[][][][][][][[1]]
Flegeljahre.


Eine
Biographie



Viertes Baͤndchen.


Tuͤbingen,:
in der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1805.
[[2]][3]

Nro. 51. Ausgeſtopfter Blaumuͤller.

Entwicklungen der Reiſe — und des Notariats.


Der Notar glaubte wie ein erwachter Sieben¬
ſchlaͤfer eine ganz umgegoſſene Stadt zu durchtre¬
ten, theils weil er einige Tage daraus weggeweſen,
theils weil eine Feuersbrunſt, obwohl ohne Scha¬
den, da gehauſet hatte. Noch in den Gaſſen blieb
er auf Reiſen. Auch zog das Volk, durchs Feuer
aus der Alltaͤglichkeit aufgeriſſen, geſchaaret hin
und her, um das Ungluͤck zu beſehen, das haͤtte
geſchehen koͤnnen. Walt lief zuerſt zum Bruder
mit dem groͤßten Drange, deſſen Neugierde un¬
glaublich zu ſpannen und zu ſtillen. Vult empfing
ihn ruhig, ſagte aber von ſich, er ſehe erhitzt
aus und gebe das gluͤhende Geſicht der Feuers-
Noth Schuld. Der Notar wollte ihn ſofort mit
den erlebten Reiſe-Wundern in die Hoͤhe ſchrau¬
ben und droben erquicken; er ſchickte daher die
lockendſten Ankuͤndigungen voraus, indem er ſag¬
te: Bruder, ich habe dir Sachen zu melden, in
der That Sachen — „Auch unterbrach Vult
[4] „bin mit einigen ſieben Wundern der Welt verſe¬
„hen und kann erſtaunen laſſen. Nur erſt das
„erſte! Flitte genaß! Noch ſtaunt und ſtarret
„die Stadt.“ — „Unter dem Lazarus-Thor ſah
„ich ihn ſchon am Schallloch ſtehen,“ ver¬
ſetzte Walt eilig wegredend. — „Das iſt ganz
„natuͤrlich, fuhr jener fort. Denn der D. Hut,
„ein wahrer Chaupeau wie wenige, hat ihn wie¬
„der auf die Hinter-Beine gebracht, ſo daß der
„Teſtator ſich ſelber beerbt als allernaͤchſter An¬
„verwandte und du ſo wenig bekommſt als der
„Reſt. Wie freilich daruͤber die alten Aerzte, be¬
„ſonders die aͤlteſten, welche in jeder Stadt als
„ein wahrer Rath der Alten einen Alterser¬
laß (veniam ætatis) nicht von 20, ſondern
„von allen irdiſchen Jahren dem Juͤngſten erthei¬
„len und ſo die Sterblichkeit der Einwohner koͤſt¬
„lich mit der Unſterblichkeit verknuͤpfen, wie ſie
„ſag' ich, daruͤber, daß ein ſo junger Wicht ei¬
„nen nicht aͤltern herſtellte, außer ſich ſein muͤſ¬
„ſen: dieß kann man ganz natuͤrlich noch wenig
„oder nicht beſtimmen, bevor gar eine bekannte
„Arbeit von Flitte gedruckt und bekannt gewor¬
[5] „den. Es hat naͤmlich der Elſaſſer eine ſchwache
„Dankſagung ein Paar male umgearbeitet, wor¬
„in er im Reichs-Anzeiger (D. Hut ſchießt die
„Inſerats-Gelder her) mitten vor der Welt Hu¬
„ten geruͤhrt genug dankt und betheuert, nie
„koͤnn' ers ihm lohnen, was ein ſo wahres Ge¬
„fuͤhl iſt, da er nichts hat.“


Walt konnte ſich nicht laͤnger eindaͤmmen:
„liebſtes Bruͤderlein, begann er, wahrlich mehr
„deinen Einfaͤllen als deinen Berichten horcht'
„ich zu; denn das was ich dir zu erzaͤhlen . . .
„Deinen Brief naͤmlich mit dem Wunder-Traum
„hab' ich wirklich und in der That empfangen;
„aber was waͤre blos dieß? Eingetroffen iſt er von
„Punkt zu Punkt, von Komma zu Komma;
„hoͤre nur!“


Er legte ihm jetzt die Spiel-Wunder zum
erſten male vor — dann (wegen der verworrenen
Wellen der alles heran ſchwemmenden Fluth) —
zum zweyten male. Kein Abentheuer, ſelber das
ſchlimmſte, iſt je ſo ſelig zu erleben als zu erzaͤh¬
len. Ja er haͤtte beinahe von Wina's liebendem
Blick unter dem Waſſerfalle, in ſeinem Sturm
[6] den Schleier gehoben, haͤtt' er nicht auf dem gan¬
zen Wege, mit Wina an einer Hand und mit
Vulten an der andern, das Wichtigſte vorlaͤufig
bedacht und ſich die ſtaͤrkſten Gruͤnde eingepraͤgt
gehabt, daß er durchaus Wina in den General
einkleiden muͤſſe und Empfindungen, obwohl nicht
Thatſachen, unterſchlagen; ſo gern er auch in das
einzige, ihm vom Leben aufgeſchloßne Herz die
beiden Arme ſeines in Liebe und in Freundſchaft
getheilten Stroms ergoſſen haͤtte.


„Aus deinen Abentheuern in Bezug auf mei¬
nen Brief, ſagte Vult, mach' ich eben nicht das
Meiſte — ich lege dir nachher eine ſehr gute Hy¬
potheſe daruͤber vor — hingegen in Jacobinens
„Stell — dich — ein“ ſaͤh' ich mit Freuden klaͤrer.“
Walt erzaͤhlte dann den Nachtbeſuch ganz wahr,
hell und leicht und vergaß keine einzige Empfin¬
dung dabei.


„Nichts will ich leichter erklaͤren, fing end¬
„lich Vult an. Kann denn nicht ein Kerl, der
„alle Verhaͤltniſſe weiß, dir durch Waͤlder und
„Felder immer drei Schritte nach- oder vorge¬
„ſchlichen ſein — mit der Floͤte geblaſen haben —
[7] „deinen Namen in den Kruͤgen und Hotels vor¬
„aus geſagt — die kleinſte Sache beſtellt und an¬
„geſtellt, z. B. mit dem Bilderhaͤndler und dem
„Quodlibet und deſſen quod deus vult est bene
factus, ſtatt factum — und ſo fort? Was den
„Brief anlangt, ſo war er ja in meinem Namen
„und Stil ſo leicht zu ſchreiben, unterwegs auf¬
„zugeben, darin alles zu weiſſagen, was man
„eben ſelber vollfuͤhren wollte, das Geld aber
„eine Minute vorher einzugraben!“ — „Un¬
„moͤglich! ſagte Walt. Und vollends der Lar¬
„venherr?“ — Haſt du die Larve etwa in der
Taſche, ſagte Vult. Er zog ſie hervor. Vult
druͤckte ſie vor das Geſicht, funkelte ihn darhinter
mit Zorn-Augen an, und rief wild mit bekann¬
ter Stimme des Larvenherrn: „He? Bin ichs?
— Wer ſeid ihr?“ — Himmel, wie waͤre denn
das? rief der erſchrockene Walt. — Sanft hob
Vult die Larve ab, ſah ihn ganz heiter an und
ſagte: „ich weiß nicht, was deine Gedanken uͤber
die Sache ſind; ich ſentire, daß ſowohl der Lar¬
venherr und Floͤtenſpieler als auch ich und der
Briefſchreiber dieſelben Perſonen ſind.“ — Mein
[8] Verſtand ſteht ſtill, ſagte Walt. „Kurz, ich
wars,“ beſchloß Vult. Aber der Notar wollte
ſeiner eigenen Beſtuͤrzung nicht recht glauben:
„etwas Wunderbares, ſagte er, ſteckt gewiß noch
„hinter der Zauberei; und warum haͤtteſt du
„mich uͤberhaupt ſo ſonderbar hintergangen?“


Aber Vult zeigte, daß er ihm einige Luſt zu¬
wenden, ja einige Unluſt erſparen wollen. Er
fragte ſchelmiſch-blickend, ob er nicht zur rechten
Zeit ſeine Maske ins Zimmer geworfen, ehe Ja¬
cobine die ihrige fallen laſſen? Endlich ſagte er
gerade heraus, die Klauſel des Teſtaments, wel¬
che fuͤr Fleiſches-Suͤnden um halbe Erbſchaften
beſtrafe, ſei allgemein bekannt und Walt ſei leider
ſtets ſehr unſchuldig, auf nichts aber werde in
einer Akzion oͤfter und beſſer geſchoſſen als auf
Schimmel wegen der Farbe der Unſchuld — die
ſieben Erben decken, wie kluge Feldherrn, ihr La¬
ger mit Moraſt — kurz, beſchloß er, wie Tau¬
benhaͤndler wahrhaft betruͤgen und zwei Taͤubin¬
nen oft fuͤr ein ordentliches Paar Ehetauben aus¬
geben: haͤtte man es mit dir und der Aktrize
nicht eben ſo machen koͤnnen, waͤr' ich dir nicht
nachgereiſet? — Da wurde der Notar blutroth
[9] vor Schaam und Zorn, ſagte: o garſtig uͤber die
Maſſen, ſetzte unter dem Umherfahren nach dem
Hute hinzu: „in dieſem Lichte ſteht ein armes
Maͤdchen bei dir? Und dein eigner Bruder dazu?”
lief fort — ſagte wild weinend: „gute Nacht;
aber bei Gott, ich weiß nicht, was ich dazu ſa¬
gen ſoll“ — und ließ keiner Antwort Zeit. Vult
aͤrgerte ſich faſt uͤber den unvermutheten Zorn.


„Ich, ich? — wiederholte Walt auf der
Gaſſe innigſt-verletzt — ich haͤtte mich verſuͤn¬
digen ſollen an einem Tage, wo mir Gott den
ruͤhrendſten Reiſe-Abend beſcherte und die from¬
me Wina mir ſo nahe lebte? — Das wolle Gott
nicht!“ —


Als er aber in ſein Stuͤbchen trat: uͤberflog
ihn eine ganz beſondere Seligkeit und zehrte den
Schmerz auf: — eine neue Empfindung wird an
einem alten Orte lebendiger; — es war Wina's
guter Blick unter dem Waſſerfalle, der jetzt ein
ganzes Leben wie ein Morgenlicht golden uͤber¬
ſtrahlte und alle Thaublumen darin blitzen ließ.
Vieles um ihn war ihm nunmehr zu eigen ge¬
worden ſo wie neu; der Park unten, in deſſen
[10] Gaͤngen er ſie einmal geſehen, und Raphaela im
Hauſe, die ihre Freundinn war, gehoͤrten unter
die Habſeligkeiten ſeiner Bruſt. Selber ſeinen
eignen Roman Hoppelpoppel kannte er kaum
mehr, auf ſo neue Gemaͤlde des liebenden Her¬
zens ſtieß er jetzt darin, von denen er erſt dieſen
Abend recht faßte, was er neulich etwa damit haben
wollen; nie fand er Autor einen gleichtoͤniger ge¬
ſtimmten Leſer als er heute. Er bauete ſich ſo¬
gleich ein zartes Bilderkabinet fuͤr die Gemaͤlde
von den Auftritten, die Wina vermuthlich dieſen
Abend haben koͤnnte; z. B. im Schauſpielhauſe,
oder in den Leipziger Gaͤrten, oder in einer ge¬
waͤhlten Geſellſchaft mit Muſik. Darauf ſetzte er
ſich hin und beſchrieb es ſich mit Feuerfarben, wie
ihr etwa heute ſei in Glucks Iphigenie auf Tau¬
ris; dann machte er ſelige Gedichte auf ſie; dann
hielt er die Papiere voll Eden ins Talglicht, und
verkohlte alles, weil er, ſagt' er, nicht einſehe,
mit welchem Rechte er ohne ihr Wiſſen ſo vieles
von ihr offenbare ihr oder andern.


Als er zu Bette ging, verſtattete er ſich,
Wina's Traͤume ſich zu ertraͤumen. „Wer kann
[11] mir verbieten, ſagt' er, ihre Traͤume zu beſuchen,
ja ihr ſehr viele zu leihen? Iſt der Schlaf ver¬
nuͤnftiger als ich? O ſie koͤnnte im wilden Wahn¬
ſinn deſſelben ja recht gut traͤumen, daß wir beide
unter dem Waſſerfalle ſtaͤnden, verbunden auffloͤ¬
gen in ihn, umarmend hinſchwaͤmmen auf ſeinem
fluͤßigen Feuergolde und zum Sterben herabſtuͤrz¬
ten mit ihm und vergoͤttert ſtill nun weiter floͤſ¬
ſen durch die Blumen, in den Strahlen, ſie mit
ihrer Welle in meine ſchimmernd, und wir ſo uns
in einander verroͤnnen in das weite hohe blaue rei¬
ne Meer, das ſich uͤber die ſchmutzige Erde deckt?
Ach, wenn du ſo traͤumen wollteſt, Wina!“ —
Dann ſah er auf dem Kopfkiſſen recht hell und
ſcharf — weil Nachts in der wilden Zeit des Vor¬
traums vor der Seele alle blaſſe Bilder junge Le¬
bensfarben annehmen und die Geſtalten blitzende
Augen oͤffnen — das liebe, milde Auge Wina's
vor ſich aufgethan und wie einen Mond, den der
Tag zum Woͤlkchen verduͤnnte, am Nachthimmel
herrſchend ſtralen; und er ſank in das liebe Auge,
wie ein Frommer in das Auge, unter welchem
man Gott abbildet. Wie leicht und duͤnn iſt ein
[12] Blick und ein erinnerter! Kaum das Alpenroͤs¬
chen iſt er, das der Menſch von der hoͤchſten Stelle
ſeines Lebens herunter bringt. Aber doch haͤlt
der Menſch unter der Maſſe von Maſſen und
Weltkugeln ſich gern an die kleine, die ein Augen¬
lied bedeckt, an einen verhauchten, kaum entſtan¬
denen Blick — und auf dem himmliſchen Nichts
ruht ſein Paradies mit allen Baͤumen feſt! So
ſind Geiſter; denn da die Unſichtbarkeit ihre Welt
iſt, ſo iſt ein Nichts leicht ihre Sichtbarkeit!


Am Morgen lag Sonnenſchein und Seligkeit
um ihn her. Alle Bluͤten zu Zankaͤpfeln waren
abgefallen. Die Morgenſtunde hat Gold, aber
das reinſte, im Mund; die Sonne ſcheidet das
in Schlacken vererzte Gemuͤth; das finſtere Ueber¬
maß, beſonders des Haſſes, hoͤrt auf. Walt ſah
ſich um im Morgenlicht, fand ſich wie von einem
Arm aus den Wolken durch alle uͤbereinander ſte¬
henden Wolken des Lebens durchgehoben ins Blau
— Wer liebt, vergiebt, wenigſtens den Reſt dem
Reſt; er fragte ſich, wie er denn geſtern, gerade
am Heimkehr-Feſte, ſo gegen den armen Bruder
aufbrauſen koͤnnen.


[13]

„Ja wohl den armen Bruder, fuhr er fort;
„denn er hat gewiß keine Geliebte, deren Liebes¬
„blick ihm wie ein Lebensbrennpunkt im Herzen
„bleibt.“ Nun ging er ganz ins Einzelne und
ſtellte ſich — nach ſeinem Inſtinkte, der ihn ſtets
in die fremde Seele trieb und in ihr uͤber ſie hin¬
zuſchauen zwang — an Vults Stelle, wie dieſer
nichts habe, nichts wiſſe (vom Waſſerfalle naͤm¬
lich) wie er alles oder vieles ſo ſehr gut meine,
beſonders fuͤr Walt, wie er nur herrſchſuͤchtig hart
verfahre u. ſ. w.


In dieſer Geſinnung beſchloß er, zum Bru¬
der zu gehen und kein Wort zu ſagen uͤber die
Eſſig-Sache, ſondern blos mit ſeiner Hand eine
ſchon in Mutterleib verknuͤpft geweſene anzufaſſen
und einiges gelaſſen zu beſprechen, beſonders was
bevorſtehende Wahl eines neuen Erbamts betreffe.


Vult war verreiſet. Ein Briefchen an Walt
war an die Thuͤr geſiegelt: „Beſter! Ich reiſete
heute fluͤchtig ab, um in Roſenhof mein verſpro¬
chenes Konzert zu blaſen. Kuͤnftig arbeit' ich viel
fleißiger; denn wirklich thu' ich fuͤr unſern Ge¬
ſammt-Roman zu wenig, beſonders da ich gar
[14] nichts dafuͤr thue. Es entgeht uns nicht, daß
ich lieber ſpreche — im reiſſendſten Strome mich
ſchwemmend — als ſchreibe. Gut aber iſts nicht,
weder fuͤr die Litteratur noch das Honorar.In Schu¬
len gilt ſonſt Rechen- und Schreib-Meiſter
fuͤr Einen; ein trefflicher Buch-Schreibmeiſter
hingegen iſt ſelten ein Rechenmeiſter; leider bin ich
nicht einmal einer von beiden und brauche doch
Geld. Adieu! v. H.


„Der gehetzte Bruder! ſagte Walt, ſo muß
er ſich jetzt das Geſchenk erpfeifen, das er mir ſo
ſpaßhaft in die Haͤnde geſpielt; warum fall' ich
immer ſo heftig aus und druͤcke den Guten?“
Er faßte den ernſtlichen Vorſatz, kuͤnftig ſeinem
Sturm- und Poltergeiſte ganz anders den Zuͤgel
anzuziehen. —


Aber Roſenhof warf bald heiteres Licht auf
alles und heiligte faſt den Floͤtenſpieler, den er
in den nachſchimmernden Auen des ſchoͤnſten Mor¬
gens mit Glanz beſpruͤtzt umher waten ſah.


Wackerer als je betrat er nun ſeine Notariats-
Gaͤnge wieder, die ſich gegen das Ende ſeines
Erbamts immer haͤufiger aufthaten. Es war
[15] ihm ganz einerlei — ſo freudig ging ſein Puls —
woruͤber er ein Inſtrument aufſetzte, ob uͤber die
Verlaſſenſchaft eines Hofpredigers, oder uͤber eine
angebohrte Oel-Tonne, oder uͤber eine Wette:
immer dacht' er an das Haus des Generals, oder
an den Waſſerfall, oder an Leipzig und es konnte
ihm gleichguͤltig ſeyn, (denn er gab nicht darauf
Acht,) was er niederſchrieb als offner kaiſerlicher
Notar.


So glaͤnzend-umſponnen vom Nachſommer
des Herzens kam er aus dem September und dem
Notariat endlich in den Oktober hinuͤber, wo er
vor den Kabelſchen Teſtaments-Exekutoren die
Rechnung uͤber das bisherige Erbamt abzulegen
hatte, vor welcher ihm nicht im geringſten bange
war; denn Wina's Blick hatte in ihm einen ſo
feurigen Herzſchlag entzuͤndet, daß er mit einem
ſolchen Fruͤhlings-Pulſe vermochte, in jeder aͤuſ¬
ſern Kaͤlte des Schickſals warm zu bleiben.


Sein Vater Lukas hatte ihn neuerlich in
mehreren Kopien von Brief-Originalen (die der
Schulze behielt, weil im Briefſchreiben das Ori¬
ginal das ſchlechtere iſt) ſeine Angſt vor dem No¬
[16] tariats-Hintergrund und die Betheurung ſeiner
„Herbeikunft“ wiſſen laſſen. Walten wurde die
Wiederholung deſſelben duͤrren Gedankens, die ſo
manchen friſchen erdruͤckte, ſehr zur Laſt und er
wuͤnſchte nichts weiter als die alte Freiheit, an
hundert Dinge zu denken: „warum iſt denn ein
„Irrweg ſo verdrießlich, ſagt' er, als blos weil
„man ſo lange, bis man den rechten wieder
„erwiſcht, immer die abgeſchabte platte Idee des
„Wegs beſehen und behalten muß?“ Die ge¬
meinen Qualen des Lebens belaſten weniger unter
ihrer Geburt als waͤhrend ihrer Schwangerſchaft
und der eigentliche Leidenstag geht 24 Stunden
oder Zeiten fruͤher an als der aͤußere. Der erſte
Schritt, den Walt am anberaumten Morgen ins
Rathhaus that, machte ihn zu einem andern
Menſchen, naͤmlich zum alten — die Sache war
fuͤr ihn vorbei, denn ſie war ſo nahe. — Zu bald
kam er im Vorzimmer an, harrte aber vergnuͤgt
und machte einen Polymeter, worin er einige
gute Gruppen beſang, die in halberhobener Arbeit
am Rathsofen mit aller der Waͤrme dargeſtellt
waren, welche die Jahreszeit an einem kalten
Ofen[17] Ofen erlaubt. Tanz-Horen, Fuͤllhoͤrner voll Heu,
Fruchtſchnuͤre oder Stricke, Buͤſchel von dicken
feſten Blumen oder Obſt, und ſechs Fruͤhlinge aus
Thon (denn es war ein Zirkulier-Ofen) waren aller¬
dings im Stande, einen Dichter wie er zu heitzen.
— Als noch immer die Rathsſtube zu blieb, ſo ge¬
rieth er auf Neben- Ideen, ob naͤmlich nicht ein
ganzer Roman aus Ofen-Paſten darzuſtellen und
zu entwickeln waͤre, beſonders ein komiſcher. So
vermag nur ein Mann vor einer wichtigen Wende¬
punktsſtunde z. B. vor einer Kroͤnung, Schlacht,
Selbſtermordung, nicht aber ſeine Frau vor einer
aͤhnlichen, z. B. vor einem Balle, — zu dichten,
zu ſchlafen, zu leſen.


Da endlich der Schirmherr der Kabelſchen ent¬
erbten Erben, der Pfalzgraf Knoll, eintrat, ſo
fing alles an und wurde gehoͤrig vor den Buͤrger¬
meiſter Kuhnold geſtellt.


In ſeinem Leben war ihm nie ſo federleicht in
einer Rathsſtube geweſen; auf dem Staubfaden
einer Lilie haͤtt' er ſich ſchaukeln koͤnnen. Er fiel
aber bald von ſeiner Lilie ins Beet herunter, als der
Flegeljahre IV. B. 2[18] Schirmherr anfing vorzutragen und zu belegen,
„daß der offne geſchworne Notar bisher ſehr abſurd
gewirthſchaftet“ — daß er nicht nur erſtlich und zwei¬
tens zweimal in Inſtrumenten abbreviret — drit¬
tens ein naͤchtliches (das Thurm-Teſtament) mit
zweierlei Dinte und viertens bei einerlei Licht ge¬
ſchrieben — fuͤnftens einmal radiert — ſechstens ein¬
mal gar nicht angegeben, daß er ausdruͤcklich zur
Aufrichtung des Inſtruments vorgefordert worden,
— desgleichen ſiebentens in dem naͤmlichen auch die
Stunde nicht — achtens den naͤgelein-braunen Bind¬
faden, womit die Klagſchrift N. N. contra N. N.
umwickelt geweſen, als einen gelben zu Protokoll
gebracht — neuntens Hauszeugen, als ſie eidlich
ausſagten fuͤr ihren Herrn, ihrer Pflicht vorher
durch Handgeben ſowohl zu entlaſſen, als dieſen Akt
des Entlaſſens anzuzeigen ganz vergeſſen — ſondern
daß er auch zehntens einen falſchen Datum im Wech¬
ſelproteſt, ja eilftens neuerlich und ganz zuletzt ein
Inſtrument gar an einem 31 September, der nicht
exiſtire, auszufertigen wenig Anſtand genommen.
— Nun wurd' er gerichtlich befragt, was er da¬
wider einzuwenden habe. „Ich wuͤßte eigentlich
[19] „nichts — verſetzt' er gegneriſchen Seits; — auch
„trau ich fremdem Gedaͤchtniß hier weit mehr als
„eignem. Doch was die Hauszeugen anlangt, ſo
„hielt ich es fuͤr eigenmaͤchtig und unmoͤglich, ſie
„durch mein bloßes Wort ihren Pflichten zu ent¬
„nehmen, und wieder zuruͤck zu geben.“ Darauf
ſagte H. Kuhnold, dieſer Grund ſei mehr edel ge¬
dacht als juriſtiſch und berief ſich auf H. Fiskal
Knoll. Nichts ſei laͤcherlicher, verſetzte dieſer und
ſchob nun zehn bis zwanzig breite hohle Worte an
einander, um bei den Teſtaments-Exekutoren um
daß nachzuſuchen, was ſich von ſelber verſtand —
die Eroͤffnung des hier eintretenden geheimen Ar¬
tikels.


Eh' es Kuhnold that, erwies er dem Pfalzgra¬
fen, daß gar nicht alle Rechtsgelehrten allgemein
zu Nacht-Kontrakten drei Lichter begehrten, ſon¬
dern nur mancher; und langte — als Knoll auf ſei¬
nem Satze beharrte — blos das promtuarium juris
von Hommel oder Muͤller als den naͤchſten Beweis
aus dem Schranke vor. Die Rathsbibliothek war
nicht hoͤher als die vier Baͤnde des promtuarium
[20] ſtark; dennoch fehlte ihr, wie den meiſten oͤffentlichen
Bibliotheken, ein Katalog.


Knoll behielt ſich das Seinige vor; Kuhnold
gab aber nicht nach, ſondern verlas den Straftarif;
„daß nehmlich fuͤr jeden juriſtiſchen Notariats¬
„Schnitzer des jungen Harniſch jedem der 7 Erben
„ein Tannenbaum in Kabels Waͤldchen zu faͤllen
„verſtattet ſein ſollte.“ Da er nun in 10 Suͤnden
gerathen war — ohne die ſtreitigen Lichter — ſo be¬
lief ſich der Decem, mit den 7 letzten Plagen mul¬
tiplizirt, auf den anſehnlichen Schlag von 70
Staͤmmen, ſo daß Walt nie halb ſo gut dadurch
gelichtet werden konnte, als das Waͤldchen ſelber. —
„Nu, ſagte der Notar, ſchnell beide Haͤnde ſeit¬
waͤrts auswerfend, was iſt zu machen?“ — Er
wußte ſich innerlich uͤber die Zufaͤlle des Lebens ſo
erheiternd zuzureden, wie ein Schuſter den Kunden
uͤber neue Stiefel, die er bringt; ſind ſie zu enge,
ſo ſagt der Meiſter, ſie treten ſich ſchon aus; ſind
ſie zu weit, ſo ſagt er, die Naͤſſe zieht ſie ſchon ein.
So dachte Walt heimlich: „das witzigt mich.
Jetzt kann ich doch als Notar ruhig alle meine
Inſtrumente machen, ohne daß mir geheime Arti¬
[21] kel das Geringſte zu befehlen oder zu nehmen haben.“
Aber am Ende machte ihm doch der Fiskal Knoll
den leichten poetiſchen Goͤtter-Ichor des Herzens
ſchwer, dick und ſalzig, als dieſer, ohne im Ge¬
ringſten durch die Freude uͤber den Gewinn von
Schlagholz irre oder trunken zu werden, ſeine Pro¬
teſtation im Punkte der 3 Lichter erneuert zuruͤckließ.
Die ſtehende Gegenwart eines deutlich haſſenden
Weſens druͤckt und preßt eine immer liebende Seele,
die ihre Kaͤlte ſchon fuͤr Haß anſieht, mit dem ſchwuͤ¬
len Dunſtkreis eines Gewitters, deſſen Schlag we¬
niger quaͤlt als deſſen Naͤhe. Betruͤbt, ſelber von
Kuhnolds ſanftem Worte, das ihm ſo vermeidliche
Fehler eben als die unverzeihlichern vorwarf, ging
er nach Hauſe; und er ſah Vults Fluchen und
Scherzen daruͤber ſchon entgegen.


Das erſte, was er zu Hauſe machte, war ein
Sprung aus demſelben auf die ſchoͤnen ſtillen Hoͤhen
der Oktober-Natur, um ſeinem Vater, dem
Schultheiß, und deſſen Scherbengerichte zu ent¬
ſpringen, der, wie er gewiß wußte, in die Stadt
laufen wuͤrde, um jede Scherbe des zerbrochenen
Gluͤcktopfes ihm an den Kopf zu werfen. Auf ei¬
[22] ner friedlichen Anhoͤhe — dem Waͤldchen gegen¬
uͤber — konnt' er, waͤhrend er das mediziniſche
Miſerere des Schickſals durch Dichten und Em¬
pfinden in ein muſikaliſches verwandelte, recht gut
wahrnehmen, daß ſchon mehrere Erben mit ver¬
ſtaͤndigen Holzhauern im Erb-Forſte luſtwandel¬
ten, um eintraͤchtig mit Waldhaͤmmern ihr Gna¬
denholz einzuplaͤtzen. Endlich ritt im Schritt
Flitte an der Spitze einer holzerſparenden Geſell¬
ſchaft mit Aexten, Saͤgen, Maßſtaͤben in den
Haͤnden, den Wald hinan. Gleich einem Wittwer,
der ſeine Halbtrauer taͤglich in kleinere Bruͤche zer¬
faͤllt, in Drittelstrauer, in ein ¼, ⅛, \frac{1}{64} Theil —
wiewohl die Trauer oder der Zaͤhler nie null wer¬
den kann, nach mathematiſchen Geſetzen — ver¬
kehrte Walt bei dieſem Anblick ſeine ſchwache Halb¬
trauer, arithmetiſch zu ſprechen, in einen unend¬
lich großen Nenner und in einen unendlich kleinen
Zaͤhler, d. h. er wurde das, was man gemeinhin
froh nennt. „Es iſt ſchon recht, dacht' er, daß
ich dem guten Flitte fuͤr ſeine gutmuͤthige Erbein¬
ſetzung meiner Perſon, doch einen ſchwachen Dank
durch meine Fehler zuſchanze; er habe recht viele
[23] Freude dabei, nur keine Schadenfreude.“ Aber die
Luſtigkeit uͤber die Holz-Einbuſſe wurde Walten
etwas verkuͤmmert, als er den alten Schulzen
aus der Stadt ſchreiten und ins Holz dringen ſah,
Maͤrtirerkrone und Zepter tragend. Auf die ange¬
plaͤtzten Staͤmme lief Lukas zu — fragte, ſagte
dieß oder das und keifte — durchſchnitt den Gehau
nach allen Ecken — ſtritt ohne Vollmacht wider
alles — flog als ein fluͤchtiges Waldgericht und
Forſtkollegium hin und her, an jeden Buſch, neben
jede Saͤge — machte die Wuͤſte, ſeines Geſichts im¬
mer duͤrrer und arabiſcher, je mehrere Erben an¬
kamen, die groͤßten Baumſchaͤnder, die er ſich den¬
ken konnte — ſah ſeufzend zu jedem Gipfel auf, der
ſtuͤrzen wollte — und trieb nichts durch als forſt¬
gerecht den Weg, auf welchem der fallende Baum
das Buſchholz ſchonen mußte.


Walt ſchaute erbaͤrmlich heruͤber; ſo leicht er
ſonſt ſein ſchwarzes Schickſal wie ſein weiſſes nur zu
dichteriſcher Farbengebung verrieb, gleichſam zu
Kohle und zu Kreide: ſo konnt' er ſich doch den Holz¬
ſchlag des Schlagholzes zu keinem dichteriſchen
Baumſchlag ausmalen, weil ihn der Vater pei¬
[24] nigte. Er wartete aber feſt deſſen Weggang ab;
dann fragte er nach der gluͤhendſten Abendroͤthe vor
ſeinen Augen nichts, ſondern er ließ in ſich abſtim¬
men, welches Erbamt, das ſeinen Vater freudig
laſſe, er jetzt zu waͤhlen habe.


Nun fehlte es ihm aus Mangel des Floͤtenſpie¬
lers, an einer Stimmenſammlung und an irgend
einer, auch nur kleinſten Minoritaͤt, weil die Ma¬
joritaͤt ſelber (er) nur 1 Mann ſtark war, welches,
wenn nicht die kleinſte — denn oft iſt gar kein Mann
beim Stimmen — doch keine betraͤchtliche iſt.


Endlich waͤhlte er das kuͤrzeſte Amt, naͤmlich
das ſiebentaͤgige Leben bei einem Erben. Die Stelle
daruͤber heißet im Corpus juris des Teſtaments
claus. 6. Litt. g. ſo: „er (Walt) ſoll bei jedem
„der H. Akzeſſit-Erben eine Woche lange wohnen
„(der Erbe muͤßt' es ſich dann verbitten) und alle
„Wuͤnſche des zeitigen Miethsherrn, die ſich mit
„der Ehre vertragen, gut erfuͤllen.“ Ein ſo kurzes
Amt, hoffte er, ohne große Fehltritte und Fehl¬
ſpruͤnge und mit einiger Ehre und in Kurzem, noch
eh' der Bruder erſchiene, zu beendigen. Nach der
Wahl des Amts mußt' er wieder die neue desjenigen
[25] Erben anſtellen, welchem die erſte Ehre davon zu¬
zuwenden ſei. Er erlas ſich zum woͤchentlichen
Wohnen den, bei welchem er bisher gewohnt, H.
Neupeter. „Auch begehrts die Zarte” ſagt' er.

Nro. 52. Ausgeſtopfter Fliegenſchnaͤpper.

Vornehmes Leben.


Nachdem er am Morgen die feinſte Anrede an
den Hofagenten ganz in den Kopf gebracht hatte,
woraus ſie ohnehin noch nicht gekommen war: trat
er vor Neupeter, der ihn in der Schreibſtube neben
einem brennenden Lichte, mit dem Petſchaft am
naſſen Maul und mit der Nachricht empfing, es
ſei Poſttag. Waͤhrend der Kaufmann fortſiegelte,
hielt er hinter deſſen Ruͤcken leicht ſeine Rede voll
Zaͤrte, bis dieſer, da er ausgeſiegelt hatte, das
Licht ausputzte und fragte: was giebts? Zerfahren
war dem Notar der ganze Sermon.


Kein Menſch kann dieſelbe Rede zweimal nach
einander halten; in der Eile mußte er nur darauf
denken, aus dem Geſagten einen duͤnnen Bleiextrakt
zu liefern. Der Hofagent erſuchte ihn aber, „mit
[26] ſolchen Schnurpfeifereien den Leuten vom Halſe zu
bleiben.“


Alle moͤgliche Suͤnden im neuen Amte haͤtt' er
lieber getragen, als dieſes harte Thuͤrzuſchlagen
vor demſelben. — Jemanden nun ferner Ordens¬
ketten durch geſchenktes Vorkaufsrecht der Wohn¬
probewoche uͤberhaͤngen zu wollen, fiel ihm nicht
mehr ein: ſondern wo ein armer, aber guter Teu¬
fel, mit welchem ſich mehr Thraͤnen- als Him¬
melsbrod, z. B. ein elendes Wohnloch, theilen
lieſſe, anzutreffen und zu begluͤcken waͤre, darnach
ging ſein Sehnen, nicht ſein Fragen; denn beſagter
Teufel war laͤngſt da, Flitte aus Elſaß. Walt
ging auf den Nikolai-Thurm und trug, aber furcht¬
ſam, Flitten den Vorzug an, daß er bei ihm die
erſte Probewoche halten wolle. Der Elſaßer um¬
halſte ihn erfreuet; und verſicherte, er ziehe dieſen
Tag noch vom Thurm herab, weil er ganz herge¬
ſtellt ſei und der friſchen Thurmluft weniger beduͤrfe.
„Ich miethe fuͤr uns ein Paar koſtbare garnierte
Zimmer beim Caffetier Fraisse; pardieu wir
wollen leben comme il faut,“ ſagt' er. Walt
wurde zu ſelig. In einer halben Stunde hatte
[27] Flitte ein- und darauf ausgepackt; denn mit ſei¬
nem Geraͤthe hatt' er, wie eine Raupe und Spinne
mit ihrem Fadengeſpinnſte, gewoͤhnlich den Gang
durch ſeine Wechſelwohnungen bedeckt und bezeich¬
net; gleichſam mit ſchoͤnen Haarlocken, die zum
Andenken ausgerauft werden; und hatte ſich, wie
gedacht, wie Weltkoͤrper durch Umlauf kleiner ein¬
geſchliffen. Er wagte es jetzt, aus ſeinem Thurm,
— ſeiner bisherigen Baſtie und Graͤnzfeſtung gegen
Glaͤubiger — herabzuruͤcken in ein unbefeſtigtes
Caffeehaus, weil er theils ſein eignes Teſtament
beerbet hatte, naͤmlich den Kredit davon, theils
das Kabelſche, in deſſen Guͤtergemeinſchaft ihn
Walts neueſte Fehler vor der Stadt einzuſetzen
ſchienen, theils die 10 Tannenſtaͤmme, Walts
Klage-Eichen. „Der ausgeſtopfte Blaumuͤller“
Nro. 51. erwaͤhnte ſchon weitlaͤufiger, mit welchem
Gepraͤnge er die durch Walt geſaͤete Fehler-Ernte
von Steinobſt und Kernhaͤuſern aufgeknackt und
ausgekernet hatte, um ſich der Stadt zu zeigen.


Walt ſchied am ſchoͤnſten Nachſommer-Mor¬
gen halb wehmuͤthig aus ſeiner leiſen Klauſe; ihm
war, als brauche ſie ihn und habe denn ſo leer und
[28] allein Langweile, beſonders ſein Seſſel. Aber wie
fuhr er, da er beim Caffetier Fraisse eintrat, vor
der Garnitur der Zimmer, vor den langen Spiegeln
voll Zuruͤckfahrern, vor den Ei-Spiegeln an den
Wandleuchtern und vor der Reſt-Pracht zuruͤck!
— Er erſchrack. Flitte laͤchelte — Fremden wollte
Walt ein Erſparer ſein; — daß der gute Elſaßer
ſolche Pallaſte von Stuben miethe, bedacht' er und
ſtoͤhnte ſehr. Denn er hielts fuͤr Aufwand ſeinet¬
wegen, weil er nicht vorausſetzte, daß Flitte unter
die wenigen ſogenannten Verſchwender gehoͤre, die
wie der deutſche Kaiſer ſchwoͤren, nichts auf die
Nachkommen zu bringen, Reich oder Reichthum,
und welche wie hohe Staatsbediente Athens zum
Zeichen ihrer Vaterlandsliebe nichts hinterlaſſen,
als Nachruhm und Schulden.


Walt zog ohne weiteres das aus der Kabel¬
ſchen Operazionskaſſe fuͤr die Probenwoche bewil¬
ligte Goldſtuͤck hervor, und legt' es mit den Wor¬
ten auf den Tiſch: „dieß beſtimmte der Teſtator;
ich wollte gern, es waͤre mehr.“ — Wenige Men¬
ſchen wurden noch ſo ſtark angefahren, als er von
[29] Flitten, der ihn fragte, ob er denn beim Henker
nicht ſein Gaſt ſei?


Aber nun hatt' er noch einen feinern Punkt,
naͤmlich den teſtatoriſchen Zweck ſeines Wohnens
zu beſprechen. Er nahm folgende Wendung:
„es wird ordentlich ſchwer, in dieſen koſtbaren
„heitern Zimmern und bei Ihnen an etwas ſo
„Juriſtiſches wie das Teſtament und deſſen Haupt-
„Klauſel zu denken; da ich aber meine Freude nicht
„meiner Obliegenheit gegen meine Eltern opfern
„darf: ſo — darf ich eben ſchwerlich, ſondern ich
„muß Sie um den Vorſchlag deſſen bitten, wor¬
„in ich etwa Fehler begehen koͤnnte. Wahrlich,
„es wird mir ſchwerer, zu fragen als zu han¬
„deln.“ —


Der Elſaßer faßte ihn nicht ſogleich mit ſei¬
nen Feinheiten: „Pah, ſagt' er, was iſt zu ſa¬
„kriſiziren? Wir parliren und tanzen zuſam¬
„men; das geht den alten Kabel nichts an.“ —
— „Parliren und tanzen? (verſetzte der vom No¬
tariat zuſammengeſcheuchte Walt) Und zw [...] bei¬
des zuſammen? — Ich kann hier nichts ſagen,
als daß ſchon eines von beiden einen unabſehbaren
[30] Spielraum zu Fehlern aufthaͤte, geſchweige —
Wahrlich, an und fuͤr ſich oder fuͤr mich, lieber
Herr Flitte — aber . . .“ — — „Sacre —! wovon
„reden wir denn eigentlich? — Wird denn ein
„Menſch auf der Erde praͤtendiren, daß man
„zum langnaſigen Buͤrgermeiſter laͤuft und ihm
„es vorſingt, wie man luſtig geweſen iſt?“ —
Walt faßte ſchnell die Hand und ſagte: ich ver¬
traue; und Flitte umarmte ihn.


Sie fruͤhſtuͤckten unter freudigen Geſpraͤchen.
Die langen Fenſter und Spiegel fuͤllten das ge¬
glaͤttete Zimmer mit Glanz; ein kuͤhler blauer
Himmel lachte hinein. Der Notar verſpuͤrte ſich
in vornehmer Behaglichkeit; das Gluͤcksrad drehte
ihn, nicht er das Rad, und er brauchte es nicht
wie ein Wagenrad erſt roth zu malen. Flitte las
ihm zwei fuͤr den Reichs-Anzeiger in wenigen Ta¬
gen ausgearbeitete Inſerate vor; — im erſten fo¬
derte er einen Generalkriegszahlmeiſter H. v. N. N.
in B. auf, ihm die Summa von 960 Albustha¬
lern fuͤr Wein innerhalb 6 Monaten zu bezahlen,
wenn er nicht gewaͤrtig ſein wolle, daß er ihn oͤf¬
fentlich an den Pranger in dem R. Anzeiger ſtellte.
[31] Dem Notar entdeckte er gern den Namen des
Mannes und der Stadt; indeſſen war an der
Sache nichts. Das zweite Inſerat enthielt mehr
ungefaͤrbte Wahrheit, naͤmlich die Nachricht, daß
er einen Compagnon mit 20,000 Thlr. zu einem
Weinhandel ſuche und wuͤnſche.


Walts Geſicht glaͤnzte von Freude, daß der
gutmuͤthige Menſch ſo viele Mittel habe, und er¬
hob deſſen vergoldete Wetterſtangen des Lebens
recht ſtark.


Flitte aber verſetzte: „Sagen Sie mir auf¬
richtig, ob keine Stil-Fehler darin ſind? Ich
warf die Dinge in der Zeit einer kleinen Stunde
hin.“ Walt erklaͤrte, je kleiner eine Anzeige ſei,
deſto ſchwerer werde ſie; er wolle leichter einen Bo¬
gen fuͤr den Druck ausarbeiten, als deſſen \frac{1}{24} Bo¬
gen. „Schadet wohl uͤberhaupt lukubriren viel?
An der Makrobiotik ſahen mich oft die Nachbarn
bis 3 Uhr aufſitzen,“ ſagte Flitte, nicht ganz un¬
wahr, da er bisher durch ſeine Nachtmuͤtze auf
einem Haubenſtock und durch ein Licht daneben ei¬
nen makrobiotiſchen Leſer auf die leichteſte und ge¬
ſuͤndeſte Weiſe vorgeſtellt hatte. Darauf ſchnuͤrte
[32] er vor dem Notar, deſſen herzliches aufrichtiges
Bewundern und einfaͤltiges Vertrauen ihn mit
ſuͤſſer Waͤrme durchzog, ein Buͤndel ſeiner Liebes¬
briefe an ſich auf, worin er, ſein Herz und ſein
Stil ſehr geſchaͤtzet wurde. Der Elſaßer hatte das
Paquet von einem jungen Pariſer, an den es ge¬
ſchrieben war, zum ſichern Verſchluſſe bekommen.


Walt wußte ſich ſo wenig zu laſſen vor Bei¬
fallklatſchen uͤber den Stil der ſchoͤnen Schreiberin,
daß der Elſaßer am Ende beinahe ſelber glaubte,
die Sache ſei an ihn geſchrieben; aber jener thats
ſehr deshalb, um nicht uͤber die Liebe ſelber viel
zu reden. Da er als ein unerfahrner verſchaͤmter
Juͤngling noch glaubte, die Empfindungen der
Liebe muͤßten hinter dem Kloſtergitter, hoͤchſtens
in einem Kloſtergarten leben. So ſagt' er nun
im Allgemeinen: „die Liebe dringt wie Opferrauch,
ſo zart auch beide ſind, doch im dicken Regenwet¬
ter durch die ſchwere Luft empor” — wurde aber
ungemein roth. „Surement, ſagte der Elſaßer,
die Liebe ſtrebt jeden Tag immer weiter.”


Flitte ging noch weiter und zeigte ſich ſeinem
Gaſte[33] Gaſte gar gedruckt, er wieß ihm naͤmlich die fein¬
ſten Liebes-Madrigale, die er, wie er ſagte, drucken
laſſen in Centeſimo-Vigeſimo Format und nie
uͤber einen \frac{1}{20} Bogen ſtark; es waren Verſeblaͤtt¬
chen aus Pariſer Zuckerwerk ausgeſchaͤlt, wahre
Suͤßbriefchen, deren Plagiat Flitte ſich dadurch
erleichterte, daß er den ſuͤßen Einband aufaß.
Warum laͤſſet die deutſche Poeſie der franzoͤſiſchen
den Vorzug der ſuͤßeſten Einkleidung; warum
wollen wir naͤmlich, wenn die Franzoſen Zucker
und Gebaͤck um ihre Verſe wickeln, es umkehren
und mit dem unſerigen Zucker und Gewuͤrz einklei¬
den und einpacken — koͤnnte man hier fragen,
wenn es der Ort waͤre, hier zu antworten. —
Walt prieß unmaͤßig; der Elſaßer ſchwamm auf
Freudenoͤl, ertrank beinah in Lobes-Salb-Oel.
Ueber jeden Genuß, den man den Menſchen wohl¬
wollend zubereite, waltet der Zufall der Aufnah¬
me, des Gaumens, des Magens, der ihn verar¬
beitet; hingegen fuͤr den Genuß eines aufrichtigen
Lobes hat ohne Ausnahme jeder Menſch zu jeder
Stunde Ohr und Magen aufgethan; und er ſagt
Flegeljahre IV. Bd. 3[34] auſſer ſich: „Lob iſt Luſt, die das einzige iſt, was
der Menſch unaufhoͤrlich verſchlucken kann und
muß.“ Flitte nicht anders; neuerfriſcht zog er
den Notar auf die Stadtgaſſen hinaus, um ihm
einige Freuden zu machen und ſich Platz. Naͤm¬
lich die alten Glaͤubiger jagten ihm ſo eifrig nach
als er neuen; da er nun die Maxime der Roͤmer
kannte, welche nach Montesquieu ſo weit als
moͤglich vom Hauſe Krieg fuͤhrten: ſo war er
ſelten zu Hauſe. Beide durchſtrichen die Morgen¬
ſtadt; und Walten wurde ſehr wohl. Da Flitte
der Stadt ſich zeigen wollte — naͤmlich den Ka¬
bels-All-Erbenharniſch in der Probewoche — ſo
ſprach er mit vielen ein Wort; und der Notar
ſtand gluͤcklich dabei. Vor jedem Parterre-Fen¬
ſter — par-terre, ſagte Flitte, ſprechen die
Deutſchen ganz falſch aus — klopft' er wie an ei¬
ner Glasthuͤre an und ſagte dem aufmachenden
Maͤdchenkopfe, dem noch die halbe Aurora des
Morgenſchlafs anſchwebte, hundert gute Dinge,
und die Tochter in der Morgenkleidung mußte
am Fenſterrahmen fortnaͤhen. Oft gab er ohne
weiteres Fragen Kuͤſſe von auſſen hinein — was
[35] Walt fuͤr einen Grad von Lebensart hielt, den
nur einige Guͤnſtlinge Frankreichs erreichten.
Rauchte ein anſehnlicher Mann in der Schlafſeide
mit der Pfeife aus dem zweiten Stock herab: ſo
ſprach oder ging Flitte hinauf und Walt thats
mit. Jener kannte jeden lange; denn bei dem Hoch¬
buͤrgerſtande lehrte er die Kinder tanzen und beim
Adel die Hunde; letzterem ging er auch auf heili¬
gern Wegen nach, naͤmlich zur Altar-Partie.
Denn da der Haßlauer Adel, wie bekannt und
ſonſt gewoͤhnlich iſt, in corpore oͤffentlich auf
einmal als eine heilige Tiſchgeſellſchaft und Kom¬
pagniegaſſe das Abendmal genoß: ſo war er hin¬
terdrein und der letzte Mann, wie hinter den Buͤr¬
gerlich'en der Scharfrichter; das einzige mal aus¬
genommen, wo er wie ein Schieferdecker es blos
nahm, weil er einen Thurm beſtiegen. Walt be¬
trat nie mehr Zimmer als an dieſem Morgen.
Sprengte ein Herr vorbei, Flitte wußte ein Wort
uͤber den Gaul nachzuſchicken, etwa dieſes: er
hinke. Stand ein Wagen fahrfertig: Flitte paßte
bis man einſtieg und verhieß nachzukommen aufs
Landgut. Kehrten verſpaͤtete Kaufleute von der
[36] Leipziger Meſſe zuruͤck: Flitte ließ ſie auf die Meß-
Neuigkeiten von Haßlau nie ſo lange warten bis
ſie unter Dach und Fach waren, ſondern er pack¬
te aus, waͤhrend ſie auspackten.


Walt wurde aller Welt vorgeſtellt und redete
mehrmals.


Es waͤre ſchwer zu glauben, daß beide an
Einem Morgen ſo viele Beſuche abgeſtattet haben,
waͤre nicht die Gewißheit da. Sie gingen zu den
Spitzen- oder Kloͤppelherrn H. Oechsle und beſa¬
hen die Sachen und die huͤbſchen Kloͤpperinnen aus
Sachſen und viele Knoͤpfe aus Eger, in welche
Voͤgel halb mit Farben, halb mit eigenen Federn
gefaſſet waren. Walt hatte deſſen ſchoͤne Fußtape¬
ten ganz mit Stiefelſpuren verſchont durch einen
einzigen tapfern Weitſchritt, den er uͤber ſie ſogleich
in die gebohnte Stube that.


Sie gingen ins Gartenhaus des Kirchenrath
Glanz, wo Flitte ſeine Latinitaͤt an dem Kupfer¬
ſtich eines Kanzelredners ſchwach zu zeigen ſuchte,
indem er die darunter geſetzten lateiniſchen Verſe
und Notizen fertig und mit galliſcher Ausſprache
ablas, ausgenommen bis zu den Worten mortuus
[37] est anno MDCCLX
. Denn wer ſolche fremde
Zahlen-Zeichen mehr in eigner als in fremder
Sprache ableſen muß, weil er dieſe nicht verſteht,
faͤllt halb ins Laͤcherliche bei aller ſonſtigen Ge¬
lehrſamkeit. —


Er ging mit Walt zum Poſtmeiſter, blos
um, wie er gewoͤhnlich that, nach Marſeiller Brie¬
fen vergeblich zu fragen. Dem Poſtſekretair las
er eine ſchwere franzoͤſiſche Aufſchrift vor. Walt
pries deſſen Accent und Prononciation aufrich¬
tig. Auf der Straſſe macht' ihm nun Flitte zehn
vergebliche male vor, wie er wenigſtens beide
Worte zu accentuiren und zu prononciren habe.
Walt geſtand, daß ihm mehr Ohr als Zunge fehle,
druͤckte ihm die Hand mit dem Bekenntniß, daß
er die meiſten Franzoſen geleſen, aber noch keinen
gehoͤrt, und daß er deswegen ſo eifrig auf jeden
Laut von Flitte horche; indeß berief er ſich auf den
General Zablocki, ob er nicht vielleicht eine ertraͤg¬
liche Hand von Schomacker davon gebracht. Dar¬
auf zeigte ihm Flitte gegenſeitig Germaniſmen der
Phraſen, die ihm noch anklebten.


Sie gingen zur Stuͤckjunkerin, bei welcher
[38] Walt neulich Saiten aufgezogen hatte. Dieſe
ſprach von dem Tode ihres Mannes und der Ein¬
aͤſcherung eines Pallaſtes, den ſie im belagerten
Toulon gehabt, aus welchem ſie nichts gerettet,
als was ſie zur Erinnerung ewig aufbewahrte, ei¬
nen Nachttopf aus feinſtem Porzellan. Der Zug
entzuͤckte den Notar durch den vornehmen Zynis¬
mus, womit er in Hoppelpoppel Leute von Welt
koloriren konnte. Selten ſieht ein romantiſcher
Anfaͤnger einen alten General oder jungen Hofjun¬
ker im Zwielicht z. B. piſſen, ohne ſich an den
Schreibtiſch wieder zu ſetzen und wieder zu ſchrei¬
ben: „Herren vom Hofe ſtellen ſich gemeinhin
im Zwielicht in Ecken.“ Man ſprach viel franzoͤ¬
ſiſch; und Walt that was er konnte und ſagte haͤu¬
fig: comment? — Flitte zeigt' ihm nachher den
Germanismus in der Frage.


Sie gingen in die weibliche ihm durch Vult
bekannte Penſions-Anſtalt, worin noch mehr Gal¬
liziſmen und noch mehr Schoͤnheiten regierten.
Flitten war nicht nachzufliegen im freien Artigſein;
doch wars ihm genug, nur nachzublicken und zwi¬
ſchen den Beeten voll Seelenlilien eng die eine Fu߬
[39] zaͤhe an die Ferſe der andern anzuſchienen. „Ach
ihr Lieben!” ſagte ſein Herz. Was er nur hoͤrte,
entklang ihm ſo zart; „aber dacht' er, ſind denn
„Frauenzimmer anders? Mitten im unreinen
„maͤnnlichen Weltleben, das alle Stroͤme und
„Leichen aufnimmt, ſind ſie ja abgeſondert voll
„eigner Reinheit; im ſalzigen Weltmeer kleine
„Inſeln voll friſchen klaren Waſſer; o dieſe Gu¬
„ten!” —


Als er heraus trat, wurden ihm auf einem
goldnen Eßgeſchirr des regierenden Fuͤrſten leichte
Farſchen, Rouletten und Frikandellen aufgetiſcht
— fuͤr die Freßſpitzen der Phantaſie. Das Ge¬
ſchirr — das Geſchenk eines alten Koͤnigs — wur¬
de naͤmlich jaͤhrlich zweimal oͤffentlich auf dem
Markte abgeſcheuert und geputzt unter den Augen
eines kleinen Kommandos zu Fuß, das ſeine Waf¬
fen hatte, um es gegen ungerathene Landeskinder
zu decken.


Sie gingen zum Galanteriehaͤndler Prielmayer
und ließen ſich von der Pracht der weiblichen Welt
umgeben.


Ein ſo freier, leichter, alle Staͤnde miſchen¬
[40] der Vormittag war Harniſchen noch nie vorgekom¬
men; ein Muſenpferd nach dem andern wurde ſei¬
nem Siegeswaͤgelchen angeſchirrt und es flog. Flit¬
tens Leben hielt er von jeher fuͤr ein tanzendes Fruͤh¬
ſtuͤck und fuͤr einen thé dansant; ſein eignes hielt
er jetzt fuͤr ein eau dansant. Er genoß eben ſo
ſehr in Flitten — den er ſich wie ſich begeiſtert
dachte — als in ſich ſelber hinein; die elſaßiſchen
Sonnenſtaͤubchen vergoldete und beſeelte er zu poe¬
tiſchem Bluͤtenſtaub. Zuletzt macht' er neben ihm
gehend, heimlich folgende Grabſchrift auf ihn:
Grabſchrift des Zephyrs.


Auf der Erde flog ich und ſpielte durch Blu¬
men und Zweige um zu weilen um das Woͤlkchen
— Auch im Schattenland werd' ich flattern um
die dunkeln Blumen und in den Hainen Elyſiums.
Stehe nicht, Wanderer, ſondern eile und ſpiele
wie ich.


