Briefſammlung
Zugabe von eigenen Briefen
en la repouſſant on la voit, \& elle pénètre.’
(Garat le jeune.)
beyFriedrich Nicolovius.
1792.
[[IV]]
of grace,
Yet grace muſt ſtill look ſo.’
(Macbeth Act. IV. Sc. III.)
Wenn auch alle boͤſen Dinge die Geſtalt des
Guten annaͤhmen, ſo muß doch das Gute
immer dieſe Geſtalt behalten.
(Eſch. Ueberſ.)
[[V]]
An
den Herrn Geheimenrath
Schloſſer
in
Carlsruhe.
)( 2
[[VI]][[VII]]
Es iſt wider allen loͤblichen Ge-
brauch Jemanden ein Buch hinter ſeinem
Ruͤcken zuzueignen. Da Du aber, als
Freund, und faſt in jeder andern Be-
trachtung, Dich auſſer dem loͤblichen
Gebrauche zu halten pflegſt; ja dem
Zeitalter hinter dem Ruͤcken ſo-
gar Selbſt geworden biſt, was Du biſt
zu ſeinem Kreuz: ſo haͤtteſt Du
allein deswegen ſchon die Pflicht auf
Dir, meine Verwegenheit, als eine un-
ſchuldige Nachahmung hingehen zu laſſen.
Doch mir kommt ein beſſeres Recht zu
Statten! Ein Recht, dem zwar ebenfalls,
was nur mit laufender Sitte und ihren
loͤblichen Gebraͤuchen zuſammenhaͤngt,
)( 3
[VIII] den damit zu nahe zu treten, einen recht-
maͤßigen Abſcheu empfindet.
Lieber will er es geſchehen laſſen, daß
man dieſe Briefe als erdichtet, und das
Ganze als ſein eigenes Hirngeſpinnſt an-
ſehe. Ja er wuͤnſcht ſogar, man moͤge
dieſe Hypotheſe ſich gefallen laſſen, wenn
man nur im Glauben dergeſtalt Maaß haͤlt,
daß man ſie nicht als eine hiſtoriſche oder
ſonſt erwieſene Wahrheit, ſondern al-
lein wegen der obwaltenden Verlegenheit
freywillig annimmt, und nothduͤrftig gel-
ten laͤßt.
Die hiemit dem Leſer zugemuthete
zwiefache Gefaͤlligkeit: zuerſt, einer
unwahrſcheinlichen Hypotheſe beyzupflich-
[IX] ten; hernach, das ihr gemaͤſſe zwar zu
glauben, aber doch im eigentlichen Ver-
ſtande denn auch wieder nicht zu glauben:
dieſe zwiefache Gefaͤlligkeit waͤre in der
That zu groß, als daß ſie auch von dem
geneigteſten Leſer erwartet werden
duͤrfte, wenn er nicht ſeinen eigenen Vor-
theil dabey faͤnde.
Weil aber ungeneigte und geneigte
Leſer, wie ich zeigen werde; und zwar
jene zuerſt, ihren offenbaren Vortheil
dabey finden; ſo bin ich ihrer Willfahrung
deſto gewiſſer, da bey der ihnen zugemu-
theten zwiefachen Muͤhe, auch eine zwie-
fache Erleichterung ſtatt finden ſoll.
Denn was die Hypotheſe unwahrſchein-
)( 5
[X] liches hat, wird durch das: im eigent-
lichen Verſtande nicht glauben
duͤrfen — verguͤtet; und: das im ei-
gentlichen Verſtande nicht glau-
ben — giebt ſich durch das Unwahrſchein-
liche der Hypotheſe beynah von ſelbſt.
Alſo habe ich dem Leſer nur noch ſei-
nen eigenen Vortheil vor Augen zu ſtellen,
welches ich mit wenigen Worten zu Stande
zu bringen hoffe.
Ich ſetze zum Voraus, daß ich Leſer
habe.
Dieſe Leſer ſind meine Zeitgenoſſen;
folglich geſchworne Feinde aller Dunkelheit.
Nun finden ſich dieſe in Abſicht des vorlie-
[XI] genden Buches von Dunkelheiten ganz um-
geben. Sie fragen: Wer iſt Eduard All-
will? Lebt er, oder iſt er todt? Wo hat
er gelebt? Wenn er noch im Leben iſt, wo
haͤlt er ſich auf? Wie bekam er nur ſeine
eigenen Briefe wieder in die Haͤnde?
Wie brachte er die uͤbrigen in ſeine Gewalt?
Was will er mit ihrer Bekannt-
machung? Woher ſeine Verbindung mit
dem Herausgeber? — Und dergleichen
Fragen noch eine Menge, die ich alle muͤßte
unbeantwortet laſſen, theils durch eigene
Unwiſſenheit gebunden, theils durch mein
gegebenes Wort.
Der Leſer alſo, unvermoͤgend ſowohl
in Abſicht der Herleitung als Hin-
leitung ſeines Buches ſich zu recht zu
[XII] finden, wuͤrde nicht allein mit dem Samm-
ler und Herausgeber, ſondern auch mit
ſich ſelbſt unzufrieden werden, weil er
mit dem Gegenſtande der Fragen nun ein-
mal verwickelt waͤre, und die Sache eben
ſo wenig von der Hand ſchlagen, als nach
ſeinem Wunſch ins Reine bringen koͤnnte.
Mitten in dieſer Verlegenheit komme
ich ihm nun mit meiner Hypotheſe zu Huͤlfe:
und gelingt es mir, ſie nur einigermaſſen
wahrſcheinlich zu machen; ſo erhaſcht er
dieſe Wahrſcheinlichkeit gewiß mit Freu-
den, da ihm mit und in ihr, Herleitung
und Hinleitung zugleich gegeben wird,
und er zu ſich ſagen kann, daß er begreift.
Ich ſchlage demnach ſo fort dem Leſer
[XIII] vor, ſich unter dem Herausgeber einen
Mann vorzuſtellen, dem es von ſeiner zar-
teſten Jugend an, und ſchon in ſeiner Kind-
heit ein Anliegen war, daß ſeine Seele
nicht in ſeinem Blute, oder ein bloſſer
Athem ſeyn moͤchte, der dahin faͤhrt.
Dieſes Anliegen hatte bey ihm ſo wenig
den bloſſen gemeinen Lebenstrieb zum
Grunde, daß ihm vielmehr der Gedanke,
ſein gegenwaͤrtiges Leben ewig fortzuſetzen,
graͤßlich war. Er liebte zu leben wegen ei-
ner andern Liebe, und — noch einmal! —
ohne dieſe Liebe ſchien es ihm unertraͤglich
zu leben, auch nur Einen Tag.
Alſo ſchon als Knabe war der Mann
ein Schwaͤrmer, ein Fantaſt, ein Myſti-
[XIV] ker — oder welches iſt der rechte Name
unter ſo vielen, die ich, mit ihren ſorg-
faͤltigen Definitionen, in ſo mancherley
neueren Schriften gefunden und nicht be-
halten habe?
Dieſe Liebe zu rechtfertigen; darauf
gieng alles ſein Dichten und Trachten: und
ſo war es auch allein der Wunſch, mehr
Licht uͤber ihren Gegenſtand zu erhalten,
was ihn zu Wiſſenſchaft und Kunſt mit ei-
nem Eifer trieb, der von keinem Hinderniß
ermattete.
Ein verzehrendes Feuer trug der Juͤng-
ling im Buſen. Aber keine ſeiner Leiden-
ſchaften konnte je uͤber den Affect, der die
Seele ſeines Lebens war, die Oberhand
[XV] gewinnen. Jene, wenn ſie Wurzel faſſen
ſollten, mußten aus dieſem ihren Saft
holen und ſich nach ihm bilden.
So geſchah es, daß er philoſophiſche
Abſicht, Nachdenken, Beobachtung in Si-
tuationen und Augenblicke brachte, wo ſie
aͤuſſerſt ſelten angetroffen werden.
Was er erforſcht hatte, ſuchte er ſich
ſelbſt ſo einzupraͤgen, daß es ihm bliebe.
Alle ſeine wichtigſten Ueberzeugungen beruh-
ten auf unmittelbarer Anſchauung; ſeine
Beweiſe und Widerlegungen, auf zum
Theil (wie ihn daͤuchte) nicht genug bemerk-
ten, zum Theil noch nicht genug vergliche-
nen Thatſachen. Er mußte alſo, wenn er
ſeine Ueberzeugungen andern mittheilen
wollte, darſtellend zu Werke gehen.
[XVI]
So entſtand in ſeiner Seele der Ent-
wurf zu einem Werke, welches mit Dich-
tung gleichſam nur umgeben, Menſchheit
wie ſie iſt, erklaͤrlich oder unerklaͤrlich, auf
das gewiſſenhafteſte vor Augen ſtel-
len ſollte.
Erbaulicher als die Schoͤpfung; mora-
liſcher als Geſchichte und Erfahrung; phi-
loſophiſcher als der Inſtinkt ſinnlich ver-
nuͤnftiger Naturen, ſollte das Werk nicht
ſeyn (*).
Denn
[XVII]
Denn daß ſo viel ausgelaſſen wurde
von den Philoſophen, damit ſie nur er-
(*)
)( )(
[XVIII]klaͤren koͤnnten; ſo viel verſchwiegen von
den Moraliſten, damit ihr allerhoͤch-
(*)
[XIX]ſter Einfluß nicht geleugnet wuͤrde:
dies eben hatte den Mann verdroſſen, der
nach einem Lichte, worin nur das zu ſehen
waͤre, was nicht iſt, ſich wenig ſehnte,
und zu einer allerhoͤchſten Willenskraft des
Menſchen, auſſer dem menſchlichen Herzen,
kein Vertrauen hatte; vielleicht aus Man-
gel ihrer Gabe in ſeinem eigenen — Kopfe.
)( )( 2
[XX]
Er ſammelte zu ſeinem Werke mit einer
Liebe, die ihn von der Ausfuͤhrung deſſel-
ben entfernte. Nun iſt er zu alt geworden,
um an eine Vollendung nach dem erſten
Plane zu denken: aber gewiß liefert er
noch einen zweyten Band; und hoͤchſt wahr-
ſcheinlich einen dritten.
Der zweyte Band, welcher ſchon auf
Johanni erſchienen waͤre, wenn nicht kluge
Maͤnner anders gerathen haͤtten, enthaͤlt
die Epoche von Clerdons Abweſenheit, die
man in dieſem erſten angekuͤndigt findet.
So viel zur inneren Wahrſcheinlich-
keit meiner Hypotheſe, der Hauptſache,
zufolge ihrer pragmatiſchen Abſicht.
[XXI]
Die aͤuſſere Wahrſcheinlichkeit will ich
von Auſſen, durch Inſtanzen, zu
bewirken ſuchen, wie folgt.
Waͤre der angebliche Herausgeber nicht
der wirkliche Verfaſſer dieſes Buches, wie
haͤtten die ſchon ehmals erſchienenen Briefe
dieſer Sammlung die veraͤnderte Geſtalt,
in welcher man ſie hier erblickt, erhalten,
und ſich, den neuen zu Gefallen, derge-
ſtalt veraͤndern koͤnnen? Hier ſtoͤßt man auf
einen Zuſatz; dort auf eine Luͤcke; und
uͤberall blickt eine geſchaͤftige Hand hervor,
die nicht Scheu traͤgt, mit dieſen Brie-
fen, wie mit einem Eigenthume zu ſchalten.
Hiegegen kann eingewendet werden: da
man die eilf Briefe, die hier zum erſtenmal
)( )( 3
[XXII] erſcheinen, ehmals nicht haͤtte bekannt ma-
chen wollen; ſo waͤre man gezwungen gewe-
ſen, jene zehn Briefe, die man herauszu-
geben ſich bewegen ließ, damals ſo weit zu
veraͤndern, als noͤthig war, damit ſie nicht
auf die dazwiſchen weggenommenen gerade
zu hinwieſen, und ihre Abweſenheit un-
moͤglich machten. Dieſe verdrießliche Ar-
beit waͤre geſchehen, wie verdrießliche Ar-
beiten zu geſchehen pflegen, und daruͤber
die Abſchrift durchaus fehlerhaft geworden.
Demnach wuͤrde es der Wahrheit ganz zu-
wider ſeyn, und eine ſeichte Kritik verra-
then, wenn man als gemachte Veraͤn-
derungen anſehen wollte, was im Gegen-
theil nur weggeſchafte Veraͤnderun-
gen waͤren.
[XXIII]
Ich bin zu bloͤde, um dieſer Einwen-
dung das Uebergewicht von Wahrſcheinlich-
keit, wodurch ſie meine Inſtanz entkraͤftet,
geradezu abzuſprechen. Lieber will ich das
Gewicht meiner Inſtanz durch eine Zugabe,
welche mir die Zugabe zu dieſem erſten
Bande von Allwills Briefſammlung, das
Schreiben an Erhard O * *, an die
Hand giebt, zu vermehren ſuchen.
Ich frage alſo jedweden, ob er die Fa-
milienaͤhnlichkeit zwiſchen dem Schreiben
an Erhard O * * und den Briefen der
Allwilliſchen Sammlung ſich zu leugnen
unterfangen werde?
Jenes Schreiben iſt durchaus philoſo-
phiſchen Inhalts, hat aber gar nicht die
philoſophiſche Einrichtung, welche den
)( )( 4
[XXIV] Angriff von Auſſen eben ſo bequem
macht, als die Vertheidigung nach Auſſen,
und daher bey Feinden und Freunden
gleich beliebt und wohl gelitten iſt.
Warum fehlt ihm dieſe beſſere Einrich-
tung? Ich ſage, ſie fehlt ihm deswegen,
weil es ein Stuͤck der Allwilliſchen Samm-
lung iſt, das nur Reisaus genommen hatte.
Es konnte aber fuͤr ſich allein nicht beſte-
hen; kam zuruͤck, und wurde als eine Zu-
gabe angenommen.
Und hiemit glaube ich nun, was ich
unternommen, vollbracht, und den Leſer
uͤber ſeine Fragen, wenn auch nicht ganz
beruhigt, doch vollkommen und ſelbſt uͤber
die Maaſſen — zerſtreut zu haben.
[XXV]
Ich uͤberlaſſe ihn ſeiner Zerſtreuung,
und ſchließe meine Vorrede mit einem nicht
genug bekannten, wenigſtens nicht genug
erwogenen alten Reim, der einen reichen
Schatz des Troſtes, nicht allein fuͤr jeden
Autor, ſondern auch fuͤr jeden Leſer ent-
haͤlt, wenn dieſer nur ein Wort veraͤndern,
und fuͤr Leſer Autor ſetzen will:
[[XXVI]][[XXVII]]
Allwills Briefſammlung.
Die Natur in ihren ſchoͤnen Formen ſpricht
figuͤrlich zu uns, und die Auslegungsgabe ihrer
Chiffernſchrift iſt uns im moraliſchen Gefuͤhl ver-
liehen. — — Schon der bloße Reiz in Farben
und Toͤnen nimmt gleichſam eine Sprache an,
die einen hoͤhern Sinn zu enthalten ſcheint und
die Natur naͤher zu uns fuͤhrt.
Kant (Cr. d. Uk. S. 168. 170).
[[XXVIII]]
Das Urbild jeder Tugend, jeder Schoͤne;
Was ich nach ihm gebildet, das wird blei-
ben! …
Es ſind nicht Schatten, die der Wahn er-
zeugte,
Ich weiß es, ſie ſind ewig, denn ſie ſind.
Goethes Taſſo A. II, Sc. 2.
ΗΑ Ολυμπος ηυλει, Μαρσυου λεγω, τουτου
διδαξαντος. τα ουν εκεινου εαν τε αγαϑος αυλητης
αυλῃ, εαν τε φαυλη αυλητρις, μονα κατεχεσϑαι
ποιει, και δηλοι τους των ϑεων τε και τελετων δεο-
μενους, δια το ϑεια ειναι.
Plato in Conviv. Ed. Bip. X. p. 257.
[XXIX]
Einleitung.
Sylli, geborne von Wallberg, ſtammte
aus einer alten Patriziſchen Familie in C**.
Als ſie funfzehn Jahre alt war, verlor ſie ihre
Mutter, welche mehr als das gemeine Erden-
leben in ſie geboren hatte, und ſich ſo ganz in
ihr fuͤhlte, daß davon in beyder Herzen eine
namenloſe Liebe ſproßte. Ihr Vater, von ei-
ner ungluͤcklichen Leidenſchaft bis zum Wahn-
ſinn gefoltert, begrub ſich zwey Jahre nachher
in ein Carthaͤuſerkloſter, wo er, als die fol-
genden Briefe geſchrieben wurden, noch lebte.
Sylli gerieth nun mit ihrem Bruder unter Vor-
mundſchaft, und in eine ſo verwirrte Lage,
daß ihr Herz davon um und um wund werden
mußte.
Sie mochte ein und zwanzig Jahre alt ſeyn,
als einer von den Gefaͤhrten ihrer Kindheit und
zartern Jugend, Auguſt Clerdon, ſie wie-
[XXX] derſah, und die heftigſte Liebe fuͤr ſie empfand;
ein feuriger Mann, von großen Geiſtesgaben,
aber ſehr unſtaͤtem Sinne. Die Verbindung
kam zu Stande, und Sylli zog nach E***,
wo ihr Mann eine der anſehnlichſten Stellen
bekleidete. Gleich darauf kam deſſen Bruder,
Heinrich Clerdon, als Regierungsrath
nach C**. Beyde waren in der Schweiz ge-
boren; aber ſchon als Kinder mit ihrem Vater
nach Deutſchland verſetzt worden.
Es hatte Sylli geahndet, daß Auguſt
auf vielerley Weiſe ſie ungluͤcklich machen
wuͤrde; aber das Große und Herrliche in dem
jungen Manne riß ſie hin. Drey Jahre nach-
her ſtarb er mitten in der Verwickelung eines
durch niedertraͤchtige Treuloſigkeit gegen ihn
angeſponnenen Rechtshandels, der ihm die
voͤllige Zerruͤttung ſeiner aͤuſſerlichen Gluͤcks-
umſtaͤnde drohte. Seine Wittwe, die wenig
eigenes Vermoͤgen hatte, und auch das noch in
Gefahr ſah, mußte dieſen Rechtshandel, von
ſchlechten Menſchen unterſtuͤtzt, gegen ſchlechte
Menſchen fortſetzen, und deswegen zu E***
[XXXI] bleiben; an einem Orte, den ſie nie geliebt hatte,
und der ihr nun deſto mehr zuwider war, da
ihre ganze Seele nach C** hieng, wo alles,
was ſie noch an die Erde feſſelte, ſich beyſam-
men fand. Ein einziges Kind, das ſie geboren
hatte, war dem Vater nachgefolgt. Als ſie die
beykommenden Briefe ſchrieb, mochte ſie acht
und zwanzig Jahre alt ſeyn.
Amalia, deren gleich im zweyten Briefe,
ohne weiteres, gedacht wird, erſcheinet ſelbſt,
in der Folge dieſer Sammlung, als Heinrich
Clerdons Gattinn; und Lenore und Claͤr-
chen von Wallberg — beyde, Schwe-
ſtern (unter welchem Namen allein zuweilen
ihrer auch Erwaͤhnung geſchieht) — waren
Syllis leibliche Cuſinen. Alle dieſe Perſo-
nen hatten, in verſchiedenen Perioden, viele
Jahre neben und mit einander zugebracht, und
liebten, und betrachteten ſich, durch ihre aͤuſ-
ſeren, noch weit mehr aber durch innere Ver-
haͤltniſſe auf das engſte verbunder, als Ge-
ſchwiſter. Von Eduard Allwill etwas voraus
zu erinnern, waͤre uͤberfluͤßig.
[[XXXII]]
Druckfehler.
- S. 11 Z. 1 lies dem ſtatt den.
- — 35 — letzte l. Sie ſt. ſie.
- — 39 — 1 l. alsdann ſt. alsdenn.
- — 57 — 15 l. guten ſt. gute.
- — 79 — vorl. l. bliebe ſt. blieb.
- — 91 — 7 l. chauve-ſauris ſt. chauveſouris
- — 99 — 4 l. Schooße ſt. Schooſe.
- — 103 — 14 l. was ſt. das.
- — 115 — 5 v. u. l. Geiſtes ſt. Geiſt.
- — 118 — 8 v. u. l. Ich ſt. ich.
- — 119 — 8 l. ſie ſt. Sie.
- — 121 — 2 l. das ſt. daß.
- * — 165 — 4 v. u. l. gehabt haͤtte ſt. haͤtte.
- — 170 — 5 u. 6 v. u. l. dich ſt. Dich.
- — 171 — 4 v. u. l. dem ſt. den.
- * — 221 — 2 l. weich und ſchwachherziger
ſt. weichſchwachherziger. - — 316 — 3 v. u. l. Shakeſpeare ſt.
Schakesſpear.
I. Sylli
I.
Sylli an Clerdon.
Ja, mein Freund, noch alle Tage wird es
oͤder um mich her; und ſo ſetzt ſich denn die
ſonderbare Gemuͤthsſtimmung, die Du an mir
tadelſt, und wofuͤr Du keinen Namen weißt,
immer feſter. Ich ſoll es Dir nennen, was
weder Milzſucht, Truͤbſinn, Menſchenhaß oder
Menſchenverachtung, noch ſonſt etwas iſt, wo-
zu ſich aus Romanen oder Schauſpielen eine
Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu-
gleich ſo warm und ſo kalt macht, meine Seele
ſo offen und ſo zugeſchloſſen. Lieber Clerdon,
vielleicht ein andermal; diesmal hoͤre, was
ſich geſtern zutrug.
A
[2]
Ich gerieth auf einige Stunden lang an das
Bett einer Sterbenden. Sie war eine gute
Bekannte meiner Tante Moßel; mich gieng
ſie weiter nichts an, ſtand mit mir in keinem
eigentlichen perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe; ein all-
taͤgliches Geſchoͤpf, ſehr dumpfen Sinnes, aber
ohne alles Arge. Ihre Leiden auf dem Ster-
bebette waren groß. Man hatte zu ihrer Ge-
neſung eine der ſchrecklichſten Operationen ver-
ſucht. Das alles ſtand ſie gelaſſen aus: es
war die Faſſung ihres Temperaments, ſchlichte
Fortſetzung ihres Lebens bis ans Ende. Vier
Stiefkinder (eigene hatte ſie nie) ſtanden um
ihr Bett; naͤher ihr Mann, der es blos wegen
Gewinn und Gewerbe geworden war. Alle
weinten und ſchluchzten recht ernſtlich; gewiß,
Clerdon, ihre Trauer gieng von Herzen. Aber
im Grunde, was war es? Etwa ein wenig
Reue, ein wenig Erkenntlichkeit, arm-
ſelige Scheu vor der Befremdung,
wenn ſie jetzt nicht mehr da ſeyn wuͤrde,
Bangen vor dem Bilde des Todes. — O wie
gleicht doch alles einander ſo widerlich! Ich
[3] ſaß da ſo kalt; koͤrperlich gepeinigt von dem
koͤrperlichen Leiden der Kranken; konnte ſonſt
mit niemanden ſympathiſiren.
Jetzt kam der Geiſtliche hinzu, und begann
ſein Geſchaͤft. Ich verſichere Dir, die gute
Frau zagte nicht der Zukunft wegen, hatte
nicht die mindeſte Seelenangſt: nur das Dahin-
ſterben ihrer Kraͤfte, die Lebensermattung preßte
ihr manches Ach aus der Bruſt; und da kam
jedesmal ein Zuruf, ein Spruch, ein Vers aus
einem Liede: was denn nur die ohnmaͤchtigen
Organe zu einem marternden Gebrauche wie-
der [anfing], die milde Hand des Todes be-
waffnete, und der Seele wehrte, ſtill und ſanft
hinweg zu ſcheiden. — O des Wuſtes von Welt!
Heute nun iſt der Verſtorbenen wegen ein
Klagen, ein Weinen, auch hier unter den
Meinigen, daß einem um Troſt bange waͤre,
wenn man nicht wuͤßte, daß unter allen dieſen
Hochbetruͤbten keiner iſt, der nicht der Gat-
tinn, Mutter, Freundinn, bey ihrem Leben
A 2
[4] immer ganz entbehren konnte. Und nun ich,
welcher dies alles ſo klar vorſchwebt, mitten
unter dieſem Haufen, ganz ohne Theilneh-
mung; aber, ach, im Innerſten meines Weſens
erſchuͤttert, von unertraͤglichen Gedanken! —
Du mit den vielen Namen, das die Menſchen
alle zu einander zerrt, durch einander ſchlinget;
was biſt du? Quell und Strom und Meer der
Geſellſchaft; woher? Und wohin? …
Ich ſehe die finſtere Hoͤhle, und den großen
Keſſel, worin Macbeths Hexen allerhand
Stuͤcke von Thier und Menſch, Froſchzehen,
Wolfszahn, Fledermaushaar, Judenleber,
Tuͤrkennaſe, Tartarlippe, und wie viel andre
Dinge ſammeln, um das Werk ohne Na-
men zu bereiten; kochen und kochen am Zau-
berweſen, bis aus dem Gemenge die Fan-
tomen alle hervorgehn:
Und dazu dann den grotesken Rundetanz,
[5] und die herrliche Muſik, und die bezauberte
Luft; die ganze, beſte, vollſtaͤndigſte Luſt-
barkeit!
Doch ſo abentheuerlich, mit unter ſo
fuͤrchterlich, iſt es lange nicht. Ich muß des
Grauſens lachen, das mich anſtieß. Nein,
guter Clerdon, nein; nur eine bunte hoͤlzerne
Jahrmarktspuppe, Rumpf und Rock aus einem
Kloͤtzchen; Arme, Fuͤße, Kopf daran geleimt,
und ein Brettchen darunter, daß es ſtehe: iſt
denn das ein Geſpenſt? —
A 3
[6]
II.
Sylli an Clerdon.
Ich war heute lange vor Tag aus dem
Bette. Ein ſonderbar ſchoͤnes Licht, das im-
mer heller mich umgab, trieb mich aus mei-
nem Cabinette in das Zimmer gegen Morgen,
welches die weite Ausſicht nach dem kleinen
Gebirge hat. Ich fuhr zuſammen uͤber dem
Anblick, und blieb unbeweglich am Eingange
des Gemachs. Was mich feſſelte, war die
große Stille bey allem [Glanze], bey allem Wer-
den am weiten Himmel: unuͤberſchauliche,
unaufhoͤrliche Verwandlungen; und doch kein
ſichtbarer Wechſel, keine Bewegung. Aber
jetzt trat die Sonne naͤher, und fuhr auf ein-
mahl hinter den Huͤgeln herauf, daß ich da-
von mit in die Hoͤhe fuhr. — Clerdon, es wa-
ren ſelige Augenblicke! Und ſiehe, wie dieſer
Sonnenaufgang, ſo war der ganze heutige
Tag; Fruͤhlings Anbeginn, Anbruch des Jah-
[7] res, erſter Lichtſtrahl einer viel groͤßern
Schoͤpfung, als die Schoͤpfung eines einzel-
nen Tages. Ich mußte heraus aus dem
Gemaͤuer in die offene Welt. Sophie, bey
der ich angerufen hatte, begleitete mich.
Welch ein Spatziergang! Der Himmel war
ſo rein, die Luft ſo ſanft, die ganze Erde
wie ein laͤchelndes Angeſicht voll Troſt
und Verheißung, Unſchuld und Fuͤlle des
Herzens. Dies alles konnte ich jetzt wunder-
bar auffaſſen; meine Blicke waren milde,
ſegnend. Und ſo wurde ich unvermerkt wieder
das gute zuverſichtliche Geſchoͤpf, das nichts
als Wonne uͤber der Gottes-Welt Schoͤnheit,
und volle Hofnung im Herzen hatte.
Ja, volle Hofnung, beſter Clerdon, ohne
zu wiſſen, was ich hofte; alles Gute, alles
Schoͤne: und dieſe liebe Verworrenheit, dieſe
Daͤmmerung war es eben, warum mir ſo
wohl war; warum kein Unglaube mich wach
ſtoͤren konnte.
A 4
[8]
Dieſer Tag ſollte recht genoſſen werden.
Ich wollte unter freyem Himmel die Sonne
auch untergehen ſehen. Wir nahmen unſern
Weg uͤber die Waͤlle. Ich verweilte an dem
Orte, wo ich vor zwey Jahren im ſpaͤten
Herbſte mit Dir ſtand, und Du von der
weiten mannichfaltigen Ausſicht ſo entzuͤckt
wareſt. „Saͤh er ſie jetzt!”. Ein lieber Fruͤh-
lingshauch wehte mich an, und ſtellte Dich
an meine Seite. O wie war rund um uns
alles ſo herrlich, ſo ſchoͤn! Aber es ließ ſich
nicht lange ſo anſehen; ich begab mich weg.
Nun kam ich an die Stelle, wo man den lan-
gen, breiten Weg um die Ecke nach S** (*)
gerade vor ſich ſieht. — „Da kam ich her vor
„ſechs Jahren; da kam vor zwey Jahren Cler-
„don her; da geht der Weg hin. — Ach
„wann?” Du erinnerſt Dich der Lage: eine
unabſehbare Flaͤche; nichts, das Auge zu
hemmen; der Weg ganz gerad aus, und ſo
breit, und ſo eben — Wie ich daruͤber hin-
[9] rollen koͤnnte! — Indem ließen ſich nahe bey,
gleich hinter der Stadtmauer, zwey Inſtru-
mente hoͤren. Es war eine Floͤte und eine
Harfe, die ganz vortreflich in meine Melodie
einfielen, ſie begleiteten und fortfuͤhrten. Da
ließ ich mich denn gehen, ließ es mir ſo wer-
den, daß ich die Augen recht naß hatte.
Meine gute Sophie neben mir wartete alles
mit Freundlichkeit ab. Auf mein Stoͤckchen
gelehnt blieb ich lange ſo da ſtehen: endlich
lief ich hurtig mit ihr nach Hauſe, und —
Gute Nacht, Clerdon! Amalia, Schweſtern,
gute Nacht!
A 5
[10]
III.
Clerdon an Sylli.
Du ſollteſt wiſſen, liebe Sylli, wie man-
che Stunde ich damit zubringe, daß ich Dir —
Nicht ſchreibe. Ein Brief iſt bald geſchrie-
ben; einen Brief Nicht ſchreiben, dauert
viel laͤnger.
Jetzt wieder ſaß ich eine große halbe Stun-
de, vielleicht gar eine Stunde mit der Feder
in der Hand vor dieſem Blatte; nachſinnend,
wo ich Troſt fuͤr Dich faͤnde, und wie ich mit
dem Troſte Dir beykaͤme.
Deine wenigen Zeilen vom 28. Februar,
die uns heute einliefen, zeugen von einer Be-
klemmung, die mich mit ergriffen und mir das
Herz ſo zuſammengepreßt hat, daß ich mei-
ner Angſt keinen Rath wußte, und mich ent-
ſchloß, Amalien den Brief vorerſt nicht mitzu-
theilen.
[11]
Du wirſt am folgenden Tage, den erſten
Maͤrz, einen Brief von mir erhalten haben,
worin ich Dich flehentlich bat: Du moͤchteſt
einmal ohne Zuruͤckhaltung Dich gegen uns
ergießen, uns Deinen Gemuͤthszuſtand, den
wir uns nicht genug zu erklaͤren wiſſen, ganz
offen legen. Neue Unfaͤlle ſind Dir nicht be-
gegnet; und nach dem, was Du erfahren
haſt, wuͤrden neue uns verborgene Wider-
waͤrtigkeiten Dich nicht in dem Grade nieder-
geſchlagen haben, wie Du es augenſcheinlich
biſt. Woher denn dieſes Sinken in die fuͤrch-
terlichſte Gattung der Schwermuth, dieſes
Deinem Character ſo widerſprechende Zagen,
welches einem toͤdtenden Unglauben an Liebe,
an Freundſchaft, an Menſchenwuͤrde den
Weg bahnt?
Daß dieſe Welt ſo weit iſt; alle Toͤne in
ihr ſo verhallen — Ich fuͤhle das auch;
glaube mir, ich fuͤhle es. Und wie werde
ich nicht gedruͤckt und verwundet, bis zur
Verzweiflung oft gehemmt in den taͤglichen
[12] Geſchaͤften meines Lebens und Berufs, ohne
irgend eine Hoffnung des Beſſerwerdens, ſo
lange die Einrichtung im Ganzen dieſelbe
bleibt? Aber es iſt wahr, dieſe Peinigungen
ſelbſt haben das Gute fuͤr den braven Mann,
daß er ſich nur mehr zuſammen nimmt. Kann
er ſeine beſten Faͤhigkeiten nicht in That ver-
wandeln, ſeine beſten Eigenſchaften nicht
fruchtbar machen; wird er von Dummheit,
Niedertraͤchtigkeit und Bosheit umzingelt,
angefallen, bedraͤngt: ſo haͤlt das ſeinen
Geiſt wenigſtens in Grimm empor. Was
ihn niederwerfen ſollte, richtet ihn in die
Hoͤhe, unterſtuͤtzt ihn, giebt ihm Haltung.
Schweſter, Freundinn, holde liebe Syl-
li — Auf! Raffe Dich, ſo [gut] Du kannſt,
zuſammen; Du wirſt Huͤlfe finden, denn
Du haſt ſie in Dir ſelbſt! — O, daß ich es
vermoͤchte, Dir meine innigſten Gefuͤhle hier-
uͤber in ihrer ganzen Wahrheit darzuſtellen!
Das Beſte an mir iſt das Wiſſen von dem,
was Du biſt — Was Du biſt! Und Du,
[13] Sylli; Du Himmelskind, verſinkſt in
Jammer; koͤnnteſt verſinken in die ſchreck-
lichſte Troſtloſigkeit! — — Eigene Vortref-
lichkeit kann der hoͤchſte Genuß nicht ſeyn;
denn Sylli fuͤhlt ſich elend! — Sagt, ihr
Engel vor Gottes Angeſicht: Ihr ſeyd wohl
auch nicht ſeelig? — Sylli, Du muͤßteſt in
mein Herz ſchauen; nicht ſchauen; Du muͤß-
teſt in Deinen Buſen es aufnehmen koͤnnen,
um zu empfinden das Trauern uͤber Dich,
das in mir iſt, und den Troſt fuͤr Dich, der
in mir iſt.
[14]
IV.
Sylli an Clerdon.
Ich habe Dir geſtern und vorgeſtern ge-
ſchrieben, lieber Clerdon; doch muß ich Deinen
eben erhaltenen Brief auf der Stelle beant-
worten.
Wenn Du wuͤßteſt, wie es mich aͤngſtigt,
daß Du ſo viele Sorge, ſo vielen Kummer
meinetwegen haſt! Glaubt es doch, ihr guten
Leute, glaubts, daß ich lange nicht ſo uͤbel
daran bin, als Ihr euch vorſtellt. Alles Schoͤne
in der Natur, alles Gute iſt mir ja ſchoͤn und
gut; wird es noch alle Tage mehr. Oder wißt
Ihr Jemand, der jede menſchliche Freude inni-
ger koſtet, als Eure Sylli? Und wie ſollte ich
nicht an Liebe glauben, ich, der die Bruſt ſo
enge davon iſt? Nur die Hyacinthe hier! Wie
oft ſtand ich nicht vor ihr, mit klopfendem Bu-
ſen; ſog an ihrem Weſen mit allem meinem
[15] Sinn, bis es meine Nerven durchbebte, und
ich die Schoͤne, Gute in mir lebendig hatte,
und — nennt es Thorheit, Unſinn, Schwaͤr-
merey — und ich Gegenliebe von ihr fuͤhlte!
So pflege ich eines jeden Dinges, von welchem
Wohlthun unmittelbar ausgeht; es ſey Geſtalt
oder Geiſt, Lied, Harmonie, Gemaͤhlde, was
es wolle. Ich halte es an mich, leih ihm Heerd
und Feuer, ruhe nicht, bis ſein inneres Weſen,
das Gute, Schoͤne, das Wohlthun in mich
ſtroͤmt, Leben in mir empfangen hat und Liebe.
Ach! nichts ſoll untergehen, was mir einen
Blick der Vereinigung zuwarf; was mir Leben
gab und Leben von mir nahm: wenigſtens
ſo lange ſoll es nicht untergehen, als ich ſelbſt
daure.
Nun bin ich hiemit freylich mancher Ver-
letzung blosgeſtellt, die ich ohne das nicht
empfaͤnde. Alle Dumpfheit, Achtloſigkeit,
Geringſchaͤtzung, Fluͤchtigkeit der Menſchen um
mich her, und die noch aͤrgere Schmach ihrer
voruͤberrauſchenden Entzuͤckungen, trif[f]t mich,
[16] verwundet mich. So von allen Seiten ange-
fochten, jedermanns Hand wider mich, iſt
doch meine Hand, ich ſchwoͤre Euch, wider kei-
nen. Ich ſehe immer noch viel Liebes und Gu-
tes an den Menſchen. Da habe ich hier ei-
nige roſenwangichte Maͤdchen, die mich durch-
aus erquicken, ſo oft ſie mir begegnen. Es
wird einem unter ihnen, als wandelte man zur
Fruͤhlingszeit in einem Bluͤthenregen. So voll
Muth, ſo voll Luſt ſind ſie, daß ſie Huͤlfe ru-
fen muͤſſen. Da hangen Sie denn an meinen
Armen, an meinem Halſe; entladen ihre Lip-
pen, und laſſen in ihren ſchuldloſen Augen mich
einen Zauber finden, womit ich alles vergeſſe.
Mit einer Wonne druͤcke ich ſie dann an mein
Herz, faſt als wenn es Liebe, daurende
Liebe waͤre. Und ſeht, gerade ſo treibe ichs
mit hundert andern Dingen; laſſe alles gut
ſeyn, und mir zu gute kommen, was nur gut
ſeyn mag. Ich werfe nichts auf den Boden,
trete nichts unter die Fuͤße; mag aber auch
nichts aufſpeichern von Menſchen Gunſt und
Achtung. Seht, wenn es mir wohl einmal
wird,
[17] wird, als ſollte dergleichen dauern, als er-
wartete ich es; ſo uͤberfaͤllt mich doch gleich eine
Schwermuth, ein Zagen, daß ich vergehen
moͤchte. Wie warm auch von auſſen mein
Herz ſich anfuͤhlt, wie von ſich ſcheinend es
auch iſt; ſo duͤnkt es mich doch alsdenn in der
Tiefe kalt. Ja, das iſt es, daß jede Anwand-
lung von Vertrauen, von Freundſchaft in mei-
ner Seele zum Trauer- und Schreckengedan-
ken wird; daß ich es gleich ſo hell vor mir
habe, daß es nur Wiedererſcheinung iſt jener
laͤngſt entwichenen Engelsgeſtalt, welche mir
in den Schooß ein Todtengerippe gab.
Ach! Clerdon, Amalia, Schweſtern,
zuͤrnt nicht uͤber Eure Sylli! Ihr wißt ja
meine Geſchichte zum Theil; — und wenn Ihr
ſie ganz wuͤßtet, Euch das alles offenbar waͤ-
re, was hier tief und feſt verſchloſſen liegt! —
Aber redet, zeugt; iſt es meine Schuld, daß
es ſo mit mir geworden iſt? War ich zaghaft,
weichlich; dachte ich wohl darauf, mir
Schmerz, Thraͤnen zu erſparen; brachte ich
B
[18] je etwas in Anſchlag, was nicht Liebe war?
Voll Muth, voll Zutrauen, im Glauben un-
beweglich, duldete ich nicht alles, wagte ich
nicht alles, gab ich nicht alles daran? Alles,
alles! — Was halfs! — Nach einander und
mit einander ſah ich alle ſie verdorren, die
Baͤume und Lauben in den Gefilden meiner
Jugend; ſah ich ſinkend ſie die Blumenbeete
unter ihnen verheeren!
O des unvergifteten Pfeils, der aus
Freundes Hand in euer Herz faͤhrt; den er
laͤchelnd darin umkehrt, und voll Unſchuld
fragt: wie kann das ſchmerzen? er
war ja nicht giftig!
Nicht die wider mich Gewalt und boͤſe
Tuͤcke brauchten, waren meine Verderber;
jene waren es, die nur ſachte von mir ab-
fielen, wie eine zeitig gewordene Frucht ab-
faͤllt, ihren Baum laͤßt, und mit ſeiner Fuͤlle
hinweg geht. Hoͤrt, ich bin nicht vom Blitze
zerſplittert, nicht abgehauen: nur ausgeſogen
[19] bin ich; habe noch Aeſte und Blaͤtter. Und ſo
mag der Stamm ſich erhalten, bis auch ſeine
Aeſte verdorrt ſind, die Blaͤtter verwelken und
nicht wieder kommen.
O, daß ich meinen Augen wehren koͤnnte,
umher zu ſchauen; wuͤßte, ſie wohin abzu-
wenden, weg von dem traurigen Einerley
menſchlichen Lugs und Trugs! Es iſt ein
wahrer Jammer, wie viel die Leute von ein-
ander fodern, erwarten, hoffen, ſich und ih-
ren Bruͤdern zutrauen, wirklich zu geben
und zu nehmen meynen. Jede Sonne
bringt unſterbliche Liebe, unſterbliche
Freundſchaft auf die Welt; wer nur nicht
wuͤßte, daß auch mit jedem Tage ein Abend
kommt, und was dreymal geſchehen
wird, ehe der Hahn kraͤhet. Am
meiſten dauren einen die guten Seelen, die,
wenn ſie einige Jahre zuſammen fortgeſchlen-
dert ſind, oder wohl gar von Kindesbeinen an
ihr Thun mit einander gehabt haben, und ihrer
Sache recht gewiß zu ſeyn glauben, nur Ein
B 2
[20] Schickſal, nur Ein Grab ſehen, allen Stuͤr-
men Trotz bieten, — am Ende doch ſich unver-
ſehens einander in den Grund ſegeln; oft, der
armſeligſten Grille wegen, geſcheitert da lie-
gen, ohne Rettung. Wohl ihnen, daß ſie
ſelten das Geheimniß ihres Schickſals verſte-
hen!
Ich habe lange ein Bild alles menſchlichen
Thuns und Seyns, unſerer ſogenannten
Laufbahn, in der Seele; ein aͤrgerliches,
aber richtiges Bild: den Gang im Krah-
ne. Mit zugeſchloſſenen Augen rennt jeder
vorwaͤrts in ſeinem Rade, freut ſich der zu-
ruͤckgelegten Bahn; weiß ſo viele Thorheiten,
ſo vielen Jammer hinter ſich; und merkt
nicht, daß dicht an ſeinem Ruͤcken dies alles
wieder empor ſteigt, von neuem uͤber ſein
Haupt, vor ſeine Stirne, und unter ſeine
Tritte kommt. Ich mag hievon nicht reden:
denn wer es am hellſten einſieht, hat es nur
um ſo viel beſſer, daß er in ſeinem Rade ſtille
ſtehen bleibt, die andern auslacht, oder be-
[21] ſeufzt — und ſich mit — — O, er iſt weit
am ſchlimmſten dran!
Wo ich hingerathen bin! — Es war mein
Wille nicht: aber nun ſey es mein Wille;
denn was ſchadet es? Ihr wißt ja, was tau-
ſendmal geſagt iſt: daß jeder ſeine Noth in
Augenblicken, wo er mit ſeinem ganzen Da-
ſeyn in ihre Vorſtellung uͤbergeht, als die
groͤßte fuͤhlen muß; und ſo laßt Euch denn
noch einmal geſagt ſeyn, daß es Eure Sylli
im Grunde doch in der Welt ſo ſchlimm nicht
hat. Glaubet mir, glaubt den Worten un-
ſers lieben Primroſe: „Die dunkelſten
„Gegenſtaͤnde, wenn wir ihnen naͤher treten,
„erhellen ſich, und das Auge des Gemuͤths
„bequemt ſich nach der truͤben Lage.” Auch
fuͤhrt ja Clerdon ſo oft die Verſe im Munde:
O glaubet, glaubt, ſo wenig auch der Zeugen
B 3
[22] dafuͤr ſeyn moͤgen: wer nicht weiß, wie man
ſich auf Dornen bettet, den hat die beſte Raſt
noch nicht erquickt!
Freylich waͤre alles dies Sagen nichts,
wenn mein Herz von den Menſchen los waͤre;
aber, gewiß, es haͤngt an ihnen mit ſeinen
beſten Nerven. Kann doch niemand ſich er-
wehren, die Kinder zu lieben, an denen wir
ſicher nicht mehr haben, und von denen wir
nicht mehr erwarten, als ich von meinen Men-
ſchen. So einen kleinen, huͤbſchen, muntern
Jungen, wenn ihr den an euch druͤckt, ihn
kuͤßt und herzt, und ihn nicht laſſen koͤnnt;
iſt das wohl, weil ihr den vortreflichen Mann
denkt, der vielleicht in ihm verborgen iſt? Nein;
das bloße Kind zieht euch an, wie es in dem
gegenwaͤrtigen Augenblicke vor euch leibt und
lebt; weil es iſt lieblich anzuſchauen, ſuͤſſen
Mund, freundliche, blickende Augen, huͤ-
pfende Glieder, Leib und Leben hat wie ihr,
und ſeine Nerven mit den eurigen Triller
ſchlagen. Ihr wißt, daß ihr ſeine Zuneigung
[23] mit Naſchereyen und Spiel erkauft, und ge-
nießet ſie darum nicht minder mit herzlichem
Wohlgefallen. Ihr trauert nicht, zuͤrnet
nicht, wenn ein anderer mit glaͤnzenderen Ge-
ſchenken oder hoͤherem Tanze es von euch ab-
lockt, und es euch dann nicht mehr mag, und
euch Bah! ſchilt; oder wenn es geradezu eu-
rer muͤde wird, weil ihr ſeine Laune nicht
laͤnger unterhalten, ſeine Begierden nicht alle
erfuͤllen konntet. Ich erſtaune, daß die Be-
merkung: wir Erwachſene ſeyen nur
aͤltere Kinder, meiſtens, wo nicht im-
mer, mit einer verachtenden bittern Miene,
und zum Behuf der Liebloſigkeit angebracht
worden iſt; da ſie mir der zuverlaͤßigſte Le-
bensbalſam zu ſeyn ſcheint.
Ja! helle Wonne iſt es, ſo die Menſchen
zu lieben; ohne Eitelkeit, ohne Anſpruͤche,
eben mit lauter Liebe. Da geht alles ſo
gerad und rein zum Herzen, und das Herz
iſt ſo maͤchtig. — O laßt, laßt mich nur
ſchweben im Limbus, bis ich vollendet werde!
B 4
[24]
V.
Clerdon an Sylli.
Liebſte Sylli, daß Du ſo lange nicht ſchrie-
beſt! Wir alle zerbrechen uns die Koͤpfe
daruͤber; die gute Amalia, die Nichtchen und
ich; jeder nach ſeiner Weiſe. Aber naͤchſten
Sonnabend kommt ſicher ein Brief von Dir;
denn ich weiß, Du laͤſſeſt meinen juͤngſten kei-
nen Tag unbeantwortet. In Faͤllen, die das
Herz angehen, will ich alles Gute mit weit
groͤßerer Zuverlaͤßigkeit von Dir, als von mir
ſelbſt, vorausſagen; denn Sylli kann da nicht
ſtraucheln. Du ſeufzeſt doch wohl nicht uͤber
meinen ſtarken Glauben?
Hier bey uns ſollteſt Du jetzt ſeyn, lieb-
ſte Sylli; daß wir Dich mit in unſere Rei-
hen ſchlaͤngen, den neuen Fruͤhling zu um-
tanzen. Die unwiderſtehliche Wonne des ge-
ſtrigen Tages mußt auch Du gefuͤhlt haben.
[25] Mich hat ſie ganz durchdrungen, und ſich
wie gelagert in mein Gebein. Mir iſt, wie ei-
nem Juͤnglinge, der ſo eben aus eines from-
men Maͤdchens Auge ſich die Seele voll Liebe
und Hofnung getrunken hat; ſo froh, und zu-
gleich ſo heimlich, im Buſen.
Fruͤh mit dem Morgen gieng es an. Ich
erwachte von der erſten ſanfteſten Daͤmmerung,
fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei-
nes Freundes, der mich zum unerwarteten
Wiederſehen aus dem Schlummer kuͤßte. Ich
ſtreckte meine Arme aus nach dem Liebens-
wuͤrdigen; irrte ihm nach, und fand ihn,
fand ihn — ſchaffend am Aufgange. — Wer
an einer Muſik fuͤr das Auge zweifelt, der
haͤtte dieſe Morgenroͤthe ſehen ſollen. Ein
ſolcher Engelsgeſang ſchwebte mir nie auf
Toͤnen in die Seele. Doch was weiß ich,
mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war
auſſer mir. Gleich im erſten Augenblicke,
beym Erreichen der Gegenwart, uͤberwan-
delte michs, durchſchauderte michs; dann tiefer
B 5
[26] in der Bruſt ein Beben, immer tiefer und inni-
ger; im geheimſten Buſen aufloͤſendes Beben,
das den Erdenſohn toͤdtete. Tod, ſchoͤ-
ner, himmliſcher Juͤngling! Des verweſenden
Theils entladen, flog ich in ſeine Arme,
ſank in ſeinen Schoos, war bey ihm, war
in ihm, in Ihm, der da iſt, und war,
und ſeyn wird; koſtete Allmacht, Schoͤpfung,
ewiges Bleiben in Liebe. — Ach,
Sylli, daß ich zuruͤckkehren, daß der Tag
kommen mußte!
Aber dennoch ein herrlicher Tag; einer
der ſchoͤnſten meines Lebens!
Mit dem erſten Blicke der Sonne, der
meine Augen auf die umher verbreitete herr-
liche Gegend niederlenkte, und mich der Erde
wiedergab, ſchoß mir lichtſchnell durch die
Seele ein Strafgedanke: welch ein ſuͤndliches
Weſen es doch ſey, dieſe herrliche Pracht
Gottes ſo uͤber Wall und Graben nur zu be-
ſchielen; nur etwa am Abend ein wenig dar-
[27] an vorbey oder hinterher zu ſchleichen: da
doch nichts wehre, ſich hinein zu lagern in
dieſe Herrlichkeit ganze Tage lang, ſich an-
zukleiden uͤber und uͤber mit dieſer Pracht
Gottes, zu genießen das ſeinige, den weiten
offenen Himmel, und die große offene Erde.
Ich raffte mich zuſammen, und zog hin-
aus in den vollen Sonnenglanz, wandelte,
und nahm Beſitz von Acker, Wieſe, Bach,
Wald und Strohm, Hoͤhe und Tiefe, Him-
mel und Erde. Und als ich nun an den Huͤgel,
mein Ziel, gelangte, hinankletterte, endlich
droben ſtand und weit umherſchaute; da
huͤpfte in meinem Blut, pochte in meiner
Bruſt, trotzte in meinem Gebein, und ſchau-
derte in meinem Haar, jauchzte, klang und
ſang in allen meinen Nerven, Liebe, Luſt
und Macht zu leben.
