen der erſten der Engel, der Erndter am Tage

Seines Lohns, der Himmelrufer, wenn nun an des Thrones

Strome die neuen Namen der Sieger melodiſch heraufwehn.

Toͤnet der nahenden Auferſtehung des Sohnes entgegen!

Liſpelt, Harfen, der ſchoͤnſten der Morgenroͤthen, dem Schimmer

Seines Erwachens, dem ſtrahlendem Schweben des Siegers entgegen!

Ach uns ſchlummert er nicht in der Nacht des Schreckens! Er ſchlummert

Uns in Palmenſchatten, der Ueberwinder des Todes!

Klaget, klaget ihm nach, ihr ſeine Geliebten, die ſterblich

Noch im Staube wandeln, ihr weint bald andere Thraͤnen,

Thraͤnen, wie wir nicht weinen koͤnnen, die euer Elend

Nicht empfanden, wie ihr, nicht weinten aus blutendem Herzen!

Stille verbreitete ſich um das Grab. Die Engel verlieſſens

Und die Menſchen. Es ſchwieg der Harfen Stimm und der Thraͤnen,

Mittler Gottes, um dich, der endlich am blutigen Altar

Ruhe fand, entriſſen den Leiden des Opfertodes.

Und Johannes wandte ſein Antlitz, und ſprach zu Maria:

Meine Mutter, nun deckt ihn die Nacht. Ach laß uns den Huͤgel

Nun verlaſſen. Jch will dich zu meiner Huͤtte geleiten.

Ganz aus ihrer Seele, die Seele der Mutter des Mittlers

War erhaben! mit truͤbem, und thraͤnenblutendem Auge

Sprach ſie, und endete ſo ihr langes Todtenverſtummen!

E 5Deine
[74]Der Meſſias.
Deine Mutter? … Entzuͤckung der Himmel kann es mir einſt ſeyn,

Ach daß Er der Gebende war! die letzte der Freuden

Auch nicht, o ſein Juͤnger, daß du der gegebne Sohn warſt:

Aber Jammer, und Tod, und Grab, und alles Entſetzen

Jſts, daß Er mein Sohn nicht mehr iſt! … Da verſtummte ſie wieder,

Und verhuͤllte ſich. Bleich, wie die jammervollſte der Muͤtter,

Fuͤhrte der Sohn am Todeshuͤgel ſie langſam hinunter.

Abgeſondert von andern, von dichten Palmen umgeben,

Und in dem Schatten des Tempels, gelehnt an Jeruſalems Mauer,

Lag ein unbekannt Haus, das Johannes, des goͤttlichen Lehrers

Lieblingsjuͤnger, bewohnte. Da bracht’ er vom Kreuze Maria

Traurend hinab. Er ſelbſt ſank faſt vor innigem Schmerz hin.

Wen er, indem ſie herab von dem Huͤgel ſtiegen, erblickte

Von den Zwoͤlfen, den Siebzigen, oder den heiligen Weibern,

Bat er zu ſeiner Mutter zu kommen, und waͤr es ihm moͤglich,

Jhr die tiefe Wunde zu heilen, die Wund’ in der Seele,

Zwar nicht ganz, das koͤnnte kein Menſch, das koͤnnte der Herr nur!

Gabriel kann es, nicht wir, wenn ihn noch Einmal vom Himmel

Gott, daß ſie ihn von neuem erhebe, der Leidenden ſendet,

Daß ſich freue von neuem ihr Geiſt, Gott ihres Erretters!

Bald verſammelten ſich in dieſem Hauſe die Juͤnger,

Und der Siebzige viel, und viele der heiligen Weiber.

An der Mauer hinab, gedeckt von dem forderſten Hauſe,

Zog ſich ein andres. Jn dieſem war der Saal der Verſammlung.

Ueber dem Saal erhub ſich der Soͤller, erreichte der Mauer

Hoͤh, und oͤffnet’ ein weites und reiches Gefilde dem Auge.

Singe
[75]Zwoͤlfter Geſang.
Singe, mein Lied, die Thraͤnen der Liebenden um den Geliebten,

Ach der traurenden Freundſchaft Klage. Wie Jſraels Wehmuth

Auf den blutigen Rock des Sohnes Rahel, Joſephs,

Joſephs floß, ſo flieſſe mein Lied voll Empfindung und Einfalt.

Langſam, weinend, mit ſchwerem Athem, erreichte Maria

Endlich die Huͤtt’ an dem Tempel, und trat in den Saal der Verſammlung,

Wo ſie den Heiligen, den ſie gebohren, und der jetzt todt war,

Oft vordem geſehen, und oft die Thraͤne der Freude

Weggewendet, und eingehuͤllt in den Schleyer ſich hatte.

Als ſie, wo er geſeſſen, und wo er himmliſch geſprochen,

Und geſegnet ſie hatte, die leeren Stellen, auf immer

Leer nun, erblickte, da weinte ſie laut, und ſank bey einer

Nieder, und neigte die Stirne darauf. So fand ſie Maria

Magdale liegen, und noch die Mutter der Zebedaͤiden.

Auch Nathanael kam, und fand ſie noch alſo, bis endlich

Sie es Magdale, und der Mutter Johannes erlaubte,

Sie in die Hoͤhe zu heben. Nun ſaß ſie verhuͤllt, wie am Kreuze:

Und mit ihr verſtummten die andern. Simon Petrus

Trat herein, und als er bey Jeſus die Mutter erblickte,

Weint’ er laut, und rief: Er iſt begraben! … Jch hoff’ es,

Ja, ich hoff’ es zu Gott, wir alle werden um ihn bald

Auch begraben liegen! Mir ſoll es Joſeph verheißen,

Soll es mit einem heiligen Eide gen Himmel mir ſchwoͤren,

Daß er neben ihn mich dicht an den Felſen des Todten

Legen will! … Und mich in den Felſen! ſagte Maria.

Hand in Hand, kam Simon der Kananit, und Matthaͤus,

Kam
[76]Der Meſſias.
Kam Philippus, und kam der Alphaͤide Jakobus;

Aber Lebbaͤus allein. Er wollte reden, doch ſetzt’ er

Sich in die dunkelſte Ferne des Saals, und verhuͤllte ſein Antlitz.

Und Jakobus der Zebedaͤide, der Sohn des Donners,

Trat herein, und erhub die Haͤnd’ und die Augen zum Himmel:

Todt! er iſt todt! und nichts iſt alle menſchliche Groͤße,

Auch die wirkliche ſelbſt, ſie, die zu glaͤnzen verachtet,

Und nur handelt, iſt nichts! … Denn uͤber ihn haben Verruchte,

Haben Tyrannen geſiegt! … So ſprach der Zebedaͤide,

Ging dann wieder hinaus, und kuͤhlte ſich unter den Palmen.

Bartholomaͤus, mit ihm der Bruder Simons, Andreas,

Kam, und Kleophas, und Matthias, und Semida kamen,

Alle troſtlos, und jammervoller, als jeder des andern

Schmerzen ſah. Die Lippe verſtummte, die Stimme des Weinens

Scholl nur dumpf im daͤmmernden Saal. Jhn hatte Maria

Magdalena mit einer truͤben Todtenlampe

Sparſam erhellt. So lag in verloͤſchendem Schimmer des Altars

Abel mit ſtummen Lippen, und ſeines Blutes Stimme

Jammerte nur. Jetzt kamen noch heilige Weiber, und trugen

Sterbetuͤcher, und trugen noch Salben fuͤr den Entſchlafnen.

Auch Unſterbliche ſchwebten herein, die Engel der Juͤnger

Und der andern Weinenden Engel. Allſehendes Auge,

Deins, deß Tod ſie beweinten, auch du, mitleidiges Auge,

Blickteſt in dieſe Verſammlung! … Und Magdale’s Engel erhebt ihr

Jhre Seele ſo weit aus ihrer Traurigkeit Abgrund,

Daß ſie zu klagen vermag. So klagte die Hoͤrerinn Jeſus:

Wie
[77]Zwoͤlfter Geſang.
Wie viel anders, wie ſehr viel anders iſt es mit uns nun,

Da er … Mutter, ſtirb du nicht auch, damit wir nicht vollends

Gar vergehn! … Nun empfind’ ich es erſt, nun lern’ ich es weinen,

Was der Bethlehemit einſt uͤber Jeruſalem weinte,

Ueber der einſamen Witwe, die Fuͤrſtinn unter den Heiden,

Und der Laͤnder Koͤniginn war! Wir waren geringe,

Lebten duͤrftig im Staub’, und dennoch waren wir gluͤcklich!

Denn er war ein goͤttlicher Mann, der todt iſt! … Allein jetzt

Ach was ſind wir geworden! geſtuͤrzt in welches Elend!

Und was werden wir ſeyn! Und welche Naͤchte voll Jammers

Werden wir weinen! O moͤchten der Jammernaͤchte nicht viel ſeyn!

Und die letzte des ewigen Schlafs bald kommen, des Schlummers

Jn dem beſſeren Lager, als unſer Lager voll Thraͤnen.

Unſere Feinde ſchweben empor, und ſpotten der Armen,

Die den goͤttlichen Mann verehrten in ihrer Einfalt.

Auch ſein ſpotteten ſie, und gaben, als er im Durſte

Rufte, nicht Galle nur ihm, ſie gaben die unterſten Hefen

Jhres Hohnes ihm auch in ſeinen Qualen! … O Richter!

Geuß auch ihnen, Vergelter! der Rache Taumelkelch voll!

Laß ſie bis zu den Hefen hinab ihn trinken, und ſterben!

Und ſie ſchwieg. Zu ihr ſprach Jeſus Mutter, und weinte,

Daß ſie vor innigem Schmerz die gebrochnen Worte kaum ausſprach:

Ueberlaß du es ganz dem Richter, o Magdale! … Rief denn

Nicht in ſeinem Blute mein Sohn von dem Kreuz herunter:

Vater, ſie wiſſen es nicht, was ſie thun; erbarme dich ihrer!

Und Bewundrung ergriff und unausſprechliche Wehmuth

Aller Herzen, ein Kampf der erhabenſten Freud’ und der truͤbſten

Bitterſten
[78]Der Meſſias.
Bitterſten Schmerzen; allein die Schmerzen ſiegten, und bald ward

Aller Seele von neuem zur Nacht! Jetzt ſagte Lebbaͤus:

Ja, erbarme dich ihrer, o Richter, und Vater! doch unſer,

Unſer erbarme dich auch! und laß uns ſterben! Was koͤnnen

Wir auf der Erde noch thun? Was ſind wir ohne den Todten?

Ach ſein Vater! er ſagt’ es uns einſt, in deinem Hauſe

Sind der Wohnungen viel! O laß nur an deines Hauſes

Schwellen uns liegen, und nicht in des Elends Huͤtten uns bleiben!

Keiner komm, und wag es, und wolle mich troͤſten. Jch kenne

Keinen Troſt, als allein den Tod! den lieb’ ich, und der kann

Nur mich troͤſten, der oft des Todes Namen mir ausſpricht.

Sieh, er iſt mir ein lieblicher Schall zu der Blumenzeit! iſt mir

Tempelgeſang! Mich gruͤße kein Gruß vom Leben! und unſer

Liebſtes Geſpraͤch ſey deren Hinuͤberwallen, die jetzt ſchon

Gluͤckliche ſind! ſey Grab, und Todtengeſang, und Erde

Niedergeſchuͤttet auf Erde! Wie leichte Wanderer laßt uns

Fertig ſtehn, den Stab in der Hand! Jch liebe nicht mich nur:

Ach ich liebe, wie mich, und ſegn’ euch mit eben dem Segen,

Wie der iſt, um welchen ich, meine Geliebten, euch flehte:

Sterbt! .. Und Kephas rufte: Sterben! ja ſterben! Jm Grab’ iſts

Nun gut ſeyn! Die Huͤtten laß uns, o Erbarmer, einander

Baun! … Kaum hatt’ ers geſagt, ſo trat der leidende Thomas

Auch herein. Sein wankender Fuß verweilt’ an der Schwelle.

Welcher Anblick drang in die Seele des Zoͤgernden: Menſchen

Fromm, wie wenige waren, und ſeine Freunde, verlaſſen

Von dem Helfer im Himmel, und von dem Helfer auf Erden,

Jeſus,
[79]Zwoͤlfter Geſang.
Jeſus, und mitten in dieſem Leiden verlaſſen! Ein Grabmaal

Wurd ihm der daͤmmernde Saal, ſie Todtenbilder, die weinend

Rings um ihn her verſtummten. Wenn ihr es noch ſeyd, die des Einzugs

Lautes Hoſanna vernahmen, was ſaͤumt ihr, wirklich zu ſterben?

Warum bleibt ihr ſo lang’ in dieſem Kampfe des Todes?

Jch, ich fuͤhle den nahenden Tod, und glaubte bey euch hier

Schon die gluͤcklicher waͤren, zu finden, einige, die wir

Auch begraben koͤnnten! Er iſt begraben, der lebend

Auf dem Meere ging, und Lazarus auferweckte!

Und, dort weineſt du ja, dich, Semida! Didymus hatt’ es

Kaum geſprochen, als er auf einen der Sitze dahin ſank.

Jetzo trat mit traurendem Ernſt in die ſtumme Verſammlung

Joſeph von Arimatha. Jhr Bruͤder Chriſtus, und meine,

Nikodemus, mein Freund, kam auch, und wartet zitternd,

Ob ihm hereinzutreten vergoͤnnt ſey? Er traͤgt … Ach Joſeph,

Beſter Mann, was traͤgt er? was traͤgt er, Joſeph? … Jch ſeh es,

Ja, ihr leidet zu viel! und ach was wuͤrdet ihr leiden!

Nein! er muß ſich wenden, und fliehn! … Was traͤgt er? was iſt es?

Joſeph, was traͤgt er? … Jhr danket mirs noch. Jch geh, und ich bitt’ ihn,

Daß er ſich wend’, und entflieh! Er bringt … die blutige Krone! …

Jammernd rufte die Mutter: Die blutige Krone! … Der Mutter

Lautes Rufen durchdrang der felſenſtarren Verſammlung

Mark und Gebein! Sie hatt’ es kaum gen Himmel gerufen,

Als … die Kron’ in der Hand … der Zeuge des Todten hereintrat.

Und ſie entriß ſich der Haltenden Arm, nahm bleicher den Schleyer

Von dem Geſicht, und deckte damit die toͤdtende Krone!

Rung die Haͤnd’, und wankt’, und ſtuͤrzte zur Erde. Sie hielten,

Wie
[80]Der Meſſias.
Wie ſie konnten, die Mutter, und ſanken mit ihr! … Verſtumme!

Denn du vermagſt nicht, o du der wehmuthtoͤnenden Harfe

Leiſeſter Laut, das erſte Stammeln der Mutter zu weinen,

Da ſie nun wieder emporgerichtet ſtand, und die Arme

Nach der Huͤlfe des Herrn ausbreitete! … Nieder vom Himmel

Blickt’ auf ſie der liebende Sohn, und bereitet’ ihr Wonne.

Aber die war ihr verborgen, und bleich, wie Sterbende, fuhr ſie

Alſo fort zu klagen: Noch Einmal ſie ſehen? warum! ach

Brachtet ihr ſie? Jch ſah ſie von ſeinem Blute ſtarrend

Lang’ um ſein Haupt! … Allein der im Himmel wohnt, hat furchtbar

Seinen Bogen auf mich geſpannt, und toͤdtlich Geſchoß drauf,

Weh mir Armen! gelegt! Jch bin ſein Ziel! zum Verderben

Richtet er zu den flammenden Pfeil. Jſt unter den Himmeln

Jrgendwo noch, gebahr noch Eine der Muͤtter, die ſterben

Einen Sohn ſah, welcher dem heiligen Todten am Kreuz glich?

Alſo jammerte ſie. Doch Lazarus Schweſter, Maria,

Lag zu ſterben. Es kuͤndeten ihr ſchon kaͤltere Schweiſſe,

Und in Arbeit ihr Herz, zu leben ſich muͤhend, den Tod an.

Ueber ſie ſenkte ſich ſchon der ſchwere Schlummer, der Fuͤhrer

Jenes ewigen Schlafs im Schooſſe der ſtummen Verweſung.

Jetzo erhub ſie noch aus den Tiefen, in die ſie der Schlummer

Niederdruͤckt’, ihr Haupt, und ſuchte mit truͤbem Blicke

Martha’s Auge voll muͤden Schmerzes. Das war zu Thraͤnen

Ueber dem langen Weinen vertrocknet. Die Sterbende ſagte:

Schweſter, ich ſchwieg; nun kann ich nicht mehr. Noch verlaſſen mich Alle,

Lazarus, und Nathanael ſelber! und ſieh, ich ſterbe!

Ach! ich lebte mit ihnen; und ohne ſie ſoll ich ſterben?

Klage
[81]Zwoͤlfter Geſang.
Klage die Treuen nicht an. Sie hat der goͤttliche Lehrer

Jrgend in eine der Wuͤſten gefuͤhrt, damit ſie es ſehen,

Wie er die Hungrigen ſpeiſt, und labt die Seele der Muͤden!

Klagt’ ich ſie an? Das wollt’ ich nicht, Martha. Ach! die ich liebe

Klagt’ ich ſie jemals in meinem Leben denn an? Jhr Geliebten,

Hab ichs gethan, ſo verzeiht mirs, und alle meine Gebrechen,

Die bekannt, und verborgen mir ſind! Ach, was ſich mir jetzt zeigt,

Huͤllet alles die Seele mir ein in Schwermuth! … Entreiſſe

Dieſer gruͤbelnden Aengſtlichkeit dich, mit der du dich quaͤleſt!

Koͤmmt die Nacht denn zuruͤck, die dein ſonſt heiteres Leben

Unterweilen mit Trauren umzog, zuruͤck im Tode?

Nenne die Fuͤhrung Gottes nicht Nacht! Jch beſchwoͤre bey dem dich,

Der uns richtet, der mich zu unſern Vaͤtern jetzt ſammelt,

Nenne ſeine Fuͤhrung nicht Nacht! Und, hab ich gelitten;

Hab ich der Freuden nicht viel auch gehabt? nicht Freunde, wie du biſt?

Nicht die Wonne der Engel erlebt, die Entzuͤckung der Himmel

Auf dem Wege zum Grabe, nicht Jeſus Chriſtus geſehen?

Seine Wunder geſehen? und ſeine Weisheit gehoͤret?

Laß mich danken fuͤr alle mein Elend! fuͤr alle die Ruhe,

Welche mir ward! fuͤr jeden Labetrunk, der im Durſte,

Jeden Schatten, der mich in der Hitze des Kummers erfriſchte!

Und vor allem, daß ich den Freund der Menſchen geſehen,

Jeſus, den Auferwecker der Todten! Martha, verlaß mich,

Geh, bereite das Grab! Wo Lazarus ſchlief, will ich ſchlafen!

Schlafen, wo Lazarus ſchlief! und auferſtehen, Maria,

Durch die Stimme des Todtenerweckers! … Du gluͤckliche Martha!

Welche ſuͤße Traͤume der Hoffnung! Bereite das Grab mir!

IIIBand. FGeh,
[82]Der Meſſias.
Geh, ich will allein ſeyn mit Gott! Zu des Heiligen Fuͤßen

Saß ich, da lehrt’ er mich: Eins iſt noth! Nun iſt es das Eine,

Daß ich allein ſey mit Gott! Den beſten Theil will ich jetzo

Auch erwaͤhlen! … Jch ſoll dich in deinem Tode verlaſſen?

Jch verlaſſe dich nicht, Maria! Sey ruhig, ich helfe

Dir nur leiblich. Du biſt mit Gott alleine, Maria!

Amen! Mit dir ſey Abrahams Gott, und Jſaks, und Jakobs!

Bleib denn! Es ſey mit mir, der alle Himmel erfuͤllet,

Der allmaͤchtig gebeut: Kommt wieder, Kinder von Adam!

Jeſu, Jeſu, und Abrahams Gott, und Jſaks, und Jakobs!

Alſo ſprach ſie, und flehte darauf in der Tiefe der Seele

Zu dem Suͤndevergeber: Erhoͤr, o erhoͤr, und gehe

Nicht ins Gericht mit mir Armen! Wer aller Lebenden koͤnnte,

Wollteſt du richten, vor dir beſtehn! Erſchaffe mir Ruhe,

Gott, im ſterbenden Herzen, und mache die Seele der Muͤden

Deines Heiles gewiß! Du Herr des Todes, verwirf mich

Nicht von deinem Antlitz! und troͤſte mich wieder, o Vater!

Troͤſte mich wieder! und dir erhalte dein freudiger Geiſt mich!

Du, der Hiob erhoͤrte, da er, von Jammer umgeben,

Strebt’, arbeitet’, und rang zu glauben, und dennoch nicht glaubte,

Daß du ihn, Vater, erhoͤrteſt, vernimm mein Flehen, und hilf mir!

Alſo betete ſie. Dann redte ſie wieder zu Martha.

Meynſt du, Martha, daß Jeſus fuͤr mich jetzt bete? du weiſt es,

Daß er weinte, da wir zu dem Grabe Lazarus kamen.

Sollt er ſich meiner nicht auch erbarmen? O ſage, du Theure,

Koͤnnen wir wohl, ohn’ Jhn, zu dem, der ihn ſendete, kommen?

Gnade durch Jhn zu empfahn, die Hoffnung labte mich, wenn mich

Jener
[83]Zwoͤlfter Geſang.
Jener Gedanke mit ſeinem Entſetzen ergriff: Verflucht ſey,

Wer nicht, was ich gebiete, das alles erfuͤllt! Ach, Gott redt!

Waͤre Nathanael nur, und Lazarus hier, die wuͤrden

Dir es ſagen. Jch weis nur das Eine gewiß, du Verlaßne:

Jeſus betet fuͤr dich! … Jch waͤre verlaſſen, Geliebte?

Und der allgegenwaͤrtige Herr des Lebens und Todes

Jſt um mich! und es betet fuͤr mich der Helfer in Juda!

Alſo ſprach ſie, und ſank in ſchwere Schlummer. Jhr Herz hing,

Aber zitternd, an Gott! Sie ſchlummern zu ſehen, erhub ſich

Martha, und ſtand bey dem Lager, und athmete kaum, nicht zu wecken

Die ſie herzlicher liebt’, als ſich ſelber! die nun zu den Vaͤtern

Hinging, fern von ihr weg, die Wege des finſtern Thales,

Und ſie allein ließ! Da die Wehmuth das Herz ihr durchſtroͤmte,

Stuͤrzt’ ihr eine Thraͤne die Wang’ herab; doch des Weinens

Stimme hielt ſie, und bald auch wieder den ſchnelleren Athem.

Alſo ſtand ſie verſtummt in daͤmmerndem Saale. Denn dichte,

Dunkle Huͤllen bedeckten der Nacht Gefaͤhrtinn, die Flamme,

Welche nun oft ſchon erſt mit dem Morgen erloſch. So findet

Jener gluͤckliche Wanderer, dem des Todes Erinnrung

Freud’ iſt, wenn er in ſchweigenden duͤrſtenden Wuͤſten die Kuͤhlung

Eines Felſen ereilt, er findet ein Grab in dem Felſen,

Ueber dem Grabe das Bild des liegenden Todten. Ein andrer

Starrender Marmor, der Freund, ſteht neben der Leiche. Die Hoͤle

Nimmt nur wenig truͤberen Tag in ihre Gewoͤlb auf.

Voll von deſſen Trauren, der ſtarb, und deſſen, der nachblieb,

Sieht ſie der Wanderet an. So fand dein Engel, Maria,

Martha bey dir, als er zu deinem Lager herantrat.

F 2Neben
[84]Der Meſſias.
Neben den Fuͤßen der Sterbenden, mit verloͤſchender Schoͤne,

Stand der himmliſche Juͤngling. Den Engeln iſt Schoͤne gegeben,

Die auf den Stufen der Geiſter die naͤchſten den Seelen der Menſchen

Stehen, und denen Herrlichkeit, deren erhabnere Stufen

Throne ſind. Doch gegen die Herrlichkeit deß, der zur Rechte

Seines Vaters ſtieg, iſt ihre Herrlichkeit Schatten.

O du, der in Triumph empor, in Triumph, in Triumphe,

Stieg in die Himmel der Himmel empor, und herrſchet, wo Gott herrſcht,

Mein Fuͤrbitter, laß mich, laß zahlloſe Schaaren Erloͤſte,

Meine Bruͤder den Tod der Gerechten ſterben! ſo moͤgen

Leiden uns noch, die letzten der Pruͤfungen, oder des Himmels

Vorempfindungen uns umgeben, laß, o Verſoͤhner,

Laß, Geopferter, nur den Tod der Gerechten uns ſterben!

Chebar ſtand zu den Fuͤßen der Bethanaitinn, und fuͤhlte

Seiner Schoͤnheit gluͤhende Schimmer in Daͤmmrung erloͤſchen.

Seinem Antlitz entfloh der roͤthliche Morgen, die Strahlen

Seinen Augen. Jhm ſanken wie Schatten die Fluͤgel herunter,

Ohne zu toͤnen, und ohne zu duften des ewigen Fruͤhlings

Suͤße Geruͤche, nicht mehr mit des Himmels Blaͤue beſtroͤmet,

Triefend nicht mehr von goldenen Tropfen. Jetzt nahm er vom Haupte

Seinen vordem weitglaͤnzenden Kranz, und hielt ihn vor Wehmuth

Kaum in der ſinkenden Hand. Er wußt es, er durft ihr nicht helfen,

Eher nicht, bis bey ihr, wenn ihr Herz im Tode nun braͤche,

Lazarus beten, und weinen der Juͤnger Elims, und Martha,

Und Nathanael weinen wuͤrden. Lazarus war noch

Mit den andern in Salem. Er trat zu der Mutter des Todten:

Siehe
[85]Zwoͤlfter Geſang.
Siehe ſchon naht ſich die Mitternacht, Maria, und als ich

Aus Bethania ging, ſchien meine Schweſter dem Tode

Nahe zu ſeyn. Ach wenn ſie nur nicht ſchon todt iſt! Jch gehe

Daß ich ſie todt ſeh, oder noch lebend. Hat ihr nur keiner

Golgatha’s bange Geſchichte geſagt; ſo kann ſie noch leben.

Wuͤßte ſie ſie, und lebte ſie noch, was wuͤrd ihr der Anblick

Eines der Juͤnger des Goͤttlichen ſeyn, welch Labſal im Tode!

Und Lebbaͤus erhub ſich: Jch gehe mit dir! Da umarmt’ ihn

Schnell Nathanael: Komm, du Geliebteſter unter den Lieben!

O wie dankt dir mein Herz! Jetzt ſtanden ſie fertig zu gehen

Von der Mutter des Todten. O ſeine Mutter, ich mag nicht,

Sagte Lazarus, jetzo den Namen nennen, den Engel

Nannten, denn ach! ſo oft wir ihn nennen, blutet dein Auge.

Er, der deine Thraͤnen geſehen, gezaͤhlet, der Vater

Deſſen, den ſie begruben, der, daß er ſtuͤrbe, gewollt hat,

Sey mit dir! mit dir ſey Gott! Du hoͤrteſt ihn beten:

Vater! in deine Haͤnde befehl’ ich meine Seele.

Deine Seele ſey auch in Gottes Haͤnde befohlen,

Aber lebe! Nun ging er mit Eile von ihr, und die beyden

Folgten mit eben der Schnelligkeit nach. Mit ernſtem Schweigen,

An der zitternden Hand der Ungewißheit geleitet,

Gingen ſie nebeneinander, und kamen zum Hauſe, des Grabes

Vorhof, wo die Sterbende war. Sie ſtanden mit Martha

Schon um ihr Lager, als nun Maria ihr Haupt aus dem Schlummer

Endlich erhub. Sie rief: O Dank dir, Geber des Lebens,

Und des Todes, ſie ſind gekommen, mit ihnen Lebbaͤus.

F 3Lazarus
[86]Der Meſſias.
Lazarus ſprach: Wie hat dir bisher, Maria, des Lebens

Und des Todes Geber geholfen? … Mit Gnade! Denn alles,

Was er thut, iſt Erbarmen; wie qualvoll uns es auch ſcheine!

Ach was hat mein Herz nicht gelitten! und ſiehe, nun ſterb ich!

Wo iſt Jeſus, mein Bruder? Er weis es gewiß, wie ich leide!

Hat er fuͤr mich gebetet? … Jch kenne dein Leiden, Maria,

Wenn es Nacht um dich wird; doch ſage, was leideſt du jetzo?

Nicht von jenem Bilde der fuͤrchterlichen Verweſung

Leid ich, noch von dem truͤben Gedanken, euch zu verlaſſen;

Ach ich leide, daß mir der Zweifel die blutende Seele

Jmmer tiefer verwundet: Ob der auf Horeb mein Gott ſey?

Ach mein Bruder, wie war dir, als du den Donner: Verflucht iſt;

Wer nicht alles erfuͤllt! im ſterbenden Herzen vernahmeſt?

Aber betete Jeſus fuͤr mich? Wenn fuͤr mich der Gerechte

Betete, ſiehe ſo geh ich gern hinab in das dunkle

Naͤchtliche Thal, zu dem ewigen Schlafe mich niederzulegen.

Huͤter! iſt ſie nun bald, die Nacht der Erde, voruͤber?

Jſt ſie nun bald, o Huͤter, voruͤber? Sie ſchweigen, Martha;

Auch Nathanael ſchweigt! Er hat fuͤr mich nicht gebetet!

Nun ſo gehe denn ganz durch meine Seele, hier bin ich,

Schwert des Herrn! Dein Wille geſcheh! dein Will’ iſt der beſte!

Hoch empor hub Lazarus ſeine gefalteten Haͤnde:

Wie ſich ihres Kindes ein Weib erbarmt, ſo erbarmſt du

Unſer dich, El Schaddai! und ob ſich ihres Kindes

Auch das Weib nicht erbarmt, ſo wirſt du dich dennoch erbarmen!

Du biſt Gott, du haſt uns in deine Haͤnde gezeichnet!

Lazarus
[87]Zwoͤlfter Geſang.
Lazarus weint’s. Da richtete ſie ihr geſunkenes Haupt auf:

Sage, mein himmliſcher Bruder, was geht von beyden nun mich an:

Jener Fluch von Sinai? oder die Liebe der Mutter?

Waͤr es die Liebe; Triumph, o Triumph, und Jubelgeſaͤnge,

Heiſſer herzlicher Dank dem Geber ewiger Gnaden,

Der ſich nicht, wie Menſchen, erbarmt, dem Erbarmer, der Gott iſt!

Aber wie kann ich es wiſſen, daß er mit der Liebe der Mutter

Mein ſich erbarmt? Ach rede doch: Hat das Gebet des Gerechten

Meinen Richter erweicht? und ſieht er, mit jener Erſchuͤttrung

Seines Jnnerſten, jener heftigen Wehmuth der Mutter,

Jenem Auge voll unausſprechlicher Unruh und Huͤlfe,

Nieder auf mich? Jch lieg’, und weine voll Jammers, und ringe

Meine Haͤnde gen Himmel, und rufe nach Rettung, und kenne,

Wer mir helfen wird, nicht, nicht die mich gebahr! … Erbarmer!

Flehte Nathanael, biſt du ihr Mutter, ſo laß dein Antlitz

Voll von unausſprechlicher Unruh und Huͤlfe ſie ſehen:

Herr, verbirg dich nicht laͤnger! … Erdulde ſie gerne die Leiden,

Lazarus ſprachs, die ſo nah an die großen Vollendungen graͤnzen.

Wuͤßteſt du, welcher Geduld und welcher Gottesergebung

Beyſpiel wir haben, und wem in die Himmel der Himmel wir nachſehn!

Auferſtanden bin ich, und wuͤnſchte mit dir zu entſchlummern,

Meine Schweſter! Wenn ſie mir rieſe die Stimme des Todes;

O ſie wuͤrde melodiſcher mir, wie des Tempels Geſang ſeyn

An dem dankendem Tage des großen Halleluja!

Freud’ ergreiſt mein Herz, und Entſetzen! Was iſt es, mein Bruder,

Das du ſagſt? … Hat es Gott nicht gethan? Jch will es ihr ſagen,

Meine Geliebten! Laßt uns die Wege des Herrn nicht verſchweigen,

F 4Auch
[88]Der Meſſias.
Auch wenn ſie fuͤrchterlich ſind! Maria, … der beſte der Menſchen,

Unſer goͤttliche Freund, der große Helfer in Elend,

Jeſus Chriſtus, der Suͤndevergeber, der Todtenerwecker,

Jſt mit Muth und Geduld der Engel … am Kreuze … geſtorben!

Jſt am Kreuze … ſo ſtammelte ſie erbebend, indem es

Nacht um ſie ward, am Kreuze … geſtorben? … Jhr Haupt ſank nieder;

Er, ihr Engel, geſtorben? … Jhr brachen die Augen … am Kreuze? …

Wirklich geſtorben? … Du der dieß zuließ, ich preiſ’, ich preiſe

Deinen herrlichen Namen fuͤr alle mein Leiden! und folge

Deinem Getoͤdteten nach! … Jhr erſtarrte die Zung’, und die Blaͤſſe

Und die Ruhe des Todes bedeckt’ ihr auf Einmal das Antlitz.

Lazarus legte die Hand in ihrer kalten Stirne

Todesſchweiß. So ſchlummre denn bald in Frieden hinuͤber

Zu den Todten Gottes, Vollendete deines Erbarmers!

Werde dem Tage des Lichts gebohren, dem ewigen Leben!

Sieh, es haͤnget an deinem Herzen mein Herz, doch laß ich

Deine Huͤtte dich gern abbrechen, und dich nach Canan

Hinziehn. Sey du ihr Stab im dunkeln Thale der Wuͤſte,

Huͤter Jſrael, bring ſie Selbſt in das Land der Erquickung,

Wo die Thraͤnen du all’ abtrockneſt, wo keine Klage

Keines Jammers Geſchrey den Dank der Jubel entweihet.

Erdenſonne, verloͤſch ihr, und letzter Schlummer des Todes,

Komm, und thu dich ihr ſanft, o Ruhſtatt ihres Gebeins, auf!

Nimm ſie, Verweſung, daß auch ihr Leib zu dem Leben erwachſe.

Saat, dich ſaͤet der Herr dem großen Tage der Erndte,

Wenn die Schnitter rufen, und wenn die Poſaunen erſchallen!

Wenn die Erd’, und das Meer mit lauteren Wehen gebaͤhren,

Als
[89]Zwoͤlfter Geſang.
Als einſt Eden gebahr! wenn oben, und unten die Himmel

Aller Himmel vom Preiſe des Einen, der richtet, ertoͤnen.

Und ſie wandte mit Himmelsgefuͤhl von Ruh und Errettung

Sich nach Lazarus um, und ſah den freudigen Bruder

Freudiger an, indem er den Segen zum ewigen Leben

Jhr mit Worten im Strome, mit ſuͤßen Entzuͤckungen zurief.

Chebar ſah den ſiegenden Tod in der Sterbenden wuͤten,

Und erbebte vor Wonne ſo laut, daß liſpelndes Saͤuſeln

Wie aus tiefer Ferne von ſeinen Fluͤgeln wehte.

Und ſie vernahmens umher, und wußten nicht, was ſie vernahmen.

Aber der Seraph ergriff das ſeelenvolle Gewebe

Seiner Saiten, und noch in den ſuͤßen Qualen der Freude,

Jrrt’ er mit wankender Hand die ſtrahlenden Saiten herunter.

Und die Sterbende hoͤret etwas, als toͤn’ es vom Himmel;

Und ſie richtet ſich feyerlich auf, und hoͤrt in die Hoͤhe.

Lazarus hielt ſie, mit ihm Nathanael. Aber der Seraph

Bebte nicht mehr, und entlockte der ſanfterſchuͤtternden Harfe

Unausſprechliche Toͤne. Von Gottes hoͤherem Frieden

Sang ein Laut dem anderen Laute, der leiſer es nachſang.

Amen er iſt viel hoͤher! … Und in der Hoͤrerinn Seele

Wachten Empfindungen auf, wie ſie noch niemals empfunden,

Neue große Gedanken, wie aus dem Staube, zum Leben.

Alſo war es einſt dir, du Seher der Auferſtehung,

Da es ſich regt’ um dich her, und es rauſcht’ und die Todten erwachten.

Und des Unſterblichen Harfe die Himmelsruferinn toͤnte

Jmmer noch fort, und goß in die faſt entkoͤrperte Seele

Eine Ruhe, die keiner empfaͤht, wer ins Leben zuruͤckkehrt;

F 5Wenn
[90]Der Meſſias.
Wenn auch, wie es ihm daucht, ſchon uͤber ihm ſchallen die dumpfen,

Losgeſchaufelten, niedergeſchmetterten Erdeklumpen,

Und der Todtengeſang! Die Himmelsruferinn toͤnte

Jmmer noch fort, jetzt lauter, und nun noch lauter, als rauſchten

Stuͤrme mit ihr, wenn ſie toͤnt’, als ſaͤnken dahin vor ihr Berge.

Denn der Unſterbliche, hingeriſſen von ſeiner Begeiſtrung,

Sang jetzt in der Harfe gefluͤgelten Ungeſtuͤm: Heilig,

Heilig, heilig iſt er, der uͤber der Schaͤdelſtaͤte

Blutete, bis die Suͤnde der Todeserben verſoͤhnt war!

Faſt ſchon Leichnam, vermochte die Sterbende nicht die Entzuͤckung,

Die in ihr brechendes Herz die Stimme des Himmliſchen ſtroͤmte,

Auszuhalten. Sie ſtarb … Nicht lange, ſo ſank ihr Bruder

Neben ihr nieder und nahm die kalte Hand der Todten

Zwiſchen ſeine gefalteten Haͤnde, trocknete muthig

Seine Thraͤnen, und betete: Preis dem Geber des Lebens

Durch den errettenden Tod, Anbetung dem goͤttlichen Geber!

Siehe, du biſt in den Huͤtten des Friedens, doch deine Seele

Bleibt nicht immer allein! Auch dieß Verwesliche wird ſich

Einſt in Unverweslichkeit wandeln, die Blume, die hinſank,

Schnell im Sturme gebrochen, wie herrlich wird ſie erwachſen,

Jenen feſtlichen Fruͤhlingsmorgen der Auferſtehung!

Tragt ſie hinaus, den heiligen Staub zu dem Staube der Erde …

Tragt ſie noch nicht hinaus, daß wir mit frommem Erſtaunen

Noch betrachten, die fiel dem Donner des Todes, und aufſtehn

Wird dem lauterem Hall der Auferſtehungspoſaune.

Sieh’ er wartet, und laͤßt Jahrhunderte reifen, und wird noch

Andre
[91]Zwoͤlfter Geſang.
Andre Jahrhunderte reifen laſſen! Alles iſt Wunder

Jn des Ewigen tiefem Entwurf, ſtets neues Erſtaunen.

Wenn ich ſeine Wege betrachte, ſo ſind ſie alle

Dunkel vor mir, doch daͤmmert es drinn, und ich weine vor Freude,

Wenn, die Verkuͤndigerinn des Morgens, die Daͤmmrung mich leitet.

Jhr iſt es Morgen geworden! Sey mir noch Einmal geſegnet,

Wenn du mich hoͤreſt, und wenn, wer unten am Grabe noch weilet,

Dich zu ſegnen vermag, du Hoͤrerinn deſſen, der uns nun,

Nicht den Engeln, verſtummt, dich ſegn’ er der goͤttliche Todte!

Sieh’ es hatte ſie ſchon der goͤttliche Todte geſegnet.

Als jetzt werdend der himmliſche Leib um die Seele Maria

Noch arbeitete, ganz noch nicht zu Lichte gereift war,

Als er unter der maͤchtigen Hand der bildenden Schoͤpfung

Zittert’, und ſchwebt’, und ſank, und ſich ſchwung, ganz him̃liſch zu werden,

Dachte von dieſer Wonne Stroͤmen umringet, die Seele

An den Leichnam, den ſie zuruͤckgelaſſen, und daß ſie

Von dem Staube der Erde getrennt ſey, und ſeinen Laſten.

Dieß war ihr erſtes Gefuͤhl; ihr zweytes, als ſie vollendet

Sich empor in die Wolken hub, ein maͤchtig Bewußtſeyn

Jhrer Seligkeit … Tod! du Schlummer, du Segen der Segen!

Du! … Jſts moͤglich, ihr Engel, ihr Himmelserben, iſts moͤglich,

Jch bin ſelig? Sie riefs mit feſtgefalteten Haͤnden,

Und verſtummt’, und ſchwebte nicht mehr, dann ſchwung ſie ſich wieder,

Daß ſie ſchimmert’, und rief: Jhr Erſtgebohrnen der Wonne,

Soͤhne des ewigen Lichts, ihr Heiligen Gottes, iſts moͤglich,

Selig bin ich? … O du, deß alles, was ich vordem litt,

Suͤße
[92]Der Meſſias.
Suͤße Vergeſſenheit komm, geuß deiner Ruhen Gefuͤhle,

Deine Seligkeit uͤber mich aus! Komm nicht! Denn Entzuͤckung

Jſts, zu vergleichen, die Leiden des erſten geflohenen Lebens,

Mit dem ewigen Troſte, mit dieſer Fuͤlle der Ruhe!

Die Gluͤckſeligkeit fehlt euch, ihr Ungefallnen, zu meſſen,

Gegen die Wonne des ewigen Lebens, das Elend der Suͤnde!

Euer iſt nur des Mitleids Antheil; aber ihr weintet

Jene Thraͤnen nicht, die von unſern Wangen jetzt trocknet

Jeſus, der Gott der Liebe! Prophetiſch Gefuͤhl, das mich oftmals

Jn dem tiefften Kummer ergriff: Jch wuͤrde noch danken!

Schnell mich ergriff, und Hoffnung im Himmel der Himmel mir zeigte,

Danken fuͤrs Elend, fuͤr alle mein Leiden wuͤrd ich noch danken!

Siehe, nun wirſt du erfuͤllt! Aus meinen Tagen ward Abend,

Wieder Abend, und wieder, und dann der Letzte des Letzten,

Dann die Nacht des Todes! Wie eilend ging ſie voruͤber!

Und ach nun der Morgen des Lebens, zu dem ich erwacht bin!

Traum, der mit Weinen begann, und ſchloß mit dem Weinen des Todes!

Traum des Lebens, nun biſt du getraͤumt, und ich bin erwachet!

Werde noch Einmal erwachen, wenn Unverweslichkeit anzieht

Mein verweſender Leib, und werther des goͤttlichen Hauches

Dieſer Seele, die ewig iſt, ſtrahlt, wie der Leib des Erweckers,

Der auch ſtarb, begraben wird werden, und auferſtehen!

Und die Vollendete ſchwebt’ empor, ein Morgenſchimmer

Leichter, wie Luͤfte, geſchwinder, als Winde, ſchnell wie Gedanken;

Hoͤrte die Schoͤpfung wandeln von lauterem Jubel begleitet;

Sahe ſie viel weiter eroͤffnet, aber unendlich.

Welche
[93]Zwoͤlfter Geſang.
Welche Leben waren in ihr erſchaffen! wie ſtieg ſie! Nicht Eine,

Tauſend Stufen, bin ich zum Weſen der Weſen erhoben!

Werd’ ich einſt an dem Tage der Tage verklaͤret, dieß weißagt

Mir mein Gefuͤhl, dann werd ich noch uͤber Tauſend mich ſchwingen!

Werd’ ich, in der Huͤlle mir dann viel ſchoͤnere Welten,

Werd’ ich, ohne der Welten Huͤlle, den Ewigen ſchauen!

Lazarus, reich an großen Todesgedanken, ereilte

Bald die Huͤtte wieder, in der die Heiligen weinten.

Als er ihr ſich nahet’, umarmt’ ihn einer der Siebzig,

Und erzaͤhlt’ ihm mit Flammenworten, wie wunderbar Gott ſey.

Siehe, mein Ohr vernahms nicht, es hats mein Auge geſehen!

Lazarus kam ein ſanftes Geraͤuſch des Weinens entgegen

Durch den daͤmmernden Saal. Jhm rannen nur Thraͤnen des Mitleids.

Gott der Goͤtter! (er hub die Hand, und das Auge gen Himmel,)

Lohn’s ihm ferner, wie du es ihm zu lohnen beginneſt,

Daß er, weil du es wollteſt, hinab bis zum Tode des Kreuzes

Jſt gegangen! Was decket der Schleyer die Krone des Todten?

Laßt mich, ich will ſie ſehen in ihrem Blute! Der Engel

Kronen leuchten, ich kenn’ ihr fernes Schimmern, des Todten

Blutige Kron’ iſt mir viel mehr! Denn lohnt es nicht Gott ihm

Wunderbarer, als wir, als du es wagteſt zu hoffen,

Seine Mutter? Erhebe dein Antlitz aus dieſes Jammers

Abgrund, Mutter des goͤttlichen Manns, und hoͤre. Die Erde

Bebte, da er entſchlief, dich hat ihr Beben erſchuͤttert!

Nacht, du haſt ihr Schrecken geſehn! umhuͤllte die Erde!

Aber noch weißt du nicht ganz, wie der im Himmel von ihm zeugt.

Sieh, in des Tempels Vorhof flammte das Abendopfer;

Furchtbar
[94]Der Meſſias.
Furchtbar wehte die Flamm’ in der Nacht, die Maria bedeckte.

Bey den Altaͤren ſtanden die Opferer, ſchaurten vom Schrecken

Dieſer Nacht, und blickten hinein durch des Heiligen Thore

Nach dem Allerheiligſten. Prieſter knieten im Tempel,

Dankten dem Raͤcher, daß nun am Kreuze der Leidende blute!

Wagtens, bey dieſem Dank, ihr gluͤhendes Auge zu wenden

Nach dem Allerheiligſten! Da, da raͤchte der Raͤcher!

Denn, von dem hohen Gewoͤlbe, bis hin zu dem liegenden Saume,

Riß des Allerheiligſten Vorhang! Schrecken des Todes

Stuͤrzten die Betenden tiefer, und ſpaͤt erſt konnten ſie fliehen.

Denn mit gewaltigem Arm ergreift ſie Entſetzen, Entſetzen

Folgt den Verſtummten nach, da ſie endlich dem Tod’ entrinnen!

O des Troſtes vom Himmel, daß der des Todten gedenket,

Der, da am Kreuz’ er ſtarb, in Nacht die Erde verhuͤllte,

Beben hieß die Felſen, und Augen der Sterblichen aufthat

Seiner furchtbaren Herrlichkeit Staͤte … Die Hoͤrenden ſchwiegen

Voll Erſtaunen, allein nur wenig lindernde Troͤſtung

Drang in ihre Seele. Sie waren zu tief verwundet!

Alſo ſieht, wer ſchwindelnd herab an der hangenden Klippe

Wandelt, im bluͤhenden Thal die Schoͤne des heiteren Tags nicht.

Durch den helleren Wald verbreitet ſein Schimmer umſonſt ſich,

Wallet umſonſt mit dem Strome dahin. Des fuͤrchtenden Wandrers

Aug’ iſt rings um ihn her des Fruͤhlings Wonne verſchwunden.

Lazarus ſah ihr unentwoͤlktes Leiden, und ſagte:

Troͤſtet euchs nicht, daß Gott von dem Todten durch Wunder zeuget;

O ſo ſey es euch Troſt, es ſey euch Labſal in Durſte,

Schatten gegen den brennenden Strahl, daß die zu dem Todten

Hinging,
[95]Zwoͤlfter Geſang.
Hinging, die ihr liebtet, und die der Goͤttliche lehrte,

Daß Maria nicht mehr mit euch weint. Jhm nahte mit Eile

Magdale ſich, und ſah ihn mit thraͤnenloſem Aug’ an,

Gluͤcklicher jetzt, als folgte ſie ſchon der entſchlafenen Freundinn:

Ach du redeteſt Worte der Engel mit uns! Ja in Durſte,

Lazarus! gegen den brennenden Strahl! So wehet die Kuͤhlung

An der Quelle! Sie iſt hinuͤber zu Chriſtus gegangen

Deine himmliſche Schweſter? O haſt du der Worte der Engel

Keine mehr? nicht Weißagungen von unſerem Tode?

Siehe, du wandelteſt ja einſt unter den Todten; vernahmſt du

Nicht von deinen Freunden, ob ſie gewuͤrdiget werden,

Bald zu ihnen zu kommen? O red’, und verbirg es nicht laͤnger,

Wenn du es weißt, ob uns Verlaßnen dieß Wonneloos fiel?