Um 10 Uhr bracht' ihn Flitte dem Hofe naͤ¬
her: „wir gehen in die champs élisées und neh¬
men ein déjeûner dinatoire.“ Es war ein bejahr¬
ter Fuͤrſtengarten, welcher den Weg zur erſten
Chauſſee im Lande gebahnt hatte. Unterwegs fin¬
[41] gen zwar Warnungstafeln gegen Kinder und Hun¬
de an; aber in den champs élisées wurde erſt or¬
dentlich alles verboten, beſonders die elyſiſchen
Felder ſelber, — in keinem Paradies gab es ſo
viele verbotene Baͤume und Frucht- und Blumen-
Sperren — auf allen Gaͤngen bluͤhten oben oder
keimten unten Kerker-Diplome und Aus- und Ein¬
wanderungsverbote — unter Expektanzdekreten der
Zuͤchtigung durchkreutzte jeder als ein luſtwandeln¬
der Zuͤchtling das Eden und feierte Petri Ketten¬
feier im Gehen und ſtrapazirte ſich hinter ſeinem
Ruͤcken — mehr wie eine Wallfarth durch Dante's
Hoͤllenkreiſe (der Himmel blieb nirgends uͤber dem
Kopfe) denn als ein katholiſcher Bußgang durch
Chriſti Leidens-Stazionen kam jedem unter dem
ſchriftlichen Anſchnauzen aller fluchenden Baͤume
und Tempel ſein Luſtwandeln vor — — ja der
Menſch verſtimmte ſich zuletzt in den champs und
kam fatigirt heraus.


War Walt je froh und frei: ſo wars in die¬
ſen Feldern; ſein innerer Menſch trug ein Thyrſus-
Staͤbchen und rannte damit. Von allen dieſen
Warnungstafeln war naͤmlich nichts mehr da als
[42] die Tafel, das Holz, Stein, Blech; die Warnung
aber war gut vermooſet, verraſet, verſandet. Koͤſt¬
liche Freiheit und Freilaſſung beherrſchte nun Eden,
wie ihm Flitte beſchwur und bewieß. Die ganze
Sperrordnung war blos in jenen Zeiten an der
Tagesordnung geweſen, wo große und kleine Fuͤr¬
ſten — ganz anders als jetzt die großen (hoͤflich
zu ſprechen,) etwas grob gegen Unterthanen wa¬
ren, und wo ſie als Ebenbilder der Gottheit —
welche darin eben nicht von dem Maler geſchmei¬
chelt wurde — dem mehr juͤdiſchen als evangeli¬
ſchen Gotte der damaligen Kanzeln aͤhnlich, oͤfter
donnerten als ſegneten. „Was die Herrſchaft jetzt
„etwa im Parke ſehr lieb und gern hat, ſagte
„Flitte, dieß iſt ſchon beſonders recht eingezaͤunt,
„ſo daß ohnehin niemand hinein kann.”


Beide nahmen ihr déjeûner dinatoire, Mor¬
genbrod und Morgenwein, in einen offenen und
luſtigen Kioſk, unweit des Gartenwirths. Der
Notar war erwaͤhnter maſſen ſelig; — den auf-
und abſteigenden Tag- und Nachtgarten ſammt
dem leichten wie herabgeflogenen Luſtſchloſſe, das
ein verſteinerter Fruͤhlings-Morgen ſchien, ferner
[43] die Waͤldchen, woraus bunte Luſthaͤuschen wie
Tulpen heraus wankten, desgleichen die gemalten
Bruͤcken und weiſſen Statuen und die Regelſchnuͤ¬
re vieler Hecken und Gaͤnge — — das konnt' er
dem Elſaßer, dem ers zeigte, gar nicht feurig ge¬
nug entfaͤrben, je laͤnger er trank. Dieſem gefiels
natuͤrlich; denn gewoͤhnlich fuͤhrte er ſeine Claude-
Lorrain's nur mit dem einzigen Wort und Striche
wacker aus: ſuͤperb! — Jeder aber hat ſeine ande¬
re Hauptfarbe der Bewunderung; der eine ſagt:
engliſch — der andere: himmliſch! — der dritte:
goͤttlich! — der vierte: ei der Teufel! — der fuͤnf¬
te: ei! —


Walt aber ſagte, obwol zu ſich: „dieß iſt
„von Morgen an, oder ich irre entſetzlich, das
„wahre Weltleben Eleganter. Bin ich nicht wie
„in Verſailles und in Fontainebleau; und Louis
„quatorze regiert zuruͤck? Der Unterſchied iſt
„ſchwerlich erheblich. Dieſe Alleen — dieſe Beete
„— Buͤſche — dieſe vielen Leute am Morgen —
„dieſer lichte Tag!“ — Walten war naͤmlich, der
Himmel weiß von welchen Fruͤhblicken des Lebens,
eine ſo romantiſche Anſicht von der Jugendzeit des
[44] galanten liberalen, Laͤnder, Weiber, Hoͤfe beſie¬
genden Ludwigs XIV. nachgeblieben, daß ihm
deſſen Jugend mit ihren Feſten und Himmeln, wie
eine eigene Vorjugend, ſchoͤn als ſanftes Feuer¬
werk in den Luͤften vorſchwebte, und wie der freie
friſche Morgen eines im Negligé ſpazierenden Hofs
— ſo daß ihn jeder Springbrunnen nach Marly
warf, jede geſchniegelte Allee nach Verſailles, und
hohe Fantanger Kupferſtiche an Schraͤnken-Waͤn¬
den ins damalige Koͤnigs-Schloß, ja ſogar die
ausgeſchnittenen aufgepappten Bildchen auf ſei¬
nem Schreibtiſche flogen mit ihm in jene luſtige
Hof-, wenn auch nicht luſtige Voͤlkerzeit. — „Iſt
„nicht das Leben der Hofleute — hat er ſich mehr¬
„mals geſagt — fortgehende Poeſie, (wenn an¬
„ders die franzoͤſiſchen Mémoires nicht luͤgen,) oh¬
„ne preſſende Nahrungs-Qualen und in gefluͤ¬
„gelten Verhaͤltniſſen, und die Hofmaͤnner koͤnnen
„ſich an jedem Muſik-Abend verlieben und dann
„am Garten-Morgen mit den herrlichſten Ge¬
„liebten ſpazieren gehen? O wie ihnen die Goͤt¬
„tinnen bluͤhen muͤſſen im friſchen ſchminkenden
„Morgenroth!“


[45]

Dadurch genoß er im Garten einen ganz an¬
dern ſchon beerdigten; als Feuerwerk hing das
phantaſtiſche Nachbild uͤber dem liegenden Vorbild.
Gluͤcklicher Weiſe that ihm Flitte — der in jeder
Geſellſchaft ſtets eine neue ſuchte — den Gefallen,
daß er mit dem Garten-Reſtaurateur in ein Ge¬
ſpraͤch gerieth und ihn dadurch mit der koͤſtlichen
Einſamkeit zu einigen traͤumeriſchen Streifzuͤgen
beſchenkte. Wie freudig that er dieſe! Er ſah al¬
les und dabei an — die gruͤnen Schatten, von
Sonnen-Funken durchregnet — die fernen Seen,
einige wie dunkle Augenlieder des Parks, einige
wie lichte Augen — die Barken auf Waſſern —
die Bruͤcken uͤber beide — die weiſſen hohen Tem¬
pel-Staffeln auf Hoͤhen — die fernen aber hell¬
herglaͤnzenden Pavillons — und hoch uͤber allen
die Berge und Straſſen drauſen, die kuͤhn in den
blauen Himmel hinauf flogen — Sein Vormittag
hatte ſich ſtuͤndlich gelaͤutert, aus reinem Waſſer
zur Zephyr-Luft, dieſe oben zu Aether, worin
nichts mehr war und flog als Welten und Licht. Den
Bruder haͤtt' er gern hergewuͤnſcht — Wina's Blick
unter dem Waſſerfall ſah er am hellen Tage. Er
[46] war ſelig ohne recht zu wiſſen wie oder warum.
Seine Fackel brannte mit gerader Spitze auf in der
ſonſt wehenden Welt und kein Luͤftchen bog ſie um.
Nicht einmal einen Streckvers macht' er, aus
Flucht des Sylbenzwangs, es war ihm, als wuͤrd'
er ſelber gedichtet, und er fuͤgte ſich leicht in den
Rhythmus eines fremden entzuͤckten Dichters.


In dieſem innern Wolklang ſtand er, vor ei¬
nem ſonderbaren Garten im Garten und zog faſt
nur Spiels-Weiſe an einem Gloͤckchen ein wenig.
Er hatte kaum einigemale gelaͤutet: ſo kam ein
reich beſetzter ſchwerer Hofdiener ohne Hut herbei¬
gerudert, um einigen von der fuͤrſtlichen Familie
die Thuͤre aufzureiſſen, weil das Gloͤckchen den
Zweck einer Bedientenglocke hatte. Als aber der
vornehme Menſch nichts an der Thuͤre fand als
den ſanften Notar: ſo filzte er den erſtaunten
Gloͤckner in einer der laͤngſten Reden, die er je ge¬
halten, aus, als haͤtte Walt die Sturm- und
Tuͤrkenglocke ohne Noth gezogen.


Dieſem war indeß ſein Inneres ſo leicht und
feſt gewoͤlbt, daß das Aeuſſere ſchwer eindringen
konnte, nicht mit einem Tropfen in ſein leichtes
[47] fliegendes Schiff; zu Flitten kehrte er ſogleich zu¬
ruͤck. Sie gingen heim. Die großen Eßglocken
riefen die Stadt zuſammen, wie zwei Stunden
ſpaͤter kleinere den Hof; dieß wirkte auf den ſatten
Notar, der jetzt nicht zum Eſſen ging, ſehr ro¬
mantiſch. Gibt es einen wahren Mann nach der
Uhr, der zugleich die Uhr ſelber iſt, ſo iſts der
Magen. Je dunkler und zeitiger das Weſen, deſto
mehr Zeit kennt es, wie Leiber, Fieber, Thiere,
Kinder und Wahnſinnige beweiſen; nur ein Geiſt
kann die Zeit vergeſſen, weil nur er ſie ſchafft.
Wird nun dem gedachten Magen oder Manne nach
der Uhr, ſeine Speiſe-Uhr um Stunden voraus
oder zuruͤck geſtellt: ſo macht er wieder den Geiſt
ſo irre, daß dieſer ganz romantiſch wird. Denn
er mit allen ſeinen Himmels-Sternen muß doch
der koͤrperlichen Umdrehung folgen. Das Fruͤh¬
ſtuͤck, das ein Spaͤtſtuͤck geweſen, warf den Notar
aus einem Gleiſe, worin er ſeit Jahrzehenden ge¬
fahren war, ſo weit hinaus, daß vor ihm jeder
Glockenſchlag, der Sonnenſtand, der ganze Nach¬
mittag ein fremdes ſeltſames Anſehen gewann.
Vielleicht macht daher der Krieg den disziplinir¬
[48] ten Soldaten durch die Vorkehrung aller Zeiten
in unordentlichen Ebben und Fluthen des Genuſ¬
ſes romantiſch und kriegeriſch.


Um die Veſperzeit erſchien ihm der Schatten¬
wurf der Haͤuſer noch wunderlicher und in Fraiſ¬
ſens Zimmer wurd' ihnr die Zeit zugleich eng und
lang', weil er wegen ſeiner untergrabenen Stern¬
warte nichts vorausſehen konnte. Er wollte wie¬
der Monde, und begleitete Flitten in ein Billard¬
zimmer, wo er verwundert hoͤrte, daß dieſer die
Baͤlle nicht franzoͤſiſch zaͤhlte, ſondern deutſch.
Hier entlief er bald aus dem magern Zuſchauen
allein hinaus an das ſchoͤne Ufer des Fluſſes.
Als er da die armen Leute erblickte, welche an
dieſem Tage nach den Stadtgeſetzen fiſchen durf¬
ten (obwol ohne Hamen) und Holz leſen (obwol
ohne Beil): ſo erhielt er ploͤtzlich an ihren heuti¬
gen Genuͤſſen eine Entſchaͤdigung der ſeinigen,
die ihm allmaͤhlich zu vornehm und zu muͤßig¬
gaͤngeriſch vorgekommen waren: „auch ich habe,
„dacht' er, heute vornehm genug geſchwelgt und
„kein Wort am Roman geſchrieben; doch mor¬
gen[49] „gen ſoll ganz anders zu Hauſe geblieben wer¬
„den.“


Die langen Abend-Schatten am Ufer und
die langen rothen Wolken legten ſich ihm als neue
große Schwingen an, welche ihn bewegten, nicht
er ſie.


Er durchſtreifte allein die daͤmmernden Gaſ¬
ſen, bereit zu jedem Abentheuer, bis der Mond
aufging, und ſeine Mond-Uhr wurde. Da war
der Wirrwarr gelichtet, und der Magen wußte,
welche Zeit es ſei. Vor Wina's ſchimmerndem
Hauſe trug er das vielfach erregte Herz auf und
ab; da ſank ihm in daſſelbe eine ſtille Sehnſucht
wie vom Himmel nieder und den luſtigen Erden-
Tag kraͤnzte die heiligſte Himmels-Stunde.

Nro. 53. Kreutzſtein bei Gefrees im
Bayreuthiſchen.

Glaͤubiger-Jagdſtuͤck.


Am Morgen freuete ſich Walt kindiſch in den
vergangenen Tag zuruͤck, weil dieſer durch eine
kleine Wendung ſein Leben ſo ſchillernd gegen die
Flegeljahre IV. Bd. 4[50] Sonne gehalten, daß er eine Menge Tage an
Einem verlebte, indeß ſonſt viele hintereinander
fliegende ſich deckende Zeiten des Menſchen kaum
eine zeigen. Heute aber blieb er zu Hauſe und
ſchrieb ſehr.


Das war Flitten nicht recht; zu Hauſe blei¬
bende Einſamkeit war ihm wohl Wuͤrze und Zukoſt
der Geſellſchaft, aber nicht dieſe ſelber. Indeß
wer nicht nachahmt, wird eben nachgeahmt;
Walt hatte ihm mit ſeinem poetiſchen Saus und
Braus ſo ſehr gefallen — ob er ſich gleich als
ſeine proſaiſche Sprech-Walze neben jenes dich¬
teriſcher Spiel-Welle drehte und ihn ſelten ver¬
ſtehen oder beantworten konnte — und deſſen un¬
gewoͤhnliches Anlieben und Anlegen hatte den
umherfliegenden Menſchen ſo ſehr erwaͤrmt, daß
er ſelber mit zu Hauſe blieb, blos bei ihm, ob
er gleich beſſer als einer in der Welt vorausſah,
welche Glaͤubiger-Moſkiten ihn heute ſtechen wuͤr¬
den, da Muͤcken bekanntlich uns mehr im Stehen
als Gehen anfallen. Denn ein Grundgeſetz der
Natur iſt dieß: wer nichts baut als ſpaniſche
Schloͤſſer, rechne auf nichts als ſpaniſche Fliegen,
[51] welche ſo gewaltig ziehen. Ein zweites Geſetz iſt:
man kann nicht fruͤh genug bei einem ſchlechten
Schuldner vorſprechen, der eben Tags vorher
Geld bekommen.


Es kam das gewoͤhnliche wuͤthende Heer, das
er Elſaßer immer als ein geheiltes zuruͤck ſchicken
mußte, zu rechter fruͤher Tageszeit an; und Flitte
konnte es hier wie uͤberall in der beſonders dazu ge¬
waͤhlten Audienz-Kammer empfangen, um ſol¬
chem das einzige zu geben, was er hatte, Gehoͤr.
Blos letzteres mußte wieder der Notar verſagen,
der eifrig-taub fortdichtete, waͤhrend Flitte von
weitem ſeine Schlachten ſchlug. Es lohnet der
Muͤhe, die Feldzuͤge fluͤchtig zu erzaͤhlen, welche
der Elſaßer an einem Tage that, bevor er Abends
das warme Winterquartier des Betts bezog. Der
linke Fluͤgel des taͤglich angreifenden Heeres war
aus Juden geworben; und den rechten formirten
Zimmer- und Pferde- und Buͤcher-Verleiher
und ſaͤmmtliche Profeſſioniſten des menſchlichen
Leibs und deren Fiſch-Weiber; und an der Spitze
zog als Generaliſſimus ein Mann mit einer Trat¬
te; — die offiziellen Berichte davon ſind aber fol¬
gende:


[52]

Am Fruͤh-Morgen im Nebel griff ein Quar¬
rée Juden an; leicht ſchlug er ſie mehr mit gro¬
bem Kriegsgeſchrei als feiner Kriegsliſt zuruͤck
und ſagte nur: „ſie waͤren nur Juden, und er
habe noch nichts, und was ſie weiter wollten?“


Beim Fruͤhſtuͤck mit Walt berennte ihn ein
Uhrmacher, von welchem er eine Repetier-Uhr
gegen ſeine Zeige-Uhr und Geld-Aſſignate einge¬
kauft hatte. Flitte ſchwur, ſie repetire ſchlecht,
ſeine ſei ihm eben ſo lieb — auch repetirt eine
Zeige-Uhr wenigſtens das Zeigen — und bot
Auswechslung der Gefangnen an. Da nun der
Mann die ſtumme ſchon ſelber verkauft hatte —
Flitte freilich auch die laute: — ſo zog ſich der
Feind mit dem Verluſt einer Uhr zuruͤck.


Spaͤter ſah er zu ſeinem Gluͤcke aus dem
Fenſter und die Bewegungen des berittenen Feindes,
eines Pferde-Verleihers. Er empfing ihn in der
Audienz-Kammer, bekannt mit deſſen einhauen¬
der Stimme und Kriegsgurgel; erſtickte aber deſ¬
ſen Feldgeſchrei durch die Dampfkugel, die er ſo
warf: „lieber Mann! kennt Er die Ecktanne in
„Kabels Wald, die eben mein Erbſtuͤck gewor¬
[53] „den, ſammt vielem anderem des Kuͤnftigen zu
„geſchweigen — Eine Muͤhlwelle drechſelt ſich
„daraus her! — Was brauchts Redens! Kurz
„ich hatte ſie ſchon halb einem andern verſpro¬
„chen; Er ſoll aber das Vorzugsrecht haben —
„ſchaͤtz' Er ſie — dann geb' Er nach Abzug der
„Schuld heraus, was honett iſt — was ſagt
„Er, mein Freund?“ — Sein Feind verſetzte,
das ſei einmal ein Wort, das Hand und Fuß
habe und raͤumte das Feld.


Hart hinter ihm trabte ein zweiter Pferde¬
lieferant ein, in langem, blauen, uͤber dem Schurz¬
fell aufklaffenden Ueberrock, und ſchob grimmig
und gruͤſſend die Ledermuͤtze von hinten uͤber die
halbe Stirne hinein: „wie wirds, fragt' er?
„Finten und Quinten ſchlagen heute nicht an bei
„mir.“ — „Gemach! verſetzte Flitte. Kennt
„Er die Ecktanne ꝛc. — Eine Muͤhlwelle drech¬
„ſelt ꝛc. — kurz, ich hatte ſie ſchon ꝛc.“ —
Der Feind verſetzte: iſts aber Vexirerei: Gott ſoll
— Gott befohlen!


Mit einer harthoͤrigen Altreißin turnierte er
gefaͤhrlich, weil ihr Geſchrei nur mit einem ſol¬
[54] chen empfangen werden mußte, daß Walt es ver¬
nehmen konnte. Zum Gluͤck konnt' er einen alten
vergoldeten Schaupfennig — der ſchon 100 mal
ſeine Belagerungsmuͤtze und ſein Heckthaler gewe¬
ſen — herausziehen und ihn hinhalten und blos
ins Ohr ſchreien: „wechſeln — Abends 6 Uhr!“
Doch feuerte ſie auf dem Schlachtfeld noch lange
fort; weil ſie ſich nie verſchoß. Die weibliche
Bellona iſt furchtbarer als der maͤnnliche Mars.


„Nur hieher!” rief er; ein kurzſtaͤmmiger,
rundbackiger, runder Apothekers-Junge kugelte
ſich herein. „Allhier uͤberbring ich als Diſzipel
„unſerer Hechtiſchen Offizin laut Rechnung die
„Rechnung fuͤr die arme Bitterlichinn in der
„Hopfegaſſe, weil ſich mein Herr Prinzipal be¬
„ſtens empfiehlt und die Heilungskoſten dafuͤr zu
„haben erſucht. Es iſt nur von wegen unſrer
„Ordnung in der Offizin; denn uͤbermorgen wer¬
„de ich bekanntlich zum Subjekt geſprochen.“
Vor dem ſanften Feinde ſtreckte er das Gewehr,
eine halbe Piſtole (auf alten Piſtolenfuß), ſagte
aber: „H. Hecht laͤſſet ſich ſeine verſilberten Pil¬
len ſtark vergolden. Den Geburtshelfer — richt
[55] Ers aus — hab' ich ſchon ſaldiret.“ Guter, gu¬
ter Mann! ſagte Walt. „Die Frau war ja in
den kuͤmmerlichſten Umſtaͤnden von der Welt und
heute noch; und iſt nicht einmal huͤbſch dabei,“
ſagt' er.


Ungeſehen war eben ein Heerbann eingeruͤckt,
Einen Banner ſtark, der ſo anfing: „Gehorſa¬
„mer! — Ein fuͤr allemal, der Menſch laͤßt ſich
„in die Laͤnge nicht haͤnſeln. Seit Pauli Be¬
„kehrung bin ich Sein Narr und laufe nach dem
„Bischen Miethzins. Herr, was denkt Er denn
„von Unſer-Einem?“ — Weiß Er wol, ver¬
ſetzte Flitte, daß ich nur Meſſenweiſe zahle und
„uͤberhaupt mich gar nicht mahnen laſſe, Er? —
„So? erwiederte der Banner. Ich und noch drei
„Hausherren und der Stiefelwixer haben uns
„ſchon zuſammengeſchlagen und die Schuld dem
„Armen-Leute-Hauſe vermacht.“ — „Wahhas,
„ungehobeltes Pack, ſang Flitte dehnend? Das
„iſt mir ja recht lieb. Eben gab ich dem Hech¬
„tiſchen Subjekt (der Herr da zeugts) ein halbes
„Goldſtuͤck fuͤr die blutfremde blutarme Bitter¬
„lich; was geht ſie mich weiter an?“ — Hier
[56] hielt er ihm den einen, mit einem Ringe zuge¬
ſchraubten vollen Beutelpol mit der Erklaͤrung
vor, der Zins ſei hier fuͤr ihn ſchon bereitgezaͤhlt
geweſen, jetzt bekomm' er keinen Deut; — wor¬
auf der Feind nach vergeblichen Einlenkungen,
das Armenhaus habe nichts Schriftliches, ohne
alles klingende Spiel abzog, aͤußerſt verdruͤßlich,
daß der Beutel, wie bei den Tuͤrken, das Geld
ſelber bedeutet habe.


Dieſem folgte der 23te Herr, der Territorial¬
herrſchaft uͤber ihn ausgeuͤbt — dem 23ten ſuk¬
zedirte der 11te — dieſem der fuͤnfte, — jeder,
um den Grundzins, die Quatemberſteuer, das
Staͤttegeld fuͤr den Winkel ſeines Staatsgebaͤud¬
chens einzutreiben. Groben Herren gab er nichts
als die Antwort, unter ihnen ſei in die Zimmer
mehr der Wind als das Licht eingedrungen, die
Aufwartung ſchlecht und die Moͤbeln alt geweſen.
Hoͤfliche bezahlte er fuͤr ihre Territorialrechte mit
Territorialmandaten auf die 10 Erb-Staͤmme,
mit den Bonbons der Bons. Darauf kam der
Herr, der vor dem Thuͤrmer regiert hatte, ein
frommer Huter, mit zwei großen grauen Locken,
[57] welche aus dem knappen Lederkaͤppchen vorwalle¬
ten, und bat ihn um ein Darlehn, gerade die Haͤlf¬
te der Schuld. Flitte gab ihm das Geld und
ſagte: „ohnehin reſtire ich, entſinn' ich mich
recht, noch etwas, Herr Huter.“ „Es wird ſich
finden,“ ſagt' er.


Nach dem Veſperbrod lief ein Buͤcherverlei¬
her Sturm und Gefahr. Er forderte fuͤr ein
Buch à 12 gr. und 12 Bogen genau 2 Thlr. Le¬
ſegeld auf 2 Vierteljahre. Flitte hatte naͤmlich
nach ſeiner Weiſe, keine Sache abzuborgen, die
er nicht ihrer Beſtimmung gemaͤß wieder verborg¬
te, das Werk ſo lange umlaufen laſſen — denn
jeder ahmte ihm nach — daß es verloren war.
Umſonſt erbot er ſich zum Drittel, zum Kaufe;
der Verleiher beſtand auf Leſegeld und fragte, ob
viel mehr als ein Pfennig auf die Seite komme?
Selber Walt ſuchte den Verleiher von ſeinem
„Eigennutzen“ zu uͤberzeugen. „Eigennuͤtzig?
das verhoff' ich eben; vom Eigennutzen lebt der
Menſch,“ ſagte der Verleiher. Flitte ließ ihn
ganz kurz ab- und wild in die naͤchſte Gerichts¬
ſtube hineinlaufen, nachdem er blos zehn Neu¬
[58] jahrswuͤnſche und fuͤnf Kalender, die er zur Aus¬
wahl gehabt und behalten, großmuͤthig bezahlet
hatte.


Kurz vor 6 Uhr wollte das Paar ein wenig
in die Luft, von der Flitte am liebſten lebte; auf
der Hausſchwelle bebte der Pinſelmacher Purzel —
juͤngerer Bruder des Theaterſchneiders — ihnen
entgegen mit einem ausgehoͤhlten Geſicht wie ein
Hohlglas (Stirn- und Kinn-Raͤnder waren konvex)
— das verſchabte Ueberroͤckchen auf die linke Sei¬
te hinuͤbergeknoͤpft — mit einem langen Faden¬
wurm von Zopf aus Zopfband — und wackelnd
mit dem rechten Knie: „Ihro gnaͤdigen Gnaden,
„fing das Jammerbildchen an, werden meinen
„Miniatur-Pinſel vorgeſtern herrlich und nett
„erhalten — Ich ſtehe davor, daß der Pinſel
„ganz vortrefflich einigermaſſen — und bitte denn
„um das Wenige, was er koſtet, und auch,
„daß Sie mir bei dieſer Gelegenheit etwas ſchen¬
„ken.“ — „Hier!“ ſagte Flitte zum ſtillen le¬
bendigen Friedensfeſt, ja ruhigen R. Friedens¬
protokoll, zu Purzel dem Juͤngern.


Abends machte den Waffentanz der Caffe
[59] tier Fraisse
mit einem Großvatertanz aus. Er
kam herauf, um hoͤflich anzumerken, es ſei ſeine
herkoͤmmliche Weiſe, Gaͤſten aus der Stadt jeden
Abend die Rechnung zur Einſicht vorzulegen, da¬
mit ſie ſolche ſaͤhen und ſaldirten. Walt ſah
hier zum erſtenmale einen franzoͤſiſchen oder elſaſ¬
ſiſchen Zorn ohne Ohren; es war ein ſtuͤrzend¬
fortrollender Streit- und Sichelwagen, woran
Fluͤche, Schwuͤre, Blicke, Haͤnde, auf- und
niederſchlugen und zerſaͤbelten. Fraiſſen wurde
das noͤthige Geld vor die Fuͤße, ja an den Kopf
geworfen, dann eingepackt und fluchend fortgezo¬
gen in des verreiſeten D. Huts leeres Haus. Walt
wehte durch ſeine niederblaſenden Friedenspredig¬
ten die Flammen nur hoͤher auf. Eine verlebte
Stunde war fuͤr Flitte der einzige Epiktet.

Nro. 54. Surinamiſcher Aeneas.

Malerei — Wechſelbrief — Fehdebrief.


Licht und leicht flogen die Horen in D. Huts
vielgehaͤuſigem Hauſe ein und aus und holten
Honig. Hier, in dieſem ſonnenhellen Eiland der
[60] unſchuldigen Freude ſah Walt keinen hoͤflich-gro¬
ben Fraiſſe — hoͤrte keinen Geld-Werber und
Geld-Jaͤger, der das durch Kontrakte eingezaͤun¬
te Wild puͤrſcht, keinen aus den fuͤnf (Moſis-
Buͤcher-) Klaſſen der Glaͤubiger, die uns ewig
an die Lebens-Darre und Doͤrrſucht erinnern —
hier hoͤrt' er nur Liederchen und Spruͤnge; hier
waren ganze Sackgaͤßchen aus dem neuen Je¬
ruſalem. Denn was aus dem alten theils von
Juden, theils von Chriſten einwanderte, konnt'
er nicht hoͤren, weil Flitte ſich von ſeinen Arſe¬
nikkoͤnigen der Metalle, den Glaͤubigern, blos in
einem fernen Schmollwinkel vergiften ließ. Im
erſten Stockwerke wohnte die ſtreitende Kirche,
Flitte und die Koͤnige; im dritten die triumphiren¬
de, Flitte und Walt.


Indeß brachte der Notar es doch nicht ſo
weit, daß er gar nichts gemerkt haͤtte. „Ich
wollt', ich waͤre kurzſichtiger, (ſagt' er ſich);
bedenkt man, wie froh und freigebig der gute
Menſch ſchon iſt in Drangſalen und wie ers
vollends waͤre ohne die geringſten Qualen — denn
wahrlich gewiſſe Menſchen haͤtten Tugend, wenn
[61] ſie Geld haͤtten —; und mit welcher Suͤßigkeit
er vom Reichſeyn ſpricht: wahrhaftig, ſo wuͤßt'
ich keinen ſchoͤnern Tag als den, wo der arme
Narr die hoͤchſten Geldkaͤſten und Geldſaͤcke ploͤtz¬
lich in ſeiner Stube ſtehen ſaͤhe. Wie koͤnnten ei¬
nem ſolchen Menſchen ſchon die Zinſen von den
Zinſen der Zinſen der engliſchen Nazionalſchuld
aufhelfen!“ Er fragte, warum, da alle Leiden
Ferien finden, denn die eines deutſchen Schuldners
nie abſetzen, indeß in England doch der Sonntag,
ein Ruhetag des verſchuldeten Ohrs iſt, wie ſo gar
um die Verdammten (nach der juͤdiſchen Religion)
am Sabbath, am Feſte des Neumonds und un¬
ter dem woͤchentlichen Gebete der Juden die Hoͤlle
erſtirbt und ein ſanfter kuͤhler Nachſommer des
begrabnen Lebens uͤber die heißen Abgruͤnde weht.


Lieblich uͤberwallete ihm das Herz, wenn er
ſich das Seelenfeſt ausfaͤrbte, womit er den Floͤ¬
tenſpieler durch den Elſaßer und dieſen durch je¬
nen zu beſchenken hoffte, wenn er Vulten die un¬
ſchuldige liberale poetiſche Lebensfreiheit Flittens
beſchwuͤre und dieſem einen Spiel- und Edelmann
zugleich zufuͤhrte: „o ich will dabei dem wackern
[62] Bruder das Bewußtſein und Geſtaͤndnis, geirrt
zu haben, ſo ſanft erſparen!“ ſagt' er entzuͤckt.


Immer waͤrmer lebten beide ſich in die Wo¬
che und in einander hinein, ſie haͤtten die Probe¬
woche lieber wiederholt als geendigt. Flitten war
das liebende, warme Weſen, womit Walt wie
mit einer elektriſchen Atmosphaͤre umgeben war,
etwas neues und anziehendes; er konnte zuletzt
ſchwer mehr ohne ihn aus dem Hauſe.


Walt machte daraus deſto mehr, je weniger
beide eigentlich, wie er fuͤhlte, einander unterhal¬
ten konnten; ihre Nervengewebe hatten ſich zer¬
ſtrickt, ſie waren wie Polypen in einander geſteckt;
doch fraß jeder ſo auf eigne Rechnung, daß keiner
weder der Magen, noch die Nahrung des andern
war.


Es kam der letzte Probe- und Flitterwochen¬
tag. Walt ſcheuete alles letzte, jedes ſcharfe Ende,
ſogar einer Klage. Ein Ripieniſt von Vults
Spiele in Roſenhof hatte deſſen Eintreffen ver¬
kuͤndigt. Auch der D. Hut wollte Nachts an¬
langen. Einige ſchoͤne Mitternachtsroͤthe ſtand
ihm bevor. Flitte bat ihn, dieſen letzten Nach¬
[63] mittag, wo ſie beiſammen waͤren, ihn zu Ra¬
phaelen zu begleiten, welche ihm heute fluͤchtig
ſitze zu einem ſchlechten Miniatur-Portrait fuͤr
den Geburtstag ihrer Mutter: „wir 3 ſind ſuͤ¬
„perbe allein, fuͤgt' er hinzu. Wenn ich nun
„male, parlir' ich wenig; und doch animirt
„Reden ein Geſicht unglaublich.” Ob Walt
gleich wenig delikate Welt darin fand, daß man
ihn als Sprach- und Reitz-Maſchine vor ein
Sitzgeſicht aufzuſtellen trachtete: ſo folgte er doch.
Er wars ſchon gewohnt ſeit einer Woche, einige
male des Tags zu erſtaunen uͤber Mangel an
zaͤrteſter Denkart, ſowohl auf dem Markte als in
den beſten Haͤuſern, welche aͤuſſerlich einen glaͤn¬
zenden Anſtrich und Anwurf hatten.


Mit Vergnuͤgen kam er in dem eigenen Hau¬
ſe wie in einem fremden an. Raphaela laͤchelte
beiden von der oberſten Treppe herab und fuͤhrte
ſie haſtig in ihr Schreibzimmer hinein. Hier wa¬
ren ſchon widerſprechende Weine, Eiſe und Ku¬
chen gehaͤuft. Da eine Frau leichter das Herz
als den Magen eines Mannes erraͤth: ſo weiß
ſie freilich nicht, was er Abends um 4 Uhr am
[64] liebſten trinkt. Ein Bedienter nach dem andern
ſah durch die Thuͤre, um einen von Raphaelens
Wuͤnſchen zu holen und erfuͤllt zuruͤck zu bringen.
Die ganze Dienerſchaft ſchien ihre Regierung fuͤr
eine goldne von Saturn zu halten; man ſah ei¬
nige von der weiblichen ſogar im Park ſpazieren
gehen. Die immer voller ins Zimmer hineinſtroͤ¬
mende Abendſonne und der Freudenglanz, der je¬
dem Geſichte ſteht, bewarfen das Maͤdchen und
die Situazion mit anſehnlichen Reitzen. Flitte
war gegen Raphaela nicht die Falſchheit ſelber,
ſondern ein Fuͤnftelſaft von Weſen — naͤmlich ein
Fuͤnftel galant, ein Fuͤnftel gut, eines ſinnlich,
eines Geldſuͤchtig, ein Fuͤnftel ich weiß nicht
was als ſie zu Walts Entzuͤcken geſagt hat¬
te: „Schmeicheln ſollen Sie meinem Geſichte
nicht, es hilft nichts; machen Sie es nur, daß
ma chère mère es wieder erkennt.“ — Im Notar
kroch heimlich die ſtille Freude herum, daß er
jetzt gerade unter ſeinem eignen Zimmer ſtehe, im
Hauſe zugleich Gaſt und Miethsmann, daß er
ferner nicht die kleinſte Verlegenheit ſpuͤre — denn
Flitte war ihm nicht fremd und uͤber Eine Frau
war[65] war ſchon zu regieren — und daß die ſchoͤnſten
Duͤfte und namenloſeſten Moͤbeln jede Ecke
ſchmuͤckten: „haͤtt ich aber dieß ſonſt als Bauern¬
ſohn aus Elterlein denken ſollen?“ dacht' er.


Flitte zog nun das Elfenbein und das Far¬
benkaͤſtchen hervor und erklaͤrte dem Modelle, je
freier und belebter es ſitze, deſto beſſer gluͤck' es
dem Maler. Indeß haͤtte ſie eben ſo gut auf dem
Nordpol ſitzen koͤnnen, er aber auf dem Suͤdpol
kleben: die Aehnlichkeit waͤr' ihm nicht anders
gelungen; er, uͤberhaupt kein maleriſcher Treffer,
wollte nichts treffen als das, was ſie anhatte.
Sie ſetzte ſich hin und verfertigte das Sitz-Geſicht,
das die Maͤdchen unter dem Malen ſchneiden. Die
noble masque, womit ſich alsdann der Menſch
uͤberſtuͤlpen will, iſt das Kaͤlteſte, wozu er je ſein
Geſicht aushauet, ſo daß ſeltner Menſchen als
ihre Buͤſten portraitirt werden. Dieſes Geſicht
heißet in weiblichen Penſions-Anſtalten das Sitz-
Geſicht der Maͤdchen; — dann kommt das ge¬
ſpannte Friſiergeſicht — dann das eſſende Butter¬
brod-Geſicht, eines der breiteſten — endlich zwei
Ballgeſichter, das eine, die Wetterſeite, fuͤr die
Flegeljahre IV. Bd. 5[66] Putzjungfer, das andere, die Sonnenſeite, fuͤr
den Taͤnzer. Walt kam jetzt in Gang und ins
Feuer, und zwar, um ſelber zu malen, nicht um
andere malen zu helfen. Er kelterte — vortreflich
genug — Auszuͤge aus ſeiner neueſten Reiſe um
die Welt und miſchte beiher ein, daß er ihre
Freundin, Wina, unter der Katarakte geſehen.
Unter allen Erzaͤhlern und Unterhaltern ſind Rei¬
ſebeſchreiber die gluͤcklichſten und reichſten; in
eine Reiſe um \frac{1}{1000000} der Welt koͤnnen ſie die
ganze Welt bringen und niemand kann ihnen
(zweitens) widerſprechen. Der Notar wollte ſich
ſeiner maleriſchen Staͤrke in Sommer- und Herbſt-
Landſchaften — Flitte lieferte die Winter-Land¬
ſchaft — noch ſtaͤrker bedienen und ſetzte zu einem
wandbreiten goldnen Bergſtuͤcke der Roſenhoͤfer
Berghoͤrner an; — aber Raphaela war ganz ent¬
zuͤckt davon und brachte die Rede bald auf ihre
Freundin Wina, um ſolche allein fortzuſpinnen.
Sie erhob deren Reize und Handlungen mit Feuer
— ſie zeigte ein Mahagony-Kaͤſtchen, worin de¬
ren Briefe lagen — ſie wies die ſogenannte Wi¬
nens-Ecke im Winkel, wo dieſe gewoͤhnlich ſaß
[67] und zwiſchen der Park-Allee der untergehenden
Sonne nachſah — ſie g[l]aͤnzte ganz liebend und
warm. — Der Notarius war ziemlich ſchwach
bei ſich; nach ſeinen ſtillen Augen zu urtheilen,
jubelte er laut, feierte er Bacchanalien, trieb
artes semper gaudendi, lieferte Luſttreffen,
ſprach ſich ſelber die Seligſprechung — ja er ging
ſo weit, daß er ſich zufaͤllig hinein ſetzte in Wi¬
na's Ecke —


Der Jubel wuchs ganz. Man trank fort —
in jeder halben Viertelſtunde machte ein Diener
die Thuͤre auf, um einem zweiten ſpaͤtern Befehle
wegzufangen. Flitte wußte gar nicht, wie er auf
einmal zu der Gluͤckſeligkeit gelangte, daß man
ſo viel ſprach ohne alles Langweilen zum Henker,
und daß Raphaela ſich ſo herrlich enthuſiaſmirte.
Zufaͤllig ruͤckte Walt den Fenſter-Vorhang und
eine Sonne voll warmer Tinten uͤbergoß Raphae¬
lens Geſicht, daß ſie es wegkehrte; auf ſprang
Flitte, wies ihr ihr Sbozzo, fragte, ob es
nicht halb aus den ſchoͤnen Augen geſtohlen ſei.
„Halb? Ganz!“ ſagte Walt aufrichtig, aber
einfaͤltig; denn ſie haͤtte demſelben Bildchen eben
[68] ſo gut mit dem Hinter-Kopfe und Stahlkamm
geſeſſen. Der Elſaßer gab ihr darauf einige Kuͤſſe
oͤffentlich. Er thats vermuthlich zu abrupt, dach¬
te zu wenig daran, daß auch erblickte Empfin¬
dungen — ſo gut als geleſene — vor dem Zu¬
ſchauer wollen motivirt ſeyn; Walt ſah eiligſt in
den Park und ſtand endlich gar auf.


„Ich waͤre ja ein Satanas, dacht' er, ließ'
ich ſie nicht einander abherzen“ und ſchlich unter
einem landſchaftsmaleriſchen Vorwand ein wenig
auf ſein Zimmer. Flitte machte ſich, ſo bald er
die Thuͤre zugedruͤckt, vom ſchoͤnen Munde wie¬
der ans Malen deſſelben und punktirte fleißig.
„Wie muͤſſen jetzt die Seligen, ſagte oben Walt,
„einander an den Herzen halten, und die Abend¬
„ſonne gluͤht praͤchtig dazwiſchen hinein!“ — In
ſeine eigne Stube quoll das Fuͤllhorn der Abend¬
roſen noch reicher und weiter aus; dennoch ſtan¬
den ſeine verſchliſſenen Zimmer-Pieces (die Wohn-
und die Schlaf-Kammer) im Abſtich von der
eben verlaſſenen Putz-Stube und er maß die Kluft
ſeines aͤuſſerlichen Gluͤcks. Er wurde weich, und
wollte aus Sehnſucht, die Liebe wenigſtens zu
[69] ſehen, eben eilig hinunter, als Vult hereintrat.
Ans Herz, ins Herz flog ihm Walt: „ach ſo
himmliſch, ſagt' er, daß du jetzt eben kommſt!“


Vult mit ſanfter Stimmung zuruͤckkehrend,
that zuerſt (nach ſeiner Gewohnheit) die Fragen
nach fremder Geſchichte, eh' er die nach eigner auf¬
loͤßte. Walt theilte frei und froh den Ablauf des
Notariats-Amtes und den Verluſt der 70 Staͤm¬
me mit. „Schlimm iſts nur, ſagte Vult gelaſ¬
„ſen, daß ich gerade ſelber verſchwende und Geld
„verachte; ſonſt wuͤrd' ich dir aus Vernunft,
„Gewiſſen, Geſchichte zeigen, wie ſehr und wie
„recht ich meine Ebenbildnerei an andern, z. B.
„an dir verfluche. Verachtung des Geldes macht
„weit mehrere und beſſere Menſchen ungluͤcklich,
„als deſſen Ueberſchaͤtzung; daher der Menſch oft
pro prodigo, nie pro avaro erklaͤrt wird.“ —
„Lieber ein volles Herz als einen vollen Beutel!“
ſagte luſtig Walt, und ſprach ſogleich von der
neuen Erbamts-Wahl, und von der ſchoͤnen
Flitte's-Woche, und vom Lobe des Elſaßers:
„wie oft, beſchloß er, wuͤnſcht ich dich her in
„unſere heimlichen gefluͤgelten Feſte hinein; auch
[70] „damit du ihn weniger hart richten lernteſt; denn
„dieß thuſt du, Lieber!“


„Flitte ſcheint dir erhaben? ein Seelenklaſ¬
„ſiker oder ſo? Und ſeine Luſtigkeit poetiſches Se¬
„gel- und Flugwerk? fragte Vult. Ich habe
„in der That, verſetzte Walt, recht gut ſeinen
„ſchoͤnen Temperaments-Leichtſinn, der nur Ge¬
„genwart abweidet, von dem dichteriſchen leich¬
„ten Schweben uͤber jeder unterſchieden; er freue¬
„te ſich nie lange nach.“ —


— „Hat er dich in deiner Probe-Woche,
„die du dir ſelber ſehr gut ohne allen fremden
„Rath gewaͤhlt, keine bedenklichen Spruͤnge ma¬
„chen laſſen, die etwa Baͤume koſten?“ ſagte
Vult. „Nein, verſetzte Walt, aber franzoͤſiſche
Fehltritte hat er mir abgewoͤhnt.“ Hier fuhr
Notarius fort und bediente ſich der fragenden Fi¬
gur, ob Flitte ihm nicht das Feinſte entdecket ha¬
be, z. B. daß man nie oder ſelten comment fra¬
gen muͤſſe, ſondern hoͤflicher Monsieur oder auch
Madame? Hab' Ers nicht geruͤgt, fragte Walt,
als er ſo ganz unfranzoͤſiſch bon appetit wuͤnſch¬
te, oder eine Kammerfrau, femme de chambre
[71] zur Kammerjungfer machte, oder einen Friseur
nicht coeffeur hieß? Hab' Er ihm nicht gut er¬
klaͤrt, warum porte-chaise dumm ſei, weil man
die Wahl habe zwiſchen einer chaise à porteur
und porteurs de chaise?


„Ich glaube nicht, ſagte Vult, daß dich
„dieſe Sprachſtunden mehr koſten als den Reſt
„des Kabel-Walds.” — „Ein Hund woll' Er
„heiſſen, ſagte Walt, ſchwur mir Flitte, benuͤtz'
„Ers. In der Rechtſchreibung aber dient' ich
„Ihm, z. B. jabot ſchrieb er chapeau. Ach,
„bekaͤme der Arme nur weniger Glaͤubiger und
„mehr Geld!” „Das wird eben deine Klippe
„auf ihm, ſagte Vult. Wer arm wird — nicht
„wers iſt, — verdirbt und verderbt, und waͤr's
„nur, weil er jeden Tag einen andern Glaͤubiger
„oder denſelben anders zu beluͤgen hat, um nur
„zu beſtehen. So feiert er jeden Tag ein Feſt der
„Beſchneidung fremder Narren. So muß auch
„jeder Schuldner ungemeſſen prahlen; er muß
„mit Leibnitzens Dyadik die 8 (z. B. Gulden)
„mit 1000 ſchreiben. Welche Reden — jeden
„Tag eine andere — hab' ich oft denſelben Schuld¬
[72] „mann an ſeinen Fauſt- und Pfand-Glaͤubiger
„halten hoͤren und ſeine herrliche Unerſchoͤpflich¬
„keit Dichtern und Muſikanten gewuͤnſcht, womit
„er daſſelbe Thema — daß er naͤmlich eben nichts
„habe — ſo koͤſtlich und ſuͤß immer mit Varia¬
„zionen vorzuſpielen verſtanden!“ — „Ich laſſe
dich erſt ausreden,“ ſagte Walt.


„So beſchoß z. B., um es kurz zu machen
„— fuhr Vult fort — der polniſche Fuͤrſt *** in
„W. jeden Glaͤubiger anders; denn ich ſtand da¬
„bei, gemeines tiefes Volk beſchoß er theils mit
„dem dragon, der 40 Pfund ſchießt, theils mit
„dem dragon volant, der 32 — naͤmlich er war
„grob gegen das Grobe — Honorazioren, beſon¬
„ders Advokaten, denen er ſchuldete, griff er
„theils mit der Coulevrine, die 20 Pf. ſchießt,
„theils mit der demi-coulevrine an, die 10 —
„hoͤher hinauf gebraucht' er den Pelican, der 6
„— den sacre von 5 — den sacert von 4 —
„und gegen ſeines Gleichen einen Fuͤrſten, den
ribadequin, der 1 Pf. ſchießt.“


„Nun, begann Walt, darf ich dir doch mit eini¬
„ger Zufriedenheit berichten, daß der gute Menſch,
[73] „weit entfernt hartherzig zu ſeyn, eben durch
„Arme ſelber ein Armer wird. Aus lauter guter
„Freude uͤber ihn, bezahlt' ich hinter ſeinem
„Ruͤcken zwei Damenſchneiderinnen; denn er ſel¬
„ber braucht doch nur einen Herrenſchneider, und
„zwar Einen; ſo aber uͤberall; z. B. die Bit¬
„terlich.”


Da entbrannte der Bruder — ſagte, dieß ſei
vollends der Satan, im Dezember Haͤuſer anzu¬
zuͤnden, um einige Braͤnde an Hausarme auszu¬
theilen — niemand verſchenke mehr, als Perſonen,
die man ſpaͤter henke — nichts ſei weicher als
Schlamm, der verſenke — Tyrannen, ſolche Thraͤ¬
nen-Raͤuber, ſaͤngen und klaͤngen wie Seraphim,
aber mit Recht, da Seraphim feurige Schlangen
bedeuteten — und haß' er etwas, ſo ſei es dieſe
Miſchung von Stehlen und Schenken, von Mau¬
ſen und Mauſſern — —


„O Gott, Vult! — ſagte Walt — kann
„der Sterbliche ſo hart richten? — Soll denn
„ein Menſch ſich gar nicht ein wenig liebhaben
„und etwas fuͤr ſich thun, da er doch den gan¬
„zen Tag bei ſich ſelber wohnt und ſich immer
[74] „hoͤrt und denkt, was ihn ja ſchon mit den nie¬
„drigſten Menſchen und Thieren zuletzt verſoͤhnt,
„naͤmlich das Beiſammenſeyn? Wer nimmt ſich
„dann eines armen Ichs von Ewigkeit zu
„Ewigkeit ſo ſehr an als dieſes Ich ſelber?
„— Ich weiß recht gut, was ich ſage;
„und jeden Einwurf. Doch basta! — Nur
„moͤcht' ich wiſſen, wenn man wie du, ſchon
„kalt und ohne Leidenſchaft die armen Menſchen
„ſo rauh richtet und nimmt: was dann werden
„ſoll in heftiger Hitze, wo man von ſelber uͤber¬
„treibt? Vielleicht wie mit deiner Uhr, wovon
„du mir ſagteſt, daß der Stift, blos weil er
„eben und recht paſſe, in kalter Zeit gut thue,
„aber in der Hitze, weil er ſich ausdehne, das
„Werk aufhalte.“


„Sollteſt du nicht getrunken haben? — ſag¬
„te Vult. Du ſprichſt heute ſo viel; aber in der
„That ſehr gut.“


Nun bat ihn Walt, ſelber mit zu trinken,
und mit ihm hinab zu gehen, um ſich drunten
mit eignen Ohren von ſeinem ſchoͤnen Leben mit
Flitte zu uͤberreden. „Der Tollheit wegen, thu
[75] ichs, verſetzt' er, ob ich gleich weiß, daß ich
beiden buͤrgerlichen Narren einen Eitelkeits-Jubel
uͤber die Herablaſſung eines adelichen bereite; du
aber mußt mich mit einer Feinheit zu entſchuldi¬
gen wiſſen, die kaum zu ſchaͤtzen iſt.“


„H. v. Harniſch — fuͤhrte drunten Walt
ihn ein — fand mich in meinem Zimmer: wie
ſollt' ich, Demoiſelle, nun mein Vergnuͤgen ſchoͤ¬
ner theilen, als daß ichs mit Ihm und mit Ih¬
nen zugleich theilte.“ Er warf dieß ſo leicht hin
und bewegte ſich ſo leicht auf und ab — auf den
theils von Flitte bisher polirten Raͤdern, theils
auf den vom Wein eingeoͤlten — daß Vult ihn
heimlich auslachte und ſich dabei aͤrgerte; er ver¬
glich ſtill den Bruder mit Minervens Vogel, mit
einer Eule, der der Vogelſteller gewoͤhnlich noch
einen Fuchsſchwanz anheftet. Das erſtemal,
da ein Menſch, den wir vorher als unbeholfen
gekannt, uns beholfen und gewandt voruͤbertanzt,
will er unſrer Eitelkeit durch einen Schein der
ſeinigen nicht ſonderlich gefallen.


Vult war ſehr artig — ſprach uͤber Malen
und Sitzen — lobte Flitte's Miniatur-Punktir¬
[76] kunſt als ziemlich aͤhnlich, ob die Farben-Punkte
gleich ſo wenig als rother und weiſſer Frieſel ein
Geſicht darſtellten — und lockte dadurch den Bru¬
der, der aufrichtiger lebte, in den Ausbruch der
ſchelmiſchen Zartheit hinein: „Raphaela iſt ja
nicht weit von Raphael.“


Als jene indeß nach ihrem Trauerreglement
der Luſt, ſich ihr Freudenoͤl in Thraͤnentoͤpfen zu
kochen, auf des Floͤtenſpielers Muſik, dann ſchnell
auf die Blindheit und deren ſchoͤnen Eindruck auf
andere verfiel, und ſich nach ſeinem Augen-Stand
erkundigte: unterbrach Vult ſie kurz: „das war
nur ein Scherz fuͤr mich und iſt voruͤber . . . . . .
H. Notar, wie koͤnnen wir beide ſo muͤßig daſte¬
hen und reden, ohne zu Malen zu helfen?“ —
„H. von Harniſch?“ fragte Walt, ohne com¬
ment
zu ſagen. „Kann denn nicht einer von
uns, Freund, vorleſen, verſetzte Vult, — iſt
nichts dazu da? — und ich dazu die Begleitung
blaſen? — Wie oft ſah ich auf meinen Reiſen,
daß Perſonen, welche ſaßen, ſich hoben und ent¬
falteten, weil nichts die Phyſiognomie, welche
der Maler auffangen will, in ein ſo ſchoͤnes Leben
[77] ſetzt, als eine mit Muſik begleitete Vorleſung von
etwas, das gerade anpaßt!“ —


Raphaela ſagte, ſie nehme freilich ein Dop¬
pelgeſchenk von Muſik und Deklamazion dankend
an. Vult faßte einen nahen Muſenalmanach, —
blaͤtterte — ſagte, er muͤſſe klagen, daß in allen
Muſenkalendern leider der Ernſt zu hart mit dem
Spaß rangiere, wie in J. P. .s Werken, wolle
aber Hoffnung geben, daß er vielleicht durch Toͤne
zu dieſen Mißtoͤnen Leittoͤne herbeiſchaffe — und
reichte Walten eine Elegie, mit der Bitte, ſie vor¬
zuleſen und darauf unbekuͤmmert die ſatiriſche
Epiſtel und dann das Trinklied.


Da dieſer erfreuet war, daß er ſeinem Feuer
eine Sprache, obwohl eine nachſprechende, geben
durfte: ſo verlas er ſo, heiß, laut, und taub
das ſehr ruͤhrende Gedicht, daß er gar anfangs
nicht vernahm, mit welchen naͤrriſchen \frac{6}{8} Tak¬
ten, Ballet-Paſſaden, ſogar mit einem Wach¬
telruf ihn der Bruder floͤtend ſekundirte. Erſt als
er die ſatiriſche Epiſtel vorlas, hoͤrte er in der
Kaͤlte einigen Wider-Ton, daß naͤmlich Vult
dem Witze mit Lagrimosi's Paſſagen und eini¬
[78] gen Sylben aus Haydn's 7 Worten zur Seite
ging; er nahm ſie aber fuͤr Ueberreſte voriger Ruͤh¬
rung. Dem Trinkliede nachher ſetzte Vult meh¬
rere Languido's-Halte, gleichſam ſchwarz und
weiſſe Trauerſchneppen an. Der Widerſtreit pre߬
te den Zuhoͤrern einen gelinden Angſtſchweiß aus,
der eben, wie Vult feſt behauptete, ein Geſicht,
das ſitze, beſeele.


Aber ploͤtzlich trat ein ganz anderer Miß-
und Dur-Ton, der vier Fuß lang war, hoͤflich
mit dem Hut in der Hand ins Zimmer. Es kam
naͤmlich der Reiſediener des Kauf-Herrns in Mar¬
ſeille, bei welchem Flitte lange geweſen, und
praͤſentirte ihm einen faͤlligen Wechſel, den er auf
ſich ausgeſtellt.