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
[28]
Dieſe Punkte, liebſte Sylli, bedeuten eine
gewaltſame Unterbrechung; eine Pauſe, die
ich nun dem Liede muß ein Ende machen laſ-
ſen, weil ich Ton und Tact verloren habe.
Ich war eben im Begriff meinen zweyten
Theil anzuſtimmen, da Allwill im Phaeton
vorgefahren kam, und mir keine Ruhe ließ,
ich ſollte mit Amalia vor Tiſche mich von ihm
ſpatzieren fuͤhren laſſen; dagegen wollte er zu
Mittag unſer Gaſt ſeyn. Wer nicht nachgiebt,
das iſt Allwill: alſo geſchah, was er ver-
langte. Nun bin ich zerſtreut, und darf nicht
daran denken, mich wieder in die Stimmung
von heute fruͤh verſetzen zu wollen. Beſſer,
ich erzaͤhle Dir von Allwill, nach welchem,
wenn ich nicht irre, Du ſchon zweymal ge-
fragt haſt. Ich werfe Dir nur einige Zuͤge
von ihm hin. Meine Frau, die ſich des jungen
Menſchen — er iſt noch nicht vier und zwanzig
Jahre alt — annimmt, um ihn zu beugen und
zu beſſern, wird Dir ausfuͤhrlichen Bericht
von ihm erſtatten.
Seitdem Du ihn ſaheſt, hat er ſich ſehr
[29] ausgebildet; aber ein unbegreifliches Durch-
einander von Menſch iſt er noch immer.
Sein Vater erzaͤhlte juͤngſt von ihm, er
waͤre, als Knabe, ſeit ſeinem dritten Jahre
nie heil geweſen, haͤtte immer ein Paar
Beulen am Kopfe, und Wunden uͤberall ge-
habt. Man wird nicht muͤde, den guten
Major von den ſeltſamen Streichen des Kna-
ben erzaͤhlen zu hoͤren; und wie er ſelbſt und
die Herren Praͤceptoren ihn eben fuͤr kein Kind
guter Hofnung gehalten haͤtten: weil er, bey
aller ſeiner Lebhaftigkeit, im Studieren doch
ſehr traͤge, und bey aller ſeiner Gutherzigkeit
aͤuſſerſt hartnaͤckig, ausgelaſſen und trotzig
geweſen waͤre. Fuͤr etwas ſchwach am Geiſt
hielt man ihn, weil ſeine Cameraden ihn beſtaͤn-
dig uͤberliſteten, ohne Muͤhe ihn zu allem be-
redeten, und ihn die Zeche uͤberall bezahlen
ließen. Mir fallen eben ein Paar Zuͤge ein,
die kurz und leicht zu erzaͤhlen ſind.
Gegen ſein ſechſtes Jahr hatte er ſich in
den Kopf geſetzt, ſein treues Schaukelpferd,
[30] genannt der Fuchs, wuͤrde lebendig werden,
wenn er ihm eine lebendige Fliege beybringen
koͤnnte. Er quaͤlte ſich unermuͤdet mit den Zube-
reitungen zu ſeinem Verſuche, der ſo leicht
nicht angeſtellt werden konnte, weil die Schau-
kelmaſchine nicht hohl war. Einſt, als er ſie
ſehr heftig in Bewegung brachte, ſo daß ſie
mit den vorderſten Enden beſtaͤndig auf den
Boden ſtieß, ward er unverhoft inne, daß ſie
fortrutſchte. Nun trieb er ſein Thier ſtaͤrker
an, und gelangte ziemlich geſchwinde mit ihm
bis an das entgegengeſetzte Ende des Ge-
machs. Seine Freude war ausgelaſſen. Kein
Menſch vermochte ihm auszureden, daß ſein
Fuchs zu leben anfange, und fuͤr nichts in der
Welt waͤre er mehr von ſeiner Seite gewichen.
Es ward Mittag, und Eduard hatte keinen
Hunger. Sein Vater ließ ihm ſagen: er
ſollte wenigſtens herunter kommen; aber ſo
ſehr er ſonſt den Major fuͤrchtete, konnte er
diesmal nicht gehorchen. Alle Leute im Hauſe,
die ſchon im Geiſte ihren lieben Eduard bis
aufs Blut peitſchen ſahen, liefen hinauf, fle-
[31] heten, ſchmeichelten, verhießen, drohten:
alles war umſonſt. Der Major, der ſchlech-
terdings gehorcht ſeyn wollte, befahl, den
Knaben mit Gewalt herunter zu ſchleppen.
Das geſchah. Nachdem er weidlich ausge-
ſcholten worden, ſollte er ſich zu Tiſche ſetzen.
Nein; er hatte keinen Hunger. Man droh-
te, zwang; alles vergeblich: er ſah nur ſei-
nen Fuchs, und den Himmel offen. Da nun
aber ſchlechterdings ihm der Kopf gebrochen
werden ſollte, ſo blieb nichts uͤbrig, als ihn
tuͤchtig abzupruͤgeln, und von ſeinem Fuchſe
zu trennen, welches denn unverzuͤglich alſo
ins Werk gerichtet wurde, daß man ihn auf
ein Paar Stunden in ein finſteres Loch ſperrte.
Einige Zeit nachher hatte er ſich Abends
im Dunkeln auf ein hohes Geſtell geſchlichen,
in der Abſicht, einen großen Sprung zu ver-
ſuchen, den er nach vielen Uebungen und
Succeſſen jetzt glaubte wagen zu duͤrfen. Er
ſprang herzhaft zu; ſtuͤrzte aber ſo gewaltig,
daß man fuͤrchtete, das Naſenbein waͤre ent-
[32] zwey. Kleinigkeit! Aber am folgenden Tage
vor dem Vater zu erſcheinen! Alles in der
Welt; nur das Ausſchelten konnte der Junge
nicht leiden. Man hatte es diesmal leicht bey
dem Major dahin gebracht, daß er ſeinem
Eduard alle Strafe, und noch oben drein das
zu Tiſche Sitzen erließ. Nun aber ſollte
nach dem Eſſen der Junge denn doch vor ihm
erſcheinen; und da entſtand große Noth. Der
ſchuͤchterne Starrkopf wollte durchaus nicht
hinunter, bis ſein aͤlterer Bruder Wilhelm,
ein feiner, beredter, doch aber grundguter
Knabe, ihn unter den heiligſten Verſicherun-
gen, der Vater werde der zerquetſchten Naſe
mit keiner Miene erwaͤhnen, endlich dazu ver-
mochte. Große Muͤhe hatte es dennoch ge-
koſtet, weil Wilhelms Kunſt Eduard ſchon in
ſo manchen ſchlimmen Handel verwickelt hat-
te; aber eine unverſiegende Quelle von Glau-
ben im Grunde ſeines Herzens uͤberſchwemmte
immer bald ſein Gedaͤchtniß, ſo daß er auch
noch von dieſer Seite nicht viel weiſer gewor-
den iſt. Nun wanderte Eduard an des Bruders
Hand
[33] Hand zum Major, der ihn verheißenermaßen
ganz milde anſah; doch aber zu bemerken nicht
unterließ: er wuͤrde ihm wohl muͤſſen ein
Naſen-Futteral machen laſſen. Raſch dreht
ſich mein Eduard; und zu Wilhelm: „Du
Luͤgner!” mit einem ſo kraͤftigen Stoße, daß
dieſer vier Schritte weit ruͤcklings in einen
Sandtrog tummelte. Der Major entſetzte
ſich, und warf den Thaͤter, als das veraͤcht-
lichſte Ungeheuer, von ſich.
Dergleichen begab ſich alle Tage; aber
Eduards Muth und guten Humor beugte von
dieſer Seite nichts. Wenige Menſchen haben
mehr Schlaͤge erlitten; denn nie wollte er ſie
durch willige Uebernehmung nur der kleinſten
Schmach abkaufen, noch den Unwillen ſeiner
Vorgeſetzten durch Thraͤnen oder Flehen mil-
dern. Er ſelbſt erzaͤhlte mir neulich, daß er
einſt nahe auf den Tod gegeißelt worden ſey,
da ſein Praͤceptor ihn durch Sokratiſche Fra-
gen zu dem Geſtaͤndniſſe verſucht: Pruͤgel
waͤren Wohlthaten; und er ihn immer
C
[34] durch verſtellte Albernheit aus der Schlußfol-
ge gebracht habe. Fuͤr ſeine Cameraden uͤber-
nahm er mehrmals Schuld und Strafe; nicht
ſowohl aus Freundſchaftsenthuſiasmus und
Mitleid, als weil ihm vor ihrem Flehen und
Heulen waͤhrend der Execution unertraͤglich
ekelte. Bey allem dem nicht ein Schatten von
Dreiſtigkeit; im Gegentheil ſo ſchuͤchtern, ſo
demuͤthig gegen jedermann, wovon er Gutes
dachte; zugleich ſo vorliebend, ſo dankbar, ſo
mild und ſo gut, daß er den meiſten, theils
fuͤr einen Tropf, theils fuͤr einen Schmeich-
ler galt.
Vor Unwahrheit, ja vor bloßem Irrthum
… Gut, daß ich hier ein neues Blatt ſuchen
mußte, ſonſt waͤre mir ſchwerlich eingefallen,
daß in einer Viertelſtunde die Poſt abgeht.
Wenn Du willſt, ſo komme ich naͤchſtens auf
dieſe Materie zuruͤck, und erzaͤhle Dir von
den Contraſten im kleinen Eduard: wie
er bey aller ſeiner Unbaͤndigkeit nicht wild,
ſondern zur Stille, zum vertraulichen Leben
[35] geneigt war; wie er bey ſeiner heftigen Be-
gierde nach ſinnlicher Luſt, bey ſeiner Unbe-
ſonnenheit im Handeln, doch immer gruͤbelte,
und mit ganzer Seele an unſichtbaren Gegen-
ſtaͤnden hieng; wie er im vierzehnten Jahre ein
Pietiſt geworden, u. ſ. w. — Es iſt unaus-
ſprechlich reizend, alles dieſes vom Kinde zu
wiſſen, und hernach den Juͤngling zu beobach-
ten: wie es immer noch dieſelbigen Karten ſind;
nur etwa ein Paar dazu oder davon, anders
gemiſcht und anders geſpielt.
- N. S. Mir faͤllt ein, Dir einen Brief bey-
zulegen, den Eduard mir juͤngſt aus
Kambeck ſchrieb. Ich muß ihn aber un-
fehlbar zuruͤck haben, um ſeine erſte
Haͤlfte dem Verfaſſer einmal wieder
vorzulegen. Die Waldbegebenheit wird
Dich freuen.
C 2
[36]
VI.
Beylage zu Clerdons Briefe.
Eduard an Clerdon.
Es war gar nichts von einem Schlagfluſſe,
mein Beſter, was Ihnen ſo fuͤrchterlich be-
ſchrieben worden iſt; nur ein heftiger Schwin-
del, der ſeine guten Urſachen hatte. Es iſt
nun wieder beſſer, und mir nicht mehr bey
Strafe — des ewigen Lebens, oder — des
Tollhauſes verboten, zu leſen, zu ſchreiben,
oder ſonſt etwas menſchliches zu beginnen.
Auch ſcheint die Sonne wieder am heitern
Himmel; die Luft iſt ſtill; ich und die ganze
Natur, wir ſind bey gutem Humor.
In unſerm C * * heißt es alſo, ich ſey der
Frau von Kambeck im Netze; oder noch beſ-
ſer: ich liege ihr zu Fuͤſſen, bete ſie an?
Mag es doch! Aber Sie, lieber Clerdon,
[37] ſollen die Sache beſſer wiſſen. Hoͤren Sie
mein ganzes Geheimniß. Der Umgang des
andern Geſchlechts reizt mich unendlich; die
artigen Geſchoͤpfe haben ſo etwas ſanftes, an-
ſchmiegendes, was mir behagt. Neben ihnen
ſtimmt allmaͤhlich das allzuheftige in meiner
Empfindungsart ſich herab; ſie ſtehlen mir
Gleichmuͤthigkeit und Ruhe ins Herz. Kommt
nun gar noch eine etwas naͤhere Beziehung
hinzu, und ich fahre mit meiner Juno dro-
ben auf den Wolken, und die Stutzerchen un-
ten klettern die Berge hinan, und thuͤrmen
ihre Felſen auf einander — o, Clerdon! das
bringt immer richtig meinen Satan um ſein
Latein; es iſt ſo gut, als ob er in einen Weih-
keſſel ſcheiterte, und ich — habe gewonnen
Spiel. Aber bey allem dem, oder vielmehr
eben deswegen, iſt es mir ein unertraͤglicher
Gedanke, von eben belobten Goͤttinnen irgend
eine anzubeten; ihr in ganzem Ernſte zu Fuͤſ-
ſen zu liegen. Vor Jahren, ja; da waren Ro-
lands Thaten auch meine Sache: allein ich
wurde doch ziemlich bald inne, wie es im
C 3
[38] Grunde mit meinen Unſterblichen beſchaf-
fen war, und bemuͤhte mich gluͤcklich, den
Willen des allgewaltigen Schickſals auch zu
dem meinigen zu machen.
Lieber, ich habe nichts dagegen, daß es
Clariſſen, Clementinen, Julien, und ſogar
heilige Jungfrauen von unbefleckter Empfaͤng-
niß uͤberall gebe: aber, ich bitte, nur kei-
nen zu großen Laͤrm davon! Denn ſeht, dieſe
erhabenen Einbildungen ſind Schuld, daß ſo
viele Menſchen veraͤchtlich von denen Weibern
denken, die Gott gemacht hat; von Weibern
fuͤr dieſe Erde; und nicht fuͤr den Mond,
wohin dieſe Herren den Weg ſuchen. Sie
ſchelten und klagen uͤber Grauſamkeiten, Treu-
loſigkeiten, Abſcheulichkeiten, Schandthaten,
die ſie von ihnen erfuhren; da doch die guten
Geſchoͤpfchen mehrentheils nicht einmal wiſſen,
was das fuͤr Sachen ſind. Toll, daß wir
ſo hart gegen ſie verfahren! Laſſen wir ſie,
wie die Natur ſie beliebt hat, ohne ſie zu
Engeln martern und verſuchen zu wollen;
[39] alsdenn werden ſie uns ſehr gerne lieben, und
mit ſo viel Innigkeit, Veſtigkeit und Groß-
muth, als ihre artigen lieben Seelchen nur
vermoͤgen.
Ich muß meiner ſpotten, und mich aͤr-
gern, wenn ich zuruͤckdenke, wie ich ſonſt nie
an einem Maͤdchen hangen konnte, ohne mich
aus allen Kraͤften zu bemuͤhen, es nach ei-
nem gewiſſen Muſter, das ich im Kopfe hat-
te, umzubilden. Sie erinnern ſich doch jener
Amerikaniſchen Wilden, die zwiſchen zwey
Brettern ihren Kindern Kopf und Hirn quet-
ſchen, und ſie zu Ungeheuern verſtellen; in
der loͤblichen Abſicht, ſie der vergoͤtterten
Sonne und dem vergoͤtterten Monde aͤhnlich
zu machen. Gerade ſo war auch mein Thun;
und waͤhrend ich mit dieſer Narrheit mich
ſchleppte, habe ich ſchreckliche Leiden erduldet.
Alle Augenblicke waren meine Geſtirne in
Verfinſterung; und ſo arg ich auch laͤrmte,
um den haͤßlichen Drachen, der ſie zu er-
haſchen lauerte, fortzuſcheuchen, mußte ich ihn
C 4
[40] zuletzt doch immer ſie vor meinem Angeſichte
jaͤmmerlich verſchlingen ſehen. So vieler un-
gluͤcklichen Erfahrungen muͤde, ſprach ich einſt
an einem fruͤhen Morgen ſehr weislich zu
mir ſelbſt: Es iſt Ja wahr, daß weder
Aſpaſia, noch Danae, noch Phyllis, noch
Melinde, noch ſo viele andre Namen, die du
wohl weißt, Namen von Sternen am Him-
mel ſind: aber ſag' an! zecht man nicht oft
beym Wachslichte froͤlicher, als man im hoͤch-
ſten Sonnenglanze tafelt? Nun, ſo genieße
der kleinen Feſte, und laß die wunderbaren,
ungeheuren Herrlichkeiten, womit es, ohne
den Zauberſtab des großen Merlin, doch nie
recht gelingen kann. — Seit dieſer Zeit, was
fuͤr Abentheuer mir auch im Gebiete der Liebe
zugeſtoßen ſind, habe ich nie wieder an mei-
nen Schoͤnen, Hoͤrner, Fiſchſchwaͤnze, oder
Krallen wahrgenommen; ſondern — es mir
immer wohl ſeyn laſſen.
Von hier komme ich vor Anfang der kuͤnf-
tigen Woche ſchwerlich weg. Ich ließe mich
[41] auch gern halten, wenn nur der junge Graf
von Batuff nicht waͤre, den mein boͤſer Geiſt
hieher gebannt hat, und der mir alle Augen-
blicke etwas unangenehmes mit ſich zu ſchaffen
macht. Er verſtimmte mich gleich im erſten
Augenblicke, da ich hier ins Schloß trat. Sie
wiſſen, daß mein Praͤſident mir den Auf-
trag gab, auf dem Wege hierhin ein Paar
Stunden umzureiten, um die neue Waſſerma-
ſchine in dem Bergwerke zu D * * * in Augen-
ſchein zu nehmen. Ich that das ſo kurz ab,
als moͤglich; und ritt nun in geſtrecktem Trabe
durch den Wald auf Kambeck zu. Ungefaͤhr
in der Mitte des Waldes ſah ich zwey aus-
geſpannte Pferde, einen umgeworfenen Kar-
ren, und den Fuͤhrer, an einen Baum ge-
lehnt, daneben ſtehen. Der arme Kerl hatte
alles ſein Holz abgeladen; auch das eine Rad
ausgenommen: war aber dennoch nicht im
Stande geweſen, den eingeſunkenen Karren
in die Hoͤhe zu luͤfren. Der Vorfall — wie
ichs nehmen mochte — kam mir ungelegen.
Ich ritt vorbey; aber vermuthlich hatte mein
C 5
[42] rechter Arm ſich mechaniſch zuruͤckgezogen;
denn mein Pferd kam aus dem Trabe. Den
Augenblick wurde es mir auffallender, ich ſey
nicht auf der Flucht; und ſo wurde Meiſter,
was recht war. Ich ſtieg ab, und bot dem
armen Huͤlfloſen meine Dienſte an. Ein
Blick auf meine goldene Einfaſſung, mit einem
bittern Laͤcheln, erwiederte mir, daß ſeines
Gleichen von Vornehmen keinen Beyſtand,
wohl aber den grauſamſten Spott zu erwar-
ten habe. Dies war ein Blitz in meine Seele,
Clerdon! Ich fuͤhlte alle Schimpfreden und
Pruͤgel, die ich unfehlbar dem Menſchen ge-
geben haͤtte, wenn er in aͤhnlichen Umſtaͤnden
mich angetroffen, und ſeine Huͤlfe mir ver-
ſagt haͤtte. Ohne weiteres griff ich den Kar-
ren mit ſolcher Kraft an, daß er in einem
Rucke auf der entgegengeſetzten Axe ruhte; dann
flog ich auf das Rad zu, und rollte es herbey;
der Karren wurde hervorgezogen und das Rad
eingeſetzt. Ich wollte dem Manne auch ſein
Holz wieder aufladen helfen; aber das litt er
ſchlechterdings nicht, ſo herzlich auch mein
[43] Bitten war. Er fuͤhlte nicht, was fuͤr eine
Wohlthat er mir erwieſen haͤtte. — Ach, wie
zufrieden der Arme mit mir war; wie er mir
dankte; mich bewunderte; es nimmer vergeſ-
ſen; es ſeinen Kindern, dem ganzen Dorfe
erzaͤhlen wollte! Großer Gott! ich meinte
vor Schaam, Unwillen und Schwermuth zu
verſinken, und waͤre diesmal gewiß nicht nach
Kambeck geritten, wenn ich nur ſonſt wohin
gewußt haͤtte. Ich kam ſpaͤt an. Aus mei-
nem uͤbelzugerichteten Anzuge ward geſchloſſen,
ich ſey mit dem Pferde geſtuͤrzt. Ich erzaͤhlte
meine Geſchichte. Graf Batuff ſtand ausge-
ſpreitzt mir dicht vor der Naſe, und hoͤrte mit
dem Ihnen an einigen der Gattung wohl be-
kannten, Anmaßung und Leerheit auf den er-
ſten Blick verrathenden Laͤcheln zu, welchem
diesmal des Grafen Bewußtſeyn eigener
Erhabenheit uͤber dergleichen Schwach-
heiten, wie ich mir hier eine hatte zu Schuld
kommen laſſen, etwas mehr Ausdruck und
Leben gab. Kaum war ich mit der Erzaͤhlung
zu Ende, ſo brach er mit einem ſchon laͤngſt
[44] dagegen im Hinterhalte lauſchenden Einfall
hervor. Es iſt ein Gluͤck, ſagte er, — zu
der Frau von Kambeck ſich wendend — daß
dem Bauer die Pferde nicht durchgegangen
waren, und er ſelbſt nicht mit einer ſtarken
Bleſſur da lag; ſonſt haͤtte Allwill ſeinen
Englaͤnder einſpannen, und den lieben
Naͤchſten heimkarrigen muͤſſen. — Herr
Graf, erwiederte ich, ſie urtheilen vielleicht
zu guͤnſtig von mir; denn ich haͤtte ja ſo
nahe meinen armen Bauer huͤlflos gelaſſen,
und waͤre — ein hartherziger Schurke gewe-
ſen. So leiſe ich, aus guter Lebensart, das
Wort Schurke ausſprach, ſo war es doch,
gebraͤuchlicher maßen, der Frau von Kambeck
nicht entgangen. Sie veraͤnderte die Farbe,
und in den Augen des Grafen ſah man —
daß es ihm ſeltſam wurde in ſeinem Einge-
weide. Aber ich fuhr fort, und ſchwatzte mir
das Herz ganz rein, und ruhte nicht, bis ich
alle Schimpfworte und Pruͤgel, worunter
ich mich den Morgen geaͤngſtigt, auf den
jungen Herrn, der das Wort Menſch in
[45] keiner andern, als in der veraͤchtlichſten
Nebenbedeutung kannte, vollzaͤhlig abgela-
den hatte. Damit war es denn gut — fuͤr
diesmahl.
Wollen Sie es wohl, lieber Clerdon, bey
meinem Praͤſidenten in das rechte Licht ſtellen,
daß ich einige Tage laͤnger ausbleibe; und es
auch meinem Vater zu wiſſen thun?
[46]
VII.
Amalia an Sylli.
Morgens um halb ſieben.
Geſtern Nachmittag kamen Eduard, der
Herr von Kambeck und ein Offizier, den Du
nicht kennſt, und entfuͤhrten meinen Clerdon
nach Born, wohin dieſen Morgen eine Kuppel
Engliſcher Pferde kommt. Dem guten Cler-
don war es gar nicht darum zu thun; aber
Du weißt, wie er ſich beſchwatzen laͤßt. —
Alſo bin ich jetzt allein mit meinem Caffee,
und in der betruͤbten Lage, alles Fette der
Milch in meine eigene Taſſe ſchoͤpfen zu muͤſ-
ſen. Ich fieng an zu leſen; aber ſchon auf
der zweyten Seite gieng mir dies und jenes
durch den Kopf, das mit Dir zu ſchaffen hatte;
ich konnte der Zerſtreuung nicht wehren, und
legte das Buch weg. Liebe Sylli! der Him-
mel iſt nicht heiter, und dies iſt Schuld, daß
mein Cabinet weniger ſchoͤn iſt. Ich habe ein
[47] Fenſter geoͤffnet, und bin ein Weilchen daran
ſtehen geblieben, um meinen Freunden nachzu-
ſinnen; und jetzt, bis meine Knaben kommen,
will ich ein wenig mit Dir plaudern.
Zuerſt von unſerm Jammer, unſerm Ver-
druß, Aerger, Zorn (was hievon es eigentlich
ſeyn muͤſſe, wiſſen wir eben, leider! noch
nicht) uͤber das ungewoͤhnlich lange Ausbleiben
Deiner Briefe. Clerdon will alles ſein baares
Geld darauf verwetten, (wie viel meynſt Du,
daß wir ihm dagegen ſetzen?) daß wir mit
dem erſten Poſtillon mehrere Briefe auf einmal
von Dir erhalten werden. So viel iſt gewiß,
daß das U..r Paket ſchon zwey Poſttage aus-
geblieben iſt. Eine Ueberſchwemmung, die bey
E * * die Bruͤcke weggeriſſen und gewaltigen
Schaden angerichtet hat, ſoll Schuld daran
ſeyn. Schon am Montage glaubten wir, es
koͤnne nicht mehr fehlen, ein Brief von Dir
muͤſſe kommen; und doch wars gefehlt: und
ſo gings alle folgende Tage; nur daß an jedem,
mit unſerer Hoffnung, auch unſere Zweifel
[48] ſtiegen, und wir von einer Unruhe ergriffen
wurden, mit welcher ſchlechterdings kein Ver-
trag noch Auskommen war. Die Nachricht
von der großen Ueberſchwemmung, und den
ausgebliebenen U..r Paketen, begleitet von
Clerdons Zureden und kuͤhner Wette, hat uns
von neuem ein wenig eingewiegt. Jene Sorge
abgerechnet, liebſte Sylli, bin ich jetzt ſo ganz
gluͤcklich, ſo ganz zufrieden, ſo ruhig froh des
Lebens! — O, laß Dirs wohl gehen, Sylli;
laß Dirs ja wohl gehen, und mache mir die
ſchoͤnen Tage nicht zu Schanden!
Da kommen meine drey aͤlteſten mit großem
Jubel von einer Spatzierreiſe uͤber die Donau
nach Hauſe, und ſind gar herrlich und guter
Dinge. Wie viel Freude mir die Knaben ma-
chen! Alle drey fuͤhren ſich ungemein gut —
und Heinrich muſterhaft gut auf. Dieſer
wird allgemach ein ſo lieber Junge, daß auch
ſein Vater anfaͤngt, weniger Arges von ihm
zu
[49] zu denken, und Carl, den Topinambu, nicht
mehr ſo grauſam vorzieht. Sein Virtuoſo iſt
ordentlich verliebt in ihn. In etlichen Wochen
ſoll er ſchon die Ouvertuͤre vom Deſerteur ſpie-
len; und aus Luͤcile und andern Operetten, die er
auffuͤhren ſah, geigt er eine Menge Sachen
mit einer ſolchen Herzensluſt, daß man ſich
gern duͤnken laͤßt, er mache es ſo ſchoͤn wie
moͤglich. Gewiß der Junge wird ganz muſika-
liſch, und verdient den erſten Platz in meiner
Capelle; und ich habe es geſchworen, kein an-
derer ſoll ihn darum bringen. — Auch Herr
Bering und Herr Kamp ruͤhmen ihn ſehr; und
da Georg ihn nun alle Tage fein ordentlich
friſiret, ſo wuͤrdeſt Du viel Freude an ihm er-
leben. Von dieſem kleinen Heinrich verkuͤn-
digt Heinrich der Große, daß er bey un-
ſerm Geſchlechte dereinſt in hohem Anſehen
ſtehen, und zu großen Ehren gelangen werde.
In der That wird ſeine Bildung taͤglich einneh-
mender. Aber, ach, der Knoten, der Knoten
unter dem Kinn! Beym Anſehen nimmt man
ihn nicht wahr; aber ich habe ihn in allen Fin-
D
[50] gerſpitzen, und kann mir ihn unmoͤglich aus
dem Sinne ſchlagen. — Nun, das heißt von
Buben geſchwatzt! Wenn es Dir diesmal lan-
ge Weile macht, ſo bedenke, liebe Sylli, daß
Du mich durch Deine herzwillige Theilnehmung
an allem dergleichen verwoͤhnt und verſtockt
haſt. Gegen andere Leute rede ich … Ich
hoͤre Clerdon!
Es iſt ſchon neun Uhr. Ich ſchlief bis
halb ſieben, und erſchrack faſt ſo ſehr, als ob
ich — mich todt faͤnde. Laß mir das Gleich-
niß, und hoͤre weiter. Ich bin im Neglige;
oͤffne die Thuͤre: — Was um des Himmels
willen? — Ja gewiß! Denke, Sylli; da
ſitzt meinem Clerdon gegen uͤber ganz unver-
ſchaͤmt in meinem Seſſel Eduard, und laͤßt es
ſich wohl ſchmecken aus meiner Schale. Ich
wollte, Clerdon ſollte ihn bey den Haaren aus
dem Seſſel nehmen; aber er rief aus allen
Kraͤften: Ausſtand! „Sehn Sie doch, meine
[51] „Gnaͤdige, ich bin noch nicht friſirt!” —
Alſo beſchied ich ihn auf den Mittag. Nun
ward mir bedeutet, er habe meinen Caffee
bloß deswegen zu ſich genommen, weil er
kalt geweſen waͤre, und mir ein beßeres Fruͤh-
ſtuͤck gebuͤhrte. Es war auch ſchon dafuͤr ge-
ſorgt. Im Camin ſtand ein Schokolaten-
Topf, welchen, mit allem Zubehoͤr, der
wackere Ritter im Huy auf der Serviette
hatte, und mit dem beſten Anſtande mich da-
mit bediente. War das nicht ſehr artig,
Sylli? Aber Du magſt es glauben, oder nicht;
unſer Beyſammenſitzen und Geſchwaͤtz war
doch wohl eben ſo viel werth. Allwill iſt ein
recht wackerer Junge, und ich traue ihm vor
manchen Seiten ſehr; von andern Seiten aber
traue ich ihm nicht: es iſt etwas von Ruchlo-
ſigkeit in ihm. Clerdon will das immer be-
ſchoͤnigen.
Nun iſt in meinem Hausweſen alles beſtellt,
mein Kopf zurecht gemacht, und fuͤr Dich noch
eine Stunde aufgehoben. Heinrich, Carl
D 2
[52] und Ludwig wurden geſtern Abend nach
Heimfeld(*) abgeholt, wo ſie bis morgen
bleiben; und ſo kam heute Ferdinand ganz
allein Morgen ſagen, und hatte Sophiechen
an der Hand. Der arme Edmund, wie Du
weißt, ſagt noch nichts. Von Sophiechen
moͤchte ich Dir gern viel erzaͤhlen, wie es ſo
hold, ſo fromm, ſo gehorſam, ſo ſchmeichelnd
iſt. Der Papa iſt platt verliebt in das kleine
Ding. Eben war es an der Thuͤre, und fragte:
ob es kommen duͤrfte? Ich antwortete: Nein,
weil ich noch zu ſchreiben haͤtte; darauf ſchlich es
ganz ſachte herbey, kuͤßte mir die Hand, und
gieng ohne weiter ein Wort zu ſagen wieder fort.
Dergleichen Zuͤge haͤtte ich Dir eine Menge zu
erzaͤhlen. Und denke! das Maͤdchen wird im
May erſt zwey Jahre alt. Liebe Sylli, ja,
genau ſo wie Du neulich ſchriebſt, ſoll alles
werden, und ſeyn, und bald kommen. Der
[53] kleine Edmund, den Du bisher nur aus den
Portraits kennſt, die Albano von ihm gemacht
hat, mit ſeinen großen hellbraunen Augen,
deren Augaͤpfel man ſo klar da ſieht, wo lau-
ter Herzens-Froͤhlichkeit und Guͤte heraus
kommt; der ſoll Dich gleich anlachen und an-
jauchzen, wie er lacht und jauchzt, wenn er
recht ausgeſchlafen hat. Ohne Gutſel ſoll der
Knabe Dich lieb haben; oder er waͤre nicht
unſer Fleiſch und Blut, haͤtte nichts von mei-
nem, nichts von Clerdons Herzen mitbekom-
men — Siehe, ich kann dieſe Saite nicht be-
ruͤhren, ohne daß es mir inwendig zittert, und
mir Thraͤnen in die Augen kommen; aber dieſe
Thraͤnen, o wie ſuͤß! Engel Sylli, Du mußt
kommen und ſehen, wie unſer Clerdon mit jedem
Tage mehr Vater und Hausvater, uͤberhaupt
umgaͤnglicher wird; wie er ſich mit ſeinen Kin-
dern herumtreibt, ſich immer freut, wenn ihm
eins in den Weg kommt, und wie er dieſe
Freude dem Unſchuldigen immer lohnet. Mit
Ferdinand iſt des Singens und Springens
oft kein Ende; und da laͤßt er alles mit ſich an-
D 3
[54] fangen, ſich zauſen und hudeln, daß wir alle
herum ſtehen und lachen und bange werden.
Gewiß, Sylli; er wird ordentlich mit zum Bu-
ben; hilft ihnen allerhand Streiche ausfuͤhren
und erdenken; und wenn ſie denn wohl ein-
mahl das Ding beſſer verſtehen und ihn aus-
lachen; und er da ſteht, der Liebe, als der
Kinder Spott, und die ausgelaſſenen Knaben
herumtaumeln um den Cameraden, und
jauchzen und lachen; und nur ich aus mei-
ner Ecke in ſeinem Auge den Vater ſehe und
den Mann, den Meinen! — Ach, Sylli! dann
beben dem ſchwachen wonnevollen Weibe die
Glieder; es ſinkt in die Arme des Liebens-
wuͤrdigen, haͤngt an ſeinem Halſe — und Erd
und Himmel moͤchten nur vergehen!
Bin ich nicht allzugluͤcklich, Sylli? So
einen Gatten; ſo wohlanlaſſende Kinder; ſo
liebe treue Gefaͤhrtinnen, wie Lenore und Claͤr-
chen, die Engel, meine Schweſtern und Toͤch-
ter; ein ſchickliches Auskommen; Stand, An-
ſehen, und Hoffnung; und um das alles her
[55] einen ſo ſchoͤnen, lieben Kranz von Freunden!
Aber, ſage mir, Sylli, ob die Leute meinen,
man koͤnne das alles haben, ohne daruͤber
froͤhlich, ohne herrlich zu ſeyn? Es muß wohl;
denn wie wuͤrde ich ſonſt ſo oft gefragt, was
ich doch habe, daß ich ſo heiter und vergnuͤgt
ausſehe? Gerade als ob das ein Wunder
waͤre, was doch gar nicht anders ſeyn kann.
Dir, beſte Sylli, ſollte ich vielleicht das Bild
meiner Gluͤckſeligkeit nicht ſo lebhaft vor Au-
gen ſtellen; aber eben weil Du es biſt, darf
ichs. Du weißt, wie mich der Gedanke
anzieht, dies alles mit Dir zu theilen; wie
mein Herz ſo laut ſchlaͤgt vor Verlangen Dich
zu haben und — mit gluͤcklich zu machen:
und wie ich dann auf einmal wieder nicht
gluͤcklich bin; manche Thraͤne um meine Sylli
fallen laße — O, das weißt Du alles, meine
Gute, meine Beſte; denn Du kennſt Deine
Meli durch und durch. War Dirs nicht,
als wenn Dein ganzes Inneres ſich beſtaͤndig
von einer Seite zur andern hinbewegte, wenn
Du etwas Widriges von uns vernahmſt? So
D 4
[56] iſt mir; und eine ſtachelnde Unruhe laͤßt mich
keinen Augenblick zufrieden, wenn ich weiß,
daß Du unpaͤßlich, mißvergnuͤgt oder ſchwer-
muͤthig biſt. Nach Deinem juͤngſten Briefe
ſcheinſt Du jetzt ziemlich geſund; auch machen
Dir die ** und die *** noch manche Stun-
de angenehm, wofuͤr ich ihnen ſo herzlich gern
dankte, wenn Dank hier Platz faͤnde.
Du wirfſt mir vor, daß ich Dir nicht
mehr von Ferdinand erzaͤhle. Der Junge
iſt eben kaum drey Jahre alt; daher ſich nicht
viel anderes von ihm erzaͤhlen laͤßt, als wie
er ausſieht; und dies — wie erzaͤhlt man dies?
Er iſt klein und rund, hat ein etwas finſter
liegendes Auge; doch kann er ſehr freundlich
daraus kucken, und Feuer iſt die Menge
darin. Du weißt, daß Clerdon ſich ſchon
laͤngſt verbuͤrgt hat, wir wuͤrden an dieſem
Ferdinand den beſten, freymuͤthigſten Jungen
von der Welt bekommen. An mir haͤngt er
wie ein Klette, und Bruder Heinrich holt ihn
alle Morgen, ohne Fehl, aus ſeinem Bett-
[57] chen, zieht ihm Schuh und Struͤmpfe an;
und dann gehen wir zuſammen fruͤhſtuͤcken.
Nach dem Fruͤhſtuͤcke muß Bruder Heinrich
mit ihm fort auf den Hof, und ihm ſein
Spiel in Gang bringen; und das thut Bru-
der Heinrich mit immer gleicher Geduld und
Freundlichkeit. — Waͤhrend ich dies ſchrieb,
iſt Ferdinand mit einem Freudengeſchrey ge-
kommen, daß er mich funden hat, und
laͤuft, ſpielt und ſchwatzt um mich herum.
Fuͤr deinen Bombacino ließ ich auch gern
hier ein Woͤrtchen einfließen, weil es mir
vorkommt, als gehoͤrte er mit zur Kinder-
Familie; allein die Kirche iſt aus, meine
gute Maͤdchen ſind lange da, und ich habe
heute noch gar nichts mit ihnen geſchwatzt. —
Wie das lacht und plaudert hierneben um
Clerdons Camin! Ich will einen Augenblick hin,
liebe Sylli, und mich dann anziehen, und dann
eſſen, und dann in die Kirche, und dann —
Ach, Himmel! zur Frau Directorinn an den
Spieltiſch. Ade, Du Beſte, Du Liebe! —
D 5
[58]
VIII.
Claͤrchen an Sylli.
Clerdon und Amalia ſind ſeit geſtern hier. Als
wir ihnen entgegen flogen, und ich mich an
Clerdons linken Arm hieng, faßte er meine
Hand und druͤckte ſie leiſe an die Rocktaſche.
Leiſe rief ich: Briefe von Sylli! —
Gute? — „Geduld,” ſagte Clerdon, „ich
bringe drey Briefe, und Einer iſt nicht wie
der andre.” — Das ſagte er mit einem Laͤ-
cheln, wovon meine Ungeduld nur noch groͤßer
wurde.
Tante war noch nicht angezogen. Sie
ſollte alle Zeit haben. Wir liefen in das hin-
terſte Bosket. — „Nun, Clerdon, nun!”
jauchzten und huͤpften wir. — Ein ſtillender
Blick von Clerdon nahm uns die Haſt. Wir
ſchluͤpften an einander her und lagerten uns
auf die Raſenbank. Clerdon ſtand noch einen
[59] Augenblick; da nahm auch er ſeinen Platz.
Nun kam die Brieftaſche hervor. Wir hien-
gen an ſeinem Auge. Eine eigene — ſchauer-
liche Freundlichkeit wandelte durch die Stille.
Clerdon oͤffnete die Brieftaſche: — „Ein herr-
liches, liebes Weib!” ſagte er: — „wenn
ſie ſich erblickte, wie ſie vor meiner Seele
ſteht!” — und gleich darauf: „Gott, wem
du ein tief fuͤhlendes Herz ſchenkſt, dem ſchenkſt
du doch alles damit, alle deine Gaben, und
dich ſelbſt!”
Die Briefe wurden geleſen. Zwey Stun-
den verſtrichen daruͤber. Wie ſie zugebracht
wurden dieſe zwey Stunden — dies, liebſte
Sylli, erzaͤhle Dir, wer es weiß, kann und
mag. Meine …
Clerdon.
Keiner von uns wird es Dir erzaͤhlen. Das
Anſchauen, die Umarmung einer ganz enthuͤll-
ten, ſchoͤnen, tiefempfindenden Seele iſt zu
[60] heilig, um in Bildern und Worten nachgeſpie-
gelt zu werden. Und wer vermoͤchte jenen
Blitzſtrahl dahin abzulenken; Lebloſem den le-
bendigen Kuß der Liebe zu verleihen? Nein,
ſchaue ſelbſt — den verklaͤrten Blick — Won-
negefuͤhl uͤber ihn, die Augenlieder decken —
und ein Unermeßliches dem Geiſte aufgethan!
Wohl glaube ich Dir, daß Du es im Grun-
de in der Welt ſo ſchlimm nicht haſt, wie arg
es Dir auch ergangen iſt, und ſo viel auch jetzt
noch Deiner Leiden ſind. Eine immer reiner
und voller klingende Saite auf der Laute der
Natur; ein immer maͤchtigeres Organ in dem
Ganzen des Allliebenden zu werden: o, das
lohnt Dir jeden Schmerz!
Dornen malmen, ſie zu Pflaumfedern
wuͤhlen, lernte ich lange; und nun weiß ich,
daß es fuͤr den Menſchen eine Lauterkeit des
Sinnes — mit ihr eine Kraft und Staͤtigkeit
des Willens giebt — eine Erleuchtung, Wahr-
heit, Eigenheit und Conſiſtenz des Herzens
[61] und Geiſtes, wodurch ihm der eigentliche Ge-
nuß ſeiner goͤttlicheren Natur, Ruͤck- und Aus-
ſicht wird, und wozu niemand gelangt, der
nicht mehrmals im aͤuſſerſten Gedraͤnge, von
allem auſſer ſich verlaſſen war. Da hat die
ganz auf ſich ſelbſt geſtaͤmmte Seele ſich in allen
ihren Theilen gefuͤhlt; hat, wie Jacob, mit
dem Herrn gerungen und ſeinen Segen davon
getragen. Wer, liebſte Sylli, wollte nicht
gern fuͤr dieſen Preis ſich eine Zeitlang mit ei-
ner verrenkten Huͤfte ſchleppen?
Claͤrchen.
Schoͤn, was Clerdon ſagte; auch gut und
wahr: aber wenn es am Ende doch — nur
Troſt waͤre; ein koͤſtlicher Balſam, aber nur
lindernd, und die Wunde — toͤdtlich?
Arme Sylli, wohl biſt Du uͤbel daran; wohl
haſt Du es ſchlimm in der Welt! Ich hoͤre
ihn ja ſo hell aus Deiner Bruſt hervorgehn den
Schrey des tiefſten Schmerzes. Was hilft es
mir, daß Du hintennach laͤchelſt? Damit machſt
[62] Du mich nur bitterlicher weinen. Du weißt:
Arria laͤchelte auch. — Ach, Sylli, Du kannſt
nicht leben ohne Liebe; und was iſt Liebe ohne
Zuverſicht? Sage was Du willſt; Liebe, die
ſich nicht ewig weiß und ewig erwiedert, das
iſt keine Liebe; das iſt bloßes Ergoͤtzen, dem
Du nur, in der Angſt, jenen Namen lieheſt —
Blumenfreude, Schmuck, Tanz und Spiel.
Und hieran ſollte Dir genuͤgen — Dir Sylli? —
Seifenblaſen zu werfen — und alles, alles
Seifenblaſe? — Je mehr ich nachgruͤbele …!
O, ich fuͤhle, daß es Dir das Herz zerſprengen
muß.
Lenore.
Auf der Zunge: „Biſt Du bald fertig,
Claͤrchen?” trat ich ins Zimmer. Claͤrchens
Anblick hemmte mir Sprache und Gang, und
mein Herz hob ſich zu dem Schlage, bey dem
es einem auf einmal ſo ganz anders wird. Sie
ſchob, ohne ihre Stellung zu veraͤndern, das
Geſchriebene mir zu. Nachdem ich es geleſen,
hierauf einen Augenblick geſeſſen hatte, gieng
[63] ich an ihren Stuhl knieen, um ſie zu kuͤſſen.
Wir kamen allmaͤhlich einander in die Arme,
weinten — und fanden Worte.
Deine Briefe wurden Stuͤckweiſe wieder-
holt, und ſo nach und nach zu einem uns
eigenen Ganzen umgebildet, das wir beſſer
faſſen konnten. Alles drang jetzt weit tiefer
ein, und dennoch wurden wir heiterer. Wir
ahndeten Deinen Zuſtand; gewannen Theil an
Deinem himmliſchen Weſen: Wer wollte
nicht Sylli ſeyn? ſagten wir. Der bloße
Abglanz — nur eines Theils ihrer Seele,
und den wir — ach! nur ſo ſchwach aufzu-
nehmen vermoͤgen; wie giebt er uns nicht
Muth und Wonne! Und ſie — beſitzt —
ſie iſt dieſe Seele ſelbſt; hat in ihrem
eigenen Weſen, was ſo unbegreiflich entzuͤckt:
den Quell und die Fuͤlle aller dieſer Schoͤn-
heit und Groͤße! — Wer wollte nicht Sylli
ſeyn; gaͤbe nicht alles hin fuͤr die Unabhaͤn-
gigkeit dieſes hohen Selbſtgenuſſes, fuͤr die
helle Wonne, Goͤttlich zu lieben, die allein
[64] aus ſolchem Reichthum uͤberfließen kann!
Gluͤckliche, gluͤckliche Sylli! …
Claͤrchen.
Meine Schweſter iſt abgerufen worden,
und ich, liebſte Sylli, bin nicht im Stande
fortzufahren. Mein Blick iſt ſchon wieder ge-
truͤbt. Jenes Wehklagen, wovon ich erſt ſagte,
daß ich es ſo hell aus Deiner Bruſt hervorgehen
hoͤrte, dringt von neuem in mein Ohr; und
kein Jubel wird es uͤbertaͤuben. Du kennſt das
an mir, daß ich nicht leicht in einem Gefuͤhle
mich ſo ganz verliere, von einer Vorſtellung ſo
ganz befangen werde, daß ich nun weiter nichts
ſaͤhe, noch wuͤßte. Wahr — Du haſt den Him-
mel in Dir ſelbſt; und wer wird Dich nicht des-
wegen ſelig preiſen? Aber auch nicht minder
wahr iſt alles, was ich vorhin bemerkte: und ſo
ſaͤßeſt Du mit Deinem Himmel denn doch in ei-
ner Art von Hoͤlle. Deine Briefe ſind ein
Wechſelgeſang aus beyden, voll Verzweiflung
und Wonne. Was muß ein Herz nicht aus-
ſtehen,
[65] ſtehen, in welchem ſo feindliche Toͤne zuſam-
menkommen, das ſie in einander ſchmelzen, zu
einer Melodie vereinigen ſoll? Alle Saiten des
Inſtruments muͤſſen nach einander ſpringen,
und der Sangboden ſelbſt. Liebſte Sylli, ich
ertrags nicht. O, daß ich bey Dir waͤre, oder
ich duͤrfte meine Lenore fuͤr Dich miſſen! Wir
entbehrten gern einander; opferten noch viel
mehr auf, wenn Dir damit geholfen waͤre.
Sage: ob Du eine von uns willſt, und welche?
So unvollkommen auch die Theilnehmung waͤ-
re, die Du bey uns guten Kindern faͤndeſt; ſo
waͤre ſie doch rein, voll in ihrem Maaße und
innig. Unſere Augen, Sylli, ließen gewiß
die meiſten Deiner Blicke ein. So gewoͤnne
Deine Seele Raum; erhielte eine Staͤtte, wo
ſie einen Theil ihres Lebens hinfluͤchten und
aufbewahren koͤnnte. — Sage, Liebe; ſoll ich
kommen? Ich fuͤhle ſeit einiger Zeit einen auſ-
ſerordentlichen Trieb wieder einmal um Dich
zu ſeyn, und wollte Dich ſchon juͤngſt mit An-
ſchlaͤgen dazu unterhalten. Damals war es
mir faſt allein um mich zu thun. Ich haͤtte
E
[66] gern mehr Freude an mir ſelbſt, und die er-
hielte ich zuverlaͤßig, wenn ich Dir aͤhnlicher
wuͤrde. Mich duͤnkt — was Amalia juͤngſt
vom kleinen Heinrich ſagte — jeder Dei-
ner Kuͤſſe muͤßte mir etwas von Deinem holden
Weſen einhauchen.
Clerdon ſchickt: ich ſoll zuſiegeln. Alſo
bekommſt Du nichts von Amalia. Die Gme
hat ſich wohl nicht uͤberwinden koͤnnen, unſere
Frau von Reinach allein zu laſſen. Ein wun-
derbares Weib! So jung, ſo ſprudelnd von
Leben, und doch von allem was nur einer
Schuldigkeit aͤhnlich ſieht, ſo voͤllig hingeriſſen,
als andre von ihren Leidenſchaften. Wir fah-
ren fort uns oft Vorwuͤrfe daruͤber zu machen,
daß wir ihre immerwaͤhrenden Aufopferungen
zulaſſen; aber es iſt als wenn die Gottloſe
mit Fleiß einen gleich wieder verſtockte. Ich
ſage tauſendmal: boͤte ſie einem Maͤgdedienſte
an, man daͤchte kaum daran ſich zu wider-
ſetzen; ſo lieb und ſchicklich geht ihr alles ab.
Und huͤten kann ſich einer nie genug vor ihr;
[67] im Huy hat er die Gefaͤlligkeit, das Gute
weg, und weiß von keinem Dank. — Ade,
Sylli! So laufe ich hin, und falle ihr um den
Hals.
E 2
[68]
IX.
Eduard Allwill an Clemens von
Wallberg.
Allerdings haͤtte ich Dein Verlangen eher er-
fuͤllen ſollen. Wo eigentliche Freundſchaft iſt,
da ſind auch Anſpruͤche; und dieſe muͤſſen von
beyden Seiten laut anerkannt werden und
uͤberall gelten, oder der Henker ſoll den loſen
nichtswuͤrdigen Bettel — an den Galgen han-
gen. Alſo verzeih, Lieber, und laß mich Dei-
ne weiteren Vorſtellungen uͤbergehen. Du
weißt ja, wie ſehr ich Deiner Meynung bin;
weißt, was ich fuͤr ein Geſicht machte, wann
ich von Leuten hoͤrte, die ſich einander ſo lieb
haͤtten, daß ſie ſich gar nicht um einander be-
kuͤmmerten: denn im Grunde iſt es das, wenn
man ſich einander alles nachſehen kann.
Fratzen! Mein Eckel daran nimmt von Tage
zu Tage zu: aber mich daruͤber zu erboßen,
wie ehedem, ſo kein Thor bin ich laͤnger; ich
will mich nicht einmal daruͤber mehr aͤrgern.
[69] Es behagt nun einmal den Menſchen, ſie
ſind daruͤber einig, ſich einander etwas weiß
zu machen, und es kommt auch ſelten jemand
dabey zu kurz. Was brauchen die Leute ſich
weiter lieb zu haben? woher und wozu? Sie
haben ganz andre Dinge an einander zu be-
ſtellen; geht es damit voran, ſo bleibt das
gute Vernehmen, ohne daß ſich der eine um
den andern viel zu bekuͤmmern hat. Indeſſen,
Lieber, wollen wir uns doch nicht verhehlen,
was der eigentliche Geiſt jener freundlichen
Toleranz und edlen Unbefangenheit iſt:
Gleichguͤltigkeit und Betteley! —
Alſo noch einmal, Bruder, verzeih mein Un-
recht; aber daß ich mich beſſern werde, dar-
auf mußt Du nicht zu ſicher rechnen.