Chriſtus Mutter! er ſchweigt! So laß denn, Richter im Himmel,

Weil wir leben muͤſſen, o furchtbarer Richter im Himmel!

Uns es erleben, daß die den Unſchuldsvollen erwuͤrgten,

Jmmer tiefer ſtuͤrzen, und niemals, niemals entfliehen!

Daß ſie Entſetzen ergreife mit eiſernem Arm, Entſetzen

Sie umringe, wenn nun mit dem Taumelkelche der Rache

Gott kommt, und, bis zum Hefen hinab, ſie ihn trinken, und ſterben!

Jetzo hatte ſich ſchon die Mitternacht auf die Erde

Niedergeſenkt. Den jammerbelaſteten Freunden des Mittlers

Sank ſie mit Schatten des Todes, und Graun der Graͤber herunter,

Ach einſt ihnen ſchoͤner, als Fruͤhlingstage, wenn Chriſtus

Sie durchwacht’ in Gebet, und ſchrecklicher jetzo, wie jemals,

Weil
[96]Der Meſſias.
Weil die Himmelsſtimme des goͤttlichen Beters verſtummt war.

Nach und nach verlor ſich der Klage Laut, und der Thraͤne

Linderung floß nicht mehr. Die furchtbare Kaͤlte des Leidens

Lag auf ihrer Seele, wie unbewegliche Felſen.

Und die Engel ſtanden um ſie in truͤberem Glanze

Mitleidsvoll, und ſahns, wie Chriſtus Begnadete litten.

Salem, Johannes Engel, und Selith, der Engel Maria’s

Sprachen alſo unter einander: Wir wiſſen, o Salem,

Daß es herrlich endigen wird, und dennoch, mein Bruder,

Leiden wir faſt, wie ſie! … Wie ſie? Sehr vieles empfinden

Wir den Armen nicht nach. Wir koͤnnen, wie ſie, nicht leiden!

Sie ſind Menſchen, und wiſſen es nicht, mein himmliſcher Bruder,

Daß es herrlich endigen wird! Statt dieſes Ausgangs

Aus den Labyrinthen, der ihnen taͤuſchender Traum waͤr,

Wenn du auch von den Strahlen des Himmels glaͤnzend, ihn zeigteſt,

Sehen ſie immer des Jammers mehr, in der Labyrinthe

Dunkleren Pfaden … Jch ſchwindl’ an den Tiefen, in die ſie hinabſehn!

Und ich blicke mit Ruh in die Tiefen des goͤttlichen Rathes:

Ach das Mitleid ſchmelzt dich zu ſehr. Nun geſteh ich, du litteſt,

Selith, wie ſie. Denn nur von Leiden der Menſchen durchdrungen,

Konnteſt du denken, wie Menſchen denken! voll ihrer Leiden,

Nur vergeſſen, es ſey der Zweck des goͤttlichen Rathes,

Sie durch Elend zu beſſern, und ſeliger ſie zu machen,

Als ſie zu ſeyn vermoͤchten, wenn ihre Seele des Elends

Kelch nie haͤtte getrunken, und wenn, zu der Zeit der Erquickung,

Da von den Stroͤmen des Lebens umſonſt die Gluͤcklichen trinken,

Sie zuruͤck an den bittern Kelch dort unten nicht daͤchten!

Himm-
[97]Zwoͤlfter Geſang.
Himmliſcher Freund, der Schmerz, der die Seele der Mutter zerreiſſet,

Hat zu ſehr mich umwoͤlkt. Verzeih es, Salem, es war ja

Chriſtus Mutter, und unter dem Kreuze ſah ich ſie leiden!

Breitete nur wohlthaͤtiger Schlummer ſich uͤber ihr Haupt aus;

O ſo wollt’ ich mit heiteren Traͤumen die Seel’ ihr umſchweben,

Und den bang aufſchreckenden Anfall neuer Leiden,

Ach den Jammer der Schuellerwachten, durch die Erinnrung

Dieſer Traͤume, beſaͤnftigen. Aber Ruhe vom Elend

Kommt auf ſie nicht! Ach der Erquickung, dem himmliſchen Labſal

Gottes wird ſie, ſie denket dem Tod’, entgegen wachen!

Als ſie ſo mit einander ſich unterredeten, goß ſich

Kurzer Schlaf auf den Thraͤnenblick Johannes, und Salem

Schwebte mit Eil’ herzu; und ſchon entflammet des Juͤngers

Lautes Herz ein Traum mit neuem Lebensgefuͤhle.

Libanon wars, auf Libanon, unter rauſchenden Cedern,

Ging er, als floͤg’ er Fluͤge daher. Der Morgen mit Purpur,

Keinen ſah er erwachen wie den, und mit Golde bekleidet,

Schimmerte durch die Wipfel des thauenden Haines. Die Baͤche

Toͤnten ins Thal, wie Tempelgeſang. Bald toͤnten ihm lauter,

Viel entzuͤckender noch, beſeelte Harfen, und Stimmen

Unter den Harfen, die ſangen: O Sohn der himmliſchen Mutter!

Trockn’, o Sohn der himmliſchen Mutter, die Thraͤne der Wehmuth.

Aber ihm deucht es, als ob er dennoch die Thraͤne nicht trockne.

Dieſes Gefuͤhl vermochte noch nicht des maͤchtigen Seraphs

Traum zu tilgen. So floß auch im Schlafe der bittere Quell noch.

Und der roͤthliche leuchtende Morgen bewoͤlkte den Schimmer,

Und in unabhoͤrbarer Fern’ erſtarb der Harfe

IIIBand. GTon,
[98]Der Meſſias. Zwoͤlfter Geſang.
Ton, erſtarb der Ton der himmliſchen Stimmen. Doch fuͤhrt’ ihn

Eine ſchneller noch, wie zuerſt er eilt’, in dem Hain fort.

Denn der Unſterbliche ſtrebt’, und ließ nicht ab. Und der Juͤnger

Sahe, da hauten Maͤnner, mit gluͤhender Wut in dem Blicke,

Eine der Cedern um, daß dumpf von ihrem Umſturz

Libanon ſcholl! Sie hauten die Ceder zum Kreuze. Das hub ſich,

Schattete furchtbar! allein auf Einmal entſproſten dem Kreuze

Palmen! Da war der Juͤnger nicht mehr in Libanons Haine.

Ach, er war in Eden, und ſah von dem Himmel glaͤnzen

Mehr, als Purpur und Gold, und vernahm erhabnere Choͤre;

Und ihm ſchlug ſein Herz vom vollem Gefuͤhle der Wonne.


Der
[[99]]

Der
Meſſias.
Dreyzehnter Geſang
.


G 2
[[100]]

Jnhalt
des dreyzehnten Geſanges
.


Gabriel verſammelt die Engel, und die Auferſtandnen um das Grab.
Sie erwarten, unter Anbetungen, die Auferſtehung des Meſſias.
Die Zweifel eines roͤmiſchen Hauptmanns, Cneus, der die Wache
beym Grabe hat. Die Seele Mariens, der Schweſter Lazarus, kommt
in die Verſammlung der Heiligen. Der Todesengel Obaddon ruft
Satan, und Adramelech aus dem todten Meere hervor, und gebietet
ihnen, entweder jetzt zur Hoͤlle zu fliehn, oder zum Grabe zu kommen.
Satan entſchließt ſich zu dieſem, und Adramelech zu jenem. Adrame-
lech darf ſeinen geaͤnderten Entſchluß nicht ausfuͤhren. Der Todes-
engel uͤberlaͤßt es Abbadona, ob er zum Grabe kommen will, oder
nicht. Die Herrlichkeit des Meſſias naht ſich vom Himmel. Adam
betet ihn an, nach ihm Eva. Der Meſſias ſteht vom Tode auf.
Engel, und Auferſtandne rufen ihm ihre Freude zu. Thirza’s Soͤhne,
die ſieben Maͤrtyrer, ſingen ihm ein Triumphlied. Einige der Heiligen
ſchweben zu ihm aus den Wolken herab. Zuletzt rufen ihm Abraham,
und Adam zu. Die Seele eines Heiden wird vor ihn gebracht. Er
richtet den Todten, und verſchwindet. Gabriel gebietet Satan, zur
Hoͤlle zu fliehn. Einige Roͤmer von der Wache, auch Cneus kommen
in die Verſammlung der Prieſter. Philo bringt ſich um.
Obaddon begegnet ſeiner Seele in Gehenna,
und fuͤhrt ſie zur Hoͤlle.


[[101]]

Der Meſſias.
Dreyzehnter Geſang
.



Jeſus Vaͤter freueten ſich der Auferſtehung

Jn der Graͤber Gefilde, wo ſie vor kurzem noch ſchliefen.

Aber die Engel umwallten die Erde, die Menſchen zu ſehen,

Die der Verſoͤhner dem Schoͤpfer von neuem geheiliget hatte.

Ach, die Freude der Zeugen verdrang oft Wehmut; eilend

Schwangen ſie oft die Purpurfluͤgel, daß ihnen der Erde

Luͤfte, wie Staub, den vom Fuß der Bote ſchuͤttelt, entwehten.

Gabriel war noch am Grab’: auf einer der Sonnen, von denen,

Die den Himmel umgeben, Eloa. Dort wartet’ Eloa,

Daß herunter ſtiege die Herrlichkeit Jeſus. Des Grabes

Engel ſchwebt’ in die Schoͤpfung empor, der Auferſtehung

Himmliſches Zeichen zu ſehn. Auf einen der Orionen

G 3Hatt’
[102]Der Meſſias.
Hatt’ er lange ſein Auge geheftet. Jetzt geht der Orion

Flammend bey einem andern in einer Wendung voruͤber,

Deren Anblick auf Einmal das Auge des wartenden Seraphs

Stꝛalendeꝛ macht Schon wandt’ er ſich. Stuꝛm waꝛ ſein Schweben u. Blitze

Seine Schwuͤnge! Der Seraph eilt zu den Graͤbern, und rufet,

Gleich dem Wetter, vor dem der niedergeſchmetterte Wald dampft:

Kommt zu dem Grabe! Da eilten die Engel herzu, und die Vaͤter.

Und der lange Triumph umringte das Grab des Groͤßten

Unter den Todten. Gabriel ſaß in der Mitte des Kreiſes

Auf dem Grab’, als ſaͤß er auf einer goldenen Wolke,

Die vollendete Seelen ins Leben der Ewigkeit truͤge.

Aber der Todesengel, der Jeſus im Namen Jehova

Seinen nahenden Tod verkuͤndiget hatte, ſchwebt’ itzt

Langſam hin zu dem Grab’, und ſank in Gabriels Arme:

Nacht noch iſt es rings um mich Nacht! noch bebt mir die Erde!

Dunkler, als alle Finſterniß, iſt noch der Huͤgel des Todes!

Niemals haben meiner Unſterblichkeit Kraͤfte Gerichten,

Die Jehova mir gab, erlegen! dem letzten erlag ich!

Und erlieg’ ihm! Staͤrke mich wieder, du Strahl der Allmacht,

Der, aus dieſem Grabe nun bald zu leuchten, der Rechte,

Gottes enteilt. Der Unſterbliche ſprachs, und lehnte mit Staunen

Sich an den Felſen, in dem des Geopferten Leichnam ruhte.

Aber die Vaͤter und Seraphim fragten einander, und ſprachen:

Wird die Sonne mit ihm erwachen? der ſichtbare Fruͤhling

Dann ein Schatten der Herrlichkeit ſeyn, womit er hervorgeht?

Oder wird noch gewandt von der Sonne Schimmer die Erde

Schlummern, indem der Todte, der ewig lebet, hervorgeht?

Wird,
[103]Dreyzehnter Geſang.
Wird, vor dem Herrlichen, Staub ſein Grab, und ein Spiel der Luft ſeyn

Jener hangende Fels, von dem Angeſichte der Erde

Weggewehet, indem ſein Haupt der Sieger emporhebt?

Werden wir ſeiner Herrlichkeit Glanz zu ertragen vermoͤgen?

Ach, kaum fafſet mein Herz den Gedanken des ſuͤßen Verlangens,

Abraham riefs, den himmelvollen, den Wonnegedanken:

Jch, ich ſelber, werde das ſehn! kein Fremder, ich ſelber,

Daß der Geopferte Gottes, ein Ueberwinder des Todes,

Jenes Todes, den Er geſtorben! ins Leben heraufſteigt!

Halleluja! das werd ich ſehn! Er riefs, und der Mond ging

Wieder hervor. Nicht lange, ſo deckten ihn truͤbende Wolken.

Hundert ermuͤdete Wanderer, Maͤnner, und Muͤtter, und Kinder

Kamen. Sie gingen gefuͤhrt von dem Monde ſchneller, er nun ſchon

Wieder langſam, und waren jetzt in der Heiligen Kreiſe.

Schrecken ergriff ſie auf Einmal. Sie wußten nicht, was ſie erſchreckte,

Aber ſie flohn. Ein rufendes Kind verirrte ſich. Eilend

Trat ein Engel herzu, und brachte den bebenden Knaben

Seiner Mutter. Sie wollte dem lieben treuen Gefaͤhrten

Danken; allein er war in die Nacht hinuͤber gegangen.

Nahe bey David hatte der Engel geſtanden. Er kam jetzt

Zu dem Geliebten zuruͤck, und David ſprach zu dem Engel:

Alſo fuͤhrt, der bald nun erſtehn, und die Voͤlker der Erde

Sich verſammeln wird, durch das erſte Leben die Menſchen!

Ach, wie freuet ſich meine Seele des Herrn! und wie werd ich

Seiner mich freun, wenn er aus dem Felſen des Schlummers erwacht iſt!

Jhr, vollendete Fromme, doch deren Leiber noch Staub ſind,

Und ihr Frommen, die nie der Verweſung Schrecken durchbebte,

G 4Jhr
[104]Der Meſſias.
Jhr vermoͤgt nicht der Auferſtehung unnennbare Freuden

Ganz uns nachzuempfinden! Wie wird ſie Jeſus empfinden,

Er, des Ewigen Sohn, der ſeiner Sterblichkeit Leiden,

Und des Todes Furchtbarkeit mehr, wie die Menſchen, gefuͤhlt hat!

Aſſaph! er eilt’ in Aſſaphs Umarmung, des Kreuzes, des Todes

Goͤttlicher Dulder, er wird nun bald, mein Bruder, erwachen!

Und er blickte mit inniger Wonne nach ſeines Erloͤſers

Grabe. So blickt ein noch ſterblicher Frommer ſehnlich gen Himmel,

Wuͤrdiget ihn der Eine, der richtet, deß zu erinnern,

Jenes ewigſtroͤmenden Urquels ewiger Wonne,

Daß Er, bis zu dem Tode gehorſam, die Seinen geliebt hat,

Bis zu dem Tod’ am Kreuz! Und Aſſaph ſah den Propheten,

Ward von Seligkeit trunken, wie er. Die Schimmer im Antlitz

Davids wurden, ſo freut’ er ſich! Glanz, die Bewegung, der Athem

Harmonieen! Er ſchwebt’ und erklang! Nun beſeelt’ er die Harfe,

Wort’ erſchollen noch nicht; doch ergoß die goldene Harfe

Jubel! Allein nun ergriff ihn der himmliſchen Pſalmen Begeiſtrung

Ganz! Ein Strom ertoͤnte der Saite Geſang und der Stimme:

Alſo ſieht der Seher der Offenbarung auf Sion

Einſt in dem Himmel ein Lamm mit ſchimmernden Wunden bedeckt ſtehn,

Und mit ſchoͤnem Blute des Heils. Dann ſtehn um den Huͤgel

Zahlloſe feyrende Schaaren, ſie Alle Verſoͤhnte! die haben

Hell an ihrer Stirne des Vaters Namen geſchrieben.

Und wie Meere, wie Stimmen der Donner, erklingen die Harfen

Jn der beſeelenden Hand der feyrenden Schaaren um Sion!

Denn, dem Sohne, ſie ſingen dem Sohne! denn ewiges Leben

Stroͤmt von den ſchimmernden Wunden des Lamms in die Seelen herunter.

Alſo
[105]Dreyzehnter Geſang.
Alſo ſtarb er! So ſahen wir ihn! O Leichnam, du ſchlummerſt,

Leichnam des Unerſchaffnen! Noch wart ihr nicht, Engel, da warf er

Auch dieß Licht, wir ſahens wie Daͤmmrung vordem! auf der Schoͤpfung

Urgeſtalt, die Strahlen, als er der langen Aeonen

Reihen dachte; Sterbliche ſollten entſchlummern! Er ſelber!

Dann erwachen! Verkuͤndets in allen Himmeln, ihr Zeugen

Seines Todes! erzaͤhlts in jeder Huͤtte des Friedens!

Keiner wuͤrdige ſie, von allen Seligen keiner!

Sagts der Hoͤlle nicht an! doch, wenn ihr ſie wuͤrdiget, donnert

Schreckende Halleluja hinab, daß ſie weiter hinuͤber

Weiler vom Himmel ins Unermeßliche fliehe! Der Gottmenſch

Wird erwachen! nun bald hoch uͤber dem Staube des Grabes

Stehen! und Herrlichkeit ſeyn! und Herrlichkeit! Halleluja!

Kommt, kommt eilend zu uns, ihr ſeine Zeugen auf Erden,

Schon ſind Huͤtten der Ruhe fuͤr euch geoͤffnet! die Palme

Winket euch ſchon! Bald habt ihr euer Zeugniß gezeuget,

Bald geblutet, wie Er! Du Blut der Maͤrtyrer, rufe

Nicht der Rache, der Rache! wie Abels, rufe der Krone!

Stephanus! und Jakobus! ihr Erſten! die Morgenroͤthe

Seines verkuͤndigten Heils kaum bricht ſie hervor, und ihr ſiegt ſchon!

Stephanus! und Jakobus! verlaßt denn Kanaan! Joſeph

Kann ſich laͤnger nicht halten! nun laͤnger nicht! Halleluja!

David ſangs, und erlag der Entzuͤckung. Das Halleluja

Konnt’ er kaum vollenden. Die lispelnde Harf’ entſank ihm.

Und in ſeines Lichtes Gewande, die Palme weht’ ihm

Jn der Rechten, ihm wehte ſein goldenes Haar, ſang Joſeph

Gegen den Bruder, der einſt in ſeinen Umarmungen weinte:

G 5O der
[106]Der Meſſias.
O der Entzuͤckungen Ungeſtuͤm, der das Herz mir erſchuͤttert,

Denk’ ich an jene Stunde zuruͤck, in welcher der Vater

Jedes Schickſals, ihr Bruͤder, mich euch zu entdecken, erlaubte.

Suͤßeſte meiner Stunden im erſten Leben, du wirſt mir,

Alſo wiedergedacht, der Stunden des ewigen Lebens

Eine! Wie war mir, als ich, vollendete Bruͤder, euch zurief:

Jch bin Joſeph! … Lebet mein Vater noch? … Du, der im Grabe

Schlummert, du Bruder erloͤſter unzaͤhlbarer Bruͤder, du Erſtling

Unter den Erben des Lichts, o laß die Huͤlle des Blutes

Und des Staubes von deinem Antlitz fallen, und zeige

Dich in deiner Herrlichkeit wieder! Zwar niemals verkannten

Wir in deiner Niedrigkeit dich; doch duͤrſten wir, duͤrſten,

Dich mit Wunden, die ſtrahlen, zu ſehn, den Sieger des Todes

Jenes nicht nur, der liegt, und verweſt, des ewigen Todes

Sieger! Auch derer, die einſt, o du, der ewigen Gnade

Ewiger Quell, nach dir, weil ſie dich verkennen, nicht duͤrſten,

Derer erbarme dich auch, und gieb ihm Fluͤgel zu eilen

Jenem Tage der letzten Enthuͤllung der Herrlichkeit Gottes!

Wardſt du nicht allenthalben verſucht, um Mitleid zu haben,

Ueberwinder, verſucht, wie der Sterblichen keiner verſucht ward?

Der geſchaffen das Aug’ hat, ſieht! geſchaffen das Ohr, hoͤrt!

Der dich geſchaffen hat, Herz! ach ſollte ſich der nicht erbarmen

Biſt du nicht eingegangen, mit deiner Verſoͤhnung Blute,

Hoherprieſter, ins Allerheiligſte? Jſt ſie nicht ewig

Deine Verſoͤhnung, die du, der Gerechteſte, ſelbſt erfandeſt?

Selbſt vollbrachteſt! … Wenn ſie nun koͤmmt die Stunde der Wonne

Auch den Himmeln verborgen, verborgner der Erde, die Stunde,

Die
[107]Dreyzehnter Geſang.
Die zu dem Retter Abrahams Kinder und Jſaks und Jakobs

Ach zum Gekreuzigten bringt; wenn nun der Voͤlker Fuͤll’ iſt

Eingegangen, nun Jſrael auch eingehet, und Jeſus

Sich nicht halten mehr kann, und laut zu weinen beginnet:

Jch bin Jeſus! … ihm dann die Geliebteren weinend am Halſe

Hangen, er Feyerkleider der Unſchuld Allen austheilt,

Jedem ein helles Gewand mit Blute beſprengt, und Kronen,

Ach den Geliebteren, daß, vor ihrer Belohnungen Groͤße,

Freudig die Thronen erſchrecken! wenn Er dieß Alles vollendet;

O wie werden die himmliſchen Boten von Sternen zu Sternen

Eilen, verkuͤndigen, was vor ein Licht aus der Tiefe der Weisheit,

Was vor ein Strahl aus der Nacht des goͤttlichen Rathes hervorbrach!

Und wie werden alsdann ihr Antlitz die Aeltſten am Throne

Neigen, und niederwerfen die Kronen, und feyren, und danken,

Danken dem Einen, der ewig iſt, und der Vater der Tage!

Siehe, du haſt es vollendet! und wirſt noch mehr es vollenden!

Vater! Erſter! du Einer, der ewig iſt! o dem Namen

Deiner Herrlichkeit Preis! von Aeonen Preis in Aeonen!

Mit des feyrenden Liedes Strome, liſpelt’ und hallte

Harf’ und Poſaune. Wie er in ſeinen Geſtaden einherfloß,

(Gleich dem ſterbenden Widerhalle ſang ihn mein Lied nach)

Sanfter itzt floß, und fliegender jetzt, ſo ſchwebte der Harfe

Liſpel auf ihm, und der Hall der Poſaune, mit Harmonieen,

Die der Seligen Ohr nur hoͤrt. Die Geſaͤnge der Himmel

Sind nicht Kinder der langſamen, oft entſeelten Begeiſtrnng,

Sind der Urbegeiſtrung entzuͤckte Soͤhne, der Wonne

Erſtgebohrne! Wir kennen ſie nicht. Bisweilen nur hoͤrt ſie

Einer
[108]Der Meſſias.
Einer, der ſtirbt, und mit ihnen das ewige Leben beginnet.

Nur der Prophet des verſtummenden Lamms Jeſaia vernahm ſie

Von dem geoͤffneten Grabe noch fern, da die Engel ihr Antlitz

Deckten, und gegen einander flogen, und ſangen: Heilig,

Heilig iſt, heilig der Herr der Geſchaffnen! und alle Lande

Sind der Herrlichkeit Gottes Zebaoth voll! daß erbebten

Vor der Rufenden Stimme die Ueberſchwellen des Tempels.

Voll von dem ſuͤßen Erwarten der Auferſtehung des Mittlers

Fuhren die Heiligen fort, ſich, was ſie empfanden, zu ſagen

Jetzt mit Stimmen, mit Saiten alsdann, und dem feyrlichen Halle,

Oft mit beyden. Denn noch war nicht das Schweigen der Freude,

Nicht das Verſtummen der Wonne gekommen. Der goͤttliche Todte

Schlummerte noch … Heſekiel ſtieg auf ein Grabmaal am Oelberg

Aus den Wolken herunter, und ſang: Verdorrte Gebeine

Sah ich um mich, und wurde des großen Befehles gewuͤrdigt,

Jhnen zu rufen: Verdorrte Gebeine, hoͤret des Herrn Wort!

Als ich rief den Befehl, da rauſchte das weite Gefilde!

Siehe da regt’ es ſich, als ich den großen Befehl um mich ausrief,

Und die Gebeine kamen zuſammen, jedes Gebeine

Kam zu dem ſeinen, und Leben kam mit den fliegenden Winden

Jn die Todten. Nun ſtanden ſie all’ auf dem weiten Gefilde,

Sieh ein unzaͤhlbares Heer! … Das wurd ich zu ſehen gewuͤrdigt!

Noch entzuͤckt mich das Bild von dieſer Rettung Geſichte;

Aber wie war mir, als ich auch ſelber ins Leben herauf kam,

Jch verdorrtes Gebein! O Dank, Dank meinem Erwecker,

Deſſen Leichnam noch ſchlummert, und der doch Todten erwecket!

Er
[109]Dreyzehnter Geſang.
Er verweſt nicht, wie wir. Das war der Wille des Vaters,

Sterben ſollt’ er, am Kreuze ſterben! aber verweſen

Sollte ſein Heiliger nicht! O Erndte viel groͤßer, als jene,

Die ich ſah, viel groͤßer, als die, zu welcher wir kommen,

Wenn die Schnitter rufen, und wenn die Poſaunen erſchallen!

Zwar nur Eine Aehre; doch iſt die Erndte viel groͤßer,

Als der unzaͤhlbaren Aehren unuͤberſehliche Fluten,

Als das ganze Gefilde der Auferſtehung voll Garben!

Wuͤchſe die Eine nicht auf; ſo wuͤrden die Schnitter nicht rufen,

Nicht die Poſaunen erſchallen! O Heil dir, du Eine! Die Himmel

Aller Himmel werden ſich unter deinen Schatten

Einſt verſammeln! der Tod, der furchtbare Tod, der letzte

Aller Feinde, wird dieſes Schattens allmaͤchtiges Labſal

Nicht zu ertragen vermoͤgen! vergehn! dann wirſt du die Herrſchaft

Uebergeben dem Vater, daß Gott ſey Alles in Allen!

Halleluja! dem Vater, daß Er ſey Alles in Allen!

Und die Schnitter am Tage der Erndte ſahn dem Propheten

Freudig ins Antlitz. Auch wandte vom Grabe des goͤttlichen Todten,

Schnell, wie ein Wink, nicht laͤnger, dahin, wo Heſekiel feyrte,

Gabriel ſich. Jndeß erſcholls gleich Stimmen der Meere:

Halleluja, daß Gott, daß Gott ſey Alles in Allen!

Amos Sohn verließ die Verſammlung der Heiligen, ſchwebte

Nieder auf Golgatha, ſtand an dem Kreuze des goͤttlichen Todten.

Auch du ließeſt der frommen Verſammlung, und ſchwebteſt herunter,

Daniel, Gottes Geliebter, und ſtandeſt am Kreuze des Todten.

Und ſie ergriffen die Pſalter, und ſangen gegen einander:

Hier, hier trug Er unſere Krankheit, unſere Schmerzen

Lud
[110]Der Meſſias.
Lud er hier auf ſich. Die Menſchen waͤhnten, er wuͤrde,

Weil er geſuͤndiget haͤtte, von Gott geſchlagen! gemartert!

Ach, um unſertwillen iſt Er verwundet! geſchlagen

Wegen unſerer Suͤnden! Auf ihn ward Strafe geworfen,

Daß wir Frieden haͤtten! Uns heilen die Wunden des Dulders!

Seinen Mund eroͤffnet’ er nicht, da die Wuͤter ihn quaͤlten!

Da er gefuͤhret ward gleich einem Lamme zur Schlachtbank!

Aus der Angſt und aus dem Gericht iſt Jeſus genommen!

Bald wird er in das Leben erwachen! Wer iſt auf der Erde,

Wer in den Himmeln, der die Laͤnge der Ewigkeiten

Auszuſprechen vermag, die Jeſus, der Todte, dann lebt?

Denn geſtorben iſt er, indem er die Suͤnden der Erde

Alle trug, er iſt gleich einem Verbrecher geſtorben!

Ach vollendet iſt nun vollendet ſein goͤttliches Opfer

Fuͤr die Suͤnden! Jhm werden nun gleich dem Thaue der Morgen

Seine Kinder geboren! und Ewigkeit iſt ſein Leben!

Ewigkeit! denn wie hat, in unausſprechlicher Arbeit,

Seine Seele gerungen! dafuͤr iſt Wonne dein Erbe!

Gottes Knecht, der Gerechte, durch ſeine himmliſche Weisheit

Wird er viel zu Gerechten, und Erben der Herrlichkeit machen!

Denn die Suͤnde, die Suͤnde der Welt hat Er getragen!

Siehe, wer kam von dem Kidron herauf aus des erſten Gerichts Nacht?

Wer in der Staͤrke goͤttlicher Kraft, die Suͤnde zu tragen?

Wer mit Jammer belaſtet, mit tiefem Leiden der Seele?

Chriſtus wars, der Gerechtigkeit lehrte, zu helfen ein Starker!

Weſſen Wunden troffen auf dieſen Huͤgel des Todes?

Himmel der Himmel! o weſſen Blut rann hin auf den ernſten

Suͤhn-
[111]Dreyzehnter Geſang.
Suͤhnaltar? Sein Blut! ſein Blut, vor welchen ſich Aller

Knie einſt beuget! vor dem einſt Aller Zunge bekennet,

Daß er Herrſcher ſey zu der Ehre Gottes des Vaters!

Nun, nun iſt der Uebertretung gewehrt! und die Suͤnde

Zugeſiegelt! verſoͤhnet die Miſſethat! und geworden

Ewiges Heil, Gerechtigkeit! zugeſiegelt der Seher

Offenbarung! nun iſt, Preis ſey dem großen Vollender!

Preis ihm, er iſt geſalbet! auf dieſem Huͤgel des Todes

Jſt geſalbet der Allerheiligſte! Halleluja!

Hingeriſſen vom Bilde des gottgeopferten Mittlers

Wiederhohlten, den Luͤften gleich, die in Baͤumen des Lebens

Saͤuſeln, die Heiligen: Ja, auf dieſem Huͤgel des Todes

Jſt geſalbet der Allerheiligſte! Halleluja!

Und die Wache des Grabs ging ab. Die kommende Wache

Fuͤhrte der Hauptmann, der Jeſus auf Golgatha ſterben, den Huͤgel

Unter ihm hatte beben, und ſtuͤrzen die Felſen geſehen.

Und am verſiegelten Stein, dem Bewahrer des Leichnames, blieben

Wundernd die Roͤmer ſtehen, und unter ihnen ihr Hauptmann.

Cneus, ſo hieß ſein Name, vertiefte ſich bald in die Zweifel

Seiner Gedanken. Die Stille der Nacht, und des wandelnden Mondes

Sanfte Schimmer luden ihn ein, ſich weiter und weiter

Jns Labyrinth zu verlieren, aus dem kein Leiter ihn fuͤhrte.

Und er lehnete ſich an den Felſen. Ein Goͤtterſohn denn?

Aber welches Gottes? des Gottes der Jſraeliten?

Dieſes? … O warum zweifl’ ich an unſers Jupiters Groͤße;

Denk’ ich an den, den Jehovah dieß leichtbezwungene Volk nennt,

Den es nicht zu kennen verdient? wie niedrig, und ſclaviſch

Jſt
[112]Der Meſſias.
Jſt es! wie klein durch ſich ſelber, wie groß durch Jehovah, der Goͤtter

Gott! So nennt er ſich ſelbſt, und nennt ſich nicht nur; er zeigt ſich

So durch Thaten! denn waͤr die Geſchichte der Wunder Jehovah

Zweifelhaft; ſo waͤr die Erzaͤhlung von Jupiters Thaten

Mehr, als zweifelhaft! doch ein Sohn des großen Jehovah;

Und doch ſterblich? Und, wenn nur ein Menſch, wie koͤnnt er ſo groß ſeyn?

Alſo dacht er, indem ihn ein Bote, den Portia ſandte,

Seinem Gruͤbeln entriß. Mich ſendet Portia, Cneus,

Dich zu fragen: Ob Ruh am Grabe geweſen? und ob ſich

Keiner dem Todten nahe? Sie war erſt ſelber entſchloſſen,

Herzueilen, allein ſie entſchloß ſich anders … Hier herrſchet,

Sage Portia dieß, die Stille der Graͤber, und keiner

Naht ſich dem Todten. Er eilete. Wart, und ſag ihr auch dieſes,

Sag ihr: Er komme wieder ins Leben; er komme nicht wieder;

Beydes verwirre mich! geh! … Sie quaͤlet, wie mich, die Entwicklung

Dieſer verborgnen Geſchichte des unterliegenden Frommen.

Denn dieß war er gewiß! Ein frommer Sterblicher war er;

War er kein Sohn des Gottes der Goͤtter! Des Gottes der Goͤtter?

Alſo verlaͤugn’ ich Jupiter? ſetz’ ihn unter Jehovah,

Den ich nicht kenne? den ich viel mehr, als Jupiter, kenne!

Denn viel mehr iſt Wahrheit in dem, das Jehovah gethan hat,

Als in dem, das der Donnerer that! Nur mehr? Jſt nicht Alles

Wahrheit? O haͤtten des liegenden Jſraels Ueberwinder

Jupiter angebetet; ſo waͤre das Bild des Gottes,

Wie das Bild des Dagon, in ſtumme Truͤmmern zerfallen,

Ja, aus der Hand des Schwachen, in ſtumme Truͤmmern die Donner!

Ha! was hab’ ich gedacht! was dringt mich, Zevs zu verlaͤugnen?

Jhn
[113]Dreyzehnter Geſang.
Jhn dem Unbekannten, dem ſchrecklichen Unbekannten

Aufzuopfern? und weß iſt die Stimm’ in der innerſten Seele,

Der ich zu widerſtehn nicht vermag? Wenn du, Jupiter, mehr biſt,

Als der Gott der Goͤtter; ſo donnr’ in den Abgrund mich nieder:

Ach, wo bin ich? O Wut der furchtbaren Ungewißheit!

Nein! nicht Ungewißheit! So haͤtt ich Jehova beleidigt!

Bey dem Strome Cocytus, bey dem nur, Jupiter, du ſchwoͤrſt,

Fleh ich: Donnre mich nieder! O du, nach deſſen Erkenntniß

Jch mit dieſer entflammten Begier verlange, Jehova,

Offenbare dich mir! bin ichs werth? … kanns ein Sterblicher werth ſeyn?

Offenbare dich mir! Er dacht’ es gen Himmel, und ſenkte

Dann ſein Haupt auf die Bruſt. Ach, warum ſah ich den Frommen

Seine Wunder nicht thun? und warum ſaͤumt’ ich, zu hoͤren,

Was er, von Gott, und von ſich, und den Menſchen ſagte; ſo kennt’ ich

Nun die Menſchen, und ihn, und Gott! … Die am meiſten ihn horten,

Waren Maͤnner voll Einfalt. Ach beſſer, als waͤren ſie Weiſe,

Die ſo ſelten ſich nicht verirren, und Gruͤbler geweſen!

Aber wo ſuch’ ich ſie? Er iſt todt, und wird mich nicht lehren!

Und ſie find ich nicht! Doch in jenem beſſerem Leben,

Wo er jetzt iſt, wird er mich lehren! Jm beſſeren Leben?

Jſt denn ein kuͤnftiges? wirds, wenn es iſt, denn beſſer fuͤr mich ſeyn?

Da, der ſo unſchuldig geweſen, ſo vieles gelitten;

Ach, was wird der Schuldige leiden! Du Unbekannter!

O du Unbekannter! ja meine Seele verirrt ſich

Jn dem Forſchen nach dir! O koͤnnt ich deiner Propheten

Offenbarung und Lehren verſtehn, aufdecken die Huͤlle,

Welche ſie meinem Auge verbirgt! So gar noch am Kreuze

III Band. HHaͤtt’
[114]Der Meſſias.
Haͤtt’ ich ihn fragen koͤnnen! Nun iſt er verſtummt! Auf ewig?

Der nur weis es, der ihn geſandt hat! Koͤnnen die Todten

Auferſtehen? Der Heilige Todte dort hat den Seinen,

Wieder ins Leben zu kommen, verheiſſen! Das ſagen ja ſelber

Seine Verfolger, und darum bewachen wir ſeinen Leichnam.

Kommt er nun nicht zuruͤck; ſo verwirren mich ſeine Geſchichte,

Die mich, weiter erforſcht, von Gott mehr haͤtte gelehret,

Seine Wunder, ſein Leiden noch mehr! Zu welchem Kummer

Jſt mein Leben gemacht? und warum ſchonten die Schlachten

Meiner immer? der fallende Pfeil, und der zuckende Wurfſpieß!

Warum hoͤrt ich nicht lange den letzten ſchmetternden Bogen

Toͤnen? Ha Brutus, als du zuletzt an der Tugend Belohnung

Zweifelteſt, nahmſt du dein Schwert! Und ich ſeh groͤßere Tugend

Unbelohnter, und ſaͤume? Was haͤlt mich? Nicht Furcht vor dem Tode!

Denn ihn hab ich zu oft in blutigem Felde geſehen!

Bin ihm entgegen unter ſinkenden Adlern, gegangen!

Nein! ihn fuͤrcht’ ich nicht! Doch was iſt es denn, das mich aufhaͤlt?

Warum entſetz’ ich mich, wenn ich mich nun dem ernſten Entſchluſſs

Voͤllig nahe? Beleidigt’ ich etwa den Unbekannten?

Und iſt Warnung vielleicht die geheime Gewalt, die mich feſſelt?

Wenn mein Tod ihn beleidigt; ſo muͤſſe meinem Entſchluſſe

Jmmer etwas zur Reife fehlen! Wie aber ergruͤnd ich:

Ob ich dadurch ihn beleidige? Sollte die bebende Frage:

Ob ich ihn beleidige? Furcht des Todes in mir ſeyn?

Furcht ſo tief verborgen? O wuͤßt ichs, wie wollt ich des Lebens

Weiche Liebe ſtrafen, und dir zum Opfer ſie bringen,

Ted! So verlor ſich Cneus auf ſeinem finſteren Wege

Nach
[115]Dreyzehnter Geſang.
Nach der Gottheit, indem noch nicht die Rechte des Helfers

Seine Fuͤhrerinn ward, ihn, nach der Hoͤhe der Weisheit,

Auf den ſchmalen Weg, durch die enge Pforte, zu leiten.

Hinter ihr war die Pforte zur Hoͤhe, der ſchmale Weg war

Hinter ihr ſchon! die ſchoͤne Seele bracht’ itzt ihr Engel,

Chebar in die erhabne Verſammlung der Auferſtandnen.

Sie empfing Benoni, ein Silberlaut, da er hinglitt

Von der leichten Wolke. Du haſt ihn nicht ſterben geſehen;

Dort, dort ſtarb er! allein du ſiehſt ihn erwachen, Maria!

Jhm antwortet Maria: Jch hab ihn nicht ſterben geſehen;

Ach dort ſtarb er! allein ich ſeh ihn, Benoni, erwachen!

Ueberwunden haſt du, durch das Blut des Lammes, Maria!

Nimm den Pſalter, und ſey auch eine Saͤngerinn Gottes!

Darf ich wagen, mich unter die Choͤre der Sieger zu miſchen,

Welche ſchon Jahrhunderte Palmen tragen, und Kronen?

Sing du dem Herrn! Jch lehre dich, was ich lernte. Verweſen

Soll der Heilige nicht! O Erndte viel groͤßer, als jene,

Die Heſekiel ſah, als jene, zu welcher wir kommen,

Wenn die Schnitter rufen, und wenn die Poſaunen erſchallen!

Zwar nur Eine Aehre; doch iſt die Erndte viel groͤßer,

Als der unzaͤhlbaren Aehren unuͤberſehliche Fluten,

Als voll Garben, voll Garben der Auferſtehung Gefilde!

Wuͤchſe die Eine nicht auf; ſo wuͤrden die Schnitter nicht rufen,

Nicht die Poſaunen erſchallen! O Heil dir, du Eine! die Himmel

Aller Himmel werden ſich unter deinen Schatten

Einſt verſammeln! der Tod, der furchtbare Tod, der letzte

Aller Feinde wird dieſes Schattens allmaͤchtiges Labſal

H 2Nicht
[116]Der Meſſias.
Nicht zu ertragen vermoͤgen! vergehn! dann wirſt du die Herrſchaft

Uebergeben dem Vater, daß Gott ſey Alles in Allen!

Halleluja dem Vater, daß Er ſey Alles in Allen!

Und die Hoͤrerinn hoͤrt’ entzuͤckt nach der Stimme Benoni,

Ach Benoni, wie ſelig bin ich! Mit welcher Erbarmung

Hat der gnaͤdige Geber des Lebens und Todes die Stunde

Meines Todes gewaͤhlt. Den Verſoͤhner erwachen zu ſehen,

Und in dieſer Verſammlung! Jhr Heiligen Gottes, ihr Bruͤder

Chriſtus, und meine Bruͤder, ihr nun auf ewig Geliebte,

Nehmt mich unter euch auf! Mich hat der Erbarmer geſendet,

Euer Erbarmer, und meiner! O du der Himmel Gemeine,

Du des Braͤutigams Braut, welch großer Lohn iſt dein Erbe!

Wie genieſſen wir Alle vorher nicht empfundene Ruhen,

Freuden nicht einmal von fern, und dunkel vermuthet, wie trinken

Wir die Stroͤme des Lebens umſonſt! Was gabſt du vor Gaben,

Seligkeiten zu fuͤhlen, den Seelen, die du zu dem Erbe

Deiner Herrlichkeit riefſt, du unerſchoͤpflicher Geber!

Welche Seligkeiten, zu dieſen Gaben! Jhr Dauern

Machteſt du ewig, allmaͤchtiger Geber! Mit dir, den wir lieben,

Ewig zu ſeyn, mit dir! Wer haͤlt den Wonnegedanken,

Die Entzuͤckungen aus, wer dieſer Ewigkeit Ausſicht?

Jch verliere mich, Gott! O Geber! Erfinder! Vollender

Alles dieſes! Jch war nicht, und nicht der Himmel der Himmel;

Da entwarfſt du es, Gott! Wir wurden, wir leben, und ſteigen

All’ auf unzaͤhlbaren Stufen, auf einer anderen jeder,

Jmmer auf neuen Stufen der Seligkeit, von der Aeone

Zu der Aeon’, empor, und hoͤren nicht auf zu ſteigen!

Denn
[117]Dreyzehnter Geſang.
Denn ein unendlicher Geber biſt du! ein unendlicher! Bebend

Schwieg ſie, und ſchon auf ihrer jetzigen Stufe zu ſtehen,

Wonnevoll. Sie entzuͤckte den Kreis der Erben des Lebens,

Und ſie ſangen ihr zu, und Donner wurde das Zittern

Jhrer Harfen: Unendlich iſt Er! unendlich der Geber!

Jſt unendlich! Und wir ſind endlich! Gefuͤhl voll Entzuͤckung

Von dem großen Geber, dem Vater der Weſen, der Liebe,

Gnad’ um Gnade zu nehmen! du Durſt, der ewig geſtillt wird!

Ach, eh werden in Nacht die neuen Erden, in Daͤmmrung

Eh der neue Himmel verloͤſchen, eh deiner Erbarmung

Unverſiegender, ewiger Strom die Duͤrſtenden leer laͤßt!

Sieh, am Fuße des Throns entſpringet ſein Quell, ein Weltmeer,

Rauſchet, und faͤllt, in Gefilden der Nacht, in Gefilden des Tages,

Faͤllt von Erde zu Erde, zu Sonne von Sonne die Himmel

Aller Himmel herab! Der durch Sich Selige hoͤret

Seines Rauſchens Getoͤn! Jhn hoͤren die Soͤhne des Lebens

Durch die Welten umher, und kommen, und ſchoͤpfen Entzuͤckung!

Ach erloͤſtes Geſchlecht, ihr Bruͤder des Todten, und unſre,

Saͤumet nicht, kommt zu dem Strome des Heils. Das wankende Straucheln

Eures Fußes leitet ein Starker! ein Helfer voll Huͤlfe!

Der, obwohl ſein Herz ſchon brach, mit maͤchtigem Rufen

Rief: Es iſt vollendet! Wie nach viel Schweiſſen ein Muͤder

Jn der Abenddaͤmmerung ſchlaͤft, ſo ſchlaͤft nur der Starke

Jetzt im Grabe. Der Loͤw’ auch Juda ſchlummert in Schatten.

Weniger trunken, o Hoͤlle, vom Taumelkelche der Rache,

Wuͤrdeſt du verſtummen, damit der ſchlafende Starke

Aus dem Schlummer ſich nicht, und aus den Schatten erhuͤbe.

H 3Aber
[118]Der Meſſias.
Aber er wird ſich erheben, und eh er, in ſeiner Erhoͤhung,

Bis zu der Rechte des Vaters, der hoͤchſten Herrlichkeit, fortſteigt;

Wird Ein Schritt des Eilenden, Hoͤll’, auf dich treten, des Loͤwen,

Oder, vernimms, du Ueberwundne! des Lammes im Zorne!

Deine Wuͤſte wird oͤder, und deine Tiefen verſinken

Tiefer dann, vor dem ſchreckenden Schritte des Lammes im Zorne!

Mit den Worten verließ der Todesengel Obaddon

Jeſus Grab, und der Heiligen Kreis. So war ihm geboten:

Wenn die Verſammlung der Fommen der Hoͤlle nahes Gericht droht,

Eil du dann zu Satan und Adramelech im Meere!

Und er huͤllte ſich ein in Nacht, und ſtand am Geſtade,

Rufte die Ewigtodten herauf. Mit thuͤrmender Woge,

Kamen ſie, traten vor ihn. Der Todesengel enthuͤllte

Aus der Nacht ſich. An ſeiner Stirne nur ſaͤumte noch Dunkel

Einer Donnerwolke, die ſich, von ihm weg, am Meer hin

Langſam zog. Jetzt rufte die niedergeſchmetterten Kraͤfte

Satan in ſich zuſammen, und ſprach zu dem Engel des Todes:

Gluͤcklicher, faſt allmaͤchtiger Sclav, was bringſt du vor Botſchaft?

Auf dein Schmaͤhn antwortet’ ich dir ſeit Aeonen nicht! werd ich

Heut dir darauf antworten? Vernehmt Befehle! Der Todte,

Welcher auferſtehet, gebeut: Entweder entfliehet

Gleich in den Abgrund! oder begleitet mich jetzt zu dem Huͤgel,

Wo er gekreuziget ward! Er ſteht bey dem Huͤgel vom Tod’ auf.

Dieſen Flammenſchwung, den ich ſchwinge mein Schwert, und nicht laͤnger,

Sollt ihr ihn ſehn! Dann ſtuͤrzet ihr hin auf die Stirn! Ergrimmet,

Suͤnder, nicht alſo! Daß Er euch anzubeten geboͤte,

Wuͤrdiget Er euch nicht! Euch ſtuͤrzt der Allmaͤchtige nieder,

Und
[119]Dreyzehnter Geſang.
Und ihr betet nicht an. Das koͤnnt ihr nicht! Wenn ihr mir folget;

Bleibt ihr noch hier! und folget ihr nicht; ſo entflieht ihr zur Hoͤlle!

Ziſchender Spott, und bruͤllendes Hohngelaͤchter erwarten

Euch in der Hoͤlle. Denn viele der eurigen ſahns, wie ihr flohet,

Als euch Flucht Eloa gebot! Waͤhlt jetzo, Empoͤrer!

Satan blickte mit Grimm auf ihn her; doch blieb er entfernt ſtehn.

Denn dem furchtbaren Schwerte des Todesengels entſtroͤmten

Flammen, wiewohl es ruhte. Der Haſſer Gottes und Satans

Riß vom Geſtad’ ein Felſenſtuͤck, und zermalmts an der Stirne,

Stampft’ auf die fallende Truͤmmer, und wollte den Ewigen laͤſtern;

Aber er ſchwieg! Waͤhlt! rufte der Engel des Todes, und huͤllte

Seines Schwertes drohende Strahlen in Wolken, die dampften.

Aber ſie zweifelten noch. Jetzt nahte ſich Abbadona,

Blickt’, indem er voruͤberging, Adramelech und Satan

Ohn’ ihr Wuͤten zu fuͤrchten, und ohne raͤchenden Stolz an.

Denn er war nicht ihr Richter. Doch trat er zum himmliſchen Seraph

Naͤher, als ſie vor ihm ſtanden, und ſprach: Ein Bote der Rache

Biſt du, aber du kennſt auch, o Engel Gottes, das Mitleid!