Flitte verlor die Farben, die er Raphaelen
geliehen, und verſtummte ein wenig, und wurde
wieder reich an rother. Endlich fragte er den
Reiſediener: „warum er ſo ſpaͤt am Verfalltage
komme? Jetzt hab' er eben nichts.” Der Diener
laͤchelte und ſagte, er habe ihn vergeblich geſucht
zu ſeinem Verdruße, denn er muͤſſe jede Minute
fort, ſo bald er die Valuta habe. Flitte zog ihn
[79] aus dem Zimmer auf Ein Wort; aber faſt noch
unter dem Worte trat der Fremde wieder mit ge¬
zuckten Achſeln ein und ſagte: „entweder — oder
—; in Haßlau gilt das ſaͤchſiſche Wechſelrecht.“
Lieber fuhr Flitte in die Hoͤlle, welche wenigſtens
geſellig iſt, als in die Einſiedelei des Kerkers;
dennoch lief er ohne eine ſanfte Miene auf und
ab und murmelte fluchende Angriffe; endlich ſagt'
er franzoͤſiſch Raphaelen etwas ins Ohr. Dieſe
bat den Reiſediener ſo lange um Geduld, bis eine
Antwort auf ein Blaͤttchen von ihr zuruͤck ſei; es
war eine Bitte an ihren Vater um Geld oder
Buͤrgſchaft.


Flitte ſetzte ſich wieder zum Malen mit jener
Folie des Stolzes nieder, wovon der Diener ei¬
gentlich den Juwel beſaß. Walt jammerte leiſe
und flatterte ſo aͤngſtlich um den Bauer, als
Flitte in demſelben und folgte jedem Umherſchieſ¬
ſen des eingekerkerten Vogels auſſen am Gitter
nach. Vult beobachtete ſcharf den gewandten
Diener: „ſollt' ich Sie nicht, ſagt' er, in der
Gegend von Spolletto ſchon geſehen haben, wo¬
von die alten Roͤmer, wie bekannt, die Opfer-
[80] Thiere hergeholt wegen der weißen Farbe?“ —
Ich war nie da und reiſe blos noͤrdlich (ſagt' er),
„mein Name klingt zwar italieniſch, aber nur
meine Großeltern warens.“ „Er heißet Mr. Pa¬
radisi
,“ ſagte Flitte.


Endlich kam Neupeters Antwort, Flitte ſah
keck mit Raphaela ins aufgehende Blatt: „ich
glaube, du biſt betrunken. Dein Vater P. N.“


Mit großem Schmerzen blickte ſie ſinnend
auf die Erde. Der Elſaßer war von oben und
von unten geraͤdert zu einem organiſchen Knaͤul,
und ſann, wiewohl ins Blaue hinein. Paradiſi
trat hoͤflich vor Raphaela, und bat um Verge¬
bnug, daß er ſie und die Geſellſchaft in der ſchoͤ¬
nen Stunde des Malens unterbrochen habe;
„aber, beſchloß er, H. Flitte iſt in der That
ein wenig mit Schuld.“ — „O sacre! ſagte
er, was bin ich?“ — „Sie kommen, fragte
Raphaela, aus Norden wieder hiedurch? und
wann?“ — In 6 Monaten, aus Petersburg,
ſagte der Reiſediener. Darauf blickte ſie ihn, dann
den Notar mit feucht-bittenden Augen an. „O,
„H. Paradiſi! (fuhr dieſer heraus) ich will ein
„Wort[81] „Wort mit wagen — ein Kriegszahlmeiſter, den
„H. Flitte im R. Anzeiger auffodert, muß ihn
„dann gewiß bezahlt haben —“ — „Laſſen Sie
„denn keine Buͤrgſchaft bis zu Ihrer Ruͤckkehr
„zu, edler Signore? fragte Raphaela. „Herr
Harniſch!” ſprach ſie und zog ihn in ihr Schlaf¬
zimmer. „Nur auf Ein Wort, H. Notar!“
ſagte Vult. „Gleich!“ verſetzte Walt und folg¬
te Raphaelen.


„Ach guter Harniſch, fing ſie leiſe an, ich
„bitte Sie mit Thraͤnen — ich weiß, Sie ſind
„ein edler Menſch und lieben den armen Flitte ſo
„aufrichtig — denn ich weiß es von ihm ſelber —
„Und er verdients, er geht Freunden durchs
„Feuer — Mit dieſen meinen Thraͤnen . . . .“
Aber eine nahe laute Trommelſchule von Kriegs-
Anfaͤngern, ein taub-ſtumm-machendes Inſti¬
tut, zwang ſie unwillig inne zu halten. Er blick¬
te ihr unter der Laͤrmtrommel in die großen run¬
den Regen-Augen und nahm ihre weiße Wachs-
Hand, um etwan durch beides ihre Bitte zu er¬
rathen. „Mit Wonne thu' ich alles — rief er
im wohlduftenden Kabinette voll Abendſonnen,
Flegeljahre IV. Bd. 6[82] und rother Fenſtervorhaͤnge, voll Amor und Pſy¬
chen, und vergoldeter Standuhren mit heruͤber
gelegten Genien, — weiß ich nur was.“


„Ihre Buͤrgſchaft fuͤr H. Flitter., (fing ſie
an) ſonſt muß er heute noch ins Gefaͤngniß; —
hier in Haßlau, ich betheure Ihnen, borgt und
buͤrgt fuͤr ihn kein Menſch, ſelber mein lieber Va¬
ter nicht. — O waͤre meine Wina da; — oder
haͤtt' ich mein Nadelgeld noch. . . . —


Sie ſchlug ihren weiſſen Bettvorhang auf die
Seite und wieß ihn oben auf die kurze Furche des
blendenden Deckbettes mit den Worten: „da
liegt er ſtets am Morgen, der holdſelige Wurm,
den ich ernaͤhre, ein Soldatenkind — aber ich
buͤrg' Ihnen fuͤr alles.“ — „H. Notarius Har¬
niſch, rief Vult aus dem Malerzimmer, Sie
ſind hier noͤthig!“ —


„Ich bin in der That ſelig (ſagte Walt und
faltete die gehobnen Haͤnde) — Auch jene theuren
Spielwaaren dort auf dem Tiſch, ſchafften Sie
fuͤr Kinder an?“ — „Ach ich wollte lieber, ich
haͤtte das Geld noch,“ ſagte Raphaela. — „Mit
welcher Geſinnung ich H. Paradiſi'n Buͤrgſchaft
[83] leiſte, — denn ich leiſte ſie — brauch ich wahrlich
Ihnen in ſolchem Zimmer nicht auszuſprechen;
glauben Sie mir!“ ſagt' er. Sie ſtuͤrzte aus ei¬
ner von ihr halb angeſetzten Umarmung zuruͤck,
druͤckte die Hand und fuͤhrte ihn daran heiter in
die Geſellſchaft zuruͤck, der ſie alles meldete. Der
Reiſediener dankte dem Maͤdchen lange und ver¬
bindlich, kam aber mit einer fein gekleideten Fra¬
ge uͤber des Buͤrgen Ruͤckbuͤrgſchaft zum Vor¬
ſchein. Sie ſchrieb haſtig eine Bitte an ihren
Vater, den der Diener laͤngſt fuͤr ſolid gekannt,
damit er dieſen uͤber Walts kuͤnftige Reichthuͤmer
belehre und bewaͤhre. Paradiſi ging handkuͤſſend
damit ab und verſprach wieder zu kommen.


Vult bat freundlich den Notar um einen Au¬
genblick auf ſeinem Zimmer. Auf der Treppe da¬
hin ſagte er: „Himmel, Hoͤlle! Raſeſt du? —
„Oeffne nur hurtig! — Eile, fleh' ich! — O Walt,
„was haſt du heute gemacht im Schlafzimmer!
„— Dreh' nicht — es iſt Brod im Schluͤſſel —
„Klopf ihn aus — Iſt denn der Menſch ewig ein
„Hund, der zu paſſen hat? — Was haſt du
„darin gemacht! — Wieder ein Ebenbild
[84] „von dir; — wenn nun Feuer waͤre! — Aber
„ſo biſt du uͤberall. . . Ein Ebenbild waͤre mir
„daraus wahrlich lieber entgegengehuͤpft als du
„ſelber — Gottlob!“ Die Stube war offen.
Walt begann: ich erſtaune ganz. — „Du merkſt
„alſo nicht, ſagte Vult, daß alles ein vom Sa¬
„tan gedrehter Fallſtrick iſt, womit ſie dich H.
„Buͤrgen wuͤrgen, und in den Fußblock ſchnuͤ¬
„ren, damit du dich ihnen der dummen Teſta¬
„mentsklauſel *) ſo lange verzinſeſt als du ſitzeſt?“
„Ich fuͤrchte nichts,“ ſagte Walt. „Du hoffeſt
wohl, verſetzte Vult, der alte Kaufmann werde
dir den Kredit ſchon abſchneiden, daß man deine
Buͤrgſchaft gar nicht annimmt?“— „Das ver¬
huͤte der Himmel!“ ſagte Walt. — „Du ver¬
buͤrgſt dich?“ — „Bei Gott! ſchwur Walt.


Der Floͤtenſpieler ſank jetzt ſteilrecht und ver¬
ſteinert auf den Stuhl, ſtarrte wagrecht vor ſich
hin, jede Hand auf eines von den aufgeſperrten,
[85] rechtwinklichten Knien gelegt und wimmerte ein¬
toͤnig: „nun ſo erbarms denn Gott und wer
will! Das ſind alſo die Garben und Weinleſen,
die ich davon trage nach allem Anſpannen und
Hierſeyn! Und der Teufel hauſet wie er will! das
iſt der Lohn, daß ich wie der Rumormeiſter bald
hinten, bald vornen im Heere ritt bei jedem Un¬
fug. — — Nu ſo ſchwoͤr' ich, daß ich tauſend¬
mal lieber einem Schiffsvolk mitten im Sturm
auf einem Schaukel-Schiffe den Bart abnehmen
will, als einen Dichter ſauber ſcheeren, den alles
bewegt und erſchuͤttert. Lieber den Brocken hinauf
will ich als hinterſter Leichentraͤger im Wedel-
Mantel eine Leiche tragen und nachſtemmen, als
einen Poeten geleiten und fortſchaffen hinauf
und hinab; denn dem redlichen, nicht ganz vieh¬
dummen Bruder glaubt der Poet weniger als
weichem Diebsgeſindel, das ihn umſtellt und mit
Fuͤßen tritt wie ein Toͤpfer den Thon, um ihn zu
knaͤten.“


„Ich muß dir geſtehen — erwiederte Walt
ſehr ernſt — daß der weichſte Menſch zum erſten
[86] mal hart werden koͤnnte gegen einen harten, der
uͤber die Menſchen ſtets ungerecht richtet.


„Wie geſagt — fuhr Vult fort — das thut
er nicht, der Poet. Vergeblich reitet ihm ein
leiblicher Zwillingsbruder, wie dem Suworow
ein Koſak, nach und hat den leichten Nachtſtuhl
fuͤr ihn am Halſe haͤngen, ſo daß er ſich nur zu
ſetzen brauchte aufs Geſtelle — er thuts nicht,
ſondern er zeigt ſich — und mehr dazu — der
Welt” —


„An Menſchheit glauben, verſetzte Walt,
an fremde und eigne — durch ſein Inneres ein
Fremdes ehren und kennen — das iſts, worauf
das Leben und die Ehre ankommt; alles Uebrige
hole der Henker. Wie, groͤßere Leute haben in
groͤßern Gefahren auf Leben und Tod vertrauet,
ein Alexander hat ſeinen Schein-Gift waͤhrend
der Brief-Leſung ſeines Arztes getrunken; und
ich ſollte den heißen Thraͤnen eines menſchenfreund¬
lichen Maͤdchens nicht glauben? Nein, lieber
nehm' ich dieſen Stab, der ein Bettelſtab iſt,
und gehe damit ſo weit mich meine Fuͤße tra¬
gen”..


[87]

„Weiter kann auch kein Bettler — ſagte
Vult — aber du unterbrichſt. So daß alſo, will
ich nur noch zuſetzen, die Alten nicht ohne An¬
ſpielung dem Gotte der Dichter einfaͤltige junge
Schafe geopfert. — Daher ein Reichs-Hofraths-
Schluß jeden, der einen Band Gedichte bei
Trattner verlegen laſſen, ſofort pro prodigo er¬
klaͤren ſollte, da er in Betracht ſeiner ewigen goͤtt¬
lichen Apollo's-Jugend von 15 Jahren zu buͤr¬
gerlichen Handlungen, z. B. Schenken unter den
Lebendigen nicht faͤhig iſt, welche Volljaͤhrigkeit
befehlen. . . . . „Nun aber einmal gelaſſen, Bru¬
„der! Was iſt denn das fuͤr ein Leben dahier,
„zum Sacrament? — Aber ganz ruhig! Va¬
„ter, Mutter, Zwillingsbruder willſt du Leuten
„opfern, von denen ich — nichts weiter ſage?
„Bedenk' alles — ſiebzig eben gefaͤllte Notariats¬
„Baͤume — eine ſo unerwartete Verkettung ſo
„vieler Ketten — manche deiner Irrſaale auf
„dem Weg nach Roſenhof — und in der That
„biſt du auch heute ganz. . . . . belebt durch den
„Wein. — Am Ende fliegſt du wohl gar mit
„Sperber- und mit Weihes-Fittichen um das
[88] „Brautherz der Sitzerin, Fuchs, und brauchſt
„den Pinſel-Braͤutigam nur zum Lockvogel, du
„Raub- und Spaßvogel! doch du wirſt roth.
„Was Raphaelens Thraͤnen anlangt — glaube
„mir, die Weiber haben groͤßere
Schmerzen als die, woruͤber ſie wei¬
nen!”


„Gott, wie deſto trauriger!” rief Walt.
„Weiber und Muͤller, ſagte Vult, halten ver¬
„ſteckte Windloͤcher, damit Mehl fuͤr ſie verſtaͤu¬
„be, wenn der andere mahlt.” —


„Meinetwegen! ſagte Walt. Ich gab einem
„Frauenzimmer mein Wort. Ich buͤrge. Gott
„dank' ich nur, daß er mir eine Gelegenheit be¬
„ſcherte, das Vertrauen zu zeigen, das man zu
„den Menſchen haben ſoll, will man nicht das
„eigne verlieren. Soll es aber ſeyn — laſſ' mich
„reden in dieſer Stunde — daß kein Gefuͤhl mehr
„wahrſagt, ſoll der Glaube und die Liebe bluten
„und verbluten: o ſo freu ich mich, daß ich die
„Wunde nur empfange, aber nicht ſchlage. Ich
„buͤrge entſchieden. Vater-Zorn — aber kennt
„er in ſeiner Dorf-Welt meine hoͤhern Verhaͤlt¬
[89] „niſſe? — und Mutter-Zorn — und Kerker
„und Noth: es brech' ein; ich buͤrge. Zuͤrne
„du. Ich buͤrge und gehe hinab.“


Vult hielt ordentlich noch an ſich, ganz be¬
ſtuͤrzt und aus dem Sattel gehoben von Walts
Spruͤngen, der jetzt immer weniger zu regieren
war, je mehr er ihn ſtach und trieb; — vielleicht,
weil der ſanfteſte Menſch, ſo bald man ſeiner
Freiheit ſtatt zu ſchmeicheln droht, ſpornſte¬
tig
*) wird —: „Du gehſt, ſagte Vult, (ich
bitte dich gewiß ruhig), gehe blos in dich. Fahre
nicht, wie ein geblendeter Vogel, gerade in die
Hoͤhe! Kehr' um. Ich flehe dich, Bruder!“ —
„Und muͤßt' ich gleich ins Gefaͤngniß, ich hielte
Wort!“ ſagt' er — „Verſchimmle da, ſagte
Vult; ich wehr' es nicht; nur aber die klaͤrſte
Vernunft und Billigkeit behalt' ihr Recht — nur
das Geſindel triumphire nicht — Am Ende wird
noch dazu erfahren, daß ich mit dir verwandt
bin und ich werde ſo verflucht ausgelacht als einer
von uns — Freund, Bruder, hoͤre, Teufel!“

[90]

Er ging aber. „O du wahrer Linker! *) (ſagte
gluͤhend der Floͤteniſt) Doch zuſehen will ich dir
unten, wie du vor meinen Augen die Winterſaat
zur herrlichſten Sommer-Ernte von Diſtelkoͤpfen
fuͤr Finken ausſaͤeſt!“


Als ſie eintraten, fanden ſie das Liebes-Paar
allein; der Reiſediener war noch nicht zuruͤckge¬
kommen zu Vult's Verdruß, der oben manche
Reden lange geſponnen hatte, um verſaͤumen zu
laſſen. Walts Geſicht gluͤhte bewegt, auch die
Stimme; dabei warf er Blicke auf Vult in Angſt,
dieſer werde grob. Aber gegen alles Erwarten
war der Floͤtenſpieler eine Floͤte; er ſchauete ſo
unbefangen an und ſprach ſo ſanft. „Malen
Sie ganz luſtig weiter,“ ſagte Vult zu Flitten.
„Daruͤber kann wohl jeder ſein Lied ſingen, uͤber
dergleichen Bußtexte; manche beſitzen ganze Lie¬
derbuͤcher. Ich habe ſelber einmal in dieſem Ge¬
ſange der drei Maͤnner im Feuer auf eine Weiſe
eine Stimme gehabt, daß ichs beinah' hier zum
Beſten geben moͤchte, wenn ich wuͤßte, daß es
[91] uns zerſtreuete. Ich entſinne mich naͤmlich noch
ſehr wohl, daß ich vorher in London eine Zeitlang
in einer Sakriſtei wohnte und Nachts den Knie¬
polſter des Altars als Kopfkiſſen unterhatte, weil
mir die Gelder ausblieben, die ich aus Deutſch¬
land bezog. Nicht ganz reich, noch weniger be¬
quem kam ich mit noch 6 Emigranten auf der
Poſt nach Berlin, aber nicht blind, ſondern
ſammt unſerer ganzen gelderſparenden Geſellſchaft
fuͤr ein einmaͤnniges Poſtgeld. Einer naͤmlich
ließ ſich ſtets einſchreiben, welcher zahlte und oͤf¬
fentlich vor der Welt einſaß. Drauſſen ſtieg ei¬
ner um den andern von uns auf, nach der an¬
cienneté
der Muͤdigkeit, indeß die uͤbrigen Deutſch¬
landsfahrer neben dem Wagen auf beiden Seiten
mitgingen; ſo daß vor dem zweiten Poſthaus im¬
mer ein anderer Paſſagier abſprang als vor dem
erſten aufgeſprungen war. Die deutſchen Poſten
fahren immer ſo gut, daß man ſchon mit fort¬
kommt zu Fuße. In Berlin ſelber fuhr ich, weil
mir die Gelder ausblieben, die ich aus England
bezog, noch viel haͤrter. Vom einzigen Berge da,
monte di pietà, hatt' ich Ausſicht; in großen
[92] Staͤdten miethet man ſich alles, Haͤuſer, Pferde,
Kutſchen, boͤſe Frauen, beſonders aber zuerſt
Geld. In letzterem ging ich weit. Schulden fuͤh¬
ren wie andere Silber-Pillen erſt den Morgen
darauf, wenn man ausgeſchlafen, das ab, was
man noch hat. Eine Figurantin bei dem Ballet,
welche ich heirathen wollte; weil ſie die Unſchuld
ſelber war, und folglich ſolche nie verlieren konn¬
te, ſteigerte das Leid ohne Beilied, die Schulden,
noch hoͤher, weil wir die Flitter- und Honig-
Wochen vor der Ehe abthaten, damit dieſe nach¬
her ungeſtoͤrt aus Einem Stuͤck gemacht waͤre;
Flittern und Honig wollen aber gekauft ſeyn. Wie
wir freilich liebten, ſie im beſſern Sinne Figu¬
rantin, ich Figuriſt, mit welchen Konfigurazio¬
nen — davon iſt kein anderer Zeuge mehr da —
denn ſie wollte kein bloßes Bruſtſtuͤck — als ihr
Herzgrubenſtuͤck, das ich in einer Ferne von 6
Schuhen malte, indem ich naͤmlich, ſelber ein
lebendiges Knieſtuͤck, die niedrigen Beine aus
Ehrfurcht hinter mich oder meine Schenkel zuruͤck¬
werfend, vor ihr ſtand auf den bekannten Scheiben
der Kniee. Aerzte haben oft bemerkt, daß ploͤtz¬
[93] liches Erſchrecken den Koͤrper und deſſen Finger ſo
froſtig-knapp einziehe und einklemme, daß Rin¬
ge, die letztern ſonſt nicht abzuſchrauben waren,
von ſelber abglitten. Es ſollte mir ſo gut wer¬
den, etwas aͤhnliches zu beobachten. Das gute
Tanz-Weſen erſchrack ſo fuͤrchterlich, als ich nach¬
her beſchreiben werde, den 7 Februar im Karne¬
val. Ich ſtieß bei ihr vorher meine gewoͤhnliche
Anzahl Seufzer in einer Minute aus — naͤmlich
vier und zwanzig, wovon, weil man in einer nur
zwoͤlfmal athmet, die Haͤlfte aus-, die Haͤlfte
eingezogen wird — that die alten Wuͤnſche, ich
moͤchte meinen Seufzern Luft machen koͤnnen, als
ob ein Seufzer aus etwas anderm beſtaͤnde, und
rief endlich im Feuer aus: „wie viel, du Koſt¬
bare, bin ich Berlin ſchuldig, daß ich dich
kennen lernte, Unbezahlbare“ —: als ploͤtzlich
bei dieſen Worten, wie bei Stichworten, meine
ganze Dienerſchaft von Lakaien und meine
ganze Herrſchaft von Hausherren an der Spitze
eines Jokeys herein drangen auf mein Theater —
leider keines, worauf meine Kebsbraut ſprang —
und Dinge von mir verlangten, die ich natuͤrlich
nicht bewilligen konnte. Meiner Geliebten — die
[94] weniger darauf vorbereitet war als ich — ent¬
glitſchte vom erſchrocknen erkaͤlteten Ringfinger
unſer großer Ring der Ewigkeit, und ſie ſagte im
Schrecken ohne Bewußtſeyn verflucht grob: Herr
von Lumpenhund!


Wer in Berlin war, wundert ſich gar nicht,
ſondern weiß, wie man da zuweilen angeredet
wird, wenn man zwar von Stand und folglich
nicht zu bezahlen iſt, aber auch nicht zu bezahlen
hat. Ich muthmaſſe, ich waͤre damals geſtor¬
ben in der Friedrichs-Straße, waͤr' ich nicht zu
meinem Gluͤcke erkrankt an einem hitzigen Fieber.
Die Krankheit — weniger der Arzt — rettete mich.
Sie, H. Flitte, wurden, hoͤr' ich, von der Ihrigen
auf dem Thurm durch die Kunſt gerettet; wahr¬
ſcheinlich alſo eine ganz andere als die meinige.
Mein Fieber organiſirte mich ſo ſonderbar, daß
mir nicht nur die alten Haare ausfielen — blos
zu einem Titus behielt ich ſchwachen kurzen Pelz
— ſondern auch die alten Ideen, vorzuͤglich ver¬
druͤßliche.


Platner bemerkt recht gut, — ſo wie den te¬
leologiſchen Vortheil davon — daß das Gedaͤcht¬
[95] niß des Menſchen das Suͤſſe weniger fahren laſſe
als das Bittere.


Mit mir — obwohl nicht vom Krankenla¬
ger — ſtanden meine Glaͤubiger auf. „Treffli¬
cher H. Muſikhaͤndler Rellſtab! — mein Bedien¬
ter verſichert, Sie hieſſen ſo — (ſagt' ich zu dem
bekannten Manne, meinem ſtarken Glaͤubiger)
eben mach' ich mich vom hitzigſten Fieber von der
Welt auf und habe alles, 100000 Dinge, ja den
Namen vergeſſen, den ich gewoͤhnlich unterſchrei¬
be. Erklaͤren laͤßt ſichs gut genug aus Phyſio¬
logie, aus Schweißen, Fieberbildern und Ermat¬
tungen; aber verdruͤßlich iſts fuͤr einen Mann
wie ich, der gern ſeine Nota von Muſikalien ab¬
fuͤhrt, und dem doch alles entfallen. In dieſer
Noth bitt' ich Sie, ſo lange zu warten, bis ich
mich der Sache entſinne, guter Rellſtab; dann,
wahrlich haben Sie Ihr Geld auf der Stelle im
Hauſe, was ſich im anderen Sinne ohnehin ver¬
ſteht.”


Darauf erſchien der erſte Theaterſchneidermei¬
ſter und Garderobier und erſuchte mich um das
Seinige. Ich antwortete: „lieber H. Freytag —
[96] denn Sie ſind, hoͤre ich, ein Namensvetter des
heutigen Charfreitags — entfaͤhrt jedem Schuld¬
ner ſo viel auf dem Krankenbette als mir (z. B.
etwa den Blutſchuldnern, Ehrenſchuldnern,) ſo
iſts ſchlimm fuͤr Glaͤubiger. Denn mir fuͤr meine
Perſon iſt rein alles entfallen, was ich ſchuldig
bin; — Sie werden mir kaum glauben, wenn
ich Sie an meine Krankenmatraze fuͤhre, wo ich
geſchwitzt, und gefiebert, daß ich nichts behalten
habe. Muͤnzen helfen hier wenig ohne Gedaͤcht¬
niß-Muͤnzen; es iſt aber betruͤbt, Rellſtab.”


Er heiße Freytag, ſagt' er. „Das hole der
Teufel, ſagt' ich, brauch' ich auch gar einen Kor-
Repetitor? Nun, ich will nicht vergeſſen, mich
zu erinnern.” —


Der Kammerherr Julius ..... trat ein und
wuͤnſchte zu meiner Geneſung ſich ſowohl Gluͤck
als die zwanzig Friedrichsdo'r Spielgeld von mir.
„Ich ſoll Sie kennen,” ſagt' ich. — „Quod¬
deusvult? — Ich hoffe, du verſtehſt mich,”
ſagt' er. — „Entſchieden!” ſagt' ich. „Aber
du verſchreckſt; denn wenn ich weiß, ob ich mehr
dir oder dem Mann im Mond oder dem Gro߬
weſſir[97] weſſir Spielgeld ſchuldig bin: ſo will ich nicht krank
geweſen ſeyn. Recht haſt du gewiß; aber ſollte
man ſich denn nicht jedesmal, eh' man in ein
hitziges Fieber verfaͤllt, tauſend Knoten ins Schnupf¬
tuch machen, um geneſen manche beſſer zu loͤſen
als durch das Zuwerfen des Schnupftuchs? Sprich,
Kammerherr! — Paſſ' alſo, bis mir die Memorie
wieder aufhilft! — aber verflucht fatal, daß Ihr
Leute vom Hofe ganz gegen Plattners Bemerkung
gerade nur das Fatale (weniger faſt Fatalien) be¬
haltet. Aber wie gehts uͤbrigens? Revuͤe ſchon
an?” — „Wie im Winter, Vult?” ſagte Ju¬
lius. Nun, du ſiehſt es ſelber, ſagt' ich. Was
macht denn die liebenswuͤrdige Koͤnigin? — Man¬
ches, glaub' ich, vergißt man weniger.” — Darauf
bat ich ihn, naͤchſtens mich zu erinnern und wir
ſchieden ganz guͤtlich.


Anders gings, als ich von der langen Bruͤcke
in die Koͤnigsſtraße wollte und mich ein gebildeter
Jude aufhielt: „lieber Moſes! ſagt' ich, boͤſe
Nachrichten! das Fieber hat mich zu einem Titus
geſchoren.” — „Boͤſe! unterbrach der Jude;
Flegeljahre IV. Bd. 7[98] wenn wir Juden einen ſchlimmen Fuͤrſten malen
wollen, ſo ſagen wir: das iſt ein wahrer Titus!
— Die Tituskoͤpfe bauen uns kein Jeruſalem.“
„Sonſt — fuhr ich fort — war Hebraͤiſch, Ju¬
denteutſch, Neuhebraͤiſch, mein Fach, ſammt den
Huͤlfsſprachen, dem Chaldaͤiſchen, Arabiſchen —
alles iſt vergeſſen durchs ſtarke Fieber, Moſes —
Sonſt kannt' ich meine Schuldner auf hundert
Schritte, die Glaͤubiger auf tauſend weit.“ —
„Wechſel, verſetzt' er, ſind da gut“ und praͤſen¬
tirte mir einen faͤlligen noch uͤber der Spree“ . . . . .


Hier machte aufgeheitert H. Paradiſi die
Thuͤre auf und dankte Raphaelen ſehr fuͤr ihr
Blatt, und warf ein hoͤfliches Auge auf Walt.
Er nahm deſſen Buͤrgſchaft an. Selten war der
Notarius ſeliger — und unſeliger geweſen. Vults
parodiſcher, zyniſcher Spaß hatte ihm allein rein¬
bitter geſchmeckt — andern nur abgeſchmackt —;
indeß ihn das neue Gluͤck erquickte, Flittes Ent¬
ſatz und Schutzgeiſt zu werden. Vor Vults Oh¬
ren und Augen wurde kuͤhn und kalt die Wechſel¬
ſache vollfuͤhrt und geruͤndet und der Floͤtenſpieler
wurde uͤber die ſo frei auseinander bluͤhende Ge¬
[99] genwart beſtuͤrzt und erzuͤrnt, obwohl heimlich;
ſo wenig vertraͤgt ſogar der Kraftmenſch fremde
Staͤrke und Konſequenz, ſobald ſie mehr wider
ihn auftritt als fuͤr ihn, weil jeder uͤberhaupt
vielleicht von fremder mehr zu fuͤrchten als zu hof¬
fen hat.


Als der Wechſel erneuert war, ſchied der Floͤ¬
tenſpieler ſanft von der Geſellſchaft, beſonders von
Walt. Dieſer begleitete ihn nicht. Er fragte Flit¬
ten, ob er die wenigen Stunden, die etwa ſeiner
Probe-Woche noch abgingen, nicht in ſeinem
eignen Zimmer verbringen duͤrfe. Flitte ſagte freu¬
dig Ja. Raphaela druͤckte dankend Walten noch
ihre zarte Hand in die ſeinige. Er ging in ſeine
ſtille Stube zuruͤck, und beim Eintritte war ihm,
als wenn er in Thraͤnen ausbrechen ſollte, ob vor
Freude, oder Einſamkeit, oder Trunk oder uͤber¬
haupt, das wußt' er nicht; am Ende vergaß er
ſie vor Zorn.


[100]

Nro. 55. Pfefferfraß.

Leiden des jungen Walts. — Einquartirung.


Der Notarius konnte eine ganze Nacht lang
weder ſchlafen, noch ſeinen Bruder lieben; ſon¬
dern der Zorn war ſein Traum, und das naͤcht¬
liche Aufthuͤrmen zankender Gruͤnde erhitzte ihn zu¬
letzt dermaſſen, daß er, wenn Vult ſich an deſſen
Bett gewagt haͤtte, vielleicht faͤhig geweſen waͤre, ihm
zu ſagen: „ich rede nun anders mit dir, Bruder;
„ſetze dich aber nicht aufs ſcharfe Bettbret, ſon¬
„dern mehr auf die Kiſſen herein!” — Unbegreif¬
lich und unverzeihlich fand er deſſen Kraft, Men¬
ſchen ins Geſicht hinein zu martern, den armen
Flitte und ihn ſelber. Schon oͤfters hatt' er bei
der Weltgeſchichte verſucht, in jene maͤchtigen
Schnee- und Gletſcher-Maͤnner, welche mitten
unter dem Haſſe eines ganzen Hofs und Volks
heiter glaͤnzen und gedeihen, ſich ſo gut poetiſch
zu verſetzen als in andere Karaktere; aber es hatte
nie beſondern Erfolg — er waͤre eben ſo gut einer
Statue durch den Mund ins Herz gekrochen. Ihm
griff ſchon ein Menſchen-Antlitz in die Seele und
waͤr' es punktirt an der Puppe eines Nachtſchmet¬
[101] terlings erſchienen, oder waͤchſern an der Puppe
eines Kindes; er haͤtte beide nicht kalt eindruͤcken
koͤnnen mit dem Daumen.


Er ſtieg aus dem Bette in einen platt-gemaͤh¬
ten Herbſttag; denn er wollte, wie er pflegte,
lieben, und der ſuͤßeſten Empfindung kaum maͤch¬
tig ſeyn; fand aber nichts Brauchbares dazu,
ſondern nur die Zuckerſaͤure der vorigen Zuckerin¬
ſel. Jetzt ſtellte er ſich, da es ſein erſtes Zuͤrnen
war, recht dazu an. Ein Herz voll Liebe kann
alles vergeben, ſogar Haͤrte gegen ſich, aber nicht
Haͤrte gegen andere; denn jene zu verzeihen, iſt
Verdienſt, dieſe aber Mitſchuld.


Darauf machte er ſich auf den matten Weg
aufs Rathhaus, um da, wie bisher, ſich fuͤr
ſeine Erbamts-Suͤnden wacker abſtrafen zu laſ¬
ſen. Der Spaßvogel Flitte, jetzt ſein geſtriger
Ungluͤcksvogel, war ſchon da — denn er hatte
faſt nichts auf der Erde, als Zeit —; ſammt
Paßvogeln, dem Buchhaͤndler. Walt ſah ſo lie¬
be-gießend dem Elſaßer ins Auge, als haͤtte die¬
ſer ſich fuͤr ihn verbuͤrgt; nie warf irgend ein Feg¬
feuer auf den Gegenſtand, der es fuͤr ihn ſchuld¬
[102] los angezuͤndet, vor ſeiner Seele irgend einen gel¬
ben haͤßlichen Wiederſchein; vielmehr freuete er ſich
recht, allein im Fegfeuer zu ſtehen, und den Fremd¬
ling rein aus den Flammen anzuſchauen.


Der Teſtaments-Ober-Vollſtrecker H. Kuh¬
nold eroͤffnete nach der 7ten Klauſel — moͤchte doch
jeder Leſer das Teſtament aus dem Buche heraus¬
geſchnitten, broſchirt, immer neben ſich haben —
den geheimen Artikel des Regúliertarifs, der
rechtmaͤßig zu oͤffnen war. In der That war
darin auf jeden franzoͤſiſchen Germaniſmus, den
Flitte von ihm an Eidesſtatt berichten wuͤrde,
ein Tag verſpaͤteter Erbſchaft zur Schulſtrafe ge¬
ſetzt. Flitte erwiederte darauf, „er wiſſe Nie¬
„mand, der ſo viel Organ fuͤr franzoͤſiſche
„Sprache beſitze, ſo wie Kalligraphie dafuͤr, als
„Herrn Walt, und er entſinne ſich keines erheb¬
„lichen Fehlers.“ Walt griff nach deſſen Hand,
und ſagte: „o wie ſchoͤn, daß ich mir Sie ſo im¬
„mer dachte! Aber meine Freude iſt nicht ſo un¬
„eigennuͤtzig, als ſie ſcheint, ſondern noch unei¬
„gennuͤtziger.“ Der Ober-Vollſtrecker wuͤnſchte
ihm erfreuet Gluͤck — desgleichen der Buchhaͤnd¬
[103] ler — und jener bat ihn um die Wahl des neuen
Erbamtes.


Es iſt ſehr ſchlimm fuͤr dieſe Geſchichte, daß
die Welt nicht die ſechste Clauſel „Spaßhaft
und leicht mags
” auswendig kann, auf wel¬
cher doch gerade die Pfeiler des Gebaͤudes ſtehen.
Der Notar wußte ſie ganz gut, und der Buch¬
haͤndler am beſten. Als Walt in dem Seelen-
Rauſche uͤber die ſchoͤnſte Rechthaberey, die es
gibt, ſich naͤmlich nicht in guten Vorausſetzun¬
gen von Flitte geirrt zu haben — nicht ſo gleich
das Erbamt erleſen konnte, das er begleiten wolle:
trat Paßvogel zu ihm, und erinnerte ihn an den
Buchſtaben C der Klauſel, welcher ſagt, „er ſoll
„als Korrektor 12 Bogen gut durchſehen.” —
Treflich genug! ſagte Walt, verſtand und erklaͤrte
ſich dazu; — in das vom Nacht-Zorne zerfreſſene
Herz floßen die kleinſten Erguͤſſe menſchlicher Mil¬
de balſamiſch-heilend ein.


Auſſerhalb der Rathsſtube fand er auf einmal
ſein Herz um-, und dem Bruder wieder zugewandt;
Flitte war gerechtfertigt, er ſelber entſchuldigt,
und er verzieh in Maſſen, blos weil er ſo viel —
[104] Recht gehabt. Nachdem er eilig ſeinem geaͤngſtig¬
ten Vater den ſchoͤnen Ablauf ſeines Wochenam¬
tes geſchrieben hatte: ſo machte er ſich ernſthafter
an ſeine alte Verſetzung ins fremde Ich, und
fragte: „kann denn Vult ſeine Handlungen nach
andern Grundſaͤtzen zuſchneiden, als nach ſeinen
eigenen? Und wollt' er denn anders, als ich ſel¬
ber, eben fuͤr mich handeln? — Jeder begehrt
von Andern Gerechtigkeit und dann noch ein we¬
nig Nachſicht dazu; ei gut, ſo geb' er andern
auch beides, und das will ich thun.“ Er fand
zuletzt in Vults Stoßkraft eine Ergaͤnzung ſeiner
eigenen weichwolligen Außenſeite; die Freundſchaft
und Ehe wird, ſo wie ein Fernrohr, durch Zu¬
ſammenſetzung erhobner und hohler Glaͤſer gemacht.


Was half aber ſein aufgethanes Herz? Nie¬
mand ging hinein. Liebes-ſchamhaft harrte er,
daß Vult nur eine Viertels-Elle von einer weiſſen
Friedensfahne flattern ließe, um ſogleich mit Lie¬
besaugen in die fremde Seele einzuziehen; aber
nicht einen Fingerbreit davon ſtreckte dieſer aus,
ſondern er ſchickte ihm Ausſchweifungen fuͤr den
Hoppelpoppel ohne ein Wort dazu. Walt ſandte
[105] ihm mehrere Kapitel, die er in ſeinem Herzens¬
kloſter um ſo leichter aufgeſetzt, da ihn Paßvo¬
gel noch immer auf den erſten Korrekturbogen war¬
ten ließ, ſo wie die Stadt ihn auf irgend ein No¬
tariats-Inſtrument, das ihn haͤtte ſtoͤren und
bereichern koͤnnen. Ihnen fuͤgt er blos zwey Streck¬
verſe bei:


I.

Meine ganze Seele weint, denn ich bin allein;
meine ganze Seele weint, mein Bruder!

II.

Ich ſah dich, und liebte dich. Ich ſah dich
nicht mehr, und liebte dich. So muß ich dich
immer lieben, ich mag nun frohlocken oder wei¬
nen tief im Herz.


Einen Tag darauf ſchickte ihm Vult die aus¬
gearbeitetſten Ausſchweifungen zu, und gedachte
des Genußes kurz, den ihm jetzt Walts Hoppel¬
poppel oder das Herz zufuͤhre, da jedes Kapitel
mit wahrer Kunſtwaͤrme erſchaffen ſey, und uͤber¬
feilt — und ſchrieb noch, er ſelber ſchreibe zwar
eifriger als je, duͤrfe aber nicht entſcheiden, wie
gluͤcklich — und ſchrieb weiter nichts. „Nun
[106] denk' ich“ — ſagte Walt zu ſich — „weiß ich
„recht gut, woran ich bin, ich bin faſt ſehr un¬
„gluͤcklich — es iſt vorbey mit dem Himmel, der
„ſich hier aufthat fuͤr mein Armen-Auge — Auf
„ewig iſt mir der Bruder begraben und eingeſenkt
„— Tritt er etwan einmal vor mich, ſo, weiß
„ich wohl, iſts ein Antlitz grimmig verzogen,
„und mich wird ſchaudern durch mein Herz. O
„mein Bruder, wie ſchoͤn war es einſt, als ich
„dich noch umarmte, und zwar weinen mu߬
„te, aber ganz anders!“


Darauf ſchrieb er wieder ein gutes Kapitel am
Romane, ſchickt' es ihm mit folgendem, hier ganz
mitzutheilendem Briefe:


Bruder!


Hier! — — — — — — —


Dein Bruder
G.


Vult verſetzte nichts darauf. Gott Walt er¬
zuͤrnte ſich nach der Terzien-Uhr; dann hatt' er
wieder lieb nach der Thurm-Uhr. Nur die Traͤu¬
me drangen mit ihren graͤulichen aufgeriſſenen
Larven in ſeinen Schlaf, jede mußte wie ein
[107] Bruder ausſehen, der ihn martert auf einer un¬
abſehlichen Folterleiter, auf der er ausgeſpannt
lag von Stern zu Stern.


An einem November-Nachmittage ging er in
das Wirthshaus zum Wirthshaus, wo er ihn,
wie bekannt, nach einem langen Lebens-Winter
gefunden hatte, wie einen Mai. Der Herrnhuti¬
ſche Wirth pruͤgelte eben, da er eintrat, die Wir¬
thinn aus dem Gaſthofe hinaus, warf ihr ſeinen
Jungen nach, und ſchrie: waͤr' er kein Chriſt, ſo
wuͤrd' er ſie anders behandeln; ſo eben zaͤhm'
er ſich, und kein boͤſes Wort komme aus ſei¬
nem Maule. Walten kannt' er gar nicht mehr,
als dieſer um das vorige, jetzt zugemauerte, Ober¬
zimmer anhielt, wo er im July geſchlafen hatte.
Theils Wuͤrſte, theils Flachs auf Stroh waren
darin auseinander gebreitet. Er entfloh auf den
herrnhutiſchen Gottesacker, wo er einſtens, als
die Sonne unter- und der Bruder aufging, ſo froh
und ſo neu geworden. — Aber die Baͤume waren,
anſtatt begrabne Gerippe laubig zu bedecken, ſel¬
ber ſteilrechte geworden — dabei ſchneiete es reg¬
neriſch — mehr das Gewoͤlke als die Sonne ging
[108] unter — und Abend und Nacht waren ſchwer zu
ſondern. Der Notarius ſah aus wie der eben re¬
gierende November, der, noch weit mehr dem
Teufel als dem April aͤhnlich, nie ohne die ver¬
druͤßlichſten Folgen abtritt.


Von da trug er ſich verarmet — fern von je¬
nem reichen Morgen, wo er neben dem reitenden
Vater zu Fuße hergelaufen — zuruͤck in die Stadt.
Als er uͤber die kalt wehende Bruͤcke ging und
nichts um ihn war als die oͤde dunkle Nacht: ſo
flogen zwei dicke Wolken auseinander — der helle
Mond lag wie eine Silberkugel einem weißen Wol¬
kengebuͤrge im Schoß und der lange Strom wand
ſich erleuchtet hinab. Auf dem Waſſer kam etwas
herabgeſchwommen wie ein Hut und ein Aermel.
„Geht es durch die Bruͤcke unter mir durch, ſagte
Walt, ſo nehm' ichs fuͤr ein Zeichen, daß auch
mein Bruder ſo von mir dahin geht; ſtoͤßt es ſich
an die Pfeiler, ſo bedeutet es etwas Gutes.” Er
fuhr zuſammen, da es unten wieder hervor kam;
endlich fiel ihm ein, daß wohl gar ein ertrunkener
Menſch unter ihm ziehen koͤnne, ja Vult ſelber.
Er ſprang herunter ans Ufer herum, wo ſich
[109] das ſchwimmende Weſen in eine Bucht voll Buſch¬
wurzeln verfangen hatte. Muͤhſam und zitternd
hob er mit ſeinem Stabe einen leeren Aermel, dann
noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er
ſehr ſah, daß das Ganze nichts ſei als eine ins
Waſſer geworfene, von der Jahrszeit abgedankte
— Vogelſcheuche.


Aber ein Schauder dauert laͤnger als ſein An¬
laß oder Irthum; er ging noch ſorgend fuͤr den
Bruder in deſſen Wohngaſſe, als ſeine Floͤte ſchon
von ferne herauf toͤnte und wie nun die Fluth
alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem
weichen Meer zudeckte. Der elende November,
der herrnhutiſche Wirth, die Vogelſcheuche und die
leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in ſchoͤ¬
nen Wogen. Walt trat, weils finſter war —
denn am Tage ſchauete er nur die lange Gaſſe
hinab — dicht vor Vults Haus, obwohl in die
Monds-Schatten-Seite. Er druͤckte den Thuͤr¬
druͤcker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft
ihn die bruͤderliche mußte angefaßt haben. Vult,
dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬
ſchimmer gegenuͤber, mußte mit dem Notenpulte
[110] nah' am Fenſter ſtehen. Als wieder ein langer
Wolkenſchatte die Gaſſe heraufflog: ſchritt er
quer uͤber und guckte hinauf, und ſah hinter dem er¬
leuchteten Notenpulte das ſo lange begehrte Ge¬
ſicht; und weinte bitter. Er ging an ein großes
rothes Thor ſeitwaͤrts, worauf Vults Schatten¬
riß, aber graͤulich aus einander gezogen wie ein
angenagelter Raubvogel hing und kuͤßte etwas
vom Schatten, aber mit einiger Muͤhe, weil ſein
eigner viel verdeckte.


Gern waͤr' er jetzt zu ihm hinauf gegangen
mit der alten Bruder-Bruſt an ſein Herz; aber er
ſagte: „blieſ' ich ſelber droben, o ſo weiß ich al¬
les wohl — nein es gaͤbe fuͤr mich kein fremdes
Herz; aber er iſt faſt immer das Widerſpiel ſeines
Spiels und oft faſt hart, wenn er ſehr weich da¬
hin floͤtet. — Ich will ihn in ſeiner Geiſter-Luſt
nicht ſtoͤren, ſondern lieber manches zu Papier
bringen und morgen ſchicken.”


Er thats zu Hauſe, die Floͤtentoͤne des Bru¬
ders fielen ſchoͤn in das Rauſchen ſeiner Gefuͤhle
ein — er verſiegelte einen geiſtigen Sturm. Er
legte dem Sturm zwei Polymeter uͤber den Tropf¬
[111] ſtein bei, deſſen Saͤulen und Bildungen bekannt¬
lich aus weichen Tropfen erſtarren.


Erſter Polymeter.

Weich ſinkt der Tropfe im Hoͤlen-Gebirge,
aber hart und zackig und ſcharf verewigt er ſich.
Schoͤner iſt die Menſchen-Thraͤne. Sie durch¬
ſchneidet das Auge, das ſie wund gebiert; aber
der geweinte Diamant wird endlich weich, das
Auge ſieht ſich um nach ihm und er iſt der Thau
in einer Blume.

Zweiter.

Blick' in die Hoͤle, wo kleine ſtumme Zaͤhren
den Glanz des Himmels und die Tempelſaͤulen der
Erde ſpielend nachſchaffen. Auch deine Thraͤnen
und Schmerzen, Menſch, werden einſt ſchimmern,
wie Sterne, und werden dich tragen als Pfeiler.


Vult antwortete darauf: „muͤndlich das
Uebrige, Lieber! Wie mich unſer ſo wacker ge¬
foͤdertes Schreiben freut, weißt du beſſer als ich
ſelber.“ — „So hol' ihn der Henker, ſagte Walt,
ich habe mehr eingebuͤßt als er, denn ich lieb ihn
ganz anders.“ Er war nun ſo ungluͤcklich als es
die Liebe auf der Erde ſeyn kann. Er webte —
[112] ganz entbloͤßt von Menſchen und Geſchaͤften —
ſeinen Roman fort, als das einzige duͤnne leichte
Band, das ſich noch aus ſeiner Stube in die bruͤ¬
derliche ſpannen ließ.


An einem Abende, als der ausgewachſene reife
Mond gar zu hell und loͤſend ſchien, bedacht' er,
ob es denn nicht ſchicklich ſei, ordentlich Abſchied
zu nehmen. Er ſchrieb folgendes Briefchen:


„Empfange mich nicht uͤbel, wenn ich die¬
ſen Abend um 7 Uhr komme. Wahrlich, ich
nehme nur Abſchied; alles wird auf der Erde oh¬
ne Abſchied aus einander geſtuͤrmt; aber der Menſch
nimmt ſeinen von einem Menſchen, wenn er kann,
wenn kein Meer-Sturm, wenn kein Erdbeben die
Seelen-Naͤchſten ploͤtzlich zerwirft. Sei wie ich,
Vult; ich will dich nur wieder ſehen und dann
nicht laͤnger. Antworte nur aber nicht; weil ich
mich fuͤrchte.“


Er bekam auch keine Antwort, und wurde
noch furchtſamer und trauriger. Er ging Abends,
aber ihm war, als ſei der Abſchied ſchon vorbei.
In Vults Stube war Licht. Welche Buͤrde trug
er[113] er die Treppe hinauf, nicht um ſie oben abzula¬
den, ſondern zu verdoppeln! Aber niemand ſagte:
komm' herein! Das Zimmer war ausgeleert, die
Kammerthuͤre offen — auf einem Stallleuchter
wollte ein ſterbendes Licht verſcheiden — die Bett¬
ſtelle beherbergte, gleich einer Scheune, nur fata¬
les Stroh — verzettelte Papier-Spaͤhne, Brief-
Umſchlaͤge, zerſchnittene Floͤten-Arien bildeten
den Bodenſatz verlaufener Tage — es war das
Gebeinhaus oder Gebeinzimmer eines Menſchen.


Walt dachte im erſten Unſinn des Schreckens,
Vult koͤnne, wenn nicht damals, doch ſpaͤter, im
Waſſer gelegen ſeyn, und griff alle Papier-Reli¬
quien mit groß tropfenden Augen halb unbewußt
zuſammen. Auf einmal rief die baßſtimmige Frau
des Theaterſchneiders herauf, wer droben umtra¬
be. Harniſch, verſetzt' er. Da fuhr ſie die Treppe
herauf und ſchalt: das ſei Harniſchens Stimme
nicht. Als ſie ihn gar im Finſtern ſah — denn
er hatte das ſterbende Licht getoͤdtet, weil jede
Nacht beſſer iſt, ſo wie der Tod beſſer als Ster¬
ben, — ſo mußt' er ſich mit der Theaterſchnei¬
Flegeljahre IV. Bd. 8[114] derin in ein anzuͤgliches Hand- naͤmlich Wortge¬
menge uͤber ſeine Diebs-Tendenzen einlaſſen und
zuletzt uͤber ſein Luͤgen. Denn er hatte ſich in der
Eile fuͤr Vults daſigen Bruder ausgegeben und
doch gefragt, wohin Vult gekommen ſei.


Verworren und geſcholten wanderte er ſeiner
Stube zu und ſchlich auf den Treppen voll Lichter
und Leute — der Hofagent gab einen tanzenden
Thee — gebuͤckt hinauf.


Da fand er ſein Zimmer aufgethan und einen
Mann darin mit Haͤmmern arbeitend, um ſich
gut einzurichten in ſeiner neuen Wohnung. Es
war Vult.


„Erwuͤnſchter — ſagte Vult und nagelte an
einer Theaterwand fort — Aber guten Abend! Er¬
wuͤnſchter, meint' ich naͤmlich, kann mir nichts
kommen, als du endlich kommſt. Schon ſeit Schlag
ſieben vexir' ich mich ab, um alles aufs Beſte
aufzuſtellen und etwa ſo einzurichten, daß keiner
von uns nachher brumme oder grunze; unterſtuͤtze
mich aber dabei, bei der gemeinſchaftlichen Ein¬
richtung und hilf! — Du ſiehſt mich ſo an,
Walt? —


[115]

„Vult? — Wie? — Sprich nur! (ſagte
Walt) Es koͤnnte doch etwas himmliſches
ſeyn! Und ſei nur von Herzen willkommen!“
Hier lief er mit Kuß und Umhalſen an ihn;
Vult konnte aber, da er in der einen Hand den
Nagel hielt, in der andern den Hammer, nichts
dazu ablaſſen als Geſicht und Hals, und antwor¬
tete: „die Hauptſache iſt wohl, daß du jetzt ein
vernuͤnftiges Wort daruͤber hoͤren laͤſſeſt, wie die
Sachen zu traktiren ſind fuͤr beiderſeitige Luſt.
Denn iſt einmal alles feſt genagelt: ſo aͤnderts
der Menſch ungern. Mich daͤucht aber, ſo beſitzeſt
und beherrſcheſt du gerade das eine Fenſter und
faſt druͤber, und ich das andere; ein drittes fehlt.“


„Ich weiß wahrlich nicht, was du vorhaſt,
aber mache nur alles und ſage dann, was es iſt,“
ſagte Walt. „So muß ich dich gar nicht verſte¬
hen, verſetzte Vult, oder du mich nicht. Sollteſt
du kein Briefchen von mir erhalten haben?“ ſagte
Vult. — Nein, ſagte er.


„Ich meine das heutige, fragte jener fort,
worin ich ſchrieb, ich wuͤrde dein Schweigen fuͤr
ein Ja auf meine Bitte nehmen, daß wir doch
[116] moͤchten zuſammen wie ein Voͤgelpaar Ein Neſt
oder Quartier bewohnen, dieſes naͤmlich? Wie?“
— „Nichts (ſagte Walt). Aber du willſt dieß?
O warum traut' ich denn deinem Gemuͤthe weni¬
ger? Gott zuͤchtige mich dafuͤr! O wie biſt du!“ —


„In dieſem Falle muß ich das Blatt noch in
der Taſche tragen, (verſetzte Vult und zog es
hervor) zuvoͤrderſt muͤſſen wir aber unſern Stuben-
Etat fuͤr den Winter ins Reine und aufs Trockne
bringen; denn, Freund, leichter vertraͤgt ſich ein
Simultaneum von Religionsparteien in einer Kir¬
che als eines von Zwillingen in einer Stube, wie
ſie dann ſchon als kleine Kraken nicht einmal im
Mutterleibe es ein Jahr lang ausdauern, ſondern
ſich ſondern. Mein Wunſch iſt allerdings, daß
die Feuermauer, die ich zwiſchen uns Flammen
gezogen, — und die Buͤhnenwand langt zum
Gluͤck ſo nett — uns koͤrperlich genug abtrenne,
um uns nicht geiſtig zu trennen. Die Scheide¬
wand iſt auf deiner Seite mit einer ſchoͤnen Reihe
Pallaͤſte uͤbermalt, auf der meinigen iſt ein arka¬
diſches Dorf hingeſchmiert und ich ſtoße nur die¬
ſes Pallaſt-Fenſter auf, ſo ſeh' ich dich von mei¬
[117] nem Schreibtiſche an deinem. Reden koͤnnen wir
ohnehin durch die Mauer und Stadt hindurch.”


„Das iſt ja koͤſtlich,” ſagte Walt.


„Wir arbeiten dann in unſerm Doppel-Kaͤfig
am Hoppelpoppel Tag und Nacht, weil der Win¬
ter fuͤr Autoren und Kreuzſchnaͤbel die beſte Zeit
zum Bruͤten iſt, und wir darin und die ſchwarze
Nießwurz (was ſind wir anders als Nießwurz
der Welt?) im Froſte bluͤhen.”


„O herrlich,” ſagte Walt.


„Denn ich muß leider bekennen, daß ich bis¬
her aus einer Ausſchweifung in die andere, naͤm¬
lich aus ſpaßhaften in reelle gerathen und in der
That wenig gegeben. So aber werden wir beide
ſchreiben und dichten, daß wir rauchen; — nur
fuͤr Buͤcher und Manuſkripte wird gelebt, naͤmlich
von Honorarien. — In 14 Tagen, mein guter
Freund, kann ſchon ein ſehr huͤbſcher Aktenſtoß
an einen Verleger ablaufen vom Stapel.”


„O goͤttlich”, ſagte Walt.