Bisher habe ich es mit allem zu ernſtlich
gemeynt; ich ſpuͤre, daß man dabey zu Grun-
de geht, und fuͤr nichts. Wie ichs hinfuͤhro
anders machen werde, weiß der Himmel. Ich
bin, von innen und von auſſen, in einem wun-
derbaren Gedraͤnge. Etwas Ruhe habe ich
E 3
[70] wieder genoſſen, weil ich einige Tage her un-
paͤßlich war. Bliebe mein Kopf ſo dumpf, ſo
nebelicht, wie dieſe Zeit uͤber; dann ſaͤh' ich
der Verwirrung ein Ende: alles ſollte bald
gerichtet und geſchlichtet ſeyn; und was ein-
mal ausgemacht waͤre, dabey blieb es. Du
weißt, beym Nebel fließen die Dinge ſo huͤbſch
in einander; es erſcheinen einem nie
mehrere, als neben einander in Ei-
nem Gliede Platz haben; keine Farben-
verwirrung, alles grau, alles flach: und ſieh,
Bruder, ſo iſt wahrhaftig der Nebel das tref-
fendſte Bild weiſer Gemuͤthsfaſſung.
Wenn mein Geiſt umnebelt iſt, dann bin
ich ſo altklug, ſo verſtaͤndig, wie ein Schul-
meiſter; dann weiß ich mich uͤber alles zu
beſcheiden, und was ich mir heiße, das thue
ich; dann raͤume ich mein Zimmer auf, bringe
meine Papiere in Ordnung, beantworte alle
Briefe nach dem Datum ihrer Ankunft, und
wuͤrde auch mein Teſtament machen, wenn
ich nur Erben wuͤßte, die es ſich gefallen laſ-
[71] ſen koͤnnten. Clerdon, der mich geſtern be-
ſuchte, glaubte in der Thuͤre geirrt zu haben,
ſo fremd ſah ihm mein Zimmer aus: was zu
ſtehen gehoͤrt, ſtand; was zu liegen gehoͤrt,
lag. In dergleichen Ruͤckſichten iſt mir eine
ſolche neblichte Diſpoſition zuweilen eine wahre
Wohlthat: und je mehr ich der Sache nach-
denke, deſto heller leuchtet es mir ein, daß
die Tugend der aͤchten Schul-Stadt- und
Heer-Moral, welche die beliebte durchgaͤn-
gig gute Auffuͤhrung, das exempla-
riſche Leben hervorbringt, nichts anders als
eine Art von Nebel iſt, der alles leichtfertige
Auſſenweſen, als da ſind Glanz, Farbe, Licht
und Schatten, an den Gegenſtaͤnden verhuͤllt,
und nur das ſolide Unveraͤnderliche an ihnen
beaͤugen laͤßt.
Die merkwuͤrdige Entwickelung meines Ro-
mans mit Nannchen, woruͤber ich Dir eine
eigene lange Epiſtel ſchreiben wollte? —
Hoͤre, erſt vor einer halben Stunde noch
dachte ich Wunder, was ich Dir zu erzaͤhlen
E 4
[72] haͤtte: ich ſchnitt eine friſche Feder, tunkte
ſie ein, wußte nicht anders, als daß es recht
vom Fleck gehen ſollte: als ich zu meinem
nicht geringen Befremden inne wurde, es ſey
noͤthig, mich vorher ein wenig zu beſinnen.
Ich ſann eine große halbe Stunde lang; da
war ich fertig, habe es nun auf einmal —
daß ich ſelbſt nicht mehr weiß, was ich mich
ſo eifrig angeſchickt hatte, Dir zu wiſſen zu
thun. Der Sachen erinnerte ich mich genug,
nur konnte ich mich ihrer nicht auf die Weiſe
erinnern, wie ſie Dich ſo maͤchtig intereßieren
ſollten. Wer weiß, vielleicht haͤtte meine
Materie mir weniger duͤrftig geſchienen, waͤre
zu ihrer Abhandlung die Feder nicht ſo ſchoͤn
geſchnitten, und gleich Anfangs ſo tief einge-
tunkt geweſen. Nun iſts darum geſchehen;
das ganze Abentheuer mit allen ſeinen Zufaͤl-
len und Zubehoͤren, Schelmereyen, Zaube-
reyen, Heldenthaten und Wundern, kommt
mir, in dieſem Augenblicke, nicht viel intereſſan-
ter als ein Ammenmaͤhrchen vor — zum Er-
zaͤhlen wenigſtens. Verſteh! Du Clemens
[73] von Wallberg warſt es nicht, welcher bey der-
maliger Kataſtrophe in dem Falle war — etwa
vergiftet, erſtochen, aus einer Canone ge-
ſchoſſen, oder in einen Papagey, Drachen,
Teufel, oder Gott verwandelt zu werden. Ich
war es; und glaube mir, ſo etwas will in ei-
gener Haut erfahren ſeyn. Demnach ſollſt Du
mir erlauben, und zwar recht gern, daß ich
Dich heute von ganz andern Dingen, als von
meinen Begebenheiten im Feenlande unterhalte.
Muß ich doch Luzien noch davon der Laͤnge nach
Bericht erſtatten, da ſie mein heiliges Geluͤbde
hat, ihr nichts von allem, was mir aͤuſſerlich
und innerlich begegnet, zu verhehlen. Wahr-
ſcheinlich wird ſie den Brief Dir zu leſen geben;
und ich ſchreibe ihr gewiß noch dieſe Woche.
Alſo, wie geſagt, von andern Dingen!
Wo fange ich an? Ich habe Dir eine Menge
Neues von mir und meiner hieſigen Lage zu
erzaͤhlen. Meine beſten Stunden bringe ich
in Clerdons Hauſe zu. Es koſtet Muͤhe,
auf einen etwas vertraulichen Fuß darin ge-
E 5
[74] litten zu ſeyn; aber mir wird es gluͤcken.
Clerdon fuͤhlt und verſteht mich ganz, und
durchgaͤngig ſtehe ich in ſehr gutem Rufe. Daß
ich immer eine oder die andre Prinzeßinn, welche
mich ihrer vollkommenſten Hochachtung
wuͤrdigt, ausnehmend verehre — iſt natuͤrlich
und macht wenig Laͤrm … Und gewiß,
beſter Wallberg, ich komme faſt immer ganz
unſchuldig dazu; ſtifte auch uͤberall viel mehr
Gutes als Boͤſes. Einen Anſchlag auf irgend
ein weibliches Geſchoͤpf zu machen, um es zu
verfuͤhren, iſt von jeher ſo fern von mir gewe-
ſen, daß ich einen Menſchen, der dazu faͤhig
iſt, nicht ohne Haß und Eckel anſehen kann.
Daß aber eine freundſchaftliche Verbindung ſo
warm und innig werde, daß ſie ferner kein
Maaß noch Ziel mehr wiſſe — wer koͤnnte
das Herz haben, ſich davor zu huͤten? — — —
Mit Deinen Couſinen hat es keine Noth; die
wandeln in einem Lichte, welches ſie meiner
Leuchte entuͤbrigt. Und Amalia — den
moͤcht ich ſehen, dem es nur von fern einfallen
koͤnnte, ihr etwas anders ſeyn zu wollen, als
[75]Gaſt an Clerdons Heerde. Mir iſt ſie
gut, weil ich ihrem Clerdon anſtehe, und weil
mir der treuherzige Junge aus den Augen ſieht.
Ihre Jugend, ihre Schoͤnheit hindern mich
nicht, daß ich ſie im vertraulicheren Umgange
Mama heiſſe; ich wuͤßte mir auch keinen
lieberen Namen fuͤr ſie. Liebe Mama,
Mama Meli, — wenn ich Dir ſagen koͤnn-
te, wie mir iſt, wenn ich ſie ſo heiſſe, und ich
ihr dabey in das himmelhelle Angeſicht ſchaue,
das nur gut iſt, und mich nur anlacht! —
Ich fuͤhle mich wie untergetaucht in Unſchuld
und Reinheit, und ich wuͤßte nichts ſo ſaures
in der Welt, das ich alsdenn nicht unentgeldlich
und mit Freuden thun koͤnnte. Die Lauterkeit
ihres Herzens uͤberſteigt allen Glauben. Jedes
Gute, jedes Schoͤne darin iſt ſo ganz fuͤr ſich
ſelbſt da, ſo ganz was es iſt und ſcheint, un-
verſetzt und unaufloͤsbar; und kein Gefuͤhl,
kein Hang, kein Wunſch, nichts, das ſich zu
verhehlen, nichts, das ſich zu verſtellen haͤtte!
Aber [hiemit] iſt Dir ſo viel als nichts geſagt:
denn, wie ich mich eben beſinne, bin ich ſelbſt,
[76] der ich doch Amalien perſoͤnlich kenne, nicht
einmal im Stande mir das Eigentliche dabey
vorzuſtellen, wenn ich ſie mir nicht in den be-
ſtimmteſten Verhaͤltniſſen, als die Gattinn
ihres Clerdon, als die Mutter ihrer
Kinder, als die Frau ihres Hauſes
denke. Sage, ob Du etwas davon weißt,
daß es einen beſonderen Affect giebt, der
ſich Eheliche Liebe nennt; ganz verſchieden
von jener Leidenſchaft, welche allgemein
den Namen der Liebe traͤgt, und die … Sa-
ge, iſt Dir das ſchon vorgekommen? Denn was
rede ich ſonſt!
Ich wußte nichts davon; und dieſe neue
Entdeckung in Clerdons Hauſe iſt das intereſ-
ſanteſte, was ſich jemals meiner Betrachtung
dargeboten hat. Der eigentlichen Liebe ſcheint
das ſchoͤnere Geſchlecht nicht faͤhig zu ſeyn;
mir wenigſtens iſt noch kein Weib erſchienen,
das den Stoff dazu gehabt haͤtte. Amalien
traue ich uͤber dieſen Punkt faſt weniger als
andern zu, und Clerdon und ſie ſelbſt ſind
[77] hieruͤber mit mir einig. Anfangs — ſie wur-
de Braut mit ſiebenzehn Jahren — hat ihr
Mann weiter nichts als einen vorzuͤglichen
Grad der Hochachtung ihr abzugewinnen ver-
mocht; und bis auf dieſe Stunde weiß ſie keine
eigentliche Rechenſchaft zu geben, wie ſie her-
nach allmaͤhlich ſich ſo ganz an ihn verlohren
hat, daß ihr Herz nun alle ſeine Rege allein
von dem ſeinigen empfaͤngt, ihre geſammten
Kraͤfte ſich unverruͤckt in ſeinem Willen fuͤhlen;
Freyheit, Leben, Gluͤck, Thun und Seyn —
ihre ganze Seele hingewagt auf ihn. Ich weiß
nicht, ob es eine herrlichere Liebe geben kann,
als dieſe; wenn auch jene hoͤhere, wovon ich
ehmals ſo wunderbare Ahndungen hatte, kein
leeres Hirngeſpinnſt waͤre; alle andere Liebe
iſt doch gewiß nur Schaum dagegen. Wo fin-
deſt du, bey den entgegengeſetzten Eigenſchaften
und Beduͤrfniſſen der Menſchen, dieſe innige
Theilnehmung, welche alle Kraͤfte in einen
Willen zuſammenſchmilzt, und den Menſchen
wirklich verdoppelt? — Hier iſt ſie! Die klei-
ne Welt, zu deren Schoͤpfung und Regierung
[78] beyde vereinigt ſind, wird ihnen tauſendfaches
Organ, ſich einander zu fuͤhlen, zu faſſen.
Das gemeinſchaftliche Intereſſe giebt jedem da-
zu beytragenden Vermoͤgen einen gefuͤhlten
Werth; und ſo regen ſich in dem Weſen des
einen alle Kraͤfte des andern: und je vielfacher,
je verſchiedener nun dieſe Kraͤfte; deſto merkba-
rer der Gewinn, deſto entzuͤckender das Buͤnd-
niß. Bedenke, wie unterſchiedene — auch ein-
ander entgegengeſetzte Intereſſen jeden einzel-
nen Menſchen in ihm ſelbſt theilen, und was
fuͤr eine Wonne ihn erquickt, ſo oft er ein
wahrhaftes Einverſtaͤndniß nur zwiſchen etlichen
davon bewirkt hat; wie wir einſtimmig denje-
nigen fuͤr den Groͤßten und Gluͤcklichſten hal-
ten, welcher, ohne Eine ſeiner Faͤhigkeiten,
ſeiner Kraͤfte daran zu geben oder zu ſchwaͤ-
chen, alle ſeine Triebe unter Einen Willen
gemeindet — maͤchtig zu einem Heere ſie
geordnet hat. — Und nun Zwey, die ſo
Eins werden! Es muß eine Fuͤlle ſeyn, eine
Seligkeit, die ....
O, daß ich dies alles ſo fuͤhlen muß; daß
[79] ich zu dem gluͤhenden Sinne, zu dem tobenden
Herzen, dieſen hellen unbeſtechlichen Geiſt,
dieſe ſtille himmelanſchwebende Seele erhalten
mußte! — Thraͤnen, guter Wallberg, Thraͤ-
nen uͤber Deinen armen Eduard, den die Liebe
zum Schoͤnen verzehrt, und der in ewiger Zer-
ruͤttung mit den Zaͤhnen knirſchen muß; —
der den Frieden Gottes ahndet, und verdammt
iſt zu taͤglicher Suͤnde! — — Nie, nie wird
er eine Staͤtte finden, wo ſein Haupt ruhe!
Nie? — Doch, doch! es wird ja einſt brechen
— ja brechen in Wonne wirſt du einſt, gutes
quaalvolles Herz! ....
Aber es war ja von Gluͤcklichen die
Rede! Liebe Mutter Amalia — dein Antlitz,
dein Laͤcheln!
Sie iſt allen Menſchen ſo gut, Mutter
Amalia, und koͤnnte doch, gewiß, im Falle
der Noth ſie alle miſſen, wenn ihr nur der
Mann blieb und die Kinder. Ich mag
Dir nicht verhehlen, daß ſie an dieſen — an
[80] ihrem Hauſe auf eine ſehr ſtraͤfliche Weiſe
haͤngt: nehmlich eben ſo ohngefaͤhr, wie die
alten Republikaner an ihrem Vaterlande hien-
gen. Aber Du gehoͤrſt ja nicht zu unſern maͤch-
tigen Philoſophen, welche nie weniger als den
ganzen Erdkreiß — was? — das ganze
Univerſum uͤberſehen, und, gemaͤßlich, zu
Herzen nehmen, und aus brennender Liebe zu
den Menſchen uͤberhaupt dem Patrio-
tismus der Alten und jeder andern partheyi-
ſchen Liebe ſo gram ſind. Sie ſollen herkom-
men, die guͤtigen Herren, mit ihrem unbe-
ſchraͤnkten goͤttlichen Wohlwollen, mit ihrer
allſehenden Gerechtigkeit — mit ihrem gan-
zen Untadel; ſie ſollen kommen, und ſchauen
und fuͤhlen, wo von allem dieſen — in That
und Wahrheit am Ende denn doch mehr
angetroffen wird, ob bey ihnen, oder bey
dem Weibe hier, das fuͤr Mann, Kinder,
Haus, ſich wider die ganze Welt empoͤrte! —
Holde Mutter Natur! o wie laut ſagt mein
klopfendes Herz mir da wieder, daß doch allein
auf deinem Pfade wahres Heil zu ſuchen iſt! —
Sieh
[81] Sieh das wohlgemuthe Weib, wie die Befrie-
digung ihrer reinen Triebe alle ihre Wuͤnſche
vollendet; ſie von allen andern Begierden ſo
los macht, und ihr theilnehmendes Herz ſich
nun ſo frey und allgemein ergießen kann. —
Ihr praͤchtigen Weltweiſen, ihr lieblichen Her-
ren und Damen, mit euren erhabenen Grund-
ſaͤtzen und ſchoͤnen Sentiments! ſagt, wie
wird euch? — wie beſteht ihr vor dieſer Haus-
frau? Da verſchleudert, da verpufft ihr eure
Seele in die weite Welt; ſeyd uͤberall, und
nirgend; euer unbefangenes, richtungsloſes
Herz — jedem Anfalle blos; ohne Drang und
ohne Ruhe, ohne Genuß und Gabe; ſtrebend
nach allem, hangend an allem; zu keinem
Opfer willig, bey keinem Unfall leicht — be-
bend durchaus bis in die kleinſte Faſer —
ſchwach, elend, zehrend — voll allgemei-
nen Wohlwollens!
Weg von dieſen Allumfaſſern, hinab zu
Amaliens Schemel, zu der Kurzſichtigen,
zu der Armſeligen, die nur ihren Mann liebt
F
[82] und ihre Kinder; allen uͤbrigen Weſen nur
gut iſt, und in Wohlthun gegen ſie, aus voller
Genuͤge, nur — uͤberfließt, wie die Sonne
von ſich ſcheinet Licht und Waͤrme, nur —
weil ſie Licht iſt und warm, und die Fuͤl-
le hat. Tritt in den Umfang von Amaliens
Sphaͤre: du ſtehſt in Segen; das iſt alles.
Darum iſt Amalia auch das beſcheidenſte Ge-
ſchoͤpf; das demuͤthigſte, moͤchte ich ſagen,
das man finden kann. Daß ſie Gutes aller
Art unermeßlich wirkt — darauf giebt ſie nicht
Acht; daß ſie alle Pflichten erfuͤllt, alle Gebote
haͤlt — das weiß ſie nicht; hat von den Gruͤn-
den ihres durchgaͤngigen Verhaltens nichts we-
niger als vollſtaͤndige Begriffe, gar keine eigent-
liche Moral, kaum eine ſolche wie ſchon vor
Jahrtauſenden dem uralten Hiob eine zu Dien-
ſten ſtand. Wunderbar, daß Amalia zu-
rechtkommt; denn ſie iſt auch nicht einmal,
was man fromm heißt. Aber ich fodre eure
eckelſten Muͤckenſeiger auf, ihren Wandel nach
der Strenge zu pruͤfen; und wenn er wird laͤug-
nen koͤnnen, daß ſie ſuͤndenfreyer, daß ſie ta-
[83] delloſer ſey (ſelbſt nach ſo vielen Fratzenbegrif-
fen unſerer Zeit) als Eine; ſo will ich vor
dem Muͤckenſeiger mich beugen und mich zu ihm
bekehren.
Du, lieber Wallberg, ſiehſt doch hier wohl
kein Wunder, oder argwohneſt Blend-
werk? Tritt naͤher! Was iſt es, als ein
aͤchtes Gottesgeſchoͤpf, in Geſundheit und na-
tuͤrlicher Wohlgeſtalt; auferzogen ohne Kuͤnſte-
ley; alsdann bezogen auf einen Gegenſtand,
in welchem ſeine Kraͤfte ſich ſammeln, ordnen
und zur ſchicklichſten Wirkſamkeit vereinigen
konnten. Sind doch alle Tugenden eine
freye Gabe des Schoͤpfers; unmittelbare
Naturtriebe! nur verſchieden geſtaltet nach
den verſchiedenen Formen und Zuſtaͤnden menſch-
licher Geſellſchaft. Keine, die nicht da war, ehe
ſie Namen hatte und Vorſchrift! Alle Mo-
ral — war ſie doch von jeher blos philoſophiſche
Geſchichte, ſpeculative Entwickelung, Wiſſen-
ſchaft; und jene innere Harmonie, jene Einheit
in Thun und Dichten (das Augenmerk emporſtre-
F 2
[84] bender Menſchheit) allemal nur die Geburt
irgend einer erſprießlichen Hauptneigung, wel-
che dem Menſchen Beruf ertheilte, und
Plan! Wo Einheit der Neigungen
entſteht, da macht ſich die Einheit des
Wandels von ſelbſt; da bildet der Menſch
ſeine erwaͤhlte Lage aus; formt ſie je mehr und
mehr zum Ganzen: und nun, je eingeſchraͤnkter
von der Einen Seite, deſto freyer von allen
uͤbrigen; verletzbar nur in Einem Punkte
ſeines Weſens; in ihm ſelbſt gewiß; muthig;
begnuͤgt; und darum unabhaͤngig, edel, ge-
faͤllig und von ganzer Seele gut. Greif es an
allen Enden; Du wirſt finden: gerader Sinn,
dringendes Geſchaͤfte, und darin Emſigkeit
und Treue mit Luſt, ſind die Eckpfoſten aller
Gluͤckſeligkeit und Tugend.
Nun erinnere Dich, was ich im Anfange
dieſes Briefes uͤber Nebel und ordentlichen
Wandel philoſophierte. Vielleicht klang es
Dir leichtfertig; tiefer erwogen, wie wahr?
Wie dumpfen Sinnes, wie erſtorben muß der
[85] ſeyn, der ſeine Neigungen ſich aus lauter
Moral bilden, der mit lauter Moral ſie
nach Gefallen unterdruͤcken kann! Zehnmal
beſſer iſt mir da der gutherzige Wildfang, der
noch Leben im Buſen naͤhrt und Liebe.
Und dann noch Eins! Auch dem Menſchen
hoͤherer Art, der ein geordnetes, durchgaͤngig
zuſammenhangendes Leben fuͤhrt, muß vieles
in Nebel verhuͤllt ſtehen; aber es iſt nur der
Duft, welcher von dem ganz aufgehellten
Plane ſeines Wirkungskreiſes ſich an deſſen
Graͤnzen gedraͤngt hat. Unſere Philoſo-
phen allein bewohnen Himmelnahe Felſenhoͤ-
hen, von keinem Dufte getruͤbt, rundum end-
loſe Helle und Leere. Mir gienge da der
Athem aus. Schon iſt mir die Luft zu duͤn-
ne wo ich bin; und ich ſinne darauf, wie
ich allmaͤhlich noch etwas tiefer herabkomme.
Auch iſt nicht wohl zu laͤugnen, daß in einem
engern Horizonte uns die Gegenſtaͤnde viel
waͤrmer an Auge und Herz kommen. Graͤn-
zenloſe Begraͤnzung, Raum ohne Maaß und
Ende; wo ichs erblicke, macht es mir
F 3
[86] Hoͤllen-Angſt. Darum enge ich mich gern
ein wenig ein; laſſe mir es wohl ſeyn in ir-
diſchem Beginnen, wo ich ein Ende meines
Thuns ſehe, und doch alle meine Kraͤfte
daran ſetzen muß.
Zum Schluſſe noch ein Woͤrtchen von
Freundſchaft. — Das nichtswuͤrdige, loſe
Weſen unter dieſem Namen, wovon zuvor
die Rede war, daß wir ihm beyde eben feind
waͤren: iſt es nicht auch eine Mißgeburt aus
jenem todten Meere der Unbeſtimmtheit, der
Richtungsloſigkeit, der unendlichen Zerſtreu-
ung? Schwache Faͤden aus veraͤnderlichen
Abſichten und fluͤchtigem Ergoͤtzen geſponnen,
wie bald muͤſſen ſich dieſe wirren? Und dann,
Riß an Riß; Knoten an Knoten. Ganz an-
ders die Bande aͤchter Freundſchaft, wo zwey
etwas anfaſſen, wie rechte und linke Hand,
um es zu Einem Werke zu bilden; zwey
etwas mit einander fortbewegen, wie beyde
Fuͤße den Leib. — Weg mit dem, welcher
ſagt, eine ſolche Freundſchaft ſey auf Eigen-
[87] nutz gegruͤndet! Der Gegenſtand, warum bey-
de ſich vereinigen, iſt ihnen nur Medium
einer den andern zu empfinden; Sinn, Or-
gan. Nicht denjenigen liebe ich ja am mei-
ſten, der das meiſte fuͤr mich thut; ſondern
den, mit welchem ich das meiſte ausrichten
kann. — Eigenliebe? Alles ſoll Eigen-
liebe ſeyn! Was gehe ich mich ſelbſt denn
mehr an, als mich andere angehen; ich,
der ich nur im andern mich fuͤhlen, ſchaͤtzen,
lieben kann? — Das heißt euren Philoſophen
Unſinn. Mags! Weiß ich doch, wer es beſſer
hat; ich oder ſie.
Lebe wohl, und gruͤſſe Luzie, die Gute,
Treffliche!
Dein Eduard.
F 4
[88]
X.
Demſelben.
Heute ſind es gerade drey Wochen, lieber
Wallberg, daß ich einen langen Brief an Dich
abgeſchickt habe. Gleich am folgenden Tage
wurde der Brief an Luzie fertig, wovon Du
weißt, daß ich ihn ſchreiben wollte: uͤber
meine Geſchichte mit Nannchen. Eine
lange Epiſtel! Auf dieſe habe ich ſchon Ant-
wort; von Dir habe ich keine Antwort. Lu-
zie gedenkt Deiner auch mit keiner Sylbe. Ich
vermuthe daher, daß ſie Dir meinen Brief
nicht gezeigt hat.
Alſo, ich erzaͤhlte ihr umſtaͤndlich und
ausfuͤhrlich, wie das heilloſe Verhaͤltniß mit
Nannchen war; wie es, Gottlob! aus ein-
ander gieng, und ich nun zu den Hoch-
ſcheid gar nicht mehr ins Haus komme.
Ueber dem Erzaͤhlen gerieth ich in Feuer.
[89] Ich war gehetzt, voll Verdruß; die Kata-
ſtrophe hatte mich erſchuͤttert: und da ſchalt
ich mich denn weidlich; gab mir, wie ſchon
oͤfter geſchehen iſt, tuͤchtige Verweiſe uͤber
meinen Leichtſinn; uͤber, ich weiß nicht
was fuͤr eine abgeſchmackte Nachgiebigkeit in
mir — ein verdammtes loſes liederliches We-
ſen, welches andere Gutherzigkeit nennen moͤ-
gen, wodurch ich in dergleichen Verwickelun-
gen gerathe, die mich gleich von Anfange aͤr-
gern und peinigen, und wohinein ich mich denn
doch ziehen und weiter ziehen laſſe. Daruͤber
ſchrieb ich, wie ichs fuͤhlte, und ſchenkte
mir nichts. Aber daß ich ploͤtzlich ein ganz
andrer Menſch geworden ſey, fiel mir nicht
ein, und ich habe es auch, weder geſagt,
noch von weitem zu verſtehen gegeben. So
aber ſcheint es Luzie genommen zu haben, und
dachte, ſie muͤſſe mich geſchwinde und recht
feſt jetzt beym Wort halten, zu meinem
Beſten. Das verdroß mich aus zwey Ur-
ſachen: erſtlich, weil es albern; und zwey-
tens, weil es unredlich war. Albern war
F 5
[90] es, weil mich Luzie von der blinden Kuh und
dem edlen Gaͤnſeſpiel her ſchon kennt; her-
nach, da ihre Mutter ſtarb, in unſerm Hauſe
neben mir aufgewachſen iſt; endlich jetzt in
Wien von neuem mich ſo lange geſehen hat.
Freylich wurden wir dort ein wenig in einan-
der verliebt, und das bringt gewaltig aus der
Bekanntſchaft; aber wir hoͤrten auch auf in
einander verliebt zu ſeyn, und das ſtellt noch
gewaltiger die Bekanntſchaft wieder her. —
Du ſchuͤttelſt inclement den Kopf, guter Cle-
mens; und Du haſt Recht. Ich ſollte von
dieſer Geſchichte in dem Tone nicht reden; es
iſt die widerlichſte in meinem Leben, und ich
muß mich ſchaͤmen vor Luzie, die mich demuͤ-
thigte ohne Stolz: die wahrhaft Gnaͤdige!
ſo daß ich ewig ihr zu Fuͤßen liegen und ſie
verehren muß, wie ein Weſen hoͤherer Art,
wofuͤr ich ſie erkenne. Aber darum ſollte ſie
doch nicht ſo feyerlich thun, und ein ſolches
Gluͤckwuͤnſchungs-Schreiben an mich, den
Eduard Allwill, ergehen laſſen, wie ſie
gethan hat. Das war, ich ſage es noch ein-
[91] mal, unredlich! Denn da ſie mich an mei-
ner ſchlimmſten Seite, wie vor ihr kein Menſch,
ins Auge gefaßt und zu Herzen genommen
hat; ſo kann es unmoͤglich ihr wahrer Ernſt
ſeyn mit den frohen Hoffnungen, wofuͤr ſie
mir den Dank zu Fuͤßen legt. Ihr Brief iſt
eine Predigt en chauveſouris, die mich mit
einer Bekehrung anfuͤhren will. Ich habe Luzie
zu lieb, als daß ich ihr dies ſo koͤnnte hinge-
hen laſſen. Auch muß ich, Gewiſſens hal-
ber, einen Angriff auf ihr feyerliches We-
ſen thun. Die Liebhaberey am Feyerlichen
iſt den Maͤdchen beſonders eigen: wer ihr
Freund iſt, warnt ſie davor; oder ſinnt,
wenn es mit dem Warnen zu ſpaͤt iſt, wie er
ſie heile. Luzie muß heyrathen, ohne Verzug.
Sie wird jetzt drey und zwanzig Jahre alt;
das iſt fuͤr ein Fraͤulein ſchon ein fuͤrchterliches
Alter. Wie ſie jetzt geſtimmt iſt, findet ſie
keinen Mann, der ihr recht waͤre; und am
Ende werde ich die Schuld haben muͤſſen, ob
ich gleich unter allen Maͤnnern am wenigſten
fuͤr ſie getaugt haͤtte. Deine Schweſter, nimm
[92] mirs nicht uͤbel, iſt auch keine gute Bekannt-
ſchaft fuͤr Luzie, ſo eine vortreffliche Freun-
dinn ſie auch ſeyn mag. Sie ſpannt die
arme Luzie nur immer hoͤher, und vermehrt
ihren Hang zum weinerlichen Ernſt.
Wie mich das alles ſchiert, kann ich Dir
nicht ausdruͤcken. Es war ſo natuͤrlich, was mir
mit Luzie begegnete; und doch liegt es mir —
ſoll ich ſagen auf dem Gewiſſen? Da ich ſie wieder-
fand in Wien, hatte ich ſie ſeit mehreren Jah-
ren nicht geſehen. Das ſchoͤne, holde, Gefuͤhl-
volle, Geiſtreiche Maͤdchen: ich ſah meine
Kindheit, meine Jugendjahre in ihm wie ver-
klaͤrt! Ein ſolcher Eindruck wird mir nie wie-
der. Und ihre Freude bey unſerem Wiederſe-
hen! — „Bruder Eduard!” rief ſie,
und fiel mir um den Hals. Mir ſchmolz das
Herz; aber in Liebe zerſchmolz es nicht. Was
denn? Darf ich das Wort Freundſchaft
nennen, da ich die ihrige zu mir in eine Lei-
denſchaft uͤbergehen ſah, die ich nicht theilen
wollte, und dennoch naͤhrte; wiſſentlich naͤhr-
[93] te? — Wie ich Dir vorhin ſagte: — ich ließ
mich gehen; wurde verwickelt, gerieth aus
einer Nachgiebigkeit gegen mich ſelbſt in die
andere; wollte mich taͤuſchen, konnte nicht,
und wurde verſtockter . . . . Du weißt den
großmuͤthigen Schritt, den ſie that; und wie
nur alle ihre Sorge dahin gieng, daß ich mir
von Herzen moͤchte ſelbſt verzeihen koͤnnen. Sie
nahm von mir den Schwur, daß ich auf jede
Gefahr aufrichtig gegen ſie ſeyn, und ſie nie
mehr in irgend etwas hintergehen wolle. Die-
ſen Schwur werde ich halten, und auch bey die-
ſer neuen Gelegenheit mich ihr darſtellen, wie
ich bin. Ihr ſoll kein Wahn in Abſicht meiner
bleiben. Das verkehrte Hoffen und Erwarten
von mir; das beſtaͤndige Anliegen und Gequaͤle
daruͤber, iſt mir unertraͤglicher als Verachtung
und Haß. Ich will durchaus nicht die Voll-
kommenheit eines andern ſeyn; nicht ein-
mal meine eigene; denn ich weiß noch nicht,
was meine eigene Vollkommenheit fuͤr ein Ding
iſt. Am wenigſten ſoll Luzie ſich etwas in den
Kopf ſetzen von einem Allwill, der noch kom-
[94] men moͤchte. Das taugt ihr nicht; und ich
muß es ihr mit Gewalt aus dem Kopfe brin-
gen. Bin ich einmal todt, ſo moͤgen ſie mich
ſelig ſprechen, oder gar canoniſieren, und dem
Teufel, der es nicht leiden will, die Hoͤlle ſo
heiß machen, als ſie Luſt haben. Aber ſo lan-
ge ich lebe, ſollen ſie ihn nicht tuͤckiſcher gegen
mich machen, als er es ſchon iſt. Mir eckelt
gar zu ſehr, wenn ich mich als ſo ein Bild-
chen ſittlicher Heiligkeit, das ich werden
ſoll, betrachte.
Laß mich abbrechen, und ſage Luzien nichts.
Ich fieng dieſen Brief an, in der Abſicht, daß
Du ſie vorbereiten ſollteſt; aber ich bin anderes
Sinnes geworden uͤber dem Schreiben. — Du
Boͤſewicht lachſt wohl uͤber meine uͤble Laune,
und denkſt: Er hats doch gefuͤhlt! —
Meinetwegen!
Lebe wohl!
Dein Eduard.
[95]
XI.
Amalia an Sylli.
Alle haben Dir geſchrieben (*); Mann und
Maus, und Maus und Mann; Amli allein
hat nicht geſchrieben, hat ſogar ihren gewoͤhnli-
chen Syllis-Poſttag vorbeygehen laſſen, und
moͤchte faſt den heutigen wieder vorbeygehen
laſſen.
Bin ich Dir etwa boͤſe, Sylli? Haſt Du
mir etwas gethan? Mir allein? Ja, mir al-
lein haſt Du was gethan; wenigſtens kommt es
mir ſo vor, daß ichs allein bin. Mir allein
haſt Du das gethan, daß ich mich ſchaͤmen
muß, wenn ich an Dich denke, weil es Mir
wohl geht, und Dir geht es uͤbel; und das
nicht recht iſt. Ich fuͤhle das, wie einen Vor-
[96] wurf, ob ich gleich mir ſelbſt daruͤber keinen
machen kann; und ſieh, gerade davon wird
man boͤſe.
Ich habe Clerdon ſonſt wohl gefragt, wenn
ich Weiber ſah, die unartige, widerwaͤrtige,
unertraͤgliche Maͤnner hatten, und doch ganz
heiter ausſahen; auch wirklich ſich gar nicht
ungluͤcklich fuͤhlten, ſondern wohl ſo fortleben
mochten: wie das zugienge; wie das moͤglich
waͤre? Da ich Clerdon zum erſtenmal fragte,
(es war bey Gelegenheit der ſanften, Geiſtrei-
chen, allerliebſten Strohmfels) bekam ich
zur Antwort: die Strohmfels hat Kin-
der. Das wußte ich ſchon. Alſo weißt
Dus? ſagte Clerdon, und ſetzte hinzu: Ama-
lia wird auch Kinder haben! faßte mich
darauf in ſeine Arme, kuͤßte mich und ließ
mich nicht weiter reden.
Nun habe ich Kinder, und verſtehe etwas
beſſer was Clerden meinte, und glaube ihm
auch fuͤr die Frau von Strohmfels und andre,
und
[97] und bin froh, daß ich es gelten laſſen kann:
aber naͤher muß mir kein Menſch, am wenig-
ſten Clerdon damit kommen wollen. Ich weiß
nicht, woher ich den Heinrich, den Carl,
die uͤbrigen nach der Reihe ſo lieb habe; ſo
ganz anders lieb wie andre Kinder: als da-
her, daß es Clerdons Kinder ſind, die ich
ihm brachte.
So verſtehen es ja auch alle andere Men-
ſchen. Sagten nicht die Leute bey meiner er-
ſten Niederkunft: „das iſt eine wackere Frau,
„die Clerdon; ſie hat ihrem Manne einen
„Sohn gebracht.” Hernach: „Die Clerdon
„wird ſtolz ſeyn; ſie hat ihrem Manne wie-
„der einen Sohn gebracht.” Endlich: „die
„Clerdon iſt gluͤcklich; ihr Mann wuͤnſchte ſich
„eine Tochter, und nun hat ſie ihm eine
„Tochter gebracht.” — O ja! Sylli, die
Clerdon iſt ſtolz und gluͤcklich; aber Amli
iſt nicht ſtolz, und Amli fuͤr ſich waͤre nicht
gluͤcklich; auch nicht mit ihren Kindern. Es
waͤre auch wohl der Muͤhe werth, daß Amli
G
[98] Kinder haͤtte. Arme Kinder, wenn ihr es nur
von Amli waͤret!
Auf dies alles hat mich die liebe Stelle in
Deinem Briefe gebracht, von Deinem Han-
gen an Kindern und Kindesgleichen. Und da
wollte ich Dir ſagen, liebe Schweſter: Komm
zu der Mutter; komm zu den Kindern und
der Kinder Vater; komm zu den Maͤdchen von
Heimfeld! Ich glaube, noch vor Jahres En-
de bin ich wieder in Wochen. Bis dahin we-
nigſtens komm, und auf immer. Jetzt gleich
mußt Du das feſtſetzen, daß Du kommen,
und, was ſich bis dahin nicht gefuͤgt hat, laſ-
ſen willſt.
Du biſt auch Mutter geweſen, Sylli;
und ob Du gleich das Kind verlorſt, wuͤr-
deſt Du doch das nicht miſſen wollen, daß
Du Mutter warſt und Mutter bleibſt. O
Mutter, komm zur Mutter!
Du haſt ſelbſt Dein Kind geſtillt, wie
[99] ich auch thue. Daruͤber geht auch nichts.
Wenn ſo ein kleines Weſen ausgeſchlafen hat,
und nun geſtillt iſt, und liegt einem da im
Schooſe, und faͤngt an zu girren vor Luſt und
ſich zu regen vor Luſt, und faͤngt an zu lachen
und zu ſcherzen mit der Mutter, die ihm alles,
alles iſt: — Ach, Sylli! weiß es, was die
Mutter; weiß es, was es ſelbſt iſt? Nichts
weiß es. Aber es haͤngt an der Mutter, und
hat ſo Recht, ſo unausſprechlich Recht, an
ihr zu hangen! Sage, liebe Sylli; wenn das
ſuͤße holde Weſen ſo vor Dir lag unter Deinen
Augen, und hinaufſchaute, und hinaufreichte
mit allen ſeinen Gliedern; Dich hatte und
Dich ſuchte; unbegreiflich Dir dankte, unbe-
greiflich Dich liebte: wenn Du es denn an
Dich druͤckteſt und an Dich herzteſt, falteten
beym Umfaſſen ſich Deine Haͤnde nicht von
ſelbſt; Deine Augen, hatten ſie einen andern
offenen Weg als nach dem Himmel, und konn-
teſt Du das beten laſſen? Mir deucht, wenn das
Vater Unſer nicht ſchon da geweſen waͤre,
ich haͤtte es hundert und hundert mal erfunden!
G 2
[100]
Liebe Sylli! Andere werden ſagen, es ſey
nicht gut, Dich an dergleichen zu erinnern:
aber Amli, ob ſie gleich lange nicht ſo klug iſt
als andere, verſteht das doch beſſer, und weiß,
daß es wohl gut iſt. Was Du von Deiner
Freude an Kindern ſchreibſt, von dem Troſte,
den Du daher nimmſt; ich ſage auch, und ſo
ſehr als keiner, daß es lieb iſt und ſchoͤn, und
man ja es Dir nicht nehmen ſoll. Aber das
rechte iſt es doch nicht, und das rechte
ſoll man Dir noch viel weniger nehmen. Wo
Du mit Deinem Lieb- und Gern-haben der
Kinder anfaͤngſt, da iſt gar nicht der Anfang;
der iſt nicht bey den rothen Backen, nicht bey
dem Tanzen und Springen und Jauchzen,
und beym Bon-Bon: der iſt ganz wo anders.
Der iſt da wo man nichts ſieht, und man nichts
weiß; da wo die Welt angefangen hat.
Weißt Du, wo die Welt angefangen hat?
Ich weiß es; kann es aber niemanden ſagen,
der es nicht ſchon weiß. Dir kann ichs ſagen,
und wills Dir ſagen, ins Ohr — Haſt Du
gehorcht? — — — — Und verſtanden?
[101]
Erſt geſtern war jemand bey uns, der war
recht voll von hieher und daher, und wollte
meinem Clerdon anſtreiten, alles kaͤme von der
Eigenliebe: und wie uns etwas Nutzen oder
Schaden, Freude oder Leid braͤchte; ſo hielten
oder ließen wirs. Damit hatte dieſem Herrn
die Welt angefangen. Clerdon machte einige
Einwuͤrfe; daruͤber kamen Heinrich und Carl
den Saal herein gedreht und getanzt, und hien-
gen ſich dem Vater an Haͤnde und Arme, und
ließen ſich wegſchleudern, daß ſie auf dem Tep-
pich herumtummelten, und kamen dann zur
Mutter ſie zu zerren, zu draͤngen und zu necken.
Sehen Sie, ſagte Clerdon zu dem klugen
Manne: wenn Ihre Philoſophie auch ganz die
meinige geweſen waͤre; ſo haͤtte ich ſie dieſer
Knaben wegen aufgeben muͤſſen. Das Daſeyn
uneigennuͤtziger Liebe, eines Wohlthuns ohne
den entfernteſten Gedanken an Erſatz, einer
alles uͤberwiegenden Treue, habe ich durch ſie
als Thatſache in mir ſelbſt. Und ſchon das
Weib da, auch ohne Kinder, haͤtte mich um
jene Philoſophie gebracht. Sie wuͤrden mir
G 3
[102] dies ohne Muͤhe anders zu erklaͤren, und ſogar
meine Thatſachen dergeſtalt mit Worten auf
Ihre Seite zu bringen wiſſen, daß ich mit
Worten nicht gegen Sie aufkaͤme; denn immer
hat die tiefer liegende Wahrheit das Wortge-
webe wider ſich; es iſt der Inſtinkt des Buch-
ſtabens, die Vernunft unter ſich zu bringen;
ſein Inſtinkt, mit der Vernunft umzugehen,
wie Jupiter mit ſeinem Vater.
Das letzte hoͤrte und verſtand ich nur halb;
denn da Clerdon die Worte ausſprach: Schon
das Weib da! fuhr ich zuſammen, wurde
roth, und ſah wo anders hin. Da fiel mir
Garbetto in die Augen, und ich dachte: was
brauchte Clerdon Frau und Kinder in das Spiel
zu miſchen; er durfte ja nur den Hund fragen,
das gute treue Thier, das auch ſprechen
kann. Indem giengs mir unwillkuͤhrlich aus dem
Munde: „Wie ſpricht der Hund?“ —
Du weißt, wie Garbetto auf dieſe Frage zu
bellen anfaͤngt. Dem Clerdon, der mich er-
rieth, kam das Lachen an. Um es zu verbeiſ-
[103] ſen, wollte er zornig thun gegen den Hund.
Daruͤber kam auch mir das Lachen. Er tuͤſch-
te, und ich in einem fort zu rufen: wie
ſpricht der Hund? Das gab eine Hetze,
ein Geraͤuſch, einen Rumor mit den Kindern
dazwiſchen, und ein allgemeines Lachen, wel-
ches der Unterredung ein Ende machte. Gleich
darauf empfahl ſich der Philoſoph.
Was will ich Dir damit, liebe Sylli? Ich
will, daß Du nicht die Augen zu haben ſollſt,
um deſto mehr zu denken, wie der Philoſoph,
dem Garbetto den Mund ſtopfte; ſondern of-
fen ſollſt Du die Augen haben, wie Clerdon,
und ſollſt, wie Clerdon, etwas haben, das
Dir in die Augen faͤllt, und Dir das Denken
zurecht weiſt. Wie es hergeht vor Einem,
wenn einem Nichts in die Augen faͤllt, das
haſt Du oft genug im Traum erfahren. Man
kann ſich da gar nicht heraushelfen, wie ſehr
man auch im Traume meint, die Augen auf-
zuthun. Gehen ſie einem aber wirklich auf,
ſo wird in einem Nu auch wieder alles in der
Welt vernuͤnftig.
G 4
[104]
Darum habe ich oft gedacht, wir moͤchten
wohl unſern Verſtand nicht ſo ganz an uns
ſelbſt haben; und ich denke es gern, wegen
der guten Ausſichten fuͤr das Mehr bekom-
men, welche ich da finde, und wegen des
Fingers, der mich zurecht weiſt, den ich er-
greifen und mich daran halten kann. Hoͤre
nur, wie Clerdon einmal, da ich zu B —
war, getraͤumt hat. Ich will Dirs von Wort
zu Wort aus ſeinem Briefe abſchreiben.
„Was mir die vorige Nacht erſchienen iſt,
liebe Amli, erraͤthſt Du nicht, und kein
Menſch wirds errathen. Alſo laß Dir erzaͤh-
len. Ich hatte mich zu Pferde geſetzt und war
bey Dir in B —. Wir ſitzen froh und ru-
hig beyſammen; da kommt der Bediente mit
einem Briefe. Nachrichten von Hauſe!
rufſt Du; erbrichſt mit Ungeduld das Siegel
und lieſeſt. Gott im Himmel, Clerdon!
ſagſt Du ploͤtzlich; ich bin geſtern mit drey
Kindern niedergekommen, zwey Knaben und
einem Maͤdchen. — Das iſt unmoͤglich, gebe
[105] ich Dir zuruͤck; Du biſt ja hier geweſen.
Wohl! antworteſt Du; aber lies den Brief:
Du kennſt Lenorens und Claͤrchens Hand; ſie
ſchreibens beyde. Ich habe viel ausgeſtan-
den; aber ich befinde mich wohl, und meine
Kinder leben. Ich ſehe den Brief an, wer-
de uͤberfuͤhrt, laſſe in groͤßter Eile ſatteln,
um nach Hauſe zu jagen, damit die armen
Kinder Ammen und Taufe bekommen.”
Sieh, liebe Herzige, ſo wunderlich kann
es in der Welt zugehen, wenn man nicht in vol-
lem Ernſte mit dabey iſt; ſondern nur davon
ſich traͤumen laͤßt. Ach, Schweſterchen; und
es giebt ſchlimme, ſchlimme Traͤume! —
und man kann nicht glauben, waͤhrend man
traͤumt, daß es nur getraͤumt iſt. Verzeihe
meine Anſpielungen, und komm nur zu uns,
wo Dir die ſchlimmen Traͤume gewiß verge-
hen und die Augen offen bleiben ſollen.
Clerdon hat Dich wegen Allwill auf mich
verwieſen: ich wuͤrde Dir ausfuͤhrlich
G 5
[106]von ihm erzaͤhlen. Das iſt Neckerey von
ihm. Er weiß, daß ich nicht ganz ſeiner Mei-
nung uͤber den Helden bin, und will aus Rach-
ſucht mich in die Verlegenheit ſetzen, entweder
Partey wider meinen Herrn zu ergreifen,
und um den Ruhm meiner graͤnzenloſen Unter-
thaͤnigkeit zu kommen, oder ein wenig zu heu-
cheln. Wirklich habe ich in dieſer Verlegenheit
Dir von Allwill nur obenhin geſchrieben, und
ihn blos vorkommen laſſen, wo und wie er wirk-
lich vorgekommen war. Das heißt Clerdon ſich
tuͤckiſch aus dem Handel ziehen. Er ſagt: es
ſey unverantwortlich von mir, da
mir die wahre große Andacht, die All-
will zu mir habe, bekannt ſey, daß
ich ihn ſo fuͤr eben viel behandelte.
Gut denn! Ich will in mich gehen, und habe
ſchon angefangen. — Zuerſt habe ich genau
wiſſen wollen, wie alt der junge Mann ſey;
denn Clerdon hat uns daruͤber in große Ver-
wirrung gebracht. Dir hat er geſchrieben,
Allwill ſey zwey und zwanzig — oder wa-
rens drey und zwanzig? — Jahre alt, und
[107] ich mußte ihn deswegen loben, weil er ihn hier
gewoͤhnlich kaum zwanzig Jahre alt ſeyn laͤßt,
und wir uns oft genoͤthigt ſehen, ihn noch dar-
unter anzunehmen. Dieſen Noͤthigungen ein
Ende zu machen, habe ich mir eine Urkunde
verſchafft, die ich bey Gelegenheiten vorzeigen
werde, nach welcher Allwill heute unwider-
ſprechlich fuͤnf und zwanzig Jahre, drey
Monate und ſieben Tage alt wird.
Begreifſt Du, warum Allwill nicht einerley
Alter haben darf? Ich daͤchte, ſoviel Einer-
ley duͤrfte doch wohl in ihm ſeyn, ohne daß
es einem Langeweile machte. Es iſt gewiß
eine ſchoͤne Sache um die Jugend; und da All-
will ſo vieles weiß, ſo vieles kann, große An-
lagen ſo treflich entwickelt hat, und ſich die
meiſte Zeit wirklich zum Bewundern gut aus-
nimmt, ſo iſt es eine Zierde mehr fuͤr ihn, daß
er noch ſo jung iſt. Aber ich daͤchte doch, er
waͤre jung genug mit kaum fuͤnf und zwan-
zig Jahren. Auch kommt das nie vor, daß er
kaum zwey und zwanzig, oder gar noch nicht
zwanzig Jahre alt iſt, wenn allein ſein
[108] Lob erſchallen ſoll; ſondern bey andern Vor-
faͤllen. Davon iſt Clerdon erſt recht warm fuͤr
ihn geworden, daß er ihn ſo oft vertheidigen
mußte, und die Vertheidigung von geſtern ſich
mit der Vertheidigung, die morgen noͤthig
wurde, nicht vertragen wollte; mit der von
uͤbermorgen noch weniger, und ſo immer viele
neue Kuͤnſte und groͤßere Anſtrengungen noͤthig
wurden. Die Anſtrengung allein vermehrt
ſchon den Eifer, habe ich oft von Clerdon
gehoͤrt; alsdann der Eifer wieder die Anſtren-
gung: ſo macht man ſich eine Sache eigen —
ſagt Clerdon — vergißt ſich ſelbſt und lebt
nur in dieſer Sache; wird Eins mit dem
Dinge, das man treibt — — Sylli,
wenn die Liebhaberey an Allwill mir den Cler-
don mit ruchlos machte? Fort, fort mit dem
boͤſen Menſchen!
Habe ich das Eis gebrochen, Schweſter-
chen? Warte, es wird allmaͤhlich noch beſſer
kommen. Umſonſt ſoll mich Clerdon nicht ge-
hetzt haben. Immer tiefer will ich in mich
[109] gehen, bis er ſelbſt in ſich geht, oder wenig-
ſtens das Hetzen laͤßt.