Darf ich nicht auch, da die beyden Empoͤrer duͤrfen, den Gottmenſch,

Sehn, wenn er auferſteht? Wie koͤnnt ich es wagen zu waͤhnen,

Daß ich ihn anzubeten vermoͤge? Willkommen, willkommen

Ungeſehne Hand, die mit ihnen auch mich in den Staub ſtuͤrzt,

Hand des Allmaͤchtigen! Ach! daß ich ihn nur ſeh, wenn er aufſteht

Aus dem Grabe, der Suͤndeverſoͤhner, der Ueberwinder!

Satan hoͤrt’ ihn, und rief ihm entflammt mit ſtammlendem Grimm zu:

Sclav, nicht Gottes, der Hoͤll’! elendeſter unter den Sclaven!

H 4Doch
[120]Der Meſſias.
Doch ſchon unterbrach ihn der ſchreckende Todesengel:

Satan, verſtumme vor mir! Jch habe keine Befehle,

Abdiel Abbadona, fuͤr dich. Jch weis nicht, wie lange

Dir auf der Erde zu bleiben, und, ob dir, den goͤttlichen Todten,

Wenn er erwacht, zu ſehen vergoͤnnt ſey. Jch kann dir nur ſagen,

Daß der Huͤgel von Schaaren der auferſtandnen Gerechten,

Und von Schaaren der Engel umringt iſt. Dieſe Verworfne

Sehn ihn, wenn ſie dieß waͤhlen, damit des Erwachten Triumphe

Sie zu ſtrafen beginnen, fuͤr jenen Entſchluß, den Gefallnen

Jhren Erloͤſer zu nehmen! du hatteſt an dieſem Entſchluſſe,

Abbadona, kein Theil! Jhn aber mit meiner Entzuͤckung,

Mit der Wonne der auferſtandnen Erloͤſten zu ſehen,

Abdiel, koͤnnteſt du dich mit dieſem Wunſche wohl taͤuſchen?

Feurig, mit Ungeſtuͤm, ſprach Abdiel: Nicht, mit Entzuͤckung

Ach! mit Wonne nicht! allein nur ſehen, nur ſehen!

Ha! du Niedrigſter! ruft’ ihm Adramelech entgegen,

Ja, du warſt es! du nannteſt den Namen Eloa der Hoͤlle!

Engel des Todes! ich geh zu der Hoͤlle! Wehe dem Stolzen,

Der mein ſpottet! den ſollen geſchleuderte Felſen begraben!

Warum folgſt du mir nicht, verworfenſter unter den Engeln?

Doch kein Engel nicht mehr, nur eine Seele! Du fuͤrchteſt,

Und du taͤuſcheſt dich nicht, daß ich an die unterſten Stufen

Meiner Throne mit diamantnen Ketten dich feßle,

Und, indem ich in große Gedanken vertieft, auf den Hoͤhen

Meiner Throne ſitze, den Fuß auf deinem Nacken

Ausruhn laſſe! Doch werde zuvor an dem Huͤgel ein Opfer

Deiner Kriechſucht! Schauernd, mit zuͤrnender Traurigkeit ſchuͤttelt

Abba-
[121]Dreyzehnter Geſang.
Abbadona ſein Haupt: Nicht deine flammenden Worte

Schrecken, Wuͤtender, mich! die gerechten Engel und Seelen

Schrecken mich, und Jehovah mein Feind! … Er wandte ſein Antlitz.

Adramelech verließ ſie. Jch folge dir! ſtammelte Satan

Wuͤtend zum Todesengel. Die Stirne voll Donnernarben

Wurd ihm dunkler, indem er folgte. Sie ſchwebten. Voll Zweifels

Stand noch Abdiel. Ungeſtuͤm wandt’ itzt Adramelech

Wieder ſich um. Er waͤlzt’ in dem raſenden Felſenherzen

Eine Laͤſtrung, ſchwarz, wie die Nacht der unterſten Hoͤlle.

Und entſchloſſen, herauszuſtroͤmen das Ungeheuer

Jn der Verſammlung der Heiligen, ſchrie er: Jch folge dir, Engel!

Wende dich! rief mit des Donners Ruf der Verderber, die Schoͤpfung

Sollſt du nicht ſehn! Dein Auge wird Blindheit ſchlagen! dich fuͤhren,

Beb’ ihm nach! ein Geheul!.. Schon ſtarrte ſein Aug’ ihm in Nacht hin,

Und ſchon rauſcht’ es um ihn, und heult’ in dem fuͤhrenden Sturme.

Jammernd Geheul, er folgte; das mußt’ er! jetzt fernerſterbend,

Dann erſchuͤtternd nah, war in dem gefluͤgelten Sturme.

Schnelles, unwiderſtehliches, unnennbares Entſetzen

Faßt’ ihn, wenn das Geheul, wie Gerichtspoſaunen, ihm zurief:

Weh dir! Weh! Weh dir! und es dann ihm dauchte, Gebirge

Naher Sterne wankten dann, und ſchmetterten krachend

Nieder auf ihn, und waͤlzten ihn fort in dampfenden Truͤmmern!

Aber die Vaͤter und Seraphim hoͤrten fern in den Himmeln

Aus den Sonnenwegen herab ein Wetter Jehova’s

Kommen! Die Harmonieen der wandelnden Welten verſtummten

Wenn der Donner, ein neues Erſtaunen ihrer Bewohner,

Redete! Denn ſchon war zu dem tiefen Tabor des Vaters

H 5Herrlich-
[122]Der Meſſias.
Herrlichkeit niedergeſtiegen; ſie hatten ihn wandeln geſehen!

Schon aus ſeinen Schranken ein Stern zu der Sonne geeilet;

Still war ſchon die ganze Schoͤpfung geſtanden! Die Vaͤter

Hoͤrten das Wetter fliegen, und huben freudig ihr Haupt auf,

Hoͤrten hinauf in die Himmel der Himmel. Es nahte ſich eilend,

Schnell, wie Gedanken. Sie hoͤrten es jetzt durch die Ruhſtatt Gottes

Schweben, und, als von Bergen zu Bergen, wider von Sternen

Hallen zu Sternen. Es nahte der Erde. Mit gluͤhender Stirne,

Schimmernden Augen, entzuͤckt von jeder Wonne des Himmels,

Eine Flamme des Herrn, den Sonnen gleich, da ſie Gottes

Schaffender Hand entzitterten, uͤber Erden zu herrſchen,

Strahlt’ Eloa hinab in der Auferſtandnen Verſammlung,

Rufte: Die Stund iſt gekommen, der Herrlichkeit Stund iſt gekommen!

Mit der Morgendaͤmmerung wird der Verſoͤhner der Suͤnde

Seinen Leichnam erwecken! Jhr hoͤrt den Goͤttlichen wandeln!

Und er ſchwebt’ hinunter zum Grabe. Das maͤchtige Wetter,

Jn den Himmeln ein Zeuge des Ewiglebenden, mildert

Jetzo ſeine Gewalt, daß die Erde vor ihm nicht entfliehe.

Seine Donner hielt es zuruͤck. Sturmwinde nur rauſchten,

Daß von Libanon an vor ihnen die Waͤlder Judaͤa

Gegen das Grab ſich beugten! Die Erde ward nur erſchuͤttert,

Daß, von Seirs Gebirge, der Phasga, der Arnon, der Hermon

Bis zu den oberſten Wipfeln und Wolken des Libanon bebten!

Daß, von Seirs Gebirge, das Waſſer Aegyptus, das Weltmeer,

Und der Carmel, und wieder des Libanon Hoͤhen erſchracken,

Und der wankendſtroͤmende Jordan hinauf bis zur Quelle

Und Amana! Allein noch bebte das Grab nicht. Der Fels lag

Unbewegt,
[123]Dreyzehnter Geſang.
Unbewegt, wie er hingewaͤlzt vor das offene Grab war.

Gabriel ſah mit Entzuͤckung hinab auf den liegenden Felſen,

Denn: Du waͤlzeſt ihn weg! war ihm von dem Todten verheißen.

Aber die Himmliſchen, ſie, die lauter die Stroͤm’, und das Weltmeer

Rauſchen hoͤrten, die Waͤlder erſchallen, lauter die Berge

Beben, als ſie ein menſchliches Ohr zu hoͤren vermochte,

Freudig ſanken die Engel aufs Antlitz und die Erſtandnen

Vor der gegenwaͤrtigen Gottheit des Suͤndeverſoͤhners.

Adam betete laut wie im Jubelgeſang. So erſchallen

Mit dem Getoͤne der wandelnden Welten der Engel Poſaunen,

Wenn ſie die großen Thaten des Allerheiligſten feyern;

Wie des Seligen Stimme vermiſcht mit den wehenden Luͤften,

Und mit den rauſchenden Palmen, den Wiederhallen der Berge!

Und, ſie ſtuͤrzten, und flohn, mit den Stroͤmeu erſcholl. Unerſchaffner!

Dann ein weinendes Kind, ein weiſer Knabe, die Wonne

Gottes, und derer, die ſuͤndigten! dann ein himmliſcher Lehrer,

Und mitleidiger, menſchenfreundlicher Wunderthaͤter!

Dann ein Hoherprieſter, der ſelbſt ſich opfert’, und einging

Jn das Allerheiligſte, Fluch und Suͤnde fuͤr Suͤnder!

Ach! ein Gekreuzigter! und ein Todter! wie koͤnnen wir wuͤrdig,

Gott, du Liebe! dich preiſen fuͤr das, ſo du thateſt, und thun wirſt!

O du fuͤhlbar Naher, nun wirſt du es thun, und erwachen!

Siehe des Todes Schmach, die Schmach des Kreuzes ſie liegt dann

Unter deinen Fuͤßen! allgegenwaͤrtiger Mittler!

Aber uns offenbarter Allgegenwaͤrtiger, Heil uns,

Daß wir, dich erwachen zu ſehn, gewuͤrdiget werden;

Ach, wir haben dich ſterben geſehn! Erwachen, erwachen

Wird
[124]Der Meſſias.
Wird der große Todte nun bald, der Schlummernde Gottes!

Wie du kameſt, als du aus der Nacht die Sonnen hervorriefſt,

Siehe, ſo kommſt du, mit tauſendmal tauſend Leben umſtroͤmet,

Und vor dir beſeelender Sturm her! Himmliſches Saͤuſeln

Wird von dem Sturme nun bald ſich ſondern, und deinen Leichnam

Wecken, du Ewiglebender! Seht ihr die aͤußerſten Schimmer

Seiner Herrlichkeit? die dort neben den Sternen herabſtrahlt?

Und die roͤthlichen Morgen vor ihm, die ſeiner Gottheit

Strahlen mildern! O daß vor Jhm die Geſchaffenen alle

Beugen ihre Knie! vor ihm, vor ihm der Begnadigten Kronen

Alle ſinken! Er koͤmmt, das Gefaͤngniß gefangen zu fuͤhren!

Gaben der Ewigkeit denen zu geben, die er verſoͤhnt hat!

Saͤusle, beſeelende Kraft, Hauch Gottes, und wecke den Leichnam,

Deſſen Wunden zur Rechte des Vaters mehr, wie die Sonnen,

Mehr, wie der erſtgeborne des Lichts, der Himmel der Gottheit,

Strahlen werden! Und du, verſtummende Wonne, lege

Deine Hand auf den Mund, und wart anbetend der Stunde,

Die er auferſteht! … O ihr noch Soͤhne des Staubes,

Meine Kinder, vor allen, ihr wenigen, die er gewaͤhlt hat,

Seiner Auferſtehung, in allen Landen der Graͤber,

Zeugen zu ſeyn, ihr deren Auge noch Thraͤnen der Wehmuth

Weinet, die ihr den unterliegenden Todten nur kennet;

Seine Herrlichkeit nicht, noch die, mit welcher er lohnet!

Mit dem ganzen, dem goͤttlichen, unausſprechlichen Segen

Seiner Auferſtehung, mit dieſer Fuͤlle der Fuͤlle,

Aller dieſer Ueberſchwenglichkeit, ſegn’ ich, o Kinder,

Euch zu dem ewigen Leben! Geſegnet ſey euer Leiden,

Jeder
[125]Dreyzehnter Geſang.
Jeder Kampf der Streitenden, jeder Sieg der Geſtaͤrkten!

Euer Schweiß in der Arbeit des Heiligen, der euch die Kraft giebt!

Jeder Tropfen der Angſt, der Thraͤnen, oder des Blutes,

So wie der ſie zaͤhlt, es beſchleußt! geſegnet die Weisheit

Eurer Rede! die Heiligkeit eures Wandels! im Himmel

Sey er! geſegnet die Wunder, womit des Vaters und Sohnes

Geiſt euch ruͤſtet! Jhr ſollt die kleineren Segen nicht haben,

Die vergehen; allein in dem Namen Jeſus Chriſtus,

Heißt aufſtehn, und wandeln, die Sterbenden, und die Todten!

Seyd, wenn einſt ihr ſelber entſchlafet, o dann vor allen

Unausſprechlich geſegnet! Euch werd’, am Ende der Laufbahn,

Nach der Geburt in das ewige Leben, die Krone der Sieger,

Und der Aelteſten Thron, die Geſchlechte der Menſchen zu richten!

Sie, die neben ihm ſtrahlender ward, indem ſie ihr Auge

Nach der Herrlichkeit wendete, die in den Himmeln herabkam,

Und den Segen vernahm, den der Auferſtehende gebe,

Eva ſtreckte die Hand auch nach des Goͤttlichen Grab’ aus:

Fleuß, fleuß, ewiger Quell! zerreiß den Felſen, und ſtroͤme,

Siehe, du ruhſt noch in Nacht, brich durch den Felſen, und ſtroͤme,

Ewiger Quell des ewigen Lebens, und labe die Seelen

Aller Durſtenden, aller, die gleich dem brennenden Rehe

Schreyen nach dir! O Strom, der in die beſſere Welt ſtroͤmt,

Nimm in deiner Geſtade beſeelenden Hauch, in die Kuͤhle

Deiner Schatten, den Waller nach Kanaan auf, daß ihm Labſal

Werd, und Staͤrkung zur weiteren Pilgerſchaft, daß ihn Hoffnung

Seiner eigenen Auferſtehung maͤchtig erquicke!

Hoffnung, himmliſches Licht in des Sterbenden brechendem Auge,

Ja,
[126]Der Meſſias.
Ja, du Hoffnung, auch zu erwachen, mit Chriſtus zu leben!

Geuß du deine Freuden auf die, die in Chriſtus entſchlafen,

Gnadevoll aus, damit ſie das Graun der Verweſung nicht ſchrecke!

Selige Stunde, welche nun bald, zu entzuͤcken, hervorbricht,

Eine nicht zaͤhlbare Zahl unſterblicher Leben, aller,

Welche, jenſeits der Graͤber, die Kinder Adams einſt leben,

Liegen, o Stunde ſeines Erwachens, in dir verborgen!

Welche Leben! und welche Beſitzer der Leben ohn’ Ende!

Meine Kinder ſeyd ihr! Zerreiß den Felſen, und ſtroͤme,

Ewiger Quell der ewigen Leben! zu großen Waſſern

Wirſt du werden, o Quell, zu Gottes Ocean! ſtroͤme!

Alſo betete ſie. Der Engel am Grabe des Todten

Schwebt’ in die Wolken hinauf der Herrlichkeit Chriſtus entgegen.

Wie es den tauſendmal tauſend der Todten Gottes einſt ſeyn wird,

Hat das große Wehe vom Falle bis an den Gerichtstag

Ausgeklagt; ſteigt nicht mit jedem Tropfen der Zeit mehr,

Der hintraͤuft in das Meer der Vergaͤnglichkeit, eines Gebohrnen

Weinen, oder eines Sterbenden Roͤcheln gen Himmel

Unter die Preisgeſaͤnge der Unentweihten vom Tode,

Wie es ihnen wird ſeyn, wenn mit des letzten der Tage

Morgendaͤmmerung nun das lange Wehe des Weinens,

Und des Roͤchelns auf ewig verſtummt; ſie werden vor Wonne

Freudig erſchrecken! aus ihrem erhobnen dankendem Auge

Thraͤnen der Seligkeit ſtuͤrzen! und ihrer Jubel Triumphlied

Wird mit jener Poſaune, der Todtenweckerinn, ſtreiten,

Streiten, und uͤberwinden! wie dann es wird der Gerechten

Tauſendmal Tauſend ſeyn, ſo war es der kleineren Schaar jetzt,

Die
[127]Dreyzehnter Geſang.
Die am Grabe des Herrn, vor Hoffen, und vor Erwarten

Deß, das kommen ſollte, verſchmachtet war, da die Wolken

Riſſen! da Gabriel dort, eine Flamme Gottes, herabfuhr!

Da er von Bethlehem, uͤber die Schaͤdelſtaͤte, zum Grabe

Flog! da von Ephratas Huͤtte, bis hin zu dem Kreuze, vom Kreuze,

Bis hinunter ins Grab die Erde bebte! da Satan,

Wie ein Gebirge dahin, des Leichnams Huͤter, wie Huͤgel,

Stuͤrzten! da weg von dem Grabe den Fels der Unſterbliche waͤlzte!

Da mit Freuden Gottes, Jehovah ſich freute! da Jeſus

Auferſtand!

Auszuſprechen was jetzo geſchah! mit dem Liede von fern nur

Dieſer Hoͤhe zu nahn! davon, wie der leiſere Nachhall,

Nur zu ſtammeln, von jener Wonne, Erſtandner, von deiner!

Und von deren Freude, die jetzt dich ſahen! zu kuͤhn iſt

Dieſer feurige Wunſch, und, indem ich vergebens gen Himmel

Strebe mit ihm, vergebens! ein maͤchtiger Ueberzeuger,

Daß ich am Grabe noch walle, noch nicht der Erndte geſaͤt bin,

Welche die große Folge der Auferſtehung des Herrn iſt.

Stille war erſt am verlaſſenen Grabe. Nicht lange, ſo wurde

Deiner Begnadeten Kreis vor Seligkeit heller, und jauchzte,

Wie die Morgenſterne, die Erſtgebohrnen der Schoͤpfung.

Denn ſie ſahen den Sohn nach ſeinen Todeskaͤmpfen,

Auferſtanden!.. nicht mehr, wie am Kreuze, mit ſinkendem Haupte

Herrlich ſchwebteſt du uͤber dem Felſen des offenen Grabes,

Goͤttlich, unausſprechlich geſchmuͤckt mit Siege, mit Siege,

Halleluja, mit Siege, des ewigen Todes Triumphe,

Du der maͤchtig iſt, du, deß Namen heilig iſt! dem ſich

Aller
[128]Der Meſſias.
Aller Kniee beugen, im Himmel Aller, auf Erden

Aller, und unter der Erde! den Ephrata Bethlem gebohren,

Den Gethſemane, den die Schaͤdelſtaͤte getoͤdtet,

Den uns wiedergegeben das Grab hat! Neige dich, Tiefe,

Vor dem Sieger, und hebe vor ihm, o Hoͤhe, die Haͤnd’ auf!

Hebt, Erzengel, die Harfen vor ihm, ihr Erſten der Thronen,

Jn die Himmel der Himmel empor! und, Stimmen des Menſchen,

Meine ſchwache mit euch, ſeufzt ihr aus dem Staube die Freude,

Daß er lebet, empor! Vor des Ewiglebenden Throne

Werdet ihr einſt, die jetzt die beklommne Freude nur ſeufzen,

Unausſprechliche Wonne dem großen Begnadiger ſingen,

Jhm, der uns, als Bruͤder, der euch, als Bruͤder, nicht aufnahm,

Engel! dem Fleiſch und Gebein von Adams Fleiſch und Gebeine.

Du, der maͤchtig iſt! riefen mit lauterem Jubel die Seelen,

Als die Engel, o du, deß Namen heilig iſt! dem ſich

Unſre Kniee beugen, dem unſer geheimſtes Gefuͤhle

Jn die Tiefe der Tiefen ſich wirft, den Namen nicht nennen,

Auch dein heiliger nicht, und hocherhabner vor allen,

Großer Beginner, und großer Vollender, getoͤdtet vom Anfang,

Und fuͤr ewig! fuͤr ewig erwacht, und vom Anbeginne!

Doch dein Schlummer ſelber war kurz, nachdem du nun wirklich

Jn der neunten, der dunkelſten Todesſtunde, ſie war ſonſt

Keine Stunde der Nacht, entſchlafen warſt, zu erwachen

Schnell, wie du ſchufſt, da, gerufen von deiner Stimme, die Sonnen

Rollten, um ſie die gehorchenden Erden, du goͤttlicher Erſter,

Und du gnaͤdiger, gnaͤdiger Letzter, der Alles verneuet,

Alles himmliſcher macht! Auch wir ſind Letzte. Wir leben,

Sind
[129]Dreyzehnter Geſang.
Sind unſterblich durch dich, und bleiben in jeder Aeone,

Durch der Ewigkeit ganze Fuͤlle, ſo lange du Gott biſt,

Gott, bey dir! … Sie verſtummten. Denn ſeines goͤttlichen Anblicks

Wuͤrdigte ſie der Auferſtandne. Von dieſer Entzuͤckung

Seligkeit niedergeſtuͤrzt, verſtummten ſie alle. So rauſchen

Dann Gefilde der Erndte nicht mehr, und ſenken ſich erdwaͤrts,

Hat ſein Wetter auf ſie ein ganzer Himmel ergoſſen.

Wenige Halme nur heben etwa die Aehre, die zittert,

Dennoch auf. So ſchwungen ſich jetzt in der Heiligen Kreiſe

Neben der Mutter die ſieben Soͤhne, Maͤrtyrer alle,

Bebend empor, und verſtummten nicht mehr, und feyrten, und ſangen:

Mache dich auf, und jauchze, du wurdeſt, o Erde, gewuͤrdigt,

Jeſus Chriſtus Gebein in deine geoͤffneten Tiefen,

Als in Mutterarme, zu faſſen. Nun iſt er erſtanden

Hoch von dem zitternden Staube der Erſtgebohrne der Todten.

Alle Himmel ſahen dich kommen. Vom Fuße des Siegers

Ging Erdbeben, vom Golgatha, bis zu dem hohen Moria.

Mit den Bergen erbebte das Kreuz, und die Zinne des Tempels.

Mach in deiner Schoͤne dich auf, o Erde! dein Licht kommt,

Und die Herrlichkeit Chriſtus, du juͤngſtgebohrne der Schoͤpfung,

Gehet uͤber dir auf. Man wird dich Koͤniginn nennen,

Und die Geſegnete deß, der dich ſchuf. Du wareſt ſo ſchoͤn nicht,

Nicht ſo bemerkt, ſo nicht durch alle Himmel beſungen,

Als, nach deiner Geburt, du am erſten Morgen heraufſtiegſt.

Deiner Soͤhne ſind viel, ſehr viel Gerechte. Du wirſt ſie,

Mutter unſterblicher Kinder, in alle Himmel verſenden;

Daß ſie im Feyerkleide der Unſchuld den Sieger, mit neuen

IIIBand. JFeſtlichen
[130]Der Meſſias.
Feſtlichen Namen genannt, den, der ſie errettete, ſingen.

Jauchzet, Huͤgel der Todten, vor allen Huͤgeln der Erde!

Freut euch, Graͤber, vor Gottes Gebirgen! die Schlummernde liegen

Unter euch, daß ſie erwachen. Du hebſt dann! Erde, den letzten

Aller Tage, dich aus dem Staube des Weltgerichts auf,

Durch des Sohns Allmacht, den deine Tiefen bedeckten,

Deine nun offenen Tiefen, zur neuen Erde geſchaffen.

Dañ wiꝛd die Soñe nicht Heꝛꝛſcheꝛiñ mehꝛ, noch deꝛ Mond dein Gefaͤhꝛt ſeyn,

Dir, die Gerechte bewohnen, wird Gottes Herrlichkeit leuchten,

Und dein Licht ſeyn, Er, deß Blut auf Golgatha traͤufte!

Alſo ſangen die fruͤheren Maͤrtyrer, welche ſchon Palmen

Trugen, da Stephanus den, wie in dunkler Ferne, kaum kannte,

Deſſen Triumph er mit ſeinem Blute, der Maͤrtyrer Erſtling

Unter den Chriſten, zu zeugen erwaͤhlt war. Allein wie nahe

Warſt du gleichwohl, o Stephanus, deiner Palme! wie kurz war,

Ueberwinder, dein Lauf, von deiner Berufung zum Himmel,

Bis in den Himmel. Jhn ſaheſt du offen, und Jeſus zur Rechte

Gottes! da rann von ſchmetternden Steinen dein Blut, da entſchliefſt du.

Aber Jedidoth, der juͤngſte der Maͤrtyrer, und Benoni,

Und Maria entriſſen ſich jetzt dem Staunen der Freude,

Faßten bey ihren Palmen einander, und ſchwebten hinunter

Aus den Wolken ans Grab, und knieten leiſ’ an den Fels hin,

Der ach nun nicht mehr das Grab bedeckte. Sie blickten

Nach dem Erſtandnen hinauf, mit einer Liebe dem Herzen

Und der Zunge des Menſchen zu hoch, und unausſprechlich.

Wenn ich in jenem erſten Leben noch lebte, Maria

Sprachs zu den Mitgenoſſen des beſten Theiles, und wenn auch

Meine
[131]Dreyzehnter Geſang.
Meine Jahre die fruͤhere Bluͤhte noch bluͤhten; ſo waͤr mir

Jeder Augenblick doch ſelbſt dieſer innigen Liebe,

Dieſer Begnadung Tod! Siehſt du, Benoni? Jedidoth,

Siehſt du den Herrlichen? ſeine ſanft gemilderte Schimmer?

Uns, den zarten Blumen im himmliſchen Saron gemildert?

Und fuͤr jene Ceder zwar auch gemildert, denn endlich

Schuf er Eloa! doch iſt er gewiß ein Anderer dieſem

Großen Erwaͤhlten! … Ein Anderer, rief Eloa, indem er

Freudig kam, und neben ſie hinſank, jedem ein Andrer!

So vollkommen iſt er. Euch, Hiob, Daniel, Moſes,

Abraham! dir, du erſter der Todesengel, dir, Salem,

Denn auch dieſe waren herab zu ihnen gekommen,

Dir, Maria, und mir, und euch, Benoni, Jedidoth,

Jedem der Eine, den wir vor Allen am innigſten lieben,

Jedem, nach ſeinem Verlangen, ein unerſchoͤpflicher Geber,

Jedem der Beſte, der Beſte, der Liebenswuͤrdigſte jedem!

Und … auch dieſer erhabne, nie ganz durchſchaute Gedanke

Trag auf ſeinem Flug euch empor! des ewigen Vaters

Eingebohrner, geliebter, die Ewigkeiten geliebter,

Ewigliebender Sohn! Hier, hier verlieren ſich alle

Unſre Gedanken, und ſchwindeln an ihrer Endlichkeit Graͤnze!

Hoher Engel Gottes, du Fruͤhgebohrner der Schoͤpfung,

Meine verlieren ſich gern in dieſer Entzuͤckung; wie weit auch

Jch von deiner Endlichkeit Schrauken, mir ſind ſie nicht Schranken!

An den meinen ſchwindle. So ſprachen die Seel’, und der Engel.

Und ſtets kamen der Seligen mehr zu dem Felſen herunter;

Nah umgaben ſie dich, du ihr Erloͤſer, und Bruder!

J 2Freuten
[132]Der Meſſias.
Freuten ſich anderer Freuden, als dieſe Welt hat, und als ſie

Der zu wuͤnſchen vermag, der hier in den Naͤchten noch wandelt.

Abraham faltete hoch die Haͤnde gen Himmel, und rufte:

Sohn Jehova’s! und … ſingt mir es nach, ihr feyrenden Harfen

Meiner Kinder um mich mit Wonnelauten! und meiner!

Sohn! wie begann der Vater der Weſen, dir zu belohnen

Deine That! Du kameſt aus deinen Himmeln herunter,

Stiegeſt von deinem Thron, und ſtarbſt! … Jn den Welten allen

Jſt ſeit ihrer Erſchaffung, und wird die Aeonen der Zukunft

Keine That, wie deine, geſchehen! … Wir ſehn des Verſoͤhners

Gottesthat, von der Sonnenheere Schimmer umleuchtet;

Freut euch der Freuden des Seraphs, ihr Mitanbeter, ach ſeiner

Jubel! ſie ſieht, umſtrahlt von dem Glanze des Himmels, Eloa!

Endlich erhub aus ſeiner Entzuͤckungen Meere ſich Adam,

Aus den Stroͤmen des Lichts, in denen er ſank. Die Gedanken

Waren zu tauſenden ſchon ihm durch die Seele geflogen,

Schnell wie die Schwuͤnge des Blitzes, indem er dem Auge vorauseilt,

Und er ſchwebte zum Todeshuͤgel herab von den Wolken,

Stand bey dem Kreuz, und ſtreckte die Arme nach Jeſus, des Todes

Sieger, aus: Jch ſchwoͤre bey dir, der ewig lebet!

Daß nun Tod nicht mehr der Tod iſt, und daß an dem Tage

Deiner großen Vollendung ſie Alle, die ſchlafen, erwachen!

Jeſus Chriſtus Erhoͤhung begann mit ſeinem Erwachen

Von dem Tod’ am Kreuz; ſie ſtieg auf Stufen zum Throne,

Dort hinauf zu des Vaters Rechte, wo Preis und Ehre

Dem es lohnen ſollte, der frey ſich erniedriget hatte,

Ach von dort herab in den Staub der Schaͤdelſtaͤte.

Selber
[133]Dreyzehnter Geſang.
Selber Eloa erhuͤb’ umſonſt mit der Harfe der Feyer

Sich im Pſalme, der Pſalm entſtroͤmte vergebens des Geiſtes

Jnnerſtem, dieſen Preis, die Gottesehren zu ſingen.

Lehre mich, Sionitinn, nur einige Laute von jener

Großen Erhoͤhung, die neben den Huͤtten ſterblicher Suͤnder,

Doch nun auch verſoͤhnter begann, und immer ſich weiter

Auf ſtets hoͤheren Stufen erhub, o lehre von fern mich

Nachſchaun ihm, der hinauf zu dem Thron den Lichtweg wandelt.

Liebend ſahe der Mittler herab auf Adam, indem winkt

Er dem Engel; der brachte die Seele. Sie ſprach zu dem Fuͤhrer:

Wer, o du ſtrahlender Unbekannter, iſt jener erhabne

Furchtbare Mann auf dem Felſenhuͤgel? … Und blickeſt du, Seele,

Denn nicht auch auf die Schaaren um ihn, die leuchtender ſchimmern?

Ach ich kann nicht wenden von dem mein Auge, zu dem du

Hin mich fuͤhreſt. Er iſt in dieſer Goͤtterverſammlung,

Auf, und bete mit an! der oberſte Gott! … Und dein Richter! …

Weh mir! Jupiter! Jupiter! du, der herrſcht im Olympus!

Groͤßter! Herrlichſter! O mein Fuͤhrer! was blicket dein Auge

Mir vor Schrecken zu? Jſts Minos furchtbare Gottheit?

Oeffnet irgendwo hier die Erde Thore des Abgrunds?

Rauſcht hier nah der Cocytus? und donnern uͤber dem Strome

Jupiters Eide? Zu grauſamer Fuͤhrer, noch immer verſtummſt du

Meinen bebenden Fragen? Ach hat er den letzten geſchworen,

Als ich ſtarb? und ſtuͤrzet mich der in Phlegetons Tiefe?

Jetzo ſprach zu dem Todten der Mittler: Jupiter, Minos

Sind nicht; aber es ſchreyet laut von dem ſchmachtenden Lande,

Herrſcher, zu mir das Volk! Er ſprachs, und nannte des Todten

J 3Kuͤnftige
[134]Der Meſſias.
Kuͤnftige Staͤte dem Engel … So ſtieg die Erhebung des Sohnes

Einen leiſen Tritt, wie große Thaten beginnen.

Jeſus ſprach zu den Zeugen: Eh ich zu dem Vater gehe,

Weil’ ich auf Tabor oft, der iſt der Ort der Verſammlung.

Und ſie ſahn ihn nicht mehr, und ſchwebten nach Tabor hinuͤber.

Wie er niederſtuͤrzte, ſo ſinnlos lag an des Grabmaals

Felſen Satan noch, von des Auferſtehenden Anblick.

Gabriel hoͤrt’ er gegen ſich her, wie Wetter, kommen;

Endlich ſah er ihn auch, indem er, mit ſchwerer Arbeit,

Sich aufrichtete. Stuͤrze, ſo ſagt’ ihm der Engel des Siegers,

Dich in deine Tiefen hinab! Was ſaͤumſt du auf Erden?

Wenn du lernen koͤnnteſt; ſo wuͤrdeſt du einmal lernen,

Daß der Streit des Endlichen mit dem Unendlichen Quaal iſt

Fuͤr den immer Beſiegten, und immer wieder Empoͤrten!

Aber du lernſt es nie. So fleuch denn hinunter, und kruͤmme

Dich in neuen Entwuͤrfen herum zur neuen Empoͤrung.

Aber wiſſe … Doch laß mich die neuen Donner der Rache

Nicht ausſprechen, und fleuch. Er floh, doch zoͤgert’ er wieder

Jn der Einoͤd’, hielt ſich an einem thuͤrmenden Felſen,

Blickte von da mit ſtarrendem Aug’ hinaus in die Wuͤſte.

Schrecken Gottes, ereilet ihn! rief, indem er in Sturm ihm

Nachkam, Gabriel. Satan entſank dem Felſen, und rauſchte

Durch die Schoͤpfung hinab zu der Hoͤlle. Doch, eh er hinein trat,

Weilet’ er der belaſtenden Tage viel an der Pforte.

Schon zwo Mitternaͤchte war nun der Prieſter Verſammlung

Bey einander im Hauſe des Hohenprieſters geweſen.

Und ſie begannen, des Schlafes beraubt, den werdenden Morgen

Wieder
[135]Dreyzehnter Geſang.
Wieder zu ſehn. Sie ſaßen verſtummt, und dachten den Ausgang.

Jener beſiegelte Stein, der Roͤmer Wache, der Todte!

Waren das bleibende Bild vor ihren zerruͤtteten Seelen.

Ungewißheit! du warfſt ſie mit jeder gewaltigen Unruh,

Welche du haſt, mit deinen gethuͤrmten Wogen, mit allen

Deinen Stuͤrmen herum. Der dritte furchtbare Tag kam!

An dem Grabe des Herrn begann die Wache der Roͤmer

Zu ſich ſelber zu kommen, und einer ſprach zu dem andern:

Ach! wie geſchah dir? Jch hoͤrte die Erde beben, da ſtuͤrzt’ ich

Schnell in den Staub. Sein Genoß antwortet’ ihm: Alſo geſchah es.

Und ein Anderer ſprach, indem er auf ſeinen Gefaͤhrten

Bang ſich lehnte: Wie wars? Die Erde bebte mir, warf mich

An den Felſen. Der Andere ſprach: Jch glaubte zu ſterben,

Da der Sturmwind wirbelt’, und heult’, und den Felſen zermalmte.

Nein, er iſt nicht zermalmt; doch liegt er nicht mehr vor dem Grabe.

Jetzo rufte gefuͤhrt von einem der Wache der Hauptmann:

Lebt ihr, ſo nennet mir eure Namen. Sie nannten die Namen.

Cneus ging in das Grab, und ſah es leer, und den Felſen

Weg von dem Grabe gewaͤlzt. Das that auch wundernd die Wache.

Geht aus einander. Er ſprachs; drauf nahm er einen, und ſagt’ ihm:

Geh du voran zum Palaſt des Prieſters, und bring mir Nachricht,

Ob bey ihm Verſammlungen ſind? Jch komme den Weg auch.

Sage, wo geheſt du hin? befragten den Boten die Andern.

Nach der Prieſter Palaſt. Er eilte weiter. Sie folgten.

Wie, von keinem andern erregt, ein ſchneller Gedanke

Denen, die in der Nacht des melancholiſchen Gruͤbelns

Weit verloren, umirren, die Seel auf Einmal erſchuͤttert,

J 4Unver-
[136]Der Meſſias.
Unvermuthet kam, und mit athemloſen Entſetzen,

So in die ſtumme Verſammlung der Bote. … Beym Grabe zu wachen,

Sandtet ihr uns; doch umſonſt! Die Erde bebt’, und der Fels ſprang

Weg von dem Grab’, und leer iſt es nun! Er riefs, und verließ ſie.

Und ſie taumelten auf von ihren Sitzen, und ſtanden

Starr, Denkmaale des Schreckens. Drey Roͤmer folgten dem erſten,

Eilten den offenen Saal hinein, und riefen zuſammen:

Seht ihr nun zu, weg ſtuͤrzte der Fels! was ihr thut! und die Erde

Hub ſich empor! Das Grab, ein Sturmwind wirbelt’ und heulte,

Sahen wir leer! Erſt fielen wir hin, wie Todte, ja leer ſahn

Wir das Grab hernach. … Schnell niederfallende Donner

War den Prieſtern ihr Zeugniß! Da traf ſie der letzt’, und der ſtaͤrkſte.

Denn ein fuͤrchterliches Gelaͤchter erhub, in des Schreckens

Unſinn, Philo. So ſchweiget der Tod, ſo ſchwiegen die Prieſter;

Und auch Philo wieder. Doch Kaiphas hatte ſich endlich

Wieder ermannt. Schnell ließ er die Aelteſten rufen. Die kamen,

Eilten gefluͤgelt herzu. Auch kamen noch Andre der Wache.

Und ſie traten herein. … Wir ſehns, ihr habts ſchon vernommen!

Dank, den Goͤttern Dank, wir leben! Warum erkuͤhntet

Jhr euch, Prieſter! den Sohn des Donnergottes zu toͤdten?

Siehe, ſein Grab iſt leer. Kaum ſind wir lebend entronnen!

Und der Hoheprieſter erhub ſich, und ſprach zu der Wache:

Geht zu den Meinen hinab, ihr Roͤmer, und waͤrmt euch am Feuer.

War auch euer Hauptmann bey euch? … Das war er, und ſtuͤrzte

Nieder mit uns, und ſahe, wie wir, das geoͤffnete Grabmaal.

Und er fuͤhrte ſie weg, und gebot den Seinen, mit Speiſe

Dieſe Maͤnner zu laben, und mit der Staͤrkung der Traube.

Und
[137]Dreyzehnter Geſang.
Und die Seinen leiteten ihn zuruͤck, er ſetzte

Wankend ſich nieder, und ſprach: Wir muͤſſen die Roͤmer erkaufen;

Oder Juda empoͤrt ſich! Allein was iſt mir das Leben

Nun, da ich faſt, o Saddok, an deiner Lehre verzweifle?

Aber taͤuſchte die Angſt die Erſchrockenen nicht? Erdbeben

Jſt geweſen. Allein ob ſie das Grab auch wohl leer ſahn?

Als er noch redete, kam der Hauptmann der Wache. Sie ſtanden

Schnell vor ihm auf, und traten zuruͤck. Jhr kennt mich. Jch ſah ihn

Auch am Kreuz, und glaubte ſchon damals, ein Sohn der Goͤtter

Stuͤrbe! … Jhr wißt nun auch, was am Grabe geſchah! … Jn dem trat

Philo’s Engel, der fuͤnfte Verderber am Throne des Richters,

Ephod Obaddon herein. Von dem hohen, treffenden Auge

Stroͤmt’ er Rache; ſein Haar fiel ihm in Locken, der Nacht gleich,

Auf die Schulter; ſein Fuß ſtand wie ein ruhender Fels da.

Und er blickt’ auf Philo herab; doch ließ er nicht rauſchen

Seiner Schrecken Stimme, nicht ihre Todestoͤne.

Schwarze, blutende Stunde, du Todesſtunde, befluͤgle

Deiner Schritte letzten! Sey, Thal Benhinnon, gegruͤſſet,

Sey mir gegruͤſſet, Benhinnon! Jndem er dieß in ſich ſelber

Sprach, enteilten ihm ſiebenfaͤltige Schrecken, die ſtuͤrzten

All’ auf Philo. Der ging, mit fuͤrchterlich lachender Ruhe,

Gegen Cneus, und fragte mit dumpfer langſamer Stimm’ ihn:

Offen das Grab? und ohne den Todten? … Ja, ohne den Todten! …

Roͤmer! bezeugſt du bey Jupiter dieß? … Bey Jupiter, zeugt’ ichs

Nicht! bey Jehova, den ich anbete, beſchwuͤr ichs, wofern ich

Mich’s zu beſchwoͤren entſchloͤß, und dir, Elender, mein Wort nicht,

Eidlos, gelten muͤßte! … Da rief mit Ungeſtuͤm Philo:

J 5Ha!
[138]Der Meſſias. Dreyzehnter Geſang.
Ha! vernahmt ihrs? Er ſah es offen, und ohne den Todten!

Und er ſchwur nicht! Du haſt mehr als geſchworen, o Roͤmer!

Rufts, u. reißt dem Hauptmañ ſein Schweꝛt von den Huͤften, u. ſtoͤßt ſichs

Wuͤtend ins Eingeweide mit beyden Armen hinunter,

Schleudert es weit von ſich weg, und taumelt nieder zu ſterben!

Als er ſich waͤlzt in rauchendem Blute, riß er die Wund’ auf,

Spritzte Blut gen Himmel: Ha Nazaraͤer! ſo rief er,

Starb! … Und Cneus ergriff ſein liegendes Schwert, und nahte

Sich dem Todten, und ließ es auf ihn, wie es blutete, fallen.

Schrecken, euch, und, ewige Nacht, und dir, o Verzweiflung,

Weih ich dieß Schweꝛt!.. Da wandt’ er ſich ſchnell, u. verließ die Verſam̃lung.

Auch die entruͤſtete Seele des Todten entfloh ihr, und mußte

Einem Schatten folgen, der ſie durch Finſterniß fuͤhrte.

Aber nun war der Engel des Todes im Thale Benhinnon,

Und da wandt’ er auf Einmal ſich um, da erblickt’ ihn die Seele.

Wer vermag das furchtbare Schaun des richtenden Engels,

Wer zu beſchreiben die Donnerſtimme, mit welcher er rufte?

Ephod Obaddon, ſo heißt der ſiebenfaͤltigen Rache

Namen, und mein Namen! Jch bin der Verderber Einer!

Bins, der die Erſtgeburt an dem Strome ſchlug. Von Gehenna,

Blick umher, du biſt in Gehenna! bring’ ich dich weiter,

Jn die Tiefe der Tiefen hinab! Sie entſchwebten dem Thale.


Der
[[139]]

Der
Meſſias.
Vierzehnter Geſang
.


[[140]]

Jnhalt
des vierzehnten Geſangs
.


Jeſus erſcheint Maria Magdalena, neun andern frommen Wel-
bern, und Petrus. Dieſe erzaͤhlen es der Verſammlung.
Thomas Zweifel. Jeſus entdecket ſich Matthias, und Kleophas
in Emaus. Thomas geht in ein Grab am Oelberge, klagt, und
betet dort. Ein Auferſtandner, den er nicht erkennt, redet mit
ihm. Matthias, und Kleophas kommen zuruͤck. Auch Leb-
baͤus wird noch nicht uͤberzeugt. Jeſus erſcheint
der Verſammlung.


[[141]]

Der Meſſias.
Vierzehnter Geſang
.



Jmmer noch in ihr Leiden verſenkt, und ſchmachtend nach Troſte

War in der Huͤtt’ am Tempel die jammervolle Verſammlung,

Wie an der glanzverbergenden Decke der naͤheren Zukunft

Oft Schnellſterbende dicht ſchon wandeln, und dennoch weinen!

Und die heiligen Weiber vermiſchten mit Oele, der Wuͤrze

Blume, zur Salbung des Mittlers, und Thraͤnen rannen darunter.

Wie die weiſen Begleiterinnen des Braͤutigams wachſam

Waren, und aͤmſig, die Flamme der Lampe zu naͤhren, damit ſie

Jhm entgegen kaͤmen, ſo bald er erſchiene; ſo wart ihr

Auch, Nachfolgerinnen des Mittlers, bereit bey der Daͤmmrung

Erſtem Winke zu ſeyn, mit eilender Sorge beſchaͤfftigt.

Doch ſie erwarteten nicht der Morgendaͤmmerung Ankunft;

Nacht noch war es beynah, da ſie die Juͤnger verlieſſen.

Die aus Magdala’s Huͤtten, und Kleophas Weib, Maria,

Und
[142]Der Meſſias.
Und Johanna, mit ihr die Schweſter der leidenden Mutter,

Salome, dann die zu zaͤrtliche Mutter der Zebedaͤiden

Waren Fuͤhrerinnen … Jhr Lieben, ihr ſeht ihn noch Einmal,

Sprach bey dem Abſchied die Mutter, ich aber ſeh ihn nicht wieder.

Geht denn hin im Namen des Herrn. Sie ſchwiegen, und gingen.

Und der Morgen athmete kalt. Sie eilten, und ſprachen:

Aber wer waͤlzet den Stein vom Grabe? Doch dieſer Kummer

Hielt ſie nicht auf. Wir thun, ſprach Magdalena Maria,

Was wir koͤnnen, und ſchuͤtzen, ſo lange das Salben vermoͤgen,

Jhn vor der grauenvollen Verweſung. So ſprach ſie, und eilte.

Gabriel ſaß auf dem weggewaͤlzten Felſen, und ſagte

Zu Eloa, und Abdiel, welche neben ihm ſchwebten:

Ach kaum, daß ich vermag zu erſcheinen, ſo beb ich vor Freuden!

Seht ihr die Zeuginnen kommen? Jch will als Juͤngling erſcheinen,

Sonſt ergriffe die armen Gluͤcklichen, ſchreckte zu maͤchtig

Meiner Herrlichkeit Schrecken. Erſcheint ihr ihnen als Maͤnner,

Wenn ſie mehr der Unſterblichen Glanz zu tragen vermoͤgen.

Aber der Mittler ſchaut’, aus ſeiner Verborgenheit Huͤllen,

Auf die Engel herab, und auf die kommenden Menſchen,

Freute ſich jene goͤttlichen Freuden, die Blut ihm erkaufte!

Und die Bewohnerinn Magdala’s kam, ſah offen das Grabmaal,

Weggewaͤlzet den Fels, floh, riefs den Andern entgegen,

Eilte zuruͤck nach Jeruſalem. Aber die Kommenden lieſſen

Sich nicht ſchrecken, und gingen heran. Da erblickten ſie ſchleunig

Auf dem Felſen, der weggewaͤlzt an der Oeffnung des Grabs lag,

Einen Juͤngling, der ſchimmerte. Seine Geſtalt war dem Blitze,

Gleich dem Schnee ſein Gewand. Er ſprach mit der Stimme der Wonne:

Fuͤrchtet
[143]Vierzehnter Geſang.
Fuͤrchtet euch nicht! Jch weis, daß ihr den Gekreuzigten ſuchet,

Jeſus! Er iſt nicht hier! Er iſt von den Todten erſtanden,

Wie er verkuͤndiget hat. Kommt her, und ſehet die Staͤte,

Wo der Goͤttliche ruhte. Da fuͤhrt’ er ſie in das Grabmaal.

Gehet eilend nun hin, und ſagt es den Juͤngern, und ſagt es

Kephas: Er ſey von den Todten auferſtanden. Und ſiehe,

Jeſus gehet hinab nach Galilaͤa. Da werdet

Jhr ihn ſehn. Nun eilt, und verkuͤndets den Zwoͤlfen. … Sie blieben

Unentſchloſſen, und zitterten ſaͤumend. Jn Strahlengewanden

Traten noch zween der Engel herein. Sie erſchracken, und ſchlugen

Zu der Erd’ ihr Angeſicht nieder. Was ſucht ihr, ſo ſprachen

Dieſe Maͤnner, unter den Todten, den Lebenden? Hier iſt

Jeſus nicht. Erſtanden iſt er. Gedenkt, was er ſagte,

Als er in Galilaͤa noch war. Jn die Haͤnde der Suͤnder

Muß der Sohn des Menſchen gegeben werden, gekreuzigt

Muß er werden, erwachen am dritten Tage vom Tode!

Jetzo eileten ſie mit Beben, und großer Freude,

Liefen, es nun den Juͤngern des Herrn zu verkuͤndigen. Petrus

Und Johannes kamen indeß mit Magdale wieder.