„Falls ein ſolches gemeinſchaftliches Zuſam¬
menbruͤten in Einem Neſte — ich als Tauber, du
als Taͤubin — nicht am Ende einen Phoͤnix oder
[118] ſonſt ein Fluͤgel-Werk ausſitzen kann, das ſich
vor der Nachwelt ſo gut ſehen laͤſſet, daß ſie ihre
Vorwelt fragt, wer beide Bruͤder waren, wie
lang, wie breit, wie ſie gegeſſen, genieſet, und
was die Gebruͤder ſonſt fuͤr Sitten und Moͤbeln
und Narrheiten gehabt; wenn das, ſag' ich, nicht
der Fall bei uns ſeyn ſoll: ſo will ich nicht im
Ernſte geſprochen haben.”


„Ach du ſchoͤner Gott”, rief Walt mit Freu¬
denblicken.


„Freſſen will ich meine Zunge vor Hunger und,
wie man von Bomben ſagt, krepieren, crêper, wenn
wir uns hier nicht lange vorher lieben, eh' wir
uns zanken, kurz uͤberhaupt wenn nicht Sachen
vorfallen, wovon in Zukunft ein Mehreres muͤnd¬
lich. — „Bei Gott, du gibſt mir neues Leben,”
ſagte Walt. „Haͤltſt du es aber genehm, ſagte
Vult und fuͤhrte ihn in die Schlafkammer, daß
ich unſere Bettſtellen durch die ſpaniſche Wand —
fuͤr die ſpaniſchen Schloͤſſer der Traͤume — queer
geſchieden halte? Ich ſehe ſie aber mehr fuͤr einen
alten Bettſchirm an.”


„Du kennſt daruͤber meine Grundſaͤtze, ſagte
[119] Walt; ich hielt es ſchon in fruͤhern Jahren fuͤr
unſchicklich, nur mit einem Freunde gymnaſtiſch
zu ringen oder ihn zu tragen, es muͤßte denn aus
Lebensgefahren ſeyn.”


Darauf zeichnete ihm Vult den ganzen Weg
und engen Paß vor, worauf er hereinkommen,
ferner ſeine Zukunfts-Karten. Schon laͤngſt hab'
er, ſagt' er, zu ihm ziehen wollen, theils aus
Liebe fuͤr ihn und den Hoppelpoppel, theils des
halbirten Miethzinſes halber, theils ſonſt. Neu¬
lich auf einem Spaziergange hab' er ſich in die
Gunſt der guten Raphaela zuruͤck geſchwungen,
mit welcher er als mit einem Hebels-Langarm
dann den Vater habe bewegt. Vor einer Stunde
ſei er mit der Theaterwand von Purzel und mit
dem Koffer eingetroffen und habe den Stubenſchluͤſ¬
ſel im bekannten Maußloch gefunden. „Nun
erbrich aber doch mein Schreiben”, beſchloß er.
Auf dem Umſchlag ſtand: „an H. Walt, abzu¬
geben bei mir.”


Walt bemerkte nicht, daß auf dem Briefe
neben Vults Siegel auch ſeines ſtand und daß
es jener alte war, worin Vult ihm in der Zukunft
[120] das naͤchtliche Poltern, Thuͤren-Zuwerfen ſeines
Polter- oder Schmollgeiſtes vorausſagt, um nach¬
her entſchuldigt zu ſeyn, und den wir fruͤher gele¬
ſen als Walt, oder vielmehr ſpaͤter. *) Walt
glaubte eilig, er meine eine von heute an zukuͤnf¬
tige Zukunft und ſagte, dahin komm' es nicht;
aber als Vult ihm am Datum zeigte, daß eine
vergangne geſchildert ſei: ſo faßte der Notar ſeine
Haͤnde mit beiden feſt, ſah ihm in die Augen und
fing mit langem Ton der Ruͤhrung an: Vult! —
Vult! — Den Floͤtenſpieler druͤckte es, daß er eini¬
ge Tropfen in die eignen Augen, uͤber die er mit den
gefangnen Haͤnden nicht hin fahren konnte, mußte
treten laſſen: „nun, fuhr er auf, auch ich bin
kein Kieſel; laſſe mich aber auf mein Zimmer ge¬
hen und auspacken,” und fuhr hinter die Buͤh¬
nenwand.


Er packte aus und ſtellte auf. Walt ging
im ſeinigen auf und ab und erzaͤhlte ihm uͤber die
Stadt heruͤber ſeine bisherigen Verſuche, ihren
Seelen-Tauf-Bund zu erneuern. Alsdann kam er
[121] wieder in den Verſchlag und half ihm ſein Haus-
oder Stubengeraͤthe ordnen. Er war ſo huͤlf-fer¬
tig, ſo freundlich-thaͤtig, er wollte dem Bruder
ſo viel Plaz aufdringen ſamt Fenſter-Licht und
Moͤbeln, daß Vult heimlich ſich einen Narren
ſchalt, daß er ihm den eigenſinnigen Widerſtand
in der Flittiſchen Wechſelſache zu hart nachgetra¬
gen. Walt hingegen ſtellte ſeiner Seits wieder
heimlich den Floͤtenſpieler ins groͤßte Glanzlicht,
dafuͤr daß er ihm zu Liebe den Widerwillen gegen
Raphaela erſticke; und nahm ſich vor, alle ſchoͤ¬
nen Zuͤge deſſelben unbemerkt aufzuſchreiben, um
ſie als Rezepte nachzuleſen, wenn er wieder knur¬
ren wolle. Die Guͤtergemeinſchaft und Stuben-
Verbruͤderung wurde auf die hellſten Graͤnzvertraͤ¬
ge zuruͤckgebracht, damit man am Morgen gleich
anfangen koͤnnte, beiſammen zu ſeyn. Schoͤn be¬
merkte Vult, man muͤſſe innerlich dem Zorne recht
viel Plaz machen, damit er ſich abtobe und todt
renne an den Gehirnwaͤnden; dann werde ja dem
Menſchen nichts leichter als mit dem geſtorbenen
Wolf im Herzen ein weiches Lamm zu ſeyn auſſen
[122] mit der Bruſt. Man koͤnnte aber hier noch an¬
dere Bemerkungen machen, z. B.


— Die ſtarke Liebe will fuͤr Fehler nur beſtra¬
fen und dann doch vergeben — — Wenn mancher
von kleinen Beleidigungen der Freundſchaft zu tief
getroffen wird: ſo iſt daran blos eine haſſende
Denkungsart uͤber alle Menſchen ſchuld, die ihn
dann in jedem einzelnen Falle ergreift und dieſen
zum Spiegel des Ganzen macht. — — Die hoͤch¬
ſte Liebe kennt nur Ja und Nein, keinen Mittel¬
ſtand; kein Fegefeuer, nur Himmel und Hoͤlle;
— und doch hat ſie das Ungluͤck, daß ſie Gebur¬
ten der Stimmung und des Zufalls, die nur zu
Vorhimmel und Vorhoͤlle fuͤhren ſollten, zu
Pfoͤrtnerinnen von Himmels- und Hoͤllenthoren
macht — Beide kleideten von einander die eigen¬
thuͤmlichſten Gefuͤhle in allgemeine Saͤtze ein. Aber
als Vult hinter dem Schirme ins Bett einſtieg:
ſagt' er: „verſetze mir nichts darauf — denn ich
ſtopfe mir eben die Ohren mit dem Kopfkiſſen zu
— aber ich glaube ſelber, ich haͤtte dich bisher
noch beſſer lieben koͤnnen.“ — Nein, ich dich,
ſchrie Walt.


[123]

Nro. 56. Fliegender Heering.

Brief des BiographenTagebuch.


Gegenwaͤrtiger Biograph der jungen Harni¬
ſche bekam nach dem Abſchluſſe der vorigen Num¬
mer, (des ſogenannten Pfefferfraßes,) von dem
Haßlauer Stadt-Rathe vier neue — naͤmlich den
fliegenden Heering 56, den Regenpfeifer 57, die
Giftkuttel 58 und die Notenſchnecke 59 — ſammt
einem aͤußerſt wichtigen Tagebuche Vults uͤber
Walt. Darauf antwortete er den trefflichen Teſta¬
ments-Exekutoren Folgendes, was durchaus als
ein Zeitſtuͤck der Flegeljahre hereingehoͤrt.


P. P.


Indem ich Ihnen, verehrlicher Stadtrath
und Vollſtrecker, die Ausarbeitung der 55ſten
Nummer Pfefferfraß zuſende und den Em¬
pfang der vier neueſten Naturalien, der Num¬
mern 56, 57, 58, 59, desgleichen des Vultiſchen
Tagebuchs, beſcheinige: leg' ich zugleich die vier
Kapitel fuͤr das Nummern-Viereck bei, welche
ich dadurch geliefert zu haben hoffe, daß ich das
Vultiſche Tagebuch unzerzauſet einwob und es
durch Ueberſchriften in Kapitel ſchnitt und andere
[124] Drucker-Sachen anflocht, z. B. Gaͤnſefuͤße, um
Vults jetzige Worte von meinen kuͤnftigen zu ſchei¬
den. Man griffe ohne weiteres meinen Karakter
an, wenn Sie mich deßhalb etwan einen Schelm,
einen Naturalien-Raͤuber ſchoͤlten und einen Ar¬
beits-Knauſer. Saͤh' es ein verehrlicher Haßlauer
Stadtrath etwan lieber, — was ſo unmoͤglich zu
glauben —, wenn ich den herrlichen Vult, einen
zwar außen ungemalten, aber innen ſchoͤn gla¬
ſirten Sauertopf, mit meinen Toͤpferfarben um¬
zoͤge? Oder kann irgend ein Teſtament anſinnen,
daß ich einem fremden Karakter etwas aus meinem
eignen vorſtrecke? Mich duͤnkt, ich und ſaͤmmtli¬
che poetiſche Weberſchaft haben oft genug bewie¬
ſen, wie gern und reich wir jedem Karakter — und
waͤr' er ein Satan oder Gott — von unſerem lei¬
hen und zuſtecken. Wir gleichen am wenigſten —
dieß duͤrfen wir ſagen — jenem engliſchen Geitz¬
halſe, Daniel Dancer, welcher auf einen frem¬
den
Acker nichts von dem, was die Natur bei
ihm uͤbrig hatte, wollte fallen laſſen, ſondern wie
toll vorher auf ſeinen eignen rannte mit der
Sache. Sondern recht freudig leihet der Roman¬
[125] cier alles, was er hat und was er iſt, ſeinen
geſchriebenen Leuten ohne das geringſte Anſehen
der Perſon und des Karakters! Folglich haͤtte
wohl niemand Vults Tagebuch ſo gern umge¬
ackert und beſaͤet als ich, waͤr' es noͤthig geweſen.


Andere Gruͤnde, z. B. Zeitmangel und Haus-
Tumult ſchuͤtz' ich nicht einmal vor, weil dieſe
ſich auf perſoͤnliche Vertrauungen gruͤnden, wo¬
mit man wohl ſchicklicher das Publikum, als ei¬
nen verehrlichen Stadtrath, behelligt; worunter
aber in jedem Falle die Nachricht gehoͤren wuͤrde,
daß ich geſtern nach meinem Wechſelfieber des
Wechſels — doch nur mit Staͤdten — wieder aus
Koburg abgezogen bin nach Bayreuth. Niemand
muß uͤberhaupt die Zeit mehr ſparen als einer,
der fuͤr die Ewigkeit nicht ſo wohl lebt — das
thut jeder Chriſt — als ſchreibt. Wie viel Blatt¬
ſeiten laͤſſet denn die Biographia britannica un¬
ſeres Ichs der Hiſtoriole des Univerſums uͤbrig?
— Wie ohnehin alles uns Dichter druͤckt, ſchei¬
nen nur die alten Holzſchnittſchneider zu ahnen,
wenn ſie Bienen und Voͤgel — dieſe bildlichen
Verwandten unſers Honigs und unſers Flugs —
[126] blos als fliegende Kreutze zeichnen. Wer haͤngt
an dieſen Kreutzen als wir Kreuztraͤger, z. B.
Ihr
teſtirter


Bayreuth, d. 13. Auguſt 1804.   Biograph,
J. P. F. Richter?


Jetzt geht Walts Geſchichte ſo fort, naͤmlich
Vults Wochenbuch faͤngt ſo an:


„Ich ſchwoͤre hiemit mir, daß ich ein Tage¬
buch wenigſtens auf I Vierteljahr ſchreiben will;
hoͤr’ ich fruͤher auf, ſo ſtrafe mich Gott oder der
Teufel. Von heute — dem Tage nach dem geſtri¬
gen Einzuge — geh' es an. Ja wenn mich der
Gegenſtand — nicht ich, ſondern Walt — hinge,
pfaͤhlte, knebelte, zerfetzte, nach Siberien ſchickte,
in die Bergwerke, in die zweite Welt, in die drit¬
te, ja in die letzte: ſo fuͤhr' ich das Wochenbuch
fort; und damit ich nicht wanke, ſo will ich mit
den Fingern, die man ſonſt dazu aufhebt, es
herſchreiben:


Ich ſchwoͤre.


Die Welt — welche aber nie dieſes Blatt be¬
[127] kommen ſoll — kann ſich leicht denken, uͤber wen
das Wochenbuch gefuͤhret werde; nicht uͤber mich.
Ein Tagebuch uͤber ſich macht jeder Dinten-Mann
ſchon an und fuͤr ſich, wenn er ſeine opera om¬
nia
ſchreibt; bei einem Schauſpieler ſinds die
Komoͤdienzettel; bei einem Zeitungsſchreiber die
Jahrgaͤnge voll Welthaͤndel; bei einem Kaufmann
das Korreſpondenzbuch; bei einem Hiſtorienmah¬
ler ſeine hiſtoriſchen Stuͤcke; Angelus de Con¬
stantio
, der an ſeiner ſtoria de regno di Napoli
53 Jahre verſchrieb, konnte bei jeder Reichsbege¬
benheit ſich die ſeinigen obwohl nur auf 53 Jahre
denken; und ſo ſchreibt jeder Verfaſſer einer Welt¬
geſchichte damit ſeine eigne mit unſichtbarer Dinte
dazwiſchen, weil er an die Eroberungen, innern
Unruhen und Wanderungen der Voͤlker ſeine eignen
herrlich knuͤpfen kann. Wer aber nichts hat und
thut, woran er ſeine Empfindungen bindet, als
wieder Empfindungen: der nehme Lang- und
Queerfolio-Papier und bringe ſie dazu, naͤmlich
zu Papier. Nur wird er Danaiden- und Teufels¬
arbeit haben; waͤhrend er ſchreibt, faͤllt wieder
etwas in ihm vor, es ſei eine Empfindung oder
[128] eine Reflexion uͤber das Geſchriebene — dieß will
wieder niedergeſchrieben ſeyn, — kurz der beſte
Laͤufer holet nicht ſeinen Schatten ein.


Und welch ein lumpiges knechtiſches katoptri¬
ſches Nach-Leben, dieſes grabes-luftige Zuruͤck¬
athmen aus lauer Vergangenheit ſtatt eines fri¬
ſchen Zugs aus friſcher Luft! Das fluͤchtige Ge¬
tuͤmmel wird ein Wachsfigurenkabinet, der bluͤ¬
hende flatternde Lebensgarten ein feſtes pomologi¬
ſches Kabinet. Iſts nicht tauſendmal kluͤger, der
Menſch iſt von Gegenwart zu Gegenwart wie
Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, und der froͤhliche
Trieb thut ſeinen Windſtoß in die Blumen und
Wellen hinein, wirft Blumenſtaͤubchen und Schif¬
fe an ihren Ort und gaͤhnt und ſtoͤhnt nicht wie¬
der erbaͤrmlich zuruͤck?


Hingegen ein Tage- und Wochenbuch uͤber
andere! — Ich geſteh' es meinem geneigten Leſer,
dem guten Vult, dieß iſt etwas anderes; aber
ich muß freilich ſehen und — anfangen.


Doch ſo viel laͤſſet ſich auch, ohne anzufangen,
annehmen, daß mein Hausherrlein und Bruͤder¬
lein[129] lein Walt, vielleicht zu einem hiſtoriſchen Roman
(den Titel „Toͤlpeljahre eines Dichters“ verſchwoͤr'
ich nicht) zu verbrauchen iſt, naͤmlich als Held,
beſonders da er eben in Liebes-Bluͤte und vollends
gegen eine Haͤßlichkeit *) ſteht; wenn mich nicht
der ganze neuliche Wechſel-Prozeß und ſein heißes
Vertheidigen und Beſchauen ihres Geſichts und
Herzens zu ſehr betruͤgt. Nur iſt durchaus er¬
forderlich, daß ich als der Beſchreiber des Lebens
ihn geſchickt, wie eine herkulaniſche Buͤcherrolle,
auseinander winde und dann kopire. Ich ſeh'
auch nicht ein, warum ich nicht uͤberhaupt ſo gut
einen goͤttlichen Roman ſchreiben ſollte, wie Bil¬
lionen andere Leute. Mir ſelber iſt Schriftſtelle¬
rei ſo gleichguͤltig, Vult! Wie ich lebe, nicht
um zu leben, ſondern weil ich lebe, ſo ſchreib'
ich blos, Freund, weil ich ſchreibe. Worin ſoll
denn das Ebenbild Gottes ſonſt beſtehen, als daß
man, ſo gut man kann, ein kleines Aſeitaͤtchen **)
iſt und — da ſchon Welten mehr als genug
Flegeljahre IV. Bd. 9[130] da ſind — wenigſtens ſich Schoͤpfer taͤglich er¬
ſchafft und genießt, wie ein Meßprieſter den Ho¬
ſtiengott? — Was iſt uͤberhaupt Ruhm hienie¬
den in Deutſchland? Sobald ich mir nicht einen
Namen machen kann, daß ich vom Niedrigſten
bis zum Hoͤchſten taͤglich genannt, gelobt und
vor Begierde verſchlungen werde — dieſen Namen
aber hat in Deutſchland weiter niemand als Broi¬
hann, naͤmlich der erſte Bauer des Broihanns
— ſo erhebe mich doch nie ein Journal, fleh' ich.
Eben ſo gern als einer Vergroͤßerung durch daſ¬
ſelbe, will ich einem Erzengel zu Gebote ſtehen,
welcher mit einem mittelmaͤßigen Sonnen- und
Weltenmikroſkop auf dem Marktplatz der Stadt
Gottes etwas verdienen will und daher, um an¬
dern neugierigen Markt-Engeln die Wunder Got¬
tes und des Mikroſkops zu zeigen, mich als die
naͤchſte Laus einfaͤngt und auf den Schieber ſetzt
mit vergroͤßerten Gliedmaſſen zum allgemeinen
Bewundern und Eckeln.


Dieß bei Seite, ſo merk' ich noch fuͤr dich
beſonders an, liebes Waͤltlein, falls du der zwei¬
te Leſer dieſes Wochenbuchs wuͤrdeſt, wie dein
[131] Vult der erſte iſt — in welchem Falle du aber ein
ausgemachter ausgebaͤlgter Spitzbube waͤreſt, der
ſein geſtriges Wort braͤche, nie in meine Papiere
zu blicken — ja ich ſetz' es abſichtlich zur Strafe
der Leſung fuͤr dich her, was ich jetzt behaupten
werde, daß ich naͤmlich dich aͤchter zu lieben
fuͤrchte als du mich liebſt. Waͤre dieß gewiß: ſo
ging' es ſchlimm. Sehr zu beſorgen iſt, mein'
ich, daß du — ob du gleich ſonſt wahrlich ſo
unſchuldig biſt wie ein Vieh — nur poetiſch lie¬
ben kannſt, und nicht irgend einen Hans oder
Kunz, ſondern bei der groͤßten Kaͤlte gegen die
beſten Haͤnſe und Kuͤnze, z. B. gegen Klothar,
in ihnen nur ſchlecht abgeſchmierte Heiligenbilder
deiner innern Lebens- und Seelenbilder knieend
verehrſt. Ich will aber erſt ſehen.


Du wirſt dich nicht erinnern, Waͤltchen,
daß ich dir geſtern oder heute oder morgen wei߬
gemacht, daß ich nicht aus andern Gruͤnden,
ſondern deinetwegen allein in deine Schweiß-,
Dachs- und Windhunds-Huͤtte eingezogen bin.
Folglich log ich nichts vor. Nur keine Luͤge ſage
der Menſch, dieſer Spitzbube von Haus aus!
[132] Faſt alles iſt gegen einen Geiſt eher erlaubt, weil
er gegen alles ſich wehren kann, nur keine Luͤge,
welche ihn wie ein altroͤmiſcher Henker die un¬
mannbare Jungfrau in der Form der innigſten
Vereinigung ſchaͤnden und hinrichten will.


Schaueſt du alſo ſo ſehr ſpitzbuͤbiſch und ehr¬
vergeſſen in dieſes Journal: ſo erfaͤhrſt du hier
nach dem vorigen Doppel-Punkt, daß ich ein
Narr bin, und eine Naͤrrin will, mit Einem
Wort, daß ich eben ein Fenſter von dir, — wie
zu einer Hinrichtung Damiens um vieles Geld
— gemiethet, blos um aus dem Fenſter mich
ſelber hinzurichten, naͤmlich hinunter zu ſehen in
den Neupeterſchen Park, wenn Wina, in die
ich mich vergafft habe, zufaͤllig mit deiner Ra¬
phaela luſtwandelt. Ich freue mich darauf, wie
wir beide an unſern Fenſtern ſtehen und hinab¬
ſchmachten und laͤcherlich ſeyn werden. Nichts
iſt komiſcher als ein Paar Paare Verliebter; noch
mehr waͤr' es ganzer rechter und ein linker Fluͤgel,
der ſeufzend einander gegen uͤber ſtaͤnde; — hin¬
gegen eine ganze Landsmannſchaft von Freunden
ſaͤhe nur deſto edler aus.


[133]

Fuͤr jeden iſt eine Frau freilich etwas ande¬
res; fuͤr den einen Hausmannskoſt, fuͤr den Dich¬
ter Nachtigallenfutter, fuͤr den Mahler ein Schau¬
eſſen, fuͤr Walten Himmelsbrod und Liebes- und
Abendmahl, fuͤr Weltmenſchen ein indiſches Vo¬
gelneſt und eine pommerſche Gaͤnſebruſt — kalte
Kuͤche fuͤr mich. Die Lungenſucht, welche Lie¬
bende und die Waͤrter der Seidenraupen — jene
wollen ja auch Seide dabei ſpinnen — davon
tragen, wird mich als Seladon eher verlaſſen
als ergreifen, weil ich ſo lange die lungen-ge¬
faͤhrliche Floͤte einſtecke, als ich auf den Knieen
liege und ſpreche. Ich bin dir aber wirklich ſehr
gut, Wina, zumal da deine Singſtimme ſo ka¬
noniſch iſt und ſo rein! — Aber ich will denn
mein heutiges Tagebuch uͤber den Bruder anhe¬
ben. . .


Nachtrag zuN. 56. der fliegende Heering.

Das vorſtehende war zur Teſtaments-Exe¬
kuzion abgeſchickt, als ich es von derſelben —
dem trefflichen Kuhnold — mit dieſem Briefe
wieder bekam:


[134]

„Verehrteſter Herr Legazions-Rath! Ich
glaube nicht, daß die van der Kabelſchen Erben
das bloße Einheften der zugefertigten Dokumente,
wie das Vultiſche Tagebuch iſt, fuͤr eine hinlaͤng¬
liche Erfuͤllung der biographiſchen Bedingungen,
unter welchen Ihnen das Naturalienkabinet teſti¬
ret worden, nehmen werden. Und ich ſelber bin,
geſteh' ich, mit den Vortheilen meines Geſchmacks
zu ſehr dabei intereſſirt, als daß es mir gleich¬
guͤltig ſeyn ſollte, Sie durch Vult verdraͤngt zu
ſehen. Ihr Feuer, Ihr Stil ꝛc. ꝛc. — — hul¬
digen *). —


Dazu ſteht noch vieles andere dagegen. Es
kommen im Verfolge des Vultiſchen Tagebuchs
— zumal im Februar, wo er in vollen Flammen
tobt — Stellen vor, deren Zyniſmus ſchwerlich
durch den Humor, weder vor dem poetiſchen,
[135] noch ſittlichen Richterſtuhle, zu entſchuldigen
ſteht. Z. B. die am 4ten Februar, wo er ſagt,
„das junge Leben als eine Sonne verſchlingend
verdauen und es als einen Mond kaken“ — Oder
da, wo er dem dezenten Bruder, um ihn zu aͤr¬
gern, erzaͤhlt, wie er, da er kein Waſſer um ſich
gehabt, um es ins vertrocknete Dintenfaß zu
gießen, ſich doch ſo geholfen, daß er eintunken
konnte, um ſein Paquet Briefe, ſeinen „Briefbeu¬
tel“, zu ſchreiben. Das zweite mag eher hinge¬
hen, daß er, wenn er mit vielen Oblaten Paque¬
te geſiegelt und doch keine Siegelpreſſe und keine
Zeit, ſondern zu viele Arbeit gehabt, ſich blos ei¬
ne Zeit lang darauf geſetzt, um andere Sachen
zu machen unter dem Siegeln. Es ſind uͤber¬
haupt, Verehrteſter, in unſerer Biographie ſo
manche Anſtoͤßigkeiten gegen den laufenden Ge¬
ſchmack — vom Titel an bis zu den Ueberſchrif¬
ten der meiſten Kapitel — daß man ihn wohl
mehr zu verſoͤhnen als zu erbittern ſuchen muß.


Noch einen Grund erlauben Sie mir, da
er der letzte iſt. Unſere Bieographie ſoll doch,
der Sache, der Kunſt, der Schicklichkeit und
[136] dem Teſtamente gemaͤß, mehr zu einem hiſtori¬
ſchen Roman als zu einem nackten Lebenslauf
ausſchlagen; ſo daß uns nichts verdruͤßlicheres
begegnen koͤnnte, als wenn man wirklich merkte,
alles ſei wahr. Werden wir aber dieſes verhuͤten
— verzeihen Sie mein unhoͤfliches Wir — wenn
wir blos die Namen veraͤndern, nicht aber den
Stil der Akteurs? Denn wird man uns nicht auf
die Spur kommen ſchon durch Vults unveraͤn¬
dert geliefertes Tagebuch allein, ſo bald man
deſſen Stil mit dem Stil des Hoppelpoppels
(auch dieſer Titel gehoͤrt unter die Geſammt-
Ruͤge), den die Welt gedruckt in Haͤnden hat
und deſſen Verfaſſer ſeit dem neulichen Artikel im
litterariſchen Anzeiger jeder kennt, zuſammen zu
halten anfaͤngt? O ich fuͤrchte zu ſehr. —


Aber alle dieſe Noten ſtoͤren die Verehrung
nicht, womit ich ewig ꝛc.


Kuhnold.


Ich antwortete Folgendes:


„Ich fluche, aber ich folge. Denn was
haͤlf' es, den Deutſchen zuzumuthen und das Bei¬
[137] ſpiel zu geben, nur wenigſtens auf dem Druckpa¬
pier — nicht einmal auf dem Reichsboden — ſo
keck zu ſeyn als ihre Vorfahren im 16ten, 17ten
Saͤkul auf beiden waren? Gedachte ſagen, ſie
hofften ſeitdem von den Franzoſen weiter gebracht
zu ſeyn. Unſer Diamant der Freiheit iſt aus un¬
ſerem Ringe in einen Drachenkopf gekommen,
wo er nicht eher glaͤnzen kann als bis wir im
Drachenſchwanze ſtehen.


Ich weiß nicht, ob ich mich dunkel erklaͤre,
hoff es aber.


Trefflichſter! der Humoriſt hat zwar einen
naͤrriſchen, widerlichen Berghabit zum Einfahren
in ſeine Stollen; — er verleibt ſich zwar nach
Vermoͤgen alle Aus- und Miß-Wuͤchſe der
Menſchheit ein, um das Beiſpiel der Mißgebur¬
ten zu befolgen und zu geben, die in vorigen
Jahrhunderten blos darum mit fleiſchernen Fon¬
tangen, Manſchetten und Pluderhoſen geboren
wurden, um damit der Welt, wie die Strafpre¬
diger erriethen, ihre angezogenen vorzuwerfen; —
und hiemit waͤre Vult entſchuldigt —; aber wie
gedacht, ich folge und ſchlage nichts ein als den
[138] alten ariſtoteliſchen Mittelſteig, der hier darin be¬
ſteht, daß ich weder erzaͤhle, noch erdichte, ſon¬
dern dichte; und wenn Skaliger in einem Werk¬
chen von 8 Bogen uͤber ſeine Familie im Stande
war, vierhundert und neun und neunzig Verfaͤl¬
ſchungen anzubringen, wie Scioppius gut erwie¬
ſen*): ſo duͤrfte in einem Werkchen von eben ſo
vielen Baͤnden die Doppelzahl davon eben ſo leicht
als nuͤtzlich ausfallen.


Vor dem Errathen der wahren Namen un¬
ſerer Geſchichte duͤrfen wir, H. Buͤrgermeiſter,
uns nicht aͤngſtigen, da bisher fuͤr keine von al¬
len Staͤdten, die ich in meinen vielen Romanen
abkonterfeiet habe, der Buͤſchingiſche Name aus¬
geſpaͤhet wurde, ungeachtet ich in einigen davon
ſelber wohnte, ſogar z. B. in Haelwebeemcebe
und Efgeerenengeha.


Indeß erſuch' ich die Teſtaments-Exekuzion,
daß mir doch Vults Einleitung zu ſeinem Tage¬
buch ſammt unſerem Briefwechſel daruͤber in den
fliegenden Heering (No. 56.) einzunehmen zuge¬
[139] laſſen werde, weil Sachen dadurch vorbereitet
werden, die ohne das Tagebuch kein Menſch mo¬
tiviren kann, naͤmlich Vults ſchnelles Einzie¬
hen und Verlieben. Wahrlich Sie, verehr¬
licher Stadtrath, ſind gluͤcklich und erfahren
nichts von den Vater- und Mutterbeſchwerungen
ertraͤglicher Autoren. Sie als Menſchen ſtehen
ſammtlich unter dem herrlichen Satze des Grun¬
des, und der Freiheit dazu, und alles was Sie nur
machen oder ſehen, bekommen Sie ſogleich ſchon
motivirt — — Aber Dichter haben oft die groͤ߬
ten Wirkungen recht gut fertig vor ſich liegen,
koͤnnen aber mit allem Herumlaufen keine Urſachen
dazu auftreiben, keine Vaͤter zu den Jungfernkin¬
dern. Wie ihnen dann Kritiker mitſpielen, die
weniger mit als von kritiſchem Schweiſe — der
hier die Krankheit, nicht die Kriſis iſt — ihr
Brod verdienen, wiſſen der Himmel und ich am
beſten.


Der ich verharre ꝛc. ꝛc.


J. P. F. R.


Meiner Bitte wurde, wie man ſieht, willfahren.

[140]

Nro. 57. Regenpfeifer.

Doppel-Leben.


„Der Himmel beſteht wahrſcheinlich aus
erſten Tagen — wiewohl die Hoͤlle auch — ſo
ſehr jauchzet mich heute dein elendes Neſt an,”
ſagte Vult beim Fruͤhſtuͤck. Beide gingen in ihre
Wohnungen an ihre Arbeiten nach Hauſe. Vult
ſchrieb am Tagebuch ein wenig und ſchnitt zwei
brauchbare Ausſchweifungen ſogleich heraus fuͤr
den Hoppelpoppel. Dann ſah er aus dem Fen¬
ſter und ſprach zur freundlichen Raphaela herab,
welche auf Vaters Befehl im Garten Wach-ſte¬
hen mußte, weil man die Bildſaͤulen wie die
Orangerie-Kaͤſten in die Winterquartiere trug.
Da er voraus ſah, daß Walt ihn hoͤren muͤßte,
ſo ſchneiete er zierlich-gefrorne Eisbluͤmchen von
Anſpielungen auf Liebe, Kaͤlte, Halbgoͤtterchen
und ganze Goͤttinnen hinab, welche, hofft' er,
Walts und Raphaelens Waͤrme ſchon zu ſchoͤnen
bunten Tropfen aufthauen wuͤrden. Raphaela
ließ aͤhnliche Eisblumen an ſeinen Scheiben an¬
ſchießen; und wurde im kalten Wetter des Gar¬
tens ſchoͤn geheitzt, blos weil Vult ein Mann
[141] und ein Edelmann war. Fuͤr manches Maͤdchen
ſitze ein Ahnen-Mann auf ſeinem Stammbaum
ſo eingliedert und zerſchoßen wie ein Schuͤtzenvo¬
gel am dritten Tage auf der Stange, ſie wird
doch an ihm gern zur Koͤnigin und will ihn er¬
zielen. Mit einer Freude ohne Eiferſucht gab ſie
ihm auf die Frage, wann der General mit ſeiner
Tochter komme, die Hoffnung ihrer Naͤhe.


Kaum hatten die Gebruͤder mit groͤßerer
Muͤhe wieder zu fliegen und zu ſcherzen angefan¬
gen im Roman: ſo ſtand Vult auf und murmel¬
te ſo zu ſich — Walt mußt' es hoͤren —: „ich
wuͤßte nicht, warum ich nicht zu meinem einſa¬
men Bruder einmal einen Spaziergang machte,
da die Wege von hier zu ihm noch ebener und fe¬
ſter ſind als ſelber in Churſachſen.” Darauf oͤff¬
nete er das Kapfenſterchen am gemahlten Palla¬
ſte der Buͤhnenwand und rief hindurch: kannſt
du mich hoͤren? Ich haͤtte Luſt zu dir zu mar¬
ſchiren, wenn du eben allein waͤreſt. „Du
Schelm, du guter,” ſagte Walt. Jener reiſete
denn um die Wand mit anderthalb Schritten
und dem Wandnachbar entgegen mit vorgeſtreck¬
[142] tem Handſchlag ſagend: „mich ſchroͤckt das
Schneegeſtoͤber draußen wenig ab, dich in deiner
Einſiedelei aufzuſuchen und ſie vielleicht zu ver¬
wandeln in eine lachende Zweiſiedelei.“ — „Bru¬
der, ſagte Walt, vom Schreibetiſch aufſtehend,
koͤnnt' ich komiſch dichten oder duͤrfte man einen
Freund abſchatten in Riſſen und Schattenriſſen:
wahrlich ich ſchriebe jeden Schritt ab von dir.
Aber ich glaube nicht, daß es ſich geziemt, ein
geliebtes Herz auf den poetiſchen Markt zur
Schau zu legen. Bin ich etwa zu ſehr im Schreib¬
feuer?“


„Nein, verſetzte Vult, auch nicht im Rech¬
te; iſts Zufall oder was, daß du in der Stube
wieder ein Linker biſt, und ich ein Rechter? *)
— Aber ich muß endlich nach Hauſe, Alter, und
da ſpaßen — vor Welt und Nachwelt.“ Er ging.
Walt hielt es fuͤr Pflicht, ihn auch bald zu be¬
ſuchen, um ihm die Einſperrung in eine halbirte
[143] Stube ein wenig zu vergelten. Er ſagte Vulten,
wie heute ſo viele andere Zufaͤlle ſich zu ihrem
Gluͤck vereinigten, daß z. B. der erſte Schnee
falle, der von jeher etwas haͤusliches und heimi¬
ſches fuͤr ihn aus der Kindheit gehabt, gleichſam
die Maienbluͤmchen des Winters — und daß er
heute von hier aus die erſten Dreſcher hoͤre, dieſe
Sprach- oder Spielwalzen des Winters. „Du
meinſt die Flegel, ſagte Vult; nur ſtoͤret ihr
Takt meiner Floͤte ihren.“ — „Wie kommts bei¬
laͤufig, mein Alter, — ſagte Walt — daß ein
faſt ſo einfaͤltiger Vers, der den Takt von drei
Dreſchern nachklappen ſoll, etwas Anziehendes
fuͤr mich hat: „im Winter, mein Guͤnther, ſo
driſcht man das Korn; wenns kalt iſt, nicht alt
biſt, tapfer gefror'n.“ — Es kann ſo ſeyn, ant¬
wortete Vult, daß der Vers in ſeiner Art vor¬
trefflich iſt, und nachahmend, wer wills wiſſen?
— Oder auch, weil ihn uns unſer Vater ſo oft
aus H. v. Rohrs Haushaltungs-Recht vorlas.
Naͤmlich in Churſachſen hatte damals die Dre¬
ſcherzunft beſondere Geſetze. Z. B. wer wie du
weißt, das halbe Vierte nicht nach dem Verſe
[144] draſch: Fleiſch in Toͤpfen, laßt uns hoͤpfen, be¬
kam 40 Streiche mit der Wurfſchaufel auf den
Steiß. So wars ein Zunftartikel, daß man fuͤr
jeden Zank in der Scheune einen neuen Flegel ab¬
geben mußte; eine Strafe, welche bei litterari¬
ſchen Zwiſtigkeiten ſchon im Fehler ſelber abge¬
fuͤhrt wird.


Beide hoben wieder das Schreiben an. „Ich
dachte jetzt daran — rief ihm Vult aus dem
Pallaſtfenſterlein — als ich dich laut das Papier
umwenden hoͤrte und innen hielt, wie von ſolchen
Kleinigkeiten ganze europaͤiſche Staͤdte, fuͤr die
wir etwa arbeiten, mit ihren feinſten Empfindun¬
gen geradezu abhaͤngen. Eine von Staub verdickte
Dinte — oder eine elende weiße, die ſich ſpaͤter
ſchwaͤrzt — ein aͤhnlicher beſtohlner Kaffer — ein
rauchender Ofen — eine knuſpernde Maus — ei¬
ne verdammte rißige Feder — ein Bartſcheerer,
der dich gerade mitten in deinem hoͤchſten Schuß
durch den Aether einſaift und dir mit dem Bart
die Fluͤgel beſchneidet — — ſind das nicht lauter
elende Wolkenflocken, welcher einer ganzen Erde
eine Sonne voll Strahlen, um einen Autor ſo
zu[145] zu nennen, verdecken koͤnnen? Es iſt ja or¬
dentliche Fopperei der Welt. Auf der andern
Seite iſt es allerdings — ſchreibe aber dann fort
— eben ſo ermunternd und erhaben, daß der
Tropfe Dinte, den du oder ich nachher aus der
Feder aufs Papier im Stillen hinfloͤßen, Waſſer
fuͤr die Muͤhlraͤder der Welt ſeyn kann — aushoͤ¬
lendes Aetzwaſſer und Tropfbad fuͤr das Rieſen¬
gebirge der Zeit — ein Riechſpiritus und Hirſch¬
horngeiſt fuͤr manches Volk — der Aufenthalt
des Meergottes als Zeitgeiſtes — oder ſonſt etwas
aͤhnliches dem Tropfen, womit ein Banquier
oder ein Fuͤrſt Staͤdte und Laͤnder uͤberſchwemmt.
Gott! womit verdient man es, daß man ſo er¬
haben iſt? — Jetzt ſchreib aber.“


Abends gegen vier Uhr hoͤrte Walt deutlich,
daß Vult zu Floren ſagte: „eh' du uns betteſt,
ſchoͤnes Kind, ſo laufe zum H. Notarius Har¬
niſch, in meiner Nachbarſchaft, und ich ließ' ihn
bitten, dieſen Abend zum Thee, auf einen Thé
marchant
— und bringe nur mir Licht, weil er
dann keines braucht.“ — Walt erſchien, um das
erſtemal in ſeinem Leben einen Thee anders als
Flegeljahre IV. Bd. 10[146] nach Laxiermitteln zu trinken. Vult gab ihn mit
Wein, den er nie vergaß zu borgen. „Wenn
die Alten ſchon den Ahorn mit Wein begoſſen,
wie viel mehr wir den Lorbeer! — Wer einen
Hoppelpoppel ſchreibt, ſollte ohnehin einen Hop¬
pelpoppel trinken, ja er ſollte beides vereinen,
und ein Punſch-Royaliſt werden, wenn du weißt,
was Punsch royal iſt. Ich genieße das Leben
sub utraque.“ Beide fuͤhrten darauf ihre guten
Diskurſe wie Menſchen pflegen und ſollen. Vult:
„Ich ſprech unendlich gern — vorher eh' ich das
Geſprochne aufſchreibe. Tauſend Sachen laſſen
ſich erfinden, wenn man keift und kriegt. Daher
kommts vielleicht, daß man auf Akademien ſich
in alle Wuͤrden und Erlaubniſſe, zu lehren, nicht
wie an Hoͤfen hineinſchmeichelt, ſondern hinein¬
zankt, d. h. diſputirt, wozu Sprechen ſo noͤthig,
z. B. ſo bring ich ſelber dieſen Einfall oder den
vormittaͤgigen vom Flegel zu Papier.“ — Walt:
„darum werden Briefe als Nachhalle der Ge¬
ſpraͤche ſo geſchaͤtzt.“ — Vult: „denn ſogar zum
Philoſophiren iſt ein zweites Menſchengeſicht be¬
huͤlflicher als eine weiße Wand- oder Papier¬
[147] Seite.” — Walt: „O Lieber, wie haſt du Recht!
Doch kann es nicht ſo ſehr auf poetiſche Darſtel¬
lungen paſſen, als auf ſcherzhafte und witzige und
philoſophiſche; dir hilft Reden mehr, mir ſchweigen.”
— Vult: „Der Winter iſt uͤberhaupt die furcht¬
barſte Lettern-Zeit; Schneeballen gefrieren zu
Buͤcherballen. Hingegen, wie reiſet und fliegt
ein Menſch im Lenz! Hier waͤren Bilder leicht;
aber die Oſtermeſſe iſt der beſte Beweiß.” —
Walt: „Es iſt, als wenn der Menſch von neuen
Bergen aus Wolken umſchloſſen, ohne Himmel
und ohne Erde, blos im Meer des Schnees trei¬
bend — ſo ganz allein — kein Sington und keine
Farbe in der Natur — ich wollte etwas ſagen; naͤm¬
lich der Menſch muß aus Mangel aͤußerer Schoͤ¬
pfung zu innerer greifen.”


Vult: „Trink' dieſe Taſſe noch. O ſehr wahr!
Wiewohl wir heute eben nicht viel geſchrieben und
ich gar nichts.”


Beide bedauerten nur, daß ihre ſo ſchoͤne Ge¬
meinſchaft der Guͤter durch Mangel an Guͤtern
etwas geſtoͤrt wuͤrde, indem alles, was ſie von
Gold in Haͤnden haͤtten, ſich blos auf die Gold¬
[148] finger daran einſchraͤnke. Weder Vult konnte auf
dem Inſtrumente, das er blies, noch Walt mit
den Inſtrumenten, die er jetzt ſelten zu machen
bekam, ſich viel verdienen. Armen-Anſtalten
fuͤr beide mußten getroffen und jeder der Allmo¬
ſen-Pfleger des andern werden. Noch heute, ja
auf der Stelle mußte ein Zauberſchlag von un¬
abſehlichen Folgen gethan werden; ſie thaten ihn
im Weinfeuer mit vier Armen.


Sie ſchickten die erſten Kapitel und Aus¬
ſchweifungen des Hoppelpoppel oder das Herz an
den Magiſter Dyk in Leipzig zum Verlage.


Denn ein Werk kann immer mit dem hintern
Ende noch in der Schneckenſchale des Schreib¬
pultes wachſen, indeß das vordere mit Fuͤhlhoͤr¬
nern ſchon auf der Poſtſtraße kriecht. Sie ſetzten
ihre erſte Hofnung guͤtiger Annahme darum auf
den Magiſter, weil ſie glaubten, ein Buchhaͤnd¬
ler, der ſelber ein Gelehrter iſt, habe doch immer
mehr pruͤfenden Geſchmack fuͤr Manuſkripte als ein
Buchhaͤndler, der erſt einen Gelehrten haͤlt, wel¬
cher pruͤft.


Walt mußte im Briefe — auf Vults Welt¬
[149] Rath — ſich ſtolz gebehrden und viel begehren,
und ſich alle Rechte der folgenden Auflagen vor¬
behalten. „Da Milton — ſetzte er hinzu — 12
Guineen fuͤr ſein verlohrnes Paradies einſtrich:
ſo wollen wir, um in Leipzig zu zeigen, wie we¬
nig wir uns ihm gleichſetzen, acht und vierzig be¬
gehren.” — Der Notar erſtaunte, daß ein Autor,
beſonders er, die große Gewalt ausuͤbe, Papier,
Druck, Format, und Staͤrke der Auflage —
3000 Exemplare wurden dem Magiſter zu drucken
erlaubt — dem Verleger vorzuſchreiben.


Vult trug darauf ſelber die Kapitel auf die
ſaͤchſiſche Poſt, um, wie er ſagte, einmal wieder
die Welt zu ſehen.


Am Tage darauf ſchufen beide ſehr. Ein
junger Autor glaubt, alles was er auf die Poſt
ſchickt, ſei ſchon dadurch verlegt und gedruckt,
und ſchreibt darum fleißiger. Kein Beſuch, kein
Feſt, kein Menſch, kein Brief ſtoͤrte ſie. Vult
hatte kein Geld und Walt war zum Sitzling
geboren. Dichter bauen, wie die afrikaniſchen Voͤl¬
ker, ihre Brodfelder unter Muſik und nach dem
Talte an. Wie oft fuhr Walt uͤbergluͤcklich vom
[150] Seſſel auf und durch die Stube mit der Feder in
der Hand (Vult ſah oben uͤber die ſpaniſche Wand
hinein und merkt' es an ) und ans Fenſter und
ſah nichts und konnte den ſuͤſſen Sturm kaum
aus der Bruſt aufs Papier bringen und ſetzte ſich
wieder nieder! Darauf ſagt' er uͤberflieſſend:
„Floͤte immer, mein Vult, du ſtoͤreſt mich
nicht; ich gebe gar nicht darauf Acht, ſondern
verſpuͤre nur im Allgemeinen das Ertoͤnen vor¬
theilhaft.“ — „Sagt mir lieber, ihr Kautz,
von was ich jetzt auszuſchweifen habe in Euerem
Kapitel, damit wir beiſammen bleiben?“ ſagte
Vult.


Ueber dem Eſſen — bald auf Walts, bald
auf Vults Zimmer — dehnten beide die Mahlzeit
in die Laͤnge, die aus Einer Porzion fuͤr zwei
Menſchen beſtand, weil kein Wirth die zweite
herborgte (was jedoch das Beiſammenwohnen
deſto ſchoͤner motivirt), und zwar dadurch, daß
ſie mit hoͤherem Geſchmacke ſprachen als mit koͤr¬
perlichem und mehr Worte als Biſſen uͤber die
Zunge brachten. Sie rechneten aus, um wie
viele Meilen die erſten Kapitel dem Magiſter Dyk
[151] ſchon naͤher waͤren, mit welchem Feuer der
Hoppelpoppel ihn durchgreifen und aus allen Fu¬
gen ſchuͤtteln wuͤrde und ob das Drucken etwa,
wenn es anginge, nicht ſo ſchnell fortginge, daß
mit dem Schreiben kaum nachzukommen waͤre.
— Vult bemerkte, wenn ein Romanſchreiber ge¬
wiß wuͤßte, daß er ſterben wuͤrde — z. B. er
braͤchte ſich nur um — ſo koͤnnt' er ſo ſeltſame
herrliche Verwicklungen wagen, daß er ſelber kein
Mittel ihrer Aufloͤſung abſaͤhe, auſſer durch ſeine
eigne; denn jeder wuͤrde, wenn er todt waͤre,
die durchdachteſte Entwicklung vorausſetzen und
darnach herum ſinnen. „Weißt du denn gewiß,
„Walt, daß du am Leben bleibſt? Sonſt waͤre
„manches zu machen. — Inzwiſchen ſeh' ich
„jetzt in unſrer Stube herum und denke daran,
„wie auffallend, falls wir nun beide durch un¬
„ſern Hoppelpoppel uns unter Ehrenpforten und
„in Unſterblichkeits-Panthea hinein ſchrieben,
„unſer Neſt wuͤrde geſucht und beſucht werden —
„jeden Bettel, den du an die Wand ſpuckteſt,
„wuͤrde man wie aus Rouſſeau's Stube auf der
„Peters-Inſel abkratzen und abdrucken — die
[152] „Stadt ſelber bekaͤme einigen Namen, wahr¬
„ſcheinlich nach Aehnlichkeit von Ovidiopolis
„den Namen Harnischopolis — Was mir aber
„die perſoͤnliche Unſterblichkeit verſaͤuert, iſt,
„daß mein Name nur lange waͤhrt, nicht
lang*). O wer es wiſſen koͤnnte bei der Tauf¬
„ſchuͤſſel, daß er ſich einen großen Namen mach¬
„te, wuͤrde ſich ein ſolcher Mann, wenn er ſonſt
„ſcherzt, nicht einen der ausgeſtreckteſten erkie¬
„ſen, zum Beiſpiel (denn der Sinn hat nichts
„zu ſagen) den Namen, den ſchon ein Muſkel
„fuͤhrt, naͤmlich Mr. Sternocleidobronchocri¬
„cothyrioideus
. Beleſene Damen kaͤmen zu
„ihm und redeten ihn an: H. Sternocl und
„koͤnnten nicht weiter. Militairs thaͤtens nach
„und ſagten: H. Sternocleido! — Die Gelieb¬
„te allein ſuchte den Namen auswendig zu koͤn¬
„nen und liebt' ihn ſo lange als ſie ausſpraͤche:
„theurer M. Sternocleidobronchocricothyrioid!
„Er wuͤrde gern zitirt von Gelehrten, weil ſchon
„ſein Name eine Zeile gilt vor Setzern und Kaͤu¬
[153] „fern. — Apropos! Warum ſchickt denn der
„Sieben-Erbe Paßvogel nicht den erſten Korrek¬
„turbogen, gemaͤß allen Teſtaments-Klauſeln
„in Haßlau?“


„Der Autor beſſere noch an der Handſchrift,
„ließ er mir vorgeſtern ſagen,“ ſagte Walt. —
Darauf verſchnauften ſich beide in der Luft. Wie
manchen fluͤchtigen Zug der hoͤhern Staͤnde ſchnapp¬
te der Notar auf der Straße im Vorbeigehen auf
fuͤr ſeinen Roman. Die Art, wie ein Haßlauer
Hofkavalier aus dem Wagen ſprang oder wie ei¬
ne Graͤfin aus dem Fenſter ſah, konnte roman¬
tiſch niedergeſchrieben werden und Ein Mann fuͤr
Tauſend ſtehen und fallen! Dieſe Uebertragungs-
Manier, ein Farbenkorn zu einer erhobenen Ar¬
beit zu machen, erleichtert Bauernſoͤhnen das
Studium der hoͤhern Staͤnde unglaublich. Aus
demſelben Grunde beſuchte Walt am liebſten die
Hofkirche und that die Augen auf.


Alsdann ging man nach Hauſe und ans Er¬
ſchaffen, das ſo lange waͤhrte bis es finſter wur¬
de. Auf die Daͤmmerung verſchoben ſie — um
Licht zu erſparen — theils weitlaͤuftigere Geſpraͤche,
[154] theils Floͤte. Wenn Vult ſo blies hinter der
Wand und Walt ſo dort ſaß im Finſtern und in
den blauen Sternenhimmel ſah und an den Mor¬
gen in Roſenhof dachte und an Wina's Herz und
Wiederkunft und unter dem mondhellen Floͤten-
Lichte ſein klippenvolles Leben eine romantiſche
Gegend wurde: o ſo ſtand er oft auf und ſetzte
ſich wieder hin, um den Bruder dadurch im Bla¬
ſen nicht zu ſtoͤren, daß er ihm bekannte, wie
ihn jetzt die Minuten in Brautkleidern umtanzten
und mit Roſenketten umfloͤchten. Aber wenn er
ausgeblaſen hatte, und nach der langen Polar¬
daͤmmerung Licht kam: ſo ſah ihn Walt forſchend
an und fragte froh: „biſt du zufrieden, Bruder,
mit dieſer ſuͤſſen Enge des Lebens; und mit den
Orcheſter-Toͤnen und innern Zauberbildern, die
wir heute vielleicht eben ſo reich, nur ungeſtoͤr¬
ter, genoſſen haben als irgend ein großer Hof?“
— „Eine wahre Himmelskarte iſt unſer Leben,
verſetzte Vult, freilich vor der Hand nur ihre
weiſſe Kehrſeite; doch einen Thaler, den mir je¬
mand auf die Karte legte, ſaͤh' ich nicht mit Un¬
luſt.“


[155]

Am Morgen darauf ſprach Walt von ſeinen
ſchoͤnen Ausſichten auf die floͤtende Nachtigallen-
Daͤmmerung. Etwas muͤhſam wurde Vult zu
einer neuen Wiederſchoͤpfung des melodiſchen Him¬
mels gebracht. Aber mit deſto groͤßerem Feuer
erzaͤhlte darauf der Notar, wie gluͤcklich er die
daͤmmernde harmoniſche Hoͤrzeit angewandt ha¬
be, naͤmlich zur Verfertigung einer Replik und
eines Streckverſes im Roman; der Held ſei, —
hab' er unter der Floͤte gedichtet — getadelt wor¬
den, daß er uͤber das Wort einer alten, kranken,
dummen Frau, welche ihn fuͤr ſeine Gaben an
jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuſchlieſſen
verſprochen, ſich innigſt erfreuet, allein der Held
habe verſetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf
ihn waͤre ihm etwas, ſogar wenn dieſe gewiß waͤ¬
re, ſondern die auf ſie ſelber, daß ein ſo frieren¬
des Weſen doch jeden Abend in eine ſchoͤne Erhe¬
bung und Erwaͤrmung gelange. „Iſt das kein
wahrer Zug von mir, Vult?“


„Es iſt ein wahrer von dir (ſagte Vult).
In der Kunſt wird, wie vor der Sonne, nur
das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen.“
[156] Walt verſtand ihn nicht; denn oft kam es ihm
vor, als finde Vult zuweilen ſpaͤter den Sinn
als das Wort.


Im naͤchſten Daͤmmerungs-Feiertag, und
Feierabende, naͤmlich im dritten, war der dritte
abgeſchaft, Vult griff kein Floͤtenloch, blies kei¬
ne Note. Aber der Bruder nahm den kuͤnſtleri¬
ſchen Eigenſinn nicht uͤbel, hielt den Bruder fuͤr
ſo gluͤcklich als ſich und wandte nichts ein gegen
einen Wechſel der Daͤmmer-Partien. „Hab' ich
denn nicht eine Luftroͤhre wie du, ſo gut zu Lau¬
ten gebohrt als die Floͤte? Kann ich denn dir
nichts ſagen, ohne das Holz ins Maul zu ſte¬
cken? — Diſkuriren wir lieber beiderſeits,” ſag¬
te Vult.


In den folgenden Daͤmmerungen kehrte die¬
ſer zur alten Sitte zuruͤck, hinter den Laternen¬
anzuͤndern die Gaſſen zu durchſtreifen — ein
Abentheuer mit einer Schauſpielerin zu beſtehen
— Burgunder allein zu borgen (Walten hielt er,
ſeit dieſer ihn mit Zucker abſuͤßte, keines mehr
wuͤrdig) — mit der Floͤte in fremde Floͤten auf
der Gaſſe oder in die Kuliſſe einzutreten — und
[157] ſich endlich auf dem Kaffee-Hauſe halb todt zu
aͤrgern, daß er am Ende ſo gut als einer, ſich
unter die Haßlauer miſche, und, allmaͤhlich hin¬
abgewoͤhnt, ſich mit ihnen in Geſpraͤche verflech¬
te, da er doch mit der feſteſten Verachtung im
Sommer angekommen ſei.