Dieſen Augenblick erhalte ich ein Billet aus
Heimfeld. Die Maͤdchen haben einen Brief
von Dir erhalten, den ſie mir aber nicht
ſchicken, weil ſie den Nachmittag ſelbſt herein
zu kommen denken, und gern dabey ſeyn wol-
len, wenn ich ihn leſe. Ich lobe mir das; denn
nun kann ich mich doppelt auf die lieben guten
Maͤdchen freuen. Soll ich nun dieſen Brief
bis uͤbermorgen liegen laſſen? Behuͤte der Him-
mel! Er ſoll dieſen Augenblick geſiegelt werden,
und auf die Poſt.
[110]
XII.
Sylli an Lenore und Claͤrchen.
Ich habe dreymal hintereinander nach C * *
geſchrieben; aber die arme Sylli muß nur
wieder geſchwinde hinſitzen, und noch einmal
nach C * * oder Heimfeld ſchreiben, ſonſt haͤlt
ſies nicht aus. Es iſt ihr von neuem ſo trau-
rig ums Herz; ihr Sehnen nach Euch hin iſt
in ſo ſtarkem Schwunge, daß ſie unmoͤglich ſich
zur Ruhe bringen kann. — Dieſen Morgen,
unterdeſſen Suſanna ſie anziehen half, kam
eine Einladung … Antwort: „Meine Em-
pfehlung; ich wuͤrde aufwarten gegen Abend.” —
Und nun ſeufzte die arme Sylli, und konnte
ſich nicht enthalten zu Suſanna zu ſagen:
„Wer nur fliegen koͤnnte! Ich wuͤßte wohl
„wohin ich auf Veſuch floͤge.” Die hoͤlzerne
Suſanna hatte nichts hierauf zu antworten.
Das Maͤdchen iſt mir ein allzu unbehuͤlfliches
Geſchoͤpf. Auf Empfindung bey ihr machte
[111] ich gern keine Anſpruͤche; aber auch nicht ein-
mal ſo viel Fantaſie, ſo viel Glaube, daß ſie
an mich und Euch auf irgend eine Art zu
hangen kaͤme. — Doch iſt es keine Glieder-
puppe! denke ich wohl einmal, und verſuche
neuerdings, dies oder jenes bey ihr anzubrin-
gen; aber da kommt ſie mir ein wie allemal
entgegen mit ihrer Seele, eben ſo hoͤlzern,
wie mit der vorgereckten Bruſt ihres Leibes.
Auch wenn ſie wohl von ſelbſt des Herrn Re-
gierungs-Raths oder der Frau Regierungs-
Raͤthin erwaͤhnt, welche ſie gekannt zu
haben die Gnade gehabt hat; ſo hat ſie
dabey ein ſo unlebendiges Ausſehen, wie die
Toilettſchachteln, neben denen ſie ſteht, mir
die Nadeln daraus zu reichen … Seht, Kin-
der! ſo gehts mir.
Die vergangene Woche war wegen meines
boͤſen Rechtshandels ein Vergleich im Vor-
ſchlage. Ich mußte bey dieſer Gelegenheit
allerhand fatale Leute ſehen; hauptſaͤchlich
denn auch den grundſchlechten Gierigſtein.
[112] Der alte Unhold war mir lange nicht vor
Augen gekommen; ich erſchrack vor ſeiner
Geſtalt, die ſeitdem noch um vieles widriger
geworden iſt. Denkt nur, der Menſch mach-
te mir Vorwuͤrfe, und zuletzt, nach einigem
hin und wieder reden, fieng er gar an zu
weinen. Ach! daß Augen wie die ſeinigen —
daß alle Augen Thraͤnen haben! Einem
Gierigſtein, wenn er weinen wollte, muͤß-
te, ſtatt der Thraͤnen, etwas aus den Augen
kommen, was man wie Staubflocken von
ſich abſchuͤtteln koͤnnte; denn Thraͤnen ruͤh-
ren einen doch immer, betriegen einen. An
dieſem Gierigſtein iſt es mir zum Schre-
cken aufgefallen, was fuͤr eine Geſtalt zum
Vorſchein kommt, wenn einem verkehrten
Menſchen das Alter die Maske wegdorret,
Fleiſch und Farbe ſeine Zuͤge nicht mehr ver-
huͤllen. Da zeigt ſich die abgehaͤrtete Nerve.
Erſtarrt im Haͤßlichen liegt ſie da zur graͤß-
lichen Schau: da bebt der nackende Mund,
der kalte, unholde; da zittert das truͤbe Au-
ge, deſſen Blick, nicht mehr lenkſam, harren
muß
[113] muß im Ausdruck des Argen; da ſchlappt,
Odemleer, die Naſe, verkuͤndiget Stadt-
Neuigkeiten, Skandale, und weiter nichts;
da ſenkt ſich die kraftloſe Stirne, auf welche
Furchtſamkeit und Mißtrauen die Hauptrun-
zeln gepraͤgt haben. — Es iſt ein peinlicher
Anblick, ein wahres Hoͤllenbild, ſo ein ganz
verkommener Menſch, der nun offenbar heil-
los in die Erde hinunter ſtarrt! — Meine
Mutter, die Suͤße, Liebe, o, wie war die ſo
ſchoͤn durch ihre ſchoͤne Seele! — Sie ver-
ſchwand wie ein Engel. Nie werde ich das
liebe Bild vergeſſen; werde es noch oft wieder
anfriſchen mit Thraͤnen, mit Freudenthraͤ-
nen uͤber die liebe Mutter, daß ſie ſo war,
und daß ſie ſo ausſah.
Ich moͤchte wiſſen was Ihr heute treibt.
Beyſammen ſeyd Ihr gewiß, denn es iſt
Sonntag; aber was fuͤr eine Art Wohlleben
Ihr mit einander habt, wie und wohin Ihr
Euch mit einander weidet, darauf ſinn ich.
Iſt Amalia die Heerfuͤhrerin, dann gehts
H
[114] wohl nach der Faſanerie, und Ihr bekommt
Gebackenes, Milch und Muſik; iſt aber
Clerdon an der Spitze, dann geht es in den
Wald, oder uͤber die Felder laͤngſt der Donau,
und Ihr holt Euch Hunger und Durſt. — Und
Euer eigenes Geſchaͤft dabey, Ihr zwey loſen
Maͤdchen? Was wohl unter Euren Schalksau-
gen ſich fuͤr Gluͤck und Ungluͤck zutraͤgt? …
Daß nur von Eduard keine Frage ſey! An
dieſem Eduard in Eurer Mitte kann ich un-
moͤglich Behagen finden; und ich ſehe aus ei-
nem Briefe, den ich geſtern von Clerdon (*) er-
hielt, und der groͤßtentheils von Allwill han-
delt, wie ſehr dieſer unter Euch gelitten iſt.
Was ich von ihm erfahre, was mir auch
mein Bruder (**) von ihm meldet, der doch
gewaltig auf ihn haͤlt, macht mich zittern fuͤr
Unheil. Der unbaͤndige Menſch mag wohl
dabey ein wackerer Junge ſeyn, und es mit
andern gewoͤhnlich beſſer meynen, als mit ſich
[115] ſelbſt: aber dadurch wird er nur gefaͤhrlicher;
das giebt ihm die offene, unſchuldige Miene,
wogegen kein Rath iſt, worauf man ihm die
Hand von ferne reicht, ſich ihm anſchlingt,
und Gemeinſchaft mit ihm macht. Erſt hin-
tennach wird man gewahr, was er fuͤr un-
ſichere Straßen wandelt, wie verwegen er im
Handel iſt, wie wohlfeil er ſeine Haut bietet,
und folglich die ſeines Genoſſen mit . . . .
Nun ein Maͤdchen, das ſeines Weges kaͤme —
dieſem auszuweichen — wie waͤre es moͤglich?
So ward unſere Luzie hingewagt, ſo gieng
uns das ſuͤße Geſchoͤpf verloren; denn ſie
ſtirbt, Kinder, und ihr Tod iſt dieſer
Allwill?
Nie war der Holden ein Juͤngling er-
ſchienen wie Allwill — ſo ſinnig, ſo beſchei-
den und zugleich ſo voll Geiſt und edlen Ei-
fers. Keine Tugend, keine Liebenswuͤrdigkeit,
die ſich nicht in ihm abſpiegelte, wie Sonn
im Meer; und das ſo ganz aus nackender
Eigenſchaft ſeiner Natur. Ueberall in vollem
H 2
[116] Entzuͤcken uͤber fremdes Verdienſt, war ſein
einziges Beſtreben, daß er nur gelitten
wuͤrde. Eine ſo ruͤhrende Einfalt, bey ſo
vielen Vortreflichkeiten, bey dem ſchoͤnſten Ju-
gendglanze, mußte jeden bezaubern. Unſerer
Luzie — dies alles vor Augen! … O, ich
ſehe den Engel — ſtill und unbemerkt in der
Ferne ſchweben — beten fuͤr den ſeltnen
Juͤngling — Entzuͤndet nur in Freude,
in reiner Engels-Freude uͤber den
Edlen! … Und dennoch war es Gift! …
Kinder! wenn es Euch nur hiebey ſchaudern
koͤnnte, wie es mich ſchaudert! …
Thoͤricht! Es kann Euch ſo dabey nicht
ſchaudern. Aber wie rette ich Euch? Cler-
don, Amalia, huͤtet mir die zwey lieben Ge-
ſchoͤpfe!
Es ſoll unerhoͤrt ſeyn, daß dieſem Eduard
je ein Anſchlag mißlungen waͤre. Er wagt ſein
Alles an die Erreichung jedes Zwecks.
Wer ihm abgewoͤnne, gewoͤnne ihm nie weni-
[117] ger, als ſein Leben, ab. Clemens nennt ihn
einen Beſeſſenen, dem es faſt in keinem
Falle geſtattet ſey, willkuͤhrlich zu handeln. —
Ein ſchrecklicher Charakter! — Und was fuͤr
ein Goͤttliches Anſehen der Menſch ha-
ben muß, wenn er das Gute, das Schoͤne ver-
folgt! — O, huͤtet euch! O, flieht! — Du
Lenore beſonders; du mit dem zarten durch-
dringlichen Sinn! — Glaube mir, Beſte!
Liebe macht uns Weiber immer ungluͤcklich. Die
Maͤnner verdienen ſo wenig das Opfer unſeres
Daſeyns, daß ſie nicht einmal anzunehmen
wiſſen, was wir ihnen geben. Das Gluͤck ein
ganzes Herz zu beſitzen — wie ſollten ſie
das ſchaͤtzen koͤnnen, da ihr Herz nie einen
Augenblick ganz, nie ein Gefuͤhl des Herzens
bey ihnen lauter iſt? Keine Wonne, nicht
die hoͤchſte der Menſchheit, gilt ihnen ſo viel,
daß ſie dieſelbe rein bewahrten. Keine Em-
pfindung iſt ihnen in dem Grade lieb, daß ſie
nicht durch eckelhafte Vermiſchungen ſie
truͤbten, ihr Bild entweihten. Die Fuͤlle
des Koͤſtlichen — die ſchmecken ſie nie,
H 3
[118] haben ſie nie; darum kann ihnen nie genuͤgen;
darum ſind ſie — ohnmaͤchtig zur Liebe.
Wir Arme merken das nicht gleich; wir
glauben wohl gar eine Zeitlang ſtaͤrker geliebt
zu ſeyn, als wir ſelbſt lieben. Aber, o wie
bald offenbart ſich das anders! — Da ſtehen
wir dann dem Geliebten gegen uͤber, und
fuͤhlen durch unſer ganzes Weſen: — Dein!
— fuͤhlen durch unſer ganzes Weſen: —
nicht Mein! … Wenn Du das Graͤß-
liche — die unausſprechliche Schmach des
Gefuͤhls ahnden koͤnnteſt: — ich — Dein!
Du — nicht Mein! — — Verloren zu
ſeyn, ganz verloren an einen andern …
Unſer eigenes Selbſt entflohen aus uns —
entflohen aus Ihm … Gar kein Daſeyn
mehr! Man iſt verſchwunden unter den Le-
bendigen; getilget mit Schande aus ihrer
Zahl — Elend ohne Maaß, ohne Namen! …
[119]
XIII.
Lenore an Sylli.
Du weißt von Amalia, daß wir Deinen
Brief erhalten haben, und mit dem Briefe zu ihr
kommen wollten. Uns hatte dieſer Brief trau-
rig gemacht, und ich weiß nicht in was fuͤr
eine Bangigkeit verſetzt, die wir uns ſelbſt nicht
zu erklaͤren wußten, und wovon wir ganz miß-
muͤthig waren. Amli ſchalt uns daruͤber,
erzaͤhlte uns was Sie Dir geſchrieben haͤtte,
hieß uns gutes Muths ſeyn, und floͤßte uns
eine ſolche Zuverſicht zu Deinem nahen Kom-
men ein, daß wir heiter, und, am Ende,
lauter Freude mit ihr wurden. Da ſie uns wie-
der froh hatte, warnte ſie uns hinterher noch
einmal: nicht, ſagte ſie, vor dem betruͤbt,
ſondern vor dem truͤbe ſeyn.
Was Du von Allwill ſchreibſt, war ihr,
wegen Clerdon, ſehr willkommen; ob es gleich,
H 4
[120] ſagte ſie, im Guten wie im Boͤſen, etwas uͤber
die Schnur gienge. Aber deſto beſſer fuͤr mei-
nen Gebrauch, ſetzte das loſe Weib hinzu.
Claͤrchen und ich, wir ſollten ihr beym Angriffe
helfen; und es war drollicht, wie ſie uns die
Verhaltungsbefehle daruͤber ertheilte. Ich
ſchlug vor, wir wollten erſt Probe halten.
Beyleibe nicht! ſagte Amli; wenns denn nicht
ſo kaͤme, wie wir probiert haben, ſo wuͤrden
wir irre. So giengs fort, und wir trieben
ſonſt noch allerley, und waren eben in gewal-
tigem Lachen, als Clerdon ins Zimmer trat.
Du wirſt zanken, rief ihm Amli entgegen.
Claͤrchen hats gethan; die ſtand, eh ichs
mich verſehen konnte, auf dem Stuhl, und
langte den Caͤſarskopf von der Conſole herun-
ter, um an ihm zu verſuchen, wie uns die
Hauben da ſtehen wuͤrden. Es uͤberlief mich
kalt, da ſie hinauf langte; und ich habe gewal-
tig geſchrieen. Aber da der kahle Herr einmal
gluͤcklich auf der Commode ſtand, habe ich ihn
auch fuͤr mich wegen einer Haube zu Rathe ge-
[121] zogen, und ihn auch um das Maͤntelchen ge-
fragt, daß er noch anhat. Nein! ſagte Cler-
don nur mit halbem Lachen; ſolche Schaͤcke-
reyen muͤßt ihr nicht treiben. Du unnuͤtze
Claͤre, wenn du mir den Kopf zerbrochen haͤt-
teſt, wie erholte ich mich an dir? Wollte ich
den deinigen auch dagegen nehmen; ſo paßte
er ja nicht zu den uͤbrigen?
Caͤſar mußte nun geſchwinde Haube und
Maͤntelchen zuruͤckgeben, welches er im Leben
wohl nicht gethan haͤtte; und Clerdon ſetzte ihn
wieder an ſeine Stelle.
Die Maͤdchen haben einen Brief von Sylli,
ſagte jetzt Amalia, und kamen ſo beklommen
hierhin, daß ſie mich dauerten. Du mußt
durchaus Rath ſchaffen, daß die Schweſter
zu uns kommt; oder Ich ſchaffe Rath und
ziehe nach E *; denn meine Sylli ſoll nicht
umkommen ohne mich!
Es war ſchoͤn, ſehr ſchoͤn, liebe Sylli,
H 5
[122] wie Amalien hiebey die Thraͤnen in den Augen
ſtanden; und wie auf ihren Wangen und um
ihren Mund, Zuͤrnen, Laͤcheln und Bitten
wechſelte und beyſammen war.
Du kennſt den Blick von Clerdon, womit
er wie zu Amalien hinuͤber langt, ſie anruͤhrt;
und wie ihr denn die Hand ſchon bebt, die er
fodern wird, um Mund und Stirne darauf zu
druͤcken, und die Augen wieder auszuruhn.
Da Clerdon den Brief geleſen hatte,
ſtand er auf, ohne ein Wort zu ſagen, und
gieng mit uͤbereinander geſchlagenen Armen im
Zimmer auf und nieder, den Kopf bald tief ge-
ſenkt, bald in die Hoͤhe gerichtet.
Clerdon! rief Amalia: wenn du auf Rath
ſinnſt, ſo wird dir das morgen in der Fruͤhe
beſſer gelingen. Beſinne dich jetzt nur, und
ſage uns, was Lenore wegen Allwill ant-
worten ſoll.
[123]
Mir war ganz heiß; denn was eben vor-
gegangen war, und Clerdons finſteres Auf-
und Abgehen, hatte mich wieder in die Weh-
muth verſetzt, mit der ich von Heimfeld ge-
kommen war. Ich lag in Gedanken vor Dir
auf den Knieen, weinte und ſchluchzte in Dei-
nem Schooß.
Aber wie ſchoͤn hier Amalia den Gang der
Unterredung leitete: ach, wenn ich Dir dies
erzaͤhlen koͤnnte! Beyde, Amalia und Clerdon,
ſagten treffliche Dinge. Aber alles, was
Amalia ſagte, war ſo ganz uns geſagt, ſo gut,
ſo unvergeßlich und ſo wahr; und wie ſich
das machte, und immer beſſer machte, uͤber-
all von ſelbſt unter Ernſt und Scherz; wie
auch Claͤrchen und ich unſer Woͤrtchen bequem
einzumiſchen fanden, ſo daß wir bey dieſem
Woͤrtchen das uͤbrige noch beſſer behielten,
und es hintennach uns eindringlicher machen
konnten — Liebe! es laͤßt ſich nicht aufſchrei-
ben. Aber ſey Du nur ruhig unſertwegen;
ſo lange wir in Amaliens Naͤhe ſind, wird
[124] kein Boͤſes, wenn es uns auch beruͤhrte,
uns etwas anhaben koͤnnen.
Ich habe Claͤrchen in der Stadt gelaſſen,
wo ſie bis Montag bleiben wird, um fuͤr
Clerdon verſchiedenes abzuſchreiben, was er
nicht in andere Haͤnde geben mag; und mit
ihm, wie er hinzuſetzte, zu uͤberlegen und
zu diſputieren. Das iſt nicht blos zum
Lachen mit dem Diſputiren; beyde ſind be-
ſtaͤndig an einander, und wer anfaͤngt, das iſt
immer Claͤre. Gewoͤhnlich mit einer
Frage. Dann iſt ſie mit der Antwort nicht
zufrieden; und fragt weiter; iſt wieder, und
noch einmal, und immer weniger zufrie-
den: damit iſt der Streit im Gange, der
ſchon mehr als einmal Zank geworden iſt.
Clerdon ſagt ihr, ſie waͤre von ſo ſchwerem
Begriff und ſo eigenſinnig, daß er ſie fuͤr kei-
nen Preis zu ſeiner Uebung miſſen moͤchte.
Wir alle ſtehen uns ſehr wohl bey dieſem
Unfrieden, und loben uns das Abſchreiben,
aus dem er nach und nach entſtanden iſt.
[125] Du kennſt Clerdon, wie er jede Gefaͤlligkeit,
die man fuͤr ihn hat, einem gern zur Luſt
macht, und keinen Ochſen, der da driſchet,
mit verbundenem Maule ſehen kann. Dies
hat die ſchlaue Claͤre wohl benutzt, und ſich
bald vom Geheimſchreiber zum wirklichen
Beyſitzer empor geſchwungen. Natuͤrlich
mußten Amalia und ich bey dieſer Standes-
erhoͤhung mit befoͤrdert werden; und wir haͤt-
ten es gewiß nicht zugelaſſen, daß es in un-
ſeren Koͤpfen weniger kraus wuͤrde, als in
Claͤrchens Koͤpfchen. Welche Luſt uns das
ſchon gemacht hat, und wie ſchoͤn wir unſern
Clerdon oft damit um ſeine Zeit bringen, kann
ich Dir nicht ſagen. Wir fuͤrchten nur, Claͤre
wird uns am Ende wirklich zu gelehrt, und
kann nicht mehr ſo recht mit ſpaſſen. Denn
das hat ſie ſchon an ſich, daß, wenn wir mit
Clerdon wider ſie gemeine Sache machen, ihr
das Achſelzucken ankommt. Schlagen wir uns
hingegen zu ihr, ſo laͤßt ſie es gelten, und
wir duͤrfen alsdann, mit ihrer Erlaubniß, zu-
weilen gar das große Wort fuͤhren.
[126]
Geſtern uͤber dem Nachteſſen wurde Cler-
don ſehr aufgeraͤumt, und erzaͤhlte uns zuletzt
ein tolles Maͤhrchen, welches ich durchaus Dir
wieder erzaͤhlen ſoll — um meinen Brief zu
erheitern, ſagte der boshafte Mann. Ich
habe ihm die Hand darauf gegeben. Da muß
ich aber weit ausholen, und ich wuͤnſche nur,
daß Du recht dabey gaͤhnen moͤgeſt; denn das
iſt die Abſicht.
Hoͤre an!
Wir machten vorgeſtern die Reiſe nach
der Stadt im Cabriolet. Die Luft war hell
und ſtrenge. Von dieſer ſtrengen Luft und
der blanken Sonne waren Claͤrchen, welche
dazu die Nacht nicht viel geſchlafen hatte,
die Augen etwas ſchwer geworden. Das ver-
gieng ihr nachher, und ſie fuͤhlte die ganze
Zeit vor Tiſche nichts davon. Waͤhrend dem
Nachteſſen aber kam es deſto ſtaͤrker wieder,
ſo daß ihr zuletzt mitten im Reden ein paarmal
die Augen zufielen. Clerdon wollte wiſſen,
[127] wovon ſie ſo ſchlaͤfrig geworden ſey. Sie
ſchob es auf die Katzen, die mit ihrem ab-
ſcheulichen Geheule ſie die vorige Nacht nicht
haͤtten ruhen laſſen. Armes Kind! ſagte
Clerdon; und wenn du erſt wuͤßteſt, was den
Kaͤtzchen bey dem Heulen im Sinne liegt,
du wuͤrdeſt noch weniger ſchlafen koͤnnen.
Darum will ichs dir jetzt zur Strafe erzaͤh-
len, weil du bey Tiſche genickt haſt; und ich
bin gewiß, du nickſt nicht mehr.
Am Anfange der Katzen wurde ein
bildſchoͤner Kater einem bildſchoͤnen Kaͤtzchen
hold, kreuzte ihm beſtaͤndig vor den Augen
herum, und machte ſo lange, bis ihn das
Kaͤtzchen gern ſah. Einmal nun, da das gute
Kaͤtzchen an der Zaͤrtlichkeit ſeines Freundes
den groͤßten Gefallen hatte, und vor Wonne,
ſich ihn ſo ganz eigen gemacht zu haben, auſſer
ſich war, erſcheint ein Maͤuschen. Mein Ka-
ter, auf und davon, dem Maͤuschen nach.
Und mein Kaͤtzchen — mit einem Zeterge-
ſchrey — ſinkt in Ohnmacht! Alle Kaͤtzchen
[128] kommen herbey; und wie ſie hoͤren was geſche-
hen iſt, faͤllt es jedem aufs Herz, wie ihm eben
das begegnen und noch einmal begegnen koͤnne.
Da machen ſie denn unter großem Geheul zu-
ſammen aus, daß ſie jedesmal, wenn ihr Lieb-
haber ihnen zu Fuͤßen laͤge, und ſie ihn gern
zu ihren Fuͤßen liegen ſaͤhen, das Geheul von
heute wiederholen wollten, damit alle Maͤuſe
vor Schrecken ſich tiefer in ihre Loͤcher verkroͤ-
chen, und Liebhabertreue unangefochten ließen.
So der Naturforſcher Clerdon!
Zu dieſer Poſſe ſoll ich Dir noch eine ande-
re, und zwar in demſelben Briefe, von we-
gen Amalia, der ich auch die Hand darauf
habe geben muͤſſen, hinterbringen. Und ganz
ernſthaft ſoll ich dabey ausſehen; denn es be-
trifft eine Pommade, wovon einem die Haare
wachſen, ſo lang und ſo viele, und wie und wo
man es verlangt. Willſt Du ein Front à la
grecque ganz natuͤrlich, ſo daß Stirnhaar und
Augenbraunen zuſammen kommen? Es ſteht
bey
[129] bey Dir. — Das iſt aber nicht die Hauptſache;
ſondern die Hauptſache iſt, Dir zu erzaͤhlen,
wie wir dazu gekommen ſind.
Alſo: — gaͤhne ſo viel Du willſt! — Alſo,
ſage ich: wir ſtanden geſtern Morgen am Fen-
ſter unten im Saal; ich, ganz reiſefertig, in
Erwartung des Cabriolets, welches den Au-
genblick vorfahren ſollte, um mich wieder nach
Heimfeld zu bringen; neben mir Amalia und
Claͤrchen: ſo ſtanden wir, ſage ich noch einmal,
am Fenſter, als eine wunderliche Geſtalt von
einem Menſchen, mit einem Haarzopfe — ich
luͤge nicht! — ſo dick wie Dein Arm, und
Seitenhaaren wie Loͤwenmaͤhnen dicht an uns
vorbeyſchwebte. Gleich darauf hoͤrten wir klin-
geln, und es wurde uns ein Franzoſe gemeldet,
welcher kleine Toͤpfchen vorgezeigt und dringend
um Gehoͤr gebeten haͤtte. Wir waren neugie-
rig, die wunderliche Geſtalt genauer zu betrach-
ten, und ließen ſie hereinkommen. Sie kuͤn-
digte ſich gleich als ein Zeichen und Wunder
der Wahrheit an von dem, was in einer An-
J
[130] zeige, die uns uͤberreicht wurde, geſchrieben
ſtand. In der Anzeige ſtand auch von Ma-
dame Amon, „daß der Liebhaber an der
„Menge ihrer Haare von dem Effekt der Pom-
„made ſich gleichfalls uͤberzeugen koͤnne.” —
Nun iſt allein die Frage: ob Du fuͤr einen gan-
zen, oder nur fuͤr einen halben Dukaten Haare
befiehlſt? denn ſo ſind die Toͤpfchen eingetheilt.
Ich denke, da der Menſch einen ſo unermeßli-
chen Haarzopf und ſo gewaltige Maͤhnen hat,
Du haͤtteſt fuͤr einen halben Dukaten uͤberfluͤßig.
NB! Auch wo keine Haare ſind, noch waren,
bringt dieſe Pommade welche hervor; bey jun-
gen Leuten in zwey, bey aͤltern aber erſt in drey
Monaten. Verſchiebe nicht, Amalien Deine
Auftraͤge zu geben; ſonſt heißt es, ich haͤtte die
Sache nur ſo obenhin, und wohl gar etwas
unglaͤubig ausgerichtet.
Sage mir, liebe Sylli, was iſt die Glocke?
Du denkſt gewiß, es ſey Mittag, weil ich ſo
viel geſchrieben habe, und verweiſeſt mir, daß
ich nun mit dem Ankleiden nicht zu rechter Zeit
[131] fertig ſeyn werde. Hoͤre; da ſchlaͤgt es ſieben!
und ſieh die Sonne, wie ſie eben uͤber das Eck
meines lieben blauen Tiſches ſich herbey macht.
Ich bin Punkt drey aufgeſtanden; und das ha-
ben mir die haͤßlichen Katzen mit ihrem Poltern
und Schreyen angethan. Sonſt ſchlafe ich leicht
uͤber dem Laͤrm ſelbſt wieder ein, und bleibe
nachher im Schlafe; aber die Erinnerung an
Clerdons Poſſe machte mirs ſo laͤcherlich, daß
ich vollends aus dem Schlummer kam. Da
entſchloß ich mich denn kurz und gut zum Auf-
ſtehen. Du biſt jetzt auch aufgeſtanden, und
ich koͤnnte Dich meinen Brief beym Fruͤhſtuͤcke
leſen laſſen, wenn nicht die Entfernung den
ungluͤckſeligen Bund mit der Zeit haͤtte. Laß
mir dieſe ungereimte Klage hingehen, damit ſie
mir Weg mache, der Zeit und Entfernung zum
Trotz, Dir meinen Brief zu Deinem heutigen
Fruͤhſtuͤcke wenigſtens zu dedizieren. Em-
pfange den Morgengruß, den ich von meinem
blauen Tiſche her, unter dem frohen Gezwit-
ſcher einer Menge Voͤgel, die in unſeren Hecken
und Obſtbaͤumen flattern und niſten, an Dich
J 2
[132] abfertige, und der ſich durch das alles hindurch
recht friſch in einem Nu zu Dir hin begeben
ſoll — Empfange ihn, und nimm ihn als eine
Weiſſagung froher Tage in Dein Herz auf; laß
ihn da gedeyhen; ſprich zu ſeiner Weiſſagung:
Es werde wahr!
Lenore.
[133]
XIV.
Beylage zu Lenorens Briefe.
Lenorens Brief kam zu ſpaͤt, um noch geſtern
Abend mit der Poſt abzugehen, und das war
recht gut, ſage ich; denn nun kann ich Dir
auch einen ſchoͤnen Morgen bieten, einen ſo
ſchoͤnen als der von Lenore immer ſeyn mochte.
Ich ſitze oben, in dem gruͤnen Zimmer, und
ſchaue uͤber die Caſtanienallee weg, gerad aufs
freye Feld. Am Himmel herum ſchwebt duͤn-
nes Gewoͤlk, ſo ſchoͤn bemahlt von der aufge-
henden Sonne, daß es wohl ſchoͤner iſt, als ſie
ſelbſt; aber doch bin ich auf der Lauer, und
meyne alle Augenblicke ſie hervorbrechen zu ſe-
hen. Wie meynſt Du, daß es meinem Stumpf-
naͤschen laͤßt, ſo hoch uͤber die hohen Gipfel
weg in die Sonne zu blicken, gleich dem ma-
jeſtaͤtiſchen Donnervogel? Ich muß
ſelbſt daruͤber lachen. Aergerlich iſt es aber
doch, ein Geſichtchen zu haben, dem ſo etwas
nicht laͤßt.
Liebe Sylli, ich ſchaͤme mich jetzt, neulich
J 3
[134] daruͤber gemurrt zu haben, daß wir ſo fruͤh
aufs Land ſollten: aber Du weißt, Heimfeld
iſt eine Stunde weit von Clerdons Hauſe; und
dann, wer haͤtte binnen unſern dreyfachen
Mauern ſich einbilden koͤnnen, daß drauſſen
ſchon der Fruͤhling waͤre? Hecken und Straͤu-
che gruͤnen; und uͤberall — aus der Erde her-
auf — von allen Zweigen herab — faßt es
einen doch ſo lieblich, aͤugelt einen an, o, ſo
herzig, wie ein Mutterauge den angeſchlunge-
nen Saͤugling. Ich kann Dir nicht ſagen, wie
es mir ans Herz greift — ſo nahe, Sylli, ſo
nah und immer naͤher, daß mir bange iſt fuͤr
meinen lieben May, wenn er kommt, ich
moͤchte ihm wohl ein wenig untreu geworden
ſeyn.
Vorgeſtern ſpazierten wir nach Son-
nenuntergang laͤngſt den Ufern der Donau. Ich
ſetzte mich hin und ſang: „Maͤdchen, laßt euch
die Freude ſchmecken.” Hinaufwaͤrts den
Strohm ſah es dunkel — dunkel und dunke-
ler; — und hell und heller hinab. So ſahen
[135] wir den Tag von dannen ziehn; und gerade
uͤber uns die Nacht, ihm an der Ferſe. Leiſe
rauſchte, nah an mir vorbey, der herrliche
Fluß, und ſpiegelte den Himmel ab mit ſei-
nem Abendroth und ſchoͤnfarbichten Gewoͤlk
und mit ſeiner Nacht. Ich erinnerte mich
Deiner, beſte Sylli, und ſegnete Deine Seele,
mit der heitern Ruhe, welche rund um mich
her uͤber alles, und auch uͤber mich ſich ergoß.
Beym Weggehen rief ich Dir, gute Nacht!
Eben blickte der erſte Stern hervor, und ich
warf Dir einen Kuß zu. Haſt Du ihn gefuͤhlt?
Was ich beynah vergeſſen haͤtte! — Die
verlaͤumderiſchen Nachrichten von mir in Le-
norens Briefe: wirſt Du ſie ungeruͤgt laſſen?
Einem Lamme, wie Dein Claͤrchen iſt, ſo
mitzuſpielen! Aber beſtrafe ſie doch nicht zu
hart, die arme Lenore; ſie meint es ſo boͤſe
nicht im Grunde. Nur daß ſie Dir ſo vor-
luͤgen darf, das iſt arg. Allein ſie betruͤgt
J 4
[136] ſich zuerſt, und beſchuldigt mich, die Nach-
giebigkeit und Demuth ſelbſt, der Rechtha-
berey, aus bloßem Parteyeifer. Alſo ſagt ſie
zwar das Ding das nicht iſt, aber man
kann ihr nicht Schuld geben daß ſie luͤgt.
Darum, liebſte Sylli: Gnade fuͤr Lenore!
Claͤrchen.
[137]
XV.
Claͤre an Sylli.
Du haſt jetzt ſchon Lenorens Brief vom
22ten mit meinem Nachſchreiben, und denkſt,
ich bin wieder zu Heimfeld; aber ſieh, ich bin
noch hier, und bleibe noch bis uͤbermorgen.
Unterdeſſen iſt es richtig geworden, daß je-
mand anders bald nicht mehr hier ſeyn wird,
und ich habe Dir dies, als eine ſehr gute
Nachricht, mit ſehr ſchwerem Herzen zu
berichten. Clerdon hat den Auftrag, wovon
Du weißt, daß er ihn ſich wuͤnſchte, erhal-
ten. Wir muͤſſen uns alſo freuen. Nun ver-
reiſt er aber auf Gott weiß wie lange; und
daruͤber koͤnnen wir uns unmoͤglich freuen. Daß
Du reiſeſt: Das haͤtte ſollen richtig werden! —
Wird es denn nie?
J 5
[138]
Ach, Sylli! Warum hat allein die Seele
Fluͤgel! Und wie konnte ſie mit ihren Fluͤgeln
an den haͤßlichen Leim gerathen, der ihr das
Gefieder ſo zuſammen klebte, daß an kein Los-
werden in dieſer Zeit zu denken iſt? Dein
guter Plato ſpricht zwar von einem Schrinnen
und Jucken an der Stelle der Fluͤgel, welches
ein Zeichen des Losklebens ſeyn ſoll, und daß
ſie nun bald ſich hervorthun werden. Aber
ich glaube faſt, der gute Mann hat uns das
nur zum Zeitvertreibe erzaͤhlt; denn, wenn es
wahr waͤre, wie lange haͤtten wir beyde, Du
und ich, nicht ſchon andre als dieſe aͤrgerlichen
Gaͤnſefedern, womit wir ſo leidig zu einander
kommen.
Oft, liebe Sylli, wenn ich mich im An-
denken an Dich vertiefe, wandelt mich etwas
an, wie ein Naheſeyn von Dir. Es faͤhrt
mir ein Schauer uͤber das Geſicht, und noch
einer, und mir wird, als koͤnnte ich Dir ge-
bieten, zu erſcheinen.
Wenigſtens ſo wird es einmal ſeyn, ſage
[139] ich mir dann zum Troſte, und zuͤrne mit Cler-
don, der, als Philoſoph, mir dieſen Troſt zu
nehmen ſich verpflichtet fuͤhlt, und mich durch-
aus uͤberreden will, wir wuͤrden in alle Ewig-
keit ſinnliche Weſen bleiben, folglich einen
Koͤrper haben muͤſſen. Ich will aber durchaus
Haͤnde und Fuͤße nicht mit aus dieſer Welt
nehmen, und ſchlage ſogar die Fluͤgel aus,
im Fall ſie mir an die Stelle geboten wuͤrden.
Nichts von allem, was die gegenwaͤrtige Ein-
richtung nur verbeſſern koͤnnte, ſteht mir
an. Denn geſetzt, es beſſerte ſich, nach La-
vaters Vorſchlag, mit unſerer Gabelfoͤrmigen
Einrichtung dergeſtalt, daß ich mit Einem
Schritte von einem Stern zum andern kaͤme;
ſo muͤßte ich doch ſchreiten, und haͤtte ja
faſt eben ſo viel zu thun, wenn ich dieſſeits der
Milchſtraße ſtuͤnde, und Du ſtuͤndeſt jenſeits,
um zu Dir zu kommen, als wanderte ich von
hier nach E **. So lange Streben und
Erſtreben, Wollen und Vollbringen in gleichem
Verhaͤltniſſe, wie hier, auſſer einander bleiben,
wird keine ſonderliche Seligkeit zu Stande
[140] kommen, wie groß auch der aͤuſſerliche Auf-
wand dazu ſey. Darum beſtehe ich darauf,
es muß doch anders ſeyn, als die Herren,
um ja nur zu bleiben wie ſie ſind, es ha-
ben wollen.
Zwiſchen Clerdon und mir iſt es dahin ge-
kommen, daß wir uͤber dieſen Punkt in offen-
barer Feindſchaft leben; denn ich gebe fuͤr
jenſeits der Erde meine ganze Sinnlichkeit
auf, und ſtreite fuͤr meine ganze Sinnlichkeit
dieſſeits, daß man ſie bey Ehren laſſe;
Clerdon hingegen will die Sinnlichkeit hier um
alle Ehre bringen, und dann doch zuletzt mit
ihr gen Himmel fahren. Ich bin ſchon
einige mal recht boͤſe geworden, und Clerdon
iſt auch boͤſe geworden. Er hat ein Buch
von einem Englaͤnder, Berkeley, vorn mit
einem Kupferſtiche, worauf ein Kind vorge-
ſtellt iſt, das nach ſeiner Erſcheinung in einem
Spiegel greift, und dieſe fuͤr ein wirkliches
Weſen haͤlt. Daneben ſitzt ein ehrwuͤrdiger
Philoſoph, der uͤber den Irrthum des Kindes
[141] lacht; und darunter ſtehen lateiniſche Worte,
welche dem Philoſophen, als dem Repraͤſen-
tanten ſaͤmmtlicher ungeneigten Leſer, bedeu-
ten: er lache uͤber ſich ſelbſt. Von die-
ſem Buche wuͤrden mir die Kinderſchuhe aus-
fallen, ſagte Clerdon. Da ſie aber nicht aus-
fielen, meinte er, er muͤſſe mich einmal in
die Hoͤhe heben und ſchuͤtteln, ſo wuͤrde es
ſich wohl geben. Allein es gab ſich durch
ſein Nachhelfen nur noch weniger; denn ich
fand: alles, was er vorbringe, laufe am
Ende darauf hinaus, daß, weil wir nur mit
den Augen ſaͤhen, nur mit den Ohren hoͤr-
ten, wir auch nichts ſaͤhen, als unſere eige-
nen Augen, und nichts hoͤrten, als unſere
eigenen Ohren. Das wollte er nicht Wort
haben, und wurde boͤſe. Hernach drang er
in mich, ihm zu ſagen, was ich denn mit
meinen Augen und mit meinen Ohren wei-
ter ſaͤhe und hoͤrte, und trieb mich herum auf
eine Weiſe, daß nun auch ich boͤſe wurde.
Er ſchilt mich eigenſinnig und boͤsartig,
weil ich mich von der Vernunft, die er mir wie
[142] Rinald ſeinen Feinden das enthuͤllte glaͤnzende
Schild, beſtaͤndig vorhaͤlt, nicht will blind ma-
chen laſſen. Aber ich kann nun einmal die Au-
gen, die Nichts ſehen, die Ohren, die
Nichts hoͤren, und eine um lauter Nichts in
alle Ewigkeit geſchaͤftige Vernunft, nicht dul-
den. Warum will er nicht, daß ich, was mir
hier gegeben iſt, fuͤr aͤcht und gut annehme,
der Natur auf ihr ehrliches Geſicht glaube, und
mich fuͤr dort auf etwas ganz neues freue;
nicht blos auf ein Mehr von und zu Nichts.
Da kaͤmen wir, ſage ich ihm, ja immer aus
einem Nichtsdahinter fuͤr uns, in ein ande-
res. Sprich, ob ich nicht Grund habe, und
wohl thue mich fuͤr die Kluͤgſte zu halten? Der
Aerger, den wir uns einander machen, Clerdon
und ich, iſt naͤrriſch genug; denn ihm iſt es mit
ſeinen Geſpenſtern, die nicht einmal als Ge-
ſpenſter etwas vorſtellen, ſo wenig ein rechter
Ernſt, als es mir ein rechter Ernſt iſt, daß ich
in jener Welt Dich nicht ſehen und nicht empfin-
den will. Ich ſoll nur der Buͤndigkeit der
Schlußverkettung Gerechtigkeit widerfahren
[143] laſſen, womit er meine arme Vernunft gern
gefangen naͤhme, und zu einem bloßen Spuͤcke-
ding fuͤr lauter Spuͤckedinger machte; ſeine
Kunſt ſoll ich nicht allein bewundern, ſon-
dern mich auch daran erfreuen. Das will
er dann und wann in vollem Ernſte, und dann
werde ich allemal in vollem Ernſt auch boͤſe.
So ſtanden die Sachen bis geſtern Abend.
Ich habe mich hingehen laſſen im Schreiben uͤber
dieſe Materie, weil ich von geſtern Abend noch
ſo ganz voll war; und ſo will ich Dir denn auch
noch erzaͤhlen, was ſich da zutrug.
Der Finanzrath von Eck und Bibliothekar
Soder brachten den Abend bey uns zu. Beyde
hatten ſchon mehr von dem Hader zwiſchen mir
und Clerdon gehoͤrt, und fragten, wie es darum
ſtuͤnde. Auf Clerdons Antwort, dieſe Feind-
ſchaft werde mit jedem Tage bitterer, konnte
von Eck ſeine Begierde, einem Kampfe zwiſchen
dem gewaltigen Clerdon und der gewaltigen
Claͤre einmal beyzuwohnen, nicht verbergen,
[144] und ich beſchloß, ſo von ganzem Herzen gut
ich auch ſonſt dem Manne bin, daß er dieſe Luſt
nicht haben ſollte. Clerdon hatte das Gegen-
theil beſchloſſen; das ſah ich auch, und es be-
ſtaͤrkte mich in meinem Vorſatze. Ungluͤcklicher
Weiſe gelang es ihm bey Amalien, daß ſie ihm
half. Er erzaͤhlte auf die wunderlichſte Weiſe
meine Behauptungen und Einwendungen; fragte
dann Amalia, ob es nicht ſo ſey? worauf dieſe
ihm entweder Recht gab, oder auf eine ſo bos-
hafte Weiſe zu meinem Nachtheile ihn verbeſ-
ſerte, und mich erlaͤuterte, daß es nicht aus-
zuhalten war. Von mir war es ſehr albern,
mich ſo fangen zu laſſen, da ich vorausſehen
konnte, daß bey dem entſchiedenen Vorhaben
der unartigen Leute, mich einmal recht boͤſe zu
ſehen, mein Einreden nichts helfen wuͤrde.
Dennoch kam ich ganz ertraͤglich davon; denn
Amalia, ſobald ſie erreicht hatte, daß ich mich
einließ, ſchlug ſich unvermerkt auf meine Seite,
und half mir wacker, beſonders gegen die zwey
Secundanten, die Clerdon nicht im Stiche laſ-
ſen durfte, und daruͤber oft einen harten Stand
[145] bekam. Der Muth, den mir das machte,
hatte mich verfuͤhrt, etwas zuviel zu wagen,
und ich war in einer ziemlich argen Klemme,
da die Thuͤre aufgieng, und wir Allwilln, mit
einer Rolle Papier in der Hand, ins Zimmer
treten ſahen. Clerdon rief ihn den Augenblick
zum Richter auf, und, ohne die Amazoninnen
zu fragen, ob ſie den Schiedsmann ſich wollten
gefallen laſſen, erzaͤhlte er ihm den ganzen
Streit; diesmal — ich muß ihm Gerechtigkeit
widerfahren laſſen — ziemlich ehrlich. Allwill
entſchied, ohne weiter zu fragen, fuͤr Amalien
und mich. Darauf beſann ſich Clerdon, All-
will koͤnne nicht Richter ſeyn, weil er uͤberall
den Damen geſchworen habe. Gut! ſagte All-
will; ich bin auch lieber geradezu Partey, und
richte mit dem Schwerdt.
Clerdon ſollte ſich entſchließen, verlangte
Allwill, entweder meine Beſchuldigung gelten
zu laſſen: daß wir, nach ſeiner Philoſophie,
mit unſern Ohren uͤberall nur unſere eigenen
Ohren hoͤrten; mit unſeren Augen uͤberall
K
[146] nur unſere eigenen Augen ſaͤhen; und ſo
hinter den Augen und Ohren, ruͤckwaͤrts, bis
zum Mittelpunkte der Empfindung, uͤberall
nur Empfindungen empfaͤnden; oder
ſich deutlich uͤber das erklaͤren, was wir mit
unſeren Augen nicht ſaͤhen, mit unſeren Oh-
ren nicht hoͤrten, und zuruͤck, bis zum Mit-
telpunkte der Empfindung, durch unſere Em-
pfindung nicht empfaͤnden, und welches nichts
deſtoweniger Etwas, und zwar das eigentli-
che wahre Etwas waͤre. Dieſes wahre ei-
gentliche Etwas, Kraft deſſen und in Verglei-
chung mit welchem wir alles andere, als ein
Nicht-Etwas erkennen, und zu erkennen
allein im Stande ſind, muͤſſe er zu Tage brin-
gen; oder wir ſpraͤchen ihm die vernuͤnftige
Moͤglichkeit, einen ſolchen Unterſchied zwiſchen
Etwas und Etwas zu machen, rein ab. Cler-
dons Forderung an uns, ihm zuvoͤrderſt
ins Klare zu ſetzen, was wir mit unſeren Augen
und Ohren mehr als unſere eigenen Augen
und Ohren ſaͤhen und hoͤrten, ſey wider alles
Recht und alle Form, da er offenbar der an-
[147] greifende Theil ſey, und uns in einem wohl
hergebrachten Beſitze mit ſeinen Anmaßungen
zu ſtoͤren unternehme.
Wir bekennen, ſetzte Allwill hinzu, frey
und ungedrungen, daß wir nicht begreifen, wie
es zugehe, daß wir, vermoͤge einer bloßen
Ruͤhrung und Bewegung unſerer Empfindungs-
werkzeuge, nicht allein empfinden, ſondern
auch Etwas empfinden; etwas von uns
ganz verſchiedenes gewahr werden, und
wahrnehmen; daß wir am allerwenigſten
begreifen, wie wir uns ſelbſt, und was zu
unſerem inneren Zuſtande gehoͤrt, unterſchei-
den und uns vorſtellen koͤnnen, auf eine
von aller Empfindung ganz verſchiedene Weiſe.
Aber es daͤucht uns weit zuverlaͤßiger, uns
hier auf einen urſpruͤnglichen Inſtinkt, mit dem
alle Erkenntniß der Wahrheit anfaͤngt, zu
berufen, als jenes Unbegreiflichen wegen zu
behaupten: die Seele koͤnne empfinden, und
auf eine unendliche mannichfaltige Weiſe vor-
ſtellen — nicht ſich ſelbſt, noch auch an-
K 2
[148] dere Dinge, ſondern ſolches einzig
und allein, was weder ſie ſelbſt,
noch was andre Dinge ſind.
Ich wurde roth und blaß vor Freude, daß
Allwill die Worte zu meinen Gedanken gefun-
den hatte. Hervor, Rinaldo, rief ich; her-
vor mit dem blinkenden Schilde, damit wir
nicht ernſtlicher darauf beſtehen, daß das
Nicht-Nichts zu Tage komme!
Zu meiner großen Verwunderung ſah ich
Feind Clerdon, anſtatt boͤſe zu werden, laͤ-
cheln, und auch in ſeinen Augen ſogar ei-
nen gewiſſen Glanz von Freude funkeln.
Keine Kriegsliſt wurde unverſucht gelaſſen,
um Allwilln aus ſeiner Schanze zu locken;
und hier war ihm ſeine Minerva, (ich meine
mich) durch ihre Warnungen, nicht ohne
Nutzen. Endlich mußte Clerdon, wenn er
nicht mit Schimpf abziehen wollte, zum Aus-
ruͤcken mit ſeinem Nicht-Nichts Anſtalt
[149] machen; und da fieng es an, ihm und ſeinen
Alliirten erſt recht uͤbel zu gehen. Jedes
Wort, womit ſie ausruͤckten, wurde angehal-
ten und entwafnet, indem Allwill zeigte, daß
es den Sinn, den ſie ihm hier geben wollten,
ihrem eigenen Syſtem zufolge, durchaus nicht
haben koͤnne, und, wo moͤglich, noch leerer
ſey, als das klare baare Nicht-Nichts un-
vermittelt. Clerdon hatte Muͤhe nicht zu
lachen, da ihm die Sprache immer enger und
enger gemacht wurde, und er wohl voraus
ſah, wie ihm zuletzt nur ein Hauch ohne Ar-
ticulation uͤbrig bleiben wuͤrde.
Merken Sie ſich doch, mein Fraͤulein,
ſagte Allwill zu mir, und bewundern Sie,
wie uns dieſe Herren zum Beſten haben. Sie
fußen, wie wir, auf einen urſpruͤnglichen In-
ſtinkt, der uns gebietet, Weſen und Wahr-
heit, als das Erſte und Veſteſte, unmit-
telbar, vorauszuſetzen; der uns folglich
auch von Wahrheit und Weſen, unmittel-
bar, eine Vorſtellung geben muß; denn
K 3
[150] Gott ſelbſt kann das Unmoͤgliche nicht befeh-
len, und es iſt eine platte Unmoͤglichkeit, Et-
was vorauszuſetzen, was auf keine Art und
Weiſe, in einer wirklichen Anſchauung gegeben
iſt. Dieſes aber ſollen wir uns nicht einfallen
laſſen, und noch weniger in Erwaͤgung zie-
hen; damit wir nur ja vor der Niedertraͤch-
tigkeit, uns zu einem blinden Gehorſam zu
bequemen, recht geſichert ſeyen. Sie fragen
trotzig: was ſo ein Inſtinkt fuͤr ſich
aufzuweiſen habe? Und wenn wir in
aller Demuth antworten: er habe nichts, als
ſeine Gewalt und Erſtgeburt fuͤr ſich aufzu-
weiſen; ſo iſt ihnen das ein Graͤuel.
Dennoch wollen ſie das Ding des Graͤuels
nicht ſo ganz verbannen, daß ſie ihm nicht
einen Namen ließen; es ſoll ihm vielmehr,
als dem allein wahrhaften Nicht-Nichts,
die hoͤchſte Ehre gebuͤhren und oͤffentlich be-
zeugt werden. Dieſem Dienſte, gienge er auch,
was nicht unmoͤglich iſt, von Herzen, muͤſſen
wir uns widerwaͤrtig zeigen, indem wir unſe-
[151] ren Veraͤchtern die vollkommene Nichtigkeit ih-
rer Anſpruͤche, wenn ſie auf ein wahrhaftes
weſentliches Etwas auch nur die entfernteſte
Weiſung ertheilen zu koͤnnen, ja nur ein
verſtaͤndliches Wort, es ſey fuͤr die Sache
oder ihre Weiſung, zu haben ſich vermeſſen,
unaufhoͤrlich vor Augen ſtellen. Mit ihrem
Nicht-Etwas, da es ſo durch und durch
ein Nicht-Etwas iſt, laͤßt ſich, mit Fug
und Recht, kein Doch Etwas verbinden,
welches, als ein Nicht-Nichts auch nur in
Gedanken ſich zu zeigen faͤhig waͤre.