Als ſie aus Jeruſalem gingen, ſagte Johannes

Seinen Gefaͤhrten: Der Weg an jenen Straͤuchen hinunter

Jſt ein ſchnellerer Weg. Er fuͤhrt’, ihm folgten die Andern.

Wo einander am meiſten die beyden Wege ſich nahten,

Sondert’ ein Huͤgel ſie nur. Von dieſem Huͤgel geſchieden,

Gingen ſich, ohn’ einander zu ſehn, die heiligen Weiber,

Und die Juͤnger voruͤber. So nahn oft Pilger nach Salem,

Deren Seelen ſich gleich, und fuͤr einander gemacht ſind,

Sich
[144]Der Meſſias.
Sich in dieſem Leben, und fehlen ſich dennoch. Jn Salem

Sehn ſie ſich erſt, verwundernd, daß ſie ſich hier nicht fanden.

Kephas ſprach zur Gefaͤhrtinn, indem ſie dem Fuͤhrer mit Muͤhe

Und von ferne nur folgte: Genommen waͤre der Leichnam?

Von den Prieſtern? Allein die haben, ſagt man, den Grabſtein

Ja verſiegelt! So haben ihn denn Elende genommen,

Jhn des Todtengewands zu berauben. Er ſprachs, und Johannes

War dem Grabe ſchon nah. Gelegt erblickt’ er die Leinen,

Aber er ging, voll unentſchloſſenen Kummers und Ehrfurcht,

Nicht hinein. Nun kam auch athemlos Petrus, und eilte

So wie er kam, in das Grab. Er ſahe das Tuch, das des Todten

Haupt umwand, beſonders gelegt, und nicht bey den Leinen,

Fand es zuſammengewickelt. Jhm folgte Johannes ins Grabmaal,

Sahs, und uͤberzeugte ſich ganz von Magdale’s Botſchaft.

Aber davon, daß, nach der Propheten Geſichte, der Mittler

Aufſtehn muͤſſe, wußten ſie nichts. Sie lieſſen das Grabmaal,

Und Maria. Wofern, ſprach Petrus im Gehn zu Johannes,

Sich die Prieſter anders entſchloſſen, und ihrer Verſieglung

Nicht gnung trauten, gewiß ihn zu haben; ſo nahmen die Wuͤter

Jhm das Todtengewand, um ſeine Wunden noch Einmal,

Heiß vom Durſte der Rache, zu ſehn. Sie gingen verſtummt fort.

Magdale ſtand vor dem Grab, und blickt’, und wiſchte die Thraͤnen

Schnell mit Heftigkeit weg, um zu ſehen, ſie blickt’, und ſtarrte

Aengſtlich hinunter ins Grab. Zwar waren Engel im Grabe,

Und die erſchienen ihr; doch kaum ſah ſie die Engel. Denn Jeſus

Sahe ſie nicht! nicht Jeſus! So ſucht, mit lechzender Zunge,

Nur
[145]Vierzehnter Geſang.
Nur die Quelle das ſchreyende Reh; die Sonne, die aufgeht,

Sieht es nicht, es fuͤhlt nicht die wehenden Schatten des Waldes.

Weib, was weineſt du? ſprachen zu ihr die Boten der Wonne.

Ach, ſie haben, den meine Seele liebet, genommen,

Und ich weis nicht, wohin ſie ihn legten? So ſprach ſie, und wandte

Sich von dem Grabe. Da ſieht ſie Jeſus ſtehen, und weis nicht.

Daß es Jeſus iſt. Was weineſt du, Weib? wen ſuchſt du?

Doch dieß ſprach er noch nicht mit der Stimme des ewigen Lebens!

Und ſie erwiedert dem Gaͤrtner, ſie meinte, ſie ſaͤhe den Gaͤrtner;

Haſt du ihn weggenommen; wohin haſt du ihn getragen?

Ach in welche Finſterniß, daß ich eil’, und ihn ſuche.

Nahe, wie ſie, der unausſprechlichſten Seligkeit, weint ſo

Selbſt ein Geliebter des Herrn, wenn ſeiner Sterblichkeit letztes,

Aber ſtaͤrkſtes Gefuͤhl die ganze Seel’ ihm erſchuͤttert.

Ach er liegt, und ringt mit dem Tod’, und duͤrſtet nach Huͤlfe!

Weint zu Chriſtus, und kennt, ſo ſchreckt ihn der Pruͤfungen letzte!

Kennt den Liebenden kaum; ſieht nur den Richter der Welten!

Doch zwo Thraͤnen nur nach; und welche Wonn iſt die ſeine!

Selber von dem, mit dem ſie von Jeſus redete, wendet,

Jn der Traurigkeit ihrer Seele, Maria ihr Antlitz,

Aber wie Harfen am Throne, wie Jubel der Ueberwinder,

Singen ſie, ganz in Liebe zerfloſſen, das Lamm, das erwuͤrgt ward,

Nicht wie Harfen der Ueberwinder, und Jubel am Throne,

Jnniger, herzlicher, liebevoller, erſcholl des Erſtandnen,

Jeſus Stimme der Weinenden, Jeſus Stimme: Maria! …

Und ſie hoͤrt’, und erkannte die Stimme des Herrn, und indem ſie

Kaum ſich ihrer bewußt, in der Angſt der Freude hinſank,

IIIBand. KBebend,
[146]Der Meſſias.
Bebend, und bleich in den Staub hinſank zu den Fuͤßen Chriſtus,

Strebte ſie, was ſie empfand, dem Erſtandenen zuzurufen,

Aber ſie ſtammelt’, und athmete kaum, und blickte den Herrn an,

Weint’, und ſtammelte nur mit leiſem Erſtaunen: Rabbuni! …

Und ſie hielt mit wankender Hand des Goͤttlichen Fuͤſſe.

Liebend, und ganz Barmherzigkeit, ſah ſie der Herr an, und ſagte:

Halt mich nicht alſo! Noch bleib ich bey euch. Du ſiehſt mich noch wieder!

Und noch hab ich mich nicht zu meinem Vater erhoben!

Geh zu unſern Bruͤdern, und ſage zu ihnen: Die Stunde

Meiner Herrlichkeit naht ſich. Jch gehe zu meinem Vater,

Und zu eurem Vater, zu meinem Gott, und zu eurem!

Jeſus verſchwand, und ſie ging mit der Botſchaft der Wonne belaſtet.

Salome naht ſich mit ihren Begleiterinnen dem Thore.

Aber, der Maria verſchwand, begegnet den Andern

Jn der duftenden Kuͤhle des werdenden roͤthlichen Tages,

Mit der Sonne, die kam, und Gottes Herrlichkeit ſtrahlte,

Und er war es gleich Selbſt! Sie erkannten ihn Alle, der nun nicht

Unter den Todten mehr war. Seyd mir gegruͤſſet! ſo ſagte

Jeſus Chriſtus. Sie ſanken vor ihm mit Beben zur Erde,

Hielten ihm ſeine Fuͤſſe. Seyd nicht erſchrocken, und gehet

Und verkuͤndigt es meinen Bruͤdern. Jn Galilaͤa

Sollen ſie gehn. Dort ſehen ſie mich. Er verſchwand mit den Worten.

Und die Zeuginnen huben einander mit ſprachloſer Freud auf,

Gingen eilend nach Salem, die Botſchaft der Wonne zu bringen.

Petrus war vor ihnen zuruͤck und Johannes gekommen,

Hatten uͤber die ganze Verſammlung traurige Wolken

Ausgebreitet. Da kamen die Zeuginnen deſſen, der lebte!

Hoͤrt
[147]Vierzehnter Geſang.
Hoͤrt uns, ihr weint, o hoͤrt uns! Wir haben ihn lebend geſehen,

Und auch Engel zuvor! Erſt Einen Engel am Grabe;

Und denn zweene mit dieſem darinn, die ſprachen, was ſagten

Sie, o Salome? denn ich war zu erſchrocken, der Boten

Himmliſche Stimme recht zu verſtehn. … Jhr wart zu erſchrocken,

Trat jetzt Thomas hervor, zu verſtehn, was ihr hoͤrtet? Vielleicht auch

Recht zu ſehn, was ihr ſaht? … Ach Juͤnger Jeſus, erſchreck du

Uns mit deinen Zweifeln nicht mehr, wir ſind, vor Freuden,

Ohne dich, noch erſchrocken genung. Der Lebende ſagt’ uns:

Fuͤrchtet euch nicht! und du, ſein Juͤnger, erſchreckſt uns von neuen.

Ach ich wollte das nicht, Geliebte. Doch laßt mich euch fragen,

Und ſeyd ruhig, indem ich genau die Wahrheit erforſche.

Einen Engel ſaht ihr zuerſt? Wie war er geſtaltet?

Sieh ein Juͤngling! ſein Antlitz dem Blitze, dem Schnee ſein Gewand gleich!..

Der war Gabriel! rief die Mutter des Lebenden. War denn,

Sprach drauf Thomas, die Sonne ſchon da? Du haſt nicht vernommen,

Salome, daß ein roͤmiſcher Hauptmann mit einer Wache,

Auf Pilatus Befehl, erfleht von den wuͤtenden Prieſtern,

Geſtern das Grab des Todten umringte. Die Nuͤſtung der Roͤmer

Glaͤnzet taͤuſchend, indem darauf der Schimmer des Tags faͤllt.

Aber euch taͤuſchte ja ſchon der Schrecken genung, und ihr brauchtet

Keines Glanzes in Fernen, um Engelgeſtalten zu ſehen.

Aber es war erſt Daͤmmerung, o Didymus, und der Juͤngling

War kein Roͤmer. Sein Antlitz, nicht ſeine Ruͤſtung, er hatte

Keine Ruͤſtung, ſchimmerte! Was den Unſterblichen deckte,

War ein weißes Gewand. … Wohlan, was ſagt’ er zu euch denn,

Dieſer Unſterbliche? … Fuͤrchten ſollten wir uns nicht, er wuͤßte,

K 2Daß
[148]Der Meſſias.
Daß wir Jeſus von Nazareth ſuchten, der waͤr von den Todten

Auferſtanden, nicht hier! Kommt her, und ſehet die Staͤte,

Wo er lag. So ſprach er, und fuͤhrt uns hinein in das Grabmaal.

Eilt nun, ſprach er darauf, und ſagt es den Juͤngern, und ſagt es

Kephas, er ſey von den Todten auferſtanden! Da rufte

Petrus innig geruͤhrt: Er nennte, vor Aller Namen,

Meinen Namen? ein Engel, des Suͤnders? Ach himmliſche Troͤſtung

Haͤtteſt du, Bote des Herrn, waͤrſt du wahrhaftig erſchienen,

Mir dem Leidenden zugerufen! Allein daß er mich nur

Und Maria nicht nennt’, und nicht Johannes, das ſelber

Stuͤrzt mich in Zweifel. Und Didymus ſtand nachdenkend, und fragte

Endlich wieder: Das wars, das der Engel euch ſagte? … Noch ſprach er:

Jeſus geht vor euch hin in Galilaͤa’, da werdet

Jhr ihn ſehen. … Die uͤbrigen Engel, erwiederte Thomas,

Waren geſtaltet, wie der? … Sie waren noch himmliſcher, riefen

Zwo von ihnen, allein wir ſahen Jeſus auch ſelber!

Mit den Engeln? Sie ſprachen: Die Engel waren verſchwunden,

Als wir am Thor ihn ſahn, wie er uns begegnend daherkam,

So geſtaltet wie ſonſt, in ſeinen Gewanden. Doch hatt’ er

Jn der Gebehrde was Himmliſches. Bey der Erſcheinung auf Tabor

Sahn ſie ihn alſo vielleicht. Seyd mir gegruͤſſet! ſo ſagt’ er.

Und wir ſanken vor ihm mit Beben nieder, und hielten

Seine Fuͤſſe. Seyd nicht erſchrocken, und geht, und verkuͤndets

Meinen Bruͤdern. Jn Galilaͤa ſollen ſie gehen.

Dort erſchein’ ich ihnen. Er ſprachs, und verſchwand mit den Worten.

Jhn, ihn ſelber habt ihr geſehn? ihr Alle? ſo ſagte

Thomas, und blieb mit gruͤbelnder Stirn und ernſtem Auge

Stehn.
[149]Vierzehnter Geſang.
Stehn. Es war des Todten Geſtalt, und Gewand, die Stimm’ auch?

Aber er ſchwieg jetzt, und immer weiter im Strome der Zweifel

Fortgeriſſen, begann er von neuen: Jetzt ſeyd ihr zu lebhaft

Durch das alles getaͤuſcht, was ihr erzaͤhlet. Jch will euch,

Wenn ihr es erſt zu tragen vermoͤgt, der Zweifel Urſach,

Die mir anders zu denken gebieten, offen entdecken,

Nichts verſchweigen! Jhr glaubt, ihr Juͤnger Jeſus, die Maͤhrlein,

Die ſie erzaͤhlen, doch nicht? Er ſprachs, und ſetzte ſich wieder.

Und der ſtuͤrzenden Freudenthraͤne der Zeuginnen folgte

Nun des Mitleids ſanftzerrinnende Thraͤne. Sie ſchwiegen.

Muͤde vor Angſt der Freude, voll Schweiß die Stirne, die Wange

Bleich, mit bebenden Lippen, mit ſtarrer lechzender Zunge,

Trat Maria Magdala, unter die Weinenden, ſtrebte

Jhre Haͤnde gen Himmel zu heben, ſie ſanken ihr nieder,

Und ſie faltet ſie feſt. Er iſt erſtanden! erſtanden!

Alſo ruft ſie mit einer Stimme des freudigen Schreckens,

Die nicht Harfen der Seraphim, nicht ihr Geſang ausdruͤckte,

Dunkel wird es um ſie. Sie ſucht nach Stuͤtzen. Johannes

Haͤlt ſie, ſie lehnt ſich an ihn. Als er zu reden vermochte,

Sprach Lebbaͤus: So haſt auch du die Engel geſehen?

Sanfter ſchlug itzt ihr Herz. Sie ſprach mit himmliſchem Laͤcheln:

Ach nicht Engel nur, Jhn! Da huben Alle die Augen

Still gen Himmel; nur Didymus nicht. Er nahte ſich, ſagte

Kalt, mit truͤbem Ernſte: Wer ſo ſich taͤuſcht, daß ſein Auge

Engel erblickt, der kann auch waͤhnen, ihn ſelber zu ſehen.

Didymus ach! was haben wir dir, was hat dir, Geliebter,

Jeſus Chriſtus gethan? antwortete Magdale ruhig.

K 3Dieß
[150]Der Meſſias.
Dieß mein Auge ſah ihn! am Fuſſe des Auferſtandnen

Weinete dieß mein Auge! Jakobus blickte mit Ehrfurcht

Und mit Staunen auf ſie: Hatt’ er die Klarheit der Himmel?

Waren Strahlen ſein Kleid? … Er war ein Menſch, doch erblickt’ ich

Gnaden in ſeinem Antlitz, die ich noch niemals geſehen,

Selbſt nicht an ihm. Jetzt naht ſich auch Simon Petrus. Unzaͤhlbar

Waren die Zweifel, die ihn betaͤubten; ihr Ungeſtuͤm ließ

Endlich ihn reden. Er fragt’, und bebte, die Antwort zu hoͤren.

Haſt du auch ſeine Stimme gehoͤrt? … Ja, Simon Johanna,

Seine Stimme, des Goͤttlichen Stimme, des Auferſtandnen!

Ach! was ſagt’ er zu dir? …. Jch fuͤhl es, nein, ich vermag nicht

Auszuſprechen, wie voll von Gnade die Stimme des Herrn war.

Jener glich ſie, womit er in ſeinem Blute zu Gott rief:

Vater, ſie wiſſen es nicht, was ſie thun, erbarme dich ihrer!

Ach noch ſanfter, noch liebevoller ſprach er: Maria!

Und ich erkannt’ ihn. Mir wars, als waͤr ich im Himmel! Rabbuni!

Stammelt’ ich; hielt mit wankender Hand des Goͤttlichen Fuͤſſe,

Liebend, und ganz Barmherzigkeit ſah mich der Herr an, und ſagte:

Halt mich nicht alſo. Noch bleib ich bey euch. Du ſiehſt mich noch wieder,

Und noch hab ich mich nicht zu meinem Vater erhoben!

Geh zu unſern Bruͤdern, und ſage zu ihnen: Die Stunde

Meiner Herrlichkeit naht ſich. Jch gehe zu meinem Vater,

Und zu eurem Vater, zu meinem Gott, und zu eurem!

Chriſtus Mutter hatte bisher mit ſinkendem Haupte

Niedergeſehn. Sie erhub ihr helleres Aug, und blickte

Sanft auf Magdale, ſtand dann muͤhſam auf, und hielt ſich,

Und ſie leiteten ſie. Sie gieng zu Magdale, reicht ihr

Jhre
[151]Vierzehnter Geſang.
Jhre Hand, und hielt die Hand der Geliebten, und ſah ſie

Wieder mit innigem Blick an, und ſagte mit leiſem Laute;

Du haſt Chriſtus geſehn, und ſeine Stimme gehoͤret?

Meinen Sohn? … Doch darf ich, (hier ſah ſie mit himmliſcher Demuth

Forſchend ſich um,) darf ich noch Sohn ihn nennen? Geliebte,

Euer Auge ſagt mirs, ich darf ihn ſo nennen? Du ſagteſt,

Daß mein Sohn ein Menſch war! O Magdale, hatt’ er auch Male

Seiner Wunden? Sie wandte ſich weg, und weinte, doch hielt ſie

Noch die Hand der Geliebten. O Mutter des groͤßten der Soͤhne,

Weine nicht. Er iſt von dem Tod erſtanden. Jch weis nicht,

Ob ich Male der Wunden ſah. Von Freuden erſchuͤttert,

Sah ich beynah nur allein ſein Antlitz, und himmliſche Gnaden

Jn des Goͤttlichen Antlitz, und unausſprechliche Gnaden!

Siehe ſo ſtand er umgeben von Duft, und Schimmern der Daͤmmrung.

Chriſtus Mutter weinte nicht mehr. Sie faßt die Geliebte

Jetzt bey beyden Haͤnden, und ſieht gen Himmel. Sie ließ ihr

Nun die Haͤnde ſinken, und trat tiefdenkend zuruͤcke,

Sah mit Bewundrung ſie an, und ſagte: Begnadigte, Chriſtus

Haſt du erſtanden geſehn, und ſeine Stimme gehoͤret?

Und die zuerſt mit ihr gingen, die fruͤheren Zeuginnen traten

Freudig um ſie herum, und erzaͤhlten ihr, welcher Erſcheinung

Sie erſt Engel, und dann der Herr gewuͤrdiget haͤtte.

Aber Didymus kam: Sahſt du auch Engel, Maria

Magdale? … Kaum erblickt ich die Engel. Mein Auge war finſter

Von Betruͤbniß. Jch wandte mich ſchnell. Denn eines dem Gaͤrtner

Gleichenden wurd ich gewahr. Jch erkannt’ ihn ſogleich nicht, erkannt’ ihn

Erſt, als er bey dem Namen, mit ſeiner Stimme, mich nannte.

K 4Alſo
[152]Der Meſſias.
Alſo ſahſt du die kaum, die du doch Unſterbliche nenneſt?

Jhn erkannteſt du auch nicht gleich, und hielteſt zuerſt ihn,

Fuͤr den Gaͤrtner Die andern erzaͤhlen, er waͤre bekleidet

Wie vordem geweſen. So war des Gaͤrtners Gewand denn

Wie das ſeine ſonſt war? Wie viel der Unſterblichen warens,

Magdale, die du ſahſt? … Zween ſah ich … Die andern erblickten

Einen erſt, dann noch Zween. Er ſagt es, und wandte ſein Antlitz.

Magdalena erhub ihr hohes Auge gen Himmel:

Wenn er euch nur nicht irrt, o du, des Lebenden Mutter,

Und ihr, Juͤnger des Herrn! Laß meiner Seligkeit jetzt mich,

Thomas. Jch will dir hernach antworten. Da nahm ſie die Mutter

Jeſus, und fuͤhrte ſie weg, mehr Wonnegeſpraͤche zu halten.

Kephas, dem Zweifel ſein Herz zerriſſen, und dem es noch immer

Scholl, und zu Thraͤnen ihn zwang: Den Juͤngern ſagt es, und ſagt es

Petrus! ihm wurde Salem zu eng; er ließ die Verſammlung,

Eilt’ hinaus. Bald waͤhlt’ er, um ſich in trauriges Gruͤbeln

Ganz zu vertiefen, die fernſte der Wuͤſten; dann Galilaͤa;

Dann das Grab. Jetzt hatt’ er den Weg der Wuͤſte genommen,

Aber er kam auf den Weg, der zum Grab’ ihn fuͤhrte, zuruͤcke.

Und er ſtand, von der Stille der ſanfterwachenden Erde,

Und der fruͤhen Erfriſchung des werdenden Schimmers umgeben,

An dem Hange des Todtenhuͤgels. Er blickt’ in das offne,

Leere Grab hinunter; und dieſe Kummer empoͤrten

Seine Seele: Zu ſchreckliche That! Sie haͤtten ihn alſo

Weggenommen, damit ſie ihn hier bey den Schaͤdeln begruͤben?

Bey der Verfluchten Gebein? Du ſchwarze Rache, der tiefſten

Unterſten Hoͤlle Rache, dir waͤrs gelungen, und Joſeph

Haͤtte
[153]Vierzehnter Geſang.
Haͤtte vergebens den Heiden erfleht? Wir haͤtten vergebens,

Unter die Thraͤnen unſers Jammers einige Zaͤhren

Truͤber Freude gemiſcht? Denn ach, wie kann ich es glauben:

Auferſtanden ſey er? erſchienen ſo gar? das glauben?

Baͤngſter unter den Schmerzen, du haſt die blutenden Seelen

Ueberſtroͤmt, ſie dahin in deinen Fluthen geriſſen,

Und ſie haben, getaͤuſcht von der Angſt, ihn erſtanden geſehen!

Auferſtanden! erſchienen! und ich waͤr dieſer Wonne

Nicht erlegen? noch nicht, ach, unter dieſer Entzuͤckung,

Dieſem Gefuͤhle des ewigen Lebens, noch nicht verſunken?

Kreuz des Todten! (er hub ſein truͤbes Auge zum Kreuz auf,)

Kreuz des Todten! du zeugeſt zu laut, und Himmel und Erde

Haben dein furchtbares Zeugniß gehoͤrt! Geſtorben, geſtorben,

Ja, geſtorben iſt er! Da gieng ein Schwert durch die Seele

Seiner Mutter! ein toͤdtender Schwert durch ſeine Seele!

Wiederſehen? ach das werd ich einſt wahrhaftig, ich werd ihn

Wiederſehen! allein am Throne des Ewigen! hier nicht.

Warum zitterſt du, meine Seele, vor dieſer Ruhe,

Deiner einzigen Ruhe zuruͤck? Ja, zittre vor ihr nur,

Meine Seele, zuruͤck! Zwar biſt du erhoͤrt, und dein Richter

Hat die Reue, mit der du buͤßteſt, erbarmend geſehen;

Aber du darfſt dich nicht freun! Noch ſteht der furchtbare Zeuge

Seines Todes, das Kreuz! Noch liegen die Berge, die Felſen,

Und die Graͤber, wie ſie der Allmacht Rechte zermalmte!

Nein, du darfſt dich nicht freun! So dacht’, und ſtammelt’, und rief er,

Starrte wieder ins offene Grab. Nicht ferne vom Grabe

Sah er Magdale, die gen Himmel weinend kniete,

K 5Und
[154]Der Meſſias.
Und in den Staub mit der Rechte ſich ſtuͤtzte. Maria, Maria

Magdale! rief der geruͤhrte Juͤnger. Endlich erkennt ſie

Seine Stimm’, und kommt. Gluͤckſelige! glaubſt du noch immer,

Daß du ihn erſtanden geſehn? … Mit der Linken, o Simon,

Hielt ich, du ſahſt es, ein ſproſſendes Reis, bey welchem ſein Fuß ſtand!

Meine Rechte ruht’ in dem Staube, worinn ſein Fuß ſtand!

Heb, o Maria, dein Aug auf, ſchau zu dem Kreuze! da ſtarb er!

Und erſtanden iſt er, erſtanden, o Simon, vom Tode!

Beym lebendigen Gott beſchwoͤr’ ich dich: Hat ihn dein Auge,

Dieß dein Auge, Maria, geſehn, das vor dir mich ſtehn ſieht?

Ob mein Aug’ ihn ſah? O bey deß Wahrhaftigkeit, Kephas,

Welcher ewig iſt, hat die Herrlichkeit Jeſus Chriſtus

Dieß mein Auge geſehn! die Stimme des Sohnes Gottes

Hat mein Ohr vernommen! und Wonne der Himmel empfand ich!

Sprachlos blieb ſie ſtehen, auch Petrus. Jetzt redet’ er wieder

Wende dich weg, o zu Gluͤckſelige, laß mich in Stillem

Meine Traurigkeit weinen. O haͤtt’ ein freudig Geſicht mich,

Wie es dich taͤuſchte, getaͤuſcht, und meine Seele gelindert!

Ach, ich glaube dir nicht! … So glaube denn auch nicht, du habeſt

Auf dem Meer ihn wandeln geſehn! Auf Tabors Gebirge

Von des Vaters Herrlichkeit ihn umleuchtet geſehen!

Sie verließen einander. Ach koͤnnt ich ihr glauben! ſo dacht’ er

Bey ſich ſelber, indem ſie von ihm zu dem Grabe zuruͤck ging,

Zu Gluͤckſelige! Ja, ſie glaubt es aus ganzer Seele.

Wie voll Zuverſicht iſt ſie, und Wonne! wie breitet

Ruh und Hoheit uͤber ſie aus, die feſte Gewißheit!

Grab und Verweſung erſchuͤttern ſie nicht! Sie laͤchelt dem Sturme,

Der
[155]Vierzehnter Geſang.
Der in der naͤchtlichen Tiefe der Todesthale daherrauſcht!

Und ach warum glaub ich ihr nicht? Kann der nicht erwachen,

Der auf dem Meere ging? und mich hielt auf der wuͤtenden Woge?

Ja, du Todter Gottes, vergieb, vergieb es dem Trauren,

Meiner Seele Jammer, wofern du lebſt! Ach, du hieltſt mich,

Als ich vor der kommenden Woge zweifelnd dahinſank;

Rett’ auch jetzt mich! Jch bin, das weißt du, viel baͤnger, als damals,

Und du hilfſt mir nicht, Herr, und reichſt mir nicht deine Rechte,

Deine goͤttliche Rechte! Bey deiner erbarmenden Liebe,

Bey dem Blicke voll Gnade, voll Gnade, womit du mich anſahſt,

Als nun meiner Verleugnung zu ſchwere Laſt auf mich ſtuͤrzte!

Ach bey der Barmherzigkeit, fleh ich dich an: O erbarm dich

Meiner Angſt! und erſchein auch mir, wofern du erſcheineſt.

Nein, ich bitte zu viel. Geht, ſagts den Juͤngern, und Petrus!

Sprach der Engel. War dieſes nicht ſchon unausſprechliche Gnade?

Herr, ach ſollteſt du mir, der dich verleugnet’, erſcheinen?

Mir? und biſt nicht Lebbaͤus, und nicht Jakobus erſchienen,

Nicht Johannes, nicht ihr der liebevollſten der Muͤtter!

Aber auch Magdale hat geſuͤndigt! Wenn hat ſie geſuͤndigt?

Eh ſie ihn kannte! Und hab ich geliebt, wie Magdale liebte?

Alſo dacht er, und ſtieg mit ſchwerem Schritte den Huͤgel

Langſam hinauf, und ſank auf ſeine Knie zu beten,

Schaute nieder, und flehte zu Gott. … Da er aufſah, erblickt’ er

Chriſtus unter dem Kreuz! … Wer faßt das Erſtaunen, die Wonne

Seiner Seele, da er vor ſich den Lebenden ſtehn ſah!

Und ihm reichte, mit goͤttlicher Huld, der Suͤndeverſoͤhner

Seine
[156]Der Meſſias.
Seine Rechte. Doch Petrus vermag nicht aufzuſtehen,

Strebt, und ſucht mit der anderen Hand nach Chriſtus Arme,

Feſt ſich daran zu halten; allein ſie ſank in den Staub ihm.

Jetzt erhub er ſich wieder, umſchlang mit beyden Armen

Jeſus Rechte, bebte daran, und druͤckte ſie innig

An ſein Herz, und ſenkte die Stirn auf den Arm des Erſtandnen.

Erde, ſo daucht es ihm, wollten um ihn, und Himmel vergehen!

Endlich ſchaut er hinauf in des Goͤttlichen Antlitz, begann denn

Mit der ſtammelnden Stimme der erſten Freude zu rufen:

Herr, Herr Gott, barmherzig und gnaͤdig! und blickt’ und ſchaute

Auf den Lebenden. Herr, Herr Gott barmherzig, und gnaͤdig!

Ruft’ er noch einmal, und bebte nicht mehr, und empfand des Erſtandnen

Ueberſchwenglichtroͤſtenden, unausſprechlichen Anblick.

Seine Huͤter Jthuriel, und Orion umſchwebten

Golgatha; und Jthuriel hielt ſich nicht mehr: Ach Orion,

Welche Stunde meiner Unſterblichkeit! Jubel der Wonne

Werden ihn oft uns wiederhohlen, ihn feyrend beſingen!

Auferſtanden erſcheinet der Herr dem geretteten Suͤnder,

Chriſtus Kephas! … Du fuͤhlſt, was ich empfinde, Geliebter,

Unſerem Juͤnger! O komm, und freu dich in meiner Umarmung

Deiner, und meiner Wonne! Geſuͤndigt haben, iſt furchtbar,

Voll von Entſetzen, Jthuriel; und, an dem Suͤndeverſoͤhner,

Und, zu der Zeit der Verſoͤhnung, und, als ein begnadigter Juͤnger!

Koͤnnen wir uns kaum denken; allein die erweinte Vergebung

So erlangen! … O Seraph, wie ſelig ſind die Verſoͤhnten!

Mit den Worten des Engels verließ der Erſtandne den Huͤgel.

Petrus ſah, und betet’ ihm nach mit gefalteten Haͤnden,

Bis
[157]Vierzehnter Geſang.
Bis in dem Schatten des uͤberhangenden Grabes ſein Aug’ ihn

Schnell verlor. Und Petrus erhub die verbreiteten Arme

Freudig gen Himmel: O Dank, Dank dir, Sohn Gottes, Erſtandner,

Jnniger, ewiger Dank, der meine Seele gelabt hat

Mit mehr Troͤſtung, als ſie, in ihrem Durſte nach Ruhe,

Sich zu denken, zu wuͤnſchen vermochte. So wollſt du im Tod’ einſt,

Herr, mich troͤſten! Wer bin ich? ach, meine furchtbare Suͤnde

Buͤßt’ ich zwar, die Verleugnung deiner, aber wer bin ich,

Daß du mit dieſen Gnaden dich mein, Sohn Gottes, erbarmt haſt!

Jeſus Chriſtus Herrlichkeit hat mein Auge geſehen,

Jhn in das Leben erwacht, ſo hat ihn mein Auge geſehen!

Fleuß auf ewig, mein Dank, aus meiner innerſten Seele,

Heiſſer, herzlicher Dank! Die Gnaden der Himmel alle,

Ja die ganze Fuͤlle der Wonne, die ſelige Fuͤlle

Aller deiner Erbarmungen, hoff’ ich nun! Das Geheimniß

Deines Todes, wirſt du mir, Sohn des Vaters, enthuͤllen.

Nicht das Heer ohne Zahl, die Maͤchte, die Schaaren, die Thronen,

Nicht Erzengel koͤnnen von dem, deß Antlitz ſie ſchauen,

Mehr empfahn, wie ich nun von ihm hoffe! Den ſah ich lebend,

Der des Ewigen Sohn iſt, und der an dem Kreuze des Todes

Starb, ihn lebend! Gedanke voll tiefer Ruhe, du Reichthum

Aller Erbarmung, mir wird auch dein Geheimniß enthuͤllen

Der auf ewig nun lebt! Jch hab ihn lebend geſehen

Jeſus Chriſtus! O ſagts an dem ewigen Throne, verkuͤndets

Allen Himmeln! Er lebt! ſingts laut in Jubelgeſaͤngen,

Soͤhne des Lichts! … Er ſchwieg, und ſchaute lange gen Himmel.

Schnell ſtand er auf. Auch ihr ſollt ſchoͤpfen, o meine Bruͤder,

Aus
[158]Der Meſſias.
Aus der Quelle des Troſtes, auch eure blutenden Wunden

Sollen heilen. Er dachts, und eilte. Schon hatt’ er die Mauren

Salems erreicht; ſchon naht’ er ſich ſeiner Bruͤder Verſammlung,

Die voll Erwartungen war, und Zweifel und Freud’ und Erſtaunen.

Und er trat mit gefalteten Haͤnden in die Verſammlung:

Lob, und Preis, und Ehre ſey, Anbetung, und Dank ſey

Gottes Sohne, der uns mit einer Liebe geliebt hat,

Die ein Jubelgeſang, im Leben, und Tod uns ſeyn wird!

Jhm, der des wunderbaren Todes geſtorben, erſtanden

Jſt, und erſchienen! … Auch mir iſt Chriſtus erſchienen! … Am Kreuze

Stand er, da ſah ihn mein Auge, da ſah ich des Goͤttlichen Antlitz.

Und ſie nahen ſich ihm, bewundern ihn, preiſen ihn ſelig,

Und erſtaunen uͤber den Herrn, der vom Tode des Kreuzes

Auferſtand! Und tiefanbetendes Schweigen feſſelt

Aller Zungen. Endlich umgeben ſie naͤher den neuen,

Seligen Zeugen des Auferſtandnen, umarmen voll Wonn’ ihn,

Druͤcken ihn an ihr Herz, und weinen. Des Lebenden Mutter

Hielt ihn bey der Rechten, und Magdale bey der Linken.

Siehe, nun haſt du ihn auch, o Simon Johanna, geſehen!

Magdale ſprachs. Dann ſagte mit himmliſchem Laͤcheln die Mutter:

Gottes Sohn, und meinen! Lebbaͤus ſtammelt’, und wandte

Sich zu Maria! Vor Trauren nicht mehr, vor Entzuͤckung, o Mutter,

Glaub ich es kaum. Du Blutender, ach du Wundenvoller,

Biſt erſtanden! Er ſank an die Bruſt Johannes, der druͤckt’ ihn

Jnnig ans Herz, und ſagt ihm leiſe! Er iſt erſtanden!

Ließ ihn, und ging zu Maria: O du des Goͤttlichen Mutter,

Freu dich wieder! Nun geht durch deine Seele kein Schwert mehr,

Deine
[159]Vierzehnter Geſang.
Deine blutende Seele nicht mehr! … Mi[t] Freuden der Himmel

Freu ich mich, Sohn. Ach auferſtanden iſt Jeſus Chriſtus!

Auferſtanden! Auch mir wird Jeſus Chriſtus erſcheinen.

Das verhieß mir dein Blick, mit dem du vom Kreuze mich anſahſt.

Bartholomaͤus ergriff die Hand des Juͤngers, des Zeugen,

Sagte mit ſanfter Wehmuth: O Simon, mein graues Haupt wird

Eher nicht in die Grube ſich neigen, als auch mein Auge

Unſern goͤttlichen Meiſter vom Tod erſtanden geſehn hat.

Kephas hielt ihm die Hand, und ſah ihn mit glaubendem Muth an:

Ja, du Theurer, er wird ſich unſer Aller erbarmen.

Wie an heiterem Himmel ſich eine Wolk’ heraufzieht,

Einſam, und truͤb, und ernſt, ſo nahte ſich Didymus Kepha.

Selber Simon! ja wenn es moͤglich waͤre, ſo glaubt’ ich

Dir, o Simon! Er wandte mit innigem Grame ſein Antlitz.

Wende dich, Thomas, und danke mit uns! Der Herr iſt erſtanden!

Ja Anbetung, und Ehr’ und Preis, und Jubel, und Dank ſey

Jhm, der wunderbar ſtarb, vom Tode wunderbar aufſtand,

Und erſcheint! Er wird ſich unſer Aller erbarmen!

Mit den Worten entſinkt die Mutter Chriſtus des Zeugen

Bebendem Arme. Sie liegt auf ihren Knien, und breitet

Freudig die Arme gen Himmel, und ruft mit der Stimme der Wonne;

Meine Seel’ erhebet den Herrn! Mein Jnnerſtes freut ſich

Gottes meines Erloͤſers! Du haſt die Thraͤnen der Mutter,

Deiner traurenden Magd, von deinem Kreuze geſehen!

Haſt ſie all’ erbarmend gezaͤhlt! Die Enkel der Enkel

Werden mich ſelig preiſen! Wie wunderbar iſt er, wie groß iſt

Alle ſein Thun, der maͤchtiger, als der Tod iſt! Ach heilig

Jſt
[160]Der Meſſias.
Jſt ſein Name, heilig! und ewig iſt er Erbarmer!

Allmacht iſt ſein Arm! Er ſtuͤrzt blutduͤrſtende Stolze!

Maͤchtige ſtoͤßt er vom Thron, und erhebt die niedrige Demuth.

Die nach Heile duͤrſten, erquickt er; die ſelbſt ſich genung ſind,

Laͤßt er leer! Ach ewig iſt Er Barmherzigkeit! troͤſtet

Die ihn lieben! Abraham hat er, und Abrahams Kindern

Diß geſchworen. Er haͤlt den theuren Eid der Erbarmung!

Ja Anbethung, und Lob, und Preis, und Jubel, und Dank ſey

Jeſus Chriſtus, der lebt, der maͤchtiger, als der Tod iſt!

Didymus war auf den Soͤller gegangen. Jhm folgten die Andern,

Durch die Schoͤne des Tags, und das lebende Wehen der Luͤfte

Sich zu erquicken, und durch der gotterfuͤllten Schoͤpfung

Anblick, deß ſich zu freun, der ſo ſie begnadiget hatte.

Und ſie kamen zu Thomas, und weckten ihn aus der Betaͤubung

Seines Tiefſinns. Er bebte vor ihnen zuruͤck, da er aufſah,

Und auf Einmal um ſich die ganze Verſammlung erblickte.

Und er eilt’ hinunter zu ſteigen. … O, flieh du Geliebter,

Flieh uns nicht, rief Petrus, der Herr wird auch dein ſich erbarmen!

Auch ich zweifelte, Thomas, wie hat er mein ſich erbarmet!

Doch wer wandelt in jener Ferne? Truͤgt mich mein Blick nicht,

Siehe ſo iſt es Matthias, und Kleophas. Theure, Geliebte,

Waͤrt ihr noch hier; ach unausſprechlich, wie unſere Seele,

Wuͤrd’ auch eure Seele ſich freun! Die maͤchtigen Freuden

Ja ſie warten eurer, die Freuden des ewigen Lebens.

Aber wer kommt zu ihnen aus jenen Schatten heruͤber?

Nein! ich kenn ihn nicht. Voll Hoheit ſcheint mir das Anſehn

Dieſes Fremdlings. Kennſt du ihn, Thomas? Sie gruͤſſen mit Ehrfurcht

Jhren
[161]Vierzehnter Geſang.
Jhren Gefaͤhrten, er ſpricht ſchon mit ihnen. … Jch kenn ihn nicht, Simon.

Aber lange hab ich ſo viele Hoheit, und Einfalt

Nicht vereinet geſehn. Und Petrus erwiederte: Moͤcht ihn

Bald ſein Weg nach Jeruſalem fuͤhren. Sie kehrten zugleich um.

Denn ſie gehen doch nur, um ihre Seele zu lindern.

Seht den Weg, der ſich kruͤmmt, bringt jetzt ſie uns naͤher, doch werden

Jene Palmen ſie bald vor unſerem Auge verbergen.

Seht ihr ihren Begleiter, mit welcher Wuͤrd’ und Ernſte,

Welcher Hoheit, die ſanftere Menſchlichkeit mildert, er anhoͤrt,

Was ſie ihm traurig erzaͤhlen; vielleicht die Geſchichte vom Tode

Deſſen, den ſie am Kreuze, noch nicht erſtanden geſehen.

Jſt er Einer der Engel, die ihr bey dem Grabe geſehn habt?

Wie ihr euch taͤuſcht! rief Thomas. Er iſt ein Menſch! doch ſein Anſehn

Jſt erhabner, als anderer Menſchen. … Du kenneſt der Freude

Suͤße Vermuthungen nicht, o Thomas. Jch hab es empfunden,

Was du fuͤhlſt! Was erwartet’ ich minder, als Jeſus zu ſehen,

Noch in jener Angſt, als ich zu dem Kreuze mein Auge

Muͤd erhub, und auf Einmal vor mir den Lebenden ſtehn ſah.

Sieh, o Thomas, mich taͤuſchte nicht Fꝛeude.. So taͤuſchte dein Schmeꝛz dich!

Rief der Zweifelnde feurig. … Der Herr wird dein ſich erbarmen!

Sagte mit Ruh der begnadete Zeuge des Auferſtandnen.

Gott, ja Gott wird mein ſich erbarmen! allein der Meſſias

Ach der goͤttliche Mann hat gelitten, was alle Propheten

Einſt auch litten, und iſt geſtorben! … Er weint’, und verſtummte.

Weine nicht, Juͤnger des Herrn! Er iſt wahrhaftig erſtanden!

Aber ihn troͤſtete Petrus umſonſt; er weint’ und verſtummte.

Kleophas hatt’ indeß, und Matthias mit ihrem Gefaͤhrten

IIIBand. LSchon
[162]Der Meſſias.
Schon die Schatten der Palmen erreicht. Da die Beyden aus Salems

Mauren gingen, und noch bey ihnen nicht ihr Gefaͤhrt war,

Sprachen ſie unter einander: Wie kann ich irren, Matthias,

O du kennſt ja die Wuth, die heiſſe Rache der Prieſter,

Wie ſie ergrimmten, als ſie es nun nicht zu wehren vermochten,

Daß ihn Joſeph begruͤbe. Sie haben den Hauptmann gewonnen,

Haben den Todten geraubt! und wollen ihn doch auf dem Huͤgel

Bey der Verfluchten Gebeine begraben! Vielleicht, o du Beſter!

Heiligſter! deckt ſchon Golgatha deinen ſtarrenden Leichnam!

Aber die Engel am Grab’, o Kleophas? Hat ſie denn Alle

Truͤbes Trauren getaͤuſcht? Und kann denn Traurigkeit wirken,

Daß wir Engel ſehen? Warum nicht bange Geſtalten?

Nacht? der Gerichteten Schatten vielmehr? Jſchariots Seele? …

Kleophas bebte zuruͤck, darauf antwortet’ er: Loͤſe

Mir nur Einen Zweifel, Geliebter: Warum erſcheinet

Unſer Meiſter nicht ſelbſt? Wie kenn’ ich Engel? Wie weis ich,

Kennt’ ich ſie auch, ob ſie der Ewige ſendet? Ach, Theurer!

Wuͤrd er uns nicht erſcheinen, waͤr er von den Todten erſtanden?

Jhn, ihn kennen wir! … Aber, o Kleophas, glaubte Maria

Gabriel nicht? Und kannte ſie denn die Engel? und koͤnnen

Gottes hoͤhere Geiſter was anders ſagen, als Wahrheit?

Und verdienen wir denn, daß er uns erſcheine? Wir waͤren

Wie die Zwoͤlfe geflohn, da laut von den ſtuͤrmenden Schaaren,

Jhrem Grimm, und Wuth, und Geſchrey, Gethſemane ſchallte!

Ferne nur, ferne nahten wir uns, da ſein Todesurtheil

Schrecklich vom Richtſtuhl ſcholl! ach, ferne des Sterbenden Kreuze!

Kleophas
[163]Vierzehnter Geſang.
Kleophas ſprach: Jch bewein’ es mit dir! Doch koͤnnen wir jemals,

Daß er uns erſcheine, verdienen? Jſt er erſtanden;

Und erſcheint er: ach, ſo erſcheint er allein aus Erbarmung,

Weil ihn unſeres Elends jammert, und weil er zaͤhlet

Unſere Thraͤnen, wie er auf unſerem Haupte die Haare

Alle gezaͤhlt hat! … O Kleophas! und du zweifelſt? … Du zweifelſt

Alſo nicht, Matthias? … Du weiſt, daß ich immer Alles,

Was ich dacht’ und empfand, dir ganz, o Kleophas, ſagte.

Wenn ich mit ſtiller Betrachtung es uͤberdenke; ſo glaub ich!

Aber wenn mich die Angſt der Hoffnung, und Furcht, und Erwartung,

Wenn die Freud’ ihn wiederzuſehn, das iſt Freude der Himmel!

Ungeſtuͤm mich ergreifen, und meine Seele durchbeben,

Wenn ſie in mir der Wahrheit Stimme betaͤuben; ſo zweifl’ ich!

Kleophas blickt’ ihn zaͤrtlicher an, und ſagte: Du Lieber!

Aber wenn wir wirklich ihn ſaͤhn, dann wuͤrde der Himmel

Freude, Freude der Erde nicht! des ewigen Lebens

Wonne wuͤrde, kaum ſind ich Worte! wenn wir ihn ſaͤhen,

O das wuͤrd uns noch mehr, noch maͤchtiger uͤberzeugen,

Als der ſtillen Betrachtung Licht, das die Seele mit Wahrheit

Ueberſtroͤmt! … Matthias erwiederte: Moͤcht er erſcheinen!

Unſere blutende Seele durch ſeine Gegenwart heilen!

Kleophas ſprach: Wir wuͤnſchten zu viel, du Geliebter! Der Freuden

Unausſprechlichſte, hoͤchſte, wer kann ſie, wuͤnſcht er ſie, hoffen?

Freude, wie die, iſt nicht fuͤr dieſes Leben, Geliebter!

Und ſie waren durch eines heruͤberhangenden Huͤgels

Schatten gegangen. Des Weges gewandte Kruͤmmungen zeigten

Seitwaͤrts jetzo den ſchattenden Hang. Dort ſahen ſie langſam

L 2Einen
[164]Der Meſſias.
Einen Wanderer kommen. Erhabnen, maͤnnlichen Anſehns

War der Fremdling, und ſchien in ernſte Gedanken verloren.

Laß uns langſamer gehn, Matthias. Vielleicht, daß der Fremdling

Unſer Gefaͤhrt wird, und uns das traurende Herz mit Geſpraͤchen

Seiner Weisheit erquickt. Denn weiſe ſcheint er, und edel.

Was, o Kleophas, hilft uns ſeine Weisheit, wofern er

Nicht von Jeſus mit uns ſich unterredet? … Jndem kommt

Jhnen der Wanderer nah, und gruͤßt ſie mit Liebe. Mit Ehrfurcht

Gruͤßen ſie ihn. … Wo gehet ihr hin? … Nach Emaus. … Darf ich

Euer Gefaͤhrt ſeyn? Jch gehe durch Emaus. … Sey, o du Theurer!

Sey, wir bitten dich, unſer Gefaͤhrt. … Was ſpracht ihr ſo feurig

Unter einander? Jch ſahs, ganz hingen an dieſen Geſpraͤchen

Eure Seelen, und waren voll Traurigkeit. … Kleophas ſagte:

Ach, was konnten wir ſprechen? Biſt du es allein, der nicht wiſſe,

Was in Jeruſalem dieſe Tage des Traurens geſchehn iſt?

Was geſchah denn? … O Fremdling! du kenneſt alſo, du kenneſt

Jeſus von Nazareth nicht? den Propheten Gottes? der maͤchtig

Vor dem Herrn, und dem Volke, durch Wunder, und himmliſche Weisheit,

Der ein goͤttlicher Mann war? Allein ach, unſre Beherrſcher

Haben, entflammt von dem Grimme, der Wuth der unterſten Hoͤlle,

Jhn gegriffen, und ihn dem Heiden Pilatus zum Tode

Uebergeben! Der hat geſprochen ſein Todesurtheil!

Hat, o duͤrft’ ich die Art des furchtbaren Todes nicht nennen!

Jhn gekreuzigt! … Ach, fodre nicht, daß ich wieder die Wunden

Meiner Seel’ aufreiſſe, dir ſeinen Tod zu beſchreiben,

Wie er am Kreuze ſchwebt’! und wie der Huͤgel ſein Blut trank!

Wie er bleich und erſtarrt um Huͤlf’, um Huͤlfe! zu Gott rief!

Ach,
[165]Vierzehnter Geſang.
Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn fuͤr den Meſſias!