Walt blieb freudig zu Hauſe; er fand in den
kleinſten Bluͤmchen, die durch einen Schnee hin¬
durch wuchſen, ſo viel Honig als er brauchte.
Als die Tage abnahmen: ſo freuete er ſich uͤber
die Laͤnge der Abenddaͤmmerung ſo wie des geſtirn¬
ten Morgens; ohne dabei zu vergeſſen, daß er
ſich eben ſo gut, nur ſpaͤter, uͤber die Zunahme
freuen wuͤrde. Der Mond war eigentlich ſein
Gluͤcksſtern, ſo daß er ihm in jedem Monate
nicht viel weniger als 27 ſchoͤne Abende oder
Morgen herunterwarf; denn beinahe 14 Tage
(nur die Paar erſten ausgenommen) konnt' er
auf deſſen Wachsthum bauen; — von Vollmond
bis zum letzten Viertel, wurde ohnehin Elyſiums
Schimmer, blos ſpaͤter, oft uͤber ſeinem Bette
aufgetragen, und das letzte Viertel gab den Mor¬
genſtunden Silber in den Mund. Da einmal
[158] gerade in der Daͤmmerung Ballmuſik gegen uͤber
war: ſo nahm er ſich ſein Stuͤck Winterluſtbar¬
keit heraus, ſo gut wie einer. Die Muſik drang
unſichtbar, ohne den Armen-Zickzack und die
Backen-Kurven des Orcheſters, nur entkoͤrpert
mit ſeligen Geiſtern in ſein daͤmmerndes Stuͤb¬
chen. Er ſtellte ſich zum Tanzen an, und weil
es ihm an den ſchoͤnſten Taͤnzerinnen nicht fehl¬
te — da ganze Harems und Nonnenſchaften dar¬
in waren und mehrere Roſenmaͤdchen und alles
—: ſo zog er Goͤttinnen von ſolchem Glanz zum
Tanzen auf und machte mit ihnen — obwohl
leiſe, um unter ſeinen Fuͤßen nicht rezenſirt zu
werden — nach den fernen Takten, die er beglei¬
tete, ſo gut ſeine Pas, ſeine Seiten-, ſeine
Vorpas zu Hopstaͤnzen, zu Eier- zu Schalltaͤn¬
zen, daß er ſich vor jedem ſehen laſſen durfte,
der nichts ſuchte als einen muntern Geiſt, der
im Finſtern umher ſetzt. Was er in der Selig¬
keit zu ſcheuen hatte, war blos Vults ploͤtzlicher
Eintritt.


Ihn — der ohnehin nicht gewohnt war, daß
er etwas hatte — druͤckte kein Entbehren, er hatte
[159] Phantaſie, welche helles Kryſtalliſazionswaſſer iſt,
ohne welches die leichteſten Formen des Lebens in
Aſche zerfallen.


Doch wurde ſein Himmel nicht immer ſo
phantaſtiſch weit uͤber die Luͤfte der Erde hinaus
gehoben, er wurde auch zuweilen ſo real herun¬
ter gebaut wie ein Theater- oder ein Betthimmel.
An Sonntagsgelaͤuten, am Hofgarten, an friſcher
kalter Luft, an Winterkonzerten (die er unten
auf der Gaſſe ſpazierend hoͤrte) hatt' er ſo viel
Antheil als irgend eine Perſon mit Schluͤſſel und
Stern, der im Innern gerade beide fehlen. Aß
er ſein Abendbrod, ſo ſagt' er: „der ganze Hof
ißt doch jetzt auch Brod wie ich;” dabei ſetzte
und benahm er ſich zierlich und artig, um ge¬
wiſſermaſſen in guter Geſellſchaft zu ſitzen. An
Sonntagen kauft' er in einem guten Hauſe ſich
einen der beſten Borsdorfer Aepfel ein und trug
ihn ſich Abends in der Daͤmmerung auf und
ſagte: „ganz gewiß werden heute an den ver¬
ſchiedenen Hoͤfen Europens Borsdorfer ausgeſetzt,
aber nur als ſeltner Nachtiſch; ich aber mache
gar meinen Abendtiſch daraus — und wenn ich
[160] mehr Leibliches begehre, du guter Gott, ſo er¬
kenne ich deine Guͤte nicht, die mir ja in Einem
fort mit ſtillſten Freuden wie mit tiefen Quellen
die Seele uͤberfuͤllt.”


Im durchſichtigen Netze ſeiner Phantaſie
fing ſich jeder voruͤberſchießende Freuden-Zwei¬
falter — dazu gehoͤrte ſogar ein erwachender gel¬
ber Schmetterling im Gartenhaus — jeder Stern,
der ſtark funkelte — italieniſche Blumen, deren
deutſchen Treibſcherben zwiſchen Schauls er auf
der Gaſſe aufgeſtoßen — eine bekraͤnzte, zwiſchen
Andacht und Putz gluͤhende Braut — ein ſchoͤnes
Kind — ein Kanarienvogel in der Webergaſſe,
der mitten im deutſchen Winter in Kanarieninſeln
und in Sommergaͤrten hinuͤber ſchauen ließ —
und alles.


Flog Flora, die Bettmeiſterin, mit hellen
Geſaͤngen die Treppen herauf, ſo hoͤrte er erſte
Saͤngerinnen fuͤr ſeinen Theil. —


Einſt an einem Markttage hatt' er halb Ita¬
lien mit einem ganzen Fruͤhling um ſich. Der
Tag ſchien dazu erleſen zu ſeyn. Es war ein
ſehr kalter und heller Winternachmittag, worin
Muͤcken[161] Muͤcken in den ſchiefen Strahlen ſpielen, als er im
Hofgarten — den der gute Fuͤrſt jeden Winter dem
Publikum oͤffnen ließ — die ſilbernen Schneeflocken
der Baͤume unter der blitzenden Sonne in weiße
Bluͤten, die den Fruͤhling uͤberluden, umdachte
und darunter weiter ſpazierte. So ploͤtzlich auf
die Fruͤhlings-Inſel ausgeſetzt, ſchlug er in ihr
die heiterſten Wege ein. Er machte einen nahen
an der Bude eines Saͤmereienhaͤndlers vorbei und
hielt ein wenig vor deſſen Budentiſch, nicht um
eine Duͤte zu kaufen — wozu ihm ein Beet fehlte,
da alle ſeine Morgen Lands nur in ſeinem Mor¬
genland beſtanden — ſondern um den Samen
von franzoͤſiſchen Radieſen, Maienruͤben, bunten
Feuerbohnen, Zuckererbſen, Kapuzinerſalat, gel¬
bem Prinzenkopf zu denken und zu riechen und
auf dieſe Weiſe (nach Vults Ausdruck, glaub ich)
einen Vorfruͤhling zu ſchnupfen. In der That
geht unter allen Sinnen-Wegen keiner ſo offen
und kurz in das feſt zugebauete Gehirn als der
durch die Naſenhoͤhlen.


Darauf holte er ſich beim Buͤcherverleiher vie¬
les, was er von guten Werken uͤber Schmetter¬
Flegeljahre IV. Bd. 11[162] linge, Blumen- und Feldbau erwiſchen konnte —
und las aufmerkſam in den Werken, um ſich die
Lenz-Sachen vorzuſtellen, die darin auftraten.
Blos das Oekonomiſche, Botaniſche und Natur¬
hiſtoriſche uͤberhuͤpfte er ohne beſondern Verſtand
und Eindruck, weil er auf wichtigere Dinge zu
merken hatte.


Als der Bruder fort war, ſtand gerade die
Abendroͤthe am Himmel und auf dem Schneege¬
buͤrg, dieſes Vorſtuͤck Aurorens, dieſer ewige Wie¬
derſchein des Fruͤhlings.


Ueber das Haus heruͤber war ſchon das Monds¬
viertel geruͤckt, und konnte, nicht weit von der
Roͤthe, zugleich mit ihr in ſein Stuͤbchen kleine
Farben und Strahlen werfen. „Wenn nicht der
Winter nur eine laͤngere Polar-Morgenroͤthe des
Fruͤhlings fuͤr die Menſchen iſt, ſagt' er, indem
er aufſtand, ſo weiß ich in der That nicht was
ſonſt.“ Der ganze Nachmittag war voll Fruͤhling
geweſen — und jetzt in der Abendſtunde quoll gar
ein Nachtigallenſchlag wie aus einem aͤußern Bluͤ¬
tenhain in ſeinen innern heruͤber. Er nahm einen
Judenjungen, der im naͤchſten Wirthshaus ſchlug,
[163] fuͤr eine wahre Nachtigall. Ein unmerklicher Irr¬
thum, da die Philomele, die uns ſingt, eigent¬
lich doch nirgends ſitzt und niſtet als in unſerer
Bruſt! Schnell, wie von einem Zauberer, wur¬
den die ſteilen Felſenwaͤnde ſeiner Lage umher mit
Epheu und mit Bluͤmchen uͤberzogen. Der Mond
kam heller herein und Walt ſtand und ging mit¬
ten in ſeinem leiſen Glanze traͤumend betend, es
war ihm als hoͤben und hielten ihn die geraden
Strahlen und als habe er jeden gemeinen Gegen¬
ſtand im Zimmer oder auf der Gaſſe mit Feſtta¬
peten zu verhuͤllen, damit der Himmel nur Himm¬
liſches auch auf der Erde beruͤhre. „So war es ge¬
rade einſt,“ ſang er mehrmals, auf jenen Abend deu¬
tend, wo er neben Wina's Zimmer mondſtill auf und
ab ging. Ja er improviſirte ſingend den Polymeter:


„Liebſt du mich“, fragte der Juͤngling die
Geliebte jeden Morgen; aber ſie ſah erroͤthet nie¬
der und ſchwieg. Sie wurde bleicher und er fragte
wieder, aber ſie wurde roth und ſchwieg. Einſt
als ſie im Sterben war, kam er wieder und fragte,
aber nur aus Schmerz: „liebſt du mich nicht?“
— und ſie ſagte Ja und ſtarb.


[164]

Er verſang ſich immer tiefer in ſein Herz —
Zeit und Welt verſchwand — er ſpielte wie eine
ſterbende Ephemere ſuͤß in den hellern Strahlen
des Mondes und unter Mondsſtaͤubchen —: da
kam Vult heiter zuruͤck und brachte die Nachricht,
Wina ſei angekommen, deckte aber ſogleich deren
Werth fuͤr ihn ſelber durch eine zweite luſtige zu
(und lachte ſtark) „daß er naͤmlich, ſagt' er, im
Vorbeigehen zu ſeinem Schuſter gegangen, um
ihn zu fragen, ob er denn ſeit 14 Tagen keinen
15ten gefunden, um die Rehabilitirung, Palin¬
geneſie, Peterſenſche Wiederbringung ſeiner Stiefel
(ſo druͤcke mancher leider ihr Beſohlen aus) zu vol¬
lenden; er habe ihn aber nicht eher als auf dem
Ruͤckwege gefunden, wo er auffallend ihm immer
rechts in die Schattenſeite ausgebogen; — bis er
nach langem Predigen geſehen, daß der Mann die
Stiefel, welche der Bußtext der Kaſualrede waren,
an den Beinen bei ſich habe, und herumtrage,
um ſie erſt noch etwas abzutreten, bevor er ſie
flicke.“ „War dieſer Spaß, der noch dazu voll
Anſpielungen ſteckt, nicht ſo viel werth als das
beſte Paar Stiefel ſelber?“ — „Iſt er denn ſo
[165] ſonderlich?“ ſagte Walt. — „Warum, fragte Vult
beſtuͤrzt, ſiehſt du ſo ſonderbar aus? Wareſt
du traurig?“ — „Ich war ſelig, und jetzt bin
ichs noch mehr,“ verſetzte Walt, ohne ſich weiter
zu erklaͤren. Die hoͤchſte Entzuͤckung macht ernſt
wie ein Schmerz und der Menſch iſt in ihr eine
ſtille Scheinleiche mit blaſſem Geſicht, aber innen
voll uͤberirdiſcher Traͤume.

No.58. Giftkuttel.

Erinnerungen.


Der Notarius erwartete am Morgen nichts
geringeres und gewiſſeres als einen Bedienten auſ¬
ſer Athem, der ihn eilig vor das Schreibepult des
Generals beſtellte. Nichts kam. Der Mittelmann
glaubt, die Obermaͤnner ſtehen darum auf den
hoͤhern Sproſſen der Staatsleiter, um beſſer die
Nachſteiger zu uͤberſchauen; indeß er ſelber das
Auge weniger auf den Kopf ſeines Nachſteigers
als auf den Hintern ſeines Vorſteigers heftet; und
ſo alle auf und ab. Die mittlern Staͤnde haben
den hoͤhern keine andere Vergeßlichkeit ſchuld zu
[166] geben als die, welche die niedern wieder ihnen vor¬
werfen.


Die Daͤmmerung konnte Vult kaum erwar¬
ten, um ein Daͤmmerungsfalter zu werden und
auszuflattern; Walt zaͤhlte eben ſo ſtark darauf,
um ein Daͤmmerungs- ein Nacht- und ein Tag¬
falter zugleich zu ſeyn, aber nur geiſtig und nur
daheim.


Himmel! er wurd' es ſo ſehr! Denn als
Vult ganz ſpaͤt und nicht in beſter Laune nach
Hauſe kam, fand er Walten hingegen darin,
naͤmlich in beſter — feurig ſchreitend — faſt ver¬
juͤngt, ja verkindlicht — ſo daß er ihn fragte:
„du haſt, ich ſchwoͤre, heute Geſellſchaft gehabt
oder geſehen und zwar die angenehmſte, nur weiß
ich nicht welche. (Er meinte heimlich Raphaela).
Oder hat der Magiſter Dyk gut geſchrieben?“


„Ich erinnerte mich, verſetzte Walt, den
ganzen Abend fort und zwar der Kindheit; denn
ſonſt hatt' ich noch nichts. — Lehre mich dieſe
Gedaͤchtnißkunſt, ſagte Vult. — „Das Schul¬
meiſterlein Wutz von J. P. macht' es wie ich, ſo
wunderbar erraͤth ein Dichter das Geheimſte. Ich
[167] moͤchte wohl Tage lang uͤber die kleinen Fruͤhlings¬
bluͤmchen der erſten Lebenszeit reden und hoͤren.
Im Alter, wo man ohnehin ein zweites Kind iſt,
duͤrfte man ſich gewiß erlauben, ein erſtes zu
ſeyn und lange zuruͤckzuſchauen ins Lebens-Fruͤh¬
roth hinein. Dir offenbar' ichs gern, daß ich mir
hoͤhere Weſen, z. B. Engel ordentlich weniger ſe¬
lig aus Mangel an Kindheit denken kann, wie¬
wohl Gott vielleicht keinem Weſen irgend eine
Kindheits- oder Vergißmeinnichts-Zeit mag ab¬
geſchlagen haben, da ſogar Jeſus ſelber ein Kind
war bei ſeiner Geburt. Beſteht denn nicht das
gute Kinderleben nur aus Luſt und Hoffnung,
Bruder, und die Fruͤhregen der Thraͤnen fliegen
daruͤber nur fluͤchtig hin?“


„Fruͤh-Regen und alter Weiber Taͤnze
und ſo weiter — naͤmlich junge Noth und alte
Luſt und ſo weiter. Fall' ich noch in den Zeit-
Punkt deiner versus memoriales?“ ſagte Vult.


„Wahrlich, ſtets hob ich in Leipzig und hier
nur Tage dazu heraus, wo du noch nicht mit
dem Muſikus entlaufen warſt.“


„So erinnere dich deines heutigen Erinnerns
[168] wieder vor mir, bat Vult; — ich ſtehe dir mit
neuen Zuͤgen bei.“


„Ein neuer Zug aus der Kindheit iſt ein
goldnes Geſchenk“, ſagte Walt „— nur wirſt du
manches zu kindiſch finden. (Kindiſch blos, ſagte
Vult) Ich nahm heute zwei Tage, nahe am kuͤr¬
zeſten und laͤngſten.“


Der erſte Tag fiel in die Adventszeit. Schon
dieſer Name und der andere „Adventsvogel“ um¬
fliegt mich wie ein Luͤftchen. Im Winter iſt ein
Dorf ſchoͤn, man kann es mehr uͤberſchauen, weil
man mehr darin beiſammen bleibt. Nimm nur
den Montag. Schon den ganzen Sonntag freue¬
te ich mich auf die Schule am Montag. Jedes
Kind mußte um 7 Uhr bei Sternenſchein mit ſei¬
nem Lichtchen kommen; ich und du hatten ſchoͤn
bemahlte von Wachs. Vielleicht mit zu großem
Stolze trug ich einen Quartband, einige Oktav¬
baͤnde und ein Sedez-Werkchen unter dem Arm.


„Ich weiß, ſagte Vult. du holteſt der Mut¬
ter noch Semmel aus dem Wirthshauſe, als du
ſchon den Markus und ſeinem Ochſen griechiſch
exponirteſt.


[169]

„Dann fing die ſchoͤne Welt des Singens
und Lehrens in der ſuͤßen Schulſtubenwaͤrme an.
Wir großen Schuͤler waren hoch uͤber die kleinen
erhoben; dafuͤr hatten die Abc-Zwerge das Recht,
— und es war ihnen zu goͤnnen — daß ſie den
Kandidaten laut anreden und ohne Anſtand ein
wenig aufſtehen und herumgehen durften.


Wenn er nun entweder die Spezialkarte auf¬
hing und wir am meiſten froh waren, daß Ha߬
lau und Elterlein und die umliegenden Dorfſchaf¬
ten darauf ſtanden — oder wenn er von den Ster¬
nen ſprach und ſie bevoͤlkerte und ich voraus ſah,
daß ich Abends den Eltern und Knechten daſſelbe
erweiſen wuͤrde — oder wenn er uns laut vorle¬
ſen hieß: —


„Du weißt, fiel Vult ein, daß ich dann
das Wort Sakrament, er mochte ſagen was er
wollte, immer mit einem Accent herlas, als ob ich
fluchte, desgleichen Donnerwetter. Auch war ich
der einzige, der ins laute gemeinſchaftliche Abbe¬
ten eine Art ⅜ Takt zu bringen verſuchte.


„Ich haͤtte dem arbeitſamen Manne ſo gern
Entzuͤckungen gegeben, wenn ich ſie gehabt haͤtte.
[170] Ich betete oft ein leiſes Vater unſer, damit Gott
ihn einen Finken, wenn er hinter ſeinem Kloben
lauerte, darauf fangen ließe; und du wirſt dich
erinnern, daß ich ſtets die Schlachtſchuͤſſel mit
Fleiſch (du aber nur den Suppentopf) zu ihm
trug. Wie ich mich auf das naͤchſte Wiederſehen
in der Schule freuete!“


„Wer mich hart gegen den Schulmeiſter fin¬
det, ſagte Vult, dem halt' ich blos vor, daß mir
der Schulmann einmal eine angerauchte Pfeife
abpfaͤndete und ſie in derſelben Schulſtunde oͤffent¬
lich vor meiner Naſe gar ausrauchte. Heißt dieß
exemplariſcher Lebenswandel von Schulmeiſtern?
Oder etwa dieß, daß ſie Fiſchchen-Fangen und
Voͤgel-Stellen uns Scholaren ſprichwoͤrtlich ver¬
bieten wie Fuͤrſten die Wagſpiele, ſich aber ſelber
erlauben? Daruͤber moͤcht' ich einmal Maͤnner in
oͤffentlichen Blaͤttern hoͤren.“ —


„O die liebe erſte Schulzeit! Mir war alles
erwuͤnſcht, was gelehrt und geboten wurde, die
kleinſte Wiſſenſchaft war ja ganz voll Neuigkeiten,
indeß ihr jetzt in Meſſen nur einige nachwachſen.
Kam nun vollends der Pfarrer mit den großen
[171] Augenbraunen im Prieſterornat und verdunkelte
doch den Kandidaten wie ein Kaiſer oder Pabſt ei¬
nen Landesregenten, den er beſucht: wie ſuͤ߬
ſchauerlich! Wie groß fiel jeder Laut ſeiner Ba߬
ſtimme! Wie wollte man das Hoͤchſte werden!
Wie wurde jedes Wort unſers Schomakers drei¬
fach beſiegelt durch ſeines!


„Ich glaube, man iſt ſchon darum in der
Kindheit gluͤcklicher als im Alter, weil es in ihr
leichter wird, einen großen Mann zu finden und
zu waͤhnen; ein geglaubter großer Menſch iſt doch
der einzige Vorſchmack des Himmels.”


In ſofern, ſagte Vult, moͤcht' ich ein Kind
ſeyn, blos um zu bewundern, weil man damit
ſich ſo gut kitzelt als andere. Ja ich moͤchte als
ein Foͤtus mit Spinnenarmen an die Welt treten,
um die Wehmutter als eine Juno Ludoviſi anzu¬
ſtaunen. Ein Floh findet leicht ſeinen Elephanten;
iſt man hingegen aͤlter, ſo bewundert man am
Ende keinen Hund mehr. Doch muß ich dir be¬
kennen, daß ich ſchon damals unſerem knurrenden
Pfarrer Gelbkoͤppel aus ſeiner Kragen-Glorie ei¬
nige Strahlen ausrupfte. Ich hatte, wie gewoͤhn¬
[172] lich, ein Buch unter die Schultafel in der Abſicht
fallen laſſen, hinunter zu kriechen und drunten die
Fruchtſcheuer von Haͤng-Fuͤßen am Bank-Galgen
laͤcherlich zu finden: als ich auch Gelbkoͤppels
Wochen-Stiefel auf dem Boden antraf und durch
den aufklaffenden Prieſterrock die Hoſen, die er bei
dem Grummet-Aufladen angehabt, zu Geſicht
bekam — weg war ſeine ganze oben darauf ge¬
pelzte Wuͤrde — Der Menſch, wenigſtens der
Apoſtel, ſei aus Einem Stuͤck gekleidet, er ſei kein
halber Apoſteltag, Walt!”


„Vult, biſt du dergleichen nicht faſt in man¬
cher Bemerkung? — Nun kam 11 Uhr heran,
wo wir beide auf den Thurm zum Laͤuten und
Uhr-Aufziehen gehen durften. Ich weiß noch
gut, wie du dich oben auf dem Glockenſtuhl an
das Seil der ausſchwankenden Glocke hingſt, um
geſchwungen zu werden, ob gleich viele dir ſagten,
ſie werfe dich durch das Schallloch. Ich haͤtte
ſelber hindurch fliegen moͤgen, wenn ich ſo hinaus
ſah uͤber das ganze kreutzweiß gebahnte Dorf voll
laͤrmender Treſchtennen, und an die dunkle Berg¬
ſtraße nach der Stadt, und uͤber den weiten
[173] Schnee-Glanz auf allen Huͤgeln und Wieſen und
dabei den blauen Himmel daruͤber her! Doch da¬
mals war der Erde der Himmel nicht ſehr noͤthig.
— Hinter mir hatt' ich die ernſthafte Glocke mit
ihrer eiskalten Zunge und mit ihrem Hammer,
und ich dachte mir es ſchauerlich, wie ſie einſam
in der froſtigen Mitternacht zu mir ins tiefe Haus
und warme Bette hinab reden werde. Ihr Sum¬
men und Ausſummen in dieſer Naͤhe umfloß den
Geiſt mit einem ſtuͤrmenden Meere, und alle drei
Zeiten des Lebens ſchienen darin unter einander zu
wogen.“


„Bei Gott! Hier haſt du Recht, Walt. Nie
hoͤr' ich dieſes Tonbrauſen ohne Schauder und oh¬
ne den Gedanken, daß der Muͤller erwacht, ſo
bald die rauſchende Muͤhle ſtill ſteht; unſer Leib
mit ſeiner Holz- und Waſſer-Welt; indeß ergoͤzt
die Betrachtung ſchlecht fuͤr den Augenblick.“


„Nimm nicht dein ernſtes Herz ſo wieder
zuruͤck, Bruder! Sollt' ich dein Gleichniß wieder
mit einem beantworten, ſo wuͤrd' ich ſagen, dieſe
Stille ſei die auf dem Gipfel des Gotthardsberges.
Alles iſt dort ſtumm, kein Vogel und kein Luͤft¬
[174] chen zu hoͤren, jener findet keinen Zweig, dieſes
kein Blatt; aber eine gewaltige Welt liegt unter
dir, und der unendliche Himmel mit allen uͤbrigen
Welten umfaͤngt dich rings. — Willt du jetzt wei¬
ter gehen in unſerer Kindheit, oder lieber mor¬
gen?”


„Jetzt, beſonders jetzt. Der Kindheit werf'
ich nichts vor als zuweilen — Eltern. Wir ſtie¬
gen alſo beide die langen Thurmtreppen herunter”


— „und im elterlichen Hauſe wurden wir durch
die reinlich-geordnete Mittags-Welt erfreuet an
der Stelle der truͤben Morgenſtube; uͤberall Son¬
nenſchein und Aufordnung. Da aber der Vater
in der Stadt war und alſo das Mittagsbrod
ſchlechter und ſpaͤter: ſo ließ ich mir es bis nach
der Schule aufheben, weil ich nicht zu ſpaͤt in
dieſe kommen wollte, und weil mir jetzt aus der
Ferne durchs Fenſter ſchon Kameraden und Lehrer
wieder neu erſchienen.”


In der Schulſtube gruͤßte man die unveraͤn¬
derten Baͤnke als neu, weil man ſelber veraͤndert
iſt. Ein Schul-Nachmittag iſt, glaub' ich, haͤus¬
licher, auch wegen der Ausſicht, Abends zu Hauſe
[175] und noch haͤuslicher zu bleiben. Ich freute mich
auf das ungewoͤhnliche Allein-Eſſen und auf den
Vater mit ſeinen Sachen aus der Stadt. Ein
ganzer Wolkenhimmel von Schneeflocken wirbelte
herunter, und wir Schuͤler ſahen es gern, daß wir
kaum mehr die kleine Bibel leſen konnten, in der
ohnehin dunkeln traulichen Schulſtube.


Draußen nun ſprang jeder in neu gefallnen
Schnee ſehr luſtig mit den lange muͤßigen Glied¬
maſſen. Du warfſt deine Buͤcher ins Haus und
bliebſt weg bis zum Gebetlaͤuten; denn die Mut¬
ter erlaubte dir das Austoben am meiſten in Abſeyn
des Vaters. Ich folgte dir ſelten. Der Himmel
weiß, warum ich ſtets kindiſcher, ausgelaſſener,
huͤpfender, unbeholfen-eckiger war, als du —
ich machte meine Kinds- oder Narrenſtreiche allein,
du machteſt deine als Befehlshaber fremder mit.“


„Ich war zum Geſchaͤftsmann geboren,
Walt!“


„Aber in der Veſper las ich lieber. Ich hatte
erſtlich meinen orbus pictus, der, wie eine Iliade,
das Menſchen-Treiben auseinander blaͤtterte. Ich
hatte auf dem Geſimſe auch viele Beſchreibungen,
[176] theils vom Nordpol, theils von alter Norden-Zeit,
z. B. die fruͤheſten Kriege der Skandinavier u. ſ.
w. und je grimmig-kaͤlter ich alles in den geogra¬
phiſchen Buͤchern fand oder je wilder in den hiſto¬
riſchen: deſto haͤuslicher und bequemer wurde mir.
Noch kommt mir die altnordiſche Geſchichte wie
meine Kindheit vor, aber die griechiſche, indiſche,
roͤmiſche, mehr wie eine Zukunft.


In der Daͤmmerung verflatterte das Schnee¬
geſtoͤber, und aus dem reinen Himmel blitzte der
Mond durch das Blumengebuͤſch der gefrierenden
Fenſter — Hell klang draußen in der ſtrengen
Luft das Abendlaͤuten unter den aufgebaͤumten
Rauchſaͤulen — Unſere Leute kamen Haͤnde-reibend
aus dem Garten, wo ſie die Baͤume und Bienen¬
ſtoͤcke in Stroh eingebauet hatten — Die Huͤhner
wurden in die Stube getrieben, weil ſie im Rau¬
che mehr Eier legen — Das Licht wurde geſpart,
weil man aͤngſtlich auf den Vater harrete — Ich
und du ſtanden auf den Hand- oder Fußhaben
der Wiege unſerer ſeel. Schweſter, und unter dem
heftigſten Schaukeln hoͤrten wir dem Wiegenlied
von[177] von gruͤnen Waͤldern zu und der kleinen Seele
thaten ſich thauſchimmernde Raͤume auf — End¬
lich ſchritt der geplagte Mann uͤber den Steg, be¬
reift und beladen, und eh' er noch den Querſack
abgehoben, ſtand ſein dickes Licht auf dem Tiſch,
kein duͤnnes. Welche herrliche Nachrichten, Gel¬
der und Sachen bracht' er mit und ſeine eigne
Freude!“


„Wer bezweifelt ſeine Entzuͤckung weniger
als ich, den er darin allemal auspruͤgelte, blos
weil ich auch mit entzuͤckt ſeyn wollte, und da¬
durch, ſpringend und tanzend, den Laͤrm erregte,
den er in ſtiller Luſt am meiſten verfluchte; ſo wie
ein Hund ſich nie mehr kratzen muß, als wenn er
freudig an ſeinem Herrn aufſpringt.“


„Scherze nicht! Und bedenke, was er uns
mitbrachte; ich weiß es aber nicht mehr — mir
einen fuͤr mein Geld gekauften Bogen Konzeptpa¬
pier, wovon ich damals nicht denken konnte, daß
ſo etwas breites nettes mehr koſte als zwei
Pfennige. — Fuͤr die Schweſter ein Abc-Buch
mit Gold-Buchſtaben ſchon auf der aͤußern Deckel¬
Flegeljahre IV. Bd. 12[178] Schale und mit friſchen ſaubern Thier-Bildern
im Vergleich gegen unſre abgegriffenen alten.


„Schießpulver als Digeſtivpulver fuͤr das
Schwein, wovon die wenigen Koͤrnchen, die ich
zuſammenkehrte, mir beſſere Feuerwerke auf einen
Spahn beſcherten als irgend einem Koͤnig ein
dreißigjaͤhriger Krieg.“ —


„Das beſte war wohl der neue Kalender.
Es war mir als hielt ich die Zukunft in der Hand,
wie einen Baum voll Fruchtlage. Mit Luſt uͤber¬
las ich die Namen: Laͤtare, Palmarum, Jubi¬
late, Kantate, wobei mir mein wenig Latein gute
Dienſte that. Die Epiphanias waren mir ver¬
druͤßlich, beſonders zu viele; hingegen je mehrere
Trinitatis-Sonntage fielen, deſto laͤnger gruͤne, dacht'
ich, die freudenreiche Zeit. Laͤcherlich kommt es
mir vor, daß, eben da ich hinten im Kalender
die Haßlauer Poſtberichte las, die kaiſerliche rei¬
tende Poſt im Dorfe ins Horn ſtieß, und ich den
guten Menſchen bewunderte und bedauerte, der
nun, laut dem Berichte, mitten im Winter allein
nach ganz Pommern, Preuſſen, Polen und Ru߬
land ritt; ein Irrthum, den ich erſt in Leipzig
[179] fahren ließ. Wenn nun darauf der Kandidat
Schomacker zum Eſſen kam und wir vom Vater
manche Hiſtorien mit Vergnuͤgen zum zehntenmal
hoͤrten — wenn du nach dem Eſſen auf einer
Spahn-Geige aus gewichstem Zwirnfaden kratz¬
teſt — und ich einen glimmenden Schleußen-
Spahn zu einem Feuerrad umſchwang — und ich
und du und der lange Knecht, der mir damals,
wie den Kindern vielleicht alle gewohnte Geſichter,
ſchoͤn vorkam, ſpielten und ſangen: „Ringe,
„ringe Reihe, 's ſind der Kinder dreie, Sitzen
„auf den Holderbuſch, Schreien alle Muſch,
„Muſch, Muſch! Setzt euch nieder! Es ſitzt 'ne
„Frau im Ringelein, Mit 7 kleinen Kindern.
„Was eſſens gern? Fiſchelein. Was trinkens gern?
„Rothen Wein. Setzt euch nieder!“ — Innig
erfreuet las ich neulich in Graͤters Bragur das
einfaͤltige Kinderding — Ich muß aber meinen
Satz ganz anders angefangen haben.“ —


„Nunmehr iſt er geſchloſſen. Das Leben
faͤngt, wie das griechiſche Drama, mit Poſſen an.
Beginn' ohne eh' du erwachſt, deinen verſproche¬
nen Sommertag.


[180]

„Ich koͤnnte ihn wohl von der Faßnacht an¬
heben, wo der neu erſtandene Fruͤhling lauter Son¬
nenſtrahlen in die Schulſtube voll kleiner geputzter
Taͤnzer ſtreuet, ſo daß es in den Seelen fruͤher
bluͤhte als in den Gaͤrten. Schon der alte ſimple
Vers: „Zur Lichtmeß eſſen die Herrn am Tag',
Zur Faßnacht thuns die Bauern auch nach,“ zog
Abendroͤthe und Bluͤtenſchatten um den Abendtiſch.
Gott, wie wehen noch die Namen: Marientage,
Salatzeit, Kirſchenbluͤte, Roſenbluͤte, die Bruſt
voll Zauberduft! — So denk' ich mir auch die
Jugend meines Vaters blos als einen ununter¬
brochenen Sommer, beſonders in der Fremde; ſo
wie ich meinen Großvater und uͤberhaupt die zu¬
ruͤckliegende Zeit vor meiner Geburt immer jung
und bluͤhend ſehe. Da gab's ſchoͤne Menſchentage,
ſagt man ſich. Wie friſch und hell ſpringend,
gleich Fruͤhlingsbaͤchen, kommen mir die alten Uni¬
verſitaͤten, Bologna und Padua, vor mit ihren
ungemeſſenen Freiheiten, und ich wuͤnſchte mich
oft in dieſe hinein!“


„Macht' ich weniger aus dir, ſo muͤßt' ich
bei deinem Wunſche denken, es waͤre damals auſ¬
[181] ſer Hauspump, Buren, Landesvater, auch Gaſ¬
ſatim rumoren und Degen wetzen deine Sache ge¬
weſen; aber ich weiß gut, du wollteſt zu allem
nur ruhig ſitzen und zuſehen als Rector magnifi¬
cus
. — Allein gib nun deinen heutigen Sommer¬
tag!”


„Es war das H. Dreifaltigkeitsfeſt, und
zwar das jener Woche, worin du auf und davon
gingeſt. Nur vorher laſſe mich noch bemerken,
daß mir deine erwaͤhnten Studenten-Woͤrter theils
neu klingen, theils roh. An dieſem h. Feſte nun,
das mit Recht in die ſchoͤnſte Jahreszeit faͤllt,
gingen, wenn du es nicht vergeſſen, unſere Eltern
immer zum h. Abendmahl. Gerade an jenem
Sonnabend — wie denn uͤberhaupt an jedem Beicht¬
ſonnabend — bezeigten die lieben Eltern ſich noch
guͤtiger und geſpraͤchiger gegen uns Kinder als
ſonſt; Gott aber ſchenke ihnen in dieſer Stunde die
Freude, die mir jetzt in ihrem Angedenken das
Herz durchwallt! Die Mutter ließ vieles im Stall
durch Leute beſorgen und betete aus dem ſchwarzen
Kommunion-Buͤchlein. Ich ſtand hinter ihr und
betete unbewußt mit herunter, blos weil ich das
[182] Blatt umkehrte, wenn ſie es herab hatte. Die
Bauernſtube war ſo rein und ſchmuck aufgeraͤumt
fuͤr den Sonntag — wie am h. Chriſtabend war
es am Beichtabend — aber ſchoͤner und hoͤher —
dazu hing nun der reich ſchwere Fruͤhling herein,
und der Bluͤtengeruch zog durch das ganze Haus
und jeden Dachziegel — Fruͤhling und Froͤmmig¬
keit gehoͤren gewiß recht fuͤr einander — Ich ſah
nachher, als der Nachtwaͤchter antrat, noch ein
wenig aus dem Dachfenſter, voll Duͤfte und
Sterne war der Himmel uͤber dem Dorfe — die
Generalin ging ſo ſpaͤt noch mit ihrem Kinde an
der Hand auf dem Schloßwall ſpazieren, und das
ganze Dorf wußte, daß ſie morgen kommunizirte
und ich und du die Kommunikantentuͤchlein dabei
hielten — Wahrlich, ob ich gleich ſchon ſprechen
konnte, die weißgekleidete Generalin kam mir als
die Mutter Gottes vor, und das Kind als ihr
Kind.“


„Hat denn die Generalin einen Sohn?


Walt ſagte verlegen: ich ſtellte mir naͤmlich
ihre damalige Tochter ſo vor in der Ferne. Ich
[183] moͤchte jetzt noch vor Freude uͤber die Wundernacht
weinen, wenn du nicht lachteſt. ...”


„So weine zum Henker! Wer lacht denn,
Satan, wenn einmal ein Menſch die Aufrichtig¬
keit in Perſon iſt?


„Es erſchien denn das h. Trinitatis-Feſt
mit einem blauen Morgen voll Lerchen und Bir¬
kenduͤfte; und als ich aus dem Bodenfenſter dieſe
Blaͤue uͤber das ganze Dorf ausgeſpannt erblickte,
wurde mir nicht, wie ſonſt an ſchoͤnen Tagen, be¬
klommen, ſondern faſt wie jauchzend. Unten
fand ich die Mutter, die ſonſt nur in die Nach¬
mittagskirche ging, ſchon angeputzt, und den Va¬
ter im Gottes-Tiſchrock, wodurch ſie mir, zumal
da ſie unſer Sonntags-Warmbier nicht mittran¬
ken, ſehr ehrwuͤrdig erſchienen. Den Vater liebt'
ich ohnehin am Sonntag ſtaͤrker, weil er blos da
raſiert war. Ich und du folgten ihnen in die
Kirche; und ich weiß, wie darin die Heiligkeit
meiner Eltern gleichſam in mich heruͤber zog unter der
ganzen Predigt; eine fremde wird in einem bluts¬
verwandten Herzen faſt eine groͤßere.”


„Mein Fall war es weniger. Ich lebte nie
[184] luſtiger als an ihren Kommuniontagen, weil ich
wußte, daß ſie es fuͤr Suͤnde hielten, mich fruͤ¬
her als nach Sonnenuntergang auszuwichſen —
und weil ſie nach dem Abendmahl auch das Mit¬
tagsmahl bei dem Pfarrer nahmen, und wir
folglich das Schachbrett zum Roͤſſelſprung frei
hatten. Steht es noch vor deiner Seele, mahlt
es ſich noch gluͤhend, faͤrbt es ſich noch brennend,
daß ich an demſelben Sonntage mit einem Taſchen¬
ſpiegel vom Chore herab den Sonnenglanz wie ei¬
nen Paradiesvogel durch die ganze Kirche, und
ſogar um die zugedruͤckten Augen des Pfarrers
ſchießen ließ, indeß ich ſelber ruhig mit nachſah
und nachſpuͤrte? Und gedenkſt du noch — denn
nun entſinn' ich mich alles — daß mich daruͤber
der ſataniſche Kandidat erwiſchte, und der Vater
nach der Kirche mich nach der peinlichen Halsge¬
richts-Ordnung von Karl, die (im Art. 113.)
Gefangenſchaft mit Beſen-Streichen leicht ver¬
tauſchen laͤſſet, aus Andacht blos einkerkerte, an¬
ſtatt, was mir lieber geweſen, mich halb todt zu
ſchlagen?“


„Du hielteſt aber dennoch in der Kirche das
[183[185]] rechte Altartuͤchlein bei der Oblate unter den Kom¬
munikanten auf und ich das linke beim Kelch. Es
ſoll nie von mir vergeſſen werden, wie demuͤ¬
thig und ruͤhrend mir unſer blaſſer Vater auf ſei¬
nen Knieen an der ſcharlachenen Altarſtufe vor¬
kam, indeß der Pfarrer ihm ſehr ſchreiend den
goldnen Kelch vorhielt. Ach wie wuͤnſcht' ich, daß
er ſtark traͤnke vom h. Weine und Blut. Und
dann die tief geneigte Mutter! Wie war ich ihr
unter dem Trinken ſo rein-gut! Die Kindheit kennt
nur unſchuldige weiße Roſen der Liebe, ſpaͤter
bluͤhen ſie roͤther, und voll Schamroͤthe. Vorher
aber trat die majeſtaͤtiſche lange Generalin in ih¬
rem ſchwarzen und doch glaͤnzenden Seidengewand
an die Altarſtufe, ſich und die langen Augenwim¬
pern ſenkend wie vor einem Gott, und die ganze
Kirche klang mit ihren Toͤnen drein in die andaͤch¬
tige Gegenwart dieſer idealen Herzogin fuͤr uns
alle im Dorf.“


„Die Tochter ſoll ihr ſo aͤhnlich ſehen, Walt?“


„Die Mutter wenigſtens iſt ihr ſehr aͤhnlich.
Darauf zog man denn aus der Kirche, jeder mit
emporgehobnem Herzen — die Orgel ſpielte in ſehr
[186] hohen Toͤnen, die mich als Kind ſtets in helle
fremde Himmel hoben — und draußen hatte ſich
der blaue Aether ordentlich tief ins Sonntagsdorf
hineingelagert und vom Thurme wurde Jauchzen
in den Tag herab geblaſen — Jeder Kirchgaͤnger
trug die Hoffnung eines langen Freudentags auf
dem Geſichte heim — Die ſich wiegende lakirte
Kutſche der Generalin raſſelte durch uns alle durch,
nette, reiche Bedienten ſprangen herab — — Ue¬
berhaupt waͤre nur nachher nicht die Sache mit
dir geweſen — “


„Zu oft kaͤme ſie nicht wieder!“


„Alſo ging der Vater im Gottestiſchrock ins
Pfarrhaus und hinter ihm die Mutter. Und als
ich, da ſie abgegeſſen hatten, die Klingelthuͤre des
Pfarrhofs oͤffnete und ſchon die Truthuͤhner deſ¬
ſelben mit Achtung ſah:


„Du brauchſt mirs nicht zu verdecken, daß
du mich druͤben aus meiner verfluchten Karzer¬
kammer losbitten wollteſt, weil ich zu ſehr ſchrie
und Fenſter und Kopf einzuſtoßen ſchwur.“


„Die Bitte half wenig beim Vater; vielleicht
weil der Pfarrer ſagte, du haͤtteſt ihn zu ſehr be¬
[187] leidigt und geblendet. Ich vergaß leider bald dich
und die Bitte uͤber dem herrlichen ſuͤßen Wein,
den ich trank. Auf dem Lande hat man zu wenig
Erfahrung der vornehmern Welt und bewundert
ein Glas Wein. Der Pfarrer ließ mich Entzuͤck¬
ten durch ein Priſma ſchauen und gleichſam jedes
einzelne Stuͤck Welt mit einer Aurora und Iris
umziehen. Ich bildete mir oft ein, ich koͤnnte
wohl, da ich ſo viel Gefuͤhl fuͤr Mahlerei, ſogar
fuͤr Farben an Schachteln, Zwickeln, Zwickelſtei¬
nen zeigte, faſt mehr zum Mahler taugen als ich
daͤchte. Da ich meinen Vater tief unten an der
Tafel ſitzen ſah, dacht' ich mir das Vergnuͤgen,
ihn einſt ſehr auszuzeichnen, falls ich etwas
wuͤrde.“


„Es iſt auffallend, wie oft auch ich ſchon
ſeit Jahren geſchworen, mich meiner Herkunft zu
entſinnen, wenn ich im Publikum bedeutend in
die Hoͤhe und Dicke wuͤchſe, und mich weder dei¬
ner! noch der Eltern zu ſchaͤmen. Man kann faſt
nicht fruͤh genug anfangen, ſich beſcheiden zu ge¬
woͤhnen, weil man nicht weiß, wie unendlich viel
man noch wird am Ende. — Liebe fuͤr Farben,
[188] wovon du ſprachſt, iſt darum noch keine fuͤr Zeich¬
nung; inzwiſchen kannſt du immer, wenn die eine
Art Mahler ſich von fremder Hand die Landſchaf¬
ten, die andere ſich die Menſchen darin mahlen
ließ, beide Arten in dir vereinen. Vergieb den
Spaß!“


„Recht gern! Wir zogen als vornehme Gaͤ¬
ſte durchs Dorf nach Hauſe, wo der Vater die
Scharlachweſte anlegte und mit mir und der Mut¬
ter ſpazieren ging, um Abends gegen 6 Uhr im
Gartenhaͤuschen zu eſſen. Nun glaub' ich nicht,
daß an einem ſolchen Abende, wo alle Welt im
Freien und angeputzt und freudig iſt, und die Ge¬
neralin und andere Vornehme mit roth ſeidnen
Sonnenſchirmen ſpazieren gehen, irgend ein Herz,
wenn es zumal in einem Bruder ſchlaͤgt, es er¬
tragen kann, daß du allein im Kerker hauſeſt.“


„Sakerment!“ ſagte Vult.


„Sondern es war natuͤrlich, daß ich und
der Knecht dir eine Dachleiter ans Fenſter ſetzten,
damit du herunter koͤnnteſt ins Dorf zur Luſt. —
Nein, kein Spaziergang mit Menſchen iſt ſo ſchoͤn
als der eines Kindes mit den Eltern. Wir gingen
[189] durch hohe gruͤne Kornfelder, worin ich die Schwe¬
ſter hinter mir nachfuͤhrte in der engen Waſſer¬
furche. Alle Wieſen brannten im gelben Fruͤhlings¬
feuer. Am Fluſſe laſen wir ausgeſpuͤlte Muſcheln
wegen ihres Schillerglanzes auf. Das Floͤßholz
ſchoß in Herden hinab in ferne Staͤdte und Stu¬
ben, und ich haͤtte mich gern auf ein Scheit ge¬
ſtellt und waͤre mitgeſchifft! Viele Schafherden
waren ſchon nackt geſchoren und legten ſich mir
naͤher ans Herz, gleichſam ohne die Scheidewand
der Wolle. Die Sonne zog Waſſer in langen
wolkigen Strahlen, aber mir kam es vor, als ſei
die Erde mit Glanzbaͤndern an die Sonne gehan¬
gen und wiege ſich an ihr. Eine Wolke, die mehr
Glanz als Waſſer hatte, regnete blos neben, nicht
auf uns; ich begriff aber damals gar nicht, als
ich die Graͤnzen der naſſen und der trocknen Blu¬
men ſah, wie ein Regen nicht allezeit uͤber die
ganze Erde falle. Die Baͤume neigten ſich gegen
einander, als die Wolke tropfend daruͤber wegwehte,
wie die Menſchen am Abendmahls-Altar. Wir
gingen ins Gartenhaus, das innen und außen
nur weiß iſt; aber warum glaͤnzet dieſer kleine
[190] Name uͤber alle ſtolz gedeckte Prachtgebaͤude her¬
uͤber und blinkt in ſeinem Abendroth ſehr gegen
fremdes Morgenroth? Alle Fenſter und Thuͤren
waren aufgemacht — Sonne und Mond ſahen zu¬
gleich hinein — die rothweiſſen Aepfelknoſpen wur¬
den von ihren ſtarren ſtruppigen Aeſten hineinge¬
halten und zuweilen eine ſchneeweiße Aepfelbluͤte
mit (o Vult, ich gebe den Aepfel fuͤr die Aepfel¬
bluͤte gern) — Die Bienen gaben dem Vater Zei¬
chen eines nahen Schwaͤrmens — Ich fing mir
in eine Schachtel Goldkaͤfer, fuͤr welche ich den
Zucker laͤngſt aufgeſparet hatte — Noch glaͤnzt
mir das Gold und der Schmaragd, dieſes Para¬
diesvoͤgelchen hienieden, in Deutſchland meint' ich
— Auch zog ich mir im Garten Schoͤßlinge aus,
um ſie daheim anzupflanzen zu einem Luſtwaͤld¬
chen unter meinem Knie. Die Voͤgel ſchlugen wie
beſtellt in unſerem Gaͤrtchen, das nur fuͤnf Apfel¬
baͤume und zwei Kirſchbaͤume hatte und mehrere
Pflaumenbaͤume ſammt guten Johannisbeer- und
Haſelſtauden. Zwei Finken ſchlugen, und der Va¬
ter ſagte, der eine ſinge den ſcharfen Weingeſang
[191] und der andere den Braͤutigam. Aber ich zog —
und noch jetzt — meinen guten Embritz vor.“


„Deutlicher in der ornithologiſchen Sprache
Emmerling, Goldammer, Groͤning, Gelbling,
Geelgerſt, Emberiza citrinella L. — welcher,
wie die Eltern ſagten, ſang: wenn ich eine Sichel
haͤtt', wollt ich mit ſchnied. — Was iſt denn das
Dunkle im Menſchen-Innern, daß ich wirklich
den einfachen Embritz, wenn ich durch Wieſen
gehe und ihn an belaubten Abhaͤngen hoͤre, leider
uͤber die goͤttliche Nachtigall, die freilich wenig
rein durchfuͤhrt, ſondern heftig ſpringt, zu ſetzen
ſuche? — Floß aber nicht nachher die Abendroͤthe
in den ganzen Garten hinein und faͤrbte alle
Zweige? Kam ſie mir nicht wie ein goldner Son¬
nentempel mit vielen Thuͤrmen und Pfeilern vor?
Und gingen nicht auf den Wolkenbergen die Stern¬
chen wie Maienbluͤmchen auf? — und die breite
Erde war ein Webſtuhl roſenrother Traͤume? Und
als wir ſpaͤt nach Hauſe wandelten, hingen nicht
in den finſtern Buͤſchen goldne Thautropfen, die
lieben Johannis-Wuͤrmchen? Und fanden wir
nicht im Dorfe ein ganz beſonderes Feſt-Leben,
[192] ſogar die kleinen Viehhirten endlich im Sonntags¬
putz, und dem Wirthshauſe fehlte nichts als Mu¬
ſik und auf dem Schloße wurde geſungen?


„Und nahm mich nicht, fuhr Vult fort,
der gute Vater, als er mich in dieſer Freude als
Theilhaber fand, leiſe bei den Haaren mit nach
Hauſe und pruͤgelte mich ſo verflucht? — O daß
doch der Teufel alle Erziehungen holte, ſo wie er
ſelber keine erhalten! Wer nimmt mir jetzt die
Feſt-Pruͤgel ab und den Karzer? Du kannſt dich
leicht herſtellen und entſinnen und vergnuͤgt außer
dir ſeyn und die Repetiruhr der Erinnerung aus
der Taſche ziehen. Aber Hoͤlle, was hab' ich denn
ſchmelzend mich zu erinnern als an die lauſige
Aurora eines aufgehenden Schwanzſterns? O wie
gluͤcklich, gluͤcklich koͤnnte man ein Kind machen!
Dieß probire aber einmal einer bei einem greiſen
Schelm von 40 Jahren! Ein einziger Kindertag
hat mehr Abwechſel als ein ganzes Manns-Jahr.
Sieh an, wie er mich, wenn das kuͤhne Bild zu ge¬
brauchen iſt, aus einem zarten weißen Kindsge¬
ſicht ſo zu einem braunen Kopfe geraucht und er¬
hitzt[193] hitzt hat, wie einen Pfeiffenkopf! — Waͤrme mich
nicht mehr wieder ſo auf! — Was ſeh' ich denn
von Clyſien und elyſiſchen Aeckern um mich her
als ein Paar Seſſel? — unſern Bett- und Stu¬
ben-Schirm? — nichts zu trinken? — dich gu¬
ten Millionaͤr blos voll innerer Gedaͤchtnißmuͤn¬
zen? — und einen hoͤlzernen Sitz der Seligen?
— O ich moͤchte . . . He herein nur! Vielleicht
bringt uns doch, Walt, ein Himmelsbuͤrger ein
oder ein Paar Himmelspforten und Empyraͤen.“


Es ſchritt die gelbe Poſtmontur ein mit dem
Hoppelpoppel oder das Herz unter dem Arm,
das der Magiſter Dyk mit den Worten zuruͤck¬
ſchickte, er verlege zwar gern Rabener'ſche und
Wezelſche Plaͤſanterien, aber nie ſolche. „Nu,
iſt das kein Sonnenblick aus unſerm Freuden¬
himmel?“ fragte Vult. „Ach, ſagte Walt,
ich glaube, ich war eben vorhin und bisher zu
gluͤcklich; darauf kommt immer ein wenig Be¬
truͤbniß — Es iſt doch gut, daß das Werk nicht
auf der Poſt hin und her verloren gegangen.“ —
„O du weiches — Holz! fuhr jener auf. Aber
nicht du ſollſt es ausladen, ſondern der Magiſter.
Flegeljahre IV. Bd. 13[194] Ich will ihn waſchen mit Seewaſſer, ob's gleich
nicht weiß macht.“


Er ſetzte ſich auf der Stelle nieder und ſchrieb
im Grimm einen unfrankirten Brief an den Ma¬
giſter, worin die Hoͤflichkeit des Briefſtils ſo gut
als ganz hintan geſetzt war.

N. 59. Notenſchnecke.

Korrektur — Wina.


Am Morgen kam wieder ein Manuſkript,
aber ein fremdes abgedrucktes; der Setzer der
Paßvogelſchen Buchhandlung — fuͤr Walt war
ein Setzer viel — haͤndigte den erſten Korrektur¬
bogen ein, damit der Univerſalerbe der Kabelſchen
Verlaſſenſchaft daran ſeinen Teſtamentsartikel er¬
fuͤlle. Das Werk, deſſen Titel war: das gelehrte
Haßlau alphabetiſch geordnet von Schieß, —
nun in aller Haͤnden — war ſehr gut in deutſcher
Sprache mit lateiniſchen Lettern geſchrieben, nur
aber ganz ſchlecht oder unleſerlich, und enthielt je¬
den Haßlauer, der mehr als eine Seite, naͤmlich
zwei, d. h. ein Blatt fuͤr Straße und Welt ge¬
macht, ſammt einem kurzen Nachtrag von den
[195] Lands-Gelehrten, die ſchon als Kinder verſtor¬
ben. Wenn man zaͤhlt, welche Menge von Au¬
toren Fikenſcher aus ſeinem gelehrten
Bayreuth
blos dadurch hinaus ſperrt, daß er
keinen aufnimmt, der nicht mehr als Einen Bo¬
gen geſchrieben — ſogar zwei reichen als Vorrede
nicht hin, wenns blos Gedichte ſind — und wel¬
che noch groͤßere Meuſel aus ſeinem gelehrten
Deutſchland verſtoͤßt, dadurch daß er nicht ein¬
mal Leute einlaͤßt, die nur Ein Buͤchlein geſchrie¬
ben, nicht aber zwei: ſo ſollte wohl jeder wuͤn¬
ſchen, in Haßlau gebohren zu ſeyn, blos um
in das gedruckte gelehrte zu kommen, da Schieß
nicht mehr dazu begehrt zum Einlaßzettel als et¬
was nicht groͤßeres als der Zettel iſt, nur ein
gedrucktes Blatt: denn ſich mit noch wenigerem
in einen ſolchen Charons-Kahn, der ſtets zur
Unſterblichkeit des Edens entweder, oder des
Tartarus abfuͤhrt, einſchiffen wollen, hieße ja
Schriftſteller einladen, die ganz und gar nichts
geſchrieben.


Der Notar fing ſofort das Korrektiren an
— in die Korrekturzeichen hatt' er ſich laͤngſt ein¬
[196] geſchoſſen —; aber er fand ſtatt der Huͤgel Klip¬
pen zu uͤberſteigen. Schieß ſchrieb eine gelehrte
Hand und eine ungelehrte zugleich; der Korrek¬
turbogen war aus Titeln, Namen, Jahrszah¬
len und ſolchen Sachen gewebt, die nirgends zu¬
ſammenhaͤngen als in Gott. Es iſt daher die
gemeine Meinung, daß Paßvogel blos zum
Drucke des Notars den Druck des Werkes einge¬
gangen. Vult wollte zwar beſſern helfen, aber
Walt fand fremde Huͤlfe gott- und treulos und
korrigirte allein.