Aller und jeder Weg dieſem oder einem
aͤhnlichen Ausdrucke Bedeutung zu verſchaffen,
iſt unſeren Widerſachern, vermoͤge des ſyſte-
matiſchen Zuſammenhangs ihrer Grundſaͤtze
unwiderruflich abgeſchnitten. Ihr wahrer
veſter Boden iſt ein ausgemachtes, allgegen-
waͤrtiges und ewiges Nichtsdahinter fuͤr
den Menſchen. Wenn ſie dieſes anerken-
nen; hinfort nur ihre Graͤnze decken; ihre
eigene Graͤnze nur immer veſter machen wol-
K 4
[152] len: ſo, denke ich, koͤnnen wir zu einem Frie-
den, ſelbſt zu einer Art von Buͤndniß mit ih-
nen uns verſtehen, und aus Feinden Freunde
werden.
Wohl! ſagte ich; und bot Clerdon groß-
muͤthig die Hand, der mir ein: weg mit dem
Frieden! zuruͤck gab; hoͤchſtens einen Waffen-
ſtillſtand eingehen wollte: wie er verſicherte,
aus bloßer Menſchlichkeit, damit die vielen
Verwundeten auf unſerer Seite gepflegt, meine
Todten begraben werden koͤnnten.
Unterdeſſen war meine allerliebſte Heinun-
gen mit ihrem treflichen Manne und der herzi-
gen Albertine, die zum Nachteſſen gebeten wa-
ren, angekommen; und ſo machte ſich der
Waffenſtillſtand ohne weitere Tractaten. Ama-
lia, die ſchon fruͤher einen Waffenſtillſtand
wuͤnſchte, hatte Allwilln die Rolle, womit er
kam, aus der Hand genommen — es war eine
Opernſcene von Majo — und ihn von Zeit zu
Zeit mit Fragen uͤber dieſe Scene unterbrochen,
[153] und ſich ungeduldiger geſtellt ſie zu hoͤren, als
ſie es wirklich war. Jetzt, damit der Streit
nur ja nicht wieder anfienge, fuͤhrte ſie die
Heinungen gleich in den anſtoßenden Saal,
und ſetzte Allwilln ans Clavier. Die anderen
Herren blieben bey ihren Diskurſen.
Allwill ſchlaͤgt treflich das Clavier, und
ſingt mit viel Geſchmack und Ausdruck, ob-
gleich er keine ſonderliche Stimme hat. Wir
alle waren von der neuen Scene ganz entzuͤckt.
Die Oper heißt Iphigenia; und die Anfangs-
worte des Recitativs ſind: Chi reſiſter potria.
Es iſt goͤttlich geſetzt, und die darauf folgende
Arie: Ombra cara ch' intorno t' agiri, hat
eine Fuͤlle und Majeſtaͤt, daß mich daͤuchte, ich
waͤre noch nie von Muſik ſo erſchuͤttert und
hingeriſſen worden. Nachher bat die Heinun-
gen, ich moͤchte die wunderſchoͤne Arie von Jo-
melli: Se cerca, ſe dice, fingen. Der En-
thuſiasmus, worin ich war, half mir, daß ich
ſie vorzuͤglich gut heraus brachte. Allwill frag-
te, ob mir die viel aͤltere, ſehr einfache Com-
K 5
[154] poſition eben dieſer Arie von Pergoleſe be-
kannt ſey. Ich hatte nie davon gehoͤrt. Er
wußte ſie auswendig, ſetzte ſich ans Clavier,
und ließ ſie uns hoͤren. Als muſikaliſches
Kunſtwerk fiel dieſe Compoſition gegen die Jo-
melliſche gewaltig ab. Dagegen uͤbertraf ſie
dieſe, nach meinem Gefuͤhl, in demſelben
Maaße an Richtigkeit des Ausdrucks, an In-
nigkeit und hoher Abſicht. Beſonders fand ich
die Toͤne und ihre Bewegung zu den Worten:
che abiſſo di pene …, ſo unuͤbertreflich ge-
waͤhlt, daß jeder Verſuch, es beſſer zu machen,
mißlingen muͤßte, und ſelbſt die heilige Caͤcilia
im Himmel, wenn ſie ſich dergleichen koͤnnte
einfallen laſſen, damit zu Hauſe bleiben ſollte.
Allwill hatte große Freude an meinem Eifer,
und plagte ſich nun, uns noch zwey andere
Compoſitionen eben dieſer Arie von großen Mei-
ſtern vorzutragen. Er brachte ſie heraus, und
beyde machten uns ungemeine Freude; aber
was ich von Pergoleſe geſagt hatte, dabey
bliebs, mit Allwills vollkommener Beyſtim-
mung.
[155]
Ich weiß kaum etwas angenehmeres, als
die Geſpraͤche, worin man zufaͤllig beym Aus-
ruhen am Clavier geraͤth; denn es iſt faſt un-
moͤglich dann auf andere, als ſehr intereſſante
Gegenſtaͤnde zu kommen, und fuͤr ihre Behand-
lung in einer beſſeren Stimmung zu ſeyn. Alles
legt ſich, wie von ſelbſt, auseinander und wie-
der zurecht — — —
Da hoͤre ich Clerdons Wagen in den Hof
rollen! Nun wird man gleich zu Tiſche rufen.
Heute Abend, es komme was will, ſchreibe
ich meinen Brief zu Ende.
Clerdon und Amalia, die Armen, ſind auf
einem großen Schmauſe bey dem Praͤſidenten
von S *. Ohne viele Muͤhe erhielt ich die
Erlaubniß, zu Hauſe bey den Kindern zu blei-
ben. Dieſe ſind nun zu Bette, und ich will
eilen, damit auch ich nach gethaner Arbeit ru-
hen koͤnne. Gewiß hatte Sancho Panſa ſo
[156] unrecht nicht, daß er ſich den als einen großen
Mann lobte, der das Schlafen erfunden haͤtte.
Wir ſitzen alſo beym Clavier; Allwill da-
vor, ich daneben, und dicht an mir Albertine,
die ſich um meinen Arm geſchlungen hatte.
Amalia war mit der Heinungen nach dem Ca-
napee gegangen.
Ich weiß nicht, ſagte Allwill, indem er ſich
gegen mich wendete, und, melodramatiſch,
noch einige Accorde griff, — ob ich es Ihnen
entdecken oder verſchweigen ſoll? …
Nun that er noch einige lebhafte Griffe auf
dem Claviere, als wenn er, feſtgehalten von
den Saiten, ſich losreiſſen muͤßte; ruͤckte dar-
auf ſeinen Stuhl ein wenig auf die Seite, legte
die Haͤnde zuſammen, und fuhr fort.
Helfen Sie mir zurecht! Ich will es gern.
Das iſt mir geſchehen unter dem Singen
[157] und Spielen, daß mir unſere gute Sache wider
Onkel Clerdon verdaͤchtig wurde, und es mir
ſchwer aufs Herz fiel, daß ich vielleicht zum
Feinde uͤbergehen, und das wackere Cuſinchen
im Stiche laſſen muͤßte.
Rufen Sie ſich die verſchiedenen Namen,
welche wir dem, was wir hoͤrten, gaben, ins
Gedaͤchtniß zuruͤck; wir nannten es ſchoͤn,
ruͤhrend, erhaben, majeſtaͤtiſch, himm-
liſch, Goͤttlich; und keiner von uns meinte
damit wohl etwas, was ſich von den Saiten
des Inſtruments abloͤſte, und ihm vor den
Ohren klaͤnge, ſondern die Empfindungen
in ſeiner eigenen Bruſt; Empfindun-
gen, welche nicht durch jedes Ohr in jede
Bruſt mit denſelben Toͤnen kommen; die wir
alſo ſelbſt erzeugten, und die in keinem ganz
dieſelben waren. Hieruͤber werden wir ohn-
gefaͤhr einig ſeyn.
Aber nun, was die Toͤne ſelbſt, als bloße
Toͤne, angeht!
[158]
Clavier und Stimme hoͤrten wir wirklich.
Dazu kamen, in der Vorſtellung, die Flau-
ten, Geigen und Hoͤrner, welche wir in der
Partitur laſen; und Ihnen brauche ich nicht
zu ſagen, welche Wirkung dieſe Begleitung
auf unſere Einbildungskraft machte. Neh-
men Sie fuͤr einen Augenblick an, alle dieſe
Inſtrumente waͤren gegenwaͤrtig geweſen; und
hernach denken Sie das menſchliche Ohr ſich
weg: was bleibt? — Nichts, als eine ſo oder
anders erſchuͤtterte Luft; kein Flauten- Hoͤr-
ner- Geigen- oder Clavier-Ton. Alle dieſe
verſchiedenen Toͤne ſind allein in Ihrem Ohr;
und ihre mannichfaltigen Erſcheinungen loͤſen
ſich in ein reines Vermoͤgen zu hoͤren,
als ihre erſte Quelle, den Grund ihrer Moͤg-
lichkeit, auf. Wir werden alſo durchs Gehoͤr,
wenn wir etwas anders, als das bloſſe Hoͤren
ſelbſt, dadurch gewahr werden, ein bloſſes
Nicht-Nichts gewahr; denn der Ton iſt
offenbar ganz und allein in uns, und bezeich-
net nur eine Modification unſeres reinen Ver-
moͤgens zu hoͤren, zu welchem Etwas, ein
[159]Nicht-Nichts hinzukommt. So entſteht
ein Hoͤrender und ein Gehoͤrtes, die
beyde uͤbrigens in unſerer Vorſtellung ein
bloßes Nicht-Nichts ſind. Verfolgen Sie
dieſe Betrachtungen, und ſagen Sie mir, ob
wir nicht dem Onkel, wenn er ſich gehoͤrig
damit bewafnete, wuͤrden unterliegen muͤſſen?
Wenn Sie, antwortete ich, unter dem
Worte gehoͤrig nicht etwas noch ganz beſon-
deres verſtehen, ſo hat Clerdon in dieſer Ruͤ-
ſtung ſchon vor mir, und auch vor Ihnen ge-
ſtanden; und ich kann nicht finden, wo das
Eigene darin iſt, welches Ihnen ſo ploͤtzlich
allen Muth zu Ihren kurz zuvor noch mit Gluͤck
verſuchten Waffen benommen hat. Was Sie
von den verſchiedenen Inſtrumenten in Bezie-
hung auf das reine Hoͤren ſagten; eben das
laͤßt ſich von den verſchiedenen Sinnen in Be-
ziehung auf den gemeinſchaftlichen inneren Sinn
behaupten; ſo, daß, wie allem wirklichen Se-
hen ein reines Sehen von Nichts; al-
lem wirklichen Hoͤren ein reines Hoͤren von
[160] Nichts u. ſ. w. zum Grunde laͤge: allem Em-
pfinden uͤberhaupt auch ein reines Empfin-
den von Nichts zum Grunde liegen muͤßte,
und es ſich am Ende zeigen wuͤrde, daß die
Wurzel, die tiefſte eigentlichſte Wur-
zel des Lebens, ein bloßer leerer Raum der
Empfindung, ein Bewußtſeyn ohne Bewußt-
ſeyn, ein reines Vermoͤgen zu leben, von und
zu Nichts waͤre.
Allwill laͤchelte. Ich erzaͤhlte ihm jetzt noch
von einem ungedruckten Aufſatze, den ich ein-
mal fuͤr Clerdon abgeſchrieben, und wovon ich,
mit ſeiner Bewilligung, auch fuͤr mich eine Ab-
ſchrift genommen haͤtte. Aus dieſem Aufſatze
fuͤhrte ich ihm folgende Stellen, die ich aus-
wendig wußte, an.
„Unſere Vernunft iſt jenem blinden Theba-
niſchen Wahrſager, Tireſias, aͤhnlich, dem
ſeine Tochter, Manto, den Flug der Voͤgel
beſchrieb: er prophezeyte aus ihren Nachrichten.
„ .... Unſere Gedanken ſind nichts als
Frag-
[161] Fragmente. Unſer Wiſſen iſt Stuͤckwerk. Die
ſichtbare Welt muß dem zum Himmel erſchaf-
fenen Geiſte eine Wuͤſte ſcheinen, aͤhnlich jener
Wuͤſte, worin ſich fuͤr Tauſende, welche der
Hunger verzehrte, nur fuͤnf Brodte und zwey
Fiſche fanden. Aber die Brodte, die uns Gott
auftraͤgt, moͤgen noch ſo kuͤmmerlich ausſehen,
die Fiſche noch ſo klein ſeyn; ſie ſind geſegnet:
wir mit ihnen ſind geſegnet von einem allmaͤch-
tigen, wunderthaͤtigen, Geheimnißvollen Gott.
„ .... Iſt es nicht unſer Geiſt ſelbſt,
der uͤber ſeine Entfernung vom Wahren und
Weſentlichen klagt; durch dieſe Klage ſeinen
hohen Urſprung verraͤth; ſelbſt ein Zeichen da-
von giebt, dadurch, daß er ſich als einen
Schoͤpfer uͤber die ſinnlichen Eindruͤcke er-
hebt, daß er ſie fruchtbar macht, ſie zu einem
Geruͤſte fuͤgt und baut, um den Himmel zu
erſteigen, oder — ſich Goͤtzen ſchafft, fuͤr die
er Ziegel brennt und Stoppeln zuſammenſucht.
„.... Jene philoſophiſche Neugierde,
L
[162] die ſich uͤber Daſeyn und Urſprung des Unvoll-
kommenen, Nichtigen und Boͤſen beunruhiget
und wundert: ſollte ſie nicht fuͤr ein dunkles
Bewußtſeyn des Goͤttlichen Ebenbildes in un-
ſerer Vernunft gehalten werden duͤrfen? ....
Niemand iſt gut, als der Einige Gott!
Anſtatt alſo zu fragen: wo kommt das Unvoll-
kommene, Nichtige und Boͤſe her? ſollten wir
die Frage vielmehr umkehren, und uns wun-
dern, daß endliche Geſchoͤpfe faͤhig ſind, nach
Wahrheit zu fragen, das Gute ſich ſelbſt zu
gebieten, und auf Gluͤckſeligkeit Anſpruch zu
machen?
„Alle Erſcheinungen der Natur ſind Traͤu-
me, Geſichte, Raͤthſel, die ihre Bedeu-
tung, ihren geheimen Sinn haben. Das Buch
der Natur und der Geſchichte ſind nichts als
Schiffern, verborgene Zeichen, die einen
Schluͤſſel fodern, welchen auch diejenigen, die
eine Offenbarung glauben, zu derſelben Aus-
legung beduͤrfen, und welcher ſelbſt die Ab-
ſicht, die einzige Abſicht einer Offenba-
[163] rung, und der Beweiß ihrer Eingebung ſeyn
koͤnnte.” (*)
Allwills ſtille Aufmerkſamkeit, ſeine ganze
Geberde, die den Ausdruck hatte, als moͤchte
er ſich gern verbergen, um mein Gedaͤchtniß
nicht zu ſtoͤren; die einzelnen Worte, womit
er die kleinen Pauſen, wenn ich mich von ei-
ner Stelle zur andern beſann, ausfuͤllte: das
alles war ſehr gut. Am beſten war ſein Auge,
aus dem ſich eine Heiterkeit ergoß, die ſein
Geſicht uͤberall wie durchſichtig machte, und
eine wirklich ſchoͤne, ich moͤchte ſagen from-
me Seele, die ſich nicht verbergen
L 2
[164]konnte, ſehen ließ; — „an eye full of
gentle ſalutations and ſoft reſponſes.” —
Es war aber nicht gut, daß er zuletzt mit
ſeinen beyden Haͤnden ploͤtzlich meine Hand er-
griff, und mit einer Lebhaftigkeit ſie kuͤßte,
daß ich davon erſchrack, und mich die Furcht
anwandelte, ich moͤchte blaß geworden ſeyn,
und nun ſaͤhe das Allwill. Aber er hat nichts
geſehen; dafuͤr ſtehe ich Dir.
Das iſt es, ſagte er, daß der Urheber der
Welt nur nach ſeinem Bilde ſchaffen
konnte, und jedem Weſen ſo viel Wahrheit
geben mußte, als er ihm Leben ertheilte.
Wir ſcheinen ein Hauch, oft nur der
Schatten eines Hauches zu ſeyn; oder
wie ein alter Dichter ſich ausdruͤckte: eines
Schattens Traum. Aber ein Weſen, das
nichts als Schatten; ein Weſen, das lauter
Traum waͤre, iſt ein Unding. Wir ſind,
wir leben, und es iſt unmoͤglich, daß es eine
Art des Lebens und des Daſeyns gebe, die
nicht eine Art des Lebens und Daſeyns des
[165] hoͤchſten Weſens ſelbſt waͤre. Toͤne,
Farben, und was alles wir noch ſonſt, als
bloßes Sinnenſpiel und weſenloſe Taͤuſchungen
betrachten moͤgen, wird einmal als Anſchauung
des Wahren aus einem groͤßeren Zuſammen-
hange neu hervorgehen, und den Grund des
Mißverſtandes uns erkennen laſſen, der uns
ſo unſaͤglich geneigt machte, in das Buch der
Natur einen beſſeren Sinn immer nur hinein
radieren zu wollen (*).
Wir wurden durch die Botſchaft: das
Nachteſſen ſey aufgetragen, unterbrochen. All-
will fragte mich noch beym Aufſtehen vom
Clavier: ob ich mit Plato bekannt ſey?
— Weiter nicht, ſagte ich, als durch das,
was Clerdon uns von Zeit zu Zeit daraus
erzaͤhlt haͤtte. So wuͤßte ich, z. B. daß die Seele
Fluͤgel haͤtte und wieder bekommen koͤnnte. —
L 3
[166] „Mit dem Geſpraͤche, worin dies vorkommt,
„ſind Sie nicht naͤher bekannt?” — Nein!
— „Auch nicht mit dem Jon?” — Nein!
— „Mit Theages?” — Nein!
Allwill ſuchte, wie er beym Nachteſſen ne-
ben mich zu ſitzen kaͤme. Das mißlang, und
ich ſah es gern mißlingen. Warum ich es
gern mißlingen ſah? — Aus mehreren Ur-
ſachen, liebe Sylli! Aber ich will Dir nur
gleich die ſchlimmſte offenherzig beichten, damit
Du nicht glaubſt, ich wollte Dir, oder gar
mir ſelbſt etwas verheimlichen. Ja, beſte
Sylli, ich war Allwilln an dieſem Abend ſehr
gut geworden; ganz anders gut, als ich es
bis dahin geweſen war: und das haͤtte mich
auch weiter nicht geſtoͤrt, wenn ich nicht ſo ſon-
derbar erſchrocken waͤre, da er mir die Hand
kuͤßte. Von dem Augenblicke an war ich ver-
legen, und aͤrgerte mich, daß ich es war.
Das ſollte wohl vergehen, dachte ich, wenn
wir nur erſt vom Claviere weg, und wieder
zu der uͤbrigen Geſellſchaft kaͤmen; und das
[167] haͤtte gewiß auch nicht gefehlt, waͤre nicht
Allwills ſichtbare Begierde, bey Tiſche neben
mir zu ſitzen, dazwiſchen gekommen. Mir
wurde bange, alle ſaͤhen es; und konnte doch
nicht dawider, daß es mich freute. Alſo
neuer Aerger, und noch mehr neue Ver-
legenheit. — Wenn Dir das Angſt macht,
liebe Sylli, ſo kann ich nicht dafuͤr. Und ich
muß Dir noch mehr entdecken: dieſes nehmlich,
daß ich mir unmoͤglich vorſtellen kann, und es
auch nicht will, daß es mit Allwill ſo arg
ſey, als Du es machſt. Was ſoll denn einen
Menſchen gut machen, wenn nicht das, was
Allwill in ſo reichem Maaße in ſich traͤgt?
Des Guten und Schoͤnen in ihm iſt zu viel,
als daß es nicht dem Boͤſen Meiſter werden
ſollte. Wenn auch, wie Du verſicherſt, zu-
gleich etwas ruchloſes in ihm iſt, ſo iſt es ihm
angethan; es iſt nicht ſein Eigenes; und nie-
mand wird froher ſeyn, als er ſelbſt, dieſen
boͤſen Geiſt los zu werden. Um anders zu den-
ken, muͤßte ich nicht dem armen Allwill allein;
ich muͤßte der menſchlichen Natur gram wer-
L 4
[168] den; und welche Freude koͤnnte ich denn noch
am Leben haben? Der bloße Gedanke ſchlaͤgt
mich nieder, und macht mich wehmuͤthig —
— — Gute Nacht, Sylli! Gute Nacht, Du
Liebe, liebe, liebe!
Ich war heute, nach dem Fruͤhſtuͤcke, wie-
der herauf in mein Zimmer gegangen, um,
was ich geſtern Abend geſchrieben hatte, zu
uͤberleſen, und dann meinen Brief zu ſiegeln,
als gleich darauf Clerdon und Amalia mir
nachgeſprungen kamen; jener mit einem offe-
nen Briefe in der Hand, den er mir vorhielt;
dieſe, mit dem noch gefaltenen Einſchluſſe. Es
waren Deine Briefe vom 18ten und 20ten.
In demſelben Augenblicke ſtanden wir auch
ſchon dicht beyſammen, um mit einander zuerſt
den Brief an Clerdon zu leſen. Da fielen
mir, als waͤren ſie mit anderer Dinte geſchrie-
ben, gleich die Worte in die Augen: „Claͤr-
chen traf eine Saite, die bebte lan-
ge!” — Du kannſt Dir vorſtellen, wie das
[169] auf mich zuruͤck wirkte. Und was nun folgte;
und weiter, weiter bis ans Ende. Mir
daͤuchte, ich waͤre in meinem Leben ſo nicht
erſchuͤttert worden. Und doch ergriff mich der
melancholiſche Geſang in dem Briefe an Ama-
lia noch mehr. Daſſelbe wiederfuhr Amalien
und auch Clerdon.
Ach, die liebe Meli! … Du haͤtteſt ſie
ſehen, ſie hoͤren ſollen! Wie ich da wieder fuͤhlte,
daß ich neben ihr doch ſo gar Nichts bin. In
allem iſt ſie ſo ganz, mit Sinnen Herz und
Geiſt; und herrſcht wieder uͤber alles,
man weiß nicht durch welche Kraft.
Mir konnte Gott kein groͤßeres Zeichen geben,
als ich eins an dieſem wunderbaren Weibe habe.
Und nun begreife, warum mein Brief ſo
zerknittert ausſieht. Nachdem wir Deine Briefe
geleſen hatten, und waͤhrend wir daruͤber ſpra-
chen, ſchien es mir unertraͤglich, mein Ge-
ſchreibe an Dich abzuſchicken. Es uͤberkam
mich ein ſolcher Ekel und Verdruß an dem Ge-
ſchwaͤtze, daß ich die Bogen, die gerade auf dem
L 5
[170] Tiſche lagen, zuſammenknuͤllte, um ſie hernach
ins Feuer zu werfen. Clerdon riß ſie mir aus
der Hand, und hat mich uͤber Tiſche, nicht blos
beredet, ſondern mir durch Amalia befehlen
laſſen, ſie Dir zu ſchicken.
Kurz vor Tiſche kam ein Brief an mich von
Allwill, der mich verlegen macht. Amalia iſt
daran, ihn abzuſchreiben, damit ich ihn beyle-
ge. Sie und Clerdon wuͤnſchen es. Du wirſt
fragen, was Clerdon zu dem Briefe geſagt habe?
Er laͤchelte beym Leſen mit einer etwas be-
denklichen Miene, und ſagte hernach: „Da
muͤſſen wir doch zuſehen. Cuſinchen,
nimm Dich in Acht!” — Ja wohl; Cu-
ſinchen, nimm Dich in Acht! Nicht
wahr?
Amalia laͤßt Dir, unter tauſend Gruͤßen,
ſagen, was Du jetzt gewiß ſchon weißt; daß
ſie Dir den 20ten geſchrieben hat.
[171]
XVI.
Allwill an Claͤre.
Verzeihen Sie, meine liebenswuͤrdige Cuſi-
ne — zuerſt dieſe etwas vertraulichere Anrede,
wegen der mich Clerdon, den ich Onkel nen-
nen darf, entſchuldigen mag; — verzeihen
Sie, holde Claͤre, wenn ich Ihnen bringe,
was Sie nicht gefodert haben. Es iſt der Ver-
ſuch eines Schuͤlers, der von ſeinem Meiſter
gern erfahren moͤchte, ob er ihn genug verſtan-
den hat, und der, von Schuͤchternheit und Ei-
telkeit in gleichem Maaße geaͤngſtigt, gern einen
Dritten ins Spiel bringt, mit dem er ſich decken,
oder hinter den er ſich verbergen koͤnne.
Sokrates, der Jugendfreund, ſoll mich
vertreten; ſoll mich unter ſeine Fluͤgel nehmen.
Zu dieſem kam ein Juͤngling, mit Namen
[172]Theages, gluͤhend von Begierde, in ſeinem
Umgange Weisheit zu lernen.
Um ihn zu pruͤfen, that der Mann mit
dem Genius ſeinem Verlangen Widerſtand.
Er rieth ihm, ſich an einen unter den vielen be-
ruͤhmten Maͤnnern zu wenden, welche den
Vortheil in ihrereigenenGewalt
haͤtten, womit ſie andern Menſchen
fortzuhelfen wuͤßten; und nicht wie
ereinem Genius, ohne den er nichts ver-
moͤchte, unterworfen waͤren.
Des Sokrates Widerſtand machte den Juͤng-
ling traurig. Ach, ſagte er zu ſeinem Vater
Demodokus, in deſſen Begleitung er gekom-
men war, und der fuͤr ihn das Wort fuͤhrte:
Sokrates treibt nur ſein Spiel mit uns, indem
er dieſe Dinge redet; denn ich kenne einige,
die mit mir entweder gleiches Alters, oder auch
noch etwas aͤlter ſind als ich, welche, ehe ſie
mit dieſem Umgang hatten, nichts taugende Leute
waren; nachdem ſie aber in ſeine Geſellſchaft
[173] gekommen ſind, ſo ſind ſie in ſehr kurzer Zeit
viel beſſer geworden, als alle diejenigen, die
ſonſt beſſer waren, als ſie.
Dieſes laͤugnete Sokrates nicht, ſondern
verſicherte nur, es duͤrfe ihm, ſeiner Kunſt und
gutem Willen dieſer gluͤckliche Erfolg nicht bey-
gemeſſen werden. Er ſelbſt habe bey Einem
dieſer Juͤnglinge, der ein Enkel des Ariſtides
geweſen, ſich erkundigt, wie es zugegangen ſey,
daß er ſo großen Vortheil aus ſeinem Umgange
gezogen, da er ihn doch nie etwas gelehrt habe,
und darauf folgende Antwort erhalten: „Wie
„du ſelbſt ſagſt, o Sokrates, haſt du eigent-
„lich mich nie etwas gelehrt; aber ich nahm
„zu, ſo oft ich bey dir war, auch wenn ich nur
„in demſelben Hauſe mit dir lebte, ohne in
„Einem Gemache mit dir zu ſeyn. War ich
„aber mit dir in demſelben Gemach, ſo daͤuchte
„mir, ich gewoͤnne noch mehr. Waͤhrend du
„redeteſt, gewann ich vielmehr, wenn ich dich
„anſehen, als wenn ich dich nicht anſehen konn-
„te. Am allermeiſten aber und aufs hoͤchſte
[174] „nahm ich zu, wenn ich neben dir ſaß, ſo daß
„wir einander beruͤhrten.”
Holde Claͤre! der Sinn dieſer Worte
uͤbernahm mich in dem Augenblick, da ich vor-
geſtern, wie ein Begeiſterter, Ihre Hand er-
griff, um meinem Dank einen Ausdruck zu ver-
ſchaffen, und mit groͤßerem Danke mein Herz
von neuem und auf immer zu erfuͤllen.
Sokrates gab dem flehenden Juͤngling,
den ſein Vater unterſtuͤtzte, endlich nach.
„Wir muͤſſen alſo, ſagte Theages, uͤber
„unſern Umgang den Willen des Daͤmons er-
„forſchen; und wenn er ſich uns ſogleich nicht
„guͤnſtig zeigen ſollte, das Goͤttliche, was
„dir beywohnt, durch Gebet und Opfer und
„jedes fromme Mittel zu gewinnen trachten.”—
„Nun denn,” ſagte Sokrates zuletzt, „wenn
„es euch ſcheint, daß wir es ſo machen
„muͤſſen, ſo wollen wir es ſo machen.”
[175]
Gluͤcklicher Theages, dem die gute Vorbe-
deutung ſeines Namens: Eines von Gott
geleiteten, Wahrheit und Erfuͤllung wurde!
Von noch einem Juͤnglinge erzaͤhlt
Plato, der hieß Phaͤdrus.
Dieſer Phaͤdrus war der Schuͤler und
Liebling eines redſeligen Weiſen, mit Na-
men Lyſias; und Sokrates fand ihn eines
Tages in der vollen Bewunderung einer kuͤrz-
lich von ſeinem Freunde und Lehrer gehaltenen
Rede, worin von der begeiſternden Liebe
des Schoͤnen lauter Boͤſes; von der nicht
begeiſternden Liebe des Vortheilhaften
lauter Gutes geſagt wurde.
Sokrates noͤthigte den Phaͤdrus, ihm die
Rede vorzuleſen, und fand, nicht allein die
Weisheit, ſondern auch die Kunſt des be-
ruͤhmten Mannes ſeicht.
Es laufe beym Lyſias, bemerkte Sokrates,
[176] alles darauf hinaus, daß der Klugheit der
Vorzug vor der Unbeſonnenheit gebuͤhre.
Da mit dem Schoͤnen, ſage Lyſias, das Ange-
nehme ſo nahe verwandt ſey, daß ſie uͤberall
gemeine Sache mit einander machten; das An-
genehme aber leicht dem Vortheilhaften vorge-
zogen werde: ſo faͤnde ſich zuletzt, wenn man,
was der Begierde und was der Vernunft
zugehoͤre, richtig unterſchiede, daß ſich die Liebe
des Schoͤnen zur Liebe des Nuͤtzlichen verhalte,
wie das Laſter zur Tugend; wie zum Zuſtande
der Beſonnenheit der Zuſtand der Raſe-
rey.
Dieſe Seite, verſicherte Sokrates, koͤnne
noch mehr hervorgezogen, ſchaͤrfer geſtellt, und
dann mit beſſerem Erfolg, als es von Lyſias
geſchehen ſey, das Ding der Ueberlegung uͤber
das Ding der bloßen Empfindung erhoben, und
die reine Sache des Buchſtabens wider die un-
reine des Geiſtes vertheidigt werden.
Phaͤdrus zwang ihn zum Beweiſe; worauf
Sokra-
[177] Sokrates ſich verhuͤllte, damit er nicht vor
Schaam in ſeiner Rede ſtecken bliebe; alsdann
zu reden anfieng, und ſein Wort wahr machte.
Nach geendigter Rede enthuͤllte ſich Sokra-
tes, um, mit entbloͤßtem Angeſicht, durch ei-
nen oͤffentlichen Widerruf den Gott der Liebe
zu verſoͤhnen, den er, wider Willen, haͤtte laͤ-
ſtern muͤſſen.
„Ich kann es dem Lyſias zugeben, ſagte
Sokrates, daß die Liebe des Schoͤnen, ihrer
Natur nach, unbeſonnen, und, da ſie, in ih-
rem hoͤchſten Grade, den Menſchen auſſer
ſich ſetzt, eine Gattung der Raſerey ſey.
Ich kann dieſes zugeben, ohne darum aufzu-
hoͤren, dieſe maͤchtige Liebe, als das wahrhaft
Goͤttliche im Menſchen anzubeten.
„Was aller menſchlichen Beſonnenheit vor-
hergeht; was ihr im Menſchen Moͤglichkeit
und Daſeyn, Gegenſtaͤnde, Antrieb, Leitung
und Geſetze giebt; iſt uͤber jede mittelbare
M
[178] Geſchaͤftigkeit und duͤrftige Nachhuͤlfe derſel-
ben ſo weit erhaben, als die Spruͤche der
Pythia zu Delphi uͤber das Waͤhnen von Zei-
chendeutern aus Eingeweiden und Vo-
gelflug.
„Wenn der Gott in deiner Seele dir
nicht wahr ſagte, ſo wuͤrdeſt du vergeb-
lich auf Wahrheiten Dich beſinnen, uͤber
Wahrheit etwas ausmachen wollen. Es
kaͤme weder Beſinnung noch Beſonnenheit in
dir zum Vorſchein.
„Was der Menſch fuͤr ſich allein erſinnen
kann, iſt leere Muthmaßung und Meinung,
wodurch er ſchaͤdlicher, als durch den Trieb
der Luſt, mißleitet wird; alle ſeine Verrich-
tungen aus ſich allein ſind ohne Kraft und
Wuͤrde. Siehe jenen Thoren, der ohne die
unmittelbare Begeiſterung der Muſen ſich dem
Tempel der Dichtkunſt naht, in der Meinung,
es ſey an der bloßen Kunſt genug. Er wird
als ein Todter unter Lebendige kommen, und
[179] ſein Dichten, als eines blos Vernuͤnftigen,
wird gegen die befluͤgelten Spruͤche des Be-
geiſterten wie nichts ſeyn. Siehe jenen an-
dern, der auf menſchliche Beſonnenheit ge-
gruͤndet, blos ſterbliche und kaͤrgliche Vortheile
und Dienſtleiſtungen zur Abſicht hat; er wu-
chert mit lauter unedlen Geſinnungen; hat
und erzeugt keine Tugend, obgleich der ge-
meine Haufen ihm das Lob der Weisheit und
der Tugend ohne Maaß ertheilt, und hinge-
gen den von Gott begeiſterten, der nur, in
dem was Goͤttlich iſt, zu leben ſtrebt, und,
im Verlangen nach dieſem Hoͤheren alles Ir-
diſche zu klein findet, als einen Schwaͤrmer,
als einen Unſinnigen und Raſenden ver-
ſpottet.
„Worte koͤnnen nur an ſchon bekanntes
erinnern; und alles iſt todtes Wort und ſinn-
loſer Buchſtabe, ohne den Geiſt der Deu-
tung, der in unmittelbarer Anſchauung und
Erkenntniß ſein Weſen hat, und der alleinige
Geiſt der Wahrheit iſt: unzuverlaͤßig den
M 2
[180]Rohen; den Weiſen aber ſicher und
gewiß.” *)
Edle Freundinn! — laſſen Sie mich hoͤ-
ren, ob ich, oder ob ich nicht mit meinem
Plato auf dem rechten Wege bin?
[181]
Zum Beweiſe aber, daß ich den Weg, den
ich fuͤr den rechten halte, nicht ſeit geſtern,
der Begleitung wegen, erſt betrat, erhalten
Sie hier, in betrauter Abſchrift, noch ein
Selbſtgeſpraͤch von mir.
Ich verfiel in dieſes Selbſtgeſpraͤch am
zwanzigſten May des vorigen Jahrs, im An-
geſicht der herrlichen Linde auf meines Vaters
Landhauſe, die Sie kennen.
Daß meine Urkunde nicht eine Erdichtung
iſt, werden Sie mir auf mein Wort, wenig-
ſtens auf einen Schwur bey jener Linde
glauben.
Erquickendes Gruͤn, die lieblichſte Farbe im
ſchoͤnſten Wechſel, tanzend und ſpielend mit
dem Lichte, — das iſt es — Ja das, und wei-
ter nichts, was deinen Blick an dieſe leiſewe-
M 3
[182] hende Lindenkrone heftet; was mit ſanftem Ent-
zuͤcken deinen Buſen fuͤllt; in dir alle Regun-
gen der Liebe weckt, und dich begeiſtert!
Das und weiter nichts? … Jener Leben
und Liebe erweckende Schein, eine Schrift oh-
ne Sinn und Sprache? Davon klopfte mir ſo
das Herz, draͤngte mich ſo mein Geiſt, heiterte
ſich mein ganzes Weſen ſo; daß ich leere Zuͤge
ohne Bedeutung anſchaute?
Stille! — und naͤher hinzu!
O rede, ſuͤßes Farbenſpiel; rede und enthuͤlle
mir deine Wahrheit; denn auch in dir muß
Wahrheit ſeyn!
Du winkeſt mir aus deiner Herrlichkeit auf
jene Blaͤtter im Erſtreben ihres hoͤchſten Da-
[183] ſeyns, wie ſie laͤngſt den ſaftvollen Aeſten in
jugendlicher, kraftvollſter Geſtalt ſich bruͤſten —
Du winkeſt … O, hoͤher ſchlaͤgt mir das
Herz, froͤhlicher ſchwingt mein Geiſt ſeine Fluͤ-
gel: Ich ſehe! — Die ganze Fuͤlle, die
ganze Kraft des Weſens da; das war es,
was mich ergriff, mich durchdrang, ſich mir
darſtellte, als ich erkannte und nicht
wußte vor Entzuͤcken!
Wohl uns! So bringt die Natur ihren ge-
ſammten Inhalt dem Menſchen ans Herz, und
unterrichtet ihn auf die lieblichſte Weiſe un-
mittelbar. Warum verſtocken wir gegen ſie
unſer Herz? Warum mißtrauen wir ihrer Weis-
heit und Liebe? Warum wollen wir ihre Offen-
barungen fuͤr Trug; ihre Anweiſungen fuͤr Fall-
ſtricke; ihre hohe Regierung fuͤr den Taumel ei-
nes Unſinnigen halten?
M 4
[184]
XVII.
Sylli an Clerdon(*).
Ich habe Euren lieben ſchoͤnen Brief aus
Heimfeld (**); will ihn beantworten, Euch
dafuͤr danken, und kann nicht.
Tief geruͤhrt hat mich Euer Schreiben; es
hat mich auch gefreut, gewiß recht ſehr gefreut;
aber mich erfreuen, mich erwecken, das hat es
nicht gekonnt. O, Ihr Lieben! daß ich mir
dies geſtehen; Euch dies Bekenntniß ablegen
muß!
Claͤrchen traf eine Saite, die bebte ſtark.
Ja! was einmal ſo hell wach in mir geworden
iſt, das laͤßt ſich nicht decken, viel weniger
toͤdten.
[185]
Manchmal iſt mirs auf Augenblicke, als
gaͤbe ſichs; wuͤrde ſich allmaͤhlich geben: und
dann gleich ſitze ich wieder da, den Kopf in
der Hand, und weiß mich nicht zu laſſen.
Glaubt mir, meine Lieben, Beſten! ich
trage Euch im Herzen noch eben warm, wie
es da herum auch oͤfter ſchaudern mag.
Lieber Clerdon, ich ſchaͤme mich, es Dir
zu ſagen. Vor nenn Monaten, bald nach mei-
nem letzten Beſuche bey Euch, ſchien es mir,
als vergaͤßeſt Du mich ein wenig, naͤhmeſt
weniger Antheil an mir; Deine Freude an mir
wuͤrde alt. Amalia kam in Wochen und litte
lang. Eben deswegen ſchrieben auch Lenore
und Claͤrchen ſeltner und wenig. Du verſtumm-
teſt beynah ganz. Ja, Lieber, Du verſaͤum-
teſt mich, Du, der naͤchſte Anverwandte,
der Blutsfreund meiner Leiden! Ich
klagte nicht, ſondern verſank in Gruͤbeley.
Dieſe und ein ſchreckhaftes Weſen blieben mir.
M 5
[186] Mir daͤuchte, es waͤre mir ein Licht uͤber den
Zuſammenhang meiner Schickſale aufgegangen;
ich fand ſie nicht mehr ſo auſſerordentlich —
ach! und es wurde ſo oͤde um mich herum; in
mir ſo todt!
Es iſt entſetzlich, wie ich mich herunter ge-
traͤumt habe, immer mehr und mehr, und
deſto tiefer, je entfernter und dunkler mir der
erſte Anlaß wurde.
Lieber! Was ich mir nicht verbergen kann:
auch Wahres, viel Wahres iſt mir in meinen
Traͤumen erſchienen. Dies Wahre kann ich
mir, und will ich mir auch nicht wieder unwahr
machen. Da nun heraus zu kommen — wie?
Das ſehe ich noch nicht; das aͤngſtigt mich!
Ich ſoll mich ſo gut ich kann zuſammenraf-
fen, ſchriebſt Du neulich (*). Nein, Lieber!
nur ſo gut ich kann, will ich mich nicht
[187] zuſammenraffen. Angegriffen im Mittelpunkte
meines Weſens, muß mir aus dem Mittel-
punkte meines Weſens Huͤlfe, volle Huͤlfe
kommen. Sie wird kommen; Du ſagſt es;
ich ſage es auch. Jeder merkwuͤrdige neue
Zuſtand leitet zu neuem Rath, zu neuen Mit-
teln. Wie oft iſt mir geweſen, ſo, daß ich
glaubte, laut rufen zu muͤſſen: Hilf, Cler-
don! Hilf! — Aber ich mußte nicht, und
rief nicht. Was waͤre es, wenn ich mich
immer nur ſo halten ließe? Was wuͤrde mir?
Keine beſtaͤndige feſte Huͤlfe wuͤrde mir. Die
will ich, dahin will ich. Ich will durchkom-
men wollen, wenn ich auch nicht durch-
komme.
Einſt, vor Jahrhunderten, ließ ſich eine
Stimme hoͤren vom Himmel: „Siehe, er
betet!” — Und dem Betenden fiel es von den
Augen wie Schuppen!
Genug fuͤr heute. Morgen will ich verſu-
chen, an Amalia zu ſchreiben, von der ich ei-
[188] nen ſo lieben lieben Brief vor dem Eurigen er-
hielt (*). Und die gute, arme Luzie — und
mein Bruder, die ſo lange nichts von mir hoͤr-
ten, und wohl ſehr bekuͤmmert daruͤber ſeyn
moͤgen! — Ihr Guten Alle! daß ich Euch ſo
blos zum Herzeleid da ſeyn muß!
[189]
XVIII.
Sylli an Amalia.(*)
Liebe! Treue! — Ich haͤtte manches Dir
vielleicht zu ſagen; aber — nicht koͤnnen, oder
nicht moͤgen? — ich weiß ſelbſt nicht. Ich
zeichnete heute fruͤh an einem Auge; unter-
deſſen ſchrieb ich Dir viel in meinem Sinn.
Auch ſo unten waͤhrend dem Mittagseſſen.
Dennoch kommt ſchwerlich etwas davon auf
dieſes Blatt. Ich ſtoͤrte wohl die meiſten da-
mit, wenn ich von mir ſelbſt redete, hie und
da bedeuten wollte. Was daraus werden
wird, verſtehe ich ſelbſt noch nicht; aber, lie-
be Frau, ich bin in ſehr geſchaͤftigem Weſen;
es kommt vieles vor in meiner Einſamkeit,
was mich in meinem Inneren recht emſig
ſeyn laͤßt. Auch geſchieht es, daß ich die
freyeſten Augenblicke genieße: aber die ſind ſo
[190] einzeln, ſo getrennt … Ach, liebe Frau,
das ſchwindet! Ich ſehe hin, und alles dreht
vor meinen Augen. Wie iſt mir? — O lie-
be! Frage Du nicht; laß mich allein das
fragen: Wie iſt mir? — Aber das glaube,
daß Deine Sylli durchkommt, es wird beſſer
mit ihr. Auch Clerdon wird Dirs ſagen.
Darum ſey getroſt, und ruhig, und ſtille.
Seit Montag iſt die S — hier, und es
ſchickt ſich zwiſchen uns beyden. Ihr wuͤrdet
doch Eure Freude daran haben, wenn Ihr
ſaͤhet, wie ich in Uebung komme, mit einer
wirklich leichten Munterkeit allerhand Leute zu
unterhalten und mich ihnen anzupaſſen. In
der That habe ich es hierin ſchon weit ge-
bracht. Nur muß ich mich nicht zu lange an-
ſtrengen wollen. An meiner Einſamkeit han-
ge ich mit Leidenſchaft. Den vertrauteſten Zu-
tritt bey mir hat ſeit einiger Zeit Mon-
taigne. Ich lebe mit ihm, wie mit einem
Lebendigen. Der Mann iſt mir ſo recht; er
ſtillt mein Gemuͤth, indem er mich Vertraͤg-
[191] lichkeit lehrt. Die verſteht er ſo gut; und
die ſoll auch in mir wunderbar aufkommen.
Nur daß ich fuͤr dies Gute nicht ein Beſſeres
daran gebe, und mich an mir ſelbſt verkuͤrze:
davor will ich mich huͤten! Ja wohl!
Wie danke ich Dir genug, Du liebe, fuͤr
die fortgeſetzte große Wohlthat Deiner Briefe?
Dein juͤngſter (*) — wie er mich erquickt hat!
Du weißt ſo ganz, was mir dient, was ich
bedarf. So wie Du nur von weitem die Hand
nach mir ausſtreckſt, fuͤhle ich mich ſchon auf-
gerichtet? Und was haſt Du nicht alles von
jeher mir gethan? Giebt es eine Liebe, die
mir nicht durch Dich erwieſen, dargethan
waͤre durch Dich? Und was habe ich nicht
an dieſen Erinnerungen allein? Waͤren
meine Empfindungen freyer, als ſie es gegen-
waͤrtig ſind; dann koͤnnte ich mich der Liebe,
die ich zu Dir habe, noch beſſer freuen! Du
biſt ſo wahrhaft gut!
[192]
Und, liebe Amalia, Du biſt auch gluͤck-
lich! Erſt vor einer Stunde ſtimmte Mon-
taigne mir darin noch bey, daß Du Amalia,
ſo wie Du biſt, einzig am beſten geſchaffen
und gebildet wurdeſt, um gluͤcklich zu ſeyn,
und andre gluͤcklich zu machen. Darum bitte
und beſchwoͤre ich dich, daß du Dich ſorgfaͤl-
tig erhalten moͤgeſt in Deinem Weſen; blei-
ben moͤgeſt ganz ſo wie Du biſt, und abweh-
reſt jede, auch die mindeſte Aenderung, die
ſich koͤnnte an Dich machen wollen.
Ich wurde geſtern auf eine ſehr unange-
nehme Weiſe im Schreiben unterbrochen. G.
und S., Freunde, wie ſie heißen, von
Gierigſtein, (*) wurden mir gemeldet. Dieſe
Gierigſteiniſchen ſind ſo ſachtſinnig, thun
ſo gemach, haben eine ſo milde freundliche
Rede von lauter Vernunft, Billigkeit und
Recht,
[193] Recht, daß mir allemal wird, wenn ich ſie
bey mir habe, als riſſe man mir die Zaͤh-
ne aus.
Ich habe dennoch gut geſchlafen, und bin
jetzt eine Stunde in meinem Zimmer auf und
ab gegangen, meinen Montaigne in der
Hand. Bombacino begleitete mich, ſpielte
und zerrte an meinem Rocke; gieng und blieb
ſtehen, ſo wie ich gieng oder ſtehen blieb.
Jetzt iſt er um meine Fuͤße herum, und
macht ſich mit meinem Pantoffel zu ſchaffen.
Lange habe ich das Thierchen nicht ſo um-
gaͤnglich geſehen. Warte, du ſollſt auch was
haben. Da, Bombacino! Es ſind gebackene
Mandeln, welche die Juſtitzraͤthinn Melbert
mir am Sonnabend gab. Da der haͤßliche
Gierigſtein mich verlaſſen hatte, und meine
Stimmung mir unleidlich war, gieng ich zu
der wackern Frau, die uns noch etwas ver-
wandt iſt, und es ſo gern hoͤrt, wenn ich ſie
Tante nenne. Ich nahm kleine Geſchenke
fuͤr ihre Toͤchter mit. Der alte Juſtitzrath er-
N
[194] ſchien auch. Alle waren ſo freundlich, ſo gut;
und da gab die Tante nachher dem Bedien-
ten noch ein Koͤrbchen Gebackenes fuͤr mich
mit. Ich blieb bis acht Uhr, und verweilte
gern. Alles iſt ſo aufgedeckt bey dieſen Leu-
ten; man kann nicht ſagen, daß ſie offen-
herzig ſind — denn da iſt nichts, das ſich
moͤchte verbergen wollen — aber treuherzig
ſind ſie. Ich konnte da ſo anſtreichen mit
meinen Gefuͤhlen; mir wurde vertraulich und
wohl.
Ich habe eine Zeit her auch viel mit ei-
ner Kranken zu thun gehabt. Die Wald-
beck — Du wirſt Dich ihrer und ihres recht-
ſchaffenen Mannes, und der Schaar wohlge-
zogener Kinder in dem Hauſe noch erinnern
— die lag am Tode. Es half dieſen ſchwer
Bekuͤmmerten ſehr, daß ſie mich unter ſich
hatten. Wie ſie mir halfen, das ahndete kei-
nem. Es iſt ſo ſuͤß in dergleichen Theilneh-
mung hineingezogen zu werden; ſo ſuͤß, das
willige Werkzeug zu ſeyn, hinter welchem Gott
oder ein Engel ſich verbirgt.
[195]
Die Waldbeck geneſt. Und ſoll ich es
Dir ſagen, liebe Amalia, wie mir nun von
dem allen iſt? — Sieh, die Nahrung, die
ich mir ſo, hie und da, hole — mein Herz, das
da drauſſen etwas, wie von Liebe und Freund-
ſchaft, ſeinem eigenſten Weſen, ergreift; es
ergreifts ohne Macht und Gewalt, es zu dem
ſeinigen zu machen; es kann es nicht vereini-
gen mit ſeinem Weſen; es gedeiht ihm nicht.
Groͤßeres Unbehagen folgt. Ich frage mich:
Was ich will? was ich nicht will? — Was
ſeyn ſoll, kann, iſt? — Und da ichs nicht
ins Reine zu bringen weiß, moͤchte ich oft
alles nur noch mehr und aͤrger durcheinander
gewirrt ſehen.
Hier habe ich lange inne gehalten; ver-
ließ endlich meinen Schreibtiſch; kleidete mich
an, und gieng zu Tiſche. Nun iſts Abend.
Eben ſah ich von dem heute beſtaͤndig mit
Regenſtuͤrmen abwechſelnden Sonnenſchem den
Glanz des Untergangs, des Abſchieds. Dort
N 2
[196] uͤber dem Landſchaͤftchen wars, das man jen-
ſeits der Donau aus meinem Fenſter erblickt.
Es gab die ſonderbarſten Hellungen und Licht-
wechſel. Schoͤn, ſehr ſchoͤn war es, und
feyerlich und ruͤhrend.