Jſrael, hofften wir, ſollt er erloͤſen! Und uͤber das alles

Brach der dritte der Tage ſchon an, ſeit dieſes geſchehn iſt.

Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Unſern

Uns erſchreckt. Heut gingen ſie in der Fruͤhe zum Grabe.

Seinen Leichnam fanden ſie nicht. Sie kamen mit Zittern,

Hatten Geſichte der Engel geſehn, die ſagten, Er lebe!

Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen

Auch zu dem Grab’, und fanden es offen, und ohne den Todten!

Jetzo kamen ſie unter umſchattende Palmen. Der Wandrer

Sah ſie mit der Erhabenheit an, die Groͤße der Seele,

Und nicht Stolz iſt, und ſprach mit der maͤchtigen Stimme der Wahrheit:

Jhr Unweiſen! und langſamen, harten Herzen zu glauben,

Dem zu glauben, was euch die Propheten verkuͤndiget haben!

Mußte nicht dieß der Meſſias leiden? und, nach der Vollendung

Seiner Leiden, erſt dann zu ſeiner Herrlichkeit eingehn?

Mit Erſtaunen ſahn ſie ſich an; mit bebender Ehrfurcht,

Jhn! … Gern haͤtten ſie ihn, doch nur Augenblicke, verlaſſen,

Und von ihm mit einander geſprochen. Jhr truͤbes Auge

Wurde Licht, und begegnete ſich mit feurigen Fragen:

O, wer iſt er, wer iſt, der unſre Seele mit Ehrfurcht

Und mit Staunen erfuͤllt? … Doch hatt’ er nur angefangen

Ueber ſie durch die Gewalt der ſiegenden Wahrheit zu herrſchen.

Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Staͤrke noch wehet,

Noch den kuͤhleren Wald nicht ganz fuͤllt; Stille ruhet

Noch in ſeinen Thalen, noch liegen blaͤſſere Schatten,

Ganz iſt die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet!

L 3Alſo
[166]Der Meſſias.
Alſo begann ihr erhabner Gefaͤhrt. Nicht lange, ſo fuͤhrt’ er

Sie in die Tiefen der Offenbarung hinab. Den Meſſias

Zeigt’ er ihnen, ein Redner Gottes, in jeder der Tiefen.

Und ſie vermochten nicht mehr zu widerſtehen. So reißt ſich

Durch den Wald der ſtaͤrkere Sturm. Die Baͤume des Waldes

Zittern, rauſchen mit Ungeſtuͤm alle, beugen ſich alle,

Vor dem herrſchenden Sturme, den Donnerwolken, und Fluten

Himmelſtuͤrzender Meere, von Berge begleiten zu Berge!

Und ſie ſtanden ermattet, und baten um Ruh, und wiſchten

Sich den Schweiß von der gluͤhenden Stirn! … Mañ Gottes! wir keñen

Zwar dich nicht; doch biſt du, o den wir mit Ehrfurcht anſchaun,

Wahrlich ein goͤttlicher Mann! Bleib, ach! und laß an der Kuͤhle

Dieſes Brunnen uns ruhn! … Sie ſetzten ſich neben einander,

Gegen ſie uͤber der goͤttliche Fremdling. Er redet’ itzt ſanfter,

Redete von der Liebe des Sohns zu den Menſchen; der Liebe

Seiner Menſchen zu ihm. Sie dachten des großen Hirten

Tod, mit heiterer Seele, gelabt von inniger Ruhe.

Wie nach einem ſtrahlenden Tage, die Abenddaͤmmrung

Luftiger uͤber die Muͤden ſich geußt; ſo goß er Erquickung

Jn ihr Herz. … Und liebt ihr ihn auch? Dieß fragt’ er ſie jetzo.

Sollten wir ihn nicht lieben? … Sie ſprachens mit eilender Stimme.

Habt ihr ihn immer geliebt? … Wir verließen ihn, als ſie zum Tod’ ihn

Fuͤhrten, hinauf zum Kreuz! das verſtummende Lamm, zum Altare!

Da verließen wir ihn! … Doch jetzo, da ihr es wiſſet,

Daß er um eurentwillen geſtorben iſt! wolltet ihr jetzo,

Auch um ſeinentwillen, wenn er es foderte, ſterben?

O du
[167]Vierzehnter Geſang.
O du Theurer! wir hoffen zu Gott, der Liebende wuͤrd uns

Staͤrken, daß wir es koͤnnten! Allein, o zuͤrne, mit Ehrfurcht

Fragen wir, zuͤrne nicht! Jſt er auferſtanden? du weißt ja

Alles von ihm, und duͤrfen wir uns, Mann Gottes, des Heils freun,

Jeſus Chriſtus wiederzuſehn? … Der Wanderer ſagte:

Joſephs Bruͤder erkannten ihn nicht! Doch der Wonn’ und des Weinens

Selige Stunde kam, und Joſeph vermochte nicht laͤnger

Sich zu halten, und weinete laut! … Er ſagt’ es, erhub ſich,

Ging. Sie folgten ihm freudig erſchrocken, in Zweifel verloren,

Was ſie glauben? nicht glauben ſollten? Er wars ja doch Selbſt nicht!

Aber ein Engel vielleicht? Sie ſtanden wieder. … Ach, duͤrfen

Wir noch Einmal, o du, den wir nicht kennen, dich fragen?

Zwar nicht kennen, doch den wir unausſprechlich verehren,

Unausſprechlicher lieben! wer biſt du? o ſage, wer biſt du?

Aber wir duͤrfen dich nicht umarmen! O ſag es uns: Biſt du

Einer der Engel vielleicht, die am Grab’ erſchienen? … Umarmt mich!

Und ſie umarmten ihn lang, und weinten an ſeinem Halſe.

Jetzo nahten ſie Emaus. … Meine Bruͤder, ich gehe

Nun zu den Meinen. So ſprach ihr Begleiter. Jhr ſehet, mein Weg zieht

Hier durch Emaus ſich. … O bleib bey uns, du Geliebter!

Sieh, es will Abend werden. Der Tag hat ſchon ſich geneiget.

Und ſie hielten ihn zitternd bey beyden Haͤnden, und baten.

Laßt mich! die Meinen ſind fern. Sie warten meiner mit Schmerze.

Sie, Mann Gottes, haben dich immer. Du ſiehſt ja, wie herzlich

Wir dich lieben. O bleib! Und warum wollteſt du, Theurer!

Dich in der Nacht Gefahren begeben? Auch mußt du von Jeſus

Noch mit uns reden! O bleib bey uns! … So will ich denn bleiben,

L 4Meine
[168]Der Meſſias.
Meine Bruͤder. … Kleophas dankte, mit Freud’ in den Blicken,

Nicht mit Worten, und eilte voran, ein Mahl zu bereiten.

Kleophas hat, ſo heißt mein Gefaͤhrt der redliche Juͤngling,

Seine Huͤtt’ in Emaus, deren Eingang der Schatten

Dichter Baͤume bedeckt. Ein reiner labender Quell rinnt,

Wo der Schatten am luftigſten kuͤhlt. Er eilte, das ſah ich,

Etwas Speiſe fuͤr uns zu bereiten, und unſere Herzen

Mit dem Wenigen, das er hat, zu erquicken. O ſtiller

Heiterer Abend, nach dieſen Tagen der Angſt und des Traurens!

Und, o Dank dir, goͤttlicher Mann! du wuͤrdigſt uns, kehreſt

Ein bey uns, verachteſt die niedrige Huͤtte der Einfalt

Und der Duͤrftigkeit nicht. Da Jeſus Chriſtus noch lebte,

War er, wie du, ein Menſchenfreund, der zur Demuth in Staube

Nieder ſich ließ, und gern mit ſeiner Weisheit uns labte.

Doch ich ſchweige von ihm. Denn uͤber das alles erhaben,

Was ich von ihm zu ſagen vermag, war Jeſus Chriſtus!

Engel dieneten ihm. Doch ſeiner Niedrigkeit Urſach

Scheint mir erſtaunlicher, als mir ſeine Niedrigkeit ſelbſt ſchien.

Aber alſo geſchah des Ewigen Wille. Den Vaͤtern

Hat er ſchon die Tiefen des kuͤnftigen Wunders eroͤffnet.

Moͤcht ich mein Leben mit dir, Mann Gottes, leben! und moͤchteſt

Du mich lehren, wie ich es dem himmliſchen Suͤndeverſoͤhner,

Recht nach meiner Seele Verlangen, heiligen koͤnnte!

Denn ach, daurenden Dank, den innigſten, liebevollſten,

Herzlichſten Dank verdienet von uns, der unſere Suͤnde

Alſo verſoͤhnt, und, bis zu dieſem Tode, geliebt hat.

Und
[169]Vierzehnter Geſang.
Und ſchon nahten ſie Kleophas Huͤtte. Sie ſahn, er entſchoͤpfte

Waſſer zum Trinken der Muͤndung des Quells, dann ſetzt’ er es eilend

Bey ſich nieder, und wuſch balſamiſche duftende Kraͤuter.

Seine Hand umfloſſen mit abgeriſſene Blumen;

Einige glitten hinab mit des werdenden Baches Gelispel;

Aber er ſah Matthias, und ſah den goͤttlichen Fremdling

Nahen, und ſchnell ſprang er auf! … Sey mir, Mann Gottes, willkommen!

Alle dein Segen, mit dem der Herr dich ſegnete, gehe,

Du Mann Gottes, mit dir in meine Huͤtte! … Matthias

Folgt’, und trug das Gefaͤß, und darinn die lebende Quelle,

Mit der traͤufelnden Kraͤuter Erfriſchung. Kleophas hatte

Schon den unbelaſteten Tiſch mit dem ganzen Reichthum

Seiner Huͤtte beſetzt, mit Milch, und Honig, und Feigen,

Und mit ſtaͤrkendem Brodt, und herzerfreuendem Weine;

Hatte die Teppiche ſchon umhergebreitet. Sie legten

Sich zu dem Mahle, der Fremdling allein, ſie gegen ihn uͤber.

Und der Fremdling begann auf ſie ſein Auge zu richten

Ernſt, und freudig. Mit Ruhe, mit Dank, mit feyrlichem Anſtand,

Hielt er das Brodt; ſo pflegt’ es Jeſus zu halten! und blickte

Still gen Himmel; ſo pflegte gen Himmel Jeſus zu blicken!

Und ſie ſtarrten ſich an, und ihn. Er betete. Jeſus

War die Stimme des Betenden! und, auf Einmal, das Antlitz

Jeſus Chriſtus des Betenden Antlitz! Er betet’ alſo:

Unſer Vater im Himmel ſey fuͤr die Gabe geprieſen,

Die er mild’ uns giebt, den duͤrftigen Leib zu erhalten.

Vielen ſcheint ſie gering; doch hat, mit eben der Allmacht,

Welche die Himmel erſchuf, ſie unſer Vater bereitet.

L 5Ach!
[170]Der Meſſias.
Ach! auch ſeine Worte ſo gar! Und bleich vor Freude

Sanken ſie hin, mit anzubeten. Er redete wieder:

Preis ſey ihm! Er rief der Sonn’, uns zu leuchten, dem Monde,

Von der Stirne der Muͤden den Schweiß zu trocknen. Er ſchuf uns

Unſer taͤgliches Brodt. Preis ſey ihm, und Anbetung!

Jetzo brach er das Brodt, und gab es ihnen. Sie nahmens

Bleicher vor Freuden, und blickten ihn an, und wollten reden;

Konnten nicht reden! Er ſah ſie noch Einmal mit ſegnender Huld an,

Und verließ ſie. Da ſprangen ſie auf, und folgten ihm, eilten,

Suchten, und fanden ihn nicht. Sie kamen mit Ruhe zuruͤcke.

Ja, wir ſehn ihn noch wieder! Jch bin im Himmel, Geliebter,

Nicht auf der Erd’, im Himmel! ach, Kleophas! … Kleophas ſank ihm

An ſein Herz, und ſchwieg. Darauf umarmt’ er ihn feurig,

Hielt ihn lang, und umarmt’ ihn von neuem. … Matthias, o brannte

Unſer Herz nicht in uns, da er auf dem Wege von Gott ſprach?

Da er die Offenbarung uns aufſchloß? … Aber wir ſaͤumen?

Schon ergriff er den Stab. Auch thats Matthias. Sie gingen.

Unterdeß da die Beyden von Emaus eilten, beſprachen

Petrus, und Didymus ſich. … Verbirgs denn ihnen, o Thomas!

Ach, betruͤbe nicht ſo, die glauben wollen, und loͤſche

Dieſen ſchwachen Funken in ihnen nicht aus! Gen Himmel

Koͤnnt’ er flammen; du loͤſcheſt ihn aus. … So ſoll ich denn, Simon,

Unſern Freunden nicht mehr, was ich denke, ſagen? verſchweigen

Meiner Traurigkeit Angſt? Was hilft es ihnen, zu waͤhnen,

Und von dem freudigen Wahne mit deſto groͤßerem Trauren

Aufzuwachen, je froher der ſuͤßbetaͤubende Wahn war?

Nenn’
[171]Vierzehnter Geſang.
Nenn’ es nicht Wahn, mein Bruder! Bey dem, der ewig lebet!

Ach bey Jeſus, der todt war, und ewig lebet! beſchwoͤr’ ich

Dich, mein Bruder, nenne nicht Wahn, was die Rechte Jehova

That! nicht dieſer erſtaunlichen Herrlichkeit Offenbarung!

Heilig iſt jene Staͤte, wo ich ihn ſahe. Da brannte

Mir der Buſch! da ſah ich im Buſche die Herrlichkeit Gottes!

Da, da war die Pforte des offnen Himmels! Hier ſtehn wir!

Schau die Zeugen um dich! hier ſtehn wir Alle, die Neune!

Magdale dann! dann ich! Wir haben den Goͤttlichen lebend,

Lebend haben wir ihn, nicht todt mehr, alle geſehen!

Meine Seele bewegt ſich in mir vor Wehmut, indem ich

Deine Traurigkeit ſeh, ſprach Magdalena Maria,

Deiner gruͤbelnden Zweifel zu qualenvolle Gedanken.

Habe Mitleid mit ihm, mit deinem Juͤnger, Erſtandner,

Mitleid! Er zweifelt aus Angſt dein Juͤnger, aus Jammer der Seele;

Nicht aus boͤſem Herzen. Zerſtoß das zerſtoſſene Rohr nicht.

Loͤſche den glimmenden Tocht nicht aus. Erbarme, Rabbuni,

Seiner dich, wie du dich meiner erbarmteſt! Ach Thomas,

Meinſt du, daß ein Engel im Himmel mit dieſer Stimme,

Dieſer Wonneſtimme des ewigen Lebens, die Choͤre

Himmliſcher Pſalmen ertoͤnen nicht ſo! zu reden vermoͤge?

Wie der Todtenerwecker, der Auferſtandne, beym Namen

Mich, ich lechzte wie du, ihn zu ſehn, beym Namen mich nannte!

Eurer Entzuͤckungen Ungeſtuͤm ſtuͤrzt mich Verlaßnen noch tiefer

Jn die Tiefen der Angſt, die meine Seele verſchlingen!

Blendete ſich die Heftigkeit nicht, mit welcher ihr redet?

Thomas
[172]Der Meſſias.
Thomas ſprachs mit innigem Grame, der Thraͤnen zuruͤckhielt.

Simon rang die gefalteten Haͤnde, ward ernſter, und ſagte:

Deine blendet ſich nur, mit der du zweifelſt! Wir ſahen!

Und wir wurden entzuͤckt! Wer iſt im Himmel, und flammet

Nicht in Entzuͤckungen auf? Du ſiehſt nichts! ſchaffeſt dir Schatten,

Bange Bilder von Graͤbern und Nacht, erſchreckende Zweifel!

Redeſt entflammter davon, als wir von dem Auferſtandnen,

Den wir ſahen, und hoͤrten, und deſſen Leib wir beruͤhrten!

Der mit aller ſeiner Erbarmung, die wir an ihm kannten,

Sich uns offenbarte, die du vordem an ihm kannteſt.

Geh zu den Sadducaͤern zuruͤck, und glaube mit ihnen,

Daß kein Engel, noch Geiſt ſey, noch Auferſtehung vom Tode!

Mit den Worten entſtuͤrzten dem Auge Didymus Thraͤnen.

Salome ſah es, und wollt’ ihn troͤſten. Jndem ſie zu reden

Anfing, ſagte der Juͤnger: Verſtoß mich ſo nicht, Geliebter!

Ach, ich liebe, wie du, den gekreuzigten, goͤttlichen Todten,

Simon Petrus. Jtzt redete Salome. Lindert, ihr Lieben,

Seinen Schmerz. Jhr ſehet, wie viel der Geaͤngſtete leidet.

Thomas, mein Bruder, den du den goͤttlichen Todten nannteſt,

Sollt’ aus dieſer Jrre nicht er dir die Seele zu fuͤhren,

Nicht aus dieſem Jammer das Herz zu reiſſen vermoͤgen?

Er, deß Todesmut an dem Kreuze von eben der Hoheit

Zeugte, von der die Unſterblichkeit zeugt, dieß Leben der Engel,

Dem er auferſtand! … Ja, dieſes Leben der Engel!

Sprachen ihre Begleiterinnen. Unſterblichkeit war es,

Dieſe ſahn wir an ihm. Zwar, nicht wie Gabriel, ſtrahlt’ er,

Nicht wie die Engel bey ſeiner Geburt um Bethlehems Huͤtte;

Aber
[173]Vierzehnter Geſang.
Aber was anders, als da er mit uns in dem Leben am Grabe

Unſer Erbarmer lebte, war nun in des Goͤttlichen Antlitz!

Euch nur erſchiene der Herr? nicht mir? von mir will ich ſchweigen!

Nicht der weinenden Mutter? nicht ihrem Sohne Johannes?

Dem nicht, den er der heiligen Mutter am Kreuze zum Sohne,

Der nicht, die er dem Sohne zur Mutter in ſeinem Blut gab?

Alſo ſprachen ſie untereinander. Die Hoͤrenden riſſen

Maͤchtige Zweifel itzt fort, dann wieder ſiegender Glaube.

Beyde wechſelten oft, und durchflammten die Seele. Wenn Petrus,

Wenn die freudigen Zeuginnen redten, wenn Magdale redte;

Gingen ſie auf dem Meere! wenn Didymus redte, ſanken

Sie vor der kommenden Woge. Der zweifelnde Juͤnger verließ ſie

Und Jeruſalem, ging zu den fernſten Graͤbern des Oelbergs,

Sich im Einſamen dort in ſeiner Traurigkeit Quaalen

Tiefer zu ſtuͤrzen. Er wollte das nicht; er wollte die muͤde,

Tiefverwundete Seele durch Ruh der Einſamkeit lindern.

Einen Becher der Freuden hat in der Rechten; der Linken

Einen wuͤtenden Dolch die Einſamkeit, reicht dem Begluͤckten

Jhren Becher; dem Leidenden reicht ſie den wuͤtenden Dolch hin!

Jn der naͤchtlichſten eines der fernen Todtengewoͤlbe

War jetzt Thomas gekommen; und ſeiner Traurigkeit Laſten

Wurden ſchwerer auf ihm, die Gedanken ſchwaͤrzer, des Herzens

Quaalen troſtbeduͤrftiger. Seine Seel’ arbeitet,

Sich aus dieſen Tiefen, die ſtets mehr ſanken, zu heben;

Und arbeitet umſonſt. Haͤtt’ er nicht zu Gott ſich gewendet,

Zu der einzigen Stuͤtze des Muͤden; er waͤr erlegen!

Zu dem einzigen Stabe, wenn wir in Finſterniß wandeln,

Und,
[174]Der Meſſias.
Und, an das weichende Rohr nur unſerer Troͤſtung, uns lehnen.

Thomas empfands. So wendet’ er ſich zu dem, der allein hilft:

Gott! Verborgner! zu dir, wie ſehr auch Dunkel die Tiefen

Deines Rathes bedeckt, zu dir nur kann, in dem Zagen

Jhrer Traurigkeit, meine verwundete Seele ſich wenden!

Nacht ſind ſeine Pfade; der Weg, den ich wandl’, iſt noch mehr Nacht,

Als die Pfade des Todes! Unauszuforſchender Herrſcher

Deſſen, was iſt, und was ſeyn wird! ach ſchau herunter ins Elend,

Schau auf mich, der ein Wurm in Mitternaͤchten ſich windet.

Haͤtt ich dich nicht, und ſtarrte mein huͤlfeverlangendes Auge,

Einziger Fels, nach dir nicht empor; die gerungnen, die matten,

Ausgebreiteten Haͤnde nach dir nicht empor; ſo waͤr ich

Lange der Angſt der wuͤtenden Zweifel erlegen! ich waͤre

Schon vergangen! … Wie ſie, die um ihn jetzt blutet, ihn liebte

Meine Seele, wie ſie an ihm hieng, das weiſt du, Jehova!

Weiſt, Er war mir Alles! Du hatteſt ihn, Vater, mit jeder

Deiner Gnaden zu uns geſendet, mit jeder Erbarmung!

Alles war er mir! den haſt du kreuzigen laſſen,

Sterben! Ach, er iſt todt! mir mehr, wie den Uebrigen allen

Todt! … O Mitternacht, die ihn auf der Schaͤdelhoͤh deckt,

Oder in einer noch dunkleren Gruft, die der Erd’ Erſchuͤttrung

Nicht zerruͤttete, moͤchteſt bey ihm auch mich du decken!

Moͤcht’ ich liegen bey ihm, und ſchlummern, muͤde von Wunden

Meiner Seele! … So bin ich ohn’ ihn denn? Jch leb’, und ich ſterbe,

Ach ohn’ ihn? du ſchreckliche Nacht, die mich ringsum einſchließt,

Wehe mir! ohn’ ihn! auf Gebirgen, Gebirg’, und Abgrund

Dicht
[175]Vierzehnter Geſang.
Dicht an Abgrund, ſchreckliche Nacht! … Mein dunkles Gefuͤhl, ach!

Warum quaͤleſt auch du mich: Er wuͤrde mir einſt noch mehr ſeyn,

Als er mir war? warum durchgraͤbſt auch du mir die Seele?

Biſt du unſterblich, o Seel’ in mir, o fallt mich entflohne,

Schwarze Zweifel, mit eurem Grimme nicht an, und wuͤtet,

Wuͤtet nicht wieder! o die du in mir unſterblich biſt, Seele,

Tief, zu tief, zu jammervoll iſt dein Elend! zerrißne,

Wundenvolle, du biſt ohn’ ihn! … So haͤttſt du an ihm denn

Keinen Theil, elende, ſo lang ich im Staube mich kruͤmme?

Aber vielleicht iſt er auch todt mein Helfer? … Wie kenn’ ich

Ueber dem Grabe die dunkleren Labyrinthe, die baͤngern

Schwermutsvolleren Pfade, zu denen des Todes Thal fuͤhrt,

Da ich die truͤben Wege des Lebens im Staube nicht kenne?

Gott auf Ebal! auf Sinai Gott! im Donner! im Sturme!

Vater! wo iſt dein Sohn? Wo ſaͤumte dein Donner? wo ſchliefen

Deine Wetter? als nun das hohe Kreuz ſich emporhub!

Zwar ſie zitterte laut in ihrem Entſetzen die Erde,

Warf die Felſen von ſich, daß die Himmel erſchollen, und Aller

Zagende Seele vom Schrecken vor dem, das geſchah, zermalmt ward;

Aber da war er todt! Kein Fels erreichte die Wuͤrger,

Keine Kluft verſchlang ihr Gebein! … Allmaͤchtiger Vater!

Gott durch des Engels Gericht, der die Erſtgebohrnen Aegyptus

Schlug, doch die blutbeſprengten Huͤtten in Ramſes vorbeyging!

Gott im Strome, der ſtand, daß Jſrael wunderbar durchzog!

Dann um Jericho Gott, daß deiner Heere Poſaunen

Daß ſie die hohe thuͤrmende Stadt in das Palmthal ſtuͤrzten!

Herr, Herr! Gott, barmherzig, und gnaͤdig, daß Moſes Gebeine

Nicht
[176]Der Meſſias.
Nicht zu Staube wurden, als er, in die Hoͤle verborgen,

Mit Anbetung von fern, Gott! deiner Herrlichkeit nachſah.

Gott mit deinem Sohne, daß er auf dem Meere daher ging,

Hoch auf der offenen Woge, mit ihm ſein glaubender Juͤnger!

Blinden das Aug’ aufthat, daß die Schoͤpfung es ſah, und ihn ſah,

Ach zu dem erſtenmale! Den todten Geliebten erweckt’ er,

Jhn, der ſchon zu verweſen begann! Der weinenden Mutter

Gab er dich, mein Semida, wieder. Da weinte ſie Freude!

Gott mit deinem Sohne, daß er, mit himmliſcher Ruhe,

Dieſer Unterwerfung, die fuͤrchterlichſten der Leiden

Aushielt, Schmach, auf Schmach, ach Wunden, auf Wunden! auf Tod, Tod!

Gott Weltrichter, wo iſt dein Sohn? … Erbarmender, wirſt du?

Oder wird er mich wecken von dieſer Traurigkeit Tode?

Dieſem Graun, den Finſterniſſen der quaͤlenden Zweifel?

Wo? wo wend ich mich hin? Er liegt, und verweſet! und, Gott, du,

Ach, du ſchweigſt mir! Jch duͤrſte, kaum bin ich noch! lechze nach Huͤlfe!

Auferſtanden waͤr er? … An dieſem ſinkenden Halme

Soll ich mich halten, Verborgner! da alle deine Fluten

Ueber die Seele mir gehn? … So ſtammelt’ er noch, verſtummte,

Faltete feſter die Haͤnd’, und rang ſie. Ach, moͤcht’ ich ruhen

Hier in einem der Graͤber! Er wuͤrde mich nun nicht erwecken.

Und wie moͤcht ich zuruͤck in ein Leben kommen, in welchem

Er nicht iſt! Gluͤckſelige Todte, die neben mir ſchlummern,

Kanntet ihr Jeſus Chriſtus? Wenn ihr den Goͤttlichen kanntet,

Viel gluͤckſeliger noch! Wenn ihr ihn kanntet, und liebtet;

Ach ſo ſeyd ihr bey ihm! Allein ihr verſtummt mir, ach alles

Jſt mir verſtummt! … Verdorrtes Gebein, das hier um mich Staub wird,

Wenn
[177]Vierzehnter Geſang.
Wenn du dereinſt die Stimme des Herrn vernimmſt, und erwacheſt;

Geht der Tag der Herrlichkeit auf, an welchem Jehova,

Dir zu rufen, dich wuͤrdigt: Jch will dich mit Odem des Lebens

Wieder beſeelen! ach dann erwach ich mit dir! es erwachen

Seine Gebeine, die zwar der Kreuziger Wut nicht zermalmte;

Aber die doch in dem Schooſſe der Nacht und der Erde verweſten!

Dann! … O welche Reihen, vielleicht von Ewigkeiten,

Eh ich erwache! doch bis zu dem Tod iſt nicht lange! Des Lebens

Zeit iſt fluͤchtig und kurz, ein Traum, ein Flug, ein Gedanke! …

Doch nur wenn es voruͤbergeeilt iſt! Liegt auf der Schulter

Seine Laſt uns noch, wie langſamtraͤg’ iſt das Leben!

Und ein Leben, wie meins, gelebt ohn’ ihn! O vernimmſt du

Hier aus der Mitternacht o du, der das Ohr gemacht hat,

Eines Lebenden Jammern, der nach dem Tode duͤrſtet?

Seyd mir geſegnet, ihr uͤbrigen Freunde des Todten am Kreuze,

Seyd mir zu eurer Ruhe geſegnet! Jhr waͤhnt ihn erſtanden.

Und ihr freut euch nicht minder, obwohl ein Traum euch getaͤuſcht hat,

Ach ein ſeliger Traum, wie die Seele Jakobs erquickte,

Zw ar ſo wahr nicht; allein der euch mit Wonne, wie ihn, labt!

Nein, ich will nicht weinen! … O du, der das Auge gemacht hat,

Und den Jammer erblickt, der mir in dem Jnnerſten wuͤtet!

Daß ich mich freute, wie ſie, war nicht dein goͤttlicher Wille.

Jch Verlaßner, wie wuͤrd ich mich freun! Ach, wenn ich ihn ſaͤhe;

Sterben, nicht leben wuͤrd ich! Mit erſchuͤtternder Stimme der Wonne

Wuͤrd ich entgegen ihm rufen, in Rufe verſtummen, und ſterben!

Aber ich werde ja doch bald ſterben! Durch meine Seele

Gingſt du ja auch, o Schwert, das durch die Seele der Mutter

IIIBand. MGing!
[178]Der Meſſias.
Ging! Geheilt wird die Wunde der Mutter; meine blutet!

Ach ſo erſcheine mir denn, wofern du erſcheineſt. Erſcheine?

Welche Bitte! zuruͤck von dieſem blendenden Wahne,

Meine Seele! Was ſteigſt du empor, um tiefer zu ſinken?

Ja, er kann es, er kann aus den Schatten des Todes heraufgehn;

Wenn er will! Wie kann er es wollen? Zu ſterben, um Stunden

Todt zu ſeyn? nur wenige Stunden? Er waͤre vom Kreuze,

Haͤtt er leben gewollt, triumphirend herunter geſtiegen!

Wuͤrdeſt du mir nicht erſcheinen, wofern du lebteſt? wer ſchmachtet

So nach Ueberzeugung, als ich? du wuͤrdeſt! du lebſt nicht!

Wenn ich dich ſehe, ſo glaub ich! Ja, wenn ich in deine Wunden

Meine Rechte lege; doch hat ein Erſtandner Wunden?

Wenn ich mit bebendem Arm um deine Fuͤſſe mich winde,

Und ſie halte; dann will ich glauben! Jch werde nicht glauben!

Denn ich werde mich, Herr, um deine Fuͤſſe nicht winden,

Und ſie halten! denn, ach, du biſt geſtorben, und lebſt nicht!

Nur erſt einige Stunden, da war er mit uns noch am Kidron,

Dann … wie ſchnell iſt die Zeit bis zum Kreuze voruͤbergegangen!

Und, wie iſt mir? da ſtarb er! wie ſchnell! Ach iſt er geſtorben?

Ja, er iſt geſtorben! er iſt begraben! und nun ſchon

Wieder in einer anderen Hoͤle des Todes begraben!

Ach, verlaß mich nicht ganz, o Chriſtus Vater, und meiner!

Jch vergehe vor Angſt! … Er rufts mit gebrochnen Worten,

Schwankt’, und hielt an ein Felsſtuͤck ſich, das von einem der Graͤber

Stuͤrzt’, als der Vorhang riß, und der Staub der bebenden Erde

Ueber Jeruſalem zog, und ihrer Mauren Gebirge

Jn Entſetzen verhuͤllte. Der Traurende hielt an dem Felſen

Sich
[179]Vierzehnter Geſang.
Sich mit ermuͤdetem Arme noch, da der Finſterniß Stille

Eine Stimme durchſcholl, die immer naͤher heraufkam.

Weſſen iſt dieſe Klage, die aus den Graͤbern hervorſchallt?

Hat dich ein Moͤrder verwundet? und kann ich dir helfen, o Fremdling?

Rede! wo biſt du? Jch will dir deine Wunde verbinden.

Didymus redete nicht. Wo biſt du? Jch hoͤrte die Stimme

Deiner Angſt, und bin, daß ich dir helfe, gekommen.

Fremdling, ich bin kein Moͤrder! Jch hoͤrte fern in dem Thale,

Daß du jammerteſt! Sieh, ich bin dein Retter, wofern dich

Menſchen zu retten vermoͤgen! … Jch freue mich, ſagte Thomas,

Wer du auch ſeyſt, daß du, o Wandrer, ein redliches Herz haſt.

Sey geſegnet, und geh, wohin dich dein naͤchtlicher Weg ruft.

Zarte, bluͤhende Kinder, und ihre liebende Mutter

Warten deiner vielleicht. Du kannſt mir nicht helfen. Die Wunden

Ueber die du mich jammern gehoͤrt, ſind Wunden der Seele!

Wunden der Seele, mein Bruder? antwortet die naͤhere Stimme,

Strecke die Hand nach mir aus, daß ich dich finde, Geliebter!

Dich umarme! Didymus thats. Sie umarmten einander.

Biſt du ein Jſraelit, o Wanderer? einer der Maͤnner,

Die zu dem Feſt von den Jnſeln herauf nach Jeruſalem kommen?

Und wie heiſſet dein Namen? … Jch bin der Soͤhne von Jakob

Einer. Jch komm aus fernen, ſehr fernen Landen. Mein Nam’ iſt

Joſeph; und deiner, mein Bruder? … Mein Name, Joſeph, iſt Thomas.

Aber was weilen wir hier im Schauer der Nacht und der Graͤber,

Thomas? O komm, laß uns aus dieſer dunkleren Nacht gehn.

Dieſe Stille, die Dunkelheit wirft noch ſchwaͤrzere Schatten

Auf die Bilder der Angſt, die deine Seele bewoͤlken.

M 2Dieſe
[180]Der Meſſias.
Dieſe Still’, o Joſeph, und dieſe noch ſchwaͤrzeren Schatten,

Dieſe Bilder der Angſt, die meine Seele bewoͤlken,

Dieſe lieb’ ich, liebe noch mehr den Tod und die Graͤber!

Haͤtte die Erde mich nur in ihre Huͤtten des Friedens

Aufgenommen; ſo waͤr ich nicht mehr der Soͤhne des Elends

Letzter! laͤg’ ich nicht mehr, in des Jammers Tiefen, der tiefſte!

Thomas, mein Bruder, o heb aus dieſem Staube dein Haupt auf,

Schau gen Himmel, und lerne mit Furcht und Zittern klagen!

Freuen ſollen wir uns mit Furcht und Zittern, ſo ſollen

Wir auch klagen! Wer iſt es, der das Elend zuließ?

Jſt es nicht der, der uns zu dem ewigen Leben gemacht hat?

Sinn’ ihm nach, wenn jetzt zu des Allerheiligſten Ohre

Deiner Klagen Geſchrey mit ihrem Ungeſtuͤme

Kaͤm’, und ſich unter die Choͤre der Dankenden miſcht’, und die Wonne

Jhrer Freudenthraͤnen und Halleluja entweihte!

Kann denn Gott nicht erretten? und will denn Gott nicht erretten?

Lerne mit Furcht, ich ſag’ es noch Einmal, lerne mit Zittern

Trauren! Es iſt der ſtets Anbetungswuͤrdige, der uns

Elend ſendet. Verehre, mein Bruder, den goͤttlichen Boten!

Joſeph, du biſt ein Mann nach meinem Herzen. Jndem du

Von dem Ewigen ſprichſt, wird deine Seele zur Flamme!

Werde mit Freude von Gott, und werde mit Schmerze geſegnet,

Aber mit keinem Schmerze, wie meiner iſt! Ach du erlaͤgeſt

Dann, wie ich erliege! … So rede denn, nenne die Laſten,

Welche dich niederſtuͤrzen! … Ja, welche mich niederſtuͤrzen!

Kannteſt du ihn? Doch was ſag’ ich zuerſt? was zuletzt? O du kannteſt

Jeſus, den Goͤttlichen, nicht! Wie lange verweilſt du in Juda?

Wenige
[181]Vierzehnter Geſang.
Wenige Tage nur erſt. Doch ſind ſtets Boten aus Juda

Nach den Huͤtten der Freude gekommen, in welchen ich wohne.

Und die haben mit uns von Jeſus, dem Sohne Jehova,

Viel geredet. Zuletzt ſind wir herunter gekommen,

Jeſus ſterben zu ſehn, und auferſtehen vom Tode!

Auferſtehen vom Tode? Wer biſt du, Joſeph? … Auch hatt’ ich,

Didymus, einen vertrauteren Freund in Juda, von dem ich

Lange getrennt war, er trennte ſich ſchon im Lande des Nilus.

Den gab mir der Goͤttliche wieder, indem er, in Schrecken

Und Erdbeben nicht mehr, noch Finſterniſſen daherging;

Juͤnger, indem er vom Kidron in ſanftem Saͤuſeln heraufkam,

Gab er mir meinen vertrauteren Freund, den lange verlornen,

Und nun ewigen Freund. Doch ich muß dich jetzo verlaſſen;

Aber ich komme zuruͤck, mein Bruder, und ſehe dich wieder.

Joſeph, bleib! Wo biſt du, o Joſeph? wo biſt du? Ach, haben

Dieſen Namen auch Engel? den ſuͤſſen Namen des Lieblings

Seines Vaters, und Gottes? Nur Einen Laut noch, o Joſeph,

Deiner himmliſchen Stimme nur Einen! Allein du ſchweigſt mir!

Darf ich, wie du mich nannteſt, dich nennen? mein Bruder! du ſchweigſt mir!

Wo, wo geheſt du hin? wo biſt du? Ach, ohne Mitleid,

Faͤhreſt du fort, mich nicht zu hoͤren! … Er iſt kein Engel!

Koͤnnte ſo hart ein Engel ſeyn? das koͤnnen nur Menſchen!

Aber … er wohnt in Huͤtten der Freude! … Die Boten aus Juda,

Die von dem Goͤttlichen ſprachen! … Wer ſind die Boten aus Juda?

Sandte ſie Gott? … Gewiß, der Herr kann Engel aus Juda

Zu den Himmliſchen ſenden. Er kam herunter. Vom Himmel? …

Jeſus ſterben zu ſehn! So wußten die Boten aus Juda

M 3Was
[182]Der Meſſias.
Was geſchahe vorher? Und auferſtehen vom Tode! …

Aber dieſes geſchahe ja nicht! Wer kann ihn begreifen?

Juͤnger nennet er mich? und dann iſt Jeſus vom Kidron

Jm Erdbeben nicht mehr, iſt in ſanftem Saͤuſeln, gekommen,

Einen vertrauteren Freund auf immer ihm wieder zu geben?

Aber wenn? eh er ſtarb? Warum denn in ſanftem Saͤuſeln?

Auch da faͤuſelt’ es ſanft, und die Woge ſchwieg, da von neuem

Unſer Leben Er uns gab, und jeden dem andern,

Doch Erdbeben iſt nur nach ſeinem Tode geweſen.

Alſo haͤtt er ihm erſt den lange verlornen, und jetzo

Ewigen Freund, nach ſeinem Tode, wieder gegeben?

Und ſo thaͤt er, auch todt, der Gnade Wunder, und huͤlfe?

Aber warum denn todt? Sah ihn nicht Joſeph erſtanden?

Nein, ich begreif ihn nicht! … Waͤr Jeſus erſtanden; wie wuͤßt es

Selbſt ein Engel vorher? Auch Gottes geheimſtes Geheimniß

Wuͤßten die Engel? Es haͤtte vor ihnen der Unerforſchte

Nichts verborgnes? … Je weiter ich forſche, je tiefer verſink ich!

Aber wacht’ ich auch wirklich? Ermattet’ ich nicht an dem Felſen,

Da ich mich hielt, und beynahe nicht mehr mir meiner bewußt war?

Ja, ich bin niedergeſunken, und eingeſchlummert, und habe

Dieſen Fremdling im Traume geſehn! Er war ja voll Mitleid;

Warum waͤr er auf Einmal geflohn? So entfliehen nur Traͤume,

Aber kein redlicher Freund, Menſch, oder Engel! Nun ſeh ichs,

Nun erfahr’ ich es ſelbſt, was tiefe Traurigkeit wirket,

Und wie die Andern ſich taͤuſchen, wenn ſie Erſcheinungen ſehen.

Gluͤckliche! die ihr euch taͤuſcht, und eure troͤſtenden Schatten

Wandelt in wahre Geſtalt! … Doch ich gehe den Weg, den mich Gott fuͤhrt!

Sind
[183]Vierzehnter Geſang.
Sind nur meine Betaͤubung, und ihre Qualen voruͤber;

O ſo geh ich den Weg mit Ruhe, den Gott mich leitet.

Finſterniß ſey er, und Dunkel und Nacht! Er fuͤhret! ich gehe!

Alſo entſchloß ſich Thomas, und horchte nach dem Geraͤuſche

Kidrons, hinunter zu gehn, und zu ruhn in Gethſemane’s Huͤtten.

Hinter ihm hatte, da er der Juͤnger Verſammlung verlaſſen,

Einer die Thuͤre geſchloſſen. Als dieſer wieder zuruͤckkam,

Sagt’ er zu der Verſammlung: Jch habe die Thuͤre geſchloſſen,

Daß wir entrinnen, wofern die Prieſter ſenden. Denn glaubt nicht,

Daß ihr wuͤtender Durſt mit Jeſus Blute geſtillt ſey.

Da ſprach Kephas: Jch will nicht, daß ihr die Thuͤre verſchlieſſet.

Moͤgen ſie ihre Schaaren doch ſenden. Der Herr iſt erſtanden!

Aber ſie haben ja ſelbſt den nun Erſtandnen getoͤdtet!

Nun ſo will ich ſterben, wofern es ſein goͤttlicher Will’ iſt!

Schließt die Thuͤre nicht! Kleinmut, wie die, entehrt den Erſtandnen!

Muͤſſen wir ſterben, o Simon, ſo helfen geſchloſſene Thuͤren

Uns ja nicht. Allein daß zu kuͤhn in Gefahr wir uns wagen,

Jſt der Wille des Herrn nicht; und Rettung uͤber die Mauer

Jſt in unſrer Gewalt, wenn die Thuͤre die Wuͤtenden aufhaͤlt!

Jſt in unſrer Gewalt, wenn der Herr die Wuͤtenden aufhaͤlt!

Sagte Petrus feuriger, ließ die Thuͤre ſie ſchlieſſen.

Aber nicht lange, ſo ſcholl das Haus von eiligem Klopfen.

Und ſie erſchracken. Da ſcholls von neuem. Jakobus erhub ſich,

Eilt’ hinunter, und fragte. Matthias, und Kleophas warens.

Und er ließ ſie herein die gluͤcklichen Beyden. Sie ſanken

Faſt vor Muͤdigkeit, athmeten, ſtanden, gingen langſam,

Trockneten ſich die Stirne. Wen floht ihr? ſagte Jakobus.

M 4Und
[184]Der Meſſias.
Und ſie laͤchelten ſanft, ermannten ſich, eilten, und ſtiegen

Mit Jakobus hinauf, und traten in die Verſammlung.

Und des Lebenden Mutter, und Magdalena Maria

Kamen, mit ihnen der Glaubenden mehr, den Beyden entgegen,

Traten um ſie, und riefen mit freudeſtrahlendem Auge,

Riefen: Der Herr iſt wahrhaftig erſtanden, und Simon erſchienen

Kleophas hub die Haͤnde mit Staunen gen Himmel, und ſagte:

Heil uns! Er iſt erſtanden! er iſt erſtanden! Auch wir ſind

Seine Zeugen! Auch uns iſt Jeſus Chriſtus erſchienen!

Petrus nahte ſich ſchnell: O Chriſtus Bruͤder, und meine!

Simon, er hat uns alſo genennt! er nennet’ uns Bruͤder!

Petrus redete weiter: Auch dieſe, die euch umgeben,

Haben ihn lebend geſehn, nur nicht Maria. Er wird dir,

Hoff es freudig zu ihm, du ſeine Mutter, erſcheinen!

Magdale ſah ihn zuerſt, und allein, dann ſahn ihn die Neune,

Wie ihr zweifelnd vernahmt, als ihr die Verſammlung verlieſſet,

Dann erſchien er auch mir. Ach namenlos iſt die Entzuͤckung,

Die das Herz uns erſchuͤtterte, da wir nun ſahn, daß er lebte!

Aber, o ſehet um uns die Traurenden. Unſere Bruͤder

Trauren, indem wir uns freun. Schon fingen ſie an uns zu glauben;

Aber ach Thomas, wie elend iſt er, wie in Jammer verſunken!

Thomas hat ſie verwirrt! Der beweinenswuͤrdige Juͤnger

Jſt noch ohne Jeſus! er hat ſie verwirrt! O ſie freuten

Schon mit unſern Freuden ſich. Herr, erbarme dich ihrer!

Und vor allen des gruͤbelnden, tiefverwundeten Thomas!

Aber Johannes erhub ſich, und trat zu ihnen, und ſagte;

Mich verwirrte Didymus nicht. Jch traure nur, Simon,

Daß
[185]Vierzehnter Geſang.
Daß der Lebende mir nicht erſcheint! … Er iſt ja, du Theurer,

Seiner und deiner Mutter ſo gar noch nicht erſchienen!

Sagts denn, erzaͤhlts den Betruͤbten, o Chriſtus Bruͤder, und meine,

Daß ihr lebend, lebend ihn ſaht! … Geliebte, wir gingen

Traurend und angſtvoll, ach ihr ſeyds noch! nach Emaus; wollten

Durch des offnen Gefilds Anblick uns erfriſchen, den Kummer

Unſrer Seele lindern; da kam ein Fremdling gegangen,

Den wir lieben mußten, ſo bald wir ihn ſahen, und hoͤrten!

Der … o was ſag ich zuerſt? was zuletzt? der uns der Propheten

Tiefen eroͤffnete! der des Meſſias furchtbare Leiden,

Seine Leiden, er wars, ach er war es ſelber! uns zeigte,

Wie ſie der Vater vorhergeſehn, und verkuͤndiget hatte,

Seines Todes ganzes Geheimniß! Noch kannten wir ihn nicht;

Fremd war ſeine Geſtalt, und verhuͤllt’ ihn uns. Jetzo erreichten

Wir die Huͤtt’ in Emaus. Alles, was er uns ſagte,

Weis ich, und kanns nicht erzaͤhlen. Wie kann ich ſprechen, wie er ſprach?

Seine Rede war Sturm! war Flamme! Wir flehten. Er ließ ſich

Endlich erweichen, und blieb. Jch hatt aus der Quelle geſchoͤpfet,

Hatte Speiſe gebracht. Nun … ach, noch ſeh ich das Brodt ihn

Halten, noch hoͤr’ ich ihn beten. Da, als er betete, war es

Jeſus Stimme, die betete, warens die feyerlichen Worte

Seines Segens ſo gar! da wars des Goͤttlichen Antlitz!

Jn der Wonne ſanken wir nieder, mit anzubeten.

Und er brach, und reicht’ uns das Brodt, und blickte noch Einmal

Liebend uns an, und verließ uns. Wir folgten ihm, ſuchten ihn, konnten

Jhn nicht finden. Wir ſaͤumten nicht lang, und gingen, und eilten,

Euch die Bothſchaft der Wonne zu bringen. … Lebbaͤus von Thomas

M 5Mehr,
[186]Der Meſſias.
Mehr, wie die Andern, erſchuͤttert, und noch in Zweifel verloren,

Saß mit hangendem Haupt, und blickte ſtarr auf den Boden.

Er, deß Seele ſo viel, ſo ſtark zu empfinden vermochte,

Hatte die frohe Geſchichte mit gruͤbelnder Kaͤlte vernommen.

Jetzt verſtummt’ er nicht mehr, er ſprach: Jch glaub euch, Geliebte,

Ja, ich glaube, daß ihr, mit einem Manne voll Weisheit,

Oder wohl gar mit einem der Engel nach Emaus ginget.

Sahn die Weiber, und ſaht ihr Engel; ſo ſandte der Herr ſie,

Unſre Traurigkeit uͤber den Tod des Meſſias zu lindern,

Unſre Traurigkeit, daß uns ſogar ſein Leichnam geraubt iſt!

Gott, der unſerer Qual ſich erbarmt hat, ſendet uns Engel,

Daß uns ihr himmliſcher Anblick troͤſte, maͤchtig erinnre,

Jeſus Seele ſey nun im Schooße der ewigen Ruhe!

Alſo leugn’ ich euch nicht, der mit euch redte, den habe

Gott geſendet, euch aufzurichten; er ſey nun ein Engel,

Oder ein Weiſer geweſen. Jch leugn’ es euch nicht, er ſehe

Tiefer, als wir, in die Offenbarung, und die Propheten

Haben uns verkuͤndigt: es ſey der Wille der Vaters

Und des Richters der Welt, daß, ach den Groͤßten der Menſchen,

Siehe, den Unſchuldsvollſten der Tod auf Golgatha toͤdte!

Seht, ihr Theuren, das glaub ich mit euch. Doch daß er es endlich

Selbſt ward, da ers vorher doch nicht war, das kann ich nicht glauben!