Eh' ers hintrug in die Buchhandlung, frag¬
te ihn Vult, ob man nicht einen witzigen Einfall
haben, und er, Vult, nicht ihren Roman mit
einem Briefe an Paßvogel tragen koͤnnte, worin
er ſich als den Verfaſſer ausgaͤbe und ſagte, der
Endes Unterſchriebene ſtehe dem Leſer eben vor der
Naſe. Es geſchah. Beide trafen zufaͤllig einan¬
der im Buchladen. Kaum ſah Paßvogel aus
Vults Taſche eine Manuſkript-Rolle ſtechen: ſo
machte er ſich nichts aus ihm — weils ein Autor
war —, ſondern ſetzte Walt, den Korrektor und
Erben, hoͤher und uͤberlas freundlich den Bo¬
[197] gen: „der H. Autor, ſagte er, wird ſchon nach¬
ſehen.”


Darauf uͤberreichte ihm Vult furchtſam den
Brief ſammt Roman und ſah begierig in ſeine le¬
ſende Phyſiognomie, wie ſie ſich bei der Stelle
umſetzen wuͤrde, wo der Briefſchreiber daſteht als
Brieftraͤger. Aber dem feinen im Geſetze der ge¬
ſelligen Staͤtigkeit lebenden Manne that der Riß
und Zuck weh auf der eleganten Haut und er
ſagte — nach dem Ueberlaufen des Titels — ver¬
druͤßlicher als gewoͤhnlich, er bedaure, daß er ſchon
uͤberladen ſei und ſchlage kleinere Buchhaͤndler vor.
„Wir Autoren, verſetze Vult, gehen anfangs
wie Hirſche, denen das zarte Gehoͤrn erſt entſprieſ¬
ſet, mit geſenktem Haupte; aber ſpaͤter, wenn es
groß und hart zu ſechszehn Enden ausgeſchoſſen,
ſchlaͤgt man damit an die Baͤume heftig, und ich
fuͤrchte, H. Paßvogel, ich werde im Alter grob.”
Wie ſo? ſagte dieſer.


Vult that darauf, als kenn' er Walten von
weitem und ſagte: wenn er als Kabelſcher Erbe
erſt den erſten Bogen uͤbergeben, ſo ſchein' es
faſt, als wollten ihm die Erben das zwoͤlfbogige
[198] Korrektoramt zu zwoͤlf Wochen ausdehnen. Dann
entſprang er nach ſeiner boshaften Sitte ploͤtzlich,
um dem Feinde die Replik zu entwenden.


Beide verliehen daheim vor allen Dingen dem
Romane Fluͤgel, weil die Hoffnung immer ſo
lange zum Todtliegenden gehoͤrte als das Buch.
Man ſchickte ihn an H. Merkel in Berlin, den
Brief- und Schriftſteller, damit er das Buch ei¬
nem Gelehrten, H. Nikolai, empfaͤhle und auf¬
heftete.


Mitten in dem Genuß der abfahrenden Poſt
fiel wieder ein Staubregen; der hinkende Notar,
der bekannte Geſchaͤftstraͤger der Erben, kam mit
dem erſten Korrekturbogen und Schießens Re-
Korrekturen.


Walt hatte ein und zwanzig Druckfehler ſte¬
hen laſſen. Schieß wies aus dem Manuſkripte
nach, daß er ein c ſtatt einem e — dann ein e
ſtatt eines c — ein ſ ſtatt eines s — ein ſ ſtatt
eines f — ein Komma ſtatt eines Semikolons —
eine 6 ſtatt einer 9 — ein h ſtatt eines b — ein
n ſtatt eines u und umgekehrt, da eben beide
umgekehrt waren — habe ſtehen laſſen u. ſ. w.
[199] Walt ſah nach und ſann nach und ſprach ſeuf¬
zend: „wohl iſts nicht anders!“


Arme Korrektoren! wer hat noch eurer Mut¬
ter-Beſchwerungen und Kindsnoͤthen in irgend
einem Buche ernſthaft genug gedacht, das ihr
zu korrigiren bekommen! So wenig, daß Mil¬
lionen in allen Welttheilen aus der Welt gehen,
ohne je erfahren zu haben, was ein Korrektor
ausſteht, ich meine nicht etwa dann, wann er
theils hungert, theils friert, theils nichts hat
als ſitzende Lebensart, ſondern dann, wann er
ein Buch gern leſen moͤchte, das er zwar vor ſich
ſieht (noch dazu zweimal, geſchrieben und ge¬
druckt), aber korrigiren ſoll; denn verfolgt er
wie ein Rezenſent die Buchſtaben, ſo entrinnt ihm
der Sinn und er ſitzt immer triſter da; eben ſo
gut koͤnnte einer ſich mit einer Wolke, durch de¬
ren Dunſtſtaͤubchen er eine Alpe beſteigt, den
Durſt loͤſchen.


Will er aber Sinn genießen, und ſich mit
nachheben: ſo rutſcht er blind und glatt uͤber die
Buchſtaben hinweg und laͤſſet alles ſtehen; reiſſet
ihn gar ein Buch ſo hin wie die zweite Auflage
[200] des Heſperus, ſo ſieht er gar keinen gedruckten
Unſinn mehr, ſondern nimmt ihn fuͤr geſchriebnen
und ſagt: „man verſtehe nur aber erſt den goͤttli¬
chen Autor recht!” — Ja wird nicht ſelber der
Korrektor dieſer Klage blos aus Antheil an dem
Antheil, den ich zeige, ſo manches uͤberſehen? —


Endlich brachte das ſchlecht ſprechende und
ſchoͤn ſingende Kammermaͤdchen des General Za¬
blocki nicht nur Raphaelen ein Briefchen der
Tochter, ſondern auch um eine Treppe hoͤher
Walten die Frage des Vaters, ob er nicht dieſen
ganzen Tag bei ihm ſchreiben koͤnnte? „O Gott,
gewiß!” ſagte er und begleitete das Maͤdchen
drei Treppen herab.


Vult laͤchelte ihn ſeltſam an und ſagte: Er
kopire ja mémoires érotiques mit und ohne
Feder und jage Maͤdchen; er Hund hingegen
muͤſſe, wie die Schmetterlings-Puppe eines Na¬
turforſchers, ſich in eine Schachtel von Stube
zum Falter entfalten, wenn jener im Freien gauck¬
le. „Allein, ſetzt' er dazu, ein Greifgeier, ein
Baſilisk wie ich, hat ſo gut ſeinen Liebes-Pips
als ein Phoͤnix wie du.” — Walt wurde ſehr
[201] roth, er ſah ſein und Wina's Herz gleichſam ge¬
gen das helle freie Tagslicht gehalten. „Nu,
nu, verſteige dich nur um drei Treppen hinauf,
oder hinab; indeß ich daheim hinter meiner arka¬
diſchen Dorfwand ein Madrigal auf den Schmelz
der Auen und der Zaͤhne ſetze, und Blumen und
Lippen roͤthe. Das Maͤdchen gefiele mir ſelber,
ſie ſollte eher ein Pallaſt- als ein Kammermaͤd¬
chen ſeyn.“ Sehr zornroth erwiederte Walt, der
endlich eigne und fremde Verwechslung errieth:
„du thuſt gar nicht Recht, da du weißt, wie mir
dieſes Maͤdchen bei der beſten Singſtimme einmal
durch unziemliche Reden aufgefallen.“


Damit ging er ſo raſch und wild fort, daß
Vult ſich geſtand, er wuͤrde, wenn er nicht ſchon
fruͤher deſſen Liebe fuͤr eine vornehmere Raphaela
kennte, ſie jetzt aus dem Grimm errathen, den
bloße Heiligkeit unmoͤglich einblieſe. Als der No¬
tar in den großen Zablockiſchen Pallaſt, wovor
und worin viele leere Wagen ſtanden, und unter
die kalte Dienerſchaft kam: ſo wirkten Vults
Scherze, die ſeine Liebe entweder wie Schießpul¬
ver unter das Dach, oder wie Oehl in den Keller
[202] lagerten, verdruͤßlich nach und er erſtaunte nun
erſt, daß er Wina liebe, und ihren Morgenblick
aufbewahre. Sein Gluͤck bluͤhte als eine nackte
Blumenkrone auf einem entblaͤtterten Stiel. Spaͤt
kam er nach ſeinem Erinnern an fruͤheſtes Vor¬
fordern in das alte Schreibſtuͤbchen; und ſpaͤter
der General.


„Innigſt — ſo ſpann Walt, nahe an ihn
tretend, die Unterredung an, um ſie dem andern
nach den Geſetzen der Lebensart zu erleichtern —
wuͤnſch' ich Ihnen Gluͤck zum Gluͤck der Wieder¬
kunſt, wie damals in Roſenhof zur Abreiſe, wenn
Sie ſich dieſer Kleinigkeit noch entſinnen. Moͤg'
Ihnen Leipzig ein fortgeſetzter Spaziergang gewe¬
ſen ſeyn!“ — „Sehr verbunden!“ (ſagte Za¬
blocki) Sie verpflichten mich, wenn Sie heute
die bewußten Briefe zu Ende kopiren und mir Ih¬
ren Tag weihen.“ — „Welchen nicht? — War
Ihr dreifaches Gluͤck — verzeihen Sie die kecke Fra¬
ge — nicht, wie ich hoffe, der Jahrszeit ungleich?“
fragt' er.


„Fuͤr die ſpaͤte Jahrszeit war das Wetter
gut genug.“ verſetzte Zablocki.


[203]

Da der Notar nichts ſchwierigeres kannte,
als zu fragen — d. h. im Ozean zu angeln —,
nichts leichteres aber, als zu antworten, weil
die Frage die Antwort umkraͤnze: ſo hielt er es
fuͤr Pflicht jedes Unter-Sprechers, auf den Ober-
Sprecher nur die leichtere Laſt zu laden und frag¬
te ſogleich. Wie bequem wohnen dagegen Maͤn¬
ner, welche gerade das Widerſpiel als Weltſitte
kennen und ehren, unter ihrer Gehirnſchale, und
wie vergnuͤgt, wenn ſie vor Kronen und Kron¬
erben treten! Aller Anreden gewaͤrtig und gewiß,
machen ſie auſſer der Verbeugung nichts und kei¬
ne eigne, ſondern warten ab. Sogar nach der
erſten Antwort paſſen die Welt-Maͤnner gelaſſen
von neuem, weil kein anderer als der gekroͤnte
Kopf fort zu weben hat.


Der Notar machte darauf ſeine Abſchriften
von den verliebten Zuſchriften, aber ſeine Seele
wohnte mit ihren Fuͤhlfaden nirgends als in der
Schnecke des Ohrs: um jedem Laute der verbor¬
genen Lebensſeele nachzuſtellen. Er ſchrieb keine
Seite ohne ſich umzudrehen und das heilige Zim¬
mer zu beſchauen, — das er einen ganzen Tag,
[204] aber als den letzten bewohnen durfte, — fuͤr ihn
wenn kein Sonnen- doch ein Mondtempel, dem
nichts fehlte als die Luna dazu. Sogar der blaue
Streuſand voll Goldſand — das blauweiße Din¬
tenfaß und Papier — das blaue Siegellack —
und die Blumenduͤfte, welche aus dem Neben¬
zimmer einwehten, ſchmuͤckten ſein ſtilles Aether-
Feſt der Hoffnung. In der Liebe iſt das Erndte¬
feſt der Freude nicht um eine halbe Sekunde vom
Saͤetage und Saͤefeſt der Freude verſchieden.


Als er ſich nun abſchreibend abmahlte, wie
ihm das Herz ſchlagen wuͤrde, das ſchon heftig
ſchlug, wenn die Liebes-Geſtalt aus ſeinem Kopf
und lange Traume wie eine Goͤttin lebendig ins
Leben ſpraͤnge, naͤmlich vor ihn hin: ſo kam
nichts als das verhaßte Kammermaͤdchen mit ei¬
nem Stick-Geruͤſte, aber bald ihr nach die bluͤ¬
hende Wina, die Roſe und das Roſenfeſt zugleich.
Es iſt ſchwer zu ſagen, womit er ſie anmurmel¬
te, da er ſie damit nicht anredete. Sie verbeugte
ſich ſo tief vor ihm, als waͤre er der goldene und
figurirte Knopf am Oberſtabe des Generals, und
ſagte das hoͤflichſte Bewillkommungs-Wort, und
[205] ſetzte ſich an den Stickrahmen. Konnte ſie nicht
hundert Deckmaͤntel ihrer Abſicht, im Schreibzim¬
mer zu ſeyn, als ein Maͤdchen finden und umle¬
gen? Haͤtte ſie nicht z. B. ihr blaues Kleid aus
dem Wandſchrank holen koͤnnen — oder das
weiße — oder den Schleier — oder einmal ein¬
tunken wollen — oder an der elektriſchen Lampe
ein Licht zum Siegeln anzuͤnden — oder hier den
Vater ganz vergeblich ſuchen? — So aber trat
ſie herein, und ſetzte ſich vor den Stickrahmen,
um fuͤr eine Stiftsdame einen Ordensſtern aufge¬
hen zu laſſen, der fuͤr den abſchreibenden Stern¬
ſeher, wie oft fuͤr Traͤgerinnen, nichts werden
konnte als ein Irr- und Nebelſtern.


Der Schreiber ſchwamm nun in der Wonne
einer himmliſchen Gegenwart, wie in unſichtba¬
rem Duft einer hauchenden Roſe, Wina's Da¬
ſeyn war eine ſanfte Muſik um ihn. Er ſah zu¬
letzt ſehnſuͤchtig kuͤhn ihre geſenkten großen Augen¬
lieder und den ernſt geſchloßnen Mund im Spie¬
gel zu ſeiner Linken an, verſichert der eignen Un¬
ſichtbarkeit, und erfreuet, daß gerade zufaͤllig,
wenn er eben in den Spiegel ſah, immer ein
[206] warmes Erroͤthen das ganze niederblickende Antliz
uͤberfloß. Einmal ſah er im Spiegel den Braut¬
ſchaz ihres Blicks ausgelegt, ſie zog leiſe wieder
den Schleier daruͤber. Einmal da ihr offnes Au¬
ge darin wieder dem ſeinigen begegnete, laͤchelte
ſie wie ein Kind; er drehte ſich rechts nach dem
Urbild und ertappte noch das Laͤcheln. „Gieng
es Ihnen ſeit Roſenhof wohl, H. Harniſch?“
ſagte ſie leiſe. „Wie einem Seligen, verſetzte er,
wie jetzt.“ Er wollte wohl etwas viel anderes fei¬
neres ſagen; aber die Gegenwart unterſchob ſich
der Vergangenheit und teſtirte in deren Namen.
Doch gab er die Frage zuruͤck. „Ich lebte, ſag¬
te Wina, mit meiner Mutter, dieß iſt genug;
Leipzig und ſeine Luſtbarkeiten kennen Sie ſelber.“
— Dieſe kennt freilich ein darbender Muſen- und
Schulzenſohn wenig, der an den Roſen des kauf¬
maͤnniſchen Roſenthals nicht hoͤher aufklettert als
bis zu den Dornen, weil er jene nicht einmal ſo
oft theilt als ein Maurer-Meiſter einen fuͤrſtlichen
Saal, zu welchem dieſer ſtets ſo lange Zutritt
hat, als er ihn mauert. Indeß denken ſich die
hoͤheren Staͤnde nicht leichter hinab, zu Honora¬
[207] zioren beſonders — denn von Schaͤfer-, d. h.
Bauerhuͤtten, haben ſie im franzoͤſiſch eingebun¬
denen Geßner eine gute Modell-Kammer — als
ſich die tiefern hinauf. „Goͤttlich iſt da der Fruͤh¬
ling, antwortete er, und der Herbſt. Jener voll
Nachtigallen, dieſer voll weichen Duft; nur ge¬
hen der Gegend Berge ab, welche nach meinem
Gefuͤhl durchaus eine Landſchaft beſchließen muͤſ¬
ſen, doch nicht unterbrechen; denn auf einem
Berge ſelber iſt nicht die Landſchaft, ſondern wie¬
der ein fernſter Berg ſchoͤn und groß. — Die
Leipziger Gegend enget alſo ein, weil die Graͤnze,
oder vielmehr die Graͤnzloſigkeit, nichts der Phan¬
taſie uͤbrig laͤſſet, was, ſo viel ich gehoͤrt, nicht
einmal das Meer thut, das ſich am Horizont in
den Aether-Himmel aufloͤſet.” — „Sonderbar,
verſetzte Wina, beſtimmt hier die Gewohnheit des
aͤußern Auges die Kraft des innern. Ich hatte
eine niederſaͤchſiſche Freundin, welche zum erſten¬
male von unſern Bergen eben ſo beſchraͤnkt wur¬
de, als wir von ihren Ebenen.” Der Notarius
war uͤber ihre philoſophiſche Sprachkuͤrze — da
uͤberhaupt der Mann an der Frau gerade ſo ſehr
[208] ſeinen Kopf bewundert, als ſeine Bruſt verdammt
— ſo betroffen, daß er nicht wuſte, was er ſa¬
gen ſollte, ſondern etwas anderes ſagte. „Be¬
ſuchten Sie zuweilen die Badoͤrter um Leipzig,”
fragte ſie ſpaͤt. Da er darunter nicht Lauchſtaͤdt,
ſondern die Studenten-Badoͤrter in der Pleiße
verſtand; und eine ſolche Frage von weiblichen
Lippen zum vornehmen Zyniſmus rechnete: ſo
umging er ſie nach Vermoͤgen, in der Antwort:
„der Leipziger Magiſtrat habe zu ſeiner Zeit we¬
gen mehrerer Ungluͤcksfaͤlle erſt die beſſern Badoͤr¬
ter beſtimmen laſſen.” — Wina mißverſtand wie¬
der ſein Mißverſtehen. Und ſo kann in Deutſch¬
land und faſt auf der Erde jeder, der ſich ver¬
ſpricht, auf einen zaͤhlen, der ſich verhoͤrt; ſo
wenige Ohren, ob ſie gleich doppelt am Kopfe
ſtehen, giebt es fuͤr die hieſigen Zungen und man
findet noch ſchwerer ein offnes als ein kurzes.


Ploͤtzlich ſprang der General wie mit einem
verſchimmelten bleichen Geſicht herein aus dem
Puderſtuͤbchen — mit einem Bilde in der Hand
und trocknete ſich aus den Augenliedern den Pu¬
der wie Zaͤhren ab. „Sage mir, wer iſt aͤhnli¬
cher[209] cher, die Mutter oder die Tochter? — In der
That recht brav retouchirt!” Das Gemaͤlde ſtellte
Wina vor, wie ſie zu einem ihr aͤhnlichen Toͤch¬
terchen, das nach einem Schmetterling fing, ihr
Geſicht herab an die kleine Wange beugt, ſehr
muͤtterlich-gleichguͤltig, ob ſie vom Kinde uͤber
dem Schmetterling uͤberſehen werde oder nicht.
Im Kunſt-Feuer fragte der General auch den
Notar: „iſt denn die Mutter nicht ſo ausneh¬
mend getroffen, meine Wina naͤmlich, daß man
die Aehnlichkeit ſogar im Kinde wieder findet? —
Sprechen Sie als Dritter!“ — Walt verlegen
mit ſeiner Erroͤthung uͤber den bloßen Gedanken,
das Kind ſei Wina's, verſetzte: „die Aehnlichkeit
iſt wohl Gleichheit?“ — „Und zwar auf beiden
Seiten?“ erwiederte Zablocki, ohne ſehr den No¬
tar zu faſſen, der nach den gewoͤhnlichen Vor¬
ausſetzungen des Standes ſchon alles vorausſetzen
ſollte und zwar Folgendes: der General wollte
ſeiner losgetrennten Gattin ein Denkmahl ſeiner
Zaͤrte zuwenden, einen Spiegel, der nur ſie ab¬
bildete, naͤmlich ein feſtes Bild; hatt' aber leider
aus Kaͤlte ſie ſonſt nie ſitzen laſſen, außer zu¬
Flegeljahre IV. Bd. 14[210] letzt juriſtiſch — Zum Gluͤcke war nun Wina ihr
ſo aͤhnlich — die wenige Jahrzehende ausgenom¬
men, wodurch ſich Toͤchtern hauptſaͤchlich von
Muͤttern zu unterſcheiden ſuchen — daß die jetzige
Wina als die vorige Mutter zu gebrauchen war,
der man nichts als die vorige Wina in die Hand
zu geben hatte, die als Kind gemahlt eine Auri¬
kel in der Linken haͤlt und darauf einen weißen
Schmetterling mit der Rechten ſetzt. Dieſe zwei¬
mal, als Bild und als Urbild, angewandte Wina
wollte der General ſeiner Frau als einen oͤhlge¬
mahlten Ichs-Himmel auf Leinwand aufthun,
um ſie in Erſtaunen zu ſetzen, daß ſie uͤber vier¬
zig Meilen geſeſſen — einem Mahler.


Als der Vater fort war, machte Walt —
noch tiefer in Erſtaunen und Unglauben geſetzt —
die Bemerkung, ſie ſehe dem ſchoͤnen Kinde aͤhn¬
lich, um nur herausgezogen zu werden. „O bliebe
man ſich nur auch in wichtigern Punkten aͤhnlich
— ſagte Wina. Auch war ich noch bei meiner
Mutter; ich glaube Sie oder Ihr Bruder lag
damals am Tage des Mahlens an den Blattern
blind; denn ſie gieng mit mir in Ihr Haus.
[211] Schoͤne Zeit! ich wollte gern die eine Aehnlichkeit
auf mich nehmen, koͤnnte ich damit meiner Mut¬
ter die andere zuruͤckfuͤhren.“


Nun fuhr der Notar uͤber die Naͤhe des er¬
helleten Abgrunds, in der er haͤtte treten koͤnnen,
roth zuruͤck, und fuͤrchtete ordentlich, die Betiſe
fahre ihm noch wider Willen aus dem Halſe.
„Auch ich gienge gern in jene Blindheit zuruͤck;
die Nacht iſt die Mutter der Goͤtter und Goͤttin¬
nen!” ſagte er und wollte ertraͤglich auf die Au¬
rikelbraut anſpielen. Wina verſtand nichts da¬
von als den Ton und Blick; und ſo war es ge¬
nug und gut gemacht.


Man rief ſie zum Eſſen: Da er glaubte,
er werde wie im Roſenhoͤfer Wirthshaus wieder
an Generals-Tafel gezogen: ſo ſtand er auf, um
ihr den Arm zu bieten, ſie ſtickte aber fort; und
er ſtand nahe am Rahmen und ſah herab auf das
lockige Haupt, worin ſeine Welt und ſeine Zu¬
kunft wohnte, die ſich in lauter Schoͤnheiten ver¬
barg — das Fruchtgewinde des Geiſtes war vom
Blumengewinde der Geſtalt ſchoͤn verhuͤllt und
ſchoͤn verdoppelt. Sie ſtand auf. Jetzt naͤherte
[212] er ſich mit dem rechten Arme, um ſie fort zu fuͤh¬
ren. „Ich werde — ſagte Wina ſanft — nach
dem Eſſen wieder kommen, und Ihrem Herzen
eine Bitte bringen;“ und ſah ihn mit den großen
guten Augen unverlegen an, und gab, wie zur
Antwort auf ſeinen fragenden Arm, ihm ein we¬
nig die ablenkende Hand in ſeine, um ſie zu
druͤcken. Mehr braucht' er nicht, der Liebe iſt
eine Hand mehr als ein Arm, wie ein Blick mehr
als ein Auge. Er blieb reich zuruͤck, am einſa¬
men Eßtiſche, den ein verdruͤßlicher Bedienter an
den Schreibtiſch geſetzt hatte. Seine Hand war
ihm wie geheiligt durch das Weſen, das bisher
nur von ſeiner Seele beruͤhrt wurde. Wer kann
es ſagen, warum der Druck einer geliebten Hand
mehr innige Zauberwaͤrme in die Seele ſendet als
ſelber ein Kuß, wenn nicht etwa die Einfachheit,
Unſchuld, Feſtigkeit des Zeichens es thut?


Er ſpeißte an einer Goͤttertafel — die Welt
war der Goͤtterſaal —, denn er ſann Wina's
naͤchſter Bitte nach. Eine thun, heißt in der
Liebe mehr geben, als eine erhoͤren. Aber warum
macht die Liebe denn dieſe Ausnahme? Warum
[213] giebt es denn keine verklaͤrte Welt, wo alle Men¬
ſchenbitten ſo viel gelten und geben, und wo der
Geber fruͤher dankt, als der Empfaͤnger?


Mit wunderbaren Gefuͤhlen irrte er um
Wina's Bitte herum, da er doch fuͤhlte, Wina
ſei ein durchſichtiger Juwel ohne Woͤlkchen und
Federn. Denn dieß iſt eben die Liebe, zu glauben,
man durchſchaue das Geliebte noch ſchaͤrfer als
ſich, ſo daß man den blauen Himmel dadurch
erblickt, durch welchen man wieder die Sterne
ſieht — indeß der Haß uͤberall Nacht ſieht und
braucht und bringt.


Als er die wenigen Stralen kuͤßte, die am
Sterne des Stifts und der Liebe aufgegangen
waren oder geſtickt: that ſein Himmel alle Wol¬
ken wieder auf, naͤmlich die Fluͤgelthuͤren, und
Wina erſchien und ſchien. Er wollte ſagen: ich
bitte um die Bitte; aber er hielt es fuͤr unzart,
das eine Bitte zu nennen, was Wina eine ge¬
nannt. So hatt' er den hoͤchſten Muth fuͤr ſie,
aber nicht vor ihr; und von den langen Gebeten
an dieſes Heiligenbild, welche er zu Hauſe ſich
ausſann und vornahm, brachte er nichts zum
[214] Bilde ſelber auf ſeinen Knieen als: Amen, oder
Ja, ja. „Sind Sie zuweilen bei den hieſigen
Thees,” fieng Wina an, und ſetzte, wie es ihr
Stand thut, immer ihren Stand voraus. „Neu¬
lich bei mir, bei dem vortreflichen Floͤtenſpieler,
den Sie gewiß bewundern.” — „Ich hoͤr' dieß
heute von meinem Maͤdchen,” ſagte ſie, meinend
die Nachricht des Beiſammenwohnens; Walt
aber nahm an, ſie habe von ſeinem magern
Weinthee manches gehoͤrt.


„Ich meine vorzuͤglich, ſind Sie oͤfters bei
den geiſtreichen Toͤchtern des H. Hofagenten?
Eigentlich red' ich blos von meiner Freundin
Raphaela.” Er fuͤhrte — doch ohne die Wech¬
ſel-Noth — den Abend an, wo ſie fuͤr den muͤt¬
terlichen Geburtstag geſeſſen. „Wie ſchoͤn! ſagte
Wina. So iſt ſie eben. Einſt als ſie bei mir in
Leipzig in eine lange Krankheit fiel, durfte ihrer
Mutter nichts geſchrieben werden, bis ſie entwe¬
der geneſen oder verſchieden ſei. Um dieſer Liebe
wegen lieb ich ſie ſo. Ein Maͤdchen, das ſeine
Mutter und ſeine Schweſtern nicht liebte, — ich
weiß nicht, warum oder wie es ſonſt noch recht
[215] lieben koͤnnte, nicht einmal ſeinen Vater.“ —
Walt wollt' es gern aͤußerſt fein auf ſie ſelber
zuruͤckwenden und machte daher die allgemeine
Bemerkung, daß Toͤchtern, die ihre Mutter lie¬
ben, die beſten und weiblichſten ſind.


„Ich tauge nicht zu Wendungen, wie Sie
hoͤren, H. Sekretair. Empfangen Sie meine
offne Bitte gutmuͤthig auf einmal.“ Es war
dieſe: da Raphaelens Geburtsſtunde in die Nach¬
mitternacht oder Morgenſtunde des Neujahrs ein¬
falle: ſo wolle ſie durch den Beiſtand Engelber¬
tens ſie durch leiſes Anſingen zur Feier des er¬
neuerten Lebens wecken; wuͤnſche aber zur duͤrf¬
tigen Stimme eine Begleitung, naͤmlich die Floͤ¬
te, und an wen koͤnne ſie ſich ſchicklicher wenden,
als an H. von Harniſch? — Walt ſchwur freu¬
dig, dieſer blaſe freudig dazu.


Sie bat auch um das Setzen des Geſangs;
Walt ſchwur wieder. „Aber ſogar um die Verſe
dazu muß ich ihren werthen Freund angehen —
ſetzte ſie unbeſchreiblich-lieblich laͤchelnd hinzu —,
da ich ihn aus unſerer Zeitung als einen weichen
Dichter des Herzens kenne.“ —


[216]

Ganz froh erſtaunt fragte Walt, was Vult
darin gemacht. Sie ſagt' Ihm — mit der den
Litteratoren noch gewoͤhnlichern Verwechslung glei¬
cher Namen — folgenden Polymeter von ihm
ſelber her:


Das Maibluͤmchen.

Weißes Gloͤckchen mit dem gelben Kloͤppel,
warum ſenkſt du dich? Iſt es Scham, weil du
bleich wie Schnee fruͤher die Erde durchbrichſt
als die großen ſtolzen Farbenflammen der Tulpen
und der Roſen? — Oder ſenkſt du dein weißes
Herz vor dem gewaltigen Himmel, der die neue
Erde auf der alten erſchaft, oder vor dem ſtuͤr¬
menden Mai? Oder willt du gern deinen Thau¬
tropfen wie eine Freuden-Thraͤne vergießen fuͤr
die junge ſchoͤne Erde? — Zartes, weißes Kno¬
ſpenbluͤmlein, hebe dein Herz! Ich will es fuͤl¬
len mit Blicken der Liebe, mit Thraͤnen der Won¬
ne. O Schoͤnſte, du erſte Liebe des Fruͤhlings,
hebe dein Herz!


Walten waren unter dem Zuhoͤren vor Freu¬
de und Liebe, und vor Dichtkunſt, die Augen
uͤbergegangen — und Wina hatte mit geweint,
[217] ohne es zu merken —; darauf ſagt' er: „ich ha¬
be wohl den Vers gemacht.“ —


„Sie, Lieber — fragte Wina und nahm
ſeine Hand — und alle Polymeter?“ — „Alle,“
liſpelte er. Da bluͤhte ſie wie das Morgenroth,
das die Sonne verſpricht, und er wie die Roſe,
die ſchon von ihr erbrochen iſt. Aber einander
verborgen hinter den froher nachquellenden Thraͤ¬
nen glichen ſie zwei Toͤnen, die unſichtbar zu
Einem Wohllaut zittern, ſie waren zwei geſenkte
Maienbluͤmchen, einander durch fremdes Fruͤh¬
lingswehen mehr nachbewegt als angenaͤhert.


Jetzt hoͤrte ſie den Vaterſtritt. „Und Sie
machen den Text fuͤr den Geburtstag?“ ſagte
ſie. — „O! (verſetzte er) — Ja, ja!“ und
durfte nicht fort reden, weil Zablocki eintrat und
mit dem Vaͤter- und Gatten-Schnauben ihr den
arbeitſamen Verzug vorruͤckte, da ſie, wie er
ſagte, wiſſe, daß die Neupeters — dahin fuhr
er mit ihr — Buͤrgerliche waͤren, und eh' er ſol¬
che im Kleinſten manquire, komm' er lieber bei
Seines gleichen um Stunden zu ſpaͤt. Sie floh
dahin; er rief ſie aber zuruͤck, um ſelber mit
[218] einem Schluͤſſelchen, ſo groß wie ein Staubfa¬
den, ein goldnes Schloß an einer Kette auf Ih¬
rem ſchoͤnen Halſe aufzuſchlieſſen und ſie abzu¬
nehmen. Unter dem Aufſperren ſah ſie gutmuͤ¬
thig dem Vater ins Auge; dann warf ſie ſchei¬
dend dem Notar einen Flugblick voll Weltall zu.


Kauen und Schlucken unter einem Adagio
Pianiſſimo einer Tafelmuſik haͤtte Walten nicht
ſo widerſtanden, als die Annahme von Kopirge¬
buͤhren, die ihm der General jetzt aufnoͤthigen
wollte. Das Weigern hielt dieſer anfangs ſcher¬
zend aus, bis er durch den Argwohn, Walt
handle aus Ehrgefuͤhl, ſein eigenes ſo beleidigt
fand, daß er ſo heftig ſchwur, ihn, wenn er
nicht gehorche, nie mehr zu einem Notariats-
Inſtrument ins Haus zu laſſen, daß Walt ſich
entſchloß, ſich ſeine Himmelspforte nicht ſelber
zuzuriegeln.


Nun war er allein und zum letztenmale als
Kopiſt im Zimmer; und hatte, was der Menſch
zum feinſten Gluͤcke braucht, naͤmlich einen Wi¬
derſpruch der Wuͤnſche: er wuͤnſchte nicht nur
wegzukommen, um uͤber Wina's Kopf zu Hauſe
[219] mit Sternen-Traͤumen auf und ab zu ſchweben,
ſondern auch da zu bleiben, da er Kroͤnungs-
Zimmer ſeines Lebens zum letztenmale bewohnte.
Die Sonne fiel immer feuriger hinein und vergol¬
dete es zu einer Zauberlaube im elyſiſchen Haine.
Als er es verließ, war ihm, als falle ein bluͤhen¬
der Zweig herab, worauf bisher die Nachtigall
ſeiner Seele geſungen.


Wie lag zu Hauſe, wo ihm nichts fehlte als
Vult — aber dieſer kaum —, das Leben und der
Traum im Leben wie vergoldetes Gewoͤlk um ihn
her! Tauſend Paradieſes-Zweige ſchlugen uͤber
ihm unſichtbar zuſammen und durchzogen ihn
heimlich mit einem berauſchenden Bluͤthen-Dufte,
in deſſen Eden er nicht hineinſehen koͤnnte. Wenn
bisher die Wolke zu ſtehen ſchien und der Mond
zu fliehen: ſo ſah er jetzt die Flucht der Wolken
unter dem feſten ſchoͤnen Geſtirn.


„Wenn ſie nur recht innig liebt — dacht'
er — geſetzt auch, ſie meinte mich nicht allein;
die Hauptſache iſt ihre Wonne. Sie ſollte dazu
ordentlich mehrere Muͤtter haben, mehrere Vaͤter
und unzaͤhlige Freundinnen!“ Er freuete ſich
[220] mehr als dreißigmal uͤber die Freude, womit
Wina die Neujahrs-Nacht und jetzt unter ſeinen
Fuͤßen die Freundin anſchauen werde. Daß ſie
ihn liebe und achte, wußt' er nun recht; aber
nicht wie ſtark; — den hoͤchſten Grad ihrer Liebe
gegen ihn ſich jetzt zu denken hieß' ihm, ſich ab¬
zuzeichnen, wie ihm ſeyn wuͤrde, wenn man ihn
auf Millionen Weltſtufen auf die Gipfel-Sonne
geleitete, um ihn, den Notar, zum Gott zu
kroͤnen.


Er hatte ſchon viel von dem Geburtstags-
Gedicht ohne ſein Wiſſen ausgearbeitet — blos
durch das Denken an Wina's Bitte —, als end¬
lich Vult erſchien. In der Angſt, dieſer ſchlage
aus Kaͤlte gegen Raphaela und den Adel, das
Muſikfeſt ab, wollt' er ihn etwas kuͤnſtlich, wie
in einem engliſchen Garten, auf feinen Schlan¬
genlinien und mit Maͤandern vor den Vorſchlag
wie vor ein Denkmahl fuͤhren. „Leider ſchrieb
ich heute das letztemal beim General,“ ſagt' er
mit der ſeligſten Miene von der Welt. „Du willſt
ſagen „Gottlob,“ ſagte Vult. Walt ſtolperte
ſchon vornen in den Maͤander hinein und ertrank
[221] faſt. „Ich hoffte bisher, verſetzte Vult, du
ſollteſt mich Stimmen-Narren allmaͤhlich beim
Vater einfuͤhren, damit die Tochter ſaͤnge, wenn
ich blieſe.“ — „Beides, ſchlug Walt heraus,
kannſt du ohne ihn und mich jetzt haben, dieß
hab' ich dir ſogar vorzuſchlagen.“


Der Floͤtenſpieler fragte heftig. Walt be¬
ſtand aber darauf, daß er, bevor er deutlich
werde, ihm einen einzigen Zug von Raphaelen
geben duͤrfte; es war der ſchoͤne vom Verſchwei¬
gen des Krankſeyns.


Es gab keinen Karakterzug von der Welt,
den der Floͤtenſpieler je mit einem ſo abſtrebenden
Geſichte ſich vorzeichnen laſſen, als dieſen; doch
zog er den ſatiriſchen zuckenden Stachel in die
Scheide zuruͤck, um nur den Vorſchlag zu be¬
kommen.


Walt quaͤlte ihn ſo lange um ſein Urtheil
hieruͤber, daß er losbrach: „ich ſchwoͤre dir ja,
ich ſchaͤtze die Handlung; der Teufel und ſeine
Großmutter koͤnnten nicht zaͤrter verfahren; es
iſt eine Redensart, ich meine wir beide. Nun
ſprich!“—


[222]

Walt ſchlugs vor.


„Du biſt ein guter Menſch — ſagte Vult
mit einer ſchwer zu bergenden Erfreuung — ich
nehm' es willig an. Ich ſcherze uͤberhaupt oft
blos. Als Miethsmann zeig' ich der Tochter
vom Hauſe ſo gerne einige Aufmerkſamkeiten —
und ich ſoll es. Doch die Wahrheit zu ſagen —
ein boͤſer Ausdruck, gleichſam als habe man vor¬
her keine geſagt — ſo ſtimmt mich hier Wina mit
ihrer reinen rollenden Perlen-Stimme noch mehr.
Gott! wie kann nicht eine Singpartie geſetzt wer¬
den (beſonders von mir), wenn man das edle
Portamento der Sopran-Perſon, deren dimi¬
nuendo
und crescendo und ihre herrliche Ver¬
einigung von Kopf- und Bruſt-Stimme —
du verſtehſt mich unmoͤglich, Bruder, ich ſpre¬
che als Kuͤnſtler — dermaſſen kennt wie ich?
Menſch, glaubſt du, daß ich damals, als ich
ſie in Elterlein hoͤrte, ſchwur, ſie ſoll mit mei¬
nem Willen nie mehr à secco ſingen? — à sec¬
co
, Walt, heißt naͤmlich allein; ein Punſch-
Royaliſt wie ich, kommt freilich auch leicht aufs
Trockne, aber anders.“


[223]

Walten ſchien es ein wenig, als komme Vult
eben nicht vom feſten Lande her. Beider Abend
wurde aber im Feuer der Liebe vergoldet. Jeder
glaubte, er ſehe uͤber den Paradieſes-Strom
hinuͤber recht gut die Quelle der Freude des an¬
dern von weitem rauchen und nebeln. Walt
zwang ihn ſcherzhaft, es auf einen Bogen zu
ſchreiben, daß er morgen noch der heutigen Mei¬
nung ſeyn und blaſen und ſetzen wolle. Vult
ſchrieb: „ich will, wie Siegwart, den Mond zu
meinem Bettwaͤrmer machen — oder ein Lauf¬
feuer im Laufe aufhalten — ja ich will die erſte
beſte Glacière von Pruͤde heirathen und mir es
alſo gefallen laſſen, daß eine Jungfrau die
Fruͤchte der Glutzeit zu Eiszierrathen ausquetſcht,
z. B. zu Roſen- und Aprikoſeneis, zu Stachel¬
beereneis, zu Citroneneis: wenn ich nicht die
beſte Floͤtenmuſik ſogleich Mozartiſch ſetze und
blaſe zur Zauberfloͤte, in der Minute, wo dieſe
mein Bruder gedichtet und aufgeſchrieben hat;
und ich entſage jeder Exzeption, beſonders der,
daß ich heute nicht gewußt haͤtte, was ich mor¬
gen wollte.“ —


[224]

„Ein wahrer Schelm iſt doch mein Walt
— dacht' er im Bette — wuͤrde ihn ein anderer
wohl im Hauptpunkte ſo durchſchauen wie ich?
— Kaum!“

Nro.60. Scheerſchwaͤnzel.

Schlittſchuh-Fahrt.


Der naͤchſte Tag des Notars war aus 24
Morgenſtunden gemacht; weil er uͤber das Ge¬
burtstags-Lied fuͤr Wina nachſann. Der zweite
beſtand aus eben ſo vielen Mittagsſtunden, weil
er es ausfuͤhrte. Es war, als muͤßt' er ſich ſelber
verklaͤren, um Wina's heiliges Herz auf ſeine
Zunge zu nehmen; als muͤßt' er in Liebe zerrin¬
nen, um ihre Liebe gegen die Freundin in ſeiner
Seele wie ein zweiter Regenbogen neben dem er¬
ſten nachzuglaͤnzen. Da die Liebe ſo gern im
fremden Herzen lebt: ſo wird ſie noch zaͤrter,
wenn ſie in dieſem wieder fuͤr ein drittes zu leben
hat, wie das zweite Echo leiſe uͤber die Milde des
erſten ſiegt. — Dieß alles aber war nur leichtes
Saͤen im Fruͤhling, wo lauter neue Saͤnger am
Himmel flogen; aber am zweiten Tage fiel die
heiße[225] heiße Erndte ein — Walt mußte um die aͤtheriſchen
Traͤume die feſte Form des Wachens legen, naͤm¬
lich nicht nur die neue metriſcher Verhaͤltniſſe,
ſondern auch muſikaliſcher, weil Vult oft den be¬
ſten Gedanken weder ſing- noch blasfaͤhig fand.
So muß ſogar der Geiſt des Geiſtes, das Ge¬
dicht, aus ſeinem freien Himmel in einen Erden¬
leib, in eine enge Fluͤgel-Scheide ziehen.


Vult hingegen hatte leicht Geſang und Be¬
gleitung geſetzt; denn im unermeßlichen Aether der
Tonkunſt kann alles fliegen und kreiſen, die ſchwer¬
ſte Erde, das leichteſte Licht, ohne zu begegnen
und anzuſtoſſen.


Da Walt bekanntlich das Gedicht in ſeinem
Roman ganz abdrucken laſſen, nur mit wenigen,
aber unweſentlichen Abaͤnderungen in den Stellen:
Wach' auf Geliebte, der Morgen ſchimmert, dein
Jahr geht auf — dann: Schlaͤferin, hoͤrſt du
nicht die Liebe rufen und traͤumſt du, wer dich
liebt — und endlich: Dein Jahr ſei dir ein Lenz
und dein Herz im langen Mai die Blume — ſo
ſetz' ich die Verſe als allgemein bekannt voraus.


Flegeljahre IV. Bd. 15[226]

Jetzt war blos die Schwierigkeit, Winen
Muſik und Text zuzuſpielen. Walt ſchlug meh¬
rere ausfuͤhrbare Mittel und Wege dazu vor, die
ſehr dumm waren, Vult ſchlug aber jedes aus,
weil man beim Treibjagen der Maͤdchen, ſagt' er,
nichts zu thun habe als ruhig zu ſtehen auf dem
Anſtand ſchußfertig, um ſogleich abzubrennen,
wenn ſie das Wild vortreiben.


Indeß wurde nichts gebracht; Wina verſtand
von den weiblichen Vermittlers- und Dietrichs-
Kuͤnſten ſo viel als Walt. Endlich erſchien eine
helle Dezember-Daͤmmerung im Park, wo der
lange See (es war ein ſchmaler Teich) mit dem
Beſen von Schnee geſaͤubert wurde, und wo ſpaͤ¬
ter, da der Mond ſcharf jeden duͤrren Schatten-
Baumſchlag auf dem weißen Grund abriß, nicht
nur die drei Urſachen davon verſchwanden in die
nahe Rotonda — ein ſchoͤnes Rindenhaus, das
dem roͤmiſchen Pantheon auffallend aͤhnlich war
in der Oeffnung nach oben — ſondern auch ſo¬
gleich einander wieder herausfuͤhrten aufs See¬
Eis, weil die drei ſaͤmmtlich Schlittſchuhe darin
[227] angeſchnallet hatten, Wina ſo wohl als Raphaela
und Engelberta.


„Goͤttlich — rief Walt, als er fahren ſah —
fliegen die Geſtalten wie Welten durcheinander,
um einander; welche Schwung- und Schlangen¬
linien!“ Eben machte Engelberta, beide Arme
mahleriſch aufgehoben, hernickende Fingerwinke.
„Lauf, mit deinem Muſikblatt und ſei drunten
ein Menſch! ſagte Vult zu Walt, Sie wollen
uns beim Teufel.“ — „Unmoͤglich, verſetzte
Walt, betrachte doch die Daͤmmerung und die
Zaͤrte!“ — „Fuͤr ein Paar Stiefel hat doch der
See noch Platz?“ fragte Vult hinab und flatterte
drei Treppen hinunter, um einen Ladendiener ohne
Weiteres zum Nachtragen von ein Paar Schlitt¬
ſchuhen zu kommandiren, die er vorausſetzte.


Walt ſteckte das heilige Blatt voll Ton- und
Dichtkunſt an einen Ort, den er fuͤr ſchicklicher als
die Rocktaſche anſah, naͤmlich an deſſen Geburts¬
ort, d. h. unter die Weſte ans Herz. Drunten
am See-Teich ließ er an ſeinem langen Buͤckling die
drei Dankſagerinnen voruͤber gleiten [und] theilend
[228] looſen, weil er nicht offenbaren konnte, wie viel
er jeder von Ruͤckenbogen abſchneide.


Aber welche entwickelnde Lebenskraft war mit
Vulten aufs Eis gefahren und wie ſchwebte der
Geiſt uͤber dem Waſſer, das gefroren war! —
Zuerſt bald Wina's Bart-, bald ihr Wandelſtern,
bald ihre gerade ſchießende Sternſchnuppe zu ſeyn,
damit fing er an — ſie Schachkoͤnigin zu decken
gegen jede Koͤnigin, es ſei als Laͤufer, als Sprin¬
ger oder Thurm — als Amors Pfeil zu fliegen,
ſo oft ſie Amors Bogen war, es nicht zu leiden,
wenn ſie kuͤhner fliegen wollte als er, ſondern ſie
ſo lange zu uͤberbieten, bis er ſelber uͤberboten wur¬
de und dann leichter den Wettflug mit einem Dop¬
pelſiege ſchloß — dieß war die Kunſt, womit ſeine
ſchoͤne von der Welt erzogne Geſtalt ihren Werth
entwickelte in leichter Haltung und Wechslung.


Walt war am Ufer als Strandlaͤufer außer
ſich vor Luſt und warf laut den ſchoͤnen Tanz- und
Schweb-Linien Kraͤnze von Gewicht in ſo richtigen
Kunſtwoͤrtern zu, daß man haͤtte ſchwoͤren ſollen,
er tanze. Er ſprach noch vernehmlich von drei
Grazien; — „welche noch dazu, verſetzte Vult,
[229] wenn nicht um die Venus, doch um deren Mann,
tanzen; und was fehlt denn uns, Herr Harniſch,
zu drei Weiſen als die Zahl?” — Nur mußte
Walt unter dem Bewundern beklagen, naͤmlich
ſich und ſein Strandlaufen; denn auf dem Eiſe
waͤre er nicht viel leichter zu drehen geweſen als
ein Kriegsſchiff. Vielleicht wird der Druck einer
niedrigen Abſtammung nie ſchmerzlicher empfun¬
den als in den geſelligen Feſten, zu welchen die
duͤrftige Erziehung nicht mit den Kuͤnſten der
Freude ausruͤſtete, wie Tanz, Geſang, Reiten,
Spiel, franzoͤſiſches Sprechen ſind.


Gegen Raphaela war Vult der artigſte Mann,
den es auf dem Teiche gab, ſagte ihr Hoͤflichkeiten
uͤber ihre fuͤr dieſen Tanz gemachte Geſtalt — wel¬
che ihm und ihr leicht zu glauben waren, weil ſie
wirklich einige Zolle uͤber Wina hinaus maß —
und ſchnitt oder fuhr ſogar ihr Namens-R mit
den Schuhen in die Eisrinde wie in eine Baum¬
rinde ein.


Sie nahm indeß ſein hoͤfliches Uebermaß ohne
eignes auf; vielleicht weil das ſeinige den Scherz
nicht genug verbarg und weil ſie als eiferſuͤchtige
[230] Freundin Wina's unwillig die Hand ſah, die er
ſo offen nach dieſer ausſtreckte. Er uͤberhuͤpfte
oder uͤberfuhr es. Zu Engelberta ſagt' er: wir
wollen Geliebtens ſpielen. — „Auf dem Eiſe bin
ich dabei,“ erwiederte ſie; und ſo neckten beide
ſich leicht und raſch mit ihrem Rollen-Schein, er
mit edel- und weltmaͤnniſcher Keckheit, ſie mit
kaufmaͤnniſcher weiblicher. „Wuͤßte man nur,
ſchien ſie zu denken, ob er mehr ein ſeltſamer Ha¬
berecht waͤre als ein naͤrriſcher Habenichts: dann
waͤre mehr zu thun.“


Fuͤnfmal hatte ſchon Walt an ſein Muſikblatt
gedacht, um es einzuhaͤndigen, und es viermal
vergeſſen, wenn Wina wie ſeine ganze Zukunft
um ſein Ufer flog oder gar ihn mit einem Blumen¬
blicke bewarf, dem er zu lange nachtraͤumte. End¬
lich ſagte er der Eisfahrerin: „zwei Ja ſind neben
Ihnen.“ — „Ich verſtand Sie nicht ganz,“ ſagte
ſie laͤchelnd wiederkommend und entglitt. Er gieng
ihr am Ufer ein wenig entgegen aufs Eis: „Ihr
Wunſch wurde auch der fremde,“ ſagte er. „Wie
iſts mit der Floͤtenmuſik?“ fragte ſie fliehend.
„Ich trage Muſik und Text bei mir, aber nicht
[231] blos am Herzen,“ antwortete er, als ſie wieder
herfuhr. „Wie herrlich!“ ſagte ſie umwendend,
und glaͤnzte vor Freude.


Vult flog wie eiferſuͤchtig fragend her: hat ſie
das Blatt? — „Sehr hingedeutet hab' ich drei¬
mal, verſetzte Walt, aber wie natuͤrlich faͤhrt ſie
nicht unweiblich vor mir aus und ſteht.“ — Je¬
ner zog ſeine Floͤte oͤffentlich vor und ſagte laut,
daß der ganze Teich es hoͤrte: „H. Harniſch, Sie
haben vorhin mein Muſikblatt eingeſteckt? Jetzt
blaſ' ich.“ Dieſer reichte es (ſeinem Blicke mehr
als ſeinem Worte) zu. Wina kam herbei: „koͤn¬
nen Sie, ſagte Vult laut zu ihr, es uͤbergebend,
im Mondſchein noch leſen, was ich abſpiele?“
Das trauende Maͤdchen ſah ihn lieblich an und
ernſthaft ins Blatt hinein, da er zu floͤten anhob.
Am Haͤrchen des Zufalls hing nun der ganze
Neujahrs-Morgen herab, zwar kein Schwerdt,
aber eine blumige Krone. Gleichwohl tobt und
jauchzet der Menſch wechſelnd uͤber daſſelbe Haͤr¬
chen, blos weil es zur einen Zeit ein Schwerdt,
zur andern ein Diadem uͤber ſeinem Kopfe haͤlt
und auf dieſen fallen laͤßt.


[232]

Wina las lange auf dem Blatt Noten nach,
die er gar nicht blies, bis ſie endlich Vults End-
Abſichten merkte und erfuͤllte. Wie flog ſie dann
der Floͤte nach, um mit Blicken zu denken — und
Walts Stand-Ufer voruͤber, um ihn anzuſchauen
— und freudig uͤber die kalte Flaͤche, weil ihre
freundſchaftlichen Wuͤnſche ſo ſchoͤn beguͤnſtigt wa¬
ren und dieſer Nacht nichts mehr fehlte, als die
erſte des kuͤnftigen Jahrs. Welche erfreuete Blicke
warf ſie auf ihre Freundin und zum Sternenhim¬
mel! Dazu ging nun die umher irrende Floͤte,
die wie mit einem Springſtabe den Notar vom
Eis der Erde ans Empyreums-Eis des Himmels
aufhob. Alles war zwar ſelig, Vult beſonders,
Walt aber am meiſten. Ach wollteſt du mir nicht
— ſagte Vult herfahrend mit vergnuͤgtem Geſicht
— ein Paar Doppel-Louis vorſtrecken nur auf
zwei Stunden, armer Wicht?“ — Ich? fragte
Walt. Aber jener fuhr und blies froͤhlich weiter;
um als Chorfuͤhrer mit Sphaͤrenmuſiken den himm¬
liſchen Koͤrpern auf dem Eiſe vor- und nach zu
ſchweben. Wenn die Tonkunſt, welche ſchon in
die gemeine feſte Welt gewaltſam ihre poetiſche ein¬
[233] ſchiebt, vollends eine offne bewegte findet: ſo wird
darin ſtatt des Erdbebens ein Himmelbeben entſte¬
hen und der Menſch wird ſeyn wie Walt, der das
Ufer mit ſtillen Dankgebeten und lautem Freuden¬
rufen umlief und ſeine Herzens-Welt, ſo oft die
Floͤte ſie ausgeſprochen, immer von neuem und
verklaͤrter erſchuf. Er ſammelte alle fremde Freu¬
den wie warme Strahlen in ſeiner ſtillgehaltenen
Seele zum Brennpunkte. Den mit Sternen wei߬
bluͤhenden Himmel ließ er ins kleine Nachtigallen¬
ſpiel herabhaͤngen und der Mond mußte ſeinen
Heiligenſchein mit Wina's Geſtalt zuſammen we¬
ben. Dieſer Mond, ſagt' er ſich, wird in der
Nachmitternacht des Neujahrs faſt wieder ſo am
Himmel ſtehen, und ich werde nicht nur die Floͤte
und meine Gedanken, auch Ihre Stimme hoͤren.
— Die Sterne des Morgens werden blinken —
und ich werde erſt unter dieſer kuͤnftigen Muſik
denken: „ſo groß haͤtt' ich mir die Wonne am fro¬
hen Abend der Eisfahrt nie gedacht.“


Jetzt trat er immer weiter in den Teich hinein,
oder ſtach weiter in die See oder ins Eismeer, um
der Geliebten naͤher zu begegnen. Da ſie ihn nun
[234] ein paarmal nahe umkreiſete, und ſeine Freuden¬
blumen den hoͤchſten Schuß thaten und mit brei¬
ten Blaͤttern wogten, maͤhte ſie Zablockis Bedien¬
ter mit der Nachricht ab: der Wagen ſei da. Der
ſtolze Lakai erinnerte ihn wunderbar an Wina's
Stand, und an ſeine Kuͤhnheit.


Nach der Flucht der Drei nahm ihn Vult am
Arme aufs Eis hinein, und ſagte: „jede Luſt iſt
eine Selbſtmoͤrderin, und damit gut. Aber giebt
es denn ein kahleres Paar arme Haͤute als ich und
du, ſaͤmmtlich? Denn wenn es ein Lumpen-
Huͤndchen-Paar giebt, das drei durſtige Engel
den ganzen Abend trocken auf dem Waſſer herum¬
fahren laͤſſet, weil es nicht ſo viel in der Taſche,
oder droben in der Stube zuſammen bringen kann,
um den Engeln nur die kleinſte Erfriſchung vorzu¬
ſetzen, das wenige Kommiß-Eis ausgenommen,
worauf ſie fuhren —: ſo iſt wahrlich das Paar
niemand als wir. — Ach waren wir denn im
Stande, wenn ſie ſchlechter Wetter und kein Fuhr¬
werk hatten, nur eine Halbchaiſe anzuſpannen,
und einen Floh dazu anzuſchirren, wie einmal ein
Kuͤnſtler in Paris eine ſammt Paſſagieren und
[235] Poſtillon ſo fein ausgearbeitet hatte, daß ein ein¬
ziger Floh alles zog? — Sonſt war der Abend
huͤbſch.“


„O wahrlich! Freilich; — aber gewiß ſo we¬
nig als ich dieſen Abend an leibliche Genuͤſſe dach¬
te, ſo wenig vielleicht die guten Weſen! Die Frau
hat einen Schmerz, eine Freude; der Mann hat
Schmerzen, Freuden. Sieh nach, dis trift ſchoͤn
mit den Worten auf der Tafel, die dort an der
Eiche haͤngt.“ —


„Eine Linde iſts,“ ſagte Vult. „So kenn'
ich, verſetzte Walt, immer die Gewaͤchſe nur in
Buͤchern. — Darauf ſteht: die ſchoͤne weibliche
Bluͤte ſucht, wie die Biene, nichts als Bluͤte und
Blume; aber die rohe ſucht, wie die Weſpe, nur
Fruͤchte.“. . .