Ich ſtand allein da, liebe Amalia —
Sylli ſtand da allein! Ich kann erſchrecken,
wie vor einer Geiſtererſcheinung, wenn ich
mich unverſehens ſo allein finde: ſo ganz
allein!
Heute Morgen, wie ich ſo in meinem
Zimmer auf und niedergieng, und ich hin-
blickte, oͤfter hinblickte auf die Antigone,
die Clerdon zu meinem Geburtstage fuͤr mich
uͤberſetzte, und ſeine andere Ueberſetzung, mir
zu Liebe, von Xenophons Gaſtmahl — dieſe
zwey Hefte, die mir da immer muͤſſen liegen
bleiben an der angewieſenen Stelle auf dem
Seſſel neben meinem Schreibtiſche, und ſie
einnehmen, als waͤre es etwas Liebes, das
Leib und Seele haͤtte, und das ich ſo gern
[197] dieſen Platz da einnehmen ſaͤhe — wie das
immer wiederkam, mich ſtaͤrker bewegte, faſt
Erſcheinung wurde — empoͤrte michs zuletzt;
ich gab mir Verweiſe, ernſtliche Verweiſe,
die mich zum Weinen brachten …
So iſt es! — So, daß unter allen den Be-
klemmungen, die ich erfahre, mein Herz nur
immer regſamer, an ſich ziehender, ſehnender
und ſtrebender wird. Jeder Tropfen Blut
in mir ſcheint ſeine Bewegung nur davon zu
haben, daß meine Seele dieſes da, gerade
dieſes jetzt anſchaut; es ſo anſchaut, gerade
ſo, daß dieſe Empfindung, dieſe und keine
andere daraus entſpringt; dieſe Empfindung,
die lebendige, ſetzt allein mein Herz in Be-
wegung; davon ſchlaͤgt es; es ſchluͤge ſonſt
nicht; — mein Blut, es wallt in meinen
Adern nur von dieſen Schlaͤgen, ſtockte oh-
ne ſie; denn anderes Leben iſt nicht mehr
in mir.
Ich ſchreibe bald wieder, liebe Amalia!
Claͤrchen, Lenore, Deine Kinder, wie ſie
N 3
[198] vor Dich kommen, herze ſie in meine Seele.
Der kleine Edmund wird doch auch ſchon
von einer Sylli gehoͤrt haben, von Deiner
Sylli! — Lebe wohl, Du liebe Einzige!
[199]
XIX.
Sylli an Amalia.
Ich kam heute Abend um neun Uhr von der
guten Waldbeck, die ſich langſam erholt, zu-
ruͤck nach Hauſe, und fand mitten auf meinem
Tiſche Deinen Brief (*). Wie, nach einem
ſchoͤnen Sommertage, Blitze, nur zum Wetter-
kuͤhlen, zucken, und ſich mit der Daͤmmerung
vermiſchen: ſo flammte mirs ums Herz bey
ſeinem Anblick. Ich erbrach ihn ſchnell, blos
um zu ſehen, wie lang er waͤre, und ob alles
wohl bey Euch ſtuͤnde; dann verſchloß ich ihn,
eilte mich auszukleiden, beſtellte mein Nacht-
eſſen ab, und machte mich ganz einſam.
Ich konnte auf die Labung, die mir durch
N 4
[200] Dich gereicht werden ſollte, nicht beſſer vorbe-
reitet ſeyn, als ich es war. Mir war ſehr
wohl geweſen unter den Waldbecks; es iſt eine
ſo ſchlichte wackere Menſchenart! Vater, Mut-
ter, Toͤchter, Soͤhne ſind, an Guͤte und
Treue, einer wie der andere, und doch abſte-
chender von Character, als man es ſonſt fin-
det, weil von dieſer Seite nichts an ihnen ge-
modelt, ſondern nur gerade zu auf Rechtſchaf-
fenheit und Tuͤchtigkeit, als etwas, wozu je-
der Character ſich wohl bequemen muͤſſe, ge-
arbeitet worden iſt. So war der Mann er-
zogen worden, ſo die Frau; und ſo erziehen
ſie nun wieder ihre Kinder, ohne rechts oder
links zu ſehen.
Waͤhrend der Krankheit der Frau, wo ich
bey den Leuten wie zu Hauſe wurde, konnte ich
das erſt ſo recht von nahem beſehen und ei-
genſt zu Herzen nehmen. Heute fruͤh kamen
nun die zwey aͤlteren Toͤchter, Friederike und
Malchen, die ſchon lange ſehr an mir hiengen,
und jetzt ihr Leben fuͤr mich ließen, und ſagten
[201] mir, der Arzt haͤtte erlaubt, daß die Mutter
ſich den Nachmittag im Saale aufhielte; und
da waͤre es ſo ſchoͤn, wenn ich hinkommen
wollte, damit es eine rechte Freude wuͤrde.
Ich gieng gleich nach Tiſche, fand aber ſchon
alle beyſammen im Saal. Der gute Wald-
beck empfieng mich mit einer Ruͤhrung, wel-
che dem derben, bideren, muntern Manne
uͤber alles Sagen ſchoͤn ließ. Die Geneſende
ſah nach uns hin mit einem Blicke und einem
Strahlen des Angeſichts, wobey wohl nicht
mir allein der Tag der Auferſtehung in Ge-
danken kam. Wir waren umzingelt, Wald-
beck und ich, von den Maͤdchen und Knaben,
die uns nach dem Seſſel der Mutter draͤng-
ten. Die Gute umfaſſend ließ ich mich an
ihr nieder auf die Kniee, um ihr ins Ohr zu
liſpeln, daß ſie ſtille wuͤrde, und um ihr Ge-
ſicht in meinem Buſen zu verbergen, waͤhrend
ich die andern mit Winken in Ordnung brach-
te. Es wurde gar lieblich unter uns. Die
wackere Fiſchering allein, und Vikarius Boͤck,
die treue Seele, mit ſeinem Bruder, dem
N 5
[202] Aſſeſſor, denen beyden ich ſo gut bin, kamen
noch dazu. Es wurde von vielerley geſprochen,
und von allem eben gut und verſtaͤndig. Ich
hoͤrte mehrentheils nur zu, und freute mich
im ſtillen Geiſte, daß es zur geſunden Ver-
nunft wenig oder nichts thut, ob ein Menſch
von Natur einen großen Verſtand oder einen
kleinen hat; ſondern darauf, wie ſeine Fan-
taſie beſchaffen iſt, und daß bey einmal gu-
ten, treuen und tuͤchtigen Menſchen dieſe
feſt ſteht, wie ein Fels. Was ihnen als
Grundſatz, Regel oder Glaube ehrwuͤrdig ge-
worden iſt, das bleibt und gilt. Sie urthei-
len und wandeln, ohne Furcht und Zweifel.
Wir alle, wenn wir die hoͤchſte Verſiche-
rung geben wollen, ſagen: das iſt ſo gewiß,
als ich jetzt vor Ihnen ſtehe, mit Ihnen rede,
dieſe Feder in der Hand habe: und es iſt
nur feyerlicher, oder ſoll noch mehr heißen,
wenn wir ſtatt deſſen ſagen: ſo wahr ein
Gott im Himmel lebt; oder: ſo wahr
ich ſelig zu werden hoffe. Hier nimmt
[203] alle Wahrheit und Treue ihren Anfang, wo
auch die eigentliche geſunde Vernunft
zu Hauſe iſt. Wunderlich iſt mir oft zu Mu-
the geweſen, wenn ich unter Leuten von der
großen und ganz großen Welt, auch un-
ter großen Geiſtern mich befand, und zuſah,
welche Gewalt ſie unter Umſtaͤnden, nichts-
wuͤrdiger Dinge wegen, uͤber ſich ſelbſt hat-
ten und behielten, und in welcher ſcheußlichen
Ohnmacht ſie unter andern Umſtaͤnden da la-
gen, ohne Gram und Schaam. So zu ſeyn,
dazu wurde ihre Fantaſie von Jugend auf
gebildet, oder ſpaͤterhin verzerrt. Nun dieſe
Menſchen, mit allem ihrem Glanze, hinge-
ſtellt neben einen bideren, feſten, uͤberall
treuen Mann, wie Waldbeck; jener in-
nere Wirthſchaft verglichen mit der inneren
Wirthſchaft von dieſem: wen ſchaudert nicht
bey dem Contraſt? Hier, in ſtetem Gange,
ein fortgeſetztes Leben der Zucht: Muth,
Freudigkeit, Standhaftigkeit und Wuͤrde.
Dort, im truͤben Taumel, ein ewig geſtoͤrtes,
zerbrochenes Leben der Un-zucht: Feig-
[204] heit, Unluſt, Wankelmuth und Selbſtver-
achtung.
Es hatte ſieben geſchlagen, ehe wirs uns
verſahen. Der Arzt kam mit Verweiſen uͤber
das zu lange Aufſitzen ſeiner Kranken. Wir
brachten ſie zur Ruhe, und ich blieb noch eine
Stunde bey dem lieben Weibe auf dem Bette
ſitzen, mich beynah vergeſſend im ſuͤßen Ge-
ſchwaͤtze mit den drey Maͤdchen, die mich all-
maͤhlich ganz umklammert hatten. Unterdeſſen
war die Mutter eingeſchlummert. Wir ſchli-
chen fort nach dem Saal, wo mein Mantel
und mein Arbeitsbeutel lagen. Da ſahen wir,
hinter Wolken, den Mond gerade vor dem mitt-
leren Fenſter ſtehen. Waldbecks Saal hat eine
entzuͤckende Ausſicht, beſonders wegen der Do-
nau, die nahe daran vorbeyfließt, und zur
rechten Hand herunter kommt, ſo weit her,
daß man nicht unterſcheiden kann, von welcher
Seite oben. Mit gleicher Bewegung flogen
wir zum offen ſtehenden Fenſter, und blieben
da lange, lange. Ich ſah den ziehenden Woͤlk-
[205] chen zu, die ſich bald ſo, bald anders beweg-
ten und formten, und den Mond nicht wollten
helle werden laſſen. Nun wurde er lichter und
lichter; endlich ſtand er rein da, und uͤberzog
den Strohm, mit ſeinem zitternden Glanze.
Die Maͤdchen verglichen es mit Silbertropfen,
die hinein regneten.
Jetzt nahm ich Abſchied, gieng nach Hauſe,
und fand Deinen Brief.
Er lag unten am Rande einer Zeichnung,
die ich, nach Maratti, Vormittags vollendet
hatte: ein ſchlummernder Knabe; eine wahre
Engelsgeſtalt.
Schlummere du nur fort, ſagte ich zu dem
ſchoͤnen Jungen, da ich vom Auskleiden zuruͤck-
kam: du Engel! ich will dich nicht ſtoͤren; —
und wirklich ruͤckte ich leiſer meinen Seſſel,
ließ mich leiſer darauf nieder, und war vor-
ſichtig, nicht an den Tiſch zu ſtoßen.
[206]
Ich las bis an das Capitel von Allwill,
womit ich heute mich nicht ſtoͤren wollte; fieng
dann wieder von vorn an — und noch einmal;
las immer langſamer, bis ich, unvermerkt,
nicht mehr auf dem Blatte las, und doch noch
immer las wie vom Blatte … Meli, beſte
Meli! — Sieh den hold laͤchelnden Engel da!
Auf ſeiner beſten Ruheſeite liegt er; den Kopf
ſanft aufs Aermchen geſtuͤtzt: er ſchlaͤft! —
Meli! So haſt Du mir geſungen, ſo, daß ein
Schlummer der Geneſung uͤber mich gekommen
iſt. Sanft eingewiegt haſt Du mein Herz:
eine ſuͤße warme Fuͤlle, die Fuͤlle Deiner Liebe
darauf gedeckt. Sie iſt in meinem Herzen,
dieſe Fuͤlle Deiner Liebe, Deiner Unſchuld,
Deines Glaubens. Ja, ſtille iſt es nun!
Durch den Vorhang hindurch glaͤnzte mir
jetzt der hochſtehende Mond ins Auge. Da
biſt du ja wieder! dachte ich, und ſtand
auf.
So helle und frey habe ich den Mond lan-
[207] ge nicht ſcheinen ſehen. Alle Woͤlkchen waren
von ihm weg, zogen ſeitwaͤrts, hierhin, dort-
hin, ſo Truppweiſe, lauter kleine runde Woͤlk-
chen; und uͤberall weit dazwiſchen der ſchoͤnſte
blaue Himmel; hie und da auch Sternlein;
und ſie blinkten ſo ſanft. Nur Ein Stern,
der war recht hell, und flimmerte raſcher. Ich
ſah ihn darauf an: „Wie du flimmerſt, du
Heller!” Und der Helle wurde mir ſo freund-
lich, daß ich mich nicht erwehren konnte, ihm
ſein Laͤcheln zu erwiedern, und mich darauf
ertappte.
An mein Schlafzimmer mochte ich nicht
denken. Ich holte meinen Schreibtiſch, ſetzte
ihn vor den Sopha, und ſchrieb, was Du bis-
her geleſen haſt.
Da habe ich es nun auch uͤberleſen; bin
wieder an Deinen Brief gegangen, und habe
eine lange ſuͤße Pauſe gemacht.
Was iſt es, liebe Meli; was iſt das,
[208] woran ich mich in Ruhe und Stille hier wie
angelehnt fuͤhle? Es iſt mir gegenwaͤrtig; aber
es ſtellt ſich mir nicht dar, ich habe kein Bild
davon — ſondern nur in Worten, in Worten
vom unausſprechlich Schoͤnen, Heiligen und
Guten hergenommen, darin giebt es wie ein
Zeichen von ſich. Angeſchmiegt an dies Un-
ſichtbare mit allen meinen Gefuͤhlen, ſo habe
ichs, ſo halte ichs; es umfaßt, traͤgt und hebt
mich. Sieh, es ſtuͤrzen mir Thraͤnen aus den
Augen, und gewiß iſt doch kein Zug des Wei-
nens in meinem Geſicht; alle meine Zuͤge muͤſ-
ſen Heiterkeit ausſagen; denn es umgiebt, es
erfuͤllt mich die lauterſte Wonne.
Laß mich, Du Holde, Liebe! laß mich an
dieſer Stelle dem Morgen entgegen ſchlummern.
Ruhe ſanft!
Guten Morgen, Amalia! guten Morgen,
Schweſter! Ich ſinne auf neue Namen, auf
neue
[209] neue Gruͤße fuͤr Dich, und kann nicht finden,
was ich ſuche. Du Gluͤckliche haſt bald ge-
funden; fandeſt ohne Suchen. Mutter,
riefſt Du; o Mutter, komm zur Mutter!
und mir wurde, als waͤre ich umgeſchaffen nach
dieſem Zuruf.
Wohl, liebe Meli, verſtehſt Du es beſſer,
als ſie alle, Du Einzige, Du Seherinn —
nicht in Traͤumen, wie die arme Sylli —
Seherinn mit offenem Auge, Seherinn
der Wahrheit! Vergleiche nur mein Schrei-
ben von heute vor acht Tagen mit dieſem
hier! Du hatteſt noch nicht gerufen: Komm
zur Mutter, komm zu den Kindern und der
Kinder Vater, komm zu den Maͤdchen von
Heimfeld; komm und laſſe alles — Und
die kranke Sylli traͤumte fort, konnte nur
weinen uͤber alle die lieben Worte von Cler-
don, dem Edlen, von den herrlichen Maͤdchen.
Sage Clerdon, ſage Claͤrchen und Lenoren,
ſage Deinen Kindern: Sylli kommt! Sie laͤßt
O
[210] alles und kommt; ehe die Blaͤtter wieder ab-
fallen, iſt ſie bey uns!
Daß ich Mutter war und Mutter bleibe
— welch ein Engel gab Dir ein, mir dieſes
vorzuſagen? Wie ichs da fand in Deinem
Briefe, daͤuchte mir, ich hoͤrte es zum erſten-
mal, und mir wuͤrde eine Krone aufgeſetzt.
Es war gerade um dieſe Jahrszeit, da ich
meinen Guſtav unter meinem Herzen zuerſt
ſich regen fuͤhlte. Daß ers ſo gut traf mit
ſeinem Erwachen, wie mich das fuͤr ihn freu-
te! Du hatteſt damals noch keinen Gatten,
warſt noch nicht meine Schweſter. Ich waͤhl-
te mir eine; ſie waͤhlte mich. O der Zaͤrt-
lichkeit, mit der ich der ganzen Natur mich
anherzte; und die Gute! wie ſies aufnahm,
den vertraulichen Schweſtergruß mit Haͤnde-
druck und Kuͤſſen mir erwiederte! Ich gieng
an ihrer Hand, wie ein Kind, das man mit-
nimmt, und zu dem man ſagt: Komm, wir
wollen dieſes oder jenes thun, Du ſollſt
helfen!
[211]
Das Entfalten der Bluͤthen, das Sproſſen
der Blaͤtter und Zweige — es geſchah nicht
ohne mich; ich half, war dabey geſchaͤftig: ſo
fuͤhlte ichs. Und die Voͤglein alle, wie ſie auf
den Baͤumen um mich her ſich verſammelten,
ſo vielerley Art; wie ſie zwitſcherten, ſangen,
flatterten und flogen; ihre Neſterchen anleg-
ten und bauten: ſo ganz anders noch, wie
ſonſt, war ich dabey mit Augen, Ohren,
Theilnehmung und Sorge. Wo nur Luft ſich
regte, wo es irgend nur eine Witterung von
Leben gab, kam ich mit ſuͤßen Ahndungen
hinzu, machte jedes Anliegen zu dem mei-
nigen.
Und ich weiß noch wohl, wie ich damals
oͤfter dachte, wenn erfolgen ſollte, was nach-
her geſchah; wenn ich den bitteren Schmerz
erfuͤhre, wieder entbehren zu muͤſſen, was ich
ſchon ſo unausſprechlich liebte: — ich haͤtte
ihn geſehen den Engel, an mich ihn gedruͤckt,
ſein Koſen, ſein Laͤcheln, ſeine Blicke genoſſen,
ihn ſchon zum Lallen, zur Freude, zum Wie-
O 2
[212] derlieben aufgeſaͤugt und gepflegt: und nun
laͤge er vor mir da erſtarrt, und ich muͤßte
ihn ins Grab tragen laſſen — ins finſtre
Grab! ..
Mir graute fuͤrchterlich! Dennoch gelobte
ich, und praͤgte mir es tief ein, daß, wie
unſaͤglich auch dann mein Leiden ſeyn wuͤrde, ich
dabey der Seligkeit, die ich genoſſen, nicht vergeſ-
ſen, und die neue reine Liebe, welche mir gewor-
den, bis zu meinem eigenen Tode ſegnen wollte.
So verſprach ich meinem Guſtav, und wie-
derholte in den zwey Jahren, die er lebte,
ihm dies Verſprechen oft und immer heiliger.
— O, daß ich Mutter war, und Mutter
bleibe, wie koͤnnte ich das miſſen wollen? —
Liebe Amalia — der helle Stern, der mir ſo
freundlich winkte, der mich anlaͤchelte, und
deſſen Laͤcheln ich erwiedern mußte, das war
mein Guſtav; mein Guſtav erſchien mir in dem
hellen Stern.
Wie ich Dich uͤberall ſo ganz verſtehe, Du
[213] Herrliche! in Deinem Wiſſen und Nichtwiſſen;
in Deinem Stolz und in Deiner Demuth.
Was Clerdon zu dem Manne mit dem
lauter hieher und daher ſagte: „es ſey
der Inſtinkt des Buchſtabens, die Vernunft
unter ſich zu bringen,“ iſt mir wie ein
Blitz durch die Seele gefahren. Es erinnerte
mich an ein treffendes Wort von Fenelon.
„Der Menſch in ſeinem verkehrten Weſen,
ſagt Fenelon, hat nur Augen, um Schatten
zu erblicken; und die Wahrheit erſcheint ihm
als ein Trugbild. Was Nichts iſt, haͤlt er
fuͤr Etwas; und was Etwas uͤber Alles iſt,
haͤlt er fuͤr Nichts.
Du findeſt dieſe Stelle in ſeinem Buche
vom Daſeyn Gottes, am Schluſſe des erſten
Theils, wo er die Gottheit anredet. Laß
mich nur dieſe Eine Stelle hier einruͤcken.
„Waͤreſt Du ein ohnmaͤchtiger, lebloſer
O 3
[214] Koͤrper, wie eine Blume die verwelkt, ein
Bach der vorbey fließt, ein Gebaͤude das ſteht
und hinfaͤllt, ein Farbengemenge das Ge-
maͤhlde heißt, wenn unſere Einbildungs-
kraft Geſtalt hineintraͤgt; ein mit etwas
Glanz uͤberzogenes Metall: ſo wuͤrden die
Menſchen auf Dich merken, und Dir, in
ihrer Thorheit, das Vermoͤgen zuerkennen,
ihnen einige Freude zu gewaͤhren; obgleich
Freude von nichts Seelloſem ausgehen kann,
ſondern allein von Dir, Du Quelle des Lebens
und alles Genuſſes. Waͤreſt Du alſo nur ein
Weſen groͤberer Art, hinfaͤllig, leblos, eine
Maſſe ohne Selbſtvermoͤgen, nur der Schat-
ten eines Weſens; ſo wuͤrde Deine nichtige
Natur unſere Nichtigkeit beſchaͤftigen; Du
waͤreſt dann ein angemeſſener Gegenſtand fuͤr
unſere niedrigen und thieriſchen Gedanken.
Weil Du aber zu ſehr in ihnen ſelbſt biſt, wo
ſie nie einkehren; ſo biſt Du ihnen ein ver-
borgener Gott. Denn dieſes Innere ihrer
ſelbſt iſt am weiteſten von ihrem irre gewor-
denen Blick entfernt. Die Ordnung und
[215] Schoͤnheit, die auf dem Angeſicht Deiner Ge-
ſchoͤpfe ſtrahlt, iſt wie ein Schleyer, der Dich
ihrem kranken Auge entzieht.“
Sage, liebe Amalia! iſt es Dir nie auf-
gefallen, — ſo daß Du dabey ſtehen geblieben,
lange ſtehen geblieben waͤreſt — dabey:
daß der Menſch ſich entſchließen kann zu
ſterben?
Zu waͤhlen zwiſchen Tod und Leben ver-
mag kein Thier: es hat nur ſinnliche Triebe,
die alle auf Erhaltung gehen, die es zwin-
gen, nur ſein Daſeyn auf der Erde fort-
zuſetzen.
Der Menſch vermag es.
Du waͤhlteſt Leben, und ich
waͤhlte Tod!
ſagt Antigone zu ihrer Schweſter Ismene.
O 4
[216]
Eine Liebe iſt dem Menſchen gegeben, die
den Tod unter die Fuͤße tritt; keinen Schmerz
achtet und keine Luſt. Ihr Saame geht auf
in der Anſchauung, Bewunderung und Ach-
tung eines Andern. Alsdann verliert der
Menſch ſein Leben, um es zu gewinnen. Es
erwacht der Inſtinkt ſeiner vernuͤnftigen Na-
tur, welcher nicht die Seele des Leibes, ſon-
dern des Geiſtes Seele zu erhalten, empor
zu bringen, herrſchend zu machen ſtrebt.
Und hiemit, mit der Einſetzung einer Liebe,
die den Tod uͤberwindet und Unſterblichkeit ge-
biert, hat die Welt angefangen.
Die Geheimniſſe der Liebe und des Lebens
durchdringt kein menſchlicher Blick. Alles reg-
ſame Daſeyn faͤngt mit einer Begierde an, die
ihren Gegenſtand nicht kennt. Spaͤter, und
nur hie und da luͤftet der leitende Trieb ein
wenig ſeinen dichten Schleyer. Aber jedes
Leben, auch das dunkelſte, fodert ſeine Erhal-
tung mit einem Nachdrucke, der ſein Recht
iſt. Der Nachdruck des am tiefſten verborge-
[217] nen Lebens iſt der maͤchtigſte; und heilig uͤber
alles iſt ſein Recht. Wer dies Recht erkannt,
es gefuͤhlt hat, der vertraut ihm; er hat, wie
Du ſagſt, das Rechte gefunden, und ihm
iſt wohl da, wo man nichts ſieht und nichts
weiß; wo die Welt angefangen hat.
Ich habe noch den Punkt von Allwill in
Deinem Briefe zu beantworten. Wie ich von
dem jungen Manne denke, weißt Du aus mei-
nem Briefe an Lenore und Claͤrchen (*). Es
mag wohl etwas uͤberſpannt ſeyn, was ich ge-
ſchrieben habe; aber mit dem Verhaͤltniſſe des
Guten zum Boͤſen, das ich angab, wird es
wahrſcheinlich ſeine Richtigkeit haben. Ich
kenne dieſe Menſchengattung aus dem Grunde;
habe Gelegenheit gehabt, ſie lange zu beobach-
ten, mit einem Intereſſe, wovon mir das Herz
noch blutet. Daher gerieth ich uͤber dem Schrei-
O 5
[218] ben jenes Briefes in eine Bewegung, die ich
mir vorwarf, ſobald er fort war. Dergleichen
wird mir noch oͤfter begegnen, und Ihr
muͤßt Euch darauf gefaßt halten. Ueberhaupt
wird es ohne mancherley Ruͤckfaͤlle nicht her-
gehen.
Was nun dieſe Menſchengattung angeht,
uͤber die ich ſo gruͤndlich zu ſeyn behaupte, ſo
fuͤhren ſchon die vorzuͤglichen Anlagen, die bey
ihr vorausgeſetzt werden muͤſſen, die Gefahr
ihres Mißbrauchs mit ſich. „Huͤte Dich,“
habe ich irgendwo geleſen —: „Huͤte Dich vor
dem, den Gott gezeichnet hat!“ Jedes Ue-
bermaaß von Kraͤften reizt zu irgend einer Art
der Gewaltthaͤtigkeit und Unterdruͤckung. Hie-
zu kommt bey den Allwillen, daß ihren
vorzuͤglichen Gaben eine beſonders zarte und
lebhafte Sinnlichkeit, eine große Gewalt des
Affects, und eine ungemeine Energie der Ein-
bildungskraft zum Grunde liegt. Ich nenne
den Affect vor der Einbildungskraft, weil die
Einbildungskraft der Allwille vornehmlich eine
[219] Einbildungskraft des Affects, und weniger als
bey andern Menſchen ein freyeres Geiſtes-
Vermoͤgen iſt. Die Miſchung dieſer Grundei-
genſchaften iſt in keinem Einzelnen dieſelbe;
und ſo haben auch in jedem Einzelnen der
Verſtand, die Beſonnenheit und der Wille ihre
eigene Art und Weiſe. Man kann aber ohne
Gefahr annehmen bey dieſer Gattung,
daß wo der hellere Kopf iſt, auch ein hoͤherer
Grad der Ruchloſigkeit ſich einſtellen werde.
Bey der Helle des Kopfs wird der Uebergang
von der Empfindung zur Reflexion; zur Be-
ſchauung und Wiederbeſchauung — mit Bey-
huͤlfe des Gedaͤchtniſſes — immer ſchneller,
mannichfaltiger, gegenſeitiger, durchgreifender,
umfaſſender; bis endlich Anſchauung, Betrach-
tung und Empfindung jeder Art, von der zur
groͤßten Fertigkeit gediehenen Selbſtbeſinnung,
Geiſtesgegenwaͤrtigkeit und inneren Sammlung,
welche die Helden dieſer Gattung, ſelbſt in der
aͤrgſten Beklemmung der Leidenſchaft, nie ganz
verlaͤßt, unaufhoͤrlich nur verſchlungen werden,
und fuͤr ſich keine Gewalt und natuͤrliche
[220] Rechte mehr haben. Der ganze Menſch, ſei-
nem ſittlichen Theile nach, iſt Poeſie gewor-
den; und es kann dahin mit ihm kommen, daß
er alle Wahrheit verliert, und keine ehrliche
Faſer an ihm bleibt. Die Vollkommenheit die-
ſes Zuſtandes iſt ein eigentlicher Myſticismus
der Geſetzesfeindſchaft, und ein Quietismus
der Unſittlichkeit.
Unter den Egoiſten machen dieſe Zauberer
eine eigene Claſſe aus.
Jede leidenſchaftliche Bewegung iſt, ihrer Na-
tur nach, eigenſuͤchtig. Daher kann man in der
Regel annehmen, daß uͤberhaupt der empfind-
ſamere Menſch, als ſolcher, auch der ei-
genſuͤchtigere iſt. Nicht, daß er es wollte; im
Gegentheil: er moͤchte gern ſich aufopfern;
aber er kann nicht, weil er ſo uͤber alle Maaßen
zuerſt von ſich ſelbſt geruͤhrt iſt. Verſtehe
mich wohl! Die blos empfindſamen, als ſolche,
[221] dieſe allein ſind gemeint; und von dieſer beſon-
dern Gattung blos weichſchwachherziger Be-
ber (tremblers) habe ich wenig gelitten. Ihre
Zaͤrteley und Heucheley; ihre Ohnmacht und
ihre Tuͤcke widerſtanden mir ſo ſichrbar, daß ſie
mich nicht weniger flohen, als ich ſie vermied.
Mit den Allwillen vertrage ich mich weit
eher, zumal da nur wenige unter ihnen die
Vollkommenheit ihrer Gattung erreichen. Sie
widerſtehen mir auch weniger, als die Plan-
vollen kalten Egoiſten, wenn dieſe ſchon nicht
zu der niedrigſten Claſſe ihrer Art gehoͤren;
keine Gierigſteine ſind. Weil die All-
wille ſich ſelbſt aͤuſſerlich nicht ſchonen, Groͤße,
und in manchen Faͤllen Edelmuth beweiſen,
auch, ſo lange ſie nicht ganz verdorben ſind,
die ſchoͤnſten Regungen der Seele haͤufig blicken
laſſen, ja, durch ſie nicht ſelten auch geleitet
werden; ſo kann man ſie weder ganz verachten,
noch beſtaͤndig haſſen. Und dies eben macht ſie
ſo gefaͤhrlich. Denn ihre Eigenſucht iſt hart
und grauſam, wie keine andere. Einer eigent-
lichen Verlaͤugnung ſind ſie nicht faͤhig, und die
[222] Federkraft der Sittlichkeit in ihnen iſt ſo gut
als todt.
Ich wuͤrde mich nicht enthalten koͤnnen,
noch ſchlimmeres zu ſagen, wenn ich nicht ab-
braͤche.
Was Euren Eduard angeht, ſo genuͤgt mir
an Deinem Mißtrauen gegen ihn; Du wirſt
mir die Maͤdchen ſchon verwahren. Wegen
Claͤrchen hat es ohnedem nicht leicht Gefahr;
die ſieht ſo hell und kann mit auf Lenore Acht
geben. Und ſo mag Clerdon denn nur immer
beſchoͤnigen. Wie er es mit dieſem jungen
Lieblinge treibt, hat er es von jeher mit allen
Menſchen getrieben, woran er einen etwas
lebhaften Antheil nahm. Es ſcheint, daß je
geſchickter wir ſind, alle Falten des menſch-
lichen Herzens zu durchdringen, deſto fertiger
ſind wir auch, uns in jedem Einzelnen Falle
zu taͤuſchen. Wir erdichten Menſchen, ſo,
daß man glaubt, ſie muͤßten irgendwo vor-
handen ſeyn; und wieder, aus den wirklichen
[223] Menſchen machen wir uns etwas, was ſich
nirgend findet. Bey dem großen Umfange,
den jede Art Character hat, geht das ohne
Wunder zu. Unſere Einbildungskraft iſt be-
reit, uns hundert Plane vorzulegen, um den-
jenigen heraus zu waͤhlen, nach welchem die
Vorſtellung ſich am leichteſten und beſten aus-
fuͤhren laͤßt, die der gegenwaͤrtige Affect ſich
wuͤnſcht. Verſchwindet der Affect, und wir
uͤberſchauen nachher unſere gemachten Be-
obachtungen; dann iſt kein Menſch, der es
beſſer gewußt haͤtte, als wir, wenn es uns
darum zu thun geweſen waͤre.
Uebel wird es mir bekommen, wenn Du
Clerdon dies zu leſen giebſt. Ich ergebe mich
darein; und gruͤße Du ihn nur von mir recht
herzlich, den Papa Allwill.
[224]
XX.
Eduard Allwill an Luzie.
Ihr langes Sendſchreiben, gute Luzie, habe
ich ſo eben zum dritten male wieder geleſen;
habe alles auf die Seite geworfen, und ſitze
Ihnen nun da auf meinem Stuhle ſo feſt, als
wenn der kleine Schreibtiſch hier die ungeheure
runde Tafel in unſerm Rathsſaale waͤre; und
Sie, mein theures Fraͤulein, waͤren das Lan-
desherrliche Portrait unter dem gruͤnen
goldbefranzten Baldachin; aber wohl zu mer-
ken, daß Sie nur in ſofern das Portrait
Ihro — — vorſtellen, als mein trautes Tiſch-
lein hier die verwuͤnſchte ungeheure runde Ta-
fel in dem Rathsſaal vorſtellt; und daß die
ganze Vergleichung ſich einzig und allein auf
mein feſtes Sitzen gruͤndet.
Naͤrriſch genug mit allem dem, daß ich ſo
ganz von ungefaͤhr, und ohne alles Arge, Sie
in das Bildniß eines gepanzerten Erdengottes
ver-
[225] verwandelte; denn in der That, liebe Luzie,
juͤngſt, als Du mit aller Weisheit Himmels
und der Erde vor mich trateſt, ſah ich Dich
wirklich von der Scheitel bis zu den Sohlen
in ſchoͤn geblaͤutem Stahl — maͤchtig erhaben
auf den Zehen des linken Fußes; das andre
Bein kuͤnſtlich von der Erde geſchwungen; em-
por die heilige Rechte, das Haupt mit einem
Lorbeerzweige zu beſchatten; und Dein ganzes
Weſen begriffen — in der Verdauung der
goͤttlichen Eule, welche Du ſo eben roh und
ungepfluͤckt hinuntergeſchluckt hatteſt.
Gewiß hatteſt Du neulich meine geringe
Perſon unter einer nicht viel weniger veredel-
ten Geſtalt erblick; als da waͤre eine uner-
meßliche Peruͤcke uͤber meinem trotzigen Haar-
zopf, die mir dicke Schweißtropfen aus der
Stirne preßte; zwey Seraphimsfluͤgel an den
Schultern, die mir zu Faͤchern, um mich an-
zuwehen, dienten; ebenfalls auf einem Beine
ſtehend, feſt wie ein Fels. — O komm doch,
komm, liebe Luzie! laß uns auf einander zu-
P
[226] hinken; dann her Deinen Helm, daß ich mei-
ne Peruͤcke hineinlege; — und nun ſieh: hier
iſt Eduard und dort Luzie; wir ſind unter vier
Augen; reden wir mit einander, wie ich
und Du!
Schade was, liebe Luzie! Schade was
fuͤr unſere Weisheit, fuͤr alle die praͤchtigen
Verwandlungen, woruͤber wir uns ſo hoch zu
gratuliren pflegen; gemeiniglich hat es am
Ende ſo viel damit zu ſagen, daß — wir uns
ſchaͤmen muͤſſen. Man ſchwitzt im Sommer,
und friert im Winter: im erſten Falle kleidet
man ſich in Tafft, und im letzten in Pelz;
das iſt meiſtens die ganze Geſchichte. Sie
wiſſen, was die Ptolemaͤiſche Epicycloide fuͤr
ein Ding iſt: (ſonſt kann Wallberg Sie dar-
an erinnern) Auf- Ab- und Durcheinander-
ſchwingungen ohne Ende; doch nur ein Mit-
telpunkt, und der Planet tritt immer wieder
in die Graͤnze ſeines Zirkels zuruͤck.
Es liegt mir noch klar genug im Gedaͤcht-
[227] niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwuͤrdi-
gen Sinnesaͤnderung, mich nun endlich zur
wahren Weisheit bekehrt, und den einzigen
Weg zur Gluͤckſeligkeit betreten zu haben glaub-
te; dann vor Entſetzen und Schaam vergehen
wollte, daß ich vor nur ſo wenigen Tagen —
oft vor nur ſo wenigen Stunden, noch ein ſo
unbegreiflicher Thor hatte ſeyn koͤnnen. Aber,
o Tyranney des Schickſals! bald darauf kam
mein unbegreiflicher Thor wieder ganz ſtatt-
lich, als der weiſeſte Mann, ans Licht, und
ſchaͤmte ſich ſeines Vorfahrs nicht weniger,
als dieſer vor kurzem ſeiner ſich geſchaͤmt
hatte.
Ein Schelm thut mehr als er
kann, ſagt ein altes deutſches Spruͤchwort.
Es ließe ſich ein ſchoͤnes dickes Buch uͤber die-
ſes Spruͤchwort ſchreiben, und es ſoll mein
erſtes ſeyn, wenn ich je eins unternehme. Ein
feuriger, geiſtvoller Juͤngling, der ein Epic-
tet ſeyn will, will mehr als er kann, und
muß ſchlechterdings dabey zum Schelmen wer-
P 2
[228] den. Wie kann er alles Gute, alles Schoͤne
mit Entzuͤcken lieben, und ſo genaues
Maaß halten, und nie irre gehen? Wie
kann er ſchon wiſſen, was jene Freude zur
Thorheit macht? euch euren Ueberdruß, eu-
ren Eckel, eure Mattigkeit nachfuͤhlen, lieben
Graubaͤrte? Wie kann ſein Muth ſich vor
euren Furchten entſetzen? Er, der dem
Schmerze trotzt, und dem Tode, und nur Luſt
wittert. Kurz, euren innern Sinn koͤnnt
ihr ihm nicht geben; und ſo haͤttet ihr ihm,
wenn er euch hoͤrte, vollends allen Genuß
des Lebens geraubt. In ſeinem Kopfe,
wenn er ein bischen eigenes Weſen hat, muß
eure Vernunft zum aͤrgſten Unverſtande wer-
den; hoͤchſtens kann ſie durch Schreckbilder
einige Schwermuth in ſeine Einbildungskraft
ſtaffieren. Ihre Stimme toͤnt alsdann ſeinem
Ohr, wie ein verdrießliches Gegreine, und
macht ihm Weh. Sie heißt ihn die
aͤrgſten Qualen unaufhoͤrlich lei-
den, damit ihm nur ja kein Leid
widerfahre.
[229]
Um die Lehren eurer klugen Weisheit zu
verſtehen, um ſie annehmlich zu finden,
muß die Seele ſich im Zuſtande des Gleich-
gewichts befinden, muͤſſen ihre lebhafteſten
Begierden — eingeſchlaͤfert ſeyn; welches ſo
viel geſagt iſt, als ſie muß auſſer Stand,
oder doch wenigſtens auſſer der Lage ſeyn, ir-
gend eine entzuͤckende Freude zu empfinden. —
Hole der Henker einen ſolchen Zuſtand fuͤr
jeden wackern Jungen! Genießen und
Leiden iſt die Beſtimmung des Menſchen.
Der Feige nur laͤßt ſich durch Drohungen
abhalten, ſeine Wuͤnſche zu verfolgen: der
Herzhafte ſpottet des; ruft Liebe bis in
den Tod! und weiß ſein Schickſal zu er-
tragen.
Es iſt die hohlſte Idee von der Welt, daß
bloße Vernunft die Baſis unſrer Handlun-
gen ſeyn koͤnne; da ſie fuͤr ſich allein nur
das Vermoͤgen hat, gegebene Empfindungen
und Neigungen dem Herzen vorzuſchemati-
ſieren, und augenſcheinlich uͤberall nur im
P 3
[230] Dienſte der urſpruͤnglichen Lebens-
quelle geſchaͤftig iſt, aus welcher erſte
Richtung, letzte Beſtimmung, Kraft, Be-
wegung und That einzig hervorgehen.
Nur ein Preßwerk, ihm das Blut durch
die Adern zu ſpritzen, kein Herz muß der-
jenige im Buſen tragen, der ſich auf dieſer un-
ſerer Erde zu einer fortdaurenden Gemuͤthsruhe
ſtimmen, und darin die Erfuͤllung ſeiner Wuͤn-
ſche ſchmecken kann. — Und der ſollte gluͤck-
lich ſeyn — gluͤcklich vor allen? Es giebt
der Feigen genug, die vor jedem Zufalle beben,
und doch faſt keinen unter ihnen, ſelbſt unter
Betagten, der in eure Freyſtaͤtten fluͤchtete; alle
wagen immer von neuem ihre Haut, um der
Freuden mehr zu haſchen, um die Fuͤlle ihres
Lebens zu genieſſen. So ſchuf den Menſchen
Gott, und es iſt doch wohl ein bischen un-
ſinnig, zu behaupten, er waͤre beſſer, wie
Gott ihn nicht haben wollte.
Glaube mir, Holde, Liebe, das beſte iſt,
[231] wir bleiben eines Sinnes mit der Natur. Ihr
Weſen iſt Unſchuld, und wenn wir annehmen,
was ſie uns nach Zeit und Umſtaͤnden in die
Ohren raunt, werden wir uns ſo wohl befin-
den, als irgend jemand unter dem Monde.
Wir brauchen ſtarke Gefuͤhle, lebhafte Bewe-
gungen, Leidenſchaften. Was man ge-
woͤhnlich mit einem vernuͤnftigen klugen Wan-
del meint, iſt eine erkuͤnſtelte Sache; und der
Seelenzuſtand, den ſie vorausſetzt, iſt zuver-
laͤßig derjenige, der am wenigſten Wahrheit in
ſich faßt. — Nimm, einer wollte ein Haus
von ſo kuͤnſtlicher Einrichtung bauen, daß,
wenn er ſein Licht unter dem Dache auf-
ſteckte, das ganze Haus davon erleuchtet waͤ-
re. Es kann geſchehen, — wenn er den
Docht ausſpreitet und wohl auflockert, —
daß etwas Schimmer durch das ganze Gebaͤu-
de dringe; aber welche arme verwirrende
Daͤmmerung! Lieber gewoͤhnte ich mich im
Dunkeln zu handtieren. Indeſſen mag es,
als ein Kunſtſtuͤck, auf Bewunderung Anſpruch
machen: ſonſt wird doch jeder Verſtaͤndige
P 4
[232] lieber ſein Licht allemal dahin tragen, wo er
gegenwaͤrtig zu ſehen braucht, und es hin-
ter ſich dunkel werden laſſen, ſo ſehr es
will.
Ich ſoll mich um feſte Grundſaͤtze bemuͤhen,
damit ich zu unwandelbarer Tugend gelange.
Nun klingt es mir gerade ſo, wenn mir jemand
vorſchlaͤgt, aus Grundſaͤtzen tugendhaft zu wer-
den, als wenn mir einer vorſchluͤge, mich aus
Grundſaͤtzen zu verlieben. Ein Verlieb-
ter — nicht aus Empfindung, ſondern aus
Vorſatz, waͤre freylich wohl ſehr treu. Und
eben ſo wuͤrde der Herzhafte, der Großmuͤthige,
der Wohlwollende, der es nicht aus leidigem
Triebe waͤre, und der Empfindung dazu
entbehren koͤnnte, nicht nur zu allen Zei-
ten herzhaft, großmuͤthig, wohlwollend ſeyn;
ſondern auch in jedem beſondern Falle ſo ſehr,
und ſo nicht-ſehr, als er muͤßte. — O, ja
wohl! und ich weiß das alles; bin ja mehr als
ſonſt Ein Menſch gehuͤtet worden, irgend zu
wollen — was ich wollte; zu empfinden —
[233] was ich empfand; wurde fruͤh genug mit
Strenge angewieſen, wie ich etwas ſchoͤn
und gut, und nur dies Etwas ſo finden
muͤſſe; gefuͤllt bis oben an mit erkuͤnſteltem,
erzwungenem Glauben; verwirrt in meinem
ganzen Weſen durch gewaltſame Verknuͤpfung
unzuſammenhangender Ideen; hingewieſen, hin-
geſtoßen zu einer durchaus ſchiefen, ganz erlo-
genen Exiſtenz.
Dennoch behielt wahres Leben in mir die
Oberhand. Mich rettete mein eigenes Herz.
Darum will ich ferner ihm gehorchen, und mein
Ohr nach ſeiner Stimme neigen. Dieſe zu ver-
nehmen, zu unterſcheiden, zu verſtehen, ſey
mir Weisheit; ihr muthig zu folgen, Tugend!
Schreye nicht uͤber Gefahr, liebe Luzie!
Was geht uns das an, wenn der Ruchloſe
vorgiebt, er thue eben das, und dabey immer
ruchloſer wird. Jedes Weſen erſprießt in ſei-
ner eigenen Natur: wird nicht auch die ſchoͤne
Seele, aus ihrem Keim, ſich immer ſchoͤner
P 5
[234] bilden? Was iſt zuverlaͤßiger, als das Herz
des edel gebornen? — — Nimm alle
Moralen, alle Philoſophieen des Lebens zuſam-
men, und verſuche ſtreng nach ihren Vorſchrif-
ten zu wandeln: wenn du wahres Gefuͤhl von
Schoͤnheit und Vortreflichkeit haſt, auf wie
viele Ausnahmen wirſt du ſtoßen? Willſt du
nun, aus Furcht zu verirren, keine ſolche Aus-
nahme gelten laſſen: wie muß da nicht endlich
dein Herz und Verſtand ſich verſtocken, dein
Geiſt zu jedem freyen Beſtreben unfaͤhig wer-
den?
Nehmen wir auch einen einzelnen Menſchen,
den gefuͤhlvolleſten, ſtaͤrkſten; und laſſen wir
ihn, nach gemachten unzaͤhligen Erfahrungen,
blos fuͤr ſeine Perſon, mit dem freyeſten
Muthe, eine Philoſophie des Lebens entwer-
fen: er wird in der Folge doch wieder auf
Ausnahmen ſtoßen; und fuͤrchtet er ſich, dieſe
gelten zu laſſen, ſo wird er nach und nach zu
einer Art Maſchine, wiewohl zu einer vor-
zuͤglicheren als jener andre, der ſich im Ra-
[235] de noch mehr gemeiner Vorſchriften dreht. All-
zu oft muß er ſein gegenwaͤrtiges Gefuͤhl unter-
druͤcken, ihm nicht glauben, nicht trauen wol-
len; folglich blos nach dem Buchſtaben han-
deln. Umgeht, verdreht er das Geſetz,
ſo wird der Kerl ein Heuchler, ein Schurke;
unterwirft er ſich ihm redlich — ſo kommt er
allmaͤhlich um Sinn und Gefuͤhl — wird, je
hoͤher er die Fertigkeit ſeiner Tugend treibt,
deſto kaͤlter, geſchmackloſer; gehorcht immer
nur (blindlings oder ſehend — wie es kommt)
ſeinem ehmaligen Willen, hat aber jetzt kei-
nen eigenen Willen mehr; kann ſich hinfort
nie weiter uͤber ſich ſelbſt empor ſchwingen.
Wir wiſſen, daß, der allgemeinen Sicher-
heit wegen, jeder Richter nach dem duͤrren
Buchſtaben der Geſetze urtheilen, und fuͤr jede
andre Betrachtung blind ſeyn muß; daher denn
oft die abſcheulichſten Unthaten gerichtlich beſtaͤ-
tiget werden, weil der Boͤſewicht nicht gegen
den Buchſtaben des Geſetzes gehandelt, und er
die Form der Procedur zu ſeinem Schutze
[236] angewendet hatte: der gewiſſenhafte Richter
konnte nicht anders, er mußte — war er auch
der waͤrmſte Menſchenfreund — Verderben
uͤber den vervortheilten Rechtſchaffenen aus-
ſprechen. Aber was fuͤr ein Menſch waͤre die-
ſer Richter, wenn er kein anderes, als dieſes
geſetzmaͤßige, oͤffentliche Gewiſſen haͤtte;
wenn er den Verurtheilten nun wirklich fuͤr ei-
nen Verbrecher hielte? — Und ſiehe, gerade
ſolche Richter ſind doch alle unſere unbewegli-
chen Sittenbeſteller. Ich weiß nicht, wie weit
ich ihnen aus dem Wege gehen moͤchte!
Syſtem der Gluͤckſeligkeit, ſo heiſ-
ſet, was ſie uns lehren wollen — hoͤchſter
Genuß der Menſchheit; was das iſt,
das wiſſen ſie — fuͤr jedweden unter
allen Umſtaͤnden; haben im Auge die Har-
monie aller Beduͤrfniſſe, in der Seele das
Maaß aller menſchlichen Kraft.
Hochweiſe, Hochgebietende Herren! wir
[237] ſind nicht fuͤr einander. Ich ſinge ein ganz
anderes Lied, als wovon die Melodie auf die
Walze eures heiligen moraliſchen Dudeldeys
genagelt iſt. Auch genießen wir ganz verſchie-
dene Koſt; koͤnnen nicht an Einem Tiſche mit
einander ſitzen; mein geſunder Verſtand, mei-
ne geſunden Sinne giengen mir bey eurer Kran-
kendiaͤt zu Schanden. Deswegen uͤberlaßt mich
meiner guten Natur; welche verlangt, daß ich
jede Faͤhigkeit in mir erwachen, jede Kraft der
Menſchheit in mir rege werden laſſe. Freylich
draͤngt ſichs da wohl einmal: aber die freye
Bewegung hilft durch, paßt, ſondert und ver-
einigt, — beſſert auch. — — Du hohulaͤ-
chelſt, weiſer Mann? Was ſoll das lange Re-
giſter meiner Vergehungen, meiner Thorhei-
ten? — Sage, bin ich ſchlimmer, bin ich
thoͤrichter geworden, als ich war? — bin ich
ſchlimmer, thoͤrichter, weniger gluͤcklich, als
du? — — Es wehet durch alle meine Em-
pfindungen der lebendige Athem der Natur,
der vermehrende, ewig neu gebaͤhrende. —
Laß ihn wehen! — Ja, fallen werde ich noch
[238] oft, aber auch eben ſo oft wieder aufſtehen,
und gluͤcklicher fortwandeln. Sagte dirs nicht
deine Amme, daß man nur durch Fallen gehen
lernt? — O ihr Doppeltgegliederten, ihr Kruͤp-
pel in eurem Gaͤngelwagen!
Es iſt traurig anzuſehen, wie manche gu-
ten Leute ſo aͤngſtlich und emſig — ja zuſe-
hen, — daß ſie — nur ja nichts Boͤſes, nur
ja nichts Ungerechtes verurſachen oder zulaſſen;
und daruͤber in ihrem Truͤbſinn es nur zehnmal
aͤrger anrichten, oft an unſaͤglichem Unheile
Schuld werden. Um nicht, pflichtwidrig,
durch des abweſenden Nachbars verſchloſſene
Thuͤre einzubrechen, uͤberließen ſie euch wahr-
ſcheinlicher, dringender Gefahr; als wohl, in
deſſen Garten von ſeinem ruchloſen Sohn
ermordet zu werden. Nun verloͤre dieſer arme
Nachbar daruͤber Naͤhrer, Helſer und Freund,
und muͤßte ſeinen Sohn auf dem Rade ſterben ſe-
hen: aber ſie haͤtten dann doch kein Geſetz uͤber-
treten, haͤtten ſich nichts vorzuwerfen, behiel-
ten ein reines Herz und ein gutes Gewiſſen.