Sagt, wie konnt es geſchehn, daß ihr ihn zuerſt nicht erkanntet?

Eine fremde Geſtalt zu ſehen glaubtet? Die Freude

Hat euch verfuͤhrt. Jhr ſaht, indem der Fremdling das Brodt hielt,

Etwas Aehnliches mit der Erhabenheit Jeſus, womit er

Sonſt, eh wir aſſen, das Brodt gen Himmel dankend emporhielt,

Dieß
[187]Vierzehnter Geſang.
Dieß nur ſaht ihr, und glaubtet zu ſchnell, ihn ſelber zu ſehen.

Und nun wurd es euch leicht, auch Jeſus Stimme zu hoͤren,

Als der Fremdling betete. … Truͤbe, verfinſternde Zweifel

Ließ in den Seelen, die ſchon verwundet waren, Lebbaͤus

Traurige Rede zuruͤck. Und Kleophas ſah ihn mit Wehmuth,

Und mit Zaͤrtlichkeit an. Matthias umarmt’ ihn, und ſagte:

Juͤnger des Auferſtandnen, als wir noch ihn nicht erkannten,

Und ihn fragten, ob Jeſus lebe? und, ob wir des Heils uns

Freuen duͤrften, ihn wiederzuſehn? da ſprach der Erſtandne:

Joſephs Bruͤder erkannten ihn nicht. Doch der Wonn’ u. des Weinens

Selige Stunde kam, und Joſeph vermochte nicht laͤnger

Sich zu halten, und weinete laut! … Mit himmliſcher Ruhe

Sprachs Matthias. … O Jeſus, wofern du lebteſt, du koͤnnteſt

Gegen mich dich nicht halten! Lebbaͤus riefs, und verhuͤllte

Schnell ſein bleicheres Antlitz. Jhn ſahe Petrus, und wurde

Doch nicht traurig. Er konnte nicht trauren! Er fragte die Beyden:

Als ihr den hangenden Felſen verließt, wir ſahn euch vom Soͤller,

Und zu den Palmen hinuͤbereiltet, kam der Erſtandne

Da zu euch? … Sie ſprachen: Er kam, der Goͤttliche kam ſchon

Bey dem Felſen zu uns! Und Petrus rief in der Wonne:

Meine Bruͤder, ihr habt den Erſtandnen Alle geſehen!

Hoͤrt ihr die Zeugen? Jhr habt ſchon Jeſus Chriſtus geſehen!

Thomas auch. Ach, waͤr er bey uns! Des Lebenden Mutter

Rief mit gefalteten Haͤnden, und ſuͤßer Verwundrung: Jch habe

Meinen Sohn lebendig geſehn! lebendig, nicht todt mehr!

Wie ein einſamer Uebriger, der durch den Tod den letzten

Seiner Freunde verlor, von aͤngſtlichen Traͤumen, in denen

Er
[188]Der Meſſias.
Er ihn lebend erblickt’, und nicht zu erreichen vermochte,

Halberwachend, das dunklere Bild des Freundes noch ſuchet,

Klagt, nicht weis, ob er ſchlafe, nicht, ob er wache, das Herz ſchlaͤgt

Hoch ihm empor, und Flammen durchſtroͤmen ihm die Gebeine,

Alſo waren noch Viele der thraͤnenvollen Verſammlung.

Aber der Seraphim, die zu ihnen eilten, der Vaͤter,

Die mit den jauchzenden Engeln zu ihnen eileten, wurden

Jmmer mehr! … Und Simon Johanna blickt die Verſammlung

Liebend an. Da ſieht er es ſchimmern! Er hielt vor Entzuͤckung

Eine beginnende Thraͤne zuruͤck, und betete ſchweigend:

O du Verborgner, und doch ſtets Gnaͤdiger, ewig, und ewig

Gnaͤdiger! nun, o mein Erbarmer, erbarmſt du dich ihrer!

Kephas dankt’, und betete noch, da trat der Gottmenſch

Jn die Verſammlung. … Wie Felſen, Ein Erſtaunen, ſtanden,

Starrten ſie All um ihn. Der Auferſtandene ſagte:

Friede ſey mit euch! … Sie ſahn ihn, und ſahn ihn nicht, ſtanden,

Blickten ihn an. Von Stroͤmen zu vieler Gedanken ergriffen,

Wie in Meeren des Lichts, in denen Unſterbliche ſaͤnken,

Sanken ſie, konnten ſich nicht herausarbeiten, und waͤhnten,

Einen Engel zu ſehn! Mit der Liebe Stimme, mit ſeiner,

Sprach der Erſtandne: Vor mir ſeyd ihr erſchrocken, ihr Lieben?

Warum kommen dieſe Gedanken in eure Herzen?

Sehet meine Haͤnde, und meine Fuͤſſe, Geliebte!

Denn kein Engel hat Fleiſch und Gebein, wie ihr ſeht, daß ich habe.

Und ſie bebten herzu. Maria ſank vor ihm nieder,

Hielt die Fuͤſſe des Auferſtandnen, und ſahe die Wunden,

Faßt ihn bey der Rechten, und ſah die Wunde der Rechten,

Dann
[189]Vierzehnter Geſang.
Dann der Linken. Und nun vermochte ſie auch in des Sohnes

Antlitz hinaufzuſchaun. Wie das Angeſicht eines Engels

Wurd ihr Angeſicht, als ſie hinaufſah. … Meine Mutter,

Hier auch wurd ich durchſtochen. Er zeigt’ ihr das Maal der Wunde,

Aus der Waſſer herab und Blut floß, als ihn des Todes

Nacht ſchon umgab. Jhr ward, wie das Angeſicht eines Engels

Wieder ihr Angeſicht. Schon umknieten die Meiſten ihn, ſahen

Seine Wunden, und reichten ihm die Haͤnde. Die nahmſt du,

Sohn des Vaters, und hielteſt, und ließeſt ſie ſinken, der Andern

Ausgeſtreckte, zitternde Haͤnde zu nehmen, Erbarmer!

Und, ein Jubelgeſang dem Auferſtandnen, erhub ſich,

Mit gebrochenen Worten, die Stimme des ſanften Weinens.

Ueber die Wange des Goͤttlichen rann jetzt eine Thraͤne.

Lange hielt Johannes die Rechte des Liebenden, lange

Sah er mit glaͤnzendem Aug’ hinauf in ſein Antlitz, und wollt’ ihn

Fragen, und fragt’ ihn nicht! ihm ſagen, wie innig, wie herzlich

Er ihm dankte, wie tief er ihn anbetet’, und thats nicht!

Jetzo begann er, und ſchnell verſtummt’ er noch mehr. Deñ der Gottmenſch

Redet’ ihn an. Du ſtandeſt am Kreuz, und bliebſt bis zum Tode!

Aber wo iſt Lebbaͤus? Lebbaͤus lag auf der Erde,

Hielt, und kuͤßte den Saum an des Mittlers Gewande. Da ſtand er

Eilend auf, da die Stimme des Herrn bey dem Namen ihn nannte,

Nahte ſich, bleich, wie ein Todter, vor Freude. Der Goͤttliche ſagte:

Hier iſt meine Rechte, Lebbaͤus. Und reicht ihm die Rechte.

Und Lebbaͤus ſtreckte verſtummend die Hand nach dem Herrn aus!

Aber ſie ſank ihm nieder. Da beugte Jeſus ſich vorwaͤrts

Nach dem Juͤngling, ergriff die Hand des Sinkenden, hielt ſie

Lange
[190]Der Meſſias.
Lange mit Liebe. Die Seele des Freudigerſchrocknen, ſein Mund nicht,

Stammelte: Gnade du biſt ganz Gnade! … Der Kananite

Simon, Jakobus der Alpheid’ umarmten einander,

Freuten des Herrn ſich, blickten umher, ſahn ſich, und den Herrn an,

Auch die Andern begannen vom Herrn auf einander zu blicken,

Und ſich zu freuen, daß er ſie Alle begnadiget hatte!

Und, ein Jubelgeſang dem Erſtandnen, erhub ſich von neuem,

Mit gebrochenen Worten die Stimme des ſanften Weinens.

Um ſie knieten die fruͤheren Zeugen, Petrus, Matthias,

Kleophas, und die begnadigten Weiber, die Heldenſeelen,

Sie, die bis zu dem Kreuz hinauf dem Leidenden folgten!

Unter ihnen ſtehet der Ueberwinder des Todes,

Hebt die Augen mit aller ſeiner Hoheit, und breitet

Seine Haͤnde gen Himmel. Noch ſtrahlete zwar die Verklaͤrung

Nicht von ihm; doch war, in ſeinem Antlitz voll Gnade,

Mehr als jemals Goͤttlichkeit. Und ſie vermochten nicht laͤnger

Jhm in das Antlitz zu ſchaun. Jakobus neigte ſich tiefer

Gegen die Erd’, und wagt’ es, und rief mit flehender Stimme:

Herr, Herr Gott, noch erhebe dich nicht zu deinem Vater!

Ach, erhoͤre. … Der Goͤttliche ſprach: Jch bleibe bey euch noch,

Kindlein, … Er ſprachs, und jetzt ergriffen zu maͤchtige Freuden

Jhre Seelen. Sie wußten es kaum, was ſie dachten, und ſagten.

Ach iſts moͤglich, daß Jeſus es ſelbſt iſt? ihr Engel! iſts moͤglich?

Rief der eine, der andere rief: O ſind wir im Himmel?

Oder auf Erden? Jſt Jeſus es ſelbſt? Ach biſt du es ſelber,

Der auf Golgatha blutete? Biſt du es ſelber, Erbarmer?

Sehn wir? oder verlieren wir uns in ſuͤſſen Geſichten?

Jeſus
[191]Vierzehnter Geſang.
Jeſus wendete ſich, ging hin zu dem Tiſch, und legte

Auf die verbreiteten Teppiche ſich, und ſagte zu ihnen:

Habt ihr etwas Speiſe fuͤr mich? … Sie erhuben ſich eilend,

Traten herzu, und waren beſchaͤfftigt, ihm Speiſe zu bringen.

Aber Johannes drang ſich hervor vor den Andern, und brachte

Honigſeims, und geroͤſteten Fiſches, und ſetzte die Speiſe

Vor den Herrn. Mit ſchweigender Ehrfurcht trat er zuruͤcke.

Voll von ſanfter Vertraulichkeit ſagte der Auferſtandne:

Nahe dich mir, Geliebter, wie ſonſt! Jhr meine Geliebte,

Nahet euch auch, und ruhet um mich auf den Teppichen. Komm denn,

Meine Mutter, und ruh bey deinem Sohne. … Da kam ſie,

Und da kamen die Andern. Er aß. Und uͤber dem Anblick

Seiner vertraulichen Liebe, daß ſie, an Einem Tiſche

Mit dem Goͤttlichen ruhten, und er vor ihnen, wie ſonſt, aß,

Legte ſich ihrer Entzuͤckungen Ungeſtuͤm. Stillere Freuden

Kamen in ihre beſaͤnftigten Herzen, und voͤlliger Glaube!

Da er ihre Herzen geſtillt ſah, ſprach der Erbarmer:

Seht, den Zeugen glaubtet ihr nicht, die euch ſagten, Jch lebte!

Mich, mich haͤtt ihr Auge vom Tod’ erſtanden geſehen!

Jhnen, denen ihr ſonſt in allen trautet, und deren

Redlichkeit ihr ja kanntet, o warum glaubtet ihr hier nur

Jhnen nicht? Unbiegſam, Geliebte, war eure Seele.

Weint nicht, Kindlein! Jch habe ja euer doch mich erbarmet.

Aber lernt, wie das Herz des Sterblichen ohne mich ſey!

Hatt ich es euch nicht geſagt, oft wiederhohlet: Gekreuzigt

Wuͤrd ich werden! vom Tode, der Tage dritten, erwachen!

Hat dieß Moſes nicht auch geſagt? die Propheten, die Pſalmen

Nicht
[192]Der Meſſias.
Nicht verkuͤndet? und hub ich euch nicht die Huͤlle der Schrift auf?

Was ich ſagte, das ſagten auch dieſe Zeugen. Getoͤdtet

Muͤßt ich werden! vom Tod erſtehn! Jn Jeruſalem ſollen

Meine Zeugen beginnen, von hier zu der Erde Voͤlkern

Gehn, und ihnen die beyden erhabenſten Seligkeiten:

Wiederkehr zu dem, der ſie ſchuff, und den ſie verlieſſen;

Und Vergebung der Suͤnde, des ewigen Lebens Anfang,

Predigen. Bruͤder des Mittlers, ihr ſeyd die Zeugen. Jhr ſollt mich

Auf der Erde verkuͤndigen. Siehe des Vaters Verheiſſung

Will ich euch ſenden. Jhr ſollt, bin ich zu dem Vater gegangen,

Jn Jeruſalem bleiben, bis ihr mit Kraft aus der Hoͤhe

Angethan, hinwandelt, und lehrt: Wer glaubt, und getauft wird,

Der wird ſelig! verdammt, wer nicht glaubt! Der Glaubenden Viele

Sollen Wunder begleiten. Jn meinem Namen vertreiben

Sie den Satan aus den Beſeſſnen; und reden in Sprachen,

Die ſie nicht lernten. Auch Schlangen vertreiben ſie. Ohne zu ſterben,

Trinken ſie toͤdtlichen Trank! Sie legen die Haͤnd’ auf die Kranken,

Und die Kranken geneſen. … Der Mittler erhub ſich mit Wonne,

Ging dann vorwaͤrts in die Verſammlung. Sie drangen um ihn ſich

Freudig herum, ganz nah ihn zu ſehn. Der Liebende ſagte:

Naht euch, meine Juͤnger! Die Andern traten zuruͤcke,

Nicht nur neidlos; ſie freueten ſich, wie vollendete Fromme

Sich im Himmel des Heils der Mehrbegnadeten freuen,

Ueber die Gnade, die Jeſus gab den Erſterkohrnen.

Und der Goͤttliche ſtand, um ihn die hohen Apoſtel.

Auch ſie ſollten bluten! Er ſah im Geiſte ſie bluten.

Und, erſchuͤttert von inniger Liebe, ſprach er zu ihnen:

Friede
[193]Vierzehnter Geſang.
Friede ſey mit euch! … So ſprach des Goͤttlichen Stimme.

Und wie einer, deß Seele der Freuden zu viel belaſten,

Athmet’ er tiefer herauf, und blies ſie an, und ſagte:

Jetzt ſchon empfaht den heiligen Geiſt! Jn reicherer Fuͤlle

Werdet ihr bald ihn empfahn. Wem ihr die Suͤnden erlaſſet,

Sind ſie erlaſſen. Wem ihr ſie behaltet, ſind ſie behalten!

Und ſie vernahmen den großen Befehl mit Erſtaunen, und Demut.

Jetzo daucht’ es ihnen, als wollte ſie Jeſus verlaſſen.

Und ſie ſtanden um ihn, und wagten es nicht zu bitten,

Daß er bliebe; doch zitterten ſie, doch fleht’ ihm ihr Auge.

Petrus gefaßt von Gedanken, die ſeine Seele wie Flammen

Ueberſtroͤmeten, warf zu den Fuͤſſen Jeſus ſich nieder,

Hielt ſie, kuͤßte ſie, rief: Jch kann auf der Erden nicht danken!

Herr! im Himmel will ich dir danken! Jch weis es, Erbarmer;

Denn ſo ſprach dein Geſendeter: Sagts den Juͤngern, und Petrus!

Denn du erſchienſt mir! und du erſcheinſt mir! ich weis es, Erbarmer,

Goͤttlicher Suͤndeverſoͤhner, du haſt mir meine Verleugnung,

Mein Erretter, und aller Gefallnen Erretter, vergeben;

Aber laß ſie, du Liebe, mich dir noch Einmal bekennen,

Herr, bekennen vor deinem Antlitz, beweinen! der Gnade

Stimme mich hoͤren! Vergebung aus deinem goͤttlichen Munde,

Deine Himmelsſtimme, daß du in das Leben mich aufnimmſt,

Hoͤren, eh ich von dir, zu denen, die du verſoͤhnt haſt,

Geh, und in deinem Namen den Suͤndern Suͤnde vergebe!

Und er ſahe mit vollem Vertraun, und inniger Demut

Jn des Liebenden Antlitz. Da ſprach der Geopferte Gottes:

IIIBand. NSiehe,
[194]Der Meſſias. Vierzehnter Geſang.
Siehe, das weiſt du, ich habe fuͤr deine Seele gebeten,

Daß ihr Glaube nicht ganz ſie verlieſſe. Mich hoͤrte mein Vater.

Simon, ſteh auf! Es iſt dir deine Suͤnde vergeben!

Alſo ſprach der Geopferte Gottes mit einer Stimme,

Die ihr Mark und Gebein durchdrang, und die innerſte Seele,

Und ſie ſahn ihn nicht mehr. Da rief der begnadete Petrus:

Herr! wir folgen dir nach in Galilaͤa! … Des Grabes

Engel erſchien. … Noch ſeht ihr den Herrn in Jeruſalem wieder,

Hoͤret von ihm, wenn ihr in Galilaͤa ihn ſehn ſollt.

Und der Engel verſchwand mit langſam verloͤſchendem Schimmer.


Der
[[195]]

Der
Meſſias.
Funfzehnter Geſang.


[[196]]

Jnhalt
des funfzehnten Geſangs.


Einige der Auferſtandnen erſcheinen. Erſcheinungen ſehen: Neph-
thoa, einer der Knaben, die Jeſus unter das Volk ſtellte; Di-
lean; Tabitha, die Petrus auferweckte; Cidli; Stephanus; Bar-
nabas Joſes, der Levit aus Cypern; Portia; Beor, der Blindge-
bohrne, den Jeſus ſehend machte; Abraham, und Moſes wollen
Saulo erſcheinen, Gabriel verbietet es ihnen; Samma, Joel, El-
kanan, Simeons Bruder, und Boa zugleich; Maria, die Mutter
Jeſu; Cidli, Jairus Tochter, und Semida, der
Juͤngling von Nain.


[[197]]

Der Meſſias.
Funfzehnter Geſang.



Komm, die meine Seele mir oft, mit ſanfterer Wehmut,

Und mit ihrer großen Erwartungen Schauer erfuͤllte,

Komm, Betrachtung der kuͤnftigen Welt. Die kuͤnftige Welt war

Auf der Erde, da das, wovon ich ſinge, geſchahe.

Denn die Todten erſchienen den erſten Chriſten, zum Himmel

Sie zu berufen, zu weihn die Bruͤder zum ewigen Leben.

Klein war nur die ſelige Schaar; doch aus dieſer Wurzel

Wuchs, ein Schatten verbreitet in allen Himmeln, ein Baum auf,

Voll von dichten Zweigen: Die Hundert und vierzig Tauſend,

Alle Verſoͤhnte! Das Heer ohne Zahl am kryſtallenen Meere,

Alle Verſoͤhnte! Die Schaar der Hundert und vierzig Tauſend

Sangen, als ſie der Himmliſche ſah, der bis ans Gericht blieb

Ueber das Schauthal, ſangen das neue Lied vor dem Throne,

Welches keiner zu lernen vermag. Sie waren erkaufte

N 3Von
[198]Der Meſſias.
Von der Erde, von keiner Liebe des Eiteln beflecket,

Folger des Lamms, wohin es auch ging, die Erſtlinge Gottes,

Und des Lamms, unſtraͤflich vor Gott, in Worten, und Thaten!

Siehe das Heer ohne Zahl, da der Zeuge des Herrn es erblickte,

Rief, wie es war, aus allen Geſchlechten, und Sprachen, und Voͤlkern,

An dem Throne verſammelt, in weißem Gewand’, in den Haͤnden

Palmen, es rief mit der Stimme des lauten Jubels: Dem Herrſcher

Auf dem Throne ſey Heil! Heil unſerm Gott, und dem Lamme!

Und da fielen aufs Antlitz die Engel, und Aelteſten nieder,

Und da rauſchte das Meer, da wehten die Palmen der Sieger.

Denn gen Himmel hinauf, aus großer Truͤbſal gen Himmel,

Sind ſie gekommen, ſie haben gewaſchen ihre Gewande,

Hell ſie gemacht im Blute des Lamms, die ſeligen Dulder!

Aber itzt war die kleinere Schaar, die Wurzel des Baumes,

Noch nicht einmal berufen. Sie ſchliefen noch unter den Huͤllen

Jhres Geſetzes. Es ſollten zum erſtenmal ſie Erſtandne

Wecken, dann Kephas in ſeiner Rede der Salbung von Chriſtus!

Und zu deren Gemeine, die ſelig wurden, hinzuthun

Sie dreytauſend auf Einmal. Noch ſchlummerten ſelbſt, die von ihnen

Sollten Erſtlinge werden, verſtanden noch nichts von dem neuen

Ewigen Liede der Wonne; Noch ſchliefen die anderen Sieger,

Ohne Palmen, und hellgemachte Kleider im Blute.

Ach! noch ſchlafen wir Letzten der Erde! Werden wir Armen

Auch erwachen vom Schlafe, damit uns Chriſtus erleuchte?

Siehe! das Werk des Erſtandnen begann. Die verklaͤrten Gerechten

Schwebten Tabor hinab, zu erſcheinen den kuͤnftigen Chriſten.

Aber eh noch der Erſcheinungen Schaar nach Salem hinabſtieg,

Sam-
[199]Funfzehnter Geſang.
Sammelt’ um ſich ſie herum der Auferſtandnen, der Todten,

Und der Sterblichen Vater, und ſprach: Nun ſind ſie gekommen,

Freut euch, Kinder, nun ſind des Heiles Stunden gekommen,

Da wir gewuͤrdiget werden, die erſten Winke zu winken,

Nach dem ſchmalen Wege! den erſten Durſt zu entzuͤnden,

Nach der Quelle des Lebens! Der Stifter der himmliſchen Kindſchaft

Hat es eurem Gefuͤhl, und Erforſchungen uͤberlaſſen

Auszuwaͤhlen, wie es euch duͤnkt. Jhr waͤhlet, die Kinder

Werden, und Erben! ihr waͤhlt der Vorbereitungen Weiſe.

Doch nicht allein, die ihr der hohen Erſcheinungen wuͤrdigt,

Sind zu dem Heile berufen. Und wenn ihr beriefet, die Gott nicht

Auch berufet; ſo wuͤrden der Thronen Engel euch warnen.

Eilt denn, genießt den Wonnegedanken, euch Bruͤder zu waͤhlen

Zu dem Erbe des Lichts! Jch ſeh, die werdet ihr waͤhlen,

Welch’ in ihrer Finſterniß ſchon, die Gnaden empfingen,

Daß ſie, wiewohl mit Straucheln, den Wandel im Himmel begangen;

Und ihr werdet ſie kennen, die dieſe Gnaden empfingen.

Tiefſinn war in der Seele des Knabens geblieben, den Jeſus

Unter die Hoͤrer geſtellt, und geſegnet hatte. Nephthoa

Nach der Quelle genannt an Ephrons Graͤnzengebirge,

Liebte minder ſeitdem die Geſpielen, und Einſamkeit war ihm

Suͤßer, als alle Freuden der frohen Jahre geworden.

Bluͤte trug er, und Frucht, in beginnendem Lenze des Lebens

Reif wie Juͤnglinge, voll Verſtandes, und goͤttlicher Gnade.

Sieben Jahr’ entflohen ihm erſt, und er hatte das letzte

Betend verlaͤngert, ein Jahr voll reicher Saaten, unkennbar

Denen, die kleine Dinge, verwebt in das Eitle, nur dachten;

N 4Aber
[200]Der Meſſias.
Aber mit Segen von Gott zu der Ewigkeit Erndte geſegnet.

Auch in dem achten ſaͤte Nephthoa der Erndte. Das hatt’ er

Mit dem ſtrahlenden Tage der Auferſtehung begonnen.

Und er betete jetzt in der Abenddaͤmmrung, geſunken

Auf ſein Knie in den Staub, in einem Winkel des Hauſes,

Wo er wußte, daß keiner ihn faͤnde. So flehte der Knabe:

Herr, du hoͤrſt mich gewiß, ob ich es gleich nicht erfahre,

Daß du mich hoͤrſt. Stets komm ich von neuem, und flehe von neuem,

Daß du mich hoͤren moͤgeſt, o aller Kinder im Himmel

Vater, und aller auf Erden! Vor deinem leuchtenden Throne

Knien wir Alle: wir Armen auf Erden, denen ihr Erbe

Thraͤnen ſind, wir knien in Staube; die ausgeweinet

Haben, auf ſchimmernden Wolken; und jene, die niemals weinten,

Jn den Strahlen der Sterne, die ungefallnen Engel.

Alle flehen von dir mehr Seligkeit; aber mit Ruhe

Flehen ſie jene dort oben. Denn ſie labt Fuͤlle der Freuden.

Wir, wir flehen weinend dich an, um Erloͤſung vom Boͤſen,

Ach Erloͤſung vom Elend, und Segen zum ewigen Leben.

Unvollendet kann der nicht bleiben, den uͤber mich ausſprach

Dein erhabner Prophet in jener ſeligſten Stunde

Meines Lebens, als er in die große Verſammlung mich ſtellte.

Wuͤrd’ er vollendet, wenn er vergaͤngliche Dinge nur gaͤbe?

Nur Verſorgung des Lebens, das ſchnell, wie die Blume verbluͤhet!

Nein, du ſteigeſt hinauf in die Ewigkeit, himmliſcher Segen

Deſſen, den Gott nicht nur, die Kranken zu heilen, geſandt hat;

Auch zu heilen die Suͤnder, hat ihn der Erbarmer geſendet.

Ach ich kenn’ ihn noch nicht den Segen zum ewigen Leben,

Weis
[201]Funfzehnter Geſang.
Weis es noch nicht, wie mich, der einſt mich ſegnete, leiten,

Welchen Weg er zu gehn, mir gebieten wird. Aber ich will mich

Doch auf Gott verlaſſen. Dein Wille, nicht meiner, geſchehe!

Ach, noch iſt mir kein Tag in meiner Seele geworden

Jener großen Erkenntniß des Ewigen! Aber ich will mich

Dennoch verlaſſen auf dich! Herr, Herr dein Wille geſchehe!

Lieſſeſt du leuchten auf mich, Gott, deines Antlitzes Freuden;

O ſo truͤg’ ich leichter die Laſt des Jrrens im Dunkeln:

Aber ich will mich dennoch auf dich, auf dich verlaſſen!

Ach das kurze, das fliehende Leben, die Knoſpe, die aufbluͤht,

Wegzuwelken! Wenn welkt, mit wenig Erde beworfen,

Und verborgen zu werden, auch meins? Was treibt mich vor Unruh,

Jmmer Erkenntniß, und Freude, durch Gott zu ſuchen? Jch ſollte

Still erwarten, bis ich mich niederſenkte, zu welken,

Und verpflanzt ins Gefilde des Lichts und der Ruhe zu werden;

Hier iſt doch kein Erkenntniß, und keine Rettung ins Helle,

Aus der deckenden Nacht, die unſre Seelen umhuͤllet.

Sind ſie nicht zahllos die Dinge, die ich nicht kenne? Sie werden

Noch unzaͤhlbarer ſeyn, wenn erſt mein Geiſt ſich erweitert,

Und ins Hoͤhere ſchwingt, von reiferem Alter erhoben.

Doch ſey ruhig, mein Herz! Den Durſt nach ſeiner Erkenntniß

Stillet gewiß, der dich hat mit dieſem Durſte geſchaffen.

Wenn ich, vergoͤnnſt du es mir, der mich zu dem Ernſte geweckt hat,

Und dem Blicke des Knabens nur ſanftes Laͤcheln gelaſſen?

Wenn ich zuruͤck zu meinen Geſpielen kehrte? mit ihnen

Bluͤhte, wie Roſen? mit ihnen von leichten Dingen nur ſpraͤche?

Nicht von der kuͤnftigen Welt, und jener großen Erkenntniß?

N 5Und
[202]Der Meſſias.
Und ſo wartete, bis mit Weisheit von oben der Vater

Alles Lichts mich erleuchtete? Jeſus fand mich ja alſo,

Da er mich in die Verſammlungen rief, und ſegnend mich aufnahm.

Alſo betet Nephthoa. Sein Engel, der neben ihm ſchwebte,

Hoͤrt’ ihn beten, und ſchrieb mit unausloͤſchlichen Zuͤgen,

Flammenſchrift in ſein Buch, ein Buch des Lebens, das alles,

Was mit Gnade vernahm der große Hoͤrer des Himmels

Jn des Knabens Gebet. Jndem die ſchimmernde Schrift flog

Mit der Hand des Unſterblichen, kam Benoni, und nahte

Sich dem Beter, und ihm. Willſt du ihm erſcheinen, Benoni?

Rief mit Entzuͤckung der Engel, und reicht’ ihm das wehende Buch hin.

Und der Erſtandne las. Der Jmmerunſterbliche haͤlt ſich

Jn der Freude nicht mehr, und umarmt den himmliſchen Juͤngling.

Ach Erhoͤrung, Erhoͤrung, von Gottes Throne geſendet,

Rief der freudige Seraph, du biſt ſchon heute gekommen!

Und Benoni nahete mehr. Noch kniete Nephthoa

Und begann von neuem zu beten. Mit herzlicher Frende,

Junigem, ewigem Dank ſeyſt du, o Vater, geprieſen,

Der der Gnaden ſo viele mir gab. Wie haſt du mit Huld mich

Ueberſchuͤttet! Du warſt es, du haſt mir des groſſen Propheten

Segen, du Vater der Ewigkeit, zugeſendet, du Vater

Aller Kinder im Himmel, und aller Kinder auf Erden!

Wer beginnet, und wer vollendet, genung dich zu preiſen,

Herr der Herrlichkeit, dem ich dieß Auge voll Thraͤnen erhebe?

Jn der Saͤuglinge Munde ſo gar haſt du dir bereitet,

Herr, dein goͤttliches Lob. Jch will, wills nicht verſchweigen.

Denn du haſt dir auch Lob in der Kinder Munde bereitet.

Erſt
[203]Funfzehnter Geſang.
Erſt wollt’ ihm Benoni, wie einer der Pilgerknaben,

Die zu dem Feſte wallten, erſcheinen. Doch als er des Preiſes

Freudenthraͤnen erblickte, vermocht’ er ſich ſo nicht zu halten,

Und er erſchien Nephthoa in ſeiner Herrlichkeit. Strahlend

Stand er vor ihm, gekleidet in Morgenwolken des Fruͤhlings.

Und Nephthoa erſchrack nicht. So war die Seele des Knabens

An die Bilder gewoͤhnt, die ihm von dem Himmel kamen,

Oft in Traͤumen, und oft in faſt erwachendem Schlummer.

Und er lockte das Haar des himmliſchen Juͤnglings, und redte

Mit ſchnellfliegenden Worten. Dich hat der Prophet mir geſendet!

Salems Juͤngling, wo ſchwebeſt du her? dich hat mir geſendet

Jeſus! Du biſt ein Bote des Segens, des Friedens, der Wonne!

Rede, ſings in die ſchimmernde Harfe, worauf du dich lehneſt,

Sage, wo ſchwebeſt du her! Erzaͤhl, erzaͤhle von Gott mir,

Sohn des Lichts! erzaͤhle von meinen Todten mir, Erbe

Jhrer Freuden, von meiner entſchlummerten Schweſter voll Unſchuld,

Die mir bey Roſen entſchlief, in der Morgendaͤmmerung Duften,

Eine Bluͤthe ſie ſelbſt, da ſie nun lange ſchon todt war.

Bringſt du mir keinen himmliſchen Gruß von Dimna Kedemoth?

Oder wie ſonſt im Himmel ihr neuer Namen jetzt heiſſet;

Und was ſagte ſie dir? Vielleicht: Der Herr ſey geprieſen,

Daß ich todt bin, und daß auch mein Nephthoa wird ſterben?

Nimm mich mit dir zu Dimna Kedemoth. Verzeih, du Bewohner

Jener Huͤtten, daß ich es wagte, ſo lange zu reden.

Ach, du ſchweigſt mir, Bote von Gott! Jetzt redte Benoni.

Daß ich, Nephthoa, dich ſeh’, und deiner Freuden Entzuͤckung

Hat mich ſchweigen gemacht. Der Herr hat dir mich geſendet.

Jeſus
[204]Der Meſſias.
Jeſus war todt, das wußteſt du nicht! und iſt ſchon erſtanden

Aus dem Grabe. Bald wird er hinauf in die Herrlichkeit gehen!

Seine Geliebten werden alsdann in Jeruſalem zeugen,

Von dem Tode, der Auferſtehung, und von der Erhebung

Jeſus Chriſtus! Die hoͤre. Sie werden von Gott dir erzaͤhlen,

Was, als einem Sterblichen dir, zu wiſſen, vergoͤnnt iſt.

Deine Schweſter empfaͤngt dich dereinſt in der Lebensbaͤume

Duftenden Schatten! … Doch, nun muß ich Nephthoa verlaſſen.

Ach noch nicht, du Himmliſcher, bleib noch, du Fremdling aus Salem,

Wende noch nicht von dem Sterblichen weg dein ſchimmerndes Auge,

Dieſe Morgenroͤthe der Wangen, dieß Laͤcheln der Wonne.

Aber Benoni verſchwand. Nephthoa blieb mit Entzuͤckung

Stehn, und mit ausgebreiteten Armen, das Bild zu umfaſſen

Seines himmliſchen Freundes, das zwar von Schimmer entkleidet,

Aber vor ihm, ſo dacht’ er, noch ſtand. Auch dieſes verſchwand ihm,

Und ihm ſanken die Arme nieder. Da faltet’ er betend

Seine Haͤnd’, und blickte gen Himmel, und laͤchelte weinend,

Nicht ſo einſam, wie es ihm dauchte. Noch hatt’ ihn ſein Engel

Nicht verlaſſen, noch nicht der unſichtbare Benoni.

Und ſie hoͤrten den Knaben den Namen des Gnaͤdigen preiſen,

Jhn aus inniger Seele dem Allbarmherzigen danken,

Der die Erſcheinung ihm gab, und die Hofnung der groſſen Erkenntniß.

Dilean war der einzige Freund, den er hatte, geſtorben,

Und die Geliebte dazu. Er kannte Gottes Propheten,

War, mit brennendem Durſte, gewiß zu werden, in Salem

Lange geirrt, und hatte geforſcht: Ob Jeſus erwacht ſey?

Oder noch todt? Die Nacht hing uͤber ſein Haupt, die Stroͤme

Gingen
[205]Funfzehnter Geſang.
Gingen ihm bis an die Seele. Beruhigung ſucht’ er, und fand ſie

Auch nicht auf den Gefilden voll Fruͤhling. Jtzt kehrt’ er verſpaͤtet

Zwiſchen den Graͤbern am Oelberg um. Verirrendes Dunkel

War ſein Fuͤhrer. Er ging in den tiefen Kruͤmmen, und ſuchte.

Jſt das Kidrons Geraͤuſch? und jenes Wehen, der Palmen

Jn Gethſemane? Nein! das iſt ein Brauſen in Kluͤften.

Sind das Menſchenſtimmen? Jndem erblickt’ er ein Schimmern,

Das beynahe verloſch, geweht vom Winde. Dem folgt’ er.

Und er kam an ein Todtengewoͤlb’, aus welchen ſie Leichen

Trugen. Ein Reicher erkaufte den Felſen von einem Armen.

Und ſie trugen ein ganzes Geſchlecht, des duͤrftigen Vaͤter

Aus dem Gewoͤlbe. Dilean blieb an der Oeffnung des Grabmaals.

Und ſie gingen mit aͤchzendem Schritt’ heraus, mit verdroßnem

Langſam wieder hinein, bewundne Gebeine zu hohlen.

Gluͤckliche ſinds, die ihr tragt! Gebt mir der Todtenfackeln

Eine, damit dort hinten ich ſie bey den Leichen euch halte.

Und ſie gaben ihm eine, da ging er hinter ins Grabmaal.

Und er hielt die Flamme, gelehnt an den Felſen, und dachte:

Gluͤckliche, gluͤckliche Todte! … Die ſeyd ihr auch, ihr Geliebten,

Die mich verlieſſen. Wenn erſt auch eure Leichengewande

Einſt veralten, wie dieſer, ſo bin ich, wie ihr, auch gluͤcklich!

Aber nun … Euch hab ich Verlaßner verloren, ihr Lieben,

Meine Seligkeit hier! … und, meine Seligkeit kuͤnftig,

Gottes Propheten, verlor ich auch! … Jſt eine nun kuͤnftig,

Da er Tyrannen erlag? Sorgt Gott, ſie ewig zu machen,

Ach fuͤr die, bey denen die Beſten den Schlimmſten erliegen?

Bin ich ewig? oder verſtaͤub’ ich? Erſtand er? verweſt er?

Dieſe
[206]Der Meſſias.
Dieſe ſind die bebenden Fragen, die Keiner mir aufloͤſt,

Auch, ihr Stummen da, nicht! Jhr muͤſſet es koͤnnen, wofern es

Jrgend ein Endlicher kann. Nicht dieſe Gebeine vermoͤchtens;

Aber der Geiſt! Wo ſeyd ihr, ihr abgeſchiednen Genoſſen

Dieſer Leichen? Jſt euch des Lichtes Wohnung der Freude

Wohnung zugleich, wenn Einer auch nur von eurem Geſchlechte

Sich mit dieſen Zweifeln die Seele martert? Er dacht’ es.

Und nun war von Leichen das Grab und von Todtengraͤbern

Leer! Kaum merkt’ er es. Endlich erweckt’ ihn die tiefe Stille.

Siehe, nun bin ich allein! Jhr abgeſchiednen Genoſſen

Eurer Leichen, wer ſeyd ihr? Eliſa Gebein erweckte

Einen Todten. So war ja bey dieſem Gebeine die Seele!

Denn der Staub erweckte doch nicht! Wenn auch Eine nur hier iſt:

Komm, du Eine! damit ich lerne, was kuͤnftig mein Loos ſey!

Komm, ich will mich vor dir nicht, Seele des Todten, entſetzen.

Auf! ich beſchwoͤre dich, Seele, bey deinem letzten Erſeufzen,

Als du rangſt mit dem Tode! bey deiner Hofnung, unſterblich,

Oder bey deiner erſchuͤtternden Angſt, vernichtet zu werden,

Als du rangſt mit dem Tode! So rief er, und ſah in das Grabmaal.

Thirza war ſchon um ihn, der ſieben Maͤrtyrer Mutter,

Mit den Seelen des Freundes, und ſeiner Geliebten geweſen.

Dieſe hatten ihn ſchon durch das Thal der Graͤber begleitet

Bis zu dem Felſen, in welchem er war. Darf ich ihm erſcheinen?

Fragte die treue Geliebte. Doch wuͤrd er ſich nicht entſetzen,

Wenn er mich ſaͤh? Jch will ihm erſcheinen! erwiederte Thirza.

Ohne Hofnung, zu ſehn, wornach er verlangte, bemuͤhte

Dilean ſich zu ſchlummern, und alſo ſich zu entlaſten

Von
[207]Funfzehnter Geſang.
Von den truͤben Gedanken, die ihn, wie Wolken, bedeckten.

Aber er ſucht’ umſonſt die kurze Ruhe vom Elend.

Wehmuth fuͤllte von neuem ſein Herz. Euch hab ich verloren,

Meine Freunde! dich auch, mein Freund in weiblicher Bildung!

Ach ihr ließt mich zuruͤck. Nun bin ich allein auf der Erde!

Bin … Wer tritt da herein? Wer biſt du, der ſich mir naͤhert?

Und er ging der dunkeln Geſtalt entgegen. Auf Einmal

Ward zur Unſterblichen Thirza aus einer Sterblichen. Schauernd

Stund er. So ſchnell iſt der Wink, ſo ſchnell ermannt’ er ſich wieder,

Ging, und betrachtete ſchweigend die Strahlengeſtalt, und redte

Bald ſie an. Wirſt du mein Danken, Erſcheinung, verſtehen?

Oder biſt du ein Dunſt der Nacht, den Flammen beſeelen?

Oder ein Bild in meinem Gehirn? … Jhm laͤchelte Thirza

Sanft mit der Himmelsgebehrde, mit ſo viel Seel’ in dem Auge,

Daß er den flammenden Dunſt vergaß, und das Bild im Gehirne.

Laut, mit Schnelligkeit, rief er: Erſcheinung, Erſcheinung, wer biſt du?

Und melodiſch erſcholls in dem wiederhallenden Felſen:

Wer ich ſey, vernimmſt du hernach. Jetzt lerne, Begluͤckter!

Halt dich nicht vollkommner, als Andre, weil du die Gnade

Dieſer Erſcheinung empfaͤhſt. Nicht unvollkommner, als Andre,

War der Blinde von ſeiner Geburt, dem Jeſus den Tag gab.

Daß er ein Zeuge der Herrlichkeit Jeſus wuͤrde, bedeckt’ ihn

Blindheit lange! Daß du, wie er, zu zeugen vermoͤchteſt,

Sandte mich Jeſus zu dir, der Auferſtandne vom Tode.

Nicht, weil du mir riefſt, dich zum Zeugen zu machen! erſchein’ ich!

Waͤre dir ohne dein Rufen erſchienen! Dein Zweifeln verdiente

Zwar
[208]Der Meſſias.
Zwar Vergebung, allein Belohnung nicht! Und Belohnung

Waͤr ich, Dilean, dir, waͤrſt du nicht zum Zeugen erkohren.

Was geſchehn ſoll, geſchieht; ihr zweifelt! oder ihr leugnet!

Zweifelte gleich das ganze Geſchlecht der ſterblichen Suͤnder

An der kuͤnftigen Welt; ſie wuͤrden dennoch erfahren,

Daß geſchieht, was geſchehn ſoll! erfahren, daß uͤber den Graͤbern

Leben wohnt; wie verwundernd ſie auch die Erfahrung erfuͤhren.

Bleich ſtand Dilean, als die Erſcheinung endete. Nein, ich

Unterwinde mich nicht, noch mehr zu fragen? Jch beuge

Mich im Staube vor dem, der dich mir geſandt hat, Erſcheinung!

Und er kniete nieder, und wandte ſich weg von Thirza.

Herr der Herrlichkeit, du, der erſtand! vergieb mir mein Zweifeln!

Meine Thraͤnen dazu! Du wuͤrdeſt, Goͤttlicher, wiſſen,

Was ich bete; vernaͤhms auch dein Bote nicht! den du mir ſandteſt!

Herr der Herrlichkeit, laß das große Ziel mich erreichen,

Das du durch dieſe Sendung mir zeigſt; ſo wall’ ich in Frieden,

Wenn ich ſterbe, zu dir hinauf und den Meinen im Himmel!

Und er richtet ſich auf. Noch ſchwebte vor ihm die Erſcheinung.

Alſo floß mit lieblichem Wehn der Unſterblichen Stimme:

Siehe, du unterwandeſt dich nicht zu fragen! ich aber

Will antworten. Jch bin der ſieben Maͤrtyrer Mutter,

Thirza. Bey dieſem Felſen ſchwebt die gluͤckliche Seele

Deiner Geliebten, an jenem des Freundes, die liebend dein warten.

Aber vernimm der Seligkeit mehr. Der Meſſias erſcheinet,

Eh er zum Throne ſich ſchwingt, in Galilaͤa den Schaaren

Von fuͤnfhundert Bruͤdern auf Einmal. Da wirſt du ihn ſehen!

Mit
[209]Funfzehnter Geſang.
Mit dem Worte verſchwand die erhabne Thirza. Jhm deucht es,

Als ob er dreyer Unſterblichen Rauſchen von ferne vernaͤhme.

Und er kam der Sonne, die jetzt aufging, aus der Hoͤhle

Freudeweinend, entgegen. Noch blieb er dankend am Eingang,

Daß du ihm Fuͤlle der Herrlichkeit gabſt, und des Himmels Vorſchmack,

Ewiger Quell des ewigen Lichts, da er durſtet’ im Elend!

Daß du ihm halfſt, da ihm Menſchen nicht mehr zu helfen vermochten.

Mit nachahmender Hand Gemaͤlde von Seide zu ſticken,

Saß an einem tyriſchen Purpurteppich erfindend

Tabitha. Fruͤhwegbluͤhende Mutter Benoni’s, dein Grabmaal

War ihr ernſter Geſchaͤfft, als ſonſt vielfarbige Faden

Unter weiblicher Hand. Sie dachte beym Spiele der Nadel.

Auf dem Grabe ruhte die bleiche Rahel. Benoni

Kniete bey ihr, und ſtieß mit weggewendetem Auge

Einen Dolch ihr ins Herz. Jetzt eben rannen am Dolche

Blutige Tropfen herab, da vom Purpur Tabitha aufſprang,

Eilet’, und, die Ermattete lief zu empfangen, die ankam.

Jn dem Gewande der Leichengefolge, mit blaͤſſerer Wange,

Trat die Unbekannte zu ihr. Doch die Leiden der Freundſchaft

Hatten nicht jede Schoͤnheit der jugendlichen Debora

Auszuloͤſchen vermocht. Gleich einem truͤben Morgen

War ſie, doch einem Morgen des Fruͤhlings. Jch komme, ſo ſagte

Sie zu Tabitha, hier von dem ſchweren Gange zu ruhen;

Denn ich vermochte nicht weiter zu gehn. Ach meine Geliebte

Ruht nun beſſer, als ich, die Geliebteſte meiner Geliebten.

Bleib du bey deinem Geſchaͤfft; laß mich nur ruhen, und weinen.

IIIBand. OUnd
[210]Der Meſſias.
Und ſie ſaß, und lehnte ſich ſanft auf eine Harfe,

Der ein weinender Laut entklang, indem ſich Debora

Auf ſie lehnt’. Umſonſt ward Tabitha dieſer Betruͤbten

Troͤſterinn. Laß mich allein, und jene Wunde da bluten!

Meine blute fuͤr ſich. Und Tabitha ging zu den Schmerzen,

Die ſie nun weniger ruͤhrten, zuruͤck, und verſuchte zu ſticken.

Aber jetzo ergriff die Unbekannte die Harfe,

Und wie ein fernherweinender Bach, wenn vor dem Gewitter

Todesſtille die Waͤlder beherrſcht, erklangs in den Saiten

Und die ſinkende Hand der grabverlangenden Freundinn.

Tabitha hoͤrete nur, und vergaß der Leidenden Thraͤnen,

Als ihr Geſang, die Seele der Saiten, mit ihnen ertoͤnte.

Gott der Goͤtter, belohne du nun die vollendete Todte.

Doch ſind Leiden der Zeit der Herrlichkeit wuͤrdig, zu der du

Gott, Belohner erhebſt? Sie ſtarb in der Bluͤte des Lebens!

Aber was iſt die Blume, die ſank von Sturme gebrochen,

Gegen die Ceder Gottes, die oben auf Golgatha ſtuͤrzte?

Die vom Himmel herab des Allmaͤchtigen Wetter zermalmte,

Daß die Felſen umher, und die Graͤber der Todten erbebten?

Wie von dem Bilde geſchreckt, verſtummte Debora. Nur einzle,

Starke Schuͤttrungen rauſcheten noch durch die Nerven der Harfe

Weit herunter, bis endlich, die hohe Seele der Saiten,

Bis der Geſang, von neuem begann. Das Leichengefolge

Deß, der auf Golgatha ſtarb, war ein kleiner weinender Haufe

Sterbliche; waren, verloſchen an Schimmer, Himmelsbewohner!

Und der Todtengeſang der unſichtbaren Begleiter

Scholl, wie der Storbenden Weinen am ſiebenarmigen Strome,

Als
[211]Funfzehnter Geſang.
Als von der niedrigſten Huͤtte der Wuͤrger hinauf zu dem Thron ſtieg!

Ach, Ein Schlag des Verderbers! alsdann Ein Seufzer! der Tod dann!

Hoͤrerinn ihres Geſangs war nicht die Erde; die Sterne

Waren Hoͤrer! Orion und du, des Richtenden Wage!

Die vernahmen ſie nur. Da ſchloß ein gewaͤlzter Felſen

Dumpferſchuͤtternd ſein Grab! da ſtieg mit des ſinkenden Felſen

Dumpfem Schall gen Himmel Staub. Da ruhte der Todte.

Schneller eiltet ihr fort, ihr Sterne Gottes. Der Todte

Schlief nicht lange. Mit Herrlichkeit, Halleluja, erwacht’ er!