„Ja ſogar Ochſenleber, wie die Fleiſcher wiſ¬
ſen.“ „O, alle, fuhr Walt fort, waren heute
ſo froh, und beſonders uͤber dich! Nun ich ſage
dir's offen, habe ich dich je als freien, gewandten,
kuͤhnen, alles ſchlichtenden Weltmann erkannt, ſo
wars heute,“ ſagte Walt und hob beſonders ſein
Benehmen gegen Raphaela heraus. Vult bedankte
[236] ſich mit einem — Spaſſe uͤber ſie. Es war der, daß
Weiber den Augen glichen, die ſo zart, rein und
fuͤr Staͤubchen empfindlich waͤren, und denen doch
Mettelſafran, Cayennepfeffer, Vitriolſpiritus, und
andere angreifende Aetzmittel als Heilung dienen.
Von Zeit zu Zeit ließ er einen maͤßigen Scherz ge¬
gen Raphaela los, um den Bruder von einer ver¬
druͤßlichen Eroͤffnung ſeiner Liebe zuruͤckzuſchrecken.


Allmaͤhlich ſanken beide ſanft und tief in die
Stille ihres Gluͤcks. Von der ſchimmernden Ge¬
genwart war ihnen nichts geblieben als oben der
Himmel, und unten das Herz. Der Floͤtenſpieler
maß ſeinen Weg zu Wina's Ich zuruͤck, und
fand ſich ſchon auf halbem — Ihr Danken, ihr
Blicken, ihr Naͤhern, Raphaelens Meiden, langte
zu, ihm fuͤr die Neujahrs-Nacht, wo er alles
durch einen Zauberſchlag entſcheiden wollte, die
ſchoͤnſte Hofnung zu laſſen, und doch noch groͤßere
Sehnſucht. Aber gerade dieſe war ihm faſt lieber
und ſeltner als jene; er dankte Gott, wenn er
ſich nach irgend etwas unbeſchreiblich ſehnte, ſo
ſehr mußte er ſich nach Sehnen ſehnen. Aber die
Entbehrungen und Schmerzen der Liebe ſind eben
[237] ſelber Erfuͤllungen und Freuden, und geben Troſt,
und brauchen keinen, ſo wie die Sonnenwolken
eben das Leuchten der Sonne erzeugen, und die
Erdenwolken vertreiben.


Nur auf Walt, deſſen dichteriſche Nachtigallen
in ſeinem warmen Duft-Eden betaͤubend ſchlugen,
machten die goͤttlichen Sterne, und ein gluͤcklicher
Bruder zu ſtarken Eindruck; er duͤrfe, ſchwur er
vor ſich, dem aufgeſchloßnen Freunde gerade die
heiligſte Herzens-Staͤtte, wo Wina's Denkmahl
in Geſtalt einer einzigen Himmelsblume ſtand,
nicht laͤnger verdecken und umlauben. Daher
ſchickte er ohne weiteres Hand-Drucke und Au¬
gen-Blicke als Vorſpiele der ſchamhaften Beichte
ſeiner kuͤhnſten Sehnſucht voraus, um ihn zu fra¬
gen und vorzubereiten; dann fing er an: „ſollte
der Menſch nicht ſo offen ſeyn als der Himmel
uͤber ihm, wenn dieſer gerade alles Kleinliche ver¬
kleinert, und alles Große vergroͤßert?” — „Mich
vergroͤßert er wenig, verſetzte Vult. Laß' uns
aber im Schatten gehen; ſonſt muß ich alles
vorbeigehend leſen, was da von Empfindungen
an die Baͤume genagelt iſt. Denn ſo ſehr mir
[238] Raphaela ſeit naͤherer Bekanntſchaft in einem an¬
dern Lichte erſcheinen muß als ſonſt, ſo haſſe ich
doch das gewaltſame Herauskehren und Umſtuͤl¬
pen des Innern zum Aeußern noch fort, als ſei
man eine kehrbare Thierpflanze. Wenn ein Maͤd¬
chen anfaͤngt, „eine ſchoͤne weibliche Seele”: ſo
lauf' ich gern davon; denn ſie beſieht ſich mit. —
Herzen hat ohnehin jedes ſo viele aufzumachen
und zu verſchenken, als ein Fuͤrſt Doſen, und
beide enthalten das Bildniß des Gebers, nicht
des Empfaͤngers. Ueberhaupt! — Und ſo fort!
— Aber ich berufe mich auf dich ſelber, ob du
wohl bei deiner und unſerer Delikateſſe faͤhig waͤ¬
reſt, von deinen heiligern Herzens-Gegenden, vom
innerſten und heißeſten Afrika, alles bekannt zu
machen und Landkarten davon zu ſtechen. Ein
anderes, Bruder, ſind Spitzbuͤbereien der Liebe —
bloße ſchlimme Streiche — Wiegenfeſte des alten
Adams — alles dieſes dergleichen wilde Fleiſch
am Herzen, oder, moͤcht' ich mit den Aerzten ſpre¬
chen, ſolche Extravaſata, oder mit den Kanoni¬
ſten, ſolche Extravagantia, kurz deine ſtarken
Ausſchweifungen, kannſt du mir, ob ich ſie dir
[239] gleich kaum zugetrauet haͤtte, ohne Schaden ent¬
bloͤßen. Verliebte Liebe hingegen — bedenke dies
wenigſtens fuͤr kuͤnftige Faͤlle. Denn der vortref¬
liche Mann, dem du etwa deine Flamme und de¬
ren Gegenſtand bekannt gemacht, weiß nicht recht,
da er doch an deinen frohen Empfindungen den
froheſten Antheil nehmen will, wie er die Perſon
zu behandeln habe — Ob ganz wie du? Aber
dann fehlte gar der Unterſchied, und du knurrteſt
wohl am Ende. — Oder ob ganz matt und hoch¬
achtend? Dann wirſt du gequaͤlt und gedraͤngt,
daß er dir mit ſeinen gipſernen Augen, in deine
naß-brennenden ſieht. Der vortrefliche Mann
ſchluckt jedes Wort zuruͤck, das nicht wie ein
Wunderungs-O uͤber ſie ausſieht, dieſer ſchoͤne
Selbſtlauter, der im Munde eben ſo gut den Kreis
als die Nulle nachſpielt. — Ihr beide oder ihr
drei, ſitzt immer befangen neben einander. Der
Mann ſchaͤmt ſich vor dem Mann ſtets mehr der
Liebe, als der Ehe; denn in der Ehe finden ein
paar Freunde ſchon eher etwas zum Sympathiſi¬
ren, z. B. Wechſel-Jammern uͤber ihre Weiber
u. ſ. w.


[240]

Walt ſchwieg, legte ſich ins Bett und in die
Traͤume hinein, und that die Augen zu, um alles
zu ſehen, was ihn begluͤckte.

Nro. 61. Labrador Blende von der Inſel
St. Paul.

Vults antikritiſche Bosheit — die Neujahrs-Nacht.


Auf die ſuͤßen Fruͤchte und Roſen, die ſie an
der Wetterſeite ihres Lebens zogen, blies wieder
ein rauhes Luͤftchen, naͤmlich H. Merkel, der ih¬
ren Roman mit wahrer Verachtung zuruͤckſchickte,
den Waltiſchen Antheil noch ertraͤglich, den Vul¬
tiſchen aber nicht nur abgeſchmackt fand, ſondern
gar dem Gukguk Jean Paul nachgeſungen, wel¬
cher ſelber ſchon ohne die Gukguks-Uhr der Nach¬
ahmung langweilig genug klinge. Dieſes brachte
den Floͤtenmeiſter dermaßen auf, daß er alle kriti¬
ſchen Blaͤtter dieſes Selbſt-Redakteurs durchlief,
und darin blos nach Ungerechtigkeiten, Bosheiten,
Fehlſchluͤſſen, Fehlgriffen und Fehltritten ſo lange
nachjagte, bis er ihm gerade ſo viele, als man
Delille[241] Delille in ſeinem homme aux champs Wieder¬
holungen *) vorwarf, zum zweiten Einruͤcken zu¬
fertigen konnte in einem Briefe, naͤmlich ſechs¬
hundert und drei und vierzig.


Der ganze Brief war voll Ironie, naͤmlich
voll Lob — Anfangs erwaͤhnte Vult achtend der
Kritik im Allgemeinen, welche er eine noͤthige
Zuchthaͤusler-Arbeit nennt, da ſie im Poli¬
ren
des Marmors, Schleifen der Brillen,
Raſpeln der Faͤrbehoͤlzer, und Hanfklopfen fuͤr
Stricke beſtehe — machte glaublich, daß, in¬
ſofern Genies nur durch Genies, Elephanten nur
durch Elephanten zu baͤndigen und zu zaͤhmen
waͤren, ein kritiſcher Floh ſich ganz tauglich da¬
zu anſtelle, da er ſich von anderen Elephanten
weder in der Geſtalt, noch, unter einem Vergroͤſ¬
ſerungsglaſe, in der Groͤße unterſcheide, und noch
den Vorzug habe, ſich leichter ins Ohr zu ſetzen,
und uͤberall zu ſtechen und zu huͤpfen — erklaͤrte
jedoch die gewoͤhnliche Regelgeberei bei Maͤnnern
Flegeljahre IV. Bd. 16[242] wie z. B. Goͤthe, fuͤr eben ſo unnuͤtz als eine zu¬
rechtweiſende Sonnenuhr auf der Sonne — ruͤck¬
te nun Herrn Merkel nicht ohne Bosheit naͤher,
indem er es erhob, daß er gerade an großen
Autoren, die es am erſten und ſtillſten vertruͤgen,
ſich am meiſten zeige durch kleine Ergießungen von
Galle und Hirnwaſſer, ſo wie man nirgends
(ſelten an kleine Privathaͤuſer) ſo oft, als an er¬
habene und oͤffentliche Gebaͤude wie Raths-,
Opernhaͤuſer und Kirchen pißet. — Er wundert
ſich, daß das Publikum ſich noch nicht die Qual
und Arbeit ſtark genug vorgeſtellt, womit er ganz
allein in den Frauenzimmer-Briefen das todte
Muſenpferd aus der Straße wegzuſchleppen ſtreb¬
te, eine Marter, wovon ein Waſenknecht zu
ſprechen wiſſe, der mehrere Tage ganz allein, weil
jeder Vorbeigehende ſich zur Handreichung aus
Vorurtheil fuͤr zu ehrlich halte, an einem gefal¬
lenen Gaule abtrage — nahm davon Gelegenheit,
deſſen Stolz im vortheilhaften Lichte zu erblicken,
da M. allerdings uͤber die ungeheuren Rieſen¬
ſchenkel und den Rieſenthorax ſeines Schattens
vergnuͤgt erſtaunen muͤſſe, den er auf die Maͤrker¬
[243] Flaͤche projectire bei dem tiefen Stand der Mor¬
genſonne der neuen Zeit. —


Da aber Vult im Verfolge anfaͤngt, anzuͤg¬
lich zu werden, ja verachtend: ſo haͤlt ſich der
Verfaſſer durch kein Kabelſches Teſtament und
durch keine Labrador-Blende von der Inſel St.
Paul fuͤr das Kapitel verbunden, den Reſt hier
zu exzerpiren; um ſo mehr, da nicht einmal Mer¬
kel ſelber das ganze Schreiben eingeruͤckt oder be¬
antwortet hat, den ich hier oͤffentlich zu bezeugen
auffordere, ob nicht der unterdruͤckte Reſt noch
unſchicklichere Angriffe enthalten habe, und aus
gleichen Gruͤnden von ihm, wie von mir, unter¬
ſchlagen worden iſt. —


Darauf wurde der Roman an H. v. Tratt¬
ner in Wien geſchickt, weil man dahin, ſagte
Vult, nur halb frankiren duͤrfte. „Ich danke
Gott, ſo bald ich nur hoffen kann,“ ſagte Walt.
Die neue Arbeit wurde der alten mit beigelegt.
Der Buchhaͤndler blieb dabei, daß er jede Woche
nicht mehr als Einen Korrektur-Bogen zuſchickte,
und folglich dieſes Erbamt des Korrektorats
ungewoͤhnlich ausdehnte. Der Notarius beging
[244] jede Woche zwar nicht neue Korrektorats-Fehler,
aber unzaͤhlige; nur uͤber den Buchſtaben W keine,
weil ſein Wohl und Weh, Wina, damit anfing.


Todt-oͤde waͤre das Doppel-Leben der Bruͤ¬
der ausgefallen ohne die Liebe, welche den Bau¬
gefangenen der Noth die hoͤchſten Luftſchloͤſſer er¬
bauen laͤßt, welches ſo viel iſt, als ſie bewoh¬
nen! Nichts ertraͤgt die Jugend leichter als Ar¬
muth, (ſo wie das Alter nichts leichter als Reich¬
thum) denn irgend eine Liebe — ſie meine ein Herz
oder eine Wiſſenſchaft — erhellet ihre dunkle Ge¬
genwart kuͤnſtlich, und laͤſſet ſie im kuͤnſtlichen
Tage ſo freudig ſeyn, als ſei es ein wahrer, wie
Voͤgel vor dem Nachtlicht fortſchlagen, weil ſie
es fuͤr einen Tag anſehen.


Vult war nun entſchloſſen, in der Neujahrs-
Nacht auf Wina's Herz ſeine feindliche Landung
— mit der Floͤte in der Hand — zu machen.
Hoffnungen hatt' er — da aus Gemeinſchaft der
Arbeit leicht die des Herzens wird, und aus dem
Faktor der Handelswittwe leicht ihr Mann —
genug: „wenn ein Paar durch das Ausfuͤhren eines
zweiſtimmigen Satzes nicht einſtimmig werden:
[245] ſo irr' ich mich ſehr,” ſagt' er. Walt hingegen
entwarf keinen andern Eroberungsplan als den,
Wina verſtohlen anzuſchauen — vor Freude zu
weinen — je heranzuruͤcken mit ſich — und,
wenn Gott ihm Finſterniß, oder ſonſt Gelegen¬
heit beſcherte, im Saus und Braus der Wonne
ihre Hand zu kuͤſſen, und gewiß irgend Etwas
zu ſagen. Bis dahin ſagte er ihr noch mehr,
aber gedruckt auf Taffent und feinſtem Papier.


Da er naͤmlich durch ſeinen poetiſchen Antheil
an der Haßlauer Zeitung das Vertrauen des
Herausgebers ſo ſehr gewonnen hatte, daß dieſer
von ihm die ganze Lieferung gedichteter Neujahrs¬
wuͤnſche, eines betraͤchtlichen Handels-Artikels
des Mannes, ſich verſchrieben, ſo legte er in die
Blaͤtter, die fuͤr Maͤdchen verkauft wurden, un¬
zaͤhlige Phoͤnix-, Paradiesvoͤgel-, und Nachti¬
gallen-Eier zum Wuͤnſchen nieder, welche das
Schickſal ſpaͤter ausbruͤten ſollte; naͤmlich es gab
mit anderen Worten wenig Freudenkraͤnze, Freu¬
denmonde, Freudenſonnen, Freudenhimmel, Freu¬
denewigkeiten, welche er auf dem Taffent nicht
den verſchiedenen Maͤdchen wuͤnſchte, blos in der
[246] Hofnung, daß unter ſo vielen Wuͤnſchen wenig¬
ſtens einer von ſo vielen Freundinnen Wina's
werde gekauft werden, fuͤr dieſe. „O wohl zehn!“
ſagt' er.


So kam Weihnachten heran und gieng vor¬
uͤber, ohne daß aus der Aſche der Kindheit die
gewoͤhnlichen ſchillernden Phoͤnixe aufſtiegen —
da die Neujahrs-Nacht ihnen zu nahe vorglaͤnz¬
te — und dieſe brach endlich mit ihrer Abend-
Aurora an, die noch dem alten Jahre gehoͤrte.


Noch Abends beim Schimmer des Hesperus,
oder ſonſt eines Sterns, verflucht' es Vult von
neuem, daß er nichts weiter hatte, als die ſchoͤn¬
ſte Gelegenheit, aber kein Geld, Nachts den ga¬
lanteſten Mann von Welt bei den Jungfrauen
zu ſpielen: „ich wollte, ich waͤre wie ſchlechtere
Muſici mit dem Bettelorden der Neujahrsfahrer
umhergeſchifft, und haͤtte wenigſtens mir ſo viel
erbettelt, um den Reichen zu machen,“ ſagt' er.
Sobald Engelberta ihn auf 4 Uhr Morgens in
die große gelbe Stube mit dem Bewußten beſtell¬
te: ſo gieng er Nachts mit Walt freudegluͤhend
in das Weinhaus, wo er als ein alter Haus¬
[247] freund den Tag vorher (es koſtete ihm blos ſeine
feinen Beinkleider-Schnallen) Champagner-Wein
ohne Kork aufs Eis ſetzen laſſen, um, wie er ſag¬
te, die Ruinen ihres Hunds-Lebens ein wenig
auszutapeziren.


Walt nahm ſich eine halbe Stunde Zeit, um
zu begreifen, daß dem offenen Weine kein Wein¬
geiſt verrauchet ſei. Dann trank — allen Nach¬
richten zufolge, die man hat — jeder; doch ſo,
daß beide einander als poſitive und negative Wol¬
ken entladend entgegen blitzten, Walt mehr mit
ſcherzhaften Einfaͤllen, Vult mit ernſten. In
einer Blumenleſe aus ihrem Geſpraͤche, wuͤrden
die Farben ſo bunt neben einander kommen, als
hier zur Probe folgt:


„Der Menſch hat zum Guten im Leben ſo
wenig Zeit, als ein Perlenſchiffer zum Perlen-
Aufgreifen, etwa zwei Minuten. — Manche
Staatseinrichtungen zuͤnden ein Schadenfeuer an,
um die eingefrornen Waſſerſpritzen aufzuthauen,
damit ſie es loͤſchen. — Man ſteigt den gruͤnen
Berg des Lebens hinauf, um oben auf dem Eis¬
berge zu ſterben. — Jeder bleibt wenigſtens in
[248] Einer Sache wider Willen Original, in der Weiſe
zu nieſen. — Winkelmann verdient Suwarow's
Ehrennamen Italiskoi. — Heimlich glauben die
die meiſten, Gott exiſtire blos, damit ſie erſchaf¬
fen wurden; und die durch den Aether ausgeſtreckte
Welten-Partie ſei die Erdzunge ihres Dunſt-
Meers, oder ihre Erde ſei die Himmelszunge. —
Jeder iſt dem Andern zugleich Sonne und Son¬
nenblume, er wird gewendet, und wendet. —


Viele Witzkoͤpfe an Einer Tafel, heißt das
nicht mehrere herrliche Weine in Ein Glas zu¬
ſammengießen? —


Kann eine Sonne mit andern Kugeln als
Welt-Kugeln beſchoſſen werden? — Sterben
heißt ſich ſelber durch Schnarchen wecken. — —


Und ſo weiter; denn im Verfolge war viel
weniger Zuſammenhang und mehr Feuer. So
ſchlug endlich die Todtenglocke des Jahrs; und
der unſichtbare Neumond des neuen ſchrieb ſich
bald mit einer Silber-Linie in den Himmel ein.
Als die Glaͤſer endlich geleert waren, wie das
Jahr: ſo luſtwandelten beide auf der Gaſſe, wo
es ſo hell war, wie am Tage. Ueberall riefen
[249] ſich Freunde, die von Freuden-Gelagen herka¬
men, den Neujahrs-Gruß zu, in welchem alle
Morgen- und Abendgruͤße eingewickelt liegen.
Auf dem Thurm-Gelaͤnder ſah man die Anblaͤſer
des Jahrs mit ihren Trommeten recht deutlich;
Walt dachte ſich in ihre Hoͤhe hinauf, und in die¬
ſer kam es ihm vor, als ſehe er das Jahr wie
eine ungeheure Wolke voll wirbelnder Geſtal¬
ten am Horizont heraufziehen; und die Toͤne
nannten die Geſtalten kuͤnftiger Stunden beim
Namen. Die Sterne ſtanden als Morgenſterne
des ewigen Morgens am Himmel, der keinen
Abend und Morgen kennt, aber die Menſchen
ſchaueten hinauf, als gaͤb' es droben ihren eiligen
Wechſel, und ihre Stunden- und ihre Todten¬
glocken, und den deutſchen Januar.


Unter dieſen Gefuͤhlen Gottwalts ſtand die
Geliebte als ein Heiligen-Bild, von Sternen ge¬
kroͤnt, und der Himmels-Schein zeigte ihre
großen Augen heller, und ihre ſanften Roſenlip¬
pen naͤher. Nicht wie ſonſt ſtellte ihm das alte
Jahr, das an der Geburt des neuen ſtarb, das
Vergehen des Lebens dar; die Liebe verwandelt
[250] alles in Glanz, Thraͤnen und Graͤber; und vor
ihr beruͤhrt das Leben wie die niedergehende Sonne
auf den nordiſchen Meeren am langen Tage, nur
mit dem Rande die Untergangs-Erde und ſteigt
dann, wieder morgendlich den Himmelsbogen
hinauf.


Beide Freunde giengen Arm in Arm, endlich
Hand in Hand, in den Straßen umher. Walts
kurze Luſtigkeit war dem tiefern Fuͤhlen gewichen.
Er ſah ſich oft um, und in Vults Geſicht hin¬
ein: „ſo muͤſſen wir bleiben in einem fort, wie
jetzt,“ ſagt' er. Geſchwind druͤckte ihm Vult die
Hand auf den Mund, und ſagte: „der Teufel
hoͤrts!“ — „Und Gott auch,“ verſetzte Walt;
und fuͤgte dann leiſe, roſenroth, und abgewandt
hinzu: „In ſolchen Naͤchten ſollteſt du auch ein¬
mal das Wort Geliebte! ſprechen.“ — „Wie?
ſagte Vult roth, dieß waͤre ja toll.“ —


Nach langem Genuß des hellen Vorfeſtes ſa¬
hen ſie endlich Wina mit Engelberta, wie eine
weiße Blumen-Knoſpe in das Feuerhaus ein¬
ſchluͤpfen. Hoffend auf die ausgearbeiteten Plane
ſeiner Liebes-Erklaͤrung, und ſo gluͤcklich wie
[251] ein Aſtronom, dem ſich der Himmel aufklaͤrt,
ehe ſich der Mond total verfinſtert, ſuchte Vult
jetzt die Ohren des Bruders in etwas vom Lieb¬
haber-Theater wegzuſtellen, indem er ihm vor¬
hielt, wenn er in einiger Ferne, z. B. unten im
Park zuhorchte, wuͤrden ihn die Toͤne viel feiner
ergreifen. „Gukſt du mir uͤber die Achſel: ſo
iſts ſoviel, als ſchnaubeſt du ſelber mit ins Floͤten¬
loch hinein, wobei wenig zu holen iſt; und was
uͤberhaupt die Heldin des ganzen Muſikfeſtes zu
einem Lager, das zwei junge Maͤnner vor ihrem
eignen im Bette aufſchlagen, ſagt, braucht doch
auch Bedacht, mein Walt!“ — „Da es dir ſo
lieb iſt, ſo wend' ich nichts ein,“ ſagte dieſer,
und ging in den kalten Garten, wo der blenden¬
de Schnee ſo gut geſtirnt war, als der tiefe
Aether.


Aber oben ging es wider Vults Vermuthen,
doch nicht wider deſſen Wunſch. Engelberta
verſicherte, ihre Schweſter wuͤrde, da ſie Floͤte
und Stimme ſo kenne, vom erſten Anklang er¬
wachen, und alles verderben. „So muß die
Muſik in groͤſter Ferne anfangen, und wachſend
[252] ſich naͤhern.“ „Gut, das geſchieht im Park,“
ſagte Wina, und eilte hinab. Auf der Treppe
hinter nahen Ohren, nahm Vult eiligſt alle mu¬
ſikaliſche Abreden mit ihr, damit er auf dem
einſamern Park-Wege nichts zu machen brauch¬
te, als ſeine Eroberung. Zu ſeinem Schrecken
ſtand jetzt wie eine ſtille Pulverſchlange, die blos
auf das Loszuͤnden wartete, der Notar auf der
Hauptſtraſſe, der mit ſeiner heitern Miene ſich
und andern verſprach mitzugehen, und alles zu
begleiten. Wina gab ihm einen freudigen Mor¬
gen-, dann noch einen Neujahrs-Gruß, und
die Frage, „geht nicht alles vortreflich?“ —
Sta, Sta, Viator, ſagte Vult, und winkte ihm
heftig ruͤckwaͤrts, ſtill zu liegen — was jener
nachdenkend vollzog, „weil ich ja, dacht' er,
nicht weiß, was er fuͤr Urſachen dazu hat.“


„Ein wahrer, inniger Menſch und Dichter,“
begann Vult. „Seine Gedichte ſind himmliſch,“
verſetzte ſie. „Dennoch haben Sie uns beide als
Verfaſſer verwechſelt? (fragt' er raſch, weil
ihm wie einem Ewigen und Seligen jetzt nichts
fehlte, als Zeit.) Ein ſolcher Irrthum verdient
[253] nicht die geringſte Verzeihung, ſondern Dank.
Eine andere, aber richtigere Verwechslung denk' ich
mir eher — (Wina ſah ihn ſcharf an). Denn
ich und er haben ein paar gegenſeitige Zwillings-
Geheimniſſe des Lebens, die ich niemand in der
Welt entdecke — außer Ihnen, denn ich vertraue
Ihnen.“ — „Ich wuͤnſche nichts zu wiſſen, was
Ihr Freund nicht gern erlaubt,“ verſetzte ſie.


Jetzt ſprang er, weil das Entdeckungs-Ge¬
ſpraͤch viel zu lange Wendungen nahm, und er
vergeblich auf langſamere Schritte ſann, um ihr
naͤher zu kommen, ploͤtzlich vor eine Linde, und
las davon folgende Tafelſchrift von Raphaelen
ab. „Noch im Mondenſchimmer toͤnen Bienen in
den Bluͤten hier, und ſaugen Honig auf; du
ſchlummerſt ſchon, Freundin, und ich ruh' hier,
und denk' an dich, aber traͤumſt du, wer dich liebt?


„Eilen wir nur, ſagte ſie. Wie koͤſtlich iſt
Ihr Auge wieder hergeſtellt!“ — „Ich nehme
auch alles lieber von Amor an, beſonders die
Giftpfeile, als die Binde; ich ſah Sie ſtets,
verehrte Wina, wer dabei von uns beiden am
meiſten gewinnt, das weiß nicht ich, ſondern
Sie, ſagte er mit feiner Miene.


[254]

„Schoͤn, fuhr er fort, hat der Dichter in
Ihren Geſang die Zeile eingewebt: traͤumſt du,
wer dich liebt?” — Darauf drehte er ſich halb
gegen ſie, ſang ihr leiſe dieſe Zeile, die er abſicht¬
lich zu dieſem Gebrauche komponirt, ins treuher¬
zige Angeſicht, und ſein ſchwarzes Auge ſtand
im langen Blitze der Liebe. Da ſie ſchwieg und
ſtaͤrker eilte: ſo nahm er ihre Hand, die ſie ihm
ließ, und ſagte: „Wina, Ihr ſchoͤnes Herz er¬
raͤth mich, Ihnen will ich anders, ja, wenns
nicht zu ſtolz iſt, aͤhnlicher erſcheinen als der
Menge. Ich habe nichts als mein Herz und
mein Leben; aber beides ſei der Beſten geweiht.”
— „Dort, Guter!” ſagte ſie leiſe, zog ihn ei¬
liger an die Stelle, wo ſie ſpielen wollten; dann
ſtand ſie ſtill, nahm auch ſeine andre Hand, hob
die Augen voll unendlicher Liebe zu ihm empor,
und auf ihrem reinen Angeſicht ſtanden alle Ge¬
danken klar, wie helle Thautropfen auf einer
Blume. „Guter Juͤngling, ich bin ſo aufrich¬
tig als Sie, bei dieſem heiligen Himmel uͤber
uns verſichere ich Sie, ich wuͤrd' es Ihnen offen
und froh geſtehen, wenn ich Sie liebte, in dem
[255] Sinne, worin Sie es wahrſcheinlich meinen.
Wahrlich, ich thaͤt' es kuͤhn aus Liebe gegen Sie.
Schon jetzt ſchmerzen Sie mich. Sie haben mei¬
nen Morgen geſtoͤrt, und meine Raphaela wird
mich nicht froh genug finden.”


Vult zog, ſchon ehe ſie die letzten Worte ſag¬
te, die Floͤtenſtuͤcke heraus, ſetzte ſie zuſammen,
und gab, nur einen Blick hinwerfend, ein ſtum¬
mes Zeichen anzufangen. Sie begann mit erſtick¬
ter Stimme, eine kurze Zeit darauf mehr forte,
aber bald ordentlich.


Walt durchſchnitt den Hauptgang unten hin
und her, um beiden nachzublicken, bis ſie ihm ferne
in den Mondſchimmer wie zergingen. Endlich
hoͤrte er den wunderbaren Gruß-Geſang an die
Schlafende, ſeine eigenen Worte, aus der Daͤm¬
mer-Ferne, und ſein Herz in eine fremde Bruſt
verſetzt, wie es der armen Schlaͤferin droben, an
die ſelber er bisher gerade am wenigſten ge¬
dacht, die Worte ſagt: „erwache froh, gelieb¬
tes Herz!” — Er ſah deshalb aufrichtig mit
Gluͤckwuͤnſchen an ihr Fenſter hinauf, um ſich
zu entſchuldigen, und wuͤnſcht' ihr alles, was
[256] Leben und Liebe Schoͤnes zu reichen haben, unter
dem groͤſten Bedauern, daß ihr Flitte gerade
verreiſet ſeyn muſte. „Moͤchteſt du dich doch,
gutes Maͤdchen, dacht' er, taͤglich fuͤr immer
ſchoͤner halten, waͤr' es auch nicht ganz wahr!
Und deine Mutter, deine Wina muͤſſe auch ſo
denken, um ſich ſehr an dir zu freuen!“


Auf einmal hoͤrt' er Engelberta, die ihm
rieth, er moͤge, wenn er ſich warm laufen wolle,
lieber ins Haus hinauf. Da ihn nun dieſe Auf¬
merkſamkeit eines Zeugen ſtoͤrte: ſo ging er ins
nahe Rindenhaus, wo er nichts ſah, als uͤber
ſich das naͤchtliche Himmelsblau, mit dem her¬
einſtralenden Monde, und nichts hoͤrte und in
ſich hatte, als die ſuͤßen Worte der fernen zarten
Lippen. Er ſah hinter der Rinde die ſchimmern¬
de Wildniß des Himmels aufgethan und er jauch¬
zete, daß das neue Jahr in ſeiner mit Sternen
beſetzten Morgenkleidung ſo groß und voll Gabe
vor ihn trat.


Nun kam Wina, die melodiſche Wekerin zum
Wiegenfeſttage, immer naͤher mit ſtaͤrkeren Toͤ¬
nen, Vult hinter ihr, um die heißen Thraͤnen
des[257] des Unmuths, die er neben der Floͤte nicht trock¬
nen konnte, niemand zu zeigen, als der Nacht.
In der Naͤhe gab ihr Engelberta, auf das Schlaf¬
zimmer der Schweſter und Walts Rinden-Ro¬
tunda winkende Zeichen, welchen ſie zu folgen
glaubte, wenn ſie ſich in die Rotunda ſingend
verbarg, um da ſich und ihr Fruͤhlings-Lied von
der erwachenden Freundin finden zu laſſen.


Sie fand den Notar mit dem Auge auf dem
Monde, mit dem Geiſte in dem blauen Aether —
ihre naͤheren Toͤne und Vults fernere hatten ihn
berauſcht, und außer ſich und außer die Welt
geſetzt. Eigentlich verſteht niemand als nur Gott
unſere Muſik; wir machen ſie, wie taubſtumme
Schuͤler von Henecke Worte, und vernehmen ſel¬
ber die Sprache nicht, die wir reden. Wina
mußte fortſingen, und die Anrede durch ein eng¬
liſches Anlaͤcheln erſetzen.


Da er gleichfalls nichts ſagen durfte, ſo laͤ¬
chelte er auch an, und ſehr, und ſchwamm vor
ihr in Liebe und Wonne. Als ſie nun die ſchoͤne
melodiſche Zeile ſang: traͤumſt du, wer dich
liebt? und ſie ſo nahe an ſeiner Bruſt die heimli¬
Flegeljahre IV. Bd. 17[258] chen Laute derſelben nachſprach: ſo ſank er auf
die Knie, unwiſſend ob zum Beten oder zum Lie¬
ben, und ſah auf zu ihr, welche vom Mond, wie
eine obenherabgekommene Madonna umkleidet
wurde mit dem Nachglanze des Himmels. Sie
legte ſanft die rechte Hand auf ſein weichlockiges
Haupt; — er hob ſeine beiden auf, und druͤckte
ſie an ſeine Stirn; — die Beruͤhrung loͤſete den
ſanften Geiſt in Freudenfeuer auf, wie eine wei¬
che Blume in uͤppiger Sommernacht Blitze wirft
— Freudenthraͤnen, Freudenſeufzer, Sterne und
Klaͤnge, Himmel und Erde zerrannen in einan¬
der zu Einem Aethermeere, er hielt, ohne zu
wiſſen wie, ihre Linke an ſein pochendes Herz ge¬
druͤckt, und der nahe Geſang ſchien ihm wie ei¬
nem Ohnmaͤchtigen aus weiten Fernen herzu¬
wehen.


Die Floͤte ſtand ganz nahe, das letzte Wort
wurde geſungen. Wina zog ihn ſanft von der
Erde auf; er glaubte noch immer, es toͤne um
ihn. Da kam mit freudigem Ungeſtuͤm Ra¬
phaela hineingeſtuͤrzt, an die Bruſt der Geberin
des ſchoͤnſten Morgens. Wina erſchrack nicht,
[259] aber Gottwalt — ſie gab der Freundin eine ganze
Freundin. Sie ſagte zu Gottwalt, der nicht ſpre¬
chen konnte: wir ſehen uns Abends wieder, am
Montage? — Bei Gott, antwortete er, ohne
das Mittel zu kennen. Jetzt trat Vult hinzu,
und empfing von Raphaela lauten Dank, und
er verließ ſchweigend mit Walt den ſeltſamen
Garten.


Oben hieng ſich dieſer warm an ſeinen Hals.
Vult nahm es fuͤr Freuden-Lohn ſeiner Bemuͤ¬
hung um Raphaelens Morgenfeſt, und druͤckt'
ihn einmal an die Bruſt: „Laß' mich reden,
Bruder,“ begann Walt. „O laß mich ſchlafen,
Walt, verſetzte er — nur Schlaf her, aber rech¬
ten tiefen, dunkeln; wo man von Finſterniß in
Finſterniß faͤllt. O Bruder, was iſt recht derber
Schlaf nicht fuͤr ein koͤſtlicher weiter Landſee fuͤr
beidlebige Thiere, z. B. einen Aal, der matt vom
ſchwuͤlen Lande kommt, und der nun im Kuͤhlen,
Dunkeln, Weiten, ſchwanken und ſchweben kann!
— Oder leugneſt du ſo etwas, und mehr?“ —
„Nun, ſo gebe dir Gott doch Traͤume, und die
[260] ſeligſten, die ein Schlaf nur haben kann, ſagte
Walt.

Nro. 62. Sauſtein.

Einleitungen.


Walt hatte nun in ſeinem (mit Blumen aus¬
geſchmuͤckten ) Kopf nichts weiter als den Mon¬
tag, an welchem er Wina ſehen ſollte, ohne zu
wiſſen, wo? Nach einigen Tagen ließ ihm Ra¬
phaela durch Flora ſagen, die Redoute am Mon¬
tage ſei durch eine Landestrauer verſchoben. Er
ſtutzte das Maͤdchen an, und ſagte: „wie, es
war eine Redoute?“ Als ihm Vult aber nachher
auf die Achſel klopfte, und anmerkte, wahrſchein¬
lich habe ihn Engelberta dahin beſtellt, und laſſe
es fein genug durch die Schweſter ſagen, ſo ging
ihm ein Licht, ja ein Stern uͤber Wina's Mon¬
tag auf. Seine Gehirnkammern wurden 4 Mas¬
kenſaͤle; er ſchwur, ſo lange ſich abzukargen —
und ſollte er verhungern — bis er ſo viel Geld
zuſammen haͤtte, daß er zum erſtenmal in ſeinem
Leben den Larventanz beſuchen und mitmachen
koͤnnte. „Hab' ich einmal eine Maske vor, dacht'
[261] er, ſo tanz' ich ſelig mit Ihr, oder fuͤhre Sie,
und frage wahrlich nichts darnach, wie alles aus¬
ſieht.“ Wie ſanft haͤtte es ihn beruͤhrt und ge¬
waͤrmt, wenn er ſeinen Zwillingsbruder an und
in ſein Herz und Geheimniß haͤtte ziehen koͤnnen!
Nur wars zu unmoͤglich. Die Schmerzen hat¬
ten in dieſen harten Edelſtein Wina's Namen
und Nein ſehr tief geſchnitten — dieß ertrug er
nicht, ſondern er wollte den Juwel ſelber abnutzen
und abſcheuern, damit nichts mehr daran zu le¬
ſen waͤre; nicht vor Liebe, ſondern vor Ehrliebe,
nicht vor Sehnſucht, ſondern vor Rachſucht,
haͤtte er ſterben oder toͤdten koͤnnen. In dieſem
Zuſtand war es jedem, der kein Notarius war,
ſchwer, mit ihm auszukommen. Vor allen Din¬
gen mißfiel ihm die Naͤhe und die Ferne, er ver¬
fluchte Quartier und Stadt, jenes fein, dieſe ge¬
radezu, indem er ſie eine Chaluppe zu Brands
Narrenſchiff — eine Loge zum hohen Licht voll
ausgeloͤſchter, ſtinkender Studierlampen — ein
Gebeinhaus von Gekoͤpften ohne Schaͤdelſtaͤtte —
eine Thierreſidenz mit Viehmarkt und Thiergaͤr¬
ten, feinen Kaͤferkabinetten, und einigen Maͤuſe¬
[262] thuͤrmen — nannte; Ausdruͤcke, wovon er viele
in den Hoppelpoppel oder das Herz hineinnahm.
Walt leitete die Ergießungen auf die Stadt,
doch auf ſich ſelber, naͤmlich als ob der Bruder
ſagen wollte: „Deinetwegen ſitz' ich im Neſt.” —
„Ach waͤrſt du doch gluͤcklicher, Vult,” ſagte er
einmal, und nicht mehr. „Was haſt du von
mir gehoͤrt?” ſagte zornig Vult. „Nun eben das
vorige,” verſetzte er, und nahm ihm den Arg¬
wohn, daß er um die Fehlſchlagung ſeiner Liebes-
Erklaͤrung wuͤßte.


Am ſchoͤnen Halbzimmer mit der arkadiſchen
Ausſicht auf das gemahlte Buͤhnen-Doͤrfchen
verſchliß jetzt aller vorige Glanz. Vult donner¬
te — als waͤre Walt an der Stoͤrung des Floͤ¬
tens und Schreibens ſchuld — hinter der Wand,
wenn drauſſen ein guter angehender Zwerg von
Tambour bei leidlichem Wetter ſich auf der Trom¬
mel nach Vermoͤgen uͤbte und angriff; — oder
wenn der naͤher wohnende Fleiſcher von Zeit zu
Zeit ein Schwein abſtach, das ſchrie, wenn er
blies; — oder Nachts, wenn der Nachtwaͤchter
ſo abſcheulich abſang, daß Vult mehrmals im
[263] Mondſchein ihm uͤber den Park hinuͤber die
ſtaͤrkſten Schimpf- und Drohworte zuſchreien
mußte.


Die milde Waͤrme des ewig liebenden Notars
trieb und blaͤhte ſeinen Sauerteig nur mehr auf;
„auch ich waͤre an ſeiner Stelle, ſagte Vult,
ein Gottes-Lamm und eine Madonna und ein
Johannes Schooß-Juͤnger, wenn ich das haͤtte,
wofuͤr er ſeine Grazie haͤlt.“


Der Notar aber dachte blos an den Larven¬
tanz und an die Mittel dazu. „O liebte nur
mein Bruder irgend eine Geliebte, wie leicht und
ſelig wollten wir ſeyn! Wir druͤckten dann alle
uns an Eine Bruſt, und, welche er auch liebte,
es waͤre meine Geliebte mit. — So iſts leicht,
ihm alles zu vergeben, wenn man ſich an ſeine
truͤbe Stelle nur ſetzt!“


Zufaͤllig verflogen ſich in ihre Zimmer Looſe
einer Kleiderlotterie. Da nun Walt aus der
Sattel- und Geſchirrkammer der Masken man¬
ches brauchte und nichts hatte, und Vult gar
noch weniger; und doch beide in die Redoute be¬
[264] gehrten: ſo nahm jeder ein Loos, um etwa eine
Maske zu ziehen.


Beide ſcharrten das Loosgeld zuſammen,
Vult unter vielem Fluchen auf ihre Nichtshabe¬
rei, und unter dem Beſchwoͤren, es geh' ihm ſo
ſchlimm als den Hinterbacken eines Gaules. —
Ueberhaupt hielt er uͤber jeden Mangel und Un¬
fall, lange Schimpfreden gegen das Leben,
indem er ſagte, auf der Vorhoͤllen-Fahrt
ſei das Leben ein Hemde-Wechſeln, naͤmlich mit
Haͤren-Hemden, und zu jedem pis ſage das
Schickſal bis und auf das Kanonen-Fieber folge
das Lazareth-Fieber — oder indem er fragte, ob
nicht ſo das Gebiß den Zahnfraß bekommen muͤ߬
te, da es nichts anderes anzubeißen habe, wie
Muͤhlſteine ohne Koͤrner ſich ſelber angreifen? —
Bald ſagte er auch, das Leben ſei durch Eis gut
darzuſtellen — auf einem Eisfeld habe man,
außer kalter Kuͤche und Gefrornes, noch ſeinen
rußiſchen Eispallaſt mit einem guten Eiskeller
fuͤr Kuͤhltraͤnke, und, von Eisvoͤgeln umſungen,
druͤcke man den Glacier ans Herz, in der heißern
Zeit eines Maifroſts. — „Ich kann dir nicht
[265] ſagen, ſagt' er unter dem Anziehen einmal, wie
ſehr ich wuͤnſchte, es waͤre bei uns, wie bei den
Dahomets in Ober-Guinea, wo niemand Struͤm¬
pfe tragen darf, als der Koͤnig, und es waͤre jetzt
wie unter Karl dem VII. von Frankreich, wo im
ganzen Land niemand 2 Hemden beſaß, als ſeine
Gemahlin. — „ Warum?“ fragte Walt. „Ei,
dann koͤnnten wir uns recht gut mit unſerm
Stand entſchuldigen,“ verſetzte er.


Durch dieſe Ergießungen fuͤhrte er eine Menge
Verdruß ab, nur aber dem Bruder manchen zu,
weil ſich dieſer fuͤr die Quelle hielt. „Armuth,
antwortete Walt, iſt die Mutter der Hoffnung;
gehe mit der ſchoͤnen Tochter um, ſo wirſt du die
haͤßliche Mutter nicht ſehen. Aber ich will gern
dein Simon von Zyrene ſeyn, der dir das Kreuz
tragen hilft.“ — Bis naͤmlich auf den Berg,
verſetzte jener, wo man mich daran ſchlaͤgt.“ —
Liebe kennt keine Armuth, weder eigne noch
fremde.


Endlich wurde die Kleider-Lotterie gezogen;
auf welche beide ſich blos durch Laͤnge der Zeit
die groͤſten Hoffnungen angewoͤhnt und weiß ge¬
[266] macht hatten. Die Gewinnſte waren fuͤr Nro.
515 (Walt), ein beinah' vollſtaͤndiger Anzug
von Schuͤtziſchem Gichttaffent, ſo, daß er fuͤr
jeden Gichtiſchen, es mochte ihn reißen in wel¬
chem Gliede es wollte, brauchbar war. Nro.
11000. (Vult), gewann ein ertraͤgliches blaues
Fuhrmanns-Hemd. In dieſer Minute brachte
der Poſtbote den Hoppelpoppel wieder, den ſie
an die Buchhandlung Peter Hammer in Koͤlln
mit vielen aufrichtigen Lobſpruͤchen des H. Ham¬
mers ablaufen laſſen — nachdem vorher leider
das Mscpt. von H. von Trattner mit der kahlen
Entſchuldigung abgewieſen worden, er drucke ſel¬
ten etwas, was nicht ſchon gedruckt ſei —; auf
dem Umſchlag hatte das loͤbl. Koͤllniſche Poſtamt
blos bemerkt, es ſei in ganz Koͤlln keine Peter
Hammerſche Buchhandlung dieſes Namens zu
erfragen, und der Name ſei nur fingirt.


Haͤtte Vult je die beſte Veranlaſſung gehabt,
uͤber die ewigen Erdſtoͤße des Lebens zu fluchen,
etwa zu fragen, ob nicht alle Hoͤllenfluͤße fuͤr ihn
aufgingen, und Eis und Flammen fuͤhrten, oder
auch zu behaupten, daß in ihr Schickſal gerade
[267] ſo gut Poeſie zu mahlen ſei, als auf eine Heu¬
ſchreckenwolke ein Regenbogen — haͤtte er je eine
ſolche Gelegenheit gehabt, ſo waͤre es jetzt gewe¬
ſen, wenn er nicht aus dieſem Schlagregen waͤre
herausgekommen gar unter die Traufe eines Waſ¬
ſerfalls. Der Elſaßer erſchien, aber er gehoͤrte
noch zum Regen. Er dankte beiden ſehr fuͤr die
Geburtstags-Arbeiten — noch regnete es — dar¬
auf aber, da er mit ſeinem Auftrage von Ra¬
phaela herausruͤckte, welche Walten einen voll¬
ſtaͤndigen Berghabit ihres Vaters, den er zuwei¬
len in ſeinem Bergwerkchen Gott in der Hoͤh'
ſei Ehre
, trug, fuͤr den Larventanz anbot —
als Flitte ſeine Gluͤckwuͤnſchungs-Minen, und
Walt ſeine Dankſagungs-Minen ſpielen ließ —
dann beide wieder die Minen umtauſchten, und
dieß alles ſo wohlwollend gegen einander, daß,
wenn der Notar nicht der ausgemachteſte Spitz¬
bube des feſten Landes war, Raphaela durchaus
noch die Geliebte des Elſaßers ſeyn mußte: ſo
fiel auf einmal der lange Nebel und Vult in die
Traufe.


„Gott verdamme, Er liebt Wina! (ſagte
[268] Vult in ſich) und ſie wohl ihn!“ Alle ſeine wil¬
den Geiſter brauſeten nun wie Saͤuren auf —
doch feſt zugedeckt, ausgenommen im Tage¬
buch. „So falſch, ſo heimlich, ſo verdammt
keck, und wie toll emporſtrebend dacht' ich mir
doch den Narren nicht — ſagte ſein Selbſt¬
geſpraͤch — o recht gut! — Bei Gott, ich weiß
was ich thue, hab' ich's nur ganz gewiß! —
Aber auf dem Larventanz entlarv' ich; — der
Plan geht leicht, darauf kommt der Teufel und
holt. Erſt recht klar will ich mich, zum Beweiſe
meiner Freundſchaft gegen ihn, uͤberzeugen laſſen,
und zwar von Ihr ſelber. Himmel, wenn der
Gluͤckliche meinen refus in der dummen Neu¬
jahrs-Nacht erfuͤhre! — Ich thaͤt' ihm viel an.
— O lieber Vult, ſo ſei nur dießmal, eben des¬
wegen, deſto gezaͤhmter und ſtiller, und baͤndige
dein Sprech-Zeug und Geſicht, blos bis mor¬
gen Nachts!“


Vults bisherige Fehlblicke entſchuldigt leicht
die Bemerkung, daß dieſelbe Leichtigkeit, womit
man ſich einbildet, geliebt zu werden, ja auch
weiß machen muͤſſe, daß ein anderer geliebt werde,
[269] Walt von Raphaelen. Auch glaubte er, als
Weiberkenner, die Weiber ſo verſchieden, und
folglich ihre Weiſen, die Liebe zu bekennen, noch
mehr, daß er nur eine Weiſe annahm, worauf
zu fußen ſei, welche aber nicht darin beſtehe, daß
die Frau etwa an den Hals, oder an das Herz
falle, ſondern daß ſie blos einfach ſage: ich liebe
dich; alles Uebrige, ſagte er, ſagt dieß ganz und
gar nicht.“


Um alſo ſich das Wort der Ruhe zu halten,
und kalt und feſt wie ein Hamilton auf der heiſ¬
ſen Lava-Rinde zu ſtehen, auf welcher er fort¬
ruͤckte: ſo ſprach er, wovon er wollte, und berich¬
tete Flitten, er und Walt duzten ſich jetzt. Er
rieth ſehr ernſthaft dem Notar, lieber im Gicht-
Taffent eingeſcheidet auf dem Ball zu erſcheinen;
und als dieſer ſich in ſeinem und der Mittaͤnzerin
Namen eckelte vor der Krankenhuͤlle: blieb jener
dabei, er ſehe hierin nichts als eine ungewoͤhnli¬
che Maske, die ganz unerwartet ſei. „Doch
fahre meinetwegen in den Berghabit ein, und da¬
mit in den goldhaltigen Luſtſchacht: aber mein
Fuhrmanns-Hemd wirf wenigſtens uͤber das
[270] A — leder,“ ſagte Vult. „Wenn in der Re¬
doute, verſetzte Walt, ſich das Leben und alle
Staͤnde untereinander und an einander miſchen:
ſo moͤgen zwei ſich wohl an Einem Menſchen fin¬
den und einen.“ „Verzeih nur das ganz gewoͤhn¬
liche Bergwort,“ ſagte Vult, fuͤr welchen es
keine groͤßere Freude gab, als Walten ins ver¬
legne Geſicht zu ſchauen, wenn er von Culs de
Paris
ſprach, welche er anus cerebri Lutetiae
nannte (ſo heißt der Anfang der vierten Gehirn¬
kammer), nie ein anderes Wort zur Ueberſetzung
erlas, als das gedachte, ſo ſehr auch ſchon dem
ſchwachen Kenner der deutſchen Sprache der groͤ¬
ſte Reichthum zum Wechſel vorliegt.


„Er kann naͤmlich, wandt' er ſich zu Flit¬
ten, das bekannte Wort A. nicht leiden; ich bin
hierin faſt mehr frei wie irgend ein Pariſer oder
Elſaßer. Ueberhaupt H. Flitte, ſeh' ich doch
nicht, warum die Menſchen ſo viel Umſtaͤnde
machen, Sachen auf die Zunge zu bringen, zu
welchen Gott ſelber mit ſeiner ſagen mußte: wer¬
det. Zur Suͤnde ſagte ers gewiß nicht. Kannſt
du denn uͤberhaupt je vergeſſen, H. Notar — mehr
[271] frag' ich nicht — wenn du an der groͤſten Hofta¬
fel Europens ſpeiſeſt, die es geben ſoll, daß hin¬
ter den feinſten Ordensbaͤndern doch Splanchnolo¬
gien liegen, wovon jeder die ſeinige unter die zier¬
lichſten Menſchen mitbringt, und ſich damit vor
den heiligſten Herzen, weil er die Splanchnologie
nicht wie ſeinen Mantel dem Bedienten geben
kann, verbeugt. Wenigſtens iſt dieß immer meine
Entſchuldigung, wenn er mich ſcharf vornimmt,
weil ich die Feder an der innern unſichtbaren Ue¬
berrocks-Klappe abſtreife, indem er immer ein¬
wirft, die abgewandte Flaͤche ſehe doch wenigſtens
der Geiſt; worauf ich ihm, wie geſagt, den Na¬
bel der Menſchheit entgegenhalte. Doch Scherz
bei Seite! Reden wir lieber von Liebe, die auf
dem Larven-Ball gewiß nicht fehlen wird. Ewi¬
ge, glaub' ich, dauert lange, und laͤnger als
man glaubt — denn ich wuͤßte nicht, warum ein
Liebhaber die ſeinige beſchwuͤre, wenn er nicht
damit verſpraͤche, ſein Herz ſo lange brennen zu
laſſen, als das Steinkohlen-Bergwerk bei Zwi¬
kau, das es nun I Saͤkulum durch thut.“ „Vive
I’Amour
!“ ſagte Flitte.


[272]

Vult erzaͤhlte jetzt, Jakobine, die Schauſpie¬
lerin, ſei angekommen: „ſie wird auf dem Balle
auch ihre Rolle ſpielen, ſpiele du weder den er¬
ſten, noch den letzten Liebhaber, Walt. Es iſt
Teufels-Volk, die Weiber; ſcheinen ſie ſchlimm,
ſo ſind ſie es auch; ſcheinen ſie es nicht, ſo ſind
ſie es doch. Indeß zieh' ich alle Jakobinen allen
Pruͤden vor, welche ihre himmelblauen Netze
durch den Aether aufſpannen.“ Walt fragte,
wie es denn eine arme S [...] [...]ne machen ſolle, wenn
Schein und Seyn nichts haͤlfen. Allerdings iſt
eine gewiſſe Zuruͤckziehung ein Netz, aber eines
um einen Kirſchbaum voll ſuͤßer Fruͤchte, nicht
um die Sperlinge zu fangen, ſondern um ſie ab¬
zuhalten. Aber Vults Zunge ſchonte, ungleich
dem Loͤwen, jetzt keine Frau.


Walt trug mit ſtillem Beklagen des verarm¬
ten Bruders alles ganz gern. Vor Vult hatte
ſich die Lebensſeite in die Nachtſeite gekehrt,
darum mußte er im Schatten kalt ſeyn, und, wie
andere Gewaͤchſe, Gift-Luͤfte ausathmen. Hin¬
gegen der Liebe wendet ſich die Himmelskugel,
wie auch die irdiſche Welt ſich drehe, ſtets mit
auf¬[273] aufgehenden Sternen zu. Wie ein Schiffer auf
einem windſtillen Meer, ſieht ſie ohne alle Erde,
Himmel uͤber, Himmel unter ſich offen, und das
Waſſer, das ſie traͤgt, iſt blos der dunklere
Himmel.


Als Vult mit Flitte freundlich fortging, dach¬
te Walt: „ich mach' ihn ja immer friedlicher;
ſogar mit dem Elſaßer ſcheint er ſich auszuſoͤhnen,“

Nro. 63. Titan-Schoͤrl.

Larven-Tanz.