[239]
Es ließe ſich auf alle Weiſe darthun, und
durch eine Menge Beyſpiele erlaͤutern, daß in
dem Begriffe der entſchiedenſten Tugenden doch
immer etwas ſchwankendes bleibt, ſo daß zu-
weilen der Menſch ſich am vortreflichſten zei-
gen kann, indem er ihnen ſchnurſtracks entge-
gen handelt. Ich kann mir Faͤlle gedenken,
wo es das erhabenſte Verdienſt waͤre . . . . .
. . . . . . aber das leitete mich in ein zu
weites Feld. Nur noch ein Beyſpiel fuͤr was
ich vorhin ſagte.
Die erhabenſte aller Tugenden, welche zu-
gleich die allgemeinſte Anwendung vertraͤgt, die
uͤbrigen alle ſchuͤtzt, vermehrt, gebiert — iſt
wohl durchgaͤngige Wahrhaftigkeit.
Was fuͤr ein goͤttlicher Menſch muͤßte der nicht
werden, welcher ſich entſchloͤſſe, immer wahr zu
ſeyn? Schon das wuͤrde nothwendig zur Recht-
ſchaffenheit leiten, wenn man den Vorſatz aus-
fuͤhrte, nur keine Unwahrheit je zu ſagen; ſo
groß iſt unſre Achtung fuͤr unſre Mitmenſchen,
ſo brennend der Spiegel, der unſre Geſtalt aus
[240] ihnen in uns zuruͤck wirft! Man erinnere ſich
irgend eines Vorfalls, wo man um eine Lei-
denſchaft zu befriedigen, einen Betrug zu
Huͤlfe genommen, und ſtelle ſich nun vor,
man haͤtte, anſtatt heimlich zu Werke zu gehen,
demjenigen, den man hintergangen, die nacken-
de Wahrheit, ſein eigentliches Vorhaben ent-
decken muͤſſen — wie wird man nicht auffah-
ren und erblaſſen vor dem bloßen Gedan-
ken! — Leichtſinn, in Abſicht der Wahrheit,
iſt Sohn und Vater des Laſters, ſein Helm
und Schwerd, und ſchon die kleinſte Luͤge eins
der aͤrgſten Verbrechen gegen uns ſelbſt, gegen
die Menſchheit. — Aber wer koͤnnte zu unſern
Zeiten den unuͤberlegten Entſchluß faſſen, nie
eine Unwahrheit ſagen zu wollen?
Und hat es nicht zu allen Zeiten Faͤlle ge-
geben, wo es Trieb der erhabenſten Menſch-
heit, wo es Eingebung Gottes war zu luͤ-
gen? — „O wer hat dieſe entſetzliche That
gethan?” — „Niemand, antwortet Desde-
mona;
[241]mona; ichſelbſt, lebe wohl; bringe meinem
Gemahl meinen letzten Gruß; o lebe wohl!” —
Othello ruft: „Sie iſt als eine Luͤgne-
rinn zur Hoͤlle gefahren; ich wars, der ſie
ermordete.” — Aber, o gerechteſter Gott!
wer wollte nicht mit einer ſolchen Luͤge im
Munde den Geiſt aufgeben, und ſich vor dei-
nen Richterſtuhl ſtellen?
Auch iſt ſogar ſchon das ſchwankend, was
ich vorhin zum Behuf der Wahrhaftigkeit, der
Unverſtelltheit, der Offenherzigkeit vorbrachte;
z. B., wir ſcheuen uns nicht ſelten eben ſo ſehr
das Unſchuldige, das Ruhmwuͤrdige
ſogar, zu offenbaren, als das Boͤſe und
Schaͤndliche; und dieſe Schuͤchternheit zu uͤber-
winden, iſt zuweilen Heldenmuth vonnoͤthen.
Das ſchoͤne Regiſter eurer ſogenannten
Tugenden auf dieſe Weiſe durchgegangen;
dann in dem Miſchmaſche ſie betrachtet, wie
ihr ſie ganz und alle zuſammen, durch
einen chemiſchen Proceß ſo gern in unſre See-
Q
[242] len treiben, und darinn hermetiſch verſiegeln
moͤchtet! — So ſollten wir (billig!) wohl
eine Art Gewaͤchs ſeyn, das zugleich Caſtanien
truͤge und Pomeranzen, und auch eine Ananas
waͤre, und ein Erdapfel, und ein Roſenſtrauch
— aber bey Leibe! daran keine Dornen! —
Sollte wohl — Aſia gelegen ſeyn in Europa
— ſollten uns wohl bemuͤhen, die Kunſt der
Barometer und Thermometer ſo weit zu trei-
ben, daß wir rund um die Erde Zonam
temperatam bekaͤmen, und immer ſchoͤnes und
fruchtbares Wetter zugleich haͤtten — ſollten
wohl alle Tugenden erwerben und ausuͤben
— beym Ball ſchlagen, oder beym Taroc,
à l'hombre — ſollten — ſollten —
Ja, ſo in etwa — denken laͤßt
ſich freylich manches — noch ſo eben.
Aber von der ſchimaͤriſchen Vorſtellung bis
zur wahren; vom Traum bis zur Wirk-
lichkeit — wie weit!
Es wird uͤberhaupt nie genug erwogen,
[243] was fuͤr ein unendlicher Unterſchied zwiſchen
Bild und Sache, zwiſchen Begriff und An-
ſchauung iſt. Welche Menge der entgegen-
geſetzteſten Dinge koͤnnen wir nicht im Begriffe
zuſammen nehmen, auf einander folgen laſſen?
Viele denken ſich Himmel und Hoͤlle, und
ihnen iſt bey dem Einen ungefaͤhr zu Muthe,
wie beym Andern. Darum uͤberwiegt ſo haͤu-
fig ſinnlicher Reiz die Vorſtellungen von
den ſchrecklichſten Plagen der Zukunft: und
darum iſt es ſo ein Lumpenkram um alle ge-
lernte Religion und alle gelernte Moral.
Ein Menſch, der beſtaͤndig in der An-
ſchauung edler Gegenſtaͤnde iſt, wird nicht
leicht unedel handeln; wer aber das minder
Gute, das minder Schoͤne in der Anſchau-
ung, und das hoͤhere Schoͤne und Gute blos
in einem angeblichen, anſchauungsloſen Be-
griffe hat; wie wollte der handeln koͤnnen
dieſem gemaͤß?
Alles ſtimmt zuſammen die Menſchen un-
ſrer Zeit in dieſen Fall zu ſetzen. Daher der
beſtaͤndige Widerſpruch zwiſchen Handlungen
Q 2
[244] und Grundſaͤtzen; daher die Irrungen ſelbſt in
dem Syſtem der Grundſaͤtze, weil nichts
irrleitender iſt, als die Combinationen blos
ſpeculativ practiſcher Begriffe. — Was
fuͤr Meinungen, was fuͤr Entſchluͤſſe werden
in unſrer Kindheit nicht in unſre Koͤpfe ge-
ſchraubt, was fuͤr Geſinnungen nicht hinein-
gedaͤmmert? — Und wenn wir Arme dann
hinausgeſtoßen werden in die Welt, wo jetzt
alles dawider angeht; welch innerer Zwieſpalt,
welche Zerruͤttung, welch gegenſeitiges Miß-
trauen zwiſchen Herz und Geiſt!
O, ſchlage du nur fort, mein Herz —
muthig und frey; dich wird die Goͤttin der Lie-
be — es werden die Huldinnen alle dich be-
ſchirmen: denn du ließeſt alle — alle Freuden
der Natur in dir lebendig werden; — vertrau-
teſt unumſchraͤnkt der allguͤtigen Mutter —
ſchenkteſt ihrem zarteſten Laͤcheln jedesmal von
neuem dich ganz — ſtroͤhmteſt hin in verdacht-
loſem Entzuͤcken: lernteſt, empfingeſt von ihr,
zu geben und zu nehmen, wie ſie ſelbſt.
[245] Gleich den Millionen Lichtſtralen, die von un-
zaͤhligen Gegenſtaͤnden zuruͤckprallen, ohne ſich
zu verwirren, dann im Auge ſich ſammeln —
wieder ohne ſich zu verwirren: — o, unaus-
ſprechliches Wohlthun — unendliche Guͤte —
Leben und Liebe!
Luzie! liebe Luzie! daß ich es Dir mittheilen
koͤnnte! koͤnnte leben Dich lehren dies unend-
liche Leben. Nie wuͤrdeſt Du dann befeſtigen
wollen die Sonne, weder in Oſten noch in
Weſten, ſondern wuͤrdeſt wenden Dich nach
Aufgang und Untergang. — Und ſchoͤn iſt ja
auch der Mond unter Sternen am Nachthim-
mel — Und ſchoͤn der dunklere Nachthimmel
mit hellerfunkelnden Sternen im Neulicht! —
O, daß ich dieſe Gottesader in Dir ruͤhren,
und zum immerwaͤhrenden Pulsſchlage bringen
koͤnnte!
Q 3
[246]
XXI.
Luzie an Eduard Allwill.
Ihr juͤngſter Brief, mein theurer Freund
und Lehrer, war mir beynah ſo viel werth,
als eine perſoͤnliche Erſcheinung. Was Sie
fuͤr ein Zauberer ſind! Als ich ihn geleſen hatte,
dieſen Brief, war ich — nein, ich war nicht
zwey Jahre juͤnger; nur die Zeit hatte ſich um
ſo viel verjuͤngt; Sie waren noch bey uns, und
ich hatte Sie ganz rund da ſtehen, wie kurz
vor unſerer Trennung. Nun urtheilen Sie,
wie mir das ſo wunderlich im Kopfe herumge-
hen mußte, daß ich an Sie geſchrieben hatte,
und geſchrieben hatte alles das, wovon Sie ſo
luſtig geworden waren, und daneben ſo hel-
denwuͤthig. Meine herzliche Epiſtel an Sie
wurde mir nun gerades Weges zur Poſſe; ich
mußte lachen und erroͤthen.
Großer Mann, verzeihen Sie meine Unbe-
ſonnenheit: ich vergaß, daß Sie ein Held
[247] ſind; daß ich — nur ein unbedeutendes, un-
ſchuldiges Maͤdchen bin, und daß Unſchuld
dem Helden etwas ſo unnuͤtzes, ſo nichtswuͤr-
diges ſcheinen muß; daß der Goͤttliche —
Unſchuld verſpottet; der Goͤttliche — Unſchuld
mit Fuͤßen tritt; uͤber ſie hin, erhaben, ſeine
Bahn nimmt.
Unſchuld, Eduard! — lieber Eduard,
Unſchuld, Unſchuld, Unſchuld! — Er-
wacht keine erſte Erinnerung davon in Ihrer
Seele?
Beſinnen Sie ſich doch — weit, weit zu-
ruͤck! Dort in der ſchattichtſten Gegend Ihrer
Seele — ſchwebt da nicht etwas noch von
dem Schauder, der Sie ergriff, als ihr offe-
nes Auge enger, Ihre lichte Stirne dunkel
wurde, als das Gewoͤlbe Ihres Buſens wich,
Ihr Athem ſich verminderte; Stand und Tritt,
Ihr ganzes Weſen ſchwankte: — als Un-
ſchuld Sie zu verlaſſen drohte? Und wallet
da nicht in dumpfem Nachhall noch etwas
Q 4
[248] von dem Donner — als Sie Unſchuld von
ſich warfen …?
Nein, armer Eduard, das iſt verſchwun-
den, Dir auf immer verſchwunden!
Was will ich alſo? Sie koͤnnen ja unmoͤg-
lich mich verſtehen … Ihr guten Leute
uͤberwachſt euch in den Kinderſchuhen. Be-
vor ihr euch in euch ſelbſt ganz ſammeln koͤnnt,
iſt euer Weſen ſchon angegriffen; bevor ſich
euer Herz ſelbſt fuͤhlen kann, iſt es ſchon
bethoͤrt. Da entſtehen denn hoͤchſtens, wo
Schoͤnheit und Groͤße in der Anlage waren,
ſolche herrliche Ungeheuer, wie ehemals die
Centauren.
Eduard! ein ſehr auſſerordentlicher Menſch
ſind Sie wahrlich. Wer Sie durchaus kennt,
dem muß es oft wunderbar vorkommen, daß
Sie nicht ein Engel an Tugend, oder ein
Satan an Laſter geworden ſind. Die Unge-
reimtheit Ihres Weſens widerſteht allem Begriff.
[249] Unbaͤndige Sinnlichkeit und ſtoiſcher Hang;
weibiſche Zaͤrtlichkeit, der aͤuſſerſte Leichtſinn
— und der kaͤlteſte Muth und die feſteſte Treue;
Tigers-Sinn — und Lammes-Herz; allge-
genwaͤrtig — und nirgend wo; alles — und
nie etwas.
Laſſen Sie mich, Eduard! Ich ertrag es
nicht laͤnger, an Ihnen Theil zu nehmen. —
Und muß es doch ertragen!
So hoͤren Sie denn, woran Ihre lange
Epiſtel mich zuerſt erinnert hat. An einen
andern Eduard hat ſie mich erinnert, der
ſich einmal gegen unſern D** — Sie wer-
den wohl noch wiſſen, bey welcher Gelegen-
heit — auf folgende Weiſe ergoß.
„Vertraͤglich, nachſehend, tolerant,”
ſagt der feurige Juͤngling, „bin ich gewiß ſo
„ſehr, als ich es ohne meinen eigenthuͤmlichen
„Charakter zu verderben, ohne Inconſequenz
Q 5
[250] „ſeyn kann. Mir daͤucht, wer auf eine andere
„Weiſe tolerant iſt, der mißbraucht Sache und
„Wort, der iſt nicht tolerant, der iſt wankel-
„muͤthig, ſchwach, kindiſch. Ein Kind wird
„von allen Dingen entzuͤckt, die nur im Vor-
„uͤbergleiten einen angenehmen Eindruck auf
„ſeine zarten Sinne machen; es unterſcheidet,
„es ſchaͤtzt ſie weiter nicht: in jeder Stunde iſt
„ihm etwas anderes ſchoͤn, und was in dem
„gegenwaͤrtigen Augenblicke es vergnuͤgt, das
„ſchoͤnſte von allem. Ein Mann im Gegen-
„theil unterſcheidet die Dinge an ihren eigen-
„thuͤmlichen Merkmalen; er ordnet ſie nach ih-
„rem Gebrauche fuͤr ſein ganzes Daſeyn, und
„weiß, was gut und ſchoͤn iſt, mit Namen
„zu nennen.”
„Alles Moͤgliche von einer gewiſſen Seite
„betrachtet, laͤßt ſich in einem ertraͤglichen
„Lichte ſehen; denn nichts kann durchaus
„haͤßlich und boͤſe ſeyn. Aber ſo, wie wir
„von entfernten Koͤrpern nur dann ſagen,
„daß wir ſie in ihrer wahren Geſtalt erken-
[251] „nen, wann wir ſie ſo ſehen, wie ſie uns in
„der Naͤhe, in derjenigen Diſtanz er-
„ſcheinen, welche ich die Betaſtungsſphaͤ-
„re nennen moͤchte; eben ſo haben auch die
„moraliſchen Gegenſtaͤnde ihre ausgemachte
„Diſtanz oder Sphaͤre, in der ihre verſchiede-
„nen Erſcheinungen berichtiget, und auf die
„beſtaͤndigen Geſtalten der Gegenſtaͤnde zu-
„ruͤckgefuͤhrt werden muͤſſen. Wer nicht fuͤr
„ſich eine ſolche beſtimmte Sphaͤre unwandel-
„bar annimmt, ſondern bald in dieſe, bald in
„jene flattert; alle Augenblicke den Horizont
„wechſelt, und uͤberall zu Hauſe iſt: der
„kann — vielleicht die Haͤlfte ſeiner Lebenszeit
„ein ganz guter Menſch ſcheinen; die andre
„Haͤlfte aber ſcheint er zuverlaͤßig ein deſto
„ſchlechterer; ein wuͤrdiger nie; iſt kei-
„nen Augenblick ein ganzer Mann.”
An eben dieſen D** ſchrieb derſelbe
Eduard: „Das romantiſche Gebrauſe Ihres
„jungen Grafen iſt unertraͤglich. Ein Clo-
„dius, der den Brutus ſpielen will! Was
[252] „ich davon denke, darf ich der Mutter nicht
„ſagen, wohl aber Ihnen. So ein Laffe, der
„alle Tage regelmaͤßig ſeinen dummen oder
„ſchlechten Streich ſpielt, mag ſich einfallen
„laſſen, die Welt ſey nicht gut genug fuͤr
„ihn! Er ſoll doch nur ja mit ihr vorlieb
„nehmen; denn wie der junge Herr beſchaf-
„fen iſt, ſo iſt er noch lange nicht gut genug
„fuͤr ſie, und er mag nur zuſehen, daß er
„nicht heute oder morgen auf eine unebne
„Weiſe ſeinen Abſchied daraus erhaͤlt. Mir
„fallen gleich Maulſchellen ein, wenn ich Leute
„mit erhabenen Geſinnungen heran kommen
„ſehe, die nicht einmal nur rechtſchaffene
„Geſinnungen beweiſen. Und ich werde nicht
„zufriedener mit ihnen, wenn ſie auch ihre
„ſchoͤnen Geſinnungen mit ſogenannten ſchoͤnen
„Handlungen begleiten; denn jedem, der ein
„weiches Herz und etwas Feuer im Blute
„hat, wird es leichter dergleichen zu thun als
„zu laſſen. Aber das Boͤſe zu meiden!
„das erfodert andere Kraͤfte; da muß der
„ganze Menſch ſich zuſammen nehmen, oft
[253] „bis zur Vernichtigung ſich anſtrengen, und
„am Ende finden, daß er zu wenig hatte an
„den Kraͤften ſeiner ganzen Menſchheit. —
„Noch einmal! Es iſt leicht, ſehr leicht,
„mancherley Gutes zu thun; und Großes
„zu thun, iſt immer eine Luſt: aber ohne
„Suͤnde bleiben, ohne Miſſethat — das iſt
„— o wie ſchwer! Aber auch, wie weit er-
„haben uͤber alles! Was iſt der wunderbarſte
„Luftſpringer gegen den Unerſchuͤtterlichen im
„Kampfe? — Ein vortreflicher Schriftſteller
„ſagt irgendwo: ich wuͤßte nichts preiß-
„wuͤrdiges, wozu nicht auch der aͤuſſerſt
„mißrathene, durchaus fehlerhafte Menſch
„zuweilen ſich erheben koͤnnte — Ord-
„nung, Maͤßigung und Beſtaͤndig-
„keit ausgenommen.”
Ich fodere Sie nicht auf, guter Eduard,
dieſe Auszuͤge mit den erheblichſten Stellen Ih-
res juͤngſten Briefes an mich in Verbindung
zu bringen, Wer weiß, was Sie leiſteten?
[254] Ich habe eine ſolche hohe Idee von Ihren phi-
loſophiſchen Gaben, daß ich Ihnen beynah das
Unmoͤgliche zutraue. Allein Ihrem Herzen
ſey es anheim gegeben, wo die Fuͤlle der
Wahrheit iſt; dort oder hier. Sie glauben
ja Ihrem Herzen alles; ich glaube ihm auch.
Fragen Sie Ihr Herz, wann es ſich am freye-
ſten fuͤhlte; wo es ganz einſtimmte und mit
Ihren Gedanken gleichen Strohm nahm: ob
bey den Briefen an D**, oder bey dem an
mich?
Lieber, offener — koͤniglicher Juͤngling!
Ach, ſo tief herabgewuͤrdigt — zum bangen,
ſchielenden Sophiſten!
Sie erinnern ſich wohl ſchwerlich eines
Briefes, den Sie mir vor anderthalb Jahren
ſchrieben; es war einer der erſten, nachdem Sie
Wien verlaſſen hatten. Ich bin aͤuſſerſt ver-
ſucht, ihn hier ganz abzuſchreiben; aber leſen
Sie nur folgende Stellen wieder: „Wenn in
„den vergangenen Tagen, Nachts vor Ein-
[255] „ſchlafen, fruͤh beym Erwachen, in jedem
„ſtillen Augenblicke mein Wiener Aufenthalt
„mir vor die Seele trat; mancher verblichene
„Reſt des Vergangenen neues Leben erhielt;
„was in Beziehung ſtand, ſich einigte; alles
„auf einander wog, ganzer und inniger wur-
„de — und ich nun uͤber vieles, o! uͤber ſo
„vieles in herbes, tiefes Trauern verſank; ſo
„fuhr es mir wohl unverſehens, wie ein gifti-
„ger Pfeil, durch die Bruſt: was ſoll dein
„Jammer, deine Reue, dein Klagen? Es
„iſt nur Hohn damit! Ein unbezwinglicher
„Leichtſinn, eine verruchte Achtloſigkeit,
„liegt zu tief in deiner brauſenden, unauf-
„hoͤrlich gaͤhrenden Natur. Wer dich
„kennt, traut dir nicht, liebt dich nicht! —
„O Luzie! bis zur Verwirrung hats mich faſt
„gebracht, dies Sinnen uͤber mich ſelbſt, dies
„Hadern mit mir. — Ich moͤchte nicht alles
„erzaͤhlen, wenn ich auch koͤnnte.”
Wie groß, wie lieb! Damals, wie nah
mein Eduard den Beſten ſeiner Gattung! —
[256]Allwill! Sie wurden dennoch nicht weiſer;
und ſo mußten Sie bald nur deſto thoͤrichter,
deſto ungluͤcklicher werden. Es kann nicht
anders ſeyn, die unbeſonnene Heftigkeit, wo-
mit Sie uͤberall ſich anwerfen, ſo vielfach ſich
zertrennen, muß die ungereimteſte Verwirrung
in Ihrem Weſen verurſachen, der gaͤnzlichen
Zerruͤttung es immer naͤher bringen. Alle
Haͤnde voll, wollen Sie noch immer mehr
greifen, und koͤnnen dann weder faſſen noch
halten. Ueberdem ſoll ſich jeder Gegenſtand
des Genuſſes Ihnen noch in jedem andern Ge-
genſtande vervielfaͤltigen. Sie ſind gerade
der Mann, uͤber den Sie ſpotteten, der von
einem Oranienbaum Caſtanien, und von
einem Caſtanienbaum Pomeranzen verlangt;
die leichtfertige Dirne ſoll auch die hohen Reize,
alle Tugenden, die Liebe eines frommen
Maͤdchen; und das fromme Maͤdchen wieder,
die ſchnoͤden Annehmlichkeiten, die ganze Thor-
heit der leichtfertigen Dirne beſitzen: und wenn
dergleichen ſich nicht findet, dann iſt es eine
Noth, ein Jammer, daß man zweifelt, ob
auch
[257] auch wohl dieſe Welt einen Gott zum Urheber
haben koͤnne?
Und das heißt denn doch Eines Sinnes
ſeyn mit Natur! — Allwill! Sie, eines
Sinnes mit Natur? Sie, der immerwaͤhrend
die aͤchteſten Bande der Natur aufloͤſet; wahre,
reine Verhaͤltniſſe zerſtoͤrt, um ertraͤumte,
ſchimaͤriſche an die Stelle zu ſetzen — dann
ſich abarbeitet, alle Schwarzkuͤnſteleyen zu
Huͤlfe nimmt, um den wankenden Schatten zu
befeſtigen; und da nichts deſtoweniger die Son-
ne ihn verruͤckt, dem Segens-Wandel der
Sonne fluchet — Sie, Eines Sinnes mit
Natur?
Wenn ich nur etwas wuͤßte, was der Na-
tur mehr entgegen waͤre, als jene Unmaͤßigkeit,
welche alle Beduͤrfniſſe vervielfaͤltiget und graͤn-
zenloſen Mangel ſchafft, mit ſeinen unendlichen
Noͤthen — Angſt, Schmerz, Gewaltthaͤtigkeit,
Betrug, Argliſt und Tuͤcke. Nur einen fluͤch-
tigen Blick auf die Welt — was in ihr alles ſo
R
[258] verdirbt, daß wir ſie boͤſe nennen muͤſſen! —
Es iſt offenbar nur jene Ungenuͤgſamkeit,
jenes blinde Ringen nach Allem, jenes Schei-
dekuͤnſteln an den Dingen, um das Weſen
von der Subſtanz, die Wirkung von der Ur-
ſache abzuloͤſen; um zu widernatuͤrlichen Be-
duͤrfniſſen widernatuͤrliche Mittel zu erfinden.
Ich weiß wohl, daß es wenig fruchtet, da-
gegen zu predigen; aber dafuͤr zu predigen,
die Theorie der Unmaͤßigkeit, des Laſters, als
die einzige Philoſophie des Lebens, als den
einzigen Weg zur Gluͤckſeligkeit, ja zur hoͤch-
ſten Vortreflichkeit, anzupreiſen: das waͤre,
daͤucht mich, doch wohl das unſinnigſte Be-
ginnen, das ſich erdenken ließe, und das
boͤſeſte!
Ja, Eduard, Theorie der Unmaͤßig-
keit, Grundſaͤtze der ausgedehnte-
ſten Schwelgerey, das ſind die eigent-
lichen Namen fuͤr das, was Sie mit ſo vie-
lem Eifer, mit ſo großem Aufwande von
Witz, Raiſonnement, und dichteriſchem
[259] Schmucke, an die Stelle der alten Weisheit
zu ſetzen trachten; und das gewiß nicht auf
Anrathen Ihres Herzens, das groß und
edel iſt; ſondern Ihrer Sinnlichkeit zu
Liebe, welche Sie, unter dem Worte Em-
pfindung, ſo gern mit Ihrem Herzen in
Eins miſchen, wie wohl auch jeder andere
Menſch mehr oder weniger thut, und nicht an-
ders kann. Sinnesfreude iſt die Lichtwolke,
worauf alles Goͤttliche vom Himmel zu uns
hernieder ſteigt; aber Dunſt aus Moor und
Gruͤften iſt keine Wolke vom Himmel, obſchon
er die Huͤgel hinan ſchleicht, und Sonnen-
licht haſchet.
Aber Sie koͤnnen das nicht unterſcheiden!
Doch unterſcheiden Sie uͤbrigens ſo ſcharf, em-
pfinden ſo reinweg alles Schoͤne! — Freylich;
aber auch alles Schoͤne ſo lebhaft, daß je-
der Eindruck davon Sie berauſcht, Ihnen fuͤr
die Zeit alle weitere Beſinnung raubt. Nur
ein Tropfen Nektar an des Bechers Ran-
de, und Sie verſchlingen, ohne es zu merken,
das abſcheulichſte Getraͤnk.
R 2
[260]
Eine fuͤrchterliche Beſtimmung, dieſer
Eduard Allwill zu ſeyn! Unaufhoͤrlich, auf ſo
mancherley Weiſe bis ins Mark erſchuͤttert;
und die Menge tiefer Leiden in der Folge.
Armer! — daß Du nicht endlich mit zu
Grunde geheſt bey den Stoͤßen, da alles an
Dir zerſchellt; oder erſtickeſt unter dem
Schutte.
Koͤnnte ich nur jedes liebe unſchuldige Ge-
ſchoͤpf aus Deinem Bann entfernen! Ach, wie
viele der Ungluͤcklichen Du noch machen wirſt,
die Du ihrer eigentlichen Beſtimmung, ihres
natuͤrlichen Verhaͤltniſſes entſetzen, ſie aller Hal-
tung fuͤr ihr kuͤnftiges Leben verluſtig machen
wirſt! — Gutes Maͤdchen, das ſage ich nicht,
daß er dich nicht liebt. Er liebt dich ge-
wiß; mit mehr Wahrheit vielleicht, als kein
anderer Menſch dich lieben koͤnnte; liebt ge-
rade alles wahrhaft Schaͤtzbare an dir, gera-
de das, worin deine gutgeſchaffene Seele ihre
angemeſſenſte Thaͤtigkeit, ihre eigenſte Wonne,
fuͤhlet. Nicht wahr, das fuͤhlſt du, das
[261] ſichert dich, daß er dich innig liebt, wie
du dich ſelbſt, und wie du ihn liebeſt;
und du haſt Recht ſo an ihn zu glauben;
dein iſt ſeine ganze Liebe. Aber, armes
Kind! Allwill liebt nie anders; er iſt immer
ſeinem Gegenſtande ganz; morgen vielleicht
— der Ehre; einem vortreflichen Manne; ei-
ner Kunſt; vielleicht — einer neuen Ge-
liebten. — Sieh, dieſer Allwill — der Un-
gluͤckliche! muß unſtaͤt und fluͤchtig ſeyn; er
iſt verflucht auf Erden — aber gezeichnet
mit dem Finger Gottes; daß kein
Menſch Hand an ihn zu legen wagt.
— Eduard, guter Eduard! jammert Dich
nicht das arme Geſchoͤpf? O ſo ſchone denn!
ſchone, ſchone! —
Aber, was hilft mein Flehen; was huͤlfe
das Flehen einer Welt? Deine Sinne, Dei-
ne Begierden ſind Dir zu maͤchtig; und da ſie
eine ſo bequeme taͤuſchende Huͤlle an Deiner
ſchoͤnen Fantaſie haben, wirſt Du nie ſie fuͤr
das erkennen, was ſie ſind. Ach, die Beduͤrf-
R 3
[262]niſſe Deiner Sinne, die Taͤuſchungen
Deiner Sinne — glaube mir, Allwill —
(ſchwindender Athem meiner Bruſt, komm,
ſammle dich, daß meine Stimme weniger be-
be, und ihr kranker Laut ihn erreiche) —
Allwill, es ſind Moͤrder! — Hieher und
daher wird es Dir immer graͤßlicher in die
Ohren gellen: Moͤrder! — Meuchel-
moͤrder!
So manches Unheil, ſo unſaͤglicher Jam-
mer allein in dieſem Bezirk der Menſch-
heit durch Sie angerichtet, wuͤrde Ihnen die
Nichtigkeit Ihres Syſtems hinlaͤnglich blos
ſtellen, wenn es nicht ausdruͤcklich erfunden
waͤre, Sie fuͤr dergleichen Anſichten blind zu
machen. Da ſoll nun eine Menge herrlicher
Empfindungen, welche ſich anders nicht erwer-
ben und zuſammen bringen ließen, alles Boͤſe
mit Wucher erſetzen, und dieſer innere Genuß
alle ſeine Koſten aufwiegen. Hiebey faͤllt mir
ein, was ich Sie oft vom Wiſſen ſagen hoͤr-
te. Sie verglichen den großen Haufen unſe-
rer Studierenden mit Leuten, die gar emſig
[263] hin und her liefen, um zu ſuchen — was ſie
nicht verloren haͤtten. Gern belachte ich mit
Ihnen die Thorheit eines ſolchen geſchaͤftigen
Muͤßiggangs, um lauter Wiſſerey ohne
Wiſſen. Aber ſagen Sie mir, lieber Eduard, iſt
es eine reellere Sache um das muͤßige Sammeln
von Empfindungen, um das Beſtreben, Em-
pfindungen — zu empfinden, Gefuͤhle
— zu fuͤhlen? Findet hier nicht eine viel un-
gereimtere Abſonderung ſtatt, wie dort beym
Wiſſen? Ich glaube, wer eine ſchoͤne große
Seele in der That beſitzt, haͤlt ſich nicht da-
mit auf, die Empfindungen, welche ſeine
Handlungen treiben, die entzuͤckenden Ge-
fuͤhle, welche ſie begleiten, auf ſolche Weiſe
abzuſondern; wird ſich ihrer nie dergeſtalt be-
wußt, daß er ſie in Vorſtellungen aufbewah-
ren, und aus ihrer Betrachtung einen unab-
haͤngigen Genuß ſich bereiten koͤnnte: er ſagt
nicht: es iſt Seligkeit in dieſer Empfindung, in
dieſem Gefuͤhl, ſondern es iſt Seligkeit in die-
ſer That. Und das, Lieber, macht die Bahn
des Edlen richtig.
R 4
[264]
Vor einigen Monaten ſtarb ein Greis,
mit Namen Wigand Erdig; der hatte aus
dem elenden Flecken D* eine anſehnliche Stadt
voll gluͤcklicher Buͤrger gemacht. Ich glaube
nicht, daß er auſſer ſeinem Gewerbe viel mehr
als ſeinen Katechiſmus wußte; aber ſein Ge-
werbe verſtand er gut, war an Ordnung,
Fleiß, Maͤßigkeit — an geſunde Vernunft
gewohnt, und ſo von Tag zu Tage kluͤger,
geſchickter, emſiger und unternehmender gewor-
den. Nun legte er zu D* eine Tuchmanu-
factur an. Der Fortgang ſeines Unternehmens
litt unzaͤhlige Hinderniſſe; aber er war ein-
mahl im Gedraͤnge, und mußte durch. Eine
Schwierigkeit nach der andern wurde uͤberwun-
den; der Mann immer muthiger und weiſer.
Wenige Jahre verſtrichen, da waren fuͤnfhun-
dert Familien in ſeinem Brodte. Der benach-
barte Bauer, um dieſes zu ſchaffen, ver-
groͤßerte ſein Haus und machte oͤde Laͤndereyen
urbar; es wurden fruchtbare Baͤume gepflanzt,
Gaͤrten angelegt; die ganze Gegend fuͤllte und
verſchoͤnerte ſich. Endlich ward dieſen Gluͤck-
[265] lichen das Thal zu enge. Da ſprengten ſie Fel-
ſen weg und bauten Stufenweiſe die Berge
hinan. Das alles brachte dieſer einzige Mann
zuwege, und ohne andre Abſicht (ſeines Be-
wußtſeyns) als ſein Gewerbe in Flor zu brin-
gen, ſein Haus zu gruͤnden, und ſeine Nach-
kommen in Segen zu ſetzen. Eben ſo wurden
ihm die Eigenſchaften ehrwuͤrdiger Menſchheit.
Die Klugheit und die Unſtraͤflichkeit ſeines
Wandels hatten ihn bey ſeinen Mitbuͤrgern in
ſolches Anſehen geſetzt, daß ſie, wie einen Va-
ter, ihn uͤber ſich walten ließen. Sein Ur-
theil, das Licht ſeines Gewiſſens, galt
ihnen mehr als alle Geſetzbuͤcher. In den letzten
Jahren, wenn der alte Erdig uͤber die Straße
gieng, traten die Leute vor ihre Haͤuſer, und
wer ihm begegnete, wich auf die Seite, um
ihn mit gebuͤhrender Ehrfurcht zu gruͤßen.
Man muß die Leute ſehen, wenn ſie erzaͤhlen,
wie der Ehrenreiche Greis langſam ſo einher
trat, gegen jeden, freundlich, ſein leuchtendes
Haupt neigte, und ihnen alles Gute erinner-
lich wird, was er geſtiftet hat. — Nicht
R 5
[266] Thraͤnen, es kommt ihnen ſonſt etwas in
die Augen, verbreitet ſich uͤber ihr ganzes Ge-
ſicht — Verheiſſung des ewigen Le-
bens: Er iſt bey Gott! — Allwill! dieſer
Glanz der Heiligkeit — wiſſen Sie etwas
daruͤber?
Eure Flitter-Philoſophie moͤchte gern alles,
was Form heißt, verbannt wiſſen. Alles ſoll
aus freyer Hand geſchehen; die menſchliche
Seele zu allem Guten und Schoͤnen ſich ſelbſt
— aus ſich ſelbſt bilden; und ihr bedenkt
nicht, daß menſchlicher Charakter einer fluͤßi-
gen Materie gleicht, die nicht anders als in
einem Gefaͤße, Geſtalt und Bleiben ha-
ben kann; laßt euch deswegen auch nicht ein-
mal einfallen zu erwaͤgen, daß eitel Waſſer
in einem Glaſe mehr taugt, als Nektar in
Schlamm gegoſſen.
Ich kann Ihnen alle moraliſchen Syſteme,
als wirklich Haltung ertheilende Form betrachtet,
Preis geben, und bin dazu bereit, da ich ſelbſt
[267] nur der ganzen Menſchheit eines Men-
ſchen traue, und mich wenig auf die Weisheit
und Tugend, die nur in und an ihm iſt, ver-
laſſe. Aber zur Menſchheit eines jeden
Menſchen gehoͤren Grundſaͤtze, und irgend ein
Zuſammenhang der Grundſaͤtze; und es iſt
klarer Unſinn, hievon als von etwas Ent-
behrlichem zu reden. Was nuͤtzen Erfahrun-
gen, wenn nicht durch ihre Vergleichung
ſtandhafte Begriffe und Urtheile zuwege
gebracht werden; und was waͤre uͤberall mit
dem Menſchen vorzunehmen, wenn man nicht
auf die Wirkſamkeit ſolcher Begriffe und Ur-
theile zu fußen haͤtte? Auch nehmen wir ſo
allgemein fuͤr den eigenthuͤmlichſten Vorzug
der Menſchheit an, nach Grundſaͤtzen zu han-
deln, daß der Grad der Fertigkeit hierin den
Grad unſerer Hochachtung oder Verachtung
beſtimmt. Wir preiſen denjenigen, bey wel-
chem der Empfindung das Gefuͤhl, und
dem Gefuͤhl der Gedanke die Wage haͤlt. Al-
ſo nicht unſere Gefuͤhle verringern, nicht ſie
ſchwaͤchen will die Weisheit; ſie nur reinigen
[268] will ſie; und dann bis zur Lebhaftigkeit des Ge-
fuͤhls den Gedanken erhoͤhen: alſo die Empfin-
dung uͤberhaupt — ſchaͤrfen, vergroͤßern.
Ich weiß, daß Sie mehrmals, von ho-
her Idee begeiſtert, heftige Begierden un-
terdruͤckten, Leidenſchaften uͤberwaͤltigten.
Haben Sie jemals ſich groͤßer gefuͤhlt, als
in ſolchen Augenblicken; waren Sie je freu-
diger, triumphierender? Auf nichts duͤnken
Sie ſich ja mehr, als daß gewiſſe Ideen ſo
feſt in Ihnen halten, daß kein Vorfall Ihren
Glauben daran einen Augenblick irre machen
kann, Sinne und Imagination moͤgen vorſpie-
geln was Sie wollen. Edler Stolz kann nie
eine andre Quelle haben. Jede Erhabenheit
des Charakters kommt von uͤberſchwaͤng-
licher Idee. Als Portia den Brutus
uͤberfuͤhren wollte, daß ihre Seele faͤhig ſey,
die ſeinige in allen ihren Unternehmungen zu
begleiten, wußte ſie kein beſſeres Mittel, als
ihm eine Probe vor Augen zu legen, daß
ſinnliche Eindruͤcke nichts uͤber ſie vermoͤchten.
[269]
Steigen wir von der Helden-Sitte bis
zum gefaͤlligen Weſen unſerer Tage herab;
uͤberall ſehen wir am meiſten geehrt, was
Obermacht des Gedankens uͤber ſinn-
liche Triebe beweiſet. Die Lebensarten
moͤgen noch ſo verſchieden ſeyn, die Gebraͤuche
noch ſo mannichfaltig und abwechſelnd; dieſe
Begriffe halten, bey genauer Unterſuchung,
uͤberall Stand; ſie erſtrecken ſich bis auf die
Urtheile von Mienen und Geberden, und fuͤh-
ren uns ſelbſt zur Quelle aller Gefuͤhle von An-
ſtaͤndigem und Unanſtaͤndigem. Wo Gedanke
den Menſchen zu verlaſſen ſcheint; wo er ganz
in des Triebes Gewalt iſt; wo er dieſen nur
die Oberhand gewinnen laͤßt; nur der Ge-
fahr ſich ausſetzt, von ihm uͤbermeiſtert zu
werden: da fuͤhlen wir Unanſtaͤndigkeit.
Es iſt gerade zum Vortheile der Grund-
ſaͤtze, was Sie am Anfange Ihres Briefes von
den widerſprechenden Erſcheinungen im Men-
ſchen anfuͤhren, wo ihm wechſelsweiſe ſeine
Weisheit zur Thorheit, und ſeine Thorheit zur
[270] Weisheit wird. Man ſollte glauben, eben
dieſe feine Organiſation, welche Sie zu der-
gleichen Bemerkungen geſchickt macht, Ihnen
Materie und Form dazu bietet, muͤßte Ihnen
auch die Ueberzeugung aufdringen, daß dem
Menſchen eine feſte Lehre des Achtungswuͤrdi-
gen, daß ihm unverbruͤchliche Vorſchriften
des Verhaltens unentbehrlich ſind. Was anders
kann in ſeinem Thun ihn ſichern; was als ei-
nen zuverlaͤßigen Mann ihn darſtellen? — In
alle Wege muß er ſonſt verloren gehen.
Den eingeſtandenen Wankelmuth des menſch-
lichen Herzens ſogar bey Seite, und angenom-
men, das Ihrige waͤre ſo beſchaffen, daß es
Sie immer recht leitete; aber nur auf eine
Weiſe, welche der eingefuͤhrten allgemeinen
Ordnung oft zuwider liefe: ſo muͤßte dennoch
Ihr Character verwildern. Es koͤnnte nicht
fehlen, indem Sie diejenigen Geſetze angrif-
fen, welche der gemeine Menſchen-Sinn
fuͤr unverbruͤchlich erklaͤrt, daß Ihnen
beynah jeder im Wege ſtuͤnde; Ihre Beſtre-
[271] bungen hemmte; unwiſſend oder aus Abſicht
Ihnen die aͤuſſerſte Quaal verurſachte; kurz.
daß Jedermanns Hand ſich wider Sie erhoͤbe.
Zwiefach waͤre dann gegen Jedermann die Ih-
rige. Eckel, Gram und Haß naͤhmen Ihre
Seele ein. Mit der Gewalt draͤngen Sie nicht
durch. Sie muͤßten alſo, um Ihr erhabene-
res Leben zu retten, Liſt, Verſtellung, Be-
trug zu Huͤlfe rufen; lauter krumme Wege
gehen: dies entzweyte Sie nothwendiger Wei-
ſe mit ſich ſelbſt; und ſo muͤßten Sie bald voll
tiefen Graͤuels ſich und die Welt verfluchen.
Schnoͤde Prahlerey, daß Ihr Herz immer
freyer und freyer ſchlage. Es kann nicht frey
ſchlagen, ſo lange es Geheimniſſe des Frevels
und der Schande zu bergen hat; ſo lange es
vor dem Blicke des Unſtraͤflichen ſich zuſammen
ziehen — von dem Athem des Reinen erſticken
muß in ſeinem Blute — damit nur Deine Stirne
weiß bleibe, wenn er Dinge der Finſterniß mit
ihrem Namen bezeichnet, und Du fuͤhleſt, er
redet von Deinen Thaten.
[272]
Allwill! mir ſchaudert, wie ich Dich
manchmal beben — vergehen ſah; bis zur
Ohnmacht in Verwirrung uͤber dem Abſichtlo-
ſen Worte eines Thoren, eines Kindes; uͤber
dem Muthwillen eines Gaſſenbuben, den
Schmaͤhreden eines Trunkenen.
Aber Sie haben wohl nunmehr dergleichen
Schwachheiten von ſich abgeworfen. Aus ei-
nem Stuͤcke Ihres Briefes, wo Sie die Zwey-
deutigkeit aller Tugenden zu erweiſen trachten,
erhellet, daß Sie wenigſtens mit großer Muͤhe
daran arbeiten. Ich will Sie nicht ſtoͤren,
Eduard. Doch, zur Erholung, laſſen Sie ſich
erzaͤhlen, was ich geſtern von ungefaͤhr in
meinem ehrlichen Montaigne las, und dann
eine Anekdote, die ich weiß.
Der treuherzige Montaigne erzaͤhlt, daß
man ihn nie haͤtte vermoͤgen koͤnnen, fuͤr Koͤ-
nig und Vaterland ſogar, in etwas Schlech-
tes zu willigen. Er glaubte, wenn er einmal
ſich ſelbſt waͤre untreu geworden, wuͤrde er
leicht
[273] leicht es nachher auch dem Staate werden.
Man muß eine Sache Gott uͤberlaſſen, ſagt
er, wenn menſchlich zu helfen un-
moͤglich iſt; und was iſt unmoͤglicher, als
daß ein rechtſchaffener Mann Treue
und Glauben verlaſſe? Was kann we-
niger geſchehen, als was ein Mann von Ehre
nur auf Unkoſten der Ehre und Treue bewerk-
ſtelligen koͤnnte?
Hiernaͤchſt erwaͤhnt er, unter andern, des
Epaminondas, des vortreflichſten unter den
Menſchen, bey welchem jede einzelne Pflicht in
ſo hohem Anſehen ſtand, daß er nie in der
Schlacht den Ueberwundenen zu Boden ſtieß;
der ſich ein Gewiſſen daraus machte, ſelbſt um
des unſchaͤtzbaren Guten willen, die Freyheit
ſeinem Lande zu verſchaffen, einen Tyrannen
oder ſeine Mitgenoſſen, ohne Form der Ge-
rechtigkeit, umzubringen; und der denjenigen
fuͤr einen ſchlechten Menſchen hielt, ſo ein
guter Buͤrger er auch ſeyn mochte, der unter
den Feinden und in der Schlacht ſeinen Freund
S
[274] und Wohlthaͤter nicht verſchonte. — „Schreck-
lich in ſeinen Waffen und mit Blute beſpritzt,
kommt er und zertruͤmmert ein unuͤberwindli-
ches Volk, ihm allein uͤberwindlich. Aber
mitten im Handgemenge begegnet ihm ſein
Gaſtfreund, und er geht ſeitwaͤrts ....
Schon iſt es ein Wunder mit der Wuth des
Krieges etwas von Gerechtigkeit zu vereinba-
ren; aber nur der Feſtigkeit eines Epaminon-
das war es verliehen, die Sanftmuth der mil-
deſten Sitten damit zu verbinden und die rein-
ſte Unſchuld! .... Wenn es Groͤße des
Muths, und Wirkung einer auſſerordentlichen
Tugend iſt, fuͤr das allgemeine Wohl oder aus
Gehorſam gegen die Obrigkeit, Freundſchaft,
Privatpflichten, Wort und Verwandſchaft aus
den Augen zu ſetzen: ſo iſt das wahrlich genug
uns hievon loszuſprechen, daß es eine Art
Groͤße iſt, welche in Epaminondas Seele
nicht Platz haben konnte.”
Nun die Anekdote. Sie kennen Au-
guſte von G * *, die treue, makelloſe Seele,
[275] die ſo einzig iſt, weil ſie nur Begriffe von Gutem
und Wahrem hat, nur im Guten und Wahren
Witz und Laune. Eine unſelige Cokette ver-
fuͤhrte ihren Mann. Auguſte, im hoͤchſten
Grade arglos, merkte lange nichts. Weil aber
G * * genoͤthiget war, ihr manche Unwahr-
heit zu ſagen, und jede Unwahrheit Luͤgen
ohne Zahl gebiert, ſo mußte wohl das liebe
Weib endlich merken, daß es hintergangen
wurde. Nun begab es ſich an einem Tage,
daß ihr, in des Mannes Gegenwart, auf
einmal zwey recht auffallende Betruͤgereyen
offenbar wurden. Sie koͤnnen ſich G * * s
Zuſtand vorſtellen. Kaum war der Freund,
welcher unſchuldiger Weiſe die Sache ans Licht
gebracht hatte, zur Thuͤr hinaus, ſo hub Au-
guſte an: „Hoͤre doch, Max, du hatteſt mir
ja dieſe Sache ſo, und jeneſo geſagt, und
ich hoͤre es nun ganz anders? Ich merke ſeit
einiger Zeit, daß du mir oͤfters Unwahrheiten
ſagſt — Wenn du wuͤßteſt, wie mich das be-
truͤbt!” — Freylich, antwortete G * *; aber
das iſt nicht meine Schuld; wer ſich unbeſchei-
S 2
[276] dene Fragen erlaubt, der zwingt den andern
zur Luͤge. — O Gott, ſagte Auguſte
mit freundlicher, weinender Stimme: Wenn
ich denn nur wuͤßte was ich nicht fragen
muß; ich wollte gewiß nie ſo etwas fra-
gen, damit du nie zu luͤgen brauchteſt.
Iſt Ihnen eine Luͤge bekannt, Eduard,
die an Kraft zum Guten, auch an Erha-
benheit, dieſem unſchuldigen Gebet meiner
Auguſte um Wahrheit gleich zu ſchaͤtzen
waͤre?
Unſchuld, Eduard! lieber Eduard, Un-
ſchuld, Unſchuld! So fieng ich an; ſo
muß ich endigen. — Suͤße, reine, ewige
Wonne der Unſchuld — das iſt es doch;
ja, Eduard, das iſt es, was auch Du ſucheſt:
ach, auf dem Wege der Verſtockung!
Liebes Maͤdchen, Deinen Namen?
Wo biſt Du? Eile! Eile, Freundinn, daß
[277] ſein Blick Dich finde, Dir begegne, und der
Deinige ihn faſſe! Liebe kann vielleicht ihn
retten; kann vielleicht zuerſt in ſeinem Her-
zen den Geſchmack an Lauterkeit und Unſchuid
wieder rege machen. O, ſo komm doch!
komm und entzuͤnde den Strahl in ſeinem
Auge, der alle Sehkraft an ſich zieht, da-
mit er aufhoͤre, leichtfertig umher zu gaffen;
damit ihm ſein Auge ein Licht werde. Fuͤlle
ihm den Buſen mit Ahndungen jener Wonne,
die keinen Zuſatz vertraͤgt, damit er nuͤchtern
werde, und, was Leben, und, was Freude
iſt, erfahren lerne!
O jener Tage, wo ich noch glaubte,
ſelbſt berufen zu ſeyn, Dein Weſen in
Liebe zu erwecken, durch Liebe zu heiligen!
Eduard, ich haͤtte alles geduldet, alles
entbehrt, um Deinetwillen!
S 3
[278]
Aber es kam eine Stunde, da fuͤhlte
ich, daß ich wohl einſt Dich wuͤrde verach-
ten muͤſſen. Es ergriff mich ein tiefes
Schrecken, und ich entfloh. Ich war ent-
flohen, und kam zuruͤck mit verhuͤlltem Ange-
ſicht. Alle meine Liebe zu Dir hatte ſich in
heiſſe Sorge um Dich verwandelt. Verbor-
gen kam ich zuruͤck mit aller meiner Liebe,
um Dich nie zu laſſen.
Ich ſey von Schwaͤrmerey; ich ſey an
der Einbildung geſtorben, wird es heiſſen. —
Nun ja! — Wenn nur Du auf mein Grab
kommſt, Eduard, mit dem Maͤdchen, das ich
Dir rief, mit dem Maͤdchen, das Dein Weſen
erneuern, zu jeder Freude der Menſchheit
Deine Sinne wieder rein ſtimmen ſoll!
Dann wirſt Du immer nur Eins, das Koͤſt-
lichſte, wollen; aneckeln alles andere, wirſt
dies Koͤſtlichſte, liebſte, mit Deiner gan-
zen Kraft genieſſen, und darum jeden Genuß
des aͤhnlichen Geringern fuͤr Verluſt achten.