Halleluja, mit Herrlichkeit! Einige Schritte nur wart ihr,

Du Orion, und du, des Richtenden Wage, geſtiegen,

Als er erſtand! O feyerts in allen Himmeln, ihr Zeugen,

Daß er erſtand! Und die auf dem einſamen Grab’ hier blutet,

War auch Zeuginn, und Zeuge, der ihr den Dolch in das Herz ſtoͤßt.

Waͤhneſt du, Sterbliche, daß der Schlaf der Verweſenden ewig,

Daß auf immer daure der Schlummer im Schooſſe der Erde?

Tabitha ſah zur Prophetinn hinauf, und verſtummte zu fragen.

Jrr’ und wundernd hielt ſie ſich an dem Rahmen des Teppichs!

Aufſtehn wollte ſie, wollt’ hingehn zur Prophetinn; vermochts nicht!

Und Debora ſtuͤtzete ſich auf die Harfe. So ſprach ſie:

Lerne! Denn viel mußt du von der Auferſtehung der Todten

Lernen! Du brauchſt viel Troſt des Todes, denn, Tabitha, zweymal

Jſt dir zu ſterben geſetzt. Der Erſtgebohrne der Todten

War, und iſt dereinſt der Entſchlafnen allmaͤchtiger Wecker.

Nur mit leiſer Klage, daß du zu der Erde zuruͤckkehrſt,

Und mit ſuͤſſem Erwarten der zweyten Schoͤpfung aus Staube,

Mußt du nieder dich legen, und ſterben. Den ſchreckt nicht des Grabes

O 2Offne
[212]Der Meſſias.
Offne Nacht, nicht Erd’ auf den Leichnam mit dumpfem Getoͤſe

Niedergeworfen, nicht Stille verlaßner einſamer Graͤber,

Noch der Verweſung Bild wer, wenn dieß alles ſein wartet,

Weis, daß Gott ihn dereinſt in ſeinen Himmel hinaufruft,

An dem Tage der groſſen Geburt in das Leben der Engel.

Alſo ſagte Debora, und nahm die Harfe von neuem,

Und ſanftlispelnder Laut, und unſterbliche Stimmen entfloſſen

Jhrer fliegenden Hand, und ihrem laͤchelndem Antlitz.

Was empfand ich, als nun das neue Leben mich aufhub

Aus der blumigen Gruft! mein Staub Unſterblichkeit wurde!

Aus den Choͤren der Engel zu mir die Verklaͤrung herabſtieg!

Wie erbebt’ ich! (Sie bebte von neuem, und wurde zu Schimmer.)

Welcher Seligkeit Schauer durchſtroͤmte mein innerſtes Leben!

Welcher Glanz war mein Glanz! Jn welcher Herrlichkeit Lichte

Wohnte mein ewiger Geiſt! Jch wandte mein Antlitz, und ſuchte

Deſſen Thron, der von neuem mich ſchuf. Er war mir nicht ſichtbar.

Leiſes Wehn nur, und Saͤuſeln der Gegenwart Gottes umgab mich.

Jhre Himmelsſtimme verlor ſtets ſanfter dem Ohre

Sich, dem Auge der Schimmer. Da blieb voll Blaͤſſe der Freude

Tabitha ſtehen; und nun ſchwieg auch der Harfe Nachlaut.

Gedor von ſanftem Herzen, und gleich empfindlich der Freude

Und der Traurigkeit, aber auch feſten Entſchluſſes, dem Geber,

Ruhe gaͤb er ihm, oder Schmerz, ſich zu unterwerfen;

Gedor lebte verborgen, und gluͤcklich mit der Gefaͤhrtinn

Dieſes Lebens nicht nur, auch jenes ewigen Lebens.

Wie ſie ſich liebten, wußten nur ſie, und wenige Freunde.

Weggewandt von dem Leben am Staube, beſprachen ſie oft ſich

Von
[213]Funfzehnter Geſang.
Von der kuͤnftigen Welt, und von der naͤheren Trennung,

Oder noch fernen, auf ihrer Reiſe zur Heimath im Himmel.

Liebend wuͤnſchten ſie ſich; doch wagten ſie das nicht zu hoffen,

Was ſo wenigen ward, mit einander hinuͤber zu wallen.

Herr! ihn hattſt du erſehn, zu des dunkeln Thales Eingang

Sie zu geleiten. Sie lag zu ſterben. Das glaubt’ er zu ſehen;

Aber er wußte, daß du aus groſſen Gefahren erretten,

Toͤdten koͤnnteſt in kleinen. Jetzt kam, der eilende Tod kam

Naͤher, und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel

Ernſt ihr Auge, dann wieder auf ihn vom Himmel herunter,

Wieder gen Himmel von ihm. So erhub ſie zweymal ihr Auge.

Niemals ſah er Blicke, wie dieſe, nie wurden ihm Blicke,

Wie die ihrigen waren, beſchrieben, voll feyrlichen Ernſtes,

Und der innigſten Wehmut, und maͤchtiger Ueberzengung

Jenes ewigen Lebens. Jch ſterbe! verlaſſe dich! gehe

Zu der namloſen Ruh! wars, was ſie redeten! wars nicht!

Staͤrker wars, unausſprechlich! Hier mußt’ er der Menſchheit erliegen,

Oder ihn mußte mit maͤchtigem Arme der Helfer erheben.

Und der Erbarmende thats. Der ſchwache Sterbliche fuͤhlte

Sich der Erde gewaltig entriſſen, und nahe dem Eingang

Zu der Herrlichkeit, welcher ſich ſeiner Cidli ſchon aufthat.

Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude;

Legt’ auf ihre Stirne die Hand, und begann ſie zu ſegnen:

Wandl’ hinuͤber im Namen des Herrn, der Abrahams Gott war,

Jſaks, und Jakobs, im Namen des angebeteten Helfers!

Ja ſein Wille geſcheh, es geſcheh ſein gnaͤdiger Wille!

O 3Und
[214]Der Meſſias.
Und ſie ſprach mit der Stimme der Zuverſicht, und der Freude:

Ja, Er mach es, wie Er es beſchloß! Gut wird Ers machen!

Gedor hielt ihr die Hand: Wie ein Engel haſt du geduldet!

Gott iſt mit dir geweſen! Mit dir wird Gott ſeyn! Geweſen

Jſt mit dir der Allbarmherzige! Dank ſey, und Preis ſey

Seinem herrlichen Namen! Er wird dir helfen! Ach waͤr ich

Elend genung, ihm nicht zu dienen; ſo dient’ ich ihm heute.

Sey mein Engel; laͤßt Gott es dir zu! … Du wareſt der meine!

Sagte Cidli … Sey nun, du Himmelserbinn, mein Engel,

Laͤßt der Herr dir es zu. Und liebend erwiederte Cidli:

Gedor, wer wollt’ es nicht ſeyn? Voll Mitleid, mit freudigem Tiefſinn,

Schwebte Rahel um ſie, die Geliebte des Pilgers aus Kanan,

Und die Mutter des Sohns der Schmerzen. Noch war ſie dir, Cidli,

Unſichtbar. Doch als nun dein Haupt zu dem Tode dahinſank,

Sahe dein laͤchelndbrechender Blick die Unſterbliche ſtehen;

Und du machteſt dich auf, zu deiner Geſpielinn zu kommen.

Doch mir ſinket die Hand, die Geſchichte der Wehmut zu enden! …

Spaͤte Thraͤne, die heute noch floß, zerrinn mit den andern

Tauſenden, welch ich weinte. Du aber, Geſang von dem Mittler,

Bleib, und ſtroͤme die Kluͤfte vorbey, wo ſich viele verlieren,

Sieger der Zeiten, Geſang, unſterblich durch deinen Jnhalt,

Eile vorbey, und zeuch in deinem fliegenden Strome

Dieſen Kranz, den ich dort am Grabmaal von der Cypreſſe

Thraͤnend wand, in die hellen Gefilde der kuͤnftigen Zeit fort.

Unter den Schatten Moria erhub ein ſchallendes Haus ſich

Ueber die andern empor, einſt fuͤrchterlicher zu ſtuͤrzen,

Jenen verkuͤndeten Tag der groſſen Adlerverſammlung!

Auf
[215]Funfzehnter Geſang.
Auf den ſtilleren Soͤller war jetzt der reichen Bewohner

Einziger Sohn geſtiegen. Er war in der Blume des Lebens,

Aber ein Juͤngling voll Ernſt, die Freude ſeiner Geſpielen,

Seiner Mutter Entzuͤckung! Der Mond, enthuͤllt vom Gewoͤlke,

Ging jetzt uͤber der hohen Jeruſalem, und Moria

Ruhig einher, und ſchimmerte ſanfte Gedanken herunter

Denen, die noch in Schlafe, dem taͤglichen Tode, nicht lagen,

Dir vor allen, o Stephanus, Juͤngling voll Tiefſinn. Er wallte

Leiſ’ in den Labyrinthen herum, die des Sehers Geſchichte,

Welchen Bethlem gebar, um ſeine Seele, je mehr ſie

Forſchte, je groͤſſer, und unausgaͤnglicher herzog.

Lockicht lag ſein dunkleres Haar auf dem leichten Gewande,

Das ihn umfloß, und auf der gedankenſtuͤtzenden Rechte.

Als er ſo nachſann, trat ein Fremdling herauf: Sie haben

Mir die Quelle geſchoͤpft, mich geſalbt, (Arabiens Stauden

Duftet’ er) haben mich ſchon durch leichte Speiſen erfriſchet.

Keiner Erquickungen mehr, nur dieſes heiteren Abends,

Dieſer Ruhe bedarf ich noch. … Sey mir, o Pilger, geſegnet!

Unſrer Huͤtte Friede ſey dein! .... Geliebterer Aeltern

Einziger Sohn, ich bin heruͤber vom Meere gekommen,

Habe vieles erlitten. … Eh du mir, redlicher Fremdling,

Was du litteſt, erzaͤhlſt, muß ich dich fragen: Vernahmſt du

Schon von Jeruſalems groſſen Propheten die ernſte Geſchichte?

Jhm antwortet Jedidoth mit ſchneller gefluͤgelter Stimme:

Ach von Jefus dem Dulder, der wegen der Wahrheit geſtorben,

Wegen der hoͤheren Wahrheit, die Er, nicht Moſes, uns lehrte.

O 4Der,
[216]Der Meſſias.
Der, denn eilender ſtets verbreitet in Salem der Ruf ſich!

Von den Todten erſtand, noch maͤchtiger ſie zu beweiſen!

Fremdling, Erſtaunen befaͤllt mich bey deiner Rede. Der Wahrheit

Maͤrtyrer waͤr er geſtorben? Das ſagſt du, und kommſt doch von fern her,

Kommſt ein Waller des Meers. Wurd euch denn, was er uns lehrte,

Auf den Jnſeln erzaͤhlt? … Wo, was er lehrt’, uns erzaͤhlt ward,

Sag ich hernach. Jetzt laß mich dich auch, o Stephanus, fragen:

Wenn du nun wuͤßteſt, daß er, nicht nur ein Zeuge der Wahrheit,

Daß er, ein Groͤſſerer noch, ein Verſoͤhner der Menſchen, geſtorben,

Und von dem Tod erweckt ſey; o wuͤrde dein bluͤhendes Leben

Dann zu theuer dir ſeyn, die groſſe Wahrheit zu zeugen?

Wuͤrdeſt du, bis an den Tod, wenn unſre ſilbernen Haͤupter,

Durch die leiſe Hand der Natur, zum Grabe ſich neigen,

Wuͤrdeſt du dieß dein Leben, ſo lang, o Stephanus, lieben?

Oder es fruͤher, fuͤr den, der zuerſt geſtorben war, geben?

Was ich thaͤte, weis Gott! was ich aus innigſter Seele,

Und mit jedem entflammten Verlangen, wuͤnſche, das weis ich!

Und was wuͤnſcheſt du denn, du edler Juͤngling? … O nenne

Mich, den ſchwachen und ſuͤndigen Juͤngling, nicht edel, du Pilger,

Der ſo erhabne Dinge mich fragt: Wie ich den Erretter

Lieben wolle? wie ich entſchloſſen ſey, zu beginnen

Jenes ewige Leben? Ach der mein Herz mir erſchuͤttert,

Meine Seele beſeelt, du Wunſch voll ſuͤſſer Entzuͤckung,

Wuͤrdeſt du mir gewaͤhrt; ſo ſtroͤmte, von Jeſus zu zeugen,

Dieß mein jugendlich Blut aus allen Quellen des Lebens!

Nicht dich mehr zu entflammen, ach, dich zu belohnen, du lieber,

Kuͤnftiger Maͤrtyrer, hoͤre des ſiebenten Juͤnglings Geſchichte.

Jhn,
[217]Funfzehnter Geſang.
Jhn, ihn lockt’ Epiphan, mit jedes Gluͤckes Verheiſſung,

Mit den Groͤſſen der Welt, umſonſt! Er ſandte vergebens

Seine Mutter, die Heldinn, zu ihm. Die ſprach zu dem Sohne:

Ach! du Lieber, du Juͤngſter, du einziger Uebriger, den ich

Unter meinem Herzen getragen, geſaͤugt drey Jahre,

Muͤtterlich muͤhſam erzogen, mein Sohn, erbarme dich meiner!

Und, o ſchau gen Himmel empor, herab auf die Erde!

Alles dieß hat der Herr, er hat den Menſchen geſchaffen!

Darum erbarme dich meiner, und ſtirb! … Entſchloſſen zum Tode

Rief er, als ſeine Mutter noch redte: Was harret ihr, Wuͤter?

Und, Epiphan, du entſetzlicher Mann! wirſt du dem Gerichte,

Du dem Allmaͤchtigen denn entkommen? Das ewige Leben

Haben meine Bruͤder nun ſchon, die kurz, und wenig

Litten! Er ſtarb. … Dem Erzaͤhlenden waren ſein Angeſicht Schimmer,

Strahlen die Augen geworden! Und Stephanus zittert’, und weinte.

Werth ſind deine Thraͤnen mir, Juͤngling! Jch zaͤhlte ſie alle!

Eines Suͤnders Thraͤnen? ſo rief der Juͤngling, und bebte.

Eines Suͤnders, allein den Jeſus Opfer entſuͤndigt,

Und in das Allerheiligſte fuͤhrt. Jetzt blickt’ auf die Beyden

Jeſus, der Auferſtandne, vom hohen Tabor herunter,

Sah den Sterblichen ſtehn im Schimmer des Mondes, im eignen

Dich, Unſterblicher. Schnell, als Stephanus ſinken wollte,

Und der Erſcheinung erlag, rief noch Jedidoth heruͤber:

Himmliſcher Bruder, ich wars, der ſich der Mutter erbarmte.

Dort, (ſchon ſchwebt’ er empor,) dort lernt’ ich, was Jeſus euch lehrte.

Und er ſtieg gen Himmel hinauf, und verſchwand in den Wolken.

Barnabas Joſes, ein Levi von Cyprus fernem Geſtade,

O 5Ging
[218]Der Meſſias.
Ging zu dem Jordan hinab, den Acker, den dort er hatte,

Anzuſehen, wie weit den Keim der Fruͤhling getrieben;

Welcher Fruchtbarkeit Hofnung die ſchwellenden Saaten ihm gaͤben.

Und er wallet’ allein. Nicht lange, ſo kamen Sapphira

Und Ananias zu ihm, und wurden ſeine Gefaͤhrten.

Auch ſie rief die keimende Saat in des Jordans Gefilde.

Und ſie kamen zum Cedernbache. Die ſchoͤne Sapphira

Setzet ihren verſuchenden Stab mit wankenden Haͤnden

Oft an die glatten Kieſel, eh ſie hinuͤber zu gehn wagt.

Und ſchon ruhet ſie aus, auf einem Stein an dem Bache.

Neben ihr ſaß Ananias auf einem andern, und Joſes

Stand vor ihnen. Sie ſaſſen an ihren kuͤnftigen Graͤbern.

Ach, ihr wußtet es nicht, daß bald nun auf dieſen Steinen

Eurer Leichname Traͤger, erſchrockne Juͤnglinge, ruhen,

Weggehn wuͤrden, ohn’ euch zu der Auferſtehung zu ſegnen.

Aber er wußt es, der jetzt, mit dem groſſen Taͤufer des Mittlers,

Schwebend neben euch trat, Eliſa. Er ſtand ungeſehen

Mit Johannes bey ihnen. O waͤr, im Wehen des Kidron,

Seine Stimme gekommen, und haͤtte die Armen gewarnet;

Haͤtt’ er die Donnerworte des hohen Apoſtels gerufen:

Menſchen habt ihr nicht, Gott habt ihr gelogen! ſo waͤre

Hier vielleicht ihr Grab nicht geweſen! Doch, Huͤlle der Zukunft,

Siehe du haͤngeſt herab, und dich hebet einſt das Gericht nur.

Ruhend brach Sapphira von ihrem Grabe, des Fruͤhlings

Erſte Blumen, und gab ſie dem erndteſinnenden Manne.

Und ſie kamen hinab zu ihrer Saat. Ananias

Sprach von der Fuͤlle der Aehren, und ihrer Fruchtbarkeit Werthe.

Joſes
[219]Funfzehnter Geſang.
Joſes freuete ſich der Erndter Freuden, wenn ihnen

Endlich der Abend laͤchelt, und ſie in der Kuͤhlung ſich letzen,

Wenn ſie mit blauen Kraͤnzen, die unter dem wankenden Halme

Wachſen, bekraͤnzt, in mutigem Reihn, beſchattet vom Oelbaum,

Jauchzen, daß ſie die Laſt, und des Tages Hitze getragen;

Und Johannes begann: Auf, laß uns ihnen erſcheinen!

Jhm antwortet Eliſa: Wem willſt du erſcheinen? Der groſſen

Felder Beſitzer? oder des ſchmalen ſteinigen Ackers? …

Beyden! … Und ich, antwortet’ Eliſa, erſcheine nur Joſes,

Dem in bergigtem Acker die Saat der Kieſel erdruͤcket.

Wird Ananias ein Chriſt? das frag ich dich, theurer Eliſa.

Ja das wird er! … Wohlan, laß uns dem Chriſten erſcheinen!

Denkt er weniger gut; ſo bedarf er, geleitet zu werden,

Mehr, als Joſes …, Jch ſah: Er wurde gewogen! und ſahe

Seine Waagſchal fuͤrchterlich ſinken. Wir wuͤrden ihm haͤufen

Seine Gerichte, zum groͤſſeren Zorne Gottes ihm werden,

An dem Tage der ſchreibenden Hand; wenn wir ihm erſchienen!

Wuͤrden wir ihn nicht erretten? erwiederte leiſe Johannes.

Komm denn, ſprach Eliſa, und laß uns den Chriſten erſcheinen;

Aber nicht, als Erſtandne des Herrn. Sie ſchwebten nach Salem.

Und Ananias und Joſes, und ihre Begleiterinn gingen

Auch nach Salem zuruͤck. Da ſahn ſie nah an dem Tempel

Einen Blinden, und Lahmen in ſtiller Traurigkeit ſitzen.

Und die Armen redten ſie an, zwar voll von Wehmut,

Aber nicht mit Ungeſtuͤm, mit Wuͤrd’ in der Bitte.

Sanft gab Joſes, und ließ die Gabe die Linke nicht wiſſen;

Mehr Ananias, und weniger doch. Das Mindere warf er

Noch
[220]Der Meſſias.
Noch dazu mit Verdruß vor den Fuß der leidenden Armen.

Und ſie waren voruͤber gegangen. Du ſiehſt nun, ſo ſagte

Zu dem Lahmen der Blinde, daß er der Erſcheinung nicht werth iſt.

Und der Groͤßte von denen, die Weiber gebahren, der Groͤßte,

Weil er der Menſchlichſte war, als er Eliſa vernommen,

Schwieg! … Jetzt hatt’ er vollendet des furchtbaren Schweigens Urtheil,

Und er ſprach zu Eliſa: Du ſahſt ihn waͤgen! was ſahſt du?

Chriſten ſah ich verſammelt, und Kephas unter den Chriſten.

Jeder der himmelnahen Verſammlung verkaufte ſein Erbe,

Gab es zu Aller Gebrauch. Und Joſes war einer von ihnen.

Und er verkaufte den Acker, den wir geſehen, und legte

Zu der Apoſtel Fuͤſſen das Silber. Auch kam Ananias;

Aber er brachte nicht Alles. Da ſprach, zu dem Taͤuſchenden, Kephas:

Warum erfuͤllte Satan dein Herz, Ananias, dem Geiſte

Gottes zu luͤgen? und etwas vom Silber des Ackers zu nehmen?

Dein war er, und du haͤttſt ihn behalten koͤnnen; verkauft war

Auch das Silber noch dein. Warum erkuͤhnte dein Herz ſich

Dieſer That? Nicht Menſchen haſt du, Gott haſt du gelogen!

Als Ananias von Petrus die Donnerworte vernommen,

Stuͤrzt’ er nieder, und ſtarb. Und Schrecken befiel, die es ſahen.

Juͤnglinge nahmen ihn auf, und trugen ihn weg zum Begraben.

Wenige Stunden, da kam das Weib Ananias, Sapphira;

Und ſie hatte von dem nicht gehoͤrt, was vor kurzem geſchehn war.

Petrus befragte ſie: Habt ihr das Feld ſo theuer verkaufet?

Ja ſo theuer! erwiederte ſie. Da ſprach zu ihr Kephas:

Warum verbandet ihr euch, den Geiſt des Herrn zu verſuchen?

Siehe,
[221]Funfzehnter Geſang.
Siehe, der Juͤnglinge Fuͤſſe, die deinen Mann begruben,

Sind vor der Thuͤr’, und bereit, auch dich zum Grabe zu tragen.

Sterbend ſank ſie vor Kephas nieder. Die Juͤnglinge kamen,

Fanden ſie todt, und trugen ſie weg, daß ſie neben dem Manne

Sie begruͤben. Entſetzen befiel die ganze Gemeine,

Und wem ſonſt die Geſchichte der ernſten Gerechtigkeit kund ward.

Joſes hatte ſich jetzt von ſeinen Gefaͤhrten geſondert.

Und er eilte zuruͤck nach ſeinem Hauſe. Johannes

Kam in Gehen zu ihm. Woher bringt, Joſes, dein Weg dich?

Von den Saaten am Jordan. Jch habe dort Acker. Sie traten

Mit den Worten ins Haus, Und an des kommenden Vaters

Halſ’ und Armen hingen die Kinder. Auf, ſegne die Meinen!

Sprach der Vater zum Fremdling, und bracht ihm die freudigen Knaben.

Dieſer wendete ſich zu den Knaben mit einer Hoheit,

Die mit Bewundrung das Herz des ernſten Vaters erfuͤllte.

Seyd auch Zeugen des Herrn, ihr Kinder Joſes! Dein Acker

Wird von jetzt noch weniger Garben der Erndte dir geben!

Wird mich der Herr denn verlaſſen? und dieſe Waiſen verlaſſen? ..

Das iſt ferne von Gott, der mehr, wie das ſterbliche Leben

Nur erhaͤlt. Er giebt, und nimmt von dem Jrdiſchen! nimmt nicht,

Ewiger Theil, von dir. Der Taͤufer ſprachs, und erhabner

Wurde ſtets ſein Anſehn. Joſes hatte noch Blicke

Nie, wie dieſe, geſehn, noch keine Stimme vernommen,

Die mit dieſer Feyerlichkeit von Gott ſprach. Schweigend

Hoͤrt er ihn reden. Und alſo begann von neuem Johannes:

Der, du kannteſt ihn doch? zu deſſen Fuͤſſen Maria,

Lazarus Schweſter, den beſſeren Theil, die Ewigkeit waͤhlte!

Der
[222]Der Meſſias.
Der Jairus Tochter, im Tode ſchlief ſie! der Nains

Todten Juͤngling, und dann der ewigkeitwaͤhlenden Schweſter

Himmliſchen Bruder erweckte, der iſt nun ſelbſt von den Todten

Auferſtanden! Sein Zeuge bin ich! Sein Zeuge ſollſt du nun

Bald auch werden! Er ſprachs mit Hoheit, die zur Verklaͤrung

Sich zu erheben begann. Schon bin ich ſein Zeuge geweſen,

Als er hinab in den Strom, auf ihn vom Himmel der Geiſt ſtieg!

Als von ihm die Stimme des Vaters ſcholl in den Wolken!

Und er ſprach die Worte mit einem ſo himmliſchen Anſchaun,

Daß ihm ein kurzer Uebergang zur Verklaͤrung nur fehlte.

Eilend wandt’ er ſich um, und ging, und von dem Gewandten

Kamen Schimmer, die wurden blaͤſſer, entfernten ſich, ſchwommen

Wie in Daͤmmrung dahin. Jetzt war die Erſcheinung verſchwunden.

Vater, riefen die Knaben, es blitzte! da ſank an den Stufen

Daͤmmrung hinab! Wo aber iſt der, mit dem du hereinkamſt?

Und der fuͤnfte nach dir, du Morgen der Auferſtehung,

Stieg, des ſchoͤnſten Tages Verkuͤndiger, uͤber die Huͤgel

Juda, roͤthlich empor, und Portia wachte mit ihm auf,

Mehr von Traͤumen, als Schlafe. Sie ging hinab zu der Blumen

Fruͤhen Geruͤchen; allein ſie dufteten ihr vergebens.

Wieder ein Morgen erlebt, ein Tag der Erde! Doch truͤb’ iſts

Jmmer in meiner Seele noch, immer noch Nacht, da erwachet,

Geber des Lebens, kein Tag! Jch traͤume noch immer in Dunkeln,

Lieg’, und ſchmachte, dich zu erkennen, und den zu erkennen,

Den wir in ſeinem Grabe nicht finden. Ach wenn die letzte

Meiner Sonnen nun kommt, wirds Nacht auch dann noch in mir ſeyn?

Tag erſt, wenn ſie hinab in die Oceane ſich ſenket?

Oder
[223]Funfzehnter Geſang.
Oder gar noch truͤbere Nacht? Das Volk der Erwaͤhlung

Nennet den Weg zu dem Grabe, vor dem auch ſie ſich entſetzen,

Einen Weg durch ein finſteres Thal. So tragen denn Alle

Jhre Laſten, die Gott erleuchtet, und die er ſich ſelbſt laͤßt?

Aber laß mich nicht mir, und erleuchte mich! Schrecken des Todes

Schrecken mich nicht, wenn du mit deinem Lichte mir leuchteſt.

Nun du Fels in Meer, in tiefem Meere der Zweifel,

Du Gedanke: Der Wille des Erſten der Weſen geſchehe!

Sey auch jetzt, wie du oft ſchon warſt, mir Geaͤngſteten Zuflucht!

Werde denn ſanft, zu verlangende Seele! Heitert mich, Duͤfte,

Und, ihr Farben des Fruͤhlings, mich auf! Doch neben dem Grabe

Deſſen, welcher vielleicht nicht unter den Todten mehr ſchlummert,

Laͤchelt der Fruͤhling ja auch. Was ſaͤum’ ich, mich dort zu erfriſchen,

Wo ein wenig Schimmer von fern der Fragenden etwa

Einer, der dort um ihn weinete, zeigt. So denkt ſie, und winket,

Jhr von weitem zu folgen. Sie ging ſchon gegen das Grabmaal

Aus der thuͤrmenden Stadt. Sie ſahen heruͤber zum Felſen

Rahel kommen, und Jemina, Hiob des Ausgepruͤften,

Und des Wiedergeſegneten Tochter. Die Seligen ſprachen

Untereinander: Sie kommt, auf die wir warteten, Rahel,

Die gen Himmel hinauf aus ihrer Nacht arbeitet!

Laß ſie uns leiten. Dein fuͤhrender Engel, Portia, ſah ſie,

Menſchen werden, wie wir, zwo Pilgerinnen des Feſtes.

Griechinnen ſchienen ſie, und waren heruͤber gekommen

Von den Jnſeln, der Toͤchter des Archipelagos Einer.

Und ſie kamen einher, mit leichten Staͤben, und Purpur

Flocht ihr ruhendes Haar. Sie gingen die Roͤmerinn langſam,

Und
[224]Der Meſſias.
Und in Gedanken vertieft, voruͤber. Doch Portia wandte

Sich nach ihnen herum, und ſprach: Verweilt, wenn ihr duͤrftet,

Pilgerinnen. Jhr irrtet an dieſem Grabe mit Tiefſinn.

Kanntet ihr, den es vor wenigen Tagen noch deckte? … Wer biſt du,

Die du uns fragſt? Du ſcheinſt mir der Jſraelitinnen keine.

Biſt du vom Kapitol, dem ſchrecklichſten Huͤgel der ſieben,

Eine der Herrſcherinnen, ſo laß uns, und ſpotte nicht unſer,

Roͤmerinn! … Deſſen ſpotte der Hocherhabne des Himmels,

Welcher ſich unterwindet zu ſpotten der redlichen Unſchuld!

Kennt mich mehr! Zwar bin ich Pilatus Vermaͤhlte, doch wuͤrd ich,

Tief erniedrigt mich ſehn, wenn ich euer zu ſpotten vermoͤchte.

Seyd ihr nicht, anzubeten, von fernem Meere gekommen?

Und ich ſollte, mit kriechendem Spott, die Froͤmmigkeit lohnen?

Redet mit mir, damit ihr mich kennt. Dieß Grab des Todten,

Ueber eure Vermuthungen, iſt mir es theuer, und heilig!

Kam der Ruf auch zu euch: Er ſey erſtanden vom Tode,

Den es deckte? … Du denkſt von Jeſus, Jemina redte,

Als wir keine von euch, die Goͤtter glauben, noch fanden!

Und verdieneſt von uns, daß wir, mit der offenſten Einfalt

Zu dir reden, und ruhig erwarten, wie du es urtheilſt.

Mehr noch kam, wie nur Ruf, zu uns. Und meine Gefaͤhrtinn

Hier hat Eine der Frommen geſehn, der war er erſchienen.

Red’, o Gluͤckliche, welche die mehr noch gluͤckliche Fromme,

Seine Begnadete, ſah. Jſt ſie noch im Leben des Elends?

Hat er ſie nicht hinuͤber ins beſſere Leben genommen?

Magdalena Maria, ſo heißt der Begnadigten Name,

Lebet noch hier. Sie ſucht’ ihn im offenen Grabe vergebens,

Jrrt’,
[225]Funfzehnter Geſang.
Jrrt’, und weint’, und erblickte, wie ihr es dauchte, den Gaͤrtner,

Denn die werdende Morgendaͤmmrung bedeckte die Baͤume.

Aber, wie kann ich die freudigen Schrecken der Frommen beſchreiben?

Sieh, er wandte ſich um, und nennte mit himmliſcher Stimme

Sie, bey ihrem Namen, mit ſeiner Stimme: Maria!

Nieder ſank ſie zur Erde, Rabbuni! bebte ſie ihm zu,

Lag, und hielt mit Thraͤnen, und kuͤßte des Goͤttlichen Fuͤſſe,

Und er gab ihr Befehl. … Hoͤr’ auf, mir werden der Freuden

Sonſt auf Einmal zu viel, und ich unterliege! … Du ſieheſt,

Rahel, ſie bebt, hoͤr’ auf! … Jſt der dein Name, Geliebte?

Rahel, ſo heiſſeſt du? Rahel, wie haſt du mein Elend gelindert!

Ach erſchienen! Maria bey ihrem Namen genennet,

Und mit himmliſcher Stimme, die Auserwaͤhlte der Wonne!

Wer empfindet ihr nach, wie ſelig er ſie gemacht hat!

Bringt ſie mir her, damit ich zu ihr, aus meinem Schmerze,

Mein ermuͤdetes Haupt erheb’, und ſie weinend bewundre,

Weinend! Denn von der Quelle der Ruh, die uͤber ſie ſtroͤmte,

Wird kein Tropfen mich kuͤhlen! Zu Abrahams Volke gehoͤr’ ich

Heidniſche Roͤmerinn nicht, viel minder zu jenen Geliebten

Unter den Toͤchtern Jeruſalems, denen der Sieger erſcheinet,

Siehe der groſſe Sieger des Todes! O warum belohnt ihn

Kein Triumph? kein hoher Triumph, daß Jeruſalem halle!

Daß der Sion davon, und des Tempels Woͤlbungen beben!

Warum tragen ſie nicht vor ihm her die Bilder der Vaͤter?

Ganz Judaͤa, auf goldenen Staͤben, Abrahams Bildniß,

Daniels, Hiobs, und Moſes, und deins, der Juͤnglinge Kuͤhnſter,

Der zu der Erde den Rieſen, vom Nacken der Seinen, das Joch warf!

IIIBand. PWarum
[226]Der Meſſias.
Warum weint ihm nicht nach, wer lahm war, und gehet? wer taub war,

Hoͤret? blind war, und ſieht? dem Wunderthaͤter, wer todt war,

Und nun lebet? daß nie ein Triumph, wie der Seine geſehn ſey!

Keiner, der ſtolz die ſiegenden Huͤgel umzog, und den Lorbeer

Nieder im Capitol, bey dem Donner Jupiters, legte!

Doch wo verlier’ ich mich hin? Sein Reich, das hoͤrt’ ich ja ſelber,

Jſt von dieſer Welt nicht. … Entſunken dem ſchwellenden Wunſche

Nach Triumphen, wie jenen die Blutvergieſſer belohnten

Schwung ſie ſich auf, in erhabnere Hoͤhn, und ſchwieg, voll Betrachtung

Eines Reiches der kuͤnftigen Welt. Da ſie Jemina ſahe,

Wie ſie in dieſe Betrachtung verſank, mit des freudigen Ernſtes

Hellen Gebehrde; vergaß ſie beynah in ihrer Entzuͤckung,

Daß ſie, bey einer Sterblichen, eine Sterbliche ſtuͤnde.

Denn die Schoͤne der Abendroͤthe glaͤnzt’ auf der Wang’ ihr,

Und ihr Laͤcheln im Blick. Doch als ſich Portia wandte,

Und ſie zu ſehen begann, verließ ſie der Schimmer, ſie wurde

Schnell zur Pilgerinn wieder, und lehnte ſich ruhebeduͤrftig,

Auf den ſtuͤtzenden Stab. Doch ließ die himmliſche Wonne,

Aus der ſie in Muͤdigkeit ſank, in Portia’s Seele,

Ein Erſtaunen zuruͤck, daß ſie zu fragen verſtummte,

Sanftes Erſtaunen, und Zittern, und ſchnelleres Athmen, und Tiefſinn,

Und noch redte ſie nicht. … Wie freut ich mich deiner Betrachtung

Ueber das Reich der kuͤnftigen Welt, und daß dir Triumphe

Dieſer Erde zu klein, fuͤr den Herrn der Herrlichkeit, waren!

Du, die traurig nicht mehr, nicht mehr ein Spiel der Verirrung

Seyn, die ſich freuen ſollte, daß wir dir ſagen, der Todte

Sey
[227]Funfzehnter Geſang.
Sey erſtanden! und dir vielleicht die Zeuginnen ſelber

Sagen werden, ſie haͤtten den Herrn des Todes geſehen!

Jemina ſprachs, und ſah ihr mit glaͤnzendem Laͤcheln ins Antlitz.

Mir? … So athmete Portia ſanft, mit leiſerem Laute.

Weichet, Zweifel, von ihr! Der Ewigkeiten Beherrſcher,

Der von Anbeginne das Reich der Himmel beſeligt,

Sey dein Gott! Er, der dich geſchaffen hat, ſey dein Erbarmer!

Denn du brachſt mir mein Herz, Jehova ſey dein Erbarmer!

Thraͤnen ſtuͤrzten, daß ihr die Stimm’ erſtarb, von ihr nieder,

Als ihr auf die Stirne die Hand die Unſterbliche legte,

Und ſie ſegnete. Portia ſprach, da die Stimm’ ihr zuruͤck kam:

Leite mich, wer du auch biſt, der begnadeten Sterblichen Eine,

Oder Eine der Himmliſchen, welche den Menſchen erſcheinen,

Leite, was ſoll ich thun? o fuͤhre du mich zu Gott hin!

Hoͤrteſt du, Portia, ſchon, daß Todte mit Jeſus erſtanden?

Fragte Rahel mit ruhiger Stimme, mit ſchneller die Heidinn:

Ach was ſageſt du mir? Erſtanden Todte mit Jeſus? …

Ja, der Ruf beginnt zu erſchallen, es haͤtten, mit Jeſus,

Todte die Graͤber verlaſſen, und die erſchienen den Frommen,

Die den Goͤttlichen liebten. … O laßt mich meinem Erſtaunen

Mich entreiſſen, und mich beſinnen! Zu viel der Entzuͤckung

Schwindelt um mich! Erſtanden iſt er? erſtanden noch Todte?

Er erſcheinet, und ſie? O Tag des Lebens, an dem ich

Dieſe Wunder Gottes erfahre. … Wir wollen dich leiten,

Portia. Suche ſie nicht, die Chriſtus ſehen, du findeſt

Doch ſie nicht auf. Er wird, wen er dir ſenden will, ſenden,

Daß ſie dir zeugen von ihm! Jn Galilaͤa erſcheint er,

P 2Auſſer
[228]Der Meſſias.
Auſſer den Erſten der Zeugen, noch andern; in Salem nur ihnen.

Dieſe geheiligten Erſtlinge werden in allen Landen,

Was er that, und lehrte, verkuͤndigen, werden ihr Zeugniß

Freudig mit ihrem Blute beſtaͤtigen, dann der Treue

Ewigen Lohn an dem Throne des groſſen Belohners empfangen!

Eile nach Galilaͤa. Wenn du ihn ſelber nicht ſieheſt,

Wird er dir doch, von denen, die er begnadete, ſenden!

Und nun muͤſſen wir dich, (ſie laͤchelten Liebe,) verlaſſen.

Jch beſchwoͤr’ euch bey Gott, der auch mich begnadete, bleibt noch,

Ach verlaßt mich noch nicht, und ſagt, o ſaget: Wer ſeyd ihr?

Zwar ein Gefuͤhl, wie keins mir noch ward, erfuͤllt mich mit Ahndung,

Hebt mich empor, umgiebt mich mit ſuͤſſer Vermutungen Schimmer,

Daß ihr Unſterbliche ſeyd! Allein ach ſagt mir es ſelber,

Daß ihr es ſeyd! damit auch nicht Ein Woͤlkchen mir bleibe,

Welches den werdenden Tag in meiner Seele verdunkle.

Gott belohn’ euch dafuͤr, mit ſeines Himmels Gewißheit!

Und ſie blickten vor Freude ſich an, und blieben. Wir wollen

Beten dich lehren! … und knieten mit ihr an das Grab des Erſtandnen.

Unſer Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt.

Zu uns komme dein Reich! Jn dem Himmel geſchehe dein Wille,

Und auf der Erde! Verleih uns unſere taͤgliche Nahrung!

Wie dem Schuldiger wir vergeben, vergieb uns die Schulden.

Fuͤhr uns nicht in Verſuchungen, ſondern erloͤſ’ uns vom Boͤſen!

Denn das Reich iſt dein, und die Macht, und die Herrlichkeit. Amen!

Als ſie endeten, und: Dein iſt die Herrlichkeit! riefen,

Und dabey die gefalteten Haͤnde gen Himmel erhuben,

Wurden ſie ſchnell in Schimmer gehuͤllt, und entſchwebten dem Grabe,

Leicht
[229]Funfzehnter Geſang.
Leicht in den Schatten der Baͤume dahin. Sie ſahen mit Laͤcheln,

Oft ſich noch um nach Portia, wonnevoll uͤber der Heidinn

Sprachloſen Freude. Sie blieb im Staube knieen, und ſtreckte,

Unvermoͤgend ſich aufzurichten, nach ihnen die Arm’ aus.

Jemina war, und zuletzt auch Rahel verſchwunden. Vom Auge

Portia rann die Freude nun uͤber die roͤthere Wange,

Und ſie erhub ſich, leicht wie ein Laub, das Athmen der Luft hebt.

Vater, das Reich iſt dein, und die Macht, und die Herrlichkeit! Amen.

Alſo eilte ſie betend hinab zu Jeruſalems Thoren.

Eine der ſchmermuthsvolleren, und zu empfindlichen Seelen,

Die, des Guten, das ſie empfingen, ſchnelle Vergeſſer,

Und Vergroͤſſerer, oder auch gar Erſchaffer des Elends,

Dieß nur denken, in dieß, mit gruͤbelndem Ernſt, ſich vertiefen,

Beor hatte ſich von den Menſchen geſondert, und lebte

Jn der Einſamkeit. Wie der Freudiggeſchaͤftige gerne

Mit dem kommenden Tag aufwacht, ſo ſcheucht’ er den Schlummer

Gern um Mitternacht. An der Huͤtte fernen Eingang

Naͤhrt’ er ein wenig Schimmer, wie Todtenlampen in Graͤbern.

Jetzo hatt’ er ſein Brodt gegeſſen, ſein Waſſer getrunken,

Sich zu dem Gruͤbeln geſtaͤrkt! … So komm dahin denn wieder,

Wo du ſo oft ſchon wareſt, hinab, zerruͤttete Seele!

Muß nicht Elend ſeyn? und muͤſſens nicht Einige tragen?

Ja, es muß, weil es iſt! Und muͤßtens die Himmel nicht tragen!

Laͤgs nicht auf uns? Denn da muß es ſeyn; ſonſt waͤrs nicht geworden!

Aber warum? … So oft ich frag’, antwortet mir keiner,

Weder im Himmel, und weder auf Erden; und ſo verſchwindet

Mir der Troſt, daß es ſeyn muß! Allein bey dem wankenden Troſte

P 3Darf
[230]Der Meſſias.
Darf mein belaſtetes Herz doch ringen nach dieſer Antwort:

Warum ſondert es einige Menſchen ſich aus, und faßt ſie

Eiſern an, und hebet ſie hoch aus dem Strom’, und trift ſie

Mit zermalmendem Arm? mich, mit zermalmendem Arme?

Ward ich nicht blind gebohren? und lebt’, ein Blinder, ſo lange?

Zwar gab Er dem Auge den Tag, auch meiner Seele

Einige Daͤmmrung von ſich; doch Nacht iſt dieſe geworden,

Denn er iſt todt! … entſetzliche Nacht! Was hilft mir des Auges

Kurzer Tag, da in Dunklerem wallt, als ſelber des Todes

Thal iſt, meine Seele? Des Auges Blindheit, o kehre

Du nur wieder! Jch kann mich nicht mehr des Anblicks der Schoͤpfung,

Nicht des Strahls mehr freuen, der Sarons Blume beſeelet,

Und die Ceder Gottes! Die Abenddaͤmmrung verſenkt mich

Nicht in Empfindungen mehr, die ſanft, wie ſie ſelber waren.

Der bin ich geworden, obwohl aus dem naͤchtlichen Grabe

Meiner Blindheit erwecket? Ja, der bin ich geworden!

Denn umnachtet iſt mir die noch viel blindere Seele,

Als mein Auge ſonſt war! Denn ach, ihr Engel! (verdankt es

Unſerm Geſchlechte, daß wir die Ungluͤckſeligen wurden!)

Denn, ihr Engel! iſt Er nicht todt? … Ein ermuͤdeter Greis trat

Zu dem Klager herein. Gib mir, o Beor, den Becher.

Jch bin aͤlter, als du, und litt viel groͤſſere Leiden!

Groͤſſere Leiden, als ich? Viel aͤlter biſt du. Da nimm dir

Meinen Becher. Jch kann zur Quelle leichter mich buͤcken.

Haſt du auch Speiſe fuͤr mich, mein ſchwaches Alter zu laben? …

Nimm den Broſam, und iß. … Du biſt, deß freu ich mich, Beor,

Gegen Andre nicht hart; nur gegen dich ſelber verhaͤrteſt

Du
[231]Funfzehnter Geſang.
Du dein Herz, und willſt dich nicht troͤſten! Dich ja nicht zu troͤſten,

Forſcht dein Verſtand, und ſtrebet dein Herz. Jch kenne dich, Beor,

War zugegen, als du die Schoͤpfung das erſtemal ſaheſt.

Weñ du mich keñſt, ſo keñſt du den Schwermuthsvollſten der Menſchen!

Deſto ſchwermuthsvoller, je mehr die Kraft mir verſagt iſt,

Das in mir zu beherrſchen, was mich zu der Traurigkeit hinreißt.

Aber waͤhne nur nicht, daß mirs an des Traurens Urſach

Mangle. Den Heiterſten ſtuͤrzt’ ein Elend, wie meins, zu der Erde!

War ich nicht blind ſeit meiner Geburt, und lang’, und des Lebens

Beſte Zeit? Bin ich nicht an Einſicht blinder, den groſſen

Goͤttlichen Mann zu erkennen, der Wunder zu wirken, von Gott kam?

Und wird etwa ſein Tod, zu neuem Erkenntniß mir Licht ſeyn?

Kenneſt du nun ein Elend, wie meins iſt? und muͤſſen nicht fuͤrchten,

Jmmer elend zu ſeyn, Elende von ihrer Geburt an?

Jſt nicht unablaſſende Pein der kuͤnftigen Bote?

Ach beſtraft der Gerechte nicht mehr, als Anderer Suͤnden,

Meine Suͤnden? Jch fluche dem Tage meiner Geburt nicht,

Aber ich wuͤnſche beynah, nicht zu ſeyn! Hier endete Beor.

That er dir nicht auf Einmal, als du es am wenigſten hofteſt,

Seines Allerheiligſten Vorhof, die herrliche Welt, auf?

Jhre Fuͤlle der Segen, von ſeiner Sonne beſtrahlet?

Freuden hatteſt du da, wie der Jmmerſehenden keiner

Jemals empfand! Und oͤfnet’ er dir in die kuͤnftige Welt nicht

Einen Blick, als er ſich den Sohn des Ewigen nannte?

War dieß, Beor, auch Elend? auch Strafe der Suͤnde? Die Suͤnde

Straft er an dir nicht mehr, wie an Andern. Die Herrlichkeit Gottes

Wollte ſtrahlend an dir, du Elendbeſeligter, Jeſus

P 4Offen-
[232]Der Meſſias.
Offenbaren. Du warſt, ihr Zeuge zu werden, erkohren

Schon vor deiner Geburt. So dachte der Ewige deiner!

Beor rief: Du verfuͤhrſt mich in neue Tiefen des Gruͤbelns!

Laß mich! da, wo ich lieg’, iſt es tief genung! mein Abgrund

Tief genung! Ha waͤrſt du ein Engel des Lichts, und ſpraͤcheſt,

Wie du ſprichſt; doch fragt’ ich dich: Wie, was Gott im Geheimſten

Seiner Verborgenheit thut, du, obgleich ein Unſterblicher, wuͤßteſt?

Denn erſinne mir etwas, das weiter aus dem Geſichtskreis

Aller Erforſchungen laͤge, das mehr der Herrſcher verbuͤrge,

Als: Elende zu machen, um herrlich durch ſie zu werden! …

Und wie weißt, du Sterblicher, denn, des Ewigen Rath ſey

So zu handeln? Wofern ein Engel mirs ſagte, ſo glaubt’ ichs:

Aber, er ſchau hinab in die ganze Tiefe! das wuͤrde

Selbſt ein Engel umſonſt mir ſagen! Jetzt redte der Alte:

Jſt denn kein ewiger Lohn, du Zweifler? und ſind denn nicht Stufen

Dieſes ewigen Lohn, die hinauf in die Himmel der Himmel

Steigen? Und kann, wen Er um ſeinetwillen betruͤbte,

Den denn Gott nicht belohnen? der unerſchoͤpfliche Geber

Aller Seligkeit, nicht auch den? Du ſteheſt am Meere;

Sieh Ein Tropfen kann dich, du Staub, mit Fuͤlle beſtroͤmen!

Du erquickeſt mein Herz, ehrwuͤrdiger Alter. Doch wenn auch

Gott ſo handelt; wie darf ſo hoch ich waͤhnen, ich waͤre

Der Gluͤckſeligen Einer, die Gott mit Elend belaſtet,

Sich zu verherrlichen! ſie mit ewigem Lohn zu belohnen!

Einer von dieſen biſt du! Das weis ich. Mit Ueberzeugung

Wirſt auch du nun bald es erfahren. Denn Tag in der Seele

Wirds dir, freue dich, werden! Der Morgenroͤthe des ſchoͤnen,

Lichtvollen
[233]Funfzehnter Geſang.
Lichtvollen Tages, ich ſeh ſchon ihre Schimmer von ferne.