„Nachts werden wir uns ſehen,“ ſagte Vult
zu Walt am Morgen der Redoute — und ging
mit dieſem Vorgruſſe wie mit dem Entſchleiern
eines Schleiers davon. In der Einſamkeit brann¬
te dem Notar der Tag zu hell fuͤr die ſchoͤne Nacht,
woraus und wozu dieſer Tag beſtand. Unter dem
Eſſen ſehnte er ſich nach dem Bruder, deſſen lee¬
res Gehaͤuſe noch leerer wurde, weil er ihn Abends
antreffen ſollte, ohne doch zu wiſſen in welcher
Geſtalt.


Flegeljahre IV. Bd. 18[274]

Walt ging in eine Larven-Bude, und ſuchte
lange nach einer Larve, welche einen Apollo oder
Jupiter darſtellte; er begreife nicht, ſagte er,
warum man faſt nur haͤßliche vorſtecke. Da Vult
ihm gerathen, erſt um 11 Uhr in den vollen Saal
zu kommen: ſo holte er im gemaͤchlichen Anputzen
ſich aus jedem Kleidungsſtuͤck wie aus Blumen¬
kelchen feinen Traum-Honig. — Das Ankleiden
gerade in der Zeit des Auskleidens, und das all¬
gemeine ſpaͤte Wachen und Laͤrmen der Stadt ſo
wie des Hauſes, faͤrbte ihm die Nachtwelt mit
romantiſchem Scheine, beſonders der Punkt, daß
er eine Rolle in dieſem großen Faſtnachtsſpiele
hatte. Wie anders klingt das Rollen der Wagen,
wenn man weiß, man kommt ihnen nach, als
wenn man es hoͤrt, mit der Nachtmuͤtze vor dem
Bett-Bret ſtehend! —


Da er aus dem Stuͤbchen trat, bat er Gott,
daß er es froh wieder finden moͤge, es war ihm
wie einem ruhmdurſtigen Helden, der in ſeine er¬
ſte Schlacht auszieht. Mit haͤuslichem Gefuͤhle,
in der Doppelmaske des Bergknappen und Fuhr¬
manns gleichſam zu Hauſe zu ſeyn, und nur
[275] wie aus zwei Manſardenfenſtern zu gucken, trug
er ſich, wie eine Saͤnfte, uͤber die Gaſſe, und
konnte es kaum glauben, daß er ſo herrlich unge¬
ſehen, und zweigehaͤuſig mit allen Seelen-Raͤdern
uͤberall vorbei gehe, wie eine Uhr in einer Taſche.
Durch einen Irrweg, der ſein Leben verfolgte,
trat er zuerſt in das Punſchzimmer ein, das er
fuͤr den Tanzſaal hielt, worein Muſik aus ſchick¬
licher Ferne ſchoͤn-gedaͤmpft eindringe. Ihn wun¬
derte nichts ſo ſehr, als daß er ſeine Bergkappe,
einfahrend in die ſchimmernde Baumannshoͤhle voll
Figuren, nicht abzog. Als er ſich kuͤhn aus der
Maske mit den Augen ans Fenſter legte, fand er
umherſehend nicht ohne Verwunderung viele nackte
Angeſichter, mit der abgeſchundenen Maske in der
einen Hand, in der andern mit einem Glas. Das
allgemeine Schoͤpfen aus dem Geſundbrunnen oder
Ordensbecher, rechnete er zu den Ballgeſetzen, und
verlangte ſogleich ſein Glas, und darauf — weil
eine Admiralsmaske ſein Fluͤgelmann und Muſter
war — noch eines. Wina ſah er nicht, auch kei¬
nen Schein von Vult. Eine Ritterin vom Orden
der Sklavinnen der Tugend ging gewandt umher,
[276] und ſah ihm ſehr in die Augenhoͤhlen hinein. End¬
lich faßte ſie ſeine Hand, machte ſie auf, und
zeichnete ein H. darein; da er aber von dieſer
Fern- oder Naheſchreibekunſt nichts wußte, druͤck¬
te er ihre Hand maͤßig, anſtatt ſolche zu beſchreiben.


Endlich gerieth er, da er das hereinſtroͤmende
Nebenzimmer pruͤfen wollte, in den wahren ſchal¬
lenden brennenden Saal voll wallender Geſtalten
und Huͤte, im Zauberrauch hinaus. Welch' ein
gebaͤhrender Nordſchein-Himmel voll wider ein¬
ander fahrender zickzackiger Geſtalten! Er wurde
dichteriſch erhoben, da er, wie bei einer auferſtehen¬
den Erdkugel am juͤngſten Tage, Wilde, alte
Ritter, Geiſtliche, Goͤttinnen, Mohren, Juden,
Nonnen, Tyroler, und Soldaten durch einander
ſah. Er folgte lange einem Juden nach, der mit
herausgeſchnittenen Schuldforderungen aus dem
R. Anzeiger behangen war, und las ihn durch,
dergleichen einen andern, welcher die Warnungs¬
tafeln des fuͤrſtl. Gartens, an paſſende Gliedmaßen
vertheilt, um hatte. Von einer ungeheuren Pe¬
ruͤcke voll Papillotten, welche der Traͤger ab¬
wickelte und austheilte, nahm er auch ſeine an,
[277] und fand nichts darin, als einen gemeinen Lob¬
ſpruch auf ſeine bezauberten Augen.


Am meiſten zog ihn und ſeine Bewunderung
ein herumrutſchender Rieſenſtiefel an, der ſich ſel¬
ber anhatte und trug, bis ein altvaͤteriſcher Schul¬
meiſter mit dem Bakel ihn ſo kopfſchuͤttelnd ernſt
und zurechtweiſend anſah, daß er ganz irre wur¬
de, und ſich ſelber an ſich, und an ſeinem Fuhr¬
manns-Hemde nach ſeinem Verſtoße umſah. Als
der Schulmann dieſes merkte, winkte und ruͤgte
er noch heftiger, bis der Notar, der ihm erſchro¬
ken in die thraͤnenden Augen geblickt, ſich in die
Menge einſteckte. Es war ihm etwas fuͤrchterli¬
ches, in die dunkle unbekannte Augenhoͤhle wie in
die offne Muͤndung eines Geſchoßes hinein zu
ſchauen, und lebendige Blicke eines Unbekannten
zu empfangen.


Noch hatte er werde Vult noch Wina geſehen;
und ihm wurde am Ende bange, ob er auch in
dieſem Meere ſie wie Perlen oder Inſeln finde.


Auf einmal ſtellte ſich eine Jungfrau mit ei¬
nem Blumenkranz auf dem Kopfe vor ihn; aus
dem Munde der Maske hing ein Zettel des In¬
[278] halts: „ich bin die perſonifizirte Hofnung oder Spes,
die mit einem Blumenkranz auf dem Kopfe, und
einer Lilie in der rechten Hand abgebildet wird;
mit dem linken Arm ſtuͤtzt ſie ſich auf einen Anker
oder eine ſtarke Saͤule. S. Damms Mythologie,
neue Auflage von Levezov §. 454.“ Walt, der
anfangs in jeder Sache mit den duͤmmſten Ge¬
danken geplagt war, wollte innerlich auf Wina
rathen, waͤre die Geſtalt nur feiner und weniger
groß geweſen. Die Hoffnung drehte ſich ſchnell
um; eine verlarvte Schaͤferin kam, und eine ein¬
fache Nonne mit einer Halbmaske und einem
duftenden Aurikelſtraus. Die Schaͤferin nahm ſeine
Hand, und ſchrieb ein h hinein; er druͤckte die ih¬
rige nach ſeiner Gewohnheit, und ſchuͤttelte den
Kopf, weil er glaubte, ſie habe ſich mit einem h
unterzeichnen wollen. Ploͤtzlich ſah er die Halb¬
maske, naͤmlich das Halbgeſicht der Nonne recht
an, an der feinen aber kecken Linie der Roſenlip¬
pen, und am Kinn voll Entſchiedenheit erkannte
er ploͤtzlich Wina, welche blos aus dem Dunkel
mit ſanften Augen-Sternen blickte. Er war mit
der Hand ſchon auf dem Wege nach der Berg¬
[279] kappe, bis er ſie nahe daran wieder in Masken¬
freiheit ſetzte. „O wie ſelig! (ſagt' er leiſe) Und
Sie ſind die Mademoiselle Raphaela?“ Beide
nickten. „O was begehrt man denn noch in ſol¬
cher geiſtertrunkenen Zeit, wenn man ſich, verhuͤllt
wie Geiſter ohne Koͤrper, in elyſiſchen Feldern
wieder erkennt.“


Ein Laͤufer tanzte daher, und nahm Raphae¬
la zum Tanzen davon: „Gluͤck auf, H. Berg¬
knappe!“ ſagt' er entfliegend, daß Walt den El¬
ſaßer erkannte. Jetzt ſtand er eine Sekunde allein
neben der ruhigen Jungfrau — die Menge war
einen Augenblick lang ſeine Maske — Neu, rei¬
zend, drang aus der Halb-Larve wie aus der
Bluͤten-Scheide einer geſenkten Knoſpe die halbe
Roſe und Lilie ihres Geſichts hervor. — Wie aus¬
laͤndiſche Geiſter aus zwei fernen Weltabenden ſahen
ſie einander hinter den dunkeln Larven an, gleichſam
die Sterne in einer Sonnenfinſterniß, und jede
Seele ſah die andre weit entfernt, und wollte
darum deutlicher ſeyn.


Da aber Walt in dieſer Stellung Miene mach¬
te, als wollte er einige Jubilaͤen dieſer ſchoͤnen
[280] Minuten feiern und erleben; ſo ſagte ihm Wina,
als Spes forſchend die Sklavin der Tugend vor¬
uͤberfuͤhrte, ob er nie tanzte? Sogleich wurde er
in den Tanz-Sturm geweht, und half wehen,
indem er tanzte wie die Roͤmer, bei welchen nach
Boͤtticher das mimiſche Tanzen in nichts beſtand
als in Bewegung der Haͤnde und Arme. Mit den
Fuͤßen ging er feurig den Walzer bis zum Raſt-
Zeichen der Wage, wo der fliegende Schwarm hin¬
tereinander ſich anlegte als Stand-Heerde. Indeß
glaubt' er, er floͤge hinter einem mit Sommervoͤ¬
geln fliegenden Sommer. Wie ein Juͤngling die
Hand eines beruͤhmten großen Schriftſtellers zum
erſtenmale beruͤhrt: ſo beruͤhrte er leiſe, wie Schmet¬
terlingsfluͤgel, wie Aurikeln-Puder, Wina's
Ruͤcken, und begab ſich in die moͤglichſte Entfer¬
nung, um ihr lebenathmendes Geſicht anzuſchauen.
Giebt es einen Erndte-Tanz, der die Erndte iſt;
giebt es ein Feuerrad der liebenden Entzuͤckung,
Walt, der Fuhrmann, hatte beide. Da er aber
keinen Fuß bewegen konnte, ohne die Zunge: ſo
war der Tanzſaal nur ſein groͤßerer Rednerſtuhl;
und er ſchilderte ihr unter dem Tanz: „wie da
[281] ſogar der Koͤrper Muſik werde — wie der Menſch
fliege, und das Leben ſtehe — wie zwei Seelen
die Menge verlieren, und einſam wie Himmels¬
koͤrper in einem Aetherraum um ſich, und um die
Regel kreiſen — wie nur Seelen tanzen ſollten, die
ſich lieben, um in dieſem Kunſt-Schein harmo¬
niſcher Bewegung die geiſtige abzuſpiegeln. Als
ſie ſtanden, und er die Redoute mit ihrem tanzen¬
den Sturmlaufen uͤberſah, ſo ſagte er: „wie er¬
haben ſehen die Maͤntel und großen Huͤte der
Maͤnner aus, gleichſam die Felſenpartie neben
der weiblichen Gartenpartie! Ein Ball en masque
iſt vielleicht das Hoͤchſte, was der ſpielenden Poe¬
ſie das Leben nachzuſpielen vermag. Wie vor
dem Dichter alle Staͤnde und Zeiten gleich ſind,
und alles Aeußere nur Kleid iſt, alles Innere aber
Luſt und Klang: ſo dichten hier die Menſchen ſich
ſelber und das Leben nach — die aͤlteſte Tracht und
Sitte wandelt auferſtanden neben junger — der
fernſte Wilde, der feinſte wie der roheſte Stand, das
ſpottende Zerrbild, alles was ſich ſonſt nie beruͤhrt,
ſelber die verſchiedenen Jahreszeiten und Religio¬
nen, alles Feindliche und Freundliche, wird in
[282] Einen leichten, frohen Kreis gerundet und der Kreis
wird herrlich wie nach dem Sylbenmaaß bewegt,
naͤmlich in der Muſik, dieſem Lande der Seelen, wie
die Masken das Land der Koͤrper ſind. — „Nur Ein
Weſen ſteht ernſt, unbedeckt und unverlarvt, dort
[...]nd regelt das heitere Spiel. — Er meinte den
Redoutenmeiſter, den er mit einem nackten kleinen
Geſicht und Kopfe in einem Mantel ziemlich ver¬
druͤßlich Acht geben ſah.


Wina antwortete leiſe und eilig: „Ihre An¬
ſicht iſt ſelber Dichtkunſt. So mag wohl einem
hoͤhern Weſen die Geſchichte des Menſchengeſchlechts
nur als eine laͤngere Ball-Verkleidung erſcheinen.” —
„Wir ſind ein Feuerwerk, verſetzte Walt ſchnell,
das ein maͤchtiger Geiſt in verſchiedenen Figuren
abbrennt,“ und fuhr in ſeinen eckigen Walzer
hinein. Je laͤnger er ging, bis er ſtand, je maͤch¬
tiger pries er die Fruͤhlinge, die im Tanzflug ihm
duftend begegneten. „O duͤrfte ich mich heute fuͤr
die ſchoͤnſte Seele opfern, dann waͤr' ich die gluͤck¬
lichſte,“ ſagt' er. Die Hofnung (Spes) ſtand
ihm uͤberall zur Seite, wenn er ſprach. Die
Nonne Wina, eine ſanfte Taube, noch dazu mit
[283] dem Oehlblatt im Munde, bemerkte gar nicht,
daß er ungeſtuͤm ſpreche, und ſchien ſich aus
Kuͤhnheit uͤber Mißdeutung faſt ſo leicht wegzu¬
ſetzen, als er aus Unwiſſenheit.


Heute erſchien ſie ihm ganz vollendet, wiewohl
er bisher jedes letztemal geglaubt hatte, er uͤber¬
ſchaue ihren ganzen weiten Werth; wie der Mond
ſchon vorher, eh' er mit vollem Lichte uͤber uns
haͤngt, uns als eine vollendete Scheibe aufzugehen
ſcheint.


Nach dem Ende des deutſchen Tanzes erſuchte
er ſie — da ihm ihre Nachſicht allmaͤhlig zu einer
Ehrenpforte ſeiner Kunſt aufwuchs — gar um ei¬
nen engliſchen, blos damit er recht oft ihre Hand
faßen, und recht lange den guten Lippen und Au¬
gen gegenuͤberſtehen koͤnnte, ohne aufſpringen zu
muͤſſen. Sie ſagte leiſe: Ja! —


Noch leiſer hoͤrt' er ſeinen Namen; hinter ihm
ſtand Spes und ſagte: „gehe gleich durch die
große Saalthuͤre, und ſiehe links draußen um¬
her.“ Es war Vult. Erfreuet fand er unter Un¬
bekannten, ſeinen lieben Bekannten wieder, den er
auf ſeiner elyſiſchen Inſel herumfuͤhren konnte. Er
[284] ging hinaus; Spes ins fuͤnfte Kabinet; draußen
winkte ſie ihm aus einer Thuͤre hinein. Walt
wollte den Bruder umarmen, aber dieſer fuhr
nach beiden Thuͤrſchloͤßern: „bedenke das Ge¬
ſchlecht unſerer Masken,“ und ſchloß zu. Er
warf ſeine Larve weg, und eine ſeltſame heiße
Wuͤſten-Duͤrre oder trockne Fieberhitze brach durch
ſeine Mienen und Worte. „Wenn du je Liebe
fuͤr deinen Bruder getragen — begann er mit trock¬
ner Stimme, und nahm den Kranz ab, und loͤ¬
ſete das Weiberkleid auf — wenn dir die Erfuͤl¬
lung eines innigſten Wunſches deſſelben etwas
gilt, deſſen Wichtigkeit du 24 Stunden ſpaͤter er¬
faͤhrſt; — und iſt es dir unter deinen Freuden
nicht gleichguͤltig, ob er die kleinſten oder groͤßten
haben ſoll, kurz wenn du eine ſeiner flehentlichſten
Bitten erhoͤren willſt: ſo ziehe dich aus; dies iſt
die halbe; ziehe dich an, und ſei die Hoffnung,
ich der Fuhrmann; dies die ganze.“


„Lieber Bruder, — antwortete Walt erſchrocken
und ließ den im langen Erwarten geſchoͤpften
Athem los — darauf kann ich dir, wie ſich von
ſelbſt verſteht, nur zur Antwort geben: mit Freuden.“


[285]

„So mache nur ſchnell,“ verſetzte Vult ohne
zu danken. Walt ſetzte hinzu, ſein feierlicher Ton
erſchrecke ihn beinahe, auch faß' er den Zweck des
Umtauſchs wenig. Vult ſagte, morgen werd'
alles heiter entwickelt, und er ſelber ſei gar nicht
verdruͤßlich, ſondern eher zu ſpaſſend. Unter dem
wechſelſeitigen Entpuppen und Verpuppen fiel
Walt auf den Skrupel, ob er aber als Masken¬
dame mit Wina, einer Dame, den verſprochenen
Engliſchen tanzen koͤnne: „O, ich freue mich ſo
ſehr darauf, ſagte er dem Bruder, unter uns,
es iſt die allererſte Angloiſe, die ich in meinem
Leben tanze; aber auf mein heutiges Gluͤck und
auf die Maske muß ich ein wenig rechnen.“ Da
ſchoßen auf Vults duͤrrem Geſicht lebendige Mie¬
nen auf. „Himmel, Hoͤlle, ſagte er, eben ſo
leicht nach dem Takte will ich nieſen, oder die
Arme zuruͤckſtrecken, und meine Flûte traversière
hinten anlegen, als was du vorhaſt, nachthun.
Deine Walzer bisher, nimm nicht die Nachricht
uͤbel, liefen als gute mimiſche Nachahmungen,
theils wagrechte des Fuhr-, theils ſteilrechte des
Bergmanns im Saale durch, aber einen Engli¬
[286] ſchen, Freund! und welchen? Ein teufliſcher, nicht
einmal ein irlaͤndiſcher wirds. Und erwaͤgſt du
deine Mittaͤnzerin, die ja ſchamroth und leichen¬
blaß wird einſinken als eine Ritterin von trauri¬
ger Geſtalt, als deine leidtragende Kreuztraͤgerin,
ſobald du nur ſtockſt, plumpſt, drunterfaͤhrſt
als Schwanzſtern? — Aber diß iſt nun alles
ſo herrlich zu ſchlichten, als ich eben will. Der
Poͤbel ſoll nun eben ſehen, daß der Fuhrmann
ſich entlarven, und aus dem Tanz Ernſt machen
kann. Denn ich tanze in deiner Maske die An¬
gloiſe. Sogar in Polen galt, ich fuͤr einen Taͤn¬
zer; geſchweige hier, wo nichts von Polen tanzt,
als der Bar.“


Walt blieb einige Minuten ſtill, dann ſagte
er: „die Dame, wovon ich meynte, iſt Wina
Zablocki, der ich die Muͤhe bisher gemacht haben
ſoll. Aber da ſie meiner Maske den Tanz ver¬
ſprochen, wie willſt du mich und den Wechſel
entſchuldigen bei ihr?“ — O diß iſt eben unſer
Triumph (ſagte Vult); aber du ſollſt nicht eher
errathen, wie ich es mache, als morgen. — Dar¬
auf entdeckte er ihm, er habe heute im Pharao
[287] ſo viel gewonnen, daß er durchaus ein Goldſtuͤck
als Stuͤckwerk zum Zerſtuͤcken von ihm anneh¬
men muͤſſe, waͤre es auch nur, damit er unter
den Zuſchauern etwas zu thun habe, im Magen¬
zimmer; dabei empfahl er ihm, ſich als Spes
mit keiner weiblichen Maske einzulaſſen, da aus
einer guten Hoffnung leicht die andere werde.


Walt's Abendſtern trat allmaͤhlig wieder ins
Volllicht, und als er Vulten die Halbbuͤſte an¬
legte, und ihm ins ſehr ernſte Geſicht und Auge ſah,
ſo ſagte er heiß: „ſey froher! Freuden ſind Men¬
ſchenfluͤgel, ja Engelsſchwingen. Ich bin nur
heute zu ſehr von allem berauſcht, als daß ich
dir meinen Wunſch fein genug ausdruͤcken koͤnnte,
wie du noch mehr lieben ſollteſt, als mich.” —


„Liebe, verſetzte Vult, iſt, um in deiner
Floͤtenſprache zu reden, ewig ein Schmerz, ent¬
weder ein ſuͤſſer oder ein bitterer, immer eine
Nacht, worin kein Stern aufgeht, ohne daß ei¬
ner hinter meinem Ruͤcken untertaucht — Freund¬
ſchaft iſt ein Tag, wo nichts untergeht, als ein¬
mal die Sonne; und dann iſts ſchwarz, und der
Teufel erſcheint. —


[288]

Aber ernſthaft zu ſprechen, die Liebe iſt ein
Paradies- und Spaßvogel — ein Phoͤnixvogel
voll weicher Aſche ohne Sonne — iſt zwar weib¬
lichen Geſchlechts, hat aber, wie die Ziege, Hoͤr¬
ner und Bart, ſo wie wieder deren Ehemann
wahre Milch hat. *) Es iſt beinahe einerlei,
was einer uͤber die Liebe ſagt oder einwirft; denn
alles iſt wahr, zu gleicher Zeit. — Hiemit ſetze
ich dir den Blumenkranz auf, und verkleide dich
in das, was du haſt, die Spes. Gehe aber
durch meine Thuͤre in den Saal, wie ich durch
deine — ſieh' zu, ſchweige ſtill, und trinke fort!”


Walten kams beim Eintritt vor, als ſehe je¬
der ihm den Larventauſch an, und kundſchafte
ſeinen Kern hinter der zweiten Huͤlſe leichter aus,
als hinter der erſten. Einige Weiber merkten,
daß Hoffnung hinter den Blumen jetzt blonde
Haare, ſtatt der vorigen ſchwarzen, trage, maſ¬
ſen es aber der Peruͤcke bei. Auch Walt's Schritt
war[289] war kleiner und weiblicher, wie ſichs fuͤr Hoff¬
nungen geziemt.


Aber bald vergaß er ſich und Saal und al¬
les, da der Fuhrmann Vult ohne Umſtaͤnde Wi¬
na, die jeder kannte, an die regierende Spitze des
engliſchen Tanzes ſtellte, und nun zum Erſtau¬
nen der Taͤnzerin mit ihr einen Tanzabriß kuͤnſt¬
lich warf, und, wie einige Maler, gleichſam mit
dem Fuſſe malte, nur mit groͤßeren Dekorations¬
ſtrichen. Wina erſtaunte, weil ſie den Fuhrmann
Walt vor ſich zu haben glaubte, deſſen Stimme
und Stimmung Vult wider Walt's Vorausſe¬
zung hinter der Larve wahrhaft nachſpielte, da¬
mit er nicht etwa als Luͤgner befunden werde,
der ſich fuͤr den Notarius nur ausgebe.


Spaͤt am Ende des Tanzes ließ Vult im eili¬
gen Haͤndereichen, im Kreuzen, im fliegenden
Auf- und Ableiten ſich immer mehrere polniſche
Laute entwiſchen — nur Hauche der Sprache —
nur irre aufs Meer verwehte Schmetterlinge ei¬
ner fernen Inſel. Wie ein ſeltner Lerchengeſang
im Nachſommer klang Winen dieſe Sprache herab.
Freudenfeuer brannten hinter ihrer halben Larve,
Flegeljahre IV. Bd. 19[290] Wie ſie aus der einſylbigen Angloiſe in den ſprach¬
faͤhigen Walzer ſich hinuͤberſehnte, weil ſie ihm
ihr Erſtaunen und Erfreuen gern anders, als mit
frohen Blicken, ſagen wollte, ſahen ſeine, die
keine frohen waren.


Es geſchah. Aber das zuwehende Lob ſeiner
ſo lange bedeckten Talente blaͤtterte wieder eines
auf, ſeine Beſcheidenheit. Er habe, ſagte er von
ſich in den beſten Poloniſmen, ſo wenig Welt,
ſo viel Einfalt, wie wenig andere Notarien, und
heiſſe mit Recht Gottwalt, naͤmlich Gott walte!
Doch ſein Herz ſey warm, ſeine Seele rein, ſein
Leben leiſe dichtend; und er nehme, wie er vor¬
hin im erſten Walzer geſagt, den Larventanz im
Erdenſaal gern und froh vom Laͤnderer und Schaͤ¬
ferballet an, bis zum Waffen- und Todtentanz.


Da jezt der zweite Theil der Muſik in jene
ſehnſuͤchtige Ueberfuͤlle, wie in tiefe Wogen, ein¬
ſank, welche gewaltſamer, als alle Adagio's, den
innerſten Boden der Sehnſucht heiß aus tiefem
Meer aufhebt — und da die Menſchen und die
Lichter flogen und wirbelten — und das weite
Klingen und Rauſchen die Verhuͤllten wieder in
[291] ſich ſelber einhuͤllte, ſo ſagte Vult im Fluge, aber
polniſch: „Mit großblaͤtterigen Blumengewinden
rauſcht die Luſt um uns. Warum bin ich der
Einzige hier, der unaufhoͤrlich ſtirbt, weil er kei¬
nen Himmel und keine Erde hat, Nonne? denn
du biſt mir beides. Ich will alles ſagen, ich bin
begeiſtert zur Pein, wie zur Luſt — willſt du
einen Gottverlaßnen aus einem Gottwalt ma¬
chen? O gib ein Zeichen, aber eines Worts! Nur
der Zunge glaube ich mein Hochgericht; ſie ſey
mein Schwerdt, wenn ſie ſich bewegt, Nonne!”


„Gottwalt, ſagte Wina erſchuͤttert, und
ſchwerer, als er, dem Tanze folgend, wie koͤnnte
eine Menſchenzunge diß ſeyn? — Aber duͤrfen
Sie mich ſo quaͤlen, und ſich?“ — „Nonne,
fuhr er fort, der Laut ſey mein Schwerdt!“ —
Harter, antwortete ſie mit leiſerer Stimme, Sie
foltern haͤrter zum Schweigen, als andere zum
Reden.


Jezt hatt' er alles: naͤmlich ihr Liebes-Ja
fuͤr ſeinen Scheinmenſchen, oder Rollenwalt, und
lachte den wahren aus, der als Rolle und als
Wahrheit noch bloſe Hoffnung ſey und habe;
[292] allein ſein erzuͤrntes Gemuͤth bequemte ſich nun
zu keinem Schattendank, ſondern hartſtumm tanz¬
te er aus, und verſchwand ploͤtzlich aus dem fort¬
jauchzenden Kreiſe.


Lange hatte ſich Spes mit lauter Segnungen
einer Doppelwonne in der Naͤhe gehalten, und
ſich und Wina zum beſten Taͤnzer Gluͤck ge¬
wuͤnſcht, und in der Meinung, ihr ſey geſagt,
was ihn abbilde, hatte er ihre himmelsvollen
Blicke ganz auf ſich bezogen. Zum Ungluͤck
ſchoͤpfte er eben im Trinkzimmer, als der lang¬
weilige engliſche Tanz ausging, auf deſſe Enden
er ſeine Anreden verſchoben — Vult ſchwebte
eben in der tanzenden Liebeserklaͤrung, und Spes
ſtand mit dem Blumenkranze auf dem Kopfe
und dem Flatterzettel der Inſchrift am Kinne
leer-harrend da, und mußte dem langen Walzer
zuſehen. Kurz vorher, ehe dieſer ſchnell abbrach,
kam die Sklavin der Tugend, und zog Speſen
in ein Nebenzimmer. Hundert der ſeltenſten Er¬
eigniſſe hoffte Spes. „So, kennen Sie mich nicht
mehr, fragte die Maske.“ Kennen Sie mich
dann? fragte Spes.


[293]

„Machen Sie nur einen Moment die Augen
zu, ſo bind' ich Ihre Maske ab, und meine da¬
zu,” ſagte ſie. Er thats. Sie kuͤßte ihn ſchnell
auf den Mund, und ſagte: Sie habe ich ja ſchon
wo geſehen. Es war Jakobine. In dieſem Au¬
genblick trat der General Zablocki durch eine zweite
Thuͤr hinein: „ei Jakobine, ſchon wieder bei der
Hoffnung,” ſagte er, und ging zuruͤck. Was
meynte er damit? ſagte ſie. Aber Walt lief er¬
ſchrocken und halb nackt in den Saal, und beve¬
ſtigte darin mit einiger Muͤhe die verſchobene
Maske wieder vor den bekraͤnzten Kopf.


Wina und Vult waren nicht mehr zu finden,
nach langem Suchen und Hoffen mußte er ohne
Umtauſch als Hoffnung nach Hauſe gehen. So
ſchloß der Larventanz voll willkuͤhrlicher Verhuͤl¬
lungen endlich mit unwillkuͤhrlichen von groͤßerer
Schwere.

Nro. 64. Mondmilch vom Pilatusberg.

Brief — Nachtwandler — Traum.


Vult war, ſobald er Walt's uͤberkuͤhne Liebe
gegen Wina und deren Beguͤnſtigung, ſo wie ſei¬
[294] ne eigne Niederlage, ſich recht nah' vor die eignen
Augen gehoben hatte, nach Hauſe geeilt, mit ei¬
ner Bruſt, worin die wilden Waſſer aller Leiden¬
ſchaften braußten, um ſogleich an Walt ſo zu
ſchreiben:


„Nur die Laͤcherlichkeit fehlte noch, wenn ich
dir's lange verdaͤchte, daß dein ſogenanntes Herz
nun auch endlich den Herzpolypen, den ihr Liebe
nennt, in ſich angeſetzt, wenn gleich manches da¬
bei ſo wenig das Beſte iſt, als dein kuͤnſtliches
Verſtecken vor mir. Das aber nimmſt du mir
jezt nicht uͤbel, daß ich zum Teufel gehe, und
dich allein deinem Engel ablaſſe, da der Liebe die
Freundſchaft ſo entbehrlich und unaͤhnlich iſt, als
dem Roſenoͤl der Roſeneßig. Halte denn deinen
geiſtigen Schar- und ſonſtigen Bock aus, bis du
auf gruͤnes Land ausſteigſt, und auf der Stelle
geneſeſt, die ſchwerlich auf der Freundſchaftsinſel
iſt. Himmel! zu was waren wir denn beide
uͤberhaupt beiſammen, und ritten, wie alte Rit¬
ter, auf Einem Trauer- und Folter-Pferd (equu¬
leus
) oder Foltereſel? — Etwa dazu, daß ich
auf dem Wege und zum Beſten deiner Erbſchaft
[295] dich und dein Pferd lenkte und hielte, und einen
von euch ſteigen oder fallen ließ? — Nun die
ſieben Erben wiſſen, ob ich ihnen geſchadet. Ue¬
berhaupt, was ſind denn die irrenden Menſchen
anders, als Himmelskoͤrper auf Erden, bei deren
taͤglichen und jaͤhrlichen Aberrationen und Nuta¬
tionen man nichts machen kann, als blos den
guten Zach dabei, naͤmlich die Zachiſchen Tafeln
davon. Eben ſo haͤtteſt du dich auch ſonſt hin¬
tergangen, wenn du dir geſchmeichelt haͤtteſt, ich
wuͤrde dich ſonderlich ausbilden und auspraͤgen
mit meinem Muͤnzkopf. Ich laſſe dich, wie du
warſt, und gehe, wie ich kam. Auch du haſt
mich nicht merklich umgemuͤnzt, ſo daß ich leicht
ſchlieſſe, du biſt der — ſo wahren — Meinung,
es ſey im Geiſterreich, ſo wie im Koͤrperreich —
man trage das Fuhrmannshemde ſowohl auf Re¬
douten als auf Chauſſeen — das Spurfah¬
ren
verderblich.


Morgen bin ich in die freie Welt hinausge¬
zogen. Der nahe Fruͤhling ruft mich ſchon ins
weite helle Leben. Spielgeld, das meine Schul¬
den bezahlt, liegt bei; — und ſomit guten Tag.
[296] Faͤllt und klagt mich jemand an, Bruder, ſo
verficht mich nicht; wahrlich, ſobald man mich
haßt, ſo frag' ich wenig darnach, ob man mich
um drei Stufen ſtaͤrker haſſe oder nicht; und wie
viele Menſchen verdienen es denn uͤberhaupt, daß
man ſich von ihnen lieben laͤſſet? Mich ausge¬
nommen, nicht zwei, und kaum.


Wir beide waren uns einander ganz aufge¬
than, ſo wie zugethan ohnehin; uns ſo durch¬
ſichtig, wie eine Glasthuͤr; aber Bruder, ver¬
gebens ſchreibe ich auſſen ans Glas meinen Cha¬
rakter mit leſerlichen Charakteren: du kannſt doch
innen, weil ſie umgekehrt erſcheinen, nichts leſen
und ſehen, als das Umgekehrte. Und ſo bekommt
die ganze Welt faſt immer ſehr lesbare, aber
umgekehrte Schrift zu leſen.


Wozu ſollen wir denn mit einander und von
einander Plagen haben? Du, als liebender Dich¬
ter, als dichtender Liebhaber, haͤltſt deine kuͤnfti¬
gen ſo leicht aus, als ein Vogel das Erdbeben —
und ich meine ſo leicht, als eine Winterlandſchaft
den Hagel. Aber warum war ich ſo dumm, und
trank taͤglich eine Flaſche Burgunder weniger, ja
[297] oft zwei? Du bezahlteſt mirs nicht, daß ich
nichts trank, und ich nicht einmal, wenn ich
etwas trank. Oder glaubſt du, daß ein Mann,
der ſeine Floͤte blaͤſet, der mehr Welt hat, ſah
und genoß, als alle ſeine Anverwandten, der in
Paris und Warſchau Abends um 1 Uhr, nach
Mitternacht, ſeine Taſſe Suppe trank, und ſei¬
nen Loͤffel Eis ſpeißte, ſo leicht ſein Paris und
Warſchau, als du dein Haßlau und Elterlein,
in einer Neupeterſchen Manſardſtube opfert, die
nicht einmal den Quadratinhalt eines Opferal¬
tars groß iſt? Ich aber glaube, ich war ein
Coock, der Freundſchafts- und Geſellſchaftsinſeln
entdeckte, und darunter die ſchoͤne Inſel O-Wai¬
hi, welche aber den Entdecker und Weltumfahrer
zulezt, als er den Maſtbaum wollte wieder zu¬
ſammenſchienen laſſen, gar todt machte und
auffraß.


Sogar meine Floͤte iſt dir entbehrlich, da du
einmal (was du wohl vergeſſen) eine Hoboe fuͤr
eine Floͤte angeſehen, naͤmlich angehoͤrt. Und
da dir, wie du ſagſt, uͤberall die hoͤchſten Toͤne
am meiſten gefallen; ſo wirſt du immer muſika¬
[298] liſch-gluͤcklich bleiben, weil in der That alle
Schrei-, Miß- und Zorn-Toͤne, die den Ohren
auf Gaſſen begegnen, ſtets hohe und hoͤchſte ſind.


Meine Gedanken werfen ſich ſo wild umher,
wie Granitbloͤcke; aber ich ſchreibe hier im Fin¬
ſtern bei hellem Sternenlicht; ich habe keine Zeit
— die Poſt iſt beſtellt — nichts noch eingepackt;
und du ſollſt nicht eher von meinem Unſichtbar¬
werden wiſſen, als nach ihm. Mit Briefen, die
ich dir, hoff' ich, ſchicke, ſollen dir gar die we¬
nigen Ausſchweifungen zukommen, die unſerem
Hoppelpoppel noch fehlen, wenn er als feſt zu¬
ſammengeleimter und langgeſchwaͤnzter Papier¬
drache aufſteigen will in Leipzig in der Zahl¬
woche.


Gehabe dich wohl, du biſt nicht zu aͤndern,
ich nicht zu beſſern; ſo wollen wir einander denn
in wechſelſeitiger Luftperſpective entlegen erblicken,
und jeder von uns ſage: „warum warſt du ein
Narr und kein Lamm?“ Und doch Walt, biſt
du allein an allem Schuld.


Als er eben in das Papier noch den zweiten
[299] Inhalt, das Geld, gelegt hatte — und eilte,
um noch vorher ſein Tagebuch, ſeine Noten und
Notæ und alles vorher fuͤr die Poſt zugeſperret
zu haben, bevor der Bruder erſcheine: hoͤrte er
ihn kommen. Er warf ſich vor deſſen Eintreten
aufs Bett, und ſchnarchte als Fuhrbergmann
ihm entgegen. Walt trat nahe an ihn, ſah als
Spes ins braungluͤhende Geſicht voll ſtuͤrmiſcher
Traͤume. Leiſe ging er umher, hauchte ſich Tanz¬
melodieen vor, und legte als Text Liebesworte
unter.


Zulezt richtete ſich Vult — von dieſem wind¬
ſtillen und hohen Himmel wie geaͤrgert — auf,
trat mit zugeſchloßnen Augen im Zimmer umher,
und ſtellte ſich als Nachtwandler an, um in ſol¬
cher Rolle ungefragt einzupacken, und ſobald
jener ſchliefe, unbedauert fortzugehen. „He da,
rief er, her ihr Leute, und was es noch ſonſt fuͤr
Spitzbuben gibt, helft packen, Beſtien, und
ſchleppen! Greift mehr zu, ihr Helfershelfer!
Soll ich denn nicht heute um 3 Uhr nach der
Spitzbubeninſel, und unten ſteht ſchon mein Pferd
geſattelt, wie?“ Dabei zog er ſich an. Walt
[300] begleitete ſeine blinden Schritte bewachend. „Al¬
lerdings, Freund, taugen die Menſchen und die
Gurken nichts, ſobald ſie reif ſind; das iſt ja
mein eigner Satz. Der Menſch im Allgemeinen
verdient viele Naſen von Gott, und mehrere Na¬
ſen, als ſich je durch einen alten Theatervorhang
geſteckt haben, den man daher an manchen Orten
in Blech einfaßte. Die Gruͤnde ſind freilich nicht
jedem gelaͤufig.“


Jezt ging er in ſeinen Zimmerverſchlag und
pakte, blinzelnd und ſich oft von Walt abkeh¬
rend, ſein Tagebuch und alles in den Koffer.
„Auf der Floͤte? — Nein, ſondern auf dem
Kamm will ich ihn kuͤnftig anblaſen und ab¬
kaͤmmen. Sagen Sie mir nichts von Liebe, H.
Reiſemarſchall, ſie iſt zu dumm, eine huͤbſche
Antike, die man den ganzen Tag ergaͤnzen muß
— ein Sonnentempel in Hoſentaſchenformat —
und das dumme Ding glaubt, es lebe. Ich
hab' es von ihr ſelber. Der Menſch fuͤhrt ſogar
Gott vor einen Vergroͤßerungsſpiegel, ſo uner¬
ſaͤttlich und ſo einfaͤltig iſt er — Stecht mich in
Kupfer, wie einen brittiſchen Kampfhahn, ich
[301] will eben ein Monatskupfer zum Wolfsmonat
abgeben, liebſter Artillerieſekretair!“ Als er
fertig war, und blos den Koffer zuzuſperren
brauchte, ſchien er nachzuſinnen und auf eine
neue Idee zu gerathen. „Scheer er ſich weg,
Leichenmarſchall, ich ſperre meinen Sarg ſchon
ſelber zu, und will auch den Schuͤſſel als Hals-
Geſchenke tragen, und niemand hineinlaſſen, als
einen oder den andern guten Freund. Was die
ganze und halbe Trauer um mich anlangt, ſo
ſoll ſie niemand anlegen, als ich. Muſik wird
als requiem waͤhrend der Trauerzeit am wenig¬
ſten verboten, aber ich beſtehe auf einem ſchar¬
fen Trauer-Reglement. Der Nachtſtuhl muß
ſchwarz ausgeſchlagen werden — man laſſe das
Kammergeſchirr wie den Degen ſtahlblau an¬
laufen; — jede Maus in meinem Haus ſoll in
Krepp gehen — meine Papillotten koͤnnen Trauer¬
ſchneppen ſeyn, und der Zopf in einer Trauer¬
ſchleppe herabfallen. Aber was Henker iſt das?
Dort ſteh' ich ja leibhaftig, und erſcheine mir
eigenhaͤndig. — Warte, wir wollen gleich fin¬
[302] den, wer von uns beiden wahren Du's der wahre
und haltbarſte iſt.


Hier verſetzte er ſich und dem Notar zugleich
einen derben Schlag und erwachte davon; erſt,
nachdem er wie verdutzt ſich von Walten lange
auseinanderſetzen laſſen, wo und was er ſei, wur¬
de er dahin gebracht, ſich angekleidet aufs Bett zu
werfen. Indem beide einander eine Zeit lang be¬
wachten, fielen beide in einen wahren Schlaf.


Jetzt weckte ihn Walt, der noch traumtrunken
und in berauſchter Vergeſſenheit der vorigen Sze¬
nen ihm aus dem Bette folgenden Traum aufdrang:


Ich weiß kaum recht, wie oder wo der Traum
eigentlich anging, wie ein Chaos wollte die un¬
ſichtbare Welt auf einmal alles gebaͤren, eine
Geſtalt keimte auf der andern, aus Blumen wuch¬
ſen Baͤume, daraus Wolkenſaͤulen, aus welchen
oben Geſichter und Blumen brachen. Dann ſah
ich ein weites leeres Meer, auf ihm ſchwamm
blos das kleine graue fleckige Welt-Ei, und zuck¬
te ſtark. Es wurde mir im Traum alles genannt,
ich weiß aber nicht von wem. Dann fuhr ein
Strom mit der Leiche der Venus durchs Meer;
[303] er ſtand feſt, das Meer floß wieder an ihm hin.
Darauf ſchneiete es helle Sterne hinein, der Him¬
mel wurde leer, aber an der Mittagsſtelle der
Sonne entglomm eine Morgenroͤthe; das Meer
hoͤhlte ſich unter ihr aus, und thuͤrmte in unge¬
heuren bleiernen Schlangen-Wuͤlſten am Horizonte
auf ſich ſelber auf, den Himmel zuwoͤlbend — und
unten aus dem Meeres-Grund ſtiegen aus unzaͤh¬
ligen Bergwerken traurige Menſchen wie Todte
auf, und wurden geboren. Eine dicke Gruben-
Nacht quoll ihnen nach. Aber ein Sturm ſchlug
ſich auf den Dampf, und zerquetſchte ihn zu einem
Meer. Gewaltig fuhr er auf und ab, und ſchuͤt¬
telte alle Wellen, hoch oben im ſtillen Blau flog
langſam eine goldene Biene leiſe ſingend einem
Sternchen zu, und ſog an deſſen weißen Bluͤten,
und rund um den Horizont ſtanden Thuͤrme hei¬
ter mit leuchtenden Gewitterſpitzen, bis wieder
ungeheure Wolken als reiſſende Thiere geſtaltet
ankamen, und am Himmel fraßen.


Da hoͤrte ich einen Seufzer, alles war ver¬
ſchwunden. Ich ſah nichts als ein glattes ſtilles
Meer, aus dieſem brach die boͤſe Feindin, oh¬
[304] ne eine Welle zu machen, wie Licht durch Glas:
„ſeit der Ewigkeit, fing ſie an, iſt das Waſſer
oͤhl-glatt, das bedeutet eben den großen Sturm.
Ich ſoll dir, ſagt man, das aͤlteſte Maͤhrchen
erzaͤhlen; biſt du aber voruͤber?” Sie ſah ſeltſam
aus, ſie war in Meergruͤn, und Meerbluͤten ge¬
kleidet, kleine Floßfedern zuckten an ihrem Ruͤcken,
ihr Geſicht war meergrau, und doch jung, aber
voll kaͤmpfender Farben. „Ehe ich antwortete, fuhr
die boͤſe Feindin fort — „es war einmal ein ewiges
Maͤhrchen, alt, grau, taub, blind, und das
Maͤhrchen ſehnte ſich oft. Dort tief in der letzten
Welt-Ecke wohnt es noch, und Gott beſucht es
zuweilen, um zu ſehen, ob es noch flattert und
ſich ſehnt. — Biſt du denn voruͤber? So ſchaue
die Thiere am Ufer an!” — Am glatten Meere
hinauf lag es voll reißender Thiere, welche ſchliefen,
aber im Schlafe ſprachen, und einander einen ur¬
alten Heißhunger und Blutdurſt erzaͤhlten.


Ehe ich antwortete, verſetzte die boͤſe Feindin:
„vernimm das alte Wiederhallen; noch kein We¬
ſen hat den Ton gehoͤrt, den es nachſpricht. Wenn
aber[305] aber einſt der Wiederhall aufhoͤrt, ſo iſt die Zeit
vorbei und die Ewigkeit kommt zuruͤck, und bringt
den Ton; ſobald alles ſehr ſtill iſt, ſo werd' ich
die drei Stummen hoͤren, ja den Urſtummen,
der das aͤlteſte Maͤhrchen ſich ſelber erzaͤhlt; aber
er iſt, was er ſich ſagt. Hoͤlle, du erſchrickſt wie
ein Sterblicher, biſt du denn nicht voruͤber, Thor?“


Noch eh' ich antwortete, wuchſen ihr die Flo߬
federchen zu hohen zackigen Schwingen aus, wo¬
mit ſie mich unverdient und grimmig ſchlug; da
verſchwand alles, nur das ſchoͤne Toͤnen blieb.
Es war mir, als ſaͤnk' ich in gefluͤgelte Wogen
eines wolkenhohen Meeres. Wie ein Pfeil ſchnitt
ich durch ſeine weltenlange Wuͤſte; aber ich konn¬
te durch die glaͤſerne Flaͤche nicht hindurch, ſon¬
dern hing im dunkeln Waſſer, und ſchaute hin¬
durch. Da ſah ich draußen, nah oder fern, ich
weiß es nicht, das rechte Land liegen, ausge¬
dehnt, glaͤnzend-daͤmmernd. Die Sonne ſchien
als Ephemere in ihren eignen Stralen zu ſpielen,
und die Stralen hoͤrten auf. Nur die leiſen Toͤne
des rechten Landes flogen noch um mein Ohr.
Flegeljahre IV. Bd. 20[306] Goldgruͤne Woͤlkchen regneten heiß uͤbers Land,
und fluͤßiges Licht tropfte uͤberquellend aus Roſen-
und Lilien-Kelchen. Ein Stral aus einem Thau¬
tropfen ſchnitt heruͤber durch mein duͤſteres Meer,
und durchſtach gluͤhend das Herz, und ſog darin,
aber das Toͤnen erfriſchte es, daß es nicht welkte.
Ich ſagte laut, es regnet druͤben heiſſe Freuden¬
thraͤnen; nur die Liebe iſt eine warme Thraͤne,
der Haß eine kalte. — Tief hinten im Lande ſtie¬
gen Welten, wie Dunſtkuͤgelchen, unter einem
weit umhuͤllten Sonnenkoͤrper auf. In der Mitte
drehte ſich ein Spinnrad um, die Sterne waren
mit tauſend Silberfaͤden daran gereihet, und es
ſpann ſie immer naͤher und enger vom Himmel
hernieder. — An einer Lilie hieng ein Bienen¬
ſchwarm. Eine Roſe ſpielte mit einer Biene, bei¬
de nekten ſich mit ihren Stacheln und ihrem Ho¬
nig. Eine ſchwarze Nachtblume wuchs gierig gen
Himmel, und bog ſich immer heftiger uͤber, je
heller es wurde; eine Spinne lief und wob aͤmſig
im Blumenkelche, um mit Faͤden die Nacht feſt¬
zuhalten, ja den Leichenſchleier der Welt zu ſpin¬
nen; aber alle Faͤden wurden bethaut und ſchim¬
[307] merten, und der ewige Schnee des Lichts lag auf
den Hoͤhen.


Es ſchlaͤft alles im rechten Lande, ſagt'
ich, aber die Liebe traͤumt. Ein Morgenſtern
kam, und kuͤßte eine weiße Roſenknoſpe, und
bluͤhte mit ihr weiter — ein Zephyr hing ſich
kuͤſſend an einen Eichengipfel — einer der leiſe¬
ſten Toͤne kam, und kuͤßte eine Maiblume und ihr
Gloͤckchen wurde heftig empor geweht — tau¬
ſend warme Wolken kamen und hingen ſich
bruͤnſtig an Himmel und Erde zugleich — Tur¬
teltauben wiegten ſich dufttrunken auf Nachtvio¬
len, und warfen girrend ſich die Kuͤſſe auf Blu¬
menblaͤttern zu.


Auf einmal quoll am Himmel ein ſcharfbliz¬
zendes Sternchen heraus — es hieß die Aurora
— wie vor Luſt riß ſich einen Augenblik mein
Meer auf. — Statt der daͤmmernden Ebene
lag ein feſter breiter Blitz vor mir. Aber es ſchlug
ſich wieder zu, das verdaͤmmerte Land erwachte,
und alles wurde veraͤndert; denn die Blumen,
die Sterne, die Toͤne, die Tauben waren nur
ſchlummernde Kinder geweſen. Nun umarmte
[308] jedes Kind ein Kind, und die Aurora klang un¬
zaͤhlig darein. Die hohe Bildſaͤule des Donner¬
gottes ſtand in der Landes-Mitte. Ein Kind um
das andere flog auf den Stein-Arm, und ſetzte
einen Schmetterling auf den lebendigen Adler, der
den Gott umkreiſet. Dann flatterte das Kind wie
leichtſinnig auf die naͤchſte Wolke, und ſah her¬
ab nach ſeinem andern, das liebende Arme auf¬
hob. Ach ſo wird ſchon Gott, vor dem wir ja
alle Kinder ſind, unſer Lieben nehmen! Darauf
ſpielten die Kinder untereinander „Liebens.“
„Sey meine rothe Tulpe,“ ſagte das eine, und
das andere war ſie, und ließ ſich an die Bruſt
ſtecken. „Sei mein liebes Sternchen oben,“ und
es war es und wurde — an die Bruſt geſteckt.
„Sey mein Gott“ — „und du meiner,“ aber
dann verwandelten ſich beide nicht, ſondern ſa¬
hen ſich lange an voll zu großer Liebe, und ver¬
ſchwanden wie ſterbend dahin. — „Bleibe bei
mir, mein Kind, wenn du von mir gehſt,“
ſagte das bleibende; da wurde das ſcheidende
in der Ferne ein kleines Abendroth, dann ein
Abendſternchen, dann tiefer ins Land hinein nur
[309] ein Mondſchimmer ohne Mond, und endlich ver¬
lor es ſich ferner und ferner in einen Floͤten- oder
Philomelenton.


Aber der Morgenroͤthe gegenuͤber ſtand eine
Morgenroͤthe auf; immer herzerhebender rauſch¬
ten beide wie zwei Choͤre einander entgegen, mit
Toͤnen ſtatt Farben, gleichſam als wenn unbe¬
kannte ſelige Weſen hinter der Erde ihre Freu¬
denlieder heraufſingen. Die ſchwarze Blume mit
der Spinne bog ſich krampfhaft bis zum Knicken
nieder. Zu einem Lilienkranze waren vom Rade
die Sterne vom Himmel herabgeſponnen, und
er nur hellblau gemacht. Der Allklang hatte
die Blumen zu Baͤumen gereift. Die Kinder
waren dem Auge zu Menſchen gewachſen, und
ſtanden endlich als Goͤtter und Goͤttinnen da,
und ſahen ſehr ernſt nach Morgen und Abend.


Die Choͤre der Morgenroͤthen ſchlugen jezt
wie Donner einander entgegen, und jeder Schlag
zuͤndete einen gewaltigern an. Zwei Sonnen
ſollten aufſteigen, unter dem Klingen des Mor¬
gens. Siehe, als ſie kommen wollten, wurde
es leiſer, und dann uͤberall ſtill. Amor flog in
[310] Oſten, Pſyche flog in Weſten auf, und ſie fan¬
den ſich oben mitten im Himmel, und die beiden
Sonnen giengen auf — es waren nur zwei leiſe
Toͤne, zwei an einander ſterbende und erwachen¬
de; ſie toͤnten vielleicht: „Du und ich“; zwei
heilige, aber furchtbare faſt aus der tiefſten Bruſt
und Ewigkeit gezogne Laute, als ſage ſich Gott
das erſte Wort, und antwortete ſich das erſte.
Der Sterbliche durfte ſie nicht hoͤren, ohne zu
ſterben. Ich ſchlief in den Schlaf hinunter,
doch ſchlaf- und todestrunken, war mir, als ver¬
huͤlle und vergifte mich der Blumenduft eines
vorbeifliegenden Paradieſes — —


Da fand ich mich ploͤtzlich am alten erſten
Ufer wieder, die boͤſe Feindin ſtand wieder im
Waſſer; aber ſie zitterte wie vor Froſt, und
zeigte aͤngſtlich auf das glatte Meer hinter ihr,
mit den Worten: „die Ewigkeit iſt vorbei, der
Sturm kommt, denn das Meer wird geregt.“
Ich ſah hin, und die Unermeßlichkeit gohr zu
unzaͤhligen Huͤgeln auf, und zum himmelhohen
Sturme; doch tief im Horizont wallete hinter
den Zacken ein ſanftes Morgenlicht empor. Aber
[311] ich erwachte; was ſagſt du, Bruder, zu dieſem
kuͤnſtlich-fuͤgenden Traume?“


„Du ſollſt es ſogleich hoͤren in dein Bett hin¬
ein,“ verſezte Vult, nahm die Floͤte, und gieng,
ſie blaſend, aus dem Zimmer — die Treppe
hinab — aus dem Hauſe davon, und dem Poſt¬
hauſe zu. Noch aus der Gaſſe herauf hoͤrte
Walt entzuͤckt die entfliehenden Toͤne reden, denn
er merkte nicht, daß mit ihnen ſein Bruder
entfliehe.


Ende des vierten Baͤndchens.

[][][][]
Notes
*)
In der neunten ſteht ausdruͤcklich: „Tagreiſen
und Sitzen im Kerker koͤnnen nicht zur Erwerbzeit
der Erbſchaft geſchlagen werden.“
*)
So ſagt man von Pferden, welche das Spornen
zu nichts bringt als zum Stehen.
*)
So hieſſen in Elterlein bekanntlich die adeligen
Inſaſſen.
*)
B. II. S. 10.
*)
Gegen Raphaela, glaubt er.
**)
aseitas, ſeine eigne Urſache ſeyn.
*)
Die Beſcheidenheit erlaubt nicht, Lobſpruͤche ſte¬
hen zu laſſen, die, wie leicht zu errathen, den
Gegenſtand zu einem litterariſchen Pair ausrufen
und die deſto groͤßer und folglich deſto unverdien¬
ter ſind, je feiner, gebildeter und aufrichtiger der
Geſchmack des H. Buͤrgermeiſters bekanntlich iſt.
*)
Mencken de Charl. erud. ed. IV.
*)
Bekanntlich hießen im Dorfe Elterlein die fuͤrſt¬
lichen Unterthanen am rechten Bachufer die Rech¬
ten, die adelichen am linken die Linken.
*)
Lange bezieht ſich auf Zeit, lang auf Raum.
*)
Im Appel aux principes, wozu noch 558 —
Antitheſen vorgeworfen werden.
*)
Nach Bechſtein und andern Naturforſchern hat
der Bock ſo gut als der Amerikaner Milch, und
das alte Sprichwort iſt richtig.

Lizenz
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Anonymous. Flegeljahre. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn6r.0