[279]
Ja, Eduard, Du kommſt auf mein Grab
mit dem Maͤdchen, und kuͤſſeſt da den himm-
liſchen, ewig neuen Kuß der Treue. — Komm
nur bald!
Il y a cette difference entre l'amour et le ſo-
leil, que le ſoleil montre ſur terre à ceux qui
ont des yeulx, autant les laides que les belles
choſes, et que l'amour n'eſt la lumiere que des
belles ſeulement.
Plutarque.
Λεος ανϑρωπῳ ου μιγνυται, αλλα δια του
δαιμονιου πασα εστιν ἡ ὁμιλια και ἡ διαλεκτος
ϑεοις προς ανϑρωπους.
Διοτιμα.
[[280]][[281]]
Zugabe.
An Erhard O * *.
Quid eſt enim verius, quam neminem eſſe
oportere tam ſtulte arrogantem, ut in ſe ratio-
nem et mentem putet ineſſe, in cœlo mundoque
non putet? aut ut ea, quæ vix ſumma ingenii
ratione comprehendat, nulla ratione moveri
putet? quem vero aſtrorum ordines, quem die-
rum noctiumque viciſſitudines, quem menſium
temperatio, quemque ea, quæ gignuntur nobis
ad fruendum, non gratum eſſe cogant; hunc
hominem omnino numerare, qui decet?
Cicero de Legg. II. 7.
S 5
[[282]]
Βουλει δητα και ἡμεις τοις εμπροςϑεν ὁμο-
λογουμενοις ξυμφησωμεν, ὡς ταυϑ̕ ὁυτως εχει;
και μη μονον οιωμεϑα δειν τ̕αλλοτρια ανευ κιν-
δυνου λεγειν, αλλα και συγκινδυνευωμεν και με-
τεχωμεν του ψογου, ὁταν ανηρ δεινος φῃ ταυτα
μη ὁυτως, αλλ̕ ατακτως εχειν;
Πως γαρ ουκ αν βουλοιμην;
Bipont. IV. p. 244.
[283]
Das heiſſeſt Du ſchimpfen, und zuͤrnſt, daß
ich, laͤchelnd, Dich einen Antediluvianer
nannte? Doch laͤchelteſt Du ehmals mit, es
ſchien Dir zu gefallen, wenn man Dich unter
die Rieſen zaͤhlte, unter jene derben elaſtiſchen
Maͤnner, denen kein ſtrafender Geiſt eine
Strieme oder Beule zu ſchlagen den Arm hat-
te; unter jene Gluͤcklichen, die immer guter
Dinge waren, freyeten um alles, von allem
ſich freyen ließen, und des graͤmlichen Noah
ſpotteten, bis er einpackte, und mit ſeinem
Kaſten davon ſchwamm.
Biſt Du nun ein Feind Deiner unſklavi-
ſchen herzhaften Ahnen geworden? Nicht mehr
jener derbe, durch und durch elaſtiſche Mann?
[284] Nicht mehr guter Dinge uͤberall und immer?
— Das ſey ferne, ſagt Dein ganzer Brief!
Du biſt was Du wareſt in einem nur noch
hoͤheren Grade, und nur von Rechtswegen ſoll,
wie Du zunimmſt in Deinem Weſen, auch
meine Liebe zu Dir immer hoͤher ſteigen.
Haſt Du wo an meiner Freundſchaft eine
Abnahme geſpuͤrt? Ehre ich Dich weniger
als ehmals; richte oder ſchaͤtze ich Dich
anders?
Dir gab die Natur, zu den auſſerordent-
lichſten Geiſtesfaͤhigkeiten, ein heiteres Ge-
muͤth von unſchaͤtzbarem Werthe; Gutmuͤ-
thigkeit, Bruderſinn, edlen Fleiß und ſchoͤnen
Muth. Dies liebte ich an Dir; dies werde
ich an Dir lieben und ehren, ſo lange ich
athme.
Ich liebe nicht an Dir, und kann nicht
an Dir lieben, was Du nicht haſt; was ich
Dir mehrmals definieren ſollte, und nicht
[285] konnte; was, undefiniert, Dein großer
Kopf als eine Armſeligkeit des Herzens
verſchmaͤhte und belaͤchelte — Dir fehlt In-
nigkeit; ein tieferes Bewuſtſeyn des gan-
zen Menſchen; ein aus dieſem tieferen Be-
wuſtſeyn hervorgehendes eigenes Vermoͤgen:
Sich ſelbſt naͤhrender, ſtaͤrkender,
in ſich ſelbſt gedeihender Sinn und
Geiſt! Dir fehlt jene ſtille Sammlung,
die ich — verzeihe! — Andacht nennen
muß; jenes feyerliche Schweigen der Seele
vor ſich ſelbſt und der Natur; das feſte An-
ſaugen an Schoͤnes und Gutes, welches tief
lebendig macht, und dadurch unabhaͤngig
groß. Es fehlt Dir — ein nie verſtummen-
des, eine zweyte beſſere Seele allmaͤhlich bil-
dendes Echo in dem Mittelpunkte Deines
Weſens.
Hoͤre mich, Erhard! — Ich ſage das
mit Dir: „Heitern Sinn und immer frohen
„Muth, wenn der Menſch ſich dieſes geben
„kann, ſo giebt er ſich das Hoͤchſte.” — In
[286]Freude erſcheint die Wahrheit, in Freude
erſcheint das Leben. Ihre Bedeutung,
ernſt und groß, verborgen, mit ihr, im
Triebe, der ſich und ſeinen Gegenſtand zu-
erſt nicht kennt, erſchallt durch ſie als ein le-
bendiges Wort in unſerer Bruſt; durchdringt
jede ſelbſtthaͤtige, ſich ſelbſt ausfuͤhrende und
fortbildende Natur: Ein ἑυρηκα, deſſen Zeug-
niß iſt: So wahr ich lebe, ſo wahr ich bin!
Haſt Du Freude, Erhard? Du Liebhaber
der Vergaͤnglichkeit, der Ungeſtalt, des
Todes?
Du ſpotteſt meiner Hofnungen, meines
Ringens nach einer feſten Ueberzeugung, die
ich, im voraus, Wahrheit und Erkenntniß
nenne. Schatzgraͤberey willſt Du ein Suchen
dieſer Art genannt wiſſen. Du fragſt und
fragſt wieder, damit ich ja nicht unterlaſſe
mich ſelbſt zu fragen: Was iſt Wahrheit?
— Und Dir iſt ſo wohl bey dieſer Frage!
Du ruhſt ſo ſanft im Schooße Deiner Gott-
[287] heit — jenes ewig verſchlingenden, ewig wie-
derkaͤuenden Ungeheuers, welches Werthern
erſchien, wie ehmals dem Brutus ſein boͤſer
Genius. „Du wirſt mich wiederſehen
„bey Philippi!” — Und bey Philippi
gab der Held ſeinen Geiſt mit den Worten
auf: „Tugend, du biſt nur ein lee-
„rer Name!”
Das iſt ſie nicht! Du ſelbſt, Erhard,
rufſt mit edlem Unwillen: Das iſt ſie nicht!
Nun, ſo laß mich denn auch nach Wahrheit
ringen, nach meinem Schatze graben, und am
Finden nicht verzweifeln.
Schein und Schatten umgeben uns. Nicht
einmal das Weſen unſeres eigenen Daſeyns
erkennen wir. Alles praͤgen wir mit unſerm
Bilde, und dies Bild iſt eine wechſelnde Ge-
ſtalt; jenes Ich, daß wir unſer Selbſt nen-
nen, eine zweydeutige Geburt aus Allem und
aus Nichts: die eigene Seele nur Erſchei-
nung .. Doch eine der Weſenheit ſich naͤ-
[288] hernde Erſcheinung! Selbſtthaͤtigkeit und
Leben offenbaren ſich in ihr unmittelbar (*).
Darum iſt uns der Seele reines Gefuͤhl,
Subſtanz — Urbild des Seyns von Al-
lem; ihr reines Sinnen, von allem die bil-
dende Kraft; ihr reiner Trieb, das Herz der
Natur. So erfuͤllt das Unendliche ein leben-
diger, ſehender, ordnender, beſtimmender
Geiſt. Vertieft in dieſe Geſichte gleicht der
ſtaunende Forſcher jenem Beherrſcher Aſſyriens,
der nur wußte: Es lag ihm ein Traum
in der Seele! Ein Traum, den er nicht
auszubilden, vielweniger zu deuten im Stan-
de war (**).
Wird
[289]
Wird der Weiſere vielleicht ihn deuten, in-
dem er das Lebendige aus dem Unlebendigen,
das Vernuͤnftige aus dem Unvernuͤnftigen, das
Sittliche aus dem Viehiſchen — ergruͤndet?
Wahrlich, das hieſſe thoͤrichter die Todten
fragen, als noch kein Aberglaube ſie zu fra-
gen je und irgendwo verſuchte!
Man hat Milton getadelt, daß er von
einer ſichtbaren Finſterniß ſprach, weil ſich eine
ſichtbare Finſterniß nicht denken laſſe. Es gieng
dieſem wie allen Sehern: ihre Auslegung und
Rechtfertigung iſt der Fuͤlle der Zeiten aufbe-
halten. Milton prophezeyte von der Weisheit
unſerer Tage, welche durch Mondſcheine und
Daͤmmerungen des Irrens und Waͤhnens bis
zu der materiellen Nacht und ſichtbaren Fin-
ſterniß einer poſitiven Unwiſſenheit kuͤhn
hindurch gedrungen iſt (*). Ehmals dachte
T
[290] man ſich hinter jedem Irrthum eine Wahr-
heit, und eiferte nur fuͤr das geraubte Licht.
Aber jener Glaube ſelbſt an Wahrheit, war
der aͤrgſte Irrthum. Uns leuchtet ein andrer
Stern — jener Stern eines uͤberſchwaͤnglichen
Unlichts — vielleicht zum unfruchtbaren
Jubel goldener Hochzeitfeyer des Erebus mit
der Nacht, ohne die Nachkommenſchaft eines
neuen Himmels und einer neuen Erde (*).
Eben, da ich dieſe letzten Zeilen ſchrieb,
wurden mir die juͤngſten Blaͤtter des Tage-
buchs der großen, nunmehr allerfreyeſten
(*)
[291]Hauptſtadt gebracht. Oben lag die
vierzehnte Nummer, und mein Auge fiel auf die-
ſe Worte: „Seit Locke haͤlt keine Taͤuſchung
„mehr; von nun an muß, was dauern
„ſoll, auf die ewigen Felſen der Natur ge-
„gruͤndet ſeyn, welche die ſtrengen Demon-
„ſtrationen der Vernunft gleichſam — kahl
„gemacht haben (en quelque ſorte mis à
„nud par les demonſtrations rigoureuſes
„de la raiſon)”.
Kahle Felſen allerdings! Aber auch ewi-
ge Felſen der Natur? Sie heißen mit ihrem
wahren Namen, Selbſtſucht und Schein-
ſucht; ſind der klare baare Egoismus. Und
es iſt wahr daß dieſer, wenn er einmal vor
ſich ſelbſt nackend da ſteht ohne Gram und
Schaam, wenigſtens keine Tugenden mehr
ſich weis macht. Aber heucheln muß er doch,
trotz aller ſeiner Frechheit, damit er taͤuſche.
Er muß taͤuſchen; und ſchwaͤrmen muß er
uͤber alle Graͤnzen, damit er ſich ein Leben
mache. Taͤuſchen und je mehr und mehr be-
T 2
[292] truͤgen muß er andre und ſich ſelbſt, damit
er nicht vor Ekel an ſich ſelbſt vergehe. Ja,
ein neuer Himmel und eine neue Erde; jener
Unten, dieſe Oben! Ihre Gaben und Ver-
heiſſungen fließen in Ein Allgenugſames zu-
ſammen, das Gluͤckſeligkeit heißt; reine
vollendete Gluͤckſeligkeit des ſterblichen
Menſchen. Darum weg zuerſt mit der Eh-
re; und Achtung allein des Nuͤtzlichen
trete an der Thoͤrinn Stelle. Weg mit der
Liebe, denn ſie iſt eine Schwachheit unter
jeder Geſtalt; und eine richtige Einſicht in den
Zuſammenhang der Vortheile erhebe ſich uͤber
ſie. Weg mit Glaube, Wort und Treue,
denn ſie haben ihr Weſen im Mangel des Au-
genſcheinlichen, welcher die Wurzel alles Boͤ-
ſen iſt — In den Abgrund mit der Brut des
Argen (*)!
[293]
Ich entfliehe, und kuͤſſe die von dem erha-
benen Felsgebirge weggefegte Erde. Ich will
Glauben behalten, und Liebe, und Schaam,
und Ehrfurcht und Demuth; will behalten tief
(*)
T 3
[294] im Auge Ewigkeit; Ernſt und feyerlichen Auf-
ſchwung tief in der Bruſt; hohe und hoͤhere
Ahndungen im Geiſte; vollen wirklichen Genuß
des Unſichtbaren in der Seele.
O des armen Stolzes, der alles das als
Dinge des verſchwindenden Gefuͤhls, als we-
ſenloſe Taͤuſchungen der geringeren Seele ver-
achten, unter ſeine Fuͤße treten will. Oeffnet
uns das Allerheiligſte eures Unveraͤnderlichen,
Selbſtſtaͤndigen, Wirklichen, in ſich Wahren,
Wuͤrdigen und Guten! — Auf dem Vorhange
ſteht: Alleinige Vernunft! —
Wohl! Es muß, da uͤberhaupt Vernunft vor-
handen iſt, auch eine reine Vernunft, eine
Vollkommenheit des Lebens
vorhanden ſeyn. Alle andre Vermunft iſt von
dieſer nur Erſcheinung oder Wiederſchein. Und
(*)
[295] dieſe Vernunft iſt gewiß im ſtrengſten Sinne
Einzig und Allein . . . . Ἑν και παν! —
Leider, fuͤr die menſchliche Anſchauung auch:
Οὐδεν και παντα!
Nicht ſo hinter dem Vorhange; das weiß
ich! Aber ich ſtehe nur davor. Und da ſage
ich zu Dir, der Du neben mir auch nur davor
ſteheſt: — So wenig der unendliche Raum die
beſondere Natur irgend eines Koͤrpers beſtimmen
kann; ſo wenig kann reine Vernunft des
Menſchen mit ihrem uͤberall eben guten
Willen, da ſie in allen Menſchen Eine und
dieſelbe iſt, die Grundlage eines beſondern,
verſchiedenen Lebens ausmachen, und der
wirklichen Perſon ihren eigenthuͤmlichen
individuellen Werth ertheilen. Was die eigene
Sinnesart, den eigenen feſten Geſchmack
hervorbringt, jene wunderbare innerliche Bil-
dungskraft, jene unerforſchliche Energie,
die, alleinthaͤtig, ihren Gegenſtand ſich
beſtimmt, ihn ergreift, feſthaͤlt — eine Per-
ſon annimmt — und das Geheimniß der
T 4
[296] Sklaverey und Freyheit eines jeden insbeſondere
ausmacht: das entſcheidet. Es entſcheidet und
ſtehet da im Vermoͤgen — nicht des Syllogis-
mus (welches man mit dem Vermoͤgen der Ei-
nen Haͤlfte einer Scheere oder Zange vergleichen
koͤnnte) — ſondern der Geſinnungen; im
Vermoͤgen eines unveraͤnderlichen, uͤber alle Lei-
denſchaften ſiegenden Affects. Wenn ich auf
das Wort eines Namentlichen Mannes
fuße, ſo bringe ich dabey ſeine reine Vernunft
nicht mehr, als die Βewegung ſeiner Lippen
und den Schall aus ſeinem Munde in Anſchlag.
Ich traue dem Worte um des Mannes, und
dem Manne um ſein ſelbſt willen. Was in
ihm mich gewiß macht, iſt ſeine Sinnesart,
ſein Geſchmack, ſein Gemuͤth und Charakter.
Ich gruͤnde meinen Bund mit ihm auf den
Bund, den er mit ſich ſelbſt hat, wodurch er
iſt der er ſeyn wird. Ich glaube dem in ſeinem
Herzen tief verborgenen unſichtbaren
Worte, das er geben will und kann. Ich
verlaſſe mich auf eine geheime Kraft in ihm,
welche ſtaͤrker iſt als der Tod.
[297]
Uebrigens, da dem Menſchen jede Mey-
nung lieber als ſein Leben werden kann (*),
ſo liegt die Gewalt uͤberhaupt der Begriffe,
die uͤberwiegende Energie der vernuͤnftigen
Natur (nicht des Gedankendinges Ver-
nunft) damit ſo klar zu Tage, daß nur ein
Thor ſie laͤugnen kann. Und wie ſollte ihre
Gewalt nicht die hoͤchſte, der Begriff nicht im
allgemeinen maͤchtiger als die Empfindung ſeyn,
da unſer zeitliches, aus Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft zuſammengeſetztes Be-
wußtſeyn, im Begriffe allein ſein Daſeyn
haben kann? Alles was in der Zeit lebt, muß
ſein gegenwaͤrtiges Bewußtſeyn, ſein zeitliches
Leben erſt erzeugen, innerlich alleinthaͤ-
tig, durch Verknuͤpfung. Alſo iſt die
Form des Lebens, und der Trieb zum Le-
ben, und das Leben ſelbſt, im Wirkli-
T 5
[298]chen nur Eins. Der Gegenſtand des un-
bedingten Triebes, welchen wir den Grund-
trieb nennen, iſt unmittelbar die Form des
Weſens, deſſen Trieb oder wirkſames Vermoͤ-
gen er iſt. Dieſe Form im Daſeyn zu erhal-
ten, ſich in ihr auszudruͤcken, iſt ſein unbe-
dingter Zweck und das Princip aller Selbſt-
beſtimmung in der Kreatur; ſo daß kein Weſen
vermag ſich einen Zweck vorzuſetzen, als Kraft
ſeines Triebes und ihm gemaͤß. Ueber-
haupt beziehen ſich die Triebe auf Beduͤrf-
niß. Alles Lebendige in der Natur bewegt
ſich mit Abſicht, das iſt, nach Verhaͤltniſſen
der Beduͤrfniſſe. Der erſte Grund und
die Art der Entſtehung dieſer Verhaͤltniſſe iſt
unerforſchlich, und wir koͤnnen daher eben ſo we-
nig den Trieb aus dem Beduͤrfniſſe, als das
Beduͤrfniß aus dem Triebe erklaͤren; koͤnnen
eben ſo wenig ſagen, dieſer beſtimme jenes,
als jenes dieſen. Der erſte Anfang von bey-
den iſt auſſer ihnen, und iſt ein gemein-
ſchaftlicher Anfang. Nur das Geſchaͤft des
Triebes: einen gewiſſen Zuſammenhang zu er-
[299] halten, fortzuſetzen, zu erweitern,
erkennen wir, und zwar, als nothwendig; weil
ein unverknuͤpftes, und nicht ſich ſelbſt (inner-
lich und aͤuſſerlich) verknuͤpfendes endliches
Weſen, ein Unding iſt. TOTUM PARTE
PRIUS ESSE, NECESSE EST.
Aber kann auch das Nichts, eine Form
haben oder annehmen, und dadurch Etwas ſeyn
oder werden? Laͤßt ſich eine Form, die lauter
Form waͤre, denken; eine Wirkſamkeit, deren
alleinige Abſicht reine, das iſt leereAb-
ſicht waͤre, ohne von und ohne zu?
Kein Trieb, wie ſehr man ihn in ſich allein
betrachte, will nur ſeine eigene freye Wirkſam-
keit. Sein Weſen iſt Verhaͤltniß: er will
Befriedigung.
Der Trieb der vernuͤnftigen Natur zum an
ſich Wahren und Guten iſt auf ein Daſeyn an
ſich, auf ein vollkommenes Leben, ein
Leben in ſich ſelbſt gerichtet; er fodert Un-
[300] abhaͤngigkeit; Selbſtgenugſamkeit; Freyheit! —
Aber in wie dunkler, dunklerAhn-
dungnur!
Denn wo iſt Daſeyn und Leben in ſich,
wo iſt Freyheit? Wahrlich nur jenſeits der
Natur! Denn innerhalb der Natur iſt alles
offenbar unendlich mehr im andern als in
ſich, und Freyheit nur im Tode!
Dennoch wiſſen wir daß etwas iſt, und
war, und ſeyn wird — ein Urheber jener
natuͤrlich unerzeugten Thaͤtigkeit in uns,
des Kerns unſeres Daſeyns, wunderbar um-
geben mit Vergaͤnglichkeit — in ſie verſenkt,
ein Saame der aufgehen wird. Ewiges Le-
ben iſt das Weſen der Seele, und darum ihr
unbedingter Trieb. Und woher kaͤme
ihr der Tod? Nicht von dem Vater des Lebens
und alles Guten, der in dem innerſten unſe-
res Herzens und Willens ſein eigenes Herz
und ſeinen eigenen Willen abdruͤckte, und
nichts anderes darin abdruͤcken konnte.
[301]
Animi præſtantiſſimi, ſchreibt Plato an
Dionys, hæc ita ſe habere divinant, deterri-
mi autem contra. Sed majoris fidei ſunt divi-
norum virorum præſagia, quam aliorum(*).
Nicht ein kahler Fels; — eine athmende
Veſte dringt hervor aus den Eingeweiden der
Erde, und erhebt ſich uͤber die Wolken; ein
Altar des Ewigen, um den von jeher alle
Voͤlker ſich verſammelt haben: Gewiſſen,
Religion.
Sind das nur Geſpenſter, Erhard?
„Wer wird ſo frech ſeyn — leſe ich in
Deinem Briefe —” und Geſpenſter laͤugnen?
„Sie erſcheinen ſo gewiß, als es Mondenlicht,
„Nachtlampenſchein, ein halbes Erwachen aus
„Traͤumen, eine bildende Fantaſie giebt.
„Auch der kann ſie noch ſehen, der ſchon im
„Beſitze der Theorie ihrer Erſcheinungen iſt,
[302] „er kann ſogar vor ihnen noch erſchrecken.
„Nur wird er ihren Umgang eben nicht ſu-
„chen; noch weniger, ihn dem Umgange mit
„wirklichen Dingen vorziehen; am allerwe-
„nigſten aber wird er ihres Gleichen zu wer-
„den trachten.”
Du ſagſt mir etwas Großes, lieber Erhard.
Denn, wenn ich Dich recht verſtehe, ſo kannſt
Du uͤberhaupt Erſcheinungen entkleiden, und
das an ſich Wirkliche allein betrachten. Ich
habe mich hieran oft bis zur Verzweiflung ver-
ſucht, und nur ein neues Raͤthſel, das Raͤth-
ſel meiner unheilbaren Unwiſſenheit dabey zu-
letzt erbeutet. Koͤnnte der Menſch ſeine An-
ſpruͤche an wirkliches Daſeyn, an Freyheit und
Erkenntniß fahren laſſen; laͤngſt haͤtte ich die
meinigen, uͤber allen den hart abſchlaͤgigen
Antworten, die mir von der Natur, von der
Geſchichte, von meiner Vernunft, meinem
Willen, Herzen und Bewußtſeyn zu Theil
wurden, aufgegeben. Verſchwinde ich doch vor
mir ſelbſt uͤber dem Forſchen nach mir ſelbſt,
[303] wie nichts anderes vor mir verſchwindet; werde
zu Nichts vor mir ſelbſt, wie nichts anderes vor
mir zu Nichts wird! Vor mir ſelbſt! dieſem
Selbſt, das ich doch mehr und inniger als
alles andre fuͤhle!
Siehe auch den Mittelpunkt der menſchli-
chen Vernunft, auf dem allein ſie ruhen, um
den allein ſie ſich bewegen — denken, dichten
und trachten kann: die Idee eines Unbe-
dingten, eines Selbſtſtaͤndigen, welches
im ſtrengſten Sinne von Allem der Anfang
und das Ende ſeyn muß! Sobald der Menſch
ſie ausfuͤhren, zu der Vorſtellung oder dem
Begriffe eines Weſens bilden will — ſiehe,
wie ſie vor ſeinem Geiſte zu einem in ſich grund-
loſen Undinge ſich entſtellt, und die Vernunft,
die auf ihr ruhte, fuͤrchterlich erſchuͤttert.
Einheit und Zuſammenhang; Zuſammen-
hang und Einheit: das Zweckmaͤßige, ſu-
chen, ſehen und fuͤhlen wir; ſein Begriff iſt
Anfang, Mittel und Ende alles unſeres For-
[304] ſchens! — Und nichts ſind wir doch zu erfor-
ſchen unvermoͤgender, als einen Zuſammenhang
der Zwecke (*). Je mehr wir lernen, deſto
weniger begreifen wir; deſto betroffener ſtehen
wir zwiſchen Himmel und Erde da; deſto ver-
legener in uns ſelbſt! … Oder haben wir
vielleicht genug und alles was wir brauchen an
einem — und noch einem — und noch ei-
nem … allgewaltigen Luͤckenbuͤßer? —
die es ſind und nicht ſind; es wohl ſeyn moͤ-
gen, und durchaus nicht ſeyn moͤgen; die
nicht uns, ſondern nur, gegenſeitig, ſich ein-
ander ſelbſt ausfuͤllen und unterſtuͤtzen? —
Haben wir in der That? … „Und verſte-
„heſt Du auch was Du lieſeſt?”
Ein Knochengebaͤude iſt das Fundament der
Menſchlichen Geſtalt; ihrer Schoͤnheit, ihres
Koͤniglichen Anblicks. Wenn es aber allein
da
[305] da ſteht, ohne Inhalt und Bekleidung, ſo be-
deutet es den Tod — der, noch weniger als
die Nacht, Jemandes Freund iſt. Auch iſt
ein ſcheußliches Gerippe nicht das Erſte. Es
ruͤhrte und regte ſich Etwas. Etwas
Lebendiges in einem Lebendigen.
Der Anfang war eine Begierde, die heftig
wirkte, ohne ſich ſelbſt zu verſtehen — Gabe
der Weiſſagung (*)!
U
[306]
— — — Genug, Erhard; ſo unwiſſend,
ganz ſo unwiſſend, wie ich Dir ſage, bin ich.
Unwiſſend in einem Maaße, daß ich den
(*)
[307] bloßen Zweifler verachten darf! — Den-
noch; weit davon entfernt, mit dieſer uͤber-
ſchwaͤnglichen Unwiſſenheit mich zu bruͤſten;
ſie zu verwechſeln mit der Wahrheit, deren
Verheißung ich im Buſen trage; ihr, von
Hochmuth trunken, Tempel und Altar zu
weihen, und die ſinnloſeſte aller Abgoͤttereyen
anzurichten: demuͤthigt mich vielmehr ihr Be-
wuſtſeyn bis zu einer Schwermuth — die ſich
zwar mit keinem Hohn vertraͤgt; wohl aber
zum Lachen ſatter Wiſſer und Nichtwiſſer ſa-
gen moͤchte: Du biſt toll! zu ihrer Freude:
was machſt du?
Wie Sokrates — der Große, Ahndungs-
volle! — Unwiſſenheit wider Trotz und Luͤge
in die Schlacht fuͤhren, und im Hinterhalt
die Wahrheit haben; das iſt Groß! Aber es
(*)
U 2
[308] iſt nicht groß, fuͤr die Wahrheit aller Wahr-
heiten zu achten: es gebe keine Wahrheit.
Der ganze Menſch muß ſeicht und ſchaal ge-
worden ſeyn, wenn er zu ſich ſelbſt ſagen und
dabey guter Dinge bleiben kann: Ich bin
nichts; ich weiß nichts; ich glaube nichts.
Nur ſoviel iſt Gutes am Menſchen; nur
in ſo weit iſt er ſich und andern etwas werth,
als er Faͤhigkeit zu ahnden und zu glauben
hat. Es liegt in der Natur des endlichen,
nur mittelbar, das iſt ſinnlich erkennen-
den Weſens, daß ihm Wahrheit, daß ihm
eigentliches Daſeyn und Leben, ſo wenig
ganz aufgedeckt, als ganz verborgen ſeyn kann.
Sympathie mit dem unſichtbaren Wirk-
lichen, Lebendigen und Wahren iſt Glaube.
Je mehr Sinn jemand fuͤr das Unſichtbare
in der Natur und im Menſchen zeigt; je
wirkſamer und thaͤtiger aus dem Unſichtbaren
in ihm ſelbſt er ſich beweiſt; fuͤr deſto vor-
treflicher muͤſſen wir ihn achten, und achten
wir ihn allgemein — — Seltſam, daß wir
[309] ſammt und ſonders in unſerer Wiſſenſchaft,
Kunſt, oder anderen Geſchaͤftigkeit, ſo gern
das Ueberſchwaͤngliche, das Wunderbare er-
reichen moͤgen, damit man uns ehre, uns
liebe, und — nicht begreife! Seltſam,
daß wir nach demſelben Maaße auch andre
ehren und lieben; dann aber uns ploͤtzlich weg-
wenden, und nur — was ſich theoretiſch dar-
thun, gewiſſermaaßen nach machen und, ſo,
mit Haͤnden greifen laͤßt, der Muͤhe werth
achten wollen, unſeren Blick darauf zu heften.
Ein finſteres Geheimniß liegt eben ſchwer
auf uns allen: das Geheimniß des Nichtſeyns,
des Daſeyns durch Vergaͤnglichkeit, des Ver-
moͤgens mit und durch lauter Unvermoͤgen —
das Geheimniß des Endlichen. Un-
endliches ſcheint der Stoff; Endlichkeit die
Form der Dinge zu ſeyn. Alſo waͤre Nicht-
ſeyn — wenn die Begriffe von Endlichkeit
und Nichtſeyn in einander fließen — die Moͤg-
lichkeit; Nichtſeyn waͤre die naͤchſte Urſache
der Natur und ihres Inhalts!
U 3
[310]
Plato aͤuſſert ſich auf eine merkwuͤrdige
Weiſe uͤber dieſen Gegenſtand. Kuͤhn weiſt
er, in der Reihe der Dinge, dem Unendlichen
die Unterſte; dem Maaß, welches das
Endliche mit dem Unendlichen vereinigt, und
wirkliche Dinge zuerſt ans Licht bringt,
die Oberſte Stelle an. Er ſetzt einen Gott
voraus, der ein Geiſt, ein beſonnenes per-
ſoͤnliches Weſen iſt, als den Urheber aller Din-
ge, durch die Vollkommenheit ſeines
Willens(*).
[311]
Aber wie hat das Zeitliche von dem
Ewigen erzeugt werden koͤnnen; welch ein
(*)
U 4
[312] moͤgliches Verhaͤltniß beyder zu einander laͤßt
ſich, menſchlicher Weiſe, denken? Dieſe Kluſt
(*)
[313] fuͤllt keine Philoſophie, und es bedarf, um
hinuͤber zu kommen, einer Bruͤcke — oder
Fluͤgel.
Iſt es etwas Großes einzuſehen, daß man
mit den Fuͤßen nur auf der Erde wandeln, nicht
mit ihnen ſich hinauf uͤber die Wolken ſchwingen
kann?
Was ich mit den Augen — blos mit den
Augen — und nur kaum entdecken; nicht
mit den Haͤnden greifen, oder mit den Fuͤßen
(*)
U 5
[314] in Beſitz nehmen kann: das verknuͤpft mein
Verſtand auf folgende Weiſe.
So wenig Ewigkeit durch Zeit her-
vorgebracht, dargeſtellt oder erfuͤllt werden
kann: ſo wenig kann Vergaͤngliches We-
ſen die Seele der Natur; Lebendiges nur
eine Modification des Unlebendigen; vernuͤnf-
tiges Daſeyn nur eine Zufaͤlligkeit von Ein-
ſchraͤnkungen, eine leere Form und nichtige
Erſcheinung ſeyn. Darum glaube Du —
entſcheidet mein Verſtand — an ein Ewiges,
das nicht blos ein Unendliches der Erſcheinun-
gen, ein Luͤckenbuͤßer ohnmaͤchtiger Fantaſie,
ſondern in der That das Erſte und der An-
fang iſt; glaube Du an ein in ſich Leben-
diges, welches das Gute und die Wahr-
heit ſelbſt — an einen allmaͤchtigen Gott,
der ein Geiſt und Dein Schoͤpfer iſt.
Hat er mich mit Haͤnden gemacht, dieſer
Geiſt und Gott?
[315]
Dem Frager mit dieſen Worten antwortet
die Vernunft, ein feſtes Ja! Denn hier, wo
jeder, auch der entfernteſte Verſuch, durch
Analogien einer wirklichen Einſicht naͤher
zu kommen, dem Irrthum entgegen ſchreitet,
iſt der hart anthropomorphiſierende Ausdruck,
als offenbar ſymboliſch, der Vernunft — die
entgegengeſetzte Wirkungsarten nie
kann aſſimilieren wollen — der liebſte.
Nie habe ich begreifen koͤnnen, wie eine
maſchiniſtiſche Vorſtellungsart der Schoͤ-
pfung — das iſt der Moͤglichkeit des Welt-
alls — vernuͤnftiger, erhabener, dem hoͤchſten
Weſen, das wir alle, auf irgend eine
Weiſe, vorauszuſetzen genoͤthigt ſind, annaͤ-
hernder, als eine anthropomorphiſtiſche ſeyn
ſollte. Der Glaube an ein hoͤchſtes Weſen uͤber-
haupt, als der Quelle alles Seyns und alles
Werdens; und der Glaube an einen Gott, der
ein Geiſt iſt, ſind beyde dem Menſchen in
der unerforſchlichen Thatſache ſeiner Sponta-
neitaͤt und Freyheit, ohne welche nicht einmal
[316] Euklids erſtes Poſtulat ſich denken ließe, gege-
ben. Darum iſt der Glaube uͤberhaupt an ei-
nen Gott dem Menſchen natuͤrlich; und am
natuͤrlichſten der Glaube an einen lebendigen
Gott. Der Gruͤbler, der ihn losgeworden iſt,
mußte zuvor, durch den geilſten Mißbrauch
des Vermoͤgens willkuͤhrlicher Be-
zeichnung, dieſes zweyſchneidigen Schwerd-
tes der Wahrheit und Luͤge, ſich von der Na-
tur und ſeinem eigenen Weſen gewaltſam ab-
ſondern; er mußte ſein Leben gleichſam bey der
Wurzel anfaſſen, um es von ſich zu werfen.
Werde ich es ſagen, endlich laut ſagen
duͤrfen, daß ſich mir die Geſchichte der Philo-
ſophie je laͤnger deſto mehr als ein Drama ent-
wickelte, worin Vernunft und Sprache
die Menaͤchmen ſpielen (*)?
[317]
Dieſes ſonderbare Drama, hat es eine
Kataſtrophe, einen Ausgang; oder reihen ſich
nur immer neue Epiſoden an?
Ein Mann, den nun alles, was Augen
hat, groß nennt, und der in ſeiner Groͤße
fuͤnf und zwanzig Jahre fruͤher ſchon da ſtand,
aber in einem Thale, wo die Menge uͤber ihn
weg ſah, nach Hoͤhen und geſchmuͤckten Buͤh-
nen — dieſer Mann ſchien den Gang der Ver-
wickelungen dieſes Stuͤcks erforſcht zu haben,
und ihm ein Ende abzuſehen (*). Mehrere
behaupten, es ſey nun dies Ende ſchon gefun-
den und bekannt. Vielleicht mit Recht …
Und es fehlte nur noch an einer Kritik der
Sprache, die eine Metakritik der Ver-
[318] nunft ſeyn wuͤrde, um uns alle uͤber Metaphy-
ſik eines Sinnes werden zu laſſen.
Mir daͤucht, ich ſehe Dich Augen machen,
als ſchriebe ich wunderliche Dinge. Laſſen wir
es dabey, und lebe Du wohl!
F. H. Jacobi.
Appendix A Verzeichniß der Briefe.
- I. Sylli an Clerdon Seite 1
- II. Sylli an eben denſelben ‒ 6
- III. Clerdon an Sylli ‒ 10
- IV. Sylli an Clerdon ‒ 14
- V. Clerdon an Sylli ‒ 24
- VI. Beylage zu Clerdons Briefe.
Eduard an Clerdon ‒ 36 - VII. Amalia an Sylli ‒ 46
- VIII. Claͤre an Sylli ‒ 58
- IX. Eduard Allwill an Clemens von
Wallberg ‒ 68 - X. Demſelben ‒ 88
- XI. Amalia an Sylli ‒ 95
- XII. Sylli an Lenore und Claͤre ‒ 110
- XIII. Lenore an Sylli ‒ 119
- XIV. Beylage zu dem vorhergehenden
Briefe. Claͤre an Sylli ‒ 133 - XV. Claͤre an Sylli ‒ 137
- XVI. Allwill an Claͤre ‒ 171
- XVII. Sylli an Clerdon ‒ 184
- XVIII. Sylli an Amalia Seite 189
- XIX. Sylli an ebendieſelbe ‒ 199
- XX. Eduard Allwill an Luzie ‒ 224
- XXI. Luzie an Eduard Allwill ‒ 246
- Zugabe von dem Herausgeber.
An Erhard O **‒ 281
Ueber-
[321]
Appendix B Ueberſetzung der griechiſchen
Stellen.
Auf dem Titelblatt nach der Vorrede:
ΗΑ Ολυμπος ηυλει u. ſ. w.
Was Olympos ſpielte, nenne ich
Stuͤcke des Marſyas; denn dieſer war
ſein Lehrer. Daher jenes Stuͤcke ein guter
Floͤtenſpieler oder eine ſchlechte Floͤtenſpie-
lerinn ſpielen mag; weil ſie goͤttlich ſind,
ſo ſetzen ſie fuͤr ſich allein in Begeiſterung
und offenbaren, wem Goͤtter und Reli-
gion Beduͤrfniß ſind.
Am Schluſſe der Allwilliſchen Briefſamm-
lung: Θεος ανϑρωπῳ u. ſ. w.
Gott laͤßt ſich nicht (unmittelbar) mit
dem Menſchen ein, ſondern nur durch
Vermittelung des Daͤmons haben Goͤtter
mit Menſchen Umgang und Unterredung.
X
[322]
Auf dem Titelblatt der Zugabe: Βουλει
δητα u. ſ. w. Die Stelle hat folgenden Zu-
ſammenhang:
Sokrates. Wollen wir annehmen,
daß dies All und was wir das Ganze nen-
nen, durch die Kraft des Unvernuͤnftigen und
Abſichtloſen, und nach Zufall regiert werde:
oder daß im Gegentheil, wie unſere Alten
ſagten, ein Verſtand und eine gewiſſe be-
wundernswuͤrdige, zuſammenordnende Weis-
heit am Ruder ſey?
Protarchos. Nein, goͤttlichſter So-
krates, jenes ja nicht! denn, was du da
geſagt haſt, ſcheint mir ruchlos. Aber anzu-
nehmen, daß Verſtand das All in Ordnung
halte, iſt des Anblicks der Welt und der
Sonne und des Mondes und der Sterne und
des ganzen Umlaufs wuͤrdig. Und anders
moͤchte ich wenigſtens nie daruͤber ſprechen
noch auch denken.
[323]
Sokrates. Willſt du alſo, daß wir
mit unſern einſtimmigen Alten annehmen,
es verhalte ſich ſo; und daß wir uns
nicht begnuͤgen, ohne eigene Gefahr an-
dern nachzuſprechen, ſondern auch die
Gefahr mit uͤbernehmen und dem Tadel
nicht ausweichen, wenn ein gelehrter
Mann behauptet, es verhalte ſich nicht
ſo, ſondern uͤberall ſey Unordnung?
Protarchos. Wie wollte ich denn
nicht?
[][][][]
welche die Art und Weiſe der Selbſtthaͤtig-
keit, womit jede Gattung lebendiger Natu-
ren, als die Handlung ihres eigenthuͤmli-
chen Daſeyns ſelbſt anfangend und al-
leinthaͤtig fortſetzend gedacht werden muß,
urſpruͤng-
erfahrne Luſt und Unluſt) beſtimmt.
Der Inſtinct ſinnlich vernuͤnftiger (d. i.
Sprache erzeugender) Naturen hat, in
ſo fern dieſe Naturen blos in ihrer
vernuͤnftigen Eigenſchaft betrachtet
werden, die Erhaltung und Erhoͤhung des
perſoͤnlichen Daſeyns (des Selbſt-
bewußtſeyns; der Einheit des reflectierten
Bewußtſeyns mittelſt continuirlicher durch-
gaͤngiger Verknuͤpfung: — Zuſammen-
hang —) zum Gegenſtande; und iſt folg-
lich auf alles, was dieſes befoͤrdert, unaus-
ſetzlich gerichtet.
In der hoͤchſten Abſtraction, wenn man
ſie nicht mehr als Eigenſchaft, ſon-
dern ganz fuͤr ſich allein betrachtet: geht
der Inſtinct einer ſolchen bloſſen Ver-
nunft allein auf Perſonalitaͤt, mit Aus-
ſchließung der Perſon und des Daſeyns,
weil Perſon und Daſeyn Individualitaͤt ver-
langen, welche hier nothwendig wegfaͤllt.
Die reine Wirkſamkeit dieſes letzten In-
ſtincts, koͤnnte reiner Wille heiſſen.
Spinoza gab ihr den Namen: Affect der
Vernunft. Man koͤnnte ſie auch das Herz
der bloſſen Vernunft nennen. Ich glaube,
daß wenn man dieſer Indication philoſophiſch
nachgeht, mehrere ſchwer zu erklaͤrende Er-
ſcheinungen, auch die eines unſtreitig vor-
lichkeit, ſeines Vermoͤgens und Unvermoͤ-
gens, ſich vollkommen begreiflich werden fin-
den laſſen. Man muß aber zugleich auf die
Function der Sprache bey unſeren Urthei-
len und Schluͤſſen wohl Acht haben, damit
man durch Inſtanzen, welche auf nur etwas
ſchwer zu entraͤthſelnden Wortſpielen beru-
hen, nicht irre oder muthlos gemacht werde.
welcher Lenore und Claͤre von Wallberg ſich
aufhielten. Sie war ihre Tante, und folg-
lich auch Clerdon anverwandt.
ſchrift, woraus dieſe Stellen gezogen ſind. Sie
iſt uͤberſchrieben: London, den 16ten May
1758. Ein Fragment von anderthalb Bogen,
voller Luͤcken. Aber ſo wie es iſt, ſoll es dem
Publikum, mit andern Fragmenten, einſt
mitgetheilt werden.
des Triſtram Shandy Th. III. C. 37. an-
zuſpielen.
ſchen (Tom. III. p. 245. c. Ed. Bipont. X.
p. 318.) ſteht δεινος, welches Ficinus hier
contentioſus, und im Jon, wo es haͤufig
vorkommt, peritus (Tom. I. p. 532. a. Ed.
Bipont. IV. p. 182.) uͤberſetzt. Kleuker
hat wie Allwill, oder dieſer wie jener uͤber-
ſetzt, welches dem Herausgeber fuͤr ſeinen
Freund Kleuker nicht weniger lieb iſt, als
fuͤr Allwill. Der Herausgeber, nachdem
er mit Muͤhe und Verdruß die durch den
ganzen Phaͤdrus zerſtreuten Stellen, worauf
Allwill Bezug nimmt, zuſammengeleſen hat,
wuͤrde noch ganz andre Dinge zu erinnern
haben, wenn es der Muͤhe lohnte. So ſcheint
Allwill ſogar ignoriert zu haben, daß es
faſt ſtreitig iſt, ob die Griechen von Zei-
chendeutern aus Eingeweiden wußten.
videat: at, ut oculus, ſic animus ſe non
videns alia cernit. Non videt autem, quod
minimum eſt, formam ſuam. Fortaſse:
quamquam id quoque. Cic. Tuſc.
Quæſt. L. I. c. 28.
reans were of a leſs religious caſt — (than
thoſe of the Stoics and Platoniſts) —; but
die ſich mit dem Erebus vermaͤhlt hatte.
Dies war, nach der aͤlteſten Mythologie, der
Anfang der Dinge.
induced them to doubt, the poſitive igno-
rance of the latter urged them to deny,
the providence of a ſupreme Ruler.
Gibbon.
Aeuſſerungen auch nur einen Augenblick ge-
wiſſen Gegnern der franzoͤſiſchen Revolu-
tion in und auſſer Frankreich beygeſellte,
gerade ſo heterogen ſind, als es alle meine
Schriften, ohne Ausnahme, beweiſen, und
noch beſſer die Geſchichte meines Lebens. —
Bellum eſt in eos qui judiciis coërce-
ri non poſſunt! Dies bleibt ewig wahr;
und ich geſtehe ohne Scheu, daß Cromwell
unter ſeinen Enthuſiaſten von allerley Art
mich weniger empoͤrt, mein Herz vertraͤglicher
mit der Menſchheit laͤßt, als ſein koͤniglicher
Nachfolger, unter ſeinen Luſtigmachern, An-
zettlern, Metzen und Suͤndenvergebern.
Jener hieng doch wirklich an Ideen, und
hatte uͤberall Gemeinſames im Auge,
womit ſein Eigennutz ſich nur vermiſchte;
dieſer hieng allein an ſich, haßte alles Ge-
meinſame, und laͤchelte abſcheulich je-
dem Frevel, der ſeine veraͤchtliche Willkuͤhr, als
ſolche, alleinherrſchend zu machen verſprach.
— — Salomo, ein Koͤnig und ein Weiſer,
Buche: „Es iſt ein Ungluͤck das ich ſah unter
der Sonne, naͤmlich Unverſtand, der
unter den Gewaltigengemein iſt.”
eſpouſer au prix de la vie, ſagt Montaigne
im XL. Cap. des Erſten Buches ſeiner Ver-
ſuche, und laͤßt es nicht an Beweiſen mangeln.
niſſe und harmoniſchen Befriedigung.
dererinnerung.
Der Hungrige, bemerkt Plato, empfin-
det als ſolcher, nehmlich in ſo fern er Saͤt-
tigung anſtrebt, das Entgegengeſetzte des-
jenigen Zuſtandes, worin er wirklich iſt. Der
Ausgehungerte kann fuͤr ſich nur Schmerz
empfinden, nur die gegenwaͤrtige Zerruͤttung
ſeines Koͤrpers; nicht, was ihn herſtellen
wuͤrde, kein Verlangen nach Speiſe; wenn
nicht die Erfahrung, daß jener Schmerz
durch Speiſe geſtillt wurde, vorhergieng.
Die Begierde aber wittert, ſucht und fin-
det ihren Gegenſtand zuerſt vor aller Er-
Subject ihrer Wahrnehmung jetzt ſchlechter-
dings nicht findet. Alſo ſieht die Begierde
weiter, als die Empfindung reicht; ſie er-
blickt, was die entgegengeſetzte Empfindung
hervorbringen und das mit Untergang be-
drohte Weſen retten kann.
Dieſer innerliche Arzt, Rath und Helfer,
iſt die Kraft ſelbſt, welche in jedem einzel-
nen Weſen, Endliches und Unendliches
auf eine gemeſſene Art verknuͤpft und zu-
ſammenhaͤlt: Die Seele. Die Erkennt-
niß, welche ſie beweiſt, kann ſie nicht aus
ihrem Koͤrper, deſſen Daſeyn und Leben ſie
verurſacht; nicht aus den Erfahrungen,
die ſie in Gemeinſchaft mit ihm machte, her-
nehmen; denn jene Erkenntniß gieng vor
dieſen Erfahrungen her und machte ſie erſt
moͤglich. Da alſo dieſe Erkenntniß vorher
gedacht werden muß, ſo erſcheint ſie in
dem gegenwaͤrtigen Zuſtande als Beſin-
Seele vorhergegangenes, alleinthaͤtig, im
Andenken behaͤlt, nennen wir Gedaͤchtniß.
S. den Philebus.
Unendlichen das Unbeſtimmte, welches unter
dem Bilde von Mehr oder Weniger
allein gedacht, aber, als an ſich wirklich,
nie vorgeſtellt werden kann.
Dem Unendlichen ſetzt er entgegen — nicht
das Endliche, ſondern — das Ewige, Al-
lein Wahre und Wirkliche, durch
welches alle Dinge ſind und erkannt werden,
in ſo fern ſie erkannt werden koͤnnen und
ein wirkliches Daſeyn beſitzen.
chen und dem Ewigen, dem Wahren und
Unwahren, dem Seyn und Nichtſeyn in der
Mitte.
Darum muß in der Reihe der Weſen als
das Oberſte und Erſte geſetzt werden:
Maaß; ein in und durch ſich ſelbſt be-
ſtimmtes, unerzeugtesBeſtimmen-
des.
Als das zweyte: Ebenmaaß, welches
das erzeugte Endliche im Daſeyn erhaͤlt;
die gemeſſene Miſchung: Schoͤn-
heit, Vollkommenheit.
Als das dritte: Erkenntniß. Sie
ſteht in der Ordnung billig nach ihrem Ge-
genſtande, und nach ihrer Abſicht; denn
eine Erkenntniß von Nichts und zu Nichts,
waͤre keine Erkenntniß. Ueberall iſt ihr Werth
der Werth ihres Inhalts; ihr Grad, der
ſie iſt.
Als das vierte: Theorie und Kunſt.
Als das fuͤnfte und letzte: die ange-
nehme Empfindung. Sie erhaͤlt die
unterſte Stelle, weil ſie fuͤr ſich weder An-
fang, noch Mittel, noch Ende hat, ſondern
dies alles von dem Zwecke nimmt, deſſen
Erzeugung ſie begleitet, und gleichſam
nur das Signal ſeiner Erfuͤllung iſt. Die
nicht voruͤbergehende, nicht paſſive,
folglich unter dieſer Gattung nicht begriffene
Freude, wird von dem Verſtande ſelbſt,
der von der Art der Erſten Urſache iſt,
als eine der Erkenntniß und Tugend zu ihrer
Genugſamkeit unentbehrliche Beymi-
ſchung, hervorgebracht, und gehoͤrt demnach
zu der Natur des Ewigen.
Dieſe Eroͤrterungen laͤßt Plato den So-
krates mit folgenden Worten beſchließen:
„und Pferde und das ſaͤmtliche uͤbrige Vieh
„widerſprechen, weil ſie blos der Luſt nach-
„jagen? Eben ihnen glauben ſo viele, wie
„Wahrſager den Voͤgeln, und urtheilen da-
„her, daß die Wolluͤſte die koͤſtlichſten Guͤ-
„ter zum Leben waͤren. Ja ſie glauben, daß
„die Luſttriebe der Thiere viel anſehnlichere
„Zeugen fuͤr die Wahrheit waͤren, als alle
„eingegebene Reden einer philoſophiſchen
„Muſe.”
rus, oder im Regnard, oder im Schakeſpear,
bey welchem letzteren, es die Irrungen
heißt.
der Grundſaͤtze der natuͤrlichen Theologie
und der Moral, zur Beantwortung der
Frage, welche die Koͤnigliche Akademie der
Wiſſenſchaften zu Berlin auf das Jahr 1763
aufgegeben hat.
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CC-BY-4.0
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- TextGrid Repository (2025). Jacobi, Friedrich Heinrich. Eduard Allwills Briefsammlung. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn65.0