Laß, eh er kommt, uns beten, damit er betend dich finde,

Gottes Tag … Sie ſanken hin, und knieten in Staube,

Hiob vorwaͤrts an Beor. Und Beor ſtammelte weinend:

Herr, Herr/ Gott, barmherzig, und gnaͤdig, bin ich der Erkohrne,

Elend zu ſeyn, damit du noch mehr dich meiner erbarmeſt:

So erheb’ ich mein Haupt, mit Danke, mit Danke gen Himmel,

Daß du dem Auge Blindheit, und Nacht der Seele voll Schwermuth,

Dieß, Erbarmender, gabſt, mit ewigem Danke! denn ewig

Soll mein Jubel erſchallen, daß Gott, Gott ſo ſich erbarmt hat!

Huͤter des Menſchen, iſt ſie nun bald voruͤber der Seele

Nacht? O Hofnung, du neue, du himmelerhebende Hofnung,

Dich empfang’ ich vom Herrn! Geprieſen, mein Vater, geprieſen

Sey dein herrlicher Name, des Gnadenvollen Erbarmung,

Dieſe Mutter des huͤlfloſen Kindes! Und wenn ſich des Sohnes

Auch das Weib nicht erbarmte, ſo wird doch Gott ſich erbarmen!

Herr, Herr, Gott barmherzig, und gnaͤdig, geprieſen auf ewig

Sey dein herrlicher Name, daß du mir von der Geburt an,

Blind zu ſeyn geboteſt! daß du mir Leiden die Fuͤlle

Gabſt, und Thraͤnen, und deinen goͤttlichen Boten, das Elend,

Mich zu lehren, mir ſandteſt! mir Zweifel, und Schwermuth der Seele

Sandteſt, damit ich, wie ſehr ich deiner Huͤlfe beduͤrfe,

Tief ins Leben hinein, in meinem Jnnerſten, fuͤhlte! …

Aber ſoll ich nicht dir auch danken, Geſendeter Gottes,

Helfer in Juda? Allein (hier wurde die Stimm’ ihm ſchwaͤcher)

Er iſt todt! … Er lebt! Es ruft’s mit gewendetem Haupte,

Und mit ſtrahlendem Angeſicht, Hiob, er lebt! und mit Eile

P 5Stand
[234]Der Meſſias.
Stand er auf, und war ganz Herrlichkeit jenes Lebens.

Sieh, er iſt nicht todt mehr, er lebt! uud Einer der Zeugen,

Daß er lebe, bin ich, den er vom Tode geweckt hat,

Hiob! Jch litt, das glaubſt du doch nun? viel groͤſſere Leiden,

Als du litteſt! allein wie hat er auch mein ſich erbarmet!

Beor wollte die Haͤnde gen Himmel falten, vermochts nicht.

Wie ſie Moſes, am Tage der Schlacht, die Haͤnde gen Himmel

Hielten, geſunken brachten ſie Tod! und Leben! erhoben;

Alſo hielt ſie ihm Hiob empor. Jetzt ſchied er mit Wonne

Von dem Erſtaunenden, welcher ihn blaß und ſprachlos anſah.

Siehe, der Todte, der ewig lebt, und bald nun hinaufſteigt

Jn die Hoͤhe der Hoͤhn, (Er wies mit der glaͤnzenden Rechte

Feyrlich gen Himmel) er ſelbſt hats uͤber dich ausgeſprochen:

Nicht der Blinde, noch die ihn gebahr, noch der, der ihn zeugte,

Haben geſuͤndigt! Er iſt ein Zeuge der Herrlichkeit Gottes!

Alſo verließ er Beor, der kaum den Abſchied aushielt.

Abraham ſchweben und Moſes am hohen Tempelgewoͤlbe,

Schaun auf des Feſtes Feyrer hinab, und forſchen betrachtend,

Einen darunter zu finden, der ihrer Erſcheinungen werth ſey;

Und ſie ſuchen lange vergebens. Endlich erblicken

Sie, an einem der palmenbewundenen Pfeiler! voll Ernſtes

Einen Juͤngling, und voll der tiefanbetenden Andacht.

Feuer ſtroͤmt’ ihm herab aus jedem Blicke, gewidmet

Dem, deß groſſen Namen die hohe Poſaune jetzt hallte,

Sie der Schlacht, des Triumphs, und der Halleluja Gefaͤhrtinn.

Milder wurde ſein Blick, und von werdenden Thraͤnen beſchimmert,

Als ihr Donner ſchwieg, und nun mit ſanftem Gelispel

Korahs
[235]Funfzehnter Geſang.
Korahs Githith erklang, und Davids Geſpielinn, die Harfe,

Und die Stimme des Menſchen, vor allen Saiten und Erzten

Unerſchoͤpflich, die maͤchtigſte Herrſcherinn uͤber die Herzen.

Alſo ſcholl es hinauf in den himmelſteigenden Tempel:

Auf den heiligen Bergen iſt ſie die feſte gegruͤndet!

Sions Thore vielmehr, als alle Wohnungen Jakob,

Liebt ſie der Herr! Jn dir, du Stadt des Allmaͤchtigen, werden

Herrliche Dinge verkuͤndet! verkuͤndet herrliche Dinge!

Mit anhaltender Andacht Ernſt, erhoben zum Geber

Aller Gaben, zu dem, der ewig lebet, und herrſchet,

Kniete Saulus. Und, aus der groſſen gedraͤngten Verſammlung,

Kohr ihn Moſes ſich aus, und Abraham, ihm zu erſcheinen.

Als der Jubel ſchwieg, und die Feyrer des Feſtes zerſtroͤmten,

Schwebten ſie, ihn zu geleiten, ihm nach. Mit Eile, die ſtrahlte,

Kam, da ſie folgten, herab von Tabors wolkiger Hoͤhe,

Gabriel ihnen entgegen, und ſchnell erflog er ihr Schweben.

Vaͤter, erſcheinet ihm nicht, der Herr will ihm ſelber erſcheinen!

Bote Gottes! wer iſt der erhabne Sterbliche, dem wir

Nicht erſcheinen duͤrfen, dem Jeſus ſelber erſcheinet?

Dort erblickt ihr Damaskon. Er eilt in dieſen Gefilden

Dein entflammter Verfolger, Gemeine Gottes. Er wuͤtet,

Sammelt Schaaren um ſich, die wuͤten wie er, und morden!

Aber ploͤtzlich umſtrahlt ihn ein Licht von dem Himmel, zur Erde

Faͤlt er nieder, und hoͤrt in der hohen Wolke die Stimme:

Saulus, was verfolgſt du mich, Saulus? Da ruft er gen Himmel:

Herr, wer biſt du? und ihm antwortet die ſchreckliche Stimme:

Jch
[236]Der Meſſias.
Jch bin Jeſus, den du verfolgſt! Schwer wird dir es werden,

Wider den Stachel zu lecken! Er ſpricht mit Zittern und Zagen:

Herr, was gebeutſt du, was ſoll ich thun? Der Wecker vom Himmel

Jeſus, der Thronende zu der Rechte des ewigen Vaters,

Giebt ihm Befehle. Die thut er, obgleich geſchlagen von Blindheit.

Sieh! ihn leiten ſeine Gefaͤhrten, die neben ihm zagen,

Nach Damaskon zum Seher. Ein auserwaͤhltes Ruͤſtzeug

Jſt er dem Herrn! Verkuͤndigen ſoll er des Goͤttlichen Namen

Unter den Heiden, und ihren Beherrſchern, und Jſraels Soͤhnen!

Zeigen will ihm der Herr, wie viel er um Seinetwillen

Leiden ſoll! Er empfaͤht den heiligen Geiſt, und die Blindheit

Laͤßt ihn. Er wird getauft, und predigt den Namen des Mittlers,

Daß der ſey des Ewigen Sohn, der todte Meſſias,

Der erſtandne, verherrlichte, himmelerhabne Meſſias!

Gabriel ſchwieg. Und Abraham rief mit gefalteten Haͤnden:

Daß du biſt der Vollender vom Anbeginne der Welten!

Daß ſich beugen ſollen, in deinem Namen, die Kniee

Aller im Himmel, und Aller auf Erden, und unter der Erde!

Aller Zungen bekennen, des Erſten am ewigen Throne,

Und des Letzten am Grabe: Du ſeyſt zu der Ehre des Vaters

Herr! du Eingebohrner zur Herrlichkeit, Halleluja!

Und ſie ſchwiegen lange vor inniger Wonne. Zuletzt ſprach

Moſes, und weihete ſo den ernſten Juͤngling: Die Liebe

Chriſtus dringe dich, und der Bruͤder! Sey denn geruͤſtet,

Niederzuſtuͤrzen die Hoͤhn, die gegen den Herrn ſich erheben!

Lehr ihn, ein Redner, wie Menſchen, und lehr ihn, ein Redner, wie Engel;

Aber habe die Liebe zugleich, die Liebe Chriſtus,

Die
[237]Funfzehnter Geſang.
Die den Geliebten der engen, der dunkeln Wiſſenſchaft vorzieht,

Und der Bruͤder Liebe, die freundliche, duldende, ſanfte,

Die nicht eifert, nicht ſpottet, von keinem Stolze ſich aufblaͤht,

Die kein Zorn entſtellt, die nicht das ihrige ſuchet.

Nie zu erbittern, trachtet ſie nie, dem Bruder zu ſchaden.

Ungerechtigkeit freuet ſie nicht, ſie freuet die Wahrheit!

Alles glaubt ſie, ertraͤgt ſie, und hoffet alles, und duldet

Alles! iſt nie zu ermuͤden! ſie dauert ins ewige Leben!

Dieſe Liebe ſey dein, du Juͤngſtgebohrner der Gnade

Unter den heiligen Boten, dem Jeſus ſelber erſcheinet!

Denn die, welche du liebſt, ſind Glieder der hohen Gemeine;

Und ohne Flecken, und Tadel iſt die hohe Gemeine,

Jſt des Braͤutigams Braut, und in ſeinem Blute gewaſchen,

Jenem, das lauter rufet, als Abels, und nicht um Rache!

Heil euch! und lauter, als rief, von dem Berge des Schreckengeheges,

Sina, der Donner, der Chernbim Schaar, die Poſaun’, und um Fluch nicht!

Hinter Stephanus, ging von dieſer Weihe begleitet,

Saulus hinab. Die Heiligen ſchwebten nach Tabor hinuͤber.

Simeons Bruder Elkanan, mit ihm ſein kindlicher Leiter,

Waren zu Samma hinein den traurigen Abend gegangen,

Da ſie das alternde Grab voll ſtillen Mooſes verlieſſen.

Samma hielt ſie bey ſich, ſuͤßuͤberredend, ein heitrer

Freundlicher Wirth, obwohl viel Schmerz die Seel’ ihm bewoͤlkte,

Jetzt der neue, todt ſey Chriſtus, und ſeines Erwachens

Ruf bezeuge noch keiner! Das klagt’ auch Elkanan, und Boa,

Joel, mit dir. Sie ſandten umher, und konnten die Juͤnger

Deß, der leben ſollte, nicht finden. Sie ſaſſen in Joels

Duften-
[238]Der Meſſias.
Duftender Laube, die ihm ſein Vater im Garten gegeben.

Nur der wandelnde Mond war, wie ſie glaubten, der Hoͤrer

Jhrer Klagen; allein auf einer ſilbernen Wolke,

Die ihn leiſe bedeckte, verſammeln ſich andere Hoͤrer,

Andere Zeugen, wenn ihr Geſpraͤch in Schmerze verſtummte,

Simeon, und Benoni, und du, vollendete Fromme,

Lazarus Schweſter, Maria. … Nun kann ich mich laͤnger nicht halten!

Muß mich meinem Vater, mich meinem Bruder entdecken!

Sag es, Simeon, ſelbſt: Sind ach nicht genung des Jammers

Thraͤnen geweinet? genung der bittern Kelche getrunken

Jhrer Leiden? Jſt nicht die Pruͤfung am Ziele der Laufbahn?

Wollen wir ihnen die Krone nicht bringen? … Wir wollen, Benoni.

Folg’ unſichtbar uns nach, und geneuß der Wonne, Maria,

Jhre Freuden zu ſehn! Und du, Benoni, enthuͤlle

Dich in der Ferne mit milderem Glanze, daß ſie der Erſcheinung

Nicht erliegen. … Sie ſchwebten hinab. … Bey meines Benoni’s

Grabe war ich, bey Simeons du, ach! waͤren wir Armen

Auch bey Jeſus Grabe geweſen; ſo haͤtten wir ihn dort

Auferſtehn vielleicht, iſt er auferſtanden, geſehen!

Haͤtten … O Gott der Goͤtter! was ſchimmert in jener Ferne! …

Samma ſank, rief: Herr, Herr Gott, barmherzig und gnaͤdig!

Sieh, ein Bote des Himmels! … Was ſahſt du, Knabe? was ſahſt du,

Samma? Fuͤhret mich hin, daß ich der Erſcheinung begegne,

Mit ihr rede. … Wir beben, Elkanan, und koͤnnen nicht fuͤhren! …

Fuͤhrt mich! Boa, was ſiehſt du? Auf, fuͤhre du mich! … Der Knabe

Hielt ſich erſtarrt an der Huͤtte! … So redet denn, ſaget: Was ſeht ihr? …

Eine
[239]Funfzehnter Geſang.
Eine lichte Juͤnglingsgeſtalt, die unter Benoni’s

Baͤumen wandelt, und gegen uns laͤchelt! … Erſcheinung, Erſcheinung!

Rief Elkanan, wer biſt du? Melodiſch erſcholls in der Laube:

Einer Seligkeit Bote, die groͤſſer, als ihr vermuthet,

Viel entzuͤckender iſt. … Ach! weſſen Stimm’ iſt die Stimme?

Rief jetzt Joel, und weſſen Antlitz des Nahenden Antlitz?

Gott der Goͤtter! Benoni! … Er ſank. Schon hielt ihn Benoni’s

Helfender Arm, und richtet’ ihn auf. Mein Bruder! … Benoni

Riefs in der Wonne. … Mein himmliſcher Bruder! ſtammelte Joel.

Sam̃a mein Vater! … und ſank ihm ans Herz, und erhielt ihm das Leben,

Daß der Greis in der ſtuͤrmiſchen unnennbaren Empfindung

Nicht entſchlummerte, nicht in der thraͤnenloſen Entzuͤckung

Jn die Nacht des Todes ſein Aug’ hinſtarrte. Nun leitet

Er den verſtummenden Alten zu einem mooſigem Sitze.

Bring Elkanan zu mir, ſprach er zu Boa, damit er

Naͤher mich hoͤre. … Nun wall’ ich hinab mit Ruhe zum Grabe!

Sprach Elkanan, denn ob mein Auge dich gleich nicht geſehn hat,

Hat dich mein Ohr doch gehoͤrt, Unſterblicher! Rede denn, lehr’ uns,

Bote von Gott! … Euch wird ein Groͤſſerer lehren, ſo bald ihr

Ruhiger ſeyd, und zu tragen vermoͤgt des Erſcheinenden Ankunft!

Joel hatt’, indeß da er ſprach, ſich ſtille genaͤhert,

Blumen gekuͤßt, und ſie in des Bruders Tritte geſtreuet.

Sagt, vermoͤgt ihr (er ſah mit dankenden Blicken auf Joel)

Auszuhalten, daß Simeon komme? … Simeons Seele,

Rief Elkanan, ſchwebet um mich? ach! laß ſie erſcheinen,

Bote der Wonne! Seyd ſtark, du, Samma, und Joel, und Boa,

Hindert ſie nicht. Schon hoͤrt dir mein Ohr, mein Bruder, entgegen.

Simeon,
[240]Der Meſſias.
Simeon, Simeon, komm! Mein Auge wird dich nicht ſehen,

Theurer Bruder, allein nicht lange, ſo werd ich dich ſehen,

Wenn die Nacht des finſteren Thals zu dem Lichte mich aufweckt.

Simeon kam in Schimmer des Mondes, mit himmliſchem Glanze

Ueberkleidet, einhergegangen. Mit ſanfterem Schrecken,

Als Benoni’s unangekuͤndetes Schimmern, erblickten

Sie die Strahlengeſtalt; allein mit groͤſſerem Staunen.

Alſo floß von der Lippe des hohen Engels die Stimme:

Jeſus Chriſtus iſt auferſtanden! Viele der Frommen

Haben, auf ſeiner Allmacht Wink, die Graͤber verlaſſen!

Er erſcheinet, und wir erſcheinen. Jhn ſehn nur die Zeugen,

Die er zu lehren beruft, und Wunder zu thun, und zu bluten!

Derer die Kronen der Erſtlinge warten, und Palmen im Himmel!

Und ein Thron im Gericht! Doch eh der Mittler zu Gott geht,

Eh mit Jauchzen, und heller Poſaune, gen Himmel er auffaͤhrt,

Werden auf Einmal ihn noch fuͤnfhundert Glaubende ſehen.

Jeſus ſegn’ euch, und nenne, mit dieſer Begnadeten Namen,

Eure Namen! Ja ſegne ſie, Herr, mit dieſer Erbarmung!

Simeon, auferſtanden biſt du vor dem Tage der Tage?

Ach! wie duͤrſtet mein Herz, dich zu ſehn! doch ich wuͤrde ja Jeſus

Selber nicht ſehn! Nie hat mich ſchwerer die Blindheit belaſtet!

Schmerz, verſtumm du! die heilige Stunde, da Simeon mich ſieht,

Jch ihn reden hoͤre, ſoll keine Klage bewoͤlken,

Da er von Jeſus mit mir und ſeiner Herrlichkeit, redet!

Ach! fuͤnfhundert auf Einmal! Wofern ich zu ihnen gehoͤrte,

Wuͤrd ich dennoch mich freun! Sie wuͤrden Entzuͤckungen reden!

Darfſt du von eurem Himmel, und ſeinen Geheimniſſen ſprechen,

Simeon?
[241]Funfzehnter Geſang.
Simeon? … Nicht zu Bewohnern des Staubes! So hat es geordnet,

Der auf Stufen erhoͤht, und nach der Pruͤfung, belohnet!

Der die Welten geſondert von Welten, und dennoch vereint hat!

Der, in ſeinem unendlichen Plane der Seligkeit Aller,

Alle Grenzen, und Arten der Seligkeiten vereint hat!

Gegen dich, lichtheller Entwurf des Gluͤckes der Geiſter,

Jſt die ſinnliche Schoͤpfung nur Schatten. Er bauet auf Elend

Freuden empor, die keiner der Jmmergluͤcklichen kennet.

Lernet noch dieß: Nichts Groͤſſeres haben die Ewigkeiten,

Nichts, das unerforſchlicher, unempfindbarer waͤre,

Als, daß eine der Hoͤhn der groſſen Erhebung des Mittlers,

Auf der Erniedrigung, ſteht! … Der ernſte Gedanke vertieft euch.

Sinnt ihm zu eifrig nicht nach. Er iſt ſelbſt Engeln Erſtaunen!

Kennet eure Seligkeit ganz, die hier ſchon euch Gott gab!

Nicht nur wir ſind um euch; die ſchoͤne Seele Maria,

Lazarus Schweſter, iſt auch in dieſer heiligen Huͤtte.

Siehe, ſie freuet ſich eurer Freuden! … Da riefen ſie alle:

Lazar us Schweſter iſt todt? … Und freut ſich unſerer Freuden!

Setzte Samma hinzu, Wir freun uns der deinen, Maria!

Ach! wie trockneſt du meine Thraͤnen, o Vater des Schickſals!

Meinen Benoni ſendeſt du mir; Elkanan den Bruder …

Und auch Joel den Bruder! ſo ſprach der zaͤrtliche Joel.

Gott! wie haſt du mein Schickſal geendet! Wie konnt ich es wagen,

Das zu hoffen, als meine verfinſternde Schmermut, dieß Elend

Ueber alles Elend, begann, ich mir mein noch bewußt war!

Und nur Naͤcht’ erblickt’ um mich her, Labyrinth, und Abgrund!

Nichts im Kuͤnftigen ſah, als ſchwarze Schrecken! Nun wich mir

IIIBand. QMeine
[242]Der Meſſias.
Meine Vernunft! ich zermalmte dich, Sohn, an dem blutigen Felſen,

Ach, zu durchweinen, ſo dacht ich bis heut, mein uͤbriges Leben!

Und dieß alles endiget ſich, mit Wonne der Himmel!

Mit dem ſuͤſſeſten Wiederſehen, das jemals erlebt ward!

Sohn, Benoni, mein Sohn, an dem blutigen Felſen zerſchmettert,

Wie hat der dich begnadet, der mein, durch dich ſich erbarmt hat!

Sieh, ich weis es, du geheſt von mir; doch ſoll mirs kein Abſchied,

Geheſt du, ſeyn! Jch werde vor mir dich immer erblicken,

Wie du, ein Erbe des Himmels, in deiner Herrlichkeit daſtandſt!

Kaum, daß es Wiederſehen genannt darf werden, wenn druͤben

Ueber den Graͤbern ich dich in deiner Herrlichkeit ſehe.

Eins noch bitt’ ich dich: Gieb mir deinen Segen, Benoni,

Eh du dich wendeſt. … Jch, Samma, dich ſegnen? der Sohn den Vater?

Und dein juͤngſter? … Mein Erſtling nun! und aͤlter, als ich bin!

Alt an Tagen der Ewigkeit! Sie iſt wirkliches Leben!

Dieſes Leben iſt Schlaf, aus dem ein letzter uns aufweckt!

Und Benoni erhub die feſtgefalteten Haͤnde,

Ward, indem er redete, ſtrahlenvoller, und ſagte:

Bald denn komme dein letzter, und ſanft, wie Simeons Tod kam,

Theurer Vater! So ſegnet’ er ihn. Jetzt redete Joel.

Ach! ich baͤte dich auch um deinen Segen; allein ich

Fuͤrchte, Benoni, daß du mit langem Leben mich ſegneſt.

Juͤngling, du fuͤrchteſt groͤſſeren Lohn! Je tiefer des Guten

Leben hier wurzelt, je hoͤher erwaͤchſt ſein Wipfel im Himmel,

Und je ausgebreiteter ſchatten die volleren Zweige.

Soll ich nun, mein Bruder, mein Joel, dich ſegnen? Da kniete

Joel nieder vor ihm. Benoni legte die Hand ihm

Auf
[243]Funfzehnter Geſang.
Auf die gluͤhende Stirn. Nimm hin den Segen der Segen,

Und das ewige Leben! Der Gott, der Jeſus erweckt hat,

Fuͤhre zu Jeſus dich! … Sie verſchwanden der Betenden Auge.

Schnell rief Boa: Sie ſind verſchwunden, Elkanan! und Joel

Richtet ſich auf, und ſagt mit dem ſanften Laute der Freude:

Wenn du hier noch verweilſt, du ſchoͤne Seele Maria,

O ſo bringe du ihnen von uns, den ſtaͤrkſten, den beſten,

Feurigſten Dank, daß ſie der Erſcheinung gewuͤrdigt uns haben,

Jhrer Geſpraͤche von Gott, und ihrer himmliſchen Segen!

Alſo ſagte der Juͤngling, und ſank in die Arme des Vaters.

Chriſtus Mutter ſaß auf dem hohen Soͤller. Die Sonne

War geſunken; der Abendſtern entſtrahlte dem Himmel.

Neben ihr ruhte die Tempelharfe. Sie ſahe, das daucht ihr,

Ueber den Bach der Pilgerinnen eine, nicht gehen,

Sah ſie ſchweben, und werden, indem heruͤber ſie ſchwebte,

Himmelsgeſtalt. Alſo wird That ein groſſer Gedanke!

Und ſchon ſtand die lichte Geſtalt bey ihr auf dem Soͤller.

Chriſtus Mutter ſtaunte nicht mehr. Es war ein Erſtandner,

Oder ein Engel. Sie hatt’ erſtanden vom Tode geſehen

Jhren Sohn! … Jch verhuͤlle vor dir mich, Mutter des Herrn, nicht.

Warum ſollt’ ich? Du ſtrahleſt mit mir nun bald an dem Throne!

Mirjam, auch ich bin Mutter! … Vielleicht des gehorſamen Opfrers?

Oder deß, der das Grab nicht kannte, des himmliſchen Henochs?

Abrahams auch, und Henochs! Jch bin, o die der Unſchuld

Wiederbringer gebahr, ich bin die Mutter der Menſchen!

Dich, dich ſeh’ ich! O Wonne des offnen Himmels! die Mutter

Abels ſeh’ ich! … Auch Kains. Jch bin heruͤbergekommen,

Q 2Daß
[244]Der Meſſias.
Daß ich mit dir den Sohn, den Mann Jehova, o Mirjam,

Preiſe mit dir! Wohlan, laß unſre Harfen beginnen!

Jch mit dir, der Unſterblichen! ich mit der Mutter der Menſchen,

Die ich ſterblich noch bin? Allein wir ſingen dem Mittler!

Eva, beginn, und lehre mich dem Erhabenen ſingen!

Zweymal ward ich geſchaffen! Er rief mich zweymal ins Leben,

Den du, Mirjam, gebahrſt! O Mutter, er wurde gebohren,

Der dich ſchuf, und mich, der alle Himmel gemacht hat!

Der die Sonne, den Mond, der alle Sterne gemacht hat!

Der dich ſchuf, und mich, er wurd’, o Eva, gebohren!

Haſt du den hohen Geſang der Engel Gottes vernommen,

Die ihn ſangen, als er gebohren ward in der Huͤtte?

Da nach Sion zuruͤck des Preisgeſanges Triumph kam,

Bebten vor ſeinem Donner die Wipfel der Lebensbaͤume!

Sanken, wo er toͤnte, die Himmliſchen vor dem Gebohrnen!

Und er weinet’ in Bethlehems Krippe. Doch hatten ſchon Engel,

Eh er weinte, den Namen des Wiederbringers genennet!

Jeſus! … hatte die Ceder, die Palme, Jeſus! … gehoͤret,

Jeſus! … Tabor, Jeſus! … Jeſus! … ach Golgatha, Jeſus! …

Nennen hoͤrte den Gottesgeſalbten der Thron, von dem er

Niederſtieg, die Heere des Himmels, den Gottesgeſalbten!

Haſt du ihn ſterben geſehen? … Jch hab’ ihn ſterben geſehen! …

Haſt du die blutige Krone der Schmach um die Schlaͤfe des Mittlers

Triefen, o Mutter Abels, geſehen? … Jch ſahe die Krone

Um ſein Haupt! und ſah in Daͤmmrung erloͤſchen der Engel

Antlitz, in truͤbere derer Antlitz, die er verſoͤhnte!

Haſt
[245]Funfzehnter Geſang.
Haſt du die Todesſtimme des Gottverſoͤhners vernommen?

Jene, da Chriſtus rief: Es iſt vollendet! und jene:

Vater, in deine Haͤnde befehl’ ich meine Seele!

Ach, ich habe vernommen die Worte des ewigen Lebens,

Habe wie Pſalme gehoͤrt der Harfenſpieler, wie Choͤre,

Als ob ſie an dem Throne dem Hocherhabenen ſaͤngen,

Da er ſein Haupt emporhub, rief: Es iſt vollendet!

Da ſein Auge ſchaute mit Gottesblicken gen Himmel:

Vater, in deine Haͤnde befehl’ ich meine Seele!

Und doch litt ich, die Sterbliche, wie die Mutter Abels

Niemals litt! Allein Preis ſey dem Sohne, des Leidens

Geber! denn ach! wie erhoͤhet mir nun die naͤchtliche Stunde,

Siehe, die Stunde der Angſt, die Stunde des Schwerts in der Seele,

Meine Wonne! … Jch habe, wie du nicht gelitten, ob Abel

Gleich zu der Erde geſtuͤrzt, ich liegen ſahe, der Todten

Erſten, und meinen Sohn! die Stirn’ ihm zerſchmettert, des Fluches

Fruͤhes Opfer! in Blut! und meinen Sohn! Es vergingen

Erd’ und Himmel um mich! ſo ſchreckte der Todte die Mutter!

Arm des Allmaͤchtigen! du, ja du nur hielteſt mich, Gottes

Arm! da hinaus in die Nacht vom Gerichtsaltare der Sohn rief:

Mein Gott! Mein Gott! warum haſt du mich verlaſſen?

Mutter Chriſtus, ich hoͤrts den Geopferten rufen! Jch ſah dich

Nun nicht mehr! … Heil dir, o Mutter der Menſchen, du wareſt

Da bey dem Kreuz, als Chriſtus das tiefe Geheimniß zu Gott rief.

Selig bin ich! Jch habe den Mittler Gottes gebohren!

Selig auch du! Du biſt die Mutter ſeiner Verſoͤhnten.

Q 3Selig
[246]Der Meſſias.
Selig bin ich! Es ſchuf mich aus Adams Gebeine der Schoͤpfer

Jn dem Paradieſe! mich ſchuf aus Verweſungsſtaube

Tief in des Paradieſes Truͤmmern der Auferwecker.

Heil mir, ich bin die Mutter ſeiner Verſoͤhnten, und, Mirjam,

Deine Mutter. … O du, die Eden zweymal gebohren!

Tochter der Schoͤpfung, (ihr Leben verging!) der Auferſtehung

Tochter zum ewigen Leben! ach Eva, er ſtammet von dir auch

Der von Ewigkeit iſt! und den die ſterbliche Mirjam

Jn der Huͤtte gebahr! O du der Gebaͤhrerinn Mutter,

Himmelsfreuden ſind die Freuden, die uͤber mich kommen,

Und die dennoch, wie tief ſie auch oft in dieſes Lichtes

Stroͤmen verſinkt, zu empfinden vermag die ſterbliche Mirjam.

Segne zum ewigen Leben, ich bin des Bundes Erloͤſte,

Eva, ſegne die Himmelserbinn zum ewigen Leben.

Zwar biſt du noch ſterblich, und ich unſterblich, doch kann ich

Dich nicht ſegnen! Es hat dich ſchon der Stifter des Bundes,

Siehe das Todesopfer auf Golgatha’s blutigem Altar,

Seine Mutter, zum ewigen Heil, der Vollender geſegnet!

Eh am Throne mein Lied von dem Segen des Liebenden ausſtroͤmt,

Werd ich noch Einmal ihn ſehn hier in der Graͤber Gefilden!

Gabriel ſtand, und ſtrahlt’, und verhieß, wir ſollten noch Einmal

Chriſtus ſehn! O ſinge mir Abrahams Mutter, und meine,

Von der Auferſtehung des Sohns, da am hohen Kreuze

Nun nicht mehr in die Nacht ſein Haupt ſich ſenkte, die Augen

Jhm nicht mehr verloſchen, nicht mehr die Krone von Blute

Ueber ſein Antlitz trof! da den Donnergang der Entſcheidung

Gott ging! … Alſo ſcholls: Es werde Licht! und das Licht ward!

Alſo
[247]Funfzehnter Geſang.
Alſo erſtand er! Uns ſanken die Harfen! die Palmen ſanken!

Jubel ruften wir aus! So ſingen die Lieder am Thron nicht,

Meere rauſchen, wie wir das Halleluja dem Mittler

Gottes ruften. Doch ſchnell ward Alles ſtaunende Stille!

Himmel und Erde ſchwiegen, und wir, bis endlich Triumphe

Maͤrtyrer ſangen, bis endlich zum Mittler Adam herabkam,

Laut ausrief: Jch ſchwoͤre bey dir, der ewig lebet,

Daß nun Tod nicht mehr der Tod iſt, und daß an dem Tage

Deiner groſſen Vollendung ſie Alle, die ſchlafen, erwachen!

Ach ſein Wonnausruf durchdringet die Mitgenoſſinn

Seines Erbes! Beſtreuet mein Grab mit Blumen der Erndte.

Saat, dich ſaͤte der Herr! Jch hoͤr’, ich hoͤre das Rauſchen

Deiner Aehren! Jch hoͤre vom Himmel das Rufen der Erndter!

Lege bald zu dem Schlafe des Todes, o Mirjam, dich nieder,

Daß ich die Mutter des Herrn im Thale des Friedens empfange.

Daß wir ſingen dort in dem Thale des Friedens dem Sohne,

Wenn er nun an dem Thron die Thraͤnen der Chriſten trocknet,

Und zu verſtummen gebeut der ſanften Klage der Wehmut.

Siehe, der trug die Suͤnde der Welt, iſt die Liebe! der Adams

Laſten nahm, und hinauf nach Golgatha ging, iſt die Liebe!

Der die Liebe, der nicht gekennet, ach ungeliebet,

Sich, da die Himmel der Himmel ſchwiegen, erkohr, ſich hingab

Dieſem ſchrecklichen Tode zum Opfer! … Zum Opfer, zum Opfer

Fuͤr die Suͤnde! da ſelbſt Erzengel verſtummten, die Hoͤlle

Laut anklagt’, und zu wandeln, den eiſernen Tritt der Gericht hub!

Alſo ſang ſie, und wendete ſich. Jhr ſahe Maria

Lange nach, da ſie ſchwebt’ im Himmelsglanze gen Tabor.

Q 4Jetzo
[248]Der Meſſias.
Jetzo begann der Heiligen Schaar zuruͤckzukehren

Nach der Verklaͤrung Gebirge, ſich dort mit einander der Freuden,

Die ſie den Auserkohrnen erſcheinend gaben, zu freuen.

Und ſie ſtrahlten herauf von Jeruſalem. Viele der Wonne

Voll, die ſie hatten gegeben, und viele der kuͤnftigen Wonne,

Die, noch verborgen im bruderliebenden Herzen, itzt keimte,

Trieb, arbeitet’, und wuchs, zum Schatten der Ruhe zu werden,

Ueber der Wanderer Haupt im heiſſen Pfade des Elends.

Wie ein Stern, und noch einer, und wieder einer hervorgeht

Aus der graͤnzloſen Tiefe der ſchauererfuͤllenden Schoͤpfung,

Wenn der kommenden Nacht die Abenddaͤmmerung weichet:

Alſo verſammelten ſich die Erſcheinenden Gottes auf Tabor;

Wenige Spaͤtere nur empfing noch der heilige Berg nicht.

Cidli, die Tochter Jairus, ſaß vor der Laube des Soͤllers,

Jn dem Schimmer der Morgenroͤthe. Sie ſah den Geliebten,

Seit er zu ſeinem Grabe von ihr in der Traurigkeit eilte,

Jhren Semida nicht. … O Liebe voll Unſchuld! ich darf dich,

Meine Liebe, ſo nennen! wenn wirſt du mich endlich verlaſſen?

Wenn wegrufen den Schmerz, der alles in truͤbe Bilder,

Alles um mich in Thraͤnen verwandelt! Gehoͤr ich der Erde

Viel zu wenig, ihr ſterbliche Soͤhne zu geben; erſtand ich,

Gott mich auf dieſe Weiſe zu widmen; was weileſt du, Liebe,

Zwar mir bitterer Schmerz, doch Liebe voll Unſchuld, was weilſt du

Unnachlaſſend in mir? Doch wenn dein Weilen mir zeigte,

Daß ich, alſo dem Herrn mich zu widmen, vom Tode nicht aufſtand?

Ach wer fuͤhrt mich heraus aus dieſer Tiefe des Schmerzes?

Dieſer Jrre des Gruͤbelns heraus? Zwar bin ich erſtanden;

Aber
[249]Funfzehnter Geſang.
Aber ſterblich bin ich! Jch leb’, und leide, wie Andre!

Leide viel mehr, wie Andre, die ſo voll Unſchuld nicht lieben!

Waͤr ich nur ſterblicher auch! … Du Klage, wareſt zu heftig!

Sterblicher will ich nicht ſeyn! … Sie erhebt ſich, und trocknet mit Eile

Jhre Wange. Da ſtieg der Pilgerinnen des Feſtes

Eine den Soͤller herauf, von Cidli’s Mutter begleitet.

Lange wallt’ ich umher, Jairus Tochter zu ſehen;

Endlich find’ ich dich auf. Du haſt doch von deines Erweckers

Hohem Triumphe gehoͤrt? Jch habe von meines Erweckers

Hohem Triumphe gehoͤrt; doch ſeiner Herrlichkeit Zeugen

Hab ich noch nicht geſehen. Maria, Lazarus Schweſter,

Denn ihn kennſt du wohl auch, da du mich zu ſuchen herumwallſt?

Jſt entſchlafen! und ob die Mutter des Goͤttlichen lebe?

Weis ich auch nicht. … Sie lebt, und hat den Erſtandnen geſehen!

Hat ein Engel dich mir, o Pilgerinn, zugeſendet,

Daß du mir dieſe Botſchaft von Jeſus Herrlichkeit braͤchteſt,

Und den Freuden der Mutter? … Jch ſuchte der Auferſtandnen

Eine, von denen eine, die Jeſus Herrlichkeit zeugten,

Als er noch in der Niedrigkeit war. Vernahmeſt du, Cidli,

Nichts von den neuen Zeugen, und Zeuginnen, nun, da er herrſchet

Maͤchtiger uͤber den Tod, als da er den Bruder Maria,

Und den Vaterloſen aus Nain, und dich erweckte?

Kam der Ruf nicht zu dir: Viel Heilige waͤren erſtanden,

Als er am Kreuz entſchlief, und die erſchienen den Frommen,

Die ihn liebten? … Jch lieb’ ihn, ich lieb’ ihn, o Pilgerinn! rede,

Jſt der Ruf denn gewiß? … Nicht lange, ſo wird es ſich zeigen.

Viel erzaͤhlen, daß ſich die auferſtandnen Gerechten

Q 5Auf
[250]Der Meſſias.
Auf der Verklaͤrung Gebirge verſammlen. Auf Tabor zu ſteigen,

Jſt daher mein Entſchluß. Doch in einer Erſtandnen Begleitung

Wallt’ ich lieber dahin, als allein, zu den neuen Erſtandnen.

Pilgerinn, zwar bin ich auferweckt von dem Tode, doch bin ich

Sterblich, wie du. Die Erſtandenen ſind vollendete Fromme,

Wenn ſie erſcheinen. Doch geh ich mit dir, wofern du mich leiteſt,

Und die Sinkende haͤltſt, wenn wir Erſcheinungen ſehen.

Und ſie machten ſich auf, nach Tabor zu gehen, die Mutter,

Und, mit Cidli, die Pilgerinn. Aber der Juͤngling aus Nain,

Semida hatte ſo viel von deinem Erwachen, Verſoͤhner,

Endlich erforſcht, daß er ſein Herz beruhigen konnte,

Glauben konnte, du ſeyſt wahrhaftig vom Tod erſtanden!

Nun erwachten von neuem mit tiefverwundender Wehmuth

Seiner Liebe Schmerzen in ihm. Noch war fuͤr ihn immer

Cidli geſchaffen. Das fuͤhlt’ er zu maͤchtig! Unuͤberwindlich

War der Sieger, dieß ſtarke Gefuͤhl, in dem innerſten Herzen.

Nacht vor mir! wer fuͤhrt mich durch dich? wer hindurch zur Gewißheit,

Ob, die ich mir fuͤr die Ewigkeit waͤhlte, wieder mich liebe?

Oder auch nicht? Wer bringt mich hinauf in die Hoͤhen der Freude?

Oder hinab in das ſinkende Thal der bitterſten Schmerzen?

Auferſtanden bin ich, doch nicht unſterblich geworden!

Waͤren wir dieß; ſo waͤren wir lang hinuͤbergegangen

Jn der Ruhe Gefilde, wo nichts die Liebenden trennet!

Und dort liebte mich Cidli gewiß! O Cidli, Gewaͤhlte,

Die ich liebe, wie wenige nur zu lieben vermoͤgen!

Doch verſtumme du, Schmerz! Noch ſterblicher machſt du mich, truͤber

Bitterer Schmerz. Wie, ſonderbar iſt mein Schickſal! Ein Juͤngling

Munter,
[251]Funfzehnter Geſang.
Munter, und freudig, der war ich, und ſtarb! und kam aus Gefilden

Dunkler Empfindungen, aber die Freude waren, zuruͤcke!

Wurde, was wurd ich? mich dauchts bey dem Wiederkommen, ich waͤre

Nun ein Unſterblicher; aber wie bald empfand ich, ich waͤre

Wieder ſterblich, und was ich vor meinem Tode noch nicht war,

Elend! … Elend dadurch vor allen, daß ich die Wonne

Meines Lebens, die Weisheit deß, der todt war, und lebet,

Nicht, wie ich ſollte, genung mir machte zur Saat fuͤr die Zukunft,

Dann zu erndten, wenn nun das erſte Leben entflohn iſt!

Herr! von dem Tod’ Erſtandner! eh du zu dem Vater hingehſt,

Rufe zu dir mich, damit ich von dir, das Eine, das noth iſt,

Mehr noch lerne! So dacht er, und ſchwieg mit gefalteten Haͤnden.

Und zu ihm trat ein Fremdling herein. Du kannſt mir, o Juͤngling,

Helfen, wofern du willſt. An dem Fuſſe von Tabors Gebirge,

Liegt ein verwundeter Mann, den haben Moͤrder verwundet!

Auf dem Wege zu dem, ſitzt einer, der blind iſt, und durſtet.

Keine Quelle war da. Er wußte mir keine zu nennen.

Sieh, er durſtet, und ruft nach Huͤlfe, die ihm verſagt wird.

Auf dem Wege zu ihm, wehklagt ein ermatteter Alter

An die Felſen geſunken. Jch konnt’ ihn nicht fuͤhren, und laben

Konnt’ ich ihn auch nicht. Jch ſelber ach! bin duͤrftig und kraftlos.

Semida rief mit Schnelligkeit: Nimm, und ſtaͤrke dich, nimm dann

Dieſes fuͤr ſie, und dieſes. Jch nehme das andre. Sie gingen,

Kamen zum Greiſe. Geh du voraus mit dieſem zum Blinden.

Nimm, mein Vater, und iß, und trink dieß Labſal der Traube!

Sprachs, und kam dem Pilger zuvor, und fruͤher zum Blinden.

Den
[252]Der Meſſias.
Den die Sonne nur waͤrmt, o nimm die Staͤrkung, ich komme

Wieder zuruͤck, dann gehſt du mit mir nach Jeruſalem. Eilend

Ging er weiter. Die Sonne begann, ſeitdem ſie die Thore

Salems verlieſſen, das erſtemal uͤber die Berge zu ſteigen.

Und ſie eilten dahin, wie der Athem der kuͤhlenden Fruͤhe

Leicht. Da ſie Tabor ſich nahten, erblickte Semida Cidli

Zwiſchen der Pilgerinn, und der Mutter. Schrecken der Freude

Stuͤrzten auf ihn, allein er blieb bey dem fuͤhrenden Fremdling.

Und ſie kamen zum Manne, der bleich, als ſtuͤrb’ er, in Blute

Lag. Sie verbanden ihm ſorgſam die Wunden, und legten ihn ſchonend

Auf ſanftkuͤhlendes Moos. Da wandte ſich Semida endlich,

Und ſah Cidli herum an dem Berge kommen, doch ferne.

Jetzo kamen ſie naͤher, und ſahns, und ſtanden erſchrocken.

Aber als ſie erkannten, daß jenem Verwundeten Huͤlfe

Durch die Maͤnner geſchaͤhe, ſo wagten ſie, weiter zu gehen.

Semida ſaͤumte nicht lang. Er lief mit zitternder Eile

Cidli entgegen. Doch nah verſtummten ſie beyde vor Freude,

Und vor Wehmut. Die Pilgerinn bat, nicht lange zu weilen!

Denn ſonſt wuͤrd an dem Berge ſie noch der Strahl des Mittags

Treffen. … So nehm’ ich von dir ſchon wieder Abſchied! auf immer,

Meine Cidli? Sie weint’, und folgte der fuͤhrenden Fremden.

Semida blieb bey dem Kranken mit ſeinen Gefaͤhrten, und ſtaͤrkt’ ihn.

Als ſie ſich unterredten, wohin ſie ihn braͤchten, erreichten

Sie zween Maͤnner. Die waren des armen Leidenden Bruͤder.

Und nun ſchieden die Fuͤnfe mit Dank, und Ruh von einander.

Wenn du mich uͤber Tabor begleiteſt; ſagte der Fremdling,

Gehet dort ein kuͤrzerer Weg, als jene ſich waͤhlten,

Und
[253]Funfzehnter Geſang.
Und wir kommen zu ihnen, ſo bald ſie den Gipfel erreichen,

Denn der kleinere Weg fließt mit dem groſſen zuſammen.

Ja, ich bin dein Gefaͤhrt; doch kehrſt du mit mir zuruͤcke. …

Nicht zuruͤcke mit dir. … Welch iſt die Heimath, o Pilger,

Die dein wartet? … Mein warten in meiner gluͤcklichen Heimath

Himmliſche Freunde. … So biſt du nicht arm, wenn redliche Freunde

Dir dein Leben erheitern. O nenne mir ihre Namen.

Jhre Namen? Du wuͤrdeſt erſtaunen, daß ihrer ſo viel ſind. …

Viele Freunde! das macht mich erſtaunen; doch nenne ſie. … Freudig

Sah der Pilger ihn an, und begann die Namen zu nennen.

David! Abraham! Noa! Melchiſedek! Jſaak! Hiob!

Rahel! Joſeph! Debora! … und Semida ſah ihn erſtaunt an.

Doch bald ſtaunt’ er noch mehr. Des Pilgers Angeſicht wurde

Roͤthlich, und ſchimmernd, doch wars erſt wenig Daͤmmrung von Schim̃er.

Auch ſchien Jonathan ſchwebend zu gehn. Je heller er wurde,

Deſto blaͤſſer vor Freud’ und vor Furcht ward Semida’s Antlitz.

Aber ihn ſtaͤrkte ſein Freund, und fuͤhrte den Bebenden weiter.

Auf dem anderen Wege ſtand auf Einmal der Reiſe

Frohe Gefaͤhrtinn, die Pilgerinn, ſtill, und ſprach zu der Mutter:

Weiter folge du nicht. Die Auferweckte des Mittlers

Sieht die hoͤhern Erſcheinungen nur. Sie glaͤnzte verwandelt.

Nimm jetzt Abſchied. Sie ſagt’ es der ſinkenden Mutter, und hielt ſie.

Abſchied von meiner Cidli, von der ich niemals mich trennte?

Komm bald wieder, o himmliſche Tochter, und ſage mir Armen,

Was du ſahſt. Gott ſegne zu dieſer Erſcheinungen Heil dich!

Geh nach Salem hinab, ſo ſprach zu der Mutter Megiddo,

Denn du ſieheſt ſo bald die gluͤckliche Cidli nicht wieder!

Meine
[254]Der Meſſias. Funfzehnter Geſang.
Meine Mutter! der Herr geleite dich, melne Mutter!

Himmliſche Freundinn, laß bald mich wieder die Mutter umarmen!

Und ſie verlieſſen die Arme, die weinend ihnen nachſah.

Als ſie die Hoͤhen erſtiegen, und Cidli vor Staunen kaum fragte,

Sahe ſie fern in den Cederſchatten Semida kommen

Mit dem Pilger, der nun in ſeinem Schimmer auch glaͤnzte.

Semida ſah auch ſie. Die beyden Sterblichen ſtanden,

Gingen, und bebten, und ruhten. Auf jeder Seite begannen

Strahlengeſtalten um ſie zu ſchweben, und ihnen zu laͤcheln.

O wie glaͤnzten, noch Unerkannte, der Greis, und der Blinde,

Und der verwundete Mann, und ſeine kommenden Bruͤder!

Jmmer wurden der Himmliſchen mehr, und leuchtender immer.

Wer vermag die Entzuͤckungen alle mit Namen zu nennen,

Welche die beyden ergriffen. Wie ſie mit gefalteten Haͤnden,

Staunend ſich umſahn, wieder den Blick zu der Erde ſenkten!

Fragen wollten, und in der bebenden Frage verſtummten!

Wie von den Strahlen umgeben der nahen Unſterblichen, wie ſie

Dann von dem Schimmer, und ſanftzulispelndem Segnen umgeben,

Freudig waren, und bang! … Sie kamen ſich naͤher. … Da ſchwanden

Jhre Gedanken! und ſie, die beyden Gluͤcklichen wurden

Schnell verklaͤrt! Sie ſchwebten daher, und umarmten einander,

Ach das erſtemal dort, und nicht in den Huͤtten der Trennung.

Wiederſehen, o du der Liebenden Wiederſehen,

Wenn bey dem Staube des Einen nun auch des Anderen Staub ruht,

Selbſt der Gedank’ an dich iſt nur ein Traum von Cidli’s

Freuden, nun weinten ſie andere Thraͤnen, und Semida’s Freuden!

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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Der Messias. Der Messias. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn7z.0